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Roy Palmer 1.
Die Luftwurzeln von Mangroven können tückische Fallen sein. Jean Ribault und auch der Spanier Carlos Rivero wußten das, und doch übersah Carlos eins der knorrigen Gebilde. Es war völlig unter schweren, lappigen Blättern und Lianen ver- borgen. Er stolperte darüber und fiel. Jean konnte nicht schnell genug abstoppen. Er strauchelte über Carlos' Beine und stürzte ebenfalls. Sie überrollten sich auf dem morastigen Untergrund, gerieten sich gegenseitig ins Gehege und stießen leise Verwünschungen aus. Laut durften sie nicht fluchen. Der Feind saß ihnen dicht im Nacken. Wieder hörten sie die Rufe von Morrison, dem Anführer der Siedlungswachen von El Triunfo an der Küste von Honduras: „Beeilt euch! Packt sie! Sie dürfen uns nicht entwischen!“ Hinkle, der schwerhörige Engländer, der obendrein nicht sonderlich gut sehen konnte, und die fünf anderen Verfolger drangen unter Morrisons Kommando mit verschwitzten Gesichtern in das vor Feuchtigkeit dampfende Gestrüpp ein. Die Gefangenen waren entwischt, eben waren sie im Dickicht untergetaucht. Doch Morrisons Leute kannten sich in diesem verfilzten Dschungel besser aus als jeder andere. Jeder verborgene Pfad, jede noch so winzige Lichtung war ihnen bekannt, und sie fanden sich auch im Dunkeln zurecht. Jean Ribault stellte genau diese Überlegungen an. Es war Tag, und die leichten Schwaden Morgennebel, die in der beginnenden Hitze aufstiegen, boten auch keine Deckung. Morrisons Truppe würde keine großen Schwierigkeiten haben, die beiden vermeintlichen Spione wieder einzufangen. Die Chancen, daß die Flucht doch noch gelang, waren ziemlich gering. Dabei hatte alles vielversprechend begonnen: mit dem Messer, das Emile Boussac Jean zugesteckt hatte, mit dem tollkühnen, blitzschnellen Handstreich an Bord der Pinasse, bei dem Hinkle und die beiden anderen Bewacher ins Wasser der
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Bucht geflogen waren. Ribault und Carlos Rivero hätten mit Morrisons Schaluppe davonsegeln und Kurs auf das Versteck der „Le Vengeur III.“ nehmen können, aber genau das wollte Ribault vermeiden. Denn wenn der Feind wußte, wo die „Le Vengeur III.“ ankerte, war alles verloren. Nicht schnell genug konnten Siri-Tong, Barba, Jenkins und die anderen Kameraden an Bord ankerauf gehen und die verborgene Flußmündung verlassen. Einem Angreifer, der sich von der Seeseite her näherte, waren sie ausgeliefert. Darum hatte Ribault es vorgezogen, die Verfolger abzulenken. Und wenn er selbst dabei draufging - die „Vengeur“ durfte nicht entdeckt und aufgebracht werden! Mit verbissener Miene rappelte er sich wieder auf. Carlos war ebenfalls auf den Beinen, geduckt setzten sie ihre Flucht fort. Aber die Stimmen der Gegner ertönten immer dichter hinter ihren Rücken. Es war nur noch eine Frage der Zeit, dann waren sie umzingelt und mußten sich ergeben. Ribault bedeutete dem Spanier durch Handzeichen, was er zu tun gedachte, und Carlos begriff. Sie hielten nach einem passenden Versteck Ausschau und fanden es, - ein dichtes Bärlappgestrüpp, unter das sie krochen und sich verbargen. Von dort spähten sie in die Richtung, aus der der Feind anrückte und jeden Moment aus dem Dickicht auftauchen mußte. Angriff ist die beste Verteidigung, sagte sich Ribault grimmig. Er wußte, was er riskierte, aber er dachte nicht länger darüber nach. Daß Carlos an seiner Seite blieb und keine Fragen stellte, war ihm hoch anzurechnen. Es bewies, daß der Spanier nicht nur eine gehörige Portion Schneid und Courage hatte, sondern auch an seinen Prinzipien von Kameradschaft und Verbundenheit festhielt. Ribault und die Männer der „Vengeur III.“ hatten ihn gerettet, sie Waren seine Freunde. Für Ribault hätte er sich den Kopf abschlagen lassen. So waren die Ereignisse vor der Insel Gran Cayman für Carlos Rivero zu einem
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einschneidenden Erlebnis in seinem Dasein geworden. Die Black Queen hatte ihn an einen Felsen binden lassen, sein Schicksal war bereits besiegelt gewesen. Im letzten Augenblick waren aber Jean Ribault und dessen Männer aufgetaucht. Längst hatte Carlos dem alten Pakt mit den Meuterern von der spanischen KriegsGaleone „Aguila“ abgeschworen. Die blutrünstigen Ziele, die sich Jaime Cerrana und die anderen gesetzt hatten, waren nicht seine Sache. Die Meuterer hatten sich mit der Black Queen und Caligula verbündet er, Carlos, kämpfte mit Jean Ribault gegen sie. Die Lage hatte sich zugespitzt. Die Queen war in El Triunfo, das von spanischen Galeonen aus Cartagena angegriffen werden sollte. Irgendwo mußten die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ ankern, und die Queen war mit dem Bürgermeister Willem Tomdijk dorthin unterwegs. Tomdijk war dieser Freibeuterin bereitwillig ins Netz gegangen. Sie brauchte Männer, viele Männer, eine entschlossene und wehrhafte Gefolgschaft, denn nur so konnte sie die Oberhand in der Karibik gewinnen und den Seewolf besiegen. Dies schwebte ihr vor, und sie tat alles, um das zu verwirklichen. Wenn Morrison und seine Leute Ribault und den Spanier auslieferten, war es um die beiden geschehen. Die Black Queen würde nichts unversucht lassen, sie zu töten. Sie haßte sie, wie sie alle Männer und Frauen der Schlangen-Insel haßte, von Philip Hasard Killigrew bis zu Arkana. Ribault griff nach Carlos Riveros Arm: Da, jetzt waren sie ihnen ganz nahe! Es raschelte und prasselte im Dickicht: Zum Greifen nah stürzte ein Mann an ihrem Versteck vorbei. Es war Morrison, aber er schien sie nicht entdeckt zu haben. Mit einem Fluch hastete er weiter. Noch ein Verfolger arbeitete sich an den beiden Männern vorbei, die reglos und ohne auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, da kauerten. Carlos hätte nur den rechten Fuß ein wenig
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auszustrecken brauchen, und der Kerl wäre darüber gestolpert. Aber noch hielt Ribault seinen Gefährten zurück. Der richtige Augenblick für sie kam, als der dritte Gegner erschien. Es war Hinkle, der Schwerhörige. Immer noch benommen und leicht verwirrt von dem unfreiwilligen Bad in der Hafenbucht, taumelte er mitten zwischen Ribault und den Spanier. Ribault sprang auf, seine rechte Faust zuckte hoch. Hinkle hörte die Geräusche vor sich erst, als es zu spät war, und auch seine Reaktion auf die gedankenschnelle Bewegung des Franzosen erfolgte zu spät. Die Faust traf seine Kinnlade, er flog ein Stück zurück und fiel auf den Rücken, dann schwanden ihm die Sinne. Reglos blieb er liegen. Es war ein verhängnisvoller Morgen für Hinkle, er sollte ihn nicht mehr vergessen. Ribault war über ihm und nahm ihm den Säbel und das Messer ab, die er bei sich trug. Die Pistole ließ er ihm - die war ohnehin ungefährlich, denn die Pulverladung war durch das Seewasser un. brauchbar geworden. Schon tauchte die nächste Gestalt auf, wieder ein klatschnasser Mann, der sich als der entpuppte, dem Carlos Rivero den Ellenbogen in den Magen gerammt hatte. Carlos war in diesem Moment neben Ribault und warf sich auf den Angreifer, als dieser einen Wutschrei ausstoßen wollte. Sie gingen gemeinsam zu Boden und verklammerten sich ineinander. Ribault wollte dem Kerl mit dem Knauf des erbeuteten Messers einen Hieb verpassen, aber der Spanier gewann die Oberhand und schickte den Gegner mit einem gezielten Hieb ins Reich der Träume. „Hinkle, bist du das?“ ertönte höchstens zwei, drei Yards von ihnen entfernt im Busch eine dunkle Männerstimme. Kein Zweifel, das war der dritte Mann aus der Pinasse, der Mann vom Bug, den Ribault mit einem Bootsriemen niedergeschlagen hatte. Wo sich die anderen Verfolger jetzt befanden, ließ sich nicht ermitteln, aber nach Ribaults Schätzungen waren sie alle
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wie Morrison bereits ein Stück vorausgeeilt. Lautlos und sehr schnell nahm Carlos dem bewußtlosen Gegner die Waffen ab und huschte zu Ribault, der ihm durch Zeichen bedeutete, sich wieder zu ducken. Der dritte Gegner tauchte aus dem Dunkelgrün der Büsche auf. Plötzlich blieb er stehen und riß seinen Säbel hoch. Er hatte Ribaults Gesicht zwischen den Blättern entdeckt und auf Anhieb wiedererkannt. „Hier sind sie!“ brüllte er. „Hierher!“ Dann stürzte er sich auf Jean Ribault und ließ den Säbel auf dessen Kopf niedersausen. * Ribault handelte geistesgegenwärtig. Er warf sich zur Seite, rollte sich ab und sprang mit dem kampfbereiten Beutesäbel in der Rechten wieder auf. Der Hieb des Gegners ging ins Leere, die Klinge zerschnitt ein paar Blätter und fuhr in den Dschungelboden. Carlos sprang mit einem Satz hinter den Verfolger und schlug ihm den Korb seines Säbels auf den Hinterkopf. Der Mann brach zusammen, ohne auch einen Laut von sich zu geben. Carlos' Verhalten war völlig richtig: Sie durften sich auf keine Säbelduelle einlassen. Schon verrieten die Stimmen von Morrison und seinen Leuten, daß sie sich umgedreht hatten und zu ihnen zurückkehrten. Nach wie vor hatte es keinen Sinn, die Flucht fortzusetzen. Zu dicht saßen ihnen die Verfolger auf den Fersen. Im übrigen mußte der Schrei des einen Mannes auch die anderen Wachen alarmiert haben, die rund um El Triunfo verteilt waren. Scheinheilig und hinterlistig hatte die Black Queen Willem Tomdijk vor etwaigen spanischen Spionen gewarnt, die in El Triunfo eindringen könnten, um die Lage auszukundschaften. Tomdijk hatte daraufhin sämtliche Wachtposten verstärkt, und prompt waren Ribault und Rivero in einen Hinterhalt geraten. Jetzt aber drehten sie den Spieß um. Wieder tauchten sie im Dickicht unter. Der
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nächste Mann, der in ihre Falle lief, war Morrison. „Clark!“ schrie Morrison. „Hast du sie?“ „Ja“, erwiderte Ribault, indem er Clarks Stimme täuschend echt nachahmte. Clark, der Mann, der Ribault den Schädel hatte spalten wollen, lag nach wie vor völlig regungslos und in tiefer Ohnmacht am Boden. ebenso Hinkle und der dritte Gegner. Von dem, was um sie herum vorging, bemerkten sie in ihrem Zustand nichts mehr. Morrison stürmte auf den Platz zu, an dem Clarks Stimme soeben ertönt war. Er hielt seinen Säbel in der rechten Faust, in der linken hatte er eine schußbereite Muskete. Plötzlich sah er links vor sich, nur einen Yard entfernt, eine Gestalt aus dem Dickicht hochschnellen, gleich darauf rechts von sich eine zweite. Er fluchte. riß beide Waffen hoch und begriff, daß er einem Trick erlegen war, aber das nutzte ihm nichts mehr. Carlos Rivero ließ seinen erbeuteten Säbel durch die Luft pfeifen. Morrison duckte sich und wich aus. Jean Ribault war mit einem Satz bei ihm, packte tollkühn die Muskete und riß ihn zu sich heran. Morrison verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden. Fast stürzte er auf seinen Säbel und verletzte sich, nur im letzten Augenblick konnte er sich herumwälzen und dem Unheil entgehen. Ribaults Faust entging er nicht. Die sauste auf ihn nieder und schickte ihn mit einem schmetternden Hieb in tiefe Bewußtlosigkeit. Ribault beugte sich über ihn, nahm ihm die Waffen ab und war im nächsten Moment wieder im Gestrüpp verschwunden. Carlos zerrte Morrison an den Beinen tiefer ins Dickicht - und schon war der nächste Gegner heran. Er stoppte und blickte sich verwirrt um. „Morrison?“ fragte er. „Clark?“ „Hier“, sagte Carlos Rivero aus dem Gebüsch heraus. Der Mann rückte näher auf ihn zu und hielt die Muskete schußbereit. Irgendetwas schien ihm nicht zu gefallen. Schöpfte er Verdacht? Er beugte sich über das
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Gesträuch, in dem Carlos sich verborgen hielt. „He!“ sagte er und wollte wohl auch noch etwas hinzufügen, kam aber nicht mehr dazu. Jean Ribault hatte sich angepirscht und hieb mit dem Kolben von Morrisons Muskete zu. Mit einem Ächzer sank auch dieser Gegner zu Boden. Ribault und der Spanier warteten auf weitere Gegner, aber sie vernahmen nur das Trampeln von Schritten und das Rascheln des Gestrüpps ein Stück rechts von sich. Die beiden anderen Verfolger liefen höchstens zwei, drei Yards entfernt an ihnen vorbei. Sie hatten nur leicht die Orientierung verloren, aber das genügte bereits: Sie stießen weder auf Morrison, Clark, Hinkle und die anderen Kerle noch auf die beiden entflohenen Gefangenen. Im Grunde war es ihr Glück, denn so ersparten sie sich schmerzende Kopfnüsse. Ribault und der Spanier hätten in der Tat keine großen Schwierigkeiten gehabt, auch diese Gegner außer Gefecht zu setzen. Sie hatten das Überraschungsmoment nach wie vor auf ihrer Seite. Die Männer von Morrisons Trupp langten am Ufer der Bucht an und hasteten zu der Pinasse und der Schaluppe. Inzwischen war ein drittes Boot eingetroffen, das mit sechs Siedlern bemannt war. In geringem Abstand zum Ufer dümpelte es im Wasser. Der Bootsführer rief den beiden Männern am Strand zu: „Was ist hier los? Wo steckt Morrison?“ „Die beiden spanischen Spione sind geflohen“, entgegnete der eine Mann. „Wir suchen sie. Habt ihr Morrison und unsere Leute nicht gesehen?“ „Nein.“ „Sie müssen noch im Busch sein.“ Der zweite Posten am Strand drehte sich zum Urwald um, seine Miene war argwöhnisch. „He, Morrison!“ schrie er, aber niemand antwortete ihm. „Da stimmt was nicht“, sagte er. „Was ist passiert?“ Das Boot legte an, die Insassen sprangen an Land. Acht Männer stürmten ins Dickicht und hielten überall nach den Verschwundenen Ausschau. Die Antwort
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auf die Frage, wo Morrison, Clark, Hinkle und die beiden anderen Kerle waren, erhielten sie bald. Als ersten fanden sie Hinkle, der sich verwirrt und blinzelnd aufrichtete, dann entdeckten sie auch die anderen. Doch die Frage, wo die beiden „Spione“ steckten, blieb ungeklärt. Ribault und Rivero waren längst verschwunden und schlichen wieder durch den Busch, bemüht, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. „Wohin?“ zischte der Spanier. „Zurück zur Siedlung“, raunte Ribault ihm zu. „Wir müssen versuchen, doch noch etwas zu erreichen. Es hat keinen Sinn, zur ,Vengeur` zurückzukehren. Auf dem Weg dorthin würden die Kerle uns so oder so schnappen.“ „Ja“, pflichtete Rivero ihm bei. „Da lauern mehr Posten als anderswo. Keiner rechnet damit, daß wir so verrückt sind, wieder in El Triunfo zu erscheinen. Dann also los! Aber Siri-Tong wird sich um uns sorgen.“ „Nicht, solange keine Schüsse fallen“, flüsterte Ribault. „Sie wird annehmen, daß uns nichts geschehen ist. Sie ahnt nichts von dem, was vorgefallen ist.“ „Das ist beim jetzigen Stand der Dinge auch nur gut so“, murmelte Carlos Rivero mit grimmiger Miene. 2. Der Marsch von El Triunfo zur Bahia de Tela, wo die Schiffe der Black Queen ankerten, war für Willem Tomdijk sehr beschwerlich gewesen. Willem war ein übergewichtiger Mensch, der schon im zarten Kindesalter zur Fettleibigkeit geneigt hatte. Nichts haßte er mehr als körperliche Tätigkeiten jedweder Art. Dennoch hatte der Marsch ein positives Ergebnis. Willem war seine gräßlichen Kopfschmerzen, die ihn nach der durchzechten Nacht mit der Queen, Caligula und Georges Buisson geplagt hatten, fast völlig los. Er konnte wieder klar denken. Ja, mit fast fröhlicher Miene. so konnte man sagen, trat er auf den Strand der Bucht und ließ den Blick seiner
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gen schmutziggrauen Augen über die beiden Dreimaster gleiten, die da ankerten. „Wunderbar“, sagte er. „So ein schöner Anblick.“ Er unterließ es jedoch, darauf hinzuweisen, daß die Bemerkung eher der Black Queen galt als den Schiffen. Immer wieder bedachte er sie mit Seitenblicken, die keine Fehldeutung zuließen. Schon in der Nacht hatte er versucht, sie mit seinen dicken Fingern anzufassen, hatte aber keinen rechten Erfolg gehabt. Trotzdem es würde ihm noch gelingen, sie zu erobern. Davon / war er felsenfest überzeugt. „Nicht wahr?“ sagte die Queen und lächelte. „Der Zweidecker ist meine ,Caribian Queen'. Das andere Schiff ' ist die ,Aguila'. Sie hat achtundzwanzig Culverinen, vier Drehbassen und zwei Zwölfpfünder als Heckgeschütze.“ „Eine feine Armierung“, sagte Willem. „Damit heizen wir den Spaniern ganz schön ein, wenn sie erscheinen“, meinte Georges Buisson, der den Trupp wieder begleitet hatte. „Nicht so voreilig“, sagte einer von Tomdijks vier Leibwächtern. „Das hängt davon ab, wie groß der Verband ist, der uns angreifen soll.“ „Die Queen hat keine Angst“, sagte Buisson. „Weder vor zwei noch vor drei Dutzend spanischen Kriegsgaleonen.“ Er sah sie sehnsüchtig und entsagungsvoll zugleich an. Gern hätte auch er sich näher mit ihr befaßt, denn sie war eine Frau, die die Phantasie jedes Mannes anheizte. Schön in ihrer brutalen, unbezähmbaren Wildheit stand sie da und schaute triumphierend zu den Mannschaften der Schiffe. Sie hatte die Lage in der Hand, sie war die Herrin. Selbst Caligula, der riesige Schwarze, war nur ein williges Werkzeug in ihren Händen. Caligula gab ein Zeichen zur „Caribian Queen“ und zur „Aguila“. Ein zweites Beiboot wurde abgefiert, bemannt und zum Ufer gepullt. Die Jolle der „Caribian Queen“ allein, die auf dem Sandstrand lag, reichte nicht aus, um die Queen, Tomdijk und deren Begleiter zu befördern.
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Das Boot traf ein. Nur wenige Worte wurden gewechselt. Die Queen hatte es jetzt eilig, ihre Gäste an Bord der „Caribian Queen“ zu befördern. Die Jolle wurde ins Wasser geschoben, und die Männer kletterten an Bord beider Boote. Das ging sehr rasch vonstatten. Nur Willem, der als letzter überenterte, hatte Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Er setzte einen Fuß in die Jolle der Queen, während er mit dem anderen - das Hosenbein hochgekrempelt - im flachen Wasser stand. Die Jolle sackte bedrohlich tiefer und krängte. Willem hatte nicht den richtigen Schwung, um sich ganz an Bord zu befördern. Er wankte, ruderte mit den Armen und drohte, ins Wasser zurückzukippen. Zwei seiner Leibwächter, die schon im Boot saßen, griffen beherzt zu und packten seine Arme. Willem fluchte in seiner Muttersprache und versuchte erneut, einzusteigen. Ein wüstes Zerren und Hangeln begann, wobei anfangs nicht klar zu sein schien, wer der Sieger blieb: die Leibwächter, die alles taten, um ihn in die Jolle zu hieven, oder Willem, der wie ein gewaltiger Mehlsack an ihnen hing und sie ins Wasser zu reißen schien. Endlich griff der dritte Leibwächter mit zu, dann war auch der vierte heran, und gemeinsam wuchteten sie den massigen Mann an Bord. Willem ließ sich mit einem: Ächzer auf die mittlere Ducht sinken und hielt sich an Backbord und Steuerbord fest, denn das Boot begann bedenklich zu kippen. Buisson und die .anderen saßen in dem zweiten Boot und konnten sich ein Lachen kaum verkneifen. Aber es mochte wohl der Gedanke an das sein, was bevorstand, der sie daran hinderte, laut loszuprusten. Willem, die Witzfigur, wurde einer mächtigen Tonne gleich zur „Caribian Queen“ gepullt. Aber er war doch nicht nur witzig, dieser Willem Tomdijk, er war auch ein Schlitzohr und eine Krämerseele und rechnete sich sofort sämtliche Vorteile aus, die ihm durch das Auftauchen der Queen und ihrer Schiffe geboten wurden.
