Adler oder Eins Erzählungen von Reiner Vial
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Adler oder Eins Erzählungen von Reiner Vial
Adler oder Eins © 2002 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten WICHTIG! Ich stelle diese Erzählungen auf meiner Homepage http://www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Diese dürfen, ausschließlich unverändert und ungekürzt, auf Datenträger oder als Ausdruck beziehungsweise Kopie, grundsätzlich nur kostenlos, weitergegeben werden. Jede kommerzielle Verwendung und Wiedergabe in Publikationen aller Art, auf privaten wie gewerblichen Homepages und in elektronischen Medien ist nur nach meiner vorhergehenden Zustimmung und eventueller Honorarvereinbarung erlaubt. Dieses gilt sowohl für die vollständige wie auszugsweise Wiedergabe. Grundsätzlich muss immer auf meine Urheberschaft und meine Rechte hingewiesen werden! Bei jeder Verwendung oder Wiedergabe entgegen vorstehender Bedingungen, bei Verfälschung oder nur Veränderung der Texte sowie bei jeder Art des Diebstahls meines geistigen Eigentums, ganz oder teilweise, behalte ich mir sowohl straf- wie zivilrechtliche Schritte vor! Zum Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Hinweis: Die unterstrichenen Titel der Erzählungen sind Hyperlinks. Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt auf die Seite, auf der das gewünschte Kapitel beginnt. Adler oder Eins - Vorwort Muss alles was nicht weiß ist zwangsläufig schwarz sein?
Schurken und andere Opfer Zusammentreffen von Angehörigen von Opfern des New Yorker Terroranschlages und des Anti-Terror-Krieges
Fromme und richtige Gläubige Modern denkender Christ wird Opfer von „bibeltreuen“ konservativen „Berufsfrömmlern
Profis und echte Sportler Kann man es rechtfertigen, wenn man Profisport aus öffentlichen Mitteln fördert?
Literaten und Leute, die was zu sagen haben Kann man mit unsterblichen Wohlklang etwas ausdrücken, was die Menschen bewegt oder bewegen sollte?
Nackte und ihre perversen Nachbarn Freizügigkeit und Toleranz gegenüber einer verlogenen bürgerlichen Moral
Priester und andere Väter Das Recht der Kinder ihre Herkunft zu kennen und wie dieses möglicher Weise schaden kann
Börsianer und andere Spielsüchtige Sinn und Nutzen eines Lebens für und um das Geld gegenüber wahren Werten des Lebens
Mehmet und seine deutsche Heimat Herkunft, Heimat und Staatsbürgerschaft sowie Vorurteile gegenüber Fremden
Deutsche und andere sterbende Völker Rückläufige Bevölkerungszahlen und die Probleme: Wohnungen, Konsum, Soziales Netz und so weiter
Pastorinnen und andere Sausebrause Spiritistisches oder sakramentales Leben in der Kirche gegenüber dem wahren Leben draußen
Stars und andere unbedeutende Leute Sind Stars gemachte Objekte und ist ein Starleben erstrebenswert?
Geld und andere Nebensächlichkeiten Ist wahres Leben und Glück wirklich von Geld und Wohlstand abhängig?
Exhibitionisten und andere ehrliche Menschen Sind Leute, die zu ihren Bedürfnissen und Leidenschaften stehen immer die Dummen?
Reiner Vial und andere Provokateure Nur ein Nachwort ☺
Zum Vorwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Adler oder Eins – Vorwort Alles was nicht weiß ist muss zwangsläufig schwarz sein. Jetzt wird sicher diese oder jener auf die Barrikaden gehen und darauf hinweisen, dass zwischen den beiden Komplementärfarben die gesamte Farbpalette läge. Richtig – und warum sieht man das was bei den Farben auch „Klein-Hänschen“ logisch erscheint nicht auch bei Meinungen, Standpunkten ein? Warum ist denn derjenige, der nicht hundertprozentig auf der eigenen Seite steht gleich ein Schurke? Warum ist denn derjenige der bei der Globalisierung soziale und humanitäre Kriterien einklagt gleich ein traditionalistischer Sozi und Gegner der Marktwirtschaft? Warum ist jemand der keine Singstimme sein eigen nennt dann auch gleich unmusikalisch? Wir haben uns in unserer Gesellschaft angewöhnt alles nur von einer ganz bestimmten Seite zu betrachten, alles nur schwarz oder weiß. Die ganzen Zwischentöne lassen wir außer Betracht. Das ist ja auch so herrlich einfach, denn einseitige Standpunkte und Meinungen können von Vorbetern übernommen werden und man brauch darüber selbst nicht mehr nachdenken. Gelobt sei der Konsum, warum nicht auch bei Meinungen? Selber denken ist doch beschwerlich – man muss sich informieren, abgleichen und kombinieren. Dafür hat ein moderner Mensch, der überall dabei sein will oder gar glaubt dabei sein zu müssen, keine Zeit. Übernommene Meinungen, also das was alle sagen, ist immer einseitig und ausschließlich oberflächlich. Die tatsächliche Komplexität eines Themas kann man nicht übermittelt bekommen, die kann man nur aus eigener Information und einer Vielzahl von Meinungen überschauen. Natürlich kann man letztendlich zum gleichen Schluss wie der Meinungsbildner kommen aber in der überwiegenden Zahl der Fälle ergeben sich zwangsläufig Nuancen zu dem, was alle sagen. Jedes Ding hat zwei Seiten, aber die Wahrheit, der Wert, besteht unabdingbar nur aus beiden Seiten einschließlich der Dinge, die dazwischen liegen. Ein konkretes Beispiel habe ich mit dem Titel dieses Buches „Adler oder Eins“ angeschnitten. Wenn der Eine behauptet auf einer deutschen 1-€-Münze befände sich ein Adler und der Andere sagt dort fände man eine Eins, dann haben beide Recht und keiner sagt die volle Wahrheit. Wer auf einem Blatt Papier auf der einen Seite einen Adler und auf der anderen Seite eine Eins hat, hält den gleichen Wert in seinen Händen wie derjenige, der einen Münzkörper, auf dem entweder nur ein Adler oder nur eine Eins geprägt ist, hat; nämlich im Sinne von Geld, also von Tauschhilfsmitteln, sind vorgenannte Dinge wertlos. Hätte ich jetzt behauptet dass diese Dinge generell wertlos seien, hätte ich genau das gemacht, was ich hier anprangere: Eine einseitige Oberflächenschau. Natürlich hat alles auf dieser Welt einen bestimmten Wert; es fragt sich nur immer in welchem Sinne. In meinen Romanen - Der Schwiegersohn auf Baluway, Und das soll Leben sein, Der dritte Aussteiger, Königin von Salein und Hexenberg – habe ich immer gegensätzliche Personen – Reiche und Verarmte, Täter und Opfer – sowohl miteinander wie auch gegeneinander wirken lassen. Ich habe also immer beide Seiten mit dem was dazwischen lag betrachtet. Dabei habe ich auch die Schattenseiten der Helden und das Positive an den „Bösen“ dargestellt. Damit will ich zum Nach- und Weiterdenken anregen und eine breite, einzig weiterführende, Diskussion auslösen. Aber auch Romane haben ihre beiden Seiten. Auf der einen Seite kann man in diesen komplexe Themen mit gegebener Ausführlichkeit behandeln. Aber wenn man aus diesem mal ein Kapitel vorließt bekommt man nur ein Detaillauszug, der dann wieder zur einseitigen Betrachtung verführt. Daher mussten einzelne in sich abgeschlossene Kapitel, die mein Anliegen auf Leser und Zuhörer übertragen, sprich Erzählungen, her. Solche Erzählungen sind für mich nicht neu, denn solche schreibe ich, der ich am Tage der Veröffentlichung dieses Buches 56 Jahre jung bin, schon seit meiner Jugendzeit. Neu ist nur, dass ich sie erstmalig in einem Buch „zusammenschreibe“, dass, wenn es einen roten Faden von Kapitel zu Kapitel gäbe, ein Roman sein könnte. Die Erzählungen hier in der Sammlung „Adler oder Eins“ sind natürlich alle frei erfunden aber ich greife immer wieder gerne auf wahre Begebenheiten, teils selbst erlebt und teils von dritter Seite erfahren, zurück. Dieses aber stets in einer solchen modifizierten Form, dass jeder Rückschluss auf bestimmte Personen und Gegebenheiten vollkommen unsinnig ist. Also alle Personen, auch die jeweiligen Ich-Erzähler, in meinen Romanen und Erzählungen sind reine fiktive Personen und haben nie gelebt. Sollte sich dieser oder jene in den Erzählungen wiedererkennen, dann handelt es sich um einen gewollten Zufall. Ich befleißige mich nämlich unsere Welt und unsere Gesellschaft so darzustellen wie sie wirklich sind – und Charaktere, die der Wirklichkeit entsprechen müssen sich nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit sowohl unter den Lebenden wie Verstorbenen befinden. Aber jetzt genug der Vorrede; gleich geht’s los. Ihnen, meine verehrte Leserin und verehrter Leser wünsche ich jetzt noch ein Lesevergnügen aus dem Sie noch dieses oder jenes Nützliches ziehen können. Nachrodt-Wiblingwerde, im August 2002
Schurken und andere Opfer Ja, da stehe ich, Harald Schrieber, den man in seiner ehemaligen Firma „Kümmerer“ nannte, mit meinen knapp 56 Jahren fürchterlich im Regen. Seit Februar dieses Jahres 2002 zähle ich zur Millionenschar der Arbeitslosen und wie es aussieht dürfte ich in Zukunft ein Faulenzer, so wie Langzeitarbeitslose nicht nur von Stammtischbrüdern sondern auch von Leuten ganz oben beschimpft werden, sein dürfen. Den Grund für mein Faulenzerdasein sehe ich persönlich weder in meinem Alter noch in meinem Familienstand, da ich seit zwei Jahren ein Geschiedener bin und Alter kann zwar ein Grund sein aber man sollte es nicht schon von vornherein als Vorwand verwenden. Der Grund für den Bezug von Versicherungsgeldern aus der Arbeitslosenversicherung dürfte in meinem zuletzt ausgeübten Beruf liegen. Ich bin nämlich das, wie man mich im Hause meines Exbrötchengeber nannte: ein Kümmerer. Wissen Sie was ein Kümmerer ist? Machen Sie sich nichts daraus, denn das weiß kein Mensch ... noch einmal ich selbst kann das genau definieren. Ursprünglich trat ich mal vor 31 Jahren, direkt nach meiner Meisterprüfung als Elektroinstallateur, als Sachbearbeiter in einer Produktgruppe in die Dienste einer kleineren Aktiengesellschaft, die damals elektrische Büromaschinen und heute EDVKomponenten baute und vertrieb. Mein damaliger direkter Vorgesetzte, der Diplom-Ingenieur Frank von Verden stieg nämlich kontinuierlich die Hierarchieleiter herauf. Vom Leiter einer bestimmten Produktgruppe, stieg er über die Positionen des Produktgruppenleiter – also er war der Boss über alle sieben Produktgruppen - dann Vertriebsleiter Export über Vertriebsdirektor zum Vorstand Vertrieb und Marketing auf. Der mochte mich offensichtlich ganz gut leiden und nahm mich in sein Schlepptau. Vielleicht war es auch kein Leidenmögen sondern meine Willigkeit für ihn den zuverlässigen Kofferträger zu spielen. Aber was macht jemand, der ursprünglich einen handwerklichen Beruf, der nicht einmal beim eigentlichen Unternehmenszweck der Gesellschaft einzuordnen ist, hatte auf der Vorstandsetage? Na ja, alles mögliche und nichts ... er ist halt ein Kümmerer. Aber beschreiben Sie das einmal in Bewerbungen. Und in meinem ursprünglichen Beruf als Elektroinstallateur dürfte ich heute wohl auch keine besondere Chancen mehr haben, denn immerhin liegen zwischen meiner letzten aktiven Tätigkeit in diesem Beruf mehr als drei Jahrzehnte, in denen es keinen technischen Stillstand gegeben hat. Da dürfte ich heutzutage wohl jemand sein, der zwar einen Meisterbrief in der Tasche hat aber bestenfalls eine Qualifikation, die der eines Auszubildenden im dritten Ausbildungsjahr entspricht. Wie meine hausinterne Berufsbezeichnung besagt habe ich mich um alle möglichen Dinge zu kümmern. Dazu gehört unter anderem auch die Betreuung unserer Damen und Herren Geschäftsbesucher. Jetzt habe ich des Wohlklanges halber sowohl die Damen wie die Herren im Plural genannt. Der Plural Herren trifft ja zu aber den Ausdruck Damen muss ich durch den Singular Dame ersetzen. In den Geschäftskreisen in denen ich als Kümmerer mein Unwesen trieb gab es nur ein einziges weibliches Wesen als Gesprächspartnerin der Geschäftsleitung: Eine gewisse Frau Schmidt-Hassler aus München. Nun den Ausdruck „weibliches Wesen“ kann ich entsprechend meinen Empfindungen ruhig stehen lassen. Ich konnte diese „aufgetakelte Schraube“ mit ihren gekünstelten Formulierungen und Betonungen beim besten Willen weder von Hinten noch von Vorne leiden. Vielleicht lag dieses auch daran, dass sie einen stets von Oben herab behandelte. Aber da brauchte ich keine Minderwertigkeitskomplexe zu bekommen, denn die behandelte alle Personen, außer den jeweiligen Vorstandsvorsitzenden, so. Von Verden sagte mir mal, dass er für ihre Art volles Verständnisse habe, da sie sich sowohl in ihrer Familien- wie Firmendynastie in einer absolut von Machos beherrschten Welt habe durchsetzen müssen. Aber für mich war ihr Gestank das absolut Abschreckendeste, was diese Frau an sich hatte. Die parfümierte sich mit stark riechenden Duftwässerchen derart, dass man in ihrer Gegenwart glaubte alle 700 Wohlgerüche des Morgen- und Abendlandes gleichzeitig wahrnehmen zu können. Ich habe schon öfters mal gesagt, dass es, wenn ich mal gefeuert werde, bestimmt daran liegen würde, dass ich mit Frau Schmidt-Hassler in einen Klinsch geraten wäre. Nun, ich bin tatsächlich wegen eines Zwischenfalles mit einer Frau in Richtung Arbeitsamt befördert worden aber das war nicht mit Frau Schmidt Hassler sondern mit Miss Wolters, der Tochter unseres Geschäftspartners Miles W. Wolters aus Niles in Illinois. Miles ist der Gründer und größte Gesellschafter des Softwarehause MoneySoft Corp. Hätte er nicht seine Tochter mitgebracht wäre ich wahrscheinlich immer noch in Amt und Würden des großen Kümmerers, denn erstens hatte ich zu ihm ein gutes Verhältnis und zweitens hatte er hinsichtlich seines Ansehens alle Gründe über das Geschehen, was den Stein ins Rollen brachte, zu schweigen. Miles, dessen Produkte wir in Deutschland, Österreich und den Benelux-Staaten zusammen mit unseren Maschinen vertreiben, besuchte uns in etwa halbjährigen Abständen. Er ist zwar zeitweise ein typischer amerikanischer Prahlhans, immer der Größte, der Schönste, der Schnellste, der Höchste, der Längste und so weiter, aber ansonsten ganz nett und menschlich sehr umgänglich. Seit etwa 2 Jahren hat er einen kleinen Tick. Anlässlich seiner Besuche macht er immer einen Ausflug in den Club „enfer“ (französisch = Hölle), einem puffähnlichen Animierbetrieb in Waymannshausen. Dort bedienen, hopsen und animieren Damen mit aufgepumpten Busen Oben ohne und unten mit einem Strick durch den Po. Wer mal mehr möchte, kann auch nach Zahlung eines bestimmten Betrages mit einem solchen Sexobjekt in einer Zimmer genannten Zelle
verschwinden. Ich weiß es nicht genau aber ich mutmaße mal, dass ihn Benfer, der Nachfolger meines Exbosses von Verden, darauf gebracht hat. Ich kann es nicht gewesen sein, denn als Miles das erste Mal in dem Laden war, durfte ich mich gerade bei einem Urlaub von meiner Scheidung erholen. Auch aus einem anderen Grunde hätte ich ihn dort nicht einführen können, denn ich kannte den Schuppen vorher gar nicht. Bei solchen Gelegenheiten ist weder die Verwendung meines Privatwagens noch die eines Firmenwagens angebracht, denn was geht es zufällig vorbeikommende Leute, die die Fahrzeuge kennen, an dass wir im Inneren des Etablissement unsere urinstinktlichten Gelüste austoben. Des weiteren ist es auch nicht angebracht, das man das Taxiunternehmen, dass ansonsten für unser Unternehmen tätig ist, beauftragt. Die wollen nämlich alles fein säuberlich auf die Monatsrechnung schreiben. Lässt man das zu, wird man von den Damen im Rechnungsbüro von der Seite angesehen und lässt man es nicht zu, erfolgt dieser Blick durch die Fahrerin oder den Fahrer, da man ganz unerwarteter Weise bezahlen will. Da ist es mir beispielsweise schon mal passiert, dass ich das Taxiunternehmen zu einem vollständig reinen Privatenzweck genutzt habe und die Fahrerin, die für jemand anderes kurzfristig eingesprungen war, mir bei einem Fahrpreis von 38 Mark mangels Wechselgeld nicht auf meinen Fünfzigmarkschein rausgeben konnte. Na ja, da konnte ich die Sache ohne weiteres auf Firmenrechnung gehen lassen und meine Schuld intern bei unserer Buchhaltung ausgleichen. Aber eine Fahrt zur französischen Hölle ... das muss nicht unbedingt sein. Also rief ich zu dem Zweck bei Taxi Löffler, einem kleinen eigenständigen Unternehmen mit nur ein paar Autos, an. Dieses Kleinstunternehmen wird bei uns meist von den sogenannten ausländischen Mitbürgern genutzt, da das Unternehmen, als Löffler aus Altersgründen aufgab, von dem türkischstämmigen Deutschen Muhrat Yilmaz übernommen worden ist. Wie die Fahrgäste so auch die Fahrer und daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn man bei diesem Unternehmen von einem ausländischen Mitbürger „gekutscht“ wird. So dachte ich mir auch nichts dabei als ich neben ein mittelasiatisch aussehenden Fahrer auf den Beifahrersitz platz nahm. Normaler Weise ist es hierzulande üblich, dass dieser Platz von dem, der die „Rutsche“ bezahlt, eingenommen wird. Ich glaube in den USA ist es üblich, dass man sich, wenn kein besonderer Grund dagegen spricht, generell immer nach hinten setzt. Auf jeden Fall verschwindet der, üblicher Weise zahlende Miles immer zuerst im Taxi – und zwar auf die Rückbank. Seitdem mir mal ein Fahrer, nachdem ich gesagt hatte, dass wir irgendwohin, wo was los wäre, wollten, den Christofer-Street-Club vorgeschlagen hatte, zog ich es bei solchen Gelegenheiten vor mich auf den gefährlichsten Platz im Auto, dem Beifahrersitz, zu setzen. Im Wagen unterhielt ich mit Miles von vorne rechts nach hinten links und umgekehrt. Bei der Gelegenheit fragte ich unseren Gast dann nach seinen jüngeren Bruder, der ihm mal vor zwei oder drei Jahren begleitet hatte. Damals war der Bruder noch der Finanzchef von Miles Softwarehaus und es ging damals um eine Beteiligung des amerikanischen Unternehmens an unserer Gesellschaft. Nach meiner Frage wurde Miles zunächst einmal ganz still, so dass ich sofort wusste, dass ich ein falsche Thema angeschnitten hatte. Dann erzählte er ruhig und traurig, dass sein Bruder Sandy am 11. September 2001 bei dem Anschlag auf das World Trade Center in New York ums Leben gekommen sei. Sandy war vor einem Jahr aus dem Softwarehaus ausgeschieden um ins Bankgeschäft zu wechseln. Am Nachmittag hatte er eine Besprechung mit einem Wall-Street-Broker und wollte den schon mal angebrochenen Tag dazu nutzen einen Freund, mit dem er zusammen ein Collage besucht hatte, zu besuchen. Der Freund arbeitete bei einer Versicherung, die ihre Büros in einen der oberen Geschosse des zuerst getroffenen WTC-Towers hatte. Miles erzählte, dass man noch lange nach dem 11. September gehofft habe, dass sein Bruder aufgrund eines Schocks abgetreten wäre und plötzlich wieder auftauche. Man wusste zwar, dass er seinen Freund treffen wollte. Dass das aber am frühen Morgen, noch vor 9 Uhr, auf dessen Arbeitsplatz sein musste, ist aber einer solchen Ankündigung nicht zu entnehmen. Man weiß nur, dass er wenige Augenblicke vor dem Anschlag seine Frau angerufen hat. Er konnte sich gerade noch melden bevor die Verbindung abbrach und danach hat man nie wieder etwas von ihm gehört. Bis an diesem Punkt sprach Miles sehr traurig und daher ruhig. Plötzlich wurde seine Stimme erregt und er schimpfte los. Er nannte alle Anhänger des Islams Terroristen und meinte man müsse auf die solange einschlagen bis auch bei denen die göttliche Vernunft eingekehrt wäre. Die Schurkenstaaten Iran, Irak, Libyen und Afghanistan müsse man dem Erdboden gleichmachen. Nachträglich gesehen bewundere ich die Ruhe, die unser Taxifahrer währenddessen an den Tag legte. Wir hatten uns auf Englisch unterhalten und nicht daran gedacht, dass auch der Taxifahrer diese Sprache beherrschen könne. Er konnte es aber und gab sich in dieser Sprache jetzt als Afghane zu erkennen. Auch er hatte in Folge dieser Geschichte ein enges Familienmitglied, nämlich seine Schwester, verloren. Sie war bei einem amerikanischen Bombenabwurf auf eine vermeintliche El Kaida-Stellung ums Leben gekommen. Bis hier wäre auch alles gut gegangen, wenn nicht auch der Taxifahrer noch mal nachgehakt hätte. Er sagte dann, dass man bei dem Bombenanschlag keinen einzigen El Kaida- oder Taliban-Kämpfer dafür aber eine Reihe Frauen und Kinder getötet habe. Er schimpfte dann auf die „Yankees“, den in der Regel nichts bessere einfiele als aus größerer sicherer Höhe Bomben zu werfen. Da wären doch die Leute, die die Anschläge vom 11. September gemacht hätten – gleichgültig wie man zu der Angelegenheit stehe - doch ehrenhafter, denn die wären dabei bereit gewesen, ihr Leben für die Sache zu geben. Na ja, ich habe es
vorgezogen nichts zu der Sache zu sagen aber ich habe mir im Stillen gedacht, dass der nihilistische Bombenwerfer und der fanatische Kamikaze, die Japaner waren ja bekanntlich die ersten, die das Leben ihrer jungen Männer als Waffe einsetzten, auf einer Stufe stehen: Beide machen sie es um zu töten und zu zerstören. Beide machen es im Vertrauen auf ihre Vorderen, von denen sie ihre moralische Rechtfertigung beziehen, ohne eine Möglichkeit der Prüfung des Wahrheitsgehalt der Aussagen und Vorwände gehabt zu haben. Kriege sind nur durch das blinde Vertrauen zur Obrigkeit möglich und wenn sich später herausstellt, dass die eigene Obrigkeit gelogen hat, brauch man sich auch kein Gewissen machen, denn man hat ja nur seine Soldaten oder KämpferPflicht getan. Miles schimpfte wie man denn diese Massenmörder als ehrenhaft bezeichnen könne und der Taxifahrer verteidigte sich, dass er das gar nicht getan beziehungsweise gemeint habe. Ihm wäre es nur darum gegangen, dass der Abwurf von Bomben auf Frauen und Kinder kein minderschweres Verbrechen gegenüber dem, die durch bewusstes Hineinsteuern von Flugzeugen in Bürogebäude, in denen ahnungslose Menschen arbeiten, sei. Zumal das Töten von Menschen sowohl im Christentum wie im Islam durch das Gebot untersagt sei. Er fände es nur furchtbar feige, dass die amerikanischen Bomberpiloten so etwas aus sehr großer Höhe und aus sicheren Maschinen machten und dabei billigten in Kauf nähmen das dabei unschuldige Menschen getötet würden. In pervers ironischer Weise sprach man im Kosovokrieg von Kolalateralschäden. Und die „Anführer“ der beiden Seiten George W. Bush und Osama Bin Laden seien dabei die feigsten „Subjekte“, sie würden ihre Leute für irgendwelche selbstgebastelten Werte und Ideale in Tod und Krieg schicken und selbst in weitentfernter Sicherheit sich als die Helden feiern lassen. Das wäre doch früher, im Mittelalter, besser gewesen als Mann gegen Mann kämpfte und ihre Führer ihnen voranreiten mussten. Dann würde man sich schon überlegen ob Krieg führen wolle oder nicht. In den Windungen meiner grauen Zellen konnte ich unserem Taxifahrer aber diesbezüglich beim besten Willen kein Recht geben, denn das Böse, die Mord- und Kriegslust, ist offenbar so tief in den Menschen verwurzelt, dass sie nicht einmal bei einem Kampf Mann gegen Mann zurückschreckten. Schon im Altertum und Mittelalter fanden sehr üble Gemetzel statt. Während ich mir dieses überlegte merkte ich richtig wie Miles auf dem Rücksitz wutschnaubend nach Luft schnappte. So hatte ich unseren amerikanischen Geschäftspartner noch nie erlebt. Bisher kannte ich ihn nur als legere und überlegen tuenden Manager, der seinen gegenüber keine Chance gab an seinen Geschäfts- und Verhandlungsfähigkeiten zu zweifeln. Jetzt erlebte ich ihn als normalen, auch zu Emotionen fähigen, Menschen. Er polterte los, dass es doch ungeheuerlich sei, dass der Taxifahrer Vergleiche zwischen den Verbrechern, die im Fanatismus einer gewalttätigen Religion meucheln, und ... . An dieser Stelle kam er nicht weiter, denn der Taxifahrer konterte an dieser Stelle, dass er (Miles) sich wohl noch nicht intensiv mit den Religionen beschäftigt habe. Beide Religion wurzelten auf den gleichen Grundlagen und seien im Grundsatz friedlich sowie auf Verständigung unter den Menschen ausgerichtet. Nur das was bestimmte Leute im eigenen Interesse da hinein interpretierten sei gewalttätig. Da von könne er eine Menge erzählen, denn er sei von Hause her Religionswissenschaftler und habe wegen seiner Meinung über den wahren Konsens des Koran seine Heimat verlassen müssen, da ihm die Steinigung gedroht habe. Ich glaube, dass Miles gar nicht richtig mitbekommen hatte was der Taxifahrer da sagte. Der sonst scheinbar so beherrschte Miles W. Wolters schrie plötzlich los, der Fahrer möge anhalten, da er Angst habe. Kurze Zeit später sagte mir Miles, dass er vermute, dass es sich bei dem Taxifahrer um einen sogenannten Schläfer handele, der sich als die Unschuld in Person tarne. Er hätte wirklich Angst gehabt, dass der plötzlich, nur weil er Amerikaner sei, dass Taxi in die Luft sprengen wolle. Na ja, die Situation war nun so, dass wir auf freier Strecke ausstiegen. Die Landstraße die von unserem Vorort Romansdorf nach dem Städtchen Waymannshausen führt läuft durch eine fast unbewohnte Wald- und Feldgegend. Bis Waymannshausen sind es von unserem Aussteigeort noch etwa 3 bis 5 Kilometer – irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit – und von der Entfernung nach Romansdorf wollen wir gar nicht erst sprechen. Also her mit dem Handy und ein anderes Taxi rufen. Ich benutze ein solches Ding ja selten aber ich habe es immer in der Tasche. Man ist ja heute nicht mehr in, wenn man so etwas nicht in der Tasche hat. Aber wie es so ist wenn man das moderne „Spielzeug“ für Jung und Alt im eingeschalten Zustand in der Tasche trägt: Wenn man es braucht ist das Akku leer. Da Miles, zumindestens an diesem Abend, über kein Mobil Phone verfügte blieb uns nichts anderes als uns zu Fuß in Richtung Waymannshausen auf den Weg zu machen. Frische Luft reinigt offenbar die Gedanken, denn Miles kam nach kurzem Fußmarsch auf den Gedanken, dass es wohl nicht das Richtige gewesen sei was er gemacht habe. Ich möge verstehen, dass der Verlust seines Bruders tief in ihm schmerze; insbesondere da es auf so eine Art passiert sei. Im Grunde dürfte sich bei dem Taxifahrer hinsichtlich des Todes seiner Schwester das Gleiche wie bei ihm abgespielt haben. Er fragte, warum dass es so sein müsse, dass Menschen die sich noch nie begegnet seien, sich gegenseitig für Schurken hielten, nur weil ihnen dieses so von Oben so gesagt würde. Eigentlich sei auch er der Meinung, dass Vergeltungsschläge, gleichgültig wie berechtigt diese seien, immer wieder zu neuen Hass und anschließend zu ärgeren Verbrechen führten. Beide Seiten, die gute und die böse, hätten ja durch ihre Schandtaten gelernt. Die gute Seite weiß jetzt
wie man sich gegen so etwas, wie es passiert ist, schützen kann und die andere Seite sucht eine neue Sicherheitslücke, in die man empfindlich reinschlagen kann. Die Folge wäre dass das nächste Verbrechen wieder neue, vorher ungeahnte Dimensionen annehme aber unausweichlich auf die Menschheit zukäme. Aber man dürfe ja vor dem Verbrechen nicht resignieren, irgendetwas müsse man ja tun ... nur was? Aber jetzt bekamen wir ein ganz anderes Problem: Es zog ein Schauer, der seinen Namen verdient hatte, auf. Im Nu waren wir bis auf die Haut durchnässt, was bei den winterlichen Außentemperaturen, die wir zu diesem Zeitpunkt hatten, dann noch ein besonderes Martyrium darstellte. Zu allem Übel ist die Landstraße nur wenig befahren. Die ersten beiden Fahrzeuge, die wir anhalten wollten, fuhren unbekümmert weiter. Und dann, ... dann passierte so eine Art kleines Wunder. Das Taxi, aus dem wir zuvor im Streit ausgestiegen waren, hielt plötzlich neben uns an. Trotz des Schauers stieg der Taxifahrer aus und kam um den Wagen auf uns zu. Er reichte Miles die Hand und bat um Entschuldigung. Der Fahrer erklärte, dass er seine Schwester sehr geliebt habe und daher sei bei ihm was durchgebrannt. Miles antwortete nur „I’m my brother, too“ und umarmte seinen Kontrahenten. Nicht nur wegen des „Sauwetters“ waren wir froh wieder in das Taxi einsteigen zu können. Angesichts seiner durchnässten Sachen stand Miles nun nicht mehr der Sinn nach Silikon-Euter-Trägerinnen in der französischen Hölle sondern nach einem warmen Bad und einem Bett. Also ging es zurück nach Romansdorf von wo wir zuvor auch gekommen waren und wo das Hotel, in dem Miles und seine Tochter untergebracht sind, zu finden ist. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass unser Taxifahrer und Miles auf den besten Wege waren Freunde zu werden. Richtig herzlich tauschten sie miteinander gegenseitige Verständnisbekundungen aus. Der Taxifahrer meinte, dass die Menschen in den Völkern sich gründlicher kennen lernen und mehr miteinander sprechen müssten. Dann wäre es vielleicht möglich, dass Leute wie Bin Laden und Bush die Leute zum heiligen Krieg beziehungsweise Kreuzzug aufriefen und keiner zuhörte, weil sie was besseres zutun hätten: Sie müssten sich gegenseitig besuchen und miteinander feiern. Menschen die man kennt hält man in der Regel nicht für Schurken, es sei denn sie wären wirklich welche, was aber bei über 99% der Menschheit nicht der Fall ist. Der proportionale Kriminellen Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt zum Glück im Promillebereich. Na ja, wir setzten Miles vor dem Portal seines Hotels ab und anschließend ging es zu meiner Strohwitwerbude. Auch ich war überaus froh aus meinen kalten Sachen und unter die warme Dusche zu kommen. Trotz allem war ich hinsichtlich des versöhnlichen Abschlusses des Abends „happy“ und auch irgendwie gerührt. Jetzt wird dieser oder jene sagen: „Hör mal mein lieber Harald Schrieber, was erzählst du uns denn für ein Zeug? Du wolltest doch erzählen wie du deinen Job verloren hast und wegen so etwas hat doch noch kein Mensch auf der Welt seinen Job verloren.“. „Doch ich“, antworte ich jetzt kurz und knapp. Das Geschehen im Taxi sollte zum Ende meiner Kümmererkariere führen. Zwar nicht direkt sondern auf den Umwegen, die ich jetzt folgend noch schildern werde. Wäre nicht Miles Tochter mit in Deutschland gewesen und hätte es diesen Schauer nicht gegeben hätten von dieser Geschichte nur wir drei Mannsbilder, die im Taxi beteiligt waren, davon gewusst und ich würde mich auch heute noch – bis zum Eintritt ins Rentenalter oder bis zum Pleite der Firma – um alles und nichts kümmern müssen. Aber fahren wir doch gleich mit meiner Geschichte am nächsten Morgen um Zehn fort. Zu diesem Zeitpunkt war Miles bei uns im Hause zwecks eines Gespräches mit unserem Vorstandsvorsitzenden angesagt. Er kam aber nicht sondern an seiner Stelle erschien seine Tochter. Das Unwetter vom Vorabend hatte auf schnellstem Wege seine Spuren bei Miles hinterlassen. Er hatte das Gefühl eine Grippe zuhaben und war deshalb lieber im Hotelbett geblieben. Damit waren natürlich alle an diesem Tage geplanten Gespräche geplatzt. Miss Wolters ist zwar attraktiv aber hat von den Geschäften ihres Vaters keine Ahnung. Sie war eigentlich nur, um mal Deutschland kennen zu lernen, in Begleitung ihres Vaters erschienen. Sie war jetzt eigentlich nur aus Miles Höflichkeit herbeordert worden um ihn zu entschuldigen und um zu vereinbaren, dass die Termine auf die Folgewoche verschoben werden. Wir hatten ohnehin Freitag und unser Besucher glaubte nach einem Auskurierwochenende wieder auf den Beinen zu sein. Hätte sich jetzt sein Töchterchen beamtokratisch an ihren Auftrag gehalten wäre alles gut gewesen. Aber Benfer, mein neuer Chef, ist so en Typ, der bei einer attraktiven jüngeren Frau keinen Rock schwingen sehen kann ohne mit ihr zumindestens flirtender Weise ausgegangen zu sein. So lud er Miss Wolters in ein nahegelegenes, etwas exklusiveres Café ein. Was dort ablief weiß ich nicht aber was er dort erfahren hatte, bekam ich nach seiner Rückkehr nicht nur deftig aufs Butterbrot geschmiert sondern noch deftiger zu spüren. Ich brauche wohl jetzt nicht mehr zu verraten, dass Benfer wusste, was am Vorabend gelaufen war. Ausschließlich dass es in den Club „enfer“ gehen sollte wusste Miss Wolters nicht aber das konnte sich Benfer, der auch nicht so ganz ohne ist, denken. Da wurde ich doch prompt nach seiner Rückkehr in sein Büro zitiert. Er saß in seinem gewaltigen Chefsessel aus rotbraunen Leder und sehr hoher Rückenlehne auf der Fensterseite des Büros und mir bot er den Platz ihn gegenüber an. Auch dieses ein Sessel, der bei manchen kleinen Selbständigen oder Handwerker als solches durchging wozu bei Benfer der Thron, in dem er saß, herhalten musste. Zwischen uns eine nicht gerade kleine Konstruktion aus weißem Stahl und schwarzen Glas, das laut Katalog des Büromöbellieferanten ein Chefschriebtisch darstellen sollte. Diese Sitzordnung habe ich jetzt etwas genauer
beschrieben, da sie typisch für Leute, die Andere, die sie in ihr Büro bestellt haben, autoritär beherrschen wollen. Benfer saß auf der Fensterseite, also auf der Seite des Lichteinfalles in das folglich sein Besucher, in diesem Fall ich, hineinschauen muss. Bei Dunkelheit erledigt diese anstelle der Sonne die große Standleuchte, die links neben seinem Platz auf seinem Schreibtisch steht. Wenn auch die Blendung, wie man sie von Darstellungen von Verhören in bestimmten amerikanischen Streifen kennt, durch Jalousie und Leuchtenkonstruktion ausgeschlossen ist, kommt man sich trotzdem wie ein, der genauen Beobachtung unterzogenes Würstchen vor. Der hohe, mächtig wirkende Sessel, in dem er saß, dokumentiert jedem Herzitierten deutlich wer der Herr, nicht nur hier im Raum sondern im ganze Hause, ist. Außerdem gab der „königliche“ Sessel Benfer die Möglichkeit seine Körpersprache, die ja bekanntlich nicht unterdrückbar und sehr verräterisch ist, zu verbergen. Dadurch, das er seinen Oberkörper in die senkrecht stehende Lehne drückt, wirkt er unbeweglich steif und gleichzeitig, bedingt durch die eiserne gerade Haltung, ziemlich von Oben herab. Seine Unterarme lagen auf den Sessellehnen auf und mit den Händen umfasste er diese. Da bleibt nichts von Menschlichkeit, da hat man nur das unangenehme Gefühl einer gemachter Obrigkeit gegenüber zu sitzen. Letzteres unterstrich Benfer noch durch die Unart, dass er immer wenn ich sprach, in die linke oder rechte obere Raumecke schaute. Deutlicher kann man den Leuten nicht dokumentieren was man von sich und den anderen hält. Fairer Weise muss aber gesagt werden, dass diese Sitzordnung bei Benfer kein Standard. Links neben dem Eingangstür zu seinem Büroraum befindet sich eine zwar moderne aber doch irgendwie sehr ansprechende Sitzgruppe. Normalerweise lässt er sich mit seinen Gesprächspartner, mit denen er unter vier bis acht Augen sprechen will, dort nieder. Also verhieß diese Runde aufgrund der angewiesenen Sitzordnung nichts Gutes ahnen und so hatte ich auf Anhieb eine Menge Beklemmungen. Dieses, obwohl ich mir in keiner Weise einer Schuld bewusst war. Das Aufsuchen der Luxuskaschemme war ja nicht meine sondern Miles Idee, auf die ihn wohl mein Obrigkeit dokumentierender Gegenüber vermutlich selbst gebracht hat. Dass ich jeden komprimentierenden Verdacht vom Unternehmen, deren besseren Angestellten, also der Leute die den infrage kommenden Firmenwagen nutzen durften, und dessen Besucher durch Nichtverwendung von Firmenwagen und Stammtaxiunternehmen fernhielt dürfte doch meine Pflicht gewesen sein und kann doch jetzt zu einem Vorwurf gegen mich genutzt werden. Einzig das es jetzt in der Nach-dem-11.-September-Zeit zu einem Zusammentreffen zwischen einem indirekten amerikanischen und afghanischen Opfer kam hätte ich vermeiden sollen – aber wer konnte das schon ahnen. In die Auseinandersetzung habe ich weder auf der einen noch anderen Seite eingriffen. Ich habe mich auf die verlogene Position eines Diplomaten zurückgezogen. Das kann man mir zwar vorwerfen aber es ist leicht dadurch zu entschuldigen, dass meine aktive Teilnahme sicher nur noch zu einer Eskalation geführt hätte. Und für das Unwetter, dass uns dann traf kann ich ja nun bestimmt nichts. Einzig beim Thema Handy muss ich mir wirklich einen rechtmäßigen Vorwurf gefallen lassen: Im Zuge der Sorgfaltspflicht hätte ich für dessen Einsatzbereitschaft Sorge tragen müssen. Na lesen wir mal was mir mein Boss vorzutragen hatte: „Lieber Herr Schrieber, da hat mir Miss Wolters ja schlimme Sachen von ihnen berichtet. Unser werter Mister Wolters hat ihnen jetzt eine ‚schwere’ Grippe zu verdanken und das alles nur wegen ihrer unverzeihlichen Nachlässigkeit nicht für die Betriebsbereitschaft ihres Handys Sorge getragen zu haben.“. Wie schon geschrieben war ich ja in diesem Punkt einsichtig und formulierte eine entsprechende Entschuldigung und versprach mich auch gegenüber Miles mit einer Aufmerksamkeit zu entschuldigen. Jetzt dachte ich, dass Strafgericht wäre beendet aber Benfer holte dann noch doch erst recht kräftig aus: „Lassen wir mal die Handygeschichte jetzt damit ruhen, dass so etwas Leuten, die in der Wirtschaft Führungspositionen und Assistententätigkeiten bekleiden wollen nicht passieren darf ... Damit haben sie bei mir doch erhebliche Zweifel an ihrer Qualifikation aufkommen lassen. Na, mein Vorgänger von Verden hat sich manchen, für mich unverständlichen, Schnitzer geleistet. Dazu gehört wohl auch sie ins Schlepptau genommen zu haben.“. Damit hatte er mich jetzt schwer getroffen. So etwas hat mir noch niemand auf den Kopf zugesagt und so regte sich in mir erstmalig, seitdem ich in dieser Firma tätig war, ein Flämmchen namens Aggression gegenüber einem Vorgesetzten. Und aus diesem Flämmchen wurden dann in Folge ein echter Flächenbrand. Ursache für die Aggressionseskalation war die böse rassistische und menschenverachtende Rede, die ich jetzt von Benfer zuhören bekam. Mit einem etwas üblen Beigeschmack möchte ich sie hier doch zur Information der Leserschaft weitergeben: „Aber wie konnte es denn dazu kommen? Selbstverständlich müssen Leute, die in ihrem Berufsalltag mehr leisten als diejenigen, die ihre Gleitzeitkarte stecken, auf die Pause warten und nach dem Abkassieren des viel zu hoch bemessenen Lohnes nach Haus gehen, auch mal abspannen und ihre Gedanken, die ansonsten in der Regel täglich 24 Stunden ihrem Unternehmen gelten, auf andere Dinge lenken. Da hat ihnen wohl von Verden richtiger Weise beigebracht, dass dieses möglichst Inkognito geschieht. Aber warum mussten sie Intelligenzbestie einen Personenkutscher, der zu den Ölaugenträgern gehört, beauftragen. Da müssen sie doch damit rechnen, dass sie als Fahrer einen ehemaligen Dönerdreher oder Kameltreiber vorgesetzt bekommen. Gegen die anatolischen Bauern will ich ja noch nichts sagen, denn die machen außer uns abzocken und ihre kopftuchtragenden Schlampen zum Kindern zu bringen nichts. Aber diese El Kaida-Schläfer stellen mit ihrem islamistischen Allahwahn eine Gefahr für unsere westlich werteorientierten Gesellschaft dar. Und so etwas muten sie einem Angehörigen des amerikanischen Volkes, dem wir so viel zu verdanken haben, zu. Oder
wollen sie jetzt bestreiten, dass uns die Amerikaner von der Diktatur befreit und uns die Demokratie gebracht haben? Nicht nur dieses ihrer großzügigen Hilfe im Zuge des Marshallplanes verdanken wir die herausragende Stellung, die wir Deutschen in der Weltwirtschaft einnehmen.“ Alle diese Vorurteile hatte ich schon mal gehört, aber meist von Leuten, die ich nicht gerade zu den Leuchten unserer Gesellschaft zählen würde. Aber diese geballte Ladung, wie sie mir Benfer jetzt lieferte, hatte ich bisher so noch nicht erlebt. Darauf fühlte ich mich jetzt zur Gegenrede verpflichtet: „Herr Benfer, wenn wir jetzt Zeugen dabei hätten, würde ich sie glatt wegen Volksverhetzung und Rassismus bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Mir gegenüber haben sie sich demaskiert und mir gezeigt, was sie für einen geringen Respekt vor der Menschenwürde haben. Warum ich das Taxiunternehmen des Herrn Yilmaz, den ich persönlich kenne und sowohl seriös wie auch ganz nett finde, beauftragt habe kann ich ihnen mit gutem Gewissen sagen. Erstens bin ich von dem Unternehmen gewohnt, dass ich von dem genauso prompt und korrekt, wie selbstverständlich bei anderen auch, bedient werde. Nur von diesem Unternehmen ist mir kein einziger Fall von Indiskretion bekannt geworden, was aber bei den meisten anderen Unternehmen der Fall ist. Das dürfte wohl daran liegen, dass Taxifahrer auch nur Menschen sind und darunter immer wieder welche sind die gerne tratschen. Das dürfte bei Türken, die keine besseren und insbesondere keine schlechteren Menschen wie wir sind, genauso sein wie bei Deutschen oder Amerikanern. Aber deutsche und türkische Taxifahrer tratschen in unterschiedlichen Kreisen ... und die türkischen Kreise wollen wir in unserer Gesellschaft nicht wahrgenommen haben. Somit stellt sich meine Entscheidung für Taxi Löffler als richtig da. Was nun das Zusammentreffen von Angehörigen des afghanischen und des amerikanischen Volkes anbelangt, kann ich nur sagen, dass ich nicht vorausahnen konnte, dass es zunächst zu einem solchen, jederzeit beidseitig nachvollziehbaren Vorfall kam. Ausgerechnet mussten Männer, die ihre Geschwister durch die jeweils andere Seite verloren haben, obwohl sie beide nichts mit der eigentlichen Sache zutun haben, aufeinander treffen. Sicher hat deren persönliches Schicksal die Emotionen und das Geschehen im Taxi hochgespult. Aber das haben beide ehrlich eingesehen und sie haben sich letztlich sogar versöhnt und haben sich dann gut miteinander verstanden. Es ist ja leider auf unserer Welt so, dass die Kleinen das ausfressen müssen was die Großen machen. Die ‚kleinen’ Amerikaner haben halt das Auszubaden was Ölmagnaten wie die Bush und andere machen. Mit ihrem neuerdings Globalisierung genannten Dollarimperialismus bringt das amerikanische Kapital Ungerechtigkeit und Hunger in die Welt ... und auf ihrem Trittbrett fahren wir, die uneingeschränkt solidarische Nation. Hunger und Ungerechtigkeit führen erstens zu Hass und zweitens dazu, dass Rattenfänger wie Lenin, Hitler, Osama Bin Laden eine Gefolgschaft bekommen. Wenn diese Gefolgschaft dann Anschläge gegen die Symbole dieser ihnen verhassten westlichen superreichen Welt, wie es das World Trade Center nun mal war, ausüben, dann sind die Opfer halt Amerikaner, Menschen die nichts weiter wollen als normal und glücklich leben. Wenn im Gegenzug Vergeltung geübt wird, dann sind die Opfer halt Afghanen, Menschen die ebenfalls nichts weiter wollen als normal und glücklich leben. Für die amerikanischen Opfer wurden hier Gedenkshows veranstaltet aber wo fanden denn die für die afghanischen Opfer statt. Wir können doch jetzt nicht in Schuldige und Unschuldige einteilen. Schuldige waren nicht unter den Opfern; hüben wie drüben haben die Opfer nichts mit den Zuständen auf dieser Welt zutun.“. Meine Gegenrede hatte Benfer auf Einhundertachtzig gebracht und er wetterte jetzt: „Sie haben mir mit dem Staatsanwalt gedroht und ich drohe ihnen jetzt mit dem Arbeitsamt. Ihnen ist doch klar, dass sie mit dem Outing ihrer linksextremistischen und Islamisten freundlichen Ansicht die Vertrauensbasis zwischen der Geschäftsleitung und ihnen selbst fast restlos zerstört haben. Natürlich könnte ich ihnen jetzt postwendend kündigen aber ich will mir angesichts ihrer langjährigen Tätigkeiten in unserem Hause übers Wochenende überlegen ob wir noch eine anderweitige Aufgabe, bei der sie keinen Schaden anrichten können, haben. Und jetzt gehen sie ... am Besten gleich nach Hause; ich möchte sie heute nicht mehr unter die Augen bekommen.“. Als ich hinausging war mir klar, was mir bevorstand: Kündigen würde er mich sicherlich nicht, da es bei einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht besten- und schlimmstenfalls zu einem Vergleich, der dem Unternehmen ein paar Euro mehr kostet, als er für mich zugeben bereit ist, kommen würde. Also würde er mir eine sozialbegründete Änderungskündigung in die Hand drücken. Gehe ich dagegen an und unterliege ich dann vor dem Arbeitsrichter wird ja bekanntlich aus einer Änderungskündigung eine justiziabel abgesegnete Kündigung. Obsiege ich aber geschieht das, was auch passiert wäre wenn ich nicht klage: Man weist mir eine Aufgabe, durch die ich gedemütigt und verletzt werde zu – und den Rest erledigen die Mobber, die durch diese Maßnahme so sicher wie das Amen in der Kirche, auf den Plan gerufen werden. Meine Zukunft in den Unternehmen scheint sich in meine Vergangenheit zu wandeln. Ohne ein bestimmtes Ereignis des Wochenendes wäre es mit Sicherheit so gekommen wie ich es mir gedacht habe. Aber ein Anruf von Miss Wolters, der mich am Spätnachmittag in meiner Wohnung erreichte, gab der Angelegenheit noch einmal eine dramatische Wende. Miles Tochter rief mich an weil ihr Vater das Bedürfnis hatte den Taxifahrer vom Vortage, gebenenfalls mit Gattin, zum Dinner, wenn es geht sogar am gleichen Abend, einzuladen. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, was sie tatsächlich an Benfer weitergegeben hatte. Zunächst hatte sie nur des Vaters grippalen Effekt auf den Schauer, in dem wir geraten waren, zurückgeführt. Auf Benfers Frage wie Miles denn in den Schauer geraten konnte hat sie ihm die Geschichte, so wie sie diese von ihrem
Vater kannte, wiedergeben. Sie wusste, dass ihr Vater mal ein „zünftigen deutschen Bierabend“ erleben wollte und mich daher um Begleitung gebeten hatte. Dann hat sie in Kurzfassung die Geschichte mit dem Taxifahrer wiedergeben. Sie hat dabei auch gesagt, dass ihr Vater die Schuld in seiner ursprünglichen emotionalen Überreaktion suche – das war auch jetzt sein Grund für die eben beschriebene Einladung - und auch vom sehr versöhnlichen Ausgang, der ihren Vater mit einem sehr guten Gefühl gefüllt hatte, konnte sie berichten. Jetzt verstand ich Benfer überhaupt nicht mehr, denn seine rassistische Attacke lässt sich damit wohl kaum begründen. Ich versprach am Telefon mich umgehend um die Einladung zu kümmern. Gab dabei aber auch meine Bedenken kund: Laut meines Wissens beachten Muslims nicht nur das mosaische Schweinefleischverbot des Alten Testamentes, dass im Koran bekräftigt wurde, sondern meiden auch Geschirr und Besteck was mit Schweinefleisch in Berührung kam. Meistens wandeln Muslims deshalb eine Einladung in eine Gegeneinladung um oder danken und entschuldigen sich höfflich. Noch eins galt es einzukalkulieren: Von Freitagabend 18:00 Uhr bis zum Samstag um die gleiche Zeit ist der jüdische und islamische Sabbat, zu dem die Muslime zum Freitagsgebet in die Moscheen gehen. So müsse man mindestens damit rechnen, dass Miles Wunsch ob es eventuell noch am gleichen Abend ginge, wahrscheinlich nicht erfüllt werden könnte. Na ja, zum besseren Verständnis des anderen gehört immer, dass man auch deren Sitten und Gebräuche kennt und akzeptiert. Aber nichts desto trotz rief ich bei Yilmaz an, um mich nach dem Taxifahrer, dessen Namen ich nicht kannte, zu erkundigen. Herr Yilmaz versprach mir sofort, das sich Saleem Akbuluto, so der Name des Fahrers, bei mir melden würde. Ich brauchte noch nicht einmal eine Viertelstunde zu warten bis ich Saleem an der Strippe hatte. Fast hätte ich Bauklötze gestaunt, denn Saleem nahm, auch für seine Frau, ohne Umschweife für den gleichen Abend die Einladung ins Hotel an. Am Abend, als es soweit war, gab es noch mehr Überraschungen. Mit Saleem erschien eine blonde, nach meinem Geschmack gutaussehende Frau. Katharina Akbuluto ist eine gebürtige Deutsche und vom Beruf evangelische Religionslehrerin. Beim Bestellen des Essens gab es die Überraschung Nummer Drei. Saleem bestellte für sich Schweinslendchen. Er sah es unseren Gesichtern an, dass wir jetzt auf eine Erklärung warteten und lieferte uns die Überraschung Nummer Vier: „Sie glauben wohl ich sei Muslim. Das war ich auch mal ... als solcher wurde ich geboren. Ich bin auch beschnitten und nicht getauft aber mit dem Islam habe ich nichts mehr zutun. Das verdanke ich meinem Studium. Ich habe an der University of California in Santa Barbara vergleichende Religionswissenschaft studiert. Nach meiner Auffassung ist die ausschließliche Tatenbezogenheit, den sich der Islam übrigens in sehr starkem Maße mit dem Katholizismus und in gewissen Maße auch mit den Lutheranern teilt, falsch. Ich glaube, dass der Apostel Paulus recht hatte, als er im Römerbrief, Kapitel 4, schrieb, dass sich Abraham, den die Moslems übrigens Ibrahim nennen, sich seiner Taten rühmen könne; aber nicht vor Gott. Vor dem zählt allein der Glaube. Außerdem finde ich das Leugnen des Heiligen Geistes einen Irrglauben. Keine Religion der Welt ist endgültig und perfekt, so wie es der Islam von sich behauptet ... aber allein Selig machende Kirchen gibt es ebenso wenig. Nichts ist ausschließlich und unveränderlich; Mohamed war nicht das siebte und letzte Siegel Gottes sondern der Heilige Geist lebt und regiert in uns allen bis ans Ende aller Tage. Das sind ja die wesentlichen Unterschiede zwischen Christentum und Islam. Dass dieser Unterschied im Anerkenntnis von Jesus Christus läge, ist eine, auf Falschinformation beruhende, Falscheinschätzung der Christen. Eindeutig erklärt der Koran, dass der von einer Jungfrau namens Maria geborene Jesus der Messias ist und uns das Evangelium, das Wort Allahs, gebracht habe. Der Koran sagt eindeutig das Jesus, nach dem Allah ihn von den Toten erweckt hat, bei Ihm ist und am Gerichtstage wiederkommt um diejenigen, die im Islam sind, zu Allah zuführen. Lesen sie mal in einer deutschen oder englischen Übersetzung die dritte Sure „Im Hause Imram“ ... sie werden dahingehend richtig staunen. Man hat allerdings im Koran aus Gottes Sohn einen Gesandten, der, wie Adam, der aus einem Staubkorn geschaffen worden sein soll, von Gott geschaffenen wurde, gemacht. Der Grund für das Leugnen der Trinität ist aber nicht in dem Sohn sondern im Heiligen Geist zusuchen. Mohamed nennt sich im Koran den Bestätigter von Moses, von dem die Thora ist, und von Jesus, von dem das Evangelium, das Wort Allahs ist. Er wollte dieses praktisch einzementieren und nicht zulassen, dass es durch neue Offenbarungen, sprich durch den Heiligen Geist, verändert wird. Ich für meine Person habe aber während meines Studiums die Offenbarung durch den dreieinigen Gott erfahren und mich aus tiefer Überzeugung vom Islam losgesagt.“. „Dann sind sie also hier, weil sie als Christ unter Christen leben wollen?“, wollte Miles Tochter jetzt wissen. „Aber nein,“, setzte Saleem, mit dem wir anschließend übrigens das Du vereinbarten, fort, „ich liebe meine Heimat und wäre gerne in Afghanistan geblieben. Aber ich habe entsprechend des Missionsbefehls aus meinem Glauben keinen Hehl gemacht. Meine ums Leben gekommene Schwester konnte ich übrigens auch zu Jesus Christus bekehren. Die hat nur ihres Lebens halber nach Außen weiter Muslimin gespielt. Mir drohte aber die Scharia, die auf den jüdischen Leviten beruhenden Gesetze und Gerichtsbarkeit des Islams. Auf Mission für das Christum und auf Ehebruch steht die Steinigung. Da bin ich in meiner Todesangst einfach abgehauen. Mein ganzes Geld habe ich an eine Schlepperbande gegeben. ... Aber nicht schlimm, das war sowieso schmutziges Geld, denn es stammte aus dem Opiumanbau meines Großvaters, durch das mir allerdings auch mein Studium ermöglicht wurde. Das dieses seit über hundert Jahren in Afghanistan, nach dem die herkömmlichen Strukturen von den britischen Kolonialisten zerstört worden waren, die einzigste Möglichkeit ist aus totaler Armut zu kommen sage ich nicht zur Entschuldigung sondern ist jetzt nur eine Tatsachenwiedergabe. Dann in Deutschland
angekommen wurde ich nicht gerade nett behandelt. Für die Deutschen war ich ein Scheinasylant, der nur deren Geld wollte. Als Asylant konnte ich nicht anerkannt werden, da nur politische und nicht religiöse Gründe zählen ... und zudem war ich illegal eingereist. Drohende Steinigung ist offensichtlich für Deutsche kein Grund zur menschlichen Nächstenliebe. Dank Katharina, die mich ehrlich erst nur geheiratet hat, damit ich hier bleiben konnte, ist mir die Abschiebung in den Tod durch Steinigung erspart geblieben. Sie ist wahrhaftig eine Christin und wir haben uns auch sehr schnell im wahrsten Sinne des Wortes ineinander verliebt. Inzwischen hat Gott unsere Liebe durch zwei nette Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, gesegnet. Die sind jetzt bei der Oma, also bei meiner Schwiegermutter, eine ebenfalls überaus fantastische Frau.“. Jetzt hatte ich doch noch eine Frage: „Sind sie denn bei den Beruf als Taxifahrer glücklich, wo sie doch eigentlich Religionswissenschaftler sind?“. „Ach, was soll ich denn machen?“, seufzte Saleem, „Man lässt mich ja gar nichts machen. Ich beschäftige mich mit religionswissenschaftlicher Schriftstellerei aber glauben sie, dass es nur einen einzigen Verlag gibt, der sich für meine Arbeit interessiert. Alle Lektorate, deren Anschrift ich ausfindig machen konnte, habe ich angeschrieben und bekam meine Manuskripte nach kurzer Zeit mit sich ähnelnden Schmusebriefe wieder zurück“. Darauf wollte ich ihm noch einen Tipp geben: „Da bin ich jetzt beim Surfen auf eine Homepage mit der Adresse http://www.reiner-vial.de gestoßen. Die betreibt ein christlicher, gesellschaftskritischer Autor, der dort seine Romane zum kostenlosen Download anbietet. Wie er mir einmal in einer Email schrieb bedeutet ihm, der mal mit einer Firma pleite gemacht hat, wirtschaftlicher Erfolg durch seine Romane so gut wie nichts. Auf die möglichen Honorare würden sich ohnehin nur die Geier stürzen. Ihm ist es wichtig in einer breiten Öffentlichkeit zur Meinungsbildung und Diskussion anzuregen. Er versteht darunter eine Art Mission. Wären denn so etwas nichts für sie?“. Saleem fand den Tipp gut und wollte sich die Seite dieses Reiner Vial einmal ansehen. Nach einer persönlichen Runde, bei der es zur bereits erwähnten Du-Vereinbarung kam, schritt jetzt Miles zu einem Bekenntnis was mich ebenso überraschte wie die des Saleem. Er führte alle Übel dieser Welt auf einen gnadenlosen Verteilungskampf zurück. Die natürlichen Ressourcen, wie zum Beispiel Öl, würden immer knapper und wahrscheinlich schon in diesem Jahrhundert ausgebeutet sein. Es ständen immer weniger Anbauflächen zur Ernährung von immer mehr Menschen zur Verfügung. Bald käme man nicht umhin den Regenwald in landwirtschaftliche Nutzfläche umzuwandeln. Mit der unausweichlichen Folge von Klimakatastrophen und das sich solche Dinge wie Kohle und Öl nie mehr auf dieser Erde bilden könnten. Da müssten wie eigentlich inne halten und unsere Ansprüche etwas oder gar erheblich zurückschrauben. Zumal wir das noch Vorhandene auch noch so aufteilen müssten, dass wir alle satt werden und in Frieden leben könnten. Aber keiner wolle von dem was er einmal hat etwas abgeben, auch nicht des Überlebens seiner Kinder und Enkel willen, sondern man wolle immer mehr. Zuwachs hätten sich die Leute, die schon ohnehin viel mehr hätten als sie zum Leben brauchten, auf die Fahne geschrieben. Unter dem Stichwort „Globalisierung“ habe man sich eine Ideologie zusammengeschrieben, mit der man die Zerstörung der Welt noch mit Humanisierung und Demokratie schmücke. Er glaube aber fest daran, dass Gott diese Welt nicht untergehen lassen würde und verglich die Globalisierung mit dem Turmbau zu Babel. Miles ist überzeugt davon, dass Gott diesen Turm einstürzen lassen wird und dass er die Sprache der Menschen verwirren wird, damit der Eine nicht dem Anderen verstehe. Seiner Auffassung nach ist diese alttestamentliche Geschichte ein Gleichnis auf die heutige Zeit und modernes Denken. Dann gibt es seiner Meinung nach einen Neuanfang aber die Welt wird nicht untergehen. Hier stimmten ihm Saleem und Katharina dahingehend zu, dass das auch der Verheißung in der Bibel entspräche. Abschließend erzählte er uns noch, dass er oft mit seinem Bruder darüber gesprochen habe wie man ohne Revolution, Weltwirtschaftskrisen oder Katastrophen zu einer besseren Welt kommen könne. Wenn ich diesen Abend Résume passieren lasse, stelle ich erschrocken fest, dass die beiden Opfer der jeweiligen Attacken grundsätzlich die Falschen waren. Sandy Wolters war nicht der typische Vertreter des westlichen Neoliberalismus gegen die sich der Hass der ausgebeuteten Welt, die sich der Rattenfänger Osama Bin Laden zum Werkzeug gemacht hat, richtete. Und die getötete Schwester von Saleem war beim besten Willen keine Anhängerin der fanatisierenden Islamisten sondern sie war im Herzen, wie ihr Bruder, eine Christin. Krasser konnte es wohl nicht kommen. Was für mich dahingehend auch erstaunlich ist, dass Miles und Saleem, wo sie doch in ihren Positionen so nahe beisammen sind, sich im Taxi so in die Haare kriegen konnten und in ihrer Auseinandersetzung die Position ihrer vermeintlich jeweiligen Seite vertraten. Wo liegt da die Logik? Die Frage kann man insgesamt stellen. Antworten dürfte man aber nur finden, wenn man aufeinander zugeht und miteinander spricht, auch mit sogenannten Schurken. Vollständig von beiden Seiten, einschließlich der Zwischennuancen, betrachtet sieht alles anders aus. Dann muss man Gut und Böse neuzuordnen beziehungsweise kann man dann keiner Seite eines von den beiden Prädikaten zuschreiben. Ziemlich zum Schluss des Abends kam es dann zu einer Begebenheit, die dann ungewollt zum endgültigen Aus eines Kümmerers führen sollte. Miles war aufgefallen, dass ich gegenüber sonst sehr ruhig war und einen bekümmerten Eindruck vermittelte. Dieses obwohl der Abend, bei der Miles und Salem die Anschriften austauschten und sich gegenseitig versprachen Kontakt zu halten, doch ein schöner Anlass war. Ich sagte Miles,
dass ich ihm dieses unter vier Augen sagen wollte, worauf er mich gleich auf sein Zimmer bat. Ich erzählte ihm dann vollständig was am Mittag in Benfers Büro gelaufen war. Miles sagte mir, dass er persönlich noch nie viel von Benfer gehalten habe. Zu Zeiten des von Verden wäre doch alles besser gewesen. Miles stellte Benfer als so eine Art „Arschkriecher“, von dem aber selbst nichts Brauchbares käme, da. Benfer habe ihn für Sonntag in sein Haus eingeladen und bei der Gelegenheit wollte Miles dann ein Wort für mich einlegen. Notfalls wolle er ein Wenig andeuten, dass die Geschäftsbeziehung zwischen seiner und unserer Firma im hohen Maße von ihm abhänge und diese wollte er dann in so eine Art von Abhängigkeit zu mir stellen. Er war zuversichtlich, dass seine Rechnung aufgehen würde und ich übernahm diese Zuversicht selbstverständlich gerne. Dadurch kam ich dann zu einem einiger Maßen angenehmen Wochenende. Meine Hoffnungen sollten sich aber mehr als trüben. Als ich am Montagmorgen so gegen Neun ins Büro kam wurde ich gleich zu Benfer zitiert. Wieder gab es die gleiche Sitzordnung wie am Freitag. Aber an diesem Tag standen zwei Sessel an der Schreibtischfront. Auf den einen hatte bereits unser Personalchef Platz genommen. Bevor ich mich auf den freien Sessel setzte reichte ich wie bisher immer üblich Benfer erst einmal die Hand zum Gruße. Die wurde mir aber recht schnippisch verwehrt. An dem bösen Blick in Richtung des Personalchefs wurde mir signalisiert, dass ich auch dessen Begrüßung zu unterlassen habe und gar nicht erst versuchen solle. Umgehend nach dem die Situation klargestellt war begann Benfer mit dem, was er mir zu sagen hatte: „Herr Schrieber, ich habe sie doch am Freitag eindeutig gewarnt. Statt über ihre Situation nachzudenken bringen sie das Fass zum Überlaufen. Wie können sie nur Treffen zwischen unseren amerikanischen Freunden und extremistischen Islamisten arrangieren. Nicht genug damit, dann plaudern sie noch interne Vorgänge gegenüber unseren Geschäftspartnern aus. Oder bin ich da falsch informiert, dass sie am Freitag an einem Treffen zwischen Mister Wolters und diesem afghanischen Taxifahrer teilgenommen haben und bei der Gelegenheit Mister Wolters um eine Fürsprache für sich gebeten haben?.“. Ich wollte die Angelegenheit richtig stellen, wurde aber bereits nach dem dritten Wort abgewürgt. Es hatte also keinen Zweck; mein Abschuss war also eine bereits beschlossene Sache. Formal sprach mir Benfer jetzt die außerordentliche Kündigung aus. Ich wurde aufgefordert zusammen mit dem Personalchef in mein Büro zugehen und aus dem meine privaten Sachen zu entnehmen. Anschließend sollte mich mein Begleiter zum Pförtner führen. Diese Maßnahme wäre, laut Benfer, notwendig, da ich ab sofort Hausverbot hätte. Da wurde ich dann nach 31 Jahren praktisch wie ein Verbrecher aus dem Hause geführt. Der eigentlich Grund für diese „Spinnerei“, wie ich es mal bezeichnen möchte, lag wohl darin, dass ich nicht mehr mit Miles zusammentreffen sollte. Das lässt sich auch daraus schließen, dass der Personalchef, bevor wir losgingen, sich telefonisch beim Pförtner erkundigte ob Mister Wolters bereits im Hause wäre. Was sie dabei nicht bedacht hatten war, dass Monica, Miles Tochter, zusammen mit ihrem Vater gekommen war. Benfer hatte ihr am Vortag versprochen ihr einen Mitarbeiter, der ihr mal mit einem Firmenwagen die Gegend zeigen sollte, abzustellen. Auf diesen wartete Monica also jetzt beim Pförtner und als sie mich sah, glaubte sie ich sei dieser Mitarbeiter und kam freudig auf mich zu. Ich war es nicht sondern ein, zu Monica etwa gleichaltriger Sachbearbeiter aus der Exportabteilung. Diese Entscheidung Benfers konnte ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Der Glaube des Mannes, dass er ein unwiderstehlicher Frauenheld sei, war ja hinreichend in der Firma, auch bei der Geschäftsleitung, bekannt. Er war auch bereits wegen sexueller Belästigung einer Mitarbeiterin im Schreibbüro abgemahnt worden. Was war nur in Benfer gefahren gerade diese Type auf Monica loszulassen. So kam es wie es kommen musste, Benfer konnte an diesem Tage seine zweite außerordentliche Kündigung aussprechen und ich konnte Monica mit meinem Privatwagen von einem etwa 50 Kilometer entfernten Rastplatz abholen. Der Knabe war mit Monica in einen, nahe diesem Rastplatz liegenden Waldstück gefahren. Dort verlangte er von ihr, dass sie das, was ihre Namenscousine bei ihrem Expräsidenten gemacht habe, auch bei ihm mache. Während seines Antrages hatte er bereits „ausgepackt“. Monica floh aus dem Wagen und lief einfach gerade aus bis sie auf diesen Rastplatz traf und von diesem ihren Vater in der Firma anrufen konnte. Benfer konnte nicht verhindern, dass Miles mich anrief um mich zu bitten seine Tochter abzuholen. Ganz eindeutig hat Miles zu Benfer gesagt, dass er ihm nun nicht mehr trauen könne aber ich sein vollstes Vertrauen besäße. Dieses auch als Wink mit dem Zaunpfahl, dass Miles kein Verständnis für Benfers Vorgehen gegen mich hatte. Während die junge Dame bei mir im Wagen saß erfuhr ich, was am Vortage im Hause Benfer gelaufen war. Auch unsere Firma gehört zu den Opfern des 11. September. Unsere Kunden im Bereich der EDV sind in erster Linie Versicherungen und Banken. Bekanntlich sind die Flugzeuge am 11. September nicht nur in das World Trade Center geflogen sondern auch in die Träume der Finanzwirtschaft. Deren Konsequenz hieß unter anderem Investitionszurückhaltung. So hatte unser Unternehmen einen Umsatzeinbruch von zirka 22 Prozent zu verzeichnen. Und das bei dem Hintergrund enormer eigener Investitionen in den beiden Vorjahren, durch die jetzt die Finanzbasis unseres Unternehmen zum Reißen dünn geworden war. Hinsichtlich der bevorstehenden Jahreshauptversammlung zitterte Benfer jetzt um Konsequenzen, insbesondere für ihn persönlich. Daher war er zu Miles, in der Hoffnung auf amerikanische Hilfe, geeilt. Aber Miles konnte ihm auch nicht helfen, da die
Amerikaner vor ähnlichen Problemen wie unsere Firma stehen. Daher kann man Benfers Hass auf alles, was annähernd nach Sympathisant der Attentäter aussieht, nachvollziehen. Seine fiesen rassistischen Äußerungen und sein flegelhaftes Verhalten mir gegenüber vermag ich aber beim besten Willen nicht damit zu entschuldigen. Unter diesem Umständen waren von vornherein alle guten Worte seitens Miles zu meinen Gunsten natürlich vergebliche Liebesmühe. Mir wird wahrscheinlich nichts anderes bleiben als mich in der Truppe, die, wie ich schon anfangs schrieb, von gewissen Leuten als Faulenzer abqualifiziert wird, einzureihen. Somit bin auch ich in indirekter Weise ein Opfer des 11. Septembers geworden. Aber davon geht die Welt nicht unter und es wird bis zu dem Zeitpunkt, wo wirklich alle Lichter ausgehen, noch viele solcher Ereignisse geben. Immer wieder wird es Schurken und andere Opfer geben. Immer wieder wird ein Ereignis der Auslöser für das andere sein. Wann werden die Menschen endlich verstehen, das alles nur mit gegenseitigen Verstehen und mit Gesprächen zu lösen ist. Wann werden wir verstehen, dass man alle Seiten und Nuancen beachten muss. Bei der Betrachtung eines 1Euro-Stückes muss man nicht auf Adler oder Eins sondern auf Adler und Eins achten.
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Fromme und richtige Gläubige Unter uns Menschen gibt es solche und solche. Und es gibt einen Horst Peter Pollmann, der immer dann, wenn er glaubt Glück zu haben, in der Regel mächtig auf die Nase fällt und umgekehrt, wenn er glaubt „So eine Sche...“ sagen zu müssen, er weist es sich als der absolute Volltreffer. Was, Sie kennen diesen besagten Horst Peter Pollmann nicht? Dann wir es aber Zeit ihn kennen zu lernen. In dieser Erzählungen bekommen Sie ausreichend Gelegenheit dazu, denn HPP, wie ich es mal kurz halten möchte, bin nämlich ich, meines Vaters Sohn. So viel zu meiner ersten Vorstellung, die hoffentlich sehr salopp klang. Dieses „hoffentlich“ ist durchaus angebracht, denn eigentlich gehöre ich zu einem in der Regel ernsthafteren Menschentyp, der ein gutes Buch oder eine ernsthafte Sachdiskussion gegenüber lockeren Unterhaltungen und Amüsements bevorzugt. Denn, man wird es bei der soeben vernommenen Eröffnung kaum glauben, liegen meine Lieblingsthemen im Bereich, Religion, vergleichende Religionswissenschaft und Philosophie. Und dieses wurde mir in dem Dörfchen Freudenweiler beinahe zum Verhängnis. Aber alles der Reihe nach, zum besseren Verständnis muss ich erst mal meine Vorgeschichte erzählen. Na ja, meinen kompletten Lebenslauf möchte ich, der am 27. November 1946 geboren wurde, hier nicht loswerden und deshalb springe ich gleich mal in das Jahr 1965 als ich gerade mit Hängen und Würgen mein Abitur erhascht habe. Ich war eigentlich nie ein schlechter Schüler, eher das Gegenteil, aber am Ende sackte meine Bildungsmotivation immer tiefer ab. Das mag an meiner jugendlichen Denkweise, dass ich ohnehin Offizier bei der Bundeswehr werden würde und das man dazu keinen Numerus Clausus überwinden muss, gelegen haben. Schon kurz vor dem schulischen Endspurt hatte ich beim Kreiswehrersatzamt laut „Hier“ gerufen und hatte unmittelbar nach der sogenannten Reifeprüfung tatsächlich schon meinen Einberufsbescheid in der Tasche. Eingangs schrieb ich ja, dass ich alles das, was ich erst für Glück halte, später als einen Reinfall ausbaden muss und umgekehrt. So war es auch mit meiner Einberufung. Sie kam fristgerecht, unmittelbar zum nächstmöglichen Termin nach dem Abitur und dann noch in eine, in unserer Nachbarstadt gelegenen Kaserne. So hatte ich, der ich mich schon wie ein zukünftiger General fühlte, bis zum 1. September 1965 richtige Hochund Glücksgefühle, die sich dann in ganz etwas anderes verkehrten. Die Schlamm- und Bodenkunde, die militärische Denkweise und der doch etwas vulgäre Umgangston und –stil bei Deutschlands grauen Haufen war nicht gerade das, was ich mir erträumt hatte. Und auch die „Kaserne im Nachbarort“ entpuppte sich als Flop, denn gleich nach der drei Monate dauernde Grundausbildung versetzte man mich in einen über 300 Kilometer von meinem Heimatstädtchen entferntes Örtchen. Aber ich biss die Zähne zusammen und blieb eisern bei meinen Vorsatz einer Offizierslaufbahn. Augen zu und durch – aber das fast ein ganzes Leben lang? Dann, als ich etwas über einem Jahr bei der „Firma, die Sicherheit produziert“ war gab es ein Ereignis, das ich ursprünglich mit: „So ein Mist, so etwas passiert immer nur mir“ kommentierte und was sich dann als das, was meinem Leben die entschiedenste positive Wende geben sollte, herausstellen sollte. Zusammen mit zwei anderen Kameraden hatte ich mich auf den Weg gemacht um „heiße Weiber aufzureißen“, wie man früher in der Vulgärjugendsprache, die insbesondere auch von den Jungs vom Bund gepflegt wurde, hieß. Da gingen wir in eine sogenannte Snakbar namens „Top Ten“. Da saßen dann auch gleich drei Miezen, die wir aufreißen konnten, am Tisch. Zwei waren so „richtige steile Zähne“, wie wir damals sagten, und die Dritte machte einen doch recht ordentlichen aber, so sah ich es erst, recht durchschnittlichen Eindruck. Wie es kommen musste so lief es auch ab. Meine Kameraden waren im Nu mit den „heißen Weibern“ zur Lustentladung verschwunden und ich saß mit der „Durchschnittlichen“ allein am Tisch. Allerdings muss ich der Wahrheit aber auch meines Friedens halber sagen, dass ihre Durchschnittlichkeit wohl eher nur auf die, auf meine Läufigkeit zurückzuführenden Zielvorstellungen, beruhte. Die mit den Mitteln der Kosmetikindustrie durchgestylten beiden anderen Damen, die ganz augenscheinlich und sogar riechbar mit gleichen Gelüsten wie wir ausgezogen waren, schienen eher das zu sein, was unsere Begierden in Erfüllung hätte gehen lassen können. Die mir verbliebende Dame machte dagegen doch eher einen diesbezüglich zurückhaltenden, seriösen Eindruck. Ihr sah man auf den ersten Blick an, dass sie offensichtlich nur in Begleitung der ihr scheinbar bekannten Betthäschen erschienen war aber man sie selbst nicht so ohne weiteres und nicht so schnell wie ihre Freundinnen in ein Bett bekommt. Als lüsterner Knabe übersieht man bei einer solchen Betrachtungsweise schnell natürliche und in keiner Weise herausgeputzte Schönheit. Naturschönheiten haben es nicht nötig sich nach dem Vorbild der Damen von seichten Fach der Bühne und des Fernsehen, also der Liedchenträllerinnen von Schlager, Pop und Rock sowie der Serienware, heute würde man Soap-OperaDarstellerin sagen, kosmetisch uniformieren zu lassen. Wenn man nicht auf Frauen sondern auf einschlägige Lustobjekte aus ist, bevorzugt man halt so etwas wie übernatürliche Kunstblondinen gegenüber solchen Damen mit lockerem natürlichen brünetten Haaren, freundlichen braunen Augen, zum Anbeißen glatter Haut und weiblicher, schlanker Figur, wie sie diese Dritte im Top Ten hatte. Ach, was schreibe ich lange um den Brei herum. Die junge Dame war in Wirklichkeit sehr schön aber beim besten Willen nicht das, was ich eigentlich erwartet hatte; ich war ja nur auf Sex aus und so einfach drauf und kaputt schien nicht die Lebensart dieser Dame
zu sein; die dürfte doch mehr Ansprüche ans Leben stellen als nur Dabeisein. Jetzt saß ich mit der schönen jungen Dame, die sich mir als Cornelia vorgestellt hatte, am Tisch und wusste nicht worüber ich mich mit ihr unterhalten sollte. Nach meinem ursprünglichen Vorsatz waren ja vulgäre Floskeln eingeplant aber damit hätte ich Cornelia mit Sicherheit verjagt. Zum Glück war sie aber eine sehr charmante Unterhalterin und rette die Situation und wir konnten recht nett miteinander plaudern. Alles in Allem war es dann doch bis kurz vor Zehn recht nett mit ihr im Top Ten. Dann erklärte sie mir jedoch, dass sie um Viertel nach Zehn zuhause sein müsse, da sich ihre Mutter sonst Sorgen mache und im Übrigen müsse sie auch am nächsten Morgen schon im Kindergarten, wo sie ihr Anerkennungsjahr als Erzieherin absolviere, sein. Sie bot mir an, dass ich sie nach Hause begleiten dürfe. Na ja, das machte ich jetzt so gar sehr gerne, da ich zunehmendst Gefallen an ihr fand. Vor ihrer Haustür überkam es mich dann aber doch. Ich riss sie mit dem rechten Arm an mich, meine linke Hand legte ich dort wo sich ihr Busen befindet auf ihren Pullover und wollte sie küssen. Mann, was habe ich da für eine Ohrfeige kassiert. Nach einem weitausholenden Schwung landete ihre flache Hand auf meiner ungeschützten Wange. Es schien also aus zu sein bevor es begonnen hatte. Das reute mich aber und in der Nacht sowie am Folgetag doch sehr stark. Alle meine Gedanken drehten sich darum, dass ich meinen Fehler gerne wieder gutmachen würde. Da wurde ich plötzlich zum Kavalier aus meines Opas Zeiten. In einem Blumenladen kaufte ich einen dicken, teueren Blumenstrauß mit dem ich zu dem Mietshaus wo sie wohnte zog. Als ich vor der Haustür stand kam mir dann schreckhaft in den Sinn, dass ich wohl ihren Vornamen aber nicht ihren Nachnamen kannte. Wo sollte ich jetzt schellen? Aber sie half mir selbst aus der Klemme. Sie kam „rein zufällig“ aus der Tür raus, blieb vor mir stehen und fragte „Wolltest du zu mir, Horst?“. Später verriet sie mir, dass sie mich mit den Blumenstrauß hat kommen sehen und da sie sich, trotz des Vorfalles vom Vorabend, irgendwie in mich verguckt hatte, provozierte sie daraufhin den Zufall. Sie gestand mir später auch, dass sie darauf gewartet hat und schon daran dachte, in der Hoffnung mich wieder zu treffen, auch an diesem Tage ins Top Ten zugehen. Da sie mir dieses alles später gestanden hat ist wohl klar, dass wir danach miteinander gegangen sind – wie man so schön sagt. Und wie sie mit mir gegangen ist: Ein Jahre später zum Standesamt und in die Kirche, zwei und drei Jahre später zur Taufe unserer Kinder Sabine und Thomas, in dem Jahr als unser Jahre geboren wurde zurück mit mir in meine Heimatstadt und vor anderthalb Jahren auch in das Dörfchen Freudenweiler, wo die eigentliche Geschichte von den Frommen und den richtigen Gläubigen, die ich erzählen will, handelt. Cornelia wurde also meine Frau und wir sind uns, was heute gar nicht so selbstverständlich ist, nach 35 Jahren immer noch treu. Wir sind uns treu weil wir uns immer noch lieben. Liebe verschleißt, wenn sie nicht nur auf das Körperliche abgestimmt ist, offensichtlich doch nicht. Mein Pech keine der beiden Sexwütigen abzukriegen wandelte sich also in das Glück meines Lebens. Aber nicht nur in dieser Beziehung war das, was am betreffenden Tag aus meiner damaligen Sichtweise nach Pech aussah, mein Glück. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich hinsichtlich meiner Religiosität sagen, dass ich getauft, konfirmiert und im Religionsunterricht ganz gut gewesen bin. Durch Cornelia fand ich auch meine Hobbys Religion, Religionswissenschaft und Philosophie und dadurch wiederum zum, wie ich überzeugt bin, wahren Glauben. Und dieser sollte dann auch meine Offizierslaufbahn beenden. 1969 wurde der Leutnant Horst Peter Pollmann als Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen anerkannt. Ich hatte die Untersuchungskommission davon überzeugen können, das ich wahrhaftig der Meinung bin, dass Gott im 5. Gebot auch das Töten im staatlichen Dienst, also als Soldat, Richter oder Vollstrecker von Todesurteilen verboten hat. Die Älteren unter uns wissen ja noch, dass man sich in der 60er-Jahren, wenn man den Dienst an der Waffe verweigern wollte, einer Gewissensprüfung unterziehen musste. Die alternative Frage „Bund oder Zivi“ konnte man sich damals noch nicht so ohne weiteres stellen. Auch heute gibt es noch einige Wehrdienst bejahende Politiker, die diese Prüfung, die eigentlich gar nicht möglich ist, wieder einführen möchten. Diese Prüfungen haben den Haken, dass ein intelligenter, gut ausgebildeter Mann, dem das Gewissen in Wirklichkeit überhaupt nicht zwickt aber sich gut artikulieren kann, glatt das was nicht vorhanden ist vorzutäuschen in der Lage ist. Und dagegen ist der naive, weniger gebildete, aber von seinem Gewissen schwer gequälte Kandidat kaum in der Lage sich der Gewissensnötigung durch die kriegslüsterne Obrigkeit zu entziehen. Nun, mir sagte jetzt mal so ein politischer Falke: „Für mich ist es nicht einsichtig dass sich diese Drückeberger, also die Zivis, so einfach aus ihren Pflichten gegenüber unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung herauswinden können. Natürlich haben sie recht mit der Problematik der Gewissensprüfung, aber was würden sie denn machen?“. Meine Antwort war ganz einfach aber für ihn gelinde gesagt empörend: „Wenn es nach mir ginge, würde die Bundeswehr ohne Wenn und Aber abgeschafft. Da mir dieses aber nicht durchsetzbar erscheint ... es gibt doch zu viele, die ohne die Möglichkeit von Haudrauf scheinbar nicht leben können. Deshalb lasse ich mich auf den Kompromiss, dass wir mindestens die Wehrpflicht abschaffen, ein. Das Gefasel mit der man die Wehrpflicht begründet, sind in meinen Augen bloß Wortkonstruktionen von denen, die, wenn es irgendwo ans Töten geht, nicht abseits stehen möchten.“. Dieses Gespräch fand erst in letzter Zeit statt, woran man sieht, dass ich kein Wendehals bin sondern zu den einmal gefassten Entschluss stehe. Kann man überhaupt von einer Wende sprechen? Vorher, als ich in die Bundeswehr eintrat, habe ich mir ja noch überhaupt keine Gedanken gemacht und auf was kann man von Nichts
eigentlich wenden? Meines Erachtens werden im Zuge der Wehrpflicht junge Männer vor eine Entscheidung, auf die sie nicht vorbereit sind und gar nicht übersehen können, gestellt. Leider gehen sie dann überwiegend, oft aus reiner Bequemlichkeit, den leichteren Weg, ... und zwar zum Bund. Das ist von der Masse, die immer das sagt was alle anderen sagen – auch wenn es ist, nicht so geächtet. Man brauch keinen Antrag zur Teilnahme an der Ausbildung zur eventuellen Feind- beziehungsweise Angreifertötung stellen und kommt schneller wieder nach Hause. Junge Männer mit Gewissen werden mit Längerdienen bestraft. Schlimm nur, dass man es in Militärkreisen genau anders herum darstellt; für die sind die Zivis und nicht die leichtfertig zum Bund Gehenden, die Drückeberger Ich kann ja mal kurz schildern, um was es bei der Gewissensprüfung in meinem Falle ging. Ich habe meinen Antrag mit der Begründung, das Gott im 5. Gebot das Töten von Menschen ohne Wenn und Aber, also auch in Diensten der Obrigkeit, „verböte“, gestellt. Schon von vornherein stellte ich klar, dass ich mich nicht auf das Spielchen von Vokabelübertagung und Lutherischer Übersetzung einlassen würde. Natürlich heißt es bei einer Vokabelübertragung aus dem Hebräischen sogar „Du wirst nicht morden wollen“. Aber die alten Hebräer kannten selbstverständlich noch nicht unsere heutige spitzfindige juristische Wortakrobatik, zum Beispiel: Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, Tötung und so weiter, sondern unterschieden generell und ohne Ausnahme nur „Tiere töten“ und „Menschen morden“. Da Luther aber keine Vokabelübertragung sondern eine Übersetzung vorgenommen hat, kann man ihm diesbezüglich keinen Fehler nachweisen, denn die Verfasser des Originaltextes haben mit „morden“ jede Art von Tötung eines Menschen gemeint. Die Kommission hielt mir natürlich das berüchtigte „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ vor. Ich wies sogar daraufhin, dass in der Bergpredigt, wo sie dieses Zitat gefunden hatten, nur eine recht harmlose Kurzform steht. Im vollständigen Ursprung – 2. Buch Moses, Kapitel 21 – beginnt es sogar mit „Leben um Leben“. Das Jesus in der Bergpredigt in diesem Zusammenhang gesagt hat, dass er nicht gekommen sei das Gesetz zu erneuern sondern zu bestätigen, konnte ich nur als zutreffend bezeichnen. Er sagt aber auch wie das zu verstehen ist. Im Ursprung bei Moses ging es nämlich im Grundsatz darum, dass der Mensch nicht urteilen dürfe, damit er nicht selbst von Gott verurteilt würde. Aber irgendwie mussten die Menschen ja ihr Miteinander, ihre Gesellschaft, regeln und so kam man auf das Richten im Sinne von Moderieren. Dieses ist übrigens der Grundsatz und Ursinn der islamischen Scharia, die sich nur nach Regionen und der darin vorherrschenden islamischen Konfession differiert. Nun, die Streitigkeiten zwischen Menschen, also das, was man heute unter bürgerlichen Recht abhandelt, lassen sich ja gut und salomonisch richten. Aber was ist, wenn der Mensch mit Gott in Konflikt kommt; er also gegen seine Gebot verstößt. Auch diese Sache muss ja des Seelenheils des Täters Willen gerichtet werden – es ging also nicht um Vergeltung und Genugtuung für die Opfer. Dann, so dachten sie, solle der Sünder sein Urteil selbst gesprochen haben, also Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Jesus bestätigt dieses uneingeschränkt und sagte, das man davon kein Jota wegnehmen dürfe. Er sagt aber dann ganz eindeutig, dass die Urteilssprechung und –vollstreckung nicht der Menschen sondern allein Gottes Sache ist. Wenn wir einen Mörder hinrichten werden wir selbst zu einen solchen. Laut Bergpredigt brauch wir ihn noch nicht einmal hinrichten sondern wir müssen ihm nur zu zürnen oder „Rache“ zu sagen, um das zu tun was der Herr Morden nennt. Und das gilt nach meinem Verständnis also auch für Soldaten, Richter und staatlich legitimierte Henker, zum Beispiel in den USA. Denn in der Bergpredigt hat uns Jesus gesagt was unsere Aufgabe ist: Wir sollen unsere Feinde lieben und für die beten, die uns verfolgen und nach dem Leben trachten. Nur mit Liebe ist Krieg und Zwietracht zu überwinden. Jeder Krieg, auch der gerechteste, ist der Grund für den nächsten. Hätte es auf dieser Welt noch nie einen Krieg gegeben, dann gäbe es keinen Grund einen zu beginnen – und bisher haben alle einen Grund für die Befriedigung ihrer Mordlust gefunden. Das war ja nun alles gut und schön. Aber jetzt stand ich da: 22 Jahre, verheiratet, eine neue Erdenbürgerin zur Tochter und keinen Beruf in dem ich ausgebildet war. Jetzt musste ich mich entscheiden: Trotz Familie noch studieren, was Cornelia sicherlich hundertprozentig mitgetragen hätte, eine Berufsausbildung machen oder etwas, mit dem man gleich Geld verdienen kann aber dabei immer Gefahr läuft zuerst, vor allen Anderen, vom Arbeitsplatz zum Arbeitsamt befördert zu werden. Mit dem, was ich beim grauen Haufen gelernt hatte, konnte ich Zivil wirklich wenig oder gar nichts mit anfangen. Aber bitte nicht annehmen, dass ich dann doch der Sache haderte. Nein, meine Entscheidung „Schwerter zu Pflugschare“ habe ich zu keinem Zeitpunkt angezweifelt und bin heute noch froh und stolz darüber diesen Schritt getan zu haben. Ich möchte diese, soeben getätigte Aussage, allerdings aus meiner heutigen Sichtweise, auf alles auf meinen Lebensweg generalisieren. Ich bereue heute keinen einzigen Schritt, den ich in meinem Leben unternommen habe, und auch keinem Ereignis, dass mich bisher ereilte. Aus meinem Glauben heraus sage ich, dass Gott doch letztendlich immer alles zum Besten wendete, auch wenn es anfänglich nicht danach aussah. Jetzt muss ich aber ehrlich gestehen, dass ich diese letztgenannte Einstellung nicht schon immer hatte sondern dass sich diese erst im Laufe der Jahre gebildet hat. So war ich nicht 1968, gleich nach meiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, den Schritt zum Theologiestudium, um Pfarrer zu werden, was mir in jener Zeit als traumhaft erschienen wäre, gegangen. Daraus resultiert dann auch, dass ich die Ereignisse, die zu meiner
endgültigen Berufsfindung führten, zunächst als mein Pech verstand, aber aus heutiger Sicht es als Glück bezeichnen muss. Dadurch hatte ich zeitlebens mein zufriedenstellendes Einkommen und immer ausreichend Zeit für meine Familie. Reichtum und Macht können nicht glücklich machen aber Zufriedenheit und aufrichtige Partnerschaftsbande. Mein „Berufsfindungspech“ und was daraus resultierte ist sicher mit ein Grund dafür, dass Cornelia und ich nach bald 35 Ehejahren immer noch sehr ineinander verliebt sind und unser größter Wunsch ist es, zusammen noch sehr alt zu werden. Unsere Diamantene Hochzeit im Jahre 2027, wir werden dann 80 und 81 Jahre alt sein, muss mindestens drin liegen. Der Schlüssel zum Glück ist die Zeit und die Aufgeschlossenheit, die man seinem Partner oder insgesamt seinen Mitmenschen gegenüber aufbringt. Daher kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum heutige Menschen im Konsum- und Dabeiseinswahn oder andere im Streben nach Reichtum und Macht mit Festkleben im Büro ihre verfügbare Zeit so erschlagen müssen, dass sie weder zum Nachdenken noch zu ihrem Glück kommen können. Viele machen es ja so extrem, dass man sagen könnte, dass sie bis zu ihrem Todestag noch nicht gelebt haben. Nach dieser Zwischenbemerkung aber zu meiner endgültigen Berufsfindung. Mein Vater hatte ein kleines Mietwagenunternehmen. Also bitte jetzt nicht mit Leihwagen verwechseln, Mietwagen sind sogenannte Taxis ohne Gockel. Lediglich zwei Wagen hatte er in seinem Unternehmen. Einen Mercedes 190 D und einen 9sitzigen VW-Bus aber dazu einen sehr guten Stammkundenkreis. Er machte so gut wie alles was es in diesem Geschäft gibt, das heißt Kranken-, Flughafen-, Ausflugs- und sonstige Gelegenheitsfahrten. Der einzigste feste Fahrer im Unternehmen war er selbst. In den Abendstunden und am Wochenende standen ihm, der einen sehr guten Umgang mit allen Leuten hatte, eine Reihe Aushilfsfahrer zur Verfügung. Dabei war er in der Regel aber immer zufrieden und ausgeglichen. Just Ende September 1968, kurz bevor ich mein Studium antreten wollte, bekam er einen Herzinfarkt. Statt zu studieren musste ich mir in Windeseile einen Personenbeförderungsschein besorgen. Also ich musste zum Gesundheits- und Straßenverkehrsamt, wo es erst mal galt die Behördenmühle, die in der Regel keine Ahnung von notwendiger geschäftlicher Eile hat, in Gang zusetzen, damit ich für meinen „alten Herrn“ von Oben abgesegnet einspringen konnte. Zuerst hatte ich ja die Hoffnung, dass mein Vater wieder auf die Beine käme und ich, nur um ein Semester nach hinten versetzt, doch noch studieren könne. Na ja, diese Hoffnung ging nur halbwegs in Erfüllung; er kam wieder auf die Beine und hat noch bis 1991 gelebt. Aber zwei Dinge hatten sich während seines Krankenhausaufenthaltes und der anschließenden Rehabilitationskur geändert: Vater sah ein, dass er kürzer tretender Weise ein längeres Leben haben könnte und ich hatte Spaß an seinem Job gefunden. Ich übernahm den Laden und hatte damit meine Bestimmung im Berufsleben gefunden. Im Jahre 1971 hatte der jetzt schon ältere aber immer noch, dank guter Pflege und Material schonender Fahrweise, voll einsatzfähige190 D ausgedient und ich stellte den Dienst mit Personenkraftwagen gänzlich ein. Anstelle dessen kam ein zweiter Bus, diesmal 16-sitzig, hinzu. Ein Jahr später trat an die Stelle des VW-Busses dann sogar ein richtiger Reisebus, den ich im Gelegenheitsverkehr, das heißt Schul-, Gemeinde-, Betriebsausflüge und so weiter, einsetzte, hinzu. 1976 wurde der Kleinbus durch ein Linienbus ersetzt. Im Auftrag unseres örtlichen öffentlichen Nahverkehrsunternehmen befuhr ich bestimmte Vorortlinien. Die Bedienung dieser Linie war für diese im Hinblick auf die Bereitstellung von Fahrzeugen und Personal unrentabel geworden. Jetzt muss ich nur noch berichten, was sich zwischenzeitig bei Cornelia, meiner Ehefrau, ereignete und dann haben wir den Einstieg in die eigentliche, im Dorf Freudenweiler handelnde Geschichte „gepackt“. 1975, Biene und Tommy – also unsere Kinder Sabine und Thomas – waren inzwischen in der Schule, nahm Cornelia wieder eine Halbtagstätigkeit in einer städtischen Kindertagesstätte an, woraus dann 1978 wieder eine Vollbeschäftigung wurde. 1985 wurde sie stellvertretende Leiterin in einem anderen Kindergarten des gleichen Trägers, wo sie dann 1989 zur Leiterin „aufstieg“. Zehn Jahre später, also 1999, wechselte sie dann als Leiterin in eine neueingerichtete ihres Brötchengebers. Und dort wurde sie gewaltig gemobbt. Ich habe mal gehört, dass bei Erzieherinnen und Polizisten die Mobbingneigung ausgeprägter als in anderen Berufsgruppen sein soll. Cornelia sah die Aufgabe der Kindertätigkeit in der Anleitung eigene Fähigkeiten zu entwickeln und nicht im Schühchen zubinden. Statt volles Programm vor den Kindern abzuspielen bevorzugte sie die individuelle Entfaltung der Persönlichkeiten im Freispiel. Anstelle die Kinder zu bebasteln wollte sie deren Kreativität fördern. Ihrer Meinung ist ein gemalter Kreis mit Schornstein ein Haus, wenn das Kind es so bestimmt. Statt die Kinder zu beaufsichtigen damit die Eltern dem Geldverdienen und dem Konsum nachkommen können, setzte sie auf Sozialerziehung in Zusammenarbeit mit den Eltern. Das ist in unserer Kosum- und Bedienungsgesellschaft aber nicht mehr opportun. Aus Erzieherinnen im Sinne Fröbels und Maria Montessoris sind längst Verzieherinnen im Sinne des Gottes einer nur noch passiven Gesellschaft geworden. Und so fand Cornelia natürlich der Eltern und jungen Erzieherinnen, die das, was alle sagen, auch dann für richtig halten, wenn es nach einem Nachdenken sich wie Unfug im Quadrat darstellt. Zur gleichen Zeit ging es mit meinem 2-Bus-Unternehmen kontinuierlich bergab und damit begann das Drama, dass uns dann nach Freudenweiler brachte. Im Jahre 2000 hatte ich den Gelegenheitsverkehr aufgegeben, da nur Fußballsfans zu Auswärtsspielen fahren und einmal im Jahr eine Woche eine Gemeindefahrt durchführen nicht einmal die Kosten für die Bereitstellung eines gepflegten modernen Busses rechtfertigte. Größere Unternehmen „fraßen“ mir die Wurst vom Brot. Na ja, warum habe ich auch nie an Expandieren gedacht. Zur gleichen Zeit
konnte es die arg gemobte Cornelia nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz, der längst nicht mehr dem entsprach wozu sie ausgebildet worden war, aushalten und warf letztendlich „das Handtuch“. Unsere ganze Existenz hing also jetzt an dem einen Linienbus und den Versicherungsgeldern aus der Arbeitslosenversicherung, für das Cornelia ja ein Arbeitsleben lang Prämien gezahlt hatte. Natürlich wollte meine Beste nicht zuhause rumsitzen und sah sich fleißig nach anderen Stellen um. Aber Vorort war absolut nichts zu machen. Wenn dort was zu vergeben war, bevorzugte man jüngere Verzieherinnen, die den konsumidiotischen Trend der Zeit verstanden hatten. Alles was ihr angeboten wurde war weiter weg und ich klebte wegen des Linienverkehrs am Ort fest. Was haben wir uns da gefreut als wir dann Anfang 2001 den Zuschlag der Ferienstätte Freudenweiler, die von der evangelischen Kirche als Erholungsheim für einkommensschwache Familien betrieben wird, erhielten. Conny bekam die Kinderbetreuung in der Ferienstätte übertragen und ich konnte für dieses Haus als Subunternehmer mit einem Kleinbus tätig werden. Zuvor hatten die einen eigenen Bus, der von Zivis gesteuert wurde und jetzt hatten sie sich ausgerechnet, dass sie ein Subunternehmer günstiger als ein eigener Bus und wie Zivis käme – und für mich war, was da an Mark und Pfennig beziehungsweise Euro und Cent bei herumkam ausreichend. Es war zwar etwas weniger wie mir der Linienverkehr einbrachte, aber wir würden zusammensein und von beiden Einkommen sogar recht gut leben können. Ja, ich schrieb soeben, dass wir uns gefreut hätten, das heißt, wir glaubten Glück zu haben. Aber entsinnen Sie sich daran, dass ich eingangs schrieb, dass ich immer dann, wenn ich glaubte Glück zu haben, in der Regel mächtig auf die Nase fiele und umgekehrt. Das sollte auch dieses Mal wieder der Fall sein. Meine bessere Hälfte war vom Regen in die Traufe geraten – sie wurde ärger gemobbt wie je zuvor, und mir wurde ein Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen. Nicht von Anfang an, da war erst Freude und Sonnenschein. Aber dann mussten wir uns mit einem dorfbeherrschenden Clan anlegen. Und weshalb? Ich hätte niemals gedacht, dass sich in der heutigen Zeit aus unterschiedlichen Ansichten was Glauben ist ein Krieg entwickeln kann. Irgendwie scheint es mir, dass es Fromme und richtige Gläubige gibt. Die Frage ist nur, wer fromm und wer gläubig ist. Nun, es ist doch so, dass, wenn man als Angestellte oder Subunternehmer für eine Kirche tätig ist, erwartet wird, dass man auch regelmäßig am Gottesdienst und gelegentlich an diversen Gemeindeaktivitäten teilnimmt. Das stellte für uns aber überhaupt kein Problem da, denn das machten wir ja auch wirklich gerne. Wir waren neu in der Gemeinde und kannten uns ja nicht mit den Dingen, die unter dem Kirchturm abliefen aus. Daher konnten wir auch nicht wissen, welche, teilweise üblen Dinge, in der Vergangenheit im Zuge der Auseinandersetzung zwischen konservativen und progressiven Gemeindemitglieder hier schon gelaufen waren. Gesiegt hatten immer die Konservativen unter Führung der Familie Wrobel. Die Wrobels sind eine alteingesessene Familie und durch die Bank stockkonservativ; sowohl politisch wie religiös. Klein war der Clan auch nicht, die hatten reichlich Verwandtschaft, die aber nicht alle Wrobel hießen. Von den elf Presphytern gehören neun der Familie an aber nur drei hießen auch wirklich Wrobel. Die Ausgangslage kennt man auch aus manchen ähnlichen Dörfern: Die Wrobels entstammen einer alteingesessenen Bauernfamilie, der in früheren Zeiten fast alles in und um Freudenweiler gehörte. Aber nicht nur das Presphyterium wird von den Wrobels beherrscht, die sitzen überall mit drin. Sie stellten die Vorstände beziehungsweise Leitungen in allen Gemeindekreisen wie CVJM, Frauenhilfe oder Posaunen- beziehungsweise Kirchenchor. Natürlich war der Kuratoriumsvorsitzende der Ferienstätte auch ein Wrobel. Des weiteren kommen die weltlichen Dinge wie Heimatverein, Männergesangverein und so weiter hinzu. Nur mit dem Sport haben es die Wrobels wohl nicht so; im Sportverein haben andere das sagen und unter den Aktiven gibt es, glaube ich, auch keinen Wrobel. Also, uns belangten diese Verhältnisse überhaupt nicht. Das Einzigste was uns störte, waren diese Gottesdienste, die in Kaisers Zeiten und weit davor in waren. Bei der Auswahl der im Gottesdienst ausgewählten Lieder schien man nach unserer Sicht immer großen Wert auf die Jahreszahl hinter dem Namen des Komponisten zu legen, denn immer wenn dort ein nicht mindestens 200 Jahre zurückliegendes Datum stand, war es offensichtlich für diese Gemeinde nicht singenswert. Dabei gibt es doch so viele schöne rhythmische Lieder in einer heute auch verständlichen Sprache. Und wie die Lieder von anno tobak gesungen wurden. Ich hatte da den Eindruck, dass aus Viertelnoten ganze wurden; alles langsam und sehr transusig. Ich konnte wirklich die Bemerkung eines Wrobelschen Presphyters nicht verstehen, dass die Lieder noch feierlicher und tragender gesungen werden müssten. Kein Wunder, dass man keine jungen Leute in der Kirche traf, denn die dürften vor lauter feierlichen Grausen davon gelaufen sein. Und dann die Liturgie: Lang und breit gezogen, dazwischen immer und immer die gleichen liturgischen Geträller und plapper, plapper, leier, leier. Ein echter Graus auf harten Kirchenbänken. Na ja, das mit den Kirchenbänken relativierte sich durch häufiges Stehaufmännchenspiel. Dafür kam das, was nach meiner Ansicht das Wichtigste an einem Gottesdienst ist, absolut zu kurz. Es schien mir so als sei die Predigt wegrationalisiert. In knapp 5 bis 10 Minuten hatte der Pastor die in der Agenda anstehende Bibelstelle, ohne irgendein Zeitbezug zu nehmen, erläutert. Also Predigen hieß für ihn offenbar 2000 bis 3000 Jahre alte Geschichten, die in einer seit 100 Jahren nicht mehr gesprochen Sprache – er wendete ausschließlich eine ältere Lutherbibel – geschrieben waren, den Leuten ohne zeitgenössische Erläuterung in heutige Worte zu übertragen. Bei seinen Predigten war nichts, wo ich mich später mit auseinander setzte beziehungsweise auseinandersetzen
konnte. Alles in Allem handelte es sich um Antimission pur. So treibt man die Leute aus dem Gottesdienst. Und warum soll man dann noch Kirchensteuer zahlen? Früher gingen Conny und ich ja ganz gerne zum Gottesdienst aber in Freudenweiler bedeutete dieses für uns eine Pflichtübung für Beschäftigte in der Ferienstätte. Wir sannen also über die Ausreden nach, die wir bringen sollten wenn man uns frage, warum wir nicht zum Gottesdienst kämen. Unser Entschluss nur einmal im Monat zur Kirche zu gehen, und möglichst nur dann wenn keine Taufen oder Abendmahl, bei denen der uralt aussehenden Kirche noch ein Schlag daraufgesetzt wird, stattfinden, stand nämlich nach kurzer Zeit fest. Wenn nämlich nicht gepredigt wird, also keine Mission stattfindet, sehe ich ehrlich gesagt keinen Grund für einen Gottesdienstbesuch. Meines Erachtens ist die evangelische Kirche eine Vertreterin des Wortes im apostolischen Sinne und nicht der liturgischen und sakramentalen Taten. Gott fordert von uns, dass wir sein Wort hören und verkünden und daran glauben, aber Taten sieht er nicht an. Das wir nicht regelmäßig zur Kirche gingen fiel natürlich auf. Daraufhin lud uns Verena Bräuer, eine geborene Wrobel, eines schönen Sonntagnachmittags zu sich nach Hause ein um uns an unsere „Christenpflicht“, die wir im biblischen Sinne aber gar nicht sehen, zu erinnern. Wir hatten uns zunächst nichts Schlimmes dabei gedacht, denn Frau Bräuer arbeitete auch in der Ferienstätte und warum sollte man nicht mal zu einer Kollegin eingeladen werden. Für uns etwas komisch war es, dass auch bei diesem Anlass vor dem Kaffeetrinken ein Tischgebet gesprochen wurde. Man kann es ja auch übertreiben; bei uns war so etwas überhaupt nicht üblich. Weder vor dem Frühstück, noch bei der Hauptmahlzeit nach Dienstschluss noch beim kleinen Happen am Abend wurde gebetet und erst recht nicht wenn wir Besuch hatten. Warum auch? Ich glaube, dass Cornelia und ich schon Christen sind aber deshalb sehen wir keine Verpflichtung aus Traditionsgeboten oder zur Schau vor den Menschen zu beten. Da halten wir es doch mit der Bergpredigt, wo uns der Herr sagt, dass, wenn wir beten, in unser Kämmerlein gehen und die Tür zu schließen sollen. Für uns ist Gebet das ehrliche stille Gespräch mit unser aller Vater, welches wir aus einem aufrichtigen Bedürfnis führen und nicht weil es die anderen machen auch mit- oder vorreden. Insbesondere sollten wir nach unserer Auffassung kein Plapperasch, weil gerade das Mittagessen auf den Tisch steht oder weil Gäste zu Besuch sind, machen. Für uns ist ein Gebet so etwas wie das Öffnen eines Fensters in der Seele und damit wir mit Seiner Hilfe richtig durchlüften. Für mich ist Beten das Ausschütten meines Herzens vor meinem Vater. Und Pflichtsprüchlein zu vorgegebenen Anlässen haben damit nun wirklich nichts zu tun. Was soll’s, solch ein Betgetue kann man ja mühelos kommentarlos wegstecken. Beim anschließenden Gespräch ging es auch um das Beten und zwar um das gemeinsame im Gottesdienst. Über das Vater unser waren wir uns hundertprozentig einig aber als das Gespräch dann auf das Glaubensbekenntnis kam, trat ich nach Ansicht des Ehepaares Bräuers, und wahrscheinlich der ganzen Familie Wrobel, voll in die Patsche. Ich bekundete nämlich, dass ich zwei Passagen in diesem Gebet nie mitspräche, weil ich nicht daran glaube und meines Erachtens könnte das ganze Glaubensbekenntnis ersatzlos gestrichen werden. Eine der beiden Passagen, an die ich nicht glaube, ist: „ich glaube an die heilige, allgemeine, christliche Kirche“. Warum sollte ich an eine irdische Institution glauben? Ich glaube an den einen und alleinigen Gott, der sich uns als Vater, Sohn und heiliger Geist offenbarte. Als Letzteres lebt und regiert er in uns allen. Dieser eine allmächtige Gott ist nicht stumm. Durch den Heiligen Geist spricht er fortwährend und tausendfach tagtäglich zu uns. Da bedarf es keiner sich über andere erhebende, von Menschen geschaffenen Institutionen wie die Kirche. Selbstverständlich halte ich die Gemeinschaft, also die Gemeinde für sehr wichtig aber deshalb muss ich doch den Verein, dem diese Gemeinde angehört, nicht gleich heiligen und mit dem heiligen Geist, also mit dem einen Gott, gleichsetzen. Das war für Herrn Bräuer schon eine mittlere Katastrophe, als ich aber dann von der zweiten Passage sprach war es ganz vorbei. Diese Passage, die ich mich mitzusprechen weigere, ist: „Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“. Ich glaube wirklich, dass sich der eine Gott in Jesus Christus uns als Sohn und unser Erlöser offenbart hat. Aber Gott ist doch kein Magier, der sich durch übernatürliche Kunststückchen beweisen muss. Seine komplette Schöpfung sind doch ein einziges Wunder, das Er nun wirklich nicht mit Zauberei beweisen muss. Ob Jesus, plötzlich – ohne eine Vater oder Mutter – auf der Welt erschien, ob er jungfräulich geboren ist oder ob er von Josef bei Maria gezeugt worden ist, dürfte doch absolut ohne Bedeutung sein. Gleichgültig wie er auf diese Erde kam, ist er für mich die Sohnes-Offenbarung dieses einen Gottes. Ich wies daraufhin, dass im erstentstanden Evangelium, dem Evangelium des Markus, nichts von der jungfräulichen Geburt berichtet wird. Erst Matthäus und Lukas hätten dieses in Befolgung der Beschlüsse des apostolischen Konzils im Jahre 48 sehr widersprüchlich in ihre Evangelien aufgenommen. Es ging Matthäus und Lukas darum, zu belegen, dass Jesus derjenige sei, den der Prophet Jesaja angekündigt habe. Der hatte nämlich zwei Vorraussetzungen genannt, nämlich: Aus dem Stamme Davids und jungfräuliche Geburt. Jetzt haben Lukas und Matthäus Jesus Stammbau auf Josef zurückführt, der aber laut der unmittelbar folgenden Geburtsgeschichte gar nichts mit der Zeugung von Jesus zutun hatte. Nun führte ich aus, wie Jesaja auf die jungfräuliche Geburt, die ihrem Ursprung in den hinduistischen Veden (Veden, Sanskrit = Weisheit) haben. Die Bibel ist ja kein vom Himmel gefallenes Buch sondern darin haben sehr gläubige, Gott ergebene Menschen niedergeschrieben, wie sich ihnen Gott offenbarte. Sie taten es so, wie sie es
erstens selbst verstehen konnten und zweitens so, dass sie auch von den mit ihnen lebenden Menschen verstanden werden konnten. Sicher haben die auch da und dort mit orientalischer Erzählkunst geschönt und ausgemalt, was aber von den Menschen ihrer Zeit nicht missdeutet wurde. Die nomadisierenden Hebräer kamen auch aus dem hinterindischen Raum und wanderten im heutigen Irak ein. Von dort, aus der Stadt Ur, kam Abraham mit seinen Leuten nach Kanaan und ließ sich dort nieder. Trotz eines, nun festen, Standortes nomadisieren einige Leute seines Stammes und Familie noch weiter. Ab Abraham kann man die Hebräer als teilnomadisierendes Volk bezeichnen. Mit Sicherheit waren Abrahams Vorfahren Hinduisten, die zumindestens die ersten beiden Veden – in der zweiten steht die Geschichte von der blutlosen, jungfräulichen Entbindung der Königin Mara – kannten. Diese Geschichte ist ein Symbol für Unschuld und Reinheit und man kann annehmen, dass Jesaja die Reinheit symbolisch gemeint hat, als er den Israelis, wie sich die Hebräer seit Jakob nannten, den Messias prophezeite. Die ursprüngliche Jungfrauengeschichte und ihre Bedeutung kannte ja nicht nur der Prophet sondern fast alle seine Zeitgenossen und sie dürfte damals, als Jesaja sie verkündete, richtig verstanden worden sein. In diesem Sinne ist die Prophezeiung vollkommen richtig: Dieser eine Gott offenbarte sich uns in dem Juden – also aus dem Stamme David – Jesus Christus als der Sohn. Der Herr war rein und unschuldig, der einzigste Mensch der jemals ohne Sünde auf Erden lebte und er starb für uns und unsere Schuld am Kreuz. Das, was ich da so locker von mir gegeben hatte, war für die Bräuers ungeheuerlich und sollte für uns böse Folgen haben. Bereits am folgenden Mittwoch wurde Cornelia zur Leitung der Ferienstätte zitiert. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hatten zusammengeschrieben, was an Beschwerden über Cornelias Kinderarbeit an sie herangetragen worden waren. Conny wusste was das hieß, denn die Mobbingattacke, der sie zuvor auf ihrem vorherigen Arbeitsplatz ausgesetzt war, begann haarscharf genauso. Damals wurde ihr ein Schreiben der Elternvertreter vorgelegt, in der bunt und wild alles zusammengelistet war, was man einer Erzieherin an Übeltaten und Pflichtverletzungen vorwerfen konnte. Die Geschichte nahm auch ansonsten einen etwa gleichen Verlauf. Damals wie jetzt wurde eine sogenannte Teambesprechung angesetzt. Dieses sind in öffentlichen Einrichtungen so Arbeitszeit-Vergeudungs-Runden bei denen man dann munter und fröhlich schmutzige Wäsche wäscht. Ich schrieb jetzt ausdrücklich von „öffentlichen Einrichtungen“, denn in der Privatwirtschaft kann man sich solche „Kaffeekränzchen“ aus Kostengründen nicht leisten. Da gibt es Besprechungen nur aus gegebenen Anlässen und mit ganz konkreten Vorgaben. Während dieses Waschweiberkränzchen in der Ferienstätte, es waren nur weibliche Mitarbeiterinnen anwesend, gab man – wie damals auch – zum Besten was man von Cornelia hielt. Mit Suggestivfragen, die ihr keine Chance mehr gaben in ihrem Sinne zu antworten, wurde sie zur Stellungnahme, die unter solchen Voraussetzungen natürlich gar nicht erfolgen kann, aufgefordert. Ergebnis dieser Teambesprechung war, das man ihr für zwei Wochen jemand zubeordern wollte, der dann eine Beurteilung über sie schreiben sollte. Wer konnte das schon anders sein als Verena Bräuer. Was daraus kam, kann man sich denken. Sie beurteilte Cornelia als eine der größten Flaschen, die jemals Erzieherin geworden sind. Also jede oder jeder willkürlich auf dem Jahrmarkt aufgegriffene Frau oder Mann kann demnach besser mit Kindern umgehen als Cornelia, die diesen Beruf fast 30 Jahre ausübt. Ganz zu schweigen davon, dass sie selbst zwei eigene Kinder, aus denen sogar was geworden ist, groß gezogen hat. Thomas ist Ingenieur und Sabine ... na das kommt gleich. So etwas ist natürlich vernichtend. Nur in einem Punkt hat Verena Bräuer recht: Sie hatte mit den Kindern keine regelmäßige Andacht abgehalten. Für uns ist jedoch die Frage ob ein Überangebot an Indoktrination überhaupt sein muss. Fördert man damit nicht die bewusste und unbewusste Abneigung gegenüber solchen Veranstaltungen? Cornelias Stiel ist es, nicht nur während ihrer Arbeit sondern auch Privat, sehr häufig von ihrem christlichen Glauben und ihrer Überzeugung zu sprechen; immer altersgemäß, mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsene entsprechend anders. Mich konnte sie damals vom Falken zum Christen bekehren. Bringt das nicht viel mehr als laufende Andachtskuren? Ist es nicht das, was der Apostel Paulus im Römerbrief forderte, dass wir uns unseres Glaubens rühmen sollten. Stattdessen wurden von Conny Pflichtandachten gefordert. Aber ab sofort ging es in der Mobbingorgie gegen Cornelia munter und fröhlich eskalierend weiter. Letztlich vertraute man die Kinderbetreuung der berufsfremden Verena Bräuer an und Cornelia musste als Putze und Dienstmädchen, fast könnte ich Sklavin sagen, ihre Dienstzeit abschinden. Mich konnte man, da ich ja kein Angestellter war, natürlich nicht in dieser Art mobben aber auch Selbstständigen kann man mittels Mobbing die Hölle auf Erden bereiten. Ich war ja als subunternehmender Buskutscher in voller Abhängigkeit von dem einem Auftraggeber, der Ferienstätte. Na ja, da schickte man mich los um behinderte Kinder abzuholen aber hatte niemand zur Verfügung, der entsprechend der gesetzlichen Vorschriften als zweite erwachsene Begleitperson mit mir mitfahren konnte. Zu diesem Zweck schickte man mich ins Dorf hausieren. Ich sollte mir jemand suchen. Das machte ich natürlich nicht sondern raste voller Wut ins Haus und packte mir Cornelia am Arm und schleppte sie einfach mit. Als wir zurückkamen, musste sich Conny dafür rechtfertigen, warum sie entgegen den Anordnungen ihren Arbeitsplatz widerrechtlich verlassen hatte. Ein anderes Mal bezweifelte man die Verkehrssicherheit meines Busses und verlangte von mir ein Gutachten eines Sachverständigen, dass dieses nicht der Fall sei. Ich habe unter Hinweis auf die gerade zwei Monate
zurückliegende TÜV-Prüfung dieses natürlich verweigert – aber mit einer Menge künstlichen Ärger war das schon verbunden. Natürlich mobbte man uns auch an anderen Orten und gemeinsam. Als wir dann mal im Gottesdienst erschienen, änderte Pfarrer Krämer, der natürlich voll unter der Knute des Wrobel-Clans stand, die vorbereitete Predigt. Auch Pastöre kennen ein Arbeitsplatzrisiko, denn in der Ungnade des Presphyteriums wackelt auch deren Posten in der Gemeinde. Statt wie üblich über den, in Luthers Agenda für den Tag vorgegebenen Text zu „referieren“, sprach er von Pharisäern, die, um sich einen Arbeitsplatz zu erschleichen, vorgeben Christen zu sein und in Wirklichkeit die Thesen der Leute, die die Glaubwürdigkeit der Bibel in Frage stellen wollten, verträten. Na ja, was sind wir für doch für schlimme, bösartige Antichristen. Zum Beispiel Cornelia, die mich bekehrt hat und unsere Kinder christlich erzogen hat. Unsere Tochter Sabine hat nur, was wir in Freudenweiler aber nicht verraten hatten, Theologie studiert und ist Pfarrerin geworden. Oder ich, der aus Treue zu meinem Gott wie Saulus seine militärische Laufbahn aufgab. Wir also sind die ungläubigen Leute, die der Christenheit schaden wollen. Nach dem Gottesdienst war ich stocksauer und für mich stand fest, dass mich keine zehn Pferde mehr in einen Freudenweiler Gottesdienst bringen würden. Als mir Pfarrer Krämer beim Verlassen der Kirche die Hand gab, habe ich laut und auch für andere vernehmlich „Auf Nimmerwiedersehen“ gesagt. Cornelia sagte auf dem Nachhauseweg: „Ach was soll man dazu sagen. Es gibt halt Fromme, wie die Wrobels, und richtige Gläubige. Ein richtiger Gläubiger würde sich nicht so vor den Leuten zur Schau stellen sondern demütig im stillen Kämmerlein seinen Vater bitten ihn, den armen Sünder, gnädig zu sein. Ein richtiger Gläubiger will nicht seine Nächsten unterwerfen und ihn fertig machen sondern der richtige Gläubige liebt seinen Nächsten und ist bemüht diesem zu helfen. Ein richtiger Gläubiger weiß dass nur der Glaube und nicht die Taten der Menschen selig machen. Paulus sagte, dass sich Abraham seiner Taten rühmen konnte aber nicht vor Gott. Vor Gott zählt nur der Glaube. Aber Fromme erkennt man an ihrer Tatenorientiertheit. Der Fromme kann sagen, das es Karneval sei und er saufen, huren und lästern dürfe. Ab Aschermittwoch kann er sich ja dann mit Taten die Absolution bei einem Krämer namens Gott erhandeln ... und der ist sogar noch so gnädig ihm diese, wenn er aufrichtig glaubt, zu gewähren. Wer aber glaubt weiß, dass der Herr ihm geboten hat, dass er hingehen solle und fortan nicht mehr sündigen solle. Fromme kann jeder Mensch gleich sehen aber richtige Gläubige erkennt nur der Herr selbst ... nur der kann in unsere Herzen sehen.“. Das hört sich jetzt nach ziemlicher Übereinstimmung zwischen uns Eheleuten an aber die war in dieser Zeit gar nicht gegeben. Wir können uns natürlich auch nichts aus den Rippen schwitzen. So hing in dieser Zeit der Ehesegen mehr als schief. Es dürfte wohl die einzigste nennenswerte Krise in unserer Ehe gewesen sein. Solche Streitereien wie in dieser Zeit hat es zwischen uns in nun bald 35 Jahren noch nicht gegeben. Sicher, Cornelia kam in der Zeit als sie in der städtischen Kindertagesstätte gemobbt wurde ähnlich oder genauso gestresst nach Hause wie jetzt. Da gab es dann auch mal diese oder jene Auseinandersetzung; so etwas kann dann nicht ausbleiben. Der große Unterschied zwischen damals und jetzt war allerdings, dass mir niemand zur gleichen Zeit „an den Kragen“ wollte und ich zu meiner Conny stand. Aber jetzt war ich bei denjenigen, auf die fröhlich zur vollsten Befriedigung aller Sadisten eingeschlagen wurde, mit von der Partie. Diesmal war die Meute, der Mob, auch hinter mir her. Jetzt wurden wir beide gnadenlos gehetzt. Natürlich gab es auch damals mal unnützen Streit zwischen uns, der sich jedoch meist schon vor seinem Höhepunkt beendet werden konnte. Das gnadenlos gehetzte Reh Cornelia brauchte da ja auch eine Möglichkeit innerhalb des schützenden Dickichts, sprich in der häuslichen Privatsphäre, aufgebaute Stresshormone abzureagieren. Der Unterschied war nur, dass ich damals nicht selbst betroffen war und daher Möglichkeiten hatte, einmal wegzustecken und andererseits konnte ich doch so manchen Versuch starten Cornelia wieder aufzubauen. Jetzt brauchte ich aber selber so einen Prellbock. Da habe ich mal einen Aufsatz gelesen, der sich mit den Gesetzmäßigkeiten beim Mobbing beschäftigte. Der Autor ging davon aus, dass die Leute, die Mobbing inszenieren, selbst Persönlichkeitsstörungen haben. Ihnen fehlt ausreichendes Selbstbewusstsein und sind selbst nicht von der Richtigkeit ihres Handelns überzeugt. Daher sind sie auf der Suche nach einer Selbstbestätigung, ihrer eigenen Bedeutung und Einflusses. Zu diesem Zweck versuchen sie den Mob – daher kommt der Name Mobbing – gegen den einzelnen Schwächeren aufzubringen. Gegenüber vermeintlichen oder tatsächlichen Stärkeren sind die Initiatoren von Mobbing stets unterwürfig. In früheren Jahren gab es den Begriff des „Radfahrers mit dem goldenen Lenker“ – nach Oben buckeln und nach unten treten. Der Mob ist generell ein „Menschenrudel“ mit wenig sozialer Kompetenz, in dem jedes einzelne Rudelmitglied keine eigene Meinung vertritt. Im Zuge des populistischen Dabeiseinwollens bekommen diese in der Regel gar nicht mit, wie sehr sie die Würde und die Seele ihres Opfers verletzen. Die Abläufe des Mobbings sind immer gleich: Die Initiatoren stellen Behauptungen über ihre Opfer auf, die entweder in der Person ihres Opfers beziehungsweise bei dessen Eigenarten eine hohe Wahrscheinlichkeit haben aber meist nicht zutreffen. Oder sie beziehen ihre Unterstellungen auf etwas, was man bei intensiven Hinsehen praktisch bei jedem Menschen entdecken kann; man muss die Sache nur ausmalen. Dieses genaue Beobachten des Opfers spielt beim Mobbing eine große Rolle. Beobachtungen sind die Reißzähne einer wilden, ihrem Leittier bedingungslos folgenden Meute. Erstens haben wir Menschen alle irgendwo kleine Fehler – kein
Mensch ist perfekt – und aus diesen Fehlerchen der Opfer werden durch Beobachtungen und Draufklatschen gravierende Fehler gemacht. Und zweitens kommt hinzu, dass jeder Mensch unter Beobachtung unsicher wird und sich statt auf sein Handeln auf die Beobachter konzentriert. Woraus dann letztendlich wieder eine Pannenhäufigkeit resultiert, die dann wirklich den vorher unwahren Behauptungen des Initiators immer mehr entsprechen. Man sollte Mobbing nicht als Kavaliersdelikt oder als Phänomen im heutigen Arbeitsleben abtun, denn Mobbing ist ein Verbrechen: Schwere Körperverletzung, hin und wieder sogar mit Todesfolge. Es kommt ja öfters vor, dass sich der gehetzte Mensch der Meute durch Selbsttötung entzieht. Erstaunlicher Weise war ich das erste Totalopfer des Freudenweilers Mobbings. In Folge ständiger Beobachtung – bei jeder Fahrt hatte ich eine Mitarbeiterin der Ferienstätte mit im Bus sitzen – und laufender, überwiegend sogar unbegründeter Vorwürfe und Unterstellungen mutierte ich zu einen vollkommen unachtsamen Fahrer. Seit Vollendung meines 18. Lebensjahr war ich im Besitz eines Führerscheines und seit 1968 habe ich dazu einen Personenbeförderungsschein. Nicht nur aus eigener Überzeugung sondern auch laut vielfältiger Bestätigung aus den verschiedensten Richtungen war ich stets ein sicherer und aufmerksamer Fahrer. Bis letztes Jahr war ich nur an zwei Bagatelleunfällen, an denen ich nicht die Schuld trug, beteiligt. Einmal war mir eine unachtsame Fahrerin auf meinen Bus aufgefahren, als ich an einer Kreuzung vor einer Ampel, die Rotlicht zeigte, stand. Beim zweiten Unfall rollte das Fahrzeug eines älteren Herrn rückwärts in die Seite meines Busses als ich wegen einer Baustellenampel vor seiner abschüssigen Garageneinfahrt zum Stehen kam. Er war ausgestiegen um das Garagentor zu öffnen. Er hatte zwar die Handbremse angezogen aber die hielt nicht mehr so wie sie sollte. Vermeidbar wäre die Sache gewesen, wenn er, bevor er den Motor abschaltete, einen Gang eingelegt hätte. Also ich gehörte also auch zu den Leuten, die durch defensive Fahrweise und dank ihrer Übersicht beim Fahren Fehler anderer Verkehrsteilnehmer aus dem Wege ging. Und jetzt? Jetzt fuhr ich wie ein Anfänger, den man am Besten noch eine Reihe Fahrstunden verpasst hätte oder, noch besser, den Führerschein generell verweigert hätte. Und da musste es passieren. Ausgerechnet bei meiner letzten Fahrt meines Busunternehmerdaseins hatte sich Verena Bräuer unter einem Vorwand zu mir in den Bus gesetzt. Ich schrieb Vorwand deshalb, weil sie nach der damals geübten Praxis, als Beobachterin zu mir beordert worden war. Da fuhr ich doch auf einer geraden Chaussee in den seitlichen Straßengraben und der Bus stürzte um. Alle elf Insassen erlitten leichte Verletzungen. Am Schlimmsten traf es Frau Bräuer mit einem Beinbruch. Das allerschlimmste Unglück traf mich dann jedoch zuhause. Cornelia machte mir „Idioten“ die Vorwürfe, dass ich alles verursacht habe und durch meine „Dusseligkeit“ immer mehr verschlimmere. Sie warf mir vor mit meinem „vorlauten Schnabel“ und meinem religionswissenschaftlichen „Tick“ naiv gläubige Menschen aus der Bahn geschmissen zu haben und wir jetzt unter deren verzweifelten Reaktion leiden müssten. Die Auseinandersetzung spulte sich zu einer handfesten Rosenkriegsschlacht hoch. Zum zweiten Mal seit wir uns kannten – und das war immerhin schon seit 1966 – gab es Tätlichkeiten unter uns. Vom ersten Mal, von der Geschichte vor ihrer Haustür am Abend unseres Kennenlernens, habe ich ja bereits berichtet. Jetzt in Freudenweiler war ich war so fertig, dass ich auf Conny einschlug und die sich mit einer auf dem Küchentisch stehenden Ölflasche, die sie mir auf den Kopf schlagen wollte, wehrte. Dank einer Bewegung ,die ich nach rechts unternahm, traf sie mich zum Glück jedoch „nur“ auf der linken Schulter. Darauf schnappte ich mir den, auf einem Board liegenden Schlüssel zu Cornelias Auto und raste hinaus. Ich packte mir den Wagen und fuhr mit diesem fast zirka zwei Stunden sinnlos durch die Gegend. Dabei hatte ich einen aggressiven Fahrstiel, wie man diesen in der Regel nur von minderintelligenten, meist jüngeren Bleifussindianer, die mit bis zur gehörschädigender Weise aufgedrehten Saallautsprechern gefährlich durch die Landschaft toben, kennt. Dabei wäre mir dann beinahe auch noch ein Flappusus, der einem erfahrenen Fahrer eigentlich nicht passieren darf, unterlaufen. Buchstäblich in letzter Minute, in der mich zum Glück gerade in der Nähe einer Tankstelle befand, merkte ich, dass ich im Begriffe war, den Tank bis auf den sprichwörtlich letzten Tropfen leer zufahren. Während des Betankens dachte ich an die Sinnlosigkeit meines Umherfahrens nach und sann nach einer sinnvollen Zielvorgabe. Dabei bekam ich dann eine auch eine konkrete Vorstellung meines Zieles: Ich fasste den Entschluss nach Wiesenthal zu unserer Tochter Sabine zufahren. Auch unser Schwiegersohn Karl Hermann Meisner ist Pfarrer und teilt sich mit Biene 1,5 Pfarrstellen. Die beiden hatten sich während des Studiums kennen gelernt und waren inzwischen Eltern von drei „Superjungens“, Matthias, Markus und Lukas – ganz und gar aller Großeltern Stolz. Es fehlt nur noch ein Hannes. Die Tatsache, dass sich die beiden anderthalb Pfarrstellen teilten hatte für verschiede Seiten einen Vorteil. Zum Einen kamen zwei nebeneinander liegende kleinere Gemeinden mit weniger als 3.000 Mitgliedern, die nach Kirchennorm keinen eigenen Pfarrer erhalten hätten, jede einen solchen. In Wiesenthal selbst war es Karl und in Ballbach war es Sabine. Der persönliche Vorteil für Biene war es, dass sie trotz ihrer drei Kinder ihrem „heißgeliebten“ Beruf, den sie aus voller Überzeugung ergriffen hatte, nachkommen. Karl und Simone teilten sich vorbildhaft die Kindererziehung. Sie schafften es auch immer ihren Terminkalender so abzustimmen, dass immer einer der beiden für die Kinder da war. Und wenn es mal nicht klappte, gab es in Ballbach Karls Eltern – sein Vater ist selbst ein Pfarrer im Ruhestand – die sich unserer gemeinsamen Enkel annehmen konnten. Für die Kirche hatte es den Vorteil, dass ein Paar die Arbeit für Drei
leistete und mit einem vollen und einem halben Gehalt zufrieden war. Außerdem profitierte die Kasse des Konsistoriums davon, dass im Falle eines Falles der Ballbacher Opa „honorarfrei“ zur Vertretung antrat. Nun, bei unseren Kindern angekommen fand ich bei ihnen kein tröstendes und insbesondere kein parteiisches Asyl sondern ich wurde auf Anhieb von unserer Tochter hintergangen und anschließend bekam ich von Beiden dann noch die Leviten gelesen. Während ich unserem Schwiegersohn in Kurzform von der Vorfällen aus meiner subjektiven Betrachtungsweise berichtete begab sich Sabine in die Küche des Pfarrhauses um mir ein Abendbrot zu bereiten. Sie nutzte die Gelegenheit um hinter meinem Rücken ihre Mutter anzurufen. Sie teilte Cornelia, allerdings nur zu deren Erleichterung mit, dass ich in Wiesenthal eingetroffen und mir nichts passiert sei. Dass ich von einem Starengast mit der doppelten wie zulässigen Geschwindigkeit gemessen worden war, wegen dessen ich in Verbindung mit meinem Busunfall dann 3 Monate hinter dem Lenkrad wegbleiben musste, wusste ich ja selbst noch nicht. Biene teilte Conny mit, dass sowohl sie wie auch Karl Hermann am nächsten Nachmittag, keinen Termin hätten und sie die Gelegenheit nutzen würden, um mit unseren drei Enkeln nach Freudenweiler zu kommen. Mich wollten sie dazu überreden. Karl würde mit mir in unserem Wagen fahren und sie würde mit den Kindern in deren Auto anreisen. Na ja, am nächsten Tag fühlte ich mich selbst so fertig, dass ich doch lieber gleich Karl Hermann fahren ließ. Nach meinem Bericht und Sabines Handeln in anderen Räumen des Pfarrhauses bekam ich dann von dem Pfarrerehepaar den Kopf gewaschen. Sabine begann: „Paps, ich kann dir leider nicht das Gefühl geben, dass du ganz ohne Schuld bist. Keiner kann über die Schatten seines Elternhauses und seiner Erziehung springen. Bei Kalli und mir ist es nun mal der Glücksfall, dass das Produkt unserer Erziehung ist, die ich euch beiden, meinen wirklich lieben Eltern, zu verdanken habe, dass wir unseren wunderschönen Beruf gemeinsam ausüben können. Was hätten wir gemacht, wenn wir durch Gottes Vorbestimmung in eine atheistische Familien geboren wären? Wir können es nicht wissen, das weiß der Herr alleine. Es war auch Seine Vorbestimmung, dass alle Angehörigen des Wrobelschen Familienclans, so wie du sagst, in diese Familie geboren beziehungsweise eingeheiratet sind. Und die Familie ist halt eine streng- und traditionellgläubige, wozu die Angehörigen selbst nichts können. Woher willst du wissen, dass dieses Pharisäer gleiche Fromme sind oder ob sie nicht wirklich doch mit ganzem Herzen an den dreieinigen Gott glauben. Bist du, wenn du so etwas unterstellst, nicht selbst der Pharisäer, der sich über andere erhebt? Erhebst du da nicht selbst den Anspruch der Ausschließlichkeit. Sicher, auch Mama hat mir schon von dem tatenbezogenen religiösen Leben der Wrobels erzählt und wir wissen doch von unserem Herrn Jesus und vom Apostel Paulus, dass Gott unsere Taten nicht sieht und anrechnet. Die Reformation hat es gegeben, weil alle vier Reformatoren, ob Jan Huss, Martin Luther, Ulrich Zwingli oder Johannes Calvin, auf Grund des Römerbriefes darauf kamen, dass wir nicht durch unsere Taten sondern nur durch den Glauben selig werden. Aber was ist mit den Taten, die du aus wirklich tiefer Gläubigkeit und in Treue zu deinem Herrn tust? Woher nimmst du das Recht, zu sagen die Wrobels wären wie die Pharisäer, die Frommen vor den Augen der Menschen?“. Ich muss schon sehr bedrübbelt, wie ein armer Sünder, da gesessen haben als Karl Hermann den weiteren Part übernahm: „Horst, hast du eigentlich schon mal überlegt, dass du mit deiner sogenannten modernen Theologie, die die ‚Erkenntnisse’ der vergleichenden Religionswissenschaft berücksichtigt, schaden könntest? Entsinnst du dich noch, als du als Gast in unserer Bibelstunde damit loslegtest, dass das Johannes-Evangelium in der heute bekannten Form aus dem 6. Jahrhundert stamme. Du wolltest wohl weiter ausführen, dass es im Koran einige Dinge gibt, die wohl dem ursprünglichen Evangelium entsprechen. Jetzt sage ich dir, dass einiges für diese Annahme spricht, da dieses Evangelium in dem Raum, in dem der Mohamed lebte, verbreiteter als die anderen Evangelien war und diverse Dinge im Koran findest du in Reinform nur andeutungsweise im JohannesEvangelium. Aber damals habe ich dir ganz barsch das Wort entzogen und dir, wie es im Theologie-Studium gesagt wird, an den Kopf warf dieses Evangelium sei 500 Jahre älter. Meinst du nicht, dass du mit deinen diesbezüglich Aussagen, wenn du sie öffentlich und insbesondere vor naiven Laien tätigst, den Leuten, die dem Glauben schaden wollen, die Chance gibt’s, da Legenden hinein zudichten, die naive einfachgläubige Menschen in tiefe Zweifel stürzt. In diesem Falle kannst du es, gleichgültig mit welchen Leuten du sprichst, dabei belassen, dass die Evangelien Erlebnisberichte der Jünger sind, die zeitnah – unmittelbar nach Pfingsten – entstanden. Aber wem nützt die Erkenntnis, dass das heute bekannte Johannes-Evangelium aus dem 6. Jahrhundert stammt? Mit solchen aussagen richtest du mehr Schaden an als du nutzt.“. „Das mit dem Johannes-Evangelium, von dem Kalli gerade spricht, ist ja aus meiner Sicht noch recht harmlos;“, übernahm jetzt Biene wieder, „entweder glaubt man dir das oder nicht. Und diejenigen die dir das glauben, sind ohnehin der Meinung, dass man sich Legenden zusammengeschrieben habe. Die musst du mit Inhalten und nicht mit unbedeutenden Nebensächlichkeiten aus der vergleichenden Religionswissenschaft überzeugen. Was aber die Geschichte mit der jungfräulichen Geburt anbelangt, muss du doch ein Wenig differenzieren. Das Entscheidende ist ... und da gebe ich dir natürlich recht, dass wir Menschen an Gottes Sohn, unseren Erlöser, glauben. Da mag es wirklich letztendlich unwichtig sein ob Josef sein leiblicher Vater war oder ob er jungfräulich geboren ist. Wenn du damit die sogenannten aufgeklärten Leute von heute erreichst und sie damit zum
dreieinigen Gott bekehrst ist die Sache sogar mehr als gut. Aber denke auch daran, dass es im Missionsbefehl heißt: ‚... und lehret sie halten alles was ich euch befohlen habe’. Und dass ist in erster Linie die Aufgabe eines Pfarrers oder einer Pfarrerin in den Gemeinden. Weißt du in welche Konflikte du naivgläubige fromme Menschen bringen kannst, wenn du die jungfräuliche Geburt anzweifelst. Da sage ich dir jetzt ganz deutlich, dass es da besser ist, dass wir sagen, das unser Herr von der Jungfrau Maria geboren wurde und basta. Du kannst ja beim Glaubensbekenntnis bei der Passage schweigen ... aber dabei sollte es auch bleiben. Für dich darfst du entscheiden aber lasse bitte die anderen bei ihrem Glauben und ihrem Seelenfrieden; stürze sie nicht in Zweifel. Vielleicht solltest du die Bräuers mal in dein Gebet einschließen und unseren Herrn darum bitten, dass du bei denen keinen Schaden in ihren Glauben angerichtet hast.“. „Da kann man ja über alles reden,“, schwang ich mich zu meiner Verteidigung auf, „aber ist das ein Grund uns fix und fertig zu mobben; unsere Persönlichkeit zu zerstören. Mama und ich sind fertig. Wir können nicht mehr.“. Das Pfarrerspaar legte eine Bedenkpause ein während der mir die Tränen, die in meine Augen gestiegen waren, aus den Pupillen wischte. „Spreche dich doch aus Paps.“, ermunterte mich Sabine, „Rede dir doch alles von der Seele. Wir haben dich doch sehr, sehr lieb und hören dir gerne zu. Also spreche dich frei.“. Der Aufforderung leistete ich Folge und redete, redete und redete. Und die beiden Pfarrersleute hörten mir fast eine Stunde zu ... und alles tat so gut. Als ich geendete hatte begann Karl mit einer Erwiderung: „Ach Horst, was soll man da sagen. Vielleicht hast du Verena Bräuer so tief in ihrem naiven aber wahren Glauben getroffen, dass sie jetzt gar nicht anders kann. Denk mal daran, was wir im Vater unser beten: ‚ ... und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.’. Das Gebot des Herrn lautet, dass du deiner selbst Willen vergeben sollst. Mach es und ziehe ansonsten die Konsequenz für euch. Gebt doch auf und gebt damit nicht nur euch sondern auch den Wrobels damit die Chance wieder zum inneren Frieden zu finden. Sicherlich leiden die anderen auch unter euch, die ihr sie aus einer heilen Welt gerissen habt. Was hältst du eigentlich von der Idee, von ... ach was, wir fahren Morgen, wenn du zustimmst, allesamt nach Freudenweiler und dann erzähle ich, wenn Cornelia dabei ist, was ich da für eine Idee für euch habe. Jetzt rufst du erst mal deine Frau an ... Die warte bestimmt schon sehnsüchtig darauf. Und dann bleibst du bis Morgen erst mal hier bei uns.“. Willig folgte ich dem Vorschlag meines Schwiegersohnes und rief Conny an. Ach Leute, lassen Sie mich dieses intime Gespräch unter uns, den Eheleuten, dessen große jahrelanger Liebe auch die körperliche Auseinandersetzung vom Nachmittag nicht stören konnte. Cornelia ließ sich aber nicht anmerken, dass sie schon von unserer Tochter wusste wo ich steckte und jetzt hoffte, dass dieses das aufgezogene Unwetter beruhigen konnten. Daher brauchte sie auch keine Erleichterung bei meinem Anruf zu spielen, denn sie war es, weil ihre Hoffnung, die sie in unsere „Kinder“ gesetzt hatte, in Erfüllung gegangen ist. Am drauffolgenden Tag fuhren wir dann in zwei Wagen nach Freudenweiler. Die ersten zwei familiären Stunden brauche ich wohl nicht ausführlich zu schildern, denn die bringen nichts Neues in Richtung Fortführung dieser Geschichte und deshalb mache ich jetzt gleich mit Karls, am Vortag angekündigten Vorschlag weiter. Er berichtete uns von der Insel im Ballbachsee. Dieser See ist so ein kleiner Stausee, der zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert entstand. Aufgestaut wurde, wie der Name schon sagt, der Ballbach, der auch dem Dorf, in dem unsere Tochter die Gemeindepfarrein ist, den Namen gab. Beim Stauen ist dort eine kleine Insel von etwa anderthalb tausend Quadratmeter Größe entstanden. Ursprünglich stand dort ein, schon damals halb verfallendes Bauernfachwerkhaus. Die Insel, also das Grundstück erwarb in den 60er-Jahren ein Herr Goldmann. Goldmann riss das inzwischen vollkommen verfallene Bauernhaus ab und errichtete anstelle dessen eine kleine Pension. Vor zehn Jahren ist Goldmann verstorben und das Haus wurde danach von seiner Witwe allein bewirtschaftet. Insbesondere im Sommer ist die Pension, zu der man nur über eine kleine Holzbrücke für Fußgänger gelangt, fast ausgebucht. Diese Pension ist insbesondere bei Nudisten beliebt, denn auf der kleinen, durch dichte Bepflanzung sichtgeschützten Wiese, können sie ungestört und exklusiv ihrem Hobby nachkommen, was in der Hausbeschreibung auch ausdrücklich angeboten wird. Frau Goldmann schafft es nun nicht mehr so und würde ganz gerne verkaufen – und zwar zu einem Schnäppchenpreis. Da Cornelia schon vor einigen Jahren geäußert hatte, dass ihr die Bewirtschaftung einer solchen Einrichtung wie einer Pension oder Ferienwohnungen sehr zusagen würde, waren Karl und Sabine jetzt der Meinung, dass sie schätzen könnten, dass ich wohl das nötige Eigenkapital haben und Conny begeistert anbeißen würde – und deshalb schlugen sie dieses jetzt vor. In beiden Annahmen hatten sie recht. Nur ich sah die Sache etwas trüber. Ich hatte Angst, dass wir, da wir ja über keine einschlägigen Erfahrungen verfügten, versagen könnten. Außerdem fürchtete ich wegen der Nudisten wieder öffentlichen Stress ausgesetzt zu sein. Na ja, und, und, und .... Ich hatte eine Reihe Bedenken aber trotzdem „langten“ wir trotz meiner irgendwie widerstrebenden Haltung zu. Wie schrieb ich doch eingangs? Immer dann, wenn ich glaubte Glück zu haben, fiel ich in der Regel mächtig auf die Nase und umgekehrt, wenn ich glaubte „So eine Sche...“ sagen zu müssen, er wies sich die Angelegenheit als der Volltreffer. So scheint es auch jetzt wieder zu sein. Innerhalb von zwei Tagen waren die Verhandlungen mit Frau Goldmann abgeschlossen und die Insel war nicht unser sondern meine. In Freudenweiler war man froh uns loszuwerden und so konnte ich die Pension übernehmen und Cornelia als mein „Mädchen für alles“ einstellen. Dieses hatte ganz einfach sozialversicherungstechnische Gründe. Ich war ja mein Leben lang privat kranken- und rentenversichert
aber Cornelia konnte so ihren Anspruch in Hinsicht auf die gesetzliche Sozialversicherung nicht nur wahren sondern noch ausbauen. Deshalb trat ich als Käufer und Pensionswirt auf. Was ja eigentlich noch nicht einmal falsch war, denn das Geld stammte ja aus dem Unternehmen welches ich von meinen Vater übernommen und ausgebaut hatte. Aber im Verhältnis gegenüber Cornelia habe ich es selbstverständlich nicht so mit dem Mein und Dein. Aber das ist ja alles Nebensache. Wichtig ist, dass Cornelia und ich zusammen sind, an einem Strick ziehen und nach wie vor glücklich sind. Von den Freudenweilern Mobbingattacken haben wir uns sehr schnell und gut erholt. Dazu hat sicherlich einerseits die Tatsache beigetragen, dass wir vergeben und vergessen sagten und konnten. Wir haben uns von Karl und Sabine davon überzeugen lassen, dass wir uns, wenn wir uns hadernd mit unserer Vergangenheit beschäftigen, nur selbst schaden. Andererseits hatten wir erkannt, dass wir durch unser pharisäerhaftes Verhalten, in dem wir in Fromme und richtige Gläubige einteilten, selbst den Auslöser gespielt. Ich gebe jetzt ja zu, dass ich mit den Dingen aus der vergleichenden Religionswissenschaft die vermeintlichen Frommtuer treffen wollte. Im Gegenzug haben die sich massiv gegen die Schädiger ihres religiösen Empfinden gewehrt – und diese Sache hat sich dann verselbstständigt. Nun weiß ich, dass wenn man der Wahrheit auf den Grund gehen will immer eine Sache von zwei Seiten betrachten muss. Schaut man auf ein Metallstück, dass einer Münze gleicht, und sieht einen Adler oder eine Eins darauf geprägt ist, dann weiß man noch lange nicht ob es ein 1-Euro-Stück ist. Das kann man nur wissen, wenn man Adler und Eins sieht. Wenn jemand sehr fromm erscheint, heißt das nicht, dass er gläubig ist aber umgekehrt kann der Gläubige den anderen als so gar nicht fromm erscheinen Und als Drittes kann das fromme Getue aus einem wahrhaften Glauben kommen. Alles ist möglich und man muss immer alle Seiten sehen, was uns beim Glauben des Anderen nicht möglicht ist, das kann nur Gott allein, wenn wir urteilen wollen. Aber das Urteil hält sich ja der Herr sowieso alleine vor: Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet.
