Studienausgabe herausgegeben von Constanze Eisenbart in Zusammenarbeit mit Enno Rudolph
Mit einer Einführung von Enno Rudolph
Die Drucklegung des Bandes wurde gefördert durch die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft, Heidelberg.
Enno Rudolph Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . \
1. Die Gegenwärtigkeit des aristotelischen Denkens . . 2. Das Leben des Aristoteles . . . . . . . . . 3. Der Gesamtentwurf des Werkes . . . . . . .
I. Methodische Vorbemerkung Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Picht, Georg: Vorlesungen und Schriften I Georg Picht. Hrsg. von Constanze
Eisenbart in Zusammenarbeit mit Enno Rudolph. Studienausg. - Stuttgart : Klett-Cotta. NE: Eisenbart, Constanze [Hrsg.]; Picht, Georg: [Sammlung] Aristoteles' ,,De anima" I mit einer Einf. von Enno Rudolph. 2. Aufl. - 1992 ISBN 3-608-91415-3 Verlagsgemeinschaft Ernst Klett Verlag - J. G. Cotta'sche Buchhandlung Alle Rechte vorbehalten Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages O Ernst Klett Verlag für Wissen und Bildung GmbH, Stuttgart 1987 Printed in Germany Umschlag: Erwin Poell, Heidelberg Satz: Hans Janß, Pfungstadt Druck: Gutmann, Heilbronn Einband: Wilhelm Röck, Weinsberg Zweite Auflage 1992
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11. Perspektiven des Vergleiches von Hege1 mit Aristoteles: Das Wesen der Wirklichkeit - das Wesen der Wahrheit das Wesen Gottes . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Wirklichkeit . . . . . . . . a. IIoiVoi~und x g 6 E i ~ . . . . . . . . . . b. 'EvEgy~iaund ~ V ' G E ~ ~ X E. L .~ . . . . . . C. ES602 . . . . . . . . . . . . . . . d. N 6 y a i ~v o q o ~ -o der ~ aristotelische Gottesbegriff . e. Die absolute Idee . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des Absoluten . . . . . . . . . a. Das Absolute als Grund . . . . . . . . . b. Platon: Philosophie als „Seefahrt auf der Suche nach dem Grund" . . . . . . . . . . . a . Was heißt bgxq? . . . . . . . . . . (3. Was heißt zb bvvx6e~zov? . . . . . . . C. Aristoteles . . . . . . . . . . . . .
a . 'A~xfibei Aristoteles . . . . . . . . . ß. Der Satz vom Widerspruch als &exfi&vwn60nog Exkurs: Die stoische Herkunft der Idee des absoluten Systems . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Zusammenfassung
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IV. Die Dialektik Platons und die Dialektik Hegels . . . 1. Die ~ i a l e k t i kPlatons . . . . . . . . . . 2. Die Dialektik Hegels . . . . . . . . . . . 3. Die Polemik des Aristoteles gegen die platonische Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Begriff des Subjektes . . . . . . . . . . 1. Das 6noxeip~vovbei Aristoteles . . . . . . . 2. Die Wandlung des Seinsverständnisses . . . . . 3. Der neuzeitliche Subjektbegriff bei Wolff und Kant .
I. Die Stellung der Lehre von der Seele innerhalb des aristotelischen Entwurfes der Philosophie (402a 1-7) . . . 1. Zur Methode . . . . . . . . . . . . . 2. Vollzug des Erkennens und Fragens im Horizont von Seele . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die verschiedenen Gestalten des Wissens . . . . 4. ' A x ~ i ß ~ l a. . . . . . . . . . . . . . 5. Die Einheit der aristotelischen Philosophie als Thema von „IIEQL$wxfjgL' . . . . . . . . . . . 6. Die Grundlegung der Theologie des Aristoteles in ,,IIEQL $wxfjgU . . . . . . . . . . . . . 7. Die Bedeutung der Seelenlehre für die Gesamtheit der Gegenstände der Erkenntnis . . . . . . . . a. Ethik und Politik (E. N. I, 13) . . . . . . . b. Zeit und Physik . . . . . . . . . . . 11. Die Methode der Erforschung der Seele und ihre Probleme (402 a 7-10) . . . . . . . . . . . .
1. „Es ist schwer, über die Seele auch nur eine verläßliche Meinung zu gewinnen" . . . . . . . . 2. Die Frage nach dem „Wesenu der Seele und nach der Form des Wissens über sie . . . . . . . . . 3. Die Frage nach cp.lio~gund oVoia von Seele überhaupt. 4. Was konstituiert die Region einer Wissenschaft? . . 111. Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . 1. Seele: Signumder Gottebenbildlichkeit. . . . . 2. Die Lehre von der Seele innerhalb des Entwurfes der aristotelischen Philosophie . . . . . . . . . IV. Zum Aufbau von ,,IIEQ~ $uxfjgU . . . . . . . . 1. Buch I: Methode . . . . . . . . . . . . a. Auseinandersetzung mit anderen philosophischen Entwürfen . . . . . . . . . . . . . b. Kritik der herrschenden Vorurteile als erster Schritt der wahren Erkenntnis . . . . . . . . . C. Kartographie der ungelösten Probleme . . . . d. Der aporematische Charakter der aristotelischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . e. Die fundamentale Frage nach der oVoia der Seele. 2. Buch I1 und 111: Die Stufenfolge der Seelenvermögen. 3. Anmerkung über die literarische Form . . . . .
I. Die Aporien über die Erkenntnis der Seele . . . . . 1. Die Festlegung des Horizontes der Fragestellung . . Exkurs über den subtilen Nihilismus von Exegese . . . 2. Die Frage nach Grund und Ursprung des Seienden . . 3. Erkennen der erkennenden Seele - der fundamentale Zirkel von Erkenntnis . . . . . . . . . . 11. Die Aporien über die oVoia der Seele . . . . . . 1. Seele hat ihren Ort in der Kategorie der oZroia . . . 2. Was bedeutet Einheit oder Teilbarkeit in Bezug auf die Seele? . . . . . . . . . . . . . .
227 228 233 235 242 248 248 250
3 . Was konstituiert die verschiedenen Seelenvermögen?. 4 . Aristoteles' Exkurs über die Möglichkeiten einer Wissenschaft von der Seele (402b 16-403 a 2) . . . .
d . Seele und Körper als Ganzes machen die Lebewesen aus . . . . . . . . . . . . . e . Abtrennbarkeit des voG5 von der Seele . . . .
I . Was ist die Seele? . . . . . . . . . . . . . Exkurs über die philosophischen Implikationen philologischer Fehlinterpretationen . - Vorblick auf das Ziel des . . . . . . . . . . . . . . . . Weges
I . Die Lehre vom voG5 . . . . . . . . . . . . 1. Rückblick auf den bisherigen Gang der Vorlesung . . 2 . Zum Zusammenhang zwischen voG5 und ~ a h r h e i t . 3 . NoG5 n ~ a m ~ x und 6 g VOGS O~co~q'~~3.16g . . . . . 4 . Der vo'r)~ des Anaxagoras . . . . . . . . .
I1. O6oia und 6hy . das Leib-Seele-Problem . . . . . I11. Mo~cpfiund &E805. Gestalt und Form
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IV. Grundbegriffe der aristotelischen Ontologie . . . . 1. Tb .ci fiv e'Lva~ . . . . . . . . . . . . . 2 . Ka06hou . . . . . . . . . . . . . . . 3. A6vapq und E V T E ~ E X E L. ~ . . . . . . . . . a . Der Logos der o6oia von Seele . . . . . . b . Die Frage nach dem Wesen der Bewegung . . . .~. . . C . Die Bedeutung des Wortes E ~ T E ~ E X E L d . „Das ci8og ist in der 6hy enthalten" . . . . . 4 . 'EvEey~~a . . . . . . . . . . . . . . a . Das Werk ist das Ziel . . . . . . . . . b . Die E v E ~ y ~ist l a das Werk . . . . . . . . . . . . . C . Die doppelte Gestalt der Ev-c~hEx~~a d . Die Möglichkeit, Wissen zu haben. als Seinsverfassung . . . . . . . . . . . . . . e . Die Priorität der Entelechie vor dem Entstehen der . . . . . . . . . . . . . Zeit nach 5 . Der Begriff ccofi . . . . . . . . . . . . 6 . Der Begriff o~yavov. . . . . . . . . . . a . "O~yavovals gestaltgebende immanente Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . b . Die Seele „organisierta den Körper als Ganzes . . C . Bestimmung von Leben durch konstitutive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . .
I1. Aristoteles' Grundlegung der Metaphysik . . . . . 1. Anteil der menschlichen Erkenntnis am göttlichen voG5 . . . . . . . . . . . . . . . . a . A L ~ Y und O L2~i n 6 h q ~ ~.5 . . . . . . . . b . Erkennen der Wahrheit . . . . . . . . . 2 . „Der voG5 ist die Region der Ideen" . . . . . a . Yvxr und voV5 . . . . . . . . . . . b . Der aristotelische Begriff des &'L605 . . . . . C. A c p a i ~ ~ o ~ . g. . . . . . . . . . . . d . Die Wissensweise des v0V5 . . . . . . . . e . Schauen, Sein und Einheit bei Parmenides . . . 3 . Gott ist reiner voG5 . . . . . . . . . . . 4 . Überschritt zur Theologie (De an . 111'5) . . . . . 5. Das Sich-Offenbaren der Wahrheit . . . . . .
Constanze Eisenbart Editorisches Nachwort . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister
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Enno Rudolph
EINF~HRUNG
Die aristotelische Schrift »Über die Seele« gehört, verglichen mit den anderen tradierten Kompendien der aristotelischen Philosophie, wie etwa der »Metaphysik« oder der »Physik«, eher zu den Stiefkindern der Aristotelesforschung. Einer der Gründe für diese Sachlage dürfte darin zu suchen sein, daß eine systematische Einordnung der Schrift »De anima« im Kontext der aristotelischen Schriften auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Der Text verbindet die Naturphilosophie mit der Metaphysik, die Biologie mit der Prinzipienlehre. Die Vermittlung zwischen diesen beiden Bereichen ist ungleich schwieriger zu rekonstruieren, als es etwa in der aristotelischen Physik der Fall sein dürfte; hier schließt Aristoteles von der Struktur der Bewegung als einem unendlichen gleichwohl erhaltensbedürftigen Prozeß auf eine erste unbewegte Ursache der Bewegung. Die Darstellung bleibt in diesem Falle im Rahmen der Bewegungslehre, wohingegen Aristoteles in der Schrift »De anima« die im engeren Sinne biologische Ebene übersteigt, wenn es um das höchste Seelenvermögen, die Lehre vom Denken (voGg), geht. Georg Pichts Vorlesung über »De anima« des Aristoteles enthält eine Darstellung der gesamten Philosophie des Aristoteles am Leitfaden dieser Schrift. Die These, die für Pichts Interpretation maßgebend ist, lautet: Die Lehre von der Seele enthält das Zentrum der aristotelischen Metaphysik (133). Es ist keineswegs selbstverständlich, die Seelenschrift des Aristoteles überhaupt mit den Metaphysikschriften in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Wo dies geschieht, wird in der Regel eine Brücke vom Begriff des Denk e n ~(voGg), wie er im 111. Buch von »De anima« entwickelt wird, unmittelbar zur Theologie des Aristoteles geschlagen, soweit sie im XII. Buch der »Metaphysik« vorliegt. Im Zuge der neuzeitlichen Aristotelesrezeption wird ein solcher Brückenschlag vor allem durch den Aristotelismus Hegels nahegelegt. Weite Teile der Vorlesung Pichts sind deshalb auch einer intensiven und detaillierten Analyse der Aristotelesrezeption Hegels gewid-
met. Der Sache nach handelt es sich hier um Hegelkritik, durch die die Legitimation der Hegelschen Aristotelesadaptation von Grund auf in Frage gestellt wird. Dabei stellt sich heraus, daß Hegels Versuche, die aristotelische Lehre vom göttlichen Denken auf die reflexive Struktur des absoluten Geistes abzubilden, den aristotelischen Sinn des ~085-Begriffesverfehlt. Hegel hat sowohl durch die Einzeichnung der aristotelischen ~ 0 8 5 Lehre in die Figur der Subjektivität als auch durch den damit verbundenen Zwang des Schemas der dialektischen Methode zu lösen beansprucht, was bei dem gerade nicht dialektisch vorgehenden Aristoteles grundsätzlich und absichtlich aporetisch bleibt. Das Denken, sofern es sich selbst zum Gegenstand hat, ist bei Hegel charakteristisch für die Struktur des Absoluten und damit für die Weise, wie die Selbstentäußerung Gottes zur Welt als Selbstbewegung des Begriffes verstanden werden kann. Der damit vollzogene Denkweg führt vom Absoluten zur Welt und nicht - wie bei Aristoteles - von der Welt zu Gott. Damit wird überhaupt fragwürdig, ob die reflexive Struktur des Absoluten mit der aristotelischen Metaphysik in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden kann. Georg Picht verwendet die Kritik am Aristotelismus Hegels als Basis und Ausgangspunkt für seinen eigenen Versuch, Aristoteles möglichst direkt und unverstellt zu lesen, und den Dialog mit dessen Texten vor allem von den Mißverständnissen spezifisch neuzeitlicher Fragestellungen zu befreien. Der erste Satz der Schrift »De anima« formuliert das Programm der gesamten Untersuchung. Er lautet in Pichts Übersetzung »Wennwir von der Grundannahme ausgehen, das Wissen gehöre zu dem, was schön und ehrwürdig ist, das Eine (Wissen) aber in höherem Grade als das Andere, sei es im Hinblick auf seine Genauigkeit, sei es, weil es auf Besseres und Staunenswürdigeres gerichtet ist, dann müssen wir wohl aus diesen beiden Gründen die Erforschung über die Seele füglich unter das Erste stellen. Ihre Erkenntnis scheint nämlich sowohl im Hinblick auf die Wahrheit insgesamt wie vor allem im Hinblick auf die Natur Großes beizutragen; sie ist nämlich in einer noch näher zu bestimmenden Bedeutung der Ursprung der Lebewesen« (402a1-7; 135f .). Mit diesem Satz wird die Seele zugleich als Ort wie als Gegenstand desjenigen Wissens bestimmt, mit dessen Bestimmung es die Schrift über die Seele zu tun hat. Damit wird die Leitfrage der Untersuchung festgelegt. Sie lautet: wie ist die Seele fähig,
den Vollzug ihres eigenen Wissens zu erkennen? Die Antwort auf diese Frage ist, wie Picht zeigt, nicht zu gewinnen, ohne den hier verwendeten Begriff des Wissens (~18yo1,~) aufzuklären. durch 5 Picht kritisiert die häufig vertretene Übersetzung von ~ 1 6 7 0 ~ »Wissenschaft«.Er weist darauf hin, daß dieses Wort vor Aristoteles nirgends belegt ist, und daß der Kontext eine Gleichsetzung der Bedeutung von ~t6qo15mit derjenigen von Ex~o~fipy nicht rechtfertigt. ~ 1 6 q o kann ~ g durchaus als eine der relativ zahlreichen Wortneuschöpfungen des Aristoteles angesehen werden. Es geht bei der Bestimmung der Bedeutung von ~ 1 8 q nicht o ~ ~um den Inhalt sondern um den Vollzug des Wissens, und von diesem Vollzug wird gesagt, daß er zu dem Bereich dessen zu rechnen ist, was schön ist und was hoch geschätzt wird. Für diesen Sinn von »Vollzug« hat Aristoteles ein anderes Wort geprägt, das in seinem Werk eine geradezu kategoriale Bedeutung hat und das im Gegensatz zu der singulär erscheinendenVokabel ~ 1 6 q o ~ s sehr häufig begegnet. Es handelt sich um den Begriff der EvEey~~a. Indem Picht versucht, das Programm der Seelenschrift durch den Begriff der EvEey~~a mit der »Metaphysik« in Verbindung zu setzen, schlägt er zugleich eine Brücke von der »Psychologie« zur Theologie des Aristoteles. Denn in der Theologie des Aristoteles geht es bekanntlich um die Darstellung der Seinsweise des göttlichen Weltbewegers. Und es ist hier gerade der Begriff der EvEeyE L den ~ , Aristoteles verwendet, um das Sein Gottes als ein in sich erfülltes »ImWerke-Sein« zu bestimmen. Picht schlägt dementsprechend vor, das ~ verstehen L C , als die E v E ~ y ~der l a Seele. BeWissen, die E ~ ~ T ZU denkt man unter dieser Voraussetzung, daß Aristoteles im XII. Buch der »Metaphysik« zusätzlich das Denken, das vo~lv,als die Seinsweise des göttlichen ersten Bewegers bestimmt, so ergibt sich eine plausible Parallelisierung zwischen dem Sein der Seele und dem Sein Gottes. Wenn das Sein der Seele im Grunde Vollzug des Wissens ist, wenn die EvEey~~a der Seele also E ~ ~ V Oist, I , dann ~ wird das Sein der Seele von der Naturbewegung zunächst unterschieden. Denn der Begriff der EvE~ys~a, der hier zugrunde gelegt wird, ist nach der maßgeblichen Definition des Aristoteles im VIII. Buch der »Metaphysik«im Unterschied zum Begriff der Bewegung als eine in sich erfüllte Tätigkeit zu unterscheidet sich nach dieser Lehre von der Beverstehen. EvEey~~a ein Vollzug, eine Tätigwegung (ilivyo~g)insofern, als mit kvk@y&~a
keit beschrieben wird, in der der Prozeß und das Prozeßziel nicht auseinanderliegen sondern eine Einheit bilden. Als Beispiel verwendet Aristoteles das Sehen des Auges. Der Sehvorgang bildet je eine Einheit zwischen dem Prozeß des Sehens und dem Sehen von etwas. Davon unterschieden liegen in jenem Typus von Prozeß, für den das Wort i l i v q o ~steht, ~ wie etwa im Falle des Erbauens eines Hauses, Prozeß und Prozeßziel zeitlich auseinander. An zentraler Stelle in der Seelenschrift begegnet nun bekanntlich die fundamentale Definition des Aristoteles, nach der die Seele die Entelechie eines Körpers sei, der seiner Möglichkeit nach Leben hat. Der Begriff der Entelechie stellt neben demjenigen der Evh~yela eine der traditionsmächtigsten Neuschöpfungen des Aristoteles dar. Leibniz, der diesen Begriff verwendete, um das Wesen der Kraft mit dem Begriff der einfachen Substanz zu verbinden, hat diesem Terminus zu einer naturphilosophischen Renaissance verholfen. Nach wie vor ungeklärt aber ist der präzise Sinn dieses Begriffes bei Aristoteles, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil er einerseits in der Physikvorlesung zur grundlegenden Definition von Bewegung überhaupt, andererseits aber in der Schrift »De anima« zur Definition der Seele verwendet wird. Die geläufige Übersetzung von Entelechie als »Verwirklichung« oder als »Vollendung«verfehlt die für die Definition von Bewegung im Rahmen der Physik entscheidende Bedeutung dieses Begriffs. Denn der Kontext des 111. Buches der »Physik« etwa belegt ausführlich, daß mit dem Begriff der Entelechie das noch »nicht zum Ziele Gekomrnenseina eines Prozesses beschrieben werden soll. Picht verbindet eben diesen, in der aristotelischen Physik ausfuhrlich erörterten Sinn von Entelechie als Struktur von Bewegung (xivqo~c) anhand einer wenig beachteten Belegstelle aus dem VIII. Buch der »Physik« (257 b; 6ff.) mit jener Definition der Seele als Entelechie eines Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat, wie sie in der Seelenschrift begegnet. Damit stellt er einen systematischen Zusammenhang zweier bisher überwiegend getrennt gelesener Texte her. So läßt sich zeigen, daß die beiden Entelechiebegriffe, also der kinetische und der »psychologische«,unmittelbar kompatibel sind. Ein beseelter Körper hat das Leben als seine Möglichkeit vor sich, so wie der physikalisch betrachtete bewegte Körper sein Bewegungsziel noch vor sich hat. Allerdings unterscheidet sich die Entelechie des beseelten Körpers von der Entelechie der Bewegung eines unbeseelXIV
ten Körpers durch die Weise, wie sich beide auf ihr Ziel beziehen. Der bewegte unbeseelte Körper hat sein Ziel vor sich. Es liegt außerhalb des Bewegungsprozesses. Nur der Möglichkeit nach ist das Ziel der Bewegung immanent, und eben dadurch wird der Gegenstand in Bewegung gehalten. Eben deswegen kann Aristoteles die Bewegung auch als Evieye~ab~ehfig bezeichnen, als eine unvollendete Tätigkeit also, die dann zur Vollendung kommt, wenn die Bewegung an ihr Ziel angelangt ist und als solche aufhört zu sein (201 b; 31f.). Der beseelte Körper hingegen lebt. Das heißt er ist bereits wirklich ausgezeichnet durch das, was er zugleich als Ziel erstrebt: Leben. Picht zeigt durch seine ,Synopse des physikalischen und des »psychologischen« Entelechiebegriffes, daß der Entelechiebegriff der Schrift »De anima« für denjenigen der Physik paradigmatisch steht. So wie im Lebensprozeß das Lebendige schon erreicht hat, wonach es zugleich strebt, nämlich Leben, so ist im Bewegungsprozeß schon präsent, worauf die Bewegung zielt - wenngleich, im Unterschied zum beseelten Körper, nur der Möglichkeit nach ( O U Y ~ ~und E L )nicht schon dem Vollzuge nach (Eveeyeig). So wie der Lebensprozeß eines Lebewesens sich dadurch erhält, daß das Lebewesen seinen Lebensvollzug je auf noch zu erstrebendes Leben ausrichtet, so ist auch die Naturbewegung im Ganzen auf ihre eigene Erhaltung ausgerichtet. Dies impliziert eine Teleologie, die in der Theologie als der Lehre von Ursprung und Erhaltung des Seins ihren Abschluß findet. Die von Picht ausführlich behandelte Unterscheidung zwischen EvEey E L und ~ xivqo~g,wie Aristoteles sie vor allem im VIII. Buch der Metaphysikschriften diskutiert, ist demnach nicht zu verstehen im Sinne eines Gegensatzpaares sondern eher als graduelle Differenzierung. Von daher wird verständlich, was mit der Auszeichnung des Wesens Gottes als Evheye~a,die ohne Mangel ist, als reine 6vhy~ela ohne Möglichkeit also, in der Theologie gemeint ist, und in welchem Sinne die Lehre von der Seele das Zentrum der aristotelischen Metaphysik enthält. Der Gott, der die Welt bewegt und der das Ziel seiner bewegenden Tätigkeit nicht außer sich hat wie etwas, das als Möglichkeit noch aussteht, dieser Gott ist in diesem Sinne reiner Vollzug, Selbstvollzug und Weltbeweger. Eben darin liegt der paradigmatische Sinn von Evigye~a,wie er aus der Schrift >>Deanima« gewonnen wird und so zum Schlüssel für eine Verbindung der Bewegungslehre der »Physik« und der Gotteslehre in der »Metaphysik« wird. Die göttliche Aktivität hat ihrerseits überhaupt nichts Kinetisches mehr,
sie ist also eher vergleichbar mit jenem Vollzug des Lebens, wie er in der Schrift »De anima« beschrieben wird, beziehungsweise mit jenem Vollzug des Wissens, das von Anfang an ausdrücklich als das eigentliche Thema der Seelenschrift bezeichnet wird. So gelesen ergibt sich gleichsam eine Hierarchie in der Verwendung Die unterste Ebene dieser Hierarchie wird in des EvEey~~a-Begriffs. der »Physik«beschrieben. Hier wird die Bewegung, xivqo~g,als »unbezeichnet. vollendete Entelechie« oder »unvollendete EvEey~~a<< Auf der nächsten Ebene, in der Seelenschrift, wird am Beispiel des Lebens im Vollzug der Definition der Seele ein Begriff von Entelechie und parallel dazu am Beispiel des Wissens ein Begriff des Selbstvollzuges, der EVEQYEL~, entwickelt, für die beide gilt, daß Prozeß und Prozeßziel zugleich sind. Aber auch auf dieser Ebene wird noch zwischen der Wirklichkeit des Prozesses und der Möglichkeit des Prozeßzieles unterschieden, eine Unterscheidung, die allein für Gott nicht zutrifft. Bei Gott gibt es keinen Mangel, keinen Ausstand und in diesem Sinne keine Möglichkeit. Für die Darstellung der Gemeinsamkeit wie auch der spezifischen Differenz zwischen dem Sein der Seele und dem Sein Gottes ist der Begriff des voG5 entscheidend. Der voS5, das höchste Seelenvermögen, ist ebenso eine Wesensbestimmung des göttlichen Seins wie auch der Seele. Im Vollzug der ausführlichen Auseinandersetzung mit Hegel weist Picht nach, daß der Begriff des VOGS genau das beschreibt, was am Anfang der Seelenschrift mit dem Begriff des Wissens thematisiert ist: Die Seele ist deswegen fähig, den Vollzug ihres eigenen Wissens zu erkennen, weil ihr oberstes Vermögen ein Denken ist, das sich selber zum Gegenstand machen kann. Dieses Denken verhält sich aber zu sich selbst nicht in dialektischer Weise reflexiv. Der V O G ~ist vielmehr die unmittelbare Anschauung des an sich Allgemeinen, der Inbegriff aller Formen; Aristoteles spricht auch vom voG5 als ~ & 6 0&i60v7 5 als Form der Formen (432 a 2). Diese inbegriffliche Bedeutung des Wortes voG2 unterscheidet die aristotelische Seelenlehre wie auch die aristotelische Theologie grundsätzlich von der reflexiven Struktur des Absoluten in der Dialektik Hegels. Es kommt hinzu, daß eine dialektische Interpretation des Wesens Gottes bei Aristoteles im Sinne Hegels die Funktion des göttlichen ersten Bewegers bei Aristoteles verfehlt. Das Wesen Gottes bei Aristoteles besteht darin, Ursprung des Seins, des Werdens und des Erkennen~zu sein, wie Picht anhand einer ausführlichen Analyse des XVI
6~x4-Begriffsdarlegt. Diese Funktion ist nicht dialektisch vermittelbar; es läßt sich also nicht formulieren, daß der göttliche Ursprung im Bereich des Werdens gleichsam »bei sich selber ist«, wie es die dialektische Vermittlung zwischen Gott und Welt bei Hegel voraussetzt. Parallel zur ausführlichen Kritik am Hegelschen Aristotelismus ist Picht konsequent darum bemüht, die Besonderheit der aristotelischen Philosophie gegenüber der platonischen scharf abzugrenzen. Einerseits stellt er den großen Unterschied, insbesondere in der Grundbestimmung der Begriffevon Seele und Idee zwischen Aristoteles und Platon heraus. Andererseits aber weist er nach, daß der Philosophie des Aristoteles der »Entschluß zugrundeliege, den GEVTEQOC nhoG~- die zweite Seefahrt - des Sokrates zum ersten und maßgeblichen nhoG5, zur Ersten Philosophie, zu machen« (71), das heißt also, der Ideenlehre des frühen Platon ein ontologisches Fundament zu sichern. Obwohl also Aristoteles nicht mehr im Kontext der Akademie verstanden wird sondern als der Denker, der den Hellenismus einläutet, stellt Picht so doch eine klare Kontinuität zur platonischen Philosophie her. Und mehr noch - von Aristoteles sagt Georg Picht etwas, was er so über Platon in diesem Kontext nicht formuliert: Seine Philosophie sei in jede beliebige geschichtliche Landschaft verpflanzbar. Sollte damit also die Kontinuität zwischen der aristotelischen und der platonischen Philosophie tatsächlich gewährleistet sein, so wäre über den Weg der aristotelischen Philosophie auch dem Denken Platons der Weg geöffnet, weit über die Grenzen des alten Athen hinaus wirksam zu sein.
XVII
1. (Die Gegenwärtigkeit des aristotelischen Denkens) Hegel sagt in der Einleitung zu seiner Darstellung der „Philosophie des Geistes": ,,Die Bücher des Aristoteles über die Seele mit seinen Abhandlungen über besondere Seiten und Zustände derselben sind . . . noch immer das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Interesse über diesen Gegenstand. Der wesentliche Zweck einer Philosophie des Geistes kann nur der sein, den Begriff in die Erkenntnis des Geistes wieder einzuführen, damit auch den Sinn jener Aristotelischen Bücher wieder aufzuschließen. l Diesem Satz aus der Einleitung korrespondiert der Abschluß. Dort druckt er auf griechisch eine Zusammenstellung von Sätzen aus Aristoteles' ,,Metaphysik" XII, 7 ab, die, wenn man sie im Sinne von Hegel interpretiert, die Summe der gesamten Hegelschen Philosophie enthalten. Das XII. Buch der ,,Metaphysiku enthalt die Theologie des Aristote~ in der Sprache Hegels: dem les, die Lehre von Gott als dem v o 6 Geist - der die Welt bewegt. Die Bücher ,,Über die Seele" sind geschrieben, um diesen höchsten Begriff der Seelenlehre und zugleich der Theologie zu entwickeln. Hegel hat zu Beginn und am Ende seiner Philosophie des Geistes mit solchem Nachdruck auf Aristoteles verwiesen, weil sein System den Versuch darstellt, im Element des neuzeitlichen Denkens, also auf der Basis der Subjektivität, die Metaphysik des Aristoteles wieder herzustellen. So entsteht jene Gestalt des Denkens, die man den ,,Idealismus" Hegels nennt. Im Gegenzug gegen diese Metaphysik des absoluten Geistes ist bei Marx der historische Materialismus entstanden, der ohne Hegel weder historisch noch inhaltlich begriffen werden kann. "
Enz. 5 378; 10,lO; 10,ll. - Hegel wird im Manuskript nach der JubiläumsAusgabe von Hermann Glockner (reprint Stuttgart: Fromann-Holzboog, 1956), die „Phänomenologie des Geistes" gelegentlich auch nach der Ausgabe von Johannes Hoffmeister (Leipzig: Meiner, 1927) zitiert. Für die Studienausgabe werden die Zitate der Glockner-Ausgabe ergänzt durch die Seitenzahlen der Theorie Werkausgabe (Frankfurt: Suhrkamp, 1970); sie ist vollständig und besonders leicht zugänglich. Dieser Ausgabe wurde auch die Schreibweise angeglichen. Zögernd wurde darauf verzichtet, die historischkritische Gesamtausgabe der „Gesammelten Werke" zu zitieren, die von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften veranstaltet wird, weil sie erst teilweise erschienen ist. Für eine kritische Ausgabe der Schriften von Georg Picht müßten die von ihm benutzten Bände dieser Ausgabe mit den zahlreichen Randnotizen von seiner Hand herangezogen werden.
Wenn man sich diese einfachen Sachverhalte vor Augen stellt, bedarf es keiner weitläufigen Erklärung darüber, warum es gerade heute, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wichtig und nötig ist, die Bücher des Aristoteles ,,Über die Seele" und die Theologie des Aristoteles zu studieren. Was immer man Hegel auch vorwerfen mag, jedenfalls ist er kein Schwätzer gewesen. Es muß ernstgenommen werden, wenn er sagt, der wesentliche Zweck einer Philosophie des Geistes könne nur der sein, den Sinn der aristotelischen Bücher ,,Über die Seele" wieder aufzuschließen. Der von mir angekündigte Plan, in einem Kurs von zwei Semestern über Aristoteles' ,,IIeei quxw und das XII. Buch der ,,MetaphysikG zu lesen, entspricht also nicht jenem rein historischen Interesse, mit dem man sich in einer heute zu Ende gehenden Phase der Wissenschaftsgeschichte solchen Gegenständen zu nähern pflegte. Wir müssen heute Aristoteles studieren, weil sich nachweisen läßt, daß wir ohne ein solches Studium über unsere eigenen Probleme nicht zur Klarheit gelangen. Der Hinblick auf die philosophischen und die theologischen Probleme unserer eigenen Zeit war für die Auswahl dieses Themas bestimmend. Insbesondere scheint es mir nötig, heute vergessene Voraussetzungen für das Verständnis von Hegel in Erinnerung zu rufen; denn Hegel erlebt seit einigen Jahren in der Theologie wie in der Philosophie eine bemerkenswerte Renaissance. Hegel ist der große Aristoteliker unter den Philosophen des deutschen Idealismus. Er hat schon in seinen Studienjahren am Tübinger Stift Nächte hindurch nach seinen eigenen Worten ,,es sich sauer werden lassen, (um) . . . aus der unleserlichen Baseler Ausgabe, ohne lateinische Übersetzung, sich den tiefen Sinn des Aristoteles" herauszulesen 2. Seine Abwendung von Schelling im Jahre 1805wird durch eine Rückbesinnung auf Aristoteles veranlaßt. Durch seinen Aristotelismus hat Hegel die Voraussetzungen geschaffen, von denen Marx dann ausgegangen ist. Wäre Hegel nicht Aristoteliker gewesen, so wäre auch der historische Materialismus undenkbar. Wer heute Hegel wieder entdeckt, muß wissen, daß er damit den philosophischen Entwurf des Aristoteles übernimmt. Er muß wissen, daß er sich im Horizont der griechischen Ontologie bewegt. Nun ist es aber keineswegs selbstverständlich, daß dieser Horizont auch unserem eigenen Denken inmitten der geschichtlichen Krise, die wir erleGünther . Nicolin (Hrsg .), Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, Hamburg: Meiner, 1970, Anm. zu Nr. 9, 566.
ben, die Maße setzen und die tragenden Begriffe vorschreiben müßte. Es ist keineswegs selbstverständlich, daß wir die Wirklichkeit so auffassen, wie sie ist, wenn wir, wie es die Hegelianer tun, sie in aristotelischen Kategorien auffassen. Dies ist vor allem für Theologen nicht selbstverständlich.Der protestantische Aristotelismus von Hegel wirft dieselben Probleme auf wie der katholische Aristotelismus des Thomas von Aquin. Die Frage, ob es möglich ist, das Evangelium aristotelisch zu interpretieren, kann nur durch eine sorgfältige Prüfung des Aristoteles selbst entschieden werden. Damit ist das Problem formuliert, das wir versuchen wollen, ein Stück weit zu klären. Es ist, in der heute üblichen Redeweise, ein systematisches Problem. Aber das Durchdenken der systematischen Fragen nötigt uns zur Versenkung in einen historischen Gegenstand. Eine solche Verbindung von systematischen und historischen Fragestellungen widerspricht den Denkgewohnheiten unserer Zeit. Das moderne Bewußtsein lebt in dem Wahn, es hätte sich der Geschichte entledigt. Man bildet sich ein, die Realitäten der modernen Welt Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Naturwissenschaften und Technik ohne den Ballast geschichtlicher Voraussetzungen am besten verstehen und bewältigen zu können. Nun bedarf es keiner großen historischen Bildung, um zu wissen, daß dieses Bedürfnis, sich von der Geschichte zu emanzipieren, was immer man sonst davon halten mag, jedenfalls nicht modern ist. Schon Galilei, Descartes und das 18. Jahrhundert sind von dem gleichen Traum besessen gewesen. Wer heute diesen Traum rekapituliert, ist ein Epigone jener Geschichtsepoche, die jetzt in die Brüche geht. Die Macht der Reaktion verbirgt sich immer in dem, was wir für selbstverständlich halten. Daß historische und systematische Forschung zwei Richtungen sein sollen, die nichts miteinander zu tun haben, gilt uns schon deshalb als selbstverständlich, weil unsere Universitäten so eingerichtet sind, daß die historischen und die systematischen Fächer schön säuberlich voneinander getrennt sind. Deswegen haben wir eine unhistorische Wissenschaftstheorie und eine unsystematische Historie. Die gesamte Systematik der Fächer, der Disziplinen, ja sogar der Fakultäten gerät aus den Fugen, wenn man entdeckt, daß diese Unterscheidung der Wirklichkeit, so wie sie ist, nicht entspricht, und daß wir schon allein durch die Einteilung der Fächer und den Aufbau der Prüfungsordnungen dazu verurteilt sind, der Generation, die heute an den Universitäten studiert, ein falsches und entstelltes Bild von
der Welt zu vermitteln, in der sie später verantwortlich denken und handeln so113 . Da dieses falsche und verzerrte Weltbild den Aufbau und die Einteilung des Vorlesungsverzeichnisses bestimmt, muß ich voraussetzen, daß den meisten von Ihnen nicht einleuchten wird, wozu sie ausgerechnet Aristoteles studieren sollen, und was Ihnen ein solches Studium für einen Gewinn bringt. Beantworten läßt sich eine solche Frage nur durch die Erfahrung selbst. Mit allgemeinen Versicherungen wäre Ihnen wenig geholfen. Wenn aber richtig ist, was ich zum Eingang über Hegels Verhältnis zu Aristoteles gesagt habe, ist die griechische Philosophie nicht nur eine historische Reminiszenz, die im Museum unseres Geisteslebens ihren würdigen Platz hat; sie ist eine heute gegenwärtige Macht, die unser Denken, unser Verhalten, unsere Einstellung zum Leben und unseren Horizont, auch wenn wir uns dessen nicht bewußt sind, tief beeinflußt - weit stärker als jene ideologischen Auseinandersetzungen, über die uns die Zeitungen informieren. Die Macht des Geistes manifestiert sich in den Strukturen, nicht in den Inhalten des Denkens. Wie die Gesetze der Physik uns auch dann beherrschen, wenn wir sie nicht kennen, so liegt, nach einem Wort von Leopold von Ranke, in den einmal zur Herrschaft gekommenen Ideen eine nötigende Gewalt4, der wir umso wehrloser unterworfen sind, je weniger wir von der Geschichte wissen. Ideen sind nicht imaginäre Luftblasen des menschlichen Bewußtseins; der Mensch ist so gebaut, daß er seine Ideen realisiert und dadurch die Realität, in der er sich bewegt, erst herstellt. Die Präsenz der aristotelischen Philosophie in unserer heutigen gesellschaftlichen und politischen Realität läßt sich handgreiflich demonstrieren. Herbert Krüger schreibt noch 1966 im Vorwort zu seiner ,,Allgemeinen Staatslehre", daß man sich in der Lehre von den Staatsformen seit mehr als zweitausend Jahren damit begnügt, die Lehre des Aristoteles zu wiederholen5. Die Gestalt, in der man Staatsformen denkt, Im Text: „sollen". Zitiert nach Hermann Heimpel, Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1954,17. Bei Ranke heißt es: „In den einmal zur Herrschaft gekommenen allgemeinen Ideen liegt eine nöthigende Gewalt", Die Römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, ' ~ e i ~ z i ~ : Duncker & Humblot , 1885,210. Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. durchgesehene Auflage, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer, 1966,VIII.
bestimmt die Gestalt, in der man sie organisiert. Die Organisation des Staates bestimmt das Leben, die Verhaltensformen und die Denkweise seiner Bürger. Wenn Aristoteles mehr als zweitausend Jahre lang für die Lehre von den Staatsformen kanonische Geltung besaß, so wirkt er bis heute als der versteckte Gesetzgeber mindestens der europäischen Staatenwelt. Er wirkt, gleichgültig, ob den Bürgern dieser Staaten der Name Aristoteles bekannt ist oder nicht. Aber solange er nur aus dem Hintergrunde wirkt, solange man ihn nicht identifizieren und sich mit ihm nicht 'auseinandersetzen kann, gelangen wir seiner politischen Theorie gegenüber nicht in den Stand der Freiheit. Wir wissen dann nicht, wo wir ansetzen sollen, wenn wir die Staaten anders organisieren wollen. Nun hat die politische Theorie des Aristoteles wieder ihre Voraussetzungen, die man kennen muß, um sie beurteilen zu können. Sie hat ihre expliziten Voraussetzungen in den Texten, die ich in dieser Vorlesung behandeln will; sie hat ihre impliziten Voraussetzungen in Grundformen des griechischen Denkens, die man sich klarmachen muß, um diese Texte zu verstehen. Der Prozeß, in dem man über die Voraussetzungen des eigenen Denkens und über die Voraussetzungen der geschichtlichen Welt, in der man lebt, zur Klarheit gelangt, trägt den Namen „Aufklärung". Wir studieren Aristoteles, weil dieses Studium für die Aufklärung unseres Bewußtseins nicht zu entbehren ist. Wenn man an Aristoteles mit der Frage herantritt, die ich zu skizzieren versuchte, kommt es darauf an, das neue Verhältnis zwischen historischer und systematischer Forschung nicht gleich im Ansatz dadurch zu verfälschen, daß man entweder durch systematische Vorurteile die historischen Phänomene verbiegt, oder das Reich der Geschichte als eine Ausflucht vor den systematischen Problemen mißbraucht. Wir werden einerseits versuchen müssen, die historischen Sachverhalte so aufzufassen, wie sie sich uns in ihrer eigenen Welt und in ihrem eigenen Zusammenhang darbieten. Wir werden andererseits uns darüber Rechenschaft ablegen müssen, wie unser eigenes Denken und seine Probleme sich zu diesen geschichtlichen Gebilden verhalten. Ich werde mich bemühen, im Gang der Vorlesung diese doppelte Betrachtung durchzuführen. Damit verständlich wird, was damit gemeint ist, werde ich gegen meine Gewohnheit der Vorlesung eine längere Einleitung voranstellen, die, dieser Grundfrage entsprechend, aus zwei Teilen besteht: Im ersten Teil werde ich
Ihnen vom Leben des Aristoteles so viel erzählen, als nötig ist, damit Sie ihn als einen Griechen vor Augen haben, dessen Gedanken und Problemstellungen einer bestimmten Epoche der griechischen Geschichte angehören. Im zweiten Teil will ich Ihnen zeigen, wie Hegel Aristoteles rezipiert hat, damit Sie sehen, wie diese Philosophie in das Denken unserer eigenen Geschichtsepoche eingreift 6 . Erst wenn wir beide Aspekte zusammenfassen, treten wir in das Verständnis der Geschichte, so wie sie wirklich ist, ein. Denn die Geschichte des Menschen unterscheidet sich eben dadurch von der Evolution anderer Lebewesen, daß die Vergangenheit für sein Bewußtsein potentiell gegenwärtig ist, und daß umgekehrt die Wirkung der Philosophie von Hegel als die wirkliche Zukunft der Philosophie des Aristoteles verstanden werden muß. Im Denken des Aristoteles wurden geschichtliche Möglichkeiten antizipiert, die, wie wir an Hegel sehen, bis heute nicht erschöpft sind. Umgekehrt hängt die innere Freiheit und die Reichweite unseres eigenen Denkens davon ab, ob wir die Kraft besitzen, uns die geschichtliche Erinnerung, die in ihm gegenwärtig ist, mit Bewußtsein anzueignen und uns mit ihr auseinanderzusetzen.
2. (Das Leben des Aristoteles) Ich erzähle zunächst in großen Umrissen, was wir von Aristoteles wissen. Wer sich genauer informieren will, sei auf das Buch von Ingemar Düring ,,Aristoteles - Darstellung und Interpretation seines Denkens" (Heidelberg: Carl Winter, 1966) und auf den Artikel ,,Anstoteles" verwiesen, den derselbe Autor zum Supplement-Band XI in der ,,Pauly-Wissowa'schen Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft" beigetragen hat (159-336). Der 1968 erschienene Artikel ist parallel zum Buch geschrieben worden. Er ist knapper, behandelt aber detaillierter die gelehrte Seite der Aristoteles-Forschung. In beiden Darstellungen werden Sie vorzüglich über den heutigen Stand der philologischen Aristoteles-Forschung informiert. Warnen muß ich Sie vor den philosophischenVorurteilen, von denen Düring sich bei der Interpretation der Philosophie des Aristoteles Im Laufe des Semesters wurde dieser Plan geändert; vgl. unten, 29. Deshalb folgt hier die Gliederung von vornherein dem Aufbau des Gesarnttextes.
leiten läßt. Philosophisch ist die Darstellung, die Sie in Eduard Zellers großem Werk ,,Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung" finden, allen späteren Gesamtdarstellungen weit überlegen, obwohl der Aristoteles gewidmete Band schon 1878 erschienen ist '. Das ist kein Zufall, denn Eduard Zeller ist aus der Schule von Hegel hervorgegangen. Er hat sich zwar später von seinem Lehrer abgewandt und gehört philosophisch zu den Begründern des Neukantianismus. Aber als Schüler Hegels war er in der Lage, den inneren Aufbau einer Philosophie zu verstehen. Den Philologen unter den Aristoteles-Interpreten fehlt meistens die philosophische Schulung. Wenn Sie sich ein Bild von der Aristoteles-Forschung des 20. Jahrhunderts machen wollen, gehen Sie am besten von dem Sammelband aus, den Paul Moraux 1968 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft unter dem Titel ,,Aristoteles in der neueren Forschung" herausgegeben hat8. In den von mir genannten Werken finden Sie alle Literaturhinweise, die Sie brauchen. Ich kann mir deshalb weitere Literaturangaben ersparen. Aristoteles stammt aus Stagira, einer kleinen Stadt an der Ostküste der Chalkidike, jener Halbinsel mit drei Zipfeln im Grenzgebiet zwischen Makedonien und Thrakien. Die Stadt war von der Insel Andros aus gegründet worden. Aristoteles war also ein Ionier. Es ist nicht unwichtig, das zu wissen, denn die Ionier, die auch den größten Teil der Westküste von Kleinasien besiedelt hatten, waren, im Gegensatz zu den verschlossenen Dorern, weltoffen, beweglichen Geistes, neugierig, der Erfahrung zugewendet. Mit der ionischen Naturphilosophie beginnt in Europa nicht nur die Philosophie sondern auch die Naturwissenschaft. Mit den Ioniern Hekataios und Herodot beginnt die Erforschung der Geschichte. Die Breite der empirischen Forschung, die in dem Werk des Aristoteles einen so großen Raum einnimmt, bezeugt die ionische Seite seines Wesens. Seine Eltern stammten beide aus Arztfamilien. Die Medizin war eine der großen Schöpfungen des griechischen Geistes. Bekanntlich haben bis tief ins 18. Jahrhundert hinein die Schriften der griechischen Mediziner eine kanonische Geltung besessen. Die psychosomatische Medizin des Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen irz ihrer geschichtlichen Entwicklung, 11. Teil, 2. Abteilung, ,,Aristoteles und die alten Peripatetiker",
Reprint, 5~armstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963. Wege der Forschurzg LXI) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1968.
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20. Jahrhunderts hat dann die griechische Medizin neu entdeckt. Medizin war damals nicht eine Spezialwissenschaft, sondern sie stand im Zentrum des geistigen Lebens und hat nicht nur auf die Philosophie des Platon und des Aristoteles sondern auch etwa auf die Geschichtsschreibung des Thukydides und auf die große politische Theorie einen schwer zu überschätzenden Einfluß ausgeübt. Wenn man die Philosophie der Griechen kennenlernen will, darf man sich nicht auf jene Schriften beschränken, die nach der späteren Rubrizierung der Fächer unter die Überschrift ,,Philosophieu gerückt wurden. Die großen Mediziner und Thukydides sind in einem weit höheren Sinne Philosophen als die Masse der Namen, die Sie in einer Geschichte der Philosophie aufgezählt finden. In unserem Jahrhundert ist es ähnlich. Die wichtige Philosophie unserer Zeit steckt in der Relativitätstheorie und der Quantenphysik, in der Soziologie von Max Weber, in der Literatur, in der Musik und in der bildenden Kunst. Man versteht von Aristoteles nichts, wenn man die Vorurteile nicht abgeschüttelt hat, die an das akademische Fach geknüpft sind, das unter der Überschrift „Philosophiea in unseren Vorlesungsverzeichnissen erscheint. Wenn ich Ihnen eine Übersicht über die Werke des Aristoteles gebe, werden Sie leicht bemerken, daß Philosophie für Aristoteles etwas durchaus anderes bedeutet, als was Sie sich vorstellen, wenn Sie in eine philosophische Vorlesung gehen. Aber ich kehre zurück zum Leben des Aristoteles. Sein Vater war offenbar kein beliebiger Arzt, denn wir wissen, daß sein Großvater, Nikomachos, als Arzt im Dienst des Königs Arnyntas von Makedonien, des Großvaters von Alexander dem Großen, war. Bekanntlich ist Aristoteles später als Lehrer des jungen Alexander an den makedonischen Hof berufen worden. Das wird mit diesen alten Familienbeziehungen in Zusammenhang stehen. Im Alter von siebzehn Jahren zog Aristoteles nach Athen und wurde in die Akademie aufgenommen. Platon befand sich damals auf seiner berühmten und tragischen Reise nach Sizilien. Er hatte während seiner Abwesenheit den noch nicht dreißigjährigen Mathematiker Eudoxos von Knidos mit der Leitung der Akademie beauftragt. Eudoxos war der genialste Mathematiker seiner Zeit. Man kann noch verfolgen, wie die Grundlegung der sogenannten euklidischen Geometrie aus der Diskussion zwischen Platon und Eudoxos hervorgegangen ist. Er hatte zuerst in der Stadt Kyzikos am Hellespont eine eigene mathematische Schule aufgebaut und war dann mit seiner
gesamten Schule in die Akademie übergesiedelt. Dadurch wurde die Akademie zu einem Zentrum der Wissenschaft in der gesamten griechischen Welt. Als Platon aus Sizilien zurückkehrte, brachte er nicht nur die politischen Erfahrungen mit, die er im engsten und dramatischen Kontakt mit dem größten und gewalttätigsten Machthaber des damaligen Mittelmeerraumes gewonnen hatte; in seiner Begleitung kamen auch eine Reihe von bedeutenden Wissenschaftlern aus dem sizilischen Raum, darunter der große Arzt Philistion, dessen Einfluß auf Aristoteles nachgewiesen werden kann. Platons Akademie unterschied sich von anderen Philosophenschulen dadurch, daß sie im Geist des Sokrates als eine Stätte des Suchens und des methodischen Fragens eingerichtet war. Es wurde nicht vorausgesetzt, daß die an der Akademie vereinigten Forscher sich die philosophischen Lehren Platons zu eigen machten, vielmehr wurden selbst in fundamentalen Fragen entgegengesetzte Meinungen vertreten; und die Akademie wurde dadurch zum geistigen Zentrum der damaligen Welt, daß sie allen Richtungen offenstand. Unerbittlich war hingegen die geforderte Strenge der Methode. Die Mathematik gab dafür den Maßstab. Nach dem in Platons ,,Staatu aufgestellten Programm sollten die jungen Männer, die in die Akademie zugelassen wurden, zehn Jahre lang Arithmetik, Geometrie, Stereometrie, Astronomie und Harmonik studieren, damit sie lernten, mit der gleichen Zucht des Denkens über die Probleme der Politik, der Ethik und der Philosophie nachzudenken. Die große Aufgabe der Akademie lag, nach dem Entwurf von Platon, weder in der Mathematik noch in der philosophischen Spekulation sondern in der Politik g . In den zwei Jahrzehnten, die Aristoteles in der Akademie verbrachte, wurde sie zum Zentrum des politischen Denkens in der griechischen Welt. Das Schwergewicht lag auf der Verfassungslehre. Platon selbst hat jene große Sammlung von mehr als zweihundert Verfassungen griechischer Staaten angelegt, die seinem Alterswerk, den „GesetzenLL, als Basis diente und später in der ,,Politiku des Aristoteles systematisch ausgewertet wurde. Auf analoge Weise hat der späte Platon im ,,TimaiosUdie gesamte Naturphilosophie und Medizin der Vorsokratiker und seiner eigenen Zeit zu einer umfassenden Synthese zusammengeschlossen. Wir wissen nichts Verläßliches darüber, wie Aristoteles an der Akademie gelernt und gewirkt hat. Nach einer antiken So auch Düring, 6.
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Anekdote hatte er den Übernamen „der YOUS".In seiner Biographie steht zu lesen: Als Aristoteles bei einer Vorlesung nicht dabei war, hätte Platon ausgerufen: ,,Der Y O U ~ist abwesend, das Auditorium ist taub" 1°. Wir wissen, daß an der Akademie zwei Unterrichtsformen eingeführt waren, die sich noch heute in der Unterscheidung vonvorlesung und Seminar fortsetzen, nämlich die Vorlesung und die an strenge methodische Regeln gebundene Diskussion. Die ,,Topika und die „Analytiku des Aristoteles enthalten eine vollständige Systematik der Regeln, die man in einer Diskussion einhalten muß, wenn man eine These gegen Widerspruch verteidigen und andere von (seiner) l1 Auffassung überzeugen will. Beide Werke, also das Werk über die Dialektik und das Werk über die Logik, stehen in einem so engen Zusammenhang mit allem, was wir über den Unterricht an der Akademie wissen, daß wir wohl annehmen dürfen, Aristoteles habe schon an der Akademie diese Grundschule des Denkens geleitet. Auch seine Wissenschaftstheorie läßt sich genau in den Aufbau des platonischen Programms einfügen. Das Gleiche gilt von der Rhetorik, von der Wissenschaft der Politik, ja sogar von der Botanik, als deren Begründer Aristoteles angesehen wird, die aber, wie wir wissen, in der Akademie mit besonderem Eifer betrieben wurde. Das ganze Werk des Aristoteles fügt sich in jenen großen Entwurf des gesamten Umkreises menschlichen Wissens ein, den Platon der Organisation der Akademie zugrundegelegt hatte. Bei allen Differenzen zwischen dem Denken des Aristoteles und dem Denken von Platon darf der viel wichtigere, ja fundamentale Sachverhalt nicht übersehen werden, daß der Horizont der aristotelischen Wissenschaft in der Philosophie von Platon vorgezeichnet ist. Aristoteles hat die Fundamente modifiziert; er hat einen anderen Begriff der Wissenschaft; er hat den Kosmos des platonischen Denkens in seine Teile aufgegliedert, systematisiert und bis ins Einzelne durchgearbeitet und hat die Masse des verfügbaren Wissens gewaltig vermehrt. Aber entscheidend ist der Gesamtentwurf. In ihm ist Aristoteles stets ein Platoniker geblieben. Wir werden das beim Studium der Bücher ,,Über die Seele" noch genauer sehen. Das zweite.Jahrzehnt des Aufenthaltes von Aristoteles in der Akademie war politisch durch die wachsende Übermacht des makedonil0 l1
Düring, 8, Anrn. 37. Im Text: „einer6'.
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schen Reiches bestimmt. Im Jahr 357 hatte König Philipp die Stadt Amphipolis erobert; seither stand er in einem sich ständig verschärfenden Konflikt mit Athen. Die geistige Oberschicht in Athen betrachtete die politischen Ereignisse nicht unter den Gesichtspunkten der athenischen Sonderinteressen; sie hatte einen panhellenischen, wir würden heute sagen: einen internationalen Horizont und war infolgedessen Makedonen-freundlich. Die politischen Machthaber waren in zwei Parteien gespalten. Der Führer der Makedonen-feindlichen Kriegspartei war Demosthenes, der seit dem Frühjahr 349 die stärkste Machtposition besaß. Aristoteles war kein athenischer Bürger. Man wußte außerdem, daß er Beziehungen zum makedonischen Hof hatte. Wie die Dinge standen, war sein Leben bedroht. Als Platon im Frühsommer des Jahres 347 im Alter von achtzig Jahren starb, verließ Aristoteles deshalb die Akademie. Über sein Verhältnis zu Platon unterrichtet uns ein kostbares Dokument, das Fragment eines Gedichtes von Aristoteles, die sogenannte „Altar-Elegie" 12. Der Altar, auf dessen Stiftung die Elegie sich bezieht, war ein Altar der cp~hia- der Freundschaft. Will man verstehen, wie es dazu kommt, daß im Bereich der Akademie ein Altar der cp~hiclgestiftet wurde, so muß man sich klarmachen, daß der Begriff der cp~hia- der ja auch im Begriff cp~hooocpiaenthalten ist - in Platons Denken eine zentrale Stellung einnimmt, und daß die ganze Akademie nach Platons Zeugnis aus dem VII. Brief dem Ziel dienen sollte, durch die gemeinsame Erkenntnis der Wahrheit eine neue, geistige Verbindung zu stiften, die nach dem Vorbild des pythagoräischen Bundes in Süditalien in einer kritischen Zeit der politischen Verantwortung gel2
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wachsen sein sollte, nachdem durch den peloponnesischen Krieg alle überkommenen und naturwüchsigen Bindungen in Staat und Gesellschaft zerstört waren. In der späten Akademie ist eine ganze Reihe von Schriften über die cp~hiaentstanden. Eine von ihnen, die Schrift des Aristoteles, ist in der Nikomachischen Ethik erhalten. Auf dem Altar stand nur das Wort @ ~ h i-aaber ~ der erste Vers des uns überlieferten Fragmentes der ,,Altar-Elegie" gibt diesem Namen die richtige Deutung. Der Altar ist nicht unbestimmt und abstrakt der cp~hia,er ist der cp~hiaIIh&twvog, der rplhia des Platon gewidmet. Deshalb enthält die Elegie an Eudemos, der den Altar gewidmet hat, im strengen Sinne des Wortes einen Hymnos auf Platon. In deutscher Übersetzung haben diese unübersetzbaren Verse folgenden Wortlaut: „Er kam in die ruhrnvolle Flur des Landes von Kekrops 13, Fromm gründete er den Altar der Ehrfurcht heischenden cp~hia des Mannes, den nicht einmal zu loben den Schlechten verstattet ist. Dieser hat als einziger oder als erster unter den Sterblichen klar gezeigt, durch sein eigenes Leben und durch die Methoden des Denkens, daß ein Mann sich als edel und glückselig in Einem erweist. Jetzt aber vermag kein einziger dies mehr zu fassen."
Zur Erklärung beschränke ich mich auf einige Hinweise. Die Verse sind, wie uns berichtet wird, an Eudemos gerichtet. Nichts berechtigt uns, an dieser Überlieferung zu zweifeln. Es ist nicht ganz sicher, aber doch wahrscheinlich, daß es sich bei dem hier angeredeten Träger dieses Namens um den neben Theophrast bedeutendsten Schüler des Aristoteles gehandelt hat, der auch der Adressat der sogenannten ,,Eudemischen Ethik" war. Dieser Eudemos ist wahrscheinlich gleichzeitig mit Theophrast als Schüler zu Aristoteles gekommen, kurz nachdem dieser die Akademie verlassen hatte. Wann er den Altar errichtet hat, wissen wir nicht. Jedenfalls aber ist es für das Verhältnis von Aristoteles zu Platon von großer Bedeutung, daß er ein Preisgedicht an seinen Schüler richtet, weil dieser einen Altar aufgestellt hat, der in sakraler Form die unverbrüchliche Gemeinschaft mit Platon und der Akademie bezeugt. Daraus ergibt sich ein Bild von demVerhältnis des Aristoteles zu Platon, das allen späteren Kekrops ist ein mythischer König von Attika. Er ist der attische Stammheros, halb Schlange und halb Mensch; deshalb wird Attika hier nach ihm benannt.
Versuchen, zwischen dem Schüler und dem Lehrer einen unüberbrückbaren Gegensatz zu konstruieren, widerspricht. Gewiß: Aristoteles hat an vielen Stellen seines Werkes gegen platonische Lehren scharf polemisiert. Es gibt aber starke Indizien dafür, daß er diese Polemik schon in der Akademie mit Platon selbst ausgetragen hat, wie es dem Stil der Akademie entsprach. Eine Gegnerschaft kann daraus nicht abgeleitet werden. , ein solcher Kult Auffällig ist die göttliche Verehrung der @ ~ h i adenn ist sonst nicht sicher nachzuweisen14.Wenn man die innere Möglichkeit eines Kultes der @Aiarl[h&tovogverstehen will, muß man sich daran erinnern, daß die platonische Formel für diese, die Seele bewegende Kraft heißt: 6poiwo~gOE@ xath t b Guvaabv - „Angleichung an Gott nach dem Maß des Möglichen" (Theait .I76 B). In der christlichen Theologie ist dieser Gedanke mit der imitatio Christi verschmolzen. Wo diese Angleichung an Gott ihr Ziel erreicht, kommen die &eet4 und die ~UGa~povia, die zur Vollendung gebrachte Trefflichkeit und die Glückseligkeit, zur Deckung. Die Einheit von Tugend und Glückseligkeit ist eine der platonischen Grundlehren. Deshalb steht dieser Gedanke im Mittelpunkt des Hymnos auf Platon, in den der Hymnos auf die cplhia sich verwandelt. „Dieser hat als einziger oder als erster unter den Sterblichen klar gezeigt, durch sein eigenes Leben und durch die Methoden des Denkens, daß ein Mann sich als edel und glückselig in Einem erweist. "
Die rp~hiaPlatons ist identisch mit jenem Streben nach der Erkenntnis der Einheit von Tugend und Glückseligkeit, das Platons Leben und Denken geprägt hat. Dieses Streben ist Angleichung an Gott. Wenn aber Platon als einziger oder doch erster unter den Sterblichen das Wesen der Angleichung an Gott zu fassen vermochte, ist er zwar nicht Gott aber ein Heros. In diesem Sinne ist der Altar für die cp~hia zugleich ein Altar für Platon. Daraus erklärt sich der Stil der Verse; denn der Lobpreis auf Platon hat die typischen Formen der hymnischen Prädikation, also der Anrufung eines Gottes. Zwar wird Platon ausdrücklich „Sterblicheru genannt; jene Vergöttlichung sterblicher Menschen, wie sie in den Herrscherkulten des Orients, des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit begegnet, steht in Widerspruch zu der hellen Klarheit des l4 Vgl. RE XIX, 2, 2172: Artikel „Philia, 3 ) Göttin der Freundschaft mit einem Altar auf der Akropolis von Athen".
platonischen und aristotelischen Denkens und zu (seiner) l5Auffassung vom Menschen. In diesen Versen findet sich keine Mystifikation. Es ist von den Methoden des Denkens und von einer evidenten Demonstration die Rede. Diese Worte könnten auch in einer mathematischen Abhandlung stehen. Trotzdem ist das Göttliche hier nicht ein abstraktes Gedankengebilde. Wo ein Altar errichtet wird, da wird zugleich ein Kult gestiftet, denn ein Altar ist kein Dekorationsstück. Zum Altar gehören Opfer und Gebet. Ich gehe auf die Sogenannte „Altar-Elegie" nicht zuletzt deshalb näher ein, damit Ihnen gleich zu Beginn klar wird, daß das Denken und daß die Wissenschaft hier einen Platz im Leben einnimmt, der mit dem, was wir heute ,,Denkena und „Wissenu nennen, unvergleichbar ist. Aus dem sakralen Charakter des Altares und des Hymnos auf Platon erklären sich auch die seltsamen Worte, daß den Schlechten diesen Mann nicht einmal zu loben verstattet ist. Im griechischen Text steht das unübersetzbare Wort 8 E p ~ .Es bezeichnet, im Gegensatz zu den menschlichen Satzungen, das göttliche Recht. Platon steht für Aristoteles so hoch, daß ihn nicht nur der Tadel sondern sogar das Lob der Schlechten beflecken würde. Es wäre ein unzulässiger Übergriff in einen heiligen Bezirk. Wenn Aristoteles selbst Platon mit schneidender Schärfe kritisiert, steht das dazu nicht im Widerspruch: er ist dazu legitimiert, weil er als Eingeweihter im Inneren dieses Bezirkes steht; und weil er weiß, daß er gerade, wenn er widerspricht und Klarheit fordert, dem Grundgesetz des platonischen Denkens folgt. Das ist nicht Polemik von der Art, wie sie heute unter Wissenschaftlern üblich ist. Der Widerspruch stammt vielmehr aus jener Haltung, zu der Sokrates, wie Platons Dialoge bezeugen, seine Gesprächspartner unermüdlich angefeuert hat, weil er für die Suche der Wissenschaft nicht zu entbehren ist. So wird die Form verständlich, in der Aristoteles mit dem letzten Vers auf eine der tiefsten Differenzen zwischen seiner und der platonischen Lehre anspielt: „Jetzt aber vermag kein einziger dies mehr zu fassen." Aristoteles hat in seiner Ethik gelehrt, daß äußere Güter für die Glückseligkeit nicht zu entbehren sind16. Die verschiedene Einschätzung der äußeren Güter war später einer der wichtigsten Im Text: „ihrera. Zum Beleg verweist etwa Diiring, 16, auf E .N., 7, 1177a 30 und 8, 1178a 23ff. lS
Differenzpunkte zwischen der platonischen Schule (der Akademie) und der aristotelischen Schule (dem Peripatos). Der Vers der „AltarElegie" rückt diese Differenz in ein merkwürdiges Licht, denn er bezeugt eine Resignation gegenüber einer Erkenntnis, die Platon als Erster oder Einziger unter den Sterblichen zu fassen vermochte, und die dem Denken des Aristoteles versagt ist. Das Wort „es ist nicht möglich zu erfassen" ist, wie Werner Jaeger gezeigt hat, in den Lehrschriften des Aristoteles ein feststehender Ausdruck fur die Unerreichbarkeit des Ideals 17. Wenn es in der Hermeneutik überhaupt Grundsätze gibt, an denen man nicht rütteln darf, so (gehört zu ihnen) l8 der Grundsatz, daß ein Selbstzeugnismehr Wert hat als die Meinungen der Interpreten. Also muß dieses Selbstzeugnis des Aristoteles für die Beurteilung seines Verhältnisses zu Platon als Richtmaß dienen. Nachdem uns die „Altar-Elegie" schon tief in die ferne Welt des griechischen Denkens eingeführt hat, kehren wir zur Biographie des Aristoteles zurück. Nach Platons Tod übernahm sein Neffe Speusipp, ein Philosoph, dessen Bedeutung durch die Forschung der letzten Jahre in ein neues Licht gerückt ist, die Leitung der Akademie 19. Daß Speusipp, und nicht Aristoteles, die Leitung übernahm, war selbstverständlich, denn die Akademie und ihr Vermögen war eine Stiftung Platons. Speusipp war als sein nächster Verwandter sein Erbe. Außerdem war er fünfundzwanzig Jahre älter als Aristoteles. Aristoteles, der, wie wir sahen, politisch bedroht war, folgte der Einladung des Fürsten von Atarneus, einer Stadt in Kleinasien gegenüber von Lesbos. Der dritte bedeutende Schüler des Platon, Xenokrates, hat Aristoteles begleitet. Hermias, ein Mann von einfacher Herkunft, der sich zum Fürsten dieses Gebietes aufgeschwungen hatte, stand mit der Akademie in enger Verbindung. Platon hatte ihm zwei Schüler, Erastos und Koriskos, als Berater geschickt, und wir besitzen in dem, wie ich meine, echten V1. platonischen Brief ein denkwürdiges Zeugnis für diese Beziehung. Auf den Rat der beiden Schüler von Platon hat Hermias seine Tyrannis freiwillig in eine l7 Werner Jaeger, Aristoteles - Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin: Weidmann, 1923, 110, Anm. 1. l8 Im Text: „ist es". l9 Hans ~ o a c h i mKrämeq Der Ursprung der Geistmetaphysik - Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Platon und Plotin, A m -
mildere Verfassungsform verwandelt und ihnen zum Dank die Stadt Assos geschenkt. Dorthin zogen Aristoteles und Xenokrates. Es bildete sich also in Assos eine Tochterniederlassung der Akademie. Dort schloß sich an Aristoteles vor allem jener schon genannte Schüler an, der sein engster Mitarbeiter wurde und nach seinem Tode sein Erbe antrat: Theophrast. Das hohe Ansehen, das sich Aristoteles in den drei Jahren seines Aufenthalts in Assos erwarb, geht daraus hervor, daß er die Nichte des Hermias zur Frau nahm. Er hatte von ihr eine Tochter und einen Sohn Nikomachos, der als Jüngling starb. Der Titel der ,,NikomachischenEthik" soll sein Gedächtnis bewahren. In seinem Testament hat Aristoteles den Wunsch geäußert, neben seiner Frau bestattet zu werden; das ist eine der spärlichen persönlichen Äußerungen, die wir von ihm besitzen. Hermias stand in naher politischer Verbindung mit dem König Philipp von Makedonien. Im Jahre 341 wurde er von dem persischen Feldherrn Mentor zu einer Zusammenkunft gelockt, gefangengenomrnen, dem Perserkönig ausgeliefert und, weil er nicht bereit war, die geheimen Pläne Philipps zu verraten, hingerichtet. Es wird von ihm erzählt, der König habe ihn vor der Hinrichtung befragt, ob er sich eine letzte Gnade wünsche. Er habe geantwortet: ,,Meldet meinen Freunden und Genossen, daß ich nichts der Philosophie Unwürdiges oder Haltungsloses getan habe" 20. Aristoteles hat für ihn eine Statue nach Delphi gestiftet und ihm einen Hymnos gewidmet, dessen Inhalt zusammengefaßt besagt: Um die höchste & p f i zu erwerben, ist, wie die großen Helden der Sage, auch Hermias in den Tod gegangen. Im Lied bleibt unvergänglich das Gedächtnis des gastlichen Mannes und des zuverlässigen Freundes 21. Schon vor dem Tode des Hermias siedelte Aristoteles nach Mytilene auf Lesbos über. Kurze Zeit später wurde er, im Jahre 341, durch König Philipp nach Makedonien berufen, um die Erziehung des dreizehnjährigen Alexander zu überwachen. 336 wurde Alexander nach der Ermordung seines Vaters König. 335 kehrte Aristoteles nach Athen zurück. Die Aufgabe, die Aristoteles am makedonischen Hofe übernahm, ergibt sich aus den uns bekannten Tatsachen: - Er war der Freund und später durch seine Heirat der Verwandte 20 21
Düring, 11, Anm. 58; Jaeger, 118. Fragment 675 Rose.
des Hermias von Atarneus. Hermias war ein Vertrauter des Königs. Der Perserkönig ließ ihn hinrichten, weil er, wie wir durch Demosthenes wissen, mit Philipp Abmachungen getroffen hatte, die das Vordringen der makedonischen Militärmacht gegen Persien vorbereiten sollten. Aristoteles kam also nicht als irgend ein Hauslehrer sondern als ein Mann von politischem Gewicht und als der Bürge für eine wichtige politische Konstellation. - Aristoteles war noch immer Mitglied der Akademie. Wir wissen, daß im Jahre 339, nach dem Tode des Speusippos, Aristoteles als sein Nachfolger nominiert wurde. An seiner Stelle wurde Xenokrates gewählt, weil Aristoteles in Makedonien gebunden war. Mitglied der Akademie: das bedeutete damals in der griechischen Öffentlichkeit, daß er jene Ideen von der Erziehung des wahren Herrschers repräsentierte, die Platon im ,,Staatu und in den „Gesetzen" entwickelt hatte. Die Wahl eines Vertreters der Akademie für die Erziehung eines zukünftigen Königs war eine politische Entscheidung, die sicher auch mit der Kräftekonstellation in Athen selbst zusammenhing. Es ist ein bemerkenswertes Zeugnis für die Wirkung der platonischen Schriften, daß Philipp für seinen Sohn als Erzieher den Schüler jenes Philosophen wählte, der den Satz von den Philosophen-Königen aufgestellt hat. - Aristoteles wie Platon waren davon überzeugt, daß die Griechen wegen ihrer kulturellen Überlegenheit die führende Macht der Welt werden könnten, wenn sie staatlich geeinigt wären. Er hat deshalb sicher die Politik des Königs Philipp begrüßt, der, wenn auch mit gewaltsamen Mitteln und unter Verletzung der patriotischen Ambitionen Athens, Griechenland einen ,,gemeinen Frieden" (ico~vq~iefivq)aufzwang und dem unablässigen Zwist zwischen den griechischen Stadtstaaten ein Ende setzte. Die panhellenischen Ideale konnte niemand so wie Aristoteles dem jungen Alexander vermitteln. Alexander hat später gesagt, seinem Vater verdanke er, daß er lebe, dem Aristoteles verdanke er, daß er edel lebe. Für ,,edelu könnte man einsetzen: auf griechische Art. Als später Alexander bei dem Siegeszug, der ihn ganz Persien und halb Indien erobern ließ und die griechische Kultur zur Weltkultur machte, sich von orientalischer Sitte einfangen und bezaubern ließ, hat Aristoteles seiner Politik widersprochen. Aber er blieb Alexander weit über die Zeit des beginnenden Perserkrieges verbunden. Sein Großneffe Kallisthenes hat Alexander als dessen
Historiker begleitet; er wurde später wegen seines Widerstandes gegen den Orientalismus Alexanders hingerichtet. Aristoteles hat erreicht, daß eine ganze Schar von Wissenschaftlern - Historiker, Botaniker, Zoologen, Geographen - Alexander bei seinem Siegeszug begleiten durfte, um die unermeßliche Fülle von neuem Wissen einzusammeln, die sich bei dieser einzigartigen Expedition gewinnen ließ. In Makedonien hatte Alexander als Statthalter Antipatros zurückgelassen. Er trug den Titel „Stratege von Europa". Antipatros war, wie wir wissen, mit Aristoteles nahe befreundet. Man darf nie aus dem Auge verlieren, daß Aristoteles durch seine Stellung einen Einblick in die politischen Geschäfte besaß wie kein Philosoph vor ihm oder nach ihm. Daher stammt jener Reichtum an nüchterner, pragmatischer Erfahrung, den jede Zeile seiner „Politiku bezeugt. Die Wissenschaft, die er als „Politiku bezeichnet hat, ist von der Ethik, die Ethik ist von der Politik nicht zu trennen; denn die aristotelische Ethik entwirft die Normen jenes edlen griechischen Maßes, gegen das Alexander später verstoßen hat. Man muß die Biographie des Aristoteles vor Augen haben, um die souveräne, illusionslose und unbestechliche Weltkenntnis beurteilen zu können, die seiner ganzen Philosophie das Gepräge gibt. Im Jahre 335 ist Aristoteles nach Athen zurückgekehrt. Seine Stellung war nun durch die Freundschaft mit Antipatros gesichert. Theophrast hat ihn nach Athen begleitet. Aristoteles gab im Lykeion, einem öffentlichen Gymnasion, Unterricht, aber eine eigene Schule hat er nicht gegründet. Erst Theophrast hat nach dem Tod des Aristoteles die Schule gestiftet, die später unter dem Namen ,,Peripatosu bekannt wurde. Die Stellung des Aristoteles in Athen war immer gefährdet, denn unter der Oberfläche gärte der Haß gegen die makedonische Herrschaft. Die Biographie berichtet, daß er in einem Brief an Antipatros darüber Klage fuhrte, daß er als Fremder in Athen keine Ruhe finden könnte. Zwar stand er in hohen Ehren; eine Ehrenurkunde der delphischen Amphiktyonie ist schriftlich erhalten; eine andere in Athen wird erwähnt. Etwa im Jahre 325 wurde ihm in Athen eine Ehrenstatue errichtet; Kopien des Kopfes sind erhalten. Aber 323 mußte er wegen akuter Bedrohung -vermutlich handelte es sich um eine Anklage wegen Asebie -Athen verlassen. Er siedelte in das Haus seiner Mutter nach Chalkis auf Euboia über und starb dort schon im Oktober 322 im Alter von 63 Jahren an einer Krankheit.
3. (Der Gesamtentwurf des Werkes) I
Das Werk (des) Aristoteles hat ein merkwürdiges Schicksal gehabt. Die neunzehn Schriften, die er für die Veröffentlichung geschrieben und selbst publiziert hat, sind, trotz der großen Wirkung, die über Jahrhunderte hin bezeugt ist, verloren. Sie hatten die Form von Dialogen, die aber nicht, wie bei Platon, aus kurzer Rede und Gegenrede bestanden, sondern in denen jeder Partner seinen Standpunkt in zusammenhängender Argumentation entwickeln konnte. Cicero hat diese Form später nachgebildet. Durch seine Vermittlung hat sie, trotz des Verlustes der Originale, auf die Formgeschichte der europäischen Literatur einen unermeßlichen Einfluß ausgeübt. Neben den achtzehn Dialogen steht der „ProtreptikosU,eine Einführung in die Philosophie, die in der Form einer Mahnrede zum Studium der Philosophie anfeuern sollte. Auch diese Form hat durch die Vermittlung des Cicero eine indirekte aber mächtige Wirkung gehabt. Erhalten sind uns von Aristoteles die Schriften, die er nicht veröffentlicht hat. Es handelt sich vor allem um Vorlesungsmanuskripte von sehr unterschiedlichem Charakter. Einige Schriften wurden von ihm selbst redigiert, andere wurden nach seinem Tode von einem Redaktor abgeschrieben, der sich mit größter Pietät darum bemühte, alles, auch die am Rande stehenden Notizen oder einzelne Bruchstücke, zu bewahren. Eine erste Gesamtausgabe ist bald nach demTode des Aristoteles erfolgt. Auf ihr beruht das Schriftenverzeichnis des 3. Jahrhunderts, das außer den veröffentlichten Schriften 124 Titel umfaßte. Auch diese Ausgabe ist uns nicht erhalten. Sie wurde nämlich im 1.Jahrhundert V.Chr. durch eine neue Ausgabe ersetzt, die eine seltsame Vorgeschichte hatte. Die Bibliothek des Aristoteles ging nach seinem Tode in den Besitz des Theophrast über. Dieser vererbte sie dem letzten überlebenden Freund des Aristoteles, namens Neleus. Neleus nahm die Bibliothek in seine Vaterstadt Skepsis nach Kleinasien mit; dort ruhten die Originalmanuskripte des Aristoteles fast zweihundert Jahre lang in einem Keller. Etwa im Jahre 90 V.Chr. wurden sie wieder ans Licht gezogen, und nun entstand eine neue Ausgabe des Corpus Aristotelicum, die sich vollständig durchgesetzt hat. Diese Ausgabe liegt unseren Sammlungen der aristotelischen Schriften zugrunde. Das Gesamtwerk des Aristoteles ist so gewaltig, daß es Sie nur verwirren würde, wenn ich Ihnen die Titel aufzählen wollte. Ich nenne
stattdessen die großen Themen. In der, durch die Berliner Ausgabe von Immanuel Bekker maßgebend gewordenen Reihenfolge stehen an der Spitze die Schriften zur Logik und zur Wissenschaftstheorie. Das entspricht einem Aristoteles-Verständnis, das erst in der römischen Kaiserzeit durch den Neuplatoniker Porphyrios aufkam, aber das Bild des Aristoteles bis heute bestimmt. Aristoteles gilt als der große Logiker; auch seine Metaphysik wird von der Logik her interpretiert. Betrachtet man das uns erhaltene Werk, so hat die Logik und die Wissenschaftstheorie der „Analytica Posteriora" für den inneren Aufbau der Philosophie des Aristoteles eine zwar wichtige aber durchaus nicht jene beherrschende Stellung, die ihr die spätere Tradition zugewiesen hat. Immerhin ist die riesige Leistung des ersten konsequenten Aufbaus einer Logik und einer Wissenschaftstheorie, die bis in die Neuzeit die Struktur der Metaphysik und aller systematisch aufgebauten Wissenschaft bestimmt, nicht so zufällig zustande gekommen, wie man es heute gelegentlich darstellt. Vergleicht man nämlich den Gesamtentwurf des Aristoteles mit dem Entwurf von Platon, so zeigt sich an dem Schriftenverzeichnis auf den ersten Blick, daß bei Aristoteles ausfällt, was bei Platon im Zentrum stand: die Mathematik. Das läßt sich nicht aus der persönlichen Begabungsrichtung erklären, denn Aristoteles hat seine Logik, genauer gesagt: seine Lehre von den Schlüssen, die Syllogistik, als ein mathematisches System aufgebaut, das noch heute die staunende Bewunderung der mathematischen Logiker erregt. Er hat nicht nur als Schüler des Platon die Mathematik seiner Zeit selbstverständlich beherrscht, sondern eine große und selbstäcdige mathematische Schöpfung hervorgebracht. Daß die Mathematik bei ihm so auffällig zurücktritt, hat einen anderen Grund. Nach Aristoteles ist der h6yoc 6norpav~lx6~ - also die Aussage, von der sich eindeutig feststellen läßt, ob sie wahr oder falsch ist - die Form, in der wir die Wahrheit erkennen. Die Analyse der Strukturen des h6yoc 6 n o c p a v ~ ~ xist6 ~ deshalb der hermeneutische Leitfaden für die Erkenntnis des Seienden als eines solchen. So wird durch Aristoteles - und erst durch ihn - die sogenannte „Erste Philosophie", also die Wissenschaft, die alle übrige Wissenschaft begründet, im strengen Sinne des Wortes zur Onto-logie. (Das Wort „Ontologieu stammt nicht von den Griechen sondern aus dem „Lexicon Philosophicum" des Goclenius vom Jahre 1615. Wir verdanken diesen Begriff dem Aristotelismus der protestantischen Theologie. Aber Goclenius ist ein guter Aristoteliker ge-
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wesen und hat das Wesen der aristotelischen „Ersten Philosophie" richtig verstanden.) Die Kategorien, also die reinen Grundformen aller möglichen Aussagen, nehmen bei Aristoteles die Stelle ein, die bei Platon die Mathematik eingenommen hatte. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen Aristoteles und Platon. Man darf diesen Unterschied aber nicht simplifizierend als einen Gegensatz interpretieren; denn Platon selbst hat in seinem Spätwerk für die aristotelische Kategorienlehre die Basis gelegt. Wenn jede Wissenschaft eine bestimmte Anordnung von Aussagen ist, und wenn alle Aussagen auf den Kategorien beruhen, so zeichnet das Schema der Kategorien die Grundformen alles möglichen Wissens vor. Deshalb erhält bei Aristoteles der Begriff „Wissenschaft" - E~LcT'I;~~ ~eine I ) neue Gestalt, die sich alsbald auf den gesamten Aufbau seiner Philosophie auswirkt. Studiert man Platon, so liegt die größte Schwierigkeit darin, daß Platon unentwegt bemüht ist, den wechselseitigen Zusammenhang aller Phänomene so sichtbar zu machen, daß wir das Ganze in einer einzigen Anschauung zu erfassen lernen. Wir sollen begreifen, wie die Ethik mit der Mathematik, die Politik mit der Physik, die Dialektik mit der Theologie zusammenhängt. Eine solche „intellektuelle Anschauung" läßt sich nicht in der Form der systematisch aufgebauten Wissenschaft darstellen. Sie ist trotzdem nicht, wie man immer wieder gemeint hat, ,,irrational6', sondern orientiert sich an jener Form der reinen Anschauung, deren der Mathematiker bedarf. Erst Kant hat wieder begriffen, daß die Mathematik nur sekundär die Logik, primär aber die intellektuelle Anschauung voraussetzt. Schelling hat diese Entdeckung von Kant übernommen und gewaltig erweitert. Aus Widerspruch gegen die intellektuelle Anschauung Schellings ist Hege1 dann zum Aristoteliker geworden und hat seinem System wie Aristoteles die Kategorienlehre zugrundegelegt. In der Gliederung der Philosophie hat bei Aristoteles der neue Wissenschaftsbegriff zur Folge, daß die einzelnen Wissenschaften gegeneinander abgegrenzt und verselbständigt wurden. Der Blick bleibt dabei immer universal. Die Querverbindungen zwischen den einzelnen Wissenschaften werden sorgfältig beachtet und hervorgehoben. Trotzdem wird jede einzelne Wissenschaft als ein selbständiges Ganzes dargestellt. Die Aufgliederung der Philosophie in verschiedene Disziplinen hat hier ihren Ursprung. Das ist ein Verlust, aber zugleich ein Gewinn, weil der neue Begriff der Wissenschaft Aristoteles
die Möglichkeit gab, riesige Massen von Wissensstoff systematisch zu ordnen und zu organisieren. Er organisierte nicht nur die Materie des Wissens, er organisierte auch die BeschafSung von Wissen. Was Platon in der Akademie schon begonnen hatte, erfährt nun eine riesige Erweiterung. Wir wissen, daß er unter Mithilfe seiner Schüler mit der ihm eigenen Genauigkeit, Methodik und Konsequenz große Materialsammlungen für seine historischen, verfassungsrechtlichen, politischen, botanischen, zoologischen, medizinischen, astronomischen und meteorologischen Studien anlegen ließ. Man muß sich klarmachen, was es bedeutet, daß der selbe Mann die Botanik, die Zoologie, die politische Theorie, die Rhetorik und - in seiner „Poetik" - die Literaturwissenschaft begründet hat, der auch die Logik entdeckt und die Wissenschaftstheorie geschaffen hat. Der selbe Mann hat aber auch in seiner ,,Physiku ein Werk geschaffen, das die Prinzipien der Naturerkenntnis überhaupt in einer Form darstellt, deren Bedeutung wir erst durch die Entdeckungen der Physik des 20. Jahrhunderts wieder zu würdigen lernen. Schließlich hat er in seiner „Metaphysik" für die gesamte Philosophie eine Grundlegung gegeben, die zwar durch die große Krise der Metaphysik heute ins Wanken gerät, aber bei weitem noch nicht überholt ist. Dieses ganze riesige Werk ist das Ergebnis eines Lebens, von dessen Reichtum an geschichtlicher Erfahrung und an Begegnungen wir eine Ahnung gewonnen haben, und das schon im 64. Jahr sein Ende fand. Seit Werner Jaeger ist die Aristoteles-Forschungbemüht, die Entwicklung seines Denkens zu rekonstruieren. Man interessiert sich für seine Entwicklung mehr als für das, was er eigentlich gedacht hat, und kommt nur selten auf den Gedanken, daß man auch fragen könnte, ob das, was er gedacht hat, wahr ist. Wie immer aber die Entwicklung eines so reichen und sicher schwer zu enträtselnden Lebens verlaufen sein mag - jedenfalls ist evident, daß er die Menge der von ihm entworfenen Wissenschaften in einem so kurzen Leben nicht säuberlich eine nach der anderen behandelt haben kann. Das Werk des Aristoteles ist die Ausführung eines einzigen, in sich geschlossenen Entwurfes. Er muß bei der Bearbeitung jedes einzelnen Teiles das Ganze stets vor Augen gehabt haben, und daraus ergibt sich für die Interpretation, daß man versuchen muß, den gesamten Entwurf im Wechselverhältnis seiner Teile stets präsent zu haben. Wenn in der ,,Metaphysiku oder in der „Physikc' gewisse fundamentale Lehren entwickelt werden, so hat das in allen anderen Disziplinen, die Ari-
stoteles aufgebaut hat, seine Auswirkungen. Wenn er in der Botanik oder in der Zoologie eine Entdeckung macht, setzt er sie, wie die Texte zeigen, alsbald mit seiner Prinzipienforschung in Verbindung. Je tiefer man in Aristoteles eindringt, desto erschreckender wirkt die Helligkeit und Präzision seines Denkens, die stets präsente, wache Übersicht über die Gesamtheit der Probleme und jene überdeutliche Klarheit der Erkenntnis, die unsere dumpfen Köpfe nicht nachvollziehen können. Schon der äußere Überblick über sein Werk ergibt, daß er mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit gearbeitet haben muß. Trotzdem hat niemand ihn an Gründlichkeit, Genauigkeit und Schärfe und an Beherrschung riesiger Mengen von Material je übertroffen. Bei Aristoteles sind jene Richtungen vereinigt, die in der späteren Geschichte der Philosophie fast immer getrennt und im Widerspruch gegeneinander auftreten: der Begründer der Logik ist zugleich der Begründer der empirischen Wissenschaft, der tiefsinnige Metaphysiker ist zugleich der unübertroffene Meister einer aus pragmatischer Weltkenntnis geschaffenen politischen Theorie. Beim Studium des Aristoteles ist man stets in Gefahr, in den Text, mit dem man sich gerade beschäftigt, zu versinken und den Horizont des Ganzen aus dem Auge zu verlieren. Deswegen schien es mir wichtig, nach einer Übersicht über sein Leben Ihnen von diesem Horizont eine Ahnung zu geben. Über die einzelnen Werke können Sie sich etwa bei Düring orientieren. In der Geschichte des griechischen Denkens steht Aristoteles an einer Wende. In Platon lebt noch die geistige Tradition jener griechischen Welt, die in seiner Jugend mit dem Ende des peloponnesischen Krieges zusammenbrach. Die Grundform des platonischen Denkens ist noch den Vorsokratikern verwandt. Wenn er von Solon, Pindar oder den Tragikern spricht, wirken sie wie Zeitgenossen, obwohl er alle modernen Strömungen des 4. Jahrhunderts aufgenommen und verarbeitet hat. Kommt man von Platon zu Aristoteles, so wird man in eine andere Welt versetzt. Wir befinden uns nicht mehr im alten Athen; wir befinden uns geistig schon im Hellenismus. Es ist mehr als nur ein weltgeschichtlicherZufall, daß Aristoteles der Lehrer von Alexander war. Aber er ist durch die platonische Schule gegangen und hat die große Synthese des griechischen Denkens, die Platon in seiner Philosophie geleistet hatte, wie ein Erbe, das nicht selbst erworben sondern geschenkt ist, übernommen. In der selbstbewußten und nüchternen Souveränität, mit der er dieses Erbe zu verwalten,
zu ordnen und nach allen Richtungen hin zu erweitern versteht, manifestiert sich zugleich eine kühle Distanz. Aristoteles ist nicht nur politisch in Athen immer ein Fremder gewesen. Er ist es auch geistig; und gerade der Fremdheit verdankt er die zielbewußte Sicherheit, mit der er die Schätze des attischen Geistes sich anzueignen wußte. Seit Aristoteles ist die Philosophie in einem neuen Sinn universal. Sie ist nicht mehr, wie noch die Philosophie von Platon, an das Schicksal einer bestimmten geschichtlichen Welt und einer bestimmten Individualität gebunden; sie wird vielmehr in jenem neutralen Sinne ,,Wissenschaftu, daß sie eine Form annimmt, die allgemeine Verständlichkeit beansprucht und sich in jede beliebige geschichtliche Landschaft, ohne von ihr tangiert zu werden, verpflanzen läßt. Das hat die universalgeschichtliche Wirkung der griechischen Philosophie erst möglich gemacht. Der Freund des „Strategen Europas" hat Europa geistig begründet. Was das noch heute für Folgen hat, werden wir uns in dieser Vorlesung Schritt für Schritt versuchen, deutlich zu machen. I
ARISTOTELES UND HEGEL EINF~HRUNG IN ARISTOTELES ALS EINFÜHRUNG IN DIE METAPHYSIK ÜBERHAUPT
I. Methodische Vorbemerkung Ich habe angekündigt, daß ich in einem zweiten Teil der Einleitung über das Verhältnis von Hegel zu Aristoteles sprechen wollte, um Ihnen an diesem Beispiel deutlich zu machen, warum das Studium des Aristoteles heute - und gerade heute - für uns wichtig ist und in die Probleme unserer Gegenwart eingreift. Beim Ausarbeiten wurde mir klar: wer in angemessener Weise über Aristoteles und Hegel spricht, der spricht über die Metaphysik überhaupt, über ihre zentralen Thcmen und ihre Struktur. E r spricht über die geistige Einheit und das Grundgesetz des Zeitalters der europäischen Metaphysik, also der Epoche vom 6. Jahrhundert vor Christus bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Erst untcr dieser geschichtlichen Perspektive tritt ans Licht, warum die Grundlegung dcr Metaphysik in dieser Zeitenwende, in der die Metaphysik in ihre große Krise eingetreten ist, von uns verstanden werden muß, wenn wir die heutige Krise bewältigen wollen. Das ist nun ein so großes Thema, daß ich mich entschlossen habe, den geplanten zweiten Teil der Einleitung entsprechend auszubauen. Die Einführung in Aristoteles wird zu einer Einführung in dic Mctaphysik überhaupt, die in der Form eines Vergleiches von Aristoteles und Hegel durchgeführt wird. Sie werden später sehen, daß uns dieser r Seele" einVergleich mitten in die Thematik der Bücher „ ~ b e die fuhrt, ja, daß er uns überhaupt erst die Möglichkeit gibt zu verstehen, wovon in diesen Büchern die Rede ist. Aus dem zweiten Teil der Einleitung ist also jetzt der c r ~ t Hauptteil c der Vorlesung geworden. Wir fragen nach dem Verhaltnis von Hegel zu Aristoteles. Wenn in der geisteswissenschaftlichen Forschung ein solcher Vergleich durchgeführt wird, pflegt man die beiden Werke, die man vergleicht, als isolierte Phänomene zu betrachten, von denen man voraussetzt, daß es sie - man weiß selbst nicht genau, wie - in der Masse der Uberlieferung „gibt". Weil sie uns, wie man meint, als etwas irgendwie Vorhandenes zur Verfügung stehen, kann man mit ihnen umgehen, wie man will. Man kann sie nach freiem Belieben herausgreifen und miteinander vergleichen. Man stellt Ubereinstimmungen und Unter-
schiede fest. Die Ubereinstimmungen rubriziert man unter der Uberschrift „Wirkung". Durch die Unterschiede wird man in der trivialen Überzeugung bestätigt, daß in der Geschichte immer alles anders wird. Der Katalog der aufgedeckten „Beziehungen" zwischen Aristoteles und Hegel ergibt dann eine quantitative Vermehrung der Gesamtsumme an positiver historischer Erkenntnis. In der nächsten Auflage von Uberwegs „Geschichte der Philosophie" wird eine zusätzliche Seite eingefügt werden müssen. Auf Forschungen von diesem Typ beruht unsere Kenntnis der Geschichte. Sie dürfen nicht gering geschätzt werden. Nur kommt es darauf an, daß man sich über ihre Funktion und die Natur ihrer Ergebnisse nicht täuscht. Die äußerliche Feststellung, daß ein junger Privatdozent in Jena im Jahr 1805 von Aristoteles stark beeindruckt wurde und deshalb seine philosophischen Uberzeugungen änderte, ist in sich selbst interessant genug. Aber mit dem großen Gang der Geschichte hat diese Feststellung selbst dann nur wenig zu tun, wenn der Privatdozent den Namen „Hegel" trägt. Für das Verständnis von Aristoteles selbst und den Gehalt der Bücher „Über die Seele" ist dieser historische Zufall äußerlich. Deshalb verweist man die Wirkungsgeschichte, wenn man sie überhaupt berücksichtigt, in einen Anhang der Bücher über Aristoteles. Die sogenannte Wirkungsgeschichte ist ein Zusatz, aus dem man über Aristoteles selbst nichts lernt. Sie befriedigt ein unbestimmtes historisches Interesse und tröstet über die Anstrengung des Aristoteles-Studiums hinweg, weil man feststellen kann, daß auch andere kluge Leute eine solche Arbeit offenbar für nützlich gehalten haben. Ganz anders sieht die Sache aus, wenn man sich in die Wirkungsgeschichte vertieft und entdeckt, daß Aristoteles die Bahnen vorgezeichnet hat, in denen zwei Jahrtausende hindurch Menschen wirklich gedacht haben und noch heute denken. Wenn eine Philosophie das leistet, wenn sie bewirkt, daß die reale Geschichte, sofern sie vom Denken der Menschen beeinflußt wird, anders verläuft, als sie ohne diese Philosophie verlaufen wäre, dann können wir die Wirkungsgeschichte nicht mehr als einen äußeren Zusatz betrachten. Sie sagt dann über diese Philosophie selbst etwas, und zwar offenbar das Wesentliche, aus. Wir können dann nicht mehr die Schriften des Aristoteles wie ein gegebenes Objekt ansehen, das sich von seiner Wirkungsgeschichte isolieren ließe. Die Wirkungsgeschichte ist dann die eigene Zukunft dieser Philosophie, so wie die in sie eingegangene
Vorgeschichte ihre eigene Vergangenheit ist. Die geschichtliche Macht, die diesc Gedanken entfaltet haben und in sich enthalten, gehört dann zur inneren Wahrheit dieser Gedanken. Aber diese geschichtliche Macht wird sich durch bloße historisch-philologische Exegese nicht ausfindig machen (lassen). Jene Feststellungen, die sich durch eine positivistisch orientierte historisch-philologisclie Exegese gewinnen lassen, verhalten sich dann zum wahren Gehalt der Gedanken wie die chemische Analyse der Farben eines Bildes zum Bild als Kunstwerk. Das historische Objekt ist also nicht identisch mit dem geschichtlichen Phänomen. Es ist die Außenfläche, die übrigbleibt, wenn man davon absieht, daß geschichtliche Phänomene in der Geschichte ihre Wirkung haben und durch die Antizipation dieser Wirkung erst zustande kommen. So wenig, wie man die Sonne von ihrer Strahlung unterscheiden kann, so wenig kann man auch ein geschichtliches Werk von seiner Wirkung unterscheiden. Wir fuhren also den Vergleich zwischen Aristoteles und Hegel nicht durch, um uns äußerlich davon zu überzeugen, daß Aristoteles in Jena studiert worden ist; wir führen ihn durch, um einen Standort zu gewinnen, von dem aus wir Aristoteles selbst als die geschichtliche Potenz, die er war, zu verstehen und zu würdigen vermögen. Was ist es, was wir auf diese Weise verstehen? Es ist ein Doppeltes. Auf der einen Seite ist dies der einzige Weg, auf dem man begreift, wovon bei Aristoteles eigentlich die Rede ist. Die Begriffe seiner Philosophie und die Gedankengänge, die wir beim Studium der Texte nachvollziehen, sind uns zunächst genau so äußerlich und abstrakt wie jene fiktive Objektivität, die wir vor Augen haben, wenn wir den Textbestand zur Kenntnis nehmen. Erst wenn wir sehen, wie diese Gedanken mit unwiderstehlicher Macht in den Gang der wirklichen Geschichte eingreifen, wird uns allmählich klar, daß es die Wirklichkeit selbst ist, der wir in diesen Texten unter einer bestimmten Perspektive begegnen. Erst wenn wir Aristoteles in uns selbst, also in jenen Vorstellungen, die unser Verhalten bestimmen, entdecken und zu identifizieren vermögen, merken wir, was es in Wahrheit ist, wovon die Texte reden. Durch Hegels Philosophie ist Aristoteles zu einer der großenTriebkräfte der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts geworden. In dem Maße, in dem uns das bewußt wird, entdecken wir den substantiellen Gehalt jener Begriffe, die uns zunächst so abstrakt erscheinen. Das Zweite, das wir auf diesem Wege erkennen, ist eines der großen
Grundgesetze der europäischen Geschichte. Das Zeitalter von Parmenides bis Nietzsche ist das Zeitalter der Metaphysik. Die Metaphysik hat nicht nur dem Denken sondern auch den durch menschliches Denken produzierten politischen und gesellschaftlichen Strukturen ihr Gepräge gegeben. Hegel konnte Aristoteles nur deshalb, so wie er es getan hat, rezipieren, weil er in Aristoteles das Grundgesetz der geschichtlichen Welt Europas erkannte. Hegels großes Thema war die Geschichte. Er hätte seinc Philosophie der Geschichte nicht im Rahmen der aristotelischen Ontologie durchführen können, wenn diese Ontologie nicht tatsächlich auf den Gang der Geschichte bestimmend eingewirkt hätte. Seit Nietzsche bewegt sich die Philosophie in der Erfahrung der Krise der Metaphysik. Solange unser Denken dieser Krise nicht auf den Grund kommt, werden wir auch die realen Probleme unserer zukünftigen Geschichte nicht zu lösen vermogen. Der Vergleich von Hegel und Aristoteles ist nicht der einzige, aber (er ist) cin unentbehrlicher Schritt zur Erkenntnis der Ursachen der Krise der Metaphysik. Er ist ein Schritt der Selbsterkenntnis unseres Denkens. Für den Aufbau der Vorlesung ergibt sich aus dieser für Sie vielleicht ungewohntcn Weise, geschichtliche Phänomene zu betrachten, warum wir diese Einfuhrung in die Metaphysik überhaupt nicht entbehren können. Hier wird die Fragestellung markiert, unter der wir die Bücher „Uber die Seele" betrachten wollen. Wir gewinnen eine erste Ahnung davon, was sich im Denken des Aristoteles vollzogen hat. Weil wir hier das Ganze des Unternehmens der nächsten zwei Semester vor Augen haben, scheue ich mich nicht, diesen erstenTeil der Vorlesung breit anzulegen und dadurch die spätere Arbeit zu entlasten.
11. Perspektiven des Vergleiches von Hegel mit Aristoteles: Das Wesen der Wirklichkeit - das Wesen der Wahrheit das Wesen Gottes Hegel hat die Philosophie des Aristoteles in solcher Breite aufgenommen, daß sich Beziehungen zu Aristoteles an jeder beliebigen Stelle seines Werkes aufweisen ließen. Uns geht es aber hier nicht um
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ein äußerliches historisches Sammeln von Daten, die man zusammenzählen kann, um dann quantitativ den sogenannten „Einfluß6' des Aristoteles auf Hegel festzustellen. Wichtig ist etwas ganz anderes. Wichtig ist das bewegende Prinzip der Hegelschen Philosophie. Wichtig ist die Frage, ob dieses Prinzip mit Aristoteles etwas zu tun hat. Hegels Philosophie ist seit der „Phänomenologie des Geistes" in ihrer Totalität eine Darstellung des absoluten Geistes. Der absolute Geist ist bei Hegel nicht irgendein isoliertes Phänomen, das man abgetrennt von anderen Phänomenen - also etwa den Phänomenen der Natur, der Geschichte, des Rechtes und der Sittlichkeit - als eine Sache für sich selbst betrachten könnte. Hegel lehrt vielmehr, daß Alles, was überhaupt ist, sofern es in seiner Wirklichkeit aufgefaßt wird, eine Gestalt des absolute11 Geistes ist, in der er sich selbst in einem Modus seiner Entäußerung begreift. Alles, was überhaupt ist, ist auf irgendeine Weise, wenn man es nur in seiner Wahrheit auffaßt, Geist. In dem Werk des Aristoteles, auf das wir uns in diesem Semester konzentrieren wollen, steht der Satz: 6 V U XT~U ov-ca nLoS EOTLV X O L Y T C L ~ ~ - „die Seele ist auf irgendeine Weise das Seiende in seiner Gesamtheit" (111, 8, 431 b 21). Das Wesen der Seele tritt in ihrer höchsten . werden Gestalt hervor. Sie trägt bei Aristoteles den Namen v o 5 ~Wir uns darum bemühen müssen zu verstehen, was dieses Wort bedeuten soll. Hegel übersetzt es mit „Geist". Also ergibt sich, da8 auch Aristoteles, im Sinn von Hegel interpretiert, gelehrt hat: der Geist ist auf irgendeine Weise das Seiende. Es wird sich im Lauf der Vorlesung herausstellen, daß dieser Satz bei Aristoteles etwas gänzlich anderes bedeutet als die scheinbar genau entsprechende Lehre von Hegel. Trotzdem sehen wir auf den ersten Blick, wie zentral der Zusammenhang ist, der zwischen der Lehre des Aristoteles und der Lehre von Hegel besteht. Ich habe durch diesen Hinweis zugleich schon begründet, weshalb wir den Zugang zum Verständnis des Aristoteles 22 Die Akzentsetzung an dieser Stelle folgt kcinem der von GP benutzten Textc. Sie ist handschriitlich verbessert, muß sich also bewußt von der Akademie-Ausgabe, der kommentierten Ausgabc von Sir David Ross und der Ausgabe mit Übersetzung von Robert D. Hicks, Aristotle De Anima, Cambridge: üiliversity Press, 1907, unterscheiden: Bekker: fi 11n~xfiT& ovta JGLUS Eo-ct n&v-ca. ROSS: +uxfi tor ON, „S ~ B T zL a v - c ~ . Hicks: fi ikvxfi T& o w a m b q Fo-ctv n&v-ca. . .
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gerade von dem in der heutigen Forschung vernachlässigten Werk „Uber die Seele" her suchen wollen. Kein Mensch weiß heute, was man sich bei dem Wort „Seele" eigentlich denken soll. Die Psychologie ist eine der beliebtesten Modewissenschaften. Aber Sie können suchen, solange Sie wollen: Sie werden keinen Psychologen finden, der Ihnen den Namen „Psychologie" erklären kann. Von Platon bis Hegel bezeichnet das Wort V U X -~ die Seele - den Bereich, in dem sich das Wirkliche in seiner Wahrheit zeigt. In der Sprache von ICant bedeutet dies: I()wx~~ ist das transzendentale Subjekt. Deshalb ist im Zeitalter der europäischen Metaphysik die Frage nach dem Wesen der Wahrheit von der nach dem Wesen der Seele nicht zu trennen. Nur weil das Werk „Uber die Seele" ebenso wie Hegels Philosophie des absoluten Geistes eine Untersuchung über das Wesen der Wahrheit ist, konnte Hegel sagen: der wesentliche Zweck einer Philosophie des Geistes sei, den Sinn der aristotelischen Bücher „Uber die Seele" wieder aufzuschließen. Die höchste Gestalt der Seele - Hegel ersetzt den Begriff „Seele" durch den neuzeitlichen Begriff „Bewußtsein" - ist bei Hegel der Geist, bei Aristoteles der voijs. In seiner reinen und vollendeten Wirklichkeit ist der Geist bei Hegel und der v o 6 ~bei Aristoteles nicht endlicher Geist des Menschen sondern Gott. Deswegen sind die Bücher „Uber die Seele" die Vorbereitung zum Verständnis der Theologie des Aristoteles (im)2"II. Buch der „Metaphysik". Mit diesem Hinweis ist das Ziel der Vorlesung bezeichnet, das ich im Sommersemester zu erreichen hoffe. Der systematische Zusammenhang zwischen den Büchern ,,II&ei111vxij<"und „Metaphysik" XI1 ist so stringent, daß der Ausblick auf dieTheologie schon die Interpretation der Bücher „Über die Seele" bestimmen muß. Bei Hegel entspricht der Theologie des Aristoteles die Lehre vom absoluten Geist. Beiden Philosophen ist also gemeinsam, daß die Frage nach dem Wesen der Wahrheit mit der Frage nach dem Wesen Gottes identisch ist. Der Begriff „Seele" beziehungsweise „Bewußtsein" bezeichnet den Horizont, innerhalb dessen das Wesen der Wahrheit als das Wesen Gottes und das Wesen Gottes als das Wesen der Wahrheit sich zeigt. Die damit umrissene Gestalt des Denkens nennt man „Metaphysik". Die Metaphysik erlebt heute ihre große geschichtliche Krise. Es ist uns nicht mehr wie früheren Generationen möglich, ihre Vorausset23 Im Text: „aus dem"
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Zungen, als ob sie selbstverständlich wären, zu übernehmen. Aber was sind diese Voraussetzungen? Solange wir sie nicht zu erkennen und zu identifizieren vermögen, ist es uns auch nicht möglich, uns von ihnen zu emanzipieren. Ein Studium der Bücher „Uber die Seele" ist eine Untersuchung der Voraussetzungen der Metaphysik, die uns in die Lage versetzen soll zu verstehen, was es denn ist, das durch die Krise der Metaphysik heute in Erschütterung gerät. Wir verstehen uns selbst nicht, wenn uns diese Krise nicht durchsichtig wird, und wir verstehen die Krise nicht, wenn wir vergessen haben, was das Wort „MetaphysikL'bedeutet. Das gilt nicht zuletzt auch für die Theologie. Die Theologie hat gleichsam den Boden unter den Füßen verloren, weil sie, in einer Tradition, die schon bei den frühen Kirchenvätern beginnt, mit der Metaphysik scheinbar untrennbar verschmolzen ist. Es ist nicht möglich, in die Dimension vorzustoßen, aus der sich die heutige Krise der Theologie erklärt, wenn man die Krise der Metaphysik nicht versteht. Der Ausblick auf Hegel, den wir jetzt versuchen, soll diese Perspektive sichtbar machen, damit Ihnen verständlich wird, daß es beim Studium des Aristoteles um nichts Geringeres als um eine oberPrüfung der Fundamente unserer eigenen geschichtlichen Existenz geht. Durch die Feststellung des Zusammenhanges, der bei Aristoteles wie bei Hegel zwischen Wahrheit, Seele und Gott besteht, ist gleichsam die Achse bezeichnet, um die sich das Denken von Hegel wie von Aristoteles dreht. Es gilt nun, den Zusammenhang zwischen Hegel und Aristoteles genauer zu bestimmen. Der höchste Begriff der Philosophie von Hegel ist der Begriff der Idee. „Idee" bedeutet bei Hegel nicht eine bloße subjektive Vorstellung; Idee ist vielmehr die Einheit des Begriffs und der Objektivität. Die Ubereinstimmung von Begriff und Objektivität nennt man Wahrheit. Durch den Namen Idee bezeichnet Hegel das Wahre als solches, das Wesen der Wahrheit. Wir gebrauchen das Wort „Wahrheitc' in doppeltem Sinn: einerseits nennen wir unsere Vorstellungen und Gedanken „wahr6',wenn sie mit den Gegenständen übereinstimmen. Andererseits sprechen wir aber auch von der Wahrheit der Gegenstände selbst, der Gegenstände, wie sie „an sich" sind, und unterscheiden diese ihre Wahrheit von der bloßen Erscheinung. Bei Hegel werden diese beiden Bedeutungen des Wortes „Wahrheitc' zusammengefaßt und zur Einheit gebracht. Deshalb kann Hegel in der „Logik" sagen, „daß alles Wirkliche nur insofern ist, als es die Idee in sich hat und sie ausdrückt"
(5,238; 6,464). Was Hegel hier „Idee" nennt, das bezeichnet Aristoteles als Schüler Platons mit dem Namen €?6og. Das ~ ? 6 o ist g nach Aristoteles nicht etwas Ubersinnliches außerhalb des Wirklichen, sondern es ist im Wirklichen selbst als das Ziel, dem dieses zustrebt, enthalten. „Ziel" heißt auf griechisch xiho5, „enthaltenc' heißt FXELV. Deshalb hat Aristoteles die Weise, wie das Wirkliche die Idee in sich enthält, als EV-TE~-EXELU bezeichnet. Hegels Satz, „daß alles Wirkliche nur insofern ist, als es die Idee in sich hat, und sie ausdrückt", ~a. ist eine Paraphrase des aristotelischen Begriffes E v x e h k ~ ~ Die Form, wie Hegel das Wesen der Wahrheit begreift - die Idee -, ist aus der Philosophie des Aristoteles übernommen. Sie werden nach diesen Erläuterungen die Definition der Idee verstehen, die Hegel an die Spitze des letzten Abschnittes der „Logik" gestellt hat. Dieser Abschnitt, in dem die „Logik" ihren Gipfel erreicht, tragt die Uberschrift „Die Idee". Die Definition der Idee heißt: „Die Idee ist der adäquate Begriff, das objektive Wahre oder das Wahre als solches. Wenn irgend etwas Wahrheit hat, hat es sie durch seine Idee, oder etwas hat nur Wahrheit, insofern es Idee ist. " (5,236; 6,462) Der Abschnitt über die Idee erreicht seinen Höhepunkt, und damit den Höhepunkt des ganzen Werkes, im dritten Kapitel: „Die absolute Idee". Die absolute Idee ist die Wahrheit Gottes. Wenn Idee überhaupt die Einheit des Begriffes und der Objektivität ist, so muß die absolute Idee die Einheit der Subjektivität als solcher und der Objektivität als solcher sein. Als Einheit von Subjektivität und Objektivität ist sie „freie, allgemeine ldentitut mit sich selbst" (5, 326; 6,548). Nachdem dieses Ziel erreicht ist, kann Hegel sagen: „In diesem Resultate ist hiermit das Erkennen hergestellt und mit der praktischen Idee vereinigt; die vorgefundene Wirklichkeit ist zugleich als der ausgeführte absolute Zweck bestimmt, aber nicht wie im suchenden Erkennen bloß als objektive Welt ohne die Subjektivität des Begriffes, sondern als objektive Welt, deren innerer Grund und wirkliches Bestehen der Begriff ist. Dies ist die absolute Idee." (5, 327; 6,548) In diesem Satz wird IhnenVieles unverständlich sein, auf dessen Erklärung ich mich hier nicht einlassen kann. Ich gebe nur den einen Hinweis, daß Sie das von Hegel gesperrte Wort „Erkennenc'hier, wo von der absoluten Idee die Rede ist, nicht in dem subjektiven Sinn verstehen dürfen, in dem uns dieses Wort sonst geläufig ist. Erkennen bezeichnet als a b s o l ~ ~ tErkennen es das sich selbst Begreifen des absoluten Geistes, also Gottes, in seiner voll ans Licht getretenen
Wahrheit. Daß Gott die Wahrheit seines eigenen Wesens darin erreicht, daß er sich selbst erkennt, ist Hegels Interpretation des Gottesbegriffes von Aristoteles. Aristoteles zeigt in seiner Theologie, daß der Begriff voüg, wcnn er das Wesen Gottes ausdrücken soll, nicht passiv sondern aktiv, also als Handlung des Erkennens, als vbqo~g,gedacht werden muß. Der Inhalt der höchsten Erkenntnis kann aber nichts anderes sein als ihr eigenes Wesen, also die höchste Erkenntnis selbst. Deshalb ist das Wesen Gottes nach Aristoteles ~O'ylo~g VO~~OEL -OErkenntnis ~ der Erkenntnis; in die Sprache Hegels übersetzt: sich selbst Begreifen des absoluten Geistes in seiner eigenen Wirklichkeit und Wahrheit, absolute Idee. Wie der Begriff der Idee überhaupt, so ist auch der Begriff der absoluten Idee eine Aristoteles-Paraphrase. Genauer wird nun der Begriff der absoluten Idee zu Beginn des dritten Kapitels als „die Identität der theoretischen und der praktischen" Idee bestimmt (5,327; 6,548). Die ganze Theorie-Praxis-Diskussion, die heute so viel Wirbel macht, ist erst dadurcb möglich geworden, daß Hegel die absolute ldee als Identität von Theorie und Praxis bestimmt hat. Mit diesen] Begriff des Absoluten ist auch für die Denkrichtungen, die ihn verleugnen, und die ihr Selbstbewußtsein auf die Negation des Absoluten stützen, die Perspektive festgelegt. Denn wenn man glaubt, die Gesamtheit dessen, was wirklich ist, durch das jeweilige Wechselverhältnis von Theorie und Praxis beschreiben zu können, setzt man voraus, daß diese Wirklichkeit als solche in irgendeiner Form der Synthesis von Theorie und Praxis ihre geschichtliche Wahrheit hat. Man schließt alle anderen Aspekte, unter denen das Wirkliche sich vielleicht zeigen und für menschliches Bewußtsein relevant werden könnte, aus. Man setzt das Verhältnis von Theorie und Praxis absolut, und da man dies nicht nur theoretisch behauptet, sondern auch faktisch praktiziert, ist es im Vergleich zu dieser Faktizität irrelevant, ob man die absolute Idee zugleich negiert oder nicht. Auch der Marxismus steht unter der Herrschaft von Hegels absoluter Idee, und diese Idee setzt sich umso zwingender durch, je klarer sich marxistisches Denken auf das so oft verleugnete Gesetz, nach dem es angetreten, nämlich die Dialektik, besinnt. Es ist deshalb eine höchst zeitgemäße Frage, wieso, das heißt aus welchem Grund und auf welche Weise, bei Hegel die absolute ldee (= Gott) als Synthesis von theoretischer und praktischer Idee gedacht wird. Auch diese Frage führt uns wieder auf Aristoteles zurück.
das Werk. Deshalb sagt er, daß in allen diesen Fällen die EvE~yeia
1. Der Begriff der Wirklichkeit Die absolute Idee ist nach Hegel die Einheit der objektiven Welt und ihres inneren Grundes. Diese Einheit ist die Wahrheit des Wirklichen: die Wirklichkeit. Wir pflegen uns bei dem Wort „Wirklichkeit" nicht viel zu denken. Nur wenige wissen, daß die deutsche Mystik iin 14. Jahrhundert dieses deutsche Wort geprägt hat, um den aristotelischen Begriff CvE~ysiazu übersetzen. Aber Hegel hat den Begriff „WirklichkeitL' bewußt und mit strenger Konsequenz in diesem ursprünglichen Sinne gebraucht. Bei ihm bedeutet „Wirklichkeit" EvE~ys~a. Deswegen müssen wir versuchen, einen ersten Vorbegriff davon zu gewinnen, was das Wort Evk~ysiabei Aristoteles bedeutet. Sie werden später sehen, wie wichtig dieses Wort für das Verständnis seiner Lehre von der Seele ist. Ich gehe aus von einer Stelle aus dem IX. Buch der „Metaphysik": .c6 y o l ~Eeyov .cEhos, fi bi: EvEeysla ~6 F~yov(616 nai .co6vopa Evk~ysiah i y e ~ axaad ~ TO E~yov)nai ouv.ceiv~lxeds n)v Ev~shE~etav. - „Das Werk ist das Ziel; die Evi~ysia aber ist das Werk (weshalb auch das Wort Evk~yslaim Hinblick auf das Werk ausgesprochen wird = gebildet ist), und sie spannt sich hin auf die Entelechie." (1050 a 21ff.) Das ist ein Satz, der auf den ersten Blick ebenso schwer verständlich ist wie ein Satz von Hegel. Aber er spricht einen einfachen Gedanken aus, den wir uns Schritt für Schritt klarmachen wolleii. a. ( L l o i r p und ~~ z~agig)
- man könnte ubersetzen: das Im-Werk-Sein, also die „Wirklichkeit" - in dem, was hergestellt worden ist, liegt.
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T6 yue E~yov.cEhos - „das Werk ist das Ziel". Auf uiibestimmte Weise versteht jeder, daß das Werk immer das Ziel der Handlung ist, die das Werk vollbringt. Aber Aristoteles hat diesen Gedanken auf eine sehr bestimmte Weise gefaßt: er unterscheidet nämlich, wie wir Met. 1050 a 30ff. erfahren, zwei Grundformen, in denen sich ein Handeln auf sein Werk und damit zugleich auf sein Ziel beziehen kann: - Es gibt Handlungen, bei denen ein Werk herauskommt, das, wenn es vollbracht ist, als etwas Selbständiges und Anderes neben dem Handeln steht. Wenn ein Tischler einenTisch herstellt, dann ist das Werk in dem Augenblick vollbracht, wo der Tisch als ein fertiges Ganzes dasteht und nicht mehr der Tätigkeit des Tischlers bedarf, um ein Tisch zu sein. Nun hatte Aristoteles gesagt: die Cvk~yelaist
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- Es gibt aber eine andere Grundform von Handlungen, bei denen
nicht ein anderes und selbständiges Werk neben dem Handeln selbst herauskommt. Als Beispiel nennt Aristoteles das Sehen. Das Sehen ist das Werk des Auges. Aber es steht nicht selbständig neben der Tätigkeit des Auges, sondern ist in dieser Tätigkeit enthalten. Ein zweites Beispiel ist das geistige Schauen, die Theorie. Für die Griechen war Theorie nicht das abstrakte Resultat der Forschung; Theorie war nicht das, was in den Büchern steht, sondern Theorie war die Handlung des Erkennens als solche. Die Handlung des Erkennens hat ihre Wirklichkeit auch nicht in dem vermeintlichen Produkt - also dem Lehrbuch oder der Abhandlung -, sondern ihre Wirklichkeit, das heißt ihr Im-Werk-Sein, liegt im Erkennen selbst, und nur wo - wie wir nun sagen können - „wirklich" erkannt wird, ist der Begriff der „Theoriec' am Platze. Ein drittes Beispiel, das Aristoteles an dieser Stelle nennt, wird für uns noch sehr wichtig werden. Es ist das Leben. Das Leben ist ebenfalls kein Produkt, das sich vom Vollzug des Lebens ablösen ließe. Auch beim Leben ist das Werk im Vollzug selbst enthalten. Was aber ist das Organ des Lebens, so wie das Organ des Sehens das Auge war? Aristoteles nennt es ~ I I X Sie ~ . sehen schon jetzt, daß es falsch ist, V U X mit ~ „SeelecLzu übersetzen. Die Bücher „De anima" handeln vom Organ des Lebens, sie handeln damit vom Leben als solchem. Deswegen ist auch bei Hege1 der Begriff der Wirklichkeit stets mit dem Begriff des Lebens verbunden. Jene Handlungen, bei denen das Werk als etwas Anderes und Selbständiges außerhalb der Handlung liegt, bezeichnet Aristoteles mit dem Oberbegriff zoiqoig. Die lateinische Übersetzung dieses Wortes heißt „Produktion". Jene Handlungen, bei denen das Werk in der Handlung selbst enthalten ist, bezeichnet Aristoteles mit dem Oberbegriff n ~ ü E iAuch ~ . die Theorie ist also nach Aristoteles eine Form der x ~ ü E ~Sie s . ist sogar die höchste Form der n ~ a g l s Beide . aber, Theorie wie Praxis, sind Formen des Lebens. ~ .cEhog gilt für beide Formen der Handlung. Der Satz .c6 y u Eeyov Das Werk ist das Ziel der Produktion. Das Werk ist, wie wir an den Beispielen des Sehens, der Theorie und des Lebens gesehen haben, aber auch das Ziel der Praxis. Nun zeigt Aristoteles, daß nicht nur
bei Menschen sondern in allem organischen Leben das, was wir das Wirkliche nennen können, auf diese beiden Grundformen zurückgeführt werden kann: also sind n o i q o t ~und X ~ ~ Sdie L beiden S Grundformen der Wirklichkeit im Bereich des organischen Lebens überhaupt. Sie sehen, wieviel substantieller Produktion und Praxis hier begriffen werden als in der Mehrzahl jener sogenannten „Theorien", die heute darüber im Umlauf sind.
6. ( 'EvEpyria und z v z ~ ? d ~ ~ ~ a ) 'H bi: EvEeyeta zb Feyov . . . ilai o u v z ~ i vneo5 ~ ~ zfiv F Y L E ~ ~ X E -L ~ Y „das Im-Werk-Sein ist das Werk und spannt sich in Richtung auf die Entelechie". Hier muß zuerst das Wort EVTEAEXEL~erklärt werden. - sind Neubildungen des AriBeide Worte - EYTE~EXELCIwie EvE~ye~a stoteles. Sie sind Kunstworte, und wir lernen aus diesem Satz, daß sie in einem strengen Zusammenhang stehen. Im etymologischen a Wörterbuch von Frisk können Sie lesen, das Wort F v t ~ h k x ~sei~ aus Evz~hkgund EXELV zusammengebildet 24. Unser Satz zeigt, daß diese Erklärung falsch ist. Wenn EvE~yeia,wie Aristoteles uns in der Klammer selbst erklärt, nach dem Wort Eeyov gebildet ist, so muß entsprechend Evt~hixetanach dem Wort .tkhog gebildet sein. 'Ev-zsh-k~~ta ist also ein Zustand, der das Ziel in sich enthält, so wie E v - E Q ~ Eals L~, n e ü t i ~gefaßt, ein Zustand ist, der das Werk in sich enthält. Zwar sagt Aristoteles, das Werk ist (das) Ziel. Aber bei jenen Tätigkeiten, die das Werk in sich enthalten, kann das Ziel besser oder schlechter erreicht werden. Man kann trübe oder klar sehen. Noch deutlicher ist der Unterschied beim Leben; denn Aristoteles sagt an der schon zitierten Stelle, der Zustand, in dem das Leben sein Ziel in sich enthält, sei die Eudaimonia, die „Glückseligkeit". (Sie sehen daraus, wie der Begriff der Glückseligkeit in der späteren Philosophie, auch bei Kant, mißdeutet und entwurzelt worden ist.) Nun hat aber der Begriff der E Y L E ~ E X E Lbei ~ Aristoteles eine ontologische Bedeutung. Jedes lebendige Wesen erreicht sein Ziel in dem Zustand, in dem seine im Lebensvollzug intendierte Gestalt rein hervortritt. Erst dann gelangt es, wie wir auch heute noch sagen können, in seine Wirklichkeit. Erst dann zeigt es sich so, wie es in Wahr24 Hjalmar Frisk, Griechisches Etymologisches Wörterbuch, Heidelberg: Carl Winter, 1960, Bd. I, 524.
heit ist. Diese reine Wesensgestalt nennt Aristoteles, wie Platon, ES SO^. Aristoteles hat aber an Platon immer kritisiert, daß bei ihm nicht klar würde, in welcher Form das Sinnliche am reinen ~S605 Anteil hat. Die Begriffe EvE~yetaund Evzehkxeia bezeichnen seinen Versuch, dieses Problem zu lösen. Das ~ ? S o qist der Zustand, das Ziel in sich zu haben, dem der Lebensvollzug, weil er Praxis, also EVEQ~ELCXist, zustrebt. Auch die unvollkommene Praxis hat immer schon die Struktur der EvE~ysta.Sie trägt das Werk, das sie vollbringt, in sich selbst. Aber zu jeder Form der Praxis gehört auch das Streben, dieses Werk immer besser zu vollbringen, es deutlicher hervorzuarbeiten. Die Praxis ist also allein schon dadurch, daß sie Praxis, daß sie Vollzug ist, auf ein in ihrer eigenen Struktur vorgezeichnetes Ziel gerichtet und strebt danach, dieses Ziel zu erreichen ~ ' U Y T E ~ Y EZQOS L zfiv Evz~hEx~iav. Dieses Ziel ist aber sein eigenes EZSOS.Deshalb enthält jeder Vollzug, rein dadurch, daß er Vollzug ist, daß er Bewegung ist, die einem Ziel zustrebt, in sich sein ~ S f i o ~ . Das ist die aristotelische Lösung des Verhältnisses zwischen Sinnlichem und Idee. Nebenbei sei angemerkt: diese Lehre des Aristoteles ist in allen ihren Bestandteilen in der platonischen Lehre enthalten. Neu sind die Worte, nicht der Gedanke. Aber jener Bereich, den Platon bei seiner Ideenlehre vor allem im Auge hatte, fällt in der aristotelisclien Lehre aus: die Mathematik. Mit dem Begriff der E Y Z E ~ ~ X läßt E L ~ sich nicht erklären, was Platons fundamentales Problem war: warum die Natur mathematischen Gesetzen gehorcht. Die Mathematik der Naturgesetze läßt sich mit Hilfe des Begriffs der EYTEAEXEL~nicht erklären. Es läßt sich nicht erklären, warum die Materie Strukturen hat und Gesetzen gehorcht, die wir rein noetisch als Mathematik darstellen können. Kant hat die mathematische Erkenntnis nicht aus dem Begriff, in dem wir das ESSOSerfassen, sondern aus der Konstruktion in der reinen Anschauung erklärt. Schellings Begriff der Konstruktion und der intellektuellen Anschauung führt Kants Erklärung der Bedingung der Möglichkeit von mathematischer Erkenntnis weiter und erhebt die Konstruktion zur Grundform der Erkenntnis von Wahrheit überhaupt. Von diesem Ansatz aus hätte sich eine Naturphilosophie aufbauen lassen, die von der mathematischen Struktur der Materie ausgeht, also eine Synthese von Leibniz und Kant. Daß Hege1 intellektuelle Anschauung und Konstruktion eliminierte und in seiner Lehre vom Begriff Aristoteliker wurde, hatte unter anderem
auch die Folge, daß sich die mathematische Struktur der Physik der Dialektik des Begriffes entzog. Im nächsten Schritt ergab sich dann bei Marx, daß sein Materialismus „historisch" bleibt, und die Materie, das heißt die Mathematik, nicht erreicht.
Um den Zusammenhang zwischen Hegel und Aristoteles zu verstehen, müssen wir noch einen nächsten Schritt vollziehen. Es geht um das Wesen des Begriffes. Ein Begriff ist zum Beispiel das Wort „Buch". Wenn ich sage: dieses hier ist ein Buch, dann weise ich durch das Pronomen „dieses hier" auf den vor mir liegenden Gegenstand. Durch das Wort „Buch" hingegen bezeichne ich den Inbegriff jener Merkmale, die diesen Gegenstand als ein Buch konstituieren. Der Satz: „dieses hier ist ein Buch", ist wahr, wenn sich die Merkmale, die einen Gegenstand als Buch charakterisieren, an diesem Gegenstand aufweisen lassen. Lassen sie sich nicht aufweisen, so ist der Satz falsch. Der Inbegriff der Merkmale, die das Buch als Buch charakterisieren, ist aber nichts anderes als sein E ? ~ O Deswegen S. könfeststellen, daß das Wort nen Sie in vielen~ristoteles-~bersetzungen EZSOSdurch „Begriff übersetzt wird. Ich will diese Ubersetzung hier nicht diskutieren und die Mißverständnisse, die darin enthalten sind, auf sich beruhen lassen. Nur auf Eines muß hingewiesen werden. In der formalen Logik ist der Begriff ein Teil der Aussage, also ein Zeichen. Das sS6og hingegen ist das, was durch dieses Zeichen - in unserem Beispiel durch das Wort „BuchL'-bezeichnet wird. Der logische Begriff soll mit dem bezeichneten Gegenstand übereinstimmen. Beim E ? ~ O Sist es umgekehrt: hier soll der Gegenstand mit dem EZSOS übereinstimmen. Wenn eine Rose sich entfaltet und blüht, so gelangt sie zur Übereinstimmung mit dem E Z ~ O S „Rose", aber nicht zur Ubereinstimmung mit dem logischen Begriff, für den wir das Wort „Rose" als Zeichen einsetzen. Wir verdeutlichen uns das selbe an dem Beispiel „Buch". Wären nur leere Blätter zusammengebunden, so wäre dieses hier noch kein Buch. Irgendwie gehört der Inhalt dazu. Nun könnte es sein,'daß in diesem Band verschiedene Aufsätze zusammengebunden sind, die gar nicht für ein Buch geschrieben, sondern nur äußerlich zusammengefaßt sind. Man nennt so etwas eine „Buchbinder-Synthese". Dann wäre in einem äußerlichen Sinne die Aussage: „dieses hier ist ein Buch", zwar wahr, aber in
„Wirklichkeit" wäre es eben doch kein Buch. Ein Buch kommt dadurch zustande, daß sich ein Autor vornimmt, ein Buch zu schreiben. Das kann ihm besser oder schlechter, es kann ihrn gut oder überhaupt nicht gelingen. Die Mehrzahl der Bücher, die gedruckt werden, sind mißratene Bücher. Es werden zwar Seiten gefüllt, aber es kommt keine Einheit zustande. Erst wenn der Inhalt eine Einheit bildet, ist das Buch wirklich das, was seine äußere Gestalt beansprucht und verspricht. Dann ist das Buch ein Produkt, das, wie Aristoteles sagt, die Evieyeta des Produzierens in sich enthält. Sie sehen, nachdem wir uns dieses Beispiel klargemacht haben, vielleicht deutlicher, daß hier nicht das ~260sdem Gegenstand sondern der Gegenstand dem EZSOSadäquat sein soll. Ubersetzen wir E S ~ O Snun als „Begriff", so ergibt sich der schon zitierte Satz aus Hegels „Logikt': „Die Idee ist der adäquate BegrifS, das objektive Wahre oder das Wahre als solches. Wenn irgend etwas Wahrheit hat, hat es sie durch seine Idee, oder etwas hat nur Wahrheit, insofern es Idee ist." (5, 236; 6, 462) Nur vom Begriff der Eviey~laher Iäßt sich der schon zitierte Satz von Hegel erklären, „daß alles Wirkliche nur insofern ist, als es die Idee in sich hat und sie ausdrückt" (5,238; 6,464). Mit dem Hinweis, daß die zitierten Sätze von Hegel sich Wort für Wort als Aristoteles-Paraphrase interpretieren lassen, ist der Gehalt dieser Sätze noch nicht erschöpft. Hegel hat den Versuch gemacht, die gesamte Lehre des Aristoteles auf dem Boden von Kants transzendentaler Logik zu interpretieren. Man kann die Logik Hegels als eine Synthese der transzendentalen Logik von Kant und der Ontologie des Aristoteles lückenlos darstellen. Hier fehlt uns aber die Zeit, um auf die kantischen Momente in Hegels Lehre vom Begriff einzugehen. d. ( N 6 q o i voijo~wq~ der aristotelische Gotteshegriff) 'Evi~y~ ist,~ wie a wir sahen, eine Praxis, also ein Handeln, das sein Werk in sich selbst trägt; vollkommen ist dieses Handeln dann, wenn es sein Ziel erreicht und in den Zustand der Ev-c~hExslagelangt. Alle Praxis ist ein Vollzug von Leben. Alles, was lebt, hat nach Aristoteles 9 ~ x 4 Nun . begegnet uns WVX.II in der Natur auf verschiedenen Stufen. Die Quxfi eines Tieres zeigt das, was Vvxfi überhaupt ist, in höherer und reicherer Entwicklung als eine Pflanze. Die höchste Stufe des Lebens und damit die höchste Stufe der E v k g y ~ ~überhaupt a ist
nach Aristoteles die v o q o i ~ also , jener Vollzug, in dem das höchste , Werk in sich selbst trägt und Erkenntnisvermögen, der ~ 0 6 5 sein erreicht die voqotc, dadurch sein vo6~-Seinerfüllt. Ihre Bvt~hEx~ia wenn sie Vollkommenes erkennt. 1st die v b q o t ~selbst die höchste Form der Wirklichkeit, so ist das reine Erkennen des reinen Erkennens, die voqotg vofio~og,die Wirklichkeit des Wirklichen schlechthin. Das ist, wie wir schon sahen, der aristotelische Gottesbegriff. Wenn wir von hier aus Hegel begreifen wollen, müssen wir noch einmal rekapitulieren, was wir über das Verhältnis von E ~ T E ~ E X E L und CI ESKOS festgestellt haben. Wenn ~ O ~ O die L S höchste Stufe ist, auf der das, was Leben überhaupt sein kann, zur Entfaltung gelangt, so ist voqois das €&6oSvon Leben überhaupt, das Leben an sich, das reine, unvermischte Leben. Diese höchste Stufe wird aber nur dort erreicht, wo vOqo~5ihr eigenes ~1605erfaßt, wo sie voqots V O ~ O E L O S wird. Hegel übersetzt E?SOSals „Begriff, also ist v o q o t ~vo4oso< das sich selbst Begreifen des Begriffes. Sieht man genauer zu, so stellt sich heraus, daß in dem nun zweimal auftretenden Wort vbqots weder das Eine noch das Andere als ~1605 der voqotq bezeichnet werden kann. Das eS605 ist vielmehr die Identität, die beides zu einem und demselben macht. Diese Identität nennt Hegel die „absolute Idee". Gott ist das ~2605der voqoig - er ist die Wahrheit von Wirklichkeit und Leben. Die Form, wie hier Begriff, Wirklichkeit, Leben und Idee ineins gesetzt werden, ist aus der Vorgeschichte dieser Begriffe in der neuzeitlichen Philosophie nicht abzuleiten; sie ist rein aristotelisch. Auf Aristoteles muß man auch zurückgreifen, wenn man den bereits zitierten Satz verstehen will, der die Wahrheit der absoluten Idee charakterisiert: „Die vorgefundene Wirklichkeit ist zugleich als der ausgeführte absolute Zweck bestimmt." (5,327; 6,548) Daß „Wirklichkeit" und „ausgeführter absoluter Zweck" identisch sein sollen, begreift man nur, wenn man entdeckt, daß Wirklichkeit als EvEeyeia und der ausgeführte absolute Zweck als 6 v t ~ h E x ~gedacht ia werden. u k v t ~ h E x ~ i Das a. In Gott ist nach Aristoteles die 6 v S ~ y r ~immer eben ist die absolute Idee. Unaristotelisch ist in diesem Satz nur das eine: daß Hegel von der vorgefundenen Wirklichkeit spricht. Hier liegt ein Bruch vor, der auf einen verborgenen Trug in der Synthese zwischen aristotelischer Ontologie und Kants transzendentaler Logik verweist.
e. (Die absolute Idee) I
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Die absolute Idee wird von Hegel, wie wir gesehen haben, als die Jdentitat der theoretischen und der praktischen" (Idee) bestimmt. Diese Bestimmung der absoluten Idee enthält Hegels Losung des von Kant gestellten und von Fichte nicht bewaltigten Problems der Synthesis von theoretischer und praktischer Vernunft. Kant hat das theoretische Vernunftvermogen in der „Transzendentalen Logik" der „Kritik der reinen Vernunft", das praktische Vernunftvermögen in der „Kritik der praktischen Vernunft" untersucht. Er hat gezeigt, daß theoretische und praktische Vernunft, Kausalität und Freiheit, sich ohne Widerspruch nebeneinander denken lassen; aber er hat in diesen beiden Werken die Antinomien zwischen theoretischer und praktischer Vernunft nicht aufgelost; er hat sie durchsichtig gemacht. Erst in der „Kritik der Urteilskraft" stellt er die Frage nach dem „Grund der Einheit des Übersinnlichen, welches der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsbegriff praktisch enthalt" 2 5 . Das ~ b e r s i n n liche, welches der Natur zum Grunde liegt, nennt Hegel die theoretische Idee. Das Ubersinnliche, was der Freiheitsbegriff praktisch enthält, nennt Hegel die praktische Idee. Aus dem von Kant gesuchten Grund der Einheit dieser beiden Ideen wird bei Hegel die absolute Idee als die Identitat der theoretischen und der praktischen Idee. Es sieht also zunächst so aus, als hätte diese Bestimmung der absoluten Idee mit Aristoteles nichts zu tun. Sie Iäßt sich, so scheint es, von Kant her entwickeln. Nun haben wir aber gesehen, daß Hegels Lösung des von Kant gestellten Problems erst dadurch möglich wird, daß er in die absolute Idee Bestimmungen aufnimmt, die sich aus Kant nicht ableiten lassen, sondern aus Aristoteles gewonnen werden. Die absolute Idee ist Wirklichkeit, Leben, ausgeführter absoluter Zweck, sich selbst Begreifen des absoluten Geistes in seiner Wahrheit. Nur weil die absolute Idee das alles ist, und zwar als Einheit ist, enthält sie nach Hegel die Lösung des Problems der Transzendentalphilosophie. Sollen diese Bestimmungen nicht eine äußerliche Addition darstellen, durch die, eben weil sie äußerlich ist, nichts erkannt wird, so müssen sie sich alle als die verschiedenen Dimensionen eines einzigen Gedankens entwickeln lassen. Soll die 25 Kritik der Urteilskraft, Einl. 11, X X ; 5 , 176. Kant wird nach der Akademie-Ausgabe ziticrt.
absolute Synthesis von Theorie und Praxis in diesem Gefüge ihren Platz haben, so muß sie sich aus diesem selben Zusammenhang ohne Bruch entfalten lassen. Wir brauchen keine neuen Gedanken einzuführen, um das so gestellte Problem auflösen zu können. Wir haben bereits gesehen, daß der Begriff E V E Q ~ E L Ubei Aristoteles die Grundverfassung von ~ Q C & , L ~ überhaupt bezeichnet, insofern n ~ a t ein ~ gVollzug ist, der sein Werk von in sich selbst enthält. Wir haben auch gesehen, daß die 8&w@ia 515 wird, und daß die Aristoteles als eine Form der ~ ~ ~ 6 interpretiert höchste Form der 8&w@ia, nämlich die V ~ I I Oals L ~die , F V F Q ~ E GotL~ tes - in der Sprache Hegels: als die Wirklichkeit des absoluten Geistes - ausgelegt wird. Die Ubernahme der aristotelischen Ontologie und Theologie gibt also Hegel in der Tat die Möglichkeit, seinen Gottesbegrifl so zu entwickeln, daß in ihm die vollkommene Identität der höchsten Praxis und der höchsten Theorie erreicht wird. Man kann sich vorstellen, wie Hegel in der Theologie des Aristoteles die Lösung für das Problem zu entdecken glaubte, an dem Fichte und, nach Hegels Meinung, auch Schelling gescheitert waren. Ich bin persönlich davon überzeugt, daß die aristotelische Wendung bei Hegel durch die Wiederbegegnung mit dem Gottesbegriff des Aristoteles ausgelöst wurde. Hegel hat dabei freilich sich selbst darüber betrogen, daß der Begriff der Freiheit, wie er von Kant gedacht worden ist, in Dimensionen führt, die dem griechischen Denken verschlossen waren. Ihr Horizont ist die christliche Eschatologie. Ich kann dies hier nicht ausführen, sondern verweise dazu auf eigene frühere Arbeiten: den Aufsatz über „Die Reformation als Auftrag und Wagnis" und die Skizze „Der Sinn der Unterscheidung von Theorie und Praxis in der Philosophie der N e ~ z e i t " ~Schelling ~. hat nach dem Erscheinen der „Phänomenologie des Geistes" alsbald bemerkt, was die Hegelianer bis heute nicht einsehen wollen: daß Hegel in seinem Begriff der Praxis die Dimensionen der Freiheit verkürzt hat. Dies zu zeigen, ist der Sinn seiner in theosophischer Sprache verfaßten und deshalb schwer zu interpretierenden Schrift „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlicheil Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände". Die Schrift erschien im Jahre 1809, also zwei Jahre nach der „Phänomenologie des Geistes". Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, Stuttgart: Klett, 1969, 163-182 und 135-140.
