Ab heute nie mehr einsam Robyn Donald
Romana 1375
13 2/2001
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Lieber Gott, bitte lass ...
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Ab heute nie mehr einsam Robyn Donald
Romana 1375
13 2/2001
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL Lieber Gott, bitte lass es bald vorüber sein, betete Kate Brown im Stillen. Ihr Sohn saß neben ihr und quietschte vor Begeisterung, während die Achterbahn in atemberaubendem Tempo Loopings vollführte. Sie öffnete die Augen nur etwas und schimpfte: "Halt dich sofort wieder fest!" "Ach Mummy", maulte Nick, aber er gehorchte. Sie kniff die Augen wieder fest zu, als die Achterbahn in die nächste Kurve fuhr. Kate dachte plötzlich, wie sehr die Hände ihres Sohnes ihren glichen: sonnengebräunte Hände mit langen, schlanken Fingern. Nur dass seine Hände sich nicht krampfhaft am Wagen festklammerten. Ganz im Gegenteil: Ihm schien das Ganze riesigen Spaß zu machen, und er strahlte vor Begeisterung. Diese Furchtlosigkeit hatte Nick sicher nicht von ihr. Mit großer Ausdauer hatte er es schließlich geschafft, sie zu einer Fahrt in der Achterbahn mit dem dreifachen Looping zu überreden. Vielleicht hatte er seine Waghalsigkeit von ihren Eltern - woher er aber seinen Charme hatte, konnte sie sich nicht erklären. Von seinem Vater hat er ihn sicher nicht, dachte sie und zuckte insgeheim zusammen. An Nicks Vater zu denken war das Schlimmste, was sie ihrem Magen momentan antun konnte.
Schnell verdrängte sie die Erinnerung und dachte an etwas anderes, so wie sie es schon seit fast sieben Jahren tat. Endlich verlangsamte die Achterbahn ihre Fahrt und kam zum Stillstand. Doch sobald sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, bestürmte Nick sie: "Bitte, Mummy, lass uns noch mal fahren! Das war tierisch!" So kann man es auch ausdrücken, dachte Kate und sah ihn ungläubig an. "Willst du, dass ich vor Angst sterbe?" Er strahlte sie an, und seine grünblauen Augen leuchteten. "Ich wette, es hat dir gefallen. Du willst es nur nicht zugeben. Beim zweiten Mal macht es dir bestimmt noch mehr Spaß." "Einmal war mehr als genug für mich, und außerdem macht ,Sea World' auch bald zu", sagte Kate und steuerte dem Ausgang zu. "Wenn du vor dem Abendessen noch schwimmen willst, müssen wir jetzt los." Nick sah etwas enttäuscht aus, fügte sich dann aber. "Na gut, in Ordnung", stimmte er gnädig zu. Kate lächelte ihn an. Strahlend erwiderte er das Lächeln, und sie fuhr ihm mit der Hand durchs schwarze Haar. Doch dann hielt sie inne und zog die Hand zurück, denn die Berührung hatte die Erinnerung an etwas lange Zurückliegendes ausgelöst. Unwillkürlich drehte sie sich um und blickte in zwei kalte stahlgraue Augen, deren durchdringender Blick prüfend über sie und dann über ihren Sohn glitt. "Hallo, Kate", sagte Patric Sutherland mit unbewegter Stimme. Die aufkommende Panik schnürte ihr die Kehle zu, und ihr wurde schwindelig. Ganz schwach hörte sie noch, wie Nick einen erschrockenen Schrei ausstieß, dann fingen zwei kräftige Arme sie auf und hielten sie fest. Umgeben von Wärme und einem Duft, der Erinnerungen in ihr wachrief, hörte Kate, wie Patric ihn beruhigte: "Ihr geht es gleich wieder besser."
Kate atmete tief durch und versuchte vergeblich, sich aus den starken Armen zu befreien, die sie noch immer hielten. Als Kate blinzelnd die Augen öffnete, blickte sie zuerst ihren Sohn an. Er war knapp sechs Jahre alt und groß für sein Alter, hatte schwarzes, rötlich schimmerndes Haar, das einen hübschen Kontrast zu seinen Augen bildete. Er hatte grünblaue Augen, genau wie sie. Patric hielt sie noch immer fest. "Ich war wohl zu lange in der Sonne", sagte sie mit schwacher Stimme. "Ich habe dir doch gesagt, dass du einen Hut aufsetzen sollst", erklärte Nick vorwurfsvoll und fragte dann ängstlich: "Geht es dir jetzt besser?" "Ja, mir geht es wieder gut." Sie atmete tief ein. "Warum muss der Mann dich dann immer noch stützen?" "Das muss er gar nicht mehr, ich kann mich wieder gut allein auf den Beinen halten", antwortete Kate und trat einen Schritt zurück. Patric gab sie frei, hielt aber weiterhin mit einer Hand ihren Arm fest. Kate spürte den festen Griff seiner langen, kräftigen Finger. Ihm so nahe zu sein, von ihm berührt zu werden, all das nahm ihr den Atem und brachte sie völlig durcheinander. Patrics Miene war ernst und verschlossen, aber vielleicht war er nur überrascht und verlegen, weil sie sich so unerwartet getroffen hatten. Ein kurzer Blick auf ihn belehrte sie jedoch schnell eines Besseren. Seine Augen blitzten sie voller Wut an, doch bevor Kate Gelegenheit hatte, um zu reagieren, war sein Gesichtsausdruck undurchdringlich. "Du solltest etwas trinken", sagte er unvermittelt. "Ich lade euch ein." Sie hatte diesen Blick noch gut in Erinnerung. Auch wenn sie noch so viel protestieren sollte, am Ende würde sie sich doch in einem Cafe wieder finden und Tee trinken. Patric hatte schon immer seinen Willen durchgesetzt. Schon mit vierundzwanzig Jahren hatte er anderen Menschen Respekt eingeflößt, und in
den sieben Jahren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, hatten sich Unnachgiebigkeit und Entschlossenheit noch tiefer in seine Gesichtszüge eingemeißelt. Er strahlte jetzt das aus, was damals erst in Ansätzen zu erkennen gewesen war: Macht, Entschlossenheit und einen eisernen Willen. Das Schicksal hatte ihr einen bösen Streich gespielt. Kate streckte die Hand nach ihrem Sohn aus. Er warf dem Mann, der sie noch immer am Arm festhielt, einen kurzen, prüfenden Blick zu, dann griffen Nicks heiße Finger nach ihren. Sie drückte seine Hand. Er erwiderte den Druck, und sein ängstlicher Gesichtsausdruck verschwand. "Ich finde auch, dass du einen Tee trinken solltest", stimmte er zu. "Gut, einverstanden", erwiderte sie. Bis zum Cafe waren es nur wenige Minuten, so dass Kate keine Zeit hatte, ihre Fassung wiederzuerlangen. Was, um alles in der Welt, machte Patric hier? Lebte er jetzt in Australien? Hier an der Gold Coast? Aber das war unmöglich. Als Inhaber und Vorstandsvorsitzender einer der größten und erfolgreichsten Luftfahrtgesellschaften Neuseelands musste er nach wie vor in Auckland leben. Aus dem letzten Zeitungsartikel über ihn hatte sie erfahren, dass er außerdem Häuser in Aspen, in New York und in London besaß - ein wahrer Jetsetter. In dem angenehm kühlen Cafe bot er ihr höflich einen Stuhl an und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Ein kurzer Blick von ihm genügte, und schon näherte sich eine Kellnerin dem Tisch. Kaum jemand wurde so prompt bedient wie Patric. Zum Teil war wohl seine körperliche Präsenz der Grund. Er war ein Meter neunzig groß, hatte breite Schultern und lange Beine, aber auch noch etwas anderes, weniger Greifbares: die Autorität, die er durch sein Auftreten ausstrahlte. "Möchtest du Tee oder Kaffee, Kate?" fragte er.
"Tee, bitte." "Und was möchtest du trinken?" wandte er sich an ihren Sohn. "Orangensaft oder Wasser, bitte", antwortete Nick höflich. Patric bestellte und lächelte der Kellnerin zu, die sich ihren Bleistift hinters Ohr schob. Während ihrer ganzen Jugend hatte Kate sich in diesem Lächeln gesonnt, und so konnte sie es nur allzu gut verstehen, dass die Kellnerin rot wurde und verlegen vor sich hin murmelte, als sie davoneilte. Nicht der Hauch eines Lächelns lag jedoch auf Patrics markantem Gesicht, als er sich wieder Kate zuwandte. Er musterte sie abschätzend und ließ den Blick prüfend erst über ihr Gesicht, dann über ihre Hand gleiten, an der kein Ehering steckte. Dann sah er wieder auf. "Kate Brown", sagte er überraschend sanft, "die Zeit ist spurlos an dir vorübergegangen. Du bist noch immer so schön wie früher." "Danke", sagte sie und wollte möglichst locker klingen, brachte aber nur heisere Laute heraus. Sie kämpfte gegen ihre aufgewühlten Gefühle an und versuchte, die Fassung wiederzuerlangen. "Lebst du jetzt in Australien?" fragte Patric. Sie konnte ihn nicht anlügen, solange Nick dabei war. "Nein." Kate spürte, dass Nick etwas sagen wollte, und sah ihn mit diesem gewissen Blick an, den alle Kinder verstehen: Ein Wort, und es passiert etwas. Er verstand es und sagte nichts. "Du lebst also noch immer in Neuseeland?" Mit seinen dunklen Augen betrachtete er ihr volles, rötlich schimmerndes Haar. Vor fast sieben Jahren, an ihrem achtzehnten Geburtstag, drei Tage bevor sie sich geliebt hatten, hatte er das Gesicht in ihrem Haar geborgen und ihr gesagt, sie solle es nie abschneiden.
Ob er sich daran noch erinnerte? Ja, dachte Kate erregt, als er den Blick auf ihr Gesicht richtete. Er erinnerte sich. Etwas in ihr zerbrach, löste sich auf ... "Ja", antwortete sie. Und um höflich zu sein, fragte sie: "Lebst du jetzt hier?" Um Patrics schönen Mund zuckte es leicht, als er erwiderte: "Nein, ich habe hier geschäftlich zu tun." Sie brachte ein Lächeln zu Stande, obwohl ihr plötzlich Schweißperlen auf der Stirn standen und ihr die Kehle wie zugeschnürt war. "Es muss schön sein, hier zu arbeiten." "Das hängt von der Arbeit ab." Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton, als er fragte: "Möchtest du uns nicht vorstellen?" Kate brachte kein Wort heraus. Sie schluckte und sagte dann sehr förmlich: "Mein Sohn Nick. Nick, dies ist ein alter Freund von mir, Mr. Sutherland." Nick streckte ihm die Hand entgegen. "Guten Tag, Mr. Sutherland", sagte er höflich. Patrics kräftige, sonnengebräunte Hand umfasste die kleine kindliche. Ernst erwiderte er den Gruß und fragte dann: "Wie alt bist du denn?" "Sechs", antwortete Nick und fuhr fort, bevor Kate eingreifen konnte, "na ja, eigentlich noch nicht ganz sechs, aber bald. Am einunddreißigsten Oktober werde ich sechs, also in fünf Wochen." Sie ließ sich von Patrics unbewegtem Gesicht nicht täuschen. Sie war sicher, dass er insgeheim seine Schlüsse zog, und war verzweifelt. Sie würde die Wahrheit sagen und damit das wohl gehütete Geheimnis lüften müssen, das sie schon so lange Zeit mit sich herumtrug. "Du bist groß für dein Alter", stellte Patric fest. "Ja", sagte Nick und lächelte stolz. Gegenüber Fremden verhielt er sich manchmal zurückhaltend, aber Patric hatte ihn schon mit seinem charmanten Lächeln für sich gewonnen, wie
es ihm mit den meisten Menschen gelang. "Bald bin ich so groß wie Mummy. Sie wird nächsten Februar fünfundzwanzig." Ungeschickt versuchte Kate abzulenken: "Was bringt dich ausgerechnet an die Gold Coast, Patric?" Nur mühsam wollte sein Name ihr über die Lippen kommen. Fast sieben Jahre lang hatte sie ihn nicht mehr ausgesprochen, und als sie es jetzt tat, riss sie Mauern ein, die sie nur unter großer Anstrengung und mit eisernem Willen hatte errichten können. "Ich sehe mir ein Unternehmen an, das ich vielleicht kaufen werde", sagte er höflich. "Und was macht ihr hier?" "Mummy hat ein Gedicht über Limonade geschrieben", erzählte Nick stolz. Die Kellnerin brachte ihnen die Getränke. Dankbar trank Kate einen Schluck Tee. Aber Nick war noch nicht fertig mit seiner Geschichte. "Und dann haben wir eine ganze Woche Urlaub im Surfer's Paradise gewonnen und freien Eintritt zu allen Freizeitparks." "Ach, so ist das", sagte Patric. Kates Gelassenheit war nur gespielt, was er mit seinem durchdringenden Blick mühelos durchschaute. Nick setzte sich sehr aufrecht hin und fragte: "Haben Sie auch Kinder, Mr. Sutherland?" Patrics Lächeln gefror. "Nein", antwortete er und fügte dann hinzu: "Ich habe auch keine Frau mehr. Sie ist vor drei Jahren gestorben." Laura war also tot? "Das tut mir Leid", sagte Kate unbeholfen. "Es war ein schwerer Verlust für mich", erwiderte er und blickte wieder Nick an. "Gefallen dir die Parks?" Nick strahlte ihn an. "Und wie! Besonders gern mag ich die Achterbahnen!" sagte er mit so viel Begeisterung, dass sich die Leute am Nachbartisch umdrehten und ihm zulächelten. Kates Herz zog sich vor Zärtlichkeit zusammen. Schon immer hatte ihr Sohn die Herzen anderer Menschen im Sturm
erobert. Nick war ein glückliches Kind, und auch in der Schule war er sehr beliebt. Hinter seiner fröhlichen, unbekümmerten Art verbargen sich jedoch ein wacher Verstand und ein starker Wille. Patrics Blick blieb einen kurzen Moment an Kates seidigem Haar hängen. Als sie die Teetasse zum Mund führte, zitterte ihre Hand leicht. Beiläufig sagte Patric zu Nick: "Es wundert mich, dass du deine Mutter zu einer Fahrt in der Achterbahn überreden konntest, da sie doch schon früher Höhenangst hatte." "Ich habe sie einfach so lange gefragt, bis sie mitgekommen ist", erklärte Nick und fragte dann: "Kennen Sie Mummy von früher?" "Ich kannte sie sehr gut. Sie wohnte mit ihrer Tante, ihrem Onkel und ihren Cousinen auf der Schaf- und Rinderfarm meines Vaters." Davon hatte Nick schon gehört. "Tatamoa im Poto Valley?" fragte er. "Mummy hat mir schon viel darüber erzählt. Irgendwann, wenn ich größer bin, fahren wir zusammen dort hin." Patric sah Kate nicht an. "Ihr Onkel hat damals die Farm verwaltet." "Haben Sie auch dort gewohnt?" Er schüttelte den Kopf. "Nein, ich wohnte damals mit meinen Eltern in Auckland, weil mein Vater dort arbeitete. Aber den Sommer haben wir immer auf dem Land verbracht." "Haben Sie uns gesehen, als wir Achterbahn gefahren sind?" wollte Nick wissen, in seiner kindlichen Unschuld ganz mit sich selbst beschäftigt. "Ja, ich war im Hotel nebenan und habe euch von dort aus gesehen, und ich wollte euch gern Guten Tag sagen." Das leuchtete Nick ein, und er nickte zustimmend. Kates Verstand arbeitete fieberhaft. Patric muss also am Ausgang auf uns gewartet haben, dachte sie beunruhigt.