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Schließlich mußte der Mensch zuallererst an sein persönliches Wohlergehen denken. Nach diesem Prinzip handelte Willem. Er hatte in der ehemaligen spanischen Mission von El Triunfo, die sein Hauptquartier war, eine Bierbrauerei eingerichtet. Davon lebte er. Im übrigen verfuhr er nach dem Grundsatz, daß es ihm nur dann gut ging, wenn das auch für alle anderen in seiner näheren Umgebung zutraf. Leben und leben lassen! Kein Mann in der frauenlosen Siedlung hatte je bereut, diesen Dicken zum Bürgermeister gewählt zu haben. Er nahm eine neutrale Stellung ein und wußte Entscheidungen durch Abstimmungen souverän herbeizuführen - das mußte man ihm lassen. Die Boote schoben sich an der Bordwand der „Caribian Queen“ 'längsseits. Alle Insassen enterten an der bereithängenden Jakobsleiter auf, nur für Willem mußte schleunigst ein Bootsmannsstuhl abgefiert werden, ohne den er es nicht geschafft hätte, an Bord der Galeone zu gelangen. Ein paar Flüche der Piraten, die Willem mittels der Taue hochhievten, ein sattes Schnaufen und Ächzen des Bürgermeisters, dann stand er auf dem Hauptdeck der „Caribian Queen“ und schaute sich vergnügt um. Die Queen stand vor ihm und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Nun?“ fragte sie ihn. „Wie gefällt dir mein Reich?“ „Sehr gut, ich sagte es wohl schon.“ „Du siehst, wir haben hier sehr viel Platz.“ Er grinste. „Auf beiden Schiffen können gut und gern zweihundert Menschen befördert werden - was sage ich! Dreihundert!“ „Langsam, langsam“, sagte sie lachend. „Wir wollen die Einzelheiten unseres Planes erst noch eingehend besprechen. Wie wäre es mit einem Begrüßungstrunk?“ Etwas wehleidig verzog Willem sein rosiges Jungengesicht. „Im Moment kann ich höchstens einen Schluck Wasser annehmen.“ Caligula und die anderen Kerle, die sie umringten, lachten grölend. Willem
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betrachtete sie der Reihe nach. Auch Jaime Cerrana war inzwischen eingetroffen. Er hatte sich in dem Boot der „Aguila“ übersetzen lassen, denn er wollte sich nicht entgehen lassen, den Bürgermeister von El Triunfo persönlich zu begrüßen. Es wurden also reihum die Hände geschüttelt, dann begann die Besichtigung der „Caribian Queen“. Willem bedachte Cerrana mit einem etwas mißtrauischen Seitenblick. Wer war dieser Kerl? Ein Spanier? Er würde sich noch genauer über ihn informieren müssen. Jeder Spanier war in El Triunfo verhaßt, die Spanier waren die erklärten Feinde der englischen und französischen Siedler. Von ihnen konnte nur Unheil drohen. Im Achterdeckssalon des Zweideckers legte die „Delegation“, die aus der Queen, Caligula. Buisson, Willem und den vier Leibwächtern bestand, vorerst eine Rast ein. Willem ließ sich seufzend auf der Koje der Queen nieder, ohne viel zu fragen, breitete die Arme aus und sagte: „Queen, es ist das schönste Schiff, das ich je gesehen habe.“ In der Tat war er ganz besonders von diesem Salon angetan. Sofort bewegten sich seine Gedanken wieder in eine bestimmte Richtung. Wie würde es wohl sein, wenn er hier nächtigte, und wenn sie, die Black Queen, im Dunkeln sein Quartier betrat, nur bekleidet mit diesem lächerlichen Fetzen von einem Lendenschurz? Sie schien seine Gedanken zu erraten und lächelte ihm aufreizend zu. „Vielen Dank für deine lobenden Worte. Selbstverständlich stelle ich dir meine Kammer für die Überfahrt nach Tortuga und Hispaniola zur Verfügung. Ich tue das gern für dich, Willem.“ „Danke. Tortuga und Hispaniola - das also ist das Land, wo wir alle sicher sind?“ „Ja.“ „Wir laufen aus und segeln davon, Bürgermeister?“ fragte einer der Leibwächter. „Das war uns noch gar nicht bekannt.“
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„Moment mal, Moment mal“, sagte Willem. „Nur keine übertriebene Hast. Wir stimmen darüber noch ab, wie sich das gehört. Und wir fassen auch einen Beschluß, der die Schiffe betrifft. Es wäre wohl richtiger, sie in den Hafen zu verholen.“ „Und wenn die Spanier inzwischen angreifen?“ fragte Georges Buisson. „Dann liegen die ,Caribian Queen' und die ,Aguila' dort in der Falle.“ „So schnell rücken die Spanier, diese Hundesöhne, nicht an“, sägte Willem. „Da würde ich nicht so sicher sein.“ Die Black Queen hatte eins der Schapps geöffnet und nahm eine große Flasche Wein und dickbauchige Kelche heraus, die sie verteilte. „Ich habe es dir schon gesagt, Willem, es ist stündlich mit ihrem Angriff zu rechnen. Jaime Cerrana kann es dir bestätigen.“ „Ja, Cerrana.“ Willem nahm den Kelch mit süffigem spanischem Rotwein nur zögernd entgegen. Doch als sie anstießen und er den ersten Schluck kostete, konnte er nicht umhin, den Rest gleich in einem Zug die Kehle hinunterzustürzen. „Dieser Cerrana“, sagte er. „Was ist das überhaupt für ein Mensch?“ „Ein spanischer Rebell und mein Verbündeter“, erwiderte die Queen. „Ich kann mich voll und ganz auf ihn verlassen. Auch das habe ich dir schon gesagt, Willem.“ „Wann?“ „Heute nacht.“ „Ach ja, richtig, heute nacht.“ Der Dicke grinste. Jetzt, nachdem das Schädelbrummen aufgehört hatte, war die Erinnerung an die Bier-und-GürteltierOrgie wieder etwas ungemein Angenehmes. Entschlossen erhob er sich. „Fahren wir also fort mit der Besichtigung der Schiffe, damit wir zu einem Abschluß gelangen. Ich nehme doch an, daß es hier auch genügend Raum für meine Bierfässer und die Brauerei-Ausstattung gibt?“ „Aber natürlich.“ Sie führte ihn in die tiefer gelegenen Decks der Galeone, und hier konnte Willem die Stauräume in Augenschein nehmen, die wahrhaftig
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enorm groß wirkten. Ein neues Ziel schwebte ihm vor. Auf Tortuga oder Hispaniola, das stand schon jetzt für ihn fest, würde er so schnell wie möglich eine neue Brauerei aufbauen. Die Black Queen begann jetzt, ihm die Zukunft unter ihrer Herrschaft in den buntesten und schönsten Farben zu malen. Bereitwillig ging er darauf ein und sah sich unter anderem schon als Inhaber des Biermonopols für den Machtbereich der Queen. Etwas Besseres konnte ihm, Willem Tomdijk, gar nicht geschehen. Er war somit bereit, auf jeden Fall mit Nachdruck für die Umsiedlung zu stimmen. Er rechnete auch nicht damit, daß es viele Gegenstimmen geben würde. Eine Ansprache hatte er bereits gehalten. Die Männer hatten nur Augen für die Queen gehabt. Sie würden sich ihrem Kommando anschließen, da hatte er keine Zweifel. Außerdem war sich jedermann in El Triunfo der Bedrohung durch die Spanier bewußt - mit all ihren Konsequenzen. Das Dasein der Engländer und Franzosen in El Triunfo konnte nicht mehr von langer Dauer sein. Schon zu lange überfielen sie vorbeisegelnde Schiffe, die Siedlung war den Machthabern in Cartagena ein Dorn im Auge. Sie sollte völlig zerstört werden. Honduras - so hatten die Spanier dieses Land getauft sollte wieder ganz spanischer Besitz werden, ohne „störende Umtriebe“. Unter einigen Komplikationen wurde Willem Tomdijk in die Jolle abgefiert und dann zur „Aguila“ hinübergepullt. Jaime Cerrana übernahm es, den Dicken überall an Bord der Kriegsgaleone herumzuführen. Auch die „Aguila“ war ein prachtvolles Schiff. Willem hatte das bereits festgestellt und erhielt jetzt die Bestätigung dafür. Der Dreimaster war gut in Schuß, die Decks und das Rigg waren tadellos in Ordnung. Nur diese Spanier gefielen ihm nicht besonders. Die Black Queen und Caligula aber, die ihn auch jetzt begleiteten, überzeugten ihn davon, daß Jaime Cerrana und die ganze Crew in ihrer Eigenschaft
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als Meuterer mit den eigenen Landsleuten nicht mehr viel im Sinn hatten. „Sie haben den Kapitän und die Offiziere getötet, ebenso die meisten Seesoldaten“, sagte die Queen. „Ist das nicht Beweis genug, wie sehr auch sie Spanien hassen?“ „Ja“, erwiderte Willem. „Eigentlich schon.“ Und damit gab er sich zufrieden. Zu Fuß kehrte die Gruppe wenig später nach El Triunfo zurück. Willem wollte erst die Siedler versammeln und abstimmen lassen, dann sollte entschieden werden, ob die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ in die Hafenbucht verholt wurden oder nicht. Die Black Queen und Caligula begleiteten den Bürgermeister wieder. Die Queen wollte genau verfolgen, wie die Versammlung verlief. Nicht zuletzt war sie auch immer noch neugierig auf die Schätze, die im Keller der Mission verborgen gehalten wurden. * Unruhig schritt Siri-Tong auf dem Achterdeck der „Le Vengeur III.“ auf und ab. Immer wieder blickte sie in den undurchdringlichen Busch, aber dort regte sich nichts, Jean Ribault und Carlos Rivero kehrten nicht zurück. Sie blieb bei Barba und dem Rudergänger Jenkins stehen. „Es wird Zeit, daß wir etwas unternehmen.“ „Ja, Madam“, pflichtete ihr Barba, der bärtige Riese, sofort bei. „Zu viele Stunden sind vergangen. Vielleicht ist Ribault und dem Spanier etwas zugestoßen.“ „Das glaube ich nicht“, sagte Jenkins. „Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Sie haben alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen und sind bestimmt in die Siedlung geschlichen, ohne bemerkt zu werden.“ „Vorhin war es mir so, als rufe jemand“, sagte die Rote Korsarin nachdenklich und mit besorgter Miene. „Ich habe das untrügliche Gefühl, daß etwas schiefgelaufen ist. Meine Gefühle trügen mich selten.“ „Barba sieht nach, was alles im Busch herumkraucht“, sagte der Riese.
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„Vielleicht schnappe ich einen Siedler, der Auskunft geben kann über das, was vorgefallen ist.“ „Oder aber wir bringen Jean Ribault und Rivero auf diese Weise erst richtig in Gefahr“, sagte Jenkins. „Wir sollten uns gut überlegen, was wir tun.“ Ähnliche Überlegungen stellten auf dem Hauptdeck auch die Männer aus Siri-Tongs Crew und Ribaults Kameraden an. Sven Nyberg beispielsweise wollte der Roten Korsarin den Vorschlag unterbreiten, sofort einen Stoßtrupp mit dem Auftrag loszuschicken, nach dem Verbleib der beiden Männer zu forschen. Pierre Puchan kratzte sich angestrengt an der Perücke, aber viel kam dabei nicht heraus. Dave Trooper und Gordon McLinn, die beiden „Schnellmerker“, überlegten und überlegten, aber zu einem Ergebnis gelangten sie nicht. Überhaupt: Keinem wollte etwas wirklich Sinnvolles einfallen, das Jean Ribault und Carlos Rivero aus einer eventuellen Notlage heraushalf. Ihnen waren die Hände gebunden. Sie durften weder riskieren, die „Le Vengeur III.“ zu verlassen und im Dschungel nach den beiden Männern zu suchen - wegen der ständigen Gefahr, als Spione verdächtigt, gestellt und gefangengenommen zu werden -noch mit dem Schiff die Mündung des Rio Leán zu verlassen und El Triunfo anzusteuern. Unter den gegebenen Voraussetzungen schien es nur ratsam zu sein, weiterhin hier, hinter dem dichten grünen Vorhang von uralten Mangroven und Spanischem Moos. vor Anker liegenzubleiben und die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten. „Wir warten noch“, sagte Siri-Tong mit verdrossener Miene. „Aber wenn wir zur Mittagsstunde immer noch keine Nachricht von den beiden haben, breche ich selbst auf. Du, Barba, wirst mich dann begleiten.“ „Ja, Madam“, sagte der Riese. Sein Blick war auf die feuchte Hölle des Urwaldes gerichtet.
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Vögel und Affen kreischten und schnatterten, eine Wasserschlange glitt vom Ufer in den Fluß. Was ging in der Selva vor, wie war die Lage in El Triunfo? 3. Das Verhängnis nahte unaufhaltsam und sollte El Triunfo viel eher erreichen, als es von den Siedlern ernstlich in Erwägung gezogen worden war. Nur noch wenige Stunden trennten den Feind von seinem Ziel, und schon wurden alle Vorbereitungen zum Kampf getroffen. Nur kurz war an diesem Morgen der Wind eingeschlafen, jetzt briste es wieder frisch aus Ostnordost auf, und der Flottenverband von zwanzig spanischen Galeonen, der von Cartagena nach El Triunfo unterwegs war, nahm mit straff geblähten Segeln erneut Fahrt auf. Kurs Honduras lag an, und die Schiffskapitäne kannten die Route und die Zielposition auswendig. Gelb, braun und dunkelbraun geloht waren die Segel der schwer bestückten Galeonen, drohend schoben sich die dunklen Rümpfe durch die tiefblaue See. Weiße Bärte schmiegten sich um die Bugpartien, das Wasser rauschte an den Bordwänden. Hin und wieder hallte ein Ruf von Schiff zu Schiff, wenn Befehle weitergeleitet wurden. Die Galeonen segelten in schräg versetzter Dwarslinie, die durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit betrug fünf bis sechs Knoten. An der Spitze des Konvois segelte die „Virgen de Andalucia“, die „Jungfrau von Andalusien“. Ihr Kommandant und gleichzeitig Generalkapitän des Geschwaders war Don Alonso de Lopez y Margues. Groß, schlank und schwarzhaarig war dieser Don Alonso, ein sorgfältig gestutzter und gepflegter Knebelbart zierte sein hartes, markantes Gesicht. Bei aller Eitelkeit war er jedoch alles andere als ein Geck, sondern vielmehr ein Schiffsoffizier von der härtesten Sorte. Unnachgiebig pflegte er seine Aufträge auszuführen, nie ließ er von einem Vorhaben ab, nichts konnte ihn aufhalten.
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Diesmal hieß der Auftrag, El Triunfo zu vernichten. Don Alonso war seit nunmehr sechs Jahren in Cartagena stationiert. Er kannte nicht nur die Küste und die See von Neu-Granada, sondern im Prinzip die gesamte Karibik. An der Ostküste von Honduras würde er nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, sich zurechtzufinden. Er hatte sich bereits einen genauen Plan zurechtgelegt und eine Strategie ersonnen. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Alles mußte genau berechnet sein - so auch die Munition für die Kanonen der Galeonen. Randvoll waren die Depots der „Virgen“ und der anderen neunzehn Dreimaster. Der Verband konnte El Triunfo tagelang unter Beschuß nehmen, es würde weder an dem nötigen Pulver noch an den erforderlichen Zwanzigpfünder-, Siebzehnpfünder- und Zwölfpfünderkugeln mangeln. Auch an Vorräten wie Musketen, Tromblons und Pistolen samt Munition sowie Blankwaffen aller Art mangelte es nicht. Kurzum, die Admiralität hatte bestens vorgesorgt für die „Aktion El Triunfo“, und der Erfolg schien schon jetzt unumstößlich festzustehen. Don Alonso befand sich seit dem Morgengrauen auf dem Achterdeck der „Virgen“ und beobachtete fast unablässig die vor ihm liegende Kimm. Doppelte Ausguckposten waren in die Marse der Galeonen hinaufgeschickt worden, sie hielten nach allen Seiten die Augen offen, um „verdächtige Schiffsbewegungen“ und „störende Elemente“ sofort zu erspähen. Aber nichts tat sich, alles blieb ruhig. Kein feindliches Schiff zeigte sich an der Kimm, auch spanische Segler näherten sich nicht dem Verband. Ein Zufall wollte es, daß nichts die Fahrt der zwanzig Galeonen beeinträchtigte oder behelligte. Nicht ein einziges Patrouillenboot oder ein Kundschafter schien sich bereitzuhalten, um El Triunfo zu warnen, wie sich etwas später noch herausstellen sollte. Ungesehen lief der Verband die Siedlung an, die Auswirkungen sollten verheerend sein. Als Cabo Camaron an der Küste von Honduras erreicht war, das noch vor den Islas de la Bahia lag, ließ Don Alonso
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beidrehen und die Segel aufgeien. Jede Schiffsmannschaft mußte ein Boot abfieren - Don Alonso wollte seine Kapitäne sprechen. Erst jetzt eröffnete er ihnen den ganzen Umfang und die Tragweite der geplanten Aktion. So wollte es die Admiralität. Absichtlich hatte Don Alonso Details bis zu diesem Zeitpunkt geheim gehalten, denn auch die Mannschaften der Galeonen sollten im unklaren über das gelassen werden, was sie erwartete, bis der Angriff auf El Triunfo unmittelbar bevorstand. Auf diese 'Weise sollte Meutereien vorgebeugt werden. Gute Gründe für ein solches Verhalten lagen vor: Die „Aguila“, eine KriegsGaleone, die die Verhältnisse in El Triunfo hatte auskundschaften sollen, war nicht mehr nach Cartagena zurückgekehrt, obwohl sie längst überfällig war. Zwei Möglichkeiten konnten dafür der Grund sein: Entweder war die „Aguila“ von den El-Triunfo-Piraten aufgebracht und gekapert worden, oder aber es hatte an Bord eine Meuterei stattgefunden, weil nicht alle Besatzungsmitglieder für das Niedermetzeln einiger Hundert Siedler verantwortlich sein wollten. Die Boote glitten längsseits der „Virgen“ und legten an, die Kapitäne enterten an Bord auf. Don Alonso betrat seine Achterdeckskammer, wo er sie zu empfangen gedachte. Ein harter Zug hatte sich in seine Mundwinkel gekerbt. Ein Kriegsschiff war kein Handelsfahrer, auf dem laxe Methoden üblich sein konnten. Auf einem Kriegssegler hatten Ordnung und Disziplin zu herrschen. Ein strenges Reglement war die Voraussetzung für jede Art von Unternehmen. Don Alonso hatte nicht vor, von diesen Bestimmungen in irgendeiner Weise abzuweichen - ganz im Gegenteil. * Neunzehn Kapitäne betraten Don Alonso de Lopez y Marqus' Allerheiligstes, neunzehn Helme wurden gelüftet und
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abgenommen. In der Kapitänskammer wurde es ein wenig eng. Don Alonso saß hinter seinem Pult und musterte jeden Mann mit forschendem, wachem Blick. Er dachte nicht daran, ihnen Platz anzubieten, ganz abgesehen davon, daß es ohnehin nicht genügend Sitzgelegenheiten gab. Auf den üblichen Schluck Malaga oder Rotwein zur Begrüßung verzichtete er ebenfalls. Don Alonso war ein eigensinniger und geiziger Mann, der nichts vergeudete und ein Feind umständlichen Zeremoniells war. „Senores“, sagte er nur. „Dies ist eine Lagebesprechung. Wir erreichen in Kürze El Triunfo, und ich will, daß jeder von Ihnen genau weiß, was er zu tun hat. Nichts darf dem Zufall überlassen bleiben.“ „Si, Senor Capitan General“, murmelten die Männer. „Ich bin ziemlich sicher, daß die günstigen Windverhältnisse auch weiterhin anhalten. Anders ausgedrückt, vor morgen oder übermorgen schläft dieser Wind nicht wieder ein. Für uns bedeutet dies, daß wir noch bei Dunkelheit vor El Triunfo eintreffen.“ „Dann soll der Angriff sofort stattfinden?“ fragte der Kapitän der „Maria Madalena“, der zweiten Galeone im Geleit. Don Alonso musterte ihn schärf. „Nein. Wir schlagen im Morgengrauen zu - noch bevor es richtig hell ist, jedoch hell genug für unsere Geschützmannschaften, die ihre Kugeln sicher ins Ziel bringen werden. Jede Kugel wird treffen, Senores, ich verlasse mich auf Sie. Nachlässigkeit, mangelnde Disziplin und Präzision werden streng geahndet.“ „Wenn ich richtig verstanden habe, geht es darum, den Bewohnern von El Triunfo einen Denkzettel zu verpassen“, sagte ein anderer Kapitän. „Ein Exempel soll statuiert werden“, sagte Don Alonso. „Und jetzt wünsche ich bis zum Ende meiner Ausführungen nicht mehr unterbrochen zu werden. Bewußt wurden die Einzelheiten meiner Order bisher geheim gehalten. Sie wußten nur, daß wir nach El Triunfo segeln, wo
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französische und englische Siedler leben, sonst nichts. Hier also der genaue Auftrag: El Triunfo wird zerstört. Kein Stein darf auf dem anderen bleiben. Alle Siedler, die nach dem Feuer unserer Kanonen noch leben, sind unverzüglich zu liquidieren. Ich bin mir darüber im klaren, daß wir nicht alle erwischen können, einigen wird die Flucht in den Urwald gelingen. Aber die Überlebenden werden durch das Geschehen so nachhaltig schockiert sein, daß sie eine neuerliche Ansiedlung nicht wagen.“ Er legte eine Pause ein. Niemand sprach, die Kapitäne blickten sich nur untereinander an. Einige von ihnen schienen leicht erschüttert zu sein. Die Zeiten solcher Strafexpeditionen sind vorbei, wollte der Kapitän der „Maria Madalena“ einwerfen, aber Don Alonso verbat sich jeglichen Einwand mit einer herrischen Gebärde. „Senores!“ rief er. „Dies sind die Befehle der Admiralität! El Triunfo soll jedem englischen und französischen Schnapphahn in der Karibik als abschreckendes Beispiel dienen! Die Wirkung dürfte garantiert sein! Dieser Order ist unbedingt Folge zu leisten! Zuwiderhandlungen werden mit dem Tod bestraft, ich bin dazu befugt, Gericht zu halten!“ Was das bedeutete, konnten sich die Kapitäne leicht ausrechnen. Don Alonso galt als einer der härtesten Generalkapitäne, nichts konnte seinen Willen und seine Strenge brechen oder unterwandern. Wer gegen ihn aufzubegehren wagte, der unterschrieb sein eigenes Todesurteil, denn jede Insubordination wurde bei Don Alonso gleichgesetzt mit Meuterei. So wagte denn auch keiner der neunzehn Männer auch nur den Versuch eines Einwandes. Es zahlte sich nicht aus. Besser war es, an das eigene Wohlergehen zu denken. Wurde der Auftrag rigoros ausgeführt, würde auch Don Alonso mit lobenden Worten nicht sparen, und daheim in Cartagena waren vielleicht Beförderungen fällig.