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2. Der Begriff des Absoluten Wir haben bisher nur eine Seite der absoluteii Idee ins Auge gefaßt: wir haben von Aristoteles her aufzuklären versucht, was es bedeutet, wenn Hegel von der Wirklichkeit der absoluten Idee als Identität der theoretischen und der praktischen Idee spricht. In eine andere Dimension der selben Wirklichkeit verweist die schon zitierte Bestimmung, daß in der sich wissenden Wahrheit der absoluten Idee die Wirklichkeit sich zeigt „als objektive Welt, deren innerer Grund und wirkliches Bestehen der Begriff ist" (5,327; 6,548). Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Begriff der Wirklichkeit und dem Begriff des „inneren Grundes"? Griechisch gesprochen: was hat $vk@ye~a mit ai-cicx oder Or~xfizu tun? Wie kommt das Denken überhaupt dazu, wenn es die Wirklichkeit erfassen soll, nach so etwas wie ihrem Grund zu fragen?
a. Das Absolute als Grund Martin Heidegger hat im Jahre 1929 seine Freiburger Antrittsvorlesung über das Thema gehalten: „Was ist Metaphysik?" Die Vorlesung schließt mit der Frage: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?" Später hat er die Vorlesung durch ein Nachwort und eine Einleitung ergänzt, die diese Frage erläutern sollen 27. In der Einleitung geht er von einem Brief des Descartes an Picot aus: „So ist die ganze Philosophie wie ein Baum; seine Wurzeln sind die Metaphysik, der Stamm ist die Physik und die Zweige, die aus dem Stamm hervorgehen, sind alle übrigen Wissenschaften." 28 Auf dieses Zitat folgen bei Heidegger die Sätze: „Wir fragen, um bei diesem Bild zu bleiben: In welchem Boden finden die Wurzeln des Baumes der Philosophie ihren Halt? Aus welchem Grunde empfangen die Wurzeln und durch sie der ganze Baum die nährenden Säfte und Kräfte? Welches Element durchwaltet, im Grund und Boden verborgen, die tragenden und nährenden Wurzeln des Baumes? Worin ruht und regt sich das Wesen der Metaphysik? Was ist die Metaphysik von 27 Martin Heidegger, Wcgmarkcn, Gesamtausgabe, 9, Frankfurt: Klostermann, 1976, 122; Nachwort und Einleitung a. a. O., 303ff. und 365ff. Charles AdamIPaul Tannery (Hrsg.), (Euvres de Descartes, Paris: Librairie Philosophique J. Vrin, 1867-1910, Bd. IX, 2, 14.
ihrem Grund her gesehen? Was ist im Grunde überhaupt Metap h y ~ i k ? "Daraus ~ ~ ergibt sich der Sinn der Frage: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?" Das Wort „warum" bedeutet: aus welchem Grunde? In der Struktur der Metaphysik ist dem Denken nicht nur vorgezeichnet, daß es, was ist, von seinem Grund her zu begreifen versucht; es ist dem Denken zugleich ein bestimmtes Vorverständnis vom Wesen des Grundes vorgezeichnet. Die Fragwürdigkeit dieses Vorverständnisses vom Wesen des Grundes hat Heidegger in seiner Abhandlung „Vom Wesen des Grundes" und in seinem Buch „Der Satz vom Grund" erörtert. Heidegger ist nicht der Erste gewesen, der die am Schluß von „Was ist Metaphysik?" gestellte Frage formuliert hat: bei Leibniz in den „Principes de la nature et de la griice" steht: „Die erste Frage, die man zu stellen ein Recht hat, wird heißen: warum gibt es eher Irgendetwas als N i ~ h t s ? ' Und ' ~ ~ in der ersten Vorlesung der „Philosophie der Offenbarung" von Schelling steht: „Weit entfernt. . ., daß der Mensch und sein Thun die Welt begreiflich mache, ist er selbst das Unbegreiflichste, und treibt mich unausblciblich zu der Meinung von der Unseligkeit allen Seyns, einer Meinung, die in so vielen schmerzlichen Lauten aus alter und neuer Zeit sich kundgegeben. Gerade Er, der Mensch, treibt mich zur letzten verzweiflungsvollen Frage: warum ist überhaupt etwas? warum ist nicht nichts?" 31 Für Leibniz ergibt sich diese Frage aus dem höchsten Prinzip seiner Philosophie. Er sagt: Ratio est in Natura, cur aliquid potius existat quam nihil- „Grund ist in der Natur, warum Etwas eher existiert als Nichts" 3 2 . Leibniz fährt fort: Id consequens est magni illius principii, quod nihil fiat sine ratione - „Dies ist eine Folge jenes großen Prinzips, daß nichts zum Sein kommt ohne Grund." Daß das Wort „fiat" nicht undeutlich und unbestimmt mit „wird" oder „geschiehtu über29 A. a. O., 9, 365; Widmungsschreiben an den Ubersetzer der Pvincipia Philosophiae. 30 „ . . . la premiere question qu'on a droit de faire, sera, Pouvquoy il y a plustot quelque chose que rien?" Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, hrsg. von C. J. Gerhardt, Hildesheim: Olms, 1965; VI, 602. 31 Schelling~ Werke, hrsg. von Ma~ifredSchr~oterMüncheii:Bcck und 01denbourg, 1954, VI. Ergä~zzungsband,7. 3 2 Philosophische Abhandlungen VIIZ, „Ohne Überschrift, die Hauptlehrsätze der Leibnizischen Philosophie betreffend"; VII, 289.
setzt werden kann, sondern einen präzisen Sinn hat, ergibt sich aus dem Wortlaut jenes magnum principium, das Leibniz aufgestellt hat, und auf das er sich hier bezieht. Es ist der sogenannte „Satz vom Grunde", der für ihn neben dem Satz vom Widerspruch als das erste Prinzip a priori aller möglichen Erkenntnis gilt: Nihil est sine ratione - „nichts ist ohne Grund" 3 3 . Die Worte quod nihil fiat sine ratione haben demnach die präzise Bedeutung: nichts gelangt ohne Grund in die Verfassung, in der man von ihm sagen kann: est. Deswegen habe ich übersetzt: nichts gelangt zum Sein. Nun tut aber Leibniz anschließend einen sehr wesentlichen Schritt. E r sagt nämlich: Ea ratio debet esse in aliquo Ente Reali seu causa . . . Hoc autem Ens oportet necessarium esse . . . et uno vocabulo solet appellari DEUS - „Dieser Grund muß in irgendeinem realen Seienden oder einer Ursache sein (= sein Sein haben) . . . Ein solches Seiendes aber muß notwendig sein. . . und man pflegt es mit einem einzigen Wort zu benennen: GOTT"34. Wir stehen also vor folgendem Gedankengang: - Alles mögliche Wissen beruht auf dem Axiom: nichts ist ohne Grund. - Durch dieses Axiom sind wir genötigt, bei jedem Seienden nach seinem Grund zu suchen, das Sein von allem, was ist, auf seinen Grund zurückzuführen. - Der Grund von allem, was ist, kann selbst nicht Nichts sein. Also hat alles, was ist, seinen Grund in einem realen Sein. - Dieser Realgrund alles dessen, was ist, muß notwendig sein. Sein Name ist: Gott. Dieser Gedankengang rekapituliert einen Grundgedanken der gesamten europäischen Metaphysik. Neu ist bei Leibniz die Fassung, die er dadurch enthält, daß Leibniz den Satz vom Grund als oberstes Axiom alles möglichen Wissens überhaupt einführt. Wenn der Satz vom Grund nicht eine beliebige metaphysische Hypothese ist, sondern wenn unser Denken diesen Satz ebenso notwendig voraussetzt wie den Satz vom Widerspruch, dann folgt: wir mögen denken, was immer wir wollen, stets sind wir genötigt, Gott als den Realgrund alles dessen, was ist, mitzudenken. Das erweist sich, selbst wenn wir Gott zu leugnen versuchen. Es muß sich nämlich dann herausstellen, 33 Gottfried Wilhelm Leibniz, Opuscules et fvagments i~ziditesde Leibniz, hrsg. von Louis Couturat, Hildesheim: Olms, 1966, 515. 34 VII, 289.
daß unser Denken durch diesen Verstoß gegen sein eigenes Axiom mit sich selbst in Widerspruch gerät. Um diese Konsequenz deutlich zu machen, hat Leibniz den Satz vom Grund mit dem Satz vom Widerspruch verkoppelt. Der Satz vom Widerspruch setzt einen bestimmten Begriff vom Wesen der Identität voraus. Dieser Begriff wird durch den Satz vom Grund definiert. Ich habe diesen Exkurs über Leibniz eingefügt, weil der neuzeitliche Begriff der Metaphysik vielleicht nirgends so klar und einfach herausgearbeitet wird wie hier. Aber wir wollen ja Aristoteles studieren, und um zu verstehen, was Aristoteles zu dieser Grundfrage der Metaphysik zu sagen hat, müssen wir uns zunächst auf Platon besinnen, denn Platon ist der Philosoph gewesen, bei dem sich entschieden hat, daß alle spätere Philosophie sich stets genötigt sah, nach dem Grund zu fragen.
b. Platon: Philosophie als „Seefahrt auf der Suche nach dem Grund" Platon hat einen Dialog geschrieben, der dasselbe Thema hat wie die Bücher „Uber die Seele", und den wir immer wieder werden heranziehen müssen: den „PhaidonC'.Im „Phaidon6'steht, die Philosophie sei ein nho6g krci ~ f i .tijg v a i ~ i a gt t ~ q o t v- „eine Seefahrt auf der Suche nach dem Grund" (99 D). Der Ausdruck spielt vermutlich auf das mythische Vorbild der Fahrt der Argonauten an, die ausfuhren, um das goldene Vließ zu suchen. Auch der „Satz vom Grunde", von dem immer wieder behauptet wird, er sei erst durch Leibniz aufgestellt worden, findet sich schon bei Platon im „Timaios" als eines jener Axiome, die er der Darstellung seiner Naturphilosophie voranstellt. Er heißt dort: X&V . . . XO y~yvOp~vov 6 ~ ai~iow ' ZLYOS EE &vuyxqgyiyv~o0at- „Alles, was in Erscheinung tritt, tritt notwendig unter der Wirkung irgendeiner Ursache in Erscheinung" (28 A). Bei Leibniz hieß „fiat": zum Sein gelangen. Bei Platon steht yiyv~oOatund wenn Sie im Lexikon nachschlagen, werden Sie finden: yiyveUOUL bedeute dasselbe wie fieri, nämlich „werden6'.Aber bei Platon steht yiyv~oOaL,wie im ersten Axiom des „Timaios" festgelegt wird, in Gegensatz zum Sein. Es ist das Erscheinen in der Zeit als bloßes Erscheinen. Das dem Wortlaut nach identische Axiom gilt also bei Platon nicht für das Sein und auch nicht, wie der Satz vom Grunde, vom Wissen - es gilt vielmehr von der Erscheinung. Aber was Platon „Erscheinung" nennt, das heißt bei Leibniz „Sein". Ich merke dies an, damit Ihnen die Meinung vergeht, Sie hätten durch die Feststel-
lung einer Wortbedeutung bereits einen philosophischen oder überhaupt irgendeinen Gedanken verstanden. Man muß zu verstehen versuchen, wovon die Rede ist, und wir beginnen allmählich zu bemerken, daß das viel schwerer ist, als die Philosophiehistoriker annehmen. Wohin die Seefahrt auf der Suche nach dem Grund Platon geführt hat, sagt er uns selbst im VI. Buch des „Staates". Die Reise führt ~ E X Q TOG L &vurco0k~ouEni T ~ TOZ~ Y nav~O &ex4v ~ - „bis hin zum Unbedingten, nach dem Ursprung des All" (511 A). Der „Ursprung des All" trägt bei Platon den Namen „die Idee des Guten". Das ist der platonische Name für Gott. Wenn wir fragen, wer der Seefahrer ist, der auf einen so ungeheuerlichen Kurs gezwungen wird, gibt uns Platon die Antwort: fi ~ u x ' J I - die Seele (511 A). Vielleicht gibt diese Vorlesung noch Gelegenheit zu zeigen, daß jener Bereich, den wir in Europa seit Platon vux4 oder Seele nennen, durch Platons Frage nach dem Ursprung des All erst entdeckt worden ist. Vor Platon haben auch die Griechen nicht das gekannt, was man später „Seele" nannte; und mit der Krise der Metaphysik wird, wenn die Anzeichen nicht trügen, die Seele aus der Welt der Menschen und ihrer geschichtlichen Erfahrung wieder verschwinden. Ywxfi, Seele, Bewußtsein: das sind Kernbegriffe der Metaphysik. Sie sind von der Metaphysik nicht zu trennen. Deshalb sind, wie wir noch sehen werden, die Bücher des Aristoteles „Über die Seele" eine Abhandlung über die innere Möglichkeit von Metaphysik. Da wir uns auf Aristoteles konzentrieren wollen, verzichte ich auf eine Interpretation der platonischen Lehre und hebe nur hervor, was nötig ist, um zu verstehen, wie Aristoteles sich gegen Platon absetzt. Wir fragen: Was heißt &gxfi? Warum nennt Platon den Ursprung des All TO &vun6Oe.~ov - das Unbedingte? Was ist die Bedeutung dieses Begriffes, der dann von Kant bis Hege1 als die Grundbestimmung des Absoluten wieder eine so große Bedeutung gewonnen hat? a . Was heißt ~ Q X ' J I ? Die Idee des Guten wird von Platon im VI. Buch des „Staates" mit der Sonne verglichen. Wie von der Sonne das Licht ausstrahlt, so
glänzt von der Idee des Guten hernieder die Wahrheit und das Sein (na-cahupx~ &~h f i t ) ~TE~ u nai t o ov; 508 D). Was „Wahrheitc'und was „Sein" hier bedeuten, wird durch den Vergleich mit der Sonne erläutert. Das Licht der Sonne verleiht der Natur nicht nur die Sichtbarkeit sondern auch das Wachstum. Was im Sonnenvergleich die Sichtbarkeit ist, das ist im noetischen Bereich die Wahrheit. Was im Sonnenvergleich das Wachstum und das Entstehen ist, das ist im noetischen Bereich das Sein. Alles, was im Bereich der Natur entsteht und wächst, wird zugleich sichtbar. Alles, was im noetischen Bereich „ist", ist zugleich wahr. Das Wort OlhI)fl~~a hat also hier die von Heidegger entdeckte und durch die Forschungen von (Wilhelm) Luther gesicherte Bedeutung: „Unverborgenheit" 3 5 . Darüber hinaus wird aber gesagt, daß die Idee des Guten dem Erkennenden das Vermögen der Erkenntnis verleiht (508 E). Auch dies wird wieder durch das Sonnengleichnis erläutert. Die Sonne ist zwar selbst nicht Sehkraft, aber sie ist Ursache der Sehkraft und wird deshalb von eben dieser gesehen (508 B). Entsprechend ist die Idee des Guten zwar selbst nicht v o ü ~aber , sie ist Ursache des v o ü ~ und wird von eben diesem erkannt. Die Idee des Guten ist also in dreifacher Hinsicht Ursprung: - sie ist Ursprung des Seins, - sie ist Ursprung der Wahrheit, - sie ist Ursprung der Erkenntnis. In diesen drei Hinsichten ist aber das Ursprung-Sein der Idee des Guten noch nicht erschöpft, denn das, was ihr den Namen gibt - das Gute -, kommt in dieser Erklärung noch nicht vor. Das Gute wird von Platon wie von Aristoteles als das definiert, wonach Alles strebt. Abstrakt gesprochen: das Gute ist ein Relationsbegriff. Man kann vom Guten nur reden in Bezug auf solches, was von ihm entfernt ist, was zu ihm hinstrebt oder von ihm abweicht. Wo Gutes ist, da ist immer zugleich Anderes, das sich in verschiedenen Graden der Distanz zu ihm befindet. Deshalb sagt Platon im „Theaitetos": 6x~vavziov y&@TL &yat)@&ri etval dvkynq - „es ist notwendig, daß dem Guten immer etwas unterhalb Entgegengesetztes gegenüberliegt" (176 A). Das ist nicht, wie man gemeint hat, ein „Dualismus"; das Schlechte, Üble, Unvollkommene ist durch das Wesen des Guten
selbst gesetzt. Ohne das Darunter- und Entgegengestellte ist kein Gutes. Die Entgegensetzung geht aus dem Gutsein des Guten selbst hervor. Da aber das Entgegengesetzte nach dem Guten strebt, ergibt sich die vierte Bedeutung des Begriffes „Ursprungc' ( 6 ~ x 4 ) : - die Idee des Guten ist Ursprung der Bewegung. Von allem, was in der Welt zu allen Zeiten in Erscheinung treten kann, können wir sagen: - daß es ist, - daß es sich zeigt, - daß es erkannt werden kann, -- daß es in Bewegung ist. Deswegen ist die Idee des Guten Ursprung des All. Nun wird aber von der Idee des Guten noch etwas gesagt, was die platonische Bedeutung des Begriffes „Ursprung" erst hervortreten läßt und sie zugleich von allen sonstigen Verwendungen dieses Begriffes unterscheidet. Das Gute ist, wie Platon sagt, nicht Sein, sondern es liegt noch jenseits des Seins und überragt es an Alter und an Vermögen. Der Ursprung überragt das Sein an Alter, weil er als Ursprung des Seins ihm vorausgeht. E r überragt es an Vermögen, weil er dem Seienden sein Sein selbst gewährt. Nachdem Sokrates das gesagt hat, bricht sein Gesprächspartner Glaukon in Gelächter aus und sagt: „Beim Apollon! Was für ein dämonischer U b e r ~ u r f ! "Ich ~ ~will zunächst diesen Zwischenruf erklären; das wird uns helfen, in den Gedanken selbst einzutreten. Glaukon tritt in dem ganzen Werk als der Gesprächspartner auf, der Sokrates versteht. E r war Platons Bruder. Daß ihm diese Rolle zugewiesen wird, ist die platonische Form der Widmung. Wenn nun auch er, der die höchste Stufe des menschlichen Verständnisses für Philosophie repräsentiert, beim letzten und entscheidenden Schritt in lautes Gelächter ausbricht, so wird uns deutlich: diese Erkenntnis übersteigt die Fassungskraft des Menschen. Hier soll gedacht werden, was, wie Glaukon zeigt, von menschlicher Vernunft nicht mehr gedacht werden kann.
Wilhelm Luther, Wahrheit, Licht und Erkcnntnis in der gricchischen Philosophie bis Demokrit (Archiv für Begriffsgeschichte, X), Bonn: Bouvier, 1966.
o6oiag x ~ ~ o p e inqa i GuvOIyei ~ ~ E Q ~ X O Y/ T K OaSi . 6 ~hctiinwv 1iOIha y ~ h o i t o "hxohhov, ~' Gcltyoviag V x ~ ~ ß o h i j g . Politeiu 509 BIC.
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Das ist auch der Sinn des seltsamen Zwischenrufes. ' Y n ~ ~ ß o hist fi ein Wurf, der über das Ziel hinaus trägt. Der Sinn des Bildes läßt sich durch Verse aus einem Chorlied des König Odipus von Sophokles erläutern. Dort wird von Ödipus, der das Rätsel der Sphinx gelöst und so die Herrschaft über Theben gewonnen hat, gesagt: „Dieser hat im Uberwurf (itcr0' 4 z ~ ~ ß o h o lseinen v) Pfeil geschossen und sich des in jeder Hinsicht glückseligen Reichtums und Glanzes b e m ä ~ h t i g t . " ~ ~ „Im Überwurf": denn er hat damit das dem Menschen gesetzte Maß durchbrochen und erreicht, was nur Göttern zukommt. Das büßt er später durch sein furchtbares Schicksal. Daraus erklärt sich zugleich das Adjektiv, das bei Platon den „ ~ b e r wurf" charakterisiert. Ich habe gesagt, „dämonisch". Im Griechio ~besten ; würde man vielleicht übersetzen: schen steht S a ~ p 6 v ~am „übermenschlich". Aber auch „übermenschlich" trifft nicht die genaue Bedeutung. Acrtp6v~o~ hat nämlich bei Platon eine besondere, von ihm erst im „Symposion" eingeführte und begründete Bedeutung. Während in der alten griechischen Sprache Saipovsg dasselbe bedeutet wie B ~ o i ,nämlich „die Götter". wird im „Symposion" durch die Aufhellung des Wesens des Eros gezeigt, daß es einen Zwischenbereich zwischen den Göttern und den Menschen gibt. Was sich in diesem Zwischenbereich bewegt und zwischen den Menschen und den Göttern vermittelt, nennt Platon TI^ Gcr~p6vtov.Dieser Zwischenbereich ist der Bereich der Philosophie. Deshalb faßt Platon das Wesen der Philosophie in die scholl einmal genannte Formel OpoiWOLC OE@ ~ u t TO d GZIYCIT~V- „Angleichung an Gott nach dem Maß des Möglichen" (15; Theait. 176 B). Im Unterschied zu Sophokles und zum archaischen Denken der Griechen ist ein solches Überschreiten des menschlichen Maßes nicht mehr ein Frevel sondern die höchste Möglichkeit des Menschen. Trotzdem hat Aristoteles es für nötig gehalten, im I. Buch der „Metaphysiku sich ausführlich mit dem Bedenken auseinanderzusetzen, es sei Hybris, nach dem göttlichen Wissen der Philosophie zu streben (982 b 28ff.). Für unser Thema - das Wesen der 11)u~fi- ist die im „Symposion" geleistete Aufdeckung des Gatp6v~ovvon kaum abzuschätzender Wichtigkeit. 37 ÖOTLS xae' .iineeßoh&v -co~auncrsExeolzqoe T O ~~O E Y T ' E U ~ U ~ ~ L Oohßov, YO~ Sophokles, Oedipus Tyrannos, 1196f., zitiert nach der Ausgabe von Sir Richard C. Jebb, Cambridgc: University Prcss, 1914, Bd. I, 156.
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Y u ~ f ist i nämlich bei Aristoteles wie bei Platon nicht eine in das sterbliche Gehäuse des menschlichen Leibes eingeschlossene Wesenheit; sie hat ihren Aufenthalt nicht im Menschen sondern im Zwischenbereich zwischen Menschen und Göttern. Nur weil sie a priori „außerhalb" des Menschen ist, vermag der Mensch in der Bewegung der Seele Wahrheit zu erkennen. Auch daß Apollon angerufen wird, hat eine tiefe Bedeutung; denn Apollon wird schon seit Mitte des 5. Jahrhunderts mit Helios, dem Sonnengott, identifiziert. Der Name Apollon ist also der Göttername der Idee des Guten. Die Interpretation des Zwischenrufes von Glaukon hat uns in den Bereich versetzt, in dem der Satz verstanden werden muß: die Idee des Guten liege noch jenseits des Seins. Wir verdanken einer Arbeit von Hans Joachim Krämer, daß wir heute in der Lage sind, die genaue Bedeutung dieses viel mißdeuteten Satzes anzugeben38. Der abstrakte Begriff für die Idee des Guten, unter dem diese Idee in Platons „ParmenidesL'diskutiert wird, heißt „das Eine". Das Eine - später sagt man „die Identität" - ist durch Parmenides der Grundbegriff der Philosophie schlechthin geworden. Alles, von dem wir sagen können, daß es ist, ist Eines. Es ist zugleich ein Seiendes und - in der schon erläuterten Bedeutung - ein Wahres. Daraus folgt bei Parmenides, daß die Einheit des Kosmos überhaupt, sein Sein und seine Wahrheit identisch sind. Die Vielheit, die wir im Kosmos wahrnehmen, ist nur Erscheinung. Aber was in dieser Vielheit sich manifestiert, ist immer die in sich selbst verharrende Einheit. Man kann die ganze Philosophie von Platon als eine einzige große Auseinandersetzung mit diesem Gedanken des Parmenides darstellen. Die an Parmenides anschließende Diskussion hat nämlich Aporien aufgedeckt, die sich nicht überwinden ließen: - Wenn Einheit und Sein identisch sind und immer in ihrer Identität verharren, wird das Phänomen der Bewegung unbegreiflich. - Die Vielheit ist nicht nur Mannigfaltigkeit der sinnlichen Erscheinung sondern auch Mannigfaltigkeit der Strukturen. „Struktura ist die adäquate moderne ~ b e r s e t z u n von ~ iGiu oder ~iGog.Die Wissenschaft von den Strukturen ist die Mathematik. Mathematik hat es mit Zahlen und ihren Verhältnissen, also mit Vielheit, zu tun. 38 ~ X ~ X E ~175 L Y oljuiaq ~ - ZU Platon Politeia 509 B; (Archiv für Geschichte der Philosophie, 51), Berlin: de Gruyter, 1969, 18.
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Aber den reinen Strukturen der Mathematik kommen alle Prädikate zu, die Parmenides dem Einen vorbehalten hatte: Sie sind sich selbst gleich und unwandelbar. Wenn Mathematik mit Wahrheit etwas zu tun hat, kann man mathematische Strukturen nicht als bloße Erscheinung interpretieren. - Wie die Bewegung, so ist auch das Kontinuum, also Zeit und Raum, wie Zenon in seinen Paradoxien gezeigt hat, unter eleatischen Prämissen nicht zu erklären. Die Elcaten hatten daraus geschlossen, das Kontinuum sei die Sphäre der sinnlichen Erscheinung. Diese Lehre wirkt nach bis zu Kant. Aber das Kontinuum begegnet auch in der reinen Mathematik. Es wird nicht nur sinnlich sondern noetisch erfaßt. Also gehört es auf die Seite des Seins, nicht der bloßen Erscheinung. Platon hat erkannt, daß alle diese Paradoxien eine Konsequenz der Gleichsetzung von Einheit und Sein sind. Entschließt man sich, diese Gleichung aufzuheben, das Eine vom Sein zu trennen und über es hinaus zu verlagern, so lassen die Paradoxien sich auflösen. Die ganze platonische Philosophie ist eine Entfaltung der Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn man das Eine jenseits des Seins verlagert. Dies kann hier nicht mehr ausgeführt werden. Aber ich will doch darauf hinweisen, was sich aus diesem Schritt ergibt: Wenn die Idee des Guten jenseits des Seins liegt, dann enthält der Satz „Gott ist" eine Gottesverleugnung. Die Göttlichkeit und der Vorrang Gottes beruhen dann darin, daß Gott nicht ist. Wenn die Idee des Guten jenseits des Seins liegt, dann hat der Ursprung alles Seins selbst kein Sein. Es ist dann falsch, mit Leibniz den Grund alles dessen, was ist, als das höchste Seiende zu bezeichnen. Der Grund aller Realität ist dann kein „Realgrund". Das Eine hat dann keine Substanz. Der Philosoph, auf den man alle spätere Metaphysik mit Recht zurückführt, hat dann die oberste Prämisse aller späteren Metaphysik, nämlich das „Sein" Gottes, bestritten, aber nicht etwa deshalb, weil er Gott für eine Fiktion gehalten hätte, sondern deshalb, weil auch das reine Sein noch unterhalb von Gott liegt. Erst wenn man diesen Gedanken gefaßt hat, versteht man, was bei Platon „Ursprung" heißt. Je tiefer man sich in die fundamentalen Probleme der Philosophie hineindenkt, desto mehr wird man davon betroffen, daß diese Probleme in einem festen Gefüge miteinander verklammert sind, das vom geschichtlichen Wandel in den Gedanken und Meinungen der Menschen kaum berührt wird, sondern dieselbe Festigkeit erweist
wie etwa das Verhältnis mathematischer Strukturen oder die Grundverhältnisse künstlerischer Form. Daraus erklärt sich, daß auch ohne historischen Zusammenhang dort, wo die primären Strukturen des Denkens erfaßt werden, auch dieselben Probleme wieder aufbrechen. In der „Transzendentalen Dialektik" der „Kritik der reinen Vernunft" ist Kant, von anderen historischen Voraussetzungen aus und ohne Platons Philosophie studiert zu haben, zu einem analogen Resultat gelangt. Er erkennt, da13 das transzendentale Ideal - das ist Kants Name für die Idee des Guten -jenseits des Seins liegt, und daß die Vernunft sich in Widersprüche verwickelt, wenn sie von der Einheit, die ihr aufgegeben ist, behauptet, daß sie ist3" Ein genauervergleich zwischen der Dialektik des späten Platon und Kants transzendentaler Dialektik würde zeigen, daß die in ihrer Grundstruktur gleiche Erkenntnis bei Platon mit unvergleichlich viel höherer Klarheit und Präzision durchgeführt wird. Gewisse tief eingewurzelte Vorurteile des neuzeitlichen Denkens machen es Kant unmöglich, die Klarheit zu erreichen, die Platon schon einmal gewonnen hat. Trotzdem ist die Verwandtschaft unverkennbar. Sie macht verständlich, weshalb Hegel bei seiner Fortentwicklung von Kants transzendentaler Logik, wie wir später noch sehen werden, nicht nur an Aristoteles sondern ausdrücklich auch an Platon angeknüpft hat. Eines muß hier noch ausdrücklich festgestellt werden: Wir sind in diesem zweiten Teil der Einführung in die Grundfragen der Metaphysik von Heideggers Vorlesung „Was ist Metaphysik?" ausgegangen, weil Heidegger seine Abkehr von der Metaphysik und ihren Seinsverständnissen daraus entwickelt, daß die Metaphysik den Grund des Seins als ein Seiendes auffaßt. In der Kritik an dem hierbei vorausgesetzten Begriff des Grundes entfaltet sich Heideggers Darstellung der Krise der Metaphysik. Wir sehen nun, daß Platons Lehre vom Ursprung und vom Grund durch diese Kritik nicht getroffen wird, ja sie sogar in gewisser Weise antizipiert. Heideggers Auslegung des Höhlengleichnisses ist falsch. Trotzdem ist Platon der Vater der Metaphysik. Heideggers Auseinandersetzung mit der Metaphysik greift also zu kurz. Das Gleiche gilt, wenn auch in anderer Weise, von Adornos Kritik des Prinzips der Identität. Auch Adorno vermag den Gedanken der Identität nicht in der Tiefe zu fassen, in
" Vgl.
Georg Picht, Kants Religionsphilosophie, Stuttgart: Klett-Cotta, 1985, 597R.
der er von Platon gedacht worden ist. Deswegen wird auch bei ihm der „Sturz der Metaphysik" 40 zwar erlitten, aber noch nicht begriffen. Die tiefste Auseinandersetzung mit der Metaphysik als solcher findet sich bei Nietzsche; aber auch Nietzsche ist an Platon gescheitert und hat ihn in grotesker Form zugleich mißdeutet und ausgebeutet. Zwar ist die „Krise der Metaphysik" in aller Munde, aber was diese Redensart bedeutet, kann niemand auf einem Niveau ausweisen, das dem in der Metaphysik erreichten Niveau gewachsen wäre. Das ist die große Aporie des heutigen Denkens. ß. Was heißt ~b CxvuxbOe~ov?
Die zweite Frage, die wir gestellt hatten, hieß: Warum nennt Platon den Ursprung des All ~d olvunb0s~ov- das Unbedingte? Wir gehen bei dieser Frage methodisch ebenso vor wie bei der Vergegenwärtigung der Idee des Guten: ich werde Ihnen, ohne Rücksicht darauf, daß wir damit Zeit verlieren, zunächst einige Stellen vorlegen, die Ihnen helfen sollen, die Erfahrung nachzuvollziehen, aus der dieser griechische Gedanke hervorgegangen ist, damit Sie ihn nicht bloß abstrakt und das heißt zugleich falsch auffassen. Das abstrakte, von der Erfahrung des Denkens losgelöste Erfassen von Gedanken ist immer ein unphilosophisches, ist immer ein falsches, ein aus dem Kontext der Phänomene herausgefallenes Nachbuchstabieren des Gedachten. Philosophisch versteht man einen Text erst dann, wenn man die Erfahrung nachvollziehen kann, aus der er hervorgegangen ist. Die griechischen Erfahrungen gehören in eine ferne geschichtliche Welt; deshalb muß man sich hier besonders darum bemühen, sie aus den Texten wieder ans Licht zu heben. Der Versuch, Sie dazu anzuleiten, daß Sie Griechisches gleichsam mit griechischen Augen zu sehen lernen, ist ein unentbehrlicher Teil der Einführung in die Bücher des Aristoteles „Uber die Seele". In Platons „Phaidon" gibt es einen für unser Thema - die Seele -sehr wichtigen Abschnitt, in dem Sokrates über seine eigene philosophische Entwicklung berichtet (96 AR.). Man nennt dieses Stück den „autobiographischen Exkurs". In Wahrheit ist dieser eingeschobene Teil weder eine Autobiographie noch ein Exkurs; er enthält vielmehr, Vgl. Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt: Suhrkamp, 1973,400. 40
in jener andeutenden Form, die Platon liebt, die zentrale philosophische Lehre des ganzen Werkes. Sokrates berichtet dort, daß er in seiner Jugend sich mit erstaunlicher Leidenschaft auf die Naturphilosophie gestürzt hat, und daß ihm vor allem die Lehre des Anaxagoras tiefen Eindruck gemacht hat: der göttliche v o 5 sei ~ Urheber des All und stifte die im Kosmos sichtbare Ordnung. Er sei dann später enttäuscht gewesen, nachdem er begriffen habe, daß weder Anaxagoras noch sonst ein Philosoph in der Lage gewesen sei, diesen Gedanken wirklich durchzuführen. Der v o 5 ist, ~ wie schon gesagt, das höchste Vermögen der Seele. Die Stelle spricht also von unseremThema und lehrt, daß wir bei der Frage nach dem Wesen der Seele, wenn wir sie griechisch verstehen wollen, nicht nur die Seele des Menschen sondern das Wesen der gesamten rp2iotg im Auge haben müssen. Wenn das Wesen Gottes, wie zuerst Xenophanes, dann Parmenides, dann Anaxagoras und dann wieder die Schüler Platons, sowohl Speusippos und Xenokrates wie Aristoteles, gelehrt haben, als voG~zu begreifen ist, dann muß man wissen, was „die Seele" ist, um zu verstehen, was der Name ,,Gott" bedeutet. Und wenn der voGg der Ursprung des All ist, dann muß man wissen, was die Seele ist, um die Natur verstehen zu können. Die Forderung, die Sokrates hier an Anaxagoras stellt, und die Anaxagoras nach dem Urteil des Sokrates nicht erfüllt hat, enthält zugleich, wenn man so sagen darf, das Programm für Platons eigene Philosophie. Platon hat in seinem Spätwerk, im „Timaios" und im X. Buch der „Gesetzeu, gezeigt, wie man die Naturphilosophie aufbauen muß, wenn diese Forderung erfüllt werden soll. Sokrates hingegen muß im „Phaidon6' (99 C) bekennen, daß er nicht im Stande war, eine solche Weisheit zu gewinnen. Deshalb entschließt er sich zur „zweiten Seefahrt auf die Suche nach dem Grund" (99 D - ich habe diese Stelle schon zitiert, 50). Ich übersetze nun den folgenden Abschnitt wörtlich: „Nach dieser Erfahrung, sagte er, schien es mir also, da ich erschöpft war vom Schauen auf das Seiende, ich müsse mich hüten, damit ich nicht erlitte, was die erleiden, die eine Sonnenfinsternis betrachten und ihren Blick auf sie richten. Einigen von ihnen werden die Augen zerstört, es sei denn, sie richteten ihren Blick nur auf das Abbild der Sonne im Wasser oder einem vergleichbaren Spiegel. Ein ähnlicher Gedanke kam auch mir, und ich fürchtete, daß ich in meiner Seele ganz und gar blind würde, wenn ich mit meinen Augen auf die Wirklichkeit [ n ~ T& d x~@ u y ~ . l a blickte ~ a ] und mit jeder meiner Wahrneh-
mungen versuchte, sie zu erfassen. Da schien es mir nun nötig, mich in die Aussagen zu flüchten und in jenen die Unverborgenheit des Seienden zu betrachten. Vielleicht ist nun zwar dieses Gleichnis auf gewisse Weise nicht vergleichbar; denn ich gebe keineswegs zu, daß jemand, der in den Aussagen das Seiende ins Auge faßt, es in höherem Maße nur bildlich sieht als in den Werken. Immerhin: auf diesen Weg machte ich mich auf und legte jedesmal die Aussage zugrunde, von der ich urteilte, sie sei die kräftigste. Von dem, was mir mit dieser in Einklang zu sein scheint, behaupte ich, es sei wahr, sowohl über den Grund wie über alles Andere. Was aber nicht in Einklang steht, davon behaupte ich, es sei nicht wahr."41 Im Folgenden erfahren wir: dieser zweite Ansatz, der Ansatz bei den Aussagen, den hbyo~,sei der Ansatz der Ideenlehre. Sie sehen schon daraus, daß es falsch ist, die sogenannte „Ideenlehre" als Platons höchste und letzte Lehre aufzufassen. Sie ist ein S E ~ ~ T E nho.U~ Q ~ S- ein zweiter Versuch der Seefahrt, ein Notbehelf, der allenfalls der Vorbereitung zur höchsten Stufe der Erkenntnis dient, aber die höchste Erkenntnis noch nicht enthält. Sokrates sagt, er lege jedesmal die Aussage zugrunde, von der er urteilt, daß sie die stärkste sei (100 A). Das Wort, das ich mit „zugrundelegen" übersetzt habe, heißt griechisch Bno~ieqpt.TiHqpl heißt: setzen, stellen, legen. 6no.ciOqp~heißt: etwas unterlegen, etwas zur Grundlage machen. Das Medium 6no-ciOspa~heißt: etwas für sich zur Grundlage machen. Für eine Überzeugung macht man zur Grundlage die Erkenntnis, auf die sie sich stützt. Ist diese Erkenntnis weiter nicht begründet, so ist sie eine bloße Setzung, griechisch S' Öc,, vet& ~ a i j i a ,Exstbfi O 1 x ~ i ~ q xi& a ovm " E f i o t ~ioivuv pol, uxoxii)~,SECY~6haßq0fjvatpfi x6iBotpt ÖXEQ o i tbv {htov E n h ~ i x o v ~Rccua ~ o 6 v t nsa~i oxoxo6pevot. btacp8si~ovtaty 6 i ~xou EVLOL i & ö y p u ~ aE,OIv yfi v a6.co.V. TotoijtOv T L n a i S.yW Ü 6 a z ~ z t v ~t o t ~ B a qo ~ o x W v i a ~t f i cinova 41
a6u5v. "E6ote 64 yot x ~ j v a et i -coG< ~ hijyowc, naaarpiiy6vaa EY Exeivot~ o x o x ~ i va 6 v Övaov ~ f i dh.IIHetav. v " I f i o ~ybv O ~ 6 Y eixa
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Bio15 - die deutsche Übersetzung heißt: „der Satz". Ist die B i o ~ c hingegen aus einem höheren Satz abgeleitet, so stützt sie sich auf deutsch: einen „Grurid"-Satz. Die deutschen Worte eine V~O-HECTLC, „Satz" und „Grundsatz" sind Ubersetzungsworte, die in dieser platonischen Lehre ihre Wurzel haben. Wir kennen das Wort 6 ~ 6 O ~als ol~ Fremdwort: Hypothese. Der hypothetische Charakter der Grundsätze kommt in den Worten des Sokrates auch deutlich heraus. E r sagt: er lege jeweils den Satz zugrunde, von dem er urteilt, daß er der kräftigste sei, mit anderen Worten: daß er die größte Beweiskraft besitze. Das „Setzen" und „Zugrundelegen" ist für die sokratischplatonische, das heißt die dialogische Auffassung des Denkens immer auf einen Opponenten bezogen, der sich bemüht, den Satz zu widerlegen. Es wird nicht behauptet, ein Grundsatz sei absolut wahr. Hingegen macht der, der ihn aufstellt, sich anheischig, ihn, wie wir es aus den sokratischen Dialogen kennen, gegen jeden Einwurf zu behaupten. Absolute Wahrheit kann eine Aussage, wie wir an dieser Stelle lernen, nie beanspruchen; denn sie ist, wie Platon hier sagt, nur ein Spiegel, in dem wir die Wahrheit des Seienden erkennen. Sie ist nicht diese Wahrheit selbst. Damit werden wir zu der Erfahrung geführt, aus der der Begriff der ~ ~ ~ O E des O LGrundsatzes, S, entspringt. Sokrates sagt, er hätte sich dem Spiegel der Aussagen - der hbyoi - zugewendet, weil er fürchtete, „daß er ganz und gar an seiner Seele erblinden würde, wenn er mit seinen Augen auf die Wirklichkeit blickte und mit jeder seiner Wahrnehmungen sie zu berühren versuchte" (99 E). Das Wort, das ich mit „Wirklichkeit" übersetzt habe, heißt auf griechisch T& q k y p a ~ a .Ein n~Lrypaist, im Unterschied zur XQL~EL~, das durch die J ~ Q Ü E L vollbrachte S Ergebnis. Im Deutschen fehlt uns ein entsprechendes Wort. Man könnte im Hinblick auf den griechischen Sprachgebrauch übersetzen: die wirklichen Sachverhalte. Der Leser des „Pliaidon" weiß, welche Sachverhalte gemeint sind, denn schon im j a13~& T& n~uyya-ca - „mit der ersten Teil steht ad-cg Q u ~ fBsatkov Seele selbst muß man schauen die wirklichen Sachverhalte selbst" (66 E). Aus dem Höhlengleichnis wissen wir, daß das, was wir gewöhnlich vor Augen haben und für die wirklichen Sachverhalte halten, nur Schatten und Scheinbilder des Wirklichen sind. Es bedarf einer Umwendung der ganzen Seele und des mühsamen Anstiegs aus der Höhle, bis wir die Forderung erfüllen können, daß wir mit der Seele selbst die wirklichen Sachverhalte selbst anschauen können.
Das ist der griechische Begriff der @&w@ic(.Sie sehen aus dieser Stelle, was mich veranlaßt hat, früher zu sagen, das Wort V W Xbe~ zeichne den Bereich, in dem sich das Wirkliche in seiner Wahrheit zeigt (34). A h f i 3 q v ~ -4 die Seele selbst: das ist die Seele, die aus der Leiblichkeit und damit der Individualität des Menschen herausgetreten ist. Sie ist übergetreten in den Zwischenbereich zwischen den Menschen und den Göttern. Man hat diesen Ubertritt später als „TranszendenzG'bezeichnet. Was hier 11~x4heißt, das wird bei Kant als „das transzendentale Subjekt" bezeichnet. Hegel hat den kritischen Begriff des transzendentalen Subjekts wieder ontologisch als ~ v x f i als , ~ 0 8 5 interpretiert; , so entspringt der Begriff des „absoluten Geistes". Um die Erfahrung besser verstehen zu können, von der Platon im „Phaidon" spricht, vergleichen wir eine Stelle aus dem „Sophistes" (234 BK). Platon spricht dort von der sophistischen Kunst, durch Aussagen einen Schein des Wissens zu erzeugen. Auch dort bilden also die Aussagen, die hoyo~,und ihr Verhältnis zur Wahrheit das Thema. Aussagen sind aus Worten oder, wie man in der früheren Logik sagt, aus „Begriffent'zusammengesetzt. Worte sind Zeichen, die uns auf das Wirkliche, also das Seiende selbst, verweisen. Aber die Worte bezeichnen nicht nur das Wirkliche selbst, sie bezeichnen auch jene Abbilder, die wir uns vom Wirklichen machen, und die wir heute „Vorstellungen" nennen. Die Vorstellung ist mit dem Seienden selbst, wie Platon sagt, „homonym"; sie trägt denselben Namen. Deshalb verführen uns die Worte dazu, die Vorstellungen mit dem Seienden selbst zu verwechseln und zu meinen, wir hätten von der Wirklichkeit etwas gelernt, wenn uns ein Meister der politischen oder der wissenschaftlichen Rede in eine Welt von bloßenVorstellungen versetzt. Diese Redekunst wird von Platon mit der Malerei verglichen, die ebenfalls die Zauberkraft besitzt, daß wir die Bilder, die sie vor uns hinstellt, mit den wirklichen Gegenständen verwechseln. Das liegt nicht nur am falschen Gebrauch der Aussage. Platon hat vielmehr gelehrt, daß die Aussage als solche statt des wirklichen Wissens eine Illusion des Wissens erzeugt. Die Meinung, daß die Wahrheit in der Form der Aussage so erscheint, wie sie ist, beruht nach Platon, um einen Begriff von Kant zu verwenden, auf einem transzendentalen Schein. Eine Aussage ist, wie wir im „PhaidonL'sahen, immer ein Abbild. Der Begriff „Abbildu ist in sich doppeldeutig: Einerseits ist das Abbild „bloßescLBild, andererseits stellt es den
Gegenstand dar, wie er sich zeigt. Um aber diese beiden Seiten unterscheiden zu können, muß man den Gegenstand selbst bereits kennen. Kennt man ihn nicht, so unterliegt man unvermeidlich der in der Aussage enthaltenen Illusion. Man hat dann kein kritisches Vermögen. Das ist der Grund für Platons Skepsis gegen die Aussage und gegen den Begriff. Wir kehren zurück zu der Stelle aus dem „Sophistes". Ich übersetze das Stück, das auf den Vergleich mit der Malerei folgt: „Wie nun, niüssen wir nicht erwarten, daß es im Bereich der Reden eine andere solche Kunst gibt, durch die es wohl möglich sein mag, die jungen Menschen, die den Sachverhalten der Wahrheit noch ferne stehen, durch ihre Ohren mit Reden zu bezaubern, indem man ihnen von allem gesprochene Scheinbilder vorzeigt, so daß man in ihnen die Illusion hervorbringt, das Gesagte sei wahr geredet worden, und der Sprecher sei in allen Dingen von allen Menschen der Weiseste?"Theaitetos antwortet: „Warum sollte es denn auch nicht eine andere derartige Kunst geben?" Darauf sagt der Fremde: „Ist es nicht unvermeidlich, Theaitetos, daß die Mehrzahl derer, die damals zuhörten, wenn eine genügende Zeit verstrichen ist, und sie im Alter fortgeschritten sind, aus der Nähe auf das Seiende anprallen und durch Leiden gezwungen werden, das Seiende in seiner Offenkundigkeit zu berühren? Und daß sie dann die damals erzeugten Meinungen umstürzen, so daß nun klein erscheint das Große, schwer das Leichte und alle Scheingebilde in den Reden von Grund auf umgestürzt werden unter der Gewalt der Wirklichkeit, die ihnen in der Praxis begegnet?"42 Der Text, den ich Ihnen vorgelesen habe, enthält so viele
42 T i SE S(; neei toU< hOyou~&Q' 03 neooSoxWpev czvai t t v a &hhqv tExvqv, ( n ) o u bvvutbv a6 -cuyx&vett o b < vEou< n a i RLnOeew -cWv neayy h w v tqg Cxhqesia~Orrpeo-c6ta~6th z 6 v b t w v t o i s hOyotg yoqtTEetv, S a x v V v ~ a 5siSwhu h e y 6 p ~ v aneei n&vtov, Wa-csnoteiv Orhqeq Soxsiv hiytioeat x a i zbv hEyovta 64 oocphtatov n&vtwv CLnavt' ~ % v a-t ;Ti Y&@ 06% &V eLq &hhq TLS T o L c I ' ~~Exvq; ~ ~ - T0hg 3Cohhohg O ~ V&, @ E C L ~ TT ~ ~~ E TOTE V, Cxxou6vawv &e' 06, b & y x q xeOvou t e Ensh8Ovto~' a 6 t o i ~ixavoU x a i n e o i o 6 o q ~f i h t i l i a ~aois -ce o 6 o ~n ~ o o n i n t o v t aEyyVOev ~ x a i St& n a e q p&twv hvayxul;oyivouc, Eva~yWcErpolnaeofJa~toSv Ovtwv, pe~aß6hhctvT&< TOTE y ~ v o p E v aSOEa<, ~ Wote a p t i l ~ up.LEv ( P ~ ~ Y E O ~ T& C L ~eyOLha, L xahen& SE tci eQSta, x a i nolvta xolv-cg h v a t t ~ ~ & ( ~T& O aEvt GOLS hOyot~rpavt&oyaaa .Uno t o v Ev t a i ~~ Q ~ ~ ~ EE ~OyLw Yvn a ~ a y e v o p i v w v ; 234 CID.
Anspielungen auf das Höhlengleichnis, daß nicht bezweifelt werden kann: wir befinden uns im gleichen gedanklichen Kontext. Umso auffälliger sind die Unterschiede. Der Zwang, der uns nötigt, uns von den Schattenbildern abzuwenden und die Dinge so zu erkennen, wie sie wirklich sind, entspringt hier aus der Erfahrung des Lebens selbst. Das tritt in einer für die vulgäre Auffassung von Platons sogenanntem „Idealismusu fast skandalösen Form in den Worten ans Licht, mit denen der Fremdling schließt. E r sagt: die Vorstellungsbilder, die durcli Reden erzeugt sind, würden umgestürzt 13x6 t 6 v Ev ~ a~ Q i& E ~ OLV Z~yov x a ~ a y ~ v o p E v o-v„unter der Gewalt der Wirklichkeit, die ihnen in der Praxis begegnet", oder genauer übersetzt: „unter der Wirkung der Werke, die sich in den Handlungsvollzügen einstellen". " E ~ y o vist bei den Griechen seit Homer und auch hier bei Platon der Gegenbegriff zu h o y o ~- die Rede. Dieser Gegensatz beherrscht den Gedanken. Der Plural T& E ~ y abezeichnet alle jene Sachverhalte, die der Mensch durch sein eigenes Wirken erst erzeugt. Platon denkt dabei vor allem an das Gedeihen oder das Unglück der Staaten. Er hat die harten Lehren der Politik vor Augen, wenn er sagt, daß die Sachverhalte, die im menschlichen Handeln zutage treten, unsere Illusionen über den Haufen werfen. In der politischen Erfahrung lernt man, wie bitter sich diese Illusionen rächen, wenn uns die wirklichen Resultate des Handelns die Quittung für unsere Meinungen präsentieren. Sollen wir demnach wirklich glauben, daß Platon hier den Aufstieg zu den Ideen, wie ihn das Höhlengleichnis darstellt, durch die Erfahrung der politischen Praxis ersetzen will? Es kommt darauf an, wie man die Erfahrungen, die man macht, versteht. Noch heute herrscht auch in der Wissenschaft die oberflächlichste Mcinung, die man von der Erfahrung überhaupt haben kann, nämlich die Meinung, daß man durch die Erfahrung Wissen gewinnt. Der entgegengesetzte Satz ist genau so richtig: Man muß ein Wissen besitzen, um aus der Erfahrung lernen zu können. Die Menschen haben immer die Natur erfahren, aber Naturwissenschaft konnte erst entstehen, nachdem sie genug Mathematik gelernt hatten, um in dem, was sie immer schon erfahren hatten, Gesetze zu erkennen. Analog verhält es sich mit der politischen Erfahrung, nur daß wir hier bisher noch nicht das Wissen besitzen, das erforderlich wäre, um auch iii diesem Bereich aus der Erfahrung zu lernen. Wie aber gelangt man zu einem solchen Wissen? Wiederum durch eine Erfahrung; aber diese Erfahrung hat
nicht die Gestalt der Empirie. Platon sagt: Wir lernen durch Leiden. Der Sinn dieses Wortes wird deutlich, wenn man bemerkt, daß es auf den berühmten Zeus-Hymnos aus dem „Agamemnon" des Aischylos anspielt. Ich zitiere die Stelle nach der Ubersetzung von Schadewaldt: „Er, der rechten Denkens Weg Wies den Sterblichen, indem er Festgesetzt: „durch Leiden Lernen" Solle gültig sein. Es tropft statt Schlafes vor dem Herzen Leidens eingedenke Qual. Auch zu Widerwilligen kam vernünftiges Sich-Bescheiden Und es ist wohl Eine Huld Der Daimonen, Die gewaltsam Auf dem Deck des Steuermanns, Dem erhabenen, sitzen." 43 Das, was durch Leiden gelernt wird, ist die Einsicht in die Begrenztheit des sterblichen Wesens der Menschen. Aus dieser Einsicht geht alle Besonnenheit hervor. Deshalb ist die Gewaltsamkeit der Götter, die uns zu dieser Einsicht zwingt, in Wahrheit ihre Gunst. Bei Platon trägt das Höchste, was gelernt werden kann, das pEytozov phoqpa, den Namen: die Idee des Guten. Der schmerzhafte Weg der Erkenntnis, zu dem uns das Erleiden der politischen Praxis zwingt, bricht jener höheren Erfahrung die Bahn, die Platon im Höhlengleichnis -cbv ~ ~ Q O V Eßeot06< ~ Y 666o a v t a t W t xO18~tp&t)o< Okvta X U Q ~ U )
beschreibt. Deshalb steht die Stelle aus dem „Sophistes" zum Höhlengleichnis nicht im Widerspruch. Wir haben nun schon viel über die Form der Erfahrung gelernt, aus der sich Platons Unterscheidung zwischen der Erkenntnis im Abbild der Aussagen und der Erkenntnis der Wirklichkeit selbst ergibt. Wir wurden in das Feld der politischen Praxis geführt. Man kann politische Praxis auf viele Weise erfahren. Aus den großen Historikern, aus Herodot und Thukydides, können wir lernen, daß nicht nur Platon sondern auch nüchterne Männer der politischen Praxis als eigentlichen Inhalt der politischen Erfahrung die Verblendung, den Trug und die Hinfälligkeit der sterblichen Menschen angesichts der Wahrheit der unsterblichen Götter erfahren haben. In diesem Sinne haben die Menschen Geschichte, um aus Leiden zu lernen. Philosophie ist dann die Kunst, das, was aus Leiden gelernt werden kann, zur Klarheit zu bringen. Das, was sich zeigt, wenn aller Schein zerbricht, sind, wie die Stelle im „Sophistes" sagt, die nectypa-ca &hqO&ia~ - die Sachverhalte der Wahrheit. Das ist der Begriff, der auch in jener Stelle des „PhaidonNvorkommt, von der wir ausgegangen sind. Aus dem Gegensatz zwischen den Grundsätzen, den .iixoOioe~~, und diesen nehypa-ca-cijg &hqO~ia< muß sich ergeben, was Platon meint, wenn er die Idee des Guten eine &exfi &vwn60~-co~ nennt - einen Ursprung, der nicht die Form der & x o O ~ ohat. ~ < Deswegen versuchen wir, den Sinn der Worte T & n ~ h y p a ~ ~ fal g6hq0eia~genauer zu bestimmen. T& Zwar wird im „Phaidon", wie wir sahen, durch die Worte nehypa~a- die Sachverhalte selbst - der Bereich der reinen noetischen Erkenntnis bezeichnet. Trotzdem ist der Ausdruck -ca nectypa-ca - c f l ~6hqOsiag höchst auffällig und ungewöhnlich. E r erklärt sich daraus, daß er eine, soweit ich sehe, bisher noch nicht bemerkte Anspielung auf Pindar enthält: Eni p&v ßaiv~tT L nai hhOa<&-cEnpae-cavi~pog nai x a ~ i h nneayph-cwv ~i 6 ~ 0 u 66dv v ii&Jl cp@&v(L)v. „Freilich kommt auch wohl herbeigeschritten ohne Merkzeichen der Vergessenheit Wolke und zieht den geraden Weg der Pragmata uns seitwärts aus dem Sinn."44
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44 Olympia VII, 45ff., Pindari Carmina cum Fragmentis, ed. Bruno Snell, Leipzig: Teubner, 1953,28.
Die Art der Menschen ist so beschaffen, daß die hfiF3q - die Vergessenheit, das Gegenteil der d-hfi0~ia- wie eine Wolke, ohne daß wir es merken, uns benebelt. Dann verlieren wir den geraden Weg des menschlichen Vollbringens aus dem Blick. Sie zieht ihn uns von der Seite her ohne Merkzeichen aus dem Sinn. Die Bedeutung dieser Worte ergibt sich aus ihrer Antithese zu dem Spruch, der vorausgeht: „Gedeihen und Freude bringt den Menschen / I die Ehrfurcht eines vorausschauenden Sinnes." 45 Das ist die geistige Haltung eines Menschen, der das, was heilsam ist, zu erkennen vermag. Aber dann zieht der Vergessenheit Wolke über ihn hin. Die Metapher stammt, wie andere Pindar-Stellen zeigen, aus dem Bereich der Seefahrt. Ein Wolkenvorhang zieht auf und verdeckt dem Schiffer die Sicht, sodaß er den Kurs verliert. Sie begegnet uns in demselben Gedicht: „Von beiden Seiten her verhängen unzählige 1 1 Verfehlungen der Menschen Sinn." Und wenige Verse später: „Die Verfehlungen des Sinnes / 1 treiben auch einen Weisen vom Kurs ab."46 Diese beiden Worte werden in dem Bild wieder aufgenommen, daß der Vergessenheit Wolke über den Sinn hingeht. Dann kann der Mensch den Kurs seiner Lebensfahrt nicht mehr überblicken; die aus den Verfehlungen aufsteigende Vergessenheit zieht ihm, wie Pindar mit einer kühnen Wendung sagt, den rechten Kurs der Pragmata aus dem Sinn. Daraus ergibt sich die Erklärung unserer Stelle aus dem „Sophistes". Der Philosoph hat die „Ehrfurcht des vorausschauenden Sinnes". Ihm wird der rechte Kurs der Pragmata nicht durch die Wolke der Lethe verhüllt. Die nehypa-ca z f j ~OrhqO~ia~ liegen offen vor ihm. Aber die von den bloßen Worten benebelte Jugend ist ihnen fern. Sie hat den rechten Weg der Erkenntnis noch nicht gefunden und wird durch Leiden lernen müssen. Wenn Platon am Schluß von jenen Werken spricht, die sich in den verschiedenen Formen menschlicher Praxis einstellen, so weist das Wort xeG& unübersehbar auf den Ausdruck T & x e h y y a ~ a~ f j golhqOsiag zurück. Es gibt wahre und es gibt falsche Praxis. Aus der Praxis als solcher läßt sich überhaupt nichts
erkennen. Aber in den E ~ y aden , Resultaten, tritt unweigerlich ans Licht, wie es um die Praxis bestellt war. Hier zeigt sich die Wahrheit der x g h y p a ~ a'67)s &hqY)e~ia~. Die Ehrfurcht des vorausschauenden Sinnes hat diese Resultate schon im Blick, weil sie die Wahrheit kennt und sich bei ihrer Praxis vom Ausblick auf die Wahrheit, das heißt von der 0 e w ~ i aleiten läßt. Aber die Mehrzahl der Menschen ist dieser hohen Einsicht nicht fähig. Sie erfahren die Wahrheit, wenn es zu spät ist, durch das Erleiden von geschichtlichen Katastrophen; und selbst aus dem Leiden vermögen die Meisten nicht zu lernen, weil das Vermögen, aus Erfahrung zu lernen, ein vorgegebenes Wissen voraussetzt. Die Stelle aus dem „Sophistes" hat uns die Erfahrung verdeutlicht, von der die Stelle aus dem „Phaidon" spricht (99 C/D; 55/60). Wir verstehen jetzt auch durch die Erinnerung an Pindar, warum Platon den methodischen Weg der Philosophie mit einer Seefahrt vergleicht. Aber im „PhaidonL'verbindet sich mit diesem Bild ein anderer Gedanke. Sokrates entschließt sich zu dem ~ E U T E Q O S nho.1i~- der zweiten Seefahrt -, weil er die übermächtige Helligkeit der Olh.;lY)esta selbst nicht zu ertragen vermag und der Anstrengung der ersten Seea nicht gewachsen ist. Wie fahrt, der Seefahrt zu den x ~ h py a ~ selbst, man bei der Beobachtung einer Sonnenfinsternis zu einer Zeit, (in der) 47 es noch keine dunklen Brillen gab, die Augen dadurch schonte, daß man das Bild der Sonne im Spiegel des Wassers betrachtete, so betrachtet Sokrates das, was wahrhaft ist, im Spiegel der hoyot, der Aussagen. Es gibt bei Aristoteles eine Stelle, der wir entnehmen können, daß es sich um eine ganz bestimmte Form von Aussagen handelt. Er sagt nämlich: „Sokrates beschäftigte sich mit der Ethik, mit der Natur im Ganzen aber überhaupt nicht. Und in der Ethik suchte er das Allgemeine und richtete als Erster sein Denken auf die Definition. " 48 Die ) nach griechischem Verständnis eine AusDefinition ( O ~ ~ o p o gist sage, die die Antwort auf die Frage „Was ist das?" enthält. Sie ist eine Aussage, die das, was etwas ist, eingrenzen soll. Nun finden sich Im Text: „wo". Z W X ~ & T 62 O . U ~ @Y t& + O L ~ &xeay~aasvol~kvou n t - ~ bi: i -cqg ö h q ~ cp6oaw~o ~ % YFY , ~ E Y T O L2 0 6 ~ 0 LO 1 ~xaB0hov ~ ~ T O ~ Y Txai O SJG&@i ~ @ L C I ~ En~mfioavtosn ~ h z o vT ~ Kt&~oiav, Y Aristotles' Metaphysics, ed. by Sir David Ross, Oxford: Clarendon Press, 1924; Mel. I, 9876 I ff. 47
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an allem, was ist, viele Bestimmungen, die ihm nur beiläufig zukommen, die veränderlich sind und die verschwinden können, ohne daß es selbst aufhört zu sein. Der O Q L ~ F O Smuß also das ausgrenzen, was zu einem Seienden notwendig gehört, was es als ein solches konstituiert. In diesen konstitutiven Merkmalen erfassen wir das Seiende, wie es in Wahrheit (OS &hqO"g) oder „auf seiende Weise" (ov-ccr)~) ist. Das, was so eingegrenzt ist, nennt Platon und nach ihm Aristoteles, mit einem von o v ~ w gabgeleiteten Substantiv, die o6oia. Dieser Begriff wurde dann später, unter der Perspektive neuplatonischer Interpretation, durch das lateinische Wort substantia übersetzt. Wir werden später sehen, welche Bedeutung diese von Sokrates entdeckte Form des Logos für Aristoteles gewonnen hat. Wenn es die o4oia ist, die in dem Spiegel des sokratischen Logos erblickt wird, so wird die Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Seefahrt erst recht verständlich. Die Idee des Guten liegt, S - „jenseits der Seiendheit des wie wir sahen, 2ninetva T ~ o13oiac Seienden". Zu ihr kann man auf der zweiten Seefahrt nicht gelangen. Sie wird deshalb den Grund und Ursprung, auf dessen Suche sie ausgefahren ist, nicht erreichen. Im Höhlengleichnis tritt noch einmal der Gedanke auf, daß das Licht der Idee des Guten das Auge zu blenden droht. Es heißt dort an der Stelle, wo der zuvor Gefesselte aus der Höhle herausgetreten und in das Licht der Sonne gelangt ist: „Nicht wahr, wenn man ihn zwingen würde, in das Licht selbst zu blickcn, so würden seine Augen schmerzen, er würde sich abwenden und zurückfliehen zu jenem, was er anblicken kann, und er würde glauben, daß jenes in Wahrheit deutlicher sei, als was man ihm jetzt zeigt. - So ist es, sagte er. -Wenn nun, sagte ich, jemand ihn von dort mit Gewalt über einen holprigen und steilen Aufstieg hochschleppte und ihn nicht losließe, bis er ihn herausgezogen hat in das Licht der Sonne, würde der Geschleppte dann nicht Schmerz empfinden und wütend sein, und wenn er schließlich zum Licht käme, würdc er dann nicht, weil er die Augen voll von Glanz hat, überhaupt nichts mehr von dem erblicken können, von dem man jetzt behauptet, es sei das Wahre? - Jedenfalls nicht auf einen Schlag, sagte er. - Er würde also wohl der Gewöhnung bedürfen, wenn er das, was oben ist, sehen soll. Und zuerst würde er wohl die Schatten am leichtesten anblicken können und danach die Spiegelbilder der Menschen und der übrigen Dinge im Wasser, später aber die Dinge selbst. Und von ihnen ausgehend
würde er die Himmelskörper und den Himmel selbst in der Nacht wohl leichter betrachten können, ins Licht der Sterne und des Mondes blickend, als bei Tag im Blick auf die Sonne und das Licht der Sonne. -Natürlich. -Am Ende aber, glaube ich, würde er die Sonne, nicht im Wasser noch an einem fremden Platz, nur Scheinbilder von ihr, sondern sie selbst an sich selbst, an ihrem eigenen Ort wohl ins Auge fassen können und würde sie schauen, so wie sie ist. - Notwendig, sagte er. " 49 Sie sehen, wie sich hier auf dem Höhepunkt des Höhlengleichnisses dieselbe Metaphorik breit entfaltet, die wir schon aus der Stelle im „Phaidont' kennen. Zum Höhlengleichnis hat aber Platon im „Staat" selbst den Kommentar gegeben. Wir können deshalb diese Metaphorik präzise erläutern. Die Stufe der Erkenntnis, auf der der Geist das, was wahrhaft ist, nur im Spiegel der sokratischen hoyo~betrach- das ist das Denken, ten kann, trägt bei Platon den Namen SL&VOLU das von Grundsätzen ausgeht. Bei Kant heißt es: „VerstandGL. Jene höhere Form der Erkenntnis hingegen, die das Licht der Sonne selbst ins Auge zu fassen vermag, trägt bei Platon den Namen voüg, bei Kant heißt dasvermögen der Einheit: die „Vernunft", bei Hegel: der „Geistc'.Die obersten Grundsätze (die nach Sokrates die Form haben müssen) tragen den Namen finoOsoLc;. Die Erdes i>~topoc; kenntnis des voüc; erhebt sich über diese Grundsätze zu dem, was Ur-
0 6 x 0 6 ~xOLv ~i neOg a6.b .cb cp&g Olvayn&
sprung aller Grundsätze ist und deshalb nicht mehr in einer Aussage gefaßt werden kann. Das ist das OlvvnoO~~ov, das, was jeder möglichen Aussage und jedem möglichen Grundsatz vorausgeht und deshalb nicht mehr in der Form des Begriffs sondern nur in intellektueller Anschauung erfaßt werden kann. Es ist eine Mißdeutung, wenn man TO ~ V U X ~ ~ E Tspäter O V durch den Begriff „das Unbedingte" über, aber setzt hat, denn dadurch wird nur der Charakter der 6 ~ x 4nicht die Negation des hoyog zum Ausdruck gebracht. Daß man das später nicht mehr zu verstehen vermochte, hat für die Philosophie unabsehbare Konsequenzen gehabt. C.
a . ' A Q x bei ~ ~ Aristoteles
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Aristoteles hat, wie wir schon sahen, dem Gefüge der Kategorien den Platz eingeräumt, den bei Platon die Mathematik einnahm. Dieses Gefüge wird dadurch zusammengehalten, daß sie sich alle auf die erste Kategorie, die o2ioia, zurückbeziehen. Die erste Kategorie hat die formale Struktur des hoyoc; arg o6oiuc - der Aussage, die die oVoiu aufweist. Das ist der von Sokrates entdeckte 6~iopOc;.Weil Aristoteles die „Erste Philosophie" auf die Kategorienlehre begründet, kann er den „dämonischen Uberwurf" Platons nicht nachvollziehen. In der Theologie des Aristoteles steht Gott nicht jenseits der o6oiu - er ist vielmehr selbst die höchste o2ioia und wird erkannt im hoyoc; ~ijc; o6oiac;: dem Begriff. Der Philosophie des Aristoteles liegt also der Entschluß zugrunde, den S E ~ T E Qnhoüc; O ~ ; - die zweite Seefahrt - des Sokrates zum ersten und maßgeblichen nhovc;, zur Ersten Philosophie, zu machen. Hegels Abkehr von Schelling und die Wendung zu Aristoteles wiederholt diese Entscheidung. Deshalb ist bei Hegel das Absolute der Begriff. Deshalb entfaltet sich bei Hegel die Dialektik als das Sich-selbst-Begreifen des Begriffs. Wenn wir verstehen wollen, was das bedeutet, müssen wir noch drei Fragen aufklären: - Was bedeuten die Begriffe „Ursprung" und „Grundc', wenn der Ursprung als o6oia gedacht werden soll? - Was entsteht dann für ein GottesbegriR? - Wie verhält sich Hegels Dialektik zu der platonischen Dialektik? Wenn wir diese Fragen beantwortet haben, haben wir die Elemente
in der Hand, um einerseits die aristotelische Lehre vom v o 5 ~und damit die aristotelische Theologie und andererseits Hegels Begriff des Absoluten zu verstehen. Aristoteles definiert den Begriff der & Q X ~- des Ursprungs - im ersten Kapitel des V. Buches der „Metaphysikc', nachdem er die verschiedenen Bedeutungen analysiert hat, in denen das Wort &@x;igebraucht wird. E r sagt: „Das Gemeinsame an allen Ursprüngen ist, daß sie das Erste sind, von woher etwas entweder ist oder entsteht oder erkannt wird."50 Diese Bestimmung des Wesens von & Q X ~deckt sich fast vollAber T O Ses. ständig mit Platons Dimensionen der &@X? & V V T C ~ ~ E fehlt die wichtigste Bestimmung: bei Platon ist die Idee des Guten &@X( der Wahrheit; in der aristotelischen Definition kommt die Wahrheit nicht vor. Das Sein wird von der Wahrheit getrennt und verändert damit seine Bedeutung; es verselbständigt sich als bloße odoiu. Es verändert sich zugleich der „Begriff der Wahrheit, nach deren Möglichkeit nun nicht mehr gefragt werden kann. Man sieht mit Augen, wie, um mit Pindar zu sprechen, „der h4QqWolke ohne Merkzeichen seitwärts herbeigeschritten kommt". Aristoteles hat auch vier verschiedene Formen der u i ~ i a des , Grundes, unterschieden. Aber er erklärt, jede ui-cia sei &@X(. Der Begriff ist deshalb dem Begriff aizia übergeordnet; das Ursprung-Sein 4 macht den Grund erst zum Grund. An die Definition der 6 ~ x knüpfen sich viele schwierige Fragen, die Aristoteles mit der unermeßlichen Intensität und Scharfsinnigkeit seines Denkens untersucht hat. Man könnte seine ganze Philosophie als eine Untersuchung der &@xaiund ihrer Strukturzusammenhänge, modern gesprochen: als „Prinzipienforschung" darstellen. Ich brauche hier darauf nicht einzugehen, weil uns der Fortgang der Vorlesung nötigen wird, schrittweise unser Verständnis der vielfachen Bedeutung des Wortes 6 ~ ~ x zu vertiefen. Auch die I ~ V X ( ist nach Aristoteles 6 ~ ~ x man 9 kann das Wesen der I/IVX( nicht verstehen, wenn man das, was &QX( bei Aristoteles heißt, nicht klar erfaßt. Vor allem ist uns an dieser Stelle - das heißt unter der Perspektive eines Vergleiches von Aristoteles mit Hege1 - wichtig, daß Aristoteles in seiner Theologie das Wesen Gottes als & Q X ~bestimmt. „An die-
Sem Ursprung ist der Himmel und die Natur a ~ f g e h ä n g t . "E~r ~ist also Ursprung von dem, was ist, und von dem, was entsteht. Er ist aber v 6 q o ~V ~O " ~ ~ E C und O SYOIIOLS , ist die höchste Form des Erkennens. Gott ist deshalb in jeder der drei Bedeutungen des Wortes Ursprung. Er ist Ursprung des Seins, des Werdens und des Erkennens. Nun ist aber v 6 q o t ~als Erkennen die höchste mögliche Form von QUX(.Gott ist vo13~;in der Sprache Hegels: Gott ist Geist. Deshalb versteht man nicht nur das Wesen der Seele sondern auch das Wesen Gottes, der Natur und der Wahrheit nur, wenn man begreift, wie in der ipux$ die drei Bedeutungen von hex4 sich zur Einheit verschränken. Wir haben schon gesehen, daß v 6 q o ~ der ~ Vollzug des Erkenwie das nens ist. Die v 6 q o t ~verhält sich zum Vermögen des v o c ~ wirkliche Sehen zum Sehvermögen des Auges. Sie ist also das „ImWerk-Sein" des v o ü ~sie , ist E V E Q ~ E L Uin der früher ausführlich erläuterten Bedeutung. Im achten Kapitel des IX. Buches der „Metaphysik" zeigt Aristoteles, daß E Y ~ Q ~ E LinUjeder der drei Hinsichten & Q X ~ ist. Sie ist &@xijT@ h6yq. Sie hat den Vorrang in der Aufweisung des Logos und damit in der Erkenntnis (1049 b 12ff.). Sie hat den Vorrang T@ ~ ~ 6 -der v q Zeit nach; sie ist also Ursprung des Entstehens (1049 b 17ff .). Sie hat schließlich den Vorrang .cfj odoip - dem Sein nach; sie ist also auch Ursprung des Seins (1050 a 3ff .). Eine genauere Analyse des Kapitels zeigt, daß diese drei Gestalten des &@X(-Seinsder E V E Q ~ E L U nicht äußerlich nebeneinanderstehen. Die Fvigy~tahat vielmehr den Vorrang im Logos und der Zeit nach nur deshalb, weil sie den Vorrang der odoiu nach hat. Im Bereich des Logos ergibt sich das daraus, daß alle übrigen Kategorien auf die Kategorie der odoiu zurückbezogen sind; alle möglichen Prädikate beziehen sich notwendig auf ein Subjekt. DenVorrang der Zeit nach hat die i v i ~ y ~weil ~u, sie Ursprung der Bewegung ist. Wenn alle Bewegung aus E v E ~ y ~ t a hervorgeht, ist Evieyeta Ursprung des Entstehens. Was aber heißt Ursprung des Seins? Ist uns das Sein nicht immer schon gegeben? Wird man nicht durch die Frage nach dem Ursprung des Seins notwendig, wie Platon, in einen Bereich jenseits der odoiu getrieben? Aristoteles hat auf diese Frage eine Antwort. Im ersten Kapitel des V. Buches der „Metaphysik", also jenem schon zitierten Kapitel, in dem er den Begriff &@X$ definiert, unterscheidet er zwei
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Met. XIZ, 11072b 11; Ex - c o ~ a V t qd~ ~ Oar ~ x f~j Q~ X I I T C ~6L o U Q ~ V Oxai ~ 9 6 G t ~-. b 14. 51
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Formen des 6~x4-Seins.Es gibt Ursprünge, die in dem, wofür sie Ursprung sind, als ihm zugrundeliegend enthalten sind. Es gibt andere Ursprünge, die außerhalb dessen liegen, wofür sie Ursprung sinds2. Sie werden sofort bemerken, daß diese Unterscheidung der Unterscheidung zwischen ~ Q Ü E und L ~ n o i q o i ~entspricht. I i e ü t ~ g war ein Vollbringen, das sein Werk in sich selbst trägt; xoiqo~gein Vollbringen, dessen Werk, wenn es abgeschlossen ist, außerhalb des Vollbringens sein selbständiges Dasein hat. Die ~ Q Ü E L hat S bei Aristoteles, wie wir schon ahnen, einen Vorrang vor der xoiqo~s.In jeder xoiqo ~ manifestiert g sich eine x ~ ü E (damit ~g der Tischler einen Tisch herstellen kann, muß er leben). Wenn nun die neÜElg (also zum Beispiel das Leben) in sich selbst ihren Ursprung hat, dann ist dieser Ursprung zugleich Ursprung für jede xoiqo~gund deren Produkte. Die Ursprünge, die in dem, wovon sie Ursprung sind, selbst enthalten sind, haben also die Priorität. Um die Struktur dieser Form des Ursprung-Seins besser zu verstehen, betrachten wir das Wort, das Aristoteles zu ihrer Bezeichnung gewählt hat. Diese Olexcti sind Ev-vn-ol~xouoat.Man übersetzt gewöhnlich: „darinnen vorhanden", denn 6nolexe~vbedeutet in der Umgangssprache: Vorhandensein. Aber wenn von olexfi die Rede ist, muß dieses von olexfi abgeleitete Wort in seiner buchstäblichen Bedeutung verstanden werden. UQXELV heißt „herrschen6' oder „am Anfang liegen" und dadurch bestimmen. Alles, was Ursprung ist, hat die Eigenschaft, das, wovon es Ursprung ist, fortgesetzt immer weiter zu bestimmen und damit zu beherrschen. Ilxol~xe~v heißt: als Zugrundeliegendes beherrschen. Das ist eine genauere Bezeichnung der Form, wie Ursprünge beherrschen. Ein Ursprung beherrscht das, wovon er Ursprung ist, nicht von außen oder von oben her; er beherrscht es als ein Zugrundeliegendes, weil das in diesem Ursprung Begründete sich auflösen würde, sowie es sich von seinem Ursprung trennt. In altertümlichem Deutsch bezeichnet man diese eigenartige Form des „HerrschensU als „Durchwalten". Wenn der Ursprung auf diese Weise als ein Zugrundeliegendes fortwährend waltet, ist er in dem, was er durchwaltet, enthalten. Er ist eine ulexe Fvuxol~~ouou. Aristoteles zeigt nun im achten Kapitel des IX. Buches der „Meta-
daß alles, was Sein hat, nur dadurch ist, daß es Evbyeta als seine u l ~ E ~ veu x a ~ ~ o u oina sich enthält. 'EvE~yeiaist also der aristotelische Begriff für das innere Wesen dessen, was wir Sein nennen. In der E v i ~ y e ~begreifen a wir das Wesen der ovoia, ihre „Wirklichkeit". Aristoteles sagt: „Es ist evident, daß die oVoia und das bog 6vieye~uist" - cpuvsebv ÖTL ozioia nai TO eisog I v E ~ y e ~EOTLV. h (1050 b 2) In diesem Sinn ist die Evkeye~aUrsprung der ouoia, obwohl sie nicht jenseits der ouoia liegt. Alles, was überhaupt o6oia hat, liegt innerhalb der c p d o ~ Es ~ . ist irreführend, wenn wir dieses griechische Wort durch das Wort „Natur" übersetzen; denn „Naturc' bedeutet für das neuzeitliche Denken die Gesamtheit der Objekte der Erkenntnis. Die Erkenntnis selbst und was zu ihr gehört, liegt nicht in der Sphäre der Natur sondern in der ihr entgegengesetzten Sphäre der Freiheit. Der griechische Begriff der cp.Uo~~ hingegen umspannt die Sphäre der Natur und die Sphäre der Freiheit. Die Menschen, ja sogar die Götter haben ihren Sitz innerlzalb der cpdot~.Platon, dem man ohne jede Berechtigung einen Dualismus unterstellt, den er nie gelehrt hat, sagt ausdrücklich von den Ideen, daß sie ihren Stand in der cpdo~ghaben. Die cpdo~sselbst hat nach Aristoteles ihren Ursprung in der EvEey~tuGottes. Dieser Ursprung liegt nicht jenseits der rpdo~g;er ist vielmehr ihre Crexfi Evvnal~xouoa- der in ihr als ihr Grund enthaltene und sie in alle Ewigkeit durchwaltende Ursprung. Das ist der Gottesbegriff der Metaphysik seit Aristoteles. Wenn wir die Beziehung zu Hegel herstellen wollen, brauchen wir uns nur daran zu erinnern, was früher schon über das e?Sos gesagt wurde. Das ~?tIogist die durch den Begriff bezeichnete, bleibende Struktur. Aristoteles verwendet das Wort ESSOG oft so, daß in den Übersetzungen das Wort „Begriff dafür eingesetzt werden kann. In Kants transzendentaler Logik werden die Begriffe auf die Handlung des Begreifens zurückgeführt. Die Handlung des Begreifens, also die Funktion der Einheit in den verschiedenen Bestimmungen, die in der Einheit zusammengefaßt werden, ist dann das Wesen des Begriffs, der Begriff im Begriff. Wenn Hegel nun bei Aristoteles liest: TO ~?6og E Y E Q Y E L ~EBTLV - und wenn er gleichzeitig die höchste Form der FvEey~~a als vOqoig vofio~wgbestimmt findet, so muß er interpretieren: das sich selbst Begreifen des Begriffes ist die Wirklichkeit. In ihrem alles durchwaltenden Grund ist Wirklichkeit das Sich-selbstBegreifen Gottes, der absolute Begriff. Hegel ist also nicht nur in peripheren Bestimmungen, er ist im Zen-
trum seines Denkens ein Aristoteliker gewesen. E r begreift Gott als den die Wirklichkeit ewig durchwaltenden und in ihr selbst enthaltenen Grund und begreift das Wesen Gottes als Leben (bei Aristoteles (wq) und als Geist (bei Aristoteles voüg). E r übernimmt damit alle Konsequenzen, die in der Abkehr des Aristoteles von Platon vorgezeichnet sind. Gott liegt nicht jenseits der olroia, sondern er ist selbst odoia. Ja, er ist sogar das Wesen der oaoia, nämlich die Evk~y~La von Natur und Freiheit, der in aller Bewegung als sie durchwaltender Grund enthaltene Ursprung der Bewegung. Es ist eine der großen und, wie mir scheint, tragischen Paradoxien der Geschichte von Theologie und Kirche, daß diese, alle Eschatologie ausschließende Theologie zweimal, bei Thomas von Aquin und bei Hegel, mit solchem Nachdruck zur Grundform orthodoxer Dogmatik erhoben worden ist, daß auch die Gegenbewegungen sich von der Ubermacht dieses Denkens nicht zu befreien vermochten. Wir haben im ersten Teil der Einführung in die Metaphysik den Begriff der t v k ~ y ~-i der a Wirklichkeit -, im zweiten Teil den Begriff des Absoluten erörtert. Dabei stellte sich heraus, da8 der Begriff des Absoluten nicht zusammenhanglos neben dem Begriff der Wirklichkeit steht. Daß Wirklichkeit als FvFeyeia interpretiert worden ist, hatte zur Folge, daß das platonische &vun60e-cov- das Unbedingte nun nicht mehr jenseits der odoia steht, sondern selbst als odoia, als „absolute Wirklichkeit" gedacht werden soll. Damit entsteht jene Form der Metaphysik, mit der sich Heidegger auseinandergesetzt hat. Es entsteht nämlich eine Gotteslehre, in der Gott selbst als ein Seiendes, als das höchste Seiende, als das Summum Ens, gedacht wird. Das ist, wie Kant mit großer Klarheit gesehen hat, die äußerst fragwürdige Prämisse des ontologischen Gottesbeweises, dessen Geschichte folgerichtig mit dem XII. Buch der „Metaphysik" des Aristoteles, also mit der aristotelischen Gotteslehre, beginnt. Das Problem des ontologischen Gottesbeweises liegt nicht in der Frage, ob man das Sein Gottes beweisen kann oder nicht; es liegt vielmehr in der Frage, ob es zulässig ist, Gott den innerweltlichen Begriff des Seins zu unterscl-iieben. Vielleicht enthält gerade der Gottesbeweis die Gottesleugnung. Vielleicht beginnt im Untergrund von Kants Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises eine neue Epoche in der Geschichte der philosophischen Theologie, weil Kant die Möglichkeit eröffnet, das vermeintliche Sein Gottes als transzendentalen Schein zu durchschauen, ohne Gott selbst und seine Unendlichkeit
preiszugeben. Schelling hat dies, im Gegensatz zu Fichte und später zu Hegel, erkannt. Deshalb liegt für Schelling das Absolute wie für Platon E n E x ~ ~ v- cai j ~olroiag; jenseits des im Begriff erfaßten Seins. Hegel hat zwar versucht, die aristotelische Theologie mit Kants transzendentaler Logik zu verschmelzen, aber er verleugnet durch seine Rückwendung zu Aristoteles Kants tiefsten Gedanken. Sein Absolutes ist nicht mehr im Sinne Platons &vun60e-cov,es ist nicht mehr in Wahrheit „absolut".
(3. Der Satz vom Widerspruch als &ex4&vvn60s-cog Bei Aristoteles wird durch die Bestimmung Gottes als o6oia nicht nur die Metaphysik begründet. OVoia ist die Erste Kategorie, auf die alle anderen Kategorien notwendig zurückbezogen sind. Wenn Gott odoia ist, dann ist damit zugleich der absolute Vorrang der Kategorieiilehre vor der Mathematik begründet. Es ist dann begründet, n h o ü ~ die , zweite Seefahrt des warum bei Aristoteles der 6~lj-ce~og Sokrates aus dem „Phaidon", zur Ersten Philosophie werden mußte. Daraus ergibt sich eine Konsequenz, die das gesamte Schicksal der , mögliche europäischen Philosopliie bestimmt hat. Der h b y o ~dessen Strukturen im Gefüge der Kategorien enthalten sind, ist genauer definiert als eine Aussage, die entweder wahr oder falsch ist. Damit ergibt sich ein neuer Begriff der Wahrheit: das Wahre wird in Symmetrie zu dem, was ihm entgegengesetzt ist, also zum Falschen, gedacht. Die Form, in der das Wesen der Wahrheit gedacht wird, entscheidet immer über die gesamte Gestalt einer Philosophie. Der eigentliche uiid letzte Ursprung einer Philosophie ist deshalb in jenen Setzungen zu suchen, die über die Gestalt der in ihr erkennbaren Wahrheit entscheiden. Aristoteles hat dies klar erkannt. Er bestimmt deshalb als höchsten Ursprung den Satz vom Widerspruch. Ich muß Ihnen die Stelle wörtlich zitieren, damit Sie selbst sehen, was hier geschieht: „Die sicherste von allen ist jene, in deren Umkreis ~ notes unmöglich ist, sich zu täuschen. Eine so beschaffene O ~ Q Xhat wendig den höchsten Grad der Erkennbarkeit (denn man täuscht sich immer iiur über das, was man nicht erkennt) und sie ist &vux68e-cog - unbedingt. Denn eine &exq, die notwendig jeder innehaben kann, der, was auch immer, vom Seienden versteht: diese hat nicht mehr den Charakter der 6n68~olg.Was aber jeder notwendig kennt, der überhaupt etwas erkennt, das muß er notwendig immer
schon mitbringen. Daß nun eine so beschaffene & ~ x von f i allem überi aber ist, das haupt die sicherste ist, das ist evident. Welche d ~ x fdas wollen wir nunmehr sagen: Es ist unmöglich, daß Eines und dasselbe Einem und demselben in einer und derselben Hinsicht zugleich zukommt und nicht zukommt. (Es sei angenommen, daß wir alle weiteren Bestimmungen eingefügt haben, die zur Ausschaltung von logischen Einwänden erforderlich sind.) Dies ist von allen dexai überhaupt die sicherste. " 53 Ich habe Ihnen diesen Text im vollen Wortlaut übersetzt, damit Sie die wörtliche Anspielung auf Platon feststellen können. Der Begriff o ~ wie wir schon gesehen haben, von Plader 6 ~ x 4& v u x 6 O ~ z wird, ton eingeführt, um das Wesen der Idee des Guten zu bestimmen. Aristoteles verwendet hier den gleichen Begriff zur Bezeichnung des sogenannten Satzes vom Widerspruch. Wie ist das möglich? Wie kann ein Grundsatz, der in unserer Tradition als ein Prinzip der Logik gilt, die Stellung einnehmen, die bei Platon die Idee des Guten innehat? Hätte Aristoteles den Satz vom Widerspruch nur als Axiom der Logik aufgefaßt, so hätte dieser Satz seinen angemessenen Platz nicht in der „Ersten Philosophie" sondern in der Wissenscliaftstheorie der „Analytica Posteriora". Aber Aristoteles spricht hier nicht (wie man den Satz heute zu interpretieren pflegt) vom Logos und von der Zusammensetzung oder Trennung des Subjekts und seiner möglichen Prädikate. E r spricht vielmehr vom Seienden selbst und seiner Zusammensetzung oder Trennung. Der Satz „Es ist unmöglich, daß Eines und dasselbe Einem und demselben in einer und derselben Hinsicht zugleich zukomme und nicht zukomme", bedeutet nicht, wie man das später interpretiert hat: „Es ist unmöglich, daß ein und dasselbe Prädikat mit einem und demselben Subjekt in einer und derselnaoWv n e ~r iv S t a ~ $ ~ ~ a O f j&65va-cov. vat yvwp~yw53 ßeßatot&tq 6' t & ~ q TE v y&e Orvaynaiov E ~ Y C C-c+v L xota5xqv ( n q i Y&@& ~4 yvoeil;ovotv &na.chv-cat n&vts<) n a i &vvn60eiov. r v y h e Orvaynaiov EXELV tOv 6 ~ t o f i v EvvtFvta -chv ov-cwv, T O V ~OUX 6nOReot~.ö SE yvweii;etv &vaynaiov T@ OttoVv yvw~i
ben Beziehung zugleich verbunden und nicht verbunden wird. " Der Satz spricht nicht von Aussagen, er spricht auch nicht von der Erkenntnis, sondern er spricht vom ov ov - dem Seienden als einem solcheri. Das ergibt sich schon aus der Zeitbestimmung „zugleich", die Kant deshalb aus dem Satz vom Widerspruch eliminieren wolltes4. ES ergibt sich aber auch aus der Bedeutung, die das vorliin in anderer Bedeutung schon besprochene Wort ~ Z & Q X E Lhier ~ hat. Ich will diese Bedeutung zunächst durch ein Beispicl erläutern. Wir nehmen an, das Seiende sei ein Stein. Er befindet sicli zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort; er hat ein bestimmtes Gewicht und eine bestimmte Große. Dann besagt der aristotelische Grundsatz, daß der Stein nicht zugleich an einem andercn Ort sein, ein anderes Gewicht und eine andere Größe haben kann. Zwar kann ich ihn aufheben und zum Schleifen bringen; dann befindet er sich an einem anderen Ort und erhält ein anderes Gewicht und eine andere Größe. Aber es ist uiimöglich, daß er die neuen Eigenschaften gleichzeitig mit den alten hat. Wenn ich diescs Beispiel erzähle, brauche ich nicht hinzuzufügen, daß ich nicht über Aussagen sondern über den wirklichen Stein, seine wirkliche Lage und seine wirklichen Eigenschaften gesprochen habe. Das ist jedermann evident, und weil es für uns evident ist, sind wir überzeugt zu wissen, daß es wahr ist. Nun können wir aber die so erkannte Wahrheit auch aussprechen. Wir können sagen: der Stein ist 200 g scliwer. Betrachten wir diese Aussage, so hat sie ein Subjekt: „der Stein", und ein Prädikat: „ist 200 g schwer". Nach dem Schlcifen ist der Stein 170 g schwer. Das Prädikat kann wechseln; das Subjekt bleibt dasselbe. Wenn wir daran festhalten, daß der Satz wahr ist, so müssen wir sagen, daß das Subjekt die Einheit derjenigen Eigenschaften bezeichnet, die sich im Wechsel der Zeit nicht verändern, die Prädikate hingegen diejcnigen Eigenschaften, die sich im Lauf der Zeit veräiidern können, ohne die Identität des Subjekts mit sich selbst zu zerstören. Daraus erklärt sich, daß das Wort „zugleich6' in dem aristotelischen Axiom enthalten sein muß. In ihm kommt iiämlicl-i zum Ausdruck, wovon in diesem Satz die Rede ist: es ist die Rede von der Relation eines mit sich identischen Seienden zu seinen nicht mit sich idcntischen Eigenschaften. Es ist die Rede vomVerhältnis zwischen Sein (im Sinne von Mit-sFch-identisch-Sein) und Zeit. Der Satz besagt: zwar findet sich
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KrV B 191f.
an allem, was überhaupt ist, die Unterscheidung zwischen Identität und Wechsel. Wir könnten auch sagen: Zwar findet sich an allem, was überhaupt ist, die Differenz von Identität und Nichtidentität. Aber zu einem und demselben Zeitpunkt und in einer und derselben Hinsicht ist jedes Seiende in der Totalität seiner jeweiligen Bestimmungen mit sich identisch. Der Satz hat also eine bestimmte Form der Identität von Identität und Nichtidentität zum Inhalt. Die Identität von Identität und Nichtidentität ist bekanntlich das Grundprinzip von Hegels Dialektik. Deswegen läßt sich sagen, der sogenannte Satz vom Widerspruch sei das höchste und unbedingte Prinzip, auf dem Hegels gesamte Philosophie einschließlich seiner Dialektik aufbaut. Wir sind aber noch weit davon entfernt, die Bedeutung des Wortes Z& 6 n ~ i ~ x o verklärt - c ~ ~ zu haben. Wir haben festgestellt, daß im Spiegel der Aussage die Unterscheidung des mit sich selbst identischen Seienden und seiner wechselnden Eigenschaften als Unterscheidung zwischen Subjekt und wechselnden Prädikaten erscheint. Deswegen hat das Prädikat der Aussage, wie Aristoteles in seiner Schrift ,,n&ei. k e p ~ v ~ i a gfeststellt, " im Unterschied zum Subjekt die Eigentümlichkeit, daß es die Zeit immer mit bezeichnet (16b 6). Nun sind wir von der Feststellung ausgegangen, es sei evident, daß derselbe Stein sich nicht gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten befinden kann. Wir sind also davon ausgegangen, daß das Verhältnis zwischen bleibenden und wechselnden Bestimmungen im Spiegel der Aussage so erscheint, wie es am Seienden selbst ist. Der Stein war nur ein beliebig herausgegriffenes Beispiel. Aber die Formen der Aussage sind immer dieselben. Würden wir in eine dieser Formen ein anderes Beispiel einsetzen, so würde die Aussage ebenfalls wahr sein. Wir hätten dann ebensowenig Anlaß, die Wahrheit der Aussage zu bezweifeln. Daraus folgt, daß die Struktur der Aussage eine allgemeine Struktur widerspiegelt, die sich in jedem Seienden aufweisen läßt. Nachdem wir dies eingesehen haben, können wir sagen: die Aussage ist in Bezug auf den Stein nicht deshalb wahr, weil es gerade dieser Stein ist, auf den sie sich bezieht. Die Aussage ist vielmehr deshalb wahr, weil dieser Stein ein Seiendes ist. Nur weil die Struktur der Aussage als solche die Struktur des ov Öv widerspiegelt, kann die bestimmte Aussage ein bestimmtes Seiendes so aufweisen, wie es von sich aus - als eiii Seiendes - ist. Damit haben wir einen ersten Einblick in das Thema der Ersten Phi-
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losophie gewonnen. Der erste Satz des IV. Buches der „Metaphysik", in dem Aristoteles den Satz vom Widerspruch aufstellt, heißt: EOZLY FnLo~fipyZ L ij~OECOQE~ ZO ov fi Ov xai T& ao.jtq 6n6qxov-c~ xae' aha - „es gibt eine Art von Wissenschaft, die betrachtet das Seiende als Seiendes und das, was diesem an sich ,zukommt"' (1003 a 21). Ich habe das Wort T& .iin&exov~aso übersetzt, wie man es im Allgemeinen zu übersetzen pflegt. Aber wenn das, was hier untersucht wird, an sich (xa0' a h 6 ) zum Seienden als Seiendem gehört, dann „kommt" es ihm nicht irgendwoher „zu", wie seine wechselnden Eigenschaften; es handelt sich dann vielmehr um Bestimmuiigen, die das Seiende als solches erst konstituieren, ohne die es nicht sein kann, die sein Sein ausmachen. Deswegen übersetzt Schwegler: „dessen grundwesentliche Eigenschaften"". Hier sind die 6 z u ~ ~ o v ~ nicht c x wechselnde Prädikate sondern zugrundeliegende & ~ x a i . Das Wort X& .iin&exov~a hat dann die selbe Bedeutung wie in dem a ~ - es sind in dem Seienden selbst Ausdruck a i E v v n u ~ ~ o u o&exai als dessen Grund enthaltene Ursprünge. Setzen wir diese Ubersetzung in den Satz vom Widerspruch ein, so gewinnt er eine überraschende Bedeutung. E r heißt dann: „Es ist unmöglich, daß dasselbe demselben in derselben Hinsicht zugleich als sein Ursprung zugrundeliegt und nicht zugrundeliegt." Nun spricht der Satz auf einmal nicht von dem Verhältnis eines bestimmten Dinges zu seinen wechselnden Eigenschaften sondern von dem Verhältnis des Seienden als solchem zu seinen (in ihm enthaltenen) Ursprüngen. E r hat nun einen gänzlich anderen Inhalt. Aber auch in dem neuen Sinn ist er, wenn man aristotelisch denkt, wahr. Von welchen Ursprüngen ist hier die Rede? Wir kehren zu unserem Beispiel zurück: der Stein liegt an diesem oder jenem Ort, aber an irgendeinem Ort befindet er sich immer. Ebenso befindet er sich immer in der Zeit. E r hat immer irgendeine Qualität, irgendeine Quantität und irgendeine Relation zu anderen Dingen. Nachdem wir dies bemerkt haben, können wir sagen: der Stein hat nur deshalb die Möglichkeit, sich jetzt an diesem, später an jenem Ort zu befinden, weil es notwendig zu ihm gehört, sich überhaupt an einem Ort zu befinden. Ein Stein, der sich nirgendwo befindet, ist nicht mehr Albert Schwegler, Die Metaphysik des Aristoteles, Grundtext, Übersetzung und Commentar nebst erläuternden Abhandlungen, Reprint, Frankfurt: Minerva, 1960, Bd. 2,48. 55
Stein. Deshalb ist die Eigenschaft, sich notwendig an einem Ort zu befinden, für das Stein-Sein des Steines konstitutiv. Es ist ein Bxkexov ilaü a 6 ~ -6 ein in ihm enthaltener, ihm zugrundeliegender und ihn, solange er überhaupt ist, bestimmender Ursprung. Das Gleiche gilt von allem anderen, das wir feststellen können: seinem In-derZeit-Sein, seiner Quantität, seinen Qualitäten, seiner Relation zu anderen Dingen. Man kann diese anderen Bestimmungen isoliert betrachten - deswegen gehören die Worte „in derselben Hinsicht" notwendig in den Satz vom Widerspruch herein. Aber es ist deutlich, daß sie sich nicht voneinander trennen lassen. Alles, was sich an einem Ort befindet, befindet sich notwendig auch in der Zeit, hat Quantität und Qualität und steht in Relation zu anderen Dingen. Was wir hier nebeneinander aufzählen, das sind in Wahrheit nur verschiedene Aspekte eines und desselben Gefüges. Nun haben wir bereits gesehen - die Aussage: „Dieser Stein da liegt an dem und dem Ort", bezieht sich ihrem Inhalt nach auf diesen und nur diesen Stein, an diesem und nur diesem Ort. Aber in der Struktur der Aussage, das heißt in der Form der Verbindung von Subjekt und Prädikat zeigt sich uns wie in einem Spiegel die Struktur dieses Seienden als eines solchen. Wäre dieser Stein nicht ein Seiendes, so wäre auch die Aussage nicht wahr. Da aber, wie wir ebenfalls gesehen haben, die Aussagen, die wir über anderes Seiendes machen, in ihrer Struktur deckungsgleich sind, so können wir nun behaupten: in den reinen Strukturen der Aussage erfassen wir das Seiende als solches und die darin enthaltenen ihm zugrundeliegenden Ursprünge. Die Strukturen ergeben sich aus dem Gefüge der Aspekte, unter denen ein Seiendes als solches sich im Spiegel der Aussage zeigt. Diese Aspekte sind: Ort, Zeit, Quantität, Qualität, Relation und so weiter. Das sind die berühmten aristotelischen Kategorien. Wir können also jetzt sagen: in den Kategorien erfassen wir das Seiende als Seiendes und die in ihm enthaltenen, ihm zugrundeliegenden Ursprünge. Der erste Satz des IV. Buches der „Metaphysikc' enthält darüber hinaus noch einen zusätzlichen Hinweis: die sprachliche Unterscheidung zwischen dem Seienden als Seiendem und den ihm notwendig sonst zugehörigen aexai entspricht der Unterscheidung zwischen der ersten Kategorie, der odoia, und allen übrigen Kategorien - einer Unterscheidung, die im Spiegel des Logos als Unterscheidung zwischen Subjekt und möglichen Prädikaten erscheint. Jedes Prädikat enthält in seiner Struktur den Rückverweis auf ein mögliches Subjekt. Jedes
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Subjekt enthält in seiner Struktur den Verweis auf mögliche Prädikate, denn erst durch diesen Verweis ist es „Sub-jekt", griechisch 6xoileiyevov - das möglichen Pradikaten Zugrunde-Liegende. Die in jedem Seienden als der Grund seines Seins enthaltenen Ursprünge sind also jene reinen Strukturen dcs Seienden als eines solchen, die in den Kategorien zutage treten und die Struktur der Aussagen bestimmen. Jedes bestimmte Seiende repräsentiert dadurch, daß es ein Seiendes ist, diese Strukturen; jedes bestimmte Seiende steht allein dadurch, daß es ist, im Gefüge der Kategorien. In diesem Gefüge ist der Vorrang der o6oia vorgezeichnet. OVoia aber ist, wie wir a. der gesehen haben, in ihrem reinen Wesen erfaßt, E v E ~ y ~ iDank E v E ~ y ~der t a oVoia sind auch die übrigen Bestimmungen, die innerhalb der Ordnung der Kategorien einem Seienden zukommen konnen, „wirklichd'. Die oVoia ist jenes Selbe und mit sich Identische, von dem der sogenannte Satz vom Widerspruch spricht. Er formuliert das Gesetz, das das Verhältnis der oVoia zu den übrigen Kategorien bestimmt. Es ist unmöglich, da8 das selbe Seiende in den durch die verschiedenen Kategorien vorgezeichneten Dimensionen gleichzeitig einander widersprechende Bestimmungen enthält. Das Seiende ist gleichsam in verschiedenen Stufen mit sich selbst identisch: a. zum gleichen Zeitpunkt ist es mit sich selbst total identisch, b. seine odoia bleibt auch beim Wandel der nach den übrigen Kategorien ihm zukommenden „Eigenschaften" mit sich identisch, C. die Sätze a und b sind nur deshalb möglich, weil das Gefüge der Kategorien als solches zu allen Zeiten mit sich selbst identisch bleibt. Der sogenannte Satz vom Widerspruch ist das Prinzip, das uns erlaubt, diese verschiedenen Formen der Identität zu bestimmen und zu unterscheiden. Er formuliert die Unterscheidung zwischen der oVoia und den 6 x k ~ x o v ~Ea r. legt deshalb die Seinsstruktur fest, die in der Kategorienlehre fixiert wird. E r enthält darüber hinaus, wie wir sahen, die aristotelische Begründung für die Vorrangstellung der Kategorienlehre und damit der Logik. Da aber auch die „Metaphysik" durch den Satz, daß Gott odoia ist, die Kategorienlehre als ihre Begründung voraussetzt, ist in diesem Prinzip zugleich die Struktur der aristotelischen Theologie vorgezeichnet. Indem er die gesamte Philosophie an die Struktur des h 6 y o ~6norpawlil65 bindet, entscheidet er zugleich, welcher Begriff der Wahrheit die Gestalt des
philosophischen Denkens bestimmen soll: der hbyog hxocpavt~x6g ist eine Aussage, die durch die ihm eigentümliche Verbindung von Subjekt und Prädikat eine eindeutige und symmetrische Alternative zwischen wahr und falsch erzwingt. Die Interpretation ergab, daß der Satz vom Widerspruch zwei Auslegungen zuläßt, die sich nicht derart symmetrisch zueinander verhalten. Die eine Auslegung bezog den Satz vom Widerspruch auf das Verhältnis eines Seienden zum zeitlichen Wechsel seiner Eigenschaften. Die andere Auslegung bezog ihn auf die . V n & ~ x o vx~aaü UBTO - auf die dem Seienden als solchem zugrundeliegenden k ~ x a i Man . könnte meinen, diese zweite Auslegung, die auf den ersten Satz des Buches zurückgreift, sei unangebracht, weil dem Seienden als solchem immer die gleichen EL~xcrizugrundeliegen. Dann fiele die Alternative, daß eine Bestimmung dem Seienden nicht zugrundeliegt, fort. Der Satz verlöre seinen Sinn. Aber dieser Einwand übersieht, daß die oVaia in sich selbst nach Aristoteles die Polarität von 6fiva~ L und S FvEeye~aenthält. Das Seiende als solches enthält in sich die Möglichkeit, wechselnde Bestimmungen anzunehmen. Es ist als solches ein Bewegtes, dessen Bestimmungen sich innerhalb des bleibenden Gefüges der Kategorien mit dem Wandel der Zeit verändern. Das Seiende ist deshalb als ein Solches durch den zeitlichen Wechsel seiner .Vx&exov.cabestimmt. Daraus ergibt sich: die beiden Interpretationen des Satzes vom Widerspruch sind zwar verschieden, aber sie schließen sich nicht aus. Die näher liegende und übliche Interpretation, die den Satz nicht auf das dv 8 OY sondern auf dieses oder jenes und jedes mögliche Seiende bezieht, setzt eben, weil sie sich auf jedes mögliche Seiende bezieht, die zweite Interpretation voraus, in der der Satz die Identität des Seienden mit sich selbst in seinem Verhältnis zur Nichtidentität seiner Bestimmungen umreißt. Derselbe Satz läßt sich mit gleichem Recht auf die Struktur der Logik und die Formen möglichen Wissens wie auf die Struktur des Seins und auf den Wechsel seiner Bestimmungen, also auf Werden und Vergehen, beziehen. Er ist hex3 in allen drei Bedeutungen des Wortes: Ursprung der Erkenntnis, Ursprung des Seins, Ursprung des Entstehens. Über den Satz kann nicht herausgefragt werden, weil jede Aussage und damit auch jede mögliche Erkenntnis nach Aristoteles ihn voraussetzen muß. Deshalb nimmt Aristoteles für ihn in Anspruch, was Platon von der Idee des Guten gesagt hatte: er ist h v u n b e ~ t o ~ . Wir sprechen ihn zwar als Satz aus, aber er hat nicht den Charakter
der " U ~ ~ E Odes L SAxioms , im üblichen Sinne des Wortes, sondern er formuliert, in der Sprache von Kant gesagt, die Bedingungen der Möglichkeit von Axiomen. Hat man sich dieses alles klargemacht, hat man begriffen, daß der Satz nichts anderes festlegt als das Wesen und die Struktur jener Identität, die ein Seiendes zu einem Seienden macht, so ist der Unterschied zwischen dem Satz vom Widerspruch uiid der Idee des Guten nicht mehr so groß, wie es zuerst den Anschein hatte. Der platonische Begriff des dvun60e~overgab sich, wie wir im Anschluß an Krämer sahen, daraus, daß Platon sich genötigt sah, zwischen dem Einen und dem Seienden zu unterscheiden. Deshalb lag die Idee des Guten - das Eine -jenseits der oI3oicc. Der Satz vom Widerspruch legt fest, wie man die Identität zu fassen hat, wenn man die platonische Differenz zwischen Einheit und Sein nicht zulassen will. Deshalb ist dieser Satz in der Tat das Grundprinzip der aristotelischen Philosophie. Wollte man diesen Satz streichen, so würde die ganze Kategorienlehre und damit sowohl die Theologie wie die Physik des Aristoteles in Auflösung geraten. Die hier skizzierte Untersuchung hat schon angedeutet, daß die Probleme, die Aristoteles durch die Einführung dieses Prinzips aus der Welt schaffen wollte, keineswegs zum Verschwinden gebracht worden sind. Der Satz, der die Eindeutigkeit aller Erkenntnis festlegen soll, ist in sich selbst vieldeutig. Eine schärfere Aiialyse würde zeigen: er ist in sich selbst widersprüchlich. Bei Leibniz taucht die Differenz zwischen der Identität, die der Satz vom Widerspruch definiert, und der Identität, die Platon „die Idee des Guten" nannte, auf höchst eigentümliche Weise wieder auf: Leibniz sieht sich genötigt, dem Satz vom Widerspruch das magnum principium des Satzes vom zureichenden Grunde überzuordnen (49). Leibniz hält aber daran fest, daß Gott als oVoia gedacht werden soll. Dcr „Satz vom Grund" führt alles Sein auf den „Realgrund" dieses höchsten Seins zurück. Es wurde schon angedeutet, daß auch bei Aristoteles die höchste o6oicr, die o6oia Gottes, zugleich die von allem ist, was erkannt werden, sein und entstehen kann. Auch bei Aristoteles gibt es also zwei höchste und ,,unbedingte" kexai: Gott und den Satz vom Widerspruch. Faßt man die Relation dieser beiden k@xaiins Auge, so ergibt sich die Grundfigur von Hegels Dialektik: das Verhältnis von Thesis und Antithesis wird durch den Satz vom Widerspruch bestimmt; die Synthesis wird von Gott getragen, und erst wenn man beides zusammenfaßt, entsteht
die unendliche Kreisbeweguiig der Dialektik, in der sich die Identität von Identität und Nichtidentität vollbringt.
Exkurs: Die stoische Herkunft der Idee des absoluten Systems Zum Begriff des Absoluten ist der Artikel „absolut, das Absolute" aus dem von Joachim Ritter herausgegebenen „Historischen Wörterbuch der Philosophie" zu vergleichen. Ich gebe hier noch einen dort fehlenden Hinweis, der dazu dienen mag, ein für Hegel wesentliches aber in Aristoteles nicht enthaltenes Moment dieses Begriffes zu erläutern. Als philosophischer Begriif taucht das Wort „absolutus" zuerst bei Cicero auf. Es steht dort in einer festenVerklammerung mit dem Begriff „perfectus" - vollkommen. Mit Hilfe von Merguets Lexicon zu Ciceros philosophischen Schriften läßt sich nachprüfen, daß diese Begriffsverbindung an Stellen auftritt, wo Cicero eine stoische Quelle benutzt". Man muß also prüfen, welcher griechische Begriff der stoischen Terminologie als Äquivalent filr „ahsolutus et perfectus" in Frage kommt. Es fehlt der Raum, um auszuführen, wie man schließlich zu dem Resultat kommt, das hier ohne Begründung genannt werden soll: die ciceronische Fügung „absolutus etpevfectus" ist eine sinngemäße Wiedergabe des stoischen Begriffes a.ii-col~itqs. Was dieser Begriff bedeutet, ergibt die Stelle: „Autark, wird gesagt, sei allein der Kosmos, weil er als einziger in sich selbst alles enthält, dessen er bedarf. E r ernährt sich und wächst aus sich selbst, indem die übrigen Teile wechselseitig ineinander übergehen."s7 Weil der Kosmos in sich selbst alles enthält und sich aus sicl_iselbst ernährt, ist sein Sein von keiner Bedingung außerhalb seiner selbst abhängig. E r hat sein Sein nicht relativ auf ein anderes Sein; er ist nicht abhangig Merguct, Lexikon zu den Schriften Ciceros, zweiter Teil: Lexikon zu den philosophischen Schriften, Band I, Jena: Gustav Fischer, 1887,20ff. 57 A u ~ o l ~ 6' n q~~t v ahsye~at t y 6 v o ~b n b o p o ~h, ~ -cb a p 6 v o ~iv ab%@n & v ~ a FXELV&V OE~TCIL. nui .tetrpt.ca~E: a . 6 ~ 0 nai 6 ~ C ~ E T-cGv U I &LLwv , poeitov eis ahhqha na-cahhamopEvov Stozcouum W e r u m Fragments, hrsg. V.Johannes V. Arnim, Bd. I1 Chrysippi Fragmcnta Logica et Physica, Nacl-idruck Lcipzig: Teubner, 1923 (1. Auflage 1902), 786.
von irgendetwas, was ihn bedingt. Er ist deshalb unbedingt und absolut. Als das Absolute und Vollkoinmene wird also hier die absolute Totalität verstanden, die sich aus sich selbst heraus in Bewegung hält. Das ist für Hegel insofern konstitutiv, als auf diesem Begriff des Absoluten sein Begriff des absoluten Systems als einer in sich vollendeten Totalität beruht. Aristoteles hat in dieseln Sinn bei aller Geschlossenheit und Konsistenz kein „System". Der Systembegriff der Metaphysik ist stoischen Ursprungs. Die Bemerkung, daß alle Teile innerhalb des Kosmos wechselseitig ineinander übergehen, ist für Hegels Dialektik ebenfalls von Bedeutung: Insofern die Teile voneinander verschieden sind, stehen sie zueinander in Gegensatz; insofern sie ineinander übergehen, sind sie Momente jener Einheit, die sich in der Totalität des Kosmos ewig (gleich bleibt) und dennoch immer neu herstellt. Nimmt man hinzu, daß in der stoischen Metaphysik die 6 ~ x dieser 4 Totalität der Logos ist, und daß der menschliche Geist in der Erkenntnis des Logos an seiner absoluten Totalität, das heißt an seiner Autarkie, Anteil haben kann, so sieht man, daß der stoische Einfluß auf Hegels Begriff des Absoluten mit dem aristotelischen Einfluß in Konkurrenz tritt. Aber nur aus Aristoteles ist abzuleiten, was als das „innere Prinzip" von Hegels Philosophie bezeichnet wurde: die Wirklichkeit und das Leben des Absoluten, seine Substanz, die dadurch Subjekt ist, daß sie sich begreift. Hegel hat, wenn der Ausdruck erlaubt ist, den stoischen Entwurf des totalen Systems mit aristotelischem Leben erfüllt. Deswegen bleibt es richtig, ihn als einen Aristoteliker zu charakterisieren, selbst wenn man den Einfluß der Stoa nicht, wie es üblich ist, unterschlägt. Aristoteles hat Hegel in seinen originalen Schriften studiert. Der stoische Einfluß ist vorwiegend durch die philosophische und theologische Tradition vermittelt. Auch aus diesem Grund hat Aristoteles einen uneinholbaren Vorrang.
111. Zusammenfassung Damit uns die Ubersicht über den Garig der Unter-suchurig nicht verlorengcht, ist an dieser Stelle eine Rekapitulation der wichtigsten Schritte geboten. Wir befinden uns im Ersten Teil dieser Vorlesung, der unter der Leitfrage nach dem Verhältnis von Aristoteles und
Hegel eine Einführung in die Metaphysik überhaupt zu geben versucht. In einer methodischen Vorbemerkung wurde geklärt, daß eine Einführung in Aristoteles die Gestalt einer Einführung in die Metaphysik überhaupt annehmen muß, weil Aristoteles, wie der Vergleich mit Hegel zeigen soll, die europäische Metaphysik in ihrer seither maßgeblichen Gestalt begründet hat. Nur wenn man diese geschichtliche Wirkung vor Augen hat, kann man den Gehalt und die Relevanz der Untersuchungen, die Aristoteles durchführt, ermessen. Nur dann gewinnt man einen Blick dafür, wovon bei Aristoteles die Rede ist. Um die Gefahr zu vermeiden, da13 beim Vergleich von Aristoteles und Hegel nur Äußerlichkeiten zueinander in Beziehung gesetzt werden, deren relativen Stellenwert man nicht beurteilen kann, sind wir vom Zentrum, nämlich von Hegels Begriff der absoluten Idee ausgegangen. Es kam uns darauf an zu zeigen, daß das innere Prinzip von Hegels Philosophie maßgeblich durch Aristoteles bestimmt ist. Die absolute Idee hat bei Hegel eine vieldimensionale Struktur. Es kommt darauf an, ihre tragenden Momente so zu begreifen, daß deren innere Einheit durchsichtig wird. Im Abschnitt 11, 1 wurde die Wirklichkeit der absoluten Idee ins Auge gefaßt. Es wurde gezeigt, a wird. daß Wirklichkeit bei Hegel aristotelisch als k v k ~ y e ~gedacht Durch eine Erläuterung des Begriffes Evkeyr~akonnte zugleich aufgehellt werden, warum Hegel die Wirklichkeit der absoluten Idee als Identität der theoretischen und der praktischen Idee darstellt. Wirklichkeit ist bei Hegel immer die Wirklichkeit des absoluten Geistes, das heißt Gottes. Entsprechend hat auch Aristoteles das Wesen Gottes als Evieyela bestimmt. Diese k v k ~ y hat ~ ~ die a Gestalt der v6qolg voqoscog. Sie ist das Im-Werk-Sein des Erkennens des Erkennens bei Hegel das Sich-selbst-Begreifen des absoluten Geistes. So führt die Frage nach dem Sinn von Wirklichkeit auf die Frage nach dem Wesen Gottes. Wenn hier von Gott gesprochen wird, ist stets der Gott der Metaphysik gemeint. Da aber die theologische Gotteslehre durch die metaphysische Gotteslehre tief beeinflußt wurde, ist es unmöglich, in der bisherigen Tradition christlicher Theologie eine klare Unterscheidung zwischen dem Gott der Metaphysik und dem Gott der christlichen Offenbarung durchzuführen. Der Gottesbegriff der europäischen Metaphysik ist, durch alle Modifikationen, die er im Lauf der Geschichte erfahren hat, hindurch, von dem platonischen Gottesbegriff bestimmt: die Idee des Guten ist
& v u n 6 0 ~ ~ oDaraus g. ergab sich für Abschnitt I I , 2 die Aufgabe, nicht nur einen sondern zwei Begriffe in ihrem Wechselverhältnis zu untersuchen: den Begriff &@X(,der in Hegels absoluter Idee als das Moment des „inneren Grundes" erscheint, und den Begriff & v u x 6 Q ~ ~ oder g , später unter dem Namen „das Unbedingte" ein bestimmendes Moment des Absoluten darstellt. Gott wird in der Metaphysik als unbedingter Grund gedacht; wir müssen darüber ins Klare kommen, was das heißt. Nun tut sich gerade in der Bestimmung des Begriffs &@xfi&vunoQ~TOS die tiefste und wesentlichste Differenz zwischen Aristoteles und Platon auf. Platon gibt diesen Namen der Idee des Guten, Aristoteles (gibt ihn), unter Anspielung auf Platon, dem sogenannten Satz vom Widerspruch. Bei Platon liegt die Idee des Guten jenseits der ovoia, bei Aristoteles ist sie selbst die höchste und reinste oimia, die ovoia schlechthin. Wir waren also hier genötigt, den engen Rahmen einer Untersuchung des Verhältnisses von Aristoteles und Hegel zu überschreiten, denn Aristoteles selbst ist nur zu verstehen, wenn seine Differenz zu Platon durchsichtig wird, wenn also der Sinn der Entscheidung hervortritt, die seine gesamte Philosophie konstituiert. Wenn Hegel sich das innere Prinzip seiner Philosophie durch die Ontologie des Aristoteles vorzeichnen läßt, übernimmt er diese Entscheidung mit allen ihren Implikationen. Die Bedeutung dieser Feststellung rückt in ein scharfes Licht, weil sich herausstellt, daß Hegels Abkehr von jenem Begriff des Absoluten, den Schelling ausgebildet hatte, in einer genauen Analogie zur Abkehr des Aristoteles von Platon steht. Die Frage nach der Bedeutung des Begriffes &@xfi&vux60stog kann also nicht in einem Zuge beantwortet werden. Wir sind so vorgegangen, daß wir zunächst, ausgehend von Heideggers Vorlesung „Was ist Metaphysik?", die konstitutive Denkform der Metaphysik überhaupt zu begreifen versuchten. Das ließ sich durch einen Ausblick auf Leibniz und den von ihm aufgestellten „Satz vom Grund" verdeutlichen. Durch diese einführende uberlegung war gesichert, daß eine Untersuchung des Begriffes &@X$ 6 v u x 6 0 ~ mit ~ o der ~ Aufgabe einer Einführung in die Metaphysik überhaupt in einem strengen Zusammenhang steht. Anschließend wurde in zwei Durchgängen gefragt: - Was heißt & Q X ~bei Platon? - Was heißt 6 v v x 6 0 ~ ~ 0bei g Platon? Dabei stellte sich heraus, daß beide Begriffe ihre platonische Bedeu-
tung durch Platons Unterscheidung zwischen der Einheit des Einen und der Seiendheit des Seienden, zwischen EY und oaoia, erhalten. Es stellte sich außerdem heraus, daß Platons Unterscheidung zwischen htolvo~aund YOÜS,zwischen Logos und intellektueller Anschauung in dieser ersten Unterscheidung begründet ist. Auf diese Unterscheidung richtet sich die Auseinandersetzung des Aristoteles mit Platon. Der Satz vom Widerspruch hat die Funktion, die ldentität des Einen so zu fassen, daß sie mit der oVoia identifiziert werden kann. Dadurch wird begründet, daß Aristoteles - Gott als oVoia begreift, - das Gefüge der Kategorien und damit die Logik an jenen Platz rückt, den bei Platon die Mathematik eingenommen hatte. Die Untersuchung des Seins des Seienden im Spiegel der hoyo~,die Sokrates im „Phaidon" resignierend als ~ E I ~ T E Q OnSh o Ü ~beschrieben hatte, wird nun durch Aristoteles zur Ersten Philosophie, und dadurch ist die Metaphysik in engerem Sinne des Wortes erst begründet. Es ist damit zugleich genau die Stelle bezeichnet, an der später Kant in der „Transzendentalen Dialektik" der „Kritik der reinen Vernunft" seine Kritik an der überlieferten Form der Metaphysik einsetzen läßt. Durch diese Untersuchungen ist deutlich geworden, wie im Begriff nicht nur der Gottesbegriff der späteren Metader Qxfi b u x 6 0 m o ~ physik sondern auch seine Antinomien vorgezeichnet sind. Es ist außerdem deutlich geworden, wie dieser Gottesbegriff mit den fundamentalen Methodenproblemen der Metaphysik, dem Verhältnis von intellektueller Anschauung und Begriff, von Logik und Mathematik, von Natur und Freiheit, zusammenhängt. Um die griechische Vorgeschichte des Begriffes des Absoluten zum Abschluß zu bringen, haben wir in einem Exkurs den stoischen Beitrag zur Ausbildung dieses Begriffes ins Auge gefaßt. Die Stoa denkt das Absolute als Totalität, die sich im Austausch ihrer Teile selbst erhält und sich selbst bewegt, und deren Sein deshalb keines außerhalb ihrer liegenden Grundes bedarf. Hegels System des absoluten Geistes entspringt, wenn man diesen stoischen Entwurf in aristotelischen Begriffen denkt. Die Vorgeschichte von Hegels Begriff des Absoluten ist damit abgeschlossen. Es steht noch aus, daß wir die Tragweite und die Implikationen der von ihm getroffenen Grundentscheidung prüfen. Sie treten ans Licht, wenn wir untersuchen, wie sich die Dialektik von Hegel zur Dialektik Platons verhäit.
IV. Die Dialektik Platons und die Dialektik Hegels 1. Die Dialektik Platons Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, uns Platons Dialektik in ihrer kaum zu ermessenden Reichweite und Tiefe vor Augen zu stellen. Wir beschränken uns auf die Betrachtung einer einzigen Stelle aus dem „StaatL', die, wie sich zeigen wird, den Entwurf von Hegels Dialektik maßgebend beeinflußt hat. Wir betrachten dabei Platons Dialektik unter einer bestimmten Fragestellung, die uns durch den Vergleich mit Hegel vorgezeichnet wird. Bei Platon bezeichnet der Name „Dialektiku die höchste Möglichkeit des Denkens überhaupt. Als die Methode der Erkenntnis der Idee des Guten und der Erkenntnis des All von diesem Ursprung aus ist Dialektik die Bewegung der philosophischen Erkenntnis schlechthin. Aristoteles hingegen hat seine Erste Philosophie nicht mit dem Namen „Dialektik" bezeichnet. E r hat erkannt, daß aus der Differenz, die wir erläutert haben, sich die Konsequenz ergibt, daß er auch Platons dialektische Methode aufgeben mußte. Die Kategorienlehre ist nicht dialektisch; sie schließt die Dialektik aus. Wenn wir behaupten, Hegel sei in seiner Dialektik wesentlich durch Platon bestimmt, und wenn wir gleichzeitig behaupten, Hegel sei Aristoteliker gewesen, scheinen wir uns selbst zu widersprechen. Vielleicht liegt aber dieser Widerspruch nicht bei uns sondern in Hegel selbst. Dann würde er den Aristotelismus Hegels erst recht beleuchten, und eine tief verborgene Zweideutigkeit von Hegels Philosophie ins Licht rücken, die man erkannt haben muß, um die Krise der Metaphysik, in der wir uns befinden, zu durchschauen. Wir lassen uns also auch bei dieser Untersuchung primär nicht von einem bloß historischen Interesse sondern von der „systematischen" Frage nach der Tragfähigkeit der Fundamente unserer bisherigen geistigen Welt die Richtung vorzeichnen, in der wir weiter fortzuschreiten haben. Bei der Interpretation von ,,ne@iqvxfj~"wird sich dann herausstellen, was dieser Teil der Einführung für unser Hauptthema, das Wesen der Seele, austrägt. Ich fasse zunächst das Stück aus Platons „Staat", auf das wir uns beschränken wollen, ins Auge. Platon hat im VTI. Buch des „Staatest' einen Kommentar zum Höhlengleichnis gegeben, der zugleich den Grundriß der Wissenschaft enthält, die man erlernen muß, um den
Weg der Erkenntnis bis zum Anblick der Idee des Guten vollziehen zu können. Auf die vier „propädeutischenL'Wissenschaften, die auf das Studium der Dialektik vorbereiten - Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Harmonik - folgt die Dialektik selbst (531 Eff.). Wir müssen darauf verzichten, den Abschnitt über die Dialektik in seinem ganzen Zusammenhang zu betrachten und zu interpretieren. Ich beschränke mich auf die Stelle, wo Platon den methodischen Unterschied zwischen dem Verfahren der mathematischen Wissenschaften und dem Verfahren der Dialektik erläutert. Damit Sie den Text besser verstehen, schicke ich einige Erklärungen voraus. Die Mathematik ist nicht von den Griechen erfunden worden. Wir wissen heute, daß vor allem die Babylonier, aber auch die Ägypter ein staunenswertes mathematisches Wissen besaßen, und daß die Griechen wie in vielem anderen so auch in der Mathematik und der Astronomie das Erbe der älteren Hochkulturen übernommen und umgestaltet haben. Die größte mathematische Leistung der Griechen bestand nicht in den einzelnen mathematischen Erkenntnissen, die sie gewonnen haben, sondern darin, daß erst durch sie die Mathematik als Wissenschaft jene axiomatische Struktur erhalten hat, die alle spätere Mathematik voraussetzt. Erst durch die Griechen ist die Mathematik zu einer strengen Wissenschaft geworden. Diese Entwicklung wurde auch bei den Griechen nicht in einem einzigen Schritt vollzogen; aber es gibt doch einen großen Wendepunkt. Er liegt bei Platon und in der Akademie. Erst Platon hat in Zusammenarbeit mit Eudoxos von Knidos jene Prinzipien des axiomatischen Aufbaus der mathematischen Erkenntnis entwickelt, auf denen später Euklid seine Geometrie aufgebaut hat. Die Regeln und Prinzipien dieser Form deduktiver Wissenschaft hat Aristoteles in der Wissenschaftslehre seiner „Analytica Posteriora" dargestellt. Die „Analytica Posteriora" stehen Platon besonders nah; sie sind die exemplarische Darstellung der Methodik von Platons propädeutischen Wissenschaften und wurden das Grundbuch der europäischen Wissenschaftstheorie. Auch für die moderne Wissenschaftstheorie sind sie noch immer die beste Einführung. Man kann aber auch Descartes, Spinoza, Leibniz und Kant nicht verstehen, wenn man die Wissenschaftstheorie der „Analytica Posteriora" nicht kennt. Ich hebe aus den „Analytica Posteriora" heraus, was man wissen muß, um Platons Unterscheidung zwischen der deduktiven Methode
der mathematischen Wissenschaft und der dialektischen Methode der Philosophie zu verstehen. Grundlegend ist der erste Satz: „Jedes Lehren und jedes Lernen im Bereich der G~olvotageht aus einer vorher zugrundeliegenden Erkenntnis hervor" - x 6 o a bi6anilahia nai nüoa polOqo~~ 6 t a v o q ~ ~ x2% g n ~ o u x a @ x o B oyiv~xctt q~ yvhoeco~ (71 a lf.). Das ist ein für die gesamte Metaphysik grundlegender Satz. Er widersprach schon zur Zeit von Platon und von Aristoteles und widerspricht auch heute der alltäglichen Meinung, die wir vom Lehren und vom Lernen haben. Wir bilden uns ein, alles, was wir im Lauf des Lebens an Wissen erwerben, hätten wir von außen in uns aufgenommen, sei es durch unmittelbare Erfahrung, sei es durch die Vermittlung von Wissen, das Andere unmittelbar erworben haben, also durch Tradition. Wenn das so wäre, dann wäre das menschliche Bewußtsein nach einem Bild, das Platon im „Theaitetos" gebraucht, einer unbeschriebenen Wachstafel zu vergleichen, die sich allmählich durch Erfahrung oder Tradition mit Zeichen füllt. Der menschliche Geist wäre so etwas wie ein Hohlraum, in den das Wissen von außen transportiert wird. Der Transport des Wissens wäre das Lehren, das Aufnehmen des Wissens das Lernen. Nun hat aber Platon in seinem „Menon" in dem berühmten Dialog mit dem Sklaven gezeigt, daß es sich bei der für ihn maßgeblichen Form des Wissens, nämlich der Mathematik, anders verhält. Man kann den Beweis für einen mathematischen Lehrsatz nicht dadurch in eigenes Wissen verwandeln, daß man ihn mechanisch auswendig lernt. Man muß vielmehr einsehen, daß er richtig ist. Man versteht ihn und man weiß ihn erst, wenn man ihn aus eigener Einsicht produzieren kann. Was ist es, das diese eigene Einsicht einsieht? Was muß jeder Mensch von sich aus mitbringen, damit er einen mathematischen Satz lernen, verstehen und schließlich wissen kann? Wir werden die platonisch-aristotelische Antwort auf diese Frage später genauer betrachten. Zunächst muß festgehalten werden, daß ohne ein solches vorgegebenes Wissen Lehren und Lernen und damit Wissen überhaupt nicht möglich sind. Aristoteles nennt diese Form der Erkenntnis x ~ o v x d ~ ~ o vy ova6 o ~-~vorher als Ursprung zugrundeliegende Erkenntnis. In diesem Ausdruck begegnet uns X Ewir L ~schon , aus dem Satz vom Widererneut das Wort I ~ ~ ~ Q das spruch und aus der Bestimmung der Ersten Philosophie kennen. Wir werden später sehen, warum Aristoteles dieses Wort gewählt hat. Kant nennt die Erkenntnisse, von denen hier die Rede ist, „Erkennt-
nisse a priori". Aber entdeckt hat diese Erkenntnisse Platon, und er hat den Ursprung solcher Erkenntnis in mythischer Form in der Lehre von der Anamnesis, der Wiedererinnerung, dargestellt. Ich gehe auf diese Lehre hier nicht ein; sie wird uns beschäftigen, wenn wir das 111. Buch von Aristoteles' , , n e ~ i~)vxfjg'' betrachten. Hier müssen wir uns mit zwei Feststellungen begnügen, die für unser jetziges Vorhaben wesentlich sind: Erstens: Wenn jene allem Lehren und Lernen vorausgehende ursprüngliche Erkenntnis dem Menschen nicht von außen vermittelt werden kann, so muß sie in der Seele selbst enthalten sein. W U Xist~ ihrem Wesen nach nichts anderes als der Bereich der Erkenntnis a priori. Die Lehre von den Grundlagen des Wissens ist also mit der Lehre vom Wesen der Seele identisch. Man kann das Selbe auch in dem Satz ausdrücken: die Frage nach dem Wesen der Seele sei identisch mit der Frage nach dem Wesen der Wahrheit. Das gilt auch für die Metaphysik der Neuzeit, es gilt für Descartes, Leibiiiz, Kant - es gilt vor allem für Hegel. Deswegen führt es von unserem Thema nicht ab sondern mitten in unser Thema hinein, wenn ich hier einige Elemente der aristotelischen Wissenschaftslehre skizziere. Zweitens: Metaphysik ist seit ihrer Begründung deshalb die Wissenschaft von der Wissenschaft, weil sie die Gesamtheit des menschlichen Wissens aus jener reinen Erkenntnis abzuleiten sucht, die aller Erfahrung vorgegeben sein muß, wenn diese Erfahrung sich in Wissen verwandeln soll. Das große Modell für diese Form, durch die Erkenntnis vorgegebener und gewußter Strukturen Erfahrung in Wissen zu verwandeln, ist bei Platon und Aristoteles wie iii der Neuzeit die Naturwisseiischaft. Ich erläutere das an der uns näher liegenden Naturwissenschaft der Neuzeit: Nur wer, unabhängig von aller Erfahrung, die Mathematik gelernt hat, der die Natur gehorcht, kann die Erfahrungen, die die Natur uns liefert, zur wissenschaftlichen Erkenntnis erheben. Das Selbe gilt für alle Bereiche menschlichen Wissens; nur ist die methodische Entwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften im Rückstand geblieben, weil die Menschen der Selbsterkenntnis stärkere Widerstände entgegensetzen als der Erkenntnis dessen, was nicht sie selbst sind. Der Satz des Aristoteles: „Jedes Lehren und jedes Lernen. . . geht aus einer vorher als Ursprung zugrundeliegenden Erkenntnis hervor", bedeutet also: jedes überhaupt mögliche Wissen ist in seinem Grunde Metaphysik. In diesem Sinne versteht sich
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Metaphysik als das Wissen vom Wissen überhaupt. Das gilt von Aristoteles bis Hegel. Nun wollen wir uns genauer betrachteii, wie jene vorgegebene Erkenntnis aussieht, die Aristoteles durch das Wort rneournolexovoa bezeichnet. Dabei findet auch dieses Wort alsbald seine Erklarung. Die Erkenntnisse, aus denen alles Wissen hervorgeht, sind nämlich die hex.(, die Ursprünge dieses Wissens. Aristoteles bestimmt, wie der Begriff in den deduktiven Wissenscliaften zu verstehen istsR. Man übersetzt heute fast allgemein das Wort bexcli in diesem Zusam~ . Prinzipien versteht man menhang als „erste P r i n ~ i p i e n " ~Unter Sätze, oberste Grundsätze, also Aussagen. Das ist im genauen Sinne des Wortes eine petitio pvincipii. Wir werden die Frage zuerst offen lassen und das Wort unübersetzt übernehmen; später werden wir prüfen müssen, wie es sich damit verhält. Ich gebe nun zunächst die Ubersetzung: „Ich nenne dasjenige in , es nicht möglich ist zu beweisen, jedem Bereich seine i x ~ x a iwovon daß es ist. Was als Bezeichnung dient sowohl für das Erste wie für das aus diesem Zusammengesetzte, das wird angenommen. Da0 dieses i angenommen, für alles Ubrige aber ist, das muß für die & e ~ c rzwar aber bewiesen werden. Zum Beispiel muß man annehmen, was ,Einheit' oder was ,das Gerade' und ,Dreieckc bedeutet. Das Sein aber muß für die Einheit und dic Ausdehnung angenommen, für alles übrige bewiesen werden." Aristoteles trifft hier eine klare Unterscheidung zwischen zwei Formen von Annahmen, die jeder demonstrativen Wissenschaft zugrundeliegen. Die erste Form der Annahme steht unter der Uberschrift Ti o q y a i v ~-was l die Bedeutung ist. Bedeutung zu haben, ist konstitutiv für die Begriffe und die Aussagen. Zwischen Begriff und Aussage wird deutlich unterschieden. Die Begriffe sind „das Erste" (T& rn~o-ca),die Aussagen „das aus diesem 58 AEyo 6' &QX&S Fv i.xO1o~q~ E V E L za-iiza~6,s iiu Eozt pq FVKEXETUL 8~1Eut. TL pbv o6v o q p a i v ~ xt a i ab. x ~ o j t ax a i T& i n .co6~ov,happirv~zat,6 n 6' Furt, Z&S pkv "~Xas &v&y%qhayß&vei,v,L& 6' &hhu G~txv-iiva~ o%ovzi ~tovolg 7 TL .cb EUH~In a i t ~ i y w v o v t-Evut , 6E T ~ povu6a Y ha[j&ivn a i ~E~ECJOS, T& 6' F T E Q ~6&t%v6vat. An. Post. I, 10; 760 31ff. Vgl. dazu Kurt V. Fritz, „Die Archai in der griechischen Mathematik", (Archiv fiir Begriffsgeschichte, I), Bonn: Bouvier, 1955, 21ff. 59 SO etwa Sir Thomas Heath, Mathematics iii Aristotle, Oxford: Clarendoii Press, 1949, 501f.
Zusammengesetzte" (T& E i l ~ o 6 t o v ) Ohne . gewisse erste Begriffe und ohne oberste Aussagen, die aus diesen Begriffen zusammengesetzt sind, kommt eine deduktive Wissenschaft nicht aus. Aber solche Begriffe und Aussagen konnten sich auf bloße Gedankengebilde beziehen, denen in der Wirklichkeit nichts entspricht. Dann käme vielleicht ein konsistentes System von leeren Denkmöglichkeiten, aber nicht das heraus, was Aristoteles Fnto~fipy- Wissenschaft nennt. Denn in einer Wissenschaft muß etwas gewußt werden, was ist. Deshalb steht neben der Annahme von obersten Begriffen und Sätzen die ebenso unbeweisbare Annahme, daß das, was diese Begriffe und Sätze bezeichnen, ist. Die Demonstrationen, aus denen eine deduktive Wissenschaft besteht, werden von Aristoteles nicht als eine Anordnung von Sätzen dargestellt; er sagt vielmehr ausdrücklich, das, was die wissenschaftlichen Beweise aufzeigen sollen, sei, daß das von ihnen Aufgewiesene ist. Um das durch ein Beispiel zu erläutern: Was der Begriff „regelmäßiger Dodekaeder" bedeutet, kann man durch eine Definition bestimmen. Diese Definition ist aber eine bloße Annahme. Die wissenschaftliche Demonstration besteht darin, daß durch die Konstruktion eines der Definition entsprechenden Körpers bewiesen wird, daß ein solcher Körper ist. Nur dadurch, da8 aufgezeigt wird, was ist, ist ein System von Sätzen Wissenschaft. Auf Grund dieser Unterscheidung gelangt Aristoteles (72 a 14ff.) zu , jeder wissenschaftlichen folgender Aufgliederung der & ~ x a i die Demonstration vorgegeben sein müssen: 1. Allen dexcri ist gemeinsam, daß sie selbst nicht bewiesen werden können. Sie sind u p ~ o o-t unvermittelt, unmittelbar. (Das deutsche Wort „unmittelbar" ist, wie das englische „immediate", eine durch das Lateinische vermittelte Ubersetzung dieses aristotelischen Begriffes.) Weil sie nicht bewiesen werden können, müssen sie angenommen werden. Eine derart unbeweisbare, aber a priori allen sonstigen Erkenntnissen einer Wissenschaft vorausgehende Grundannahme nennt Aristoteles 0 F o t ~- Setzung. Ich habe früher einmal darauf hingewiesen, daß das deutsche Wort „Satz" (durch das lateinische positio vermittelt) diesen aristotelischen Terminus wiedergibt (60f.). Daß aber Bk015 nicht als „Satzu übersetzt werden kann, zeigt die Aufgliederung in zwei Arten von 0 E o r ~ ~ . 2. Die erste Art von BEoet~sind die Definitionen. So „setztL',wie Aristoteles sagt, der Arithmetiker, Einheit sei das, was in Hinsicht
auf Quantität nicht teilbar ist. Aber es ist etwas anderes zu definieren, was der Begriff „Einheitg'in einer bestimmten Wissenschaft bedeuten soll, und anzunehmen, daß so etwas wie Einheit wirklich ist. 3. Damit kommen wir zu einer ganz anderen Form der Bkol~,nämlich der Annahme, daß Einheit ist. Auch diese 0 E o t ~kann nicht bewiesen werden. Jeder arithmetische Beweis setzt sie voraus. Aber bei dieser Art von „Setzung" sind wir nicht selbst die Setzenden. Sie besteht auch nicht aus Worten, sondern kann nur durch Worte bezeichnet werden. Diese Setzung geht nicht aus Erkenntnis hervor, vielmehr geht umgekehrt die Erkenntnis aus dem Aufnehmen und Annehmen der ihr vorgegebenen Setzung hervor. Diese zweite Form von grundlegenden Setzungen, in denen das Sein selbst gesetzt ist, nennt Aristoteles nach dem Vorbild der Platon-Stelle, die wir betrachten wollen, 5 n o O s o ~ 5 ~ ~ . 4. Von den 0 S o ~ unterscheidet t~ Aristoteles fundamentale Annahmen, die jeder in sich haben muß, der überhaupt irgendein Wissen gewinnen soll. Diese Grundlagen alles möglichen Wissens nennt Aristoteles „Axiome". Das wichtigste und erste aller Axiome, den sogenannten „Satz vom Widerspruch", haben wir betrachtet und dabei schon gelernt, daß auch die aristotelischen Axiome nicht Sätze sondern allen möglichen Sätzen vorausgehende Setzungen sind. Hat man sich die aristotelischen Unterscheidungen einmal klargemacht, so sieht man, welche Verwirrung in der Philosophie dadurch entstehen mußte, daß man die ersten Setzungen unterschiedslos als „oberste Grundsätze" interpretiert hat. Man sieht aber auch, wie vielgestaltig und wie dunkel die sogenannte „Prinzipienlehre" des Aristoteles ist. Die beiden Grundformen der Bkol~- der U~topog und die 5 d 0 s o t ~- sind zwar unmittelbar gesetzte Cc~xai,die von 4 werden können. Aber sie sind &exai keiner höheren 6 ~ x abgeleitet nur relativ zu den durch sie begründeten Wissenschaften, innerhalb der diesen Wissenschaften zugeordneten Seinsbereiche (ykvy). Wie i zusamdiese Bereiche selbst und ihre jeweiligen o l ~ x a miteinander menhängen, bleibt dunkel, ja es ist, wenn wirklich alles Wissen von diesen d ~ x ausgehen d soll, unerkennbar. Zwar hat Aristoteles den deduktiven Wissenschaften die Erste Philosophie übergeordnet. Da er aber ausdrücklich diese olexai für unableitbar erklärt, bleibt das 60
Zum terminologischen Zusammenhang mit Platon vgl. Heath, a. a. O., 55.
Verhältnis der Ersten Philosophie zu den deduktiven Wissenschaften undurchsichtig. Daneben stellt sich das Problem, wie diese & ~ x umit i den Axiomen zusammenhängen sollen, die nicht auf einen bestimmten Bereich des Seienden beschränkt sind, sondern (für) alles mögliche Wissen überhaupt gelten. Für den Satz vom Widerspruch läßt dieses Verhältnis sich aufklären, und wir gewinnen dadurch einen wichtigen Hinweis für das Verständnis der Funktion von diesem „unbedingten Ursprung". Aristoteles definiert nämlich (72 a 19f.) die .Vn6Oeo~~, also die Annahme, daß etwas ist, als die Annahme der einen Seite des kontradiktorischen Gegensatzes: „es ist - es ist nicht". Das Sein, das als Setzung allem daraus abgeleiteten Wissen zugrundedie .VnoO&o~< legt, ist definiert durch den Gegensatz zum Nichtsein. Der sogenannte „Satz vom Widerspruch" legt fest, daß Sein in dieser und nur dieser Gestalt allem möglichen Wissen vorgegeben ist. Das ist die Voraus-Setzung für die „AnnahmeL',daß wir im Schema der Kategorien das Sein des Seienden so auffassen, wie es von sich aus ist. Es ist die Voraussetzung dafür, daß Aussagen von der Struktur des h 6 y o ~ Clnocpav-c~x6~ unmittelbar das Sein des Seienden aufweisen können. Nach diesem Vorblick auf Aristoteles sind wir in der Lage, die Stelle aus Platons „Staat" über die Dialektik zu verstehen (R 533 Bff.). Platon unterscheidet, unter bewußter Vermeidung des Wortes E n ~ o t f i p qzwei Arten von TEXVUL.Die einen beziehen sich auf die Sphäre der sinnlichen Welt, auf die Bedürfnisse und Meinungen der Menschen und die Befriedigung dessen, was sie zum Leben brauchen. Die anderen sind jene Wissenschaften, die man später unter platonischein Einfluß als „reine Wissenschaften" bezeichnet hat: die Arithmetik, die Geometrie, die Astronomie und die Harmonik. Von diesen wird gesagt, daß sie in gewissem Sinne „an das Seiende rühren". Aber diese Feststellung wird alsbald eingeschränkt: „Wir sehen, daß sie im Umkreis des Seienden nur träumen, daß sie es aber wachend nicht ins Auge zu fassen vermögen, solange sie ,Grundsetzungen' [.Vno@6oe~~] gebrauchen und diese unbewegt lassen, weil sie nicht in der Lage sind, von ihnen Rechenschaft abzulegen. Denn wenn für jemanden &@X( ist, was er nicht weiß, das Ende aber und das, was in der Mitte liegt, aus dem, was er nicht weiß, zusammengeflochten ist - was soll es für ein Mittel geben, daß ein solcher Zusammenhang von konsistenten Sätzen jemals zu einer Wissenschaft wird? - E s gibt keines, antwortete er. -Nimmt nicht, so sagte ich, die 98
dialektische Methode als einzige in dieser Richtung ihren Weg: sie hebt die Grundsetzungen auf und geht zu dem Ursprung selbst, um sich von dorther Sicherheit zu verschaffen. Und so zieht sie das tatsächlich in einer Art von barbarischem Schlamm vergrabene Auge der Seele sanft empor und führt es aufwärts, wobei sie sich der von uns durchgesprochenen Künste als Mitarbeiter bei der gemeinsamen Umwendung bedient. Wir nennen sie immer wieder Wissenschaften, aus bloßer Gewöhnung. Sie brauchen aber einen anderen Namen, der klarer ist als ,Meinungc, trüber als ,Wissenc. Wir haben diese Form des Denkens früher als G ~ h v o t adefiniert. Mir scheint aber, daß hlänner, denen eine Untersuchung über so große Gegenstände aufgegeben ist, nicht über Worte streiten dürfen."61 Dieser Abschnitt besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil charakterisiert in knappster Form die mathematischen Wissenschaften. In der Charakterisierung ihrer Struktur stimmt Platon mit Aristoteles überein. Das ergibt sich nicht nur daraus, daß Aristoteles an der besprochenen Stelle'j2 denselben Begriff der 6n60eotg verwendet; es ergibt sich auch daraus, daß Aristoteles, in genauem Anschluß an Platon, mit dem ersten Satz der „Analytica Posteriora" eine Untersuchung der Wissenschaften „im Bereich der GLUV~LU'' ankündigt. Die Differenz liegt lediglich darin, daß Aristoteles die dianoetische Erkenntnis als „Wissenschaft" bezeichnet, während Platon ihr diesen Namen nicht zugestehen will. Eben diese Differenz tritt aber nun mit voller Schärfe ans Licht, wenn Platon von den Wissenschaften, die nach der aristotelischen
.cb rfjg qvxfj5 6ppa X U T O Q W Q V ~ ~ E Y OfieEpa ~ E ~ X E Lx a i &vMye~&vo, ovv~ @ i H xoat i~o w p n e ~ t a y o y ox~opEvq i~ a i
Wissenschaftstheorie aufgebaut sind, erklärt, daß sie im Umkreis des Seienden nur träumen, aber es wachend nicht ins Auge fassen können. Durch die Interpretation der Stelle aus dem „Phaidon" über die zweite Seefahrt und ihren Vergleich mit dem Höhlengleichnis ist uns schon bekannt, was der Unterschied zwischen Träumen und Wachen hier bedeutet. Das Bild des Träumens bezeichnet den Zustand, in dem der Mensch zwar schon das Seiende außerhalb der Höhle, aber von diesem Seienden nur die Spiegelbilder anschauen kann. So wurde, wie wir schon gesehen haben, die Erkenntnisstufe der 616YOLU charakterisiert, die Kant dann als „VerstandK bezeichnet hat. Wachend hingegen faßt der Mensch das, was in Wahrheit ist, erst dann ins Auge, wenn er es selbst an seinem eigenen Ort und nicht nur seine Spiegelbilder betrachtet. Die ersten Setzungen des Aristoteles, die Oeiopoi sowohl wie die 6noOkos15, haben den Charakter von bloßen Spiegelbildern, weil sie, wie Aristoteles selbst sagt, als etwas Vorgegebenes hingenommen und angenommen werden müssen. Aristoteles selbst erklärt, daß wir dann glauben, etwas zu wissen, wenn wir die Ursache zu kennen glauben, durch welche die Sache ist (An. Post. A 2, 71 b 9ff.). Das gilt, wenn man die „Setzungen" voraussetzt, für alle aus ihnen abgeleiteten Erkenntnisse. Es gilt aber nicht für diese Setzungen selbst. Von diesen Setzungen haben wir q, Wissennach der Definition des Aristoteles keine h ~ ~ o t I ) p keine schaft. Nun hängt aber alles aus ihnen abgeleitete Wissen von ihrer Wahrheit ab. Deswegen werden sie durch den Satz von Platon zutreffend charakterisiert: „Denn wenn für jemanden ( X Q X ~ist, was er nicht weiß, das Ende aber und das, was in der Mitte liegt, aus dem, was er nicht weiß, zusammengeflochten ist -was soll es für ein Mittel geben, daß ein solcher Zusammenhang von konsistenten Sätzen jemals zu einer Wissenschaft wird?" Der sogenannte „Irrationalismus" Platons besteht also darin, daß er der sogenannten „Rationalität" der deduktiven Wissenschaften Mangel an Klarheit und Mangel an deduktiver Begründung vorwirft, weil sie über die ihnen zugrunde liegenden Setzungen keine Rechenschaft abzulegen vermögen und deren Zusammenhang mit anderen, analogen Setzungen anderer Wissenschaften nicht zu begreifen vermögen. Er kritisiert, daß in diesen Wissenschaften Prinzipien angenommen werden, die, eben weil sie nur angenommen werden, keine Prinzipien sein können. Uber dieses Dilemma ist die Wissenschaftstheorie bis heute nicht hinausgekommen.