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Entschlossen, sich endlich aus dieser unerträglichen Lage zu befreien, schenkte sie Patric ein kurzes Lächeln und sagte mit dem Mut der Verzweiflung: "Wir müssen jetzt los. Es war schön, dich einmal wieder zu sehen, Patric. Hoffentlich verlaufen deine Geschäfte erfolgreich. Nick, lass uns Auf Wiedersehen sagen." Nick, der sehr stolz auf seine guten Manieren war, verabschiedete sich höflich. "Auf Wiedersehen, Mr. Sutherland, und vielen Dank für die Einladung." "Seid ihr mit dem Auto gekommen?" fragte Patric. Kate war sofort klar, worauf er hinauswollte. "Nein, aber wir fahren gern Bus, nicht wahr, Nick?" "Nick würde bestimmt gern einmal mit meinem Wagen fahren." Patrics Ton war freundlich, sein Blick jedoch voller Spott. Sie versuchte, ihren Ärger zu zügeln und sich nichts anmerken zu lassen, um nicht zu viel preiszugeben. "Wir wollen dir keine Umstände bereiten. Es macht uns nichts aus, mit dem Bus zufahren." "Im Bus ist es sicher heiß und überfüllt", sagte er und lächelte erneut spöttisch. "Außerdem steht mein Auto ganz in der Nähe." Es sah Patric nicht ähnlich, andere zu etwas zu überreden, denn normalerweise las man ihm seine Wünsche von den Augen ab. Warum also beharrte er jetzt so sehr darauf, obwohl er doch merken musste, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte? Nick blickte fragend von einem zum anderen. "Warum können wir denn nicht mit ihm fahren, Mummy?" Kate war verzweifelt und wütend, aber sie musste schnell eine Entscheidung treffen. Sie nahm sich zusammen und sagte: "Also gut. Vielen Dank, es ist sehr nett von dir, uns nach Hause zubringen." Sein großer dunkelgrüner Wagen stand im Untergeschoss seines Hotels.
"Toll, ein Rolls-Royce!" Nick war begeistert. "Gehört der Ihnen, Mr. Sutherland?" Patric hielt ihm die hintere Wagentür auf. "Nein, ein Freund hat ihn mir geliehen." Nick setzte sich hinein und sah sich interessiert um. Patric schloss die Beifahrertür hinter Kate und setzte sich hinter das Steuer, und Kate war die Kehle plötzlich wie zugeschnürt. "Mummy", rief Nick begeistert von hinten, "hier gibt es sogar einen Fernseher!" Kate rang sich ein Lächeln ab, aber ihre Hände lagen verkrampft in ihrem Schoß. "Das war ja fast zu erwarten. Dieses Auto ist so groß, dass man darin wohnen könnte." So dicht neben Patric im Auto zu sitzen war mehr, als sie ertragen konnte. Ihr Herz klopfte schneller. Sie versuchte, sich zu entspannen. Ruhig und sicher lenkte, er den großen Wagen. Kate betrachtete seine Hände. Sie waren feingliedrig, aber kräftig, und sie erinnerte sich, dass sie ebenso sanft wie fordernd sein konnten. Sie kamen an eine Kreuzung, und Patric fragte: "In welchem Hotel wohnt ihr?" "Im Robinson's, gleich hier in der Cavill Avenue", sagte sie ausdruckslos. "Das kenne ich." Geschickt lenkte er den Wagen zwischen zwei anderen hindurch. "Es ist schön", bemerkte er. Kate verkrampfte die Hände ineinander. "Ja, sehr schön." "Wie lange seid ihr schon hier?" Dir versagte die Stimme. Sie hasste es zu lügen. "Wir sind gestern angekommen." Patric sagte: "Ich möchte dich wieder sehen, Kate. Dich und den Jungen." Damit hatte sie bereits gerechnet. Sie hörte sich erstaunlich gelassen antworten: "Das halte ich für keine gute Idee." "Es gibt vieles, worüber wir reden müssen."
"Es gibt nichts, worüber wir reden müssen." Sie ignorierte das starke Klopfen ihres Herzens und blickte starr geradeaus. "Nun, zuerst könntest du mir vielleicht erklären, warum du mir vor sieben Jahren verheimlicht hast, dass du schwanger warst", sagte er, und in seiner tiefen Stimme schwang eine leichte Drohung mit, als er den Wagen geschickt zwischen den Palmen hindurchlenkte, die die Auffahrt zum Robinson's säumten. Ein Portier in Uniform erschien. Nick öffnete seine Tür, sprang aus dem Auto und sah sich neugierig um. Kate beobachtete ihn aufmerksam und erwiderte heiser: "Es hätte nichts an der Situation geändert, Patric. Schon damals habe ich dir erklärt, dass ich unsere Beziehung nicht fortführen möchte, und ich sage es dir jetzt noch einmal. Wir haben einfach nichts gemeinsam, und das hatten wir noch nie." In die Stille hinein sagte er entschlossen: "Ich werde dich anrufen. Mein Sohn wird nicht aufwachsen, ohne seinen Vater kennen zu lernen." Kate biss sich auf die Lippe. Nur unter Schwierigkeiten konnte sie sprechen: "Nick ist nicht dein Sohn." Sein schöner Mund verzerrte sich zu einem zynischen Lächeln. "Versuch nicht, mir etwas vorzumachen, Kate." Sie schüttelte den Kopf. "Es ist die Wahrheit." Mit tödlicher Ruhe stellte er fest: "Er wurde fast auf den Tag genau neun Monate später geboren, nachdem wir uns geliebt haben." Ich ertrage das nicht, dachte sie und fuhr sich mit zittriger Hand durchs volle, glänzende Haar, das ihr an Schläfen und Nacken klebte. Aber sie hatte keine Wahl. "Neun Monate und zwei Wochen", brachte sie heiser heraus. "Das liegt sicher noch innerhalb des normalen Zeitraumes", sagte er kühl. "Du warst noch Jungfrau, ich erinnere mich noch sehr genau."
Kate wollte etwas entgegnen, aber er fuhr unbarmherzig fort: "Und versuche nicht, mir weiszumachen, dass Nicks Vater ein Liebhaber ist, den du an der Universität kennen gelernt hast. Denn als er gezeugt wurde, warst du ja noch nicht in Christchurch." Unter gesenkten Lidern warf er ihr einen drohenden Blick zu. "Und außerdem hattest du keinen Liebhaber." Woher konnte er das wissen? Er blickte an ihr vorbei zu Nick, der sich ihrer Autotür näherte. "Hab keine Angst, Kate. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben sind nie einfach zu erreichen, und Hindernisse sind dazu da, dass man sie überwindet. Ich werde dich morgen anrufen." Sie stieg aus dem Wagen. "Gute Nacht, Patric", sagte sie unsicher, nahm Nick bei der Hand und ging mit ihm auf die Rezeption zu. Angestrengt lauschte Kate dem leisen Motorengeräusch des davonfahrenden Wagens. "Mummy", fragte Nick und sah sie mit großen Augen an, "was wollen wir denn hier?" "Ach, ich dachte, wir könnten hier im Restaurant zu Abend essen. Komm, wir sehen es uns einmal an." Nachdem sie gegessen hatten, gingen sie zurück ins Foyer. Unwillkürlich warf Kate einen Blick durch die großen Glastüren, aber der Rolls-Royce stand nicht mehr vor dem Gebäude. Kate lächelte dem Portier zu, als sie ins Freie traten und unter den Palmen entlanggingen, die so typisch waren für das Landschaftsbild der Gold Coast, vorbei an einer Mauer, die fast vollständig von einem farbenprächtigen Bougainvilleateppich bedeckt war. Ein etwa fünfzehn Jahre alter Junge auf einem Skateboard schoss an ihnen vorbei und bremste ab, als sie zu den Schwimmbecken kamen. Gemächlich schlenderten sie weiter, vorbei an den Tennisplätzen und dann durch ein Tor zur Straße.
"Guck mal, Mummy! Da drüben kann man Bungeejumping machen!" "Dafür bist du noch zu klein", sagte Kate automatisch. Im Vorbeigehen warf Nick einen sehnsüchtigen Blick auf die Anlage. Wenn er in die Pubertät kommt, wird das ein absoluter Albtraum, dachte sie grimmig. Vielleicht kann ich ihn ja fürs Skateboardfahren begeistern, dachte sie, als hinter ihnen erneut das Geräusch des Skateboardfahrers ertönte. Langsam sickerten die Erlebnisse der letzten Stunden in ihr Bewusstsein. Kleine Schweißperlen liefen ihr den Rücken hinunter. Einige Male hatte Kate sich ausgemalt, wie es wäre, Patric zu begegnen, aber die Wirklichkeit war um einiges beängstigender und schmerzvoller. Natürlich musste er denken, dass er Nicks Vater war, aber wenn er einmal in Ruhe über alles nachdächte, würde ihm klar werden, dass sie keinen Grund hatte, ihn zu belügen. Dann wurde er sie hoffentlich in Ruhe lassen, und sie und Nick wären in Sicherheit. "Was hast du denn?" fragte Nick, und Kate war erstaunt, wie sensibel und aufmerksam er war. Sie unterdrückte Angst, Wut, Selbstmitleid und tiefe Trauer und antwortete betont locker: "Nichts, nur Kopfschmerzen." Schuldbewusst fragte er: "Ist es noch immer wegen der tollen Achterbahnfahrt?" Lachend schüttelte Kate den Kopf. "Nein, mein Liebling, meinem Kopf macht das Achterbahnfahren nichts aus, nur meinem Magen." "Mir macht das gar nichts aus", prahlte er. Er drehte sich nach dem Skateboardfahrer um, der jetzt auf dem Fußweg fuhr, und sagte dann, um sie aufzumuntern: "Wenn wir im Hotel sind, gehen wir schwimmen. Dann geht es dir bestimmt gleich viel besser." Nachdenklich meinte er: "Mr. Sutherland wird vom Achterbahnfahren bestimmt nicht schlecht."
Kate musste daran denken, wie Patric einmal behände und leichtfüßig hoch über einer Schlucht über eine schmale Hängebrücke gelaufen war. Er hatte sich nicht einmal am Drahtseil festgehalten, das als Geländer dienen sollte. Er hatte nicht angeben wollen, sondern sich nur beeilt, zu ihr zu kommen. Sie wollte den Skateboardfahrer vorbeilassen und trat zur Seite, aber er fuhr weiter gemütlich hinter ihnen her. Wahrscheinlich sah er sich auch die Bungeejumping-Anlage an. Nick sagte: "Du hast mir nie von Mr. Sutherland erzählt, nur von Onkel Toby und Tante Jean und deinen Cousinen, Juliet und Josephine und Jenny. Warum habe ich eigentlich keine?" Es schmerzte Kate, von diesen vergangenen Tagen zu sprechen, die nun schon so weit zurücklagen und in ihrer Erinnerung für immer von goldenem Sommerlicht durchflutet waren. "Weil ich keine Geschwister habe." "Wie alt warst du, als deine Mom und dein Dad auf dem Mount Everest verunglückt sind und du zu Onkel Toby und Tante Jean gezogen bist?" "Drei Jahre." Schweigend gingen sie weiter, und er fragte beiläufig: "Kannte Mr. Sutherland meinen Vater?" Kate hatte ihm erzählt, dass sein Vater tot sei. Es war der einzige Weg gewesen, ihn vor einer Enttäuschung zu bewahren. Sie dachte daran, wie sie vor einer halben Stunde Patric gegenüber gelogen hatte, und stellte ironisch fest, wie gut sie dies inzwischen konnte. Aber selbst wenn sie für diese Lügen einmal würde büßen müssen - für ihren Sohn würde sie alles tun. Laut sagte sie: "Es ist möglich, dass er ihn kannte. Das Poto Valley ist ja nicht sehr groß." Zu ihrer unendlichen Erleichterung wurde Nick von diesem Thema abgelenkt, als eine Harley Davidson an ihnen vorbeifuhr.
Kate machte sich nichts vor, Nick würde mit absoluter Sicherheit noch einmal auf das Thema "Patric" zurückkommen, aber für den Moment schien er an andere Dinge zu denken. Als sie in ihrem Apartment waren, spürte sie, wie die Spannung in ihrem Körper nachließ. Nun, da sie Patric entkommen waren, wurden auch ihre Angst und Unruhe bald nachlassen. Aber sie musste feststellen, dass sie wohl ein wenig zu optimistisch gewesen war. Eine dunkle Vorahnung ließ sie von ihrem Buch aufblicken, das Licht wieder anschalten und die Balkontür öffnen. Gegen die Balustrade gelehnt, im Schutz der Palmen, blickte sie über den Hof. Es war stickig und schwül. Vermutlich zog ein Gewitter herauf. Der Manager des Hotels hatte Nick erzählt, dass sich jeden Sommer welche im Binnenland aufbauten, die dann über die Küstenebene zum Meer zogen. Im Hof wurde gegrillt, der Duft von Steak und Fisch hing in der Luft. Sie hörte Stimmen und Gelächter und im Hintergrund das Summen des Straßenverkehrs, das in dieser beliebten Urlaubsregion mit ihren ausgedehnten Traumstränden und mondänen Touristenorten nie ganz verstummte. Kate war so glücklich gewesen, als sie das Preisausschreiben gewonnen hatte. Sie hatten sich beide sehr auf die Reise gefreut. Warum musste das Schicksal ihnen einen so grausamen Streich spielen? Warum musste Patric ausgerechnet im Hotel neben der Achterbahn wohnen? Und warum fühlte sie sich nach sieben Jahren noch immer so zu ihm hingezogen? Als sie vor dem Schlafengehen noch duschen wollte, hatte sie sich dabei ertappt, wie sie im hell erleuchteten Badezimmer vor dem Spiegel stand. Ihre Spiegel zu Hause waren alle klein. Deshalb hatte sie sich bereits seit mehreren Jahren nicht mehr von Kopf bis Fuß betrachten können. Würde Patric die Veränderungen bemerken? Ihre Brüste, obwohl noch immer nicht als üppig zu bezeichnen, waren jetzt voller, und ihr Bauch war ein wenig runder. Von ihrer
Schwangerschaft waren lediglich einige feine Linien auf ihrer samtweichen Haut zurückgeblieben. Ob sie ihm auffallen würden? Nein, denn er würde sie nie zu sehen bekommen. Wütend auf sich selbst, kehrte sie ihrem Spiegelbild den Bücken zu. Kate blickte in die warme, dunkle Nacht und ermahnte sich noch einmal, dass sie stark bleiben müsse, sosehr sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte. Sie durfte ihren Gefühlen nicht nachgeben. Sein plötzliches Auftauchen und erneutes Eindringen in ihr Leben stellten eine Gefahr für Nick dar. Sie runzelte die Stirn, als sie in Gedanken noch einmal konzentriert das Gespräch durchging, das sie am Nachmittag mit Patric geführt hatte. Sie hatte nichts gesagt, woraus er schließen könnte, in welchen Freizeitparks sie schon gewesen waren und in welchen noch nicht. Vielleicht wäre es trotzdem besser, keine weiteren Parks zu besuchen. Nick wäre zwar sehr enttäuscht, aber zumindest würde Patric sie dann nicht finden. Nein, das wäre wohl übertrieben. Patric war geschäftlich hier. Er hatte also weder die Zeit noch die Gelegenheit, nach Nick und ihr zu suchen. Vielleicht würde er am Flughafen Brisbane Erkundigungen über sie einholen. Da er aber nicht wusste, dass sie nur noch vier Tage bleiben würden, nicht eine ganze Woche, wie sie gesagt hatte, wären sie schon wieder wohlbehalten in Neuseeland angelangt, bevor er nach ihnen suchen würde. Und wären sie erst einmal wieder dort, würde er sie nie finden. In den Telefonbüchern wimmelte es nur so von K. Browns, und selbst wenn er zufällig im Telefonbuch von Whangarei nachschlug, würde er sie nicht ausmachen können. Und wie sollte er überhaupt auf Whangarei kommen, eine Kleinstadt, die zwei Autostunden nördlich von Auckland und mehr als fünf von Poto entfernt lag? Kates Lippen zitterten. Es war so ungerecht. Sie hatte doch niemandem etwas getan, und doch musste sie sich verstecken.