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„Jawohl“, sagte deshalb der Kapitän der „Maria Madalena“ nach kurzem Überlegen. „El Triunfo ist eine Laus im Pelz, wir dürfen sie auf keinen Fall länger erdulden. Auch Fort Caroline in Florida wurde auf ähnliche Weise vernichtet, und es ist bekannt, daß Fort St. Augustine nur weiterbestehen konnte, weil die Hugenotten verjagt und getötet wurden.“ „Sehr gut“, sagte Don Alonso. „Senor Capitan, es freut mich aufrichtig, daß Sie dieses Beispiel angeführt haben. In der Tat ist unsere Aktion mit dem Angriff auf Fort Caroline zu vergleichen, der um viele Jahre zurückliegt, aber dennoch unvergessen ist.“ „Wenn es immer mehr solcher Siedlungen gibt, verliert Spanien mehr und mehr seinen Einfluß in der Neuen Welt“, sagte der Kapitän. „Das muß verhindert und unterbunden werden.“ „Richtig!“ rief Don Alonso. „Und vergessen Sie nicht, daß die englischen Piraten und die französischen Hugenotten unsere Todfeinde sind!“ „Es lebe Spanien und Seine Allerkatholischste Majestät König Philipp II.“, sagten die Männer. Damit hatten sie ihrer Pflicht gedient und wurden von Don Alonso entlassen. Sie waren jetzt hinreichend motiviert und würden die Mannschaften ihrer Schiffe entschlossen und bedenkenlos in den Kampf treiben, notfalls mit Hilfe der neunschwänzigen Katze. Sie gingen von Bord des Flaggschiffes und setzten mit ihren Booten\ zu den wartenden Galeonen über. Wenig später waren die Boote wieder hochgehievt und wurden auf den Decks festgezurrt. Die Segel wurden neu gesetzt, die Galeonen gingen auf Kurs, der Verband nahm wieder Fahrt auf. Die Stunde der spanischen Rache rückte näher. 4. „La Mouche Espagnole“ - die „Spanische Fliege“, so hieß die Schenke von El Triunfo, die in mancher Beziehung einen wichtigen Bezugspunkt darstellte. Eingerichtet war sie in einem der beiden
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Steingebäude der Siedlung, in der ehemaligen spanischen Kommandantur. Bis vor fünf Jahren war El Triunfo ein spanischer Stützpunkt gewesen, der jedoch wegen seiner nachlassenden strategischen Bedeutung aufgegeben worden war. In der Mission, dem zweiten Steinbau, hatte Willem Tomdijk seine Residenz eingerichtet und die Kirche als Brauerei zweckentfremdet. Dort floß das Bier in Strömen, hier, in der „Mouche“, war es der Wein. Schankwirt war Emile Boussac, ein kleiner, flinker Franzose aus Rouen, der davon träumte, in seinem Laden ein Etablissement mit „Damen“ zur Unterhaltung seiner Gäste einzurichten. Entsprechende Schritte hatte er schon in die Wege geleitet, aber wann sich der Traum vom Bordell verwirklichen ließ, wußte er noch nicht. Für Jean Ribault und Carlos Rivero war die „Mouche“ der Bezugspunkt in El Triunfo, weil sie in dem redseligen, gewandten Schankwirt einen Freund gefunden hatten. Daß Rivero in Wirklichkeit ein Spanier war, ahnte Boussac nicht, denn Rivero hatte sich klugerweise als „Charles Rivet“ ausgegeben und vermied es wegen seiner mangelnden Französisch-Kenntnisse, viel zu sprechen. Zu Boussac führte also ihr Weg, denn der war es ja schließlich gewesen, der Ribault das Messer zugesteckt hatte, sozusagen als Gegenleistung für die Erzählungen Ribaults über Paris. Davon konnte Boussac nicht genug hören, insbesondere, was das Leben und die Gepflogenheiten der leichten Damen von der Seine in bestimmten Häusern betraf. Zweifellos ließ er sich dadurch für künftige Geschäfte inspirieren. Während Morrison - der inzwischen aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht war - und die anderen Verfolger weiterhin den Busch absuchten, war es Ribault und Rivero gelungen, sich in einem Bogen an die Siedlung heranzuschleichen. Kein Wachtposten verstellte ihnen den Weg, sie blieben unbehelligt. Ein Handgemenge
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hätte alles vereitelt, einen Kampf konnten sie jetzt am allerwenigsten gebrauchen. Noch waren sie nicht entdeckt und konnten sich im Dickicht am Rand von El Triunfo verbergen. Diesen Vorteil mußten sie ausnutzen. Aus schmalen Augen spähten sie auf die Steinbauten und die vielen, zumeist erbärmlich aussehenden Holzhäuser und Hütten, die sich in wüstem Durcheinander an der Bucht drängten. Viele Menschen bewegten sich zu diesem Zeitpunkt nicht in der Siedlung, und auch das war ausschlaggebend für ihren nächsten Schritt. „Die meisten Männer scheinen im Busch zu sein“, flüsterte Jean Ribault. „Vielleicht sind sie von Morrison und den anderen alarmiert worden und versuchen, uns aufzustöbern. Wenn wir einen günstigen Moment abwarten, müßte es uns gelingen, die Kneipe zu erreichen.“ Sie lagen auf den Bäuchen, hatten die erbeuteten Waffen neben sich abgelegt und hielten nach allen Seiten Ausschau. Auf Ribaults Zeichen hin packten sie wieder die Waffen, schoben sich im Dickicht ein Stück weiter und gelangten so nach kurzer Zeit in eine günstigere Ausgangsposition, von wo aus sie mit wenigen Sätzen das alte, verwitterte Steinhaus an seiner Rückseite erreichen konnten. Nur etwa zehn Schritte trennten sie von der „Mouche“. Wieder harrten sie aus und vergewisserten sich, ob es keine Beobachter gab. Kein Mensch näherte sich ihnen, sie konnten es wagen. Ribault erhob sich als erster und hetzte geduckt zu der Schenke hinüber. Er kauerte sich in ein Gesträuch, das an der rückwärtigen Mauer wuchs, sah sich lauernd um und gab dann seinem Begleiter einen Wink. Carlos Riveros Gestalt löste sich aus dem Dickicht, er lief zu dem Franzosen und ließ sich neben ihm nieder. „So weit hätten wir es geschafft“, raunte Ribault. „Jetzt müssen wir versuchen, in das Haus einzusteigen. Siehst du das Fenster?“ Er wies auf das kleine Quadrat, das sich fast zum Greifen nahe schräg über ihren Köpfen abzeichnete.
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Rivero nickte. Diesmal war er es, der als erster die Initiative ergreifen wollte. Vorsichtig erhob er sich, blickte nach allen Seiten und riskierte es dann, gezwungenermaßen ungeschützt, das Fenster zu öffnen, das von innen nicht verriegelt war. Die beiden kleinen Flügel gingen nach innen auf. Wieder sicherte Carlos Rivero, dann steckte er den Kopf in die quadratische Öffnung und schwang sich auf die Brüstung. Das Fenster war klein, man mußte sich bäuchlings hindurchzwängen. Carlos' Oberkörper war bereits im Inneren verschwunden, aber seine strampelnden Beine hingen noch im Freien. Das war ein außerordentlich kritischer Moment. Wenn jetzt ein Bewacher in der Siedlung erschien, war alles verloren. Jean Ribault sah zu seinem Entsetzen den Schatten einer menschlichen Gestalt an der Hütte gegenüber der Schenke auftauchen. Schon bog der Mann um die Ecke der „Mouche“, und es war keine Zeit mehr, Carlos zu warnen. Es hätte auch nichts genutzt. Carlos konnte weder schnell genug in der Kneipe verschwinden noch zurück ins Freie gleiten - er hing sozusagen in dem Fenster fest und war der Situation ausgeliefert. Ribault hockte sprungbereit in dem Gesträuch. Die dunklen, ledrigen Blätter verdeckten sein Gesicht und seine Gestalt. Er war somit unsichtbar für den Mann, der sich ihnen näherte und jeden Augenblick losschreien konnte. Der Spanier strampelte weiterhin mit den Beinen und versuchte, sich ganz ins Innere der „Mouche“ zu schieben. Selbst ein Halbblinder -wie Hinkle - konnte ihn nicht übersehen. Zwei Schritte des Gegners, und Ribault hatte ihn genau vor sich, einen kleinen Mann mit vogelartigem Gesicht, in dem das spitze Kinn, der spitzbübische Ausdruck und vor allem die bedrohlich auseinander stehenden, gefährlich schielenden Augen auffielen. Einen Umhang trug er und dazu eine Kapuze auf dem Kopf, und auch diese Kleidung ließ
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ihn zu einer einzigartigen, unvergleichlichen Erscheinung werden. Ribault drängte sich unwillkürlich ein gewisser Vergleich mit dem scheinbuckligen Albert auf, der an Bord von Jerry Reeves' „Tortuga“ fuhr. Aber beim näheren Hinsehen stellte er doch fest, daß dieser hier ein ganz anderer Typ war, schon allein wegen des entsetzlichen Schielens. Das Kerlchen blieb wie vom Donner gerührt stehen, die Augen schienen ihm aus dem Kopf zu fallen. Er hatte Carlos Rivero entdeckt und wollte - wer immer der Spanier auch war und was immer vorging - Alarm schlagen. Doch in diesem Moment handelte Ribault. Seine Hand zuckte vor, das Messer sauste durch die Luft. Haarscharf sirrte es an dem Kerlchen vorbei, aber nicht etwa, weil Ribault ihn verfehlt hatte. Absichtlich zielte er an ihm vorbei, denn trotz der heiklen Lage gefiel es ihm nicht, einen unbewaffneten Mann aus dem Hinterhalt zu töten. Das hatte er noch nie getan. Mit einem dumpfen Laut blieb das Messer in der Wand der Holzhütte hinter dem Rücken des Kerlchens stecken, keinen halben Yard von ihm entfernt. Der kleine Kerl zuckte zusammen, dann rührte er sich nicht mehr. Er war vor Furcht wie gelähmt und stand reglos und mit halb geöffnetem Mund da. Ribault verließ seine Deckung, packte ihn und, zerrte ihn mit sich auf die Schenke zu. Vorsichtshalber hielt er ihm den Mund zu. In diesem Moment verschwanden auch Carlos' Beine aus dem Fenster, aber im Inneren der „Mouche“ waren polternde Laute und ein Stöhnen zu vernehmen. Dann herrschte Ruhe. Der Lauf eines Tromblons schob sich aus dem Fenster, und im Halbdunkel des Gebäudeinneren erschien Emile Boussacs spitzes Wieselgesicht. „Wer da?“ zischte er. „Ich bin's, Jean Ribault“, sagte der Franzose. „Oh, parbleu! Komm rein! Um die Ecke da ist eine Hintertür!“
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Ribault zerrte den vereinnahmten Gegner mit sich um die Ecke und schleppte auch seine Waffe mit. Wieder war das Risiko groß, entdeckt zu werden, aber noch einmal hatte er Glück. Kein weiterer Siedler erschien, unbehelligt erreichte er die von Boussac bezeichnete Tür. Der Wirt hatte sie von innen bereits entriegelt und zog sie in diesem Augenblick vorsichtig auf. Ribault schlüpfte ins Innere. Es wäre sicherlich besser gewesen, El Triunfo im Dunkeln zu betreten und Emile Boussac im Schutz der Nacht zu besuchen. Aber soviel Zeit durften Ribault und Rivero auf keinen Fall verlieren. Die Lage hatte sich zugespitzt, die Ereignisse trieben unaufhaltsam ihrem Höhepunkt zu. Die Aktivitäten der Black Queen mußten unterbunden werden, Ribaults Handeln duldete keinen Aufschub. Aus diesem Grund war es nur richtig, nicht länger zu warten. Er hatte hoch gesetzt, und um ein Haar wäre alles aufgeflogen. Aber jetzt, waren sie sicher, Boussac würde sie nicht verraten. „Mon Dieu“, flüsterte der Mann entsetzt. „Wen hast du denn da, mein Freund? Das 'ist ja Marty - der Diener von Willem Tomdijk.“ „So? Nun, ich krümme ihm kein Haar, wenn er sich vernünftig verhält. Ich will nur nicht, daß er Alarm schlägt, sonst haben wir sofort wieder alle Wachtposten am Hals.“ Marty begann, heftig zu nicken. Ribault ließ ihn los. Marty seufzte und drohte vor lauter Aufregung das Gleichgewicht zu verlieren. Boussac hielt ihn am Arm fest und zischte: „Du hältst dein Maul und verrätst nichts von dem, was du hier siehst und hörst, verstanden? Wenn nicht, probiere ich mein neues Salami-Messer an dir aus!“ Marty schluckte heftig, er hatte gewaltige Angst. Sein linkes Auge war auf Ribault gerichtet, das rechte auf den Wirt. „Emile, ich schwör's dir, mein Leben ist mir lieb. Aber sind das nicht die beiden Spione, die heute früh ausgekniffen sind?“ „Wir sind keine Spione“, erwiderte Ribault ruhig.
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„Da liegt ein Irrtum vor“, fügte Boussac hinzu. „Außerdem hat dein Herr die beiden noch gar nicht gesehen und kann sich kein Urteil über sie erlauben. Sie sind meine Freunde und stammen aus Frankreich. Meine Freunde sind in Ordnung, kapiert?“ „Ja“, beeilte sich Marty zu versichern. Er sah immer noch die beiden Männer gleichzeitig an, eine Kunst, auf die sich außer ihm in El Triunfo niemand verstand. „Aber was wollen sie hier?“ „Euch vor der Black Queen warnen“, entgegnete Ribault. „Und vor Caligula. Sie sind gefährliche Schnapphähne und verfolgen höchst eigennützige Ziele.“ „Den Eindruck habe ich auch schon gehabt“, sagte Marty. „lind ich kann sie beide nicht leiden. Diese schwarze Hure hat Unserem Bürgermeister den Kopf verdreht. Das gefällt mir nicht. Und Caligula? Der würde auch seine eigene Mutter umbringen, ohne dabei groß etwas zu empfinden.“ „Das klingt aufrichtig, sagte Emile Boussac. „Aber nimm dich in acht, Marty, du Ratte. Wenn du versuchst, uns reinzulegen, ist es um dich geschehen.“ „Ich glaube, ich stehe mehr auf eurer Seite als auf der Seite derer, die El Triunfo um jeden Preis räumen „Gut“, sagte der Wirt. „Dann verstehen wir uns wirklich.“ „Wo bleibt denn eigentlich Charles?“ fragte Ribault. Boussacs Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck unendlicher Traurigkeit. „Ohrfeige mich, mein Freund. Hau mir einen Weinkrug um die Ohren. Es ist alles meine Schuld.“ „Was denn?“ fragte Marty interessiert. Aus dem Nebenraum erklang ein Stöhnen. Jetzt begriff Jean Ribault, end unwillkürlich mußte er doch grinsen. „Wie?“ sagte er. „Du hast ihn niedergeschlagen, Emile?“ „Mit einem Knüppel. Hoffentlich ist die Beule nicht zu groß. Ich habe ja nicht gleich erkannt, wer er ist, und man hat uns mit der Kunde von spanischen Spionen, die überall herumlaufen sollen, ganz verrückt gemacht.“ Der Schankwirt fuhr sich mit
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der Hand durch die Haare. „Was für ein Unglückswurm ich doch bin. Jetzt erzählt ihr mir bestimmt nichts mehr von den Pariser Hurenhäusern.“ „Doch“, ertönte hinter seinem Rücken eine rauhe Stimme. Carlos Rivero war wieder bei Bewußtsein, hatte sich erhoben und taumelte durch die Tür auf sie zu. „Aber Wein her, Emile.“ So gut war sein Französisch nun schon, und in der Aufregung fiel Boussac der leichte Akzent nicht weiter auf. Die vier Männer zogen sich in ein Hinterzimmer zurück, davon gab es in „La Mouche Espagnole“ mehr als genug. Hier waren sie ganz ungestört. Boussac servierte Rotwein aus einer riesigen Flasche. Er hatte auch Weinessig, mit dem Carlos seine Beule einreiben konnte. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß Carlos ihm wegen des Hiebes verziehen hatte, sah Emile Boussac schon wieder recht zuversichtlich aus. Über den Tisch beugte er sich vor, und sie steckten die Köpfe wie Verschwörer zusammen. * „Von dieser geheimen Unterredung darf niemand etwas erfahren“, murmelte Boussac. „Marty, ich warne dich noch einmal. Verrate auch nur ein Sterbenswörtchen, und deine Leiche landet bei den Haien in der Bucht, die sie zerfetzen werden.“ „Ich kann dichthalten“, sagte Marty. „Ich war unterwegs, weil ich mir Sorgen um den Bürgermeister bereite. Wie nun, wenn die Black Queen ihn entführt und uns Siedler auf diese Weise erpreßt? Sie weiß, daß im Keller der Mission die Schätze von El Triunfo lagern.“ „Aha“, sagte Jean Ribault. „Die Annahme, daß sich die Queen so nebenbei diesen Schatz anzueignen versucht, ist bestimmt nicht falsch. Aber sie hat das nicht vorrangig im Auge. Wenn sie Tomdijk verschleppt, kann sie nicht mehr ihre Gefolgschaft vergrößern; wie sie das plant.“ -
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„Ja“, sagte das Kerlchen. „Das ist auch wieder richtig. Eins weiß ich genau: Sie ist nicht erschienen, um mit uns um die Siedlung zu kämpfen. Ich habe gehört, was heute nacht bei dem Saufgelage besprochen wurde, laut genug haben sie ja gegrölt.“ Er berichtete, was sich in der Mission zugetragen hatte, und endete mit dem Satz: „Mit anderen Worten, die Queen hält sich heraus, wenn die Spanier hier einfallen und alles niederschießen und verbrennen.“ „El Triunfo darf nicht fallen“, sagte Boussac. Ihm wurde ganz schlecht bei dem Gedanken daran, daß die Spanier die „Mouche“ in Kleinholz verwandeln könnten. So eine Goldgrube fand er so schnell nicht wieder. „Zum Teufel mit der Queen“, murmelte Carlos, um wenigstens auch einen Beitrag zur Unterhaltung zu liefern. Dann nahm er wieder einen Schluck aus seinem Becher. Der Wein half, die Kopfschmerzen ein wenig zu lindern. „Wir müssen ihr Vorhaben vereiteln und sie überlisten“, sagte Jean Ribault. „Ich bin mit dabei“, sagte Marty. „Aber wie können wir das bewerkstelligen?“ „Ich kann euch nicht helfen“, sagte Emile Boussac verdrossen. „Die Stimmung in El Triunfo ist eindeutig zugunsten der Black Queen. Ich meine, Marty und ich beispielsweise ziehen uns nur den Haß der anderen zu, wenn wir gegen die Queen hetzen. Damit erreichen wir genau das Gegenteil von dem, was wir eigentlich vorhaben.“ „Diese Narren“, sagte Marty. „Kaum sehen sie einen Weiberhintern, begreifen sie überhaupt nichts mehr. Ich fürchte, Emile hat recht. Wir können direkt gegen die Queen nichts ausrichten.“ „Dabei seid ihr beiden mir viel sympathischer“, sagte Emile Boussac zu Ribault und dem Spanier gewandt. „Vor allem wegen eurer besonderen Kenntnisse über Paris. Oh, es ist ja alles so beschissen. Wie soll ich die ,Mouche` halten und Separées mit flotten, netten Damen einrichten, wenn hier alles niedergefackelt wird?“
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„Darauf weiß ich auch keine Antwort“, sagte Jean Ribault grimmig. Weiterführen konnten sie die Unterredung nicht, denn in diesem Augenblick ertönte aus dem Schankraum das Poltern von Schritten und das Lärmen von Männern. „Gäste“, sagte Emilie Boussac. „Um die muß ich mich sofort kümmern. Wartet hier auf mich, ich komme gleich wieder.“ Er stand auf und verschwand durch die Tür. Ribault und der Spanier blickten sich an. Was sollten sie in El Triunfo noch ausrichten? „Die eine Stimme ist die des Bürgermeisters“, sagte Marty. „Er scheint mit seiner Delegation wieder eingetroffen zu sein.“ Ribault und Rivero lauschten ebenfalls. „Ja“, sagte Ribault. „Die Queen ist auch dabei. Und Caligula. Die führen sich hier schon als Herren auf.“ Er brauchte sich keinen Illusionen hinzugeben. Eindeutig stand die Lage zugunsten der Queen. Wenn er ihr eine Niederlage zufügen wollte, konnte dies nur in einem offenen Gefecht geschehen. 5. Im Nu füllte sich der Schankraum der ..Mouche“ mit Gestalten. Willem Tomdijk, die Leibwächter, die Black Queen, Caligula, Georges Buisson und etwa zehn Siedler waren da, und zuletzt betraten auch noch zwei Piraten der „Aguila“ das Haus, die von Jaime Cerrana vorsichtshalber mitgeschickt worden waren, damit sie sich überall umsahen und die Queen notfalls schützten. Cerrana schloß nämlich nicht aus, daß sich Willem Tomdijk alles ganz anders überlegte und die Queen gefangen nahm, um sie an die Spanier auszuliefern. Wäre das nicht eine Geste gewesen, um El Triunfo. s Versöhnungswillen mit dem spanischen Feind zu beweisen? Ja, auch der dicke Willem hatte schon ähnliche Gedanken gehabt. Aber andererseits war er klug genug, solche und ähnliche Pläne zu verwerfen.