Der Weg, den Platon einschlägt, um zu einer ungetrübten Erkenntnis dessen, was in Wahrheit ist, und damit erst zu einem Wissen zu gelangen, das diesen Namen verdient, wird von ihm als „die dialektische Methode" bezeichnet. Wenn wir verstehen wollen, was dieser Name bedeutet, müssen wir zuiiäclist alle Vorstellungen aus dem Wege räumen, die man heute mit dem Wort „Methode6'verbindet. Die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts kann das Wort „Methode" nur noch im Plural verwenden; denn seit die Spezialwissenschaften sich von der Philosophie emanzipiert haben, und seit umgekehrt die Philosophie sich nicht mehr in der Lage sieht und nicht mehr versucht, das menschliche Wissen als solches in der Gesamtheit seiner Richtungen und seiner Bereiche auf seine äußeren und inneren Möglichkeiten hin zu untersuchen, gibt es nur noch die unübersehbare Menge disparater Verfahrensweisen spezialisierter Einzelforschung. Daß man den Weg des menschlichen Denkens überhaupt erforschen und seine mögliche Wahrheit prüfen könnte, wird nicht mehr in Betracht gezogen. Daraus ergibt sich eine erste Feststellung, die sich nur negativ formulieren läßt: pk80605 bedeutet nicht „Methode". Wohl aber gilt der umgekehrte Satz, daß alle spezialwissenschaftliche Methode der europäischen Wissenschaft nur dadurch möglich geworden ist, daß Platon nach der pE0oGo~des Denkens überhaupt gefragt hat. Von der piOo6os wird, mit einem ungewöhnlicheil Ausdruck, gesagt „sie nimmt ihren Durchgang" ( n o ~ s 6 e ~ a iGewöhnlich ). wird dieses Wort nicht von dem Weg selbst sondern von den Menschen gebraucht, die den Weg benutzen. Aber das Wort „Weg" bezeichnet im Griechischen, wie im Deutschen, nicht nur die vorgezeichnete Bahn, die man beim Gehen durchmißt, sondern auch die Handlung des Geh e n ~selbst, den „Gang". In dieser verbalen Bedeutung des Wortes muß als das implizierte Subjekt der Gehende hinzugedacht werden. Nun wird im VI. und VII. Buch des „Staatesu dem Leser unentwegt eingeschärft, wer das Subjekt des Ganges ist, den uns das Höhlengleichnis bildlich darstellt. Das Wesen, das den Gang vollzieht, heißt W I J X ~-die Seele. Damit ist nicht etwa nur der Intellekt gemeint; Platon hebt immer wieder hervor, die Umkehrung, die er beschreibt, müsse von der gesamlen Seele vollzogen werden. Die Worte ohq fi VIJXI)- die Seele als Ganze - sind so zu verstehen, daß die Seele durch die Umkehr und den dann eingeschlagenen Gang die Möglichkeit, ganz und unversehrt zu sein, erst erringt, während sie unten in
der Höhle in sich zerrissen und widersprüchlich ist. Die dialektische pE80605 ist also ein itinerarium menlis - ein Weg der Seele, der sie in den Zustand führt, in dem sie mit sich selbst zum Einklang gelangt und damit die Wahrheit erst zu erkennen vermag. Das Wort n o ~ e v e .ca~- „sie nimmt ihren Durchgang" - hat einen sehr präzisen Sinn. Das sokratische Denken führt stets an den Punkt, wo der Mensch sein eigenes Nichtwissen durchschaut und keinen weiteren Durchgang mehr findet. Dieser Punkt wird durch das Wort ULno~ia- die „Durchgangslosigkeit" - bezeichnet. Der Begriff xoee4~.catgibt an, daß Platon überzeugt ist, dort einen Durchgang zu finden, wo Sokrates keinen Durchgang sieht und nur die k n o ~ i feststellen a kann. Damit erhalten wir eine weitere Bestimmung des Wortes pEO0605: es bezeichnet die erste Seefahrt - die Seefahrt der platonischen Philosophie - in Abhebung von der zweiten Seefahrt des Sokrates, die nun als Resignation erscheint. Die pEOobo5 hat ein bestimmtes Ziel. Platon sagt, sie führt Fn' au-cfiv .c?p & ~ x q -v zum Ursprung selbst, zur Idee des Guten. Die pE00605 führt also nicht, wie die „Methodenc' der neuzeitlichen Wissenschaft, ins Ziellose und Ungewisse; sie ist eine olvo6o~- ein Aufstieg. Das Ziel des Aufstiegs ist „der Ursprung selbst" - also Gott. So war ja auch die Seefahrt aus dem „PhaidonU eine „Seefahrt auf der Suche nach dem Grund". Gewiß: der Aufstieg ist nur der erste Teil des Ganges der Dialektik, es entspricht ihm ein Abstieg; und erst Aufstieg und Abstieg zusammengenommen machen aus, was Platon „Dialektik" nennt. Aber die Richtung beider Gänge ist durch den Höhepunkt des Ursprungs bestimmt. Denkt man die Idee des Guten weg, so ist auch keine Dialektik mehr möglich. Die Form, in der sich der Weg der Dialektik vollzieht, wird durch die Worte beschrieben: „Sie nimmt ihren Durchgang, indem sie die 6 n o Q 6 o aufhebt" ~~~ - ircoeelj~~at 6no0Eoei~&vateoCoa (R 533 C). Der Ausdruck hat eine terminologisch feste Bedeutung. Er bezieht sich auf das Verfahren der von Zenon durchgeführten eleatischen Dialektik, in der bewiesen wird, daß im Bereich der Doxa, das heißt der Erscheinung, einander entgegengesetzte Behauptungen mit gleicher Stringenz bewiesen werden können. Die Sphäre der 66Ea umfaßt alles, was in der Zcit, was also bewegt ist. Wenn sich für alles Bewegte durchführen läßt, daß jeder Behauptung mit gleich guter Begründung die entgegengesetzte Behauptung gegenübergestellt werden kann, dann heben alle hier möglichen Behauptungen
sich wechselseitig auf, und damit ist bewiesen, daß alle Bewegung nur ein Schein, genauer gesagt: nur Erscheinung ist. Kant hat später in seiner Antinomienlehre das selbe Verfahren durchgeführt, um den Scheincharakter des transzendentalen Scheins zu enthüllen. Auch der Begriff . U ~ ~ O E hat ~ L in < der eleatischen Dialektik seine feste Bedeutung. Von der eleatischen Dialektik her wird verständlich, weshalb Aristoteles mit solcher Schärfe feststellt, daß die 6 n 6 O e o nicht ~~ bloß ein Satz sondern die Grundannahme eines Seins ist. Nur wenn die Ijn6Oeot~ein Sein behauptet, kann Dialektik den bloßen Erscheinungscharakter des in der 6noOeotg angenommenen Seins erweisen. Platon hat im „Parmenides" das hier charakterisierte Verfahren durchgeführt. Ich kann es hier nicht darstellen, sondern nur kurz ~ ~ „ParmenidesUheißt: „das Eine ist". erläutern. Die erste 6 x o O e o im Die Diskussion führt zu dem Resultat: Wenn das Eine ist, dann ist es nicht eins. Das Sein ist damit aufgehoben. Wir schließen: das Eine liegt EnEile~va~ i j odoias. s Aber das wäre noch viel zu einfach. Zu welchen schwindelerregenden Konsequenzen die Methode des Aufh e b e n ~der 6xoOEoet~führt, spricht Platon in den letzten Sätzen des Werkes aus, in denen er das Resultat zusammenfaßt: „Würden wir nicht eine richtige Aussage machen, wenn wir zusammenfassend aussagen würden: ,Wenn Einheit nicht ist, ist überhaupt nichts'? - Ganz gewiß. - So soll denn dies ausgesagt werden und außerdem Folgendes: es scheint sich zu ergeben, daß, ob Einheit ist oder ob sie nicht ist, sie selbst und das Andere, sowohl in Beziehung auf sich selbst wie in Beziehung auf einander, alles auf alle Weise sowohl ist als auch nicht ist und sowohl scheint als auch nicht scheint. - Vollkommen wahr."63 Mit diesen Worten schließt der Dialog. Man muß sich dem dialektischen Exerzitium von Platons „Parmenides" unterzogen haben, um eine Ahnung davon zu erhalten, was er bedeutet. Aber auch wenn man ihn unverstanden in sich aufnimmt, erfährt man etwas von dem Schwindel, den die platonische Destruktion des dianoetischen Denkens erzeugen muß, um uns vom Spiegel der h6yot zum Aufblick auf die Idee des Guten vorzubereiten. 63 -06xoiIv x a i o~hh4ßOqv t-i E L ~ O L ~i3vF Ei Y ,krJ Eottv, o6OEv Eottv, OeHOg BY E L ~ O L ~- ~ECYI Y; Z ~ Z C I O pEv L O ~ Y . - E ~ ~ ~ Z( OT~ V ~ UOVtoUtO ZE ~ a i&L, . LOS Fotxav, i3v clt' E O ~ L V~ l krJt Eo~tv, ~ a6tO t a x a i tuhha x a i xebg aUt&x a i X Q ~ S&hhqha x & v t a x&vtwg EOTL XE n a i 06% Eott x a i rpaivatai t E x a i 06 cpaivt-tat. -'AhqB¿otata. Parmenidcs 166 BIC.
2. Die Dialektik Hegels Wer Hegel kennt, wird bei der Besprechung dieser Stelle aus Platons „Staat" Schritt für Schritt die Parallelen zu Hegels Dialektik hergestellt haben. Auch bei Hegel ist Dialektik nicht eine Methode sondern der Weg des Bewußtseins selbst, genauer: sie ist, nach Hegels eigenen Worten, „der Weg der Seele, welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als durch ihre Natur ihr vorgesteckter Stationen, durchwandert, daß sie sich zum Geiste läutere, indem sie durch die vollständige Erfahrung ihrer selbst zur Kenntnis desjenigen gelangt, was sie an sich selbst ist" (Ph. d. G., Hoffmeister 67; 2,71; 3,72). Wie bei Platon der Gang der Seele zum Ursprung selbst und damit zum wahren Wissen eine Umkehrung der ganzen Seele erfordert, so sagt auch Hegel in der Einleitung zur „Phänomenologie des Geistes", daß sich „durch eine Umkehrung des Bewußtseins selbst . . . die Reihe der Erfahrungen des Bewußtseins zum wissenschaftlichen Gange erhebt" (2,79; 3,79). Auf jeder Stufe dieses Ganges hält das Bewußtsein die neuen Gegenstände, die sich in jeder seiner Gestalten zeigen, für das, was wahrhaft ist, für das „an sich". Entsprechend hält auch der Gefesselte in der Höhle zuerst die Schatten für das Seiende an sich und später auf dem Aufstieg bis zum Licht immer das, was er von jedem Standort aus ins Auge fassen kann. Nur wir, die wir das Gleichnis lesen, wissen, daß es von seinem jeweiligen Standort abhängt, was ihm von Stufe zu Stufe als das Seiende an sich erscheint, und daß man den ganzen Weg in seiner Totalität vor Augen haben muß, um den jeweiligen Standort bestimmen und die jeweiligen Grundannahmen über das Sein in ihrer Relation sehen und damit aufheben zu können. Wie dies nur für uns, die wir das Gleichnis lesen und für den Begleiter des Gefesselten, nicht aber für den Gefesselten selbst sichtbar ist, so sagt auch Hegel, daß der wissenschaftliche Gang und sein Gesetz, die Umkehrung des Bewußtseins, „unsere Zutat" ist; der Gang der Dialektik kann als solcher und in der Notwendigkeit seiner Bewegung nur vom absoluten Wissen her eingesehen werden. Bei Platon wird die Umkehrung der ganzen Seele, wie wir gesehen haben, so interpretiert, daß die Seele erst durch diese Umkehr im Aufstieg der Dialektik zur Idee des Guten die in ihr liegenden Widersprüche überwindet und in den Zustand gelangt, in dem sie „ganz" sein kann. Das Ganz-Sein der Seele wird durch den dialektischen Aufstieg erst hergestellt. Den Weg zur Ganzheit der Seele nennt Pla-
ton n u ~ 6 ~ i c rBildung. Deshalb nennt der erste Satz des Höhlengleichnisses „die Bildung oder Unbildung unserer Natur" das Thema, von dem das Gleichnis handelt. Entsprechend lesen wir in der Einleitung zur „Phänomenologie des Geistes": „Die Reihe seiner Gestaltungen, welche das Bewußtsein auf diesem Wege durchläuft, ist vielmehr die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseins selbst zur Wissenschaft." (2,72; 3,73) Diese Bildung ist erreicht, wenn das Bewußtsein sich zum Geist dadurch geläutert hat, daß es die vollständige Erfahrung seiner Gestalten hinter sich gebracht, sie alle in sich aufgenommen und zum Einklang gebracht hat und so ein Ganzes, ein Totales, also im Sinne Hegels „absolut" geworden ist. Die ~bereinstimmungenzwischen der Einleitung zur ,,Phänomenologie des Geistes" und dem Höhlengleichnis, zwischen Platons und Hegels Darstellung der Dialektik, sind so frappant, daß nicht daran gezweifelt werden kann, daß Hegel die Idee der Dialektik direkt aus Platon gewonnen hat. Wer daran zweifeln möchte, sei darauf verwiesen, daß Hegel im letzten Kapitel der „Logik" das selbst mit großem Nachdruck feststellt. Er sagt: „Die Dialektik ist eine derjenigen alten Wissenschaften, welche in der Metaphysik der Modernen und dann überhaupt durch die Popularphilosophie sowohl der Alten als der Neueren am meisten verkannt worden. Von Platon sagt Diogenes Laertios, wie Thales der Urheber der Naturphilosophie, Sokrates der Moralphilosophie, so sei Platon der Urheber der dritten zur Philosophie gehörigen Wissenschaft, der Dialektik gewesen, - ein Verdienst, das ihm vom Altertume hiermit als das Höchste angerechnet worden, das aber von solchen oft gänzlich unbeachtet bleibt, die ihn am meisten im Munde führen." (5,336; 6,557) Von Aristoteles ist nicht die Rede, wohl aber von der Wiederentdeckung der Dialektik durch Kant; auf Hegels Beurteilung der kantischen Dialektik braucht hier nicht eingegangen zu werden. Nach allem, was wir bisher über das Verhältnis der Dialektik von Hegel zur Dialektik von Platon festgestellt haben, muß es den Anschein haben, als hätten wir damit unsere bisherige Grundthese widerlegt. Es sieht nun so aus, als wäre Hegel im inneren Prinzip seiner Philosophie, nämlich der Dialektik, nicht Aristoteliker sondern Platoniker gewesen. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man die formale Struktur von Hegels Dialektik betrachtet. Ich zitiere aus dem „Vorbegriff, den Hegel in der „Enzyclopädie" der „Wissenschaft der Logik" als Einleitung vorangestellt hat:
„S 79 Das Logische hat der Form nach drei Seiten: a ) die abstrakte oder verständige, ß) die dialektische oder negativ-vernünftige, y) die spekulative oder positiv-vernünftige. " (8,184; 8,168) . . . „Q 80 a ) Das Denken als Verstand bleibt bei der festen Bestimmtheit urid der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehen; ein solches beschränktes Abstraktes gilt ihm als für sich bestehend und seiend." (8,185; 8,168f.)
Diese Charakterisierung des Verstandes entspricht genau der platonischen b~&vota.Das „beschränkte Abstrakte", das dem Verstand „als für sich bestehend und seiend" gilt, deckt sich mit den platonischen bco@Eost~, den unbewegt gelassenen „Grundsetzungen". V §
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ß) Das dialektische Moment ist das eigene Sichaufheben solcher end-
lichen Bestimmungen und ihr Ubergehen in ihre entgegengesetzten." (8,189; 8,172) Das ist das Verfahren, das in Platons „ParmenidesN durchgeführt wird. Der Satz von Hegel ist eine Paraphrase des platonischen Satzes: „Die dialektische Methode allein nimmt ihren Gang, indem sie die Hypothesen aufhebt." Es sei besonders darauf hingewiesen, daß Hegel den für seine Dialektik grundlegenden Begriff des „Aufheben~"direkt aus Platon übernommen hat.
y) Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige faßt die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Afjrmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Ubergehen enthalten ist." (8,195; 8,176) Hegels Begriff des „Affirmativenu und des „Positiven" muß von der Positivität des sogenannten Positivismus scharf unterschieden werden. Das Positive des Positivismus ist eine Setzung, deren Sein behauptet wird. Es hat seine Herkunft aus den 0 6 ~ ~den ~ 5positiones, , der aristotelischen Wissenschaftslehre. Faßt man nur die Setzung des Seins, also die fixoesot~ins Auge, so entsteht die Positivität des 106
unkritischen Positivismus, dem sich der sogenannte „Positivismus des Glaubens" bis zur Selbstvernichtung des GIaubens anzugleichen versucht hat. Hat hingegen die Setzung des BegrijJ~und die logische Fassung des Satzes vom Widerspruch die Priorität, so entsteht der sogenannte „logische Positivismus". In Hegels Begriff des Positiven sind diese Formen der Positivität nach platonischem Vorbild „aufgehoben". „Affirmativ6'und „positiv6'ist nur der absolute Geist. Das bedeutet: die Aftirmation muß metaphysisch verstanden werden. Verstehen wir diesen Paragraphen von Platon her, so ist der Begriff „das Affirmative" eine Interpretation von Platons Begriff des Guten. Das „Gute" ist insofern „affirmativ", als es Ursprung des Seins und der Wahrheit ist und das Seiende in seinem Sein, das Wahre in seiner Wahrheit sichert. Daß jedoch das Affirmative als „Positives" gedacht wird, läßt sich von Platon aus nicht erklären. Wir werden darauf noch einmal zurückkommen. Platonisch ist hingegen der Begriff des „Spekulativen", denn der metaphysische Begriff der Spekulation ist eine Ubersetzung jener reinen Schau der Idee des Guten, von der Platon im Höhlengleichnis spricht. Da Hegel die intellektuelle Anschauung verwirft, ist allerdings die Frage erlaubt, ob er überhaupt berechtigt ist, diesen Begriff zu gebrauchen. Der Vergleich der $9 79-S2 der „Eilzyclopädie" niit Platons Darstellung der Dialektik hat ergeben, daß Hegels Darstellung der abstrakten oder verständigen und der dialektischen oder negativ-vernünftigen Seite des „Logischenu sich mit Platon deckt. Hingegen treten bei der dritten Seite, die Hegel die „spekulative" oder „positiv-vernünftige" nennt, Differenzen zutage, deren Aufhellung wir uns jetzt zuwenden müssen. Hier wird sich entscheiden, ob Hegel wirklich in seiner Dialektik Platoniker war, oder ob er der Dialektik eine Wendung gibt, die unsere Ausgangsthese bestätigt, er sei ein Aristoteliker gewesen. Der Gegensatz zwischen Aristoteles und Platon hat, wie sich Schritt für Schritt immer deutlicher zeigte, seine Wurzel in der gegensätzlichen Form, wie Beide den ersten Ursprung bestimmen. Die Frage, ob der „Weg der Seele" bei Hegel sich mit dem Weg der Seele bei Platon deckt, hängt deshalb davon ab, wie das Ziel des Weges bestimmt wird. Auch darüber gibt Hegel in der Einleitung zur „Phänomenologie des Geistes" klare Auskunft. Er sagt: „Das Ziel aber ist dem Wissen ebenso notwendig als die Reihe des Fortganges gesteckt; es ist da, wo es nicht mehr über sich selbst hinauszugehen nötig hat, wo
es sich selbst findet und der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe entspricht." (2,73; 3,74) Das ist ein antiplatonischer Satz, denn bei Platon ist die Seele immer uber sich selbst hinauszugehen genötigt, weil die Idee des Guten jenseits des Seins liegt und sich zum vo65 verhält wie die Sonne zur Sehkraft des Auges. Hegel hat auch in der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes" seine antiplatonische Wendung mit unüberbietbarer Klarheit zum Ausdruck gebracht: „Daran mitzuarbeiten, daß die Philosophie der Form der Wissenschaft näherkomme - dem Ziele, ihren Namen der Liebe zum Wissen ablegen zu konnen und wirkliches Wissen zu sein -, ist es, was ich mir vorgesetzt." (2,14; 3,14) Bei Platon ist die Dialektik deshalb Weg der Seele, weil er das Wesen der Seele als Selbstbewegung versteht, und diese Selbstbewegung nichts anderes ist als das ewige Streben nach der Idee des Guten, als der Eros, der das Wesen der rp~ho-oocpiaausmacht. Nur weil die Philosophie Liebe zum Wissen ist, kann Dialektik ihre Methode sein. Wenn Hegel in dem zitierten Satz der Vorrede der Liebe zum Wissen das „wirkliche Wissen'' entgegenstellt, ersetzt er wie Aristoteles die Idee des Guten durch die 8 v E ~ y e ~ des a reinen v0.V~.Dann hat das Wissen nicht mehr nötig, über sich selbst hinauszugehen. Es ergreift in seiner eigenen höchsten Gestalt das Absolute. Es wird absolut - das heißt autark -, wenn es sich selbst gefunden hat und sich selbst begreift. Daß dann „der Begriff dem Gegenstande, der Gegenstand dem Begriffe ent~ ; auch in spricht", ist Hegels Interpretation der v 6 q o i ~v o f i o ~ odenn ~~ ist das Erkennen mit dem Erkannten identisch. der v o q o vo.i(oeoc Das hat die weitreichende Folge, daß die ouoia, die auf demWeg der platonischen Dialektik aufgehoben wird, auf dem Weg der hegelschen Dialektik sich wieder herstellt. Die Substantialität der Substanz wird durch die negative Bewegung der Subjektivität nur zu dem Zweck aufgezehrt, daß dann am Ende die Subjektivität mit der in sie eingegangenen Substantialität identifiziert werden kann. So wird bei Hegel das Absolute zum Affirmativen. Es wird zum „Positiven", weil der Begriff, der die Substanz in sich aufgesogen hat, sich selbst „setztc'. Alle diese Gedanken sind reiner Aristotelisrnus. De Umschlag der Negativität der Dialektik in die Positivität der Affirm tion verleugnet die zuvor vollzogene Aufhebung der ouoia. Wahren Aristoteles klar erkannt hat, daß er durch seinen Gottesbegriff g zwungen war, die dialektische Methode aufzugeben, ist Hegel der Täuschung erlegen, es sei möglich, platonische Dialektik und aristo-
telischen Gottesbegriff zu verbinden. Deshalb kehrt er zu einer erneuerten Form des ontologischen Gottesbeweises zurück. Er stellt den transzendentalen Schein wieder her, den Kants transzendentale Dialektik zerrissen hatte. Zu Hegels Rechtfertigung muß freilich hinzugefügt werden, daß er dem ontologischen Gottesbeweis eine Gestalt zu geben wußte, die durch Kants Kritik nicht getroffen wird. Die Frage, warum ihm das gelingen konnte, führt über diese Vorlesung hinaus. Sie sei hier vorläufig erwähnt. Der dritte Abschnitt dieses Teils wird uns Gelegenheit geben, sie zwar nicht zu entwickeln, aber doch zu präzisieren.
3. (Die Polemik des Aristoteles gegen die platonische Dialektik) Wir haben damit den Vergleich von Platons und Hegels Dialektik so weit durchgeführt, wie es für unsere Zwecke erforderlich ist. Mit Nachdruck muß aber daran erinnert werden, daß wir dabei nur den ersten Teil von Platons Dialektik, nämlich den Aufstieg der Seele, ins Auge gefaßt haben. Der größte Teil von Platons Spätwerk dient der Ausarbeitung des zweiten Teils der Dialektik, dem Weg hinab. Würden wir auch diesen zweiten Teil der platonischen Dialektik noch genauer betrachten, so würde sich weiteres Wesentliche für Aristoteles wie für Hegel ergeben. Wir müßten dann bei Hegel nicht die „Phänomenologie des Geistes" sondern die „Logik" und die „Enzyclopädie" ins Auge fassen. Das Alles darf hier zurückgestellt werden, weil das bisher Gesagte für unsere Zwecke genügt ' j 4 . Für unser Aristoteles-Studium bleibt nur noch ein letzter Schritt zu tun. Wir müssen den Nachweis führen, daß und warum die Philosophie des Aristoteles nicht dialektisch ist. Die Abkehr des Aristoteles von der Dialektik hat zur Folge gehabt, daß das dialektische Denken nur in der neuplatonischen Tradition des europäischen und christlichen Denkens als eine Art von Untergrundbewegung der Philosophie erhalten blieb, während die sozusagen offizielle Philosophie die Dialektik verdrängt und vergessen hatte. Das hat ganz außerordentliche Konsequenzen gehabt, deren Tragweite schon bei Aristoteles 64 Wer sich mit Platons Dialektik näher beschaftigen will, sei auf das wichtige Buch von Egil A. Wyllev, Der spüte Platon, Hamburg: Fclix Meiner, 1970, verwiesen.
erkennbar wird. Deshalb ist dieser Anhang über Aristoteles sowohl für die Interpretation des Aristoteles selbst wie für die Beurteilung seiner Wirkung auf die spätere Philosophie nicht zu entbehren. Wir beschränken uns wieder auf die Betrachtung einer einzigen Stelle aus (der Eudemischen Ethik). Das Thema ist wieder der Begriff der ixgxfi. Die Stelle ergänzt also, was wir bisher über die Bedeutung dieses Begriffes bei Aristoteles schon gelernt haben. „Wir wählen nun einen anderen Ausgangspunkt [Ol~xfi]fiir die folgende Untersuchung. Es sind offenbar alle 06oio.i. nach ihrer Natur in irgendeinem Sinne 6.exo.i. Deswegen ist ja eine jede fähig, viele andere der gleichen Art zu erzeugen, zum Beispiel der Mensch Menschen und überhaupt, was Lebewesen ist, Lebewesen und die Pflanze Pflanzen. Darüber hinaus aber ist speziell der Mensch auch Ursprung von bestimmten Handlungen; er ist es als einziges von den Lebewesen, denn von keinem der anderen würden wir sagen, daß es handelt. Unter den OLexai werden alle jene im eigentlichen Sinne so genannt, von denen die Bewegungen ihren ersten Ausgang haben. Im höchsten Grade gilt das mit Recht von denen, bei denen das nicht anders sein kann. In diesem Sinne ist wohl Gott ( X Q X ~ . Unter den unbeweglichen OLgxai aber, zum Beispiel den mathematischen, gibt es nicht 643x4 im eigentlichen Sinn. Hier spricht man von (Xexfinur nach Analogie. Denn wenn auch dort die Olex@ewegt würde, so würde alles, was aus ihr bewiesen wird, sich gänzlich verändern. Es selbst aber [das Bewiesene] bewegt sich nicht selbst, wenn die eine 4 x 6 0 ~ o t von ~ der anderen aufgehoben wird; es verändert sich nur dadurch, daß man die eine Hypothesis aufhebt und nach der anderen den Beweis führt." (? die Text-Uberlieferung ist unsicher) „Der Mensch L Bewegung. S Da aber ist Ursprung von Bewegung; denn die ~ Q ~ Eist aber wie bei allem anderen der Ursprung Grund von dem ist, was durch ihn sein Sein oder sein Entstehen hat, muß man den Begriff hex$ so auffassen wie beim Beweisverfahren. Wenn nämlich daraus, daß das Dreieck die Winkelsumme von zwei Rechten ist, notwendig folgt, daß das Viereck die Winkelsumme von vier Rechten hat, so ist evident, daß der Grund davon der Satz ist: die Winkelsumme des Dreiecks sei zwei Rechte. Wenn sich aber das Dreieck ändert, muß sich notwendig auch das Viereck ändern. Ein Dreieck von drei Rechten hätte sechs, eines von vier acht zur Folge. Andererseits: wenn sich das Dreieck nicht verändert, sondern so ist, wie es ist, muß notwendig auch jenes so sein, wie es ist. Daß aber das, was wir hier
behandeln, notwendig ist, ist auf Grund der Analytik evident. An dieser Stelle kann dies weder übergangen noch exakt ausgeführt werden. Es genüge Folgendes: Wenn es keine andere Ursache dafür gibt, daß das Dreieck so beschaffen ist, dann wäre dieses Ursprung und Grund von dem, was danach koinmt. Daraus folgt: Wenn es Einiges von dem Seienden gibt, was sich entgegengesetzt verhalten kann, dann ist notwendig, daß auch dessen Ursprüngc von solcher Art sind. Was sich aus Notwendigem ergibt, das ist notwendig. Was hingegen aus den anderen Ursprüngen kommt, hat die Möglichkeit, das Gegenteil zu werden; und das, was dem Menschcn selbst in Verfügung gegeben ist, gehört überwiegend zu diesem Bereich. Die Ursprüiige davon aber sind sie selbst."65Daraus folgt dann, daß der Mensch im Gegen6 5 h&ßmp~v 06v &hhqv 6 ~ x t4f i~E~~106oq5 ~ o n ¿ ~ $ & wEioi ~ . 64 n60at pkv (xi o5oio.t x a t a cphtv ttvE5 & ~ x a L610 , x a i Ex&(TT~ nohk& K.Uva~atT O L U D T ~ yevvkv, o&ov ÜvOeonos OrvH~hmousx a i L@ov ov o h w ~t;@a x a i cpvtOv cpu~&.n ~ O gBE ~ o z i ~ o6t gy' &vO~mnog x a i n ~ & t c O ttvhv v iottv hex* ~ O Y O Y t b v <+mv. TOYy a e Cyhhmv o6UEv ~ l n o t p ~&Yv ~ Q & Z T E I . V+C)v . B' txexbv 6oat ~ o t a G t a t 6, 0 ~ ~ v Q O T OaYi x t v f i o ~ tx~ 6, ~ t a ht i y o v ~ a t ,polhto~a6E Gi.xait05 hcp' &Y p4 i v b i x ~ ~ Cyhha~g, at Tjv Lawg 6 8 ~ 6 5&pxet. Bv 6E t a i g &xtv(~otg & ~ x a i soiov , i v tais paAqkaxtxai~,oWx Eott -CO x6@tov,xaItot heyetrxi Y F x a 6 ' Opo1.6tqza.x a i y&@ EvtaüOa 1 1 ~ v o v ~ Etijg v q ~C l ~ ~ ixj & g v t a p&htotl CIv t U B ~ ~ x v 6 k e v~ a& t a ( i a h h oa6tU t , 6' aUr& 06 p&taß&hhet&vai.~ouyivouBa- c F ~ o u,VnO Oatieou, &V p;i t@rfiv YnO8~0ivCj.veh~Lvx a i 61' 2x~ivrlg6 ~ I E a t . 6 B' O i v H ~ o x o ~ X L Y ( O E ( I ) ~t t v O ~ fi. Y&@ K Q & ~x iLv q~o i ~ BnEi . 6' i i o n ~ e Ev ZOG< Uhhot~fi &@X*a i t i a Eo-ci ~ o j 61.' v airtjv 6vtwv ytvophwv, &L. voijo a t xaH&nee Bxi t b v & ~ o ~ F ~ ~ F ( ~i I ) ~YO . L QEXOVTO< ~ o t 6~ ~ . y ( b 6130 v o ~6 ~ 0 & g hvhyxq TO t s t ~ u y w v o vE ~ E L VT ~ T T ~ OeB&g, Q ~ S c p a v ~ ~ 15s o v a'ittov ~ o 6 t o vt O 660 OQOUS EXELV TO t e i y w v o ~ Ei . 6¿ y&petaßO(hhet TO t ~ i y o v o v&v&ynq , xai 76 t ~ ~ e & y w v po ~v t a ß a h h ~ t o&ov v , ei TQELS,&t, &i62 T ~ T T U Q6Ex t~h, . n&v ~i p* petaßkhhot, rotoDtov 6' Eo-ci, xaneivo aotoGrov &vayxaiov &?vat. Bijhov 6' Ö E ~ L X E L Q O o~ t~t F&vayxaiov, ~ Ex TOYhvahvttxOv. vüv B' OUTF p;i hkye~v»Z~LEAEye~v( X X Q L ~ ~ O~ S~ O YTE, nh*v r o ( ~ o G ~ o E; v . Y&@ pqOEv Ühho alttov toG t b t ~ i y w v o v0 6 m g EXELY, &@X(ttg &Y Gy) toGto n a i a t ~ t o vtOv 6m~govG . m ' e r m e Bmiv Fvta ZOVovtcov EvK~~Opeva i v a v ~ i oFXELV, ~ &v&yxq x a i zag hex" aOz
satz zu den hexai der Mathematik einc & ~ x + s t , die sich so oder anders verhalten kann. Und dies ist konstitutiv für die Ethik. Ich mußte Ihnen diese Stelle in ihrem vollen Zusammenhang vorlegen, weil sie für das gesamte Schicksal der spateren Metaphysik grundlegend ist. Aristoteles unterscheidet hier zwei Arten von O~Qxai: solche, die notwendig sind, wie die Orexai der Mathematik und der übrigen deduktiven Wissenschaften; und solche, die sich so oder auch anders verhalten können. Eine solche ist der Mensch. Wie die & ~ x a iso, sind auch die aus ihnen abgelciteten Folgen beschaffen. Was aus notwendigen Olexai abgeleitet wird, ist selbst notwendig. i wird, ist selbst veränderWas aus veränderlichen & ~ x aabgeleitet lich. Alles, was mathematischen Gesetzen gehorcht, ist deshalb streng determiniert. Alles, wofür der Mensch selbst 6 ~ x 4ist, ist nicht determiniert. Der Oberbegriff für die vom Menschen ausgehende Kausalität heißt n ~ ü & . So ist an dieser Stelle bei Aristoteles mit voller Klarheit jene Antinomie zwischen Notwendigkeit und Freiheit formuliert, die später das große Thema der Philosophie von Kant geworden ist. Diese Antinomie wird auf die Antinomie der & ~ x azuruckgeführt. i Es besteht ein irreduzibler Gegensatz zwischen beweglichen und unbeweglichen dexai. Die Stelle über die unbeweglichen Q x a i ist für uns deshalb besonders aufschlußreich, weil sie eine direkte Polemik gegen die platonische Dialektik enthält. Platon hatte an der von uns betrachteten Stelle gesagt, daß die deduktiven Wissenschaften nach Art der Geometrie „im Umkreis des Seienden nur träumen, es aber wachend nicht ins Auge zu fassen vermögen, solange sie 6no0iot.15 benutzen, und diese unbewegt lasscn'' (R 533 C; vgl. 98). Die dialektische Methode dagegen hebt die 6 n o O i o auf. ~ ~ ~Dagegen polemisiert Aristoteles, indem er erklärt, die 6 n o t ) E o ~seien t ~ unbeweglich und deshalb notwendig; und eben dieser Satz ist die Voraussetzung für die Unterscheidung von Notwendigkeit und Freiheit. So zeigt sich: Kants Antinomie von theoretischer und praktischer Vernunft ergibt sich mit zwingender Konsequenz aus der Polemik des Aristotelcs gegen die platonische Dialektik. Nun kommt in diesem Abschnitt auch Gott vor. E r ist, wie der Mensch, Ursprung von Bewegung, aber er kann nicht anders handeln, als er handelt. Er ist mit derselben Notwendigkeit Ursprung wie die 6 ~ x adcr i Mathematik. Dieser Gottesbegriff ist eine Synthesis der beiden Formen von &@X$. Deswegen ist Gott die & Q X ~ schlechthin. Aber die Synthesis wird nicht dialektisch erreicht, son-
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dern hat die Form jener in sich selbst verharrenden Identität, die durch den Satz vom Widerspruch definiert ist. Damit ergibt sich, daß der ganze Gedankengang - und nicht nur die direkte Polemik gegen Platon - eine Negation der Dialektik ist. Zwischen diesem Text und Platon gibt es keine Vermittlung. Aus dem hier vorgelegten Gottesbegriff dringt die monoton in sich selbst rotierende Identität in Hegels Begriff des Absoluten ein. Das Absolute wird zum bloßen Kreisen in sich selbst.
V. Der Begriff des Subjektes 1. (Das ~
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~ O X E ~ ~ Ebei Y OAristoteles) Y
Ausgehend von Hegels absoluter Idee, haben wir in Abschnitt 11, 1 untersucht, was als die Wirklichkeit der absoluten Idee zu denken ist. In Abschnitt 11, 2 haben wir den Begriff des Absoluten untersucht. Das Absolute wird bestimmt als das Unbedingte und als der UrSprung oder Grund. Die Doppelheit dieser Bestimmung hat ihre 4 wn60~Wurzel in Platons Auslegung der Idee des Guten als 6 ~ x & TOS. Deswegen wurde gefragt: - Was heißt 6 ~ x f i ? - Was heißt Orvux60~.co~? Bei der Untersuchung dieser Begriffe stellte sich heraus, daß die fundamentale Differenz zwischen Aristoteles und Platon daraus hervorgeht, daß Aristoteles den Ursprung als oVoia, Platon als Einheit jenseits der oVoia denkt. Bei Aristoteles wird die oVoia das Unbedingte. Bei Platon wird der Weg zum Olv-6n60szov durch Aufhebung der Hypothesis: „das Eine ist", ermöglicht. Um diese dialektische Aufhebung auszuschließen, macht Aristoteles den Satz vom Widerspruch zu seiner Ol~xfi&vunhO~zog.Der Satz vom Widerspruch legt die Notwendigkeit der 6noQ~ot5,„das Eine ist", fest, hat aber zur Folge, daß die Untersclieidung zwischen unbeweglichen und veränderlichen Orexai, zwischen Mathematik und Freiheit, nicht mehr überbrückt werden kann. E r begründet den Vorrang der oVoia als a ; .?vi@y~ia seiender Einheit. Das Wesen der oVoia ist die E v E ~ y ~ tals ist die oVoia Ursprung. Deswegen ist die Abkehr des Aristoteles von Platon und seine Leugnung der Dialektik eine Folge davon, daß er die d ~ x f hi v u z 6 ~ e . c oals ~ E v i ~ y ~ tdaß a , er das Absolute als „wirk-
lich" denkt. Die Wendung, die Aristoteles vollzogen hat, ist für das Schicksal der Metaphysik bestimmend geblieben. Der Gott der Metaphysik ist bis zu Hege1 das S u m m ~ i mens, das wir im ontologischen Gottesbeweis erkennen. Nun hat Gott seine Wirklichkeit darin, v6qv o f i o ~ wzu~ sein. N h q o t ~Y O ~ ~ O E Oist S die Entelechie von Seele überhaupt. Auch die Seele wird als odoia gedacht; ihre Entelechie ist die höchste odoia. Wir haben also, während wir über die Begriffe des Wirklichen und des Absoluten sprachen, über nichts anderes als über das Wesen der Seele gesprochen. Das Wesen der Seele ist das Wesen der Metaphysik. Das Wesen der Metaphysik ist das Wesen der Seele. Deshalb ist eine Einführung in die Bücher des Aristoteles „Über die Seele" nur in der Form einer Einführung in die Metaphysik möglich. Als Resultat der bisherigen Untersuchung halten wir fest, daß sowohl die Wirklichkeit, wie das Absolute (als Ursprung und als Unbedingtes), wie die Seele bei Aristoteles als o h i a gedacht werden. Das Verständnis aller dieser Begriffe und damit zugleich des aristotelischen Gottesbegriffes hängt davon ab, wie die o4oiu zu denken ist. Das ist dasThema der Ersten Philosophie, also der Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes und die ihm als solchem zugrundeliegenden Ursprünge untersucht. Wir können an dieser Stelle nicht die ganze Ontologie des Aristoteles entfalten, sondern fassen nur eine - die grundlegende - Bestimmung der oVoia ins Auge. Aristoteles sagt: pdiL1o~a.. . fion~iE ? Y ~ L060ia t b 6non&ip~vov n ~ o ~ o- v„im höchsten Grade scheint oVoia zu sein das Erste Zugrundeliegende" (Met. VII, 3, 1029 a 1). OVoia hat man später als „SubstanzL6übersetzt. Die ~bersetzungvon 6rcoileip~vovheißt subiectum, und zwar in jener Bedeutung des Begriffes, die wir noch heute in der Grammatik verwenden. Die oVoia wird also als Substanz, die Substanz wird als Subjekt interpretiert. Wir müssen genauer zusehen, was das bedeutet. Aristoteles definiert den Begriff des 6noilsip~vovan der eben zitierten Stelle. Er sagt: „Das Zugrundeliegende ist jenes, auf welches hin das Andere ausgesagt wird. Es selbst wird aber nicht mehr von einem Wenn alle übrigen Begriffe von der oVoia Anderen a~sgesagt."~6 10 6' 6xon~ip~vOv EOTL nafl' 06 xa~'Oihhov. 1028 b 36f.
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uhha hiys-cat,Eneivo 6b auab p q n h
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ausgesagt werden, so liegt die oVoiu ihnen zugrunde; denn ohne die o-iroia hatten sie weder Halt noch Bedeutung. Wenn die ofioia selbst hingegen von nichts anderem mehr ausgesagt werden kann, so liegt der odoiu als solcher nichts mehr zugrunde. Sie ist das Erste Zugrundeliegende, und weil sie das Erste ist, ist sie Cx~xfi.Das ist die Erklärung für den Satz aus dem Abschnitt der „Eudemischen Ethik", alle oVoial seien in irgendeinem Sinne CLe~ai.Die ozioia ist demnach dasjenige, dessen Sein als etwas Vorgegebenes hingenommen werden muß, wenn man erkennen will, was mit ihr in Zusammenhang steht. Ihre Erkenntnis hat die Struktur der Gn60sols. Auch sprachlich hängen die beiden Begriffe miteinander zusammen, denn n ~ i p a ~ = liegen wird als Perfekt passiv von ~if3qpl= setzen, gebraucht. Die und die Definition der &QBestimmung der o4oia als 6noil~ip~vov xai in der aristotelischen Wissenschaftstheorie hängen miteinander zusammen, ja sie sind identisch. Was dem Sein nach Ursprung ist, ist auch der Erkenntnis nach Ursprung, und eben diese Identität garantiert die Wahrheit des Seins und der Erkenntnis. Der Satz vom Widerspruch hat den Sinn, diese Identität zu begrunden. Das bedeutet: die ~0~ die unbedingte Bestimmung der oVoia als 6 ~ 0 i l E i p &impliziert Gultigkeit des Satzes vom Widerspruch. Sie impliziert die Unbeweglichkeit der Cxexai. Sie impliziert die Negation der platonischen Dialektik. Das muß man eingesehen haben, um zu verstehen, was Aristoteles in seiner Definition des 6noil~ip~vov, als ob es selbstverständlich wäre, voraussetzt. Ich wiederhole die Definition: „Das Zugrundeliegende ist jenes, auf das hin das Andere ausgesagt wird; es selbst aber wird nicht mehr von einem Anderen ausgesagt." Als selbstverstandlich wird in dieser Definition vorausgesetzt, daß die Figuren der Aussage, die Kategorien, die Struktur des Seienden so aufweisen, wie es von sich aus ist. Es wird vorausgesetzt: die Erkenntnis des Seienden als eines solchen sei notwendig Onto-Logie. Wir haben diese zentrale These des Aristoteles schon besprochen (82tt.). Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo wir einsehen können, daß Kategorienlehre, Satz vom Widerspruch, Wissenschaftstheorie und Vorrang der o4oia mit der Auslegung der oVoia als 6noil~iyevovidentisch sind. Wer die odoia als das Erste Zugrundeliegende versteht, befindet sich in einem Zirkel der Notwendigkeit, der ihn zwingt, die Kategorienlehre und den Satz vom Widerspruch, also die unbedingte Gültigkeit der Logik, zu ubernehmen und die C x ~ ~ als f i odoia zu denken; denn der 115
Begriff „das Erste Zugrundeliegende" ist, wie wir sahen, die aristote. diesem Zirkel der Notwenlische Auslegung des Begriffes d ~ x f iAus digkeit vermochte die europäische Metaphysik sich nie mehr zu befreien. E r ist das Grundgesetz der Metaphysik. Untersucht man den aristotelischen Begriff des I ~ ) J C O X . E ~ ~ E V O V genauer, so stellt sich heraus, daß auch Aristoteles sich jenem Zwang der Pl-iänomenalität der Phänomene nicht entziehen konnte, der Platon dazu geführt hatte, die Einheit des Guten jenseits des Seins zu setzen. Die im Begriff des 6 n o n ~ i p ~ v oals v 6 n b O s o ~angenommene ~ Identität der Einheit und des Seins löst sich nämlich alsbald wieder auf. Aristoteles zeigt im selben Kapitel, daß das 6noilriy~vov,gerade wenn man es definiert, wie er es tut, in sich doppeldeutig ist. Es ist einerseits Ühq, andererseits ~160s.Aus dieser Doppeldeutigkeit hat sich dann später der Gegensatz von Materialismus und Idealismus entwickelt. Was Aristoteles hier ~ S f i ound ~ Ghy nennt, würden wir heute als die Polarität von Struktur und Kontinuum beschreiben. Platon bestimmt sie im „ParmenidesC'als die Differenz der Einheit und der Andersheit. Die Kunst, diese Differenz zu denken, heißt „Dialektik". Aristoteles hat die Polarität von Ghq und e1bo~als Pola~ ~ E V ~ Q ~ E L -C von I Möglichkeit und Wirklichkeit rität von 6 6 v a p und erklärt. Der Begriff der E v 6 Q y ~ ist ~ a also die aristotelische Lösung jenes Problems, das Platon dialektisch zu lösen versuchte. Er gibt Aristoteles die Möglichkeit, die Polarität von Ghq und ~ 1 6 0 5unter die Klammer der ofioia zu zwingen. So bildet auch bei Hegel, wie wir sahen, die Affirmation der ewig sich selbst gleichen Substantialität des absoluten Geistes die Klammer, die sich die negative Bewegung der Dialektik unterwirft.
2. (Die Wandlung des Seinsverständnisses) Wenn es die Aufgabe des Denkens ist, das Erste Zugrundeliegende zu suchen und in ihm seinen Halt zu finden, verwandelt sich unmerklich die Bedeutung der Begriffe und a i ~ i a „Ursprungc' und „Grundc'. Bei Platon richtet sich der Blick nach oben, wenn er den Ursprung ins Auge fassen will. Der Ursprung ist nicht Fundament, sondern er ist Lichtquelle, von der das Sein und die Wahrheit herabstrahlt. Entsprechend ist a i ~ i anicht „Grund" sondern Ursache in der buchstäblichen Bedeutung dieses Wortes. Jetzt aber sucht das
Denken seinen „Grund und Boden", wenn es zur Sicherheit gelangen will. Es sucht jene Unbeweglichkeit, die den olexai durch die ~~ wird. Gleichsam im aristotelisch interpretierte 6 z o O ~ ogesichert Hintergrund des Denkens verwandelt sich seine „Grunderfahrung". Die Lichtmetaphorik, die von Parmenides bis Platon das Denken erleuchtet, wird durch eine Grund- und Bodeninetaphorik ersetzt. Die Ontologie wird zur „Fundamental-Ontologie". Das Sein ist nicht mehr Transparenz sondern Festigkeit, Solidität, Stabilität, Sicherheit, Massivität. Dies alles dringt vom Begriff des 6 n o ~ ~ i p ~ vaus ov unmerklich in das Verständnis der oVoia ein. Dieses Seinsverständnis verfestigt sich, nachdem unter römischem Einfluß das 6v nicht mehr als das in Wahrheit Seiende sondern als res verstanden wird; denn res ist für das juristische Denken der Römer eine Sache, über die man verfügen kann. Das Wort hat etwa jene Bedeutung, die bis heute in dem Begriff „Sachenrecht" erhalten bleibt. Demgegenüber ist dann der Begriff ein bloßes Wort, ein bloßer Name, eine Abstraktion. Der inittelalterliche Streit zwischen Realismus und Nominalismus setzt diese Umdeutung der zentralen Begriffe der griechischen Philosophie voraus. Die Wirklichkeit wird zur „Realität". Die reine Ev6Qy~ta des aristotelischen v o 5 verwandelt ~ sich in das ens renlissimum, den Gottesbegriff der spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Philosophie. Da der Begriff der Substanz nunmehr die Gesamtheit der versteckten Implikationen des Begriffes der „Realitätd' in sich aufsaugt, ergibt sich ein Widerspruch zwischen Geist und Substanz, der aber wegen der ungebrochenen Macht der Traditionen griechischen Denkens nur in den Geleisen durchgeführt werden kann, die durch das griechische Denken vorgezeichnet sind. Da wir davon ausgegangen sind, daß Philosophie nur im Nachvollzug der geistigen Erfahrungen verstanden werden kann, aus denen sie hervorgeht, war dieser flüchtige Blick in den Hintergrund der nacharistoteliscl-ien Pl-iilosophie erforderlich. Man kann sonst nicht verstehen, wie sich Sinn und Bedeutung der Metaphysik im Mittelalter und in der Neuzeit trotz des Fortbestehens ihrer Denkformen verwai-ideln.Wir sind dadurch vorbereitet, jetzt auch bei diesem dritten Begriff, dem Begriff des Subjekts, den Vergleich zwischen Aristoteles und Hegel durchzuführen.
3. (Der neuzeitliche Subjektbegriff bei Wolff und Kant) Soll der Vergleich, den wir uns vorgenommen habcn, nicht lediglich in einem äußerlichen Hin- und Hcrpendeln zwischen willkürlich hcrausgegriffenen Einzelheiten hängenbleiben, so müssen wir uns die Leitfrage klar vor Augen stellen, an der wir uns bei diesemvergleich orientieren. Diese ganze Eiilführung hat den einzigen Sinn, uns deutlich zu machen, wovon die Rede ist, wenn Aristoteles drei Bücher über die Seele schreibt. Es geht uns darum zu verstehen, was das Wort „Seele" eigentlich bedeuten soll. Seit Kant bezeichnet die Philosophie das, was in uns denkt, also unsere Seele, als „Subjekt6".Der Inbegriff aller der Bestimmungen, die das Wesen des denkenden Subjektes ausmachen, heißt seit den Frühschriften von Hege1 „Subjektivität". In unserem alltäglichen Sprachgebrauch verstehen wir die Worte „subjektivL'und „Subjektivität", im Gegensatz zu den Worten „objektiv" und „Objektivität", so, als ob sie nichts anderes bezeichnen sollten als das, was unwahr, willkürlich und belanglos ist. Zwar haben diese Worte erst durch Kant die uns geläufige Bedeutung gewonnen; aber was Kant unter ihnen verstand, ist vergessen. Kant zieht in seiner neuen und revolutionären Bestimmuiig des Begriffes „Subjekt" die Konsequenz aus der Lehre von Descartes, die Gewißheit des „Ich denke" sei das Fundament aller überhaupt möglichen Gewißheit, und der Satz „ich denke" impliziere den Satz „ich bin". Wenn das „Ich denke" = „Ich bin" das Fundament aller möglichen Gewißheit ist, so wird in diesem Satze ausgesprochen, was allem, das gedacht werden kann, zu Grunde liegt. Das n ~ 6 - c o v6xoilriyevov das Erste Zugrundeliegende, nach dem Aristoteles gefragt hat - ist dann das denkende Ich. Es ist das Subjekt schlechthin. Auch die Gewißheit der objektiven Erkenntnis hat dann in der Selbstgewißheit des denkenden Ich ihre Basis. Die Subjektivität des Menschen ist dann der Grund der möglichen Objektivität seiner Erkenntnis. Wenn wir den Ursprung und die fundamentalen Voraussetzungen aller Wahrheit, die wir erkennen können, aufdecken wollen, müssen wir versuchen zu begreifen, was es bedeutet, daß nach Descartes das ego cogito das sum in sich enthält. Wir müssen zu einer Form der Selbsterkenntnis gelangen, die uns die Strukturen und die innere Möglichkeit der Selbsterkenntnis sowohl wie der objcktiven Erkenntnis, also des Selbstbewußtseins und des Bewußtseins, durchsichtig macht. In den Strukturen unseres Selbstbewußtseins erfassen wir
sowohl unser eigenes Wesen wie unsere Möglichkeit, Wahrheit zu erkennen. Unser eigenes Wesen ist aber nichts anderes, als was man seit alters die Seele des Menschen genannt hat. Deshalb erfassen wir in den Strukturen und in der inneren Möglichkeit der Subjektivität unseres Bewußtseins zugleich das Wesen der Seele. Das riesige Werk von Kants Transzendentalphilosophie, wie sie sich in den drei „Kritiken" entfaltet, ist nichts anderes als ein großer Traktat über die Struktur der Subjektivität des Subjektes. Die drei „Kritikenc' haben also das selbe Thema wie die Bücher des Aristoteles, zu denen wir einen Zugang suchen. Sie handeln „über die Seele". Obwohl die Worte „subjektivu und „Subjektivität" im alltäglichen Sprachgebrauch ihre wahre Bedeutung verloren haben, hat jene neue Form der Selbsterfahrung des Menschen, die mit Descartes beginnt und in der deutschen Transzendentalphilosophie den Punkt ihrer höchsten Entfaltung erreicht, auf die Selbstauffassung des Menschen im Bannkreis der europäischen Kultur einen bestimmenden Einfiuß ausgeübt. Die Menschen erfahren ihre eigene Seele in jenen Brechungen und jenen Facetten, die durch die Struktur der Subjektivität vorgezeichnet sind. Seit „Seele" die Gestalt der Subjektivität annahm, ist die Natur zum bloßen Objekt-Bereich geworden. Seit „Seele" Subjektivität ist, werden Staat und Gesellschaft nach mechanischen Modellen, also nach dem Vorbild physikalischer Systeme organisiert. Das Verfahren der Objektivation liegt dem Entwurf der Planungsschemata zugrunde, nach denen im Zeitalter der Subjektivität die Sozietät sich ihre Regelsysteme schafft. Auch Kunst und Literatur sind vom 17. Jahrhundert bis heute Ausdruck der Subjektivität und ihrer Reflexe. Vor allem aber hat die Subjektivität in der Neuzeit sämtliche Formen der Religiosität und des Glaubens ergriffen. Die Seele sucht in allen Worten, Symbolen, Zeichen und Diensten des Glaubens nichts anderes als ihre eigene Wahrheit und versteht Gott nur noch als den Grund ihrer eigenen Wahrheit. Es gibt in der Welt, in der wir leben, nichts, was nicht aus dem Medium der Subjektivität hervorgegangen und durch den Geist der Subjektivität geprägt wäre. Die von Wissenschaft, Technik und Industrie produzierte künstliche Welt unserer Zivilisation ist ein Spiegelsaal der Subjektivität. Wir sehen rings um uns herum nichts anderes, wir vermögen nichts zu denken und nichts zu empfinden, was nicht ein Selbstporträt des Menschen wäre, der seine Selbstgewißheit darin sucht und findet, daß er Subjekt ist.
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Aristoteles hat das Wesen der Seele, wie wir noch lernen werden, anders verstanden als das Zeitalter der Subjektivität. Aber ohne Aristoteles wäre es nicht möglich geworden, daß der Mensch sein Wesen in seinem Subjektsein begreift. Das Problem, wie sich die Subjektivität der Neuzeit zur Qvxfi des Aristoteles verhält, ist deshalb in der Situation, in der wir uns befinden, etwas anderes als irgend ein Spezialproblem der Philosophie. Hier wird der innerste Nerv unserer Selbsterkenntnis getroffen. Hier sitzt jener unaufgeklärte Komplex, von dem aus die Selbsttäuschung und die Verblendung wie eine negative Strahlung sämtliche Sphären unserer Zivilisation durchdringt. Unser eigenes geschichtliches Dasein steht zur Debatte, wenn wir untersuchen, was die Begriffe „.ii~onsip~vov'' - ,,subiecturn" - „Subjektivität" bedeuten, und welche inneren Konsequenzen es hat, wenn sich das Selbstverständnis des Menschen in den durch diese Begriffe vorgezeichneten Bahnen bewegt. Die Definition des .iinonaipsvov, von der wir ausgegangen sind, hieß: „Das 6zonsip~vovist jenes, auf das hin das Andere ausgesagt wird, es selbst aber wird nicht mehr von einem Anderen ausgesagt." (115f.) Dieser Begriff des „subiectum" ist auch von der neuzeitlichen Pliilosophie bis zu Kant festgehalten worden. Wie streng das neuzeitliche Denken sich an die Denkformen und die Terminologie des scholastischen Aristotelismus gebunden fühlt, können Sie feststellen, wenn Sie in dem Werk des großen Leibniz-Schülers Christian Wolff, „Philosophia Prima sive Ontologia", die $ 3 711 und 712 über den Begriff des ,,Subjectum" nachlesenG7. Die Terminologie der Wolffschen Schule ist die Terminologie, die Kant voraussetzt, und von der er ausgeht. Wer nachprüfen will, auf welchem Weg die Ontologie des Aristoteles in die Philosophie von Kant eingedrungen ist, braucht nur dieses Werk zu studieren und mit Aristoteles auf der einen Seite, mit Kant auf der anderen Seite zu vergleichen. Wolff definiert das subiectum als „das Seiende insofern es daraufhin betrachtet wird, daß es ein Wesen hat und außerdem andere Bestimmungen aufnehmen kann" - ens, yualenzw considerajur ut habens essentiam et praeter eam aliorum capax, dicitur Subjectum ( 5 711, 534). Der Begriff „subiectum" bezeichnet also nicht das Ich sondern das Seiende als solches, und zwar erstens im Hinblick auf seine essen-
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1728R.; Rcprint der 2. Auflage von 1736, Hildesheim/Darm$tadt: Olms1 Wissenschaftliche Buchgcsellschaft, 1962, 534ff.
tia; essentia ist die lateinische Übersetzung von odnicx; zweitens im Hinblick auf seine Möglichkeit, andere Bestimmungen in sich aufzunehmen. Aristoteles nennt diese anderen Bestimmungen ovpßsßqn 6 . t ~ Im . Q 712 wird unter Berufung auf Albertus Magnus erläutert, das subiectum sei nach seiner Definition: id, quod . . . omnibus substat - „das, was allem zugrundeliegt, seine ,substantia"' (534). Diese sub~tantiasei aber nichts anderes als die essentia. Das alles ist gut aristotelisch. Wie sich von diescm Begriff des subiectum aus bei Kant der neuzeitliche Begriff des Subjekts entwickelt, zeigen die $ 3 46ff. der „Prolegomena", aus denen ich das Wichtigste hervorhebe. Kant sagt zu Beginn von Q 46: „Man hat schon längst angemerkt, daß uns an allen Substanzen das eigentliche Subjcct, nämlich das, was übrig bleibt, nachdem alle Accidenzen (als Prädicate) abgesondert worden, mithin das Substantiale selbst unbekannt sei, und über diese Schranken unserer Einsicht vielfältig Klagen geführt." (4, 333) E r führt also den Begriff des Subjekts in genauer Ubereinstimmung mit der Definition des Aristoteles ein. Auch bei ihm wird das „eigentliche Subjekt" als das „Erste Zugrundeliegende" verstanden, „auf das hin das Andere ausgesagt wird". Das Subjekt wird als „das Substantiale selbst", das heißt als essentia, als oVoia verstanden. Die „Klageu darüber, daß „das Substantiale selbst" uns unbekannt sei, geht auf dasselbe Kapitel des Aristoteles zurück, dem wir die Definition des 6x0nsipsvov entnommen haben (Met. VII, 3). Aristoteles zeigt nämlich dort, daß es eine bestimmte Form gibt, nach dem Ersten Zugrundeliegenden zu fragen, bei der sich uns die odnicl ins Unbestimmbare zu entziehen scheint. Betrachten wir ohne Unterschied die wesentlichen und die beiläufigen Bestimmungen eines Seienden nur daraufhin, daß sie in der Aussage durch Prädikate bezeichnet werden, so gilt auch für Aristoteles der Satz, den Kant in $ 46 der „Prolegomena" so formuliert: „Die reine Vernunft fordert, daß wir zu jedem Prädicate eines Dinges sein ihm zugehöriges Subject, zu diesem aber, welches nothwendiger Weise wiederum nur Prädicat ist, fernerhin sein Subject und so forthin ins Unendliche (oder so weit wir reichen) suchen sollen." (4,333) Dieses Unendliche, gricchisch -co u z ~ t ~ o v , heißt bei Aristoteles Ghq, die Materie. Die Materie ist bei Aristoteles bestimmt als das selbst uiibestimmbare Substrat aller überhaupt möglichen Pradikate. Auf sie läßt sich, wie Aristoteles feststellt (1029a 25), auch der Satz vom Widerspruch nicht mehr anwenden. Aber an eben dieser Stelle trennt sich der Weg Kants von
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dem des Aristoteles. Aristoteles erklärt (1029 a 27ff.), dieser Weg, das Erste 6nonaipavov zu suchen, sei unmöglich, denn es sei evident, daß das Seiende als Seiendes die Eigenschaft habe, ein Ausgegrenztes und als „dieses-da" Bestimmtes zu sein. Das Ausgegrenztsein verdankt das Seiende seinem atSog, seiner Struktur. Seine Bestimmtheit als „dieses-da" verdankt es der für die aristotelische Lehre von der o6oia grundlegenden Bestimmung, daß es ein olivohov ist - die lateinische Übersetzung heißt concretum, das Zusammengewachsene. Die beiden Momente, in deren Verbindung (ouv) das Seiende ein Ganzes (Öhov) ist, sind a'tbog und Ühq, modern gesprochen: Struktur und Kontinuum. (Es wäre besonders für die Theologen nützlich, wenn sie wüßten, daß sie sich in den Bahnen der aristotelischen Ontologie bewegen, wenn sie das Wort „konkretc' gebrauchen.) Das Seiende konstituiert sich also nach Aristoteles dadurch zu einem ~ ~ O X E ~ ~ZUE einer VOV Grundlage, , in der das Denken seinen Halt findet und zum Stehen kommt, daß es eine Struktur hat und in dieser seiner Struktur ausgegrenzt und beständig ist. Deshalb gelangt Aristoteles zu folgender Definition: fi yde o6oia Eoti ~b aS605 ~b EvOv, FE 04 nai ~ i j g2ihqg fi olivohos h6ya-c~~ oVoia - „die ovoia ist das inneseiende ~Sbog;aus diesem und der Ühq wird die o6oia in ihrem zusammengefaßten Ganzsein durch den h 6 y o ~aufgewiesen" (Met. VII, 1037 a 29f.). Das bedeutet: die oVoia ist zwar, wie schon Platon ~ . sie ist das E ~ K O Snicht als ein von der Mategelehrt hat, das ~ 1 6 0Aber rie getrenntes sondern als jnneseiendes ~S6og"(xb eSSo5 -cO FvOv), das heißt als ein ESKOS,das gerade darin Struktur ist, daß es sich in der Materie manifestiert. Will man nicht diese oder jene odoia sondern ovoia überhaupt definieren, so muß deshalb die Definition aus dem aS60S und der Ühq zusammengesetzt sein. Das gilt auch für die Definition jeder einzelnen odoia: Will ich definieren, was ein Ring ist, so genügt es nicht, daß ich die geometrische Form des Ringes definiere, sondern ich muß sagen: ein Ring ist ein aus dem und dem Metall so und so geformter Reif. Das Wort „Reif" bezeichnet die konkrete ouoia, nämlich das kreisförmige Band aus Metall. Mit dieser Definition der oVoia ist dann begründet, weshalb das Denken seinen Halt und Stand gewinnt, sowie es die o6oia erfaßt hat. Es ist begründet, weshalb die odoia innerhalb der Aussage immer an der Stelle des Subjektes steht und sich dadurch von den übrigen Kategorien unterscheidet, die immer nur durch Prädikate bezeicnnet wer-
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den können. Wir Iiaben schon gesehen, daß noch Christian WolfT'in seiner Ontologie an dieser Lehre festhält. Kant hat entdeckt, daß die Gleichsetzung von ovoia und 6xonaipavov - von Substanz und Subjekt - keine Basis mehr hat, wenn das Denken sein Fundament nicht mehr im Sein des Seienden sondern in der Selbstgewißheit des ego cogito sucht. Wenn alle Gewißheit und Wahrheit unseres Denkens im Denken selbst ihren Ursprung hat, dann kann nichts mehr, was außerhalb des Denkens liegt. als selbständig Zugrundeliegendes betrachtet werden. Was wir „das Seiende" nennen, hat dann nicht mehr in sich selbst seinen Halt; es wird für uns nur dadurch gewiß, daß wir uns dessen vergewissern, daß wir es uns nach den Gesetzen unseres eigenen Denkens so und nicht anders vorstellen müssen. Das Seiende wird ein Vorgestelltes = obiectum. Der Begriff „obiectum" bedeutet von Duns Scotus bis zum 18. Jahrhundert nicht das zugrundeliegende Seiende sondern, wie das Wort sagt, das unserem Denken und Handeln Entgegengestellte, auf deutsch: den „Gegenstandu. Christian Wolff definiert: „Es ist ohne Zweifel das Objectum ein Seiendes, das die Handlung des Handelnden abgrenzt, oder in dem die Handlungen des Handelnden abgegrenzt werden. Das Objekt ist also gleichsam die Grenze der Handlung" - Est nimirum objectum ens, quod terminat actionem agentis, seu in quo actiones agentis terminantur: ut adeo actionis quasi limes sit (5 949, 684). Diese Definition wird durch Beispiele erläutert: Das schöne Ding ist der „Gegenstandc', das obiectum der Liebe, weil die Handlung des Liebens in ihm an seine Grenze gelangt. „Das Objecturn des Physikers sind die Dinge in der Natur, weil die Handlungen des Physikers, die er in seiner Eigenschaft als Physiker unternimmt, in eben diesen ihre Grenze erreichen und nicht über diese hinausgehen" - Objectum Physici sunt res naturales, quia Physici aciiones, quas tanquam Physicus suscipit, in iisdem terminantur, nec ultra eas progrediuntur (684). Von sich selbst aus sind die Dinge in der Natur nach dieser Definition nicht „Objektec'. Sie werden erst dadurch zu Objekten, daß sie zum Gegenstand der Handlungen des Physikers, also zum Gegenstand von Experimenten werden. Erst in der technischen Welt werden die Dinge in der Natur tatsächlich zu Objekten, weil die Natur in ihrer Gesamtheit objektivierender Praxis unterworfen wird. Objekte haben ihr Sein nicht in sich selbst sondern in ihrem Bezug auf die Handlung des sie sich objizierenden Subjektes. Die Form, in der wir sie zum Gegenstand machen, bestimmt die 123
Form, in der sie für uns Objekt sind. Die Objektivität der Objekte hat ihren Grund nicht in den Dingen selbst sondern in dem Subjekt, das sich in seinem Handeln auf sie bezieht. Wenn nun die Selbstgewißbeit des denkenden und handelnden Subjektes das Fundament aller möglichen Erkenntnis ist, so können wir nicht länger davon ausgehen, daß wir die Dinge so erkennen, wie sie von sich aus sind. Tm Horizont der Subjektivität gibt es überhaupt nichts anderes mehr als Objekte. Ist aber das Seiende zum Objekt geworden, so hat es keinen Halt mehr in sich selbst. Es kann nicht mehr als .Unoxei~~vov betrachtet werden. Die Bestimmungen, durch die wir es umgrenzen, unterscheiden sich nicht mehr von den Prädikaten, die in den Kategorien außerhalb der o4oia ausgesprochen werden. Deshalb mußte Kant folgenden Schluß ziehen: „Hieraus folgt, daß wir nichts, wozu wir gelangen können, für ein letztes Subject halten sollen, und daß das Substantiale selbst niemals von unserm noch so tief eindringenden Verstande, selbst wenn ihm die ganzc Natur aufgedeckt wäre, gedacht werden könne: weil die specifische Natur unseres Verstandes darin besteht, alles discursiv, d. i. durch Begriffe, mithin auch durch lauter Prädicate zu denken, wozu also das absolute Subject jederzeit fehlen muß." (4,333) Man kann den Sinn dieses Satzes kurz zusammenfassen: Wenn unser Denken nur Objekte erkennt, so kann es keine Substanz erkennen. Erkennt es aber keine Substanz, so fehlt den Prädikaten, die wir denken, das Subjekt. Wir vermögen dann überhaupt nur Prädikate zu denken. Dies ist die Stelle, an der Kant den neuzeitlichen Begriff des Subjektes einführt. Er sagt: „Nun scheint es, als ob wir in dem Bewußtsein unserer selbst (dem denkenden Subject) dieses Substantiale haben und zwar in einer unmittelbaren Anschauung; denn alle Prädicate des innern Sinnes beziehen sich auf das Ich als Subject, und dieses kann nicht weiter als Prädicat irgend eines andern Subjects gedacht werden. Also scheint hier die Vollständigkeit in der Beziehung der gegebenen Begriffe als Prädicate auf ein Subject nicht blos Idee, sondern der Gegenstand, nämlich das absolute Subject selbst, in der Erfahrung gegeben zu sein." (4,334) Die aristotelische Frage nach dem Ersten Zugrundeliegenden, dem n ~ 6 . t o v~ Z O X F ~ ~wird, F V wie O~, diese Stelle zeigt, von Kant mit strenger Konsequenz so weit durchgeführt, bis das Ich als das Subjekt schlechthin alles dessen, was überhaupt gedacht werden kann, hervortritt. Der neuzeitliche Begriff des Subjektes bezeichnet also nicht, wie man immer wieder behauptet,
eine Abkehr von der griechischen Ontologie; er wird vielmehr als die extremste Konsequenz aus dieser Ontologie erst möglich. Das Ich begreift sich selbst als .Unox~ip~vov in der griechischen Bedeutung dieses Begriffes. Eben dadurch erscheint es sich selbst nach den Worten von Kant als „das absolute Subject" seines Denkens. In diesem Sinne ist die Philosophie von Fichte und von Hegel Philosophie der absoluten Subjektivität. Der Begrilf der absoluten Subjektivität impliziert jenen Aristotelismus, den Hegel in seiner Dialektik dann auf so glanzvolle Weise entfaltet hat. Insofern ist der Aristotelismus von Hegel nicht ein absonderlicher Rückfall in die von Descartes überholten Denkformen der Scholastik. E r ergibt sich mit strenger Konsequenz aus dem von Kant hier eingeführten Begriff des absoluten Subjektes. Trotzdem setzt Hegel sich dabei über den zentralen Gedanken von Kants Transzendentalphilosophie hinweg. Kant sagt an der zitierten Stelle: „Nun scheint es, als o b wir in dem Bewußtsein unserer selbst (dem dcnkenden Subject) dieses Substantiale haben . . . Also scheint hier. . . das absolute Subject selbst. . . gegeben zu sein." Das Wort „scheintu hat eine präzise Bedeutung. Kant spricht hier von jener Form des Scheins, die er als „transzendentalen Schein" bezeichnet. Die Wissenschaft, die Kant „Dialektik" nennt, hat nicht, wie bei Hegel, die Aufgabe, diesen Schein zu erzeugen; sie hat vielmehr die Aufgabe, ihn zu zerstören. Deshalb fährt Kant fort: „Allein diese Erwartung wird vereitelt. Denn das Ich ist gar kein Begriff, sondern nur Bezeichnung des Gegenstandes des innern Sinnes, so fern wir es durch kein Prädicat weiter erkennen; mithin kann es zwar an sich kein Prädicat von einem andern Dinge sein, aber eben so wenig auch ein bestimmter Begriff eines absoluten Subjects, sondern nur wie in allen andern Fällen die Beziehung der innern Erscheinungen auf das unbekannte Subject derselben." (4,334) Zwar begleitet dic Vorstellung: „Ich denke" alle unsere Vorstellungen. Wir denken sie zu allem, was überhaupt gedacht werden kann, hinzu und sind deshalb genötigt, das Ich als das letzte Subjekt des Denkens und damit als das absolute Subjekt von allem, was in unser Bewußtsein tritt, uns vorzustellen. Wollen wir aber das Wesen des Ich als solches erfassen, so stellt sich heraus: „Das Ich ist gar kein Begriff"; griechisch gesprochen: es gibt kein F~?IOSdes Ich; es ist nicht möglich, das Ich als ofioia - es ist nicht möglich, das Ich als Substanz zu bestimmen. Das ist das Resultat des Abschnittes aus der „Transzendentalen Dialek-
tik" der „Kritik der reinen Vernunft", in dem Kant unter der Uberschrift „Von den Paralogismen der reinen Vernunft" durch eine Destruktion der Seelenlehre der Metaphysik seinen neuen Begriff des Subjekts entwickelt. Er sagt dort: „Wenn ich mich hier als Subj ect der Gedanken oder auch als G r u n d des Denkens vorstelle, so bedeuten diese Vorstellungsarten nicht die Kategorien der Substanz oder der Ursache." (B 429) Die Subjektivität des Subjektes wird also nur dort begriffen, wo die Begriffe des Subjekts und der Substanz gleichsam auseinandergesprengt werden und das Subjekt als Nichtsubstanz gedacht wird. Trotzdem bleibt das Subjekt als letztes Zugrundeliegendes in der Perspektive, die durch die aristotelische vov ist. Blicken wir Frage nach dem n ~ h ~ 6o~vc o x ~ i p ~ vorgezeichnet namlich auf die Deduktion zurück, durch die ICant zu seinem neuen Begriff des Subjekts gelangt ist, so zeigt sich: es ist die selbe Deduktion, durch die Aristoteles in „MetaphysikL'VII, 3 zur Bestimmung der Ühy, der Materie, als U X E L Qgeführt ~ ~ wird. Für Aristoteles ist es eine reductio ad absurdum, wenn eine Methode, das letzte Zugrundeliegende zu suchen, statt (auf einen)'jS festen Grund, der dem Denken Halt gibt, in die schwebende Unbegrenzbarkeit gelangt. Deshalb erklärt er: dieser Weg ist unmöglich. Genau diesen Weg hat Kant jedoch eingeschlagen. Er gibt dem selben Unbegrenzbaren, das Aristoteles „Materiec' nennt, den Namen „Ichu. Das scheint auf den ersten Blick unbegreiflich, denn in der Antithese von Idealismus und Materialismus wird die Idealität des Ich der Materialitat der Materie entgegengesetzt. Tatsächlich aber reden Aristoteles und Kant von ein und derselben Phanomenalität: der Phanomenalität der als Kontinuum erscheinenden Zeit. Die Materie des Aristoteles und die transzendentale Subjektivitat von Kant sind nicht unterschieden; aber um dieses zu entdecken, bedarf es einer Analyse der Zeitlichkeit von Zeit, die hier nicht durchgeführt werden kann'j9. Wir kehren nach diesem Ausblick zu Kant zuruck, um in knappen Zügen den Zusammenhang zwischen Kaiits Lehre von der Subjektivitat des Subjektes und der Thematik der aristotelischen Bücher
Im Text: „eines fcsten Grundes". Vgl. hierzu Kants Religionsphilosophie, insbesondere im Zwcite~iTeil Kapitel IV, V und VII, sowie die Arbeiten von GP zumThema Zcit in: Wahrheit, Vernunft, Verantwortung und: Hier und Jetzt I und 11, Stuttgart: KlettCotta, 1980, 1981 (Sachregister s. V. „Subjektivität" und „ZeitcL). 6s 69
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„Uber die Seele" deutlich zu machen. Kant selbst stellt diesen Zusammenhang in den §§ 47 und 48 der „Prolegoinena" her. Es geht, wie wir gesehen haben, um das Verhältnis von Subjekt und Substanz. Kants Begriff der Substanz ruht wie der Begriff des Subjektes auf aristotelischer Basis. Die „Erste Analogie der Erfalirurig", dcr „Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz", heißt in der Fassung der 1. Auflage der „Kritik der reinen Vernunft": „Alle Erscheinungen enthalten das Bcharrliche (Substanz) als den Gegenstand selbst und das Wandelbare als dessen bloße Bestimmung, d. i. eine Art, wie der Gegenstand existirt." (A 182) Die Unterscheidung zwischen der Beharrlichkeit des Gegenstandes selbst und der Wandelbarkeit seiner Bestimmungen entspricht genau der aristotelischen Unterscheidung zwischen der o6oia und den owyßrßqil6~a.In aristotelischer Tradition wird die Substanz als die essentia von der Wandelbarkeit als der existentia unterschieden. Diese Unterscheidung hat ihren Grund in der Differenz von ~Sfiogund vhrj innerhalb des olivohov -des konkreten Seienden. Deshalb formuliert Kant das Problem der Seinsverfassung des denkenden Subjekts in folgendem Satz: „Dieses denkende Selbst (die Seele) mag nun aber auch als das letzte Subject des Denkens, was selbst nicht weiter als Prädicat eines andern Dinges vorgestellt werden kann, Substanz heißen: so bleibt dieser Begriff doch gänzlich leer und ohne alle Folgen, wenn nicht von ihm die Beharrlichkeit als das, was den Begriff der Substanzen in der Erfahrung fruchtbar macht, bewiesen werden kann." (4,334) Eben dies aber ist unmöglich, denn nach § 48 der „Prolegomena" ist „die subjective Bedingung aller unserer möglichen Erfahrung das Leben: folglich kann nur auf die Beharrlichkeit der Seele im Leben gcschlossen werden, denn der Tod des Menschen ist das Ende aller Erfahrung" (4,335). Im Gegensatz zur sogenannten „rationalen Seelenlehre" der uberlieferten Metaphysik, die aus der Substantialität der Seele auf ihre Unsterblichkeit geschlossen hatte, sieht Karit sich zu der Erkenntnis genötigt, daß aus der Notwendigkeit des Todes folgt, daß die Seele nicht Substanz sein kann. Damit bricht im Bereich der Seele die aristotelische Zusammenfügung von essentia und existerztia auseinander. Kierkegaard hat in der Abkehr von Hegcl diesc Erltcnntnis von Kant in ihrer vollen Tiefe begriffen und den Weg zu einer „Existenzphilosophie" eröifnet, die sich bemüht, die Existentialitat von Existenz nicht als Substanz, nicht als es~entia,sondern als die verstandene Endlichkeit des menschlichen Daseins zu entfalten. Aber die
Perspektive dieses Begriffes der Existenz ist, wie wir gesehen haben, immer noch durch die aristotelische Frage nach dem n ~ 6 - c o v6noI / I E ~ ~ E V Ovorgezeichnet. Y Die Existentialität der Existenz wird als die von aller Substantialität gelöste Subjektivität des Subjektes gedacht. Deshalb ist auch die Existenzphilosophie ein Ausläufer der Metaphysik. Warum ist es ein transzendentaler Schein, die Seele als Substanz aufzufassen? Eine ausführliche Antwort auf diese Frage wurde uns nötigen, das ganze System von Kants Transzendentalphilosophie darzustellen. Aber die Antwort Iäßt sich auch einfach geben. Durch die Aufdeckung der Differenz zwischen Subjekt und Substanz hat Kant sich die Moglichkeit geschaffen, wiederzuerkennen, was den aristotelischen Begriff ovoia konstituiert. In dem Kapitel „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" hat Kant die Konstitution des Substanzbegriffes durchsichtig gemacht. Es heißt dort: „Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, correspondirt in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. i. die Substanz." (KrV B 183) Was ist in der Zeit unwandelbar und bleibend? Nicht ihr Verlaufen als unendliches Kontinuum; denn als Kontinuum bleibt sie nicht, sondern verstreicht. Das, was unwandelbar und bleibend ist, das ist nach Kant ihre reinc Form, ihre Struktur. Diese Struktur ist nach der „Transzendentalen Ästhetik" dadurch charakterisiert, daß die Zeit eine Einheit ist. „Verschiedene Zeiten sind nur Theile eben derselben Zeit." (B 47) Unwandelbarkeit ist die reine Form der Einheit der Zeit, und die reine Form der Einheit der Zeit wird durch die Substanz „re-praesentiert". Dies aber ist nur die eine Seite des Begriffs der Substanz. Die andere Seite tritt ans Licht, wenn wir bedenken, daß die Substanz als das Beharrliche „bei allem Wechsel der Erscheinungen" definiert wird. In diesem Sinn ist die Substanz „das Substrat alles Realen, d. i. zur Existenz der Dinge Gehörigen" (B 225). Sie ist also das Substrat des Seins. Nun haben wir schon im zweiten Abschnitt (des 11. Kapitels), dem Abschnitt über das Absolute, gesehen, daß der Begriff der oVoia bei Aristoteles seine Prägung dadurch erhält, daß er, in Abwendung von Platon, im Begriff der o4oia Einheit und Sein miteinander verkoppelt. Diese aristotelische Verbindung von Einheit und Sein bricht in Kants transzendentaler Dialektik wieder auseinander. Das gilt sowohl von Kants Destruktion der Seelenlehrc der überlieferten Metaphysik wie
von seiner Widerlegung des ontologischen Gottesbcweises. DieTrennung von Subjekt und Substanz ist eine unmittelbare Konsequenz davon, daß Kant den transzendentalen Schein in der Grundlegung der aristotelischen Metaphysik durchschaut hat. Damit hat Kant die Fragestellung für die Philosophie des Idealismus vorgezeichnet. Hegel hat in der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes" die Grundstellung seiner Philosophie in dem Satz ausgesprochen: „Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken." (2,22; 3,22f.) Der Kreis, der in diesem Satz seinen Ausgangspunkt hat, schließt sich im letzten Kapitel der „Pliänomenologie des Geistes". Dort wird vom absoluten Geist gesagt: „Dies Subjekt ist ebensosehr die Substanz" (2,615; 3,587). Die ganze Philosophie von Hegel ist ein einziger riesenhafter Versuch, die von Kant aufgesprengte Identität von Subjekt und Substanz im absoluten Wissen des absoluten Geistes wiederherzustellen. Hier v o v wie in der Ontologie des Aristoteles, wird das 6 ~ c o ~ r i p ~ wieder, als o6oia gedacht. Die Identität von Subjekt und Substanz ist bei Hegel wie bei Aristoteles die Quintessenz der gesamten Philosophie. Hegels System stellt in seiner Gesamtheit die Wirklichkeit des absoluten Subjektes dar. Wir haben im Abschnitt 11, 1 den Begriff der Wirklichkeit, im Abschnitt 11, 2 den Begriff des Absoluten, im Kapitel V den Begriff des Subjektes untersucht und in allen drei Abschnitten gefunden, daß diese Trias der Begriffe und ihre eigentümliche Verkoppelung von Aristoteles begründet wurde. Die Philosophie von Hegel hat ihre Grundlegung aus der Ontologie des Aristoteles übernommen. Als Philosophie des absoluten Geistes hat sie dieselbe Thematik wie die Bücher „Über die Seele". Hat man dies eingesehen, so versteht man die Sätze aus S; 378 der „Enzyclopädie", die ich zu Beginn dieser Vorlesung schon einmal zitiert habe: „Die Bücher des Aristoteles über die Seele mit seinen Abhandlungen über besondere Seiten und Zustände derselben sind . . . noch immer das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Interesse über diesen Gegenstand. Der wesentliche Zweck einer Philosophie des Geistes kann nur der sein, den Begriff in die Erkenntnis des Geistes wieder einzuführen, damit auch den Sinn jener Aristotelischen Bücher wieder aufzuschließen."
I. Die Stellung der Lehre von der Seele innerhalb des aristotelischen Entwurfes der Philosophie (402 a 1-7)
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Ich habe dem zweisemestrigen Kurs über die Lehre des Aristoteles von der Seele eine Einführung in die Metaphysik vorangestellt, um Ihnen ein erstes Vorverständnis davon zu geben, wovon bei Aristoteles unter diesem Titel die Rede ist. Die Lehre des Aristoteles von der Seele, die von seiner Theologie nicht getrennt werden kann, enthält - das ist die These, die ich im Fortgang näher begründen will - das Zentrum seiner Metaphysik. Die Metaphysik des Aristoteles ist aber nicht irgendeine neben vielen anderen metaphysiscl-ien Lehren; sie enthält vielmehr die Grundlegung für die gesamte europäische Metaphysik. Ich habe versucht, dies durch den Vergleich mit Hegel deutlich zu machen. Weil Aristoteles in der Umdeutung und Ausarbeitung eines platonischen Gedankens die Seele in das Zentrum der Metaphysik gerückt hat, ist Metaphysik noch bei Hegel die Lehre von der Wirklichkeit des absoluten Geistes, von der EvEeyrta des voüs. Ich muß Sie warnen, diese Auffassung von der Philosophie des Aristoteles unkritisch und ungeprüft zu übernehmen. Die Forschung hat heute mit wenigen Ausnahmen von Aristoteles ein anderes Bild. Für die Einen steht die Ontologie des VII. bis IX. Buches der „Metaphysik", für die Anderen die „Physik" im Zentrum. Wieder andere konzentrieren sich auf die logischen und wissenscbaftstheoretischen Werke. Besondere Aufmerksamkeit galt in jüngster Zeit der Ethik. Die Frage nach dem inneren Bau der aristotelischen Philosophie im Ganzen, nach ihrer Einheit und dem Zusammenhang ihrer Teile, findet nicht die Aufmerksamkeit, die ihr gebührt, weil das philosophische Denken des 20. Jahrhunderts eine solche Einheit nicht kennt und nicht für möglich hält, und niemand sich für das interessiert, was außerhalb seines Horizontes liegt. Damit hängt zusammen, daß die Theologie des Aristoteles für die heutige Forschung eine Verlegen-
noch ernst nimmt, und weil man nicht zugeben will, daß eine Philosophie, deren einzelne Teile gerade heute eine erstaunliche Renaissance erleben, in einer Idee kulminieren soll, die für heutiges Denken mythologischer Uberrest, Fremdkörper, äußerlicher Zusatz ist, aber mit der Sache des Denkens selbst nichts zu tun hat. Hält man hingegen die Lehre vom VOÜS als dem unbewegten Beweger nach den eindeutigen Aussagen von Aristoteles selbst für den Schlußstein und Höhepunkt seiner gesamten Philosophie, so rückt die Lehre von der Seele notwendig ins Zentrum, weil der v o 6 ~ das höchste Vermögen der Seele ist. Das hat für die Interpretation der drei Bücher „Über die Seele" seine Konsequenzen. Es wird sich herausstellen, daß unsere Ausgangshypothese, in den Büchern „Uber die Seele" werde die Basis für die Theologie gelegt, uns weit von jener Auffassung des Werkes entfernt, wie sie etwa Theiler in seiner Einleitung unter der Überschrift: „Die Stellung der Schrift über die Seele in den Werken des Aristoteles" vertritt 70.
1. (Zur Methode) Nun können wir nicht ins Blaue hinein Behauptungen über die systematische Stellung des in diesem Werk behandelten Themas im Zusammenhang der Philosophie von Aristoteles machen. Wir müssen zusehen, was Aristoteles selbst darüber sagt. Er bestimmt die Stellung der Untersuchung über das Wesen der Seele in den ersten zwei Sätzen des T. Buches; und ich habe die einleitenden Bemerkungen der Interpretation nur deshalb vorausgeschickt, damit Sie verstehen, warum ich gerade diese beiden Sätze besonders ausführlich interpretieren werde. Von ihrem angemessenen Verständnis hängt die gesamte Interpretation nicht nur dieser drei Bücher sondern der Philosophie des Aristoteles im Ganzen ab. Ich benutze aber diese Gelegenheit, um zur Methode meines Vorgehens erläuternd noch Einiges zu sagen. Ich kann mir vorstellen, daß Sie schon über die lange Dauer der Einführung ungeduldig geworden sind. Wenn Sie rückblickend den Text, Aristoteles Werke in deutscher Ubersctzung, Bd. 13 Über die Seele, übers. von Willy Thciler, '~arrnstadt:Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1966,73ff. 70
den Sie inzwischen ja in Händen haben, überprüfen, werden Sie feststellen, daß er eine Art Elementarlehre der aristotelischen Philosophie enthält und viele Begriffe bereits erklärt, die ich sonst bei der Erklärung der Texte unsystematisch und deshalb ausführlicher hätte behandeln müssen71. Entsprechend bitte ich Sie, auch im Folgenden nicht ungeduldig zu werden, wenn Sie den Eindruck haben, ich hielte mich bei dieser oder jener Stelle viel zu lange auf und käme deshalb mit meinem Thema nicht zu Ende. Meine Aufgabe ist nicht, mit Ihnen kursorisch möglichst große Partien des Textes zu durcheilen, denn das können Sie auch alleine tun. Wer eine Ubersicht gewinnen will, findet schon bei Zeller eine vorzügliche Darstellung 72.Was schwer ist, und was man ohne Hilfe nicht lernt, ist jene intensive Interpretation, ohne die man gerade bei diesem Autor die Reichweite und die Tiefe der Gedanken nicht erfassen kann. Die griechischen Aristoteles-Kommentatoren haben das besser gewußt als die modernen. Der großartige Kommentar des Simplikios umfaßt 329 große eng bedruckte Seiten. Der Kommentar des noch tiefsinnigeren Philoponos hat fast den doppelten Umfang. Durch eine genaue Interpretation weniger Abschnitte oder auch nur Sätze lernt man bei Aristoteles mehr als durch Ubersichten und Inhaltsangaben. Ich werde mich also darauf verlassen, daß Sie sich die Ubersicht selbst verschaffen, und werde mich meinerseits bemühen, Ihnen zu zeigen, wie man durch intensive und genaue Arbeit am Text sehr viel mehr als ein Verständnis des bloßen Textes, nämlich einen Einblick in die fundamentalen Sachverhalte gewinnt, von denen er handelt.
2. (Vollzug des Erkennens und Fragens im Horizont von Seele) Ich gebe zuerst die Übersetzung: „Wenn wir von der Grundannahme ausgehen, das Wissen gehöre zu dem, was schön und ehrwürdig ist, das Eine [Wissen] aber in höherem Grade als das Andere, sei es im Hinblick auf seine Genauigkeit, sei es, weil es auf Besseres und Staunenswürdigeres gerichtet ist, dann müssen wir wohl aus diesen bei71 Die Studenten hatten darum gcbcten, ihnen denText des ErstenTeiles zu kopieren; GP hatte handschriftlich Kapitcl- und Abschnittübcrschriften nachgetragen und dcn Tcxt vcrtcilen lassen. 7 2 S. Anm. 7.
den Gründen die Erforschung über die Seele füglich unter das Erste stellen. Ihre Erkenntnis scheint nämlich sowohl im Hinblick auf die Wahrheit insgesamt wie vor allem im Hinblick auf die Natur Großes beizutragen; sie ist nämlich in einer noch näher zu bestimmenden Bedeutung der Ursprung der Lebewesen." 73 Der erste Satz spricht davon, wohin wir die Wissenschaft, die hier vorgetragen wird, nämlich die Erforschung über die Seele, „stellenu sollen. Er beginnt also mit unserer Ausgangsfrage nach der Stellung der Lehre des Aristoteles über die Seele - nach ihrer Stellung worin? Wer einem Ding seinen Platz anweisen will, der muß den Raum oder die Region vor Augen haben, innerhalb derer der richtige Platz gesucht und gefunden werden kann. Aufgabe unserer Interpretation wird es sein, die Region sichtbar zu machen, in die Aristoteles hier blickt; denn davon hängt, wie wir schon bei flüchtigem Lesen der beiden Sätze bemerken können, nicht nur das Verständnis dieser beiden Sätze selbst sondern das Verständnis der gesamten „Erforschung über die Seele" ab. Aristoteles geht von einer allgemeinen „Annahmea aus. Das griechische Wort 6 n o h a p ß & v ~ ~heißt: v „als zugrundeliegend annehmen". Das zugehörige Substantiv 6nbhqI$t~gibt schon durch die Wortbildung seine Verwandtschaft mit dem Begriff der UnbO~otgzu erkennen. Ist die 6 n 6 0 e o i ~eine Setzung, die notwendig wahr ist, so ist die U ~ ~ ~ ^ ( I ' I Jeine I L S Grundannahme, von der wir zwar voraussetzen, daß sie wahr sei, die aber auch falsch sein kann, deren Wahrheit also erst erwiesen werden muß. Im I. Buch der „Metaphysik" sagt Aristoteles, eine solche Annahme sei die Annahme von etwas Allgemeinem, das sich aus vielen einzelnen Erkenntnissen der Erfahrung ergibt (981 a 7). Mit solchen Annahmen beginnt im Unterschied zur bloßen Erfahrung das Wissen74.Es ist die Methode des Aristoteles, zu Beginn einer Untersuchung von einer solchen communis opinio auszugehen, weil dies der wirkliche Weg des Erkennens ist. Wir nehmen immer den Ausgang bei dem, was wir zuvor schon dcnken, und 71
TOv n a h h v ilai ttpiwv t 4 v slSqotv -Vnohapßolvov~c~, pkhhov 8' EtBeav
b t t ~ 11a na-c' ~ Oln~i(3~tavt@ß~htt6vtr)vt e n a i O a u p a o t w t ~ e w v~ ? v a t81' , irpcpo-ceea ta5.t~-c4v n ~ t i ~j ~$irxT~ i i o r o ~ i a ve.Uhoyw~&V n ~ h t o l ~ tt8&iqp&v.8 0 x ~ S i i n a i n e o < &h(ß&lav &naoav, $ y v 6 o l ~a 6 t i j ~peyaha o v p ß u h h ~ o C ) ap~ a, h l ~ ~t ~iKQOS : (P~BLY~ . 0 -yae c ~ O~OY %ov~ G W V . 402a 1-7. 74 Vgl. ZU z>~OAq1/1~qHick.~ ZU De an. 427b 16, 457.
können erst später prüfen, ob diese Ausgangspositioil berechtigt war, oder ob sie der Korrektur bedarf. Mit der Grundannahme, daß das Wissen etwas Schönes und Schatzenswürdiges ist, hat es aber eine besondere Bewandtnis. Wie kommen wir zu dieser Annahme? Die Antwort gibt Aristoteles im ersten Satz des I. Buches der „Metaphysikw:~ & Y T E S&~OQLOJCOL1021 sibivat 6 ~ E y o v ~ rp7ioet at - „alle Menschen streben nach dem Wissen ihrer Natur nach" (980a 21). Unsere Naturanlage selbst nötigt uns, dem Wissen einen so hohen Rang zuzuweisen. Das Vermögen zu wissen heißt I$uxfi. Die Grundannahme, von der Aristoteles hier ausgeht, ist also nicht eine zufällig aus der Tradition übernommene Meinung. Sie ist auch nicht irgendein Vorurteil, das man gegen ein anderes Vorurteil austauschen könnte. Wir sind zu ihr genötigt, weil wir als Lebewesen eine Seele haben, und weil es das Wesen der Seele ausmacht, nach Wissen zu streben. Das gilt nach Aristoteles nicht nur für die Menschen. In dem Schlußkapitel der „Analytica Posteriora", das den Höhepunkt seiner Wissenschaftstheorie darstellt, sagt Aristoteles, diese Anlage sei ein allen Lebewesen zugrundeliegender Ursprung (Vzdqxov), der sich in dem ihnen von Natur innewohnenden Unterscheidungsvermögen der Wahrnehmung manifestiert. Alles, was überhaupt lebt, ist beseelt, und alles, was überhaupt beseelt ist, strebt, sei es auch nur in der Form der Wahrnehmung, nach Wissen. Das ist, wie sich noch zeigen wird, die Grundbestimmung von I $ W X ~ überhaupt. Man versteht den Satz also falsch, wenn man s t S q o mit ~ ~ Theiler als „Wissenschaft" übersetzt. Ubersetzt und erklärt man diesen ersten Satz, als ob hier nicht das Wort stSqotg, sondern das Wort Ento~fipq stünde, so ergibt sich ein sehr trivialer Gedanke: Wissenschaft ist ganz allgemein etwas Schätzenswertes. Die Wissenschaft von der Seele besitzt die Vorzüge, um derentwillen wir Wissenschaft schätzen, in besonders hohem Maße; also sind wir berechtigt, die Wissenschaft von der Seele für eine vorzügliche Sache zu halten. Setzt man dann noch für „Wissenschaft von der Seele", wie es in der Aristoteles-Literatur üblich ist, den Begriff „Psychologie" ein, so ergibt sich eine Bestätigung aller Vorurteile des 19. und 20. Jahrhunderts. Man glaubt, sich dann auf Aristoteles berufen zu können, wenn man behauptet, die Psychologie sei erstens hoch zu achten, weil sie Wissenschaft ist, und zweitens unter allen Wissenschaften eine der wichtigsten und besten.
Tatsächlich hat Aristoteles diesem Mißverständnis durch eine sorgfältige und ungewöhnliche Wortwahl vorzubeugen versucht: Das Wort s l 6 y o t ~kommt im gesamten Werk des Philosophen nur an dieser einen Stelle vor. Vor Aristoteles gibt es dafür keinen Beleg. Es begegnet ein einziges Mal bei einem Zeitgenossen des Aristoteles, dem Schüler des Demokrit und Lehrer des Epikur, N a u s i p h a n e ~ und ~~, gelegentlich bei dem Schüler des Aristoteles, Tl-ieophrast. Erst im Neuplatonismus gewinnt es Verbreitung. Vielleicht ist das Wort von Aristoteles selbst für diese Stelle geprägt worden; jedenfalls will er etwas Besonderes sagen, wenn er ein so ungewöhnliches Wort gebraucht. Die Wortbildung ist uns schon durch die Begriffe n e 6 E i ~und v 6 y o i ~ bekannt. Sie bezeichnet nicht den Inhalt sondern den Vollzug des Wissens, also das Wissen als Evk~yeia.Aristoteles will also hier nicht sagen, daß Wissenschaft überhaupt oder irgend eine bestimmte Wissenschaft wegen ihres Inhaltes hochgeschätzt wird; er sagt vielmehr, was viel weniger selbstverständlich ist: es sei eine Grundannahme des Menschen, ja der Lebewesen überhaupt, daß Wissen und Erkennen als Vollzug, als „Im-Werk-Sein" der Seele, in den Bereich dessen gehört, was schön ist und was hochgeschätzt wird. Der Satz spricht nicht über die Wissenschaft sondern über eine bestimmte aber konstitutive Seinsverfassung der Seele. Fast ebenso ungewöhnlich ist es, daß Aristoteles an dieser Stelle für die Bezeichnung der Wissenschaft, die dargestellt werden soll - also der Lehre von der Seele -, das Wort Enio~qpqvermeidet und stattdessen von einer i a z o ~ i aspricht. 'Ioxoeicr ist eine fragende Erkundung. Herodot hat seinem Werk diesen Titel gegeben, weil es das Ergebnis der Erkundungsreisen enthält, die er unternommen hat, um die Geographie, die Ethnologie, die Sitten und Gebräuche und die Geschichte der Völker zu erforschen, von denen er in seinem Werk berichtet. Weil er mit Recht der „Vater der Geschichte" genannt worden ist, nennen sich die Geschichtsforscher noch heute „Historikerc'. Aristoteles selbst verwendet ioxoeia, wenn er von seinem eigenen Werden spricht, nicht zur Bezeichnung der Metaphysik, der Analytik, der Ethik oder der Untersuchung der Grundbegriffe der Physik; er bezeichnet als ioxogia nur den Inhalt seiner botani75 Die Fragmente der Vorsokratiker, hrsg. von Hermalm Diels, Walter Kranz, "erlin: Weidmann, 1952, 75 B 2; 2,249,4.
schen, zoologischen und sonstigen naturwissenschaftlichen Schriften, soweit sie auf bloßer Erfahrung beruhen und deshalb eine Erkundung im Sinne des Herodot voraussetzen, also die „Naturkunde". Plinius der Ä~tere,der berühmte Autor der frühen Kaiserzeit, hat seine große enzyklopädische Darstellung des gesamten naturwissenschaftlichen Wissens seiner Zeit in Ankilüpfung an diesen Wortgebrauch „Naturalis Historia" genannt. Deswegen hießen die naturwissenschaftlichen Fächer noch in meiner Jugend „Naturgeschichte". Nun kommt in den Büchern „Über die Seele" zwar, wie wir noch sehen werden, vieles vor, was auch in den Bereich der empirischen Naturforschung gehört. Aber die Merkmale, um derentwillen Aristoteles die Erforschung der Seele hier hervorhebt: die Genauigkeit und der hohe Rang in der Hierarchie der Wissenschaften, kommen der empirischen Forschung nach seiner Wissenschaftslehre gerade nicht zu. Empirische ioxogia hat bei ihm niemals ihren Platz EY n~Li)xo~< - im Bereich des Ersten. Theiler begründet in einer Anmerkung die Wahl des Wortes i o x o ~ i adamit, daß Aristoteles die Seelenlehre als einen Teil der Wissenschaft betrachtet habe, die bei ihm q nsei
sich belegen läßt, im griechischen Sprachgebrauch die primäre Bedeutung des Wortes ioaoeia. Wir entnehmen also den beiden auffälligen Begriffen, die Aristoteles im ersten Satz des Buches gewählt hat, daß dieser Satz nicht von irgendeiner Wissenschaft, sondern von zwei ursprüngliclien Vollzugsweisen spricht, in denen sich das Wesen von I ~ V X ( manifestiert: dem Vollzug des Erkennens und dem Vollzug des Fragens. Entsprechend bedeuten dann die Worte Z E Q ~T$< vux$s nicht, wie man zu übersetzen pflegt, „über die Seele", sondern, wie es dem genauen Sinn des Proiiomens n s ~ entspricht, i „im Umkreis von Seele"; man konnte auch sagen: „im Horizont von Seele". Das gibt uns einen ersten Einblick in die „Region", innerhalb derer Aristoteles die Stellung oder genauer gesagt: den Bezirk seiner Erkundung zu bestimmcn versucht. Die erste Zeile des Buches spricht also nicht, wie man zu interpretieren pflegt, von der Wissenschaft, die sich die Seele zum Gegenstand nimmt; sie spricht vielmehr von der Seele selbst. Sie spricht von jener JceaEls, von jenem Vollzug, in dem sich das eigene und ursprüngliche Wesen der Seele manifestiert. DiesenVollzug nennt Aristoteles ~1Sqotg - das als Evi~ysiader Seele verstandene Wissen. In der zweiten Zeile wird gesagt, die eine Form des Wissens habe einen höheren Rang als die andere Form des Wissens. Der Vollzug des Erkennens hat verschiedene Grade und Stufen. Da ~tbqotgnicht „Wissenschaft" heißt, würden wir in die Irre geführt, wenn wir hier primär an eine Hierarchie der Wissenschaften denken würden. Aristoteles bezieht sich vielmehr auf eine Theorie, die er im Anschluß an Platon ausgebaut hat, und die für sein Verständnis dessen, was „Wissenc' heißt, eine solche Bedeutung hat, daß er sie im ersten Kapitel des I. Buches der „Metaphysik" und im letzten Kapitel der Wissenschaftslehre der „Analytica Posteriora" erörtert: dieTheorie von den Stufen der Erkenntnis, die von der aloOqoi~(der Wahrnehmung) ihren Ausgang nimmt und uber die pv( yq (die Erinnerung), die Epz~ie i a (die Erfahrung), die aExvq (das Wissen, das etwas hervorbringt) bis zu den verschiedenen Stufen und Formen dcr höchsten Erkenntnis aufsteigt. Dieser Entwurf liegt auch der Gliederung der Bücher „Über die Seele" zugrunde: nach einer kritischen Diskussion der älteren Theorien über die Seele im I. Buch behandeln die Bücher I1 und I11 die aristotelische Lehre von der Seele in der Stufung: Wahrnehmungsvermögen, Vorstellungsvermögen, Denkvermögen. Diese drei Stufen des Wissens werden von Aristoteles in einem streng
durchgeführten Zusammenhang mit der zweiten Grundbestimmung der Seele, ihrer Bestimmung als Ursprung von Bewegung, erörtert. Das Werk untersucht also das Wesen der Seele im Hinblick auf das bezeichnet Verhältnis von Wissen und Bewegung. Das Wort ~ i S q o i < das Wissen als Bewegung. Es bildet also die Überschrift des ganzen Werkes. Weil alle Bewegung in den verschiedenen Phasen des Bewegtseins höhere oder niedrigere Werte einer Kurve durchläuft, die durch die Polarität von S.Vvayt
3. (Die verschiedenen Gestalten des Wissens) Diese Interpretation von ~ 1 S q omacht i ~ eine Voraussetzung, die man bezweifeln kann. Es wurde nämlich vorausgesetzt, daß es nach Aristoteles zulässig sei, auch die Wahrnehmung und das Vorstellungsvermögen (cpavaaoia) als Formen von „WissenL'zu bezeichnen. Wir werden erst bei der genaueren Untersuchung dieser Seelenvermögen nachprüfen können, ob das berechtigt ist. Vorläufig mag es genügen, daß ich noch einmal auf den Anfang des ersten Buches der „Metaphysik" verweise: „Alle Menschen streben nach dem Wissen [&Sivui] ihrer Natur nach. Ein Zeichen aber ist die Liebe der Wahrnehmungen, denn diese werden ja auch unabhängig vom Nutzen geliebt um ihrer selbst willen und am meisten von allem die durch die Augen." (980a 21 ff.) Hier wird die Wahrnehmung ausdrücklich dem Wissen zugeordnet. Wir werden erst bei der Untersuchung der einzelnen Seelenvermögen den Zusammenhang von Wahrnehmung und Vorstellung mit dem Wissen genauer bestimmen können. Für den Augenblick genügt es, daß ich diesen Zusammenhang durch eine aristotelische Lehre erläutere, die uns zugleich darüber belehrt, daß wir unseren heutigen Begriff voll „Wahrnehmung" nicht unbesehen in den aristotelischen
Text hineinprojizieren dürfen. Aristoteles sagt in dem schon genannten Schlußkapitel der „Analytica Posteriora": „Wahrgenommen wird zwar das Einzelne; die Wahrnehmung geht aber auf das Allgea l ~6 na07 Enaoaov, fi 6' alo0qoi< naO6meine" - a i o 0 h v ~ ~pGv hou Fodv (100 a 17). Das bedeutet: Was wir in unserer Wahrnehmung aufnehmen, ist zwar immer ein einzelner Sinneseindruck, zum Beispiel der Eindruck von der Farbe dieser bestimmten roten Rose. Aber wir können diesen bestimmten Eindruck nur aufnehmen, weil das Wahrnehmungsvermögen allgemein auf Farbe, auf rot etc. orientiert ist. Betrachten wir also nicht den bestimmten Inhalt einer Wahrnehmung sondern die Wahrnehmung selbst, so stellen wir im Widerspruch zu allen unseren Vorurteilen fest, daß Wahrnehmung unmittelbar auf Allgemeines geht, und daß uns die Möglichkeit, Einzelnes wahrzunehmen, gerade durch diese Allgemeinheit erst vermittelt ist. Die unmittelbare Auffassung des an sich Allgemeinen heißt bei Aristoteles vo.Vg. Deswegen sind bei ihm, wie wir noch sehen wer~ den, die Lehre von der Wahrnehmung und die Lehre vom v o < eng miteinander verbunden 7 6 . Nachdem wir gesehen haben, daß wir schon hier zu Beginn auf die Unterscheidung zwischen den Seelenvermögen achten müssen, lohnt sich die Frage, welches Vermögen uns denn die Möglichkeit gibt und uns zugleich dazu nötigt, anzunehmen, der Vollzug des Wissens sei erstrebenswert. Wenn dieser Satz an der Spitze der „Metaphysik" und an der Spitze der Bücher „Uber die Seele" steht, muß er für Aristoteles grundlegend sein. Aber worauf stützt sich diese Annahme, die, wie der Begriff I 3 ~ 6 h q v lehrt, ~ ~ nicht bewiesen werden kann? Die Antwort erhalten wir in dem Kapitel, in dem das Wesen des voüg bestimmt wird (De an. 111, 4, 429a 23). Dort heißt es: Das Vermögen, durch welches die Seele linohapßuvst - „zu ihren Grundannahmen gelangt" - ist der voüg. Stellen wir also die „transzendentale" Frage - dieser Begriff von Kant ist hier angebracht -, wie die Seele überhaupt fähig sein soll, den Vollzug ihres eigenen Wissens zu erkennen, so werden wir auf die Lehre vom voüg verwiesen. Es ist nicht unwichtig, das hier festzuhalten, weil das Erkennen
'"Sie finden eine gute Darstellung dieser Theorie in: Harold Henry Joachim, Aristotle, The Nicomachean Ethics, Oxford: Clarendon Press, 1951, 197ff. Ich benutze die Gelegenheit, Sie uuf dieses vorzügliche Ruch besonders hinzuweisen.
des Vollzugs des Wissens die menschliche Vorform jener höchsten Erkenntnis ist, die sich in Gott als v6qo~gvo4o~wgrnanifesticrt. Davon ist hier noch nicht die Rede. Aber die Möglichkeit der Lehre von der v6qo~gvofios(n)
Die ersten Worte haben wir bisher übersprungen, obwohl sie offenbar die wichtigsten sind, weil alles Übrige, was gesagt wird, an diese beiden Worte anknüpft. Der Vollzug des Wissens gehört zu dem, was schön (nah&) und hoch zu achten (ziy~ov)ist. Nach dem durch diese Begriffe gesetzten, aus unserer Grunda~~ffassung des Wissens abgeleiteten Maßstab bemißt sich, wie in der nachsten Zeile gesagt wird, der höhere oder niedrigere Rang der Stufen des Wissens. Der zweite Teil des Satzes nennt dann die beidcn Gründe für diese Hochschätzung des Wissens: „sei es im Hinblick auf seine Genauigkeit [ & n @ i ß ~ ~sei a ]es, , weil es auf Bessercs und Staunenswürdigeres gerichtet ist". Wenn wir diese beiden Begründungen verstehen, werden wir verstehen, was nah6v und t i p ~ o vheißt, und davon hängt, wie sich noch zcigen wird, die gesamte Auffassung des Werkes ab. Wir sind deshalb an dieser Stelle genötigt, jene Grundpositionen der aristotelischen Philosophie, auf die er sich hier in knapper Andeutung bezieht, etwas ausführlicher zu entwickeln. Das ist kein Umweg, sondern ein Abkürzungsweg. Es ist zugleich ein Stück jener Elementarlehre, ohne die man bei Aristoteles nicht auskommt. Ich beginne mit einer Erklärung des Begriffs dneißsta. Man pflegt zu übersetzen: „genau". Aber es ist nicht leicht, „genauL'zu verstehen, was „genauU bedeutet. Wir denken bei dem Wort „genau" entweder an die Präzision der analytischen Erkenntnis eines Sachverhaltes oder an die Exaktheit, mit der etwas ausgeführt wird. In beiden
Fällen liegt die Vorstellung zugrunde, von der wir Gebrauch machen, wenn wir sagen, daß etwas genau paßt. In einem Fall paßt die Erkenntnis genau auf die erkannten Sachverhalte, im anderen Fall paBt die Ausführung eines Vorhabens genau zu der von ihm befolgten Regel. Wir können auch sagen, daß ein Deckel genau auf einen Topf paßt - dann liegt die Genauigkeit im Gegenstand selbst, aber sie bezeichnet auch hier die Ubereinstimmung zwischen zwei Teilen. Genauigkeit wird also immer als ~bereinstimmungverstanden. Wenn die Griechen von Genauigkeit sprechen, gehen sie von einer anderen Sehweise aus. Im primären Sinn des Wortes sind nicht die Erkenntnisse sondern die Phänomene genau. Genau ist das, was rein, was unverfälscht und ganz ist; was ganz und gar dem, was es sein soll, entspricht; was mit sich selbst in vollkommenem Einklang steht. Im höchsten Sinn genau ist also das, was vollkommen einfach und unwandelbar ist. In diesem Sinn kann Platon a6zb .tb &xetß&, „das Geiiaue selbst", „das Genaue an sich", als den höchsten Gegenstand der Erkenntnis bezeichnen (Politikos 284D). Krämer hat des~ a „Absolutheit" wiehalb mit gutem Grund empfohlen, & i l ~ i ß smit d e r ~ u g e b e n Die ~ ~ . Erkenntnis selbst ist nur insofern genau, als sie das, was von sich aus genau ist, rein erkennt. Die dneißela ist also primär eine Eigenschaft der Phänomene, und erst vermittelt durch die Phänomene eine Eigenschaft der sie erfassenden Erkenntnis. Das ist für die Wissenschaftslehre des Aristoteles von großer Bedeutung, weil er die Wissenschaften danach einteilt, o b ihre Phänomene von sich aus die Eigenschaft haben, „genau" zu sein oder nicht. Genau sind die Phänomene der Mathematik und die Phänomene, mit denen es die Erste Philosophie zu tun hat, vor allem die &&ai. Hingegen sind die Phänomene, mit denen es einerseits die empirischen Wissenschaften, andererseits Politik und Ethik zu tun haben, von sich aus vieldeutig und wandelbar, also nicht „genauU. Es ist nach Aristoteles ein Mangel wissenschaftlicher Bildung, wenn man auch in diesen Bereichen eine Genauigkeit anstrebt, die ihnen nicht angemessen ist. Man versteht unsere Stelle falsch, wenn man von der modernen Maxime (beziehungsweise dem modernen Vorurteil) ausgeht, jede Wissenschaft müsse ein höchstes Maß von Genauigkeit 77 Halls Joachlm Kramer, Arete bez Platon und Avistoteles (Abhandlungen dcr Heidelbergcr Akademie der Wissenschaften, Phi1.-hist. Klasse, 1959, 6. Abhandlung), Heidelbcrg: Carl Wiiitei; 1959, 547, Annz. 116.
anstreben - gleichgültig, auf welche Gegenstände sie sich bezieht. Um diese Genauigkeit erreichen zu können, hat die neuzeitliche Wissenschaft das Verfahren der Objektivation entwickelt und mit staunenswertem Erfindungsgeist Methoden und Verfahren entdeckt, mit deren Hilfe sich selbst über das, was sich seinem Wesen nach einem solchen Zugriff entzieht, Aussagen machen lassen, die nachprüfbar und also „genau" sind. Die Exaktheit dieser Erkenntnisse ist nicht anzuzweifeln. Aber das neuzeitliche Denken übersieht, daß das Verfahren der Objektivation die Dinge nicht so sein läßt, wie sie von sich aus sind. Es muß sie deformieren, um das wissenschaftstheoretische Postulat der nachprüfbaren Exaktheit erfüllen zu können. Nach der Wissenschaftstheorie des Aristoteles ist eine exakte Erkenntnis, die durch Objektivation gewonnen wird, ungenau, weil sie den Phänomenen, wie sie von sich aus sind, nicht adäquat ist. Aus dieser Überlegung ergibt sich, daß eine Rangordnung der Stufen des Wissens nach dem Grad der d x ~ i f l ~nicht t a aufgestellt werden kann, indem man in neuzeitlicher Manier nur das Wissen selbst auf die Exaktheit und Verfeinerung seiner Methodik überprüft; die Rangordnung der Stufen des Wissens hängt vielmehr von der Rangordnung der Phänomene ab, die das Wissen erkennt. In der Natur selbst gibt es Solches, was ungenau, und Solches, was genau ist. Und die Abstufung der verschiedenen Formen des Wissens hängt davon ab, in welchem Grade das Wissen zu jenen Phänomenen durchdringen kann, die von sich selbst her einfach, unveränderlich, rein, unversehrt, ganz und deshalb eindeutig sind. Alles, was ich bisher zur Erläuterung des Wortes & n e i ß s ~ gesagt a habe, sind nur Vorüberlegungen, die uns darauf vorbereiten sollten, die ihrer Herkunft nach nicht aristotelische sondern platonische Lehre zu verstehen, deren Kenntnis Aristoteles hier -wie durchgängig in seinem Werk - voraussetzen kann, weil seine Vorlesungen nicht zur Veröffentlichung geschrieben sind, sondern sich an Hörer wenden, die mit den in der Akademie geführten Diskussionen vertraut sind. Deshalb begnügt Aristoteles sich mit knappen Stichworten, während wir genötigt sind, uns mit einiger Mühe die VotaussetZungen zum Verständnis seiner Texte erst zu erarbeiten. Der Begriff a6zb TO D1~~tßEg - „das Genaue selbst" - (Politikos 284D2) dient bei Platon zur Bezeichnung der Idee des Guten. Deshalb bestimmt Platon (Phil. 58C) die Philosophie als Suche nach dem Deutlichen und Genauen und Unverborgensten (Wahrsten). Sie ist das Wahrste, weil
sie a 6 t b ~b dhyeig - „das Wahre selbst" - ist. Sie wird mit bewußter Paradoxie, obwohl sie dem sterblichen Sinn verborgen bleibt, das Unverborgenste genannt, weil sie, wie das Bild der Sonne zeigt, das Licht ausstrahlt, in dem wir alles erkennen, selbst wenn wir die Lichtquelle nicht zu identifizieren vermögen. Sie ist das Deutliche schlechthin, selbst wenn wir uns von ihr keine deutliche Vorstellung machen können, weil alle Deutlichkeit (= Offenkundigkeit), die wir wahrnehmen können, in ihrem Sich-Manifestieren ihren Ursprung hat. Das „Genaue6'ist sie, weil sie Einheit ist, die rein und unbeweglich mit sich selbst in unerschütterlichem Einklang steht. Platon hat aber mit dem Begriff der Einheit noch einen anderen Begriff verbunden, den wir gewöhnlich mit dem Begriff der Einheit nicht in Verbindung bringen. Das Eine ist y i q o v . Es ist Maß, weil alles, von dem wir sagen, daß es ist, nur dadurch seine Bestimmtheit und seine Beständigkeit erhält, daß es Einheit ist. Der Kosmos hat nur dadurch ein Sein, daß Einheit ihn zusammenhalt und Einheit in ihm zur Darstellung kommt. Und alles, was innerhalb des Kosmos erscheint, ist nur dadurch und nur in den Grenzen „Phänomen", als sich Einheit in ihm manifestiert. Zieht man die Einheit aus einem Ding, einem Lebewesen, einem System heraus, so löst es sich alsbald auf. Die Einheit ist also das Maß, durch das ein Phänomen in seinem So-Sein festgehalten, begrenzt und gesichert ist. Nun ist das Meiste, was uns umgibt, nicht einfache Einheit sondern vielfach zusammengesetzt, wandelbar und mit Anderem verflochten. Wollen wir überhaupt zu einer Erkenntnis der beweglichen Komplexität alles Daseins gelangen, so müssen wir die einfachen Einheiten zu erfassen versuchen, aus denen das Mannigfaltige besteht. Um diese einfachen Einheiten, die zugleich allem, was ist, die Grundmaße setzen, zu bezeichnen, hat Platon nach pythagoräischem Vorbild eine Metapher gebraucht, die wir bis heute verwenden. Er nennt sie o t o i x ~ i a- „BuchstabenM.Das lateinische ABC fing nicht mit den Buchstaben A , B, C sondern mit den Buchstaben L, M, N an. Deswegen heißt die lateinische Übersetzung dieses Wortes „elementum". Die o t o i x ~ i u(= Elemente) sind die „BuchstabenMalles dessen, was ist. Die Erscheinungen, die wir wahrnehmen, lassen sich mit den Worten, den Sätzen oder Satzzusammenhängen vergleichen. Diese Metapher hat aber nur dann einen Sinn, wenn man nicht, wie das neuzeitliche Denken, unterschlägt, daß sich in den Buchstaben, Worten und Sätzen eine von ihnen unterschiedene Wahrheit offen-
bart. Nur wenn der Ursprung alles dessen, was ist, das Wahre = das sich Manifestierende selbst ist, kann ein verständiger Mensch auf den Gedanken kommen, die Phänomene der Natur mit den B,uchstaben, Silben, Worten und Sätzen der Sprache zu vergleichen, und den gesamten Kontext der Natur in seine „Buchstaben" aufzulösen, um ihn verständlich zu machen. Im Hinblick auf diesen großen Entwurf sagt Krämer im Einklang mit der neueren Forschung mit Recht: ,,Die platonisch-akademische Ontologie ist o-coix~iov-Metaphy~ik."~~ Die Wirklichkeit wird auf letzte „Elementeu hin analysiert. Die Analyse bleibt aber nicht, wie Dernokrit, bei irreduziblen Raumteilen stehen, sondern die Rauinteile werden durch mathematische Reduktion der Dimensionen auf reine Zahlen und Zahlenverhältnisse zurückgeführt, wobei man durch fortschreitende Abstraktion über das jeweils „Einfachere6', „Begrenztere", „Früherec' und „GenauereC'bis zum „Erstenu, „Einfachsten", „Bestimmtesten" und deshalb „Genauesten", nämlich der Einheit des Einen selbst, gelangt. Ich kann Ihnen diese auch mathematisch detailliert ausgearbeitete Theorie hier nicht im Einzelnen darstellen, sondern verweise dazu neben den beiden schon genannten Werken von H. J. Krämer auf das Buch von Konrad Gaiser, „Platons ungeschriebene Lehre", Stuttgart: Klett, 1963. Für uns war die Erinnerung an die platonisch-akademische Ontologie an dieser Stelle nur deshalb nötig, weil der Begriff d x ~ i ß ~int a diesem Kontext, wie sich nun zeigt, eine präzise Bedeutung hat. Hier wird der Stellenwert dieses Begriffes erst erkennbar. Nun dürfen wir uns aber nicht damit zufrieden geben, hier die platonische Bedeutung dieses Begriffes einfach einzusetzen; wir mussen zeigen, daß auch Aristoteles selbst diesen Begriff im gleichen Zusammenhang, also dort festhält, wo er von der Stufenfolge der Formen des Wissens spricht. Ich will Ihnen hier keinen gelehrten Exkurs mit einer Anhäufung von Belegstellen vortragen, sondern beschränke mich auf wenige Stellen, die Sie in das philosophische Verständnis der aristotelischen Gedanken einführen sollen. Im zweiten Kapitel des I. Buches der „Metaphysik" erläutert Aristoteles die im ersten Kapitel gewonnene Definition der Ersten Philosophie. Sie sei eine Wissenschaft, die ihren Gegenstandsbereich in gewissen Ursprüngen ( d ~ x a i )und Gründen (aitiui) hat. Er stellt 78
Geistrnelaphysik, 150; s. Anm. 19
die Frage, wie diese Ursprünge und Gründe beschaffen sein sollen. Sie sollen von allen Ursprüngen und Gründen die ersten sein. Deswegen sind sie 1. die allgemeinsten, 2. die wegen ihres Abstandes von den Wahrnehmungen am schwersten zu erkennenden, 3. die genauesten; hier gebe ich die wörtliche Übersetzung: „Die genauesten aber unter den Wissenschaften sind diejenigen, die es am meisten mit den Ersten zu tun haben (denn Wissenschaften, die aus einer geringeren Zahl von Prinzipien ihre Beweise führen, sind genauer als solche, die zusätzliche Dimensionen einführen müssen . . .)." 4. Sie haben die größte belehrende Kraft, weil Belehren im Aufzeigen von Gründen besteht. 5. Hier wieder wörtlich: „Das Wissen und das Verstehen um seiner selbst willen kommt am meisten der Wissenschaft zu, die das im höchsten Grade Wißbare weiß (denn wer das Wissen um seiner selbst willen wählt, wird am meisten diejenige Wissenschaft wählen, die am meisten Wissenschaft ist), diese ist die Wissenschaft des am meisten Wißbaren; am meisten wißbar ist aber das Erste und das Begründende (denn durch dieses und aus diesem wird alles ~ b r i g erkannt, e nicht aber umgekehrt das Erste aus dem daraus Abgeleiteten) . . ." 7 9 . Ich unterbreche hier das Referat, weil das Bisherige für unsere Zwecke genügt. Bei der Erklärung gehen wir aus von dem paradoxen Begriff des puhloaa EJCLGTY~TOV - des im höchsten Maße Wißbaren. Wenige Zeilen zuvor hatte Aristoteles gesagt, das höchste Allgemeine sei das, was a m schwersten zu erkennen ist, weil es in größtem Abstand von den Wahrnehmungen liege. Das „im höchsten Maße Wißbare" ist also nicht das, was wir am leichtesten wissen können. Wieso kann es dann im höchsten Maße wißbar sein? Weil es das Erste und Begründende ist, und wir ein Wissen, das wahrhaft Wissen ist, erst dann besitzen, wenn wir begreifen, warum ein Sachverhalt so ist, wie er ist, wenn wir also seine Gründe erkennen. Die Erkenntnis der & n ~ ~ ß E o a a abi: a ttwv ~xtotqpojva t pO(h1ota n ~ h t w ~v i o i v( a i y&@&E Ehcraa6vwv irneißiaaseat -cGv En neooOioew~hsyopFvov, o%ov&Q L 0pqatx1j yewpea~ias).. . . ab 6' ~18Evatx a i t b EniotaoOa~auaGv Evsna pO1h~oO' 6nO(~xetafl toG pOLhtota 2n;toaq~oDEx~o-crpg(6 yR@ai) FniotaoOat 81' a 6 r b a i ~ o I j p ~ afiv v o ~pO1h~oaaE z t o ~ f i p ~pO1hioaa p aiefioetat, t o t a i i ~ q6' Eoaiv fi t o ü p & h ~ a a Entotq~oü), a p&htota 6' dntoaqtu T& x ~ 6 t xaa i z& a h a (61& y o l ~taGaa n a i En zoUtwv -cahha y v w ~ i ~ e a&hh' a t 06 t a 6 a a 61& tojv 6nonstpEvwv), . . . 982u 25jf.; 982a 30-b 4. 79
ersten Gründe und Ursprünge ist deshalb die hochste Form dcs Wissens. Das, was in der höchsten Form des Wissens erkannt wird, ist das am meisten Wißbare, weil erst in dieser Erkenntnis das Wissen weiß, was es wissen muß, um Wissen zu sein, also zur Deckung mit seinem eigenen Wesen gelangt und so im griechischen Sinne des Wortes „genauC'wird. Der allgemeinste Begriff fur das arn meisten Wißbare heißt „das Erste". Der Begriff „das Erste" ist bei Aristoteles synonym mit dem Begriff „das Einfache"; das Einfache aber wird von ihm mit dem „Genauen" gleichgesetzt (Met. 1078a 10f.). Eine Erkenntnis dessen, was von sich aus genau ist, kann genauer sein als eine Erkenntnis dessen, was von sich aus unbestimmt und vielfach zusammengesetzt ist. Deshalb sagt Aristoteles an unserer Stelle: „Die genauesten . . . unter den Wissenschaften sind diejenigen, die es am meisten mit dem Ersten zu tun haben." Sie sehen, daß Aristoteles an dieser Stelle analog zum ersten Satz von , , n ~ e i? ) U X ~ S eine ' ' Rangordnung der Formen des Wissens nach dem Maßstab der Genauigkeit aufstellt. Außerdem zeigt sich, daß der Begriff des Ersten = Einfachen = Genauen von Aristoteles hier und an anderen Stellen ebenso verwendet wird wie in der platonischakademischen o~o~xrlov-Metaphysik. Diese Feststellung hat in der neuesten Aristoteles-Forschung eine große Diskussion ausgelöst, weil man nicht sieht, wie die o~ot~~iov-Metaphysik mit der Kategorienlehre vereinbar sein soll. Sie können sich über diese Diskussion in dem Aristoteles-Kapitel des Buches von Krämer über den Ursprung der Geistmetaphysik informieren. Wir werden auf diese Frage zurückkommen müssen, wenn wir versuchen, die Theologie des Aristoteles zu verstehen. Dann wird sich zeigen, daß seine Lehre vom voüg einen Versuch darstellt, die unlösbaren Schwierigkeiten zu überbrücken, die sich aus seiner Abkehr von Platon und der platonischen Dialektik ergeben. Für uns genügt es, daß wir nun wissen, auf welche Theorie sich Aristoteles bezieht, wenn er im ersten Satz von , , n ~ ?)uxfjiL' ~i sagt, daß wir die Rangordnung der Stufen des Wissens nach dem Maß ihrer jeweiligen OIi~~ißela bebtimmcn.
5 . (Die Einheit der aristotelischen Philosophie als Thema von , , I I E ~ u~x i j g " ) Der zweite Maßstab, nach dem wir die Rangordnung der Stufen des Wissens bemessen, wird durch die Worte bezeichnet „weil es auf Besseres und Staunenswürdigeres gerichtet ist". Wir können auch diese Worte aus Met. 1, 2 erläutern. An der Stelle, an der ich vorhin abgebrochen habe, nennt Aristoteles einen sechsten Grund für den Vorrang der Ersten Philosophie. Sie ist „die gebietendste von den Wissenschaften. Gebietender als die jeweils dienende ist jene Wissenschaft, die erkennt, um wessentwillen jeweils etwas getan werden muß. Dies ist bei jedem Einzelnen das Gute; im Ganzen aber ist es das Beste in der gesamten Natur."80 Mit dieser scchstcn Begründung des Vorrangs der Ersten Philosophie treten wir in eine Gedankenkette ein, die Aristoteles nicht in der Einleitung zur „Metaphysikc' sondern in der Einleitung zur „Nikomachischen Ethik" eiitwickclt. Man sieht schon an diesem äußerlichen Sachverhalt: daß erstens die Rangordnung der Formen des Wissens nach dem Grad ihrer o l x e i ß ~ ~nicht a identisch ist mit der Rangordnung, die im ersten Satz von ,,n~@i Vvxijg'' durch die Worte „weil es auf Besseres . . . gerichtet ist" bezeichnet wird; (und) daß zweitens trotz der Unterscheidung zwischen Metaphysik und Ethik beide Stufenfolgen auf ihrem Höhepunkt sich treffen; denn „das Beste in der gesamten Natur" ist Gott. In der Erkenntnis Gottes erreichen sowohl die Metaphysik wie die Ethik ihren Gipfel. Das ist nun genauer zu begründen, und zwar so, daß wir zugleich durchschauen, was Beides mit dem Wesen der Seele zu tun hat. Im Griechischen vollzieht sich der Ubergang von der Erkenntnis der 6 ~ x a zu i einer Herrschaftsordnung innerhalb des Systems der Wissenschaften leichter als im Deutschen, denn das Wort Olexq bedeutet sowohl Ursprung wie Herrschaft. Der Ursprung „herrschtc' über alles, was aus ihm hervorgcht, weil er nur insofern Ursprung ist, als das von ihm Abgeleitete durch ihn bestimmt wird, von ihm abhängig ist. In welchem Sinn ein solches Abhängigkeitsvcrhältnis zwischen
Wissenschaften besteht, gibt Aristoteles an der Stelle aus der „Metaphysik" nur kurz durch den Satz an: „Gebietender als die jeweils dienende ist jene Wisseiischaft, die erkennt, um wessentwillen jeweils ctwas getan werden muß. Dies ist bei jedem Einzelnen das Gute." Im ersten Kapitel (des I. Buches) dcr „Nikomachischen Ethik" hat Aristoteles das ausführlich erläutert: Es gibt viele Tatigkeiten, Künste und Wissenschaften, und jede hat ihr eigenes Ziel. Das Ziel der Medizin ist die Gesundheit. Das Ziel der Schiffsbaukunst ist das Schiff. Das Ziel der Feldherrenkunst ist der Sieg. Das Ziel der Ökonomie ist der Reichtum. Aber es gibt eine Hierarchie der Ziele. Der Feldherrnkunst sind alle Künste untergeordnet, die zum Kriegswesen erforderlich sind, und ähnlich Iäßt sich in jedem Bereich zeigen, wie sich die verschiedenen Künste und ihre Ziele einem gemeinsamen höheren Ziel und dem Können oder Wissen unterordnen, das es verwirklichen soll (1094 a 6ff .). Aristoteles nennt die übergeordneten I<ünste und Wissenschaften „architektonisch"; er hat dieses Wort und den ganzen Entwurf einer Hierarchie der Wissenschaften von Platon übernommen. Die Grundfrage der gesamten Ethik ist demnach, was denn überhaupt und im Allgemeinen als das 6vO~Lon~vov &yaOhv, als das gelten kann, was für den Menschen das Gute ist, und ob es ein Wissen oder ein Können gibt, das dieses höchste Gute erkennt und damit allen anderen Wissenschaften das Ziel vorschreiben kann. Die Kunst, die den Anspruch erhebt, über die Gesamtheit der menschlichen Tätigkeiten und Künste zu bestimmen, ist die Politik. Die Wissenschaft von der Politik könnte deshalb als die Wissenschaft gelten, die in dieser Architektonik allen anderen übergeordnet ist und ihre Ziele setzt. Aber woher gewinnt die Politik für den Entwurf ihrer Ziele und die darin vorgezeichnete Hierarchie der Zwecke ihre Kriterien? Soll sie das Ziel der Feldherrnkunst, nämlich den Sieg, soll sie das Ziel der Okonomie, nämlich den Reichtum, zum höchsten Zweck erlieben'? Das läßt sich nach den Maßstäben der alltäglichen Praxis der Politiker nicht entscheiden. Man muß vielmehr fragen, welches Ziel in der Natur des Menschen angelegt ist, und in welchem Zustand von Staat und Gesellschaft er dieses Ziel am besten erreicht. Wie für alle Lebewesen, so ist auch für den Menschen der Zustand der beste, in dem seine höchsten Möglichkeiten zur Entfaltung gelangen. Nur dieser Zustand erfüllt die formale Bestimmung, in allem Handeln sei jenes das Ziel, was wir um seiner selbst willen wollen, hingegen alles
das relativ dazu, was wir nur im Interesse dieses Zieles erstreben. Der höchste Zustand, den ein belebtes Seiendes erreichen kann, ist a Verwirklichung aller seiner Möglichkeiten. Dies seine i v E ~ y ~-t die zu erreichen, ist das Werk (E~yov)des Menschen. Deswegen gelangt Aristoteles in der weiteren Ausarbeitung dieses Ansatzes zu einer Formel, die den höchsten möglichen Zustand des Menschen, seine ~4Oatpoviu,umreißt: E~yov6vOehnou quxijs F v E ~ y ~nl aa ~ hOyov & - .,das Werk des Menschen ist die F v E ~ y ~der t a Seele nach dem Maßstab der Erkenntnis" (E.N. 1098a 7). Die Wissenschaft von diesem Werk des Menschen ist die Ethik. Das höchste Vermögen der Seele ist der voüs, also jenes Vermögen, durch das der Mensch zu erkennen vermag, was höher ist als er selbst; denn nur dadurch, daß er erkennt, was höher ist als er selbst, gelangt er zu der Einsicht, daß das, was für ihn selbst das Gute ist, mit dem, was überhaupt das Gute ist, also mit dem Guten in der gesamten Natur, in Einklang stehen muß. Die Erkenntnis dessen, was überhaupt das Gute ist, muß deshalb auch der Politik ihre Kriterien liefern. Die Wissenschaft vom Guten überhaupt steht in der Rangordnung der Erkenntnis der Zwecke noch höher als die Politik und die Ethik. Sie ist die architektonischste aller Wissenschaften. Diese Wissenschaft ist die philosophische Theologie, denn sie ist Wissenschaft vom ~ 0 5 s .Der voüs ist die Erkenntnis der & ~ x aini ihrer Wahrheit; das Gute aber ist seinem , es als Ziel allem die Richtung setzt, was, in Wesen nach d ~ x f iweil welcher Form auch immer, nach einem Guten und nach einem Zwecke strebt. So trifft sich die Ethik mit der Ersten Philosophie. Ich habe der Kürze wegen darauf verzichtet, Ihnen diesen Aufriß, den Aristoteles, wie gesagt, in seinen Grundzügen von Platon übernommen hat, im Einzelnen zu belegen. Sie finden die Belegstellen im I. und VI. Buch der „Nikomachischen Ethik", die durch den großen Kommentar von Dirlmeier jedermann zugänglich gemacht ist 81. Sie sehen nun, daß es nötig war, die Worte f naT' &n@iß~lav f T@ ~ E L T L O V W Y. .. ~Zvatgeilauer zu interpretieren; denn diese beiden Begriffe bezeichnen in knappster Form die beiden voneinander verschiedenen Skalen der Rangordnung der Wissenschaften, die bei Aristoteles Werke in deutscher Uhersetzurzg, Bd. 6 Nikomachische Ethik, übers. V. Franz Dirlmeier, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1956.
Aristoteles an der Spitze der theoretischen Philosophie und an der Spitze der praktischen Philosophie stehen. Wenn Aristoteles sagt, daß nach beiden Gesichtspunkten die Erkundung über die Seele den Höhepunkt bildet, so ist damit zugleich gesagt, daß die Bücher „Uber die Seele" Wissenschaftstheorie, Physik, Metaphysik, Politik und Ethik zusammenschließen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn sowohl die Wissenschaftstheorie der „Analytica Posteriora" wie die Physik, wie die Metaphysik und wie schließlich die Ethik finden ihren Höhepunkt in der Lehre vom voüs. Der voüg aber ist das höchste Vermögen der Seele. Wenn das so ist. dann muß das Werk über die Seele den Horizont umreißen, dem alle Zweige der Philosophie des Aristoteles zugeordnet sind. Eine Bestätigung für diese Interpretation finden wir An. Post. 1, 33. Dort wird zuerst erörtert, was die Wisseilschaftstheorie zur Erkenntnis der Seele beizutragen hat: die Unterscheidung zwischen Ex~o~fipq und 6OEa, das heißt die Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen Erkenntnis dessen, was notwendig ist oder, wie Aristoteles sagt, was sich nur so und nicht anders verhalten kann (ixto~fipq), und der nicht weniger wahren, aber von ihm nicht als Fmto-cfipq bezeichneten Auffassung dessen, was veränderlich und wandelbar ist, was sich auch anders verhalten kann (S6Ea). Anschließend stellt Aristoteles fest: „Wie man die übrigen Seelenvermögen aufteilen muß auf 6 ~ o l v o ~[diskursives a Denken], v o ü ~[intellektuelle Anschauung], Enio~fipq[um ihrer selbst willen erstrebte Erkenntnis], ~Exvq[auf Produktion gerichtete Erkenntnis], c p ~ 6 v q o ~[Erkennts nis, die sich auf menschliches Verhalteii bezieht] und oorpia [metaphysische Erkenntnis, die aus der Verbindung von voüg und Fxto~fipqhervorgeht]: dies alles gehört teils in den Bereich der Physik, teils in den Bereich der Ethik."s2 Aristoteles verwendet hier den Begriff „Physik" in einer umfassenden Bedeutung, die auch die Ursprünge der bewegten Natur, also einenTeil der später „Metaphysikd' genannten Wissenschaft, mit einschließt. Wir werden uns noch damit beschäftigen müssen, was bei ihm „Physik6'heißt 83. Die Worte n a ~ ' 82 T& 8E hotnu n 0 8~ ~ Ki t a v ~ i p a ti n i TE StavoCa~ x a i v013 x a i h ~ o ~ f i p q q x a i ~ i x v q gxa'L c p ~ o v f i o ~x w a i~o o r p i a ~T& , yEv rpvoixij~T& 6E qfltxijq flso~ i ykhh6v a ~ 5a-c~~. 89 h 7ff. 83 Vgl. dazu Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik, 2Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1970, 14, Anm. 2.
dxeißrtav beziehen sich deshalb auf die hier in das Gebiet der Physik, die Worte T@ ßsh~16vov . . . ESYUL auf die hier in das Gebiet der Ethik verwiesenen Seelenvermögen. Die „Erkundung im Umkreis der Seele" muß beide Teile zusammenfassen und ihren inneren Zusammenhang aufweisen; deshalb ist das Thema dieses Werkes die Einheit der aristotelischen Philosophie.
6. (Die Grundlegung der Theologie des Aristoteles in ,,nsei +vxij~") Erst jetzt sind wir so weit gelangt, die ersten Worte interpretieren zu können: „Das Wissen gehört zu dem, was nah6v und tiptov ist." Wir beginnen mit dem Begriff des „-ciplov". Aristoteles widmet der Erläuterung dieses Begriffs das Kapitel I, 12 der „Nikomachischen Ethik". E r unterscheidet das ~ i p l o vvom Exatvet6v - dem Lobenswerten. Wir können uns im Deutschen den Unterschied klarmachen, wenn wir das „Lobenswerte" vom „Preiswürdigen" unterscheiden. Das Lob gilt einer Beschaffenheit, die sich in Leistungen äußert, und stets in Relation zu anderen, geringeren Leistungen steht. So loben wir den Gerechten oder den Mannhaften oder auch den Athleten und den Wettläufer, weil sie eine bestimmte Beschaffenheit haben, die sich in ihrer Leistung hervortut, und sich an einer Skala von höheren oder geringeren Leistungen messen läßt. Hingegen würden wir uns lächerlich machen, wenn wir im gleichen Sinne die Götter loben wollten; denn dadurch würden wir sie zu uns in Relation setzen. Die Götter können wir nur selig preisen; ähnlich verhält es sich mit jenen Menschen, bei denen, wie etwa bei Platon, das Göttliche in Erscheinung tritt. Man kann sie preisen; man macht sich lächerlich, wenn man sie lobt. Dem Besten ist das Lob unangemessen. Ihm gilt nur die tlyfi - das Erweisen der Ehre, die ihm gebührt. Ebenso steht es mit der ~VSalpovia.Gerechtigkeit kann man loben. Die e6hatpovia kann man nur preisen. Man kann vor ihr nur Ehrfurcht empfinden, denn sie ist, wie das Wort sagt, ein gottähnlicher Zustand. Wir o vulgären ~ i ~ sehen daran, wie gottlos es ist, wenn man ~ 6 6 ~ l pim Sinne des Wortes als „Glücku übersetzt und sich iiber den sogenannten „Eudaimonismus" der griechischen Ethik erhaben dünkt. Aristoteles gibt auch den Grund an, warum das Beste zwar gepriesen aber nicht gelobt werden kann. Das Beste - als menschlicher Zustand die
s6hatpovia -ist das -ciplov schlechthin, weil es d ~ x iist; j denn auf die ~GSmpovia,also die wirkliche Gegenwart dessen, was dya06v istj die reine 2 v i ~ y e t ader Seele, richtet sich all unser sonstigesTun. Um ihretwillen sind alle Ziele, die wir sonst verfolgen mögen, erst Ziele. Sie ist deshalb der Ursprung, im Sinne der Causa finali~, alles Strebens: „Was aber Ursprung und Grund der Güter ist, das definieren wir als t i ~ l o vund göttlich. " 84 Wir haben aus dieser Stelle etwas gelernt, was wir ohne genaue Kenntnis des aristotelischen Sprachgebrauchs dem ersten Satz von ,,nsei +vxij~"kaum entnommen hätten. Wir haben nämlich gelernt, daß dieses Wort ein Synonym für das Wort Osiov - göttlich -ist. Eine Erläuterung gibt Aristoteles E. N. VI, 7, wo er von der höchsten Form des menschlichen Wissens, die dort oocpia genannt wird, spricht: „Es ist offenbar, daß die oocpia die genaueste von den Wissenschaften ist. Der Weise muß nicht nur das wissen, was aus den Ursprüngen abgeleitet ist, sondern er muß auch im Umkreis der Ursprünge selbst in der Wahrheit sein [dhyOe13stv].Demnach muß die oocpia wohl voSs und 2ntot"i)y sein, nämlich das auf den Gipfel gelangte Wissen von dem, was das Preiswürdigste ist [thv ttptoTOITOV]. " 85 Was ist das für eine Wissenschaft? Das erklärt Aristoteles in den anschließenden Sätzen, die ich paraphrasierend zusammenfasse. Wäre der Mensch das Beste von allem, was es im Kosmos gibt, so könnte man denken, die höcliste Weisheit wäre die Politik, die Wissenschaft von der Staatskunst. Der Mensch wäre dann jenes ttpth.ta-cov, das von der höchsten Weisheit erkannt wird. „Aber gesetzt selbst, der Mensch wäre das Beste unter den übrigen Lebewesen, so fällt das nicht ins Gewicht; denn es gibt ja anderes, was seiner Natur nach weit göttlicher ist als der Mensch; ich nenne das Beispiel, das am sichtbarsten ist: die Gestirne, aus denen der Kosmos zusammengesetzt ist." Auf Grund des Gesagten ist evident: die oocpia ist 84
~ a ~ j - c y&e q g xO1ptv -cO1 hotnol notv-ca notv~egXQ&TT~LL.LEY, T ~ OL~xfiv Y CiE n a i
.cb al-ci.ovT ~ I Y6yat)Wv a i ~ t O v-ct x a i B ~ i o v~ i e e p e v . 1102a 3f.
