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Seewölfe 233 1
Kelly Kevin 1.
„Meuterei ! Meuterei!“ Wie ein Messer zerschnitt der Schrei die heiße Stille des Tropentages, peitschte über die Decks der Karavelle mit dem Namen „Swallow“ und schien zwischen den gelohten Lateinersegeln zu flattern. Auf dem Achterkastell fuhr der englische Kapitän John Smollet auf dem Stiefelabsatz herum. Sein Blick erfaßte den Mann, der mit rudernden Armen über die Kuhl stürmte. Jim Torry, der Koch! Seine Stimme überschlug sich. ,,Meuterei, Sir! Der schwarze Jack und ...“ Smollets Blick erfaßte den Schatten im Schott zum Vorschiff. „Achtung!” schrie er - doch es war schon zu spät. Ein Lichtreflex blitzte auf. Flirrend zischte der Dolch durch die Luft, bohrte sich bis zum Heft in den Rücken des laufenden Mannes. und ließ ihn vornüberstürzen. Schwer schlug er auf die Planken. „Jimmy!“ gellte eine Stimme. Der Kapitän sah, wie der Rudergänger den Kolderstock fahren ließ und zum Entermesser griff. Der Koch war sein Freund gewesen, Wut und Verzweiflung trieben ihn quer über die Kuhl. Wahnsinn, dachte Smollet. Er wußte, daß es keine Chance gab, daß fast die ganze Mannschaft aufgewiegelt war: dieser wilde, zusammengewürfelte Haufen von Halsabschneidern, die er nach einer langen Pechsträhne hatte anheuern müssen. Aber auch der Kapitän dachte nicht daran, sein Schiff ohne Gegenwehr diesen Halunken zu überlassen. Auch er griff mit zusammengebissenen Zähnen zu der Pistole an seinem Gürtel, entschlossen, den aussichtslosen Kampf aufzunehmen. Brüllend brach eine Horde bewaffneter Männer aus dem Schott zum Vorschiff. Der Rudergänger lief in einen Kugelhagel, riß die Arme hoch und stürzte mit einer grotesken Kreiselbewegung auf die Planken. Kapitän Smollet kniff die grauen Augen zusammen, streckte die Hand mit der Waffe aus und suchte ein Ziel. Wo steckte Jack Jayhawk?
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„Der schwarze Jack“, hatte der Koch geschrien. Nur Black Jack konnte, ja mußte das Haupt der Meuterei sein. Zehn Hiebe mit der Neunschwänzigen hatten ihm nicht genügt. Jetzt zeigte er sich nicht und hielt sich feige im Hintergrund, weil er wußte, daß der Kapitän mit seiner alten Duell-Pistole noch nie ein Ziel verfehlt hatte. Smollet visierte und feuerte, lud nach und feuerte abermals. Neben ihm donnerten Musketen, krachten die Faustfeuerwaffen, von denen sich die wenigen treuen Offiziere nicht mehr getrennt hatten, seit die gefährlichen Vorzeichen immer deutlicher geworden waren. John Smollet grub die Zähne in die Unterlippe. Er wußte, daß sie den Kampf schon verloren hatten. Sein erster Offizier sank mit einem Ächzen neben ihm zusammen. Ein kurzer, erstickter Schrei gellte hinter ihm. Wie ein Baum stand Smollet an der Schmuckbalustrade, legte wieder auf einen der Meuterer an und spürte im selben Moment den harten Schlag an der Schulter. Die Musketenkugel riß ihn halb herum, Schmerz zuckte durch seinen Körper. Er spürte, wie seine Knie nachgaben, und kämpfte mit aller Kraft gegen die Schwäche. Sekundenlang verschwamm die Umgebung hinter den roten Schleiern, die vor seinen Augen waberten. Schmerzhaft dröhnte der Kampflärm von der Kuhl in seinen Ohren. Er wußte, daß dort unten die letzten Getreuen seiner alten Crew untergingen. Bill Maynard und Joe Mallory! Stitches, der alte Segelmacher! Lasse, der schwedische Schiffsjunge, der den Mut aufgebracht hatte, sie vor der drohenden Meuterei zu warnen, obwohl die Kerle alles versucht hatten, um ihn einzuschüchtern. Verzweifelt raffte sich der Kapitän wieder auf - doch da stürmte die entfesselte Horde schon den Niedergang hoch. Smollet schoß einem der’ Kerle eine Kugel in den Kopf, ließ die nutzlos gewordene Pistole fallen und riß den Degen aus dem Gürtel. Fünf, sechs Männer drangen gleichzeitig auf ihn ein. Er hörte den
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Todesschrei des zweiten Offiziers, sah seinen Stück meister in einer Blutlache auf die Planken sinken. Smollets Degen blitzte, zuckte und sang seine tödliche Melodie — doch die Angreifer waren so zahlreich, daß sie ihn durch ihre pure Übermacht zu Boden zwangen. Der Degen wurde ihm aus den Fingern getreten. Er stürzte, knallte mit dem Hinterkopf auf die Planken und spürte den groben Stiefel an der Schulter, der ihn unten hielt. Jetzt erst, als alles vorbei war, schälte sich aus dem blutigen Nebel das Gesicht von Black Jack Jayhawk, der höhnisch auf ihn hinuntergrinste. „Das war’s, Sir“, knurrte der große, dunkelhaarige Mann mit dem struppigen schwarzen Bart. „Du wirst uns in Zukunft keine Befehle mehr erteilen, du Bastard.“ John Smollet, Kapitän und Inhaber eines Kaperbriefs der englischen Königin, rang mühsam nach Luft. Sein Blick wanderte über die Männer. Verzerrte, höhnische Gesichter. Widerlich grinsende Visagen und Augen, die seine Niederlage genossen. Ein Krampf zog durch seinen Magen, als ihm klar wurde, daß alle seine Getreuen nicht mehr lebten. Alle, außer einem. Smollet erkannte das totenblasse Gesicht des vierzehnjährigen schwedischen Schiffsjungen Lasse Tjorven und lächelte. Wenigstens den Jungen würden sie am Leben lassen. Er hatte gekämpft wie die anderen und mußte von zwei Männern festgehalten werden, weil er sich immer noch wehrte, aber er lebte. Kapitän Smollet hielt seinen Blick fest und nickte ihm zu, so gut er es in seiner Lage fertigbrachte. „Danke, Lasse“, sagte er rauh. „Du bist mehr wert als dieser ganze Haufen zusammengenommen.“ Den wütenden Tritt, der sein Bewußtsein auslöschte, spürte er kaum noch. * Die „IsabellaVIII.“ lief mit halbem Wind gute Fahrt an der Ostküste jener Neuen Welt entlang, die von den Spaniern als ihr
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Besitz erklärt worden war und die nach Meinung der. Seewölfe denjenigen gehörte, die dort seit unvordenklichen Zeiten lebten. Wilde? Heiden, deren Seelen von den Spaniern gerettet werden mußten? Philip Hasard Killigrew, Kapitän der „Isabella“ und von Freund und Feind respektvoll „Seewolf“ genannt, hegte von jeher den Verdacht, daß die Dons weniger bekehrte Seelen als Schätze für Seine Allerkatholischste Majestät Philipp II. sammelten, Deshalb fand er auch nichts dabei, besagten Dons einen Teil der Schätze für die englische Krone wieder abzujagen — und wenigstens einige Bewohner der Neuen Welt davon zu überzeugen, daß es auch Christen gab, die nicht unbedingt darauf bestanden, den Weg zu ihrem Seelenheil mit ermordeten oder versklavten Heiden zu pflastern. Das war eine Haltung, mit der er sich unter den Spaniern nicht nur erbitterte Feinde, sondern auch Freunde erworben hatte. Und unter seinen eigenen Landsleuten nicht nur Freunde, sondern auch erbitterte Feinde. Denn auch in England gab es genug Männer, für die Fairneß und Ritterlichkeit Fremdwörter waren und die absolut nichts dabei fanden, die Schwachen und Wehrlosen zu unterjochen oder sich wie Leichenfledderer auf schon geschlagene. Feinde zu stürzen. Philip Hasard Killigrew stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und spähte zur Küste hinüber, die als grünes, von weißen Sandbuchten unterbrochenes Band querab lag. Vorn auf der Back lotete Blacky Tiefe, denn es gab gefährliche Riffe und Untiefen in diesem Gewässer. Aus dem gleichen Grund hatte Hasard einen zweiten Ausguck in den Fockmars geschickt. Im Großmars übte sich Bill in der üblichen RundumSicht, während Luke Morgan ausschließlich auf Schaumstreifen, Wirbel und andere warnende Vorzeichen zu ächten hatte.
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Bills helle Stimme war es, die ein paar Minuten später wie ein Trompetensignal durch die Stille schmetterte. „Deck! Rauchfahne Backbord voraus!“ Der Seewolf kniff die Augen zusammen. Unten auf der Kuhl enterten seine Söhne Philip und Hasard ein Stück in die Wanten, neugierig wie stets. Die Rauchfahne, die Bill gesichtet hatte, stand als dünner blaugrauer Faden über dem grünen Vegetationsgürtel einer tief eingeschnittenen Bucht. Hasard lächelte matt. Ein Eingeborenenfeuer, schätzte er. Aber Bill, nächst den Zwillingen der Jüngste an Bord, sah nun einmal auch in Kleinigkeiten gern die Vorboten künftiger Abenteuer. Diesmal sollte er recht behalten. Die Rauchwolke zerfaserte nach einer Weile, nur noch die Luft flimmerte über den grünen Federwipfeln der Palmen. Wenig später erreichte die „Isabella“ die Höhe der Bucht, und da stellte sich heraus, daß es durchaus kein einfaches Kochfeuer gewesen war, das den Rauch erzeugte. „Zerstörte Boote und verbrannte Hütten!“ meldete Bill. „Sieht nach einem Überfall aus!“ „Kannst du keine vernünftige und vollständige Meldung erstatten, du Läuseknacker?“ grollte Edwin Carberry, der hünenhafte Profos. „Irgendwelche Leute in Sicht?“ „Nein, Sir!“ schmetterte Bill. „Wenn ich irgendwelche Leute sehen könnte, hätte ich ...“ Er stockte abrupt. Der Profos holte so tief Luft, daß das Hemd über seinem mächtigen Brustkasten in den Nähten krachte. Aber er kam nicht dazu, einen seiner Lieblingssprüche loszulassen, die meist auf die Drohung hinausliefen, jemandem die Haut in’ Streifen von einem gewissen edlen Körperteil abzuziehen. „Männer!“ meldete Bill. „Ich kann sie nicht genau erkennen, aber ich glaube, sie sind an Palmenstämme gefesselt.“ Der Seewolf hatte bereits das Spektiv auseinandergezogen.
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Der Kieker holte die gespenstische Szenerie näher heran. Ein Dutzend verbrannter Eingeborenenhütten. Boote, die - offenbar von schweren Kanonen dermaßen in Fetzen geschossen worden waren, daß sich Ihre ursprüngliche Form nur noch erahnen ließ. Und Menschen! Acht oder neun Gestalten, an schlanke Palmenstämme gefesselt. Zwar waren selbst durch das Spektiv keine Einzelheiten zu erkennen, auch die Stricke nicht, aber der Seewolf konnte sich nicht vorstellen, aus welchem anderen Grund die Männer völlig reglos dort hätten verharren sollen. Flüchtig spähte er über die leichte Dünung und stellte fest, daß kein gefährliches Riff in der Nähe war. „Abfallen!“ befahl er knapp. „Wir segeln näher heran.“ „Abfallen, ihr Himmelhunde!“ nahm die Donnerstimme des Profos den Befehl auf. „Wollt ihr wohl brassen, ihr müden Decksaffen? Euch muß ich wohl erst die Hammelbeine langziehen, was, wie?“ Zu diesem Zeitpunkt schwang die „Isabella“ längst nach Backbord herum und näherte sich der Bucht mit raumem Wind und Steuerbordhalsen. Hasard spähte immer noch durch das Spektiv. Seine Brauen zogen sich zusammen. Nach ein paar Minuten setzte er den Kieker ab und reichte ihn seinem ersten Offizier und Bootsmann hinüber. „Schau dir das an, Ben!“ sagte er gepreßt. Ben Brighton tat es. Ein einziger Blick genügte. Das Gesicht des stets ruhigen, beherrschten Mannes verkantete sich. „Weiße“, sagte er durch die Zähne. „Und der Teufel soll mich holen, wenn sie nicht gefoltert worden sind.“ „Und zwar nicht von Eingeborenen“, ergänzte der Seewolf. „Die benutzen nämlich keine neunschwänzige Katze.“ Ben nickte nur. Neben ihm zupfte Big Old Shane, der frühere Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack, nachdenklich an seinem eisgrauen Vollbart. Donegal Daniel O’Flynn senior, Dan O’Flynns alter Vater, stützte sich auf seine Krücken und versuchte, mit bloßem
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Auge etwas zu erkennen. Noch schaffte er es nicht. Da hätte er schon die Falkenaugen seines Sohnes haben müssen. „Verdammt!“ knirschte Dan. „Das ist doch ...“ „Vielleicht sind es diejenigen, die die Boote zerschossen und die Hütten angezündet haben“, brummte Old O’Flynn. „Wäre doch möglich, daß die Eingeborenen das Landkommando überfallen und den Kerlen ihre eigene Neunschwänzige um die Ohren gehauen haben, oder?“ „Und warum sollten die ihre Neunschwänzige mit an Land genommen haben?“ fragte Ben Brighton bedächtig. „Ganz davon abgesehen, daß ein schwer armiertes Schiff wohl kaum ein Landkommando einfach zurückgelassen hätte.“ „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, beharrte Old Donegal. „Ich sage dir ...“ Hasard unterbrach ihn mit einer knappen Geste. „Das werden wir schon herausfinden“, sagte er ruhig. „Selbst wenn du recht hast, Donegal, können wir die armen Teufel nicht einfach krepieren lassen. Wir werden die Bucht anlaufen und nachsehen.“ * Die „Swallow“ schwojte beigedreht in der Dünung. Nicht einmal der Ausguck war besetzt. Die Meuterer drängten sich bis zum letzten Mann auf der Kuhl. Auf dem Achterkastell standen Black Jack Jayhawk, der schwarzbärtige Anführer, und die Kerle, die er zu „Offizieren“ befördert hatte. Nichts war zu hören außer dem leisen Singen des Windes, dem Plätschern der Wellen gegen die Bordwände — und dem Klatschen der Peitsche. Jayhawks dunkle, tiefliegende Augen glühten. Jetzt nahm er Rache für die Demütigung, Rache für die Prügel, die er selbst bezogen hatte. Daß es verdiente Prügel gewesen waren, die für versuchte Meuterei noch eine milde Strafe darstellten, störte ihn nicht. Ihn störte nur eins: daß ihm sein Opfer nicht den
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Gefallen tat, zu schreien und zu winseln, wie er selbst geschrien und gewinselt hatte. John Smollet nahm die zwanzig Peitschenhiebe ohne einen Laut hin. Danach konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten, aber in seinem weißen, versteinerten Gesicht zuckte kein Muskel. Zwei von den rauhen Kerlen packten seine Arme und zerrten ihn vor den Niedergang zum Achterkastell. Der Kapitän der „Swallow“ hob den Kopf und sah Black Jack Jayhawk gerade in die Augen. Der Meuterer knirschte mit den Zähnen vor Wut. „Und jetzt halten wir Bordgericht über dich, du Ratte“, stieß er hervor. „Joe, Barry — bringt den Jungen.“ Smollet preßte die Lippen zusammen. Daß er selbst an der Rahnock enden würde, war ihm klar. Aber diese Dreckskerle konnten doch keinen vierzehnjährigen Jungen umbringen! Der Kapitän rührte sich nicht und sagte kein Wort. Er kannte den schwarzen Jack und wußte, daß jeder Versuch einer Fürsprache von seiner Seite Lasse Tjorven nur noch in größere Gefahr bringen würde. Der schwedische Schiffsjunge war bleich vor Angst, aber er stand genauso gerade und aufrecht da wie sein Kapitän. „John Smollet“, begann Jayhawk feierlich. „Du wirst beschuldigt, ein elender Feigling zu sein, eine miese Ratte und ein Leuteschinder. Ich bin von jetzt an der Kapitän dieses Schiffes. Nach meinem Gesetz steht darauf die Todesstrafe. Hast du irgendetwas dazu zu sagen?“ Smollet spuckte aus und schwieg. Jack Jayhawks kantiges Gesicht lief rot an. Seine funkelnden Augen glitten über die Männer. „Hat irgendjemand etwas zur Verteidigung dieses Bastards vorzubringen?“ fragte er drohend. Joe McNickle, der kleine, verschlagene Schotte, grinste ihn an. „Lassen wir ihn doch lieber schuften, statt ihn aufzubaumeln“, schlug er vor. „Wäre doch ein Mordsspaß, ihn jedesmal in den Hintern zu treten, wenn er nicht spurt!“
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Black Jack kniff die Lider zusammen. Kapitän Smollet sah ihn an und lächelte kalt. „Glaubst du, daß du Abschaum mich dazu bringst, einen Finger für dich zu krümmen?“ fragte er verächtlich. Jayhawk schnaufte. „Rahnock!“ entschied er. Sein Blick wanderte zu dem blonden Jungen. „Und jetzt zu dir, Rotznase! Du hast uns verraten und an der Seite dieses Dreckskerls gekämpft. Darauf steht ebenfalls der Tod. Aber wenn du bereit bist, deinen Fehler zu bereuen, werde ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen.“ „Ich spucke auf deine Gnade, du Schwein!“ schrie Lasse Tjorven mit seiner hellen Stimme. „Nicht, Junge!“ flüsterte Smollet beschwörend. „Sei kein Narr! Du ...“ „Freu dich, daß ich ein langmütiger Mensch bin“, knurrte Jack Jayhawk. „Der Bengel kriegt zwanzig mit der Neunschwänzigen wegen Verrats. Die Strafe wird sofort vollstreckt. Und der da darf zuschauen, bevor wir ihm den Hals langziehen.“ * „Fallen Anker!“ Die Stimme des Seewolfs klang wie brechender Stahl. In den verkniffenen Gesichtern der Crew las er die gleiche kalte Wut, die er selbst empfand. Ganz gleich, was die Männer angestellt hatten, die dort gefesselt an den Palmenstämmen hingen — in ihrem augenblicklichen Zustand verdienten sie nur noch Mitleid. Die Ankertrosse rauschte aus, während die letzten Segel geborgen wurden. Minuten später klatschte das Beiboot aufs Wasser. Hasard schob die doppelläufige sächsische Reiterpistole in den Gürtel. Er hatte acht Mann für das Landkommando ausgewählt, und auch die waren bis an die Zähne bewaffnet. In der Bucht herrschte zwar Totenstille, nichts regte sich, aber man konnte nie wissen.
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Die Zwillinge standen mit blassen Gesichtern neben Big Old Shane am Schanzkleid: Mit ihren zehn Jahren hatten sie schon mehr von der Welt gesehen als mancher Mann in seinem ganzen Leben, aber der Anblick von Grausamkeit und Niedertracht ging ihnen immer noch tief unter die Haut, daran konnten und wollten sie sich nicht gewöhnen. Das würde sich auch nicht ändern, denn in diesem Punkt schlugen sie ganz ihrem Vater nach. Der Seewolf enterte als letzter ab und übernahm die Ruderpinne. „Hoool weg! Hoool weg!“ dröhnte Ed Carberrys Donnerstimme über das Wasser. Vor ihm legten sich Blacky und Smoky in die Riemen, der hünenhafte rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker und der hagere Gary Andrews, Matt Davies mit seiner scharf geschliffenen Hakenprothese und Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia. Der Kutscher - Koch und Feldscher an Bord und so genannt, weil er früher einmal Kutscher bei einem Arzt in Plymouth gewesen war - komplettierte die Besatzung. Denn es stand fest, daß die bedauernswerten Männer in der Bucht dringend ärztliche Hilfe brauchten. Die meisten von ihnen waren entweder bewußtlos oder so geschwächt, daß sie ihre Umgebung nicht mehr wahrnahmen. Erst als das Boot auf den Strand gezogen wurde und der Sand unter dem Kiel knirschte, hob einer der Gefesselten mühsam den Kopf. Es war ein kräftiger, hellhaariger Mann mit blauen Augen, die jetzt fiebrig glänzten. Genau wie die anderen trug er nur zerlumpte, ausgefranste Schifferhosen. Und genau wie die anderen hatte er nur noch wenig heile Haut am Körper. Jäher Schrecken verzerrte sein Gesicht, als er die Fremden auf sich zurücken sah. Kein Zweifel, daß er nichts Gutes von ihnen erwartete. Offenbar glaubte er, seine Peiniger seien zurückgekehrt, und das bestärkte Hasard in der Vermutung, daß es keine Eingeborenen gewesen waren, die die Männer so zugerichtet hatten.
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Mit drei Schritten stand der Seewolf im Schatten der hohen, schlanken Palme. „Wir sind Freunde“, sagte er, obwohl sich das erst noch herausstellen mußte. Er wollte die Worte auf Spanisch wiederholen, doch der Gefesselte hatte ihn bereits verstanden. „Engländer?“ flüsterte er heiser. „Richtig. Wir sind gekommen, um Ihnen zu helfen.“ Dabei hatte Hasard bereits das Entermesser gezückt und zerschnitt die Taue, die das Opfer an dem Stamm festhielten. Die anderen befreiten den Rest der Gefesselten, von denen tatsächlich keiner bei klarem Bewußtsein war. Der blonde Mann versuchte, auf den Beinen zu bleiben. Aber die Knie gaben unter ihm nach, und Hasard mußte ihn auffangen. . Vorsichtig ließ er den geschundenen Körper ins Gras gleiten und griff nach der Wasserflasche, die er wohlweislich mitgenommen hatte. „Wer - wer sind Sie?“ fragte der Mann mühsam. „Philip Hasard Killigrew. Kapitän der ;Isabella VIII.“‘ „Mein Name ist - Bertram Vermeeren. Wir sind Holländer. Unser Schiff - die ,Blankenberghe’ - lief im Sturm auf ein Riff. Wir sind ...“ Weiter gelangte er nicht. Irgendwo im Dickicht jenseits des Palmengürtels hatte Hasard ein winziges Geräusch gehört. Sein Kopf ruckte hoch, doch er schaffte es nicht mehr, auch nur einen Warnruf auszustoßen. Schlagartig wurde es ringsum in den Büschen lebendig. Schrille, tremolierende Schreie zerrissen die Stille, Zweige teilten sich, und aus dem Dickicht brach eine Horde braunhäutiger, bemalter Gestalten hervor wie eine Flutwelle. 2. Von einer Sekunde zur anderen war die Hölle los. Gut zwei Dutzend mit Keulen und Speeren bewaffneter Krieger griffen an und stürzten
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sich mit Geheul auf die Seewölfe, die völlig überrascht wurden. Sie sprangen auf wie die Kastenteufel, konnten aber nicht mehr Degen und Entermesser ziehen. Denn schon war die braune Woge heran. Funkelnde Augen und bemalte Gesichter spiegelten die Gewißheit des Sieges — doch die Angreifer erlebten eine böse Überraschung. Ed Carberry, dem ein Speer den Ärmel aufriß, stieß ein Wutgebrüll aus, das allein schon genügt hätte, um eine halbe Armee in Furcht und Schrecken zu versetzen. Batuti rollte mit den Augen, fing eine Keule ab, als handele es sich um einen Zahnstocher, und drosch seinem Gegner die eigene Waffe auf den Kopf. Hasard wich geschickt aus, als einer der Speere auf ihn zuzischte. Schon hatte er den Werfer am Schlafittchen, stemmte ihn kurzerhand hoch und schleuderte den kreischenden Mann in die Front seiner Kumpane. Ferris Tucker, Gary Andrews, Blacky und Smoky warfen sich der Meute mit einem donnernden „Arwenack“ entgegen. Matt Davies schwang seine Hakenprothese, doch er gelangte nicht zum Einsatz, weil die braunhäutigen Krieger schon beim Anblick des blitzenden, scharfgeschliffenen Dings erschrocken zurückwichen. Der Kutscher war gerade dabei gewesen, einem der Verletzten einen Schluck Rum aus einer Muck einzuflößen. Jetzt verschwendete er den guten Stoff, indem er die Muck in ein bemaltes Gesicht leerte. Der Betroffene war aus dem Kampf heraus: er rieb sich schreiend die Augen und führte eine Art Kriegstanz auf. Beinahe hätte der Kutscher auch noch den Rest des Rums verschwendet. Er zielte bereits mit der Flasche auf einen feindlichen Kopf, doch in diesem Augenblick nahmen die Ereignisse eine überraschende Wende. Hasard liftete gerade den zweiten Gegner an, um ihn als lebendes Wurfgeschoß zu benutzen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich der blonde Holländer mühsam aufrappelte.