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Profis und richtige Sportler Kennen Sie auch das geflügelte Wort, wonach am Nil die Posten auf Kamelen säßen und dieses bei uns in diesem unserem Lande umgekehrt wäre? Also, nach diesen Worten sitzen bei uns die Kamele auf Posten. Wenn dieses Wort zutrifft darf ich, Gerd Wallek, geboren anno 1945, mich Ihnen als echtes Kamel vorstellen. Einschränkend muss ich jetzt allerdings sagen, dass ich das postenreitende Kamel einmal war. Inzwischen hat man mich wohl sehr erfolgreich von der krankhaften Mutation ins Reich der Trampeltiere kuriert. Was ich alles war: Mitglied des Rates der Stadt Romansdorf, einer Mittelstadt mit zirka 56.000 Einwohnern. Im Rat gehörte ich der SPD-Fraktion, deren stellvertretender Vorsitzender ich war, an. Außerdem war ich in diesem Gremium der Vorsitzende des Ausschusses für Jugend und Sport sowie des Finanzausschusses. In der SPD war ich der Schriftführer. Nein, nicht auf der Bundesshowbühne in Berlin sondern nur bei uns im Örtchen, also nicht in der Bundespartei sondern „nur“ im Ortsverein. Zum Sportausschussvorsitzender hatte ich mich als Vorsitzender des Ball-Sport-Vereins (BSV) Romansdorf empfohlen. Auch in unserer evangelischen Kirchengemeinde mischte ich als Presbyter mit. Zu Politik, Sport und Kirche gehört auch die Kultur und auf diesem Gebiet war ich der Leiter des Laientheaters „Romansdorfer Weltbühne“. Nur auf einem Gebiet konnte ich keinen Posten erklimmen: Auf der beruflichen Karriereleiter. Als Industriekaufmann zeigte ich mich dank meiner vielfältigen öffentlichen Tätigkeiten nicht zur Ausübung des Jobs eines Abteilungsleiter geeignet. Beruflich habe ich überhaupt falsch geschaltet. Ich hätte mich in die sichere Hängematte namens Öffentlicher Dienst schmeißen müssen, denn da hätte ich schon aufgrund meiner Parteiaktivität Karriere gemacht. Und wenn nicht das sondern gewerblich, hätte ich mich zum Betriebsratsvorsitzenden wählen und freistellen lassen müssen. Das war jedenfalls der Weg meiner Mitstreiter in der kommunalpolitischen Arena. Privat gab es gegenüber meinem öffentlichen Erfolgskurs einen absolut entgegengesetzten Trend. Ich bin von zwei, wirklichen tollen Frauen geschieden worden. „Toll“ deshalb, weil sie vom Äußeren die meisten Männer in Erregung versetzen konnten und dabei, was gar nicht so üblich ist, intelligenzmäßig auf höheren Level anzusiedeln waren. Die erste hielt es knapp zehn Jahre mit mir aus bis sie ihrer Vernachlässigung überdrüssig war und die zweite kam schon nach drei Jahren zu diesem Schluss. Na ja, so ganz ohne Befriedigung meiner männlichen Begierden musste ich nicht leben, denn ich hatte immer wieder Freundinnen, die mich aber aus den gleichen Gründen wie meine Frauen immer schon nach kurzer Zeit wieder verließen. Das ist die Kehrseite eines erfolgreichen öffentlichen Lebens. Aber fragen Sie mich bitte nicht, ob ich damit zufrieden und glücklich war. Selbstverständlich nicht, denn immer hatte ich das Gefühl gar nicht richtig zu leben. Das stimmt sogar und das weiß ich auch erst seit dem ich alle meine Pöstchen los bin. Aber nicht Erkenntnis führte zur Aufgabe meiner Pöstchensammlung sondern die Pöstchen bröckelten nach und nach aus unterschiedlichen Gründen von mir ab. Die ersten beiden Posten, Presbyterium und Laienbühne, wurde ich vor 5 Jahren auf einen Schlag zusammen mit meiner damaligen Freundin los. Das ganze nannte man in der Lokalpresse den Wallek-Skandal. Meine Freundin Uta Schröder war ein echt heißer Typ. Phänomenale Oberweite, lange Beine und Rundungen überall an den richtigen Stellen. Aber irgendwie war bei deren sexuellen Programmierung etwas schief gelaufen, denn im Bett war Uta überaus prüde. Was heißt im Bett; da musste man sie erst mal reinkriegen. Dafür war sie aber eine krankhafte Exhibitionistin. Wenn man sagte „Uta zieh dich mal aus“ stand sie schon im Evas Kostüm vor der versammelten Mannschaft. Ihr jetziger Freund hat sie in allen Details, auch Hardcore mäßig fotografiert und ins Internet gestellt. Sie trat als Schauspielerin unserer Romansdorfer Weltbühne bei und man kann sich vorstellen was die da wollte. Sie, die übrigens noch nicht einmal eine schlechte Schauspielerin war, überredete mich zur Aufnahme der Boulevardkomödie „Mike Rembrandts Boheme“. Obwohl laut Drehbuch zwar eine weniger realistische Darstellung vorgesehen war, setzte Uta, auch gegenüber den anderen Mitgliedern des Teams durch, dass sie diese Rolle durchgängig ohne Textil durchspielte. Die Uraufführung war dann ein „voller Erfolg“. Die erschiene Männlichkeit hätte bis zum Ende ausgehalten aber ihre Frauen zogen sie aus dem Saal des Gemeindehauses, den die evangelische Kirchengemeinde dem Laientheater zur Verfügung gestellt hatte. Die vier weiteren vorgesehenen Vorstellungen fanden daraufhin nicht mehr statt. Man hat mich nicht nur der Leitung enthoben sondern auch ganz aus dem Verein gewiesen. Im Presbyterium empfahl man mir zurückzutreten um eventuellen Schaden von der Kirchengemeinde abzuhalten. Auf meine sportliche und politische Tätigkeit hatte das zu diesem Zeitpunkt so gut wie überhaupt keine Auswirkung. In den Bereichen ist außer dummen zweideutigen Bemerkungen nichts gefallen. Im politischen Bereich gab es sogar noch eine gegenteilige Stützungsmaßnahme für meine Person. Bekanntlich gibt es unter den Leuten, die sich dem Hobby Politik verschrieben haben, ganz exzellente Formulierungskünstler, die auf gut Deutsch Scheiße zu Gold reden oder schreiben können. Ein solch talentierter Knabe ist unser Genosse Hendrik Schreiber. Da er im Moment gerade mal 23 Jahre auf sein Lebensalterkonto zählt dürfte ihm noch eine große Zukunft bevorstehen. Vielleicht trifft man ihn eines Tages als Bundeskanzler oder mindestens Bundesgeschäftsführer wieder. Der formulierte einen Text, der vom Vorstand als meine Ehrenerklärung herausgegeben wurde. Der drehte den Spieß einfach um und warf dem Publikum durch die Blume „Kulturbanausentum“ vor.
Laut seinem Schrieb wollte ich mit meiner mutigen Inszenierung das Niveau des Laientheaters auf das Level professioneller Großstadtbühnen heben. Dafür sollte man mir in der kulturellen Wüste Romansdorf eigentlich dankbar sein aber im örtlichen Bürgertum herrschte wohl immer noch die Prüderie der 50er-Jahre. Die Erklärung kam voll an. Ich war wieder der Ehrenmann und die anderen die Dummen. Meine Untergänge im Bereich Politik und Sport standen etwas später dann aber ebenfalls in einem unmittelbaren Zusammenhang obwohl ich, wenn ich Rückgrat gezeigt hätte, der Kommunalpolitik schon längst den Rücken hätte kehren müssen. Ich saß da als ein Vertreter einer Partei, die schon seit der Benennung des Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und erst recht seit dem Rücktritt von Oskar Lafontaine nicht mehr meine Meinung vertritt. Den neoliberalen Kurs der sogenannten „Neuen Mitte“ kann ich persönlich nicht mittragen. Wenn ich die politischen Ansichten aus dem Buch „Mein Herz schlägt links“ abschreiben und mit meinen christlichen Ansichten, die ich der Bergpredigt entnehme, würzen würde, könnte ich es glatt als meine Meinung ausgeben. Aber das geht schon aus dem Grund nicht, weil ich nicht die Urheberschaft über „Mein Herz schlägt links“ habe sondern dieses bei Oskar Lafontaine, den ich für den letzten Sozialdemokraten in der SPD halte, liegt. Wegen solchen progressiven politischen Gedanken, wie sie von dem sogenannten Traditionalisten Oskar Lafontaine vertreten werden, bin ich mal 1967 als Juso der SPD beigetreten. Was die historisch unbeleckten Modernisierer, die uns den Liberalismus des 18. Jahrhunderts als Zukunft verkaufen wollen, da veranstalten würde ich persönlich als eine Politik der Besser-CDU bezeichnen. Und von wegen sozial? Ich entdecke bei SPD, CDU und F.D.P keinen Unterschied im Willen zum Sozialabbau zugunsten von Aktionären und sonstigen Anhänger des Mammonisten-Gottes Globalisierung. Und bei den Grünen sehe ich überhaupt kein diesbezügliches Profil – die fahren wohl nur auf dem SPD-Trittbrett mit. Na ja, mit diesen Ansichten stehe ich ja nicht alleine sondern der gesellschaftskritische Autor Reiner Vial äußert sich in seinen Büchern, die man auf seiner Homepage http://www.reiner-vial.de downloaden kann, entsprechend. Die sind zwar nichts für die Freunde der schönwortigen Literatur. Vial hat es wohl nicht so mit der Harmonie des schwingenden melodischen Satzbaues aber dafür sagt er ungeschminkt, für Alle verständlich, dass das, was Alle sagen zwar wunderbar uniform klingt aber nur in Ausnahmefällen auch für Alle richtig ist. Dieser „Kerl“ ist zum gleichen Zeitpunkt und den gleichen Gründen wie ich der SPD beigetreten aber er ist doch konsequenter wie meines Vaters Sohn: Als der Populist Schröder zum Spitzenkandidat gekürt wurde meinte er, dass wir so nur weiter verkohlt würden und schickte sein Parteibuch an seine SPD-Ortsverein genannte Besser-CDU zurück. Aber auch hier auf der kommunalpolitischen Ebene habe ich an dem „Verein“ ordentlich was zu maulen. Außer mir und einem Frührentner befinden sich in unserer Fraktion nur Beamte – Lehrer oder aus dem Bereich Verwaltung in den Nachbarkommunen – oder entsprechende Angestellte aus dem Öffentlichen Dienst. Da hat man ganz schön in den Fraktionssitzungen „zu ackern“ um all die Informationen, die bereits auf Rathausfluren und Lehrerzimmern abgehandelt wurden, zu bekommen. Entsprechendes gilt übrigens auch für unseren SPDOrtsverein. Entsprechend beamtokratisch sind auch die Ansichten, die in Fraktion und Ortsverein vorherrschen. Frische innovative Winde wehen schon lange nicht mehr. Neben der Beamtokratie gibt es in diesem Haufen nur noch den Populismus, insbesondere dann, wenn Landtags- oder Bundestagswahlen anstehen. Beamtokratie ist Pfennigfuchserei. Bevor ein Beamter ein Cent ausgibt werden lieber erst ein paar hundert Euro teuere Gutachten erstellt und fünfzigfache Rechnungsprüfungen vorgenommen. In Wahlkampfzeiten wirft der beamtete Parteisoldat alle diese Prinzipien über Bord und greift für wenig effiziente, dafür aber um so populistischere Maßnahmen ganz locker in die Haushaltskasse. Ja, offensichtlich ist in unserem Parteiensystem irgendwo der Wurm drin. Geändert werden kann so etwas aber nur, wenn wir den Leuten bewusst machen können, dass nur Innovation und Veränderung Zukunft bedeutet. Besitzstandswahrung und doktrinäreres Beharren auf einmal bezogene Standpunkte, was ja den meisten Beamtokraten zueigen ist, verhindern dagegen sicher jeden Fortschritt. Innerhalb unseres Ortsvereines und unserer Fraktion fiel mir schon auf, dass wir ganz dringend einer Frischzellkur bedürfen. Da müssen unbedingt mal junge flexible Leute aus allen Bevölkerungskreisen rein. Aber wie, wenn alles was es an Partei- und Ratspalavirions gibt zu Zeiten, wo in der freien Wirtschaft Beschäftigte und Selbstständige nicht können, stattfindet. Amtsschimmelreiter haben wohl des Abends Angst zur Sitzung zugehen, da mach sie lieber alles zu Zeiten, wo andere nicht können. Ich bin in der Vergangenheit schon mehrfach mit meiner Anregung, Ratssitzungen grundsätzlich um 19:30 Uhr beginnen zu lassen, angeeckt. Da stand ich immer allein. Ob wohl die Tatsache, dass laut Ortsatzung nach 18:00 Uhr kein Sitzungsgeld mehr gezahlt wird, dabei eine Rolle gespielt hat? Daran, dass man auf diese Art Leute, die ihre Firma nicht allein lassen können oder die um ihren Arbeitsplatz zittern müssen, ausschließt denkt wohl kein Beamtokratus oder BAT-Empfänger (BAT = Breit-Arsch-Tarif). Na ja, meinem persönlichen beruflichen Werdegang hat mein politisches Engagement ja auch schwer geschadet. Ich bin heute weniger wie damals als ich als frischgebackener Industriekaufmann in der Firma anfing. Damals wurde ich noch als Sachbearbeiter eingestellt und heute bin ich in der Registratur als Akteneinordner beschäftigt. Laut meinen Vorgesetzten war ich ja selten da, insbesondere dann nicht, wenn jede Hand gebraucht wurde. Das ich überhaupt noch in dem Unternehmen bin verdanke ich nur meinem Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit und dem starken Rückhalt, den mir meine Genossen im Betriebs-
rat gaben. Aber damit ist es nun auch vorbei und ich schätze mal, dass ich demnächst bei den Leuten, die zum Arbeitsamt geschickt werden, bin. Was soll’s, nach langläufiger Ansicht, auch in der SPD, sind Arbeitslose an ihrem Schicksal selbst schuld. Stimmt, warum musste ich mich auch so für meine Partei ins Zeug legen, ich wäre stattdessen besser meinen beruflichen Pflichten nachkommen. Jetzt kann man mich natürlich zurecht fragen, warum ich dann nicht schon längst aus dem Haufen ausgetreten bin. Ja Leute, ich hatte halt so eine Art Sendungsbewusstsein. Ich glaubte für die Allgemeinheit etwas tun zu müssen. Dafür war ich sogar bereit mein Privatleben zu opfern. Alle diese Dinge waren für mich mein Leben, meine für mich bestimmte Aufgabe. Und als Einzelkämpfer kommt man in unserer, von den Medien und der Wirtschaft beherrschten Parteiengesellschaft nicht sehr weit. Die Entscheidung bei der Truppe zu bleiben obwohl ich da gar nicht zuhause war entsprach so also eher einer Ohnmachtentscheidung. Obwohl ich bereits 1999 schon die Nase gestrichen voll hatte ließ ich mich auf der Jahreshauptversammlung wieder zum Schriftführer wählen und bei der Kandidatenaufstellung zur Kommunalwahl des besagten Jahres kam ich vor den Probportsfrauen hinter dem Kandidaten für den stellvertretenen Bürgermeister und hinter dem damaligen und jetzigen Fraktionssitzenden auf Platz 3 der Liste. Auch bei der zwei Wochen später stattfindenden Hauptversammlung bekam ich noch mal den Posten des Schriftführers. Also Anno 1999 blieb, obwohl der Wähler meiner Partei bei der Kommunalwahl eine deftige Abfuhr erteilte, für mich in Person noch alles beim Alten. Aber das Ende scheint mir nachträglich schon festgestanden zu haben. Im Frühjahr 2000 ging es dann doch richtig los. Der Größenwahn hatte auch die Jugendabteilung unseres BSV Romansdorf erfasst. Man hielt es für möglich, dass unsere B- und A-Jugend in der Regionalliga mitkicken könne. Ihnen war klar, dass dieses nicht mit den derzeitigen Kadern, das in beiden Altersklassen noch zur Hälfte aus richtigen Romansdorfer Jungens bestand, nicht klappen würde. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung besagt ja, dass, je kleiner die Zahl der auswählbaren Leute ist umso kleiner auch die Chance ist echte Talente zufinden. Und Romansdorf ist ja nicht die Bundesrepublik und schon gar nicht ganz Europa. Da trat die Jugendabteilung mit dem Geldwunsch für den „Ankauf von Talenten“ an uns, den Vorstand, dem der Jugendleiter selbst verständlich auch angehört, heran. Du meine Güte, was hat man mich verständnislos angesehen als ich gegen den Gebrauch des Wortes „Ankauf“ in Verbindung mit jungen Männern protestierte. Ich sah darin die Menschenwürde verletzt, denn junge Fußballspieler sind doch keine Objekte beziehungsweise keine Ware, die man beliebig an- und verkaufen kann. Dieses tat der Jugendleiter lakonisch ab: „Mensch Gerd, alter Junge, jetzt stell dich aber nicht wie Pastor Neumanns Betschwestern an. Irgendeinen Namen muss das Kind doch haben und Ankauf ist doch nur ein Wort; Schall und Rauch. Wir wissen doch alle was gemeint ist. Da können wir doch nicht erst eine Ethikkommission, die unseren Antrag formulieren soll, einberufen. Nimm doch statt zum Wortklang lieber mal zur Sache Stellung. Wir sind hier ja nicht im Deutschunterricht sondern im BSVVorstand“. Das tat ich dann auch: „Sportfreunde ihr wisst hundertprozentig, dass der Name Gerd Wallek mit dem allgemeinen Breitensport verbunden ist. Ich möchte, dass alle Romansdorfer Jugendlichen, gleichgültig aus welcher Einkommens- oder Gesellschaftsschicht sie kommen, bei uns eine Möglichkeit bekommen sich sportlich zu betätigen. Darin sehe ich ein Mittel sowohl gegen die Null-Bock-Ecken-Steherei so wie gegen letztendlich mehr als sinnloses Dahinkonsumieren. Ich will jetzt keine hochtrabenden Worte wie Volksgesundheit oder Drogenprävention in den Mund nehmen, denn ich gehe davon aus, dass ihr wisst was ich meine. Die Jugend brauch eine Aufgabe und eine motivierende Perspektive ... und die müssen wir ihnen geben. Wenn wir jetzt der Siege und des Aufstiegs Willen junge Talente aus der größeren Umgebung oder gar dem ganzen Bundesgebiet anwerben, dann nehmen wir mit jeder Neuerwerbung ... auch so ein menschenverachtendes Wort – einen hier aufgewachsenen Jungen die Chance in unseren Reihen spielen zu können. Da ist letztlich für die einheimische Jugend keine Motivation mehr bei uns einzutreten. Die stehen dann doch lieber nur in der Gegend rum und klopfen Sprüche wie ‚Äh Alter’, ‚Cool’ und andere Ein- bis Drei-Wort-Sätze. Das gibt denen dann auch unheimlichen Schwung für die Lebensbewältigung und Anreize für die tatkräftige Beschaffung der Mittel, mit der sie später auch die Zahlung unserer Renten sichern können. Also ich bin gegen die kommerzielle Talentwerbung.“. „Mach es mal halblang, Gevatter Wallek,“, konterte jetzt der Boss der Jugendabteilung, „wir dürfen nicht vergessen, dass in unserem Sport, wie in jedem anderen auch, Namen eine tragende Rolle spielen. Würdest du deinen eigenen Jungen bei unseren Nachbar Kickers Weismahr oder Borussia Löhnfeld anmelden? Die haben keine Namen und die Eltern glauben nicht, dass ihre Jungens da richtig gefördert werden können. Jedes Jahr bekommen Weismahr und Löhnfeld in jeder Altersklasse nur mit Hängen und Würgen gerade mal eine Mannschaft zusammen. Oft treten die nur mit zehn oder gar nur neun Mann an. Diverse Spielausfälle sind darauf zurückzuführen, dass sie ihre handvoll Leute nicht zusammentrommeln konnten. Wir haben aber von der F- bis zur A-Jugend in allen Altersklassen drei Mannschaften, bei der F- und E-Jugend sogar fünf. Siehst du eine Möglichkeit deine Ziele bei so Kleckermannschaften wie bei Kickers oder Borussia verwirklichen zu können. Ich glaube nicht. Da liegen wir glaube ich richtiger, wenn wir uns bei den Älteren in der A- und B-Jugend Zugpferde aufbauen. Mir tut die Kohle, die wir dafür geben auch irgendwo weh. Du weist aus dem Rat, was ich
für ein Sparfanatiker bin. Aber kannst du die Welt ändern? Leider ist der Fußball verkommerzialisiert und einen Weg zurück in 50er- und 60er-Jahre gibt es nun mal leider oder auch Gott sei Dank nicht. Nicht nur weil der Antrag von uns gestellt wurde, befürworte ich den Antrag und sage dabei, dass sich meine Endziele mit den deinigen decken. Wir wollen nur unterschiedliche Wege einschlagen. Deinen halte ich für antiquiert und glaube, dass es zu meinem keine Alternative gibt.“. Karl Schroer, unser Schriftführer ist eine einfache aber treue Seele. Er pflegte seine Beiträge immer mit der Formulierung „Unser Namensträger ist unsere erste Senioren-Mannschaft“ einzuleiten. Das tat er auch an diesem Abend und fuhr dann fort: „Und für diesen Namensträger brauchen wir Nachwuchs, den wir in Romansdorf nun mal nicht finden. Junioren kriegen wir noch preiswert; für fertige Spieler müssen wir schon richtige Sümmchen hinblättern.“. Dagegen musste ich doch noch mein Wort erheben: „Mein lieber Karl, glaubst du denn, dass wir von den Leuten, die wir jetzt für die Junioren holen, später noch was haben? Die wirklich guten Talente schnappen uns, wenn wir sie ausgebildet haben, die Proficlubs vor der Nase weg. Was die denen bieten können wir beim besten Willen nicht aufbringen. Und die anderen machen Vereinshopping. Die gehen von den einen zum anderen nur weil sie dort ein Butterbrot mehr bekommen. So etwas wie Vereinstreue gibt es heute nicht mehr. Das Profitum hat unseren Sport versaut. Profis sind die Totengräber des richtigen Sports für Alle.“. In diesem Sinne ging es den ganzen Abend Hin und Her. Es war eine Vorstandssitzung die man mit „Einer gegen Alle oder umgekehrt“ hätte überschreiben können. Ich stand mit meinen Ansichten allein auf weiter Flur. Als dann über den Antrag abgestimmt wurde, fiel die Einscheidung bei nur einer Gegenstimme zu Gunsten des Antrages aus. Na ja, ich kann mit Entscheidungen, die gegen mich fallen ganz gut leben. Und für eine Sache gestanden zu haben stärkt auch irgendwo beim Selbstbewusstsein. Was aber von dieser Vorstandssitzung an die Öffentlichkeit drang war nicht gerade das, was ich mir wünschte. Ich wurde als Feind der aufstrebenden Junioren dargestellt. Jetzt verknüpfte man, um mich zu diffamieren, diese Angelegenheit mit der inzwischen ausgestandenen Geschichte von der Romansdorfer Weltbühne, die damit nun beim besten Willen nichts zu schaffen hat. Man sagte, dass ich statt dafür sorgen dass unsere Junioren bestklassigen Fußballspielen könnten wohl lieber mit der Damenmannschaft unter der Anleitung von Uta Schröder Auftritte beim nächsten Vereinsabend einstudieren wolle. Ganz offen drohte man mir damit, dass ich auf der nächsten Jahreshauptversammlung beim Verteilen der Pöstchen keine Stimme aus der Jugendabteilung zu erwarten hätte. Was soll’s, denn von denen kommen ja ohnehin nicht viel zählende Stimmen, denn Minderjährige haben dort kein Stimmrecht. Also auch im Sport gibt es wie in der Politik Kämpfe um Mandate und die dazugehörige Kraftmeierei in Bezug auf die Vergabe der Stimmen. Im Hinblick auf diese Sache und mit Strategie im Hinterkopf wurde dann so der nächste Konflikt vorprogrammiert. Ganz unverhohlen sprach mich der Trainer unserer ersten Seniorenmannschaft im Beisein seines Mannschaftsführer an: „Hör mal Gerd, mit den Trainingszeiten, wie ihr diese vergeben habt, sind wir beim besten Willen nicht einverstanden. Des Dienstags und Donnerstag hat die Jugendabteilung in den besten Zeiten zwischen 18 und 20 Uhr das Hauptfeld. Dienstags ist es die B und Donnerstags die A. Und wir müssen uns da ab 20 Uhr in die Nacht wühlen. Mensch, wir sind doch noch nicht in Bundesligarängen, wir krebsen erst mal in der Verbandsliga rum. Unsere Leute müssen des Morgens wieder raus und ihren bürgerlichen Berufen nachkommen. Da fordern wir von euch, dass die Trainingszeiten getauscht werden. Schließlich sind wir, wie Karl Schroer immer sagt, der Namensträger des Vereins – wir sind der BSV Romansdorf. Von uns wird Sonntag für Sonntag eine knallharte sportliche Leistung gefordert. Jetzt ist der Zug allerdings abgefahren, die Saison geht langsam zuende. Aber ab der neuen Saison fordern wir die Trainingszeit täglich von 18 bis 20 Uhr auf dem Hauptplatz. Und denk daran, bei der Jugendabteilung hast du verschissen und bei der nächsten Hauptversammlung möchtest du ja wiedergewählt werden, dann bist du auf uns angewiesen ... also tue was.“. Das konnte ich natürlich so nicht unwidersprochen im Raume stehen lassen: „Ich glaube jetzt ernsthaft, dass bei euch der Übermut ausgebrochen ist. Jetzt stell dir mal vor, dass wir Jugendliche, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben ... die Jüngsten in der B-Jugend sind gerade mal 15 – dann bis 10 Uhr abends trainieren lassen würden. Da kann es doch mit Duschen, Umziehen und dem Heimweg Mitternacht werden. Mensch die Eltern machen uns dann fertig. Dass kann das Ende unserer Junioren besiegeln. Außerdem könnten wir möglicher Weise dahingehend Ärger mit dem Jugendamt kriegen. Was ihr da wollt kann ich zwar verstehen aber ich darf es auf keinen Fall billigen“. „Du bist offensichtlich wohl ganz aus dieser Welt abgetreten.“, erwiderte der Trainer, „Weiß du was deine lieben Jungens nach dem Training machen? Die hängen dann bis nach Mitternacht in der Disco rum. Mensch wir haben doch nicht mehr 1950 sondern wir schreiben das Jahr 2000.“. Da musste ich dann doch was drauf sagen: „Sicher haben wir jetzt 2000 und daher weiß ich auch, dass euch bei der Trainingszeit ab 20 Uhr zwei Stunden beim Saufen verloren gehen. ... Sag jetzt nichts, denn ich weiß selbst, dass dieses eine genauso böswillige Pauschalisierung ist wie du sie gegenüber den Jugendlichen eben getätigt hast. Also, auch über die Jugend braucht ihr mich nicht aufzuklären. Ich weiß, dass es in vielen Fällen so ist wie ihr sagt aber das trifft Gott sei dank nicht auf alle zu. Letztere sind zum Glück sogar die Mehrheit. Und wir als Sportverein haben eine gemeinnützige Aufgabe, was auch beinhaltet, dass wir an Recht und Gesetz gebunden
sind. Deshalb schminkt euch die Trainingszeiten ab 20 Uhr ab. ... Und noch was: Wenn ihr mich nicht wählen wollt, dann wählt jemand anderes, das ist euer gutes Recht.“. Mit letzteren Worten hatte ich verdeutlicht, dass dieses mein letztes Wort in dieser Angelegenheit war. Diese Forderung lag nun auf den Tisch und beschäftigte uns in der nächsten Zeit in den, in immer kürzeren Abständen stattfindenden, Vorstandssitzungen. Zur gleichen Zeit lief es, wie man in Fußballerkreisen zu sagen pflegt, auf dem Platz richtig super. Unsere Jungens standen schon am drittletzten Spieltag als Meister fest und die Forderungen der 1. Mannschaft schraubten sich von Erfolg zu Erfolg immer höher. So wollte die Mannschaft dann als Belohnung für die Meisterschaft eine Reise mit Frauen beziehungsweise Freundinnen nach Teneriffa vom Verein gesponsert haben. Gleichzeitig sank mein Stern immer tiefer, denn ich war derjenige, der sich für die Abwehr aller Forderungen einsetzte. Sehr erfolgreich war ich nicht. Sie kamen zwar nicht nach Teneriffa aber dafür nach Mallorca. Nicht ganz so teuer aber zur ordentlichen Saufkur auch ganz recht. Einzig bei den Trainingszeiten setzte ich mich mit einer knappen Mehrheit im Vorstand durch. Bei meiner Haltung habe ich mich in fast allen Vereinszirkeln zwischen die Stühle gesetzt. So sah es zu Beginn der Saison 2000/2001 tatsächlich so aus als habe nun mein letztes halbes Jahr beim BSV Romansdorf begonnen. Der Finanzbedarf des Vereins schraubte sich bei einem solchen Gebaren natürlich enorm nach oben. Es blieb uns nicht anderes als auf Sponsorensuche zu gehen. Bei dieser Gelegenheit wendet sich mein Blatt in vielerlei Hinsicht erst mal wieder auf die positive Seite, sogar so weit, dass ich heute locker und ohne Gram darüber berichten kann. Statt bei Sponsoren zu hausieren begab ich mich an einem Abend zur Entspannung und zur „Brautschau“ in den Rosenpalast. Das ist so ein Etablissement, was man in früheren Jahren als Ball der einsamen Herzen bezeichnet hätte. Üblich ist dort, dass man dort die halbe Nacht die Veranstaltung „Ball Kuddelmuddel“ spielt und anschließen Er eine Sie oder umgekehrt „abschleppt“. Kuddelmuddel heißt, das sowohl die Herren wie die Damen zum Tanz auffordern dürfen. Ich war noch nicht ganz da als mich Elke Weber, eine Cousine meiner ersten Frau, zum Tanze bat. Jetzt muss ich sagen, dass es sich um eine Dame, die 10 Jahre jünger als ich ist und es dabei um eine Alles in Allem sehr attraktive Frau handelt. Elke hat die Eigenart grundsätzlich immer sehr direkt und zielstrebig vorzugehen. So sagte sie mir beim ersten Tanz: „Gerd, weiß du, dass ich immer schon auf dich scharf war.“. „Meinst du für eine Nacht oder für immer“, fragte ich zurück und bekam die Antwort: „Natürlich für immer. In mir wirst du deine Meisterin finden, für mich wirst du Zeit haben. Ich werde dank eigenen Handelns keinen Grund haben mich von dir vernachlässigt abzuwenden“. Bei den Worten bewegte sich dann bei mir etwas langsam nach Oben und ich sagte jetzt, wohl schon etwas lüstern: „Wenn ich es mir recht überlege, habe ich jetzt schon Zeit für dich. Das würde ich dir ganz gerne bei mir zuhause beweisen.“. Mit „Und worauf warten wir dann noch“ beendete dann Elke diese Tanzrunde und leitete das Wesentliche ein. Wir gingen in meine eigenen vier Wände innerhalb der Elke sofort nach dem Schließen der Eingangstür begann sich ihrer Kleidung zu entledigen. „Man was bin ich scharf.“, tönte sie, „Seitdem es mit Hausmann Schluss ist , ... das heißt seit dem es bei meinem Männe nicht mehr klappt, war es mir nicht mehr vergönnt was zwischen die Beine zu kriegen. Aber irgendwo kann ich mich nicht davon freisprechen, so etwas zu brauchen.“. Weil ich selbst so heiß war ging ich auf diese Aussage gar nicht weiter darauf ein sondern wir machten erst einmal das, was sich wohl alle, auch ohne dass ich es beschreibe, denken können. Als wir dann anschließend glücklich geschafft nebeneinander lagen und ich noch mit ihren Brustwarzen spielte, schoss mir der Name Hausmann durch den Kopf. Da sie nur Hausmann gesagt hatte, konnte es sich nur um den Multimillionär und Boss der gleichnamigen Computerhandelsfirma handeln. „Was hattest du denn mit Hausmann“, fragte ich jetzt mal neugierig. „Ja, weiß du das denn nicht?“, sagte sie jetzt etwas spöttelnd, „Als du noch mit Astrid (meine erste Frau) verheiratet warst, war ich seine Sekretärin, dann war ich 5 Jahre seine Mätresse und anschließend hat er mich doch geheiratet und jetzt in drei Monaten werden wir einvernehmlich geschieden sein. So wie ich dich angemacht habe wirst du mir bestimmt nicht glauben, dass Werner Hausmann außer zwei Jugendlieben, der einzigste Mann in meinem Leben war. Aber das ist die Wahrheit.“. Jetzt war ich doch neugierig: „Aber der ist doch mindestens 20 Jahre älter wie du?“. „Eben, eben.“, antwortete mir Elke gelassen, „Er war nicht nur 20 sondern ganze 26 Jahre älter als ich. Er ist jetzt 73 und nachdem er an der Prostata operiert worden ist, klappt es bei ihm nicht mehr so. Er fand es zuschade, da ich noch zu jung wäre, da mit zuleiden hätte und hat mich freigegeben. Deshalb bin ich schon seit einem Dreivierteljahr so gut wie jeden Tag im Rosenpalast und nie war was für mich dabei. Als du heute reinkamst, wusste ich da ist er, ... also keine Vorrede mehr; ran. Ach übrigens, ich kann es mit Werner, der mich finanziell auch nicht schlecht ausgestattet hat, immer noch ganz gut. Soll ich dich mal bei ihm vorstellen? Ich habe gehört, dass ihr beim BSV in Geldnöten geraten seit ... und Werner ist wahrscheinlich nicht abgeneigt bei euch den Big Sponsor zu spielen.“. Ich konnte es fast nicht glauben, sollte mir jetzt plötzlich wie im Schlaraffenland alles ohne mein Zutun in den Schoss fallen. Natürlich nahm ich Elkes Angebot an und bat um einen Termin bei Hausmann. Dieser oder jene wird jetzt sagen: „Oh je, was ist diese Elke nur für ein Früchtchen. Gleich nach dem ersten Tanz ...“ und so weiter und so fort. Der erste Eindruck täuscht aber. Vielleicht sieht man das schon ein bisschen daran, dass es in ihrem Leben außer nur zwei Jugendlieben nur diesen einen Mann, den Multimillionär Werner
Hausmann gab. Sie war bei ihm einmal als Chefsekretärin angefangen und seine, wie sie selbst sagte, Mätresse geworden. Aber dieses Wort vermag ich so nicht stehen lassen. Zwar gab es damals noch eine andere Frau, die sich Frau Hausmann nennen konnte aber nur überstrenge Moralisten würden von Ehebruch sprechen. Da ist es schon treffender wenn „sittenstrenge“ Klatschbasen sagen: „Da ist die erste Frau noch nicht unter der Erde, da hat er schon eine Andere.“. Aber ich glaube, dass damit sowohl Hausmann wie auch Elke leben können. Hausmanns erste Frau lag in einer Klinik im Koma und man wusste, dass sie diese nie wieder verlassen würde. Hausmann brachte es nur nicht übers Herz, die Apparate abschalten zu lassen. Da war es Elke, die sich um den damals um den verzweifelten Hausmann kümmerte als sei es ihr Vater, den sie umsorgen müsse. Dieses kann ich sogar im reinsten Sinne des Wortes schreiben, denn erst später wurde aus dem Wahl-Tochter-Vater-Verhältnis eine Liebe zwischen Mann und Frau. Ich glaube Elke hat den Unfalltod ihres Vaters, der ausgerechnet auf ihrem 8. Geburtstag verunglückte, nie verkraftet und diesen in einem lebenslangen Vaterkomplex kompensiert. Sie hatte mit dem wesentlich älteren Hausmann zwar Sex aber ansonsten sah es doch mehr nach einem sehr guten Vater-Tochter-Verhältnis aus. Auch ich bin ja nun mal ein ganzes Jahrzehnt älter wie sie und stelle so eine Art Traummann für sie da. Das mag auch daran gelegen haben, dass sie mich schon aus der Zeit, als ich mit ihrer älteren, mir gleichaltrigen Cousine Astrid verheiratet war, kannte. Wir haben immer, auch als meine Ehe schon in Scherben lag, ein gutes Verhältnis zu einander gehabt. Elke sagte mir, dass ich im verwandtschaftlichen Umgang immer wie ein Vater zu ihr gewesen sei. Da schließt sich offenbar der Kreis. Ihre Motivation sich mich gleich praktisch im ersten Moment hinzugeben war ganz einfach das Zupacken wollen, sich die Chance nicht entgehen zu lassen. Damit hatte sie auch Erfolg. Noch heute ist sie an meiner Seite. Sie wird wohl mein letztes Abenteuer gewesen sein, denn diese Frau, die im Gegenzug wie eine treusorgende Tochter zu mir ist und mich dahingehend sehr glücklich macht, werde ich wohl nicht mehr loswerden. „Loswerden“ hört sich so hart an, besser wäre es wenn ich sagen würde das es unser beider heißer Wunsch ist zusammen alt zu werden. Und das mag ich auch noch verraten: Im Bett ist Elke nicht meine Tochter sondern eine ganz tolle Frau. Daher habe ich diesbezüglich auch keine Probleme. In der Geschichte meines Abstieges im Bereich Sport und Politik war mir Elke eine wertvolle Beraterin und Stütze – sowohl menschlich wie auch sachlich. Aber vor meinem Fall kam erst noch mal einen Aufstieg, den ich Götz Hausmann, Elkes „Stiefsohn“, zu verdanken habe. Götz ist auch einer der beiden Gründe, warum sich das Ehepaar Hausmann, obwohl sie noch sehr gut zueinander standen, scheiden lassen wollten. Den ersten Grund, dass der 73-jährige, durch ProstataOperation impotente Hausmann seine junge Frau nicht von den Freuden des Lebens, der sie zweifellos bedurfte, ausschließen wollte, habe ich genannt. Er gab sie frei, damit sie in einer festen Bindung und in keiner LebensAbschnitts-Partner-Schaft ihre Erfüllung finden konnte. Der zweite Grund entsprach einem Wunsch Elkes, die davon überzeugt war, nicht als Erbschleicherin geboren zu sein. Götz ist ein Jahr älter wie seine „Stiefmutter“ und die beiden haben nach anfänglichen, leicht nachvollziehbaren Querelen so eine Art gutes StiefgeschwisterVerhältnis entwickelt. Götz ist Hausmanns einzigstes „Kind“ und Elke bekam, zu ihrem Leidwesen, keine Kinder. Nach der dritten Fehlgeburt ließ sie sich sterilisieren. Für sie stand immer fest, dass Götz der Erbe des Hausmann-Imperiums sein würde. Durch die ganze Ehezeit hindurch wurde Elke von ihrem Mann mit Aktien, Anlagen und Beteiligungen ausgestattet – was selbstverständlich steuerlich günstiger wie Schenkung und Erbschaft ist – und somit ist sie eine gute Partie obwohl sie durch Scheidung von der Erbschaft ausgeschlossen sein wird. Ich habe noch nie von einer vernünftigeren Nachlass-Regelung gehört. Elke hat auch heute noch ein Superverhältnis zu den beiden Hausmann-Männern. Mindestens einmal die Woche kreuzt sie bei den beiden in deren Villa auf. Ab und zu bin ich auch dabei. Auch wenn ich nicht dabei bin, habe ich keinen Grund eifersüchtig zu sein, denn von dem Alten geht „keine Gefahr aus“ und auf dass sie nicht mit dem Jungen, der nach eigenem Bekenntnis nicht gegenüber seiner „Stiefmutter“ sexuell abgeneigt ist, alleine zusammentrifft achtet Elke peinlichst genau. Irgendwo ist die Frau doch irgendwie sittenstreng. Mit Götz wollte sie erst nichts zutun haben weil sie die Frau seines Vaters war und dann weil er der Mann einer Anderen ist. Und jetzt kommt er erst recht nicht in Frage, weil sie sich für die Meinige hält. In dieser Angelegenheit wollte sie dann auch nicht mit dem Feuer spielen. Ich traf mit Werner und Götz Hausmann am Abend des Folgetages unseres „Kennlernens“ erstmalig persönlich zusammen. Was mich wunderte war, dass die beiden ganz untypische Reiche sind. Beide sind sehr umgänglich und menschlich. Daher ist es vielleicht auch erklärlich, dass sie echte Freunde unterhalb ihrer Hierarchieebene haben. Auch mit mir schlossen sie gleich Freundschaftsbande. Ich war noch keine Viertelstunde in deren Villa als sie mit mir, weil ich ja jetzt zur Familie gehörte, das Du vereinbart hatten. Und Elke war glücklich, denn dadurch wurde ihr ja bestätigt, dass ihre Wahl auch die Zustimmung ihrer bisherigen Familie fand. Geschäftlich sollen sie aber knallharte Managertypen sein – aber aus der Warte habe ich sie nie kennen gelernt. Oder Stopp, vielleicht sprach der Manager aus Götz als er mir die Sponsoringzusage für den BSV Romansdorf machte: „Eines sage ich euch aber vorab. Ich sponsere weder aus Idealismus noch aus Wohltätigkeit sondern für mich ist es ein Geschäft ... sprich steuergünstige Werbung. Das bedeutet für euch, dass ihr immer an das denken müsst was ihr als Werbeträger wert seid. Euer Verein hat lediglich eine regionale Bedeutung und da werdet ihr erst
darüber hinaus kommen wenn ihr mal ein oder zwei Jahre in den Profiklassen gespielt habt ... und das auch nur vielleicht. Da kommt ihr erst darüber hinaus, wenn ihr euch einen bundesweiten Fankreis aufgebaut habt. Und das ist sehr schwer, denn ihr tretet gegen eingeführte traditionelle Namen an. Nur die Namen sind heute noch wichtig. Wer fragt schon danach was die Balltreter mit München, Leverkusen, Dortmund oder Gelsenkirchen ... sorry Schalke zutun haben. Das sind Firmen mit internationaler Belegschaft, die nur den Namen ehemaliger Sportvereine haben. Und nur mit dem Namen kann man Geld machen. Der sogenannte sportliche Erfolg ist nur wichtig, dass der Name immer oben bleibt und so pausenlos werbewirksam und suggestiv faneinheizend in den Medien genannt wird.“. Als pflichtbewusster Sportfunktionär versuchte ich ihn an dieser Stelle zu widersprechen aber Götz ließ sich nicht beirren und setzte fort: „Entsprechend eurer regionalen Bedeutung werde ich den Betrag festlegen und limitieren. Mehr gibt es nicht; auf keinen Fall. Und wenn ihr glaubt, durch weitere Sponsoren genannte Werbeauftraggeber zu mehr Geld zu kommen, sollte ihr beachten, dass ihr so die Werbeeffizienz für mich herabsetzt und ich dementsprechend auch meine Beiträge herunterschrauben oder gar ganz aussteigen muss. Also Vorsicht: Keine Höhenflüge, denn sie könnten zum Absturz führen.“ Jetzt nannte er mir noch die technischen Bedingungen für das Sponsoring wie Trikot- und Bandenwerbung, herausragende Nennung in Vereinspublikationen und so weiter. Ohne dass es mit mir abgesprochen war empfahl Elke ihrem älteren „Stiefsohn“ die Forderung, dass ich der erste Vorsitzende sein müsse. Obwohl ich mich bescheiden gab und so tat als wenn ich das gar nicht so wolle, ging Götz mit den Worten „Rede doch nicht so, in Wirklichkeit ist das doch dein Traum“ auf den Vorschlag ein. So kam es dann, dass ich auf der Jahreshauptversammlung, die im Februar 2001 stattfand, fast einstimmig zum Boss des BSV Romansdorf gewählt wurde. Ein halbes Jahr vorher sah es jedoch, wie ich ausführlich geschildert habe, noch ganz anders aus. Mit dem Aufstieg vom zweiten zum ersten Vorsitzenden hatte ich jetzt auch einen glaubwürdigen Vorwand mich von der aktiven Tätigkeit im SPD-Ortsverein abzuseilen. Ich gab an, dass ich mit den gewachsenen Aufgaben in der Fraktion und dem BSV Romansdorf bereits so ausgelastet sei, dass ich den Aufgaben im Ortsverein nicht mehr im „notwendigen“ Maße nachkommen könne. Meine wahren Gründen lagen tiefer - in meiner Überzeugung. Ich war, wie ich bereits eingangs schrieb, schon lange kein SPD-Parteisoldat mehr; ich wollte beziehungsweise ich will diese Partei sogar nicht mehr wählen. Wäre ich meiner kommunalpolitischen Pöstchen halber in den Ortsvereins-Vorstand gewählt worden hätte diese Wahl für 2 Jahre, also bis 2003, gegolten. Aber am 22. September 2002 finden Bundestagswahlen statt. Klar doch, dass man als Vormann in den Wahlkrampf hätte ziehen müssen. Dann hätte ich nach Außen mit voller Überzeugung die Schröder-SPD, die ich persönlich für eine Besser-CDU halte, vertreten müssen. Wie paradox: Die Partei selber nicht wählen wollen aber den Leuten vormachen, dass es sich um die Größten und Schönsten handelt. Und das alles nur aus dem Grunde, weil ich an meinem Stuhl im Rat klebte. Und warum dieses? Na ja Leute, ich liebe meine Heimat, meine Kommune, für die ich mich immer engagiert habe. Sage ich meiner Partei „Ade“ kann ich zwar rein rechtlich meinen Sitz im Rat behalten aber schließe ich mich keiner anderen Partei an – und das wäre ja nur dass ich das, was ich vorher in Rot hatte jetzt in Schwarz, Gelb oder Grün serviert bekäme – stehe ich Draußen vor der Tür; der Informationsfluss reißt ab. Dann erfahre ich erst in der Ratssitzung was eigentlich Sache ist. Wie will man sich da noch zu vernünftigen konstruktiven Beschlüsse durchringen. Und sag keiner, dass Politiker unter sich nicht mobben könnten. Was Schröder und Freunde in der Bundesregierung mit Lafontaine schafften dürfte doch für Romansdorfer Ratsleute, die ja noch ungehemmter wie die erste Truppe im Bund vorgehen können, kein Problem sein. Nee, nee, mitgefangen ist mitgehangen. Was mich irgendwie mal interessieren würde, wie viel Leuten es in der Politik, von ganz Unten bis ganz Oben, genauso geht wie mir, dem armen Gerd Wallek. Wie viel pazifistisch gesinnte SPD- und Grünen-Bundestags-Abgeordnete haben sich wohl aus ähnlichen Gründen von Schröder, Müntefering und Fischer ihr Gewissen abnötigen lassen als die Frage eines Militäreinsatzes in Afghanistan mit der Vertrauensfrage verknüpft wurde. Ganz abgesehen davon, dass es sich dabei um einen undemokratischen und grundgesetzwidrigen Fraktionszwang handelt. Ja, ja, wozu so etwas wie Machtbesoffenheit alles führen kann. In den ersten vier Monaten des Jahres 2001 war ich also Alles in Allem im siebten Himmel; auf jeden Fall empfand ich mich in einer solchen Sphäre. Auch sportlich lief es für unseren Verein mehr als hervorragend. Fast alle unsere Mannschaften, von der F-Jugend bis zu den Alten Herren, befanden sich im oberen Drittel der jeweiligen Tabellen ihrer Klassen. Unsere erste Mannschaft schien auf Durchmarschkurs zu sein. Da war sie gerade mal das erste Jahr in der Oberliga und dann war sie vom ersten Tabellenplatz nicht mehr zu verdrängen. Aber gerade der Erfolg sollte der Anfang von meinem Ende sein. Da wurden dann die Stimmen laut, dass man für die Regionalliga doch noch was an „Spielermaterial“ – wieder so ein Wort, was würdebewussten Menschen quer im Magen liegen muss – gebraucht würde. Für das Geld, was da verschiedene Leute für einen einzigen „Balltreter“ ausgeben wollten konnte man früher vier Vereine unserer Größe komplett finanzieren. Laut sagte man, der Sponsor müsse im Regionalligafall noch kräftig etwas drauflegen. Aber Götz Hausmanns Wort stand. Was für die Sportfans ein Aufstieg war, war es noch lange nicht für Götz. Für ihn war sein Werbeträger noch
nicht von der regionalen Bedeutung aufgestiegen – und mehr Geld gibt es nur wenn der Kreis der Leute wächst, die für ihn durch die Werbung mit diesem Verein erreichbar sind. Da lag dann der Vorschlag, der auch von diversen anderen Vereinen in ähnlicher Situation schon gebracht wurde, auf dem Tisch der Vorstandssitzung: Erstens wollte man durch Einstellung der beiden Damenmannschaften „sparen“ und zweitens forderte man von der Stadt und dem Kreis eine Bürgschaft, die ihnen eine Regionallizenz sichern sollte. Zu beiden Fällen erklärte ich: „Nur über meine Leiche.“. Na ja, das nahm man dann wörtlich und es wurden die Messer gezückt. Karl Schroer, der nun schon seit bald 20 Jahren der BSVSchriftführer ist brachte in einer Vorstandssitzung den Antrag auf Einstellung der „Damenabteilung“ ein. Ausnahmsweise begann er nicht mit der namenstragenden ersten Mannschaft, denn er las diese Geschichte vom Blatt ab. An diesem Antrag hatten wohl mehrere Herren gefeilt. Die Tendenz des Antrages und insbesondere dessen Begründung lief in die Richtung, dass der Damenfußball in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet. Einer unserer Machos warf dann zwischendurch ein, dass dieses durch Striptease-Einlagen und Oben-OhneAntritte bestimmt belebbar sei. Laut des Antrages verursachen die Damen aber im Gegensatz zu ihrer Effizienz die gleichen Kosten wie untere Herrenmannschaften. Wir müssten daran denken, dass wir gegenüber unserer Region mehr als andere Vereine eine Verpflichtung hätten. Eine erfolgreiche Regionalliga-Mannschaft würde sicher zur Wirtschaftsbelebung in unserer Gegend führen aber ohne Verstärkung unserer ersten Mannschaft auf bestimmten Positionen wäre wohl nicht an Erfolg zu denken sondern wir würden uns als Punktelieferant lächerlich machen. Auch unserem Sponsor wie auch andere in Frage kommenden Finanziers müssten wir durch Erfolge überzeugen, da uns ansonsten der weitere Weg nach Oben verbaut sei. Da uns derzeitig keine ausreichenden Sponsorengelder zur Verfügung ständen müssten wir halt sparen. Da böte sich die Einstellung der Damenmannschaft direkt an, da wir dieses sogar ohne schlechtes Gewissen machen könnten, denn Kickers Weismahr würde sich freuen, wenn sie unsere Damen übernehmen und sich so ein I-Tüpfelchen in ihrem sonst so farblosen Vereinsleben verschaffen könnten. Darauf musste ich doch eine Gegenrede halten: „Mein lieber Karl, liebe Sportfreunde, ich widerspreche nicht wenn gesagt wird, dass eine erfolgreiche Profimannschaft der heimischen Wirtschaft, insbesondere im Bereich Gastronomie und Handel eine ‚Vitaminspritze’ bringt. Man muss aber auch daran denken, dass dieses dann aber ein von der öffentlichen Hand gekaufter Wirtschaftserfolg ist. Denkt daran, dass der Steuerzahler da hinsichtlich Stadionkapazität, Verkehrsführung, Parkraum und öffentliche Ordnung erheblich in Vorleistung gehen muss. Und das Ganze auf Verdacht, denn eine Erfolgsgarantie gibt es auch mit gekauften Stars nicht und eine Refinanzierung ist nur bei Erfolg denkbar ... aber auch dafür gibt es keine Garantie. Dergo, das Ganze alles nur auf Verdacht, denn eine Erfolgsgarantie gibt es, wie gesagt, nicht und eine Refinanzierung ist ausschließlich nur bei Erfolg denkbar.“. Diese Ausführung, die ich dem direkten Eingehen auf das Thema Damenmannschaft voranstellte, musste ich in der Folgezeit einige Male auch bei anderen Gelegenheiten wiederholen. Aber bevor ich zum eigentlich Antragsgrund kam löste ich dann mit der Bemerkung, dass nicht die Wirtschaftsförderung sondern der Breitensport, sprich in unserem Falle Fußball für alle, unsere Aufgabe sei, eine heiße Diskussion aus. Die Tendenz war eindeutig und hieß: Heutzutage gäbe es ohne die Vorbilder im Spitzensport keinen Breitensport mehr. Dieser Spitzensport kostet aber viel Geld, dass ohne die Wirtschaft nicht aufzubringen sei und von der Wirtschaft gäbe es nur Geld wenn der Sport als Empfänger sich im Gegenzug nicht für diese als Einheizer betätigen würden. Es war fast eine Stunde vergangen, bis ich meine von der Zwischendiskussion unterbrochene Rede fortsetzen konnte: „Ja, Leute, das was ihr da sagt ist ja gut und schön aber denkt daran, dass viele Köche den Brei verderben. Je mehr Spitzenvereine es gibt um so mehr muss man die verfügbare Masse, die nicht beliebig dehnbar oder vermehrbar ist, unter sich aufteilen. Letztendlich schädigen Spitzenvereine dann Spitzenvereine, denn ein Kuchen kann nur einmal aufgeteilt werden. Und im Kampf um das größere Stück wird dann der darunter liegende Tortenboden, sprich der Breitensport, zerstört. Wir sollten bei unseren Leisten, die Breitensport heißen, bleiben. Und innerhalb dieses Breitensports gilt es Domänen, gleichgültig ob Männer- oder Frauendomänen, abzubauen. Warum sollte es kein Wasserballett für Männer und Fußball oder Eishockey für Damen geben. Dass Damenfußball nicht im wünschenswertem Maße von der Öffentlichkeit beachtet wird liegt nicht an den Frauen und Mädchen sondern an den Medien. Nur was diese heiß reden kommt bei der Masse an. Aber die reden nur das heiß was ohnehin schon Geld bringt und zeigen dabei wenig Innovation. Wenn wir unser Augenmerk aber nur auf propagierte Spitzensportarten und –sportler richten gehen immer mehr Menschen in die Passivität. Die stehen dann nicht mehr auf dem Platz sondern sitzen auf den Tribünen beziehungsweise vor den Glotzen. Da rühmt man sich, dass dank der Fortschritte der Medizin die Lebenserwartung steige. Ich aber prophezeie euch, dass die Lebenserwartung in 30 Jahren dank der Passivität der konsumierenden Masse und gleichzeitiger ausschließlicher, also einseitiger, Fast-Food-Ernährung wieder drastisch sinken wird. Na ja, das hat ja den Vorteil, dass man für nicht mehr lebende Menschen keine Rente bezahlen muss.“. An dieser Stelle wurde ich erst einmal von einer Rentendiskussion, die mit der eigentlichen, zur Debatte stehenden Sache nun wirklich nichts zutun hatte, unterbrochen. So etwas kommt immer mal vor. Es gibt immer Leute die bei bestimmten Stichworten sofort die Kurve auf ihr aktuelles Lieblingsthema finden. Ich sollte aber nicht mit
schmutzigen Finger auf andere zeigen, denn der Diskussionsleiter war ich letztlich selbst und dessen Aufgabe ist es ja das Palaviria zielgerichtet zuführen. Diese Diskussion würgte ich jedoch aber nach etwas mehr als fünf Minuten in meiner Eigenschaft als der Vorsitzende und Sitzungsleiter ab und kam jetzt konkret auf unsere Damenmannschaft zu sprechen: „Ein dicker Denkfehler liegt auch in eurem Antrag. Ihr geht davon aus, dass Kickers Weismahr unsere Mädchen übernehmen könnte. Ich schätze mal, dass dieses maximal nur auf jede Zweite von unseren Mädchen zutrifft. Die Hälfte unserer Spielerin rekrutiert sich aus Mädchen und jungen Frauen deren Väter einstmals für unseren BSV gespielt haben und dessen Herzblut an diesem Verein hängt. Diese werden nicht zu Kickers Weismahr sondern bestenfalls auf die Tribüne unseres Stadions gehen. Aber auch bei der anderen Hälfte ist nicht gesagt das sie diesen Wechsel mit vollziehen werden. Viele sind dabei, die bei uns spielen weil ihre Freundin auch dabei ist. Und im Umkehrschluss steigt diese dann auch wieder aus wenn ihre Freundin das ebenfalls tut. Ich fühle mich dem Breitensport verpflichtet und lehne daher euren Antrag ganz entschieden ab.“. Später sollte sich herausstellen dass ich recht hatte. Lediglich 9 von unseren 35 Spielerinnen wechselten zu Kickers Weismahr, die 27 anderen stiegen aus dem aktiven Fußballsport aus. Damit habe ich jetzt schon verraten, dass ich mich nicht durchsetzen konnte. Bei der Abstimmung stimmten alle gegen ihren Vorsitzenden. Als Demokrat unterwarf ich mich zähneknirschend dem Beschluss obwohl ich vorher gesagt hatte, dass dieses nur über meine Leiche ginge. Im Anschluss wurden immer mehr Stimmen laut, die fragten ob ich auf meiner Position der richtige Mann sei. Bei mir waren also einige Zacken aus der Krone gebrochen. Die nächste Vorstandssitzung ließ dieses Monarchenschmuckstück dann ganz von meinem Haupte fallen. Diesmal lag der Antrag auf dem Tisch, dass man bei der Stadt Romansdorf für den Fall des Aufstieges in die Regionalliga eine lizenzsichernde Bürgschaft beantragen solle. Diesen Antrag lehnte ich mit der gleichen Begründung, wie ich sie eingangs bei der Damenfußballgeschichte gebracht hatte, ab. Wieder gab es ein identisches Abstimmungsergebnis wie im Falle der Fußballdamen. Diesmal zog ich die Konsequenz und trat zurück. Nicht nur das, ich trat auch in meinem Brasst ganz aus dem BSV Romansdorf aus. Jetzt war von allen meinen Pöstchen nur noch die des Ratsherrn geblieben. In Folge des letzten Sportfalles verlor ich dann auch meinen „Job“ als Kommunalpolitikus. Natürlich gelangte der Bürgschaftswunsch des BSV in den Rat und da musste sich vor der Ratsabstimmung der Sportausschuss, dessen Vorsitzender ich war, damit beschäftigen. Ich darf wohl verraten, dass Politiker vom kleinen Ortkämpen über Landes- und Bundesregierungsmitgliedern bis hin zu den Weltmachtspräsidenten genauso Menschen sind wie du und ich auch. Sie sind nicht klüger und edler wie andere auch, deren Suppe besteht hauptsächlich auch nur aus Wasser. Ich bin zwar kein Superchrist aber ich halte mir trotzdem zu gute ein normaler Gläubiger zu sein und als solcher bin ich davon überzeugt, dass die Lehre des Jesus Christus meine Keine-Übermenschen-Theorie bestätigt. Also, die Normalmenschen im Sportausschuss sprangen auf die der Funktionäre im BSV und nicht auf meine an. Ich redete mit Engelszungen dagegen, dass man mit Geld, dass der Steuerzahler aufbringen müsse, für Profisportler bezahlen wolle. Ich argumentierte damit, dass Profis keine richtigen Sportler seien, da man sie als Angestellte von Firmen, die den Namen ehemaliger Sportvereine trügen, betrachten müsse und dass sie dort oft noch nicht mal ihre Pflicht gegenüber dem zahlenden Zuschauer tun würden, zum Beispiel bei den strategischen Stand- und Mauerspielen bei denen das profitabel Punktepokern wichtiger als der Sport, weshalb die Leute in die Stadien gehen, ist. Solche Fußballfirmen müssten sich, wie Zirkusse und andere Showunternehmen, mit denen sie vergleichbar wären, marktwirtschaftlich orientieren. Wenn sie bestimmte Stars nicht bezahlen könnten, müssten sie halt darauf verzichten. Das Geld des Steuerzahlers dürfe nach meiner Auffassung nur für die Infrastruktur der Kommune und deren Verwaltung, gemeinnützig und insbesondere im sozialen Bereich ausgegeben werden aber nicht für Profisport. Ich erklärte, dass ich es durchaus gerechtfertigt ansehen, wenn die Länder den Proficlubs die Kosten für Polizeieinsätze, die aufgrund ihrer Spiele notwendig wären, in Rechnung stelle. Schließlich geschehe das bei anderen kommerziellen Showverhandlungen ja auch. Dagegen argumentierte man dann mit der großen öffentlichen Bedeutung des Fußballs. Durch diesen gäbe es kollektive Erfolgserlebnisse, die dann zur inneren Sicherheit und zur Identifikation des Bürgers zu seiner Kommune und seinem Staat beitrügen. Dieses spare einerseits Kosten im Bereich der öffentlichen Ordnung und zahle sich in dem Engagement und der Motivation sowohl in der Wirtschaft wie im Staat wieder aus. Im Übrigen ginge es um eine Bürgschaft und das wäre ja noch kein Cash. Dagegen argumentierte ich, dass wir nach der Schaffung der zunächst eingleisigen Bundesliga und dann zweite Liga und vier Regionalligen mittlerweile eine solche Inflation an Profiklubs bekommen hätten, dass man jetzt nicht mehr auf Greenhorns warten müsse. In den bundesweiten Medien dürften wir uns bestenfalls als die lieben Kleinen Streicheleinheiten einhandeln was uns aber keinen wirtschaftlichen Erfolg bescheren würde. Somit erklärte ich, dass es bereits feststünde, dass die Bürgschaft eingelöst werden müsse und ich deshalb im Interesse des Steuerzahlers den Antrag ablehnen würde und empfahl den anderen Ausschussmitgliedern es mir gleich zutun. Darauf erhielt ich, selbst von meinen Fraktionskollegen, den Vorwurf im persönlichen Interesse dem öffentlichen schaden zu wollen. Wie beim BSV
so auch im Sportausschuss wurde gegen die Stimme des Vorsitzenden, also gegen die Meinige, beschlossen, dem Rat die Bürgerschaftsübernahme zu empfehlen. Diesmal warf ich aber nicht wie zuvor freiwillig das Handtuch. In der Fraktionssitzung, eine Woche vor der nächsten Ratssitzung, wurde mir vorgeworfen mehr und mehr meine persönlichen Interessen vor das Allgemeinwohl zu stellen und damit der Fraktion zu schaden. Man überlegte ob man einen Misstrauensantrag gegen mich, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, stellen wolle. An der allgemeinen Tendenz merkte ich, dass dieser auch glatt durchgehen würde. Da ich mich nicht wie ein „räudigen Köter“ vor die Tür setzen lassen wollte, zog ich die Konsequenz und trat als Ratsherr zurück. Das war für mich der schwerste Schritt in meinem gesellschaftlichen Leben und ich gebe zu, dass ich zuhause wie ein Schlosshund geheult habe. Die Welt an die ich geglaubt hatte war in Scherben zusammengefallen. Jetzt war es gut, dass mir Elke zur Seite stand. Sie musste richtige psychologische Schwerstarbeit leisten um mich wieder aufzurüsten. Anschließend stand aber mein endgültiger Entschluss fest: Um mir in Zukunft weitere solcher seelischer K.o-Schläge zu ersparen würde ich nie wieder ein Ehrenamt übernehmen. Jetzt wollte ich mich nur noch auf meine Person konzentrieren und selbst glücklich werden. Ich wollte mein Glück nicht mehr im Engagement suchen sondern ich wollte dieses in dem ich mich auf Elke und andere mir nahestehende Mitmenschen konzentriere – und im Seelebaumelnlassen. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass dieser Schritt richtig war. Erstmalig im Leben empfinde ich richtige Partnerschaft und ich weiß, dass Elke die Frau meines Lebens sein wird. Und dieses nicht nur aus dem Grund, dass sie mich nach der Beendigung meiner Registratur-Verwalter-Laufbahn wirtschaftlich abfedern kann. Mein neues Leben regelte auch manch andere jahrelang ungeklärte Angelegenheiten. Seit meiner Scheidung von Astrid, meiner ersten Frau, hatte ich ein richtiges feindschaftliches Verhältnis zu ihr. Björn, mein Sohn aus dieser Ehe, ist praktisch in Vaterferne aufgewachsen. Durch Elke kam ich natürlich auch wieder mit Astrid, ihrer Cousine, in Verbindung und wir haben jetzt eine nettes, fast freundschaftliches Verhältnis, zueinander. Björn ist jetzt stolz sowohl ein Stiefvater wie einen richtigen zu haben und er behandelt Heinz, Astrids zweiten Ehemann, und mich fast in gleicher Weise. Auch Heinz und ich haben miteinander Freundschaft geschlossen und ihm ist es sogar recht, dass der inzwischen jungerwachsene Björn seine Zuneigung auf uns beide aufteilt. Jetzt weiß ich, was ich ein Leben lang falsch gemacht habe: Vor lauter Aufgaben habe ich vergessen zu leben, vor lauter Sachzwängen habe ich keine Menschen mehr gesehen. Jetzt war ich zu den Menschen ins Leben zurückgekehrt. Aber bitte meine jetzigen Aussagen, die für mich persönlich gelten, nicht generalisieren. Ich will damit kein Plädoyer gegen Ehrenämter und gesellschaftliches Engagement halten. Ohne Leute die so etwas auf sich nehmen würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Jedes Ding hat seine zwei Seiten. Das trifft auch für die hinter mir liegende Fußballgeschichte zu. Meine „Gegner“ hatten ja im Grundsatz nicht generell Unrecht. Das ist ja so wie bei einem 1-Euro-Stück. Wenn einer behauptet, da wäre ein Adler drauf geprägt hat er ja recht. Das hat er auch, wenn er behauptet diese Münze habe eine Eins aufgeprägt. Setzt er aber ein Oder dazwischen, hat er durch Bank unrecht, denn auf dem 1-Euro-Stück ist nicht ein Adler oder eine Eins sondern darauf sind Adler und Eins. So hat nur derjenige im vollen Umfang recht, der beide Seiten betrachtet und daraus seine Schlüsse zieht. Auf unsere Geschichte bezogen würde ich sagen, dass die Seite, die für die Aktiengesellschaft Borussia Dortmund überwiegend richtig ist nicht automatisch auch für den BSV Romansdorf die richtige ist. Und umgekehrt trifft das nur zu, wenn wir das Rad der Geschichte zurückdrehen könnten. Wir dürfen nicht die Argumente von Oben nach Unten oder umgekehrt tragen. Aber in dieser Angelegenheit zum Schluss nur noch eine Aufklärung darüber wie alles ausging. Die Sache hat sich von selbst erledigt. Der BSV ist 2001 nicht in die Regionalliga aufgestiegen sondern 2002 von der Oberliga in die Verbandsliga abgestiegen. Mir scheint das irgendwo sogar logisch. Da man so laut darüber nachdachte, auf welche Position man jemand „dazukaufen“ müsse, hat man den Leistungsträgern der Amateurmannschaft, die diese Position innehatten die Motivation genommen. Sie wussten dadurch ja, dass sie ihre Schuldigkeit getan hatten und in Folge klappte das ganze Mannschaftsspiel nicht mehr so wie zuvor. Die letzten Spiele der damals laufenden Saison wurden verloren und in der Endabrechnung stand man dann auf dem vierten Tabellenplatz. Nach der Saison verließen so gut wie alle Leistungsträger den Verein und suchten sich einen neuen. Klar, in der nächsten Saison konnte man halt nur mit einer mehr oder weniger leistungsgeminderten Mannschaft, die Kreisliga Niveau hatte, antreten. Lediglich zwei Mal konnte man gewinnen und fünf Mal Unentschieden spielen. Die 11 Punkte reichten nur für den letzten Platz. Na ja, wer hoch hinaus fliegen will stürzt in der Regel sehr hart ab. Hoffen wir, dass alle Seite, die noch aktiv im Geschehen stecken, daraus gelernt haben.