85 (ume Kijhov ö n fi Olx~~ßso.cot.cq &V T ~ &nto~qp(i)v Y elq 4 oorpia. 6ei &ea zbv m q ~ o vpfi pOvov zOL 6%ZWY &QXOVELKEYUL, OLhhOl ?tai m e i Z&S O L Q X & ~ Olhqee6t-tv. i;o.ce elq &V fi aocpia v0.V~x a i t n t o ~ I ) ~WOJLEQ q, x ~ c p a h fbxovoa i~ &ntok4pqTWY - ~ L ~ L O T & Z O Y . 1141U 168. ei 6' OTL (jEh~to.covO i ~ H ~ w nTWY o s ahhwv < & J Yo6Sbv , StarpL~et.x a i y u ~
sowohl bxto-cfipy wie voCi~,Erkenntnis des Preiswürdigsten in der Natur. Eine Erklärung dieser Definition der höchsten Form der philosophischen Erkenntnis gewinnen wir aus Met. VI, 1: „Wenn es etwas Ewiges und Unbewegtes und [von der Materie] Abtrennbares gibt, so ist es offenbar Aufgabe der theoretischen Wissenschaft, es zu erkennen. Es ist jedoch nicht Aufgabe der Physik (denn die Physik hat es mit Bewegtem zu tun), und auch nicht Aufgabe der Mathematik, sondern einer Wissenschaft, die beiden vorausgeht. Die Physik nämlich hat es mit Abtrennbarem aber nicht mit Unbeweglichem zu tun. Die Mathematik aber hat es zwar mit Ausschnitten von dem zu tun, was unbewegt ist, aber wohl nicht insofern es abtrennbar ist, sondern insofern es in der Materie ist. Die Erste Wissenschaft aber hat es mit Abtrennbarem und Unbewegtem zu tun. Nun ist es zwar nötig, daß alle Ursachen ewig sind, am meisten aber diese; denn diese sind Ursachen für das Erscheinende unter dem Göttlichen. Demnach gibt es drei theoretische Philosophien: die Mathematik, die Physik, die Theologie. (Es ist nämlich nicht zweifelhaft, daß wenn irgendwo das Göttliche als Ursprung zugrundeliegt [ ~ ~ ~ Q x E L ] , es in der so beschaffenen Natur zugrundeliegt) und die preiswürdigste Wissenschaft muß sich auf die preiswürdigste Gattung beziehen."87 Auf eine ausführliche Erklärung dieser Stelle kann ich hier verzichten. Ich merke nur an, daß Aristoteles mit dem Ausdruck „das Sichtbarste unter dem Göttlichen" hier wie in der „Nikomachischen Ethik" die Gestirne bezeichnet. Er wußte, daß die Gestirne physikalische Körper sind. Es würde zu weit führen, hier zu erklären, warum er sie trotzdem gottlich nennt. Unsichtbar ist, im Unterschied zu den Ge&Y 6 O t ~ f l e h n ~&hha u n0hG O E L ~ ~ E Q W t+p . ~pijot~ O ,~ O Yr p a v e ~ h t a t & n6opos ouveotqxtv. 1141a 33 ff. 87 E; 66 t i EUTLY Oti6tov ltai Otxivqtov n a i xweto.c6v, cpuveebv o t t Oewp.c~i~fjs t O yvWvctt, 08 pEvtot rpuotltfj~y t (neei ntvqtWv yOle ~ t v w vfi r p u ~ ~ n f i ) o58E pct0qpa.ctnfjs, &hhu n ~ o t t ~ Otycpoiv. us fi pEv Y&@~ ~ U B L XzYe e i XWQLo t & ptv Othh' o . i ~olltivqta, t f j ~ 6F kuOqpct~tnfjqEYLU n t e i cixivqta pEv 08 xwetor6.6t Lews &hh7 $VGhg. fi 6E neWtq n a i z t e i xweto.c& n a i Otxivqta Olvolyxq 6E zolvta yEv T& alttct & i h a ~ t v a pOlh~ota ~, 6E .ca.Um. - c a 6 ~ ay & ~ a ' i t ~ at o i s rpaveeoi~tWv Ociwv. O o t t~ ~ e&Vi ~~ ? t rpthooorpiut v O&weq.ctxai, paflqpctttx.JI,
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stirnen, der göttliche ~ 0 6 5'der , Erste Beweger. Die Erkenntnis der Gestirne und ihrer Bahnen gehört noch in die Physik. Die Erkenntnis des v o 6 ~ist Aufgabe der Ersten Philosophie, die deshalb hier ~ E O ~ O(bxio-cfi ~ L Xpy) ~ ]genannt wird. Für die Erklärung des ersten Satzes von JE@; q~wxij~" ergibt sich v daraus: der Vollzug des Wissens gehört unter das, was ~ i p ~ -o preiswürdig - genannt wird, weil es die höchste Möglichkeit des Wissens v, Gott, zu erkennen. In dieser höchsten ist, das - c ~ p t h t a ~ onämlich Form der Erkenntnis gipfelt sowohl die Rangordnung der Stufen des Wissens nach dem Grad der Genauigkeit wie die Rangordnung der Stufen des Wissens nach der Hierarchie der Zwecke. Die Erkundung über-die Seele muß unter die ersten Wissenschaften gerechnet werden, weil sie zugleich die höchste Möglichkeit des Wissens und den höchsten Gegenstand des Wissens, die v 6 y o t ~vofioeoc Gottes, zum Inhalt hat. Tm Widerspruch zu Theiler muß also festgestellt werden, daß sich der erste Satz des Werkes auf die erst im Buch 111, 5 eingex o ~ t o - c 6von ~ , dem von der Materie abtrennführte Lehre vom v o ü ~ baren Geist, und darüber hinaus auf die Theologie des Buches XI1 der „Metaphysik" bezieht. Damit ist aber die Grundhypothese dieser Vorlesung erwiesen: die Hypothese, daß die Bücher „Uber die Seele" als die systematische Grundlegung der Theologie des Aristoteles und damit der Ersten Philosophie verstanden werden müssen. Durch das Studium dieses Werkes gewinnen wir also - so steht zu vermuten - einen Zugang zum Verständnis der Leitfrage: Was ist Metaphysik? 88
" Uber die Stellung und Bedeutung des V I . Buches der „Metaphysik" ist in der neuesten Forschurzg eine Auseinandersetzung entstanden, die ich nicht übergehen darf. Für das Denken des 20. Jahrhunderts wirkt es als ein Skandal, daß Aristoteles an dieser Stelle die Erste Philosophie mit der von i h m nur j7 Wissenschaft idenhier (und in der Parallelstelle XI, 7) O ~ o A o y i ~genannten /$ziert. Man hat sich deshalb bemühl, den Nachweis zu führen, daß in der Entwicklungsgeschichte des aristotelischen Denkens hinter d e m relativ früh zu datierenden V I . Buch der „Metuphysikn ein grober Bruch liegt, und dab die eigentliche Philosophie des Aristoteles erst nach diesem Bruch beginnt. Ich m u ß mich deshalb rechtfertigen, wenn ich von „Metaphysik" VZ, 1 einen Gebrauch mache, der diesem Kapitel eine Schlüsselstellung zui.veist. Dazu kurz Folgendes: 1. Krämer hat i m Aristoteles- Kapitel seines Buches über die Geistmetaphysik derz detaillierten Nachweis geführt, daß die Theorie v o m Bruch i m Denken des Aristoteles falsch ist; daß dem VI. Buch der „Metaphysikmin der Entwicklurzgsgeschichte volz Aristoteles eine Übergangsstellung zuzuweisen
Den Terminus t i p l o ~hat Aristoteles nicht als Erster in der hier besprochenen Bedeutung geprägt; er hat ihn von Platon übernommen. Bei Platon wie hier bei Aristoteles ist er mit dem Begriff n a h 6 v verbunden (Phil. 30B 7). Wir müssen also auch das Wort n a h h v in seiner platonischen Bedeutung auffassen. Bei Platon bezeichnet es die reine Erscheinung dessen, was göttlich ist. Der Aufstieg der Erkenntnis, den die Diotima-Rede im „Symposionu darstellt, erreicht seinen Höhepunkt beim Schönen selbst; das Schöne ist die Erscheinung der o~ also eine EinIdee des Guten. Die Worte n a h 6 v und ~ i p i bilden - des Vollzuges heit, die uns die höchste Möglichkeit der ~lfiqcil~ menschlichen Wissens - darstellen soll. Von hier aus ist auch das bisher übersprungene Wort zu verstehen, die Formen des Wissens seien danach abgestuft, ob sie auf Besseres oder Staunenswürdigeres gehen. Im I. Buch der „Metaphysik" sagt Aristoteles im Anschluß an Platon, das Staunen sei der Anfang der Philosophie. Er bczieht sich dabei auf die berühmte Stelle aus Platons „Theaitetos", wo dies zum ersten Mal ausgesprochen wird. Ich lege Ihnen diese Stelle vor, weil man daraus lernen kann, wie weit die Philosophie der Griechen von der Philosophie unserer Tage entfernt ist. Sokrates hat dem jungen Mathematiker Theaitetos ein Problem gestellt. Dieser antwortet: „Bei den Göttern, Sokrates, über alles Maß staune ich, wie es sich damit eigentlich verhält, und manchmal, wenn ich dahin blicke, wird mir wahrhaft schwindelig." Darauf sagt Sokrates: „Das ist fürwahr das Widerfahrnis einer sehr philosophischen Natur, das Staunen; denn es gibt keinen anderen Ursprung der Philosophie als diesen. Und es scheint, daß der Dichter, der behauptet, die Iris sei die Tochist; vor allem aber, da/3 die Positionen, die für uns wesentlich sind, von Aristoteles auch später nicht preisgegeben wurden. 2. Der Beweis dafür, dap das Wort zip~ovauf die Erkenntnis des Göttlichen zu beziehen ist, stützte sich absichtlich nicht auf das VI. Buch der ,,Metaphysik"sondevn auf E. N. VI, 7. Die „Nikomachische Ethik" ist nach der heute herrschenden Auffassung ein spütes Werk. Das VI. Buch der „Metaphysik1' wurde nur zur Evlüuterung herangezogen. Die davaus zitierte Stelle deckt sich bruchlos mit der Stelle aus der „ Nikomachischen Ethik". 3. In ,,Z~FQL il,~ixfq''.selbst greift Aristoteles die in „Metaphysik VI, 1 getrogene Urzterscheidung wieder auf: an der Stelle 403 b 10f. Theiler bemerkt mit vollem Recht zu dieser Stelle: „Die Dreigliederung der theoretischen Philosophien in Mathematik, Physik, Theologie (Met. VI, 102ha 19) ist hier kenntlich (91). Wenn Aristoteles selbst sich in diesem ev'rten Kapitel des Werkes uuf Met. VI, 1 zurückbezieht, so sind wir berechtigt, das Gleiche zu tun. "
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ter des Thaumas, keine schlechte Genealogie aufgestellt hat. " s9 Der Dichter, auf den Platon anspielt, ist Hesiod (Theog., 780). Thaumas, der bei Hesiod (237) „der Große" genannt wird, ist eigentlich ein Meergott. Er ist seincm Namcn nach dcr Inbegriff aller Wunder des Meeres. Sein Name bedeutet nämlich: der Wunderreiche. Für Platon ist er ganz offenbar der Inbegriff für jene Aura des Göttlichen, die das Staunen erregt. Iris aber ist die Botin der Götter. Wenn Platon sagt, daß die göttliche Kraft, die das Staunen erregt, von Hesiod mit Recht zum Vater der Botin der Götter gemacht wird, so will das bedeuten, daß uns durch die Botschaft, die uns das Staunen vermittelt, die Kunde von dem, was göttlich ist, zuteil wird. Tatsächlich sprechen die griechischen Dichter immer dann vom Staunen, wenn die Menschen einem Gott oder einer göttlichen, übermenschlichcn Erscheinung begegnen. Als eine solche göttliche Erscheinung erfuhren die Griechen auch das Schöne. Das Staunen ist, wie sich aus der Dichtung belegen ließe, eine Erschütterung, die einen dreifachen Ursprung hat: die Bestürzung vor dem Unbegreiflichen, die Furcht vor dem Gewaltigen, die Bewunderung vor dem Schönen. Aus dieser Erschütterung entspringt die Philosophie. Im Anschluß an den Abschnitt aus dem zweiten Kapitel (des T. Buches) der „Metaphysik", in dem Aristoteles an diese Stelle aus Platon erinnert, spricht er darüber, ob es dein Menschen überhaupt verstattet sein kann, ein göttliches oder gottgleiches Wissen zu haben. Er wehrt diesen Einwand durch die platonische Lehre ab, daß Gott unmöglich neidisch sein kann, und fährt fort, es sei nicht möglich, daß ein anderes Wissen preiswürdiger ( t t p t o a E e a ) sei als dieses: „Denn das gött~ x a i ztptci,lichste Wissen ist auch das preiswürdigste [fi y & 0ao~citq tcitq]. Solcherart kann es aber nur in zweifacher Weise sein: einerseits ist unter den Wissenschaften göttlich eine solche, die am ehesten wohl der Gott haben könnte, andererseits [wenn es eine gibt] eine solche, die das Göttliche weiß."yoDamit schließt sich auch K a i V+ toUg 9~0152y ~ (O, C h x ~ a z ~UgZ,E Q C ~ I I ( ~155 > ~ Hctvp&
für uns der Kreis dessen, was wir uns klarmachen mußten, um durch diesen ersten Satz den rechten Eintritt in das Werk zu gewinnen. Damit Ihnen aber die Worte „Gott" und „göttlich" in ihrer aristotelischen Bedeutung nicht allzu unverständlich bleiben, lege ich Ihnen vorgreifend schon jetzt eine Stelle aiis dem XII. Buch der „Metaphysik" vor, die Ihnen helfen mag, die Region, in der hier nach dem Wesen der Seele gefragt wird, zu verstehen. Aristoteles sagt dort: „Es ist uns überliefert von den Alten und aus grauer Vergangenheit in der Gestalt des Mythos, uns, den Späteren, die Gestirne seien Götter und das Göttliche umfasse die ganze Natur. Das übrige ist mythische Zutat zur Uberredung der Menge, zum Behuf der Gesetzgebung und um der Zuträglichkeit willen. Sie sagen nämlich, die Götter hätten Menschengestalt und seien einigen anderen Lebewesen ähnlich und anderes, was daraus folgt und solchen Reden ähnlich ist. Scheidet man nun dieses aus und erfaßt man nur das Erste an sich, die Ansicht nämlich, daß die Ersten Substanzen Götter seien, so muß man wohl dafür halten, dies sei auf göttliche Weise gesagt, und da, wie man annehmen muß, jede Kunst und Philosophie, soweit es möglich war, oft entdeckt worden ist, und dann wieder zugrundeging, so mögen auch diese Ansichten von jenen Männern gleichsam wie Trümmer bis auf die Gegenwart gerettet worden sein. Nur bis zu diesem Grad ist uns die Auffassung der Väter und die Überlieferung der Urzeit verständlich." y 1 Die Theologie des Aristoteles erscheint im Lichte dieser Worte als ein Versuch, jene anfängliche Weisheit wieder herzustellen. In diesem Horizont untersucht er das Wesen der Seele. p6hto-c' &V 6 Heb5 &xot,Hsia t h v 6n~otqpOvEo-ci, x&v sl TI.< tOv Osiwv slq. 983 a 5ff. 91 n a ~ a 6 i S o t iaj E~ n a ~ tOv & Or~xaiovx a i nayxahaiwv Ev p6;)eovo x f l p a ~ t xatahehstypiva TOLS G o t e ~ o v6.c~0soi ti: e i o ~ vo h o t x a i ~ F Q L E X E LTO Oeiov t4v Okrlv rp6otv. 5 & 6 8 h o t d p v t f t x h ~f 6 q neooflxtat n ~ O tqv 5 nst0d.1 tojv nohhbv x a i n ~ o t4v g ei< toUs voyovs x a i t b ovycpi~ovx e q o ~ v OlvB~wxost. OsLg TE y & toljtovg ~ x a i TOYahhwv c@ov6yoio11~ t t o i hiyouot, x a i t o 6 r o ~ g E T E Q ~OrxohovHa n a i n a ~ a n h f i o ~t oa i si~qpi:votg, ~ &Yel tig x w ~ i o a ga 6 t b haßoi. yOvov t O Z Q ~ T O 6th Y , OsoVg wovto L&< n ~ h - c a g06oia< F ~ Y COsiwq CL, &V si~fjoHai v o p i o ~ ~ s xva, i x a t & E L x O ~xohh&xtg sfi~qpivqg~ i rgb i j ~ v a tbv Exolotqg x a i tkxvqg x a i cpthooocpia~n a i xolhtv cpHst~opEvwvx a i tcrlj-ca~ T&< 66Ea5 Fxsivov oiov hei~pavan s ~ ~ o e o h o O p a ti x ~ ZOG t vüv. 4 pEv 06v xatetog 66Ea n a i n a ~ tojv & n ~ h t w vExi toooütov fiyiv rpavse& y6vov. 1074a 38ff.
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7. (Die Bedeutung der Seelenlehre für die Gesamtheit der Gegenstände der Erkenntnis) Wir wenden uns nun dem zweiten Satze zu: „Es scheint nämlich sowohl im Hinblick auf die Wahrheit insgesamt ihre Erkenntnis Großes beizutragen wie vor allem im Hinblick auf die Natur; sie ist nämlich in einer noch näher zu bestimmenden Bedeutung der Ursprung der Lebewesen." y2 „Im Hinblick auf die Wahrheit insgesamt": hier wird nun expressis verbis gesagt, daß die Erkenntnis dessen, was die Seele ist, für den gesamten Bereich, den wir „Wahrheit6'nennen, also für alle Teile der Philosophie, „Großes" beizutragen hat. Aristoteles vermeidet es, zu Beginn des Werkes präziser zu bestimmen, was die Erkenntnis der Seele für die Erkenntnis der Wahrheit beitragen wird; entsprechend fügt er auch im zweiten Teil des Satzes seiner im Buch I1 (415b 8) klar formulierten Lehre, die Seele sei Ursprung der Lebewesen, das distanzierende Beiwort otov zu, das ich dem Sinn nach durch die Worte „in einer noch näher zu bestimmenden Bedeutung" wiedergegeben habe. Diese Vorsicht und Sorgfalt in der Formulierung seiner Behauptungen ist für den Denkstil des Aristoteles charakteristisch. Wenn man den h o y o ~Olnoqav.c~n6~ - die Aussage zur hermeneutischen Basis der Erkenntnis macht, muß jeder Begriff und jede Fügung aufs Sorgfältigste geprüft und abgewogen werden. Daraus ergibt sich eine spezifische Schwierigkeit für die Interpretation der Texte, weil man stets jene Rücksichten und Vorbehalte im Auge haben muß, die Aristoteles zu bedenken hat, wenn er seine Aussagen so formuliert, daß gegen sie nichts eingewendet werden kann. Je sorgfältiger man die Aussagen feilt, desto mehr bleibt das, was ihre Formulierung bestimmt, unausgesprochen. Das ist der Preis, den Wissenschaft dafür bezahlt, daß sie darum bemüht ist, ihre Aussagen möglichst unanfechtbar zu machen. Wir haben uns aber durch die Interpretation des ersten Satzes schon den Boden geschaffen, der uns erlaubt, sowohl die Worte X Q ~ &h4S OELCIY &xaciav, wie auch die Worte O l ~ ~ .chv f i t 4 t ~ vohne distanzierenden Vorbehalt in ihrer vollen Bedeutung zu nehmen. Einen Teil der Interpretation des ersten Teiles des Satzes haben wir schon vor-
weggenommen: wir haben gesehen, was die Erkenntnis der Seele für die Wissenschaftstheorie und für die Erste Philosophie, also die Ontologie und die Theologie, bedeutet. Ich ergänze das bisher Gesagte durch zwei Hinweise, die zeigen mögen, was die Erkenntnis der Seele für die beiden anderen Hauptteile der aristotelischen Philosophie, für Ethik und Politik und für die Physik bedeutet. a. Ethik und Politik (E.N. I, 13) Im letzten Kapitel des I. Buches zeigt Aristoteles, daß der Politiker, ' der sich von der Erkenntnis der Wahrheit leiten Iäßt - O x a ~ Olhfi0 e ~ a vn o h ~ ~ ~ i-, l bseine g größten Anstrengungen der Ethik widmen muß. Der „Politiker, der sich von der Wahrheit leiten läßt", ist ein Politiker, der der platonischen Forderung gehorcht, daß er bei seinem Handeln der Erkenntnis dessen folgt, was in Wahrheit ist. E r hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sich in den Bürgern und damit im ganzen Staat die & Q E T ~entfalten kann - mit anderen Worten: daß sie zur höchsten Entwicklung ihrer Anlagen gelangen. Deswegen gewinnt er aus der Ethik die Kriterien und Maßstäbe des politischen Handelns. Die Ethik ist die Grundwissenschaft der Politik. Was aber ist die Grundwissenschaft der Ethik? Aristoteles hatte vorher die ~6batyovia,also den vom Politiker herzustellenden Zustand, als Qwxfl~EvE~ye~a X ~ T O' ~ Q E T ~V als Im-Werk-Sein der Seele nach ihrer höchsten Möglichkeit definiert. Daraus zieht er jetzt die Folgerung, daß demnach auch der Politiker das Wesen der Seele untersuchen muß - B ~ o ~ q ~ 6 &j o ilai v TW zoh~ttni$n ~ Quxflg ~ i (1102a 23). Mit anderen Worten: die Wissenschaft von der Seele ist die gemeinsame Grundwissenschaft für Ethik und für Politik. Wie streng diese Feststellung zu verstehen ist, ergibt sich aus dem weiteren Gang des Kapitels. Der Abschnitt über den Politiker dient nämlich als Einleitung für einen Aufriß, in der aus der inneren Struktur der menschlichen Seele die berühmte aristotelische Unterscheidung zwischen ethischen und dianoetischen Tugenden abgeleitet wird; und diese Unterscheidung liegt dann dem ganzen Aufbau der Ethik zugrunde. Die Wissenschaft, die Aristoteles „Ethik" nennt, wird also mit strenger Konsequenz aus seiner Lehre von der Seele abgeleitet.
b. (Zeit und) Physik Die Physik kommt in dem Satz, den wir betrachten, zweimal vor. Im zweiten Teil wird nämlich gesagt, die Wissenschaft von der Seele sei von besonderer Bedeutung für die Physik, weil Seele der Ursprung der Lebewesen ist. Aber die Lebewesen bilden nur eine bestimmte Klasse von Seiendem innerhalb der rpijo~g.Die c p l j o ~als ~ Ganze wird in dem zweiten Teil des Satzes nicht in Betracht gezogen. Hingegen muß im ersten Teil des Satzes die cp.Vo~gals Ganze ins Auge gefaßt werden, wenn wirklich die Erkenntnis der Seele für die Wahrheit in ihrer Gesamtheit Großes beitragen soll. Was hat die Erkenntnis der Seele mit der rpliotg insgesamt zu tun? Auch hier beschränke ich mich auf einen Hinweis. Die Physik ist, wie wir schon aus Met. VI, I gelernt haben, die Wissenschaft von dem, was bewegt ist. Alle Bewegung verläuft in der Zeit. Aristoteles definiert in der Zeitabhandlung im IV. Buch der „Physikc' die Zeit als die Zahl, das heißt als das Maß der Bewegung. Am Ende der Zeitabhandlung sagt er nun Folgendes: „Es ist aber der Untersuchung wert, sowohl wie sich denn eigentlich die Zeit verhält zu der Seele, wie auch, warum in allem die Zeit zu sein scheint, sowohl auf der Erde wie im Meer wie im Himmel."93 Ich weise darauf hin, daß für Aristoteles die Frage nach demverhältnis von Zeit und Seele mit der Frage nach der Universalität der Zeit an dieser Stelle ähnlich verknüpft wird, wie Seele als Ursprung der Lebewesen mit dem Verhältnis von Seele und universaler Wahrheit in unserem Satz verkoppelt ist. Vorgreifend sei gesagt, daß dieses Problem nur lösbar ist, wenn auch Gott „Seele", nämlich vocg ist. In dem Text aus der „Physikc'wendet sich Aristoteles zunächst dem ProZu diesem und den beiden folgenden Zitaten: Oittov 8' FXL~XEVEWS n a i n 6 1 ~ZOTE CXEL 6 xeOvo< r c ~ b +fiv s VUX~V a1ai , 8th TL Ev nav+i Goxei ~ & v a6 tXQOYOS, n a i 8v y3 x a i EY HahOLt+q x a i Ev o G ~ a v 3 . tj ött X L V . ~ ~ ~ E "tSLZOLHOS4 E&, O ~ ~ L H yE ~ OGY, S ~ C ~ Z I fit. T Cx ~ . L Y nuvTa ~ + ~ (Ev +Onq yhe nirv+a), i) 6E XQOYOS n a i fi x i v q u t ~&pa x a t & +F8Uvaptv x a i xa+' F v i ~ y e ~ a no+&@ov v; 6E pfi o$oqs qwxfis &tq &V 8 X @ ~ Y O tjS 06, & J C O @ ~ ~ E L E Y als. O ~ ~ U V ~yore ~ O OVTOS W ~ S v a+OZI t O ~ Q L O ~ ~ O O Y OT OI ~SU Y ~ T O~ V a~ lie t o p q +OVTL ~ S v a t GOTE , 8yhov ö t t 066' a e t e p ~ c aetop6s . q to ~ Q L ~ ~ ~ ~ E ;i to OletOpqtOv. ~i 6E pq8Ev ahho nicpwn~v& ~ t e p ~;ii vV W Xn~a i A~vxfis voiis, OlbUvatov ~evcct~ ~ O v Io$ vU X ~p?l < o f i o q ~Olhh' , tj toiito 6 n o w 6v EOTLY 6 x~Ovo2,o?ov Ei ~ V ~ ~ X nivqcrtv E L ~ L E ? Y ~ L&veu +wxfis. +o 6E ZQOTEQOY x a i 6 u t ~ ~ Eov vX L Y ~ G E Eo+Lv. L XQOYOS 8E +aZIt' Eo+iv &eiOpqt&Fo+tv. 223 a 1611. - 29. "
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blem der Universalität zu: „Erklärt es sich daraus, daß Zeit ein Widerfahrnis der Bewegung oder ihre Verfassung ist, insofern sie ja ihre Zahl ist, und alles Genannte Bewegtes ist (denn es befindet sich ausnahmslos an einem Ort), Zeit und Bewegung aber sowohl im Modus der ~ ö g l i c h k e iwie t im Modus der Wirklichkeit unabtrennbar sind"? (223 a 18ff.) Nach diesen Bemerkungen über die Universalität von Zeit, auf deren Erklärung ich hier verzichte, wendet sich Aristoteles dem Verhältnis von Zeit und Seele zu. „Ob es aber, wenn die Seele nicht wäre, Zeit gäbe oder nicht: darüber könnte man wohl in Verlegenheit geraten. Denn wenn es unmöglich wäre, daß es etwas gibt, was zu zählen vermag, so ist es auch unmöglich, daß es etwas Abzählbares gibt, und daraus ist evident, daß es dann auch keine Zahl gäbe, denn die Zahl ist entweder das Gezählte oder das Zählbare. Wenn aber nichts Anderes ist, was die Natur hat zu zählen, außer der Seele und von der Seele der ~ 0 5 5so , ist es unmöglich, daß Zeit ist, wenn Seele nicht ist. Was allein denkbar wäre, wäre ein Zeitsubstrat, gesetzt, es ist überhaupt möglich, daß Bewegung ohne Seele ist. Nun gibt es das Früher und Später in der Bewegung; Zeit aber ist dieses, insofern es zählbar ist." (223a 21ff.) Das ist ein so schwieriger Text, daß man ihn auf Anhieb nicht auffassen kann. Aber Sie werden trotzdem daraus entnommen haben, daß nach der Lehre des Aristoteles Zeit ohne Seele und Bewegung ohne Seele nicht gedacht werden kann. Nun kann aber „Seele" hier nicht die Seele des Menschen bedeuten, denn es kann sehr wohl gedacht werden, daß sich die Erde, das Meer und die Sterne in der Zeit bewegen, auch wenn es keine Menschen gibt, die das Früher und Später dieser zeitlichen Abläufe zu zählen vermögen. Aus der Verkoppelung der Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Seele wie der Frage nach der Universalität der Zeit folgt deshalb, wenn man aufmerksam liest, die erst im VIII. Buch der „Physik6' entwickelte Lehre vom göttlichen v o 5 als ~ dem Ersten Beweger. Dies möge genügen, um zu zeigen, daß Aristoteles in der Tat die Gesamtheit der möglichen Gegenstände der Erkenntnis (und also auch sämtliche Teile der Philosophie) vor Augen hat, wenn er sagt, daß die Erkenntnis der Seele zur „Wahrheit in ihrer Gesamtheit" Großes beiträgt. Aber in diesen Worten ist noch etwas Anderes enthalten: die Lehre von der Seele, genauer: die Lehre vom VOGS enthält und begründet bei Aristoteles die Lehre vom Wesen der Wahrheit selbst. Das ist durch Platon vorbereitet. Nur weil die Lehre vom Wesen der 164
Wahrheit bei Aristoteles ins Zentrum der Lehre von der Seele gerückt wird, kann dann die Lehre von der Seele für die Wahrheit in ihrer Gesamtheit, also fur sämtliche Teile der Philosophie, konstitutive Bedeutung gewinnen. Wenn Sie sich an die Einführung, die ich der Vorlesung vorangestellt habe, zurückerinnern, so wird auch ohne nähere Begründung deutlich, was die These bedeutet, die man so formulieren könnte: Metaphysik ist jene Form der Philosophie, die das Wesen der Wahrheit i m Horizont der Seele interpretiert. Nur wenn die Seele Horizont der Wahrheit ist, kann jenes Verhalten der Seele, das wir „Wissenu nennen, als die maßgebliche, ja einzige Form aufgefaßt werden, in der sich Wahrheit uns zeigt. Die heute allgemein herrschende Überzeugung, Wissenschaft sei die maßgebliche oder gar einzige Form der Erkenntnis von Wahrheit, setzt, auch wenn sie das nicht weiß, die Metaphysik der Seele und das durch sie begründete Verständnis von Wahrheit voraus. Es ist auch für Theologen wichtig, darüber zur Klarheit zu gelangen, daß alle Begriffe vom „Wissen" und von der „Wissenschaft", die sich von Aristoteles bis heute entwickelt haben, Metaphysik, genauer: Metaphysik der Seele, in der Neuzeit: Metaphysik des Bewußtseins, zur Voraussetzung haben. Denn wenn man das nicht weiß, ist es unmöglich, auch nur den Sinn der Frage nach dem Verhältnis von Glauben und Wissen zu begreifen. Im zweiten Teil des (zweiten) Satzes (von „ T i e ~ ivu~fjg") sagt Aristoteles, am meisten trage die Kenntnis der Seele im Hinblick auf die rp13o~gbei. Sie sei nämlich Ursprung der Lebewesen. Um die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, muß man den Aufriß der Wissenschaft kennen, die bei Aristoteles „Physikd'heißt. Aristoteles hat diesen Aufriß im ersten Kapitel seines Werkes über die Meteorologie knapp umrissen (338 a 20ff .). Die Grundlage bildet die Wissenschaft von den ersten Ursachen der rpljot~und von der Bewegung in der rpljcns insgesamt. Das ist die Wissenschaft, die Aristoteles in den acht Büchern der „Physik" dargestellt hat. Ihrem Inhalt nach gehört diese Wissenschaft zum größten Teil in jenen Bereich, den man später „MetaphysikL'genannt hat, während die Bücher, die bei Aristoteles unter dem Titel „Metaphysik" zusammengefaßt sind, abgesehen von der Theologie des XII. Buches, nur den grundlegenden Teil der späteren „Metaphysik", die Ontologie oder „Metaphysica generalis" enthalten. Auf die in den acht Büchern der „Physika dargestellte Wissenschaft folgt, nach dem Aufriß der „Meteorologie", die Astro-
nomie einschließlich der Elementenlehre. Sie bildet den lnhalt des Werkes „ I I E Q o13~avoG" ~ (zitiert: „De Caelo"). Darauf folgt die Lehre vom Entstehen und Vergehen im Allgemeinen. Sie bildet den Q~ ilai cp€lo~ol~". Hieran schließt sich Inhalt des Werkes , , T ~ Ey~vEoecii5 die Meteorologie, dargestellt in den vier Büchern der „Meteorologica". Damit ist die Lehre von der anorganischen Natur abgeschlossen. Anschließend folgt die Lehre von den Tieren und Pflanzen, die im aristotelischen Corpus einen riesigen Umfang einnimmt: zehn Bücher der Tierkunde, vier Bücher über die Teile der Tiere, eine Spezialabhandlung über die Fortbewegung der Tiere, fünf Bücher über die Erzeugung der Tiere; dazu kamen noch verlorene biologische Schriften, darunter eine Schrift über die Pflanzen. Aristoteles ist durch diese Schriften der Begründer der biologischen Wissenschaften: Zoologie, vergleichende Anatomie und Botanik, geworden. In den Zusammenhang der Lehre von den Lebewesen und Pflanzen gehort nun aber auch der größere Teil dessen, was Aristoteles über die Seele geschrieben hat; denn ~ U X (ist nach Aristoteles nicht ein speziell menschliches Vermögen sondern das Prinzip des organischen Lebens überhaupt. Das sieht man an dem Aufbau von ,,ITepi PJIUX~~S". Das I. Buch enthält eine breit angelegte Einleitung mit einer kritischen Untersuchung der Lehren der Vorgänger des Aristoteles. Mit Buch I1 setzt die Darstellung seiner eigenen Lehre ein. Buch 11, 1-Buch III,3 wird die Seele als biologisches Phänomen behandelt. Erst mit III,4 beginnt die Lehre vom ~ 0 6 5der, , wie wir schon gesehen haben, den transzendiert und deshalb im Gesamtentwurf der Bereich der cpwo~~ Physik nur so weit behandelt werden muß, daß durchsichtig wird, wie es möglich ist, daß ein organisches Lebewesen, der Mensch, ein Vermögen hat, das über seine organische Natur hinausreicht. Eine Ergänzung der aristotelischen Wissenschaft von der Seele als biologischem Phänomen enthalten die sieben kleinen Schriften, die unter dem Sammeltitel „ Parva Naturalia " veröffentlicht sind. Sie untersuchen „die den Tieren gemeinsamen Vorgänge des Körpers und der Seele": Wahrnehmung, Gedächtnis, Schlaf und Wachsein, Träume, Langlebigkeit und Kurzlebigkeit, Jugend und Alter, Leben und Tod, den Atem. Wenn Aristoteles sagt, daß die Erkenntnis der Seele im Hinblick auf die r p l i o ~von ~ besonderer Bedeutung ist, so hat er aus diesem riesigen Entwurf das Corpus von Schriften über die organische Natur vor Augen; denn der Satz, die Seele sei in einem noch nä-
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her zu bestimmenden Sinn Ursprung der Lebewesen, bedeutet nichts Geringeres, als daß die Lehre von der Seele sich zu den Wissenschaften von der organischen Natur ebenso verhält wie die acht Bücher der „Physiku zu den Wissenschaften von der Natur überhaupt. Die Lehre von der Seele enthält iii sich die Wissenschaft von den Prinzipien der organischen Natur. Nachdem wir uns diesen Zusammenhang klargemacht haben, wird die Funktion des zweiten Satzes erst deutlich. Der Satz enthält in umgekehrter Reihenfolge den Aufriß des Werkes. In dessen Schlußteil (111, 4ff.) wird gezeigt, was die Lehre vom v o ü ~für die Erkenntnis der Wahrheit in ihrer Gesamtheit beizutragen hat. Im Buch 11, 1-III,3 wird gezeigt, in welcher Bedeutung Seele der Ursprung der Lebewesen ist. Hinter diesem Aufriß verbirgt sich aber ein riesiges systematisches Problem: Nur wenn es Aristoteles gelingt zu zeigen, wie Seele als biologisches Phänomen mit Seele als dem Vermögen der Erkenntnis der Wahrheit zusammenhängt, hat sein Gesamtentwurf der Physik eine innere Konsistenz; denn von dem inneren Zusammenhang der Seelenvermögen hängt es nun ab, ob wir verstehen können, wie die organische Natur sich in den Kosmos der anorganischen Natur einfügt, und wie wir die Wahrheit von beidem einsehen sollen. Den für die Lösung dieses Problems entscheidenden Hinweis hat Aristoteles im ersten Satz gegeben. Das Problem wird lösbar erst durch die Theologie, das heißt durch die Lehre vom göttlichen voGs. Die Interpretation der beiden ersten Sätze ist damit abgeschlossen. Sie haben durch die Erläuterung der einzelnen Begriffe unter der Hand einen Uberblick über den Aufbau der gesamten Philosophie des Aristoteles erhalten. Das liegt aber nicht daran, daß ich die Hinweise äußerlich eingefügt hätte. Sie ergaben sich mit Notwendigkeit bei dem Versuch, die genaue Bedeutung der einzelnen Satzteile und Begriffe festzustellen. Die Einleitungssätze klingen, wie Theiler feststellt, „feierlich", weil sie sich auf diesen riesigen Horizont beziehen und innerhalb dieses Horizontes der Lehre von der Seele ihren Platz anweisen. Hat man den Horizont dieser Sätze vor Augen, so ist das Auffällige nicht, daß sie feierlich klingen; auffällig ist im Gegenteil, daß Aristoteles bis an die äußerste Grenze des Möglichen das grandiose Panorama, aus dem sie ihren Sinn beziehen, verschweigt. Die Nüchternheit wird bei ihm mit höchster Stilisierung auf die Spitze getrieben. So ist der Stil seiner Darstellung fast durchgängig. Seine
Texte sind wie Stenogramme. Ich mußte Ihnen gleich zu Beginn durch eine ausführliche Interpretation einen Eindruck davon vermitteln, wie er schreibt. Wenn man sich nicht explizit klargemacht hat, wieviel in so wenigen Worten gesagt wird, entwickelt man keine Sensibilität für die spezifische Dichtigkeit und Prägnanz aristotelischer Texte.
11. Die Methode der Erforschung der Seele und ihre Probleme (402 a 7-10) Eine der wesentlichsten Differenzen zwischen Aristoteles und Platon besteht darin, daß Aristoteles der gesamten Philosophie die Form der Wissenschaft zu geben versucht, während Platons Begriff der Dialektik aus der Erkenntnis hervorgeht, daß das nicht möglich ist. Ich habe in der Einführung zu zeigen versucht, daß dieser Gegensatz sich aus einer alles durchgreifenden Differenz zwischen dem aristotelischen Gottesbegriff und der Idee des Guten ergibt und mit dem in dieser Differenz begründeten Vorrang der Kategorienlehre in der aristotelischen Philosophie zusammenhängt. So erklärt sich der Gegensatz, wenn man ihn gleichsam von innen her betrachtet. Betrachtet man ihn von außen, so zeigt sich, ähnlich wie in der Kunst, der Gegensatz zweier verschiedener Stile. Aristoteles ist der Schöpfer jenes Stils des Denkens, den wir seither als „Wissenschaft" bezeichnen. Es ist ein spezifisch europäisches Vorurteil, das durch die Scholastik kanonisiert worden ist, zu meinen, die durch Aristoteles begründete Wissenschaft sei die einzige und maßgebliche Form, in der Wahrheit erkannt werden kann. Aber die suggestive Kraft des aristotelischen Denkens ist so stark, daß bis heute jede Philosophie, die „wissenschaftlich ernstgenommen" werden soll, in dieser oder ähnlicher Form auftreten muß. Nur Nietzsche hat das Problem der Form der Philosophie mit einer solchen Radikalität zu stellen vermocht, daß der in der Wissenschaft als Wissenschaft e~ithaltenetranszendentale Schein sichtbar geworden ist. Da aber Nietzsche nicht verstanden wurde, ist der in der Form der Wissenschaft geronnene und aufbewahrte Aristotelismus in der Philosophie wie in allen anderen Wissenschaften bis heute ungebrochen. Der neue Stil des Denkens führt einen neuen Methodenbegriff zum
Sieg. Bei Platon ist, wie ich in der Einführung gezeigt habe, p60060< der Aufstieg der Seele zur Idee des Guten. Das ist bei Platon nicht eine irrationale Erfahrung im Sinne der späteren Mystik sondern ein mit äußerster Strenge und Klarheit der Reflexion durchgeführtes Verfahren. Aber es ist nicht „Methodex in dem Sinn, wie dieser Begriff später verstanden worden ist. Bei Aristoteles begegnet uns deshalb zugleich mit dem neuen Entwurf der philosophischen Wissenschaft eine neue Methode. Durch die unablässige Auseinandersetzung mit Platon war er genötigt, diese Methode zur höchsten Klarheit zu entwickeln und mit einer erst von Kant wieder erreichten Intensität Schritt für Schritt auf die Methode zu reflektieren. Die Reflexion auf die Methode ist bei Aristoteles mit der philosophischen Erkenntnis so untrennbar verbunden, daß alle seine Texte, gleichgültig welches Thema er behandelt, ständig auch die Methode mit erörtern. Dadurch ist er für Europa zum großen Lehrer des Denkens geworden. ~i anEs ist also kein Zufall, daß das erste Kapitel von , , n &~puxfjs", schließend an die beiden ersten Sätze, über die Methode der Erforschung der Seele und ihre spezifischen Probleme handelt. Ich kann dieses Kapitel nicht so ausführlich erklären wie die beiden ersten Sätze, aber wir müssen versuchen zu verstehen, wie Aristoteles die Frage nach der Seele aufrollt, weil wir nur so den Horizont zu Gesicht bekommen, den er vor Augen hat, wenn er in den Büchern I1 und I11 die Untersuchung durchführt. Sie werden dann sehr schnell bemerken, daß der Begründer der europäischenwissenschaft an wissenschaftliches Denken und wissenschaftliche Erkenntnis andere und schwerere Ansprüche stellt als seine Epigonen bis zum heutigen Tage.
I. („Es ist schwer, über die Seele auch nur eine verläßliche Meinung zu gewinnen". ) Ich greife zunächst einen Satz heraus, der als der Leitsatz des ganzen Kapitels betrachtet werden kann: „In jeder Hinsicht und auf jede Weise gehört es zum Schwierigsten, so etwas wie eine verläßliche Meinung über sie [die Seele] zu g e ~ i n n e n . " '-~In jeder Hinsicht und 94 ?c&vtg 66 nuvaws koti .t6v ~ahsnot&~ov haßeiv nvci JGEOTLV 402 a 10 f .
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a6.tfl~.
auf jede Weise (xuvzy n u v z o ~ )diese : von Parmenides (28 B 4,3; VS 1, 232) eingeführte Formel bezeichnet bei Platon und bei Aristoteles in emphatischer Weise die Totalität. Oberflächlich gefaßt, bedeutet sie soviel wie „ganz und gar". Wollen wir wissen, was im Denken der Ausdruck „ganz und gar" bedeuten soll, so stellen wir fest: xhvtg heißt: auf jedem Weg, xavzos heißt: auf jede Weise. Auf schlechterdings jedem Weg der Untersuchung und bei schlechterdings jeder Weise der Betrachtung stellt sich heraus, daß es zum Schwersten überhaupt gehört, über die Seele - nicht etwa eine wissenschaftliche Erkenntnis sondern auch nur eine einigermaßen verläßliche Meinung zu gewinnen. Das ist ein erstaunlicher, ja fast unbegreiflicher Satz! Im ersten Satz hatten wir gelernt, daß die Rangordnung der Stufen des Wissens sich nach ihrer Genauigkeit bemißt. Jetzt erfahren wir, daß die Erkenntnis der Seele nicht einmal auf die Stufe der Fx~otilpq,geschweige denn auf die der genauesten Fxtotfipq gelangen wird; schon bloße xiozts über sie zu gewinnen, gehört zum Schwersten, was es gibt. Was n i o z t ~heißt, können wir aus Buch III,3 entnehmen. Aristoteles unterscheidet dort, unter Ausklammerung der cpavzaoia, vier Vermögen oder Verfassungen, denen gemäß wir urteilen und entweder Wahres erkennen oder uns täuschen: Wahrnehmung (aio0qots), Meinung (MEa), Wissen (Ex~ozfipq),geistiges Anschauen ( ~ 0 5 (428a ~ ) 4f.). In dieser Reihenfolge ist die 66Ea - die Annahme oder die Meinung - das Niedrigste unter den spezifisch menschlichen Denkvermögen. Aristoteles sagt: „Mit der Meinung ist das Zutrauen (xioztg) verbunden, denn es ist nicht möglich, wenn man eine Meinung hat, dem, was man meint, nicht zu vertrauen (ntoae7ie~v);unter den Tieren hat keines Zutrauen, Vorstellungsvermögen hingegen haben viele." (428 a 20ff .) Natürlich kann ein Hund „zutraulich" sein; aber x i o z t ~heißt nicht „Zutraulichkeit" sondern die Gewißheit, daß eine Meinung wahr ist, daß man auf sie , nur der Mensch von bauen kann. Nur der Mensch hat x i o t i ~ weil Natur so angelegt ist, daß er nicht nur Vorstellungen hat, sondern nach der Wahrheit dieser Vorstellungen fragen muß. Wir nennen heute das Vertrauen, das wir in unsere Meinungen setzen, „Uberzeugung". Aber wir werfen dabei zwei Phänomene durcheinander, die Aristoteles klar unterscheidet: das Zutrauen, das wir zu unseren Meinungen haben, und den Vorgang, durch den wir zu diesem Zutrauen gelangt sind. Aristoteles sagt: „Jede Meinung ist mit Zutrauen verknüpft, das Zutrauen aber mit dem Überzeugt-worden-sein, die
Uberzeugung aber mit der A r g u m e n t a t i ~ n . Das " ~ ~ Zutrauen liegt in dem, der die Meinung hat. Das ~ b e r z e u g e nliegt bei dem, was uns überzeugt. Was uns überzeugt, können andere Menschen, es können aber auch Phänomene sein. Dann geht die Uberzeugung von den Phänomenen aus und hat bei uns ein Zutrauen zu dem, wovon wir überzeugt worden sind, zur Folge. Aber auch wenn die Uberzeugung von den Phänomenen ausgeht, hat sie ihren Grund im h 6 y o ~Das . bedeutet nicht, wie Theiler übersetzt: „im Verstand". Verstand, für sich genommen, kann uns von nichts überzeugen; er überzeugt nur durch das, was er erkennt. „Verstand" heißt bei Aristoteles G ~ u v o ~Ear. ist bedas Vermögen, in der Form des h 6 y o ~etwas zu erkennen. A 6 y o ~ deutet hier, wie oft bei Aristoteles, eine geschlossene Verknüpfung von Aussagen, also eine Argumentation. Das wird an einem interessanten Beispiel klar, das Aristoteles wenig später einführt (428b 3ff.): Für unsere Wahrnehmung scheint die Sonne nur einen Fuß breit zu sein. Wir sind aber überzeugt, daß sie größer als die Erde ist. Wie sind wir dazu gelangt, das Zutrauen in die uns durch die Wahrnehmung vermittelte Meinung zu verlieren, und uns stattdessen zu einer anderen Meinung überzeugen zu lassen, die unserer Wahrnehmung, die wir doch immer noch haben, widerspricht? Die Antwort: „durch den Verstand", reicht offenbar nicht aus, denn mit dem Verstand können wir nur dann etwas anfangen, wenn durch ihn etwas erkannt wird, was wirklich ist. Tatsächlich sind wir nicht durch den Verstand sondern durch eine Argumentation überzeugt worden. Unser Verstand ist nur das vermögen, die zwingende Kraft einer Argumentation einzusehen. Die Argumentation aber bezieht ihre Kraft aus der Unwiderleglichkeit der in ihr verknüpften Aussagen. Diese Kraft muß sehr groß sein, wenn sie uns dazu bringen kann, etwas, was unsere Sinne wahrnehmen, für falsch zu erklären. Die Kraft der Argumentation ist das, was uns überzeugt, also, im aktiven Sinne des Wortes, die „Uberzeugung". Unsere Antwort auf die Überzeugung ist das Zutrauen (xiozts), das wir in die durch sie gewonnene Meinung setzcn. Weil dieses Zutrauen immer Überzeugung, und weil Uberzeugung immer Argumentation voraussetzt, können nur Menschen, aber nicht Tiere miotts haben. Das Eigentümliche an diesem 95 428a 22f. Ross hat diesen Satz mit Biehl getilgt. Es handelt sich aber u m eine Variante des Autors selbst (vgl. Theiler). Deshalb sind wir berechtigt, diesen Satz zur Interpretation heranzuzieherz.
Vertrauen liegt darin, daß wir ihm nicht ablesen können, ob die Meinung, in die wir Vertrauen setzen, wahr oder falsch ist. Die Erfahrung belehrt uns darüber, wie oft wir auf eine Meinung gebaut haben, die sich später als falsch erwies. Deswegen verknüpft Aristoteles die x i o n s nicht mit den Formen des Denkens und Erkennens, die yq und V O ~ S Zwar . dadurch definiert sind, daß sie wahr sind: Exto~fi sind auch diese beiden Formen der Erkenntnis notwendig immer mit dem Zutrauen verknüpft, das wir in ihre Wahrheit setzen. Aber das Zutrauen ist kein Kriterium für diese Wahrheit. Es kann sich auch täuschen; es gehört zur S6gcr. Aristoteles folgt hier genau der Abstufung der Erkenntnisvermögen, die Platon am Schluß des VJ. Buches des „Staates" im Liniengleichnis aufgestellt hat. Nachdem wir uns klargemacht haben, was das Wort x i o ~bedeutet, t~ zeigt sich erst die volle Schärfe der Paradoxie, die darin liegt, daß Aristoteles sagt, es gehöre auf jedem Weg und auf jede Weise zum Schwersten, über die Seele auch nur zu einer xio-cis zu gelangen. Zudem wird das Wort niozls noch durch das beigefügte Indefinitpronomen ttvd relativiert. Ti5 bedeutet in dieser Verwendung nicht, wie im Lexikon steht, jrgendeine"; es bedeutet vielmehr: „so etwas ähnliches wie. . .". Es gehört zum Schwersten, was es überhaupt gibt, über die Seele so etwas ähnliches wie eine Meinung zu gewinnen, in die man Zutrauen setzen kann. Man darf beim Studium dieses Werkes nie vergessen, wie problematisch dem Begründer der europäischen Wissenschaft die Wissenschaft erscheint, die er hier aufbaut, und von der wir doch gesehen haben, daß sie die Grundlage seiner ganzen Philosophie bildet. Wissen ist ein Vermögen der Seele. Wenn ungewiß bleibt, was das Wort „Seele" heißt, so bleibt auch ungewiß, was die Worte „Wissenu und „Wissenschaft" heißen. Diese Ungewißheit ist aber nicht ein Zeichen der Schwäche, sie ist im Gegenteil ein Zeichen der Stärke des aristotelischen Wissenschaftsbegriffs. Die Anforderungen, die hier an das Wissen gestellt werden, reichen so weit über die Anforderungen der Epigonen hinaus, daß selbst das, was die gesamte europäische Tradition für gewiß hielt, als problematisch erscheint. Die philosophische Entwicklung des Aristoteles hat ihn dazu geführt, in einem unerbittlichen Fortschritt die innere Problematik der Voraussetzungen, von denen er ausgegangen ist, und an denen er großenteils festhält, sichtbar zu machen und ihr nicht auszuweichen. Die beste Aristoteles-Kritik findet sich immer wieder in Aristoteles selbst. Wenn man ihm Schritt für Schritt zusieht, wie er
arbeitet, versteht man allmählich durch den Vollzug, was Extotfiyq eigentlich bedeutet: eine Problemforschung, die keine dogmatische Voraussetzung unangetastet läßt und durch die Kraft der Argumens etwa hervorbringt sondern erschüttert, sich aber tation x i o ~ t nicht dabei stets bewußt bleibt, daß das Aufbrechen der versteckten Problematik nur durch die fortgesetzt sich verschärfende Konsequenz des stets vorausgesetzten Wissenschaftsbegriffs ermöglicht wird. Das ist die i o ~ o ~ -i adie Erkundung im Umkreis von Seele, von der Aristoteles im ersten Satz gesprochen hat.
2. (Die Frage nach dem „Wesen" der Seele und nach der Form des Wissens über sie) Ich habe die Erklärung dieses Satzes vorausgestellt, weil der vorangehende Satz, in dem das Ziel der Untersuchung genauer bestimmt wird, dadurch erst in das rechte Licht rückt. Der Satz heißt: „Wir suchen danach, ins Auge zu fassen und zu erkennen ihre Natur zugleich und ihre o6oia, danach alles, was in ihrem Umkreis sich einstellt, wovon ein Teil der Seele eigentümliche Widerfahrnisse zu sein, ein anderer Teil aber durch ihre Vermittlung auch den Lebewesen als Ursprung zugrundezuliegen scheint. Dieser Satz formuliert, wie nach der Einführung auf den ersten Blick zu erkennen ist, in nahezu dogmatischer Form die aristotelische Grundposition: eine Erforschung der Region von Seele ist, wie hier statuiert wird, identisch mit einer Erkenntnis der o6oia der Seele und ihrer „wesentlichen Eigenschaften". Zuerst muß man erkennen, was Seele überhaupt ist. Man muß die essentia der Seele, also ihr Wesen bestimmen. Nur so gewinnt man eine Basis, die es erlaubt, alles, was mit der Seele zusammenhängt und ihr zukommen kann, zu untersuchen. Durch eine fast zweieinhalb Jahrtausende alte Tradition ist uns diese Denkweise so geläufig geworden, daß wir uns nichts Besonderes mehr dabei denken, wenn diese methodische Forderung aufgestellt wird. Damit Sie die Gewaltsamkeit und die Problematik eines solchen Vorgehens fiE C ) ~ ~ i ) ~ r jnoaai tyvWvat tvjv TE cpVotv a % l ~ f~j ~at9v i oUoiav, F%O' o o a ovpßißqne neei azi-cvjv. 6 v T& pFv 16ta xheq -crjs $vxqs E%YCIL b o x ~ l T& , 6E bt' i n ~ i v q vx a i ~ o i <wotg s ~E~CO(QXEL~. 402a 7-10. 96 ~ E ~ C L < ~ T O " E V
erkennen, gebe ich einige Beispiele. Stellen Sie sich vor, ein Historiker würde eine Geschichte des 19. Jahrhunderts mit den Worten beginnen: „Zuerst müssen wir das Wesen und die Substanz von Geschichte überhaupt erkennen, damit wir dann in einem nächsten Schritt die besonderen Zustände, die in ihr möglich sind, bestimmen und erkennen können, was durch ihre Vermittlung in bestimmten Geschichtsepochen möglich ist." Stellen Sie sich vor, ein Lehrbuch der Biologie begänne mit den Worten: „Zuerst müssen wir das Wesen der Natur überhaupt und der ihr eigentümlichen Prinzipien, dann das Wesen des Lebens definieren, um danach feststellen zu können, welche Eigenschaften dem Leben als solchem zukommen, und welche Eigenschaften die Lebewesen deshalb besitzen, weil sich in ihnen manifestiert, was Leben überhaupt und in allen Lebewesen ist." Um ein aktuelleres Beispiel zu bringen, verweise ich auf die Diskussion über die neu entstehende Wissenschaft der Friedensforschung. Hier hat man auch die aristotelische Auffassung vertreten, die Berechtigung und der Sinn von Friedensforschung könnten nur nachgewiesen werden, wenn man zunächst einmal definiert, was Frieden überhaupt und im allgemeinen ist. Ich habe in meinem Beitrag zu der von Wolfgang Huber und mir veröffentlichten Schrift „Was heißt Friedensforschung?" zu dieser Diskussion Stellung genommen 97. Wir haben im 20. Jahrhundert eine große geschichtliche Lektion über den Sinn, aber auch über die Ambivalenz dieses aristotelischen Ansatzes erhalten. Der große Aufschwung der neuzeitlichen Naturwissenschaft beginnt in dem Augenblick, wo Galilei und seine Zeitgenossen sich in einer Revolte gegen den Aristotelismus der Scholastik von dieser aristotelischen Forderung abkehren und nicht mehr von Definitionen des Wesens der Dinge sondern von Experimenten ausgehen, die über streng isolierte Aspekte von bestimmten NaturProzessen Auskunft geben. Das hat als ein Akt der Befreiung gewirkt. Es ist der Beginn der großen Emanzipationsbewegung des neuzeitlichen Denkens. Die staunenswerte Entwicklung der Naturwissenschaften hat uns darüber belehrt, welche Erkenntnismöglichkeiten sich eröffnen, wenn man bewußt darauf verzichtet, wissen zu wollen, was das, was hier untersucht wird, eigentlich ist. Aber im 20. Jahrhundert wird uns die Quittung präsentiert. Wcil wir auf97 StuttgartIMünchen: KlettIKösel, 1971; wieder abgedruckt in: Hier und Jetzt 11, 157ff.
gehört haben zu fragen, was Natur überhaupt und im Ganzen ist, zerstören wir dic Natur durch unser nicht mehr gebundenes Wissen, durch unsere ungezügelte Technologie. Wir verstehen nicht mehr die Einheit des Systems, innerhalb dessen wir uns befinden. Was ich eben „die Einheit des Systems" genannt habe: das ist die aristotelische o6oia. Wenn Aristoteles nach der ovoia von ~ ) I J X ( fragt, will er wissen, ob es so etwas wie ein „Systemc' gibt, in dem sich alle Lebewesen allein dadurch, daß sie Lebewesen sind, befinden; ob es spezifische Eigenschaften gibt, die diesem System als solchem eigentümlich sind und die deshalb in allen Lebewesen wiederkehren müssen; und wie sich die spezifischen Eigenarten der einzelnen Lebewesen aus diesem System ableiten lassen. E r will darüberhinaus wissen, was dieses System als solches konstituiert, was also der Ursprung dieses Systems ist, und wie wir verstehen sollen, daß innerhalb dieses Systems ein bestimintes Lebewesen, nämlich der Mensch, die Möglichkeit hat, dieses System in seiner Gesaintbeit zu erkennen und zu seinem Ursprung durchzudringen. Sic bemerken an dieser Erläuterung die magische Wirkung von Vokabeln. Hätte ich statt „System" „Substanza, statt „Leben" „SeeleL'gesagt, so wäre Ihnen die Frage nach einer universalen Substanz der Seele als absurd erschienen. Ich brauche nur die Vokabeln auszutauschen und für veraltete moderne Begriffe einzusetzen, so halten Sie das aristotelischevorgehen plötzlich für sinnvoll, ja vielleicht sogar für zwingcnd. OI3oia heißt weder „Substanz" noch „Systemd';das Wort bezeichnet vielmehr das, wodurch sowohl Substanzen wie Systeme erst möglich werden, namlich die „Seiendheit", also den Inbegriff der konstitutiven Merkmale von dem, was ist. Sollte es wahr sein, daß alles, was ist, nur innerhalb von Systemen möglich ist (eine Meinung, die dem Aristoteles sehr nahe kommt), dann wäre „Systemc' die angemessene Übersetzung von odoia. Das läßt sich nur entscheiden, wenn man angeben kann, was das Wort „System" eigentlich bedeuten soll, wenn man das „Wesen" von Systemen kennt, also ihre ouoia. Wenn man das Wesen von Systemen übcrhaupt nicht kennt, ist es schwierig, eine „System-Analyse" zu machen. Man weiß dann nicht, wclche Vorurteile sich in die System-Analyse nur deshalb eindrängen, weil man versäumt hat, die Implikationen des Begriffs „System" rechtzeitig aufzudecken, also die o4oia der Systeme zu bestimmen. Ich habe das etwas ausführlicher entwickelt, damit Ihnen die methodische Stringenz und die Aktualität des aristotelischen Forschungsprinzips deutlich werden.
Nachdem wir einen gewissen Begriff davon haben, wovon hier eigentlich die Rede ist, wird es uns leichter, den genauen Wortlaut dieses Satzes zu verstehen. ' E n ~ < q ~ o Z ) phE~ vOE(DQ~@UL nai yvOva~- „wir suchen danach, ins - wir suAuge zu fassen und zu erkennen". Das Wort Extt;q~oüp~v chen danach - erläutert den schon besprochenen Begriff der i o ~ o ~ i a - der Erkundung (138ff.). Aristoteles stellt in diesem Buch nicht eine Wissenschaft dar, die schon fertig vorliegt; er läßt uns vielmehr daran teilnehmen, wie man nach jenem Wissen, das eine solche Wissenschaft begründen könnte, sucht. Das gilt auch für die in der „Physik" und die in der „Metaphysik" gesammelten Abhandlungen. Sie stellen keine „Lehre" dar, sondern führen den Weg des Sucliens vor. und I;4~qpahaben schon bei Platon, vor allem in Die Worte
jene, die über die Seele reden und forschen, ausschließlich die menschliche Seele im Auge zu haben." 9s Wenn man nur die menschliche Seele im Auge hat, ist dadurch zugleich die Form des Wissens, durch das die Seele erkannt wird, vorgezeichnet. Das Wissen von der Seele nimmt dann die Form der Selbsterkenntnis an, und als die konstitutive Form der Selbsterkenntnis hat die neuzeitliche Philosophie die Reflexion ausgearbeitet. Dann wird Reflexion zur Grundform des Wissens überhaupt. Es gilt aber auch das Umgekehrte: wenn vorentschieden ist, daß das gesuchte Wissen, wie etwa in Kants Transzendentalphilosophie, die Grundfigur der Reflexion haben soll, so folgt daraus, daß der „Gegenstand" dieses als Selbsterkenntnis sich begreifenden Wissens nur die Seele, das „Bewußtsein" des Menschen selbst sein kann. Die Frage nach dem Wesen der Seele ist mit der Frage nach der Form des Wissens, das dieses Wesen erkennen soll, unlösbar verkoppelt. Aristoteles hat das erkannt und deshalb mit den Worten O E C O Q ~ ~ nai ~ U LyvGvat (402a 7) jene Formen des Wissens als Ziel der Untersuchung bezeichnet, die dann im 111. Buch des Werkes als die höchsten Möglichkeiten des Wesens der Seele behandelt werden. Damit bestätigt sich, daß er von Anfang an das 111. Buch, also die Lehre vom vo.U~,als Ziel der ganzen Untersuchung vor Augen hat.
3. (Die Frage nach rplioi~und oaoia von Seele überhaupt)
Aber bei Aristoteles hat das gesuchte Wissen nicht die Gestalt der oa~ wie Hicks zur Stelle richReflexion. Das Wort O ~ ( r ) ~ f j bezeichnet, tig anmerktg9,denAkt, etwas durch geistige Anschauung zu erfassen. Es wird von Aristoteles nicht nur für jene höchste Form der Anschauung verwendet, in der der reine v o ü ~ die reinen und einfachen Ursprünge dessen, was ist, vor Augen hat, sondern bezeichnet auch wie die synonymen Worte oxonrio0at und Fn~onoxeivjenes Zuschauen, mit dem der betrachtende Geist prüfend die einzelnen Schritte jeder Untersuchung begleitet. Die Aristoteles-Interpreten vGv yiv y & oi~ hkyov-cc~ xcli tq.coGvta
haben unter dem Eindruck der Kategorienlehre, der Lehre vom h6yos i r n o c p a v ~ ~ nund o ~ der Logik viel zu wenig beachtet, daß dieser ganze theoretische Zusammenhang nur die Strukturen aufweist, in denen das vom Wissen Erkannte, also das Gewußte der Wissenschaft, sich darstellt. Das Denken selbst, durch das wir zu solcher Erkenntnis gelangen, hat bei Aristoteles eine ganz andere Form: die Form des Suchens und des unbeirrbar prüfenden Betrachtens. OEWeeiv wird auch bei Aristoteles für das sinnliche Betrachten der Augen verwendet. Wenn er gerade dieses und verwandte Worte gebraucht, um sein Philosophieren selbst zu bezeichnen, so wird deutlich, daß er seine gesamte Philosophie, die empirische Forschung wie die Prinzipienforschung, Physik und Metaphysik wie Ethik und Politik, als einen Vollzug von intellektueller Anschauung betrachtet. Dadurch unterscheidet er sich vom neuzeitlichen Denken, das, mit Ausnahme von Schelling, unter der Vorherrschaft einer falschen Auffassung von Wesen und Funktion der Logik, die Handlungen des Denkens selbst als logische Funktionen, also als Handlungen des Begreifen~,als diskursives Denken, versteht. In dieser fundamentalen Differenz das Wesen des Denkens selbst zu verstehen, liegt auch ein unüberbrückbarer Unterschied zwischen Hegel und Aristoteles, der, wie zu zeigen wäre, als ein innerer Bruch in Hegels Philosophie sich spiegelt und sich nicht auflösen läßt. Das aristotelische Verfahren, sich beim Denken selbst zuzuschauen, ist, wie sich im 111. Buch herausstellt, eine Tätigkeit des vo13~.Der vo.U~, nicht die G ~ h v o ~ist a, bei Aristoteles das Vermögen der Philosophie, und zwar, wie schon gesagt, in allen ihren Teilen. Dadurch unterscheidet sich das aristotelische Philosophieren von der Reflexion der neuzeitlichen Philosophie, denn Reflexion ist das Sich-selbst-Begreifen des Begriffs. Allerdings wird man, von Aristoteles herkommend, die Frage stellen müssen, ob nicht auch das Verfahren der Reflexion, wie es etwa von Kant in großem Stile durchgeführt wird, das geistige Anschauen, von dem Aristoteles spricht, voraussetzt - schließlich ist ja auch bei Kant die Form, in der die Gedanken dem Bewußtsein gegeben sind, die Zeit als Form der inneren Anschauung. Aber wir gehen dieser Frage hier nicht nach. Für jeden Menschen, der sich nicht selbst durch irgendwelche Philosophen verwirren läßt, hat es auch heute noch eine unmittelbare Evidenz, daß wir beim Denken uns selbst zuschauen können, und daß von der Unbeirrbarkeit dieses prüfenden Zuschauens abhängt, ob 178
bei unserem Denken etwas herauskommt oder nicht. Das Ziel, das wir dabei erreichen wollen, ist jene Verfassung der Seele, in der uns nach langer Mühe der Sachverhalt klar vor Augen steht, wie er wirklich ist. Das ist der Punkt, wo man dann sagen kann: y~yvLO(~~tr) - ich erkenne. Wir haben damit zugleich das Verhältnis der beiden Worte bestimmt: O ~ o ~ f l obezeichnet ai das Zuschauen, das jeden Schritt der Untersuchung begleitet; yvhvcrt bezeichnet das zu erreichende Ziel. Beachtet werden muß, daß Aristoteles nicht die Präsens- sondern die Aorist-Formen verwendet. Präsens und Aorist sind im Griechischen nicht Tempora sondern Aktionsarten - sie verhalten sich, < EvE~ye~u. Die aristotelisch gesprochen, zueinander wie O ~ U E ( . Lund beiden Aorist-Formen bezeichnen also den wirklichen Vollzug des Betrachtens und des Erkennens. Sie bezeichnen Theorie und Erkenntnis nicht im Hinblick auf die Resultate, die man in einem Buch aifschreiben kann, sondern als Zustände der Seele. Das wird im 11. und 111. Buch von Aristoteles genau erörtert. Auch hier ist, wie bei O L Svom , Wissen geredet wird, zugleich von der dem Wort E ~ ~ ~ wenn Seele die Rede. Wenn Aristoteles sagt: „Wir machen uns auf die Suche mit dem Ziel, zu betrachten und zu erkennen ihren Wuchs und ihre Wesenheit", so kommt die Seele zweimal vor. Wir werden später sehen, daß dies theoretisch von großer Bedeutung ist. Was die Erkundung im Umkreis von der Seele zu erkennen sucht, wird durch zwei Begriffe bezeichnet: -cfp TE cpljo~vaC-cij<xai tfiv o 4 ~ L m @Gois . bedeutet an dieser Stelle nicht, wie zwei Zeilen vorher, die bewegte Natur im Ganzen. Das Wort hat eine spezielle Bedeutung, die Aristoteles (Met. V. 4, 1014 b 35ff.) erläutert. Das V. Buch der „Metaphysik" ist ein Lexikon der aristotelischen Grundbegriffe; in dreißig Kapiteln wird die Bedeutung von dreißig Begriffen ausführlich erörtert; das vierte Kapitel handelt von der cpljolc. Dort sagt Aristoteles, in einer Bedeutung heiße rpljo~~: fi t h v q l j o ~ t ov~wvodoia - „die Seiendheit dessen, was von Natur ist". Bei dem, was von Natur ist oder entsteht, sagen wir, obwohl das, woraus es von Natur entsteht oder ist, schon vorhanden ist, noch nicht, es habe seine rpGo~s,bevor es seine Form und seine Gestalt erlangt hat. < I , l j o ~ ~ ist also das, was aus diesen beiden besteht, zum Beispiel die Tiere und LS also die Verbindung von Erster Materie und Form ihre Teile. „ @ I ' J ~ist und Wesen. Dies aber ist das Ziel des Werdens" - c p 6 o ~13'~i j T M Q ~ T ~ uhq . . . xai T?I E%OS xai .$I odoicr . T O I ~ T O6' Eozi TO T E ~ O ST ~ ~EVFGELIIS S (1015 a 7-11). Zusammenfassend sagt dann Aristoteles, cp6oi~sei fi
odoia 4 T ~ ExOv~ov Y Ol~xWvnivfio~wgCv afi~otg a 6 t h - ,,rpljot~ist die Seiendheit [die Seinsverfassurig] dessen, was den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat, sofern es es selbst ist". Die Materie wird rpdotg genannt, weil sie diese cpljot~in sich aufnimmt (1015 a 13fF.). Wir lernen daraus für unseren Zusammenhang Folgendes: - Der Begriff cpdoiq greift unmittelbar zurück auf den vorausgehenden Satz, wo es hieß, Seele sei der Ursprung der Lebewesen. Seele ist nämlich deshalb Ursprung der Lebewesen, weil sie den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat. Was aber den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat, das heißt nach Met. V, 4, 1015a 14f.: rpljo~g.IIJuxfi ist also in einem eminenten Sinne cpdots. Die Lebewesen sind nur deshalb r p l j o ~6vta ~ - von Natur Seiendes -, weil sie eine Seele haben, die Ursprung von Bewegung ist. In diesem Sinne kann man sagen, ipuxfi sei die rpiioic der rpljot~,denn ~ umfaßt, was sich bewegt, die Seele wenn der Begriff r p l j o ~alles aber Ursprung der Bewegung ist, so ist die Seele die Bedingung der Möglichkeit von cpljotg. Deswegen hat Aristoteles im Satz vorher gesagt, am meisten trage die Erkenntnis der Seele zur Erkenntnis von cpljots bei. - Die fihq - die Materie -ist für sich allein genommen nicht c p i i a ~ ~ . Sie ist rpljo~gnur insofern, als sie die eben definierte rpljo~g- das Vermögen, sich selbst zu bewegen - in sich aufnimmt. Aristoteles spielt damit auf die Lehre von der Materie an, die Platon im „Timaios" entwickelt hat. Umgekehrt gibt es aber aus dem gleichen Grund ohne Materie keine cpdotg; denn ohne das Medium der Bewegung ist keine Bewegung. Wir wcrden bei der Betrachtung des 11. Buches sehen, daß Aristoteles die Seele als Entelechie des Leibes definiert. Das wird durch den hier eingeführten Begriff der c p l j a ~vorbereitet. Der Begriff der rpljotg hat also im Sinn, schon im Ansatz jede Möglichkeit eines Dualismus von Leib und Seele auszuschließen. - Auch die Verbindung mit dem Begriff odoia wird durch die Stelle aus der „Metaphysik" verständlich. Die odoia ist die Form, das ~Z6og.Sie ist aber diese Form nicht isoliert sondern als -c&hogdes i a . Aristoteles Entstehens, mit anderen Worten: als E v ~ ~ h E x ~Wenn 1015a 14f. sagt: rpljot~sei im eigentlichen Sinn „die odoia dessen, was den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat, sofern es es selbst ist", so bezeichnet er in dem Zusatz die odoia als das Ziel der Bewegung.
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Das alles ist so klar formuliert und hat eine so durchsichtige Struktur, daß man versucht ist, es viel zu selbstverständlich zu finden. Das von Aristoteles hier bezeichnete Ziel der Untersuchung erscheint aber als ungeheuer problematisch, wenn man sich klarmacht, daß Aristoteles ja hier nicht von der cpljoig und oVoicx eines bestimmten Lebewesens, einer Pflanze, eines Tiers oder eines Menschen, sondern von der Seele überhaupt spricht. Seele überhaupt ist nicht in eine bestimmte Materie gebunden, die von ihr organisiert und bewegt wird. Seele überhaupt scheint eine Abstraktion zu sein, eine Iclassifizierung, ein bloßer Allgemeinbegriff. Aber ein bloßer Allgemeinbegriff hat weder cpdai~noch ovoia. Ist nicht der Singular im Titel ,,HE@ quxijg'' eine bloße Fiktion? Wir werden die Tragweite dieser Frage im Fortschritt der Untersuchung immer deutlicher erkennen. Vielleicht verstehen Sie aber, nachdem diese Frage gestellt ist, besser, weshalb ich versuchsweise und zur Erläuterung den Begriff ocoia, der die Konstitution des Seins von Seele bezeichnet, durch das Wort „System" ersetzt habe. Versteht man unter Seele das bewegende und organisierende Prinzip einer bestimmten Klasse von Systemen, nämlich der Lebewesen, so läßt sich ein Sinn damit verbinden, daß man allgemein nach der Struktur (ESOOS)dieser Art von Systemen und nach ihrer rpljo~g,also nach der Weise fragt, wie sie sich in der Materie darstellen. Das soll Sie nicht dazu verführen, sich einzuprägen, o6oLa heiße „System"; es soll Ihnen nur die Richtung der aristotelischen Fragestellung illustriereii: die ouoia der Seele ist der Inbegriff der Momente, durch die sich ein Lebewesen als Lebewesen konstituiert. Der Begriff „cpljot~"wird hinzugesetzt, weil jedes beseelte Lebewesen sich bewegt, und Bewegung nur in der Materie möglich ist. Das hat Aristoteles im Auge, wenn er die cpdoig und odoia von Seele überhaupt zu erkennen sucht.
4. (Was konstituiert die Region einer Wissenschaft?) Nachdem wir eine gewisse Vorstellung davon gewonnen haben, wie das Ziel der gesamten Untersuchung aussieht, sind wir darauf vorbereitet, den ganzen Satz im Zusammenl-iang zu betrachten. Der Satz gibt den Aufriß der Wisscnschaft, die Aristoteles in diesem Werk aufbauen will - gesetzt, es wäre uberhaupt möglich, die Resultate der „Erkundung iin Umkreis von Seele" nach jenen Regeln darzustellen,
die eine Wissenschaft nach der aristotelischen Wissenschaftstheorie verfolgen mu13. Wir haben schon gesehen, daß der nächste Satz eben diese Annahme in Frage stellt. Der Satz hat also einen l-iypothetischen Charakter. Trotzdem hat Aristoteles sich dafür entschieden, seine Erkundung so durchzuführen, als ob am Ende eine Wissenschaft von der Seele herauskominen könnte. Wir müssen uns also klarmachen, wie diese Wissenschaft aussehen würde. Dazu ist es erforderlich. daß wir ein Stück jener aristotelischen Elementarlehre nachholen, die man, wie sich Schritt für Schritt immer deutlicher zeigt, zum Verständnis des Aristoteles braucht. Sie finden die wichtigsten Belegstellen für diese Elementarlehre im Kommentar von Hicks. Ich fasse das Unentbehrliche in vereinfachter Form zusammen, ohne die Stellen, auf die ich mich dabei stütze, im Einzeliien zu besprechen und zu diskutieren. Wie kommt eine Wissenschaft zustande? Der erste Schritt zur Begründung einer Wissenschaft besteht darin, daß die Region, von der wir etwas wissen wollen, klar umschrieben und ausgegrenzt wird. . wörtDer griechische Begriff für eine solche Region heißt y t v o ~Die liche ~bersetzungvon yivog heißt Gattung. Und „Gattungu bezeichnet in der Logik die allgemeinsten Oberbegriffe. Deswegen wird man leicht dazu verführt zu meinen, die Umschreibung der Region, die eine Wissenschaft untersuchen soll, wäre ein abstrakter Akt der Klassifikation, der mit dem wirklichen Verfahren einer wissenschaftlichen Untersuchung, ob sie nun induktiv oder deduktiv vorgeht, nur wenig zu tun hat. Aber schon das eine Beispiel, das Aristoteles anführt, zeigt, daß er etwas ganz anderes im Blick hat. E r nennt nämlich als Beispiel für die Begründung einer Wissenschaft die Ausgrenzung der Region von Medizin und Gymnastik. Die Frage, welche Gegenstandsbereiche in die Region der Medizin gehören, ist in der griechischen Medizin ausführlich erörtert worden. Im Gegensatz zu der heute immer noch herrschenden Auffassung sind die Griechen zum Ergebnis gelangt, die Lehre von der Behandlung der Krankheiten sei nur die eine Hälfte der Medizin. Ebenso wichtig und ihr vorgeordnet sei die andere Hälfte, nämlich die Lehre von der Erhaltung der Gesundheit. Auf diesen Teil der Mcdizin bezieht sich das heute in seiner griechischen Bedeutung nicht mehr verstandene Wort „Gymnastikc'. Die Lehre von der Gesundheit wurde bei den Griechen als Lehre von der richtigen Lebensführung aufgebaut. Der griechische Name dafür heißt Giat~a- daraus ist in der modernen
Medizin die Diät geworden. Es ist evident, daß die gesamte Medizin anders aussieht, wenn Theorie und Praxis der Behandlung von Krankheiten eine ausgebaute Theorie und Praxis der richtigen Lebensführung voraussetzt. Von der Umschreibung der Region der Wissenschaft hängt der gesamte innere Aufbau der Wissenschaft ab. Nun hat aber die griechische Medizin, wie wir besondcrs deutlich bei Platon sehen, diese beiden Teile der medizinischen Wissenschaft nicht als bloß somatische Disziplinen verstanden. Somatische Prozesse sind Bewegungsabläufe, und alle somatischen Bewegungsabläufe sind mit psychischen Bewegungsabläufen verbunden -ja sie werden sogar durch psychische Bewegungsabläufe verursacht. Also muß die Medizin die Theorie der psychischen Bewegungsabläufe mit umfassen. Sie wissen, wie aktuell die Frage ist, ob Medizin die gesamte psychophysische Konstitution des Menschen umfassen oder, als rein „naturwissenscliaftliche" Disziplin, sich auf die soinatischen Prozesse beschränken soll. Auch hier hängt von der Abgrenzung der Region die gesamte Struktur der Wissenschaft ab. Darüber hinaus haben die Griechen aber systematisch durchdacht, daß der menschliche Organismus ein offenes System innerhalb der Natur ist, und daß die Gesundheit von seinem Wechselverhältnis mit der umgebenden Natur abhängig ist. Die Okologie des Menschen war für die Griechen ein konstitutiver Teil der Medizin. Schließlich finden sich -wieder vor allem bei Platon - sehr weit durchgeführte Ansätze für eine Theorie des Wechselverhältnisses von Gesundheit und sozialen Verhältnissen. Man nennt diesen schändlich vernachlässigten Zweig der Lehre von der menschlichen Gesundheit heute „Sozialmedizin". Bei Platoil ist die Sozialmedizin ein konstitutivcs Element der politischen Theorie. Sie sehen aus diesen Andeutungen, wie viel davon abhängt, und wieviel dadurch entschieden wird, wie die Region umschrieben wird, durch deren Festlegung eine Wissenschaft sich konstituiert. Sie sehen nun auch, wie irreführend es ist, yEvo2 als „Gattung" zu übersetzen und mit dem Namen „Gattung" alle jene Mißverständnisse zu verbinden, die sich in den Verfallszeiten des logischen Denkens an diesen viel miflbrauchten Begriff geknüpft haben. Daß es eine solche Region überhaupt gibt, setzt die Wissenschaft voraus. Die Botanik setzt voraus, daß es Pflanzen gibt, die Zoologie, daß es Tiere gibt. Was ist es, was da vorausgesetzt wird? In der Mediziii wird vorausgesetzt die Möglichkeit der Gesundheit der psycho-
physischen Konstitution des Menschen. In der Botanik wird vorausgesetzt, daß es Pflanzen gibt, also das „Wesenu der Pflanzen, in der Zoologie das „Wesen" der Tiere. In der Astronomie wird die Region, in der sich die Sterne bewegen, der „Himmelt' genannt; deswegen olr~avoü".Was heißt das astronomische Werk des Aristoteles der Himmel und die Gestirne, was Pflanzen, Tiere oder die Gesundheit sind, muß man irgendwie schon wissen, wenn man auf den Gedanken kommen soll, eine Wissenschaft zu entwickeln, die diese Regionen näher untersucht. Das, was hier vorgegeben und vorausgesetzt wird, nennt Aristoteles ~6 Ti E ~ T L V- das, was es ist. Die Antwort auf die Frage Ti Eonv - was ist es? - ist der hoyos zfls o 6 o i a ~- die Definition, die die o6oiu umgrenzt. Sie sehen nun, wie absurd die Mißverständnisse sind, die sich ergeben müssen, wenn man o6oia durch den Begriff „Substanz" übersetzt, und in den Begriff „Substanz" alles das hineinträgt, was die neuzeitliche Philosophie mit diesem Begriff verbunden hat. Substanz ist die Region einer Wissenschaft. Zwar ist durch den Begriff „Region" längst nicht erschöpft, was wir uns dabei denken mögen, wenn wir sagen, daß es den Himmel und die Sterne, die Tiere, die Pflanzen oder die Gesundheit „gibtL'.Deswegen können die Begriffe olroia und yEvo~nicht miteinander gleichgesetzt werden. Aber zu olroiu gehört immer und wesentlich, daß Alles, was ist, sich in einer Region befindet. Deshalb ist „Regionalität" ein konstitutives Merkmal der o6oia. Ich habe den Begriff „Regionc' gewählt, weil der Begriff „Bereichc' zu unbestimmt ist und falsche Assoziationen enthält, und weil der Begriff „GegenstandsbereichC'die moderne Vorstellung hineinträgt, alles, was ist, müsse als „Gegenstand", also als Objekt aufgefaßt werden. Diese Meinung ruht auf ganz und gar ungriechischen Voraussetzungen. Der Begriff „Regionc'darf nicht räumlich verstanden werden; aber es ist auch kein Zufall, daß das menschliche Denken, bei den Griechen wie bei uns, immer genötigt ist, räumliche Vorstellungen zu Hilfe zu nehmen, wenn es sich Nicht-Räumliches klarmachen will. Die menschliche Anschauung ist nämlich räumlich. Warum das so ist, braucht hier nicht erörtert zu werden. Ein weiteres Beispiel für die Region einer Wissenschaft ist die Physik. Das Wissen des Physikers umfaßt alles, was den Ursprung der Bewegung und der Ruhe in sich selbst hat. Auch dies ist eine aus der Gesamtheit dessen, was ist, ausgegrenzte Region. Von ihr unterschieden ist zum Beispiel die Region der Mathematik, die es mit sol-
chem zu tun hat, was nicht bewegt ist und deshalb auch in sich selbst keinen Ursprung der Bewegung haben kann. Am Beispiel der Physik können wir uns nun einige weitere Sachverhalte deutlich machen, die Aristoteles bei unserem Satz vor Augen hat. Man kann die Eigenschaften untersuchen, die allem, was überhaupt bewegt ist, zukommen. Alles, was bewegt ist, hat Materie. Alles, was bewegt ist, bewegt sich in der Zeit und befindet sich an einem Ort. Für alles, was bewegt ist, gelten die Gesctze oder, weniger modern und aristotelischer gesagt: die Strukturen, die Aristoteles in seiner allgemeinen Lehre von der Bewegung darstellt. Hat man erkannt, was diese Region überhaupt und im Ganzen genommen konstituiert, so weiß man, daß man diese konstitutiven Merkmale der gesamten Region in jedem einzelnen Phänomen wiederfinden wird, das in diese Region hineingehört. Wenn man die Prinzipien jeglicher Bewegung kennt, so weiß man schon sehr viel über das einzelne Bewegte, also etwa über die Tiere oder die Pflanzen. Wcnn der Botaniker seine Region, nämlich die Region der Pflanzen, ausgrenzt, weiß er, daß die allgemeine Bewegungslehre von ihm nicht nur vorausgesetzt, sondern notwendig vorausgesetzt werden kann. Wenn eine allgemeine Anthropologie die Merkmale festzustellen vermag, die dem Menschen allein dadurch, daß er Mensch ist, zukommen, so sind sämtlichen Wissenschaften vom Menschen die Erkenntnisse der Anthropologie als notwendige, primäre, konstitutive und unaufhebbare Voraussetzungen vorgegeben: „Mensch" ist die o.iioia, auf die sich die Anthropologie als Wissenschaft, wie ihr Name sagt, bezieht. Auch hier führt der Begriff „Substanz" in die Irre. Gemeint ist wiederum eine „Region", in die alle Lebewesen gehören, deren spezifische Merkmale durch jene Seinsverfassung konstituiert werden, nach der wir Lebewesen als Menschen identifizieren. Das Wort „Seinsverfassung" steht dem griechischen Wort oaoia sehr nahe, denn die Seiendheit ist, wie wir gesehen haben, der Inbegriff jener Merkmale, durch die sich ein Seiendes als das, was es ist, konstituiert. Wollen wir angeben, auf welche Region die Wissenschaft der Anthropologie sich bezieht, so müssen wir diese Region so bezeichnen, daß wir von jedem möglichen Lebewesen sagen können, ob es in diese Region hineingehört oder nicht. Jede mögliche Art von Menschen muß einbezogen, alle anderen Lebewesen müssen ausgeschlossen werden. Auch diese Grenzziehung ist keineswegs selbstverständlich. Viele Völkerschaften, wie etwa die Zulus, geben ihrem eigenenvolk einen Namen, der
„MenschL'bedeutet; alle anderenVölker sind nicht „Menschenc'.Bei den Griechen spielt die Unterscheidung zwischen Hellenen und Barbaren eine Rolle. Die Hellenen hatten dank ihrer Kultur und ihrer politischen Verfassung ein höheres Maß an Freiheit als die übrigen Völker, und die Freiheit galt als ein Kriterium der Menschlichkeit des Menschen. Aus der Ubertragung dieser griechischen Gedanken in die römische Welt ist im Scipionen-Kreis der Begriff „humanitas" entstanden. „Humanitas" und „Humanismus" sind europäische Kulturbegriffe, in denen sich der Anspruch ausdrückt, die Träger dieser Kultur seien in einem höheren Grade „Mensch". Es ist deshalb durchaus nicht selbstverständlich, daß das griechische Denken eine Anthropologie entwickelt hat, die den Menschen ohne Unterschied der Nation, der Rasse oder der Kultur, rein als Mensch, zu erkennen versucht. Das leistet die Ausgrenzung der Region, durch die sich die Wissenschaft vom Menschen konstituiert loO.
111. (Rückblick) 1. (Seele: Signum der Gottebenbildlichkeit) Die Vorlesung dieses Semesters ist der zweite Teil einer im vergangenen Wintersemester begonnenen Arbeit. Warum ist es gerechtfertigt, so viel Zeit und Mühe auf eine Schrift zu wenden, die vor etwa zweitausenddreihundert Jahren verfaßt worden ist, und die deshalb heute - das ist die herrschende Meinung - nur noch historisches Interesse haben kann? Ein großer Teil der Arbeit des letzten Semesters galt dem Versuch, auf diese falsch gestellte, aber den heutigen Vorurteilen entsprechende Meinung eine klare und fundierte Antwort zu geben. Wenn wir die Überschrift lesen „Uber die Seele", bilden wir uns ein zu wissen, wovon in diesem Buch die Rede ist. Hat nicht jeder von uns eine Seele? Ist Psychologie nicht heute große Mode? Ist nicht Io0 An dieser Stelle bricht die Interpretation der ersten Sätze des I. Buches ab. Sie wird im folgenden Scmcster nicht wieder aufgegriffen, wäre aber, wie GP (190) sagt, weitergeführt worden, wenn sich die Zeit für eine Überarbeitung des Textes gefunden hätte.
schon jedem Tertianer bekannt, was „Seeleu heißt, und mit welchen Problemen eine Wissenschaft von der Seele sich zu befassen hat? Das Erste, was man aus Aristoteles gewinnen kann, ist die ebenso klare wie unbequeme Erkenntnis, daß die Bedeutung des Wortes „Seele" uns unbekannt ist. Aristoteles zeigt, daß die Beantwortung der Frage „Was ist die Seele?" zu den schwierigsten Aufgaben gehört, die das menschliche Denken sich zu stellen vermag; denn auch das Denken selbst ist ein psychologischerVorgang. Im Denken manifestiert sich „Seele6'.Wir setzen, was wir auch immer denken mögen, irgendein Verständnis von Seele schon voraus. Und unsere Vormeinungen oder Vorurteile über das Wesen der Seele haben nicht nur auf die Formen, in denen wir denken, sondern auch auf den Inhalt dessen, was wir zu denken vermögen, einen schwer abzuschätzenden Einfluß. Das europäische Denken unterscheidet sich vom Denken der anderen Hochkulturen dadurch, daß hier ein ganz bestimmter Begriff von Seele durch die Philosophie von Platon und von Aristoteles im vierten Jahrhundert V. Chr. zur Herrschaft gelangt ist und seither die europäische Kultur beherrscht. Dieser Begriff der Seele hat in Europa die Ausbildung einer Form von Wissenschaft möglich gemacht, die heute die ganze Welt beherrscht, und die unser Schicksal geworden ist. Die Frage nach dem Wesen der Seele - genauer gesagt: die Frage nach dem durch Aristoteles geprägten Begriff von Seele - zielt auf die innersten und letzten Voraussetzungen dessen, was wir „Wissenschaft" nennen. Aber der Wirkungskreis der platonisch-aristotelischen Lehre von der Seele beschränkt sich nicht auf das Feld der Wissenschaft. Der Begriff „Seele" bezeichnet jenen Innenraum, in den hinein sich der christliche Glaube schon in der alten Kirche, vor allem aber seit Augustin, entfaltet hat. Weil die griechische Philosophie in ihrer Lehre von der Seele diesen Innenraum aufschloß, haben die Kirchenväter das Evangelium in die Sprache der griechischen Philosophie übersetzt; sie haben ihr die Begriffe entnommen, in denen die frühe Christenheit die Erfahrung auszusprechen versuchte, die ihr durch das Evangelium zuteil geworden war. So hat die griechische Philosophie die Dimensionen des Raumes vorgezeichnet, in dem sich dann cl-iristlicherGlaube als Theologie artikuliert hat. Nicht nur das Wissen auch der Glaube gewinnt in Europa dadurch seine spezifische Gestalt, daß die philosophische Lehre von der Seele die Ausmessungen des Bezirkes vorgezeichnet hat, innerhalb dessen der europäische Mensch sich selbst versteht.
Deshalb sind die drei Bücher des Aristoteles „Über die Seele" ein Werk, das wir verstanden haben müssen, wenn wir im 20. Jahrhundert uns darüber Rechenschaft ablegen wollen, wie unsere eigene Stellung in der Weltgesellschaft zu bestimmen ist. Die Vorlesung des Wintersemesters hat ergeben: „Seele" ist ein Begriff der Metaphysik. Natürlich kennen auch die anderen Hochkulturen und kennen auch die außerchristlichen Religionen eine Fülle von Erfahrungen und Phanomenen, die in Europa als Erfahrungen und Phänomene der Seele gedeutet worden sind. Aber diese Phänomene werden anders erfahren und anders ausgelegt. Sie tauchen in ganz anderen, uns schwer zugänglichen Zusammenhängen auf, und die Tendenz der heutigen Religionswissenschaft, sie insgesamt als psychische Phänomene zu erklären, setzt die europäische Metaphysik und deren Krise im 19. Jahrhundert bereits voraus. Außerhalb des Wirkungsbereiches der Philosophie von Platon und von Aristoteles, außerhalb der Jurisdiktion der europäischen Metaphysik, ist der uns so geläufige Begriff der Seele unverständlich. Erst recht ist unverständlich, warum das Wort „Seele" oder seine modernen Derivate die Worte „Vernunft", „Verstand", „Gefühl", „Affektu, „Bewußtsein", aber auch „das Unbewußte" - eine so zentrale Stellung einnehmen, daß sie sich aufdrängen, gleichgültig, wovon wir reden. Das Wissen, der Glaube, die Erfahrung, das Verhalten, die Hoffnung, die Furcht, die Triebe, ja sogar das Leben: dies alles wird in Europa als eine Vielfalt von seelischen Prozessen beschrieben. Die gesamte Ethik ist in der christlichen Ära als eine Lehre von der Verfassung der Seele, von den Versuchungen der Seele, von der Freiheit oder Unfreiheit der Seele ausgebildet worden. Das ist nicht selbstverständlich; es ist vielleicht sogar falsch. Der Satz: „Seele ist ein Begriff der Metaphysik" bedeutet, daß dieser Vorrang der Seele sich aus der empirischen Beobachtung der Gattung Mensch, wie sie sich neben anderen Lebewesen auf diesem Planeten vorfindet, nicht ableiten läßt. Der Vorrang der Seele ist vielmehr darin begründet, daß Aristoteles, in Anknüpfung an Xenophanes, Parmenides und Anaxagoras, aber im Widerspruch zu Platon, das Wesen Gottes als vocc, als „Geist", das heißt als die höchste Form der Verwirklichung dessen, was Seele sein kann, zu begreifen versuchte. Die philosophische Lehre, Gott sei reiner ~ 0 6 5hat , sich in ausdrücklichem Widerspruch gegen die anthropomorphen Göttergestalten des griechischen Mythos ausgebildet. Hier sollen nicht die Götter anthropomorph, hier
soll der Mensch theomorph begriffen werden. Sofern der Mensch Seele hat, ist er Ebenbild Gottes. Ziel seines Daseins ist die Upoiootg H E @ XCILOL LO 6uva~Ov- „die Angleichung an Gott nach dem Maß des Möglichen" (Theait. 176B). Der Begriff „Angleichung an Gott" tritt bei Platon nicht an beliebiger Stelle auf. Er ist eine paraphrasierende Auslegung des platonischen Begriffs der cpthooocpia. Philosophie ist nach Platon und Aristoteles ein Weg des Denkens, der zur Angleichung an Gott führt. Das ist nur möglich, weil sowohl Gott wie das Subjekt des Denkens Seele ist. Der Name „Metaphysik" bezeichnet die Gestalt des Denkens, die alles, was gedacht und erkannt werden kann, von der Seele her begreift und auf Gott, der reiner Geist, also Seele ist, bezieht. Unter dem Einfluß dieser philosophischen Lehre hat die gesamte europäische Kultur das Dasein des Menschen daraufhin ausgelegt, daß er, in seinem inneren Wesen erfaRt, Seele und damit auf Gott bezogen ist. Das ist, wie gesagt, etwas anderes als eine absonderliche Lehre, die einer längst versunkenen Vergangenheit angehört und nur noch historisches Interesse hat; es ist eine noch heute mächtige - man ist versucht zu sagen: übermächtige - geschichtliche und eben deshalb gegenwärtige Potenz. Um dies zu demonstrieren, habe ich in der Vorlesung des Wintersemesters einen Vergleich von Aristoteles mit Hegels Philosophie des absoluten Geistes durchgeführt, der zeigen sollte, daß der Entwurf von Hegels Philosophie in allen seinen wesentlichen Positionen auf aristotelischen Prämissen beruht. Eine Prüfung der Philosophie des 20. Jahrhunderts würde zu dem gleichen Ergebnis führen -ich nenne nur zwei scheinbar so gegensätzliche Positionen, wie die „Phänomenologie" von Edmund Husserl und die „Negative Dialektik" von Theodor W. Adorno: beide sind von einem Verständnis der Subjektivität bestimmt, das in der griechischen Lehre von der Seele seine Wurzeln hat.
2. (Die Lehre von der Seele innerhalb des Entwurfes der aristotelischen Philosophie) Diese einleitenden Bemerkungen sollten eine erste Ahnung davon geben, wovon Aristoteles in den drei Büchern „Über die Seele" redet. Ich habe die ersten zwei Drittel des Wintersemesters darauf verwendet zu zeigen, daß die Metaphysik des Aristoteles die Grund-
legung für die gesamte europäische Metaphysik enthält. Ich bin dabei ausgegangen von einer Stelle aus S 378 von Hegels „Enzyclopädie", die icli hier wiederholen möchte: „Die Bücher des Aristoteles über die Seele mit seinen Abhandlungen über besondere Seiten und Zustände derselben sind . . . noch immer das vorzüglichste oder einzige Werk von spekulativem Interesse über diesen Gegenstand. Der wesentliche Zweck einer Philosophie des Geistes kann nur der sein, den Begriff in die Erkenntnis des Geistes wieder einzuführen, damit auch den Sinn jener Aristotelischen Bücher wieder aufzuschließen." (10,10; 10,11) Im letzten Drittel des Semesters habe ich versucht, durch eine intensive Interpretation der ersten Sätze des I. Buches zugleich in das Studium dieses Werkes einzuführen und eine Art von Elementarlehre der aristotelischen Philosophie zu entwickeln. Ich hatte eigentlich vor, diesen zweiten Teil der Vorlesung, den ich nicht zum Abschluß bringen konnte, schriftlich auszuarbeiten und Ihnen vervielfältigt zur Verfügung zu stellen. Diesen Plan konnte ich wegen anderer Verpflichtungen nicht durchführen. Es hat aber auch seine Vorteile, daß ich durch äußere Umstände gezwungen bin, in diesem Semester neu einzusetzen. Denn ich kann nun die Vorlesung so aufbauen, daß sie auch für Hörer verständlich und sinnvoll ist, die an der Wintervorlesung nicht teilgenommen haben. Ich beschränke mich also darauf, zu Beginn einige Resultate festzustellen, die wir im vorigen Semester erarbeitet haben und die ich nun voraussetzen werde. Die ersten Sätze des Buches bestimmen die Stellung der Lehre von der Seele innerhalb des aristotelischen Entwurfes der Philosophie. Es würde zu weit führen, das hier im Einzelnen zu rekapitulieren. Icli gebe hier nun die Übersetzung dieser Sätze und hebe das Wichtigste hervor: „Wenn wir von der Grundannahme ausgehen, das Wissen gehöre zu dem, was schön und ehrwürdig ist, das Eine [Wissen] aber in höherem Grade als das Andere, sei es im Hinblick auf seine Genauigkeit, sei es, weil es auf Besseres und Staunenswürdigeres gerichtet ist, dann müssen wir wohl aus diesen beiden Gründen die Erforschung über die Seele füglich unter das Erste stellen. Ihre Erkenntnis scheint nämlich sowohl im Hinblick auf die Wahrheit insgesamt wie vor allem im Hinblick auf die Natur Großes beizutragen; sie ist nämlich in einer noch näher zu bestimmenden Bedeutung der Ursprung der Lebewesen." (402 a 1-7) Über die Stellung der Lehre von der Seele im gesamten Zusammenhang der aristotelischen Philo190
sophie ergibt sich, wie die Interpretation gezeigt hat, aus diescn Sätzen Folgendes: Die Erkenntnis der Seele trägt Großes bei „im Hinblick auf die Wahr- die Wahrheit - bezeicliiiet heit insgesamt". Der Begriff fi &hqO~ta bei Aristoteles an einer ganzen Reihe von wichtigen Stellen den Bereich der Ersten Philosophie, also jener Wissenschaft, die das Sein des Seienden, seine ersten Ursprünge und Grüilde untersucht. Er nennt die Philosophen, die nach den Ursprüngen fragen, -co'u~TLhooocpqoav~a~ n ~ ' c f~j ~ixhqO~i«~ i - „die welche über die Wahrheit philosophieren". Da Alles, was wir überhaupt denken und erkennen können, in irgendeiner Weise ist, bezeichnet der Begriff ixhqOeta das Sein des Seienden überhaupt. Die Wahrheit gehört also bei Aristoteles wie überhaupt in der griechischen Philosophie primär nicht auf die Seite der Erkenntnis sondern auf die Seite dessen, was ist. Die Wahrheit ist das Wesen des Seins. Deshalb sind die Begriffe „wahru und „seiendd' in der griechischen Philosophie Wechselbegritfe, das heißt Begriffe, die miteinander ausgetauscht werden können. Wenn Aristoteles hier sagt, daß die Erkenntnis der Seele Großes beiträgt nebs ixhfiB&~ctv unaoav - „für die Wahrheit insgesamt", so ist damit nichts Geringeres gesagt, als daß die in den Büchern „Über die Seele" vorgetragene Wissenschaft sich auf die gesamte Philosophie in allen ihren Teilen bezieht. Sie ist, wie sich zeigen wird, für die gesamte Philosophie des Aristoteles konstitutiv; sie enthalt die Grundlegung dieser Philosophic. Von besonderer Bedeutung ist die Erkenntnis der Seele im Hinblick auf die Natur. Sie ist nämlich der Ursprung der Lebewesen. Wenn wir das Wort „NaturL' hier in seiner neuzeitlichen Bedeutung verstehen, versperren wir uns das Verständnis des aristotelischen Gedankens. Die neuzeitliche Philosophie versteht Natur als den Inbegriff der Objekte möglicher Erkenntnis in Raum und Zeit. Das Denken selbst, genauer: das Bewußtsein, das diese Objekte crkennt, also die Seele, steht nicht innerhalb der Natur sondern ihr gegenüber. Wir betrachten die Objekte der Physik, nicht aber die Physik selbst, als ein ~ Griechen umfaßt nicht nur ObPhänomen der Natur. Die c p B o ~der jekte, sie umfaßt auch die Menschen selbst mit allen ihren Möglichkeiten, einschließlich der Möglichkeit zu erkennen. Und sie umfaßt die Götter. Aristoteles hat allerdings den Begriff der cpiiot~eirigeschränkt. Aber er schränkt ihn anders ein als die neuzeitliche Philosophie. Bei Aristoteles ist rpljot~der Inbegriff alles dessen, was be-
wegt ist. Im Bereich dessen, was bewegt ist, hat einenvorrang alles, was sich selbst bewegen kann: das Belebte. „SeeleL'nennt Aristoteles nicht nur die Seele des Menschen sondern ganz allgemein den Ursprung des Vermogens der Lebewesen, einschließlich der Pflanzen, sich selbst zu bewegen. Mit Selbstbewegung ist immer Wahrnehmung verbunden. Der Mensch kann seinem Sich-Bewegen durch reine Erkenntnis Ziele setzen. Deshalb kann bei Aristoteles das Vermogen, sich selbst zu bewegen, oder das Leben, von der Erkenntnis der Wahrheit nicht abgetrennt werden. Der Satz: die Seele sei Ursprung der Lebewesen, ist also nicht eine äußerliche Hinzufügung zu dem Satz: die Erkenntnis der Seele sei von großer Bedeutung für die Wahrheit insgesamt. Die beiden Sätze hängen vielmehr zusammen; es wird sich herausstellen, daß die Aufhellung dieses Zusammenhanges das zentrale Thema des ganzen Werkes ist. Die Wahrheit im Ganzen ist das Thema der Metaphysik. Die cpliot~,einschließlich des Lebens und der Seele, sofern sie Ursprung des Lebens ist, bildet den Bereich der Wissenschaft, die Aristoteles „Physik" nennt. Sie umfaßt nicht nur die Gesamtheit der heutigen Naturwissenschaften; auch die Bücher „Über die Seele" gehören, wie wir noch sehen werden, zu einem großen Teil in den Bereich der aristotelischen Physik. Aber ihr letzter Teil, die Lehre vom voGg, gehört in das Gebiet der Metaphysik; ihr eigentliches Thema ist also der Zusammenhang zwischen den beiden Kernstücken der aristotelischen Philosophie: der Metaphysik und der Physik. Aristoteles gibt für den Vorrang, den die Erforschung der Seele vor anderen Untersuchungen besitzt, zwei Gründe an. Wir betrachten zunächst den ersten Grund: Die Erforschung der Seele, so sagt er, besitzt einen Vorrang im Hinblick auf die Genauigkeit der hier zu gewinnenden Erkenntnis. Diese Behauptung klingt paradox, denn Aristoteles selbst sagt wenige Zeilen später, es gehöre zu den schwierigsten Aufgaben überhaupt, über die Seele auch nur so etwas wie eine einleuchtende Meinung zu gewinnen. Fortwährend weist er im Laufe der Untersuchung auf ungelöste Schwierigkeiten hin; fortwährend stellt er die Methode seines Vorgehens selbst in Frage. Nirgends erhebt er den Anspruch, zu einem letzten und unerschütterlichen Resultat gelangt zu sein. Gerade im Hinblick auf die hier beanspruchte Genauigkeit der Erkenntnis bleiben die Bücher „Über die Seele" hinter anderen Teilen der aristotelischen Philosophie, etwa hinter seiner Wissenschaftslehre, weit zurück. Was soll also diese Behaup-
tung bedeuten? Die Begriffe olileiß~iaund &n@ißfig bezeichncn, wie die Begriffe „WahrheitL'und „wahru, bei Platon und bei Aristoteles primär nicht die Erkenntnis sondern das, was erkannt wird. Eine Erkenntnis kann nur dann „genau6'mit dem, was erkannt wird, übereinstimmen, wenn das Erkannte selbst eindeutig, mit sich selbst identisch, in seinen Umrissen klar umgrenzt ist, wenn es also mit sich selbst übereinstimmt. Das ist bei allem, was sich verändert, niemals der Fall; der Begriff der Veränderlichkeit bedeutet ja nichts anderes, als daß ein ständiger Wechsel stattfindet; der Gegenstand mit sich selbst also niemals identisch bleibt. Aber auch bei dem, was sich nicht verändert, gibt es verschiedene Grade der „Genauigkeit" im griechischen Sinne dieses Begriffes. Sind die Phänomene komplex, so ist jedes Teilphänomen durch eine große Zahl voneinander unabhängiger Bedeutungen bestimmt. Es ist dem Teilphänomen nicht anzusehen, warum es gerade so und nicht anders ist. Zwar bleibt es mit sich selbst identisch, aber seine Umrisse sind nicht klar. Im eigentlichen und strengen Sinne „genau6' ist nur das, was von sich selbst her durchsichtig ist. In der griechischen Philosophie werden die von sich selbst her durchsichtigen, primären, von keiner Bedingung außerhalb ihrer selbst abhängigen Urphänomene durch das Wort &xhoÜg - einfach - bezeichnet. Das Wort d n ~ i ß f i g ist ein Wechselbegriff zu OlnhoGg. Nur die primären Phänomene sind im strengen Sinne des Wortes „genauU. Diese primären Phänomene werden durch die a Aristoteles zeigt in seiner WisBegriffe cl~xfiund a i ~ i bezeichnet. senschaftstheorie, daß jede strenge Wissenschaft solche primären Phänomene, die selbst nicht mehr abgeleitet werden können, axiomatisch voraussetzen muß. Die Erkenntnis dieser Phänomene kann selbst nicht mehr bewiesen werden. Sie muß jeder beweisbaren Erkenntnis vorgegeben sein. Wie gelangen wir zu der Erkenntnis dessen, was aller Wissenschaft zur Voraussetzung dient? Wie gelangen wir zur Erkenntnis der clexai? Die Antwort auf diese Frage enthält die aristotelische Lehre vom höchsten Seelenvermögen, dem voüg. Die Erforschung der Seele bemüht sich also um eine Grundlegung der Wissenschaftstheorie. Sie strebt nach der Erkenntnis des „Genauen" schlechthin. Deshalb hat sie im Hinblick auf die Genauigkeit einen unüberholbaren Vorrang, auch wenn es ihr nicht gelingen sollte, diese Genauigkeit zu erreichen. Der zweite Grund für den Vorrang der Lehre von der Seele ist, daß sie auf das Beste und auf das Staunenswürdigste gerichtet ist. Das
Beste: dieser Begriffverweist zunächst auf die Ethik und die von Aristoteles „Politiku genannte Wissenschaft. Bei Aristoteles bilden Politik und Ethik eine Einheit. Es fehlt die Zeit, hier im Einzelnen auszuführen, wie Politik und Ethik bei Aristoteles mit seiner Lehre von der Seele zusammenhängen. Es sei nur der folgende einfache Grundgedanke genannt: DieVerfassungen der Staaten, ihre Okonomie und Politik, müssen danach beurteilt werden, ob sie mit dem in Einklang stehen, was für den Menschen überhaupt gut ist. Eine Verfassung ist dann gut, wenn sich die Bürger eines Staates in ihr zu ihren höchsten Möglichkeiten entfalten können. Die höchste Möglichkeit des Menschen überhaupt ist sein Vermögen zu erkennen, was wahr ist. Denn nur, wenn er erkennt, was wahr ist, kann er erkennen, was für den Menschen gut ist. Das Vermögen, durch das der Mensch erkennt, was wahr ist, heißt vorig. Deswegen gipfeln Politik und Ethik ebenso wie Metaphysik, Physik und Wissenschaftstheorie in der Lehre vom voüs. Das Staunenswürdigste, was der Mensch erkennt, ist zugleich das Gottes, der, selbst unbeBeste, was erkannt werden kann: der v o 5 ~ wegt, der Ursprung aller Bewegung ist. Deswegen ist der Höhepunkt der gesamten aristotelischen Philosophie seine philosophische Theologie im XII. Buch der „Metaphysiku. Die drei Bücher „Uber die Seele" sind methodisch als ein Aufstieg durchgeführt, der in der Lehre vom vorig des Menschen seinen Höhepunkt findet und diese Lehre bis zu dem Punkt durchführt, an dem diese Lehre in die Theologie übergeht. Die in den ersten Sätzen gegebenen Hinweise machen deutlich, daß das gesamte Werk im ständigen Hinblick auf die im 111. Buch nur knapp skizzierte Lehre vom voüs x o ~ ~ o . t b-svom abtrennbaren Geist - also schon im Hinblick auf die Theologie, gelesen werden müsse. Daraus ergibt sich, wie wir vorzugehen haben. Wir dürfen uns nicht in den subtilen Untersuchungen des 11. Buches über die niedrigeren Seelenvermögen verlieren, obwohl sie für die Geschichte des europäischen Denkens in vielerlei Hinsicht grundlegend geworden sind. Für unsere Zwecke ist es nötig, den Blick entschlossen auf das Ziel des Weges zu richten. Aber das Ziel des Weges kann von der Methode, die er verfolgt, nicht abgetrennt werden, und diese Methode ist durch die Ontologie bestimmt, die das Ganze zusammenhält. Wenn wir heute die Bücher des Aristoteles über die Seele studieren,
interessiert uns nicht der Inhalt der einzelnen Lehren. Wir sind durch die geschichtliche Situation, in der wir uns selbst befinden, genötigt, die Struktur des Gebäudes der Metaphysik, in deren Zentrum die Lehre von der Seele steht, kritisch zu prüfen. Wenn Fundament und Gerüst des Gebäudes nicht tragfähig sind, lösen sich auch seine Inhalte auf. Es hängt von der Konstruktion des Gebäudes ab, ob wir auch weiterhin von „Seele" und „Gott" so sprechen können, wie die letzten zwei Jahrtausende es taten. Wer heute Aristoteles interpretiert, bewegt sich ständig am Rande eines Abgrunds; denn je weiter man vordringt, desto deutlicher zeigt sich, daß Sinn und Reichweite von Begriffen wie „Seele" und „Gott" von denkerischen Positionen abhängen, die wir gemeinhin mit „Seelec'und „Gott" nicht inverbindung bringen, etwa von der Bestimmung der Funktion des Satzes vom Widerspruch, der Definition des Begriffes „Substan~", der Definition der Begriffe „Möglichkeitu und „WirklichkeitModer der genauen Bestimmung der Reichweite der Logik. Der Wert des Aristoteles-Studiums für die heutige Zeit liegt darin, daß wir diese, dem modernen Bewußtsein verschütteten Zusammenhänge zu durchschauen lernen. Das ist der erste, unentbehrliche Schritt für ein Verständnis der uns selbst durch den Gang der Geschichte gestellten Probleme.
IV. (Zum Aufbau von ,,ne~i $vxijg'') Ich beginne mit einem Uberblick über den Aufbau des Werkes, damit Sie sich darin zurechtfinden und wissen, auf welche Abschnitte wir uns konzentrieren müssen. Es ist nicht möglich, in der kurzen Zeit eines Semesters das ganze Werk zu interpretieren. Andererseits zielt unsere Fragestellung nicht auf diesen oder jenen Teil, sondern auf das Ganze. Ich verbinde deshalb diesen Uberblick mit der Bitte, daß Sie das Werk selbst durchlesen. Im letzten Teil der Vorlesung hoffe ich, noch einen Ausblick auf die aristotelische Theologie des XII. Buches der „Metaphysikc'geben zu können.
I. Buch I (: Methode) a. (Auseinandersetzung mit anderen philosophischen Entwürfen)
Das I. Buch bildet einen in sich geschlossenen Teil. Sie können das daraus entnehmen, daß Aristoteles zu Beginn des 11. Buches erklärt: „Wir wollen nun wiederum wie von Anfang an den Weg rekapitulieren."lo1 Das I. Buch besteht aus zwei Teilen: Im ersten Kapitel entwickelt Aristoteles (nach den schon besprochenen Einleitungssätzen) die Probleme und Schwierigkeiten, die zu lösen sind. In den restlichen Kapiteln gibt er eine Ubersicht über die Ansichten der früheren griechischen Denker (Kap. 2) und eine eingehende Diskussion dieser Ansichten (Kap. 3-5). Da Aristoteles in diesem 1. Buch seine eigene Lehre von der Seele noch nicht entwickelt, wird es in der Regel bei der Darstellung der aristotelischen Seelenlehre übersprungen; man wertet es vorwiegend als wichtige Quelle für unsere Kenntnis der nur fragmentarisch erhaltenen Philosophie der Vorsokratiker aus. Dieses Verfahren beruht auf einem Mangel an Verständnis für die philosophische Methode, die Aristoteles befolgt hat. Damit wir uns nicht gleich zu Beginn den Zugang zum Denken des Aristoteles durch falsche Vorurteile versperren und uns in eine falsche Richtung lenken lassen, müssen wir versuchen zu verstehen, warum Aristoteles so vorgegangen ist. Es sollte uns zum Nachdenken veranlassen, daß die „Metaphysik6', wenn auch in umgekehrter Reihenfolge, nicht anders einsetzt als die Bücher „Uber die Seele". Im 1. Buch der „Metaphysik" gibt Aristoteles, nach einer Einleitung, die die gleiche Funktion hat wie die er~kuxijg", eine kritische Übersicht über die sten zwei Sätze von ,,n~ei Lehren seiner Vorgänger. Das ganze 11. Buch ist einer Darstellung der Aporien gewidmet, die in den späteren Untersuchungen gelöst werden müssen. Auch an anderen Stellen seines Werkes befolgt er die selbe Methodexo2.Bei einem Philosophen ist die Methode des Vorgehens nicht ein zufälliges und äußerliches Verfahren, das man vom Inhalt seiner Lehre abtrennen könnte. Die reine Tatsache, daß Aristoteles, wie wir gesehen haben, regelmäßig den gleichen Weg 1~OLhtvb' L;)(SJCEQ E5 irna~xfl< tnavitopev . . 412a 4. lo2 De Coel. I, 1; An. Post. 11, 3; Phys. IC: 10. 1°'
einschlägt, sollte uns veranlassen, daruber nachzudenken, was sich daraus für das Verständnis der Sache selbst, um die es uns geht, ergibt. Und hier stoßen wir in der Tat auf einige fundamentale Voraussetzungen der ganzen aristotelischen Philosophie. Ich bespreche sie hier im Zusammenhang des Uberblicks, um die Interpretation zu entlasten. Das wird uns helfen, später zu bemerken, in welcher Perspektive wir blicken und worauf wir besonders zu achten haben. Wir betrachten zunächst den Teil der Einführung, der in der „Metaphysik" am Anfang steht, im I. Buch (von) ,,n~ei Vv~ijg''hingegen die Kapitel 2-5 ausfüllt, nämlich den kritischen Überblick über die Lehren seiner Vorgänger. Wahrend Aristoteles lange Zeit hindurch als unsere zuverlässigste Sekundärquelle über die Philosophie der Vorsokratiker galt, hat die moderne Forschung immer deutlicher erkennen lassen, daß seine Darstellung der vorsokratischen Lehren die wirkliche Gestalt ihrer Gedanken grob entstellt, daß er, wie es scheint, willkürlich, seine eigenen Fragestellungen und seine Begriffe ganz andersartigen Lehren aufoktroyiert und offenbar keinerlei Interesse daran hat, ihnen historisch gerecht zu werden. Cornford stellt fest, daß Aristoteles sich durch die historische Frage, was jener andere Philosoph tatsächlich gemeint hat, nicht gebunden fühlte Io3. Das gilt sogar für seine Darstellung von platonischen Lehren, die dort, wo wir sie nachprüfen können, weil Aristoteles sich auf uns bekannte Texte bezieht, oft für moderne Vorstellungen ganz unbegreifliche Mißdeutungen enthalten. Die uns heute selbstverständlich gewordenen Vorstellungen davon, wie eine historisch getreue Darstellung der Geschichte der Philosophie aussehen müßte, lagen Aristoteles offenbar vollkommen fern. Wie ist sein Verhältnis zu seinen Vorgängern dann zu erklären? Diese Frage findet eine sehr einfache Antwort, wenn man bemerkt, daß Aristoteles sich zu früheren Philosophen genau so verhält, wie sich bis vor sehr kurzer Zeit die Physiker und Mathematiker der Neuzeit zur Geschichte ihrer Wissenschaften, zu ihren Vorgängern und zu ihren Kollegen aus früheren Jahrhunderten verhalten haben. Für einen Physiker gibt es nicht eine Vielzahl von Systemen der Physik, lU3 "Wc can never assume, as a matter of Course, that thc construction they put upon thc doctrilles of other philosophers is faithful to historic fact." Francis Macdonald Cornforcl, Plato's Theory of Knowledge, '~ondon:Routledge and Kegaii, 1949, 31. Cornford spricht von Platoii und Aristoteles.
die durch die Individualität dessen geprägt sind, der sie entworfen hat, und die nur relativ auf die geschichtliche Situation, in der sie entstanden sind, ihre Wahrheit haben. Das, was es gibt, ist die Natur und ihre Gesetze. Die Erkenntnis dieser Gesetze heißt „Physikd'.Es ist aber dem Planetensystem oder dem Gravitationsgesetz vollkommen gleichgültig, wer zu welcher Zeit die mathematischen Formeln entdeckt hat, in denen wir sie begreifen können. Zwar macht der eine Physiker diese, der andere Physiker jene Entdeckung, und man bezeichnet der Anerkennung halber die Entdeckungen mit ihren Namen; aber selbst wenn wir in flüchtiger Redeweise etwa von Newtons Mechanik sprechen, ist doch jedermann klar, daß nicht die Mechanik von Newton sondern die Mechanik der Himmelskörper gemeint ist. Die Physik bildet als solche eine Einheit, die von der Einheit der Natur getragen wird. Deshalb treiben alle Physiker eine und dieselbe Physik. Wenn eine neue Entdeckung gemacht wird, dann werden frühere Lehren revidiert, ohne daß man viel Mühe darauf verwendet zu prüfen, aus welcher geschichtlichen Situation heraus die früheren Theorien zu interpretieren sind, und welche außerphysikalischen Vorstellungen frühere Physiker mit ihren Begriffen verbunden haben mögen. Deshalb gilt die Geschichte der Physik, ähnlich wie die Geschichte der Mathematik, als eine relativ uninteressante Nebenbeschaftigung, von der man überzeugt ist, daß sie für die Physik als solche nicht viel austrägt. Erst durch die große Krise der Physik, die an die Namen Einstein und Bohr geknüpft ist, sind einige Physiker, wie etwa Weizsäcker, dazu veranlaßt worden, die Geschichte der Physik als ein Stück Geistesgeschichte zu betrachten und aus den so gewonnenen Erkenntnissen Konsequenzen für die Fortbildung der physikalischen Forschung zu ziehen. Sie sind aber noch heute physikalische Außenseiter; die große Mehrzahl der Physiker denkt auch heute nicht anders als ihre Kollegen im 19. Jahrhundert. Ähnlich versteht Aristoteles die Philosophie. Philosophie ist die Erkenntnis der rpljo~g,ihrer Ursprünge und Gründe. Wenn man den Blick unbeirrt auf die rpGotg richtet, ist es vollkommen gleichgültig und nebensächlich, wie die Lehren früherer Philosophen, die ebenfalls die cpljot~zu erkennen versuchten, im Einzelnen ausgesehen haben mögen. Es gibt nur ein einziges „System", das System der cpljotg selbst. Die sogenannten Systeme der einzelnen Philosophen sind mehr oder weniger gelungene Versuche, das unveränderliche und einzige System, das es gibt, nämlich das System der rpljoig selbst, zu
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erkennen. Es ist deshalb für die Philosophie belanglos, die Schriften früherer Philosophen mit einem großen hermeneutischen Aufwand historisch getreu zu interpretieren. Wichtig ist nur, daß wir von ihnen lernen, was sie an Richtigem geahnt oder erkannt haben, und wo sie Irrwege eingeschlagen haben, die man in Zukunft wird vermeiden müssen. Zur Zeit von Aristoteles haben die Menschen sich nicht so wichtig genommen wie heute. Für die Originalität eines Denkers, eines Dichters oder eines Künstlers haben die Griechen kein Interesse aufgebracht - vielleicht konnten sie eben deshalb besser philosophieren, besser dichten und größere Kunstwerke hervorbringen als spätere Zeiten. Wer durch die Schule des Historismus gegangen ist, wird sagen: die Art, wie Aristoteles die Geschichte der Philosophie betrachtet, sei ein Beweis dafür, daß die Griechen noch kein historisches Bewußtsein gehabt haben. Hier rastet dann alsbald jenes ideologische Vorurteil der Theologen oder doch gewisser theologischer Schulen ein, die behaupten, Geschichte und Geschichtlichkeit seien erst durch die jüdischen Propheten und das christliche Denken entdeckt worden. Wer eine Ahnung von griechischer Geschichtsschreibung und von dem Geschichtsdenken der Römer hat, der weiß, daß diese Legende ganz einfach falsch ist. Die Griechen und die Römer haben die Geschichte anders verstanden und anders gedeutet als die jüdisch-christliche Tradition. Aber sie sind in ihrem Verständnis der Geschichte der christlichen Tradition nach manchen Seiten hin unermeßlich überlegen. Außerdem braucht man sich nur mit Augustin oder mit Mittelalter und Humanismus zu beschäftigen, um zu wissen, daß die von der protestantischen Theologie vernachlässigte Tradition des römischen Geschichtsdenkens für das Geschichtsbewußtsein der Christenheit mindestens ebenso wichtig ist wie die jüdischen Traditionen. Was aber die Auffassung und Deutung der Philosophiegeschichte angeht, so sei hier nur daran erinnert, daß Kant die Geschichte der Philosophie im Prinzip genauso betrachtet und behandelt hat wie Aristoteles. Es ist das erklärte Ziel der drei „Kritiken6', die Metaphysik nach dem Vorbild der Mathematik und der Physik auf den sicheren Gang der Wissenschaft zu bringen, das heißt, sie auf eine Basis zu stellen, die der philosophischen Erkenntnis ihre Unabhängigkeit von den Zufälligkeiten der historischen Situationen und von der Individualität der Philosophen zu sichern vermag. Nur stützt sich Kant nicht auf die Einheit der Natur sondern auf die Einheit des Ver-
nunftsystems, das er für ewig und unabänderlich hielt. Auch Hegel hat in seiner „Geschichte der Philosophie" diese Geschichte im Prinzip nicht anders betrachtet. Daß er Aristoteles und Kant übertrumpfen und das Gesetz aufdecken wollte, nach dem die ewige Wahrheit des absoluten Geistes in verschiedenen Gestalten menschlichen Bewußtseins in einer Reihenfolge hervortritt, die der Logik gehorcht: dieser erstaunliche Gedanke ist nur die Radikalisierung der Methoden, die Aristoteles eingeführt hat. Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wird jene Relativierung und Individualisierung der Interpretation von philosophischen Systemen Mode, die uns durch die spezifisch deutsche Art, Geistesgeschichte zu betreiben, heute so selbstverständlich und geläufig geworden ist. Parallel dazu ist aber das Organ für die Wahrheit philosophischer Gedanken verkümmert. Dies alles muß man sich klargemacht haben, wenn man verstehen will, wie Aristoteles nicht nur die Philosophie seiner Vorgänger sondern auch seine eigene Philosophie beurteilt hat. E r wollte nicht die Philosophie des Aristoteles machen, sondern er wollte die Wirklichkeit erkennen und wußte zugleich, wie schwer das ist. Wie schwer das ist - das zeigen die Aporien, die in der „Metaphysikc' das ganze 11. Buch, in den Büchern „Uber die Seele" das erste Kapitel ausfüllen. Um diese Aporien zu verstehen, müssen wir uns zunächst klarmachen, wie sie mit der Kritik der Vorgänger zusammenhängen. Wir müssen also die sehr allgemeinen und deshalb unbestimmten Überlegungen, mit denen ich begonnen habe, hinter uns lassen und das uns gestellte Problem präzisieren.
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b. (Kritik der herrschenden Vorurteile als erster Schritt der wahren Erkenntnis) Die Wissenschaftstheorie der „Analytica Posteriora" beginnt mit dem Satz: „Jedes Lehren und jedes Lernen im Denken geht aus einer vorher zugrundeliegenden Erkenntnis hervor." (71a 1-2; 93) Um das zu verstehen, braucht man sich nur klarzumachen, daß eine streng aufgebaute Wissenschaft ein Begründungszusammenhang von Sätzen ist. Untersucht man die Struktur eines solchen Begründungszusammenhanges, so stellt sich heraus, daß er nur stringent ist, wenn sich die jeweils abgeleiteten Sätze zwingend aus übergeordneten Sätzen ergeben. Wer einen Satz beweisen will - und nur was bewiesen ist, können wir mit Sicherheit wissen -, der muß die übergeordneten
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Sätze suchen, aus denen er abgeleitet werden kann. Ließe sich das ad infinitum fortsetzen, so kämen wir immer noch zu keinem sicheren Wissen, denn es könnte ja sein, daß die Übcrgeordneten Sätze einen Irrtum enthalten, der sich nicht aufdecken läßt, solange wir die auch diesen Sätzen wieder übergeordneten Sätze nicht kennen. Es muß also oberste Prinzipien geben, die schlechthin und unbedingt wahr sind und selbst keiner Begründung mehr bedürfen. Jedes Mal, wenn wir uns anheischig machen, irgendeine These zu beweisen, greifen wir, auch wenn uns das nicht bewußt ist, auf solche Prinzipien zurück. Sonst hängt unser Beweis in der Luft und kann leicht umgestoßen werden. Die mehr oder weniger deutlich artikulierte Erkenntnis solcher obersten Prinzipien ist jene vorher zugrundeliegeiide Erkenntnis, auf die wir uns beziehen, wenn wir irgendeinen Zusammenhang von Sätzen einsehen oder einen anderen Menschen durch Argumentation von der Richtigkeit einer Meinung überzeugen wollen. Deshalb sagt Aristoteles, daß alles Lehren, im weitesten Sinn des argumentierenden Überzeugens, und alles Lernen, im weitesten Sinn des Einsehens von Zusammenhängen, aus einer vorher zugrundeliegenden Erkenntnis hervorgeht. Was ist aber das für eine Erkenntnis? Wie können wir zu ihr gelangen? Dieses Problem hat zuerst Platon in seiner berühmten Definition der Dialektik gestellt, die ich im vorigen Semester besprochen habe, auf die ich aber jetzt nicht eingehen kann lo4. Platon fordert auch für die obersten Prinzipien der Wissenschaft eine Ableitung und Begründung, die selbstverständlich dann eine andere Form haben muß als die Begründung der aus diesen Prinzipien abgeleiteten Sätze. E r nennt „Dialektikc'jenen Weg des Denkens, der die Prinzipien selbst in Bewegung setzt, um zu der in der diskursiven Form der Aussage nicht mehr darstellbaren Erkenntnis ihres Ursprungs, der Idee des Guten, zu gelangen. Aristoteles hat auf Grund einer Entscheidung, die ich im vorigen Semester eingehend besprochen habe, den Weg der platonischen Dialektik nicht für gangbar gehalten (112ff.). Wie gelangt er dann zu der Erkenntnis der Prinzipien? Der Zugang zur Erkenntnis der Prinzipien erfolgt auch nach der Lehre des Aristoteles nach einer Methode, die er „Dialektikc'nennt; aber diese aristotelische Dialektik hat mit der platonischen Dialektik oder mit der Dialektik von Kant und Hegel nichts zu tun. Während lo4
Politeia 533 BIC; Anm. 61
Dialektik bei Platon der Aufstieg zur Erkenntnis des Ursprungs der Wahrheit und des Seins ist, ist Dialektik nach Aristoteles die Kunst, sich in dem Feld der Meinungen zu orientieren, die wir zwar haben aber nicht beweisen können, und von denen wir deshalb auch nicht behaupten können, sie seien wahr. Deshalb ist die Dialektik bei Aristoteles eine Wissenschaft, die der Rhetorik zugeordnet ist, denn in der politischen Rede oder in der Rede vor Gericht kommt es darauf an, von dem zu überzeugen, was sich im strikten Sinne nicht beweisen läßt. Nun hat aber die so verstandene Dialektik im Bereich der Philosophie nach Aristoteles eine ganz besondere Bedeutung. Wir machen zwar, wenn wir denken, ständig von irgendwelchen Voraussetzungen Gebrauch, die uns mehr oder weniger deutlich sind, und die wir für mehr oder weniger selbstverständlich halten; aber wir können, genau genommen, nicht behaupten, daß sie wahr oder falsch sind, wir können auch nicht wissen, ob wir, gesetzt, sie seien wahr, sie schon in ihrer richtigen Gestalt aufgefaßt haben. Aristoteles nennt diese unentbehrlichen, aber meist ungeprüften Voraussetzungen unseres Denkens T& Fv6oSa - das, was in unserer Meinung enthalten ist. Das, was wir als das gemeinsame Medium unseres Meinens und Denkens vorfinden, enthält in sich unterschiedliche Elemente. Irgendwie spiegelt das, was wir meinen, immer die wirkliche Natur wider, denn der Mensch lebt in der Natur; er nimmt sie wahr, er faßt sie auf, er erfährt sie. Und alles, was er so in sich aufgenommen hat, kehrt irgendwie in seinem Meinen und Denken wieder. Daß Menschen sich überhaupt verständigen können, daß das Medium des Meinens und Denkens uns verbindet, rührt daher, daß wir uns alle in derselben Natur befinden und einen sehr breiten Grundbestand von gemeinsamen Erfahrungen haben. Über diese Erfahrungen denken die Menschen nach. Sie erfassen mehr oder weniger klar die tragenden Strukturen und bezeichnen sie durch allgemeine Begriffe. Dabei schleichen sich aber Vorurteile ein, die nicht in der Wahrheit der Natur sondern in der Denkweise und Sitte bestimmter Religionen, Staatswesen und Gesellschaften, in Bräuchen und Rechtsnormen, in ständischen Ordnungen und einer Fülle von anderen Verhältnissen ihren Ursprung haben. Die Griechen haben schon ein Jahrhundert vor Aristoteles begonnen, in einer vergleichenden Völkerkunde und Verfassungslehre diese geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Verschiedenheit der Denkweise der Völker und Staaten systematisch zu untersuchen. Das erste große
Werk dieser Art, das uns erhalten ist, ist das Werk des Herodot. Aristoteles hat das alles gesammelt und in seiner „Politik" verarbeitet. Als Beispiel nenne ich etwa seine Bemerkung aus dem zweiten Kapitel des I. Buches der ,,Politik", daß alle Menschen deshalb sagen, die Götter würden von einem Götterkönig regiert, weil in alten Zeiten alle und zur Zeit des Aristoteles die meisten Menschen in einer monarchischen Verfassung leben, und weil die Menschen nicht nur die Gestalten der Götter sondern auch ihre Lebensform nach ihrem eigenen Bild sich vorstellen ( (1252 b 24 ff .) ) . Auch solche Vorstellungen sind Ev6oEa, und es ist sehr schwer zu unterscheiden, welche als selbstverständlich angenommene Meinungen bloße Vorurteile sind, und welche auf irgendeine Weise der Wahrheit entsprechen. Das muß man sich klargemacht haben, wenn man folgenden Satz aus der „Topik" des Aristoteles, also aus seinem Werk über die Dialektik, verstehen will: „Außerdem bezieht sich aber die Dialektik auf die ersten unter den Prinzipien in jeder einzelnen Wissenschaft. Denn es ist unmöglich, auf Grund der eigentümlichen Prinzipien der jeweils vorliegenden Wissenschaft etwas über die ersten Prinzipien auszusagen - sind doch die ersten Prinzipien Prinzipien von allen Wissenschaften. Es ist aber notwendig, im Durchgang durch die in jedem einzelnen Fall allgemein akzeptierten Meinungen (T& Ev?ioEa) zu einer Erkenntnis über sie zu gelangen. Dies ist aber die spezifische oder am meisten eigentümliche Aufgabe der Dialektik. Denn da sie eine Kunst des Prüfens ist, enthält sie den Weg zu den Prinzipien sämtlicher Methoden." lo5 Dialektik ist also bei Aristoteles nicht mehr wie bei Platon der Aufstieg zur Idee des Guten. Trotzdem enthält sie auch bei ihm in sich den Weg zur reinen Erkenntnis der Prinzipien aller überhaupt möglichen Wissenschaften, weil sie die Kunst ist, das zunächst undurchsichtige Geflecht der allgemein angenommenen Vormeinungen zu prüfen. In diesem Zusammenhang bestimmt Aristoteles den Begriff der Fv6oEa genauer. Er nennt Evfiol$. „alle jene Meinungen, die entweder von allen Menschen oder von
den meisten oder von den Philosophen akzeptiert sind. Und unter diesen letzteren von der größten Zahl oder den bekanntesten und berühmtesten. " Io6 Die allgemeine11 Vorurteile und Meinungen der Mehrzahl der Menschen sind noch so ungenau und unartikuliert, daß man sie gar nicht richtig prüfen kann. Sie zerfließen uns gleichsam zwischen den Händen. Aber es ist das Geschäft der Philosophie, das, was die meisten Menschen nur undeutlich und verschwommen denken, zur Klarheit zu bringen, faßbar zu machen, auf seine Widersprüche hin zu prüfen und auf seine Voraussetzungen zurückzuführen. Deshalb muß man sich an die Philosophen halten, wenn man durch eine Untersuchung dessen, was wir bei unserem Denken vorauszusetzen pf egen, zu einer Kritik der Vorurteile, die uns leiten, und zu einer Erkenntnis der wahren Prinzipien gelangen will. Einen anderen Weg zur Erkenntnis der Prinzipien gibt es nach Aristoteles nicht. Wir müssen immer mit einer Analyse der allgemein akzeptierten Meinungen, von denen wir ja auch selbst notwendig ausgehen, beginnen. Sie sehen nun, weshalb Aristoteles mit einer Übersicht über die Meinungen seiner philosophischen Vorgänger beginnt. Man kann ihm nicht vorwerfen, daß er ihnen historisch nicht gerecht wird, denn auf die historisch getreue Darstellung kommt es gar nicht an. Es kommt vielmehr darauf an, in ihrem Denken jene Vormeinungen gleichsam dingfest zu machen, die wir auch in unserem eigenen Denken irgendwie vorfinden, und die man möglichst präzise umrissen haben muß, um prüfen zu können, ob sie wahr sind oder nicht. Auch die methodische Erwartung, von der sich Aristoteles bei einer solchen Arbeit leiten läßt, kann man aus diesem Ansatz schon deutlich entnehmen. Wer eine solche Arbeit unternimmt, geht von der Annahme aus, daß auch die früheren Philosophen nicht bloßen Unsinn geredet haben, sondern daß die Erkenntnis dessen, was wahr ist, in irgendeiner Form, sei es klar oder verschwommen, sei es einseitig oder ausgewogen, bei den früheren Philosophen schon zu greifen ist. Gleichzeitig wird er aber vermuten, daß keiner dieser Vorgänger die volle Wahrheit in ihrer reinen Gestalt schon zu erfassen vermochte, sondern daß bei genauerer Prüfung und beim Vergleich ihrer Lehren sich Widersprüche, Unstimmigkeiten, Unklarheiten
und Lücken ergeben, die neue Aufgaben des Denkens stellen, und deren Analyse die Erkenntnis vorwärts bringt. Mag man sich über die mangelnde historische Treue des Aristoteles noch so sehr wundern: tatsächlich sind alle Wissenschaftler, einschließlich der Historiker, immer so vorgegangen. I
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(Kartographie der ungelösten Probleme)
Was ist nun der philosophische Ertrag einer solchen kritischen Analyse der in den Werken früherer Philosophen enthaltenen allgemeinen Vorstellungen? Die Antwort ist einfach: Man gewinnt auf diese Weise eine Ubersicht über die Probleme, die gelöst werden müssen, wenn aus den ungeprüften Vormeinungen eine Erkenntnis dessen hervorgehen soll, was wahr ist. Aristoteles nennt diese Probleme „Aporien". Aporie ist die Negation von x 6 ~ -o der ~ Durchgang. Eine dxoeia ist eine Sackgasse, ein Engpaß. Man kann auch den Zustand dessen, der sich in einer solchen Sackgasse befindet, dxoeia nennen. Dann bezeichnet das Wort o l x o ~ i aden Zustand dessen, der, wie wir zu sagen pflegen, nicht mehr aus noch ein weiß. rI6eos ist der Ausweg, &xo@iadie Ausweglosigkeit. Daß dieser Begriff für Aristoteles eine so zentrale Bedeutung hat, erklärt sich aus der Tradition des Sokrates. Wir wissen ja aus Platons sokratischen Dialogen, daß es die Methode des Sokrates war, seine Gesprächspartner in den Zustand der olnoeia zu führen, in dem sie ihr eigenes Nichtwissen zu durchschauen lernten. Der Gegenbegriff zu Aporie ist dann bei Platon der Begriff pE806og - die Methode. '066s heißt: der Weg zu einem Ziel. Wer sich auf einem solchen Weg befindet, hat den Zustand der dxoeia überwunden. Bei Platon ist die alles Denken lei, Aufstieg zur Idee des Guten. Durch tende y6806o~eine u v o b o ~ein die Abkehr von dieser platonischen Gottesidee, die ich im vorigen Semester besprochen habe (51ff.), ergibt sich bei Aristoteles ein Bedeutungswandel im Begriff yEBobo~.Unter dem Einfluß des von Aristoteles begründeten und bis heute maßgeblichen Wissenschaftsbegriffs gewinnt auch der Begriff yS806o~eine Bedeutung, die sich jener Bedeutung nähert, in der wir noch heute das Wort „Methode6' verwenden. Aber zunächst stehen wir noch bei dem Begriff o l n o ~ i a Damit . Sie einen authentischen Eindruck davon gewinnen, was dxoeia bei Aristoteles bedeutet, übersetze ich Ihnen den Anfang des 111. Buches
der „Metaphysiku - eines Buches, das nichts anderes enthält als eine Aufzählung sämtlicher Aporien der Ersten Philosophie. „Es ist notwendig im Hinblick auf die gesuchte Wissenschaft, daß wir zuerst uns einen Weg bahnen zu dem, worüber man zuerst die Aporien klarstellen muß. Dahin gehört alles, was über diese Gegenstände gewisse Philosophen anders aufgefaßt haben, und außerdem, was getrennt davon etwa übersehen worden sein mag. Für die, die einen guten Durchgang finden wollen, ist es förderlich, vorher die Aporien präzise durchzugehen. Denn der spätere Ausweg ist die Lösung dessen, woraus man vorher keinen Ausweg fand. Man kann die Fessel aber nicht lösen, wenn man sie nicht kennt. Eben dies [nämlich die Fessel] deckt die Ausweglosigkeit des Denkens am Sachverhalt auf. Insofern nämlich Einer keinen Ausweg weiß, erleidet er etwas Ahnliches wie die Gefesselten: Beiden ist es unmöglich, nach vorwärts vorzuschreiten. Deswegen muß man zuvor alle Schwierigkeiten betrachtet haben, sowohl aus dem eben genannten Grund wie auch deshalb, weil alle, die sich auf der Suche befinden, ohne zuerst die Aporien aufgezählt zu haben, denen vergleichbar sind, die nicht wissen, wohin sie gehen müssen, und außerdem nicht erkennen, ob einer das Gesuchte schon gefunden hat oder nicht. Denn einem solchen Mann ist das Ziel nicht deutlich; dem aber, der vorher eine Ubersicht über die Aporien gewonnen hat, ist es deutlich. Ferner muß derjenige zum Urteil besser befähigt sein, der, wie die streitenden Parteien vor einem Gericht, auch die sich widersprechenden Argumentationen der Philosophen sämtlich gehört hat." lo7Da die Form, wie Aristo' 0 7 'Avdlynq x@O
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e e i a ~~ a 8 a o ~ q n E v ax td l a a ~z ~ 6 t t - ~ o to6twv v, t e xcietv n a i 61& ab t065 i;qaoVv.ccr~avew toV citazo~rjoat z ~ h + o viipoiow~ ~ e ~ c tt ol i ~x o i Oei P ~ O E < F L Y&yvoo6at, n a i x ~ o to6tot5 s 068' E zI o t e t O
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teles sich hier ausdrückt, für einen modernen Leser nicht ohne weiteres verständlich ist, gebe ich eine kurze Erläuterung. Aristoteles spricht davon, welche Schritte nötig sind, wenn man eine Wissenschaft suclit; in der„ Metaphysik" ist diese Wissenschaft die Erste Philosophie, also die Wissenschaft von den Ursprüngen und Gründen alles dessen, was ist. In „ n q i V I J X ~ ~ist~ es ' ' die Wissenschaft von der Seele. Die Suche nach einer Wissenschaft überhaupt und im Ganzen ist etwas Anderes als die Suche nach einer bestimmten Erkenntnis innerhalb der schon begründeten Wissenschaft. Hier muß eine Me, thode gefunden werden, die uns zur Erkenntnis der o l ~ x a i modern gesprochen: der Prinzipien dieser Wissenschaft, verhilft. (Ich habe den Begriff &QXG im vorigen Semester ausführlich erläutert; 51ff.) Was ist zur Grundlegung einer Wissenschaft nötig? Eine Wissenschaft sucht man, weil man etwas wissen will, was man nicht weiß: solange wir nur ein undeutliches Gefühl davon haben, daß wir nicht wissen, ohne präzise angeben zu können, was es denn ist, das wir nicht wissen, aber wissen wollen, kommt sicher keine Wissenschaft zustande. Der erste Schritt, den wir zu leisten haben, besteht also offenbar darin, daß wir uns eine klare Übersicht über die Probleme verschaffen, die wir nicht auflösen können, für die wir aber eine Lösung suchen. Wir müssen gleichsam eine Landkarte unseres eigenen Nichtwissens entwerfen. Damit ist es aber noch nicht getan. Wenn es uns gelungen ist, eine vollständige Ubersicht über die ungelösten Probleme zu gewinnen, stehen wir immer noch wie der Ochs vorm Berge. Wir befinden uns in der größten aller Aporien. Wir wissen nämlich nicht, welche von diesen Aporien man zuerst angreifen muß. Die Frage, was denn eigentlich das Erste ist, das geklärt werden muß, wenn man die übrigen Schwierigkeiten auflösen will, ist offenbar die entscheidende Frage. Dies alles steckt hinter dem ersten Satz: „Es ist notwendig im Hinblick auf die gesuchte Wissenschaft, daß wir zuerst uns einen Weg bahnen zu dem, worüber man zuerst die Aporien klarstellen muß." Um den Sinn dieses Satzes an einem Beispiel zu erläutern: Wir wollen wissen, was die Seele ist. Wir haben das unbestimmte Gefühl, das nicht zu wissen. Aber solange wir es bei einem solchen unbestimmten Mißbehagen bewenden lassen, werden wir in der Erkenntnis dessen, was Seele wirklich ist, keinen Schritt weiterkommen. Wir müssen uns also klarzumachen versuchen, welche Probleme es denn eigentlich sind, die wir solange nicht auflösen können, als wir nicht wissen, was Seele ist. In dem
Maße, in dem es uns gelingt, uns eine Ubersicht über die Probleme zu verschaffen, deren Lösung von der Erkenntnis des Wesens der Seele abhängig ist, steigen die Chancen, daß es uns gelingt, schließlich zu dieser Erkenntnis durchzudringen. Jedem steht frei, einen solchen Versuch zu machen. Er wird dann rasch genug entdecken, wie schwer es ist, und welche Anstrengung dazu gehört, einen solchen Katalog der ungelösten Probleme zu entwerfen. Zunächst wird er vermutlich geneigt sein zu sagen: ich kümmere mich nur um das, was ich gerade jetzt aus diesem oder jenem Grunde wissen will, und lasse alle übrigen Probleme beiseite. Es ist ja doch unmöglich, eine klare und vollständige Ubersicht über alle Probleme zu gewinnen, die mit der Seele zusammenhängen. Er wird zum Beispiel, wie die Gesprächspartner in Platons „Phaidon", wissen wollen, ob die Seele unsterblich ist. Ein philosophischer Lehrer, der die Überlegenheit des Sokrates besitzt, wird sagen: „Nun gut, dann versuche diese Frage zu klären." Der Schüler wird eine Reihe von Versuchen machen und wird bei jedem dieser Versuche schließlich in einem Engpaß steckenbleiben. Wenn er eine Reihe solcher Engpässe - das griechischeWort dafür heißt d n o ~ i u- kennengelernt hat, wird ihm Sokrates sagen: „Jetzt betrachte Dir mal die ganze Reihe der negativen Erfahrungen, die Du gemacht hast, aus der Distanz. Zeichne Dir einmal eine Landkarte der von Dir durchlaufenen Engpässe auf, dann wirst Du zweierlei entdecken: 1. Du kennst jetzt einenTeil der Wege, die man nicht einschlagen darf, wenn man die Wahrheit finden will. 2. Wenn Du genau zusiehst, wirst Du bemerken, daß diese Engpässe gewisse gemeinsame Eigenschaften haben. Du bist in sie geraten, weil Du immer wieder den gleichen Fehler gemacht hast. Du hast Dich in ihnen verfangen, weil Du gewisse Vorurteile bei jedem dieser Versuche festgehalten hast." - Wenn der Schüler dem Sokrates so weit folgt, wird er um einen Schritt klüger geworden sein. Er weiß nun, daß er nicht blindlings in irgendeiner bestimmten Richtung laufen darf. Er beginnt zu ahnen, daß alle Probleme, die mit der Seele zusammenhängen, auf irgendeine ihm noch nicht durchsichtige Weise miteinander verknüpft sind, und daß man die isolierte Frage, ob die Seele unsterblich ist, gar nicht beantworten kann, solange man nicht einen Überblick über sämtliche Funktionen der Seele gewonnen hat, und über ihr Verhältnis zum Leib und vieles Andere Bescheid weiß. Hier ergibt sich nun ein ganzer Katalog von Fragen. Und bei jeder dieser Fragen geht es ihm ebenso wie bei der Frage
nach der Unsterblichkeit. Er versucht, sie zuerst isoliert zu lösen, gerät in einen Engpaß, macht einen neuen Anlauf und bleibt wieder stecken, bis er schließlich trotz allen Sträubens zugeben muß, daß ihm gar nichts anderes übrig bleibt als der Versuch einer vollständigen Kartographie der Probleme. Was wird er anstellen, um zu einer solchen Kartographie zu gelangen? Er wird sich genau so verhalten wie Aristoteles. Er wird sich nämlich sagen: über diese Probleme haben ja schon viele bedeutende Philosophen nachgedacht und ihre Gedanken aufgeschrieben. Daß sie sich widersprechen, macht mir nichts aus; denn ich erwarte ja nicht, bei ihnen schon eine Wissenschaft zu finden, die es noch nicht gibt; ich will nur die Aporien kennenlernen. Sie nehmen mir ab, daß ich auf eigene Faust sämtliche Aporien durchexerzieren muß. Ich nehme mir ihre Lehren vor, analysiere sie, decke die in ihnen enthaltenen Widersprüche auf und untersuche, wo sie miteinander übereinstimmen, und wo sie sich widersprechen. Ich verhöre sie also wie ein Richter die Zeugen in einem Prozeß. So werde ich die Kartographie der Probleme schon gewinnen können und außerdem mein Urteilsvermögen schärfen. Am Schluß brauche ich dann nur noch zu prüfen, ob der so gewonnene Problemkatalog vollständig ist, oder ob sich aus der Ubersicht Probleme ergeben, die von den bisherigen Philosophen übersehen worden sind. Was so zustande kommt, ist keineswegs die Wissenschaft, nach der gesucht werden soll. Es ist lediglich die gleichsam tabellarische Ubersicht über das Feld dessen, was wir nicht wissen. Aber man weiß schon außerordentlich viel, wenn man aufzählen kann, was man nicht weiß. Wenn Sie darauf antworten: „Das kann man nicht", so ist zu erwidern: Das ist eine Behauptung, die Sie solange nicht begründen können, als Sie den Versuch noch nicht unternommen haben. Vielleicht gelangen Sie in der Durchführung eines solches Versuches unter großen Anstrengungen des Denkens an einen Punkt, wo Sie begründen können, warum man Ihrer Meinung nach das nicht kann. Dann verwandelt sich die Stimmungsäußerung in eine Hypothese, die sich prüfen läßt. Sie haben also nun den Katalog der Aporien um eine zusätzliche Aporie erweitert. Ist Ihre Hypothese klar formuliert und gut begründet, so enthält sie vielleicht sogar eine Erkenntnis. Denn sollte sie richtig sein, so wäre damit vielleicht über das Wesen der Seele etwas sehr Wichtiges ausgesagt. Was aber ausgesagt wird, und ob es richtig ist: das läßt sich wiederum erst klären, wenn durchsich-
tig ist, wie diese neue Aporie mit den anderen Aporien zusammenhängt. Wenn Sie es ablehnen, sich das klarzumachen, fallen Sie in die bloße Stimmungsäußerung zurück. Es wird jetzt klar geworden sein, was die Worte & x o ~ iund a &no~kco bedeuten. Der Gegenbegriff heißt E ~ Z O Q ~ -U einen guten Durchgang finden. Das Wort olno~koheißt in der griechischen Umgangssprache auch „mittellos, arm sein". Entsprechend heißt ~ 6 n ; o ~ k o reich sein, denn wenn man reich ist, kommt man, wie wir auch im Deutschen sagen können, „immer durch". Deswegen kann Aristoteles auch sagen, &6no~.Yjoat t.Yj<&h?')eEia< - Reichtum an Wahrheit haben, an Erkenntnis der Wahrheit so ausgestattet sein, daß man immer durchkommt. Die Aufstellung des Katalogs der ungelösten Probleme heißt Gtano~.Yjoat- die Aporien lückenlos durchführen. Die Entdeckung der gesuchten Wissenschaft kommt nur zustande, wenn man das gut macht. Hier setzt nun ein Gedanke ein, der Aristoteles veranlaßt, von der Metapher des Weges und des Durchgangs zu einer anderen Metapher überzugehen. Solange das Denken sich im Zustand der Ausweglosigkeit befindet, ist es gefesselt. Wird der Ausweg entdeckt, so ist die Fessel gelöst. Die Lösung ist aber nicht möglich, wenn man die Fessel nicht kennt. Das zeigt einen ganz neuen Aspekt der aristotelischen Aporie. Die von ihm geforderte Ubersicht über die ungelösten Probleme soll zur Erkenntnis der Fesseln führen, die unser Denken binden. Die Verknüpfung der beiden Metaphern hat ihren Ursprung in Platons Höhlengleichnis. Auch dort werden die Menschen mit Gefesselten verglichen, und die Lösung der Fesseln gelingt, wenn einer hinzutritt und sie, wie Sokrates, durch Fragen zur Erkenntnis ihrer Aporien bringt. Aristoteles sagt: „Die Ausweglosigkeit des Denkens macht eben dies bezüglich des Sachverhaltes deutl i ~ h '-' „eben ~ ~ ~dies" nämlich, daß das Denken in der Sackgasse des ungelösten Problems gefesselt ist. Denn beide, der Gefesselte wie der, der ein Problem nicht lösen kann, sind unfähig, nach vorwärts vorzuschreiten. Solange wir die gesuchte Wissenschaft nicht gefunden haben, befinden wir uns in diesem Zustand. Deswegen stellt Aristoteles den nun genügend erläuterten methodischen Grundsatz auf, daß man vor der Ausarbeitung der Wissenschaft die Gesamtheit los Vgl. 206; dort übersetzt GP die Stelle (995a 30f.): „Dies deckt die Ausweglosigkeit des Denkens am Sachverhalt auf."