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Bertram Vermeeren konnte sich kaum auf den Beinen halten, doch er schaffte es irgendwie, sich hochzustützen. Beschwörend schwenkte er die Arme, dabei krächzte er ein paar Worte in einer fremden Sprache. Die Wirkung war verblüffend. Drei, vier von den braunhäutigen Kriegern blieben wie angenagelt stehen. Die anderen wandten die Köpfe und wechselten zweifelnde Blicke. Bertram Vermeeren klammerte sich an dem Palmenstamm fest. Noch einmal schrie er den Eingeborenen etwas zu — und jetzt ließen sie wie ein Mann die Waffen sinken. Der Kutscher schlug fast einen Salto bei dem Versuch, die Rumbuddel zu retten, mit der er schon ausgeholt hatte. Hasard runzelte die Stirn, warf einen überraschten Blick in die Runde und setzte dann seinen zappelnden Gegner wieder auf den Boden. Der Mann wich hastig zurück. Die Eingeborenen redeten gestikulierend durcheinander und schienen nicht recht zu wissen, was von der Sache zu halten sei. Aber da erging es ihnen nicht besser als den Seewölfen. Und Bertram Vermeeren war im Augenblick nicht in der Lage, Erklärungen abzugeben, da ihn die Anstrengung wieder das Bewußtsein gekostet hatte. Der Seewolf hob probeweise seine leeren Handflächen. Schließlich gab es absolut keinen Grund, sich mit diesen Menschen herumzuschlagen. Der Anführer der Eingeborenen bedachte den schwarzhaarigen Riesen mit den eisblauen Augen mit einem scheuen Blick, sah zu dem ranken Segler in der Bucht hinüber und starrte dann wieder Hasard an. Zögernd hob der braunhäutige Krieger ebenfalls die Hände und erwiderte die Friedensgeste, die überall in der Welt verstanden wurde. Daß er zu diesem Zweck Keule und Speer ablegen mußte, entspannte zusätzlich die Situation. Ein paar Sekunden später kehrte auch der Holländer wieder ins Bewußtsein zurück. Der Kutscher flößte ihm rasch noch ein paar Schlucke Wasser ein und setzte ihm
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die gerettete Rumbuddel an die Lippen. Da- nach konnte Bertram Vermeeren wieder sprechen, wenn auch etwas mühsam. Zuerst sprudelte er ein paar Sätze in der Spache der Eingeborenen hervor, die daraufhin demonstrativ ihre Keulen und Speere auf den Boden legten. Dann wandte er sich mit einem schwachen Lächeln an die Seewölfe. „Es war ein Mißverständnis“, sagte er. „Die Eingeborenen sind unsere Freunde. Sie haben euch für Spanier gehalten, für die Meute dieses Hundes Esteban Girraldo.“ „Girraldo?“ fragte der Seewolf. „Der Capitan der ,Santa Monica`. Ein brutaler, gieriger Halunke. Er war hinter uns her. Die Hütte und Boote hat er aus reiner Bosheit zerstört, als die Eingeborenen fliehen mußten. Sie haben sich bewaffnet und Verstärkung geholt. Und sie kehrten zurück, um uns zu retten. Es sind tapfere Männer.“ Der Seewolf nickte nur. „Wir werden ihnen helfen, ihre Hütten wieder aufzubauen“, versprach er. „Aber Sie sollten uns Ihre Geschichte später erzählen, Kapitän. Ich habe einen ausgezeichneten Feldscher, der sich um Sie und Ihre Männer kümmern wird.“ „Danke, Sir. Man trifft selten Menschen, die bereit sind, sich um das Schicksal anderer zu kümmern. Unter dem spanischen Pack schon gar nicht.“ „Auch unter denen, Kapitän. Ich kenne mehr als einen Spanier, den ich mit gutem Gewissen als Freund bezeichnen kann.“ Vermeeren antwortete nicht. Der Haß auf alles, was einen spanischen Namen trug, saß wohl zu tief in ihm. Und in den nächsten Minuten konnte er nichts mehr sagen, weil er genug damit zu tun hatte, die Zähne zusammenzubeißen. Die blutigen Striemen an seinem Körper mußten desinfiziert werden, und das war eine schmerzvolle Angelegenheit, weil dafür nur Salzwasser und Rum zur Verfügung standen. Die Eingeborenen halfen, so gut sie konnten.
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Der Kutscher hatte auf den langen Reisen der „Isabella“ genug gesehen, um geheimnisvollen Tränken und undefinierbaren Kräuterelixieren nicht zu mißtrauen. Er wußte, daß Schamanen und Medizinmänner mit ihren Mitteln oft Dinge fertigbrachten, von denen sich „zivilisierte“ Ärzte nichts träumen ließen. Die Eingeborenen dieser Gegend verfügten jedenfalls über ein sehr wirksames schmerzstillendes Mittel. Die Verletzten, denen sie den grünlich schillernden Trank auf die Lippen träufelten, entspannten sich sichtlich. Als sie alle verbunden und in den Schatten gebettet worden waren, klang Bertram Vermeerens Stimme schon deutlich kräftiger. Die Spanier unter der Führung jenes Esteban Girraldo, berichtete er, seien schon lange hinter der „Blankenberghe“ und ihrer Mannschaft her. „Sie wußten, daß wir Goldbarren an Bord hatten“, sagte er rauh. „Gold, das für unser Land bestimmt war, für die Generalstaaten, für den Freiheitskampf der Niederlande. Einmal konnten wir den Angriff der ,Santa Monica` abschlagen. Dann gerieten wir in einen Sturm und liefen auf ein Riff weiter im Norden. Schwarzes Riff, nennen es die Eingeborenen der Gegend. Die ,Blankenberghe’ liegt jetzt dort auf dem Grund. Wir gingen in die Boote und wurden weit nach Süden vertrieben. Nur die neun Männer, die Sie hier sehen, konnten sich retten.“ Vermeeren schwieg sekundenlang. Der Blick seiner klaren blauen Augen ging durch alles hindurch. Hasard ahnte, daß der holländische Kapitän die Bilder der Katastrophe vor sich sah und noch einmal die Hölle -des Sturms durchlebte, das Bersten und Krachen der Planken hörte, das Gurgeln eindringenden Wassers, die Todesschreie ... „Die Eingeborenen nahmen uns auf und halfen uns“, fuhr Vermeeren fort. „Aber die ‚Santa Monica` suchte immer noch nach uns. Girraldo und seine Bande von Halsabschneidern sind nicht anderes als beutegierige Piraten. Ich weiß nicht, ob sie uns hier zufällig entdeckten oder
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systematisch nach uns gesucht haben. Jedenfalls griffen sie das Dorf an und jagten die Eingeborenen davon. Wir hatten noch ein paar Waffen und wollten kämpfen. Vergeblich.“ Der Seewolf nickte nur. Den Rest der Geschichte konnte er sich ungefähr ausmalen. „Die Spanier wollten wissen, wo die ,Blankenberghe` auf Tiefe gegangen war?“ fragte er. „Ja.“ Vermeerens Stimme wurde heiser, der Haß entzündete ein kaltes Funkeln in seinen Augen. „Wir wollten nicht reden. Ich hätte mir eher bei lebendigem Leibe die Haut abziehen lassen, als diesem Hund auch nur ein Wort zu verraten. Aber dann erschoß er einen meiner Leute und setzte dem nächsten die Pistole an den Kopf. Ich konnte es nicht zulassen.“ Seine Stimme klang erstickt und war bei den letzten Worten wieder schwächer geworden. Die Seewölfe hatten schweigend zugehört. Ed Carberry schob sein zernarbtes Rammkinn so grimmig vor, daß ein paar der Eingeborenen erschrocken zurückwichen. Selbst der Kutscher sah aus, als sei er im Geiste dabei, ein paar von den Spaniern in seinen Kombüsenschlot zu stopfen. Und auch die Gesichter der anderen verrieten deutlich, was sie sich wünschten: daß ihnen dieser Esteban Girraldo irgendwann einmal über den Weg segeln und dann hoffentlich den Fehler begehen würde, sie anzugreifen. Inzwischen war auf Hasards Anweisung ein zweites Boot von der „Isabella“ herübergepullt worden. Die Seewölfe lösten ihr Versprechen ein und halfen den Eingeborenen dabei, ihre Hütten wieder aufzubauen. Die einfachen Behausungen waren gründlich zerstört, aber was ein Ferris Tucker in die Hand nahm, das lief erfahrungsgemäß wie am Schnürchen. Selbst die Holländer, inzwischen alle wieder bei Bewußtsein, konnten nur noch staunen. Die Eingeborenen sperrten Mund und Nase auf, und es -dauerte nicht lange, bis sie geneigt waren, den rothaarigen
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Schiffszimmermann für einen Zauberer zu halten. Bertram Vermeeren und seine Männer würden sich schnell wieder erholen. Hasard bot ihnen an, mit der „Isabella“ in die Karibik zu segeln, wo sie sicher am schnellsten auf Landsleute treffen würden, doch die Holländer zogen es vor, bei den Eingeborenen in der Bucht zu bleiben. Sie wollten ein Boot bauen und - wenigstens versuchen, den Schatz der „Blankenberghe“ zu heben. Falls ihnen die Spanier nicht zuvorkamen, hieß das. Selbst wenn - in den Gesichtern der neun Männer war die Entschlossenheit zu lesen, Esteban Girraldo das Gold notfalls wieder abzujagen. „Für unser Land“, hatte Vermeeren gesagt. „Für den Freiheitskampf der Niederlande.“ Die Seewölfe wünschten den neuen Freunden aufrichtig, daß sie ihr Ziel erreichten. * Lasse Tjorvens Schreie erstarben. Die letzten Hiebe spürte er nicht mehr, weil er das Bewußtsein verloren hatte. John Smollets Kiefer schmerzte vor Anspannung. Alles in ihm drängte danach, Jack Jayhawk an die Kehle zu fahren und ihn für diese niederträchtige Gemeinheit über das ganze Schiff zu prügeln. Aber Smollets Hände waren auf den Rücken gefesselt, er konnte sich kaum auf den Beinen halten - und von der abgefierten Großrah baumelte bereits die Schlinge. Sein Blick wanderte zu dem Georgskreuz hinauf, das immer noch am Flaggenstag flatterte. Die „Swallow“ war ein ehrliches Korsarenschiff gewesen. John Smollet besaß einen Kaperbrief der englischen Königin, er hatte gegen die Armada gekämpft und so manchen Spanier gerupft. Mit der kleinen, wendigen Karavelle war er um die halbe Welt gesegelt. Zweimal hatte er das Südkap des neuen Kontinents gerundet und war hoch oben im Norden gewesen.
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Bitterkeit würgte ihn, als er an jenes unglückliche Gefecht gegen die Spanier dachte, das die „Swallow“ schwer angeschlagen und manövrierunfähig zurückließ, an den Sturm, der sie endgültig von ihrem Kurs abbrachte, an das endlose Treiben, Tag um Tag, Woche um Woche, während der Skorbut wütete und sich ein Opfer nach dem anderen holte. Eine höllische Zeit war das gewesen, die ihn zwei Drittel seiner alten Crew gekostet hatte. Wenn er England jemals wiedersehen wollte, hatte er jeden Mann anheuern müssen, den er kriegen konnte. Und dann hatte ihm der Teufel Jack Jayhawk und seine Halsabschneider über den Weg geschickt. Fünf Männer, die in einem gottverlassenen Nest an der Westküste hoch im Norden der Neuen Welt festgesessen hatten, und von denen er nur wußte, daß sie in einem halbwracken Eskimo-Kajak dort angelangt waren. Über ihre Vergangenheit hatten sie sich ausgeschwiegen. Black Jacks höhnische Stimme unterbrach die Gedanken des Kapitäns. „Sperrt den Bengel in die Vorpiek! Und jetzt zu dir, du Hund!“ Seine tiefliegenden Augen glitzerten böse, als er das gefesselte Opfer anstarrte. „Hast du noch irgendetwas zu sagen?“ John Smollet schwieg. Seine Kiefermuskeln traten hervor, während er zusah, wie der bewußtlose Lasse Tjorven losgebunden und weggeschleppt wurde. Auf dem Achterkastell hatten sich die Anführer der Meuterer neben dem schwarzen Jack aufgebaut: Joe McNickle und Barry Burns, Rogier Claasen, der Holländer, und der baumlange Friese Tjarko Michels. Der Rest der Meute drängte sich auf der Kuhl. Ein buntscheckiger Haufen. Engländer und Skandinavier, zwei Franzosen, ein spanischer Deserteur und ein paar schweigsame, düstere Mestizen, in deren Adern das kriegerische Blut der Araukaner rumorte. Sie alle starrten den gefesselten Mann an, der von brutalen Fäusten unter die Rah gestoßen wurde.
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John Smollets Gesicht war steinern. Er zuckte mit keiner Wimper, als ihm die Schlinge um den Hals gelegt wurde. Sein Blick wandert über die Köpfe der Männer weg, hinaus zur endlosen Weite des Ozeans — und Black Jack Jayhawk grinste zufrieden, als er sein Opfer plötzlich zusammenzucken sah. Endlich, dachte er. Dieser arrogante Hund wurde knieweich und begann zu zittern. Der schwarze Jack triumphierte, und er dachte nicht im Traum daran, daß es nicht der nahe Tod war, der Smollets jähe Reaktion hervorgerufen hatte, sondern etwas ganz anderes. Der Kapitän der „Swallow“ hatte etwas gesehen, das allen anderen entging, weil ihre ganze Aufmerksamkeit der bevorstehenden Hinrichtung galt. Oder besser dem bevorstehenden Mord, denn etwas anderes war es nicht. Ein paar von den rauhen Kerlen begriffen das sehr wohl und fühlten sich unbehaglich. Es gab auch einige, die dem frisch ernannten Profos vorhin am liebsten die Neunschwänzige entrissen hätten, als er auf den Jungen einschlug. Aber niemand wagte Widerspruch, und diejenigen, die sich noch einen Rest Menschlichkeit bewahrt hatten, waren erst recht nicht in der Stimmung, Rundumsicht zu halten. Die Mastspitzen über der Kimm blieben unentdeckt. John Smollet war der einzige, der die schwer armierte Galeone bemerkte, die da heranrauschte. Eine spanische Galeone, vermutete er. Das Holzkreuz unter dem Bugspriet konnte er zwar noch nicht erkennen, aber in dieser Gegend waren fast nur spanische Schiffe unterwegs. Spanische Schiffe, für die eine kleine Karavelle mit dem Georgskreuz am Flaggenstag sicher nichts anderes war als eine willkommene Beute. John Smollet lächelte. „Hievt hoch!“ hörte er Jayhawks wütende Stimme wie aus weiter Ferne. „Tempo!“ Zwei Minuten später hatte es der Kapitän der „Swallow“ überstanden. Den vielstimmigen Schreckensschrei, der beim Anblick der rasch aufsegelnden spanischen
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Galeone über die Kuhl brandete, konnte er nicht mehr hören. * Die „Isabella“ segelte weiter nach Norden. Bertram Vermeeren und die anderen Holländer hatten sich nicht von ihrem Entschluß abbringen lassen, vorerst noch in der Gegend zu bleiben. Ob es den Spaniern gelang, den Schatz der „Blankenberghe“ zu heben, stand nach ihrer Meinung nämlich noch in den Sternen. Die Gewässer am Schwarzen Riff waren von Menschenhaien verseucht, die Goldbarren gut verborgen, und Capitan Esteban Girraldo würde auf jeden Fall eine Menge Schwierigkeiten kriegen. Fest stand eins: daß auch die „Isabella“ am Schwarzen Riff vorbeisegeln mußte. An Bord sorgte diese Tatsache für eine gewisse Spannung. Den Seewölfen juckte es einhellig in den Fingern, Girraldos Halunken ein bißchen von dem heimzuzahlen, was sie den wehrlosen Holländern angetan hatten. Aber andererseits bestand kein Zweifel daran, daß ein aufgegebenes Wrack demjenigen gehörte, der als erster Anspruch darauf erhob. Die „Santa Monica“ war kein Schatzschiff, keine fette Prise, und Philip Hasard Killigrew trotz des Kaperbriefs nicht der Mann, der sich wahllos auf jeden Spanier stürzte. Ein Rachefeldzug war nicht seine Sache. Ganz davon abgesehen, daß er genau wie die anderen die Karibik wiedersehen wollte, den Wikinger und die Rote Korsarin, die Schlangen-Insel - und später Old England. Nein, der Seewolf war sich durchaus noch nicht schlüssig darüber, wie er sich bei einer Begegnung mit der „Santa Monica“ verhalten solle, trotz des kalten Zorns, der immer wieder in ihm hochstieg, wenn er daran dachte, wie die Spanier ihre Opfer zugerichtet hatten. Die „Isabella“ lief gute Fahrt, immer noch mit halbem Wind über Backbordbug. Hasard marschierte, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf dem Achterkastell hin und her. Von Backbord nach
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Steuerbord, von Steuerbord nach achtern, von achtern wieder nach Backbord. Er grübelte. Ben Brighton warf ihm ab und zu einen prüfenden Blick zu. Unten auf der Kuhl hatten die Männer nichts weiter zu tun, als sich für den Fall bereitzuhalten, daß der Ausguck vor einem Riff warnte. Matt Davies und Jeff Bowie hockten einträchtig nebeneinander auf der Nagelbank und beschäftigten sich damit, die scharfen Spitzen ihrer Hakenprothesen nachzuschleifen, die der eine rechts und der andere links trug. Das taten sie immer dann, wenn sie einen Kampf witterten. Jetzt witterten sie offenbar einen, und sie waren nicht die einzigen. Hasard fluchte im Stillen. Konnten die Kerle denn eigentlich den Hals nicht vollkriegen? Als ob in letzter Zeit nicht reichlich genug Fetzen geflogen wären! Hasard schüttelte seufzend den Kopf und übersah dabei großzügig, daß er selbst jedesmal in kriegerische Stimmung geriet, wenn er an den unbekannten spanischen Capitan mit dem Namen Esteban Girraldo dachte. Ein paar Minuten später wurde er jäh aus seinen Überlegungen gerissen. „Deck!“ rief Bill aus dem Großmars. „Mastspitzen über der Kimm! Steuerbord voraus!“ Der Seewolf griff zum Spektiv. Im selben Augenblick hörte er etwas, das er sofort erkannte: Kanonendonner. Dumpf und fern rollte es über die See und schien sich wie ein leichtes Vibrieren in der Luft fortzupflanzen. Ein paar Sekunden vergingen, dann donnerte es erneut. Breitseiten, kein Zweifel. Irgendwo in der Nähe war ein Gefecht im Gange. „Bill, du triefäugiger Hering!“ brüllte der Profos erbost. „Hat es dir die Sprache verschlagen, oder sind dir ein paar fliegende Fische auf die Klüsen geklatscht? Wenn ich jetzt nicht sofort ‘ne ordentliche Meldung höre, ziehe ich dir die Haut in Streifen ...“ „Zwei Dreimaster Steuerbord voraus“, faßte Bill seine Beobachtung etwas genauer. „Ich kann keine Einzelheiten erkennen, ver… äh, Sir!“ Gerade
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rechtzeitig war ihm eingefallen, daß er schließlich irgendwann wieder abentern und damit in die Reichweite des Profos geraten mußte. „Vielleicht könnte man durch das Spektiv sehen, was da los ist.“ Der Einfachheit halber enterte Hasard gleich selbst auf. Bills Augen funkelten in dem schmalen, braungebrannten Gesicht. Er war ein Mann geworden, nichts an ihm erinnerte mehr an den herumgestoßenen, vom Schicksal gebeutelten Halbwüchsigen, den sie damals auf Jamaika getroffen hatten. Der Seewolf nickte ihm zu, setzte das Spektiv an und suchte die Kimm ab. Sekunden später hatte er die beiden Schiffe im Blickfeld. Eine dickbäuchige Galeone und eine ranke Karavelle, in einem wilden Gefecht ineinander verbissen. Immer wieder dröhnte der ferne Donner der Breitseiten. Die „Isabella“ segelte rasch auf, und nach wenigen Minuten konnte Hasard bereits Einzelheiten erkennen. Der Karavelle erging es offenbar schlecht: Dabei konnte es dieser ranke, wendige’ Schiffstyp normalerweise recht gut auch mit dickeren Brocken aufnehmen, selbst wenn die stärker armiert waren. Flüchtig erinnerte sich der Seewolf an Drakes „Marygold“ mit ihrer eher lächerlichen Bewaffnung, die trotzdem so manchem scheinbar unangreifbaren Feuerspucker das Fürchten gelehrt hatte. Das war eine Frage der Taktik, des Geschicks, des seemännischen Könnens. Wer immer die Karavelle befehligte, konnte davon nicht allzu viel haben, es sei denn, er hatte sich hoffnungslos überraschen lassen oder war aus einem anderen Grund gehandikapt. Jedenfalls unternahm er einen ziemlich unsinnigen Versuch, platt vor dem Wind zu entwischen - was sein Gegner seelenruhig zuließ, weil er dadurch die Luvposition gewann. Die nächste Breitseite der Galeone fuhr durch die Takelage der Karavelle, zerfetzte die großen Lateinersegel und bereitete der Flucht ein schnelles Ende.