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Literaten und Leute, die was zu sagen haben Hallo Leute, da bin ich, dass heißt hier ist Helmut Schmidt. Wer mir jetzt ins Auge oder sonst wohin schauen kann, dem brauche ich jetzt nicht zu erklären, dass ich nicht der Helmut Schmidt, den lesende Zeitgenossen jetzt vermuten könnten, bin. Gegenüber dem ehemaligen, von Kohl und Lambsdorf gestürzten, Bundeskanzler bin ich ein ganz anderer Typ. Abgesehen davon, dass ich ein paar Jährchen weniger auf meinem Lebenskonto nachweisen kann – ich bin Jahrgang Zweiundfünfzig – gibt es doch eine Menge Unterschiede zwischen meinem berühmten Namensvetter und mir. Ich bin zwar nicht apolitisch und tendiere, wenn wir mal von dem NATODoppelbeschluss absehen, in etwa die gleiche Richtung wie der Altbundeskanzler aber gemach, gemach. Ich würde aber für nichts und insbesondere für keine Partei in die Bresche gehen; ich gehe noch nicht einmal zu jeder Wahl, insbesondere jetzt, wo wir bei den politischen Inhalte keine Alternativen haben nicht. Und dann die Geschichte mit den Frauen. Wie bitte, Schmidt hat und hatte keine Frauengeschichten? Sicher der Altbundeskanzler konnte dieser Tage Goldene oder Diamantene Hochzeit feiern. Ich weiß es jetzt nicht so genau.. Und ich? Persönlich habe ich bis jetzt keinerlei Hochzeiter-Erfahrung aber meine Pflicht gegenüber der Rentenversicherung habe ich trotzdem, mehr noch als andere, erfüllt. Denn ich bin Vater von drei Kindern, die, wenn sie als Eintragungen auf meiner Lohnsteuerkarte erschienen wären, dort als 1,5 ausgewiesen gestanden hätten. Auf Gut Deutsch: Es handelt sich also um sogenannte uneheliche Kinder. Alle haben den gleichen Vater, nämlich mich, aber jedes für sich eine eigene Mutter. Da schrieb ich doch locker und flockig von der Eintragung auf einer Lohnsteuerkarte, die aber im Falle meiner Kinder auch dann nicht erfolgt wäre, wenn ich ein solchen Ausweis zum Zwecke der Einziehung von Einkommenssteuern an der Quelle benötigt hätte. In allen drei Fällen wurde ich nicht zum Alimente-Opfer-Altar geführt; gezahlt haben immer andere Vertreter der maskulinen Menschheit. Christa, „meine“ Älteste, war das Produkt meines kürzesten Zeugungserlebnis. Mit Monika Schrader, ihrer Mutter und meine ehemalige Mitschülerin, bin ich während einer Klassenfahrt ein halbes Jahr vor dem Abi nach Hörnum auf Sylt nur einmal kurz zwischen den Dünen verschwunden und da war es geschehen. Monika entpuppte sich in Folge als das Gemeinste was ich an weiblichen Wesen kennen gelernt zu haben glaubte. Als sie von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erhalten hatte, leugnete sie ihr eigenes körperbeherrschende Lustgefühl mit dem sie mich zur Tat verführte und behauptete von mir vergewaltigt worden zu sein. Ich bekam den vom Gymnasium weisenden Finger zu sehen – also ab mit dem Abi ins Reich der unerfüllten Träume – und entging nur Dank der Konsenslösung unserer Väter einem Antritt vor dem Anordner der Vollstreckung gesellschaftlicher Sadopraktiken, sprich vor dem Richter. Monikas Vater hatte für sie ohnehin einen, ihm passerenden Schwiegersohn erkoren und diesem weiß machen, dass er Christa als seine Tochter adoptionsähnlich anerkennen müsse. Christa wäre das einzigste meiner Kinder, das als halbes auf einer Lohnsteuerkarte eine Bedeutung gehabt hätte. Nur sie war auf der Welt als ich es mal mit ehrlicher Arbeit, sprich mit einer Arbeitnehmertätigkeit, versucht habe. Ansonsten habe ich den Begriff „Tagedieb“ durchdekliniert. Sie kennen doch die Steigerung von Tagedieb? Nein? Ganz einfach: Tagedieb, Kneipier und Versicherungsfritze. So haben Sie das noch nicht gehört? Na ja, es ist ja auch nur ein anderer Wortbau für: „Wer nichts wird, wird Wirt und ist ihm dieses nicht gelungen, versucht er es mit Versicherungen“. Meine Satzkonstruktion hinsichtlich der Deklination ist nur kürzer und bissiger, da sogenanntes Triviales im Gegensatz zu poetischem schönwortigem Streben nach literarischer Unsterblichkeit immer so verstanden wird, wie man es zum Anregen des Denkens sagen wollte. Die Verwendung des dem Fremdwörterlexikon entnommenen „trivial“ ist ja eigentlich eine Bekundung der Tatsache, dass die Freunde der Wortkunst und der Überherrlichung der Sprache gar nicht wissen wovon sie sprechen, wenn sie aussagevolle Erzähler in den Bereich der Trivialliteratur abqualifizieren. Trivial ist schlicht nur einfache, wertlose Unterhaltung. Was ist nun wertvoll und was ist wertlos? Welchen Wert haben sprachlich vollendete, 1.000 Seiten füllende Schmuse- und Schnörkel-Satzbau-Sammelungen, über die sich die Damen und Herren in intellektuellen Zirkelchen bis zum Erguss auslassen können gegenüber knallharter erzählenden Aussagen, die Massen zum Denken verleiten könnten. Was ist wichtiger: Das, was man sagt oder das, wie man es sagt. Eine Kombination aus beiden ist, wenn man es sich wirklich, bis auf den Boden durchbohrender Weise überlegt eigentlich nicht möglich. Da benötige ich doch für eine mit literarischen Flügeln ausgestatteten Aussage mehrere Seiten, wobei der Zeitgenosse, der sich nicht der intellektuellen Elite zurechnet, bereits nach der zweiten zugeklappt hat. Für ihn hat die Freizeitfortsetzung des Deutschunterrichtes keinen Unterhaltungswert. Dagegen kann ich mir vorstellen, dass es bezüglich Unterhaltung bei Herrn Haltemichwichtig, dessen hervorragende Leistung das Erben von Vermögen war, anders aussieht. Wer hört schon gerne im Klartext das, was man von ihm hält. Den unterhält doch von der Realität ablenkende literarische Masturbation mehr. Da habe ich gerade ausdrückt, dass ich persönlich vom Sprachgesülze eigentlich sehr wenig halte. Wie verhält es sich denn mit dem Eindruck, den ich bis jetzt vermittelt habe. Stimmt doch, dass der Leser, den es auf eine Aussage über das Hier und Heute und nicht auf den Stoff des Sprachunterrichts in 200 Jahren ankommt, vermuten könnte, dass ich mich jetzt unter die Goethes und Schillers begeben wolle. Hoffentlich hat er jetzt
meine Erzählung noch nicht beiseite gelegt. Er ist nämlich meine Zielgruppe und nicht die Leute die sich in Literaturkreisen elitär abzirkeln wollen. Aber warum bin ich erst mit dem Versuch der literarischen Wortschöpfung angefangen? Na ja, ausnahmsweise habe ich heute mal eine einzelne Zielperson, die ich, zugegebener Weise, treffen möchte – und die wollte ich, weil sie, da sie glaubt was Besseres zu sein, auf hochliterarische Ablenkung steht, anlocken wollen. Au, das war ja mal wieder mal ein wunderherrlicher Schachtelsatz. Aber ich verspreche jetzt mit dem Blödsinn aufzuhören und für Herrn Jedermann sowie Frau Jedefrau verständlich weiter zu erzählen. Die Person, die ich treffen will, ist Heidi Köster, die Mutter meines Sohnes Michael. Heidi sah und sieht supersexy aus und stammt aus gutbürgerlichen Haus. Das sind auch aus meiner Sicht deren einzigste Vorzüge. Ansonsten besteht sie nur aus Dünkel, Getue und Gehabe, wozu auch eine fürchterliche Art von literarischen Gespinne gehört. Damit hat sie es dann geschafft, dass sich die Halbgeschwister Christa und Michael kennen lernten und diese gemeinsam, mich ihren leiblichen Vater fanden. Bis zu dem Vorfall, den ich hier eigentlich erzählen will, wussten beide nichts von meiner Existenz und der ihres „Halbgeschwisterkindes“. Aber Stopp, soweit sind wir noch nicht, ich muss erst noch einmal ein paar Fakten aus meinem Leben, die bei der eigentlichen Geschichte von Bedeutung sind, offenbaren. Also, nach dem Vergewaltigungsvorwurf durch Monika flog ich nicht nur von der Penne sondern auch aus der elterlichen Wohnung. Hinsichtlich meines Geldbedarfes und der Tatsache, dass ich dieses nur nach diverser Klagerei vor Gericht von meinem Vater kriegen würde war es erst mal nichts mit einer Ausbildung. Aus diesem Grunde ließ ich mich als Hilfswilliger von einer Maschinenfabrik anheuern. Ich verdiente meine Brötchen also im Blaumann. Meine Freizeit verbrachte ich auf Freiersfüßen in diversen Lokalitäten und bei entsprechenden Gelegenheiten. Da lernte ich dann unter anderem auch Heidi, das Ziel meiner jetzigen Schreibe, kennen. Die suchte bei mir eigentlich nur Abenteuer, von dem das geile Luder nie genug kriegen konnte. Für eine richtige Verbindung war ich ihr nicht gut genug, die wollte natürlich keinen schmutzigen Malocher. So bekam ich selber erst nichts von meiner Vaterschaft über Michael mit. Über dem Zeitraum von einem halben Jahr habe ich wohl über ein dutzend Mal mit Heidi geschlafen, immer dann, wenn ihr Bräutigam, heute ein Major bei der Bundeswehr, aus Gründen seines militärischen Dienstes über das Wochenende nicht in Reichweite war. Heute weiß ich hundertprozentig, dass Heidi von Anfang an wusste, das ich sie geschwängert hatte. Trotzdem schob sie das Kind ihrem Bräutigam unter und dieser heiratete sie aus diesem Grunde, da er es aus seiner konservativen Wertvorstellung als seine Pflicht ansah. Mein heutiges unerschütterliches Wissen, dass Michael mein Sohn ist, beziehe ich aus einem Gentest, der im letzten Jahr auf ursprüngliches Begehren von Heidis Ehemann und Michael durchgeführt wurde. Also mein Heidi-Abenteuer hat mein Leben bis zur „Skandal-Lesung“ Anfang letzten Jahres in keiner Weise beeinflusst. Was man im Hinblick auf die dritte Frau, die ich zur Mutter gemacht habe, so nicht sagen kann. Gabi Schiller war Stammgästin in meiner Kneipe, die ich, als ich nach 5 Jahren der Schmutzarbeit in der Maschinenfabrik überdrüssig war, gepachtet habe. Nein, nein, Gabi gehört nicht zu den „Wachholderdrosseln“ genannten thekenstehenden Typen. Sie hatte in unmittelbarer Nähe meiner Kneipe eine Versicherungsagentur und kam mit ihren Stammkunden oder Kunden in spe zwecks Beköstigung zu mir. Die Wahl meines Lokales hatte sie getroffen, weil ich meinen Laden immer sauber und ordentlich gehalten habe. Außerdem bot ich neben Getränken auch immer kleine Imbisse, die ich nett zurecht machen pflegte, an. Die gute Frau, 10 Jahre älter als ich, pflegte immer nur an eine Sache zu denken: ans Geld. Sie wollte keine feste Partnerschaft, da sie diese bei der Verehrung ihres Gottes Mammon behindern könnte. Aber ganz von menschlichen, weiblichen Trieben war sie auch beim Gelddenken nicht abgekommen und so verdiente ich mir dann ab und an auch mal einen Schein extra in dem ich ihr das gab, nach was es ihr körperlich gelüstete. Bei einer solchen Gelegenheit kam es dann in Folge ihrer Geldgier zu einer Nachlässigkeit, der mein drittes Kind das Leben zu verdanken hat. Es ging damit los, dass sie vor lauter Geschäftigkeit nicht dazu gekommen war in der Apotheke ihre Antibabypillen abzuholen. Bums, da klappte es auch gleich bei der immerhin schon MitteDreißigerin. Innerhalb der Dreimonatsfrist fand sie vor lauter Geschäfte keine Zeit sich zu einem Abtreiber zu begeben. Na ja, da beschloss sie das Kind halt auszutragen und dieses von der Geburt an zur Adoption freizugeben. Das Kind, ich weiß nur dass es ein Mädchen war, habe ich so also nie kennen gelernt und wüsste auch nicht, wo ich es suchen könnte. Damit ihr zum Zeitpunkt der Entbindung ja kein Geschäft entging, heuerte sie, die bis dahin ihren Laden alleine schmiss, einen Mitarbeiter oder besser gesagt Partner an. Das war dann ich, der deshalb meine Kneipe aufgab und den Erlös aus der Kneipenablöse in die Agentur einbrachte. Laut Vertrag gehörte mir nach diesem Geschäftsakt ein Drittel der Agentur Schiller und Partner und zwei Jahre später war es dann die Agentur Helmut Schmidt. Gabi hatte sich einen Sportwagen, den sie aber nicht beherrschen konnte, zugelegt und drei Tage nach ihrer Erstfahrt konnte sie diesen nur noch als Engelchen verlassen. Nachdem mich ihr Bruder als ihr Erbe kräftig abgezockt hatte war ich also der alleinige Herr in meiner Agentur, was ich auch bis zum heutigen Tag geblieben bin. An dieser Stelle endete erst einmal das, was ich im Zusammenhang mit dieser Geschichte aus meinem Leben zu berichten habe. Vielleicht sollte ich doch noch kurz erwähnen, dass ich nicht in die Fußstapfen meiner Agentur-
Vorgängerin getreten bin, obwohl man das, weil ich heute noch unverheiratet bin, durchaus vermuten könnte. Ich wollte schon - aber aus irgendwelchen Gründen hat es bis jetzt nie geklappt – zu meinem Glück, wie es momentan, wo ich diese Zeilen schreibe, erscheint. Es dürfte wohl meine Eigenart gewesen sein, dass mir immer wenn ich eine Dame im Netz zu haben glaubte eine andere über den Weg lief, die ich lieber darin gehabt hätte. Ansonsten habe ich im Gegensatz zu Gabi Schiller immer ordentlich mein Leben auf Arbeit und Freizeit aufgeteilt. Des weiteren hat Geld für mich nicht den Sinn, dass ich es häufeln muss sondern ich habe ganz einfach mein Leben damit finanziert. Ich kann ja ohnehin nichts davon mit in die Ewigkeit nehmen. Geld ist ja nur ein irdisches Tauschhilfsmittel, welches im Himmel mehr als wertlos ist. Also jetzt zum großen Spektakelum im März 2001, dass meinem Leben doch einige kräftige Erdbeben bescherte. Heidi Wernitz, die ich Ihnen bereits unter ihrem Mädchennamen Köster vorgestellt habe, also die Mutter meines Michaels, ist überall da anzutreffen wo uns Schickimickis zeigen wollen was in ist. Also bei Vernissagen, Konzerten, Lesungen und weitere Zeittotschlägereien, bei denen sich gelangweite Möchtegerns als problem- und kulturbewusst darzustellen gedenken. Heidi trifft man da nicht nur an sondern sie sitzt auch in allen möglichen diesbezüglichen Kuratorien. So ist sie Kuratorienvorsitzende unseres Neustädter Literaturkreises. In zweimonatigen Abständen veranstalten dieser Kreis immer Lesungen in seinem Literaturcafé. Also ein Café ist es nicht aber die Leutchen nennen ihrem Raum in der städtischen Villa, in der neben der Bücherei und der Musikschule auch die Volkshochschule untergebracht ist. Zur März-Lesung hatte Heidi Anke Creola eingeladen. Was Sie kennen Anke Creola nicht? Können Sie auch nicht, denn das Pseudonym habe ich jetzt erfunden, damit ich ihrem geldziehenden Anwalt nicht zu einem Kontakt mit mir animieren möchte. Durch die Schlammschlachten von Monika und Heidi mit ihr bin ich ja nun reichlich vorgewarnt. Ja, beide Mütter meiner Kinder hatte sie wie ein plötzliches Sommergewitter zur Gegnerin. Vorab sage ich nur, dass Monika die Cousine von Anke Creola ist und Heidi hatte sie, wie bereits geschrieben, eingeladen. Anke Creola ist eine berühmtere Literatin, die mit ihrer Wort- und Satzkunst eine Menge Geld verdient. Das profitbringende Ausleben ihrer Kunst scheint mir deren Hauptanliegen zu sein. Zu Problemen, die uns Leute, die wir Mitten im Leben stehen, bewegen, sagt sie nur sehr wenig oder eigentlich überhaupt nichts. Damit die Herrschaften, die sich zu Literaturkritikern berufen fühlen, mehr sagen können, als das es sich um schööönen Schnörkel um Nichts handele, gibt sie vor, ihre Intention sei es, sich mit der Beziehung zwischen den Geschlechtern in besonderen Situationen zu beschäftigten. So ist auch die, eigentlich simple Geschichte zu verstehen, die sie bei jener Vorlesung im März 2001 vortrug, zu verstehen. Sie handelte von zwei jungen Leuten, die sich lieben gelernt hatten und deren Liebe nicht ohne Folge geblieben war. Als seine Mutter, die Frau eines Bundeswehroffiziers das erfuhr, ging die Welt unter, denn sie war die Einzigste, die wusste, dass die Kinder den gleichen Vater hatten. Sie hatte ihren Sohn, der von einem „Luftikus“ gezeugt wurde, ihrem Mann untergeschoben. Dass das Mädchen vom gleichen Mann stammte, wusste sie von ihm selbst, denn er hatte ihr die Geschichte von der ihm böswillig unterstellten Vergewaltigung erzählt. Mit einer illegalen Abtreibung im 5. Monat und der Auswanderung des Jungens nach Australien endet dann diese Geschichte. Ja liebe Leserin, lieber Leser, sie vermuten richtig, es ist die Geschichte von mir, meinen Frauen und Kindern, die Anke Creola nur ein Wenig verpackt hatte. Das, was ich so eben trivial in einem halben Absatz berichtete, füllte bei ihr eine mehrseitige Erzählung zu dessen Vorlesung sie über eine Stunde gebraucht hätte. „Hätte“ besagt, dass sie gerade mal bis zur Mitte kam, als gleich bei zwei Damen und einem Herren die Groschen reihenweise fielen. Christa, die ausnahmsweise mal, weil Frau Creola ihre Tante ist, auf einer Vorlesung erschienen war, entdeckte in den Beschreibungen mehr als gravierende Ähnlichkeiten zwischen dem beschriebenem Mädchen und ihrer Person, dachte sich aber zunächst nichts dabei, denn was ist denn daran so außergewöhnlich wenn man eine Romanfigur so wie ein Mitglied der Verwandtschaft beschreibt. Auch Michael, der die Literaturbegeisterung offensichtlich von seiner Mutter geerbt hatte und deshalb bei jeder Lesung anwesend war, waren die großen Übereinstimmungen in den Verhältnissen der Romanfamilie zu seiner Familie aufgefallen. Er glaubte aber nur an einem großen Zufall. Aber für Heidi wurde ihr Wissen während der Lesung zum Verhängnis. Sie kannte Monika persönlich, wenn auch nur flüchtig, und wusste das die Literatin deren Cousine ist. Die Geschichte um Christas Zeugung kannte sie von mir. Als ich mein Verhältnis mit ihr hatte, konnte ich auf noch keinen so großen Abstand auf das Geschehen mit und um Monika zurückblicken, dass ich die Klappe hätte halten können. Was Heidi noch nicht wusste war, woher denn Monikas Wissen über ihre Untat stammte. Später stellte sich heraus, dass sich Monika dieses aus untrügerischen Indizien zusammenreimen konnte. Natürlich hat mich meine Exklassenkameradin nach der Sache nicht gleich aus den Augen gelassen und dabei war ihr nicht entgangen, dass ich immer dann wenn der heutige Offizier dienstlich abwesend war, etwas mit seiner damaligen Braut hatte. Bis zu dem Tag der Autorenlesung glaubte Heidi, dass sie Glück gehabt habe und niemanden die unverkennbare Ähnlichkeit zwischen mir und meinem Sohn aufgefallen wäre. Michael sieht mir wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Aber Monika war es aufgefallen und hatte Eins und Eins zusammengezählt. Aber nicht, dass man glaubt meine „Weiber“ wären „Biester“ gewesen. Nein, das was Monika gemacht hat erklärt sich als gravierende
Jugendsünde, die im Wesentlichen aus der Angst vor ihrem gewalttätigen Vater geboren war. Ihre Mutter hat sich später auch von ihm scheiden lassen, weil sie von ihm ständig zusammengeschlagen wurde. Sie hat mir gegenüber ihre „Untat“ später in einem längeren Brief erläuternd gestanden und mich mehrfach gebeten, dass was wir im Vater unser beten – und vergib uns unsere Schuld wie wir vergeben unseren Schuldigern – auch ihr zuteil werden zu lassen. Sie ist auch keine Klatschbase. Über alle diese Dinge hatte sie nur mit ihrer Mutter nach deren Scheidung und mit ihrer Cousine Anke, die sie für ihre Vertraute hielt, gesprochen. Auch Anke Creola hatte nicht bösartig gehandelt. Sie hatte alles so verändert, dass nur Insider wussten, dass es sich um eine wahre Geschichte handelte. Ihr Verhängnis waren ihren Literatenkünste, dass heißt ihre Verliebtheit alles bis ins Detail mit schönen Worten zu beschreiben. Damit sagt sie zwar mit vielen Worten relativ wenig aus aber vor dem geistigen Auge des Lesers oder Zuhörers werden daraus gute Fotos. Das spricht eigentlich für ihre Literatenkunst. In Heidi bohrte während ihrer Lesung so etwas wie brennende Neugierde und sie musste etwas gegen ihre Ungewissheit unternehmen. Wie mir die Kinder später erzählten sprudelte dann aus ihr plötzlich, mitten in der Lesung, ein Einwurf heraus: „Schluss jetzt, Frau Creola. Sie können doch nicht meine Privatsphäre ausbreiten. Wie sind sie eigentlich an die Informationen gekommen. Das sie von ihrer Cousine wissen, wie sie zu ihrer Tochter gekommen ist, leuchtet mir ja noch ein. Woher wissen sie aber das mein Sohn auch von Hell ... äh, ... öh.“. In dem Moment wo sie mein Namen sagen wollte war Heidi aufgegangen, dass sie sich jetzt selbst verplappert hatte. Ohne ihren Einwurf hätte kein Dritter was gemerkt und man hätte anschließend sich nur dem üblichen intellektuellen Literatengeblubbere hingegeben. Jetzt wussten alle was Sache war, auch Christa und Michael. Die reagierten jetzt fast synchron: Sie erhoben sich und riefen „Was mein Vater ist nicht mein Vater“ in den Raum, wodurch sich die beiden Halbgeschwister jetzt auch erkannten. Während es jetzt im Raum, der mit etwa ein Dutzend Leute besetzt war, zu Tumulten kam gingen die Kinder, mit dem Gefühl heulen zu können, auf den Flur. Dort fielen sich die Beiden, die sich zuvor noch nicht kannten, erst einmal in die Arme und machten das, wonach ihnen zumute war: Sie heulten sich auf der Schulter des anderen Geschwisterteils aus. Sie standen da noch umarmt als Heidi auch ganz aufgelöst aus den Raum gerannt kam. Michael hielt sie auf und wollte von ihr unbedingt wissen, wer sein Vater war. Und jetzt wollte Heidi aber nicht mit der Sprache heraus, was aber Michael so aufbrachte, dass er ihr eine kräftige Ohrfeige verpasste. Darauf sagte sie leise „Der Versicherungsfritze Schröder“ und rannte dann endgültig davon. Die beiden Kinder wurden sich sekundenschnell einig: Sie wollten zu ihrem wahren Vater, also zu mir. Christa nahm ihr Handy und wählte die Nummer, die sie von einer Werbung um den Neustädter Stadtplan, der im Foyer der städtischen Villa hängt, entnehmen konnte. Als ich dann das Folgende hörte haute es auch mich um: „Hallo Vater. Hier ist Christa deine Tochter. Mein Bruder Michael, dein Sohn, steht neben mir. Wir möchten gerne zu dir kommen, aber wir wissen nur wo dein Büro ist und nicht wo du wohnst. Kannst du uns das mal sagen.“. Jetzt war ich baff. Von Christa wusste ich ja aber wo kam Michael her. Daher fragte ich zurück: „Mädchen, woher weiß du denn das ich dein Vater bin und wer ist Michael?“. „Ach, das erzählen wir dir gleich.“, antwortete Christa, „Michael Wernitz und ich müssen aber erst mal wissen wo du wohnst.“. Als ich den Nachnamen meines Sohnes erfuhr schoss gleich ein Groschen aus meiner Vergangenheit hoch und machte klick. Postwendend bekam daraufhin Christa die gewünschte Auskunft. Ich glaube, dass die darauffolgende Viertelstunde zu den aufregendsten Momenten meines Lebens gehörte. Können Sie sich vorstellen wie das ist, wenn Ihre bereits erwachsenen Kinder, davon ein Sohn von dessen Existenz sie noch gar nichts wussten, mit denen sie zuvor noch nie gesprochen haben, zu Ihnen kommen wollen? Ich glaube selbst dann, wenn ich ein Super-Schnörkel-Literat wäre, könnte ich das Gefühl, was jetzt in mir wühlte, nicht beschreiben. Als es dann schellte und ich zur Tür ging hatte ich echt weiche Knie und ich merkte wie meine Halsschlagadern im Herztakt „pumpten“. Ich machte auf und gleich drei Personen erstarten zu Säulen. Auch für Christa und Michael war dieses erste Zusammentreffen mit ihrem wahren Vater ein Ewigkeitsaugenblick. Ich löste mich als erster aus der Starre und bat die beiden herein. Christa folgte der Aufforderung, musste dann nach knapp anderthalb Meter aber wieder stehen bleiben und auf uns warten. Michael und ich hatten uns jetzt erst richtig ins Gesicht gesehen. Ich hatte dabei mein verjüngtes und Michael sein gealtertes Spiegelbild gesehen, was dann zur erneuten Starre bei uns führte. Aber letztendlich schafften wir doch das Wohnzimmer zu erreichen. Erst lief unser Triogespräch hölzern und unbeholfen an aber dann ging es immer flotter. Letztlich war es dann so, als würden wir uns schon einen Leben lang als Vater und Tochter beziehungsweise Sohn kennen. Wäre ich ein seichter Herz-Schmerz-Literat würde ich sagen, dass die Stimmen unseres Blutes gesprochen hätten. Nachdem sie mir ausführlich von den Geschehnissen der Anke-Creola-Lesung berichtet hatten, erklärten mir beide, dass sie Zuhause, wo sie beide noch mit ihren „Eltern“ wohnen würden, ausziehen wollten und fragten ob sie zu mir ziehen könnten. In meinem Bungalow, den ich alleine bewohnte, wäre doch sicher noch platz. Bevor ich ihnen erstens meine Bedenken und zweitens meine Zusage erteilen konnte, musste ich nochmals zu Tür gehen, weil es wieder geschellt hatte. Zwei Damen standen davor. Die eine hieß Monika und die andere Anke –
mehr brauche ich jetzt wohl nicht zu den Personen zusagen. Ich reagierte richtig. Ohne auf ein Wort der Damen zu warten sagte ich gleich: „Moni, warte einen Augenblick, ich muss jetzt erst mit Christa reden.“. Spornstreichs ging ich ins Wohnzimmer und beredete meine Tochter dahingehend, dass ihre Mutter draußen stände und sie diese vernünftig bleibend akzeptieren solle. Ich wolle ihr im Falle eines Falles beistehen. Christa versprach mir Frieden und ich konnte die beiden herein lassen. Da saß nun mein Dünenabenteuer weinend in dem Sessel, in dem ich vorher gesessen hatte und ich auf der Couch neben unserer Tochter, die sich ganz nah an mich herandrückte. Monika war ganz vernünftig und berichtete mit weinender Stimme, dass sie auch kurz zuvor von Anke, die mir bei der Gelegenheit vorgestellt wurde, erfahren hatte, was an diesem Abend gelaufen sei. Sehr vorwurfsvoll wetterte sie dann noch ihre Cousine an, warum sie, wenn sie schon diese Geschichte durch ihre literarische Mühle drehen musste, diese ausgerechnet in Neustadt lesen musste. Dann ging sie aber wieder auf die Sache ein und beteuerte Christa und mir, dass es ihr bewusst sei, wie schwer sie uns verletzt habe. Sie hatte sich, nachdem ihr Anke gesagt hatte wie sie mitbekommen hat, dass Michael seiner Mutter im Beisein Christas meinen Namen entlockt hatte, gedacht dass sie spornstreichs zu mir kommen würde und daher waren auch Frau Creola und sie gleich zu mir gekommen. Und jetzt die Überraschung für Christa und mich: Sie zeigte Verständnis dafür, dass Christa jetzt erst einmal bei mir bleiben wolle und hatte gleich ein paar Sachen, die sie vielleicht benötigten würde, mitgebracht. Mit den Worten „Die sind im Kofferraum“ reichte sie unserer Tochter den Schlüssel hin. Als Christa hinaus war sagte sie mir mit flehender Stimme: „Bitte, bitte Helli, überleg ob ihr mir verzeihen könnt und das ich mit unserer Chrissie wenigstens halbwegs wieder ins Reine kommen ... Es ist ja auch meine Tochter, die ich so wie keinen anderen Menschen liebe.“. Ich konnte ihr sagen, dass ich ihr bereits vor Jahren nach ihrem Brief verziehen habe und jetzt keinen Grund sähe, da jetzt wieder etwas daran zu ändern. Bezüglich unserer Tochter sagte ich ihr, dass jetzt erst einmal die Wunden ausbluten müssten und ich mich dann für eine gute Vernarbung engagieren wolle. Die Wortwahl war so ganz angebracht, denn Michael, der ja auch mit einem möglichen Auftritt seiner Mutter rechnen musste, war die ganze Zeit im Raum und Christa war inzwischen mit einer Reisetasche und einem Koffer inzwischen auch wieder eingetreten. Mit meinen Worten hatte ich Monika signalisiert, das ich kein Hemmnis bei einer wünschenswerten Harmonisierung sein würde und den Kindern hatte ich signalisiert, dass ich nicht um jeden Preis versuchen werde, sie wieder mit ihren Müttern zu einen. Aber wo ich gerade beim Thema Wortwahl bin kann ich jetzt ja auch die Schwierigkeiten, die ich derzeitig, wo ich Ihnen diese Geschichte erzähle, mit der Auffindung der treffenden in Buchstaben ausdrückbaren Lautkombination, kurz besagte Wortwahl, in Hinsicht auf die „Kinder“ habe, eingestehen. Jetzt schätzen Sie mal, wo ich Ihnen die Geschichte jenes Märzabends des letzten Jahres erzählt habe, wie alt meine Kinder an diesem Tag waren? Sie meinen, da stimmt doch was nicht? Richtig, ich habe ganz zu Anfang verraten, dass ich dem Jahrgang Zweiundfünfzig des vergangenen Jahrhunderts angehöre und dass ich Christa in den Sylter Dünen etwa ein halbes Jahr vor dem Abitur gezeugt habe. Da dürfte, obwohl ich mich an der Stelle, an der ich es erzählte, in Realitäts schönschleiernden literarischen Satzkonstruktionen versuchte, doch irgendwo etwas hängen geblieben sein. Ja, ja, so P.I.S.A-geschädigt sind wir doch wohl noch nicht, dass wir nicht Pi mal Daumen sagen könnten, dass Christa mindestens Mitte Zwanzig sein muss. Nun, von den Lebensaltersstufen her gesehen war weder sie, die tatsächlich sogar ihrem Dreißigsten entgegen ging, noch der 5 Jahre jüngere Michael, den Kindern zuzurechnen aber kennen Sie außer Kinder einen allgemeinverständlichen Begriff für direkte leibliche Nachfahren? Mit diesem Zwischenschub habe ich doch jetzt mehr für Verwirrung als für Aufklärung gesorgt. In dem Alter noch bei „Mama“ wohnen und dann nach einer „kindlichen“ Enttäuschung zum Vater ziehen? Na ja, an jenem Abend hätte es mir selbst, nachdem sich die erstem Emotionen gelegt haben würden, selbst Rätsel auferlegt haben. Im Falle Christa erhielt ich, als ich meine Worte hinsichtlich Ausblutung und Vernarbung losgeworden war eine Aufklärung. Monika erhob sich um sich zu verabschieden, was jetzt in dieser Situation wohl das Beste war, schon eine Aufklärung ohne dass ich nachfragen musste. Christa richtete doch noch ein Wort an ihre Mutter: „Es war wohl doch ein Fehler, dass ich wieder nach Hause gekommen bin. Wenn Petra aus Schweden zurück ist, werde ich sehen, dass ich wieder mit ihr ins Reine komme, denn ich liebe sie. Aber zu dir komme ich wohl nie mehr ... und ob wir mal wieder ein gutes Verhältnis haben werden, liegt, glaube ich, in erster Linie an dir, denn du musst uns zeigen, dass du es mit deiner Reue ernst meinst. Du beschuldigst meinen Vater zu Unrecht eines schweren Verbrechens. Dadurch wird sein Leben, so wie er es sich gedacht hat, zerstört. Ich kann mir vorstellen, dass er nach dem Abitur etwas anderes als Versicherungen verkaufen, machen wollte. Das er trotzdem, wie man sieht, noch sehr erfolgreich war, ist seine Sache und spricht für ihn. Aber denke daran, dass es schon viele Menschen, den man ähnliches, wie du es meinem Vater angetan hast, zugefügt hat, aus dem Leben geschieden sind. Und mich ... mich hast du ein Leben lang belogen und betrogen. Du hast mir meine Identität und meinen Vater vorenthalten. Tut mir leid, da ist mit dem Wort Entschuldigung wirklich nicht getan, da muss schon etwas mehr erfolgen.“. Jetzt wissen wir es. Meine Tochter ist lesbisch und hatte sich mit ihrer Lebenspartnerin zuvor verkracht und wohnte deshalb vorrübergehend wieder Zuhause. Was ihr Verhältnis zu ihrer Mutter anbelangte hatte sie ja mehr
als klar und vernünftig gesagt, was dieses wie ein Kartenhaus hat einstürzen lassen. So schnell wie Christa in dieser Erzählung erschien, kann ich sie auch wieder aus dieser Story entlassen. In der darauffolgenden Woche kam ihre Lebensgefährtin aus skandinavischen Gefilden wieder zurück und sprechen schafft Frieden. Also, sie sprachen miteinander, versöhnten sich und zogen wieder zusammen. Für Anke Creola wäre dieses bestimmt ein Stoff für einen 1.000-Seiten-Roman gewesen, denn sie hätte bestimmt für die Freunde melodischer Satzrhythmen dieses aufgrund ihrer Kenntnisse über den Inhalt der deutschen Sprachschatztruhe dieses Banalgeschichtchen intellektuell problematisieren und mit einem Wust von Worten zuschütten können. Für trivial schreibende Gesellschaftskritiker, wie dieser Reiner Vial, der seine Werke unter www.reiner-vial.de im PDFFormat kostenlos zum Download anbietet, wäre diese Sache nicht einmal erwähnenswert gewesen, da ein Nachdenken über diese Sache unsere Gesellschaft wohl kaum einen Schritt weiterbringt. Ganz im Gegenteil, wer banale Problemchen intellektualisiert und mit einem Schmuckwortschwall in Kunstsatzgebilden anderen übermittelt, spekuliert auf deren Lesevergnügen und lenkt sie von den aktuellen Dingen ab und dient so willig dem System, dass durch sein besitzstandwahrendes Stehen bleiben dem Verfall und Verrosten ausgeliefert wird. Aber die Wortschwallionäre der Marke Anke Creola kommen bei ihrer Art ja in Euro und Cent auch nicht schlecht weg – und deshalb machen sie es ja. Entschuldigung für diesen kleinen Ausflug in die triviale Literaturkritik aber in diese Welt wurde ich in der Folgezeit bis heute emotional immer wieder reingerissen. Der Hintergrund war und ist die immer noch laufende Schlammschlacht zwischen Anke Creola, Heidi Wernitz und Monika. Für mich ist dabei das Aufregendste das Lesen der Schriftstücke von Frau Creola und Heidi. Die glauben ihre literarischen Fähigkeiten auch in das Verfahren einbringen zu müssen. Da bekommt man 30 bis 40 Schreibmaschinenseiten zugesandt und man fragt sich von Seite zu Seite was die eigentlich wollen. Und wenn man am Schluss angekommen ist, merkt man, dass man vor lauter flüssigen Lesen vergessen hat über die Sache nachzudenken. Also, weiß man dann immer noch nichts. Vielleicht haben sie wirklich nichts gesagt aber, das muss ich ihnen bescheinigen, das machen sie aber wirklich superprächtig. Als ich mich eben vor den PC setzte um an dieser Geschichte weiterzuschreiben gab mir Monika gerade mal wieder so ein von Heidi verfasstes Schriftstück zu lesen. Daher vielleicht dieser etwas emotionale Einschub, wo ich doch eigentlich Christa in ihrer Eigenschaft als Geschichte fortführende Figur entlassen wollte. Sagte da gerade jemand: „Holla, Monika gab dir was zu lesen?“. Richtig, Monika wird neben mir die Hauptfigur im Rest der Geschichte sein. Dabei erwähne ich dann auch wie sich das Verhältnis von Christa sowohl zu Monika wie auch zu mir entwickelt hat, deshalb kann ich jetzt gleich, im nächsten Absatz, auf Michael kommen, um auch ihn wieder aus der Geschichte zu suspendieren. Michael hing auch nicht mehr, wie man vielleicht vermuten könnte, an Mamas Rockzipfel. Er befand sich noch im Studium und sein Traum war es anschließend Lehrer für Deutsch und Französisch an einer gymnasialen Oberstufe zu werden. Wegen des Studiums war auch er aus Kostengründen noch Zuhause. Aber ansonsten war er in festen Händen. Seine Braut hat gerade ihr Examen als Sozialpädagogin gemacht und befand sich somit ebenfalls noch mit ihren Beinen unter Papas Tisch, wie man früher so köstlich im Volksmund sagte. Aufgrund des Lesungsvorfalles und dem Wirbel, den Heidi daraus machte, wurde ihr Zusammenziehen jetzt aktuell. Im Mai 2001 hatten die beiden eine gemeinsame Wohnung, die ihnen gleich von drei Seiten gesponsert wurde. Ihre Eltern, ich und Major Wernitz, den Michael mal untergeschoben worden ist, drittelten uns den Spaß. Wernitz hätte es ja rein rechtlich nicht notwendig gehabt aber er hatte den Jungen, den er praktisch an meiner Stelle groß gezogen hatte, gerne und betrachte ihn jetzt als einen Sohn, den er sich mit mir teilen müsse. Beide, also sowohl Wernitz wie auch ich, haben im Gegensatz zu Heidi ein sehr gutes Verhältnis zu „unserem“ Sohn. Die aus- und überkandidelte Heidi hat das Nachsehen. Sowohl ihr Mann wie unser Sohn verkehren nur schriftlich über ihre Anwälte mit ihr und ich überhaupt nicht. Jetzt, in diesem Jahr, genau gesagt am 2.2.02, als das Standesamt Neustadt ausnahmsweise an einem Samstag geöffnet hatte, haben die beiden geheiratet und ich darf mich darauf freuen im September Opa zu werden. Wegen der komplizierten Vaterschaftsverhältnisse entschieden sich die Beiden den Namen von Tanja, meiner Schwiegertochter, als Familiennamen zu wählen auch wenn sie jetzt ganz schlicht und einfach „nur“ Meier heißen. Das war es schon, was es von ihm für Leser und Zuhörer diesbezüglich Interessantes zu berichten gäbe. Wenn ich jetzt noch nachtrage, dass das Scheidungsverfahren Wernitz ./. Wernitz in den nächsten Tagen abgeschlossen sein wird, können wir diese Seite, abgesehen von Heidis Schriftstücken, komplett abhaken. Nun aber zu der Monika-Helmut-Geschichte die ich zum Finale loszuwerden angekündigt habe. Ich habe es bisher unterlassen zu sagen, dass die Lesungen des Neustädter Literaturkreises immer an einem Donnerstagabend stattfanden. Demzufolge ist es bei der Mehrheit unserer Bevölkerung üblich, dass sie am folgenden Tag noch einmal solchen Dingen, die sie Arbeit, Dienst, Schule, Studium oder so nennen, nachkommen obwohl der Kalender behauptet es wäre ein Freitag. Meine Kinder gaben jedoch dem Freitag die Bedeutung der ersten Silbe; sie machten frei. Michael hatte an diesem Tag ohnehin keine Vorlesung oder andere universitäre Veranstaltung und Christa glaubte nach der Enthüllung ihres Lebens vom Vorabend erst einmal krank meldender Weise ausspannen zu müssen. Nur ich hatte das Joch des Selbständigen zu tragen und durch Anwesenheit zu dokumentieren, dass man ohne ihn nicht auskommt. Wäre schlimm, wenn es wirklich so wäre, dass man auf
bestimmte Auserwählte angewiesen wäre und ohne die nicht auskäme. Wenn ein „Unersetzlicher“ ausfiele und es wirklich so wäre, wie er es in seiner persönlichen Selbstüberschätzung glaubt, würde alles in sich zusammenbrechen. Aber nach noch keinem Ausfall eines Politikers, Managers, Banken- oder Firmenbosses und so weiter ist schon irgendetwas zusammengebrochen – bisher lief immer alles weiter, bisher war noch ein jeder ersetzlich. Niemand ist so wichtig als das er nicht gegen einen anderen ausgetauscht werden könnte. Aber für viele unserer Zeitgenossen scheint diese Wahrheit, wenn sie diese erkennen, Rückgrat brechend und vernichtend zu sein. Oh Schreck, oh Graus, ich scheine mich doch, zumindestens von der Anzahl der Worte her, zu so etwas was die Freunde der Sprachästhetik Literat nennen, zu entwickeln. Ich sollte es doch mit Major Wernitz und seinen Freunden bei Deutschlands grauen Haufen halten: kurz und präzise. Dann hätte ich gesagt, dass ich an jenem Freitag ganz einfach meiner Arbeit, so wie immer, nachkam. Selbst dieses hätte ich sogar ganz einsparen können, wenn nicht meine Tochter, die nun nach bald 30 Jahren zu mir gefunden hat, zwischendurch angerufen hätte, um mich zu fragen, ob ich im Lauf des Tages mal Zeit hätte um bei ihrer Mutter vorbeizufahren um dort ein paar Sachen für sie abzuholen. Sie wollte an diesem Tage noch nicht über ihren Schatten springen und hätte sogar auf die Dinge verzichtet, wenn ich es nicht erledigt hätte. Warum sollte ich das ablehnen und folglich besuchte ich die Mutter meiner Tochter erstmalig in ihrer häuslichen Umgebung. Noch nie zuvor, auch damals als sie noch meine Mitschülerin war, hatte ich mich innerhalb der ihr zuzurechnen vier Wände eingefunden. Dabei machte ich dann eine, zunächst mich erschreckende Feststellung: Ich saß da mit der Mutter meiner Tochter aber was mich empfindungsmäßig mit ihr verband war, dass es meine ehemalige Mitschülerin war. Ansonsten hatte ich das Gefühl einer Frau, die ich noch gar nicht richtig kennen gelernt hatte, gegenüber zu sitzen. Hinsichtlich Monika mag das nicht besonders tragisch erscheinen aber mir wurde in dem Moment auch bewusst, dass dieses mit nur einem kleinen aber in diesem Falle bedeutenden Unterschied auch auf meine Kinder zutraf. Dieses kleine unterscheidende Detail ist das intellektuelle und mentale Wissen, dass es um die Träger meines Erbgutes, um meine leiblichen Nachfahren, handelt. Ohne dieses Bewusstsein wären es für mich Menschen wie alle anderen auch. In diesem Augenblick musste ich auch an Heidis Mann denken, der im Hinblick auf Michael glaubte, eine solche Gewissheit zuhaben. Für ihn bedeutete Michael viel mehr als andere junge Männer. Die von Herz-Schmerz-Literaten gerne zitierte „Stimme des Blutes“ ist deren Erfindung; die ganze Sache wird tatsächlich nur durch das „triviale“ Bewusstsein gesteuert. Jetzt möchte ich nicht ergründen, warum ich jetzt, wie im Vorfeld eines partnerschaftlichen Kontaktes, das Bedürfnis hatte, diese Frau näher kennen zulernen. War es ihr doch recht attraktives Äußeres? War es ihre verständnisvoll wirkende menschliche Ausstrahlung oder war es mein Bewusstsein, dass wir beide ein gemeinsames Kind hatten? Auf jeden Fall war es an diesem Tage nicht mit Abholen und dann weg getan sondern ich hielt mich fast zweieinhalbe Stunden bei ihr auf. Ich ließ mich von ihr sogar mit Kaffee und Schnittchen bewirten. Später erfuhr ich mal von ihr, dass sie im Gegenzug zu diesem Zeitpunkt fast das gleiche Gefühl wie ich empfand. Darüber hinaus verspürte sie auch ein Bedürfnis, mir Dinge ihres Lebens, die man eigentlich gegenüber Dritten für sich behalten sollte, zu bekunden. Sie erzählte mir, dass ihr Vater alkoholkrank und gewalttätig war. Das sie von einem seiner Saufkumpanen als 13-jährige vergewaltigt worden war. Sie berichtete mir, dass ihr „Jugendfreund“, den sie mit Siebzeh kennen gelernt hatte, sie an seine Freunde vermieten wollte und sie mit ihm deshalb Schluss gemacht habe. Danach fand dann unsere Klassenfahrt, der wir unsere Christa zu verdanken haben, statt. Ihr Mann war von der gleichen Sorte wie ihr Vater. Vor 6 Jahren wollte sie sich von ihm scheiden lassen, wozu es allerdings dann nicht mehr kam weil der gute Herr zuvor seine Leber erbrochen hatte. Jetzt wollte sie nichts mehr mit Männern zutun haben – hatte sie dann auch in der Tat nicht mehr. Da gelang es ihrer Cousine Anke sie zu einer lesbischen Beziehung zu überreden. Monika sagte mir, dass sie erotisch so gut wie gar nichts zu ihrer bisexuellen Cousine empfunden haben, direkte sexuelle Kontakte von Frau zu Frau hätten sie sogar irgendwo angeekelt. Aber die körperliche Zärtlichkeit, die ihr Anke im reichlichen Maße gegeben habe, habe sie stets gerne genossen. Mit Anke war aber jetzt, sowohl im verwandtschaftlichen wie im sexuellen Verhältnis, auch Schluss, sogar für immer. Nach dem Besuch bei mir erfuhr, Monika von Anke selbst, dass sie nicht nur diese Sache sondern fast alle Details aus Monikas Leben literarisch „verwurstet“ hatte. Einerseits hat sie ja recht, dass im Grunde nichts dagegen spricht wenn man tatsächliche Ereignisse als Vorlage für ansonsten fiktive Erklärung heranzieht und diese dann, nachdem Namen und Orte zur Unkenntlichkeit geändert wurden, in anderen Zusammenhängen in Erzählungen und Romane verarbeitet. Eines muss nur sichergestellt sein, die Verarbeitung muss so gründlich sein, dass sich möglichst der Betreffende selbst sich nicht wieder erkennen kann. Ein jeder Mensch hat das Recht auf eine Privatsphäre, die durch Nichts und Niemand in den Schmutz gezogen werden darf. Anke Creola beherzigte dieses zwar aber durch ihre literarische Liebe für Details, mit der sie wortgewandt alles bis ins Kleinste beschrieb, machte aus anonymen Pseudonymen wieder konkrete Personen. Wenn man schon den sprachlichen Ausdruck über die Sache stellt, dann muss man sich, so meine ich jedenfalls, die Mühe machen, nur auf absolut fiktive Dinge zugreifen. Und wenn man das nicht kann, dann muss man es halt ganz sein lassen. Denn was nützt das tollste, von Literaturpäpsten überlobte Wunderwerk, wenn dessen Aussage und Nutzen für die gesellschaftliche Entwicklung gleich Null ist. Dann ist es eine wertlose Unter-
haltung für wollüstig dahin lebende Sprach- und Stilfanatiker. Und gerade diese Spezies zeigt mit dem Finger auf Andere, um ihnen Trivialität vorzuwerfen. Monika warf ihrer Cousine vor, sie sei eine schwulstig quatschende aber ansonsten frivole und triviale Katschbase und sie verstände nicht, warum sogenannte Literaturkritiker einen geistigen Orgasmus bekommen würden, wenn sie mal wieder ein Haufen schön zu lesenden Schund zusammen geschmiert hätte. Anke war da so tief getroffen, dass sie nicht nur alle Kontakte zu ihrer Cousine spontan und wutentbrannt abbrach sondern sie auch noch wegen Beleidigung anzeigte. Von der Anzeige wusste Monika an jenem Tag allerdings noch nichts. Sie war nur von der ganzen Menschheit, sich selbst eingeschlossen, enttäuscht. Ihre Enttäuschung über sich selbst beruhte auf ihren jetzigen Glauben, dass sie statt den Alkoholismus und die Gewalttätigkeit ihres Vaters sowie die ihres Mannes zu erdulden, an entsprechender Stelle um Hilfe hätte ersuchen müssen. Sie war enttäuscht darüber, dass sie fast drei Jahrzehnte lang ihre eigene Tochter in einer ganz entscheiden Sache belogen und betrogen hatte. Immer noch quälte sie ihr Gewissen darüber, dass sie mich eines Verbrechens beschuldigt habe obwohl sie es gewesen wäre, die mich verführt hätte. Sie wäre es ja gewesen, die in die Dünen gelaufen wäre und vorsätzlich ihr Bikini-Oberteil verloren hätte damit sie mir, wenn ich dieses aufhebe und ihr anreiche, die Badehose runterziehen könnte. Sie befürchtete, dass sie damit mein späteres, bis heute anhaltende Singleleben verschuldet zu haben, obwohl ich doch, so wie sie überzeugt wäre, der ideale Mann für eine Frau sei und dazu noch, wie schon früher, supergut aussehe. Da musste ich ihr doch etwas darauf erwidern: „Mensch Moni, warum hast du mir das nicht schon früher gesagt? Ich hätte dir trotz allem gestehen müssen, dass ich als Junge unsterblich in meine Mitschülerin Monika Schrader verliebt war und sich dadurch mir dein Bild als das der Idealfrau eingeprägt hat. Der Vergewaltigungsvorwurf und dass ich deshalb von der Penne und aus dem Elternhaus flog, war damals für mich nicht so schlimm wie durch die davor gerufene Enttäuschung darüber, dass du nicht die Göttin aus meinem Träumen warst. Ich habe aber trotzdem später immer alle Frauen mit dem Bild, dass ich von dir hatte, verglichen und musste mir, weil dir keine das Wasser reichen konnte, die Nächste suchen. Jetzt mach dir aber keine Vorwürfe, denn das wäre wahrscheinlich auch so gekommen wenn alles nicht geschehen wäre und ich dich aus dem Grunde, weil ich nicht dein Typ war, nicht gekriegt hätte. Möglicher Weise entspricht du selbst nicht diesem, in meiner pubertären beziehungsweise nachpubertären Liebe geborenem Bild ... aber davon kannst eigentlich nur du mich kurieren. Ich möchte dich so gerne richtig kennen lernen. Wollen wir, wie wir früher in unserer Jugendzeit sagten, miteinander gehen?“. Ihre Augen waren feucht geworden und ihr Gesicht hatte einen wehmütigen sentimentalen Ausdruck bekommen. Mit einer Stimme, der man deutlich entnehmen konnte, dass sie das Heulen unterdrücken musste, sagte sie: „Ach Helli, ich täte nichts lieber wie das. Ehrlich gesagt würde ich jetzt gleich mit dir ins Bett gehen und dich nie mehr loslassen. Ich habe nur Angst, dass wir beide uns jetzt unter dem Eindruck des Geschehen etwas vormachen, was uns hinterher noch mehr schmerzt als alles das, was uns jetzt schon wehtut.“. Darauf erwiderte ich ihr nach ein paar Nachdenksekunden: „Moni, was hältst du davon, wenn wir es erst einmal versuchen ohne gleich miteinander zu schlafen. Mit der Vollendung einer Liebe sollten wir warten bis wir uns unserer ehrlichen Gefühle sicher sind.“. Ihr sentimentaler Ausdruck wandelte sich in ein glückliches Strahlen. Plötzlich sprang sie auf und auf mich zu, damit wir uns heiß und innig küssen konnten.“. Warum sollte ich es Anke Creola gleich tun und der vermeintlichen Spannung halber das Ergebnis hinter einen Haufen von Wörtern und Sätzen schieben: Das war der Beginn einer Partnerschaft, die, wie es am heutigen Tage, wo ich diese Zeilen schreibe, aussieht, im Hafen der Ehe enden wird. Heute morgen haben Moni und ich beschlossen im Oktober dieses Jahres zu heiraten. Unser Wunschtermin wäre eigentlich ihr 50. Geburtstag gewesen aber der 3. Oktober scheidet leider wegen des 1990 willkürlich in die Welt gesetzten Feiertages aus. Wir hätten damals nach unserer „Jugendsünde“ heiraten sollen, denn da gab es den Deutschland-Jubeltag noch nicht. Aber meinen Vorschlag erst nicht miteinander zu schlafen haben wir auch sehr strickt beherzigt. Mehr noch: Mit Rücksicht auf die Gefühle unserer Tochter haben wir sogar unseren Zweisamkeitsversuch in den ersten drei Wochen verheimlicht. Aber man kann nichts so heimlich halten, dass es nicht doch irgendwann mal bekannt würde. Christas Partnerin hatte unsere Tochter davon überzeugt, dass wir alle Menschen sind und Menschen ohne es böse – sondern im Gegenteil es gut – zu meinen so handeln wie ihre Mutter. Nur wer vergeben könnte wäre in der Lage das Böse zu überwinden. Immerhin habe Christa ihrer Mutter so viele gute Dinge zu verdanken und Monika habe auch ihr gegenüber immer Verständnis und Toleranz gezeigt. Das überzeugte Christa und sie beschloss umgehend ihre Mutter aufzusuchen um ihr zu verkünden, dass nun alles wieder in Ordnung sei. Sie kam so plötzlich, dass ich, ihr leiblicher Vater, nicht mehr rechtzeitig verschwinden konnte. Im ersten Moment sah es so aus als sei Christa entsetzt, was sich aber sehr schnell ins Gegenteil verwandelte. Als wir ihre erstaunte Frage, ob wir zusammen seien, positiv beantwortet hatten, tönte sie: „Mutti, du meinst es ja mit deiner Wiedergutmachung tatsächlich ehrlich. Du machst offensichtlich den gravierendsten Fehler deines Lebens, meinen Vater nicht heiraten zu wollen, wieder wett. Das ist zwar sehr, sehr spät aber noch nicht zu spät. Ich finde ihr seid das ideale Paar. Und das ist ja nun der tausend prozentige Beweis, dass mein Vater dir vergeben
konnte. ... Dann muss ich das wohl auch, denn ich bin ja schließlich euer beiden Fleisch und Blut.“. Das machte meine Moni vor Glück fix und fertig. Gleichzeitig beflügelte dieses Erlebnis unser Glück. Aber zusammen ins Bett kamen wir trotz dieser Sache noch nicht. Wir blieben zunächst weiterhin keusch und sittsam wie Pastorentöchter. Sorry, Letzteres gehört zu dem Klischeedenken von Unter-, Normal- und Übermenschen wie es sich auch in den geistigen Ergüssen der Sprachkünstler, sprich Literaten, wiederspiegelt. Was ist schon lesenswert daran wenn es nur Menschen, nichts mehr und nicht weniger, gibt. Was ist dann noch zu erzählen, wenn wir Menschen, so wie es uns in der Bibel gesagt wird, alle nach dem gleichen Strickmuster gemacht sind. Alle mit gleichen Neigungen zu dem Guten wie dem Bösen, alle mit großen und kleinen Stärken wie Schwächen. Und was kann ein Literat damit anfangen, dass wir alle immer nur menschlich handeln und alles was wir mit-, für- und gegeneinander tun nachvollziehbar im Menschen, die nicht abstellbar oder veränderbar sind, begründet ist. Es sei denn, wir würden uns erdreisten zu glauben es Gott gleich tun zu können und aus dem Menschen ein neues Lebewesen erschaffen zu können. Dann bleibt ja nichts anderes als sich zwangsläufig immer nur mit den sich in jeder Generation stetig wiederholenden menschlichen Tritten und Fehltritten zu beschäftigen. Man lese doch nur einmal im Sommernachtstraum Shakespeares Aussagen über die Jugend. Na, trifft das nicht uneingeschränkt auch auf die Klagelieder über unsere jungen Leute zu. Aber was soll jemand, der nach literarischer Unsterblichkeit strebt anderes machen. Der kann sich doch nicht mit den gesellschaftlichen Abläufen, in die jetzt aktuell eines Eingriffes bedürfen, beschäftigen. Die Anlässe sind in 5 Jahren fast vergessen und nur noch für Historiker und Zeitanalysten von Interesse. Und Letztere greifen dann, schon ihrer begrenzten Zeit halber, auf Klar- und Sachtexte zurück. Derjenige, der in den Literatenhimmel will, muss schon die Themen von Shakespeare, Goethe und Schiller wieder aufgreifen und sie mit anderen Worten noch mal darstellen. Gesellschaftliche Abläufe, die im Gegensatz zum Menschen veränderlich sind, eignen sich nicht zur Einordnung des Schreiberlings in die Galerie der Dichter und Denker. Natürlich kann man auch mit sprachlich gekonnten historischen Werken in die Galerie der Großen gelangen, aber dann muss man aber auch tatsächlich das sein, was man sein möchte: ein Shakespeare, Schiller oder Goethe. Zusammen ins Bett gebracht hat uns, Monika und mich, Ende Mai/Anfang Juni des letzten Jahres unbewusst und ungewollt Frau Heidi Wernitz. Was heißt hier „unbewusst und ungewollt“, davon weiß sie selbst gar nichts und das geht sie ja auch nichts an. Sie wollte Monika und Anke „fertig machen“ und rief damit böse Geister auf die Bühne, die mich dazu veranlassten etwas zum Schutze Monikas zu unternehmen, wobei sich dann die Gelegenheit ergab, die uns dann, wie es im Lukas-Evangelium heißt, ein Fleisch werden ließen. Aber immer schön ein Schritt nach dem anderen – auch in dieser Erzählung. Heidi versuchte sich jetzt auch als Literatin und wollte mit größerem Werbeaufwand Lesungen, die sie selber halten wollte, veranstalten. Natürlich führten ihre Werke, in der sie Anke Creola als Ghostwriterin für die perverse Monika, die sich nicht scheut ihre wüsten Bettabenteuer und das Privatleben Dritter der Öffentlichkeit preis zugeben, darstellte, zu Skandalen und Rechtsstreitigkeiten. Natürlich hat auch Heidi Namen und Orte geändert, aber da wurde aus Neustadt dann Altstadt, aus Monika wurde eine Veronika, ich heiße bei ihr nicht Helmut Schmidt sondern Willi Brand, Christa wurde zur Christine und so weiter und so fort. Wenn man es so macht, kann man natürlich auch gleich Ross und Reiter nennen. Solche Assoziation sind ja fast gleichbedeutend mit Klartext. Aber eines muss man Heidi lassen, sprachlich und stilistisch hatte sie sich Anke Creola ebenbürtig gezeigt. Selbstverständlich kam Heidi nur zu einer Lesung und diese kam ihr dann auch recht teuer zustehen. Aber mit dieser hatte sie, dank der Publizität, die sie der Sache gegeben hatte, auch die Leute geweckt, die nur Bettabenteuer und in Assoziation den Namen der Dame, wo diese zu erleben sind, gehört hatten. Für Monika führte das zu einer Reihe übler Belästigungen via Telefon und vor der Haustür durch entsprechende Perverslinge. Da zog ich es vor, Monika für eine Übergangszeit, Asyl in meiner „Hütte“ zu bieten. An etwas Weitergehendes habe ich in dieser Situation ganz ehrlich nicht gedacht. Ich gedachte ursprünglich sie, so wie zuvor Christa, in meinem Hause unterzubringen. Daraus liest man schon, wie sehr ich bemüht war keinen Fehler zu machen. Überhaupt hatte sich mein Verhalten gegenüber Dritten und da insbesondere Frauen geändert. Zuvor versuchte ich an Mitglieder des weiblichen Geschlechtes, deren Äußeres eine Entsprechung in meinen Vorstellungen von dem, was eine Frau haben müsse, fand, möglichst nahe heranzukommen. Und jetzt achte ich darauf Distanz zu halten und wenn man von der anderen, sprich feminen Seite, versuchte sich mir zu nähern ging ich gleich auf deutliche Distanz. Noch vor kurzer Zeit sah ich den Sinn einer Partnerschaft überwiegend in geregelten sexuellen Beziehungen und der gesamte Restsinn entfiel auf Arbeitsteilung im privaten Bereich. Jetzt sah ich es auf einmal ganz anders. Es baute mich unheimlich auf feststellen zu können, dass Monika, vermutlich aufgrund ihrer Lebenserfahrung, sehr anlehnungs- und schutzbedürftig war und ich ihr offensichtlich das geben konnte, was sie diesbezüglich brauchte. Im Gegenzug gab sie mir etwas, was ich in meinem Leben noch nie erfahren hatte: Ich konnte über meine Pannen, Schlappen, Peinlichkeiten, Sorgen und Nöte mit jemanden sprechen ohne ein Gefühl belächelt zu werden zu haben. So seltsam wie es klingt, aber mehr und mehr kam ich zu dem Schluss, dass Monika nicht dem Bild meiner Jugendliebe entsprach. Dieses Gemälde war in meinem Kopf aus dem pubertären Triebempfinden entstanden. Es
zielte auf das Körperliche, auf das Sexuelle ab. Ich hätte das, was sich da vor meinem geistigen Auge gebildet hatte, mit wunderschönen Worte darstellen können. In meiner Beschreibung hätte es keine Farben und sondern nur mit allerlei Attribute ausschmückbare Töne gegeben. In einer solchen Beschreibung hätte man keine realen Feststellungen sondern nur emotional schwingende Vorstellungen gefunden. Aber alles wäre, nüchtern gesehen, keine Darstellung einer Partnerschaft, so wie ich sie jetzt zu verstehen begann, gewesen. Liebe ist etwas Geistiges und Partnerschaft etwas Handfestes. Eigentlich müsste ich jetzt hinsichtlich Literatur, die mir aus den Arten der Damen Anke Creola und Heidi Wernitz zum Graus geworden war, umdenken. Kommt es nicht darauf an, wem ich was sagen will. Wenn ich einer Angebeteten meine Liebe zu ihr darstellen will, klingt ein mehr realer Aufsatzstil hölzern, langweilig und ist schwierig zu lesen. Wenn ich sie aber über meine Vorstellung von Partnerschaft aufklären will, klingt ein literarischer Stil wulstig, Problem vertuschend und weitgehenst nichts sagend. Aber beides hat seine Rechtfertigung und kann, wenn man es jeweils richtig anwendet wertvoll und umgekehrt bei falscher Anwendung trivial sein. So dürfte Gesellschaftskritik, so wie sie der InternetSchreiberling Reiner Vial sie an den Mann bringen will, im hochliterarischen Stil albern klingen und kein Mensch würde den Spiegel, den er den Leuten vorhalten würde, sehen können. Es würde nur der Eindruck, dass er des Schreibens Willen schreibe würde, erwecken. Dass er zum Nachdenken über aktuelle Themen anregen will, dürfte dabei wohl in der Worte Schwall untergehen. Umgekehrt muss es bei Anke Creola sein. Ihre Intention ist das Anregen des Geistigen, des Emotionalen. Würde sie sich Vials Aufsatzstil bedienen, wären ihre Roman nach maximal fünf Seiten abgehandelt und ein Unterschied zu einem nüchternen Zeitungsbericht wäre nicht mehr erkennbar. Sie hat nur gegenüber Vial einen Vorteil: Ihre Werke dürften auch noch in Jahren und Jahrzehnten lesenswert sein. Der ursprüngliche Wert schmälert sich langfristig lediglich durch die Veränderung einer lebenden Sprache. Dagegen dürfte das, was Vial schreibt, in 10 Jahren der Schnee von gestern sein. Auch wenn sich die Probleme im eigentlich Grunde noch nicht geändert haben, dürften die aktuellen Anlässe, die er dazu anführt, nur noch unbedeutende Histörchen sein. Im Grunde hat er aber auch keine Chance so wie Anke Creola zu schreiben, denn deren Worte verlangen einen erheblichen Formulierungs- und Relegieraufwand. Würde sich Vial dieses Stiles bedienen, wenn er die Themen des Wahlkrampfes 2002 zum Anlass für ein Werk nimmt, dürfte er dann sein triviales Wortgeschwulst zu einem Zeitpunkt vorlegen, wenn die Politiker bereits durch ihre Realpolitik ihre Wahlkampfversprechen ins Gegenteil verkehrt hätten. Und außerdem, wer würde das überhaupt oder noch lesen wollen? Ich kann es nicht lassen. Immer wieder schweife ich auf das Thema „Literaten und Leute, die was zu sagen haben“ ab. Aber was soll es, dass ist ja der Grund, warum ich diese Sache überhaupt niederschreibe. Persönlich natürlich nicht aus dem Grunde, um eine Diskussion über Sinn und Unsinn von Literatur und Aufsätzen auszulösen, sondern um mir meinen Frust über das Theater, das von Anke Creola und insbesondere Heidi Wernitz veranstaltet wurde, von der Seele zu schreiben. Zwischendurch, je mehr es dem Ende zugeht, merke ich jedoch, dass diese „verdammte Literatur“, die ich verteufeln wollte, ja ihre Daseinberechtigung, so wie sie ihr von den Leuten gegeben wird, hat. Aber eines geht mir dabei auch auf: Es gibt überhaupt keinen Grund, die jeweils andere Seite zu verteufeln und abzukanzeln. Im Grunde ist nichts oder nur sehr wenig trivial, das heißt wertlos unterhaltend, da doch alles seinen Sinn und seine Daseinsberechtigung hat. Selbst der im Aufsatzstil erzählte Krimi hat, wenn er den Zweck, dass er Boulevardblattleser wie den Soap-Opera-Dauerglotzer zum Buch bringen will, seinen Wert und verdient es deshalb nicht abgekanzelt zu werden. Wem ein „Jerry Cotton” nicht gefällt, brauch diesen ja nicht zu lesen. Mit Sicherheit hat Vials Gesellschaftskritik im Aufsatzstil bei Leuten die sich mit den Problemen der Zeit beschäftigen wollen einen anderen Stellenwert als bei denjenigen, die sich in erster Linie von guten sprachlichen und stilistischen Werken unterhalten lassen beziehungsweise sich mit Sprache und Kultur auseinandersetzen wollen. Jedes Ding hat zwei Seiten. Ein Ein-Euro-Stück. auf dem entweder eine Eins oder ein Adler aufgeprägt ist, stellt nur eine Fehlprägung oder Falschgeld da. Es muss beides, Adler und Eins, aufgeprägt sein. Selbst das nützt nichts, wenn sich Adler und Eins auf der einen gleichen Seite des Ein-Euro-Stückes befinden; jedes Symbol muss seine eigene, absolut gleichwertige Seite haben. Wer auf einer Seite steht und die andere abkanzelt hat noch nicht gemerkt, dass er sich selbst trifft, denn weder Adler noch Eins ergeben ein Ein-Euro-Stück sondern immer nur beide. Wären Adler und Eins menschliche Wesen und die Eins würden den Adler als wertlos erklären hätte sie sich selbst zum Nichtnutz erklärt, denn einen Wert hat sie nur, wenn auch der Adler einen solchen hat. Oh weh, jetzt habe ich schon ein Fazit gezogen ohne die Geschichte voll zu Ende zu erzählen. Das ich Monika in meinem Haus Schutz vor perversen Belästigern geboten habe und dass sich mein Bild, das ich von ihr habe, von dem Traum der Jugendliebe zu der Richtigen für eine Partnerschaft gewandelt hatte, erklärt ja noch nicht wie wir gemeinsam ins Bett kamen und was sich daraus entwickelte. Und, geben Sie es ruhig zu, gerade das ist es ja, auf was alle jetzt warten. Im Grunde bräuchte ich das allerdings nicht ausführlich niederschreiben, denn was ich hier zu schreiben habe, ist unser Leben, welches nur uns alleine gehört. Wir sind doch keine Talkschownudeln, die sich vor einen Millionenpublikum zur Belustigung des Mobs protestuieren wollen. Daher ist es aus meiner derzeitigen Sicht unwahrscheinlich, dass diese Erzählung mal von irgendjemand anderes als von Monika und schlimmstenfalls von meinen Kindern gelesen wird – auch wenn ich es so niedergelegt habe als sei es für eine
breite Öffentlichkeit bestimmt. Wie es auch sei, als korrekter Mensch führe ich das, was ich angefangen habe, auch zu Ende und erzähle deshalb auch noch das Finale. Ich hatte also Monika ins Haus, das Michael kurz zuvor verlassen hatte, geholt. Ursprünglich wollte ich sie, immer noch auf die vereinbarte Keuschheit und Sittsamkeit bedacht, in dem Zimmer unterbringen, aus dem mein, bis vor knapp mehr als 3 Monaten mir selbst noch unbekannter, Sohn gerade ausgezogen war. Dort hatte ich auch, als wir ankamen, Monikas Koffer erst einmal abgestellt. Zur „Begrüßung“ kochte ich uns erst einmal einen schönen Kaffee, den ich ihr mit Gebäck, was sie so gerne mag, servieren wollte. Erst danach wollten wir ans Werk gehen, das heißt ihre Sachen in die Schränke einräumen. Das war auch gut so, denn wir hätten, wenn wir gleich ans Einräumen gegangen wären, nach dem Kaffee gleich wieder umräumen müssen. Monika saß mir an dem kleinen Küchentisch gegenüber und lächelte mich, während sie an einem Biskuit knabberte, meine Gefühle anregender Weise an. „Du hast doch was auf dem Herzen?“, fragte ich sie, weil mir in diesem Moment nichts anderes einfiel. „Wenn es nur ‚was’ wäre,“, begann sie ihre Antwort mit erotisierter Stimme, „mein Herz ist voll ... Voll von Liebe. Ich weiß nicht ob meine Gefühle jetzt auch auf Gegenseitigkeit beruhen, aber ich liebe dich über alles. Ich möchte mit dir ein neues Leben beginnen und mit dir alt werden.“. Richtig gerührt antwortete ich ihr: „Ach Moni, ich liebe dich auch. Stell’ dir vor, dass ich dich erst jetzt richtig liebe. Ein Leben lang habe ich den Körper meiner Mitschülerin Monika begehrt und jetzt liebe ich die Frau, die aus diesem Mädchen hervorgegangen ist.“. „Meinst du nicht auch, dass Liebe nicht aus körperlichen Begehren besteht,“, erklärte sie mit zitternder Stimme, „aber dass dieses aber unbedingt auch dazu gehört.“. Sie sprach es, erhob sich und entkleidete sich langsam vor meinen Augen. Ihr zuzuschauen war für mich ein sinnlicher Genuss, der in keiner Weise mit dem geilen Begehren, wie ich es bisher kannte, zu vergleichen war. Vollkommen nackt blieb sie noch einen Moment vor mir stehen und genoss, dass ich sie betrachtete. Im Hinblick darauf, dass sie die Mutter meiner Tochter ist, ist es doch irgendwo erstaunlich, dass ich sie noch nie im Leben so gesehen hatte. Damals, bei dem kurzen Zeugungsakt in den Dünen, hatte ich sie eigentlich nicht genau betrachtet. Ich könnte fast sagen, dass ich sie dabei noch nicht mal richtig beachtet hatte. Ich hatte mich auf mich selbst und die Befriedigung meiner Lust konzentriert, das Mädchen Monika war damals für mich nur ein Objekt. Jetzt stand da vor mir eine Frau, die ich immer noch für wunderschön hielt, und die mir mit ganzen Körper signalisierte, dass sie bereit war mir alles zugeben, was sie mir bieten konnte. Mich überkam der fast ununterdrückbare Wunsch dieser Frau alles an Zärtlichkeit zugeben, was ich diesbezüglich zu bieten habe. Als ich später darüber nachdachte, wurde mir klar, warum ich bis zu diesem Tage unfähig für eine Partnerschaft war. Mir war es immer nur ums Nehmen, und dieses ausschließlich im Bereich des Körperlichen, gegangen. Jetzt hatte ich es kapiert: Das Geben ist das Wahre. Ab diesem Zeitpunkt ist mir bewusst, dass ich nun, dank meiner dadurch gewonnenen Partnerschaftsfähigkeit, mit Monika dauerhaft und glücklich zusammenleben werden kann. „Na Schatzi“, sagte sie jetzt ermunternd, „gönnst du mir jetzt auch einen Blick? Danach können wir ja mal das Bett in deinem Schlafzimmer besichtigen.“. Ich brauche jetzt ja nicht zu schildern wie wir ihren Vorschlag in die Tat umsetzten. Wichtig ist ja nur, dass er umgesetzt wurde. Erwähnenswert halte ich noch, dass wir ganze zwei Stunden nackt im aufgedeckten Bett lagen und intensiv Zärtlichkeiten austauschten und es erst ganz zum Schluss zur vollendenden Vereinigung kam. Am nächsten Tag schrieb Monika ihre Eindrücke von diesen beiden Stunden nieder. Da konnte ich feststellen, dass das literarische Talent offensichtlich in Monikas Familie erbgutmäßig vorhanden ist. Christa hatte mal ein „paar“ Zeilen an ihren „wahren und einzigen Vater“ geschrieben. Diese gingen mir so richtig durch und durch. Was Monika von unseren „himmlischen Minuten des Höchstglückes“ geschrieben hatte, hätte Anke Creolas literarischen Leistungen um Längen geschlagen, aber Monika hatte dieses nur für sich und für mich geschrieben. Diese Glücksmomente gehören nach ihrer Ansicht nur uns und verdienen absoluten Schutz vor der Öffentlichkeit. Wenn ich mir dieses so richtig überlege, ist es eigentlich nur möglich, etwas zu schreiben, was man selbst empfindet oder denkt. Jegliche Konstruktion von Emotionen und Intuitionen kann doch bei Leuten, die schon mal so etwas erlebt und empfunden haben, nur als schlechte Satire ankommen. Jetzt kann wohl jeder nachvollziehen, dass und warum Monika noch an diesem Tage beschlossen unsere Domizile in meinem Haus zusammenzulegen. Damit begann eine auf zwei Säulen beruhende Lebenspartnerschaft. Die eine hieß Nehmen und die andere Zärtlichkeit. Hinzu kamen noch unerschütterliches gegenseitiges Vertrauen und fortlaufende Kommunikation. Heute weiß ich, dass Monika und ich schon immer für einander bestimmt waren, es war uns nur prädestiniert, dass wir durch unser Erleben zur Vollkommenheit geschärft würden. Im Oktober werden wir es auch der Welt bekunden, dass wir, so wie es unser Herr Jesus Christus geboten hat, ein Fleisch geworden sind. Wenn jetzt jemand darüber staunt, woher denn jetzt meine christliche Gesinnung, von der in dieser Erzählung noch nichts zuspüren war, kommt, dem verrate ich nun, dass ich zeit meines Lebens immer an Gott geglaubt habe aber mein Glaube nie das Hervorstechendste in meinem bisherigen Leben war. Auch das hat sich mit Monika geändert. Sie hat ebenfalls ein Leben lang an unseren Herrn und an die Erlösung geglaubt. Stets hat sie bei all den schweren Dingen, die sie getroffen haben, Zuflucht mit Gebeten bei unserem Herrn gefunden. Ihr Leidwesen schien es zu sein, dass sie aus ihrer Sicht keine Vergebung zur Sünde
ihres Lebens gefunden hatte. Jetzt wusste sie, dass Gott das, was sie im Vater unser betete, erhört hatte und sie statt zu bestrafen reichlich belohnt hatte. Diese Erkenntnis stärkte uns mächtig in unserem Glauben. Wenn ich jetzt an dieser Stelle die Erzählung, die ich aus Wut über das Gehabe einer Dame mit einem Literaturtick begonnen habe, ohne eine abschließende Erklärung beenden würde, käme diese Geschichte bestimmt einigen Leuten doch recht komisch vor. Wie kommt dieser Herr namens Helmut Schmidt nur von den Mußen des irdischen Lebens, die er, so wie diese bei Anke Creola und Heidi Wernitz überkandidelt waren, auf eine Aussage aus religiöser Überzeugung? Das kann ich leicht beantworten: Ich halte die bloße Aneinanderreihung von Worten, gleichgültig ob diese sprachlich und stilistisch gut oder schlecht sind, gleichgültig ob sie Andere unterhalten oder nicht, für wertlos, sprich trivial. Gelingt es einem aber, jemanden Werte zu übermitteln, dann erhält selbst ein schlechter Aufsatz einen ganz besonderen Wert. Wegen meiner Überlegungen zur Literatur oder Nichtliteratur, insbesondere wenn die diesbezüglichen Worte wie hier aus Verärgerung aneinandergereiht wurden, hätte ich dieser für keine Veröffentlichung für wert gehalten. Dafür gibt es andere, die damit ihren sehr guten Lebensunterhalt mit verdienen. Aber wahre Partnerschaft und mein Glaube stellen für mich so hohe Werte da, dass ich schon wegen dieser Dinge, die sich hier „nur“ aus dem chronologischen Zusammenhang ergeben haben, überlege diese Schreibe möglicher Weise, allerdings in erheblich anymisierter Fassung, doch einem breiterem Publikum zugänglich zu machen. Es kommt nicht darauf an, wie man etwas sagt sondern immer nur darauf, was man sagt. Wenn jemand in einer sehr schönen Weise so gut wie nichts sagt, dürfte der einzigste Wert seiner Arbeit ausschließlich in dem Geld, was er dafür kriegt, liegen. Wenn ich mal unter die Schriftsteller gehen sollte würde ich nicht für den Deutschunterricht sondern für den Gesellschaftskunde- und Religionsunterricht schreiben wollen.
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Nackte und ihre perversen Nachbarn Kennen Sie vielleicht den kleinen Ort Wannebachtal? Nein, dann kennen Sie auch nicht den Fluss Wannebach? Was, sie finden weder den Ort noch den Fluss im Atlas und ihr Routenplaner gibt auch ergebnislos auf? Na ja, daraus dürfen Sie sich jetzt so gut wie nichts machen, denn es liegt weder an einer Bildungslücke ihrerseits noch an ein Mangel in ihrem Atlas oder in dem Programm vor. Den Namen habe ich jetzt mal so ganz locker frei erfunden. Er steht für ... . Ja, gerade deshalb habe ich ihn erfunden, er steht für einen Ort, den es tatsächlich irgendwo in Deutschland gibt. Würde ich den wahren Namen nennen, dann gäbe es für einige Leute, insbesondere für mich, ein sicherlich phänomenales Spießrutenlaufen. Vielleicht geht es in vielen Orten wie in Wannebachtal zu aber nur hier konnte ich die verlogene bürgerliche Moral hautnah selbst miterleben. Mit „bürgerlich“ habe ich ja ausgedrückt, dass es sich dabei um Leute handelt, die man zwar nicht in den Charts der Promis finden kann, deren Bedeutung bestenfalls für Erwähnungen in Festschriften erwähnenswert bezeichnet werden kann, die aber vor Ort sich als die Elite der Gesellschaft halten – nichts und niemand ist über ihnen. Und genau die Topp-Vier der Wannebachtaler Gesellschaft wohnen „Auf der Insel“. Ei hei, da geht’s aber dank der Unzugänglichkeit für Normalbürger heiter und munter zu und ich, die kleine Leuchte, die von außerhalb kam, hatte das Vergnügen – oder aus meiner sicht gesagt: Missvergnügen - ebenfalls auf der Insel, mitten unter ihnen, zu wohnen. Aber alles mal schön der Reihe nach. Ich, Wolfgang Schnitzler, zog im Jahre 2000 von Nachrodt-Wiblingwerde, der kleinen Gemeinde in der auch der Gesellschaftskritiker Reiner Vial, der seine Werke auf der Homepage www.reiner-vial.de kostenlos zum Download anbietet, wohnt, nach besagtem Wannebachtal. Ich habe jetzt Reiner mit Absicht erwähnt, denn der hätte an den Wannebachtaler Bürgern so viel Freude gefunden, dass sie ihm bestimmt zu einen Roman wie „Und das soll Leben sein“ inspiriert hätten. Aber die Erwähnung der schönen sauerländischen Doppelgemeinde, der ich entstamme, hat noch einen zusätzlichen, tieferen Grund. Wie bitte, Tourismus-Werbung? Na ja, da wäre nichts schlimmes dran, denn einen Besuch meines ursprünglichen Heimatortes kann ich nur wärmstens empfehlen. Aber der wahre Grund ist, dass es dort eine ähnliche Örtlichkeit wie die Wannebacher Straße „Auf der Insel“ gibt. Auch die Klingestraße in Nachrodt ist eine einspurige, von LKWs nur schwerlich oder gar nicht befahrbare Straße. An der einen Seite ein Fluss, in Nachrodt ist es die Lenne, und auf der anderen Seite ein Graben. Auch die Klingestraße ist auf der einen Seite nur von einer Brücke, die gerade mal so breit wie das Sträßchen ist, zu erreichen und auch hier befindet sich auf der anderen Seite eine Fußgängerholzbrücke, die die Feuerwehr im Brandfall zur Verlegung von Schlauchleitungen nutzen will. Wie „Auf der Insel“ stehen in der Klingestraße, glaube ich jedenfalls, auch nur fünf Häuser. In einem solchen Fall kann leicht der Verdacht entstehen, ich wolle jetzt die Nachrodt-Wiblingwerder Klingestraßen-Anwohner mit einer freierfunden Geschichte diffamieren. Aber Leute, dafür lasse ich mich sogar erschießen: Die Nachrodter haben nichts, überhaupt nichts mit der Sache von der ich hier berichte zutun. Wannebachtal liegt in einer ganz anderen Ecke Deutschlands. Wenn man sich die „normalen“ Häuser in der Klingestraße und die Jugendstilvillen „Auf der Insel“ ansieht, sticht einen der Unterschied gleich ins Auge. Also, so viel vorab zur Ehrenrettung meiner Exmitbürger im schönen Sauerland. Mit dieser Einleitung hätte ich, wenn ich noch erwähnt hätte, dass die Wannebachtaler Straße „Auf der Insel“ durch hohe Bepflanzung und verschließbare Törchen an den Brücken abgeschottet ist, den Ort, wo ich dank einer Erbschaft hinkam, schon fast ausreichend beschrieben. Eu, ich merke jetzt, wie sehr ich doch von den Wannebachtalern gelernt habe. Da habe ich jetzt den Eindruck erweckt, als gehörte ich zu der berühmten Generation der Erben, dessen Lebensleistung es ist, sich ins gemachte Netz zusetzen. Und dass dieses Nest unter anderem eine Jugendstilvilla in elitär abgeschotteter Umgebung wäre. Nee, zu den Kreisen zähle ich nicht, was ich sogar – man höre und staune – für ein Glück halte. Ich habe lediglich einen Hausmeisterjob in einer der Villen geerbt und bevor es richtig losgeht, erzähle ich erst einmal wie es dazu kam. Das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts – in diesem Falle können wir sogar Jahrtausend sagen – war für mich, der ich dem Jahrgang 1946 entstamme, nicht gerade das glücklichste meines Lebens. Erst machte ich mit meiner Softwarefirma, in der ich das Arbeitspferd und mein Partner der Big Boss war, Pleite. Man kann ja Leuten nur vor den Kopf sehen und da habe ich nicht erkannt, dass es meinem Partner, der zur edlen Garde der Spekulanten gehört, nur auf irgendwelche dubiose Abschreibungen und nicht auf unseren Laden ankam. Mutig hatte ich mit der Entwicklung einer größeren Sache hingegeben während mein Partner das Geld, das er einlegte beziehungsweise von den Banken aufnahm, schon mal ausgab. Der machte flotte Geschäftsreisen nach Schweden, wo wir, die wir für den deutschen Markt entwickelten, ohnehin nichts ausrichten konnten und wollten, und schaffte es dabei in Stockholm gleichzeitig auf Geschäftskosten Taxi und Straßenbahn zu fahren. Als das Negativvermögen ausreichend für sein Abschreibungsvorhaben war, erklärte er seinen Ausstieg und ich hatte den Strick, sprich Gerichtsvollzieher und Inkassogeier um beziehungsweise an den Hals. Aber was soll es, es gibt ja wichtigere Dinge im Leben als Firmenboss oder Schuldner zu sein. Ich suchte mir einen Job als Lagerarbeiter um damit meine Familie, die außer mir noch aus meiner Frau und meinem Sohn bestand, mit dem,
was mir unterhalb der Pfändungsfreigrenze verblieb, über Wasser zu halten. Da ich im Hinblick auf meine Familie in der Vergangenheitsform sprach, kann man sich vorstellen, dass da auch nichts mehr ist. Dieses sollte ich allerdings nicht so locker sagen, denn das ist schon eine tragische Geschichte. Meine Frau und unser Sohn waren 1995 mit unserem alten Kadett unterwegs als ihnen junge Leute, Rennen fahrender Weise, in getunten Rostlauben entgegen kamen. Nach dem Frontalzusammenstoß starben meine Frau und der Rennfahrer noch am Unfallort und mein Sohn vierzehn Tage später in der Klinik. Die Firmenpleite konnte ich ja noch ganz gut wegstecken aber dieser Unfall riss mich doch, mehr als nur ein Wenig, aus der Bann. Ich begab mich unter die Säufer und verlor so meinen Arbeitsplatz. Aber ich gehöre zum Glück zu den Leuten, die nach einem Fall auf die Nase immer wieder aufstehen und weitergehen. Ich brauche selbstverständlich immer nur einen Augenblick um „Aua“ zu sagen und den Schmerz abziehen zu lassen. Bereits 1996 hatte ich wieder eine Beschäftigung für Hilfswillige und aus der Säuferriege bin ich natürlich auch wieder ausgeschieden. Leider ging 1999 dem kleinen Laden, in dem ich beschäftigt war, die Luft aus und ich ging auch unter die Millionenschar der Arbeitslosen. Ehrlich gesagt bin ich eine Type, die ich nicht lebt um zu arbeiten sondern ich habe stets nur gearbeitet um leben zu können. Neunundneunzig war ich immerhin schon 53 Jahre alt und nach wie vor werde ich von Inkassogeiern verfolgt. Die werden wahrscheinlich erst dann aufhören, wenn meine Postanschrift irgendein anonymes Grab auf irgendeinem Friedhof ist. Ich schätze mal, dass diese Leute auch den Sankt-Nimmerleins-Tag nach 30 Jahren ignorieren und einem greis ihre Drohpamphlete schicken. Da rechnete ich also hinsichtlich meines Faulenzerstatus schon damit, mir bis zum Rentenalter, das, was ich zum Leben brauche, bei der Bundesanstalt für Arbeit holen zu müssen. Ich rechnete damit aber brauchte es nicht, denn mein Onkel Walter in Wannebachtal wurde zum Glücksfall für die Rentenversicherung. Knapp drei Monate vor Erreichen der Rentenaltersgrenze meldete er sich vom irdischen Dasein ab. Wenn das alle so machen würden, wären unsere Renten sicher bis zum Jüngsten Tag. In meiner Kindheit und Jugendzeit war ich sehr oft für drei bis vier Wochen bei meinem Großvater, der eine kleine Landwirtschaft in Wannebachtal betrieb, gewesen, eigentlich bis auf wenige Ausnahmen jedes Jahr in den Sommerferien. Immer war es der deutlich jüngere Bruder meiner Mutter, eben dieser Onkel Walter, der sich in dieser Zeit des kleinen Wolfgangs annahm. Als dann Onkel Fritz, der älteste der drei Geschwister, nach dem Tode meines Opas den Hof übernahm lebte sich alles ein Wenig auseinander. Nur ab und an kam ich noch mal nach Wannebachtal und dann war ich nie auf dem Hof sondern im Hause des selbstständigen Klempners und Installateurs Walter Breuner. Auch meine Mutter hatte zu dem Nesthäkchen einen besseren Draht als zu dem Hoferben. Beides, Hof und Klempnerei, gibt es heute nicht mehr. Der Hof wurde in Bauland umgewandelt und an Häuselbauer parzellenweiße verschachert. Und Onkel Walter ging es ähnlich wie mir: Er machte pleite und nahm den, honorarmäßig an der Grenze zur Pfändungsfreigrenze angesiedelten Hausmeisterjob bei Neuhanns auf der Insel an. Dieses war kurz nach dem Tode meiner Frau und fortan war ich wieder häufiger bei meinem Onkel zu Gast. Das neu erwachte Familieninteresse hatte aber nur vordergründig einen bei meiner Anhänglichkeit zu meinem Onkel seinen Grund sondern vielmehr in dem, was sich in der Villa Neuhanns abspielte. Im Gegensatz zu den anderen vier Villen war der Hausmeister der einzigste Bewohner des Hauses ansonsten waren da Fotoateliers der Agentur Neuhanns & Partner untergebracht. Dort wurden Mode- und insbesondere Aktaufnahmen für große Magazine und Werbung aller Art gemacht. Sind wir doch mal ehrlich meine Herren, so ein richtiger Sehmann steckt doch in uns allen. Warum auch nicht? Ganz besonders, wenn dort Castings, also wenn sich reihenweise Frischtalente entblätterten, stattfanden zog es meines Vaters einzigsten Sohn an die Wirkungsstätte seines Onkels. Na, na, nicht gleich schlechtes denken: Neuhanns hat in der Branche einen großen Namen und den will er nicht verlieren. Der achtet schon peinlichst auf Seriosität und auf notwendige Distanzen. Nur mit den Augen und dem Geist durfte sich da was abspielen. Überhaupt ist Neuhanns das Gegenteil von dem, was man sich von den Leuten seines Faches vorstellt. Ich kenne ihn als guten Christ, der sehr viel und offensichtlich überzeugt von Jesus Christus spricht. Zusammen mit seiner Frau, mit der er über 20 Jahre verheiratet ist, hat er 5 Kinder, was ja im Grunde eher für eine puritanische Einstellung spricht. Nun ist es nicht verwunderlich, dass ich zur Beisetzung meines Onkels nach Wannebachtal fuhr und beim Beerdigungs-Kaffee-Trinken, das mein Cousin arrangiert hatte, mit Neuhanns zusammentraf und der auch ein paar persönliche Worte mit mir wechselte. Was heißt hier ein paar Worte, er führte ein nettes persönliches Gespräch mit mir, den er nur von den gelegentlichen Besuchen bei meinem Onkel kannte. Als ich ihm bei der Gelegenheit mein Leid hinsichtlich meines Zwangsfaulenzertums, sprich meiner wohl nie mehr enden Arbeitslosigkeit, klagte, fragte er mich ob ich mir denken könne, Wohnung und Job von meinem Onkel zu übernehmen. Ich konnte es mir nicht nur denken sondern betrachte es als eine Chance für die Zeit bis die Zahlung zwischen mir und der Rentenversicherung in die umgekehrte Richtung fließen. Mit anderen Worten: Ich brauchte nicht lange zu überlegen sondern nahm den Job an und zog nach Wannebachtal. Dieses auch trotz des Wissens, dass dann meine lieben Nachbarn, die Creme der dortigen Geschäftswelt, die Nase über mich rümpfen würden. Erstens war ich nach deren Meinung standesmäßig ganz unten und sie düngten sich ganz oben. Und
zweitens war das, was bei Neuhanns ablief, doch moralisch etwas, was sie öffentlich als verwerflich und Spitze der Sündhaftigkeit herausstellen mussten. Aber was soll es, der Umgang mit solchen spinnenden Typen ist auch nicht das, was mir persönlich erstrebenswert erscheint. Allerdings hatte ich nicht bedacht, dass man auf diese Weise leicht in die Isolation gerät, denn die einen schweben hoch über einen und bei den anderen muss man dann immer damit rechnen, dass sie so eindeutig Zweideutig werden, dass es einen auch nicht recht ist, sich mit ihnen einzulassen. Und die Richtigen, vernünftige Menschen mit Toleranz muss man immer erst einmal finden. Onkel Walter hatte es da natürlich leichter, er war in Wannebachtal zuhause und kannte seine Pappenheimer. Wenn die einen nicht mit Einem umgehen wollen und man selbst nicht mit den Anderen, mal weil sie so sind wie man befürchtet und mal aus Vorsicht, führt das insbesondere in Zeiten, die absolut nicht mit irgendeiner Beschäftigung gefüllt werden können, zu einem Gefühl der Einsamkeit. Um dem zu begegnen entwickelte ich im Haus und im Garten eine ameisenähnliche Emsigkeit, die durch ein zeitliches Ende der Arbeitszeit oder durch ein sogenanntes arbeitsfreies Wochenende nicht zu bremsen war. Meinen Chef habe ich nie hinsichtlich eines finanziellen Ausgleiches für meine diesbezüglichen Mehraufwendungen angemacht. Warum auch, dass würde mir sowieso zu Gunsten des Betriebsergebnisse der Inkassogeier, denen die Banken meine Schuld verkauft hatten, abgepfändet. Ich schrieb aber bereits, das Neuhanns ein ganz anderer Mensch war, als die vorgeblich gut meinenden aber in Wirklichkeit bösartigen Mäuler behaupten. Ihn blieb der Toppzustand des Anwesens und die Wühlmaus Wolfgang Schnitzler nicht verborgen und er sprach mich dann auch darauf an. Ich sagte ihm es so, wie ich es empfand und er honorierte mir daraufhin meine Mehraufwendungen aus seiner Privatschatulle. Aber was soll’s, wer nur arbeitet und ansonsten nur seine vier Wände anstarrt hat ohnehin keine Gelegenheit Tauschoder Tauschhilfsmittel, was das leidige Geld nun mal ist, gegen wirkliche, Waren genannte, Werte oder gegen entsprechende Dienstleistungen einzutauchen. Und dann, wenn wieder Erde zu Erde, Asche zu Asche, wird, bekommt die Sammlung von Tauschhilfsmitteln oder Gütern, sprich Vermögen, ohnehin seine wirkliche Bedeutung, das heißt, dass es dem Betreffenden nichts mehr nutzt und bringt. Die wahren großen Werte, so meine Überzeugung, kann man ohnehin nur im Glauben finden. Damit habe ich jetzt meine Religiosität angesprochen. Sie war das Einzigste, was mich außerhalb der Villa Neuhanns noch unter Menschen brachte. Praktisch verging kein Sonntag an dem ich nicht am Gottesdienst teilnahm. Aber auch dort hatte ich, der ich ja als Neuhanns Kalfakter bekannt war, immer nur die Rolle des bösen Außenseiters, der wie ein armer Büßer stets alleine auf der letzten Kirchenbank saß. So ist es nun mal: Der typische Kirchengänger ist halt vom Schlage meiner Nachbarn „Auf der Insel“, also ein Nasenrümpfer über die Leute, die offen das machen, was in deren schmutziger Fantasie allenfalls der Einstieg zu deren Wunschhandeln darstellt. Der Einstieg, den ich jetzt erwähnte, ist die Nacktheit und die von ihr ausgehende sinnliche Inspiration. Jetzt kann man sich an der Schönheit und an der Ästhetik nackter Körper, über die Wunderwerke, die Gott geschaffen hat, erfreuen und sich sinnlich in eine schöngeistige Welt entführen lassen oder man kann darüber nachsinnen, wie man sich diese Körper zur Befriedigung seiner urtriebhaften Lust zu nutze machen kann. So sah es auch mein Chef. Er sagte mir mal: „Ja, ja, die sogenannten feinen Leute verwechseln beim Sündefall die Nacktheit mit dem Ungehorsam zu Gott. Nicht das Adam und Eva sich nackt erkannten sondern das Kosten der Früchte, die ihnen der Herr verboten hatte, war die Sünde. Eigentlich ist ja das Verpönen der Nacktheit eine ganz böse Sünde, da es nach meiner Meinung ein Leugnen Gottes ist. Gott ist die Vollkommenheit, dass heißt auch Liebe und Schönheit. Bei unserer Schöpfung hat uns Gott einen Abglanz seiner Herrlichkeit mitgegeben. Und wenn er nicht gewollt hätte, dass wir uns da gegenseitig und ihn selbst in schönen Körpern entdeckten, dann hätte er uns in seiner Allmacht bestimmt ganz anders geschaffen. Aber man kann durch Verteufeln des Natürlichen so wunderbar von dem Bruch des obersten Gebotes ‚Ich bin der Herr dein Gott, du sollst nicht andere Götter haben’ ablenken und weiter ums Goldene Kalb tanzen. Man muss nur die Freude an seiner Schöpfung zur Todsünde erklären.“. Aber der Herr lässt nicht nur die Seinen sondern keinen Menschen in Stich. Und so kam es, dass sich an dem Tag, wo in unserer Gemeinde ein Sommerfest gefeiert werden sollte, zu einem Wandel in meinem Leben kam. Eigentlich wollte ich mir nur nach dem Gottesdienst noch ein Bratwürstchen essen und mich danach wieder in meine Eremitage auf der Insel zurückziehen. Da sprach mich eine, auf den Tag genau 5 Jahre jüngere, nach meinem Empfinden sehr bezaubernde Frau an. Ich bin am 27.11.1946 und sie am 27.11.1951 geboren. Woher ich das weiß werden wir in Kürze erfahren; warten sie nur noch ein Wenig ab. Also diese bezaubernde Frau wandte sich an mich, der gerade mit dem Rest seines Würstchen beschäftigt war: „Herr Schnitzler, sie ziehen sich immer so zurück als seien sie ein Menschenfeind und dabei machen sie immer einen traurigen und einsamen Eindruck. Haben sie nicht vielleicht Lust mich auf einem Spaziergang zu begleiten?“. Ja, statt nach dem Würstchen wieder zur Insel zurückkehren starte ich jetzt zu einem Spaziergang mit dieser Dame, die sich mir gegenüber als Karin Kampmann vorgestellt hatte. Schon nach ein paar Minuten, als wir uns nur ein paar hundert Meter von der „Gemeinde“ entfernt hatten, klärte sie mich über ihre Motivation mich anzusprechen auf: „Verstehen sie es bitte nicht falsch, dass ich sie angesprochen habe. Ich habe sie auch nicht als den stattlichen Mann, der sie ohne jeden Zweifels auch sind, sondern als den Menschen, den es genau wie mir geht, angesprochen. Sie werden gemieden, weil sie für den vermeintlichen Herrn des Lasters arbeiten und ich, weil
durch meine, hier etwas spektakulär abgelaufene Scheidung bekannt geworden ist, dass die Leute, die auf den Splitter in Herrn Neuhanns Auge lautstark hinweisen in der Tat selbst dicke Balken darin haben. Da sie offensichtlich in ihrer Einsamkeit nicht merkten, dass es auch noch andere Menschen um sie herum gibt, habe ich jetzt halt den ersten Schritt unternommen.“. Bei ihrer Vorstellung war mir die Identität ihres Familiennamens mit der, der Apothekerfamilie, die ebenfalls „Auf der Insel“ residiert, aufgefallen und daher fragte sie danach. „Ja, ich bin die erste Frau von Horst Peter Kampmann, dem Apotheker und die Mutter der beiden Kampmann Kinder. Weil ich meine Kinder so liebe und trotz allem noch nahe bei ihnen sein möchte bin ich noch hier; sonst wäre ich ganz weit vom Schuss. Seine jetzige Frau hat er erst vor einem Jahr geheiratet.“. Ich glaube, dass der Leser oder Zuhörer es nachvollziehen kann, wenn ich jetzt meine Neugierde gestehe aber dass ich es jetzt auch nicht fertigt brachte, diese Frau zu der Intimbeichte ihres Lebens zu veranlassen. Deshalb beließ ich es dabei und unterhielt mich mit ihr stattdessen über die schöne Landschaft, das gute Wetter und die wärmenden Sonnenstrahlen – halt über alles das, was Seelen zum Baumeln bringt und die wahren Güter dieser Welt darstellt. Für mich war es nach all der Zeit, in der es in meinem Leben nicht so strahlend zuging, ein solches Erleben, dass mir diese vier Stunden, die wir nebeneinander spazierten, wie ein viel zu kurzzeitiger Augenblick vorkam. Plötzlich sagte Karin, mit der ich bei dem Spaziergang auch das Du vereinbart hatte: „Au weia Wolfgang, jetzt muss ich dich schon wieder bitten etwas nicht falsch zu verstehen aber in Gedanken habe ich unsere Schritte zuletzt so gelenkt, dass wir jetzt vor meiner Haustüre stehen. Sollen wir noch eine weitere Runde drehen oder darf ich dich zum Kaffee einladen?.“. In diesem Moment regte sich an diesem Tage und gegenüber dieser Frau erstmals etwas anderes in und an mir, weshalb ich mich dann auch für den Kaffee entschied. Während des Kaffees musste ich sie jetzt zunächst bitten mich nicht falsch zu verstehen bevor ich ihr auch was beichten konnte: „Ich sage dir jetzt vorab, dass du meine Frage verneinen kannst ohne dass ich dir böse bin. Im Gegenzug bitte ich dich, wenn du es anders siehst, mein Gerede sofort wieder zu vergessen. Abgemacht?“. „Na, es ist wohl ziemlich eindeutig was du nun von mir willst.“, begann sie ihre Erwiderung, „Aber tröste dich, den Gedanken hatte ich selbst als ich merkte, dass ich gedankenverloren nach Hause spaziert war. Da ist uns wohl etwas vorbestimmt worden.“. „Wir denken wohl beide an das Gleiche.“, setzte ich jetzt fort, „Trotzdem bitte ich dich um Verständnis. Seit dem Tode meiner Frau habe ich körperlich nie mehr etwas mit dem anderen Geschlecht zutun gehabt obwohl ich tagtäglich die schönsten Exemplare der Weiblichkeit unverhüllt in Natura zu sehen bekommen habe. Aber seltsamer Weise habe ich nie das Begehren nach Zweisamkeit und Vereinigung verspürt. Immer, wenn sich diesbezüglich nur ein kleines Flämmchen rührte, musste ich unwillkürlich an meine verstorbene Frau denken. Sofort trat an die Stelle des Triebes so eine seltsame Traurigkeit. Jetzt wo ich hier mit dir sitze, kam auf einmal ein ganz anderes Gefühl hoch. Es ist kein triebhaftes Gefühl sondern ein großer Wunsch nach Geborgenheit und Partnerschaft und es ist mir so als wäre die Zweisamkeit mit dir, der Schlüssel dazu.“. Karin sagte mir daraufhin, dass sie auch seit ihrer Scheidung nichts mit einem Mann gehabt habe und sie in etwa genau das Gleiche empfände wie ich. Damit begann eine Partnerschaft, die im März dieses Jahres, genau gesagt am Donnerstag, 14. März 2002, im Hafen der Ehe, wie man es poetisch zu sagen pflegt, einlief. Allerdings endete aus den Gründen unserer Partnerschaft auch kurz zuvor auch unsere Wannetalbacher Mitbürgerschaft. Wie, dass ist der eigentliche Grund, den ich mir mit dieser Erzählung von meinem Herzen schreiben möchte. Sie hängt mit Karins Vorgeschichte zusammen. Meine jetzige Frau, die wie es aussieht, meine Stütze und Partnerin bis an dem Tag, wo mein Körper und meine Seele getrennte Wege gehen werden, mein Körper ins endgültige Nichts und meine Seele in die Ewigkeit, es sein und bleiben wird, stammt aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie. Sie war das zweitjüngste von acht Geschwistern. Der Kindersegen rührte aus der religiösen Überzeugung ihrer Eltern, die einer strenggläubigen, puritanischen Freikirche angehörten, her. Beim Stichwort einer zehnköpfigen Arbeiterfamilie muss man gar nichts weiteres sagen, denn das heißt Armut. Auch heute noch, obwohl sich im Bereich der Familienförderung und des Kindergeldes einiges getan hat. Ich finde es immer recht paradox wie solche Menschen, die sich durch ihre Kinder und deren ordentliche Erziehung sich um den Fortbestand unserer Gesellschaft und dem sozialen Sicherungsteam verdient gemacht haben, gerade von den parasitären Egoisten, deren oberste Ziel die Mehrung des eigenen Wohlstandes ist, als Asoziale abgestempelt werden. Nimmt man es mit der Auslegung der Worte, auch der sogenannten Fremdworte, genau, dann ist es doch in der Regel umgekehrt. Die Asozialen, also diejenigen, die unser gesellschaftliches Sozialsystem demontieren wollen, haben meist keine Kinder oder nur einen Erben und gehören oberen Dünkelkreisen an. In Villen wohnen deutlich mehr asoziale als in Sozialwohnungen obwohl es hundert- oder mehrfach mehr Sozialwohnungen als Villen gibt. Der Parasit hat nur die Mittel, mit denen er sich mittels Massensuggestion den Nichtdenkern seinen Persilschein weiß machen kann. Karin war ein intelligentes Mädchen, so wie sie heute noch eine sehr intelligente Frau ist, und ihre Eltern ermöglichten ihr den Besuch eines Gymnasiums obwohl dieses für sie ein opferreicher Gang war. Ja, leider ist es so, dass der Besitzer großer Tauschhilfsmittelhaufen seine, mit minderer Intelligenz ausgestatten Nachfahren durch universitäre Examen bis zur Promotion drillen kann während hochintelligente Kinder aus unteren Einkommensschichten, weil sich ihre Eltern keine weitergehende Bildungswege, bewahre noch Wissenindoktrinäre,
leisten können, da bleiben müssen wo sie sind. Was geht unserer Gesellschaft alles dadurch verloren, weil das Intelligenzpotential, welches in unter Gesellschaftsschichten reichlich vorhanden ist, verkümmert. Karin schaffte das Abitur mit Glanz aber ein Studium, dass sie begann schien so gut wie nicht durchhaltbar zu sein. Sie musste Ausschau nach immer wieder neuen Einkommensquellen halten. Da las sie eine Anzeige einer Werbeagentur, die eine junge Dame, die sich hüllenlos für eine Saunawerbung fotografieren lassen wollte, suchte. Sie meldete sich und konnte sich im Fotoatelier ausziehen. Der junge Assistent des Werbefotografen, ein gewisser Herr Hansmann fand so fiel gefallen an ihr, dass er eine künstlerische Fotoserie mit ihr machen wollte. Auch hier sagte sie zu und damit wurde der Grundstein für Hansmanns Ruhm und Erfolg gelegt. Wenn sie mal den Fotobildband „Karina – Königin des Lichtes“ mit seinen wunderschönen ästhetischen Akten im Licht und Gegenlicht in die Hände bekommen, wissen sie warum. Hansmann schenkte mir persönlich ein Exemplar mit seiner Widmung zur Hochzeit und ich bin stolz darauf, dass das märchenhafte Modell ab dem Zeitpunkt meine Frau ist. Zwischendurch erwähnt sei nur, dass Karins Eltern, als sie von dem freizügigen Tun ihrer Tochter, dessen sie sich bis heute nicht schämt, erfuhren fürchterlich entsetzt waren. Nach ihren Moralvorstellungen ging das mehr als zu weit. Sie haben aber deshalb ihre Tochter nie verstoßen und die Sache so dann doch toleriert. Da sieht man den großen Unterschied zwischen den Leuten, die glauben die Kompetenz für Moral- und Wertevorstellungen gepachtet zu haben und den Leuten, denen so etwas wirklich zu eigen ist. Karins Vater stand auf den Standpunkt, dass er selbst zu sündhaft sei um den ersten Stein werfen zu können und dass dieses auch und insbesondere gegenüber seiner eigenen Tochter gälte. Anders jedoch war es bei ihren späteren Schwiegereltern. Für die war Karin die Bilderhure, für die ihr Sohn zu schade sei. Karin und Kampmann, der damals ein Freund von Hansmann war, hatten sich kennen gelernt als Hansmann die Aufnahmen für seinen Bildband „Karina – König des Lichtes“ in dem Haus „Auf der Insel“, welches damals noch von der Familie Hansmann bewohnt wurde, machte. Aber jetzt nicht denken, dass Kampmann bei den Aufnahmen anwesend war – beim besten Willen nicht, Karin war in Gegenwart ihres späteren Gatten immer vollständig bekleidet. Was Karin damals nicht erkannt hatte: Hansmann war sehr verliebt in sie aber er bewahrte wegen der heiklen Situation diskrete Distanz. Er wollte weder seine Arbeit noch Karin in Misskredit bringen. Und so bekam sein Freund Horst Peter Kampmann seine Chance. Dessen Eltern wollten die Bilderhure aber gar nicht erst ins Haus lassen und als sie es doch taten wurde Karin schwanger. Der Vater war aber nicht ihr späterer Mann sondern ihr Schwiegervater, der sie bei ihren Besuch in seinem Hause vergewaltigt hatte. Nach der Vergewaltigung ging Karin zunächst nicht mehr in das Haus des Übeltäters aber sie lastete die Schandtat, die sie übrigens auch nicht anzeigte, ihrem Freund an. Trotzdem wollte Kampmann Karin, als deren Schwangerschaft bekannt wurde, verstoßen. Der Grund ist ganz einfach zu erklären: Er wusste, dass er das Kind nicht gezeugt haben konnte. Zwei Jahre zuvor hatte eine Dame, die es auf das Geld der Kampmanns abgesehen hatte, versucht ihm ein Kind unterzuschieben. Jetzt weiß ich nicht wieso und weshalb bei der Gelegenheit Kampmanns Sperma untersucht wurde, auf jeden Fall wusste er, dass er bei seiner Spermienqualität keine Kinder zeugen konnte. Als Kampmann dann aber erfuhr wer der wahre Vater war, betrieb er doch seine Hochzeit mit Karin. Seine angebliche Tochter Anita ist also in Wahrheit seine Halbschwester. Jetzt wird man sicherlich „Nanü, nana,“ sagen, „wo kommt denn das zweite Kind, der Sohn Ingo, her?“. Anita und Ingo sind tatsächlich richtige Geschwister, also keine Halbgeschwister. Auch bei Ingo war der alte Kampmann zuständig.“. Vater und Sohn waren sich darüber einig, dass „nur ein Mädchen“ wohl nicht als übernächste Erbin in Frage käme und Vater Kampmann bot seinem Sohn an, für die Zeugung seines Enkels selbst zu sorgen. Und so wurde Karin von ihrem eigenen Mann gezwungen, im Beisein seiner Mutter mit seinem Vater zu schlafen. Und das, weil sie den zeugungsgünstigen Moment nicht verpassen wollten, über einem Zeitraum von vier Wochen. Als ich dieses zum ersten Mal erfuhr war ich direkt angeekelt, denn etwas Perverseres hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört. Pervers ging es in dem Hause überhaupt zu – und nicht nur da, sondern in allen Häusern „Auf der Insel“. Stopp, ich muss auch hier Karins Einschränkung weitergeben: Hansmanns waren an nichts beteiligt und haben sich im Gegensatz zu den anderen Inselbewohnern stets anständig benommen. Aber gerade auf die wurde aller Schlamm abgeladen. Karin berichtet mir, dass „Auf der Insel“ reihum Party genannte Swingerorgien stattfanden; praktisch regelmäßig in 4-wöchigen Abständen. Karin hatte jedoch ein Faustpfand, mit dem sie es über zwei Jahrzehnte schaffte sich daraus zu halten: Die Vaterschaft des Opas. Sie drohte ihren Mann, dass sie, wenn sie zur Teilnahme gezwungen würde, mit der Wahrheit über ihre Familienverhältnisse herauszurücken würde. Was ihren damaligen Mann dabei aber mehr wie die Tatsache, dass „seine Kinder“ seine Halbgeschwister sind, traf war, dass dabei auch bekannt würde, dass er kein richtiger Mann sei und keine Kinder zeugen könne. Vermeintliche Ehre über Recht und Moral – so etwas habe ich doch auch schon mal in einem anderen Zusammenhang gehört. Scheint schon so etwas wie ein erzkonservativer Tick zu sein. Seine Mannesehre ließ sich Kampmann schon einiges an Mühe und Geld kosten. Er erfand immer wieder ausreden, warum er immer ausgerechnet genau an den Partywochenenden mit seiner Familie verreisen musste.
Was seine Eltern aber nie daran gestört hat, sich mit ihren Nachbarn zu amüsieren. Ich weis nicht, ob das den beiden über nun siebzigjährigen Herrschaften heute noch Spaß macht, aber falls ja, sind sie heute mit Sicherheit noch mit von der Partie. Einer der bekanntweisen Sprüche aus dem Volksmund besagt, dass der Krug so lange zum Brunnen geht bis er bricht. So war es dann auch mit den erwähnten Inselorgien. 1994 begab es sich, dass Karin zu einer Kur in Bad Wildungen und ihre inzwischen schon erwachsenen Kinder zur gleichen Zeit auf getrennten Urlaubstouren waren. Eigentlich sollte Karin erst an einem Montag wieder zurückkommen aber bedingt durch die, auch auf die Kurklinik hereinbrechende Urlaubszeit hatte man sie bereits am Samstagmittag entlassen und folglich traf sie bereits am Spätnachmittag dieses Sonnabends zuhause in Wannebachtal ein. Aber holla, da war eine solche „Höllensauerei“, wie sie es bezeichnete, bereits im vollen Gange. Was dann bei Karin den Boden des Fasses heraushaute war, dass nicht nur ihr Mann sondern auch Schrievers Töchter, 13 und 15 Jahre, munter mit in dem steinzeitlichen Paarungsspielchen einbezogen waren. Aus meiner Sicht richtiger Weise drohte sie mit Strafanzeige und fordert ihren Mann und ihre Nachbarn zur sofortigen Beendigen ihres widerwärtigen Treffens auf. Und wie reagierten die bereits zu diesem Zeitpunkt reichlich alkoholisierten Orgiengäste? Sie rissen ihr die Kleidung bis zum letzten Fetzen von Leibe und es sah so aus als wolle man sie nun reihenweise vergewaltigen. Laut „Hilfe“ schreiend lief Karin hinaus auf die Straße und über die Fußgängerbrücke auf das belebtere Ufer. Passanten warfen ihr nicht nur einen Mantel, unter der sie ihre Blöße verstecken konnte, zu sondern riefen auch die Polizei herbei. Na ja, auch wo in dem kleinen einspaltigen Artikel der Lokalzeitung, die diesen Polizeibericht am folgenden Montag brachte, keine Namen und auch keine genauen Ortsbezeichnungen genannt wurden, konnte sich jeder Wannebachtaler Bürger zusammenreimen, wer da geferkelt hatte. Schlimm für Hansmann war, dass der Verdacht der zeitungslesenden Bevölkerung zuerst auf ihn und nicht auf seine ehrenwerten Nachbarn fiel. Er musste an den Ruf seines Unternehmens denken und verlangte von der Zeitung eine Klarstellung, dass es solche Sachen in seinem Haus nicht gäbe und der kurze Bericht sich auf keine Vorfälle in seinem Hause bezögen. Diese Klarstellungen wurde dann als Zweispalter gebracht und nun wussten alle, auch die, die erste Meldung verpasst hatten, wer sich da pervers amüsierte. Die nun Bloßgestellten wuschen sich in der Öffentlichkeit aber nicht durch eine Gegendarstellung in der Lokalpresse sondern mit dem Mundwerk rein. Sie stellten die Bilderhure als perverse Lügnerin da. Sie habe sich da mit zwei fremden Herren amüsiert und wolle sich, wo sie von ihrem Ehemann erwischt worden sei, jetzt auf Kosten anständiger Bürger reinwaschen. Direkt paradox scheint es, dass nicht die sofort aus der KampmannVilla ausgezogene Karin sondern ihr Ehemann die Scheidung beantragte. Aber Karin kam das natürlich nicht ungelegen und so war man schnell mit der Sache über der Bühne. Nun, dass sie von Kampmanns nicht zu erwarten hatte, wurde ja schon vor ihrer Eheschließung in einem Ehevertrag festgelegt. Kampmanns wollten damals sicher stellen, dass die hergelaufene Bilderhure, die sie in ihr Haus aufnehmen wollten, sich nicht an dem, was sie von ihren Eltern ererbt und durch ihre Leistung ausgebaut hätten, bereichere. Na ja, natürlich war dieser Ehevertrag nicht nur passagenweiße sittenwidrig aber Karin war es zuwider sich mit solchen Menschen des schnöden Mammons willens auseinander zusetzen. Wo sie aber drum kämpfte waren ihre Kinder. Natürlich nicht um das Sorgerecht, denn das ist ja bei inzwischen erwachsenem Nachwuchs nicht mehr aktuell. Sie kämpfte darum, dass diese ihr Glauben schenken und ihr ihre Liebe wieder zuwenden sollten. Deshalb blieb sie trotz allen Übel in Wannebachtal wohnen. Es sah allerdings so aus, als müsse sich Karin, so schmerzlich wie es ist, damit abfinden. Aber es geschehen immer wieder Wunder. An dem Tage unserer Hochzeit, den nur Karin und ich unter uns alleine verbringen wollten, erschienen doch noch drei Gäste, die bei Karin ein solches Glücksgefühl auslösten, dass sie bald ohnmächtig wurde. Das Ehemann Hansmann erschien unerwartet in unserem neuen Heim und hatten Anita, Karins Tochter, mitgebracht. Von ihr erfuhren wir, dass die ehrenwerten Insulaner nach dem damaligen Vorfall ihre Orgien entweder vorrübergehend eingestellt oder nur dann, wenn Anita und Ingo nicht anwesend waren, veranstalten. Offensichtlich fürchteten sie, wenn die Beiden ihrer Mutter glauben würden, endgültig am Pranger stehen zu müssen. Nach dem Karin und ich das für uns ungastlich gewordene Wannebachtal verlassen hatten, ist auf jeden Fall wieder munter losgegangen. Anita widerte das so an, dass sie zu Hause auszog und fortan ihrer eigenen Wege ging. Laut ihren Worten wusste sie jetzt nicht mehr, wem sie glauben sollte. Wie es so ist, wenn Studentinnen das warme Nest verlassen und die Väter nicht zahlen wollen, kommen sie in erhebliche Finanznöte. Um aus dieser Klemme herauszukommen wollte Anita in die Fußstapfen ihrer Mutter treten und sie bewarb sich bei Hansmann um einen Job als Modell zu bekommen. Obwohl Anita genau so hübsch wie ihre Mutter ist lehnte Hannsmann ab. Stattdessen erfuhr Anita von ihm die volle Wahrheit, so wie er sie kannte. Hansmann erklärte der jungen Frau, dass er ihrer Mutter seinen Ruhm als Fotograf und damit seinen Wohlstand verdanke. Nun habe er die Chance sich diesbezüglich erkenntlich zu zeigen und wollte die Studentin sponsern. Seine Bedingung war allerdings die Aussöhnung mit ihrer Mutter. Aber die Bedingung brauchte er jetzt gar nicht mehr zu stellen, denn das war für Anita nun mehr als ein Herzensbedürfnis. So kamen sie also zu unserer Hochzeit und ich zu dem Werk „Karina – die Königin des Lichts“ mit der persönlichen Widmung des Starfotografen. Und das alles, wo auch Karin und ich schon von Hannsmann gesponsert wurden – aber dazu
gleich mehr. Jetzt will ich schon mal sagen, dass es mit Ingo noch kein vergleichbares Happy End gab – er hat sich bis heute noch nicht wieder bei seiner Mutter gemeldet. Karin glaubt, dass er die zu erwartende Erbschaft seiner Mutter vorziehen würde. Nach diesem chronologischen Vorwärtssprung wieder zurück zu den Geschehen um und nach Karins Scheidung. Wie bereits geschrieben verließ sie Wannebachtal nicht, um sich die Chance, das Vertrauen ihrer Kinder zurückzugewinnen, nicht entgehen zu lassen. Aber die ehrbaren Wannebachtaler Bürger hätten sie gerne im wahrsten Sinne des Wortes aus der Stadt verbannt und setzten eine fürchterliche Mobbingattacke gegen sie an. Ich muss Karin direkt bewundern, wie sie dank ihres starken und unerschütterlichen Glaubens diese Zeit im Gebet und im Vertrauen auf Gott, unseren Herrn, durchgestanden hat. Als bekannt wurde, dass wir zueinander gefunden hatten, schwang der Mob in den feinen Bürgerhäusern ihre obszönen Keulen auch mit wucht gegen mich. Nur damit ich jetzt nicht die falschen Geister auf dumme Ideen bringe lasse ich mich jetzt nicht über das aus, was diese Herrschaften uns alles angetan haben. Ich bin nie im Leben kniefällig respektvoll gewesen – auch der amerikanische Präsident und der Papst sind auch nur Menschen wie du und ich - aber meine Achtung vor dem Bürgertum ist nach den Wannebachtaler Geschehnissen nun gänzlich in Luft aufgelöst. Heute habe ich vor keinem Hanswurst, selbst wenn er sich mit acht Doktortiteln und drei Bundesverdienstkreuzen schmückt, mehr Respekt. Den Respekt muss er sich, wie jeder andere auch, bei mir erst erwerben. Es war Hansmann, der das Treiben nicht mehr mit ansehen konnte und er bat daher Karin und mich zu einem Gespräch. „Mensch Leute,“, begann er seine Ansprache an uns, „warum erduldet ihr das alles? Das ist doch menschenverachtend und direkt widerwärtig. Die Damen und Herren, die sich als die Träger unserer Wertegesellschaft und Kultur empfinden, benehmen sich euch gegenüber ja echt wie Steinzeitwilde, die noch nicht wissen, ob sie dem Kannibalismus abschwören sollen. Wenn ihr nicht von euch aus handelt, mache ich das jetzt für euch. Gegen den Trugschein und Kunstglanz, den die Leute um sich aufgebaut haben, kann ich ebenso wenig wie ihr ankämpfen aber ihr seid auf diese Typen und auf diese für euch unfreundliche Stadt nicht angewiesen. Jetzt schenke ich euch erst einmal einen Urlaub und befehle euch, obwohl ich das ja eigentlich nicht kann, diesen sofort anzutreten. Während der drei bis vier Wochen, wo ihr weg seid, werde ich schon ein Arrangement finden, mit dem ich euch ein menschenwürdiges Leben ermögliche. Und wisst ihr warum ich das mache? Kleine Karina, ich habe dir so viel zu verdanken. Ich habe dich damals geliebt und irgendwo ist sogar bis heute noch etwas hängen geblieben. Ich habe mich an dich schuldig gemacht. Ich hätte dir meine Liebe gestehen und um dich kämpfen müssen. Dann hätte ich dir alles das, was dir bis heute widerfahren ist, erspart und wir hätten ganz fair die Früchte unserer gemeinsamen Arbeit genießen können. Ich lasse mir jetzt meine Wiedergutmachung nicht nehmen und dulde keinen Widerspruch.“. Trotzdem versuchten wir ihm, allerdings letztlich erfolglos, zu widersprechen. Na ja, dann begaben Karin und ich uns, wie von unserem Gönner angeordnet, für drei Wochen auf die westfriesische Insel Vlieland und als wir zurück kamen stand das Arrangement für unser restliches Leben. Ein Cousin Hansmanns ist evangelischer Pfarrer in Mittelhessen. In der größeren Gemeinde, der Hannsmanns Vetter vorstand, war eine Hausmeisterstelle für das Gemeindehaus und dem Kindergarten und eine halbe Küsterstelle zu besetzen. Das Ehepaar, dass diese Stelle bisher inne hatte, wollte aus Altersgründen ausscheiden. Wir hatten uns während unseres Gespräches mit Hansmann, als er uns so ein Wenig mit verdeckten Karten danach fragte, dahingehend geäußert, dass uns dieses schon gefallen würde. Er hatte mir hinsichtlich meiner Hausmeistertätigkeit bei ihm ein Zeugnis geschrieben, mit dem Pfarrer Neuendorf sein Presbyterium in Null – Komma – Nichts davon überzeugen konnte, dass die Gemeinde eine nicht wieder gutmachbaren Fehler machen würde, wenn sie uns diese Stelle nicht geben würden. Ich glaube, dass Karin und ich nun das gefunden haben, was wir vielleicht ein Leben lang gesucht aber bisher noch nicht gefunden haben. Wir haben zu Thomas Neuendorf, dem Pfarrer, und Sylvia, seiner Frau, inzwischen ein sehr gutes Verhältnis aufgebaut. Wir sitzen sehr oft, mal in der Pfarrwohnung und mal in der Küsterwohnung, zusammen. Die Damen gönnen sich dann immer ein Fläschen Wein und wir Herren uns jeweils zwei oder drei Flaschen edlen Pilseners. Von einem Abend, der meines Erachtens unbedingt zu dieser Geschichte gehört, möchte ich jetzt noch abschließend berichten. Karin war an diesem Abend doch recht sexy aber beim besten Willen nicht unanständig oder ordinär bekleidet; schließlich bekleidete unser Gast ein geistliches Amt. Trotzdem kam in dem Pfarrer der Mensch und Mann raus. Unentwegt folgten seine Blicke allen Bewegungen von Karin. Seine Pupillen schienen nur dann mal auszuruhen, wenn sie auf die Stelle, wo ihr Pulli ihre Busen bedeckte, fixiert waren oder wenn sie auf ihre Knie trafen. Das blieb natürlich auch Sylvia, seiner Angetrauten, nicht verborgen: „Hör mal mein Freundchen, ist dir aufgefallen, dass du hier laufend Karin mit dem Geist und den Augen ausziehst? Wenn das der Pfarrer macht, ist das aber kein leuchtendes Beispiel für deine Gemeinde.“. Er wusste aber zu antworten, denn schließlich gehört ja Beredsamkeit mit zu seinem Beruf: „Ach Sylvia, ich will ja gar nicht leugnen, dass ich jetzt das Wunderwerk, was unser Herr geschaffen hat, nämlich unsere Karin, ganz gerne im Schöpfungskleid sehen würde. Ich bin auch nur ein Mann wie jeder andere auch. Aber eines kann ich euch garantieren ... Ehebruch will ich bestimmt nicht begehen. Das aber nicht weil ich Pfarrer bin sondern weil ich Angst habe an
dieser Schönheit etwas kaputt zu machen, was sich dann nicht mehr reparieren lässt. Die Ehrfurcht vor Karins Schönheit macht, zu mindestens bei mir, jeden Ehebruch unmöglich.“. Karin schaute jetzt nicht nur etwas sondern eine ganze Portion verlegen und verschüchtert drein. Und dann gab es von Sylvia praktisch noch so eine Art Aufforderung zum Tanz: „Ja, eines muss ich ja ehrlich sagen, Karin. Ich bin doch ziemlich neidisch auf dich. Von einer lesbischen Neigung habe ich bei mir ... bis jetzt jedenfalls – noch nichts gemerkt. Aber irgendwie wäre ich richtig scharf darauf einmal die Bilder, die Peter (Hansmann) damals von dir gemacht hat, zusehen.“. Jetzt lachte Karin erst einmal erleichtert: „Tut mir leid Sylvia, jetzt habe ich tatsächlich einen Augenblick geglaubt, du wollest mich zum Strippen verführen. ... Das würde ich auf keinen Fall machen, dass schon aus dem Grunde weil mir die feinen Bürger von Wannebachtal mit ihrer perversen Denkweise so etwas so gründlich ausgetrieben haben, dass heute das Buch ‚Karina’ nicht mehr entstehen könnte. Heute kriegte ich keinen winzigen Fetzen mehr vom Leibe.“. Jetzt setzten Thomas und Sylvia gleichzeitig zu einem jeweils kurzen Satz an. Von Sylvia kam ein reumütiges „Entschuldigung, dass ich diesen Eindruck erweckt habe“ und von Thomas ein enttäuschtes „Dann bekomme ich die Bilder also nicht zusehen.“. Karin musste dann auf beide eingehen: „Ach Sylvia, du brauchst dich nicht zu entschuldigen, das müsste ich eigentlich machen. Wie konnte ich nur annehmen, dass du so etwas denken würdest. Und Thomas ... zwischen Strippen und Betrachten von Bildern, deren ich mich doch nicht zu schämen brauche, ist doch wohl ein ganz großer Unterschied.“. Und jetzt wandte sich Karin meiner Person zu: „Wolfgang, holst du mal das Buch?“. Während ich mich zu meinem ganz privaten Bücherbestand begab fragte Thomas, sich nach erotischer Neugierde anhörend: „Was empfindet man denn, wenn man sich nackt vor den Augen anderer auszieht?“. „Das ist ganz zwiespältig.“, erläuterte die befragte Karin, „Und das sogar in mehrfacher Hinsicht. Ich gebe ganz ehrlich zu, dass, als ich mich, wo die Werbeaufnahmen für die Sauna gemacht werden sollten, in der Garderobe auszog, von sexuellen exhibitionistischen Gedanken leiten ließ. Irgendwie törnte es mich an, dass man mich an diversen, sonst verdeckten Stellen genau betrachten würde und sich bei den angezogenen Leuten im Studio etwas regen würde. Als ich dann aber hinaus ging schämte ich mich plötzlich fürchterlich und ich bete still zu Gott, dass er diese Sache schnell an mir vorüberziehen lassen sollte. Abgesehen davon, dass so ein Liegen, Sitzen oder Stehen in einer bestimmten Haltung über mehr als eine Stunde körperlich eine recht harte Angelegenheit ist, kam mir dies Session wie eine Ewigkeit vor. Irgendwo war mir bewusst, dass ich für die Leute im Studio nur ein Objekt war. Für die Einen, auch wenn sich niemand entsprechend äußerte, war ich ein Werkzeug zur Triebbefriedigung beziehungsweise ein Objekt zur Anregung der Masturbationsbereitschaft und für die Anderen eine Ware mit diversen Makeln wie nicht deckende Bräunung, spiegelnden Glanzstellen oder schattenwerfender Faltenbildung. Komischer Weise wollte ich, als ich mich für Peter und seine Serie beziehungsweise für den Bildband zu Verfügung stellte, genau das Objekt sein, was in ihm den Paarungstrieb wecken sollte aber er ließ sich überhaupt nichts anmerken. Für ihn war ich so ein Objekt wie das Licht und der Schatten, den er mit seiner Kamera einfing, auch waren. Aber eines war gut an der Sache: Im Studio war es, wie ich eben schon sagte, eine körperliche Tortur und bei der Bildserie sollte ich mich ganz einfach nur natürlich bewegen. Peter vertrat die Ansicht, dass nur das Natürliche, nur das von Gott geschaffene beziehungsweise vorbestimmte schön sei und jeder menschliche Schönungsversuch würde alles näher in den Bereich von nur Objekt bringen. Und ein Objekt nutzt man und anschließend legt oder schmeißt man es weg. Objekte sind für den Gebrauch und Verbrauch bestimmt. Alles nur für einen Augenblick wogegen Natur und Natürlichkeit ein Abglanz von Gottes Herrlichkeit und somit für die Ewigkeit bestimmt sei.“. Inzwischen hatte ich das Buch geholt und das Pastorenehepaar gab sich dem Betrachten hin. Das Ganze dauerte fast eine halbe Stunde und zwischendurch fiel nur „Oh, dass ist aber schön“ oder einfach nur „Herrlich“. Sylvia und Thomas waren offensichtlich von den wirklich sehr schönen Bildern sehr angetan und begeistert. Als die Beiden diesen Bildband dann gänzlich durchgeblättert und sich uns wieder zugewandt hatten, fragte ich Thomas: „Wie siehst du denn jetzt Ausziehen, Fotografieren lassen, Fotografieren und Betrachten aus theologischer und/oder moralischer Sicht?“. Darauf klärte er uns dann auf: „Frage mich lieber, wie ich das als Mensch und Christ sehe. Wir sind unter uns und da brauche ich bei meiner Antwort keine theologischen Lehrmeinungen, die alle ihren Sinn und Grund haben ... Dieses nur zwischendurch, aber das ist ein anderes Thema. – zu vertreten. Also ich gebe dir jetzt nicht Pfarrer Neuendorfs sondern Thomas Neuendorfs Meinung wieder.“. „Willst du denn den Pfarrer und Thomas Neuendorf nun auseinander addieren?“, fragte jetzt Karin leicht lachend. Lächelnd konterte Thomas zurück: „Nein beim besten Willen nicht, denn ich bin aus Überzeugung Pfarrer und mein Beruf ist ein großes Stück von mir. Aber immer wenn ich als Pfarrer etwas sage, muss ich berücksichtigen wie das bei meinen mir gegenüber stehenden Mitmenschen ankommt und was ich eventuell bei denen bewirke. Vergesse ich aber euch gegenüber einen Augenblick meinen Beruf, dann kann ich meine unbearbeitete Meinung, meinen persönlichen Einzelstandpunkt sagen.“. „Weicht denn deine persönliche Meinung von deiner theologischen Auffassung ab?“, wollte ich jetzt wissen. „Beim besten Willen nein.“, klärte mich Thomas jetzt auf, „Ich muss nur berücksichtigen dass ich, wenn ich mich öffentlich, zum Beispiel vor Konfirmanden, positiv zu der Aktfotografiererei äußern würde, den Eindruck
erwecken könnte, dass ich, zumindestens keine Einwände, gegen Nacktfotos aller Art hätte. Da wo aber nackte Menschen als reines Objekt der Begierde, als etwas was man kaufen und/oder nehmen kann und schließend weglegen oder –schmeißen kann, dargestellt wird, lästert man Gott, denn man gibt dem Höhepunkt seiner Schöpfung, dem Menschen, einen gleichen Stellenwert wie einer x-beliebigen Materie. Wenn ich jetzt sagen würde, dass ich die Bilder, wie sie Peter aufgenommen hat, für einen Lob Gottes empfinde, weil sie die Schönheit und den Glanz seiner Schöpfung wiederspiegeln ... und so habe ich die Bilder eben gesehen – liefe ich Gefahr, dass die Konfirmanden dieses verallgemeinern und auf diese pornografischen Objektbildchen beziehen würden. Da ist es doch besser, wenn ich da eine Werteposition gegen Nacktfotos beziehe.“. „Das hört sich jetzt ein Wenig nach Doppelmoral an.“, unterbrach ich ihn, „Entschuldige wenn ich da was Falsches raus gehört habe. Aber für mich klang das jetzt so als setztest du für dich persönlich ganz andere Wertmaßstäbe als wie du sie verkündest.“. Das musste er aber jetzt doch klar stellen: „Au, zum Glück hast du das wirklich falsch verstanden. Ich setze überhaupt keine Wertmaßstäbe sondern die setzt das Wort und mein Glaube. Menschliche Moralgesetze und Maßstäbe dienen in der Regel nur dem Zweck das Wort Gottes zu relativieren und seine Gebote zu entschärfen. Dann wird aus ‚Du sollst nicht töten’ dann ‚Du darfst nur deine Feinde töten’ oder aus ‚Du sollst nicht ehebrechen’ dann ‚Du darfst nur den Fehlschluss bei der Eheschließung korrigieren’. Und grundsätzlich gelten Wertmaßstäbe immer nur für dich persönlich und nie für andere. Gegenüber unserem Vater sind wir grundsätzlich nur für uns, für unsere eigene Seele zuständig. Du darfst über andere nicht urteilen, denn das behält sich der Herr selbst vor. Du darfst, weil du selbst sündig bist, nicht nur den ersten Stein nicht werfen sondern überhaupt keinen. Trotzdem stellen die Menschen immer wieder Wertmaßstäbe und Moralgesetze auf. Der Grund ist ganz einfach, dass die Leute, die so etwas machen, ihre Position und Macht gegenüber anderen, die sie unterwerfen und vielleicht noch ausnehmen wollen, zu verteidigen zu gedenken. Wenn ich Wertmaßstäbe an die Konfirmanden oder der gesamten Gemeinde weitergebe, dann kann ich nur das sagen, was nach meiner Überzeugung und nach meinen Glauben für mich gilt. Und für mich gilt, das, was uns der Herr gelehrt hat und was wir in Befolgung des Missionsbefehls den Anderen zu Halten lehren sollen. Aber ich halte mich auch dafür verantwortlich, dass ich nicht in der falschen Richtung verstanden werde. Und nur im letztgenannten Punkt gibt es Nuancen ... keine Differenzen! – zwischen der Aussage des Pfarrers Neuendorf und der des Thomas Neuendorf, die in ihrem Kern aber immer gleich ist. Und nur in der Kunst, sprich Malerei, Fotografie und Poesie, kann ich unter der Darstellung eines nackten Körpers den Lob Gottes sehen ... Und diese Bilder von Karin sind Kunst, die sind nach meiner ganz persönlichen Meinung wirklich ein Lob Gottes.“. Jetzt können wir eigentlich den Abend, den ich im Anschluss, als ich mit Karin allein war, den Titel „Erotik und Theologie“ gab, verlassen, denn nur das Thema der Nackedeifotos meiner Frau sind ja hinsichtlich dieser Niederschrift von Interesse. Ich hätte den eben genannten Abendtitel nicht vergeben, wenn nicht auch die weiteren Themen etwas erotisch knisterndes mit theologischer Zurückhaltung gehabt hätten, aber, wie geschrieben, standen dieses in keinerlei Zusammenhang mit unserer Geschichte von den Nackten und ihren perversen Nachbarn. Aber bei dem Gespräch über die Karin-Fotos wurde das Hauptthema, dass ich hier abhandeln wollte, zwar am Rande jedoch treffend angeschnitten: Die verlogenen bürgerlichen Moral- und Wertmaßstäbe. Trieben nicht die Wannebachtaler Insulaner hinter Blicke verhindernder Bepflanzung und abschließbaren Toren an den Zugänge nicht genau das, was sie bei Dritten als Untergang der Kultur und den Gipfel der Sünde und Schande bezeichneten. Waren dieses nicht „perverse Schweine“ die das Urteil, was sie selbst verdienten, an anderen zu vollstrecken versuchten. Der Öffentlichkeit zeigten sie das Bild einer unantastbaren Elite und auf der anderen Seite konnte man ihre niedrigen menschlichen Abgründe sehen. Aber diese Seite versteckten sie tunlichst innerhalb der Abgeschlossenheit der Insel. Das ist so, als behaupte jemand, auf einer Ein-Euro-Münze befände sich nur ein Adler oder eine Eins und alles andere wäre vom Üble. Habe ich die Münze selbst in der Hand und kann sie wenden, sehe ich dass auf ihnen beides, Adler und Eins ist. Und nur Letzteres ist die Wahrheit; warum will mir dann mein Gegenüber sagen, dass die eine, von ihm abgelehnte Seite vom Übel sei. Der Pfarrer Thomas Neuendorf hatte mir schon einen Fingerzeig in die richtige Richtung gegeben. Die Leute stiegen als Moralapostel auf den höchsten Sockel, der für sie erreichbar war und zeigten in die Richtung in die die Anderen marschieren sollten. Wenn die anderen dann den ihnen zugewiesen Marsch antreten erzeugen sie bei den auf den Sockel stehenden den Eindruck als wären sie bedeutend, als wären sie mehr wert als andere. Und mit dieser Pseudo-Wert-Zuweisung verteidigen sie ihren Besitzstand, den sie in ihrer vermeintlichen Hochwohlgeborenheit begründet sehen. Was kann ich machen, wenn ich nicht, wie es in der Bibel steht, urteilen will damit ich nicht selbst verurteilt werde. Bevor ich überhaupt meinen Mund aufmache muss ich erst einmal bekennen, dass ich selbst nur ein Mensch, sündig und nicht ohne Fehler bin, aber gleichzeitig muss ich betonen, dass ich genauso viel wert bin als die, die sich da auf den Sockel gehoben haben. Wir alle Menschen sind nach dem Bilde Gottes geschaffen und gleich wertvoll aber gleichzeitig alle gleich klein und unbedeutend. Wenn ich dieses vorausgesetzt habe, kann ich den Bepflanzungsbestand, hinter denen sie sich verstecken bei Seite schieben und sagen: „Seht her, auch die Toppbürger sind nur Menschen. Fallt nicht vor ihnen auf die Knie sondern seht ihnen
aufrecht ins Gesicht. Dann seht ihr die Menschen, denen ihr vielleicht helfen könnt, von ihren, auch sie quälenden Übeln abzukommen. Und dieses Vorgehen, welches ich jetzt beenden möchte, war der Grund für diese meine Schreibe. Ich wollte jetzt weder mit Steinen noch mit Schlamm nach irgend jemand schmeißen und auf keinen Fall jetzt selbst zum Moralapostel werden. Und deshalb jetzt nur noch ein kurzes Wort: Tschüss und Adieu.