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der ungelösten Schwierigkeiten sich klar vor Augen geführt haben muß. Er begründet das durch eine weitere, ebenso überraschende wie treffende Bemerkung, die auf das ganze Verfahren ein neues Licht wirft. Gesetzt, jemand hätte aus Instinkt oder Zufall die richtige Erkenntnis gefunden. Hat er versäumt, sich vorher eine klare und vollständige Ubersicht über die zu lösenden Probleme zu verschaffen, so kann er weder bemerken noch wissen, was er für einen Fund getan hat. Er ist ja dann nicht in der Lage zu erkennen, welche Probleme durch seine Entdeckung lösbar werden. Wenn wir die Kartographie der Probleme nicht kennen, wissen wir nicht, wohin wir gehen sollen. Das Ziel kennt nur der, der sich zuvor eine Ubersicht über die Aporien verschafft hat. Aus diesem methodischen Entwurf leitet Aristoteles dann am Schluß des Abschnittes die Forderung ab, wie ein Richter in einem Prozeß die streitenden Parteien anhört, müsse man zu Beginn einer Untersuchung die widersprüchlichen Gedankengänge der bisherigen Philosophen in ihrer Gesamtheit zur Kenntnis nehmen. Erst so wird man zum Urteil befähigt. Die kritische Ubersicht über die Lehren der früheren Philosophen ist also ein fester Bestandteil dieses ersten Arbeitsganges bei der Suche nach der Wissenschaft. Aus der Analyse der bisherigen Lehren muß der Problemkatalog abgeleitet werden, wenn er nicht ein leeres Spiel der Gedanken sondern eine kritische Übersicht über die unbegründeten Vormeinungen sein soll, von denen unser Denken zunächst immer ausgeht.
d. ( D e r aporematische Charakter der aristotelischen Philosophie)
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Ich bin bei der Erläuterung der methodischen Erwägungen des Aristoteles vom Anfang des 111.Buches der „Metaphysiku ausgegangen, weil Aristoteles dort sein Verfahren erläutert. Dem I. Buch ,,II&eiVvxij<" liegen die gleichen Uberlegungen zugrunde. Zwar stellt er dort die Aporien an die Spitze. Aber die kritische Diskussion der Lehren seiner Vorgänger nimmt den weitaus größten Raum ein, und bei genauer Betrachtung ließe sich zeigen, daß sich der Katalog der Aporien zur kritischen Analyse der älteren philosophischen Lehren genau so verhält, wie wir es dem Text aus der „Metaphysik" entnommen haben. Das Resultat wird in , , ~ I E'i~uxijs'' Q~ an die Spitze gestellt, weil es dieses Resultat ist, worauf es eigentlich ankommt. Ich gehe auf dieses Resultat jetzt noch nicht ein, weil wir ja zunächst
nur eine Ubersicht über den Aufbau des ganzen Werkes gewinnen wollen. Allerdings soll diese Übersicht nicht die äußerliche Form eines Inhaltsverzeichnisses haben, sondern uns schon einen ersten Einblick in die Methode des aristotelischen Vorgehens und in den inneren Bau der von ihm entworfenen Wissenschaft geben. Zu diesem Zweck sei Folgendes festgehalten: 1. Die Aporien und die kritische Diskussion der Lehren früherer Philosophen sind nicht eine äußerlich vorangestellte Einleitung, die man ebenso gut auch überspringen könnte, um gleich in die Darstellung der Lehre selbst einzutreten. Der Katalog der Aporien bildet vielmehr einen unentbehrlichen Bestandteil der Lehre selbst. >2.Die Aporien zeigen den Problemhorizont. Wer den Problemhorizont nicht kennt, ist nicht in der Lage, sich über die Theorie, die diese Probleme lösen soll, ein Urteil zu bilden. Er gleicht, wenn er die Lehre isoliert zur Kenntnis nimmt, jenem Mann, der einen glücklichen Fund gemacht hat, aber nicht feststellen kann, wieviel er wert ist. Wir werden also, obwohl uns nur wenig Zeit zur Verfügung steht, die Aporien des ersten Kapitels nicht überspringen dürfen. Dabei wird sich dann Folgendes zeigen: 3. Wie in der „Metaphysik", so enthalten auch in ,,n~ei ipuxijg" die Aporien bereits den Umriß der Wissenschaft, auf die ihre Aufzählung uns vorbereitet. Ja, sie enthalten noch mehr. Das philosophische Suchen des Aristoteles greift in den Aporien über die später mit zahlreichen Vorbehalten skizzierte Lehre wesentlich hinaus. Aristoteles macht in dem Aporienkapitel deutlich, wie weit er von dem ipuxijq" die geAnspruch entfernt ist, im 11. und 111.Buch von „ne~i suchte Wissenschaft schon gefunden zu haben. Nun ist evident, daß eine philosophische Lehre ganz anders zu beurteilen ist, je nachdem, ob sie der Verfasser für eine ausgearbeitete Wissenschaft oder nur für einen vorläufigen Versuch hält. Wir werden sehen, daß diese Alternative im Hinblick auf das, was Aristoteles tatsächlich leistet, viel zu einfach ist. Aber die für das Verständnis entscheidende Frage, wie denn das Ganze zu beurteilen ist, kann nur vom Aporienkapitel aus angemessen beantwortet werden. Wer Aristoteles studiert, wird rasch bemerken, daß er das Gegenteil von jenem Dogmatiker ist, als den die Scholastiker ihn dargestellt haben. Ross hat in seinem Kommentar zur „Metaphysik" die Form seiner Philosophie zutreffend beschrieben: „Sein Vorgehen ist durch die ganze Metaphysik hindurch niemals deduktiv; es bleibt immer aporematisch. Wenn man nur für
einen Augenblick sein Verfahren zum Beispiel mit dem der Geometrie vergleicht, zeigt sich der Unterschied. Die bei Aristoteles häufige Beschreibung der Metaphysik als Wissenschaft von den Prinzipien legt selbst schon nahe, daß er nicht die Absicht hat, über die Prinzipien hinaus zu Schlußfolgerungen zu gelangen. Es mag angemerkt werden, daß die Methode ihrer Substanz noch in nahezu sämtlichen Schriften von Aristoteles die Gleiche ist." log„Aporematisch" nennt man eine Untersuchung, die nicht wie eine deduktive Wissenschaft aus vorgegebenen Axiomen move geometrico weitere Erkenntnisse und Lehrsätze ableitet, sondern von Aporie zu Aporie fortschreitet, um sich durch die Aufdeckung und Analyse der Aporien den Weg zu Erkenntnissen zu bahnen, die nach deduktiver Methode nicht zu gewinnen sind. Die Feststellung, daß die gesamte Philosophie des Aristoteles einen aporematischen Charakter hat, bedeutet also, daß er überhaupt nicht eine in wissenschaftliche Form gebrachte Lehre vorträgt, sondern nur zeigt, wie man vorgehen muß, um eine solche Lehre schließlich zu finden. Wenn das so ist, dann ist der vorangestellte Katalog der Aporien in einem noch sehr viel strikteren Sinne des Wortes ein unabtrennbarer Bestandteil dieser Philosophie. Die Aporien zeigen dann die Grundform des aristotelischen Denkens überhaupt. Was üblicherweise in dogmatischer Form als die „LehreG' des Aristoteles dargestellt wird, muß in den Kontext der Aporien zurückgeholt und von den Aporien her in seinem aporematischen Charakter aufgehellt werden. e. (Diefundamentale Frage nach der o d o h der Seele) In dem Abschnitt aus dem Anfang des 111. Buches der „Metaphysik" Q~ voraushat Aristoteles Gedanken entwickelt, die er in , , I ~ E ~/~uxijq'' setzt. Hier finden wir die methodischen Grundgedanken, die das '' Damit Sie sich ganze I. Buch von , , ~ T E~Qj )~u x i j ~zusammenl_ialten. selbst davon überzeugen können, betrachten wir den Anfang des lo9 The procedure throughout the MetapSlsics never bccomes deductivc; it always remains aporematic. A moment's comparison of its procedure with that of geometry, for instance, will show the difference. Aristotlc's frequent description of metaphysics as the science of principles itself suggests that it is not meant to get beyond principles to conclusions. It may be noted that the method is substantially thc same in nearly all Aristotle's writings. 1,252 zu 1003a 21.
zweiten Kapitels: „Bei unserer Betrachtung uber die Seele ist es notwendig, indem wir zugleich einen Katalog der Engpässe aufstellen, aus denen wir im Fortgang einen Ausweg finden sollen, die Meinungen der Früheren mit aufzunehmen, die etwas über sie aufgewiesen haben, damit wir das, was gut gesagt ist, festhalten, wenn aber etwas nicht gut gesagt ist, uns davor hüten. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Aufstellung dessen, was der Seele, ihrer Natur gemäß, nach der herrschenden Auffassung ain meisten als Ursprung zugrunde zu liegen scheint. Nun scheint das Beseelte sich vom Unbeseelten durch zweierlei hauptsächlich zu unterscheiden: durch die Bewegung und die Wahrnehmungen. Wir haben aber auch von unseren Vorgängern im Großen und Ganzen dieses Beides überliefert bekommen."110 Sie sehen auf den ersten Blick, daß hier die tragenden Begriffe aus Met. III,1 wiederkehren: Gtanoejoat - das vollständige Aufzählen der voneinander klar unterschiedene11 Aporien; €4noeeiv - das Entdecken eines Ausweges aus den Engpässen; x e o ~ h 0eZv - das Vordringen der methodischen Untersuchungen (in diesem Wort ist der Begriff pEBoGoc enthalten); auch die Verkoppelung von aporematischer Untersuchung und Prüfung der Lehre der früheren Philosophen stellt sich genau so dar, wie wir es der „Metaphysik6' entnommen hatten. Hier wie dort setzt Aristoteles mit einer kritischen Prüfung der 2vboEa, also der Vormeinungen ein, die, wie wir uns auch drehen und wenden mögen, immer den Ausgangspunkt für unser Denken bilden. Hier wie dort werden diese Vormeinungen auf die Tradition zurückgeführt, in der wir stehen, und wird diese Tradition mitsamt der in ihr enthaltenen Widersprüchlichkeit dort identifiziert, wo sie zur klarsten Formulierung gelangt ist, nämlich in den Lehren der früheren Philosophen. Deswegen ist das Wort 60Ea gleichsam das Leitmotiv dieser Sätze (b 22, b 25, b 26). Aristoteles beschränkt sich aber nicht auf eine bloß aufreihende Rekapitulation und Prüfung der von den Vorgängern überkommenen Lehren. Wir 11° 'EntoxonoGv-cag 6E n ~ eilvxfjg i Olvayxaiov, Üpcc Gtaxo~oüv-cagn ~ e&Y i e6meeiv 6ci xeoehC)6v-ca~,-c" ~ t " vxeo-ck~ov6 6 E a ~ovpnaeahapfi&v~tv OUOL n Z E Q ~a6-cijg &x~cpfivav~o, o n o T& ~ pkv I I ~ ~ ~Oi eSq p k v ah&ßopav, ci 66 zt yfi x a h t " ~ z, o h ' ~.Uhcrfiq$bpav.O l ~ ~ 6E f i zfjs
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haben ja schon aus Met. I I I , 1 gelernt, daß ein Chaos der Aporien uns nicht weiterhilft, sondern daß alles darauf ankommt zu erkennen, welches Problem das erste und grundlegende ist. Erst wenn wir die Fundamentalfrage aufgedeckt haben, lassen sich die übrigen Fragen in eine Ordnung bringen. Diese Fundamentalfrage wird hier klar bezeichnet: „Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Aufstellung dessen, was der Seele, ihrer Natur gemäß, nach der herrschenden Auffassung, am meisten als Ursprung zugrunde zu liegen scheint. " Der Satz greift zurück auf den Satz im ersten Kapitel: „Wir suchen zu betrachten und zu erkennen ihre cp13ot~und ihre oI3oia - ihre Natur und ihr Wesen - danach alles, was ihr zukommt. " (402 a 7 f. ; 173) Dadurch erhalten die Worte zol phhtoza Gono6vt3' Gnh~xelva4zn nazd cp6otv ihre präzise Erläuterung: das, was der Seele ihrer Natur nach am meisten als Ursprung zugrunde liegt, sind diejenigen Bestimmungen, die ihre oVoia ausmachen. Man übersetzt das Wort G x h ~ ~ e t v gewöhnlich unbestimmt und vage als „zukommen". So heißt es denn auch bei Theiler: „Was der Seele ihrer Natur nach hauptsächlich zuzukommen scheint" (8). Will man wissen, was „zukommen" bedeuten soll, so erhält man im allgemeinen die Antwort: das Wort .Unh@XELV bezeichne das logische Verhältnis des Prädikates zum Subjekt. Damit hört dann das Denken auf; denn für die Erkenntnis des Wesens der Seele ist uns nichts damit geholfen, daß wir feststellen, welche Prädikate in irgendwelchen Aussagen mit dem Subjekt „Seele" verbunden werden. Wir wollen wissen, was dieses Subjekt selbst konstituiert, und ob die Prädikate diesem Subjekt mit Recht zugesprochen werden oder nicht. Die denkende Erkenntnis betrifft also nicht die Verbindung von Prädikat und Subjekt; sie betrifft vielmehr den Grund dieser Verbindung, ihre Rechtmäßigkeit, ihre Bedeutung und ihre Grenzen. Sie betrifft, mit anderen Worten, das, was in der einfachen Aussage nicht ausgesagt werden kann. In dem Satz aus dem ersten Kapitel (402a 7ff.) wird eine für Aristoteles grundlegende Unterscheidung gleich zu Beginn des ganzen Werkes eingeführt: - die Unterscheidung zwischen der oI3oia und den oupßeßqnota. Cupß~ßqn6zasind alle jene Eigenschaften und Bestimmungen, die (in der wörtlichen Bedeutung dieses Begriffs) „mit einhergehen", also die „beiläufigen" Eigenschaften, die zwar dazu gehören, aber nicht das Wesen der Sache ausmachen. Davon sind jene Bestimmungen zu unterscheiden, die die Seele als Seele konstitu-
ieren und deswegen in der Aufweisung ihres Wesens, im hoyog T ~ o h i a g , vorkommen müssen. Das sind die p h h l o ~ a.iinol~~ov-ca, das heißt jene Bestimmungen, die jeder einzelnen Seele - gleichgültig, was sie sonst für Eigenschaften haben mag - als Ursprung zugrundeliegen. Ich habe im vorigen Semester ausführlicher begründet, daß der Begriff ~ Z ~ Q X E LanV einer großen Zahl besonders wichtiger Stellen wörtlich interpretiert werden muß (74ff.). An dieser Stelle ist der Sachverhalt klar, weil Aristoteles wenige Zeilen später die emphatische Wendung gebraucht: „Es sagen nämlich Einige, daß sowohl hauptsächlich als auch primär die Seele das Bewegende sei." 111 Hauptsächlich ( p h h ~ o ~entspricht a) dem polhto~ain b 25; dem Wort UXC~QXELYin b 25 entspricht s c ~ 6 - cWas ~ ~ .an der ersten Stelle der Untersuchung stehen muß (ZQWTLO~): das sind nach Aristoteles die &exai- die Ursprünge ( . U x - h e ~ ~ ~Damit v ) . kommt der methodische Grundgedanke erst heraus: das, was in der Sache selbst der Ursprung ist, das muß die CIQX?) z i j i~; q ~ f i o ~- w den ~ Ausgangspunkt der ~ 25) t v greift also direkt auf Untersuchung bilden. Das Wort 4 x o l ~ ~(b das Wort (b 24) zurück. Studiert man die kritische Ubersicht, die Aristoteles über die Lehren seiner Vorgänger gibt, genauer, so stellt sich heraus, daß es einer nicht geringen Gewaltsamkeit bedarf, die Vielzahl der Lehren über die Seele unter die Perspektive der Frage nach der odoia der Seele zu zwingen. Es ist uns durch die Tradition einer von Aristoteles bestimmten Metaphysik und Wissenschaftstheorie nur allzu selbstverständlich geworden, daß man zunächst das Wesen einer Sache bestimmen müsse, bevor man ihre übrigen Eigenschaften und Relationen aufklären könne. Es ist uns selbstverständlich, weil wir nicht danach fragen, was das Wort „Wesen" eigentlich bedeutet, und weil wir uns nicht klarmachen, daß wir mit dieser Auffassung sämtliche Implikationen einer Ontologie übernehmen, deren innere Problematik und Fragwürdigkeit dem Aristoteles sehr viel deutlicher war als der Gesamtheit seiner Nachläufer bis heute. Ich habe im vorigen Semester gezeigt, daß der Vorrang der Frage nach der o h i a bei Aristoteles unmittelbar mit zwei Grundentscheidungen verkoppelt ist, zu denen er in Abkehr von Platon gelangt ist: 1. Für Aristoteles ist nicht, wie für Platon, die Mathematik sondern
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die Struktur des h6yog bxocpav~til6g,das heißt die Kategorienlehre, die Basis der Explikation des Sinnes vom Sein, die dadurch erst zur „Ontologie" wird. 2. Für Aristoteles liegt Gott nicht wie für Platon jen~eitsder odoia; er ist selbst odoia (71). Erst auf diesem Hintergrund läßt sich verstehen, weshalb Aristoteles, gestützt auf die fundamentalen Positionen seiner Ersten Philosophie, zu Beginn des ersten wie zu Beginn des zweiten Kapitels ohne nähere Begründung sämtliche Probleme und Aporien, die im Umkreis seiner denkerischen Erkundung der Seele bei ihm selbst oder bei seinen Vorgängern auftreten mögen, der Fundamentalfrage nach der odoia der Seele unterordnet. Die Frage: was sind die als Ursprung zugrundeliegenden Bestimmungen des Wesens der Seele? ist jene erste Aporie, die es nach Met. III,l zu entdecken gilt, wenn man in die Ubersicht über den Katalog der Aporien eine durchsichtige Ordnung bringen will. Diese fundamentale Frage wird, wie Aristoteles ebenfalls zu Anfang sagt, in zwei Hinsichten entfaltet: 1. zur Seele gehört Bewegung; 2. zur Seele gehört Wahrnehmung. Der Begriff der Wahrnehmung muß hier, wie die folgenden Kapitel zeigen, in einem ganz weiten Sinn verstanden werden. Es geht nicht nur um die sinnliche Wahrnehmung sondern um das Auffassen von Wahrheit überhaupt. Wo immer Seele ist, da ist Bewegung; wo immer Seele ist, da wird Wahrheit erkannt. Die Frage nach dem Wesen der Seele zielt also auf den Zusammenhang von Bewegung und Wahrheit. Der Inbegriff alles dessen, was sich bewegt, heißt bei Aristoteles, wie wir gesehen haben, cp-iiot~.Die Wissenschaft von dem, was sich bewegt, ist die Physik. Die Wissenschaft von der Wahrheit überhaupt und im Ganzen ist die Metaphysik. Im Wesen der Seele sind also Physik und Metaphysik verbunden. Wenn es gelingt, das Wesen der Seele aufzuklären, verstehen wir Zusammenhang und Einheit von Physik und Metaphysik. So zeigt sich, daß die zwei grundlegenden Bestimmungen des Wesens der Seele, von denen Aristoteles ausgeht, ihre Bestimmung durch ilivqo~gund ato6qots, zurückverweisen auf den ersten Satz des Werkes: „Es scheint aber sowohl für die Wahrheit insgesamt ihre Erkenntnis Großes beizutragen wie auch hauptsächlich im Hinblick auf die cp6otg." (402a 4-6) Wenn Aristoteles dort (402a 6) fortfährt: „Sie ist nämlich so etwas wie der Ursprung der Lebewesen", werden, wie wir nun sehen, diese beiden Hinsichten zusammengefaßt: Leben
ist gleich ursprünglich auf Wahrheit und auf Bewegung bezogen. Der v - Ursprung der Lebewesen - macht deutlich, Begriff dexfi ~ 6 @ov in welcher Dimension des Denkens und des Erkennens wir die Erklärung der Worte T& p 6 h ~ o . cGo~oüvO' ~ hn;ctex~~v cx-V.c$ xa.c& rpVo~v (403b 25) zu suchen haben. Aristoteles fragt nach dem, was dem Ursprung der Lebewesen als Ursprung zugrunde zu liegen scheint: der Einheit von Bewegung und Wahrheit. Wir werden beim Ausblick auf die Theologie des Aristoteles sehen, daß alle hier eingeführten Begriffe dort in der Gotteslehre wiederkehren: Gott ist als v o ü ~als , die vollkommene Präsenz der reinen Wahrheit, zugleich der unbewegte Beweger, und indem er beides in Einem ist, ist er Leben, genauer gesagt: das Leben des Lebens. Wie stark die kritische Übersicht über die Lehren der Vorgänger in , , n ~ eVuxijg'' ; schon auf die Theologie orientiert ist, kann ich hier nicht ausführen. Sie werden sich beim Durchlesen davon leicht selbst überzeugen können. Aus den einleitend festgelegten Hinsichten, in denen die Fundamentalfrage nach der o6oia der Seele durchgeführt werden soll, ergibt sich dann die Gliederung der kritischen Ubersicht über die früheren Lehren; Theiler hat das in seiner Inhaltsübersicht so klar herausgestellt (Soff .), daß ich darauf verzichten kann, dies hier im Einzelnen auszuführen. Aristoteles hat alle früheren Philosophien daraufhin geprüft, ob sie die Seele entweder als Bewegendes oder als Wahrnehmendes oder als eine Verbindung von Beidem aufgefaßt haben. Er zeigt durch die Diskussion ihrer Lehren, welche Schwierigkeiten sich jeweils ergeben, und führt die Aporien immer wieder selbständig weiter. Die im I. und 111. Buch der „Metaphysik" getrennt durchgeführten Teile der Kritik und der Aporematik sind hier noch miteinander verschmolzen. Es ist noch nicht die gleiche Stufe der systematischen Klarheit erreicht; wir fassen vielmehr die Wissenschaft von der Seele, die Aristoteles gesucht hat, gleichsam in statu nascendi. Das macht die Lektüre dieses I. Buches so schwierig und zugleich so erregend. Wir können uns aber bei diesem ~ b e r b l i c kauf die Einzelheiten nicht einlassen. Es genügt, gezeigt zu haben, daß dieses bei der Darstellung der aristotelischen Lehre meist übersprungene oder vernachlässigte Buch den philosophisch wichtigsten Teil des Werkes, nämlich die Festlegung des Horizontes und der Perspektive der Wissenschaft von der Seele enthält. Was sich in den späteren Büchern als „Lehre" von der Seele kristallisiert, ist nur die Ausführung des hier vorgezeichneten Entwurfes. 218
2. Buch I1 und I11
( : Die Stufenfolge der Seelenvermögen) Die Bücher I1 und I11 enthalten die eigene Lehre des Aristoteles von der Seele. Wir haben schon gesehen, daß das Wort „Lehrec'nicht in dem dogmatischen Sinn verstanden werden darf, in dem die spätere Tradition gerade Aristoteles immer wieder ausgelegt hat. Das Verfahren bleibt weiterhin aporematisch. Wenn man den Text genau verfolgt, zeigt sich Schritt für Schritt, mit welcher Sorgfalt Aristoteles bemüht ist, voreilige Festlegungen zu vermeiden, und wie er Probleme immer offen hält. Darin ist er ein Schüler Platons. Er ist das bis zum Ende seines Lebens geblieben. Entsprechend dem Verfahren, für das er sich schon im I. Buch entschieden hat, setzt das 11. Buch mit der Frage ein: „Was ist die Seele und was dürfte wohl ihre allgemeinste Definition sein?"112 Der griechische Ausdruck, den ich durch die Worte „die allgemeinste Definihoyog. Aoyog heißt nicht, tion" übersetzt habe, heißt no~v6-ca.cog wie Theiler übersetzt, „Begriff"; der hoyog ist vielmehr bei Aristoteles immer eine Aussage, die mindestens aus der Verbindung von einem Subjekt und einem Prädikat besteht. Er kann auch ganze Ketten solcher Aussagen als h6yog bezeichnen. Oft heißt hoyog „die Untersuchung"; in diesem Sinne sind zum Beispiel die Bücher I1 und 111 ein einziger hoyo~.Aber an dieser Stelle handelt es sich um eine , jenen, den Aristoteles hoausgezeichnete Form des h o y o ~nämlich yog z i j o-Voia~ ~ nennt. Der h o y o ~z i j o~ 6 o i u ~ist eine Aufweisung der o6oia als solcher. Wenn man das, was das „Wesen6'oder, wie man o6oia zu übersetzen pflegt: die „Substanz" einer Sache ausmacht, in einem hoyog aufweisen will, kommt es darauf an, daß man in diesen h o y o ~nur die Bestimmungen aufnimmt, die die oGoicx als solche konstituieren, und daß man alle Bestimmungen ausgrenzt, die ihr nur beiläufig zukommen. Einen solchen h6yog nennt Aristoteles O Q L ~ ~ ~ S - die Ausgrenzung; die lateinische Übersetzung davon heißt: definitio. Dabei ist jedoch darauf zu achten, daß der aristotelische U ~ ~ o p oetwas g ganz anderes ist als die moderne Definition. Das, was in der neuzeitlichen Lehre von der Definition als das zu Definierende gilt, ist die genaue Bedeutung eines Begriffs. Was hingegen der ari-
stotelische U Q L ~ ausgrenzt, ~ ~ S ist nicht der Begriff sondern die 06oicx, wörtlich die „Seiendheit" eines Seienden als solche. Habe ich die konstitutiven Seinsbestimmungen eines Seienden in ihrer Einheit erfaßt, so kann ich diese Einheit durch ein Wort bezeichnen. Halte ich fest, daß dieses Wort nur auf die klar ausgegrenzte o6oiu bezogen werden soll, so entsteht ein Begriff, weil die Bedeutung des Wortes eindeutig festgelegt ist. Aber ich kann auch Worte definieren, die keine olioicx bezeichnen. Um ein Beispiel zu nennen, das Aristoteles liebt, weil es eine Anspielung auf Sokrates enthält: ich kann definieren, was das Wort „stupsnäsig" bedeutet. Aber eine Stupsnäsigkeit ist keine o6oia sondern eine beiläufige Eigenschaft einer o6oicr. Für das Verständnis von Aristoteles hängt viel davon ab, daß man zwischen O Q L ~ Definition ~ ~ S , und Begriff zu unterscheiden vermag. Die Ubersetzungen führen uns hier fortwährend in die Irre. Wenn Aristoteles hier fragt: -ci EOTL I ~ L ) x-~„Was ? ist Seele?", so fragt er nach der olioicx nicht etwa dieser oder jener Seele sondern von Seele über~ 8111 notv6haupt. Wenn er die Frage anschließend präzisiert: - c i uv -ca-coSh6yos ali-cij~?- „Was dürfte wohl die allgemeinste Aufweisung von ihr sein?", so sucht er eine Formel, die in der Gestalt des Opap 6 alles ~ ausgrenzt, was für die Seele als solche nicht konstitutiv ist, zugleich aber so allgemein ist, daß nichts, was zur Seele gehört, ausgeschlossen wird. Im ersten Kapitel (402 b 4) hatte er bemerkt, daß die meisten, die über die Seele Aussagen machen und Untersuchungen anstellen, ihre Betrachtungen nur im Umkreis der menschlichen Seele anstellen. Nach Aristoteles haben auch die Pflanzen und die Tiere Seele. Der gesuchte h 6 y o ~muß also so allgemein sein, daß er die konstitutiven Merkmale des pflanzlichen und des tierischen Lebens mit einschließt. Nur so wird auch die Seele des Menschen gleichsam von ihren Wurzeln her, also in ihrem unverkürzten Zusammenhang aufgedeckt werden können. Die Fragestellung des Aristoteles ist, wie sich zeigt, so umfassend und greift so tief, daß wir, wenn wir sie einmal verstanden haben, an das 11. Buch nicht mit der Erwartung herangehen werden, die Frage ließe sich durch die bloße Aufstellung einer Definition im üblichen Sinne dieses Wortes erledigen. Zwar stellt Aristoteles, seinem Ansatz entsprechend, die Ausgrenzung der o6oicx der Seele an die Spitze der ganzen Untersuchung, aber er braucht dazu zwei ganze Kapitel: 11, 1 gibt einen ersten Aufriß; 11,2 führt, nach einer Methode, die wir genauer werden betrachten müssen, eine Untersu-
chung lx3 durch, die eine differenziertere Strukturanalyse der o6oia der Seele möglich macht. Dabei stellt sich heraus, daß Seele überhaupt sich in einer Vielzahl von Vermögen manifestiert, und daß nicht alles, was beseelt ist, sämtliche Vermögen hat, sondern die verschiedenen Lebewesen sich durch die Zahl und die innere Organisation ihrer seelischenvermögen unterscheiden. Nur der Mensch hat die Gesamtheit aller Seelenvermögeii einschließlich eines Vermögens, durch das er sich selbst als Lebewesen transzendiert: des YOÜS. Nachdem Aristoteles geklärt hat, wie sich die eine ouoia, die wir „Seele" nennen, in einer Vielzahl von Vermögen entfaltet, differenziert und in verschiedenen Lebewesen auseinanderlegt, hat er die Grundlage gewonnen, uin nun der Reihe nach die einzelnen Vermögen zu analysieren, ohne daß dabei die alle umspannende Einheit der o-iroia von Seele überhaupt aus den Augen verloren wird. Er bespricht in den Kapiteln von II,4-III,3 der Reihe nach, von unten aufsteigend das Ernährungsvermögen (II,4), das Wahrnehmungsvermögen (II,5-111,2) und das Vorstellungsvermögen (III,3). Dieser ganze Teil des Werkes ist eine einzige, konsequent durchgeführte Untersuchung; die spätere Bucheinteilung ist ein künstlicher Eingriff, durch den man sich nicht verwirren lassen darf. Wir werden nicht die Zeit haben, diesen umfassendsten und durchgeführtesten Teil des Werkes im Einzelnen zu betrachten. Ich gebe für die Lektüre den Hinweis, daß der philosophische Gehalt dieser Kapitel nur herauskommt, wenn man bei der Interpretation streng darauf achtet, wie die Einheit der zu Beginn vorgezeichneten Struktur der olioia in den einzelnen Analysen durchgehalten wird, ohne daß dadurch die Offenheit der bis in die Einzelheiten der empirischen Forschung vordringenden Analysen beeinträchtigt würde. Auch der aporematische Charakter der Untersuchung bleibt stets erhalten. Das letzte Kapitel dieses Abschnittes, das Kapitel über das Vorstellungsvermögen, ist so angelegt, daß es den Übergang zum Höhepunkt des ganzen Werkes, nämlich zum Abschnitt über das Denkvermögen, vollzieht. Dieser Abschnitt umfaßt die Kapitel III,4-8. Er enthält die für unser Anliegen zentrale Erörterung über das Wesen des YOÜS. Betrachtet man diese Kapitel genauer, so stellt sich heraus, daß Aristoteles seine Lehre vom voüs in strenger Parallelität zu seiner Lehre von der alot)qo~s- der sinnlichen Wahrnehmung - aufge113
Im Tcxt: „eine diffcrcnziertere Uiitersuchung"
baut hat. Die wesentlichen Strukturen des voGg sind mit den wesentlichen Strukturen der aiof3qoic; identisch. Dadurch erkennen wir im Rückblick, daß die zu Anfang aufgestellte These, die oVoia der Seele sei trotz ihrer Differenzierung in verschiedene Seelenvermögen als eine Einheit zu begreifen, keine äußerliche Konstruktion ist. Das deutsche Wort „WahrnehmungL'bezeichnet treffend das gemeinsame Wesen von utoeqoig und ~ 0 6 s Beide . nehmen das Wahre auf, wie es von sich aus ist und sich zeigt. Deswegen greift die erste Wesensbestimmung der Seele: daß sie auf Wahrheit bezogen ist - durch alle Abstufungen der verschiedenen Seelenvermögen und durch alle beseelten Lebewesen durch. Wie aber steht es mit der zweiten Grundbestimmung, der Bestimmung der Seele durch die Bewegung? Die Antwort auf diese Frage enthält das letzte Hauptstück des Werkes in den Kapiteln III,9-11. Der Abschnitt über das Denkvermögen (1II,4-8) hat also im Aufbau des Werkes eine doppelte Funktion: einerseits ist er der Höhepunkt der I I , 4 mit dem Ernährungsvermögen einsetzenden Stufenfolge der Seelenvermögen; andererseits ist er der erste Teil eines Schlußabschnittes, dessen zweiter Teil aus einer parallelen Untersuchung über das Bewegungsvermögen besteht. So wird der schon im zweiten Satz des ersten Kapitels eingeführte doppelte Hinblick auf die & h f i O ~insgesamt ~a und auf die q-lro12 bis zum Ende durchgehalten. Das Werk hat eine strenge Architektur. Die letzten Kapitel 111, 12-13 sind ein Nachtrag zur Untersuchung des Ernährungs- und Wahrnehmungsvermögens, der nicht mehr im strengen Sinne zum Werk gehört, sondern uns einen Einblick in die Vorstudien gibt, die Aristoteles machte, wenn er ein solches Werk aufbauen wollte.
3. (Anmerkung über die literarische Form) Zum Schluß dieses Überblickes ist es noch wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff „Werkx hier nur mit Vorbehalt verwendet werden darf. Die uns erhaltenen Schriften des Aristoteles repräsentieren sehr verschiedene Stufen der gedanklichen und literarischen Ausarbeitung. Neben zum Abschluß gebrachten Texten finden sich Texte, die offensichtlich nur Vorstufen des geplanten Werkes repräsentieren. Die Bücher , , n e ~ iQuxjc;'' sind trotz ihrer klaren Architektur
kein zum Abschluß gebrachtcs und in sich vollendetes Werk. Sie sind ein ungleichmäßig ausgearbeiteter Entwurf. Es ist mir eine offene Frage, ob man so weit gehen darf wie Theiler, der den Versuch macht, die erste Niederschrift von späteren Zusätzen zu unterscheiden und beide Textstufen zu datieren. Ich gestehe, daß ich mich bisher von der Richtigkeit seiner sehr scharfsinnigen Thesen noch nicht zu überzeugen vermochte, daß ich aber auch noch nicht so weit gelangt bin, mir selbst über diese Fragen ein sicheres Urteil bilden zu können. Für unsere Fragestellungcn sind diese literarischen Probleme von sekundärer Bedeutung, denn wir wollen die aristotelische Lehre von der Seele in ihren großen Grundzügen im Hinblick auf ihren Zusammenhang mit der aristotelischen Theologie zu verstehen versuchen. Dafür ist (es) wichtig, erstens die Architektur des Ganzen, zweitens einige ausgewählte Kapitel (zu betrachten). Ich möchte folgende Kapitel behandeln: - das Aporienkapitel (I, 1) - die Kapitel über die oVoiu der Seele (11, 1-2) - die Kapitel über das Denkvermögen (1II,4-8). Zum Schluß will ich, wie schon gesagt, versuchen, den Zusammenhang mit der Theologie des XII. Buches der „Metaphysik" herzustellen.
I. (Die Aporien über die Erkenntnis der Seele) Unserem Plan entsprechend gehen wir aus von der Aufzählung der Aporien, die eine Wissenschaft von der Seele auflösen müßte. Uber die methodische Funktion des Aporienkatalogs und seinen Zusammenhang mit der kritischen Ubersicht über die Lehren der Vorgänger habe ich bereits gesprochen. Wir wissen also schon, daß die Aporien bei Aristoteles ein wesentliches Moment der philosophischen Erkenntnis sind. Philosophische Erkenntnis ist bei Aristoteles L f i ~ q o-t ~Suche nach den Voraussetzungen einer möglichen Wissenschaft, nicht diese Wissenschaft selbst. Sie bleibt also auch bei Aristoteles rp~ho-oorpia.Es ist ein falscher und gerade Aristoteles nicht angemessener Begriff von Philosophie, der die nacharistotelischeTradition dazu verleitet hat, den Erkenntnisgehalt der aristotelischen Schriften nur in der sogenannten „Lehre", also in den Antworten auf die Aporien zu suchen. Die Erkenntnis der Aporien selbst ist vielmehr die größte und wesentlichste Leistung. Wenn man die Aporien nicht vor Augen hat, muß auch die Lehre falsch verstanden werden. Deswegen können wir das Aporienkapitel I, 1 nicht überspringen. Allerdings verbietet uns die Zeit, dieses Kapitel so intensiv zu interpretieren, wie es erforderlich wäre. Ich beschränke mich darauf zu zeigen, wie in diesem Kapitel der Horizont für die Untersuchungen der Bücher I1 und I11 eröffnet wird. Die ersten Sätze von I, 1 (bis 402 a 7), die ich im vorigen Semester ausführlich interpretiert habe (135 ff .), gehören nicht zum Aporienkapitel. Sie bilden vielmehr, wie schon gesagt, ein selbständiges Prooimion über die Stellung und Bedeutung der Wissenschaft von der Seele. Was hier in knappster und gedrängtester Form mehr bezeichnet als ausgeführt wird, entspricht seiner Funktion nach dem ersten Kapitel der „Metaphysik", das die Frage behandelt: d~. . . fi rp13mq zijq ~TCLOT.IIF~S z f j l~; q ~ o u p h w- ,,was die Natur der gesuchten Wissenschaft ist" (983 a 21).
1. (Die Festlegung des Horizontes der Fragestellung) (In der Zeile De an.) 402 a 7 beginnt dann mit 61cti;qtoilp~vein Satz, der eine andere Funktion hat: „Wir suchen ins Auge zu fassen und zu erkennen ihre Natur zugleich und ihre o h i a , danach alles, was in ihrem Umkreis sich einstellt. Ein Teil davon scheinen der Seele eigentümliche Widerfahrnisse zu sein, ein Teil hingegen durch ihre Vermittlung auch den Lebewesen als Ursprung zugrunde zu liegen."ll4 Dieser Satz formuliert noch keine Aporie. E r umreißt vielmehr das Ziel der Untersuchung; er bestimmt also, was es denn ist, das in der gesuchten Wissenschaft gewußt werden soll. In der „Metaphysik" entspricht diesem Satz das zweite Kapitel. Wir erfahren dort auch, unter welche Uberschrift der Satz gestellt werden muß: .tig 6 onontq 06 6 ~~ Ui V X & V E Lzfiv ~ i;fi~qotv nai t4v ohqv pEOo60v - „was das Ziel ist, das die Untersuchung und die gesamte Methode treffen muß" (983 a 22f.). 2non6< ist das ins Auge gefaßte Ziel, auf das ein Bogenschütze sei~v Die Unnen Pfeil richtet. Entsprechend heißt z u v ~ & v e „treffen6'. tersuchung erscheint (nach einer Metapher, die bei Platon eine große Rolle spielt) als eine Jagd, bei der das Ziel aufgespürt werden muß. Daraus erklärt sich das Wort p68oOoc. Es ist der Spürgang (6665) nach einer Beute (FE@-).Das ist ein völlig anderer Methodenbegriff als jener Begriff der Methode, der seit Descartes die europäische Wissenschaft beherrscht. Es ließe sich aber zeigen, daß der moderne Methodenbegriff erst auf dem Boden dieses ursprünglichen Methodenbegriffes ausreichend interpretiert werden kann. Darauf gehen wir jetzt nicht ein. Für uns ist zunächst nur Folgendes wichtig: Wenn man sich bei einer solchen Suche nicht verirren soll, muß man ganz genau wissen, welche Beute man schließlich erjagen, welches Ziel man treffen will. Ohne eine klare Antizipation des Zieles würde man richtungslos hin- und herschweifen. Man würde, wie Aristoteles Met. II,1 sagt, die Beute, selbst wenn man ihrer habhaft würde, nicht identifizieren können, weil man ja gar nicht weiß, was man sucht. Erst durch die klare Antizipation des Zieles erhält das Suchen l t 4 Enti;q~oUp~v 62 H F ( L ) Q ~ O ~xai L yvOva1 afiv TE ~ U O L Ya6.cij~ltai 05aiav, &SO' 00a avpßtßqxe neei a 6 ~ f i v&Y . TU pFv LSta n&Oq ~ f$vxijg j ~ EEYUL boxei, T& 62 61' Fx~ivqvxai tot5 $015 6nOL~x~tv. 402a 7-10.
insgesamt seine Richtung und Orientierung. Erst so wird es in seiner Gesamtheit ,uE0oSo~,das heißt Gang zu einem Ziel. Deshalb ist die gesamte Untersuchung durch die mit dem Vorgriff auf das Ziel festgelegte Perspektive bestimmt. Der Vorgriff auf das Ziel umreißt zugleich den gesamten Horizont, in dem sich die Untersuchung bewegt. Weil Aristoteles sich dessen mit einer später kaum je wieder erreichten Klarheit bewußt war, stellt er in , , I i e ~ii l v ~ f j ~wie ' ' in der „Metaphysik" die Festlegung des o n o n o ~an die Spitze. Er weiß, daß er mit diesem einen Satz die Bahn des gesamten Werkes festlegt. Was wird hier festgelegt? Aristoteles sagt, daß die Erkundung (iozo~ i a402a , 4), die er anstellt, etwas Doppeltes ans Licht bringen soll: 1. die cp6ot~nai ovoicx der Seele; 2. was sich in ihrem Umkreis einstellt, ihre oupß~ßqn6.ta,also alles, was an der Seele mit beiherläuft. Die oupß~ßqn6zawerden wieder aufgeteilt: in solche, die der Seele eigentümlich sind, (und) in solche, die durch ihre Vermittlung auch den Lebewesen als Ursprung zugrundeliegen. Aristoteles hat es nicht für nötig gehalten, diese Umgrenzung dessen, was in der gesuchten Wissenschaft das Gewußte sein soll, zu begründen. Die Begründung ergibt sich aus der „Wissenschaft", die er „die Erste Philosophie" genannt hat, weil sie allen anderen Wissenschaften zugrundeliegt; es ist die „Wissenschaft", die das Seiende als Seiendes und die diesem als einem solchen zugrundeliegenden Ursprünge betrachtet (Met. IV, 1, 1003 a 21-22). Man nennt diese Wissenschaft seit dem Erscheinen des ,,Lexicon Philosophicurn " von Goclenius (1615) ,,Ontologie". Man muß die „MetaphysikL' des Aristoteles studieren, um zu verstehen, welcher Horizont in der Bestimmung des Ziels der Untersuchung vorausgesetzt und damit zugleich gesetzt ist. Ich kann das hier nicht ausführen, sondern verweise nur auf einen schon kurz berührten zentralen Punkt, den ich im vorigen Semester ausführlicher behandelt habe (113 ff.). Die Unterscheidung zwischen o4oia und oup(kßqxo.ta, die, wie wir dem ersten Satz entnehmen können, grundlegend ist, hat ihren Grund und ihre Rechtfertigung darin, daß Aristoteles bei der Erkenntnis dessen, was ist, von der reinen Struktur der Aussagen ausgeht, in denen wir das Seiende aufweisen. Eine Aussage besteht in ihrer einfachsten Form aus der Verbindung von Subjekt und Prädikat. Das subiectum ist das Zugrundeliegende, auf das hin das Prädikat ausgesagt wird. Wenn ich etwa sage: „Diese Kreide ist weiß",
gebe ich schon durch die Form der Aussage zu verstehen, daß die Begriffe „I
genauer gesagt: die Umgrenzung des eigentümlichen Wesens des Menschen, daß er das Lebewesen ist, das den h 6 y o ~hat: TO Q o v h6yov 2 x 0 ~ Im . Abschnitt über das Denkvermögen (De an. III,4-8) werden wir sehen, was der Sinn dieser Wesensbestimmung des Menschen ist. Der Satz über den Inhalt der gesuchten Erkenntnis setzt demnach voraus, daß wir in dem durch die Kategorienlehre festgelegten Horizont auch die Seele als ein Seiendes zu betrachten haben, das, wie alles andere Seiende auch, sich in der Unterscheidung der o-iioia und ihrer Widerfahrnisse als das zeigt, was es von sich aus ist. Diese Voraussetzung ist keineswegs selbstverständlich. Wir werden sowohl bei den Aporien wie auch bei dem aristotelischen Versuch, zu Beginn des 11. Buches die odoiu der Seele zu umreißen, sehen, daß Aristoteles sich der Problematik dieses Ansatzes in hohem Maße bewußt war. Aber die größte Leistung des Aristoteles, nämlich die Erkenntnis dieser Problematik, ging in der späteren Tradition verloren. Man setzte selbstverständlich voraus, daß es gerechtfertigt sei und einen guten Sinn habe, von Seele, Bewußtsein, Vernunft oder Geist so zu sprechen, als ob durch diese Worte etwas bezeichnet würde, was ein Seiendes ist. Entsprechend hat man auch von Gott als von einem, dem höchsten Seienden gesprochen, und diese Seiendheit Gottes durch den „ontologischen" Gottesbeweis expliziert. Die hier von Aristoteles umrissene Festlegung des Zieles der gesuchten Wissenschaft von der Seele fixiert für mehr als zweitausend Jahre den Horizont, innerhalb dessen der europäische Mensch nach sich selbst und nach Gott zu fragen vermochte. Ich verzichte an dieser Stelle darauf, die Begriffe, die in diesem Satz auftreten, genauer zu interpretieren, denn ihre Bedeutung wird sich im Fortgang Schritt für Schritt herausstellen. Ich weise nur darauf hin, daß dieser Satz die großen Grundworte der Philosophie des Aristoteles wie Perlen einer Kette aneinanderreiht. Wer mit einem scholastischen Vorverständnis an einen Text des Aristoteles herangeht, erwartet nichts anderes und meint, das wären fertig geprägte Münzen. Das Aporienkapitel, das mit dem nächsten Satz beginnt, wird uns zu einer anderen Auffassung dieser Begriffe verhelfen. Es folgt in seinem Aufbau genau der Gliederung des Satzes selbst. Der erste Teil (402a 10-22) behandelt die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man die Methode der Untersuchung und die Gestalt der gesuchten Wissenschaft zu bestimmen versucht; er behandelt also die Problema-
tik, die sich hinter den Worten E n t t q ~ o 6 p ~6E v Q E W Q I ~ ~ Unai L yvovat - „wir suchen danach, ins Auge zu fassen und zu erkennen" - verbirgt. Der zweite Teil (402a 23-b 16) entwickelt die Aporien der Begriffe rp7jot~nai odoiu. Nach einem Zwischenstück (402b 16-403 a 2), dessen Thematik gleich genannt werden soll, hat der letzte Teil (403a 2-b 19) die xu8q ~ f j Qwxfjs g - die „Widerfahrnisse" der Seele - also die ovpßeßqn6aa - zum Thema. Das Zwischenstück (402 b 16-403 a 2) greift die Methodenproblematik des ersten Abschnittes wieder auf; hier werden keine Aporien entwickelt, es wird vielmehr gezeigt, wie wichtig die Erkenntnis der owpße@q~)~O~a für die Erkenntnis der olioia ist. Auf die Bedeutung dieses Gedankens können wir hier noch nicht eingehen. Für die Komposition ergibt sich aus ihm die zum Verständnis des ganzen Kapitels unentbehrliche Erkenntnis, daß die Aporien des ovoia-Abschnittes mit den Aporien des Abschnittes über die xol8q der oVoia zusammenhängen, und daß die Erkenntnis, die wir suchen, beides in seiner Einheit erfassen muß. Man kann also hier nichts äußerlich abtrennen und nichts getrennt betrachten, sondern muß immer das Ganze vor Augen haben. Wir folgen nun dem Aufbau des Kapitels. Ich muß aber auf eine Wort für Wort dem Gang des Textes folgende Interpretation verzichten, weil dieser außerordentlich gedrängte und schwierige Aufriß der gesamten Problematik der gesuchten Wissenschaft von der Seele so reich an Voraussetzungen ist, daß es Wochen in Anspruch nehmen würde, den philosophischen Kontext zu entfalten. „TIrei ~puxfjg"ist ein spätes Werk. Aristoteles hatte, als er es schrieb, die gesamte Problematik vor Augen, die in der „Metaphysik", der „Physike'und den wissenschaftstheoretischen Schriften erörtert wird. Der Text ist für Aristoteles-Kenner geschrieben, denen bei jedem Stichwort die Untersuchungen gegenwärtig sind, in denen das bezeichnete Problem diskutiert wird. Sie können sich in dem sorgfältigen Kommentar von Hicks über die Einzelheiten informieren (vgl. Anm. 22). Ich hebe nur hervor, was unentbehrlich ist, wenn wir die Grundintention dieses Kapitels, nämlich die aporetische Erschließung des Horizontes einer möglichen Wissenschaft von der Seele, verstehen wollen.
(Exkurs über den subtilen Nihilismus von Exegese) Der erste Satz (402a 10-11) ist eine ~berschriftüber das ganze Aporienkapitel: „In jeder Hinsicht und auf jede Weise gehört es zum Schwierigsten, so etwas wie eine verläßliche Meinung über sie [die Seele] zu gewinnen." llS Theiler macht zu diesem Satz eine Anmerkung, die typisch ist für die Form, in der Philologen durch richtige Feststellungen sich selbst und ihre Leser der Möglichkeit des Verständnisses eines Textes berauben. E r sagt nämlich: „Die Schwierigkeit eines Unternehmens zu betonen, gehört zu einem Prooemium" (88). Prooimion, lateinisch Prooemium, heißt Einleitung; der Satz wäre demnach eine stehende Formel oder, wie man mit einem Begriff der antiken Rhetorik zu sagen pflegt, ein „Topos". Mit der Feststellung solcher festen Formelemente verbindet sich in der Philologie des 19. und 20. Jahrhunderts der keineswegs selbstverständliche Hintergedanke, der Satz wäre durch diese Feststellung bereits erklärt. Sie kennen ja auch aus der neutestamentlichen Exegese das Verfahren, daß man durch formgeschichtliche Analyse Texte ihres Gehaltes und ihrer Verbindlichkeit beraubt. Man meint: wenn klargestellt ist, daß eine topische Formel vorliegt, braucht man sich um den spezifischen Sinn der spezifischen Aussagen oder gar um ihre mögliche Wahrheit nicht mehr zu kümmern. Auf diese subtile Weise dringt der Nihilismus in die Exegese ein. Wir haben schon durch die Erläuterung der Funktion der Aporienkataloge und des Begriffs der Aporie gesehen, daß die detaillierte Rechenschaft über die spezifischen Schwierigkeiten einer Untersuchung bei Aristoteles der erste und wesentliche Schritt der Untersuchung selbst ist, und daß er nicht literarische sondern philosophische Gründe hat, diese ~ b e r s i c h tan die Spitze zu stellen. Aber selbst wenn man das verstanden hat, wirkt die Formulierung, die Aristoteles hier wählt, überraschend, ja fast wie ein Schock. Aristoteles sagt, es gehöre zum Schwersten überhaupt, von der Seele nicht etwa eine wissenschaftliche Erkenntnis sondern auch nur -ctv& xio-ctv - so t ~ hier etwas wie eine verläßliche Meinung -zu gewinnen. n i o ~heißt nicht „der Glaube"; der Begriff hat vielmehr bei Aristoteles, der hierin Platon folgt, seine feste Stellung in der Stufenfolge der Formen Zum Folgenden vgl. 169ff.
der Erkenntnis. Im Buch 1II,3 (428 a 4ff.) unterscheidet Aristoteles (unter Ausklammerung der cpavzaoia) vier Vermögen oder Verfassungen, denen gemäß wir urteilen und entweder Wahres erkennen oder uns täuschen: - Wahrnehmung (ato0qot~) - Meinung (GOEa) - Wissen (6n~onjpq) - geistiges Anschauen (~065). Das ist genau die Abstufung der Erkenntnisvermögen, die Platon im VI. Buch des „StaatesL'im Liniengleichnis aufgestellt hat. Innerhalb wie Aristoteles 428a 20f. sagt, zur 6 0 5 ~ . dieser Skala gehört die nio.c~~, Sie ist eine Meinung, der wir Vertrauen schenken. Wir wissen alle, daß damit, daß jemand eine Meinung für richtig hält, noch lange nicht gesagt ist, daß sie wahr sei. Eben deshalb ist sie bloße 6&a, nicht Entonjpq. Man bedenke aber, was es heißt, wenn der Verfasser des für die ganze europäische Tradition grundlegenden Werkes über die Seele nicht etwa in Anspruch nimmt, er habe damit, wie Hegel glaubte, eine Wissenschaft, ja sogar die Wissenschaft schlechthin, die Wissenschaft von der Wissenschaft, begründet, sondern wenn er im Gegenteil erklärt, auch nur zu einer n i o n ~ zu gelangen, gehöre zum Schwersten, was es überhaupt gibt. Das wird noch emphatisch be~. tont durch die an die Spitze gestellten Worte x h v q n u v ~ oDiese, von Parmenides (28, B 4; VS 1, 232) eingeführte Formel hat, w o sie bei Platon und bei Aristoteles vorkommt, wegen der Anspielung an Parmenides einen feierlichen Klang. Sie bezeichnet die Totalität in allen ihren Dimensionen. Wörtlich heißt n&v.cy: auf jedem Weg, n h v z o ~ auf : jede Weise. Auf schlechterdings jedem Weg der Untersuchung und bei schlechterdings jeder Weise der Betrachtung stellt sich heraus, daß es zum Schwersten überhaupt gehört, über die Seele auch nur so etwas wie eine verläßliche Meinung zu gewinnen. Nach diesem einleitenden Satz kann über die Funktion der Aporien kein Zweifel mehr sein. Sie dienen insgesamt seiner Begründung. Sie sollen zeigen, daß und warum die gesuchte Wissenschaft in der Form der strengen Wissenschaft nicht möglich ist. Nun ist aber die Wissenschaft von der Seele, wie wir schon sahen, die Grundlegung für die Lehre vom vo.U~,und die Lehre vom voG5 ist das Kernstück, das die gesamte Philosophie des Aristoteles zu einer Einheit zusammenschließt. Mit anderen Worten: diese zwei Zeilen stellen bewußt die gesamte Philosophie des Aristoteles in Frage. Es spricht aus
ihnen eine Resignation gegenüber dem Ziel, das er sich gesteckt hat, die uns auch sonst in seinem Spätwerk begegnet. Mit der Berufung auf diese beiden Zeilen kann man den späteren Aristotelismus in jeder Gestalt - den Aristotelismus (des) 'I6 Thomas von Aquin und der Scholastik ebenso wie den Aristotelismus von Hegel - erschüttern. Aristoteles war kein Aristoteliker. E r hat seine Philosophie nicht dogmatisch sondern aporematisch verstanden. E r war ein durch die Schule Platons gegangener Sokratiker. Um alle diese Erkenntnisse werden wir gebracht, wenn wir uns dabei beruhigen, diesen Satz mit dem Etikett „Topos des Prooemiums" zu versehen.
2. (Die Frage nach Grund und Ursprung des Seienden) Die Feststellung, daß es zum Schwierigsten überhaupt gehört, über die Seele auch nur so etwas wie eine verläßliche Meinung zu gewinnen, dient, wie wir sahen, als Begründung für das gesamte Aporienkapitel: weil das gesuchte Wissen als solches problematisch ist, muß die Erkenntnis der Wahrheit mit der Analyse eben dieser Problematik, das heißt mit den Aporien beginnen, die sich ergeben, wenn man die „Natur" dieses Wissens zu bestimmen versucht. Deshalb beginnt Aristoteles das Aporienkapitel mit dem Abschnitt über den aporetischen Charakter der gesuchten Wissenschaft selbst; dieser Abschnitt ~ dem einleitenden Satz eng verknüpft. Ich gebe ist durch y h mit zunächst die Ubersetzung und werde dann das Wichtigste kurz erläutern. „Da nämlich die Untersuchung die gleiche ist auch für vieles Andere (ich meine aber die Untersuchung im Umkreis der ovoiu und dessen, was etwas ist), so könnte vielleicht jemand die Meinung haben, es gäbe eine einzige Methode für alles, wovon wir die ouoia erkennen wollen, so wie es ja für die beiläufigen Wesenseigentümlichkeiten die Methode der Deduktion gibt; man müsse also diese Methode suchen. Wenn es aber irgend eine einzige und gemeinsame Methode im Umkreis der Frage nach dem, was etwas ist, nicht gibt, dann stellt sich heraus, daß die Untersuchung noch schwieriger ist. Es wird nämlich dann nötig sein, für jeden Bereich zu erfassen, was die Weise des Vorgehens ist. Gesetzt aber, es bestünde Klarheit darüber, ob die Deduktion oder die Einteilung oder irgendeine andere l1"m
Text: „voii"
Methode das gesuchte Verfahren ist, so sind noch viele Aporien und Irrwege in dem Problem enthalten, von welchen Ausgangspunkten her man suchen muß. Denn das Eine hat diese, das Andere jene Ursprünge, wie zum Beispiel Zahlen und Flächen. " Aristoteles setzt ein mit der Feststellung, daß die Frage nach der odoia nicht rlur im Bereich der Seele der Untersuchung die Richtung weist. Sie bestimmt auch auf vielen anderen Gebieten das Vorgehen und die Methode. Bei allem, was überhaupt untersucht werden kann, ist das Ziel der Erforschurig die Erkenntnis dessen, was es ist - sofern gilt, daß es überhaupt in irgendeinem Sinne „ist". Wenn wir nicht wissen, in welchem Sinne und was es ist, werden wir vermutlich bei unserer Suche einen falschen Weg einschlagen. Man darf sich durch die ideologischen Streitigkeiten, die heute - nicht ohne guten Grund - über den Begriff der Ontologie ausgebrochen sind, nicht darüber täuschen lassen, daß im 20. Jahrhundert ebenso wahr ist wie zur Zeit des Aristoteles: jede wissenschaftlicheTheorie, jede Doktrin, jedes Dogma, jede Meinung, jede Ideologie impliziert ein ganzes Netz von meist unartikulierten Vorurteilen darüber, was der entsprechende „GegenstandsbereichUist. Will unser Denken über sich selbst zur Klarheit kommen, will es zur Aufklärung gelangen, so muß es diese Vorurteile ans Licht heben und analysieren; das ist die Aufgabe der Ontologie. Zwar wurde die Ontologie von Dunkelmännern mißbraucht; das Ergebnis war schlechte Ontologie. Der Sache nach hat Ontologie es mit den fundamentalsten und undurchdringlichsten unter allen meilschlichen Vorurteilen zu tun. Im Kern sind Aufklärung und Ontologie identisch. Wer gegen Ontologie polemisiert, unterliegt dem Verdacht, diese Aufklärung verhindern zu wollen. Wie wichtig eine solche Aufklärung ist, ergibt sich aus einem Satz, der als das Leitmotiv der ganzen Philosophie des Aristoteles betrach-
tet werden kann und immer wiederkehrt: t b 6v hkyrtat nohhaxc5~„das Seiende wird auf vielfältige Weise im Logos aufgewiesen" (Met. 1028 a 1). Man pflegt zu übersetzen: das Sein wird auf vielfache Weise ausgelegt, oder: das Sein hat eine vielfältige Bedeutung. Dabei wird erstens unterschlagen, daß Aristoteles nicht den Infinitiv - das Sein - sondern das Participium t b ov - das Seiende - gebraucht. Diese Verwechselung von Participium und Infinitiv ist der Ursprung unabsehbarer Irrwege des Denkens. Zweitens wird übersehen, daß das Subjekt des Satzes nicht der Begriff .tb 6v sondern das Seiende selbst ist. Der Satz spricht also nicht, oder jedenfalls nicht primär, von der Vielfältigkeit der Verwendung eines Begriffes; er spricht vielmehr davon, wie das Seiende selbst im Logos aufgewiesen wird. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Wir werden bei der Besprechung von I11,4-8 noch sehen, wieviel davon abhängt, daß man diesen Unterschied nicht aus dem Auge verliert (357 ff .). Für die gesamte Philosophie des Aristoteles - und damit für die ganze spätere Metaphysik -ist konstitutiv die von ihm vor allem in den Büchern VII-IX der „Metaphysik6'begründete Lehre, daß die odoia unter den vielfältigen Formen, in denen sich das Seiende im Logos manifestiert, in jeder möglichen Hinsicht einen Vorrang hat. Alle anderen Formen, in denen Seiendes aufgewiesen werden kann, sind auf die o6oia zurückbezogen. Die odoia ist das n ~ h t ov o ~- das im primären Sinne Seiende. Aus diesem Grund muß Aristoteles, auch weiin er nach der Seele fragt, zuerst ihre oVoiu zu umreißen versuchen. Nun ist aber die odoiu der Seele vor anderem, was wir auch als odoia bezeichnen können, ausgezeichnet. Aristoteles sagt im achten Kapitel des V. Buches (der „Metaphysik"), also in jenem Kapitel seines „Lexikons der philosophischen Grundbegriffe", in dem die verschiedenen Bedeutungen des Begriffes odoia aufgezählt werden, zunächst, daß alles odoia genannt wird, was nicht von einem Subjekt ausgesagt wird, sondern was im Gegenteil selbst das Subjekt ist, wovon das Ubrige ausgesagt wird. Als Beispiel für eine solche o6oiu nennt er unter anderem die Lebewesen. Dann fährt er fort: „Auf eine andere Weise aber wird odoiu genannt, was Grund für das Sein ist und als zugrundeliegender Ursprung in solchem enthalten ist, was nicht von einem Subjekt ausgesagt wird, zum Beispiel die Seele irn Lebewesen." lls Hier begegnet uns also die odoia gleichsam in der
zweiten Potenz: erstens ist das Lebewesen selbst odoia; zweitens ist die Seele odoia, weil sie der im Lebewesen als Ursprung enthaltene Grund dafür ist, daß es sein kann, daß es also ovoia ist. Schon diese eine Stelle macht deutlich, auf welche Schwierigkeiten man stößt, wenn man die o6oia der Seele selbst umreißen und eine Form der Erkenntnis entdecken will, die wir als Wissenschaft von der o6oia der Seele bezeichnen könnten. Damit wir die Aufgabe, die gelöst werden soll, präziser verstehen, müssen wir einen Text aus jenen Untersuchungen heranziehen, die Aristoteles in „De anima" voraussetzt. Das IV. Buch der „Metaphysik" beginnt mit folgenden Sätzen: „Es gibt so etwas wie eine Wissenschaft, die das Seiende als Seiendes betrachtet und das, was diesem an sich selbst als Ursprung zugrundeliegt. Diese ist aber mit keiner einzigen der sogenannten besonderen Wissenschaften identisch, denn keine von den übrigen unternimmt ihre Betrachtung allgemein über das Seiende, sofern es ist, sondern sie schneiden sich irgendeinen Teil davon für sich heraus und betrachten im Umkreis von diesem das, was ihm zukommt, wie zum Beispiel die mathematischen "~~~ spricht hier über die Erste unter den W i s ~ e n s c h a f t e n . Aristoteles Philosophie. Sie betrachtet, wie er sagt, das Seiende, insofern es ist, und das, was diesem an sich selbst als Ursprung zugrundeliegt. Tb 6v 3 ov - ens qua ens - das Seiende, insofern es ist: mit dieser Formel setzt Aristoteles sich in Gegensatz zu Platon. Auch Platon setzt der Erkenntnis das Ziel, das Seiende so zu erkennen, daß hervortritt, was es in seinem Sein konstituiert, was es zu einem Seienden macht. Aber die platonische Formel dafür heißt anders; sie heißt z6 ovzwc 6v - „das, was auf seiende Weise ist". Was heißt das? Alles, was ist, zeigt sich, wie wir im Höhlengleichnis lernen, unter verschiedenen Aspekten. Es gibt aber nur einen Anblick, in dem es ~) auf seiende Weise sich so zeigt, wie es in Wahrheit (hcOlh.1106oder x a t b -coU~ovZ& ixhha. ahhov 6E x ~ 6 n o vö hv 8 atttov ZOG ~ S v a tEVUZ&QXOV , Ev ~ o i xg o i o U ~ o ot ~ ~ p?a ~ E Y C L x~ L~ H UXOXEL~EVOU, ' olov 6 $vx+ T @ 5 4 1 ~ . 1017b 13-16, l l Y "Eottv kxtaxiiprj TL
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(ov-cag) ist. Diesen Anblick, in dem das Seiende an sich selbst (nufl' a h 6 ) hervortritt, nennt Platon (dessen)lZ0ibia. Wir konnen uns das an einem Beispiel klarmachen, das Platon im „Phaidros" anführt, nämlich dem Zügel lZ1. Es gibt die verschiedenartigsten Zügel, aus den verschiedenartigsten Materialien: brauchbare und unbrauchbare, teure und billige, prunkvolle und einfache. Jeder von diesen „Zügeln" ist in dem Sinne, daß es ihn gibt, und wir können die Zügel auf die verschiedensten Weisen betrachten. Wir können die Materialien betrachten, aus denen sie gemacht sind; wir können sie als Handelsobjekte betrachten, die einen bestimmten Wert reprasentieren. Wir können sie als eincn Bestandteil der militärischen Ausstattung betrachten. Wir können eine Kunstgeschichte oder eine Kulturgeschichte des Zügels schreiben. In jeder dieser Hinsichten betrachten wir den selben Zügel als etwas anderes: als materiellen Gsgenstand, als Wertobjekt, als Werkzeug, als kulturgeschichtliches Dokument. Aber in keiner dieser Hinsichten fragen wir danach, was dieser oder jener und überhaupt alle Zügel an sich sind, was sie in ihrem Zügelsein konstituiert. Was haben wir denn eigentlich im Auge, wenn wir sagen: das ist ein Zügel? Wenn wir das wissen wollen, könnten wir zunächst zu dem Handwerker gehen, der den Zügel hergestellt hat, und ihn fragen: „Was ist das, das Du da hervorgebracht hast? Du bist der Produzent; Du mußt es doch wissen." Der Handwerker antwortet: „Das mußt D u nicht mich sondern den Reiter fragen, der mir die Anweisung dazu gegeben hat." lrgendwann hat zum ersten Mal ein Reiter entdeckt, daß er ein Pferd besser lenken könnte, wenn er einen solchen Gegenstand hätte. Er hat zuerst versucht, sich so etwas selbst herzustellen, und im Lauf der Zeiten hat man dann bemerkt, daß man diese ersten Zügel verbessern könnte. Man hat sie immer mehr der optimalen Lösung angenähert, und weil das Optimum besondere Handfertigkeit erfordert, hat man die Dinger nicht mehr selbst gemacht, sondern besondere Handwerker nach entsprechenden Anweisungen arbeiten lassen. Was hat der erste Reiter, der einen Zügel gebrauchte, entdeckt? Was zeichnet das Optimum vor, dem man sich Schritt für Schritt immer weiter angenähert hat, bis man die beste Lösung für das in dieser Entdeckung vorgezeichnete Problem herausgefunden hatte? Der Zügel ist vorgezeichText: „seine". Phaidros, 246 a 3 ff.
IZ0 Im IZ1
net in der Relation ReiterIPferd und in der Absicht des Reiters, das Pferd zu lenken. Nur weil es Reiter gibt, die Pferde lenken wollen, und die zu diesen Pferden in einer bestimmten Beziehung stehen, gibt es Zügel. Diese Beziehung hat der Reiter im Auge, der dem Handwerker das Ding, das er herstellen soll, beschreibt. Das, was der Reiter im Auge hat, ist die Idee des Zügels. Sie konstituiert das Zügelsein jedes einzelnen Zügels. Wir betrachten also den Zügel nur an sich, wenn wir ihn im Hinblick auf die Relation ReiterIPferd betrachten. Alle anderen Hinsichten sind zwar auch möglich, aber sie erfassen den Zügel nicht in dem, was er an sich ist. Der einzelne Zügel ist nur eine von vielen möglichen Formen der Reproduktion der Idee des Zügels. Hingegen ist das, was diesen und jenen Zügel zum Zügel macht, im einzelnen Zügel nur indirekt präsent. Der einzelne Zügel re-präsentiert; er präsentiert nicht die Idee des Zügels. Hingegen ist nur in der Idee des Zügels das Zügelsein ungebrochen, unmittelbar und so, wie es an sich selbst ist, präsent. Nicht der einzelne Zügel sondern die Idee des Zügels ist „auf seiende Weise" seiend, also ein Övtwg Ov. Die Idee des Zügels ist zwar vom materiellen Zügel verschieden, aber sie ist nicht ein bloßes Gedankengebilde; sie schwebt auch nicht, wie inan die platonische Ideenlehre immer wieder darstellt, in irgendwelchen höheren Sphären. Wir haben ja gesehen, wie der Reiter die in der Relation ReiterIPferd vorgezeichnete Möglichkeit eines Zügels entdeckt hat, und wie man bei der Verbesserung der Zügel sich einem wirklichen, aber nirgends vorhandenen, sondern nichtsinnlichen Optimum immer mehr angenähert hat. Dieses Optimum ist also nicht nichts; es ist in der Natur der Dinge vorgezeichnet; aber es ist etwas anderes als jeder materielle Zügel. Hingegen gäbe es die materiellen Zügel gar nicht, wenn nicht die Reiter und die Zügelmacher dieses Optimum vor Augen hätten. Die nichtsinnliche Möglichkeit einer bestimmten Relation zwischen Reiter und Pferd konstituiert also das Sein jedes einzelnen Zügels. Deswegen nennt Platon die i6Ea auch die o6oia des Zügels. Wenn Aristoteles die platonische Formel 6 v - c O ~v ~durch seine Formel ov Öv ersetzt, stellt er die selbe Frage wie Platon; aber er stellt sie unter einer anderen Perspektive. Als Seiendes kann nach Aristoteles nur der konkrete Zügel betrachtet werden. Aber es macht einen großen Unterschied, ob man den Zügel nur unter bestimmten Hinsichten oder ob man ihn unter Absehung von allen sonstigen Merkmalen, ja sogar unter Absehung von dem Gebrauch, dem er dient,
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rein daraufhin betrachtet, daß er ist. Insofern, als der Zügel ein Seiendes ist, ist er das Selbe wie alles andere, von dem wir sagen können, daß es ist. Wenn wir das Seiende „Zügel" rein daraufhin betrachten, daß es ein Seiendes ist, müssen wir alle anderen Hinsichten ausschalten; wir müssen sogar sein Zügelsein ausschalten. Wir fragen nun nicht mehr nach dem Zügel an sich; wir fragen nach dem Seienden an sich. Welche konstitutiven Merkmale hat schlechterdings alles, was überhaupt ist, allein dadurch, daß es ist? Das ist die Frage der Ersten Philosophie. Sie hat bei Aristoteles nicht wie bei Parmenides das reine Sein überhaupt und im Ganzen - also das durch den i Sein - im Auge; sie fragt nach dem SeiendInfinitiv ~ ? v abezeichnete sein jedes einzelnen Seienden; wobei vorausgesetzt wird, daß wir im Seiendsein und nur in diesem erfassen können, was der Infinitiv „Sein" bedeutet. Trotzdem geht auch bei Aristoteles die Frage der Ersten Philosophie über -cb ov fi ov hinaus. Aristoteles fügt nämlich hinzu: xai T& -coVtcr, .Unciexovta xa8' a+-c6 - „und das, was diesem an sich selbst als Ursprung zugrundeliegt". Dies ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die schon besprochene wörtliche Bedeutung des Wortes iirn&ex~iv;denn Aristoteles fährt alsbald fort (1003a 26-27): „Da wir aber die Ursprünge und die höchsten Gründe suchen". Aus dieser Erläuterung geht hervor: das Seiende hat, insofern es ist und an sich, seine Ursprünge und höchsten Gründe. Nur wenn wir diese Ursprünge und höchsten Gründe erkennen, erkennen wir es an sich selbst. Verglichen mit einer Wissenschaft, die das Seiende überhaupt allein insofern untersucht, als es ist, sind alle anderen Wissenschaften partikulär. Aristoteles beschreibt zu Beginn des VI. Buches der „Metaphysik", wie diese Wissenschafteii zustande kommen. Sie grenzen eine bestimmte Art von Seiendem oder eine bestimmte Sphäre dessen, was ist, aus und stellen in diesem beschränkten Horizont dann ihre Untersuchungen an, indem sie entweder von der Wahrnehmung ausgehen, oder auf eine andere Weise den Horizont, in dem sie sich bewegen, zu bestimmen versuchen. Die Erste Philosophie hingegen erfaßt das Seiende allgemein und als solches. Daraus ergibt sich zugleich, daß die Erkenntnisse dieser Wissenschaft für alle partikulären Wissenschaften konstitutiv sein müssen, denn das, was Seiendes überhaupt zu Seiendem macht, muß in jeder partikulären Wissenschaft auch wieder vorkommen. Wir haben ja schon gesehen, daß
Aristoteles der Ersten Philosophie den Vorrang der oVoia entnimmt. In seiner Ersten Philosophie ist vorgezeichnet, daß auch eine mögliche Wissenschaft von der Seele die Bestimmung der oVoia der Seele zum Ziel haben muß.
3. (Erkennen der erkennenden Seele der fundamentale Zirkel von Erkenntnis)
Dies alles setzt Aristoteles voraus; dies alles muß man vor Augen haben, wenn man seine Aporien verstehen will. Schon in der ersten Zeile von „MetaphysikL'IV, 1steckt ein Hinweis auf die uns zunächst interessierende Aporienkette, nämlich die Aporien, die mit der Frage verbunden sind, ob und wie eine solche Wissenschaft überhaupt möglich ist. In den Übersetzungen lesen Sie: „Es gibt eine Wissenschaft, die betrachtet das Seiende, sofern es ein Seiendes ist . . .". Aber sogar in dem sonst vorbildlichen Werk von Joseph OwenslZ2 wird unterschlagen, daß Aristoteles sagt, EOZLV E n ~ o ~ t pTL< q - „es gibt eine Art von Enta-cIjpq"; es gibt so etwas wie eine en~otfipq. Prüft man nämlich nach, wie Aristoteles in der Wissenschaftstheorie der „Analytica Posteriora" das Wesen der En~o~$pq bestimmt, so stellt sich heraus, daß die Erste Philosophie jedenfalls in diesem Sinne nicht Episteme sein kann. In welchem Sinne kann sie dann Wissenschaft sein? Was macht den Wissenschaftscharakter dieser Wissenschaft aus, die sich von allen anderen Wissenschaften unterscheidet? Worauf stützt sie ihre Gewißheit? Mit welchen Methoden gelangt sie zu ihren Erkenntnissen? Will man auf diese Fragen eine Antwort haben, so rnuß man offenbar untersuchen, was im Zusammenhang mit der Ersten Philosophie das Wort O E O Q E ~-sie betrachtet - bedeutet. Die Antwort auf diese Frage gibt Aristoteles aber nicht in den Abhandlungen über die Erste Philosophie, denn dort ist nur vom „GegenstandL'dieser Wissenschaft, nämlich dem Seienden, die Rede. Die Antwort findet sich vielmehr dort, wo vom Erkennen die Rede ist: in „De anima" I11,4-8. Damit verstehen Sie die erste und abgründigste aller Aporien, die mit der in Joseph Oweizs, The Doctvine of Being in the Aristotelian "Metaphysics" A Study in the Gveek Background of Mediaeval Thought, 2~ovonto: Pontifical Institute of Mediaeval Studies, 1963,259. lZ2
„De anima" gesuchten Wissenschaft zusammenhängt. Einerseits können wir eine Wissenschaft von der Seele nur gewinnen, wenn wir so vorgehen, wie Aristoteles das Vorgehen der partikulären Wissenschaften beschreibt: Aus der Gesamtheit alles dessen, was ist, wird unter der Überschrift „Seele" eine bestimmte Region ausgegrenzt, und es wird untersucht, welche Eigenschaften der Seele sich innerhalb der so ausgegrenzten Region feststellen lassen. Andererseits ist dieses Verfahren nur möglich, weil Seele zu dem gehört, was ist. Die konstitutiven Strukturen des Seienden, insofern es ist, müssen also auch der Seele zukommen und in der partikulären Wissenschaft vorausgesetzt werden. Drittens ist es aber die Seele selbst, die die Strukturen des Seienden, insofern es ist, erkennt; die Erste Philosophie muß ihrerseits die Voraussetzung machen, daß in der Seele das Vermögen liegt, das Seiende, insofern es ist, zu erkennen. Hier liegt ein unausweichlicher Zirkel vor; es ist der Zirkel des Wissens schlechthin. Was man den „hermeneutischen Zirkel" nennt, ist nur ein sekundäres Abbild dieses fundamentalen Zirkels der Erkenntnis. Wir lesen jetzt noch einmal die Worte, mit denen Aristoteles die Aporien über die Möglichkeit einer Wissenschaft von der Seele einleitet: „Da nämlich die Untersuchung die gleiche ist auch für vieles Andere (ich meine aber die Untersuchung im Umkreis der oVoia und dessen, was etwas ist), so könnte vielleicht jemand die Meinung haben, es gäbe eine einzige Methode für alles, wovon wir die oVoia erkennen wollen." Wäre die Erste Philosophie im gleichen Sinne eine Wissenschaft wie die deduktiven Wissenschaften, deren Struktur Aristoteles in den „Analytica Posteriora" dargestellt hat, so müßte sich aus der Ersten Philosophie die Methode ableiten lassen, nach der man vorgehen muß, wenn man, gleichgültig, in welchem Bereich des Seienden, die oVoia dessen, was ist, ausgrenzen will. Spätere Generationen haben von Aristoteles tatsächlich einen solchen Gebrauch gemacht. So ist etwa die Ontologie von Wolff, auf der die SchulMetaphysik des 18. Jahrhunderts beruht, als metaphysica generalis zugleich die allgemeine Wissenschaft, die allen Einzelwissenschaften ihre Methode vorschreibt 123. Hat Aristoteles seine Ontologie auch so verstanden? Man kann sich darauf berufen, daß er in allen Forschungsgebieten in einem bestimmten Umfang so vorgeht. Wir werden noch sehen, daß er auch in „De anima" seine Erste Philosophie
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Vgl. Kants Religionsphilosophie, besoiiders 143ff.
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ständig voraussetzt, ohne das, was er voraussetzt, zu begründen oder abzuleiten. Für die Begründung hätte er in jedem einzelnen Falle auf die entsprechenden Untersuchungen in der „Metaphysik" verwiesen. Auch hier wird diese Möglichkeit nicht verneint. Aber sie wird auch nicht behauptet. Aristoteles läßt sie vielmehr offen. Er formuliert sie als Aporie. Man braucht nicht viel von Philosophie verstanden zu haben, um einzusehen, wie wichtig das ist. Ja, er geht sogar noch weiter und sagt: wenn das so ist, dann müßte man eine solche Methode suchen. Er behauptet nicht, eine solche Methode zu kennen. Ob sie möglich ist, bleibt eine offene Frage; und von der Lösung dieser offenen Frage hängt ab, ob eine Wissenschaft von der Seele überhaupt möglich ist. Wenn man Mathematik treiben will, ist es nicht nötig, sich über das Verhältnis der Mathematik zur Ersten Philosophie Rechenschaft abzulegen. Wenn man eine Wissenschaft von der Seele aufbauen will, ist es nötig, weil jener fundamentale Zirkel der Erkenntnis, von dem ich sprach, zur o6oia der Seele gehört. Als zweite Möglichkeit wird in Betracht gezogen, daß es eine einzige und gemeinsame Methode für die Bestimmung der o2ioia nicht gibt. Dann wird, wie Aristoteles sagt, die Untersuchung noch schwerer, denn man muß dann bei jedem einzelnen Seienden und in jeder einzelnen Region dessen, was ist, die entsprechende Methode erst entdecken. Das entspricht der Weise, wie noch heute die Wissenschaften tatsächlich vorzugehen pflegen. Jede Spezialwissenschaft entwickelt ihre eigenen Methodenbegriffe und bemüht sich, ohne nach rechts oder links zu schauen, diejenigen Verfahren zu entwickeln, die sich auf ihrem spezifischen Gebiet bei der Lösung ihrer spezifischen Probleme am besten bewähren. Wenn man, wie die moderne Wissenschaft es tut, bewußt darauf verzichtet, wissen zu wollen, welche Seinsstruktur das, wovon die Rede ist, eigentlich hat, ergeben sich dabei gar keine besonderen Schwierigkeiten. Ein moderner Spezialwissenschaftler könnte deshalb darüber erstaunt sein, daß Aristoteles hier überhaupt eine Aporie sieht. Aber wenn Sie sich ansehen, welche Wissenschaften heute Aussagen über die Seele machen, stellt die Aporie sich rasch genug heraus. Verhaltensforschung, Kybernetik, Informationstheorie, Genetik, Psychoanalyse, Graphologie, Neurologie, Psychiatrie, Sozialpsychologie, Philosophie, Theologie haben alle die Seele überhaupt oder bestimmte seelische Prozesse zum Thema. Es ist aber völlig unmöglich, die Ergebnisse dieser Wissenschaften zueinander in Korrelation zu setzen, geschweige denn
zur Deckung zu bringen. Wir nennen sie zwar alle „Wissenschaften"; da aber das Wort „WissenschaftMin jedem Fall etwas anderes bedeutet, löst der Begriff der Wissenschaft sich in ein Bündel von Äquivokationen auf. Wir können nicht mehr angeben, was das Wort „Wissen" in diesen Wissenschaften eigentlich bedeuten soll. Wir wissen nicht mehr, was wir eigentlich behaupten, wenn wir von den Ergebnissen einer solchen Wissenschaft erklären, sie seien wahr. Die Partikularisierung der Methoden der Forschung führt dazu, daß das Phänomen, das erforscht werden soll, nämlich die Seele, sich in ein unsichtbares Niemandsland verflüchtigt. Das ist die Konsequenz, die sich ergeben muß, wenn wir keine Methode kennen, nach der die odoia oder, modern gesprochen, die Seinsstruktur eines Gegenstandsbereiches sich erkennen Iäßt. Aristoteles erwähnt am Schluß dieses Abschnittes noch eine dritte Möglichkeit: „Gesetzt aber, es bestünde Klarheit darüber, ob die Deduktion oder die Einteilung oder irgendeiile andere Methode das gesuchte Verfahren ist, so sind noch viele Aporien und Irrwege in dem Problem enthalten, von welchen Ausgangspunkten her man suchen muß. Denn das Eine hat diese, das Andere jene Ursprünge, wie zum Beispiel Zahlen und Flächen." I z 4 Die Deduktion ( O L ~ O ~ E L E List S ) die Methode jener Wisseiischaften, die wie die Mathematik ihre Erkenntnisse nach strengem Beweisverfahren aus obersten Grundsatzen ableiten. Aristoteles erwähnt hier diese Methode, weil sie das wichtigste Beispiel dafür ist, daß es Verfahrensweisen des Denkens gibt, die sich auf verschiedenen Wissensgebieten bewähren. In den deduktiven Wissenschaften gibt es so eine gemeinsame Methode. Aber Aristoteles hat schon in den „Analytica Posteriora" und an mehreren Stellen der „Metaphysik" gezeigt, daß es von der o2ioia keine & ~ ~ S E Lgibt. ~ L Die S Axiome, die eine deduktive Wissenschaft voraussetzen muß, und nach deren Begründung sie nicht mehr fragen kann, implizieren vielmehr ein Vorverständnis davon, wie die o h i a des in der jeweiligen Wissenschaft untersuchten Gegenstandsbereiches verstanden werden soll. Deshalb ist diese Methode hier auszuscheiden.
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EOLv OF C~UYEQOV ~ O Z E Q O Y& n 6 6 ~ t @ b ~~ t v 6taieeots fl n a i TL< &hhq y6Oo605, ETL nohhug O1noeiaS EXEL n a i nhuvag, i n -civtn)v 6 ~ t qi z e i v abhat yCre uhhov Olexai, xaO&n&e& ~ i 0 y 6 xva i EntzESov. 402a 19-22. lz4
Das Wort „Einteilung" ist eine ungenügende und mißverständliche Ubersetzung des platonischen Begriffes Gtaieeotg. Es fehlt uns hier die Zeit, diesen Begriff zu erläutern. Er bezeichnet die Form, in der die platonische Dialektik zur Erkenntnis der oVoia zu gelangen versucht. Da Aristoteles sich von der Dialektik Platons abgekehrt hat, wird auch dieses Verfahren von ihm nur als Beispiel einer allen Wissenschaften gemeinsamen Methode der Erkenntnis der odoia erwähnt, die trügt. Auch die 6taiQ~olg ist also auszuscheiden. Wenn Aristoteles nun fortfährt: „. . . oder auch irgendeine andere Methode . . .", so erinnert er nur an die Aporien, die wir bereits besprochen haben. Der Fall, den er hier hypothetisch annimmt, bleibt also eine zwar offene aber einstweilen leere Möglichkeit. Aber selbst wenn die so bezeichnete Leerstelle durch die Entdeckung einer neuen Methode ausgefüllt werden konnte, enthielte die so entstehende Wissenschaft, wic Aristoteles sagt, noch viele Aporien und Irrwege. I[-lhuvy- das Wort, das ich durch „Irrwege" übersetzt habe bezeichnet jenen Zustand, in dem sich unser Denken befindet, bevor es zu einer klaren Analyse und Aufzählung der Aporien gelangt ist. Warum würden wir selbst dann, wenn wir im Besitz der richtigen Methode wären, aus den Aporien nicht herausgekommen sein? Das wird klar, wenn wir uns darauf ertappen, daß wir aus Nachlässigkeit und Flüchtigkeit des Denkens das Wort „Methode6'fortwährend in der modernen, instrumentalisierten und vcrdinglichtcn Bedeutung einer präzise definierten Verfahrensweise besprochen haben. ME8o605 heißt, wie wir gesehen haben, der Weg des Suchens, der auf ein Ziel gerichtet ist, in Gegensatz zum ziellosen Schweifen einerseits, zum Engpaß, aus dem (man) nicht herauskommt, andererseits. Abstrakt kann von einem Weg nicht gesprochen werden, denn jeder Weg ist, abgesehen von seinem Ziel, auch von seinem Ausgangspunkt bestimmt. Was aber ist der richtige Ausgaiigspunkt, um zur Erkenntnis der oGoia zu gelangen? Wenn wir den Ausgangspunkt beliebig wählen, indem wir uns je nach unserem zufälligen Standort orientieren, so gewinnen wir nur gewisseAspekte der oaoia. Nichts garantiert uns, daß wir in einem solchen Aspekt die oVoia so erkennen, wie sie von sich aus ist, also das Öv fi ov. Wenn wir zu ihr, wie sie von sich aus ist, gelangen wollen, müssen wir sie von ihren eigenen Ursprüngen her zu bestimmen versuchen. Deswegen ist nach Aristoteles die Erste Philosophie nicht einfach eine Wissenschaft vom Seienden, insofern es ist, sondern von den Ursprüngen und Gründen
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dieses Seins. Jede o6oia hat aber, wie Aristoteles anmerkt, ihre eige. erläutert das an der Differenz zwischen Zahlen und nen & ~ x a iEr Flächen. Nach Aristoteles ist, wie Sie bei (Heath) lZ5nachlesen können, die Arithmetik eine Wissenschaft von diskreten Einheiten, während in die Definition der geometrischen Linie und Fläche das Kontinuum mit eingehen muß. Deshalb hat die Geometrie andere & ~ ~ a i als die Arithmetik. Die Arithmetik und die Geometrie sind noch sehr einfache und durchsichtige Beispiele für die Unterscheidung von Gegenstandsbereichen durch ihre Prinzipien und für den Satz, daß man die Prinzipien kennen muß, wenn man die Seinsstruktur des Gegenstandsbereiches verstehen will. Hingegen ist das Wort „Herumschweifen" ein bescheidener Ausdruck für jenen Schwindel, der uns ergreift, wenn wir uns klarmachen, daß wir die Ursprünge und Gründe der Seele kennen müßten, um - gesetzt selbst, die Methode wäre uns bekannt - von diesen Ursprüngen her zu einer Erkenntnis der odoia der Seele gelangen zu können. Das wäre eine ~ b e r s i c h über t den ersten Teil der Aporien, nämlich die Aporien, welche Möglichkeit und Struktur einer Wissenschaft von der Seele betreffen. Wir haben durch sie schon einen ersten Eindruck von der erbarmungslosen Klarheit gewonnen, mit der Aristoteles, bevor er beginnt, die Schwierigkeiten seines Weges analysiert. Zugleich ist aber auch deutlich geworden, welches Wissen er durch die Analyse dieser Aporien gewinnt. Niemand, der diese wenigen Zeilen durchdacht hat, wird sich noch einbilden können, Aristoteles habe seine eigene Philosophie als jene Wissenschaft verstanden, deren Unmöglichkeit er durch diese Aporien deutlich macht. Wer den Horizont der hier aufgerissenen Aporien kennt, ist gegen die Versuchung gefeit, die Philosophie des Aristoteles so dogmatisch zu verstehen, wie sie gemeinhin dargestellt wird. An Schärfe der Erkenntniskritik wird Aristoteles auch durch Kants „Kritik der reinen Vernunft" nicht uberholt.
1 2 V m Text: „HicksU - unkorrigierter Hörfehler. Die Stelle bei Heath, a. a. O., heißt: "Arithmetic is prior to geometry . . . because thc mathematician assumes the being of the unit, substance without position, whereas thc geometer assumes the bcing of the point, i. e. unit plus positiori."
11. (Die Aporien über die oVoia der Seele) I. (Seele hat ihren Ort in der Kategorie der o6uia) Wir kommen nun zum zweiten Abschnitt der Aporien, nämlich den Aporien über die oVoia der Seele (402a 23-b 16). Ich übersetze diesen Abschnitt stückweise und gebe dazu kurze Erläuterungen. Es ist nicht nötig, ihn so ausführlich zu behandeln wie den Abschnitt über die Aporien der Wissenschaft, weil wir im 11. Buch genauer betrachten werden, wie Aristoteles selbst die oVoia der Seele bestimmt. Dort werden wir dann inhaltlich zu verstehen lernen, was Aristoteles hier bei der sehr knappen Skizze der Aporien vor Augen hat. Hingegen ist ein genaueres Verständnis der mit der Wissenschaft verbundenen Aporien die Voraussetzung für die gesamte Interpretation, weil sich durch diese Aporien zeigt, wie Aristoteles das ganze Unternehmen dieses Werkes verstanden hat, und wie er demnach interpretiert werden muß. Das ist der Grund, weshalb wir die erste Aporienreihe gründlicher betrachten mußten als die folgenden. Ich übersetze zunächst das erste Stück: „Zuerst ist es wohl nötig, auseinanderzulegen, in welcher von den Gattungen und was sie [die Seele] ist - ich meine aber damit, ob sie ein ,dieses-da' und eine 06oia, oder ob sie eine Qualität oder cine Quantität oder auch sonst eine der voneinander unterschiedenen Kategorien ist, ferner ob sie zu dem gehört, was in der Verfassung der Möglichkeit ist, oder ob sie eher eine Art Entelechie ist; denn das macht keinen geringen Unterschied aus."lZ6 Wir haben schon gesehen, daß der Vorrang der Frage nach der o6uicx dadurch festgelegt ist, daß Aristoteles die Kategorienlehre zur Basis der Explikation des Seiendseins des Seienden macht. Deshalb setzt Aristoteles mit der Kategorienlehre ein. Er nennt hier wie öfter die 6 Die Übersetzung „Gattungenu ist Kategorien ykvq (SC.~ o Ov~os). irreführend. Im griechischen Wort ykvo~wird bei Platon und Aristo-
teles immer noch mitgehört, daß etwas in seinem ykvo~seine Herkunft hat (das Wort hängt zusammen mit y i y v o ~ a=~entstehen). Die Seiendheit eines bestimmten Seienden (etwa dieses Buches) hat eine andere Herkunft als jener Modus des Seiendseins, den wir im Auge haben, wenn wir von seiner Farbe sprechen, und diese wiederum eine andere Herkunft als seine Größe. So finden sich an einem und demselben Seienden Merkmale, Eigenschaften oder Strukturen, die ganz verschiedener Herkunft sind und sich trotzdem in diesem Einen Seienden durchdringen. Wenn ich nun etwa die Frage stellc: Was ist braun? darf ich die Farbe „braun" nicht so betrachten, als ob sie die gleiche Art von Selbständigkeit hätte wie der Gegenstand „Buch"; ich muß vielmehr darauf achten, in welcher Region des Seiendseins von Seiendem das Braunsein beheimatet ist - anders gesagt: ich muß fragen, von woher ein Ding wie dieses Buch die Möglichkeit hat, eine Farbe zu haben. Die Festlegung dieses Herkunftsbereiches entscheidet über das Verständnis von Farbe. So beruht zum Beispiel der Gegensatz von Goethes Farbenlehre zur Farbenlehre von Newton darauf, daß Newton die Farbigkeit aus der Quantität, Goethe hingegen sie aus der Qualität erklärt. Die vorgängige Festlegung des yEvo~,in dessen Bereich ein Phänomen gehört, entscheidet über die gesamte Struktur der Theorie, die das Phänomen erklärt. Hat man sich dies einmal klargemacht, so versteht man, daß in der Tat alles davon abhängt, in welcher von den Kategorien die Seele ihren wahren Platz hat lZ7. Man könnte meinen, es wäre selbstverständlich, daß die Seele nur in der Kategorie der oVda ihren Ort haben kann. Aber es gab schon zur Zeit des Aristoteles philosophische Lehren, wie zum Beispiel die Lehre von Demokrit, die auf der Basis eines konsequenten Materialismus die Seele nur als eine zusätzliche Eigenschaft des Leibes betrachtet haben. Dann müßte die Seele in einer anderen Kategorie lZ7 Die Ubersetzurzg von Theiler: „Zu welcher Gattung die Seele gehört" ist nicht nur irreführend sondern falsch: auf griechisch heißt es: FY aivi z(3v yt.vWv. . . EBZL - „innerhalb welcher von den Ursprungsbereichen des Seienden als Seiendem sie ihr Sein hut". Ich weise bei dieser Gelegenheit daraufhin, daß die Bezeichnung der Kategorien als ~ E I J Tz o 3 o m o g alle Dezdtzingen unhaltbar macht, die die Kategorien des Aristoteles nicht der Ontologie sondern der Logik zuweisen. Ein großer E i l der neuzeitlichen Kategorienlehren ist aus diesem Mißverstä~zdnishervorgegangen. Hingegen huben Kant und Hege1 den orztologischen Sinn der Kategorien sehr wohl verstanden.
beim konsequent durchgeführten Materialismus in der Kategorie der Quantität oder der Relation - untergebracht werden. Andere Theorien, wie etwa die des Empedokles, haben die seelischen Phänomene auf Qualitäten zurückgeführt. Es ist also keineswegs selbstverständlich, daß die Seele in der Kategorie der o6oia ihren Ort hat. Vielmehr ist diese Annahme der Ausgangspunkt für eine lange Kette von Aporien. Auf die daran anschließende Frage, ob die Seele bloß eine offene Möglichkeit oder ob sie so etwas wie eine Wirklichkeit, vielleicht sogar so etwas wie eine höchste Form der Wirklichkeit, nämlich eine Entelechie ist, gehe ich hier nicht ein, weil wir beim ersten Kapitel des 11. Buches dies ausführlich erörtern müssen.
2. (Was bedeutet Einheit oder Teilbarkeit in Bezug auf die Seele?) Nun kommt eine neue Kette von Fragen: „Es muß aber auch untersucht werden, ob sie teilbar oder teillos ist, und ob jede Seele gleichartig ist oder nicht; wenn sie aber nicht gleichartig ist, ob sie sich bloß der Art nach oder ob sie sich auch der Gattung nach unterscheidet. Jetzt nämlich scheinen jene, die über die Seele reden und forschen, allein die menschliche Seele zu betrachten. Man muß sich aber hüten, daß nicht verborgen bleibt, ob ihre Definition eine einzige ist wie die des Lebewesens, oder für jedes Einzelne eine andere wie die des Pferdes, des Hundes, des Menschen, Gottes, während das Lebewesen überhaupt entweder nichts ist oder etwas Nachträgliches. Auf die gleiche Weise muß man untersuchen, was sonst als Gemeinsames von ihr ausgesagt werden könnte. " lZs Das ist ein ziemlich atemberaubender Katalog von Aporien. Ich will sie im Einzelnen nicht diskutieren, sondern nur auf das Wichtigste lZ8o x e x ~ i o vCiE x a i &i F E Q L ~ tj T ?&~~ G Q ( sx, a i x h ~ t - e o vUpoetCil]g iXnaoa I ~ W Xij?0C. ~ ~i SE pl] OpostS(g, x 6 ~ ~ ELSEL ~ o vS t a q ~ I ~ o w ij o a~ E Y E L vDv . yixe o i hkyov~egx a i
vorläufig aufmerksam machen. Im 11. Buch wird Aristoteles deutlicher sagen, welche Aporien hier kurz angedeutet werden. Wir fangen am besten am Ende an: Wenn wir Seele in der Kategorie der oVoia lokalisieren, setzen wir voraus, daß es überhaupt sinnvoll sei, von Seele zu sagen, daß sie ist. Aber was soll das eigentlich heißen? Ain Beispiel des Begriffes „LebewesenL'wird deutlich, wie problematisch das ist. Man kann sagen, daß dieser Hund da, dieses Pferd da, dieser Mensch da ist. Aber kann man vom Lebewesen überhaupt sagen, daß es „ist"? Und wenn das fraglich ist, wie steht es dann mit dem Begriff „Seele"? Müssen wir vielleicht auch von Seele sagen, daß sie entweder gar nichts oder, wenn überhaupt etwas, dann etwas Nachträgliches, nämlich ein durch bloße Abstraktion gewonnener Allgemeinbegriff, also ein bloßes Gedankengebilde, ist? Was von der Seele als solcher gilt, das gilt in gleichem Sinne von allem, was allgemein von der Seele ausgesagt werden mag. Wenn wir zum Beispiel sagen, die Seele hätte verschiedene Vermögen - das Ernährungsvermögen, das Wahrnehmungsvermögen und so weiter -, so muß man nicht nur fragen, ob denn jenes X, dem wir diese Vermögen zusprechen, überhaupt etwas ist, sondern man muß auch fragen, ob das Ernährungsvermögen des Hundes das Gleiche ist wie das Ernährungsvermögen des Pferdes, und ob der allgemeine Begriff „Ernährungsvermögen" überhaupt etwas bezeichnet, von dem es sinnvoll ist anzunehmen, daß es „istc'. Mit diesen Beispielen, die den Schluß des zitierten Stücks erläutern, sind wir bereits in die Aporien des Anfangs eingetreten: ist die Seele als solche teilbar, oder hat sie verschiedene „Teile"? Die Formulierung dieser Frage ist durch Platon und seine berühmte Lehre von den „Seelenteilen" bestimmt. Aus Platon hat Aristoteles auch die Er(das im Zusammenhang kenntnis übernommen, daß das Wort „TeilLL von Platons Dialektik eine spezifische Bedeutung hat) nicht grob und äußerlich so verstanden werden darf, als wäre die Seele gleichsam aus verschiedenen, voneinander abtrennbaren Stücken zusammengesetzt. Platon erläutert den Begriff „Teil" durch den Begriff des Vermögens. Theiler bemerkt in seiner Anmerkung zu dieser Stelle (89), für Platon sei die Seele im „Phaidon" 78 Cff. einfach gewesen, hingegen im „Staat" 439 D ff., 580 D, im „Phaidros" 246 A , 253 D ff. und im „Timaios" 69 Cff. dreigeteilt. Das bedeutet nicht, wie maii aus Theiler entnehmen könnte, daß Platon zwei einander entgegengesetzte Lehren über das Wesen der Seele vertreten hätte; es bedeu-
tet, daß Platon sowohl die Teilbarkeit wie die Einfachheit der Seele so gedacht hat, daß Beides sich nicht widerspricht. Aber damit kommen die Aporien ans Licht, die gelöst werden müssen: Was heißt in Bezug auf die Seele „teilbar6'?Was heißt „ohne Teile"? Hat die Seele durchgängig und in ihrer Gesamtheit die gleiche Gestalt? Oder bestehen spezifische Differenzen zwischen den verschiedenen Formen, in denen Seele sich äußert? Wenn ja, wie sind diese Differenzen zu erklären? Worauf sind sie zurückzuführen? Sind sie Differenzen innerhalb einer und derselben Seele? Sind sie Differenzen zwischen den verschiedenen Arten oder den verschiedenen Gattungen der beseelten Lebewesen? Gesetzt, dieses Letzte wäre wahr - wie soll man dann ausgrenzen, was „Seelec'überhaupt und im allgemeinen heißt? Soll der Logos, der die o6oia von Seele aufweist, das, was wir „Seele" nennen, so ausgrenzen, daß er nur von der Seele des Menschen wahr ist? Oder soll er so weit gefaßt sein, daß er alles Belebte, also auch die Pflanzen und die Tiere umfaßt? Das hängt davon ab, wie wir das allgemeine Wesen von Seele verstehen. Bezeichnet das Wort „Seele" überhaupt nichts, was irgendein Sein hat? Dann ist die ganze Untersuchung über die Seele nichtig. Ist Seele nur ein nachträglich durch Abstraktion gewonnener Begriff, so liegt es in unserem freien Belieben, wie wir den Begriff „Seele" definieren wollen; ob wir ihn auf den Menschen einschränken oder die Pflanzen und Tiere mit einbeziehen. Hat aber das Wort „Seele" in seiner allgemeinen Bedeutung irgendeinen uns einstweilen dunklen Bezug auf das, was ist, dann hängt die Wahrheit der ganzen Wissenschaft, die wir suchen, davon ab, ob wir die o4oia von Seele naturgemäß oder naturwidrig ausgegrenzt haben. Der Begriff „Lebewesenc',den Aristoteles an dieser Stelle einführt, ist nicht ein nur äußerliches Beispiel. Er selbst wird die oVoia von Seele so umgrenzen, daß gilt: alles, was Lebewesen ist, hat Seele. Alles, was Seele hat, ist Lebewesen. Aber ob solche allgemeinen Sätze sich überhaupt auf etwas beziehen, das ist: dies ist die große Aporie nicht nur der Wissenschaft von der Seele sondern der Wissenschaft überhaupt; denn jede Wissenschaft spricht in allgemeinen Sätzen. Die Form, wie Aristoteles zu dieser Aporie hinführt, läßt erkennen, daß er überzeugt war, sie könne nicht ein für allemal so oder so beantwortet werden; es müsse vielmehr ihrer Auflösung eine genaue Analyse dessen vorausgehen, was jene Worte, durch die wir Seiendes bezeichnen - Einheit, Teilbarkeit, Gleichgestaltigkeit, Differenz, Gattung, Art - in Bezug auf diesen Bereich
dessen, was ist, also in unserem Fall in Bezug auf „Seeleu, eigentlich bedeuten. Betrachten wir diese Reihe von Aporien, so ist, wenn wir sie mit dem heutigen Stand der neuzeitlichen Wissenschaft vergleichen, das Beunruhigende, daß die heutige Wissenschaft sich über alle diese Probleme hinwegsetzt, und daß sich zugleich nachweisen läßt, in welchem Maß unreflektierte Vorurteile und Vorentscheidungen über die Lösung dieser Aporien das praktische Vorgehen der Wissenschaften bestimmen. Die heutige Wissenschaft „weiß" unermeßlich viel mehr, als Aristoteles je wissen konnte; aber das Wissen der heutigen Wissenschaft hätte nach den Maßstäben, an denen Aristoteles seine Aporien orientiert, den Namen „Wissen" nicht verdient. Von Wissen hat Aristoteles mehr gewußt; vielleicht hat er eben deshalb, trotz der Beschränktheit seiner Kenntnisse, von dem, was das Wort „Seele6'bezeichnet, mehr gewußt.
3. (Was konstituiert die verschiedenen Seelenvermögen?) Nun folgt eine Reihe von Aporien, die an die Aporie anknüpfen, ob die Seele teilbar oder teillos ist. Ich übersetze: „Ferner aber, wenn es nicht viele Seelen, sondern nurTeile [der einen Seele] gibt, stellt sich die Frage, ob man vorher die Seele als Ganze oder die Teile suchen muß. Schwer ist aber auch, an diesen im Einzelnen abzugrenzen, in welcher Beschaffenheit sie von Natur voneinander unterschieden sind, und ob man vorher die Teile oder vorher ihre Leistungen suchen muß. Zum Beispiel das intellektuelle Anschauen [vo~iv] oder das Vermögen der intellektuellen Anschauung [voü~]und das Wahrnehmen oder das Vermögen der Wahrnehmung. Ebenso verhält es sich auch bei den anderen Teilen und Leistungen. Wenn aber die Leistungen den Vorrang haben, dann könnte man wieder in eine Aporie geraten, ob man vorher die ihnen zugeordneten Objekte untersuchen muß, zum Beispiel das Wahrnehmbare vor dem Wahrnehmungsvermögen, und das in intellektueller Anschauung Erfaßte [voq~Ov]vor dem Vermögen der intellektuellen Anschauung [ v o V ~ ] . 'Im '~~ ersten ~ Satz dieser Aporienkette geht Aristoteles von
der Hypothese aus, daß die Rede von den Seelenteilen gerechtfertigt ist. Er setzt außerdem die schon erwähnte Auffassung voraus, daß nicht alles, was Seele hat, sämtliche „TeileN,die Seele haben kann, besitzt, oder anders gesagt: daß die Seelenvermögen nicht in jedem beseelten Lebewesen in ihrer Gesamtheit angelegt sind, sondern daß sich die Lebewesen unter anderem dadurch differenzieren, in welchem Grad der Ausbildung und in welcher Kombination sie eines oder mehrere dieser Seelenvermögen besitzen. Man sieht an dieser Theorie, auf die sich Aristoteles hier nur hypothetisch bezieht, wieviel davon abhängt, welche Lösung die Aporien über die Einheit oder Teilbarkeit der Seele finden. Wenn jedes Lebewesen seine eigene Seele hat, und diese Seele als etwas Ganzes und in sich Abgeschlossenes betrachtet werden muß, dann ist es nicht gerechtfertigt, etwa das Wahrnehmungsvermögen und das Vorstellungsvermögen als zwei verschiedene Vermögen einer und derselben Wesenheit zu betrachten. Wenn wir etwa sagen, daß die Pflanzen nur das Wahrnehmungsvermögen, die höheren Tiere aber außerdem auch das Vorstellungsvermögen haben, so können wir diese beiden Vermögen nicht als verschiedene Vermögen einer und derselben Wesenheit, die wir „Seele" nennen, interpretieren. Wir wissen dann nicht einmal, ob es zulässig ist, das Wahrnehmungsvermögen des Hundes mit dem des Pferdes zu vergleichen, denn ein solcher Vergleich ist ja nur moglich, wenn wir so etwas wie ein gemeinsames Substrat voraussetzen, an dem sich dann die Differenzen aufweisen lassen. Sind wir umgekehrt der Meinung, die Rede von den verschiedenen Seelenvermögen und von ihrer Aufteilung unter die verschiedenen Lebewesen habe einen Sinn, so impliziert diese Meinung, daß es sinnvoll sei, so etwas wie Seele überhaupt als eine mögliche Einheit vorauszusetzen, an der sich dann die Verschiedenheit der Vermögen unterscheiden und abgrenzen läßt . Damit ergibt sich aber eine neue Schwierigkeit, die in den folgenden Aporien entwickelt wird. Im Hinblick worauf treffen wir eigentlich die Unterscheidung von verschiedenen Vermögen? Wie sollen wir sie aVaGv, o b ab voeiv ij tbv voOv, x a i ab aioC)olveoflat 4 ao a i o 8 ~ ] a ~ n O v . Opoioc 6 t x a i Fxi aWv @hov. ei 65a u E ~ y na ~ 6 a e ~ oxolh~v v, &v t t &~x o ~ $ o e ~ e vei T&Olv~tneip~va, JGQOZEQOYao6aov
so treffen, daß sie der „Naturu (zicpuxev b 11) der Seele gemäß ist? Betrachten wir die Vermögen als „Teile" ( p o p a b 12), so könnte man annehmen, daß man zuerst den „Gegenstand6' Seele ins Auge fassen und gleichsam sezieren müßte, so wie man von einem Körper die einzelnen Teile abtrennen kann. Betrachtet man sie hingegen als Vermögen, so wird es die Differenz der Leistungen sein, aus der wir auf die Differenz der Vermögen zurückschließen können. Aber was sind die Leistungen der Seele? Hier ergeben sich neue Aporien. Jede dieser Leistungen ist ihrem Wesen nach auf Außerseelisches bezogen, was ihr gegenüberliegt (T&dvxtneiyeva). Das Wahrnehmungsvermögen gibt es nur, wenn es solches gibt, was wahrgenommen werden kann. Nimmt man die Töne und Geräusche weg, so gibt es auch kein Hören mehr. Die Seele ist also durch die Leistungen ihrer Vermögen aus sich herausversetzt. Die Differenzierung dessen, was außerhalb der Seele ist, scheint die Differenzierung der Seelenvermögen zu konstituieren. Können wir dann von dieser Differenzierung so sprechen, als wäre sie eine Differenzierung in der Seele selbst? Oder müssen wir, um die vermeintliche Struktur der Seele zu finden, die Struktur der Welt analysieren, in die die Seele versetzt ist? Verliert dann nicht die Rede von den Seelenvermögen, ja sogar die Rede von der Seele selbst ihre Basis? Das war die Reihe jener Aporien, in denen Aristoteles den Horizont der Frage nach der oaoia der Seele aufreißt. Die Erläuterungen, die ich gegeben habe, sind weit davon entfernt, die Dimensionen dieses Horizontes ausgemessen und die Struktur der Frage nach der odoia der Seele bestimmt zu haben. Um dies zu leisten, wäre eine Interpretation dieses Abschnittes erforderlich, die weit über das bisher Gesagte hinausgreifen müßte. Wir wären dann genötigt, jeden einzelnen Begriff, der hier auftritt, genau zu untersuchen, und müßten dazu andere Werke des Aristoteles mit heranziehen, in denen diese Begriffe erörtert werden. Sie finden einen Teil der Stellen, die man heranziehen müßte, in dem Kommentar von Hicks. Zur Einführung kam es mir nur darauf an, Ihnen auf eine mehr impressionistische Weise eine Vorstellung davon zu vermitteln, was Aristoteles unternimmt, wenn er einen Aporieilkatalog entwirft. Vielleicht haben Sie auch etwas davon gemerkt, welche Tragweite alle diese Fragen für unser Verständnis der Natur des Menschen und Gottes (Qeoü b 7) haben. Daß Aristoteles selbst an dieser Stelle den Begriff „Gott" ausdrücklich nennt, ist für uns, wie ich kaum hervorzuheben brauche,
von besonderer Wichtigkeit, denn hier bestätigt sich unsere Grundhypothese, daß Aristoteles, weil er Gott als YOGS denkt, sich dessen bewußt war, daß der Horizont, innerhalb dessen er das Wesen der Seele bestimmt, zugleich der Horizont ist, innerhalb dessen wir Gott erkennen. Die Frage, wie die von Aristoteles hier aufgedeckten Aporien gelöst werden können; die Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Seele als odoia zu bestimmen, und was eine solche Bestimmung bedeutet, sind nicht abstrakte, „methodologische" Fragen; ihre Beantwortung entscheidet zugleich darüber, wie wir Gott denken, und ob das Wort „Gott" etwas bezeichnet, von dem wir sagen können, daß es „istL'.Wir werden deshalb vielleicht später beim Übergang zur Theologie die Zeilen 402b 6-8 noch einmal etwas genauer betrachten. Einstweilen mag uns die Feststellung genügen, daß sich durch diese Zeilen die Richtigkeit der Grundl-iypothese bestätigt, die Bücher „De anima" müßten in ihrer Gesamtheit als eine Grundlegung der aristotelischen Theologie betrachtet werden. Dem knappen Abschnitt über die Aporien, die mit der Frage nach der odoia der Seele zusammenhängen, stellt Aristoteles, wie schon gesagt, 403 a 3-b 19 einen sehr viel ausführlicheren Abschnitt über TU zu011 ~ i j gQuxijg - die Widerfahrnisse der Seele - gegenüber. Das Wort TU nu0q bezeichnet hier nicht nur die sogenannten Affekte; auch der vonTheiler gewählte Begriff „Affektionenu ist noch zu eng. Aristoteles bezeichnet vielmehr hier durch das Wort n60q Alles, was er formal, im Unterschied zur odoia, die avyßsßqi~ozazu nennen pflegt. Im Logos, in der Aussage, werden die o u ~ ß ~ ß q n Odurch ta Prädikate bezeichnet. Der Wechselbegriff n60og macht deutlich, worauf ich immer wieder hinweisen muß, daß die Prädikate der Aussage mit den Eigenschaften, Zuständen oder Verfassungen des Seienden selbst nicht verwechselt werden dürfen. Sie sind das, was am Seienden selbst außer seiner odoia mit vorkommt oder mit vorkommen kann. Die Dimensionen, in denen wir solches, was hier mit vorkommen kann, auffinden, bezeichnet Aristoteles, weil er sie an der Struktur des Logos abliest, als Kategorien. Auch dieser Begriff wird, wie schon gesagt, durch den Wechselbegriff TU ykvq TOC OYTOS gegen das Mißverständnis geschützt, als handelte es sich hier nur um logisclie Verhältnisse. Alles, was in einer Kategorie von einem Seienden ausodoia~ - ein gesagt werden kann, heißt in diesem Sinn ein zd0og -cij~ Widerfahrnis, das von dem zugrundeliegenden, beständigen und sich durchhaltenden, stets mit sich selbst identischen „Wesen" unter-
schieden werden muß. In Abweichung von meinem ersten Plan verzichte ich darauf, die Aporien bezüglich der n&Bq der Seele so durchzugehen, wie wir die Aporien bezüglich der o6oiu betrachtet haben. Es hat sich herausgestellt, daß wir auf diese Weise mit den Aporien zu viel Zeit verbrauchen würden. Deswegen lasse ich es bei der eben gegebenen Erklärung bewenden, was das Wort ~ 6 0 0 5bedeutet, wenn es bei Aristoteles als Gegenbegriff zu odoicx gebraucht wird.
4. (Aristoteles' Exkurs über die Möglichkeiten einer Wissenschaft von der Seele (402b 16-403a 2)) Hingegen ist es für das Verständnis der Methode des Aristoteles unentbehrlich, daß wir noch kurz das Zwischenstück 402b 16-403a 2 betrachten, in dem Aristoteles, wie schon gesagt, auf die erste Reihe von Aporien - die Aporien über die Möglichkeit einer Wissenschaft von der Seele - noch einmal zurückgreift. Der Aufbau des Kapitels bleibt unverständlich, wenn man wie Theiler und Hicks darauf verzichtet, dieses Zwischenstück durch einen Absatz von den o-iroiaAporien zu trennen. Ross hat in seiner Ausgabe mit Recht den Absatz eingefügt: „Es scheint aber nicht nur die Erkenntnis dessen, was etwas ist, nützlich zu sein für die Betrachtung der Gründe der begleitenden Widerfahrnisse der Wesenheiten (wie zum Beispiel in der Mathematik die Erkenntnis, was das Gerade und das Krumme, oder was die Linie und die Fläche ist, nützlich ist für die Entdeckung, wievielen rechten Winkeln die Winkelsumme eines Dreiecks gleich ist), sondern es tragen auch umgekehrt die beiläufigen Widerfahrnisse ein großes Stück zu der Erkenntnis dessen bei, was etwas ist. Denn wenn wir in der Lage sind, nach unserer Vorstellung Rechenschaft abzulegen über die beiläufigen Widerfahrnisse - sei es über sämtliche oder die meisten - dann werden wir auch am besten in der Lage sein, über die o b L a Rechenschaft abzulegen. Der Ausgangspunkt für jeden Beweis ist nämlich die odoia. Daraus folgt, daß alle Definitionen ein formales und leeres Gerede sind, aus denen sich nicht ergibt, wie man die beiläufigen Widerfahrnisse erkennt, ja aus denen man nicht einmal leicht zu einer Vermutung über sie gelangt." l7O
Hier wird auf Grund der Wissenschaftstheorie der „Analytica Posteriora" ein äußerst wichtiges Kriterium für die Erkenntnis der oVoia formuliert. In einer deduktiven Wissenschaft können sämtliche Sätze aus den zugrundegelegten Axiomen und Definitionen abgeleitet werden. Zum Beispiel kann man in der Geometrie aus den Sätzen, in denen festgelegt wird, was die Begriffe „gerade" und „gekrümmtc', „LinieL'und „Fläche" und anderes mehr bedeuten, durch strenge Beweisverfahren den Satz ableiten, daß die Winkelsumme des Dreiecks = zwei Rechte ist. Der Satz über die Winkelsumme des Dreiecks wird hier als ein Beispiel für die Erkenntnis der ouyßsßqxo~uangeführt, denn in der Definition des Dreiecks, also in dem Logos, der seine oVoia aufweist, ist die Größe der Winkelsumme nicht enthalten. Kennt man aber die o k i a des Dreiecks, und kennt man deren in den Axiomen festgelegten Ursprünge, so kann man zur Erkenntnis dessen, was an dem Dreieck außer seiner o.iioia noch vorkommt, also zum Beispiel seiner Winkelsumme, gelangen. Aristoteles nennt alle ouyß~ßqx6-ca,die sich allein aus der o6oia streng ableiten lassen, die T& x a ~ & ovpß~ßqxbg1 6 ~ adieser ; Begriff tritt schon 402a 15 auf. Wenn nun die Ausgrenzung der ovoia wirklich so geschehen soll, daß, wie etwa in der Geometrie, die Gesamtheit der abgeleiteten Sätze im 6 ~ ~ o y 6bereits g vorgezeichnet ist, so ergibt sich, daß eine solche Definition nicht unserer Willkür anheimgestellt ist. Sie muß vielmehr der Bedingung genügen, daß die Gesamtheit der abzuleitenden Sätze aus ihr im strengen Beweisverfahren gefolgert werden kann. Daran erkennt man, ob eine solche Definition wirklich die o h i a aufweist oder ob sie eine bloße Abstraktion, also, nach den Worten des Aristoteles, „ein dialektisches und leeres Gerede ist" 131. Man muß also bei der Feststellung des 6 ~ ~ o iny seiner 6 ~ Vorstellung efi01j x a i a b xapx6hov, ij ai y ~ a p p 4x u i i x i x ~ S o vZ, Q ~ TO S xa-ctSziv x6oatg 6 ~ 0 a i qa i roi3 a ~ t y h v o uyoviut Loat), Orhhu x a i olvolxahtv t u oupßeßqx6za
on b~ahexatxW5eleqvtat x a i xsvhg Ctnavz~g. 402b 16-403a 2. 131 Das Wort ,,dialektischc' bezieht sich hier nicht auf die Dialektik von Platon sondern auf die vorplatonische Dialektik der Sophisten.
auf irgendeine Weise die Gesamtheit der daraus abzuleitenden Sätze vor Augen haben - denn wie sollte man sonst prüfen können, ob der 6 ~ ~ o y den 6 g an ihn zu stellenden Anforderungen genügt oder nicht. Tatsächlich sind die Mathematiker ja auch nie so vorgegangen, wie sie ihre Wissenschaft in einem streng aufgebauten Lehrbuch darstellen. Sie haben nicht zuerst die Axiome formuliert und dann daraus die Sätze abgeleitet; vielmehr sind sie immer mit einem der Empirie vergleichbaren Verfahren in gewisse Felder möglicher Entdeckung vorgestoßen, haben dann im Rückblick nachgeprüft, ob sich die neuen Erkenntnisse widerspruchslos aus den Axiomen ableiten lassen, und haben, wenn es sich als nötig erwies, im Lichte neuer Entdeckungen die Axiome revidiert. Nun ist die Wissenschaft von der Seele, wie wir schon wissen, nicht als eine deduktive Wissenschaft nach Art der Geometrie möglich. Aber das Beispiel der Geometrie ist geeignet, die Struktur und die Methode auch einer Wissenschaft von der Seele zu beleuchten. Wenn schon in einer deduktiven Wissenschaft die Methode darin besteht, daß das Denken ständig zwischen der Erforschung der ovyß~ßqil6-ca und der Erkenntnis der odoia hin und her geht, so gilt das erst recht von einer Wissenschaft, die wie die Wissenschaft von der Seele, eine riesige Menge von ovyßeßqil6~uerfassen muß, die veränderlich sind und nur.empirisch erkannt werden können. Auch hier muß an den h 6 y o ~ iovoiac j ~ die Forderung gestellt werden, daß er der Möglichkeit nach alles, was an der Seele vorkommen kann, umfaßt. Aber wir müssen uns das ganze riesige Feld der möglichen nh0q der Seele in unserer Vorstellung vor Augen halten, wenn wir zu einem solchen Logos gelangen sollen. Die Analyse der einzelnen zuQq wird hier noch in einem ganz anderen Sinn als in der Geometrie das Verfahren sein, durch das wir uns einen Zugang zur Erkenntnis der ovoia erschließen. Wenn Sie die Bücher I1 und I11 lesen, werden Sie feststellen können, daß gerade dieser Abschnitt das Vorgehen des Aristoteles zutreffend charakterisiert. Er steht im Aporienkapitel, weil er nicht die Struktur der gesuchten Wissenschaft sondern das erst durch die Aporien ermöglichte Verfahren kennzeichnet, wie man nach einer Wissenschaft sucht.
Wir überspringen, unserem Plan entsprechend, die Kapitel I, 2-5, also den Abschnitt, in dem Aristoteles die Lehren seiner Vorgänger diskutiert. Wir dürfen einen solchen Sprung nur machen, wenn uns der Verlust, den wir dabei erleiden, nicht cntgeht. Die Kritik der philosophischen Tradition ist, wie ich unter Bezugnahme auf die zwei ersten Bücher der „Metaphysikg'gezeigt habe, für jede philosophische Untersuchung unentbehrlich, weil sie die unartikulierten Vormeinungen aufdeckt, die wir immer schon mitbringen, wenn wir zu denken beginnen. Wird uns die Fragwürdigkeit und die Einseitigkeit dieser Vormeinungen - sie heißen bei Aristoteles TU Evbota - bewußt, so entdecken wir jene Aporien, mit dercn vollständiger Aufzählung die im strengen Sinne philosophische Untersuchung zu beginnen hat. Wir mußten die Interpretation auf einenTeil des Aporienkapitels einschränken, aber auch dieser Ausschnitt hat bereits gezeigt, wie vieles dadurch in Fragc gestellt wird, was nicht nur zur Zeit des Aristoteles sondern noch heute als selbstverständlich hingenommen wird, obwohl wir diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten selbst nicht verstchen. Danach läßt sich, auch wenn man das I. Buch nicht gelesen hat, vermuten, daß eine kritische Diskussion der maßgeblichen Lehren der griechischen Philosophie über die Seele Fundamente in Frage stellt, die heute noch als unsere eigenen gelten. Erst eine solche Durchführung des Prozesses, aus dem die Erkenntnis der Aporien entspringt, würde Gehalt und Horizont der Aporien selbst ausreichend erläutern. Dies sei hier nur gesagt, damit wir bei unserem summarischen Vorgehen die Maßstäbe nicht aus den Augen verlieren, an denen sich eine dem Gegenstand adäquate Interpretation dieses Werkes von Aristoteles orientieren müßte.
I. (Was ist die Seele?) Das Kapitel 11, 1 beginnt mit einem Satz, der angibt, an welcher Stelle der Untersuchung wir uns befinden: „Die von den Früheren überlieferten Lehren über die Seele seicii hiermit besprochen. Wir wollen aber von neuem, gleichsam wie von Anfang an, den Weg zum Ziel hinauf einschlagen, indem wir versuchen, vollständig auszugrenzen, was Seele ist, und was wo111 ihre allgcineinste Definition sein
dürfte."132 Der mit diesem Satz angezeigte Weg vollzieht sich I zunächst in zwei Stufen. Aristoteles hat dies deutlich markiert. Das erste Kapitel schließt mit dem Satz: „Im Umriß nun sei auf diese Weise die Ausgrenzung und zugrundeliegende Skizze im Umkreis von Seele festgelegt."lz3 Im ersten Satz des zweiten Kapitels heißt es, mit wörtlicher Anspielung an den ersten Satz des ersten Kapitels: „Wir müssen nun von neuem versuchen, auf diese Weise die Untersuchung über sie zum Ziel zu verfolgen." l Z 4Dieser zweite Gang führt bis zum Ende des dritten Kapitels. Dort ist dann, wie wir sehen werden, der Punkt erreicht, wo durchsichtig wird, wie eine Untersuchung der ovoia von Seele überhaupt und im Ganzen mit einer Untersuchung der einzelnen Seelenvermögen zusammenhängt. Es wird nun also möglich, von Kapitel 4 an die Untersuchung der einzelnen Seelenvermögen durchzuführen, ohne daß dabei der Zusammenhang dieser Einzeluntersuchungen mit der Frage nach der EinI heit der oVoia von Seele wieder verloren gehen kann. Damit wird deutlich, was die im ersten Satz gestellte Frage nach dem n o ~ v 6 ~ a ~ o ~ h6yoc der Seele bedeutet. Ich habe schulmäßig übersetzt: „die allgeI meinste Definition", und damit die ebenso schulmäßige aber falsche I Übersetzung von Theiler: „der allgemeinste Begriff, korrigiert I (24) 135.Aber es stellt sich nun heraus, daß an den Logos, den Aristoteles sucht, Anforderungen gestellt werden, an die heute kein Mensch mehr denkt, wenn er das Wort „Definitiona ausspricht. Der gesuchte Logos soll eine Aufweisung sein, die das, was „Seele überhaupt und im Ganzen ist" so ausgrenzt, daß die innere Einheit aller I Vermögen der Seele und damit zugleich aller Modifikationen des I Seelischen (naf3y) sichtbar wird. Erst wenn diese Bedingung erfüllt ist, können wir sagen, wir hätten einen i > ~ ~ o entdeckt, po~ der die I I
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oCoia von ~$uxfi,also das Ziel des ganzen Werkes, umreißt. Die sogenannte „Definition der Seele", die Aristoteles im ersten Kapitel entwickelt, gibt, nach seinen eigenen Worten, nur einen skizzenhaften Umriß. Sie ist nicht der gesuchte 6~1opos,sondern ist nur die Ausgangshypothese, die wir brauchen, um überhaupt eine methodische Untersuchung anstellen zu können. Diese Ausgangshypothese wiederum ist nicht etwa willkürlich aus der Menge der sich anbietenden Möglichkeiten herausgegriffen. Es geht ihr die kritische Diskussion der in der bisherigen Geschichte der Philosophie angestellten Hypothesen über das Wesen der Seele und die Analyse der Aporien voraus, die der gesuchte Logos schließlich lösen müßte. Damit fällt ein neues Licht auf die Funktion des I. Buches: es hatte die Aufgabe, uns an die Stelle zu führen, wo man mit einer ernsthaften philosophischen Untersuchung anfangen kann. Wir haben nun den wahren Ausgangspunkt gefunden. Wir wissen: Ex ~ivcov681 Lyx~iv- „von welchen Ausgangspunkten (aus) man suchen muß" (402a 21). Die Aporie, mit der die Kette der Aporien über das Wissen ihren Abschluß fand, ist dadurch wenigstens vorläufig gelöst.
(Exkurs über die philosophischen Implikationen philologischer Fehlinterpretation. Vorblick auf das Ziel des Weges) Es zeigt sich also, daß der Satz, den wir betrachten, in den Zusammenhang des ganzen Werkes fest eingebaut ist: er verweist zurück auf I, 1;er weist voraus auf den ersten Satz von I I , 2 und steht im Zusammenhang einer Reflexion auf das Suchen des rechten Weges, die das ganze Buch hindurch fortgesetzt wird. Es ist nötig, darauf ausdrücklich hinzuweisen, weil Theiler im Zusammenhang mit seinem Versuch, verschiedene Schichten der Komposition voneinander abzuheben, den Satz auseinandergerissen und anders interpretiert hat. Obwohl ich philologische Diskussionen sonst ausspare, sehe ich mich hier genötigt, auf Theilers Argumentation einzugehen. Es wird sich zeigen, daß sich aus einer so speziellen Frage für den Umgang mit philosophischen Texten einiges lernen läßt. Es geht um die Worte: „Wir wollen aber von neuem, gleichsam wie von Anfang an, den Weg zum Ziel hinauf einschlagen." Theiler übersetzt: „Wir
wollen nun wiederum wie von neuem den Weg zurücklegen" (24) griechisch heißt es: nuh~vh' hone@i g ~ G U Q Xinaviwy~v ~ S (412a 4). Es fällt sogleich auf, daß Theiler zwei wichtige Glieder unterschlägt: es fehlt bei ihm das S', das diese Worte mit dem Vorangehenden verknüpft. Das honee, durch das angezeigt wird, daß Aristoteles hier eine metaphorische Redeweise gebraucht, wird leichter genommen, als es dem griechischen Wortlaut entspricht. Außerdem übersetzt er 2naviwyev, als ob die Worte bedeuten sollten, daß ein Weg, der schon einmal zurückgelegt wurde, ein zweites Mal gegangen werden sollte. Für alle drei Abweichungen vom Wortlaut hat er einen einzigen Grund, der in der Anmerkung genannt wird. Dort heißt es: „'Wiederum wie von neuem.' Diesen Übergang gebraucht Ar. entweder, wenn zwei Entwurfe aus verschiedenen Zeiten zusammenstoßen. . . oder wenn ein neuer Unterteil folgt . . ." (106). Für Beides werden Beispiele genannt. Wir fassen zunächst die zweite Alternative ins Auge, wobei es nicht nötig ist, die vonTheiler angeführten Beispiele hier zu zitieren. Es ist evident, daß die Worte „wiederum wie von Anfang an" nur am Beginn eines neuen Abschnittes stehen können. Aber sie bringen auch zum Ausdruck, daß es ungenügend, um nicht zu sagen falsch wäre, einen Abschnitt, der so beginnt, mechanisch und von außen her als einen „Unterteil" zu bczeichnen. Es wird vielmehr durch diese Formel angekündigt, daß der Autor den im vorigen Abschnitt begangenen Weg nicht fortsetzt, sondern von einem neuen Ausgangspunkt eine neue Untersuchung ansetzt. Das ist auch an den von Theiler angeführten Stellen der Fall. Theiler hat den Begriff „Unterteil" nur gewählt, weil er dadurch diese Alternative für unsere Stelle ausschließen kann, denn mit dem Anfang dieses Buches beginnt zweifellos ein Teil, nicht ein „Unterteil". Er setzt also durch seine Terminologie das, was erst zu beweisen wäre, schon voraus. Noch bedenklicher ist die erste Alternative: „Diesen Ubergang gebraucht Ar. . . ., wenn zwei Entwürfe aus verschiedenen Zeiten zusammenstoßen. " Daraus, daß Aristoteles sich genötigt sieht, mit einer neuen Fragestellung einzusetzen, kann nicht gefolgert werden, daß die beiden Untersuchungen aus verschiedenen Zeiten stammen. Das beweisen die Stellen, die Theiler als Belege für die zweite Alternative mit Hilfe des Begriffes „Unterteil" ausgeklammert hat: Sie stehen beide im VIII. Buch der „Physiku ((257a 31; 260a 20)), von dem auch Theiler nicht behaupten kann, es sei aus Manuskripten
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zusammengefügt, die aus verschiedenen Zeitcn stammen. Wenn aber durch diese beiden Belege gesichert ist. daß Aristoteles innerhalb einer und derselben Untersuchung zweimal mit den Worten „wiederum von neuem" einsetzen kann, dann gilt auch dort, wo diese Formel, wie hier und wie an den beiden anderen von Theiler angeführten Stellen, beim Ubergang von einem Buch zu einem neuen Buch desselben Werkes auftritt: die Formel hat eine doppelte Funktion; sie bezeichnet einerseits einen Neueinsatz und macht uns andererseits darauf aufmerksam, daß dieser Neueinsatz im Zusammenhang einer größeren Untersuchung geschieht. Der Neueinsatz geschieht nicht unreflektiert, sondern er hat seinen Sinn; und diesen Sinn vcrstcht man im Hinblick auf die gesamte Untersuchung. Nun kann es zwar sein, ja es ist sogar wahrscheinlich, daß Aristoteles diese Texte nicht in einem Zug heruntergeschrieben hat, und daß die verschiedenen Abschnitte der Untersuchung zu verschiedenen Zeiten geschrieben wurden. Nur läßt sich dieses gerade aus der Formel nOlhtv Eg 6 n u ~ x $ swie , die beiden Stellen aus „Physik" V111 beweisen, nicht schließen, denn die Reflexion auf die Gesamtheit des Weges, in dessen Verlauf neu eingesctzt wird, setzt einen übergreifenden Entwurf voraus, innerhalb dessen die verschiedenen Gänge der Untersuchung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Waruin hat Theiler überhaupt auf so problematische Weise argumentiert? Weil er beweisen will, daß mit den Worten nolhlv D j o n ~etc. ~ ein in der Ubersetzung durch Klammern markiertes, eingeschobenes Stuck beginnt, das nach seiner Hypothese das ganze erste Kapitel umfaßt. Dieses Kapitel soll nach seiner Annahme als ein späterer Einschub in den ersten Entwurf betrachtet werden. Nachdem wir schon gesehen haben, wie gcnau dieser Satz, wenn man ihn nicht wie Theiler in zwei Teile zerlegt, den metliodischen Grundplan des ganzen Werkes bezeichnet, ist auch klar, was die von Theiler vorgenommene Operation für Folgen hat. Es ist, wenn man Theilcr folgt, nicht mehr möglich, den Weg, dcn Aristoteles verfolgt, und damit den philosophischen Gehalt der Bücher „De anima" zu verstehen. Der Nerv des Gedankens wird getroffen, und dies geschieht einer literarkritischen Hypothese zuliebe, deren philologische Begründung - andere als die genannten Gründe hat Theiler nicht anzuführen - mehr als problematiscli ist. Das kommt dabei heraus, wenn man Literarkritik zum Selbstzweck macht, statt sich in die Sache selbst zu vcrsenken und das zu leisten, was gute Philologie an einer solchen Stelle leisten
müßte: den Sinn des Bildes vom Weg bei Aristoteles zu untersuchen und dadurch die authentische Bedeutung des Wortes pEHoOos aufzuklären. Dies ist eine der nicht allzu häufigen Stellen, wo Aristoteles uns an hervorgehobener Stelle zu Beginn des Buches durch &onee ausdrücklich darauf verweist, daß die Rede vom „Gang" der Untersuchung einen metaphorischen Sinn hat. Betrachtet man den sonstigen Gebrauch der zum ersten Mal bei Sophokles begegnenden Formel Ek . U n a ~ x i jso ~ , ergibt sich, daß Ooxee sich nicht isoliert auf diese Formel sondern auf die gesamte Wendung & o x E5 ~ 5xaexfi< ~ 6xaviwpev bezieht. Was heißt hier Fxavicop~v?Das Wort wird in der griechischen Literatur häufig verwendet, wenn ein Schriftsteller zu einem früher schon erwähnten Punkt noch einmal zurückkehrt. Ein solcher Rückverweis liegt auch hier vor, denn Aristoteles erinnert daran, daß er schon zu Beginn des Werkes in I, 1 als Ziel der ganzen Untersuchung die Antwort auf die Frage bezeichnet hat: Was ist die Seele? Die Erkenntnis der o6oia der Seele ist, wie wir gleich zu Anfang lernten, der Inhalt der Wissenschaft von der Seele. Aber was die oaoia der Seele sei, haben wir bisher noch nirgends erfahren - im Gegenteil: es wurden uns nur die nahezu unüberwindlichen Aporien vorgeführt, die einer solche11 Bestimmung des Zieles entgegenstehen. Es gibt bisher keinen Punkt, zu dem wir zurückkehren könnten. Der Weg, den wir nach Theilers Ubersetzung „wiederum wie von neuem zurücklegen sollten", wurde noch nicht beschritten. Also muß Fnaviopev, trotz der Erinnerung, die diese Worte enthalten, hier eine andere Bedeutung haben, und das Wort O o n e ~ soll uns darauf aufmerksam machen, daß dieses Wort hier nicht konventionell aufzufassen ist. Nun hat das Wort EnavtEva~bei Platon eine besondere Bedeutung. Es bezeichnet den Aufstieg zur höchsten Stufe der Erkenntnis (zum Beispiel Symp. 211 C 2). Sollten die Worte etwa auch hier bei Aristoteles eine vergleichbare Bedeutung haben? Ich verzichte darauf, die Stellen aus Platon vorzulegen, durch die sich eine solche Vermutung erhärten ließe, sondern formuliere sie hier nur als offene Frage. Äußerlich läßt sich Folgendes feststellen: die sogenannte „Definition" der Seele, die das Kapitel 11, 1 entwickelt, wird ausdrücklich als ein grober Grundriß skizziert. Die folgenden Untersuchungen führen zwar, wie es der platonischen Bedeutung von Exuv~Evatentsprechen würde, eiiien Aufstieg durch, der bis zum voVg hinführt, aber die Untersuchung des v o ü ~macht, wie wir noch
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sehen werden, deutlich, daß diescs höchste Seelenvermögen auf der Grundlage der Untersuchung der niedrigeren Seelenvermögen nicht interpretiert werden kann, ja, daß sogar die Bedeutung und Reichweite der „Definitionc' von I I , 1 in Frage gestellt werden muß. Der voG< des Menschen kann nach Aristoteles nicht unabhängig vom göttlichen voGs verstanden werden. Erst von der Erkenntnis des göttlichen voVg her ließe sich also jener notv6-ca-cosh 6 y o ~gewinnen, in dem die Frage „Was ist die Seele?" ihre Antwort fände. Das ist der sachliche Grund dafür, daß der gesamte Inhalt dieses Werkes im ersten Kapitel mit streng platonischer Terminologie als bloße xio-ctg bezeichnet wird (402a 11). Wenn Aristoteles bei dem Neuansatz, den er hier beginnt, einen Gang vor Augen hat, der einen Aufstieg bis zum göttlichen vocs durchmessen soll, dann läßt sich dieser Gang nicht präziser als durch die platonische Bedeutung des Wortes ExavtFvat bezeichnen. Dies würde natürlich für die Interpretation der drei Bücher „Über die Seele", ja darüber hinaus für unser Verständnis der gesamten Philosophie des Aristoteles weitreichende Konsequenzen haben. Aus diesem Grunde hielt ich es für nötig, abweichend von meinem sonstigen Usus eine bestimmte philologische Frage etwas ausführlicher zu diskutieren. Sie sehen an diesem Beispiel, wie viel vom richtigen Verständnis einiger weniger Worte abhängen kann, über die der moderne Leser, der keinen Sinn mehr dafür hat, daß Worte ernstgenommen werden könnten, gleichgültig hinwegliest . Wir halten fest: Die Untersuchung hat das Ziel, vollständig auszugrenzen, was die Seele ist, und was wohl ihre allgemeinste Definition sein dürfte. Aristoteles geht so vor, daß er im ersten Kapitel (des 11. Buches) eine Antwort auf die Frage „Was ist die Seele?" in groben Umrissen vorläufig skizziert. Daß aber diese vorläufige Skizze nicht als endgültige Antwort verstanden werden darf, geht nicht nur aus der Anlage des ganzen Werkes sondern auch aus dem ersten Satz dieses Kapitels hervor, den wir aus diesem Grunde so genau betrachten mußten. Weil es sich nur um eine erste Skizze handelt, kann Aristoteles seine sogenannte Definition der Seele in knappen Zügen ohne nähere Begründung umreißen. Schon in der Mitte des Kapitels 1stellt er fest: naHohou pkv o6v ~ l ~ q -~ic Eo-c~v a ~ r] V U X ~-~„allgemein ist nun gesagt, was die Seele ist" (412b 10). Die Worte „allgemein ist gesagt" Im Text: „unabhängig vom göttlichen v o U ~ nicht".
entsprechen den Worten zis &V rly n o ~ v 6 z a t oh~6 y o ~aCzfj~- ,,was wohl ihre allgemeinste Definition sein dürfte" (412a 5-6). Daraus ergibt sich: Schon die erste Hälfte des ersten Kapitels nimmt skizzenhaft das Resultat, dem das ganze Werk zustrebt, und das es, wie wir sahen, nicht erreicht, vorweg. Die zweite Hälfte des Kapitels (412b 10-413 a 10) hat die Aufgabe, dieses Resultat auf eine sehr eigentümliche und spezifisch aristotelisclie Weisc zu erläutern. Das Ergebnis der Erläuterung wird namlich sein, daß uns die Definition, die schon die Antwort zu enthalten schien, zu einem Rätsel geworden ist, desscn Auflösung wir erst suchen musseii. Das zweite und dritte Kapitel hat die Aufgabe, das Rätsel und die in ihm enthaltenen Aporien praziscr so zu formulieren, daß begreiflich wird, daß seine Auflösung sich erst ergeben kann, wenn wir von unten aufsteigend die Analyse sämtlicher Seelenvermögen durchlaufen haben. Was wir am Ende des Werkes schließlich gewinnen, ist nicht etwa die endgültige Antwort, es ist aber eine so radikale Formulierung der in der sogenannten Definition enthaltenen Grundaporie des Verhältnisses von Bewegung und Wahrheit, daß wir den ~ b e r g a n gzu ihrer Auflösung vollziehen können. Die Antwort auf das gestcllte Rätsel ist die Lehre vom göttlichen vo13~als dem inb bewegten Beweger. Ich habe diesen Vorblick gegeben, weil man die sogenannte Definition nur verstehen kann, wenn man die große Perspektive dcs Gesamtentwurfcs kennt, auf den sie verweist.