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Erstens widerstrebte ihm nichts mehr als eine Gefangennahme der Black Queen, mit der sich seiner Meinung nach herrliche, bierselige Stunden in der Koje der Kapitänskammer an Bord der „Caribian Queen“ ankündigten. Zweitens wußte man nie, wie die Spanier auf eine freundschaftliche Aktion reagierten. Vielleicht schlugen sie der Queen gleich den Kopf ab und hängten ihn, Willem, auf, falls er Verhandlungen mit ihnen zu beginnen versuchte. Drittens hing ihm El Triunfo schon seit einiger Zeit zum Hals heraus. Gegen einen Ortswechsel hatte er nichts einzuwenden. Auf Tortuga und Hispaniola sollte es etwas weniger feucht und heiß sein als hier, in Honduras. Das war gut für seine Gesundheit. Angetan von dem Gedanken, bald aufzubrechen, spendierte Willem sofort eine Lokalrunde. Schwer ließ er sich auf einen rasch von Emile Boussac zurecht geschobenen Stuhl plumpsen, und gleich der erste Becher Wein war der seine. „Es lebe Willem!“ rief die Black Queen. „Es lebe El Triunfo!“ rief Willem. Um ein Haar hätte er die Hälfte des Weines verschüttet. Sein Atem ging immer noch schnell, sein Herz schlug ihm bis zum Halse hinauf. Der Marsch hatte ihn wieder arg mitgenommen. Der Wein rann seine Kehle herunter, ließ seinen Kopf glühen und seine Augen leicht hervorquellen. Dann wichen die Herz- und Atemnot. und ein unendliches Gefühl der Glückseligkeit durchströmte Willem. „Queen“, sagte er. „Der Himmel hat dich nach El Triunfo geschickt. Ohne dich war das Leben öde und einsam.“ „Sehr richtig!“ rief einer der Siedler. „Es lebe die Queen!“ schrie ein anderer Mann, ein dickbäuchiger Franzose. Der Lärm schallte nach draußen, und immer mehr Siedler wurden angelockt. Einige waren aus dem Dschungel zurückgekehrt, wo Morrison nach wie vor erfolglos nach den „Spionen“ suchte. Andere waren eben erst aus dem Bett aufgestanden. In El Triunfo hatte es für viele Männer, die vor der Mission auf die
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Queen gewartet hatten, als die Bier-Orgie stattfand, eine schlaflose Nacht gegeben. So füllte sich der Schankraum der „Mouche“ mehr und mehr. Boussac war mit dem Geschäft zufrieden, aber er wußte, daß es falsch von ihm war, so zu denken. Warum verübte er nicht ein Attentat auf die Queen? Nein. Dazu fehlte ihm der Mut. Die Männer waren bereits angetrunken. Sie würden ihn hinausschleppen und an der nächsten Sumpfzypresse aufhängen, wenn er es tat. Er wollte aber nicht sterben. Er wollte leben und ein Bordell mit vielen hübschen Mädchen einrichten. Wenn ihm das nicht in El Triunfo gelang, dann würde er es eben anderswo erreichen. „Willem“, sagte die Queen. Sie ließ sich neben ihm nieder und duldete, daß er eine seiner dicken Hände auf ihre Knie legte. „Beraume doch die Versammlung an. Hier, in der Schenke. Auf was wartest du noch? Hier läßt sich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.“ Sie wollte um jeden Preis erreichen, daß die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ nicht in die Hafenbucht verholt wurden. Wenn die Spanier mit einem großen Verband angriffen, saß sie in der Falle und hatte keine Chance. Das mußte vermieden werden. Willem sann zunächst darüber nach, was die Queen wohl mit „dem Nützlichen“ meinte. Nur den Umtrunk? Oder mehr? Es gab viele Neben- und Hinterzimmer in der „Spanischen Fliege“, wo man ungestört war. Er grinste, lehnte sich zurück und faltete die Hände vor seinem gewaltigen Bauch. „Mal sehen, was sich machen läßt“, sagte er. Dann winkte er seine Leibwächter heran. „Trommelt die Leute zusammen“, befahl er ihnen. „Sie sollen sich hier einfinden. Wir halten eine Versammlung ab.“ „Es dürfte auch ratsam sein, die Wachen zur See hin zu verstärken“, sagte die Queen. „Aber natürlich hast du auch daran schon gedacht, nicht wahr?“ „Wie? Ach so, ja, natürlich.“ Willem schoß einen wilden Blick auf seine Leibwächter
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ab, die eben verstohlen grinsen wollten. „Schickt ein paar Pinassen und Schaluppen raus! Jedes verdächtige Schiff wird gemeldet. Warum hat Morrison eigentlich nicht längst dafür gesorgt?“ „Weil er noch nach den Spionen sucht“, erwiderte einer der Siedler. „Was? Spione sind im Ort?“ rief Willem. „Zwei“, entgegnete ein anderer Siedler. „Sie wurden angeschleppt, als du weg warst, Bürgermeister. Morrison hat sie in den Keller der ,Mouche` sperren lassen. Dann wurden sie heute früh an Bord einer Pinasse gebracht, mit der sie zur Bahia de Tela gesegelt werden sollten.“ „Zu mir?“ fragte Willem mit immer noch aufgebrachtem Gebaren. „Recht so. Aber wieso habe ich sie trotzdem nicht gesehen?“ „Sie sind entwischt“, erklärte ein anderer Siedler. „Plötzlich flogen Hinkle, Clark und ein dritter Bewacher von der Pinasse ins Wasser, soviel konnten wir vom Ufer aus verfolgen. Dann landeten die Kerle am Ufer der Bucht. Keiner weiß, wie sie sich von ihren Handfesseln befreien konnten.“ „Vielleicht hatten sie ein Messer“, meinte Buisson. „Unmöglich“, sagte ein grauhaariger Engländer. „Sie wurden doch genau durchsucht.“ „Jemand könnte es ihnen zugesteckt haben“, erklärte Buisson. Boussac wünschte ihn zum Teufel. In seinem Inneren war ihm höchst unwohl zumute, sowohl wegen seines indirekten Mitwirkens bei der Flucht von Ribault und Rivet als auch wegen seiner Mitwisserschaft. Für einen Moment fühlte er sich wie ein Verräter an den eigenen Kameraden, dann aber rief er sich ins Gedächtnis zurück, daß Ribault und sein Begleiter ja erstens unschuldig und im Grunde harmlos waren, daß sie Willem Tomdijk nur hatten warnen wollen und daß sie im übrigen feine Kerle waren, die ihm Ergötzliches über das Nachtleben von Paris erzählt hatten. Äußerlich zeigte Emile Boussac die freundliche, zufriedene Miene des Schankwirts. Er trug neue Becher mit
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Wein auf, füllte die leeren Becher und Mucks und gab hier und da seinen Kommentar ab wie „So eine Schweinerei“ und „Zur Hölle mit allen Spaniern“. Willem Tomdijk blickte Georges Buisson an. „Unsinn. du spinnst ja. Außerdem ist es egal. wie ihnen die Flucht geglückt ist. Ich will nicht lange darüber herumgrübeln. Wo stecken sie jetzt?“ „Keiner weiß es“. erwiderte der grauhaarige Engländer. „Sie haben Morrison, Hinkle, Clark und zwei andere Männer aus dem Hinterhalt überfallen und niedergeschlagen. Danach sind sie spurlos verschwunden. Morrison ist wie von Sinnen, er sucht sie überall.“ „Sie können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben“, sagte Willem mit verdutztem Jungengesicht. „Unmöglich!“ Die Black Queen hatte aufgehorcht. „Beschreibe die beiden entflohenen Gefangenen“, sagte sie zu dem Engländer. Der Mann holte zu einer umfangreichen, etwas umständlichen, aber vollständigen Personenbeschreibung aus. Die Queen hob den Kopf, ihre Augen wurden schmale Schlitze. Caligulas Gesicht verfinsterte sich. Buisson begriff nicht, warum diese Veränderung mit ihren Mienen vor sich ging, und auch der dicke Willem, die Leibwächter und die anderen Männer blickten sich untereinander ratlos an. Nur die beiden Kerle von der „Aguila“ stießen leise Pfiffe aus. Natürlich wußten sie, um wen es sich bei dem einen „Spion“ handelte, er -war ja lange genug mit ihnen an Bord der Kriegs-Galeone gefahren: Carlos Rivero. Emile Boussac spitzte die Lippen und pfiff scheinbar vergnügt ein fröhliches Liedchen vor sich hin. Aber er begann immer mehr zu schwitzen. Was hatte er sich da nur eingebrockt? Der grauhaarige Engländer hatte seine Rede eben abgeschlossen, da hieb die Black Queen mit der Faust auf den Tisch, daß die Becher tanzten. „Diese dreckigen Bastarde!“ schrie sie. „Das sind Jean Ribault und Carlos Rivero!“
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„Ribault ist ein blutrünstiger Karibik-Hai, den wir schon lange zur Strecke bringen wollten!“ brüllte Caligula. „Vor ihm ist keiner sicher!“ „Carlos Rivero ist einer der Spanier, der die ,Aguila' verlassen mußte!“ rief die Queen. „Wie durch ein Wunder ist er am Leben geblieben, aber Jaime Cerrana hätte besser daran getan, sich von seinem Tod zu überzeugen!“ Es war ihr selbst ein Rätsel, wie Rivero hatte überleben können, aber plötzlich reimte sich in ihrem Geist alles zusammen. Ribault hatte Rivero gerettet. Wie sonst hatte Ribault bis nach El Triunfo finden können'? „Rivero ist ein Scherge der spanischen Admiralität in Cartagena!“ schrie sie. Unruhe entstand, die Männer fluchten und riefen durcheinander. Die Queen sprang auf. Caligula stürzte den Rest des Weines herunter, den er noch in der Muck hatte, dann erhob auch er sich und brüllte: „Vielleicht sind sie in der Siedlung! Sie sind ausgekochte, mit allen Wassern gewaschene Galgenstricke! Kein Trick ist ihnen fremd! Wir müssen: verhindern, daß diese Brut sich einschleicht und einnistet! Ihr Auftauchen ist der Beginn des Unterganges!“ Boussac war entsetzt, ließ sich aber nichts anmerken. Er hatte sich heimlich immer weiter von den Zechern entfernt und erreichte jetzt die Tür zum Hinterzimmer. Rivet - Rivero, dachte er zornig, also ist er doch kein Franzose. Und Ribault? Oh, er hat mich angelogen! Das soll er mir büßen! Vorsichtig öffnete er die Tür. Aber das Hinterzimmer war leer. Die Vögel waren ausgeflogen. Natürlich -sie hatten jedes Wort mithören können und gerade noch rechtzeitig genug die Flucht ergriffen. Aber Marty - was war aus dem geworden? Im Schankraum entstand eine tumultähnliche Situation. Boussac schloß die Tür rasch wieder. Er hielt es für besser, nichts zu verraten. Es war nur zu seinem Nachteil, wenn er alles gestand. Diese Black Queen war imstande, ihn auf der Stelle als Verräter hinzurichten. Nein, das durfte er nicht riskieren.
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Keiner hatte bemerkt, daß er sich abgesondert hatte. Langsam, nach außen hin noch völlig unbekümmert, kehrte er zu den schreienden Männern und der Frau, die sich wie eine Tollwütige gebärdete, zurück. „Durchsucht alles!“ schrie die Queen. „Bringt mir diese Hurensöhne! Ich will sie hinrichten!“ „Ja, los, fangt sofort an!“ rief auch Willem, aber seine Stimme ging in dem allgemeinen Gebrüll unter. „Ausschwärmen!“ trieb Caligula die Männer an. Er selbst begann zusammen mit den beiden Kerlen von der „Aguila“ die Suche. arbeitete sich bis zu Emile Boussac durch und packte ihn bei den Aufschlägen seines Wamses. Er zog ihn dicht zu sich heran. Boussac sackte beim Anblick des riesigen, schwitzenden, zornigen -Negers das Herz in die Hosen. „Was schleichst du hier herum?“ brüllte Caligula. „Ich bin der Wirt“, stammelte Boussac. „Ja, du Narr. Aber was hast du dahinten zu suchen? Glaubst du vielleicht, ich habe keine Augen? Ich habe auch im Rücken welche. Was ist dahinten?“ „Ein paar Nebenräume!“ stieß der Schankwirt stöhnend hervor. „Und ein paar Flaschen eines besonders guten Tropfens, die ich eben holen und zur Feier des Tages anbieten wollte. Überzeugt euch selbst davon.“ Das taten Caligula und die beiden Spanier auch. Sie durchstöberten die hinteren Räume und stießen auf Fässer und Flaschen, Gerätschaften und Unordnung, nicht aber auf eine einzige Spur der Gesuchten. Das war Emile Boussacs Glück. Er durfte aufatmen, als die wilde Bande - allen voran die Black Queen -, aus der „Mouche“ stürmte. Willem Tomdijk verpaßte den Anschluß, er hatte sich gerade erst umständlich von seinem Stuhl erhoben. Mit gutmütigem Grinsen trat er zu dem seufzenden Boussac und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Laß man, Emile“, sagte er. „Man soll das alles nicht so verbissen sehen. Diese
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Spitzel sind natürlich längst über alle Berge, das wird sich schon herausstellen.“ „Hoffentlich“, sagte Boussac ächzend. „Aber sicher doch. Nachher halten wir eine feine Bürgerversammlung ab, dann wird abgestimmt. Wenn alles klar geht, räumen wir El Triunfo.“ „Eine großartige Idee.“ „Aber das wird erst morgen früh geschehen. Heute nacht besprechen wir alle Einzelheiten miteinander -ja, und ich glaube, die Queen und Caligula würden ganz gern bei dir übernachten. Ihnen gefällt es hier. Ist das keine Ehre?“ „Doch, eine große sogar.“ Emile Boussac wäre am liebten weggelaufen. Die Knie wurden ihm schon wieder weich wie Sumpfmorast. Aber er mußte die Zähne zusammenbeißen und durfte sich durch nichts verraten. „Ich werde versuchen, ihnen alles so gut wie möglich einzurichten“, sagte er. „Emile, du bist ein feiner Kerl“, sagte Willem jovial. „Eigentlich habe ich das schon immer gewußt. Wir beiden - du mit deinem Wein und ich mit meinem Bier sollten enger zusammenhalten.“ „Ja, dafür bin ich auch“, beeilte sich der kleine Franzose zu versichern, froh darüber, wenigstens noch einen Verbündeten zu haben, auf den er sich verlassen konnte. 6. Jean Ribault zwang Marty, das Kerlchen, mit der vorgehaltenen Pistole dazu, Carlos und ihn zu verstecken. Was blieb ihm anderes übrig? Es war die letzte Chance, nicht nur die „Mouche“ zu verlassen, sondern auch irgendwo Unterschlupf zu finden, bevor die entfesselte Meute von Verfolgern sie fand und über sie herfiel. Kaum hatten sie die Schenke verlassen, war Carlos so geistesgegenwärtig, Ribaults Messer aus der Wand der Holzhütte gegenüber der „Mouche“ zu entfernen. Somit hinterließen sie keine Spuren außer ihren Fußabdrücken, die sich auf dem weichen Untergrund mit den Hunderten
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von Fährten der Einwohner El Triunfos vermischten. Martys schielende Augen waren in ständiger Bewegung und schienen zu rotieren. Wohin sollte er sich wenden? Sie tauchten zwischen den Hütten unter und eilten durch eine Art Gasse. Fast schaffte Marty es, die beiden Männer bis zur Mission zu führen, aber er stoppte rechtzeitig ab und stellte fest, daß auch die Leibwächter, die in Willem Tomdijks Residenz zurückgeblieben waren, von dem Gebrüll, das jetzt vor der „Mouche Espagnole“ erklang, bereits in Alarmzustand versetzt worden waren. „Wohin?“ zischte Jean Ribault. „Wo sind wir vor diesen Hunden sicher?“ „Ich weiß nur noch einen Ausweg“, stammelte das Kerlchen. „Gnade dir Gott, wenn es nicht der richtige ist“, sagte Carlos mit dunkler Stimme. Nur wenn dieser Marty nachhaltig eingeschüchtert wurde, half er ihnen in seiner Angst wirklich, denn er mußte auch um sein Leben bangen. So dachte der Spanier, und im Prinzip war seine Überlegung richtig. Marty hastete weiter. Er kannte den Weg, der durch das kunterbunte Gewirr von Hütten und Häuschen führte, im Schlaf. Trotz seiner Aufregung und Furcht bewegte er sich wieselflink. Ribault und Rivero folgten ihm dichtauf. In einer Art Halbkreis liefen sie quer durch die Siedlung und mieden die Plaza, wo die Verfolger damit begonnen hatten, jeden Winkel zu durchstöbern und jede Tür aufzureißen, hinter der sich die „Spione“ verbergen konnten. Marty hatte sein Ziel, eine windschiefe, halb verfallene Hütte, erreicht. Schwer atmend blieb er stehen und pochte mit den Fingerknöcheln gegen die Tür, die fast von selbst aus den Angeln zu fallen drohte. Ribault und der Spanier sahen sich hinter seinem Rücken nach allen Seiten um. Das Geschrei näherte sich rasch, es war nur noch eine Frage von Augenblicken, und die Gegner erschienen. Schritte schlurften heran, die Tür öffnete sich. Ein verlebtes Gesicht erschien,
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dunkle, in tiefen Höhlen liegende Augen betrachteten die Ankömmlinge. „Nun?“ fragte der Mann. „Was führt dich zu mir, Marty? Und wer sind diese Männer?“ Ein leichter Weinhauch wehte den Männern entgegen. Ribault tauschte mit dem Spanier einen raschen Blick. „Dürfen wir erst mal reinkommen?“ fragte Marty. „Wir sind auf der Flucht, Doc.“ Die Tür schwang ganz auf. Schnell schoben sich Marty, Ribault und Rivero in den dahinterliegenden, fast ganz abgedunkelten Raum, in dem es undefinierbar nach allem möglichen roch. Marty wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. „Hörst du das Gebrüll, Doc?“ fragte er leise. „Das gilt uns.“ Er wandte sich an Ribault und den Spanier. _Dies ist Doc Delon, unser Siedlungsarzt.“ Jean Ribault nannte seinen Namen und fügte hinzu: „Mein Freund heißt Carlos Rivero.“ „Nicht Charles Rivet?“ erkundigte sich der Arzt. „Diesen Namen habe ich in El Triunfo vernommen. Zwei spanische Spione, so hieß es, hätten sich als Franzosen verkleidet eingeschlichen. Die Anschuldigungen, die man gegen euch erhebt, scheinen also den Tatsachen zu entsprechen.“ „Urteilen Sie selbst“, sagte Ribault. „Carlos hat sich ein bißchen verstellt, das gebe ich zu. Er durfte nicht als Spanier erkannt werden, das hätte unser Unternehmen in Frage gestellt. Aber ich spreche ich Ihrer Meinung nach wie ein Spanier, Doc?“ Ein Lächeln huschte über Doc Delons entstellt wirkende Züge. „Sie sind ein waschechter Franzose, mein Freund. Und Hugenotte obendrein, wenn ich mich nicht irre. Von Jean Ribault habe ich natürlich schon gehört. Doch wie soll ich die Ignoranten in diesem elenden Nest von Ihren ehrlichen und edlen Absichten überzeugen?“ „Sie können es nicht tun. Es ist aussichtslos.“ Doc Delon führte sie in seinen Behandlungsraum. Hier hatte er erst vor
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kurzem den verletzten Kumpan der Black Queen behandelt und anschließend entlassen. Er war heilfroh, den Kerl wieder los zu sein. Er deutete auf das Durcheinander von Flaschen und Gläsern, Humpen und Bechern, das sich über die Tische und Bänke verteilte. „Sehen Sie“, sagte er, „ich bin ein Trinker und fröne also einem Laster, aber ich behaupte, trotzdem mehr Grips im Kopf zu haben als die Narren, die sich blindlings dieser Black Queen und ihren Schlagetots anvertraut haben.“ „Ich zweifle nicht daran, daß Sie ein kluger Kopf sind, Doc“, erwiderte Ribault. „Und ich sage das nicht, weil ich mich in einer Notlage befinde und Hilfe brauche. Ich kann die Menschen beurteilen.“ „Sicher. Ich bin nicht mehr in der ,Mouche` gewesen. Alles, was hier geschieht, widert mich an. Was ist vorgefallen?“ Ribault berichtete es ihm kurz. Das Geschrei der Verfolger nahm wieder an Lautstärke zu. Sie waren jetzt zwischen den Hütten und schienen das Haus des Arztes zu umzingeln. „Es gibt keinen Ausweg“, sagte Carlos. „Wir müssen kämpfen, Jean.“ „Warte.“ „Es gibt einen Ausweg“, sagte Doc Delon. „Wir müssen nur kaltblütig sein. Jean Ribault, dir vertraue ich. Du scheinst nicht nur hier zu sein, um uns vor dem drohenden Angriff der Spanier zu warnen. Du verfolgst auch die Queen, nicht wahr?“ „Ja. Und Caligula.“ „Du kämpfst also in meinen Augen für die richtige Sache. Ich schließe mich dir an.“ „Ich auch“, sagte Marty. „Wenn der Bürgermeister so verbohrt ist und diesem Weib Glauben schenkt, bin ich die längste Zeit sein Diener gewesen. Du kannst die Pistole ruhig herunternehmen, Ribault.“ Ribault tat es. Sie schüttelten sich untereinander die Hände, ein Pakt schien besiegelt zu sein. „Euer Schiff liegt irgendwo versteckt, ich will aber nicht wissen, wo. Es hat jetzt keinen Zweck, aus El Triunfo zu fliehen, zumal Morrison und seine Leute noch
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überall umherstreifen. Warten wir die Dunkelheit ab. Bis dahin bleibt ihr hier bei mir.“ Delon bückte sich und hob den verborgenen Eisenring einer Kellerklappe an. Eine Luke öffnete sich, ein schwarzes Loch gähnte den Männern entgegen. War das eine Falle? Ribault setzte auf die Aufrichtigkeit des Arztes. Er hatte auch keine andere Wahl. So stieg er als erster die schmale Leiter hinunter, die in den Kellerraum führte. Feuchte Luft schlug ihm entgegen. Rivero und Marty folgten ihm. Ihnen war alles andere als wohl zumute, aber sie mußten sich auf Delon verlassen. Die Luke fiel über ihnen zu, dann rückte Doc Delon eine Bank darüber. Schon hämmerten Fäuste gegen die Tür der Behausung, und laute Stimmen begehrten Einlaß. * Siri-Tong konnte und wollte nicht länger warten und verließ mit Barba, Sven Nyberg und Grand Couteau die „Le Vengeur Mit ihren Säbeln bahnten sie sich einen Weg durch das undurchdringlich wirkende Dickicht, und sofort begannen sie, überall nach Spuren zu suchen, die Auskunft über den Verbleib von Jean Ribault und Carlos Rivero gaben. Nach etwa einer Stunde stießen sie auf die Feuerstelle, die die beiden Männer während der Nacht eingerichtet hatten. Die Rote Korsarin unterzog die nähere Umgebung einer eingehenden Untersuchung. „Ein Kampf scheint hier nicht stattgefunden zu haben“, murmelte sie. „Barba, kannst du etwas entdecken?“ „Nichts“, entgegnete der Riese. „Aber vielleicht sind sie beobachtet worden.“ „Spuren?“ „Hier scheinen ein paar Abdrücke zu sein“, erwiderte Nyberg. „Aber von wem sie stammen, läßt sich nicht feststellen. Dieser verdammte Urwald wächst an allen Stellen wieder zu. Eine Fährte wird schon nach wenigen Stunden wieder unsichtbar.“
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„Suchen wir weiter“, sagte Grand Couteau. „Wir haben die Reste des Feuers durch Zufall gefunden und somit einen Anhaltspunkt.“ „Richtig, wir sollten uns nicht entmutigen lassen“, sagte Siri-Tong. „Wir wissen, in welcher Richtung El Triunfo liegt und marschieren weiter. Vielleicht gibt es noch andere Hinweise.“ Schweigend bewegten sie sich weiter. Keine halbe Stunde war verstrichen, da vernahmen sie unmittelbar vor sich Stimmen und eindeutige Geräusche. Männer bewegten sich durch das Gestrüpp und gaben sich keine große Mühe, das Prasseln und Knacken der Äste und Zweige zu unterdrücken. „Unmöglich“, sagte ein Mann auf englisch. „So weit können sie nicht vorgedrungen sein, Morrison. Wir hätten sie längst entdecken müssen.“ „Sei still und such weiter, Clark.“ „Wir haben bald den Fluß erreicht. Den können sie nicht überqueren.“ „Eben. Dort brechen wir das Unternehmen ab. Aber erst dort.“ Siri-Tong, Barba, Nyberg und der Franzose duckten sich in ein Gestrüpp, das ihre Gestalten völlig verbarg. Sie hielten den Atem an, regten sich nicht und versuchten, mehr von dem Gespräch der Männer aufzuschnappen. „Wir sollten nach El Triunfo zurückkehren, Morrison“, sagte Clark. „So gern ich diese Hurensöhne auch erwischen möchte, es scheint keinen Zweck mehr zu haben. Wir rennen uns nur die Füße wund.“ „Sie können sich nicht in Luft auf - gelöst haben.“ „Natürlich nicht. Aber der Dschungel ist groß und bietet Hunderte von Versteckmöglichkeiten.“ „Wir kennen uns besser aus. Und irgendwo muß ihr Schiff vor Anker liegen“, sagte Morrison. „Sie behaupteten, mit einer einmastigen Schaluppe eingetroffen zu sein.“ Morrison stieß einen Fluch aus. „Hast du daran geglaubt, du Narr? Es ist so wahr, wie der eine Kerl ein Franzose ist. Er
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ist ein Spanier, sage ich dir. Und auch Ribault mag in Frankreich geboren sein, deswegen arbeitet er aber trotzdem für die Spanier.“ „Daß die Hunde uns auch entwischen mußten“, sagte Clark. „Und daß uns das passieren mußte. Ja, ich bin ein Narr, Morrison, ich gebe es zu. Aber ein weiteres Mal lasse ich mir die Kerle nicht durch die Lappen gehen.“ „Vielleicht führt ihre Spur zu dem Verband.“ „Zu dem Verband der spanischen Schiffe aus Cartagena, meinst du?“ „Ja. Vielleicht liegen die schon irgendwo auf der Lauer.“ „Das glaube ich nicht“, sagte Clark. „Ribault und dieser Rivet - oder wie immer er heißen mag - sind eine Vorhut. Sie sollten auskundschaften, wie hier bei uns die Lage ist.“ „Ich glaube überhaupt nichts mehr“, brummte Morrison. „Ich weiß nur, daß die Queen recht hatte mit allem, was sie gesagt und prophezeit hat.“ Sie waren Siri-Tong und den drei Männern der „Le Vengeur“ jetzt sehr nah. Höchstens drei, vier Schritte trennten die Parteien noch voneinander, dann erfolgte das unvermeidliche Zusammentreffen. Die Rote Korsarin und ihre Kameraden hielten die Waffen gezückt, bereit, sich nach bestem Vermögen gegen die Männer El Triunfos zu wehren, von denen sie nicht wußten, wie viele es waren, Den Schritten nach zu urteilen, waren Morrison und Clark nicht allein. Nur sprachen ihre Begleiter kein einziges Wort. Plötzlich waren neue Laute zu vernehmen. Jemand schien sich, aus Richtung El Triunfo heraneilend, der Morrison-Gruppe zu nähern. Siri-Tong riskierte es, die Blätter von ihrem Gesicht ganz vorsichtig mit den Händen zu teilen. So konnte sie Morrison, Clark und sechs andere Männer erkennen, die unmittelbar vor ihrem Versteck standen. Sie waren durch die Bewegung, die im Urwald entstand, abgelenkt, blickten also in die entgegengesetzte Richtung und hoben ihre Waffen.