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Priester und andere Väter So, jetzt fangen wir gleich einmal wie in einem billigen amerikanischen Krimi an: Ich bin der Privatdetektiv Robert Baier und habe wieder mal einen Fall, der erst wie mein leichtester aussah, sich dann als einer der schwersten entpuppte, gelöst. Wenn aber jetzt jemand glaubt, dass es wie üblich damit weiterginge, dass ich unrasiert in meinem schäbigen Büro in einer dunklen Gegend einer Großstadt saß, als eine attraktive Frau, die sich offensichtlich hierher verlaufen hatte, herein kam, dann hat er sich mächtig getäuscht. Erstens lege ich immer viel Wert darauf, stets gepflegt in modisch salopper Kleidung herumzulaufen und zweitens habe ich kein schäbiges Büro sondern überhaupt keines. Ich pflege, wenn ich nicht unterwegs bin, mich in meinem etwas größeren und zudem etwas besser ausgestatteten Bungalow in einer, etwas besser angesehenen Stadtrandwohnlage aufzuhalten. Ich bin ja hier auch nicht in einer amerikanischen Großstadt sondern in Neudorf, einer kleinen aber feinen Gemeinde im Landkreis Romanstadt. Aber ich schreibe jetzt auch keinen Krimi, denn so etwas lese ich mal – aber auch dieses nur höchst selten - aber beschäftigen will ich mich mit so etwas nicht. In meiner Tätigkeit habe ich mit verlorenen Söhnen, Erben, sonstigen Verwandten und, wie im letzten Fall, Vätern „herumzuschlagen“. Also ich betreibe so eine Art privaten Suchdienstes, der bis heute noch mit keinem Kriminalfall behelligt wurden – als ein Kopfgeldjäger bin ich beim besten Willen nicht. Nötig habe ich das Ganze eigentlich nicht, denn ich gehöre zur berühmten Generation der Erben und da noch zu denen, die mit einer stattlichen Summe, in Anlagen und Aktien, abgespeist wurden und jetzt statt selbst zu arbeiten dieses von ihrem Geld erledigen lassen können. Das Nachsehen hatte mein älterer Bruder, der sich förmlich darum gerissen hat in Vaters Fußspuren die Firma zu übernehmen um den Big Boss zuspielen. Ich war da eher auf Mutter geschlagen, die es vorzog zu leben. Aber nur vom sich selbst vermehrenden Geld zu leben ist auf die Dauer doch ein Bisschen langweilig und da beschloss zwischen 1966 und 68 als 20- bis 22-Jähriger erst einmal Playboy zu werden. Ich gabelte eine „Biene“, wie wir in unserer damaligen Jugendsprache die flottesten „Exemplare“ der jüngeren Weiblichkeit nannten, nach der anderen auf und ließ sie wieder fliegen. Aber als ich dann Brigitte kennen gelernt hatte, glaubte ich doch eher für die Ehe bestimmt zu sein. 1972 heiratete ich sie, 1975 wurde unser Sascha und 1977 unsere Sabrina geboren. Auf unserer Silberhochzeit, die jetzt auch schon 5 Jahre hinter uns liegt, beschlossen Gitte und ich, das wir auch noch die Goldene oder gar Diamantene feiern wollen und bis jetzt hat sich an unserem Vorhaben noch nichts geändert. Mit anderen Worten: In Sahen Ehe und Familie sind wir Traditionalisten und gerade deshalb auch sehr glücklich. Durch Gitte kam ich dann auch zu meinem Beruf, den ich derzeitig immer noch mit ungebrochener Begeisterung ausübe. Ihr Onkel, Fritz Leutner, hatte in den 50er-Jahren beim Suchdienst des Deutschen Rotkreuzes gearbeitet. Aber es gibt nicht nur durch Krieg und Vertreibung verschollene Angehörige sondern das Leben lässt sehr oft auch bei anderen Gelegenheiten Leute, die später wieder zusammenkommen möchten, sich verlieren. So wurde Leutner Privatdetektiv und machte das, was er als Suchdienstmitarbeiter gemacht hatte dann auf eigene Rechnung und Gefahr weiter. Ich schnupperte in seinem Geschäft mal aus Interesse rein und fand an der Spurensucherei so viel Spaß, dass ich erst bei ihm als sein Partner einstieg und dann, als er sich in seinen Ruhestand begab, führte ich den Laden bis heute weiter. So, jetzt habe ich mich durch die berühmte Hintertür vorgestellt und kann jetzt ohne Weiteres zu der Geschichte, die ich zu erzählen gedachte, kommen. Die eigentliche Geschichte, die mich mal ganz locker niederschreiben möchte, ist die Suche nach dem Vater von Tanja Müller. Alle Tanja Müllers können beruhigt aufatmen, denn es ist nicht ihre Geschichte, denn solche Dinge, wie wir sie gleich zulesen oder zuhören bekommen, sind doch so privat, dass sie an keine größere Glocken gehören. Da ich aber nicht immer so unpersönlich von „sie“ oder „die junge Frau“ erzählen möchte, taufte ich jetzt die betreffende junge Dame ganz einfach Tanja Müller. Der Name könnte also auch Sabine Meier oder Inge Schmidt sein. Aber alles andere habe ich nicht aus dem Himmel der dichterischen Freiheit gezogen sondern es ist so geschehen wie ich es berichte. Wenn ich jetzt verraten würde, woher ich diese 24-jährige Synonym-Tanja kannte und was die mit unserem TuS Neudorf zu schaffen hatte, würden jetzt viele den erfundenen Namen Tanja Müller durch den richtigen ersetzen können. Deshalb belasse ich es dabei, dass sie meine Familie ganz gut kannte und mit allen auf Du stand und weiter, dass sie mich auf den Festabend zum 125jährigen Bestehens unseres TuS Neudorf ansprach. Sie hatte das heiße Begehren mich in einer Sache zu beauftragen aber glaubte mich nicht honorieren zu können. Darauf konnte ich ihr nur sagen, dass ich, wie sie wüsste, ganz gut auch ohne Arbeit leben könne und ich schon bereits in anderen Fällen für ein „Danke schön“ tätig gewesen sei. Persönlich schlage ich mir sowieso immer nur auf die Schultern, wenn ich mir ein „Danke schön“ verdient habe, denn berufliche Pflichterfüllung ist ja keine besondere Leistung sondern die verdammte Pflicht desjenigen, der den Job ausübt. Ich sagte Tanja auf der TuS-Feier, sie solle ruhig mal in mein Häusel kommen und mich darüber aufklären was ich für sie tun könne. Festabende sind ja wohl für solche Gespräche kaum der richtige Anlass noch der richtige Ort. Erstens haben zu viele Leute allzu lange Ohren und zweitens landet Diverses, wenn man selbst von Jubel, Trubel, Heiterkeit und Hopsasa umgeben ist, am falschen
Speicherplatz innerhalb meiner grauen Zellen. Der Spruch „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“ hatte dahingehend wohl schon seine Berechtigung. Tanja, deren noch junge Mutter, sie war erst 42 Jahre, ein halbes Jahr zuvor plötzlich verstorben war, stand auch wirklich am übernächsten Tag, einem Montagabend bei uns „auf der Matte“. Nachdem sie einen kurzen Plausch mit meiner Gitte gehalten hatte, verschwand diese hübsche junge Frau, mit ihrem südländischen Outfit, mit mir in mein „Arbeitszimmer“, ein Miniatur-Wohnzimmer, um mir, im wahrsten Sinne des Wortes, die ihr bekannte Geschichte ihres Lebens zu erzählen. Und was ihr nicht bekannt war, hoffte sie von mir ermittelt zu bekommen. Sie wusste, wer ihre Mutter aber nicht wer ihr Vater war. Obwohl ein solchen Wissen an ihrem Dasein nichts ändern würde und sie an Erbschleicherei kein Interesse hatte, quälte sie dieses ungemein. Tanja war in meinem beruflichen Leben nicht der erste Fall dieser Art. Bei diesen Fällen hielten sich die Suche nach dem wahren Vater oder die Suche nach beiden Eltern immer die Waage. Bei Letzterem, also der Suche nach Vater und Mutter, handelt sich grundsätzlich um Adoptivkinder, wo es dann auch immer Hinsichtlich des Adoptivrechts bedenklich ist, die Wahrheit zu ermitteln. Da blicke ich übrigens mit meinem bescheidenen logischen Menschenverstand auch nicht ganz durch: Auf der einen Seite wird höchstrichterlich das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft bejaht aber im Adoptivrecht wird ihnen dieses dann doch mehr oder weniger verwehrt. Ein Rechtsgrundsatz müsste doch eigentlich für alle in gleichen Maße gelten gleichgültig ob die Kinder unbeziehungsweise außerehelich geboren sind oder ob es sich Adoptivkinder handelt. Literarisch und philosophisch wird die Frage nach Vater und/oder Mutter immer gerne mit „Wer bin ich“ begründet real steht, nach meinen Erfahrung, aber in der Regel „Wollen mal sehen, ob da was zu holen ist“ dahinter. Wenn ich merkte, dass nur der Wunsch nach Geldsegen ohne Arbeit der Grund eines Auftrages an mich sein sollte, lehnte ich den grundsätzlich von vornherein ab. Obwohl, oder vielleicht gerade, ich selbst begütert bin, kann ich im Streben nach Wohlstand keinen wahren Lebenssinn erblicken. In der Gier auf mehr und noch mehr verpassen wir die wahren Dinge des Lebens und es scheint doch wirklich das Schlimmste zu sein, wenn wir, wie der Apostel Paulus schrieb, tot sind obwohl wir noch leben. Paulus meinte zwar Gemeinden aber das lässt sich ohne weiteres auch auf säkularisierte Menschen übertragen. Sie streben nach dem Vergänglichen und opfern dafür das ewig Bleibende. Na ja, aus meinen letzten Worten haben Sie sicherlich rausgehört, dass ich eine christliche Grundeinstellung habe – und auf die bin sogar stolz. Also, wenn die Ausschau nachdem Abzockbaren die einzigste Motivation zum Suchauftrag war, stellte die Auftragslehnung für mich ein leichtes da. Insbesondere aus dem Grunde weil Leute, denen es wirtschaftlich sehr schlecht geht und deren Wunsch ich irgendwo noch verstanden hätte, aus Angst vor meinen möglichen Honorarforderung, gar nicht erst zu mir fanden. Tanja wäre wirklich, wenn dieses ihr Anliegen gewesen wäre, die erste gewesen und dieses Ausnahme wäre dann nur aufgrund der Tatsache, dass wir uns privat sehr gut kannten, zustande gekommen. Also musste ich mich erst einmal mit ihr sehr ausführlich unterhalten und trotz allem mir vorbehalten, die Sache auf sich beruhen lassen. Eine solche Gewissensfrage stellte sich sonst nur, wenn die Leute einerseits aus Gründen, die nach meinem persönlichen Ermessen berechtigt erschienen, suchten und dabei die Hoffnung auf eine eventuelle Nachlassbeteiligung doch im starken Maße mitschwang. Dann musste ich abwägen und, glauben Sie es mir, das empfand ich nie als eine leichte Übung. Dann musste ich mit meinem Gewissen immer aushandeln, ob möglicher Weise der betreffende Mensch auch dann über meine Ermittlungen glücklich ist, wenn nichts zu holen ist oder gar ein umgekehrter Effekt – Unterstützungsleistungen der leiblichen Kinder – an ihre Eltern dabei herauskommt. Bekanntlich kann man sich ja nicht immer auf die freistellenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches berufen. Das wird von den Leuten, die nach einer Erbschaft suchen, in der Regel immer übersehen. Mit Tanja brauchte ich mich aber nicht groß zu unterhalten sondern ich konnte sie erzählen lassen: „Ach Robert, ich wollte eigentlich bis zu dem Tag wo Mutti starb eigentlich selbst nie wissen wer mein Vater ist oder war. Mutti und ich, wir hatten uns sehr lieb und ich habe im Leben, weil es uns finanziell nicht so gut ging, zwar auf dieses oder jenes Materielles verzichten müssen, aber nie auf Liebe, Zuwendung und anderen wichtigen Dingen, die ein Mensch einem anderen geben kann. Mutti hat mir immer mehr gegeben als man es erwarten könnte. Ein paar Mal habe ich zwar mal danach gefragt, wer mein Vater sei, aber für mich war dann, wenn Mutti mir sagte, dass sie mal geschworen habe dieses niemanden zu sagen, auch mir nicht, immer alles sofort wieder als erledigt betrachtet. In der Nacht als sie starb und ich auf der Intensivstation bei ihr war habe ich sie noch ein letztes Mal nach meinem Vater gefragt. Sie sagte mir, dass sie, weil sie ja in wenigen Augenblicken unserem Herrn gegenüberstehen würde, nicht mehr lügen könne und sie mich deshalb bitten müsse, meine Frage zurückzuziehen, da wir, wenn ich erfahren würde wer mein Vater ist, uns auch verlieren würden. Ich zog meine Frage zurück aber seitdem beherrscht und quält sie mich. Bitte helfe mir, weil ich sonst möglicher Weise bekloppt werde. Ich kann es nicht mehr aushalten. Egal was Mutti gemacht hat, durch die Liebe, die sie mir im so reichlichem Maße hat zukommen lassen, habe ich keinen Grund mich von ihr loszusagen.“. In meinem Kopf schossen jetzt die Gedanken quer. Tanjas Mutter muss irgendeinen über das übliche Maß hinausgehenden Grund zum Verschweigen des Vaters gehabt haben. Auf Tanjas Geburtsurkunde war, wie sie
mir sagte, hinter dem Namen des Vaters nur das Wort „Unbekannt“ eingetragen. Das kommt öfters schon mal vor; meist wenn es sogar stimmt. Wenn zum Beispiel die Schwangerschaft auf eine Urlaubsbekanntschaft oder auf einen oder mehrere flotte Züge durch die Gemeinde zurückzuführen ist. Nicht jeder, mal auf ein flottes Abenteuer bedachter Herr stellt sich bei der Dame, mit der er zu diesem Zweck nur mal das Bett teilen will, auch korrekt vor. Meist weiß die geschwängerte Dame danach nicht wo sie suchen soll oder, was auch öfters mal der Fall ist, sie stellt fest, dass der Herr, von dem sie glaubt dass er es gewesen ist, ein ganz anderer gewesen ist. So ein Fall hatte ich auch schon mal: Da suchte die werdende Mutter und der Herr, unter dessen Namen sich der Abenteurer vorgestellt hatte, den wahren „Übeltäter“. Der Fall ließ sich damals leicht aufgrund der Unterlagen des Hotels, in dem der junge Pauschalreisende untergebracht war, lösen. Der Urlaubsfreier hatte sich ganz einfach als sein eigener Onkel vorgestellt. Diese Geschichte ging so gar gut aus. Der geständige und reumütige junge Mann und die werdende Mutter – oder war sie es zu dem Zeitpunkt schon? – seines Kindes verliebten sich nachträglich doch noch ineinander und heirateten später sogar. Aus einem Abenteuer war also Liebe geworden – und in solchen Fällen übe ich meinen Beruf sehr gerne aus. So ein flottes Abenteuer, dessen sich Tanjas Mutter bis zu ihrem Lebensende über alle Dinge schämte, könnte ein Grund für das Schweigen bis in den Tod gewesen sein. Aber dafür war Tanjas Mutter, so wie ich sie kannte, aber eigentlich gar nicht der Typ. Ich kannte sie eher männerfeindlich, fast nonnenhaft puritanisch. Jetzt muss ich allerdings sagen, dass ich sie auch erst später, als Tanja schon 10 Jahre alt war, kennen gelernt. Geheiratet hat sie nie und ich habe so lange ich sie kannte auch nie von einer Partnerschaft bei ihr gehört. Sicher, Menschen können sich im Laufe des Lebens, insbesondere auch aufgrund solcher Malheure, ändern aber so eine tausendprozentige Kehrtwende fällt wohl doch entweder in den Bereich der Wunder oder der Fabel. Sicher war jetzt für mich, dass die Auflösung des Rätsels eine ganz spannende Angelegenheit, die mich mehr als nur reizte. Meine eigene diesbezügliche Neugierde sagte mir, dass ich diesen Fall doch lösen müsste. Was ist aber, wenn da etwas rauskommt, was Tanja letztendlich mehr oder weniger schadet? Ich konnte ja schlecht sagen, dass ich den „Auftrag“ nicht annehme und dann doch ermitteln. Ohne Hinweise von Tanja wüsste ich ja gar nicht, wo ich anfangen sollte. Um Anfangen zu können musste ich Tanja danach befragen, was sie von dem Vorleben ihrer Mutter erfahren hatte. Des weiteren lasse ich mich bei solchen Angelegenheiten ganz gerne über frühere Freunde und Bekannte sowie über Verwandte, mit denen die Leute engere Kontakte pflegten oder hatten, aufklären. Ein Blick in eventuell vorhandene Fotoalben kann selbstverständlich auch nichts schaden. Für alle dieses benötigte ich Tanja und mit welcher Begründung konnte ich sie dann noch fragen, wenn ich ihr Hilfeersuchen von vornherein abgelehnt hätte? Ich wäre nicht Robert Baier wenn mir diesbezüglich nicht doch noch eine Hinterlist eingefallen wäre. Ich nahm den Auftrag als eine Privatangelegenheit an, das heißt, ich wollte der Sache in meiner Eigenschaft des, der Tanja gut bekannte Robert und nicht als Privatdetektiv Baier annehmen. Dieses besagt dann natürlich auch, dass ich von vornherein gedachte keinerlei Honorarforderungen zu stellen. Erstens war Tanja ohnehin ein armes Mädchen, die übliche Honorare auf absehbare Zeit ohnehin nicht hätte ausgleichen können, und zweitens brauche ich bei Hobbyrecherchen ja keine Zwischenberichte abzuliefern. Insbesondere würde ich so die Möglichkeit haben, dass ich mich, falls die Ermittlung etwas, was Tanja schwer schaden könnte, ergeben, mich mit Erfolglosigkeit entschuldigen zu können. So etwas kann man beim besten Willen nicht machen, wenn man dabei, dann praktisch für nichts, absahnt. So sagte ich ihr dann, dass ich mich aus den Gründen, dass ich sie mag und ihre Mutter ebenfalls sehr gemocht habe, mich der Sache privat so annehmen würde als sei das praktisch ein offizieller Auftrag. Von den Hintertüren, die ich mir auflassen wollte, sagte ich ihr natürlich allerdings nichts. So eröffnete ich dann mein Ermittlungsinterview: „Tanja, du bist ... so viel ich weiß, am 4. April 1977 geboren. Dass weiß ich deshalb so genau, weil du genau eine Woche älter als unsere Sabrina bist. Wenn ich mich bezüglich unserer Sabrina richtig zurück entsinne hatten Gitte und meine Wenigkeit uns in der Ferienzeit 76 zur tatkräftigen Umsetzung unseres Wunsches nach einem zweiten Kind geeinigt. ... Wir wünschten uns ein Mädchen, was mit Sabrina auch in Erfüllung ging. Wenn ich jetzt Sherlock Holmes spiele und kombiniere, müsste deine Zeugung etwa zur gleichen Zeit stattgefunden haben. Wenn deine Mutter, wie du sagtest, zuhause ein ‚Rührmichnichtan’ war ... was überhaupt auch mein persönlicher Eindruck von deiner Mutter war – kann da nur etwas in den Ferien gewesen sein. Weißt du rein zufällig, wo und wie deine Mutter 1976 die Ferien verbracht hat?“. Sie schaute mich jetzt etwas enttäuscht aussehend an und antwortete: „Ja, das weiß ich sogar. Mutti ist von ihrem 10. Lebensjahr bis ich auf der Welt war immer mit der Mädchenjungschar in einem Ferienlager gewesen. Erst als Jungscharmädchen und dann als Leiterin. Ihr letztes Lager war 1976 irgendwo im Bergischen Land ... ich glaube Nümbrecht hieß der Ort. Davon hat sie mir öfters erzählt. Aber ich glaube nicht, das du in dieser Richtung was finden wirst, denn das ergäbe nur etwas, wenn ich kein Frühchen gewesen wäre. Sie war doch als ich geboren wurde aus irgendeinem Grunde, den ich nicht weiß, in Bunde in Ostfriesland. Da wäre sie doch bestimmt nicht hingefahren, wenn sie schon mit mir gerechnet hätte. Ich bin doch auch nicht im Krankenhaus sondern in einer Ferienwohnung geboren. Das heißt doch wohl, dass ich mich plötzlich und viel zu früh auf dieser Erde anwesend gemeldet habe.“. Da hatte die junge Frau mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit recht; alles andere ergäbe keinen Sinn. Die Möglichkeit, dass sie zuvor ihre Schwangerschaft hätte
verbergen können und sich jetzt zur Entbindung in der Ferne „versteckte“ schließt bei Dagmar, Tanjas Mutter aus, da sie immer sehr schlank war – und da lässt sich so etwas nicht verbergen. So etwas klappt in der Regel nur bei angehenden Müttern mit etwas mehr Leibesfülle. „Wenn nicht Sommer dann Herbst“, kombinierte ich und fragte ob sie dann auch was über die HerbstferienGeflogenheit ihrer Mutter wusste. Aber auch das wusste sie. Da war ihre Mutter immer in einem kleinen bayerischen Dörfchen, nahe der österreichischen Grenze, bei ihrer Patentante Anna. Auf meine Rückfrage konnte mir Tanja auch den typisch bayerischen Nachnamen der Patentante nennen. Irgendwie brachte mich das doch mehr als nur etwas zum Grübeln. So viel ich wusste, gehörten alle Mitglieder von Tanjas Familie der evangelischen Konfession an und in der Gegend waren doch alle, sofern es sich um Urbayern handelt, katholisch. Meine Neugierde ließ mich eine entsprechende Frage an Tanja richten und ich erfuhr, dass die Tante Anna ursprünglich auch evangelisch war aber nach ihrer Hochzeit mit einem bayerischen Dorfschullehrer katholisch geworden war. „Lebt diese Tante denn noch?“, wollte ich von Tanja wissen. „Ich weiß es nicht genau,“, begann Tanja ihre Antwort, „aber möglich ist das schon, denn sie war Zwanzig ... und noch evangelisch – als sie Muttis Patentante wurde. Dann müsste sie jetzt in der ersten Hälfte oder in der Mitte ihres siebten Lebensjahrzehnts sein. Und da leben ja zu Glück die meisten Menschen noch.“. Daraufhin setzte ich mich gleich an meinen PC und steckte meine CD mit der Telefonauskunft in das Laufwerk ein. Richtig, in dem Ort fand ich gleich mehrere Einträge des Nachnamens und eine dort eingetragene Dame hatte auch tatsächlich den Vornamen Anna. Da hatte ich richtig Glück gehabt, denn die meisten Einträge lauten immer auf den Herrn des Hauses. Möglicher Weise war der Herr Dorfschullehrer verstorben und nur noch die Anna als eintragbare Teilnehmerin vorhanden. Da aber Anna auch in Bayern kein seltener Vorname ist, fragte ich Tanja ob sie zufälliger Weise wüsste in welcher Straße diese Tante wohnte. Sie zuckte mit den Schultern und sagte: „Also beim besten Willen nein. ... Ich weiß nur, dass die direkt neben dem katholischen Pfarrhaus wohnten und ein Haus weiter war die Kirche.“. Darauf schaute ich unter „Katholische Kirche“ nach. Da fand ich dann auch den Eintrag für den Pfarrer in der gleichen Straße: Anna wohnte in Nummer 10 und der Pfarrer in Nummer 12. Das war also ein Volltreffer. Hätte ich jetzt den Auftrag gehabt die Patentante der Mutter zu finden, dann hätte ich jetzt die letzte Akte unter dem Deckel verschwinden lassen können. Aber ich suchte nicht diese Anna sondern Tanjas Vater. Trotzdem ein Erfolg, denn die würde mir sicher irgendwie weiterhelfen können. Als Tanja gegangen war, wandte ich mich an meine bessere Hälfte: „Was hältst du von einem kurzen Zwischenurlaub in bayerischen Gefilden.“. Da Gitte in solchen Fällen nie nein sagt, hätte ich eigentlich gleich bei dem Hotel, welches ich auf der Telefon-CD gefunden hatte, anrufen und buchen können. Bei solchen Angelegenheiten ziehe ich es nämlich vor, statt mich ans Telefon zu hängen, den Leuten gegenüber zustehen. Aber das ziehe ich überhaupt vor. Die Kommunikation von Mensch zu Mensch ist doch unschlagbar die beste Methode. Ich verstehe nicht, was die Leute an diesen komischen E-Mails und SMS finden. Das ist doch so unpersönlich wie nur was und bringt nur Leuten, die etwas zu verbergen haben, Vorteile. Bei einer E-Mail kann kein Zittern in der Stimme, keine Mimik und keine Körpersprache den sich äußernden verraten und überführen. Es gibt bei EMails aus der Sicht von Dahinlebern noch ein Vorteil: Man kann dem Adressaten ungeschminkt und unverblümt das sagen, was man von ihm hält und das anschließend durch Smiles wie ☺ oder , insbesondere im Hinblick auf die im Strafgesetzbuch aufgeführten Persönlichkeitsdelikten, entkräften. Wenn ich Richter wäre und müsste in einem solchen Fall von Beleidigung entscheiden würde ich Smiles als juristisch unbekannt bezeichnen und den Schreiberling noch einen auf das Strafmaß drauflegen. Ganz einfach aus dem Grunde, damit es sich rumspricht, dass man auch bei E-Mail -Geblubbere sich an die Regeln für kultivierten Umgang halten muss. Also machten wir uns bereits in der Folgewoche auf die Reise nach Alptal, wie ich diesen Ort, um ihn nicht zu verraten, jetzt nennen möchte. Wie Touristen aus den, Großstadt genannten Steinwüsten mit architektonisch geplanten, also nicht natürlichen, Grüninseln, schlenderten wir zunächst mal durch Alptal als hätten wir keine gesonderten Absichten. Neben dem Pfarrhaus sah ich mir dann ein Türschild, gesondertes Interesse vortäuschend, an. Als mir die Tür geöffnet wurde, kam ich, nachdem ich mich entschuldigt und namentlich vorgestellt hatte, zur Sache: „Bei uns in Neudorf waren wir, als sie noch lebte, gute Bekannte von Dagmar Müller und ihrer Tochter ...“. Sie unterbrach mich: „Was meine kleine Daggi lebt nicht mehr?“. Ihr kamen jetzt die Tränen und ich brauchte keine weiteren Notlügen um zu einem Gespräch Einlass zu bekommen. Selbstverständlich war ich erst einmal am Zuge und musste ihr erzählen wie es Dagmar und ihrer Tochter in den letzten Jahren ergangen war. Dann erzählte mir die Frau, ohne dass ich danach fragen musste, das was ich wissen wollte: „Daggi war als Kind immer in den Herbstferien hier. Es war ein fröhliches und liebes Kind. Nur als sie das letzte Mal hier war, erschien sie mir ganz anders. Das war in dem Jahr bevor deren Kleine geboren ist. Anstelle ihrer üblichen Fröhlichkeit erschien eine zerstreute Ernsthaftigkeit getreten zu sein. Vorher hat sie, wenn sie am Tisch saß, immer munter darauf los geplappert und damals, bei ihrem letzten Besuch, erschrak sie richtig, wenn man sie ansprach. ... Und was das Merkwürdigste war: Unsere ganze Verwandtschaft ist und war evangelisch, ich war es ursprünglich auch. Nur ich bin das schwarze Schaf und aus Liebe zu meinem Mann katholisch geworden. Ich glaube meine Überlegungen zu jener Zeit waren richtig, denn ich fühle mich weder als Protestantin noch als Katholikin sondern als Christin. Wäre ich aber nicht konvertiert, dann hätte mein vor drei
Jahren verstorbener Mann ... er war Lehrer – in dieser doch etwas intoleranten Gegend ein echtes Spießrutenlaufen gehabt. ... Aber ich wollte ja eigentlich von Daggi erzählen. Bei ihrem letzten Besuch war Daggi jeden Tag drüben im Pfarrhaus; mehrmals am Tag und oft für zwei oder drei Stunden. Sie hat mir nie gesagt, was sie von Pfarrer Gasparini wollte.“. Diese Aussage macht mich doch ein Wenig stutzig und ließ mich hellhörig werden. Gasparini ist doch ein italienischer Name. Im Nu hatte ich Tanjas Bild vor den Augen und da ihr südländische Aussehen. Sollte sie ein Verhältnis mit diesem italienisch-bayerischen Schwarzrock gehabt haben. Der Pfarrer ein Zölibatbrecher und dann noch einer von der üblen Sorte, der leugnet ein Mensch mit Schwächen und Sünden zu sein. Der Pfarrer, ein Mensch, der sich durch sein Amt und das Zölibat über andere erhebt indem er ihnen vorgaukelt ein besserer Mensch zu sein, dessen Beispiel die Anderen bedingungslosen folgen sollen. Dabei ist er ein Mensch wie jeder andere auch; mit Schwächen, Begierden und immer wieder größere oder kleinerer Sünden. Dann muss schon mal das, was nicht sein kann, geleugnet und mit lebenslangen Lügen aus der Welt geschafft werden. Was interessiert die Leute, die sich so gottlästerlich über andere erheben, schon, wenn sie betroffene Menschen, so wie die Mütter ihrer Kinder, in Gewissensnöte und schwere Zweifel stürzen? Wie heißt es doch im Evangelium: Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden. Wenn ich sagen sollte wer in meinen Augen bessere Christen wären, Priester oder andere Väter, würde ich mich gegen die Priester entscheiden, denn sie stehen nicht zu der ihnen von Gott auferlegten Verantwortung gegenüber den Frauen, die sie geschwängert haben, und erst recht zu ihren eigenen Kindern. Aber lassen wir das mal, denn ich bin evangelischer Christ und fühle mich am Meisten von den Ansichten des Reformators Johannes Calvin zu meinem Glauben inspiriert. Da könnte leicht der Eindruck, dass ich genau das wolle, worüber ich mich eben ausließ: Mich selbst erhöhen. Aber Missionieren darf ich nicht nur, sondern das muss ich sogar, denn unser Herr hat uns allen dieses befohlen. Aus meinen Worten im vorangegangen Absatz kann man schließen, dass ich den Fall für gelöst hielt: Der Pfarrer Gasparini ist Tanjas Vater. Aber denkste, nur ein paar Sekunden später holte mich diese Tante Anna wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: „Wir konnten uns damals kaum vorstellen, dass unsere Daggi zur Krankenpflege dieses alten, damals schwerkranken Pfarrers, der ein viertel Jahr später starb, gekommen sei. Zwar schaffte es die, damals auch schon betagtere Maria, seine Haushälterin, es auch nicht mehr aber da war ja die Engelsmacherin, die da aktiv anfasste.“. „Engelsmacherin?“, fragte ich jetzt erstaunt dazwischen. „Ach ja, das können sie ja nicht wissen.“, fuhr die so Befragte fort, „Das war die ehemalige Hebamme Johanna Wascheck. In den 60er-Jahren ist sie einer Abtreibung überführt worden und ins Gefängnis geworfen worden. Was man ihr besonders übel genommen hat, ist, dass die Frau, bei der sie die Abtreibung vorgenommen hat, und sie behaupteten ein Priester habe die Frau geschwängert und anschließend sei die Hebamme von diesem zur Abtreibung gezwungen worden. Gezwungen, heißt also mit erpresserischen Mitteln. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis kam sie hierher und war erst aufgrund ihrer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit im Dorf sehr beliebt. Als man dann erfuhr, was passiert war, war sie auf einmal die Hexe, die alle mieden. Trotzdem war sie es, die sich um den schwerkranken Pfarrer Gasparini kümmerte. Nach seinem Tode ging sie dann von hier weg. Sie zog zu ihrer Schwester, die in Holland, ich glaube in Groningen verheiratet war.“ Jetzt macht mein Denkapparat gleich mehrfach Tick und Tack. Nicht der katholische Pfarrer sondern die „Engelsmacherin“ schienen mir der Grund für Dagmars Besuche im Pfarrhaus gewesen zu sein. Das bedeutet aber, dass Tanja nicht, wie sie glaubt, ein Frühchen sondern ein ganz normales Neunmonatekind ist. Wenn ich mir überlege, dass die Art, die Frau Wascheck vor dem Bekannt werden ihrer Schandtat an den Tag gelegt hat, lässt das auf eine reumütige Sünderin schließen und aus diesem Grunde hat sie mutmaßlich eine Abtreibung abgelehnt. Sie konnte dann, entsprechend meinen Verdachtsüberlegung, doch noch für Dagmar tätig werden. Sie war in die niederländische, noch genauer in die westfriesische, Provinzhauptstadt Groningen gezogen. Das ist aber gar nicht weit von Bunde im südlichen Ostfriesland, am Dollart, entfernt. Ich glaube zwischen Bunde und Groningen liegen nur knapp etwas mehr als 50 Kilometer. Da ist Dagmar wohl möglich nicht nach Ost- sondern nach Westfriesland gefahren um bei Johanna Wascheck zu entbinden. Der Grund dafür könnte sein, dass sie das Kind anschließend Weggeben oder Aussetzen wollte. Denke ich jetzt die Sache konsequent weiter, halte ich es für möglich, dass ihr die ehemalige „Engelsmacherin“ auch diesbezüglich ins Gewissen geredet hat und sie deshalb Tanja nach Bunde verbracht und dort eine Geburt in einer Ferienwohnung vorgetäuscht hat. Dann könnten auch Dagmars Worte in ihrer Sterbestunde, dass sie sich verlieren würden wenn Tanja wüsste wer ihr Vater ist, einen Sinn ergeben, denn Tanja würde von ihrem Vater erfahren, dass ihre Mutter sie erst abtreiben und dann aussetzen wollen. Weiter würde ich wohl nur kommen, wenn es mir gelänge diese Frau Wascheck aufzutreiben und mit ihr zu sprechen. Das setzt erst mal voraus, dass sie noch lebt und zweitens, dass sie heute noch in Groningen lebt. Zwar ist es in einer großen Stadt wie Groningen nicht einfach jemanden, von dem man nur Namen kennt und von dem man nur weißt, dass er zu einem Geschwisterteil gezogen ist, zu finden. Erleichternd erschien mir, dass es sich bei der ehemaligen Hebamme um eine Deutsche mit einem nicht sehr häufig vorkommenden, polnisch klingenden Nachnamen handelte. Eine Nachfrage bei der internationalen Telefonauskunft brachte mich aller-
dings nicht weiter. So fuhren wir, also meine bessere Hälfte und ich, dann erst mal wieder heimwärts, wo ich dann auch noch meine CD-Telefon-Auskunft zu Hilfe nahm. Natürlich sind da nur Teilnehmer in Deutschland registriert aber ich startete trotzdem mal auf Verdacht eine Globalsuche nach dem Namen Wascheck. Ich fand sogar ein paar Träger dieses Namens aber eine Johanna war nicht dabei. Da blieb mir dann nichts anderes als mich an einen Kollegen in Groningen zu wenden. Dem schrieb ich, dass ich in einer Erbschaftsangelegenheit eine Frau Johanna Wascheck, die Ende 77/Anfang 78 von Alptal in Bayern nach Groningen verzogen sei und da würde für mich die Spur abreißen. Nach etwa drei Wochen und dem Ausgleich der Honorarforderung meines niederländischen Kollegens, erhielt ich dann die Auskunft, dass die Dame 1980 einen Holländer geheiratet hat und jetzt de Boer heiße. Sie wohne jetzt in einer Altenwohnung am Rande von Groningen. Meine Kollege hatte deren Anschrift natürlich gleich in seinem Bericht angeführt. Also nichts wie hin. Und so machten uns Gitte und ich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit zu einem Kurzurlaub „auf die Socken“. Diesmal natürlich in die nordöstliche Niederlande. Ich suchte die alte Dame gleich, unmittelbar nach unserer Ankunft, auf und war der Meinung, dass ich mit der Aussage über meine wahren Absichten jetzt wohl weiterkäme als mit einem etwaigen Notlügengespinst. Erst schien es ein Falschgedanke gewesen zu sein, denn die Dame zeigte sich erst erschrocken und dann absolut verschlossen. Das Einzigste was ich so herausbekommen hatte, war, dass es die von mir gesuchte Person war. Alles sah danach aus als habe ich mich jetzt richtig verrannt. Mir blieb nichts anderes als mich erst einmal von der Dame wieder zu verabschieden. Abschließend sagte ich noch in der Manier eines Teleserienkommissars: „Ich bin noch eine Woche im Hotel Bouwes. Wenn ihnen doch noch was einfällt, mit dem sie mir vielleicht helfen können, dann hinterlassen sie dort bitte eine Nachricht für mich.“. Danach fuhr ich dann etwas niedergeschlagen zurück ins Hotel. Ich staunte nicht schlecht, als man mir dort gleich sagte, eine Frau de Boer habe angerufen und ich möchte doch noch einmal zu ihr kommen.“. Natürlich ging es postwendend wieder zurück. Frau de Boer entschuldigte sich erst mal damit, dass ich sie mit meinen plötzlichen Besuch so erschrocken hätte, dass sie erst mal eine Barriere aufgebaut habe. Sie habe aber im Leben schon soviel sündiges getan, dass sie, insbesondere im Hinblick auf ihr Alter, jetzt den Ballast loswerden müsse. Sie wolle jetzt dahingehend mit mir sprechen wie mit einem Beichtvater. Ich solle ihr bitte zuhören, auch wenn vieles nichts mit der Sache, der ich eigentlich nachginge, zutun habe. Sie erinnerte mich daran, dass ich ihr gesagt habe, dass ich eher aus christlicher Gesinnung als aus Berufsgründen Tanja helfen wolle. Jetzt solle ich meine christliche Einstellung auch ihr zu Gute kommen lassen und ihr die Lebensbeichte abnehmen, da sie zu Geistlichen kein Vertrauen mehr habe. Nicht nur aus den Gründen, weil ich beim Abschlagen dieses Wunsches von der Dame auch nichts, was in meinem Interesse lag, erfahren würde, blieb ich fast drei Stunden bei ihr und hörte ihr zu. Der alten Dame tat dieses doch irgendwie richtig gut und sie schien darüber, dass sie schwere Brocken von ihrer Seele wälzen konnte, erleichtert zu sein. Mich hatte das, was ich von Frau de Boer erfuhr allerdings umgehauen. Ich hatte nicht nur Tanjas Vater sondern auch ihre Mutter gefunden. Damit hätte ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet und das war es, was die sterbende Dagmar meinte, als sie davon sprach, dass Tanja, wenn sie erführe wer ihr Vater ist, auch sie verlieren würde. Tanjas Mutter ist Antonia Gasparini, die, laut Frau de Boer, heute als Nonne in einem italienischen Kloster lebt. Bevor sie im September 1977 ins Kloster als Novizin eintrat war sie den Sommer über bei ihrem Onkel, dem Alptaler Pfarrer. Antonias Urgroßeltern stammten aus einer dogmatischen erzkatholischen italienischen Familie. Ihr Großvater hatte nach Deutschland geheiratet und war dann dort geblieben. Die Brüder Gasparini waren in Bayern geboren worden und aufgewachsen. Ihr Vater heirate später eine Italienerin und kehrte zum Familienursprung zurück während sein Bruder in seiner Heimat blieb und dort Pfarrer wurde. Daher auch der Name und das südländische Aussehen von Tanja. Ihre Mutter ist eine waschechte Italienerin. Nach einer Woche Aufenthalt im Kloster hat Antonia dieses erst einmal, ohne der Oberin die Gründe zu nennen, wieder verlassen um dann ein Jahr später wieder und dann endgültig einzutreten. Antonias Grund für den schnellen Wiederaustritt war, dass sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war. Sie hatte während ihres Sommeraufenthaltes in Alptal ein Verhältnis zu einem verheiraten Mann gehabt und dieses Verhältnis war nicht ohne Folgen geblieben. Sie fuhr nach Alptal zu der, als Engelsmacherin bekannten heutigen Frau de Boer, die aber den an sie herangegangenen Wunsch ablehnte. Stattdessen suchte sie mit der jungen Frau deren Onkel, den Alptaler Pfarrer, auf. Auch der war strickt gegen eine Abtreibung und Antonia verschwand erst mal wieder aus dem bayerischen Örtchen. Die „Engelsmacherin“ hatte beim Versuch im Pfarrhaus mitbekommen wie schwer krank der alte Pfarrer war und wie die ebenfalls schon alte Haushälterin mit seiner Pflege überlastet war. Da entschloss sie sich bis zu ihrem Wegzug nach Groningen, der also schon zu diesem Zeitpunkt feststand, der Haushälterin bei der Pflege zu helfen. Der Pfarrer wollte nicht ins Krankenhaus sondern an dem Ort, wo ihn der Herr als Hirte hinbestellt hatte, sterben. Das ihr Wegzug und der Tod des Pfarrers zusammen fielen war also, auch wenn es auf dem ersten Blick anders aussah, ein Zufall. So war die damalige Frau Wascheck auch im Pfarrhaus anwesend als dort die Tochter des Mannes, der Antonia geschwängert hatte, erschien. Wörtlich sagte Frau de Boer: „Das arme Mädchen war vollkommen fertig. Ihre Welt war untergegangen. Für sie war der Jüngste Tag schon Vergangenheit und der todkranke Pfarrer hat viel
Worte aufgewandt um sie zu trösten und wieder aufzurichten.“. Dieses arme Mädchen war die Protestantin Dagmar Müller, die nicht wollte, dass die Ehe ihrer Eltern zerbreche. Sie wollte aber auch nicht das ihre Schwester oder ihr Bruder durch Abtreibung oder Aussetzung getötet würde. Ihr Wissen hat sie dadurch erhalten weil sie zu Hause einen größeren Streit zwischen Antonia und ihrem Vater mitbekommen hatte. Die Italienerin hatte von ihrem Vater Geld verlangt, damit sie in Holland anonym abtreiben lassen konnte. Sie wollte nicht aktenkundig werden. Am zweiten Tag von Dagmars Aufenthalt erschien Antonia dann auch wieder im Pfarrhaus. Im Hinblick auf den offensichtlich sterbenden Pfarrer übernahm sie dann die Regie um den beiden jungen Frauen, so wie sie glaubte und hoffte, zu helfen. Von der ehemaligen Engelsmacherin stammte also der Plan, den Tanja heute ihr Leben zu verdanken hat. Sie war daraufgekommen, weil Dagmar sehr glaubhaft zu dem Pfarrer gesagt hatte, sie würde alles tun um ihrem Geschwisterkind das Leben zu retten und zu erhalten und wenn sie sich deshalb als Mutter ausgeben müsste. Bevor ich aber von dem Plan der Frau de Boer berichte, muss ich jetzt erst noch mal ein Detail aus ihrem Leben berichten. Sie hatte als junge Hebamme in einem Ruhrgebiets-Krankenhaus gearbeitet und ein Liebesverhältnis mit einem verheiraten Gynäkologen gehabt. Als die Frau Arztes von dem Verhältnis erfuhr und „Theater machte“ wurde sie von ihrem Ehemann getötet. Wie, wusste Frau de Boer auch nicht. Die Hebamme hat ihm dann aber bei der Vortäuschung eines Selbstmordes geholfen und danach aber auch das Verhältnis zu ihm abgebrochen. Zum Verhängnis wurde diese Sache der Frau de Boer nach dem sie diese Geschichte einem Pfarrer gebeichtet hatte und dieser sie später mit seinem Wissen zur Abtreibung seines eigenen Kindes erpresste. Dafür hatte sie dann ja auch gebüßt. Als die Abtreibungstat bekannt wurde, erschien der Arzt wieder bei ihr und versprach ihr, wenn sie den Mord weiterhin verschweige, ihr irgendwann, wenn sie mal Hilfe brauche, ohne zufragen und gleichgültig was es sei, zu helfen. Diese Hilfe nahm die Frau dann nicht für sich sondern für Antonia und Dagmar in Anspruch und rettete damit Tanjas Leben. Der Arzt besaß in Bunde/Ostfriesland eine Ferienwohnung und dort sollte die Entbindung stattfinden. Rein zufälliger Weise sollte er, nach dem Plan der bekehrten Engelsmacherin, auch da sein und dann eine Hausentbindung eine Frühkindes bescheinigen. Als Mutter sollte Dagmar ausgewiesen werden. Wenn so etwas ein Gynäkologe macht und behauptet, dass Mutter und Kind von ihm betreut würden, kommt wohl keiner auf den Gedanken die Mutter zu untersuchen. Und so kann auch niemanden feststellen, dass die angebliche Mutter gar nicht entbunden haben kann. Bis es soweit war sollte Antonia zu ihr nach Groningen kommen. Von dort bis Bunde ist es, wie ich schon schrieb, nicht sehr weit. Dagmar hat damals den Vorschlag sofort angenommen und sich zusammen mit der damaligen Frau Wascheck bemüht auch Antonia davon zu überzeugen. Das waren also die Gründe für Dagmars häufige Aufenthalte im Pfarrhaus. Gegenüber dem verstorben Pfarrer Gasparini muss ich jetzt persönlich eigentlich Abbitte tun, da ich ihn in meinem Ursprungsverdacht zum Vater seiner Großnichte machte. Er war wirklich loyal und treu in seinem Glauben; er hatte mit der Sache nun wirklich nichts zu tun. Jetzt hatte ich meine Probleme, denn ich wusste nun, dass der Mann, den Tanja für ihren Großvater hielt, in Wirklichkeit ihr Vater war. Ihren Vater hat sie also immer schon gekannt. Dafür wusste sie bis zu diesem Zeitpunkt nichts von ihrer Mutter, sie wusste nichts von dieser italienischen Nonne Antonia Gasparini, so der bürgerliche Name, ihren Schwesternnamen wusste Frau de Boer auch nicht. Von Frau de Boer hatte ich zum Abschluss noch ein Bild von Antonia erhalten. Diese war entstanden als die schwangere Frau in Groningen war. Mutter und Tochter sehen sich ja wirklich sehr ähnlich, fast zum Verwechseln. Also wenn wahre Mutter und Tochter nebeneinander stehen können die sich bestimmt nicht verleugnen. Und diejenige, die Tanja für ihre Mutter hielt, war ihre Schwester, die ihr erst das Leben gerettet hatte und sie dann fast in abgöttischer Liebe groß gezogen hatte. Dagmar Müller hat für ihre Schwester alles aufgeben. Sie verließ wegen Tanja ihr Elternhaus. Ihre Mutter hatte sie wegen der „Schande“, die sie der Familie angetan hatte, hinausgewiesen und ihr Vater sagte nichts dazu, hat aber ohne Wissen seiner Frau seine beiden Töchter so gut es ging unterstützt. Das wusste ich von Dagmar selbst, die mir das früher schon mal erzählt hatte. Allerdings hatte sie nicht von den beiden Töchtern sondern von seiner Tochter und seinem Enkelkind gesprochen. Was mir damals paradox erschien ist mir heute auch klar: Sie sagte nämlich, dass sie ihre Mutter, die sie aus dem Haus gewiesen hat, sehr geliebt habe und ihren Vater, der sie ja unterstützt hat, hassen würde. Ich bin kein Psychologe aber ich vermute auch, dass Dagmar wegen Tanja und der besonderen Umstände ihres Daseins auch jeder Partnerschaft aus dem Wege gegangen ist. Wahrlich, Dagmar hat eine Größe gezeigt vor die ich respektvoll den Hut ziehe. Ich war der Meinung, dass Tanja diese unbedingt wissen müsse. Aber wie sollte ich ihr das beibringen ohne das Bild, dass sie von ihrer Mutter hatte, zu zerstören. Dieses könnte möglicher Weise vernichtend für sie sein. Aber was sollte ich der jungen Frau nun sagen? Ich konnte doch wohl nicht sagen: „Dein Opa ist dein Vater ... und tschüss“. Da würde man ja auch erst an Inzest denken. Andererseits war das Problem, dass Tanja hinsichtlich der Frage nach ihrer Herkunft im Begriff war durchzudrehen. Schlimm auch, dass ich durch Aufnahme meiner Sucharbeit Hoffnungen in ihr geweckt habe. Irgendetwas musste ich ihr sagen, aber ich konnte doch nicht eine Lebenslüge durch eine andere ersetzen. Ich war absolut fertig und diskutierte mit Gitte den ganzen Abend, wie
ich aus dieser Klemme wieder herauskommen könne. Eine Lösung fanden wir nicht aber Gitte konnte mir einen Vorschlag, wie ich Zeit gewinnen könne, unterbreiten: „Sage doch Tanja, du glaubest die Lösung des Falles in Italien zu finden. Ihr mediterranes Äußeres ist dem Mädchen doch selbst bewusst und sie ist dann erst mal zufrieden, weil sie dich auf der richtigen Spur vermutet. Dann haben wir Zeit gewonnen und fahren wirklich nach Italien. Da wollte ich immer schon einmal hin. Wir sind schon fast überall gewesen, nur in Italien noch nicht. Dann haben wir drei Wochen Zeit um zu überlegen, was wir jetzt machen. ... Und zur Not können wir nach unserer Rückkehr erst noch mit Pastor Reinhard (unseren evangelischer Gemeindepfarrer) um Rat ersuchen. Ich halte ihn in Angelegenheiten der Menschen und der Menschlichkeit für sehr kompetent.“. Postwendend schlug ich Gitte Neapel vor. „Wieso das?“, fragte sie erstaunt über meine Spontaneität. „Ganz einfach,“, begann ich meine Aufklärung, „Frau de Boer erwähnte nur so nebenbei, das der Bruder des Alptaler Pfarrers, also Tanjas wahrer Großvater, eine Hoteliertochter aus Neapel geheiratet habe. Vielleicht finde ich auch noch Tanjas Mutter ... und vielleicht sehen wir dann weiter.“. Ganz wohl war es Gitte dabei nicht – mir selbst, ehrlich gestanden, auch nicht - aber sie stimmte zu. Allerdings fuhren wir zwischen Groningen und Neapel erst einmal 14 Tage nach Hause. Aus einem Hotelführer suchte ich mir in meiner häuslichen erst einmal eine passende Bleibe, von der ich meine Suche starten wollte, aus. Natürlich schaute ich da nach dem Vermerk „Deutschsprachige Hotelführung“. Ich kann nämlich kein Bisschen Italienisch und in dem Fall ist es schon ganz nützlich wenn man mir in dem Hause in meiner angestammten Landessprache begegnet. Ich hielt es für ein gutes Omen, dass eines von den infrage kommenden Hotels „Antonia“ hieß. Dazu kam noch verstärkend, dass die Dame, bei der ich telefonisch buchte, einen bayerischen Einschlag in ihrer Sprache hatte. Bei so vielen Fingerzeigen war ich überzeugt, dass ich Kloster und Nonne finden würde. Es handelte sich nicht nur um gute Omen sondern um einen absoluten Volltreffer. Als wir uns an der Rezeption anmeldeten kam die Chefin des Hauses aus ihrem Büro. Mann, was war ich baff als ich sie sah. Es war Tanja in 15 bis 20 Jahren. Sie sah also genauso aus wie die junge Frau, in deren Auftrag ich unterwegs war – nur älter. Gitte war sogar so überrascht, dass sie die Hotelierfrau mit halboffenen Mund anstarrte, was der auch nicht verborgen blieb und ein Wenig blass werden ließ. Sie hatte sich eigentlich etwas von der Rezeption in ihr Büro holen wollen. Jetzt kam sie auf uns zu und fragte: „Entschuldigen sie, mein Name ist Antonia Cantalupo ... kennen wir uns?“. Über den Nachnamen war ich überrascht und sagte in Folge dessen: „Wenn sie einen anderen Familienamen hätten, würde ich behaupten ihre Tochter Tanja zu kennen.“. Die Frau wirkte jetzt ganz ruhig und ihre Augen feuchteten sich: „Sie haben den Namen Gasparini erwartet und deshalb glauben sie sich geirrt zu haben. Sie haben sich aber nicht geirrt. Den Namen Cantalupo habe ich von meinem Mann, dem Besitzer dieses Hotels. Tanja ist wirklich meine Tochter. ... Aber kommen sie doch bitte mit in mein Büro. Wir hatten dieses gerade betreten als die Dame, die wir gerade erst seit ein paar Minuten kannten, vor unseren Augen los heulte und schluchzte. Zunächst mussten wir ihr berichten wie es Tanja ging und dann wie wir auf sie gekommen. Danach berichtete sie uns im Gegenzug die dramatische Geschichte ihres Lebens. Ihre Mutter war die Tochter eines Priesters und einer Nonne. Ihre Eltern waren, als ihre Mutter unterwegs war, mit reichlich Schandevorwürfen als Nachtritt aus kirchlichen Diensten ausgetreten. Ihr Opa war offensichtlich verbittert und hat sich einer zur Maffia gehörenden Bande angeschlossen. Er gab ein, der Maffia gehörendes Hotel, als das seinige aus. Als Antonia 18 Jahre alt war verlangte er von ihr einen, von ihm ausgesuchten, Mann zu heiraten. Sie wollte nicht und floh zu ihrem Onkel nach Alptal. Aber wegen seines besorgniserregenden Zustandes sagte sie diesem aber nicht um was es ihr ging. Sie sah nur noch eine Möglichkeit um vor ihrem Großvater sicher zu sein: Ins Kloster zu fliehen. Sie bat ihren Onkel ihr etwas entsprechendes zu vermitteln und bis es soweit war blieb sie bei ihm. Da lernte sie einen älteren Herrn kennen, der, wie sie es damals wohl fälschlicher Weise empfunden habe, viel Verständnis für sie aufgebracht und sie viel getröstet habe. Sie hält es heute aber für einen Trick, denn er habe sie nur im Bette haben wollen. Zwei oder drei Mal haben sie zusammen geschlafen. Bei den Herrn handelte es sich um Dagmars und Tanjas Vater, der auch mal kurz bei seiner Cousine, Tanjas Patentante, einen Kurzurlaub machte. Dagmars Mutter war in der Zeit in der Nähe von Alptal zur Kur. Als sie uns dieses gerade erzählt hatte kam ein junger Mann, etwa 18 Jahre, in das Büro herein. Auf Deutsch sagte sie zu ihm „Luigi, diese Leute kommen von deiner Schwester Tanja. Lässt du uns noch ein wenig allein?“. Der Angesprochene antwortete: „Siehst du Mama, ich habe dir immer gesagt, dass der Herr unsere Gebete erhört und wir zu deiner Tochter und zu meiner Schwester finden werden.“. Und dann ging er wieder hinaus. Für mich stand nun fest, dass sie also ihre Tochter ihrer späteren Familie nicht verleugnet hatte. Als wir wieder unter uns waren, erzählte sie uns von ihrer damaligen großen Verzweifelung und die Geschichte, die ich schon von Frau de Boer kannte; dieses jedoch aus ihrer Perspektive, die mir hinsichtlich ihres Mafia-Großvaters auch nachvollziehbar und Verständnis bedürftig zu sein schien. Nach der Entbindung ist sie tatsächlich ins Kloster gegangen - aber nur für zwei Jahre. Dann hat sie sich mit der Oberin ausgesprochen und hat das Kloster endgültig verlassen. Ihren Großvater brauchte sie zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr zu fürchten, denn der war
inzwischen ermordet worden. Wieder in „Freiheit“ besuchte sie eine Hotelfachschule und lernte dort ihren heutigen Ehemann kennen. Luigi, den wir ja kurz kennen gelernt hatten, war deren einzigste Kind. Nun kam der wohl erschütternste Teil von Frau Cantalupos Bericht. Sie erzählte uns wie schwer sie heute noch unter ihren schweren Sünden, die sie damals begangen habe, leiden müsse. Immer habe sie sich gewünscht ihre Tochter Tanja in die Arme nehmen zu können. Den Namen kannte sie von Dagmar, die ihr gegenüber diesen nur ein einzigste Mal erwähnt hatte. Dagmar hatte Antonia gegenüber erwähnt, dass sie das Mädchen so nennen würde. Sie hat ihn nie vergessen und so kannten auch ihr Mann und ihr Sohn diesen Namen. Trotz ihres eigenen heißen Begehren nach ihrer Tochter habe sie nie versucht mit ihr Kontakt aufzunehmen, da sie Tanja und Dagmar, die sich für ihre Tochter so bewundernsvoll, wie keine andere Frau auf dieser Welt, aufgeopfert habe, Schaden wollte. Sie konnte sich nicht mehr halten und heulte jetzt wirklich herzweichend. Zwischendurch sagte sie nur immer wieder: „Bitte, bitte, helfen sie mir ... ich möchte meine Tochter so gerne einmal in den Arm nehmen und sie bitten, dass sie mir im Namen unseres Herrn verzeihen möge.“. Jetzt saß ein Robert Baier voll in der Patsche. Da waren eine Mutter und eine Tochter, die Hilfe von ihm erwarteten und er wusste nicht, was er nun machen wollte. Drei Tage lang beriet ich mich mit Gitte und dann hatte ich mich entschieden, wir brachen unseren Aufenthalt in Italien ab und fuhren zurück nach Neudorf. Ich lud Tanja ein ... und dann lief es so gut, dass ich mir nur vorstellen kann, dass in dieser Angelegenheit Gott seine Finger im Spiel hatte – eine andere Erklärung gibt es nicht. Ich begann: „Tanja, du musst jetzt ganz tapfer sein, denn das, was ich dir zu berichten habe, ist nicht einfach.“. Sie schaute mich an und sagte mit zitternder Stimme: „Du hast in Italien meine Eltern gefunden ... deshalb sehe ich ja auch wie eine Italienerin aus.“. Ich fragte erst mal: „Wie kommst du darauf, dass ich deine Eltern gefunden habe?“. Sie begründete mir das mit den Worten ihrer Mutter im Sterbebett und folgerte daraus, dass sie, wenn sie ihren Vater gefunden habe, erfahren würde, dass sie als Baby geklaut worden sei. Sie hing dann noch einen Satz an, der mir den Rest doch viel leichter machte: „Aber was auch war, ich werde Mutti immer liebend in meinem Herzen behalten ... eine bessere Mutti hätte ich nie haben können. Und ich verzeihe ihr schon jetzt, wo ich noch gar nicht weiß, was sie getan hat.“. Ich riss mich zusammen und sagte: „Tanja, ich habe nicht deine Eltern gefunden, denn du hast deinen Vater ein Leben lang gekannt, denn deine Mutti war in Wirklichkeit deine Schwester, die dir das Leben gerettet hat und sich für dich aufgeopfert hat. Derjenige, den du für deinen Opa hältst ist dein Vater. In Italien habe ich jetzt deine wirkliche Mutter gefunden.“. Jetzt erzählte ich ihr die ganze Geschichte und zwar in der Fassung ihrer Mutter. Nachdem alles raus war, was ich schweren Herzens zu berichten hatte, sah Tanja irgendwie glücklich aus. Und plötzlich brach aus ihr heraus: „Robert, fährst du bitte noch einmal nach Neapel ... diese mal bitte, bitte auch mit mir. Ich möchte meine Mama ... so sagt man doch dort – und meinen Bruder Luigi auch gerne mal in den Arm nehmen. ... Das einzigste Problem was ich jetzt habe ist, ob ich, wenn ich von meiner Schwester, der besten Frau die es auf dieser Welt gibt, spreche, kann ich dann weiter Mutti sagen oder ...“. „Lass es bei Mutti,“, sagte ich ihr, „denn damit ehrst du deine Schwester, die für dich immer deine Mutti war und sein wollte, am meisten.“. Und wider erwarten schien mir Tanja an diesem Tage sogar glücklich zu sein. In der Folgewoche fuhren wir dann wieder nach Neapel. Ich hatte Frau Cantalupo angekündigt, dass ihre Tochter, die inzwischen alles wisse, mit uns käme. Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Telefonleitung plötzlich vor Glück überschlug. In Neapel hatte ich Tanja nicht darauf aufmerksam gemacht, als wir uns schon nahe dem Hotel befanden, denn das arme Mädchen war vor Aufregung schon ganz durchgedreht. Als wir vor dem Hotel vorfuhren war es passiert: „Tanja, riss die Wagentür auf und tönte mir ist schlecht, ich muss brechen.“. Brechen musste sie nicht aber ich hatte das Gefühl, dass sie im Moment nicht ansprechbar war. Wir standen da gerade mal zwei Minuten vor dem Haus, als Frau Cantalupo zu uns heraus trat. Ich schließe daraus, dass sie wohl auch sehr aufgeregt hinter dem Fenster gewartete hatte. Eine solche Warterei muss eine Tortur sein. Die Hotelierfrau lief gleich auf die hintere Wagentür zu, wo Tanja zusammengekauert bei offener Tür saß. Urplötzlich löste sich die junge Frau aus ihrer Starre und sprang in einem Satz mit den Worten „Mama, Mama“ auf Frau Cantalupo zu. Damit war der denkwürdigste Fall meiner Laufbahn endgültig erledigt. Er war anders ausgegangen, als ich anfangs dachte. Dies gilt auch für meine Honorarvorstellung: Ursprünglich dachte ich das ja als eine reine Privatsache auch noch aus der eigenen Tasche zu finanzieren. Cantalupos bestanden aber darauf, mir mindestens meine Auslagen zu erstatten und darüber hinaus wohnte ich dann noch drei Wochen kostenlos in deren Haus. Wenn ich das von vornherein gewusst hätte, wäre ich natürlich schnellstens nach Hause gefahren. Aber ich erfuhr das erst, als ich meine Rechnung bezahlen wollte und man sich strickt weigerte, von mir Geld zunehmen. Noch etwas zum Happy End: Jetzt im Moment, wo ich diese Geschichte schreibe, ist Tanja gerade wieder in Italien bei ihrer Mutter und ihrem Bruder. Schließlich sind ja auch bis Oktober Semesterferien. Aha, Sie haben rausgehört, dass Tanja jetzt studiert. Richtig – und ihre Mutter lässt es sich nicht nehmen ihr dieses zu finanzieren. Dieses hatte sie als Mutter, genauso übernommen wie die Pflege von Dagmars Grab, zu der sich verpflichtet fühlte. Hin und wieder ruft mich Frau Cantalupo an und nie vergisst sie dann immer noch zu sagen:
„Jetzt weiß ich wie unendlich groß die Liebe und Gnade unseres Herrn ist. Er hat mir die Vergebung zu Teil werden lassen, die ich durch nichts verdient habe und sie waren als Engel in seinen Diensten zu uns gesandt worden.“. Damit wäre diese Geschichte bis zum glücklich Ende erzählt. Jetzt wird es Zeit, dass ich Ihnen verrate, warum ich diese Geschichte überhaupt niedergeschrieben habe. Mit anderen Worten: Ich gedenke jetzt ein Fazit zu ziehen, denn ich habe dieses ja nicht „Just for fun“, nur zu Unterhaltung, gemacht. Also folgen Sie mir noch ein klein Wenig, nur noch ein paar Zeilen. Mir ging es, wo ich mich zur Niederschrift niedersetze, so wie es vermutlich dem Gesellschaftskritiker Reiner Vial, der seine Werke kostenlos auf der Homepage www.reinervial.de anbietet. Ich wollte zum Nach- und Überdenken anregen. Ich wollte zeigen, dass jedes Ding seine zwei unterschiedlichen Seiten hat und wir beide sehen müssen, wenn wir es beurteilen wollen. So wie auf einem EinEuro-Stück nicht nur Adler oder Eins aufgeprägt sind sondern immer Adler und Eins. So ist es auch im menschlichen Leben und Handeln. In diesem Fall lernte ich, wie in keinem anderen Fall, bei jeder beteiligten Person immer zwei Seiten kennen. Meist erst die negative, für Dritte immer am schnellsten erkennbare, und dann, wenn ich genauer hinsah, die positive. Wenn ich beim Anblick der negativen immer gleich zum Stein greife und damit auf den Menschen werfe, treffe ich mit Sicherheit den Falschen, was ich aber erst weiß, wenn ich die andere Seite gesehen habe. Warum greifen wir überhaupt zum Stein? Sind wir denn selbst ohne Sünde, dass wir so etwas überhaupt können. Sicher gibt es Priester, bei denen der Mensch, der Mann, die Oberhand gewinnt und dieses sie zu Vätern werden lässt. Die einen stehen dazu, die anderen nicht. Aber es gibt auch Priester, wie der Alptaler Pfarrer Gasparini, die loyal und treu ihre Pflicht tun und sich an das Zölibat halten. Dagegen gibt es auch im Priestergewand Verbrecher, die ihre Taten darin begangen haben, so wie Antonia Cantalupos Großvater. Durch das Leben von Frau de Broer erfuhren wir, dass eine Mordhelferin und Engelsmacherin Sterbenden beistehen und werdendes Leben retten kann. Wie dumm sind wir eigentlich, wenn wir andere Menschen vorab verurteilen und sie mit Vorurteilen belegen. Aber das, was wir als Recht empfinden kann auf der anderen Seite belastend und vernichtend sein. Wie ist das denn mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft wenn dieses Kind auf der anderen Seite daran zerbrechen kann. Der Fall Tanja hätte auch anders ausgehen können. Was bringt es den Kindern unbekannter Väter, wenn sie erfahren wenn ihr Vater ein Priester ist. Wie vernichtend ist es, wenn jemand in der Hoffnung auf einen Millionär zu treffen plötzlich auf einen lebenslang einsitzenden Mörder trifft. Wird dann dem Kind sein Recht seine Herkunft zu kennen nicht zum Verhängnis? Ist es segensreich, wenn durch das Recht des Kindes eine glückliche Ehe, die ohne das plötzliche hereinbrechende Kind Bestand gehabt hätte, zerbricht? Wer sind denn die Eltern eines Kindes: Die, die es mit Liebe und Aufopferung groß gezogen haben oder die, die es gezeugt oder geboren haben? Alles hat seine zwei Seiten, nicht Adler oder Eins sondern immer Adler und Eins.
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Börsianer und andere Spielsüchtige Gut das ich jetzt nicht mit dem Gesicht meines Bruders herumlaufen muss. Sicherlich kennen Sie bereits diesen meist scherzhaft gemeinten Flappsus. Aber meinerseits ist das jetzt kein Flappsus sondern diese Aussage ist hier todernst gemeint. Wenn ich nämlich Alfreds Gesicht hätte würden manche meiner Wege durch vorläufige Festnahmen und sonstige, die Freizügigkeit einschränkende Zugriffe auf meine Person mehr als nur behindert. Alfred wird nämlich gesucht, denn er hat etwas getan, was in den Köpfen der Leute, die die Meinung der Massen vorzugeben pflegen, das Schlimmste ist, was man auf dieser Welt machen kann: Er hat deppe Anhänger des Gottes Mammon um einen Teil von dem, wo sie offensichtlich viel zu viel von haben, gebracht um es seiner eigenen Tausch-Hilfsmittel-Sammlung hinzufügen. Wie bitte, Sie wissen nicht, was eine Tausch-HilfsmittelSammlung ist? Ganz einfach: Geld ist, wie es aus den ersten Wirtschaftskundestunden in der Schule bekannt ist, nichts anderes als ein Tauschhilfsmittel ohne eigenen Wert. Wir Menschen tauschen Waren, Güter und Dienstleistungen unterschiedlicher Größe und Werte mit- und untereinander. Der Bäcker hat Brot und Brötchen, der Autohändler hat der Fortbewegung dienende spätere Schrotthaufen und der Frisör hat nichts anders zubieten als seiner Hände Arbeit, mit dem er den Bewuchs unserer Häupter bearbeitet. Zwischen Bäcker und Frisör würde ja noch ein Tauschhandel funktionieren, denn von den 40 bis 50 Brötchen, die der Bäcker für den Haarschnitt hergeben muss, kann der Haarkünstler erst mal seiner Familien ein ausgiebiges Frühstück spendieren und den Rest kann er, vorausgesetzt die Brötchen sind inzwischen nicht hart geworden, anderweitig eintauschen. Aber Bäcker und Frisör hätten doch Schwierigkeiten mit dem allerwertesten Autohändler. Wenn wir den Wert eines Töfftöff mit 20.000 € und den eines Brötchens mit 40 Cent annehmen, dann müsste der Herr der Backstube 50.000 seiner Werke mit zum Autohändler bringen, wenn er zukünftig sich mit Benzingestank und Motorenlärm fortbewegen will. Und wo soll der dann bedauernswerte Herr Autohändler diese innerhalb eines Tages wieder eintauschen, damit er seine, von Brötchen zugeschütteten, Halle wieder für weitere Neuwagen freikriegt. Selbst wenn er seine Familie und die seiner Mitarbeiter und Freunde beköstigen würde, wäre der Brötchenberg nur unwesentlich abbaubar und wenn diese dann steinhart geworden sind, will diese sowieso keiner mehr haben. Da kamen die Menschen schon zu Urzeiten auf den Trichter, sich Hilfsmittel zu Erleichterung des Tausches zuzulegen. Früher in der Schule, so bei den ersten Stunden, erzählte man uns immer so etwas von Muscheln und so. Aber unwichtig: Wir nennen unsere heutigen Tauschhilfsmittel Euro, Dollar oder Yen beziehungsweise als Sammelbegriff Geld. Das Prinzip ist ganz einfach: Man ordnet den Autos, Haarschnitten und Brötchen einen fiktiven, aber möglichst angemessen Zahlenwert des Tauschhilfsmittels zu und schon können alle miteinander beliebige Güter, Waren und Dienstleistungen tauschen und das ganze nennt man dann Wirtschaften. Daraus folgert aber dann ganz zwangsläufig, dass alles nur auf Dauer funktionieren kann, wenn die Tauschhilfsmittel im ausgewogen Verhältnis zu den, jetzt zum dritten Mal zitierten, Gütern, Waren und Dienstleistungen stehen. Misst man den Tauschhilfsmitteln einen Eigenwert zu wird es auf Dauer höchst unangenehm. Dann könnten die Jünger des Gottes Mammon beim Tanz ums Goldene Kalb in ihrer egomanischen Manier auf den Gedanken kommen es auf einen, nur ihnen zuzurechnen Haufen zu sammeln. Damit zieht man das Hilfsmittel aus dem Tauschverkehr und für die wahren Werte stehen dann nicht mehr ausreichend Hilfsmittel zur Verfügung. Davon betroffen sind dann erst mal diejenigen, die ohnehin zu Wenig haben. Hunger und Not sind eine logische Konsequenz aus dem Reichtum weniger. Notleidende Menschen sind hörig für Rattenfänger aller Art, sei es ein Lenin, ein Hitler oder ein Osama Bin Laden. Und diese „Schurken“ schüren zu ihren Gunsten ihrer eigenen Macht sozialen Neid und Unzufriedenheit. Haben diese Leute mal genügend hilfswillige Anhänger um sich gescharrt sind Sachen wie Revolution, Krieg und Terroranschläge, wie die vom 11. September 2001, gar nicht mehr so verwunderlich. Natürlich sind die Leute, wie diese Menschenverächter, wie ich sie eben nannte, Schuld an den Verbrechen aber ihre mitschuldigen Steigbügelhalter waren die großen, vom Mob in den Industriegesellschaften verehrten, Tauschhilfsmittelsammler. Zu diesen berüchtigten Tauschhilfsmittelsammlern gehört oder gehörte mein Bruder Alfred auch. Der hat nur einen Fehler begangen: Statt zusehen wie man den sozial minderbemittelten, wie zum Beispiel Stützeempfänger oder Kleinrenteneinstreicher beziehungsweise Scheinasylanten genannte Hungerflüchtlinge, den Margarineersatz vom trockenen Graubrot streichen kann hat sich Alfred an seine Glaubensbrüder heran gemacht. Die haben ja einerseits den Vorteil, dass ihr Gott Mammon die, für sie hinderlichen Gefühle wie Menschlichkeit und Mitgefühl gegen unbändigen Egoismus und Raffgier ausgetauscht hat, aber dafür haben sie jetzt Schwierigkeiten mit der logischen Nutzung des ihnen vom Schöpfer anvertrauten Denkapparates. Da kann man ihnen schon mit eigentlich dümmlichen zweistelligen Gewinn-, Dividende- oder Zinsversprechen einen stolzen Anteil ihrer Sammlung abgaunern. Und genau das hat unser Alfred gemacht. Jetzt suchen sie den, in ihren Augen schlimmsten Verbrecher unserer Zeit. Da die allgemeinen Meinungen heute von Geldmenschen wie Medienbesitzern, Bankfiosis und „Mann Ätschern“ dem Herdenwesen Mensch einsuggeriert werden entsteht eine richtige Schieflage: Da kommen Vergewaltiger und Kinderschänder mit ein paar Monaten davon, Ehefrauen- und Kinderschläger werden überhaupt nur unter bestimmten Vorraussetzungen strafrechtlich verfolgt und so einen
Tausch-Hilfsmittel-Umschichter, wie meinen Bruder, droht man mit bis zu 15 Jahren obwohl diejenigen, die er geschädigt hat, sich so dumm benommen haben, dass sie den Verbrecher eigentlich noch für den Nachhilfeunterricht in Sachen „Leben und Denken“ honorieren müssten. Na ja, als Christ bin ich sowieso der Meinung, dass wir, um selbst nicht verurteilt zu werden, nicht urteilen dürfen aber wenn es schon sein muss, dann sollte man die Dimensionen nicht vertauschen. Meines Erachtens ist es sehr, sehr schlimm, wenn man Menschen, Gottes Ebenbild schädigt und das Übersohrhauen von Tauschhilfsmittelsammlern ist dagegen doch eher von geringer Bedeutung. Trotzdem messen Big-Meinungs-Macher und Politikusse in ihrer sadistischen Wut dem Wirtschaftskriminellen das drakonischere Strafmaß zu. Und selbst dabei gibt es dann noch Unterschiede. Da gibt es Politschwätzer, die sich zum Beispiel für eine Amnestie für Steuerhinterzieher stark machen und Schwarzgeldschieber in den eigenen Reihen hält man noch für Ehrenmänner. Daraus schließe ich, dass der Steuerhinterzieher, der die Allgemeinheit im großen Ausmaß beraubt hat, nach deren Meinung ein Kavaliersdelikt begangen hat, der Frauen- und Kinderschänder ist ein Kleinkrimineller und derjenige, der sich an einer Tauschhilfsmittelsammlung vergreift ein Erzverbrecher. Irgendwo sind da meines Erachtens doch die Dimensionen ein bisschen Viel durcheinander geraten. Aber nicht dass Sie glauben, ich wollte jetzt ein Plädoyer für unseren Alfred halten – beim besten Willen nicht. Ich wollte nur begründen, warum ich derzeitig froh bin, dass ich meinen eigenen Bruder nur wenig ähnlich sehe. Dabei ist das bei uns gar nicht so selbstverständlich, denn Alfred ist nur zirka fünf Minuten älter wie ich. Wir Brüder Alfred und Hellmut Blum sind nämlich Zwillinge. Natürlich zweieiige, denn ich habe von so großen Differenzen sowohl im Äußeren wie im Wesen, so wie es bei uns offensichtlich der Fall ist, in Bezug auf eineiige Zwillinge wirklich noch nie gehört. Unser Wesensunterschied drückt sich bei uns sowohl im Beruf wie in der Familie und auch in der Freizeitnutzung aus. Alfred erlernte den Beruf des Versicherungskaufmannes und schimpfte sich zuletzt Vermögensberater. Dagegen erlernte ich den Beruf des Erziehers, also ich wurde eine männliche Kindergärtnerin, und bin heute Leiter eines Ferien- und Freizeitheimes des Diakonischen Werkes. Familiär brachte es mein Bruder auf zwei Ehefrauen und einer Lebensabschnittspartnerschaft. Wenn Letzteres nicht mit „Raus aus meiner Hütte“ zu erledigen gewesen wäre, könnte er sich heute als dreifach Geschiedener rühmen. Dagegen heiratete ich meine Kollegin, also auch sie ist Erzieherin, Veronika vor 28 Jahren und wir beabsichtigen nicht, etwas an unserem Ehestand zu ändern weil wir immer noch glücklich miteinander sind. Mein Bruder war der Meinung, dass Steuervorteile und Kindergeld die Kosten, die durch Nachwuchs entstehen, nicht einmal im Ansatz kompensieren könnten und verzichte deshalb auf die Zeugung neuer Menschenkinder. Dagegen haben Veronika und ich drei Kinder, von denen das Jüngste, unser Nesthäkchen, mit jetzt 22 Jahren noch bei uns im Haushalt anzutreffen ist. Hinsichtlich Freizeitnutzung kann man betreffend meines Bruders sagen, dass er überhaupt keine Freizeit hat. Die Zeit, die hierfür zur Verfügung stände, verbringt er in der Regel in seinen elitären Clübchen, wie teuere und exklusive Tennis- und Golfclubs sowie im Lions- oder Rotaryclub, um dort entweder neue Kunden anzuwerben oder sich über die neuesten Trends und Strategien bei der am Finanzamt-Vorbeischleusung von Tauschilfsmitteln zu informieren. Ich dagegen tummele mich überaus gerne in zwei Bereichen. Einmal ist das unser Verkehrsverein Freudenthal und einmal ist das unsere, Gott sei Dank, noch calvinistisch ausgerichtete, evangelischreformierte Kirchengemeinde. Im Verkehrsverein bin ich der stellvertretende Vorsitzende und speziell zuständig für unsere Wanderwege. Um mich sachkundig über den Zustand der Wege selbst, der Auszeichnung und der Ruhebänke zu halten, bin ich zu allen erdenklichen Möglichkeiten in Wald und Flur von Freudenthal, bis auf Wenige Ausnahmen zusammen mit meiner Veronika, unterwegs. In der Kirchengemeinde bin ich Presbyter und dort sinniger Weise für unseren Kindergarten und die Diakonie zuständig. Außerdem leitet ich noch unseren Gemeinde-Jugendtreff. Dort machen wir je einmal im Monat eine Bibelarbeit beziehungsweise eine Art Internetcafé und ansonsten die Dinge, die jungen Menschen Spaß machen. Glauben heißt ja nicht sich von dieser Welt zu verabschieden sondern im Gegenteil, sie zu nutzen und zu erleben. Unsere Lebensauffassungen sind auch nicht mit einander vereinbar. Alfred glaubt immer was leisten zu müssen und das ohne Rast und Ruhe. Er hat die fixe Idee immer der Größte, Schönste, Schnellste oder ein sonstiger Superlativer sein zu müssen. Dieses aus dem Grunde, weil das Leben viel zu kurz sei. Als Atheist hat er panische Angst davor, dass er irgendwann, in jedem Fall viel zu früh, in die Urne käme und nicht überall dabei gewesen und dort der Strahlendste gewesen zu sein. Ich dagegen, glaube an den dreieinigen Gott und an das ewige Leben an seiner Seite. Nach meiner Überzeugung ist das Leben dazu da, um es zu erleben wobei das überall dabei sein gar nicht so wichtig ist. Für mich spielt es keine Rolle ob ich der Erste oder Letzte bin; Hauptsache ich habe es erlebt und ich konnte meine Seele baumeln lassen. Seltsamer Weise bin ich im Großen und Ganzen glücklich und zufrieden während mein Bruder immer darüber stöhnt wie ihm das Leben immer mitspielt und er immer für das, was anderen zufiele, immer hart arbeiten müsse. Ich kenne ihn nur unzufrieden und ständig nörgelnd. Nur eines haben wir offensichtlich gemeinsam: die Respektlosigkeit. Aber selbst da gibt es große Unterschiede. Gemeinsam ist uns, dass uns kein Mensch und sei er Papst, Präsident, Bundeskanzler, Megastar oder Bundesliga-Torschützenkönig vor Ehrfurcht die Knie zittern lässt. Alles nur Menschen, die, wenn wir ihnen
glauben und sie achten sollen, sich ihre Glaubwürdigkeit und Achtung bei uns erst verdienen müssen. Gleichgültig wer was sagt, glaube ich ihm das erst, wenn mein ureigener Denkapparat die Aussage bestätigen kann. Schlimm für Politikusse, denn ich höre im Wahlkampf bei den, von Ghostwritern zusammengeschmierten, mediengerechten Schönwortschwall gar nicht erst hin, ich messe sie an ihren Taten, also an dem, was sie in der Vergangenheit, nicht nur in der letzten Legislaturperiode, getan oder nicht getan haben. Es ist doch bei allen ein Riesenunterschied zwischen den Worten, die darauf anlegen, dass sie dem Mob so richtig schön runtergehen und sie betört, und dem was sich an Realpolitik abspielt. Das hat allerdings auch ab und zu sein Gutes, zum Beispiel dann, wenn sich Päule Politikus die Fremdenangst naiver Menschen im Wahlkrampf zunichte macht aber es dann im wirtschaftlichen Interesse es bei Andeutungen von braunen Streifen belässt. Der Unterschied zwischen meinem Bruder und mir liegt insbesondere darin, was wir über uns zu haben glauben. Für Alfred ist da nur Geld, mehr Geld und noch mehr Geld und für mich ist da der allmächtige Schöpfer dieser Welt, dem ich absoluten gehorsam schuldig bin. Dieser Unterschied wurde am gravierendsten deutlich als wir uns nach Überschreiten der 18.-Lebensjahr-Grenze für oder gegen den Wehrdienst entscheiden mussten. Alfred ging zum Barras und war noch stolz darauf, dass man ihm „Wer schneller schießt und besser trifft, lebt länger“ beigebracht hat. Ich dagegen stand auf dem Standpunkt, dass ich meiner Obrigkeit, so wie es der Apostel Paulus sagte, untertan bleiben muss. Also dass ich mich nicht gegen sie erhebe oder sie gar ersetzen will, denn diese Obrigkeit ist von unserem Gott selbst dahin prädestiniert worden. Aber den Gehorsam schulde ich ihnen nicht, den schulde ich nur unserem Gott und der sagt als Sohn zu uns: „Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist“. Dem Kaiser schulde ich, dass ich mich nicht gegen ihn erhebe und Gott schulde ich Gehorsam. Dieses gilt auch in Hinsicht auf das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“. Nach meiner Ansicht und der Aussage der Bergpredigt gilt das insbesondere auch gegenüber meinen Feinden. „Segnet die, die euch verfolgen und tuet Gutes denen, die euch nach dem Leben trachten“. Und da laut Jesus, bereits derjenige, der zu seinem Bruder „Rache“ sagt ihn getötet hat, trifft dieses uneingeschränkt auch für diejenigen, die sich zum Militärdienst ausbilden lassen. Deshalb unterwarf ich mich der damals noch üblichen Tortur, dass ich zur Gewissensprüfung vor dem, sich Prüfungsausschuss nennenden Tribunal erschien, und mich zum Kriegsdienstverweigerer erheben ließ. Die Bundesrepublik Deutschland dankte mir das damals damit, dass ich zwei komplette Jahre in einem Altenheim in Süddeutschland, wo ich von der Bevölkerung als Vaterlandsverräter angesehen wurde, dienen durfte während mein werter Herr Bruder schon nach 18 Monaten sein graues Kostüm wieder in der Kleiderkammer abgeben musste. Aber die Ansichten darüber, was unter uns zu finden ist, dürfte wohl der deutlichste Unterschied zwischen uns Zwillingsbrüder sein. Unter Alfred sind alle anderen, die er dahingehend auch als Vollidioten und Affen abhandelt. Ich glaube erhält sich für den einzigen leuchtenden Gipfel der gesamten Menschheit. Kein Mensch ist über ihn und keiner neben ihn, alle sind weit unter ihm; keiner kann ihm das Wasser reichen. Bei mir machen Oben und Unten diesbezüglich keinen Unterschied. So viel Menschen über mir sind, sind auch unter mir. Wir sind doch alle gleich wertvoll, wir sind die nach Seinem Bilde geschaffenen Lebewesen. Das heißt nicht, dass ich zu allen Leuten gut Freund bin. Nein, ich kritisiere das was andere sagen und tun, ich setze ihren Meinungen das entgegen, was ich glaube ihnen erwidern zu müssen. Dabei gehe ich auch, wie die Leute von mir sagen, sehr oft mit dem Holzhammer vor. Dabei habe ich noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen, denn das hat ja auch unser Herr Jesus Christus, zu dessen Nachfolge wir aufgerufen sind, auch getan. Aber eines gilt grundsätzlich: Deshalb sind die anderen nicht weniger wertvoll als ich selbst und auch mir müssen mal die Leviten gelesen werden. Deshalb finde ich es höchst unanständig, wenn man Menschen zu Objekten und sogar als wirtschaftshemmende Faktoren, als Scheinasylant, Kanaken oder Huren abstempelt. Menschen sind keine Objekte sondern unsere Brüder und Schwester und alles was wir denen antun, fügen wir, so wie es im Lukas-Evangelium steht, unserem Herrn zu und dabei laufen wir Gefahr unser wahres Leben zu verlieren. Es gibt Leute, die sagen dass Alfred alles von unserem Vater und ich alles von unserer Mutter mitbekommen habe. Das kann aber beim besten Willen nicht sein. Wir entspringen einer erzkonservativen Beamtenfamilie. Beide Großväter und unser Vater waren Beamte. Wie die beiden Großväter diesbezüglich so waren kann ich eigentlich gar nicht sagen, denn uns gegenüber waren sie immer nur stolze und freundliche Opas. Aber unseren Vater, ein Musterbeispiel für preußische Beamtokraten, kannten wir doch um einiges Besser. Ich glaube wenn der an Stelle des KZ-Transport-Organisators Adolf Eichmann gewesen wäre hätte das zum gleichen Ergebnis geführt, dann wären wohl dank seiner treuen Pflichterfüllung genauso viele Leute in den Gaskammern gestorben. Für Vater gab es nur eins: Treue Pflichterfüllung mit akribischer Gesetzbefolgung. Das wäre heute der ideale Leiter eines Ausländeramtes gewesen. Der könnte nämlich auch dann noch schlafen, wenn er wüsste, dass ein Mitglied der Familie, die aufgrund der Gesetzeslage und seiner Initiative abgeschoben wurde, aufgrund seiner Krankheit und der Versorgungslage in seinem Heimatland im nächsten halben Jahr sterben müsste. Aber diesen herzlosen Pflichterfüllern, so wie unserem Vater, wird es hinsichtlich ihres Gewissens auch leicht gemacht, denn selten mal wird das Schicksal dieser armen Menschen weiter verfolgt. Das müsste man eigentlich jedes Mal, denn die Zahl der Todesopfer deutscher Abschiebepraxis dürften nicht gering sein. Aber: Hauptsache wir sind die Scheinasylanten, die nur unser Geld wollen, los, denn das Boot ist nämlich voll. Diese menschen-
verachtenden Politschwätzer, die so etwas sagen, müsste man eigentlich strafrechtlich belangen können. Dass sind die gleichen Typen, die im Gegenzug lieber Leute, die aus religiöser Überzeugung sagen, dass Soldaten Mörder seien, als Schwerkriminelle behandeln möchten. Hier in Freudenthal war unser „Alter“, der seine gut bemessenen Staatszuwendung als Leiter des Sozialamtes erhielt, nicht gerade beliebt. Er hatte den Ruf, dass sich es sich noch nicht bis zu ihm herumgesprochen habe, dass der oberste Souverän in einer Demokratie das Volk ist. Also ihm soll nie bewusst gewesen sein, dass mit jedem Bürger ein Angehöriger seines obersten Dienstherrn vor ihm stand. Stattdessen soll er alle die zu ihm mussten – freiwillig begab sich sowieso niemand zu ihm – wie niedrigste Untertanen behandelt haben. Seine Auffassung von pflichtgemäßen Ermessen soll es gewesen sein, alle Fälle in 08/15-Manier, ohne menschliches Einsichtsvermögen, immer zu Gunsten des öffentlichen Haushaltes entschieden haben. Na ja, auch wenn einige über das Sozialgericht doch zu dem kamen was ihnen zustand, hat er dem Staat doch manche Mark – den Euro gab es damals noch nicht – gespart, denn die armen Würmer, die das Schicksal umgetreten hat, haben in der Regel nicht die Kraft sich zu wehren und eine Lobby haben die schon gar nicht. Zuhause spielte er das gestrenge Familienoberhaupt, der sich die Hände nicht schmutzig machte. Wenn er der Meinung war, dass einer von uns Jungens oder gar alle beide eine Tracht Prügel verdient hätten, delegierte er das geflissentlich an Mutter. Für die Anordnung von Stubenarrest hatte er sich auch für allein zuständig erklärt und auch da war Mutter für die Überwachung zuständig. Was dann allerdings für uns den Vorteil hatte, dass die doch häufig unbeamtokratisch einsichtig war und damit war dann unsere Pein, wenn Vater das Haus verlassen hatte, meistens beendet. Aber eine Strafe kannte mein bei uns Zuhause nicht: Taschengeldentzug. Das hatte aber nur den praktischen Hintergrund, dass wir überhaupt kein Taschengeld bekamen. Wir mussten alles was wir haben wollten beantragen und begründen. Aber fairerer Weise muss ich doch sagen, dass wir dabei allerdings nicht zu kurz kamen. Teilweise standen wir so sogar besser wie Taschengeldbezieher da. Die anderen Macken unseres Vaters nehmen wir mal so wie sie waren. Das waren unter anderem: Das wir stets mit geraden Oberkörper am Tisch sitzen mussten, den Mund hatten wir konsequent zu halten wenn er sich mit Mutter unterhielt, Widerworte durften wir unter Androhung härtester Strafen nicht geben und auf Befragen, mussten wir den Inhalt der Tagesschau, die einzigste Fernsehsendung die wir sehen durften, präzise wiedergeben. Was gewesen wäre, wenn bei uns im Zeugnis mal eine Note schlechter als Drei gestanden hätte, kann ich nicht sagen, denn wir haben uns lieber kaputt gepaukt als das Risiko, das so etwas in den berühmten Giftblättern stehen könnte, einzugehen gewagt. Also, nach meiner Meinung hat von dem weder Alfred noch ich etwas mitbekommen. Ich glaube mein Bruder sogar noch weniger als ich, denn bei Alfred heiligt der Zweck jedes Mittel. Gesetz und Recht, die bei Vater oben anstanden, sind für ihn nur so staatliche Erfindungen, die man am besten umgeht beziehungsweise umschleicht. Deshalb ist er ja jetzt auch auf und davon. Und Mutter? Ja, das war Vaters stets sehr untertänige Sklavin. Für sie war die Aussage im 1. Buch Moses, der Genesis, dass die Frau dem Manne untertan sein müsse, ein unabänderliches Gebot und Vater nutzte das für sich auch reichlich aus. Überhaupt hielt Mutter die Bibel für ein vom Himmel gefallenes Buch, dass man Buchstabe für Buchstabe zu befolgen habe. Die sich aus einer solchen Auffassung ergebenen Widersprüche fielen ihr erst gar nicht auf. Sie hat nie gecheckt, dass die Bibel von sehr gläubigen Menschen geschrieben wurde, die dort niedergelegt hatten, wie sich Gott ihnen offenbart hat. Natürlich schrieben die Bibelschreiber dieses so, wie sie es und die Menschen ihrer Zeit verstanden. Wenn man sich dann nicht bemüht den Konsens, die wahre Aussage zu finden, kann da sogar haarsträubendes bei heraus kommen. Mit dem Wörtlichnehmen verschiedener Bibelstellen ist es sogar möglich, den kompletten Glauben ad absurdum zu führen. Und an solche Dinge, die einem näher zum Konsens und zum wahren Glauben bringen, wie die Briefe des Apostel Paulus, machte sich unsere Mutter ja nie heran. So ist sie auch nie über das 4. Kapitel im Römerbrief gestolpert, wo Paulus schreibt: Abraham kann sich seiner Taten rühmen. Aber nur vor Welt und nicht vor Gott. Für Gott zählt nur der Glaube. Unsere Mutter hatte, wie die Moslems und sogar auch die Katholiken, einen sehr tatenbezogenen Glauben. Sie hatte aufgrund ihrer Kindertaufe ohne vorhergehende Bekehrung, für die es nur mit Interpretation über 38 Ecken, zum Beispiel Kindersegnung, eine biblische Begründung gibt, einen Freifahrtschein in den Himmel. Aus meiner Sicht – und da ecke ich auch immer bei uns im Presbyterium an – ist die Kindertaufe nur ein Wasserplemperritual, dass nur durch das Taufversprechen der Eltern und Paten einen Sinn ergibt. Aber wer macht sich schon bei dem Familienfestanlass Taufe darüber Gedanken, dass er als Elternteil oder Pate vor Gott und der Gemeinde verspricht, dass er das Kind im christlichen Glauben erziehen will. Für die meisten ist das ohnehin nur ein feierliches Ritual wie bei der Eheschließung das Versprechen, zueinander zu halten, bis dass der Tod sie scheide. Überhaupt hatte es Mutter weniger mit dem Glauben, also dem Wort, wie mit den Taten. Was sich insbesondere in ihrer Vorliebe für das Liturgie genannte Stehaufmännchen-Spielchen mit viel Geplapper und Geleier ausdrückt. Sie hatte immer panische Angst davor, dass der Pastor zu lange predigen könne, weil dann Zeit am Liturgie-Ritual verloren ginge. Dabei ist die Verkündigung, die Predigt, das Wichtigste am Gottesdienst, denn der Befehl unseres Herrn lautet: „Und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“. Wahrscheinlich hat sie mit ihrer Glaubensauffassung die entscheidendsten Eckpunkte in unserer Erziehung gesetzt. Bei Alfred führte
es zur Abkehr; erst nur von den harten Kirchenbänken und dann ganz vom Glauben. Damit dürfte der Grundstein für seine menschliche Kälte und seine Überverehrung des irdisch materiell Vergänglichen gelegt worden sein. Bei mir führte es dazu, dass ich nicht wahrhaben wollte, dass dieser staatstreue Kuschglaube alles wäre. Deshalb beschäftigte ich mich sehr viel mit den Reformatoren Jan Huss, Martin Luther, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin und damit zwangsläufig mit dem Apostel Paulus, dessen Schriften ja zur Reformation führten. Dadurch fand ich dann zu dem strenggläubigsten aber auch aufsässigsten Reformationsglauben, dem Calvinismus. Hier in Freudenthal hat man als Protestant praktisch die Wahl zwischen einer lutherischen und einer reformierten, also calvinistischen Kirchengemeinde. Zwar ist die Glaubenstradition in der reformierten Kirche, bedingt durch das landeskirchliche Zepter, inzwischen auch ziemlich lutherisch verwässert aber dahingehend hatten wir in unserer Gemeinde mehr oder weniger bei der Pastorenwahl doch immer einiges Glück, so dass doch etwas von der, meines Erachtens richtigeren Auffassung Calvins übergeblieben ist. So habe ich mich nicht umsonst von meiner ursprünglichen lutherischen zur reformierten umgemeinden lassen. Als Presbyter möchte ich mich stets auch dafür verwenden, dass es trotz der mächtigen konservativen lutherischen Lobby, die den bequemeren Tatenglauben bevorzugt, dabei bleibt. Soviel also jetzt von dem großen Unterschied zwischen den Zwillingen Alfred und Hellmut Blum, der wohl nicht genetisch sondern im Glauben beziehungsweise Nichtglauben begründet ist und deren Fundament, das wohl unsere Mutter gelegt hat. Mit meinem Bruder habe ich schon seit über zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Zwar habe ich öfters versucht auf ihn zuzugehen, weil ich glaube als Christ zum ersten Schritt verpflichtet zu sein, aber ich konnte bis jetzt keinen Erfolg auf meine Fahne schreiben. Jetzt, wo er auf und davon ist, befürchte ich, dass es mir wohl nie mehr gelingt. Unser Zerwürfnis wurde durch meine zweite Schwägerin veranlasst. Die hatte die Eigenart, dass sie, wenn sie in Gesellschaft am Tisch saß immer glaubte die Alleinunterhalterin spielen zu müssen. Das mache ich ihr aber aus gutem Grunde nicht zum Vorwurf. Der gute Grund ist, dass ich mich selbst von dieser Eigenart nicht freisprechen kann. Auch das alles, was sie davon sich gab, nur populistisches Dummzeug war, kann ich ihr schlecht vorwerfen, denn mit Intelligenz war sie nicht gerade gesegnet und außer der Volksschule, wie sie es vor 1967 noch gab, hat man ihr keine Allgemeinbildung zukommen lassen. Und dafür kann ja nun wirklich niemand etwas. Diese Nachteile hatte sie genauso wie ihren doch sehr sexuell erregenden Körperbau ohne eigenes Zutun und insbesondere ohne irgendeine Schuld erworben. Aber Martinas Dauerthema ließ mir doch irgendwann mal den Kragen platzen. Sie tönte immer darüber was die Stütze empfangenden Faulenzer, die gar nicht arbeiten wollten, alles absahnten. Sie berichtete dann immer von irgendwelchen Leuten, die ein paar tausend Mark monatlich beim Sozialamt abholten und was die steuerzahlenden Mitglieder der Leistungsgesellschaft, zu der ihr Alfred und sie natürlich gehörten, dafür aufbringen mussten. Bevor wir an diesem Tag zu Mutters Geburtstag gingen war mir aus einem ganz anderem Grunde eine Laus über die Leber gelaufen, wie man so schön sagt. Die dadurch ein Wenig verwässerte Stimmungslage löste meine Zunge und ich wetterte los: „Martina, hast du dir überhaupt schon mal überlegt, dass du mit deinem Geschwätz Beamte, wie unseren Vater, zu Plemmis degradierst. Das Sozialamt ist ja kein Selbstbedienungsladen sondern alles was die Leute bekommen beruht auf gesetzlichen Grundlagen und wird, bevor es gezahlt, von meist sehr akribischen Beamten geprüft. Hast du ein Glück, dass Vater vor drei Jahren gestorben ist, sonst würde er dir jetzt den Kopf abreißen. Mir allerdings jetzt aber auch, weil ich nun meine Meinung sage. Das was den armen Tröpfen zubilligt wird halte ich schlicht für eine Verletzung der Menschenwürde. Und das die alle Faulenzer wären und in dieser heißen verrosteten sozialen Hängematte schaukeln wollen, kann nur so einfallslosen Lebedrauflostanten, wie du eine bist, aus dem Munde plumpsen.“. Damit hatte ich bereits ein Familienspektakel ausgelöst, dass aber noch nicht zum Zerwürfnis mit meinen Bruder führte obwohl dieser am Wortgemenge beteiligt war. Erst als sich Veronika, mein mir angetrauter Schatz, ihre Meinung dazu packte, war es dann vorbei. Mein Holde meinte: „Was hackt ihr eigentlich immer auf die Ärmsten der Armen ein. Die echten Staats- und Wirtschaftsschädiger gehören doch höheren oder höchsten Einkommensschichten an. Das sind doch die asozialen Parasiten, die Gewinne einstecken wollen während sie Verluste grundsätzlich sozialisieren. Oder wie soll ich das nennen, wenn sie die Leute zum Arbeitsamt schicken und sich anschließend darüber beschweren, dass in Folge dessen die Sozialabgaben steigen. Das sind doch die Typen die ihre Einkommen am Finanzamt vorbei ins Ausland schleusen, damit die Allgemeinheit nicht das erhält, was ihr zusteht. ... In meinen Augen glatter Raub ... Diesen kriminellen und parasitären Elementen muss man mal auf die Finger schauen. Das bringt letztendlich mehr als hinter den armen Würstchen, die sich ungerechtfertigt nur kleinste Sümmchen verschaffen, die großkriminelle Manager und Bankfiosis sowie die als Majonetten in ihren Diensten stehende sogenannte Politiker als Taschengeld bezeichnen, herzuhecheln. Die wahren Banditen, die unseren Staat mit der Zeit kurz und klein wirtschaften, sind Groß- und Spitzenverdiener.“. Da fühlte sich Alfred, von dem wir damals natürlich noch nicht wussten, dass der Begriff Wirtschaftskrimineller später mal tatsächlich auf ihn zutreffen sollte, angesprochen. Er erhob sich, ging türknallender Weise hinaus und war nicht mehr gesehen – auch von Mutter nicht. Das hat Mutter dann immer, insbesondere zu Weihnachten und zu ihrem Geburtstag, sehr wehgetan. Aber niemals hat sie Veronika oder mir irgendeine Schuld zugewiesen; auch da nicht, wo wir sie direkt darauf angesprochen haben. Aber bei der jetzt 90-Jährigen, die aufgrund ihrer Alters-
demenz nun in einem Pflegeheim ist, hatten wir aufgrund unserer Kinder, also ihrer Enkel, gegenüber meinem Bruder ohnehin immer ein Stein im Brett. Die große Tat unseres Alfreds hat seinen Ursprung im Jahre 1999 wo die Geld- und Raffgier den Verstand breiter Massen ausgeschaltet zu haben schien. Sie entsinnen sich doch sicherlich noch wie man damals im Chor von der in Deutschland endlich erwachten Aktienkultur sang. Der in der Liste der weltweit größten Schuldner auf dem dritten Platz stehende bisherige Staatsmonopolist Telekom – zuvor Deutsche Bundespost, Fernmeldedienst – war an die Börse gegangen. Shareholder hatten ganze Arbeit geleistet und „Anleger“ stürzten sich auf das Papier, dessen Absturz vorprogrammiert war. Ein Börsengang hat den Sinn Unternehmen Kapital zuzuführen, was sie investieren können oder mit dem operiert werden kann. Aber bei der Telekomik wollte man damit Schulden tilgen, was zwar hinsichtlich Zins- und Tilgungslasten Entlastung bringt aber das Unternehmen am Markt keinen Schritt weiterbringt. Im Gegenteil: Unternehmen mit Operativkapital ziehen in der Regel an dem Schuldentilger vorbei. Dann dürfte jedem, der sich mal mit dem Haushaltsrecht der öffentlich Hand und der Vermögensbewertung im Bilanzwesen der Privatwirtschaft beschäftigt hat, klar sein, dass erst im Laufe von ein bis fünf Jahren der Vermögenswert eines aus Staatsführung entlassen Unternehmens real ermittelt sein kann. Hintergrund ist der WBZW – Wiederbeschaffungszeitwert – mit denen in öffentlichen Vermögenshaushalten gerechnet wird. Beim WBZW geht man davon aus, dass die Kommune, das Land oder der Bund wichtige Grundversorgungs-Einrichtungen und so weiter aus dem Stand erneuern können muss. Dafür müssten eigentlich Rücklagen gebildet werden. Bei der Ermittlung des WBZW schreibt man, wie auch in der Privatwirtschaft, erst einmal auf den Neuwert ab und rechnet dann die Differenz zu den Kosten einer Neuinvestition wieder darauf. Beamtokraten ziehen zur Differenzermittlung die Preissteigerungsrate heran. Dann kann bei einem Telefonschalthäuschen, was ursprünglich mal einschließlich 10.000 Mark gekostet hat, im Lauf der Jahre mal schnell ein Wert von 50 bis 60.000 € werden. In Wirklichkeit handelt es sich aber um ein technisch überholtes Objekt, dessen Abbruchkosten den Grundstückswert deutlich übersteigen und zu was anderem ist dann nicht mehr nützlich. Bei einem Unternehmen welches mit sehr vielen solcher Kleinobjekte flächendeckend über die ganze Republik verteilt ist dauert es logischer Weise Monate bis Jahre bis man den wahren Bilanzwert des Unternehmens ermittelt hat und deshalb kann beim Börsengang im Grunde nur ein Vermögenswert, der Pi mal Daumen ermittelt wurde aber mit großer Wahrscheinlichkeit überhöht ist, genannt werden. Dann muss man bei Exstaatsunternehmen immer davon ausgehen, dass aufgrund vorheriger beamtokratischer Abläufe ein weit überhöhter, unbeweglich arbeitender Personalstand vorhanden ist, weshalb dann das Unternehmen nicht wettbewerbsfähig sein kann. Der muss, insbesondere weil es sich zuvor um ein Staatsunternehmen handelte, sozialverträglich abgebaut werden. Das kostet erstens viel Geld und dauert zweitens auch eine gewisse Zeit. Als Nächstes muss berücksichtigt werden, dass eine korrekte, auf Gleichbehandlung aller ausgerichtete, Verwaltung des Geldes der Bürger der oberste Grundsatz beamtokratischer Arbeit ist. Aber mit der kann man in einer Marktwirtschaft keinen Blumentopf gewinnen. Der Austausch der falschen Leute, ehemals öffentliche Bedienste, gegen die richtigen, mit denen man sich im Wettbewerb behaupten kann, stand als weiterer Punkt auf der Tagesordnung des Wirtschaftsneulings. Rein theoretisch kann man Personalabbau mit der zweiten Sache verbinden – aber nur theoretisch. Es ist doch rein menschlich, dass derjenige, der auch anderweitig, das heißt im freien Wettbewerb, eine Chance sieht als erster angebotene Abfindungen abstaubt und geht. Währendessen bleibt der bisherigere, in seiner Arbeitsweise dem Öffentlich Dienst kompatible, an seinem Arbeitsplatz kleben. Diesen durchzuschleppen ohne dabei sein soziales Gesicht zu verlieren und diesem nach und nach „umzuerziehen“ ist ein weiterer dicker Kostenbrocken, der der Telekom AG mit in die Wiege gelegt wurde. Was jedem, der ein Wenig überlegt, zum Zittern hätte bringen müssen, ist die viel gerühmte Globalisierung, also die Deregulierung der Kapital- und Handelsmärkte, in Verbindung mit dem Trümmerhaufen Telekom. So bald dieses Unternehmen kursmäßig auf realen (unteren) Niveau liegt, ist es der ideale Übernahmekandidat für Milliardengiganten. Das Einzigste, was die Telekom bisher schützte ist der hohe Staatsanteil, der immer noch in dem Unternehmen steckt. Wer ein anderes Unternehmen schluckt will es beherrschen und an einer Gräte, wie einem großen Staatsanteil, kann man sich leicht schmerzhaft verschlucken. Aber die Bundesrepublik Deutschland will sich ja nach und nach, in diversen Margen, aus der Aktiengesellschaft zurückziehen. Dann hilft doch nur eins: Man muss selbst ein solcher Moloch geworden sein, damit andere das Maul gar nicht soweit aufkriegen können, dass die Telekom hineinpasst. Mit anderen Worten: Die Telekom war zum Zukauf genötigt. Zum Kaufhandel gehören aber Zwei: Einer der kaufen will und einer der sich kaufen lässt. Und das wiederum war ein üble Sache für die Telekom. Unter ihren eigenen Voraussetzung dürfte sie wohl nur Halbwertiges zum doppelten Preis bekommen können. Dahingehend bewundere ich den Manager Ron Sommer, der inzwischen von den wirtschaftlich unbeleckten Herren Schröder und Eichel weggemobbt wurde, dass er den Mut zur Führung eines solchen Unternehmens hatte und was er doch noch daraus gemacht hat. Alles das war anno 1999 mit nur ein Bisschen Überlegung ersichtlich. Auch der Gesellschaftskritiker Reiner Vial, der seine Werke auf der Homepage www.reiner-vial.de kostenlos zum Download anbietet, deutet dieses in seinem 1999/2000 entstandenem Buch „Der Schwiegersohn auf Baluway“ an und das Vial prophetische Gaben
hat möchte ich jedoch bezweifeln. Dieses heißt dann aber im Gegenzug, dass man, wenn man nicht mit den Massen gejohlt hat und dafür ein Wenig überlegte, dass Desaster 2002 voraussehen konnte. Wenn man sich aber nachträglich den Klamauk, der damals in Deutschland veranstaltet wurde, ansieht, muss man ja von dem schlechten Ergebnis der P.I.S.A.-Studie direkt positiv überrascht sein. Denn der Medienrummel, das Geschwätz der Politikusse, das Kluggetue der Wirtschaftsverlenker und der Volksmund ließen, aus meiner Sicht, das deutsche Volk total verblödet erscheinen. Ja, ja, der Vorteil einer Mediengesellschaft: Mit den Massenmedien hat man ein erstklassiges Instrument die Massen zu verblöden und die lassen sich dann wieder wunderbar ausnehmen. Alles auf meinen Haufen und dann nach mir die Sintflut. T-Aktie hieß damals das beliebstete Glückspiel im Spielcasino Börse. Aber es gab dort auch noch andere Spiele für Leute die den Denkapparat abgeschaltet hatten. Die wurden im Saal „Neuer Markt“ gespielt und waren so recht nach dem Geschmack von unrettbaren Spielsüchtige. Da verkaufte man Schneeballsysteme und Illusionen für die es in der realen Wirtschaft überhaupt keinen Platz geben dürfte. Selbst der CVJM war flott im Propagandieren von Schneeball Systemen. Da war in unserer Gemeinde mal ein CVJM-Mensch zu einem Referat zu Gast der behauptete, dass es 1997 fünf Millionen Internetteilnehmer gegeben habe und sich diese Zahl bis Mitte des folgenden Jahrhunderst Jahr für Jahr verdoppeln würde. Ich rechnete ihm vor: 1997 fünf und 1998 zehn und weiter 1999 zwanzig Millionen Teilnehmer, was ja noch angehen kann. Die vierzig Millionen in 2000 dürften auch noch möglich aber die Schallmauer sein, denn im Jahre 2002 – also jetzt – ist mit 80 Millionen Teilnehmern die gesamte Bevölkerung vom Neugeboren bis zum im Sterben liegenden Greis am Netz, wobei kein Anschluss von Familienangehörigen doppelt oder mehrfach genutzt wird. Im Jahre 2003 ist dann die Bevölkerung der Europäischen Union in Deutschland vernetzt. Da wurde natürlich jemand zum Spinner erklärt – aber nicht der Wiedergeber des Schneeballsystems sondern ich. Na ja, Spieler haben halt ihre eigene abstrakte Mathematik. Noch fantastischer kam mir ein ausgeflippter Yuppie, der sich als Gründer einer Aktiengesellschaft am neuen Markt betätigt hatte, vor. In einer Talkshow kanzelte er Leute, die von realen Werten, von Produktivität und Wertzuwachs, sprachen, damit ab, dass man an der Börse, gerade im Bezug auf das Internet, nicht mit den trockenen hergebrachten Theorien sondern mit Illusionen arbeiten müsse. In seinem Spinn tönte er, dass ein Kalenderjahr zwei bis drei Internet-Jahren entsprechen würde. Na ja, ein bisschen Begeisterung fürs eigene Handeln muss man den Leuten schon eingestehen. Aber das die Leutchen nichts produzieren und eigentlich mit nichts handeln wollten stimmte mich doch mehr als bedenklich. Er wollte alles mit Werbung finanzieren. Au weia, wenn alle so denken bleibt doch nur, dass man sich gegenseitig mit Werbung finanziert. Wenn man aber Gleichwertiges gegen Gleichwertiges tauscht, wo kommt dann noch der Zuwachs, der nicht gerade Mondkurse aber doch hohe Kurswerte rechtfertigt, her? Was bringt es den Menschen, wenn ein Wirtschaftsfaktor ein Eigenleben beginnt? Wirtschaften des Wirtschaften halber hat doch nur billigen Unterhaltungswert; ein Spiel und sonst zu nichts nutze. Ja, die Stimmung im Jahre 1999 war wirklich meilenweit jenseits von Gut und Böse. Ein Absturz in die Realität war also vorprogrammiert. Dann traten noch einige Ereignisse ein, die den Sinkflug der Aktienkurse dann auch noch beschleunigten. Bei den Handys zeigte sich als erstes, dass Schneeballsysteme nicht funktionieren. Mit 48 Millionen Teilnehmern hatte man Marktsättigung erreicht und es blieb nur das Geschäft im Bereich der Ersatzinvestition, was sich natürlich auf die Werte der Handyhersteller und Tele-Kommunikations-Unternehmen auswirken musste. Da kam zu deren vermeintlichen Glück eine neue Technologie auf, auf man die Konsumenten umpolen wollte. Als aber ein, sich Finanzminister nennender, Herr Eichel aus UMTS „unerwartete Mittel zur Tilgung von Staatsschulden“ machte und die Lizenzen zum Horror-Wucher-Preis versteigern ließ, war es bei den Tele-Kommunikations-Unternehmen vorbei mit der Hoffnung auf einen Wiederaufstieg, da ging es weiter bergab. Die Lizenzkosten belasteten die Unternehmen, die ja auch noch in die Entwicklung und in die Etablierung der Technologie investieren müssen. Die dürften auf Jahre hinaus noch rote Zahlen schreiben dürfen. Wer aber mit dem Rotstift an die Steuererklärung geht zahlt keinen einzigen Cent an Steuern, was sich dann langfristig wieder auf den Staatshaushalt auswirkt. Dann werden aus Eichels „Unerwartete Mittel zur Tilgung von Staatsschulden“ schnell „Unsinnige Maßnahmen zur Tatsächlichen Schuldenvergrößerung“. Denn das, was jetzt an Steuern nicht hereinkommt, kann man nur durch Steuererhöhung (= Kaufkraftabschöpfung und damit weiteres Neiderknüppeln des Binnenmarktes) oder durch erneute, höhere Nettoneuverschuldung ausgleichen. Was die Bundesregierung da veranstaltet hat ist nun wirklich nicht sehr intelligent gewesen – aber das ist ein anderes Thema. Was die Mondkurse weiter abrauschen ließ sind die teils dümmlichen und teils kriminellen Geschehnisse in den Neuen-Markt-Unternehmen. Von Heute auf Morgen wurden aus hochgehandelten Werten Pennystocks. Von den Ereignissen vom 11. September 2001 sowie von den hochkriminellen Machenschaften in amerikanischen Unternehmen, die es nach meiner Schätzung wohl auch bei europäischen Unternehmen gab, wie sich bestimmt noch herausstellen wird, wollen wir gar nicht erst reden. Da spreche ich lieber von den altbekannten Börsenzockerspiel über die kein Mensch Kleinanleger aufgeklärt hat. Man lässt sich von Shareholdern, Propaganda-
knechte die man schönredend Analysten nennt, ein Unternehmen schön schwatzen. Dann steigt man in diesem selbst mit größerem Kapitaleinsatz ein. Der Kurs schnellt nach oben und der naive Anleger springt auf den fahrenden Zug auf. Dadurch schießt der Kurs dann noch ein Tick schneller bergauf. Wenn dann der Kurs kurz unterhalb des Mondes steht, steigt der Zocker blitzartig aus. Der Kurs stürzt ab, der Zocker hat sich eine goldene Nase verdient und derbe bluten muss der Naivanleger. Übrigens, ich habe jetzt ein paar Mal von Anlegern geschrieben. Da entsteht leicht der Eindruck dass es sich bei Aktien um klassische Anlagen handele. Bei einer klassischen Anlage gibt man ein bestimmtes Kapital hin und bekommt nach einer gewissen Zeit dieses mit Zinsen und/oder Gewinnbeteiligung zurück. Klar, dass es gewisse Leute gibt, die diesen Falscheindruck nutzen um Lieschen Müller wie Hänschen Meier an die Börse zu locken. In diesem Sinne ist das Wort Anlage bei Aktien durch die Bank falsch. Aktien sind einerseits Anteilsscheine an Unternehmen und andererseits Spekulationseinsätze. Abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und der Spekulantenlaune kann da eine ganze Menge passieren. Aktien sind also Risikopapiere und keine Festanlagen. Wenn man das nicht erkennt, sollte man von der Börse fernbleiben weil einen sonst die spielsüchtigen Profizocker sehr leicht das Fell über die Ohren ziehen können. Wenn man an die Börse geht, sollte man nicht die Analysen genannten Hochglanzprospekte der Banken lesen sondern die, von Treuhändern geprüften Bilanzen der Aktiengesellschaft. Wenn man dazu nicht in der Lage ist, sollte man besser bei Versicherungsgesellschaften nach Kapitalversicherungen mit Gewinnbeteiligung oder bei den Banken nach festverzinslichen Papieren fragen. Und noch was Grundsätzliches: Aktien und auch Festanlagen immer nur mit dem Geld, was man wirklich überhat, kaufen. Alles andere, insbesondere aufgenommenes Kapital, kann zu fürchterlich blauen Augen führen. Jetzt habe ich mich etwas breiter, aber hoffentlich verständlich, über die Vorgänge an der Börse ausgelassen. Nun könnte dieser oder jene fragen: „Und wie verträgt sich das mit deiner christlichen sogar strenggläubig calvinistischen Auffassung, von der du weiter oben so getönt hast?“. Ja, genau deshalb erzähle ich diese Geschichte überhaupt. Wer sagt denn, das wirtschaftliches Handeln, darunter auch Börsengeschäfte, unchristlich sind? Die sind weder christlich noch unchristlich sondern sind rein irdisches Handeln mit denen wir unser Zusammenleben ordnen und unseren existenziellen Bestand, sprich Überleben, auf dieser Welt sichern sollen und wollen. Also ein Werkzeug was uns Menschen dienen soll. Also die Wirtschaft soll den Menschen dienen und nicht umgekehrt. Gottes Ebenbild ist absolute oberste Prämisse um die sich alles drehen muss. Dabei hat nach meiner Ansicht der wahre Christ auch nichts gegen den Reichtum Einzelner. Wer wollte schon etwas gegen den sehr reichen Urvater Abraham sagen. Also als Christ gibt es weder einen Grund etwas gegen Wirtschaft und Reichtum zu haben noch diese als Gottes Wille zu propagieren. Aber, aber ... Wenn es Leute gibt, die wie im Gleichnis vom reichen Kornbauern, alle Ressourcen in ihre Kornspeicher bringen wollen, wenn deren Handeln nur den Sinn hat Schätze auf Erden zu sammeln und dabei ihre Menschlichkeit abstirbt, dann muss man als Christ doch sein Wort erheben, weil uns der Herr den Missionsbefehl gegeben hat. Wenn zu Gunsten von Investionsanreizen schon ohnehin kaum ausreichende Sozialleistungen abgebaut werden sollen, wenn man Hungernde, die bei uns anklopfen, abweist weil die ja nur unser Geld wollen und wenn man angesichts des Hungers auf der Welt darauf hinweist, dass man sich hohe Entwicklungshilfe aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht leisten könne, dann ist der Christ gefordert. Dieses erst recht, wenn aus dem Tauschhilfsmittel Geld das Gold Kalb, das man als Gott verehrt, wird, denn er ist der einzige, allmächtige und ewige Gott neben dem wir, wenn wir nicht verloren gehen wollen, nichts und niemand verehren dürfen. Und deshalb habe ich mich hingesetzt um diese Geschichte niederzuschreiben. Ich möchte mich also dafür engagieren, dass wir alle Ressourcen und alle denen zugeordneten Tauschhilfsmittel dafür verwenden, dass alle Menschen auf dieser Erde satt werden, das wir unnötiges Leiden verhindern und das wir alle in Frieden leben können. Die Befolgung der Gebote hat also nicht nur mit dem Jenseits sondern viel mehr mit dem Diesseits zu tun. Die vom Schöpfer vorgegebene Ordnung ist die einzige mit der Menschen dauerhaft friedlich und glücklich zusammenleben können. Alle Ordnungen, die der Befriedigung des Egoismus Einzelner dienen, sind der garantiert aufgehende Samen für Neid, Missgunst, Krieg, Leiden und Tod. Im Kern meiner Niederschrift will ich zwei Seiten einer Medaille miteinander vergleichen und dabei feststellen, welche Seite die wertbestimmende ist. Etwa so wie bei einer Ein-Euro-Münze. Auf der einen Seite ist ein Adler und auf der anderen eine Eins. Wertbestimmend ist ganz ohne Zweifel die Eins aber ohne den rückseitigen Adler ist es keine Euro-Münze, zumindestens keine aus Deutschland stammende. So muss ich beide Seiten akzeptieren auch wenn es mir nur auf den Wert ankommt. Immer heißt es „Adler und Eins“ und nie „Adler oder Eins“. Auf der Medaille, die ich hier betrachten, möchte ist auf der einen Seite die Wirtschaft und auf der anderen der Mensch. Ich muss beide Seiten akzeptieren aber wertbestimmend kann nur die Seite, auf die der Mensch ist, sein. Die Wirtschaft muss immer den Menschen untergeordnet sein und bleiben. Der Massentrend sieht leider umgekehrt aus. Mit Medienpower versucht man die Menschen zu Gunsten der Wirtschaft zu versklaven. Da spiele ich weder als einfaches irdisches Wesen, was ich zweifellos bin, noch als Christ mit; da erhebe ich meine Stimme. Da will ich für Unruhe und Umbruchstimmung sorgen, da will ich Sand im Getriebe der Welt sein. Das
Glück der Menschen kann man nicht mit Geld einhandeln und Freiheit ist auch nicht vom Geld abhängig – da gilt eher das Gegenteil. Wau, jetzt haben wir das Fazit schon hinter uns und die eigentliche Geschichte von und um meinen Bruder Alfred ist bisher nur angedeutet aber noch nicht einmal im Ansatz erzählt. Vielleicht gut so, denn dann hätte vielleicht diese oder jener, nachdem sie oder er den Endpunkt der Geschichte gelesen zu haben glaubt, die Erzählung bei Seite gelegt und vielleicht nie erfahren, was ich eigentlich sagen wollte. Nun aber für den NurGeschichten-Fan die Story ohne weitere Abschweife. Alfred hatte sich auch von dem 99er-Wahn inspirieren lassen und eine haarsträubende Idee in Hochglanz auf Papier gebracht. Er bot eine auf Aktien basierende klassische Anlage mit Supergewinnversprechen an. Das war alles so plump konstruiert, dass jeder der mal eine Touristenführung durch ein Börsengebäude mitgemacht hat ohne weitere Vorkenntnisse erkennen müsste, dass das nie funktionieren kann. Seine Fantasie ließ ihn Leute größere Summen Geld einlegen, was mit Aktien, vornehmlich „zukunftsträchtige“ Technologie- und Telekommunikationswerte, abgesichert werden sollte. Er „garantierte“ nicht nur die 100%-ige Kapitalrückzahlung sondern eine Zinszahlung von mindestens 15 Prozent, aber hielt darüber hinaus 25 bis 35 Prozent für möglich. Das so etwas nur ein Spinn sein kann müsste jeden Menschen mit halbwegs normaler Intelligenz sofort klar sein. Hätte ich seinen Prospekt bereits im Erscheinungsjahr gekannt hätte ich doch glatt prognostiziert, dass damit kein Blumentopf zu gewinnen sei. Ich wäre der Meinung gewesen, dass Leute, die auf so etwas hereinfallen, aufgrund ihres Bildungsgrades nur unteren Einkommensschichten angehören könnten und so das geforderte Mindest-Einlage-Kapital gar nicht erst aufbringen könnten. Wenn ich aber die bekannten Leute, die auf den Blödsinn meines Bruders hereingefallen sind namentlich aufführen würde, drohten mir einige Prozesse mit gewaltigen Streitwerten. Nach dem die Justizmühlen gemahlen hätten wäre ich absolut Pleite. Da waren klangvolle Namen darunter, dessen Träger sich in den Medien als diejenigen, die die Weisheit gepachtet haben, ausgeben. Darunter Leute, die sich dazu berufen fühlen, der Bundesregierung weise Ratschläge zu verpassen. Wenn ich dieses Herren heute im Fernsehen sehe komme ich nicht um die Schenkelklopferei herum, weil ich sonst vor Lachen ersticken müsste. Mit meiner diesbezüglichen Lache bin ich übrigens sogar der Kripo aufgefallen, als diese mich nach meinen Bruder und deren Kontakte zu den Geschädigten befragten. Bei der Gelegenheit mussten sie mir ja zwangsläufig sagen wer die Deppen waren. Daraus ersieht man, das Raffgier ganz augenscheinlich blind und dumm macht. In 1999 und 2000 gaben Mitglieder der deutschen Polit- und Wirtschaftselite unserem Alfred fast 10 Millionen Euro und 2001 war von ihm nur wenig oder nichts zu hören. Dann kam der inzwischen zum Begriff gewordene 11. September. Einen Tag später fragte man nach Alfred und er war offensichtlich vom Boden verschluckt worden. Jetzt wäre es absurd, Alfred mit den Ereignissen des Tages in Verbindung zu bringen, es sei denn er wäre im World Trade Center in New York gewesen. Dann wäre zwar sein Verschwinden erklärlich aber wo ist dann dieser schöne Haufen Geld geblieben, denn den hätte er ja schlecht immer im Bimbes-Koffer bei sich tragen können. Der zeitliche Zusammenhang ist nur damit zu erklären, dass die Leute bei solchen Ereignissen immer gerne dazu neigen nach ihrem Gott oder nach ihren Göttern zu rufen und zu fragen. Und Mammonisten fragen halt nach den Verbleib dessen, was nach dem Bilde ihres Gottes, dem Goldenen Kalb, geschaffen wurde, nämlich nach ihrem Geld. Und dadurch fiel dann auf, dass augenscheinlich ein Alfred Blum mit samt ihrem Liebsten verschwunden war. Auch Alfred selbst dürfte keinerlei Hinweise auf diesen Tag gehabt haben sondern schon bereits vorher verschwunden gewesen sein, was nur erst am 12. September 2001 aufgefallen war. Im Mai des Jahres hatte man ihn letztmalig nachweislich gesehen. Das war im sauerländischen Altena. Was er dort gemacht hat weiß kein Mensch. Gegenüber der Kripo konnte ich nur erzählen, dass unser Alfred schon im Kindesalter unheimlich vom Mittelalter, Rittern, Burgen und Schlössern begeistert war. Da es in Altena eine Burg gibt, auf der übrigens die erste Jugendherberge der Welt gegründet wurde, konnte ich mir nur einen Zusammenhang zwischen seinen Kindertraum und seinem dortigen Aufenthalt erklären. Möglicherweise stand da sein Verschwinden in ein Land, wo es solche Reliquien aus seinen Kinderträumen nicht gibt, für ihn fest beziehungsweise unmittelbar bevor und er wollte nur in einem sentimentalen Anflug Abschied von den Träumen seines bisherigen Lebens nehmen. Ich weiß nicht genau ob es in diesem Monat war als er hier in Freudenthal in einem Auto vor unserem Haus saß. Als ich auf ihn zugehen wollte fuhr er davon. Das kam mir zwar komisch vor aber ansonsten sah ich damals auch keine besondere Veranlassung, mich mit diesem Vorfall zu beschäftigen. Jetzt könnte man sagen, dass doch bei einem Kapitalverkehr im großen Stil es möglich sein müsste anhand der Unterlagen der Banken zu verfolgen wie das Geld wohin geflossen ist, um so an den „Täter“ heranzukommen. Aber denkste, dass war nur bei so knapp über 100.000 € möglich. Die stammten von Kleinanlegern, die ihm zwischen 5.000 und 10.000 € gegeben hatten. Diese Sümmchen und deren Durchlauf bei Alfred waren sogar den Rittern von St. Fiskus bekannt, denn die hatte er sogar ordnungsgemäß verbucht. Diese Peanuts waren auch komplett, sogar sparbuchmäßig verzinst, noch vorhanden als man nach ihnen suchte. Ganz offensichtlich hatte er diese Beträge als Tätigkeitsalibi, damit sein wahres Tun nicht auffällt, benutzt. Für mich sehr tröstlich war, dass
er die kleinen Leute unter seinen Opfer doch offensichtlich verschont hatte. Aber bei den großen Summen müssen die Ermittler doch sehr im Dunkeln tappen. Die Geschäfte waren allesamt im Ausland, natürlich in unterschiedlichen Länder, oder im Bimbes-Koffer abgewickelt worden. Den Grund kann ich mir auch einfach erklären: Welcher Spielsüchtige lässt sich schon gerne fragen woher der Spieleinsatz stammt. Das gilt insbesondere dann, wenn er die Allgemeinheit um ihren Anteil an diesem Gewinn betrogen hat und man ungern von einem doch nicht so beliebten Finanzbeamten gesehen wird. Und dann suche mal jemand, insbesondere dann, wenn die Geschädigten im eigenen Interesse nur ausflüchtige Auskünfte gegeben, nach dem Verbleib des schnöden Mammons. Ich wurde von den Damen und Herren, die Kriminellen gerne auf die Spur kommen möchten, sprich der Kripo, gefragt ob ich mir vorstellen könnte, wohin sich Alfred „verdrückt“ hat. Darauf konnte ich ihnen nur sagen, dass wir uns als junge Leute mehrfach darüber unterhalten hatten, was wir machen würden, wenn wir bei den berühmten englischen Posträubern gewesen wären. Alfred hatte da eine nicht einmal schlechte Idee. Er würde an einen schönen Ort, wo die Gegend zur touristischen Erschließung nicht einmal angedacht sei, in einem armen Land verschwinden, weil dort die Wahrscheinlichkeit von niemanden entdeckt zu werden am Größten sei. Aufgrund der Armut der Leute könne man da mit Trinkgeld den Halbgott spielen, weshalb dann die Gefahr von den Einheimischen verraten zu werden am Geringsten sei. Er betonte bei dieser Gelegenheit dann immer auch: „Man, dann kannst du den Pascha spielen und alle Weiber von Achtzehn bis Achtzig vernaschen. So würde ich es bis zum Lebensende aushalten.“. Das einzigste Problem was er dabei sah war wie man, ohne aktenkundig zu werden, mit dem Geld über die Grenzen kommen könne. Aber diesbezüglich kann man getrost davon ausgehen, dass Alfred, wenn er sich für so etwas entschieden hat, diese Probleme bis heute bestens gelöst hat. Nun, dann sucht mal schön. Neun von zehn Staaten auf der Welt sind arm. Nur ein Zehntel aller Staaten verfügt über 90% des Weltvermögens. Der größte Teil der Landflächen dieser Staaten wird bestenfalls mal ein Mal in zwanzig Jahren von irgendwelchen Abenteuerurlauber gestriffen, da sie fernab von allen bequemen Touristenbunkern liegen und nur über verwegene Verkehrswege zu erreichen sind. Das mal jemand aus wirtschaftlichen Interesse ein solches Gebiet betritt ist auch auszuschließen, da dort nichts zu holen ist und man ansonsten nichts von Armut wissen will. Das Einzigste was mir zudenken gibt ist, dass die Leute, die sich große Tauschhilfsmittelhaufen verschaffen, gleichgültig ob legal oder illegal, machen dieses entweder um es für ihre Erbschleicher zu häufeln oder sich damit allen möglichen, meist überflüssigen, Luxus genannten Klimbim zuzulegen. Das Alfred, wie er als junger Mann sagte, bis zu seinem Lebensende nur alle möglichen „Weiber vernaschen“ will, kann ich mir auch kaum vorstellen. Meine Frage ist jetzt, wie er an den Luxusmüll kommt ohne Gefahr zu Laufen entdeckt zu werden. Na ja, wenn er wider Erwarten bei mir auftauchen sollte kann er sich sicher sein, dass ich ihn nicht verraten werde. Nicht weil es sich um meinen eigenen Zwillingsbruder handelt sondern weil ich in dem Vorgang, dass jemand einem anderen die Tauschhilfsmittel „abgeluchst“ hat, um die der Andere, sprich in Alfreds Fall der „Anleger“, die Allgemeinheit in seiner Eigenschaft als Steuerhinterzieher betrogen hat, kein so großes Verbrechen sehe, dass ich deshalb zum Judas werden müsste. Den Kampf Gauner gegen Gauner sollen die ruhig alleine unter sich austragen, da liegt nichts in meinen Interesse. Und das war es auch schon, mehr weiß ich von der Geschichte um meinen Bruder auch nicht. Dann kann ich „Schluss und Finito“ sagen und mein Textverarbeitungsprogramm schließen.