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Die Karavelle lief aus dem Kurs. Kopfschüttelnd betrachtete der Seewolf das lädierte Rigg - und pfiff im nächsten Moment leise durch die Zähne. Deutlich konnte er jetzt das Georgskreuz am Flaggenstag erkennen. Die Karavelle führte die englische Flagge. Es waren Landsleute, die dort drüben in immer hoffnungslosere Bedrängnis gerieten - und damit änderte sich für die Seewölfe schlagartig die Lage. 3. Niemand an Bord der beiden kämpfenden Schiffe bemerkte zunächst den ranken Segler, der da von Süden unter Vollzeug wie ein zorniger Schwan heranrauschte. Die Galeone luvte gerade scharf an, weil die manövrierunfähige Karavelle herumschwojte und ihr damit immerhin die schußbereiten Steuerbord-Geschütze zuwandte. Die Spanier - falls es wirklich Spanier waren - wollten nichts riskieren, erkannte Hasard. Brauchten sie ja auch nicht bei diesem waidwund geschossenen Gegner. Aber eine eindrucksvolle Art der Kampfführung war es nicht, was die Galeone da abzog. Der Seewolf preßte die Lippen zusammen. „Zieht das Georgskreuz hoch!“ befahl er knapp. Die „Isabella“ zeigte Flagge. Gefechtsklar war sie bereits, das ging bei den Seewölfen notfalls so blitzschnell, daß die versammelte Admiralität der britischen Flotte Stielaugen gemacht hätte. Drehbassen und Culverinen waren klar, die Geschützmannschaften standen auf ihren Stationen. Pete Ballie, der Rudergänger, umschloß das Rad mit seinen ankerklüsengroßen Fäusten, bereit, sich jederzeit blitzartig in die Speichen zu stemmen. Er dachte mit, genau wie die Männer an den Kanonen und den Segeln. Deshalb ahnten sie den nächsten Befehl oft schon, bevor er erfolgte, konnten ihn praktisch ohne Reaktionszeit ausführen, und deshalb waren sie immer ein bißchen schneller als ihre Gegner erwarteten.
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Inzwischen schienen diese Gegner den Braten endlich gerochen zu haben. Die Galeone fuhr eine Wende —ziemlich weit und ganz schön lahm, wie Ben Brighton trocken feststellte. Als sie über Stag ging und abfiel, schwand der letzte Zweifel daran, daß es sich tatsächlich um ein spanisches Schiff handelte. Ein großes hölzernes Kreuz baumelte unter dem Bugspriet, jenes Symbol, das alle spanischen Schiffe führten und das doch nichts an der Tatsache änderte, daß sich die seefahrenden Untertanen Seiner Allerkatholischsten Majestät in der Neuen Welt wie ganz gewöhnliche Räuber und Schnapphähne aufführten. Jetzt konnte Hasard bereits den Namen der Galeone entziffern. „Santa Monica“, las er. Demnach mußte der Capitan, der auf dem Achterkastell wild mit den Armen fuchtelte, jener Esteban Girraldo sein, dem die Seewölfe seit ihrer Begegnung mit den Holländern so ungemein freundliche Gefühle entgegenbrachten. Hasard setzte das Spektiv ab und lächelte. Ein ganz spezielles, für besonders niederträchtige Halunken reserviertes Lächeln, von dem seine Leute immer behaupteten, daß selbst der Höllenfürst samt allen seinen Unterteufeln davor Reißaus nehmen würde. „Anluven!“ befahl der Seewolf hart. „Wir scheren an seinem Bug vorbei, wenn er versucht, die Luvposition zu halten. Backbordkanonen mit Kettenkugeln laden. Ich erwarte, daß der Kahn jedenfalls kein Dreimaster mehr ist, wenn wir an ihm vorbei sind.“ „Aye, aye!“ ertönte die gelassene Stimme des schwarzhaarigen Stückmeisters Al Conroy. „Anluven, ihr lahmen Säcke!“ tobte der Profos los. „Hopphopp, ihr Rübenschweine, hier wird nicht gepennt. Oder seht ihr nicht, daß der dämliche spanische Waschzuber schon wieder an den Wind geht, was, wie?“ Das tat der „Waschzuber“ tatsächlich. Die Absicht der Spanier lag auf der Hand: sie wollten gegenüber der ebenfalls
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hochdrehenden „Isabella“ die günstigere Luvposition verteidigen. Zog man die Entfernung in Betracht, hätte ihnen das eigentlich auch gelingen müssen. Nur schien der Capitan nicht recht zu begreifen, was es mit den überlangen Masten und der ranken, auffallend flachen Bauweise des feindlichen Schiffs auf sich hatte. Es war wesentlich schneller und wendiger als die schwerfällige Galeone mit dem schaukelnden Holzkreuz. Jetzt ging die „Isabella“ hart an den Wind, lief eine Höhe, von der die Spanier nur träumen konnten — und Esteban Girraldo begriff, daß er sich verrechnet hatte. Er verlor die Nerven, ließ abfallen und beging damit den ersten entscheidenden Fehler. „Der spinnt“, sagte Ben Brighton in seiner bedächtigen Art. „Hm“, bestätigte Hasard. „Backbordkanonen — Feuer!“ befahl er im nächsten Moment, und über die Spanier brach das Verhängnis herein. Wäre die Galeone auf Kurs geblieben, hätte sie der „Isabella“ nur den schmalen Bug als Zielfläche zugewandt. So erwischte sie die volle Breitseite längsseits in der Takelage. Spieren und Rahen splitterten, Stage zerknallten, Segel rissen unter der mörderischen Wirkung der Kettenkugeln. Die Galeone holte schwer nach Steuerbord über. Die Folge war, daß ihre Backbord-Geschütze in der Sekunde, in der Capitan Girraldo den Feuerbefehl gab, allesamt in den schönen blauen Tropenhimmel wiesen. Aber das spielte im Grunde nicht einmal eine Rolle, da die „Isabella“ eiskalt die größere Reichweite ausgespielt hatte, die sie den überlangen Rohren der Culverinen verdankte. An Bord der „Santa Monica“ herrschte Zustand. Ihr Großmast war nicht mehr so groß, wie er hätte sein sollen. Die Blinde fehlte, die Fockrah kollerte über die Planken, der Besan flatterte, als hätten die Spanier ein altes Bettuch an der Gaffelrute aufgezogen. Immerhin lief die Galeone platt vor dem Wind ziemlich hohe Fahrt. Der Capitan mochte sich einbilden, die Gefahr auf diese
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Art hinter sich zu lassen. Doch falls er das glaubte, hatte er die Rechnung ohne die Seewölfe gemacht. Die „Isabella“ halste, setzte dem angeschlagenen Gegner nach und segelte von achtern auf. In einem wahren Höllentempo schob sie sich neben den Gegner —wieder genau im richtigen Abstand. Die Spanier, die wie besessen schufteten, starrten mit Blicken herüber, als glaubten sie, der Teufel selbst säße ihnen im Nacken. Immerhin hatten sie es fertiggebracht, die Backbord-Geschütze nachzuladen. Im Tonfall schriller Hysterie kreischte der Capitan seinen Feuerbefehl, und mit ohrenbetäubendem Krachen entlud sich die Breitseite. Sie lag zu kurz. Wirkungslos klatschte der eiserne Segen ins Wasser. Der Seewolf grinste und zeigte seine prächtigen weißen Zähne. „Gei auf die Fock !“ befahl er gelassen. „Al — glaubst du, daß du diesem Trottel von Capitan dazu verhelfen kannst, die nächste Kugel so richtig pfeifen zu hören?“ „Aye, aye, Sir! Dem versenge ich die Haarspitzen.“ Al Conroys Stimme klang ausgesprochen vergnügt. Drüben auf der feindlichen Galeone schienen die Männer von Genickstarre oder sonst einer Krankheit mit lähmender Wirkung befallen zu sein. Sie starrten den ranken Segler an, der wahrhaftig die Fock aufgegeit und Fahrt aus dem Schiff genommen hatte, um auf gleicher Höhe mit dem Gegner zu bleiben. Die ungewöhnlich große Reichweite der „Isabella“ kannten die Spanier jetzt. Sie sahen ihr letztes Stündlein nahen. Die nächste Breitseite mußte sie unweigerlich auf Tiefe schicken. Selbst der Capitan war so starr vor Entsetzen, daß ihm der naheliegende Befehl, nach Steuerbord anzuluven, erst mit ein paar Sekunden Verspätung einfiel. Zeit genug für Al Conroy, das Ziel aufzunehmen. Ein Ziel, das in der leeren Luft lag. Ein paar Schritte neben dem Besanmast — und
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ein paar Handbreiten über dem Haupt des Senor Esteban Girraldo. Krachend zerriß der einzelne Schuß die Stille. Der Capitan mußte den Luftzug spüren. Pfeifen hörte er die Kugel bestimmt — oder besser heulen. Wo sie einschlug, konnten die Seewölfe nicht sehen. Aber dafür sahen sie, wie sich Esteban Girraldo mit einem kreischenden Schrei platt auf den Bauch warf und sich ein paar von den Spaniern da drüben zitternd bekreuzigten. Jetzt luvte die „Santa Monica“ endlich an, doch das war alles andere als ein schnelles, energisches Manöver. Der Capitan peilte mit bleichem Gesicht über das Schanzkleid. Was er sah, erschien ihm vermutlich wie ein Gestalt gewordener böser Alptraum. Immer noch lag diese schreckliche englische Galeone genau auf Parallelkurs und folgte mühelos jeder Bewegung der „Santa Monica“. Sie war ganz offensichtlich in einer Position, in der sie dem Gegner jederzeit acht saubere Löcher in die Wasserlinie stanzen konnte. Langsam, sehr langsam dämmerte Esteban Girraldo, daß sein Schiff nur deshalb noch schwamm, weil ihm der schwarzhaarige Riese dort drüben großzügigerweise eine Chance gab, seine Niederlage einzusehen, bevor sie tödlich wurde. Statt die „Santa Monica“ ohne viel Federlesens zu versenken, hatte man ihnen eine eiserne Warnung herübergeschickt. Capitan Girraldo schluckte krampfhaft, wischte sich mit zitternden Fingern den Schweiß von der Stirn und war plötzlich sehr eilig. Die „Santa Monica“ strich die Flagge. Sekunden später drehte sie bei, während ein donnerndes „Arwenack“ über das Wasser dröhnte. Der Capitan lehnte an der Schmuckbalustrade wie ein bleicher, zitternder Schatten seiner selbst. Auf der Kuhl erinnerte der Rest der Spanier lebhaft an eine Hammelherde bei Gewitter. Philip Hasard Killigrew widmete der Situation einen langen Blick —und jetzt erst kam er dazu, auch die englische Karavelle wieder in seine Aufmerksamkeit einzubeziehen.
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Auf der „Swallow“ hatten die Männer in fieberhafter Hast ein paar Fetzen gesetzt, um wieder manövrieren zu können. Die Karavelle kreuzte von Steuerbord heran: mühselig, flügellahm, aber augenscheinlich entschlossen, einen Anteil am Sieg über die Spanier zu beanspruchen. Sehen konnten die Seewölfe so gut wie nichts, da die dickbäuchige Galeone das kleinere Schiff verdeckte. Aber Hasard hörte deutlich das Triumphgeheul seiner Landsleute. Die Engländer auf der „Swallow“ schrien herum, als sei es ihr Verdienst, daß die „Santa Monica“ die Flagge gestrichen hatte. Die Spanier an Bord der Galeone warfen erschrocken die Köpfe herum, spähten von Steuerbord nach Backbord und wieder nach Steuerbord und schienen nicht zu wissen, vor welcher Gefahr sie sich nun am meisten fürchten sollten. „Eh!“ sagte Ben Brighton gedehnt „Die Karavelle scheint längsseits gehen zu wollen.“ „Glaube ich auch.“ Hasard kniff die Augen zusammen. Auf der Kuhl fuhr Edwin Carberry herum und starrte zum Achterkastell hoch, als traue er seinen eigenen Augen nicht und erwarte eine Bestätigung. „Gehen die längsseits, Sir?“ fragte er in verblüffend maßvollem Ton. „Sie gehen längsseits“, bestätigte Hasard, da an der Tatsache inzwischen nichts mehr zu deuteln war. „Ja, sind die denn vom wilden Affen gebissen? Wollen diese karierten Bilgenratten etwa entern? Die denken wohl, wir haben nichts besseres zu tun, als irgendwelchen verlausten Heringen die gebratenen Tauben auf ‘nem Silbertablett zu servieren, was, wie? Na, denen werde ich die Haut in Streifen ...“ „Engländer von der ,Swallow` entern den Don!“ meldete Bill, der inzwischen wieder im Großmars Ausschau hielt. Hasard hörte bereits das Klirren der Enterhaken und das Gebrüll der Männer, die über das Schanzkleid auf die Kuhl der spanischen Galeone brandeten.
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Im Moment fehlten dem Seewolf ganz einfach die Worte. Was sich die Crew der „Swallow“ da leistete, war eine Frechheit sondergleichen. Die Spanier konnten das allerdings nicht wissen. Die hielten die beiden englischen Schiffe vermutlich für Verbündete, denen sie in die Falle gegangen waren. Jedenfalls unternahmen sie keinerlei Anstalten, sich zu wehren, und das feindliche Enterkommando verteilte sich binnen Sekunden auf allen Decks. Immer noch war für die „Isabella“-Crew aus der Entfernung die Sicht schlecht. Ben Brighton schnaufte empört. „Die benehmen sich, als gehöre der Kahn ihnen.“ „Das können keine Engländer sein.“ Old O’Flynn stampfte wütend mit seinem Holzbein auf. „Höchstens ein paar hirnamputierte Schotten! Scheren wir ebenfalls längsseits und schmeißen sie wieder in den Bach, Sir?“ „Wozu?“ fragte Hasard trocken. Das war eine Frage, auf die niemand sofort eine Antwort fand. Die „Santa Monica“ versprach keine Beute, die man dem spanischen König für die englische Krone abjagen konnte. Im Gegenteil: der Capitan jagte seinerseits hinter den Schätzen der „Blankenberghe“ her. Die Seewölfe waren ihren bedrängten Landsleuten zur Hilfe geeilt, aber sie hatten keinerlei Ehrgeiz gehabt, die Galeone als Prise zu kapern. „Ja, wozu?“ brummte Big Old Shane. „Uns kann es gleich sein, ob die ,Swallow`Leute den Spaniern die letzte Planke klauen. Verdient haben sie es ohnehin nicht besser. Segeln wir weiter, oder schauen wir noch ein bißchen zu?“ Der Seewolf antwortete nicht. Aus zusammengekniffenen Augen spähte er zu der Galeone hinüber. Ganz kurz glaubte er, dort drüben unter der englischen Entermannschaft jemanden gesehen zu haben, den er kannte. Jemanden, den er in einer völlig entgegengesetzten Ecke der Welt vermutete – und den er durchaus nicht in guter Erinnerung hatte.
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Er war nicht sicher, aber er beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. * Joe McNickle und Barry Burns hatten sich des spanischen Capitans bemächtigt. Black Jack Jayhawk warf nur einen Blick auf die verängstigte Hammelherde und wußte, daß von den Spaniern auf der Kuhl keine Gefahr mehr ausging. Der fremden Galeone, die ihnen zur Hilfe geeilt war, widmete Jayhawk ebenfalls einen Blick. Aber er übersah den schwarzhaarigen, blauäugigen Mann auf dem Achterkastell, und er erkannte das Schiff nicht. Als er die „Isabella“ zuletzt gesehen hatte, war sie nämlich über und über mit Eis bedeckt gewesen, glitzernd und funkelnd im kalten, klaren Licht des Polarsommers, ein unwirklicher Anblick, der mit einem normalen Segler wenig zu tun hatte. Black Jack Jayhawk begab sich sofort in die Kapitänskammer der Galeone. Angesichts der luxuriösen Einrichtung verzog er wütend die Mundwinkel. Kapitän Smollet, dessen Leiche sie beim Angriff der Spanier eilig ins Meer geworfen hatten, war ein asketischer Mann gewesen, der für sich selbst nicht mehr beanspruchte als jeder seiner Männer. Jack Jayhawk begann, systematisch alle Schatullen, Schränke und Behältnisse zu durchwühlen. Er suchte nach Reichtümern, Golddublonen, Juwelen. Aber das einzige, was ihm in die. Hände fiel, waren Seekarten, eine kleinere, handgezeichnete Karte — und das Logbuch, ein sorgfältig und mit Akribie geführtes Logbuch. Das mußte wohl eine Marotte des spanischen Capitans sein. Am liebsten hätte Black Jack vor Wut und Enttäuschung die Seiten zerrissen und darauf herumgetrampelt. Aber dann begann er doch, neugierig die letzten Eintragungen durchzublättern. Da er leidlich Spanisch sprach, verstand er, was da in einer winzigen, akkuraten Handschrift verzeichnet war. Seine Wut verrauchte.
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In den dunklen, tiefliegenden Augen begann ein Funke zu glimmen. Hektisch griff er nach der handgezeichneten Karte, starrte auf die Punkte und Linien und verglich sie mit den Eintragungen. Als er sich zwei Minuten später wieder aufrichtete, verzerrten sich seine Lippen zu einem triumphierenden Grinsen. Hastig riß er die entscheidenden Seiten aus dem Logbuch und schob sie zusammen mit der Karte in den Schaft seines Stiefels. Daß im selben Augenblick auf der Kuhl Waffen klirrten und wildes Geschrei losbrach, störte ihn nicht weiter. * „Verdammt!“ sagte Ben Brighton leise. „Das geht nun aber wirklich zu weit!“ Der Seewolf nickte nur. Ja, es ging zu weit. Er hatte zugesehen, wie sich die Crew der „Swallow“ mit Gebrüll der Galeone bemächtigte. Er hatte auch noch zugesehen, wie es für die Spanier Schläge und Tritte setzte, obwohl sie sich nicht wehrten. Die Holländer in der Bucht im Süden hatten sich auch nicht wehren können und waren bis aufs Blut gefoltert worden. Jetzt jedoch wurde der spanische Capitan an die Wanten gefesselt, und einer der herumbrüllenden, Rumflaschen schwenkenden Kerle schrie nach der Peitsche. Esteban Girraldos Leute hatten sich ergeben und mochte keine Helden sein, aber dabei wollten sie nicht zusehen. Fünf, sechs von ihnen ermannten sich und warfen sich dazwischen. Mit dem Ergebnis, daß die Engländer lachend und grölend zu Entermessern und Pistolen griffen. Die Spanier waren unbewaffnet. Sie wichen zurück, — doch das nutzte ihnen nichts mehr. Auf der „Santa Monica“ bahnte sich ein Blutbad an, ein völlig sinnloses Blutbad, und die Seewölfe waren nicht gewillt, dabei zuzusehen. „Al!“ dröhnte Hasards Stimme. „Warnschuß vor den Bug! Hoch mit dem Besan! Klar zum Entern!“ „Arwenack!“ schrie jemand begeistert.
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Und dann dröhnte es wie Donnerrollen über das Wasser und übertönte sogar noch den Schuß aus der Drehbasse: „Arwenack! Arwenack! Ar-we-nack !“ Zumindest einigen der Spanier rettete die Stimmgewalt der Seewölfe das Leben. Auf der Kuhl der „Santa Monica“ zuckten Freund und Feind erschrocken zusammen. Die „Isabella“ schwang unter dem Druck des Windes auf den Besan herum, die Fock wurde gesetzt und brachte Fahrt ins Schiff. Hoch am Wind stach der ranke Segler auf die beigedrehte Galeone zu und schor bereits längsseits, bevor die Männer der „Swallow“ recht begriffen, womit sie das Verhängnis auf sich herabbeschworen hatten. Die verschreckten Spanier verstanden immerhin, daß die Taue an den fliegenden Enterhaken sozusagen die seidenen Fäden waren, an denen ihr Leben hing. Es wurde still auf der Kuhl der „Santa Monica“. Nur die Planken dröhnten, als ein Dutzend Seewölfe übersetzte. Und jemand von der „Swallow“-Crew stieß einen erstickten Schreckenslaut aus. Jemand, den Hasard nicht mehr erkennen konnte, weil sich der Bursche eilig in den Pulk seiner Kumpane verkrümelte. Esteban Girraldo hing immer noch gefesselt in den Wanten. Der Seewolf ließ den Blick über die angstvollen Spanier und den verlotterten Haufen wandern, der auf der „Swallow“ unter dem Georgskreuz fuhr. Old .O’Flynn hatte recht: das waren keine Engländer. Allenfalls eine zusammengewürfelte Piratenhorde mit einigen Typen, deren Wiege möglicherweise in England gestanden hatte. Und so etwas hatte die Frechheit, das Georgskreuz am Flaggenstag aufzuziehen! Die wahren Zusammenhänge konnte Hasard nicht ahnen. Aber er ahnte, daß er den schwarzbärtigen Hünen vorhin durchaus richtig erkannt hatte. Wenn es jemanden gab, zu dem dies alles paßte, dann war es der Halunke Black Jack Jayhawk. „Schneidet Girraldo los“, befahl der Seewolf knapp.