Aber es war ja für Nick. Für ihn würde sie alles tun. Nur durch ihn war ihr Leben lebenswert. Am folgenden Tag machten sie einen Ausflug in ein Vogelschutzgebiet, wo sich zu Nicks großer Begeisterung Hunderte bunter Papageien mit leuchtend blauem, rotem und goldfarbenem Gefieder niederließen und aus extra zu diesem Zweck vorbereiteten Futterschalen fraßen, die von Touristen emporgehalten wurden. Kate machte ein Foto von ihrem Sohn, als erst zwei und dann vier der Lorikeets herabstießen, auf seiner Schale landeten und sich unter dem typischen lauten Gekreische über das Futter hermachten. Ein fünfter Papagei ließ sich auf Nicks Schulter nieder und stritt sich mit den anderen um das Fressen. Mit viel Geschrei wurden die Körner verschlungen, bis die Papageien sich wie auf ein geheimes Kommando hin gleichzeitig in die Luft erhoben und als riesiger Schwarm über die Baumwipfel hinweg davonflogen. "Mummy!" Nick war vor Aufregung sprachlos. Er blickte zu ihr auf, und plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. "Hallo, Mr. Sutherland, haben Sie die vielen Vögel gesehen? Einer saß auf meiner Schulter, und seine Krallen haben mich ein bisschen gepiekst!"
2. KAPITEL Kate hatte in ihrem Leben bereits blankes Entsetzen, Erniedrigung und tiefe Trauer ertragen, doch all das war nichts im Vergleich zu der panischen Angst, die sie jetzt verspürte. Sie bemerkte, dass sie die Hand auf ihr klopfendes Herz presste, um ihre aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Das konnte unmöglich ein Zufall sein. Wie hatte sie nur glauben können, sie seien ihm entkommen? "Hallo, Patric", sagte sie mit fester Stimme. Sein Lächeln hatte etwas leicht Verschlagenes. "Hallo, Kate", antwortete er und fuhr dann an Nick gewandt fort: "Ja, ich habe den Vogel auf deiner Schulter sitzen sehen. Wie haben sich seine Krallen denn angefühlt?" "Sie waren klein und haben ein bisschen gekratzt", sagte Nick. "Er hat sich an mir festgehalten." Er strahlte vor Stolz. "Mummy hat ein Bild von mir gemacht. Das nehme ich dann mit zur Schule und zeige es allen. Wir waren im ganzen Park und haben Koalabären und Wombats gesehen und Vögel." "Würdet ihr gern etwas essen oder trinken?" fragte Patric. "Ich kenne ein Restaurant mit einem kleinen See, wo die Vögel bis auf die Veranda kommen." Patric lächelte Nick zu, und auf seinem Gesicht war keine Spur der Feindseligkeit, die er Kate gegenüber an den Tag gelegt hatte. "Ja, vielen Dank", erwiderte Nick wohlerzogen.
Sie gingen über die Lichtung auf das Tor zu. Fast wie eine Familie, sagte ihr eine sehnsüchtige innere Stimme. Sie könnte protestieren, aber damit würde sie das Unvermeidliche nur aufschieben. Es war besser, sich Patric zu stellen. "Wie seid ihr hergekommen?" erkundigte sich Patric. "Mit dem Bus", gab Nick ihm bereitwillig Auskunft. "Aber zu Hause haben wir auch ein Auto. Es ist ein Mini und heißt Eugene." "Nach dem Essen fahre ich euch zu eurem Apartment", sagte Patric eisig, ohne Kate anzusehen. Nick freute sich. "Wieder mit dem Rolls-Royce?" wollte er wissen. "Nein, diesmal nicht." Der Blick, den Patric auf dem Jungen ruhen ließ, wirkte sehnsüchtig. Insgeheim zuckte Kate zusammen. Er hatte ihr also nicht geglaubt. Nun würde sie ihm genau erklären müssen, was damals passiert war, und obwohl sie sich von dem Trauma erholt hatte, waren die schrecklichen Erinnerungen in ihr immer noch wach. Abgesehen von der Psychologin, die ihr damals geholfen hatte, über dieses furchtbare Ereignis hinwegzukommen, hatte sie mit niemandem darüber gesprochen. Und Patric war wirklich der letzte Mensch, mit dem sie darüber reden wollte. Aber sie konnte auf keinen Fall zulassen, dass er weiterhin glaubte, er sei Nicks Vater. Sobald sie ihn von der Wahrheit überzeugt hatte, würde sie ihm das Versprechen abnehmen, zu niemandem ein Wort darüber zu verlieren. Patric schenkte ihr keinerlei Beachtung. "Nein, den RollsRoyce brauchte mein Freund heute selber." Aber auch der Wagen, mit dem sie diesmal fuhren, war beeindruckend groß und luxuriös. Schweigend nahm Kate auf dem Beifahrersitz Platz. Patric hatte sie nach jenem ersten feindseligen Blick nicht weiter beachtet. Wie, um alles in der Welt, hatte er sie nur gefunden?
So war Patric schon immer gewesen - stets einen Schritt voraus. Als sie achtzehn Jahre alt gewesen war und noch sehr naiv, hatten seine Intelligenz und Überlegenheit Kate beeindruckt. Auch sie war eine ausgezeichnete Schülerin gewesen, doch in Patric steckte ein Genie. Den Erben des Sutherland-Aviation-Imperiwcas und Kate, die Nichte des Farmverwalters, trennten Welten: nicht nur Patrics Reichtum, sondern auch die sechs Jahre, die er ihr an Erfahrung voraus hatte. Kate war überwältigt gewesen von den Einladungen ins Haus der Sutherlands und überglücklich darüber, dass sie Patrics Auserwählte war. Wie jedes Jahr waren auch in jenem Sommer vor fast sieben Jahren viele Freunde und Besucher auf Tatamoa gewesen, so dass für Kate die Ferien wie im Flug vergingen. Und doch war sie mit ihrer Liebe allein gewesen. Sie hatte alle Warnungen ihrer Tante in den Wind geschlagen, die ihr gesagt hatte, ihre Zuneigung zu Patric habe keine Zukunft. Nicht einmal die vornehme Mrs. Sutherland, die ihr freundlich, aber sehr bestimmt klargemacht hatte, dass sie nicht die Richtige für ihn sei, hatte Kate von ihrer schwärmerischen Liebe abbringen können. Als Patric ihr gesagt hatte, dass er sie liebe, war sie wie benommen gewesen vor Glück. Drei kleine verhängnisvolle Worte, die sie verzaubert und in Patrics Bett gelockt hatten. So sehr hatte Kate sich gewünscht, dass Patric sie liebe, dass sie schließlich selber daran glaubte. Es war die Erfüllung all ihrer Träume und Hoffnungen gewesen. Wie jung und unerfahren sie doch gewesen war! In Patrics Welt der Reichen und Schönen war für sie kein Platz, und ebenso wenig passte er in ihre Welt. Das Restaurant war geschmackvoll eingerichtet und angenehm kühl. Im angrenzenden Park floss Wasser plätschernd an Felsen herab in einen kleinen Teich. Unter den Blättern der Sheoak-Bäume reckten Ibisse ihre schwarzen Köpfe und
bettelten um Futter. Mit ihren weißen Körpern sahen sie aus wie Balletttänzer. "Gib ihnen nichts zu fressen", sagte Patric zu Nick, "sie bekommen genug und werden sonst aufdringlich." "So wie bei uns die Spatzen und die Möwen", stellte Nick fest und beobachtete interessiert die Vögel. "Warum singen sie hier tagsüber und bei uns nicht?" Auch Kate hatte sich über diese Frage schon den Kopf zerbrechen müssen. Anerkennend hörte sie Patric antworten: "Das weiß ich nicht, aber man kann es sicher herausfinden. Interessierst du dich für Vögel?" "Ich wollte es nur gern wissen." Kate sagte: "Nick ist unglaublich neugierig." Patric zog leicht die Augenbrauen hoch. "Er macht sich eben Gedanken", erwiderte er höflich und fragte Nick: "Was möchtest du essen?" Nick nahm ein Sandwich und einen Milchshake. Mit hochgezogenen Brauen sah Patric Kate an. "Ich hätte gern einen Kaffee", sagte sie. Sie trank sonst lieber Tee, aber im Moment konnte sie eine Extradosis Koffein gut gebrauchen. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen und fügte deshalb hinzu: "Und ein Sandwich." "Ein Clubsandwich?" fragte er. Sekundenlang brachte sie kein Wort hervor. Patric wusste also noch, dass sie in ihrer Jugend geradezu süchtig nach Clubsandwiches gewesen war. Kate wurde leicht schwindelig. Sie studierte die Speisekarte, um ihre Verwirrung zu überspielen. "Ich habe schon seit Jahren keins mehr gegessen", sagte sie ruhig, "aber jetzt habe ich Appetit darauf." Patric bestellte. Nick plauderte munter drauflos, stellte Fragen und beantwortete die ihm gestellten Fragen mit kindlicher Unbefangenheit. Kate saß angespannt da, bereit, jederzeit einzugreifen, falls Patric nach Dingen fragte, die sie nicht preisgeben wollte. Doch
als er keine der unsichtbaren Grenzen überschritt, entspannte sie sich langsam und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie hatte vergessen, wie stark seine Ausstrahlung war. Sie verlieh seinem rätselhaften, unsteten Blick Lebendigkeit und Tiefe und ließ seine sehr beherrschten Gesichtszüge weicher erscheinen. Trotz seines schönen Mundes war er nicht im herkömmlichen Sinn gut aussehend. Doch schon als er zwanzig gewesen war, hatten sich alle zu ihm umgedreht, wenn er einen Raum betrat. Und immer noch nahm er Kate den Atem. Mit den Jahren und der gewonnenen Autorität war seine beneidenswerte Selbstsicherheit nur noch gewachsen, und seine Attraktivität wurde gekrönt von seiner erotischen Ausstrahlung. Seine bronzefarbene Haut, das schwarze Haar und die grauen Augen, die er von seiner spanischen Mutter geerbt hatte, bildeten einen interessanten Kontrast zu den markanten, strengen Gesichtszügen seiner schottischen Vorfahren. Das riesige Unternehmen, das Alex Sutherland seinem Sohn hinterlassen hatte, war von dessen Großvater "Black Pat" gegründet worden. Jeden Sommer verbrachten Alex, Pilar und Patric, Alex' verwitwete Schwester Barbara Cusack und ihr Sohn Sean sowie weitere Familienmitglieder und Freunde die Weihnachtsferien auf Tatamoa. Ihre Ankunft glich der eines Schwarms exotischer Zugvögel. Während ihres Aufenthalts erfüllten sie ganz Poto Valley mit vibrierendem Leben, und erst nachdem sie abgereist waren, kehrte wieder Ruhe ein. Kate trank einen Schluck Wasser und ließ ihre Gedanken abschweifen, als Nick und Patric begannen, sich über Schlangen zu unterhalten. Es amüsierte sie, dass einige Frauen Patric verstohlen musterten. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie die Frage nicht hörte, und dann war es bereits zu spät. "In Whangarei", gab Nick bereitwillig Auskunft. "In der Stanner Street. Ich gehe in die Whau Valley School, und Mum arbeitet in einer Boutique in der Cameron Street. Wenn sie
manchmal länger dableiben muss, gehe ich zu unseren Nachbarn Mr. und Mrs. Schumaker oder zu meinem Freund Rangi MacArthur. Er wohnt in derselben Straße. Ich bin in der J2, und ich bin der Beste im ..." Kate unterbrach ihn scharf: "Das reicht, Nick." Warum hatte sie nur nicht besser aufgepasst? Weil sie gegen ein lächerliches Gefühl der Eifersucht ankämpfen musste! Nick verteidigte sich: "Mummy, aber ich bin doch wirklich..." "Ich weiß." Sie sah Patric an und sagte zu ihm mit einer Stimme, die Nick überrascht aufblicken ließ: "Frag mich, wenn du etwas wissen willst." "Ich bezweifle, dass du mir so ehrlich Auskunft geben würdest wie Nick." Er lehnte sich zurück und warf ihr unter gesenkten Lidern einen Blick zu. "Warum seid ihr nach Whangarei gezogen?" Kate sagte steif: "Weil wir irgendwo wohnen mussten." "Warum bist du nicht bei deinem Onkel und deiner Tante geblieben?" Kate blickte über den kleinen Teich. "Sieh mal, Nick! Ein schwarzer Schwan!" Als Nick sich in den Anblick vertieft hatte, fuhr sie fort: "Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht daran, aber die beiden sind von Tatamoa weggezogen, als ich zur Universität zurückging. Meine Cousinen und ich waren bereits ausgezogen, und mein Onkel und meine Tante beschlossen, ein Motel auf den Cook Islands zu eröffnen." Nick beobachtete jetzt interessiert eine junge Frau, die ein leuchtend weißes Kleid trug und langes goldblondes Haar hatte. Sie trommelte mit den Fingern leise und ungeduldig auf den Tisch. Um ihre schlanken Handgelenke trug sie schmale Goldarmbänder. "Starr sie nicht so an", sagte Kate leise zu Nick. "Warum bist du nicht mit ihnen gegangen?" fragte Patric.
"Ich wollte nicht." Der Schock und die Erniedrigung waren zu viel für Kate gewesen. Sie war verzweifelt und völlig verstört und nicht einmal in der Lage gewesen, ihren Verwandten zu eröffnen, dass sie schwanger sei. "Du hast dein Studium abgebrochen", bemerkte er. Überrascht sah sie ihn an, sein Blick war ausdruckslos. "Woher weißt du das?" "Ich habe jemanden nachforschen lassen." Er lächelte. "Derjenige hat auch herausgefunden, dass du mich damals im Mai angelogen hast, als du mir von deinem angeblichen neuen Geliebten erzählt hast." "Im Juni hast du die Universität verlassen und warst verschwunden", fuhr Patric fort. "Als ich das erfuhr, habe ich bei deinem Onkel und deiner Tante angerufen, aber sie wohnten nicht mehr auf Tatamoa. Mir wurde gesagt, sie seien nach Australien gegangen. Ich nahm an, dass du mit ihnen gegangen warst - und dass du mir das absichtlich nicht mitgeteilt hattest." Sein Blick streifte Nick. "Du hättest zu mir kommen sollen", sagte er ruhig. "Ich habe es auch so geschafft", erwiderte sie kühl und fuhr mit fester Stimme fort: "Du hattest nichts mit der Situation zu tun, in der ich mich befand." "Ich hätte dir geholfen, Kate", sagte er rau, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. "Warum hast du mir nichts gesagt?" "Du hattest nichts damit zu tun", wiederholte sie. Prüfend blickte er sie mit seinen dunklen Augen an. "Ich verachte Lügner", sagte er ruhig. Kate versuchte, sich zu entspannen. "Du selber bist sicher über jeden Fehler erhaben." Um seine Mundwinkel zuckte es leicht. Kate vergewisserte sich, dass Nick ihrem Gespräch nicht folgte, und fügte dann hinzu: "Das alles ist jetzt nicht mehr wichtig. Es ist lange her, und alles hat sich seitdem geändert."
Sanft sagte Patric: "Es hat keinen Sinn, vor seiner Vergangenheit zu fliehen, Kate. Sie holt uns immer wieder ein." Er lächelte, und für einen kurzen Augenblick war sie wieder die junge, naive Kate Brown von damals, überwältigt vom Taumel der Glückseligkeit ihrer ersten großen Liebe. Glücklicherweise wurde ihr Essen gebracht, was Kate die Gelegenheit gab, ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen. "Entschuldigung?" Beim Klang der durchdringenden Stimme zuckten alle zusammen - bis auf Patric, wie Kate bemerkte. Er stand auf, als die blonde Frau sich ihrem Tisch näherte. Ihre Goldarmbänder funkelten in der Sonne. Die Frau nahm keinerlei Notiz von Nick und Kate. Sie warf Patric ein aufreizendes Lächeln zu und fragte ihn: "Haben Sie vielleicht ein Feuerzeug? Ich muss meins verloren haben." "Nein, tut mir Leid", sagte er und blickte sich suchend um. Sofort kam die Kellnerin auf ihn zu, und Patric bat sie um Streichhölzer. Die blonde Frau schenkte ihm noch ein betörendes Lächeln, bedankte sich und ging zurück an ihren Tisch. Nick betrachtete sie aufmerksam. "Die Frau mochte Sie", stellte er fest. "Sie ist hübsch, aber nicht so hübsch wie du, Mummy. Nicht wahr, Mr. Sutherland?" Patric ließ abermals einen prüfenden Blick über ihr Gesicht gleiten. Seine unbewegte Miene verriet keinerlei Gefühle, doch Kate bemerkte ein leichtes Funkeln in seinen Augen. "Bei weitem nicht so hübsch", sagte er. Kate errötete leicht. Mit einem betont unpersönlichen 'Lächeln erwiderte sie: "Danke für das Kompliment." Unvermittelt fragte Patric: "Es gibt in eurer ApartmentAnlage doch einen Babysitterservice, nicht wahr?" "Ich glaube schon", antwortete Kate vorsichtig. "Ich habe aber nicht die Absicht, davon Gebrauch zu machen."