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Mehmet und seine deutsche Heimat Kennen Sie zufälliger Weise den dörflichen Stadtteil Romansweiler, der zur Stadt Altdorf gehört? Nein? Das finde ich jetzt ausnahmsweise mal gut, denn dann brauche ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen, keine Pseudonyme und so weiter zu erfinden, denn dabei kommt immer so schnell durcheinander. Da passiert es immer sehr schnell das man einen Werner zu einem Karl macht und an irgendeiner Stelle vertauscht man ihn mit Hans, der eigentlich Otto heißt. Dann brauche ich aus einem Kedal kein Mehmet zu machen und aus letzteren keinen Servet. Also der Mehmet in meiner Geschichte heißt wirklich so und hat nichts mit dem jugendlichen Straftäter, den der bayerische Staat aus seiner Heimat in die Türkei verbracht hat und der jetzt auf höchstrichterliche Entscheidung zurückkehren darf, zu tun. Auf Pseudonyme kann ich nämlich aus dem Grunde verzichten weil wir alle hier in Romansweiler solche berühmten Größen sind, dass der Ruf unseres bekanntesten Mitbürgers, ein Straßenbauunternehmer, gerade mal bis zur Kreisgrenze und nur in wenigen Einzelfällen ein Bisschen darüber hinaus geht. Wir sind halt Otto-Normal-Bürger wie 99 Prozent aller 82 Millionen Bundesbürger und man hat in Niebüll genauso wenig wie in Passau oder in Görlitz beziehungsweise Gronau verpasst, wenn man uns nicht kennt. Vorher gesagtes bedeutet aber dass ich erstens mich und zweitens Romansweiler, soweit es für das, was ich erzählen will von Bedeutung ist, erst einmal vorstellen muss bevor ich richtig loslegen kann. Also ich bin Horst Dieter Schleier, genannt Hotte Schleich. Den Kose- oder Spitznamen habe ich bereits in den 50er-Jahren in der Schule verpasst bekommen, woraus jetzt auf Anhieb zu lesen ist, dass ich wohl zu den bodenständigen Leuten, die wohnsitzmässig noch nicht weit über ihren Geburtsort hinaus gekommen sind, gehöre denn sonst wäre ja der Spitzname aus Kindertagen mit dem Wohnsitzwechsel gestorben. Das stimmt fast. Ich bin hier im Jahre 1946 geboren und vier Jahre zur Volksschule gegangen. Zum Besuch der Realschule musste ich nach Altdorf – aber zu dieser Stadt gehörte ja auch damals schon unser Dörfchen. Bis jetzt deutet alles auf Bodenständigkeit hin und trotzdem schrieb ich, dass dieses nur fast stimme. So ist es auch. Im Jahre 1978 lockte mich die große, weite Welt und ich suchte mir in der Hauptstadt der Bajuwaren, also in München, einen Job und zog dorthin. Dort wurde ich dann, wie man so schön sagt, übermütig und gründete 1983 mit zwei Kollegen eine Firma, der dann Ende 1989 die Luft ausging. Reumütig zog ich dann mit meiner Frau Roswitha und unseren beiden damals schon fast erwachsenen Kindern sowie einen Haufen Schulden zurück in heimische Gefilde. Das größte Problem des heimgekehrten zuvor verlorenen Sohnes der Stadt Altdorf und seiner Familie war das Dach über den Kopf. Damals waren schon von vornherein Wohnungen knapp, da viele auch noch von unseren britischen Freunden, die mit zwei Kasernen hier in Altstadt vertreten waren, bewohnt wurden. Dann kamen nach dem Zusammenbruch des Ostblocks noch ein Haufen Ost-West-Wechsler aus der Ex-DDR sowie aus Russland die Deutschen, die unter Deutschen leben wollten hinzu. Letzteres, also das mit den Deutschen, war ja zu der Zeit der flotte Spruch unserer Politikusse, was aber zusammen mit dem Abzug der Britten später, Mitte der 90erJahre, dann für die Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgte. In jener Zeit flossen ja, um die Spätaussiedler unterbringen zu können, die öffentlichen Gelder für den Wohnungsbau in Millionen-Strömen. Damals sagte Roswitha oft verbittert: „Ja, für die Russen bauen sie Luxuswohnungen in schönster Wohnlage und für uns, die wir immer hier gewesen sind, gibt es nur dieses dunkle und feuchte Loch hier in Altstadt.“. Die Beschreibung unserer damaligen Wohnung ist absolut treffend und das wir auch mal in einer tollen Sozialwohnung, in der am Romansweiler Dorfrand stehenden „Russenburg“, residieren sollten, wussten wir damals noch nicht. Da habe ich gerade das böse Wort „Russenburg“ für den, aus 4 Häusern mit je 6 Wohnungen, also insgesamt 24 Wohnungen, bestehenden Block, der der Wohnungsgenossenschaft Altdorf gehört, genannt. Aber so sagt man hier zu dem Anwesen in der Kampstraße. Was jetzt paradox erscheint ist, dass, wenn man mich nach meiner Anschrift fragt und ich „Kampstraße 10“ sage prompt „Ach in der Russenburg bei den Türken“ fällt. Dieses Paradoxum ist aber sehr leicht zu erklären: 1990, zur Zeit der Ost-West-Völkerwanderungen wurden ja, wie ich schon bereits schrieb, seitens des Bundes und des Landes nette Sümmchen für den Bau von Aussiedlerwohnungen zur Verfügung gestellt. Jetzt haben ja Beamtokraten und Politikusse, insbesondere im kommunalen Bereich, die Eigenart, dass sie, wenn sie was von Fördermitteln hören, laut „Hier“ schreien. Im Gegenzug heißt es dann, wenn es um die Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen geht, damit nicht eines Tages hier „der Arsch begraben ist“ und infolgedessen die Kommune stirbt, immer „Wir müssen sparen.“. Im Kommunalwahlkampf rühmen sich dann diese Stadtsterbehelfer was sie doch für prächtige Sparkünstler sind. Das ist zwar nicht gerade intelligent aber es gibt doch noch genügend Leutchen die auf dem Wahlzettel für sie ein Kreuzchen machen und dann können sie wieder zur nächsten Kaputt-Sparrunde antreten. Aber 1990 gab es was zu holen und die Altdorfer waren am Hierschreien beteiligt. Da konnten sie sich noch einem Kommunalpolitikerhobby, dem, Ausweisen von Baugebieten, hingeben. Wobei sie natürlich auch so gut wie gar nicht daran denken, dass die Landschaft, die sie zerschlagen, mal das Kapital der Kommune sein könnte. Ist auch egal, vor 12 Jahren waren sie auf jeden Fall bei der Spätaussiedler-Wohnungs-Beschaffung mit von der
Partie. Da zu dem Zeitpunkt gerade ein Romansweiler Kleinbauer, der zuvor am wohl landschaftlich am Schönsten gelegenen Dorfteil ansässig war, aufgegeben hatte, wusste man auch wo man bauen wollte. Dann ließ sich der Architekt auch noch einiges einfallen. Jede Wohnung ist super geschnitten. Da die Landesmittel mit der Zurverfügungstellung von Gemeinschaftsräumen gekoppelt waren, wurde in einem Haus eine Sauna, die bis heute noch nicht fertig gestellt ist und für die es offensichtlich keinen Bedarf gibt, und in einem anderen ein Partyraum eingerichtet. So wie zu jeder Wohnung ein Carport gehört wurde für die Gesamtanlage ein Kinderspielplatz, hinter dem sich die öffentlichen hier in Altdorf verstecken können, gleich mit eingeplant. Jetzt verstehe ich nicht, warum sich die lokalen Politmatadore wunderten, dass die Bevölkerung nicht laut Beifall klatschte sondern, teilweise sogar recht verbittert, ihren Unmut äußerte. Ein Bekannter sagte mal als wir uns im Dorfkrug trafen: „Da siehst du wie uns die da oben bescheißen. Da kommen die Latschenheinis aus Russland und behaupten ihr Großvater habe einen deutschen Schäferhund gehabt und kriegt die Traumwohnung gebaut. Und für uns, die wir hier geboren sind, gibt es nur, wenn überhaupt, entweder Drecks- oder Wuchermietenwohnungen. Zur Strafe dürfen wir dann den ganzen Zirkus noch mit unseren Steuergroschen bezahlen.“. Schon gut, ich finde diese Aussage nicht gerade gut. Ich wollte ja nur die damalige Stimmungslage, die Alles in Allem durchaus nachvollziehbar ist, im Originalton wiedergeben. Da entstand schon zu diesem frühen Zeitpunkt das Schimpfwort von der Russenburg, dass dieser Luxuswohnblock bis heute nicht losgeworden ist. Ich halte alles für ein Musterbeispiel für verfehlte Kommunalpolitik, da alles durchaus vorhersehbar war. Aber welcher Lokalpolitik-Matador kann schon weiter als von diesem zum nächsten Haushalt denken. Noch eine weitere Sache zeigte wie man anno 1990 von Links nach Schräg gedacht hatte. Man kann sich vorstellen, dass das alles nicht gerade billig war, das hat alles richtig Geld gekostet. Jetzt denken sie mal an die Kostenmiete im Sozialen Wohnungsbau. Das heißt, dass die Mieter im Laufe von drei Jahrzehnten die Investitionen für ihre Wohnung selbst zahlen müssen. Der Bauherr, also die Genossenschaft, bezahlt zunächst mal die ganze Schoße in der Hälfte der Zeit ab aber bekommt zu seinen Tilgungen dann Mittel aus der Kasse des Landes. Erst gibt es genau 50%, was sich dann in Zwei-Jahres-Schritten degressiv abbaut und nach 15 Jahren muss er dann in einer gleichlangen Zeit dem Land die Mittel wieder zurückzahlen. Alles was der Vermieter jetzt zu zahlen hat, legt er auf die Mieter, entsprechend seines Wohnflächenanteils, als Kaltmiete um. Hört sich kompliziert an, ist aber anhand eines Beispieles leicht zu erklären. Nehmen wir mal an ein Objekt mit 1.000 Quadratmetern hat 1,8 Millionen Euro gekostet, dann muss der Bauherr, also der Vermieter, 15 Jahre lang den Banken 120.000 Euro auf den Tisch blättern woran sich das Land dann aber mit 60.000 Euro kreditweise beteiligt. Und vom 16. bis 30. Jahren muss dann der Vermieter die Landesbeteiligung wieder zurückzahlen. Also bleibt es kontinuierlich bei 60.000 Euro jährlich. Diese Summe durch 1.000, also durch die Quadratmeter der Wohnfläche, geteilt ergibt 60 und wenn ich diese durch 12 Monate teile erhalte ich einen Quadratmeterpreis von 5 Euro pro Monat. Demnach beträgt die Kostenmiete für eine 65-Quadratmeter-Wohnung 325 Euro im Monat. Immer noch nicht verstanden? Ist auch egal, denn das Wesentliche was ich ausdrücken wollte ist, dass man ein schönes System ausgeklügelt hat um die Mieten für untere Einkommensschichten preiswert zu halten, wobei schon in diesem System ein Schuss nach Hinten vorprogrammiert ist. Durch Klotzen, wie bei der Russenburg in der Kampstraße, kann sich bei der Kosten-Mieten-Rechnung ein höherer Betrag ergeben als er im freifinanzierten Wohnungsbau aufgrund des Vergleichsmietensystem, meist im Mietspiegel dokumentiert, überhaupt genommen werden darf. Dazu kommt noch wegen Aufzüge, großzügige Zugänge und Flure und so weiter ein höherer Energiebedarf in den Häusern, genau wie erhöhter Außenanlage-Pflege-Bedarf und anderes hinzu. Das haut in die Nebenkosten, ... aber holla. Nicht genug damit, es gibt ja noch die Fehlbelegungsabgabe. Nach der muss ja jemand, dessen Einkommen zu hoch für den Sozialen Wohnungsbau ist, ja noch draufzahlen. „Einkommen zu hoch“ hört sich gut an. Aber man denke mal an unsere beiden damals fast erwachsenen Kinder. Die sind ursprünglich bei der Berechnung des Einkommens als Belastung mitgerechnet worden. Inzwischen sind die ausgezogen und schwupp war unser, eigentlich unteres Einkommen zu hoch und Fehlbelegungsabgabe fällig. So zahlen wir eine der höchsten Mieten in Romansweiler und zur Belohnung zeigen protzende Vorurteilsdrescher mit den, hoffentlich gewaschenen Finger auf uns und tönen: „Guck mal da, die wohnen bei den Asozialen“. Fragt sich nur, wer wirklich asozial ist. Bevor ich auf das Prinzip des sozialen Wohnungsbau auswich behauptete ich, dass unsere Politikus von links nach schräg gedacht hätten. Das zeigte sich anno 1994 als die Wohnungen im sozialen Luxusblock endlich bezogen werden konnten. Da bekam man leichte Schwierigkeiten mit der Masse der Leute, für die man eigentlich vier Jahre zuvor bauen wollte. Alle deutschstämmigen Russen, die von 1989 bis 1992 hier eingetroffen waren hatten schon anderweitig deutlich preiswertere Wohnungen gefunden und wollten jetzt gar nicht mehr. Da blieben nur „Frischankömmlinge“, deren Aufenthalt noch vom Sozialamt gesponsert wurde, und das waren dann keine vierundzwanzig mehr sondern nur noch fünfzehn Familien. Also konnten dann noch sechs Ureinwohner-Familien mit einem, sich durch eine Dringlichkeitsstufe auszeichnenden, Wohnberechtigungsschein einziehen. Dazu gehörte dann also auch Hotte Schleichs Family. Wir hatten die Dringlichkeitsstufe wegen unserer dunklen und feuchten Wohnung in Verbindung mit Roswithas damaligen Gesundheits-
zustandes. Dann gab es ja immer noch drei Wohnungen ... und was sollte man damit machen? Auf der einen Seite die hohe Miete und auf der anderen Seite der Zugang, der nur mit WBS, also dem Wohnberechtigungsschein, möglich ist. Um die Miete zahlen zu können muss man schon manchen Euro, sorry damals waren es noch Märklein, mit nach Hause bringen und auf der anderen Seite durfte man nicht zu viel verdienen um noch WBS würdig zu sein. So etwas funktioniert nur noch über die Kinderzahl und welche urdeutsche Familie hat heute noch mehr als zwei Kinder. Die jungen Leute von heute wollen ja jetzt richtig leben und nicht später einmal Rente kassieren. Heute ist Heute – und Morgen ist ganz weit weg. Da bleiben doch nur noch türkische Zuwanderer, deren ganze Glück, wie mir Mehmets Vater mal sagte, deren Kinder sind. Also wurden die letzten drei Wohnungen mit Leuten aus dieser Gruppe unserer Mitbürger belegt. Jetzt zwischendurch mal eine kleine Quizfrage: „Wie viele Nationalitäten waren, wenn wir diesbezüglich auf die Staatsbürgerschaft achten, hier in der Russenburg vertreten. Machen wir es wie Günter Jauch und sagen: „A eine, B zwei, C drei oder D noch mehr.“. Ich hoffe jetzt, das niemand vor Überraschung einen Herzinfarkt kriegt, denn A, nur eine Staatsbürgerschaft, ist richtig. Die Angehörigen der sechs Ureinwohnerfamilien hatten diese schon immer und haben noch nie darüber nachgedacht wieso und weshalb, die Russen haben diese weil ihnen das Grundgesetzt dieses, aufgrund ihrer zu Zeiten von Katharina, der sogenannten Großen, nach Russland ausgewanderten Vorfahren, zuspricht und letztlich die Türken haben diese, weil sie diese im Laufe ihrer über 25jährigen Aufenthaltszeit hier mal angenommen haben. Und damit beginnt eine tolle Sprachakrobatik, die schon bei uns Ureinwohnern losgeht. Wenn ich das eben geschriebene irgendwie mündlich gebrauche, kommt prompt der Ausspruch. „Wir sind doch keine Wilden.“. Spricht man von denen, die schon immer hier waren, dann ergibt sich die Frage, was dann mit den jungen Türken ist, die wie Mehmet, auch noch nicht woanders waren, die waren ja auch schon immer hier; auch wenn das rechtslastige Mitbürger und Politikusse mit Rechtsdrall nicht wahr haben wollen. Wenn ich jetzt zwischen Einheimischen und denen, die von woanders kommen, unterscheide grenze ich meine eigene Frau aus. Die ist nämlich in Dortmund geboren und aufgewachsen und erst durch Heirat hierher, zu mir, gekommen. Im Gegenzug ordne ich mir dann aber Mehmet zu, der hier in Romansweiler geboren ist. Greife ich auf den meines Erachtens fiesesten Begriff „richtiger Deutscher“ zurück, bekomme ich Schwierigkeiten mit meiner Vater- und Muttersprache. Wo etwas richtig ist muss auch was falsch sein – und was ist an einem nicht richtigen Deutschen falsch? Kommen wir zu den damals sogenannten Spätaussiedlern. Wie lange wollen die das denn noch sein und wie ist das bei dem Nachwuchs, der inzwischen hier geboren wurde. Die allerjüngsten sind weder spät noch früh ausgesiedelt; die sind überhaupt nicht ausgesiedelt. Wie wäre es denn mit Volksdeutscher? Klingt nicht nur wie aus üblen brauen Tagen herübergerettet sondern das Wort stammt aus dem nazistischen Sumpf. Dann kann man noch was mit „stämmig“ konstruieren. Sind das denn nun deutschstämmige Russen, dann sind es keine Deutschen und wenn es russenstämmige Deutsche sind, stimmt etwas mit dem Herkunftsnachweis nicht, denn wenn sie von Russen abstammen, können sie keine Deutschen sein. Sage ich einfach Russen ist das falsch, weil sie es nicht sind und sage ich eigentlich ganz korrekt Deutsche, dann habe ich, auch in dem Fall wo es nicht böse oder gar zu deren Gunsten gemeint ist, keine Gruppenunterscheidung zu den Ureinwohnern, wenn ich dieses komische Wort noch einmal benutzen darf, mehr. Dann bleibt einem letztlich nur die Bandwurmbezeichnung „die aus Russland übergesiedelten Deutschen“. Na ja, warum sollte man sich auch etwas einfach machen wenn man doch vorher erst einen Kopfstand ausführen könnte? Total flippig wird es bei der Gruppe, die ich jetzt einfach nur mit dem Sammelbegriff „Türken“ erfassen möchte. Da kann ich diese zunächst einmal untereinander nur dann unterscheiden, wenn sie mir ihren Pass gezeigt haben, denn der Türke der in Wirklichkeit Deutscher ist unterscheidet sich von dem, der es nicht ist, nur durch die Eintragung seiner Staatsangehörigkeit im Pass. Na ja, was sind denn die Vorraussetzung um eingebürgert zu werden. „Ja“, wird mir jetzt Hein Rechtsmütze sagen, „er muss die deutsche Sprache beherrschen und sich an das Grundgesetz und die deutschen Gesetze halten.“. Oh je, dann haben aber unsere „Russen“ Glück gehabt, dass sie schon Deutsche sind, denn die meisten, die 1994 mit uns in der Kampstraße eingezogen sind, können bis heute noch nicht richtig Deutsch. Das haben sie sich aus meiner Sicht auch selbst zuzuschreiben, denn unter sich sprechen sie nur russisch und das, obwohl sie offensichtlich am Liebsten nur unter sich bleiben. Und Gesetzestreue? Dann muss sich ja sogar ein ehemaliger Bundeskanzler, dem sein Ehrenwort mehr wert war wie das Grundgesetz und das Parteienfinanzierungsgesetz ebenfalls freuen schon vorher Deutscher gewesen sein, denn sonst hätte er den Job, den er ausgeübt hat, gar nicht bekommen können. Warum falle ich eigentlich unter den Verdacht ausländerfeindlich und oder rassistisch zu sein, wenn ich sie so bezeichne wie sie sich selbst bezeichnen, nämlich als Türken. Nehme ich dann lieber den Begriff „ausländische Mitbürger“ bekunde ich damit, dass ich von der Herkunft meiner eigenen Sprache keinen blassen Schimmer habe. Bürger kommt von Bürgen, dass heißt unter anderem auch Wehr- oder Zivildienst, Schöffen- oder Ehrenrichtertätigkeit und im Gegenzug Wahlrecht. Wenn ein Bürger sich des Wehr- oder Zivildienst entzieht begeht er die Straftat der Fahnenflucht. Und was haben Ausländer damit zutun. Also ist er entweder Ausländer oder Mitbürger, eine Kombination aus beiden ist doch sprachlicher Unfug. Und was ist jetzt mit dem „Türken“,
der inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Der ist wirklich Mitbürger aber kein ausländischer und wenn ich diesen mit seinem Nachbarn, der die nicht hat, zusammenfassen will, habe ich wieder das berühmte Problem mit Deutscher oder nicht Deutscher. Jetzt gibt es noch die Unterscheidung zwischen den „hier geborenen“ und den anderen. Na ja, bei den Türken wächst bereits eine Generation heran, dessen Eltern bereits hier geboren sind, heran. Und das ganze Sprachdurcheinander nur, weil es ausländerfeindliche und rassistische Ausgrenzer gibt, darunter Spitzenpolitiker, die Worte wie Türken oder Russen bewusst feindlich gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen einsetzen. Benutzt man diese Worte jetzt ohne bösen Willen und nur der sprachlichen Vereinfachung halber, dann wird man gleich verdächtigt mit den rechtsdraußen stehenden Dumpfbacken zu paktieren. Ja, ja, wenn das deutsche Volk nicht seine braune Vergangenheit hätte, wäre dahingehend doch vieles leichter. Nun Menschen neigen dazu, wenn sie merken, dass sie unter gewissen Voraussetzungen bestimmte Vorteile erhaschen oder kleine Nachteile abwehren können, sich dieses auch zu nutze zu machen. So kommt es vor, wenn man Mitmieter mit den Worten „Ihr Türken macht bei der Mülltrennung alle den gleichen Fehler ...“. Weiter kommt man, der eigentlich nur einen gut gemeinten Ratschlag geben wollte, dann in der Regel gar nicht, denn dann macht ein der gegenüber gleich auf den Gebrauch des Wortes Türken aufmerksam und lässt wegen der Ausländerfeindlichkeit die Jalousien runter. Leute, wie soll denn da Integration stattfinden, wenn wir nichts ansprechen weil wir uns stattdessen lieber auf der sprachakrobatischen Spielwiese tummeln. Ich habe jetzt mehrfach bekundet, dass ich die Worte „Deutsche, Türken oder Russen“ nur aus Unterscheidungsgründen und nie in übler Absicht benutze. Dabei brauche ich in der Regel nur den Plural, den jeder Mensch hat einen Namen und den pflege ich zu gebrauchen, wenn ich eine bestimmte Person meine. So halte ich das jetzt übrigens auch, wenn ich Ihnen diese Geschichte jetzt weiter erzähle. Als wir damals in die Russenburg einzogen, hatten wir ein sehr gutes Verhältnis zu den Türken und ziemlich viel Ärger mit den Russen. Da dürfte aber die Verständigung auch eine große Rolle mitgespielt haben. Alle Mitglieder der drei türkischen Familien sprachen fließend Deutsch. Damals gingen wir auch gegenseitig zu uns in die Wohnung. Zwar sah man auf türkischer Seite nicht gerne wenn man mit Schuhen auf die Teppiche in ihre Wohnungen ging aber sie sagten nichts, wenn man mal versehentlich zu spät bemerkte, dass man vergessen hatte sich dieser vor der Tür zu entledigen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass zur damaligen Zeit eine der drei Frauen, außer wenn sie freitags zur Moschee fuhren, mal ein Kopftuch getragen hätte. Mit Mehmets Vater habe ich damals so manchen Raki getrunken. Also wie geschrieben, wir hatten ein sehr gutes Nachbarschaftsverhältnis zwischen Deutschen und Türken. Dabei konnten wir auch feststellen, dass wir so vieles Gemeinsames und so gut wie nichts Trennendes hatten. Anders das Verhältnis zu den Russen. Da keiner von ihnen Deutsch sprach, konnten wir uns beim besten Willen auch nicht unterhalten. Lediglich die älteren Männer radebrachen einiges mit sehr stark rollendem R. Ich weiß nicht woran es lag, dass sie, wenn sie schon mal jemand, der sprachkundig war, brauchten, ausgerechnet zu mir kamen. Vielleicht lag das daran, dass ich offensichtlich die meiste Geduld hatte, denn das dauerte immer eine halbe Ewigkeit bis ich wusste was sie von mir wollten und es mir im Gegenzug gelungen war die gewünschte Auskunft zu geben. Auf jeden Fall ist es mir nie gelungen ihnen klar machen, dass das Halodrie, was die jungen Leute mit ihren überdimensionierten Saallautsprecherboxen freitags und samstags im Partyraum veranstalteten, nicht nur ein Ärgernis sondern eine ganze Menge mehr war. Bis Vier oder Fünf am Morgen beschalten sie aus dem Partyraum heraus ganz Romansweiler. Da kam zwar öfters die Polizei mal vorbei aber eine halbe Stunde später hatte man das Gefühl, als wären die Herren im grünen Rock nie da gewesen. Sprach ich die Opas darauf an, bekam ich zur Antwort, dass man die jungen Leute ruhig mal lassen sollte, denn die täten ja sonst nichts. Stimmt, - die lungerten nur den ganzen Tag in den Carports und auf den Kinderspielplatz herum. Hätten sie da nicht Zigarettenkippen, Energy-Drink-Dosen, Kaugummi, Bonbonpapier und auch hin und wieder mal Präservative wild auf dem Boden verteilt beziehungsweise von ihren blöden Wandmalereien abgesehen, hätte man dagegen auch wirklich nichts sagen können. Richtig toll wurde es, als die jungen Russen sich etwa ein halbes Jahr später ihre fahrbaren Untersätze zu legten. Das war für sie offensichtlich das Wichtigste, was sie von den Segnungen deutscher Konsumkultur brauchten. Was sehr seltsam erschien war, dass sie ihre Autos wohl kaum zum Fahren als vielmehr zum Basteln brauchten. Sie planten ihren kompletten Kofferraum als Einbauort für Saallautsprecher ein, legten jede „Kiste“ tiefer und bauten sich Spoiler, die sich vor den kleinsten Schlaglöchern fürchten mussten, an und anderer, kaum Sinn ergebenden, Schnickschnack wurde an diesen Karossen angebastelt. Wenn sie auf diese Art beschäftigt sind, kann man auch in diesem Fall etwas sagen. Dass sie aber mit ihren Boxen Lautstärkenproben unter unseren Fenster durchführten und während ihrer Bastelarbeiten die Zufahrten zu unseren Carports versperrten und wir weder rein noch raus kamen, ging doch ein Wenig zu weit. Na ja, die stetige Wodka-Sauferei der älteren Russen wollen wir mal deren Sache sein lassen, denn die machten dabei auch beim besten oder bösesten Willen kein Radau so wie die jungen Leute. Ich will fair sein und auch noch lobend erwähnen, dass die russische Frauen wahrere Putzteufel waren und alles sauber hielten. Später als die Leute Arbeit hatten lernten wir auch ihren
sprichwörtlichen Arbeitswillen und Fleiß kennen. Wirklich in Sauberkeit und Fleiß möchte ich denen eine Toppnote ausstellen. Aber als unsere russischen Mitmieter Arbeit hatten, kippte bei uns auch plötzlich das komplette Innenverhältnis in der Russenburg. Den Russen wurden die Wohnungen zu teuer und sie seilten sich kontinuierlich von uns ab. Jetzt, im Sommer 2002, wohnt nur noch die Familie Schurr, zwei Brüder mit ihrer jeweils 4-köpfigen Familie sowie ihre Eltern, in drei Wohnungen hier. Dank der WBS-Falle war dann auch eine Wohnung nach der anderen auf Türken übergegangen. Auch von den ursprünglich sechs deutschen Familien verließen zwei die Russenburg, so dass wir heute hier mit vier deutsch und drei russisch belegten Wohnungen fünfundzwanzig Wohneinheiten fest in türkischer Hand gegenüber stehen. Aus der Russenburg war ein türkisches Ghetto geworden, mit all den Konsequenzen, die Ghettobildung mit sich bringt. Da entwickelte sich ein subkulturelles Eigenleben. Wenn ich mal bei einem türkischen Fernsehprogramm vorbeischaltete, immerhin wurden hier in der Russenburg sechs dieser Programm zusätzlich ins Kabelverteilernetz eingespeist, und mit den Szenen hier vor dem Haus vergleiche, komme ich aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. In den türkischen Straßenszenen sieht man höchst selten eine Kopftuchträgerin und hier vor dem Haus haben wir eine ganze Schwadron davon. Auch die drei Frauen, die von Anfang an hier waren haben sich dieser Kopftucharmee inzwischen angeschlossen. Das ist nicht die Türkei, das ist nicht Deutschland sondern das ist das türkische Russenburg-Ghetto zu AltdorfRomansweiler. Während sich früher hier deutsche und russische Worte in Etwa die Waage hielten, hört man hier von Morgens bis Abends nur noch türkische Töne. Wenn man mal was von einer türkischen Frau will – als Mann brauche ich das gar nicht erst zu versuchen, da muss ich ohnehin Roswitha vorschicken – gibt diese vor nichts zu verstehen. Sollte das wirklich so sein, dass die tatsächlich Deutsch verlernt haben? Schließlich brauchen die Damen ja auch gar nicht von hier weg. Türkische Bäcker, Gemüsehändler und so weiter kommen hier Tag für Tag mit ihren Verkaufswagen vorgefahren. Dann sehe ich aber schwarz für jeden Integrationsversuch. Integration kann nur stattfinden, wenn man aufeinander zugeht und miteinander spricht. Aber wie soll man miteinander sprechen, wenn große sprachliche Barriere zwischen uns stehen. Insbesondere für die Zukunft von deren Kinder sehe ich schwarz. Die, der ersten drei Familien sprachen – und sprechen immer noch – recht gut Deutsch aber alle anderen ... Es ist verheerend, was soll aus denen denn mal werden? Ausbildung kann doch nur stattfinden, wenn der oder die Auszubildende auch den Ausbilder beziehungsweise die Ausbilderin versteht. Und ohne Ausbildung reicht es doch gerade mal für Kulidienste, für die es im Hinblick auf die Arbeitsstellennachfrage schon jetzt ein zu geringes Angebot gibt. Ich hatte ja bereits erwähnt, wie das anfänglich mit den Schuhen in der Wohnung war. Na ja, ich habe damit derzeitig keine Probleme mehr, denn ich war schon seit Jahren in keiner Wohnung mehr, die von Türken bewohnt wird. Dafür gibt es Theater mit Handwerkern und so weiter. Erst letzte Woche war hier richtig was los. Der Klempner, der bei der Familie Yilmaz eine Reparatur im Badezimmer ausführen sollte, weigerte sich, unter Hinweis auf die Vorschriften seiner Berufsgenossenschaft, seine Schuhe auszuziehen und wurde darauf von der Familie Yilmaz nicht eingelassen. Diese verlangten dann aber postwendend von der Genossenschaft, dass der Mangel in deren Bad behoben würde. Es gab einen Riesenaufstand, den ich dann aber persönlich nicht weiter verfolgen wollte. Nach meinem Gefühl geht auch hier ganz langsam Sauberkeit und Ordnung aufgrund von Macht- und Kraftproben den großen Bach herunter. Nur weil man sich auf türkischer Seite von uns nicht über Mülltrennung aufklären lassen wollte wurden die gelben Wertstofftonnen trotzig in Restmülltonnen umgewandelt. Mit dem Putzen der Hausflure funktioniert es überhaupt nicht mehr, da man sich nicht den, von deutscher Seite erstellten, Putzplänen unterwerfen will. Hausbriefkästen werden durch Verteilen des Inhaltes im Eingangsbereich entleert. Und dabei ist dann nicht nur Werbung sondern da fliegen sogar amtliche Schriftstücke in der Landschaft herum. Aber seltsamer Weise nur in einem von drei Häusern, nämlich bei uns, wo auch die vier restlichen deutschen Familien wohnen. In Schmuddeligkeit folgt das Haus, in dem die Schurrs wohnen, aber ganz so schlimm wie bei uns ist es dort noch nicht. Die beiden, inzwischen komplett von Türken übernommen Häuser sind dagegen immer Tipp Topp in Ordnung. Daraus scheint mir doch die vorsätzliche Provokation augenscheinlich. Dazu kommen dann noch die nachvollziehbaren Schludrigkeiten, wie die, überall und insbesondere in den Eingangsfluren, herum fliegenden oder stehenden Kinderfahrrädern, Skater und Roller. Aufgrund deren Schuh-AusziehTick liegen allerlei Schuhe gleichmäßig verteilt im ganzen Treppenhaus herum und bilden schon gehörige Stolperfallen. Zum Glück ist diesbezüglich noch nichts passiert. Das schafft natürlich Unmut im Übermaß. Da ist mir tatsächlich dann auch mal der Kragen geplatzt und ich habe voller Wut losgepoltert: „Verdammte Schweinebande, jetzt weiß ich auch warum ihr kein Schweinefleisch fresst: Es könnte Kannibalismus sein.“. Erstaunlicher Weise hatten mich alle mal ausnahmsweise bestens verstanden. Ich kann ja meinerseits verstehen, dass ich sie in ihren religiösen Gefühle schwer verletzt habe und das sie danach nicht mehr ganz so freundlich zu mir waren, wie sie das zuvor einmal waren aber im Gegenzug
war wohl überhaupt kein Verständnis dafür vorhanden, warum ich überhaupt ausgerastet bin. Nach wie vor fühle ich mich hier wie im Schweinestall wohnend. Aber das weckt in mir auch den Trotz. Da ich das Gefühl habe, dass man Roswitha und mich, wie die anderen Deutschen auch, hier rausmobben will, sage ich jetzt erst recht und durch. Ihr kriegt mich, dessen Eltern schon hier in Romansweiler zuhause waren, hier nicht raus, eher verdrückt ihr euch in euere Heimat. Aber Letzteres macht mir dann auch wieder intellektuelle Schwierigkeiten. Was ist eigentlich Heimat? Das Recht auf Heimat ist ja ein erklärtes Menschenrecht – aber was ist das? Die meisten Leute sagen, dass das da sei, wo man geboren und aufgewachsen sei. Na ganz klar, wenn sich unsere Mitmieter in ihre Heimat verdrücken sollten, brauchte sich die Hälfte der Türken überhaupt nicht zu bewegen, denn die sind hier geboren und aufgewachsen. Dafür müssten sich dann Schurrs, die in Russland geboren und aufgewachsen sind auf die Reise machen. Da gäbe es ja auch Veranlassung den bayerischen Staat vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verklagen. Schließlich haben die ja dem jugendlichen Straftäter Mehmet das erklärte Menschenrecht auf Heimat verweigert und ihn in die Türkei verbracht. Nach meiner persönlichen Auffassung ist diese von mir jetzt vorgetragene Rechtsauffassung sogar die richtige, denn mit unserem Mehmet, von dem ich gleich noch etwas berichten will, hätten die das nämlich nicht machen können, denn der ist ja im Gegensatz zu dem bayerischen Jungen deutscher Staatsbürger. Ansonsten sind ja beide hier geboren, der eine in Bayern und der andere in Altdorf, und aufgewachsen. Beide sind ja zuvor nur mal kurz in den Ferien in der Türkei gewesen und wie mir der hiesige Mehmet erzählte, ist ihm dort das Meiste doch ziemlich fremd. Was hat der Begriff Heimat eigentlich mit dem Staatsbürgerrecht zutun? Eine Verbindung gäbe es ja nur, wenn wir, wie in den meisten anderen Staaten, eine durch den Geburtsort bestimmte Staatsbürgerschaft hätten. Damit jetzt nicht gleich eine ganze Reihe von Leute auf die Barrikaden gehen, weil sie der Meinung sind, dass die meisten anderen Staaten ein abstammungsbestimmtes Staatsbürgerecht hätten, sage ich gleich, das diese Leute auch recht haben. Das exotische am deutschen Recht ist nämlich, dass wir nur die Abstammungsgeschichte haben. Fast alle anderen Staaten kennen nämlich die Kombination aus beiden. Wenn Sie bei der Geburt ihres Kindes in Frankereich sind, ist dieses gleichzeitig deutscher (Abstammung) und französischer (Geburtsort) Staatsbürger. Und da liegt das Böcklein: Bei der Doppelstaatsbürgerschaft. Wenn eine Anpassung an all die anderen Staaten angedacht wird, greifen hier ja bestimmte Politiker in ihre schwarzen Kassen und finanzieren damit ihre Unterschriftensammlung gegen Ausländer. Die Niederländer müssen uns ja richtig für Kleingeister halten, denn sogar ihr Staatsoberhaupt hat ganze drei Staatsangehörigkeiten. Die in Kanada geborene holländische Königin ist gleichzeitig Kanadierin, Holländerin und – man höre und staune – Deutsche. Wäre es bei uns wie überall anders auch, wären beide Mehmets, der bayerische wie unser, sowohl deutsche wie türkische Staatsbürger und damit hat der bayerische Staat dem einen doch großes Unrecht angetan. Sie kennen doch sicherlich von Karl Valentin, den des frohlockensmüden Engel Aloisius, der mit der göttlichen Weisheit zur bayerischen Staatsregierung geschickt wurde. Wenn ich einen Herrn Beckstein höre, bin ich davon überzeugt, dass der Aloisius auch jetzt, anno 2002, noch immer im Hofbräuhaus sitzt. Diese oder jener wird mir jetzt, nach dem Studium des bis jetzt letzten Teiles meiner Niederschrift, eine Art Doppelzüngigkeit vorwerfen. Erst schimpfe ich über die, Vorurteile bestätigenden Verhältnisse bei uns in der Kampstraße und dann ergreife ich Partei für diese Leute. Da rufe ich aber jetzt laut: „Stoi, das stimmt nicht!“. Erinnern sie sich bitte, wie ich die ursprünglichen Verhältnisse 1994 beschrieben habe. Ich hätte sagen können, dass die drei Familien – Deutsche, bei denen die Mütter und Väter vor über 25 Jahren aus der Türkei kamen – aus netten und freundlichen Leuten, die sich in keiner Weise anders verhielten, wie x-beliebige andere Leute in diesem Lande auch, bestanden. Dann schildert ich, wie es aufgrund der dümmlichen Weichenstellungen der Politikusse und Beamtokraten im Jahre 1990 zum türkischen Ghetto kam und dann habe ich ihnen typische Ghettoerscheinungen beschrieben, die hier genauso wie in anderen Ländern aussehen. Die Leute hier in Romansweiler verhalten sich genauso untürkisch wie sich die Deutschen im Teutonen-Ghetto in Caracas und anderswo undeutsch verhalten. Das ich jetzt Caracas in Venezuela erwähnte kommt nicht von ungefähr. Astrid Scheu, eine Cousine von Roswitha, hatte, was Wohlstand angeht, eine Menge Glück beim Heiraten. Dafür sah es im Bereich Menschlichkeit in der Familie etwas anders aus. Wie sie mal bei ihren zahlreichen Besuche bei uns sagte, wird sie in der Familie ihres Mannes als die Gebärmaschine für den Erben betrachtet und wird ansonsten im Goldenen Käfig, dessen Gitterstäbe Ehevertrag hießen, gehalten. Das ist dann auch der Grund warum sie uns öfters aufsucht: Sie muss ab und zu mal unter Menschen sein. Bei einer solchen Gelegenheit erzählte sie uns mal, wie sie ihren Mann mal auf einer Geschäftsreise nach Caracas begleitet hat. Während der Reise konnten sie mal ein Schützenfest in einem deutschen Viertel der venezuelanischen Hauptstadt miterleben. Da hätten die Leute, offensichtlich aus den Gründen um sich von den anderen abzugrenzen und sich selbst gruppenmäßig zu stärken, ihre eigenes Deutschlandbild nachgespielt. Und das wäre ein aus des Kaisers Zeiten entlehntes Bild. Die am Tag gelegte preußische Zackigkeit hätte bei den Scheus echte Belustigung ausgelöst, während das Übermäßige Biersaufen aus Literkrügen bei ihnen Ekel erregte. Astrid verglich das mit den Verhältnissen im Türkenghetto
Russenburg. Die Leute spielten wohl, einfach um sich als Gruppe zu behaupten, ihr Türkeibild nach – und diese wäre halt aus der Zeit von vor Kemal Atatürk. Das dürfe man denen aber nicht vorwerfen sondern da müsse man eigentlich diejenigen, die sie ausgegrenzt hätten und so zwischen die Welten gestellt hätten, zur Rechenschaft ziehen. Die Ausgrenzer, die sie meinte, sind hier aber unsere eigenen Leute und ihre Scharfmacher erlauben sich sogar, sich Politiker zu nennen. Dieser Tage haben Roswitha und ich ein paar Tage Urlaub im Rheiderland, also im südlichen Ostfriesland, gemacht. Da trafen wir in Jemgum den Gesellschaftskritiker Reiner Vial mit seiner Frau. Das ist der Knabe, der auf der Homepage www.reiner-vial.de seine Werke zum kostenlosen Download anbietet. Wir kannten uns ja erst gar nicht und unterhielten uns unbekannter Weise, so wie es unter Urlaubern halt üblich ist. Jetzt weiß ich nicht wie wir darauf kamen aber ich erzählte hier von der Kampstraße, also von dem Türkenghetto Russenburg. Darauf stellte seine Frau erstaunt fest: „Das ist ja fast genau so wie bei uns in der Bachstraße. Auch wir wohnen in so einem auf genossenschaftlicher Basis für Spätaussiedler aus Russland errichten Wohnblock. Auch bei uns ist baulich alles erste Sahne. Auch bei uns werden in den Sozialwohnungen die höchsten Mieten und Nebenkosten in ganz Nachrodt-Wiblingwerde gezahlt. Vor dem Haus bestimmen kopftuchtragende Türkinnen das Bild und mit dem Putzen und dem Müll ist es bei uns das Gleiche wie bei ihnen in Romansweiler. Darauf meldete sich Vial selbst zu Wort: „Aber jetzt hackt mir nicht so sehr auf diese einfachen, im Grunde lieben Menschen herum. Denkt daran, dass die Mehrheit von unseren sogenannten Landsleuten nichts mit denen zutun haben will. Zieht eine Türke in ein Wohnhaus, in dem sich die Mieter als etwas Besseres dünken, ein, gehen die dem Vermieter gleich auf die Pelle und fordern von dem, er solle die Türken wieder rausschmeißen sonst würden sie, die sich für richtige und ordentliche Deutsche halten, geschlossen ausziehen. Solche Beispiele kann ich jetzt aus allen möglichen Bereichen anführen. Wenn aber die andern nichts mit mir zutun haben wollen, dann gehe ich halt zu meines Gleichen. Und da passiert es dann, dass die erstens ihre Eigenart herausstellen und zweitens sich ausschließlich in ihrer ursprünglich, in der Familie erlernten Sprache unterhalten. Damit ist dann jede Integration, was ja miteinander sprechen und leben heißt, unmöglich geworden. Dafür darf man aber nicht die Leute, die man gruppenweise isoliert, für verantwortlich machen, sondern ausschließlich diejenigen, die sie ausgegrenzten und sie somit ins Ghetto getrieben haben. Wenn eine Subkultur entsteht, dann ist das deutsche und keine türkische Schuld.“. „Und was hat das damit zutun, dass die nicht putzen wo doch ihre Kinder es sind, die alles verunreinigen?“, warf seine Frau jetzt ein. Ganz gelassen erwiderte Vial: „Wenn du dich mal mit dem Islam und den daraus entstanden Kulturen beschäftigst wird dir so manche klar. Sieh mal, die tragen ihre Kopftücher und langen Gewänder aus den gleichen Gründen wie die katholischen Nonnen ihre Tracht. Die Nonnentracht und die Kopftuchkostümierung sind Eins und Eins gleichzusetzen. Alles aus der Umkehr der biblischen Aussage: ‚Du sollst nicht begehren deines nächsten Weib’. Da wird nämlich in Umkehr, also wenn du Frauen ansprichst, ‚Du sollst dich nicht begehren lassen von dem Kerl deiner Nächsten’ raus. Und so ist das auch mit dem Hausflurputzen und dem Mülltrennen. Der Koran verbietet den Leuten, die im Islam stehen, niedrige Dienste an Ungläubigen zu verrichten. Da die Deutschtürken bei den genannten Tätigkeiten davon ausgehen, dass sie diese dir ... einer Christin, also Ungläubigen – erbringen sollen fühlen sie sich dann lieber selber unwohl als ihr Seelenheil zu verlieren. Das sie sich dabei tatsächlich unwohl fühlen, lässt sich ja unschwer an der Sauberkeit in ihren Wohnungen aber auch an den Fluren in den Häusern, die ausschließlich von ihren Leuten bewohnt werden, erkennen.“. Jetzt mischte sich, etwas aufgeregt, auch meine Roswitha ein: „Das ist doch antiquiert, die Türken leben wohl noch im Mittelalter.“. Vial grinste und sagte: „Das ist so nicht richtig, da wir nicht die Türken sagen können. Die heutige Türkei ist ein moderner Staat. In verschiedenen Bereichen scheint mir die Türkei sogar weiter zu sein wie wir. Denken sie mal an Tanja Cilla; die war türkische Ministerpräsidentin. Und bei uns konnte ein Herr Stoiber insbesondere auch dadurch Kanzlerkandidat werden, weil für viele erzkonservative CDU-Anhänger eine Angela Merkel auf einer Männerposition nicht vorstellbar war. Das türkische Verfassungsgericht hat das Kopftuchtragen in der Öffentlichkeit verboten. Stellen sie sich vor, was hier los wäre, wenn Karlsruhe das Tragen von Nonnentrachten in der Öffentlichkeit verbieten würde. Wo hat denn der Sohn von Hellmut Kohl geheiratet? War das nicht in einer katholischen Kirche in Istanbul. Das war eine Kirche mit Turm und richtigen Bimbam. Und was ist hier los wenn die Moslems ein Minarett bauen wollen? Mit welchen vorreformatorischen, also mittelalterlichen Argumenten gehen wir dagegen an. Nein, das Mittelalter lebt nur in den Ghettos, in die wir die Zuwanderer aus der Türkei getrieben haben. Damit sind die, aus meiner Sicht armen Leute, entwurzelt und entfremdet worden. Sie sind keine Türken mehr ... die amüsieren sich über diese rückständigen Typen – und zu Deutschen lassen wir sie nicht werden. Es entstanden und entstehen Welten, die weder mit der Türkei noch mit Deutschland zutun haben. Sehr schlimm an solchen Sachen ist, was in solchen Subkulturen für böse Sümpfe schlummern. So wie beispielsweise in der 86. Straße in New York mancher ghettoirisierter deutschstämmige Amerikaner davon überzeugt ist, dass der Wiener Stadtstreicher und Pinselquäler Adolf Hitler der größte Deutsche gewesen sei, glaubt der türkischstämmige Deutsche in unseren Ghettos ... . Ja, wenn ich das wüsste, denn ich verstehe ihre Sprache nicht und habe auch keinen Zugang zu ihnen. Der Kalif von Köln könnte ein
Indiz dafür sein. Also vertrete ich die Meinung, dass wir im eigenen Interesse weitere Ghettos verhindern und vorhandene abbauen müssen. Wir müssen uns ihnen öffnen und mit ihnen sprechen, sprechen und nochmals sprechen.“. Nachdem Vial sich ein zigarettenähnliches Filterzigarillo angesteckt hatte setzte er noch mal zu einem Schlusswort an: „Wen man ein Übel ausmerzen will, muss man alle Sachen von allen Seiten betrachten. Schaue ich nur auf eine Seite erscheint einen oft etwas als Übel, was überhaupt keines ist, und die andere lässt ein frohlocken obwohl sie das Übel darstellt. Das ist so wie bei dem Herrn, der sich von dem in der Hand halten eines Ein-Euro-Stückes Herpes geholt hat. Als er die Münze in der Hand hielt sah er nur die obenliegende, blitzblanke, wie neu aussehende Seite auf der ein Adler aufgeprägt ist und streitet jetzt mit aller Macht ab, dass man von einer Ein-Euro-Münze Herpes kriegen kann. Hätte er die Münze einmal umgedreht, also auf die Seite geschaut, wo die Eins aufgeprägt ist, hätte er gewusst, warum er Herpes bekommen hat. Man muss nicht auf Adler oder Zahl sehen sondern immer auf beides, auf Adler und Zahl. So ist das auch bei der Münze „Wir Deutsche“. Sehr gerne sehen wir immer die saubere, ach so glänzende Seite und schimpfen lauthals über die Ausländer, die sich nicht integrieren lassen wollen. Würden wir diese Münze auch mal herumdrehen, könnten wir sehr leicht auch die schäbige, schmutzige Seite sehen, mit der wir Deutsche, mal aus Bösartigkeit aber meist aus Dummheit, jede Integrationsmöglichkeit vereiteln. Am Integrationswillen liegt es bestimmt nicht, denn der ist vorhanden. Rein aus dem logischen Grund, weil es sich integriert leichter leben lässt. Es ist nur so bequem – oder gar lustig – mit dem schmutzigen Finger auf Andere zu zeigen. Aber eigene Fehler einsehen ist sehr schwer, denn dazu brauch man Rückgrat. Aber wer hat das schon, ... die Meisten haben dieses samt ihres Denkvermögens an den Gott Mammon verhökert.“. Oh Schreck, Potz Teufel, jetzt habe ich schon seitenweise von meinen Erfahrungen beim Zusammenleben von Russen, Türken und Deutschen berichtet, praktisch ein Schlusswort des Gesellschaftskritikers Reiner Vial darunter gesetzt und habe noch kein einziges Wort zu der Geschichte mit unserem Mehmet, die dagegen eigentlich kurz ist, geschrieben obwohl diese für mich der Aufhänger war, um mich zur Niederschrift vor mein PC-Schächtelchen zu setzen. Aber ich will mal nicht heucheln und gestehen, dass diese voll beabsichtigt war. Ich wollte dieses, aus meiner Sicht immer brennendere Problem, was aber immer wieder von diversen Gaukel-Ottos mit Phrasen und Parolen ins Gegenteil verkehrt wird, zum Nachdenken und zur Diskussion stellen. Und damit sie mir die Sache dann nicht zu früh beiseite legen, vermittelte ich Schlitzohr ihnen gerne den Eindruck, dass sie noch etwas Interessantes von unserem Mehmet und seiner deutschen Heimat erfahren. Allerdings bin ich nicht so abgebrüht, dass ich jetzt „Ätsch und weg“ sage; jetzt kommt die Geschichte endlich und wahrhaftig. Der 11. September 2001 ist ja inzwischen ein fester und auch schon irgendwo abgedroschner Begriff. Entsinnen sie sich noch an das Wort „Schläfer“, was danach ein Weilchen in aller Munde war? Ein solcher Typ schien unser Mehmet gewesen zu sein, denn er war zu jenem Zeitpunkt plötzlich von der Romansweiler Bildfläche verschwunden. Was man da im Dorfkrug nicht alles von dem Knaben, der schon immer den Eindruck danach gemacht habe, alles wusste. Direkt pennerhaft empfand man unsere Polizei und den Verfassungsschutz weil sie bei uns auf der Russenburg noch nicht das Unterste nach Oben gekehrt hätten, denn da wären doch sicher noch mehr von Osama Bin Ladens El-Kaida-Kämpfern. Allerdings von unseren Nachbarn erfuhr ich nichts. Erstens fragte ich sie nicht danach und zweitens sagten die mir schon lange nichts mehr von sich aus. Das Einzigste was jeden Kenner zum Staunen bringen musste, war die Tatsache, dass entgegen dem Volksmund mit den Hypergeschichten davon keine einzige Silbe in der Zeitung stand. Dabei ist es doch hier aus platzfüllenden Gründen üblich, dass der Husten eines Kaninchens auf der Züchterausstellung schon einen Zweispalter auf der Lokalseite wert ist. Auch Leutchen, die naturgemäß bei solchen Angelegenheiten immer auf der Matte stehen, wozu ich neben Polizeibeamten auch die Sensationsgeier der sogenannten großen Blätter und der privaten 24Stunden-Berieseler zähle, wurden in der Kampstraße zu keinem Zeitpunkt gesichtet. Na ja, Rocky-Horror-Storys, an denen so gut wie nichts Wahres geschweige noch Konkretes ist, kommen auf, leben einen bestimmten, meist kurzen Moment auf dem Tratschmarkt und an den Tresen und verschwinden wieder aus dem Rampenlicht. So auch diese Geschichte um unseren Mehmet. Er war dann ab Anfang Oktober bis kurz vor Karneval wieder raus aus den Mündern. Dann war der Name Mehmet doch plötzlich wieder auf der Tagesordnung und diesmal war sogar etwas dabei, was mit der Wahrheit zutun hatte aber im Großen und Ganzen immer noch einen einzigen Blödsinn darstellte. Herbert Kolbe, einer unserer größten Theken-Klatsch-Basen, sagte zu mir, als ich mir mal in Ruhe ein frisch gezapftes Pils gönnen wollte: „Dieser Mehmet ... der da bei euch in der Russenburg wohnt, dem hat man doch nachgesagt er sei ein Schläfer. Aber das war Quatsch ...“. An dieser Stelle unterbrach ich ihn, um ihn zu bekunden, das ich dieses von Anfang an so gesehen hätte. Und dann konnte er fortfahren: „Jau Hotte, du warst ja immer schon der Schlauste. Dann kannst du mir sicherlich auch sagen, wo der jetzt steckt.“. „Nö Herbert, aber ich gehe mal davon aus, dass Du mir dieses jetzt erzählen wirst.“. „Genau“, sagte er etwas lang gestreckt und setzte dann endgültig an: „Der Mehmet ist ja mit unserem Hendrik zur Schule gegangen. Du weist ja wo unser Junge jetzt steckt. Er tut seine Pflicht für unser Vaterland und turnt in
Altenstadt – in Bayern, beim Bund rum. So wie unser Junge hätte ja auch dieser Mehmet dorthin gemusst. ... Das wusste ich gar nicht, dass auch Türken, wenn sie unsere Staatsangehörigkeit gekauft haben, auch dahin müssen. Also Mehmet hatte auch einen Einberufungsbescheid. Und was hat der gemacht? ... Der hat sich in seine Heimat verpieselt.“. Nicht damit der Wirt dadurch Umsatz machen konnte, dass Herbert mal zwischendurch ein kräftigen Schluck Pils nimmt, sondern weil ich nun doch was sagen musste, unterbrach ich ihn an der Stelle einmal: „Das, mit in seiner Heimat verpieseln, kann nicht hinhauen. Zum Barras muss man doch, so wie die Falken dir immer sagen, dass man zur Verteidigung der Heimat ausgebildet werden kann. Mit dem Einberufungsbescheid ist Mehmet also amtlich bestätigt worden, dass seine Heimat hier ist. Aber nach da, wo man schon ist, muss man sich nicht erst verpieseln.“. „Willst du mich verscheißern?“, fragte Herbert jetzt ganz empört, „Du weist doch genau was ich meine. ... Der ist ab nach Anatolien, wo ihn Oma eine kleine, dicke Kopftuchträgerin verpassen kann. Die Muselmanen stehen doch auf dick.“. Na ja, an dieser Stelle breche ich erst mal die Wiedergabe dieses typischen Kneipengespräches ab. Dieses auch schon aus dem Grunde, dass ich nicht unter den Verdacht falle, hinter diesen dümmlichen Phrasen, die aber auch zeigen wie wabbelig solche Begriffe wie Staatsangehörigkeit und Heimat eigentlich sind, zu stehen. Andererseits war jetzt hinsichtlich des Volksverdachtes, an dem Herbert Kolbe, den man zur großen Gruppe der SPD wählenden Rechtsdrallligen hier in Romansweiler gehört – so was gibt es also nicht nur bei und in der CDU – wohl kräftig mitgewirkt hatte, raus. Man mutmaßte, das Mehmet zur Bundeswehr gemusst hätte und stattdessen in die Türkei gegangen wäre. So wie ich Mehmet bis dato kannte, kann ich dieses weder ausschließen noch für möglich halten. Aber für mich hatte auch bei dieser These die Annahme, dass auch diese Gerücht keinen wahren Hintergrund hat, die größte Wahrscheinlichkeit auf spätere Bestätigung. Jetzt vor ein paar Tagen, Ende Juni, war Mehmet wieder im Lande und er konnte mir einen Teil des Gerüchtes als wahr bescheinigen. Er hatte tatsächlich einen Einberufungsbescheid erhalten aber war beim besten Willen nicht in die Türkei abgehauen. Er war treu und brav seinen Dienst in Oldenburg angetreten. Den ersten Monat wollte er erst mal da bleiben, damit sich die Gemüter hätten abkühlen können. Unter unseren türkischstämmigen Mietmietern in der Russenburg gäbe es genauso viele Deppen wie auf deutscher Seite auch. Und für die wäre es so eine Art Untergang des Morgenlandes gewesen, dass er sich als Deutscher unter Deutschen fühle. Aber ganz und gar wollte er sich dann nicht von seiner Ane und seinen Baba, die übrigens zu seinem Gelöbnis in Oldenburg waren, und seinen Geschwistern abseilen. So hatte er ursprünglich geplant, nach vier Wochen das „erste Mal in der Heimat wieder aufzutauchen.“. Das Letzte, also die Sache mit der Heimat, sagte er übrigens wörtlich. Aber nach vier Wochen war was Unvorhersehbares passiert: Er hatte sich verliebt; verliebt in eine rothaarige Deutsche. Ach, wie der Junge von seinem Mädchen schwärmte. Na ja, mit der dürfte er, so wie er glaubte, bei „den Traditionalisten unter unseren Mitmietern wohl ganz verschissen haben“. Auch dieses sagte er wörtlich. Und so blieb er dann bei ihr in Oldenburg und ließ sich stattdessen von seinen Eltern besuchen. Aus diesem Grunde konnte er ja auch hier in Romansweiler nie gesichtet werden. Nun ist seine Künftige mit ihren Eltern für vier Wochen auf Besuch bei ihrer Tante, die es nach Adelaide in Australien verschlagen hat. Als ich ihn fragte ob er da nicht gerne mitgeflogen wäre gestand er mir, dass er schon gerne mitgeflogen wäre, aber die Restbestände seines Soldes dieses nicht zugelassen hätten. Da habe er übrigens den ersten Streit mit seiner Kleinen gehabt, denn die habe aus dem Grunde auch hier bleiben wollen. Aber er habe sie doch überzeugen können, diese Reise anzutreten. Diese Zeit könne er ja nutzen um sich von seinen Leuten hier zu verabschieden. Er wäre Deutscher und habe keine Lust mehr Türke zu spielen. Er wolle jetzt aus dieser Sache aussteigen. Er habe in Oldenburg nicht nur zusammen mit seiner Braut eine Wohnung sondern auch eine Ausbildungsstätte zum 1. September 2002 gefunden. Lachend sagte er noch: „Da ich mit dem Islam bisher sowieso nichts besonderes am Hut hatte ... Ich bin eigentlich ungläubig - bleibt nur noch der Name und meine Haarfarbe von meiner Herkunft. Beim Namen wird es auch nur noch der Vorname sein, denn bei der Hochzeit nehme ich den Namen meiner Frau an. Dann habe ich übrigens einen berühmten Namensvetter beim FC Bayern München, meine Sabrina heißt nämlich mit Nachnamen Scholl.“. Jetzt werden viele Leute jubilieren: „Na siehst du, Integration ist doch möglich, wenn der Betreffende nur will.“. Das „nur will“ kann ich aber nicht so stehen lassen, man muss doch die Sonderheiten im Falle Mehmet sehen. Er ist nicht in einem Ghetto, wie es diese in fast jeder deutschen Stadt, teilweise sogar mehrfach, gibt, aufgewachsen. Dieses Ghetto ist so um ihn herum, so wie auch um uns herum, entstanden. Bevor seine Familie vom Ghetto vereinnahmt war, pflegte sie Kontakte zu ihren nichttürkischen Nachbarn. Mehmet spricht gut Deutsch und war ein guter Schüler. Der nächste wichtige Faktor ist die deutsche Staatsangehörigkeit, die seine Eltern schon vor seiner Geburt angenommen hatten. Sprache und das vollwertige Anerkenntnis des Anderen sind der Schlüssel zum Miteinander. Wir sollten wirklich alles daran setzen, dass die bestehenden Ghettos abgebaut werden und auf keinen Fall wieder neue Entstehen lassen. Und meinen Mitchristen möchte ich zu denken geben, ob man mit Verteufeln und Diskriminieren missionieren kann oder ob das über Anerkenntnis des Bruders und der Schwester, Überzeugen und Vorbild geben geht. Wenn ich die Moslems verjage kann ich sie nicht missionieren. Es heißt aber nicht: „Gehet hin und verjaget alle die nicht eueres gleichen sind“ sondern es heißt
„Gehet hin und lehret alle Menschen“. Hören wir also auf von den anderen zu fordern sich zu integrieren sondern fangen wir an Möglichkeiten zu schaffen, dass sich Leute, die bestimmt willig sind, sich auch integrieren können.