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Der Capitan zuckte leicht zusammen, weil der andere seinen Namen kannte. „He, verdammt!“ protestierte einer aus der Meute. „Was soll das, Mann? Das ist unsere Prise, das ...“ „So?“ fragte Hasard gefährlich leise. Der Sprecher verstummte. Zwei seiner Kumpane befreiten den Capitan von den Fesseln. Girraldo hatte sichtlich keine Lust, sich in den Vordergrund zu spielen, sondern geseilte sich schön unauffällig zu den Seinen. Auch unter der „Swallow“- Crew waren einige Männer um Unauffälligkeit bemüht. Aber schon die nächste Sekunde zerstörte ihre Anstrengungen. Krachend flog das Schott zum Achterschiff auf. Ein breitschultriger, schwarzbärtiger Mann mit zottigem Haar und dunklen Augen erschien im Niedergang. Er tat drei stampfende Schritte auf die Kuhl - und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Er vergaß fast das Atmen. Seine Kinnlade sackte weg. Die Lider zogen sich auseinander, bis das Weiß der Augäpfel gespenstisch in dem dunklen Gesicht schimmerte. Aber die Überraschung lag auf beiden Seiten, denn bisher hatte nur Hasard den Burschen erkannt. Die Seewölfe starrten ihn an, als sei er ein Wassermann mit zwei Köpfen. Edwin Carberry, der eiserne Profos, fand als erster die Sprache wieder. „Ach du meine Fresse“, flüsterte er andächtig. „Der schwarze Jack ist den Eskimos ausgerissen! Der hat wohl immer noch nicht genug Maulschellen von mir bezogen!“ 4. Fast zwei Minuten lang wurde es so still, wie es auf einer beigedrehten Galeone nur werden konnte. Philip Hasard Killigrew starrte den Schwarzbart an, den der Schock an seinen Platz bannte. Black Jack Jayhawk! Von einer Sekunde zur anderen wurde in den Gedanken des Seewolfs wieder die
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Erinnerungen die lange Fahrt durch den hohen Norden lebendig - damals, als sie unter unsäglichen Mühen und Gefahren die legendäre Nordost-Passage gefunden hatten. Ewiges Eis, Schneestürme, mörderische Kälte. Und dann jene elende Bretterhütte an der Küste, in der eine kleine Gruppe von Goldsuchern und Walfängern den Tod erwartete. Jack Jayhawk hatte bei einer Meuterei den Walfänger „Helsingborg“ an sich gerissen und den Kapitän und einen Teil der Mannschaft dem fast sicheren Tod ausgeliefert, bevor das Schiff dann später im Eis festfror. Nicht genug damit: er hatte auch versucht, die „Isabella“ zu kapern, obwohl er und seine Halsabschneider den Seewölfen ihr Leben verdankten. Bei einer letzten Teufelei auf der Insel Nuniwak war dann ein Eskimo erstochen worden. Jayhawk und seine vier Kumpane hatten sich redlich die Rahnock verdient, aber die Seewölfe ließen sie auf der Insel zurück, wo sie als Gefangene der Eskimos schuften mußten, um die Sippe des Mannes zu ernähren, den sie getötet hatten. Das alles schoß Hasard in wenigen Sekunden durch den Kopf. Ein paar von seinen Männern begannen andächtig zu grinsen. Ihrer Meinung nach waren die fünf Halunken damals viel zu billig davongekommen, jedenfalls wenn man von den Maulschellen des Profos absah, die bekanntlich von erlesener Qualität waren. „Der schwarze Jack“, wiederholte Ferris Tucker. „Als Kapitän! Wo er doch eine Rah nicht von einem Zahnstocher unterscheiden kann.“ „He!“ rief Dan O’Flynn. „Seht ihr, was ich sehe?“ „Rogier Claasen und Tjarko Michels“, meinte Smoky mit Grabesstimme. „Und der liebe Barry Burns!“ sagte Blacky grollend. „Und da drüben hinter der Nagelbank versteckt sich unser besonders guter Freund McNickle.“ „Na, dann kann ich ja gleich da fortfahren, wo ich aufgehört habe“, knurrte der Profos.
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Daraufhin wichen vier Männer eiligst bis ans Steuerbord-Schanzkleid zurück. Aufgehört hatte der Profos nämlich bei der letzten Begegnung mit besagten Maulschellen. Jack Jayhawk sah nicht so aus, als habe er zugehört. Sein Blick hing an Philip Hasard Killigrew. Ein Blick aus düsteren, glühenden Augen, in denen der Haß wie ein Feuer brannte. Der schwarze Jack hatte nichts dazugelernt. Tief und rasselnd holte er Atem, und sein Gesicht verzerrte sich. „Du Bastard!“ röhrte er. „Du verdammter Bastard!“ „Will er uns beleidigen?“ fragte Blacky hoffnungsvoll. Jayhawks Blick ließ den Seewolf nicht los. „Ihr Schweine habt uns auf Nuniwak zurückgelassen. Wie die Tiere mußten wir schuften und ...“ „Hoffentlich hat euch das Wasser im Hintern gekocht“, sagte der blonde Schwede Stenmark ungerührt. „... und uns von den dreckigen Eskimos schikanieren lassen“, fuhr der schwarze Jack fort. „Die wahrscheinlich sauberer waren als ihr“, bemerkte Dan O’Flynn. Jayhawk erstickte fast an seiner Wut. „Wir würden heute noch auf der verdammten Insel sitzen und verrotten, wenn uns nicht durch einen verdammten Zufall die Flucht geglückt wäre“, knirschte er. „Ich hab mir geschworen, dir das heimzuzahlen, Killigrew! Ich hab mir geschworen ...“ „Und wie, bitte sehr, willst du das anstellen, du Affenarsch?“ erkundigte sich der Profos sanft. „Feiglinge!“ heulte Jayhawk auf. „Ihr fühlt euch nur stark, wenn ihr in der Übermacht seid! Ich fordere dich zum Duell, Killigrew! Ich werde dich mit der Handspake zu Brei schlagen! Ich werde dir alle Knochen brechen! Ich werde ...“ Die Luft ging ihm aus. Hasard hob die linke Braue. Der schwarze Jack war verrückt. Aber Verrückten seiner Art konnte man, wenn überhaupt, nur mit
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dem entsprechend groben Keil auf den groben Klotz Vernunft beibringen. „Duell?“ wiederholte der Seewolf kopfschüttelnd. „Mit der Handspake?“ Jayhawk keuchte. Für einen winzigen Moment zögerte er, schien sich gewisser Dinge zu erinnern, die ihn eigentlich hätten nachdenklich stimmen sollen. Aber dann gewann wieder der hemmungslose Haß die Oberhand. „Wir kämpfen um die ,Santa Monica`!“ stieß er hervor. „Um die Beute! Oder willst du dich drücken, du dreckige Ratte?“ Keiner der Seewölfe wurde wütend. Wozu auch? Unheilbar Irre, die sich unbedingt ihr eigenes Grab schaufeln wollten, verdienten höchstens Mitleid. Hasard zuckte mit den Schultern. „Den ,verdammten Bastard’ schenke ich dir“, sagte er mit einem hintergründigen Lächeln. „Für die ,dreckige Ratte’ wirst du dir weh tun. Zwei Handspaken, bitte!“ Die waren schnell herbeigeschafft. Armlange, solide Prügel - furchtbare Waffen im Nahkampf. Die erschrockenen Spanier und die Männer von der „Swallow“ glaubten schon, Knochen krachen zu hören. So hatte sich der schwarze Jack die Sache wohl auch vorgestellt - nur, daß es natürlich nicht seine Knochen sein sollten. Aber der Seewolf dachte gar nicht daran, sich mit diesem Kerl auf eine wilde Holzerei einzulassen. Black Jack rückte geduckt heran wie eine Katze, die ihre Beute beschleicht. Hasard rührte sich nicht. Er stand ganz locker da, die Nagelbank des Großmastes im Rücken - jenes Großmastes, der nicht mehr so groß war, wie er eigentlich sein sollte. Dem schwarzen Jack hatte die Wut den Verstand vernebelt. Er knurrte wie ein Wolf und holte mit der Spake weit nach rechts aus, um seinen Gegner am Kopf zu treffen. Spanier und „Swallow“-Leute stöhnten auf, als der schwere Holzprügel durch die Luft sauste. Die Seewölfe nahmen es gelassen, weil sie schon vorher wußten, was geschehen würde. Dort, wo sich eben noch Hasards
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Kopf befunden hatte, war plötzlich nur noch Luft. Eine Handbreite über dem schwarzen Haar zischte die Spake weg. Jack Jayhawk drehte sich um die eigene Achse, taumelte, verlor die Richtung und kreiselte über die Kuhl, als wolle er mit einem tropischen Wirbelsturm konkurrieren. Beim nächsten Hieb traf er einen Belegnagel, der anschließend so aussah, als könnten ihn die Spanier mit Hilfe des Gangspills vielleicht bis Mitternacht wieder aus dem Loch herauswuchten. Jack Jayhawks Wutgebrüll ließ fast die Planken zittern. Hoch schwang er die Handspake über den Kopf. Sekundenlang sah er aus wie die etwas mißglückte Imitation eines Racheengels mit empor gerecktem Flammenschwert. „Jetzt tust du dir weh“, prophezeite der Seewolf sanft und glitt im nächsten Moment blitzartig zur Seite, weil sein Gegner versuchte, ihm den Prügel mit voller Wucht von oben auf den Schädel zu schlagen. Black Jack hieb daneben. Er war ein großer Mann, deshalb traf die Handspake auch nicht die Decksplanken. Sie traf seine eigenen Zehen, und damit war dieses denkwürdige Duell beendet. Minuten später, als sich der schwarze Jack aus einem tanzenden, heulenden Derwisch zwar nicht in einen normalen Menschen, aber in ein schlaffes, nichtsdestoweniger Gift und Galle spuckendes Jammerbündel verwandelt hatte, herrschte immer noch andächtige Stille. Der Seewolf warf seine Handspake außenbords, weil ihn die ganze Sache plötzlich anwiderte. Dabei fiel sein Blick zufällig auf das Gesicht des spanischen Capitans - und in dessen Augen sah er einen Ausdruck, der ihm ganz und gar nicht gefiel. „Sir“, begann Esteban Girraldo höflich. „Was ist?“ fuhr ihn Hasard an. „Sir - wären Sie bereit, sich auch mit mir um den Besitz der ‚Santa Monica` zu duellieren? Mit dem Degen?“ Der Seewolf holte tief Luft. -
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Er war wütend. Unter anderem auf sich selbst, weil er sich zu dieser albernen Prügelei hatte hinreißen lassen. Gerade wollte er Girraldo erklären, daß er sich mit seinem verlotterten Kahn nach Feuerland scheren solle - da hielt er plötzlich inne. Die Seewölfe konnten keine Prise gebrauchen. Aber die Holländer, die in der Bucht im Süden festsaßen! Und nach allem, was ihnen die Spanier angetan hatten, war es ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit, ihnen die „Santa Monica“ zur Verfügung zu stellen. Hasard lächelte. Ein ausgesprochen vergnügtes Lächeln. „Selbstverständlich, Capitan“, sagte er. „Aber ich hoffe, Sie sind sich darüber klar, daß es für sie und Ihre Männer in der Pinasse recht eng werden wird.“ * Diesmal herrschte auch unter den Seewölfen eine gewisse Spannung, denn der schlanke, drahtige Spanier mit den geschmeidigen Bewegungen sah ganz so aus, als ob er mit einem Degen umgehen könne. Seine Waffe rückte einer von Black Jacks Leuten heraus: eine schmale, biegsame Klinge mit kunstvoll gearbeitetem Glockenkorb. Girraldo schlug prüfend durch die Luft und erzeugte mit der Klinge ein helles, vibrierendes Singen. Flüchtig ruhte der Blick des Spaniers auf dem Entermesser an Hasards Gürtel. Der Seewolf verzog die Lippen, als er die Waffe aus der Scheide zog und Ed Carberry zuwarf. Einen Augenblick hatte Girraldo .eine Haltung gezeigt, die beinahe Achtung abnötigte, jetzt offenbarte er wieder seine wirkliche Gesinnung. Er war ein feiger Halunke, der Wehrlose foltern ließ - und ein solcher Mann rechnete natürlich auch damit, bei einem Degenduell ein Entermesser in den Leib zu kriegen, ein solcher Mann traute seinem Gegner jeden Trick zu. Darin war er wieder ganz der spanische Grande.
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Verbeugung, zeremonielles Kreuzen der Klingen - das durfte natürlich nicht fehlen. Danach allerdings pfiff Girraldo auf die Regeln der Höflichkeit und sprang so überraschend zu einem Ausfall vor, daß die meisten Zuschauer unwillkürlich aufstöhnten. Hasard lächelte, als die Klingen gegeneinander klirrten, ein kaltes, leicht ironisches Lächeln. Ein Lächeln, das die ganze Zeit über nicht erlosch, während sein Degen in einem Feuerwerk blitzartiger Hiebe zuckte und tanzte, flirrend die Luft zerschnitt, Lichtreflexe versprühte, als knisterten Funken von der nadelscharfen Spitze. Esteban Girraldo wurde unaufhaltsam zurückgetrieben - quer über die Kuhl, hinüber nach Steuerbord und am Schanzkleid entlang nach achtern. Er gelangte nicht mehr dazu, auch nur einen einzigen Ausfall zu versuchen. Schweiß stand in dicken Tropfen auf seiner Stirn und rann ihm über die Haut. Sein Gesicht verzerrte sich. Mühsam konterte er den Wirbel der Angriffe, die einander schneller folgten als er denken konnte. Die Klinge sang und blitzte vor ihm, unermüdlich, unablässig. Und die ganze Zeit über lag dieses Lächeln auf dem Gesicht seines Gegners - ein Lächeln, das Esteban Girraldo um den letzten Nerv brachte und fast in den Wahnsinn trieb. Als er das dritte Mal rückwärts marschierend die Kuhl umkreist hatte, war es mit der Attitüde des spanischen Granden vorbei. Jählings verwandelte sich Esteban Girraldo wieder in den Kerl, für den ihn die Seewölfe hielten, seit sie jene Bucht im Süden angelaufen hatten. Ein wüster Schrei brach über seine Lippen. Mit einem Satz stand er an der Nagelbank, griff sich mit der Linken einen KoffeyNagel und schleuderte ihn wuchtig in Hasards Richtung. Der Seewolf konnte ganz knapp ausweichen. Der schwere Belegnagel streifte seine Schulter und schickte eine Schmerzwelle durch seinen Arm. Girraldo setzte sofort nach. Er hatte seinen Gegner
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zusammenzucken sehen, glaubte dessen Waffenarm gelähmt, und ein hämisches Grinsen überzog das Gesicht des Spaniers. Blitzartig schnellte er vor, um den Degen in Hasards Brust zu bohren. Er verrechnete sich. Der Arm seines Gegners, der für Sekunden herabgesunken war, zuckte in letzter Sekunde hoch. Girraldos Degen wurde von einer klassischen Prim nach oben geschlagen. Gleichzeitig drehte der Seewolf geschmeidig aus der Hüfte weg und ließ den Fuß stehen, damit der Spanier lernte, daß es viel elegantere Tricks gab als fliegende Koffey-Nägel. Bei diesem Trick war es der Gegner, der flog. Esteban Girraldo torkelte mit hochgerissenem Degen quer über die Kuhl und prallte ans Schanzkleid. Dort hatte er immer noch genug Schwung, um das Übergewicht zu kriegen. Klatschend landete er im Wasser. Ein heftiges Rauschen, Plätschern und Gurgeln entstand. Mit einem Blick stellte Hasard fest, daß der Capitan von der Galeone wegschwamm und offensichtlich nicht den geringsten Ehrgeiz hatte, sich je wieder an Bord sehen zu lassen. „Na, dann fiert mal die Pinasse ab“, sagte der Seewolf in Richtung auf die erschütterten Spanier. „Pinasse abfieren, ihr Rübenschweine!“ schrie der Profos. „Ihr sitzt wohl auf euren Ohren, was, wie? Ein bißchen Bewegung, ihr Saftsäcke, oder ich ziehe euch eigenhändig die Haut ab!“ Das alles brüllte er auf Spanisch. Ob die verschreckten Dons etwas mit der genialen Kombination der spanischen Vokabeln für Rübe und Schwein oder Saft und Sack anzufangen wußten, war fraglich. Was es mit dem Hautabziehen auf sich hatte, wußten sie auf jeden Fall. Sie hatten es plötzlich höllisch eilig, die Pinasse abzufieren. Und sie waren schließlich nicht die ersten Spanier, die dem Profos der „Isabella“ glatt zutrauten, mißliebige Menschen lebendigen Leibes in dünne Scheiben zu schneiden.
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Der Capitan wurde aufgefischt, und der Steuermann, der sehr höflich anfragte, ob man ihnen nicht vielleicht ein winzig kleines Messer mitgeben könne, durfte mit zwei Kumpanen noch einmal an Bord steigen, um Ausrüstung zu mannen. Der schwarze Jack und seine Halsabschneider-Bande hatten es unterdessen bereits vorgezogen, stillschweigend wieder auf ihre „Swallow“ überzusetzen. Heimlich stahlen sie sich davon, pflückten ihre Enterhaken vom Schanzkleid und klarierten die Fetzen, die sie anstelle der zerschossenen Lateinersegel gesetzt hatten. So heimlich, daß die Seewölfe es nicht bemerkt hätten, ging das alles natürlich nicht vonstatten — aber die waren sich einig darüber, daß Black Jack Jayhawk gar nicht schnell genug aus ihrem Blickfeld verschwinden könne. Sie schickten der davonsegelnden „Swallow“ nicht einmal ein donnerndes „Arwenack“ nach, weil der schwarze Jack das ihrer Meinung nach überhaupt nicht wert war. Die Karavelle quälte sich mit ihrer Notbesegelung nach Norden. Die Spanier, dicht gedrängt in der kleinen Pinasse, hielten auf die Küste zu. Hasards Blick wanderte zu der „Isabella“ hinüber, und er mußte lächeln, als er den funkelnden Augen seiner beiden Söhne begegnete. Auch die Zwillinge kannten den schwarzen Jack. Sie waren es gewesen, die Jayhawk und seine Kumpane damals belauscht und den hinterhältigen Anschlag vereitelt hatten. Sie gönnten ihm sein Mißgeschick — vor allem, da er dumm genug gewesen war, es sich selbst zuzufügen. „Und was fangen wir jetzt mit diesem lahm geschossenen Kahn an?“ fragte Ben Brighton langsam. Hasard grinste und schlug seinem Bootsmann auf die Schulter. „Was wohl?“ fragte er. „Wir verpassen ihm eine Prisenbesatzung, segeln ein Stück zurück nach Süden und stellen den Holländern das Schiff zur Verfügung.“
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Auf der „Swallow“ trieb Black Jack Jayhawk seine Leute an, daß es nur so rauchte. Der Feldscher, der Jayhawks lädierte Zehen behandelte, kassierte für seine ziemlich ungeschickten Bemühungen einen Tritt, der ihn kopfüber den Niedergang hinunterbeförderte. Lasse Tjorven, der schwedische Schiffsjunge, wurde aus der Vorpiek geholt und gnadenlos an die Arbeit gejagt, obwohl er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Der Junge biß die Zähne zusammen und hielt durch. Er wußte, was mit Kapitän Smollet geschehen war, auch wenn ihn die Bewußtlosigkeit nach den zwanzig Peitschenhieben davor bewahrt hatte, zuschauen zu müssen. Während er mühsam und unter Schmerzen mithalf, neue Segel anzuschlagen und die Gefechtsschäden zu reparieren, schwor er sich, den schwarzen Jack umzubringen, sollte er je eine Gelegenheit dazu erhalten. Jayhawk tobte, brüllte und beruhigte sich auch nicht, als die „Swallow“ wieder ein halbwegs annehmbares Rigg hatte. Der Rest des Tages verstrich, bis sich seine wilde Wut endlich so weit gelegt hatte, daß er wieder klar denken konnte. Rachegedanken! Mit geballten Händen und knirschenden Zähnen stand er auf dem Achterkastell und beschrieb seinen vier alten Kumpanen, was er den Seewölfen alles anzutun gedachte. Der Friese, der Holländer und die beiden Engländer schwiegen unbehaglich, weil sie sich noch zu gut daran erinnerten, wie ihre Auseinandersetzungen mit der „Isabella“Crew in der Vergangenheit ausgegangen waren. „Wir werden dieses Schiff in Fetzen schießen“, knurrte Jayhawk. „Wir stellen ihm eine Falle, aus der es nicht mehr entwischen wird. Irgendetwas wird mir schon einfallen. Wir segeln nicht zum Schwarzen Riff, sondern ...“ Er stockte abrupt.
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Seine Lider zogen sich weit auseinander, und er sog scharf die Luft ein. Der kleine, drahtige Joe McNickle runzelte verständnislos die Stirn. „Schwarzes Riff?“ echote er. Black Jack Jayhawk grinste plötzlich. Rasch bückte er sich zu seinem linken Stiefel - demjenigen, in dem die Zehen heil geblieben waren, überrascht sahen seine Kumpane zu, wie er eine gezeichnete Karte und ein paar lose Blätter hervorzog, die offenbar aus einem Logbuch gerissen worden waren. Jayhawks dunkle, tiefliegenden Augen funkelten triumphierend. „Dieser Killigrew soll meinetwegen zur Hölle fahren“, stieß er durch die Zähne. „Wir segeln zum Schwarzen Riff. Da liegt nämlich ein Haufen Gold auf dem Meeresgrund und wartet nur darauf, daß jemand aufkreuzt, um es abzuholen.“ * Auf der „Santa Monica“ übernahm Ben Brighton das Kommando. Die „Isabella“ lief unter Fock und Besan, da sie nur die halbe Besatzung hatte. Die spanische Galeone konnte ohnehin nur noch Fock, Besan und Blinde setzen. Die Holländer würden einen neuen Mast aufriggen oder den vorhandenen mit einer Spiere verlängern müssen. Natürlich war Hasard klar, daß neun Männer zu wenig waren, um diesen Kasten zu segeln. Aber vielleicht konnte Bertram Vermeeren ein paar von den Eingeborenen in seine Crew aufnehmen. Falls es ihm gelang, den Schatz der „Blankenberghe“ zu heben, würde er sicher keine Schwierigkeit haben, genug Leute aufzutreiben, um in seine Heimat zurückzukehren. Seit der vernichtenden Niederlage der spanischen Armada gab es mehr Holländer als früher, die zu den Küsten der Neuen Welt segelten, Handel trieben, Niederlassungen gründeten und den Spaniern Schlappen beizubringen versuchten. In Kiellinie gestaffelt glitten die beiden Schiffe an der Küste entlang, immer noch
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mit halbem Wind, jetzt jedoch über Steuerbordbug. Die „Isabella“ hatte die Spitze, denn die Seewölfe wollten nicht riskieren, daß ihnen ihre holländischen Freunde zum Beispiel ein Pulverfäßchen entgegenschickten, wenn sie die „Santa Monica“ sichteten. Stenmark hatte das Ruder übernommen, hielt haarscharf Kurs und folgte der Fahrrinne, die sie schon einmal sicher durch den Bereich der gefährlichen Riffe und Untiefen gebracht hatte. Auf der spanischen Galeone nahm Pete Ballie die Gelegenheit wahr, mal wieder mit einem Kolderstock umzugehen - einem schwerfälligen, unhandlichen Instrument im Vergleich zu der Ruderanlage, die Ferris Tucker ausgetäfelt hatte. Da der Wind gleichmäßig von Osten wehte, spielte es keine große Rolle, daß beide Schiffe hoffnungslos unterbemannt waren. Die „Isabella“ hätte sogar wesentlich schnellere Fahrt laufen können, aber Hasard hatte die Segelfläche verkleinern lassen, weil er es für geraten hielt, nicht die Fühlung zu verlieren. Die „Swallow“ war nach Norden verschwunden, doch das konnte ein Täuschungsmanöver sein. Der schwarze Jack war rachsüchtig. Wenn er auch der „Isabella“ nicht gefährlich werden konnte - bei der angeschlagenen spanischen Galeone mit ihrer Notbesatzung sah die Sache anders aus. Die Bucht lagen sie mit Backstagsbrise an. Winkende Gestalten erwarteten sie auf der Landzunge: die Holländer hatten sie längst gesichtet. Als sie dann die „Santa Monica“ entdeckten, spiegelte ihre Haltung deutlich Ratlosigkeit. Einen Augenblick mochte sie die Befürchtung durchzucken, die Engländer könnten sich mit den Spaniern verbündet haben, um den Schatz der „Blankenberghe“ unter sich aufzuteilen. Aber dann erkannten sie die Gestalten an Bord der „Santa Monica“, das unverwechselbare rote Haar des Schiffszimmermanns und die blonden Schöpfe einiger anderer, und begannen wieder zu winken.