"Ich würde dich heute Abend gern sehen", sagte er entschlossen. "Nick ..." "Das halte ich für keine gute Idee", unterbrach sie ihn. "Iss auf, Nick." "Kate, wir müssen miteinander reden", sagte Patric, und seine Stimme drückte Entschlossenheit aus. Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Patric hatte nicht das Recht, irgendwelche Ansprüche zu stellen - weder auf sie noch auf Nick. Womöglich würde durch ihn der Mann, den sie am meisten hasste und fürchtete, erfahren, wo sie wohnten. Und doch bedurfte es all ihrer Kraft, ihm zu widersprechen. "Nein, das müssen wir nicht." Er lehnte sich zurück und musterte sie mit undurchdringlichem Blick. "Doch, das müssen wir", entgegnete er. Kate führte mit zittriger Hand ihre Tasse zum Mund - in der Hoffnung, die Wirkung des Koffeins würde sie beruhigen und dem Zittern entgegenwirken, das von ihrem Herz ausging und ihren ganzen Körper ergriff. "Irgendwann hätte ich es doch herausgefunden, Kate. Neuseeland ist zu klein, als dass man dort ein Geheimnis ewig bewahren könnte." Dieses Geheimnis schon, dachte sie grimmig, und wenn sie und Nick sich aus Whangarei davonstehlen müssten wie Diebe in der Nacht. Sie trank ihren Kaffee aus. Er war stark und heiß, ohne sie jedoch zu wärmen. Patric glaubte also immer noch, dass Nick sein Sohn war, und er war fest entschlossen, am Leben des Jungen teilzunehmen. Aber sobald sie ihm die Wahrheit erzählte, wäre er nicht mehr interessiert. Also würde sie ihm wohl die Wahrheit sagen müssen - oder zumindest so viel wie nötig. Und dann würde sie ihm das Versprechen abnehmen, über alles Stillschweigen zu bewahren.
"Ich weiß, was du denkst, aber du irrst dich", sagte sie ohne Hoffnung darauf, dass er ihr glauben würde. Er glaubte ihr nicht. "Wenn ich gewusst hätte ..." "Das ist jetzt nicht mehr wichtig", sagte sie verzweifelt. "Du trägst keinerlei Verantwortung für das, was passiert ist." Mit kühler Ironie erwiderte er: "Spar dir deine Lügen, Kate." Obwohl ihre Nerven zum Zerreißen gespannt waren, gelang es ihr, ruhig zu erwidern: "Sieh mal, Nick, ein Pukeko!" Nick drehte sich um und betrachtete aufmerksam den Vogel. Nach einer Weile sagte er: "Aber Pukekos sind doch neuseeländische Vögel." "Ja, aber in Australien sind sie auch sehr verbreitet", erklärte Patric ihm. Nick verdrückte die Reste seines Sandwichs. "Wir müssen gehen", sagte Kate zu ihm und versuchte, kühl und gefasst zu klingen, denn obwohl Patric sich dadurch sicher nicht würde täuschen lassen, wollte sie auf jeden Fall vermeiden, dass Nick etwas bemerkte. "Okay", sagte er gut gelaunt, aber als sie das Caf6 verließen, nahm er ihre Hand, was ungewöhnlich war. Kate schwor sich, sie würde nicht zulassen, dass Nick durch irgendetwas oder irgendjemanden geängstigt würde. Im Auto fragte Patric sie: "Soll ich euch zu eurem Apartment fahren?" "Ja, bitte", sagte sie kurz angebunden. "Wie hast du herausgefunden, wo wir wohnen?" "Du bist nicht sehr geschickt im Lügen. Ich habe einen Skateboardfahrer beauftragt, euch zu folgen." Patric lenkte den Wagen rücksichtsvoll und geschickt durch den dichten Verkehr. Alles, was er tat, machte er perfekt. Er war ein begabter Tänzer, ein sehr guter Sportler und ein so atemberaubender Liebhaber, dass Kates Erinnerung daran nach all den Jahren noch immer nicht verblasst war.
Als das Auto vor ihrem Apartment hielt, sagte sie bitter und widerstrebend: "Dann sehen wir uns also morgen Abend." Er zog die Handbremse an. "Ja. Wir gehen dann zusammen essen. Ich werde dich um sieben Uhr abholen." Kate nickte nur kurz. Sie musste ihm die Wahrheit erzählen, aber sie würde damit fertig werden. Sie war viel stärker, als sie es mit achtzehn gewesen war. "Und glaube nicht, du könntest dich morgen einfach nach Neuseeland davonstehlen. Ich weiß jetzt genug, um euch wieder zu finden", sagte Patric gelassen. "Du musst dich noch bei Mr. Sutherland bedanken", erinnerte sie Nick. Er gehorchte, und als das Auto wegfuhr, bat er sie: "Kann ich morgen Abend auch mitkommen?" "Nein, Darling." Als Nick protestieren wollte, sagte sie schnell: "Komm, wir haben noch Zeit, vor dem Abendessen schwimmen zu gehen." Zum Glück war Nick sofort abgelenkt, denn im Moment fühlte sie sich einfach zu erschöpft, um sich mit ihm auseinander zu setzen. Nachts warf Kate sich unruhig im Bett hin und her. Warum musste Patric ausgerechnet in dem Moment aus seinem Hotel kommen, als sie und Nick Achterbahn fuhren? Alles war so gut gelaufen. Sie hatte sich eine gewisse Gelassenheit zu Eigen gemacht und ein bescheidenes, aber angenehmes Leben aufgebaut, dessen Mittelpunkt ihr Sohn und ihre Arbeit darstellten. Und wenn sie auch von Zeit zu Zeit wehmütig an ihre vielen unerfüllten Wünsche und Träume dachte, so entschädigte Nick sie doch für all das, worauf sie verzichten musste. Voller Unruhe stand sie auf und ging zum Fenster. Obwohl es lange nach Mitternacht war, waren noch zahlreiche Autos unterwegs, und die vielen hell erleuchteten Fenster in den nahe
gelegenen Häusern ließen erkennen, dass man an der Gold Coast noch lange nicht schlief. Kate blickte zum Himmel empor. Einmal hatte Patric ihr die Namen der Sterne und Sternbilder aufgezählt: Orion, den Jäger des Sommers, Sirius an seiner Ferse, die Plejaden, das Kreuz des Südens. Kate war fasziniert gewesen. Das nächste Mal hatte er ein Fernglas mitgebracht, und sie überlegten, ob es auf diesen fernen Planeten wohl auch Leben geben würde. Sie stellte fest, dass sie lautlose Schluchzer schüttelten, obwohl sie schon seit Jahren nicht mehr geweint hatte! Sie richtete sich auf und trocknete sich die Augen. Sie war so jung gewesen, ein unschuldiges Mädchen vom Land, und dann hatte sie viel zu schnell erwachsen werden müssen. Sechs Jahre trennten sie und Patric voneinander, doch es hatten ebenso gut hundert sein können. Und dennoch hatte sie ihn mit all der Leidenschaft ihres unschuldigen jungen Herzens geliebt. Von Anfang an war sie von seiner geheimnisvollen Ausstrahlung fasziniert gewesen und hatte ihn insgeheim angebetet. Und in dem Jahr, als sie sechzehn wurde, hatte sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt - und zu ihrer Freude hatte er ihr mit seinen dunklen Augen zugelächelt. Damit hatte alles angefangen. In jenen Ferien hatte er sie das erste Mal geküsst, sanft und zärtlich, und er hatte nicht gemerkt, dass er mit seinen geübten und gefühlvollen Liebkosungen in ihr ein glühendes Verlangen entfachte. Vielleicht hat er es doch gemerkt, dachte sie jetzt. Denn er hatte darauf geachtet, dass sie fast nie allein waren, beim gemeinsamen Reiten, als er ihr beibrachte, wie man Wasserski fuhr, wenn sie Tennis spielten - immer waren sie in Begleitung anderer gewesen. Wahrscheinlich war er sich ihrer Unerfahrenheit und ungezügelten Leidenschaft bewusst gewesen. Er war liebevoll und behutsam gewesen, doch schon damals wusste sie, dass es
keine gemeinsame Zukunft für sie geben würde. Kates Tante war wegen dieser Freundschaft besorgt gewesen und hatte ihr gesagt, sie solle sich keine Hoffnungen machen, denn Patric würde eine Frau aus seinen gesellschaftlichen Kreisen heiraten jemanden wie Laura Williams, die Tochter des besten Freundes seines Vaters. Kate biss sich auf die Lippe. Nach den Sommerferien war Patric in die USA gefahren, um sein Wirtschaftsstudium fortzusetzen. Atemlos und überglücklich hatte sie dann seine erste Postkarte gelesen, und obwohl er nie mehr als einen oder zwei Sätze schrieb und die Karten unregelmäßig kamen, waren sie doch ein Funken der Hoffnung für Kate. Im folgenden Jahr verbrachte er wieder eine Woche auf Tatamoa. Sie konnten nicht viel Zeit miteinander verbringen, aber Patric war weniger zurückhaltend, und seine Küsse waren voller intensiver Leidenschaft. Am Ende ihres letzten High-School-Jahres war er aus den USA zurückgekehrt, noch weltgewandter als zuvor, und hatte die Kette verhängnisvoller Ereignisse ausgelöst, deren Resultat ihr Treffen am morgigen Abend war - und indirekt auch Nick, der friedlich im Zimmer nebenan schlief. Der Babysitter war eine sympathische Frau von etwa vierzig Jahren, die sich auf Anhieb mit Nick verstand. Grinsend sagte Nick: "Um zehn gehe ich ins Bett." "Um acht", entgegnete Kate fest. Der Babysitter lachte. "Ich werde schon dafür sorgen, dass er um acht im Bett ist." Sie waren nachmittags in einem weiteren Freizeitpark gewesen, und seit ihrer Rückkehr hatte Nick mehr Aufmerksamkeit gefordert als normalerweise. Er war es nicht gewohnt, dass sie etwas ohne ihn unternahm. "Wohin fahrt ihr denn?" wollte er wissen.
"Ich weiß es noch nicht", antwortete sie. "Wenn Mr. Sutherland mich abholen kommt, lassen wir uns die Nummer vom Restaurant geben, so dass du mich im Notfall anrufen kannst." Nick sah erleichtert aus. "In Ordnung." Die Sprechanlage summte. Als Kate Patrics Stimme hörte, fing ihr Herz an zu klopfen. "Könntest du mir eine Telefonnummer geben, unter der man mich im Notfall erreichen kann?" bat sie ihn. Er nannte sie ihr. Sie kniete sich hin und gab Nick einen Abschiedskuss. Er umarmte sie heftig. "Bis dann." Sie stand auf und lächelte ihm zu. "Ich bleibe nicht lange weg, aber ich möchte, dass du schläfst, wenn ich wiederkomme." Sie sammelte all ihre Kraft, doch als sie Patric im Foyer erblickte - gelassen und scheinbar ruhig, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Obwohl sie ihn nicht mehr liebte, hatte seine Gegenwart seine männliche Ausstrahlung, sein muskulöser Körper, den sie unter der legeren Kleidung erahnte - nach wie vor eine starke Wirkung auf sie. Die Lider gesenkt, betrachtete er sie mit ausdruckslosem Blick. Trotzig hob Kate das Kinn. Sicher war er die Gesellschaft von Frauen gewöhnt, die Designergarderobe trugen und keine Kleider aus dem Schlussverkauf. Aber der Goldton passte zu ihrer Haut und ließ ihre grünblauen Augen leuchten. "Du siehst heute einfach atemberaubend aus", stellte Patric ruhig fest. Ihr Herz klopfte plötzlich wie wild. "Danke", brachte sie mühsam hervor. "Du scheinst dich kaum verändert zu haben." Die Locken fielen ihr weich über die Schultern, als sie den Kopf schüttelte. "Äußerlich vielleicht."
"Ich hoffe, dass du dich verändert hast", sagte er, nahm ihren Arm und führte sie zum Wagen. Widersprüchliche Gefühle bemächtigten sich ihrer, und ihr wurde heiß und kalt. "Warum?" Als der Wagen losfuhr, antwortete Patric: "Wer sich nicht verändert, tritt auf der Stelle. Damals in Tatamoa war ich jung und unerfahren und hatte nur meine eigenen Probleme und Pläne im Kopf. Aber auch ich habe mich verändert." "Ich habe dich anders in Erinnerung: als verantwortungsbewusst und mutig", sagte sie offen. "Auch als ich dich allein ließ, nachdem wir uns geliebt hatten und du schwanger geworden warst?" Patrics Stimme war voller Selbstverachtung. Kate hob den Kopf. Sie nahm all ihren Mut zusammen und sagte: "Patric, du bist nicht Nicks Vater." Sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. "Gib dir keine Mühe, Kate. Ich weiß genau, an welchem Tag er geboren wurde ..." Ungeduldig unterbrach sie ihn: "Ich habe es dir schon einmal gesagt - du bist wirklich nicht sein Vater. Warum sollte ich dich anlügen?" "Das versuche ich herauszufinden." Wäre sie in einer anderen Situation gewesen, hätte sein drohender Unterton sie womöglich abgeschreckt. Doch jetzt fühlte sie sich nur noch in ihrer Entscheidung bestärkt. Patric schaltete den Blinker ein, und als sie die Straße zur Hälfte überquert hatten, stellte er fest: "Du hast also eine Woche später, nachdem wir uns geliebt haben, mit einem anderen Mann geschlafen." Kates Mund zitterte leicht, aber sie antwortete mit fester Stimme: "Zwei Wochen später, um genau zu sein." "Direkt nachdem du nach Christchurch gegangen bist." "Direkt vorher."
Er schüttelte ungläubig den Kopf, schlug das Lenkrad leicht ein, und sie fuhren in Richtung einer kleinen, am Strand gelegenen Apartmentanlage. "Wo sind wir?" fragte sie heiser. "Hier ist mein Apartment. Wir werden hier essen, denn ich möchte nicht in aller Öffentlichkeit über diese Dinge sprechen. Keine Angst", fuhr Patric leicht sarkastisch fort, "dir wird hier nichts passieren, und du kannst mir in Ruhe erzählen, mit wem du vor all diesen Jahren geschlafen hast." Er stellte den Motor ab und sagte in das Schweigen hinein mit kaum verhohlener Feindseligkeit: "Und warum du mir, als wir uns das letzte Mal gesehen haben und du bereits wusstest, dass du schwanger warst, kein Wort davon gesagt hast."