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Deutsche und andere sterbende Völker Ist Ihnen schon mal ein Prophet über den Weg gelaufen? Um jetzt nicht in den Verdacht zu kommen mich über die religiösen Gefühle anderer lustig machen zu wollen, sage ich gleich, dass ich in diesem Fall nicht an Propheten im biblischen Sinne meine. Wie bitte, ... nur so könnte man es sehen? Ach, Vorhersagen verbunden mit Mahnungen und Verheißungen kann man auch auf anderen Gebieten, zum Beispiel in der Wirtschaft, sowohl in der Betriebs- wie in der Volkswirtschaft treffen. Na ja, es ist schon richtig, dass man diese Leute nicht Propheten sondern Analysten, Wirtschaftsweise oder Gutachter nennt. Man benötigt diese Leute für Risikoeinschätzungen bei Unternehmensstrategien, Prüfung der gesunden Grundlagen bei Unternehmensgründungen, Einschätzung von Entwicklungschancen von Wertpapieren, Steuern- sowie Renteneinschätzungen und, und, und. Im Gegensatz zu den biblischen Propheten treffen diese Leute ihre Vorhersagen auch nicht aufgrund von Offenbarungen sondern anhand ganz nüchterner Berechnungen, also Hochrechnungen und Prognosen. Eine bestimmte Sache haben aber biblische und weltliche Propheten gemeinsam: Diejenigen, die im Bezug auf das eigene Lager die richtigen, wahren Vorhersagen treffen werden meist mit Schimpf und Schande davon gejagt und diejenigen, die den größten Blödsinn zusammenspinnen, kommen zu Ruhm und Reichtum. Aber immer wenn es nicht das eigene sondern das andere Lager betrifft ist es genau umgekehrt. Und letztlich gibt es noch die Propheten, die sowohl in Richtung des eigenen wie des anderen Lagers die Wahrheit sagen; denen hört man gar nicht erst zu. Dieses Phänomen hängt ganz einfach damit zusammen, dass jeder Einzelne und jede Gruppe sich nicht von kleinen wie aber auch großen Mängeln und Fehlern freisprechen kann und wenn ich die Wahrheit sagen will, muss ich diese in meinen Prognosen nicht nur berücksichtigen sondern auch klar ansprechen. Aber wer lässt sich schon gerne die eigenen Schwächen vorrechnen? Andererseits gibt es keinen stets glatten, geraden und ebenen Weg. Überall lauern Stolpersteine, Hindernisse, Kurven und Fallen. In ehrlichen Prognosen komme ich um diese beim besten Willen nicht herum. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, ein Unternehmen soll an der Börse eingeführt werden und ein Analyst hat in dem Hochglanzprospekt deutlich auf die bestehenden Risiken hingewiesen. Na ja, eine erfolgreiche Einführung wird das bestimmt nicht. Ein anderes Beispiel: Ein Politiker erwähnt im Wahlkampf die unangenehmen Dinge, die, wenn wir nicht mit drastischen Einschnitten und Rücknahmen vom Besitzstand gegensteuern, unaufhaltsam auf uns zukommen. Das kann er bestenfalls, um sich halbwegs seriös darzustellen, in einem oder höchstens zwei verbalen Nebensätzen machen ansonsten darf er mangels Kreuzchen auf den Wahlzetteln an der nächsten Legislaturperiode nur als ausstehender Beobachter teilnehmen. Illusionen lassen sich sehr gut verkaufen aber die harte Wahrheit will in der Regel keiner hören. Was nun aber das Fatale darstellt, ist dass, wenn ich die Wahrheit nicht kenne und berücksichtige, zwangsläufig die falschen Weichen stelle. Ein Manager, der seine Unternehmensstrategie ausschließlich auf die rosigen Analysen von der Börseneinführungen ausrichtet, dürfte bereits bei Eintreten des ersten negativen, eigentlich vorhersehbaren Ereignisses mit einer üblichen, nett bemessenen Abfindung seinen Stuhl freimachen dürfen. Schlimmer trifft es dann die Arbeitnehmer, die im Zuge der Unternehmenssanierung, sprich Sozialisierung von Verlusten, zum Arbeitsamt geschickt werden. Was sind die öffentlichen Haushalte, die auf geschönten Konjunkturschätzungen und Steuerprognosen beruhen, schon wert? Die müssen ohnehin mit Nachtragshaushalten und Neuverschuldung, also Vorgriffe auf künftige und möglicherweise gar nicht mehr mögliche Einnahmen, ausgeglichen werden. Dann wird doch die Aussage bei der Verabschiedung des Haushaltes, dass man die Neuverschuldung gesenkt habe, doch nur zum Blaba-Bluba-Geschwätz. Was sollen Renten- und Gesundheitsreformen, wie wir diese fast aus jeder Legislaturperiode kennen, wenn diese, wenn sie beraten werden, schon aus dem Grunde weil man nichts Unangenehmes wahrhaben wollte, bereits stark reformbedürftig sind. Alles dient nur den Leuten, die gerne sagen, dass man Früher alles falsch gemacht habe. Diese Sprüche von „Modernisierern kannte man schon vor 50 Jahren, die gibt es heute immer noch und die wird es auch noch in 50 und 100 Jahren geben, denn die Leute schaffen es einfach nicht wahren Propheten Glauben zu schenken. Aus dieser, zugebenen etwas längeren Einführung könnte man jetzt schließen, dass ich mich zu den wahren Propheten zählen würde und mich jetzt darüber beschweren wollte das mir keiner glaubt. Aber nein, ich bin nur der heute 56-jährige Lehrer Bernhard Walther aus Neudorf, einer kleineren Gemeinde im Landkreis Holthagen, der es für richtiger hielt und hält auf wahre Propheten zu setzen und sich dabei zwischen fast alle Stühle setzte – und darüber möchte ich jetzt schreiben. Dieses mache ich nicht aus Verbitterung oder weil ich mich nachträglich rechtfertigen möchte sondern in etwas aus ähnlichen Gründen wie der Gesellschaftskritiker Reiner Vial, der seine eBooks auf seiner Homepage www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download anbietet. In einer E-Mail schrieb mir Vial, als ich ihn mal befragt hatte, wie er zu diversen Vorwürfen hinsichtlich seines Stiles stehe: „S.g.H. Walther, Kritiken von Leuten, die man gar nicht ansprechen wollte und die Gesellschaftskritiker mit Literaten verwechseln, treffen mich nicht sondern stärken mich. Ich will ja diversen Literaturzirkeln kein Orgasmus hinsichtlich meiner verklärenden Sprache und meines unnachahmbaren Stiles verschaffen, da so etwas von dem ablenkt was ich eigentlich erreichen will. Ich möchte den Leuten und der Gesellschaft von Heute in
dem Moment. wo sie noch ungeschminkt sind, einen Spiegel vorhalten. Dieses muss in einer sehr einfachen und simplen Sprache, in einer Art Aufsatzstil geschehen, damit man von einer möglichst breiten Masse verstanden wird. Allerdings muss alles etwas provozierend aufgezogen werden, denn nur so kann das Geschriebene zum Nachdenken und zur Diskussionen führen. Wenn man nur intellektuelle Kreise anspricht, kann man gegebenenfalls zwar reichlich Euros machen, aber Veränderungen, die nur durch breiten Meinungsstreit erreichbar sind, kann man sich dann abschminken. Ich möchte wachrütteln, denn die Frage „Wie konnte das passieren?“, ist für mich, wenn es durch vorheriges Nachdenken verhinderbar gewesen wäre, als eine Steigerung von „am dümmsten“ anzusehen. Mit freundlichen Grüßen Reiner Vial“. Als ich eben schrieb, dass ich Lehrer sei, wird wohl so mancher gesagt haben: „Aha, der ist entweder in der Kirchengemeinde oder in Vereinen oder der Kommunalpolitik aktiv.“. Anstelle von „oder“ könnte man auch „und“ sagen oder schreiben, denn nicht selten trifft alles auf einmal zu – auch bei mir. Diese Aussage kann man ruhig so als Feststellung stehen lassen, denn ich kann daran weder etwas Positives noch etwas Negatives entdecken – es ist halt so. Es liegt wohl daran, dass Lehrer in Hinsicht auf zeitliche Bindung an ihrem Arbeitgeber gegenüber den Leuten in der Privatwirtschaft offensichtlich doch ein Wenig privilegierter sind. Hier, in meiner Niederschrift ist Letzteres, die Kommunalpolitik, von Interesse. Ich war Mitglied einer Fraktion im Rat der Gemeinde Neudorf. Welcher Partei diese Fraktion zuzuordnen war ist eigentlich egal, denn auf kommunaler Ebene unterscheiden sich die Parteien nur dadurch das man, wenn die anderen „Hüh“ sagen man mit „Hott“ zu antworten pflegt. Weitere Unterschiede sind noch, dass man, wenn die eigene Fraktion einer Regierungspartei auf Bundes- oder Landesebene zuzuordnen ist, möglichst Kritik unterlässt, wenn von dort etwas Unangenehmes kommt und umgekehrt, wenn die uns was Gutes bescheren, prahlt man, dass man über die eigenen Leute daran mitgewirkt habe. Und die andere Seite macht es halt umgekehrt. Ansonsten marschieren Lokalpolitikusse nach den gleichen Spielregeln aus dem identisch Lehrbuch. Was mir hier bei meiner Partei passiert ist, hätte mir andernorts auch bei der anderen passieren können. Deshalb lasse ich den Namen meiner Extruppe mal weg, damit außer den Neudorfern, die naturgemäß wissen wo ich rumgeturnt bin, sich jeder die Partei, die er gewählt oder nicht gewählt hat, aussuchen kann. Aus diesem Grunde schreibe ich auch anstelle von „Ortsverein“ oder „Ortsunion“ immer „Haufen“, wobei ich vorab feststelle, dass dieses beim besten Willen nicht böse gemeint ist. Im Rat gehörte ich der zweiten Riege an, also ich kann mich keines Vorsitzes und keiner Stellvertreterschaft rühmen. Halt Stopp, im Schul- und Kulturausschuss, dem ich neben dem Bauausschuss angehörte, war ich der stellvertretene Vorsitzende. Wie der Vorsitzende, der dem anderen Haufen angehörte, wurde ich nur aus dem Grunde weil ich Lehrer bin, dahin gewählt aber ansonsten hatte ich mich dafür eigentlich nicht prädestiniert und meine vornehmliche Interessen lagen und liegen auch auf einem anderen Gebiet. Aber was heißt das alles schon? Und im Haufen war ich schlicht und einfach nur Mitglied, also auch dort nicht in den Funktionärsrängen anzutreffen. Trotz meiner Zweitklassigkeit sollte ich derjenige sein, der an der Spitze des lokalpolitischen Trabels stehen sollte. Ein paar Wochen lang wurde mein Name in den Lokalzeitungen öfters als der des Bürgermeisters genannt – und das heißt in unserer dörflichen Hierarchie schon einiges. Und das alles nur, weil ich es mir zum Grundsatz gemacht habe, den demografischen Propheten, die das Unbequeme aber wahre sagen, zu glauben und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Na ja, das sagt sich so leicht dahin aber wenn man bedenkt, dass das Konsequenzen ziehen praktisch heißt, dass man alles was man bisher für richtig hielt über Bord schmeißen muss, sieht die ganze Sache schon anders aus. Da werden, wenn die Konsequenzen nicht gezogen werden, aus Sparkünstlern dann Gemeindesterbehelfer und im Bauausschuss aus Bebauungsförderern plötzlich Vernichter bestehender Bauten, zumindestens dessen Werte. Dann ist es schon besser, dass man alle realen Prognosen unter Hinweis auf das Schönredegeschwätz prominenter Populisten als Quatsch abtut. Es kann doch nicht wahr sein, was nicht wahr sein darf – und wenn es trotzdem schief geht, brauch man sich daraus auch kein Gewissen zu machen, denn alle Anderen haben das ja auch gesagt. Bekanntlich wird ja Falsches nicht dadurch richtig, das es alle sagen aber damit kann man so wunderbar seine Hände in Unschuld waschen. Das Unheil in unserer Mediengesellschaft ist es, das der dümmste Bockmist, mit denen Einzelne und die Sensationsmedien Geld machen können, in Massivpropaganda den Leuten so lange eingeredet wird, bis sie es nachplappern. Und das ist dann das, was alle sagen und deshalb richtig sein muss. Diese Art von Meinungsbildung ist auf jeden Fall viel bequemer als mal selber etwas nachzudenken. Denken ist doch ach so mühsam. Verdächtig gegenüber unserem Haufen hatte ich mich erstmalig 1999, als „Draußen im Lande“ der Kommunalwahlkampf tobte, gemacht. Damals habe ich beim CVJM einen Vortrag, der unsere Leute doch sehr skeptisch stimmte, gehalten. Dass dieses während des Wahlkampfes geschah stellte allerdings einen Zufall da. Unser CVJM veranstaltet, auch derzeitig noch, alle zwei Monate, wenn nicht gerade Ferien sind, einen Vortragsabend über zwar allgemeine aber nicht ganz unchristliche Themen. Da hatten sie dann einen Demografen zum Thema „Seid fruchtbar und mehret euch“ eingeladen. Am Vormittag dieses Tages sagte der Referent aus einem wichtigen Grund ab. Der Vorsitzende unseres CVJM, ein Lehrerkollege von mir, sprach mich an: „Hör mal Bernie, du hast doch, wenn ich mich nicht täusche, mal vor 2 Jahren bei der Frauenhilfe über so ein ähnliches Thema gesprochen. Da ging es doch um den Zusammenhang Geburtenrate und Zuwanderung im Zusammen mit
der Sicherung des sozialen Netzes. Da sollte es in Etwa heute Abend auch darauf hinaus laufen. Kannst Du bitte, bitte einspringen?“. Da hatte Friedhelm aber Glück, denn in meinem Terminkalender stand „Plakate kleben“. Da dieses nicht gerade meine Traumbeschäftigung ist, ich mich aber als Mitglied der Kandidaten-Mannschaft davor immer schlecht drücken kann, kam mir diese Anfrage ganz gelegen und ich sagte zu. Ich referierte am beschriebenen Abend darüber, dass wir Deutschen ein sterbendes Volk seien. Bereits 1987 oder 88 hatte ein Enkel des eisernen Kanzlers, also ein Herr von Bismarck, ein Buch geschrieben, in dem er sich darüber ausließ, dass, bei gleichbleibenden Trend, das deutsche Volk in 200 Jahren ausgestorben sein würde. Zwar würde das, was er dahingehend beklagte, für mich persönlich kein Grund zum Nachdenken sein aber die konkreten demografischen Berechnungen hätten mich schon in vielerlei Hinsicht richtig durchgerüttelt. Bestätigung zu diesen Aussagen fand ich in einer Studie der UNESCO von 1998, in der es um die ökonomischen Entwicklungen und die Sicherung der sozialen Netze weltweit ging. In dieser Studie geht man davon aus, dass sich die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland bis 2040 von derzeitig 82 auf zirka 40 Millionen mehr als halbiert haben wird, wenn wir uns nicht auf einen Zuwanderungsüberschuss von einer Million einigen könnten. Au, au, wenn man dann noch auf die Auswirkung auf den Wohlstand und die sozialen Sicherungen hinweist, hat man gerade in Wahlkampfzeiten die Lunte an eine Menge Sprengstoff gelegt. Deutlich mehr Einwanderer damit unser Wohlstand und unsere Renten gesichert werden können ist nicht gerade das, was die Massen hören wollen und ein Wahlkämpfer muss doch den Leuten, damit er Stimmen kriegt, das sagen, was sie hören wollen. An dieser Stelle sei mir auch mal ein Sprung in die Jetztzeit, also in das Jahr 2002, erlaubt. Im Juli dieses Jahres bestätigte der Diplom-Volkswirt Walter, der Chefökonom der Deutschen Bank AG, der ja nun wirklich unverdächtig in Richtung linker oder radikalchristlicher Ideologien ist, praktisch die von-Bismarck- und UNESCO-Thesen. Er referierte darüber, das selbst bei einer Verdoppelung des Zuwanderungsüberschusses von derzeitig 250.000 auf eine halbe Millionen Einwohner die Bevölkerung in Deutschland bis 2050 um 16 Millionen Einwohner, das entspricht der derzeitigen Einwohnerzahl von Bayern und Rheinland-Pfalz, sinken würde. Er führte darüber hinaus aus, das Deutschland damit nicht alleine stünde, denn den Trend gäbe es in ganz Europa, auch außerhalb der Europäischen Union. Das würde bei Zuwanderung dann aber auch heißen, dass diese aus Afrika oder Asien kommen müsse, denn unsere europäischen Nachbarn haben ja letztlich die gleichen Probleme wie wir. Die Konsequenz die aus seiner Sicht jetzt zuziehen seien, nämlich Rückentwicklung der staatlichen Solidarsysteme und Neuentwicklung privater Sicherungssysteme, schmecken mir persönlich gar nicht so sehr, aber sie sind sachlich leider nicht von der Hand zuweisen. Heute Morgen, also August 2002, lass ich in der Zeitung eine weitere unverdächtige Bestätigung meiner Aussterbethese. Die KMK (Kultus-Minister-Konferenz) stellte auf ihrer Tagung am 5.August 2002 fest, dass die Schülerzahl in Deutschland bis 2020 um 2,4 Millionen zurückgehen wird. Genau gesagt statt jetzt 12,6 Millionen Schülern an allgemein bildenden Schulen wird es dann nur noch 10,6 Millionen, also 19,2% weniger, geben. Na, und was nennen die Damen und Herren Kultusministerinnen und –minister als Grund. Ganz einfach: Die demografische Entwicklung. Rechne ich jetzt proportional 19,2% von den 80 Millionen DeutschlandBevölkerern ab, dann komme ich nur noch auf 64,64 Millionen Deutsche bereits im Jahre 2020. Aber zugegeben meine Rechnung hat tatsächlich einen Denkfehler, denn die Leute leben länger, das heißt: Viel weniger Kinder und Jugendliche, deutlich weniger in der Altersklasse wo man üblicher Weise seinen Beruf nachgeht aber immer mehr Rentner. Dadurch stirbt das Volk natürlich etwas langsamer, dafür aber mit unheimlichen Problemen in der Rentenversicherung und noch größeren bei den Beamtenpension, denn der Staat hat keine Rücklagen geschaffen, aus. Aber warum muss man eigentlich bei diesem Thema immer Zeugen zitieren? Es handelt sich doch um eine Sache, die jeder mit eigenen Augen vor der eigenen Haustüre sehen und nachvollziehen kann. Lassen Sie es mich mal kurz erläutern: Nehmen wir mal an unsere Bevölkerung bestünde aus gleich vielen Männern und Frauen, dann müssten alle Männer zwei Kinder zeugen und alle Frauen zwei gebären. Dann würde die Bevölkerungszahl logischer Weise konstant bleiben. Mit anderen Worten, in diesem konstruierten Fall würde es keine Abnahme geben sondern im Gegenteil würde die Bevölkerung durch die steigende Lebenserwartung noch leicht steigen. Hat aber jedes Paar nur ein Kind, dann halbiert sich die Bevölkerung halt. Schon Grundschüler im vierten Schuljahr können doch die folgende Textaufgabe lösen: Zwei Leute heiraten und bekommen ein Kind. Wie viel Personen aus dieser Familie leben dann noch, wenn die Eltern gestorben sind? Klar: 2 + 1 – 2 = 1. Und was können wir beobachten? Gibt es immer mehr Singles oder steigt die Zahl der Familien mit vielen Kindern? Haben nicht die meisten jungen Paare heute nicht nur ein oder überhaupt kein Kind? Man nehme doch einmal die Einwohnerstatistik westdeutscher Städte aus den letzten fünf Jahren – davor gibt es bezüglich der Aus- und Übersiedler ein schiefes Bild – und rechne aus allen Statistiken den ausgewiesenen Ausländeranteil heraus. Na ... trommel, trommel, klopf, klopf ... fällt Ihnen was auf? Herr von Bismarck hat recht, die Deutschen sterben aus. Es gibt noch ein eindeutiges Indiz: Wie stark ist eigentlich die Zahl der Single-Haushalte gestiegen? Vergleichen wir das mal mit der Gesamtzahl der Wohnungen, denn bekanntlich gehört ja zu jedem Haushalt eine Wohnung. Eu, eu, dann kommt ja noch die Tatsache, dass immer mehr typische kleine Single-Wohnungen leerstehen. Na
klar, wer zieht schon, wenn er nicht vom Sozialamt dort eingewiesen wird, in eine kleine Bude wenn er eine richtige Wohnung haben kann? Schon bei meinem damaligen Vortrag bewies ich mein Talent, mich zwischen alle Stühle zu setzen. Den Leuten bei meinem Haufen gefiel der Vortrag insgesamt nicht, denn rückläufige Bevölkerungszahlen und die Wahlkampfaussage, dass man sich vornehmlich für die Ausweisung neuer Baugebiete einsetzen will, vertragen sich irgendwo nicht. Der CVJM hätte lieber gesehen, dass ich statt auf Zuwanderung hinzuweisen mehr zum größeren Kindersegen gesagt hätte, denn „Seid fruchtbar und mehret euch“ sei ja schließlich das Thema gewesen. Darauf wurde ich schon an diesen Abend hingewiesen. Das leuchtet mir auch ein, konterte darauf jedoch mit meinem „aber“. Durch künftigen Kindersegen, zumal man nicht weiß wo der herkommen soll, lassen sich die bereits begangenen Sünden nicht korrigieren. Andererseits müssen wir die Leute erst einmal ohne Pillen- oder Kondomschutz in die Betten kriegen und das heißt, dass wir die Leute im zeugungsbeziehungsweise gebärfähigen Alter, wo wir doch Pillen und Verhüterlis nicht verbieten können, erst einmal zur Abkehr vom Egoismus in der Gesellschaft bekehren müssen. Da steht man auf politischer Ebene mit dem Rücken an der Wand. Eine Familienförderung, die die Belastungen von kinderlosen und kinderreichen Paaren zumindestens gleichstellt ist, abgesehen davon das dieses nicht durchsetzbar erscheint, ist tatsächlich nicht finanzierbar. Wir können doch auch nicht Stichtage festsetzen, bis wann zeugungs- oder gebärfähige junge Leute mehrere Kinder in die Welt gesetzt haben müssen und das heißt wiederum, dass wir Vorreiter auf freiwilliger Basis brauchen. Aber wer will das denn schon sein? Was wir diesbezüglich nur machen können: Wir können versuchen unsere Wertevorstellung zu korrigieren, das heißt, dass wir statt Geld und Spaß wieder den Mensch und das Leben in den Vordergrund stellen müssen. Dafür sind aber auch insbesondere die Kirchen gefordert. Und gerade diese möchte ich um ein verstärktes Engagement, um Gesellschaftskritik statt Rückzug auf den spiritistischen Bereich aufrufen. Kein Rückzug auf die Kanzeln sondern hinaus auf die Marktplätze. Es heißt nicht nur „Seid fruchtbar und mehret euch“ sondern auch „Macht euch die Erde untertan“ – und das kann im christlichen Sinne nur heißen, dass man nicht zu gesellschaftlichen Dingen schweigt sondern sich aktiv, insbesondere bei der Propagierung einer Werteordnung und mit massiver Kritik an Fehlentwicklungen, einbringt. Nach diesem Abend ließ die Geschichte, die mich vorher zwar schon beschäftigte aber nicht zum Heißsporn werden ließ, meinen eigenen Denkapparat nicht ruhen. Was bedeutet Bevölkerungsrückgang außer Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Renten denn eigentlich noch? Können wir nicht sagen: Weniger Leute gleich weniger Konsumenten.? Oder was wollen wir mit dem Drittfernseher, dem Zweit-PC, dem Viertwagen, dem Zweitkühlschrank und so weiter? Wer kann schon seinen Hunger von zwei Schweinshachsen auf drei pro Mahlzeiten hochschrauben? Wie wäre es zum Frühstück mit zehn statt drei Brötchen? Aber alles was man nicht braucht muss folglich auch nicht produziert werden und wenn wir nicht produzieren, brauchen wir auch keine Arbeitskräfte. Mit weniger Bürgern kann also die Arbeitslosigkeit nicht abgebaut sondern nur erhöht werden. Das sind ja tolle Aussichten: Jetzt haben wir 80 Millionen Bürger und davon 4 Millionen Arbeitslose und in 40 Jahren haben wir 16 Millionen weniger aber 6 Millionen Arbeitslose. Wer arbeitslos ist, zahlt weder Steuern noch Sozialabgaben. Irgendwann hat dann jeder Arbeitnehmer, der sich glücklicher Besitzer eines Arbeitsplatzes nennen darf, einen Rentner durchzufüttern. Aber Papa Staat nimmt dann auch immer weniger ein, auch die Kommunen. Also, schieben wir alles, was wir auf einen Zeitpunkt mit besserer Haushaltslage vertagen, auf den St.-Nimmerleinstag. Wenn es sich dabei um Instandhaltung beziehungsweise Instandsetzung handelt ist nichts mehr mit Instand sondern dann gibt es nur Verfall. Und wenn man dann dem Verfall den Kampf ansagt, wird es mächtig teuer – eu, eu, eu. Und was ist denn mit all den schönen Häuschen, die wir jetzt bauen? Wer kann sich dann noch Dritt- und Viertwohnungen leisten? Da bleibt ja eine ganze Menge leer stehen. Leerstehende Wohnungen kosten Geld und bringen überhaupt nichts ein. Wovon will denn ein Vermieter die Instandhaltung der sich kaputtstehenden Wohnungen bezahlen? Das wirkt sich natürlich auch auf die Eigenheime aus. Wer will sich dann noch Kosten und den Ärger mit Eigenheimen aufhalsen, wenn er die besten Wohnungen „nachgeschmissen“ bekommt? Da in einer Marktwirtschaft sich die Preise nach Angebot und Nachfrage regeln, plumpsen doch die Immobilienpreise, auch für bereits bestehende „Anwesen“ in den Keller. Da müssen wir doch auch in der Kommunalpolitik umdenken. Was wollen wir mit neuen Baugebieten, wenn die Bevölkerung sinkt. Einwohnerzuwachs können wir uns doch wohl abschminken sondern wir müssen dem Sinken der Einwohnerzahlen entgegen wirken. Dann muss aber hier die Post abgehen und nicht der Arsch begraben werden. Für mich heißt das ganz schlicht und einfach, statt Baugebiete zu erschließen müssen wir in die Infrastruktur investieren. Und zwar jetzt, wo kein Geld in den Kassen ist und nicht dann, wenn überhaupt nichts mehr reinkommt. Wozu braucht man dann noch neue Gewerbegebiete, wenn in Zukunft für weniger Leute auch weniger produziert wird. Na ja, wir reden uns ja dann gerne mit dem Weltmarkt und der Globalisierung heraus. Aber ist es denn in den anderen Industriestaaten anders als bei uns? Beim besten Willen nicht, sondern es gibt einige Länder, zum Beispiel Spanien, wo dieser Trend schon jetzt deutlicher zu sehen ist als bei uns. Wenn die Leute
weniger Arbeit haben steht ihnen folglich mehr Freizeit zur Verfügung. Vorausgesetzt, dass wir in unserer Gesellschaft die Arbeit neu aufteilen, dürfte sich nur im Bereich Freizeit und Tourismus noch dieser oder jener Euro machen lassen. Freizeit und Tourismus sind Gewerbe und aus diesen müssen sich die Kommunen in Zukunft vermehrt ihre Einnahmen sichern. Jetzt ist es auch fatal, wenn Räte und Verwaltungen auf den großen Investor hoffen. Es müssen doch erst einmal Voraussetzungen für Investitionen da sein, das heißt, dass die Kommunen derzeitig nichts Wichtigeres zutun haben als in ihre Infrastruktur zu investieren. Aber leider sind bei Lokalpolitikusse und Verwaltungs-Beamtokraten die alten Denkstrukturen aus Preußens Zeiten nicht austreibbar. Statt in die Zukunft ihrer Stadt oder Gemeinde zu investieren verprassen sie lieber alles was sie noch haben, in die Ausweisung und Erschließung von Gewerbe- und Baugebieten – so wie es unsere Großväter es zu ihren Zeiten auch machten. Nun auch bei uns in Neudorf gelten die Rezepte, die zu Opas Zeiten zwar noch richtig waren aber heute kommunale Sterbehilfe sind, unter den Lokalpolitikussen als modern. Ich, das Lehrerlein Bernhard Walther wollte bei den ersten Haushaltsberatungen in unserer Fraktion für eine neue, die Gemeinde Neudorf erhaltene, Politik werben. Meine Marschroute habe ich ja eben schon niedergeschrieben. Aber oh Schreck, oh Teufel, ich eckte fürchterlich an und meine Karriere als Troublemann im Rat begann. Ich hatte mich gemeldet und zirka eine Viertelstunde über die Zusammenhänge des Bevölkerungsrückgangs und den Erfordernissen für die Zukunft referiert. Ich ernte zunächst nur böse und empörte Blicke und dann las mir unser Fraktionsvorsitzende erst mal kräftig die Leviten: „Bernhard, du hast wohl inzwischen voll durchgedreht. Man hätte es ahnen können als du vor ein paar Wochen den Betbrüdern (gemeint war der CVJM) deine Alpträume offenbart hast. Überleg mal, dass wir mit dem Vorsatz neue Baugebiete auszuweisen, dem Hinweis darauf, dass wir unbedingt noch eine weiteres Gewerbegebiet finden und ausweisen müssen, sowie mit unserem konsequenten Sparkurs in den Wahlkampf gezogen sind. Dass wir damit auf dem Kurs der Bürger liegen, hast du doch wohl gesehen, denn wir haben, obwohl unserer Partei insgesamt der Wind ins Gesicht bläst, noch leichte Zuwächse erzielt.“. Das konnte ich nicht unwidersprochen stehen lassen: „Von wegen Zuwächse? Das sieht nur in Proportionalrechnung so aus. Sehe dir doch lieber mal die realen Zahlen ... Ach quatsch, du kannst es sogar mit Prozentrechnung, bei der du die Nichtwähler zur Partei machst, ersehen. Das habe ich nur mal zum Spaß gemacht. Vor 5 Jahren hatten wir bei einer Wahlbeteiligung von 74,4% einen Stimmanteil von 33,6%., dass sind 24,99% aller Wähler also einschließlich der Nichtwähler. Diesmal haben hatten wir eine Wahlbeteiligung von 58,8% und einen Stimmanteil von genau 34%. Das sind nur 19,99% aller Wähler. Da wir dieses Jahr nur genau 18 Wähler weniger als vor 5 Jahren hatten, kannst du sagen, dass uns genau 10% aller Wähler den Rücken gekehrt haben. Wir von der vermeintlichen politischen Garde rechnen uns, unterstützt von den uns wohlgesonnen Medien, immer etwas, was es in Wirklichkeit gar nicht gibt, in die Tasche. Da die anderen das genauso machen, fällt das zumindestens uns und unseres Gleichen nicht auf. Deshalb fühlen wir uns noch als Elite während uns die Bevölkerung schon längst für Hanswurste hält. Und überlegt mal warum? Der Bürger interessiert sich nicht mehr für das, was wir verzapfen. Es ist alles nicht in seinem Sinne. Er sieht steigende Gebühren auf der einen Seite und null Leistung auf der anderen Seite. Wir bieten ihm immer weniger von dem, was ein Wohnen in der Gemeinde für ihn lebenswert macht und dafür soll er immer mehr bezahlen. Und warum? Weil wir Ratsleute keine Politik mehr machen sondern nur der Wurmfortsatz der Gemeindeverwaltung sind. Die Verwaltung legt uns einen Haushalt, den sie nach dem gleichen Strickmuster wie vor 50 Jahren und blind gegenüber Entwicklungen und Trends gemacht hat, vor und wir greifen uns nur Kleinigkeiten heraus, mit dem wir uns Schaukämpfe mit unserem politischen Gegner leisten können, und kleben uns ansonsten die Erbsenzählerei der Verwaltung auf die eigene Fahne. Mensch Leute, ... Politik hat was mit Innovationen und Illusionen zutun. Wir schaffen das Kommunalwesen von Morgen. Wir Politiker müssen den siebten Himmel fordern und die Verwaltung muss uns auf den Boden der Tatsachen holen. Der Konsens daraus ist der einzig richtige Weg. Vor dem Haushaltsentwurf der Verwaltung muss der Forderungskatalog des Rates stehen.“. Die vorhergehende Empörung in den Gesichtern meiner Kollegen war jetzt echten Wutblicken gewichen. Unser Fraktionsvorsitzender pfiff mich jetzt aber richtig an: „Bernhard, du bist ja erst in letzter Zeit ausgeflippt und deshalb müssen wir jetzt sehen, wie wir dich in den nächsten 5 Jahren dadurch schleppen können. Ich gebe dir aber einen gutgemeinten Rat ... halt deine Klappen, sonst überlegen wir uns das mit dem Dadurch schleppen noch einmal gründlich.“. Das war ja eine echte Kampfansage und ich hieße nicht Bernhard Walter, wenn ich mich davon einschüchtern ließe. Also meldet ich mich in der Ratssitzung in der der Haushalt verabschiedet werden sollte zu Wort und löste einen echten Tumult aus. Die anderen Haufen tönten, dass ich derjenige sei, der die weltfremden Ansichten meines Haufens offen ausspräche und mein Haufen verteidigte sich damit, dass es ja Jedem mal passieren könne, dass einer aus seinem Haufen plötzlich durchdrehen würde. Auf keinem Fall würde ich die Fraktionsmeinung vertreten. Unsere Lokalzeitung titelte am übernächsten Tag „Rebell Walther sorgte für Tumulte“ und führte in dem dazugehörigen Artikel aus, dass ich offensichtlich den bis jetzt erfolgreichen Sparkurs der Gemeinde beendet wissen wolle. Da dieses überhaupt nicht den Tatsachen entsprach schrieb ich daraufhin einen Leserbrief, der
dann in der Wochenendausgabe mit der Überschrift „Walther verteidigt Antisparkurs“ veröffentlich wurde. Im ersten Teil des Briefes machte ich noch einmal meine Ausführungen zu dem Thema „Bevölkerungsrückgang und Auswirkungen auf die Kommunalpolitik“ und im zweiten Teil stellte ich klar, dass ich kein Steuergeldverschwender sei. Im Gegenteil, denn ich wolle ja an der Ausweisung und Erschließung von Bau- und Gewerbegebieten, die Angesichts des demografischen Trends zunehmend ein finanzielles Risiko darstellten, sparen um stattdessen in eine Infrastruktur, die die Gemeinde lebenswert macht und damit am Überleben hält, investieren. Dann behaupte ich noch, dass man auch an allerlei, vom Rat und der Verwaltung gern geübten, Firlefanz sparen könnte. Zu diesem Firlefanz zählte ich die Gutachtenmanie. Wörtlich schrieb ich: „Wenn am Flussufer eine Sitzbank steht, die in Folge der letzten starken Regen in den Fluss abzurutschen droht, dann beantragt der Rat die Verwaltung möge ein Gutachten erstellen lassen ob Stützungsmaßnahmen zur Rettung der Bank notwendig seien. Wenn das Gutachten, was so viel kostet wie eine neue Bank, vorliegt ist diese bereits im Fluss gestürzt. Hätte man beherzt einen Gemeindemitarbeiter mit Spitzhacke und Spaten ausgestattet, damit er in einer halben Stunde das Notwendige gemacht hätte, dürfte man diese Bank noch haben und könnte an einem anderen Ort noch eine weitere aufstellen. Überflüssige Gutachten mit denen man ermitteln will wie man sparen kann, sind schon deshalb falsch, weil sie das Geld kosten, was man sparen könnte.“. Eu und jeu, damit löste ich praktisch die Leserbrief-Völker-Schlacht um Neudorf aus. Erstaunlich, dass aus der Bevölkerung, die nicht mit der Verwaltung und oder einen der Haufen im Rat zusammenhängt, nur Zustimmung kam und ich von den Parteigänger, auch des eigenen Haufens, praktisch in der Luft zerrissen wurde. Offensichtlich leuchtet der berühmten Masse doch mehr ein als die Unpolitiker in Rat und Parteien wahr haben wollen. Die Leserbriefaktionen legten sich wieder, dass Misstrauen und meine Außenseiterrolle in der Fraktion blieben. Mitte 2000 bekam ich dann meinen offenen Krieg, der damit begann, dass ich anhand eines praktischen Beispieles zeigte, was ich unter zukunftsweisender Kommunalpolitik verstehe. Zwei Dinge standen zur Debatte: einmal wollte eine freie Jugendinitiative auf dem Gelände eines früheren gemeindeeigenen Salzlagers einen Bauwagen als so eine Art autonomes Jugendzentrum aufstellen. Natürlich wollten die keine Platzmiete zahlen und stattdessen einen Zuschuss für ihren Bauwagen haben. Aus Skepsis gegenüber den Jugendlichen und im Hinblick auf den Sparzwang, den man wegen knapper Kassen habe, wollten alle Ratsmitglieder, außer ich, den Antrag ablehnen. Ich befürwortete diesen, da wir uns hinsichtlich rückläufiger Bevölkerungszahlen in Deutschland nicht erlauben könnten, dass die jungen Leute, unter Hinweis darauf, dass sich bei uns Fuchs und Hase guten Nacht sagten, beim Erwachsenwerden unsere Gemeinde verlassen und im Gegenzug keiner mehr herzieht, weil es in der Tat so ist, wie die jungen Leute sagen. Das war aber nicht der Anlass des Krieges sondern das war mein Vorschlag, woher das Geld kommen sollte. Gleichzeitig lag nämlich ein Antrag vor, dass das Mahnmal für die Opfer des ersten und zweiten Weltkrieges renovierungsbedürftig sei und dafür sollte natürlich Geld da sein. Ich tönte, dass es schon des Klimas in unserem Denken besser sei diese Ehrenmale für die Helden, die für Kaiser oder Führer, Volk und Vaterland gefallen seien – so würde es auf jeden Fall die Leute sehen, die dort am Volkstrauertag, der früher Heldengedenktag hieß, mit preußischen Zachzack Kränze niederlegten -, endgültig einzustampfen. Mit Hurrapatriotismus, gleichgültig ob aus Uropas Schublade oder aus dem braunen Sumpf, ließe sich keine Zukunft gestalten. Es täte mir leid, dass nach meiner Meinung dabei nicht vor dem Wahnsinn und die Folgen der Kriege gemahnt würde sondern im Gegenteil militaristisches Gedankengut geweckt würde. Wenn schon, dann wären mir Mahnmale für die im Bombenkrieg umgekommenen Frauen und Kinder sowie für die in den KZs ermordeten Juden, Zigeuner, Sozialisten und Schwule lieber. Wenn wir dieses Reliquie aus brauner Vergangenheit einstampfen würden und das Gelände zur Wohnbebauung ausweisen würden, was in der Ehrenmalstraße ein Lückenschluss sein würde, hätten wir das Geld, mit dem wir das freie Jugendzentrum und noch viel mehr fördern könnten. Das war dann ein echter Supererfolg. Diesmal hatte ich mir nicht die Feindschaft meiner Mitratsherren sondern auch der Stammtische, Tratschbörsen auf der Straße sowie diverser Zirkelchen, wie zum Beispiel Reservisten oder Ewigvertriebene, zugezogen. Hatte ich doch, so wie es in der Zeitung stand, die Gefühle meiner Mitmenschen mit schmutzigen Schuhen getreten. Mir schien es so, als hätte ich jetzt wirklich alle gegen mich aufgebracht, denn es gab niemand, der für mich Partei ergriff. Später hörte ich dann sehr oft: „Ich bin ja ganz ihrer oder deiner Meinung und hätte auch was gesagt, wenn ich nicht ....“. Hinter dem „nicht“ standen da diverse Varianten von Geschäftsmann über „Vorsitzender vom ...“ bis „auf die angewiesenen wäre“. Entweder sind Hurrapatrioten so lautstark, dass sie aufgrund ihres Gebrülls überschätzt werden oder wirklich so massenweise vertreten, dass man, wenn man deren Dümmlichkeiten kritisiert, echte Nachteile zu befürchten hat. Aber gerade diese Leute müssten mich doch unterstützen, da ich doch derjenige bin, der hinsichtlich des Aussterbens der Deutschen, was scheinbar gerade in den Köpfen dieser Leute das Ende von Kultur und Zivilisation bedeutet, die Notbremse ziehen will. Eine Umkehr vom Trend kann doch nur erreicht werden, wenn es sich wieder lohnt zu leben und Leben zu stiften. Und dazu gehört doch, dass man nicht nur in einer Kommune wohnt sondern gerne in ihr lebt. Ein Leben besteht doch aus mehr als aus Essen, Arbeiten und Schlafen und dem entsprechend gehört
zu einer Gemeinde mehr als Häuser in denen man arbeiten oder schlafen kann. Da man aber nicht alles auf einmal haben kann, muss ich abwägen was ich zugunsten anderer Dinge aufgebe. Und da kommt, nach meiner Ansicht, ein Bauwagen in dem sich Leben abspielt vor hässlichen Bauten die einer fragwürdigen Totenehre dienen. Für mich begann nun ein Spießrutenlauf. Als Erstes gab es da den Vorfall, dass man aus einem fahrenden Auto heraus einen Stein in Richtung unseres Wohnzimmerfensters schmiss. Hätte dieser sein Ziel nicht verfehlt, hätte das für meine Holden, die auch just zu diesem Zeitpunkt hinter diesem Fenster den dort abgestellten Topfpflanzen ihre Wassernahrung geben wollte, vermutlich schmerzhafte Folgen gehabt. So kam sie mit dem Schrecken, der insbesondere durch den dumpfen Aufschlag auf das Mauerwerk direkt neben dem Fenster verursacht wurde, davon. Es muss schon einiges an Karamba hinter dem Wurf gesteckt haben, was man auch an dem beschädigten Außenputz an der Aufschlagstelle erkennen konnte. Der Stein war in Toilettenpapier, auf dem man mehrfach „Vaterlandsverräter“ geschrieben hatte, eingewickelt. Ich glaube an der Art und Weise wie diese Buchstaben aufgekrickelt waren ein ehrenhaftes Mitglied unseres Haufens identifizieren zu können ... aber ein Täter konnte offiziell nie ermittelt werden. Obwohl die Straße vor unserem Haus im besagten Moment wohl nicht als unbelebt bezeichnet werden konnte, meldet sich kein einziger Zeuge auf die kleine Randnotiz auf der Lokalseite unserer Zeitung. In der Schule musste ich mir nicht nur teils spitzfindige und teils bösartige Angriffe auf meine Person seitens meiner Kolleginnen und Kollegen anhören sondern man begann mich auf Schritt und Tritt zu beobachten. Wer sich mal mit dem Thema Mobbing beschäftigt hat weiß was so etwas heißt. Jeder Mensch hat irgendwo kleine Macken und Fehler, jedem passiert mal diese oder jene Nachlässigkeit. Diese werden von dem Mob – daher kommt ja das Wort Mobbing – zu gravierende Angelegenheiten hochgepuscht. Wenn man sich beobachtet fühlt und sich stets auf tatsächliche oder mögliche Beobachter konzentriert, knappst man von seiner Konzentrationsfähigkeiten einige Ressourcen ab, wodurch man dann auch noch echte, gravierendere Böcke schießt, die einem dann von der Mobbingschwadron als Unfähigkeit vorgehalten werden. Na ja, man verfasste hinter meinem Rücken eine Beurteilung, nach der ich die größte Pfeife unter Europas Lehrerschaft sei. Was mich am schmerzlichsten traf waren Mutmaßungen in Richtung sexueller Ambitionen in Richtung meiner Schülerinnen. Beim besten Willen kann ich an Mädchen zwischen 12 und 16 nichts finden was mich irgendwie erotisch anregen könnte. Ganz ehrlich liegen meine Neigungen in Richtungen ausgereifter knackiger Frauen so ab Dreißig. Hätte man mich irgendwie in Richtung von Kolleginnen verdächtigt, müsste ich wirklich überlegen ob ich mein Denken nicht durch die Wanderung meiner Pupillen und der Sprache meines Körpers verraten hätte. Ein Engelein bin ich nun beim besten Willen nicht und so etwas will ich auch nicht wider besseres Wissen behaupten. Solche fiesen Attacken innerhalb der Kollegenschaft bleibt natürlich auch nicht den Beobachtungen unserer Schülerinnen und Schüler verborgen und der junge Mensch, der es wirklich nicht selbst bemerkt hatte, wurde von der Mitschülerschaft aufgeklärt. Eu, das hat meiner Autorität in vorzüglicher Weise gedient. Nur wenige Zeit vorher hatte ich den Ruf, mit den jungen Leuten gut umgehen zu können und jetzt war ich praktisch der Lehramtskasper, der von den Jugendlichen, die er eigentlich belehren sollte, vorgeführt wurde. Ganz ehrlich gesagt: Unser Hausmeister, ein ursprünglich gelernter Gärtner, erbrachte jetzt mehr Kompetenz in Sachen Klassendisziplin auf als ich, der nun über drei Jahrzehnte diesen Beruf ausübte. Natürlich brachten solche unrühmlichen Vorgänge dann auch die lieben Eltern auf den Plan. Sie forderten „einen Lehrer“ für ihren Nachwuchs und wollten stattdessen so einen Harlekin, wie mich, für immer loswerden. Na ja, an dieser Misere hat sich dann in der Folgezeit auch nichts mehr geändert. Die Meute hatte ein „Opfertier“, das es mit Gebrüll und Gekläff jagen konnte, gefunden und von dessen heißer Fährte ließ sie nicht ab. Selbstverständlich konnte ich mir nichts aus den Rippen schwitzen und geriet so zu allem Übel noch in eine, vorher nie da gewesene, Ehekrise. Ich, der nie etwas von dem beamtokratischen Grippenehmen gehalten hatte wurde plötzlich doch sehr krankheitsanfällig. Ende 2000 und im ersten Halbjahr 2001 erreichte bei mir die Zahl der Kranktage eine größere Summe wie die der Arbeitstage. Ich lag doppelt so oft zuhause im Bett als ich meinen Wagen vor der Schule parken konnte. Ein kompletter Nervenzusammenbruch, kurz vor den Sommerferien 2001, brachte mir dann die Erlösung; ich wurde in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Wäre ich ein Besitzstandswahrer hätte das für mich eine mittlere Katastrophe dargestellt, denn wenn ich das, was mir heutzutage finanziell zugeht mit dem vergleiche, was ich vorher bekam und was ich bei einem ordnungsgemäßen Durchmarsch als Altersbezüge hätte kriegen können, wurde ich doch mit dem Entzug eines kleinen Vermögens dafür bestraft mal ein Mobbingopfer gewesen zu sein. Hinsichtlich meines Gewissens bin ich doch recht froh, dass ich mich in meinem Leben, zumindestens bewusst, niemals an einer Mobbingattacke beteiligt habe. Wer mobt fügt seinem Gegenüber doch sehr schwerwiegende Körper- und nicht selten größere Vermögensschäden zu. Mobbende Leute sind bei ihrer Schöpfung bei der Verteilung von sozialer Kompetenz und menschlichem Mitgefühl wohl ganz gar übersehen worden. Auch wenn man Mobber damit entschuldigt, dass sie selbst dem gesellschaftlichen Druck und unerträglichen Alltagsstress ausgesetzt seien, muss man ihnen doch entgegen
halten, dass sie, wenn sie außer ihrem Geld und ihrem Besitzstand auch den Menschen sehen würden, sehen müssten wie sie einen Menschen vollkommen zu Grunde richten. Einmal richtig zuschlagen, ist nicht so schlimm wie ihn langsam und genüsslich völlig zu zermürben. Und warum diese alles? Im Grunde hatte und habe ich doch recht. Bedingt durch den Egoismus der Massen – warum ich und nicht die anderen – sind die Deutschen ein sterbendes Volk geworden. Im Hinsicht auf die Weltbevölkerung und –ökonomie ist daran, wenn wir von nationalen Übergefühlen absehen, noch nicht einmal etwas zu beklagen. Aber wir müssen, wenn wir nicht ins Chaos jagen wollen, Konsequenzen daraus ziehen und die geeigneten Maßnahmen ergreifen damit unser Umfeld für den Rest unserer Tage und unsere Nachfahren lebenswert bleibt. Besitzstandswahrung und weiter mit den bisherigen Rezepten dürften die tödliche Dummheit unserer Tage sein. Den Riesenfehler, den ich mir aber doch an die Fahnenstange hängen muss ist, dass ich über den übelnationalistischen Sentimentalschrott mit den Worten, wie ich sie gedacht habe, sprach. Stänkert man gegen irrationales Übermenschdenken an, muss man damit rechnen, dass einen die bissigsten Hunde, die ja in der Regel nicht die intelligentesten sind, hetzen. Eines weiß ich heute: Ich bin nicht zum Politiker geboren. Die wichtigsten Eigenschaften, die ein Politiker heutzutage mitbringen muss, ist dass er die Kunst des Lügens und Schönredens beherrschen muss. Und das gilt schon für Schmalspurpolitiker auf lokaler Ebene. Es ist ja nicht grundlos, wenn man den Mangel an Glaubwürdigkeit für das größte Manko der Politik hält. Unsere Fraktion hatte ich im übertragenen Sinne ja ganz schön in Schwierigkeiten gebracht. Man wollte mich lieber Heute wie Morgen los sein und sann darüber nach, wie man sich meiner Zugehörigkeit und insbesondere Anwesenheit entledigen könne. Es gab in dieser niemanden, der mich nicht in Form eines Rates oder einer Drohung zum Rücktritt vom Pöstchen des Ratsherrn bewegen wollte. Letztlich blieb mir dann auch nichts anderes mehr als doch die Konsequenzen zu ziehen, denn es schien mir nur eine Frage der Zeit zu sein, bis man sich die Argumente für einen formalen Rauswurf zusammengebastelt haben würde. Aber irgendwo sagte so ein Männchen in mir, dass ich diesen Damen und Herren noch eins auswischen müsste. So trat ich zwar aus der Partei und der Fraktion aus aber ich gab mein Ratsmandat nicht zurück. Mein Versuch mich dem anderen Haufen anzuschließen schlug fehl, da man dort einen solchen Querulanten wie mich nicht haben wollte. So geriet ich dann in der Lokalpresse gleich von zwei Seiten unter Beschuss. Mein bisheriger Haufen glaubte mein wahres Gesicht der Öffentlichkeit zeigen zu müssen. Es las sich alles so als habe ich mir über die Partei ein Ehrenamt erschlichen was ich jetzt nicht, wie es sich bei einem anständigen Menschen gehört, an den eigentlich Mandatsinhaber – die Partei – zurückgeben wollte. Die andere Seite rühmte sich damit, dass sie, obwohl sie jetzt die Ratsmehrheit kippen könnte, sich solche Leute wie mich vom Halse halten würde. So war ich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes ein Unabhängiger, vollkommen partei- und fraktionslos. Apropos Unabhängiger: Bei uns gibt es eine Unabhängige Wählergemeinschaft, die aber bei der letzten Wahl, obwohl es die Fünf-ProzentHürde im kommunalen Bereich nicht mehr gibt, nicht einen einzigen Sitz ergattern konnte. Ob ich deren Chance hätte verbessern können, wenn ich mich denen angeschlossen hätte, möchte ich selbst bezweifeln; ich dürfte die eher noch schädigen – also ließ ich es. Als absolut unabhängiger, für vogelfrei erklärter, Ratsherr kann man wohl zu diesem oder jenem „seinen Senf“ dazu geben aber Arbeit kann man das Ganze nicht mehr nennen. Außer das Zeug was per Post verteilt wird erhält man überhaupt keine Informationen mehr. Insbesondere von all dem Informellen, was da so kreucht und fleucht, ist man wie ein Aussätziger ausgeschlossen. Niemand hält einen für eine Absprache für wichtig, kein Pressefritze möchte etwas von einem Wissen. Nur eines war wunderschön: Im Rat waren vier Fraktionen angesiedelt. Einmal die CDU, die mit der FDP klüngelte und dann die SPD, die wiederum mit den Grünen klüngelte. Das eine Lager hatte inklusive Bürgermeister, der dem größeren Haufen des Lagers entsprang, genau so viel Stimmen wie das andere Lager – und ich mitten drin. Jetzt hätte ich theoretisch die Leute zum Wahnsinn treiben können, wenn ich mal mit der einen Truppe und mal mit der anderen Truppe gestimmt hätte. Ich hatte mich schon richtig darauf gefreut alle Macht in der Gemeinde in den Händen beziehungsweise in meiner Stimme zu haben. Aber den Spaß haben sie mir auch versaut. Sie trafen vorher Absprachen miteinander und beschlossen so gut wie alles gegen nur eine Stimme. Wir hatten eine Hyperkoalition und dagegen nur eine „Ein-MannOpposition“ und alle Leute beklagten, dass ich durch mein undemokratisches Verhalten einen Stillstand zu Lasten der Bürger zu vertreten hätte. Ich bin ja ganz ehrlich und gestehe, dass die ganze Geschichte zu einer Art Kindergarten-Theater verkommen war. Was Alles in Allem durchaus als eine Art von Dorfposse, die ich aber noch fast ein ganzes Jahr durchstand, hätte betitelt werden könne. Da sollte ich noch ein Mal einen ganz großen Auftritt bekommen. Ein Landwirt, der in den 60er-Jahren mit großer finanzieller Unterstützung der EWG (Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft) an den Rand der Gemeinde ausgesiedelt war, ging so langsam die Luft aus. Sein damals zusammengelegter Landbesitz lag auf dem wohl landschaftlich reizvollsten Grund und Boden der Gemeinde Neudorf. Ein ideales Gelände um es später einmal für touristische Zwecke zu vermarkten. Und was fiel unserer Verwaltung dazu an Innovationen ein? Genau das, was unseren Großvätern auch eingefallen wäre: Sie wollten das Gelände ankaufen und es als Bebauungsgebiet ausweisen. Im Hinblick auf die maßgebliche Gemeindefinanzierung über Gewerbsteuer und Grundsteuer sowie
über Schlüsselzuweisungen, an dessen Tropf man allerdings ungern hängt, war der Gedanke unserer Großväter in Zeiten, wo sich die Bevölkerung von Generation zur übernächsten Generation noch fast verdoppelte, sicherlich nicht falsch. Auch in den ersten vier Jahrzehnten der „alten“ Bundesrepublik, wo wir erst die großen Vertriebenenströme aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und aus Tschechien zu verkraften hatten und wo danach dann laufend DDR-Flüchtlinge, später Übersiedler genannt, und Hunderttausende Aussiedler kamen, hätte man bei der Entscheidung auf richtig plädieren können? Selbst in der ersten Hälfte der 90er-Jahre, nach den Fall des Ostblocks und wo in Folge dessen die große Ost-West-Wanderung einsetzte, muss eine Entscheidung pro Baugebiet noch positiv bewertet werden. Aber jetzt, wo nichts mehr kommt und die demografische Kurve nach Unten läuft? Es dürften doch keine Leute mehr zuziehen, zumal wir beim infrastrukturellen Angebot im Vergleich zu vergleichbaren Gemeinden nicht gerade zu den Spitzenreitern gehören. Was nützt die Werbung mit unserer schönen Landschaft und den hervorragenden Ausblicken, wenn wir den Leuten, die wir damit anlocken wollen, diese zum Zubauen anbieten. Vom eigenen Gartenzaun bis an die Front des Gegenübers schauen können sie auch in den großstädtischen Vorortvierteln. Von dort haben es die Leute es doch näher bis zu ihren Arbeitsstädten in den Industrie- und Gewerbegebieten der entsprechenden Großstadt. Schaffen wir so nicht ein Überangebot, was auch die Preise bestehender Immobilien deftig drückt. Ein toller Service von Verwaltung und Rat an ihre Häuselbauer von vor 10 Jahren, wenn sie in 10 Jahren nur noch die Hälfte von dem bekommen, was sie da mal für aufgewendet haben. Die vielen wunderbaren Steuertaler, die jetzt für Geländeankauf, kommunaler Planung und Gutachten, Baureifmachung und Erschließung aus dem Haushalt heraus geschleudert werden, fehlen schon jetzt bei der Schaffung von Sport-, Jugend-, Freizeit- und Kulturangeboten, mit denen man die jungen Leute, die in unserer Gemeinde heranwachsen zum Hier bleiben bewegen könnte. Ganz zu schweige davon, dass man mit so etwas, gerade im Hinblick auf das Konkurrenzumfeld mit anderen Gemeinden, die auch Bauwütige und Zuzugswillige anlocken wollen, gerade mit dem ködern könnte was man jetzt nicht zu schaffen bereit ist. Leerstand, der sich jetzt nur vereinzelt und zunächst mal bei kleinen Singlewohnungen abzeichnet, wird in Zukunft immer deutlicher werden. Dann wird man die Mäuler weit aufreißen und in alt bekannter Manier sagen: „Unsere Stadt stirbt; wer hätte das voraussehen können?“. Natürlich hätten das alles vorhersehen können, denn das die Deutschen ein sterbendes Volk sind krähen, ja die Demografen förmlich von den Dächern und die Rentenpolitiker reden sich darüber heiß. Aus diesem Grund reißt ein Herr Riester Rentenlücken zu Gunsten der privaten Versicherer und sein Vorgänger Blüm wollte immer den demografischen Faktor in seiner Rentenberechnung einkalkuliert wissen. Und was machen die Lokalmatadoren: Ohren und Augen zu, damit sie weiter nach Opas Rezepten wursteln können. Natürlich sind Bauausschüsse keine Bauverhinderungsausschüsse aber deshalb müssen sie doch nicht gleich zu Gemeinde-Vernichtungs-Ausschüsse werden. Als ich meine Gedanken im Rat vortrug wurde mir stetig dazwischen geblökt. Von Blöken konnte wirklich sprechen, denn es handelte sich im Großen und Ganzen um nur minderintelligente Häme. Ich kämpfte mit mir selbst. Sollte ich aufgeben und mir somit eine Blöße geben oder sollte ich weiterreden und mich nach meinem eigenen Geschmack lächerlich machen? So war ich richtiggehend froh, als mir der Bürgermeister das Wort entzog. Wieder in den eigenen vier Wänden legte ich mich nicht ins Bett sondern ich schrieb einen langen Leserbrief, der 2 Tage später in voller Länge auf der Lokalseite abgedruckt wurde. Ich hatte ins Schwarze getroffen. Unsere Haus- und Grundbesitzer fürchten, ich könnte mit meiner Prognose recht haben und zittern um den Wert ihrer Immobilien beziehungsweise die Höhe ihrer Mieteinnahmen. Die Jugendlobby, insbesondere in den Kirchengemeinden aber auch in den Sportvereinen, zog auf meine Infrastrukturargumente ab. Und letztlich die Natur- und Landschaftsfreunde griffen erfreut mein Zersiedlungsargument auf. Auf einmal war ich wieder ganz oben. Aber nur für kurze Zeit, denn die Leute nahmen mir meine Argumente aus der Hand und hefteten sich diese an die eigene Fahne. Inzwischen wurde eine Bürgerinitiative gegen das Bebauungsgebiet ins Leben gerufen aber niemand hat mich jemals gefragt ob ich mich an dieser beteiligen wolle. Aber eines ist mir gelungen: Dank der zu erwartenden Ein- und Widersprüche sowie eventueller Gerichtsverfahren ist alles auf eine sehr lange Bank geglitten. Und bis das Verfahren mal ausgestanden ist, könnte es möglich sein, dass zwischenzeitig die Vernunft Einzug in Rat und Verwaltung gehalten hat. In diesem Zusammenhang muss ich an Ernest Hemingways Roman „Der alte Mann und das Meer“ denken. Endlich war mir auf der kommunalpolitischen Bühne der große Fischzug gelungen und ich hatte nicht mehr die Kraft den Fisch an Land zuziehen. Nach diesem Auftritt wurde es still um mich im Rat. Zwar ging ich noch hin, meldet mich aber in keiner Angelegenheit mehr zu Wort. Gleichgültig was war, stimmte ich stets für Enthaltung. Ein letztes Mal wollte ich mich aus persönlichen Gründen noch in Szene setzen und sann über die populistischste Methode meine Abganges nach. Dann kam mein Nervenzusammenbruch, den ich ja bereits erwähnt hatte und ich trat ganz simpel, wie schon Tausende andere vor mir, aus gesundheitlichen Gründen von der politischen Bühne ab. Jetzt wohne ich, der unpolitische Ruheständler, zwar immer noch in Neudorf aber ganz bin ich von meinem Wunsch nach einen Wegzug noch nicht abgekommen. Aber mit der Zeit wirkt dieser Wunsch immer weniger zwingend, da in unserer schnelllebigen Zeit die Leute schon längst andere Dinge im Vordergrund sehen
und ich, Bernhard Walther mit seinem sterbenden Deutschland, gerate in der öffentlichen Diskussion mehr und mehr in Vergessenheit. Jetzt konnten Sie mit mir einen Ausflug in die Kommunalpolitik unternehmen. Dabei werden sie gesehen haben, dass die Leute immer nur auf die eine, gleiche Seite sehen. Auf dem früheren Eine-Mark-Stück befand sich auf der Rückseite der Bundesadler aufgeprägt und dass ist auch bei den in Deutschland geprägten Ein-Euro-Stücken der Fall. Jetzt kann ich doch nicht sagen, es habe sich nichts geändert. Im Gegensatz zur Mark ist der Euro mehr wert und ist nicht nur in Deutschland sondern in 19 europäischen Ländern Landeswährung. Wir sollten die Münze einmal herumdrehen um auf der Seite, wo die Eins aufgeprägt ist sehen um sie als Mark- oder Eurostück identifizieren zu können. Das Markstück, was einmal die Grundeinheit unserer Währung darstellte, ist für die Zukunft bedeutungslos. Wir können nicht vom Schöpfungstag bis zum Jüngsten Gericht immer auf die gleiche Seite, Adler oder Eins, sehen sondern wir müssen immer alles von allen Seiten, Adler und Eins, betrachten, dann wissen wir auch was richtig ist. Was vor 10 Jahren bei hohen Zuwanderungszahlen noch richtig war ist heute, wo der Sterbetrend der Industrienationen auch bei uns voll durchschlägt, nicht nur falsch sondern sogar recht dümmlich.
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Pastorinnen und andere Sausebrause Bekanntlich ist es nicht nur unschicklich sondern sogar formal falsch, wenn man einen Aufsatz, Bericht, Brief, Erzählung oder sonst etwas mit „Ich“ beginnt. So etwas ist nur bei E-Mails, wo jeder regellos schreiben kann wie er lustig ist, möglich. Wäre das nicht der Fall, hätte ich soeben geschrieben: Ich bin Michael Lammert, seit 52 Jahren auf dieser Welt, der mit seinen beiden bisherigen Ehen nicht viel Glück hatte aber jetzt wohl die Richtige für den dritten Lebensabschnitt gefunden hat. Mit diesem Anfang, den ich mir eigentlich so als Spaß ausgedacht habe, konnte ich gleich zwei Dinge auf einmal offenbaren. Erstens habe ich hiermit kurz und bündig vorgestellt – alles andere, was für Sie wichtig sein könnte, erfahren sie im Lauf der Geschichte und zweitens habe ich durchblicken lassen, dass ich mich mit Anfängen, gleichgültig wo es ist aber insbesondere auch bei Frauen, immer etwas schwer tue. So zog ich, dem man nachsagt ein gar nicht so übler Frauentyp zu sein, lange Zeit als suchender Single durch meine Heimatstadt Rollere. Ich wusste immer nicht wie ich es beim anderen Geschlecht anfangen sollte. Nachdem mein 28. Geburtstag hinter mir lag, versuchte ich es dann mit einer Partnerschaftsanzeige in unserer lokalen Tageszeitung und glaubte das große Los gezogen zu haben. Cornelia, die ich bis heute noch Conny nenne, sah und sieht supergut aus, ist nett und lieb aber leider mehr lesbisch als hetero. Sie glaubte bisexuell zu sein und hatte es, als sie sich einen Mann suchte, auch ehrlich gemeint. Aber nach siebenjähriger Ehe bekannte sie mir, dass sie sich mehr zu ihrer Freundin, mit der sie heute noch zusammen ist, gezogen fühle. Damit mir, falls ich eine andere, für mich richtigere finde, nicht der Trauschein im Wege ist, ließen wir uns scheiden und blieben anschließend doch noch ganz gute Freunde. Na ja, danach fand ich dann wieder keinen Anfang und schließlich musste mir, als ich bereits die Vierzig überschritten hatte, Conny dann hinsichtlich einer Nachfolgerin für sie helfen. Aber ich hätte besser auf meine erste Frau hören sollen statt sie hartnäckig zu bearbeiten dass sie mir bei einer bestimmten Frau helfe. Ich hatte mir nämlich in den Kopf gesetzt, Mathilde, die schon zwei Mal geschieden war, sei die Richtige für mich. Conny bewertete ihre Cousine Mathilde als eine kaum bindungsfähige Lebedame, für die Männer nur so viel wert wären, wie sie für sie zu bezahlen bereit wären und könnten. Was soll’s, Conny gab doch meinen vielen und langen Bitten nach und ließ sich zur Kupplerin engagieren. Drei Jahre später wurde Mathilde das dritte Mal und ich das zweite Mal geschieden. Als Erinnerung an meine zweite Frau hatte ich einen Haufen Schulden, die sie mir hinterlassen hatte. Fast 5 Jahre stotterte ich das ab, was meine Zweite verlebt hatte. Klar, im Gegensatz zu Conny hatte ich mit Mathilde nach der Scheidung natürlich keine Kontakte mehr. Und wieder zogen ein paar Jährchen ins Land, wo ich mal wieder den Anfang zur Kontaktaufnahme zur holden Weiblichkeit nicht finden konnte. Ich singelte wieder durch die Lande. Kurz vor meinem Fünfzigsten konnte es Conny wohl nicht mehr mit ansehen und beschloss meinen, doch etwas unfreiwilligen, auf offensichtlicher Schüchternheit beruhendem Singletum ein endgültiges Ende zu bereiten. Sie lud mich nach Frauenwald in ihre Pension, die sie mit ihrer Lebenspartnerin betreibt, ein. Diese Pension ist sehr schön gelegen. Kurz vor der Ortseinfahrt Frauenwald liegt in einem Tal an einem Zusammenfluss eines Flusses und zweier Bäche ein See, nicht sehr groß aber auch nicht klein. Also es ist schon ein See und kein Teich. Rechts und links des Tales, in dem dieser See liegt, steigen bewaldet Hänge bis auf eine Höhe von 200 Meter auf. Dank der Nord-Süd-Lage und der Breite des Tales lag der See den ganzen Tag im Sonnenschein, das heißt natürlich, wenn sie auch tatsächlich schien. In den See ragte eine kleine Halbinsel. Wenn wir mal von der, etwa der Breite einer einspurigen Straße entsprechenden Landverbindung zum Ufer absehen, könnte man sogar von einer richtigen Insel sprechen. Auf dieser befand sich ein etwa 250 Jahre alter Bauernhof, der von Conny und ihrer Lebenspartnerin sehr geschmackvoll zu einer netten Pension, die etwa 30 Gästen Platz bietet, ausgebaut wurde. Eine echte Urlaubsempfehlung für Leute, die mal gerne in einem See planschen oder dort ein paar Schwimmzüge machen wollen und dann zusätzlich noch gerne durch Mittelgebirgswälder streifen aber ansonsten die Ruhe dem Trubel vorziehen. Fast jedes Jahr fahre ich mal für zwei oder drei Wochen dorthin, mal als Zweit- und mal als Haupturlaub. Aber auch an diversen Wochenenden, insbesondere an längeren, also wenn es vor dem Samstag oder nach dem Sonntag einen Feiertag gibt, kann man mich dort antreffen. Ich gebe ja zu, dass mich neben der idyllischen Pension in schönster Landschaft mich auch der Charme und die freundschaftliche Zuneigung meiner ersten Frau mich immer wieder dorthin lockt. Irgendwie stolz sage ich auch, dass ich, außer in unserem Fall, noch nie von einer solchen Harmonie unter Geschiedenen gehört habe. Auch diesmal nahm ich ihre Einladung, nichts ahnend, mit der üblichen Begeisterung ihre Einladung an. Dieses „nichts ahnend“ bezieht sich darauf, dass Conny für mich eine nette, 7 Jahre jüngere Frau für mich auserkoren hatte, mit der sie mich zu „verkuppeln“ gedachte. Und diese hatte sich just zu dieser Zeit, in der ich auch kommen sollte, in ihrer Pension angemeldet hatte. Gerlinde Hecker kam, seit dem ihr Mann vor sieben Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, regelmäßig zu Conny um ein paar Tage oder mehr auszuspannen. Vor zwei Jahren sollten es dann eben nicht nur diese paar Tage sondern genau drei Wochen sein. Genau zu diesem Zeitpunkt lockte mich dann meine Ex auch auf ihre Insel.
Am Abend unserer getrennten aber gleichtagigen Ankunft lud uns Conny zu einem Gläschen Wein in ihr Privatreich ein um uns, so wie sie sagte, miteinander bekannt zu machen. Sie stellte mich Frau Hecker mit den Worten „Also Gerlinde, dass ist mein Mann ... Michael Lammert. Ein ganz lieber Kerl, nur ein Bisschen schüchtern. Wir sind zwar geschieden aber wirklich immer noch die besten Freunde“ vor. Mir sagte sie dann, dass sie Frau Hecker erzählt habe, warum wir kein Ehepaar mehr seien und diese nicht nur Verständnis für sie habe sondern uns sogar bewundere wie wir doch fair und menschlich mit der Sache umgegangen seien. Danach entwickelte sich eine richtig nette Plauderei zu Dritt. Mir gefiel an Frau Hecker erstens ihr tolles Aussehen, zweitens ihre freundliche Art und drittens wie sie einerseits offen und anschaulich erzählen konnte und im Gegenzug, wenn Conny oder ich was sagte, bestens zuhören konnte. So nach etwa einer Dreiviertelstunde setzte dann Conny an, um die Angelegenheit in Sinne ihres kupplerischen Vorhabens voranzutreiben: „Gerlinde, du wolltest doch immer mal rauf zur Eulenburg. Michael kennt sich hier in der Gegend bestens aus. Mit dem könntest du doch mal darauf.“. So ist es nun mal bei schüchtern Menschen, ich versuchte gleich meine Harmlosigkeit zu betonen: „Sie können ruhig mit mir mitkommen. In der Regel verhalte ich mich so keusch wie eine Pastorentochter.“. Frau Hecker musste laut lachen und sagte: „Was meinen sie denn, wie sich Pastorentöchter verhalten? Aus eigener Erfahrung muss ich ihnen sagen, dass es bei denen gar nicht so keusch zugeht wie sie glauben ... insbesondere wenn sie selbst Pastorin geworden sind.“. Jetzt lachte sie wieder und ich verstand jetzt echt nur „Bahnhof“. Lächelnd setzte sie noch einmal an: „Also ich verkündige den Leuten von der Kanzel das sie offen und ehrlich miteinander umgehen sollen. Dann sollte ich mich jetzt nicht anders verhalten, wie ich es von den Leuten gerne sehen würde. Cornelia hat schon heute Nachmittag mit mir über sie gesprochen und die Meinung geäußert, dass wir nach ihrer Ansicht ganz gut zusammenpassen würden. Darauf habe ich ihr gesagt, dass ich nach sieben Witwejahren auch ganz gerne mal wieder einen Mann hätte. Schließlich bin ich nicht nur Pastorin sondern, nicht nur so nebenbei, eine ganz normale Frau mit nicht nur keuschen sondern sogar ganz unkeuschen Gelüsten. So habe ich Cornelia gesagt, dass ich nicht lange fackeln würde und zugreifen wolle wenn sie mir gefallen. ... Und sie gefallen mir. Sehr gut sogar und spüre das sie ein netter Kerl sind. Deshalb gehe ich morgen mit ihnen auch wenn sie sagen würden, dass sie das Gegenteil von keusch sein wollen ... vielleicht dann noch viel lieber.“. Jetzt hatte sie Conny auch mehr als nur etwas verblüfft: „Mann Gerlinde, du geht’s aber ran. Hätte ich beim besten Willen gar nicht von dir erwartet. Jetzt wundert mich gar nichts mehr, selbst dann nicht, wenn du sagen würdest, dass du gleich mit Micha ins Bett gehen wolltest.“. Gerlinde Hecker war jetzt ganz ruhig, so irgendwie nachdenklich wirkend, geworden: „Warum eigentlich nicht? Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schwer ich es diesbezüglich als Pastorin habe. Die Leute, insbesondere die, die in der Kirche die Superfrommen spielen und draußen im Leben selbst die besten Sausebrause sind, verlangen von mir, dass ich denen eine Art Heilige vorspiele. Sie gestehen mir nicht zu, dass ich auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut bin. Das, was für sie selbst selbstverständlich ist, billigen sie mir nicht ein Bisschen zu. Sie trennen für sich in Kirche, was für sie gleichbedeutend mit dem Spiritistischen und/oder Sakramentalen ist und dem Leben im Alltag, was sie am Wort unseres Herrn vorbeiführen. Und mich ordnen sie einfach dem Bereich Kirche zu und verordnen mir strengsten Puritanismus. Ich brauche nur mal einen Mann anzulächeln, dann zerreißen sie sich die Mäuler und glauben, dass sich das Presbyterium in seiner nächsten Sitzung damit beschäftigen müsste. Aber ich bin doch auch nur ein Mensch, eine Frau, die auch gerne mit einem Mann lieben und kuscheln möchte. Die auch gerne einen Mann hätte, mit dem man von Frau zu Mann sprechen kann ohne daran zudenken, dass ich Pastorin bin. Und jetzt glaube ich, das der Herr es gut mit mir meint. Sie, Herr Lammert, sind genau der Typ von Mann, den ich mir wünsche und ihre Schüchternheit, von der mir Cornelia auch schon berichtet hat ... sind sie ihr bitte nicht böse - macht mich sogar richtig wild auf sie. Ich will sie haben und wenn sie nichts dagegen einzuwenden haben, nehme ich sie tatsächlich gleich mit ins Bett.“. Da saß ich nun, das schüchterne Kerlchen namens Michael Lammert und hätte am Liebsten auf der Stelle von dem Beischlafangebot der Pastorin Gebrauch gemacht aber ich bekam kein Wort heraus. Diese Frau sieht supergut aus und schon zu dem Zeitpunkt, wo sie mein erster Blick traf, sagte ein Männchen in mir, dass wäre eine Frau für mich und ließ in mir ausspinnen, wie schön es wäre, wenn ich mit ihr ... . Aber dann war aber auch immer gleich so eine Art von Traurigkeit in mir hochgeschlichen, weil ich voraussichtlich wieder, wie so oft im bisherigen Leben, kneifen und einen weiteren Traum unerfüllt sein lassen würde. Heute weiß ich, dass ich zeitlebens krankhaft schüchtern war und dass dieses vermutlich auf meiner Angst vor dem Versagen beruhte. Ich weiß es nicht ob es damit zusammenhängt, dass ich in meinem Elternhaus das älteste von drei Kindern war und mir stets klar gemacht wurde wie blöd und ungeschickt ich doch sei. Meine jüngeren Geschwister wurden mir immer als Beispiel für Intelligenz und Geschicklichkeit vorgeführt. Meine Schwester, eine ganz und gar sehr egoistische Persönlichkeit, was vermutlich auf die Vertätschelung des Nesthäkchens zurückzuführen war, brachte es mal auf den Punkt. Sie wies daraufhin, dass unsere Mutter öfters mal gesagt hat, dass unsere Eltern ursprünglich, außer sich ein diverses Späßchen zu machen, gar nichts voneinander wollten. Aus einem diversen Späßchen wurde Ernst und der hieß Michael. Entsprechend der prüden, eigentlich menschenfremden Ansichten der 50er-Jahre, mussten die Beiden dann heiraten, was sie mir, der nun wirklich nichts dazu konnte, wahr-
scheinlich immer übel genommen haben. Aber wie es so kam: Aus einer Mussehe wurde dann doch später eine, aus meiner Sicht, ganz glückliche Ehe und mein Bruder und meine Schwester wurden dann als Wunschkinder in diese Welt geboren. Ich wurde dann so lange als Versager dargestellt, bis ich es letztendlich selber glaubte und aus Angst vor dem Versagen zog ich es dann vor, erst gar nicht voranzuschreiten. Heute, zwei Jahre nach diesem Abend im Jahre 2000, bin ich ein ganz anderer Mensch. Wie könnte ich Ihnen sonst diese Geschichte so offen und hemmungslos erzählen. Diese Verwandlung habe ich der guten Pastorin Hecker und der wundervollen Frau Gerlinde zu verdanken. Als Pastorin überzeugte sie mich davon, dass wir Menschen und alle gleich wertvoll sind. So wie es keine Übermenschen gibt, sind auch keine Unterwertmenschen vorhanden. Wir alle sind das Höchste was es gibt. Wir sind Menschen, Gottes Kinder, die nach seinem Bilde geschaffen wurden. Vor seinen Augen gibt es keine Führer und Helden aber auch keine Versager. Und dieses schon aus dem Grunde weil bei ihm nur der Glaube, die Liebe, zu ihm zählt und er unsere Taten gar nicht ansieht. Wie schrieb doch der Apostel Paulus im 4. Kapitel des Römerbriefes: „Abraham konnte sich seiner Taten rühmen, aber nicht vor Gott, denn bei Ihm zählt nur der Glaube.“. Dieses ist übrigens die entscheidende Stelle, die sowohl Jan Huss, wie Martin Luther, wie Ulrich Zwingli und wie Johannes Calvin, letzterer aus meiner Sicht sogar am überzeugesten, zum Reformator werden ließ. Als Frau zeigte mir Gerlinde, dass sie mich brauchte und was ich ihr als Partner wert sei. Dieses nicht nur im Bett sondern rundherum im ganzen Leben. Auch im Bett war ich nicht das Objekt zur Befriedigung ihres Libido sondern sie brauchte mich auch um mir alles, was sie zugeben hatte, auch zukommen zu lassen. Im Leben brauchte sie mich als Partner von dem sie nehmen konnte und wollte und dem gegenüber war sie im Gegenzug bereit auch alles, was sie geben konnte, wirklich zu geben. Eu jeu, den letzten, etwas pathetisch klingenden Absatz habe ich jetzt in der Vergangenheitsform geschrieben. Das war nicht falsch aber auf keinen Fall richtig, denn es trifft heute noch genauso zu wie in der Zeit zuvor. Ganz aufrichtig kann ich heute sagen: „Gerlinde, Mäuschen, ich liebe dich wie keinen anderen Menschen. So glücklich wie wir heute sind möchte ich mit dir alt werden.“. Hätte ich aber statt in der Vergangenheitsform in der Gegenwart geschrieben, hätte ich an einer, für mich ganz entscheidenden Stelle eine ganz andere Wortwahl treffen müssen. Statt der „guten Pastorin Hecker“ hätte ich den Namen Hecker durch den Namen Lammert ersetzen müssen und bei der Formulierung „der wundervollen Frau Gerlinde“ hätte ich „der“ gegen „meine“ auszutauschen gehabt. Na ja, mein Mäuschen ist von der schnellen Truppe und ließ mir keine Fluchtchance. Schon sechs Wochen nach diesem ersten Abend waren wir Mann und Frau. Wie bitte, sagt da jemand, ich würde jetzt Hypersprünge machen und vom ersten Tag unserer Liebe gleich auf deren vorläufigen Vollendung springen? Na ja Leute, das ist hier jetzt meine volle Absicht. Diesen Abend wollte ich mit dem berichteten fast abschließen, denn ich wollte hier bestimmt nicht unsere privaten Dinge, die nur Gerlinde und mich etwas angehen, in Form einer erotischen und/oder romantischen Geschichte vor der Menge ausbreiten. Das ist etwas für die Literaten genannten Sprach- und Stilkünstler, die sonst nichts zu sagen haben. So etwas überlasse ich den Leuten, die der großen Eurosummen Willen schreiben und dann damit Lesestoffkonsumenten ein wollüstiges aber ansonsten wertloses Vergnügen bereiten wollen. Jetzt muss ich aber noch verraten, warum ich dann mit der Geschichte überhaupt so angefangen bin. Ganz einfach: Meine krankhafte, vermutlich erziehungsbedingte Schüchternheit machte das Ganze erst so, wie es geschehen ist, möglich. Diese verschaffte Gerlinde die Möglichkeit sich von den gesellschaftlichen Zwängen, die sie von Beruf wegen umgaben, zu lösen und sich als der Mensch, der sie wie jeder und jede Andere auch ist, zu outen. Und hier möchte ich ansetzen. Ich möchte den Leuten einen Spiegel vorhalten und zeigen, dass in unserer Gesellschaft Schizophrenie mit Normalität gleich zu setzen ist. Die Mehrheit in unserem Volk zählt sich durch Mitgliedschaft zu einer Kirche oder Religionsgemeinschaft zu den Christen und im Alltag müssen wir immer wieder feststellen, dass die wahre Mehrheit aus säkularisierten Atheisten, bestenfalls Esotherik-KlimbimGläubige, besteht, die den Mammon als ihren Gott so verehren, dass sie dafür bereit sind, ihre Seele für immer und ewig zu opfern. Ist es nun Heuchelei oder ist es wirklich Schizophrenie, wenn es Leute gibt, die offensichtlich spiritistisch abgehoben sind und durch Sakramente die Eintrittskarten in den Himmel erworben zuhaben glauben aber im wahren Leben Globalisierung, Vermögen, Besitzstandswahrung, Werte der westlichen Welt, die es mit Waffengewalt zu verteidigen gilt, Asylmissbrauch, Islamisierungsgefahr, Neuordnung sprich Abbau des sozialen Netzes, Investitionsanreize, maßvolle Lohnabschlüsse, Börsenkurse und so weiter zu ihren Leitthemen machen. Alles Dinge, über die man selbstverständlich hinsichtlich des Ordnens unseres irdischen Miteinander reden kann oder gar muss, aber als Leitthema fürs Leben und Handeln genau das Gegenteil von Christum sind. Kirche und Glaube sind so zu einer Art Versicherung für den Fall, dass da doch was dran ist, verkümmert. Wir leben in einer unchristlichen Geld- und Spaßgesellschaft die sich im Zuge ihrer Schizophrenie als christliche Wertegesellschaft dünkt. Die Schizophrenie zeigt sich sehr deutlich in unserer Art alles auseinander zu addieren. Es gibt nicht die eine Weltanschauung sondern die religiöse und die politische, die man doch besser auseinanderhalten sollte. Wobei man dann gar nicht merkt, dass man sich mit der einen gegen die andere ausspricht. Man ist empört, wenn ein
Pastor aus christlicher Sicht sich in die Politik einmischt und merkt gar nicht, dass ihm die Nachfolge Jesu dazu sogar verpflichtet. Aber seltsamer Weise hat oft die religiöse Weltanschauung auch recht wenig mit christlichen Leben zutun. Man durchstöbert die Bibel nach Textstellen, die gerade in den Kram passen oder die sich so herrlich gegen den oder die Anderen einsetzen lassen, und diesen picken sie dann, den Kontext missachtend und zusammenhangslos, heraus und verordnen den Anderen, natürlich nicht sich selbst, diese wörtlich zu nehmen. Streng genommen ist so etwas eine unzulässige Interpretation, die wir so gerne den Moslems in Verbindung mit dem Koran vorwerfen, wobei wir Christen uns in vielen Dingen als die größeren Meister in der sinnverfälschenden Interpretation erweisen. Was dahingehend paradox erscheint ist, dass wir es mit der Bibel in der Hand wagen, dem bösartigen Gott Schöpfungsfehler beziehungsweise die Prädestination der Sünde vorzuwerfen. Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er sich nur mittels der körperlichen Liebe fortpflanzen kann. Erklären wir nun den Geschlechtsverkehr zur Todsünde, müssen wir uns doch fragen, was das für ein Gott ist, der es so einrichtete, dass der Schöpfungsprozess nur über diese Todsünde fortgesetzt werden kann und dann noch in unserer Seele den Wunsch, ich will mal in diesem Fall nicht Trieb sagen, eingepflanzt hat, dass wir das tun, was sein unbeschreibliches Werk zur Vollendung bringt. Nach meiner Ansicht ist es die wahre Sünde, die unser Seelenheil kosten könnte, die Geschlechtlichkeit zur Todsünde zu erklären. Urteilt nicht damit ihr nicht verurteilt werdet. Und wie gehen wir mit unserem anmaßenden Urteilsspruch um. Er gilt immer für alle anderen, insbesondere für die, die sich zu einem Beruf im Dienste von Kirchen oder Religionsgemeinschaften entschieden haben, aber nicht für uns. Halten wir es nicht für normal wenn Eheleute, bei denen es offensichtlich nicht so klappt oder bei denen sich nachträglich herausstellt, dass sie nicht zusammen passen, mal so ganz locker zum Scheidungsrichter gehen und auf den Gerichtsfluren die wiedergewonnene Freiheit mit Sekt feiern? Aber wenn eine verwitwete Pastorin mal einen Mann anlächelt halten wir gleich Ausschau nach dem größten Felsbrocken, mit dem wir sie steinigen wollen. Dieses Verhalten war für Gerlinde dann die Triebfeder für die Eile, mit der sie sich den schüchternen Mann, der ihr vom ersten Blick an so gut gefiel, einfing. Wiederholt hat sie mir schon gestanden, dass sie, wenn ich selbstbewusster aufgetreten wäre und Conny nicht in diese Richtung gesteuert hätte, sich das alles gar nicht gewagt hätte. Aber ganz ohne innere Konflikte lief es bei ihr jedoch nicht ab, was sich insbesondere in unserer ersten Nacht zeigte. Wir hatten nach dem „Gespräch“, was ich zuvor geschildert habe, noch etwa eine halbe Stunde mit Conny zusammengesessen aber dann zogen uns unsere, sich langsam steigernden menschlichen Gelüste ins gemeinsame Lager. Es war wirklich wunderschön, direkt himmlisch. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich hatte ja zuvor, trotz meiner 50 Jahre, bisher nur Erfahrung mit zwei Frauen. Das war einmal Conny, die mir zwar menschlich sehr viel gab aber, wahrscheinlich aufgrund ihrer Veranlagung, konnte sie mir körperlich nicht das geben, was die Bezeichnung Höhepunkt verdient hätte. Mathilde war so materialisiert, dass bei ihr alles nur auf Lustbefriedigung abzielte. Man könnte sagen: „Drauf, hopp, hopp und fertig“. Im menschlichen und seelischen Bereich schwang nichts mit. Das ist alles bei Gerlinde anders. Man kann ihre Zärtlichkeit und Wärme spüren und sich darüber erfreuen, wie sie selbst so etwas im Gegenzug genießt. Wenn unsere nackten Körper sich berühren wird man von einem wohligen Schauer vollkommen durchzogen. Zwischen uns schwingt eine geistige Frequenz, die uns das Gefühl gibt eins zu sein. So wie es im Lukas-Evangelium steht: „Ihr sollt ein Fleisch werden.“. Der Orgasmus, der für sogenannte Sexberater das Wichtigste zu sein scheint, ist bei Gerlinde und mir im Grunde nicht mehr als eine schöne Nebensache, die halt dazu gehört. Als wir uns zum ersten Mal alles gegeben hatten, bemerkte ich das Gerlinde leise vor sich hin weinte. Als ich sie fragte, was denn sei, sagte sie leise, fast im Flüsterton: „Ach mein Liebster, ich habe ein so schlechtes Gewissen weil ich dich, gleich einer sexwütigen Xanthippe, überfallen und übertölpelt habe. Nichts mit einer schönen Anbandelung mittels geistiger Übereinstimmung, nichts mit einen einleitenden Flirt. Da habe ich dich zum Objekt meiner Begierde abgestempelt, was ich aber gar nicht wollte. Ich sehne mich doch auch, wie die anderen wahrscheinlich auch, nach Liebe, Wärme, Zuneigung und Partnerschaft. Ich fühle mich diesbezüglich so einsam und verlassen. Aber die Leute machen es mir so unendlich schwer. Ich sehe nicht nur ein sondern halte es aus meiner Überzeugung für richtig, dass ich als Pastorin ständig bemüht sein muss eine Vorbildfunktion auszuüben. Keinesfalls darf ich mich im Zuge meines Auftrages als Sausebraus geben. Aber deshalb muss man mich doch nicht zum geschlechtslosen Eremitentum verurteilen. Unser Herr hat doch auch mich mit dem ausgestattet, was die Leute bei sich als normal empfinden. Da man mir so keine Chance gibt auf üblichen Wege zu meinem menschlichen Glück zu finden, sah ich keinen anderen Weg, als du, der, so wie ich es bis jetzt beurteilen kann, dem entspricht was ich mir immer gewünscht habe, auf der Bildfläche erschienst, so besitzergreifend, ohne Rücksicht auf deine Gefühle, zuzugreifen. Mich quält jetzt nicht, das ich es getan habe sondern wie ich dich behandelt habe. ... Bitte verzeih mir.“. „Ich sehe keinen Grund warum ich dir verzeihen müsste,“, begann ich meine Erwiderung, „denn ich habe das Gefühl als wäre alles, was heute geschehen ist, Gottes Willen.“. Hörbar lächelnd unterbrach sie mich: „Jetzt begibst du dich auf mein Fachgebiet und ich müsste jetzt richtig klein darüber werden, weil du und nicht ich es war, der darauf kommt. Es ist sicherlich so wie der Apostel Paulus schreibt, dass Gott alles vorbestimmt hat. Laut dem Reformator Johannes Calvin, sowohl gut wie böse. Wir können gar nicht beurteilen was gut oder böse
ist, denn wenn wir sagen es sei böse, dann urteilen wir über den, der das vorbestimmt hat ... und das steht uns nicht an. Alles was Gott vorbestimmt hat, ist dazu bestimmt uns zu vervollkommnen. In der Bergpredigt sagt unser Herr, dass unser himmlischer Vater vollkommen ist und auch wir vollkommen werden sollen. Dem Zweck dient sowohl Freud wie Leid, vermeintliches Glück und Pech. Der Apostel Paulus meint, dass wir uns unseres Glaubens aber auch unserer Leiden rühmen müssten. ... Ich habe jetzt das Bedürfnis, unserem Herrn für das zu danken, was er uns zu erleben prädestinierte. Ich möchte ihn bitten, unsere Partnerschaft zu segnen und uns die Kraft zu geben immer, in Freud und Leid zusammen zu stehen. ... Möchtest du mit mir beten?“. Ich wollte und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich nach einem Geschlechtsverkehr die Hände zum Gebet faltete – und es sollte in unserer Partnerschaft nicht das letzte Mal sein. Wir beten aber nicht aus einem GebetGeschwister-Tick heraus sondern weil es uns ein echtes Bedürfnis ist. Die Eindrücke, die Gerlinde während ihres Urlaubes gesammelt hatte, waren der Hintergrund für eine engagierte Predigt, die sie am ersten Sonntag, als sie wieder zurück in ihrer Gemeinde Lammthal war, hielt. Ich saß neben Anna Katharina, Gerlindes 16-jährigen Tochter. Au, da merke ich, dass ich Anna Katharina noch gar nicht erwähnt habe obwohl mir Gerlinde bereits am ersten Abend von ihr berichtet hatte. Sie war das einzigste Kind der Pastorin obwohl sie gerne mehr Kinder gehabt hätte. Nach der Geburt ihrer Tochter hatte sie dann noch zwei Fehlgeburten nach dem sie sich dann zur Sterilisation entschlossen hatte. Als Gerlinde erstmalig mit mir im Pfarrhaus erschien, ernte ich zunächst eine Portion Misstrauen bei Anni, so wie ich sie später nannte. Ich, der eine solche Situation noch nicht erlebt hatte, kann dieses zwar nicht beurteilen aber ich glaube, dass die Leute, die bei einer solchen Gelegenheit von einer natürlichen Reaktion sprechen, doch recht haben. Sehr offen, aber natürlich nicht in Details, berichtete Gerlinde ihrer Tochter wie wir zueinander gefunden hatten. Diese schaute erst einige Minuten verdutzt drein aber dann geschah etwas, was ich so nicht erwartet hätte. Plötzlich begann Annis Gesicht zu strahlen und sie sagte: „Mutti, du bist doch die Allerbeste und hast mal wieder alles richtig gemacht. Du bist nicht dafür geschaffen alleine zu versauern. Von deinem Beruf her solltest du viel Menschenkenntnis besitzen und ich weiß, dass du diese auch hast. Deshalb kann dein Freund nur der Richtige sein.“. Jetzt holte sie tief Luft, sprang auf einmal auf und umarmte mich, den sie zuvor noch nie gesehen hatte, und sagte herzlich klingend: „Dann willkommen Vati.“. Sie sagte also von Anfang an, sogar bevor sie meinen Vornamen kannte, Vati zu mir. Was mich in diesem Moment so sehr rührte, dass ich weinen musste. Das war der Beginn eines sehr guten Verhältnis zwischen mir und meiner Stieftochter und ich muss jetzt wirklich bekunden, dass es Gott offensichtlich sehr gut mir meint. Nun aber zu der Predigt, die ich soeben schon angeschnitten hatte. Gerlinde fragte was Glaube sei. Wörtlich verkündete sie: „Ist Glaube eine spiritistische ... Entschuldigung man sollte Fremdworte vermeiden – Also ist Glaube eine ausschließlich geistige Angelegenheit, die wir durch Taten wie viele Gebete, Taufe, Konfirmation, Abendmahl oder christliche Trauung bekunden. Oder ist Glauben eine das ganze Leben durchziehende Liebe zu dem dreieinigen Gott? Zeigt sich der wahre Glaube nicht eher im Alltag, in der Wirtschaft, in der Politik als sonntags in der Kirche. Was nützt uns die Taufe und viele Abendmahle wenn unser ganze Streben im Alltag auf mehr Wohlstand und Besitzstandswahrung ausgerichtet ist. Leugnen wir nicht unseren Gott wenn wir ums Goldene Kalb tanzen? Dann nützt uns der ausschließliche vergeistlichte Glaube und die Sakramente absolut nichts, denn dann kennt uns der Herr nicht. Wir können nicht am Sonntag entmenschlichter Christ sein und im Alltag ein sich christlich gebender aber vollkommen verweltlichter Mensch. Wir sind nicht Christ oder Mensch, je nach jeweiligen Bedarf, sondern immer nur Christenmensch, eine Einheit. Wir lieben Gott nicht nur in der Kirche sondern auch in Politik, Wirtschaft sprich in der gesamten Gesellschaft. Auch wenn wir Gott lieben, kommen wir nicht umhin in Geld und in dessen Beschaffung eine Notwendigkeit zusehen, mit der wir unsere Verhältnisse hier auf Erden zu regeln gedenken. Aber wenn wir Gott lieben, ist Geld nur ein Werkzeug was vor seinen Augen nicht mehr wert als ein Staubkorn ist. Dann sind Wohlstand und Besitzstand keine Lebensziele. Im ersten Gebot heißt es: ‚Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.’. Das bekunden wir aber nicht im Gottesdienst sondern im alltäglichen Leben.“. So ging sie jetzt alle zehn Gebote durch und übte dabei derbe und deftige Gesellschaftskritik. So hatte sie schon über eine Viertelstunde gepredigt obwohl es doch heißt, dass ein Pastor alles dürfe, nur nicht über 10 Minuten predigen. Trotzdem setzte sie noch eine entscheidende Passage drauf. Sie fragte woran sich zeige, dass ein Mensch im Glauben sei? Ob dieses daran zu sehen sei, wie sich ein Mensch an die angeblich biblischen Gesetze halte. Dann erklärte sie ganz provokatorisch, dass es so etwas gar nicht gäbe. Es gäbe nur vielfältige Versuche anderen Menschen Gesetzestreue vorzuspielen um ihnen diese aufzuzwingen. Wir wären alles nur Menschen, wir wären schwach und stets für Sünde anfällig. So sehr wir uns auch bemühten, würden wir immer wieder der Sünde verfallen und gerade deshalb wäre unser Herr am Kreuze gestorben. Deshalb sollten wir nicht ständig moralisierend auf andere zeigen sondern lieber Gott um Vergebung für unsere eigenen Sünden bitten. Niemand unter uns wäre ohne Sünde. Jetzt folgte der Schluss, der dann auch mich ein Wenig schockierte: „Auch ich als Pfarrerin bin nicht ohne Schwäche und Sünden. Wie wohl die meisten Menschen auch, habe ich erotische Fantasien und sexuelle Bedürfnisse. Wenn einer unter euch ist, der meint er wäre ohne Sünde, der kann jetzt den ersten Stein aufnehmen und nach mir werfen. Wenn ich das jetzt so offen sage, dann will ich hiermit
bekunden, dass, wenn ich in zwei Wochen wieder heirate, dieses überhaupt nicht aus Vernunftgründen mache. Ich mache es auch nicht aus Gründen irgendwelcher konstruierter Werte sondern weil ich einerseits des Alleinseins müde bin und mich nach Nähe und Partnerschaft sehne aber auch aus meinen menschlichen Bedürfnissen aus dem Bereich Sex und Eros. Und ich schäme mich dessen nicht, denn für mich ist der Glaube das Leben – und dazu gehört auch das allzu menschliche.“. Im Gegensatz zu Anni hatte ich Gerlinde zuvor noch nie predigen gehört, deshalb muss ich meiner Stieftochter einfach glauben, wenn sie sagt, ihre Mutter habe zuvor noch nie so gut und überzeugend gepredigt wie an diesem Sonntag. Während des Mittagsessen meinte die Predigerin dann selbst dazu: „Ich glaube, ich habe jetzt einiges angerichtet. Man sah es den Leuten direkt an, wie sie meine Worte in Richtung Verärgerung aufwühlte. Ich habe jetzt wohl mit einigen Trabel zu rechnen. Aber das stehe ich durch, weil ich überzeugt bin das Richtige gesagt zu haben. ... Das hätte ich schon längst machen müssen.“. Sie sollte sich aber getäuscht haben. Nichts kam in dieser Richtung. Alle schwiegen; offensichtlich aus dem Grunde weil es den Leuten zwar nicht schmeckte was sie gesagt hatte aber sie einsehen mussten, dass sie wohl doch irgendwo recht und sogar mehr hatte. Na ja, ein Wenig reserviert verhielten sich die Profifrommen schon aber offen merken ließ man sie nichts. Anders die Sache mit ihrem Hochzeitskleid am Tage des offiziellen Beginnes unserer amtlichen Zweisamkeit. In einem Traum aus Weiß wollte die jetzt 43-jährige Gerlinde mit ihrem 50-jährigen Bräutigam natürlich nicht antreten. Schließlich sind wir ja auch nicht so unschuldig wie dieses die Komplementärfarbe Weiß ausdrücken soll – aber welche Braut ist das heute schon? Aber Spaß bei Seite und zur Beschreibung des Kleides des Anstoßes. Und damit habe ich mal wieder den Mund zu vollgenommen, denn mein Mode-Gedächtnis-Speicher ist wohl nicht so proportioniert, dass ich später eine Beschreibung, die modebewusste Damen befriedigt, liefern könnte. Ich kann nur das sagen, was die Pupillen von Männeraugen zu abtastenden Bewegungen veranlasst. Und genau das war es, was die Kirchenbankjungfern auf die Barrikaden trieb. Die Pastorin schritt in einem supersexy Kleid zu ihrer eigenen Trauung. Sie trug ein farblich ansprechendes, körperbetontes Sommer-Cocktailkleid aus einem lockeren Stoff, der wenn Licht hindurch fiel nette Durchblicke erlaubte. Natürlich ist ein Lichtdurchfall nur im Bereich zwischen Knie und Po möglich – und so schlimm, dass man von unanständig hätte sprechen können, war es diesbezüglich nun wirklich nicht. Das Einzigste was man sagen kann ist, dass, wenn sie zwischen Betrachter und Lichtquelle stand, die Schatten ihrer Oberschenkel bis zu den Konturen ihres Slippers nachvollziehender Weise erkennen konnte. Ab dem Knie abwärts brauchte man sich diesbezüglich keine Gedanken zu machen, denn der Rocksaum lag oberhalb ihrer Knie. Sicher dürfte der Gürtel, der ihre schon ohnehin schlanke Taille noch ranker erscheinen ließ, das Neidglöckchen bei mancher Dame läuten lassen haben. Dieses war allerdings weniger der Tratschanstoß sondern der war wohl im Oberkörperdesign des Sommerkleides zu suchen. Ihre nackten Schulter wurden auf jeder Seite nur von einer Träger genannten Schnurr bedeckt. Und dann das Dekollete – o la, la. Ich gebe ja zu, dass dieses doch für manche Geschmäcker ein Bisschen viel von ihrem fleischigen Busen unbedeckt ließ aber immerhin befand sich zwischen Stoffbeginn und Warzenhof doch noch ein Raum, den man mit der Beschreibung „Zweieinhalb-Finger-Breite“ abhandeln konnte. Was einige Kirchenenthusiasten vollkommen aus der Rolle geschmissen haben dürfte war wohl in erster Linie die Hautfarbe des jetzt sehbaren Busenbereiches: Er war braun, woraus sich schließen lässt, dass sie diese Attribute ihres schönen Körpers unverhüllt der Sonne preisgegeben haben muss. Ich kann bestätigen, dass dieses sogar wahr war, denn ich war bei den Gelegenheiten in Frauenwald dabei. Nicht nur diesen Bereich ließ sie, wenn sie mit mir an einem stillen Örtchen auf Connys Insel sonnenbadete, im textilfreien Zustand sondern auch das Höschen befand sich auf dem Kleiderstapel. Aber diese betreffende Körpergegend war natürlich bei ihrem Hochzeitskleid vor unkeuschen Zublicken geschützt. Na ja, ihrerseits war diese Bekleidungsordnung zu ihrem Hochzeitstag ein Protest gegen die vorhergehende Verurteilung zur überzogenen Prüderie durch die Volksmeinung in der Gemeinde. Für die übergeordnete Hierarchie im Kirchenapparat, also Superintendent und so weiter, war es unangemessen und gerade mal an der noch zulässigen Grenze und das Kirchenvolk war meinungsmäßig gespalten. Insbesondere die jüngeren Gemeindemitglieder, vom Konfirmandenalter bis so Anfang Dreißig, waren stolz auf ihre moderne Pastorin und ihre Zahl verdoppelte sich praktisch auf den Kirchenbänken. Aber leider war deren Zahl nach der Verdoppelung immer noch nicht so groß, dass man von einer neuerwachten Frömmigkeit in Lammthal hätte sprechen können. Für die berufsfrömmelnde Kirchenläufergarde waren allerdings Zustände wie in Sodom und Gomorra heraufgezogen. Oh je, wie plusterten die sich über ihre sündige Pastorin auf. Nun, gegenüber ihren Kirchenoberen gab sie sich reumütig, gegenüber der Gemeinde verlor sie kein Wort zu dieser Sache sondern ging stattdessen zur Kirchennormalität über und nur mir gegenüber blieb sie mein, mich glücklich machender Sausebraus. Wir unterhielten uns öfters, mal zu Zweit und mal mit Anni zu Dritt, über die Widersprüchlichkeiten des kirchlichen und weltlichen Lebens. Gerlinde führt, also auch heute noch, die Widersprüchlichkeit einerseits auf die Bequemlichkeit und andererseits auf den Erhabenheitsanspruch der Menschen zurück. Es ist doch viel bequemer sich im kirchlichen Bereich auf das Spiritistische und im weltlichen Bereich auf nüchterne Realität
zurückzuziehen als das gesamte Leben im Glauben zu führen. Durch die Trennung wird es möglich, dass einer, der sich sonntags Christ nennt, für sich werktags als Werbeagenturbetreiber Konsum und Wohlstand zum Gott gleichen obersten Lebensziel propagiert. Dieses ebenso wenn man als Parteisoldat mit dem Namen des Herrn die Leute von der zwingenden Notwendigkeit von Einschnitten ins soziale Netz zu Gunsten der Investitionsbereitschaft, sprich Aktionärdividenden überzeugen will. Die Trennung zwischen Sonntagschrist und realen Wirtschaftmenschen macht es leicht, den Bus- und Bettag zur Kompensation von gewinnbescheidenden Sozialausgaben zu streichen. Die Aufteilung in christliches und volkswirtschaftliches Denken erleichtert einen die Mitwirkung an der Demontage des Rentensystems zu Gunsten einer angeblichen Generationsgerechtigkeit. Welch ein Vorteil ist doch für Bundestagsabgeordnete die Trennung zwischen der Feindesliebe, die die Bergpredigt gebietet, und der Zustimmung zu Kriegseinsätzen wenn der spiritistische und der gesellschaftliche Bereich fein säuberlich auseinander gehalten wird. Es lässt sich nach einer Scheidung, die vermeidbar gewesen wäre wenn man mal miteinander gesprochen hätte, besser schlafen, wenn das zum geistlichen Bereich gehörende sechste Gebot im real Leben von nicht so großer Bedeutung ist. Da Steuerhinterziehung grundsätzlich Diebstahl oder gar Raub an der Allgemeinheit ist würde der Bankchef, der sich gegen die Kriminalisierung und für Amnestie bei Millionschiebern ausspricht, wenn er das Christsein nicht auf den Raum Kirche einschränken würde, ganz schön in Konflikt mit seinem Gewissen kommen. Was heißt, dass man nicht Lügen soll, wenn Wahlkampfgeschwätz gar nichts mit der geistlichen christlichen Sphäre zu tun hat. Wer Sonntags ein richtiger Christ ist kann doch durchaus als cleverer Geschäftsmann alles begehren was des Anderen ist, die Bereiche sind doch voneinander getrennt. Übrigens, für denjenigen, der es nicht gemerkt haben sollte: Ich habe mich bei der Wiedergabe von Gerlindes Gedanken so eben in der Reihenfolge an die 10 Gebote gehalten. Also, wie wir eben gesehen haben, macht die Trennung zwischen religiösen, geistlichen und weltlichem, realen Leben so schön leicht. Aber was hat das mit der Erhabenheit, die ich eben mit anführte, zu tun? Na ja, was ist die christliche Auffassung, dass wir alle Gottes Kinder und in seinen Augen gleichwertig sind, doch für eine erniedrigende Angelegenheit. Dann sind doch Spitzenpolitiker und fremdländische Straßenreiniger, Bankdirektoren und Sozialhilfeempfänger, Manager und Arbeitslose, Christdemokraten und Kommunisten, Unternehmer und Gelegenheitsarbeiter gleichwertig. Wie gut, das christliche Brüderlichkeit an der Kirchentür, also am Übergang vom spiritistischen zum säkularen Bereich, endet. Dann können wir doch in der Gesellschaft so schön auf die Faulenzer, Trittbrettfahrer in der sozialen Hängematte, Scheinasylanten, Tagediebe, Asoziale und was es sonst noch für Untermensch gibt weisen und uns selbst auf dem Sockel des Übermenschen dünken. Mensch sein gehört halt in das religiöse Leben, was nur sonntags von Zehn bis Elf stattfindet. Wenn man da außer zu Weihnachten und diversen traditionellen Familienfesten wie Taufe, Konfirmation, Trauung und endlich Erblasserverabschieden noch hingeht. Solche Anlässe lässt man sich ja noch gerne von den kirchlichen Showmastern mit dem Titel Pfarrer moderieren. Diese Bequemlichkeit und Erhabenheit dürfen wir aber nicht einseitig sehen. Wie erhaben ist es doch sich das preußische Obrigkeitssymbol, den Talar, anzuziehen und auf den Kanzel genannten Sockel zu steigen und mit den Finger auf andere, Juden, Moslems oder Atheisten, zu zeigen aber jedes Wort zum unchristlichen Treiben in unserer Gesellschaft zu meiden. Kann ja auch unangenehm werden, wenn sich Politikusse, Bankfiosis, Abschiebebeamtokraten, Sozialhilfeantragabwimmler, Manager. Law- and Order-Richter, Sexshopbetreiber und andere guten Kirchensteuerzahler angesprochen fühlen. Statt wie Calvin den unbedingten Gehorsam zu Gott zu fordern, ist es doch so bequem, das Zelebrieren von Taten, die ohne aufrichtiges Bekenntnis und wahrhaftes Hinaustragen in die Gesellschaft sinnlos sind, anzubieten. Welchen Wert hat denn eine Taufe ohne vorhergehendes Bekehrung? Gott sieht doch keine Taten, also kein Wasserplemperchen übers Köpfchen, sondern nur den Glauben. Als Zeichen meiner Bekehrung, als Ausdruck meines Glaubens spiegelt die Taufe den Zustand meiner Seele wieder und nur die wird von Gott angesehen. Und wie kann das bei Säuglingen funktionieren? So gesehen ist die Säuglingstaufe nur ein rituelles Klimbim bei dem der Geistliche den Leuten vorgaukelt er habe Freifahrtscheine in den Himmel zu vergeben. So ist das auch mit den Abendmahl, Gebeten und so weiter. Ohne Bekehrung und wahrhaften Glauben sind die nur Abendmahlspielchen und die mit Geplapper verbunden Steh-Auf-Übungen zwischen harten Kirchenbänken. Wo sind denn die engagierten, mutigen Prediger, die die un- und antichristlichen Zustände in unserer Gesellschaft anprangern und nicht denjenigen, der Gesellschaftliches in der Bibelstunde anschneidet, ermahnt nicht auf dieses Gleis auszuweichen sondern beim Evangelium zu bleiben? Den Vorwurf, dass Pastöre auch nur an ihr relativ gutes Einkommen denken und sich deshalb als Kirchenmaus im Talar auf der Kanzel verschanzen, ließ Gerlinde aber nicht auf sich sitzen: „Schau mal Schatz, wenn du mir sagen sollst, was auf einem Markstück (der Euro war damals noch nicht im Umlauf) zu sehen ist, muss du dieses schon einmal umdrehen damit du mir, nach vorgehender Überzeugung ‚Adler und Eins’ sagen kannst. Drehst du es nicht um, siehst du nur entweder den Adler oder die Eins. So musst du es auch bei meinem Amt sehen. Sicher ist es das ausschließlich Richtige, wenn ich den Leuten das Wort vorhalte, wenn ich sie davon überzeuge, dass man Religion und Gesellschaft nicht trennen kann und darf. Aber was mache ich, wenn ich damit das Presbyterium animiere mich von der Kanzel zu jagen? Dann muss ich, auf Grund eigenen Übermutes, den Platz
verlassen, den mir Gott zu gewiesen hat. Dann kann ich ihm nicht, wie es der Missionsbefehl will, nicht mehr als seine Dienerin, als Glied seines Heiligen Geistes zur Verfügung stehen. Was habe ich davon, wenn ich naive Tatengläubige aus der Kirche und dann vielleicht in die Gottferne treibe? Besteht nicht die Gefahr, wenn ich mich jetzt zu radikal meines Glaubens rühme und die in ihrem naiven Glaubensleben gewachsenen Taten kritisiere, dass ich die Leute in tiefe Zweifel stürze? Was habe ich davon, wenn ich klarstelle, dass bei Adam und Eva nicht die Nacktheit sondern der Ungehorsam der Sündenfall und jemand darin eine Aufforderung zu einem gottlästerlichen Leben in Saus und Braus sieht? Du merkst, dass du beide Seiten betrachten musst, wenn du verstehen willst, warum ich nicht, obwohl es auf den ersten Blick richtiger aussieht, mit der Brechstange vorpresche.“. Ich muss zugeben, dass alles immer viel schwieriger ist, als es auf den ersten Blick aussieht. Gerade zu dem eben abgehandelten Thema führten wir im Familienkreis häufige und lange Gespräche. Aber bitte jetzt nicht annehmen, ich wäre jetzt voll und ganz in eine Theologenwelt gewechselt. Auch für mich legte der Alltag keine Dauerpause ein, auch ich musste mich um diverse weltliche Dinge kümmern. Und in der Welt war mein Problem die Distanz zwischen meinem Heimat- und Wirkungsort Rollere und Lammthal, wo meine Frau pastoral residierte. Wer diese beiden kleineren Orte kennt, weiß das zwischen beiden eine Distanz von etwas über 120 Kilometer ist. Da man nur auf einem kurzen Stück eine, zur Zeiten des Berufsverkehrs stark überlastete, Autobahn findet und die übrige Strecke im Großen und Ganzen durch innerstädtische Straßen mit vielen Ampeln und Kreuzungen führt, muss man mit einer schnuckeligen Fahrzeit von zirka drei Stunden pro Tag und Strecke, Hin oder Zurück, rechnen. Das riecht fürchterlich nach Wochenendehe bei der man in unserem Falle tatsächlich den alten Schlager „Hoppladie, Hopplada, das ist grazy. Wenn er ‚Zeit’ hat geht sie ‚arbeiten’“ hätte singen können, denn das Wochenende ist ja bekanntlich die Hauptbeschäftigungszeit für Pastorinnen. Neben dem Gottesdienst stehen dann ja auch immer eine ganze Reihe von Anlässen, sowohl privat familiär wie offiziell öffentlich, an bei der die Anwesenheit des „Gemeindeoberhauptes“ gefragt ist. Schließlich wird ja zumindestens jede zweite solcher Veranstaltungen, auch wenn der Anlass, wie zum Beispiel Goldene Hochzeit oder ein 90. Geburtstag, an einem Tag in der abgelaufenen Woche liegt, zu einer Zeit angesetzt, wo die Mehrheit der Bevölkerung keinerlei dienstlichen Verpflichtungen nachkommen muss. Von Gemeindefesten in der eigenen und in Nachbargemeinden sowie solcherlei Aktivitäten von Altenheimen, Kindergärten und so weiter wollen wir gar nicht erst reden. Na ja, wenn man wissen will, was die Leute in Wirklichkeit alles zu tun haben, muss man hinter die Kulissen schauen. Ich erlaube mir gegenüber Gerlinde ab und zu hinsichtlich des dritten Gebotes zu scherzen, dass dieses wohl im Dienste des Herrn aufgehoben sei. Mein Glück war es diesbezüglich, dass ich in dieser Hinsicht mit einer ganzen Menge Unabhängigkeit privilegiert war. Die Vergangenheitsform ist in diesem Falle angebracht, denn ich musste ja irgendwo eingreifen. Das Gerlinde die Konsequenzen ziehen würde war und ist bei ihrer Überzeugung ausgeschlossen. Es ist ihre feste Überzeugung, dass sie Gott für diese Amt berufen habe und sie dieses nicht aufgeben dürfe. Nicht nur bildlich gesprochen gilt ein Geistlicher als der Hirte der Gemeinde, was beispielsweise durch den Hirtenstab der katholischen Bischöfe dokumentiert wird. Und ein Hirte verlässt bekanntlich seine Herde niemals. Früher ein Problem bei den sogenannten „republikflüchtigen“ Pfarrern aus der DDR, denn die bekamen dann im Westen, eben weil sie ihre Herde verlassen hatten, keine Einstellung als Pfarrer mehr. Im Falle Gerlinde muss ich eins noch erwähnen: Obwohl, wie ich ja bisher berichtete, ihr ihre Gemeinde im Hinblick auf weltliche Menschlichkeit mit abstrusen, puritanischen Moralvorgaben reichlich mitspielte, hing sie doch an ihrer Gemeinde, in der sie schon über ein Jahrzehnt ansässig war. Sie war zunächst als Vikarin hier gewesen und zwischenzeitig nach ihrer Ordination zwei Jahre in einer anderen Gemeinde tätig gewesen. Als ihr Vorgänger in den Ruhestand trat bewarb sie, die sich als Vikarin hier sehr beliebt gemacht hatte, um die Pfarrstelle und bekam sie somit auch. Ich schrieb ja eben von meiner Unabhängigkeit. Die beruhte darin, dass ich selbstständiger Buch-, Schul- und Schreibwarenhändler war und wieder bin. Wie bitte, sagte da jemand, dass Geschäfte nicht alleine laufen und es mit der Unabhängigkeit gar nicht so sein könne. Nun ja, heute würde ich dass auch gar nicht mehr so sagen. In meinem kleinen Laden hier in Lammthal habe ich noch eine, allerdings sehr tüchtige Mitarbeiterin aber wenn ich dann mal nicht am Ball bin, klemmt es doch fast überall. Das war aber in Rollere anders. Da waren es nicht nur vier Mitarbeiterinnen beziehungsweise Mitarbeiter sondern auch meine Partnerin Eleonore Löffler. Eleonore, die vor ein paar Tagen ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, ist ein richtiges „Arbeitspferd“. Zusammen mit ihrem vor sechs Jahren verstorbenen Mann gründeten wir mal diese Geschäft als eine GbR, also als eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, waren tüchtig und hatten den entsprechenden Erfolg. Nach dem Tode ihres Mannes ging Eleonore, deren beiden Kinder inzwischen aus dem Haus waren, praktisch ganz und gar im Geschäft auf. Ich hätte praktisch in einen Dauerurlaub treten und mir meine Gewinnanteile überweisen lassen können. Aber finden sie das fair? Und zum anderen hätte mich ein Tagediebdasein auch nicht befriedigt. Da unterscheide ich mich wohl doch ein Wenig von den Superreichen, die lieber allerlei Showfirlefanz, damit sie auch von den Leuten gesehen werden, was sie ja als Rückgratersatz brauchen, veranstalten aber so faul sind, dass sie ihr Geld an ihrer Stelle zum Arbeiten schicken.
So hielt ich dann unmittelbar nach meinem lebensentscheidenden Urlaub bei Conny Ausschau nach einem Objekt in und um Rollere. Das war dann allerdings eine echte Blitzaktion. Etwa 100 Meter von der Kirche und dem Pfarrhaus entfernt befindet sich auf der anderen Straßenseite ein einschlägiger Tante-Emma-Laden, wo man Schul- und andere Bücher, Zeitschriften, Schreibwaren, kleine Geschenkartikel und Souvenirs erstehen kann. Bernhards, die älteren Geschäftsinhaber, wollten sich schon einige Zeit früher in den Ruhestand begeben und konnten kein Nachfolger finden. Die waren sogar richtig froh, wo sie von „ihrer Frau Pfarrer“ dahingehend angesprochen wurden, dass ihr Mann ernsthaftes Interesse an ihrem Geschäft habe. Bekanntlich läuft nichts glatt, so wie geschmiert, sondern einen Haken und einige Ösen gibt es immer. Bei diesem Laden war der Knackpunkt, dass es sich auch um eine Lotto- und Totoannahmestelle handelt. Eine Pfarrerin und der Mann im Glücksspielgeschäft? Gerlinde hatte da zwar keine Probleme mit – aber dafür die Leute. Dadurch wurde sie dann mal wieder zu einer zündenden Predigt animiert. Sie begann damit, dass es in der Bergpredigt heißt „Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich“ und wies dann daraufhin, dass Abraham ein sehr reicher Mann war und große Herden besessen habe. Sollte Abraham etwa das Himmelreich verwehrt worden sein. Sie wies dann daraufhin, dass reich und reich ein Unterschied sei. Wäre ein Mensch, bei dem der Glaube das ganze Leben durchsetzt, reich, würde er in seinem Wohlstand eine irdische Notwendigkeit, auf die er sich auch bescheiden kann, sehen. Natürlich müssten wir auf Erden wirtschaften und unsere Gesellschaft ordnen. Chaos und Wildnis dient keinem Menschen und wäre bestimmt auch nicht im Sinne Gottes. Entscheidend sei das, wo unsere Seele daran hinge. Hängt sie am Geld werden wir menschlich kalt und unglücklich, denn der Drang nach mehr, noch mehr und viel mehr, zwinge den Menschen am Leben vorbei zu existieren, nicht mehr teilen sondern es dem anderen entreißen zu wollen. Dann käme man auf die perverse Idee durch Arbeitsplatzvernichtung seine Gewinne zu steigern und die Betroffenen anschließend als Faulenzer, die an ihrem Unglück selbst Schuld seien, zu beschimpfen. Glücklich sein und das Leben wahrnehmen könne aber nur der, der seine Seele bei dem belässt, dem sie gehört: bei Gott. Abschließend kam sie dann wieder zu ihrem Leitthema. Man solle sich aber nichts vormachen. Man kann nicht spiritistisch Christ und realistisch ein knallharter Toppmanager sein. Niemand kann zwei Herren dienen; so heißt es in der Bergpredigt. Christ ist man nicht nur sonn- und feiertags in der Kirche sondern im ganzen Leben. Glücksspiele, zu denen sie nicht nur Lotto und Toto sondern auch Börsenspekulation zählte, wären aus der Natur der Sache bei der Motivation des knallharten Toppmanager anzusiedeln und somit im christlichen Verständnis bedenklich. Aber dieses wäre aus dem irdischen Handeln, dass dem Ordnen unseres Zusammenlebens diene, heute nicht mehr wegzudenken. Daher hätten wahre Christen keinen Grund so etwas mit einer Acht oder einem Bann zu belegen sondern es wäre Christenpflicht unsere Brüder und Schwestern daran zu erinnern, dass sie an solche Sachen nicht ihre Seele verkaufen dürfen – aber mehr nicht. Urteilen und verurteilen steht uns Christen nicht an. Damit hatte meine liebe Frau allerdings erreicht, dass ich Gewissensbisse bekam, die mich zuvor gar nicht so angerührt hatten. Irgendwo hatte ich unmittelbar nach dem Gottesdienst den Wunsch zu sagen, dass ich zwar den Laden übernehmen wolle aber die Lotto- und Totoannahmestelle aufgeben wolle. Da forderte mich Gerlinde auf mal über die Konsequenzen nachzudenken. Das Glücksspiel ist spürbar am Gesamtumsatz beteiligt. Dabei habe ich noch nicht einmal das gerechnet, was die Leute woanders kaufen würden, wenn sie dorthin gingen um ihren Spielschein abzugeben. Und das würden sie bestimmt, denn das Einstellen der Annahmestelle dürften bei niemanden bewirken, dass er deshalb auch das Spiel einstellt. Aus den diesbezüglichen Einnahmen war es Bernhards möglich Frau Schmidt, eine allein erziehende Mutter, zu beschäftigen; eben diese tüchtige Kraft die ich ja bereits erwähnte. Wenn diese wegen des geringeren Umsatzes ihren Job verliert, kommt sie mit ihren beiden Töchter 7 und 9 Jahre, in ganz schöne Schwierigkeiten, denn in unmittelbarer Nähe würde sie bestimmt nichts Passendes finden. Sie und ihre Kinder wären damit die Leidtragenden und an der „Spielfreude“ der Leute würde sich nichts geändert haben. Wie entscheidet sich denn ein Christ, zu Gunsten von Prinzipien oder zu Gunsten der Frau und ihrer Kinder? Na ja, ich benutzte diese Aussage so als Mäntelchen um das Glücksspielgeschäft weiter zu betreiben. Ob es richtig oder falsch ist – wer will den ersten Stein werfen. Mit Eleonore Löffler, meiner Partnerin in Rollere, musste ich mich dann auch auseinander setzen, was allerdings nicht sehr problematisch war. Wir wurden uns auch sehr schnell einig. Als alles unter Dach und Fach war, lud sie uns, also Gerlinde und mich, zu einem gemütlichen Beisammensein in ihr Haus ein. Natürlich habe ich Eleonore viel von meiner Gerlinde erzählt. Ich hatte ihre Klugheit und Schönheit gerühmt, ich hatte ihr von „unserer“ Anni erzählt und so weiter, und so fort. Aber dabei habe ich, was ich eigentlich selbst gar nicht nachvollziehen kann, nie ihren Beruf erwähnt obwohl dieses ja der Hauptgrund war weshalb ich mich aus dem Geschäft abseilen wolle. Im Gegenzug ist es auch verwunderlich, dass Eleonore nie danach gefragt hatte, denn wenn Gerlinde eine Hausfrau gewesen wäre, scheint es doch sicherlich möglich gewesen zu sein, dass wir an meinen Wirkungskreis gezogen wären. Dieses führte dann zu einem nett kuriosen Verlauf bei unserem abendlichen Zusammensein. Es ging schon gleich bei der Eröffnung des Abends los. Eleonore wurde erst einmal ihr Kompliment los, dass ich, was Gerlindes Schönheit anbelangte, noch untertrieben hätte. Sie wäre richtig neidisch, weil sie, als sie Mitte
Vierzig war, sich bei Weitem nicht mehr so gut wie Gerlinde gehalten habe. Dann ging es aber mächtig los. Eleonore leitet darauf über, dass Pastor Baier ja auch so eine hübsche Frau habe und die im letzten Urlaub in Südfrankreich mal gezeigt habe, was sie alles drauf habe. Sie wäre da von Gemeindemitgliedern nur mit einem knappen Tangahöschen bekleidet am Strand angetroffen worden wäre. Darauf gab Eleonore noch einen viel sagenden Kommentar ab: „Verstehen kann ich es ja. Ich habe früher auch immer gerne alles gezeigt was ich habe, ich war richtig stolz auf meinen Körper. Aber als Pastorenfrau muss man sich doch wohl ein Bisschen zurückhalten?“. Darauf setzte Gerlinde an: „Och, warum? Pastor oder Pastorin ist man doch nur von Beruf und hoffendlich aus Berufung. Aber dadurch bleibt man doch ein Mensch, ein Mann oder eine Frau wie jeder andere oder jede andere auch. Warum will man uns das vorenthalten, was andere für sich als ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen. Warum soll man nicht zeigen dürfen wie Gott einen geschaffen hat. Er hat ja die Schönheit nicht geschaffen, dass wir sie verstecken. Ich glaube Gott hat alles so geschaffen, dass wir ihn damit rühmen können.“. Etwas stutzig schaute Eleonore schon drein aber gecheckt hatte sie die Sache noch nicht ganz. Daher setzte sie dann, allerdings etwas bedachter, nach: „Sicher, so sehe ich das auch. Aber eine Pastorenfrau? ... Deshalb hätte ich niemals einen Pastor geheiratet. Hätten sie das denn, Frau Lammert?“. Gerlinde lachte und konterte scherzhaft: „Fragen sie doch mal Micha, ob er eine Pastorin geheiratet hätte.“ und drückte mir danach einen Kuss auf die Wange. Eleonore schaute jetzt vollkommen verblüfft drein, denn bei ihr schienen sich die Groschen langsam in Richtung Fallen zu bewegen. Ich kostete diesen Moment und sagte dann mit innerem Vergnügen: „Ach mein Schatz, wenn ich darüber nachgedacht hätte und zum Schluss ‚Nein’ gekommen wäre, hätte ich das Glück meines irdischen Lebens verpasst. ... Eleonore jetzt fällt mir auf, dass wir schon viel über Gerlinde gesprochen haben aber ich dabei immer vergessen habe dir zu sagen, dass Gerlinde die Gemeindepfarrerin der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Lammthal ist. Deshalb habe ich erstens beschlossen hier alles aufzugeben um bei ihr sein zu können und zweitens ist es der Grund dafür, dass ich dich gebeten habe, deine Einladung zu Samstag auf Donnerstag zu verlegen. Heute Abend hat sie ausnahmsweise keinen Termin aber Sonntag hat sie nun halt mal auf die Kanzel zu klettern. Und es wäre doch wirklich schade, wenn wir, nur damit die Gemeinde ihre Pfarrerin im ausgeschlafenen Zustand erleben kann, um Neun schon wieder abhauen müssen. Drei Stunden Fahrzeit müssen wir schon rechnen.“. Diesbezüglich setzte dann Gerlinde noch mal nach: „Ja, Morgen früh habe ich zwar auch anzutreten aber auf einer Trauerfeier sieht man unausgeschlafen doch auch irgendwie mitfühlend aus ... Deshalb brauchen wir jetzt keine Hemmungen zu haben.“. Sie schaute Eleonore an und sagte uns gegenzeitig entschuldigend: „Aber Frau Löffler, das habe ich jetzt etwas spaßig gesagt obwohl der Anlass eher das Gegenteil ist. Aber das jemand stirbt und ich dann die Trauerfeier halten muss, gehört zu meinem Beruf. Und solche Sachen sind a) nicht vorhersehbar und b) eine Angelegenheit mit der ich immer rechnen muss. Damit muss ich bei meiner Berufung genauso rechnen wie damit, dass mich die Leute durch eine viel strengere Brille als alle anderen ansehen. Das liegt daran, dass wir in unseren Köpfen klare Grenzen zwischen dem spiritistischen und weltlichen Leben ziehen. Das es diese Grenze nicht geben darf, damit jeder erkennt dass es kein christliches und weltliches Leben sondern nur ein Leben gibt ... entweder ist man Christ, das heißt, dass man in der Nachfolge Jesu ist, oder nicht, ist unter anderem meine Aufgabe, das gehört zur Mission.“. Diese Aussage meiner Gerlinde, der Pastorin von Lammthal, kann ich ja jetzt so als Schlusswort stehen lassen. Das war das Anliegen meiner Niederschrift. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf etwas hinweisen, was in Etwa auch in diese Richtung geht. Ich habe mir jetzt mal von der Homepage www.reiner-vial.de den Roman „Hexenberg“ von Reiner Vial gedownloadet. In diesem Roman, in dem es um Schuld und Sühne, Vergeben und Verzeihen geht, finden wir unter den Hauptpersonen jede Menge Pastoren und Pastorinnen. Und auch Vial stellt diese als Christenmenschen, einerseits streng gläubig und andererseits als Mensch wie du und ich da. Wenn Sie sich für das gerade abgehandelte Thema interessieren, sollten Sie sich dieses vielleicht auch mal zu Gemüte führen.