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Minuten später liefen beide Schiffe in die Bucht ein und gingen vor Anker. Hasard sah mit einem Blick, daß die Männer den Strand inzwischen in eine provisorische Bootswerft verwandelt hatten. Auch die Eingeborenen stellten jetzt die Arbeit ein und sahen neugierig zu, wie die Seewölfe Boote abfierten. Hasard sprang als erster an Land, und Bertram Vermeeren trat ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Genau wie die anderen hatte er sich erstaunlich schnell von den Folgen der brutalen Behandlung erholt. Ein Lächeln flog über das markante, braungebrannte Gesicht unter dem hellen Haar. „Freut mich, daß wir uns so rasch wiedersehen. Ich hoffe, es ist kein – schlimmer Anlaß.“ „Durchaus nicht.“ Hasard drückte kräftig die dargebotene Hand. „Wir hatten ein Gefecht, aber es gab keine Toten oder Verletzten und nicht einmal Schäden.“ „Ein Gefecht mit Esteban Girraldo“, stellte Vermeeren fest. „Richtig. Er hatte eine kleine Karavelle angegriffen, die unter englischer Flagge fuhr – obwohl es sich bei der Crew um eine Halunkenbande handelt, die eigentlich keine Hilfe verdient hatte. Girraldo und seine Leute sind inzwischen mit einer Pinasse zur Küste unterwegs. Wir hielten es für eine gute Idee, sie ihre Schulden bei Ihnen mit dem Schiff bezahlen zu lassen.“ Vermeerens Augen wurden weit. „Die ,Santa Monica`? Für uns?“ „Warum nicht? Die Takelage muß repariert werden, aber das dürfte keine großen Schwierigkeiten bereiten. Allerdings sind Sie mit neun Mann zu wenig, um das Schiff zu segeln.“ „Die Eingeborenen werden uns helfen. Sie sind unsere Freunde. Später werden wir schon irgendwo eine Crew zusammenkriegen ...“ Vermeeren unterbrach sich und atmete tief durch. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen besser danken als nur mit Worten“, sagte er leise. „Es war uns ein Vergnügen, Kapitän.“ Hasard lächelte. Und die Gesichter der übrigen Seewölfe verrieten unverkennbar,
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daß es ihnen tatsächlich ein Vergnügen gewesen war, die Spanier zum Teufel zu jagen. Bertram Vermeeren fuhr sich mit der Hand über die Stirn und hatte sichtlich Mühe, seine Innere Bewegung zu verbergen. „Die ,Blankenberghe` liegt immer noch am Schwarzen Riff“, sagte er rauh. „Es wäre uns eine Ehre, wenn Sie einen Teil des Goldes annehmen würden und ...“ „Wir halten uns lieber an die spanischen Schatzschiffe“, unterbrach ihn Hasard lächelnd. „Außerdem möchten wir so schnell wie möglich die Karibik wiedersehen.“ „Aber Sie dürfen nicht sofort weitersegeln. Wir haben immer noch ein paar Fäßchen Rum, die den Spaniern entgangen sind.“ Hasard holte Luft – und atmete wieder aus. Neben ihm hatte Ed Carberry hingerissen mit der Zunge geschnalzt. Dan O’Flynns Augen glitzerten begehrlich, Blacky und Smoky schnitten verzückte Gesichter, der drahtige Bob Grey grinste, als wolle er sich die Ohrläppchen abbeißen. „Sooo“ eilig hatten sie es denn doch nicht, die Karibik wiederzusehen, sagten die Gesichter. Und das nächste Argument würde vermutlich lauten, daß man nach dem Gefecht und den folgenden Ereignissen ohnehin das wichtigste vergessen habe, nämlich die Sache zu begießen. „Einverstanden“, sagte Hasard. „Aber nur unter der Bedingung, daß wir ebenfalls ein paar Fäßchen beisteuern dürfen.“ * Den Spaniern unter Esteban Girraldos Führung blieb an diesem Tage das Pech treu. Die Pinasse war ein solides, gut besegeltes Boot, und die Männer verfügten über Wasser, Vorräte und Waffen, um sich notfalls verteidigen zu können. Alles in allem hatten sie eine wesentlich bessere Behandlung erfahren, als sie sie im umgekehrten Fall ihren Gegnern hätten zuteil werden lassen. Esteban Girraldo wußte das auch, und in Gedanken beschäftigte er sich sogar schon wieder mit
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der Möglichkeit, sich doch noch das Gold der „Blankenberghe“ anzueignen. Die Küste lag bereits greifbar nahe, als es passierte. Girraldo starrte aus zusammengekniffenen Augen zu den geschwungenen Linien der Strände hinüber, den Klippen und Palmengürteln, den Hügeln mit den berüchtigten „weißen Wäldern“, die sich dahinter er- hoben. Den Spaniern waren diese endlosen Dickichte mit ihren tückischen Dornen auch nicht sympathischer als die dampfende Hölle tropischer Regenwälder. Sie liefen die Küste überhaupt nur an, um ein Lager für die Nacht aufzuschlagen. Daß sie damit einen Fehler begingen oder zumindest hätten besser aufpassen müssen, begriffen sie zu spät. „Wahrschau! Riff!“ Die gellende Stimme riß Girraldo jäh aus seinen Gedanken, doch da war das Unheil schon geschehen. Ein schmetternder Krach erschütterte die Pinasse. Die gefährlichen Zacken des Riffs hatten dicht unter der Wasseroberfläche gelegen, unsichtbar, schon im Brandungsbereich, und sie schlitzten dem Boot vom Bug bis zum Heck den Bauch auf. Die Pinasse kenterte und brach auseinander. Von einer Sekunde zur anderen paddelten schreiende, um sich schlagende Männer im Wasser. Der Schrecken war schlimmer als die unmittelbare Gefahr für ihr Leben. Girraldo klammerte sich blindlings an eins der Riffe, spuckte und gurgelte. Sein Steuermann faßte sich als erster und begann, Befehle zu brüllen. Nach dem ersten Schock brachte er seine Leute immerhin dazu, einen Teil von Waffen und Ausrüstung aufzufischen, bevor sie sich an den Strand retteten. Wenige Minuten später kauerten sie triefend, erschöpft, aber vollzählig im Sand. Was von den Trümmern der Pinasse angeschwemmt wurde, konnte allenfalls noch als Brennholz dienen. Die Waffen waren ebenfalls nicht zu gebrauchen, bevor das Pulver trocknete. Die Männer
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benötigten eine Weile, um das Ausmaß ihres Pechs zu überblicken, dann löste allmählich dumpfe Wut den Katzenjammer ab. „Wir werden es schaffen!“ knirschte Girraldo. „Wir werden uns dieses Gold schnappen, und wenn wir zu Fuß zum Schwarzen Riff marschieren müssen.“ „Da wird uns wohl auch nichts anderes übrigbleiben“, sagte der Steuermann, der Diego Delgado hieß und dem maurischen Blut in seinen Adern einen gewissen düsteren Fatalismus verdankte. „Ziemlich weiter Weg“, bemerkte der Zweite Offizier, „Und diese Wälder sind unangenehm.“ „Wir können am Strand entlanggehen.“ „Das bedeutet einen Umweg, Hitze, Marschieren im tiefen Sand und Kletterei über Klippen.“ Esteban Girraldo schüttelte energisch den Kopf. „Nein, wir brauchen Boote. Und ich weiß auch, wo wir sie uns holen können.“ „Wo?“ fragte der Steuermann. „Bei diesen holländischen Bastarden im Süden. Das ist über Land nicht besonders weit.“ „Aber wir haben die Boote der Kerle doch eigenhändig in Fetzen geschossen, wir ...“ „Die meisten, aber nicht alle: Außerdem sind die Eingeborenen Fischer. Sie hatten bestimmt nichts Eiligeres zu tun, als die Boote sofort wieder instand zu setzen, soweit es möglich war.“ Girraldo preßte die Lippen zusammen und fixierte den Steuermann mit einem wütenden Blick. „Vergessen Sie nur nicht, wer hier das Kommando hat, Senor Delgado.“ Der Steuermann antwortete nicht. Was er dachte, ging nur ihn selbst etwas an. Er hielt Esteban Girraldo für einen vollendeten Narren, aber er hätte nie gewagt, das auszusprechen. * Auf der „Isabella“ waren die Ankerwachen verstärkt worden. Dan O’Flynn, mit seinen scharfen Augen saß im Großmars und beobachtete die Kimm. Dazu hatte er sich freiwillig
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gemeldet, weil er weder den Spaniern noch Black Jack Jayhawks Piratenbande über den Weg traute. Der Rest des Tages war damit vergangen, daß die Holländer und ihre EingeborenenFreunde die „Santa Monica“ inspizierten. Ferris Tucker und Will Thorne, der weißhaarige Segelmacher, konnten es natürlich nicht lassen, dabei ein bißchen mitzumischen. Im Augenblick hallten Axtschläge in der Bucht wider, während am Strand ein Feuer entzündet und das erste Rumfäßchen angeschlagen wurde. Die Zwillinge kauerten einträchtig im Sand; schlürften Kokosmilch und teilten ihre Rosinen-Ration mit dem Schimpansen Arwenack. Sir John, der rote Ara-Papagei, hatte sich in die luftige Höhe einer Palme zurückgezogen. Dort versuchte er, abwechselnd auf Englisch, Spanisch und Türkisch fluchend die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken - was ihm spätestens mit dem krächzenden holländischen „Godverdomme“ gelang, das er vor Jahr und Tag auf einem Wassergeusen-Schiff aufgeschnappt hatte. Die Axtschläge verstummten, und ein paar Minuten später lag ein prachtvoller Baum am Strand, der einen erstklassigen neuen Großmast für die „Santa Monica“ abgeben würde. Vorerst diente er als Sitzgelegenheit. Ferris Tucker befeuchtete ausgiebig seine trockene Kehle, die Holländer bewiesen, daß ein ordentlicher Schluck sie ebenfalls nicht umwarf. Die Zwillinge warteten vergeblich darauf, daß ihr Großvater eine seiner herrlichen Spukgeschichten zum Besten gab. Old O’Flynn rieb gedankenverloren sein Holzbein, ließ gemächlich das angemessene, also beträchtlich große Quantum Rum durch seine Kehle rinnen und schien von alten Zeiten zu träumen. Zwei Stunden später hatte das Fest jenes Stadium erreicht, in dem Männer im allgemeinen eine ehrliche Keilerei anfangen oder, wenn das schon nicht möglich ist, wenigstens leicht verklärte
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Erinnerungen an ehrliche Keilereien beschwören. Die Zwillinge lauschten hingerissen. Allerdings kannten sie die Geschichte von der legendären Schlacht vor der „Bloody Mary“ nun schon in- und auswendig, und die Schicksale der diversen Perücken des Mister Nathaniel Plymson waren ihnen auch nicht mehr neu. Viel mehr hätten sie sich für die Pointen gewisser Geschichten interessiert, die in ihrer Gegenwart nie ganz zu Ende erzählt wurden. Aber da war nichts zu machen. Irgendwie fing der Profos im entscheidenden Moment immer wieder von Nathaniel Plymsons Perücke an, mochten die Zwillinge die Ohren spitzen, wie sie wollten. Ein menschliches Rühren veranlaßte sie schließlich, die Büsche jenseits des Palmengürtels aufzusuchen. Da es so schön schaurig finster war, drangen sie gleich noch ein bißchen weiter vor, um sich selbst zu beweisen, daß ihnen die Dunkelheit selbstverständlich völlig Schnuppe war. Ein Hügel erhob sich jenseits der Bucht, der ganz so aussah, als biete er eine herrliche Aussicht über die nächtliche Landschaft. Philip und Hasard klommen höher und schwangen sich schließlich auf einen Baum, dessen ausladende Krone unwiderstehlich zum Klettern einlud. „Eh!“ flüsterte Philip nach einer Weile. „Siehst du was?“ „Was denn?“ „Bewegung an Backbord. Unten am Strand, da hinten auf der Landzunge.“ Backbord hieß in diesem Falle Norden. Der kleine Hasard kniff die Augen zusammen. Von ihrem luftigen Platz aus konnten sie die unregelmäßige Linie des Strandes wesentlich besser überblicken, als das aus dem Großmars der „Isabella“ der Fall war, und die Zwillinge hatten fast so scharfe Augen wie Dan O’Flynn. „Männer“, sagte Hasard junior. „Dons!“ mutmaßte Philip junior. „Na klar! Die haben mit der Pinasse die Küste angelaufen und ein Nachtlager aufgeschlagen. Ziemlich müder Haufen, was, wie?“
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Letzteres war dem Wortschatz Edwin Carberrys entnommen, der in den Augen der Zwillinge als Musterbeispiel für vorbildlichen Umgangston galt. Philip runzelte die Stirn und wiegte zweifelnd den Kopf. „Ich weiß nicht. Also ich finde, daß sie verdammt nah sind. Ob die etwas vorhaben?“ „Das sollen sie mal versuchen. Den Rübenschweinen ziehen wir doch die Haut mit der linken Hand ab.“ Wobei er unter „wir“ natürlich die ganze Crew verstand. Schließlich war man nicht größenwahnsinnig. Deshalb beschlossen die beiden Jungen auch, vorsichtshalber die Seewölfe zu warnen. Rasch enterten sie ab, sprangen vom unteren Ast des Baums auf den Boden und huschten den Weg zurück, den sie genommen hatten. 6. Im Osten kletterte die Sonne über die Kimm und übergoß das Meer mit strahlendem Glanz, als die „Swallow“ die Mündung des Rio Tinto erreichte. Lasse Tjorven, der schwedische Schiffsjunge, stand an der Nagelbank des Großmastes und sah zu den düsteren schwarzen Riffen hinüber, die der „Blankenberghe“ zum Verhängnis geworden waren. Inzwischen hatte sich die Neuigkeit über den Schatz, der da im Bauch des holländischen Schiffs auf dem Meeresgrund lag, wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die Männer flüsterten miteinander, debattierten erregt, und in ihren Augen lag ein eigentümlicher, unnatürlicher Glanz, dessen Bedeutung selbst der vierzehnjährige Moses kannte: Goldfieber. Auf dem Achterkastell stützte Jack Jayhawk die Fäuste auf die Schmuckbalustrade und beobachtete ebenfalls die Riffe. Vor der Flußmündung gab es eine bequeme Durchfahrt, die die „Blankenberghe“ im Sturm verfehlt hatte.
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Der schwarze Jack verzog verächtlich die Lippen. Dabei übersah er großzügig, daß es mit seinem eigenen seemännischen Können nicht weit her war. Die rauhen Kerle, die sich der Meuterei angeschlossen hatten, wußten noch nicht, welcher Sorte „Kapitän“ sie sich anvertrauten. Das Gefecht mit den Spaniern hatte die „Swallow“ nur dank der Hilfe der Seewölfe in einem Stück überstanden. Um bei schönem Wetter und gleichmäßigem Wind an einer Küste entlangzuschippern, reichten Jayhawks Fähigkeiten. Aber seine vier zu Offizieren beförderten Busenfreunde beteten im Geheimen, daß der Himmel ihnen keinen knüppelharten Sturm oder sonstige Gefahren bescheren möge. Denn spätestens dann, das wußten sie, würden sie sich sehnlichst wünschen, einen Mann wie John Smollet auf der Brücke zu haben. Ein paar von den Meuterern waren schon nach dem mißglückten Gefecht ziemlich nachdenklich geworden. Jetzt jedoch fegte der Gedanke an das Gold alle Zweifel beiseite. Die Männer triumphierten innerlich und grinsten sich mit funkelnden Augen an, als hielten sie den Schatz schon in Händen. Nur ab und zu huschte der Schatten von Besorgnis über ihre Gesichter, wenn sie im glitzernden, vom Glanz der Morgensonne wie mit Quecksilbertropfen gesprenkelten Wasser die pfeilschnelle, unheilvolle Rückenflosse eines Hais entdeckten. Denjenigen, denen das Goldfieber noch nicht völlig den Verstand vernebelt hatte, dämmerte allmählich, daß es ein ausgesprochen riskantes Unterfangen sein würde, in diesen Gewässern zu tauchen. Lasse Tjorven schauerte und war nun beinahe froh über seinen zerschlagenen Rücken. Haie reagierten schon auf die winzigste Spur von Blut, also würde man ihn bestimmt nicht ins Wasser schicken, was unter anderen Umständen ganz sicher der Fall gewesen wäre. Das Gold interessierte ihn nicht, schon weil er wußte, daß er der letzte war, dem man einen Anteil davon überlassen würde.
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Voller Bitterkeit dachte er an die Vergangenheit. Die „Swallow“ war ein gutes Schiff gewesen, John Smollet ein fähiger und gerechter Kapitän, zu dem man aufschauen konnte. Und jetzt ... Ein wütender Tritt riß ihn aus seinen Gedanken. Jack Jayhawks Stimme brüllte Befehle. Die „Swallow“ fiel ab, um ein Stück in die Flußmündung zu laufen. Lasse Tjorvens Blick glitt über das dunkle, ruhige Wasser, die bewachsenen Ufer, und blieb an einem knappen Dutzend Hütten hängen, die sich im Halbrund einer Lichtung drängten. Eingeborene. Fischer vermutlich. Ein paar braunhäutige Gestalten standen zwischen ihren Behausungen, geducktund fluchtbereit. Menschen, die Lasse Tjorven schon jetzt bedauerte, weil er wußte, daß der schwarze Jack nicht viel Federlesens mit ihnen machen würde. Da folgte schon der Befehl: „Klar bei Bugdrehbasse! Feuer auf die Hütten!“ Donnernd entlud sich das Geschütz in seiner schwenkbaren Gabellafette. Die Eingeborenen warfen sich aufschreiend herum und flohen in wilder Panik. Jack Jayhawk ließ noch eine Weile den Saum des Buchwerks beharken, um sicher zu sein, daß die erschrockenen Menschen so schnell nicht wieder zurückkehren würden, dann grinste er zufrieden. „Gei auf die Segel!“ befahl er. „Fallen Anker! Wir haben es geschafft, Männer.“ Triumphierendes Geschrei antwortete ihm. Lasse Tjorven, der Schiffsjunge, war sich als einziger darüber klar, daß sie es in Wahrheit noch lange nicht geschafft hatten. * Morgensonne lag über dem weißen Strand der Bucht. Ein Bild des Friedens — wenn man von den Flüchen einiger Männer absah, die sich um ihr Vergnügen betrogen fühlten. Mehr Rum als vorgesehen war in den Fäßchen verblieben, nachdem die Zwillinge ihre Beobachtung gemeldet hatten. Die
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Seewölfe, allen voran Edwin Carberry, hegten die Gewißheit, daß ihnen das Schicksal dafür wenigstens die Genugtuung schuldig sei, ein wenig mit den Spaniern Ball spielen zu dürfen. Doch die schienen tatsächlich nur ein Nachtlager aufgeschlagen zu haben und nicht an Angriff zu denken. Daß sie erst einmal ihr Pulver trocknen mußten, konnten die Seewölfe nicht wissen. Die Holländer hatten Posten aufgestellt und Waffen von der „Santa Monica“ verteilt. Auf dem Schiff wurde die Gelegenheit wahrgenommen, die lernbegierigen Eingeborenen in der Bedienung von Drehbassen und Kanonen zu unterweisen. Die Spanier konnten nicht wissen, daß ihre eigene gut armierte Galeone in der Bucht lag, und falls sie mit ihrer Pinasse — von deren Zerstörung wiederum die Seewölfe nichts ahnten — von Osten her angreifen wollten, würden sie sehr schnell ihr Heil in der Flucht suchen. Bertram Vermeeren stand neben Hasard auf dem Achterkastell der „Isabella“. Der Holländer wirkte schweigsam und in Gedanken versunken. Von den Spaniern hatten er und seine Leute jetzt nichts mehr zu befürchten, dem sie nicht gewachsen gewesen wären. Es war etwas anders, das in seinem Kopf vorging, und nach einer Weile sprach er es aus. „Vielleicht ist es ein Fehler, den Schatz der ,Blankenberghe` zu heben. Dieses Gold hat schon unter den Eingeborenen Tote gekostet. Jetzt kennen vielleicht auch diese englischen Piraten das Geheimnis, von denen Sie uns erzählt haben. Auf jeden Fall würde jeder Tauchversuch in den haiverseuchten Gewässern lebensgefährlich sein. Ist es das wert?“ Der Seewolf wollte die Frage beantworten, aber da tauchte am Strand eine winkende Gestalt auf —einer der Männer, die einen Ausguck-Posten auf dem Hügel bezogen hatten. Er rief etwas auf Holländisch, und Vermeeren übersetzte.
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„Die Spanier! Sie greifen an, aber sie rücken auf dem Landweg vor! Wir müssen uns beeilen.“ Hasard nickte knapp. Da die Beiboote noch an den Jakobsleitern vertäut waren, brauchten die Männer nur abzuentern. Und das taten sie im Blitztempo, denn nicht nur die Seewölfe, sondern vor allem die Holländer und ihre Eingeborenen-Freunde brannten darauf, den Spaniern in einem ehrlichen“ Kampf mit gleichen Waffen den brutalen, hinterhältigen Überfall heimzuzahlen. Esteban Girraldos Leute pirschten sich vorsichtig durch die Büsche. Sie ahnten nicht, daß sie längst entdeckt worden waren. Da sie nur mit einem verlorenen Haufen rechneten, der keinen ernsthaften Widerstand leisten würde, hielten sie. es auch nicht für nötig, sich erst einmal ein Bild von der Lage zu verschaffen. Durch dichtes Gestrüpp schlichen sie sich auf die Rückseite der wieder aufgebauten Hütten. Daß ihnen die Behausungen die Sicht auf die Bucht versperrten, störte sie nicht weiter. Mit Gebrüll brachen sie aus dem Gebüsch hervor, liefen an den Hütten vorbei, feuerten blindlings .ihre Waffen ab und erwarteten, daß alles, was sich in der Nähe aufhielt, sofort in Panik die Flucht ergreifen würde. Als sie endlich merkten, wen sie überhaupt angriffen, war es zu spät. Die meisten Spanier hatten ihre Waffen abgefeuert, ohne zu zielen. Bevor sie nachladen oder auch nur den Schock verdauen konnten, brach bereits das Verhängnis über sie herein. * „Wollt ihr hier Wurzeln schlagen?“ fragte Jack Jayhawk gefährlich leise. Die beiden Männer, die - bis auf kurze Unterhosen entkleidet - am Schanzkleid der „Swallow“ standen, wechselten einen unbehaglichen. Blick. Das Los hatte sie bestimmt. Jim O’Mally, der Ire, suchte mit den Augen das Wasser nach schwarzen Dreiecksflossen ab. Guma
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Ortega, ein Mestize mit dunklen, scharfen Araukaner-Zügen, preßte die Lippen zusammen. Als beschlossen wurde, die Männer, die den ersten Tauchversuch unternehmen sollten, durch das Los zu bestimmen, waren sie noch Feuer und Flamme gewesen. Jetzt, da es sie selbst getroffen hatte, sah die Sache anders aus. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Es sei denn, sie wollten riskieren, daß Black Jack Jayhawk sie beide an die Rahnock knüpfen ließ. Dazu war der schwarze Jack auch fest entschlossen. Denn daß sich freiwillig niemand melden würde, wußte er nur zu genau. Eine Ader schwoll auf seiner Stirn. Die dunklen, tiefliegenden Augen begannen gefährlich zu funkeln, und die beiden Opfer ermannten sich, an der Jakobsleiter abzuentern. Sehr vorsichtig glitten sie ins Wasser, pumpten die Lungen voll Luft und tauchten. Eine phantastische Welt! Da waren schwarze Korallen, zwischen denen Algenbärte wehten und bunte Fische hin und her flitzten wie Schemen. Licht drang durch die Wasserfläche, brach sich zu glitzernden Pfeilen und einem eigentümlich düsterten Leuchten, das die Unterwasserriffe schwarz und unheimlich wie fremdartige Festungen wirken ließ. Die beiden Männer kannten sich aus mit Haien, schwammen langsam und bewegten sich so vorsichtig wie möglich. Der Araukaner-Mischling hielt auf einen scharfkantigen Vorsprung zu. Der Ire folgte ihm - und wenig später hatten sie gefunden, was sie suchten. Das Wrack der „Blankenberghe“! Sie sahen Masten und Rahen, an denen sich bereits Muscheln und lange Algenbärte festzusetzen begannen. Der Rumpf war wie vom Hieb einer gigantischen Pranke aufgerissen. Die beiden Männer erreichten mit wenigen Schwimmstößen das riesige, ausgezackte Loch, doch sie hatten nicht mehr genug Luft, um in die Finsternis des Schiffsbauchs zu tauchen.