3. KAPITEL Kate warf ihm einen raschen Blick zu. Mit aller Macht unterdrückte sie ihre aufkommende Angst. Sie hatte sich entschlossen, es ihm zu erzählen, also würde sie ihre Abscheu verdrängen und es auch tun. Ein plötzlicher Schmerz durchfuhr sie bei dem Gedanken, dass sie im Begriff war, sich einzugestehen, dass jene Hoffnung, die sie nie ganz hatte aufgeben können, nichts weiter war als ein Wunschtraum. Vor fast sieben Jahren hatte ein einziger Gewaltakt all ihre Träume zerstört und eine Freundschaft zwischen ihr und Patric unmöglich gemacht. Sie gingen zum Fahrstuhl und fuhren hinauf zum Apartment. Natürlich, dachte Kate sarkastisch, für den Besitzer und Vorstandsvorsitzenden von Sutherland Aviation ist das Beste gerade gut genug. Der Aufzug öffnete sich, und sie betraten einen mit dicken Teppichen ausgelegten Flur. Schweigend schloss Patric die Tür zu seinem Apartment auf und ließ Kate eintreten. Sie gingen in ein weiträumiges Wohnzimmer, das ganz in den Farben gehalten war, die für den Südosten von Queensland charakteristisch waren. Keramikfliesen, ein weiß-blauer chinesischer Läufer, Sofa und Sessel aus weichem Leder, ein bernsteinfarbener Travertin-Tisch, umgeben von französischen Stühlen, stilvolle Gemälde an den Wänden, alles zeugte von Reichtum und erweckte eine kühle, unpersönliche Atmosphäre.
Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, und fragte dann mit einer unpersönlichen Höflichkeit, die sie erschauern ließ: "Möchtest du einen Drink?" "Nein, danke", antwortete sie leise und legte ihre Hände, die sie vorher nervös über das weiche Leder des Sessels hatte gleiten lassen, in den Schoß. "Ich möchte das alles so schnell wie möglich hinter mich bringen." Kate versuchte, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. "Nick ist nicht dein Sohn, bitte glaub es mir. "Warum sollte ich das tun?" "Weil es die Wahrheit ist. Warum sollte ich dich anlügen?" "Aus Rache?" Seine Stimme war ausdruckslos. Sie wollte ihren Ohren nicht trauen. "Aber wofür sollte ich mich an dir rächen wollen?" "Dafür, dass ich Laura geheiratet habe - sechs Wochen nachdem wir uns das letzte Mal gesehen haben und viereinhalb Monate bevor ich dir gesagt hatte, dass ich dich immer lieben würde." "Nein", entgegnete Kate. "Ich hatte dir damals im Mai gesagt, dass es vorbei sei. Du hattest das Recht, Laura zu heiraten." Aber wäre sie auch dann so entschlossen gewesen, wenn sie nicht von der anderen Frau in seinem Leben gewusst hätte? Kate blickte auf und sah Patric offen an. "Wenn auch nur die Möglichkeit bestanden hätte, dass du Nicks Vater bist, hätte ich es dir gesagt." "Dann verrat mir doch, mit welchem Mann du geschlafen hast, nachdem wir uns geliebt hatten." Patric beobachtete sie, und sein Blick war hart. Sie sammelte all ihre Kraft und brachte mit fester Stimme hervor: "Warum hast du jemanden nach Christchurch geschickt, um mir nachzuspionieren?" Dass Patrics Gelassenheit gespielt war, offenbarte sich, als er unerwartet heftig erwiderte: "Kannst du dir nicht denken, warum ich das getan habe? Ich habe dich geliebt - ich war nach
Tatamoa gekommen, um dich zu bitten, meine Frau zu werden! Und als du mir so ungerührt sagtest, zwischen uns sei es für immer aus, da konnte ich es mir nur damit erklären, dass es dich so erschreckt oder abgestoßen hat, mit mir zu schlafen, dass du es nicht mehr ertragen hast, in meiner Nähe zu sein." "Nein!" Er kniff die Augen zusammen. "Am Tag, nachdem wir uns geliebt hatten, habe ich dir gesagt, dass ich dich liebte und auf dich warten würde. Ich musste dich verlassen, weil mein Vater im Sterben lag. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sein Herz stehen bleiben würde. Ich hatte zu ihm nach Auckland fahren müssen." "Ich erinnere mich", sagte sie mit klopfendem Herzen. Er hatte ihr so Leid getan, und doch hatte seine Abreise die gerade aufkeimende Freude in ihrem Herzen gedämpft. "Ich konnte das gut verstehen." "War dir auch bewusst, dass ich von da an achtzehn Stunden täglich würde arbeiten müssen, um Sutherland Aviation zu retten?" Sie hob den Kopf. "Ich wusste damals nicht, wie es um Sutherland Aviation stand, ich habe aber akzeptiert, dass deine Eltern dich brauchten." "Deshalb konnte ich dich während deines ersten Semesters auch nicht besuchen. Ich durfte meine Eltern nicht allein lassen. Meine Mutter hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, und der Zustand meines Vaters verschlimmerte sich jedes Mal, wenn ich die Stadt verließ." Patrics Stimme klang kalt und gefühllos. "Wenn ich dich angerufen habe, hast du kühl und distanziert geklungen, und deine Briefe waren wie die Briefe eines kleinen Mädchens an seinen älteren Cousin. Aber ich dachte, das läge daran, dass du noch so jung warst." Kate streckte unwillkürlich die Hand nach ihm aus, zog sie jedoch schnell zurück. Aber Patric hatte es bemerkt. "Natürlich musstest du bei deinen Eltern bleiben."
Wieder war er nahe daran, die Selbstbeherrschung zu verlieren. "Warum hast du dann deine Meinung geändert? Ich wusste, dass du mich liebtest, sonst hättest du nicht mit mir geschlafen. Warum hast du mir damals im Mai nicht gesagt, dass du schwanger warst?" "Weil du nichts damit zu tun hattest. Das Baby war nicht von dir." Eine leichte Übelkeit überkam sie. "Das alles ist doch jetzt nicht mehr von Bedeutung. Nick ist nicht dein Sohn. Bitte glaub es mir." Sie konnte nicht vermeiden, dass ihr Ton bettelnd klang, und Patric sah sie mit einer Mischung aus Ärger und Verachtung an. Er stand immer noch. Die Hände hatte er auf die Lehne eines der Stühle am Esstisch gelegt und blickte hinaus zum Strand, der bereits von der hereinbrechenden Dämmerung verdunkelt wurde. Sein arrogantes, selbstbewusstes Gesicht wurde vom Schein der untergehenden Sonne rötlich angestrahlt. "Wie könnte ich das glauben? Die Kate, die ich kannte und in die ich mich verliebt hatte, hätte niemals mit einem anderen Mann geschlafen." In ihrem Herzen glomm ein lange erloschen geglaubtes Feuer erneut auf. Sie achtete jedoch nicht darauf und wiederholte nur verzweifelt: "Es tut mir Leid, Patric. Ich wünschte, Nick wäre dein Sohn, aber er ist es nicht." Mit einer Heftigkeit, die Kate so erschreckte, dass sie am liebsten aufgesprungen und davongelaufen wäre, brach es aus ihm heraus: "Wessen Sohn ist er dann?" "Er ist der Sohn des Mannes, der mich, zwei Wochen nachdem du Poto verlassen hast, vergewaltigt hat", sagte sie mit unbewegter Stimme. "Eine Woche nachdem ich meine Periode hatte." Nur mit Mühe brachte sie die Worte über die Lippen. Einige Sekunden blickte er sie starr und ungläubig an, während ihr Herz zum Zerspringen klopfte. Dann brach es aus ihm heraus, und sie stieß einen angstvollen Schrei aus, als er einen Stuhl auf den gefliesten Boden schmetterte.
Sie wusste, dass sie ihm unmöglich die ganze Wahrheit sagen konnte. Patric hatte sich wieder gefasst. Er hob den Stuhl auf und stellte ihn wieder an seinen Platz, dann ging er schweigend zum Fenster. Seine fließenden, geschmeidigen Bewegungen erinnerten sie an einen Leoparden. "Wer war es? Welcher Mann hat dich vergewaltigt?" Seine Stimme war kalt wie Eis. Und dennoch hörte sie etwas anderes heraus - eine tödliche Wut, die sie erbeben ließ. Nur ein einziges Mal hatte sie ihn so sprechen hören - als sein Cousin Sean Cusack versucht hatte, sie zu küssen. "Ich kannte ihn nicht", sagte sie schnell, und ihre Stimme klang sicherer. "Es war ein Tramper, der auf dem Weg nach Auckland war." Das war gelogen, aber ihre Geschichte klang glaubwürdig, weil sie grundsätzlich der Wahrheit entsprach. "Er hat in Poto ein Auto gestohlen und ist fünfzig Kilometer weiter tödlich verunglückt." Falls Patric überprüfen sollte, ob sie die Wahrheit gesagt hatte, würde er zumindest, was diesen Teil ihrer Geschichte betraf, Beweise in den Zeitungen von damals finden. Patric zog die dunklen Augenbrauen zusammen. "Hast du mir deswegen gesagt, du würdest mich nicht mehr lieben? Weil du vergewaltigt worden warst?" Kate lockerte den Griff ihrer Hände, die ins samtweiche Leder des Sessels verkrampft waren, und legte sie in den Schoß. Ruhig antwortete sie: "Ja. Ich war verzweifelt - allein der Gedanke an körperliche Nähe war mir unerträglich. Außerdem wusste ich, dass du dich häufig mit Laura getroffen hast." "Woher wusstest du das?" "Meine Cousine Juliet arbeitete damals bei Sutherland Aviation." Juliet hatte versucht, ihr klarzumachen, dass sie sich von einer Sommerromanze nicht allzu viel versprechen durfte. Während Kate voller Einsamkeit und Sehnsucht ihr erstes
Semester in Christchurch durchlitt, hielten Juliets Briefe sie über Patric auf dem Laufenden - und über Laura. Nach seinem Ton zu urteilen, hatte Patric sich wieder unter Kontrolle. "Bist du damals zur Polizei gegangen?" fragte er. Sie biss sich auf die Lippe. "Ich dachte damals, dass mir niemand glauben würde." Das hatte Sean ihr weisgemacht, und sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben und hatte nichts unternommen. Heute wäre es anders, dachte sie grimmig. Sie würde ihn sofort anzeigen. Aber vor sieben Jahren war sie unerfahren und voller Scham gewesen. Sie hätte es niemals fertig gebracht, es jemandem zu erzählen. "Außerdem war er ja tot." Noch eine Lüge. "Und du hast nie an eine Abtreibung gedacht?" "Meine Periode war immer sehr unregelmäßig. Ich habe erst kurz vor den Ferien im Mai bemerkt, dass ich schwanger war." Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: "Zuerst habe ich es mir nicht eingestanden - ich stand immer noch unter Schock und ..." Kate verstummte und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. "Es schien keinen anderen Weg zu geben, als mich von dir zu trennen." Sie war damals nicht einmal in der Lage gewesen, um ihre verlorene Liebe zu trauern. Sie hatte Patric in der Nacht verloren, in der sein Cousin sie vergewaltigt hatte. "Ich verstehe." Patric klang geistesabwesend und nachdenklich. Seine Miene verriet nicht, was in ihm vorging. "Würdest du mich jetzt bitte nach Hause bringen?" bat Kate. Sie fühlte sich erschöpft. "Wir sollten zuerst etwas essen", sagte Patric. Kate sah auf die Uhr, es war erst halb acht. Nick war bestimmt noch wach, und zum ersten Mal fühlte sie sich nicht in der Lage, sich mit ihm auseinander zu setzen. "Wenn du etwas zu dir genommen hast, wirst du dich sicher besser fühlen."
Als sie Patric wieder getroffen hatte, war ihr klar geworden, dass sie sich all die Jahre eingeredet hatte, Nick sei sein Sohn. Jetzt, da sie ihren Wunschtraum im unbarmherzigen Licht der Wirklichkeit betrachtete, fühlte sie einen Schmerz, den sie nie wieder zu verspüren gehofft hatte. "Es war sicher nicht einfach für dich und Nick, allein von staatlicher Unterstützung zu leben", stellte Patric fest. "Was haben dein Onkel und deine Tante dazu gesagt?" Kate tauchte den Löffel in die kalte Avocadocremesuppe. Sie war einfach köstlich. "Sie haben mir geraten, Nick zur Adoption freizugeben." "Und warum hast du das nicht getan?" "Es gab mehrere Gründe", antwortete sie. "Ich bin selber in einer fremden Familie groß geworden. Natürlich haben sie sich sehr bemüht, aber trotzdem hatte ich nie das Gefühl, wirklich dazuzugehören. Ich wollte nicht, dass es Nick genauso gehen würde. Aber der Hauptgrund war eigentlich, dass er mir sehr ähnlich sah, als er geboren wurde. Es wäre so gewesen, als würde ich mich selber weggeben, und das konnte ich nicht." "Hattest du deiner Tante und deinem Onkel erzählt, dass du vergewaltigt worden warst?" Sie schüttelte den Kopf. "Wozu sollte ich sie damit belasten? Sie wussten auch bis nach der Geburt nicht, dass ich überhaupt schwanger gewesen war." "Du warst bei der Geburt also ganz allein?" "Als ich die Universität verließ - nach den Maiferien -, habe ich einem Zahnarztehepaar den Haushalt geführt. Die Leute waren sehr nett zu mir und haben mich auch im Krankenhaus besucht. Ich hatte mir schon vor der Geburt eine Wohnung in Whangarei gesucht und genug Geld für die Fahrt dorthin gespart. Wir sind eingezogen, als Nick drei Wochen alt war." "Es tut mir Leid", sagte Patric unvermittelt. "Was tut dir Leid?" "Alles."
Kate hatte nicht vergessen, was ihr passiert war, aber sie hatte dieses schreckliche Erlebnis bewältigt. Mit leisem Stolz sagte sie: "Ich bin nicht bereit, mich selber als Opfer zu betrachten. Ich habe die Vergangenheit hinter mir gelassen." "Das ist klug", erwiderte Patric, und etwas in seiner Stimme ließ Kate aufblicken. "Und es zeugt von einem starken Willen." "Es ist einfach nur vernünftig." Als sie aufgegessen hatten, erklärte Patric: "Ich hole den zweiten Gang." Er stand auf und brachte die Suppenteller in die Küche. Seine geschmeidigen Bewegungen unterstrichen seine männliche Ausstrahlung. Etwas in ihr erwachte langsam, streckte und räkelte sich... Schnell wandte sie den Blick ab. Patric hatte die Glastüren geöffnet, die auf eine große Terrasse führten, auf der Palmen in großen Kübeln standen. Eine sanfte Brise bewegte die Gardinen. Kate blickte auf den Strand, der vom Licht des aufgehenden Mondes erhellt wurde, und das Rauschen der Wellen, die an den Strand schlugen, erfüllte den Raum wie er sehr weit entferntes Donnergrollen. Plötzlich verspürte sie ein heftiges Begehren, das sie mit all ihrer Selbstbeherrschung zu unterdrücken versuchte. Und jetzt Schluss damit, ermahnte Kate sich selbst. Sie hatte ein schönes Leben, und wenn dieses Zwischenspiel mit Patric vorbei war, konnte sie sich wieder ganz darauf konzentrieren. Und erst wenn sie einen Mann traf, in den sie sich verlieben konnte und der Nick liebte, als wäre er sein eigener Sohn, dann konnte sie überlegen, ob sie irgendetwas daran ändern sollte. "Der Spargel kommt aus Neuseeland", sagte Patric, als er das Tablett hereintrug. "Isst du ihn immer noch so gern?" "Ich liebe Spargel", bestätigte sie. Mit Nervosität und leiser Freude stellte sie fest, dass er sich daran noch erinnerte. Angeregt und interessiert, aber äußerst wachsam ging Kate auf Patrics Bemerkungen zum jüngsten politischen Skandal ein.