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Zwei Männer brachen aus dem Dickicht hervor, einer von ihnen rief: „Morrison! Gut, daß wir dich gefunden haben! Der Bürgermeister schickt uns!“ „Ihr habt uns einen Schrecken eingejagt“, sagte Morrison verdrossen. „Fast hätten wir auf euch gefeuert. Was ist los?“ „Ihr sollt sofort zurückkommen.“ Schwer atmend blieb der Mann stehen, sein Begleiter verharrte ebenfalls und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Sind die beiden Hundesöhne gefunden worden?“ fragte Clark. „Noch nicht, aber die Black Queen vermutet, daß sie sich im Ort versteckt haben.“ „Das wäre ungeheuerlich!“ stieß Morrison hervor. „Unmöglich!“ „Zur Zeit wird alles umgekrempelt“, fuhr der Mann fort. „Die Queen ist sicher, daß sie diesen Ribault und diesen Rivet, der in Wirklichkeit Rivero heißt, findet. Und noch etwas. Spätestens heute abend findet die Bürgerversammlung statt. Alle müssen anwesend sein. Es wird darüber abgestimmt, ob wir El Triunfo räumen und uns von der Queen wegbringen lassen sollen.“ „Ja“, sagte Morrison. Seine Miene war unschlüssig geworden. „Aber eigentlich wollte ich den Dschungel noch bis zum Rio Leán abkämmen.“ „Das hat doch sowieso keinen Zweck“, sagte Clark. „Ich traue den beiden Kerlen auch zu, daß sie die Frechheit aufgebracht haben, sich in die Siedlung zu schleichen. Aber dort sitzen sie jetzt in der Falle.“ „Wir schnappen sie auf jeden Fall“, sagte der andere der beiden Männer. Morrison ließ sich von diesen Worten überzeugen. Er brach die Suche ab, gab seinen Männern den Befehl, zurück nach El Triunfo zu marschieren und setzte sich selbst an die Spitze des Trupps. Die Gestalten entfernten sich und wurden vom grünen Mantel des Urwalds verschluckt. Siri-Tong wartete, bis sie sich außer Hörweite befanden. dann wandte sie sich mit gedämpfter Stimme an ihre Gefährten. „Jetzt wissen wir so gut wie alles. Jean und Carlos waren gefangengenommen worden,
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aber jetzt sind sie wieder auf freiem Fuß. Ich denke, daß sie sich nicht ein zweites Mal überrumpeln lassen. Sie versuchen, so schnell wie möglich zu uns zurückzukehren. Wir sollten weiterhin abwarten und nichts unternehmen.“ „Ja“, pflichtete Nyberg ihr leise bei. „Und wir können froh sein, daß die Engländer nicht weitermarschiert sind und die ,Vengeur' entdeckt haben.“ „Wir hätten ihnen schon einen heißen Empfang bereitet“, sagte Barba. „Der hätte uns wenig eingebracht“, sagte Grand Couteau. „Es ist wirklich besser, daß wir unentdeckt bleiben.“ „Ich hoffe auch, daß Jean uns ein Zeichen gibt, wenn er wieder in die Klemme gerät“, sagte die Rote Korsarin. „Beim erstenmal hat er es nicht gekonnt, wahrscheinlich hat man ihnen gleich die Waffen abgenommen. Aber wie ich ihn kenne, hat er sich inzwischen wieder welche besorgt und feuert wenigstens einen Schuß in die Luft ab, wenn er unsere Hilfe braucht.“ Einigermaßen erleichtert kehrten sie an Bord der „Le Vengeur III.“ zurück und berichteten den Kameraden, was sie erlauscht hatten. Jean Ribaults und Carlos Riveros Rückkehr schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Doch richtig beruhigt waren Siri-Tong und die Crew immer noch nicht, das mußten sie vor sich selbst eingestehen. 7. Doc Delon öffnete die Tür seiner Behausung und blickte in Caligulas verzerrtes Gesicht. „Wir müssen diese Bude durchsuchen!“ stieß der Schwarze hervor. „Los, geh zur Seite!“ „Befehle nehme ich nur von unserem Bürgermeister entgegen, der im übrigen bessere Umgangsformen hat“, sagte der Arzt. Caligula griff nach dem Heft seines Säbels. „Weg da, Kerl, oder es passiert ein Unglück! Wir sind zwei Spionen auf der Spur, sie könnten sich hier versteckt haben!“
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„Hier ist niemand.“ „Du kannst mir viel erzählen!“ brüllte Caligula. Doch jetzt war auch die Black Queen heran. Sie erkannte den Arzt, den sie schon einmal flüchtig gesehen hatte, wieder und sagte: „Laß den Mann in Ruhe. Er ist Doc Delon. Ich bürge für ihn. Er hat unserem Schwerverletzten wieder auf die Beine geholfen, hast du das vergessen?“ „Nein. Aber die Hunde Ribault und Rivero könnten sich trotzdem bei ihm verkrochen haben.“ Caligula war außer sich vor Zorn und Haß. Allein der Gedanke, Ribault zu finden und sich an ihm zu rächen, versetzte ihn in einen Zustand äußerster, kaum zu zügelnder Wut. Doc Delon sah an ihm vorbei und deutete eine galante Verbeugung zur Black Queen hin an. „Madam, natürlich stelle ich es Ihnen frei, meine ärmliche und bescheidene Hütte zu inspizieren, aber nur Ihnen. Bitte, wollen Sie eintreten?“ Sie kniff die Augen zusammen. Verhöhnte der Mann sie? Nein, er schien es ehrlich zu meinen, und über seine etwas gespreizte Ausdrucksweise durfte man sich nicht wundern. „Danke, das ist nicht nötig“, entgegnete sie. „Caligula, wir suchen bei der nächsten Hütte weiter.“ Caligula stürmte mit einem Fluch weiter, die Männer in seinem Gefolge rannten ihm nach. Die Queen verharrte noch kurz bei Doc Delon, dann wollte auch sie sich abwenden. „Wo ist unser Bürgermeister?“ fragte der Arzt. „Willem? Er wartet in der ,Mouche` auf mich“, erwiderte sie. „Und wann findet die Versammlung statt?“ „Wenn wir die entflohenen Gefangenen gefunden haben“, entgegnete sie, dann eilte auch sie weiter. Doc Delon blickte ihr mit grüblerischer Miene nach. Er hütete sich, mit allzu großer Hast in seine Hütte zurückzutreten. Ruhig, fast bedächtig waren seine Bewegungen. Er schloß die Tür, drehte sich um, schritt zu der Luke, rückte die
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Bank wieder zur Seite und öffnete die Luke. „Die Gefahr ist vorerst gebannt“, sagte er. „Ihr könnt wieder raufkommen.“ Was gesprochen worden war, hatten Ribault, Rivero und Marty deutlich genug verfolgen können. Sie stiegen die schmale Stiege hinauf und traten zu Doc Delon. „Ich danke dir, Doc“, sagte Ribault. „Das hast du wirklich großartig gemeistert.“ „Wie soll es weitergehen?“ fragte Marty. „Wir müssen die Augen offenhalten“, sagte Ribault. „Caligula ist imstande und kehrt noch einmal hierher zurück mißtrauisch, wie er ist. Carlos, stell du dich neben das Fenster und paß auf. Ich halte an der Tür Wache.“ „Es gibt ein paar Ritzen im Holz, durch die man ins Freie spähen kann“, sagte der Arzt und lächelte. „Im übrigen ist es schon später geworden, als ich angenommen hatte. Wir sollten die Dunkelheit abwarten und dann verschwinden.“ „Wir?“ wiederholte Carlos überrascht. „Ich kenne ein paar Schleichpfade, vielleicht führt einer davon zu eurem Schiff“, sagte Doc Delon mit pfiffiger Miene. Dann wurde er wieder ernst. „Ich kehre El Triunfo den Rücken. Wenn ihr mich dabeihaben wollt, gehe ich mit euch, sonst verschwinde ich auf eigene Faust. Diese Queen hat Tomdijk zu ihrem Vasallen erniedrigt. Er frißt ihr aus der Hand. Alle Siedler unterwerfen sich ihr diese Hohlköpfe! Was die Versammlung und die Abstimmung ergeben, weiß ich schon jetzt.“ „Umsiedlung!“ stieß Marty empört aus. „Das ist ein Verrat an El Triunfo! Wenn wir schon die Siedlung räumen, dann doch nur für einen kurzen Zeitraum! Ich wäre dafür, alles wieder aufzubauen, was die Spanier zerstören, aber ich würde niemals der Black Queen dienen!“ „Dann türmen wir vier also gemeinsam?“ fragte Jean Ribault. „Gut, ich bin damit einverstanden. Mehr noch, es freut mich, daß ihr euch auf unsere Seite schlagt. Für mich ist es jetzt das wichtigste, Siri-Tong und die Kameraden an Bord der ,Vengeur`
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über das zu verständigen, was hier vorgeht.“ „Siri-Tong?“ sagte Doc Delon überrascht. „Ist das nicht - die Rote Korsarin?“ „Ja.“ „Es kursieren tolle und haarsträubende Geschichten über diese Frau, mein lieber Ribault“, sagte der Arzt. „Und immer wieder hört man von einer Art Bruderschaft der Korsaren, die sich irgendwo in der Karibik niedergelassen hat. Siri-Tong gehört dazu, du gehörst dazu - aber euer Anführer scheint ein Philip Hasard Killigrew zu sein, wenn mich nicht alles täuscht. Der Seewolf.“ „Du täuschst dich nicht. Doc“, sagte Ribault und lachte. „Du bist viel herumgekommen, was?“ „Ich war auf Kuba, auf Jamaica und in Nombre de Dios. Da vernimmt man so einiges.“ Sie begannen eine angeregte Unterhaltung über die Raids, die der Seewolf in der Karibik durchgeführt hatte. Erstaunlich war, daß Doc Delon über ein bildhaftes Gedächtnis verfügte und so manches Gefecht der „Isabella“-Crew und ihrer Verbündeten gegen die Spanier in allen Details wiedergeben konnte. Wieder einmal wunderte sich Ribault darüber, wie schnell sich Nachrichten von Mund zu Mund verbreiteten und unbeteiligte Dritte über ihre spektakulären Unternehmungen Bescheid wußten. Die Zeit verging. Weder Caligula noch die Black Queen oder sonst jemand kehrten zur Hütte von Doc Delon zurück. Im Hereinbrechen der Dunkelheit gelang es den vier Männern, die Behausung unbemerkt und ungesehen zu verlassen. Ungehindert erreichten sie den Rand der Siedlung und schlüpften ins Dickicht. Doc Delon übernahm die Führung. Er kannte sich wirklich hervorragend aus. Sie schlichen an zwei Wachtposten vorbei, die sich auf dem Marsch in die Siedlung befanden, und wurden von ihnen nicht gesehen. Wenig später waren sie auf einem schmalen, zum Teil von den Dschungelpflanzen überwucherten Pfad
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angelangt, der zur Mündung des Rio Leán führte. Wo die „Le Vengeur III.“ ankerte, hatte Jean Ribault dem Arzt notgedrungen verraten müssen, damit dieser wußte, welche Richtung sie einzuschlagen hatten. Doch Ribault und Rivero waren sicher, Doc Delon voll vertrauen zu können. Die Frage, die sie sich jetzt stellten, war, ob sich auch Marty weiterhin ihnen gegenüber loyal verhalten würde. Oder hielt er noch eine unangenehme Überraschung für sie bereit? Die Nacht war mondlos. Wolken zogen dahin und verdeckten die blasse Sichel. Ribault hielt es für besser, ein Lager aufzuschlagen. Als sie eine kleine Lichtung erreichten, blieb er stehen und drehte sich zu seinen Begleitern um. „Wir sollten wenigstens ein paar Stunden schlafen. Wer weiß, was der neue Tag uns bringt.“ „Ja, und hier sind wir in Sicherheit“, sagte Doc Delon. Trotzdem teilte Ribault Wachen ein, die umschichtig ihren Dienst versehen sollten: Als erster war Carlos an der Reihe, dann der Arzt, dann er selbst, Ribault, und zuletzt Marty. Carlos begann mit seinem Rundgang, die anderen ließen sich auf dem Boden nieder und waren kurz darauf eingeschlafen. * Die Besatzungen der Pinassen und Schaluppen von El Triunfo, die den Auftrag gehabt hatten, nach „feindlichen Schiffsbewegungen“ auf See Ausschau zu halten, konnten an diesem Abend Beruhigendes melden: Keine Galeone hatte sich den Nachmittag über an der Kimm gezeigt, keine Karavelle, keine Karacke und kein Einmaster. Alles war ruhig geblieben, den ganzen Tag über. Das schien ein gutes Zeichen zu sein, und so wertete Willem Tomdijk, dem die Meldung in der „Mouche Espagnole“ überbracht wurde, es auch. „Gut“, sagte er mit weinseligem Grinsen und lehnte sich zurück. „Wir haben also
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eine schlechte und eine gute Nachricht. Die Gefangenen sind uns durch die Lappen gegangen. Aber die Spanier zeigen sich vorläufig noch nicht. Recht so. Wir haben also genug Zeit, in aller Ruhe zu beraten und abzustimmen. Die Versammlung wird auf morgen früh verschoben.“ „Jawohl, auf morgen früh“, sagte Georges Buisson, der auch schon wieder einige Becher Wein getrunken hatte. Er war einer der ersten gewesen, die die Suche nach Jean Ribault und Carlos Rivero erfolglos abgebrochen hatten. Mit ihm waren zehn, zwölf Siedler zur „Mouche“ zurückgekehrt. Sie sahen ein, daß es keinen Zweck mehr hatte, hinter den „Spionen“ herzujagen. Welche Gefahr sollte auch noch von diesen Kerlen drohen'? Morgen wurde El Triunfo ja sowieso geräumt, denn ein Mehrheitsbeschluß in dieser Richtung zeichnete sich schon jetzt deutlich ab. Morrison, die Queen und Caligula sahen dies anders. Sie stöberten in den restlichen Hütten von El Triunfo herum, die noch nicht näher inspiziert worden waren. Verbissen hielten sie an ihrem Vorhaben fest, Ribault und Rivero doch noch zu fassen, wobei Morrison allerdings nicht ahnte, daß die Queen und Caligula noch einige Gründe mehr hatten als er, den beiden Gesuchten den Garaus zu bereiten. Emile Boussac war dies alles egal, er bangte nur um seine Schenke. Längst hatte er die Zimmer für die Queen und für Caligula hergerichtet, und pausenlos bediente er seine Gäste mit dem besten Wein. Daß die Entflohenen noch gefunden wurden, glaubte auch er nicht mehr. Von dieser Warte gesehen, war er also sicher. Doch es bestand immer noch die Möglichkeit, daß dieser Caligula aus Wut über das Mißlingen der Suchaktion alles zu Kleinholz verarbeitete. Emile redete also auf den dicken Willem ein und versicherte ihm immer wieder, was für prächtige Freunde sie doch wären. Nur Willem konnte ihn vor Caligula und der Queen beschützen, wenn diese verrückt spielten.
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Erst gegen zehn Uhr kehrten die letzten Suchkommandos zurück. Die Meldung war stets die gleiche: kein Erfolg. Die entwichenen Spione waren wie vom Erdboden verschluckt. Es wurde allerdings nicht registriert, daß auch Doc Delon und Marty verschwunden waren. Zu dieser und anderen Feststellungen kam es auch nicht mehr, denn der folgende Tag verlief so ganz anders, als der dicke Willem, die Siedler, die Black Queen und die Piraten ihn sich ausmalten. „Findet jetzt die Versammlung statt?“ Dies war die erste Frage, die die Black Queen an Willem Tomdijk richtete, als sie die „Mouche“ betrat. Hinter ihr schob sich Caligula in den Raum. Boussac bemerkte zu seinem Entsetzen, daß sie bösartige, verzerrte Grimassen hatten, und wieder einmal begann sein Herz heftig zu schlagen. Mit einem Scheuertuch unterzog er die Tische einer symbolischen Reinigung, achtete aber nur auf das, was sich jetzt im Schankraum abspielte. „Die habe ich auf morgen früh verschoben“, sagte Willem. „Es sind nicht alle Männer anwesend. Morrison ist zum, Beispiel immer noch nicht zurück.“ „Der kommt gleich“, sagte die Queen. „Wer fehlt noch?“ „Jene, die inzwischen zu Bett gegangen sind“, erwiderte der Dicke und lud sie durch eine Gebärde zum Sitzen ein. „Nun laß dich erst mal nieder, und dann werden wir alles genau durchsprechen.“ Sie wollte aufbrausen, bezwang sich aber. Auch Caligula schien überzukochen, doch ein Blick der Queen genügte, und er ließ sich mit finsterem Gesicht, aber sonst friedlich, auf einem Stuhl in der Ecke nieder. Die Black Queen hielt es für richtiger, Willem Tomdijk wegen seiner Laxheit nicht zu kritisieren oder gar zu maßregeln. Das warf im Endeffekt doch nur ein schlechtes Licht auf sie. Mit Willem durfte sie es sich nicht verderben, er war der erste Bürger von El Triunfo und beeinflußte die Siedler doch ganz erheblich, wenn es nach
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außen hin auch nicht so wirkte. Sie hatten Vertrauen zu ihm und befolgten gern seine Ratschläge. Außerdem gab es noch einen zweiten Grund, warum die Verzögerung der Queen recht war. Sie wollte sich nicht die einmalige Chance entgehen lassen, in dieser Nacht ausgiebig die Keller der ehemaligen spanischen Mission zu inspizieren - ungestört natürlich. Keinen Willem und keinen Caligula wollte sie dabeihaben. Der Wein floß in Strömen. Caligula zog sich früh in sein Zimmer zurück, ebenso die beiden Männer der „Aguila“. Buisson streckte sich der Einfachheit halber unter einem der Tische aus. Niemand schien von ihm Notiz zu nehmen. Nach und nach leerte sich der Schankraum. Auch Willem Tomdijk gähnte herzhaft und wandte sich an die Queen. „Zwei durchzechte Nächte wären zuviel“, murmelte er. „Es ist wohl besser, ich gehe jetzt. Hast du dir dein Zimmer schon angesehen?“ „Ja“, sagte sie und fuhr ihm mit den Fingerspitzen über den linken Unterarm. „Ich würde aber viel lieber mit dir gehen, mein Dickerchen.“ Willem war von einem Glückstaumel ergriffen. Er wußte nicht mehr, wie ihm geschah. Wie von Sinnen schritt er neben ihr her - nein, er glaubte zu schweben. Im Inneren der Mission führte er die Black Queen sogleich in den Salon, und hier leerten sie jeder einen Humpen Bier. Wenige Augenblicke später war Willem am Tisch eingeschlafen. Er schnarchte entsetzlich. Die Black Queen grinste. Sie bewaffnete sich mit einem Schlüsselbund, den sie an seinem Gurt entdeckt hatte, und schlich zur Kirche. Durch die Brauerei gelangte sie in das Kellergewölbe. Hier entfachte sie eine Pechfackel. Im flackernden Schein der Flamme entdeckte sie die Tür, hinter der sich der von Willem beschriebene Raum mit den Schatztruhen befand. Mühelos öffnete sie die Tür mit einem der Schlüssel. Mehr als drei Dutzend Truhen und Kisten - das war der Reichtum der
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Siedler von El Triunfo, das Allgemeingut, das hier gehortet wurde und der Verwaltung von Willem Tomdijk überantwortet war. Die Queen öffnete die Deckel und lüftete sie an. Alle Truhen und Kisten waren bis zum Rand mit Gold, Silber, Diamanten und Schmuck gefüllt. Sie besichtigte alles ganz genau, dann lud sie sich die Kiste mit dem schönsten Goldschmuck auf die Schulter und trug sie hinaus. Sie hatte genug Kraft, es bereitete ihr keine Schwierigkeiten. Auch begegnete sie auf dem Rückweg durch die Kirche und über den Hof der Mission keinem Menschen, weder einem der Leibwächter noch Marty oder Willem - dem schon gar nicht, denn der schlief noch immer tief und fest, und sein Schnarchen war auf dem Hof zu vernehmen, Alles klappte hervorragend. Das Fehlen der Kiste würde kaum bemerkt werden. In aller Frühe wollte sie sie von Caligula zur Ankerbucht der Schiffe schaffen lassen, bevor die Umsiedlung begann. Im Bauch der „Caribian Queen“ versteckt, würde auch Willem Tomdijk sie nicht wiederfinden. Der Black Queen erschien es nur gerecht, daß sie für die Mühe, die sie sich mit den Männern von El Triunfo bereitete, einen kleinen Teil des Allgemeinschatzes zu ihrer persönlichen Verwendung abzweigte. Sie betrat die „Mouche Espagnole“ durch die Hintertür und trug die Kiste in Caligulas Raum. Wieder wurde sie nicht beobachtet. Sie weckte den Riesen auf und berichtete ihm, was sie getan hatte. Grinsend streckte er die Arme nach ihr aus. Sie lächelte und ließ sich zu ihm auf das Lager sinken. 8. Der neue Tag brach an, und die ersten grauen Schleier verflüchtigten sich. Es war noch sehr früh, aber nicht zu früh für den Generalkapitän Don Alonso de Lopez y Marqués. Seit der Nacht hatten seine Schiffe unweit von El Triunfo bei Punta Obispo geankert - und jetzt begann das Unternehmen mit strategischer Gründlichkeit und Pünktlichkeit.