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Dicht an dem steil ansteigenden Riff entlang schwammen sie nach oben. Erleichtert durchstießen sie die Wasseroberfläche und rangen nach Atem. Jim O’Mally winkte triumphierend zur „Swallow“ hinüber -auch ihn hatte das Goldfieber jetzt wieder gepackt. Wenn die „Blankenberghe“ da war, mußte auch der Schatz da sein. O’Mally vergaß die Gefahr. Jedenfalls bis er - wenn auch in beruhigender Entfernung - wieder eine der bedrohlichen schwarzen Dreiecksflossen entdeckte. Die dunklen, zusammengekniffenen Augen des Araukaner-Mischlings suchten die Wasserfläche ab. „Los!“ sagte er durch die Zähne, atmete noch einmal tief durch und tauchte wieder. Diesmal gelang es ihnen, in die Laderäume der „Blankenberghe“ vorzudringen. Trümmer, halb losgerissene Fässer, ein paar Kisten, die vom Gewicht des darin enthaltenen Werkzeugs an die Plankenreste genagelt wurden -aber kein Gold. Die Holländer mußten sich die Mühe bereitet haben, ihre Schätze gut zu verstecken. O’Mally fluchte innerlich. Schon wurde ihm wieder die Luft knapp. Eilig warf er sich herum und schwamm durch das gezackte Loch ins freie Wasser hinaus. Er war schon ein Stück entfernt, als auch Guma Ortega umkehrte. Geschmeidig glitt der AraukanerMischling durch das Loch in den Planken, hinter dem -das Wasser heller schimmerte. Er sah sich nach seinem Kumpan um - und zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Einem dunklen Pfeil gleich schoß ein Schatten auf O’Mally zu. Für einen Augenblick erkannte der Mestize die Umrisse des Hais, dann war nur noch ein blutiger Wirbel zu sehen. Panik schoß in Guma Ortega hoch. Er wußte, daß es binnen kürzester Frist hier von den schwarzen, gefräßigen Räubern wimmeln würde. Verzweifelt stieß er sich von dem Riff ab, riß die Augen weit auf und schwamm um sein Leben. Er schaffte es, sich auf eins der anderen Riffe zu ziehen, die über die Wasseroberfläche hinausragten. Doch er
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schaffte es so knapp, daß er das Schnappen der mächtigen Kiefer hörte und dem Wahnsinn nahe war, als er keuchend zwischen den scharfen Felszacken zusammenbrach. Nichts würde ihn dazu bringen, wieder zu tauchen, und wenn ihm Jack Jayhawk hundertmal mit der Rahnock drohte. Das Beiboot der „Swallow“ holte Guma Ortega schließlich wieder an Bord. Der schwarze Jack bemühte sich gar nicht erst, die Männer zu einem weiteren Tauchversuch zu zwingen. Er hatte den Instinkt einer Ratte und spürte, daß Meuterei in der Luft lag. Ein paar Minuten überlegte er, dann verzog sich sein bärtiges Gesicht zu einem teuflischen Grinsen. „Ich weiß, was wir unternehmen“, sagte er gedehnt. „Wir werden dieses verdammte Gold vom Grund heraufholen. Und zwar auf eine Art, bei der keiner von uns seine Haut riskieren muß.“ * „Mist!“ fluchte Luke Morgan inbrünstig. „Himmelarsch!“ knirschte Old O’Flynn. „Immer erwischt es mich! Jedes verdammte Mal, wenn ich den dämlichen Dons meine Krücken um die Ohren hauen könnte, lassen mich diese Affenärsche, die keinen Respekt vor dem Alter kennen, auf diesem verdammten Mistkahn zurück!“ „Mistkahn?“ fuhr der schlanke, drahtige Sam Roskill auf. „Sagtest du Mistkahn zu unserer Prachtlady?“ „Halt doch dein freches Maul, du ...“ „Ha!“ meldete sich Hasard junior aufgeregt. „Der Kutscher hat einen Don mit der Bratpfanne auf den Kopf gehauen.“ „Der soll bloß nicht die Pfannen versauen“, brummte Luke Morgan unzufrieden. Die drei Männer standen in Gesellschaft der Zwillinge am Schanzkleid und fuchsten sich, weil sie die letzten an der Jakobsleiter gewesen und als Ankerwachen zurückgelassen worden waren. Drüben auf der „Santa Monica“ hatte es ebenfalls einige Männer erwischt darunter Ferris Tucker, der zu spät aus dem Schiffsbauch aufgetaucht war, wo er den
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Holländern noch ein paar fachmännische Tipps gegeben hatte. Jetzt raufte sich der hünenhafte Schiffszimmermann das rote Haar, und seine herzhaften Flüche tönten deutlich zur „Isabella“ herüber. Am Strand tobte ein kurzes, heftiges Handgemenge. Old O’Flynn schimpfte immer noch und stampfte zornig mit seinem Holzbein auf. Sam Roskill tröstete sich mit der Erkenntnis, daß der Kampf ohnehin eine ziemlich langweilige Angelegenheit sei, weil die Spanier überhaupt keine Chance hatten. Die Zwillinge schauten fasziniert zu und begleiteten das Geschehen mit erregten Kommentaren, bei denen sie vor lauter Eifer wieder in ein wahrhaft schauerliches Englisch zurückfielen. „Ha! Jetzt schmeißt Profos den Don seinen Kumpanen an Rübe!“ „Nee! Profos schmeißt ihn auf Hütte!“ „Laß das, du blöder Hammel!“ brüllte Ferris Tucker im selben Moment mit Donnerstimme. Doch es war zu spät. Der Don hatte seine Luftreise bereits angetreten. Eine Luftreise, die von einer der Hütten gestoppt wurde, die mit Ferris Tuckers Hilfe mühsam wieder aufgebaut worden war. Seine Flüche erwiesen sich allerdings als überflüssig: er hatte die Hütte so stabil gebaut, daß sie den Anprall aushielt. Der Spanier allerdings nicht - jedenfalls nicht bei Bewußtsein. Wie ein nasser Sack fiel er zu Boden und blieb liegen. Innerhalb der nächsten zwei Minuten landete ein halbes Dutzend schlaffer Gestalten neben oder über ihm, und die Kerle sahen aus, als seien sie zusammengekehrt worden. „Das war mein Don!“ dröhnte Batutis Löwenstimme, protestierend herüber. „Such dir selber einen, du Stint“, gab Smoky in der gleichen Lautstärke zurück. „Verdammt!“ ließ sich Bill, der Moses, in einer etwas helleren Tonlage vernehmen. „Der Profos hat zwei! Das ist unfair!“ Old O’Flynn, Sam Roskill, Luke Morgan und die Zwillinge feixten um die Wette. Drüben an Land richtete sich Esteban Girraldo im Schatten zwischen den Hütten
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auf. Er wußte nicht mehr, wie er dorthin befördert worden war. Zumute war ihm, als sei er in einen tropischen Wirbelsturm geraten, der ihn ein paar Meilen durch die Lüfte gefegt hatte. Benommen, mit pendelndem Kopf und getrübten Augen stützte sich der spanische Capitan auf die Hände, stierte zu dem Kampfplatz hinüber und versuchte zu begreifen, was er sah. Wo waren seine Leute? Girraldo entdeckte ein halbes Dutzend Bewußtlose. Er hörte Schritte, Keuchen und Stöhnen, das Knacken von Zweigen und begriff, daß sich der Rest der Seinen bereits zur Flucht gewandt hatte. Und der Strand wimmelte von Eingeborenen, Holländern und Engländern. Vor allem Engländern! Wüsten Kerlen, die sich mit einem ausgesprochen hungrigen Ausdruck in den Augen umsahen, denen das alles offenbar viel zu schnell gegangen war und die nach jemandem Ausschau hielten, der weiter mitspielen wollte. Girraldo ließ sich platt auf den Bauch fallen und spielte den toten Mann. Nur noch aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie seine Gegner die Bewußtlosen sortierten und wieder zu sich brachten. Das ging einfach und wirksam vonstatten. Ein graubärtiger alter Mann, der an einen Vorzeit-Riesen erinnerte, goß über jeder der Jammergestalten eine Pütz Seewasser aus. „Aufstehen, du Saftsack!“ brüllte ein zweiter Riese mit mächtigem Brustkasten und zernarbtem Rammkinn, sobald der Ohnmächtige mit den Lidern zuckte. Das genügte in den meisten Fällen, um den Betreffenden sehr schnell in Bewegung zu setzen. Wo es nicht half, da beugte sich ein hagerer Bursche mit schlohweißem Haar vor. Ein Segelmacher zweifellos - denn nur ein Segelmacher konnte auf die Idee verfallen, müde Jammergestalten mit einer Segelnadel zu pieksen. Siebenmal hörte Esteban Girraldo die Aufforderung, die Beine in die Hand zu nehmen und so schnell und so weit wie möglich zu verschwinden. Jedesmal war es eine andere wüste Drohung, die der Aufforderung den
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nötigen Nachdruck verlieh, und jedesmal’ begann ein Spanier zu rennen, der vorher noch geglaubt hatte, dazu bestimmt nicht in der Lage zu sein. Girraldo schauerte bei den fürchterlichen Sprüchen über abgezogene Hautstreifen, langgezogene Hälse und Hammelbeine, mit der Lieknadel tätowierte Kehrseiten oder mit dem Kalfathammer zurechtgerückte Gebisse. Dann durchzuckte ihn heißer, mörderischer Schrecken, weil ihm einfiel, daß da ja auch noch die Holländer waren, die er brutal hatte foltern lassen, und daß die sicher alle diese schauerlichen Möglichkeiten an ihm ausprobieren würden, wenn sie ihn erwischten. Esteban Girraldo schnellte mit einem Tempo hoch, als sei er ebenfalls von Will Thornes Segelnadel angeliftet worden. Wie ein durchgehender Gaul raste der Capitan los, lief mit seinem letzten Komplicen um die Wette, und Sekunden später waren beide Männer im Dickicht verschwunden. Nur noch Zweige knackten und Laub raschelte. Geräusche, die ganz allmählich verebbten und bewiesen, daß die Spanier so schnell nicht mit dem Rennen aufhören würden. „He!“ wunderte sich Ed Carberry. „Den letzten hast du doch gar nicht gepiekt, Will.“ „Stimmt. Und du hast nicht einmal gedroht, ihm die Haut vom Hintern zu ziehen.“ Der Seewolf lächelte matt. „Das war Girraldo persönlich“, stellte er fest. „Bei dem hat es wahrscheinlich genügt, daß ihm einer unserer holländischen Freunde einen Blick zuwarf.“ Die Männer grinsten sich an. Lediglich Bertram Vermeeren und seine Leute schnitten noch grimmige Gesichter. Verständlich, daß sie sich gern gründlicher mit den Spaniern befaßt hätten, obwohl Hasard überzeugt war, daß die Holländer nicht zu den Männern gehörten, die sich an wehrlosen Gefangenen rächten. Zurückkehren würden die Spanier bestimmt nicht mehr.
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Nicht nach der Lektion, die ihnen hier erteilt worden war. Vor allem, da sie jetzt wußten, daß die Holländer die „Santa Monica“ samt ihrer Waffen im Besitz hatten und daß sie sich, anders als bei dem ersten Überfall, ihrer Haut wehren konnten. Bertram Vermeeren, der Rest seiner Crew und die Eingeborenen würden noch eine Weile brauchen, um die spanische Galeone wieder instand zu setzen. Aber es gab keinen Zweifel daran, daß sie es schaffen würden. Ob sie dann versuchten, den Schatz der „Blankenberghe“ zu heben, oder ob sie es vorzogen, das Gold auf dem Meeresgrund zu lassen – das war eine Sache, die sie ganz allein selbst entscheiden mußten. Eine knappe Stunde später ging die „Isabella“ ankerauf und nahm wieder Kurs nach Norden. 7. Am Schwarzen Riff ging die Piraten- und Meutererbande der „Swallow“ unterdessen daran, den teuflischen Plan des schwarzen Jack in die Tat umzusetzen. Zwölf bis an die Zähne bewaffnete Halunken segelten mit der Pinasse den Rio Tinto hinauf. Black Jack persönlich übernahm die Führung. Vorher hatte er zwei der Araukaner-Mischlinge als Kundschafter ausgeschickt: Männer, die die Wildnis kannten und sich lautlos und unauffällig im Dickicht zu bewegen verstanden. Sie waren auf ein Eingeborenen-Dorf gestoßen – oder besser einen provisorischen Schlupfwinkel, den die geflüchteten Fischer weiter im Landesinneren errichtet hatten. Dorthin waren Black Jack und seine rauhen Kerle jetzt unterwegs. Die Eingeborenen hatten einen Wachtposten aufgestellt, doch den erwischte Guma Ortega mit dem Wurfmesser. Guma und zwei andere Mestizen bildeten die Vorhut und schlugen einen weiten Bogen, um auf die Rückseite des Schlupfwinkels zu gelangen. Dazu gehörte
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nicht viel Heldenmut, da sie den Eingeborenen mit ihren Schußwaffen weit überlegen waren. Die anderen Männer schwärmten aus. Auf ein Signal hin griffen sie mit Gebrüll an, und diesmal kämpfte auch Black Jack Jayhawk in vorderster Front mit wie stets, wenn er keine übermäßige Gefahr für seine kostbare Haut sah. Da er Land und Leute nicht kannte, wußte er auch nicht, daß er es nur einem glücklichen Zufall verdankte, nicht auf wilde, kampferprobte Krieger zu stoßen, sondern auf den geschwächten Rest eines Stammes, den von Weißen eingeschleppte Krankheiten dezimiert hatten. Die meisten der Eingeborenen flohen in wilder Panik nach allen Seiten. Schüsse peitschten, Schreie gellten, für endlose Minuten schien die Hölle auszubrechen. Systematisch kreisten Black Jacks Halsabschneider etwa ein halbes Dutzend der braunhäutigen Gestalten ein. Die Männer, hilflos und ohne Fluchtchance vor den Mündungen der Feuerwaffen, die ihnen durchaus nicht fremd waren, warfen sich schließlich zum Zeichen der Kapitulation zu Boden. Ein Teil von Black Jacks Leuten hielt die Gefangenen mit den Waffen in Schach, die anderen gingen daran, den unglücklichen Eingeborenen die Hände auf den Rücken zu fesseln. Minuten später wurden sie brutal zum Flußufer getrieben und in die Pinasse gestoßen. Stumm kauerten sie dort, mit hängenden Köpfen. Sie hatten ihre Erfahrungen mit den spanischen Eroberern und kannten das Los, das sie in der Gefangenschaft erwartete —glaubten es jedenfalls zu kennen. Aber was Black Jack Jayhawk mit den Gefangenen vorhatte, war noch wesentlich teuflischer. * Philip Hasard Killigrew befahl vorsichtshalber Gefechtsbereitschaft als sich die „Isabella“ der Höhe des Schwarzen Riffs näherte.
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Der Seewolf ahnte, daß er die „Swallow“ dort finden würde. Allerdings glaubte er nicht daran, daß Jack Jayhawk auf eine Revanche scharf war. Selbst dieser sture, unbelehrbare Halunke mußte sich inzwischen den Kopf abgekühlt und eingesehen haben, daß er gegen die „Isabella“ nicht ankonnte. Wahrscheinlich würde er heilfroh sein, wenn die Gefahr an ihm vorüber zog, und die Seewölfe sahen keinen Grund, sich weiter mit diesem verlotterten Piratenhaufen zu befassen. Vorläufig nicht! Hätten sie zum Beispiel etwas von dem traurigen Schicksal des schwedischen Schiffsjungen Lasse Tjorven geahnt, wäre es dem schwarzen Jack sofort an den Kragen gegangen. Und was sich im Augenblick an Bord der „Swallow“ abspielte, das war genau die Art von bodenloser Gemeinheit, bei der den Seewölfen ohnehin alle Pferde durchgingen, bei der sie nicht zuschauen konnten, ohne zugunsten der Opfer einzugreifen. Jeff Bowie hatte Wache im Großmars, einer der beiden „Hakenmänner“, dem vor. Jahren bei einer abenteuerlichen Floßfahrt im Urwald Piranhas die linke Hand so schwer zerfleischt hatten, daß sie hatte amputiert werden müssen. Der Seewolf beobachtete die Mündungsbucht des Rio Tinto und die gefährlichen Schwarzen Riffe. Über der Landzunge konnte er bereits ein paar Mastspitzen sehen. Die „Swallow“, kein Zweifel. Minuten später war Hasard sicher, daß Jayhawks Leute die „Isabella“ ihrerseits entdeckt haben mußten. Wahrscheinlich war die Karavelle ebenfalls gefechtsklar, schon aus Furcht vor einem Angriff feindlicher Eingeborener. Aber in der Bucht rührte sich nichts. Keine Segelkommandos dröhnten, kein Anker wurde gehievt. Jayhawk hätte ja auch verrückt sein müssen, wenn er nicht heilfroh gewesen wäre, daß die „Isabella“ ihn ungeschoren ließ. „Deck !“ erklang Jeff Bowies aufgeregte Stimme. „Da tut sich irgendetwas!“
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Natürlich tut sich etwas, dachte Hasard kopfschüttelnd. Die „Swallow“ ankerte schließlich am Schwarzen Riff, um einen Haufen Gold vom Meeresgrund zu bergen. „Ist das vielleicht eine vernünftige Meldung, was, wie?“ donnerte Ed. Carberry. „Wenn du nicht sofort ...“ „Eingeborene Taucher Sir!“ meldete Jeff Bowie stramm. „Drei an Bord der Karavelle, drei im Wasser, in der Nähe des größten Riffs. Ich kapiere das nicht! Ich kann mir nicht vorstellen, daß der verdammte Schwarzbart Freunde unter den Eingeborenen hat.“ Das konnte sich Hasard allerdings auch nicht vorstellen. Kurzerhand enterte der. Seewolf ebenfalls in den Großmars und zog das Spektiv auseinander. Deutlich konnte er jetzt die Decks der „Swallow“ überblicken. Tatsächlich standen drei braunhäutige Eingeborene auf der Kuhl. Gefesselt waren sie nicht — aber einen glücklichen Eindruck erweckten sie schon gar nicht. Langsam ließ der Seewolf das Spektiv zu den Riffen hinüberschwenken. Zwei weitere Eingeborene kauerten zwischen den düsteren, scharfen Felsenzacken. Der dritte Mann, den Jeff Bowie gesichtet hatte, mußte gerade getaucht sein. Hasard setzte das Spektiv ab. Neben ihm sog Jeff Bowie scharf die Luft durch die Zähne. „Haie“, sagte er tonlos. Der Seewolf nickte nur. Auch er hatte die schwarzen Dreiecksflossen gesehen, die vor der Bucht ab und an die Wasseroberfläche durchschnitten. Es war lebensgefährlich, in diesen Gewässern zu tauchen. Die Eingeborenen, das zeigte ein weiterer Blick durch das Spektiv. hatten nicht einmal Messer. „Dieses Schwein!“ knirschte Jeff Bowie. Hasard warf dem stämmigen Mann mit den grauen Augen einen Blick zu. Der ehemalige Karibik-Pirat vertrug Ungerechtigkeit und Gemeinheit noch schwerer als alle anderen. Wenn es galt, Bedrängten beizustehen, handelte er oft
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übereilt und konnte bisweilen jegliche Vernunft vergessen. Auch jetzt bewies die Empörung in seinem Blick, daß er am liebsten sofort losgestürmt wäre, um sich mit der „Isabella“ in den Kampf zu stürzen. Hasard schlug ihm auf die Schulter und enterte rasch wieder ab. Die „Isabella“ rauschte weiter, die „Swallow“ entschwand aus dem Blickfeld der Seewölfe. Aber die Männer hatten genug gesehen — genug jedenfalls, um zu wissen, daß da irgendetwas nicht stimmte. Fragende Gesichter wandten sich dem Seewolf zu. Der warf noch einen Blick zurück und atmete tief durch. „Ich möchte die Kerle nicht einfach auf eine Vermutung hin angreifen“, sagte er ruhig. „Wir verholen uns in die nächste Bucht. Dann werden wir zunächst einmal einen Beobachtungstrupp an Land schicken.“ * Müde stolperten die Spanier über den schmalen Wildpfad im Dickicht. An der Spitze wechselten sich die Männer ab, um den dornenbewehrten Zweigen, die immer wieder in den Weg ragten, mit Äxten und Entermessern zu Leibe zu rücken. Esteban Girraldo betrachtete düster die hellen Baumstämme mit der dünnen Rinde ringsum, die dieser Vegetationsform den Namen gegeben hatten: weiße Wälder. Weiter im Norden wurden sie wieder abgelöst von der dampfenden grünen Hölle, erst jenseits des Schwarzen Riffs, wie der Capitan wußte, doch es war ekelhaft genug, sich mit den gefährlichen Dornen herumzuschlagen, von denen man nie genau wußte, ob sie vielleicht giftig waren. Die Spanier orientierten sich am Stand der Sonne, die allmählich im Westen versank. Den Wildpfad mußten sie nach einer Weile verlassen, da er ins Landesinnere abknickte. Eine Stunde verbissener Schufterei verging, bis sie wieder auf einen Pfad stießen, dem sie halbwegs bequem
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folgen konnten. Mit dem Einbruch der Dämmerung wurde der Marsch immer schwieriger und gefährlicher, und Esteban Girraldo befahl, zu halten, um ein Lager aufzuschlagen. Minuten später brannte auf einer Lichtung ein kleines Feuer. Die Männer starrten in die Flammen — düstere rötlichgelbe Glut, die in ihnen allen das gleiche verlockende Bild weckte: den Glanz von Goldbarren. Noch besaßen sie Waffen und waren ein recht starker Trupp. Gier trieb sie, und gegen diese Gier vermochte auch eine vernichtende Niederlage nichts auszurichten. 8. Es war nur eine kleine Gruppe, die bei Einbruch der Dunkelheit mit dem Dingi an Land pullte. Die „Isabella“ lag in einer Bucht, wo sie von der „Swallow“ aus nicht entdeckt werden konnte. Ben Brighton hatte das Kommando an Bord übernommen. Unter Hasards Führung bildete Dan O’Flynn, Ed Carberry, Sam Roskill und Bob Grey den Stoßtrupp, der den kurzen Weg über Land nehmen sollte. Das Boot wurde auf den Strand gezogen, und wenig später waren die Gestalten der Männer bereits mit der Dunkelheit verschmolzen. Lautlos und geschmeidig wie Katzen schlichen sie durch das Gewirr von Felsen und jungen Palmen-Schößlingen. Selbst Carberry, dieser Brocken von Kerl, manövrierte seine rahsegelbreiten Schultern fast geräuschlos zwischen allen möglichen Hindernissen hindurch. Dan O’Flynn, Sam Roskill und Bob Grey gehörten ohnehin zu den schlanken, drahtigen Typen, denen man auf den ersten Blick nicht ansah, was in ihnen steckte. Hasard hatte die Spitze, und in seinen Bewegungen lag in diesen Minuten die lautlose, federnde Geschmeidigkeit eines Tigers, der seine Beute beschleicht. Mondlicht übergoß die See mit seinem fahlen Silberschimmer, als sie die
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Landzunge am Nordrand der Bucht erreichten. Die „Swallow“ schwojte friedlich um die Ankertrosse. Auf dem Achterkastell wanderte eine Gestalt auf und ab. An der den Beobachtern abgewandten Steuerbordseite konnte der Seewolf undeutlich den Umriß eines zweiten Wachgängers erkennen. Und noch etwas sah er: eine kaum wahrnehmbare Bewegung in der Nähe des Schotts zum Vorschiff. Dan O’Flynn atmete scharf ein. Seine Falkenaugen hatten bereits mehr erspäht. Hasard warf ihm einen fragenden Blick zu. Der blondhaarige junge Mann kniff die Lider zusammen. „Drei Männer“, flüsterte er. „Scheint so, als hätten sie das Logis heimlich verlassen. Zwei von ihnen sind Eingeborene, glaube ich.“ Der Seewolf und die anderen spähten gespannt zu der Karavelle hinüber. Hasard sah nur Schatten, doch bei einem dieser Schatten glaubte er sekundenlang, hellblondes Haar zu erkennen, bevor der Bursche den Kopf einzog. Offenbar robbten die Männer auf Händen und Knien über die Kuhl, um nicht von den Ankerwachen entdeckt zu werden. Wollten sie heimlich von Bord gehen? Es sah ganz so aus — und Minuten später waren die Beobachter ihrer Sache sicher. An der Stelle, wo die Jakobsleiter belegt war, tauchten drei Köpfe über dem Schanzkleid auf: ein blonder und zwei dunkle. Im fahlen Mondlicht war nicht mehr zu übersehen, daß es sich bei den beiden schwarzhaarigen Männern um Eingeborene handelte. Schon schwang sich der erste über das Schanzkleid. Der Blondschopf wollte ihm folgen, doch er schaffte es nicht mehr. Jäh zerriß ein Alarmschrei die Stille. Von einer Sekunde zur anderen wurde es auf den Decks der „Swallow“ lebendig. Der Eingeborene, der bereits an der Jakobsleiter abenterte, zuckte heftig zusammen. Er drehte sich halb, jumpte mit einem Hechtsprung ins Wasser, und im
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nächsten Moment überstürzten sich die Ereignisse. Der Blondschopf stieß sich vom Schanzkleid ab und sprang ebenfalls. Nur der zweite Eingeborene blieb zurück: ein halbes Dutzend Männer stürzte sich mit Gebrüll auf ihn und rang ihn nieder. Die beiden anderen Flüchtlinge schwammen auf die Landzunge zu, so schnell sie konnten, und an Bord der „Swallow“ wurde in aller Eile ein Beiboot abgefiert. Der Blondschopf und der Eingeborene hatten die halbe Strecke geschafft, als sich das Boot aus dem Schatten der Bordwand löste. Die vier Rudergasten pullten wie besessen. Ein fünfter Mann hatte die Pinne übernommen, und Nummer sechs kauerte aufrecht im Bug und zielte mit einer Muskete. Panik peitschte die beiden Schwimmer vorwärts. Der Seewolf wollte schon nach seiner eigenen Muskete greifen, da glitt Bob Grey neben ihn. Der drahtige blonde Mann wog eins seiner Spezialmesser in der Rechten. Seine braunen Augen funkelten. „Wenn ich ihn mit dem Messer an der Schulter erwische, machen die Kerle vielleicht andere Eingeborene dafür verantwortlich“, wisperte er. „Und uns bleibt der Überraschungseffekt, falls wir die ,Swallow` entern.“ „Gute Idee, Bob! Beeil dich!“ Schnell ging es in der Tat, viel schneller, als der Mann im Boot das Ziel auffassen konnte. Eine lockere Bewegung aus dem Handgelenk, ein flirrender Lichtreflex, und schon bohrte sich das Messer in die Schulter des Musketenschützen. Der brüllte wild auf, torkelte rückwärts und stürzte. Daß er dabei auf seine Kumpane prallte, konnte er nicht verhindern. Flüche dröhnten, Riemen schnitten unter, verhedderten sich, und im Nu entstand das, was der Seemann schlicht als Wuhling zu bezeichnen pflegt. Im selben Moment erreichten die beiden Schwimmer die Landzunge.