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Stars und andere unbedeutende Leute Sicherlich kennen auch Sie einige dieser berühmten Volksweisheiten wie „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, die wohl mal zutreffen können aber meist auf Grund ihres Ursprunges in nur oberflächlichen Beobachtungen oder des Entstehungs-Hintergrundes einer ermahnenden Schuldzuweisung, eher fern von dem sind, was sie zu sein vorgeben, sprich Weisheit. Gerade dieser Spruch mit dem Apfel und dem Stamm ist ein Musterbeispiel für weisheitslose ermahnende Schuldzuweisung. Damit wird nämlich ausgedrückt, dass der Nachwuchs immer auf seine Eltern kommt. Ist jemand ein angeblicher Versager, dann kann das nur daran liegen, dass auch seine Eltern dieses schon vor ihm waren. Stützeempfangene Eltern können doch nur gesellschaftliche Trittbrettfahrer in die Welt setzen und es ist doch klar, dass aus dem dummen Unternehmersohnchen mal eine Kapazität im Bereich Wirtschaft wird. Folglich ermahnt man den Looser-Nachwuchs, dass er aufpassen muss nicht vom Baum zu fallen, denn der Stamm ist morsch. Au, au, das klang jetzt philosophisch ... das könnte direkt von meiner älteren Schwägerin Mechthild stammen und gerade mit der sowie mit meiner Frau und meiner jüngeren Schwägerin wollte ich darauf aufmerksam machen, wie weit entfernt vom Stamm und verstreut Äpfel fallen können. Warum lange drum herum reden, machen wir doch gleich das, was ich eigentlich wollte. Dann muss ich erst mal mit meinen Schwiegereltern, also dem Stamm, anfangen. Der „Alte“, wie er stets im Familienkreis liebevoll genannt wurde, wäre der ideale Typ für eine dominante, herrschsüchtige Frau gewesen. Auf der einen Seite war er ein stets fleißiger Schuhmacher mit eigenem Geschäft und zuhause ein echter Pantoffelheld, wie man sie aus den schmähenden Humorstorys kennt. Er las meiner Schwiegermutter die Wünsche aus den Augen ab und sprang dann sofort los. Das wurde allerdings von der „Mami“, wie die Mädchen zu ihr sagen, nicht ausgenutzt. Sie ist ein richtig nettes Hausmütterchen, an der Preußens Willi, der den Frauen die drei Ks – Küche, Kinder, Kirche – vorgab, seine Freude gehabt hätte; also in keiner Weise dominant. Vom Intellekt her zählten, beziehungsweise zählt, denn die Mami lebt noch, die Beiden nicht zur Elite aber dumm waren sie auf keinen Fall, ganz im Gegenteil, die waren schon ganz schön clever. Aber keine der drei Mädels ist von Veranlagung und Art mit ihren Eltern vergleichbar. Mechthild, die Älteste, ist eine wahre Intelligenzbestie und vollkommen vergeistigt. Sie, die mal Philosophie studiert hat, ist mit einem Mathematikprofessor verheiratet. Irgendwie paradox scheint das schon: Geistes- und Naturwissenschaft in Harmonie. Dieses insbesondere im Hinblick darauf, dass sich die Beiden aufeinander zu bewegt haben und sich heute, obwohl sie schon Sechziger beziehungsweise Mittfünfziger sind, in einer Art jugendlichem Elan gemeinsam daran gemacht, die Entstehung gesellschaftlicher Entwicklungen, wie Liberalismus, Sozialismus und so weiter, mit naturwissenschaftlichen Gesetzen zu erklären. Verlangen Sie aber jetzt nicht von mir, dass ich Ihnen das näher schildere; dass ist mir doch alles viel zu hoch. Obwohl das kinderlose Paar sehr nett ist, haben wir nur gelegentliche Kontakte zu ihnen. Der Grund dürfte eben in deren Hochgeistigkeit liegen. Oder können Sie es zwei Stunden oder mehr aushalten wenn Ihnen jemand etwas erzählt und dann, außer dem Klang der Laute, nichts bei Ihnen ankommt? Das genaue Gegenteil von Mechthild ist Korinna, die Jüngste aus dem Drei-Mädel-Haus. Ein echtes Kind unserer Zeit, eine ausgeflippte Konsumidiotin. Offensichtlich haben sich meine Schwiegereltern beim Vererben der Intelligenzgene bei den beiden ersten Mädels verausgabt. Mechthild, die demnächst 60 wird, wurde als Genie ausgestattet und 7 Jahre später bekam wohl Beatrix den ganzen Intelligenzrest mit. Für das Nesthäkchen Korinna, die nach weiteren 7 Jahren das Licht der Welt erblickte, war dann wohl nichts mehr diesbezügliches da was man hätte vererben könne. Dafür war es bei der äußerlichen Ausstattung umgekehrt. Aus Korinna hätte durchaus ein Modell werden können, Beatrix ist so hübsch, dass ich sie geheiratet habe und Korinna ... Lassen wir es, ich will ja niemanden beleidigen. Aber weiter mit der sehr hübschen und im gleichen Maße dummen Korinna. Wenn die sich eine Wohnung einrichtet, dann kauft sie keine Möbel nach ihrem Geschmack und nach der Zweckmäßigkeit sondern nach der Popularität des Markennamens und nach dem überhöhten Preis. Dieses Beispiel fällt mir gerade ein, da sowohl Korinna und wie wir uns im Frühjahr eine neue Küche zugelegt hatten. Unsere gefällt mir super und ist sehr zweckmäßig. Trotzdem rümpfte Korinna über uns die Nase, denn ihr Schnickschnack-Unikum hat bald 8.000 € und unsere nur gerade 2.000 € gekostet. Mit dieser etwas dümmlichen Schrulle sind wir nur ungern zusammen, da bei ihr nur ihr Töchterchen, die die Hauptperson dieser Niederschrift ist, und jede Menge Vorurteilsdrescherei auf der Tagesordnung steht. Aber leider kann ich mich dem leider nicht entziehen, da Corinna und ihr Töchterchen derzeitig noch meine Chefinnen sind. Allerdings ist das Ende meiner Dienste für die Damen derzeitig bereits in Sicht. Da bin ich praktisch schon Mitten im Thema und habe mich und meine eigene Familie noch gar nicht vorgestellt, was ich aber jetzt noch schnell nachholen will. Also, ich bin Karl-Heinz Waymann, genannt Kalle. Übrigens habe ich jetzt vor Kurzem unseren, in seiner Schreibweise seltenen Familiennamen in einem Roman entdeckt. Er heißt „Der Schwiegersohn von Baluway“ und den kann man sich von der Homepage des Gesellschaftskritiker Reiner Vial kostenlos downloaden. Wer da mal schauen möchte, den verrate ich jetzt mal die Adresse. Sie lautet
www.reiner-vial.de. Aber jetzt weiter mit den Waymanns aus Stolpe, also mit Kalle, der jetzt 55 Jahre alt ist, und seiner Familie. Seit nunmehr schlappen 27 Jahren bin ich mit Beatrix, dem mittleren der drei Mädels, verheiratet. Unser ältester Sohn hat inzwischen eine eigene Familie gegründet und der jüngste, der allerdings auch schon unseren Haushalt verlassen hat, plant so etwas für das kommende Jahr. Da ich die Art von Beatrix Schwestern erwähnt habe, muss ich jetzt auch noch von ihr etwas sagen. Meine Frau ist aus meiner Sicht die vernünftiges von den Dreien – klar sonst hätte ich sie bestimmt nicht aus voller Überzeugung geheiratet. Ich glaube, dass sie an Intelligenz ihrer älteren Schwester nicht viel nachsteht aber sie ist bei Weitem nicht so abkandidelt wie Mechthild. Wie ihre ältere Schwester hat sie ein glänzendes Abitur hingelegt aber danach nicht studiert sondern sich für den Beruf der Medizinisch-Technischen Angestellten MTA entschieden. Na ja, da hat sie aus ihrer Ausbildung immer noch mehr aus sich gemacht als ich., der nachdem Abitur unbedingt Offizier werden wollte. Beim Bund kamen mir sehr schnell doch hinsichtlich meiner christlichen Einstellung Bedenken und ich nahm 1974 als Kriegsdienstverweigerer Abschied von der Bundeswehr. Da fiel mir nichts besseres ein als Busfahrer zu werden und gondelte bis vor zwei Jahren mit Reisebussen durch ganz Deutschland und halb Europa. Auch jetzt bin ich offiziell immer noch hinter dem Steuer eines Busses und/oder PKW. Der besagte Bus ist allerdings kein Reisebus sondern es ist der Bus mit dem der Star Ria Roy zu den Tourneestationen gekutscht wird. „Hoppla“, wird jetzt dieser oder jene sagen, „du hast doch eben behauptet, deine Schwägerin und deine Nichte wären deine Chefinnen und jetzt fährst du Ria Roy?“. Na und, ist das ein Widerspruch? Ria, die in Wirklichkeit Rita König heißt, ist doch meine Nichte, aus der man nach dem Willen meiner Schwägerin Korinna einen Star gemacht hat. Was ich jetzt gesagt habe kann man wörtlich nehmen. Schon als Rita gerade geboren war, glaubte Korinna, die übrigens mit dem Chef eines Autohauses verheiratet ist, ihre Tochter sei zu höheren geboren. Was, das wusste Korinna damals selbst noch nicht so genau aber das ihre Tochter mal ganz rauskommen würde stand für sie hundertprozentig fest. Die damals 26-jährige Korinna wollte sich damals sterilisieren lassen, damit mit nicht ein weiteres Kind die wirtschaftlichen Reserven des gar nicht so armen Herrn König derart strapaziert, dass sie nicht genug für Rita, dem Stern des Abendlandes, tun könne. Wie geschrieben wusste aber meine werte Schwägerin noch nicht genau was aus ihrem Glücksstern würde und meinte nun alle denkbaren Wege einschlagen zu müssen. Rita, das arme Kind, war die Leidtragende. Sie war gerade im Kindergarten, da wurde sie durch alle möglichen Dressuranstalten getrieben. Ballett, erst frühkindliches dann richtiges Schwimmen, Musik und Gesangsunterricht und weitere Schikanen, die sich ehrgeizkranke Eltern gegen ihren Nachwuchs einfallen lassen können. Heute behauptet Korinna alles für ihre Tochter getan zu haben. Sicher sie hat alles getan um den Kind die Kindheit zu nehmen, alles um zu verhindern, dass Rita sich im freien kindlichen Spiel natürlich entwickeln konnte. Rita besteht aus angedrilltem Wissen, da sich aus dem Mangel am Spiel keine natürlichen Veranlagungen aus den Bereichen Intelligenz, Kreativität und Sozialisation ausbilden konnte. Da Rita natürlich nur ihre, mit Terminen zugenagelte Welt kennt, sagte sie bis zu dem Zeitpunkt wo es im letzten Jahr richtig losging, natürlich das sie sich glücklich fühle und ihrer Mutter dankbar sei, was sie alles für sie getan habe. Na ja, das sagen ja alle großen Stars von Bühne, Glotze, CD-Geträller, Sport und so weiter. Dann sah es erst gar nicht so aus als könne man Rita dahin formen, wo sie ihre Mutter hinhaben wollte. Ihre Ballettlehrerin stellte, als sie 5 Jahre alt war, fest, dass aus ihr niemals eine klassische Tänzerin werden könne. Na ja, Korinna zog die Konsequenzen und wechselt die Ballettschule; was aus Rita natürlich auch keine Primaballerina machte. Um aus ihr eine Toppturnerin oder –schwimmerin zu machen, war der heimische Raum doch zu dürftig ausgestattet. Im Turn- beziehungsweise Schwimmverein konnte man nach Korinnas Ansicht das Mädchen nicht richtig fördern, da man sich um alle Kinder aber nicht um die Hochbegabte kümmerte. Bei den Kringelziehern, sprich Eiskunstläuferinnen, sollte das Mädchen nach dem Willen ihrer Mutter für den MädchenWeitwurf, sprich für den Paarlauf, ausgebildet werden. Aber da machte ihr der liebe Gott einen Strich durch die Rechnung, denn Rita wurde mit Wachstum gestraft. Heute wo sie ausgewachsen ist, kann sie auf stolze 185 Zentimeter Körpergröße verweisen. Ein solches Mädchen kann wohl kein Schlittschuhkerlchen elegant über die Eisfläche werfen. Beim Tennis sah meine Schwägerin ausnahmsweise selbst ein, dass ihre Tochter wohl nicht zum Gewinn des Turniers von Wimbledon geeignet sei. Also durch die Bank schlugen zunächst alle MenschenStyling-Unternehmungen fehl. Vieles bekamen wir auch nur im Nachhinein mit, da wir jährlich sieben Monate keinen Kontakt zu meiner Schwagerfamilie hatten. Es ging immer auf der Geburtstagsfeier meiner Schwiegermutter los. Jahr für Jahr die gleiche Prozedur. Die Mitglieder der kompletten Familie kamen nur vereinzelt und kurz zu Wort. Das heißt, dass ich komplette Familie gar nicht sagen kann, denn Korinna war pausenlos am Schrebeln. Erst sang sie ihre Vorurteilsarien. Da ging es dann um die Ausbeuter dieses Staates, wie Arbeitslose, die überhaupt keine Arbeit wollen, Sozialhilfeempfänger, denen der Staat Monat für Monat Tausende nachschmeißt, um Städte verunreinigende Türken und sonstige Völker, Scheinasylanten, die nur unser Geld wollen, und um Chaoten mit denen der Staat viel zu behutsam umgeht. Das lief in der Regel Alles in Allem recht friedlich ab, denn es machte sich keiner die Mühe der Dame zu widersprechen, denn es herrschte die einhellige Meinung vor, dass Korinna zu dumm sei, Argumente zu verstehen und zu verarbeiten. Nur dem Schwiegervater wurde es dann irgendwann mal zu bunt und er sprach ein Machtwort. Da mein Schwager ein großer Fan des Vaters seiner Frau war, fuhr
Korinna ihre Widersprüche zurück und wechselte zum nächsten Thema über. Da kam aus ihr die spanisch wirkende Hochadlige raus. Sie wurde zu Korinna El Protzo de Konsumidiota. Du meine Güte was die dann wieder für horrende Summen für Schund, dessen Markennamen man dem denkfaulen Mob mit Werbepower eingebläut hatte, aus der Haushaltskasse geprasst hatte. Und da war dann die Tussi noch mächtig stolz drauf. Das passte jetzt dem immer bescheidenen Geburttagskind, also meiner Schwiegermutter, nicht. Sie warf sich vor in der Erziehung ihrer Jüngsten versagt zu haben. Die Mami verkündete immer ihre vernünftige Ansicht, dass man auf dem überteuerten Markenherd genauso wie auf den Noname-Versandhaus-Herd nur kochen könne. Und wenn der Markenherd das Dreifache des Billigherdes kosten würde, spielte es auch keine Rolle, wenn der Versandhausherd nur halb so lange lebt wie der Markenherd; man hat trotzdem noch gespart. Und was man an einem Teil einspart steht einen für andere Sachen zur Verfügung. Mami meinte immer, dass man weiter käme wenn man sich von der Werbung nichts aufschwatzen lassen würde. Der „Alte“ betonte dann, dass das, was die Mami gerade gesagt habe, das Grundprinzip des Wirtschaftens sei. Da Korinna keine Argumente gegen ihre Eltern vorbringen konnte, wechselte sie dann auf ein neues Thema, was dann anschließend wieder für 7 Monate reichen sollte. Dieses Thema war „ihre Rita“. Da verkündete sie dann stolz wie sie ihrer Tochter die Freizeit raubte und wie prächtig sie sich bei dieser Art von Dressur mache. Und wenn es mal nicht so hinhaut, dann liegt das an den, in Korinnas Augen dummen Domteueren, die sich in der Regel Trainer oder Lehrer schimpfen. Ihren beiden älteren Schwestern merkte man, wenn dieses Thema auf der Tagesordnung stand, förmlich an, wie die Aggressionskurven in ihnen anstiegen. Schließlich war das Mädchen, welches Korinna zu ein vermarktungsfähiges Objekt formen wollte, zwar die Tochter ihrer jüngsten Schwester aber auch ihre Nichte, für dessen Menschenrechte sie sich zu verteidigen berufen fühlten. Dann wetterte Beatrix immer los. Zum Beispiel wetterte sie mal: „Sag’ mal Kleine, du bist wohl nicht ganz echt. Du kannst doch nicht aus deiner Tochter eine Markenware machen. Ist dir noch nicht aufgefallen, dass die ganzen Stars für den Fortbestand unserer Gesellschaft und der Menschheit unbedeutend sind. Die werden gemacht, damit man mit denen CDs oder Werbung im Fernsehen verkaufen kann; damit sie Geld bringen. Das sind Objekte mit denen man Millionen verdienen will. Für die Menschen interessiert sich kein Vermarkter von humanoiden Objekten sondern nur das Geld, was sie einbringen, zählt für sie. Sehr klein ist die Zahl derer, die nicht nach schon ein paar Jahren am Markt ausgelutscht sind. Dann wird der Mensch ausgesondert und weggeworfen ... Produktionsabfall. Vielleicht verbleiben dem Exstar noch ein paar hartgesottene Fanclubs und ansonsten kann er, wenn er will, über Schützenfeste tingeln um eine trinkfeste Meute einzuheizen. Ist dir schon aufgefallen wie viele Exstars daran schon zerbrochen sind. Sehe dir doch nur mal die hohe Rate von Alkohol- und Drogenabhängigen unter den einst großen Markennamen an. Wenn wir diese, meist missbrauchten Menschen, in der Berufsgruppe „Exstars“ zusammenfassen würden, wäre das die Gruppe mit der höchsten Selbstmordrate. Höre doch endlich auf, dich so an deiner eigenen Tochter zu versündigen.“. Na ja, danach war dann immer der Familienkrieg ausgebrochen und man einigte sich darauf, dass man nie mehr wieder miteinander sprechen wolle. Aber das „nie mehr wieder“ wurde grundsätzlich von meinem Schwiegervater vereitelt. Immer, wenn es sieben Monate später auf seinen Geburtstag zu lief, betätigte er sich als Friedensstifter. Er wollte doch auch die Häupter seiner Lieben, sprich seiner drei Töchter und Schwiegersöhne sowie seine drei Enkel, unsere Beiden und halt Rita, Korinnas Mädchen, um sich versammelt wissen. Seine Geburttagsfeier war dann immer das Festival der tollen Kommunikation. Jeder gab sich Mühe etwas zum Gespräch beizutragen und wählte Themen, die erstens niemand irgendwo privat anrühren konnten und zweitens solche, die von Korinna nicht als Startschuss für die zum Familienkrieg führenden Standardreden verstanden werden könnten. Auch meine Schwägerin war dann auf Friedeneinleitung eingestellt. Sie gab sich auf des Schwiegervaters Geburtstag immer sehr freundlich und betont nett. Dieses fast übertrieben, so dass man sich immer in so ein verlogenes Diplomatenkränzchen versetzt fühlte. So war es dann bis vor fünf Jahren, wo Rita ihre Schulzeit mit so einer Art mittlerer Hauptschulqualifikation abschloss. „Mittlerer“ heißt, dass sie nicht zu den glänzenden Leuchten ihres Jahrganges gehörte aber auch nicht zu denen, für die ausschließlich „Hauptsache durch“ galt. Also ihre Durchschnittsnote lag so bei Drei und nur im Fach „Englisch“ prangte eine Fünf. Ja, schon richtig: Ria Roy trällert nur Englisch-Mucke, wie die jungen Leute salopp zu sagen pflegen, aber bei ihr selbst haperst doch mit der Spracheausbildung in ihrem Trällerslang. Aber Rita wechselt von Schule zu Schule; von der Haupt- zur Schauspielschule. Korinna hatte es geschafft ihre Tochter in einer solchen Einrichtung, die allerdings nicht zu den renommierten Häusern dieses Faches gehörte, unterzubringen. Also Beatrix und mir war dieses Haus genauso unbekannt wie allen unseren Bekannten. Das war der Zeitpunkt wo dann Rita selbst in Person abschraubte. Eines kam noch dazu: Aus dem Küken war ein verdammt hübsches langbeiniges Wesen geworden, das nicht nur bei gleichaltrigen sondern auch bei älteren Männern sowohl in den Köpfen wie in der Hose was bewegte. Und so wie sie damals immer rausgeputzt war, hätte jeder Richter, der so ein Kerlchen wegen Verführung der minderjährigen Rita vor dem Kadi stehen und zu beurteilen gehabt hätte, diesen, aufgrund der Behauptung das er deren Alter deutlich überschätzt habe, den Übeltäter freisprechen müssen. Wenn unsere Nichte zur der Zeit behauptet hätte sie wäre 22 Jahre alt, hätte niemand Verdacht geschöpft und zur Sicherheit einen Blick in den Personalausweis werfen wollen. Unter diesen
Voraussetzungen nahm dann Ritachen die Wortführung auf Omas beziehungsweise Opas Geburtstag in die Hand. Dieses sehr zum Leidwesen unserer beiden Kinder, die sich von ihrer Cousine an die Wand gespielt vorkamen. Der Krieg der Kinder sorgte jedoch dann dazu, dass zwischen den Schwestern sowie deren Männern so eine Art Frieden mangels Kriegsgründen herrschte. Wir kamen einfach gar nicht zum Krieg einleitenden Schlagabtausch. Aber der Besuch der Schauspielschule machte aus einer Rita König noch keine Ria Roy aber sie führte zum Einstieg in das Leben eines Stars, an dessen Wiege zunächst einmal ein handfester Provinzskandal stand. Die Schauspielschule veranstaltete nach eigener Darstellung ein „Avant Garde Theater 2000 plus“. Auch wir hatten dazu Ehrenkarten erhalten. Ich glaube in diese Vorführung kamen ausschließlich Inhaber solcher kostenloser Tickets beziehungsweise solche Damen und Herren mit Presseausweisen. Aufgeführt wurde „Die Erweckung der Statuen“ eines gewissen Olaf Karlfried Ollemann-Kuhlig. Also, außer bei der Gelegenheit habe ich erst- und letztmalig von diesem, laut Programmheft hoffnungsvollen Dramaturgen gehört. Die dreistündige Handlung ist in anderthalb Minuten erzählt und während des Erzählens nimmt wohl das Formulieren, damit man nicht ins Vulgäre rutscht, die meiste Zeit in Anspruch. Für mich war das nämlich keine Avant Garde sondern schlicht und einfach Pornografie auf einer Bühne. Sieben Herren standen gleich antiken Statuen ohne jegliches Stück Textil auf Sockeln im Halbkreis auf besagter Bühne. Jeder hatte ein anderes olympisches Sportgerät – Diskus, Kugel, Speer, Wurfhammer und Sprungstab – in seinen Händen. Da zogen jetzt die Schülerin der Schauspielschule daran vorbei. Jede nahm das berühmte Edelteilchen eines jeden Mannes in die Hand und gab Worte, die kein Sachzusammenhang ergaben – laut Programmheft sollte das Lyrik sein – von sich. Alle drehten eine Runde von Mann zu Mann. Auch Rita, die als letzte der Damenriege auftrat. Als sie aber das siebte und letzte Mannesattribut in der Hand hatte gab sie keine Lyrik mehr von sich. Das wäre auch nicht möglich gewesen, denn sie ließ der Statue das angedeihen, was eine gewisse Monica Lewinsky ihrem Präsident hat angedeihen lassen. Wer nicht weiß, was das war, hat Pech gehabt, denn für mich ist das halt der Grenzbereich des Schilderbaren. Na ja, sie marschierte jetzt Reihe rückwärts und erweckte damit die Statuen zum Leben, die dann prompt auch lyrische Monologe loswerden konnten. Als die letzte Statue lebte riss die Gesamtheit der unbekleideten Männerschaft der guten Rita sämtliche Kleidungsstücke vom Leibe und spielten Bodypainter. Mit ihren Zungen machten sie so nach und nach aus dem Mädchen ein lebendes Mosaik. Während sie farbig ausgestaltet wurde, gab sie dann Lyrik im 0190er-Juch-und-Hauch-Ton von sich. Der letzte Akt war ein echter – und das auf offener Bühne. Eu heu Päule, da war nicht was los. Während der Vorstellung leerte sich nach und nach der Saal. Dieses ging nicht lautlos ab, denn jeder der hinausging gab erst einmal seine Empörung lauthals kund. So gar der Herr Staatsanwalt wurde tagsdrauf gegen die Schauspielschule, die inzwischen geschlossen hat, tätig. Den Wirbel, den diese Aufführung, die übrigens auch nicht ganz das traf was Korinna sich davon versprochen hatte, auslöste ließ einen gewissen Herrn Schmiedel auf Rita aufmerksam werden. Er war der Manager des Schlagerfuzys Ulf Sonnenschein, dessen Stern damals zu verblasen schein, was er ja inzwischen auch ist. Herr Schmiedel wollte sein Produkt aber noch ein letztes Mal aufpolieren und hat sich einfallen lassen, dass sich dieser Ulf, dessen Frau gerade im siebten Monat schwanger war, auf eine etwas spektakulären Art und Weise scheiden lassen solle. Als Ehebrecherin sollte Rita fungieren. Man ließ sich eine tolle Inszenierung einfallen: In einem Studio, in dem Videoclips produziert werden und an denen dieser Schmiedel beteiligt ist, veranstaltete man ein sogenanntes Casting. Für die Veranstalter stand von Vornherein fest, dass alle dazu bestellten Damen, inklusive Rita, im Anschluss eine Absage erhalten sollten. Im Gegensatz zu den anderen wusste Rita vorher davon, denn sie war die einzigste, der man eine Rolle gegeben hatte. Sie sollte sich hinter den Kulissen mit Ulf Sonnenschein, der „zufällig“ anwesend sein sollte, ein Spaß für Zwei machen – natürlich zu einem verabredeten Zeitpunkt, an dem man gleich ein paar Castinggirls da vorbeischickte. Eine würde schon wie erhofft reagieren; kreischen, laut lachen oder sich sonst irgendwie hörbar artikulieren. Dann sollte ein Paparazzia, der so „zufällig“ wie Ulf im Studio eingeplant war, gleich ein paar Bildchen von dem Lustspielchen, natürlich in jugendfreier Fassung, aufnehmen, und die wollte man dann der einschlägigen Presse gegen Cash zuleiten. Für diesen Herrn Schmiedel etwas unerwartet interessiert man sich weniger für den Schlagerträllerer aber dafür richtig heiß für das Studio-Luder Ria. Offensichtlich hatte man der Boulevard-Schmiere den Vornamen des Mädchens weitergegeben und die dürften dann einen Buchstaben vergessen haben. So wurde dann aus unserer Rita dann eine Ria. Sicherlich ist Schmiedel ein alter Hasse im Starmachergeschäft und ließ sich von unserer Nichte erst einmal was vorträllern. Na ja, trotz Gesangsausbildung war ihre Stimme nicht für die mehr melodische Schlagerrichtung gedacht aber für Rock, wo die Tontechniker ohnehin noch ein Bisschen an der Technisierung der Stimme werkeln, fand er die Tongebung sogar ausgezeichnet. Außerdem geht Schlager immer noch überwiegend in die Herz-Schmerz-Richtung, wo ein Studio-Luder wohl nicht so gefragt ist. Damit zielt man doch besser in die Fungeneration, in der offensichtlich inzwischen schon der letzte Rest von Werteempfinden erloschen scheint. Jetzt bekam sie dann auch ihre Staridentität, denn der Name Ria König existierte in diesem Geschäft schon anderweitig. Ich habe von der zwar bis heute noch nicht gehört aber was soll’s, auf Französisch hört sich König ohnehin exotischer an. Oder finden Sie Roy nicht schön? Unsere Rita
bekam nicht nur einen neuen Namen sondern auch eine neue Biografie. Man muss sich richtig wundern, wie diese Vorlebenserfinder es hinkriegen, diese Story so zusammen zu schustern, dass niemand, der Ria Roy schon als Rita König kannte, nicht gleich wegen des Stusses auf die Barrikaden geht. Auf jeden Fall war Rias tatsächliches Vorleben, nach dem Geschmack ihrer Vermarkter zu normal, um es verkaufensfördernd einsetzen zu können und nach der Umschrift füllte die Story Seiten in einschlägigen Blättchen. Na, alles was die Promotionwriter da zusammengesponnen hatten, passte meiner Schwägerin Korinna auch nicht so in ihre Fasson aber was macht meine Schwägerin nicht alles, damit ihr Töchterchen ein strahlender Stern am Himmel der Spaß- und Geldgesellschaft wird. Früher nannte man die Vermarktung eines Menschen als Ware Prostitution und heute sind Betroffene noch stolz darauf. Sie dünken sich Alles in Allem sogar als besserer Mensch und in Wirklichkeit sind sie jedoch zu einem Objekt verkümmert. Natürlich wurde aus dem StudioLuder kein sittsam edles Bühnenmäuschen. Ihre Shows hatten schon eine Menge mit Erotik zu tun aber skandalhaftes, wie anfangs, gab es nun nicht mehr. Jetzt habe ich mich auch hinreißen lassen und das Wort Erotik, was eigentlich für Sinnlichkeit steht, für eine Art Fleischschau benutzt. Rita tritt oft in durchsichtigen Tüllgewändern mit nichts drunter auf oder lässt ihre Busen während der Show ab und an auch mal frische Bühnenluft schnuppern. Von Zeit zu Zeit räkelt sie sich auch im Schöpfungsgewand vor den Kameras im Fotostudio, damit man sie anschließend auf ganzseitigen Farbfotos in einschlägigen Magazinen bewundern kann. Das hat natürlich nichts mehr mit Erotik zutun aber Pornografie ist es nach heutiger Auffassung auch noch nicht. Aber die Ansichten sind halt verschieden. Mechthild und meine Beatrix, Ritas Tanten, ordneten diese Sachen schon sehr wohl in diesem Bereich ein, wo wir Onkels natürlich nicht widersprechen wollten. Das war eigentlich genug Pulver für übliche Sieben-Monate-Kriege aber wenn es Krieg geben könnte und keiner hingeht kann der natürlich auch nicht ausbrechen. Rita und ihr Mütterchen waren abgetreten in die Glimmerwelt in der es nichts Bedeutendes, nur Geld und vermeintlichen Spaß, gibt abgetreten und hatten uns im realen Leben zurück gelassen. Da war es natürlich verwunderlich als unsere gute Korinna Anfang letzten Jahres plötzlich bei uns vor der Tür stand und behauptete mich gebrauchen zu können. Von ihrer Mami hatte sie erfahren, dass ich inzwischen schon ein halbes Jahr arbeitslos war. Das kleinere Busunternehmen, wo ich zuvor tätig war, wurde von einem größeren Unternehmen geschluckt und die zwei von fünf Fahrern, die die Fünfzig überschritten hatten, wurden zum Arbeitsamt geschickt. Was soll’s, das Leben geht weiter. Ich habe mir hinsichtlich einer neuen Beschäftigung ein Wenig die Hacken abgelaufen und die Finger wundgeschrieben und plötzlich wurde mir der neue Job durch Korinna frei Haus geliefert. Korinna engagierte mich als Fahrer des „Ria-RoyStarbusses“ und erklärte mir, dass es wohl für Ritas persönliches Wohlergehen besser sei, wenn ich der Onkel, der Kapitän an Bord sei. Geködert wurde ich mit einem Gehalt was fast doppelt so hoch wie das vorherige, als ich noch Reisebuslenker war, ausfiel. Den tieferen Grund, warum die Wahl auf mich gefallen war, konnte ich schon in ersten Tagen, als wir zur großen Tournee 2001 starteten, feststellen. Schmiedel hatte Korinna davon überzeugt, dass sich eine immer dabei seiende Mutter, in dem Falle, wenn es öffentlich ruchbar wird, marketingmäßig negativ auswirkt. Aber Rita ist so selbstständig, dass sie fortlaufend darauf angewiesen ist, dass sie jemand an die Hand nimmt. Außerdem war das Mädchen vollkommen kaputt, wo ich gleich noch darauf zurückkomme. So überlegte man wen man Rita unauffällig als Babysitter zuordnen könnte. Da bietet sich der Fahrer eines Showbusses, der entweder nicht mit dem Star verwandt oder dessen Verwandtschaftsverhältnis öffentlich nicht bekannt ist, förmlich an. Letzterer, also dessen Verwandtschaftsverhältnis nicht bekannt ist, erscheint da wegen des menschlichen Verhältnisses zum Star sogar noch eher geeignet zu sein als ein Dritter. Eine Gefahr, dass der wahre Grund, dass die Fahrertätigkeit eher im Babysitting liegt, bekannt wird, besteht nicht, denn in der Regel konzentrieren sich alle auf den Star und nehmen die Randfiguren gar nicht wahr. Und falls es doch mal einer macht, ist das ganze harmlos zu begründen. Im meinen Falle wäre es, da mich Korinna aus einer „Arbeitslosigkeit über 50“ holte sogar noch marketingmäßig ausschlachtbar gewesen. Außerdem erforderte die Aufgabe ein hohes Maß an Vertraulichkeit, was man aufgrund meines Verwandtschaftsverhältnisses und meines gut bemessenen Gehaltes von mir am Ehesten erwartete. Im Frühjahr des letzten Jahres kam ich ab und an bei einzelnen gesonderten Veranstaltungen zum Einsatz, aber meistens war ich Zuhause. Schön wenn man für so etwas, praktisch fürs Nichtstun, dann noch fürstlich entlohnt wird. Da fiel mir natürlich zunächst nichts Besonderes auf. Das war dann aber, wie geschrieben, als wir zur „Ria Roy Tournee 2001“ unterwegs waren, anders. Vier Monate, während derer ich keinen freien Tag, an dem ich meine müden Beine ins eigene Bett hätte stecken können, hatte, ging es kreuz und quer durch die Republik. Der Starbus, den ich fuhr, ist so eine Art rollendes Luxusapartment in dem Rita und ich lebten. Nun nicht gleich an Holla denken. Ich lebte zwar mit meiner Nichte in einem „Rolling Home“ aber zwischen uns beiden spielte und spielt sich nichts ab. Obwohl man, wenn was gewesen wäre, nicht vom Inzest hätte sprechen können, da Rita und ich, im Gegensatz zu meiner Frau, keine gemeinsamen Vorfahren hatten. Dafür gab es beidseitige Gründe: Rita war bei dem Stress grundsätzlich immer so geschafft, das sie froh war wenn sie „ohne was“ schlafen oder sich ausruhen konnte. Und ich meinerseits stehe nicht auf so junge Frauen, ich habe lieber etwas reifes,
knackiges ab Dreißig aufwärts. Dazu kam, dass ich grundsätzlich nach einer Show in einem Ort zum nächsten aufbrach. Ich fuhr also in der Regel die Nacht durch, während der Rita im Wagen schlief. Dagegen schlief ich wenn sie mit Lokalpressekonferenzen, Autogrammstunden, Bühnenproben oder Teambesprechungen beschäftigt war. Die „Ruhestunden“ an denen keiner von uns schlief und Rita nicht öffentlich beschäftigt war sind die, in der ich als Nichtensitter gefragt war. Das Mädchen, sorry die junge Frau, war so unselbstständig als sei sie erst seit dem gestrigen Tag auf der Welt. Nichts machte sie aus eigener Initiative, alles musste man ihr sagen. Je nach dem was es war musste man eingreifen, denn sie erwies sich als notorische Doppellinkshänderin. Eine Veranlagung zur Terminkoordination war nirgendwo erkennbar. Hätte ich sie nicht laufend an die nächsten Termine oder an die drängende Zeit erinnert, wäre so manches in die Hosen gegangen. Davon war ich nur entlastet, wenn die Schmiedel-Mitarbeiterin, das sogenannte Ria-Roy-Team, die Regie außerhalb des Busses übernahmen. Da wirkte sich nun der Fluch von Korinnas bösen Taten aus. Vom Kindergartenalter bis heute war es immer Korinna die ihr Töchterchen durchs Leben gängelte. An Mamas Händchen war sie vom Kindergarten zur Ballettstunde und von dort zum Schwimmunterricht und anschließend in die Musikschule geschleppt worden und dabei konnte das arme Kind nicht einmal die ganz normale Alltagsbewältigung einüben. Wie sie mir selbst erzählte war die erste Zeit in der Schauspielschule das perfekte Chaos. Nur dank der Tatsache, dass sich die meisten Dinge kontinuierlich wiederholen und sich dadurch eine Ablaufroutine ergab, ließ sie diese Zeit „überleben“. So war es dann während der Tournee auch. Erst übernahm ich zwar die „Mamarolle“ und damit wäre es bei der kleinkindlichen Unselbstständigkeit geblieben, wenn ich nicht initiativ geworden wäre. Erst, als ich so nach einem Monat dazu überging erst abzuwarten ob sie es alleine tat und wenn nicht „Hast du etwas vergessen“ fragte, führte zur Einübung der Tournee-Routine. Das war dann nicht nur eine Erleichterung für mich sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Selbstständigkeitswerdung des Stars. Aber meine Nichte war nicht nur hochgradig Unselbstständig sondern auch die falsche Person in der Starrolle. Sie hatte eine fürchterliche Angst vor der johlenden und kreischenden Masse in den Sälen und Hallen, Angst vor dem Versagen, Angst ausgelacht und ausgepfiffen zu werden. Je näher die Auftrittszeit rückte um so lieber wäre sie in ein Mauseloch gekrochen. Ich weiß nicht ob es das war, was man so gerne verharmlosend als Lampenfieber bezeichnet. Mir schien es eher so als wäre sie in eine Rolle gepresst worden, die ihr einige Nummer zu groß ist. Sie sagte auch nicht selten, dass sie lieber eine graue Maus wie die überwiegende Mehrheit der Anderen in ihrem Alter auch wäre. Als ihren Traumberuf nannte sie mir, den sie letztendlich richtig vertraute – mehr noch als ihrer eigenen Mutter -, gegenüber den Job der Hausfrau und Mutter. Sie hätte gerne einen netten Mann und zwei oder drei Kinder gehabt. Natürlich fielen diese Aussagen immer im Zusammenhang mit dem näher kommenden Auftritt und deshalb kann ich nicht sagen, ob das zu der Zeit schon eine durchgängige Einstellung war. Aber bekanntlich können Menschen unter starker psychischer Belastung keine Rollen mehr spielen und so auch mit der Wahrheit nicht zurückhalten. Die letzte Stunde vor dem Auftritt war das reinste menschliche Chaos, das Rita nur mit Pharmaka – oder waren es Drogen – überstand. Ich habe meines eigenen Seelenfriedens halber nie gefragt was sie da schluckte. Das Zeug hatte sie von Schmiedel beziehungsweise von deren Mitarbeiterin. Irgendwie schien mir das Zeug persönlichkeitsverändernd zu sein. Auf einer seltsamen Weise schien sie sich von der Realität zu entfernen aber im gleichen Augenblick schien sie paradoxer Weise auch körperlich aufzubauen. Sie wurde wacher und tatendurstiger. Mir blieb immer nur die Ermahnung es mit den Pillen nicht zu übertreiben – aber wie hätte ich, obwohl ich es irgendwo wollte, eingreifen können? Aber diesbezüglich muss ich auch mal was positives erwähnen: Sowohl seitens des Managements, also Schmiedels, sowie von Korinna hatte ich die Vorgabe darauf zu achten, dass Rita mit Alkohol „keinen Mist baut“. Schmiedel sagte in dieser Richtung des Öfteren: „Die notwendigen Mittel, die ein Star haben muss, um die gewaltigen Leistungen für seine Fans erbringen zu können (gemeint waren die Pillen und/oder Drogen, von denen Rita ja auch schon reichlich nahm), wirken sich in Verbindung mit Alkohol fatal und tödlich aus. Damit haben sich Elvis und andere umgebracht. Ohne die Mittel hält kaum einer den Stress und die Belastung aus; aber Alkohol muss nicht sein ... So etwas ist vermeidbar.“ Das Positive was ich jetzt herausstellen wollte ist aber nicht das Minimum an Einsicht bei den Rita-Vermarktern sondern die Tatsache, dass Rita von sich aus nichts mit Alkohol zutun haben wollte und will. Auch hinsichtlich der Ernährung hat Rita zum Glück eine gefestigte Einstellung. Sie meidet häufige Imbisse und ist gar nicht so sehr auf Süßigkeiten aus. Was sie zu sich nimmt, dürfte man glatt als Vollkost, bestehend aus allem was der menschlichen Ernährung im ausgewogenen Maße dient, bezeichnen. Ich will wirklich hoffen, dass es dabei bleibt. Während ihres Auftrittes hatte ich immer Zeit für mein Abendnickerchen. Das hört sich jetzt niedlicher an als es in Wirklich war, denn ich habe mir dann immer eine „echte Mütze Schlaf“ gegönnt, denn schließlich hatte ich nach Abschluss der Veranstaltung immer noch eine etwas schwierige Nichtensitteraufgabe und anschließend den Rest der Nacht durch zu fahren. Wenn mich jemand fragt ob ich denn kein Interesse an den Veranstaltungen gehabt hätte, muss ich ganz offen gestehen, dass ein solches nicht im geringsten vorlag. Wie die meisten
Angehörigen meiner Generation kann man mich mit Musik á la Ria Roy nicht begeistern sondern nur abschrecken. Da stehe ich doch eher auf deutsche Schlager sowohl von früher wie heute und auf Oldies aus der Beatzeit, also den 60er-Jahren. Zwar ist es mal ganz interessant ekstatisch abgerückte Fans zu beobachten – aber so etwas Abend für Abend? Die Vorliebe für deutsche Schlager war übrigens auch bei meiner zum Star gewordenen Nichte vorhanden, so dass es im Starbus nie Ärger darüber gab, welchen Radiosender wir einstellten oder welche CDs aufgelegt wurden. In dieser Hinsicht gab mir Rita auch immer eine vernünftige, nachvollziehbare Erklärung: „Wenn man in einer Sache mit Haut und Haar steckt, dann möchte man auch mal was anderes hören.“. Allerdings musste ich, wenn mal Dritte, zum Beispiel Pressefritzen oder Fan-ClubDelegierte, im Bus waren in den saueren Apfel beißen und mir die „Topps aus den Charts“ antun. Schließlich musste Ria Roy ja bekunden, dass diese Musik ihr Leben sei und dass sie auch die „Mucke“ ihrer Mitbewerber mag. Nun, ein Starleben ist etwas Schizophrenes: Im Inneren ist man ganz jemand anderes als vor den Augen der Masse. Dieses Persönlichkeitsspaltung konnte ich insbesondere auch nach der Veranstaltung erleben. Vital und voller Energie kam meine Nichte als Ria Roy auf den Bus zu. Sie sprang und hopste, warf dem Mob und den Pressebildchenschießern ein paar Worte und Kusshändchen zu. Also sie machte allerlei Firlefanz, aus dem man hätte schließen können, sie habe noch so viel Power, dass sie die nächsten 24 Stunden durchziehen könne. So bald die Tür des Busses geschlossen und verschlossen war verwandelte sich die Powerlady Ria Roy in das arme schwache Mädchen Rita König. Körperlich sackte sie zusammen, fiel mir um den Hals und heulte fürchterlich vor lauter Erschöpfung. Ihr gesamter Körper bibberte wie leichte Blätter im Wind. Sie war vollkommen physisch geschafft und konnte sich nicht mehr auf den eigenen Beinen halten. Jetzt war sie vollkommen auf mich, ihren Onkel angewiesen. Manch lüsterner Ria-Roy-Verehrer wird mich jetzt beneiden, wenn ich sage, dass ich sie auskleiden musste weil sie dazu nicht mehr in der Lage war aber ich glaube, dass diese selbst in einer solchen Situation nicht mehr an Sex gedacht hätten. Ich habe ihr dann immer einen warmen Kakao mit Sahne gemacht, den sie dann ganz artig, wie ein kleines Mädchen, trank. Ich blieb dann noch zehn bis fünfzehn Minuten auf ihrer Bettkante sitzen, hielt ihr die Hand oder strich ihr über die Haare und sprach ein paar tröstende Worte. Dann fiel sie jedoch in einen tiefen Erschöpfungsschlaf. Nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich davon überzeugte ob es dem Ordnungsdienst inzwischen gelungen war das Umfeld vom Mob zu säubern und wenn das der Fall war, begann mein Dienst als Fahrer. Um Rita brauchte ich mich anschließend nicht mehr zu kümmern, denn die schlief tief und fest. Selbst wenn es mal aus irgendeinem Grunde lauter um den Bus herum zuging war von ihr nichts zu vernehmen. Während der Tour konnte ich, wie zu keiner anderen Angelegenheit zuvor, feststellen wie alles auf dieser Welt nicht nur seine zwei Seiten sondern auch seine Zwischentöne hat. Wie bei einer deutschen Euro-Münze auf der einen Seite ein Adler und auf der anderen Seite eine Eins ist, war bei meiner Nichte auf der einen Seite der im Rampenlicht und Glimmerglanz stehende Star Ria Roy und auf der anderen Seite die junge, geschundene und blindwütig vermarktete Frau Rita König. Millionen von Star-Anhimmler möchten gerne da stehen, wo heute Ria Roy steht. Die Verehrung oder gar Vergötterung, die dem Star zu Teil wird, den Ruhm und das Geld, was sie dabei verdient, möchten viele sich auch zu Gute kommen lassen. Die andere, harte und fast unmenschliche Seite dürfte jedoch in Niemandes Interesse liegen, die nimmt man gar nicht erst wahr. Aber wie man bei der EuroMünze nicht nur Adler oder Eins nehmen kann sondern immer nur beide Seiten Adler und Eins, muss man für Starruhm auch das menschliche, körperliche Opfer bringen – und dieses kann bis zur Selbstzerstörung führen. Man denke nur an das Wrack Michael Jackson oder schlimmer noch an den, am 14. August 1977 verstorbenen Elvis Presley. Man schaue mal auf Harald Juhnke oder die Schlagerstars Roy Black oder Rex Gildo. Vergessen wir nicht die Rockstars von Anfang der 70er-Jahre. Man schaue nur mal in die frühgreisenhaften Gesichter inzwischen ausgemusterter Stars. Das Leben als Star wurde mit dem wirklichen Leben bezahlt; ein mehr als brutaler Packt mit Mephisto. Die Tournee lief richtig wie geschmiert ab. Erst zum Ende, in der letzten Woche kam es zum echten Trouble. Sie erinnern sich doch sicherlich daran, was am Dienstag, dem 11. September 2001, in New York und Washington passierte. Wir wussten noch gar nicht was los war, als bereits Medienheinis vor dem Bus erschienen, den ich gerade hinter die Halle, in der an diesem Abend die Show stattfinden sollte, gefahren hatte. Ahnungslos stellte ich mich vor die, allerdings noch kleine Meute und fragte nach deren Begehr. Zunächst war ich mal tatsächlich das, was viele prominente Leute sehr beredet vorgaben zu sein – nämlich sprachlos. Und dann war für mich zunächst einmal Holland beziehungsweise Ria Roy in Not. Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung, es dürfen nur nicht alle diese auch äußern. Stars dürfen nur die, vom Management vorgegebene Markt konforme Meinung als die ihre ausgeben. Meinungen sind nach der Ansicht der Geschäftemacher nicht dazu bestimmt, dem Image des Stars zu schaden und sollten stattdessen, dass Interesse an und für ihr Produkt, in diesem Falle Ria Roy, fördern. Da standen sie nun, die meist regionalen Medienfuzys und wollten von Rita eine Stellungnahme zu einer Angelegenheit, die ich just in diesem Moment selbst erst erfuhr. Nicht nur das; ihre spannende Frage ob die Veranstaltung am Abend stattfinden würde wollten sie auch noch beantwortet haben. Ich wäre nicht Kalle Waymann wenn ich die Situation nicht in den Griff bekommen hätte. Zunächst sagte ich ihnen
wahrheitsgemäß, dass wir gerade erst angekommen wären und während der Fahrt nichts mitbekommen hätten. Dann fabulierte ich locker und munter: „Gestern Abend hat Frau Roy wie üblich mal wieder alles für ihre Fans gegeben. Da brauch sie vor dem nächsten Auftritt doch noch ein Wenig Schlaf, was während der Fahrt nicht immer so klappt. Sie ist gerade erst eingeschlafen. Gönnen sie ihr bitte doch ein bis zwei Stunden Ruhe. Ich bin nur der Fahrer und Privatsekretär sie werden sicherlich verstehen, dass ich keine Stellungnahme im Namen von Frau Roy abgeben kann.“. Die mediale Meute war zwar nicht zufrieden aber ihnen blieb nichts anderes als sich damit so zugeben. Statt ein oder zwei Stunden hätte ich am Liebsten vier oder fünf gesagt aber wenn das sogenannte Team erscheint ist sowieso alles vorbei. Jetzt mussten Rita und ich hektisch versuchen unseren werten Herrn Schmiedel an die Telefonstrippe zu bekommen. Wir schossen gleich aus zwei, Handy genannten, Rohren und der, angeblich schlafenden Rita machte das förmlich Spaß. Bei solchen Gelegenheit merkte man dann, dass der junge Mensch in Ria Roy doch noch lebte. Rita wählte pausenlos Schmiedels Handy-Nummer und ich versuchte es im Festnetz. Es war gar nicht so leicht, denn immer und wieder verkündet uns ein „Tüt, tüt, tüt“, dass die andere Seite besetzt sei - auf der anderen Seite war wohl Gewitter gleich Hektik ausgebrochen. Na ja, ein Bisschen deppert war unsere Doppelaktion schon, denn nach dem wir den, von uns begehrten Herrn nach zehn Minuten endlich an der Strippe hatten, erfuhren wir, dass auch er bereits drei Mal durch das Besetzt-Tüt von unseren Anschlüssen zurückgewiesen worden sei. Von ihm kam dann die Anweisung, dass auch Rita den Satz des Tages von sich geben sollte. Das heißt, dass sie sagen sollte, dass sie vollkommen sprachlos sei und sie glaube, dass nichts mehr so sein würde, wie es einmal sei. Unter diesen Umständen würde es ihr ziemlich schwer fallen aufzutreten aber sie würde sich aber auch ihren Fans gegenüber in die Verantwortung genommen fühlen. Im Moment versuche sie mit Management und Veranstalter abzuklären, wie es weitergehen solle. Danach sollte sie sich entschuldigen und zurückziehen. Rita machte prompt das, was man ihr geheißen hatte und anschließend lief für uns eine ziemlich nervige Wartestunde. Schmiedel dürfte während dessen heftig gekurbelt haben, denn bei solcherlei Geschichten geht es um eine Menge Geld, nicht nur für den Star und dem Management sondern auch für den örtlichen Veranstalter, also dem Hallenbetreiber. Lässt man die Veranstaltung ausfallen muss man natürlich den Leuten, die da 100 und mehr D-Mark – die damals noch gültige Währung; entspricht 51 und mehr Euro – hingeblättert hatten wieder Cash gegen Karten geben. Das ist für Schmiedel und Freunde natürlich ein harter Brocken, wobei dann der Veranstalter nicht auf seine vereinbarte Hallenmiete verzichten möchte. Bei einer Verlegung fällt dann die Hallenmiete noch mal an und außerdem lässt sich schwer ein neuer Termin im Hallenterminkalender ausspähen. Aber da hatte und habe ich zum Glück nichts mit zutun. Auf jeden Fall wurde die Veranstaltungen mit dem Versprechen diese, zu einem noch nicht absehbaren Termin nachzuholen, abgesagt. Besser einen dicken Brocken Geld verlieren als später dauerhafte Mindereinnahmen schlucken zu müssen. Nicht die Sache, also der Terroranschlag von New York, war der Anlass zur Absage sondern die Furcht vor einer Rufschädigung in Folge einer negativen öffentlichen Meinung. Die Fußballer hatten ja damals etwas anders geschaltet. Die markierten eine Gedenkminute und kickten dann fröhlich los. Es gab doch einige Leute, die denen das, trotz schöner Wischewaschi-Erklärung von Beckenbauer & Co, doch sehr übel. Nach der Absage des Abends sollte ich dann noch zwei bis drei Stunden am Ort verweilen und weitere Anweisungen abwarten. Währenddessen sollte Rita ein Wenig mit dem inzwischen auch eingetroffenen Team so für die Fans und für noch herbeieilende Medienhiwis den Kaspar machen. Schließlich müssen die in Schach gehalten werden, damit nicht der schon bereits entstandene Geschäftsschaden durch den unmutigen Mob vergrößert wird. Rita sollte sich öffentlich immer bestürzt hinsichtlich der Tagesereignisse, die wir aus Zeitmangel im Grunde gar nicht persönlich verarbeiten konnten, zeigen aber gleichzeitig immer wieder bekunden wie leid es ihr um die Fans im Ort, und insbesondere um die extra herbei geeilten, tue aber diese sollten Verständnis dafür zeigen, dass man angesichts der vielen Toten kein fröhliches Fest, die ihre Shows ja immer gewesen wären und sein sollten, feiern könne. Ja, Rita machte ihre Sache super. In der einerseits komischen und andererseits perversen Schauspielschule hat man offensichtlich doch noch ein Wenig Ausbildung betrieben. An dem 11. September, der inzwischen zum Begriff geworden ist, sollte dann die „Ria Roy Tournee 2001“ ihr vorzeitiges Ende finden. Kurz nach Acht teilte uns Schmiedel mit, alle Termine bis zum Wochenende seien abgesagt und da in der darauffolgenden Woche ohnehin nichts mehr gewesen wären, sollten wir uns am darauffolgenden Tag auf die Heimfahrt begeben. Der folgende Tag hatte mehrere Gründe: Damit Rita zuhause nicht von Fans und Presse überfallen werden konnte, sollte sie mit einem unauffälligen Wagen abgeholt werden und erst einmal an einem abgelegenen Ort in Südfrankreich mit ihrer Mutter zwei Wochen Urlaub machen. Das der Bus erst mal an seinem Standort blieb sollte dokumentieren, dass wir uns noch den Kopf darüber zerbrechen, wie es weitergehen sollte. Der Eindruck, dass es für uns nur ein Geschäft sei sollte auf keinem Fall aufkommen können. Stattdessen sollte gemutmaßt werden, dass wir es uns schwer mit der Entscheidung Rias Fans enttäuschen zu müssen machten. Letztlich sollte ich dann den Bus auf ein Gelände der Produktionsfirma bringen, wo dann eine
besserklassige Limousine, die ich einerseits privat nutzen durfte und die ich als chauffierte Kutsche, wenn Rita im Winterhalbjahr irgendwelche Termine hat, einsetzen sollte, auf mich, dem Fahrer, übernehmen sollte. Der Wagen sollte ursprünglich erst am darauffolgenden Montag bereitstehen und jetzt musste die Zulassung auf Mittwoch, den 12. September 2001, vorgezogen werden. Zugelassen wurde das Fahrzeug auf Ritas inzwischen eingetragen Künstlernamen Ria Roy. Jetzt nehme man es mir bitte nicht übel, wenn ich sage, dass dieser Tag für Rita und mich ein richtiger Freudentag war. Wie ließen uns eine Flasche Sekt und ein erstklassiges Menü in den Bus bringen. Das wurde sehr dezent gemacht. Kein Mensch konnte erahnen, was sich in der Kiste, die ein Mitarbeiter des Teams da anschleppte, verbarg. Es hätte ja wohl auch Superschlagzeilen gegeben, wenn ruchbar geworden wäre, dass dieser 11. September für uns ein Anlass zum Feiern gewesen wäre. Aber man verstehe bitte, wie froh wir waren, dass nun unser viermonatiges Martyrium zuende gegangen war. Ich freute mich darauf wieder zu meiner Beatrix, mit der ich ein Dritteljahr eine Telefonehe geführt hatte, gehen zu können. Übrigens, die erwähnte Flasche Sekt habe ich bis auf ein Glas, mit dem Rita mit mir angestoßen hatte, alleine getrunken. Mein Magen dankte es mir, der ich üblicher Weise nur Bier trinke, am nächsten Tag mit einem kräftigen Sodbrennen. An diesem Abend stellte ich dann fest, dass mir dieses Mädchen, meine Nichte, wie eine Tochter ans Herz gewachsen war. Und die Sache war nicht einseitig, denn Rita gestand mir, dass sie mir mehr vertraue wie ihrer Mutter und ich sie „bitte, bitte“ nie allein lassen sollte. Vielleicht ist jemanden etwas aufgefallen? Nein? Dann will ich mal mit dem Stichwort „Fanpost“ nachhelfen. Wann hat Ria Roy, die denn erledigt? Das kann ich jetzt ganz flott aufklären: überhaupt nicht. Als ich den Bus auf Schmiedels Studiogelände abgestellt hatte und noch auf den PKW warten musste, lernte ich ihren FanpostBeantworter kennen. Der Herr, etwa Mitte Dreißig, hat bei Schmiedel einen Full-Time-Job. Was der gute Mann da alles für ein dummes Zeug, unter das er den Ria-Roy-Faksimile-Stempel setzte, zusammenschrieb. Aber Klasse gemacht: Inhalt = Null, Stil = hervorragend, Handschrift = fast künstlerisch. Da erlaubte ich mir mal die Frage was passieren würde, wenn so etwas mal auf einer Versteigerung für viel Geld an den Mann ging und sich dann dieses als Fälschung herausstellen würde. Da sagte mir der Herr, der erst nicht wusste, dass Rita meine Nichte ist: „Ach, meine Güte. Ich bin jetzt 10 Jahre hier im Haus und diese Ria Roy ist jetzt der fünfte sogenannte Star für den ich jetzt Fanpost schreibe. Bei allen das Gleiche. Im ersten Jahr waren sie die Entdeckung des Jahrhunderts, im zweiten noch ein ganz gutes Geschäft und im dritten waren sie von der Bildfläche verschwunden. Was glauben sie denn, was dann mit diesen Brieflein geschieht? Entweder kommen sie früher oder später über die Mülltonne in der Müllverbrennung an oder werden über den Altpapiercontainer zu Toilettenpapier. Aber nur gut für diese Jungscher, dass unser Boss irgendwo doch noch eine soziale Ader hat und die Leutchen irgendwie noch zusammen passend verkuppelt. Ich habe vier junge Frauen und einen Mann bearbeitet. Die bisherigen drei Frauen traten wegen Schwangerschaft ab und wie ich gehört habe, halten deren Ehen, die sie anschließend geschlossen haben, sogar. Nur auf der Bühne sind die nicht wieder aufgetaucht – und es fragt auch niemand nach ihnen. Passen sie mal auf, auch unsere jetzige Tussi fällt nächstes Jahr vom Starhimmel ins Wochenbett und anschließend in eine versenkende Ehe.“. Jetzt glaubte ich mir mit dem Mann doch noch ein Späßchen erlauben zu müssen und sagte zur Freude meines inneren Schweinehundes: „Aua, aua, ich möchte mal wissen wie unser Boss meiner Schwägerin weiß macht, dass meine Nichte zum Bühnenabtritt geschwängert werden soll.“. Der Mann sah mich richtig erschrocken an und stammelte: „Entschuldigung, ich wusste nicht, das Frau Roy ihre Nichte ist.“. „Ach, nicht so schlimm.“, beteuerte ich ihm lachend, „Im ersten Teil, wo sie vom Aufstieg und rapiden Fall der Sternchen sprachen, haben sie nur das ausgesprochen, was nicht nur ich selber sondern auch meine Nichte weiß. Dieses Geschäft mit den Sounds für junge Leute ist ein kurzlebiges. Ich kann ihnen sagen, das mir meine Nichte mehr als ein Mal beteuerte, dass sie es selbst genau so sieht. Ihr Problem ist nur ihr Mütterchen, meine beknackte Schwägerin. Ohne die wäre meine Nichte bestimmt ohne Umweg über das Starunwesen im Wochen- und Ehebett gelandet. Mit dem zweiten Teil haben sie mir sogar geholfen. Ich habe mir bis jetzt Sorgen über die Art ihres Abganges gemacht. Was sie mir gesagt haben, beruhigt mich doch ungemein, da dann eine Hoffnung auf echtes menschliches Weiterleben besteht.“. Das er durch meine jetzige Aussage nun beruhigt sei, konnte mir offensichtlich der Ghostwriter jetzt im Gegenzug auch sagen. Er sollte recht behalten. Das Schmiedel dabei ein Regiefehler unterlaufen sollte, konnte allerdings ein Jahr vorher noch niemand ahnen. Rita ist nämlich vom falschen Mann schwanger geworden und die beiden wollen auch heiraten, nur aus einem bestimmten Grund wird Rita aber dadurch bei Schmiedel nicht von der Bildfläche verschwinden. Und meine Befürchtungen hinsichtlich meiner Schwägerin, wie sie dann ausflippen würde, waren auch unbegründet – sie ist richtiggehend happy. Aber lassen sie mich alles der Reihe nach erzählen. Ich kann gleich zum Beginn der diesjährigen Tournee, die wir nicht mit dem Bus – der ist jetzt mit einem Newcomer unterwegs ist – sondern mit der Limousine von Hotel zu Hotel durchführen, übergehen. Rita muss dieses Jahr nicht jeden Abend sondern „nur“ zwei oder drei Mal pro Woche auf die Bühne. Auch der Grund ist ganz einfach: Der Starglanz beginnt langsam zu bröckeln und volle Hallen müssen schon sein – und so werden die
Fans ein Wenig komprimiert. Aber jetzt schimpfen Sie doch nicht; ich habe Ihnen nichts vorenthalten. Im Winterhalbjahr war so gut wie nichts los, zumindestens im Bezug auf das, was ich an Berichtenswerten miterlebt habe. Rita war in dieser Zeit zu Aufnahmen im Tonstudio und zu diesem oder jenen Gequassel bei diversen Rundfunk und Fernsehanstalten. Lediglich auf zwei Galas zugunsten von irgend so etwas ist sie aufgetreten. In der Vorweihnachtszeit ist ja bekanntlich werbemäßig gut vermarktbares Spenden in. Natürlich habe ich sie hingefahren, natürlich gab es vor den Auftritten bei den Galas und im Fernsehstudio die beschrieben Lampenfieber-Dramen aber sonst ... nichts besonderes. Also kann ich gleich mit dem Tourneestart loslegen. Vor dem offiziellen Start sollte erst einmal eine Nackedieund Nackedei-Session in einem Fotostudio stattfinden. Ich kann mir auch was Schöneres vorstellen. Liegen oder stehen sie mal an drei aufeinanderfolgenden Tagen ohne ein Stück Textil, oft in einer Pose bis zu einer Stunde ausharrend, in einem Studio, in dem immer 5 bis 20 angezogene Leute sie fachlich begutachten oder Make Up gebend befummeln. Auch ich war auf Wunsch des Stars die ganze Zeit im Studio dabei, da sie sich bei meiner Anwesenheit irgendwie geschützt sah. Seltsamer Weise verkündet mir meine Nichte als alle Bilder geschossen waren, dass es sie am Meisten angeturnt habe, dass auch ich sie mit männlichen Blick begutachtet hätte. Ich muss schon gestehen, dass mir zwischendurch schon einige erotische Gedanken gekommen waren. Aber mehr nicht, ich bin nicht derjenige, der Schmiedel in die Regie fuschte, das war nur sein eigener Sohn. Er kam mit einem männlichen „Star“, mit dem Rita eigentlich verkuppelt werden sollte, ins Studio. Laut Schmiedels „Drehbuch“ sollte sich der Star, der dort auch blank aller Textilien, parallel zu Rita, für ein CD-Cover posieren sollte, in meine Nichte verknallen und das Ergebnis sollte 9 Monate später seinen oder ihren Schrei auf dieser Welt von sich geben. Aber Rita verknallte sich nicht nach Drehbuch sondern echt und ehrlich auf Anhieb in Frank Schmiedel und ihre Zuneigung fand gleich Erwiderung. Es war tatsächlich eine wahre Liebe auf den ersten Blick. Noch in einer Hinsicht hatte Schmiedel Pech: Die Bilder, die an ein Magazin verkauft werden sollten, blieben in seinem Hause. Sein, von Amors Pfeilen getroffener Sohn „kaufte“ die Rechte und gab dann die Bilder nicht zur Veröffentlichung frei. Er wollte sein „Ria-Mäuschen“ für sich haben und sich diese nicht mit Voyeuren teilen. Diese Einstellung spielte dann auch bei der Kleiderordnung zu Ritas Auftritten eine maßgebliche Rolle. Während im Vorjahr bei ihr, wenn sie auf der Bühne stand, die meisten Hautflächen blickfrei waren tritt sie in diesem Jahr doch recht solide auf. Natürlich bleibt sie auch so ein hübsches und sexy Mädel, die das, was im Vorjahr lief, von ihrer Ausstrahlung her, gar nicht nötig gehabt hat. Aber im Geschäft wirkt sich die andere Art schon ergebnisträchtig aus. Letztes Jahr fand sie in den Medien eine viel größere Publizität und die eilte ihr während der Tournee von Station zu Station voraus. Was sich nicht in erster Linie beim Veranstaltungsbesuch abzeichnete – auch jetzt sind die Hallen voll - sondern in erster Linie im Verkauf von CDs und insbesondere im Absatz von allerlei Nebenprodukten aus den Bereichen Mode, Drucksachen, Fanartikel und so weiter. Wenn man die mit Leuten, die da 50 € und mehr für hingeblättert haben, in den gefüllten Hallen sieht, kann man so auf den ersten Blick gar nicht verstehen, dass dieses vom Ergebnis her gesehen der eher unbedeutendere Teil der Menschenvermarktung ist. Was das Konsumeinheizen anbelangt ist es dann aber doch umgekehrt. Ein deutscher Star, der die heimische Gegend streift, bringt für einen bestimmten Zeitraum dort deutlich mehr ein als ein Toppweltstar im fernen Amerika. So ist Ritas diesjährige Tournee der Anlass für häufige Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn Schmiedel. Im Grunde ist Sohnemann ein genauso knallharter Geschäftsmann wie sein Vater, der nur die geschäftlichen Grundsätze nicht auf die Frau, die er liebt, übertragen wissen will. Junior verzichtet seiner Liebe halber auf Geld und der Senior, der nur diesen einen Erben hat und ihn auch irgendwo liebt, gibt stets und ständig nach. Dieses auch unter dem Gesichtspunkt, dass er selbst Rita sehr gut leiden kann und eigentlich gar nicht abgeneigt ist sie als Schwiegertochter zu haben. An den Tagen, an denen Rita auf die Bühne muss, hat sich gegenüber dem Vorjahr nur das Detail, dass sich die Dinge jetzt nicht in einem rollenden Apartment sondern in Hotelzimmern abspielen, geändert. Nach wie vor überfällt sie die Lampenfieberpest vor den Auftritten. Weiterhin greift sie dann zu Pillen und Drogen und immer noch hoffe ich, dass davon mal ja nichts hängen bleibt. Irgendwo ist mir meine Nicht doch so ans Herz gewachsen, dass ich nicht sehen möchte, dass sie nicht, wie zum Beispiel Elvis Presley, verendet. Auch in diesem Jahr muss ich sie nach ihrem Auftritt wie ein kleines Mädchen zu Bett bringen, auch dieses Jahr verausgabt sie sich physisch völlig und total. An den Auftrittstagen duldet sie auch keinen Hotelzugang ihres Frankieboys, der sie so nicht erleben soll. Sie hat ihn gebeten an diesen Tagen nicht ins Hotel zu kommen und der junge Mann, der auf mich eigentlich einen sehr netten Eindruck macht, akzeptiert dieses auch. Wenn aber nichts ansteht ist Frank Schmiedel jedoch sehr häufig vor Ort. Und die Beiden turteln dann wie es einem jungen Liebespaar ansteht. Wenn ich dieses so aus der Distanz betrachte, melden sich bei mir immer rührige Erinnerungen an meine entsprechende Zeit mit Beatrix. Für mich ist dieses dann auch Freizeit, die ich aber zunehmendst gar nicht so gerne habe. Mich drücken doch einige persönliche Zukunftsängste. In etwa drei Wochen geht die diesjährige Tournee der, jetzt im vierten Monat schwangeren Rita zu Ende. Das dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit das Ende des Stars Ria Roy sein. Frank und Rita wollen im Oktober, vor der
Öffentlichkeit verborgen, heiraten und danach ein „normales“ Millionärs-Paar-Leben führen. Rita soll nicht mehr auf die Bühne, vor Mikrophone und Kameras. Für Frank hat sich in seiner Lebensplanung nichts daran geändert, dass er den „Laden“ von seinem Vater übernehmen und weiterführen will. Jetzt kann man ja nicht in die Zukunft sehen und sagen was dabei herauskommt. Nach meiner Ansicht haben die beiden jungen Leute alle Voraussetzungen ihre Pläne in Taten umsetzen zu können und dabei glücklich zu werden. Ich möchte ihnen das auf jeden Fall wünschen. Zumindestens Rita, deren Kindheit und Jugend von ihrer Mutter kaputt gemacht wurde und dessen ersten erwachsenen Jahre durch die doch schamlose Vermarktung eher ein Martyrium waren, hat dieses voll und ganz verdient. Möge sie ein Mensch werden und die Chance haben, dieses auch sein zu können. Für mich bedeutet das aber das Ende meiner Laufbahn als Fahrer des Produktes „Ria Roy“ und als Betreuer des Menschen Rita König. Frank Schmiedels Angebot meine Dienste für eine andere zum Objekt degradierte junge Frau zu erbringen habe ich abgelehnt, da ich es möglicher Weise aufgrund meiner inneren Einstellung nicht kann oder dabei so verrohe, das Leben und Menschlichkeit in mir sterben – und das ist das Wichtigste, was ich habe. Aber dann bin ich wieder da, wo ich damals, als Korinna mit meinem jetzigen Job ins Haus schneite, schon einmal stand. Jünger geworden bin ich nicht und wenn ich damals schon „zu alt“ für meinen Beruf war, was bin ich denn jetzt? Fürs Altenteil bin ich nun wirklich zu jung und außerdem dürfte sich dann ein mehr als 30jähriges Arbeitsleben später mal als Trinkgeldempfang anstelle von Rente auswirken. Aber was soll es, das Leben geht weiter und ich will noch weiter leben, denn ich habe nur dieses eine irdische Leben. Dieses ist eigentlich auch der Hauptvorwurf, den ich meiner Schwägerin Korinna machen muss: Damit das Lebewesen, dass sie geboren hat, mal als Markenprodukt auf dem höchstfragwürdigen Sockel des Ruhmes steht, hat sie ihrer Tochter wahre Lebenszeit brutal geraubt. Na ja, lassen wir das, sonst steigere ich mich noch in Jähzorn ... und das war nicht Sinn der Sache sondern ich wollte mich durch diese Schreiberei von den vorgeschilderten grauen Gedanken ablenken. Damit mache ich aber jetzt Schluss. In drei Wochen bin ich endlich wieder bei meiner Beatrix und diesbezüglich habe ich mir vorgenommen, mich nun ganz intensiv um unser eigenes Leben zu kümmern. Und damit habe ich doch etwas, wo ich mich richtig darauf freuen kann.
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Geld und andere Nebensächlichkeiten Gestatten, mein Name ist Heinz Neuhaus, und ich komme aus der kleinen Stadt Neuheim, wo ich auch am 15. September 1946 geboren wurde. Bis jetzt eine ganz normal Vorstellung – oder finden Sie nicht? Aber jetzt kommt es: Ich liebe meine Frau Brigitte, mit der ich seit dem 30. Dezember 1975 verheiratet bin. Außerdem bin ich glücklich und zufrieden obwohl ich ... Achtung jetzt kommt es: - einen dicken Haufen Schulden habe. Es ist aus meiner derzeitigen Sicht direkt wunderbar, dass ich nicht berühmt bin und keinerlei Interesse habe hier und mal einen Euro zu machen ... da warten bei mir doch sowieso nur die Inkassogeier drauf. Was, Sie glauben mir nicht? Ach, machen sie sich nichts daraus, das können selbst unsere beiden Kinder Heike, geboren 1978, und Wolfhard, geboren 1980, auch nicht so recht. Ich muss jetzt auch gestehen, dass dieses bei mir nicht immer so war und ich in den Augen der Massen sogar mal „ganz normal aussah“. Dazu bedurfte es eines Bekehrungserlebnisses, welches mich von einer humanoiden Existenz ins menschliche Leben brachte oder zurück führte. Den religiösen Aspekt, der dabei auch mitspielte, lasse ich erst mal bei Seite, denn es ging erst einmal um allzu weltliche, irdische Angelegenheiten, für die ich Gott jetzt erst einmal aus dem Spiel lassen möchten. Oder begehen Sie den Frevel, dass sie Gott im Gebet um einen Lottogewinn bitten. Der Mammon ist ein Götze, genannt das Goldene Kalb, den wir Menschen uns geschaffen haben. Für Götzenverehrung straft uns Gott vielleicht – genau kann man das, weil niemand Gottes Willen und Urteil kennt, nicht sagen - aber uns dabei beistehen will er uns mit Sicherheit nicht. Jetzt aber genug mit der vorstellenden Vorrede; nun aber gleich ran an die Story, die im Jahre 1978, als auch unsere Heike geboren wurde, beginnt. Das Jahr war aus meiner damaligen Beurteilung ein echtes Superjahr. Am Anfang dieses Jahres hatte ich meine Meisterprüfung abgelegt und mir schon vorher einen adäquaten Job gesucht. Ich fing zwar nicht als Meiestro in meinem Beruf an aber immerhin als gut dotierter Sachbearbeiter bei einer Maschinenfabrik, der Simona AG, die die Branche, in der ich zu meisterlichen Ehren gekommen war, mit speziellen elektrischen und elektronischen Büromaschinen belieferte. Das war schon etwas bei dem Laden mit dem großen Namen in der Branche werkeln zu dürfen. Deshalb hatte es mich aus Neuheim in die große Stadt , die ich aus bestimmten Gründen hier nicht nennen möchte, gezogen. Und da weiteten sich auch meine Träume von Ruhm, Macht und Geld aus. Damals war ich ja noch ein normaler Mensch, der seinen Lebenszweck darin sah sich Geld genannte Tauschhilfsmittel zu beschaffen, zu häufeln um damit später auch einen Krümelkrieg der Erben auslösen zu können. Weshalb sollte man leben, wenn man anstelle dessen Ruhm und Macht haben kann. Aber was habe ich davon, was ist das denn wert, wenn ich dafür alle Tage meines Lebens bis auf wenige Ausnahmen nur im Büro verbringe, wenn ich statt an Frau und Kinder zu denken, nur darüber nachdenke an anderer Leute Geld zu kommen. Was habe ich von ein paar Milliönchen auf dem Konto, wenn ich dafür keine Zeit zum Leben habe. An Geld kann man immer wieder kommen aber das Leben hat man nur einmal. Aber soweit war ich damals noch nicht, da starte ich erst einmal in so etwas Fragwürdiges wie eine Karriere. Mein endgültigen Pakt mit Mephisto schloss ich dann aber im Jahre 1980, als unser Wolfhard geboren wurde. Nachträglich könnte ich mich für meine damaligen Taten noch Ritter Deppus von Neuhaus adeln. In der Simona AG, in der ich knechtete, lief es prima. Die Umsatzzahlen kletterten hoch und ich nahm stolz in Anspruch ein Wenig Anteil daran zu haben. Das man das aus der sogenannten höheren Warte in der Firmenhierarchie in meinem Sinne auch so sah, konnte ich an Prämien, Zulagen und an einer in Aussicht gestellten Abteilungsleiterposition erkennen. Na ja, standesgemäß musste ich da wohl doch ein Häuschen mein Eigen nennen. Na ja, was ich mit dem Häuschen während des Baus und unmittelbar danach alles erlebte – also Schlampereien, Mängel und Verzögerungen - ist eine Story für sich, die ich an anderer Stelle mal erzählen kann. Für diese Geschichte ist wichtig, dass ich, nur um zu zeigen wer ich war, eine Ortsbindung, die mir später den Hals brechen sollte, einging. Wäre ich Mieter geblieben, hätte ich meine Freiheit und Unabhängigkeit behalten dieses sowohl in räumlicher wie wirtschaftlicher Sicht. Ohne den Klotz „Eigenheim“ am Bein hätte ich jederzeit „Adios Amiegos“ sagen können und von meinen Grundrechten, wie der Koalitionsfreiheit, der Bestimmung des Aufenthaltsortes und so weiter, Gebrauch machen können. Keine Firma der Welt wäre so schön gewesen, dass ich mich selbst bei ihr hätte eingeknebelt – und Simona AG schon mal gar nicht. Schlicht und einfach gesagt, ich hätte jederzeit dahin wechseln können, wo ich die Chance zur Lebensgestaltung in meinem Sinne gefunden hätte. Jetzt aber hatte ich das Häuschen, dass ich erst einmal ohne Kapitalverlust hätte loswerden müssen bevor ich mich an einen anderen Ort als Glücksritter hätte betätigen können. Wirtschaftlich war ich dahingehend gebunden, dass es beim besten Willen keinen Knick in meiner Laufbahn geben durfte, denn die konstanten laufenden Lasten hätten mich ganz schön auf Schleuderkurs gebracht. Aber welcher Häuselbauer oder Eigenheimerwerber sieht das schon. Auf jeden Fall weiß ich heute: Wer „nur“ mietet ist schlauer, denn er behält sich für alle Fälle seine Freiheit, ein tatsächlich mehrfach höheres Gut als Wohlstand. Nun, es dauerte gar nicht so lange, bis der Knick, der jetzt wo ich Hausbesitzer war, nicht mehr hätte kommen dürfen. Wie sagt man so schön: Wenn es dem Esel zu wohl geht, begibt er sich aufs glatte Eis. Und glauben Sie mir, meine Erfahrungen aus meiner Karrierezeit besagt, dass die größten Eselansammlungen auf Vorstands-
etagen von Aktiengesellschaften anzutreffen sind. Das liegt wohl daran, dass die Leute, die man dort antreffen kann, vielfach dank des Vitamin B (B wie Beziehung) in eine entsprechende Laufbahn gekommen sind und im Grunde von nichts, außer Akrobatik mit Bilanzzahlen, Ahnung haben. In der Branche wo sie wursteln sind sie in den meisten Fällen Blindflieger; Otto Malocher an der Werkbank besitzt meisten mehr Kenntnisse, von dem was er macht, als seine Bosse. Aber dank ihrer fachqualifizierten Kofferträger im dritten und vierten Glied, zu denen ich mich bei uns in der Simona AG auch zählen durfte, geht so etwas auch oft und lange gut. Nur wenn die Leutchen dann abheben und ihre Kofferträger nicht mehr verstehen wollen – vielleicht können sie es auch nicht dann wird es heikel. Mein direkter Vorgesetzter, seines Zeichens Vorstand für Vertrieb und Marketing war ein echter „Superesel“, denn der verkaufte immer das, was es noch gar nicht gab. In Brainstormings wurden die Produkte von Morgen angedacht. Natürlich war nicht jede „Schnapsidee“ auch durchführbar. Aber da gab es immer wieder Dinge die sich erst bei näherer Betrachtung als derzeitig noch nicht durchführbar erwiesen und immer wieder war auch etwas dabei, was Alles in Allem doch machbar zusein schien. Letzteres war ja Sinn der Brainstorming genannten Übung. Mein Boss, Herr Werner Leinberg, hatte dann eine ganz „pfiffige“ Eigenart: Wenn die Experten nicht hundertprozentig eine Sache für undurchführbar erklärt hatten, dann ließ er den Aufwand in Mann/Tagen schätzen. Das Argument, dass möglicher Weise dieses oder jenes derzeitig noch nicht durchführbar sei, hielt er in der Regel für eine „faule“ Ausrede mit der sich die Entwickler vor der Arbeit drücken wollten. Er wollte seine Mann/Tage haben und von Risikoeinschätzungen nichts hören. Wie er dann mit diesen Grobschätzungen umging, ist fast haarsträubend. Entwicklungsarbeiten sind ja keine technischen Zeichnungen nach bestimmten Vorgaben am Reisbrett und auf keinen Fall so konkret planbar wie Fließbandabläufe. Es ist eigentlich natürlich, dass man bei Entwicklungsarbeiten immer wieder mal auf etwas stoßen kann, was absolut nicht vorhersehbar war; schließlich betritt man bisher unentdecktes Neuland. Dieses Unvorhersehbare kann dann Auswirkung auf bereits erledigt Gedachtes aber auch auf noch Kommendes haben. Grundsätzlich kann eine geschätzte Entwicklungszeit immer nur ganz grob sein. Aber unser Herr Leinberg nahm diese Schätzung immer wie eine ganz konkrete Arbeitsvorbereitung. Wurden ihm vorsichtig 365 Mann/Tage gesagt, kam der „kluge Kopf“ nach der Feststellung, das 365 Tage gleich ein Jahr, gleich 12 Monate sind, auf den tollen Dreisatz, den übrigens jeder Grundschüler ab dem vierten Schuljahr können sollte: Ein Mann brauch 12 Monate, dann brauchen 12 Männer gleich 12 Monate geteilt durch zwölf Mann ... au fein, nächsten Monat haben wir das Ding. Das es sich bei Entwicklungsarbeit wie mit Rechenarbeiten verhält, leuchte ihm absolut nicht ein. Bei ihm ist es tatsächlich möglich das, während der Erste bis 500.000 rechnete, der Zweite ohne das Ergebnis seines Vorgängers zu kennen, schon mal bis eine Million weitermacht. Leinberg brauchte jetzt schnellsten einen zündenden Produktnamen, eine Artikelnummer und einen Preis – und ab ging die Verkaufspost. Das brachte, insbesondere auch bei Messen, in den Auftragsbüchern manchen Scheinumsatz, der dann später berichtigt werden musste. Was ja, so lange die Berichtigungen auch wirklich vorgenommen wurden, nicht so schlimm war. Tragisch immer nur, dass unsere Kunden ja auch mit den Mitteln, die ihnen für Investitionen zur Verfügung standen, rechnen mussten. Und so erfolgte mancher Scheinumsatz anstelle von möglichen tatsächlichen Umsätzen. Oft passierte es dann, dass, wenn dem Kunde die Wahrheit gebeichtet werden musste, der dann aus Verärgerung zum lieben Mitbewerber ging. Na, so etwas kostet natürlich richtig Geld. Besonders tragisch war das bei einem Großprojekt, was 1984 erstmalig auf einer Messe vermarktet wurde aber bis zum Pleite der Simona AG im Jahre 1991 nicht verwirklicht werden konnten. Experten schätzen den Verlust der nur durch Imageschaden entstand, also die Kosten der Entwicklungsarbeit die zwischenzeitig lief gar nicht berücksichtigt, auf stolze 100 Millionen D-Mark, das sind nach heutigem Geld über 51 Millionen €. Wenn man überlegt, was die durch die unsinnige Entwicklungsarbeit gebundenen Kräfte hätten zwischenzeitig alles hätten machen können, kann einen schon überaus schwindelig werden. Alles zusammen gerechnet dürfte diese leichtfertige Vorstandsdummheit ein paar hundert Millionen gekostet haben. Aber diese Leinberg-Dummheiten meinte ich noch nicht einmal, als ich von dem aufs Eis gehen schrieb. Da meinte ich die Hyperflops, die sich Vorstand, Aufsichtsrat und Bankfiosis in mal alleinigen und mal im gemeinsamen Vorgehen leisteten. Dem Ganzen kann ich die Überschrift „Diversifikation im blinden Eifer und ohne Ahnung“ geben. Was ist denn Diversifikation? Ach, ganz einfach, man stellt ein Unternehmen auf mehrere Beine, das heißt, dass man andere Unternehmen aus anderen Branchen dazu kauft und dadurch zum einen etwas stabiler gegenüber einzelnen Branchenkrisen wird und zum anderen erschließt man dadurch neue Einnahmequellen. Man könnte sagen, dass so aus einer Einzelfirma ein Konzern werden soll. Solcherlei Transaktion sind auf dem ersten Blick nur für die Aktionäre von Bedeutung, für Kunden und Arbeitnehmer bleibt scheinbar alles beim Alten. Aber nur scheinbar, denn die kaufenden Einzelfirmen, die in ihrer Branche vom Namen und ihrem Markt ein „Riese“ sein können, sind in der neuen Branche nur Nobodys. Um einen vergleichsweisen „Riesen“ in der neuen Branche zu übernehmen, hat das diversifizierende Unternehmen in der Regel keine ausreichende Kapitalbasis und wird dadurch zum Spielball der Banken – und Bankfiosis sind für das Geld und nicht für die Menschen zuständig. Weniger Arbeitnehmer sind automatisch geringere Kosten aber auch geringere Produktion. Steht aber ein geringer Umsatzrückgang in Folge gedrosselter Produktion einer deutlich größeren Kosten-
ersparnis im Personalsektor gegenüber dann wird munter und fröhlich gefeuert. Die Toppmanager von der Banken Gnaden privatisieren Gewinne, zum Beispiel durch legale Abschreibungsakrobatik oder gar höchstkrimineller Steuerhinterziehung, und im Gegenzug werden Verluste sozialisiert, sprich der Kostenfaktor Arbeit wird den Arbeitsamt angelastet. Und da Mister Raffgeier alles noch nicht reicht singt er die Jaularie von Steuer- und Lohnnebenkostensenkung. Hauptsache Kurse und Dividenden steigen, die Masse des Volkes – nur Faktoren – können ja zum Teufel gehen. Und die Politmajonetten, die ja vom Grundsatz das Volk auch gegen die Einzelinteressen von Banken und großen Aktiengesellschaften zu vertreten haben, schreiben sich dann den Sozialstaatmord im Auftrage ihrer Sponsoren publizistisch schön und dann noch als glorreiche Tat auf ihre Wahlkrampffahnen. Der Vorstand unseres Ladens entschloss sich jedoch nicht gleichwertige Unternehmen aus anderen Branchen aufzukaufen sondern man entschloss sich für die augenscheinlich preiswertere Lösung – man nahm die fußkranken Läden. Da sind dann Sanierungen nicht nur mit Personalabbau durchziehen sondern da muss man auch noch ein Häuflein Geld mitbringen um das Töchterchen überhaupt auf den Beinen zuhalten. Das geht natürlich an die Substanz des Aufkäufers. Bei uns kamen jetzt drei Dinge zusammen: Erstens schluckte dass 1984 bereits „verkaufte“ Großprojekt echte Unsummen an Entwicklungskosten, zweitens kamen der Kapitaltransfer zu den fußkranken Töchtern hinzu und letztlich dürften die durch Leinbergs Scheinumsätze verhinderten echten Umsätze noch ihren Rest dazu gegeben haben. Es ging also massiv bergab. Und der Sache trat man erst einmal mit, in der Situation unsinnigen Maßnahmen entgegen, zum Beispiel Kurzarbeit obwohl die Auftragslage ein kontinuierliches Durchziehen erlaubt hätte. Schade, dass ich das konstruierte Zahlenwerk, mit dem man die Beamtokraten vom Arbeitsamt zur Kurzarbeits-Geld-Zahlungs-Zustimmung gebracht hat, zu sehen bekam. Ich hätte das doch gerne mal gelesen, aber mir kleinen Leuchte legte man so etwas natürlich nicht vor; genauso wenig wie ich zu dem Ankauf von Unternehmensschrott aus anderen Branchen gefragt wurde. Aber ausbaden durfte ich das, wie das andere Fußvolk in der Simona AG auch, die Sache dann doch. Da war jetzt nichts mehr mit Prämien, Zulagen und einer in Aussicht gestellten Abteilungsleiterposition. Eher mit dem Gegenteil: Es stand die Drohung Zulagen zu streichen beziehungsweise auf Tariferhöhung anzurechnen im Raume. Statt zum Abteilungsleiter aufzusteigen rutschte ich glatt eine Etage tiefer. Bisher wurde ich auf der Kostenstelle „Geschäftsleitung“ geführt und nun wurde ich in die Kostenstelle „Produktmarketing“ eingereiht. Das bedeutet zwar nicht auf Anhieb weniger Geld aber langfristig keinen bedeutenden Zuwachs mehr. Zunächst erwachte ich bitter aus meinem Traum von Ruhm und Macht. Jetzt musste ich feststellen, dass ich meinen Lebensstandard auf meine derzeitigen Einkünfte, inklusive Prämien und Zulagen, sowie zukünftige Zuwächse ausgerichtet hatte und es damit haarig werden könnte. Jetzt wurde es eng und mein Denken konzentrierte sich ziemlich auf dem Ausgleich der Verluste und auf eventuelle Zuwachsmöglichkeiten. Seitens meiner Frau und der Kinder, die natürlich auch was von ihrem Mann und Papa haben wollten, fühlte ich mich mehr und mehr in meiner Gedankenwelt ums liebe Geld gestört. In der damaligen Zeit waren wir nicht gerade eine Musterfamilie und bei unseren Kindern bildet sich etwas aus, was heute noch, besonders im Verhältnis zu Wolfhard, zu Störungen und Disharmonien führt. Ganz frei ihren Vater, den sie eigentlich lieben, einen Looser zu nennen sind die Beiden beim besten Willen nicht. Den drohenden Einschnitten in meinem Lebensstandard hätte ich allerdings mit einem Wechsel zu einem unserer Mitbewerber begegnen können, denn schließlich hatte ich mir bei Brancheninsidern einen ganz guten Namen gemacht. Aber, aber, aber ... da war mein Häuschen. Aufgrund von Bauzeitüberschreitung und während dieser eine Zwischenfinanzierung in einer Hochzinsphase und diverse Baumängel, die nur durch kostenträchtige Nacharbeiten durch Dritte, die ich während des da noch nicht abgeschlossenen Beweissicherungsverfahren erst einmal vorfinanzieren musste, waren die Baukosten um schnuckelige 15 Prozent nach oben geklettert. Der Marktpreis, den ich hätte erzielen können, lag aber in etwa da, wo der ursprünglich kalkulierte Baupreis nach Oben enden sollte. Pi mal Daumen gerechnet dürfte ich dann alles was ich an Eigenkapital eingeschossen hatte, verloren haben. Aber ohne Eigenkapital wäre ein weiteres Bauabenteuer am neuen Ort erst mal ausgeschlossen gewesen. Das hätte aber bedeutet, dass ich am Sitz unseres Mitbewerbers eine Wohnung hätte anmieten müssen. Die Mietpreise dort waren aber deutlich höher wie die Belastung auf mein Häuschen. Das wäre dann ein sogenannter „Handel mit faulen Tomaten“ gewesen, denn ich hätte, das, was ich durch den Wechsel hätte verteidigen wollen, dort an Miete wieder ausgegeben. Der sich für mich ergebende Nutzen wäre gleich Null gewesen – und wo liegt da der Sinn? Etwas günstiger hätte ich im Falle von Familiensplitting gelegen, dass heißt, das Brigitte mit den Kindern im Haus geblieben wäre und ich mir Vorort eine Billigstbude gesucht hätte. Am Wochenende wäre ich dann nach Hause gefahren. Aber wie lange hält eine Familie eine solche Belastung aus. Natürlich wenn man den Medienstars, die heute glauben noch Politiker zu sein, glaubt, ist so etwas ja zumutbar, da die Arbeitslosen es ja selbst in Schuld sind, dass es keine Arbeitsplätze an ihrem herkömmlichen Wohnort gibt. Warum wollten sie vorher nicht ihrem Unternehmen, dessen Aktionärsgewinn von 12,0 auf 11,7 Prozent gesunken ist, dadurch helfen, dass sie zum Sozialhilfesatz arbeiteten. Aktionäre darf man nicht verärgern, denn da machen sie mit ihrer
Kohle die Mücke – zumindestens drohen sie damit ständig - und wenn man dann die Politiker an den Arbeitslosenzahl misst, ist ja keiner mehr wählbar. Wie ich darauf komme? Ganz einfach: Ich habe nur die Dividenden zum Beispiel bei Bayer oder Daimler mit dem mitleidserregendem Geweine der Unternehmensfunktionäre abgeglichen. Sorry für den Ausflug in das Hier und Heute, dem Wahlkrampf 2002 – aber irgendwie hängt doch alles zusammen. Für mich war es zu jenem Zeitpunkt, von dem ich soeben berichtete, noch nicht soweit. Noch hatte ich meinen Job in dem Laden namens Simona AG und außer Prämien, hatte ich ja noch alles, was ich glaubte, dass es mir zustehen würde. Aber im Nachhinein musste ich feststellen, dass eine Persönlichkeitsveränderung bei mir stattgefunden hatte und in der beschriebenen Zeit deutlich und nachvollziehbar geworden war. Erstmalig in meinem Leben spielten all die schönen Dinge, die zuvor die Inhalte für mich waren, keine Rolle mehr. Irgendwie waren meine Frau und Kinder da aber ich empfand nicht sehr viel dabei; es sei denn ich hätte Störungen empfunden. Bevor wir ins Haus zogen war ein Beisammensein mit Brigitte ein absoluter Höhepunkt für mich, da schwang alles, Leib und Seele, mit. Jetzt diente sie ab und an meiner Lustbefriedigung aber meist war sie mir lästig. Immer wieder kreuzten Gedanken ans Geld, wie ich errungenes erhalten und wie ich mehr dazu kriegen könnte, meine Wege und zerstörten mir immer die schönen geistigen Schwingungen, für die ich zuvor alles gegeben hätte. Früher bildeten die Wald- und Parkspaziergänge mit der Familie immer einen Wochenhöhepunkt für mich; jetzt war ich von der Arbeit und meinen Sorgen so geschafft, dass ich die Kurve einfach nicht kriegte. Brigitte zog jetzt mit den Kindern meisten alleine los. Auch beim Humor war ich vollkommen abgestürzt. Erzählte mal jemand einen Witz oder ein Späßchen, bei denen ich früher immer lachen musste, auch wenn es mal ein wenig flacher ausfiel, fühlte ich mich jetzt mit Albernheiten belästigt und befand, dass sich die Leute mit vernünftigeren Dingen zu beschäftigen hätten. Auch im Umgang mit anderen Menschen war ein neuer Zug an mir zu entdecken. Früher hatte ich so eine sentimentale mitfühlende Art, jetzt fühlte ich mich von anderen Menschen belästigt. Im Arbeitsleben hatte ich meinen Ellenbogen als Instrument entdeckt. Ohne nachzudenken ging ich gegen vermeintliche Nebenbuhler vor und puffte auch richtig zu; besser die als ich. Was störte es mich schon, dass ich früher mal eigentlich in Kollegenkreisen sehr beliebt war; die wollten mich ja sowieso nur ausnutzen. Ich nahm Andere auch nicht mehr für voll; wer waren die schon und wer bin ich. Natürlich fällt mir dieses erst im Nachhinein auf; damals fühlte ich noch nicht wie sehr ich mich verändert hatte. Heute würde ich alles noch viel gelassener, noch viel gelassener als vor dieser Zeit, sehen. Heute würde ich, selbst bei größeren Geldverlust, auf die Hütte, die ich Eigenheim nannte, pfeifen. Als Mensch unter Menschen leben, sich dieser Welt zu erfreuen, Genießen und Erleben haben heute einen wesentlich höheren Stellenwert für mich als die Nebensächlichkeit Geld. Davon brauche ich nur so viel, dass ich gut leben kann und was darüber hinaus geht, hat man oder hat man nicht – einen Grund zur Lebenszeitvergeudung ist weder das Eine noch das Andere. Aber wie geschrieben sah ich das damals ganz anders: Geld und Besitzstand waren mein alles; das wollte ich verteidigen, erhalten und ausbauen. Was soll ich sagen: Meine Seele war vom Götzen Mammon eingenommen worden und dafür war die zuvor darin vorhandene Menschlichkeit abgestorben. Das ich dieses jetzt so ein Wenig religiös klingend sage ist noch nicht einmal falsch. Vor meiner Meisterprüfung ging ich ganz gerne mit Brigitte zum Gottesdienst. Ich war sogar zuvor Helfer im Kindergottesdienst. Wir sprachen über Sinn oder Unsinn der Kindertaufe und andere Themen unseres Glaubens. Jetzt sann ich darüber nach, was das weltliche Unternehmen Kirche, die zudem – das kann ich allerdings auch heute noch sagen – ein unsozialer Arbeitgeber ist – Lohndumping unter dem Segel der Brüderlichkeit -, mit den Massen an Kirchensteuern macht. Jetzt sann ich echt über Kirchenaustritt nach. Natürlich besteht zwischen der Zugehörigkeit zur steuereinnehmenden Organisation namens Kirche und Glauben nur ein indirekter Zusammenhang aber damals war auch mein Glaube futsch und über blieb nur die Pastoren-Behörde. Das die Kirche ein weltlicher Haufen, Behörde und Unternehmen ist, war allerdings vorher wie nachher meine Meinung. Deshalb lästere ich im Glaubensbekenntnis die Gleichsetzung des Menschenwerkes Kirche mit dem Heiligen Geist nicht mit. Aber wichtig hier an dieser Stelle: Ich glaubte nicht mehr an Gott aber dafür ans Geld, also an das Hilfsmittel das den Tausch von Waren und Leistungen, sprich Wirtschaften, ermöglichen soll. Seltsamer Weise ist Geld tatsächlich nichts wert; Werte haben nur die Dinge, für das es stellvertretend steht. Aber auch ich gehörte damals zu den Leuten, die dem Tauschhilfsmittel einen Eigenwert zu prädestinierten. Aber alles in Allem hatte ich damals, wie geschrieben, noch meinen Job und eigentlich noch keinen Grund für Sorgen. Das wurde erst anders als im anhaltenden Abwärtstrend nirgendwo Anzeichen auf eine Umkehr zu erkennen waren. Da wurde der Aufsichtsrat, der zuvor die Diversifikationsspielchen nicht nur mitgetragen sondern auch weitgehenst vorgegeben hatte, etwas munterer. Als Schuldige schaute man die komplette Vorstandsriege aus und belohnte diese dadurch, dass sie unter Beibehaltung ihrer doch nett und reichlich bemessenen Bezüge bis zum Ende ihrer laufenden 5-Jahres-Periode nicht mehr auf ihrer Etage erscheinen brauchten. Da sie gerade mal ein Jahr wieder in ihren Sesseln saßen, war das natürlich so eine Art 4-jähriger Urlaub für die Herren Manager. Na, so ist das nun mal halt, Otto Normalkuli brauch nicht einmal Fehler
zumachen um von einer Gehaltsliste gestrichen zu werden, da er ja Bestandteil des zu senkenden Kostenfaktors Arbeit ist und depperte Manager können so gravierende Fehler, die die Existenz des Unternehmens gefährden, auf den Tisch des Herrn legen und bekommen noch ihren Rausschmiss mit schmeichelhaften Sümmchen vergoldet. Dummheit scheint wohl doch eine einträgliche Eigenschaft zu sein. Eigentlich sollte man, wenn man reich werden will, sich wie die Toppmanager robotergleich dumm stellen. Auf mich hatte das dann die Auswirkung, dass ich als „Kind der alten Herren“ von der neuen Garde mit erheblicher Missachtung bedacht wurde. Der neue Boss im Bereich „Marketing und Vertrieb“ war zuvor der Hauptmatador unserer süddeutschen Niederlassung und wir beide hatten wohl nie einen Symphatikus zueinander. Na ja, wenn ich kleine Leuchte zuvor mal eine Chance sah dem eins auszuwischen ließ ich die Gelegenheit natürlich nicht aus. Auf diese Art und Weise kam ich ab Ende 1986/Anfang 1987 zu den Ehren, dass ich mir praktisch eine x-beliebige Arbeit raussuchen konnte und ob ich die machte, kontrollierte letztlich kein Mensch. Ich nutzte diese Narrenfreiheit auch des Öfteren um mir ein Fläschen Bier oder ein kleines Nickerchen zu gönnen. Da hatte ich natürlich, wenn ich nach Hause kam, jede Menge Energie gespeichert. Vor längerer Zeit zuvor hatte ich mich als Gasthörer im Bereich Informatik an der Fernuni in Hagen eingetragen. Jetzt konnte ich, wenn ich ausgeruht von der Arbeit kam, mich eifrig dem, sich dem Ende nähernden Studium zu wenden. Mangels Abitur – ich habe nur eine sogenannte Mittlere Reife, heute würde man Fachoberschulreife sagen -, also mangels Hochschulzugangsberechtigung, war es allerdings ausgeschlossen, dass ich einen offiziellen Abschluss ablegte. Aber wenn ich nicht studierte, konnte ich meinem Hobby, was allerdings doch etwas mit dem eingeschlagenem Studium zutun hatte, der Programmierung widmen. So kam ich auf die phantastische Idee Büroprogramme, also solche für Kalkulation, Fakturierung und so weiter bezogen auf die Branche, in der ich den Meistertitel hatte, zu schreiben. Wie ich zuvor ja ausführlich schrieb, verehrte ich zu jener Zeit den Gott Mammon über alles und war daher der Meinung, dass ein Hobby nur dann etwas wert sei, wenn auch mein Konto davon etwas merkt. Deshalb sprach ich mit unserem ehemaligen kaufmännischen Direktor, der, weil er als Anhängsel und Günstling der „alten Herren“ bekannt war, hatte seinen Hut nehmen müssen. Aus der Not hatte er eine Tugend gemacht und einen Büro-Maschinen- und –SoftwareHandel BüMaSo, just für die einschlägige Branche, aufgemacht. Dort fragte ich mal nach, ob er die Ergebnisse meiner Programmierkünste in ganz kleinen Läden, Ein- bis Fünf-Mann-Betrieben, mit an den Mann bringen könne. Der von mir angedachte Kundenkreis war für seine Vorstellungen doch ein Bisschen zu klein, aber ich kam ihm gelegen und er fragte prompt nach, ob ich es mir zutrauen würde ein komplettes Büroprogramm, so eine Art Mini-EDV, für diese Branche zu schreiben. Natürlich traute ich mir das zu. Die Sache dürfte auch, vom Dumpingpreis her, gute Marktchancen haben. Klar, man überlege mal die Kosten einer One-Man-StilleKämmerlein-Entwicklung, da konnte unsere Firma, die unter anderem genau das Gleiche machte, mit ihrer doch recht großen Entwicklungsabteilung und den massigen Kosten natürlich nicht mithalten. Umgekehrt konnte ich beim Faktor Entwicklungszeit natürlich nicht mithalten. Alleine brauch man halt länger als mit zahlreichen Helfern, insbesondere wenn man so etwas nur nebenbei betreibt. Auf jeden Fall gingen wir so auseinander, dass ich die Sache in Angriff nehmen und zur gebenden Zeit wieder vorsprechen wollte. Unser Ex-Kaufleute-Boss konnte mir die Zusage geben, dass er meine Werke dann vielleicht mit anbieten könne. Mehr konnten und wollten wir auch nicht vereinbaren – zumindestens aus meiner Sicht nicht. Auf der Basis wären vielleicht zwei bis der Jahre ins Land gegangen bis ich vielleicht hätte was vorlegen können. Möglicherweise, so meine Überlegungen, hätte ich mir dann auch über die Handwerkskammern eigene Vertriebswege zu legen können. Oder, oder, oder ... aber erst muss etwas da sein. Dann plötzlich wurde es ungewollt für mich bitterernst. Mein neuer Boss ließ mich in seinem weißen, wie ein Arztzimmer wirkendes Vorstandskabinett „antraben“. Irgendwie hatte er von meiner Hobbybeschäftigung Wind gekriegt. Das konnte jedoch sogar den Ursprung in meinen eigenen harmlosen Plaudereien mit Kollegen haben. Was ist schon dabei, wenn man sich in seinen eigenen vier Wänden mit der Entstehung eines Programms beschäftigt. Bei der Gelegenheit machte ich auch kein Hehl daraus, dass ich, wenn dabei etwas herauskommt, eine eventuelle Vermarktung nicht ausschloss. Ich sag das Ganze so locker, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass erwachsene, halbwegs mit Vernunft gesegnete Menschen in der Führung eines größeres Unternehmen mit über tausend Beschäftigten in der Freizeitbeschäftigung eines Einzelkämpfers eine ernstzunehmende Konkurrenz sehen könnten. Aber man muss mich wirklich für ein Supergenie, deutlich über den Intelligenzquotienten eines gewissen Albert Einstein, gehalten haben, denn anders kann ich mir nicht erklären, dass man mir vorwarf, eine ernstzunehmendes Konkurrenzprodukt zu den Erzeugnissen der Simona AG aufzubauen. Für mich unerklärlich wurde ich aufgeklärt, dass ich dieses dem kleinen Handelsunternehmen BüMaSo, zu denen man aus bestimmten Gründen ein feindliches Verhältnis habe, angeboten haben soll. Das Einzigste was mir plausibel erschien war das feindliche Verhältnis zu BüMaSo, denn schließlich hatte der ehemalige kaufmännische Direktor, der sich zu dem mit dem ehemaligen Vertriebsleiter Inland zusammen getan hatte, doch recht detaillierte Kenntnisse vom Kundenstamm des Unternehmens und konnte so als Hecht im Karpfenteich einiges anrichten Aber irgendeine Gefahr in einem Programm, was ich auf Kleinstbetriebe ausrichtete, die sich größere Anlagen, wie sie bei der Simona AG gebaut wurden, nicht leisten konnten, vielleicht in drei Jahren mal in einem verwendungsfähigen
Zustand haben könnten, dürfte doch ein Vorstandsmitglied doch gar nicht sehen und daher weniger als die Fliege an der Wand stören. Ob ich nun mit BüMaSo gesprochen oder verhandelt habe ist halt eine Ansichtssache – für mich war es eher ein mehr unverbindliches Gespräch. Aber woher hatte mein Boss davon Kenntnis, denn davon habe ich mit Sicherheit nichts gesagt, da mir dessen Hechtfunktion bereits lange vorher ohne drittseitiger Erklärung einleuchtete. Vielleicht hatte ich das sogar eher erkannt wie dieser Vorstandsneuling, an dessen intelligenzmäßigen Leistungen ich seit eben jenen Tag doch erhebliche Zweifel habe. Aber was soll’s, ich wurde gewuppert und gefeuert. Außerordentliche Kündigung nennt man so etwas. Aua, aua, das war ein Knall gegen das damalige Selbstbewusstsein eines Heinz Neuhaus. Mit Arbeitslosen-Bonifikationen ließen sich die laufenden Lasten für mein Häuschen sicherlich nicht tragen. Alles verloren, aus und vorbei. Ich, der ich ins Auge gefasst hatte mittleren Wohlstand zu erwerben, ein echtes Kind unserer Gesellschaft zu sein, stand jetzt auf der Schwelle eines tagestehlenden Faulenzer in der sozialen Hängematte. Zumindestens sieht man es heute im Jahre 2002 so, wie ich mich gerade ausdrückte – aber damals war es auch nicht viel anders; nur dass es noch keine vier Millionen glückliche Arbeitsamtspendenbezieher waren. An diesem Tag musste ich echt gegen meine Heullust kämpfen. Ich glaubte alles verloren zu haben. Aus meiner heutigen Sicht muss ich sagen, dass ich gar nichts verloren hatte. Mein Leben hatte man mir nicht genommen und ich hatte die Chance bekommen, da was raus zu machen. Aber soweit war ich damals beim besten Willen noch nicht und beschloss nicht auf der Nase liegen zu bleiben und weiterzumarschieren. Nun Aufstehen war – und ist immer - richtig aber nicht der Weitermarsch in die absolut falsche Richtung. Was ich so nebenbei mal in zirka drei Jahren, mit eventuell möglichen Erfolg machen wollte, wurde jetzt zu etwas, auf was ich mich versteifte und was ich gerne schon fertig gehabt hätte und auf dessen Erfolg ich angewiesen war. Mit anderen Worten: Ich wollte alle Energie in die Entwicklung meines „Produktes“, das erfolgreich vermarktet werden „musste“ stecken. Die größte Hürde, fast eine Barriere, die ich zu überwinden hatte, war wovon ich während der Entwicklungszeit, die, wenn ich mich zusammenreiße und an sieben Wochentagen zwölf bis vierzehn Stunde arbeite, dabei Fehler weitgehenst vermeide, mindestens noch ein dreiviertel bis ganz Jahr dauern würde, leben sollte. So sprach ich dann BüMaSo daraufhin an ob nicht aus einer unverbindlichen Absichtserklärung eine vertragliche Zusage werden könnte und ob sie nicht die Vorfinanzierung der Entwicklung übernehmen könnten. Praktisch sahen meine Vorstellungen so aus, dass sie mich als ihre „Entwicklungsabteilung einstellen“ könnten und sie mich später an dem Produkterfolg auf Provisionsbasis beteiligen könnten. Einstellen habe ich deshalb in Anführungsstriche gesetzt, weil ich weniger an eine Tätigkeit als Angestellter sondern mehr an die eines freien Mitarbeiters dachte. Ein Superding wäre es natürlich gewesen, wenn man mir gesagt hätte: „Okay, wir legen uns eine kleine Entwicklungsabteilung mit drei bis fünf Mann zu und machen sie zum Projekt- und Abteilungsleiter.“. Da wäre sogar einiges bei herauskommen aber von einem neugegründeten Unternehmen, welches seine Aufgabe ja eigentlich im Handel sieht, kann man so etwas wohl kaum erwarten. Wenn ich ehrlich bin muss ich sagen, dass ich eigentlich, als ich BüMaSo ansprach, mit einer freundlichen Absage gerechnet aber als Ertrinkender klammert man sich ja bekanntlich an alle vorbei schwimmenden Strohhalme. So überraschte mich das scheinbare tatsächliche Interesse meiner Ansprechpartner und diese vereinbarten einen Vorführungstermin mit mir. „Vorführungstermin“ brachte mich dann allerdings ins Grübeln und Schleudern. Was kann man bei einem Produkt, dass man erst schaffen will und das erst in neun bis zwölf Monaten fertig sein kann eigentlich vorführen? Na ja, man kann eine potemkinsche Software zusammenschießen, das heißt ein Programm, das eigentlich nur aus einer Oberfläche, die so abläuft, wie es beim späteren Produkt einmal sein soll, besteht. Praktisch so etwas wie es unsere Exfirma machte, wen Leinbergs Scheinprodukte auf Messen vorgeführt wurden. Vor den Augen der Messebesucher lief ein Superprogramm ab, dass außer auf den Vorführmonitoren nur null Ergebnisse brachten. Wenn ich den Leuten sage, dass es sich um eine potemkinsche Software handelt, dann brauche ich auch nicht aus dem Hinterkämmerchen anderweitig erstellte Arbeitsmuster zuholen – die wissen ja, dass da nichts bei rauskommen kann. So dachte ich jedenfalls und schusterte in 48 hintereinanderliegenden schlaflosen Stunden eine solche Vorführsoftware zusammen. BüMaSo sah das aber anders; die wollten doch, zu meiner Verwunderung wirklich Ergebnis aus dem Programm sehen. Na ja, das musste in die Hose gehen und ein Hoffnungsschimmer löste sich für mich gleich ein Fata Morgana auf. Jetzt wäre für mich eigentlich der richtige Punkt gekommen, um meine Zelte an dem „ungastlichen“ Ort, wo ich mit einem Eigenheim meinen Pakt mit Mephisto geschlossen hatte, abzubrechen. Was ist „verlorenes“ Geld schon wert. Warum wollte ich bloß nicht auf das Geld, was ich zuvor in das Häusel gesteckt hatte, verzichten – den Rest hätte ich schon plus/minus Null verramschen – und mich für das Leben entscheiden können. Der Kampf ums Geld verschlingt viel zu viel kostbare, nicht wieder bringbare Lebenszeit. Und wofür eigentlich? Wenn ich immer nur mit der Beschaffung von materiellen Werten und Geld beschäftigt bin finde ich noch nicht einmal Zeit dieses seeleerquickend und lebenserhaltend für mich einzusetzen. Im Kampf ums Geld ist man sehr einsam. Die einzigsten Menschen, die einen dabei begegnen wollen genau das Gleiche wie man selber: Geld, mehr Geld und noch mehr Geld. Und so sehen sie nur den Mitbewerber, den es auszustechen gilt, in einen.
Wirkliche Freunde, die auch dann, wenn man in der Patsche liegt, zu einen stehen, hat man auf den Wegen im Reich des Goldenen Kalbes nicht. Zu meinem Leidwesen musste ich dieses in jener Zeit, wo ich dringend Freunde gebraucht hätte, feststellen. Na ja, vorher gab es genügend Leute die mit mir feierten, die mir von ihren Leistungen und Vermögen vorprahlten. Freunde zum Feiern und sogenannte Geschäftfreunde laufen einen, wenn man nach gefülltem Konto riecht, förmlich nach. Was das aber für falsche Fünfziger sind merkt man, wenn man sie mal braucht, da kennen sie einen gar nicht mehr. Das merkte ich insbesondere als ich damals Einen nach dem Anderen abklapperte. Natürlich, wenn ich meldete und sie noch nichts von meinem Absturz wussten, empfingen sie mich mit ihrem üblichen Superhallo. Aber in der Angelegenheit, weshalb ich zu ihnen kam, musste ich schon verraten was Sache war. Und dann fielen grundsätzlich die Jalousien runter. Geld wollen sie alle gerne verdienen, aber wenn das mit Risiko verbunden ist verzichten sie dann doch lieber. Auf meinen „Marsch durch die Gemeinde“ sprach ich dann auch Leinberg an. Wir waren zwar nie Freunde aber eines gewissen Wohlwollens Leinbergs habe ich mich während meiner „Kariere“ bei der Simona AG doch immer erfreuen können. Außerdem hat er eine Eigenschaft, auf die die Amerikaner seltsamerweise sogar noch stolz sind: Wenn der etwas vom Geldmachen hört ist er sofort dabei, auch wenn das Ganze doch noch etwas spekulativ erscheint. Richtig, Leinberg biss an und lud mich in sein neues Heim am Rande von Düsseldorf ein. Er hörte sich an was ich vorhatte und verriet mir, dass er von meinen Aktivitäten wusste – er hatte es von BüMaSo erfahren. Offensichtlich müsste ich dort das „Waschweib“ suchen, dem ich meinen Abgesang im Hause der Simona AG zu verdanken hatte. Leinberg gründete mit mir die „SfmB Software fürs moderne Büro – Heinz Neuhaus oHG“. Jetzt werden gleich wieder Neunmalkluge tönen: „Um Gottes willen, warum denn eine offene Handelsgesellschaft, eine Personengesellschaft. Bei einer GmbH hättest du nur mit dem Stammkapital gehaftet und das Ganze wäre nicht passiert.“. Na ja, das lernt man so locker ohne Berücksichtigung der knallharten Realität im Wirtschaftskundeunterricht aber hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Schon aus steuerlichen Gründen – Abschreibung und Abschreibungszeitraum – arbeitet man in der Wirtschaft bei Investitionen mit einem gewissen Eigenkapital, meist von 20 Prozent und ein Wenig mehr, und Krediten. Das ist bei einer oHG nicht anders wie bei einer GmbH oder Aktiengesellschaft. Aber welche Bank gibt schon einer vermögenslosen GmbH ein paar Talerchen ohne ausreichende Besicherung. Natürlich muss alles schön säuberlich, wie bei Otto Normalverbraucher, der sich ein neues Wohnzimmer kaufen will, auch, besichert und verbürgt werden. Und wer muss dafür in einer GmbH sein Kopf hinhalten? Natürlich die Gesellschafter – und bei uns wäre das nur Leinberg gewesen, denn ich hatte ja außer meiner Hütte nichts, was ich da in die Schale hätte werfen können. So gesehen ist gegen den Start als Personengesellschaft formal nichts einzuwenden. Auch dagegen, dass wir gleich als Firma starteten, ist ja im Hinblick auf Vorsteuerabzug, Abschreibung, Kooperativen mit anderen Firmen nichts was vom Grunde her schon Anlass zur Kritik geben könnte. Das aber Leinberg aus einem Ein-Mann-Entwicklungsbetrieb gleich so etwas wie einen echten, bereits am Markt befindlichen Laden machte erschien mir nicht nur dumm sondern sollte mich schon sehr bald zum Wahnsinn bringen. Seine Reisekosten- und Spesenabrechnungen entwickelten sich aus dem Stand heraus zum größten Posten in unserer Finanzbuchhaltung. Der brachte es fertig Geschäftsreisen nach Stockholm – wo wir so oder so nichts ausrichten konnten – zu machen und dort gleichzeitig Straßenbahn und Taxi zu fahren. Das bekam Anfang 1988 der Herr vom Finanzamt, der unsere Buchhaltung prüfte, heraus. Das war es aber nicht, was mein Nervenkostüm zum Platzen brachte, das war die Sache, dass Leinberg eben halt Leinberg war. Er nahm meine auf der Basis 7 x 12 Stunden in der Woche beruhende Kalkulation unter die Lupe. Er fand zwei eher nebensächliche Dinge, die man preiswert an Dritte vergeben konnte und kürzte den von mir kalkulierten Aufwand auf zirka ein halbes Jahr. Dann wurden Produktnamen und Preise „erfunden“ und ich musste schon mal die Vorgaben für Werbebeschreibung liefern. Na und was macht man dann? Man gibt das Ganze bei einem Werbefritzen für viel Geld, was man eigentlich gar nicht hat, in Auftrag und wenn der Drucker damit fertig ist geht es ans Verkaufen. Das er mich dabei mit diesen verfrühten Fieseleien auch von der eigentlichen Arbeit abhielt und niemand anderes da war, der die zwischenzeitig fortführen könnte, konnte oder wollte er gar nicht merken. Nö, da packte er noch alles mögliche drauf. Laufend gab es Verabredungen mit möglichen Vertriebspartnern, die alles so verstanden hatten als könne es sofort loslegen, und Bankern, bei denen er noch mal einen Kredittaler locker zu machen gedachte. Eigentlich logisch, dass der von mir ursprünglich kalkulierte und von ihm halbierte Termin praktisch nur durch Wunder hätte eingehalten werden können. Als ich mich ob dieser Belastung beschwerte meinte der Tünn doch tatsächlich, man müsse allen Leuten immer etwas Druck machen wenn man etwas fossieren wolle. Na, ich glaube der kannte mich nicht. Druck lässt bei mir die Aggressionskurve ansteigen und wenn die mal oben ist, bekomme ich die berühmte LmaA-Stellung und dann läuft erst einmal gar nichts mehr. Dank seines Drucks war ich dann doch soweit, dass ich aufgeben wollte. Erstmalig hatte ich das Gefühl ein Looser zu sein. Der Traum vom großen Mann war da schon gestorben; jetzt ging es nur noch darum, da doch mit heiler Haut heraus zu kommen. Also die Motivation hatte sich geändert, aber nicht in einer beflügelnden Weise sondern eher hemmend und sehr stark lähmend. Na, was ich da nach einem halben Jahr vorlegen konnte, hätte ich im unbelasteten Zustand schon nach zwei Monaten oder noch
schneller hingezaubert. Und das wahrscheinlich mit deutlich weniger Fehlern als dieser Schrott. Obw3ohl ich in C programmierte brachte ich einen, praktisch nur im Amateur-BASIC denkbaren Spaghetticode zustande. Ich war halt vollkommen kaputt, da konnte nichts mehr daraus werden. Im Juni 1987 hatten wir unsere sonderbare Firma eröffnet und im Februar 1988 waren wir auf einer Messe vertreten. Oheiohei, was bekam ich, je näher der Messetermin kam, das Flattern. Letztlich ging ich an kontinuierliche 24-Stunden-Schichten mit dazwischen liegenden Erschöpfungsschlafpausen, dessen jeweilige Länge ich nachträglich nicht mehr bestimmen kann. Warum ich mich so ins Zeug legte, weiß ich heute selbst nicht mehr, denn meinen Traum vom reichen Mann hatte ich längst ausgeträumt und die Hoffnung mit heiler Haut daraus zukommen, hatte ich eigentlich auch schon aufgegeben. Irgendwie wurde ich von einer Panik beherrscht, deren Ursachen mir heute nicht mehr logisch rekonstruierbar erscheinen. Leinberg hatte mich restlos geschafft und ich glaube, dass er das bis heute noch nicht einmal gemerkt hat. Vielleicht verkauft er heute noch angedachte Produkte und verhindert deren Realisation durch Ausübung von lähmenden Druck. Vielleicht glaubt er heute noch, dass man als Gesellschafter von sich in der Gründung befindlichen Unternehmen so abrechnen kann, wie bei am Markt eingeführten Unternehmen, die Umsätze erzielen. Wir hatten bis zur Messe im Februar 1988 noch keine müde Mark eingenommen und bei meiner physischen und psychischen Verfassung hielt ich eine Fertigstellung meines Produktes in absehbarer Zeit für ausgeschlossen. Aus den „Vielleichts“ kann man ersehen, dass ich heute keine Kontakte mehr zu meinem Expartner pflege. Unsere Wege gingen auf besagter Messe auseinander; danach hatte ich mit ihm nur noch hinsichtlich fast feindlicher Auseinandersetzungsverhandlungen und einem etwas sonderbaren Vorfall, den ich noch schildern werde, Kontakt. Natürlich war die Messe ein Flop: Null Verkäufe – außer Kosten nichts gewesen. Aber was hätten wir auch verkaufen sollen; wir hatten ja nichts. Am letzten Messetage lud mich Leinberg zum Essen ein und teilte mir mit, dass er gesundheitlich nicht mehr so auf dem Damm sei und er deshalb beschlossen habe auszusteigen. Entsprechend meiner späteren Überlegungen schien mir jedoch etwas ganz anderes der Grund gewesen zu sein: Die Verluste, die er natürlich 100%-ig zu Gunsten seines „Steuerkontos“ gutgeschrieben haben wollte, hatten offensichtlich eine ausreichende Höhe erreicht um seine Einkommen aus seiner Ex-Vorstands-Zeit und seinem Aktienvermögen steuerfrei zu schaufeln. Der einzigste Fehler in seiner Kalkulation war, dass ihm das alles nur nutzt, wenn ich die für „SfmB Software fürs moderne Büro – Heinz Neuhaus oHG“ aufgenommen Mittel hätte zurückzahlen können. Ansonsten ist er als ausscheidender Gesellschafter gegenüber den Banken noch ein Weilchen in der Haftung und so werden dann aus Steuer-Hinterziehungs-Verlusten dann echte. Dann bringt Abschreibung nämlich nichts, dann ist das Geld wirklich futsch – und dafür bezahlt man dann allerdings zu recht keine Steuern. Bei mir kam schon an diesem Tag und als ich am nächsten Tag zu Hause ankam wieder richtig Hoffnung auf. Ohne Leinbergs Druck würde ich in Ruhe entwickeln und die Sache zum rechten Zeitpunkt auf dem Markt bringen können. Das sich an den Vereinbarungen mit den Banken etwas ändern würde, konnte ich mir an diesen Tagen noch nicht vorstellen, da sie ja, weil ich sonst nichts hatte, zwangsläufig zu meiner Insolvenz und den wahren Verlusten für Leinberg führen würden. Da lag zu jenem Zeitpunkt noch eine Kreditvereinbarung vor, die, wenn die von der Bank zugesagten Mittel ausgezahlt worden wären, es mir erlaubt hätten, ohne Leinbergs typische Geschäftskosten, die Geschichte sogar noch zwei Jahre weiterzuführen. Und so dumm schätzte ich Leinberg nicht ein, dass er mich vollkommen zerquetschen würde – das würde ja letztlich sein Geld ohne Hoffnung auf einen Rückfluss kosten. Damit schadete er sich ja nur selbst. Ich sollte mich allerdings getäuscht haben, der Kerl war oder ist tatsächlich dümmer als ich es mir jemals träumen ließ. Stolzierte der doch zu den Banken und erklärte er wäre ausgeschieden und wolle nicht mehr für das Unternehmen haften. Ja und was machen Bankfiosis dann? Sie schnüren einem die Luft vollkommen ab. So lange Leinberg noch in der Haftung ist müssen sie den Laden platt kriegen, damit sie sich an Leinberg oder seinen Aktien schadlos halten können. Mir war das vorher klar und warum das nicht in den Schädel von Leinberg, der ja immerhin mal ein Vorstandsmitglied einer mittelständischen Aktiengesellschaft war, ging dürfte für mich immer ein unlösbares Rätsel sein und bleiben. Hätte ich die richtigen Konsequenzen sofort gezogen, hätte ich damit ein Jahr Lebenszeit gewonnen. Wirtschaftliches Funktionieren ist nicht unwichtig, denn dadurch wird, wenn es richtig gemacht wird, der Menschheit insgesamt die Möglichkeit gegeben miteinander leben zu können. Dadurch werden verfügbare Ressourcen und deren Gewinnung beziehungsweise Nutzbarmachung untereinander aufgeteilt. Aber eines ist Wirtschaften mit Sicherheit nicht: Es ist nicht das eigentliche, das wahre Leben. Wer jetzt ganz ins Wirtschaften aufgeht tauscht sein menschliche Leben gegen eine humanitäre Existenz aus. Wer im Geld keine notwendigen Tauschhilfsmittel sondern ein Lebenszweck sieht, zahlt dafür den Preis seine Lebenszeit zu vergeuden, seine Persönlichkeit, seinen Individualismus zu Gunsten eines profitbringenden Funktionierens zu opfern. Die Wirtschaft wird zum Selbstläufer und wird ihrer Aufgabe Lebensraum zu schaffen und Leben, im Sinne von Erleben, zu fördern nicht mehr gerecht. Dann sind Menschen für die Wirtschaft und nicht die Wirtschaft für Menschen da. Aber ich zog nicht die richtigen Konsequenzen. Die Hoffnung, die drei Tage lang aufgeflammt war und mir sagte, dass es ohne
Leinbergs Chaotentum schaffbar sei, beflügelte mich auf dem alten Holzweg wieder anzusetzen. Nicht nur das, sondern auch sie ließ auch den mamonistischen Irrglauben wieder aufleben. Jetzt fuhr ich dreigleisig: Erstens kämpfte ich „gegen“ Leinberg und Bankfiosis um die Aufrechterhaltung der Konditionen, die bis zum Tage von Leinbergs Rückzugsmeldung bestanden. Zweitens macht ich das, was ich eigentlich „nur“ machen wollte: Ich entwickelte die Mini-EDV für Kleinbetriebe kontinuierlich in die richtige Richtung weiter. Und letztlich schaute ich mich nach Absatzkanälen für das hoffentlich bald fertige Produkt um. Wenn ich jetzt berichte was dabei herauskam, mache ich das jetzt am besten in umgekehrter Reihenfolge. Warum, wird man am Ende der Schilderung merken. Es war gar nicht so schwer freiberufliche Handelsvertreter, deren Schwerpunkt gerade im Klein- und Kleinstbetrieb innerhalb der Zielbranche lag, zu finden. Sehr richtig erkannten sie, das gerade so ein Produkt, wie ich es entwickelte, auf dem Markt fehlte. Auch dass mein Produkt nach der Fertigstellung mit geringeren Aufwand auch in Richtung anderer Branchen „umentwickelt“ werden konnte, wurde von meinen Ansprechpartner goldrichtig erkannt. Nach realen Rechnungen versprachen sich diese Handelsvertreter doch ganz gute Absatzchancen mit meiner Software und so eine Verbesserungen ihres Umsatzes davon. Selbst bei vorsichtigsten Rechnungen hätte ich, wären nicht die durch Leinberg leichtfertig erzeugten Vorlasten gewesen, ganz gut davon leben können. Meine Hoffnungen gingen natürlich in die Richtung, dass etwas mehr wie bei den Vorsichtsrechnungen heraus käme und ich mit der Zeit auch die Altlasten loswerden würde. Eines konnte ich natürlich von diesen Handelsvertretern nicht erwarten: Eine Beteiligung an den Kosten der Entwicklung. Das wäre im Grunde ja nur dann denkbar gewesen, wenn ich ihnen bestimmte Exklusivrechte eingeräumte hätte. Wer will schon etwas vorfinanzieren von dem später sein Mitbewerber profitiert. Exklusivrechte hätten eine ganz andere Berechnung hinsichtlich der späteren Absatzchancen erfordert, denn niemand kommt, sieht und siegt. Eine exklusive Vermarktung hätte einen Marketingaufwand, den weder die angesprochenen Handelsvertreter noch ich hätte aufbringen können, erfordert. An dieser Stelle merkte ich auch einen kapitalen Fehler, den ich ganz zu Anfang schon begangen hatte. BüMaSo ging im Grunde gar nicht meine gedachte Zielgruppe an. Sie zielten auf die Kundengruppe der Simona AG, in dem wir früher tätig waren, ab. Sie betätigten sich ja tatsächlich als Hecht in dem Karpfenteich, der unserem früheren Brötchengeber gehörte. Das sind aber erstens schon von Hause her größere Kundenunternehmen und zweitens gehört der umworbene Abnehmer, auch wenn er von der Kategorie eher den Kleinunternehmen zuzurechnen war, zu den kapitalkräftigeren Unternehmern. Da kann man doch allen Ernstes mit EinmannEntwicklungen keinen Blumentopf gewinnen. Die Chance meines Produktes lag im, auf meinen deutlich geringeren Betriebsaufwand beruhenden, günstigeren, für sie tragbaren Preis und auf gezieltes Eingehen auf deren Bedürfnisse. Mein Programm zielte nicht auf die Belange eines Unternehmens mit betriebswirtschaftlichen Spartenfachleuten sondern auf den Handwerksmeister, der alleine oder mit einer handvoll Mitarbeiter tätig ist, abzielen. Genau so hatte ich es ja als noch nichts, außer der Idee, vorhanden war mal gedacht. Natürlich sprach ich jetzt auch noch mal BüMaSo an und jetzt fiel mir dann, aufgrund des angesprochenen Wunsches nach eventuellen Exklusivrechten auf, dass dieses niemals mein Partner hätte sein können. So wie BüMaSo gedacht hatte war es ganz offensichtlich auch bei Leinberg der Fall. Wenn ich in diese Gruppe gezielt hätte, dürfte Leinbergs öfters vorgetragener Vorwurf, dass ich mich maßlos überschätzt hätte, tatsächlich zutreffend gewesen sein. Aber ich hätte es eigentlich wissen müssen, denn sowohl Leinberg wie die BüMaSo-Leute waren kaufmännische „Fachleute“ die aus ganz anderen Richtungen kamen. Sie kannten die Branche nur aus dem Kundenkreis unseres Exbrötchengebers und lagen so auf einer ganz anderen Wellenlänge als ich. Eigentlich musste das ja schief gehen. So „erfolgreich“ wie bei der Ausschau nach möglichen Absatzkanälen war ich auch mit der Entwicklung meines Produktes. Als ich frei von Leinbergs Druck war konnte ich wieder halbwegs geradeaus denken. Es hätte sogar mehr als „halbwegs“ gewesen sein können, wenn nicht der Trouble mit dem ausgeschiedenen Leinberg und den Bankfiosis gewesen wäre. Aber was ich zeitlich dabei verlor gewann ich auf anderer Seite aber mehr als wieder. Sowohl nach BüMaSo- wie nach Leinberg-Vorstellung sollte alles ein einheitliches Produkt „Original Heinz Neuhaus“, wo bei sie Heinz Neuhaus durch ihren Firmennamen ersetzen wollten, sein. Alleine hatte ich jetzt nicht mehr den Ehrgeiz das Rad zum fünften Mal zu erfinden. Ich band sinniger Weise vorhandene Seriensoftware ein. Urheberrechtlich gab es dahin keine Schwierigkeiten, denn für die entsprechenden Urheber spielte es keine Rolle ob ihr Produkt einzeln oder in Verbindung mit anderen vermarkt wurde. Klar das dabei Hersteller von Komplettpaketen, wie ich selber eines machen wollte, ausgeschlossen waren. Die Leute, die ich hinsichtlich ihres Serien-Einzel-Produktes ansprach, waren nicht nur bereit mir die Rechte für die Einbindung zu geben sondern waren sofort bereit mit mir gemeinsam die Schnittstelle zwischen unseren Produkten zu entwickeln. Alles in Allem stand Ende September 1988 mein Produkt und hätte eigentlich verkauft werden können, aber ... Na, wir werden es gleich lesen. Obwohl ich mit meinem eigentlichen Produkt kurz vor der Vollendung stand verschaffte mir Leinberg im August 1988 mit dem alten Produkt einen kräftigen Schlag auf die Nase. Er hatte im Hause eines Hardware-
Herstellers eine Probeanstellung, mit dem Ziel das er dort mal Geschäftsführer werden könne, erhalten. Da sah er jetzt eine Chance, mein Produkt dort in der Weise einzubringen, dass ich mit dem Erlös die von ihm gewährten Kredite hätte zurückzahlen können. Er hatte seine Einlagen also nicht im unternehmerische Sinne als Risikokapital sondern als Kreditvergabe an jemanden, der sich gerne selbständig machen wollte, gedacht. Na ja, lassen wir es; ich hatte es jedenfalls vorher anders gedacht. Der Hardware-Hersteller handelte aber bereits schon selbst mit den Serienprodukten, die ich inzwischen eingebunden hatte, und zeigte Interesse an dem Produkt „Original Heinz Neuhaus“. Jetzt organisierte Leinberg eine Vorführung im Hause seines neuen Brötchengebers, aber mit dem Produkt, was eigentlich mit Leinbergs Ausscheiden aus „meinem“ Laden gestorben war. Das war also immer noch der gleiche Trümmerhaufen wie dieser bereits zur Messe im Februar vorlag. Wenn ich mir nicht von der Angelegenheit versprochen hätte, dass es mir gelingen könnte, dieses Unternehmen für mein eigentliches Produkt zu gewinnen, hätte ich mir die Reise dorthin mit Sicherheit gespart. Aber mir wurde absolut keine Chance gegeben, das, was ich im Grunde schon fertig hatte, anzusprechen oder gar vorzuführen. Man hackte auf dem Produkt nach Leinbergs Vorstellung herum. Eigentlich ergab was anderes auch in dem Hause keinen Sinn, die wollten ja nicht Handwerkerbuden abklappern sondern zielten in die gleiche Richtung wie mein Exbrötchengeber und BüMaSo. Für mich war diese Geschichte doch sehr blamabel. Nun, Leinberg wurde in dem Hause auch kein Geschäftsführer, er schied schon vor Ablauf seiner dort vereinbarten Probezeit aus. Allerdings aus anderen Gründen. Er ist halt das, wofür ich ihn die letzte Zeit einschätzte: Ein Depp. Das war jetzt wirklich der allerletzte Kontakt zu diesem Herrn Leinberg und ich persönlich lege auch keinen Wert darauf ihn jemals wieder zutreffen. Ende September 1988 hatte ich also alles, was mein Herz ursprünglich begehrte, das heißt ein eigenes Produkt für den kleinen Handwerksmeister und auch Absatzwege - aber trotzdem konnte nichts mehr daraus werden. Als Leinberg im Februar den Banken verkündet hatte, dass er ausscheide und für das Unternehmen nicht mehr haften wollte, reagierten die Bankfiosis so, wie sie aus ihrer Sicht mussten: Ein Kreditvertrag, der noch nicht zur Auszahlung gekommen war wurde mangels erforderliche Sicherheiten gekündigt. Desgleichen der Kontokurrentkredit auf unserem Geschäftskonto. Zurückgestellte Tilgungen wurden fällig. Damit hatte ich praktisch ein „Minusguthaben“ oder „-vermögen“. Ich weiß jetzt nicht mehr genau wie ich mich damals noch ausdrückte. Von Oben herab erklärte mir Leinberg daraufhin, dass das Wort blödsinnig wäre und es so etwas nicht gäbe. Da ich mir persönlich mehr Intelligenz wie ihm zu schreibe, hätte er sich die Aufklärung, über eine Sache, die ich selber weiß, sicherlich sparen können. Er hätte lieber mal darüber nachdenken sollen, was ich damit ausdrücken wollte. Ich hatte nämlich weniger als nichts. Aus vorhandenen laufenden Mitteln konnte ich meine Familie nicht ernähren. Alles was ich zuvor mal hatte war ja inzwischen bei der geschäftlichen Unternehmung drauf gegangen. Jetzt waren Sozialhilfeempfänger reich gegen mich. Ich musste in der Verwandtschaft betteln gehen, damit wir uns noch Brot, Margarine und Nudeln, mit denen wir uns fast ein Jahr lang ernährten, kaufen zu können. Brigitte, meine Frau hat diesbezüglich sogar Leinbergs Frau angebettelt. Aber er kapierte nicht sondern mahnte sogar noch die Erstattung seiner Auslagen, die er hinsichtlich der Messe gehabt haben wollte, an. Das ich jetzt keine Annuitätsraten auf mein Häuschen, keine Versicherungsprämien und keine Nebenkosten geschweige denn Tilgungen auf Geschäftsdarlehn zahlen konnte, leuchtete sogar Menschen, die noch nie mit kaufmännischen Angelegenheiten in Berührung kamen, ein. Das einzigste was wir hatten, war das Einkommen meiner Frau, die während der ganzen Zeit ihrem Beruf treu geblieben war. Aber mangels Vollzeitjob hatte sie nur eine Teilzeitbeschäftigung bei einem kirchlichen Arbeitgeber. Das Gehalt, was etwas geringer als der Sozialhilfesatz war, hätten wir ja für unser Überleben nehmen können. Aber statt es für die Ernährung der Familie zu nutzen nötigte uns die Hausbank dieses für die Bereinigung der Angelegenheit mit ihnen zu verwenden. Wie das? Och, das geht ganz einfach; Lastschriften machen es möglich. Wenn das karge Gehalt meiner Frau einging, führten sie die inzwischen fällig gewordenen Tilgungen und die Prämienforderungen für die Restschuld-Lebens-Versicherungen aus. Alle anderen Lastschriften gingen mangels Deckung zurück und sie forderten dafür dann noch sogenannte Rücklastgebühren, die ja inzwischen höchstrichterlich für sittenwidrig erklärt wurden aber trotzdem von den Banken mit anderer Begründung und Bezeichnung noch abgezockt werden. Von Überweisungen oder Schecks, die ich ausstellte, wollen wir gar nicht erst reden. Natürlich behaupteten die Bankfiosis das alles ordentlich der Reihe nach ginge und immer die zuerst vorliegende Lastschrift ausgeführt würde aber an den Daten der Kontoauszüge war die manuelle Beobachtung und Manipulation nachvollziehbar aber leider gegenüber dem Staatsanwalt nicht beweisbar. Als ich dann Ende September 1988 mit meiner Entwicklung und mit den Vertriebswegen so weit war, dass es losgehen konnte, ging es dank Bankfiosis nicht mehr. Ich konnte die für die Auslieferung notwendigen Datenträger nicht mehr kaufen – ich bekam ja nur noch was gegen Vorkasse. Ich konnte keine Verpackung, Begleitpapiere und Handbücher drucken lassen. Würden Sie ein Programm auf gebrauchten Datenträgern mit beiliegenden Printerausgaben für einen, dem Produkt angemessenen Preis, abnehmen? Als ich dann mit der nun nicht mehr versteckbaren Wahrheit und der Bitte auf Vorschuss an „meine Händler“ herantrat läuteten bei denen gleich alle Glöckchen. Wie sieht das denn mit Gewährleistung und Produktpflege aus wenn der Lieferant schon vor dem Start platt ist? Ich war also im doppelten Sinne fertig: Ein Mal mit dem Produkt und vollkommen mit meiner wirtschaftlichen Lebensfähigkeit.