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Der Wind fiel frisch aus nordöstlicher Richtung ein. Wie Schattenwesen glitten die zwanzig Galeonen in die Hafenbucht von El Triunfo, allen. voran die „Virgen de Andalucia“, die „Maria Madalena“ und drei durchschnittlich stark armierte Galeonen von dreihundert bis dreihunderfünfzig Tonnen Größe, deren Namen „Buena Estrella“, „Bizarria“ und „Vascongadas“ lauteten. Diese fünf Schiffe richteten ihre Bugpartien nach Westen und die Mündungen der ausgerannten Backbordgeschütze auf die Piers, den Kai, die beiden Steinbauten und die armseligen Holzhütten von El Triunfo. An Bord zischten die Zündschnüre, und die Luntenstöcke wurden auf die Zündlöcher in den Bodenstücken der Culverinen gesenkt. Die Mienen der Spanier waren angespannt, keiner sprach ein Wort. Dann ertönte Don Alonsos Stimme vom Achterdeck der „Virgen“: „Feuer!“ In El Triunfo, das noch in tiefem Schlaf lag, war Georges Buisson der erste Mann, der begriff, was gespielt wurde. Sein Schädel brummte wieder, aber nicht so stark wie in der vorherigen Nacht bei Willem Tomdijk. Benommen richtete er sich unter dem Tisch in der „Mouche Espagnole“ auf und stieß sich um ein Haar den Kopf an der Unterseite der Platte. Er war der einzige Mann, der den Ruf „Feuer!“ vernahm. Er stieß einen Fluch aus, war gedankenschnell auf den Beinen, schüttelte seine Kopfschmerzen ab und eilte zu einem der Fenster, aus denen man auf den Hafen schauen konnte. Da sah er die Kriegs-Galeonen wie graue Ungeheuer in der Bucht liegen - fast zwei Dutzend. Fünf vollzogen das Wendemanöver, drohend waren die Geschützrohre aus den offenen Stückpforten genau auf die Siedlung gerichtet. Buisson fuhr herum. „Aufwachen!“ brüllte er. „In Deckung! Die Spanier sind da!“ Die letzten Worte gingen im Donner der Kanonen unter. Die Bleiglasfenster wackelten und klirrten, die Mauern der „Mouche“ erzitterten. Ein urweltliches
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Grollen entfuhr den Kanonen der Schiffe und rollte über das Wasser auf die Häuser zu. Emile Boussac stürmte in den Schankraum und schrie auf. Die Queen und Caligula waren zur Stelle, ebenso die beiden Spanier von der „Aguila“. Buisson warf sich der Länge nach hin, rutschte ein Stück über den Boden und brüllte noch einmal: „Deckung!“ Auch Boussac, die Queen, Caligula und die beiden Spanier ließen sich fallen. Eine Kanonenkugel krachte gegen die Außenmauer, ein Fenster ging zu Bruch, die Scherben prasselten in den Raum. Eine zweite Siebzehnpfünder-Kugel schlug in die Tür, riß sie aus den Angeln und katapultierte sie quer durch den Schankraum. Einer der Siedler von El Triunfo, der wie Buisson unter einem Tisch geschlafen hatte, fuhr in diesem Moment hoch, wurde von der Tür mitgerissen und gegen die Wand geschmettert. Sein grauenhafter Schrei ging in dem Donner der nächsten Breitseite unter, die von weiteren fünf Galeonen des Verbandes abgefeuert wurde. Das Inferno hatte begonnen, völlig unerwartet brach der Angriff über die Siedler herein. Sie hatten zu leichtfertig gehandelt, den Gegner unterschätzt und bezahlten für ihren Fehler mit dem Tod. Starr vor Schreck blickten jene, die in diesem Moment in ihren Hütten erwachten, aus den Fenstern zu der Phalanx grauschwarzer Gespenster, die mit blitzenden Feuerzungen alles verschlangen. Unablässig schlugen die Kanonenkugeln ein, und fast ohne Unterbrechung rollte der Geschützdonner durch die Siedlung. „Nach hinten raus!“ schrie die Black Queen, die sich eben wieder vom Boden aufrappelte. „Hier ist nichts mehr zu retten!“ Buisson folgte ihrem Beispiel und hetzte ihr nach. Caligula war ebenfalls wieder auf den Beinen, ebenso die beiden Spanier. Boussac irrte in dem ramponierten Schankraum auf und ab, rang die Hände und jammerte immer wieder: „Nein - mon
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Dieu, nicht! Schießt mir das Haus nicht kaputt! Ihr wißt ja nicht, was ihr anrichtet!“ Wieder erbebte die „Mouche“ unter dem Anprall der Kugeln. Boussac warf sich hinter die Theke. Keuchend kroch er herum und versuchte, die Flaschen zu retten, die aus den Regalen stürzten und auf dem Boden zerklirrten. Die Queen eilte durch die Hinterzimmer. „Die Kiste!“ schrie Caligula. Zu zweit drangen sie in Caligulas Raum ein, hoben die Kiste vom Boden hoch und trugen sie durch die Hintertür ins Freie. Die Spanier folgten ihnen. Auch Buisson war bei ihnen und fragte sich unwillkürlich, was es mit der Kiste auf sich hätte. Irgendwie schien er sie zu kennen. Stammte sie nicht aus dem Kellergewölbe der Missionskirche? Es blieb keine Zeit, die Herkunft der Kiste zu klären. Grollend hagelten neue Breitseiten der Kriegs-Galeonen in die Siedlung, überall waren Rauch, Feuer und Geschrei. Aus allen Hütten stürzten Männer hervor. Keiner dachte an Gegenwehr. Jeder wußte, daß sein Heil nur noch in der Flucht lag. Wer nicht mehr rechtzeitig genug ins Freie gelangte, der wurde unter den Trümmern begraben. Krachend und berstend fielen die Hütten in sich zusammen. Der Turm der Missionskirche zerbröckelte unter dem Einschlag von zwei Kugeln. Niederprasselnde Steinbrocken töteten zwei Männer, einen Engländer und einen Franzosen. Die Panik brach aus in El Triunfo, und das Schreien und Fluchen nahm an Lautstärke immer mehr zu. Willem Tomdijk bewegte sich mit watschelnden Schritten durch den Salon seiner bedrohten Residenz und schrie mit heller Stimme: „Marty? Wo steckst du? Was ist los? Was wird gespielt?“ Natürlich wußte er, was die Stunde geschlagen hatte, aber instinktiv gab er Marty die Schuld an allem. Warum hatte der Hund ihn nicht rechtzeitig geweckt? Wo war er? Kugeln zerschlugen die Mauer des Hofes oder krachten gegen das Hauptgebäude der
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Mission. Willem keuchte entsetzt und verließ den Salon. Die Kirche fiel ganz in sich zusammen, erschlug Männer oder verletzte sie mit ihren Steinbrocken. Die Hölle war los, aber es war nur der Auftakt für das, was den Männern von El Triunfo noch bevorstand. Willem eilte ins Freie. Der Schatz war nicht mehr zu retten, er lag unter den Trümmern der Kirche begraben. Willem wußte nicht, wohin er sich wenden sollte, aber als er sich wie ein Tanzbär auf der Stelle zu drehen begann, wurde er von einem kleinen Mann mitgerissen. „Weg hier! Zum Urwald! Wer nicht flieht, stirbt!“ „Emile!“ stieß Willem hervor. „Wo sind die anderen?“ „Ich weiß es nicht, ich bin als letzter abgehauen!“ rief der Schankwirt. „Weiter, wir werden sie schon wiederfinden! Hier bricht alles zusammen! Meine schöne Kneipe!“ „Und meine schöne Brauerei!“ jammerte der Dicke. Dann hasteten sie im Donner der Kanonen an Sterbenden, Toten und Schwerverletzten vorbei, über Trümmer und schwelende Balken und Bretter hinweg auf die grüne Wand des Dschungels zu, die sich jetzt immer deutlicher im Morgenlicht abzeichnete. Es gab viele Tote, aber mehr als die Hälfte der Einwohner von El Triunfo konnte fliehen. Die Black Queen, Caligula und ihre Begleiter hasteten zu der Bahia de Tela, wo die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ ankerten. Georges Buisson blieb hinter ihnen zurück. Eine Gruppe von zwölf Siedlern hatte sich ihm angeschlossen. Zwei der Männer waren verwundet und mußten verarztet werden. Buisson kümmerte sich um sie, verlor auf diese Weise aber kostbare Zeit. Alle fragten sich, wo Doc Delon war. Willem schrie wieder nach Marty, doch Marty tauchte nirgendwo auf. Willem und Emile fanden den Weg zur Bahia de Tela und schlugen sich ebenfalls nach dorthin durch.
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An die zweihundert englische und französische Siedler starben an diesem blutigen Novembermorgen 1593 in El Triunfo. Dreihundert überlebten, weil ihnen gerade noch rechtzeitig genug die Flucht in den Dschungel gelang. * Don Alonso ließ das Feuer auf El Triunfo noch einige Zeit fortsetzen. Sein Geiz betraf nicht das Einsparen von Munition. Er wußte, daß er nur durch den Einsatz von viel Material die Siedlung für immer auslöschen konnte. Ihr Name würde von den Karten getilgt werden. El Triunfo zerbrach unter Wolken von fettem schwarzem Rauch, die zum Dschungel trieben. Die Mission war eingestürzt, und auch von der „Mouche Espagnole“ waren nur noch verkohlte, schwärzliche Reste übrig. Die Holzhütten waren zerstückelt, zusammengefallen, weggefegt, als hätte es sie nie gegeben. Letzte Kanonenschüsse fielen, dann ließ Don Alonso das Feuer endlich einstellen. Vom Achterdeck der „Virgen“ aus beobachtete er, was im Ort vor sich ging oder vielmehr, was nicht mehr war. „Da regt sich nichts mehr“, sagte er zu seinen Offizieren. „Wir können mit dem zweiten Teil des Unternehmens beginnen mit der Landaktion.“ Die Schiffe drehten bei, Kommandorufe ertönten. Die Segel wurden ins Gei gehängt, die Anker rauschten an ihren Trossen aus. Dann fierten die Besatzungen die Beiboote ab. Zweihundert Seesoldaten pullten auf Don Alonsos Befehl hin an Land. Sie legten zwischen den zerstörten Piers an, vergewisserten sich, daß alle Einmaster der Siedler versenkt worden waren, und sprangen schließlich auf das Ufer. Kleine Trupps von je einem Dutzend Mann wurden gebildet. Letzte taktische Einzelheiten wurden besprochen, dann schwärmten die Trupps aus. Zunächst suchten sie El Triunfo ab, dann begannen sie, den Urwald zu durchkämmen.
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Sie waren auf der Suche nach der Überlebenden. Wer entdeckt und gestellt wurde, der sollte auf der Stelle erschossen werden - „auf der Flucht“, wie es später im Protokoll und im Logbuch des Don Alonso de Lopez y Marques heißen würde. Weitere beschönigende Darstellungen konnte er sich ersparen, denn er führte nur die Anweisungen aus, die ihm die Admiralität in Cartagena erteilt hatte. * Jean Ribault, Carlos Rivero, Doc Delon und Marty hatten sich sehr früh erhoben. Sie beseitigten alle Spuren ihres Nachtlagers und nahmen den Marsch wieder auf, der sie in den frühen Morgenstunden zur Flußmündung führen sollte. Marty hatte die letzte Wache gehabt und keine Anstalten getroffen, sich zu entfernen oder die drei Begleiter durch irgendwelche Tricks zu überlisten. Somit schien seine Aufrichtigkeit endgültig bewiesen zu sein. Als der Kanonendonner von der Bucht herübertönte, führte Doc Delon die kleine Gruppe auf eine Anhöhe, von der aus sie durch eine schmale Schneise alles verfolgen konnten, was sich in El Triunfo abspielte. „Mein Gott“, sagte Doc Delon erschüttert. „Das ist ja nicht zu fassen.“ „Ein Gemetzel“, sagte Marty und hielt sich die Ohren zu. „Ich kann das Geschrei nicht mehr ertragen.“ „Wir müssen zurück“, sagte Ribault. „Es ist unsere Pflicht, zu helfen. Wir müssen Überlebende und Verwundete bergen.“ „Ja“, pflichtete der Arzt ihm bei. „Das ist vor allen Dingen meine Aufgabe.“ Sie wollten sich bereits entfernen, aber Carlos hielt sie zurück. „Das ist Wahnsinn!“ stieß er aus. „Seht doch - wir können auch nichts mehr tun! Außerdem würden wir den Zorn der Siedler auf uns lenken! Sie würden uns für alles die Schuld geben! Wir sind die Spitzel und Spione, die ihnen alles eingebrockt haben! Doc, du hast dich mit
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uns verbündet! Auch dich hängen sie auf! Oder sie zerreißen uns! Seid vernünftig!“ „Er hat recht“, sagte Marty. „Man hat inzwischen auch unser Verschwinden bemerkt, Doc. Willem Tomdijk, Boussac und die anderen können sich alles zusammenreimen.“ „Das ist nicht von der Hand zu weisen“, sagte der Arzt. „Aber irgend etwas müssen wir unternehmen. Ich habe eine Stinkwut auf unsere Leute gehabt. Ich kann sie aber auch nicht auf so elende Weise verrecken sehen.“ „Sie fliehen“, sagte Carlos Rivero. „Wer noch laufen kann, flüchtet und versteckt sich im Dschungel. Diesen Männern können wir unseren Beistand leisten. Aber erst sollten wir uns bei Siri-Tong melden, sonst bereitet sie sich die schlimmsten Sorgen.“ „Einverstanden“, sagte Doc Delon. „Ich führe euch zum Fluß. Dann kehre ich wieder um und helfe, wo Not am Mann ist.“ Sie verließen die Anhöhe und eilten weiter durch den Busch zum Rio Leán. Auch Jean Ribault war natürlich in großer Sorge um die Rote Korsarin und die Männer der „Le Vengeur Er konnte es jetzt kaum noch erwarten, sein Schiff zu erreichen. 9. Die Wachtposten der Beiboote warteten mit verbissenen Mienen am Ufer der Bahia de Tela. Erst als sie die Black Queen, Caligula und die beiden Spanier der „Aguila“ aus dem Dickicht stürmen sahen, atmeten sie erleichtert auf. „In El Triunfo ist der Teufel los!“ rief die Queen. „Zwanzig spanische Galeonen liegen in der Bucht! Wir müssen höllisch aufpassen, sonst sind wir selbst verraten und verkauft!“ Caligula schleppte die Schatzkiste zu einem der Boote und wuchtete sie hinein. Er deckte sie vorsichtshalber mit einem Stück Persenning zu - und das war genau richtig, denn jetzt erschienen auch der schwitzende, keuchende Willem Tomdijk und Emile Boussac.
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Sie fuchtelten beide mit den Händen, und Emile rief: „Nehmt uns mit!“ Die Queen drehte sich zu ihnen um. „Beeilt euch! Wir gehen sofort ankerauf und laufen aus!“ Willem brach auf dem Strand in den Knien zusammen und rang die Hände. „Ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht!“ jammerte er. „Helft mir!“ Zwei Piraten liefen zu ihm, griffen ihm unter die Achseln und schleppten ihn zu den Booten. Caligula mußte mit zupacken, der Mann schien doppelt schwer zu sein. Mit vereinten Kräften hievten sie ihn in eine Jolle, dann schoben sie die Boote ins Wasser, kletterten an Bord und begannen zu pullen, als säßen ihnen alle Teufel der Hölle im Nacken. Im Eiltempo erreichten sie die Schiffe und gingen mit den Booten längsseits. Willem wurde mit dem Bootsmannsstuhl an Bord der „Caribian Queen“ gehievt, Emile kletterte affengewandt die Jakobsleiter hoch. Auf der Kuhl jammerten sie sich gegenseitig etwas vor und bemerkten nicht, wie die Queen auch die Schatzkiste an Bord hieven ließ. Auch das Boot der „Aguila“ wurde von seinen Insassen geräumt und eingeholt, alles lief mit routinierter Schnelligkeit ab. Die Queen rief ihre 'Befehle, Jaime Cerrana feuerte seine Männer zur Eile an. Auf beiden Schiffen wurden die Anker gelichtet und die Segel gesetzt. Ehe die Spanier auch hier eintrafen, mußten sie die Bahia de Tela verlassen haben, denn mit zwei Schiffen hatten sie gegen die Übermacht keine Chance. Nicht einmal der Durchbruch würde ihnen gelingen, die Bucht konnte sich in eine tödliche Falle verwandeln. So verließen die Schiffe unbemerkt die Bucht und suchten mit Kurs Nordwesten vorerst das Weite. Die Black Queen stand auf dem Achterdeck ihres Zweideckers und blickte durch das Spektiv nach El Triunfo, das unter einer einzigen riesigen Rauchwolke lag. „Meine schöne Brauerei!“ begann Willem wieder zu jammern. „Die Spanier, diese verfluchten Hunde! Sie haben alles zu
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Klump geschossen! Das werde ich ihnen nie verzeihen!“ „Und die ,Mouche“?“ rief Emile Boussac. „Mein Besitz, alle meine Träume - alles dahin! Aus und vorbei! Ich werde nie wieder lachen können!“ „Es ist das Ende“, stöhnte der Dicke. „Und der Schatz von El Triunfo liegt unter den Trümmern begraben. Wir haben nicht einmal mehr die Zeit gehabt, ihn zu bergen und fortzuschaffen.“ Caligula hatte die Kiste selbst durch eine der Luken in einen der Stauräume der „Caribian Queen“ abgefiert. Eben ließ er wieder die Gräting darüberlegen. Grinsend blickte er zu Willem und Emile, die ihm die Rücken zugewandt hielten. Narren, dachte er, euch sollte man was aufs Maul geben. Auch die Black Queen verfluchte die beiden innerlich, besonders Willem, der die Entscheidung unnötig hinausgezögert hatte. Der Mehrheitsbeschluß hätte schon am Abend gefaßt werden können, und es hätte weder eines großen Aufwands noch langer Zeit bedurft, El Triunfo zu räumen. Selbst bei Nacht wäre es möglich gewesen. Aber diese Chance war jetzt verspielt - und sie, die Queen, war mit daran schuld. Sie hätte die Dinge beschleunigen müssen, hatte es aber nicht energisch genug getan. Diese Selbstkritik konnte sie sich nicht ersparen. So mußte sie ohne ihre neue Gefolgschaft in See gehen. Wieder hatte die Black Queen eine Schlappe erlitten. Sie hatte nichts erreicht. Doch was geschehen war, war geschehen, und es hatte keinen Zweck, sich deswegen mit Vorwürfen zu überhäufen. Darum ließ sie sowohl Willem als auch Emile in Ruhe und dachte an das Nächstliegende. Wichtig war jetzt, Distanz zwischen die „Caribian Queen“, die „Aguila“ und El Triunfo zu legen - so viel, daß die Spanier sie nicht entdeckten, wenn sie die Umgebung nach Überlebenden oder möglicherweise auftauchenden feindlichen Schiffen absuchten. Daß sie es tun würden, war sicher. Vielleicht wußten sie sogar, daß sich einige
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Siedler auf den Islas de la Bahia niedergelassen hatten, und segelten dorthin. um nichts auszulassen und mit der erforderlichen Gründlichkeit vorzugehen. Georges Buisson hatte ja auf der Isla de Roatán einen solchen vorgeschobenen Posten eingerichtet und von dort aus vorbeisegelnde Schiffe mit nur einem winzigen Einmaster überfallen. Er hatte auf diese Weise auch die „Caribian Queen geentert, wäre aber geliefert gewesen, wenn er sich nicht im letzten Augenblick als Siedler von El Triunfo zu erkennen gegeben hätte. Seine Kumpane waren im Kampf gestorben, ihn aber hatte die Queen am Leben gelassen, weil sie jemanden brauchte, der sie nach El Triunfo führte. Buisson war jetzt verschwunden und mußte sich irgendwo im Dschungel von Honduras gegen die anrückenden Spanier zur Wehr setzen. Die Black Queen hoffte aber trotzdem, wenigstens ein paar Dutzend Männer wie Buisson noch an Bord ihrer Schiffe zu holen, damit ihr Unternehmen kein völliger Schlag ins Wasser war. Das konnte aber nur im Schutze der Nacht geschehen. Vorläufig war sie wegen des spanischen Verbandes in größter Sorge, die Fäden konnten ihr immer noch aus der Hand gleiten. Sie zog es vor, an den Islas de la Bahia vorbeizusegeln und weiter nach Nordwesten zu verholen, das schien nach allem Dafürhalten das sicherste zu sein. * Siri-Tong und die Männer der ,,Le Vengeur III.“ standen wieder wie auf Stützen. Sie hörten den Kanonendonner und die Schreie, die von El Triunfo herüberdrangen, aber sie konnten wieder nichts unternehmen. Es wäre nicht nur Wahnsinn, sondern Selbstmord gewesen, sich da einzumischen. „Das sind mindestens eineinhalb Dutzend Schiffe”, sagte Barba. „Ein großer Verband. Kriegs-Galeonen. Die Spanier sind da und schießen El Triunfo zusammen.“
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„Und wir können nichts tun, um den Siedlern zu helfen“, sagte Jenkins mit betroffener Miene. „Wenn sie Jean Ribault und Carlos Rivero auch für spanische Spione gehalten haben das haben sie nicht verdient“, sagte Roger Lutz, und die anderen waren mit ihm einer Meinung. Siri-Tong mußte nun doch froh sein, daß sie für die „Le Vengeur III.“ den gut getarnten Ankerplatz in der Mündung des Flusses gefunden hatten, denn anderenfalls wären sie von den Spaniern mit Sicherheit entdeckt und aufgebracht worden. Aber die Sorge um Ribault und Rivero war übermächtig. Noch einmal stellte die Rote Korsarin ein Kommando zusammen, das sich auf dem Landweg nach El Triunfo in Bewegung setzen sollte. Sie selbst übernahm wieder die Führung. Pierre Puchan, Lutz, Finley und zwei Männer ihrer alten Crew sollten sie diesmal begleiten: Tammy und Hilo. Eben wollten sie von Bord gehen, da ertönten ganz in der Nähe Schreie und Schüsse. Das Krachen von Musketen und Tromblons und das Gebrüll der Männer näherte sich dem Fluß, und schon war auch das Knacken und Prasseln im Dickicht zu vernehmen. Gefechtsbereit war die „Le Vengeur III.“ seit ihrem Eintreffen an der Küste von Honduras, aber Siri-Tong gab den Befehl, auch zu den Handfeuerwaffen zu greifen. Sie selbst nahm einen Blunderbuss, spannte den Hahn und ging hinter dem Backbordschanzkleid in Deckung. Die Männer duckten sich ebenfalls und hielten gespannt zum Urwald hin Ausschau. Einige Yards weiter flußaufwärts tauchten plötzlich Männer aus dem Ufergestrüpp auf, ihrem Verhalten nach in panischer Flucht. Einer glitt aus und stürzte ins Wasser, war aber gleich wieder auf den Beinen und hastete seinen Kameraden nach. Immer mehr Gestalten quollen aus dem dichten grünen Laubvorhang hervor, und einer der letzten rief jetzt etwas, das wie ein Befehl klang. Daraufhin sprangen die Männer -Siri-Tong zählte vom Achterdeck der „Vengeur“ aus
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mehr als zwanzig - in den Fluß und versuchten, sich schwimmend ans andere Ufer zu retten. Aber jetzt peitschten wieder Schüsse auf. Musketenläufe ragten aus dem Dickicht, Mündungsblitze zuckten auf, Kugeln flogen den brüllenden Männern nach. Siedler auf der Flucht - sie hatten in der Hast des Aufbruches keine Feuerwaffen mehr mitnehmen können oder nur wenig Munition zur Verfügung, die inzwischen aufgebraucht war. Die Spanier saßen ihnen auf den Fersen und dachten nicht daran, ihnen freies Geleit zu gewähren. Keiner sollte entkommen. Siri-Tong richtete sich auf und winkte ihren Männern zu. Sie hatte ihren Entschluß gefaßt und verlor keine Zeit mehr. Ein sinnloses Gemetzel konnte verhindert werden, der ungleiche Kampf mußte aufhören. Siri-Tong sprang als erste in das bereitliegende Boot, die Männer folgten ihr. Sie pullten an Land, setzten auf das schmale Ufer und eilten flußaufwärts. aufwärts. Sie waren gerade rechtzeitig zur Stelle, als fünfzehn spanische Soldaten - halb im Dickicht verborgen, halb am Ufer - in Stellung gingen und ein Zielschießen auf die schwimmenden Siedler veranstalteten. Noch schienen sie die Rote Korsarin und deren Begleiter nicht bemerkt zu haben, aber jetzt war es Siri-Tong, die einen gellenden Kampfruf ausstieß. Die Köpfe der Spanier ruckten herum. Sie waren abgelenkt und für einen Augenblick irritiert. Sie wußten nicht, wer die schwarzhaarige Frau und die wilden, offensichtlich zu allem entschlossenen Kerle waren, die da schwerbewaffnet auf sie zustürmten. Siedler konnten es nicht sein - nicht von dieser Seite! Die Männer aus El Triunfo erreichten keuchend das gegenüberliegende Ufer des Flusses und wateten an Land. Auch sie waren überrascht, aber sie dachten nicht darüber nach, wer es sein mochte, der ihnen unverhofft half. Sie waren nur darauf aus, sich so schnell wie möglich in Deckung zu werfen.