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Keuchend kletterten sie an Land, stolperten über den schmalen Strandstreifen und strebten dem schützenden Dickicht zu. Was sie gerettet hatte, war ihnen offenbar bisher entgangen. Der Seewolf hob warnend die Hand, denn er wollte vermeiden, daß der Schrecken die beiden Flüchtlinge vielleicht geradewegs wieder ins Meer trieb. Blindlings brachen sie durch die Büsche: ein braunhäutiger Eingeborener und ein schlanker blonder Junge, der dem ersten flüchtigen Blick nach fast noch ein Kind war. Die Verfolger hatten es inzwischen geschafft, sich halbwegs wieder aufzurappeln. Der verletzte Musketenmann, dessen Waffe im Wasser gelandet war, wimmerte vor sich hin. Die anderen Männer starrten zur Landzunge hinüber, doch sie zeigten keine Neigung, die Jagd fortzusetzen und den Flüchtenden in die drohende Dunkelheit des Dickichts zu folgen. Sekunden später wurde das Boot gewendet. Jack Jayhawks Halsabschneider pullten in Richtung auf die „Swallow“. Die Seewölfe zogen sich vorsichtig tiefer ins Gebüsch zurück. Sie orientierten sich an den heftigen Geräuschen. Den beiden Unbekannten saß die Panik im Nacken, und da sie immer wieder blindlings gegen Hindernisse rannten, schmolz ihr Vorsprung rasch dahin. In Höhe einer zerklüfteten Klippe war ihre Flucht zu Ende. Der blonde Junge stolperte und brach zusammen. Der Eingeborene wollte ihm wieder aufhelfen, aber im selben Moment waren die Seewölfe heran. Der Eingeborene blieb stocksteif stehen, als er sich plötzlich von bewaffneten Weißen umringt sah. Der blonde Junge wälzte sich herum, wollte aufspringen, doch er schaffte es nicht. Aus aufgerissenen Augen musterte er die Männer, die er nicht kannte, weil er während der entscheidenden Begegnung in der Vorpiek eingesperrt gewesen war. In seinem schmalen, verzerrten Gesicht
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mischten sich Furcht, jähe Hoffnung und Zweifel zu einem Ausdruck inneren Aufruhrs. „Bist du Engländer?“ fragte Hasard ruhig. Und als keine Reaktion erfolgte: „Sprichst du Spanisch?“ „Si“, flüsterte der Junge mit bleichen Lippen. „Ich bin Schwede. Ich habe nichts zu tun mit der Meuterei, ich will nicht zurück auf die ,Swallow` ...“ * Bertram Vermeeren hatte sich doch noch entschlossen, den halbierten Großmast der „Santa Monica“ nur mit einer Spiere zu verlängern. Unterbemannt, wie sie war, und mit einer Crew, die zum Teil aus unerfahrenen Eingeborenen bestand, konnte die Galeone ohnehin kein Wettrennen gewinnen oder gar einen Sturm abreiten. Die Holländer wollten das gute Wetter und den gleichmäßigen Wind nutzen, um zum Schwarzen Riff zu segeln. Dort lag die „Blankenberghe“ auf Grund, und dort gab es ebenfalls keine feindlichen Krieger, sondern friedliche Fischer, wie ihnen ihre Eingeborenen-Freunde versichert hatten. Falls es sich die Spanier in den Kopf gesetzt hatten, zu Fuß zum Rio Tinto zu marschieren — sollten sie. Vor Girraldos Leuten hatte Bertram Vermeeren keine Angst mehr. Anders verhielt es sich da schon mit den Unbekannten von der „Swallow“. Wußten sie von dem Gold? Würden sie versuchen, den Schatz der „Blankenberghe“ zu heben? Fragen, auf die Bertram Vermeeren eine Antwort finden wollte. Nachdenklich kniff er die Augen zusammen. Es tat gut, endlich wieder solide Schiffsplanken unter den Stiefeln zu spüren und die Hände auf die Schmuckbalustrade des Achterkastells zu stützen. Die Decks lagen im fahlen Mondlicht, die kleingewachsenen, braunhäutigen Eingeborenen bewegten sich wie Schatten zwischen den stämmigen Holländern mit ihren blonden oder hellbraunen Haarschöpfen. Sie hatten in
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den letzten Wochen Hand in Hand gearbeitet, beim Fischfang, beim Hüttenbau, beim täglichen Kampf ums Überleben, und sie arbeiteten hier auf dem Schiff Hand in Hand, obwohl es noch eine Weile dauern würde, bis sie zu einer wirklichen Crew zusammenwuchsen. Und später? Wenn sie diese Küsten verließen, in ferne Gegenden segelten, Ecken der Welt, zu denen sie ihre neuen Freunde nicht mitnehmen konnten? Der holländische Kapitän zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Ihr Plan war gewesen, das Gold der „Blankenberghe“ in die Niederlande zu bringen. Aber ob sie das Gold der „Blankenberghe“ je wiedersehen würden, stand noch in den Sternen —und damit auch die Zukunft. Bertram Vermeeren atmete tief durch, bevor er den Befehl gab, den Anker zu hieven und Segel zu setzen. * Auch der Eingeborene, der zusammen mit dem schwedischen Schiffsjungen von der „Swallow“ geflohen war, sprach ein paar Brocken gebrochenes Spanisch. An diesen Küsten war das keine Seltenheit. Lasse Tjorven - so hieß der blonde Junge hatte die Tatsache genutzt, um sich mit den beiden Gefangenen zu verständigen, die sich im Logis aufhielten, während ihre vier Landsleute in die Vorpiek gesperrt worden waren, um ihren Widerstand zu brechen. Da Jack Jayhawks Männer Rumflaschen kreisen ließen und lautstark grölten, hatte niemand auf den schwedischen Schiffsjungen geachtet, der sich flüsternd mit den Gefangenen unterhielt. Eine Einigung war rasch erzielt worden. Denn die beiden Eingeborenen hatten sich ohnehin nur aus einem Grund gehorsam und unterwürfig verhalten: um auf diese Art vielleicht von Bord fliehen und Hilfe für ihre unglücklichen Kameraden holen zu können. Bis dahin war Lasse Tjorven mit seiner Gesichte gediehen, als die Seewölfe das
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Dingi am Strand der Bucht erreichten, in der die „Isabella“ ankerte. Den wesentlichen Punkt hatte der Junge in seiner Aufregung ausgelassen. Einen Punkt allerdings, den Hasard bereits erahnte. Zwischen den zusammengekniffenen Lidern glitzerten seine Augen kalt wie Gletschereis im Mondlicht. „Und was verlangt Jayhawk von den Eingeborenen?“ fragte er hart. Lasse Tjorven schluckte. „Daß sie für ihn tauchen. Sir! Sie sollen das Gold im Wrack der ,Blankenberghe` suchen und heraufbringen. Als Jayhawks Leute die ,Santa Monica` enterten, fand er in der Kapitänskammer eine Schatzkarte und ein paar Eintragungen im Logbuch. Ich weiß nicht, wie die Spanier von dem Schatz erfahren haben.“ „Das weiß ich dafür umso besser“, sagte der Seewolf hart. „Black Jack will also die Eingeborenen zum Tauchen zwingen, weil seine eigenen Leute es nicht wagen?“ „Ja, Sir. Ein paar haben es schon versucht, und einer ist dabei von einem Hai zerrissen worden, genau wie O’Mally. Und - und Jayhawk hat gedroht, den nächsten, der nicht gehorcht, auspeitschen und einfach ins Wasser werfen zu lassen.“ Niemand sagte etwas. Hasards Gesicht war steinhart geworden. Nicht einmal der Profos stieß seine üblichen Flüche und Drohungen aus. Was sie da gehört hatten, war so abgrundtief niederträchtig, daß sie keine Worte fanden. Der Eingeborene ließ sich nicht dazu bewegen, mit an Bord zu kommen. Er wollte sich zu seinen Landsleuten durchschlagen, die inzwischen seiner Meinung nach Verstärkung von einem befreundeten Stamm geholt hatten. Hasard stimmte schließlich zu. Auf Spanisch erklärte er, daß die restlichen Gefangenen auf der „Swallow“ so oder so befreit werden würden. Ob der Mann ihn verstand, wußte er nicht genau zu sagen. Die dunkelhäutige Gestalt war Sekunden später im Dickicht verschwunden, und die anderen pullten zurück zur „Isabella“, wo sie bereits mit Spannung erwartet wurden.
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Hasards Stimme klirrte, als er den Bericht wiederholte, den der schwedische Schiffsjunge gegeben hatte. Die Gesichter versteinerten. Zorn und eiskalte Entschlossenheit schienen sich wie ein Bann über die Männer auf der Kuhl zu legen. Der Seewolf zog die Brauen zusammen, weil ihm erst jetzt wieder eine Bemerkung von Lasse Tjorven einfiel, die er über die Schilderung von Jawhawks Untaten fast vergessen hatte. Er wandte sich dem blonden Jungen zu. „Du hast von einer Meuterei gesprochen, Lasse“, sagte er gedehnt. „Demnach weißt du, wie die ,Swallow` in die Hände des schwarzen Jack geraten ist?“ Lasse Tjorven nickte. Mit leiser, stockender Stimme berichtete er, was dem Gefecht zwischen der. „Swallow“ und der „Santa Monica“ vorausgegangen war. Hasard spürte genau, daß er die reine Wahrheit hörte. Doch der Junge selbst schien nicht damit zu rechnen, so ohne weiteres Glauben zu finden. Er war unter Kapitän Smollet anständig behandelt worden. Aber er wußte wohl zu genau, daß auf manchen anderen Schiffen ein Moses der letzte Dreck war. „Es ist die Wahrheit“, beteuerte er. „Ich habe gegen die Meuterer gekämpft, und sie haben mich dafür bestraft. Ich kann es beweisen.“ Damit zog er mit einer trotzigen Bewegung sein Hemd aus, drehte sich um – und für einen Augenblick herrschte auf der Kuhl eisiges Schweigen. Es gab wohl niemanden, der sich in diesen Sekunden nicht geschworen hätte, dem schwarzen Jack seine Gemeinheit heimzuzahlen. „Großer Gott“, murmelte Ben Brighton erschüttert. Ed Carberry schrie bereits nach dem Kutscher, der ohnehin schon auf dem Sprung stand. Hasard legte dem Jungen sanft die Hand auf die Schulter und drehte ihn wieder um. „Wir hätten dir auch so geglaubt, Lasse“, sagte er ruhig. „Verlaß dich darauf, daß Jayhawk seine Schulden bezahlt. Unser Feldscher wird dich verarzten, und zwar
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mit allem, was dazugehört, einschließlich der Muck Rum. Du hast dich wie ein Mann benommen, also kannst du auch einen Männerschluck vertragen.“ Lasse Tjorvens aufleuchtende Augen verrieten, daß die Worte genau die richtige Medizin gewesen waren. Er folgte dem Kutscher in die Kombüse, Bill ging ebenfalls mit, um dem Feldscher zu helfen. Der Seewolf warf mit einem Ruck das lange schwarze Haar zurück und ließ den Blick über die grimmigen Gesichter seiner Männer gleiten. „So“, sagte er hart. „Und jetzt werden wir die ,Swallow’ im Überraschungsangriff entern und Black Jack Jayhawk endgültig kurieren.“ 9. Auf der „Swallow“ ließ Jack Jayhawk die Männer bereits im Morgengrauen hochpurren, einschließlich der Freiwächter, obwohl wegen der Zwischenfälle der vergangenen Stunden niemand viel geschlafen hatte. Jayhawks Gesicht wirkte noch kantiger als sonst, die Augen glühten noch fanatischer, der struppige schwarze Bart sträubte sich jedesmal, wenn er zu den Riffen hinübersah. Joe McNickle und die drei anderen „Offiziere“ zogen die Köpfe ein. Sie kannten die gefährliche Stimmung, in der sich ihr Kumpan befand. Zwar richtete sich Jayhawks Wut im Augenblick gegen die Eingeborenen, die sich weigerten, ihr Leben bei selbstmörderischen Tauchversuchen aufs Spiel zu setzen, doch die alten Komplicen des schwarzen Jack wußten, daß die Zielrichtung seiner Wut blitzschnell umschlagen konnte und er dann fähig war, auch einem von ihnen an die Kehle zu gehen. Der Eingeborene, den die Meuterer im letzten Moment erwischt hatten, bevor er über Bord springen konnte, war an den Großmast gefesselt worden. Jayhawk stand breitbeinig an der Schmuckbalustrade des Achterkastells, hoch aufgerichtet, mit vorgerecktem Kinn,
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und wartete darauf, daß die anderen Gefangenen aus der Vorpiek geholt wurden. Harte Fäuste stießen sie auf die Kuhl. Dort blieben sie zusammengedrängt stehen, verängstigt, wehrlos gegen die bewaffnete Übermacht. Einer von ihnen erhielt noch einen groben Tritt, der ihn quer über die Kuhl beförderte. Er stolperte, stürzte und rappelte sich mühsam wieder hoch. Unter den restlichen Gefangenen war er der einzige, der ein paar Brocken Spanisch sprach. „Werdet ihr jetzt freiwillig nach dem verdammten Gold tauchen?“ fragte der schwarze Jack drohend. Der unglückliche Eingeborene hatte diese Frage inzwischen so oft gehört, daß er sie auf Anhieb verstand. Sein verzerrtes Gesicht spiegelte immer noch Angst, doch in den dunklen Augen glomm ein wildes, haßerfülltes Feuer. Langsam schüttelte er den Kopf. „Narr! Wenn du dich weigerst, lasse ich dich so oder so den Haien vorwerfen. Also?“ Wieder das langsame Kopfschütteln. Der Eingeborene kannte die Gefahren des haiverseuchten Gewässers besser als die Meuterer-Bande. Er wußte, daß man schon Glück brauchte, um einen einzigen Tauchversuch lebend zu überstehen. Vor allem jetzt, da die Räuber der Meere bereits Opfer gefunden hatten und weitere Beute witterten. „Na gut!“ knirschte der schwarze Jack. „Wir werden ja sehen, ob du dich immer noch weigerst, wenn du erst zugeschaut hast, wie wir mit deinem Kumpanen umspringen.“ Und mit lauter, befehlsgewohnter Stimme: „Profos! Der Bursche, der fliehen wollte, kriegt dreißig Hiebe mit der Katze!“ Der Kerl, den Jayhawk zum Profos ernannt hatte, war ein vierschrötiger, verschlagener Hüne mit nur einem Auge. Er grinste gehässig, als er vortrat und die Riemen der neunschwänzigen Katze spielerisch durch die Finger der Linken gleiten ließ. Alle andere Männer sahen gebannt zu. Sie fühlten sich sicher.