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11. (Ovoia und 6hq - das Leib-Seele-Problem) Die Kette der ouoia-Aporien begann mit dem Satz: „Zuerst ist es wohl notig auseinanderzulegen, in wclchem der Herkunftsbereiche des Seienden die Seele ihre Stellung hat und was sie ist. . . außerdem, ob sie zu dem gehört, was dcr Möglichkeit nach ist, oder ob sie eher eine Art von Entelechie ist. " (402 a 23 ff.; Text Anm. 126) Die Definition von 11, 1 enthält die Antwort auf diese beiden Fragen. Sie Durch diese genaue bestimmt die Seele als o6oia und als FY~E~EXFLCI. Kori-espoiidenz ist die strenge Einordnung des Kapitels in den Gesamteiitwurf erneut gesicl-iert. Allerdings verzichtet Aristoteles darauf, das Problem, im Bereich welcher Kategorie die Seele ihre Stellung hat, noch einmal zu untcrsuchcn. Er konnte voraussetzen,
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daß dieses Problem durch die Kritik der Vorgänger im I. Buch schon genügend geklärt ist. Deswegen beginnt er 412a 6 mit den Worten: „Wir nennen also einen Herkunftsbereich des Seienden die o6oiaC'. Ich habe schon bei der Erklärung von 402a 23 begründet, weshalb ich das Wort yEvo2, sofern es sich auf die Kategorien bezieht, als „Herkunftsbereich" interpretiere (248f.). Theiler übersetzt: „Aussagegattungen" (24). Er nimmt also an, daß yEvo5 in dieser Bedeutung den formallogischen Sinn der Gattung hat. Dann wären die verschiedenen Formen der Aussagen die Arten. Aber Aristoteles verwendet ja 402a 23 zur Bezeichnung der verschiedenen Kategorien den Plural T& yEvq. Dann müßte man jede einzelne Kategorie als Gattung betrachten. Die konkreten Aussagen, die wir machen, also etwa die Aussage „dieses Pult ist braun", wären dann die Arten. Aber auch so kommen wir nicht durch, denn die Aussage „dieses Pult ist braun" enthält ja zwei Kategorien: die Kategorie der o4oia und der Qualität. Wir mögen uns drehen und wenden, wie wir wollen: das Schema „Gattung - Art" kann auf die Kategorien nicht übertragen werden. An unserer Stelle (412a 6) sagt Aristoteles klar genug, was gemeint ist: die o6oia ist yEvos Ev TL zov 6 v z w - sie ist nicht eine Gattung von Aussagen, sondern sie ist ein y k v o ~des Seienden. Dies ist sie aber nicht in der Weise, wie wir Pferd eine Gattung von Lebewesen nennen können. Denn in der Kategorienlehre wird ja nicht dieses oder jenes so oder so bestimmte Seiende sondern das Seiende überhaupt, rein insofern es ist, betrachtet. Sie greift durch alle möglichen Gattungen und alle möglichen Arten hindurch. Wo immer wir von Seiendem sprechen können, ist das, was wir sagen, auf o h i a zurückbezogen. Hier liegt also ein ganz anderes Verhältnis zugrunde als das Verhältnis von Gattung und Arten. Wie dieses Verhältnis genauer zu bestimmen ist, zeigt Aristoteles in den folgenden Zeilen. Ich habe bei der Erläuterung der aristotelischen Kategorien schon gesagt, das Leitmotiv der aristotelischen Philosophie sei der Satz zo ov hiyeza~~ ~ o h h a x(237). o ~ Wir haben dort die Vielfalt der Strukturen, innerhalb derer sich das Seiende im Logos manifestiert, zunächst nur im Hinblick auf die Unterscheidung der verschiedenen Kategorien betrachtet, An dieser Stelle erinnert Aristoteles daran, da13 auch von der odoia selbst, also der ersten und fundamentalen L „An dieser sagen wir das Kategorie, der Satz gilt: ~ E Y F T C ~nohhaxos: Eine aus als Materie, das an sich selbst kein Dieses-da ist, das Andere als Gestalt und Form, der entsprechend nunmehr ein Die-
ses-da im Logos aufgezeigt wird, und als Drittes das, was aus diesem zusammengesetzt ist. " 137 Was Aristoteles hier in zwei Zeilen sagt, hat er in der „Metaphysik" in zwei ganzen Büchern, den Büchern V11 und VIII, entwickelt; die in den nächsten zwei Zeilen konstatierte Polarität von b6vaptg und ~ Y Z E ~ E X E List U das Thema des IX. Buches der „Metaphysiku. Die Bücher V11 bis IX der „Metaphysiku gelten mit Recht seit jeher als das Kernstück der aristotelischen Ontologie. Die Zeilen ( D e an. ) 412a 7-11 bedeuten also: die Basis für die Definition der Seele ist in den Büchern VII-IX der „Metaphysik" zu suchen. Weil er dort diese Basis freigelegt, ihre Problematik eingehend erörtert und ihre Aporien aufgezeigt hat, kann er an dieser Stelle darauf verzichten, in eine Erörterung der Vielfalt der Dimensionen der oVoia einzutreten. Die Zeilen sind nichts als eine Erinnerungsformel. Aristoteles hat im o6oia-Abschnitt des Aporienkapitels, wie wir gesehen haben, deutlich gemacht, welche Abgründe von Problemen sich unter uns auftun, wenn wir versuchen, die Bedeutung dieses so einleuchtend klingenden Begriffes zu klären. Es wäre also ein Mißverständnis zu behaupten, daß Aristoteles seine Ontologie hier dogmatisch voraussetzt. Es fehlt uns aber die Zeit 1 3 8 , die innere Problematik der odoia ausführlich zu entwickeln. Ich beschränke mich deshalb darauf, auf eine möglichst handfeste Art das, was hier gesagt wird, zu erläutern. Wir betrachten ein Beispiel, das schon in den Bereich dessen gehört, was nach Aristoteles beseelt ist, also etwa eine Kastanie. Diese Kastanie ist ein Seiendes, von dem wir innerhalb des Gefüges der Kategorien sagen können, daß es bestimmte Eigenschaften und eine bestimmte Größe hat, daß es sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort befindet, und daß es zu anderem, was ist, also zum Beispiel zu demVogel, der auf ihr sitzt, in einem bestimmtenverhältnis steht. Bezeichnen wir diese verschiedenen Aspekte, unter denen die Kastanie sich uns zeigt, durch Aussagen, so steht der Begriff „Kastanie6'an der Stelle (ihres) Subjekts, oder sie sind doch auf 137 . . . .tuVaq~62 ao ykv W S Chqv, 6 xu0' a6to 06%Faxt TOOE T L ETFQOV , SE yo~cpfivnui EEOOS, na0' ijv qSq htyc-cat ~ O 6 Te L , ilui -cei-covt b Fn -coV-cwv. 412 a 7- 9. 138 Im Text: „hier die Zeit". 139 ImText: „desu.
z es wegen
die Kastanie zuruckbezogen. ist die Kastanie für alle diese Aussagen das Erste Zugrundeliegende - die ovoia. Nun fragen wir: Was ist die Kastanie? Da stellen wir zunächst fest, daß diese Kastanie aus Holz besteht. Sie hat eine Materie. Fragen wir weiter: Was ist Holz?, so kommen wir über eine große Kette von Zwischengliedern zu den Elementen. Fragen wir: Was sind die Elemente?, so kommen wir in letzter Analyse, die Aristoteles in der „Physik" durchgeführt hat, zur Unbestimmtheit des Kontinuums. Weil Materie nichts Bestimmtes sondern in letzter Analyse Unbestimmbarkeit ist, sagt Aristoteles hier nicht, an der ovoia ist die eine Seite Materie; er sagt vielmehr: an der oVoia weisen wir das Eine in der Aussage 8 s vhqv - wie Materie, nach Art von Materie - auf. Die Wichtigkeit des 8 5 wird deutlich, wenn wir feststellen, daß es beim parallelen Glied K k po~
TO a n e t ~ o v- das Unbegrenzte und Unbegrenzbare - ist, formal gesprochen, ein Oberbegriff für Materialität und Kontinuität. Also muß von der Materialität gelten, daß sie an sich nicht bestimmbar oder, wie Aristoteles sagt, an sich nicht ein Dieses-da ist. Wenn wir von Holz oder von Elementen sprechen, so haben wir nicht Materie als solche sondern Materie in einer bestimmten Gestalt, Materie als ein Dieses-da, Materie als eine Verbindung von Kontinuum und Struktur vor Augen. Materie als solche ist Bestimmungslosigkeit. Sie wird in Hegels „Logik" unter der Uberschrift „Sein" gut aristotelisch als „das unbestimmte Unmittelbare" beschrieben (5,82). Sie ist nicht etwas. Aber Hegel geht zu weit, wenn er daraus schließt, sie sei „nicht mehr noch weniger als Nichts" (5, 83); sie ist vielmehr, wie Aristoteles hier sagt, an der o6oia die eine Seite.
111. ( M o ~ r pund ~ j e @ o -~ Gestalt und Form) Die andere Seite wird durch einen doppelten Namen po~cp4nui ESbog - Gestalt und Form - bezeichnet. Sie ist also in sich selbst nicht einfach. Uber Platons Begriff der iSEu oder des ESSOShabe ich, um ein Verständnis der aristotelischen Bedeutung dieses Begriffes vorzubereiten, am Beispiel des Zügels schon gesprochen (239ff .). Im Abschnitt über den voüg (De an. 111, 4-8) wird sich zeigen, daß voüg und ~ i S o guntrennbar zusammengehören. Versteht man nicht, was Aristoteles ES SO^ nennt, so versteht man auch nicht seinen Begriff des voüg. Ich gehe deshalb schon an dieser Stelle auf die Begriffe der po~cpfi,des et6og und des hier nicht erwähnten TL fiv E ~ Y näher ~ L ein, um die Interpretation des voüg-Abschnittes zu entlasten und zugleich schon hier die Brücke zu jenem Abschnitt herzustellen. Auf diese Brücke kommt es nämlich an. Am Abschnitt über den voüg entscheidet sich, ob und wieweit die Definition der Seele, die Aristoteles hier aufstellt, trägt. Um zugleich den Zusammenhang und die Unterscheidung zwischen diesen Begriffen deutlich zu machen, zitiere u 0662 TO ESSO<,Yj ich einen Satz aus Met. VII, 8: ~ ~ U Y E Qu~ Y~ OTL 6 ~ ~ b f i n oX- cQ~u~ a h ~ i vT ~ EY Y TW C I ~ Ü ~ ~~TO@Q V 02) ~ Yy i, y v ~ t a086' ~ FOTLY a6-coü yiveo~g,o4b2 TO Ti Sv ~ S v a(i ~ o i h oy o l ~EÜTLY 6 Ev uhhq yiyve~at 4n;O ~ExvqgYj 6x6
im sinnlich Wahrgenommenen, auf keine Weise entsteht, und daß es von ihr keine Entstehung gibt, noch auch das t i Sv E&YUL(denn dieses ist, was in Anderem in Erscheinung tritt, entweder unter der Wirkung von Kunst oder unter der Wirkung von Natur, oder einem Vermögen)." (1033b 5-8) Das Erste, was wir diesem Satz unmittelbar entnehmen können, ist die Unterscheidung von yo~cpfiund e?Sog. ESSOS, so sagt uns Aristoteles, ist die Bezeichnung der Gestalt im sinnlich Wahrnehmbaren. Aber bedeutet das nicht, daß ~S6ogund po~cpfiidentisch sind? Sagt er nicht selbst, er nenne die Gestalt im sinnlich Wahrnehmbaren ESSO
ohov - das aus beiden Momenten zusammengefaßte (o13v-) Ganze (-ohov). Der Begriff ~ o ~ bezeichnet c p ~ also, wie wir sehen, nicht etwa das konkrete Seiende sondern nur dessen Gestalt -in unserem Beispiel den Reif. Befragen wir aber einen Mathematiker, so wird er sagen: die Gestalt ist, weil sie im Medium des sinnlich Wahrnehmbaren zur Erscheinung kommt, nur ein gebrochenes Abbild der reinen geometrischen Figur des ~i8og.Im 111. Buch werden wir lernen, daß der voUg am Seienden das ~ ? 6 0erfaßt. 5 Aber im Gegensatz zu Platon hat Aristoteles nicht gelehrt, das E%OSsei das ovawg ov - „das auf seiende Weise Seiende", die wahre odoia. Zur odoia gehören vielmehr nach Aristoteles die beiden Momente Materie und Form; odoia ist das in diesen beiden Momenten seine Wirklichkeit findende Ganze. Ich füge eine Bemerkung hinzu, die bei der Aristoteles-Interpretation in der Regel übersprungen wird, obwohl sie für das Verständnis des Zusammenhangs seiner Philosophie zentral ist. Die Zeilen aus „De anima", in denen Aristoteles die hier nur kurz erläuterte Lehre rekapituliert, beschreiben die allgemeine Struktur der odaia jedes Seienden. Die allgemeine Struktur - das ist eine moderne Paraphrase des Begriffes ~2602.Aber das sog der o6oici als solcher enthält die Materie schon als Moment. Es gibt also keine Materie mehr, in der dieses ESKOS sich darstellen könnte. Wo ist dann der Ort für dieses eSGog? Wir werden sehen, daß Aristoteles auf diese Frage eine Antwort hat. Der Ort für das ~1805überhaupt ist der voBg. Das bedeutet, daß diese Ontologie auf einen Horizont verweist, der in ihr nicht aufgeht. Das ist, wie vorgreifend gesagt sei, der Grund, weshalb es Aristoteles nicht gelingt, und nicht gelingen kann, auf der Basis dieser Ontologie eine Definition von der Seele zu geben, die das Vermögen des vofq mit einschließt. Das Seiende als solches wird, wie wir schon sahen, an unserer Stelle (De an. 412a 9) t b Fx aolitov genannt. Ich habe übersetzt: „das aus diesem Zusammengesetzte". Ich habe also, ähnlich wie Theiler, mit dem Begriff der Zusammensetzung eineil Gedanken eingeführt, der im Text nicht steht und mindestens mißverständlich ist. Im Deutschen können wir einen präpositionalen Ausdruck nicht durch die Zufügung des Artikels substantivieren. Wir können nicht sagen: „das Aus-diesem". Andererseits ist evident, daß das Verhältnis von Stoff und Form nicht so gedacht werden kann, als würden hier zwei verschiedene Stücke zusammengesetzt. Die Frage, wie eigentlich Stoff
und Form oder Stoff und Gestalt zusammenhängen, fuhrt uns aber erst zu dem Problem, das geklärt werden muß. Die aristotelische Platon-Kritik konzentriert sich darauf, daß Platon dieses Problem (nach der Auffassung des Aristoteles) nicht zu lösen vermochte. Daraus ergibt sich: solange man nur die beiden Momente Stoff und Form ins Auge faßt, hingegen die Verbindung von Beidem unbestimmt läßt, ist man in die Fragestellung des Aristoteles noch nicht eingedrungen. Die aristotelische Ontologie will die Verbindung von Beidem aufhellen. Sie fragt: wie geht das Seiende aus beiden Momenten hervor? Sie fragt also, zugespitzt formuliert, nach der Bedeutung der Präposition 2% in unserer Formel. Wir werden sehen, daß die Bestimmung der o6oia von Seele sich aus der aristotelischen Form der Auflösung dieser Aporie ergibt. Um Ihnen dies verständlich zu machen, erkläre ich (einige) Begriffe, von denen der erste in dem zitierten Satz der „Metaphysik" vorkommt, zwei andere iii „De anima" eine große Rolle spielen 140: - t b t i Sv E ~ Y U L - xaB6hov - Glivay~g und 2 v t ~ h E x ~ ~ a - EvE~y~ia. Daraus wird sich dann die Erläuterung von zwei weiteren Begriffen ergeben, die in der „Definition" der Seele auftreten: -
b"i)
-
oeyavov.
IV. (Grundbegriffe der aristotelischen Ontologie)
Über die Bedeutung dieses Begriffes hat es in der Aristoteles-Forschung eine endlose Diskussion gegeben, über die Owens14' erschöpfend und, wie mir scheint, abschließend, referiert. Das Resultat sollte jeden, der an den Fortschritt der Wissenschaft glaubt, zum Nachdenken bringen. Es stellt sich nämlich zum Schluß heraus, daß die mit weitem Abstand beste und zutreffendste Erklärung dieser für 140 14'
Im Text: „vier Begriffe" . . . „die beiden andcrcn" The Doctvzrze oj Bezng, 1801f.; vgl. Anm. 122.
Aristoteles zentralen Formel schon 1847 von Schwegler im Exkurs I seines Kommentares zur „Metaphysik6' des Aristoteles gegeben wurde 142.Alle späteren, vor allem die modernen Erklärungen dieses Begriffes sind nicht nur sachlich sondern auch sprachlich falsch und bezeugen, wie zum Beispiel die berühmt gewordene Arbeit von Arpe, ein erschutterndes Unverständnis der Philosophie des Aristoteles und seiner Probleme143.Da wir es nicht nötig haben, uns mit den Irrwegen der späteren Forschung aufzuhalten, erkläre ich den Begriff im Anschluß an Schwegler. Zunächst ist festzustellen, daß die Formel eine Leerstelle enthält. Man müßte eigentlich schreiben: -cb -ci 3v . . . ~Zvat.Die Leerstelle wird ausgcfüllt durch die Bezeichnung dessen, von dessen Sein die Rede ist. Diese Bezeichnung steht bei Aristoteles im Dativ. So sagt er zum Beispicl für das Menschsein des Menschen -cb -ci Sv & v 8 ~ h x q ESYUL. Wir fragen mit Schwegler: 1. Wie ist der Gebrauch des Dativs zu erklären? 2. Wie erklärt sich das Imperfectum Sv? 3. Wie verhält sich die Formel -ci Sv ~ i v azu t der uns schon mehrfach begegneten Formel -ci EOTLV? 1.Der Dativ ist ein possessiver Dativ, der zugleich, wie Owens ergänzend festgestellt hat, den Gedanken der Partizipation zum Ausdruck q müssen wir auf deutsch bringt (187, Anm. 88). Tb & v @ ~ h xhat ubersetzen: „das Sein des Menschen". Der Dativ bringt eine andere Nuance herein. Genau gefaßt heißen die Worte: das, was für den Menschen das Sein ist. 2. Wie erklärt sich das Imperfectum $V?Wir können uns zur Erklärung des Imperfekts an den zitierten Satz aus der „Metaphysik" halten (1033b 5-8). Dort wird erstens gesagt, daß das TL fiv E?VUL nicht entsteht, und daß es von ihm kein Entstehen gibt; zweitens, daß es das ist, was in Anderem (namlich dem sinnlich Wahrnehmbaren, das heißt der Materie) entsteht. Ist das nicht ein Widerspruch? Was soll es bedeuten, daß das -ci Sv ~ i v aerstens i nicht entsteht und zweitens entsteht? Wir können uns das wieder an dem Beispiel mit dem Reif klarmachen. Die geometrische Figur des Kreises, die der Schmied 142 Schwcglei-,Die Metaphysik des Aristoteles, s. Aiim. 55, Bd. 4, Excurs I: Ti) Ti i o ~ i T<> , ~i E ? ~ C ( Lund der Gcbrauch dcs Dativs ~b i v t ~ ? v a bei t Aristotcles, 369ff. 14? Czlrt Arpe, Das $Y s h a b~ e Aristoteles, ~ Bevl~n:De Gruyter, 7938.
schon vor Augen haben muß, bevor er mit seiner Arbeit beginnt, ist nicht entstanden und kann nicht vergehen. E r hat sie vor Augen oder nicht. Wenn er sie aber vor Augen hat, dann ist sie als ~Sbogvoll und ganz präsent. Wenn nun der Reif geschmiedet wird, tritt diese vorher schon präsente reine Form (~tbog)im Laufe der Herstellung allmählich als Gestalt (yo~cpfi)hervor, bis schließlich der Punkt erreicht ist, wo der Schmied sagen kann: „Der Reif ist fertig". Dieses HervortreDas Wort „werdenc' trifft nicht die ten heißt auf griechisch ~FYEOLS. genaue Bedeutung; yiyvoyal heißt: zur Erscheinung kommen. Das muß man wissen, um zu verstehen, daß ein ~S605,das selbst keine ~ ~ Y E O Lkennt, S in Anderem, nämlich der Materie, yiyv~zai- zur Erscheinung kommt. Bei allem Entstehen tritt in der Materie eine Gestalt allmählich hervor. Damit überhaupt Entstehung möglich ist, muß die reine Form auf eine in jedem Fall näher zu bestimmende Weise scholl vorgegeben sein. Aber die Vorgabe, um die es sich hier handelt, läßt sich nicht zeitlich interpretieren. Die Kategorien müssen vorgegeben sein, damit Seiendes in dem Strukturgefüge der Kategorien zum Sein gelangen kann; aber die Kategorien gehcn dem Seienden nicht zeitlich voraus. Die Ursprünge und Gründe von Bewegung müssen aller Bewegung vorgegeben sein, aber sie gehen der Bewegung nicht zeitlich voraus. Auch die Zahlen und die mathematischen Figuren sind vorgegeben, aber gehen nicht zeitlich voraus. Aristoteles nennt alles, was strukturell aber nicht zeitlich vorausgeht, n ~ o - c ~ -c5 ~ ocp13m~ v - „früher der Natur nach". Der Gegensatz dazu wäre: Z Q ~ T E Q OT@ ~ x~6vq - „früher der Zeit nach". Das Imperfekt Sv bezeichnet in der Formel -ci Sv ~Zvatdie Priorität der Natur nach. Man könnte stattdessen ein Perfekt erwarten, weil das ~zSo5,wie Aristoteles sagt, keine ~ F V E U L kennt, S also immer schon abgeschlossen ist. Sprachlich wäre darauf zu antworten, daß es im Griechischen a t gibt. Aber es liegt im Imperfekt noch eine ein Perfekt von ~ & v nicht gedankliche Pointe, die auch Schwegler nicht bemerkt hat: Die Perfektform würde der platonischen Ideenlehre entsprechen, denn für Platon war das reine ~1605das wahrhaft und auf seiende Weise Seiende, weil es in sich abgeschlossen und vollendet ist. Aristoteles hingegen sagt, das derart Abgeschlossene und Vollendete habe, für sich selbst und isoliert betrachtet, gar kein Sein. Es „ist" immer nur, insofern es in der Materie erscheint. Es manifestiert sich also nur im Modus des Unabgeschlossenseins. Deswegen bringt das Imperfekt den aristotelischen Gedanken genau zum Ausdruck.
3. Wie verhält sich die Formel ai fiv ~Zvaizu der Formel ai Eoa~v?Aristoteles hat von der Möglichkeit der griechischen Sprache Gebrauch gemacht, auch die Frage ai EOTLY durchVoranstellung des Artikels zu substantivieren. Tb t i ~ ( S T L Vist bei ihm eine feste Formel, die allgemein alle richtigen Antworten auf die Frage: Was ist das? bezeichnet. Tb t i Eoatv bezeichnet also, wie Schwegler feststellt, „das allgemeine Wesen des Gegenstandes, das je nach den Umständen bald Materie bald Form bald Beides zusammen . . . sein kann" (377). Die Formel bezieht sich also primär auf das allgemeine Wesen der o h i a , gleichgültig, ob sie vollständig ausgegrenzt oder nur allgemein und unbestimmt bezeichnet wird. So ist zum Beispiel Lebewesen zu sein das Ti Eoaiv des Menschen. Aber das spezifische Wesen des Menschen ist damit noch nicht bezeichnet. Die Aussage: der Mensch ist ein Lebewesen, ist wahr, aber sie ist kein U e ~ o p 6- ~keine vollständige Ausgrenzung dessen, was ihn zum Menschen macht und von anderen Lebewesen unterscheidet. Da wir auch fragen können: Was ist Rot? Was ist ein Kilometer? etc., läßt sich ~b ai Eoa~vnicht auf die Kategorie der o6oia beschränken. Es umfaßt auch die anderen Kategorien: Quantität, Qualität etc. Damit ist deutlich, wie sich ab TL Eot~vvon ab t i fiv ~ V U unterscheiL det. In dem zeitlosen fiv liegt, wie wir sahen, ein Verweis auf das in dem konkreten Seienden zur Erscheinung kommende E ~ ~ ODiese S Formel bezeichnet also nicht unbestimmt und allgemein das, was ein Seiendes ist, sondern sie erfaßt das Seiende in dem, was es als Dieses und kein Anderes konstituiert. Die Antwort auf die in dem t i enthalg , vollständige Ausgrenzung der Merktene Frage ist der U ~ ~ o p 6 die male, die es als solches konstituieren. Deswegen definiert Aristoteles den O e ~ o p 6als~ h6yog toü t i fiv EZVUL - als Aussage, die das in der Materie zur Erscheinung kommende ~Sbogerfaßt. L odoia Damit ist deutlich geworden, daß der Begriff t o ai fiv E ~ Y U die in der Zusammenfassung ihrer beiden Momente bezeichnet. Tb -cifiv & v O ~ h n Eq S Y ~ Lbedeutet: das in der sinnlichen Erscheinung zu sein, was für den Menschen von vornherein sein Sein ist. Alles, wovon wir überhaupt sagen können, daß es ist, ist nach Aristoteles nur in der Form seiend, daß es in der Materie zur Erscheinung bringt, was sein wahres Sein von vornherein schon war. Die Kastanie ist nur deshalb eine „Kastanie6', weil sie in jeder ihrer Entwicklungsphasen vom Samen bis zum voll ausgewachsenen Baum das, was sie von vornherein schon war, in dieser Gestalt der sinnlichen Erscheinung ist. Der
Mensch ist von seiner Geburt bis zu seinem Tod nur deshalb und nur in dem Maße „Menschu, als cr das, was von vornherein das Menschsein ausmacht, zur Erscheinung bringt. Der Reif ist vom Beginn der Herstellung bis zu seiner Vollendung und von der Vollendung an durch alle Stufen des möglichen Zerfalls nur in dem Maße Reif, als er in diesem Metall die Gestalt zur Erscheinung bringt, die von vornherein die wahre Gestalt des Reifes war. Es ist die allgemeine Form jedes Seienden überhaupt, als Dieses-hier das, was es von vornherein schon war, zu sein. Das formuliert der Begriff ab -ci fiv E ~ V U L .
Durch die genauere Bestimmung der Begriffe ~Z605,poecpt und t i fiv E ~ V U Lhaben wir schon sehr viel mehr darüber gelernt, was bei Aristoteles o6oia heißt. Wenn Aristoteles (De an. I I , l ) die o6oia von Seele skizzenhaft umreißen will, muß er einen Logos entdecken, der als 6e~op6gausgrenzt, ab ai fiv Vuxij ~ S v a-i „das, was für jedes beseelte Lebewesen von vornherein das Seele-Sein ist". Wir nennen eine solche Aussage „allgemein". Aber der Begriff „allgemeinc' ist mehrdeutig. Aristoteles spricht von einem n o ~ v 6 ~ a a oh6yog < (412a 5 ) . E r sagt: naf36hou pEv O ~ ~ V l e q a tai~Eot~vfi V I I X ~ „allgemein ist nun gesagt, was die Seele ist" (412b 10). Außerdem findet sich bei Aristoteles für das Wort „allgemeinMnoch der Begriff naa& x a v t 6 ~ . Solange wir diese drei Begriffe des Allgemeinen nicht auseinanderhalten können, verstehen wir die Struktur des Logos nicht, den Aristoteles hier sucht. Deswegen ist der Begriff ila86hou der nächste Begriff, dessen Bedeutung geklärt werden muß. Eine genaue Unterscheidung der verschiedenen Bedeutungen des Begriffes „allgemeinL'gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Denk e n ~und der Erkenntnis; denn alle Begriffe, die wir gebrauchen, sind „allgemein". Wissen wir nicht, in welchem Sinn und innerhalb welcher Grenzen sie allgemein sind, muß unser Denken fortwährend in die Irre gehen. Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen griechischer und neuzeitlicher Philosophie liegt darin, daß das neuzeitliche Denken den Begriff „allgemeinc' so formalisiert hat, daß die darin versteckten Unterscheidungen vernachlässigt werden konnten und nicht mehr ins philosophische Bewußtsein traten, während die griechische Philosophie hier Differenzierungen aufgedeckt hat, die
im Mittelpunkt der Ontologie des Platon und des Aristoteles stehen. Wenn Aristoteles die Begriffe xa6ohov, xaau navzog und i l o ~ v 6 ~ verwendet, setzt er Erkenntnisse voraus, die in der platonischen Dialektik gewonnen wurden, und die er festgehalten hat, obwohl er sich von der dialektischen Methode sonst abkehrt. Ich muß die sehr einfachen aber fundamentalen Sachverhalte, um die es sich hier handelt, kurz erläutern. Wer diesen Dingen weiter nachgehen will, sei auf den Abschnitt Theait. 201 C-210D verwiesen. Wie immer wir den Begriff des Allgemeinen auffassen mögen, stets bedeutet er, daß irgend etwas, das wir als „allgemeinc' bezeichnen, allen Elementen einer bestimmten oder unbestimmten Vielzahl gemeinsam ist. Wenn man erklärcn will, was das Wort „allgemein" bedeutet, ist man also genötigt, sei es auch noch so oberflächlich, irgendwelche Annahmen oder Voraussetzungen ilber die Lösung des Grundproblems schlechthin der gesamten griechischen Philosophie zu machen: des Verhältnisses von Einheit und Vielzahl. Die neuere Philosophie hat es sich mit diesem Problem leicht gemacht. Die Einheit gehört seit Descartes auf die Seite des denkenden Bewußtseins, die Vielheit auf die Seite der Objekte. Zwischen dem denkenden Bewußtsein und den Objekten wurde scharf unterschieden. Man war also nun nicht mehr genötigt zu untersuchen, wie in den Objekten selbst Einheit und Vielzahl sich durchdringen. Alle Probleme, die hier auftreten mochten, wurden in die Erkenntnistheorie abgeschoben. Das ist der Grund, weshalb die neuzeitliche Philosophie mit einem simplifizierten, formalisierten und schließlich rein operationellen Begriff des Allgemeinen auszukommen glaubte 144. Um zu erläutern, wie die griechische Philosophie sich dieses Problem gestellt hat, gehe ich von dem Beispiel aus, an dem Platon es zu erklären versucht. Ich sagte: jeder allgemeine Begriff bezeichnet etwas, was allen Elementen einer bestimmten oder unbestimmten Vielzahl gemeinsam ist. Was bedeutet in diesem Satz das Wort „Element"? Es ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes m o t ~ ~ l o Dieses v. Wort heißt: der Buchstabe. Die Römer haben es durch das Kunstwort elernentum übersetzt, weil sie die Reihe der Buchstaben nicht mit A , B, C sondern mit L, M, N begonnen haben. 144 Vgl. Kants Religionsphilosophie, Teil I, 111. „Notwendigkeit und Allgemeinheit", 108tf.; s. a. „Allgemeinheit“ im Sachregister.
Die Buchstaben sind Teile von Silben; die Silben Teile von Worten. Das Wort „Silbe" ist ein griechisches Lehnwort. Es hat eine Bedeutung, die schon auf unser Problem verweist: auf griechisch heißt „Silbe" ouhhafifi - die Zusammen-Fassung. Das, was zusammengefaßt wird, sind die Elemente. Die uns vertraute Bedeutung des Wortes „Elementc' kommt daher, daß schon vor Platon bei den Pythagoräern und dann in anderer Weise bei Demokrit das Beispiel der Buchstaben, Silben und Worte gebraucht wurde, um zu erklären, wie in der Natur aus kleinsten Teilen größere Komplexe und aus diesen ganze Organismen - gleichsam die Worte der Natur - sich zusammensetzen. Betrachten wir das sehr einfache und jedermann durchsichtige Beispiel der Zusammensetzung von Worten aus Buchstaben und Silben genauer, so verstehen wir vielleicht besser, wie in der Natur die Teile in einem größeren Ganzen zusainmengehören. Wir nehmen also irgendein Wort und sehen zu, wie es aus seinen Buchstaben zusammengesetzt ist. Es gibt ein Buchstabenspiel, an dem man gut erproben kann, worum es hier geht. Es wird eine Anzahl von kleinen Karten auf den Tisch geworfen, auf jeder der Karten steht ein Buchstabe, und die Spieler sind aufgefordert, um die Wette aus diesen Buchstaben Worte zu bilden. Ein Wort ist dann eine Summe von Elementen. Der Spieler, der das Wort mit der größten Buchstabenzahl gebildet hat, gewinnt. Vergleicht man, ohne Rücksicht auf die Bedeutung, die Worte nur nach der Buchstabenzahl, so ist jedes Wort eine Summe seinerTeile, nämlich der Buchstaben. Das Ganze, rein als Summe der Teile betrachtet, bezeichnet Platon durch das Wort nav. Es gilt dann für jedes Wort der Satz: Ein Wort besteht aus einer Anzahl von Buchstaben. Weil dieser Satz für jedes mögliche Wort gilt, ist er allgemein. E r gilt naau x a v a o ~ . Nun können aber die Spieler nicht beliebig irgendeine Anzahl von Buchstaben aufgreifen. Die Buchstaben sollen ja ein Wort bilden. Und das tun sie nur, wenn sie (sich) in einer bestimmten Reihenfolge zu Silben, und wenn sich die Silben zu einem Wort zusammenfassen lassen. Was bestimmt die Reihenfolge der Buchstaben und Silben? Und was die Reihenfolge der Silben im Wort? Wenn wir diese Frage stellen, genügt es nicht, die Buchstaben äußerlich so aufzufassen, wie sie auf den Kärtchen stehen. Wir müssen uns nun klarmachen, daß die Buchstaben Zeichen für Laute sind, und daß eine auf bestimmte Weise artikulierte Zusammenfassung von Lauten, als Einheit genommen, das Zeichen für eine Vorstellung ist. Diese Vorstel-
lung verweist uns wieder - auf eine durch und durch rätselhafte Weise - auf etwas, das ist, oder von dem wir doch meinen, daß es ist. Diesen ganzen, uns schwer verständlichen Zusammenhang hat man im Sinn, wenn man einen neuen allgemeinen Satz formuliert: Jedes Wort ist ein Symbol. Auch der Satz: Jedes Wort ist ein Symbol, bezieht sich auf jedes einzelne mögliche Wort. Auch er hat eine allgemeine Bedeutung. Aber diese Allgemeinheit ist offenbar von anderer Art als die Allgemeinheit des Satzes: Jedes Wort ist eine Summe von Buchstaben. Hier wird nämlich das Wort nicht äußerlich als eine Addition aus seinen Teilen sondern als Ganzes genommen. Jedes Wort ist, insofern es ein Ganzes ist, ein Symbol. Das Ganze als Einheit gefaßt, nennt Platon ohov. Sie sehen schon jetzt, daß zwischen den Formeln na-cu n a v ~ 6und ~ naO6hov ein wesentlicher Unterschied besteht. Wir müssen uns aber diesen Unterschied noch genauer klarmachen, damit wir sehen, wie dieser Unterschied mit dem Begriff der oVoia zusammenhängt. Aristoteles, der sich im letzten Kapitel von „Metaphysik" V11 auf den von mir zitierten Abschnitt aus Platons „Theaitetos" bezieht, macht denselben Sachverhalt an einem anderen Beispiel deutlich. Was an dem Wort die Silbe ist, das ist an einem Tier das Fleisch: ein Teil des ganzen Organismus, den man in seine Elemente zerlegen kann. Nehmen wir an, wir hätten ein Stück Fleisch chemisch analysiert, dann hätten wir danach, wie bei der Silbe die Buchstaben, sämtliche Bestandteile, aus denen das Fleisch materiell besteht, in säuberlicher Ordnung beisammen. Nichts wäre vom materiellen Bestand dieses Stückes Fleisch verloren gegangen. Wäre alles, was ist, Materie und nur Materie, so wäre die Summe des Inhalts der Reagenzgläser mit dem Stück Fleisch identisch. Nur eines wäre diese Masse von Materie nicht, nämlich Fleisch. Um Fleisch zu sein, muß diese Materie sich in einem Körper organisiert haben. Will man erklären, was das Wort „Fleisch" bedeutet, so darf man nicht bei der Summe der Buchstaben und auch nicht bei dieser Silbe der Natur stehenbleiben, sondern man muß das Ganze erfassen, das die Materie nach einem bestimmten Prinzip organisiert. Genauer gesagt: man muß dieses Prinzip selbst, griechisch gesprochen die & Q X ~ erfassen. , Diese & Q X selbst ~ ist nicht materiell, so wenig wie die Bedeutung des ganzen Wortes sich aus der Summe der Buchstaben zusammenrechnen läßt. Aber nur auf Grund dieser & e x q ist der Leib Leib und das Fleisch Fleisch. Diese i x e ~ f ibegründet die Einheit, die wir im Sinn
haben, wenn wir den Körper als ohov betrachten. Nur, weil er in diesem Sinn ein Ganzes ist, kann er ein zav, eine bestimmte Summe von Materie-Teilen sein. Entsprechend kann ja auch das Wort nur deshalb eine bestimmte Anzahl von Buchstaben haben, weil es als ganzes eine Einheit ist, die eine Bedeutung besitzt. Aristoteles sagt am Schluß desVII. Buches der „Metaphysik", die das Ganze begründende Einheit sei nicht Element sondern 6 ~ x 4 Ursprung , davon, daß es eine Einheit und ein Ganzes ist, und diese 15~x4nennt er o6oLa. Nun wissen wir schon sehr viel genauer, was die sogenannte „Definition", also die Ausgrenzung der o6oia zu leisten hat. Sie muß die Einheit aufdecken, die ein nüv ZU einem ohov macht. In diesem Sinn sagt die Definition naO6hou - im Hinblick auf das Ganzsein des Ganzen -, was etwas ist. Sie sehen nun, wie irreführend es ist, wenn durchgängig das Wort xa06hou durch den Begriff „allgemein6'übersetzt wird. Jeder überhaupt mögliche Begriff ist in dem Sinn „allgemein", daß er sich auf jedes mögliche Individuum der durch den Begriff bezeichneten Klasse bezieht. Der Begriff „Radfahreru bezieht sich auf jedes mögliche Individuum, das die Merkmale besitzt, durch die wir einen Radfahrer als solchen identifizieren. Deshalb ist der Begriff allgemein na-cd n a v ~ 6Aber ~ . er hat nicht die durch die Formel ncrO6hov bezeichnete Allgemeinheit; denn Radfahren zu können, ist eine beiläufige Eigenschaft des Menschen. Man muß das Wesen des Menschen im Vergleich mit den anderen Lebewesen ausgrenzen und bestimmen, wenn man verstehen will, warum gerade der Mensch fähig war, Fahrräder zu erfinden und zu benutzen. Eine Formel, die den Menschen als Menschen erfaßt, müßte sein ganzes Wesen so umreißen, daß alles, was an Menschen vorkommen oder sich mit Menschen zutragen kann, einschließlich der Möglichkeit, Rad zu fahren, in ihr enthalten ist und aus ihr hervorgeht. Erst eine solche Formel wäre dann naO6hou. Aristoteles hat in den „Analytica Posteriora" (73b 25ff.) die formale Struktur des na06hov auf folgende Weise genauer bestimmt: - Alles, was im Sinne des na06hou allgemein ist, ist auch im Sinne des ncrd n c r v ~ 6 allgemein. ~ Die Definition des Menschen überhaupt gilt auch von jedem einzelnen Menschen. Aber es gibt viele Aussagen, die ich von jedem einzelnen Menschen (machen) 145 kann, 145
Im Text: „sagencL
ohne daß sie im Sinne des naQ6hou allgemein wären. Wenn ich sage: jeder Mensch hat eine Nase, so ist das eine allgemeine Aussage, die für sämtliche Individuen gilt. Aber sie erfaßt die Menschen nicht in dem, was sie zu einem Ganzen macht. - Die Allgemeinheit im Sinne des ilaO6hou erfaßt das Einzelne, wie es naO' a h 6 - an sich - ist. Das, was an sich zu einer Sache gehört, ist in der Definition, die sie als Ganze umreißt, notwendig direkt oder indirekt enthalten. So ist zum Beispiel der Mensch an sich sterblich. Das gilt nicht nur xa-cd x a v ~ 6es ~ gilt , nicht nur von jedem möglichen Individuum, sondern es muß in jeder Definition, die das, was der Mensch ist, umreißen soll, enthalten sein. Trotzdem ist darin, daß der Mensch sterblich ist, noch nicht enthalten, was ihn als Ganzen in seinem Wesen konstituiert. Das kommt erst durch eine zusätzliche Bedingung herein, die Aristoteles an einen Logos stellt, der ilaO6hou gelten soll. - Allgemein im Sinne des xaO6hov ist nur der Logos, der jedes Individuum einer Klasse bezeichnet $ a d d , als das, was es ist. Also zum Beispiel den Menschen als Menschen, das Seiende als ein Seiendes. Nur wenn diese drei Formen der Allgemeinheit, das ilazd nav-co~, das na0' aV-co und das a d t o zur Deckung kommen, ist jene Form der Allgemeinheit gegeben, die Aristoteles durch den Begriff xaO6hou bezeichnet. Was in diesem Sinne allgemein ist, nennt Aristoteles odoia. Der Logos, der die odoia aufweist, ist auf das Seiende als ein Ganzes hin ausgesagt. Das steht nun noch im Zusammenhang mit einem anderen Problemkreis, den ich hier kurz erwähnen muß, weil er später für uns wichtig wird. Wir sahen schon, daß im Zusammenhang mit der Bestimmung des Begriffs der Seele die Frage eine Rolle spielt, ob die Seele Teile hat. Schon Platon hat zu voller Klarheit gebracht, daß der Begriff „Teil", wenn man das Ganze als eine Summe, also als X&, betrachtet, eine andere Bedeutung hat, als wenn man es als eine Einheit, das heißt als ohov betrachtet. Die Teile eines Körpers, den man als Einheit betrachtet, sind seine Glieder. Man muß die Teile unterscheiden können, wenn man die organische Struktur des als Einheit betrachteten Körpers verstehen will, aber man kann ihn dann nicht beliebig in Stücke schneiden, sondern muß sich an den Funktionen der einzelnen Organe orientieren. Betrachtet man hingegen den Körper als eine bloße Summe von Materie-Teilen, so zerlegt man ihn in seine Elemente. Das ist ein ganz anderes Prinzip der Teilung. Die platoni-
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sche G ~ a i e e osollte t ~ eine Methode sein, die so einteilt, daß die Einheit dessen, was ein Ganzes bildet, nicht zerstört wird. Im schroffen Gegensatz zu den Methodeiibegriifen der neuzeitlichen Naturwissenschaft waren Platon und Aristoteles überzeugt, daß man zu einer wahren Erkenntnis der Natur nur gelangt, wenn man das, was ein Ganzes ist, nicht durch falsche Begriffsbildungen zerstört, sondern als Grundbegriffe nur solche Begriffe zuläßt, die das, was ist, unversehrt lassen. Das, was in seiner unversehrten Einheit erkannt werden soll, ist die odoia, und nur eine Erkenntnis, die von der o6oia ausgeht, ist wahr. Vielleicht ist danach deutlicher geworden, warum Aristoteles gleich zu Beginn des 11. Buches (von „De anima"), wenn auch zunächst als skizzenhaften Umriß, einen Logos aufzustellen versucht, der naO6hou aussagt, was die Seele ist.
3. AGvapt~und ?v-cehkx~~a U. (Der Logos der o6oia von Seele) Damit wir den Faden nicht verlieren, möchte ich, bevor wir weitergehen, die Erlauterung des Begriffes ovoicv., bei der wir uns befinden, in den Zusammenhang desTextes von D e an. I I , 1 einordnen. Aristoteles beginnt, wie wir sahen, seine Entwicklung der sogenannten Definition der Seele mit einer Erinnerung an jene Grundbegriffe, mit deren Hilfe er in den Büchern VII-IX der „Metaphysik" die , E i l ~oG-c(r3v. Struktur des ov $ 6v umrissen hat: Ühy, po~cpfi,e i b o ~-cb Würden wir diese Begriffe nur isoliert auffassen, so hätten wir von der aristotelischen Bestimmung des Seienden als eines Seienden noch nichts verstanden, denn dieses Seiende muß, wie sich gezeigt hat, als ein ohov, das heißt in der Einheit, die es als Ganzes konstituiert, verstanden werden. Das zentrale Problem, das Aristoteles zu lösen hatte, steckt deshalb in der Frage, wie die verschiedenen Momente, die durch die genannten Begriffe am Seienden abgehoben werden, sich in diesem Seienden zu einer Einheit durchdringen. Um ein erstes Vorverständnis für die aristotelische Lösung dieses Problems zu vermitteln, habe ich einen weiteren zentralen Begriff der aristotelischen Ontologie mit herangezogen, den Aristoteles an dieser Stelle zwar nicht nennt, den er aber voraussetzt: den Begriff .cb T L $v ~ z v a iDieser . Begriff besagt, wie wir gesehen haben, daß wir dann
und nur danii sagen konnen, daß ein Seiendes ist, wenn in der Mate rie und damit in der Zeit zur Erscheinung kommt, was dieses Seiende von vornhereiii und immer schon ist. Der Begriff erlautert also das Verhältnis von Vhq und ESKOS im Hinblick auf die Zeitlichkeit des Seienden. Die Materie ist bci Aristoteles das von sich aus unbegrenzte uiid unbegrenzbare Mcdium des Entstehens und des Vergeliens. Insofern das Seiende Materie ist, befindct es sich im Fluß der Zeit, in ihrer Unbeständigkeit. Aber wäre es ganz an diesc Unbeständigkeit ausgeliefert, so ware CS nicht bestimmt und als Solches umrissen. Wir konntcn von ihm nicht sagen: dieses-da, denn die Materie an sich ist, wie Aristoteles sagt, niemals „dieses-da“. Sie ist nur das Kontiiiuum des Verflicßens. Dieses-da - ein Stein, cin Hund, cin Haus - ist das Seiende nur, sofern in der Materie etwas erscheint, was ihrer Unbeständigkeit nicht ausgeliefert ist, sondern in seinem so o d e ~so bestimmten Umriß beharrt, auch wcnn die Ersclieiiiungen wcchseln. Das ist das ~S605,auf dem die Identität dcs Scieiiden mit sich selbst beruht. Das ESOOS ist dem Wechsel des Entstehens und Vergehens nicht unterworfen, es ist von vornherein, was es immer schon war. Es ist, wie man zu sagen pflegt, „zeitlosL'.Das Problcm, wie sich Materie uiid Form in der Gestalt verbinden, führt also auf das Problcm, wie das, was an sich zeitlos ist, iin Fluß des Entstehens und Vergehens, also im Fluß der Zeit, erscheinen kann. Damit uns dieses Problem in scii-ier spezifisch aristotelisclien Fassung deutlich wird, habe ich vorausgegriffen auf den Satz, mit dem Aristoteles den Abschnitt über die „Definition" der Seele abschließt: ita06hou yEv 06v eteqaal TL 2 o - c -;~1 ~ vuxfi - „allgcmcin ist nun gesagt worden, was die Seele ist" (412b 10). Wir haben gesehen, daß die Ubersetzung „allgemeina irreführend ist. Der Satz bedeutet, daß Aristoteles sich anhcischig macht, er habe eincn Logos vorgelegt, der das, was Seele uberhaupt und im Ganzen ist, so ausgrenzt, daß die Einheit ans Liclit tritt, die die Scele in der Ganzheit, die sie ist, trägt und zusammenhält. Aristoteles nennt im letzten Kapitel von „Metaphysik" V11 diesen in der Seele selbst enthaltenen Grund ihrer Einheit & ~ x f-i den Ursprung des Seele-Seiiis von Seele. Der Logos, den Aristoteles vorlegt, muß diesen Grund der Einheit so erfassen, daß er für jede mogliche Seele der Ursprung ihres Seele-Seins ist; denn ein Logos gilt, wie wir sahen, nur danii xu0ohou, wenn er xazu ncrv.16~- allgemein ist. Es gilt also, das Erscheinen dessen, was Seele immer schon und voii voriil-icreinist, im Medium des Eritstclicns undVergcl-icrisso auf-
zuweisen, daß das Gaiiz-Sein dessen, was Seele ist, nicht versehrt wird. Nachdem wir uns derart dic Bedingungen, die ein Logos der oVoia von Seele zu erfüllen hat, klargemacht haben, nenne ich zunächst dieseil Logos. Das wird uns zeigcn, in welcher Richtung wir bei der noch ausstelienden Erklärung der Begriffe G i ~ v c r p ~k~v, i ~ y ~ ~ a , E V ~ E ~ ~ vorgehen X E L ~ müssen. h. ( Die Frage nach d e m Wesen der Bewegung)
Die „Definition" der Seele heißt: q Q U X?ottv ~ E v t ~ h i x $~ J~CaQ C O ~ ohpctao~cpuo~ilo0iiuvuy~it(or)v E X O V T O ~ - „die Seelc ist die erste Entelechie eines physischen Leibes, der der Möglichkeit nach Leben hat" (412a 27f.). Zur Erkläri~ngdieser Definition ist es zu früh, denn wir sehcn auf den ersten Blick, darJ hier eine ganze Reihe von Begriffen vorkommt, deren Bedeutung wir noch nicht verstehen. Zwei der Begriffe, die sclion in den Eiiigangssätzen vorkominen, kehren hier wieder: 66vap~gund k v ~ ~ h i Wir ~ ~ werde11 ~ a . also hier einsetzen müssen; es wird sich dann zeigen, ob sich von hier aus auch die Bedeutung der übrigen Begriffe aufhellen läßt. Aristoteles nennt nicht aus~~a drücklich den Bcgriff, der zwischen 66vaptg und E v z ~ h i x vermittelt, nämlich den Begriff dcr ~ Y I Q Y EWir L Uwerden . aber sehen, daß gerade dieser Begrill' den ganzen Zusammenhaiig gedanklich trägt I". Zunächst gilt es, deii Horizont zu bestimmen, innerhalb dessen Aristoteles hier nach dem Wesen der Seele fragt. Die Seele ist die erste Entelechie eines o o y a rpuoin6v. Die Ubersctzung „natürlicher Körper" ist nur dann richtig, wenn wir in den Begriff „natürlich" nicht den neuzcitlichen Naturbegriff hineinprojizieren. Der Begriff r p i j o ~ ~ ist bei Aristoteles - es sei wiederholt - der Inbegriff von allem, was sich bewegt. Er bezieht sich primär auf das, was den Ursprung dcr Bewegung in sich selbst hat, sekundär auf das, was durch Anderes bewegt wird. Der Melisch, als beseelter Leib verstanden, ist also nach Aristotelcs in einem ursprünglichereil Sinne Natur als die ariorganischen Körper. Der Leib des Menschen ist in einem ursprünglichercn Sinn „natürlicher Körper" als ein Stein oder ein Element. Es gibt auch Körper, die nicht in diesem Siiinc natürlich sind. Einer'46 Vgl. „Der Rcgrifi dcr Enei-gcia bei Aristotclcs", in: Hicr und Jetzt I, 289 11'.
seits die mathematischen Körper, andererseits die künstlich hergestellten Körper. Bei mathematischen und bei künstlich hergestellten Körpern ist es nicht das Bewegtsein, was ihre Körperlichkeit konstituiert. Ihr Körper-Sein ist deshalb nicht im Horizont der r p i i o ~zu~ explizieren. Aber das cpuo~nOvoOpa ist nicht als ein Körper zu verstehen, der dann außerdem sozusagen als Zusatz in den Bereich der bewegten Natur versetzt ist, er ist vielmehr in dem strengen Sinne „physisch", als seine Körperlichkeit als solche aus der spezifischen Gestalt seines Bewegtseins hervorgeht. Die Begriffe Gljvuk~~, 2vEey~icx und FVTEAEXELCIhaben die Aufgabe zu erklaren, wie das möglich ist. Ich beginnc mit wenigen Hinweisen, die den Begriff der GGvcxy~g erläutern sollen. Das deutsche Wort „Möglichkeit" ist eine genaue Übersetzung dieses aristotelischen Begriffes; aber das neuzeitliche Denken hat diesen Begriff anders interpretiert. Die neuzeitliche Philosophie interpretiert „Möglichkeit" als Denkmöglichkeit. Die sogenannten „Modalitäten": Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit, werden vom Denken her, sie werden logisch interpretiert. Man hat diese moderne Interpretation des Begriffes „MöglichkeitL' auch in Aristoteles hineingedeutet, aber in unserem Text schiebt Aristoteles gleich zu Beginn jeder solchen Deutung einen Riegel vor. E r erklärt: E ~ T LG' $ pEv Chq K l j v a p ~-~„es ist aber die Materie Möglichkeit" (412a 9). Dieser Begriff der Materie steht dem Materie-Begriff, der sich in der Quantenphysik und in der Relativitätstheorie ausgebildet hat, erstaunlich nah; aber er befindet sich im Widerspruch zu jenem Begriff der Materie, den die griechischen Atomisten ausgebildet haben, und mit dem sich schon Platon auseinandergesetzt hat. Nach dem Materie-Begriff der Atomisten, der auch noch den Materie-Begriff von Marx bestimmt, ist die Materie nicht Möglichkeit sondern das Wirkliche. Sie ist sogar das einzig Wirkliche. Sogar im Zeitalter der klassischen Physik haben Philosophen wie Leibniz und Kant diesem Begriff der Materie widersprochen, weil sich, wenn man diesen Begriff der Materie voraussetzt, bei der Erklärung der Begriffe „Raumc' und „Zeitu und bei der Erklärung, wie es möglich sein soll, daß wir das Wirkliche, die Materie, erkennen, unüberwindliche Schwierigkeiten ergeben. Auch die Begriffe der Möglichkeit und der Wahrscheinlichkeit, sowie die Differenz der Modi der Zeit - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - (stoßen) 147 auf unüberwindliche 147
Im Text: „stößt".
Schwierigkeiten, wenn man die Materie als das Wirkliche bezeichnet. Einen großen Teil dieser Probleme haben Platon und Aristoteles schon klar erkannt und analysiert. Die Resultate der Quantenphysik sind für einen Kenner der griechischen Philosophie nicht Überraschend. Der Satz: „Es ist aber die Materie Möglichkeit" setzt diese ganzen Analysen, die uns vor allem in der „Physik" des Aristoteles vorliegen, voraus. Ich muß mich mit diesem Hinweis begnügen. Wo immer Ühy ist, da ist auch
sich bewegen kann, auf irgendeine Weise ist. Die Formen von Bewegung, die das Sein dessen, was sich bewegen kann, konstituieren, sind also der Ortsbewegung vorgeordnet. Das Sein des veränderlichen Seienden befindet sich cntweder irn Modus dcs Entstehens oder iin Modus des Vergehens. Deswegen ist die Veranderung die primäre Form der Bewegung. Interpretierin wir Möglichkeit als die im Seienden selbst liegende Dispositioii zum Entstehen oder Vergehen, so bezeichnen wir sie durch das deutschc Wort „Vermogen". Möglichkeit ist der formale OberbegrilI für alle Formen der Bewegung; Vermögen ist der Begriff, mit dem wir die Möglichkeit zur Veranderung bezeichnen. Die Priorität der Veränderung besagt, daß Aristoteles die Möglichkeit überhaupt vom Vermögen her interpretiert. Wir betrachten nun noch einmal die Sätze 412a 6-11. Dort wird im ersten Satz die Polarität von Ühq und c ? f i o ~eingetul-irt, im zweiten o ~? v t ~ h E x ~ interpretiert. ta Der Satz wird Ühq als b U v a y ~ ~ , e b als crstc Satz konnte auch von Platon stammen, denn auch Platon hat im „Philebos" das Sein des Seienden als eine Mischung aus dem unbestimmten Unendlichen und der dic Einheit begründenden Bestimmung dargestellt ld8. Was Platon nach der Meinung des Aristoteles nicht zu erklären vermochte, war die genaue Bedeutung, die das Wort „Miscliung" in ciner solchen Erklärung der Str~lkturdes Seienden hat. Diese Erklarung gibt der zweite Satz dadurch, daß Ühq als fi-iivay~~, ~tfiogals & v a t h i x ~interpretiert ~a wird. C.
(Die Bedeutung des Wortes ~ Y ~ ; E ~ ¿ x E ~ c x )
Dieser zweilc Satz ist rcin aristoteliscli. Hier treten wir erst in den innersten Bereich der Ontologie des Aristoteler ein. Nun haben wir schon gesehen, was die Deutung der Materie als Möglichkeit für einen Sinn hat. Sie soll die Materie als das unbestimmte und unbestimmbare Substrat der Beweglichkeit alles dessen, was in der Natur ist, darstellen. Entsprechend ist schon im voraus anzunehmen, daß t a ein Bewegungsbcgrilr zu verstehen auch der Begriff & v a ~ h E x ~als a ~Proist. Wir kennen auch schon durcli den BegrilI ab ai fiv ~ l v das blem, das Aristoteles durch die Einführung dieses von ihm geprägten Begriffes zu lösen versuchte: dieser Begriff muß zeigen, wie das zeit14R
Vg1. die A~trnerlcurzgvorz Theiler zur Stelle (106)
lo\e F S ~ O S , das zuvor schon war, im zeitlichen Prozeß des Eiitstehens oder Vergchens zur Erscheinung koinmen und wieder verschwinden kann, obwohl es selbst weder Entstehen noch Vergehen kennt. Was lieißt i v - c ~ h i x ~ t a ? Ein Teil der Forschung hat sich auf eine Erklärung dieses Begriffes geeinigt, von der ich zeigen werde, daß sie falsch ist 149. Wenn Sie das (Greek-English) Lexicon von Liddle and Scott oder das Etymologische Worterbucli von Frisk nachschlagen, finden Sie dort die auch von David Ross akzeptierte Deutung von Hermann Diels: diescs von Aristoteles gebildete Kunstwort sei zusammengesetzt aus dem Ad= vollkommen und dem Verb Fxttv = haben. 'Ev-ceA.6jektiv &v-c~hfis XFI a ware dann ein Zustand, der die Vollkommenlieit in sich enthält. Ich werde Ihnen Stellen vorlegen, die diese DeutungsmUglicl-ikeit ausschließeii. Richtig hat untcr anderen Werner Jaeger die Wortinterprctiert ((409f.)). Dann bezeichnet bildung als Ev-TEIL-~XELU. das Wort die Verfassung, in der sich ein Seiendes belindet, das sein -cEho~ - sein Ziel -in sich entl-iält. Ich habe die Worterklärung vorausgeschickt und werde sie nun begründen. Wir wissen schon, daß wir zu diesem Zweck von der Frage nach demVerhältnis von Entelechie und Bewegung ausgehen müssen. Wir haben schon bei der Erörterung des Begriffes der Möglichkeit gesehen, daß Aristoteles zwei Formen der Bewegung unterscheidet: die Ortsbewegung und die Veranderung. Wenn man diese Unterscheidung so äußerlich feststellt, setzt man voraus, jedermann verstunde, was das Wort „Bewegungu bedeutet. Aber was ist eigentlich das Gemeinsame, das Ortsbewegung, oder präziser gesagt: Transport, und die Veränderung von Zuständen miteinander verbindct? Die klassische Physik antwortet auf diese Frage, indem sie \amtliche Veränderungen von Zustanden auf den Transport von Massenteilen reduziert. Wenn das wahr ist, hatten wir eine klare Antwort aut die Frage: Was ist Bewegung'? Bewegung wäre dann Transport und sonst nichts. Aber gleichzeitig spricht die selbe Physik von Zuständen und von der Veränderung von Zuständen, zum Beispiel von derveränderung der Temperatur. Mit den Begriflen, die man braucht, um den Transport zu beschreiben, kann man einen Zustand nicht ausrcichend dctinieren. Man setzt viclmehr dann unreflektiert voraus, was Zustand hcißt, sei jedermann bekannt. Umgckehrt laßt sich aus den 14'
Vgl. auch 40R.
Begriffen, die man zusätzlich einführen muß, wenn man präzise sagen will, was das Wort „Zustandc' bedeuten soll, das Phänomen des Transports nicht ableiten. So zcigt sich schon in der klassischen Physik, wenn man ihre Begrifflichkeit genauer prüft, jene Schwierigkeit, die dann Niels Bohr in der Quantenphysik als ,,Komplementaritätc' von Korpuskel und Welle bezeichnet hat. Bei der Icomplementarität der beiden Arten von Bewegung, die ich erläutert habe, handelt es sich um das gleiche Problem. Wir haben gesehen, daß und warum bei Aristoteles die Veränderung von Zuständen die Priorität hat, obwohl er genau gesehen und ausgesprochen hat, daß eine abstrakte Bewegungslehre von der Priorität des Transports ausgehen wird. Aber auch die allgemeine Redc von Zuständen wäre Aristoteles als abstrakt erschienen, denn im Rahmen seiner an den Kategorien orientierten Ontologie können Zustände als solche überhaupt nicht existieren. Ein Zustand läßt sich nur als Zustand eines Seienden definieren, und alle Zustände von Seiendem sind Phasen des Entstehens oder Vergehens. Entstehen ist dic Bewegung hin zu einem Ziel, Vergehen ist eine Bewegung, die sich von dem Ziel entfernt. Daraus ergibt sich imVIII. Buch der „Physik" folgende Definition der Bewegung: Eot~v6' fi n i v q o ~EVTEAEXELCI ~ ntvq~oi)OI~~hfig - „es ist aber die U Beweglichen" (257b Bewegung die unvollkommene E ~ T E ~ E X F Ldes 8). Das Wort OILE~I]~ - unvollkommen - ist der Gegensatz zu F v t ~ h f i ~ - vollkommen. Wäre die Entelechie, (entsprechend) lS0der Erklärung von Hermann Diels, ein Zustand, der das Vollkommene in sich enthält, so würde diese Definition sich selbst aufheben, denn eine EYTE~EXELUEL~~hfig wäre ein Widerspruch in sich selbst. Anders sieht es aus, wenn wir den Begriff als F v - ~ ~ h - E xauffassen. ~ta Ist das Entstehen die Grundform von Bewegung überhaupt und das Vergehen ein defizienter Modus von Bewegung, so ist jede Bewegung die Bewegung hin zu einem Ziel. Aber es gibt verschiedene Formen der Bewegung hin zu einem Ziel. Wenn wir ein Fahrzeug nach einem Ziel steuern, so ist es ungenau zu sagen, die Bewegung des Fahrzeuges selbst hätte dieses oder jenes Ziel. Das Ziel hat der, der das Fahrzeug steuert. Dem Fahrzeug selbst ist es gleichgültig, ob es zu diesem oder jenem Ziel gesteuert wird. Es hat das Ziel nicht in sich selbst, sondern wird von außen her gelenkt. Anders liegen die Verhältnisse, wenn etwas, das den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat, sich I5O
Im Text: „nach"
bewegt. Wenn es den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat, so hat es zugleich das Ziel der Bewegung in sich selbst. Das ist nach Aristoteles im gesamten Bereich des Organischen der Fall. Der Keim enthält in sich schon präformuliert das eSGog oder, wie man heute sagen würde, das Programm, nach dem er sich zum Baum entwikkelt. Wenn sich die Pflanze von dem Zustand „Keim" zum Zustand „Baum" bewegt, ist der Endzustand, also das „Ziel", das die Entwicklung bestimmt, in gewisser Weise in ihr schon gegenwärtig. Sie ~ a . zugleich ist hat auf gewisse Weise das Ziel in sich, F v - t ~ h - E x ~Aber sie bei diesem Ziel ja noch nicht angelangt, denn wäre sie schon angelangt, so brauchte sie die verschiedenen Phasen nicht zu durchlaufen, sie brauchte sich nicht zu bewegen. Es ist also ihre Bewegung von Zustand zu Zustand eine noch nicht beim Ziel angelangte Weise, das Ziel in sich zu haben - E v ~ ~ h i x ~&TE~I]s. La Der Wechsel von Zustand zu Zustand läßt sich auch nicht so beschreiben, daß es erstens Bewegung überhaupt gibt, und zweitens diese Bewegung von außen her die Eigenschaft hat, auf ein Ziel orientiert zu sein, so wie das Fahrzeug von außen her durch den Fahrer gelenkt wird. Das nicht zum Ziel gelangte In-sich-Haben des Zieles macht vielmehr das Wesen der Bewegung selbst aus. Bewegung ist überhaupt nichts anderes als nicht zum Ziel gelangtes In-sich-Haben des Zicles. Wenn die Pflanze im Verlauf dieser Bewegung Nahrung aufnimmt und Materie sich assimiliert, so findet zwar auch im Stoffwechsel ein unablässiger Transport von Materie-Teilen statt, aber das bewegende Prinzip dieses Transportes ist die Selbstorganisation der Pflanze. Deswegen kann Aristoteles nicht nur diese oder jene Form der Bewegung sondern Bewegung überhaupt als nicht zum Ziel gelangtes In-sichHaben des Zieles definieren. Es liegt auf der Hand, daß diese Theorie der Bewegung im Bereich der anorganischen Natur auf große Schwierigkeiten stößt. Aristoteles hat sie dadurch zu lösen versucht, daß er lehrt: jedes Element habe im Kosmos seinen natürlichen Ort - die schweren Elemente unten, die leichten oben. Was in der neueren Physik die „Trägheit" heißt, wird in dieser (falschen) aristotelischen Theorie als das Streben der Elemente nach ihrem natürlichen Ort erklärt. Mit Hilfe dieser Theorie könnte man auch einen Teil der Bewegungen der anorganischen Natur auf die eben besprochene Definition der Bewegung zurückführen. Auf andere Weise gilt das Gleiche von der aristotelischen Erklärung der Bewegung der Himmelskörper, die uns im
Zusammenhang mit seincr Theologic begegnen wird. Die gesamte Physik des Aristotcles ist cin gigantischer Versuch, seiricin Begriff der cpliotg cntsprechend alle Bcwegung in dcr Natur auf die Bewegung dessen zurückzufüliren, was den Ursprung der Bewegung in sich selbst hat. Die besprochene Definition der Bewegung definiert diese Grundform von Bewegung überhaupt. d. („Das e&05 ist i n der liilq erzthallen") Die bisherigen Überlegungen haben uns verständlich gemacht, aus welchen Gründen Aristoteles die Bewegung überhaupt als 2 v ~ ~ h S X E Lgeiiauer ~, gesagt: als 2va~hEx~ta & L E ~ ( S definieren kann. 'Ev-c~hE X E L ist ~ also ein reiner Bewegungsbegrifl'. Nun sagt aber Aristoteles L ~ 10). Vom ~Ziiog an unserer Stelle, das ESSOSsei E V L E ~ ~ X E(412a wissen wir, daß es ungeworden und unvergänglich, daß es also unbeweglich und, wie man später gesagt hat, zeitlos ist. Wie soll dci-selbe Begriff, den wir zuerst als einen reinen Bewegungsbegriff zu versteO S werden hen gelernt haben, jetzt plötzlich mit dem E ~ ~ identifiziert können? Wir stehen vor folgender paradoxer Gliederung: sog = 2 v a ~ h S x ~=~nivqot~. a Wenn diese Gliederung wahr ist, dann inuß gelten: &?So<= nivqot~.Das aber scheint den klaren Aussagen von Aristoteles selbst zu widersprechen. Die Lösung des Rätsels gibt Aristoteles durch jenen Begriff der 06oia, dessen Verständnis ich durch die Erklärung der BegrilTe po~cp(, LO Li $Y E S Y ~na06hou L, vorzubereiten versuchte. Von dem Verstäiidnis dieses BegrilTes der o6oia hängt das Verständnis der aristotelischen Definition der Scele ab. Aristoteles umreißt diesen Begriff der odoia in einem Satz aus dem VII. Buch der „Metapliysik", der einen authentischen Kommentar zu dem Satz (De an. ,) 412a 6-9 enthält: 9 Y" o6oia Emi LO eSho~t b Evov, EE 06 nai L$< Ühqg .j) olivohos h6y~.tatodoia - „die oVoia ist das inneseiende ~ S f i oaus ~ , dem zusammen mit der Ühq die konkrete o6oia [das heißt die odoia in der Einheit, die ihr Ganzsein ausmacht] im Logos aufgewiesen wird" (1037a 29f.). Nach Platon ist die odoia das ESSOSna0'aU~O- „das E ~ San ~ sich". S Nach Aristoteles ist sie .cb sog LO Evhv - „das nicht an sich sondern in der Ghq seiende ESSO<".Wir verstclien die Differenz von Aristotcles und Platon, wenn wir verstehen, was die Worte LO ESSOSLO Evov bedeuten. Wie ist das ~2605in der Ühq enthalten? o ~ in dcr Vhq als ~ o ~ c p i p Wir haben schon gesehen: das ~ t h erscheint
als Gestalt. Wie verhält sich die Gestalt zur Materic'? Aristoteles hat diese Frage im 11. Buch der „PhysikL'durch eine knappe Formel bes antwortet: 9 yliotg b t ~ ~fi( ~, E YOS vhq, fi h'hg po~q19,~ E h o G'aütq - „die (pliotg ist zwiefach, einerseits als Ghq, andererseits als po~cp(, diese aber ist aEho~"(199a 30f.). Ubersetzt man das Wort Chq als „MaterieL'und versteht man den Begriff „Materie6'so, wie ihn in der Nachfolgt der griechischen Atomisten die Physik der Ncuzeit aufgefaßt hat, so ist dicser Satz unverständlich. Dic Steine, aus denen ein Haus gebaut wird, cnthaltcn nicht in sich die Gestalt des Hauses. In einer Summe von Materie-Teilen, aristotelisch gesprochcn im nav, ist dic Gestalt nicht enthalten. Die Materie ist als solche ziellos. Sie ist erst recht zwecklos. Die Gestalten sind, wie zuletzt Jacques Monod mit mehr Vehemenz als Ref exionsvermögen erklart hat, ein Ergcbnis des ZufallslS1. Das ist der Grund, weshalb die Naturwissenschaft seit Galilej jede Form der teleologischen Naturerklärung mit Entschiedenheit ablehnt. Die Naturwissenscliaftler hatten Recht, denn in dieser ganzcn Epoche war man nicht in der Lage, jenen Bcgriff der Materie zu verstehen, durch den Aristoteles seine Lehre von der o6oia begründet. Nur Kant und in seiner Nachfolge Schelling sind in die Tiefcnschicl-itder Problematik vorgestoßen, wo die Unaufloslichkeit des Zusammcnhangs von Materie und Form, von Kontinuum und Struktur durchsichtig wird. Aber beide wurdcn von der Naturwissenschaft ihrer Zeit nicht verstanden, wcil die Probleme, die sie zu losen versuchten, jcnscits dcs Bewußtseinshorizontcs der klassischen Physik lagen. Erst durch die Quantenphysik haben wir wicder eine Chance erhalten, die Erkenntnisse der großen Philosopliic mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaft in Zusammenhang zu bringen und dadurch erst richtig zu verstehen, was in dieser Philosophie gedacht und erkannt worden ist. Bei Aristoteles ist die Materie, wie wir gesehen haben, weil sie Kontinuum ist, K6vapt~- Möglichkeit - in dem bercits interpretierten Sinne. Der Bcgriff dcr Moglichkeit läßt sich nicht als indifferenter Spielraum des Zufalls interpretieren. Man kann ihn nur definieren, wenn man hinzufügt, was moglich sein soll. Das, was möglich ist, ist eine Mannigfaltigkeit von strukturierten Zuständen. Im Begriff der Möglichkeit licgt eine Verweisung auf Struktur. Durch Manfred 151 Jacques Monod, Le Iiasard et la necessitk, ' ~ a r i s : Editions du Seuil, 1970.
Eigens Theorie der Selbstorganisation der Materie lS2ist dieser Zusammenhang sehr viel deutlicher geworden, weil sie die vorher verborgenen Implikationen des quantenphysikalischen Begriffs der Möglichkeit sichtbar macht. Es ist kein Umweg oder Abweg, daß ich versuche, die Bedeutung des aristotelischen Begriffes EVTEAFXEL~mit Hilfe von Erkenntnissen der neuesten Naturwissenschaft zu illustrieren. Man hat nämlich den aristotelischen Begriff der Entelechie auf Grund der Vorurteile, die in der Physik von Galilei bis zu Mach und weitgehend auch heute noch herrschen, fortwährend falsch interpretiert. Erst wenn wir uns klarmachen, daß diese Vorurteile durch die jüngste Entwicklung in den Naturwissenschaften selbst erschüttert werden, gewinnen wir wieder eine Möglichkeit, diesen aristotelischen Begriff unbefangen so aufzufassen, wie er gemeint ist. Die Gestalt ist das in der Materie als Möglichkeit enthaltene Telos. Der Begriff Ev-c~hEx~La erklärt, auf welche Weise das Telos in der Materie enthalten ist. Es ist in der Materie nicht als ein ihr äußerliches Ziel, es ist in ihr erst recht nicht als ein ihr vorgestellter Zweck, sondern es ist in ihr als die Grundstruktur der Bewegung des Beweglichen enthalten. Bewegung ist nicht ein in sich richtungsloser Transport von Materie-Teilen, Bewegung ist immer die Ausbildung oder der Zerfall von strukturierten Zuständen. Sie ist also immer Entstehen oder Vergehen. Und Entstehen oder Vergehen können wir nur definieren durch die Strukturen, die dabei zur Erscheinung kommen oder sich auflösen. O4oia ist, wie wir den Satz aus der „Metaphysik6' jetzt paraphrasieren können, die in der Bewegung der Materie zum Vorschein kommende Struktur, aus der in ihrer Verbindung mit der bewegten Materie das Seiend-Sein in jener Einheit, die es zu einem Ganzen macht, im Logos aufgewiesen wird. Wir haben die Paradoxie der aristotelischen Lehre von der oVoia in der Gliederung formu~ . Zusammenhang von nivqliert: E ~ K O S= EYTE~FXELU= n i v q o ~Den oig und E V T F A E X E L ~haben wir, von der aristotelischen Bewegungslehre ausgehend, in der Definition der Bewegung als E Y T E ~ E X E L ~ &„h-JI< zu erfassen versucht. Der Zusammenhang zwischen dSos und Evt~hEx~ta ergab sich aus dem Satz, der die o-iioia als t b ~1605 t b Ev6v bestimmt. Von beiden Seiten her ergab sich, daß die auch Manfred Eigen, Selforganization of Mattcr and thc Evolution of Biological Macromolecules, Göttingen: Max-Planck-Iiistitut fur Biophysikalische Chemie, 1971, Preprint eines Papieres für „Die Naturwissenschaften".
(De an. ) 412a 9 wieder in Erinnerung gerufene Bestimmung der „Materie" als Möglichkeit der Schlüssel zum Verständnis ist. Von hier aus erklärt sich sowohl die Definition der Bewegung wie die Definition des EISO
Mitte des Denkens gcrückt. Das sollte sich jeder klarmachen, der die Fabel von dem statischen Denken der Griechen nachschwätzt. Vielleicht beginnen Sie jetzt schon zu ahnen, was Aristoteles vor Augen hat, wenn er den Versuch macht, die Seelc als o-iioia zu detinieren. E r möchte zeigen, daß die Seele die o6oia des bewegten Körpers ist, daß also in der Seele das Prinzip enthalten ist, nach dem sich in einem bewegten Körper die Materie organisiert. Wenn es il-iin gelingt, das zu zeigen, dann ist das Problem dcs Vcrbältnisses von Leib und Seele gelöst, dann haben wir den Schlüssel für die Auflösung von Problemen, wie sie etwa die psychosomatische Medizin beschäftigen, in der Hand, dann zeichnet sich eine Richtung ab, in der sich die Fundamentalfrage auflösen läßt, auf die bci Aristotelcs schließlich alles zuläuft: die Frage nach dem Verhältnis von Wahrheit und Bewegung. Das wäre ein so ungeheurer Gewinn, daß sich die Sorgfalt lohnt, die wir an dieser Stelle unseres Weges für ein genaues Verständnis der aristotelischen Definition der Seele aufwcnden müssen.
Wir sind bei der schrittweisen Aufhellung des Begriffes Fv~ehixetu zum Schluß durch den Gang des Gedankens selbst genötigt worden, als Gegenbegriff zum Begriff der Möglichkeit den Begriff der Wirklichkeit einzuführen. Ich habe sclion im vorigen Semester ausführlich darüber gesprochen, daß diescr Begriff die deutsche Übersetzung des aristotelischen Begriffes der Evk~yetuist (38). Ich habe dort auch schon auseinandergesetzt, wie wenig selbstverständlich es ist, daß wir das, was wahrhaft ist, das „Wirklicheu nennen. Wir pllegen nicht darüber nachzudenken, was wir eigentlich meinen, wenn wir von „Wirklichkeitd reden. In der Regel crsctzcn wir dcn Mangcl an Gedanken durch gesteigerte Emphase. Wenn wir an Stelle des Satzes „das ist wahr" erklären: „das ist wirklich wahr", so bilden wir uns ein, wir hätten damit etwas gesagt. Aber was wir gesagt haben, wissen wir nicht. Das ist besonders bittcr bei Theologen, wenn sie in einer Zeit leben, die den nicht unbegründeten Verdacht hat, daß Menschen immer, wcnn sie „wirklich" sagen, zu lügen beginnen. Deswegen sollten vor alicm die Theologen versuchen, das, was man von dcm Begriff der Wirklichkeit, wenn man sich Mühe gibt, verstehen kann, zu lernen. A n unserer Stcllc wird das Wort g v i ~ y nur ~~a
indirekt angeführt: das E ~ G O Sist ~ Y T F ~ ~„und X E dieses I , ~ , auf zweifache Weise, einerseits wie das Wissen, andcrerseits wie das intellektuelle Anschauen" (De an. 412a 10f.). D a Aristotcles in diesem ganzen Abschnitt die Kenntnis der Bücher VII-IX der „Metapliysik" voraussetzt, brauchte er hier nicht auszusprechen, daß das Wort ~ ~ E O Q E C Y den ontologischen Begriff der k v i ~ y r t abezeichnet. Wer aber daran zweifeln sollte, der erfährt es 412a 26 in der Erklärung, die Aristoteles selbst beifügt. Wir müssen uns also auch den Sinn des Begriffes 2 v i ~ y e ~noch a klarmachen, wenn wir die aristotelische Definition der Seele verstehen wollen. Das wird noch deutlicher, wenn wir uns diese Definition genauer betrachten. Sie heißt vollständig: „Die Seele ist die erste Entelechie eines physischen Leibes, der der Möglichkeit nach Leben hat. Ein solchcr ist der mit Organen ausgestattete." I" Wir wcrdcn sehen, daß der aristotclische Begriff des o ~ y a vov, der ebenfalls von Feyov abgeleitet ist, mit dem Begriff der iviey ~ t uuntrennbar verbunden ist. Nur weil Aristotcles das wahre Sein des Seienden als E v i ~ y bestimmt ~~a hat, konnte er die Entdeckung machen, daß die Teile der belebten Wesen in der Natur im Unterschied zu den Teilen dcr unbelebte11 Dinge „Organec' sind. Die Unterscheidung zwischcn organischer und anorganischer Natur ist in dem aristotelischen Begriff der i v i ~ y ~begründet. tu D a nun, wie wir der Definition der Seele entnchmen können, der Begriff des Organs offenbar mit dem Wesen der Seele zusammenhängt, wird offenbar die ganze Definition der Seele durch den Begriff der Evi~yeiuinnerlich zusammengehalten. Vorgreifend sei gesagt, daß die zentrale Bedeutung des Begriffes der E v i ~ y s t afür die aristotclische Seclenlehre erst in seiner Theologie ganz hervortritt: es ist das Wesen Gottes, als reiner v o a ~reine F v i ~ y e i azu sein. Hätte Aristoteles dies nicht gclel-irt, so hättc später die Theologie nicht die Wahrheit Gottes als Wirklichkeit Gottes zu verstehen gesucht. Es könnte sein, daß uns die Wahrheit des Gottcs der christlichen Offenbarung unsichtbar wird, wenn wir nach sciner Wirklichkeit fragen. ls3 KLO I I ) U X ~~~ O T L~~VI T C L E X EZLQCOL T ~OCTO~CLTOS ~~ CPIIOLXCYU ~ U V U ~ E L Fxov~os.TOLOUTOY K k 6 &Y $ O~yuvtnOv. 412a 27f. Der Satz wird von G P iii der Vorlesu~igverscliicdeii übersetzt (vgl. 310, 317, 323If.). In dein aus dem glciclien Jahr wie die Vorlesurig stammenden Vortrag „Die Dialektik voii Theorie und Praxis und der Glauhc" schreibt er: „Die Seclc ist die erste Eritelecliie eincs natürlichen Körpers, der der Möglichkeit iiacli Lebcr-i hat", in: Hier und Jetzt I, 191.
Um mit der Erklärung des Begriffes der E V E Q ~ E L Unicht zu viel Zeit zu verlieren, gehe ich von der selben Stelle aus dem IX. Buch der „Metaphysiku aus, die ich auch schon im vorigen Semester der Erklärung dieses Begriffes zugrunde gelegt habe: t o y u Eeyov ~ ~ihoc;,fi 6'Z-vi~ycta~6 E~yov(616 ilai -coCvo~aZ - ~ E Q ~ hE Li y~ ~ ~ xa at ~ & T?I E~yov)ilai ouv-ceiv~~ x ~ 6 -cgv < Ev-cehixelav - „(denn) das Werk ist das Ziel, die E v i ~ y s t aaber ist das Werk (weshalb auch das Wort E v i ~ y im ~ ~Hinblick a auf das Werk gebildet ist), und sie spannt sich hin auf die Entelechie" (1050 a 21ff. ; 40). Ich bespreche diesen Satz Stück für Stück unter Verwertung unserer Ergebnisse und kann ihn deshalb jetzt präziser interpretieren als im vorigen Semester. a. ( Das Werk ist das Ziel) Tb yde E~yov~ i h o-<„denn das Werk ist das Ziel". Durch die Erklärung der Begriffe ab -ci qv e t v a ~und 6v~ehixetcrist deutlich geworden, was der Begriff ~ i h bei o ~Aristoteles bedeutet. Sowohl die Ubersetzung „Ziel" wie die Ubersetzung „Zwecku ist irreführend. Unter Ziel verstehen wir das Ziel eines Weges, wobei das Wort „Weg" doppeldeutig ist, indem wir darunter einerseits die zu durchmessende Bahn und andererseits den Gang verstehen, der die Bahn durchmißt. Nach beiden Grundvorstellungen liegt aber das Ziel außerhalb und jenseits der Bahn, die auf es zuläuft, oder des Ganges, der es zu erreichen sucht. Der Begriff „Zweck" hingegen bezeichnet nicht das Ziel selbst sondern die Vorstellung des Zieles, die uns leitet, wenn wir es zu erreichen streben. Einen Zweck kann nur haben, was ein Vorstellungsvermögen besitzt. Deswegen kann man sagen, daß ein Instrument einem Zweck dient, hingegen ist es eine ungenaue Redeweise, wenn man sagt, daß es einen Zweck hat. Weil Zwecke ihren Sitz in der Vorstellung haben, ist der Protest der Naturwissenschaftler gegen die Rede von der Zweckmäßigkeit der Natur völlig berechtigt. Ihr Irrtum besteht nur darin, daß sie sich einbilden, t E h o ~bedeute bei Aristoteles „Zweck". Die korrekte Bedeutung von -ckho
lehrt, daß an der Stelle, wo wir zu verstehen glauben, das Fragen des Aristoteles erst einsetzt. Er zeigt, daß unser Verstäildnis von Struktur = E;OOS und immanent = EvOv davon abhängig ist, welches Vorverständnis wir von dem Seienden selbst haben, über dessen Struktur wir reden, und von dem wir behaupten, daß diese Struktur ihm immanent sei. Je nachdem, was man sich unter den Worten „das Seiende als solches" denkt oder auch nicht denkt, haben die Begriffe „Strukturu und „immanent" eine verschiedene Bedeutung. Nach Aristoteles kommt es vor allem darauf an, das Seiende als ein unzerstörtes Ganzes aufzufassen. Man darf also die Struktur nicht isoliert, man darf sie nicht getrennt vom Kontinuum der unbestimmten Moglichkeit, das Aristoteles „Materieu nennt, auffassen. Das war der Sinn der Forderung, die „Definition", in der die o6oia aufgewiesen wird, müsse das Seiende ilaQ6ho.u erfassen. Nun zeigt sich hier die Schwierigkeit, daß das Seiende, sofern es im Kontinuum der unbestimmten Möglichkeit ist, bewegt ist, während die ihm immanente Struktur sich selbst gleichbleibt. Das Seiende ist also eine wie immer zu denkende Verbindung von Bewegung in der Zeit und zeitloser Identität seiner Struktur. Dieses Problem formuliert der Begriff ab -ci Sv E ~ V ~ Das L . Sein eines Seienden besteht darin, daß es in der sinnlichen Erscheinung das ist, was fiir es von vornherein sein Sein war. Ein Mensch ist während jeder Phase seines Lebens in einer bestimmten sinnlichen Erscheinung das, was er von vornherein und immer schon war, nämlich ein Mensch. Das Problem, wie diese Verbindung von zeitloser Struktur und zeitlichem Wandel in der sinnlichen Erscheinung zu denken ist, löst Aristoteles durch seinen Begriff der Bewegung. Bewegung ist Ev-c~hkx~~a &-c~h(< - nicht zum ~Ehos gelangtes -cihog. Was das Wort „In-sich-Haben" bedeuten In-sich-Haben des soll, erklärt der aristotelische Begriff der Möglichkeit. Möglichkeit ist ein so oder so begrenzter, also strukturierter Spielraum von Zuständen, die insgesamt durch ihre Nähe oder Ferne von einem reinen Zustand definiert sind, der in der Umgrenzung des Spielraumes der Möglichkeit schon vorgezeichnet ist. Das erklärt den Begriff „immanent". Wenn aber alles, was überhaupt ist, bewegt ist, kann auch der Begriff des e?60& oder genauer: der yo~rpq,nicht abstrakt als ein statischer Begriff gedacht werden. Struktur muß als Bewegungsstruktur verstanden werden. Um den Bezug von Struktur auf Bewegung, der im modernen abstrakten Strukturbegriff unterschlagen wird, zum Ausdruck zu bringen, bezeichnet Aristoteles das EESOSals
-ckhog, genauer: als E Y T E ~ F X E L U- als jene Form des Bewegtseins eines bewegten Seienden, in der die in ihm angelegte Struktur rein zur Darstellung kommt. So weit waren wir bisher schon gelangt. Jetzt erfahren wir: das -ciho~ ist E~yov,es ist ein Werk. Werk nennt man das, was hervorgebracht wird. Wenn die dem natürlichen Seienden immanente Grundbewegung darin besteht, in eine Phase des Bewegtseins zu drängen, in der die in ihm angelegte Struktur rein zur Darstellung kommt, so ist Bewegung ihrer Grundbestimmung nach ein Hervorbringen der immanenten Struktur. Diese Struktur hat dann die Gestalt des hervorzubringenden oder hervorgebrachten Werkes. In diesem übertragenen Sinne ist jede Phase des Wachstums eines organischen Lebewesens ein Werk, das die Natur in ihm produziert.
net Aristoteles durch den von ihm geprägten Begriff der Evkeys~a. Kai ouv-ceivs~neo< T ~ Ev-c~hixetav Y - „und sie spannt sich hin auf die Entelechie". Wir haben die Erklärung dieser Worte schon vorweggenommen. Die Entelechie, auf die sich das Sein des Seienden als ein „Im-Werk-Sein" (Fvi~yeta)hinspannt, ist nicht die EYTE~EXELCI & - c ~ h-f idas ~ nicht zum Ziel gekommene In-sich-Haben des Zieles -, als die Aristoteles die Bewegung definiert. Sie ist vielmehr jener Zustand des bewegten Seienden, in dem die in ihm angelegte Struktur zur reinen Darstellung gelangt. Das Hervorbringen dieses Zustandes ist das Werk, in dem sich die E V E Q ~ E L U„verwirklicht". Deswegen ist die vollkommene Entelechie und nur sie reine „Wirklichkeit". C.
( D i e doppelte Gestalt der E v z ~ Z i x ~ i a )
b. (Die E V ~ V E Q ist ~ E das L ~ Werk) Wir gehen nun über zum nächsten Teil des Satzes: fi S'EvEeysta ~b E~yov- „die i v k ~ y aber ~ ~ aist das Werk". Der Begriff der Produktion hat zwei verschiedene Bedeutungen, die Aristoteles klar unterscheidet: - Produktion kann z o i q o ~ sein. ~ Dieses Wort bezeichnet ein Machen, das etwas herstellt, was vorher nicht da war, also etwa das Bauen eines Hauses. Ein solches Machen hat ein Ziel, nämlich das hergestellte Werk. Aber das Ziel liegt außerhalb des Herstellens selbst. Wenn das Haus fertig ist, hat es seinen Bestand in sich selbst und hat sich von der Produktion losgelöst. Das Herstellen hört auf, wenn das Werk vollbracht ist. - Ganz anders ist die Struktur jenes Hervorbringens, das Aristoteles ~ Q ~ ~ nennt. E L S Hier liegt das Ziel im Vollbringen selbst. Aristoteles erläutert das am Hören und Sehen lS4.Hier wird nicht ein Werk hergestellt, das losgelöst vom Prozeß des Herstellens in sich selbst bestehen könnte. Das Werk des Sehens liegt im Vollzug des Sehens selbst. Das ist die Struktur der E v ~ s h i x s ~eine a : Bewegung, die ihr Ziel in sich selbst enthält. o ~Eeyov beNun ist nicht nur das ESSO
Umgekehrt ist die Entelechie nur in der Form des „Im-Werk-Seins" vollkommen. Darauf verweist die Bemerkung des Aristoteles, die E V T E ~ ~ X E Lhabe U eine doppelte Gestalt (%12a10f.). Sie sei einerseits so etwas wie Wissen, andererseits so etwas wie Schauen. Aristoteles erklärt das: „Der Begriff EVTF~EXELUhat eine zwiefache Bedeutung: die eine im Sinne von Wissen, die andere im Sinne von Schauen. Es ist nun evident, daß Seele ~ Y T E A E X E im L ~ Sinne von Wissen ist. Denn darin, daß Seele als Ursprung zugrunde liegt, ist sowohl Schlaf wie Wachen enthalten. Das Wachen nun ist analog zum Schauen, das Schlafen aber einem Zustand, der die Möglichkeit enthält, und nicht ins Werk setzt. Früher aber ist der Entstehung nach bei demselben Individuum das Wissen."155 Diese Sätze enthalten eine Reihe von Schwierigkeiten, die wir auflösen müssen, um tiefer in das Verständnis der oVoia von Seele einzudringen. Aristoteles spricht hier von der Unterscheidung zwischen zwei Formen der Entelechie. In der anschließenden Definition der Seele bestimmt er das Wesen der Seele als erste Entelechie. Offenbar ist also diese Unterscheidung für die o h i a von Seele konstitutiv. Wir werden bei der Besprechung von III,4-8 sehen, daß es Aristoteles mit Hilfe dieser Unterscheidung (P~YEQOY into%I]~q, 11 6' t b HEWQF~Y. I!JIJX?~Y Y xai 6 n v o ~nai &Y@(~ O Q O ~Eo~tv, < &V¿Y?LOYOY $)' $ $Y Fy~I]yo@(~tc %@ ~ E W @ & i) $)' ~ Y6 , ~ ~ T@ 0 < Fxetv xai pfi Ev&@yy"iv n e o t i ~ u6k 13 y ~ v i o e Eni t ~ o aVto5 5 fi EntotI]pq. 412a 22-27.
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gelingt, die Differenz zwischen der Seele als Prinzip des Lebens und der Seele als Vermögen der Erkenntnis zu überbrücken und so die Auflösung der Fundamentalfrage nach dem Verhältnis von Bewegung und Wahrheit vorzubereiten. Zur Erläuterung dieser Differenz führt er zwei Beispiele ein: Schlafen und Wachen, Wissen und Schauen oder, wie wir auch sagen könnten: Wissen und Erkennen. Was ist der Unterschied zwischen Schlafen und Wachen? Der Schlafende hat keine andere Seele als der Wachende, aber die Seele befindet sich im Schlaf in einem anderen Zustand. Ihre Vermögen sind im Schlaf nicht ausgetilgt, aber sie liegen still; sie werden nicht ausgeübt. Im Schlaf sind die meisten Fähigkeiten der Seele nicht in Tätigkeit, sondern sie ruhen. Das Vermögen der Wahrnehmung, das Vermögen, sich zu bewegen, das Vermögen, Vorstellungen nicht nur zu haben sondern zu realisieren, das Vermögen zu handeln sind auch im Schlaf nicht verschwunden, und unsere Träume treiben mit ihnen ihr Spiel. Aber der Traum unterscheidet sich vom Werk des Tages dadurch, daß seine Spiele nur Spiele mit Möglichkeiten sind. Die bloße Möglichkeit ist der Zustand der Seele im Schlafe, während wir im Wachen damit begnadet oder dazu verurteilt sind, daß alles, was wir denken und tun oder auch unterlassen, „Wirklichkeit6'ist und „Wirklichkeit" erzeugt. Gewiß gibt es Funktionen des lebendigen Organismus und seiner Seele, die auch im Schlaf weiter ausgeübt werden. Trotzdem kann man sagen, daß der Unterschied vom Wachsein und Schlafen die Gesamtheit dessen, was Seele ist oder sein kann, umfaßt. An dieser Unterscheidung zeigt sich uns etwas von dem, was Seele überhaupt und im Ganzen ist. Im Schlaf ist uns die Wirklichkeit entzogen. Wenn wir wachen, sind wir in sie hineinversetzt. Deswegen haben diese beiden verschiedenen Zustande der Seele mit Trug und Wahrheit etwas zu tun. In der Sprache der aristotelischen ~, Ontologie entspricht das Schlafen dem Zustand der O ' u v a y ~ das Wachen dem Zustand der E Y ~ Q ~ E L U . Dies alles können wir uns noch unmittelbar einsichtig machen. Schwieriger ist es zu verstehen, wieso die Unterscheidung zwischen Wissen und Erkennen der Unterscheidung zwischen Schlafen und Wachen analog sein soll. Das Beispiel des Wissens und des Erkennens ist aus der reichen Fülle von möglichen Beispielen, die in den späteren Untersuchungen über die Seelenvermögen enthalten sind, nicht zufällig herausgegriffen. Es deutet vielmehr auf den Abschnitt II1,4-8 voraus und macht uns schon jetzt darauf aufmerksam, daß
die Unterscheidung zwischen der ersten und zweiten Entelechie im Zentrum der aristotelischen Lehre vom Denk- und Erkenntnisvermögen steht. Wir stoßen also hier auf ein Zentrum der aristotelischen Lehre von der Seele. Das ist der Grund, weshalb wir versuchen müssen, den Gehalt der eben übersetzten Sätze genau zu verstehen. Aristoteles sagt: dem Entstehen nach gehe das Wissen dem Erkennen voraus (412 a 26 f.) . Ist das nicht eine widersinnige Behauptung? Gelangen wir nicht durch das Erkennen zum Wissen? Und muß nicht gerade Aristoteles, der als der Begründer der Erfahrungswissenschaften gilt, genau das Gegenteil von dem behaupten, was hier zu lesen steht? Zu Beginn von III,7 steht ein Satz, der denselben Gedanken in einer leichter zu verstehenden Form forinuliert. Aristoteles unterscheidet dort von dem Wissen der Wirklichkeit nach das Wissen der Möglichkeit nach: „Das Wissen der Möglichkeit nach ist der Zeit nach in einem und demselben Individuum früher, überhaupt aber und im Ganzen nicht einmal der Zeit nach; denn alles was entsteht, geht in seinem Sein aus dem, was im Zustand der Entelechie ist, h e r v ~ r . " ~ ~ % u cdieser h Satz ist nicht leicht zu verstehen, aber er sagt präziser, was gemeint ist. OfIenbar müssen wir zunächst zu verstehen suchen, was Aristoteles mit dem Begriff f naad Gljvaptv Enlonjpq - „das Wissen der Möglichkeit nach" - eigentlich meint. Mit dem Wort 6xto~+py- das Wissen -bezeichnen wir den Besitz von Erkenntnissen. In welchem Zustand bcfindet sich die Seele, wenn sie Erkenntnisse besitzt? Platon hat im „Theaitetos" die Vorstellung, die wir gemeinhin mit dem „Besitz von Erkenntnissen" verbinden, durch zwei Gleichnisse erläutert. Nach dem einen Gleichnis stellen wir uns die Seele wie eine Wachstafel vor, auf der die Eindrücke, die uns die Erfahrung vermittelt, ihre Abbilder hinterlassen. Jede Wahrnehmung prägt der Seele ein mehr oder weniger deutliches Bild ein, und die Summe der so gewonnenen Bilder ergibt den Besitz an Erkenntnissen, über den wir verfügen. Dieses Gleichnis für den Besitz von Erkenntnis ist das Modell, an dem sich die Erkenntnistheorie des Sensualismus von der Antike bis zur Gegenwart orientiert. Platon beweist nach einer sehr tiefsinnigen Methode, die heute nichts
von ihrer Stringenz verloren hat, daß Wissen nach diesem Modell nicht erklärt werden kann. Es ist aber auch ohne gründlichere Analyse leicht einzusehen, daß aus den Sinneseindrücken Wissen nur dann hervorgeht, wenn wir sie miteinander verbinden, wenn wir sie ordnen, wenn wir das mehr oder weniger deutliche Abbild mit dem, was dieses Abbild erzeugt hat, zu identifizieren verstehen, und was sich derart mehr noch anführen ließe. Alle diese Handlungen der Seele kommen in dem Wachstafelmodell nicht vor. Wir müssen also nach einem anderen Modell suchen, wenn wir uns den Besitz von Wissen verständlich machen wollen. Als Alternative wird mit unverkennbarer Ironie ein zweites Gleichnis zur Diskussion gestellt. Die Seele wird mit einem Vogelkäfig verglichen. Der Besitzer des Käfigs hat zwar alle Vögel, die in dem Käfig eingeschlossen sind, im Besitz, und er kann immer neue Vögel erhaschen und einsperren. Aber innerhalb des Käfigs fliegen die Vögel teils in Schwärmen, teils einzeln frei herum, und es ist gar nicht einfach, aus dieser Menge von Vögeln den richtigen herauszugreifen. Dieses Modell hat vor dem Wachstafelmodell den Vorzug, daß sich mit seiner Hilfe erklären läßt, wie wir zu Kenntnissen gelangen, die nicht durch Sinneseindrücke gewonnen werden, also zum Beispiel zu Kenntnissen über die Verhältnisse in anderen Ländern oder zu anderen Zeiten, zum Lernen von Sprachen oder zur Erkenntnis von mathematischen und naturwissenschaftlichen Sachverhalten. Man könnte sich ja denken, daß ein Lehrer ein Mann ist, der aus dem Schatz seines eigenen Vogelkäfigs dem Schüler Vögel liefert, die dieser in seinen eigenen Käfig einsperren kann. Aber man sieht leicht, daß dieses Bild nicht weiterhilft, denn der Lehrer würde dann in dem Maß an Wissen ärmer, in dem der Schüler an Wissen reicher wird. Ein anderer großer Vorzug des Bildes vom Vogelkäfig vor dem Bild von der Wachstafel liegt darin, daß es sichtbar macht, daß die Gedanken und Erkenntnisse nicht ruhen, sondern sich ständig bewegen. Können wir einen solchen Vorrat von unablässig sich bewegenden Vorstellungsbildern als Besitz von Wissen bezeichnen? Ein Wissen hätte der Besitzer des Vogelkäfigs offensichtlich nur dann, wenn er nach freiem Belieben jederzeit den Vogel greifen und herausholen könnte, den er gerade braucht. Aber um das zu können, muß er ja wissen, welches der richtige Vogel ist. Wo hat dieses Wissen, auf das es offenbar ankommt, seinen Sitz? Es darf nicht selbst einVogel sein, der irgendwo im Vogelkäfig herumfliegt; es hat seinen Sitz außerhalb
des Vogelkäfigs im Verstand seines Besitzers. Wenn der Besitzer nicht über ein Wissen verfügt, das ihn befähigt, aus dem Vogelkäfig jeweils den richtigen Vogel herauszuholen, dann ist der ganze Vogelkäfig nichts wert. Also läßt sich das Wissen auch mit dem Vogelkäfig noch nicht erklären. Das Bild von der Wachstafel erklärt einen Teil - aber auch nur einen Teil - dessen, was in der sinnlichcn Wahrnehmung vorkommt. Das Bild vom Vogelkäfig erklärt einen Teil - aber auch nur einen Teil der Phänomene, die Aristoteles in dem Abschnitt über das Vorstellungsvermögen, die rpav~aoia,untersucht ((111,3)). Das Wissen, das der Besitzer der Wachstafel und des Vogelkäfigs braucht, um die Abdrücke auf der Wachstafel zu identifizieren und zu ordnen und um aus dem Vogelkäfig die richtigen Vögel fangen zu können, bildet das Thema des Abschnittes über das Denk- und Erkenntnisvermögen. Für den Besitz an Wissen, den dieses Vermögen in sich enthält, kann uns weder die Wachstafel noch der Vogelkäfig als Modell dienen. Erst hier steh: aber jene Form des Besitzes von Wissen zur Debatte, die Aristoteles n a ~ G15vap~v d Fn~o~fipqv nennt.
d. ( D i e Möglichkeit, Wissen zu haben, als SeinsveTJizssung) Die Unterscheidung der beiden Formen von Entelechic, mit der Aristoteles 412a 10f. die allgemeine ontologische Einleitung zu dem Abschnitt über die „Definition der Seele" abschließt, führt, wie sich jetzt schon abzeichnet, in das Zentrum der aristotelischen Lehre vom Wissen. Sie ist, wie sich zeigen wird, grundlegend für seine Lehre vom v o ü ~und , zwar nicht nur im Hinblick auf die sogenannte Erkenntnistheorie sondern auch im Hinblick auf die Unterscheidung . stoßen zwischen dem menschlichen und dem göttlichen v o ü ~ Wir hier auf Gedanken, die eine weitreichende Wirkung gehabt haben. Differenzen in der Auslegung dieses aristotelischen Ansatzes waren im Mittelalter für den Streit zwischen Realismus und Nominalismus bestimmend und gehören in die theologische Vorgeschichte der Reformation. Wir können uns um die Geschichte der Nachwirkung des Aristoteles hier nicht bekümmern, aber ein Hinweis darauf ist erforderlich, um zu rechtfertigen, daß an dieser Stelle eine sorgfältige Klärung der Basis unserer Interpretation unumgänglich ist. Wenn auch die volle Tragweite der hier eingeführten Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Entelechie erst in der Lehre
vom Wissen sichtbar wird, ist doch mit Nachdruck festzuhalten, daß der Begriff „die erste Entelechic" nicht nur der Lehre vom Dcnkvermögen angehört. Aristoteles sagt von der Seele überhaupt und im Ganzen, sie sei die erste Entelechie eincs physischen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat. Dem entspricht, daß er eine genauere Erklärung der hier eingeführten Unterscheidung in jenem Kapitel gibt, das die gemeinsamen Bestimmungen sämtlicher Formen der sinnlichen Wahrnehmung enthält und deshalb der Untersuchung der einzelnen Sinneswahrnehmungen vorangestellt ist (11,5). Die Unterscheidung zwischen erster und zweiter Entelechie tritt also schon bei der Sinneswahrnehmung auf. Sie durchgreift alles, was Seele ist, im Ganzen und tritt in allen Äußerungen von Seele hervor. Aristoteles hat geradc auf die Einheit der Seele, dem Ansatz seiner Ontologie entsprechend, großes Gewicht gelegt. Es besteht eine strenge Korrespondenz zwischen den Kapiteln über die sinnliche Wahrnehmung und den Kapitcln über das Denkvermögen. Ich übersetze den Abschnitt aus I I , 5 und schalte nur kurze Erläuterungen ein; er ist ausführlicher geschrieben als das höchst gedrängte Kapitel 11,1und bereitet deshalb geringere Schwierigkeiten. „Eine Unterscheidung ist aber auch nötig im Bereich von 66vap~gund Ev-c~hkx~~a, denn bisher haben wir darüber nur im einfachen Sinne gesprocl-ien.Es ist nämlich etwas in dem Sinne ,wissend', wie wir sagen könnten, der Mensch sei wissend, weil der Mensch zu dcn wissenden Wesen gehört, das heißt zu denen, die das Wissen als Seinsverfassung haben" - griechisch: xai Ex6v.cmv Entu-cI]pqv.K a i bedeutet explikativ: das heißt; ExOv-colr ist nicht unbestimmt als „haben" zu interpretieren, sondern ist die verbale Fassung des aristotelischen Begriffes E&; dieser Begriff bezeichnet jene Form der Seinsverfassung, ungenauer gesagt: jene Zuständlichkeit, die dadurch charakterisiert ist, daß man eine Eigenschaft, ein Vermögen oder sonst einen Zustand als Wesensmerkmal in sich trägt. So ist es ganz allgemein ein Wesensmerkmal des Menschen, daß er ein Lebewesen ist, das die Disposition zu wissen in sich trägt. Irgend etwas weiß der Mensch immer, sonst wäre er nicht Mensch. Das Wissen ist deshalb seine E&, auch wenn er nichts oder nur wenig gelernt hat. „Es ist aber [SC.etwas in dem Sinne wissend], wie wir darüber hinaus den einen Wissenden nennen, der das ABC innehat. Von diesen beiden aber hat nicht jeder auf dieselbe Weise sein Vermögen. Der Eine hat es, wcil die Gattung so beschaffen ist und die Materie, der Andere, weil er, sobald
er will, zur [SC.wirklichen] Betrachtung fähig ist, es sei denn, daß ihn von außen etwas daran hindert." lS7Der Mensch überhaupt hat das Wissen als Seinsverfassung, gleichgültig, ob er etwas gelernt hat oder nicht, weil diese E& nicht dem Individuum sondern der Gattung angehört. Uberraschend klingt für moderne Leser, daß Aristoteles erklärt, die „Materie6'des Menschen sei derart beschaffen. Wieso gehört das Wissen zur Ühq? Das Problem löst sich, wenn wir die schon ausführlich besprochene Differenz zwischen dem Materie-Begriff des Aristoteles und dem der Atomisten ins Auge fassen. "Yhq ist unbestimmte und unbestimmbare Möglichkeit. Ein Gegensatz zwischen Geist und Materie kann bei Aristoteles nicht auftreten, auch nichtsinnliche Moglichkeit ist Materie für die Gestalt, die daraus hervorgeht - in unserem Fall für das wirkliche Wissen. Wer irgendeine Kunst, wie zuin Beispiel das ABC, gelernt hat, hat ebenfalls nur ein Vermögen erworben, er übt diese Kunst nicht unentwegt aus. Aber wann immer er es will, kann er lesen. Es sei denn, daß er von außen daran verhindert wird. „Ein Dritter aber ist darüber hinaus der, der [wirklich] betrachtet. E r befindet sich in der Entelechie" - (also) in dem Zustand, in dem das Vermögen die in ihm angelegte Disposition zu ihrer Erfüllung bringt - „das heißt er besitzt im eigentlichen Sinn ein Wissen von diesem Buchstaben A hier. Die beiden ersten besitzen das Wissen der Möglichkeit nach. Der Eine" - nämlich der, der das Wissen als bloße Seinsverfassung hat - „wird durch Lernen verändert und erfährt oft einen Umschlag aus dem einen in den entgegengesetzten Zustand" - das heißt aus dem Zustand des Nichtwissens in den des Wissens - „der Andere aber" [SC.erfährt nur den Umschlag] „aus dem Besitzen aber nicht Ausüben des Einmaleins oder des ABC in das wirkliche Ausüben" ( E v ~ ~ y ~ t„Das v ) . ist eine andere Weise der Veränderung. " Der Unterschied zwischen den beiden Formen, das Wissen als Möglichkeit zu haben, ist also folgender: Wer die Möglichkeit zu wissen als Seinsverfassung hat, befindet sich - das ist das Schicksal des Menschen - in einer unablässigen Verwandlung. Er ist aufgrund dieser
Möglichkeit ein ständig Lernender; und jedes Lernen ist eine Verwandlung aus dem Zustand des Nichtwissens in den Zustand des Wissens. Im Unterschied zu den uns geläufigen Theorien über den Lernprozeß wird hier das Lernen nicht als die Summe des Erwerbens von einzelnen Informationen oder Fertigkeiten verstanden, vielmehr wird jeder Schritt des Lernens als eine Verwandlung der fundamentalen Seinsverfassung interpretiert. Das geschieht aufgrund der platonischen Kritik an den Modellen von der Wachstafel und vom Vogelkäfig. Das Wissen als Möglichkeit, von dessen Besitz Aristoteles hier spricht, ist ein Zustand, der den Menschen in der Gesamtheit dessen, was er ist, umgreift. Deswegen habe ich das Wort „Seinsverfassung" eingeführt. Das ist eine andere Form, der Möglichkeit nach Wissen zu haben, als der Besitz von erworbenen Kenntnissen, die inan anwenden kann oder auch nicht. Ich überspringe einige Sätze, auf die wir für unsere Zwecke verzichten können, und setze wieder ein 417b 9: „Die Hinleitung des Erkenntnis und Einsicht habenden Wesens zum Zustand der Entelechie aus dem Zustand der Möglichkeit gebührt es sich, nicht als ,Belehrung' sondern mit einem anderen Namen zu bezeichnen. Wenn aber ein Wesen aus dem Zustand der Möglichkeit heraus lernt und Wissen aufnimmt unter der Einwirkung des im Zustand der Entelechie Befindlichen und Lehrfähigen, so soll man entweder überhaupt nicht sagen, es erleide eine Einwirkung, oder man soll sagen, es gebe zwei Arten von Veränderung: den Umschlag in die Zustände des Nichthabens und den in die Zustände des Habens und in die Natur."lS8 Diese Sätze ziehen aus der Unterscheidung der zwei Arten von GI3vayt~Folgerungen, die einer etwas ausführlicheren Erläuterung bedürfen. Wir haben gesehen, daß es die Seinsverfassung der Gattung Mensch ist, Wissen als Vermögen zu besitzen. Wenn das so ist, wie sollen wir dann den Vorgang des Lehrens und Lernens interpretieren? Das war schon eine der großen Grundfragen der platonischen Philosophie. Schon Platon hat gezeigt, daß man die Vermittlung von 158 ao pkv OBY ~ i F
Wissen nicht so verstehen kann, als ob ein leeres Gefäß aus einem vollen Gefäß gefüllt wurde. Ich habe das bereits bei den Modellen der Wachstafel und des Vogelkäf gs kurz angedeutet. Es geht um den im Grunde sehr einfachen Tatbestand, daß Lehren mehr ist als der Transport von Informationen. Es genügt nicht, daß der Lernende die Informationen in sich aufnimmt; er rnuß auch einsehen, daß sie richtig sind und muß das Urteilsvermögen entwickeln, um die richtigen von den falschen unterscheiden zu können. Dadurch unterscheidet sich der Mensch von einem Computer, den man programmieren kann, wie man will. Auch der Lehrer ist etwas Anderes als ein Speicher von Informationen. Auch er muß die Informationen verstanden haben. Das setzt beim Schüler wie beim Lehrer voraus, daß beide die Fähigkeit besitzen, aus eigener Kraft zu Erkenntnissen zu gelangen. Beide befinden sich nur dann im Zustand des wirklichen Wissens, also im Zustand der Entelechie, wenn sie ihr Wissen in einer solchen Gestalt besitzen, als ob sie es selbst erworben hätten. Die Frage, wie das möglich ist, führt auf sehr tief liegende Probleme, die Platon in seiner Anamnesis-Lehre ans Licht gehoben hat. Dies alles hat Aristoteles vor Augen, wenn er die Sätze formuliert, die ich jetzt noch einmal wiederhole: „Die Hinleitung des Erkenntnis und Einsicht habenden Wesens zum Zustand der Entelechie aus dem Zustand der Möglichkeit gebührt es sich, nicht als ,Belehrungcsondern mit einem anderen Namen zu bezeichnen. Wenn aber ein Wesen aus dem Zustand der Möglichkeit heraus lernt und Wissen aufnimmt unter der Einwirkung des im Zustand der Entelechie Befindlichen und Lehrfahigen, so soll man entweder überhaupt nicht sagen, es erleide eine Einwirkung, oder man soll sagen, es gebe zwei Arten von Veränderung: den Umschlag in die Zustände des Nichthabens und den in die Zustände des Habens und in die Natur." „UmschlagG'= ya-caßoh-JIist der aristotelische Oberbegriff für jede Art von Veränderung. Die beiden konstitutiven Formen der Veränderung sind uns schon bekannt: der Umschlag in die Zustände des Nichthabens ist das Vergehen (rpeo~ol);der Umschlag in die Zustände des Habens ist das Bemerkenswert ist, daß Aristoteles hier den Entstehen (~EYEGLS). Zustand der Entelechie durch den Begriff cpiiotg bezeichnet. Die wahre Natur eines Wesens kommt erst dann zum Vorschein, wenn es seine Möglichkeiten voll entfaltet hat. Deshalb ist der natürliche Zustand eines Menschen nach Aristoteles nicht die Unwissenheit sondern das Wissen. Daß wir das Umgekehrte heute für selbstverständ-
lich halten, zeigt uns den ganzen Unterschied zwischen der griecliischen und unserer heutigen Auffassung vom Wesen des Menschen. Ir1 den anschließenden Sätzen führt Aristoteles aus, wie sich im Hinblick auf das Verhältnis von G 6 v a p ~und ~ E V Z E ~ E X E Ldie ~ Walirnehmung vom Wissen unterscheidet: die Wahrnehmung wird von dem hervorgebracht, was außerhalb von uns selbst liegt. Das Wissen hingegen richtet sich auf das Allgemeine; „dieses aber ist auf gewisse Weise in der Seele selbst" (417b 23). Deshalb liegt das Erkennen bei uns selbst, wenn wir es wollen. Das Wahrnehmen liegt aber nicht bei uns selbst. Der wichtige Satz: „Das Allgemeine ist auf gewisse Weise in der Seele selbst" ist ein Platon-Zitat. Am Schluß des berühmten Gespräches mit dem Sklaven im „MenonL',wo Platon zum ersten Mal seine Anamnesis-Lehre entwickelt hat, heißt es: „Immer ist uns die Wahrheit [= Unvergessenheit] des Seienden in der Seele" - GEL $ &h$3sta$viv t 6 v omw h n v Ev .cg I ) V X ~ (86 B). Wenn Aristotelcs sagt: „auf irgendeine Weise" (zog) sei das Allgemeine in der Seele selbst, verweist er also auf die Problematik der Anamnesis-Lehre. Der „Besitz des Wissens der Möglichkeit nach" - fi nazu G6vay~v Ez~otfipq(431a 2) - ist also jene Seinsverfassung des Menschen, in der er das Wissen, ohne es zu haben, besitzt. Das ist dieselbe ontologische Figur, die wir schon aus der Erläuterung des Begrifles zb t i qv dva~ kcnnen. Wir werden später sehen, daß Aristoteles in dem Abschnitt 111,4-8 auf diese Stelle zurückgreift. Auch der Satz, daß das Erkennen, weil das Allgemeine auf irgendeine Weise in der Seele ist, nicht von außen hervorgerufen wird, sondern bei dem Erkennenden selbst liegt, stammt aus Platons „Menon". Dort wird gesagt, daß der Erkennende das Wissen selbst in sich selbst emporhebt - &vahap(%ivslv ~ 1 6 t Ehv a6zW En~<~.cqpqv (85 D). Aber bei Aristoteles wird dieser Vorgang im Zusammenhang seiner Ontologie der Bewegung als Übergang vom Zustand der 66vapLS in den Zustand der E v E ~ y s ~verstanden. a Die Definition der Seele hat, wie sich zeigen wird, die Aufgabe, die o6oia von Seele so zu umgrenzen, daß diese Form des Bewegtseins alles dessen, was Seele hat, durchsichtig wird.
e. (Die Priorität der Entelechie vor dem Entstehen der Zeit nach) Der Abschnitt aus 11,s (417a 21-b 28) enthält die Interpretation des Satzes aus dem Anfang von III,7 (431a 2-4): „Das Wissen der Mög-
licl-ikeit nach ist der Zeit nach in einem und demselben Individuum früher, überhaupt aber und im Ganzen nicht einmal der Zeit nach; denn alles, was entsteht, geht in seinem Sein aus dem, was im Zustand der Entelechie ist, hervor." Wenn man zusieht, wie sich im Lauf der Entwicklung eines Individuums das Wissen herausbildet, so könnte man denken, das in ihm angelegte Vermögen des Wissens habe eine zeitliche Priorität vor dem wirklichen Wissen, das es allmählich gewinnt. Deshalb sagt Aristoteles, das Wissen der Möglichkeit nach ist der Zeit nach in einem und demselben Individuum früher. Nun aber kommt der Gegenstoß, der diese erste, am Verfließen der Zeit und dem Prozeß des Entstehens und Vergehens orientierte Auffassung aufhebt: „Uberhaupt aber und im Ganzen nicht einmal der Zeit nach; denn alles, was entsteht, geht in seinem Sein aus dem, was im Zustand der Entelechie ist, hervor." Ich habe schon bei der Erläuterung des Begriffes zb t i Sv E S V ~ Ldarauf hingewiesen, daß Aristoteles zwei Formen der Priorität voneinander unterscheidet: 1. n e o t ~ ~ o v L@ xe6vq oder z3 y ~ v i o ~2. i ,z ~ o . c s ~ o~ vj cp6oe~. j Der cp13o~gnach liegt die Priorität bei dem ~itioq,also bei jener Struktur, die einem Seienden in jeder Phase seiner Entwicklung immer schon vorgezeichnet ist (279). Aristoteles hat, wie wir schon sahen, gelehrt, daß (nach dem Beispiel des Satzes & V ~ Q W J ~ O&S v 0 ~ o x oy~vv@) v der Satz gilt, den er hier ausspricht: Alles, was entsteht, geht in seinem Sein aus dem, was im Zustand der Entelechie ist, hervor. Dieser Satz ist in der aristotelischen Philosophie durch die Lehre von der Ewigkeit des Kosmos begründet. Die Ewigkeit des Kosmos wiederum hat ihre Basis in der Lehre vom Gott als dem unbewegten Beweger. Die Lehre vom göttlichen voGq ist der Höhepunkt der Lehre von der Seele. Deswegen muß in der Struktur der Seele die Priorität der vollendeten Entelechie vor dem bloßen Vermögen besonders hervortreten. Es wird sich zeigen, daß der Satz, den ich eben formuliert habe, für dasVerständnis des ganzen Werkes von höchster Bedeutung ist. Die Priorität der Entelechie vor dem Entstehen wird der Priorität der Zeit nach entgegengesetzt. Es ist also nicht die Meinung des Aristoteles, daß die Henne der Zeit nach dem Ei vorangeht (wenn schon, dann hätte er sich für den Hahn entschieden). Die Lehre des Aristoteles ist vielmehr, daß ein und dieselbe Struktur sowohl dem Hahn wie der Henne wie dem Ei immer schon vorgezeichnet ist, und daß es den Kreislauf des Entstehens und Vergehens, auf den sich
jene berühmte Vexierfrage bezieht, nur unter Vorgabe dieser Struktur überhaupt geben kann. Die Vorgabe dieser Struktur ist nach Aristoteles nicht zeitlich. Ihre Priorität steht senkrecht zu dem Ablauf des Entstehens und Vergehens, das dieselbe Struktur immer wieder neu reproduziert. Deswegen kann Aristoteles hier sagen, daß das Wissen der Möglichkeit nach „überhaupt und im Ganzen nicht einmal der Zeit nach" früher ist; zwar geht es der Zeit nach in einem und demselben Individuum dem ausgebildeten Wissen voraus. Aber der cpUoig nach hat die erfüllte Entelechie die Priorität, weil sie die Struktur der wissenden Seele konstituiert. Der ganze Satz ist also eine Paraphrase des Begriffes zb zi fiv ~ e v ain t seiner Anwendung auf das menschliche Wissen: „Das Wissen der Möglichkeit nach ist der Zeit nach in einem und demselben Individuum früher, überhaupt aber und im Ganzen nicht einmal der Zeit nach; denn alles, was entsteht, geht in seinem Sein aus dem, was im Zustand der Entelechie ist, hervor. " Wir wissen nun, was der Begriff 4 xaz& G1ivaptv Extozfipq -„das ~ i s sen der Möglichkeit nach" - heißt. Die Stellen, die wir zur Erklärung dieses Begriffes heranziehen mußten, enthalten den Kommentar für die Sätze aus I I , 1 (412a 22-27), von denen wir ausgegangen sind, und die ich nun noch einmal wiederholen möchte: „Der Begriff Evz~hixeiahat eine zweifache Bedeutung: die eine im Sinne von Wissen, die andere im Sinne von Schauen. Es ist nun evident, daß Seele E V T E ~ ~ X E L Uim Sinne von Wissen ist. Denn darin, daß Seele als Ursprung zugrunde liegt, ist sowohl Schlaf wie Wachen enthalten. Das Wachen nun ist analog zum Schauen, das Schlafen aber der EEig und nicht der E v i ~ y ~ [das i a heißt das Schlafen ist analog einem Zustand, der die Möglichkeit enthält und nicht ins Werk setzt]. Früher aber ist der Entstehung nach bei demselben Individuum das Wissen." Die Analogie zum Schlafen oder Wachen veranschaulicht das Verhältnis zwischen dem in der Seinsverfassung des Menschen als Möglichkeit vorgezeichneten Wissen und der wirklichen Erkenntnis. Die Struktur dieses Verhältnisses wird durch die doppelte Bedeutung des Begriffes Evz~hkx~ta erklärt. Die erste Bedeutung ist uns in der ~ i a begegnet. Sie ist ein Definition der Bewegung als E v z ~ h i ~ OLz~hfig In-sich-Haben des Zieles, das dieses Ziel noch nicht erreicht hat und sich deshalb auf das Ziel hin bewegen muß. In Relation auf das vollendete Erreichthaben des Zieles befindet sich diese erste Form der E v z ~ h i ~ im ~ t aModus der Möglichkeit. Die zweite Bedeutung
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des Begriffes & v z ~ h i x ~bezeichnet ta den Zustand der Erfüllung, in dem das Ziel erreicht ist. Entsprach der ersten Bedeutung der Schlaf, so entspricht der zweiten Bedeutung das Wachen. Darin, daß einem Wesen vuxfi als der Ursprung dessen, was es ist und sein kann, zugrunde liegt (EY TI$ 6nc'x~x~tv z ~ ) vv ~ x f i v 412a , 24), ist sowohl der Schlaf wie Wachen, sowohl das Wissen der Möglichkeit nach wie das wirkliche Wissen enthalten. Wenn Aristoteles zum Schluß die Paradoxie ausspricht, die uns genötigt hat, auf einem langen Umweg den Begriff des Wissens der Möglichkeit nach zu erläutern - wenn er sagt: „Früher aber ist der Entstehung nach bei demselben Individuum das Wissen", so meint er, wie die Parallele 431a 2-4 beweist, nicht, wie man zuerst denken könnte, daß das Wissen der Zeit nach der Ausübung des Wissens vorausgeht; er bezieht sich vielmehr auf den dort ausgesprochenen ontologischen Grundsatz: Alles, was entsteht, geht in seinem Sein aus dem, was im Zustand der Entelechie ist, hervor. E r formuliert also an dieser Stelle im Hinblick auf die Seinsverfassung des Wissens seine Antwort auf die Frage .ti fiv Qux$ ~ i v a tNur . wenn man diese Worte so interpretiert, läßt sich verstehen, daß Aristoteles unmittelbar anschließend mit dem Wort „deshalbL'seine „Definitionc' der Seele geben kann: „Deshalb ist die Seele die erste Entelechie eines physischen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat." Die erste Entelechie: das ist die Evz~hkxeta Ol.tehfi~- das unvollkommene In-sich-Haben des Zieles -, durch die Aristoteles Bewegung überhaupt definiert. Seele ist also nach Aristoteles Bewegung. Sie ist jene ausgezeichnete Form der Bewegung, die allem eigentümlich ist, was das Vermögen hat, sich aus sich selbst zu bewegen. Was in der Natur sich aus sich selbst bewegen kann, das nennen wir „lebendig6'. Deswegen hat Aristoteles schon zu Beginn von I, 1 gesagt, Seele sei gleichsam der Ursprung der Lebewesen. Nun ist
natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat. Der Begriff „Leben" muß demnach die Wirklichkeit des Seele-Seins bezeichnen. Dies ist der nächste Begriff', den wir klären müssen.
5 . Der Begriff
tofi
Die aristotelische Definition des Lebens findet sich in den Sätzen von I TI, 1, die wir bisher übersprungen haben (412a 11-22). Es war nicht Willkür, daß ich mich entschlossen habe, diese Sätze zunächst zu überspringen. Aristoteles konnte sie an den Anfang seiner Entwicklung der Definition der Seele stellen, weil er in diesem Werk die Kenntnis seiner Ontologie voraussetzt. Wir mußten uns erst eine Bahn zum Verständnis der tragenden Begriffe 66vap~5,~ V T E A E X E L ~ , E V ~ Q ~ E Lbrechen, U und sind deshalb - gut aristotelisch - von der Bestimmung des Zieles ausgegangen, dem diese ganze Erörterung zustrebt. Auch Aristoteles selbst hat, wie sich zeigte, in dem chiffrenhaften Aufriß seiner Ontologie, der dem Kapitel vorangestellt ist (412a 6-11), den Weg zu diesem Ziel schon vorgezeichnet: Der Aufriß mündet in der Andeutung des zwiefachen Sinnes von EVTEAEXEL~ und in dem Verweis auf die höchste Form der FYTEAEXFL~von Seele: l vreine , Theorie, die sich als höchste Form des Wirkdas t j ~ o ~ ~die lichseins von Seele und damit zugleich als die höchste Form der Praxis herausstellen wird. Diese ganze Vorbemerkung hat, wie wir schon sahen, die Aufgabe, durch einen Verweis auf die Ontologie der Bücher VTT-IX der „Metaphysik" zu begründen, daß es trotz der Aporien, die Aristoteles ( D e an.) I, 1 entwickelt hatte, gerechtfertigt und nötig ist, Seele als o6oia zu begreifen. Deswegen setzt er zu Beginn des Abschnitts, in dem er seine „Definition" entwickelt, gleich mit dem Begriff oaoia ein: „O6oia scheinen am meisten die Körper zu sein und unter diesen die natürlichen, denn diese enthalten von den anderen die Ursprünge. Von den natürlichen aber haben die einen Leben, die anderen nicht. ,Leben' nennen wir aber die Ernährung durch sich selbst, und Wachstum sowohl wie Dahinschwinden. Daher dürfte wohl jeder natürliche Körper, der am Leben teilhat, o6oia sein."159 Hier
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schließt der erste Gedankengang. Anschließend folgt eine zweite Schlußfolgerung, die daraus, daß der belebte Körper o6oia ist, ableiten wird, daß und in welchem Sinne die Seele o h i a ist. Deswegen muß in Abweichung von den Texten bei Hicks uiid Ross hinter ~ l q (412a 16) ein Punkt gesetzt werden. Entsprechend ware auch die Ubersetzung von Theiler zu verändern. (Ich begründe hier nicht die sonstigen Abweichungen von der Theilerschcn Ubersetzung, sondern merke nur an, daß die Worte „durch sich selbst" 412a 14f. im griechischen Text zu „ErnährungcLgehören.) Nun zur Erläuterung: „O6oia scheinen am meisten die Körper zu sein und unter diesen die natürlichen." Etwas präziser formuliert Aristoteles denselben Gedanken im V11 Buch der ,,MetaphysikL'(1028b 8f.): ,,Es scheint aber die oiioia am oiienkundigsten den Körpern zugrundezuliegen." Unser Überblick über die Grundbegriffe der aristotelischen Ontologie hat ja ergeben, daß es ein Irrtum wärc, wenn wir meinen würden, die sinnlichen Körper wären, so wie wir sie mit Händen greifen können, in ihrem bloßen Vorhandensein, ovoia. Die Kastanie, so wie sie jetzt gerade vor uns steht und gemessen oder in ihre Elemente zerlegt werden könnte, ist gerade nicht ovoia in vollem Sinnc des Wortes. Die volle o h i a der Kastanie wird uns erst klar, wenn wir verstehen, wie in jeder einzelnen Phase ihres Wachstums die sinnlich niemals rein greifbare Gestalt sich allmahlich, wenn auch nur unvollkommen, herausbildet. Aber die Gestalt muß in der Materie erscheinen. Deswegen können wir sagen, daß die odoia, die diesem Seienden als Ursprung zugrundeliegt, in den sinnlichen I
unserer Stelle hat der Satz eine besondere Pointe; denn Platon, und nicht nur Platon, hatte die Seele scharf vom Körper getrennt. Wenn ein Beweisgang, der begründen soll, daß die Seele o h i u ist, mit dem Satz beginnt: „oGoiu scheinen am meisten" - man könnte auch sagen: am offenkundigsten - „die Körper zu sein", so ist damit bereits angedeutet, daß Aristoteles im Gegensatz zu Platon keine Trennung der Seele vom Körper durchführen will. Wir werden allerdings sehen, daß die platonische Trennung an anderer Stelle bei ihm trotzdem auftritt, so wie umgekehrt eine genaue und differenzierte Interpretation der platonischen Texte Platon in große Nähe zu Aristoteles rückt. Immerhin wird hier sofort eine zweite Differenz zwischen Aristoteles und Platon scharf bezeichnet: „und unter diesen die natürlichen, denn diese sind die Ursprünge von den anderen". Die anderen Körper: das sind einerseits die künstlich hergestellten, andererseits die mathematischen Korper. Nach Platon sind die mathematischen Körper Ursprünge der natürlichen Körper. Nach Aristoteles wird die Erkenntrirs der mathematischen Körper durch Abstraktion aus den natürlichen gewonnen. Sie haben in sich selbst kein Sein. Bei der Besprechung von II1,4-8 werde ich zu zeigen versuchen, daß es ein Irrtum ist, wenn man die aristotelische Lehre von der Abstraktion mit dem modernen Begriff der Abstraktion verwechselt. Die miserable 'Theorie, Zahlen und geometrische Figuren seien nur subjektive Gedankengebilde, die von der Wirklichkeit nachträglich abgezogen sind, wäre Aristoteles nie in den Sinn gekommen. Trotzdem bleibt wahr, daß er im Gegensatz zu Platon den geometrischen Körpern kein selbständiges Sein zugesprochen hat. E r kann also in schroffem Widerspruch zu Platon sagen, die natürlichen Körper seien (zwar nicht die alleinigen, aber wesentliche) Ursprünge der übrigen Körper. Daß Aristoteles hier nicht im Sinne des Demokrit behauptet, die natürlichen Körper seien die alleinigen Ursprünge aller übrigen Körper, zeigt sich am Beispiel der künstlichen Körper. Zum Bauen eines Hauses genügen nicht die Baumaterialien; man braucht auch den Entwurf des Architekten. Dieser aber ist kein natürlicher Körper. Trotzdem kann man ohne Baumaterial keine Häuser bauen. Die natürlichen Körper, aus denen das Haus besteht, sind also Ursprünge des Hauses. Als nächster Schritt folgt eine Einteilung ( b ~ a i ~ ~sämtlicher ot~) natürlicher Körper in solche, die Leben haben, und solche, die kein Leben haben. Uns ist diese Einteilung so selbstverstandlich geworden,
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daß wir kaum mehr darüber nachdenken, was es bedeutet, wenn wir die anorganische von der organischen Natur unterscheiden. Bei Aristoteles ist sie, wie wir gesehen haben, in der Bewegungslehre begründet. Diese Bewegungslehre wiederum erhält ihr Gepräge durch den in der Kategorienlehre vorgezeichneten Vorrang der oGoiu. Wenn die oVoia den Vorrang hat, muß sich Bewegung überhaupt als Zustand eines bewegten Seienden darstellen lassen. Die primäre Form der Bewegung ist dann jene, die aus dem Sein des Seienden selbst hervorgeht, also die Selbstbewegung. Von allem, was den Ursprung der Bewegung in sich selbst trägt, sagen wir, daß es lebt. Deswegen ist Leben der Oberbegriff für die Selbstbewegung natürlicher Körper. Was hat diese Selbstbewegung für eine Gestalt? Aristoteles nennt hier zunächst nur die fundamentalsten Grundbestimmungen, wobei als „fundamentalu jene gelten sollen, die sich bei jedem Lebewesen finden, ohne die Leben also nicht möglich ist. In diesem Sinn ist Leben durch zwei Eigentümlichkeiten bestimmt, die bei den anorganischen Körpern nicht auftreten: - ein lebendiger natürlicher Körper ernährt sich durch sich selbst, - ein lebendiger natürlicher Körper wächst und verschwindet. Die heutige Biologie definiert das Leben durch Stoffwechsel, Vermehrung und Selektion. Das Prinzip der Selektion war Aristoteles unbekannt. Die Vermehrung taucht bei ihm erst an späterer Stelle auf, weil sie erst eintritt, wenn der Organismus voll ausgebildet ist. Der Stoffwechsel entspricht der Ernährung durch sich selbst. Die Begriffe „Wachstum" und „EntschwindenLL(aCEqois xai cp8iot~) sind eine Unterart der allgemeinen Begriffe „Entstehenc' und „Vergehen" (yiveoig xui cpRop&). Bei natürlichen Körpern hat das Entstehen die Form des Wachstums, das Vergehen die Form des Welkens oder Zerfallens. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Aristoteles und der Naturwissenschaft der Neuzeit besteht darin, daß die Naturwissenschaft der Neuzeit rein funktional denkt und deshalb die Ausbildung von mannigfaltigen Gestalten als ein Nebenprodukt der Naturprozesse betrachtet, das man aus dem Selektionsprozeß abzuleiten versucht, während bei Aristoteles das Bewegtsein des Lebens als Ausbildung oder Zerstörung der immanenten Struktur verstanden wird. Wenn Aristoteles von Wachstum spricht, hat er nicht nur im Auge, daß die Zahl der assimilierten Moleküle immer größer wird, sondern daß die im Keim schon angelegte Gestalt ans Licht tritt. Auch die Ernährung ist von hier aus zu verstehen. Sie ist also nicht
nur Stoffwechsel sondern Gestaltwandel. Das hat seine Folgen für unser Verständnis des Begriffes „Lebenc'. Die Selbstbewegung des Lebens ist bestimmt durch den Drang alles Lebendigen nach der Entwicklung der in ihm angelegten Gestalt. Weil es danach drängt, seine Gestalt auszubilden, ernährt es sich. Es hat den Drang, (das,) was in ihm latent ist, zu manifestieren, und eben dieser Drang ist das Prinzip seiner Selbstbewegung. Diese Selbstbewegung ist ? v a ~ h k x ~ i a O L T E ~ ~ S . So ist schon in den primitivsten Stufen des Lebens Bewegung mit Wahrheit verbunden, denn von Wahrheit sprechen wir überall dort, wo das Verborgene ans Licht tritt. Nur weil schon im allgemeinsten Begriff des Lebens Bewegung und Wahrheit derart verbunden sind, kann der Begriff „Leben6' dann auch sämtliche Äußerungen dessen, was Seele ist, umspannen. Der Begriff des Lebens tritt sogar auf dem Gipfel der Aristoteles-Theologie auf. „Metaphysik" XI1 steht über Gott zu lesen: „Auch Leben liegt ihm als Ursprung zua ] v o C ~ist Leben. Jener grunde, denn das Im-Werk-Sein [ t v C ~ y ~ ides aber ist das Im-Werk-Sein. Sein Im-Werk-Sein an sich ist bestes und ewiges Leben. Wir behaupten also, Gott sei das ewige beste Lebewesen, so daß Leben und ununterbrochene ewige Lebenszeit dem Gott als Ursprung zugrundeliegt. Dies ist nämlich Gott." 160 Wir haben noch nicht die Stufe erreicht, wo wir diese Sätze verstehen könnten. Aber es war nötig, sie schon hier zu zitieren, damit verständlich wird, welche Dimensionen das Gebäude hat, für das durch die Einführung des Begriffes „Leben" der Grund gelegt wird. Nachdem wir uns das klargemacht haben, werden wir nicht dem Irrtum verfallen, die „Definition" des Lebens durch Ernährung und Wachstum oder Entschwinden sei ein Logos, der xaO6hou gilt. Er gilt, mit gewissen Einschränkungen, xaa& xav-co~.Aber das Wesen des Lebens wird nicht so ausgegrenzt, daß die Gesamtheit dessen, was Leben sein kann, uns vor Augen stünde. Sehen wir genauer zu, so stellen wir fest, daß Leben xaO6hov gar nicht umgrenzt werden kann, denn ein Ganzes im Sinne des Öhov ist nur die orioia. Die o-iroia, von der wir sagen, daß sie lebt, ist aber der natürliche Körper.
Zo-JIbezeichnet die Seinsverfassung der natürlichen Körper, die sich selbst bewegen können. Der Ursprung dieser Art von Bewegung natürlicher Körper heißt Seele. Wenn man umfassen will, was Leben heißt, so muß man den Logos der Seele finden. In ihm ist jede mögliche Bedeutung des Begriffes „Leben" enthalten. Daß die o-iroia, die dem Leben zugrundeliegt, der sich selbst bewegende natürliche Körper ist, das formuliert als Schlußfolgerung aus diesem ersten Gedankengang der Satz: „Deshalb dürfte jeder natürliche Körper, der am Leben Anteil hat, o-iroia sein." (De an. 412a 15) Nun folgt der nächste Schritt: „O.Uoia aber ist er in dem Sinn, daß er zusammengesetzt ist. Da er aber einerseits Körper und andererseits in dieser bestimmten Art qualifiziert ist [nämlich Leben hat], so kann die Seele nicht der Körper sein. Denn der Körper gehört nicht zu dem, was von einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird, sondern er ist eher etwas wie ein Zugrundeliegendes und Materie. Es ist also notwendig, daß die Seele o-iroia ist im Sinne des EZSOSeines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat." (412a 16-21) Der erste Gedankengang ging davon aus, daß am ehesten die Körper ouoia zu sein scheinen. Der zweite Gedankengang greift zurück auf den Satz der Einleitung, daß die o-iroia in sich zwei Momente enthält: das Moment der Ühq und das Moment von yo~cpfiund &%oq Dieser Satz gilt allgemein für jede orioia. Wenn also feststeht, daß ein natürlicher Körper überhaupt odoia ist, dann steht auch fest, daß er diese beiden Momente an sich haben muß. „Er ist o-iroia in dem erwähnten Sinne [OÜTOS]als ein Zusammengesetzter. " ( o 6 . t ~ ~ verweist zurück auf 412a 7f.) Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit dem natürlichen Körper? E r ist einerseits Körper, andererseits so und so qualifiziert; er ist nämlich ein natürlicher Körper, der Leben hat. Wie verteilen sich diese beiden Bestimmungen auf die Polarität Es wäre absurd zu behaupten, das Moment des von Ühq und E~SOS? Körperseins entspräche dem E~SOS, und das Moment, belebt zu sein, entspräche der Ühq. Wir betrachten nämlich, wie Aristoteles feststellt, die Körperlichkeit nicht als eine zusätzliche Bestimmung, die von etwas anderem Zugrundeliegenden ausgesandt wird. Also entspricht die Körperlichkeit des Lebewesens seiner Ühq. Das Moment an seiner o-iroia, das ihm Leben verleiht, nämlich die Seele, muß also O S belebten natürlichen Körpers sein. Dies formuliert Aridas E ~ ~ des stoteles in der Schlußfolgerung, die diesen zweiten Teil des Gedankenganges abschließt: „Es ist also notwendig, daß die Seele o-iroiaist
im Sinne des ~2602eines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat. " Der nächste Schritt besteht im aristotelischen Text aus einem einziXEL ist~die , Seele die EVTEgen Satz: „Die o6aia aber ist E V L E ~ ~ also hkx~taeines so beschaffenen Körpers." So kurz dieser Satz auch ist - durch diesen Satz vollzieht Aristoteles den Schritt, der seine ganze Lehre von der Seele erst möglich macht. Die Worte S'o6oia EVTEhk~elaumschließen eine solche Fülle von Gehalten, daß das gesamte System der Philosophie des absoluten Geistes von Hege1 als ein Kommentar zu diesen Worten dargestellt werden könnte. Ich habe bei der Interpretation des Abschnitts 412a 6-11 die innere Logik der Entwicklung der Grundbegriffe der aristotelischen Ontologie darzustellen versucht, um diesen Schritt verständlich zu machen. Es ist nicht nötig, daß ich das schon Gesagte hier wiederhole. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß es zum Verständnis eines solchen großen Zusammenhanges von philosophischen Gedanken nicht genügt, sich äußerlich über sie informieren zu lassen. Es bedarf dazu eines Prozesses der Meditation, bei dem man dieselbe Bewegung der Gedanken solange durchläuft, bis man sie frei produzieren kann. So lernt man denken. Ist man der Mühe einer solchen Konzentration auf wenige aber fundamentale Schritte des Gedankens nicht ausgewichen, so entdeckt man nachträglich, daß man auf einmal wie durch Magie eine neue Freiheit des Verstehens, der Ubersicht und der geistigen Aneignung gewonnen hat, die es dann möglich macht, wie im Fluge ganze Territorien der Erkenntnis zu überblicken. Die Zeit, die man auf das Verständnis weniger Sätze verwendet hat, zahlt sich vielfältig aus. Deswegen habe ich es nicht gescheut, Ihnen diesen harten und heute außer Gebrauch geratenen, aber einzig legitimen Zugang zur Philosophie zuzumuten. „Die o6oia ist Entelechie": Das bedeutet, wie wir gesehen haben, daß das EZSOSals Bewegungsstruktur zu verstehen ist. Das Wort „Seele" bezeichnet die allgemeine Struktur jener Bewegung, die dadurch ausgezeichnet ist, daß sie sich aus sich selbst bewegt. Die Worte „(Seele ist) also die Entelechie eines so beschaffenen Körpers" greifen auf den vorangehenden Satz zurück. Wir müssen also einsetzen: Seele ist die Entelechie eines natürlichen Körpers, der der
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Möglichkeit nach Leben hat. Damit ist die „Definition" der Seele im Grundzug schon gewonnen. Es fehlt nur die Unterscheidung zwischen der ersten und der als EvE~ystavollendeten Entelechie, die dann im folgenden, von uns schon betrachteten Abschnitt 412 a 22-28 entwickelt wird und in dem voll entfalteten Logos von Seele überhaupt mündet: „Deshalb ist die Seele die erste Entelechie eines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat." Nun wäre es aber immer noch ungenügend, wenn wir uns einbilden würden, mit dieser Definition hätten wir die volle Erkenntnis davon, was Seele als o6oia ist, schon gewonnen. Aristoteles hat 412a 8 daran erinnert, daß in seiner Ontologie zwischen E ~ O und S po~rpq unterschieden wird. Sie werden sich daran erinnern. daß ich diesen Unterschied durch das aristotelische Beispiel des goldenen Reifes erläutert habe (279). Das Gold ist die Materie. Ihm entspricht am Lebewesen der Körper. Die Gestalt (po~cpq)des Reifes ist eine Dardes Kreises. Die stellung der reinen geometrischen Figur (&&Sog) Definition der Seele, die wir gewonnen haben, bestimmt das EZSOS als F V T E ~ ~ XAber E L Uwie . erscheint dieses E%OSin der Gestalt des natürlichen Körpers? Wie kann man diesem Körper in seiner so oder so beschaffenen Körperlichkeit ansehen, daß er Seele hat, daß er belebt ist? Der Antwort auf diese Frage dienen die folgenden Sätze: „Ein solcher ist jeder, der mit Organen ausgestattet ist. (Organe sind aber auch die Teile der Pflanzen, aber ganz und gar einfache, wie zum Beispiel das Blatt, der Schutz der Fruchtschale, die Fruchtschale, der Schutz der Frucht, die Wurzeln aber entsprechen dem Mund, nehmen die Nahrung auf.)" 162 Hier wird ein einziger neuer Gedankenschritt vollzogen, der in den Worten enthalten ist: „Ein solcher ist der mit Organen ausgestattete". Der Satz über die Organe der Pflanzen ist lediglich eine eingeschobene Anmerkung, die zeigen soll, daß und warum der Begriff „organischer Körper" auch auf die Pflanzen angewendet werden kann. Vermutlich handelt es sich um eine jener eingeschobenen Randnotizen, wie sie uns im Text des Aristoteles öfter begegnen.