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„Die Waffen weg!“ schrie Siri-Tong den Spaniern zu. „Ergebt euch!“ „Feuer!“ schrie der Anführer des Soldatentrupps, ein hochgewachsener, kräftiger Sargento. „Schießt das Gesindel nieder! Hier wimmelt es von Piraten!“ Piraten - das war das ausschlaggebende Wort. Schon krachten die Musketen und Tromblons, und die Rote Korsarin mußte sich zu Boden werfen. Hinter ihr gingen Puchan, Lutz, Finley, Tammy und Hilo in Deckung, und auch Barba und Nyberg, die sich zusätzlich dem Aktionskommando angeschlossen hatten, ließen sich geistesgegenwärtig fallen. Die Kugeln sirrten und zirpten über sie weg wie zornige Hornissen. Siri-Tong feuerte als erste zurück, dann rollte sie sich ins Dickicht und lud den Blunderbuss nach. Puchan und Lutz schossen und folgten ihrem Beispiel, dann waren Finley und die beiden Kreolen an der Reihe. Zuletzt schossen Barba und Nyberg - und da war auch die Rote Korsarin wieder feuerbereit. So heizten sie den Spaniern ein und veranstalteten ihrerseits ein Zielschießen. Die Spanier zogen sich tiefer ins Ufergestrüpp zurück. Aber gurgelnde Laute und erstickte Schreie verkündeten, daß Siri-Tong und die Männer der „Vengeur“ nicht nur schnell zu schießen, sondern auch zu treffen vermochten. Jubelrufe ertönten aus dem Dickicht am anderen Ufer. Die Siedler verfolgten alles ganz genau. Ein lautes „Hurra“ erschallte, als zwei Spanier aus dem Dickicht taumelten und verletzt ins Wasser kippten. Sie tauchten unter und nicht wieder auf. Ein weiterer Gegner brach zusammen. Die Flüche der Soldaten ließen darauf schließen, daß sie sich keinen Sieg mehr erhofften. Siri-Tong hatte noch einmal nachgeladen und robbte durch das Dickicht auf die Stellung des Gegners zu. Nur noch vereinzelte Schüsse beantworteten das Feuer der „Vengeur“- Crew. Die Spanier konnten nicht mehr schnell genug ihre leergefeuerten Waffen nachladen.
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Siri-Tong sprang auf, riß den Blunderbuss hoch und feuerte. Todesschreie mischten sich in das Donnern der Waffe, und wieder sanken zwei, drei Gegner zusammen. Der Sargento begriff, daß er nicht nur auf einem verlorenen Posten kämpfte, sondern sich auch in höchster Lebensgefahr befand. Er ergriff die Flucht. Vier Soldaten folgten ihm, die anderen waren tot - zehn Männer, die nie mehr nach Cartagena zurückkehren würden. Plötzlich aber fielen wieder Schüsse - im Dickicht. Siri-Tong fuhr mit verwunderter Miene herum. Auch Barba und die anderen Männer, die bei ihr eintrafen, stutzten. Drei der fünf geflohenen Spanier taumelten ein paar Schritte weiter flußaufwärts aus dem Gebüsch - der Sargento und zwei Soldaten. Ihre Waffen hatten sie verloren, sie stießen Schreie der Panik und Todesangst aus. Stolpernd liefen sie ins Wasser und versuchten nun selbst, sich schwimmend zu retten. Aber wieder krachten Schüsse. Ein Soldat brach zusammen. Der Sargento riß seinen Säbel aus dem Gurt, fuhr mit wutverzerrter Miene herum und empfing den Mann, der aus dem Dickicht heraus zu ihm ins Wasser sprang: Jean Ribault! Carlos Rivero tauchte ebenfalls auf und nahm das Säbel-Duell mit dem anderen Spanier auf. Am Ufer erschienen noch zwei Gestalten, die auf unterschiedliche Weise bemerkenswert waren: ein heruntergekommen und verlebt wirkender Mann, der leicht gekrümmt dastand, und ein Kerlchen, das auf geradezu unheimliche Weise schielte. Jean Ribault besiegte den Sargento, der Soldat fiel unter Carlos Rivero Säbelhieb. Ribault trat zu Siri-Tong und sagte: „Da wären wir also wieder. Frag mich nicht, warum wir diese beiden getötet haben, statt sie abhauen zu lassen.“ „Ich frage dich aber doch“, sagte sie. „Wir haben eine Gruppe von zehn Engländern und Franzosen gefunden“, erklärte Carlos. „Sie waren von diesen Spaniern getötet und grausam zugerichtet worden. Ich glaube, das reicht als Rechtfertigung. Es besteht kein Grund, hier
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ein Blutbad anzurichten und auch die Flüchtlinge zu verfolgen und niederzumetzeln. Die Spanier tun es aber doch. Sie wüten wie die Bestien.“ „Der Teufel soll sie holen“, sagte Barba. „Wir sind aber froh, daß ihr gesund und munter wieder zur Stelle seid.“ Am anderen Ufer traten die Siedler aus dem Dickicht und stimmten wieder ein regelrechtes Freudengeheul an. Dann stiegen sie ins Wasser und schwammen zu ihren Rettern. Die Rote Korsarin wies auf die beiden Männern. „Sind das Freunde, Jean? Können wir uns auf sie verlassen?“ „Doc Delon und Marty“, entgegnete der Franzose. „Wenn sie uns nicht geholfen hätten, wären wir aus El Triunfo nicht mehr lebend entwischt.“ Doc Delon verbeugte sich, griff nach SiriTongs Hand und küßte sie galant. „Madam“, sagte er. „Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen. Ich glaube aber, ich muß jetzt wieder gehen.“ „Du bleibst, Doc“, sagte Jean Ribault. „Kehrst du in den Dschungel zurück, töten dich die Spanier, und du kannst keinem mehr helfen. Das gilt auch für dich, Marty.“ Marty verdrehte die Augen. „Ehrlich, ich wäre heilfroh, wenn ich hier am Fluß bleiben könnte.“ „He!“ rief einer der Siedler. „Doc, Marty! Wo wart ihr? Wir hatten euch schon vermißt!“ „Wir sind geflohen wie alle anderen“, sagte der Arzt. „Aber Unkraut vergeht ja bekanntlich nicht. Ist bei euch jemand verletzt?“ „Ich habe einen Kratzer an der Schulter“, erwiderte einer der Männer, der jetzt aus dem Wasser stieg. „Zeig mal her“, sagte Doc Delon. Siri-Tong wurde von den Siedlern überschwenglich gefeiert und bestaunt. Sie war jetzt das zweite weibliche Wesen, das in kurzer Zeit in El Triunfo aufgetaucht war. Barba und die anderen von der „Le Vengeur III.“ schnitten zwar drohende Grimassen, schüttelten den Siedlern dann aber doch kameradschaftlich die Hände.
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Alle zusammen gingen an Bord der „Le Vengeur III.“, und Jean Ribault berichtete, was sich zugetragen hatte. Sie durften aufatmen, aber nur halb. Wieder begannen bange Stunden, denn sie saßen in der Falle. Sicher waren sie nur, wenn sie nicht entdeckt wurden. Wenigstens in diesem Punkt war Ribault aber nach wie vor zuversichtlich, denn das Versteck war wirklich hervorragend. Auch die Spanier, die jetzt tot waren, hatten das Schiff aus nächster Nähe nicht gesehen. Auslaufen konnte Ribault aber nicht, denn die Kapitäne der Kriegs-Galeonen würden sie sofort entdecken und unverzüglich eine Jagd auf sie veranstalten, da sie sie einwandfrei als Korsaren identifizieren würden. Es hatte keinen Sinn, sich zu verholen. Sie waren dazu verdammt, weiterhin im Rio Leán zu ankern. 10. Georges Buisson hatte mit seinem Trupp von zwölf Männern eine winzige Lichtung erreicht. Die beiden Verwundeten waren verbunden worden. Zum Glück waren sie nicht an den Beinen verletzt, so daß sie problemlos weiter mitmarschieren konnten. Buisson sah seine Begleiter ernst an. „Ich glaube, es ist doch besser, wenn wir uns zur Bahia de Tela durchschlagen. Vielleicht ist die Black Queen mit ihren Schiffen noch nicht ausgelaufen.“ „Es ist unsere einzige Chance“, sagte der grauhaarige Engländer. „Selbst wenn wir die Möglichkeiten hätten, El Triunfo zurückzuerobern, es würde uns nichts einbringen. Die Siedlung liegt in Schutt und Asche, sie ist nutzlos für uns geworden, und ein Wiederaufbau hätte keinen Sinn.“ „Weil wir mit neuen Vergeltungsschlägen der Spanier rechnen müßten“, sagte der dickbäuchige Franzose, der ebenfalls am Abend mit in der „Mouche Espagnole“ gewesen war und tüchtig mitgezecht hatte. „Ich hatte aber gehofft, wir könnten wenigstens noch ein paar Dons erledigen, ehe wir uns ganz zurückziehen.“
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„Sie haben Musketen, Pistolen und Tromblons“, gab Buisson zu bedenken. „Wir sind nur unzureichend bewaffnet. Außer unseren Säbeln und Messern haben wir nur ein paar Schußwaffen - und wenig Munition.“ Sie beratschlagten noch eine Weile, dann sahen alle ein, daß es klüger war, das Feld kampflos zu räumen. Sie verließen die Lichtung und schritten in westlicher Richtung davon. In El Triunfo war der Kanonendonner seit einiger Zeit verstummt, aus dem Busch erklang nur noch hin und wieder das Krachen der spanischen Musketen. Auch die letzte Phase des Unternehmens schien sich ihrem Ende entgegenzuneigen. Würden die Galeonen noch heute abend wieder in See gehen? Es ließ sich darüber nichts sagen. Auch wußten weder Buisson noch seine Begleiter, wie viele Tote es bei den Einzelkämpfen an Land gegeben hatte, wo die Überlebenden sich versteckten und welche Chancen sie hatten, dem Feind endgültig zu entkommen. Sie hatten keinen Kontakt zu anderen versprengten Siedlern und wußten nicht, wo sie sie suchen sollten. Georges Buisson grübelte über seine Vergangenheit nach, während er voranschritt. Er hatte alles falsch angepackt, so schien es ihm. Hundertfach hatte er sein Leben riskiert, oft, um nur wenige Goldmünzen zu erbeuten. Gold, Silber und Juwelen waren wie Wasser durch seine Hände geronnen, nie hatte er seinen Besitz halten und vermehren können. Das sollte anders werden. Er wollte etwas aufbauen, gründen, erhalten und pflegen. Die Black Queen war eine begehrenswerte Frau, jeder Pirat und Küstenhai wünschte sich, sie nur für eine Nacht zu besitzen. Aber auch unter ihrem Kommando würde er, Georges Buisson, nur für kurze Zeit segeln. Er wollte jetzt selbständig sein und keinem mehr gehorchen oder Rechenschaft ablegen müssen. Ihm fiel die Kiste ein, die die Queen und Caligula aus der „Mouche Espagnole“
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geschleppt hatten. Was hatte es damit auf sich? Was enthielt die Kiste? Geld? Gold? Waffen? Habseligkeiten der Queen? Aber warum war ihm die Kiste so bekannt erschienen? Wo hatte er sie schon einmal gesehen? Stammte sie wirklich aus dem Kellergewölbe der Missionskirche? War sie also ein Teil des Schatzes von El Triunfo? Wenn dem so war, gehörte ein Anteil auch ihm - und den anderen stand es ebenfalls zu, die Kiste zu untersuchen. Er wollte dies klären, wenn er die „Caribian Queen“ erreichte. Er hatte Pläne, er schöpfte neuen Mut und einige Hoffnungen, aber er kam nicht mehr dazu, alle Fäden zu Ende zu spinnen. Plötzlich geschah das, womit Buisson insgeheim gerechnet hatte, ohne es jedoch seinen Gefährten gegenüber auszusprechen: Lärm entstand im Unterholz, Zweige knackten, Blätter brachen, Flüche ertönten und Waffenhähne knackten. Buisson, der grauhaarige Engländer, der dickbauchige Franzose und die zehn anderen Siedler fuhren noch herum und rissen ihre Waffen hoch, aber da stürmte auch schon ein Trupp von zwanzig spanischen Soldaten durch das Dickicht auf sie zu. Schüsse krachten, zwei Männer rechts von Buisson brachen stöhnend zusammen und blieben reglos auf dem Boden liegen. „Angriff!“ schrie Buisson. „Tod den Spaniern! Schlagt sie zurück!“ Aber er ahnte, daß keine anfeuernden Worte noch etwas nutzten. Wieder krachten die Musketen, Tromblons und Pistolen der Spanier, und der dickbäuchige Franzose, der grauhaarige Engländer und ein anderer Mann stürzten zu Boden. Buisson und die anderen Überlebenden kämpften wie die Löwen gegen die Soldaten. Sie feuerten die letzten Schüsse ab, die sie in ihren wenigen Schußwaffen hatten, und warfen sich mit Säbel, Messern, Entermessern und Schiffshauern dem Feind entgegen. Allen voran war Georges Buisson, und er focht für zwei. Doch es war ein aussichtsloser Kampf.