Sie hatte so viel Spaß an ihren Wortgefechten, dass sie eine Zeit lang all das vergaß, was zwischen ihnen stand. Ihr Leben bot wenig Gelegenheit, mit gleichaltrigen Menschen angeregt über Politik, Bücher, Filme und Zeitgeschehen zu diskutieren. Patric sagte: "Du hast also keinen Abschluss gemacht." Sie schüttelte nur kurz den Kopf. "Hast du seitdem deine Studien fortgesetzt?" fragte er daraufhin. Das klang beinahe wie ein Vorwurf. Kate richtete sich auf. "Nein", antwortete sie. Er zog die Brauen zusammen. "Warum nicht?" "Ich habe weder die Zeit noch das Geld dafür", sagte sie schlicht. "Jemand, der über einen so scharfen Verstand verfügt wie du, sollte weiter ausgebildet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Stelle als Verkäuferin oder deine Gespräche mit Nick eine intellektuelle Herausforderung sind. Er ist sehr aufgeweckt, aber eben doch erst sechs Jahre alt." Nach einer kurzen Pause setzte er kühl hinzu: "Oder hast du noch einen anderen Gesprächspartner?" Kates Mund wurde trocken. "Ich lese sehr viel. In Whangarei gibt es eine sehr gute Bibliothek. Und ich habe Freunde und sehr nette Nachbarn", verteidigte sie sich. "Sie heißen Anna und Jakob und sind schon über achtzig. Mit ihnen kann man über fast alles diskutieren. Jakob hat Nick beigebracht, Mundharmonika zu spielen. Inzwischen kann er schon drei verschiedene Lieder spielen, so dass er sich jetzt für einen Profi hält." Patric lachte - ein tiefes, selbstbewusstes Lachen, das Lachen eines Mannes, der alles hatte, was er wollte - oder zumindest sicher war, dass er alles bekommen könnte. Als sie jünger gewesen war, hatte dieses unerschütterliche Selbstvertrauen Kate fasziniert.
"Wenn ihn etwas begeistert, möchte er alles darüber wissen und ist dann wie versunken. Ich weiß inzwischen so gut wie alles über Spinnen und Eidechsen und darüber, wie Mundharmonikas funktionieren." "Und im Moment interessiert er sich für Vögel." "Ja. Wir haben schon Vogelbücher aus der Bibliothek ausgeliehen, Vogelstimmen angehört, Vögel beobachtet, Federn gesammelt und deren Herkunft bestimmt. Bald wird er sich für etwas anderes begeistern, und dann geht wieder alles von vorn los. Manchmal befürchte ich, dass er sich nicht dauerhaft auf eine Sache konzentrieren kann." "Das glaube ich nicht", entgegnete Patric. Er hatte in zwei Gläser australischen Rotwein eingeschenkt, aber bisher nichts getrunken. Erst jetzt trank er einen Schluck. "Er beschäftigt sich einfach mit sehr vielen Dingen sehr intensiv. ,Black Pat' war genauso. Das Einzige, mit dem er sich wirklich über einen längeren Zeitraum befasst hat, ist Sutherland Aviation gewesen." Er sah sie aus halb geschlossenen Augen an. "Warum hast du ihn Nicholas genannt?" "Mein Vater hieß so", sagte sie vorsichtig. Nicks zweiter Name war Patric, ein weiterer Hinweis darauf, dass sie nicht bereit gewesen war, ihren Wunschtraum aufzugeben. "Deinen Vater hätte ich gern kennen gelernt, und deine Mutter muss eine Schönheit gewesen sein." Kate lächelte verträumt. "Ich kann mich natürlich nicht mehr an sie erinnern, ich war ja erst drei, als sie starb." Patric zog die Augenbrauen hoch. "Hatte sie auch diese faszinierenden Augen?" Für einen kurzen Moment ruhte sein Blick auf ihrem Gesicht. Ihr wurde plötzlich heiß, und sie sagte: "Ich wünschte, sie hätte länger gelebt. Meine Eltern wünschten sich noch ein Baby, und sie wollten vorher noch den Mount Everest besteigen. Sie waren die geborenen Kletterer. Irgendwie war dies für sie also die richtige Art, um zu sterben."
"Kein Wunder, dass Nick so begeistert Achterbahn fährt", bemerkte Patric trocken. "Diese Gene müssen eine Generation übersprungen haben, ich bin nicht sehr ;waghalsig." "Tatsächlich?" Patric lächelte. "Und dennoch habe ich dich immer als sehr gefährlich empfunden, schon als du vierzehn warst - mit deinen großen Augen, deinem verletzlichen Blick, deinem leidenschaftlichen Mund ... Deine Schönheit machte mir Angst, und je älter du wurdest, desto schwerer fiel es mir, daran zu denken, dass uns sechs Jahre trennten." Die Lampe über dem Tisch tauchte Patrics strenge Züge in ein warmes Licht und erhellte die markanten Wangenknochen und den schönen Mund. Seine Miene verriet nichts als Macht und Selbstdisziplin. Plötzlich bemerkte sie, dass er sie die ganze Zeit über beobachtet hatte. Ihre Brüste fühlten sich auf einmal seltsam schwer an, der Magen zog sich ihr zusammen, und sie verspürte ein Kribbeln im Bauch und auf der Haut - ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte. Patric stand auf, und aufs Neue war sie angesichts seiner Größe und der Breite seiner Schultern überrascht und beeindruckt. "Ich hole den Nachtisch. Es gibt Mango-Mousse." "Das klingt einfach köstlich." Nachdem er erfahren hatte, dass Nick nicht sein Sohn war und sie ihn nie wieder sehen würde, erlaubte sie sich, sich noch einige Minuten diesem gefährlichen Genuss hinzugeben. , Kate versuchte, das heftige Klopfen ihres Herzens zu ignorieren und das brennende Begehren zu unterdrücken, das ihren ganzen Körper erglühen ließ. Sexuelles Verlangen war etwas Triebhaftes und hatte keinerlei Bedeutung. Doch außer Patric hatte sie nie einen anderen Mann begehrt. Die Brutalität der Vergewaltigung hatte sie körperlichen Freuden gegenüber gleichgültig gemacht. Und ohne sich nach den Gründen zu fragen, hatte sie ihr Leben bisher in Enthaltsamkeit verbracht.
Jetzt, als sie Patrics geschmeidige Bewegungen beobachtete, fragte sie sich, warum sie sich mit der Erinnerung an ihre erste Liebe zufrieden gegeben hatte und keine der Gelegenheiten ergriffen hatte, die sich ihr boten. Patric stellte die Schüssel auf den Tisch. Die Mousse war mit zarten Schokoladenflocken in drei verschiedenen Tönen dekoriert. Kate reichte ihm eine gefüllte Dessertschale und nahm sich dann selber eine kleine Portion. Es war köstlich. Die herbe Schokolade bildete einen pikanten Geschmack zur fruchtigen Süße der Mangos. Während Patric nach dem Essen in der Küche Kaffee kochte, ging sie hinüber zur Fensterfront. Der Mond war aufgegangen und leuchtete so hell am dunklen Himmel, dass die Sterne neben ihm verblassten. Genau so waren für sie alle anderen Männer neben Patric verblasst. Auch wenn ihre Liebe zu Patric nicht jene reife Liebe gewesen war, die zwei erwachsene Menschen dauerhaft aneinander band, so reichte doch kein anderer Mann an ihn heran. Sie würde nicht den Rest ihres Lebens damit verbringen, einer Romanze aus ihrer Jugendzeit hinterherzutrauern oder sich auszumalen, Patric sei der Vater ihres Sohnes, nicht Sean - ein Mann, der sie vergewaltigt hatte, weil sie Patrics Freundin gewesen war, den er schon immer gehasst hatte. Er hatte höhnisch gelacht angesichts ihrer verzweifelten Versuche, sich aus seinem Griff zu befreien. Dann hatte er ihr ein Messer an die Kehle gehalten und ihr gedroht, dass er, sollte sie Patric jemals wieder sehen, alles darstellen würde, als hätte sie ihn begehrt, statt sich wie wild zu wehren. Noch jetzt, Jahre später, erfüllte sie der Gedanke mit Panik, dass Sean durch Patric auf ihre Fährte gelockt werden und von Nick erfahren könnte.
Als sie sich damals entschlossen hatte, ihr Kind zu behalten, hatte sie Angst davor gehabt, dass sich Seans Grausamkeit auf ihren Sohn übertragen haben könnte. Sie hatte alles getan, um Nick ein erfülltes Leben zu ermöglichen, damit er nicht aggressiv oder bösartig würde. Und sie hatte es geschafft. Nick war ein glückliches Kind - gutmütig und willensstark. Er würde niemals wissen, wer sein Vater war und was er ihr angetan hatte. Und wenn sie alles Menschenmögliche dafür tun müsste, um zu verhindern, dass Sean erfuhr, dass er der Vater ihres Kindes war. Aber dazu müsste sie Patric überreden, über ihr erneutes Zusammentreffen Stillschweigen zu bewahren. Als er den Kaffee hereintrug, bat sie ihn: "Versprichst du mir, dass du niemandem weitererzählst, worüber wir heute Abend geredet haben?" Er stellte das Tablett auf dem kleinen Tisch zwischen dem Sofa und einer Lampe ab, in deren Licht sein tief schwarzes Haar glänzte. "Ich begehe keine Vertrauensbrüche", sagte er kühl. "Mir geht es um Nick", erklärte sie und atmete tief ein. "Ich habe nicht vor, ihm zu erzählen, wer sein Vater war oder wie er gezeugt wurde. Aber wenn er älter ist, wird er vielleicht herausfinden, dass du und ich ... uns einmal sehr nahe waren, und vielleicht sogar versuchen, dich zu finden. Für diesen Fall möchte ich dich darum bitten, ihm zu sagen, dass du nicht sein Vater bist und auch nicht weißt, wer es ist." "Gut, ich werde ihm nicht erzählen, dass du vergewaltigt wurdest", stimmte er zu. Steif erwiderte Kate: "Danke. Und würdest du bitte auch niemandem verraten, dass wir uns wieder gesehen haben?" Das klang mehr wie ein Befehl als wie eine Bitte. Er runzelte die Stirn, und Kate hielt seinem Blick stand. "Natürlich", sagte er nach einer Pause und fügte hinzu: "Würdest du uns bitte Kaffee eingießen?"
Sie hatte den Wein nicht angerührt, und auch Patric hatte nur einen einzigen Schluck getrunken. Sie reichte Patric den Kaffee - stark und schwarz, so wie er ihn am liebsten trank. Kate warf Patric einen verstohlenen Blick zu. Worüber mochte er nachdenken? Sie würde es nie erfahren. Schon immer hatte sein Gesicht nie mehr verraten, als er preisgeben wollte.
4. KAPITEL Als Patric sie zu ihrem Apartment zurückfuhr, fragte er: "Wann fahrt ihr jetzt wirklich nach Neuseeland?" "Am Freitag", antwortete Kate, beschämt über ihre Lügen. Er warf ihr einen kurzen, scharfen Blick zu. "Ich werde dich schon nicht belästigen, Kate, aber ich möchte dich auch nicht aus den Augen verlieren. Wir hatten damals doch eine schöne Zeit, nicht wahr?" "Ja, aber..." Sie zögerte, und er fügte trocken hinzu: "Aber wir beide haben uns verändert. Trotzdem, der Abend hat dir doch gefallen, zumindest teilweise, oder?" "Ja", gab sie zu und fragte sich, worauf er wohl hinauswollte. "Mir hat es auch gefallen." Er klang nachdenklich. "Ich habe meine Geschäfte hier fast abgeschlossen und muss erst in ein paar Tagen nach Neuseeland zurück. Können wir nicht zumindest wieder Freunde werden?" Freudige Erregung erfüllte sie plötzlich, doch gleichzeitig war sie alarmiert. Sei kein Feigling, sagte ihr eine innere Stimme. Was ist denn schon dabei? Außerdem hatte er zugesagt, niemandem zu erzählen, dass sie sich wieder gesehen hatten. Und Patric hatte noch nie ein Versprechen gebrochen. Dennoch sagte sie: "Niemand kann die Zeit zurückdrehen, Patric."
"Das weiß ich." Seine Stimme klang, als wäre er tief in Gedanken. "Ich möchte vorwärts blicken, in die Zukunft." Gegen die Macht dieser einfachen Worte war sie wehrlos. "Das möchte ich auch." "Danke." Wieder verspürte sie diese unbegründete Angst. "Was hast du?" fragte Patric. Seine Fähigkeit, weit mehr zu sehen, als sie preisgeben wollte, war beinahe beängstigend. "Jemand ist gerade über mein Grab gegangen", sagte sie leise. Durch das seitliche Fenster sah sie fröhliche Touristen in einem Straßencafe voller bunter Lichter und Musik, und hinter der von Palmen gesäumten Strandpromenade den blendend weißen Strand und das endlose Meer. "Du warst doch früher nicht abergläubisch", bemerkte Patric. Sie lachte ein wenig bitter. "Ich war vieles nicht." Ohne dass sie direkt darüber gesprochen hatten, war die Erinnerung an die Vergangenheit plötzlich wieder sehr lebendig. "Es muss eine sehr schwere Zeit für dich gewesen sein", meinte Patric rau. "Ich bin zurechtgekommen." Wozu sollte sie ihm erzählen, dass das Einzige, was sie am Leben erhalten hatte, die Tatsache gewesen war, dass Nick sie brauchte? Sie hatte diese harte Zeit endgültig hinter sich gelassen. "Ich wünschte, du hättest es mir gesagt", sagte er leise. "Aber es war nicht dein ..." "Ich hätte dir geholfen. Keine Frau sollte ganz allein mit einem so traumatischen Erlebnis fertig werden und dann auch noch ein Kind auf ziehen müssen." Kate kämpfte gegen eine aufkeimende Hoffnung und erwiderte: "Deiner Frau hätte das vermutlich nicht gefallen." "Laura und ich waren uns nie besonders nahe."
Sie fühlte sich wie ein kleines, dummes Schulmädchen, das zurechtgewiesen worden war. "Ich habe nie daran gedacht, dich um Hufe zu bitten." Bevor er etwas entgegnen konnte, fragte sie betont gelassen: "Wie geht es deiner Mutter und deiner Tante?" Sie nahm all ihren Mut zusammen und fügte hinzu: "Und dem unausstehlichen Sean?" "Sean?" antwortete Patric angewidert. "Wir haben keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich habe seit zwei Jahren kein Wort mit ihm gewechselt. Ich weiß nicht, wo er ist, aber er kommt sicher nicht zurück nach Neuseeland." Kate fiel ein Stein vom Herzen. Sie versuchte, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen. "Und wie geht es deiner Mutter?" "Gut." Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: "Sie reist zwischen Europa und Neuseeland hin und her, und zwischendurch besucht sie auch noch andere Länder." Er parkte den Wagen, drehte sich zu ihr und fragte sie: "Was habt ihr morgen vor?" "Wir gehen in den letzten Freizeitpark." Sie musste lächeln. "Und ich muss wieder Achterbahn fahren." Patric lachte leise, und die Nähe zu ihm war plötzlich schwer zu ertragen. "Ich würde gern mitkommen, ich fahre nämlich gern Achterbahn." Kates Herz klopfte rasend, und eine freudige Erregung erfasste sie. Es wäre aufregend und schön, einen Tag mit Patric zu verbringen. Nick würde dabei sein und als "Puffer" agieren. "Bist du dir wirklich sicher, dass es dir gefallen wird? Nick ist sehr ausdauernd, und normalerweise verbringen wir den ganzen Tag in den Parks." "Ich war ja auch mal ein Kind. Um Viertel vor zehn hole ich euch ab." Noch während er das sagte, stieg er aus dem Wagen.
Der Babysitter wartete im Apartment. Als Kate ihr Portemonnaie aus der Handtasche nehmen wollte, hatte Patric der Frau bereits einen Geldschein gegeben. "Ich habe nicht genug Wechselgeld", sagte sie. "Das macht nichts, behalten Sie den Rest", erwiderte Patric. Der Babysitter lächelte beiden freundlich zu und verabschiedete sich. Die Situation war Kate unangenehm. "Wie viel hast du ihr gegeben?" fragte sie Patric, während sie ihr Portemonnaie öffnete. Patric schloss ihre Finger um die Geldscheine in ihrer Hand. Als er sie berührte, durchflutete sie eine Welle der Erregung. "Ich möchte dein Geld nicht. Kauf Nick davon lieber ein Souvenir oder etwas zum Anziehen." "Danke. Ich werde kurz nach ihm sehen." Nick schlief tief und fest, alle viere von sich gestreckt. Das sanfte Licht der Nachttischlampe ließ sein Haar rötlich schimmern. Kate strich ihm über die Wange und lauschte seinen tiefen, regelmäßigen Atemzügen. Sie zog die Decke glatt und löschte das Licht. Im Dunkeln stieß sie mit jemandem zusammen. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück und entzog sich Patrics Griff, der sie am Ellenbogen festhielt. Eine Woge der Wärme umgab sie, die von Patrics Körper und ihrem eigenen ausging. Sie hatte seinen aufregenden Duft vergessen. Ein unwiderstehliches Verlangen wurde in ihr wach, gegen das ihre Vernunft und Selbstbeherrschung machtlos waren. Mit unsicheren Schritten ging sie aus dem Zimmer in den hell erleuchteten Flur. Sie gehorchte der warnenden Stimme in ihrem Innern und öffnete schnell die Wohnungstür. "Gute Nacht", sagte sie. "Gute Nacht." Patric klang kühl und distanziert, aber bei seinem Lächeln blieb ihr beinahe das Herz stehen.