Jetzt musste ich meine Familie vor dem Verhungern schützen. Jetzt komme mir niemand mit der Sozialhilfe. Da Brigitte ein Einkommen bis knapp darunter hatte, hätten wir diese bestenfalls als Ergänzung in Anspruch nehmen können. Und was nutzt das, wenn wir dank der Buchungsschikanen der Bankfiosis da gar nicht ran kommen konnten. Das erste was ich machen musste war das Lebensnotwendige vor den Bankern in Sicherheit bringen. Da Brigittes Brötchengeber sich nicht auf Barauszahlung einließ, richtete meine Mutter ein Postgirokonto, damals noch ein reines Zahlungsverkehrskonto, das man auch ohne Schufa-Auskunft bekam, ein. Darauf wurde jetzt das Gehalt meiner Frau umgelenkt. Dieses funktionierte jedoch nicht auf Anhieb, da es den entsprechenden Leuten beim Konsistorium nicht einleuchtet, dass das Konto nicht auf Brigitte sondern auf Anna Neuhaus lautete. Na ja, ab November 1988 klappte es dann doch und wir brauchten nicht zu verhungern. Aber alles andere war bereits den Bach runter. Die Hypothekenbank hatte die Grundschuld gekündigt und die Zwangsversteigerung meines Häuschens beantragt. Versicherungen hatten bereits alle Verträge, nach dem sie über Mahnbescheide zu vollstreckbaren Titeln gekommen waren, gekündigt oder still gelegt. Fast täglich erhielt ich per Post neue Mahnbescheide und der Gerichtsvollzieher war inzwischen mein ständiger Gast geworden. Ich war also restlos pleite. Schlimm war zudem noch, dass die Hausbank vorher noch deutlich gemacht hatte, dass mit mir allein überhaupt nichts lief – ich musste Brigitte auf die, in jeden Moment sinkende Titanic holen. Was das Häuschen anbelangte war sie ja ohnehin schon mit ihm Boot. Dass ich mich dann noch richtig mit unserer Hausbank anlegte, und zwar in einer Form, mit der ich mich nach Leinbergs Ansicht völlig disqualifiziert hatte, und die darauf alle Geschäftsbeziehungen kündigte, spielte praktisch keine Rolle mehr. Um der Welt zu bekunden, wie es mit mir aussah, stellte ich am 23. Dezember 1988, nach dem ich alle Sourcen gelöscht und die Dokumentationen im zerrissenen Zustand in die Mülltonne geworfen hatte, drei Konkursanträge. Einen Antrag für die „SfmB Software fürs moderne Büro – Heinz Neuhaus oHG“, einen für Brigitte und einen für mich. Die Konkursverfahren wurden, weil den zirka 800.000 Mark Schulden nur 0 Mark Masse gegenüberstanden, Ende Januar 1989 eingestellt. Da sich diese Schulden durch Zinsen und Gebühren zwischenzeitig fast verdoppelt haben, kann ich heute stolz sagen, dass ich Millionär sei, allerdings nur „Schulden-Millionär“. Da kann man normaler Weise nicht mehr von runterkommen. Auch nicht mit Hilfe des neuen Insolvenzrecht, dass es damals zudem noch gar nicht gab, wieder runter kommen. Es sei denn, man würde mir Posten wie Vorstandsmitglied einer größeren Aktiengesellschaft anbieten. Selbst als Bundeskanzler hätte ich noch Schwierigkeiten. Man darf ja nicht vergessen, dass ich die Tilgungsleistungen nirgendwo steuerlich geltend machen kann. Es muss ja vom Nettolohn abgezweigt werden. Das bedeutet, dass zu den Tilgungsraten noch Steuern, Sozialabgaben und der Lebensunterhalt hinzu addiert werden müssen. Der Lebensunterhalt muss dazu noch gehoben sein, da man bei Jobs ab einer gewissen Stufe auch entsprechende Repräsentationspflichten hat. Stellen sie sich einen Bundeskanzler vor, der in der Regel Jeans trägt und als Privatwagen einen alten Golf nutzt. Also eine Million Euro müsste ich schon jährlich einfahren um mittelfristig von meinen Schuldenberg wieder runterzukommen. Nur ein Lottogewinn macht es möglich, aber was nutzt diese Erkenntnis, wenn man wegen der für uns relativ hohen Spielgebühren und der „verdammt“ geringen Gewinnchancen gar nicht erst spielt. Jetzt gibt es in einer solchen leidigen Situation leider einen furchtbaren Drehwurm. Alles was man unternimmt um von seinen Schulden herunterzukommen geht einen an der Substanz, die man zum Leben braucht, verloren obwohl die Schuld nie abtragbar ist. Unternimmt man nichts, bleiben einen Inkassogeier und diverse Rechtsanwälte mit entwürdigen Belästigungen, wie Anschreiben, Telefonanrufen und sogar Besuchsversuchen, nicht vom Hals. Dieses machen diese Leute obwohl sie wissen, dass wahrscheinlich alle Schuldner, die eine Chance sehen, ihren Schuldendienst nachkommen zu können, dieses schon aus dem Grunde, um wieder wirtschaftlich frei zu werden, schon von sich aus machen – es sei denn es stecke kriminelle Energie, was aber bei 99% der Leute nicht der Fall ist aber von den Inkassogeiern kontinuierlich unterstellt wird, dahinter. Die Absicht der Menschewürdezertreter ist lediglich zu verjährungsunterbrechenden Äußerungen oder Eingeständnissen zu kommen. Wenn man darauf eingeht, läuft man Gefahr, dass sie einen im hohen Alter, also auch als über 80Jähriger, so wie das bei mir der Fall wäre, immer noch nicht in Ruhe lassen. Hau doch drauf auf den Greis, der es gewagt hat, sich nicht den Schuldnerhäschern durch kontinuierliche Zahlung ohne Aussicht auf ein Ende vor dem Ableben zu unterwerfen. Da bleibt einen Schuldner wirklich nichts anderes als deren Belästigung mit Missachtung zu strafen und ab und zu mal zum Richter, Rechtspfleger oder Gerichtsvollzieher zu laufen und eine sogenannte Eidesstattliche Versicherung über sein Nichtvermögen oder seine Zahlungsunfähigkeit abzugeben. Dieses dann getreu dem Motto: „Alle drei Jahre wieder.“. Aber jetzt mal was anderes: Würden Sie für etwas arbeiten, wovon sie nichts haben? Von ihren Schulden kommen sie nicht mehr runter und zum Leben steht ihnen das Ergebnis ihrer Arbeit nicht zur Verfügung aber um der Arbeit nachzukommen vergeuden Sie die Zeit, die ihnen vom wahren Leben verloren geht. So besteht natürlich kein Anreiz, mehr als bis knapp an der Pfändungsfreigrenze zu verdienen. Man muss diesbezüglich nur ein Wenig aufpassen, dass dabei nicht in der Rentenversicherung soweit abrutscht, dass man dann neben der Rente doch noch auf Sozialhilfe angewiesen ist. Nun, Brigitte und ich, haben ab 1989 nach gründlichen Berechnungen unser Leben darauf eingestellt. Was wir zum Leben brauchen haben wir und mehr wollen wir nicht – wir leben lieber. Wie und warum, das möchte ich hier nicht sagen, da ich dann möglicher Weise
Schwierigkeiten hinsichtlich rechtswidriger Beratung erhalten könnte. Das finde ich sogar richtig, denn es könnte doch einige Leute auf den Gedanken bringen unser Wirtschaftssystem auszuhöhlen. In unserer Situation ist unsere Handlungsweise nachvollziehbar und sie ist darüber hinaus in keiner Weise rechtswidrig. Aber wenn das alle so machen, weil ich sie auf einen Gedanken, wie man sich „durchs Leben mogeln“ kann, gebracht habe, dann ... Ach was, vielleicht lebten wir alle ein Wenig glücklicher – aber so wohlhabend, wie wir jetzt scheinbar sind, wären wir dann bestimmt nicht mehr. Ich kenne den Gesellschaftskritiker Reiner Vial aus dem Fido. Fido ist oder war ein privates DFÜKommunikations-Netz, das der US-Amerikaner Tom Jennings 1984 gegründet hatte. Darin konnte man, als es das Internet in der heutigen Form noch gar nicht gab, miteinander via Mails miteinander elektronisch kommunizieren. Das Internet erübrigt dieses eigentlich. Reiner Vial hatte da eine sogenannte BBS (Bulletin Board System) die Topas und ich war mal bei ihm ein sogenannter Point. Wir haben uns sehr oft in Netmails über unser Vorleben unterhalten und daher weiß ich das er ein ähnliches, fast gleiches Schicksal, wie ich hatte oder hat. Kürzlich las ich mal im Gästebuch seiner Homepage www.reiner-vial.de, auf der er seine Werke zum kostenlosen Download anbietet, dass er gefragt wurde: „Warum bieten sie ihre Werke nicht Verlegern an? Da können Sie doch diesen oder jenen Euro machen.“. Reiner hat dieses nicht kommentiert. Darauf schrieb ich ihn mal eine E-Mail und fragte, warum er dieses nicht kommentierte. Seine Antwort war recht simpel: „Heinz, du weißt doch selbst, dass ich mit diesem oder jenen Euro nichts anfangen kann. Aber ich habe ein Sendungsbewusstsein; ich habe was zu sagen. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Leute zum wahren Leben, sowohl in weltlicher wie religiöser Hinsicht, finden. Deshalb greife ich aktuelle Dinge auf und schmücke sie, für jedermann verständlich, im Aufsatzstil zu Geschichten, die in provokatorischer Weise zum Nachdenken führen sollen, aus. Damit will ich Diskussionen, die uns allen dienen auslösen. Da behindere ich mich doch nicht selbst dadurch, dass ich über die Wege Lektorat, Verlag, Druckerei und Handel mangels Aktualität zum trivialen Schreiberling werde. Wenn es mir auf die jetzt Euro genannten Nebensächlichkeiten ankäme, würde ich etwas zur Befriedigung von, durchs Leben baselnde, Schreib- und Sprachstil-Lüstlinge zusammen formulieren. Ich schreibe aber um etwas für mich und mein Leben zutun. Meine Arbeit gibt mir Rückhalt, Selbstbewusstsein und Zufriedenheit – und das ist viel mehr wert als ein Haufen Euros. Euros brauche ich nur für meine Existenz ... Hunger und stetige gesellschaftliche Demütigung auf Grund mangelnder Mittel haben auch nichts mit Leben zu tun. Aber ansonsten sind Euros gefährliche Nebensächlichkeiten, da sie die Hauptsache ‚Das Leben’ gefährden können. Ich glaube zu wissen, dass wir auf gleicher Frequenz liegen. Beste Grüße Reiner“. Reiner ist für mich schon aus dem Grunde glaubhaft, weil hinter seinen Aussagen weder die Absicht der Besitzstandswahrung noch der Bereicherung steht. Er nimmt kein Blatt vor dem Mund weil ihn nimmt was nehmen kann. Geld oder Besitz hat er nicht und was würde es bringen, ihm sein Leben zu nehmen. Hinter seinen Aussagen stecken logische Überlegungen und Idealismus. Seine Pleite hat ihn befreit; so wie mich meine frei machte. Anfänglich war es schwierig und oft gar nicht so leicht im wahren Leben Tritt zu fassen. Aber ich habe, zunächst zwangsläufig, verstanden, dass man Leben erst richtig begreifen kann, wenn man nichts mehr besitzt. Wenn man aus seinem Leben als Habenichts keinen Hehl macht, kann man die Streu vom Weizen trennen. Wer meine Freundschaft sucht meint mich und nicht mein Konto. Wer mich um Hilfe bittet brauch mich und nicht mein Geld, weil ich sowieso nichts habe. Es entsteht eine echte Atmosphäre von Mensch zu Mensch. Und was meinen Sie, wie glücklich wahre Freundschaft machen kann. Wer sagt, dass er mich liebt, gibt dieses bestimmt nicht nur meines Geldes willen vor. Und was meinen Sie, was ehrliche Liebe für ein erhabenes Erleben ist. Wer nichts mehr hat, kann all das was einen kostenlos die Natur liefert wertschätzen und genießen. Was meinen Sie, wie herrlich das ist an einem schönen Sommertag im kühlen Wald auf einer Bank zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen. Das Leben kann man nur erleben, dabei sein reicht nicht. Leben heißt Glück, Liebe, Zufriedenheit und Selbstbewusstsein aber auf keinen Fall wirtschaftliche Leistungen, Vermögen und Besitz. Ohne Letzteren würde unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht funktionieren aber wenn man sie zum Lebenszweck macht funktioniert der Mensch nicht mehr. Und noch etwas, vielleicht das Wichtiges, was ich hier sagen will: Wer richtig lebt, erfährt mit Sicherheit im Leben den Schöpfer; er erkennt Gott und seine liebende Zusage, dass wir, nachdem wir das Leben erkannt haben, eine Ewigkeit Glück, Liebe und Zufriedenheit erfahren dürfen. Und wen füllt die Verheißung und Hoffnung auf das ewige Leben nicht aus. Letzteres ist jetzt keine Verzweifelungsaussage eines sonst Hoffnungslosen, das ist meine Überzeugung. Diese Sichtweise kann man nur gewinnen wenn einen der Blick nicht durch materielle, augenscheinlich glänzende Dinge versperrt wird. Wenn ich mich mit dem Blick auf die eine Seite einer Ein-Euro-Münze, auf die wo die Wertangabe Eins steht, begnüge kann ich nie erfahren, dass die andere Seite, nämlich die auf die der Adler aufgeprägt ist, genauso schön glänzt wie die andere. Richtig schätzen kann ich die Münze nur, wenn ich beide Seiten ausgewogen im ausreichenden Maße betrachte. Also nicht Adler oder Eins sondern immer Adler und Eins. Wenn ich es so mit dem Leben halte, erfahre ich das die wirtschaftliche Seite notwendig ist, damit auch das Andere funktioniert aber nur wenn ich die Lebensmünze einmal herumdrehe
profitiere ich von dem, weshalb es die andere überhaupt gibt. Der Mensch, das Leben, ist die Hauptsache und das Geld, der Besitz sind die Nebensächlichkeiten die Ersteres, also die Hauptsache, ermöglichen sollen.
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Exhibitionisten und andere ehrliche Menschen Kennen Sie einen zufriedenen Menschen? Wenn nein, dann lernen Sie den jetzt kennen, denn das bin ich. Von meinem Vater hatte ich ein Elektroinstallationsgeschäft geerbt, welches ich letztes Jahr anlässlich meines 55. Geburtstages, an meinen, jetzt 27-jährigen Sohn übergeben hatte. Dieses lief schon bei meinem Vater gut und dran hat sich bis heute, wo es unter der Regie unseres Sohnes läuft, nichts geändert. Ilona, meine Frau, und ich, Lothar Scheu, sind gleich mit einer richtigen Familie angefangen. Hendrik, unser Sohn, wurde anlässlich unserer Hochzeit getauft und seitdem haben wir bis heute zueinander gestanden. Man kann sagen, dass wir eine an und für sich glückliche Familien gewesen sind und jetzt, wo unser Sohn schon ein Weilchen aus dem Hause ist, immer noch ein glückliches Ehepaar sind. Natürlich gab es mal diesen oder jenen Streit, der sich aber immer beilegen ließ. Eine solche Geschichte, über dessen Hintergründe ich hier berichten möchte, gab es erst letztes Jahr, kurz nachdem ich am 12. Juni 2001, meinen Sohn zum Boss unseres Ladens gekürt hatte. Bevor ich aber davon berichte muss ich erst einmal von unserem Häuschen, das etwas abgelegen vom Friedensthaler Ortsrand waldumgeben liegt, berichten. Ich hatte das, etwa 150 Jahre alte, kleine Fachwerkhaus mit den schönen es umgebenden Garten vor 10 Jahren gekauft, renoviert und innen modernisiert. Unser vorheriges Domizil, in dem auch unser Firmensitz untergebracht war, ist heute ausschließlich noch Firmensitz und Hendrik hat zwischenzeitig ein eigenen Bungalow ersteigert. Aber zurück zu unserem Haus, das nicht alleine steht sondern direkt nebenan ist ein, mit dem unserigen vergleichbares Grundstück, dass der, mir gegenüber 5 Jahre jüngeren Witwe Katharina Wölke gehört. Sie wohnt dort mit ihren 22 und 20 Jahre alten Töchtern. Noch etwas ist für die Geschichte wichtig: Als Ilona, die mit mir gleichaltrig ist, und ich heiraten war sie Beamtin im Mutterschaftsurlaub. Sie wollte ihre eigenständige Laufbahn nie aufgeben und versieht heute noch im Rathaus Friedensthal ihren Dienst. Schon vor meinem „Ruhestand“ war ich ein begeisterter Amateurfotograf. Bei jedem Urlaub verschoss ich drei bis vier 36er-Filme und in Friedensthal habe ich inzwischen fast jede Ecke und jeden Winkel abfotografiert. Als ich mir Anfang letzten Jahres einen neuen PC mit allem Pipapo, wie Farbtintenstrahl- plus Laserprinter, Scanner, ISDN-Karte und so weiter zugelegt hatte weitete ich mein Hobby auf elektronische Bildbearbeitung aus. Als ich dann hinsichtlich der Geschäftsübergabe geschäftlich bereits etwas kürzer trat – schließlich sollte sich der Junior von seinem Vater abnabeln – kam ich auf die fixe Idee mir eine Homepage zuzulegen. Sie können sich diese ja einmal ansehen. Hinter den berühmten drei kleinen Ws kommt dann illo-scheu (illo hat nichts mit dem Kosenamen Ilo, den ich meiner Frau gegeben habe zutun sondern steht für Ilona und Lothar) und dahinter kommt noch das berühmte „de“ für Deutschland. Es ist praktisch eine reine Bilder-Homepage. In einer Galerie mit genau 48 Bildern können Sie meine Familie mit samt unseren beiden, leider inzwischen verstorbenen Katzen in unserem Häuschen und Garten bewundern. Eine weitere vierteilige Galerie mit je 48 Bildern führt Ihnen unser Friedensthal nahe. In fünf Slideshows können Sie das, was ich in den letzten Urlauben zusammen geknipst habe, bewundern. Nehmen Sie sich ein Wenig Zeit dazu, denn Sie wissen ja, dass das Laden von JPEG-Bildern immer etwas dauert – und richtig bewundern sollen Sie meine „Werke“ ja auch. Dieses ist jetzt der Hintergrund des Geschehnisses von Ende Juni 2001. Dieser Tag war ein wunderschöner Sommertag an dem Ilona jedoch, wie außerhalb des Urlaubs an jedem Werktag immer, zum Dienst ins Rathaus musste. Na ja, sie wollte es ja nicht anders. Ich konnte mich jedoch in den Garten begeben und die Seele baumeln lassen. Auch unsere Nachbarinnen nutzten den Tag ähnlich wie ich. Die beiden Wölke-Töchter spielten, nur mit einem Tangahöschen bekleidet, Federball und Katharina, deren etwas füllige Mutter, lag mit einem einteiligen Badeanzug bekleidet in einem, etwas im Schatten aufgestellten Liegestuhl. Na, das war jetzt nichts außergewöhnliches, denn die jetzige Bekleidungsordnung der Damen entspricht der seit etwa seit 2 Jahren üblichen Sommer-Garten-Bekleidungs-Ordnung im Hause der drei Damen Wölke. Davor war es allerdings nicht viel anders. Da trugen die Mädchen nur zu ihren knappen Bikini- oder Tanga-Höschen auch noch Oberteile. Die Freilegung der hübschen runden Dinger an ihren Oberkörpern ist eigentlich auf meine Ilona zurückzuführen. Damals saß die komplette Nachbarschaft, also 4 Damen – drei Mal Wölke und Ilona - und ein Herr, also meine Wenigkeit, bei uns in kompletter sommerlicher Kleidung auf der Terrasse. Das kommt im Zuge unseres sehr guten Nachbarschaftsverhältnis öfters mal vor. Die Damen unterhielten sich über ihren Busenstolz, wobei nur Katharina nicht mithalten konnte, da ihr angesammeltes Fett die ganze Angelegenheit zu hängenden „Wundern“ werden lassen würde. Ilona sagte bei dieser Gelegenheit dann mal ganz locker: „Schade dass ich bei der Stadt arbeite, sonst würde ich den Damen und insbesondere den Herrn, die unten am Bach spazieren gehen, ganz gerne mal zeigen, was ich aufzuweisen habe.“. Jetzt muss ich nur noch schnell erklären, dass an unseren südlichen Grundstücksgrenzen ein kleiner Bach vorbei plätschert und sich dahinter ein Trampelpfad, der Hin und Wieder von Spaziergängern genutzt wird, befindet. Ilona führte dann weiter aus, dass sie eigentlich eine stärke exhibitionistische Ader habe und sich ganz gerne nicht nur Oben ohne sondern am liebsten ganz im Evaskostüm zeigen würde. Sie stellt es ganz prickelnd vor wenn sie dabei von Dritten beobachtet würde. Aber je nachdem was in den Köpfen der Leute
vorginge könnte es ihr im Dienst schaden wogegen sie im Urlaub keine Hemmungen hätte. Das stimmt. Entsprechend Ilonas Wünschen fahren wir immer dorthin, wo es einen Strand gibt. Immer gehen wir an einen normalen Strand, denn ein Nudistengelände ist ihr nicht prickelnd genug. Da bekleidet sie sich in der Regel auch nur mit knappen Höschen aus der Kategorie Tanger oder Bikini. Heike, die älteste der beiden Wölke-Töchter war auf einmal putzmunter geworden und tönte: „Mensch, da haben wir was gemeinsam. Obwohl ich normaler Weise auf Treue und Monogamie stehe und fürchterlich sauer bin, wenn mal jemand bei mir an bestimmte Körperzonen tatschen oder fassen will, werde ich furchterregend geil, wenn ich mich vor anderen ausziehen oder nackt zeigen kann. Tina und ich wären ganz gerne schon öfters fast ohne im Garten herumgesprungen. Aber da wir immer Angst davor hatten, ihr könntet böse sein, haben wir es lieber nicht gemacht.“ Ilona sagte ihr, dass sie nicht über etwas böse sein könne, was sie selber gerne machen würde und ich konnte ihr anmerken, dass mir das sogar Spaß machen würde. Letzteres wurde durch ein Damenchor mit „Ja, du bist ja auch ein Mann und dir glauben wir das gerne“ bestätigt wurde. Nun musste ich doch eine Beschwerde loswerden: „Ihr Frauen habt es gut. Wenn ihr nackt durch die Gegend springt ist das ja schon fast gesellschaftsfähig und als Mann landet man damit vorm Kadi.“. „Da muss du dich bei deinen Geschlechtsgenossen beschweren, die mit ihrem Stummelchen Kinder erschrecken wollen oder es nicht beim Zeigen belassen.“, bekam ich dann von meiner besseren Hälfte zu hören. Katharina war bei dem Gespräch wohl etwas heiß angelaufen, denn ihre Stimme hörte sich, als sie sagte „Lolo (mein Spitzname), würde es dich denn anmachen hier als einziger Mann nackt unter vier Frauen zu sitzen?“ doch etwas lüstern an. Meine Antwort war erst ehrlich und dann verhängnisvoll: „Ich gebe ja zu, dass ich mit euch das Laster des Exhibitionismus teile. Nur wir Männer haben dabei ein bestimmtes Problem, was sich nicht so einfach herunter drücken lässt.“. Ausgerechnet Tina, die Jüngste, tönte: „Mensch, gerade der Steife ist doch das Spannende daran. So etwas habe ich im Original bisher nur bei meinem Freund mal richtig gesehen.“. Katharina feigste nur aus dem Hintergrund „feige“ und als ich Ilona ansah, merkte ich, dass ich von der keine Hilfe erwarten konnte. Ganz im Gegenteil, denn sie sagte: „Wer große Töne spuckt muss damit rechnen, dass er beim Wort genommen wird. Ein Prickeln in mir nötigte mich dann doch, mich meiner Kleidung zu entledigen und den Damen ausreichend Zublick auf ein stehendes Teilchen zu gewähren. In diesem Moment begann ich mich doch etwas zu schämen und gab dieses auch ehrlich zu. Darauf machte mir Heike dann das Hilfeangebot mir im Nacktsein beizustehen und begann postwendend sich auch auszuziehen. Das ließen sich Tina und Ilona auch nicht nehmen und folgten prompt ihrem Beispiel. Nur Katharina bekam jetzt Schwierigkeiten. Sie genierte sich ob ihrer Fülle doch erheblich, wollte jetzt aber nicht als Spannerin gelten. Wir gaben ihr dann übereinstimmend zu erkennen, dass wir ihr nicht böse seien, wenn sie nicht wolle. Na ja, sie legte dann doch zumindestens ihren Oberkörper frei. Von der Masse her dürfte sie in diesem Fall wohl in diesem Kreis die Spitzenreiterin gewesen sein während Ilona wohl am Wenigsten auf die Waage hätte bringen können. Dafür sind aber die beiden Busen meiner Frau aber hinsichtlich Ästhetik, Standfestig- und Knackigkeit unübertrefflich. Da kamen nicht einmal die beiden jungen Damen mit. So nudistisch, wie wir jetzt da saßen hielten wir es fast zwei Stunden aus. Etwas Anstößiges, sofern man das bisher geschehene nicht schon als solches bewertet, ist an diesem Nachmittag nicht passiert. Wir haben nur nett miteinander geplaudert, wobei wir um erotische Dinge doch einen weiten Bogen machten. Eine solche Bekleidungsordnung ist doch ein Bisschen heikle und der weitergehende Schritt, den keiner wollte, liegt insbesondere dann, wenn man entsprechende Themen anschneidet, wie ein Damoklesschwert in der Luft. Als wir, das Ehepaar Scheu, wieder unter uns waren, tauschten wir unsere Befürchtungen, dass sich dieser Nachmittag negativ auf unser Nachbarschaftsverhältnis auswirken könne, aus. Das war jedoch zum Glück nicht der Fall. Aus der Tatsache, dass es bis Juni 2001, ein einmaliger Vorfall war, glaube ich schließen zu können, dass bei den Wölke-Damen an diesem Abend ähnlich überlegt wurde. Irgendwie sieht es beim Abklingen heißer Phasen so aus, dass die uns anerzogenen Moralbegriffe erhebliche Gewissenbisse bereiten. Aber im Grunde frage ich mich immer, was schon dabei ist, da es doch sowieso nur zwei Sorten Menschen gibt, die einen mit und die anderen ohne. Warum sollte man nicht was Schönes, auf das man selbst stolz ist, zeigen und bei anderen betrachten dürfen. Schmutzige Perversionen bilden sich doch im Kopf, unabhängig davon ob der oder die Gegenüber an- oder ausgezogen ist. Von meinem eigenen Denken weiß ich, dass mir die abstrusesten Dinge, immer nur gegenüber bekleideten Frauen einfallen. Stehen mir dagegen in natürlicher Umgebung – Sauna, FKKStrand und so weiter – nette Damen gegenüber empfinde ich persönlich eigentlich nur Freude an dem Schönen, von dem ich nicht genug sehen kann. Aber wenn ich so an Frauen im Format von Katharina Wölke denke, bin ich doch ganz froh, dass es Bekleidung gibt und dass dieses der Normalzustand ist. Meines Erachtens ist das Prickeln beim Exhibitionieren auch nur auf die standardmäßige Abdeckung der Schöpfungskleidung zurück zuführen, denn wenn Nacktsein normal wäre, dürfte wohl niemand mehr was dabei empfinden. Vielleicht kann man das Ganze unter dem „Reiz des Verbotenen“ abhandeln. An dem, bereits angeschnittenen Sommertag im Juni 2001, kam dann wieder Bewegung in die exhibitionistischen Nachbarschaftsbeziehungen. Wegen meiner Sonnenempfindlichkeit und der darin begründeten Angst
vor einem Sonnenbrand saß ich mit Jeans und einem Oberhemd bekleidet auf unserer Gartenbank und sah seelebaumelnder Weise den beiden Wölke-Töchtern zu. Ganz in Gedanken und mit dem Blick auf die Mädchen konzentriert war mir nicht aufgefallen, dass sich Katharina in unserem Garten begeben hatte. Unten am Bach befindet sich sowohl bei Wölkes wie bei uns ein Törchen, die jetzt von Katharina genutzt wurden, um zu mir gelangen. Ich erschrak richtig als sie mich ansprach: „Na, Lolo (mein Spitzname, den ich meiner Holden zu verdanken habe), warum sitzt du hier so alleine rum. Willst du nicht rüber kommen und uns Gesellschaft leisten. Ich habe auch wieder eine Bowle angesetzt.“. Bevor jetzt jemand bei dem Wort Bowle an Alkohol denkt sage ich gleich, dass es sich bei Katharinas Bowle eher um einen tollen selbstgemachten Fruchtsaft, bestückt mit ganzen Früchten, handelt. Je nach Jahreszeit sind Erdbeeren, Kirschen oder exotische Früchte wie Orangen, Annanas, Kiwi und andere, der maßgebliche Grundstoff. Aber was es von dem auch ist – Katharinas Bowle ist immer oberste Spitzenklasse. Da bedurfte es bei der Einladung keiner Wiederholung und ich zog mit unserer Nachbarin hinüber in ihr Reich. Zunächst saß ich mit der Gastgeberin alleine am Gartentisch und plaudert mit ihr über das schöne Wetter, was sich hoffentlich jetzt noch ein Weilchen halten sollte. Ihre Töchter spielten erst noch unbekümmert ihr FederballMatch weiter. Knapp eine Viertelstunde später befanden Heike und Tina jedoch, dass es zu warm zum Weiterspielen sei und ließen sich auch bei uns nieder. Obwohl die Mädchen bis auf ihre Schambedeckung nackt waren lief zunächst nichts, worüber man hätte die Nase rümpfen können sondern wir plauderten mal über Dies und mal über Das. So kamen wir auch auf das Thema Internet und meine Homepage zusprechen. Erst gar nicht abwegig fragte Heike: „Warum machst du denn keine Galerie mit schönen Aktbildern dazu. Ich finde gutgemachte Aktbilder, gleichgültig ob da Männer oder Frauen drauf sind, immer ganz toll, insbesondere Gegenlichtund Schattenaufnahmen oder so Akte in und mit der Natur. Das sind doch wahrlich meisterliche Sachen.“. „Meinst du nicht, dass du damit nur Lüstlinge anlogst,“, fragte ich zurück, „die in den Aktmodellen nur Objekte ihrer perversen Fantasie sehen. Nach meiner christlichen Weltanschauung ist der Mensch zu wertvoll, um zum Objekt degradiert zu werden.“. „Da hast du recht,“, fuhr Heike fort, „aber ich habe mal gelesen, dass die pornografischen Geitlinge sich gar nicht mit künstlerischen Aktfotos aufhalten, da sie in erster Linie das ansprechen, was die nicht haben ... nämlich den Geist.“. Jetzt hatte Heike in mir den begeisterten Fotografen angesprochen: „Da magst du recht haben aber ich würde die Betonung auf künstlerisch legen. Wirklich gute Aktfotos haben nichts mit Nackedei-Knipsen zu tun, da muss man wirklich was drauf haben. Und auf dem Gebiet habe ich mangels Übungsmodelle überhaupt keine Übung.“. „Hast du denn noch nie mit Ilona geübt?“, warf Katharina dazwischen, worauf ich ihr gestehen musste: „Nee, da haben wir in der Tat noch nie dran gedacht. Das liegt wohl daran, dass ich ganz gerne meine Werke immer voller Stolz anderen zeigen möchte ... und ich glaube nicht, das meine Holde damit einverstanden wäre.“. „Du hättest sie mal da drauf ansprechen müssen.“, sinnierte Heike, „Bei ihren Exhibitionismus kann ich mir sogar vorstellen, dass sie nichts dagegen hätte, wenn du anschließend die Bilder ins Internet stellst.“. Darauf konnte ich ihr jedoch erwidern, das sie dieses hinsichtlich ihrer Beamtentätigkeit und der Gefahr, das da mal Einheimische reinschauen könnten, mit Sicherheit ablehnen würde. „Dann nimm uns doch zum Üben.“, meldete sich jetzt auch Tina auch mal zu Wort, „Wenn die Bilder gut sind, dann darfst du die nicht nur ins Internet stellen, dann musst das sogar.“. Ich überlegte noch ein paar Mal hin und her und machte mich dann doch auf den Weg in meine eigenen vier Wände. Dort holte ich meinen geliebten Fotoapparat aus dem Schrank, legte einen neuen 36er-Film ein und begab mich wieder hinüber zu meinen Modellen. Was ich auf Anhieb feststellen konnte war, dass es gar nicht so einfach ist wirklich schöne Aktaufnahmen zu machen. Das fängt schon bei der Motivsuche und der Pose an. Immer wieder wird im Gehirn das Zentrum, in dem die Erotikinformationen gespeichert sind, angesprochen wodurch Dinge, die dem Foto den besonderen Pfiff geben könnten, vernachlässigt werden und die Pupillen werden auf Sonderheiten, z.B. bestimmte Hautfältchen oder –tönungen an bestimmten Stellen des nackten Körper fixiert. Man darf nicht vergessen, dass man möglicher Weise den späteren unvorgenommenen Betrachter so ungewollt automatisch auch auf diese Stelle lenkt, was dann dazu führt, dass das ganze Bild dann doch von sinnlicher, künstlerische Erotik in Richtung Pornografie umgestaltet wird. Ein Hautfältchen an bestimmter Stelle kann, wenn es in den Mittelpunkt des Bildes gerät, einiges an Assoziationen auslösen. Über diese Dinge dachte ich aber erst nach als ich Heike zwecks Aufnahme durch den Sucher meiner Kamera beobachtete und plötzlich, ohne dass ich es wollte, den Bildmittelpunkt auf ein Fältchen am Oberschenkel, das durch ihre Hockstellung entstanden war, gesteuert sah. Ich musste mich also zwingen sie unvoreingenommen, etwa so wie eine Blume, zu sehen. Aber auch an das Aktmodell müssen einige Anforderungen gestellt werden. Auch das hat erotische Gedanken zu vertreiben, da sie in der Regel zu unnatürlichen, den Sex in den Vordergrund stellenden Posen führen. Das Modell muss locker, als sei es die natürlichste Sache der Welt, stehen, hocken, sitzen oder liegen. Der Gesichtsausdruck ist bei einer Pose sogar das Wichtigste. Dieser darf nicht „geil“ aussehen, da so etwas sofort den Betrachter geistig von der Ästhetik auf den sexuellen Hintergrund umpolt. Auch darf nicht der Eindruck
eines gekünstelten Knipslächeln entstehen, da dann sofort die ganze Aufnahme entsprechend mit bestimmter Absicht gestellt wirkt. Und so weiter, und so fort. Das hat sich bis jetzt so gelesen als sei ich bereits ein alter Hase auf diesem Gebiet. Aber das Meiste habe ich mir ehrlich gesagt erst nachträglich angelesen. Das Einzigste was mir an jenem Tage wirklich auffiel war die Fixierung des eigenen Blickes auf bestimmte Körperteile, wenn man selbst dabei Erotik im Kopf hat. Um die Pupille auf diese Stelle zu führen tastet man sich mit dem Sucher der Kamera an diese heran, wobei die Linse den Weg natürlich nachvollzieht. Das leuchtete mir in dem Moment, wo ich das merkte, auch sofort ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber schon bereits fünf „Bilder im Kasten“. Überhaupt war die Ausbeute meiner ersten Aktfotopirsch nicht sehr hoch. Von den 37 Aufnahmen, die der Film hergab, entsprachen nur drei, zwei von Heike und eins von Tina, dem, was wir uns vorher vorgestellt hatten. Alle anderen wirkten gestellt oder hatten einen pornografischen Touch. Insbesondere die Bilder mit beiden Mädchen auf einem Bild wirkten wie für diverse Lesben-Magazine bestimmt. Na ja, da war letztlich nichts mit Internet und ich übergab der Familie Wölke alle Abzüge und selbstverständlich auch die Negative. So tief, dass ich mir diese für meine eigenen Aufgeilaktionen zurückhalte, bin ich doch noch nicht gesunken. Gut und schön, meine „Arbeit“ nahm etwa zwei Stunden in Anspruch bis ich den zurückgespulten Film der Kamera entnehmen konnte. Wie üblich steckte ich diesen in die Patrone und stellte diese auf das Board neben dem Telefon. Meist steckt Ilona diesen am nächsten Morgen, wenn sie zum Dienst fahren will, ein um diesen in dem, dem Rathaus gegenüberliegen Laden einer Drogerie-Kette, die auch Fotos entwickelt, zum Bearbeiten abzugeben. So auch dieses Mal obwohl ich ihr von unserer Aktion gar nichts gesagt hatte. Es war ja schließlich bei mir nicht unüblich, dass ich mal aus der Reihe einen Film „vollgeschossen“ hatte. Diesmal sollte es sich aber als ein gravierender Fehler herausstellen, dass ich nicht anders als wie üblich, als handele es sich um „harmlose“ Naturaufnahmen, reagierte. Das stellte sich aber erst heraus, als Ilona am darauffolgenden Montag die fertigen Bilder abgeholt hatte. Statt des üblichen Küsschens und eines Scherzes keifte sie mich bei ihrer Heimkehr an: „Sage mal, was ist denn hier eigentlich los, wenn ich zum Dienst bin. Du glaubst wohl: ‚Die olle Schatulle ist zum Dienst, jetzt kann ich junge Frauen, praktisch noch Mädchen, beglücken’. Weiß Katharina eigentlich von eurem Treiben.“. O ha, da dürfte ich wohl mächtig Fehler begangen haben. Erstens ist es unfair so etwas hinter dem Rücken der Frau zu machen ... am Besten man macht so etwas grundsätzlich nur wenn sie dabei ist. Eine Partnerschaft wurzelt im Vertrauen und eine Handlung wie ich sie jetzt an den Tag gelegt hatte, dient bestimmt nicht dazu ein solches zu fördern. Ilona war so sauer, dass ich in der darauffolgenden Nacht aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausquartiert wurde. Ich musste im Wohnzimmer auf der Couch schlafen. Als meine Frau am nächsten Tag zum Dienst fuhr, hatte sie eigentlich noch kein vernünftiges Wort mit mir gesprochen. Nur was sie für unbedingt notwendig und/oder unausweichlich hielt, kam in keifigen Drei-Wort-Sätzen aus ihr heraus. Was nutzte mir da Einsicht, Schuldbewusstsein und Entschuldigungsbitten – für meine Frau war ich für 24 Stunden der sündigste Mensch der Welt. So gegen Zehn erblickte ich Katharina Wölke in ihrem Garten und ich stürzte gleich hinaus um sie für eine friedensstiftende Maßnahme zu engagieren. Natürlich sollte sie nicht bei meiner Frau um „gutes Wetter“ für mich anhalten, denn dass ist und bleibt meine Aufgabe. Wer Dritte als Vermittler in Partnerschaftsangelegenheiten benötigt, darf sich keine Hoffnung auf deren Langlebigkeit machen, denn das eigen- wie selbstständige Aufeinanderzugehen ist die Klammer einer jeden Beziehung. Unwetter kann es immer mal geben und wenn man dann die Unwetterschäden nicht selbst beseitigen kann bleibt man eines Tages auf ihnen sitzen. Was aber Katharina für mich tun konnte, war meiner Frau, die mir offensichtlich derzeitig noch nicht zuhören konnte, das Geschehen real und wahrheitsgetreu wiedergeben. Dadurch habe ich zwar immer noch nicht richtig gehandelt und muss noch einiges an der Beseitigung der Unwetterschäden tun, aber die Verdachtsmomente, die ich zwar durch mein Verschweigen verschuldet habe, dürften ausgeräumt sein – vorausgesetzt natürlich, dass Ilona Katharina auch glaubt. Letzteres war dann der Knackpunkt. Als unsere Nachbarin, kurz nachdem Ilona heimgekehrt war, anschellte, fragte mich meine immer noch zürnende Hälfte, bevor sie die Tür öffnete, erst einmal: „Na, mein Lothar, hast du dir Verstärkung bestellt? Bist du nicht mehr Mann genug um dich mit deiner Frau auseinander zu setzen?“. Genau das war es, was ich im vorhergehenden Absatz mit der Unwetterschadensbeseitigung meinte. Meine Idee Katharina mit einzubeziehen, war wohl doch nicht die beste. Fast ungerührt hörte sich Ilona den Bericht unserer Nachbarin an und fragte sie zum Schluss: „Wen willst du denn jetzt reinwaschen ... deine Töchter oder meinen Mann. Weißt du, ich würde euch ja glauben, wenn das noch schöne Bilder wären. Aber die sehen mir mehr nach Schweinkram aus und daher glaube ich dir auch nicht, dass du dabei warst. Sehe dir doch die Bilder mal an.“. Zu Ilonas Überraschung hatte ich diese bereits griffbereit, was sich daraus ableitet, dass ich die Gelegenheit nutzen wollte um die Bilder und Negative, wie bereits geschrieben, den Damen Wölke zu meiner „Entlastung“ zu übergeben. Ich reichte diese mit den Worten „Na denn, ich gebe ja zu, dass die Sachen reichlich missraten sind. Wie ich schon befürchtete, ist Aktfotografie gar nicht so einfach.“ unserer Besucherin entgegen. Katharina bestätigte dann nach der ersten Draufsicht: „Die Bilder sind wirklich nicht so wie wir uns das gedacht haben. Ich glaube das liegt aber nicht an dir sondern an meinen Mädels. Die wollten wohl Playboy-Verkaufs-Objekte nachahmen, was ihnen misslungen ist. Die Playboymädchen sehen ja noch gut verkäuflich aus und meine beiden
wie notgeile Internet-Amateurinnen.“. Mann, dass fand ich ein Wenig ungerecht. Erstens sind die Playmaids im besagten Magazin in der Regel sehr ästhetisch anzusehen und so schlecht wie diverse Internet-Pornos waren meine Bilder nun trotz allem auch wieder nicht. Also schritt ich jetzt zu meiner Verteidigung – nicht gegenüber meiner Frau sondern gegenüber unserer Nachbarin: „Katharina, ich habe euch gleich gesagt, dass man alles erst üben muss ... auch Aktfotografie. Ich habe das noch nie vorher gemacht und ihr wollte ja diese Übung und hofftet darauf, dass ich gleich solche Sache hinkriegte, dass ich damit im Internet einen Kunstpreis gewinnen könnte. Aber es hat halt nicht hingehauen. Das hätte vielleicht klappen können, wenn ich Aufnahmen von Ilona gemacht hätte. Erstens verhält die sich aus verständlichen Gründen im ausgezogenen Zustand mir gegenüber natürlich und zum anderen könnte die beispielsweise einen ganzen Tag nackt im Haus oder im Garten rumlaufen und dann brauchte ich ja nur noch zu knipsen wenn ich meine, dass sie momentan sehr schön aussieht. Dann ist nichts gestellt, dann ist nichts gekünstelt. Aber den ganzen Tag hinter deinen nackten Töchtern herlaufen kann und will ich nicht. Ich habe meine Ilona und das ...“. Jetzt stoppte ich ab, da ich eigentlich sagen wollte, dass mir dieses reiche, was aber bei unserem derzeitigen Klima missdeutet werden könnte. Das was ich jetzt gesagt hatte sorgte aber doch für einen unerhofften Klimaumschwung. Seit Montagmorgen, also zu dem Zeitpunkt wo Ilona von meiner Fotoarbeit noch nicht wusste, bis jetzt hatte ich kein Lächeln auf dem Gesicht meiner Frau mehr entdeckt. Jetzt, etwa 30 Stunden später, schien die Eiszeit jedoch beendet; sie lächelt mich an – sogar richtig nett. „Ich glaube ihr macht mir doch nichts vor.“, begann sie jetzt, „Aber darüber dass das hinter meinem Rücken geschehen ist reden wir noch ... ansonsten will ich mal wieder das Kriegsbeil begraben. Hinsichtlich der Sache, dass du mich splitternackt mal einen ganzen Tag beobachten willst und wenn ich dir schön erscheine fotografieren willst, kann ich dir sagen, dass mich die Idee ganz schön anmacht. Können wir ja Sonntag mal machen.“. „Siehst du, Lolo,“, mischte sich Katharina jetzt ein, „du kennst deine Frau nicht. Du warst der Meinung, die würde das nicht machen wollen.“. Jetzt musste ich ihr vorlautes Vorpreschen doch bremsen: „Das habe ich nicht gesagt Katha. Richtig ist, dass ich davon sprach, dass ich nicht für mich und das stille Kämmerlein fotografiere sondern gelungene Sachen auch gerne mal anderen Leuten zeige. Und nur dahingehend habe ich gesagt, dass Ilo das wahrscheinlich nicht mitmachen würde. Daraufhin haben sich ja auch deine Töchter zur Verfügung gestellt. Laut deren Bekundung hätte ich ja die Bilder ins Internet stellen dürfen ... aber dazu hätten diese aber erst einmal was werden müssen.“. „Jetzt weiß ich was gelaufen ist.“, bekundete Ilona lächelnd, „Es ist offensichtlich doch harmloser wie ich dachte. Aber Katharina du hast recht ... mein Männe kennt mich doch, selbst nach über 26 Jahren, nicht richtig. Wie kommst du eigentlich auf die Idee, dass du die Bilder niemanden zeigen darfst. Wenn die wirklich gut sind darfst du die sogar ins Internet stellen.“. Etwas verblüfft sagte ich jetzt: „Nanu, wie verhält sich das denn mit Oben ohne im Garten und eventuell am Bach vorbeispazierenden Leuten, mit denen du dienstlich zu tun haben könntest?“. „Au weia,“, gab Ilona nun wieder, „jetzt hast du mich erwischt. Das liegt an der verdammten Unehrlichkeit. Man sollte zu sich, zu seinen Bedürfnissen und Leidenschaften stehen. Mit Ehrlichkeit bist du zwar häufig der Dumme aber langfristig doch der Sieger. ... Weißt du was ich jetzt mache? Das Wetter ist ja schön und es wird heute, der Sommeranfang ist ja gerade erst gewesen, noch lange hell sein. Ich stehe jetzt dazu Exhibitionistin zu sein. Ich ziehe mich vollkommen aus und gehe in den Garten. Wenn du willst kannst du ja deinen Fotoapparat mit rausnehmen ... und gelungene Fotos darfst du auch ins Internet stellen.“. Sprach es und zog sich, obwohl Katharina noch da war, aus. Die beiden Damen verließen dann über die Terrassentür das Haus. Ilona um sich im Garten zu tummeln und Katharina um über die Törchen am Bach in ihr eigenes Reich zu kommen. Inspiriert durch Ilona drängten jetzt auch meine exhibitionistischen Triebe auf Freilassung. Ich beabsichtigte bevor ich mich, bewaffnet mit der Kamera, auch in den Garten begab, auch erst einmal von allem was das bedeckte, was mir der Schöpfer mitgegeben hatte, frei zu machen. Zur Sicherheit, damit ich im Falle eines Falles nicht auffalle, erledigte ich erst einmal eine manuelle Tätigkeit. Dann gab es jedoch eine Kehrtwendung: Ich zog mir fein sittsam erst einmal wieder Hemd, Unterhose und Jeans an bevor ich mich dann endgültig zu meiner nackten Frau in den Garten begab. Wie Sie gleich lesen werden, sollte dieses nicht die letzte, von mir ausgehende, Kehrtwendung in dieser Geschichte sein. An diesem Abend schoss ich tatsächlich einen ganzen 36er-Film voll. Als die Bilder entwickelt waren, ergaben diese ein umgekehrte Verhältnis wie bei den Aufnahmen mit den Wölke-Töchtern. Nur ein paar Bilder taugten nichts, der überwiegende Teil der Aufnahmen war gelungen. Laut Zusage von Ilona hätten die ja jetzt auf meine Homepage gekonnt. Aber jetzt kamen mir die Bedenken. Meine Frau wilden, unkontrollierten Zublicken von Voyeuren aussetzen? Nee, dafür war sie mir zu wertvoll. Oder war es so eine Art Besitzerstolz, wollte ich andere nicht an dem Teil werden lassen, was ich nur für mich bestimmt sah? Waren es vielleicht noch von meiner Erziehung herrührende Moralbegriffe, die jetzt gegen den aufgeschlossen modernen Menschen kämpften? Auf jeden Fall bekam der Exhibitionismus jetzt bei mir eine neue, von uns bisher nicht bedachte Perspektive.
So grübelten saß ich auf der Couch und betrachtete die vor mir auf den Tisch liegenden Bildern. Ilona setzte sich neben mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Dann fragte sie etwas schüchtern klingend: „Na, stellst du die Bilder jetzt auf deine Homepage?“. Ich schaute ihr in die Augen und sagte: „Nur wenn du unbedingt willst ... und auch dann nur höchst ungern.“. Weiter im schüchternen Ton fuhr sie fort: „Eigentlich möchte ich das auch gar nicht. Genauso wenig wie ich noch mal im Garten nackt rumspringen möchte, bestenfalls Oben ohne. Das habe ich ja nur an dem Dienstag, als wir die Bilder aufnahmen, gemacht. Ich finde es doch irgendwie schrecklich von jedem Kerl angegafft zu werden. Für die bin ich nicht Ilona, Frau und Mutter, keine beruflich qualifizierte Frau, kein Mensch aus Fleisch und Blut sondern nur ein nacktes Weib über das sie gerne mal zur Befriedigung ihrer eigenen Urtriebe rutschen möchten..“. Nach einer kurzen Pause fügte sie noch an: „Was noch das Schlimmste für mich wäre ist, wenn du die Bilder noch verkaufen möchtest oder damit große Geldpreise gewinnen wolltest. Dann wäre ich gänzlich entmenschlicht, dann wäre ich nur eine Handelsware. ... Aber versteh mich jetzt bitte nicht falsch; das habe ich dir nie unterstellt. Nicht nur aus dem Grunde, dass du mit der Ware Ilona Scheu wohl keine großen Geschäfte machen könntest. Ich bin eine Frau über Fünfzig und habe keine Silikonbusen. Das entspricht nicht den Anforderungen die Materialisten an Wichsvorlagen stellen. In solchen unteren Kategorien denkst du nicht. Da bin ich mir wirklich sicher, dass du an so etwas nicht gedacht hast ... das ist mir nur in diesem Zusammenhang eingefallen ... also bitte, bitte nicht falsch verstehen.“. „Ach mein Mäuschen, ich habe dich schon richtig verstanden.“, begann ich jetzt meinen nächsten Part, „Was aber ... und jetzt verstehe du mich bitte nicht falsch ... Also, was den Verkauf von Wichsvorlagen mit deinem Bild angeht, würde ich hinsichtlich des Verkaufserfolges gar nicht so schwarz sehen. Du bist zwar über Fünfzig aber du siehst erstens deutlich jünger aus und zweitens bist du sehr sexy. Du bist schlank und alle Pölsterchen sind an der richtigen Stelle. Du hast zwar keinen Superbusen ... vom Volumen kannst du mit Katharinas Töchtern nicht mithalten. Aber sehe mal genau hin ... als ich sie aufnahm blieb mir ja nichts anderes über – Bei denen siehst du schon eine Hängeneigung. Mit den Fältchen unterhalb des Busens kannst du schon schwere Kugelschreiber festhalten. Und bei dir ist noch alles stramm und knackig. Wenn ich einen leichten Bleistift unter deinen Busen zum Halten bringen wollte müsste ich den schon ankleben. Was man auf Bildern nicht sehen aber ich hinzurechnen kann: Deine glatte Haut fühlt sich fest und wohlig an. Dazu deine Art, dein Wesen: Für mich bist du einmalig und unersetzlich. ... Du gehörst mir und ich möchte dich mit niemanden teilen und deshalb stelle ich die Bilder weder auf meine Homepage noch zeige ich die jemanden anderes .... Die gehören mir und nur mir alleine.“. „Das ist nicht ganz richtig.“, unterbrach mich Ilona, „Niemand ist eines Anderen Besitz. Kein Mensch hat das Recht mit einen anderen zu handeln oder zu renommieren. Ich bin keine Nutte und kein Renommierweibchen. Aber wir haben eine Partnerschaft gegründet, in die wir alles eingebracht haben: unsere Körper, unsere Liebe, unsere Bereitschaft für den Anderen da zu sein und ihm alles zu geben, aber auch im Gegenzug alles von ihm zu nehmen. Diese Partnerschaft gehört uns Beiden, das ist unser gemeinsamer Besitz, den zu erhalten wir beide gleichermaßen und gleichberechtigt verpflichtet sind.“. „Entschuldige“, unterbrach sie jetzt, „du hast recht und so habe ich es eigentlich auch gedacht, nur nicht ausdrücken können. Wäre ja schlimm, wenn du nur ein Besitzgut, ein Objekt, neben mir wärest ... dann würde mir wirklich etwas ... nicht nur etwas sondern sehr viel fehlen. ... Aber warum hast du dich denn, wo es offensichtlich absolut nicht deine Wille war, überhaupt letzten Dienstag ausgezogen und dann für mich vor der Kamera posiert.“. Darauf bekam ich jetzt eine sehr schöne Erklärung: „Lolo, ich liebe dich über alles, du bist mein Leben und mit dir möchte ich alt werden. Ich habe es für dich getan, ich wollte um dich kämpfen. Als ich die Bilder mit den Mädchen abholte und sah was darauf war, ging für mich die Welt unter. Ich glaubte dir nicht mehr alles geben zu können was du brauchtest. Ich war weniger darüber gekränkt das du das hinter meinem Rücken gemacht hast als viel mehr erschrocken darüber, dass ich dir nicht mehr alles geben kann. ... Ich habe mich nur für dich, für dich alleine, ausgezogen. Ich habe mich schon geschämt als ich mich im Beisein von Katharina auszog und draußen hatte ich furchtbare Angst es könnte uns doch jemand sehen. Aber nur um dich zu kämpfen, hätte ich es sogar in Kauf genommen, wenn du mich im Internet zur Schau gestellt hättest und man mich danach im Amt blöd und entwürdigend angemacht hätte. ... Aber jetzt bin ich heilfroh, dass du die Sache überdacht hast und wir wohl wieder auf der gleichen Wellenlänge liegen.“. Als sie dieses ausgesprochen hatte küssten wir uns erst einmal wie ein junges Paar im Rausch der ersten Liebe. So saßen wir jetzt turtelnder Weise beieinander. Dabei legte ich ihren Oberkörper frei und strich zärtlich über ihre Busen, wobei ich mich furchtbar glücklich fühlte; so als ob ich sie erst seit Gestern kennen würde – und das nach über 26 Jahren. Nach einer Weile gestand ich ihr, dass ich mich am letzten Dienstag, bevor ich in den Garten kam, erst aus- und dann wieder angezogen habe. Ich führte dazu aus: „Ilo, dieses Exhibitionistisches kommt ab und zu wie ein Rausch über mich aber ich will mich eigentlich gar nicht zeigen. Mir ist aufgefallen, dass ich im Rauschzustand eigentlich das umgekehrte von dem will was ich mache. In meinem Kopf spielt sich dann ab was ich auf der anderen Seite auslösen und bewegen könnte. Der heiße Wunsch ist dann, damit die Frau mir gegenüber dazu zu bewegen, sich auszuziehen und mir das Versteckte, das Verbotene, was unter der Kleidung verborgen ist, zu zeigen. Ich glaube das unsere Kleidung und unsere verlogenen Moralbegriffe für
diesen Defekt ... anders kann man ja einen exhibitionistischen Rausch nicht bezeichnen – verantwortlich sind. Eigentlich bin ich froh, dass dem Rausch nur ein einziges Mal eine Tat gefolgt ist, nämlich damals als wir mit Wölkes auf der Terrasse. ... Ist das bei euch Frauen auch so?“. „Nicht ganz,“, begann Ilona, „bei uns spielt, glaube ich, so etwas wie Stolz und Freude am eigenen Körper mit. Ich bin immer superstolz auf meine Busen gewesen. Deshalb habe ich sie auch immer kleidungsmäßig, zum Beispiel mit T-Shirts, andeutungsweise durchsichtigen Blusen oder dekolletierten Kleidern herausgestellt. Mich baut es immer enorm auf, wenn andere Frauen neidisch danach blicken oder wenn die Männer dabei runde Augen kriegen. In natürlicher Umgebung, zum Beispiel am Strand, zeige ich sie auch ganz vollkommen frei. Da kann ich dann zu meinem Stolz auch zeigen, dass ich keine hebenden und stützenden Maßnahmen wie BHs brauche. So wie bei meinen Busen ist es auch mit meinen Beinen ... da ist es nur nicht so kompliziert sie zu zeigen. Trotzdem möchte ich immer ein kleines Geheimnis, nur für dich haben. Meine Scham und erst recht meine Scheide sind nur für dich bestimmt. Daher bin ich bereit alles zu zeigen, nur letztgenanntes nicht. Daher fühle ich mich doch wohler, wenn ich ein, wenn auch knappes Höschen, anbehalten kann. Ich sagte eben etwas von natürlicher Umgebung und hatte dafür einen Grund. Von geilen Gaffern angeklotzt zu werden empfinde ich praktisch als eine Verletzung meiner eigen Würde. Deshalb würde ich mich, selbst wenn ich noch jünger wäre, nie als Playmaid im Playboy zur Verfügung stellen. Die Bilder sind zwar gut gemacht aber zielen auf das Geld geiler Gaffer ab. Der Playboy wird nicht aus Idealismus gemacht sondern man will viel Geld damit machen. Das Modell als verkaufsförderndes Objekt. Und die Geschäftemacher kaschieren ihre Menschenrechtsverletzung damit, dass sie es mit dem natürlichen weiblichen Exhibitionismus und das daran nichts Anstößiges sei begründen.“. In diesem Zusammenhang fiel mir ein, dass ich mir das eBook „Königin von Salein“ von der Homepage www.reiner-vial.de gezogen habe. Da kommen sogar exhibitionistische Pastorinnen drin vor. Da fällt dann unter anderem, dass Gott das Schöne bestimmt nicht zu dem Zweck geschaffen hat, dass der Mensch es versteckt. Nicht die Nacktheit ist Sünde sondern der Ungehorsam gegenüber dem Schöpfer. Aber, so überlege ich jetzt, ist es nicht Ungehorsamkeit wenn Gott etwas für seine Kinder geschaffen hat damit sie sich daran erfreuen und diese dann seine wundersame Schöpferkunst voreinander verstecken? Ist so gesehen die Kleidung nicht Sünde? Diese Überlegung trug ich jetzt Ilona vor und sie gab mir dazu noch einen Denkanstoß: „Können Menschen überhaupt Sünde, Schuld und Ungerechtigkeiten erkennen. Heißt es nicht man solle nicht urteilen damit man nicht verurteilt wird. Ich habe eigentlich kein Recht mit dem Finger auf die Nackedeis in den Magazinen, Illustrierten, Film und Fernsehen zu zeigen. Aber ich kann unterscheiden was menschengerecht und was rein materiell ist. Nach meiner Meinung hat das Bewundern in Ehrfurcht schöner nackter Körper, von Gottes wunderbarer Schöpfung, etwas mit dem Menschen zutun und ist dem Ebenbild Gottes würdig. Damit aber Geschäfte zu machen, es nur für triebhafte Lustbefriedigung zu nutzen und zu pervertieren ist nicht nur ausschließlich materiell sondern eine Lästerung von demjenigen, der es geschaffen hat. Wenn ich es so betrachte kann Nacktheit sowohl der Lob wie die Lästerung Gottes sein. Wir sollten sie nur zu seinem Lob nutzen.“. So ausführlich, in allen Fassetten, wie an diesem Abend habe ich Nacktheit beziehungsweise Exhibitionismus noch nie zuvor gesehen. Schon damals dachte ich, dass ich darüber mal ein Buch schreiben wolle. Aber erstens bin ich nicht so ein Typ wie dieser Reiner Vial, der ganze Romane zusammenschreiben kann und zweitens würde ich damit wohl die falschen Geister wecken. Sicherlich würden es dann die meisten Leute nur aus dem Grunde lesen um sich zu erregen. Was ich dann damit sagen will kommt so letztlich gar nicht mehr zum Tragen. Es hat alles seine zwei Seiten genau wie die Ein-Euro-Münze eine Seite mit einem Adler und eine andere mit einer Eins hat. Ich kann mich nie mit Adler oder Eins zufrieden geben sondern ich muss immer Adler und Eins nehmen. Aus diesem Grunde habe ich mich heute Morgen hingesetzt um diese Geschichte niederzuschreiben und ich will sie jetzt nicht auswälzen, damit ich nicht Gefahr laufe denen zu gefallen, die ich gar nicht erst wecken wollte. Mit dem vorhergehenden Absatz wollte ich eigentlich abschließen, es sollte ein Fazit der Geschichte „Exhibitionisten und ehrliche Menschen“ sein. Als ich aber eben mal kurz drüberlas was ich da verzapft habe, fiel mir auf, dass ich einen ganz wichtigen Aspekt bis jetzt außer Betracht gelassen habe. Dieser hängt mit Ilonas Angst von jemanden, mit dem sie dienstlich zu tun hat, frei oder freizügig gesehen zu werden, zusammen. Angst vor Klatschweibern oder Tratschherren hat sie in der Regel nämlich nicht und was Leute, die sie ohnehin nicht leiden mögen, von ihr denken war ihr von jeher egal. Wie sich das wirklich verhält kann ich am Besten mit einer kurzen Episode aus dem letzten Urlaub, also jetzt im Jahre 2002, ein Jahr nach den Vorfällen die ich bisher beschrieb, berichten. Also hänge ich diese jetzt noch an, bevor ich endgültig schließe. Nachdem ich damals die Ilona-Bilder unter privaten Verschluss genommen hatte, lief wieder alles wie zuvor. Ilona, trat überall auch bei uns im Garten, nur vollständig bekleidete oder im Bikini auf. Die Wölke-Töchter nutzen dagegen weiterhin nur ihre Tangahöschen. Dieses auch wenn ihre Freunde, mit denen sie oft im Garten turteln – aber nie anstößig sondern immer nur in jugendlicher Lebensfreude –, dabei sind. Immer noch haben wir
ein gutes Nachbarschaftsverhältnis. Jedoch haben wir solche Dinge wie damals bei uns auf der Terrasse oder an jenem Sommertag Ende Juni 2001 beidseitig nicht mehr angesprochen. Meine Ambitionen hinsichtlich Aktfotograf dürften auch endgültig gestorben sein. Aber auch im Urlaub ist alles beim Alten geblieben. Nach wie vor bevorzugen wir Urlaubsorte mit Stränden damit meine Ilo die Chance hat den bewundern Menschen ihre immer noch strammen, knackigen Brüste zu zeigen. So war es letztes Jahr, als wir im kroatischen Rovinij waren, und dieses Jahr auf der westfriesischen Insel Vlieland. Eigentlich ist es nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung unwahrscheinlich, dass uns bisher noch niemand im Urlaub begegnet ist, mit dem Ilona dienstlich zu schaffen hat. Schließlich waren wir noch nie an irgendwelchen exotischen Stränden draußen in der fernen Welt. Und so betucht, dass wir uns nur in der Welt der Schönen und Reichen bewegen konnten, waren und sind wir. Immer hatten wir uns ganz normale Urlaubsstrände in Europa, davon einige Male sogar „nur“ in Deutschland, ausgesucht. Mal waren wir in Hotels und mal in Ferienwohnungen. Um Hotels handelte es sich, wenn wir uns eine Pauschalreise aus dem Katalog ausgesucht hatten, und in die Ferienwohnungen, die wir direkt buchten, fuhren wir mit einem unserer beiden Autos. Wenn ich so nach der Urlaubszeit höre, wer sich alles in der Zeit wo getroffen hat – zwei meiner Gehilfen hatten sich sogar mal in der thailändischen Hauptstadt Bangkok getroffen -, kann ich mich nur wundern, dass uns noch niemand Bekanntes über den Weg gelaufen ist. Aber einmal ist immer das erste Mal und das sollte im Juli dieses Jahres auf der westfriesischen Insel Vlieland sein. Wir haben nie im Urlaub Interesse daran, nur im Hotel zu schlafen und uns ansonsten am Strand grillen zu lassen. Alles was möglich ist und wir zeitlich in die Reihe kriegen wird von uns unternommen. Ausschließlich an ein bis zwei Stunden, die nicht durch Tagesunternehmungen belegt sind, findet man uns am jeweiligen Strand. Warum sollten wir es jetzt auf Vlieland anders machen als sonst anderswo. Also begaben wir uns an unserem dritten Urlaubstag kurz nach Mittag an den Strand. Diese Tageszeit ist eigentlich nicht die von uns bevorzugte, da die Chance sich einen Sonnenbrand zu holen dann wohl am Höchsten ist. Gerade für mich, mit meiner höheren Sonnenempfindlichkeit, ist ja ein Strand nicht der ideale Aufenthaltsort. Je nachdem wie intensiv die Sonne scheint lasse ich oft auch am Strand Hemd und Jeans an. Wenn Ilona das auch machen würde, wäre allerdings der Sinn des dortigen Aufenthalts nicht sehr hoch. Letzten Juli war es zwar warm aber nicht so dramatisch mit der Sonne, die sich laufend hinter Wölkchen versteckte. Also konnten wir beide es wagen, uns dorthin zu begeben und uns auch bis auf unsere Höschen zu entkleiden. Außer Ilona waren an dem ausgewählten Strandabschnitt noch weitere drei Damen an ihrem Oberkörper frank und frei. Na ja, nach diesen Kriterien sucht sich Ilona diese „Liegeplätze“ auch aus, was natürlich ganz in meinen Sehmannsinteressen liegt. Die einzige Nackte unter lauter Angezogen widerstrebt meiner besseren Hälfte doch ganz und gar. Als wir unsere Lagerstätte errichteten und uns auszogen ging jede der drei anderen busenfreien Frauen einer anderen Beschäftigung nach. Die eine war in Bewegung und spielte mit ihren Kindern, die zweite saß neben ihrem, auf dem Bauch liegenden, Mann oder Partner und cremte ihm den Rücken ein und die dritte lag mit dem Bauch auf einer Matte. Hätten wir die dritte Damen gleich von Vorne gesehen, hätte Ilona bestimmt darauf gedrängt schnell einen anderen Lagerort zu suchen. Jetzt merkten wir aber erst, als wir uns bereits entblößt hatten und Ilona mit dem Rücken auf der Matte lag, mit wem wir es zutun hatten. Ich hatte mich sitzender Weise neben ihr nieder gelassen. Da sah ich plötzlich jemand, den ich aus dem heimischen Friedensthal kannte, und sagte: „Ilo, da kommt dein Chef.“. „Welcher Chef?“, fragte sie verdutzt. „Joh, Kampmann, der Bürgermeister“, gab ich darauf locker von mir. Eu, das gab jetzt eine Blitzaktion mit der sich auch Ilona ebenfalls auf den Bauch wälzte. Aber es war schon zu spät. Harald Kampmann hatte mich auch schon erkannt und winkte mir urlaubsgelaunt zu. Aber Ilona hatte Glück, die Peinlichkeit war nicht einseitig. Die vorher schon auf dem Bauch liegende Dame war Christa Kampmann, Frau des Bürgermeister und ihre frühere Schulkollegin. Christa und Ilona hatten auch zusammen bei der Stadt Friedensthal gelernt. Zu der Zeit war auch der spätere Bürgermeister schon dort beschäftigt. Beide jungen Damen waren hinter Harald her und Ilona hatte, zu meinem Glück, dass Nachsehen. Jetzt kann man das Treffen etwas zwielichtig sehen. Einmal lässt es sich ein Wenig relativieren, da es sich bei Harald und Christa um gute Bekannte von uns handelte aber andererseits ist er auch der Haupt-VerwaltungsBeamte bei der Behörde wo meine Ilona als Jugendamtsleiterin tätig ist. Harald ließ es sich nicht nehmen seine Frau zum, allerdings scheinbar etwas unwilligen Aufstehen zu bewegen und zu uns zu kommen. Als ich deren Absicht erkannt hatte informierte ich gleich Ilona: „Komm Mäuschen, dreh dich rum und erhebe dich schon mal; sonst wird’s peinlich. Christa zeigt auch blanke Sachen und die beiden kommen zu uns.“. Die Meinige war jetzt nicht gerade begeistert aber sie fügte sich in das nun nicht mehr vermeidbare. Als Harald und Frau kurz vor unserem Lagerplatz angekommen waren erhoben wir uns anstandshalber und gingen ihnen ein Stück entgegen. Natürlich waren Christas Ausstellungsstücke der Blickfang für mich. Was ich da sah ließ mich dann in meinem Stolz ein Wenig wachsen. Christas Brüste waren nicht größer als die Ilonas aber zeigten doch schon deutlich Hängeneigung auf. Auch von der Haut, nicht nur auf den
Brüsten, her gesehen hatte Ilona die besseren Karten, da diese im Gegensatz zu der bei ihrer Exkonkurrentin noch glatt und straf war. Harald Kampmann hatte das, was ich bei seiner Frau gemacht hatte, umgekehrt bei der meinigen gemacht und sprach dieses auch gleich nach dem ersten, üblichen Begrüßungshallo an: „Mensch Loni, bei dir ist ja alles noch straff und knackig. Das konnte man immer unter deinen Pullis erahnen und ich habe mir im Rathaus immer schon mal gewünscht einen Blick unter die Abdeckung werfen zu dürfen.“. Da bekam er gleich einen, allerdings mit scherzhafter Stimme vorgetragenen Dämpfer von seiner Angetrauten: „Harald, ich glaube das der Übermut jetzt bei dir Loopingbahn fährt. Du kannst doch nicht in meinem Beisein mit meiner ehemaligen Nebenbuhlerin anbändeln.“. Ilona beruhigte sie jedoch ebenso scherzhaft: „Ich glaube nicht dass Harald nur die geringste Chance bei mir hat. Ich habe meinen Lothar und den tausche ich gegen keinen anderen Mann auf der Welt ein.“. Danach lehnte sie sich bei mir an und gab mir einen Wangenkuss. Nun wir beschlossen unsere Lager zusammenzulegen. Da unser Platz irgendwie ansprechender war kamen Kampmanns zu uns und wir plauderten nett miteinander. Nicht nur in diesem Augenblick sondern wir hatten für die restliche Urlaubszeit eine Viererbande gegründet. An einem Abend hatten wir dann das entscheidende Gespräch weshalb ich diese Geschichte hier überhaupt noch erzähle. Ilona hatte damit begonnen, dass sie darüber berichtet, dass es nun erstmalig während unserer gemeinsamen Zeit, also in unserer bald 27-jährigen Ehe und in dem knapp einem Jahr davor, noch nie passiert sei, dass wir im Urlaub Bekannte getroffen hätten. Dieses Jahr sei also eine echte Premiere für uns gewesen. Dann kam sie darauf zu sprechen wie peinlich ihr dieses im Oben-ohne-Moment gekommen sei. Am Liebsten wäre sie in die Erde gekrochen. Ernsthaft habe sie überlegt schnell was darüber zu ziehen aber sich dann überlegt, dass sie Christa, die ja auch freizügig gewesen sei, nicht hätte komprimentieren können. Harald meinte darauf zunächst: „Ach Loni, wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Da ist doch gar nichts dabei. Wenn es nach mir ging, würden bei warmen Wetter im Rathaus immer alle, Männlein wie Weiblein, Oben ohne arbeiten.“. „Das könnte dir so passen, du Lüstling.“, bekam er jetzt von seiner Christa zu hören, „Es ist doch ganz klar, dass ihr Männer dann immer an das Eine denkt. Dann putzt ihr den Macho raus und die Frauen sind nicht neuere Partnerin sondern euere Sklavinnen, die ihr, weil euch deren Geschlechtsattribute bekannt sind, weil in eueren Köpfen keine Distanzmauer mehr besteht, nur abfällig behandelt.“. „Ach,“, begann jetzt Ilona, „ich glaube gar nicht, dass so etwas einseitig ist. Zumindestens nehme ich den Kerl, dessen Geschlechtsteil ich präsentiert bekommen habe, auch nicht mehr für vollwertig. Ich weiß noch als ich damals im Sozialamt unter Beck tätig war. Der mag ja ganz in Ordnung und qualifiziert gewesen sein ... sonst hätte der bestimmt seinen jetzigen Posten nicht gekriegt – aber für mich war er immer ein Würstchen, mit einem allerdings recht prächtigen Dingen.“. „Wo hast du den denn zusehen bekommen?“, fragte Christa stutzig und neugierig dazwischen. „Das wollte ich gerade erzählen.“, fuhr Ilona unbetört weiter, „Das war im Grunde gar nicht schlimm. Du weißt doch das der Vorsitzender des Vereins für Freikörperkultur in Friedensthal war. Deren Gelände lag doch am Rundwanderweg um den Sommerberg, den ich mal mit Lothar und unserem Hendrik abspaziert habe. Als wir bei den Nudisten waren stand Beck mit zwei anderen vollkommen nackt von Außen vor deren Hecke um diese zu schneiden. In diesem Moment blieb uns beiden nur noch so zutun als sei es die normalste Sache der Welt. Wenn ich dann im Dienst mit ihm zutun hatte, hatte ich immer den Nackedei vor Augen und bei ihm hatte ich immer den Eindruck, dass es ihm peinlich war und er lieber jemand anders vor sich gehabt hätte. Der war sicherlich heil froh, als ich aufgrund der Ausschreibung die stellvertretende Leitung des Jugendamtes erhalten habe. Nur gut, dass ich inzwischen zur Leiterin aufgestiegen bin, denn jetzt wo du Harald meine blanken Busen bewundern konntest, wäre in deinem Kopf so eine bestimmte Barriere um mich für voll zunehmen. Und da du der Haupt-Verwaltungs-Beamte bist, könnte das vielleicht Endstation heißen.“. Diesbezüglich glaubte Harald sich verteidigen zu müssen: „Och, ich glaube nicht, dass sich zwischen uns beiden so etwas abgespielt hätte. Aber nicht aus dem Grunde weil wir vernünftige Menschen sind sondern weil zwischen uns als Jugendliche schon mal was war. Wir beide haben zwar nie miteinander geschlafen aber geknutscht haben wir miteinander und befummelt haben wir uns ja auch. Aber das habe ich Christa schon oft gebeichtet und ihr dürft es auch ruhig wissen: Sie hat mich dann rumgekriegt weil sie gleich mit mir ins Bett stieg. Aber nicht das ihr jetzt schlecht von ihr denkt. Sie glaubte damals vor Liebe in mich verrückt zu werden und ohne mich nicht mehr leben zu können. Das erzähle ich jetzt nicht um unsere Intimitäten vor euch auszuplaudern sondern um glaubhaft zumachen, dass du Loni damals doch in meiner Achtung gestiegen bist. Ich hatte dir damals von der Geschichte mit Chris erzählt und dir in Aussicht gestellt, dass ich mich, wenn du bereit wärest mit mir zu schlafen, ich mich sofort für dich entscheiden würde. Da hast du los geschrieen was mir denn einfiele dich für eine Nutte zu halten und hast mir rechts und links recht schmerzhaft ein paar gescheuert. Dieses, obwohl du, wie du mir später auch mal selbst gesagt hast, an dem Tag so fertig warst, dass du mit den Gedanken an Selbstmord gespielt hast. Und was überhaupt wirklich das Größte an dir war ... und deshalb stehst du auch bei Christa und mir hoch in Kurs: Du hast ihr gegenüber nie was unternommen. Sicher, ihr ward nicht mehr die dicken Freundinnen wie vorher aber gehässig bist du ihr gegenüber nie gewesen. Deshalb stehst du bei uns hoch im Kurs und da ändern jetzt deine nackten Busen, die wirklich auch noch sehr schön sind, auch nichts dran ...
Aber ich glaube das Andere, was du gesagt hast, würde bei jeder anderen Mitarbeiterin wirklich zutreffen. Schließlich bin ich nur ein Mensch und kein Gott.“. Zuvor wusste ich wohl, dass Ilona und Harald mal „miteinander gegangen“ waren und das Jugendliche dabei nicht nur „Händchen halten“ dürfte jeder aus eigener Erfahrung wissen. Also konnte die Geschichte mit dem Petting (Knutschen und Befummeln) unbesorgt erzählt und abgehakt werden. Alles andere hörte ich aber zum allerersten Mal und machte mich richtig stolz. Stolz deshalb, dass ich eine solche Frau als die meinige gewinnen konnte. Christa war das allerdings doch etwas unangenehm und versuchte von dem privaten auf den allgemeinen Aspekt umzuleiten: „Was so im Mitarbeiterkreis abläuft wird sich doch wohl alles in Grenzen halten lassen können, da man im Verwaltungsbereich doch annehmen sollte, dass man es nicht mit dummen und/oder naiven Menschen zutun hat. Aber was ist mit den Bürgern ... oder Kunden wie man heute sagt? Da ist es doch nicht auszuschließen dass man es mit weniger begabten Menschen zutun hat. Nehmen wir jetzt nur mal das Jugendamt ... nur ein Beispiel, ich will dir jetzt nichts Loni. Stell dir vor, da hat ein Kerlchen, der dich vorher mehr oder weniger freizügig gesehen hat, sich nicht ganz der Norm entsprechend verhalten und du musst einschreiten. Was machst du dann, wenn der dich eindeutig anmacht und dich fragt, warum du etwas darfst weshalb er bestraft werden soll. Um ihm den kleinen aber bedeutenden Unterschied klarmachen zu können ist er zu naiv.“. Darauf schaute mich Ilona an und stellte bestätigend fest: „Siehst du mein lieber Lolo, dass sind die Dinge warum ich nie im Friedensthaler Freibad oder im Garten Oben ohne auftreten wollte. Du glaubtest immer, ich fürchtete das Gerede der Leute und wolltest mir nicht glauben, dass mir das schnuppe sei. Die größten Quasselstrippen haben ja bekanntlich den meisten Dreck am Stecken ... Die quasseln ja nur weil sie von sich auf andere ablenken wollen. Aber diese Geschichte im Kollegenkreis und die mit den Bürgern muss man doch wohl ernst nehmen ... oder siehst du das anders?“. Wie sollte man das anders sehen können? Im Moment gehe ich mal davon aus, das Ilona auf Vlieland letztmalig öffentlich mit blanken Busen aufgetreten ist. Das Vergnügen meine Frau bisher so erlebt zu haben verdanke ich unserem bisherigen Glück bei den Urlaubsbegegnungen. Aber die Glücksphase hatte ja nun ein Ende. Ilona hat auch schon angekündigt, dass es nun mit ihrer diesbezüglichen Offenherzig vorbei sei. Sie begründete dieses allerdings mit den Worten: „Man sollte sich nichts vormachen; wir werden alle älter. Und ab einen gewissen Alter wirkt es lächerlich, wenn man so tut als sei man der taufrische Frühling. Ich fühle mich selbst zwar noch jung und schätze mich selbst, so wie du es mir immer sagst, noch recht knackig und appetitlich ein ... aber ob das die jungen Leute zwischen Achtzehn und Fünfunddreißig auch so sehen wage ich zu bezweifeln. ... Alles hat seine Zeit und für mich dürfte die der nackten Busen auch abgelaufen sein.“. Für mich ist Ilona nach wie vor die tollste Frau der Welt und deshalb bin ich auch, wie ich eingangs schrieb, so glücklich. Da sie aber im Großen und Ganzen nicht unrecht hat, lasse ich ihren letzten Kommentar als letzten Aspekt meiner Geschichte mal so stehen, wie sie es sagte. Ich sage nur noch: Das war’s – bis zu einem anderen Mal.
Zum Nachwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Reiner Vial und andere Provokateure Nur ein Nachwort ☺ Auf geht’s Leute, fangen wir mal in einer für mich typischen Art und Weise an. Also mein Name ist Reiner Vial und ich bin am 11. September des Jahres 1946 in Letmathe/Sauerland, seit 1975 größter Stadtteil von Iserlohn, in diese schöne Welt geboren worden. Und man höre und staune: Diesmal bin ich es wirklich, diesmal handelt es sich um keinen sogenannten „Fingerprint“ wie in den vorangegangen Erzählungen. Na ja, diese angesprochenen Prints hatten den folgenden Sinn: Es handelt sich ja um in sich abgeschlossene Erzählungen und dieses sind keine Romane mit kompakten Handlungen. So können sie schon mal aus der eBook-Zusammenstellung herauskopiert werden, wo gegen ich sogar noch nicht einmal etwas habe. Dabei kann es passieren, dass man dann die Urheberschaften fiktiven Leuten wie Lothar Scheu, dem Knaben aus dem Reich der ehrlichen Exhibitionisten, oder Michael Lammert, der es mit den sausebrausenden Pastorinnen zu schaffen hatte, zuschreiben will. Aber wie will man mit fiktiven Leuten streiten und wer sich nicht streitet, kann weder Schieflagen richtig stellen noch eine Sache vorantreiben. Das Vorantreiben ist aber mein Anliegen, meine Motivation, zum Schreiben und Erzählen. Das mache ich ja weder zu meinen, noch zu anderer Leute Zeitvertreib. Also trete ich an um den vorantreibenden Streit zu provozieren. So etwas ist aber reichlich feige, wenn man sich hinter „Anonym“ oder fiktiven Romanfiguren versteckt und deshalb setzte ich in meinen Erzählungen diese eben erwähnten Fingerprints auf oder bei. Am Fingerabdruck sollen sie mich erkennen. Damit sie sich auch mit mir persönlich auseinandersetzen können und insbesondere aus dem Grund, dass sie sich weitere Provokationen von mir aus dem Internet ziehen können, habe ich es nicht unterlassen diese Abdrücke immer mit ein Bisschen Werbung für meine Homepage www.reiner-vial.de zu verbinden. Jetzt muss ich jedoch gestehen, dass die entsprechenden Absätze ebenso „frei erfunden“ aber ebenfalls mitten aus dem Leben gegriffen sind, wie die vollständigen Erzählungen, in denen sie zufinden sind. Da könnte man jetzt annehmen, dass ich mich nun in Widersprüche verwickeln würde. Da töne ich im vorhergehenden Absatz, dass ich zu meinen Provokationen stehen will und jetzt verstecke ich mich, selbst bei Nennung des Namens, der schon auf meiner Geburtsurkunde steht, hinter der „dichterischen Freiheit“. Das habe ich nicht einmal nur aus der Veranlassung gemacht, damit der Print in die jeweilige Geschichte passte sondern dafür habe ich einen ganz gewichtigen Grund: Nach meiner Überzeugung hat jeder Mensch das unabdingbare Recht über seine Person selbst und alleine zu bestimmen. Nur der jeweils Betroffene hat das Recht darüber zu entscheiden, was von seiner Person und seinem Leben anderen bekannt gegeben werden darf oder nicht. Natürlich kann ich aufgrund dieses Rechts jede Menge von mir selbst öffentlich erzählen, aber ich bin kein Robinson, den Freitag noch nicht begegnet ist, und kein Eremit in einem fernabgelegenen Bergland sondern ein Mensch mitten unter Millionen oder noch genauer gesagt Milliarden anderer Menschen auf dieser Erde. Immer wieder, wenn ich außer Haus bin praktisch stündlich, laufen mir andere Leute, die das gleiche Recht auf ihre eigene Persönlichkeit wie ich selbst haben, über den Weg. Wenn ich nun locker und munter die Wahrheit von mir in der tatsächlichen Reihenfolge, so wie sich die Ereignisse abgespielt haben, erzähle, dann reiße ich die auf eine natürliche Weise mit rein. Dann verletze ich deren Recht, was ich für mich als unabdingbar in Anspruch nehme. Also wird es von mir nie eine Autobiografie sondern immer nur Geschichten geben. Diese oder jener wird jetzt sagen: „Aha, reine Fiktion, nur aus dem Grunde der Unterhaltung geschrieben. Bei deinem Aufsatzstil kann man dann doch im wahrsten Sinne das sagen, was dir deine Kritiker, die nicht auf die Sache eingehen, sagen: Du bist ein trivialer Autor.“. Aber Leute, damit fügt ihr mir jetzt wirklich Unrecht zu. Alles was ich erzähle ist tatsächlich mal irgendwo in anderen Zusammenhängen und Abfolgen passiert. Nicht nur einmal, immer wieder – nur nicht in der bestimmten Handlungsfolge wie ich diese in meinen Romanen und Erzählungen darstelle. Somit ist jeder Rückschluss auf bestimmte Personen oder Handlungen absolut falsch. Und genau dieses, dass solche Sachen immer wieder passieren, ist der Hinter- und Hauptgrund meiner Schreiberei. Daraus ergibt sich ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, deren Fortentwicklung mir am Herzen liegt. Fortentwicklung ist aber nur erreichbar wenn sich etwas bewegt. Stillstand führt dazu, dass man anwurzelt oder rostet. Aber irgendwann faulen Wurzeln durch; irgendwann bröckelt der Rost ab. Sie haben doch sicher schon einmal Autos, die wochen- oder gar monatelang still standen, gesehen? Na, wie haben Sie diese beurteilt? Ein Auto war das bestimmt nicht mehr, aber war das überhaupt noch Schrott oder nur ekeliger Müll? Genau deshalb will ich Streit provozieren. Wer sich streitet bewegt sich – und die Bewegung ist zusammen mit dem Bewusstsein das wesentliche Merkmal für Leben. Was nützen mir aber im Sinne meines Anliegens Streitigkeiten innerhalb geschlossener intellektueller Zirkelchen? Die putzen mich doch nur runter und gehen anschließend wieder zu ihrer Tagesordnung, die ich eigentlich verändern wollte, über. Deshalb schreibe ich keine „nihilistischen Analysen der Soziologie unserer Grundordnung in belletristischer Form“ und erstelle keine Werke in den denen „die Harmonie der Laute in wohlig süßlichen Wortkonstruktionen zu lustvoll schwingenden Sätzen, im Bewusstsein der Erhabenheit der
Sprache, kunstvoll verschlungen wurden“. Nee, da halte ich es lieber mit Martin Luther, der der Meinung war, dass man nur mit den Worten, die sowohl der Bauer wie der Edelmann verstehen kann, etwas bewegen kann. In diesem Sinne halte ich weder etwas von wissenschaftlichen korrekten Ausführungen noch etwas von gestochener schöngeistiger Literatur, da nehme ich doch lieber meinen, für mich typischen, einfachen Aufsatzstil. Das hat sogar den Vorteil, dass ich mich nicht lange mit Formulierungsarbeiten aufhalten muss und so wesentlich aktueller am Zeitgeschehen sein kann. Gesellschaftskritik muss heiß sein, die Hintergründe müssen derzeitig in aller Munde sein. Man muss sich als solcher schon das zunutze machen, was die Leute irgendwo innerlich, am Besten im Kopf, bewegt aber dessen Bewegung leider noch nicht nach Außen dringt. Ein Provokateur muss bereits vorhandene Streitneigungen aufgreifen und muss damit so lange zündeln bis es richtig brennt. Nur so führt es zudem was ich damit erreichen will: Zum gesellschaftlichen Fortschritt. Dieses schreibe ich jetzt nicht nur um sogenannte Literaturfreunde auf die Barrikaden zu treiben. Das nur ist deshalb fett, weil ich natürlich diese Leutchen auch gerne auf die Palmen treibe um mit ihnen über Sinn und Nutzen, trivial oder nicht trivial zu diskutieren. Aber aus den Gründen der Selbstrechtfertigung schrieb ich vorher niedergelegtes schon gar nicht – so was habe ich beim besten Willen nicht nötig. Ich schreibe es aus einem ganz praktischen Grund: Nicht selten kommt es vor, dass man mich zu Lesungen einladen möchte. Dann muss ich, obwohl ich solchen Einladungen stets sehr gerne nachkomme, immer hinterfragen wie der Anfragende gerade auf mich kommen ist. Da ist es dann sehr häufig der Fall, dass ich es mit haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeitern von Institutionen, die sich der Belebung des kulturellen Lebens verschrieben haben, und nur ein karges Budget zur Verfügung haben, zu tun habe. Die haben dann irgendwo, meist im Internet, meinen Namen aufgeschnappt und erfahren, dass ich meine eBooks kostenlos zum Download zur Verfügung stelle. Mit den Inhalten haben sie sich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschäftigt. Jetzt denken sie sehr oft, dass man mich zum budgetschonenden Nulltarif haben könnte. Das ist dann immer schon die erste Enttäuschung: Mir kommt es zwar überhaupt nicht auf das Geld verdienen an. Was ich für mein Leben brauche habe ich und reich werden will ich nicht mehr. Wenn ich aber draufzahle, nehme ich es genau von dem „Haufen“ den ich zum Leben brauche – und dann klappt natürlich alles nicht mehr. Dann kann ich nicht mehr fleißig in die Tastatur haken sondern dann muss ich mich um die Mittelbeschaffung kümmern. Von Luft und Liebe oder der Hand in den Mund kann auch nicht leben. Applaus ist zwar das Brot des Künstlers aber satt wird man davon aber nicht. Zum Nulltarif „auftreten“ kann ich also ausschließlich nur hier in der Nachbarschaft, in meiner Heimat. Je nach Aufwand muss ich schon ein paar Euros dafür nehmen wenn ich zu Ihnen komme. Und um alle gerecht zu behandeln, nehme ich auch da, wo der Nulltarif möglich wäre, einen Pauschbetrag. Aber nicht diese Sache mit dem schnöden Mammon kann zum beidseitigen Fiasko führen, sondern die Erwartungshaltung der Leute. Stellen Sie sich vor, die Leute kommen um sich an schöner, sülziger, romantischer oder wohlklingend humorvoller Literatur zu unterhalten und gebenenfalls um sich noch über die Ausdrucksform zu unterhalten. Denen verderbe ich den Abend und ich muss damit rechnen, dass ich erst ausgepfiffen werde und mich letztendlich noch um meine Aufwandsentschädigung streiten muss. Sicher, auch das ist Streit ... aber bestimmt nicht in meinem Sinne. Ich provoziere nicht aus sadomasochistischen Gründen sondern um die Leute dazu zu bewegen anschließend über die Streitinhalte nachzudenken. Denken und nicht Mitlaufen beziehungsweise Nachplappern bringt uns weiter. Nicht Ruhe ist die erste Bürgerpflicht sondern die Streitkultur – zumindestens wenn wir in dem Bürger keinen buckelnden Untertanen sondern den konstruktiven Demokraten sehen. Da schlage ich dann ganz gerne den Leuten in kirchlichen Kreisen „Fromme und richtige Gläubige“, in politischen Kreisen deutsche Mehmets und aussterbende Deutsche und Moralistenkreisen Exhibitionisten und perverse Nachbarn um die Ohren. Solche Streitigkeiten führen, selbstverständlich auch bei mir, dazu die eigene Position zu überdenken – und das führt weiter, das ist Fortschritt. Im Grunde habe ich mich doch bis jetzt mehr als falsch ausgedrückt. Ich habe nämlich geschrieben, dass ich Streit provozieren wollte. Das sollte so gesehen, also bei wörtlicher Interpretation, eigentlich auch nur eine weitere Provokation sein. In Wirklichkeit will ich das Denken - Nachdenken, Überdenken, Vorausdenken, Bedenken, schlicht jede erdenkliche und mögliche Art von Denken – provozieren. Ich möchte das „bei Anderen denken lassen“, wie es in unserer Mediengesellschaft, in der wir glauben die Telelaberer wären dafür vorbestimmt, beenden. Ich möchte die Leute, die glauben dass das, was alle Denken richtig sei, von ihrem gewaltigen Irrglauben bekehren. Schon der Eindruck, dass alle das Gleiche sagen ist, wenn man genauer hinsieht, absolut falsch. Es gibt doch immer noch sehr viele, die gut begründet etwas Anderes sagen; die werden nur halt in den Medien kontinuierlich totgeschwiegen. Was niemand weiß kann ihn logischer Weise auch nicht heiß machen. Verbreitet wird nur das, was entweder im Interesse der Medienbesitzer liegt oder deren Interessen nichts anhaben kann. Nur wenn es richtige Häuflein Geld, Tauschhilfsmittel wie ich richtiger Weise und gerne immer sage beziehungsweise schreibe, bringt, kann man andere Meinungen kundgeben, aber dann werden einen aber gleich von Vornherein hochkarätige Widerleger gegenübergestellt, deren Aufgabe es ist den Herrn oder der Dame mit dem Mut zur Gegenrede förmlich als „Spinner beziehungsweise Idiotin“ darzustellen. Dagegen werden dumme aber genehme Meinungen so lange wiederholt, bis der Auswendiglerneffekt eintritt und dann plappern die Massen, ohne böse Absicht, den Schwachsinn der Anderen als ihre Weisheit nach. Gerade
diejenigen, die ohne böse Absicht Papagei spielen, erkennen jedoch den Fehltritt sofort, wenn ihr Denkapparat in Gang gesetzt wird – und das möchte ich provozieren. Denkprovokationen kann man aber auch dadurch erreichen, dass man dazu geeignete Meinungen, die man selbst jedoch so nicht teilt, verständlich darstellt. Jetzt kann man mich also berechtigter Weise fragen, was denn meine eigene und wahre Meinung ist. Da können Sie sich unbesorgt an die jeweilige Hauptfigur in meinen Romane und Erzählungen halten. Diese schreibe ich bewusst in Ich-Form, weil ich es auch bin der so fühlt und denkt wie meine Figuren. Allerdings lässt sich so etwas aufgrund der Handlung nicht immer so konsequent durchführen. Im Sinne der Handlung muss ja mal die Hauptfigur, damit sie glaubwürdig bleibt und die Geschichte in eine bestimmte Richtung weitergeführt werden kann, von Links nach Schräg denken. Dieses in den längeren Romanen sogar öfters als in den nur kurzen Erzählungen. Außerdem sind solche kurzgefassten Sachen auch eher für „Vorlesungen“ geeignet als Ausschnitte beziehungsweise Kapitel aus langen Romanen, da die kompakte Angelegenheit komprimiert dargestellt wird und man nicht erst groß und sicherlich auch ablenkend durch Erzählen der „Vorgeschichte“ einführen muss. Deshalb veröffentliche ich jetzt nach fünf eBooks in Romanform auch dieses mit den dreizehn Erzählungen zum Thema „Adler oder Eins“, das eigentlich „Adler und Eins“ heißen müsste. Damit will ich sagen, dass man, um auf die richtige beziehungsweise vernünftige Meinung kommen will, beide Seiten sehen und kennen muss. Wenn jetzt jemand sagt, dass sich die meisten Geschichten doch parteiisch anhören würden, dann begründe ich ihm dieses nicht in erster Linie mit meinem eigenen Standpunkt sondern mit der Absicht der populistischen, gängigen Anschauung die andere, weniger bekannte gegenüber zu stellen. Also wenn die Seite mit dem Adler bekannt ist, stelle ich mit Vorliebe die mit der Eins dar oder umgekehrt. Aber gerade solche Darstellungen verlangen ab und an auch mal das ich „ich“ sagen muss obwohl ich es gar nicht bin. Au, das war mal wieder eine super Formulierung: Drei Mal ich in einem Satz und immer noch sinnvoll ☺. Das ist aber trotzdem mal wieder ein gefundenes Fressen für meine Stilkritiker. Deshalb an dieser Stelle einmal meine Grundauffassung in komprimierter und, aus meiner Sicht, unmissverständlichen Form. Ich behaupte immer ein christlicher und daher sozialer, pazifistischer und weltoffener Gesellschaftskritiker zu sein. Da musste ich dann erfahren, dass oft assoziiert wird, das ich etwas mit der CSU zutun habe. Wenn das ein Anhänger dieser Partei, die ich persönlich weder für christlich noch für sozial halte, macht und dabei, nach dem Lesen meiner geistigen Ergüsse, zum Überdenken seines Standpunktes provoziert wird, dann soll mir das sogar mehr als recht sein. Allen anderen möchte ich sagen, dass ich aus einer ganz anderen Ecke komme. Mit Erreichen der Volljährigkeit, damals noch nach der Vollendung des 21. Lebensjahr, trat ich 1967 der SPD bei. Ich machte dieses aus der Überzeugung, dass im Programm der SPD das Wort unseres Herrn, so wie wir es aus der Bergpredigt kennen oder kennen sollten, am ehesten umgesetzt sei und ein Christ auch in gesellschaftlichen Angelegenheiten nicht abseits stehen bleiben darf. Nach dreißig Jahren trat ich aus der Partei eine Willy Brands, der hinsichtlich des sozialen, pazifistischen und weltoffenen politischen Denkens für mich immer ein Vorbild bleiben wird, wieder aus, weil der Kurs der „Neuen Mitte“, angedacht von Herrn Bodo Hombach und repräsentiert von dem Medienstar Gerhard Schröder, doch auf der Linie der C-Parteien, den ich aus meiner christlichen Überzeugung nicht gut heißen darf, lag. Und da wir nach meiner Ansicht weder die CDU noch eine Besser-CDU brauchen, weiß ich jetzt beim besten Willen nicht mehr was ich wählen soll. Ach, ich fahre zum 22. September nach Griechenland und sehe mir aus der Ferne mal an, wer beim Pöstchenlotto, an dem ich mich nicht beteilige, gewonnen hat. Da ich mich aber trotzdem nicht in der gesellschaftlichen Hängematte schaukeln und Andere machen lassen will, betätige ich weiterhin, allerdings nur auf kommunaler Ebene, politisch. Deshalb trat ich als wahrhaft Unabhängiger, ich lasse mich weder mit schönen Worten noch mit Druck auf eine Fraktionsmeinung kadern, der Unabhängigen Wähler-Gemeinschaft Nachrodt-Wiblingwerde bei. Darüber hinaus engagiere ich mich im hiesigen Verkehrsverein, wo ich der Arbeitsgruppe für Wanderwege angehöre und dessen Tourismusbeauftragter ich bin. Also ein nihilistischer Nörgler bin ich trotz allem auf keinen Fall. Nun gehöre ich nicht zu den Typen, die Schlagworte in die Welt preschen und es den Leuten überlassen, sich darunter etwas vorzustellen was ihnen passt. Was ist heute schon ein Linker oder ein Rechter, ein Roter oder ein Schwarzer? Die Leute sind doch heutzutage alle meilenweit von den historischen Ursprüngen entfernt. Man benutzt doch diese Worte, meist phrasengleich, um sich selbst, unter Nutzung bestimmter Assoziationen auf positiv wirkende historische Ereignisse, als Heiliger auf einen Sockel zu stellen und den Anderen, eben mit dem Griff auf das Negative zu verteufeln. An der Tatsache, dass beide Seiten im wahrsten Sinne des Wortes recht haben, sowohl die positiven wie die negativen Dinge sind tatsächlich Historie, kann man ersehen, dass niemand einen Grund hat einerseits den Anderen abzukanzeln und sich andererseits nicht erhöhen kann. Man zielt doch nur auf Leute, die auf einem Auge mit Blindheit geschlagen sind, also auf die Zeitgenossen, die nur die Argumente von der „eigenen“ Seite hören und bei der anderen auf Blind und Taub stellen, ab. Da unterhielt mich vor einiger Zeit mit einem sehr aktiven Mitglied unserer Kirchengemeinde über die Verwendung von ausgedienten Möbeln. Dabei wies ich auf ein Möbellager der Arbeiter-Wohlfahrt hin und bekam prompt „AWo, damit habe ich nichts zutun ... ich bin Christ und kein Roter“ zu hören. Ich bekam mit ihm Ärger, weil ich doch keck und prompt „CDU, damit habe ich nichts zu tun ... ich bin Christ und kein Schwarzer“ geantwortet habe.
Also, wenn ich nicht auch Schlagwortfetzer sein will, muss ich schon ein paar Wörtlein dazu verlieren, was ich unter „christlich, sozial, pazifistisch und weltoffen“ verstehe. Oder sehe ich da vielleicht etwas falsch? Christ bin ich weil ich in Übereinstimmung mit der Wissenschaft davon überzeugt bin, dass es keine Zufälle auf der Welt gibt und dass es den Stoff für die Materie und für das Leben immer, von Ewigkeit her, gegeben hat. Sicher das Chaos, den Stoff aus dem die tote Materie ist, und Gott, der Stoff aus dem das Leben ist, gab es wahrhaftig immer. Das steht sogar ganz am Anfang der Bibel. Da es aber laut der Wissenschaft kein Zufall gibt, muss es einen Schöpfer, eben diesen einen Gott, geben. Was unterscheidet denn nun das Leben vom dem Chaos? Das Leben ist das Bewusstsein, das ist Hass und Liebe, Leid und Glück, Verzweifelung und Freude, Schmerz und Wohlergehen, Trauer und Übermut, das ist unser Denken. Und dieses Bewusstsein schuf Gott nach seinem Bilde und das Leben wird es, wie ihn, aus dem es geschaffen wurde, auch ewig geben. Jedoch auch das Chaos, die Materie, wird es weiter geben, nur dass es auch wieder zu dem wird, aus dem es geschaffen wurde: tote leblose Materie. Das Leben, also das Bewusstsein, und die Materie, sprich der Körper, werden wieder von einander getrennt. Der Körper stirbt und verfällt, während das Bewusstsein körperlos weiterlebt. Folglich heißt das, dass das Bewusstsein nicht mehr verändert werden kann. Was für eine Hölle, wenn dieses nur an dem Materiellen, an Wohlstand und Besitz, an Macht und Ruhm, dass es dann nicht mehr gibt, hängt. Mir ist richtig unheimlich bei dieser Vorstellung. Na gut, kann man jetzt sagen aber aus den Glauben an einen Gott lässt sich noch kein Christ ableiten. An dem glauben die Juden und die Moslems genauso wie die Christen. Eigentlich glauben auch sogenannte Naturvölker, zum Beispiel die Indianer, an ihn. Was ist Manitu denn sonst? Was ist denn der richtige Glaube? Das weiß ich auch nicht. Aber trotzdem dürfte es in der „Endabrechnung“ egal sein ob der für uns Manitu, Jehova, Allah oder nur Gott heißt, denn wer an ihn glaubt, der wird leben, wie es in der Bibel heißt. Wichtig ist also nur, dass wir Ihn erkennen, an Ihn glauben und unser Bewusstsein, unsere Seele, in den Zustand versetzen, dass wir damit ewig leben können. Damit wir ihn erkennen und an ihn glauben können offenbart er sich uns immer wieder. Mal über unsere Eltern, mal über Missionare und mal über Ereignisse verbunden mit mehreren Menschen. Und an was soll man sich denn halten, wenn man sich nicht an das, wie es einen offenbart wurde, halten will. Mich hat sich Gott in der Gestalt der „drei Männer“, wie es im 1. Buch Moses heißt, also als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart. Die Offenbarung erfolgte auf vielen Wegen, über Eltern, Lehrer, Pfarrer und anderen Menschen. Aber auch über das, was ich mir selbst in der Bergpredigt, im Lukas-Evangelium, dem Römerbrief und bei den Reformatoren Luther und Calvin angelesen habe. Insbesondere bei Calvin, der sich auf den Apostel Paulus stützt, fand ich die Hinweise auf die Lebensform mit der man sein Bewusstsein fit für die Ewigkeit machen kann. So nenne ich mich mit fug und recht einen Christen. Jetzt wird wohl dieser oder jene sagen, wie ich nun ausgerechnet auf Johannes Calvin komme wo doch die preußische Staatskirche doch den obrigkeitstreuen Dr. Martin Luther favorisierte. Das hängt mit meiner Herkunft zusammen. Ich stamme von dem französischen Calvinisten Jean Jacques Pierre Vial, der 1689, nachdem er in seiner Heimat wegen seines Glaubens seines Kopfes beraubt werden sollte, Asyl in Hessen fand, ab. Ich habe mal Familienforschung betrieben – ich kann meine Herkunft von diesem ersten Vial in deutschen Lande lückenlos nachweisen. Übrigens bis zu meiner Ururgrossmutter Marie Susanne geborene Hugon, die 1843 in Wiesenfeld, im heutigen Kreis Waldeck-Frankenberg, verstarb, war auch die weibliche Linie grundsätzlich französischen Ursprungs. Erst meine Urgroßmutter Anna Margaretha geborene Reinhardt, die am 15. März 1877 in Geismar, heute Frankenberg-Geismar, heiratete, war offensichtlich deutschen Ursprungs. Wie sie sehen, weiß ich sehr genau wo ich herstamme. Ich bin also der Nachfahre von Asylanten – oder waren es Scheinasylanten. Na ja, wenn ich heutigen Besitzstandswahrern und bajuwarischen Demokratenheuchlern höre, glaube ich meine Vorfahren sind gekommen weil sie das Geld von den fleißigen, Acker bewirtschaften Deutschen wollten. Da muss es sich doch von selbst verstehen, dass man da, insbesondere in der Mark Brandenburg und in HessenWaldeck beziehungsweise –Kassel seinen erheblichen Beitrag zur Kultur und Entwicklung geleistet hat. Scheinbar wurzelt nicht nur mein Christentum, der Calvinismus, sondern auch meine Weltoffenheit in der Beschäftigung mit der Familiengeschichte und dem Nachlesen der Hintergründe. Die Überzeugung, die sich aus den Erkenntnissen aus meiner familiären Geschichte ergaben, sind natürlich Grundlage für alles andere. Da Jesus uns die Brüderlichkeit, sprich die Menschlichkeit, die Mildtätigkeit und die Hilfsbereitschaft gebot bin ich sozial eingestellt. Beinah hätte ich doch geschrieben, dass ich ein Sozialist sei, aber das „ist“ hinter „sozial“ weist die ganze Sache ja als eine Ideologie aus, aber die meinige ist und bleibt das Christentum. Die besagt alles was das Leben ausmacht, dazu brauche ich keine Philosophien. Da Jesus in der Bergpredigt, das mit dem Bruder zürnen, das Rache sagen, schon als Mord (Vokalübersetzung) bezeichnet und uns stattdessen die Feindesliebe gebot, bin ich Pazifist. Aber ich trenne das weltliche und das religiöse Leben nicht voneinander. Ich bin nicht sonntags Christ und gehe (sehr gerne sogar) in die evangelisch-reformierte Dorfkirche Wiblingwerde und im Alltag ein moderner, besitzstandswahrender und wohlstandsmehrender Mensch ... schizophren bin ich noch nicht. Auch wenn mir meine Gegner so etwas gerne nach sagen möchten. Wer nicht mit den Wölfen heult, ist halt nach der Ansicht der Mobführer, nicht richtig im Kopf.
Aber so Wenig, wie ich schizophren bin so Wenig bin ich in eine völlig religiöse, vergeistigte Sphäre entrückt. Immer noch stehe ich mit beiden Beinen auf der Erde. Daher halte ich auch die Wirtschaft, das Geld, den Wohlstand, die Gesellschaftsordnung nicht für überflüssig – und für teuflisch schon gar nicht – sondern für zwingend notwendig um unser Miteinander zu ordnen und damit wir miteinander wirken können. Das Warum erläutern hieße wahrscheinlich Eulen nach Athen tragen, denn das machen ja diejenigen, die den Dollar beziehungsweise den Euro, den Liberalismus beziehungsweise die Globalisierung, zum Gott und oberstes Lebensziel erhoben haben, schon zu genüge. Da steht die andere Seite aber in keiner Weise nach. Ich kann nicht in einen Talar, übrigens eine Tracht für Angehörige der Obrigkeit aus Preußens Zeiten, schlüpfen, auf die Kanzel hopsen und vor lauter Beten und Halleluja singen die Welt und das Leben vergessen. Beides ist, so lange wir auf Erden leben, wichtig für uns alle. Es kann nicht angehen, dass der Mensch den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet wird. Und es kann ebenfalls nicht angehen, dass wir vor lauter Beten und egoistisch ans eigene Seelenheil denken, diese Welt dahintreiben lassen. Wir müssen schon dazu beitragen, dass es bis zum Jüngsten Tag Leben auf dieser Welt gibt. Wir sind sowohl im religiösen wie im weltlichen Leben gefordert und haben dort unser Bestes zugeben. Wir dürfen uns nicht für den Adler oder die Eins entscheiden sondern wir müssen grundsätzlich Adler und Eins nehmen. Deshalb bin ich stolz ein Provokateur zu sein und werde nicht nachgeben konstruktive Streitigkeiten zu initiieren. Dieses ist nun mein sechste eBook, welches ich auf meiner Homepage zum kostenlosen Download zur Verfügung stelle. Zum ersten, aber bestimmt nicht zum letzten Mal handelt es sich nicht um einen Roman sondern um kurze Erzählungen. Aber auch in Zukunft dürften Romane den Schwerpunkt meiner Arbeit bilden. Da habe ich schon wieder bestimmte Projekte, sogar in einer etwas anderen wie in der bisherigen Form im Kopf. Ich werde mir dabei bestimmt nicht untreu werden und weiter munter provozieren. Zwei Dinge werde ich aber bestimmt beibehalten: Ein Mal werde ich, da immer das Denken bei mir die Hauptrolle spielt, die diesbezüglich glaubwürdigere Ich-Form und zum Zweiten meinen Aufsatzstil, damit mich alle verstehen, beibehalten. Da kann man mir sagen was man will, gleichgültig ob er Literaturpapst oder Superhirn ist – abgesehen davon, dass es das so Wenig wie einen Fußballgott oder Politzeus gibt. Wir sind alle nur Menschen, Gottes Kinder – und das ist so viel, dass man, wenn wir uns damit begnügen, nicht „bescheiden“ sagen können. Jetzt hoffe ich mal, dass dieses „Nachwort“ einerseits zum besseren Verständnis meines Anliegens und andererseits noch mehr Leute ermutigt hat, mit mir zu diskutieren. Aber deshalb muss ich dieses Nachwort ja nicht auf die Länge einer Erzählung – die Länge eines bei mir üblichen Kapitels hat es ja schon – ausdehnen. Deshalb mache ich es jetzt wie bei meinen Vorworten: Ich setze das Datum und meine Unterschrift darunter – und lege mich erst einmal bequem zurück. Nachrodt-Wiblingwerde, den 23. August 2002