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„Ihr Teufel!“ brüllte er. „Verreckt!“ Wutentbrannt ließ er den Säbel auf einen Soldaten niedersausen, blutend stürzte der Mann in die Mangroven. Aber hinter Buissons Rücken waren die Siedler von El Triunfo überwältigt und getötet worden. Der zwölfte Mann fiel in diesem Augenblick, er streckte noch die Hand nach Buisson aus, als wolle er ihn um Hilfe anflehen, dann kippte er vornüber und blieb mit dem Gesicht nach unten bewegungslos liegen. Allein stand Buisson einer Übermacht von Soldaten gegenüber. Sie drangen von allen Seiten auf ihn ein, und es nutzte ihm nichts mehr, daß er den meisten von ihnen im Fechten weit überlegen war. Sie umzingelten ihn, blitzende Klingen zuckten von allen Seiten auf ihn zu. Von zahlreichen Säbelhieben getroffen, sank Georges Buisson zu Boden. Er überrollte sich halb, die Waffe entglitt seinen schlaff werdenden Fingern. Ich verfluche euch, dachte er noch, und er wollte es schreien, aber über seine Lippen drang nur noch ein unverständliches Murmeln. Seine letzten Gedanken galten den Männern, die von einem freien Leben in der Karibik träumten. Er wußte, daß sie alle noch weit davon entfernt waren, diesen Traum in die Wirklichkeit umzusetzen. Tausend Schwierigkeiten lagen wie schwere Steine auf dem schmalen Pfad, der ins Paradies führte. Die Welt war schön und häßlich zugleich. El Triunfo existierte nicht mehr. Willem Tomdijk war ein großer, dicker Narr, aber er hatte ihn gemocht, verdammt noch mal. Die Black Queen war blutrünstig und grausam, sie würde ihre Pläne nicht verwirklichen und scheitern. Aber eine Nacht hätte er ganz gern mit ihr in der Koje verbracht. Nur eine Nacht. Es hat nicht sein sollen, dachte er noch, dann fiel ihm das Denken schwer. Das war's wohl, durchzuckte es ihn schwach. Und dann starb er. *
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Wie eine Skulptur, in Jahrtausenden von Wind, Wasser und allen Unbilden der Natur geschaffen, erhob sich die Schlangen-Insel aus der See der Caicos Islands. Kobaltblau war der Himmel, an dem kein Wolkenfetzen trieb, tief blaugrün das Meer, und eine handige Brise umfächelte die Felsen. Es war ein ruhiger Tag -und niemand ahnte hier etwas von den dramatischen Vorgängen in El Triunfo. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, war aber in Anbetracht dessen, was sich in naher Zukunft ereignen konnte, mit gewissen Präventivmaßnahmen beschäftigt. Die Black Queen stellte eine Bedrohung für die gesamte Karibik dar. Es mußte mit allen Mitteln verhindert werden, daß sie ihren Machtbereich ausweitete. Deshalb lagen die „Isabella IX.“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ zum Auslaufen bereit in der Bucht. Die Mannschaften warteten nur noch das Ansteigen des Mahlstromes ab, der es ermöglichte, den Felsendom zu passieren. Gran Cayman sollte das Ziel der „Isabella“ und des schwarzen Schiffes sein. Thorfin Njal hatte all das, was dort vorgefallen war. nach seiner Rückkehr berichtet, und sofort hatte der Bund der Korsaren auf dem Ratsfelsen getagt. Der Beschluß lautete, daß Hasard und der Wikinger mit ihren Schiffen nach Gran Cayman segelten und sich dort auf die Lauer legten. Der Seewolf wollte die Insel besetzen und der Queen damit einen wichtigen Rückzugsweg verbauen. Das Auslaufen der beiden Schiffe stand also unmittelbar bevor. Es konnte Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfs, aber nicht davon abhalten, ziemlich unbekümmert durch das Innere der Insel zu streifen. Plymmie, die Wolfshündin, war bei ihnen. Mit heraushängender Zunge lief sie neben ihnen her. Die Schlangeninsel, die manches Geheimnis barg, reizte sie immer wieder, auf eigene Faust Entdeckungsreisen zu unternehmen. Sie hatten schon öfter „Patrouille“ abgehalten, aber es gab auf
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diesem Eiland immer wieder Neues, Erstaunliches zu entdecken. Fremdartige Vögel beispielsweise, auf die Philip junior wie versessen war. Manchmal fertigte er Zeichnungen von den Arten an, die er kannte. Es gab seltene Exemplare auf der Schlangeninsel; bunt, schillernd und exotisch. wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Aber sie waren auch schon auf andere Tierarten gestoßen. Hasard junior hatte seine romantische Veranlagung entdeckt. Er hatte sich vorgenommen, einen dicken Strauß Blumen zu pflücken und ihn Araua zu überreichen, ehe er an Bord der „Isabella IX.“ ging. Sie freut sich bestimmt darüber, dachte er, vielleicht gibt sie mir sogar einen Kuß. „Da!“ Philip war stehengeblieben und griff nach dem Arm seines Bruders. Auch Plymmie verharrte und nahm eine angriffsbereite Stellung ein. „Was ist?“ zischte Hasard junior. „Ein merkwürdiges Ding ein Riesenlurch! Warte, den versuche ich zu fangen!“ Philip junior wartete die nächste Äußerung seines Bruders nicht ab, er verschwand zwischen den Felsen. Hasard folgte ihm, Plymmie folgte ihm hechelnd. Der Weg ging über eine Geröllhalde und zwischen bizarren Gesteinsformationen hindurch zum Ratsfelsen hinauf. Hasard junior konnte sich unter dem Begriff Riesenlurch nicht sehr viel vorstellen, aber er hoffte; gleich zu erfahren, um welche Art von Tier es sich handelte. Die Blumen, die er schon gepflückt hatte, stopfte er sich in die Tasche. Plymmie und er erreichten den Ratsfelsen gleichzeitig, aber Philip schien verschwunden zu sein - so als hätten die Felsen ihn verschluckt. Hasard junior hielt angestrengt nach ihm Ausschau. Er wollte schon nach ihm rufen, da vernahm er eine helle, aber doch irgendwie hohl und unwirklich klingende Stimme. „Hasard! Komm schon! Ich bin hier - hier unten!“ Hasard junior folgte dem Klang der Stimme und langte an dem Einstieg zum unterirdischen Bereich an. Er ließ sich auf
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die Knie sinken und versuchte, unten etwas zu erkennen. „Philip! Bist du verrückt? Du weißt doch, daß wir da unten nichts zu suchen haben!“ In der Tat waren sie von Araua des öfteren gewarnt worden. Die Gefahren der Höhlen durften nicht unterschätzt werden, vor allem nicht im Zusammenhang mit dem Mahlstrom. Auch waren einmal zwei Männer aus Jerry Reeves' Crew ihrer Neugier und ihrer Dummheit zum Opfer gefallen. Sie hatten nur noch tot aus dem Labyrinth geborgen werden können. Stan Gordon und Bud Brown waren ihre Namen gewesen. „Klar weiß ich das!“ zischte Philip junior. „Aber ich hab' das Biest fast erwischt! Komm runter und hilf mir! Sag bloß, du hast Angst!“ Eine Mutprobe? Hasard junior fühlte sich bei seiner Ehre gepackt. Im Handumdrehen hatte er sich durch den schmalen Einstieg gezwängt und tastete sich im dunklen Gang bis zu seinem Bruder vor. Alle Ermahnungen waren vergessen. Angst? Und wenn ihnen der Teufel persönlich begegnete - darüber lachten sie nur. Plymmie ließ sich vor dem Einstieg auf dem Bauch nieder. Den Sprung ins Ungewisse wagte sie nicht, ihr Hundeinstinkt warnte sie ausdrücklich davor. Ihre beiden Zweibeiner würden schon zurückkehren, daran hatte sie keinen Zweifel. Hasard junior prallte mit seinem Bruder zusammen, und sie stürzten in dem feuchten Gang zu Boden. „Verdammt“, sagte Philip. „Kannst du nicht aufpassen?“ „Wo ist das Tier?“ „Ich hatte es schon gepackt, da ist es mir entwischt. Komm, noch ein Stück weiter, und wir haben es.“ „Was für ein Lurch ist es denn?“ „So eine Art Leguan oder Iguan vielleicht, genau weiß ich es selber nicht“, erwiderte Philip junior. „Deswegen will ich den Burschen ja auch fangen.“ Dieser Logik war nichts entgegenzusetzen. Gemeinsam drangen sie tiefer ins Innere des Labyrinths vor. Das Brausen und Rauschen des Mahlstromes war zu
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vernehmen, und ganz wohl war den Zwillingen nicht in der Haut; aber der eine wollte es vor dem anderen nicht eingestehen. So pirschten sie weiter und suchten nach dem rätselhaften Fabeltier. Auf verschlungenen Wegen gelangten sie in die Grotte des Schlangengottes und ließen im Zwielicht ihre Blicke über die Statue wandern. „Los, laß uns wieder abhauen“, sagte Hasard junior mit kaum wahrnehmbarer Stimme. „Das Tier ist weg, und wir kriegen nur Ärger, wenn wir uns nicht bei Dad zurückmelden.“ Philip junior hatte inzwischen auch seine Bedenken bekommen -aber plötzlich sah er, wie sich gegenüber, auf der anderen Seite der Grotte, etwas regte. Er vergaß alle Vorsicht, begann zu laufen und streckte die Hände nach dem Wesen aus, das blitzschnell in der Finsternis untertauchte. „Da ist er!“ stieß der Junge aus. „Mensch, Hasard, hilf mir doch!“ Hasard setzte sich ebenfalls in Bewegung, aber das Herz drohte ihm in die Hosentasche zu rutschen. Drohend blickte ihn der Schlangengott an, und tadelnde, strafende Worte schienen durch den Raum zu geistern. Philip junior rannte in eine der Höhlen, die von der Grotte abzweigten, und war plötzlich wieder verschwunden. Hasard junior vernahm ein paar eigentümliche Geräusche, dumpf und klatschend. dann rief sein Bruder aus der Tiefe unter ihm: „Hilf mir! Ich ... ich sitze hier fest! Aber paß auf, daß du nicht ausrutschst!“ Zu spät. Hasard junior berechnete nicht, daß die Höhle wie eine Rutsche in die Tiefe abfiel. Er glitt auf dem lehmigen Boden aus, verlor das Gleichgewicht und sauste nach unten. Der Lehm wirkte jedoch wie eine Bremse, tief bohrten sich seine beiden Beine hinein. Über und über mit der erdig riechenden Masse bedeckt, landete Hasard neben seinem Bruder. „Ich bin mit dem linken Bein in eine Felsspalte geraten“, sagte Philip. „Gib mir mal die Hand. Ich versuche, mich zu befreien.“
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Aber es klappte nicht. Philip saß fest - und jede Bewegung mit dem Bein bereitete ihm Schmerzen. Hasard versuchte, zurück nach oben zu kriechen, um aus dem Labyrinth zu fliehen und Hilfe zu holen; aber er rutschte immer wieder ab. Sie saßen in einer Falle und konnten nicht mehr entkommen. Sie hatten nicht einmal eine Fackel, geschweige denn eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Das Rauschen des Mahlstromes nahm zu, sie konnten das Wasser hören, das sich ihnen näherte. Es würde den Gang füllen, und wenn Philip nicht freikam, würde er jämmerlich ertrinken. Sie wußten es beide, sprachen es aber nicht aus. Im Dunkeln preßten sie nur die Lippen zusammen und suchten verzweifelt nach dem Ausweg, den es nicht gab. Zwei winzige rötliche Augen blickten sie aus nicht allzu großer Entfernung starr, höhnisch, herausfordernd an. Die große Echse, die Philip hatte fangen wollen, war bei ihnen. Aber sie schien zu wissen, wie man aus dem Gang wieder herauskam. * Plymmie begann zu winseln, dann zu bellen. Ihr aufgeregtes Kläffen tönte über die Insel. An der Bucht wandten Hasard. Thorfin Njal, Arkana, Araua, Reeves. von Manteuffel, von Hutten, O'Brien, Ramsgate und all die anderen, die zum Abschied bereitstanden, ihre Köpfe. Aber sie vermochten nicht genau zu orten, aus welcher Richtung das Hundegebell kam. Plötzlich schoß die Hündin zwischen den Felsen hervor und rannte auf die Gruppe zu. Plymmie hatte es aufgegeben, nach den Zwillingen zu rufen, sie wußte, daß sie Hilfe holen mußte. Sie eilte auf Hasard zu, stoppte dicht vor ihm ab, nahm eine geduckte Haltung ein und bellte wieder. Sie warf sich herum, lief ein paar Schritte, blieb stehen und blickte zum Seewolf zurück. „Den Jungen ist was zugestoßen“, sagte Hasard. „Plymmie will uns zu ihnen führen.“
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„Hoffentlich sind sie nicht von einer Schlange gebissen worden!“ rief Old O'Flynn. „Diese Saubengel!“ wetterte der Profos. „Diese Satansbraten!“ Er rannte los und überholte Hasard, raste der davonjagenden Hündin nach und war zwischen den Felsen verschwunden, ehe die anderen sie erreicht hatten. Sir John, der karmesinrote Aracanga, war von Carberrys Schulter hochgeflattert; abrupt hatte man seinen Schlummer unterbrochen. Er hing sozusagen in der Luft und stieß die wildesten Flüche aus. Carberry war ein in vielen Dingen erstaunlicher Mann - ein Mann der Tat, der ungemein schnell laufen konnte, wenn es darauf ankam. Er begriff, welche Richtung Plymmie einschlug, und war noch vor ihr auf dem Ratsfelsen. Er zwängte sich durch den Einstieg - sie kläffte das Loch aufgebracht an -, blieb fast darin stecken, ließ sich in den Gang fallen und tastete sich bis zur Grotte vor. Als Hasard und hinter ihm Ben Brighton, Shane, Reeves, von Manteuffel und Arkana auf dem Ratsfelsen eintrafen, war Carberry bereits wieder zurück und brüllte mit urgewaltiger Stimme aus dem Gang zu ihnen herauf: „Ein Tau! Schmeißt mir ein verfluchtes Tau runter!“ „Ich komme selbst runter“, sagte der Seewolf. „Nicht nötig, ich besorge das schon. Die Burschen sind in einen abschüssigen Gang gefallen und sitzen bis zum Hals im Schlamm. Ich seile mich zu ihnen ab.“ Hasard nahm von Arne von Manteuffel eine Taurolle entgegen und jumpte mit einem Satz in den Gang hinunter. „Nehmt eine Fackel mit!“ schrie Ben ihnen nach. „Nicht nötig“, sagte der Seewolf. Er griff nach Carberrys Arm. „Los, Ed, wir zwei erledigen das. Wir dürfen nur keine Zeit verlieren.“ Im Tempel des Schlangengottes belegten sie das eine Ende der Taurolle an einer Felsnase, aber Carberry mußte auf Hasards Anordnung hin zur Vorsicht doch festhalten, damit das Tau nicht abrutschte.
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Hasard ließ sich zu den Zwillingen in den Gang hinunter. Das Brausen und Rauschen war ohrenbetäubend. Philip junior saß bereits bis zu den Hüften im Wasser. Sein Vater befreite ihn aus der verhängnisvollen Lage. Das Bein tat weh, war aber nicht verletzt, wie sie wenig später feststellten. Der Seewolf ließ sich von Carberry nach oben hieven. Er sprach kein Wort. Carberry schwieg ebenfalls, als er Philip in Empfang nahm. Der Seewolf fierte sich wieder zu Hasard junior ab. Plötzlich glaubte er, im Brausen der Wassermassen ein flaches Klatschen zu vernehmen. Er dachte aber nicht weiter darüber nach. Rasch barg er auch Hasard junior aus dem Gang, und gemeinsam kehrten sie nach oben zurück. Hasard junior taumelte Carberry entgegen. Philip junior hockte neben der Taurolle und hielt sich die Wange. Der Profos stieß einen saftigen Fluch aus, holte mit der Pranke aus -und schon hatte auch Hasard junior eine gewaltige Maulschelle sitzen. „Backbord, rote Farbe!“ brüllte der Profos, daß selbst die Statue des Schlangengottes ins Wanken zu geraten drohte. „An Backbord brennt's! Ab durch die Mitte, ihr Sprotten, .oder ich knalle euch noch eine!“ Sie wandten sich ab, und verschwanden blitzartig. Hasard hob die Taurolle auf, richtete sich wieder auf und sah seinen Profos an. „Verzeihung, Sir“, sagte dieser. „Aber die Freiheit habe ich mir genommen. Ich glaube, das war mal nötig.“ „War es auch“, sagte der Seewolf. „Dieses Mal sind die Brüder entschieden zu weit gegangen. Sie haben eine Bestrafung verdient.“ „Und sie können noch froh sein, daß ich ihnen nicht die Haut in Streifen von ihren Affenärschen abgezogen habe“, brummte Carberry. Dann kehrten auch sie nach oben zurück, wo die Zwillinge mit zerknirschten Mienen auf sie warteten. Philip juniors Bein war zerkratzt, aber nicht ernstlich verletzt. Der Kutscher stellte es fest, als die Gruppe zur Bucht zurückkehrte. Philip junior wurde
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verarztet. Hasard junior wünschte sich vor lauter Scham, im Erdboden versinken zu können. Er wagte es gar nicht, Araua anzusehen. Das mit dem Blumenstrauß klappte nun doch nicht. Die vollzähligen Mannschaften begaben sich nun an Bord der „Isabella“ und des Schwarzen Seglers. Der Mahlstrom hatte seinen Kulminationspunkt erreicht, die Schiffe konnten auslaufen. Ohne Verzögerung gingen sie ankerauf und verließen die Schlangen-Insel. Hasard fragte sich, was inzwischen in Honduras geschehen sein mochte. Hatte der Angriff der Spanier auf El Triunfo schon stattgefunden? Wie war es SiriTong, Jean Ribault und der Crew der „Le Vengeur III.“ ergangen - und diesem Spanier Carlos Rivero, von dem der Wikinger berichtet hatte? Es sollten noch Tage vergehen, ehe der Seewolf und Thorfin Njal es erfuhren. 11. Don Alonso de Lopez y Marques spähte vom Achterdeck der „Virgen de Andalucia“ durch das Spektiv zur schwelenden Ruine der ehemaligen Mission von El Triunfo. Ein kleiner Brand war entstanden, breitete sich aber nicht weiter aus. Nur noch Mauerreste erhoben sich als schwärzliche Ruinen. Zwischen den Trümmern der Schenke und der Hütten lagen die Toten. El Triunfo war ein riesiger Friedhof. Keine Schüsse fielen mehr. Stille breitete sich aus. Don Alonsos Blick glitt weiter, er suchte den Dschungel ab, doch nirgends sah er noch eine Bewegung im Dickicht. Der erste Trupp Soldaten kehrte jetzt zurück. Die Männer stiegen in ihr Boot, pullten zum Flaggschiff und erstatteten Meldung. Don Alonso erfuhr, daß es ein paar Verluste auf seiner Seite gegeben hätte, weil am Rio Lein plötzlich eine wilde Meute von Schnapphähnen aufgetaucht und über einen seiner Trupps hergefallen war. Doch auch diese Piraten hatten sich später zurückgezogen.
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Die meisten Toten hatte es bei den Siedlern gegeben. Viele Leichen lagen im Dschungel, vielleicht waren es hundert. Genau gezählt worden waren sie nicht. Don Alonso hielt es auch nicht für erforderlich, dies noch nachprüfen zu lassen. „Lassen Sie die Trupps sammeln“, sagte er zu seinen Offizieren, „und an Bord der Schiffe zurückbringen. Die Aktion ,El Triunfo' ist vorerst abgeschlossen, der Großteil unseres Verbandes segelt nach Cartagena zurück.“ „Wie viele Schiffe bleiben zur Bewachung hier zurück?“ fragte sein Erster Offizier. „Drei Galeonen. Die ,Buena Estrella', die ,Bizarria' und die ,Vascongadas'. Sie bleiben vor Anker liegen. Die Wachen werden die Augen offenhalten. Es muß um jeden Preis verhindert werden, daß die Siedler zurückkehren und erneut Fuß fassen.“ „Ich glaube nicht, daß sie zurückkehren. Die Kerle, die noch am Leben sind, werden diesen Ort von jetzt an meiden, Senor.“ Don Alonso schoß einen scharfen, zurechtweisenden Blick auf ihn ab. „Ersparen Sie sich Ihren Kommentar, und merken Sie sich eins: Nichts ist unmöglich. Auch das Unwahrscheinliche muß in Erwägung gezogen und beachtet werden. Nie darf eine Vorsichtsmaßnahme vergessen werden.“ „Si, Senor Capitan General“, sagte der Erste hastig, dann zeigte er klar und entfernte sich. Am späten Nachmittag kehrte auch der letzte Trupp Soldaten zur Hafenbucht zurück. Die Männer gingen an Bord der Schiffe, wenig später lichtete die „Virgen“ als erste ihren Buganker. Sechzehn Kapitäne folgten Don Alonsos Beispiel und ließen die Anker hieven und die Segel setzen. Die Schiffe gingen an den Wind und glitten stolzen Fabelwesen gleich aus der Bucht. Erste Schleier der Dämmerung verwischten ihre Silhouetten, als sie sich zur offenen See entfernten. Es dauerte nicht lange, und das Geschwader war im einsetzenden Büchsenlicht verschwunden.
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Die „Buena Estrella“, die „Bizarria“ und die „Vascongadas“ lagen in der ruhigen See vor Anker, die nur von einer flachen Dünung bewegt wurde. Kapitäne wie Mannschaften waren beruhigt: Nichts würde sie stören, mit einem Angriff in der Nacht war nicht zu rechnen. Kein Siedler wagte sich zurück nach El Triunfo. Daß die Gefahr von einer anderen Seite drohte, bedachten die Spanier nicht - und genau das war ihr Fehler. * Aus sicherer Entfernung hatte die Black Queen alles beobachtet. Im nachlassenden Licht des Tages war sie mit der „Caribian Queen“ und der „Aguila“ auf Sichtweite an die Küste von Honduras zurückgekehrt und hatte einiges Glück gehabt, mehr, als sie sich erhofft hatte. Das Davonziehen des Verbandes von siebzehn Galeonen hatte sie aus großer Entfernung verfolgen können. Die spanischen Ausguckposten in den Marsen der Schiffe schienen die beiden Galeonen, die sich von Westen näherten, jedoch nicht bemerkt zu haben. Bald war das Geschwader verschwunden, und nun richtete sich die Aufmerksamkeit der Queen auf die drei Galeonen, die friedlich in der Hafenbucht von El Triunfo ankerten. „Wir zögern nicht lange“, sagte sie zu Caligula, der neben ihr auf dem Achterdeck der „Caribian Queen“ stand. „Die drei Schiffe sind ein fetter Brocken, den wir nicht verschmähen dürfen.“ „Es wird dunkel, das ist unser Vorteil“, sagte Caligula, dann grinste er. „Außerdem haben die Besatzungen der Schiffe einen anstrengenden Tag hinter sich.“ „Sie sind alles andere als frisch und ausgeruht“, murmelte die Queen. „Das wirkt sich natürlich aus, wenn sie sich gegen uns zur Wehr setzen müssen.“ „Klarschiff zum Gefecht also?“ „Klarschiff zum Gefecht“, erwiderte die Black Queen. „Und gib auch Cerrana ein Zeichen, daß er rüstet. Wir halten voll auf die Gegner zu und bereiten ihnen eine böse Überraschung. Wir versuchen zu entern,
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aber wenn die Hunde vorher feuern, schießen wir natürlich zurück. Ich will die Schiffe, aber wer sich hart mit uns anlegt, der wird versenkt.“ In der ausklingenden Abenddämmerung schoben sich die „Caribian Queen“ und die „Aguila“ von Westen segelnd hoch am Wind in östlicher Richtung dicht unter Land auf die Bucht von El Triunfo zu. Die Queen führte, ihr Schiff glitt fast völlig lautlos auf die drei ankernden Galeonen der Spanier zu. Nur noch das Drittel einer Kabellänge trennte die „Caribian Queen“ von der „Bizarria“, die am weitesten nach Westen versetzt ankerte. Plötzlich flammte auf dem Achterdeck des Spaniers eine Laterne auf, und eine Männerstimme rief: „Wahrschau! Wer da? Welches Schiff?“ „Die ,Asuncion` „, erwiderte Caligula geistesgegenwärtig auf einen Wink der Queen hin. „Dreht bei! Wir kennen euch nicht! Wer ist euer Kapitän?“ „Der Teufel!“ schrie die Black Queen, dann ließ sie das Gefecht durch eine halbe Breitseite eröffnen. Sie hatte schon beigedreht, als der Spanier sie angepreit hatte, nur bemerkte er es nicht mehr rechtzeitig genug. Wieder rollte Geschützdonner über El Triunfo hinweg, aber dieses Mal waren die Voraussetzungen und die Vergabe der Gewinnchancen anders geregelt. Die Spanier sprangen aus den Kojen und stürzten an die Geschütze, die sie erst ausrennen mußten. Auch an Bord der .,Buena Estrella“ und der „Vascongadas“ alarmierten die Ankerwachen die Mannschaften, die zunächst nicht begriffen, was gespielt wurde. Die „Caribian Queen“ ging dicht an die „Bizarria“ heran. Die „Aguila“ schob sich zwischen die „Buena Estrella“ und die „Vascongadas“. Dumpf wummerten ihre Geschütze auf beiden Seiten, heftig waren die Einschläge. Die Spanier setzten sich nach Kräften zur Wehr, aber sie waren die Überrumpelten. Wie Raubtiere stürzten sich die Piraten auf
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den Gegner, und ein heißes Gefecht entbrannte. Aber schließlich bewahrheitete sich die Vermutung der Black Queen. Bei den Spaniern hatte die allgemeine Moral der Truppe stark nachgelassen, und mit einem Angriff hatten sie tatsächlich nicht gerechnet. So gaben viele Besatzungsmitglieder der „Bizarria“ auf, als die „Caribian Queen“ ihnen zu nahe rückte und die Zahl der Toten und Schwerverletzten anstieg. Sie sprangen in die Bucht - und es nutzte dem Kapitän nichts, daß er schrie und tobte und mit den schlimmsten Strafen drohte. Die Mannschaft floh - das Schiff war unter der Wasserlinie getroffen und sank. So blieb auch ihm keine andere Wahl. Er mußte ebenfalls ins Wasser springen. Die Queen verpaßte der ..Bizarria“ noch zwei Treffer, dann wandte sie sich der „Buena Estrella“ zu, die ihrerseits versuchte, zusammen mit der „Vascongadas“ die „Aguila“ in die Zange zu nehmen. Aber Cerrana ließ sich nicht packen. er manövrierte und kämpfte mit allen Tricks. Schon überrumpelte die Queen die Besatzung der „Buena Estrella“ und ging längsseits. Die Enterhaken flogen, die Meute brüllte und johlte, die ersten Kerle schwangen sich mit Hilfe von Fallen zum Gegner hinüber. Die Queen war mitten zwischen ihnen, und den Spaniern erschien es nun wirklich so, als sei der Teufel selbst zwischen sie gefahren. Caligula kämpfte neben der Queen, sein Säbel fällte die Gegner reihenweise. Die Spanier wichen auf dem Hauptdeck ihres Schiffes zurück, die Queen trieb einen Keil, arbeitete sich zum Achterdeck durch und stürmte säbelschwingend den
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Steuerbordniedergang hinauf. Dann hatte sie den Kapitän vor sich und tötete ihn in einem rasenden Duell. Auch Cerrana gelang der Handstreich. Seine „Aguila“ legte sich an der Backbordseite der verzweifelt wendenden „Vascongadas“ längsseits, und wieder erfolgte ein schreiendes, fluchendes, säbelklirrendes Entermanöver. Der auflandige Wind trug die Kampfgeräusche ins Innere, auf See war auf eine Distanz von zehn Meilen nichts mehr zu hören von dem, was in El Triunfo vorging. Der Verband von siebzehn spanischen Kriegs-Galeonen war schon zu weit entfernt - und Don Alonso kehrte nicht um, um seinen bedrängten Landsleuten zu Hilfe zu eilen. Der Tod wütete wieder in El Triunfo, Männer starben auf den Decks der Galeonen, flogen ins Wasser, tot oder schwerverletzt, und nur wenige hatten das Glück, sich unversehrt an Land zu retten. Die Queen war die Siegerin und frohlockte. Ihre Flotte wuchs wieder. Insgesammt vier Schiffe nannte sie ihr eigen. Sie ließ ihren Säbel sinken und blickte lachend zu Caligula, der in diesem Moment das Achterdeck der „Buena Estrella“ enterte. Jetzt galt es, in El Triunfo und Umgebung nach Überlebenden des Massakers zu forschen. Die Queen war überzeugt, daß sie ihre Gefolgschaft doch noch um sich versammeln konnte und somit Mannschaften für die erbeuteten Schiffe erhielt. Ein tollkühner Angriff war gelungen, sie konnte zufrieden sein - mit sich selbst und mit ihrer Bande von wilden, skrupellosen Schnapphähnen...
ENDE