"Du wirst immer schöner", stellte er fest und berührte sanft mit dem Finger ihren Mund. Er schenkte ihr ein Lächeln und ging hinaus. Sie schloss die Tür, wie benommen von seinen Worten, die voller Verlangen und Sehnsucht gewesen waren. Sie verbrachten einen wunderschönen, aber auch anstrengenden Tag im Freizeitpark. Patric machte sämtliche Achterbahnfahrten mit und wurde dafür mit Nicks wachsender Zuneigung und Respekt belohnt. Auch als Nick nach dem langen Tag müde wurde und zu quengeln begann, blieb Patric freundlich und verständnisvoll. Er widmete ihm all seine Aufmerksamkeit und war humorvoll und freundlich, aber nicht zu nachgiebig. Kate ertappte sich bei dem Gedanken daran, wie schön es wäre, die Verantwortung für Nick mit jemandem zu teilen. Abends, als Nick bereits schlief, lauschte sie in die Stille. An diesem Tag hatte sie sich von einem alten, hoffnungslos romantischen Traum verführen lassen und sich dem Zauber hingegeben, den Patric noch immer auf sie ausübte. Aber sobald sie im Flugzeug nach Neuseeland sitzen würden, wäre es damit vorbei. Patric war ein viel beschäftigter Mann. Sein Leben ließ ihm keine Zeit für einen vaterlosen Jungen und für eine Frau, die ihn verlassen hatte. Plötzlich klingelte das Telefon. Kate schreckte hoch und nahm den Hörer ab. Ihre Hände zitterten. "Ich hatte gehofft, dass du noch nicht schläfst", sagte Patric. "Ich wollte gerade ins Bett gehen", erwiderte sie, "vielen Dank für den schönen Tag, Patric. Nick hat es sehr gefallen." Ein kurzes Schweigen entstand. "Und hat es dir denn auch gefallen?" "Ja, natürlich." Mit veränderter Stimme fragte er: "Nick ist etwas ganz Besonderes. Hatten wir früher auch so viel Energie wie er?" Sie musste lächeln. "Ich denke schon - damals, als wir noch jung waren."
"Tja, das ist lange her", neckte er sie. "Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir alle zusammen ein Picknick in Raglan gemacht haben?" Es gab ihr einen Stich ins Herz. An jenem Tag hatte er sie das erste Mal geküsst - sanft, behutsam. Sie hatten sich eng aneinander geschmiegt, und das Klopfen ihrer Herzen schien alles zu übertönen. Kate hatte zum ersten Mal ihre Leidenschaft mit aller Macht gespürt. "Ja, ich erinnere mich", sagte sie kühl. Sie hatte schnell Gefallen an seinen zärtlichen, vorsichtigen Liebkosungen gefunden, doch Patric war den ganzen Sommer lang nicht weitergegangen. Schnell fragte sie ihn: "Warum rufst du an?" "Ich wollte dir Gute Nacht sagen", antwortete er. "Und mich bei dir bedanken." "Wofür?" "Dafür, dass ich euch heute begleiten durfte." Das sah Patric gar nicht ähnlich. Unruhig fragte Kate sich, worauf er wohl hinauswollte. "Was werdet ihr morgen unternehmen? Jetzt kennt ihr ja alle Vergnügungsparks." "Ja, das war heute der letzte." "Wir könnten einen Leuchtturm gleich hinter der Grenze zu New South Wales besichtigen, wo sich riesige Wellen an den Felsen brechen. Danach könnten wir vom Gipfel des Mount Tamborine aus den Drachenfliegern zusehen." "Das würde Nick sicher toll finden", sagte sie langsam. "Schön. Dann hole ich euch um neun ab." Nach einem kurzen Moment fuhr er fort: "Gute Nacht, Kate. Träum etwas Schönes." Sie wünschte ihm auch eine gute Nacht und legte auf. Wenn er etwas in diesem Ton sagte, wenn er ihr zulächelte oder sein Blick auf ihrem Gesicht ruhte - dann war sie auf einmal wieder das junge Mädchen von damals, das ihn geliebt und mit ihm geschlafen - und ihn dann verloren hatte.
Für Nick war es sicher schön, einen erwachsenen Mann als Freund zu haben, wenn auch nur für kurze Zeit, denn selten hatte ihm jemand über längere Zeit seine ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt. Sie tat dies also für Nick. Kate schaltete das Licht aus, um schließlich in einen tiefen Schlaf zu sinken und von Patric zu träumen. Als Kate sich am nächsten Morgen an diese Träume erinnerte, wurde sie rot. Doch Patrics Verhalten beruhigte sie. Im Gegensatz zu der erotischen Anziehung, die er auf sie ausübte, gab es kein Anzeichen dafür, dass sie eine ähnliche Wirkung auf ihn ausgeübt hatte. Sie redete sich ein, dass sie dafür dankbar sei. Und dass es sie auch nicht eifersüchtig mache, dass jeder zweite Satz von Nick mit "Mr. Sutherland sagt..." anfing. Der kleine Leuchtturm befand sich in einer malerischen Umgebung. Vor der Küste sah man eine kleine Insel, und durch die Bäume blickten sie über einen wellengepeitschten Strand bis zum nächsten Seebad, das weit entfernt im Dunst dalag. Plötzlich legte Nick Kate und Patric den Arm um die Taille. "Die Leute da drüben glauben bestimmt, dass wir eine richtige Familie sind", meinte er fröhlich. "Sehen wir uns jetzt die Wellen an, Mummy?" "Ja", brachte Kate mühsam heraus. "Unterhalb der Felsen ist kein Strand", erklärte Patric ihm. "Wir sollten also nicht zu dicht an den Abhang gehen." Nick stimmte ihm zu. Sie blickten auf das Meer, wo sich die Wellen auftürmten und sich an den Felsen brachen. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte unter dem mächtigen Aufprall. "Seht mal!" rief Nick aufgeregt und ging einige Schritte auf den Abhang zu. "Du könntest dich neben die Pinie dort drüben setzen", schlug Patric vor. "Von dort aus kann man die Gischt über den Felsen gut sehen."
Nick setzte sich ins Gras, lehnte sich an den Baumstamm und beobachtete mit großen Augen die Wellen. "Könnte es sein, dass Wellen seine neue Leidenschaft werden?" fragte Patric. "Es sieht ganz danach aus." Patric hatte den Blick auf die heranrollenden Wogen gerichtet, als er sagte: "Laura wollte keine Kinder." Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, ihn über seine Ehe mit Laura sprechen zu hören, antwortete Kate: "Wenn du Kinder wolltest, muss das eine Enttäuschung für dich gewesen sein." Er sah sie kurz an. Erneut brach sich eine Welle an den schwarzen Felsen und sprühte einen Gischtnebel über die tiefblaue See. "Laura zu heiraten war der größte Fehler, den ich je begangen habe." "Warum hast du es dann getan?" "Ihr Vater war der beste Freund meines Vaters." Patric klang kühl, doch sie merkte, wie schwer es ihm fiel, darüber zu reden. Er wandte den Blick zur Seite. "Ich mochte sie, und sie mochte mich. Ich wusste allerdings nicht, dass sowohl mein Vater als auch ihrer unbedingt wollten, dass wir heirateten." Kate hatte geglaubt, ihre Eifersucht längst überwunden zu haben. Und doch versetzte es ihrem Herzen einen Stich, ihn Lauras Namen aussprechen zu hören. "Du brauchst mir das alles nicht zu erzählen", sagte sie kurz angebunden. "Doch, ich denke, das muss ich." Sie erwiderte nichts und blickte starr auf Nick, der völlig gefesselt war von dem Naturschauspiel der Wellen. Patric fuhr fort: "Bevor mein Vater starb, wollte er noch erleben, dass ich heiratete." Scheinbar ohne Zusammenhang fuhr er fort: "Er liebte Tatamoa, und er liebte die Landwirtschaft. Er hat Sutherland Aviation nur deshalb übernommen, weil es ,Black Pat' das Herz gebrochen hätte, das Unternehmen verkaufen zu müssen."
Patrics Stimme war ruhig. "Mein Vater arbeitete hart, war zuverlässig und gewissenhaft, neigte aber dazu, den falschen Leuten sein Vertrauen zu schenken. Als ich Sutherland Aviation übernahm, war die Firma fast bankrott. Ich musste die Unternehmensstruktur von Grund auf ändern und mit einem Vorstand zusammenarbeiten, der mit lauter Männern besetzt war, die nichts von meiner Vorgehensweise hielten. Nur Lauras Vater war auf meiner Seite, und da die anderen Vertrauen zu ihm hatten, gelang es mir, sie zu überzeugen." Heiser sagte Kate: "Du hast Laura also geheiratet, um Sutherland Aviation zu retten? Das glaubst du doch selber nicht, Patric. Wir leben doch nicht mehr unter Königin Victoria." Patric verzog ironisch den Mund. "Du bist so naiv, Kate. Natürlich hat mir niemand direkt diesen Vorschlag gemacht, aber ich wurde auf subtile Weise unter Druck gesetzt. Ich trauerte um meinen Vater und versuchte, meiner Mutter eine Stütze zu sein, so gut ich konnte. Gleichzeitig war ich verzweifelt bemüht, Tausende von Arbeitsplätzen in der ganzen Welt zu retten, deshalb verstand ich nicht sofort, was vor sich ging." Nach kurzem Schweigen fuhr er fort: "Ich habe Laura geheiratet, weil mir keine andere Wahl blieb." Ausgerechnet der willensstarke, selbstbewusste Patric sollte gegen seinen Willen geheiratet haben? Kates ungläubiger Blick zeigte, wie schwer es ihr fiel, das zu glauben. Patric bemerkte es und sagte: "Ich weiß, es klingt unglaubwürdig, aber für seinen sterbenden Vater würde wohl jeder fast alles tun, was in seiner Macht steht. Als ich bemerkte, was mein Vater von mir erwartete, fuhr ich sofort zu Laura." "Und dann?" Er zuckte die Schultern. "Zu meiner Überraschung wusste sie bereits von den Überlegungen unserer Väter und hielt das Ganze sogar für eine gute Idee. Laura sagte, wir würden damit unsere beiden Väter glücklich machen, und mein Vater würde in Frieden sterben können. Außerdem wäre es gut für das
Unternehmen, da bekannt war, dass ihr Vater meine Position unterstützte." "Wie klug und umsichtig von ihr!" Patric lachte bitter. "Meine Reaktion hat ihr sicher nicht gefallen. Ich fuhr nach Tatamoa, weil ich unbedingt mit dir reden musste." Kate schloss für einen kurzen Moment die Augen. "Es war für mich unvorstellbar, eine Vernunftehe einzugehen, um das Unternehmen zu retten. Doch ich wollte meinem Vater den sehnlichen Wunsch erfüllen, mich verheiratet zu wissen, bevor er sterben würde", sprach er weiter, "deshalb wollte ich dich bitten, meine Frau zu werden. Aber du sagtest mir, dass du einen anderen Geliebten hattest. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und musste mich sehr zusammenreißen, um dich nicht einfach mitzunehmen und nicht wieder fortzulassen." Sie hörte Selbstverachtung aus seiner Stimme heraus. "Ich war voller Wut und Angst, und meine Gefühle erschreckten mich zu Tode. Ich hasse es, meine Selbstbeherrschung zu verlieren. Nachdem du mir gesagt hattest, dass du mich nicht mehr sehen wolltest, fuhr ich zurück nach Auckland, wie unter Schock. Zehn Minuten nach meiner Ankunft rief Laura an, um mir anzudrohen, dass sie unseren Eltern erzählen würde, sie sei schwanger. Wenn mich das nicht dazu bringen würde, sie zu heiraten, wollte sie behaupten, sie würde eine Abtreibung vornehmen. Sie wusste genau, was sie meinem Vater damit antun würde, der sich immer eine große Familie gewünscht hatte." Kate ballte die Hände zu Fäusten. "War sie wirklich schwanger?" "Nein. Wir hatten nie miteinander geschlafen. Ich sagte ihr, sie solle meine Eltern aus dem Spiel lassen. Dann flog ich nach Christchurch, aber du warst verschwunden. Während meiner Abwesenheit musste mein Vater ins Krankenhaus und war sechsunddreißig Stunden lang dem Tod nah. Ich rief bei deiner
Tante und deinem Onkel an, aber auch sie waren verschwunden." "Sie bekamen eine nette kleine Abfindung und hatten eine Woche Zeit, die Farm zu verlassen", sagte sie bitter. Eine Welle brach sich, Gischt sprühte über die schwarzen Felsen, und der Boden vibrierte. Patrics Züge wurden hart. "Mir hat man mitgeteilt, dein Onkel hätte gekündigt." Voller Wut fuhr er fort: "Lauras Vater machte mir klar, dass Sutherland Aviation Bankrott machen würde, wenn sie und ich nicht heirateten. Laura hatte meinen Eltern inzwischen weismachen können, dass sie ein Kind von mir erwartete." "Was hielt deine Mutter von all dem?" Die Vorstellung, dass Mrs. Sutherland, die sie immer gemocht hatte, dies zugelassen haben sollte, schmerzte Kate. "Sie war nicht glücklich darüber, aber sie hoffte, dass ein Enkelkind meinem Vater neuen Lebenswillen geben würde." Wie konnten seine Eltern die Liebe ihres Sohnes nur so ausnutzen und ihn zu einer Heirat zwingen? Kates Blick streifte ihren Sohn. Mit kalter Wut sagte sie: "Sie alle sollten sich für das schämen, was sie dir angetan haben." "Lauras Vater hat seine Tochter verloren", sagte Patric unbewegt. "Mein Vater ist tot, meine Mutter verwitwet. Laura ist verunglückt. Ich denke, das Schicksal hat sie genug gestraft." "Und was ist mit dir?" fragte sie voller Leidenschaft. "Nachdem du mir gesagt hattest, dass du mich nicht mehr sehen wolltest, und dann verschwunden bist, war mir alles gleichgültig. Für mich zählte nur noch die Frage, was der Bankrott des Unternehmens für meinen Vater und all die Angestellten bedeuten würde." Beschämt sagte Kate: "Durch diese Verantwortung musst du unter einem unerträglichen Druck gestanden haben. Und du hast deinen Vater doch so geliebt."