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Die „Isabella“ war vorbeigesegelt. Die Holländer, die mit der „Santa Monica“ unterwegs waren, kannten die Meuterer ohnehin nur aus dem Logbuch Capitan Girraidos. Und da sich der schwarze Jack seine Rolle als Kapitän mit Brutalität und Verschlagenheit erobert, aber keinesfalls durch seemännisches Können erworben hatte, war es ihm nicht einmal nötig erschienen, den Ausguck zu besetzen. „Na los, Profos!“ knurrte Jack Jayhawk ungeduldig. Der Einäugige holte gehorsam aus. Aller Augen hingen an dem gefesselten Eingeborenen, und niemand bemerkte die Beiboote, die in diesen Sekunden aus dem Sichtschutz der Landzunge auftauchten. * „So ein Misthund!“ flüsterte Ferris Tucker erbittert. „Das kriegt der Affenarsch zurück“, sagte Ed Carberry zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Das kriegt er zurück, oder ich will nicht mehr Profos der alten ‚Isabella’ sein!“ Hasard dachte an den schwedischen Schiffsjungen, der fast noch ein Kind war. „Du wirst Profos bleiben“, versprach er grimmig. „Aber jetzt kein Wort mehr! Wir entern von drei Seiten!“ „Aye, aye“, klang es gedämpft zurück. Die Einzelheiten des Unternehmens waren längst besprochen worden. Nur daß es so einfach gehen würde, hatten die Seewölfe nicht ahnen können. Darauf hätten sie im Grunde auch gern verzichtet, denn das widerliche Klatschen der Peitsche und die Schreie des Opfers gingen ihnen durch Mark und Bein. Trotzdem ließen sie die Boote nicht, wie eigentlich geplant, blitzartig auf die Karavelle zuschießen, sondern nutzten die Umstände und pullten so lautlos wie möglich. Eine Taktik, die - genau wie der Verzicht auf die Kanonen der „Isabella“ - den Zweck hatte, die gefangenen Eingeborenen möglichst wenig zu gefährden. Unbemerkt gingen die beiden kleineren Beiboote an
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der Backbordseite der „Swallow“ längsseits, während die Pinasse zur Steuerbordseite glitt. In allen drei Booten ertönte das geflüsterte Kommando: „Riemen ein!“ Die Meuterer an Bord der Karavelle merkten immer noch nicht, was die Stunde geschlagen hatte. Sie wurden erst aufmerksam, als die ersten Enterhaken flogen. Black Jack Jayhawk zuckte zusammen. Der Profos ließ die Neunschwänzige sinken. Fünf, sechs von den Männern ruckten nach Backbord herum, der Rest der Meute wandte die Köpfe nach Steuerbord. Schrecken und Verwirrung lähmten ihre Reaktionen. Bevor sie überhaupt begriffen, welche Art von Gefahr ihnen bevorstand und von welcher Seite sie nahte, war es bereits zu spät. Blitzartig hangelten sich die Seewölfe an den Tauen hinauf, enterten an der ausgebrachten Jakobsleiter hoch und schwangen sich auf die Kuhl. Ferris Tucker war der erste. Mit zwei langen Sätzen erreichte er den Einäugigen, wirbelte ihn an der Schulter herum und riß ihm mit einem wütenden Ruck die Peitsche aus den Fingern. Ein sauberer Kinnhaken beförderte den Burschen rückwärts. Genau in die Arme von Edwin Carberry, dem Profos der „Isabella“, der sich des mißratenen Exemplars von Zunftgenossen ausführlich annahm. Über die Kuhl der „Swallow“ schien ein Sturm hinwegzufegen. Black Jack Jayhawk und seine vier sogenannten Offiziere stierten sekundenlang benommen in das Getümmel. Dann erst besannen sie sich darauf, daß sie nicht nur Schußwaffen, sondern von ihrem erhöhten Platz aus auch ein erstklassiges Schußfeld hatten. Hastig griffen sie zu den Pistolen, suchten ein Ziel, doch sie kamen nicht mehr zum Feuern. Hasard, Dan O’Flynn und Gary Andrews hatten das Achterkastell vom Heck aus geentert. Und für fünf Kerle vom Schlage eines Jack Jayhawk reichten drei Seewölfe
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als Gegner völlig, zumal sie auch noch den Überraschungseffekt auf ihrer Seite hatten. Der schwarze Jack konnte nicht einmal mehr herumwirbeln, da saßen ihm schon Dan und Gary im Nacken und stießen dabei fast mit den Köpfen zusammen. Hasard griff die Idee auf, breitete die Arme aus, erwischte Barry Burns und den Holländer Rogier Claasen und sorgte dafür, daß ihre Schädel in innige Berührung gerieten. Joe McNickle, der kleine, schnelle Schotte, wirbelte herum, die Pistole schußbereit in der Faust. Aber der Seewolf war noch etwas schneller. Ein Tritt fegte McNickle die Waffe aus den Fingern. Aufschreiend taumelte er gegen das Schanzkleid zurück. Im selben Moment begriffen Dan O’Flynn und Gary Andrews endlich, daß sie sich völlig unnötig um das Vorrecht stritten, den längst geschlagenen Jack Jayhawks ungespitzt in die Planken zu rammen. Kopfschüttelnd registrierte Hasard, daß sie sich jetzt dafür gemeinsam auf den baumlangen, in jeder Beziehung etwas langsamen Friesen Tjarko Michels stürzten. Nicht etwa, weil nicht jeder der beiden allein mit ihm fertig geworden wäre – genau wie im übrigen auch mit dem schwarzen Jack. Fünf Gegner waren für drei Seewölfe eben doch ein bißchen wenig. Hasard lächelte matt, warf einen prüfenden Blick zur Kuhl hinunter und stellte fest, daß der Kampf dort ebenfalls vorbei war. Nur eins gestaltete sich noch ein wenig schwierig: zu verhindern, daß die wütenden Eingeborenen den einen oder anderen ihrer Peiniger massakrierten. Big Old Shane hatte sich zu seiner ganzen imponierenden Größe aufgerichtet und forderte auf Spanisch und mit Donnerstimme absolute Ruhe. Mindestens einer der Eingeborenen verstand ihn offenbar, und es wurde tatsächlich still. Jedenfalls wenn man von dem Stöhnen und Ächzen der Meuterer absah, die allmählich wieder ins Bewußtsein zurückfanden und dann meist sofort verstummten, weil sie nach allem, was über sie hereingebrochen
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war, um keinen Preis mehr unliebsam auffallen wollten. Die vier „Offiziere“ wurden ebenfalls auf die Kuhl getrieben. Dort war inzwischen das unglückliche Opfer vom Mast losgebunden .worden und wurde versorgt. Jack Jayhawk begann sich zu regen. Stöhnend taumelte er hoch – und zuckte zusammen, als er jählings eine unerbittliche Stahlklammer in seinem Nacken spürte. Der Seewolf schleppte ihn persönlich den Niedergang hinunter. Black Jack begann, an allen Gliedern zu zittern. Hasards Gesicht glich einer Maske. Mit einem Blick sah er, daß die „Isabella“ inzwischen in die Einfahrt der Bucht gelaufen war. Ben Brighton wollte sich überzeugen, daß alles gut gegangen war. Überflüssig, dachte der Seewolf. Ihm wäre es lieber gewesen, sein Söhne nicht als Zuschauer in der Nähe zu wissen. Aber vielleicht irrte er sich. Das Gesetz der See war nun einmal hart. Und die Zwillinge hatten schließlich auch gesehen, was Lasse Tjorven zugestoßen war, der nur etwas älter war als sie selber. „An den Mast“, sagte Hasard hart und ließ Jack Jayhawk los. Der taumelte zwei Schritte und landete zwischen den Fäusten des Profos. Was anlag, begriff der schwarze Jack offenbar erst ganz, als er schon an den Mast gebunden wurde. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Aber er spürte die Blicke seiner Kumpane, und er wußte, wenn er jetzt anfing zu schreien und zu jammern, würde sich für alle Zeiten niemand mehr das Schwarze unter dem Nagel um seine Befehle scheren. „Dreißig Schläge!“ befahl der Seewolf unerbittlich. Das war hart, aber es war genau das Maß, das der schwarze Jack verdient hatte. Wenn man bedachte, daß dieser Klotz von einem Kerl einem vierzehnjährigen Jungen zwanzig Schläge zudiktiert hatte, dann war es eigentlich noch viel zu wenig. Edwin Carberrys Narbengesicht wirkte wie aus Eisen gegossen, als er sich nach der Peitsche bückte.
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Nichts in seiner Haltung verriet, daß ihm so etwas im Grunde zuwider war. Und mit dem Stöhnen des verletzten Eingeborenen im Ohr und der Erinnerung an Lasse Tjorvens zerschlagenen Rücken war es ihm in diesem einen Fall vielleicht auch gar nicht zuwider. Der schwarze Jack ließ es über sich ergehen. Er mochte ein schlechter Seemann und ein mieser Halunke sein, aber er war auch ein verdammt harter und zäher Brocken. Die ersten zwanzig Hiebe nahm er ohne einen Laut hin, und er hätte vielleicht sogar bis zum Schluß durchgehalten, wenn nicht in diesem Augenblick etwas Unvorhergesehenes geschehen wäre. Jäh zerriß ein einzelner Schuß die Stille. Ein dünner, ferner Schuß, der aus dem Landesinneren ertönte. Der Profos ließ die neunschwänzige Katze sinken. Die Seewölfe lauschten gespannt, und eine halbe Sekunde später hörten sie deutlich das Krachen mehrer Musketen und das hellere Peitschen von Handfeuerwaffen. Irgendwo an den Ufern des Rio Tinto war ein heftiger Kampf im Gange. * Über Esteban Girraldos verlorenen Haufen brach das Verhängnis völlig unerwartet herein. Sie waren am Ende ihrer Kräfte, als sie den Rio Tinto erreichten. Mühsam stolperten sie vorwärts. Nicht einmal der Gedanke an das Gold putschte sie auf, ihre Lethargie abzuschütteln. Von Jack Jayhawks Machenschaften wußten sie nichts. Deshalb konnten sie auch nicht ahnen, daß sich am Flußufer eine Horde wütender Krieger gesammelt hatte, um ihre Stammesgenossen aus der Gefangenschaft zu befreien und Rache zu nehmen. Die Eingeborenen, die seit Jahren unter den weißen Eroberern gelitten hatten, kannten keinen Unterschied zwischen den Spaniern und Jayhawks Piratenbande. Späher hatten die herannahende Gruppe bemerkt, ein paar Dutzend Krieger legten sich auf die Lauer. Girraldos Leute waren
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zu erschöpft, um noch sorgfältig genug auf ihre Umgebung zu achten. Ein paar von ihnen sanken entkräftet zu Boden, als das dunkle Wasser des Flusses vor ihnen schimmerte. Esteban Girraldo blieb stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erst der schrille, tremolierende Schrei, der den Angriff signalisierte, ließ ihn zusammenzucken. Jäh wurde es im Dickicht lebendig. Braunhäutige, bemalte Gestalten brachen aus den Büschen, mit Keulen und Speeren bewaffnet. Nur einer der Spanier war geistesgegenwärtig genug, sofort zu reagieren. Blindlings feuerte er seine schwere Steinschloß-Pistole ab, ohne zu treffen — der einzelne Schuß, der in der Bucht auf der „Swallow“ gehört worden war. Sekunden später war die Hölle los. Die Spanier formierten sich, Esteban Girraldo schrie Befehle. Musketen und Pistolen krachten, schreiend sanken die Getroffenen zusammen. Doch das Abwehrfeuer konnte den wilden Angriff nur für einen kurzen Moment aufhalten. Zu wenig Zeit, um die Waffen nachzuladen. Verzweifelt griffen die Spanier nach ihren Entermessern, doch auch das nutzte ihnen nicht viel. Speere zischten durch die Luft, wieder gellten Schreie. Keulenschwingend drangen die Eingeborenen auf ihre Opfer ein. Binnen Minuten war auch der letzte der Spanier überwältigt und mit zähen Lianenschnüren gefesselt. Esteban Girraldo lag halb bewußtlos auf der Seite und spürte das Blut, das von einer Fleischwunde über seinen Arm rieselte. Für ihn hatte das Schweigen, das sich über den Kampfplatz senkte, etwas von der bedrohlichen Stille des Todes. 10. Die „Isabella“ war in die Bucht gelaufen und ankerte jetzt neben der ,Swallow“. Der Seewolf ahnte, was der Kampflärm zu bedeuten hatte, Es war weniger die Sorge um das Schicksal der Spanier als um das
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der geplagten Eingeborenen, die ihn bewog, sofort einzugreifen. Man hätte Girraldos Leuten ihre Waffen gelassen, um sie nicht schutzlos der Wildnis preiszugeben. Richteten sie jetzt mit diesen Waffen wieder neues Unheil an? Oder hatte ihnen der Marsch über Land, der offenbar hinter ihnen lag, so zugesetzt, daß diesmal sie die Opfer waren? Wie auch immer - Hasard wollte auf jeden Fall versuchen, sinnloses Blutvergießen zu vermeiden. Klar, daß er schnell handeln mußte. Für Black Jack Jayhawk war das pures Glück, denn die Umstände ließen ihn verhältnismäßig glimpflich davonkommen. Seine Meuterer-Crew blieb unter Bewachung zurück. Der Seewolf, sechs Männer der „Isabella“ und die befreiten Eingeborenen gingen in die Pinasse, legten ab und segelten mit achterlichem Wind in die Mündung des Rio Tinto. Dan O’Flynn mit seinen scharfen Augen übernahm den Ausguck-Posten im Bug. Hasard bemühte sich indessen, dem Eingeborenen mit den Spanischkenntnissen auseinanderzusetzen, wie er die Situation beurteilte. Der Mann preßte die Zähne zusammen, weniger besorgt als grimmig. Er war überzeugt davon, daß seine Stammesgenossen inzwischen einen starken Kriegstrupp zusammengetrommelt hatten, der den Spaniern überlegen war. Wenig später zeigte sich, daß er recht hatte. Jenseits der nächsten Flußbiegung bot sich ein Bild, das den Seewölfen merkwürdig vertraut erschien. Auf dem flachen Uferstreifen hatte sich eine Horde braunhäutiger, bemalter Gestalten versammelt. Pfähle waren in den Boden gerammt worden. Und an diesen Pfählen, mit zähen Lianenschnüren gefesselt, standen Esteban Girraldo und die anderen überlebenden Spanier. Diesmal waren sie die Opfer, genauso wehrlos, wie es die Holländer nach dem Überfall gewesen waren. Noch hatte man sie nicht angekratzt. Aber die Vorbereitungen verrieten, daß man sich gründlich an ihnen rächen wollte - rächen
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für alles, was weiße Eroberer in diesem Land je angerichtet hatten. Beim Auftauchen der Pinasse griffen die Eingeborenen hastig .nach ihren Waffen, doch sie zögerten, als sie ihre Stammesgenossen erkannten. Ein erstes Palaver über die halbe Breite des Flusses hinweg führte dazu, daß der Trupp am Ufer seine feindselige Haltung aufgab. Die Pinasse legte an, das Segel wurde geborgen und die Vorleine an einem Baumstumpf belegt. Mit flackernden Augen sahen die Spanier zu, wie die Seewölfe an Land sprangen. Nackte, erbärmliche Angst saß Girraldos Leuten im Genick. Sie waren am Boden zerstört, waren gebrochen bis ins Mark ihrer schwarzen Seelen. „Hilfe!“ krächzte der Capitan. „Um Christi willen, helft uns! Wir tun alles, was ihr verlangt, wenn ihr nur ...“ Hasard brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen und wandte sich an den spanisch sprechenden Eingeborenen. Diesmal dauerte das Palaver länger. Die Krieger waren nur ungern bereit, ihre Opfer wieder herauszurücken. Immer wieder wanderten ihre Blicke von den angstschlotternden Spaniern zu den Seewölfen hinüber. Blicke, aus deren wechselndem Ausdruck sich der Inhalt des Palavers ungefähr herauslesen ließ. Die Männer, die auf der „Swallow“ befreit worden waren, rühmten Philip Hasard Killigrew offenbar in den höchsten Tönen als ihren Retter. Einen Retter, dessen Wunsch jetzt Befehl sei. Und deshalb dürfe man die Auslieferung der Gefangenen keinesfalls verweigern. Hasard verbarg ein Aufatmen, als schließlich die Fesseln der Gefangenen fielen. Den Spaniern war die maßlose Erleichterung nur zu deutlich anzusehen. Taumelnd und stolpernd retteten sie sich in die Nähe der Pinasse, wo sie sich wie eine verlorene Hammelherde aneinanderdrängten. Erst als Hasard ihnen zunickte, wagten sie es, an Bord zu gehen. Die Seewölfe mußten noch ein langes, kompliziertes
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Abschieds-Zeremoniell über sich ergehen lassen, doch schließlich war auch das überstanden, und die Pinasse konnte wieder ablegen. Sam Roskill sprang als letzter an Bord, nachdem er die Leine losgeworfen hatte. Die Eingeborenen-Krieger sahen dem Boot nach, bis es jenseits der Flußbiegung verschwand. Mühsam mußte die Pinasse jetzt gegen den Wind kreuzen. Das hieß, daß sie für den Rückweg in die Bucht die doppelte Zeit brauchte. Dort wartete eine weitere Überraschung. In der Einfahrt lag beigedreht die „Santa Monica“. Ihr Beiboot war an der Jakobsleiter der „Swallow“ vertaut, und zwischen den Seewölfen auf der Kuhl konnte Hasard die blonden Schöpfe der Holländer erkennen. * Die Bilder glichen sich. Schon einmal hatte es auf der Kuhl der „Swallow“ eine Versammlung von geschlagenen, entnervten Spaniern, entwaffneten Meuterern und höchst grimmigen Seewölfen gegeben. Jetzt standen dort auch noch Bertram Vermeerens Männer, nicht weniger grimmig. Die Spanier krochen sichtlich in sich zusammen. Aber Vermeerens Leute hatten ihrer Wut schon ein Ventil verschafft, als sie den zweiten Überfall der Spanier in der Bucht zurückschlugen. An diesem verlorenen Haufen wollten sich die Holländer ohnehin nicht die Hände beschmutzen. Bertram Vermeeren lächelte leicht, als er auf Hasard zutrat. Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. Vermeeren wies mit dem Kopf zu dem schwarzen Jack hinüber, der losgebunden worden war und gar nicht gut aussah. „Ich habe ihm erzählt, es gebe kein Gold auf dem Meeresgrund“, sägte der Holländer leise. „Der Schatz der ,Blankenberghe` sei nur eine Lüge gewesen, die wir den Spaniern aufgetischt hätten, um der Folter zu entgehen.“
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„Und hat er es geglaubt?“ fragte der Seewolf zweifelnd. Vermeeren nickte. „Er hat es geglaubt, dessen bin ich sicher. Vielleicht, weil er es glauben wollte, weil er die Unmöglichkeit eingesehen hat, diesen Schatz zu heben.“ Hasard atmete tief durch und ließ den Blick über die merkwürdige Versammlung gleiten. Was, zum Teufel, sollte er jetzt mit den Kerlen anfangen? Sein Blick bohrte sich in die Augen Esteban Girraldos. Der spanische Capitan schluckte hart. „Lassen Sie uns laufen“, bat er heiser. „Wir werden Ihnen nie mehr in die Quere geraten, das schwöre ich. Wir werden versuchen, uns zur nächsten spanischen Ansiedlung im Süden durchzuschlagen und ...“ „Ohne Boot?“ fragte der Seewolf gedehnt. Girraldo zuckte mit den Schultern. Daß man ihnen nicht noch einmal Waffen lassen würde, mit denen sie wehrlose Fischer überfallen konnten, wußte er selbst. Aber er und die Seinen befanden sich in einem Zustand, in dem ihnen alles egal war, wenn sie nur verschwinden konnten. „Nehmt die Pinasse der ,Swallow’„, ordnete Hasard an. „Und beeilt euch gefälligst! Je schneller ihr uns aus den Augen geht, desto besser für euch.“ Das war genau der Eindruck, den auch die Spanier hatten. Sie fürchteten die Crew der „Swallow“, sie fürchteten die Seewölfe, und die fürchteten die Holländer. Die Pinasse der Karavelle war in Null Komma nichts abgefiert, und von Black Jack Jayhawks Leuten wagte niemand, Protest zu erheben. Die Seewölfe und die Holländer sahen immer noch sehr grimmig aus, als die Spanier längst in südlicher Richtung davongesegelt waren. Hasard wußte, daß der schwarze Jack und seine Bande wieder einmal viel zu billig davonkommen würden. Aber was konnte er tun? Die „Swallow“ zusammenschießen und ihre Crew als Opfer für die wütenden Eingeborenen zurücklassen? Das war nicht
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die Art, wie die Seewölfe mit geschlagenen Gegnern umsprangen. Black Jack Jayhawk brauchte eine Weile, um zu begreifen, daß man ihn laufenließ. Als er es endlich verstanden hatte, verrieten seine Züge deutlich, welche Wagenladung Steine ihm von der Seele polterte. Er war sehr kleinlaut. Genau wie seine Leute — vor allem die vier „Offiziere“ Barry Burns, Claasen, Michels und McNickle. Der Kerl, der sich Profos nannte, wirkte völlig gebrochen nach der Begegnung mit dem Profos der „Isabella“ —einem wirklichen Profos von echtem Schrot und Korn. Ihnen allen saß noch die gewaltige Abreibung in den Knochen, die sie erhalten hatten. Sie schlichen herum wie geprügelte Hunde. Aber ob der schwarze Jack diesmal endlich eine Lehre aus den Ereignissen ziehen würde, daran hegten die Seewölfe immer noch gewisse Zweifel. * Die „Swallow“ hatte jeden Fetzen Tuch gesetzt, als sie nach Norden ablief. Hasard sah ihr nach, die Augen nachdenklich zusammengekniffen. Black Jack Jayhawk nahm den gleichen Kurs, dem auch die „Isabella“ folgen würde. Wohin wollte er? Vielleicht ebenfalls in die Karibik, um sich den zahllosen Piraten zuzugesellen, die dort ihr Unwesen trieben? Hasard zuckte mit den Schultern und wandte sich Bertram Vermeeren zu, der neben ihm auf dem Achterkastell stand. „Und Sie, Kapitän? Werden Sie versuchen, den Schatz der ‚Blankenberghe` zu heben?“ Der Holländer schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte er ernst. „Um dieses Goldes willen ist schon zu viel Blut geflossen. Soll es bleiben, wo es ist! Wir segeln nach Süden und versuchen, auf Landsleute zu treffen.“ „Ein weiser Entschluß.“ Hasard lächelte. „Sie brauchen jeden Mann, nicht wahr?“
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„Und ob! Ich muß in der Gegend bleiben, bis ich zumindest den Kern einer neuen Crew zusammenhabe. Die Eingeborenen sind unsere Freunde, aber ich glaube, es wäre unverantwortlich, sie einfach mitzunehmen und aus ihrem gewohnten Leben zu reißen.“ Der Seewolf nickte. „Wir haben den schwedischen Schiffsjungen der ,Swallow` hier an Bord. Ich glaube, Sie werden mit ihm zufrieden sein, auch wenn er vorerst noch nicht hart zupacken kann nach allem, was hinter ihm liegt.“ In knappen Worten erzählte Hasard Lasse Tjorvens Geschichte. Vermeerens Augen verdüsterten sich. Sein Blick wanderte zur nördlichen Kimm, als wolle er den schwarzen Jack am liebsten wieder zurückholen, um ihm eine weitere Abreibung zu verpassen. Ein paar Minuten später betraten die beiden Männer das Logis, wo sich der blonde Junge endlich ausruhte. Daß er aufsprang, ehe ihn jemand daran hindern konnte, bewies schon deutlich genug, daß er aus einem Holz geschnitzt war, das einmal einen erstklassigen Seemann abgeben würde. Seine Augen leuchteten auf, während er zuhörte. Unverwandt hing sein Blick an Bertram Vermeerens Gesicht. Dieser Holländer war ein aufrechter, anständiger Mann, ein Mann von der Art des toten John Smollet. Das spürte auch Lasse Tjorven. Das Angebot, unter Bertram Vermeeren als Moses zu fahren, nahm er mit Freuden an. An Bord der „Isabella“ wurde der Abschied mit einem kräftigen Umtrunk gefeiert, bevor Vermeeren mit seinen Leuten und dem neuen Schiffsjungen wieder zur „Santa Monica“ übersetzten. Die Holländer wandten sich nach Süden. Wenig später lichtete auch die „Isabella“ die Anker, segelte aus der Bucht. vorbei an dem düsteren Schwarzen Riff, und ging wieder auf ihren alten Kurs nach Norden. Die Karibik war nah. Nicht mehr lange, und sie würden die Schlangen-Insel wiedersehen, Siri-Tong und den Wikinger, den schwarzen Segler, vielleicht Jean
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Seewölfe 233 45
Ribault und Karl von Hutten — und sicher auch einige andere, an die sie weniger erfreuliche Erinnerungen hegten. Irgendwo voraus war die „Swallow“ hinter der Kimm verschwunden. Keiner der Seewölfe legte den geringsten Wert darauf, Black Jack Jayhawk, seine
Am Schwarzen Riff
vier Oberhalunken und den Rest der verkommenen Halsabschneider-Bande jemals wiederzusehen. Aber wenn Philip Hasard Killigrew an den letzten Blick dachte, den der schwarze Jack ihm zugeworfen hatte, hegte er in diesem Punkt gewisse Zweifel...
ENDE