6. Der Begriff 6~ycxvov a. ( "O~yavov als gestaltgebende immanente Struktur) Wir stoßen hier auf einen neuen Begriff, den ich allerdings - nicht ohne Grund - bei der Unterscheidung zwischen 6hov und nav schon . ist einmal beiläufig eingefuhrt habe: den BegrifT des 6 ~ y a v o vWas ein ( 6 ~ y a v o v163? ) Das Wort o ~ y a v o vhängt mit Eeyov zusammen. Es bedeutet: das Werkzeug. In Athen und in Thasos gab es einen Kult der 'At)qv& 'Oeydvq, weil Athene die Göttin war, der die Menschen alle Kunstfertigkeit und damit die Kenntnis der Werkzeuge verdanken. Platon hat das Wort Ö~yavovauch metaphorisch verwendet. In der Sprachphilosophie des „Kratylos" wird untersucht, ob man die Sprache verstehen kann, wenn man die Worte als Werkzeuge interpretiert. Bei Platon findet sich auch schon die Metapher von den „Sinneswerkzeugen". E r sagt im „StaatG',das Auge sei das Sonnengestaltigste von den Werkzeugen im Bereich der W a h r n e h m ~ n g l ~Durch ~. diese Stelle sind die berühmtenverse aus den „Zahmen Xenien" angeregt: „War nicht das A~igesonnenhaft, Die Sonne könnt' es nie erblicken; Läg' nicht in uns des Gottes eigne Kraft, Wie könnt uns Göttliches entzücken?" 165 Diese Verse haben auf Schelling und vermutlich auch auf Hege1 stark gewirkt. Sie enthalten die platonisch-aristotelische Grundidee des deutschen Idealismus. Ich habe die Stelle aus Platons „Staat" und die Verse von Goethe angeführt, weil sie zeigen, daß wir im Zeitalter der Technik auch den Begriff „Werkzeug" nicht mehr so verstehen, wie er früher verstanden wurde. Platon gebraucht die Metapher von den Werkzeugen im Bereich der Sinneswahrnehmung nicht, um dem Auge einen bloß instrumentalen Charakter zuzuschreiben. Er nennt das Auge - ähnlich wie im „Kratylos" das Wort - ein Werkzeug der Erkenntnis des Wahren, weil es dem Wahren angemessen ist, weil es Im Text: „Organ". 'Ahh' 9 h t o ~ t 6 t o ~ a t y& b v O & ~ C TOY L L XE@; T&< ~LOH$JIOELS6~yOLvwv. 508 B. 165 1, 367. Goethe wird nach der Hamburger Ausgabe, lirsg. von Erich Trunz, Hamburg: Christian Wcgncr, '1981, zitiert. 163
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seiner Gestalt nach der Quelle des Lichts, das es aufnimmt, zugeordnet ist. Das Werkzeug wird hier nicht als Instrument der Beherrschung der Natur sondern als Mittel der Einordnung in die Natur verstanden. Erst wenn man sich das klargemacht hat, wird einsichtig, wie Aristoteles dazu kommen konnte, eine Lehre von den natürlichen Körpern zu entwickeln, in der der Begriff des o ~ y a v o vdazu dient, das eigentlich Naturhafte an dcr Natur, das Leben als die Selbstbewegung natürlicher Körper, in seiner ontologischen Struktur zu explizieren. Für das neuzeitliche Denken ist das Werkzeug ein Instrument, dessen sich der außerhalb der Natur stehende Wille des Menschen bedient, um sie zu unterwerfen und sich gefügig zu machen. Neuzeitliches Denken hätte deshalb nie den Versuch machen können, von der Struktur des Werkzeugs aus das innere Gefüge der Natur zu explizieren. In dem aristotelischen Gebrauch der Metapher „Werkzeug" spricht sich eine völlig andere Auffassung von der Stellung des Menschen in der Natur aus. Dem entspricht eine völlig andere Stellung des Menschen zu sich selbst und seinen Möglichkeiten. Nun steht auch im Griechischen das Wort „WerkzeugMin einem festen Zusammenhang mit den Künsten, zu denen man Werkzeuge gebraucht, den ~Exvat;und ~Fxvqsteht wiederum in einem festen Zusammenhang mit dem Wissen, von den1 wir uns bei der Ausübung dieser Künste leiten lassen (?sc~o-c?jpq).Wenn „Werkzeug6' etwas anderes bedeutet, so bedeutet auch „Techniku und „Wissenschaft" etwas anderes. Zwar ist das neuzeitliche Verständnis von Wissenschaft und Technik ohne seine Grundlegung bei den Griechen nicht zu verstehen, aber es ist ein grobes Mißverständnis, wenn man, wie es gelegentlich versucht wird, in die griechische tkxvq schon die Einstellung hineindeutet, aus der die neuzeitliche Technik hervorgeht. Es war nötig, diese Vorbemerkungen zu machen, damit uns klar wird, worum es eigentlich geht, wenn wir verstehen wollen, was bei Aristoteles oeyavov heißt. Aristoteles hat den Begriff des Ö~yavovin einem Werk definiert, das den Titel trägt „Über die Teile der Tiere" (nqi <@ovpoeiov). Die Wissenschaft, die er in diesem Werk begründet hat, heißt heute „vergleichende Anatomie". Wie kann man überhaupt verschiedene Lebewesen und ihre Teile miteinander vergleichen? Ein Beispiel gibt uns der an unserer Stelle angeführte Vergleich der Wurzel der Pflanze mit dem Mund. Die Pflanzen nehmen durch die Wurzeln, die Tiere durch den Mund die Nahrung auf. Der Hinblick, unter dem
Wurzel und Mund miteinander verglichen werden, ist die Funktion für das Ganze, der die Teile dienen. Die Teile, in die sich ein Stein zerlegen Iäßt, haben keine Funktion für das Ganze. Aber sämtliche Teile eines Lebewesens lassen sich durch ihre Funktion definieren. Der Begriff oeyavov wird von Aristoteles eingeführt, um diesen für die Lebewesen konstitutiven Zusammenhang zwischen den Teilen und dem Ganzen in seiner spezifischen ontologischen Struktur zu bezeichnen. Er gibt an, wie sich die Teile eines Lebewesens zum Ganzen verhalten, wenn man dieses Ganze nicht als ein nuv sondern als ein ohov auffaßt. Erst wenn ein solcher Begriff gefunden und klar bestimmt ist, wird eine vergleichende Anatomie überhaupt möglich. Deshalb erreicht das I., einleitende Buch des Werkes sein Ziel in der Definition des oeyavov. Ein Uberblick über dieses Buch würde zeigen, mit welcher Klarheit Aristoteles die methodische, genauer gesagt: die ontologische Bedeutung dieses Begriffs erfaßt hat. Er zeigt, wie eine am Begriff des oeyavov orientierte Wissenschaft von der belebten Natur sich von der Atom-Theorie des Demokrit unterscheidet. Er hebt auf der anderen Seite die von ihm entdeckte Methode der Unterscheidung der Glieder eines belebten Körpers von der G ~ a i ~ eder oi~ platonischen Dialektik ab. Er zeigt schließlich, wie durch den Begriff des Ö~yavov die Zoologie als eine eigenständige Wissenschaft begründet wird. Dies alles ist von solcher Bedeutung für die Geschichte des menschlichen Denkens und der Erkenntnis der Natur, es ist aber auch für die Interpretation der Definition der Seele so wichtig, daß ich Ihnen den berühmten und leicht verständlichen Abschnitt, den Aristoteles der Definition des Öeyuvov vorangestellt hat, in Ubersetzung vorlegen möchte: „Von den o.iioiat, die ihren Bestand durch die Natur haben, sind die einen ungeworden und unvergänglich in alle Ewigkeit. Die anderen haben am Entstehen und Vergehen teil. Von jenen, so erhaben [ ~ i p t aund ~ ] göttlich sie sind, haben wir nur geringere Erkenntnis (denn von den Ursprüngen, von denen aus man die Betrachtung über sie anstellen möchte, und über die etwas zu wissen wir uns sehnen, gibt es nur außerordentlich wenig, was uns nach der Wahrnehmung offenkundig ist). Über die vergänglichen Pflanzen und Tiere aber haben wir einen größeren Reichtum an Erkenntnisquellen, weil wir mit ihnen zusammen aufgezogen werden. Man kann im Bereich von jeder Gattung vieles von dem, was ihr als Ursprung zugrundeliegt, erfassen, wenn man sich nur genügend Mühe geben will. Beide
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Wissensgebiete machen Freude, denn wenn wir von den einen auch nur wenig erfassen, so bereiten sie gleichwohl wegen der Erhabenheit der Erkenntnis größere Lust als alles, was in unserem Umkreis liegt, gleichwie es süßer ist, von dem, was man liebt, auch nur den kleinsten zufälligen Zipfel zu erblicken als vieles Andere und Große genau zu beschauen. Die vergänglichen Dinge aber gewähren einen Uberschuß an Wissen, weil wir mehr von ihnen besser erkennen. Außerdem gewähren sie, weil sie uns näher und unserer Natur verwandter sind, einen gleichwertigen Ersatz für die Philosophie, der es um das Göttliche geht. Nachdem ich jene Gegenstände schon behandelt und meine Auffassung von ihnen dargelegt habe, bleibt es mir übrig, über die belebte Natur zu sprechen, indem ich nach meinemvermögen nichts auslasse, weder das Niedrigere noch das Höhere. Denn auch bei jenen Dingen, die unserer Wahrnehmung wenig Freude bereiten, gewährt für die geistige Erkenntnis gleichwohl die schöpferische Natur denen unermeßliche Freuden, die in der Lage sind, die Ursachen zu erkennen und von Natur aus nach dem Wissen streben [qljo~t91hoo6cpot~I.Es wäre ja auch widersinnig und unbegreiflich, wenn wir uns beim Anblick ihrer Bilder freuen, weil unser Auge die sie erschaffende Kunst mit erblickt wie zum Beispiel bei der Malerei oder der Plastik, wenn wir aber den Anblick dessen, was durch die Natur selbst seine Konstitution erhielt, weniger lieben würden, vorausgesetzt, daß wir im Stande sind, ihre Ursachen [das heißt ihre Struktur] zu erblicken. Deshalb darf man nicht auf kindische Weise gegen die Untersuchung der niedrigeren Lebewesen Widerwillen haben, denn in allem, was zur Natur gehört, ist etwas Staunenswertes enthalten, und wie Heraklit zu den Freunden, die mit ihm zusammentreffen wollten, gesagt haben soll, als sie ihn beim Eintreten sich am Backofen wärmen sahen und stehen blieben: ,Tretet ohne Scheu ein, denn auch hier sind Götter', so muß man auch zur Untersuchung jedes einzelnen Tieres herantreten ohne ein verdrießliches Gesicht. Denn in allem ist etwas Naturgemäßes und Schönes. Denn in den Werken der Natur und gerade in ihnen ist enthalten, was nicht auf zufällige Weise sondern um einer immanenten Struktur willen ist. Die vollendete Gestalt, um derentwillen etwas seine Konstitution hat und ans Licht getreten ist, hat ihren Platz im Bereich des Schönen. Wenn aber irgend jemand wirklich überzeugt ist, die Betrachtung der übrigen Tiere sei etwas Niedrigeres, so muß er das Gleiche konsequenter-
weise auch von sich selbst annehmen. Denn man kann nicht ohne großen Widerwilleil betrachten, woraus die Gattung ,Menschc besteht: Blut, Fleisch, Knochen, Adern und alle derartigen Teile. Entsprechend muß man überzeugt sein, daß ein Mann, der über welchen Teil oder welches Gefäß auch immer eine Untersuchung anstellt, die Erkenntnis nicht auf den Stoff richtet, und nicht um dieses willen spricht sondern um der ganzen Gestalt willen. Es handelt sich um das Haus, nicht um Ziegel, Lehm und Holz. So hat es auch der Erforscher der Natur mit der Zusammenfügung und der o4oia als ganzer zu tun, aber nicht mit dem, was gar nicht auftreten würde, wenn es von der o-Vüia der Dinge getrennt wäre." Dieser Text gibt Ihnen einen Eindruck davon, wie Aristoteles geschrieben hat, wenn er sich an eine größere Offentlichkeit wendete. Das tiefe Wort über die Schönheit der Kunst, die darin besteht, daß wir zugleich mit dem sichtbaren Bild die unsichtbare Kunst betrachten, die es hervorgebracht hat, steht in einem bedeutungsvollen Zusammenhang. Die Kunst verhält sich nach Aristoteles zur Natur wie die künstlich hergestellten Werkzeuge der Menschen zu den natürlichen Organen. Wenn ein Grieche von Kunst spricht, hat er auch noch im 4. Jahrhundert vor allem die Götterbilder der Malerei und Plastik vor Augen. Was er bei der Betrachtung einer Statue durch den sichtbaren Anblick des Bildes hindurch mit ins Auge faßt: die ~ E ~ v adas l , sind nicht, wie ein moderner Kunstbetrachter meinen könnte, die Kunstmittel, deren der Künstler sich bedient hat, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Das Wort ~Exvqbezeichnet vielmehr, was die Griechen noiqolg nannten: dasvermögen, das Unsichtbare zur Präsenz zu bringen oder, wie wir noch heute sagen, es hervorzubringen. Die so verstandene Produktion zieht den Schleier fort, mit dem die Erscheinung der Dinge die Wahrheit der Dinge verhüllt. Die Weise, wie ein großer Künstler ans Licht bringt, was uns sonst verborgen ist: das ist die Kunst, die wir bei der Betrachtung des sinnlichen Bildes mit betrachten 167. Dieser Vergleich soll uns nun durchsichtig machen, wie es sich mit der Naturerkenntnis verhält. I 6 W e Partibus Animalium, ed. Bcrnhard Langkavel, Leipzig: Teubner, 1868,644 b 22-645 b I . Dieser umfangreiche Text ist wegen sciiler mehr illustrativen Funktion hier nicht abgedruckt. '67 Vgl. Georg Picht, Kunst und Mythos, Stuttgart: Klett-Cotta, 1986, bes. Zweiter Teil: „Die Phanomeiialität der Kuilst", 118ff.
Dem Betrachter des Bildwerkes entspricht der Naturforscher. Dem Künstler entspricht die Natur. Aber wir haben durch die Interpretation der Grundbegriffe der aristotelischen Ontologie schon gelernt, daß cpi~otghier nicht, wie inan später unter stoischem Einfluß gelehrt hat, eine Art von hypostasierter Gottheit ist. Qaotg ist hier vielinehr in dem Sinn zu verstehen, wie wir von der „Natur der Sache" sprechen. Die cpliolg, die eine Pflanze hervorbringt, findet sich nicht außerhalb und jenseits der Pflanzen, sondern sie ist die in der Pflanze selbst als das Prinzip ihrer Entwicklung, also ihrer Bewegung, enthaltene Entelechie. Die Entelechie ist jenes Göttliche, das selbst in dem niedrigsten Tier noch ans Licht tritt. Vergleichende Anatomie ist bei Aristoteles die Erkenntnis dieses Göttlichen. Das Götterbild, das ein Künstler hervorbringt, ist zwar ein wirkliches Bild, aber auch nur ein Bild. Hingegen ist jede Pflanze und jedes, selbst das niedrigste Tier nach Aristoteles ein wirkliches Gcitterbild, in dem das Göttliche selbst sich als Leben bewegt. Wenn der Anatom bei seinen Sektionen die Organe der Tiere untersucht, so erblickt er durch den widerwärtigen Anblick, der sich zunächst ihm darbietet, hindurch, wie im Zusammenwirken der Organe das Ganze, das ein Göttliches ist, hervortritt. Die Materie, aus der das Lebewesen besteht, das Blut, das Fleisch, die Knochen, die Gefäße, ist nicht der Gegenstand der Erkenntnis. Gegenstand der Erkenntnis ist die selbst nicht materielle Synthesis, die Fügung der Materie zu einem Ganzen. Wäre die Gestalt dieses Ganzen nicht vorgegeben, so würden getrennt von diesem Ganzen Blut, Fleisch, Knochen, Gefäße gar nicht vorhanden sein. Denn erst das Prinzip des Ganzen, seine Seele, hat die Elemente zu Blut, Fleisch, Knochen etc., wie wir nach Aristoteles sagen: „organisiert". Wir sehen jetzt schon deutlicher, was die Definition der Seele bedeutet. „Die erste Entelechie eines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat" ist das in diesem Körper enthaltene Göttliche, das ihm die Gestalt gibt. Die sogenannte Ontologie des Aristoteles ist eine Lehre von der reinen Struktur dieses Göttlichen, das in allem, was überhaupt ist, enthalten ist. Wenn wir bei der Betrachtung einer Pflanze oder eines Tieres diese ontologischen Strukturen mit erblicken, so gewinnen wir jenen Einblick in das Sich-selbst-Produzieren der Natur, der dem Einblick in die Kunst des Bildhauers bei der Betrachtung einer Statue entspricht. So ist die Grundlegung der allgemeinen Zoologie und der Botanik in Wahrheit beschaffen. Man muß sich das klarmachen, um beurteilen zu kön-
nen, was aus diesen Wissenschaften inzwischen geworden ist. Die neuzeitliche Naturwissenschaft konnte nur entstehen, weil christliche Theologie gelehrt hat, alles, was Aristoteles hier sagt, sei Abgötterei. Die Philosophie von Schelling und Hege1 ist erst verständlich, wenn man sie als eine große Gegenbewegung gegen diese in sich durchaus fragwürdige Deutung der jüdisch-christlichen Botschaft begreift. Der Begriff des 6eyavov soll, wie sich jetzt zeigt, durchsichtig machen, wie in der Materie die göttliche Gestalt hervortritt. b. (Die Seele „organisiert" den Körper als Ganzes) Wir können uns jetzt der Stelle zuwenden, wo Aristoteles erklärt, was ein o ~ y a v o vist: „Da aber jedes Werkzeug um etwas willen da ist, von den Teilen des Körpers aber jeder einzelne um etwas willen da ist, das worumwillen aber eine Art von neolcig ist, so ist evident, daß auch die Einheit des ganzen Körpers ihre Konstitution um irgendeiner vollständigen neiXEtg willen hat. Das Sägen ist nämlich nicht um der Säge willen entstanden sondern die Säge um des Sägens willen. Das Sägen ist nämlich eine Art von Gebrauch. Deshalb ist auch der Körper in gewisser Weise um der Seele willen da und seine Teile um der Werke willen, für die ein Jedes gewachsen ist."168 Dies ist nun wieder ein Abschnitt, wo sich Aristoteles nicht mehr die populäre Redeweise erlauben kann, in der er zum Begriff des o ~ y a v o vhinführt. Hier muß der Begriff genau bestimmt werden. Wir haben aber alle ontologischen Begriffe schon entwickelt, die man braucht, um diesen Abschnitt zu verstehen. Das tertium comparationis, das es Aristoteles erlaubt, den Begriff des Werkzeugs metaphorisch auf die Teile des belebten Körpers zu übertragen, ist der Begriff der X Q ~ ~ L S - des Gebrauchs. Eine Säge ist für einen bestimmten Gebrauch erfunden. In diesem Gebrauch ist ihre Gestalt vorgezeichnet. Das c?Go~ der Säge ist also, wie ich es am platonischen Beispiel des Zügels schon erläutert habe, in dem Gebrauch, für den sie bestimmt ist, ent-
halten. Alles, was für einen Gebrauch bestimmt ist, hat die allgemeine ontologische Struktur, daß es „um etwas willen" da ist, und daß in diesem „um etwas willen" die Gesamtheit seiner Gestalt in allen Stücken vorgezeichnet ist. Das „um etwas willen" bestimmt die Form, in der seine Teile sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Der griechische Begriff, den Aristoteles dafür verwendet, heißt o d o ~ a o i g - der Zusammenstand, lateinisch constitutio - die Konstitution. Wenn wir von der Konstitution eines Lebewesens sprechen, setzen wir die Ontologie des Aristoteles voraus. Auch von den Teilen des Körpers hat jeder seine Funktion, seine Aufgabe oder, wie Aristoteles sagt: sein Werk. Aber das Werk, für das die Teile des belebten Körpers da sind, hat eine andere Gestalt als die Werke, für die die sonstigen Werkzeuge da sind. Wenn das Holz gesägt ist, legen wir die Säge weg und verwenden die zersägten Scheite, wofür es uns gut dünkt. Sägen hat die Struktur der noiyoig: es bringt etwas hervor, das sich, wenn es fertig ist, vom Prozeß des Hervorbringens loslöst und das Hervorbringen hinter sich läßt. So steht es auch beim Werk des Bildhauers. Wenn es fertig ist, sind die Werkzeuge überflüssig geworden. Anders steht es bei den „Werkzeugen" der Natur. Ihr Werk ist im Vollbringen selbst enthalten. Das Herz schlägt, die Lunge atmet, das Auge sieht. Hier ist das Hervorbringen nicht noiqoig sondern nQtiEtg. Das imVollbringen selbst enthaltene Werk ist nicht nur E~yovsondern $V~QYELC(. Das gilt aber nicht nur von dem einzelnen Werkzeug, sondern es gilt vom Körper als Ganzem in seiner Einheit. Seine rne6Etg ist das Leben als solches, also das ständige Hervorbringen jener Gestalt, die er als seine Entelechie, also als seine Seele, in sich trägt. Das ist die Bedeutung der Worte: „Von den Teilen des Körpers ist jeder ,um etwas willen' da. Das ,worum willen' aber ist eine Art von n~olEtg." „Eine Art von nQolEtg": nämlich die xQ~E,Ls schlechthin, das Leben, aus dem jede andere Art von neolEt~hervorgeht und das sich in jeder n~ol5tsmanifestiert. Das Leben aber ist die E v E ~ y ~ der t a Seele. Deswegen erreicht die Definition des o ~ y a v o v ihren Höhepunkt in dem Satz: „Daher ist auch der Körper auf gewisse Weise um der Seele willen da" (6451, 19). Das bedeutet nicht, daß es zuerst den Körper gäbe, dem dann nachträglich als ein ihm äußerlicher Zweck die Seele hinzugefügt würde. Es bedeutet vielmehr, daß die Seele, wie die aristotelische Definition sagt, die erste Entelechie des natürlichen Körpers ist. Mit anderen Worten: daß die Seele der von vornherein zugrundeliegende Ur-
sprung ist, der es erst möglich macht, daß sich die physikalischen Elemente, aus denen der Körper besteht, zu einem organischen Ganzen verbinden, das im Zusammenwirken aller Glieder die Wirklichkeit des Lebens als seine ne&l& hervorbringt. Der metaphorische Gebrauch des Wortes o ~ y a v o vhat also seine Grundlage in der Lehre von der Seele. Ohne die aristotelische Lehre von der Seele wäre der Begriff der organischen Natur nicht ausgebildet worden. Wer die organische von der anorganischen Natur unterscheidet, setzt die aristotelische Ontologie der Seele voraus. Wir kehren zurück zu unserem Text. Die Definition der Seele hieß: „Die Seele ist die erste Entelechie eines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat." Anschließend vollzieht Aristoteles, wie wir gesehen haben, den nächsten Schritt, indem er sagt: „Eine solche Beschaffenheit hat aber jeder, der ,organischcist." lei9 Wir können jetzt interpretierend sagen: alle Körper, deren Teile die Struktur ~ Lebens als ihre des o ~ y a v o vhaben, sind Körper, die die Z Q Ü E L des Möglichkeit in sich enthalten. Das E S ~ ~dieser S Körper, also die ihnen immanente gestaltbildende Struktur, ist die Seele. Die Seele ist aber „Strukturu nicht als abstrakte Form sondern als immanentes Prinzip der Bewegung eines Körpers, der das Vermögen hat, sich aus sich selbst zu bewegen. Solche Körper sind in einem ausgezeichneten Sinne natürliche Körper, weil c p 6 o ~bei ~ Aristoteles der Inbegriff alles dessen ist, was sich bewegt, und weil die Bewegung aus sich selbst heraus die ausgezeichnete Form der Bewegung ist. Schon Platon hat im „PhaidrosU-Mythosdefiniert: Seele sei das, was sich selbst bewegt I 7 O . Aristoteles hat die Selbstbewegung der Seele, weil er die CI und dadurch die Seele als ouoia faßt, als E V T E ~ ~ X E Linterpretiert Möglichkeit gewonnen, die organische Gestalt der natürlichen Körper auf die Selbstbewegung der Seele zurückzuführen. Erst nachdem der Begriff des o ~ y a v o vmit der Definition der Seele verbunden ist, kann Aristoteles den Abschnitt über die Ausgrenzung von Seele überhaupt, also den O ~ t o p oder ~ Seele, zum Abschluß bringen: „Wenn man nun also etwas Gemeinsames über jede Seele aussagen soll, so dürfte sie wohl die erste Entelechie eines natürlichen organischen Körpers sein. Deshalb soll man auch nicht unter1 6 " ~ ~ 0 5 ~&Eo 6~ ~ X V , 6 y y w 1 . n 6 ~ . 412a 28f. 170 Phaidros, 245e 7-246a 1.
suchen, ob die Secle und der Korper eines sind, ebensowenig wie ob das Wachs und seine Gestalt eines sind, noch überhaupt, ob die Materie eines Jeden und das, wovon sie Materie ist, Eines sind. Denn wenn auch die Begriffe ,EinsLund ,Sein' eine vielfältige Bedeutung haben: die Grundbedeutung ist die E n t c l e ~ h i e . ' " ~In ~ diesen abschließenden Sätzen rückt Aristoteles seine Definition der Seele in den Zusammenhang der tragenden Grundbestimmungen seiner Ontologie, von deneil er in den einleitenden Sätzen des Kapitels ausgegangen war. Damit bestätigt sich, daß es nötig ist, die Definition der Seele, wie ich es versucht habe, aus dem Grundansatz dieser Ontologie zu entwickeln. Das Eine und das Sein sind seit Parmenides die Grundbegriffe der griechischen Ontologie überhaupt. Der Begrifi der Ev~~h6xeta wurde von Aristoteles, wie wir an dieser Stelle erfahren, geprägt, um zu bestimmen, was dic cigentliche, ursprüngliche und herrschende Bedeutung der Begriffe „Eines" und „Sein" ist. Einheit und Sein mussen, das besagt dieser Begrif-I, als immanente Bewegungsstruktur dessen, was sich aus sich selbst bewegt, verstanL~ fallen den werden. Nur wenn man Einheit als E Y T E ~ ~ X Edenkt, Form und Materie nicht auseinander; denn Form ist dann jenes Bewegtsein der Materie, in dem sie sich im Vollzug des Lebens so organisiert, daß die dem Bewegungsablauf selbst immanente Struktur als Gestalt allmählich hervortritt. Das Verhältnis von Seele und Körper ist gleichsam das experimentum crucis für die Moglichkeit einer solchen Ontologie. Deshalb ist die Definition der Seele nicht irgendein beliebig herausgegriffenes Beispiel, durch das an irgendeinem Seienden demonstriert wird, wie seine o6oia sich mit Hilfe des Begriffes E Y T E ~ ~ X Eexplizieren L~ läßt. Hier geht es um die Konstitution des natürlichen Korpers schlechthin. Wir befinden uns also hier im Zentrum der aristotelischen Ontologie. Die aristotelische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Seele und Korper heißt: Seele ist der Ursprung des Lebens des Körpers. Leben aber ist jener Vollzug, in dem sich die Teile des Korpers als die Organe seiner Selbstbewegung ausbilden und die in der Nahrung aufgenommene Materie so
organisieren, daß die Gestalt dcs Körpers als einheitliches Ganzes allmählich hervortritt. Es gibt nicht den kleinsten Teil des Körpers, der nicht seine Gestalt aus der ersten Entelechie des Lebens, also aus der Seele, empfinge. In jedem Organ des Körpers manifestiert sich dui-cl-i seine Funktion die Einhcit der Gestalt. Deshalb ist die Gestalt des Körpers die Form, wie sich sein s?6og, nämlich die Seele, in der Sinnlichkeit präsentiert. Das Sein des natürlichen Körpers ist oliotao~gseiner Glieder zu einem Ganzen. Aber diese Konstitution, dieser Zusammenstand, der das Sein ausmacht, ist nicht statisch zu denken. Er ist jener Bewegungsvollzug, den wir „Leben" nennen. Sein wird als Leben interpretiert, und nur als Leben ist es Einheit. Dies aber ist nur möglich, weil Seele die o 6 d a schlechthin, die o6oia der o6oia ist. C.
(Bestimmung von Lehen durch konstitutive Funktionen)
Zum Abschluß dieses Teiles muß noch eine methodisch wichtige Bemerkung gemacht werden. Wir haben gesehen, daß Aristoteles drei Begriffe des Allgemeinen unterscheidet: ilotv6v, ila06hou und ilatu navt6g. Die beiden letzteren habe ich interpretiert, und es ist im Lauf der Interpretation der aristotelischen „Definition" der Seele Schritt für Schritt deutlicher hervorgetreten, daß sie die Allgemeinheit des ila06hou hat, weil sie die o6oia von Seele als die & Q X ~ bestimmt, von der aus dic Einhcit des belebten natürlichen Korpers iii seiner organischen Gestalt als ein Ganzes (Ohov) zu begreifen ist. Hingegen haben wir noch nicht darüber nachgedacht, was der Begriff ilo~v6vbedeutet. Dieser Begriff tritt schon am Anfang des Kapitels (412a 5) auf. Die Leitfrage heißt: TL ? o ~ It) U X ~ ilai tig &V ~lyl ilo~v6tatogh6yog a 6 t i j ~ - „Was ist Seele, und was dürfte wohl ihr ,allgemeinster' Logos sein?" Diese Worte werden 412b 4 wieder aufgenommen: „ei 64 TL ilotvov Eni nOLoylg I / J U X ~ Sbei hiy~tv"- „Wenn man also etwas Allgemeines über jede Seele sagen soll". Was heißt hier ilo~vov?Eine Antwort auf diese Frage lindet sich in demselben Kapitcl I, 5 der Schrift „Uber dieTeile der Tiere", aus dem wir schon den großen Abschnitt über die Betrachtung der organischen Natur und die Definition des fieyavov entnommen haben. Es handelt sich um den von mir übcrsprungenen Textabschnitt, dcr diese beiden Stücke miteinander verbindet: „Es ist aber nötig, zuerst zu unterscheiden, das, was jeder einzelnen Gattung [überhaupt] zukommt
(ich verstehe darunter Alles, was sämtlichen Lebewesen an sich zugrundeliegt), danach aber zu versuchen, die Gründe davon zu unterscheiden. Es ist aber schon vorher gesagt worden, daß Vieles als Gemeinsames [xotvol] vielen der Lebewesen zukommt, das Eine einfach, wie zum Beispiel Füße, Flügel, Schuppen und auf dieselbe Weise auch AHekte, anderes aber in Form der Analogie. Unter Analogie verstehe ich Folgendes: Dem Einen kommt eiiic Lunge zu, dem Anderen eine Lunge zwar nicht, was aber für die, die sie haben, die Lunge ist, das ist für jene etwas Anderes an ihrer Stelle. Und die Einen haben Blut, die Anderen aber haben das, was analog dasselbe Vermögen hat, was für die Blut Habenden das Blut hat. Was aber die getrennte Aufweisung des Einzelnen an dem Einzelnen angeht, so haben wir ja früher schon gesagt, daß sich für uns dabei ergeben würde, viele Male dasselbe zu sagen, wcnn wir über alles, was den Lebewesen zukommt, sprechen; denn Vielen kommt dasselbe zu. Dies also sei auf diese Weise abgegrenzt."172 Darauf folgt der Abschnitt über den Begriff des 6~yavov. Was ist mit diesen Sätzen gemeint? Aristoteles begründet in diesem Werk die vergleichende Anatomie. Es stellt sich die Frage, welche Methode man befolgen muß, wenn man eine solche Wissenschaft entwickeln will. Sm ersten Satz dieses Abschnitts stellt Aristoteles fest, daß man bei einer solchen Wissenschaft zuerst von der unübersehbaren Vielzahl der Eigenschaften, die Tiere haben können, diejenigen absondern muß, die allen Lebewesen zukommen. Das griechische Wort für „zukommen" heißt S n o l ~ x ~ tIch v . habe zunächst die konventionelle Übersetzung „zukommen" gewählt; aber es stellt sich heraus, daß auch an dieser Stelle die Ubersetzung „als Ursprung zugrundeliegen" richtiger ist, denn Eigenschaften, die sämtlichen 1 7 2 olvayxaiov 6E m~W-covt&o.upßeflqxi>ta Steheiv x ~ e Exaotov i yivog, 6 m xaH' a5t&mtiotv B ~ & Q X-coig E L i;~$otq,PET& KE taVza actitiu5 a-Vt6v m ~ t ~ t i o O Gtsheiv. at cleq-cat y8v obv x a i m ~ 6 t e ~ 6-c~ o v xohhol xotv& mohhoi~ Bxck~xet-c6v i;@ov, t u pkv &xhOg, oeov 1~66eg,x-cs~" hhsmi6as, x a i xol0q 64 tov aii-cbv ~ ~ O m Z o vO ~ ~ Ot& L S6', olv6~hoyov.hEytr) 8' olvol?~oyov,o t t t o i pEv ~ U J G ~ Q X E xL h ~ 6 p o v ,tot< 6i: m h ~ 6 y o vpEv 05, o 62 t o i ~Exowot xh~.Upova, i x s i v o t ~E-cti~ovbv-ci to6-cou. xcci t o i ~pEv a i y a , toig 66 t o Orvolhoyov tfiv U - V T ~ ~ YFxov 6Uvaptv i j v z s ~a o i ~Evaiyotg t o a % p a .t b 6E hEy~tvXLOQ'L~ x e ~ i bxito-cwv -cWv ila0' Eilao-ca, x a i E p m ~ o o O ~elmopsv v OZL nohhuxt< oupßfpstat -ca8tu hky~tv,~ X E L ~ &hiytn~p~v Y m&v-covTOV% i ~ ~ a ~ ~ i > v~ J-Cc&o@vX. E L 6E xohhoig taiitu. taV-ca pEv 06v taUty 6 t o ~ i o O o . 645b 1-14.
Lebewesen überhaupt, gleichgültig, welcher Gattung sie angehören, zukommen, sind die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß sie überhaupt Lebewesen sein können. Es klingt für uns komisch, wenn wir in den nächsten Sätzen hören, daß Füße oder eine Lunge den Lebewesen „als Ursprung zugrundeliegen" sollen. Aber das ist nur solange komisch, als man den Begriff des o ~ y a v o vnoch nicht verstanden hat. Denn daß die Fähigkeit, sich zu bewegen und zu atmen, die Bedingung der Möglichkeit dafür ist, daß ein Tier Uberhaupt Tier sein kann, gibt einen guten Sinn. Aristoteles nennt an dieser Stelle auch seinen terminus technicus für Eigenschaften dieser Art. Sie sind ou~cß~ßqn6-ca nat)' a 6 ~ -a solches, was zu einem Lebewesen an sich und notwendig mit dazugehört, obwohl es in der Definition dieses Lebewesens nicht enthalten ist. Wenn ich einen Hasen definiere, kommt in der Definition seine Lunge nicht vor; wohl aber kommt in der Definition vor, daß er ein Lebewesen ist und deshalb alle Eigenschaften hat, die zum Lebewesen überhaupt dazugehören. Was aber heißt hier „Eigenschaftenc'? Wir können auf einfache Weise feststellen, daß Hunde, Katzen, Eichhörnchen, Menschen etc. Füße haben. Wir können auf dieselbe Weise feststellen, daß alle Lebewesen gleiche Affekte haben, zum Beispiel Angst. Aber auf diese einfache Weise kommen wir nicht durch. Fische haben keine Füße; und ob die Reaktionen einfacher Lebewesen mit dem Wort „Affektg'richtig bezeichnet werden, kann man bezweifeln, obwohl das griechische Wort z&t)o~ eine weitere Bedeutung hat als das lateinische Fremdwort „Affekt". Eine vergleichende Anatomie, die alle Lebewesen erfassen will, darf deshalb nicht an den äußerlich feststellbaren „Eigenschaften" hängenbleiben, sondern muß in eine tiefere Schicht eindringen. Sie muß, wie Aristoteles schon im ersten Satz sagt, die Ursachen dieser Eigenschaften zu bestimmen versuchen. Die Füße, Flügel, Schuppen etc. sind nicht um ihrer selbst willen da. Sie sind nicht irgendwelche Kuriositäten, die dem Lebewesen von außen her angehaftet wären, sondern sie haben eine Funktion. Bestimmt man diese Funktion, so wird es möglich, nach Analogie Glieder völlig verschiedener Gestalt in dem, worin sie identisch sind, zu erfassen. Man bleibt dann beim anatomischen Vergleich nicht an den äußerlichen, sinnlichen Merkmalen hängen, sondern vermag alles, was sich äußerlich feststellen läßt, von seiner Funktion her zu bestimmen. Es gibt einen gewissen Grundbestand von Funktionen, ohne die Leben überhaupt nicht möglich ist; diese Funktionen müssen in der einen oder
anderen Gestalt an jedem lebendigen Organismus aufweisbar sein. Deshalb wird von der Bestimmung der Funktionen her eine vergleichende Anatomie überhaupt erst möglich. Durch diese methodische Überlegung ist die Bestimmung des Begriffes o ~ y a v o vgenügend vorbereitet. Wir wissen jetzt, welche Fragestellung Aristoteles zur Einführung dieses Begriffes veranlaßt. Der Begriff no~v6vsagt aus, daß diese Funktionen allen Lebewesen gemeinsam sind. Was allen gemeinsam ist, heißt „allgemein". Aber sie passen nicht unter den Oberbegriff nat)6hou, denn die Allgemeinheit des naf36hou hat nur die odoia. Hingegen handelt es sich hier, wie wir gesehen haben, um ouyß~ßrp6-canat)'a8~o1.Rein logisch könnte man sagen, sie hätten die Allgemeinheit n a t a z a v a o ~ , denn der Satz: „Jedes Lebewesen hat ein Organ zur Nahrungsauf~ . auch diese Form der Allgemeinheit nahme" gilt na-col z a v ~ 6Aber trifft hier nicht zu, denn die einzelnen Organe sind ja nur durch ihren Bezug auf das ohov „OrganeN.Was allen Lebewesen gemeinsam sein muß, sind jene Eigenschaften, die jedes einzelne von ihnen dazu befähigen, ein Ganzes zu sein. In diesem Sinn kann auch Seele als ein gemeinsamer Ursprung aller Lebewesen betrachtet werden. Sie gehört zwar zur Definition der o6oia des Lebewesens na06hou, weil sie seine Ganzheit konstituiert, aber zugleich kann von der Gesamtheit aller Lebewesen gesagt werden, daß ihnen allen gemeinsam ist, eine Seele zu haben.
d. (Seele und Körper als Ganzes machen die Lebewesen aus) Den zweiten Teil des Kapitels (412b 10-413a 10) können wir flüchtiger behandeln. Er dient nur der Erläuterung dessen, was wir bereits gewonnen haben: „nat)6hou ist nun aufgewiesen, was die Seele ist. l Sie ist die odoia gemäß dem Logos. Diese aber ist das -ci qv ~ S v afür einen so und so beschaffenen Körper."17Vch habe bei der Übersetzung die griechischen Begriffe unübersetzt gelassen, denn es ist ja jetzt deutlich geworden, daß jede Ubersetzung, die man versuchen könnte, einen falschen Gedanken hereinträgt. Der Ausdruck: „die ouoia, die dem Logos gemäß ist", umschreibt den Begriff des E S ~ O ~ ,
denn es ist das Wesen des Logos, daß er am Seienden nur das ~ ? 6 o < erfassen kann, während die Unbegrenzbarkeit der Ühq sich ihm entzieht. Damit wir aber die o6oia nicht platonisch verstehen, fügt Aristoteles hinzu: „diese aber ist das Ti Sv ESVUL für einen so und so beschaffenen Körper". Für uns ist diese Aussage eine Gegenprobe: Der Begriff ~6 -ci Sv ESYUL steht hier an derselben Stelle, an der in der „Definitionc' der Seele der Begriff E Y T E ~ ~ X E Lsteht. U Damit bestätigt wie ich es durchgeführt habe, aus sich, daß der Begriff &VTE?LEXELU, dem ontologischen Rahmen entwickelt werden muß, den der Begriff TO zi Sv FSYUL entwirft. Hinter o h p a ~(412b i 11) sollte statt des Kommas ein Punkt oder ein Semikolon gesetzt werden, denn alles Folgende dient der Erläuterung dieser beiden ersten, das Resultat zusammenfassenden Zeilen: „Wenn zum Beispiel irgendein Werkzeug ein natürlicher Körper wäre wie etwa das Beil, so wäre, was das Beilsein ausmacht, seine oGoia, und eben dieses wäre seine Seele. Denn wäre diese oGoia von ihm abgetrennt, so wäre es sclion nicht mehr ein Beil (es sei denn der bloßen Bezeichnung nach), jetzt aber ist es ein Beil."174 Das, was das Beilsein ausmacht, ist, wie wir aus der Stelle über den Begriff des Öeyavov gelernt haben, sein Gebrauch. Nur deshalb, weil ein solches Ding für diesen Gebrauch nützlich ist, gibt es überhaupt dieses Ding. Der Gebrauch enthält also in sich das E S ~ des ~ S Beils. E r ist für das Beil, was dic Seele für den Körper ist. Hängt man hingegen ein Beil als Schmuckstück an die Wand und entzieht es seinem Gebrauch, so ist es nur noch dem Namen nach ein Beil. Seine oGoia ist ihm entzogen. Es ist dem Körper eines Toten zu vergleichen. Ich übersetze weiter: „Denn die , eines so und so beschafSeele ist das TL Sv ESYUL und der h o y o ~nicht fenen Körpers, sondern eines so und so beschaffenen natürlichen Körpers, der den Ursprung der Bewegung und Ruhe in sich selbst hat."175 Der Körper, isoliert genommen, also der Leichnam, der Körper als ein bloß materielles Ding von der und der Größe, Gestalt und Beschaffenheit, ist nicht das Seiende, dessen o h i a nach dem
I
Logos und dessen TL qv d v a die ~ Seele wäre. Die Seele ist nur insofern das ~ 1 6 0 5 des Körpers, als der Korper den Ursprung der Bewegung und Ruhe in sich selbst hat, und eben dadurch ist er, wie diese Stelle bestätigt, ein natürlicher Körper. Nach der Denkweise der neuzeitlichen Physik ist es urngekchrt: „natürlichL'sind am Körper jene Eigenschaften, die er im Tode zunächst beibehalt, während das Leben eine Qualität ist, die man vor der Thcorie von Eigen physikalisch nicht zu erklären vermochte. Beim Studium des Aristoteles darf man nie aus dem Auge verlieren, daß cpljot~im Gegensatz zum neuzeitlichen Begriff der Natur irn strengen und primären Sinn bezeichnet, was sich aus sich selbst bewegt. Ich fahre mit der Ubersetzung fort: „Man muß das Dargelegte auch an den Teilen betrachten. Ware das Auge ein Lebewesen, so wäre seine Seele die Sehkraft. Dcnn diese ist die dem Logos gemäße 06oia des Auges. Das Auge aber ist die Ühq der Sehkraft. Verschwindet diese, so ist es schon nicht mehr Auge, es sei denn dem bloßen Namen nach wie ein aus Stein gebildetes oder gemachtes Auge. Nun muß man das, was am Teil aufgewiesen ist, am ganzen lebenden Körper erfassen; denn wie sich der Teil (die Sehkraft) zum Teil (dem Auge) verhält, so verhält sich das gesamte Wahrnehmungsvermögen zum gesamten wahrnehmenden Körper, insofern er ein solcher ist." 176 Um diesen Gedankengang voll zu verstehen, muß man darauf achten, wie sorgfältig Aristoteles hier Schritt für Schritt am Leitfaden des Begriffes o ~ y a v o vden Gedanken entwickelt. Er nimmt seinen Ausgang beim Werkzeug im gewöhnlichen Sinne des Wortes, um daran zu erläutern, daß sein ~S6ognicht die Figur seiner materiellen Gestalt sondern der Gebrauch ist, dem es dient. Damit ist jenes tertlum comparationis herausgelloben, das dem übertragenen Gebrauch des Begriffes 6 ~ y a v o vzugrundeliegt. Aristoteles kann nun übergehen zu den Organen als den Teilen des Körpers. Als Beispiel dient das Auge. Das ESSO<des Auges ist die Sehkraft. Die äußere Gestalt des Auges 17"&O@~~ 62~ xai Eni t o v pceGv SEC -cb h ~ x f l i vt. i y u ~ 6 6cpHahyb~ I;()ov, q v x t uv Sv a6zoG fi O I / X S aGtq y & 06oin ~ 6cpHahyo.V n a t b tbv h6yov (U 6' iiryHahyb5 Vhq fiqto~), 4 5 & n o h ~ t z o V o q06nFt' ~ i)<~BuhpO~, nh+v Upwv6p(05,n a O & c U~ hifltvo~ ~ nai U y ~ y ~ a y p i v OFL o ~ O. q hafieiv ~0 Ezi pF~ov5iq' Ohov to.V LGv-coq o h y a + o ~&v&hoyov . yue E X E L W S 50 ~ E Q O S J C Q ~ tSo ~ E Q ~oc vJ ,w ~ ohq aLoHqot~J C Q ~ ~b S 6hov oGpa t o aioflqttx6v, 6 t o toU-cov. 412 b 17-25.
+
kann der Bildhauer oder der Maler nachbilden, aber das, was er nachbildet, ist gerade nicht das ESSO<des Auges. Die Sehkraft kann nicht nachgebildet werden. Durch das Beispiel des Auges haben wir nun schon einen schr viel präziseren Begriff davon gewonnen, was bedeutet, wenn man ihn als EVTE~EXELCIdenkt. der Begriff ~ 1 6 0 5 Nun wird sehr behutsam in einem nächsten Schritt der Ubergang vom Teil zum Ganzen vollzogen. Aristoteles sagt, beim Ganzen sei das Verhältnis von ~S605und Ühq analog wie bei den Teilen des ~ Sganzen Körpers zu entdecken, müssen Ganzen. Um das E ~ S des wir also fragen: Was verhält sich zum Körper wie die Sehkraft zum Auge? Damit die Analogie aber nicht überzogen wird, vollzieht Aristoteles nicht sofort den Schritt zum Begriff dcs Lebens, sondern verharrt zunächst in der Sphäre der sinnlichen Wahrnehmung. Der gesamte Körper ist wahrnehmungsfähig, und die verschiedenen Wahrnehmungen verbinden sich, wie Aristoteles zu Beginn des 111. Buches zeigt, in einer ilotvfi c l l o e q o ~~ in einem gemeinsamen Wahrnehmungsvermögen. Im gemeinsamen Wahrnehmungsvermögen begegnet uns schon die ganze Seele, aber auf ihrer untersten Stufe. Hier ist schon Leben, aber noch unentwickeltes Leben. Freilich koinint es darauf an, daß wir den Begriff ohov o h p a - der Körper als Ganzer - nicht falsch verstehen. Deshalb fährt Aristoteles fort: „Es ist aber nicht der Körper, der die Seele verloren hat, jenes, was die Möglichkeit hat zu leben, sondern der, der die Seele in sich enthält. Der Same aber und die Frucht ist das, was der Möglichkeit nach ein solcher Körper ist." 177 Damit ist noch einmal in Erinnerung gerufen, daß die Entelechie und nicht die Materie den natürlichen Körper zum Körper macht. Nachdem nun das Ganzsein des Körpers und damit die Seele auf ihrer untersten Stufe durchsichtig geworden ist, kann Aristoteles die Analogie weiterführen: „Wie nun das Spalten und das Sehen, so ist auch das Wachsein Entelechie. Der Sehkraft und dem Vermögen des Werkzeugs entspricht die Seele. Der Leib aber ist das der Möglichkeit nach Seiende. Aber wie die Pupille und die Sehkraft zusammen das Auge sind, so ist auch dort die Seele und der Leib zusammen das Lebewesen. " 178 In dem Wort „Lebewesenc'
E ~ o vTO . bi: oxCppa n a i 6 x a p x o TO ~ O I J V U ~ E Ltotov6i opa 412 b 25-27. 178 OS pFv 05v fl t ~ ~ f j o nai. ~ gr) O ~ r x o t ovtw ~ , x a i 11 Cy~qyopotgE Y T E ~ E X E L ~ ,
erreicht der Gedankengang sein Ziel. Die Analogie ist zu Ende geführt, und wir verstehen nun, wie Seele und Körper als ein o15vohov, als ein zusammen bestehendes Ganzes, die o6oia des Lebewesens ausmacht .
e. (Abtrennbarkeit des voi7q von der Seele) Wäre Aristoteles nicht der aporetische Philosoph, der er ist, so hätte das Kapitel hier seinen Abschluß erreicht. Aber nun drängen sich jene Aporien auf, die Aristoteles dem Werk vorangestellt hat. Genauer gesagt: E r beschließt das Kapitel mit einem Hinweis auf die fundamentale Aporie seiner ganzen Lehre von der Seele, die alles, was wir bisher an Erkenntnis gewonnen haben, wieder aus den Angeln zu hcben droht. Auch hier fällt er nicht mit der Tür ins Haus, sondern bereitet uns vorsichtig Schritt für Schritt auf die Erkenntnis des Problems vor. Ich übersetze: „Daß nun die Seele nicht abtrennbar ist vom Körper oder doch einige Teile von ihr, wenn ihre Natur teilbar ist, das ist hinlänglich klar, denn bei einigen Teilen liegt die Entelechie in ihnen selbst. Hingegen steht nichts dem im Wege, daß einige Teile abtrennbar sind, weil sie nicht die Entelechie von irgendeinem Körper sind. Ferner ist unklar, ob die Seele in dem Sinn Entelechie des Körpers ist wie der Matrose für das Schiff. Im Umriß sei nun auf diese Weise abgegrenzt und skizzenhaft der Umriß gezeichnet über die Seele."17" Das Problem, das hier plötzlich eingeführt wird, heißt: Ist die Seele oder sind Teile der Seele vom Körper abtrennbar? Nachdem wir eben gelernt haben, die Seele sei die erste Entelechie eines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat, erscheint es h g 6' 11 o $ t ~ilai 4 G6vay~gt o 5 O~yOLvov,.$I 111~x4.t b 65 o b p a TO Gvvtipt-~ ov. &hh7&oxt-p Oqdlahpbg Y) n6p11 x a i ( 6Qtg, xbxei Y) $uxfi n a i t o o b y a I;Qov. 412b 27-413a 3. 179 O t t ~ F 05v Y 06%Eottv Y) $ ~ x f XWQI.(TL?~ i toC a h p a t o s , T1 p E ~ q~tvhC(Utq5, ~i ~ E Q L O nkrpvxev, T ~ ofix Lw6qhov. bviwv y h .$~ I E V T F ~ ~ X E L CT&W ( pep0v Co~iv a c t b v . 05 pfiv bhh' Fvt6 Y E oC(UOiv n(r)hU~t,616. t o pqfkvog ~ t v a ot h y a ~ o s E v t ~ h e x ~ i a ETL g . GE Lwbqhov ei o v t o ~Evtehix~taTOC o h p a t o g ( Quxfi (fi) & ~ Ezho-c+l~ Q xhoiov. ~ 6 x c ppFv o5v ~ a 6 - Gto~io(So c~~ xai 6noy~y~OlrpC)~ n q i ~l~vxfjg. 413 a 3 -10.
zunachst als völlig unverständlich, wie Aristoteles diese Frage überhaupt stellen kann. Ist die Sehkraft abtrennbar vom Auge'? Ist das Leben abtrennbar vom Körper? Ist das ~S6ogabtrennbar von der uhy? Oder bestand nicht die spezifische Leistung des Aristoteles gerade darin, gezeigt zu haben, daß das ~tGogals Entelechie immanent in der Selbstbewegung und Selbstorganisation des Körpers enthalten ist? Wird nicht, wenn man auch nur diese Frage stellt, die ganze Definition der Seele über den Haufen geworfen? Allen diesen Fragen ist zunächst entgegenzuhalten, daß Aristotcles in der Theologie des XII. Buchs der „Metaphysiku den reinen, göttlichen v o ü ~als eine abgetrennte oVoia dargestellt hat. Er sagt dort: „Daß nun also ist eine ewige und unbewegte und von dem Wahrnehmbaren abgetrennte oaoia, ist auf Grund des Gesagten oftenbar."Iso Hans Joachim Krämer hat sogar mit vollem Recht die Frage nach der Möglichkeit der Existenz einer unbewegten abgetrennten oaoia als „die beherrschende Grundfrage der aristotelischen Metaphysik" bezeichnet lsl. Diese abtrennbare odoia ist voüg. Sie ist zwar nicht die o6oia des Menschen sondern Gottes; aber daß sie v o ü ~ genannt wird, macht - wie immer wir diesen Begriff verstehen mögen - deutlich, daß uns der Einblick in das Wesen der Seele einen Einblick in das Wesen Gottes gibt; denn voüg ist das 1iöchsteVermogen der Seele, und dieses höchstevermögen in uns selbst liefert die Basis für die voüg-Theologie. Wenn Gott zugleich als voGs und als abgetrennte odoia dargestellt wird, so muß sich in der Struktur der Seele selbst die Möglichkeit der Abtrennung des voüg von den übrigen „Teilen der Seele" aufweisen lassen. Man könnte gegen diese Uberlegung einwenden, daß ich die aristotelische Theologie willkürlich herangezogen habe. Man könnte die Definition der Seele als Entelechie des organischen Körpers zum Beweis dafür anführen, daß diese beiden Teile der aristotelischen Philosophie nichts miteinander zu tun haben, und daß Aristoteles seine Lehre von der Seele der Lebewesen einschließlich des Menschen ganz unabhängig von seiner Theologie durchgeführt und zum Abscl-iluß gebracht hat. Man könnte versuchen, sich darüber hinwegzu6% pFv oUv Fo-ctv oGoi(x T L < & i h ~ ox
setzen, daß Aristoteles schon im ersten Satz des Buches und danach an mehreren Stellen, auf die ich hingewiescn habe, auf dieTheologie vordeutet. Aber schon im nächsten Kapitel sagt Aristoteles im Zusammenhang einer Untersuchung über den Zusammenhang der verschiedenen Seelenvermögen Folgendes: „Wie es mit dem voGg und dem theoretischen Vermogen steht, ist noch auf keine Weise deutlich, sondern er scheint eine andere Gattung von Scele zu sein, und diese allein scheint die Abtrennung zuzulassen wie das Ewige vom Vergänglichen." ls2Entsprechend sagt er am Schluß des dritten Kapitels, „über den theoretischen voGg ist eine andere Untersuchung nötig'' 18'3. Der Abschnitt über das Denkvermögen beginnt 111,4 mit dem Satz: „Im Bereich des Teiles der Seele, mit dem die Scele erkennt und Einsicht hat, ob er abtrennbar ist oder nicht abtrennbar nach dem Raum sondern nur nach seinem Logos, muß untersucht werden, was für eine Unterscheidung ihm eigentümlich ist, und wie eigentlich das geistige Schauen [vo~lv]zum Sein kommt." l S 4 In der Durchführung dieser Frage gelangt Aristoteles, wie wir noch sehen werden, zu einer Unterscheidung innerhalb des YOÜS selbst: der Un6 ~ dem v o G ~noiyalterscheidung zwischen dem v o ü ~n a Q y t ~ nund i t o ~- dem erleidenden und dem hervorbringenden ~ 0 6 5 Ich . will diese Unterscheidung hier noch nicht erläutern, sondern Sie zu~ O voüg S nächst nur auf die Stelle verweisen, wo der voGg X O L ~ L L ~ als x w ~ t o t o gbestimmt und damit die Abtrennung in aller Form eingeführt wird: „Und dieser v o ü ~ist abgetrennt, leidensunfähig und unvermischt, da er seiner odoia nach E V E Q ~ E L Uist, denn immer ist von das Hervorbringende imVerhältnis zum höherem Rang [TL~LOZEQOV] l ~ ~immer dieser Seienden und die im Verhältnis zur ~ h y . " Wie lß2n q i f E TOU voU x a i -cfjsOsweq-c~nfjs fwvo1petoq o8ijEv nw < P ~ Y E Q O othh' Y, Fotxe 11iiixfjs yivog i i - c ~ ~ od v a t , x a i -co.Ufo yovov F v f i ~ ~ a Bxcoeit~oOat, at x a t ) o l n s ~ab &iStov -coD rpOa~-coU. 413 b 24-27. l s 3 n q i 62 -co6 O E ~ Q ~ T L X OvoU U FTEQOS hOyo~. 415a 11f: 's4 n e ~ hE i ~ o i poeiou j -co6 - c f j ~~ w x f i g ~ L Y O C TTE KE ( QLU X ~ xai. r p ~ o v ~ i , xw~to-coUOv-co~ELTE p9 ~ ~ i ~ ~ t o r o i jpEy~Ooq&hhu x a ~ & hoyov, ~ X F Z T E O Y ~ i v Fxet ' 6tacpo~&,x a i nWs ZOTE yive-cat -cb v o ~ i v . 429a 70-13. x a i 0 . 6 ~ 0 O5 voOg ~ ( o ~ t o - cxbaqi OLnaOfiil~n a i OLptyfi~,-ctj oGoiq dh F Y ~ Q yct(a. <xei y o l ~~ t y t h - c e ~ -cb o v notoUv t o 6 no1oxovto~x a i fi (xexi ~ fU hj q ~~ . 430 a 17-19,
Satz zu erklären sein mag - Theiler sagt in seiner Anmerkung: „Es gibt kein Stuck der antiken Philosophie, das wie die halbe Seite dieses Kapitels eine solche Masse der Erklärungen hervorgerufen hat" (142), -jedenfalls ist durch diesen Satz erwiesen, daß die Lehre vom v o 6 ~X W Q L O T ~ Snicht nur im XII. Buch der „Metaphysik" sondern auch in „De anima" selbst, und zwar auf dem Höhepunkt der ganzen Untersuchung, auftritt. Wenn Aristoteles am Schluß von I I , 1 das Problem der Abtrennbarkeit der Seele oder eines Teils der Seele einführt, hat er wie immer das Ziel und den Höhepunkt der ganzen Untersuchung, also Kapitel III,4-8 vor Augen. Daraus ergibt sich aber für unsere Interpretation, daß es ein vergeblicher Versuch wäre, schon hier zu verstehen, worum es sich bei dem von Aristoteles gestellten Problem eigentlich handelt. Wir müssen vielmehr nun den Übergang zu jener Untersuchung über den v o V ~vollziehen, von der Aristoteles selbst sagt, sie sei ein ETEQOS h o y o ~ ,also eine Untersuchung, die von der Untersuchung des Zusammenhangs von Seele mit dem Leben des organischen Körpers unterschieden ist. Erst wenn wir uns diesen anderen Logos klargemacht haben, werden wir beurteilen können, ob diese beiden verschiedenen Ansätze der Untersuchung über die Seele sich zu einer Einheit zusammenschließen, oder ob in der Lehre des Aristoteles von der Seele ein Bruch vorliegt, den wir nicht überbrücken können. Da Aristoteles selbst die beiden Untersuchungen so deutlich unterscheidet, ist es kein willkürlicher Sprung, wenn wir jetzt zu dem Abschnitt III,4-8 übergehen. Wir folgen seiner eigenen Anweisung. Der innere Bau der aristotelischen Lehre vom Wahrnehmungsvermögen und vom Vorstellungsvermögen wird sich - das können wir jetzt schon sagen - nur beurteilen lassen, wenn wir die Spannweite zwischen den beiden Pfeilern der Definition der Seele aus I I , 1 und der Lehre vom v o V ~aus III,4-8 ermessen, denn die Lehre vom Wahrnehmungsvermögen und vom Vorstellungsvermögen bildet die Brücke, die diese beiden Pfeiler miteinander verbinden soll.
I. Die Lehre vom v o V ~ 1. (Rückblick auf den bisherigen Gang der Vorlesung) Zu Beginn des letzten Teils dieser Vorlesung, des Teiles über die aristotelische Lehre vom voüg, darf ich an die Etappen des Weges erinnern, den wir bisher zurückgelegt haben. Im ersten, einleitendenTeil (189-223) habe ich in Anknüpfung an die Vorlesung des vergangenen Semesters zuerst zusammenfassend skizziert, welche Stellung die Lehre von der Seele innerhalb der Philosophie des Aristoteles einnimmt. Ich bin dabei ausgegangen von den ersten Sätzen des Werkes, und wir können auf Grund unserer Ergebnisse das dort Gesagte nun etwas genauer fassen. Aristoteles sagt (402a 6), die Erkenntnis ~ , sie sei der Seele trage am meisten bei zur Erkenntnis der r p l j o ~denn gleichsam der Ursprung der Lebewesen. Durch die Interpretation der Definition der Seele sind wir in den Stand gesetzt zu verstehen, was diese Worte bedeuten sollen. Qljo~gist der Inbegriff alles dessen, was sich bewegt. In der Gesamtheit dessen, was sich bewegt, hat den Vorrang das, was sich aus sich selbst bewegt, denn in ihm manifestiert sich die ursprüngliche Form von Bewegung: die Selbstbewegung. Sie ist EVZEA~XELCI& ~ s A f i g- Erste Entelechie. Da die Seele die Erste Entelechie eines natürlichen Körpers ist, der der Möglichkeit nach Leben hat, ist Seele als Ursprung der Selbstbewegung Ursprung von rpljo~güberhaupt. Alles, was sonst in der Natur ist, ist auf diesen Ursprung zurückbezogen, und nur weil es das ist, ist es „natürlich". Beim Ausblick in die Theologie des Aristoteles werden wir sehen, daß dies nicht nur von der organischen Natur gilt, es gilt auch von der anorganischen Natur; denn die Himmelskörper, einschließlich der Erde, sind, wenn der Ausdruck erlaubt ist, die Organe Gottes, der den Kosmos ebenso bewegt und gestaltet, wie die Seele den organischen Körper bewegt und gestaltet. Erst diese Übereinstimmung zwischen dem Makrokosmos und dem Mikrokosmos des organischen Körpers erklärt, warum Aristoteles, wie uns das Stück aus der Einleitung in die Schrift „Über die Teile der Tiere" gezeigt hat,
das Studium der vergleichenden Anatomie als eine Betrachtung des Göttlichen auffassen kann. So naiv, wie ich diesen Entwurf eben dargestellt habe, hat Aristoteles - es ist kaum notig, das hinzuzufügen - ihn nie geschrieben. Er kannte viel zu gut die unermeßlichen Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man einen solchen Entwurf nach den Maßstäben, die er an wissenschaftliche Erkenntnis stellt, begründen und darstellen will. Das, was man spater eine „Weltanschauung" nannte, wollte er nicht geben und hätte er verworfen. Hingegen hat er gerade auch in dem Stück aus der Schrift „Uber die Teile der Tiere" die Unzulänglichkeit unserer Erkenntnis der Astronomie mit der ihm eigenen Unerbittlichkeit gegen sich sclbst festgestellt. Wir würden also ein Unrecht an Aristoteles begehen, wenn wir behaupten würden, der Entwurf, den ich so einfach beschrieben habe, sei die philosophische Lehre des Aristoteles. Aber er ist, wenn ich so sagen darf, die Hypothese, von der er sich bei seiner Forschung leiten ließ; und man muß sich diese Hypothese klargemacht haben, wenn man verstehen will, warum er so fragt und so vorgeht, wie er es tut. Die Teile des Werkes „Uber die Seele", in denen von jenen Seelenvermögen die Rede ist, die der Mensch mit den anderen Lebewesen gemein hat, entwickeln fortschreitend den Gehalt, der in der Definition der Seele angelegt ist. Im Gesamtzusammenhang der aristotelischen Philosophie gehören sie deshalb in den Bereich jener Wissenschaft, die er „PhysikL'nennt. Der Unterschied der aristotelischen „Physik" von der Physik der Neuzeit ist, wie ich hofle, deutlich geworden. Nun enthält aber die Definition der Seele einen Hinweis darauf, daß diese Definition die o6oia der Seele noch gar nicht erfaßt. Ich habe bei der Interpretation diesen Hinweis verschwiegen, aber wenn Sie den inneren Zusammenhang der Grundbegriffe der aristotelischen Ontologie erfaßt haben, hätten Sie ihn selbst entdecken müssen. Aristoteles sagt, Seele sei die Erste Entelechie eines natürlichen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben hat. Seele ist ~ Sals , ein demnach in dieser Definition nur als EYLE~EXELUO I Z E ~ ~nur nicht zum Ziel gelangtes In-sich-Haben des Zieles interpretiert. Nun wissen wir aber, daß diese Grundform von Bewegung in ihrer Struktur nur verstanden werden kann, wenn wir das -ckko<erkennen, dem sie zustrebt. Erst in der vollendeten Entelechie, erst in der reinen k v k ~ y ~ erkennen ~a, wir die sich als Wirklichkeit darstellende reine o6oia. Die Erste Entelechie ist, weil sie Bewegung ist, in die Sphäre
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t~ Solange wir aber ein Seiendes nur in der bloßen G ~ h a y gebunden. seinem Möglich-Sein, also nur von dem Moment der Ühv her auffassen, haben wir seine o6oia noch nicht bestimmt. Zwar haben wir erkannt, inwiefern Seele als Ursprung der Bewegung das ~ S 6 des o~ natürlichen Körpers ist, aber wir haben noch nicht erkannt, was das ~Shogvon Seele selbst ist. Bestimmt ist die o.iioia des natürlichen Körpers; nicht bestimmt ist die o6oia von Seele als solcher. Nach der odoia von Seele aber hatte Aristoteles schon zu Beginn des Werkes gefragt. Deshalb müssen wir feststellen: der Logos, den die gesamte Tradition als „Definitionu der Seele aufgefaßt hat, ist noch gar nicht jener U ~ ~ o p oder g , die gesuchte o6oia des Ursprungs der Lebewesen aufweist. Nun gibt Aristoteles in den einleitenden Sätzen des Werkes einen ganz anderen Hinweis. E r sagt nämlich, die Erkenntnis der Seele trage Großes bei zur Wahrheit insgesamt - ZQOS OrhflB~iavuzaoav (402a 5). Von Wahrheit ist in der sogenannten Definition der Seele nicht die Rede. Sie spricht nur vom Leben. Es drängt sich also die Vermutung auf, daß die vollendete Entelechie der Seele, daß ihre reine Wirklichkeit in der Erkenntnis der Wahrheit insgesamt hervortritt. Sie wäre nicht nur, wie Aristoteles in seiner Ethik gelehrt hat, die höchste Erfüllung des menschlichen Daseins, sondern in ihr würde sich das Ziel offenbaren, dem alle Selbstbewegung in der Natur als nicht zum Ziel gelangtes In-sich-Haben des Zieles, als Erste Entelechie, zustrebt. Wir können das einstweilen nur als eine Hypothese formulieren. In der Einleitung zu dieser Vorlesung habe ich gezeigt, wie unter Voraussetzung dieser Hypothese sämtliche Teile der aristotelischen Philosophie sich zu einer Einheit zusammenschließen. Im zweiten Teil der Einleitung habe ich unter gewissen Gesichtspunkten, auf die ich noch eingehen will, eine Ubersicht über den Aufbau des Werkes gegeben. Wir können das Verhältnis der Bücher I1 und 111 zu dem in den ersten Sätzen des Werkes gegebencn Aufriß der Thematik jetzt genauer bestimmen: Die Abschnitte über die „DefinitionL'der Seele, über das Wahrnehmungsvermögen und das Vorstellungsvermögen (11, 1-I11,3) sind eine Explikation des Satzes, die Seele sei gleichsam der Ursprung der Lebewesen (402a 6); sie behandeln also den Teil der Lehre von der Seele, der in die Physik gehört. Hingegen handelt der Abschnitt über den v o C ~von der Seele, insofern ihre Erkenntnis für die Wahrheit insgesamt Großes beiträgt (402 a 5). Hier wird also
der Übergang von der Physik in die Metaphysik und die Theologie vollzogen. Ich unterstreiche dabei das Wort „UbergangL',denn von der Frage, ob es Aristoteles gelingt, diesen Ubergang ohne Bruch zu vollziehen, hängt ab, wie weit das gesamte Unternehmen seiner Philosophie gelungen ist. Das Schwergewicht habe ich bei diesem ersten Überblick auf das I. Buch gelegt: auf seine Auffassuiig von der Geschichte der Philosophie und den Begriff der „Aporie". Ich erinnere daran an dieser Stelle nur, um darauf hinzuweisen, daß sich schließlich die Berechtigung des methodischen Ansatzes, den Aristoteles im I. Buch entwickelt, aus der Lehre vorn vo6g begründen lassen muß, so wie umnur innerhalb des Horizontes ausgelegt gekehrt die Lehre vorn v 0 6 ~ werden kann, deii das I. Buch durch das Aporienkapitel und durch die kritische Auseinandersetzung mit den Lehren der Vorgänger erschlossen hat. Im Vorblick auf die Lehre vom v o 6 ~ habe ich in einem zweiten Teil der Vorlesung (227-259) Teile des Aporienkapitels mit einer Ausführlichkeit interpretiert, die Sie vermutlich überrascht hat. Es kam darauf an, deutlich zu machen, daß und aus welchen Gründen Aristoteles seine Lehre voii der Seele nicht als Wissenschaft im Sinne der „Analytica Posteriora" sondern als aporetische Suche ( t ; f i ~ q over~~) standen hat. Im Aporienkapitel zeigt sich der aporetische Charakter des aristotelischen Deiikens von seiner methodisch-kritischen, man konnte also auch sagen, von seiner negativen Seite. Nachdem wir nun aber den Sinn der aristotelisclien Definition der Seele verstehcn, können wir das Aporienkapitel von einer anderen Seite her auffassen. Suche nach Erkenntnis ist Selbstbewegung der Seele. Selbstbewegung der Seele ist Leben. Wenn Aristoteles die philosophische Erkenntnis als aporetische I;*qo~g beschreibt, stellt er zugleich dar, wie sich die Seele des nach Erkenntnis strebenden Menschen bewegt. Wir tragen mit dieser Interpretation in Aristoteles nichts Fremdes herein, denn der Zusammenhang zwischcn dem Suchen nach Erkenntnis und der Selbstbewegung der Seele war einer der wesentlichen Gehalte der Philosophie seines Lehrers Platon. Dadurch, daß Aristoteles das Wesen der Seele und damit auch die Selbstbewegung der Seele anders interpretiert hat als Platon, ändert sich nichts daran, daß auch er die Bewegung des suchenden Erkennens als Selbstbewegung der Seele verstehen mußte. Die spätere Tradition hat den aporetischen Grundzug des aristotelischen Denkens ver352
kannt, weil die spätere Metaphysik (Aristoteles) ls6 zum Modell der dogmatischen Schulphilosophie umstilisiert hat. Erst die Forschung der letzten Jahrzehnte hat uns mit wachsender Deutlichkeit, wenn auch noch keineswegs konsequent, die Nähe des Aristoteles zu Platon wieder vor Augen gerückt. Gerade beim Ubergang zum Abschnitt über den voüg ist es wichtig, erneut daran zu erinnern, daß Aristoteles seine ganze Lehre von der Seele als aporetischen Entwurf präsentiert. Der Zusammenhang, der das Aporienkapitel mit dem Abschnitt über das Denkvermögen verbindet, tritt besonders deutlich darin hervor, daß Aristoteles mit der Kette der Aporien über Struktur und Möglichkeit einer Wissenschaft von der Seele einsetzt. Ich rufe diese Aporienkette in Erinnerung, weil es nützlich und wichtig ist, sie Schritt für Schritt mit der Untersuchung über das Denkvermögen zu vergleichen. Das selbe gilt von der anschließenden Aporienkette über die o.iioia, denn die eigentliche Schwierigkeit, Seele als oVoia zu bestimmen, bricht, wie wir schon gesehen haben, bei der Lehre vom vo.V~erst auf. Erst mit der Lehre vom voüg stoßen wir in den Bereich jener Fundamentalprobleme vor, die ich in der Vorlesung des Wintersemesters zu skizzieren versuchte. Erst hier steht die Begründung der gesamten europäischen Metaphysik, sofern sie eine Einheit ist, zur Diskussion. Erst hier stoßen wir auf jene Probleme, die uns heute, im Zeitalter der Krise der Metaphysik, zur Auseinandersetzung mit Aristoteles nötigen. Ich kann diese Auseinandersetzung in dieser Vorlesung nicht durchführen. Aber es lag mir doch daran, Ihnen durch diesen Rückblick auf den bisherigen Gang den großen Zusammenhang wieder in Erinnerung zu rufen, den wir vor Augen haben müssen, wenn wir verstehen wollen, was Aristoteles in dem Abschnitt 1II,4-8 sagt.
2. (Zum Zusammenhang zwischen v o ü ~und Wahrheit) Zur Einleitung in die aristotelische Lehre vom voüg wäre es nötig, Ihnen darzustellen, was das Wort v o ü ~in der älteren Philosophie, vor allem bei Xenophanes, Parmenides, Anaxagoras, Platon und nicht zuletzt bei dem Freund des Aristoteles, bei Xenokrates, bedeuIm Tcxt: „weil ihn die spätcre Metaphysik"
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tet. Ich muß diese Einleitung hier überspringen. Für Xenophanes und Parmenides kann ich Sie auf meinen Aufsatz „Die Epiphanie der Ewigen Gegenwart" verweisen ls7. Dort habe ich zu zeigen versucht, wie Parmenides durch seine Lehre vom VOÜS das Fundament für die gesamte europäische Philosophie, also auch für Aristoteles, gelegt hat. Anaxagoras wird uns im vierten Kapitel begegnen, weil Aristoteles ihn dort zitiert. Ich möchte aber nicht versäumeii, Sie auf den großen Exkurs in Platons „PhaidonC'(96Aff.) zu verweisen, der unter der literarischeil Maske einer geistigen Autobiographie des Sokrates darstellt, wie Platon aus seiner inzwischen gewonnenen Distanz heraus die philosophische Position seines Lehrers beurteilt. Im Rahmen dieses wichtigen Abschnittes Iäßt Platon Sokrates berichten, wie er zuerst von der Lehre des Anaxagoras beeindruckt war, daß der voÜ~der Grund des Universums ist und alles beherrscht, und wie er dann später entdecken mußte, daß Anaxagoras dieses Programm nicht durchzuführen vermochte. Im Laufe der Arbeit, die ich in diesem Jahr auf Aristoteles gewendet habe, ist mir Schritt für Schritt deutlicher geworden, welche Bedeutung dieser Exkurs im „Phaidon" für Aristoteles gehabt haben muß. Man kann den gesamten Ansatz der Philosophie des Aristoteles, einschließlich seiner Lehre vom Logos, auf den Exkurs im „Phaidon" zurückführen. Um es einfach zu sagen: Aristoteles hat sich vorgenommen, unter Verwendung der sokratischen Methode jenes Programm des Anaxagoras so durchzuführen, daß Sokrates nicht mehr hätte enttäuscht sein müssen. Das Festhalten an der dort skizzierten sokratischen Methode sowie das Festhalten am voüg des Anaxagoras erklärt auch seine Abweichung von Platon und von der platonischen Dialektik. Mit diesem Hinweis muß ich es hier bewenden lassen. Vielleicht gibt er Ihnen Anlaß, diese Probleme selbst durchzumeditieren. Für den Zusammenhang der aristotelischen Lehre vom v o ü ~ mit der Lehre seines Freundes Xenokrates verweise ich Sie auf das grundlegende Buch von Krämer über die Geistmetaphysik (s . Anm. 19). Wenn die Lehre vom voÜ~für die Wahrheit überhaupt und im Ganzen Großes beiträgt, so müßte umgekehrt bei der Interpretation der lR7 „Die Epiphanie der Ewigen Gegenwart: Wahrheit, Sein und Erscheinung bei Parmenides", in: Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, Stuttgart: Klett, 1969,36ff.
Lehre vom voÜg davon ausgegangen werden, was Aristoteles über das Wesen der Wahrheit gelehrt hat. Das wäre heute deshalb um so wichtiger, weil Heideggers Lehre von der Wahrheit, wie „Sein und Zeit" bezeugt, wesentlich durch die aristotelische Lehre von der Wahrheit angestoßen ist. Wir besitzen von der aristotelischen Lehre von der Wahrheit als solcher nur ein Fragment, das Kapitel „Metaphysik" IX, 10. Dieses Kapitel ist kein fertig ausgearbeiteter Text sondern ein skizzenhafter Entwurf, der große Interpretationsschwierigkeiten bereitet. Ich verweise Sie dazu auf ein Buch, das auch sonst für das Verständnis der aristotelischen Lehre vom voüg unentbehrlich ist: Klaus Oehler, „Die Lehre vom noetischen und dianoetischen Denken bei Platon und Aristoteles", München: Beck, 1962. Die Schwäche dieses Buches besteht darin, daß Oehler sich bei seiner Interpretation in unhistorischer Weise durch Fragestellungen der modernen Erkenntnistheorie, vor allem der Phänomenologie von Husserl, beeinflussen ließ. Trotzdem leistet das Buch zur Interpretation von „Metaphysik" IX, 10 einen wichtigen Beitrag. Ich glaube, bei der Interpretation dieses Kapitels ein gutes Stück über Oehler hinausgekommen zu sein, kann Ihnen das aber hier nicht vortragen. Eine Darstellung der aristotelischen Lehre von der Wahrheit würde Wochen in Anspruch nehmen. So muß ich mich auch hier darauf beschränken, Sie darauf hinzuweisen, daß eine ausreichende Darstellung der Lehre vom voüs die Lehre von der Wahrheit mit darstellen müßte. Man versteht überhaupt einen Philosophen erst, wenn man verstanden hat, wie er das Wesen der Wahrheit denkt. Da davon in dieser Vorlesung noch nicht die Rede war, bewegen wir uns immer noch im Bereich der Präliminarien zu einem angemessenen Verständnis der aristotelischen Philosophie. Ich kann Ihnen das nicht verschweigen, aber es ist auch nicht so entmutigend, wie es auf Sie zunächst vielleicht wirkt. Wenn man einem Studenten der Mathematik nach zwei Semestern sagen würde, er befinde sich erst in den Präliminarien der Mathematik, so würde er das nicht entmutigend sondern selbstverständlich finden. In einer Vorlesung über Aristoteles wirkt eine solche Bemerkung nur deshalb entmutigend, weil wir, in der Nachwirkung des Historismus, die Vorstellung haben, die Geschichte der Philosophie sei so etwas wie eine Kette, an der die Perlen, die sogenannten „Systemeu der Philosophen, aufgereiht sind. Jede einzelne dieser Perlen sei ein Gebilde für sich, und ein Studium der Philosophie bestehe darin, daß man der
Reihe nach System für System absolviert oder Perle für Perle wie Kleopatra in Essig auflöst. Erfährt man dann, wieviel dazugehört, um nur ein einziges dieser Systeme zu verstehen, so muß einen in der Tat Verzweiflung überkommen. Aber diese Verzweiflung beruht auf dem perspektivischen Trug des Historismus. In jeder großen Philosophie kommt die Gesamtheit der Probleme der Philosophie zur Sprache. Alle großen Philosophen haben von ihrem Standort aus das Ganze durchdacht. Hat man einen einzigen großen Philosophen in seiner Tiefe verstanden, so hat man das Wichtigste von allen anderen Philosophen schon mitverstanden. Das gründliche Studium einer einzigen Philosophie ist deshalb die beste Einführung in die Philosophie überhaupt. Sobald man das einmal begriffen hat, befindet man sich in einer ähnlichen Situation wie jener Student der Mathematik im zweiten Semester. Man findet es nicht mehr verwunderlich, daß man nach zwei dreistündigen Vorlesungen sich immer noch im Bereich der Präliminarien bewegt.
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3. ( N o ü ~n ~ c x x ~ und ~x6 voüg ~ OEWQ~TLX~S) Nun wollen wir aber alle Präliminarien beiseiteschieben und uns dem Text wieder zuwenden. Wir setzen bei dem Beginn von III,4 ein, um zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen, wovon die Rede ist. Danach werde ich versuchen müssen, Ihnen in wenigen großen Zügen die Grundlinien der aristotelischen Lehre vom voüg ZU entr Teil der Seele aber, mit dem die Seele erkennt wickeln. „ ~ b e den und Einsicht hat, mag er nicht abtrennbar sein dem Raum nach, aber dem Logos nach, muß untersucht werden, welches unterscheidende Merkmal er hat, und wie eigentlich das geistige Anschauen hervortritt. Wenn nun das geistige Anschauen so wie das Wahrnehmen ist, wäre es entweder irgendein Erleiden unter der Wirkung des geistig angeschauten Gegenstandes oder etwas anderes von dieser Art. Also ~ und muß er leidensunfahig sein, aber fähig, das d h o aufzunehmen, der Möglichkeit nach so beschaffen sein wie das dhoS, aber nicht dieses selbst sein, und es muß ein ähnliches Verhältnis bestehen wie zwischen dem Wahrnehmungsvermögen und dem Wahrgenommenen, so zwischen dem Vermögen der geistigen Anschauung und dem geistig Angeschauten. Also ist es notwendig, da er alles anschaut, daß er unvermischt ist, wie Anaxagoras sagt, damit er herrsche, das
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heißt damit er erkenne (denn wenn das Fremdc von der Seite mit hinein scheint, ist es ein Hindernis und bildet eine Barriere). Daher darf es von ihm überhaupt keine eigene ~~I!XJLSgeben, CS sei denn diese, daß er Vermögen ist. " la8 Aristoteles führt hier den voüg der Kürze halber als einen Seelenteil ein. Er bedient sich damit einer Redeweise, die Platon eingeführt hat, von der aber auch Platon schon gezeigt hat, daß sie nicht buchstäblich aufgefaßt werden darf. Im Aporienkapitel hat Aristoteles die Problematik der buchstäblichen Interpretation schon erörtert. Diese Erörterung greift er im Kapitel III,9 wieder auf. Hätten wir Zeit, den Abschnitt über die sinnliche Wahrnehmung genau zu studieren, so würde sich herausstellen, daß auch in der sinnlichen Wahrnehmung der v o ü ~tätig ist. Man muß sich also von der Vorstellung befreien, als wären die verschiedenen Seelenvermögen wie die Stockwerke eines Hauses übereinander gelagert. Zwar zeigt Aristoteles, daß die Lebewesen sich unter anderem dadurch differenzieren, daß die einen nur wenige, die anderen eine komplexe Verbindung jener Vermögen besitzen, die in ihrer Gesamtheit nur in der Seele des Menschen zutagetreten. Aber das bedeutet nicht, daß man diese Vermögen wie getrennte Bestandteile betrachten dürfte, die äußerlich zusammengesetzt sind. Wir haben nun schon genug von der Ontologie des Aristoteles gelernt, um zu wissen, daß jedes Lebewesen ein ohov ist. Der Begriff „Teil" ist also auch hier nicht als der Teil eines nüv sondern als der Teil eines ohov zu verstehen. In dem an die Kapitel über den voüq anschließendcn Abschnitt über die Bewegung der Seele zeigt Aristoteles, daß die Seele des Menschen durch den v o ü ~ bewegt wird. Wir wisseii aus der Definition der Seele, daß die Bewegung als Erste Entelechie, als Selbstbewegung, zu denken ist, die die Gestalt des Körpers organisiert. Tm voüg crfassen wir also den I I E QSE~ TOG popiov toU tqg + V X ~ S 6 y t v h o ~ TE ~ tr] I ~ V Xx a~ i ~ Q O V E L , X U I Q L O ~ Ox ~a t b pCy~Hog&Aha x a t b hoyov, EL+Exm~to+oUOVTOS ELTE o x ~ r i t i o vtiv' EXEL S t a c p ~ ~ &xva,i xOg ZOTE y i v ~ t a tt O YOELY. ~i Sfi Eo+t t o voeiv W ~ J G E Q+?I aioOirv~oOat,11 x&oxetv t t , &V ~ l 6qx 6 toC voqtoij ?jT L+(>LO G T E ~ t~~ ~ o hriaekg v. & ~ &i a ~?Lvat,~ ~ E X T L X OOE Y TOG ~LSovgn a i & V Y & ~ E L totoCtov &Aha p4 +oijto, xcti i~poicogBXELV, O o n c ~t o aioHrlat?ti)v t& aio8qt&, 05to t o v voijv Z Q O ~L& v o q ~ i r .&v(xy~q& ~ aE, x ~ ni & v t a YOEL, &pty+j ~ t v a t ,WUZEQ rpqaiv ' A v a E a y o ~ a g ,Lvu x~cr-cj,-coGto 6' Eo-civ Lva yvto~ii;21( x a p c p q a t v 6 ~ i ~ v oyv & nmhljtl~ ~ -LO &hhOt~tov~ a &v+L~Q&+TEL). i Gote pqS' aU+oG t-tvat q6oi.v pqCi~pCctv&hh' ?j taljtqv, iitt Gvvu-cog. 429a 10-22.
Ursprung der Einheit, als die sich nicht nur die Seele sondern auch der Körper des Menschen organisiert. In diesem und nur in diesem Sinn darf der VOCS als „Teil" der Seele verstanden werden. Es geht also bei der Bestimmung des voüg uin das Verhältnis der Erkenntnis von Wahrheit zur Selbstbewegung der Seele, das heißt zum Leben. Das tritt alsbald in der gcnauereii Bestimmung der Funktion dieses „TeilesG'der Seele hervor. Der voüg ist der, wie Aristoteles sagt, Teil der Seele, „mit dem die Seele erkennt und Einsicht hat". ist nicht anzusehen, was die Den deutschen Über~etzun~sworten griechischen Worte ytvhox~tTE 4 I$IJX$ nai cpgovei bedeuten. Theiler führt in eine falsche Richtung, wenn er übersetzt: „mit dem die Seele erkennt und denkt" (57). Im zehnten Kapitel erläutert Aristoteles (433a 14ff.) die Unterscheidung von yivhoxrtv und cpgoveiv durch ~ des v o ü ~x g a n ~ i n 6 ~ . die Unterscheidung des voi& O e o e q z ~ n 6und Diese von Aristoteles eingeführte Unterscheidung ist der Grund dafür, daß Kant seiner Kritik der theoretischenvernunft eine Kritik der praktischen Vernunft gegenübergestellt hat. Die aristotelische Lehre vom voüg enthält die Erklärung dafür, daß dann bei Hege1 die Wirklichkeit der absoluten Idee als Synthesis von Theorie und Praxis dargestellt wird. Das ist so wichtig, daß wir uns die Stelle kurz ansehen müssen: „Es unterscheidet sich der praktische v0.U~vom theoretischen voüg durch sein tihog. Alles Streben geschieht um etwas willen. Das, um wessentwillen das Streben ist, das ist der Ursprung des , äußerste ~Fhogaber ist der Ursprung der q & praktischen v o ü ~das 51s." ls9Diese Sätze sind ein besonders eindrucksvolles Beispiel für jene aristotelischen Gedankenkonzentrate, wie sie uns schon mehrfach begegnet sind. Wir brauchen uns aber, um sie zu verstehen, nur dessen zu erinnern, was wir schon erarbeitet haben. ng&E,lsist der aristotelische Begrifl' für ein Vollbringen, das sein Ziel in sich selbst enthält. In ihrer reinen Form ist XQ&E,LS das selbe, was Leben ist: EvZE~FXELU& t r h $ ~Erste , Entelechie, deren Selbstbewegung darin besteht, daß sie dem in ihr immanenten aihog zustrebt. Bei den Lebenicht besitzen, vollzieht sich das wesen, die das Vermögen des v o c ~ voll auszubilden) so, Leben (also das Streben, das immanente ~ i h o g
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l a 9 6tu
433a 14-17.
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daß sie sich der vollen Verwirklichung des ~Fhogzubewegen, ohne ~ Der Keim der Pflanze hat keine Erdaß sie dieses d h o erkennen. kenntnis von jener ausgebildeten Gestalt, der die Pflanze in ihrem Wachstum zustrebt. Der Mensch hingegen kann das „Worum-willen" seines Lebens, also die Einheit, die als organisierendes Prinzip die Gesamtheit seiner psycho-physischen Konstitution trägt, und der er nachstreben muß, um leben zu können, mittelbar oder unmittelbar erkennen. Das, worauf sein gesamtes Leben, um überhaupt Leben sein zu können, immer schon orientiert ist, ist jenes „Äußersteu, von dem Aristoteles hier sagt, daß es der Ursprung von ng&Etg überist. In seihaupt und damit auch der Ursprung des voüg JT;QCII/ITLI/IO~ ner Ethik hat Aristoteles gezeigt, wie sich das Streben nach diesem Einheit stiftenden Ursprung in jeder Art von praktischem Verhalten manifestiert. In seiner „PolitikbLhat er gezeigt, wie dieses Streben nicht nur die Individuen sondern auch die Staaten organisiert. Der voüg ngaxTin6g ist also jene Erkenntnis, die die Seele des Menschen bei ihrem Streben aus der Ersten in die vollendete Entelechie, das heißt bei ihrem Leben, leitet. Diese Erkenntnis ist bei Aristoteles nicht äußerliche Reflexion über das Leben, sondern sie wird als Evt ~ h i x ~gedacht. ta Der voCg n ~ a n z t x o gist die Form, wie im Zentrum des menschlichen Lebens als höchste Möglichkeit nicht das verborgene In-sich-Tragen des ~Ehogsondern das erkennende In-sich-Haben des ~ 6 h o genthalten ist. Im Unterschied zu den übrigen Lebewesen kann der Mensch so leben, wie die Pflanze leben würde, wenn ihr in jeder Phase ihres Wachstums die ausgebildete Gestalt, der sie sich zubewegt, offen vor Augen stünde. In diesem Sinn läßt sich sagen, daß die Lehre vom voüg nganTtn6~darstellt, in welcher Form die in 11, 1definierte Vuxfi im Menschen ihre höchste Gestalt gewinnt. Das bedeutet: die Lehre vom voüg ngan.ctn6g ist die Grundlage für die aristotelische Lehre der cp13otg des Menschen. Das ~Fhog,dem der ~ 0 1 )n sguxtix6~ zustrebt, ist identisch mit dem TELOS,dem menschliches Leben überhaupt, also auch das organische Leben des menschlichen Körpers zustreben muß, um nicht zugrundezugehen. Die ~ , der 433a 16 die Rede ist, ist das Prinzip des des voCg n g a x z ~ n 6von Lebens als solchen. Insofern die Seele des Menschen dieses Vermögen in sich trägt, ist sie in der Erkenntnis dieses Ursprungs zugleich selbst Ursprung der Selbstbewegung menschlichen Lebens. - Als Anmerkung sei hinzugefügt: Auch bei Kant ist die praktische Vernunft das Prinzip der Spontaneität. Aber das cartesische Grund-
prinzip der neueren Philosophie, die Trennung der res cogitans von der res extensa, macht es unmöglich zu denken, daß der sich selbst bestimmende Wille zugleich das organisierende Prinzip des Lebens ist, daß also das organische Leben als solches, wie es iii der Natur sich entfaltet, in der Vernunft des Menschen zum Selbstbewußtsein gelangt. Diesen Gedanken hat, in ganz anderer Form als Aristoteles, Schelling erneuert. In welchem Maße Hege1 von Aristoteles beeinflußt ist, habe ich gezeigt. Erkennt man diese Zusammenhänge, so sieht man, daß die europäische Metaphysik eine Einheit ist. Meine am Rande eingefügte Bemerkung, daß man durch ein gründliches Studium des Aristoteles zugleich lernt, die europäische Philosophie überhaupt und im Ganzen zu verstehen, ist also auch historisch gut begründet - nur darf man das Wort „historisch" nicht im Sinne des Historismus mißverstehen. Der voüg 0 ~ w e q a ~ n 6unterscheidet g sich, wie Aristoteles 433a 15 sagt, vom voüg neanTtn65 durch sein ~Ehog.Was ist das ~Ehosdes vo6g ~ E W Q ~ TWenn L I C wir ~ ~uns ? weiterhin an die ersten Sätze des ganzen Werkes halten, so ergibt sich die Antwort: die Wahrheit überhaupt und im Ganzen. Kraft dieses theoretischen Vermögens vermag der Mensch die Wahrheit des ganzen Kosmos zu erkennen. Kraft dieses Vermögens ist sein Denken universal. Das Denken des Menschen ist kraft dieses Vermögens in jedem Menschen und immer universal, ob er das weiß und anstrebt oder nicht. Das können wir aus dem Studium der Mythen und der Religionen lernen. „Universal" bedeutet also nicht, daß man wie Leibniz das gesamte Wissen seiner Epoche beherrscht und ein Weltsystem im Kopfe trägt. Universal bedeutet vielmehr, daß jeder Mensch allein schon dadurch, daß er Mensch ist, in die Weite des Universums hinausverwiesen ist. Hat er vom Universum kein klares und gesichertes Wissen, so bevölkert er es mit mythischen Vorstellungen, in denen vielleicht mehr Wahrheit enthalten ist, als der bornierte Menschenverstand des 20. Jahrhunderts sich einbildet. Aber das Ziel, dem dieses in jedem Menschen eingelegte Vermögen zustreben muß, ist die reine und durch nichts getrübte Betrachtung der Wahrheit des Universums, so wie es wirklich ist. Dieses Ziel greift weit über das Ziel des voüg neuna~nog,die Vollendung des natürlichen Lebens, hinaus. Deshalb sagt Aristoteles, daß diese beiden Formen des voüg sich durch ihr Ziel unterscheiden. Wir haben jetzt verstanden, wie sich die beiden Funktionen, durch die Aristoteles den voüg charakterisiert, voneinander unterscheiden.
Das Wort ylvhonst bezeichnet die Tätigkeit des voüg B ~ w ~ q a ~ i l 6 g , es bezieht sich also auf den voCg als Vermögen der Wahrheit. Das 6 gbe, Wort cpeov~lbezeichnet die Tätigkeit des voüg n ~ a n ~ ~ x es zeichnet also den voCg als Ursprung des Vermögens zur Selbstbewegung und damit des Lebens überhaupt. Nun sind aber diese beiden Worte durch TE . . . nui miteinander aufs engste verbunden. Das besagt, daß wir die aristotelische Lehre vom theoretischen und vom praktischen voüg nicht so verstehen dürfen, als ob es sich um zwei verschiedene Vermögen handelte. Ein und derselbe voüg ist je nach dem Ziel, auf das er gerichtet ist, entweder theoretisch oder praktisch. Der voüg ist eine Einheit; aber inwiefern er eine Einheit ist, läßt sich nur verstehen, wenn man das Verhältnis von Wahrheit und Bewegung, genauer gesagt: von Wahrheit und Selbstbewegung, das heißt von Wahrheit und Leben, durchschaut. Die Auflösung des so gestellten Rätsels gibt Aristoteles erst in seiner Theologie. Aber man versteht, wie wir jetzt sehen, auch die Lehre vom menschlichen voüg erst richtig, wenn man sie mit der Theologie in Zusammenhang bringt. Weil hier die Theologie ins Spiel kommt, wird gleich in den nächsten Zeilen (429a 11-12) das Problem des voGg x w ~ l o ~ 6eingeg führt. Ich lasse es zunächst bei diesem Hinweis bewenden und stelle die Interpretation dieser Zeilen zurück, weil ihre Bedeutung später deutlicher hervortreten wird.
4. (Der voüg des Anaxagoras) Nachdem so in den ersten zweieinhalb Zeilen umrissen ist, in welchen Horizont der vo6g gehört, formuliert Aristoteles die Aufgabe der Untersuchung genauer. Es muß untersucht werden: erstens, was - im Vergleich zu den übrigen Seelenvermögen - die unterscheidende Wesenseigentümlichkeit des voüg ist; zweitens, wie das v o ~ i v eigentlich zustande kommt, genauer gesagt, wie es in der Seele hervortritt (yivsaa~).Die nächsten Sätze werden eingeleitet durch die Worte: Ei 64 Eoai TO v o ~ t v- „wenn also das v o ~ i vist". Daraus ergibt sich, daß Aristoteles sich zunächst der ersten Frage, der Frage nach der unterscheidenden Wesenseigentümlichkeit des v o ~ i v ,das heißt zuwendet. ( ' E ~ That L demnach eine emphatider tvFey~lades v o ü ~ sche Bedeutung; entsprechend muß der Akzent gesetzt werden.) Die Worte bedeuten: „Wenn das vosiv sein Sein hat, wie das sinnliche
kein Zufall, daß Aristoteles den Begriff v o G ~- die Bezeichnung des Seelenteils - schon 429 a 14 durch die Verbalform v o ~ t versetzt, denn es ist der Lebensnerv seiner Philosophie, daß das v o ~ l v ,das reine geistige Schauen, als reine ~ V E Q ~jaE als L ~die , höchste überhaupt als die höchste „Wirklichkeit" schlechtmögliche Form der EYEQYEL~, hin, erkannt werden muß. Die höchste EvEeyelcx kann nicht passiv sein. Um den Schluß vollständig zu machen, muß man also ergänzen: Das ist unmöglich. Mit dem Wort „leidensunfähig" (dxcrOE~)beginnt ein Gedankengang, der das ganze Kapitel ausfüllt und keine andere Aufgabe hat, als zu zeigen, daß und in welchem Sinn der voüq die Eigenschaften besitzt, durch die Anaxagoras ihn charakterisiert hatte: daß er leidensunfähig, unvermischt und deshalb einfach ist. Sie können sich leicht davon überzeugen, wenn Sie eine Stelle aus dem VIII. Buch der „Physik" vergleichen: „Deshalb lehrt auch Anaxagoras richtig, wenn er sagt, der voüg sei leidensunfähig und unvermischt. " 191Über die Leidensunfähigkeit handeln die Zeilen 429a 15-18; über die Unvermischtheit 429a 18-27; alles Folgende dient der Erläuterung. Deshalb faßt Aristoteles zusammen: „Wenn der v o G ~etwas Einfaches ist und Leidensunfähiges und etwas, das nichts mit nichts gemeinsam hat, wie Anaxagoras sagt." 192 Deutlicher könnte Aristoteles nicht klarmachen, daß Anaxagoras ihm zur Grundlage dient. Er stand also vor der Aufgabe zu zeigen, wie die Aporien gelöst werden können, in denen sich Anaxagoras bei dem Versuch, seine Lehre vom voüq ZU entwickeln, auch nach der Meinung des Aristoteles verfangen hatte. Nachdem gesichert ist, daß die Lehre des Anaxagoras den Hintergrund bildet, ist auch klar, wie wir bei der Interpretation weiter vorgehen müssen: Wir müssen uns zunächst ein Bild davon machen, was v o G ~bei Anaxagoras bedeutet, damit uns klar ist, was Aristoteles vor Augen hat, wenn er sich über die Einwände des platonischen Sokrates hinwegsetzt und auf Anaxagoras zurückgreift. Wie bei Xenophanes und bei Parmenides ist v o ü ~auch bei Anaxago-
Wahrnehmen sein Sein hat." Aristoteles verwendet hier den Begriff S ~ a c p o ~zur u Bezeichnung der spezifischen Differenz, durch die sich ein bestimmter „Teil" der Seele von den übrigen „Teilenc'unterscheidet. Später wird sich herausstellen, daß der voGs in der Einheit ~ SSeele und damit von Leben seiner beiden Funktionen das E ~ Sder überhaupt ist. Deswegen kann Aristoteles das Wesen des göttlichen vo.V~als t;wfi bezeichnen. Der Begriff Stacpoeh hängt also sachlich mit dem schon genannten Problem des v o G ~x c o ~ i o z 6zusammen. ~ Wäre das v o ~ i veine Weise des Seins von Seele, wie Wahrnehmen eine Weise des Seins von Seele ist, so wäre die Seinsweise des voGg ein Erleiden. Wir sind schon bei der Besprechung des Wissens der Möglichkeit nach auf die aristotelische Lehre gestoßen, daß das Wahrnehmen nicht bei uns selbst liegt, weil ihm notwendig das Wahrgenommene als Ursprung zugrundeliegt. Die Wahrnehmung wird von dem hervorgebracht, was außerhalb von uns selbst liegt. Das Allgemeine hingegen, auf das sich das Wissen richtet, ist, wie Aristoteles sagt, „auf gewisse Weise in der Seele selbst" l g OIch . habe auch schon darauf hingewiesen, wie diese Lehre vom Wissen mit der platonischen Anamnesis-Lehre zusammenhängt. Wahrend die Wahrnehmung nicht bei dem Wahrnehmenden selbst liegt - 06% 8n' aVt@ (417b 24-25), liegt das v o ~ i vbei dem Erkennenden selbst - 61b vojoat . . . En' a 6 t @ (417b 24). Was nicht bei uns selbst liegt, das erleiden wir. Von dem, was bei uns selbst liegt, können wir das Wort „erleident' nicht gebrauchen. Auf diese Unterscheidung greift Aristoteles zurück, wenn er hier (429a 13f.) sagt: „Hätte das vo~Lveine Seinsverfassung wie die sinnliche Wahrnehmung, so wäre es entweder ein Erleiden unter der Wirkung des im v o ~ l vErfaßten, oder irgendetwas anderes Vergleichbares." Da er schon gesagt hat, daß das Verhältnis so nicht sein kann, ist es korrekt, wenn er aus diesem Satz unmittelbar folgert: „also muß es 6naOEg sein". Die Übersetzung „leidensunfähigL'verfehlt den Sinn. Gemeint ist, daß es nicht passiv sein kann, daß es nicht die Seinsverfassung des Erleidens hat. Es ist 190 Diese Stelle und die folgenden: t m m v 9 n a t ' E v E ~ y ~ t aalaOqotg, v fi 8' Extotfiyq tWv nct0Oho~.aa21ta 8' EY n h g EOTL ~3IIIVX~. 810 voijoat yiv Ex' ct6t@, BxOtav ßoahq-cat, a i o0olveaOat h' 06% Fn' ct6t@. Olvctynaiov y u U~ n o l ~ ~-ch ~ taioHqt6v. v Byoiog 8E ~ o t j a oFXFL nOrv t a i g Ento~fipatgtctig t h v aioOq-cbv, n a i 8t& tfiv ct6tfiv ctiaiav, 6 %T& ~ aio0qaol t h v na0' Exao-ca x a i TWY F E o ~ E ~ . 417b 22-27.
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191 6th ncti 'AvaEayO~ctg6eOhs h i y ~ t thv , voGv otna0fj cpolonwv ncti Orptyij E~YUL. 256 b 24-25. 192 ~i O vo65 hnhotjv bo-ci n a i Orxa0Eg ncti pqeevi pq0Ev EXEL notvOv, O ~ E Q cpqoi.w a v c t E a y o ~ a g . 429b23f.
ras der Namen für jenen Einen Gott, den Pascal den Gott der Philosophen genannt hat 193.Damit Sie eine Vorstellung davon gewinnen, wie das Wesen dieses Gottes dem Anaxagoras erschienen ist, zitiere ich in verkürzter Form das Fragment 12, auf das Aristoteles hier anspielt: „Das übrige hat Anteile an jedem. Der v o G ~aber ist etwas nicht durch Grenze Bestimmtes und Selbstherrliches und ist vermischt mit keinem Dinge, sondern ist allein selbst bei sich selbst. Denn wenn er nicht bei sich selbst wäre, sondern mit irgend etwas Anderem vermischt, so hätte er an allen Dingen teil, vorausgesetzt, er wäre mit etwas vermischt; denn in jedem ist einTeil von jedem enthalten, wie ich im Vorigen gesagt habe. Auch würde ihn das mit Eingemischte hemmen, so daß er nicht in gleicher Weise über jedes Ding herrschen könnte, wie wenn er selbst bei sich selbst ist. Denn er ist das feinste aller Dinge und das reinste, und er hat von Allem alle Kenntnis und besitzt die größte Kraft. Und was immer Seele hat, sowohl das Größere wie das Geringere, über alles herrscht der v o ü ~ . Auch über die gesamte Umdrehung (des Kosmos) hat der v o G ~die Herrschaft angetreten, so daß er dieser Umdrehung den Anstoß gab . . . voüg aber insgesamt ist von gleicher Art sowohl der größere wie der geringere . . ." 194. Der v o ü ~ der , die Umdrehung des Kosmos in Gang gesetzt hat und beherrscht, der von Allem alle Kenntnis hat und die größte Kraft besitzt: das ist Gott, wenn auch der Name „Gott" in den uns erhaltenen Fragmenten nicht genannt wird. Aber das Auffällige und für unsere Vorstellung von Religiosität Anstößige, das spezifisch Griechische an dieser Gotteslehre liegt darin, daß hier von Gott gesprochen wird, lY3 Vgl. Georg Picht, „Der Gott der Philosophen", in: Wahrheit, Vernunft, Vera~itwortung,229ff. pEv ahha nav-co5 poieav ye-cEx~t,voU5 SE Eo-ctv & x s t ~ o vx a i ahaXQUTFS x a i pkpe~xtato"U&vix ~ f i p a t t&hh& , p O v o ~a . U t b ~Ex' Ewu-co5 Eo-ctv. &ipfi y & k ~q ' Ea~xoGqv, &hha -c~wtt y k y e t x ~ o&hhu~t,p&-c&ix~v &Y &n&v-cwv x ~ q p a x w v Ei , EpEy~tx-cOLEOJL. Fv x a v t i y&e xav-cbg koiea Fveottv, 8 o x e Fv ~ -coig J C Q O ~ H E YPOL h E h ~ n t a t x. a i uv FnOhv~vaUtov T& o v y y ~ p ~ t y p E v& a ,o a ~ y q S ~ v 6 5x ~ f i p u t oxea-ceiv ~ Uyoiog 6.1s n a i pOvov EOv-ca Ecp' ECY.UTOU. EOXL y & hsx-cO-ca-cOv ~ TE xO1vttr)v xeqya-cwv n a i xaHaeOta-cov, x a i yvWyqv ye z e e i zav-cog z(xoav l o x ~xt a i i o x 6 ~ pEyto~ov. t n a i 6 o a y&.ipvx~jvf x ~xt a i T& peitw n a i T& bhaoow, xav-cwv vo55 n e a ~ e i x. a i tqg xeetxwefioto~~ f j govyxOLoq5 vo5< Ex~O(-cqo~v, wo%&z ~ e ~ x w e q o atfiv t "xfiv.. . voS< SE zti< Öyotog ko-ct n a i U yeitwv n a i 6 EhOL-ctwv. 59 B 12; VS 2,37f.
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wie ein Physiker von der Natur spricht. So haben schon Xenophanes und Parmenides, so hat auch Aristoteles von Gott gesprochen. Gott ist der höchste Inhalt der reinsten, klarsten und nüchternsten Erkenntnis. Gott macht jene Erkenntnis überhaupt erst möglich, aus der alle andere Wissenschaft hervorgeht; die Wahrheit Gottes ist die Wahrheit aller Erkenntnis. Das ist nicht, wie man immer wieder behauptet hat, ein Zeichen von Irreligiosität, es ist vielmehr ein Zeichen dafür, daß die Griechen, anders als die Modernen, Gottheit und Wahrheit so in eins gesetzt haben, daß Frömmigkeit ihren Sitz nicht in den irrationalen Tiefen des Gefühls sondern in der höchsten Klarheit des Denkens hat, während umgekehrt die Gefühlsreligion der Neuzeit es nahezu für selbstverständlich hält, daß Rationalität gottlos sein müsse. Wer Denken für gottlos hält, kann nur Gottloses denken. Die Gefühlsreligion der Neuzeit trägt das Stigma des Abfalls. Alle Frömmigkeit und aller Glaube muß pervertieren, wenn man der romantischen Irrlehre anhängt, der Geist sei „Widersacher der Seele"195, und wenn man diesen blasphemischen Satz zum Prinzip der Religion macht. Aber wie wird der voüg bei Anaxagoras aufgefaßt? Ich fasse dies in wenigen Sätzen zusammen: Der voüg wird allem Stomichen entgegengesetzt. Wäre er mit irgendetwas vermischt, so heißt es, dann hätte er an allen Dingen Teil. E r ist also von allen Dingen abgesondert. Er ist allein selbst bei sich selbst. E r hat Erkenntnis und Voraussicht. Er ist stets von gleicher Art und nicht meßbar. Hier kehren alle jene Prädikate wieder, die schon Parmenides dem voi3~beigelegt hat. Die Trennung des v o ü ~ von der Materie ist strikt durchgeführt. In den meisten Darstellungen der Philosophie des Anaxagoras können Sie lesen, es sei Anaxagoras noch nicht gelungen, das Geistige vom Materiellen deutlich zu unterscheiden. Als Beweis dafür wird der Satz angeführt: „Er ist das dünnste von allen Dingen und das reinste". Man schließt daraus, Anaxagoras habe den voüg eben doch als ein materielles Substrat vorgestellt. Gegen diese Deutung, die mit Gewalt in Anaxagoras eine Inkonsequenz hineintragen will, hat Guthrie das schlagende Argument angeführt, daß das Wort h&n-c6g Anspielung auf den Titel dcs philosophischen Hauptwerkes von Ludwig Klages, Der Gcist als Widcrsacher der Seele, 3 Bände 1929-1933, jetzt Sämtliche Werkc, hrsg. von Ernst Frauchinger et al., Bd. 1 U. 2, Bonn: Bouvier, 1966R.
- dünn oder fein
schon bei Homer im übertragenen Sinn von Ratschluß gebraucht wird, und daß es, wie ein Blick in das Lexikon lehrt, in griechischen Quellen des 5. Jahrhunderts von der Rede, der Hoffnung, dem Verstand und bei Euripides vom v o ü ~ des Menschen gebraucht wird lY6. Auch das Wort x ~ i j p u- Ding - beweist nicht die Materialität des voGg, denn Platon kann zum Beispiel die Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigkeit x ~ f i p a ~nennen u (Prot. 361 B). Anaxagoras fällt hinter die Reinheit und Höhe, die das griechische Denken bei Parmenides erreicht hat, nicht zurück. Das Neue gegenüber Parmenides ist der Versuch lY7, die reine Erkenntnis des stets allein bei sich selbst verharrenden voüc zum Ursprung aller Bewegung im Kosmos zu machen. Der v o G ~ist als Ursprung der Wahrheit zugleich Ursprung der Bewegung. Deshalb ist seit Anaxagoras das Grundproblem der griechischen Philosophie das Problem des Verhältnisses von Wahrheit und Bewegung. Wir haben schon gesehen, daß auch die drei Bücher „Über die Seele" in ihrem Aufbau durch dieses Grundproblem bestimmt sind. Genau auf dieses Problem konzentriert sich das Interesse des Aristoteles an Anaxagoras. An der schon zitierten Stelle I, 2 sagt Aristoteles: „Anaxagoras scheint zwar etwas Verschiedenes zu nennen 11uxfi und v0.V~. . . E r macht aber von beiden wie von einer einzigen rp6o1g Gebrauch. Nur daß er als 01~x4vor allem anderen den vo.V~ansetzt. Jedenfalls sagt er, er allein von dem Seienden sei einfach und unvermischt und rein. Er teilt aber beides dem selben Ursprung zu: das Erkennen sowohl wie das Bewegen, wenn er sagt, der voG< bewege das All." 198 Die Einheit und Polarität von Erkennen, das heißt von Wahrheit, und von Bewegen entspricht der Einheit und Polarität von voüg und 911x4.Wie Anaxagoras, so trifft auch Aristoteles, wie wir noch deutlicher sehen werden, eine Unterscheidung zwischen Y O ~ S und I ~ W X Gleichzeitig ~ . gilt aber auch von seiner Lehre, was er hier -
ly"illiam Keith Chamhers Guthric, A History of Greek Philosophy, Vol I1 The PresocraticTradition from Parmenides to Democritus, Cambridge: University Press, 1965,276f. und Anm. 1, 277. l Y 7 Zn Anknupfu~zgan Xenophaizes; 21 B 25; VS 1, 135. 198 ' A v a E a y 6 ~ a6' ~ Fotxe yiv &eeov hbyetv QuxSv TE xai voGv, O o n q ~lxoyevxai ze6zeeov, x~fjzcci6' aycpoiv (~ISpt"W"o~t, 17~hfiv <X~xfiv yt zov YOGY z i 0 e ~ a yhhtoza t n h v z ~ v y6vov . yoUv cpqoiv UUTOY TOVO ~ T U &nRoUv ) ~ ezvai xai &ytyq TE nai xa0aeciv. Otnobi6o~ot6' &yrpw ~3a0zn hex?, z6 TE ytvhoxetv xai zb xtv~iv,hEywv vonv xtvfloat TO x6v. 405 a 13-1 9.
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von Anaxagoras sagt, daß er nämlich beide, voGg und 1Jrux.JI, trotz ihrer Untersclieidung als eine einzige rp?jot~betrachtet. Uberhaupt kann man diese Sätze über Anaxagoras Wort für Wort als eine Darstellung der eigenen Philosophie von Aristoteles lesen. Aristoteles hat auf einer viel hbheren und entwickelteren Stufe des griechischen Denkens mit unermeßlichem Scharfsinn sämtliche Aporien, die in dem Weltentwurf des Anaxagoras stecken, analysiert und aufgelöst. Aber am Grundriß des Entwurfes hat er nichts verändert; eben dadurch setzt er sich in Widerspruch zu Platon. Der Satz: „Anaxagoras scheint zwar als etwas Verschiedenes zu bezeichnen Vux"i1nd voüg, er macht aber von beiden wie von einer 4 voüg ansetzt vor einzigen rpljot~Gebrauch, nur daß er als 6 ~ x den allem anderen" bezieht sich auf die Worte in Fragment 12 des Anaxagoras: „Und was immer Seele hat, sowohl das Größere wie das Geringere: über alles herrscht der vocg." (59 B 12,4f.; VS 2,38) Hier setzt auch die Kritik des Aristoteles zwar nicht am Gesamtentwurf des Anaxagoras, aber an seiner Durchführung ein. Er sagt 1I,2: „Anaxagoras aber macht diese Dinge weniger deutlich. Zwar nennt er an vielen Stellen den voüg Grund dessen, was sich schön und riclitig verhält. Anderswo aber sagt er, voGg und 1 ~ ~ seien x 4 dasselbe. Denn er liege allen Lebewesen als Ursprung zugrunde, sowohl den großen wie den kleinen, sowohl denen von hohem wie denen von niedrigem Rang. Nun liegt aber der nach der Einsicht benannte vof~g offenbar nicht allen Lebewesen in gleicher Weise zugrunde, ja nicht einmal dem Menschen insgesamt." lY9 Das bestätigt, was sich für uns schon ergeben hat: Aristoteles kann nicht mehr so unmittelbar, wie Anaxagoras es noch versucht hat, V U Xeinerseits ~ als das Lebensprinzip sämtlicher Lebewesen erkennen, und andererseits mit dem v o 5 ~gleichsetzen. Die gesamte Durchführung seines Weltentwurfs ~ ~01)s ZU begreihängt also davon ab, wie das Verhältnis von V U Xund fen ist. Im Hinblick auf dieses Grundproblem müssen wir den Gedankengang der Kapitel 1II,4-8 zu verstehen suchen. A v a ~ a y o e a <6' q-czov 6taoacgeC zeei tx-VzWv. xohhaxoU ykv y o l ~zb atztov zoG x a h 6 ~xai UQIYWS zOv voUv hiyet, E ~ ~ Q u Sk ) ~ tov L v05v e&vai. -cctCrbv a5 qivx5. Ev CLnaoi yole ,bnhexetv aVzov z o i ~i;ci)ot~.xai y~yOlhotg xai p t x ~ o i xai ~ , ~ t p i o t cxai O t ~ t p o z t ~ 06 o t ~cpaivt~atb' Ö y&xazot cp~6vqoiv heyoyevo~vo13~xuotv iivoiw~Vnol~xtivtoic i;@ot~,Othh' o56i zoi5
11. (Aristoteles' Grundlegung der Metaphysik) 1. (Anteil der menschlichen Erkenntnis am göttlichen voüs) Wie immer aber die aristotelische Lösung dieses Problems aussehen mag, jedenfalls beweist die beherrschende Stellung des AnaxagorasZitats in I11,4, daß hier nicht vom individuellen Denkvermögen des einzelnen Menschen sondern vom göttlichen voüg die Rede ist. Die Frage, was den einzelnen Menschen zum Denken und zur Erkenntnis der Wahrheit befähigen mag, steht also von vornherein unter der Perspektive der Frage, wie menschliche Erkenntnis an der Wahrheit Gottes Anteil haben kann. Wer dies noch bezweifeln wollte, sei auf einen Zusammenhang verwiesen, der für den Gesamtaufbau der aristotelischen Lehre vom voüg von zentraler Bedeutung ist. Aristoteles sagt III,4: „Es ist notwendig, da er alles erkennt, daß er unvermischt ist, wie Anaxagoras sagt, damit er herrsche."200 Die Worte „damit er herrsche" verweisen, wie der Vergleich mit Ailaxagoras' Frag. 12 lehrt, auf einen Gedanken, der hier, wie es scheint, gar nicht hereingehört; sie beziehen sich nicht auf das Denkvermögen des Menschen sondern auf den göttlichen voüs als den Ursprung aller Bewegung im Kosmos. An der von mir schon zitierten Stelle aus „PhysikL'VIII, 5 (256b 24f.) steht derverweis auf Anaxagoras nicht im Zusammenhang einer Erörterung des voüg als Vermögen der Erkenntnis der Wahrheit; vielmehr werden dieselben Prädikate des göttlichen v o ü ~ die , hier seine Erkenntnis der Wahrheit erläutern, dort zur Charakterisierung von Gott als dem unbewegten Beweger verwendet. Daraus ergibt sich für unsere Stelle: - Auch wo vom voüg des Menschen die Rede ist, muß dieser v o ü ~ als göttlicher v o ü ~ verstanden werden. - Der göttliche voüg ist kraft derselben Eigenschaften, kraft derer er die Wahrheit erkennt, der Beweger des Kosmos. Wir brauchen also „MetaphysikL'XI1 gar nicht heranzuziehen, um die Verbindung zwischen der Lehre vom voGg aus „De anima" und der meta-
physischen Theologie herzustellen; wir stoßen vielmehr auf die metaphysische Theologie schon in „De anima" selbst. Sie sehen nun, weshalb ich trotz der Knappheit der Zeit auf das Verhältnis des Aristoteles zu Anaxagoras etwas ausführlicher eingegangen bin. Was als ein Umweg erschien, erweist sich als ein Abkürzungsweg. Wir wissen nun, wovon die Rede ist, und befinden uns iin wirklichen Zentrum unserer Leitfrage: der Frage nach der Einheit der aristotelischen Philosophie und nach dem inneren Bau der hier vollzogenen Grundlegung der Metaphysik. Der Vergleich mit Anaxagoras hat ergeben, daß die Sätze 429a 15-22 sich nicht primär auf den voüg des Menschen sondern auf den voüg überhaupt, das heißt auf den göttlichen voüg beziehen. Die Untersuchung über den v o ü ~des Menschen beginnt erst 429a 22 mit den Worten: „Der sogenannte v o ü ~der Seele also. . ." - (6 &ea ncxho.up~vo~ - c i j ~Q~xfjg voüg . . . ) . Wir wissen schon, daß Aristoteles im Unterschied zu Anaxagoras zwischen Vuxfi und voüg einen Unterschied macht. Deswegen bezeichnet er das in der Seele des Menschen liegende Vermögen, die Wahrheit des voüg aufzufassen, durch die distanzierte Formel „der sogenannte v o ü ~der Seele". E r bringt damit sofort zum Ausdruck, daß das Erkenntnisvermögen der menschlichen Seele etwas anderes ist als der wirkliche voüg. Andererseits verknüpft er den mit diesen Worten beginnenden Satz durch &ea= also mit der vorausgehenden Charakterisierung des wirklichen v0.U~.Jenes Vermögen im Menschen, das wir als voüs bezeichnen, muß so beschaffen sein, daß es den wirklichen voüg auffassen kann. Seine Charakterisierung muß sich also aus dem wirklichen voü~ ableiten lassen. Wenn ich einführend sagte, daß das ganze Kapitel der Erlauterung der Sätze über den wirklichen v o ü ~dient, wollte ich auf diesen Zusammenhang hinweisen. Wie ist der v o ü ~des Menschen beschaffen? „Der sogenannte voüs der Seele also (ich nenne aber v o ü ~ womit , die Secle denkt und vermutet) ist der Wirklichkeit nach nichts von dem Seienden, bevor er es geistig anschaut. Deswegen gibt es auch keinen guten Sinn zu sagen, er sei mit dem Körper vermischt. Denn dann würde er sich also so oder so qualifiziert erweisen, entweder kalt oder warm, und es gäbe für ihn ein Organ wie für das Wahrnehmungsvermögen. Nun hat er aber keines. Und im Recht sind die, die sagen, die Seele sei die Region der ~ l b qnur , freilich nicht die ganze sondern die noetische, und sie ist nicht der vollendeten Entelechie
nach sondern der Möglichkeit nach die ~ t 6 q".201 Diese Sätze enthalten schon alle wesentlichen Bestimmungen des menschlichen voüg. Wir wollen versuchen, sie uns Schritt für Schritt klarzumachen. Ich werde dabei Einiges behaupten, was ich im Einzelnen nur begründen könnte, wenn wir die Zeit hätten, die Kapitel über den vo55 ebenso sorgfältig Satz für Satz zu interpretieren wie das Kapitel 11, 1. Dazu fehlt uns die Zeit. Ich habe bei der Erklärung von 11, 1 zu demonstrieren versucht, wie man methodisch vorgehen muß, wenn man Aristoteles interpretieren will. Jetzt kommt es nur darauf an, Ihnen, unter Verzicht auf eine detaillierte Begründung, in großen Zügen die aristotelische Lehre vom voüg darzustellen. Deswegen kann ich mich darauf beschränken, das Wichtigste thesenartig hervorzuholen. a. ( A i d v o ~ und a ljnddqqig) Aristoteles definiert den voGg als das Vermögen, mit dem die Seele denkt und vermutet. Den wirklichen voüg darf man nicht wieTheiler durch das Wort „Denkenc' übersetzen, denn Denken besteht in der Verbindung von Begriffen. Es ist, wie Kant sagt, diskursiv. Hingegen ist „Denkenc' eine angemessene Übersetzung für das Wort, das Aristoteles hier gebraucht: G~cxvoeioOa~. Das dianoetische und das noetische Denken sind bei Aristoteles klar unterschieden. Ich werde auf diesen Unterschied noch zu sprechen kommen. Hier möge zur Erläuterung des Unterschieds genügen, daß ich vorgreifend sage: vosiv ist nach Aristoteles immer wahr, 6iavosloOa~kann wahr oder falsch sein. Das andere Wort, das Aristoteles hier einführt, ist durch das deutsche Wort ,,vermuten" nicht zutreffend wiedergegeben. Das griechische Wort heißt 6 n o h a y ß h v ~ ~-vdem zugehörigen Substantiv 6nbhq31g sind wir schon begegnet (136). Um überhaupt etwas erkennen zu können, müssen wir immer gewisse grundlegende Annahmen machen, die wir selbst nicht mehr zu beweisen vermögen. Diese 201 6 &@ax a h o 6 p e v o ~ - c q +vxijg ~ voGg (hiyo SE voCv 6Stavoeitat x a i h o h a p ß h ~ 4t qvxfi) o6BEv Eottv ?ve@yeiq-cOv o v t o v q i v voeZv. 6th 06% p ~ y i x 8 a ~Ghoyov t a 6 t h v T@ o h p x t t . ~ 0 1 6 5 Y&@&Vyiyvo~-co, 'II)VXQOSYj B E Q ~ ~xuv s , O~yavOvT L eiq, O ~ < T ~ ET@ Q aioOqttx@. vüv S' o6BEv Eottv. n a i ~669 oOi LEyov-c~gt 4 v $ u x ? ~eevat -c6nov ci6Ov, z h t v o t t o 5 - c ~6hq &hh' $ voqftnfi, OUTE E v t e h e ~ ~ &hh& i q 6vv&p&tT&e1Sq. 429a 22-29.
Annahmen können wahr oder falsch sein. Aristoteles zeigt bei seinen aporetischen Untersuchungen immer wieder, auf welchem Wege das Denken dazu geführt wird, solche Annahmen, von denen es ausgegangen war, zu modifizieren. Andererseits sind sie nach Aristoteles auch nie schlechthin falsch. Wir sahen ja, welche Bedeutung für ihn die x o ~ v a Evvotcr~ i - die allen Menschen gemeinsamen Grundauffassungen - haben (136ff .). In ihrem Kern sind sie sogar immer wahr sonst wäre überhaupt keine Erkenntnis möglich. Irrtum ist in ihnen nur solange enthalten, als wir sie nicht genügend geprüft und zur Klarheit gebracht haben. Modern formuliert: im Grundbestand des menschlichen Denkens stoßen wir immer auf Evidenzen, an denen nicht gerüttelt werden kann. Aber die Form, wie das geschichtliche Bewußtsein diese Evidenzen interpretiert, ist dem Trug ausgesetzt. Beides, b ~ u v o ~sowohl a wie 6 n o h q 1 1 ~setzt ~ die Möglichkeit einer noetischen Erkenntnis voraus. Das ist der Grund, weshalb Aristoteles diese beiden Worte zur Charakterisierung des menschlichen v o 5 ~ einführen kann, obwohl der göttliche vo13~,von dem in den beiden Sätzen vorher die Rede war, weil er wirklich anschaut, was in und a 6nbhq1pi~nicht kennt. Wahrheit ist, die 6 ~ o l v o ~ h. (Erkennen der Wahrheit) Obwohl sich also das menschliche Denken vom göttlichen Denken deutlich unterscheidet, ist es nicht möglich, wenn nicht der Mensch ein Vermögen in sich trägt, das dem göttlichen voüg, wie wir zunächst vorsichtig sagen wollen, analog ist. Das erlaubt Aristoteles, dem menschlichen voüg die Eigenschaften zuzusprechen, durch die Anaxagoras den göttlichen voüg charakterisiert hat. Denn wenn das v 0 6 ~genannte Vermögen im Menschen dem göttlichen voVg nicht korrespondieren würde, so könnte es dessen Wahrheit nicht erfassen. Es ist, wie Aristoteles sagt, mit dem Körper nicht vermischt. Als Begründung gibt er an, daß die Erkenntnis sonst denselben qualitativen Veränderungen ausgesetzt wäre wie der materielle Körper (die zur Erläuterung stenographisch beigefügten Worte „kalt und warm" verweisen auf die Elementenlehre). Eine wahre Erkenntnis besteht nicht aus physikalischen Elementen und erleidet nicht die Veränderungen, denen der Körper ausgesetzt ist. Die Wahrheit der Aussage 2 X 2 = 4 wird durch die Beschaffenheit des Gehirns, das diese Wahrheit, wie wir uns einbilden, erkennt, nicht tangiert. Sie ist bei allen
Menschen identisch, ob der Mensch jung oder alt, gesund oder krank, gut oder schlecht gelaunt ist: immer bleibt die Aussage 2 X 2 = 4 wahr. Daß das Zusammenspiel sämtlicher Funktionen des Körpers conditio sine qua non dafür ist, daß die Seele diese Wahrheit erkennen kann, hat sich aus der Definition der Seele ergeben. Wenn ~ so meint er nicht, daß in unserem aber Aristoteles vom v o 6 spricht, Gehirn organische Prozesse ablaufen, die diese Erkenntnis möglich machen und begleiten. Er meint vielmehr, daß wir das Vermögen haben zu erkennen, daß eine solche Aussage wahr ist. Die Denkprozesse sind an organische Funktionen gebunden, aber das Wissen, daß das, was in diesen Prozessen gedacht wird, wahr ist, Iäßt sich aus der Physiologie des Gehirns nicht ableiten. Noüg heißt bei Aristoteles das Vermögen zu erkennen, was wahr ist. Von diesem Vermögen müssen wir noch heute wie Aristoteles sagen: es gibt dafür kein körperliches Organ. Da ich immer wieder feststelle, wie schwer es den Menschen heute fällt, diese einfache und klare Unterscheidung nachzuvollziehen, zitiere ich zur Erläuterung noch eine Stelle aus 5 17 der „Monadologie'' von Leibniz, an der von demselben Sachverhalt die Rede ist: „Stellen wir uns einmal vor, es gäbe eine Maschine, deren Struktur das Denken, Fühlen und Perzeption-Haben hervorbringt. Man könnte sie nun unter Wahrung derselben Proportionen sich derart vergrößert vorstellen, daß man in sie eintreten könne wie in eine Mühle. Dies vorausgesetzt, wird man bei einer Besichtigung in ihrem Inneren nichts sehen als Stücke, die sich wechselseitig stoßen, niemals aber etwas, was eine Perzeption zu erklären vermag." 2 m Die Denkmaschine, die Leibniz hier zur Illustration erfindet, ist ein Abbild des menschlichen Gehirns. Die moderne Gehirnphysiologie kann genau bestimmen, welche Zellen welche Funktionen haben. Sie beschreibt uns das Gehirn ganz ähnlich, wie Leibniz seine Denkmaschine beschreibt. Aber daß das, was diese Maschine an Wahrnehmungen und Gedanken produziert, mit der Wahrheit, die erkannt werden soll, übereinstimmt: das kann die Gehirnphysiologie nicht Et feignaiit, qu'il y ait une Machinc, dont la structure fasse pcnser, sentir, avoir perception, on pourra la concevoir aggrandie en conscrvant les mCmes proportions, en sorte qu'on y puisse eiitrcr comme dans un moulin. Et cela pos6, on ne trouvera en la visitailt au dedans que des pieces qui poussent les unes les autres, et jamais de quoy expliquer une perception. VI, 609. 202
erklären. Sie kann, um mit Leibniz zu sprechen, nur die Stücke beschreiben, die sich wechselseitig stoßen. Was zur Erkenntnis der Wahrheit erforderlich ist, das kann man nicht durch die Analyse der Maschine sondern nur durch die Analyse der Wahrheiten selbst erkennen. Alles, was wahr ist, ist auf eine Einheit bezogen. Deshalb fährt Leibniz fort: „Folglich steckt das, was es zu suchen gilt, in der einfachen Substanz und nicht in dem Zusammengesetzten oder in der M a ~ c h i n e . ' Diese ' ~ ~ ~ einfache Substanz, die Leibniz gut aristotelisch auch als Entelechie bezeichnen kann, hat ihren Sitz nicht in einer bestimmten Zelle. Das Wort „Substanz" - griecl-iisch ovoiu bezeichnet vielmehr jene Einheit, die dem Zusammenwirken sämtlicher Teile der Denkmaschine als Prinzip dient und deshalb nicht selbst Teil der Maschine sein kann. Aristoteles beschreibt diese Einheit aber nicht wie Leibniz als Substanz sondern als Möglichkeit. Diese Möglichkeit ist der v o G ~in der menschlichen Seele. Vorbereitet ist dieser Gedanke durch die Lehre von der xoiv.i1 utotiqot~,die ebenfalls nicht an ein bestimmtes Sinnesorgan gebunden ist. Die Gehirnphysiologie kann zwar erklären, wie verschiedene Sinneswahrnehmungen zusammenwirken. Aber die Erkenntnis, daß das, was irn Spiel dieser Reaktionen hcrauskoinmt, der Wirklichkeit des Wahrgenommenen entspricht, vermag sie wiedcrum nicht zu erklären. Deswegen ist die xolvfi atoeqolg eine Vorform des voGg. Das zunächst befremdliche Argument, der voüg könnte nicht mit dem Körper vermischt sein, weil er sonst durch die Modifikationen des Körpers beeinflußt würde, hat also einen weit präziseren Sinn, als man zunächst vielleicht denkt. Wäre die Erkenntnis der Aussage 2 X 2 = 4, wie die Materialisten lehren, von der Beschaffenheit des Gehirns abhängig, das diese Aussage denkt, so wäre sie den Modifikationen alles dessen, was materiell ist, unterworfen. Es gäbe dann so viele Variationen der Aussage 2 X 2 = 4, als es Gehirne gibt, die diese Aussage denken, denn zwei identische Gehirne gibt es nicht. Tatsächlich aber ist diese Aussage wahr, weil sie immer mit sich selbst identisch ist, gleichgiiltig, wann und von wein sie gedacht wird. Wahr nennen wir, was wir ohne jede Brechung so erkennen, wie es wirklich ist. Ohne jede Brechung: das Argument mit der qualitativen Veränderung (429a 25) greift zurück auf den Satz über den gottliclien voüg 203 Ainsi c'est dans la substaiice simple ct non dans le compose, ou dans la inachine, qu'il la faut cherchcr; a. a. 0.
des Anaxagoras: „Denn das Fremde, von der Seite herein scheinend, steht im Wege und bildet eine Barriere."204Deswegen darf der göttliche v o V ~mit der Materie nicht vermischt sein. Sie würde die Reinheit seiner Erkenntnis trüben. Wenn wir voraussetzen dürfen, daß der Mensch in der Lagc ist, Wahrheit zu erkennen, muß dasselbe auch vom voVg des Menschen gelten. Zwar wissen wir, daß unsere Sinnesorgane durch ihre Beschaffenheit uns trügen können. Wir wissen, daß uns die AfTekte fortwährend daran hindern, Wahrheit, die wir erkennen könnten, wirklich zu erkennen. Aber wir wissen auch, daß es dem Menschen möglich ist, Wahrheit ungetrübt so zu erkennen, wie sie ist. Das große Beispiel für eine solche Erkenntnis ist seit Platon die Mathematik. Wenn CS auch nur eine einzige Erkenntnis gibt, von der wir wissen können, daß wir in ihr ungetrübt die Wahrheit so crkenncn, wie sie ist, so wäre damit schon bewiesen, daß der Mensch zu einer solchen Erkenntnis das Vermögen hat. Dieses Vermögen ist der voüg.
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trivialeren Vertreter des neuzeitlichen Idealismus, daß es die sogenannte Außenwelt gar nicht gibt, und daß die Dinge nur Vorstellungen sind. E r lehrt vielmehr, daß die reinen Strukturen, die im sinnlichen Kosmos nur verhüllt erscheinen, in jenem Bereich, den Platon „Seele" nennt, sich unverhüllt so zeigen, wie sie von sich aus sind. Dabei ist zwischen der platonischen Weltseele und der Seele des Einzelnen, sofern er die Wahrheit erkennt, jegliche Unterscheidung aufgehoben. Aristoteles macht, wie wir sahen, zwischen 11~x4 und voVg einen Unterschied. Deswegen verbindet er das Lob mit einer Korrektur dieser Lehre. Vollständig heißt der Satz: „Uiid gut lehren also die, die sagen, die Seele sei die Region der Ideen. Nur freilich nicht die ganze, sondern die noetische und nicht in der vollendeten Entelechie, sondern nur der Möglichkeit nach ist sie die (der) Ideen." In diesem Satz werden mehrere sehr wichtige Schritte rasch vollzogen. Wir müssen versuchen, sie uns klarzumachen. h. ( Der aristolelische BegriSf des ~i?jog)
2. („Der voüq ist die Region der Ideen") a. ( Yuxrj und voüg) Aristoteles fährt fort: „Und gut lehren die, die sagen, die Seele sei die Region der Ideen. " (429 a 27f.) Philoponus führt in seinem Kommentar diese Lehre auf Platon zurück, und Konrad Gaiser hat in seinem Werk uber „Platons ungeschriebene Lehre" bewiesen, daß Philoponus recht hat (544ff.). Er hat auch gezeigt, wie diese Lehre bei Platon zu verstehen ist. Ich gehe auf die platonische Lehre hier nicht ein, sondern bemerke nur, was für Aristoteles wichtig ist. T6zog heißt weder „der Ort" noch „der Raum"; es heißt vielmehr „die Gegend", „der Distrikt", „die Region". Die Lehre, die Seele sei die Region der Ideen, bedeutet etwas anderes als das, was die Philosophie der Neuzeit daraus gemacht hat. In der Philosophie der Neuzeit sind die Ideenvorstellungen, die im Bewußtsein ihren Platz haben. In der griechischen Philosophie, bei Platon wie bei Aristoteles, sind die Ideen die wirklichen Strukturen des Seienden selbst. Wenn Platon lehrt, die Seele sei die Region der Ideen, so meint er nicht, wie die 204
429a 20f.,s. Anm. 188.
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Ich übergehe zunächst die hier erneut auftretende und in ihrer Bedeutung durch den Gegensatz zu Platon unterstrichene Unterscheidung zwischen V U X ~und v o ü ~Wir . wenden uns zunächst der Frage zu, was die Ideen bei Aristoteles sind, und welchen Sinn es hat, daß er trotz seiner Abweichung von Platon den voV5 als die Region der Ideen bezeichnen kann. Dieses Problem behandelt Aristoteles in einem späteren Stück dieses Kapitels: „Da etwas anderes ist die Größe als das Sein der Größe und Wasser als das Sein des Wassers (so aber verhält es sich auch bei vielem anderen aber nicht bei allem; bei einigen nämlich ist es dasselbe), so unterscheidet der Geist das Sein des Fleisches und das Fleisch entweder mit einem anderen oder mit einem anders sich verhaltenden Vermögen. Denn das Fleisch ist nicht ohne die Materie sondern wie das Stumpfnäsige Bestimmtes in Bestimmtem. Durch das Wahrnehmungsvermögen nun unterscheidet er das Warme und das Kalte und das, wovon das Fleisch die Proportion ist. Mit einem anderen Vermögen aber, das entweder abgetrennt ist oder sich so verhält wie die geknickte Linie sich zu sich selbst verhält, wenn sie ausgestreckt ist, beurteilt er das Sein des Fleisches. Wenn wir weiterhin zu dem kommen, was im Modus der Abstraktion ist, steht es mit dem Geraden wie mit dem Stumpfnäsigen: es ist nämlich mit dem Kontinuum verbunden. Sein ti 3v d v a t aber, wenn
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etwas Verschiedenes das Sein des Geraden und das Gerade ist, ist ein Anderes. Es sei die Zweiheit. Also unterscheidet [der voüg] durch ein anderes, oder sich auf andere Weise verhaltendes Vermögen. Allgemein gesagt also: Wie die Dinge von der Materie trennbar sind, so verhält es sich auch mit dem, was im voüg einen Bereich hat." 205 Hier gibt Aristoteles eine sehr gedrängte Ubersicht über die Grundlagen seiner Lehre von der Erkenntnis. Zunächst erläutert er durch eine Reihe von Beispielen (Größe, Wasser, Fleisch) die uns schon bekannte Unterscheidung zwischen dem konkreten Seienden und seinem z i qv dval. Er verwendet zunächst in diesen Beispielen die verkürzte Redeweise: es sei etwas anderes: die Größe und das Sein der Größe. Daß ab F E ~ E Q E L~Zvaidasselbe bedeutet wie -cb -ci W E ~ ~ EIYCIL, erfahren die, die es nicht schon wissen, 429b 19, wo der ~ genannt wird. Wir wissen: es ist die Begriff .cb ti qv d v a vollständig Struktur alles dessen, was ist, das, was für es immer schon sein Sein war, in der sinnlichen Erscheinung zu sein. „Das, was für es immer schon sein Sein war": das ist der aristotelische Begriff des ~^i.605. Aristoteles setzt also hier, bei der genaueren Erörterung, für das Wort ~Sfiogseinen eigenen Begriff ein. Wie sich das ~ i b o gzur wirklichen Erscheinung verhält, macht er am Beispiel des Fleisches deutlich. Fleisch ist ein so und so bestimmtes Verhältnis seiner physikalischen Elemente - das wirkliche Fleisch ist das, was wir mit den Sinnen wahrnehmen und als warm oder kalt empfinden. Das, was dieses Fleisch immer schon war, und in der Materie zur Erscheinung bringt, ist die Proportion der Elemente als solche. Diese Porportion ist das ~b?iogdes Fleisches. Das Fleisch aber ist nicht ohne die Materie sondern - ein Lieblingsbeispiel des Aristoteles (s. o. 220) - wie das Stumpfnäsige ein solches in einem solchen oder dieses in diesem. Die Stumpfnase ist diese so und so beschaffene Krümmung in der
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E n ~ 6' i uhho E o ~ ~6 i yEy~0osn a i t o p ~ y E 0 ~ et v a t x, a i Game x a i GSmt ~Evat(OGZOSE x a i Ecp' &Z¿QOY nohhhv, &hh' 013%Eni n&v~(r>v. En' Eviov y&e t a 6 ~ 6 vEoxt), t b o a e n i ~Zvatx a i o o t ~ x aij Khhw 4 iiahho~Exovtt n e i v ~ t 4 . y u o&@ ~ 06% KVEV t f j G ~ h q ~ Olhh' , W o n ~ et b otpOv, t O h ~Ev t Q 8 ~ T@ . ?Ev 06v a i o 0 q ~ t n QTO H E Q ~ O Yn a i TO v,uxebv x ~ i v e t x, a i &Y h O y o ~TLS 4 G&&. &hhq SE, ~ T O XL O Q L ~ T @4 &< 11 nexhao?Evq YIXEL nebc a5~1)v Ötav Exta05, xo o a e x i ~ Z v a neivet. t n & h ~ v8' En1 T ~ EVv ir43at~iostovawv ZO E ~ H V155 TO ~ 1 ~ ?E%& 0 ~O V 'V E X O ~ Sy & ~T '0 6k Zi SV&?LY~L, &i Eottv %EQOY TO F6eEi EZYC~L < X.@~VEL. Öh~5 x a i T?) 8606, Khh0' Eoto y ~ &U&<. @ k'L'¿@v 6 . p R x t ~ o Exo'VTL KQU WS x w ~ t a ~T&&n e k y y a ~ ~a tÜ hj q ~~06x01 , n a i t&n ~ e~i b v0.U~. v 4296 10-22.
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Materie der Nase, entsprechend ist das Fleisch diese so und so beschaffene Proportion in den Elementen, aus denen das Fleisch besteht. Der vocg aber ist das Vermögen, die reine Struktur dessen, was ein Seiendes immer schon war, zu erfassen.
Das Herausheben dieser reinen Struktur nennt Aristoteles dcpai~coig. Die genaue lateinische Ubersetzung davon heißt abstractio. Daraus ist dann im neuzeitlichen Denken die sogenannte Abstraktion geworden. Während aber die Abstraktion eine bloße Vorstellung ist, die mit dem Seienden, von dem das Vorstellungsbild, wie man zu sagen pflegt, „abstrahiertG'worden ist, unmittelbar nichts mehr zu tun hat, erfaßt die aristotelische dcpcxie~otgdie wahre Struktur des Seienden selbst. Sie hebt sie heraus. Es wäre nach Aristoteles ein Irrtum, wenn wir wie Platon annehmen würden, das derart Herausgehobene hätte Bestand in sich selbst. Es hat Bestand nur in der Materie, in der es erscheint, aber in dieser Materie ist es wirklich ein bestimmtes Verhältnis der physikalischen Elemente. Die Zahlen sind nicht bloße Gebilde der Vorstellung; sie sind wirklich in der Natur; aber als reine Zahlen erkennen wir sie nur, wenn der voüg sie heraushebt. Besonwenn Ariders deutlich wird der Sinn der aristotelischen dcpai~eo~g, stoteles darauf hinweist, daß im Bereich dessen, was nur Fv olcpaleiGEL - wir können jetzt sagen: im Modus der Heraushebung - ist, der Prozeß der Heraushebung wiederholt werden kann (429 b 18f.). Die gerade Linie der Geometrie stellt sich nun wiederum wie die Stumpfnäsigkeit dar, denn sie ist wie die Stumpfnäsigkeit mit der Materie, mit dem Kontinuum, verbunden. Das Kontinuum aber ist die reine Materie. Heben wir das ~ifiogder geraden Linie heraus, so gelangen wir, wie Aristoteles platonisierend sagt, zur Zweiheit, denn die gerade Linie ist die Projektion der Zahl 2 in das Kontinuum der Fläche. Fragen wir, wo die gerade Linie der Geometrie und wo die Zahl 2 ist, so heißt die Antwort: das ~Zfiogder geometrischen Linie steckt in der Gestalt der Erstreckung von natürlichen Körpern. Also steckt in dieser Erstreckung auch die Zahl 2. Aber herausgehoben, das heißt im ~g, wir Strecke und Zweiheit nur in Modus der o l c p a i ~ ~ o erkennen jenem Vermögen, das die Heraushebung vollzieht: im voüg. Das konkrete materielle Seiende erfassen wir, wie Aristoteles sagt, durch das Zusammenwirken zweier Vermögen: seine Vhq erfassen wir in der
Wahrnehmung, sein &Sb05erkennen wir kraft des v o ü ~In . der wirklichen Erkenntnis eines Dinges ist immer Beides vereinigt. Es gibt ; aber gibt es voVg ohne atoOqatg, keine aioOqoLg ohne v o ü ~ wohl denn Aristoteles erinnert in der eingeschobenen Klammer, 4291, Ilf., daran, daß es Einiges gibt, das nur als reines ~ f S o gsichtbar wird, wie zum Beispiel Einheit, Unbegrenztheit, das Seiende, insofern es ist, das Gutezo6. Bei der Entwicklung der aristotelischen Ontologie haben wir gesehen, wie Aristoteles bemüht ist, die platonische Unterscheidung zwischen fe sog und Ühq zu überbrücken, ohne den Erkenntnisgehalt dieser platonischen Entdeckung preiszugeben. Wären Wahrnehmung und voüg unüberbrückbar voneinander getrennt, so wäre die platonische Trennung nur aus der Sphäre des Seienden in die Sphäre der Erkenntnis verlagert; sie wäre also in Wahrheit gar nicht überbrückt. Nun habe ich schon mehrfach darauf hingewiesen, daß Aristoteles aus eben diesem Grunde die Struktur der Wahrnehmung und die Struktur des v o V ~in streng durchgeführter Analogie entwickelt. Ich bin sogar so weit gegangen zu sagen, daß in gewisser Weise der v o ü ~ schon in der Wahrnehmung enthalten sei. An unserer Stelle bietet Aristoteles in vorsichtiger Form eine Alternative zur Trennung der beiden Vermögen an, die auch auf die Bedeutung der olcpaie~otgein überraschendes Licht wirft. E r stellt nämlich die Möglichkeit zur Erwägung, daß sich Wahrnehmung zum voüg verhält wie die gebrochene Linie zu sich selbst, wenn sie ausgestreckt ist (429b 17). Was soll das heißen? Die Erklärer sind sich darüber uneins, welches Vermögen mit welcher Gestalt der Linie verglichen werde. Sämtliche antiken Interpreten identifizieren den voüg mit der geraden, die aloOq015 mit der gebrochenen Linie, während ein Teil der modernen Erklärer wie Theiler das Verhältnis umgekehrt verstehen. Das Problem löst sich auf, wenn man sich daran erinnert, daß Aristoteles hier auf ein Lieblingsbild von Platon anspielt. Platon vergleicht an mehreren Stellen die Erkenntnis mit der Form, wie wir einen in Wasser getauchten Stab auffassenzo7.Für die sinnliche Anschauung erscheint der Stab als gebrochen, unsere geistige Anschauung erfaßt, daß er gerade ist. So ist das E ? S ~in S seiner sinnlichen Erscheinung immer gebrochen. Keine Kastanie ist eine vollendete Kastanie. Aber der 206 207
Vgl. dazu die Anmerkung bei Hicks; s. Anm. 22. Politeia 602 C 10 E.
voü~ erfaßt das reine &?bogund vermag dadurch jede einzelne Kastanie als das zu identifizieren, was sie in Wahrheit ist. Aristoteles ist viel zu vorsichtig, um zu behaupten, daß sinnliche Wahrnehmung und v o ü ~tatsächlich nur zwei verschiedene Modifikationen eines und desselben Vermögens wären. Aber die bloße Tatsache, daß er diese Alternative zur Trennung der beiden Vermögen zur Erwägung stellt, zeigt uns, in welcher Richtung er gedacht hat. Jedenfalls ergibt sich aus diesem Bild mit noch größerer Klarheit, daß der voüg durch das Verfahren der „Heraushebung" das Seiende so erfaßt, wie es in Wahrheit ist. d . ( D i e Wissensweise des voüq) Wir sind nun vorbereitet, einen nächsten Schritt zu vollziehen. Aristoteles sagt zu Beginn von Kapitel 4 (429a 15-16), der voüg - und zwar der menschliche voüg - sei ein Vermögen, das ~Sbogaufzuneh, nicht men und der Möglichkeit nach so zu sein wie das ~ t b o g aber dieses selbst. Mit diesen Worten wird umschrieben, was mit den Worten gemeint ist: die Seele sei „die Region der Ideen": durch die reine und unvermischte Möglichkeit, die Ideen so aufzufassen, wie sie sind, bereitet der voüg ihnen ihre Region. Die präzise Bedeutung der Stelle wird verständlich, wenn man bemerkt, daß sie sich wörtlich auf eine Stelle zurückbezieht, an der Aristoteles zum Schluß der Untersuchung über die sinnliche Wahrnehmung zusammenfassend sagt, was sinnliche Wahrnehmung ist: „Allgemein muß man über die Wahrnehmung insgesamt festhalten, daß Wahrnehmung das Vermögen ist, die wahrgenommenen ,Anblicke' [ELSI~]aufzunehmen ohne die Materie. So wie Wachs das Zeichen des Ringes ohne die Bronze und das Gold in sich aufnimmt. Es empfängt das goldene oder das bronzene Zeichen, aber nicht insofern es golden und bronzen ist. Ebenso wird die Wahrnehmung eines jeden Dinges von dem, was Farbe oder Geschmack oder Schall besitzt, affiziert. Aber nicht insofern wir von jedem dieser Dinge sagen, daß sie dieses-da sind, sondern insofern es eine so und so beschaffene Gestalt hat, und wie es im Logos aufgewiesen wird. Das erste Wahrnehmungsvermögen aber ist das, in dem ein so beschaffenes Vermögen liegt. " 208 208
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Ka06hov i3i ?CE@ ? C O ~ < T ~aS i o e f i o ~ oSEC ~ haßciv Özt fi 1 . ~ 2atoeqois ~ kot~ fi~nztnovzOv aiotfqtOv ~ii3iOv& v ~Tv ~ Chqq, S o&ov6 n q ~ toG o ~fian-cv-
Aristoteles zeigt hier, daß schon die sinnliche Wahrnehmung nicht die Dinge, wie sie für sich selbst sind, sondern die Anblicke der Dinge aufnimmt. „Anblickc'ist die wörtliche Ubersetzung von ~ i s o g . Sooft wir einen Gegenstand wahrnehmen, fassen wir ihn zwiefach auf: wir erfassen sinnlich seinen sinnlichen und noetisch seinen noetischen Anblick. Anblick bedeutet dabei nicht die bloße Erscheinung, die vom Ding an sich zu unterscheiden wäre, sondern die wirkliche Gestalt, wie sich das Seiende von sich aus präsentiert. Es ist von sich aus so beschaffen, daß es die beiden Momente der sinnlich auffaßbaren Ühy und des noetisch auffaßbaren ~ebogin sich enthält. Das Auffassen des sinnlichen e?bog hat dieselbe Struktur wie das Auffassen des noetischen &?80<:wir heben das sinnlich erscheinende Bild von dem Gegenstand ab, so wie man bei einem Wachsabdruck das Zeichen von einem Siegelring abhebt. Die Materie, die sich in dieser Gestalt präsentiert, bleibt zurück. Was aufgefaßt und herausgehoben wird, ist nur das sinnliche Bild als solches - die poerpfi. Die sinnliche Wahrnehmung hat also die gleiche Form wie die olrpaie~otg,das Her5 sie ist eine „Abstraktion", ein ausheben des noetischen ~ 8 0 Auch Abheben des Bildes von der Sache selbst. Wie es im Ring-Gleichnis dazu des Wachses bedarf, also eines Mediums, das das Bild auffassen kann, so setzt auch die Wahrnehmung in der Seele ein entsprechendes Medium voraus, das ebensowenig wie der voüg materiell sein kann, weil in ihm, wie im Leben des Organismus überhaupt, die Organe zu einer Einheit zusammenwirken. Genau analog führt Aristoteles den voüg als ein selbst nicht mehr körperliches aber nur durch das Leben des Körpers ermöglichtes Vermögen ein, noetische „Anblickec', also Ideen, aufzufassen. Wenn wir zum Beispiel vom „Leben" eines Organismus sprechen, beziehen wir uns auf einen solchen noetischen Anblick, denn sinnlich können wir von dem Organismus nur auffassen, was auch nach seinemTode übrigbleibt: sein Leben als solches erschließt uns kein Sinnesorgan. Wir können es nur noetisch erfassen. Die reine und ungetrübte Möglichkeit zu einer solchen hiou olvev zoü o t S ( ~ o vn a i t o ü x ~ u o o f OE~e~ctt i t O oqpeiov, LapßOIvet OE TO x ~ v o o ü vij TO xcthnoüv o q y ~ i o vOrhh' , oI3x 6 X Q ~ O O <4x a h x o ~Upoiwg 62 n a i fi aloHqot< ExOIotou UnO ~ o tüx o v a o ~x ~ o p ija ~ u p O v4 ~OcpovnOIa~et,Orhh' oI3x 5 iinaotov Cntivwv hkyetat, &hh' 6-cotovi5i, ncti naaol thv hoyov. aio8qt ( ~ t o v6 t 7 ~ ~ 6 t E ovv611 a o ~ a i i t qKiivctpt~.~ O T piv L 06v talltOv, +O 6' d v a t Fts~ov. 424a 17-25.
Auffassung noetischer Anblicke trägt unsere Seele in sich als ihren vo6g. Wie aber ist nun die Erkenntnis beschaffen, die der voüg gewinnt, wenn er einen noetischen Anblick wirklich in seiner reinen Gestalt erfaßt? Hier stoßen wir auf eine aristotelische Lehre, die erstaunlich und schwer zu begreifen ist. Ich nenne Ihnen zuerst die wichtigsten Stellen: 'H I ( ) U X ~TU ovtu z(og Emt zcivta - „die Seele ist auf gewisse Weise alles Seiende" (431b 21). 'Eni yev yde t03v &YEW Chqg -66 a.U-co Eo-ct -cb vooih nai -cb vooljp~vov- „bei dem, was ohne Materie ist, ist das Selbe das geistig Anschauende und das geistig Angeschaute" (430a 3f.). Tb G'alit6 Eonv q n a t ' Evieyctav Entotfipy T@ n ~ c i y p a t l - „das Selbe ist das Wissen der Wirklichkeit nach mit dem Gegenstand" (430a 19f.; dieser Satz kehrt 431 a 1-2 wörtlich wieder). "Ohog bi: 6 voüg Eo-ctv U xat' E v i ~ y ~ t T& a v neciypaaa - „überhaupt ist der v o ü ~ im Modus der Wirklichkeit die Dinge" (431b 16f.).
e. (Schauen, Sein und Einheit bei Parmenides) Wie sollen wir diese, doch ganz unbegreiflichen, ja unsinnig erscheinenden Sätze verstehen? Weiß nicht jeder Mensch ganz genau, daß die Dinge, die er erkennt, etwas anderes sind als seine Erkenntnis? Ist es nicht einfach absurd zu behaupten, das Erkennen sei mit den Dingen identisch? Bevor wir behaupten, diese Aussage sei absurd, müssen wir prüfen, ob wir sie richtig verstanden haben. Dazu ist wieder ein Umweg nötig, der sich als Abkürzungsweg erweisen wird, denn die Sätze, die ich zusammengestellt habe, sind aristotelische Paraphrasen eines Satzes, der nicht bei Aristoteles sondern bei Parmenides steht: -cb yde a6-cb voeiv Eo-ctv t e nui E ~ Y -~ „denn L das Selbe ist zu schauen und zu sein"209.Das Schauen, von dem hier die Rede ist, ist nicht ein sinnliches sondern ein geistiges Schauen, und es ist nicht das Schauen des Menschen sondern das Schauen des göttlichen v o ü ~Aber . mit diesen Feststellungen ist der Satz noch nicht erklärt. Damit wir ihn etwas besser verstehen210,zitiere ich die ausführlichere Paraphrase desselben Gedankens aus 28 B 8, 35-36; Fv I$ n e r p u ~ ~ ~ ~ y iEotiv, vov VS 1,238: 06 yde UVEU 2.06 E~VTOS, 28 B 3; VS 1, 231. Für eine ausfühvliche Zntevpretalion verweise ich auf meinen Aufsatz „Die Epiphanie dev Ewigen Gegenwart"; s. Anm. 187. 210
s.Ve.Jlo~t~ ~6 YOEW - „Denn nicht ohne das Seiende, in dem es ausgesprochen ist, wirst du finden das Schauen" (238). Der Name „das Seiende" bezeichnet bei Parmenides nicht wie bei Aristoteles das einzelne Seiende sondern die rp6ot~im Ganzen. Der Satz bedeutet also: du wirst die rpljot~im Ganzen nicht finden ohne das Schauen des göttlichen YO'US. Daß man das Schauen nicht ohne das Seiende finden kann, ist evident, denn ein Schauen, das nichts schaut, wäre kein Schauen mehr - es wäre Nichts. Aber nach Parmenides gilt auch der umgekehrte Satz, der für unser modernes Denken sehr viel schwerer zu vollziehen ist, nämlich der Satz: ohne das Schauen ist kein Sein. Der Satz ist uns deshalb so unverständlich, weil unser Denken nicht mehr die Kraft besitzt, sich über die oberflächlichsten Sachverhalte der trivialsten Erfahrung zu erheben. Weil die Bänke, auf denen Sie sitzen, stehen bleiben, ob Sie im Raum sind und sie anschauen oder nicht, deswegen meinen wir, daß auch das Sein der
dem Vorhandensein jedes einzelnen Dinges notwendig mit drin. Daß das alltägliche Bewußtsein nicht bemerkt, daß dcr Satz „dieses Buch ist vorhanden" die Aussage enthält: die Welt ist eine Einheit, das sagt etwas über die Blindheit unseres alltäglichen Bewußtseins, aber es sagt nichts über die Natur der Dinge aus. Der Natur der Dinge nach ist jedes einzelne Ding nur vorhanden, weil die Welt cine Einheit ist. Aber was bedeutet der Satz: Die Welt ist eine Einheit? Was heißt hier „Einheit6'?Was heißt hier „istL'?Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, gingen die Griechen von einer ganz einfachen Erfahrung aus, die uns auch heute noch selbstverständlich ist, aber auf die wir nicht mehr reflektieren. Alles, was ist, muß sich auf irgendeine Weise, sei es direkt, sei es indirekt, manifestieren können. Wenn etwas sich überhaupt nicht manifestiert, oder manifestieren kann, so hat es keinen Sinn mehr zu behaupten, daß es ist. Es ist dann nichts. Auf dieser einfachen Erkenntnis beruht zum Beispiel die gesamte Naturwissenschaft. Die ganze Physik beruht auf dem Axiom: was prinzipiell nicht verifiziert werden kann, das ist auch nicht. Solange wir diesen Raum noch nicht betreten haben, können wir nicht wissen, ob in ihm Bänke sind. Betreten wir ihn aber, so zeigen sich uns die Banke; sie stehen da. Woher wissen wir, daß sie auch dagestanden haben, bevor wir die Türe aufmachten? Wir wisscn es lediglich deshalb, weil wir a priori wissen, daß Dastehen, Sich-Manifestieren, Präsent-Sein das Vorhandensein ausmacht. Sein ist immer Sich-Manifestieren. Und nur weil es immer Sich-Manifestieren ist, kann man sich vom wirklichen Vorhandensein eines Gegenstandes dadurch überzeugen, daß man hingeht und ihn in Augenschein nimmt. Nun haben wir zwei Sachverhalte festgestellt, von denen es zunächst den Anschein hat, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Wir haben festgestellt: - Das Vorhandensein jedes einzelnen Dinges setzt die Einheit der Welt voraus. - Ein Ding kann nur vorhanden sein, wenn es sich manifestiert. Parmenides hat erkannt, daß diese beiden Aussagen zusammenhängen, ja, daß sie eine und dieselbe Aussage sind. Wenn Alles, was überhaupt ist, sich dadurch, daß es ist, manifestiert, so ist das SichManifestieren keine Eigenschaft des einzelnen Dinges sondern, wenn der Ausdruck erlaubt ist, eine universale Eigenschaft des Seins überhaupt. Das Sein universal aufgefaßt ist aber das Sein in seiner
Einheit aufgefaßt. Also ist die Einheit der Welt und das Sich-Manifestieren des Seins ein und dasselbe. Sein ist notwendig und seinem Wesen nach Offenbar-Sein. Ich habe gesagt, es sei uns auch heute noch evident, daß man das Schauen nicht ohne das Seiende finden kann, denn ein Schauen, das nichts schaut, ist nichts. Hingegen sei uns nicht mehr evident, daß ohne das Schauen das Sein nicht ist. Dieser Satz ist uns nur deshalb nicht mehr evident, weil wir beim Schauen nur an das menschliche Schauen denken. Es ist den Dingen in der Tat gleichgültig, ob sie von Menschen angeschaut werden oder nicht. Ihr Vorhandensein wird nicht dadurch berührt, ob sie von Menschen beobachtet werden. Nun haben wir aber festgestellt, daß auch die moderne Naturwissenschaft auf dem Axiom beruht, daß, was prinzipiell nicht beobachtet werden kunn, auch nicht ist. Alles, was wir beobachten können, vorausgesetzt, daß wir hingelangen und die richtigen Instrumente besitzen, das ist auch, bevor wir es beobachten, da, und Da-Sein heißt: es ist von sich aus manifest, es präsentiert sich, es kann verifiziert werden. Deshalb setzt auch die moderne Naturwissenschaft voraus: Sein ist seinem Wesen nach Offenbar-Sein. Was heißt aber Offenbar-Sein? Wenn wir von Offenbar-Sein sprechen, denken wir notwendig den Horizont hinzu, in den hinein das Sein sich offenbart. Die Sphäre, in die hinein das sinnlich Wahrnehmbare sich manifestiert, kann die Physik heute beschreiben. Aber wie blelit es iriit dem Raurri irr1 Gaiizen? Mit der Zeit im Ganzen? Wie steht es mit der Einheit von Raum und Zeit? Auch die moderne Physik setzt die Einheit von Raum und Zeit notwendig voraus. Wenn wir von Raum und Zeit nicht sagen können, daß sie sind, so können wir auch von den Phänomenen innerhalb von Raum und Zeit iiicht sagen, daß sie sind. Wenn die Einheit von Raum und Zeit nicht ist, dann können wir von nichts in der Welt mehr sagen, daß es ist. Aber sinnlich können wir diese Einheit nicht wahrnehmen. Wir erfassen sie in einer geistigen Anschauung. Wenn nun auch von dieser Einheit der Satz gilt: Sein ist seinem Wesen nach Offenbar-Sein, so ist evident, daß man, wie Parmenides sagt, die Einheit des Seins nicht ohne das geistige Schauen, das heißt (nicht) ohne den Horizont finden kann, in den hinein es sich manifestiert. Das geistige Schauen des Menschen kann hier nicht gemeint sein, denn die Einheit der Welt manifestiert sich auch dort, wo Menschen iiicht sind. Es kann nur das geistige Schauen Gottes sein. Wenn wir aber, als ob das selbstverständlich ware, annehmen, daß alles,
was ist, mag es auf der Erde oder auf der Sonne oder auf dem Sirius sein, allein deshalb, weil es ist, auch verifiziert werden kann, so setzen wir voraus, daß der Mensch die Möglichkeit in sich trägt, an dem Anschauen Gottes, für das das Seiende sich manifestiert, zu partizipieren, und überall, wo das eintritt, gebrauchen wir das Wort „Wahrheitc'. Nun können wir den einfachen Gedanken fassen, den Parmenides in dem Satz ausspricht: t o y u a.V-co ~ 2o-c~voelv TE xai E ~ V U L „denn das Selbe ist: zu schauen zugleich und zu sein". Dieser Satz enthält die Antwort auf unsere Frage: Was bedeutet in der Rede von der Einheit der Welt das Wort „EinheitL6?Was ist es, das die Selbigkeit in der Zusammengehörigkeit des sich Offenbarens, des Seins und des Horizontes, in den hinein sich das Sein offenbart, ausmacht? Der Begriff, der Sein und Schauen unlöslich ineinander bindet, ist der Begriff des Sich-Offenbarem, des Sich-Manifestierens, der Präsenz. Das Wesen dieses Sich-Offenbarem nennt Parmenides &hfiOsta- die Unverborgenheit, die Wahrheit. Der Satz bedeutet also: das Selbe, nämlich die Wahrheit, ist: Sein auf der einen Seite, Schauen auf der anderen Seite. Das Wesen der Einheit, die die Welt zusammenhält, ist die Wahrheit, ist die Zusammengehörigkeit von Schauen und Sein. Das nennt die Philosophie seit Parmenides: Identität.
3. (Gott ist reiner v o G ~ )
Wir haben uns durch die Erinnerung an Parmenides die ontologische Basis klargemacht, auf der die aristotelische Lehre beruht, die in den Sätzen ausgesprochen wird: fi Quxq T& 6vta z o g Eo-c~vn'Cav~a- „die Seele ist auf gewisse Weise alles Seiende" (431b 21); ohwg 62 6 voüg EOGLV i) xat' Evk~ys~cxv -cd neuypata - „überhaupt ist der voBg im Modus der Wirklichkeit die Dinge" (431b 16f.). Der in die Augen springende Unterschied zwischen Aristoteles und Parmenides liegt darin, daß Parmenides mit dem Namen t d E6v die Einheit des Seienden im Ganzen bezeichnet, während Aristoteles vom Seienden im Plural spricht. Zwischen Parmenides und Aristoteles steht die platonische Ideenlehre, als deren Resultat wir hier verkurzend die Erkenntnis festhalten können, daß sich die Wahrheit des Seins in jedem einzelnen Seienden so manifestiert, wie sie sich nach Parmenides in der Einheit des Seienden im Ganzen manifestiert. In jedem einzel-
nen Seienden ist sozusagen ein Kern enthalten, dem alle jene Prädikate zukommen, die nach Parmenides dem Seienden im Ganzen zukommen: die Identität mit sich selbst, die Unveränderlichkeit, die eindeutige Bestimmtheit durch sich selbst, die Unerschütterlichkeit in der Umgrenzung durch sein eigenes Wesen, die unveränderliche reine Präsenz, die Identität von Sein, Einheit und Wahrheit. Jedes Seiende ist in sich das Selbe, was das Seiende im Ganzen ist. Das, was das Seiende an sich - das heißt rein als Seiendes aufgefaßt - in seiner Wahrheit ist, nennt Platon „Idee": der „Anblick". Dieses Wort bringt die Einheit von Sein und Sich-Manifestieren, also die Wahrheit des Seins zum Ausdruck. Nur wenn das Seiende rein dadurch, daß es ist, sich manifestiert, kann das Wesen seines Seins als „Idee" bezeichnet werden. Wir haben ausführlich untersucht, wie Aristoteles die platonische Lehre vom etbos, ohne sie preiszugeben, modifiziert, oder, genauer gesagt: interpretiert. Er versucht zu zeigen, wie das Sich-Manifestieren, zu dem das ~ 1 6 0 aus s seinem Wesen heraus genötigt wird, sich in dem Medium der Materie vollzieht. Seine Antwort heißt, wie wir gesehen haben, auf eine Formel gebracht: das EZKOS manifestiert sich in der Materie als die Bewegung, durch die das Seiende das, was es immer schon war, in fortschreitendem Herausbilden der Gestalt ans Licht bringt. Im Mittelpunkt dieser Ontologie stehen, wie wir sahen, die Begriffe: zb -ci fiv elval, Gljvaptg, Y E LF~V T, E ~ E X F LDas, ~ . was ein Seiendes von vornherein und immer schon war, gelangt nach Aristoteles, wie wir gesehen haben, nur in der Materie zum Sein. Wenn wir aber fragen, was ein solches Seiendes eigentlich ist, so fragen wir nach seinem s16og, und wenn wir untersuchen, was es in seiner konkreten sinnlichen Gestalt als ein Ganzes konstituiert, so entdecken wir als den Grund seines Ganzseins dessen ~ , Wesen Aristoteles wiederum das selbst nicht sinnliche E S ~ O genauer als Entelechie bestimmt hat. Der vocs im Menschen ist das Vermögen, diese, das Ganze konstituierende Einheit aus seiner sinnlichen Gestalt herauszuheben und für sich zu erfassen. So zeigt es sich nicht in der Gebrochenheit seiner dem zeitlichen Wandel ausgelieferten sinnlichen Erscheinung sondern ungebrochen. Das Herausheben der reinen ungebrochenen Struktur nennt Aristoteles & c p a i ~ ~ 01s. Wir können nach Aristoteles nicht behaupten, der so herausgehobene reine Anblick habe ein selbständiges Sein in sich; ein Sein hat er nur, sofern er sich in der Materie manifestiert. Aber im Gegensatz zum modernen Begriff der Abstraktion können wir von der ari-
stotelischen ixcpai~~ots sagen, daß sie den Grund des Seins heraushebt. Ohne die reine Struktur „Kastanie6'könnte diese Kastanie hier nicht sein. Ohne die reine Struktur von „Leben" könnte keiner von uns lebendig sein. Der v o 6 im ~ Menschen ist das Vermögen, das, was Leben überhaupt seiner reinen Struktur nach ist, zu erfassen, wie Aristoteles es in der Definition von Quxfi demonstriert hat. Das, was wir dabei erfassen, ist nicht das „Allgemeine" in der unbestimmten Bedeutung dieses Wortes, sondern es ist die selbst nicht sinnliche Einheit, die das Ganzsein des lebendigen Seienden begründet. Deswegen sind die Aussagen, in denen wir eine solche Erkenntnis aussprechen, auf das Seiende, insofern es ein Ganzes ist, hin ausgesagt. Sie sind Aussagen xae6hou. Wo haben nun die Anblicke, in denen das Seiende sich in seinem ungebrochenen Ganzsein manifestiert, ihren Sitz? Wir haben bljvaplv Ento-cryq - das bei der Erörterung der Begriffe fi x a ~ & Wissen der Möglichkeit nach - den Satz aus I I , 5 besprochen: 'H G'En~o~i~pq ~ h 1taO6hou v - t a 6 m 6'2% aB-cfj LOS Fozt T$ Vvxfj - „das Wissen erfaßt jeweils, was das Ganzsein begründet. Dieses aber ist auf gewisse Weise in der Seele selbst" (417b 22 f.). Das bedeutet, wie wir jetzt sagen können: der reine und ungebrochene Anblick dessen, was die Einheit des Seienden begründet, zeigt sich nur in der Region des ~ 0 6 sDas . war, wie wir gesehen haben, eine Paraphrase des Satv 8oztv EV T$ zes aus Platons „Menon": hei fi ixh4Osla qpiv ~ h ov~cov Vuxfj - „immer ist uns die Unverborgenheit [= Unvergessenheit] des Seienden in der Seele" (86B). Wenn also Aristoteles sagt: 'H Qilru~4 -c& 6 m a x o E~o ~ x i d v ~ u- „die Seele ist auf gewisse Weise alles Seiende" -, so behauptet er nicht die Absurdität, unsere menschliche Seele sei die Gesamtheit aller Dinge; er formuliert vielmehr die nüchterne und einfache Erkenntnis, daß sich der reine Anblick alles dessen, was das sinnlich Seiende in den wechselnden Phasen des Entstehen~und Vergehens ist, in unserer Seele, genauer gesagt: im vo.L1~ des Menschen, zeigen kann. Es zeigt sich dann, wenn er die Wahrheit erkennt. Daß es sich aber zeigen kann, hat seinen Grund darin, daß Sein überhaupt nichts anderes ist als Sich-Manifestieren. Die Sätze über den vo6s des Anaxagoras, mit denen Aristoteles III,4 einsetzt, stellen unmißverständlich klar, wie diese Lehre zu verstehen ist. Der v o ü ~ ,für den sich das Seiende rein dadurch, daß es ist, in seiner ungebrochenen Gestalt manifestiert, ist nicht der voüs des Menschen sondern der reine v o 6 ~ Gottes. Gott ist dieser reine voüs, und sonst
ist er nichts. Er ist der wahre ~ 6 x ~0i 6~O v- die Region der Ideen (429a 27-28). Aber der v o 6 ~ im Menschen - genauer: in der Seele des Menschen - ist das Vermögen, mit der Erkenntnis des ~S605in diese Region einzutreten, das heißt zur Identität mit dem göttlichen v o ü ~ZU gelangen. Deswegen sagt Aristoteles: „Und richtig lehren die, die sagen, die Seele sei die Region der Ideen, nur nicht die ganze sondern die noetische, und sie ist nicht in der vollendeten Entelechie, sondern der Möglichkeit nach die Ideen."211 Das erklärt den Satz: "Ohws 62 6 v o ü ~Eot~v6 nat' k v i ~ y ~ l T& a v x e h y p a ~ a- „überhaupt und im Ganzen ist der v o 6 ~im Modus der Wirklichkeit die Dinge" (431b 16f.) - er ist die Dinge, weil in ihm ihr ungebrochenes Sein an den Tag tritt, und weil das Offenbar-Sein das Wesen des Seins überhaupt ausmacht. Die Ontologie des Aristoteles ist nach der berühmten Definition vom Beginn des IV. Buches der „Metaphysik" eine „Wissenschaft, die betrachtet das Seiende als Seiendes und das, was diesem an sich selbst als Ursprung zugrundeliegt" - Ex~otfipqTLS rj ~ E ( O Q ETO~ 6v fi 6v mi T& t 0 4 t q V~OL~xovta na0' a.U~o(1003a 21f.). In dieser Wissenschaft wird gezeigt, daß es zum Wesen des Seienden gehört, nur sein zu können, indem es sich im beweglichen Kontinuum der Materie manifestiert. Nur als Verbindung von Struktur und Materie ist es. Diese Verbindung macht sein Ganzsein aus, in ihr hat es als o4vohov, als ein konkretes Seiendes, Bestand. Wenn wir aber nun fragen, wie es um diese Bestimmung des Seienden selbst bestellt ist, und kraft welchen Vermögens wir erkennen können, daß ein Seiendes als solches ein konkretes ist, so ist alsbald evident: das Seiende als ein solches tritt sinnlich niemals in Erscheinung. Sinnlich in Erscheinung tritt immer nur dieses oder jenes Seiende in dieser oder jener Phase seines Entstehens oder Vergehens. Die Erkenntnis, daß das Seiende als ein solches stets ein konkretes ist, kann nicht durch sinnliche Erfahrung gewonnen werden; sie ist eine rein noetische Erkenntnis, und nur weil sie noetisch ist, erfaßt sie das Seiende als ein ohov. Materielles erfahren wir durch die Sinne, Materie überhaupt erfassen wir in einer noetischen Erkenntnis. Eine Lehre von der allgemeinen Materialität alles dessen, was ist, kann nie auf sinnliche Erfahrung
gegründet werden. Materialismus ist, weil er Allgemeinheit beansprucht, prinzipiell nur als „Idealismus" möglich; die Materie setzt den vo65 voraus, für den sie sich als Materie manifestiert. (Freilich wird sich noch herausstellen, daß der neuzeitliche Idealismus durch ~~~) Aristoteles ebenso widerlegt wird wie der M a t e r i a l i ~ m u s . Wenn Aristoteles von der durch ihn begründeten Wissenschaft der Ontologie sagt, daß sie das Seiende als ein Seiendes betrachtet, so ist die Betrachtung, von der er spricht, jene noetische Erkenntnis, deren Grundlegung der Abschnitt „De anima" 1II,4-8 enthält. Das, was dem Seienden an sich selbst als Ursprung zugrundeliegt, sind jene Ursprünge und Gründe seines Seins, die, wie das Leben, als solche sinnlich nie zum Vorschein kommen, obwohl nichts Sinnliches ohne sie sein kann. Das Kapitel über die Definition der i ~ , u x h n ddie aristotelische Bestimmung des Begriffes o ~ y a v o vhaben klar gemacht, wie das zu denken ist. Aber die Bedingung dafür, daß dieses alles wahr sein kann, ist, wie Aristoteles herausstellt, die Wahrheit und Wirklichkeit des göttlichen vo6s sowie das Vermögen des Menschen, ~ die Region der Wahrheit des göttkraft seines menschlichen v o 8 in einzutreten. Davon, ob die Wahrheit des göttlichen vo85 lichen v o ü ~ erwiesen und die Identifikation des menschlichen mit dem göttlichen v o 6 ~in ihrer Möglichkeit aufgezeigt werden kann, hängt die innere Möglichkeit und Konsistenz der gesamten Philosophie des Aristoteles ab. Dies ist also das letzte Problem, das wir in dieser Vorlesung noch zu klären haben.
4. (Überschritt zur Theologie (De an. 111,5)) Aristoteles skizziert seine Lösung dieses Problems in dem Kapitel III,5 - jenem Kapitel, zu dem Theiler in der Anmerkung sagt: „Es gibt kein Stück der antiken Philosophie, das wie die halbe Seite dieses Kapitels eine solche Masse der Erklärungen hervorgerufen hat. Seine Dunkelheit und übermäßige Kürze sind berüchtigt." (142) Die Kürze ist aber begründet, denn Aristoteles vollzieht hier den, wie wir sahen, schon vom ersten Satz des Werkes an vorbereiteten Uberschritt von der Lehre über die Seele zur Theologie, vom v o ü als ~ dem 212 Dieser Klammersatz ist einc der handschriftlichen Einfügungen im Manuskript. Das Versprechen konntc nicht eingelöst werden.
höchsten Vermögen der Seele zum voüs als dem Horizont der Wahrheit überhaupt und im Ganzen. Für die Lehre von Gott und von der Wahrheit überhaupt bietet die Untersuchung über das Wesen der Seele, für sich allein genommen, noch keine ausreichende Grundlage. Ich habe schon gezeigt, daß alle Teile der aristotelischen Philosophie in der Theologie ihren Höhepunkt finden. Deswegen genügt es im Rahmen dieses Werkes, wenn Aristoteles zeigt, in welcher Form der Ubergang von der Untersuchung über die Seele zur Theologie vollzogen werden kann. Das zeigt er knapp, aber, wenn man den Duktus des ganzen Werkes genau verfolgt hat, unmißverständlich. Ich gebe zunächst die Übersetzung und bemerke dazu im voraus, daß ich mich an den Text von Ross halte: 430a 10 sind 6on.q und TL zu tilgen, die Worte 430a 19 ~b 66 bis a 22 02, vori sind durch ein Versehen hier herein geraten; sie kehren 431a 1-3 wieder. Eine genauere Diskussion der gerade in diesem Stück sehr schwierigen textkritischen Probleme muß ich mir ersparen. „Da aber in der gesamten Physis das eine die Materie ist für jede Gattung (diese ist aber, was alles jenes der Möglichkeit nach ist), etwas Anderes aber das Ursächliche und Hervorbringende dadurch, daß es alles hervorbringt (wie sich die ~ i ~ v q z Bhq u r verhält), so ist es nötig, daß auch in der Seele diese Unterschiede ursprünglich zu Grunde liegen. Und so ist denn der eine voüs ein so beschaffener, dadurch, daß er alles wird, der andere aber dadurch, daß er alles hervorbringt, als eine Art von In-sich-Halten, wie das Licht. Denn auf eine gewisse Weise bringt auch das Licht, was der Möglichkeit nach Farbe ist, als Farbe der Wirklichkeit nach hervor. Und dies ist der abgetrennte, leidensunfähige und unvermischte v o ü ~ der , seinem Wesen nach Energeia ist. Denn immer ist von höherem Rang das Hervorbringende als das Erleidende und der Ursprung als die Materie. Abgetrennt aber ist er allein das, was er ist, und dies allein ist unsterblich und ewig. Wir halten es aber nicht in der Erinnerung fest, weil dieses zwar leidensunfähig ist, der leidende voüg aber vergänglich, und ohne dieses hat nichts eine Einsicht. " 213 'En&i 8' (ibont-Q) S'v &n&ogtfj cpljoet Eoti (TL)ao pkv 6hq kx&otq ~ F V E L (aoGao 62 o d m a 8uvotpt-LExt-iva), ETEQOY i j E TO atatov x a i ~ o t q t t x i )T@ ~, ~ Q O T+ S Whvv ZEZOYHEY,)Olvuyxq x a i FY zfj X O I . F ~ Ynavaa, ( O ~ OfiY Vuxfj 6n&@x&tv raljrag a&g 6tacpoecig. x a i Foatv (1 pkv toto5xog voGg a@ navaa yivt-ooat, 6 8E a@n & v ~ZOLECY, a COg Ettg ttg, oiov t O rpbs. a ~ o n o y&e v atva x a i zb rpbg notci a a Guv&yst ovza x ~ h p a x aEvt-~yt-iqx ~ h p a a a x. a i 213
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Wir gewinnen einen Zugang zum Verständnis dieses schwierigen Textes, wenn wir von einigen ganz einfachen Feststellungen ausgehen. Aristoteles unterscheidet hier zwei Formen des ~ 0 6 s den : voü~ X U O ~ T L X ~und S den voüg XOL~TLXOS. Der v o ü ~J ~ U ~ ~ T L Xwird O S mit der uhq verglichen. Hingegen bezeichnet er den v o c ~J ~ O L ~ T L X O S nicht als rSGos sondern als das Ursächliche und Hervorbringende (430a 12). Was mit dem v o 6 ~n o ~ q ~ t x Ogemeint 5 ist, erfahren wir 430a 17-18: er ist abgetrennt, leidensunfähig und unvermischt. E r wird also durch jene Prädikate bezeichnet, die Aristoteles zur Charakterisierung des v o ü ~wie , wir III,4 (429a 15-19) erfahren haben, von Anaxagoras übernommen hat. Der voüg n o ~ q ~ ~ ist x oder g voüs des Anaxagoras. Er ist der göttliche v o ü ~Deswegen kann Aristoteles hinzufügen, daß er seiner o4oia nach E v i ~ y ~ist t a(430a 18), denn reine E V ~ Q ~ E LZU U sein ist nach der aristotelischen Theologie das We~ ~Gottes, a der v o ü ~ ist, verdeutsen Gottes. Die Form der t v k ~ y des licht Aristoteles durch ein Bild, das aus der Schilderung der Idee des Guten in Platons „Staat" übernommen ist: er wirkt wie das Licht. Ein Vergleich mit dem sinnlichen Licht erklärt, wie dieses Gleichnis zu verstehen ist. Das sinnliche Licht läßt als wirkliche Farben hervortreten, was der Möglichkeit nach Farbe ist. In der Nacht können wir nicht sagen, die Welt sei farbig. Sie ist dann nur der Möglichkeit nach farbig. Aber wenn das Licht der Sonne aufgeht, treten die Farben hervor. Die Welt ist dann in Wirklichkeit farbig. Das Licht des v o ü ~läßt keine sinnlichen Eindrücke hervortreten. Der voüc ist die Region der Ideen. Wo das Licht des göttlichen v o ü ~erstrahlt, treten für die menschliche Seele, die die Empfänglichkeit für solche Anblicke besitzt, die reinen und unvergänglichen Strukturen dessen, was das Seiende als solches ist, für ihre geistige Anschauung hervor. Das Gleichnis des Lichtes hilft uns zugleich, eines der störendsten Mißverständnisse, denen dieser Text unterworfen war, zu beseitigen. 06zog O v05g xw~tozOgx a i OlnaOfig x a i Olptyfig, aij o8oiq &v E v E ~ y ~ t Ol~i a. y&e t t p t h z ~ ~ oaOv n o ~ 0 . toU 6 ~ naoxovtog n a i fi & Q Xtqg ~ Bhqg. (TO 8' a G t O Eoatv fi x a t ' FvEeyetav Fntaa9pq T@ ~ ~ O L y p a tfit .K E x a ~ K a ~ v a p t vX Q O Y ~ I n ~ o z E e a&Y T@ Evi, ohwg 8E o88E xeovq, hhh' 0 6 6aE ~ FE, v o ~ 0aE i 6' 08 vot-i.) X ~ Q L O H E ~8'S Eoai povov toGH1 onee Foai, x a i ~ 0 5 x 0povov OtHOLvatov x a i aldtov (05 p v q p o v ~ l j o p ~KE, v 6 %~~0 5 x 0pEv OLnaHEg, O 6E n a H q t ~ x O ~ vo5g rpHae~6g)x a i ilrvt-u ao6aou o6HEv voei. 430a 10-25.
Es erklärt nämlich, was z o ~ ~ heißt. iv no~fiivhat im Griechischen nicht die Bedeutung der deutschen Worte „machen" oder „erschaffen". Es wäre ein Unsinn zu behaupten, daß das Licht der Sonne die Farben „macht". Es läßt hervortreten, was verborgen war. Das ist, wie ich in einer früheren Vorlesung einmal ausführlich gezeigt habe, die Grundbedeutung des griechischen z o ~ ~ in vo ~ ~~heißt: i ~v . „ans Licht bringen", und in diesem Sinne „hervorbringen", was zuvor der Möglichkeit nach schon da war. Das gilt, wie Sie sich erinnern werden, auch von dem griechischen Verständnis der ~Exvq.TExvq entdeckt latente Möglichkeiten und stellt sie in ihrer Wirklichkeit dar. Sie ist kein „Machent' und kein „Erschaffen", sie stellt ins Licht der Wirklichkeit, was verborgene Möglichkeit war. TExvq ist nur ein v . in der reinen Erkenntnis dessen, was in Sonderfall von z o ~ ~ iAuch Wahrheit ist, wird ins Licht gerückt, was verborgen in der Materie enthalten ist: die reine Struktur. Mit diesem noetischen Licht, in dem das Sein des Seienden sich in seiner Wahrheit enthüllt, wird die 2 v E ~ y ~ des ~ agöttlichen voG5 verglichen. Kraft dieses Lichtes ist er poietisch. Damit wir die absolute Selbständigkeit dieses göttlichen v o 6 ~nicht mit dem menschlichen v0.U~vermischen, damit wir sein unvermischtes Wesen nicht trüben, sagt Aristoteles: „Abgetrennt aber ist er allein das, was er in Wahrheit ist." (430a 22-23) Es gibt in der Schrift „Über die Erzeugung der Lebewesen" eine Stelle, an der Aristoteles viel handgreiflicher als hier gesagt hat, wie er sich das Verhältnis vom göttlichen und menschlichen vo.Ug denkt. Dort heißt es: heizeTa1 GE TOY voGv pbvov 015~aO~v EKELOLEVUL nai B~iov~ i v a ty h o v oG0Ev y d a6.co.U ~ T$ ?v&Qy&iq ~ o i v w v~wpa.c~nfi ~i 6vE@y&~a - „es bleibt aber nur die Möglichkeit übrig, daß der voG~durch die offene Türe hineintritt und das L ~ heißt das einzige Göttliche ist. Denn die somatische F Y E Q ~ E [das Leben] hat überhaupt keine Gemeinschaft mit seiner E v k ~ y ~ ~ a . " (736b 27ff.) Diese Sätze könnten, wenn man sie zu buchstäblich auffaßt, auf einen unaristotelischen, ja antiaristotelischen Dualismus in der Seele selbst hinauslaufen. Das Kapitel „De anima" III,5 zeigt, wie Aristoteles diesen Dualismus überbrückt. Die vollendete Entelechie, also das eSGo5 der Seele, ist jenes Vermögen, das Aristoteles ~ genauer bestimmt. Für alles andere, was ist, hier als v o 6 za8qttxb5 gilt der Satz: Die vollendete Entelechie, der es zustrebt, ist reine 214
Kants Religionsphilosophie, 363 ff.
~ Y E Q ~und E Lals ~ ,reine Evk~yeiaist sie ~t605:die Einheit, die das Ganzsein des Seienden begründet. Auch für die Seele, die Aristoteles als Erste Entelechie definiert hatte, tritt erst im v o ü ~des Menschen die das Leben als Ganzes begründende Einheit hervor. Aber der v o ü ~des Menschen ist zunächst nicht E v k ~ y sondern, ~~a wie wir in diesem Kapitel erfahren, Gljvapi~- reine Möglichkeit, unausgefüllte Offenheit. Nur wenn er vom göttlichen v o ü ~das Licht empi a reinen geistigen Anschaufängt, wird er in der höchsten E v k ~ y ~der ung das wirklich, was er sonst nur der Möglichkeit nach ist: Region der Ideen. Sofern er es wirklich ist, ist er aber mit dem göttlichen YOGS im strengsten Sinne des Wortes identisch. Er kann von ihm S menschlichen dann nicht mehr unterschieden werden. Das E ~ O der Seele ist deshalb der v o 6 ~Gottes selbst. Was an dem voG5 in der menschlichen Seele Vhq ist, tritt darin hervor, daß er als voG~za0qa ~ n b svergänglich ist. Der menschliche Geist vermag die reine Präsenz der geistigen Anschauung nicht festzuhalten. Er vergißt und hat in der Regel sein Wissen nur als ein Wissen der Möglichkeit nach. Deswegen ist ihm die Gegenwart des voG~n o ~ q - c ~ meistens nb~ verborgen: „Wir halten aber nicht in der Erinnerung fest, weil dieser [der göttliche ~0651zwar leidensunfähig ist, der voG5 z a 8 q t ~ n b ~ aber dem Verderben ausgesetzt ist. " (430 a 23 -25)
5. (Das Sich-Offenbaren der Wahrheit) Ich muß es wegen der Kürze der Zeit bei diesen Hinweisen bewenden lassen und kann nicht ausführen, wie Aristoteles in III,6 diese Lehre vom voüs mit seiner Lehre von der Wahrheit und damit zugleich mit seiner Wissenschaftstheorie zusammenschließt. Es ist vielleicht auch ohne eine präzise Analyse, die den sachlichen Gehalt des hier umrissenen Ansatzes erst ans Licht bringen würde, in Umrissen schon deutlich geworden, wie durch die Lehre vom voG~K ~ ~ ~ T und v065 ~ O L ~ T L verständlich ~OS wird, daß der endliche Geist des Menschen die universale Wahrheit, die für den göttlichen voG~immer präsent ist, zu erkennen vermag. Wir verstehen jetzt, warum Aristoteles zu Beginn des Werkes sagen konnte, daß die Erkenntnis des Wesens der Seele für die Wahrheit überhaupt und im Ganzen Großes beiträgt. Aber es muß noch einmal die Frage gestellt werden, die sich im Gang der Untersuchung immer deutlicher als die Grund-
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frage des ganzen Werkes herausgestellt hat: Wie verhält sich Wahrheit und Bewegung? Wir haben bei der bisherigen Betrachtung der aristotelischen Lehre vom ~ 0 8 5 von , dem Anaxagoras-Zitat ausgehend, vom voGg wie von einer in sich ruhenden Gegenwart gesprochen. Ich habe zwar erwähnt, daß Aristoteles das Wesen des voüg als reine EvEeye~a bestimmt. Aber wir haben bisher nicht darüber nachgedacht, was das bedeutet. Das Im-Werk-Sein, die reine Tätigkeit des voVg, ist das voeiv. Das Substantiv, das diese Tätigkeit bezeichnet, heißt vOqo~g. Nun sagt Aristoteles in seinerTheologie nicht, Gott sei voüg; er sagt, Was heißt das? Der Gedanke, daß der voüg Gott sei voqotg vofio~og. im Modus der 2viey~iasich selbst anschaut, begegnet auch in „De anima" III,4 an zwei Stellen. 429 b 9 heißt es215:m i a h b g SE a.V-cbv TOTE Sljva~acv o ~ i v- „und auch er selbst kann dann sich selbst ~ ~ schauen". 430a 2-3 heißt es: ilai a h b g 62 voqaog Eo~iv6 o n T& v o q ~ d- „und auch er selbst ist anschaubar wie das Anschaubare". Auf deutsch ist das nicht zu verstehen. T&v o q ~ d- das Anschaubare sind, wie wir schon sahen, die Ideen. Der Satz sagt also aus, daß im Vollzug der v6qotg das voeiv, indem es die Ideen anschaut, sich selbst anschaut. Die Ideen sind nichts anderes als die Anschauungsbilder des göttlichen voGg. Der voüg kann das, was er anschaut, gar nicht anschauen, ohne dabei seines eigenen Anschauens gewahr zu werden. In seiner Theologie sagt Aristoteles: a 6 ~ o vSE voei 6 voüg naz& pe.cdhqQ~v~ o voq~oü ü - „sich selbst schaut der voüg nach seiner Anteilhabe am Gesclmauten" (Met. XII, 7; 1072b 19). Wie alle tiefen spekulativen Gedanken muß man auch diesen sich ganz einfach klarmachen. Wir sahen: Aristoteles vergleicht die FvEey~~a des voSg, also die voqo~g,mit dem Licht. Das Licht ist etwas anderes als die Farbe, aber wir können keine Farben sehen, ohne Licht zu sehen. Die vOqoig ist etwas Anderes als das noetisch Erfaßte - die Ursprünge und Gründe des Seienden, sofern es ein Seiendes ist. Aber wir können keine noetische Wahrheit erfassen, ohne das Licht der vOqo~gzu erfassen, in der es sichtbar wird. Durch diesen Gedanken ist es Aristoteles gelungen, auch das Wesen des göttlichen voüg als reine E ~ T E ~ E xdas E Lheißt ~ , als reine Bewegung zu denken. Gewiß, er nennt Gott den „unbewegten Beweger"; aber das Wort „unbewegt" 2 1 V a c h der einhelligen Überlieferung, von der Ross und Theiler zu Unrecht abgewichen sind.
bedeutet hier nur, daß es bei Gott, weil er reine 2 v E ~ y e ~ ist, a keinen Umschlag des Werdens oder Vergehens gibt, daß also alle jene Formen der Bewegung, die Aristoteles in der „Physik" auf die Vhq zurückführt, aus seinem Wesen ausgeschlossen sind. Er ist Bewegung, wie das Licht nach der Vorstellung der Griechen zugleich ewige Ge~ ~ Daß a diese reine F v E ~ y ~sich i a selbst genwart und reine 2 v E ~ y ist. erfaßt, ist die letzte Konsequenz aus dem Begriff der EYTEAEXELU. Die höchste Form der ewigen Bewegung ist dort erreicht, wo ihr immanentes Wesen vor ihr selbst offenliegt und sich in diesem ihrem Offensein zugleich manifestiert und erfaßt. In diesem reinen Schauen des reinen Schauens manifestiert sich die höchste mögliche Form der neolE~s:sie ist ein Vollbringen, das das Ziel des Vollbringens in sich selbst trägt. Ein solches Vollbringen nennt Aristoteles, wie wir bei der Definition der Seele gelernt haben: „Leben". Bei der Betrachtung des voüg neccn~inoghaben wir gesehen, daß der Mensch kraft des Vermögens des v o ü ~so leben kann, daß das in seiner Entelechie enthaltene ~ i h o gnicht nur verborgen in ihm wirkt wie bei den Übrigen Lebewesen, sondern ihm offen vor Augen liegt. Dieses SichOffenbaren der tragenden Einheit des Lebens, also seine Wahrheit, ist zugleich der höchste Vollzug von Leben. Wenn dieses Aufschließen, die Enthüllung der Wahrheit des Lebens, den Gehalt des Lebens selbst ausmacht, dann ist in der vOquig voI]o~ogdas Leben des Lebens Wirklichkeit. Das Offenbaren der Wahrheit des Lebens ist dann die Wahrheit des Lebens selbst. Der Mensch aber hat durch das Vermögen des voVg n a 0 q ~ ~ n Oals g seine höchste Möglichkeit das Vermögen, die in der Seele als Erster Entelechie noch verborgene Wahrheit dieser Entelechie zu erkennen. Er kann mit jeder Wahrheit, die er erkennt, zugleich das Licht des voGg notq~inogerkennen, in dem sie sichtbar wird. Tm Augenblick eines solchen Erkennens ist auch das Denken des Menschen vOqotg v o q o ~ o g- das ist die höchste Form des Lebens überhaupt. Sie trägt bei Aristoteles den Namen E ~ ~ C X L ~ O Y ~ I .
Georg Picht wurde 1965 auf den neugeschaffenen Lehrstuhl für Religionsphilosophie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg berufen. 1978 ließ er sich emeritieren. In den dreizehn Jahren seiner Lehrtätigkeit lag das Schwergewicht seiner philosophischen Arbeit auf den Vorlesungen, die häufig zwei Semester überspannten, und von denen er keine wiederholte. Carl Friedrich von Weizsäcker sagt in einer Gedenkrede auf den 1982 verstorbenen Freund: »Daß er einen philosophischen Lehrstuhl innehatte und beachtete philosophische Aufsatzsammlungen veröffentlicht hat, verrät fast nichts darüber, was für ein Philosoph er war: weder die politische Offentlichkeit noch die gelehrte Zunft hat ihn wirklich als Philosophen wahrgenommen. Quantitativ gesprochen liegt das an der Verborgenheit seines Werks. Die Veröffentlichung seiner ausgearbeiteten Manuskripte, vorwiegend Texte seiner akademischen Vorlesungen, würde den vier Bänden, die er allein veröffentlicht hat, und den zahlreichen Beiträgen zu Sammelbänden wohl noch wenigstens vierzehn Bände hinzufügen. Und erst aus den Vorlesungen, in denen seine Philosophie epische Breite gewinnen durfte, ist voll abzulesen, was hinter den öfter wiederholten Kurzformeln der Aufsatzsammlungen steht.« - »Die Pflicht zur großen Vorlesung, die er seinem Lehrstuhl . . . verdankt, hat in seiner philosophischen Biographie eine fast entscheidende Rolle gespielt. Sie verschaffte ihm die Nötigung, seine Philosophie schriftlich in derjenigen Breite zu entwickeln, ohne welche sie nahezu unverständlich bleiben muß.« Zahlreiche Hinweise in Georg Pichts gedruckt vorliegenden Arbeiten bestätigen diese Sätze. Immer wieder zwangen zeitliche Ein-
' Die Bände der Studienausgabe sind als Einzeltitel konzipiert; deshalb wiederholen sich in den editorischen Nachworte11 bestimmte Passagen. Georg Picht - Philosophie der Verantwortung, Stuttgart 1985,46 und 75.
schränkungen und thematische Zuspitzungen zum Verzicht darauf, tragende Gedanken so ausführlich darzustellen und zu begründen, daß sie in jedem Schritt nachvollziehbar blieben, daß sie in ihrer Konsistenz durchsichtig wurden, und daß die Notwendigkeit ihrer wechselnden Konstellationen sich enthüllte. Georg Picht hatte es sich zur Regel gemacht, alle Vorlesungen auszuarbeiten. E r diktierte die Texte und sah sie durch, ehe er sie vortrug. Natürlich wich er in der Situation der Lehrveranstaltung häufig von den Manuskripten ab, erläuterte, extemporierte und beantwortete Fragen, die ihm die Studenten stellten. E r lehnte es aber immer wieder ab, diese Vorlesungen auf Band aufnehmen zu lassen, weil er die gefrorene Unmittelbarkeit solcher Fixierung nicht mochte. Die wirklich gehaltenen Vorlesungen sind also nur in der Erinnerung und in den Mitschriften seiner Hörer aufgehoben. Aber wir besitzen die diktierten Kollegvorlagen aus den Jahren 1965 bis 1977. Im letzten Jahr seiner Lehrtätigkeit veranstaltete er Blockseminare, um Zeit für die Ausarbeitung seines philosophischen Hauptwerkes zu gewinnen. Einige der Kollegmanuskripte hat er ganz oder teilweise überarbeitet, damit sie für die Studenten vervielfältigt werden konnten. Einige waren dazu bestimmt, Grundlagen für Bücher zu bilden. Veröfientlicht wurde nur die dialogische Vorlesung »Theologie -was ist das?« (Stuttgart 1977). Ungedruckt blieben auch Georg Pichts Dissertation über die »Ethik des Panaitios«, ein ausführlicher Kommentar zu dem platonischen Dialog »Laches«, zwei Ausarbeitungen über Heidegger und eine Reihe kleinerer Texte zu Themen, die an dem von Georg Picht seit 1958 geleiteten interdisziplinären Institut, der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), diskutiert worden sind. Unveroffentlicht sind natürlich die Briefe. Unveröffentlicht ist aber vor allem auch das umfangreiche Manuskript jenes Buches, in dem Georg Picht die Summe seines Philosophierens ziehen wollte: »Im Horizont der Zeit«. Von diesem Buch liegen große zusammenhängende Abschnitte fertig ausgearbeitet vor; andere wollte er ändern und erweitern; bestimmte Schlüsselkapitel sind nur durch Uberschriften angezeigt. Aus diesen nachgelassenen Schriften und Vorlesungen wurden für die Studienausgabe die wichtigsten ausgewählt; sie sollen in möglichst kurzer Zeitfolge veröffentlicht werden. Es ist Georg Pichts Denken unangemessen, zwischen »historischen« und »systematischen« Arbeiten zu trennen. E r selbst hat einerseits Geschichte der 398
Philosophie immer »in systematischer Absicht« betrieben, und sah auf der anderen Seite jene Fragen, die versunkene Epochen »systematisch« genannt haben, unter der Perspektive des Geschichtlichen. Ihm schien die altgewohnte Unterscheidung naiv. »Wir werden die Geschichte der Wahrheit nur erforschen . . . können, wenn sich die große Geduld der Philologie mit der großen Geduld des fundamentalen Fragens verbindet«, schreibt er 19593. Auch wenn wir dies nicht aus dem Sinn verlieren, scheint es zulässig, seine Vorlesungen zu unterteilen in solche, die der Interpretation großer Texte und denkerischer Gesamtwerke und solche, die der Entfaltung bestimmter Fragestellungen gelten. So wird die Studienausgabe Kollegs umfassen über »Die Fundamente der griechischen Ontologie«, über Platons Dialoge »Nomoi« und »Symposion«, über die Philosophie von Friedrich Nietzsche wie über »Glauben und Wissen<<,über den »Begriff der Natur und seine Geschichte« und über »Philosophieder Geschichte«. Bereits erschienen sind »Kants Religionsphilosophie« (1985) und »Kunst und Mythos« (1986, 2. Aufl. 1987). Dem großen Fragment des Buches »Im Horizont der Zcit« soll eine von ihm selbst intendierte Zusammenfassung einiger grundlegender Arbeiten vorangestellt werden, die an verschiedenen Stellen bereits gedruckt wurden, jedoch als Vorstudien zur Entlastung des Hauptwerkes konzipiert worden waren: »Ist Humanökologie möglich?«, »Ist eine philosophische Erkenntnis der politischen Gegenwart möglich?«, »Zum Begriff des Maßes« und andere.
Als dritten Band legen die Herausgeber die Vorlesung vor, die Georg Picht im Wintersemester 1971172 und im Sommersemester 1972 über Aristoteles' Schrift »De anima« gehalten hat. Das Gespräch init den großen griechischen Philosophen war für Georg Picht von höchster Bedeutung; es hat sein Leben wie sein Denken geprägt. Er fühlte sich in der Welt der Griechen beheimatet und wurde von ihnen bestärkt in der durchdringenden und fast erschreckenden Helligkeit, mit der er Kunstwerke betrachtete, Texte entschlüsselte, Menschen Wahrheit, Vernunft, Verantwortuiig, Stuttgart 1969, 38; vgl. auch im vorliegenden Band 5 E.
durchschaute und politische Zeitdiagnosen stellte. »Aus der Tiefe der Vergangenheit tritt uns ein Maßstab des Denkens und der Lebensformen vor Augen . . . , der auch für uns noch gilt . . .«, sagt er in einem Vortrag uber den »Bildungshorizont des 20. Jahrhundertw4. Diese zentrale Rolle der griechischen Philosophie für sein eigenes Denken tritt nicht nur in den Aufsätzen zutage, die sich direkt mit den Anfangen der europäischen Philosophiegeschichte befassen - »Die Epiphanie der ewigen Gegenwart«, die Arbeiten über Sokrates, über die Musen, uber die »Voraussetzungen der Wissenschaft« und über den »Begriff der Energeia bei Aristoteles« - vielmehr ist in allen Arbeiten, die uns vorliegen, die griechischeTradition ganz präsent. Sie legt die Fundamcnte, öffnet die Horizonte und setzt die Maßstabe. Wenn Georg Picht von seinem »Lehrer« spricht, meint er Platon. Die Geschichtsmächtigkeit der griechischen Philosophie ist auch das Thema des vorliegenden Bandes. Nur in der Aufklärung über die Grundentscheidungen, die bei den Griechen gefallen sind, bekommt das Denken des 20. Jahrhunderts - das Denken im Zeitalter der Krise der Metaphysik, der Erschütterung der Ontologie, der Fragwürdigkeit theorieförmiger Welterschließung - Gewicht und Umfang der Antworten zu Gesicht, die ihm abgefordert werden, wenn es sich Zukunft eröffnen will. In seiner Darstellung der Pichtschen Philosophie schreibt Wolfgang Wieland: »Philosophie wird überall dort verwirklicht, wo das Denken versucht, sich selbst gleichsam in die Hand zu bekommen, die ihm vorausliegenden Bedingungen ebenso wie seine Folgen zu durchschauen und sich damit dem Zwang jener Determinanten zu entziehen, die sonst uiibegriffen hinter seinem Rücken wirken.«-o gewinnt es die Freiheit, die Verantwortung des Geistes heute und künftig wahrzunehmen. Georg Picht selbst schildert die Nötigung, zu verstehen, was sich in der Philosophie der Griechen ereignet, in den einleitenden Sätzen seines Parmenides-Aufsatzes: »In meiner Arbeit über 'Die Erfahrung der Geschichte' habe ich die These entwickelt, im Herrschaftsbereich des griechischen Denkens werde die Wahrheit als die Epiphanie der ewigen Gegenwart erfahDic Vcrantwortuilg des Geistes, Oltcn U. Freiburg 1965, 173. Alle in: Wahrhcit, Vcrnunft, Verantwortung oder in: Hicr und Jctzt, Bd. I, Stuttgart 1980. Georg Picht Philosophie der Verantwortung, 106.
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ren. Ich habe zu zeigen versucht, wie die in dieser Epiphanie in Erscheinung getretene Gestalt der Wahrheit bis heute aus dem Hintergrunde und unverstanden die Bahnen bestimmt, in denen sich unsere Erfahrung dessen, was wirklich ist, bewegt. Aus der Epiphanie der ewigen Gegenwart ist die 'überzeitliche', ja, die 'zeitlose' Wahrheit geworden, die ihre Formen in der klassischen Logik ausgeprägt hat und durch die Logik auch der modernen, objektiven und objektivierenden Wissenschaft ihre Struktur und ihren Weg vorzeichnet. Der Weg, den unser Denken und unsere Welterfahrung unter der Herrschaft der 'zeitlosen' Wahrheit einschlagen mußte, ist der Weg einer Negation der Geschichte, die in der Neuzeit zu dem Versuch geführt hat, die Geschichte selbst durch eine totale Planung der Gesetzgebung der logischen Vernunft zu unterwerfen. Dieser Schritt von der absoluten Wahrheit zur totalen Planung ist die letzte Möglichkeit und zugleich der Umschlag der Epoche, die mit der Epiphanie der ewigen Gegenwart beginnt. Wir stehen deshalb im Begriff, uns von der Negation der Geschichte zu befreien und in die menschliche Möglichkeit einzutreten, die Wahrheit in der Geschichte zu erfahren. Wäre die Erfahrung der Wahrheit in der Geschichte eine Erfahrung des Absoluten in seiner Erscheinung, so wäre sie immer noch durch die Negation bestimmt, in der sich das Absolute als solches begründet. Demgegenüber entwickelt der letzte Teil meiner Arbeit den Satz: 'Die Zeit ist selbst das Sein.' Wenn dieser Satz einen möglichen Sinn hat, dann ist die Wahrheit - als Wahrheit des Seins die Wahrheit der Zeit. Dann hat die Wahrheit selbst eine Geschichte, und wir erfahren die Wahrheit in der Geschichte, indem wir die Geschichte der Wahrheit erfahren. Wir können also die Geschichtsepoche, die im Lichte der Epiphanie der ewigen Gegenwart stand, nicht auf dem Weg einer Abkehr verlassen; das wäre wiederum eine Negation der Geschichte. Wir müssen sie uns vielmehr erst wahrhaft als eine Epoche unserer eigenen Geschichte erschließen, indem wir sie als die Epoche in der Geschichte der Wahrheit verstehen, die unsere eigene Erfahrung der Wahrheit ermöglicht. In diesem Sinne fragen wir nach dem ursprünglichen Horizont der Gestalt der Wahrheit, von der die Ontologie des Platon und des Aristoteles und damit die gesamte europäische Wissenschaft gehalten ist. Die These, den Griechen sei die Wahrheit als Epiphanie der ewigen Gegenwart erschienen, wurde in der Arbeit über 'Die Erfahrung der Geschichte' aus einer Interpretation der aristotelischen Bestimmung
des Menschen als eines <@ovh6yov EXOV - eines Lebewesens, das den h6yog hat - gewonnen. Die Form des Wissens, in der sich die , dort 'mit Wahrheit als Wahrheit erschließt, nämlich der ~ 0 6 5wurde Bedacht ausgespart', weil sie nicht auf dem Wege einer Untersuchung lag, die sich den Zugang zur Erfahrung der Geschichte im Verfolg der Geschichte des Begriffes der Erfahrung zu bahnen suchte. Dieser Verzicht hatte zur Folge, daß die Herkunft des aristotelischen h 6 y o ~im Dunkel blieb, und daß in der Kant-Analyse das gemeinsame ontologische Fundament des Begriffes der Zeit und des Begriffes der reinen Vernunft zwar. . . angedeutet, aber nicht freigelegt werden konnte. Die ontologischen Fundamente des Denkens von Kant sind die ontologischen Fundamente der objektiven Wissenschaft. Es ist nicht anzunehmen, daß wir zu dieser Wissenschaft und ihren Auswirkungen auf die Gestaltung der technischen Welt in den Stand der Freiheit gelangen, wenn uns der Grund, auf dem sie ruht, verborgen bleibt.
Editorisch bereitete die Aristoteles-Vorlesung keine Schwierigkeiten. Es gab das maschinengeschriebene Manuskript mit zahlreichen gut lesbaren handschriftlichen Korrekturen, das als Druckvorlage genommen werden konnte. Der Text wurde nicht verändert. Georg Picht selbst hätte ihn zweifellos nicht ohne nochmalige gründliche Uberarbeitung in den Druck gegeben. Ich fühle mich jedoch nicht ermächtigt, meinerseits nachträgliche »Verbesserungen« anzubringen, auch dort nicht, wo ich mir sicher bin, daß er sie vorgenommen hätte. Die wenigen Stellen, an denen Einschübe oder kleine Umstellungen das Verständnis erleichtern sollen, sind im Text mit spitzen Klammern gekennzeichnet. Erwies es sich als ratsam, einen Satz umzustellen, so ist der ursprüngliche Text in einer Fußnote angegeben. Da Georg Picht mir alle seine Manuskripte diktierte, lag die Hauptverantwortung für Rechtschreibung und Zeichensetzung ohnehin bei mir. Deshalb konnte ich auch in diesem Text beides für den Druck vereinheitlichen oder korrigieren, ohne das in jedem Falle anzumerken. Dabei half mir die Erfahrung der langen gemeinsamen Arbeit Wahrheit, Vernunft, Verantwortung, 36f.
bei dem Bemühen, seinen Intentionen auch dort zu folgen, wo sie den zur Zeit geltenden Regeln für Orthographie oder Interpunktion zuwiderlaufen. Griechische Worte sind im allgemeinen mit griechischen Lettern wiedergegeben - auch wo sie im Manuskript, das unter dem üblichen Zeitdruck entstand, nicht sehr konsequent einmal in Umschrift, einmal in der Originalschrift vorkommen. Ausnahmen bilden die Worte »Logos« und »Physis«, die nur an denjenigen Stellen auf griechisch erscheinen, an denen es der interpretatorische Kontext erfordert. Die Unterscheidung zwischen Entelechie und Cvaehfi~~~cl folgt dem Text. Größere editorische Eingriffe erforderte die Gliederung. Wie »Kunst und Mythos« wurde auch das Aristoteles-Kolleg nach dem Vorbild des von Georg Picht selbst überarbeiteten Textes der Vorlesung »Kants Religionsphilosophie« gegliedert. Ein Teil der Überschriften und Zwischentitel stammt vom Autor; alle Ergänzungen sind durch spitze Klammern als Herausgeber-Zusätze gekennzeichnet. Verändert wurde oft die Numerierung der in diesem Text ungewöhnlich häufigen Aufzählungen (zum Beispiel 18ff., 49,52,53,55 f., 71 usw.) . Die arabischen und römische11 Zahlen, die Groß- oder Kleinbuchstaben vor diesen Aufzählungen wurden möglichst durch Gedankenstriche ersetzt, um das Druckbild ruhiger zu gestalten und Verwechselungen mit der Gliederung des Gesamttextes zu vermeiden. Der Text enthielt auch, anders als die beiden Manuskripte der KantVorlesung und der Vorlesung über »Kunst und Mythos«, eine ganze Anzahl von Klammern mit Anmerkungscharakter. Sie wurden nach unten gesetzt und durch Kursivdruck als Anmerkungen des Autors gekennzeichnet. Die normal gedruckten Anmerkungen stammen von mir. Sämtliche Zitate wurden überprüft und in den Anmerkungen oder im Text nachgewiesen. Im Text sind sie mit runden Klammern versehen. Eckige Klammern kennzeichnen Einfügungen des Autors innerhalb von Zitaten; Hinweise auf ihn sind durchgehend mit seinen Initialen versehen. Für diejenigen Leser, die in der Geschichte der Philosophie und in der klassischen Philologie weniger zu Hause sind als der Autor, werden Textausgaben und Literaturangaben vollständiger nachgewiesen, als das in einem Buch erforderlich gewesen wäre, das sich ausschließlich an Spezialisten richtet. Die Herausgeber hoffen jedoch, mit der Studienausgabe einen breiteren Leserkreis zu erreichen.
Der Grundsatz, die vom Verfasser aus anderen Sprachen ins Deutsche ÜbersetztenTexte mit den Originalzitaten zu belegen, wird auch hier nicht durchbrochen. Von zwei oder drei sehr langen und mehr illustrativ verwendeten griechischen Zitaten abgesehen, wurden alle Texte in die Anmerkungen aufgenommen, die in der Vorlesung nur übersetzt vorkommen. Das führt zwar zu sehr umfangreichen Anmerkungen, erleichtert aber dem Leser die Überprüfung der häufig von den gängigen Ubertragungen charakteristisch abweichenden Version des Autors, dessen an der Dichtung geschulte Sprache philologische Akribie mit der Helligkeit philosophischen Fragebewußtseins verbindet. Nach dem Wunsch von Georg Picht soll die Studienausgabe die Texte möglichst schnell zugänglich machen. Sie verzichtet deshalb auf den zeitaufwendigen Ballast eines kommentierenden Apparates, wie er bei historisch-kritischen Ausgaben unvermeidlich wäre. Sollte einmal der Versuch unternommen werden, eine solche Ausgabe zu machen, müßten neben dem Briefwechsel vor allem die zahlreichen Marginalien und Querverweise in den vom Verfasser benützten Büchern und Ausgaben herangezogen werden.
IV. Nach langen Vorüberlegungen haben wir uns dazu entschlossen, die Studienausgabe mit Personen-, Stellen- und Sachregister zu Versehen. Es ist eine nahezu unlösbare Aufgabe, für ein philosophisches Buch ein Sachregister zu machen, das besseres darstellt als einen mehr oder weniger mangelhaften Index. Martin Heidegger hat ausdrücklich verboten, für die Gesamtausgabe seiner Werke Register anzulegen. Aber Georg Picht, der ja bereits bei der Herstellung der Druckvorlagen für seine Aufsatzsammlungen immer wieder vor diesem Problem stand, hat sich entschlossen, auf Register nicht zu verzichten. Im Vorwort zu »Hier und Jetzt« Band I formuliert er die Sätze, die mir auch bei der Erstellung der Register der Studienausgabe als Richtlinie dienen. Das Sachregister, schreibt er dort, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, kann aber, in Verbindung mit dem ausführlichen Inhaltsverzeichnis, dem Leser den Weg durch das Buch erleichtern; »seine Stichworte beziehen sich nicht in jedem Fall auf den Wortlaut der Texte, sondern wollen die innere Organisation der Ge-
danken sichtbar machen«. Für die Register der Studi~nausgabestellt sich eine weitere Aufgabe: neben der Aufschlüsselung der Einzelbände sollen sie dazu beitragen, deren Einordnung in die Ausgabe insgesamt zu fördern, sowie Rückverweise auf die bereits veröffentlichten philosophischeil Arbeiten zu ermoglichen. Der Reichtum, die innere Konsistenz und die Offenheit des Denkens von Georg Picht, das sich jedem Versuch entzieht, systematisch verfügbar gemacht zu werden, tritt in den von ihm selbst zusammengestellten Sachregistern klar hervor. Die doppelte Aufgabe des Sachregisters erklärt das Gewicht, das einigen der Stichworte gegeben wurde, so im vorliegenden Band insbesondere den Worten »abstrakt«, »Entwurf«, »Frage«, »Gestalt«, »Horizont«, »Identität«, »Konstitution«, »Manifestation«, »Phänomen<., »Region«, »Spl-iäre«, »Struktur«, »Suche«, »Weg« und »Wahrheit«. »Klarheit« hat in diesem Buch fast den Charakter eines Leitmotivs. »Form« ist wegen der Bedeutung des Wortes für das Denken Georg Pichts auch in diesem Register wieder eher überrepräsentiert. »Wirkungsgeschichte« kommt als Wort selten, als Phänomen ständig vor; das ganze Buch ist in einer Hinsicht eine Abhandlung über die Wirkungsgeschichte der Philosophie des Aristoteles; deswegen sind in das Register diejenigen Stellen aufgenommen worden, in denen Wirkungsgeschichte thematisiert wird, auch wenn das Wort nicht erscheint. Natürlich mußten diesmal die wichtigsten griechischen Worte gesondert im Sachregister erscheinen. Für sie gilt in noch höherem Maße, was über das gesamte prekäre Verfahren der Erstellung eines solchen Registers gesagt werden muß: Die Entscheidung, welche Worte aufzunehmen seien, welche nicht, wann sie nachgewiesen werden, wann nicht, ist schwer zu treffen und gegen Kritik nicht gefeit. Doppelstichworte, die mit einem Schrägstrich nebeneinander gestellt sind, sollen nicht etwa die Identität solcher Begriffe prätendieren, sondern verweisen auf ihrc Nachbarschaft im Rahmen des Buches, auf die teilweise Uberschneidung ihrer Bedeutungsfelder. Querverweise zu verwandten Begriffen werden reichlich gegeben. Sie möchten hier, wie schon in den Aufsatzbänden, dazu helfen, das dichte Geflecht der sich gegenseitig erhellenden Beziehungen zwischen jenen Arbeitsfeldern durchsichtig zu machen, denen sich Georg Picht im Laufe seines Lebens zugewandt hat, und können gelegentlich auf solche Konstellationen Licht werfen, die aus sich selbst heraus ihre Evidenz nicht immer zeigen.
Personen- und Stellenregister ergänzen das Sachregister. Texte, die im Stellenregister aufgeführt sind, erscheinen im Sachregister nicht.
Zu danken habe ich auch hier wieder Edith Picht-Axenfeld; sie hält den stillen Raum offen, der mir die konzentrierte Arbeit ermöglicht, die solche Edition erfordert. Enno Rudolph hat in seiner Einführung sachkundig den Rahmen gezeichnet, in den Georg Picht seine religionsphilosophische Deutung des Stagiriten stellt; darüber hinaus half er mir in zahllosen Detailfragen. Die Verifizierung und Druckkorrektur der griechischen Zitate haben zwei Schüler von Georg Picht übernommen: Stefan Kunz und Helmut Schneck. Sie begleiteten das Unternehmen von Anfang an mit ermutigenden Ratschlägen. Zu danken habe ich immer Carl Friedrich von Weizsäcker sowie den Freunden und Kollegen von der FEST und den Gremien der Evangelischen Studiengemeinschaft, die mich mit großer Selbstverständlichkeit für diese viel Zeit beanspruchende Arbeit freistellen. Ganz besonderer Dank gilt der Lektorin der FEST, Anna Frese, für ihre unentbehrliche, präzise und verläßliche Hilfe. Sie verhandelte mit Drucker und Hersteller, sie half bei der Erstellung der Druckvorlage und bei den Korrekturen; sie ist verantwortlich für das Personen- und für das Stellenregister. Der Verlag Klett-Cotta hat es übernommen, der Studienausgabe einen guten und angemessenen Rahmen zu geben.
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Hinterzarten, den 28. Mai 1987
I
Abgrund 195,272 das Absolute 37,46f., 51, 61,71f., 75ff., 86f., 89f., 105, 108, 113f., 125, 128, 144 Abstieg der Seele 102, 109 Abstraktionlabstrakt 14, 16,31,39,52, 55, 59, 106f., 117, 147, 181f., 246, 251f., 256,258,291,294, 303,320, 334,375,377,380,386f. Agypter 92 Affekt 188,256, 337f., 374 Affirmation 106ff., 116 Akademie, platonische 10ff., 17ff., 24, 92, 145, 147, 149 Allgemeinheitlallgemein 36, 68, 80, 136, 142, 148, 176, 181f., 219f., 230, 238,241,251f., 269f., 280ff., 284ff., 288,291,314,336,339,362,387,389 Altar 13f., 16 Ambivalenz 116, 174 Amphipolis 13 Analytik 138 AnamnesisIAnamnesis-Lehre 93f., 313f., 362 Anatomie, vergleichende 116, 327f., 331,337ff., 350f. Andros 9 Anschauung 23, 124,177f., 184,378, 382,384f. , intellektuclle 23,41,60,90, 107, 153,170, 177f., 234,253,301,356, 381f., 384,391,393 Anthropomorphismus 188 Anthropozentnsmus 176f., 220 Antinomie 45,90, 103,112 A~itizipation8, 31, 57, 228f. Apollon 5 3 , s Aporiel&no~ia 55,59, 102,196, 200, 205f., 2081f., 217ff., 221, 223, 225,
227,2318., 242ff., 250ff., 259,263, 265,268,270,272,277,318,343, 352f., 357,363,367,371 a priori 49,55,93f., 96,383 Architektonik 151f., 194f., 222f., 320, 368 f. Argonauten 50 Aristoteles-Forschung 8f., 21f., 134f., 139,147,149, 152, 157f., 167, 171, 182, 197,212,215,218,223,227, 232f., 242,247,249,251,255,257, 264ff., 276ff., 293,319,344,346, 354,358,365f., 370,374,378,389f. Aristoteles-Kommentar 135,374 Aristoteles-Statue 20 Aristotelismus 1ff., 8,23,30,32,41, 44ff., 91,105, 107f., 121f., 125, 127,129, 168f., 174,189f., 235 Arithmetik 11, 92, 96ff., 247 Art 67,252,271,364 Asebie 20 Aspekt 8,82, 174,210,238,240,246, 272,291 Assos 18 Astronomie 11,24,92,98, 165f., 184, 350 Atariieus 17 Athen 10ff., 18f., 20,25f., 326 Athene 326 Atom 273 Atomisten 290,297,311,328 Attika 14f. AufbauIAufriß 9, 12,22f., 91 f., 131, 140, 152, 162, 165fi. 181, 183,195, 212,220,222,231 f., 257,265f., 318,349,366,368 Aufhebung 106, 108, 113 Aufklärung 5,7,236 Aufstieg der Seele 61,64,69,99, 102,
104, 109, 116,158,169, 194,202f., 205,268ff. Auge 39,59, 61,68ff., 98f., 108,112, 141,178,279, 326,329f., 333,341f., 344 Aura 159 Aussage s. a. hOyo~22f., 42, 60, 62f., 66, 68,70f., 77ff., 82, 84, 95f., 98, 114f., 121f., 145,161, 171,201,215, 219,229,233,237,256,271ff., 280f., 285f., 371ff., 383, 387 AxiomtAxiomatik 49f., 78f ., 85, 92, 97,193,213,245,258f., 383f. Babyloilier 92 Barbaren 185 Begriff 3,5,31,35f., 38,41ff., 50,55, 62,71 f., 75,77,87,90,95 f., 107f., 113f., 117, 120, 124ff., 129, 135, 137ff., 161, 167, 175, 178,182f., 187f., 190f., 195,197f., 202,2188. , 231,237,251f., 255,264,272,277f., 281f., 285,287,289,328,332,342, 370 Bereich s. a. Region, Sphäre Slf., 54f., 62ff., 66, 94f., 97f., 101, 111, 119,140, 144,147,151, 161,16Sf., 182,184, 192,202,235f., 243,245, 247,249,252,259,270ff., 290,292, 295,326,328, 375ff. Betrachtung 178f., 214, 220,234,238, 242,311,3298., 350,360,389 Bewegcr, erstertunbewegter 134,157, 164,194,218,270,315,344,369, 394 Bewegung 41,53, SSf., 73,84,87,90, 102ff., 108, 110, 112,116, 141, 146, 1638., 180f., 183ff., 192,194,201, 214, 216ff., 222,270,273,279, 289ff., 298ff., 303ff., 308,314,316f., 3208., 331,334,336,338,340f., 349E., 357,359,361,366,368,386, 394f. Bewegungsvermögen 222 Beweis 110, 200ff., 245,258,320 Bewußtseiii Sff., 34, 37, 93, 104f., 118f., 124f., 165,177f., 188, 191,
195,199f., 231,281f., 297,371,374, 383 Bibliothek des Aristoteles 21 Bild/Abbild31,53ff., 59f., 62ff., 66ff., 70,119, 146,203,243,268,276 307f., 329ff., 372, 378, 380, 391, 394 Bildungl~ca~Geia 104f., 144 Biographie 8ff., 24 Biologie 174, 321 Botanik 12,20,24f., 166, 183H., 331 Brechung 119,373 Bund, pythagoräischer 13 Causa finalis 155 Chalkidike 9 Chalkis 20 Chemic 31,284 Christentumtchristlich 46, 88, 109, 187f., 199,301,332 communis opinio 136 Corpus Aristotelicum 21 Daimon /dämonisch 54f., 65,71 Darstellung 33, 129, 146, 167, 181, l97,204,218,276,304f., 325,350, 367 Deduktion 92,9511., 100, 112, 126, 182,200f., 212f., 235,243,245, 258f. Definition s. a. Grenze, 6 ~ ~ o ~36,i . b ~ 68f., 72,96, 122, 147, 174, 184, 219f., 230,247,250,252,257f., 263, 265,268ff., 272,274,276,285 ff., 294,296,299ff., 303,305,317f., 322,328,331,333ff., 338f., 344, 346,349ff., 357,372,387ff., 393, 395 Delphi 18, 20 Denken passim Denkmaschine 372f. Deilkvermögen 22lff., 231,307,309f., 345, 353,368 Destruktion 103, 126, 128,175 Dialektik 12,23, 37,42, 57, 71, 80, 85ff., 90ff., 98f., 101ff., 106ff., 112f., 116, 125, 168,20lff., 246,251, 258,282,328, 354
-, negative 189 -, transzendentale 57, 109, 128 Dialog 21, 61, 205 DichtungtLiteratur 10, 13ff., 21,25, 66, 119, 158f., 199 Differenz 12, 16f., 23, 80, 85, 89, 99f., 107, 113, 116, 127f., 168, 178,247, 252,254f., 275,290,296,306,311, 320,327,362,367,375 Dimension 35,45ff., 72,83, 88, 147f., 187,217,230,234,255f., 272,322 Ding 121, 124f., 127f., 145f., 174, 240, 249f., 330,340,364ff., 375f., 378ff., 388 - an sich 35,69 Diskussionsregeln 12 Distanz 26,52,208,354 Disziplinen/Spezialwissei~schaften5, 10, 23f., 101, 244f. DogmatismustDogma 76, 173,212, 219,236,272,335 Dorer 9 Dreieck 110f., 257 f. Dualismus 52,75, 180,392
ego cogito 118, 123 Ehrfurcht 67f., 154 Eigenschaft 78ff., 122, 144, 173ff., 185,208,215f., 220,230,243,249, 256,272,285,295,310,337f., 341, 363,369,371,383 das Eine 55f., 85,90, 103, 113, 147, 273,335,382 das Einfache 149, 193,252,274,363f., 366 Einheit 15,29,35f., 38,43,45, SSff., 70,73,75,79,85,87f., 90,95ff., 103f., 106,113, 116, 128, 133, 146I., 150, 154, 158, 175, 194, 198f., 217f., 220ff., 234,250,252,254,264, 282ff., 292,298f., 310, 332f., 335f., 346,351,353,358ff., 366,369,373, 378,38OE., 393,395 Eleaten s. a. Vorsokratikcr 56, 59, 102f., 353f. Elementarlehre 135,143, 182,190 Elemente 47,71,146f., 166,202,273f.,
28213i., 289,295,299,319,331,334, 371,376f. Emanzipation 5, 35, 174 Empirie 9,25,65,138f., 144,178,221, 259 ens realissimum 117 Entelechie s. Evtehixeta Entelechie, erste 301,307,309 f., 316f., 325,333f., 343,349f., 357f., 393, 395 -,zweite 307,309f., 316f., 325, 351, 369,375,392f. Entstehen 52, 73, 84f., 110, 166, 179f., 249,275,278f., 288,29lff., 298, 305,307,313,315ff., 321,328,387f., 395 Entwurf 4, l l f . , 21f., 24f., 87, 90f., 119, 133ff., 143, 147,151, 153f., 157, 164, 166f., 169, 189f., 194, 196,212, 218,223,234,266f., 270,320,330, 344,349f., 352f., 355f., 367ff., 389f. Erfahrung 6, 9, 20, 31f., 51,59ff., 64f., 68,93f., 104f., 117, 119, 124, 127,136, 139f., 169, 172, 187f., 191, 202,208,307,382f., 388 Erfahrungswissenschaften 307 Erinnerung 8, 139f., 268,272,287, 342,390,393 Erkenntnis, auch passim 3, 15, 17,22, 25,32,37,39,41, 52f., 60,65ff., 70, 73,75,79,84, 87f., 91K., 97, 100f., 115, 118,124, 129, 136, 140, 142ff., 148, 150, 152f., 156ff., 161ff., 167, 16911., 176,178ff., 190ff., 198,200f., 203,205,207ff., 213,215,217,227, 231ff., 235 f., 238,241,243 f., 245 E., 257ff., 263,268f., 281f., 287,297, 307,31211., 316,319f., 324ff., 328ff., 343,345,349ff., 356,358f., 365f., 368,37lff., 378,381,383,387ff., 392 f., 395 Erkenntnistheorie 282, 307,309,355, 376 Erkenntnisvermögen 44,52, 138, 172, 234,306f., 309,369 Ernährungsvermögen 222,251,318f., 321f., 327,335,339
Eros 54, 108 Erscheinung 35,50, 53, 55f., 102ff., 125, 127f., 146, 154, 156, 158f., 275f., 279ff., 288,293,298,303, 319,325,330,375f., 378,380,386, 388 Erziehung des Herrschers 18f. Eschatologie 46,76 essentia 120f., 127, 173 Ethik 11, 16,20,23, 68, 105,112, 133, 138,144, 15Off.,162, 178, 188, 194, 351,359 Ethnologie 138 Euboia 20 Europaleuropäisch 7, 9, 20f., 26, 29, 32,34,51,77, 87f., 101, 119, 168f., 172,18611., l94,228,231,234,353f., 360 Evangelium 5, 187 Evidenz 16,75,78f., 110f., 122, 155, 164, 178,212,305,332,371,382, 384,388 Evolution 8 Ewigkeitlewig 75f., 115, 153, 156, 200, 315,322,328,344f., 390 Exegese 31,233 ExistenzDasein 35, 87, 120, 127f., 146, 189, 344,351 Existenzphilosophie 127f. Exkurs, autobiographischer 58fi., 354 Experiment 123, 174 Farbe 31, 142,249,379,390ff., 394 Farbenlehre 249 Feldherrenkunst 151 Fläche 236,245,247,257f., 377 Form 6f., 14, 16,21ff., 26,36ff., 44, 46,57,62,64,66f.,69ff.,75ff.,80, 828., 89, 92, 94f., 97, 99, 102, 106ff., 112, 114, 11711., 123ff., 128, 137, 139, 141, 145, 147, 149f., 155, 158, 165, 168, 171ff., 176ff., 187f., 201,204,206,212f., 219,222,230, 233 f., 237f., 240,246,250,252,271, 273 f., 276f., 279 E., 286,288,291 f., 294,296f., 299,304f., 307,309ff.,
318, 321, 333fi., 339, 349f., 359f., 363,371,378,391,395 Formgeschichte 233 FragelFragestellung 7, 11,48, 135f., 138ff., 151, 165, 169, 173, 177, 181, 195,197,205,207,209,212f., 215ff., 220,223,228,235f., 244,248,255, 266,268,277,282,287,300,303, 306,312,339,344f., 354f., 366ff., 393f. Freiheit 7f., 45 f., 75f., 90, Hoff., 186, 188,324 Frieden 19, 174 Friedensforschung 174 Fundamentlßasis s. a. Grundlegung 12,16,22fC.,29,35,47ff., 76,91,97, 116ff., 122ff., 127, 134, 148, 165, 173, 195, 199,215,217,236,255, 263,272,276,282,300,309,315, 321,344,353f., 382,385 Funktion 30,75,98, 178, 195f., 208, 222,227,233f., 286,306,319,328, 333,336,338f., 358,360,362,372 das Ganze 23fi., 37,104f., 122, 175, 195,212,232,253f., 264,275f., 283ff., 291,298f., 303,306f., 310, 315f., 322,328,331,333f., 336,339, 342f., 356,360,382,385f1., 390, 393 Gattung 156, 182ff., 188,248ff., 252, 256,271,310ff., 328,330,336,338, 345,390 Gebrauch s. ~ e T j n ~ 5 Gefüge 46,56,71,77, 82ff., 89,272, 279,327 Gegenstand 35,42f., 62f., 99,104, 108,123f., 127, 129,136, 139f., 157, 161, 164, 177f., 184, 193,206,236, 239f., 242,245,247,249,255,280, 331,356,380f., 383 Gegenwart 3ff., 29,32,58, 91,119f., 137, 160, 174f., 188,198,236, 253, 263,290,307,353,355,360,364,394 -, ewige 395 der Vergangenheit 3R., 30f., 189, 194f.
-
Gehalt 30f., 43,88,221,227,233,263, 307,350,378,395 5 70,73,76,87, Geist s. a. ~ 0 5 3,33f., 93, 104f., 117, 119, 157,177, 188ff., 194,231,311, 365,375,393 -, absoluter 3,33f., 37,45,62,88,90, 105,107,116,129,133,189,200,324 Geistesgeschichte 198ff. Geisteswissenschaft 5,29, 94 Genetik 244 Geographie 20, 138 Geometrie 10f., 92, 98,112, 122,213, 247,258f., 276,278f., 320, 377 Gerechtigkeit 154 Gericht 206,209,211 Gerichtsrede 202 Geschichte 3ff., 22,25f., 29ff., 35,37, 51,56ff., 66,68,76, 88,90f., 105, 109, 116ff., 138, 160, 173f., 1861l'., 194f., 1971f., 204f., 265, 307,309, 328,351ff., 360 Geschichtswissenschaft s. Historie Gesellschaft Sf., 14, 32, 119, 151,183, 202 Gesetz 6,32,41,64,112,123,185,198, 200 Gesetzgebung 7,160 Gestalt 23,33,40,43,77,83,88,98, 104f., 141,177,179,189,200,202ff., 231,252,271,273ff., 279ff., 288, 290f., 297B., 304f., 311, 319, 321f., 325ff., 330ff., 338,341,357,359, 377ff., 386f. Gesundheit 151, 182ff. Gewißheit 118f., 123f., 170 Glauben 107,119, 165, 187f., 233,365 Gleichnis s. a. Höhlengleichnis, Liniengleichnis 104f., 307 f., 379f., 391 Götterbild 330 Gottldas Göttliche 3, 15f., 32, 34ff., 43f.,46,49,51,54ff.,59,62,65f., 71,75ff., 83, 85,88ff., 102, 108fF., 112ff., 117, 133,143,150, 154ff., 163f., 167f., 188f., 191, 194f., 203, 205,217f., 231,250,255f., 269f., 301,309,315,322,326,328f., 331f.
344, 349f., 364f., 368f., 371, 373f., 381f., 384f., 3871f. Gott der Philosophen 364 Gottebenbildlichkeit 186,189 Gottesbeweis 76, 109, 114, 129, 231 Gottesleugnung 56,76 Grammatik 114, 179 Graphologie 244 Gravitationsgesetz 198 GrenzelAusgrenzen s. a. Definition 65, 68, 121ff., 182ff., 215, 219f., 229,231,241,243,252,258,263f., 269,28Of., 285,288,303,322,334, 364,386 Griechen, passim s. a. Personenregister, Stellenregister Gruiid 32,36ff., 45,47ff., 56f., 59f., 69,71f., 76, 81, 83, 89 f., 94, 102, 110f., 113, 116ff., 124,126f., 147ff., 155, 171,191, 198,207,215,229, 235,237f., 241,246f., 279,288,322, 354,367,386f., 389,394 Grundbegriff 179,231,237,277R., 287,302,319,324,331,335,350 Grundlegung s. a. Fundament 24, 29f., 218,129,133, 154, 157,189f., 191,193,207,213,234,245,256, 331,368f., 389 Grundsatz 49,60f., 66,70,79,85,95, 97, 106,127,210,245,317 das Gute 52f., 107, 116, 150ff., 193f., 378 Gymnastik 182f. Handlung 38f., 75, 123f., 168, 178, 306,308 Harmonik 11,92,98 Helios 55 Hellenismus 15, 25 Hellcspont 10 Hermeneutik 17,22, 161, 199,243 Hermias-Statue 18 Herrschaft 6,20, 37,74, 150, 178,327, 356,364,367f. Herrscherkult 15 Historie 5, 9f., 20, 30f., 51, 66, 138, 174, 186,189, 197,199,204f., 355
Historismus 4,30f., 199,355f., 360 Hochkultur 92, 187f. Höhlengleichnis 57, 61, 64fI., 69f., 91, 100ff., 104f., 107,206,210,238 Hören 255,304 Hoffnung 188,366 Horizont 4ff., 8, 12f., 25,34,46,124, 133, 135, 140f., 153, 160, 165,167, 169,212,218,2278., 231f., 241,247, 255f., 263,276,289f., 297,352,361, 384f. humanitas 186 Hybris 54 Ich 118,120,224ff. Ich-denke 118, 125 Ideal 17,57 -, transzendentales 57 Idealismus 3,64, 116,375,389 -, Deutscher 3f., 23,41,45 f., 71,75, 77,89, 125f., 129,235,297,326, 332,360 Idee 6,35f., 41,43f., 75, 124, 134, 239f., 326, 374f., 379f., 386, 388, 391,393f. -, absolute 3511., 44ff., 88f., 113, 358 - des Guten s. a. Gott 51f., 551i., 59, 65f.,69,72,78,84f.,88f.,91f., 102ff., 107f., 113, 145, 158, 168f., 201,203,205,391 -, praktische 36f., 44f., 47f. -, theoretische 37,44f., 47f. Ideenlehre 41,60,239f., 279,385 Identität 36f., 44ff., 50,55,57,77ff., 84ff.,88,90, 108, 113, 115f., 129, 193,256,275,288,299,303,373, 385 f., 388,393 Ideologie 6, 199,236 imitatio Christi 15 IndividuumiIndividualität 26, 62, 198ff.,285f., 305,307,311,315tl'., 359 Induktion 182 Informationstheorie 244 Ins 158f. Ironie 308 Irrationalität 23
IrrtumlIrrweg 5, 77, 199f., 236f., 245 f., 278,302,320,371,377 Jena 30f. Jonier 9 Kaiserzeit, römische 15, 22, 139 Kartesianismus 5,228,282,319,359f. Kartographie (der Probleme) 205, 207 ff. Kategorien 5,23,71,73,77,82ff., 90, 115, 126,230,247ff., 256,27Of., 279f., 291,294 Kategorienlehre 23,71, 77, 83, 85, 91, 98, 115, 122E., 149, 168,178,217, 231,248f., 271,321 Kausalität 45,49f., 110, 112, 155 Kekrops 14 Kirche 76, 187 Kirchenväter 35,187 Klarheit 7,15f., 25,40,57,66,76,100, 108,112,165,169,181,202,204,211, 218,229,236,245ff., 286,328 Kleinasien 9, 17, 21 Körper 156, 166, 183,255,283ff., 289f., 300,310,317ff., 327f., 331ff., 339ff., 346,349ff., 358f., 369, 371ff., 380 Komplementarität 291, 294 Komplexität 146, 193, 357 Konstitution 42,69,81,87,89,95,112, 122,128, 138, 165, 175, 181, 183ff., 191,215f., 220,237,239ff., 243, 253,280,286f., 290,292,305,328f., 332f., 335f., 359,386 Kontinuum 56,116,122, 126, 128,247, 273f., 288,297,299,303,375,377, 382,388 Kosmos 55,59,73,86f., 146,155, 163f., 167,295,315,349,360,364, 366,369,375 Kraft 8,31, 159,168, 171, 173,299, 326,364,382 Krieg, peloponnesischer 14,25 Krise 4f., 29, 32, 34f., 51, 57f., 91, 188, 195, 198, 353 Kritik 57,90, 100, 109,172, 196f., 200,
204,211 f., 214,21611., 227,247, 262f., 265,267,271,312,352,367 Kult 13ff., 326 Kultur 19, 119, 186f., 189 Kulturgeschichte 239 Kunst 10,31, 57,62f., 119, 151,168, 199, 203,275,311,327,329ff., 342 Kunstgeschichte 239 Kybernetik 244 Kyzikos 10 Leben 6f., 16,24f., 39f., 44f., 64,67, 74,76,98,127, 166, 174f., 188,192, 217f., 220,252,289,301, 306,310, 317f., 320ff., 325,327,331,333ff., 341 ff., 346,35Off., 358iI., 367,380, 387,389,392,395 Lebewesen 8,40, 110, 136ff., 146, 151, 155, 160f., 163, 165ff., 17311., 180f., 185,188, 190ff., 217f., 221f., 228ff., 237f., 250ff., 254,271,280f., 285, 301,304,310, 313,317ff., 325, 327ff., 333,337ff., 341i'i., 349ff., 357ff., 367,395 Lehren 93f., 200f., 312f. Leib 55,62, 180,208,249,270,273, 284,289,300f., 317,342 LeidenIErleiden 48, 63, 65ff., 356, 362f., 390 Lernen 93 f., 200 f., 311ff. Lesbos 17f. Licht 31, 51f., 6Xff., 104, 116f., 146, 160,288,322, 327,330,378,390ff. Liebe 108, 123, 141,329 Linie 247,257f., 375 ff. Liniengleichnis 172,234 Logik 12,22ff., 42,61,78,83f., 90, 105f., 115,133,178, 182f., 195,200, 215,238,249,271,290,339 -, formale 42 -,transzendentale 43f., 57,75,77 Logos s. h6yog Lykeion 20 =- - -.
MachtlPotenz Sf., 31,76,117, 189 Magie 175 Makedonien 9f., 12f., 18ff.
Malerei 329 f. Manifestation 6,26,55, 122, 140,143, 146f., 174,187,221,237,271,279, 322,333,336,349,359,383 ff., 395 Mannigfaltigkeitwielfalt 55, 146, 148f., l88,221,237,271f., 282,297, 321,337 Marxismus 3f., 37,42,290 Maß 5, 15,20,54, 144, 146,149, 158, 163f., 189 Maßstab 143, 149ff., 154,162,263,350 Materialismus 116, 126, 249f., 273, 373,389 -, historischer 3f., 42, 290 Materialsammlung 11, 24 Materie 41f., 121f., 126, 156f., 179ff., 185,240,271,273ff., 284ff., 288, 290ff., 295,29711., 303,31Of., 319f., 323,325,330ff., 335,34Off., 365f., 374ff., 379E., 386, 388ff., 392 Mathematik 10f., 16, 22f., 41f., S E . , 64,77,90,93ff., 99, 110,112f., 144, 147, 156, 158,184f., 197ff., 216, 238,244f., 257,259,275f., 279, 290,308,320,355f., 374 Mechanik 119,198, 372f. Medium 119,180,202,288,380,386 Medizin 9E., 24, 151, 182f., 300 Meinung 63 f., 99, 169ff., 192, 201ff., 214,233 ff., 263 MenschIAnthropologie 8, 16, 34,40, 48,51,53ff., 59,62,68,75,87,98, 105, IlOff., 119f., 127,137f., 141, 143, 151f., 155,159,164, 166, 176f., 181, 183ff., 191f., 194,202 f., 221, 230f., 250ff., 255,269,,278,280f., 285f., 303,309fl'., 326f., 330,344, 350ff., 357ff., 366E., 374,379, 3841l'. , 392f., 395 Merkmal 42,69, 139, 175,184f., 220, 240f., 249,280,285,310,338,356 Metapher 93,117, 146,210,266,268, 326f., 332,334,372 Metaphysica generalis 165,243 Metaphysik 17,22,24,27,29,32,34f., 47ff., 56ff., 75E., 87tr., 93ff., 105, 107, 112,114, 116, 126ff., 133,138,
147,149f., 153,157,165,178,188f1., 192, 194f., 199,213,216f., 243,344, 352f., 360,368f. Meteorologie 24, 165f. Methode s. a. pCSo8og 11, 14 E., 24, 29f., 58,68,88,90ff., 99,101,103f., 106,108,112, 126, 134ff., 143, 145, 161, 168f., 173, 175f., 192, 194, 196ff., 203ff., 207ff., 216,220f., 227 f., 231f., 235 f., 243 ff., 248, 256f., 259,265,267,282,287,307, 319,324,328,336ff., 352,354,356 Mittelalter 117,309 Modalitäten 290 modern, Moderne s. a. Gcgenwart 5, 58, 195,244,253,269,278,290f., 299,320f., 353,355,360,365,378, 384,386 Modus 33,290,292,294,316,377,381, 385,388,394 Möglichkeit 8, 15,56,72, 81,84,91, 96,101,111, 116, 119, 121, 128, 139, 142f., 151f., 157f., 162, 164,167, 174f., 177, 183,189, 191, 194f., 240, 242ff., 257,259,265,270,285, 289 E., 29711., 303,305 ff., 309ff., 316ff., 323ff., 327,331,334,342ff., 350 f., 353,356,359,362,370f., 373ff., 379f., 385,387, 389ff., 393,395 -, Bedingung der 41,85, 180,338 -, innere 51, 118f., 305,349 Monarchie 203 Museum 6 Musik 10 Mystik 38,169 Mythos 50,94,134, 160, 188,360 Mytilene 18 Nation 186 Natur 33,41,43,45,48,52,60,64,68, 73,75f., 90,94, 110, 119, 123f., 136f., 141, 145, 147, 150, 152f., 155f., 160f., 164, 166f., 1738., 179, 190f., 198f., 202, 214f., 227f., 238, 252f., 255,273,275,279,282,284, 287,289,292,295f., 304,312f., 317,
320f., 327ff., 333f., 336,341Ir., 349, 351,360,365, 377,383,390 „Naturalis Histona" 130 Naturphilosophie 9, 11,41, 50, 60, 105 Naturwissenschaft 5,9,24,64,94,139, 174, 192, 197,287,291,297f., 301f., 308,321,331f., 383f. Negation 37, 52f., 71, 113, 115 Neukantianismus 9 Neuplatonismus 22,69, 109,138 Neurologie 244 Neuzeitlneuzeitliches Denken 3 , 5 ff., 22,34,44,46,57,75,94,102,117ff., 124f., 146f., 165, 174,176ff., 184, 188, 191, 197f., 219,228,253,281f., 287,289ff'., 297ff., 321,327,332, 341,350,360, 365,374f., 377, 389 Nichts 47ff., 294,382 Nichtwissen 101,205, 207 Nihilismus 233 Notwendigkeit 49, 69, 77, 81f., 104, IlOfT., 115f., 167, 185,286,290,338 Nüchternheit 167 Objekt 30f., 75, 119, 123f., 184, 191, 253,282 Objektivität 31,35f., 118, 124, 145 Odipus 54 Ökologie 183 Ökonomie 151 Offenbarung 88,301,384,388,393ff. Ofienheit 221,244,279,393,395 Ontologie 4,32,40,43f., 46,62,76, 89,109, 114f., 117, 120, 122f., 125, 129, 133,147, 162,165, 194,216f., 229,231,236,243,249,272,276f., 282,287,292,294,302,30C„ 309 f., 314,317ff., 324f., 327f., 331ff., 340, 350,357,378, 385f., 388f. Ordnung 24,26,59, 83,202,217,284, 308 Organs. a. Lieyavov 39f., 286,301, 325,330f., 335 f., 339,349,369, 372ff., 380 Organisation 7,24,119,181,221,284, 330ff., 335f., 357fl., 360
Orgariismus 183, 283I., 286, 306, 321, 330f., 337,339,380 Orient 15, 19f. Ort 70, 79 ff., 100, 164, 185, 230, 247, 249f., 272,276,291,293,295, 374
I
i I i I
Panhellenismus 13, 19 Paradoxic s. a. Zenon 56, 76, 146, 148. 172,192,273,298,314 Penpatos 17,20 Perser 18f. Perspektive 29, 31 f., 35, 37, 69,72, 127f., 141, 197,216,218,229,240, 270,291,356,368 Pflanzen 43, 110, 166, 181, 1838., 192, 220,252,254,295,319, 325,327f., 331,359 Phänomen 7,29,31ff., 53, 55, 59, 116, 144ff., 166f., 171,185, 188, 191, 193, 245,249f., 273,291,294,384 Phäuomenalität 116, 126 Phänomenologie 189, 355 Philologie 9,31, 139,233,265B., 390 Philosophen-Könige 19, 162 Philosophie, auch passim 311., 18,22, 24ft'., 30f., 35, 47, 50f., 53f., 56, 58, 66, 71, 77, 83f., 89, 91, 94f., 101, 105ff., 108H'., 120, 129, 133f., 145, 153f., 156E., 164f., 167ff., 172, 178, 18711., 191, 198!1., 202,204,227, 233f., 237,244,263,265.267,269, 271,28lf., 297,299,315,324,328f., 344,346,349E., 356,360,363, 365ff., 374,389f. Erste Philosophie s. a. Tlicologie 22f., 71, 77f., 80f., 90, 93, 97f., 114, 139, 144, 147, 150, 152,156f., 162, 191, 206f., 217,229,238,24111., 246 Philosophic, griechische passim Physik 6,23f., 42,47,85,119,123,138, 153, 156ff., 162f., 166, 178, 184f., 191f . , 194, 198f., 217, 290, 293!1., 341,350ff., 365,383f. Physiologie 371ff. Planung 119 Plastik 329ff. Platon-Kritik 15f., 41, 51, 76, 89ff.,
100, 108f., 11211., 149, 168f., 188, 201, 216f., 238,246277,292,320, 352,363,367,375,377 Poetik 24 Polarität 84, 116, 141,272,292,299, 323,360 Politik Sf., 11, 191., 23f., 26, 32, 64ff., 144, 151ff., 155, 162, 178, 186, 194, 202 f. Positivisinus 30f., 106f. Prädikat 56, 73, 78!f., 82ff., 121f1., 127,215,219,229,230,256,365, 369,386 Präsenz 6, 155,218,240,330,38211., 393 Pragmatismus 20, 25 s Praxis s. a. x ~ ü < t37,41,43,46,638., 151, 153, 162, 183,318,358 Prinzip 24f., 33, 48f., 57, 72, 78, 80, 83,85,87ff., 92,95,97, 100, 105, 148, lhhf., 174f., 178, 181, 185, 201, 203f., 207,213,247,284,286,295, 300,306,317,321f., 331, 334,359f., 365,367,373 Prinzipienforschuiig 178 Produktion 6,38ff., 43, 74, 153,239, 275, 304, 3301'. Prooimion 227,233,235 Propheten, jüdische 199 Protestantismus 5,22, 199, 309 Prozeß 7, 174, 188,209,211,263,291, 293,304,315,324,372,377 Prüfungsordnung 5 Psychiatrie 244 Psychoanalyse 244 Psychologie 34, 137, 186E. Qualität 81f., 230, 248H., 271, 280, 341,369 Quanteiiphysik 10, 290f., 294, 297f. Quantität 81f., 97,230,248 Ir., 273, 280,291 Ratsel54,270, 284, 296, 361 Rangordnung 43 f., 70,73 f., 77,83, 135ff., 139f., 143, 145, 148f ., 152f., 157f., 168, 170, 172, 188, 190, 192f.,
221 f., 233,237,248,345,349,367, 390 Rationalität 100, 319, 365 Raum 56,136,147,184,187,191,290f., 345,356,374, 382fS. Reaktion 5 Realgrund 56, 85 Recht 33, 117,202 Reflexion 169, 177f., 359 Reformation 46,309 Regel 92, 119, 144,181 Region s. a. Bereich, Sphäre 136, 140, 160, 173, 176, 181ff., 187,2431., 249,369,374f., 379,387ff., 391,393 Reif 122,275f., 278f., 281, 325,379f. Reise, Platons sizilische 10f. Relation 52, 79, 81f., 104, 154,216, 230,240,250,272,316 Relativitätstheorie 10, 290 Religioii 119, 187f., 202, 360, 364f. Religionswissenschaft 188 Rcmiiiiszenz 6 repraesentatio 83, 128,240 Reproduktion 240,316 res cogitails 360 res extensa 360 Rhetorik 12,24, 62f., 202, 233 Römer 15,22, 117, 186, 199,282 Sachenrecht 117 Satz vom Grund 48ff., 85, 89 Satz vom Widerspruch 49 f., 77 ff., 89f., 93,97f., 107, 113, 115, 121,195 Schatten 61, 63f., 69, 104 Schein 61ff., 70, 102f., 125 -, transzendentaler 62,76, 109,125, 128f., 168 Schiffsbaukunst 151 das SchönelSchönhcit 123, 137f., 158f., 329f., 367 Scholastik 120, 123, 125, 168, 174, 212, 231,235 Schulphilosophie 353 Scipionen-Kreis 186 Seefahrt 50f., 59f., 65, 678., 71, 77, 90, 100, 102, 343 Seelenlehre, auch passim 3, 126ff.,
161ff., 182, 187, 189f., 195f., 218f., 251,301,324,343f., 349, 353,389 Scclcntcile 25111., 254, 344, 357, 363 Seeleiiverfassung 179, 188 Seelenvermögen 59, 141f., 152ff., 167, 170, 172, 176, 193f., 219,221f., 251, 253 ff., 264, 269f., 306, 345, 350, 356f., 361 Sehen 39,52, 108,304 das Seiende 22, 33,37,47ff., 53, SSff., 59ff., 69,76ff., 90,96,98, 100,104, 106f., 110i1., 114f., 1201l., 127, 152, 163, 180, 185, 191,220,229ff., 235, 237ff., 241ff., 246,248f., 256, 2708., 27511., 279fl., 2861S., 2921E., 299,301,303ff., 315,319,321, 335, 340,342,345, 351,366,369,374, 376ff., 38511., 391ff. SeiendheitISeiend-Sein 69, 90, 175, 179f., 220,230f., 241,248f., 298, 362 Sein 35, 48ff., 52f., SSff., 72f., 75ff., 79, 82ff., 86, 90,95,97f., 103f., 106ff., 110, 115ff., 123, 128,146, 181, 191,217,237f., 240f., 2458., 252,256,274,278ff., 288,292,299, 301,303,305,307,315ff., 320f., 335f., 345, 361f., 375f., 3811f., 392 Seinsverfassung 83, 127, 138, 180, 185, 248,256,293,299,309ff., 314,316f., 323,362 Selbstbeweguiig 108, 192,321ff., 327, 334f., 344,349,351f., 357ff., 361 Selbstbewußtsein 37, 118, 360 Selbsterfahrung 119 Selbsterkenntnis 32,94, 104, 118, 120, 177 Sclbstgewißheit 118f., 123f. Selbstorgariisation 295, 298, 300, 341, 344 Selbstzeugnis 17 Selektion 321 Sensualismus 307 Setzunglpositio s. a. 6~6Scot5,SEot5 60,96,98ii., 106, 108,136 SinnlichkeitISinne 41, 55f., 98, 142, 171, 178,217,221,240,274ff., 278,
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~
I
280, 303, 30811 ,319,326,330, 336, 342, 757, 361f ,37211 ,178ff ,384, 386ff, 391 Sitte 19, 138,202 Sizilicn 10f Skepsis (Stadt in Kleinasien) 21 Sonne 31,51f , 60, 68ff , 108,146, 171, 319,326, 385,391f Sonnenhnsternis 59, 68 Sonnengleichnis 51 f Sopliistik 62, 258 Sozialrncdizin 183 Sozialpsychologie 244 Sozialw~ssenschaft10, 94 Sphare s a Bereich, Region 56,75, 98, 102, 120,241,342,350,378,384 Sphinx 54 SpiegeluiiglSp1egelb11dlReflcx60f , 6811 , 80ff ,90, 100,103, 119, 178, 202, 230 Spiel 283, 306 Spielraum 303 Spontancitat 359 Sprache 146f ,308, 326 Staat 6 i , 11, 14, 19,64, 119, 151, 162, 194,202, 359 Stagira 9 Staunen 150, 158f , 190, 193f ,329 Sterblichkeit 66, 127, L46 Stereometrie 11 Stcrne 70,155ff , 160, 163f , 184, 198, 295,319,349,385 Stil 15, 167f Stoa 86f ,90,331 Stoffwcchsel321 Struktur 6,22,29, 72,41,48,5511 ,71, 74,77, 80, 82ff ,88, 9 2 , 9 4 , 9 8 f , 105, 115f , 118f , 122, 128, 143,162, 178, 181, 183, 185, 195, 200,202, 217,221f ,229f ,24311 ,247,249, 255f ,259,271,274,276,279,281, 285 ff ,291i ,297fi ,302ff ,315 11 , 321,324, 726ff , 33311 ,344,350, 353,372,3748, 380,386ii ,391f Stufe 43f , 104, 140, 143,145, 147, 149f , 158, 170,219,222,233f ,264, 268,281,322,342
Stupsnäsigkeit 220,375ff. Subjekt 73,78ff., 82ff., 87, 101, 114, 117f., 120ff., 189,215,219,229 f., 237,272 , absolutes 124f., 129 -, transzendentales 34, 62 Subjcktivität 3, 35f., 108, 1181i., 124ff., 177, 189, 320 -, transzendentale 126 Substanz 56, 69,87,108, 114, llhf., 121,123ff., 160, 174f., 184f., 195, 213,219,373 Substrat 121, 128,254,292,315 Suche 11, 16, 50f., 59,69, 102, 116f., 145, 176, 178f., 207, 211f., 227f., 231,23Sf., 244,246,259,265,281, 352 Süditalien 13 Sumnium eiis 114 Syllogistik 22 Syinbol 119, 284 Symmetrie 77, 84 S y n t h c s e / o ~ h S ~ 11,25,37,41,43ff., ot~ 85, 112f., 330ii., 358 System 3,22f., 87,90,96, 119, 128f., 146,150, 167, 175, 181, 197f., 200, 324,355f. , absolutes 86f. -, ollenes 183 Systematik 5 , 7 , 12,22ii., 91, 134, 183, 202 Technik 5, 119, 123, 175, 326f. Teil 24,90, 179,25lff., 255,283ii., 291,293,295,298,301,319,325, 327f., 330, 332ii., 336, 3418., 351, 357f., 362ff., 390 Teilbarkeit 250if. Teleologie 297, 302 Testament des Aristotelcs 18 Thasos 326 Thaumas 159 Theben 54 Theologie 38., 15, 22f., 34f., 37,46, 71 f., 76f., 83, 85,87, 122,133f., 149, 152, 154, 156ff., 160, 162,165, 167,187,194, 199,218,223,233,
244,256,296, 300f., 309,322,332, 344f., 347,352,361,369,38911., 394 Theomorphismus 189 'I'lieorie 37,39,46, 140, 147,153, 179, 183,198,212,236,249,295,318,358 -, politische 6f., 10, 12,20, 24f., 183 Thrakic~i9 Tiere 166, 170f., 179, 181, 1831l'., 220. 252,254,284, 328f., 331,336,338, 349 Tod 17,20f., 65f., 127, 166,281,28(„ 340f., 380 Ton 255,379 Topos 233,235 Totalität 33, 80, 86f., 90, 104f., 169f., 234 ~radition1Überlieferung3, 14,22, 25, 29f., 35,78, 87,92f., 116f., 137, 160, 172f., 199, 205,209, 214, 216, 219,227,231,234,262,351f., 354 Transparenz 117 Transzei~de~itallihilosopliic 23, 34, 41, 43,45, 57,90,103, 105, 109, 112, 118R., 142, 177f., 199,297,358f. Transzendeiiz 62 Traum 98, 100, 112, 166, 306 Trug 44,46,64, 66, 120,246.300, 306, 356,371 Tugend s. a. N Q C T ~15, 162,366 Tyran~iis11, 17 Übereinstimrnungiatiaequatio 36. 421., 144, 193 das Übersiniilichc 45 Überzeugung 170f. Umwcndung der Seele 61,64,99, 101, 104 das Unhewußte 188 unendlichlewig 76f., 156, 292, 315, 390, 395 Universalienstreit 117, 309 Universalität 23,26, 163f., 175, 360, 383,393 Universität 5 Universum 59,91, 163,354,360 unmittelbar 96,274, 359 Unsterblichkeit 127,207, 209, 390
Unteilbarkeit 250ff., 273 Unvcrborgc~ihcits. a. Wahrheit, ixh~flcttr52, 60 Urphänomen 193 Ursache 116, 126, 156, 165,329,338 Ursprung 23,51 ff., 56f., 59,66,69ff., 77,81 H., 91,93f., 98f., 102, 104, 107, 110 K., 118, 123,136, 141,146ff., 153, 155f., 161, 163, 165, 167, 173, 175,177,180,184S., 190fL, 194,198, 201f., 207, 214ff., 228f., 2351i., 241, 245ff., 258,279,285,288f., 294ff., 305, 316tT., 3208., 328, 333t1'., 337, 3391i., 349,351,358,361f., 3668., 388ff., 394 Urteilsvermögen 313 VeräiiderungIWechseI 56,69,79ff., 84, 110, 113, 127f., 144, 146, 153, 193,291ff., 303,311ff., 322,371,373 Verantwortung 6, 13 Verfassung 18,186, 194,203 Verfassungslehre 11, 24, 202 Vergangenheit 8,31, 160, 189,290 Vergehen 84, 166,279,288,29111., 298, 313,31Sf., 318, 321,328,345, 387f., 395 VcrhältnisIRelalion 23, 29, 37, 52, 55, 57, 79ff., 84ff., 89f., 97f., 104f., 152, 154, 163I?., 167,183, 198,230, 240,244,272,275,293,316,356, 362,376f. Verhaltensforschung 244 Vermehrung 321 Vermittluiig 93, 96, 113, 173, 228f. Vermögen 53,73, 134,137, 14011'., 166f., 17011., 176,178, 180,192,194, 221,230,234,243,251,253ff., 264, 275f., 292,306,310ff., 315,317, 329i., 334,337,342,344f., 357ff., 368ff., 374ff., 380,386ff., 395 Vernunit 53,57,70, 106, 121, 139, 188, 199f., 231,358ff., 365 , praktische 45, 112,359 -, thcorctischc 45, 112 Veri-iunftvermögen45
Verstand 70, 100, 106, 124, 171, 188, 309,366 Verzeichnis der Schriften des Aristoteles 21f. Vcrzweifluiig 48,356 Völkerkunde 202 Vollzug s. a. E v i ~ y e t a40f., 43f., 46, 64,73, 13811., 142f., 157f., 173, 176, 178f., 304, 335f., 395 Voraussetzung 4f., 7, 341., 97f., 100, 118, 139, 145, 165, 172f., 176, 184f., 187, 193, 197f.. 202ff., 227,229, 232,2431., 247,279,282,363, 382 Vorsokratiker s. a. Naineiircgister 11, 25, 140, 166, 188, 196f., 200,204ff., 209,21lf., 214,216,218,227,263, 271, 273,283,290,297,311,320, 328f., 335,352fi., 363,365lT., 369, 371,374, 381 H'. ,391,394 Vorstellung 35, 62, 64, 125f., 144, 146, 170,184,198,203,205,257ff., 283 f., 298,302,308, 357,360, 374, 377 Vorstcllungsverrnögen 139ff., 170, 221,234,254,302,306,309,346,351 Vorurteil 7f., 10, 57, 137, 142, 144, 168, 175f., 186f., 196, 199f., 20211., 208,231,236,253,263,298 Waclist~im52, 304, 318f., 321 f., 359 Wahrheit s. a. Urh$,fl~~a 13, 22,24, 31ff.,41,4311.,47,52,551.,6lff., 6611., 72, 77, 791., 82ff., 10011., 107, IISf., 118f., 123, 136, 145ff., 152, 155, 161ff., 167f., 170, 172, 190ff., 198,20Off., 208, 210, 217f., 222 fl'., 238, 245, 252, 270,280, 287, 3001., 306, 314, 322, 326,330, 351, 353ff., 358,360f., 3651'., 368ff., 379,385tf., 3891., 392,394f. Wahriielimungs. a. nlcn#qotc; 55,59R., 137, 139R., 166, 170f., 176, 192, 202, 214,217f., 221f., 234,241,253, 275f., 278, 306f., 3091., 314, 326, 328f., 342, 344,356f., 362,372f., 37811., 384 Wahrnelirnuiigslehre 142 Wahrnehmungsvermögeii 141f., 170,
217,221f., 234,251,25311., 306, 341f., 346,351,356,369, 375,379 Wahrscheinlichkeit 290 Wechscl s. a. Veränderung 79ff., 84, 127f., 153, 193,288,295,303,311, 322 Weclisclwirkung 24,37, 183 Weg 31,60, 65,67, 99, 101f., 104f., 1071., 126,136, 170, 172, 176, 189, 194, 196f., 201,2031?., 234,236, 246f., 263ff., 300, 302, 318, 349, 371,374 Welt 3, 7, 36,38, 47f., 53, 98, 119, 187f., 255,382ff. -, I<ünstliche119 Weltanscliauung 350 Weltbild 5, 7f.,12, 32 Weltgcscllschaft 188 Weltseele 375 Weltsystem 360 Werk 38ff., 43f., 46, 60,64,67f., 74, 152,302,304ff., 3321'. Werlczcug 326f., 330,332f., 340f. Wesen 15,32,34,40,42,47f., 50,52, S4,65,73,75,78,83,85,113,118ff., 142, 14<),173f.,178f., 184, 189, 215f., 219,231,242,256,280, 285f., 291,295,299, 314, 340, 38411., 388. 395 Weseii des voüg 142,221f., 362,392, 394 Wesen Gottes 32,34,37,59,72f., 76, 88, 188,344,364,391,395 Wcscii der Seele s. a. o C o i a 34, 54, 60, 72f., 91,94, 108,114, 119f., 137, 139 R., 150, I60,162,173,176f., 187, 208f., 215 I?., 229, 242, 251, 256, 265,268,277,289,301,305,344, 352,390,393 Wcscn der Wahrheit 32,34R., 73,77, 94, 164f., 355,385 Widerfahrnis 158,164,173,228,230ff., 256f., 259,264 Widerspruch 16,45,50,57,85,91,104, 117, 188,204f., 209,211,214,238, 259,273,278,290,294, 367 Wille 327, 360
WirklichkeitIRealität Sf., 30ff., 43ff., 56, 60ff., 66,75f., 83, 87f., 96, 113f., 116f., 129, 133, 147, 152, 164, 179, 195,206,240,250,276,290f., 299ff., 305ff., 318,320, 334,350f., 358,360,363,369,373f., 381,385, 38811., 395 Wirklichkeit, absolute 76 Wirkuilgsgeschichte 3 ff., 8, 21 f., 26, 2911., 77,87, 89, 110, 114, 116, 120, 122ff., 129,133, 165,169, 172f., 187ff., 194,231,234f., 243,309, 324,328,353%.,358ff. Wirtschaft 5, I94 Wissen, auch passim 12, 16, 20,23f., 491., 54, 62, 68, 84, 93ff., 97ff., 101, 104, 107f., 129, 135fl., 145, 147ff., 154f., 157ff., 165, 170, 1721., 175if., 1871., 190,200 f., 234 f., 243,247, 253, 265, 301, 30511'., 327, 360, 362, 372,379,387, 393 -, absolutcs 104 Wissenschaft, aucli passim 5, 7, 10fT., 16,22f., 47,64,81,91 ff., 96ff., 100, 102, 105, 108, 112,114, 119,125, 136ff., 144f., 147E., 15511., 159, lbllf., 165, 167ff., 172ff., 176, 178, 181ff., 191f., 193i'., 197, 199f., 203, 205ff., 209,212f., 217,2271T.,231, 234iT., 238,241ff., 2 5 2 f , 257,259, 268,277,3271., 332,337,350,352f., 365,388f. Wissenschaftstl~eorie/Wissc~~scl~aftslchrc 5, 12,22,24,78,92,94, 100f., 106, 115, 133, 137, 1391., 1441., 153, 162,182, 192ff., 200,216,232,242, 258,393 Wort 62,97, 117, 119, 147,175,220, 269,283ff. Zahl 55, 147, 163,221,236,245,247, 279,320,377 Zeichen 42,62,93, 119, 141,186,283, 379 f. sich Zeigen 37, 40, 53, 176, 182, 231, 238,272, 336,375,380, 383, 385 Zeit 50,56,73,77ff., 102, 126, 128,
163f., 178, 185, 191,230,272,279f., 288,290,292f., 303,307, 314ff., 322, 382,384 -, Einheit der 128 zeitlos/unbewegt 66, 110, 112ff., 117, 127,144f., 153,156,193,256,279ff., 288,292f., 296, 299, 303, 328, 368, 386 Ziel 34, 36, 38, 405, 54, 102, 107f., 151f., 155, 173, 176f., 179ff., 189, 192, 194,20Sf., 211, 228f., 231, 235f., 238, 241, 246, 26311., 268f., 293ff., 297f., 302, 304f., 316ff., 328,343,346,350f., 358ff.. 395 Zirkcl 113, 115f., 24211. Zivilisation, wissenschaftlich-technische 119f., 123 Zoologie 20,24i., 139, 166, 183f., 328,331 Zügel-Beispiel 239tf., 274,332 Zufall 30, 211, 297, 299 das Erste Zugrundeliegende s. 6noxeiycvov Zukunft 8,30,32,51,296 Zulus 185 Zustand 40f., 43,49,100, 154S., 174, 179, 210, 293If., 297f., 303, 305ff., 310H'. ,317,321 Zweck 3f., 36,44f., 108,129, 151f., 157, 190,297f., 302,333 Zweifel 319
'ASqvOL ' O ~ y u v q326 aln6rln~gs. a. Wahrnehmung 60, 140, 170,214,217,221f., 234,326,341f., 362,373,37811. a i ~ i s. a a. Grund 47,50,71f., 100,111, 116, 147f., 155f., 193, 238, 337, 362, 367 6.%QipEt~ 136, 139, 143ff., 152, 154f., 157, 170, 190, 192f. &h419c~cc s. a. Wahrheit 52, 60, 63, 66R., 136, l61f., 191,210,222,238, 314, 335,351, 385,387 .ch & V U ? I ~ S 51,58f., ETO~ 66,71 f., 76E., 84f., 89f., 113f., 116
6na19ig 356, 3621., 391 Wnct~ov121, 126,274 &QET 15,18, ~ 182 6 ~ x s. 4 a. Ursprung 47,51 ff., 66, 71R., 77f., 81f., 84f., 89f., 95ff., IlOR., 115f., 136, 144, 147f., 150, 152, 155,159, 161, 193,203,207, 216,218,236,247,284ff, 288,336, 345,358f., 364,366,368,391 cc.U~tL~xq~ Shf., 108 &cpcciecnt<377,380,386f. y i v c c r ~279,313 ~ y t v o ~s. a. Gattung 97,184,248f., 271, 337 Ga~y6vtog53f., 65, 71 6 t a i ~ ~ 236,245f., o~g 287,320,328 GttLvota 68,70,93,99f., 103, 106, 153, 162, 171, 178,206,370f., 388 60Ea s. a. Meinung 63, 102, 153, 170, 172,214,234 GVvay~5s. a. Möglichkeit 53f., 84, 116, 141, 162, 165, 179, 189,272, 297,299,306,309 f., 312,314, 316, 318,337,342f., 351,357, 380,386f., 390f.. 393 c16qntg 135, 137f., 140f., 143, 158, 179 ~260536,41R., 55, 75, 116, 122, 125, 127, ISOf., 272,274Ci., 279,281, 287f., 292, 295f., 298f., 30111., 315, 323i1'., 332,334,336, 339ff., 344, 351,356,362,369f., 375tf., 386, 388, 391ff. Fv6oca s. a. Meinung 202ff., 214 Evi~yctas. a. Wirklichkeit 38ff., 43f., 46f., 73, 75f., 83f., 88, 108, 113, 116f., 138, 140f., 152, 155, 162f., 179,272,277,287,289f., 300ff., 304ff., 311,314,318,322,325,333, 345,350,361,363,370,381,386, 390ri. hxchkx~~ s. aa. erste und zweite E11telechie 36,38,40f., 44, 114,133, 180, 248,250,270,277,289f., 292ff., 298ff., 304f., 307,30911., 322,324f.,
331,333ff., 340, 342ff., 349n., 3571E., 369.373,375f., 388,392, 394f. EnExc~varij5 o6oiag 53, SSf., 69,71, 73,77,85, 89, 103. 108, 113, 116, 217 &mrn.ilpqs. a. Wissen, Wissenschaft 23,81,96, 9Xff., 137f., 150, 153, ISSff., 160,170, 172f., 203,206, 227,234,238,242,305, 307,3091., 3[2,314,316,327,362, 381,387f., 391 b y o v S. a. Werk 38ff., 43f., 46,60,64, 68,74, 152,254,301f., 304,326, 332f. c.UGatpovia ISf., 40,54, 152, 154f., 162,395
xaS6ho1i 68,142,269,277,281 f., 28411., 291,296,303,322,339,362, 379,387 ~ ( ~ h 135, 6 v 143, 154, 158, 190 xu~& n a v ~ o gs. a. allgemein 282ff., 286,288,291,322,336, 339 x o ~ v s.6 ~a. allgemein 282, 336f., 339, 371,373 xivqntg s. Bcwegung h4Sq 66f., 72 hoyog hoff., 64,68ff., 73,77f., 82, 87, 90, 103, 122, 152,171, 184,216, 219f., 230f., 237,250,252,256, 258f., 264i., 269, 271f., 281, 286ff., 296,298,322f., 325,336, 339ff., 345f., 351,354,357f., 376,379
h6yog hnocpavttn6g s. a. Aussage 22, 83 f., 98, 161, 178,217,230 pi.ifobo~s. a. Methode 67f., 99, 101f., 214,228f., 236,246,265ff. peaaßoh4 312f. po~cpts. a. Gestalt 272, 274ff., 279, 281,287,296f., 303,323,325, 380 vi>qnis s. a. Erkenntnis 37,41,43f., 46,52,73,75,88, 1071., 114, 143, 157,345,362f., 370,38OR., 384f., 388,394f. v o ü ~3,12,33f., 37,44,52,56,59,62, 70, 72f., 76, 108, 117, 133f., 142, 149, 152f., 155K., 163f., 166f., 170, 172, 177f., 188, 193f., 218, 221f., 234,253f., 25(„268ff., 274,276, 301,309,315,3431i., 349,35lff., 374K., 381f., 385ff. voüg 1 9 e w ~ q t ~ 356, n 6 ~358, 360f. voüs [email protected],391tl., 395 voüs xotyttx65 345f., 390f., 393,395 vo" xpaxatn6s 356, 358ff., 395 v o i ) ~XO)QLOT(>S345f., 362
6hov s. a. das Ganze 285 E., 291,322, 328,336,339,342,357,388 Opoituot~iYc+ 15, 54, 189 ro 6v s. a. das Seiende 78K., 84, 117, 237f., 240f., 246,271,276, 287 ii~ytxvov301, 325ff., 3321l., 3361f., 370,389 O Q L O K ~ s. S a. Definition, Grenze 68f., 71, 97, 100, 258f., 263fT., 268f., 280 f., 285,334,351 oUoia 53,69. 71ff., 75ff., 82ff., 89f., 108, 110, 113K., 121if., 127ff., 173, 175, 177, 179ff., 184f., 213, 215f., 21911., 228ff., 235ff., 242R., 255 tf., 261, 264 f., 268, 270 ff., 276 f., 280f., 284ff., 289,296ff., 303,305,314, 318tT., 324f., 328, 330, 33411., 339R., 3431i., 350f., 353,373
I
slG19o~s. a. Widerfahrnis 159,163,173, 228,230,232,2561., 250, 264 natbsia s. a. Bildung 1041., 144 n6.v s. a. das Ganze 33,50f., 63, 105, 155, 170,285f., 297,326,328,357, 366. 381,385, 587,3901. n a v - c ~J ~ U Y 169 ~ ~ f., S 234 x i n a l ~169ff., 233f., 269 noiqots s. a. Produktion 381i., 74,304, 330, 333,392 n ~ k y p u59K., 63, 6611., 206, 376,381, 385,388,391 n ~ a t s.l a. ~ Praxis 38ff., 46, 61, 63f., 67,74, 110R., 138, 140,304,332ff., 358f.. 395
tiho~ s. a. Ziel 36, 38ff., 180,206, 293f., 298,302H'., 3 5 0 , m f f . . 395 tixvq 63,98f., 140, 153, 160,326f., 330,390,392 t i ~ ~ T 184,236,248,258,278,280 L Y t i q v ~ivu.1274f, 2771I., 287,292,296, 302f., 314ff., 339ff., 375f., 386 tiptov 135f., 143, 154ff.,158f., 190, 328,345 t6nog s. Region, Ort Ühy s. a. Materie 116, 121, 127, 156, 180, 270, 272f., 287f., 2901I., 206f., 299,311,323,340ff., 345,351,376, 378ff., 390f., 393,395 6 d ~ x e t 74,78R., v 93,137, 156,173, 214ff., 228,238,241,264,268,317, 322,337f., 362,367, 388,390 6xc~ßohfi51,53f. Cx68cnts s. a. Grundsatz 60f., 66, 70f., 77f., 85, 97ff., 102f., 106f., 110, 1121I., 115ff., 136, 209 Cxoxeiyevov s. a. Subjekt 74, 77, 83, 113ff., 117f., 120ff., 128f., 229f., 323 U T G ~ ~ ~ I136f., ~ J L S 142f., 370f.
I
1 i
cp80~6313 cplhiu 13ff cpo~us. a. Bewegung 291tf. rpvnts s. a. Natur 60,75, 111, 136, 150, 156, 160, 165T., 173, 177, 179R., 191f., 198f., 214t., 217f., 222,
227K., 232,289ff., 296f., 312f., 315R ,331,334,341,349, 357,363, 366ff., 382,390 Qvxt passim
Adam, Ch. 47 Adorno, Th. W.57f., 189 Aischylos 65 Albertus Magnus 121 Alexander der Große 10,18ff., 25 Amyntas von Makedonien 10 Anaxagoras 59,188,353f., 356,361,
1
1
3638.,366ff.,369,371,374, 387, 391,394 Antipatros 20 Aristoteles passim von Arnim, J. 86 Arpe, C. 278 Augustin 187,199 Bekker, I. 13,22,33 Biehl, G. 171 Bohr, N. 198,294 Chrysipp 86 Cicero 21,86 Cornford, F. M.197 Couturat, L.49 Demokrit 52,138,147,249,273,283,
320,328,366 I
Demosthenes 13,19 Descartes, R. 5,47,92,94,118f., 125,
228,282,319,359f. Diels, H. 138,293f. Diogenes Laertios 105 Dirlmeier, F. 152 Düring, I. 8,llff.,16,18,25 Duns Scotus, J. 123 Eigen, M. 297f.,341 Einstein, A. 198 Empedokles 250 Epikur 138
Erastos 17 Eudemos 14 Eudoxos von Knidos 10,92 Euklid 92 Euripides 366 Fichte, J. G. 45f.,77,125 Fraenkel, E.65 Frauchinger, E.365 Frisk, H.40,293 von Fntz, K.95 Gaiser, K. 147,374 Galilei, G. 5,174,2971. Gerhardt, C. J. 48 Glaukon 53,55 Glockner, H. 3 Goclenius, R. G. 22,229 von Goethe, J. W. 249,326 Guthrie, W.K.Ch. 365f. Heath,Th. 95,97,99,247 Hegel,G.W.E3R.,6,8f.,23,27,
29ff.,32@.,351i.,38f.,41ff.,448., 47,51,57,62,70fI., 73,75ff., 80, 85ff.,88ff.,91,94f.,104ff.,107ff., 113f.,116ff.,125,127,129,133,178, 189f.,200f.,234f.,249,274,299, 324,326,332,358,360 Hcidegger, M. 47f.,52,57,76, 89, 355 Heimpel, H. 6 Hekataios 9 Heraklit 329 Hermias 17ff. Nerodot 9,66,138f.,203 Hesiod 159 Hicks, R. D. 33,136,177,182,232, 247,255,257,319,378
Hoffmeister, J. 3,104 Homer 64,366 Huber, W. 174 Husserl, E. 189,355 Jaeger, W. 17f.,24,293 Jebb, R. C. 54 Joachim, H. H. 142 Kallisthenes 19f.
Kant,I.23,34,40f.,43ff.,46,51,56f., 62,70,75ff., 79,85,90,92ff., 100, 103,105,109,112,118ff., 121,123ff., 126ff.,129,142,169,177f., 199ff., 247,249,290, 297,358f., 370 Kierkegaard, S. 127 Klagcs, L. 365 Koriskos 17 Kramer, H . J. 17,55,85,144,147,149, 157,344,354 Kranz, W. 138 Kruger, H . 6 Langkavel, B. 330 Leibniz, G.W. 41,48A'., 56,85,89,92,
94,120,290,360,372f. Liddell, H. G. 293 Luther, W. 52 Mach, E. 298 Marx, K. 3f.,42,290 Mentor 18 Merguet, H. 86 Monod, J. 297 Moraux, P. 9
Parmenides 32,55f., 59,117,170,188,
234,241,335, 353f.,363,365f., 381ff.,384ff. Pascal, B. 364 Pauly, A. 8 Philipp von Makedonien 13,18f. Philistion 11 Philoponos 135,374 Picot, Abb6 47 Pindar 25,66ff., 72 Platon 10ff.,13ff.,16f.,19,21E., 24ff.,34,36,41,50-78,84f., 88ff., 91K., 94,97-109,112f., 115ff., 122, 128,133,140,144ff., 147,149,151f., 154,158f., 162,164,168ff., 172,176, 180,183,187ff.,193,197,20lff., 205,208,210,216f., 219,228,233ff., 2388.,246,248,251f., 258,268f., 274,276f., 279,2828., 286f., 290fl., 296,299,307,312R., 320,326,328, 332,334,340,352ff., 355,357, 362f.,366f.,374f.,377f.,385ff., 391 Plinius d. Atere 139 Plotin 17 Porphyrios 22 Pythagoras 146 von Ranke, L. 6 Ritter, J. 86 Rose, V. 13 Ross, D.13,33,68, 171,212,257,293,
319,390,394 Schadewaldt, W. 65 Schelliilg, F. W. J. 4,23,41,46,48,71,
77,89,178,297,326,332,360
Nausiphanes 138 Nelens 21 Newton, I. 198,249 Nicolin, G.4 Nictzsche, F.32,58,168 Nikomachos 10,18
Schröter, M. 48 Schudema, I. 65 Schwegler, A. 81,278E. Scott, R. 293 Simplikios 135 Snell, B. 66 Sokrates 11,16,53,59ff., 68ff.,71,77,
Oehler, K. 355 Owens, J. 242,277f.
90,102,105,158,205,208,210,220, 354,363 Solon 25
Sophokles 54,268, Speusipp 17,19,59 de Spinoza, B.92 Tannery, P. 47 Thales 105 Theaitetos 158 Theiler, W. 134,137,139,157f.,167,
171,215,218f., 223,233,249,251, 256f.,264ff.,267f.,271,276,292, 319,346,358,370,378, 389,394 Theophrast 14,18,20f., 138 Thomas von Aquin 5,76,235 Thukydides 10,66 Trunz, E. 326
Ueberweg, F. 30 Weber, M. 10 von Weizsäcker, C.F. 198 Wieland, W. 153 Wissowa, G. 8 Wolff, Ch. 118,120,123,243 Wyller, E. A. 109 Xenokrates 17ff.,59,353f. Xenophanes 59,188,353f., 363,
365f. Zeller, E. 9,135 Zenon 56,102,273
Adorno Negative Dialektik, WW 6,400 Aischylos Agamemnon, Fraenkel I , 100 Anaxagoras Fragment 12, VS 2,37f. VS 2,38 Aristoteles Analytica posteriora, 71 a 1f. 71b9ff. 72a 14ff. 72a 19f. 73b25ff. 76a31Sf. 89b7ff. 100a 17 De anima, I, 402a 1-7
92f., 94f.,99,200 100 96 98 285 95f. 153 142 133ff., 1361F., 143ff., 154ff., 15711., 190,227 229 217 161SI., 165ff. 351 217,349,351 176f., 179,228 215 215 168ff., 173,228 233,235 23 1 269 243 235 f. 258 245 265 27 1
11, 412a28f. 11, 412a28-b4 11, 412b 4 11, 412b 4-9 11, 412b 10 11, 412b 10f. 11, 412b 10-413a 10 11, 412b 11 11, 412b 11-15 11, 412b 15-17 11, 412b 17-25 11, 412 b 25-27 11, 412b 27-413a 3 11, 413a 3-10 11, 413a9f. 11, 413b 24-27 11, 415a l l f . 11, 415b 8 11, 417a21-b28 11, 417a 24-28 11, 417b 9-16 11, 417b22f. 11, 417b 22-27 Tl, 417b23 11, 417b 24 11, 417b24f. 11, 424a 17-25 111, 427b 16 111, 428a4f. 111, 428 a 4fl. 111, 428 a 20 f 111, 428 a 20 ff. 111, 428a22f. 111, 428b3 ff 111, 429a 10-13 111, 429a 10-22 111, 429a l l f . 111, 429a 13f. 111, 429 a 14 111, 429a 15I.
111, 429a 15-18 111, 429a 15-19 111, 429a 15-22 111, 429a 18f. 111, 429a 18-27 111, 429 a 20 f. 111, 429 a 22 111, 429 a 22-29 111, 429 a 23 111, 429 a 25 111, 429a 27f. 111, 429a27-29 111, 429 b 9 111, 429b 10-22 111, 429b l l f 111, 429b 17 111, 429b 18f. 111, 429b 19 111, 429b23f. 111, 430a2f. 111, 430a3f. 111, 430a 10 111, 430a 10-25 111, 430a 12 111, 430a 17f. 111, 430a 17-19 111, 430a 18 111, 430a 19f. 111, 430a 19-22 111, 430 a 22 f. 111, 430a 23-25 111, 431a l f . 111, 431a 1-3 111, 431a2 111, 431a2-4 111, 431b 16f. 111, 431b 21 111, 433 a 14iI. 111, 433 a 14-17 111, 433a 15 111, 433a 16 Ethica Eudemica, 11,1222b 158 . Ethica Nicomachea, I, 1094a 611. I, 1098a 7 I, 1102a3f. I, 1102a 23 VI, 1141a 16ff
VI, 1141a33fi. X , 1177a30 X, 1178a 23fF. De generatione animalium, 736b 27ff. D e interpretatione, 16b 6 Metaphysica, 1, 980a 21 I, 980a21ff. I, 981a7 I , 982a25R. I, 982a30-b4 I, 982b4ff. I, 982b28ff. 1, 983a58. I, 983a21 I, 983a22f. 1, 987b lff. 111, 995 a 24 111, 995 a 24 - b 4 111, 995 a 30f. IV, 1003a 21 IV, 1003a21f. IV, 1003a 21-26 IV, 1003a 26f. IV, 1005b 11-23 V, 1013a 17E. V, 1013a19f. V, 1014b 35ff. V, 1015a7-11 V, 1015a 13ff. V, 1015a 14f. V, 1017b 13-16 Vi, 1026a 10ff. VI, 1026a 19 VII, 1028a 1 VIi, 1028b 8f. VII, 1028b 9ff. VII, 1028b36f. VII, 1029a 1 VII, 1029a 25 VII, 1029a 271E. VII, 1033b 5-8 VII, 1033b 10 VII, 1037a 29f. IX, 1049b 12ff. IX, 1049b 17ff. IX, 1050a 3 fi. IX, 1050a 21ff.
IX, 1050a30ff. IX, 1050b2 XII, 1072b 12 XII, 1072b 19 XII, 1072b26-30 XIT, 1073a 3-5 XII, 1074a 38ff. XII, 107Xa 10f. Meteorologica, 338a 20K De partibus animalium, 644 b 22 - 645 b 1 645b 1-14 645 b 14-20 645 b 19 11, 199a 30f. Physica, 111, 201 a 11 IV, 223a 16ff. IV, 223a 1811. IV, 223a21ff. VIII, 256b 24f. VIII, 256b 24-27 VIII, 257a 31 VIII, 2571,s VIII, 260 a 20 Politica, 1,1252b 24fi. Sophistici Elenchi, 178a 9 Topica, 100b 21-23 10ia36-b4 Fragmente: Altar-Elegie, Rose, Fragment 673 Hermias-Hymnos, Rose, Fragment 675 Chrysipp Chrysippi Fragmenta Logica et Physica, Stoicorum Veterum Fragmcnta, 11,186 Descurtes Brief an Picot, AdamITannery, IX, 2,14 Goethe Hamburger Ausgabe, 1,367 Hege1 (Theorie Werkausgabe) Phänomenologie dcs Geistes, 3,14 3,22f. 3,72
38f. 74f. 72f. 394 322 344 160 149 165 328 ff. 336fl. 332f. 333 297 299 163 164 164 363 368 266f. 294 266f. 203 304 203 f. 203
Logik, 5,82 5,83 6,462 6,464 6,548 6,557 Enzyklopädie, 5 79, 8,168 D 80, 8,169 D 81, 8,172 5 82, 8,176 $378,10, 11 Heidegger Was ist Metaphysik'?, W 9, WW 9, WW 9, WW 9,
122 303ff. 365 365ff.
Hesiod Theogonie, 237 780 Kant KrV, WW 4, A 182 WW 3 , B 4 7 WW 3, E 183 WW 3, B 191f. WW 3, B 225 WW 3, B 429 KU, WW 5,176 Prol., D 46, WW 4,333f. 3 47, WW 4,334 5 48, WW 4,335 Leihniz Principes de la nature et de la grace, Gerhardt VI, 602 Monadologie, D 17, Gerhardt VI, 609 Philosophische Abhandlungen VIII, „Ohrie ~berschrift,die Hauptlehrsätze der Leibnizschen Philosophie betreffend", Gerhardt VII, 289 Opuscules et fragments inkdites (Couturat), 515
Nausiphanes Fragment 75 B 2; VS 2,249,4 Parmenides Fragment B 3; VS 1,231 B 4,3; VS 1,232 B 8,35-36; VS 1,238 Pindar Olympia VII, VII, VII, VII,
24f. 30f. 43f. 45ff.
Platon Menon, 85 D 86 B Parmenides, 166 B/C Phaidon, 6 6 E 78 Cff. 96 Aff. 99 C 99 C / D 99 D 99D-100A 99 E 100 A Phaidros, 245 e 7 - 246a 1 246 A 246a 3fl. 253 Dff. Philebos, 30 B 7 58 C Politikos, 284 D 284 D 2 Protagoras, 361 B Sophistes, 234 BIC 234 C/D Staat, 439 Dff. 508 B 508 D 509 B 509 BIC 511 A 515E-516B 531 ER. 533 B R.
533 BIC 533 C 533 Cff. 580 D 602 C 10ff. Symposion, 211 C 2 Theaitetos, 155 C/D 176 A 176 B 201 C-210D Timaios, 28 A 69 Cli. VI. Brief VII. Brief
Schelliizg Philosopliie der OReribaruiig. IV. Ergänzungsband, 7 Sopholcles Oedipus Tyrannos, 1196f., Jebb, I, 156 Wolfs Philosophia Prima sive Ontologia,
711
S 712 9 949 Xenophanes Fragment B 25; VS 1,135
Studieiiausgabe herausgegeben von Constanze Eisenbart in Zusammenarbeit mit Enno Rudolph
Einzeltitel: KANTSRELIGIONSPHILOSOPHIE Mit einer Einführung von Enno Rudolph 1985, 21990 KUNSTUND MYTHOS Mit einer Einführung von Carl Friedrich von Weizsäcker 1986, 31990 ARISTOTELES' »DE ANIMA« Mit einer Einführung von Enno Rudolph 1987 NIETZSCHE Mit einer Einführung von Enno Rudolph 1988 DERBEGRIFF DER NATUR UND SEINE GESCHICHTE Mit einer Einführung von Carl Friedrich von Weizsäcker 1989, 21990 PLATONS DIALOGE »NOMOI« UND »SYMPOSION« Mit einer Einführung von Wolfgang Wieland 1990 GLAUBEN UND WISSEN Mit einer Einführung von Christian Link 1991 DIE ERKENNTNIS DER ZUKUNFT IMHORIZONT DER ZEITI IMHORIZONT DER ZEITI1 Es ist geplant, einen Band pro Jahr herauszubringen.
Klett-Cotta