"Zum Glück starb er, bevor es zur Katastrophe kam. Laura wollte jemanden, der ihr Gesellschaft leistete, ich aber verbrachte Tag und Nacht damit, zu retten, was von dem Unternehmen noch zu retten war, das mein Vater mir hinterlassen hatte." Er drehte sich zu Kate um und sah sie an. Seine Miene war undurchdringlich. "Zwei Jahre später ist Laura betrunken schwimmen gegangen und dabei ertrunken, während ich geschäftlich im Ausland war." Niemand, nicht einmal Laura, verdiente es, so zu sterben. "Es tut mir Leid", sagte Kate und meinte es ehrlich. Patric ging hinüber zu Nick, der noch immer in die Betrachtung der Wellen vertieft war. "Hast du genug gesehen?" "Er hört dich nicht, er ist zu versunken." Kate beugte sich zu Nick hinunter. "Nick, wir müssen los." Mit leuchtenden Augen stand Nick auf. "Mummy, woher kommen die Wellen? Und wie entstehen sie? Und das Weiße oben auf den Wellen - ist das Rauch?" "Nein, das ist Schaum. Die Antworten auf deine anderen Fragen schlagen wir in Büchern nach, wenn wir zu Hause sind", erwiderte Kate lächelnd. Was Patric ihr erzählt hatte, hatte sie aufgewühlt, aber im Moment konnte sie sich nicht damit auseinander setzen. Sie verbrachten den Nachmittag auf dem Mount Tamborine und sahen den Drachenfliegern zu, die über das Tal hinwegschwebten. Kate stand ein ganzes Stück entfernt von der niedrigen Mauer und der markierten Stelle, von der aus die Drachenflieger absprangen. Wachsam beobachtete sie Patric, der Nicks Hand nahm und mit ihm zur Absperrung ging. Sie beruhigte sich jedoch schnell wieder. Patric war durchaus in der Lage, Nick zu bremsen und ihn davon abzuhalten, zu nahe an den Abgrund zu treten. Sie ließ den Blick über das in goldfarbenen Erdtönen schimmernde Tal unterhalb des Kliffs schweifen und über das
verschwommene Blau der Great Dividing Range im Westen. Tief atmete sie den Duft Australiens ein - es war ein aufregender Geruch: Eukalyptus und Rauch, der Geruch der Wildnis. Nach einem anschließenden Besuch im Cafe fuhren sie die steile, gewundene Straße hinab zur Gold Coast. "Morgen fliegen wir wieder nach Hause", erzählte Nick. "Wann geht denn euer Flug?" erkundigte sich Patric. "Um sechs Uhr abends." Nick seufzte und fuhr dann etwas fröhlicher fort: "Aber wenn wir in Neuseeland ankommen, ist es noch mitten in der Nacht." Patric nickte. "Und wo übernachtet ihr in Auckland?" "Bei einer Freundin, die in Albany wohnt. Sie wird uns vom Flughafen abholen", antwortete Kate. "Und am nächsten Tag fahren wir mit dem Bus nach Whangarei", erklärte Nick. Patric warf Kate einen schnellen Blick zu. "Ich dachte, ihr habt ein Auto?" "Das würde es nicht nach Auckland und zurück schaffen", erwiderte sie trocken. "Wann fahren Sie zurück, Mr. Sutherland?" wollte Nick wissen. "Ich fliege auch morgen, aber mit einem anderen Flugzeug." Als sie angekommen waren und Patric den Wagen geparkt hatte, sagte er: "Nimm mich doch mit hinein, Kate." Sie erwiderte nichts. "Das halte ich für keine gute Idee", antwortete sie schließlich, als die Stille ihr unangenehm wurde. Patric stellte den Motor ab. "Ich möchte gern sehen, wie gut Nick schon schwimmen kann", sagte er betont gelassen. Natürlich bestand Nick darauf, dass Patric blieb. Kate gab nach, aber Patrics Verhalten missfiel ihr. Als sie am Pool saßen und Nick ihnen sein Können vorführte, sagte Kate: "Du hast Nick absichtlich für deine Zwecke benutzt. Es ist nicht fair, mit den Gefühlen eines Kindes zu spielen."
Er runzelte die Stirn. "So hatte ich es nicht betrachtet. Aber ich werde es nicht wieder tun." "Gut", erwiderte sie kurz angebunden. "Ich möchte heute Abend mit dir essen gehen", sagte er langsam. Sie schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht. Ich muss packen, und morgen Vormittag gehen wir Klamotten kaufen." Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. "Dann müssen wir uns also jetzt verabschieden", stellte er kühl fest. Kate hielt den Blick auf Nick gerichtet. "Ja." Sie wusste, was zu sagen war, aber warum schreckte sie vor dieser Endgültigkeit zurück? "Du bist feige", stellte Patric mit leiser Verachtung fest. "Weil ich nicht mit dir essen gehen will?" brauste sie auf. "Das ist wohl kaum feige, sondern einfach nur vernünftig." "Was ist vernünftig daran, sich selber ein schönes Essen vorzuenthalten?" Kate beugte sich vor und rief Nick zu: "Komm jetzt aus dem Wasser, du zitterst ja schon." "Und wer benutzt Nick jetzt?" fragte Patric sie wütend. Beherrscht entgegnete sie: "Nick fängt an zu frieren. Ich würde ihn niemals benutzen. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben." Protestierend stieg Nick aus dem Wasser und kam zu ihnen. Immer noch aufgebracht, sagte Kate betont ruhig zu ihm: "Du musst dich jetzt von Mr. Sutherland verabschieden." Nick streckte ihm seine schmale, sonnengebräunte Hand entgegen, und die beiden verabschiedeten sich. Bevor Kate bewusst wurde, was passierte, beugte Patric sich zu ihr und küsste sie. Ihr Herz stand in Flammen. Es war, als hätte ihr Körper all diese Jahre nur darauf gewartet. Er sah auf, und sie blickte ihm in die Augen, unfähig, etwas zu sagen.
"Ich hoffe, du wirst dich daran erinnern", sagte er mit tiefer Stimme, "wenn du nachts allein in deinem Bett liegst." Dann wandte er sich um und ging. "Mummy", fragte Nick empört, "warum hat er das getan?" Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und erwiderte heiser: "Er hat sich von mir verabschiedet." "Mir hat er keinen Kuss gegeben", sagte Nick leicht verstimmt. Kate musste sich zwingen, ruhig zu bleiben, mit Nick in das Apartment zu gehen und sich normal zu verhalten. Doch sie fühlte sich, als hätte Patric sie mit seinem Kuss gebrandmarkt. Es war vorbei. Sie hatten den Vormittag damit verbracht, Kleidung und Mitbringsel zu kaufen sowie ein Wetterhäuschen für Nick, in das er sich sofort verliebt hatte. Nun war alles gepackt, und sie waren abfahrbereit. Kate ging noch einmal durch das Apartment, um zu überprüfen, dass sie nichts vergessen hatten. Sie blickte auf die Uhr und sah dann zum dritten Mal nach, ob sich ihre Pässe auch tatsächlich in ihrer Tasche befanden. "Komm, wir müssen los." Kate erlebte die lange Fahrt auf der Autobahn und über die große Brücke über den Brisbane River wie im Traum. Sie beantwortete Nicks Fragen und blickte von Zeit zu Zeit auf die trockene, ausgedörrte Landschaft. Am Flughafen angekommen, schoben sie den Gepäckwagen zum Check-in und warteten, während die Angestellte die Daten in den Computer eingab. "Ihre Flüge sind upgegraded worden", sagte sie lächelnd und reichte ihnen die Pässe. "Wenn ein Flug nicht ausgebucht ist, kommt es vor, dass einige Passagiere Sitzplätze in einer besseren Klasse bekommen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug." "Vielen Dank." Kate nahm lächelnd die Pässe entgegen. Nick bestand darauf, sich die gesamte Flughafenhalle anzusehen. Zum ersten Mal fühlte Kate sich von seinen vielen Fragen erschöpft. Sie gab sich einen Ruck und bemühte sich,
seine Begeisterung zu teilen. Schließlich setzten sie sich in ein Cafe. Nick stocherte mit dem Strohhalm in den Eiswürfeln in seinem Glas herum. "Kommt Mr. Sutherland uns in Whangarei besuchen?" "Ich glaube nicht, dass er dafür Zeit haben wird, Nick." Nicks lange dunkle Wimpern hoben sich von seiner goldbraunen Haut ab. Enttäuscht fragte er: "Sehen wir ihn dann nie wieder?" "Er hat eben sehr viel zu tun", sagte Kate sanft. "Aber die Ferien waren doch trotzdem schön, oder?" "Ja. Am schönsten war es, wenn Mr. Sutherland dabei war." Kate begann, über all die Dinge zu sprechen, von denen Nick seinen Schulfreunden erzählen könnte. Mit seiner kindlichen Begeisterungsfähigkeit war Nick sofort abgelenkt, aber Kate wusste, dass er Patric vermissen würde. Doch mit der Zeit würde die Erinnerung verblassen, und dann würde er ohne Traurigkeit an diese schönen Ferien zurückdenken. Vielleicht würde auch sie es fertig bringen. Kurz darauf wurde ihr Flug aufgerufen. Der Flugbegleiter lächelte Nick zu, der ihn mit unverhohlenem Interesse ansah. Die Sitze waren groß und komfortabel, und zu Nicks Begeisterung gab es an jedem Platz einen kleinen Fernseher. Kate ließ den Blick suchend über die anderen Passagiere gleiten, doch natürlich konnte sie Patric nirgends erblicken. Obwohl man ihnen gesagt hatte, dass der Flug nicht ausgebucht sei, waren alle Plätze der ersten Klasse besetzt. So zu reisen war für Patric ganz normal. Hatte er das Ganze womöglich in die Wege geleitet? Doch sie machte sich nichts vor. Seine Freundlichkeit zeigte zwar, dass er nicht nur ein knallharter Geschäftsmann war, sondern auch ein Kavalier, als er aber erfahren hatte, dass Nick nicht sein Sohn sei, war sein Interesse sicher erlahmt. Er hatte sie geküsst, weil er verärgert
gewesen war, doch inzwischen wurde er sicher schon nicht mehr an sie und Nick denken. Das Flugzeug hob ab. Kate versuchte sich weiszumachen, dass es ihr während ihres Urlaubs im Surfer's Paradise gelungen sei, endgültig mit ihrer Vergangenheit abzuschließen, so dass sie jetzt den Blick in die Zukunft richten konnte, unbelastet von den Schatten der Vergangenheit. Doch ihre Reaktion auf Patrics Kuss hatte ihr gezeigt, dass seine Wirkung auf sie noch immer so stark war wie vor all diesen Jahren. Nun war seine Ausstrahlung die eines reifen, intelligenten Mannes, der über Macht und einen eisernen Willen verfügte - und über eine sinnliche Anziehungskraft, gegen die sie, Kate, machtlos war.
5. KAPITEL In einer Frühlingsnacht kamen sie in Auckland an. Nick hatte fast den ganzen Flug über geschlafen und ließ sich nur widerwillig wecken. Er war schlecht gelaunt und maulte. Direkt vor ihnen waren zwei andere Flugzeuge gelandet, eins davon gehörte zu Sutherland Aviation und war ebenfalls aus Brisbane gekommen. Das musste Patrics Flugzeug sein. Sie zwang sich, den Gedanken an Patric zu verdrängen. Glücklicherweise war Nick inzwischen wieder etwas besser gelaunt und beobachtete interessiert den Spürhund, der an der Leine des Zollbeamten schnüffelnd umherlief. Endlich konnten sie in die Ankunftshalle gehen. Sally Pickering hatte leuchtend rotes Haar, das ihnen sofort ins Auge gefallen wäre - wenn sie dort gewartet hätte. Aber sie war nirgendwo zu sehen. "Warte bitte hier. Ich werde nachfragen, ob sie vielleicht eine Nachricht für uns hinterlassen hat", sagte Kate und schob den Gepäckwagen zu einer Bank. "Und wenn sie uns vergessen hat?" fragte Nick, und sein Mund zitterte leicht. "Das kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht hat sie ..." "Da drüben ist Mr. Sutherland!" rief Nick, und sofort hellte sich seine Miene wieder auf. "Bestimmt hilft er uns, Sally zu finden."
"Nicht so laut!" ermahnte sie ihn, und ihr Herz schlug wie wild. Sie folgte Nicks Blick und sah Patric in Begleitung eines Mannes und einer Frau. Beide waren offensichtlich Angestellte von Sutherland Aviation und sehr elegant gekleidet. Patric fuhr herum. Die Stirn gerunzelt, wandte er sich dann wieder seinen Begleitern zu und sagte etwas zu ihnen. Daraufhin blieben sie stehen und warteten, während Patric schnell auf Kate und Nick zuging. "Hattet ihr einen angenehmen Flug?" fragte er gelassen, als hätte er bereits vergessen, dass er sie beim Abschied geküsst hatte. "Ja, vielen Dank", erwiderte Kate betont munter. Nick strahlte Patric trotz seiner Müdigkeit an. Sie tat so, als würde sie die neugierigen Blicke von Patrics Begleitern nicht bemerken, und fuhr fort: "Wir wollen dich nicht aufhalten, Patric. Vielen Dank noch einmal für die schönen Tage." "Ich fand es auch sehr schön", sagte Patric. "Wo ist denn die Freundin, die euch abholen kommt?" Kate fühlte sich überrumpelt. "Sie müsste jeden Augenblick hier sein. Sally ist sehr zuverlässig." Nick war so müde, dass er kaum noch aufrecht stehen konnte. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und stützte ihn. "Wahrscheinlich hat sie sich nur leicht verspätet. Und falls sie uns nicht abholen kann, hat sie sicher eine Nachricht für uns hinterlegt." Eine Durchsage ertönte aus dem Lautsprecher. "Miss Kate Brown, bitte kommen Sie zur Information." "Wartet hier, ich gehe hin. Gib mir deinen Pass", sagte Patric unvermittelt. Als sie ihn verständnislos ansah, fügte er erklärend hinzu: "Sie werden mir sicher nicht glauben, dass ich Kate Brown bin."
Während Nick vor Lachen losprustete, erwiderte Kate lächelnd: "Das ist sehr nett, Patric, aber deine Begleiter ..." "Sie werden schon auf mich warten. Es dauert nicht lange." Zu müde, um weiter Widerstand zu leisten, reichte sie ihm den Pass und blickte ihm nach, wie er sich scheinbar mühelos einen Weg durch die Menschenmenge bahnte. Vielleicht waren es seine Größe oder seine breiten Schultern, vermutlich aber noch mehr seine Ausstrahlung, die die Menschen unbewusst zur Seite treten ließen, um ihm Platz zu machen. Kate fühlte sich plötzlich sehr einsam und legte den Arm um ihren Sohn. Die Frau an der Information warf Patric ein strahlendes Lächeln zu. Er sagte etwas zu ihr. Sie nickte, sah den Pass an und blickte dann suchend umher. Kate machte durch Handzeichen auf sich aufmerksam. Die Frau gab Patric einen Briefumschlag und schenkte ihm abermals ein strahlendes Lächeln. Kate machte sich darauf gefasst, dass Sally sie nicht hatte abholen können, was bedeuten würde, dass Nick und sie auf dem Flughafen übernachten müssten, da sie nicht genug Geld fürs Motel hatte. Sie hatte das Urlaubsgeld bis auf den letzten Cent ausgegeben. "Sie hat dies vor etwa drei Stunden abgegeben", sagte Patric und überreichte ihr den Umschlag. Mit zittrigen Fingern riss sie ihn auf. Sallys Großmutter hatte in der Nacht zuvor einen Herzanfall gehabt, und Sally war zusammen mit ihrem Bruder zu ihr nach Wellington gefahren. Es tat ihr furchtbar Leid ... "Was schreibt sie?" wollte Patric wissen. Sie erzählte es ihm und bemühte sich, gelassen zu klingen. Er warf einen Blick auf Nick, der vor Müdigkeit fast umfiel, und fragte sie: "Und was werdet ihr jetzt tun?" "Wir werden das schon hinbekommen."
Ruhig sagte er: "Ihr könnt mit zu mir kommen." Sie wollte protestieren, doch er schnitt ihr das Wort ab: "Wann geht euer Bus morgen?" "Er fährt um halb neun ab Auckland. Patric, das ist sehr nett von dir, aber wir werden schon zurechtkommen ..." "Bestimmt, aber wozu, wenn es nicht sein muss?" erwiderte er ungeduldig. "Ich wohne ganz in der Nähe der Bushaltestelle." Nick gähnte herzhaft. "Ihr könnt beide im Gästezimmer schlafen", kam er ihren Einwendungen zuvor. "Ach bitte, Mummy, können wir nicht mit zu Mr. Sutherland gehen?" bat Nick, und seine Stimme klang heiser vor Müdigkeit. Schließlich begann Patric einfach, sich mit dem Gepäckwagen einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Kate folgte ihm und zog Nick hinter sich her. Patric ging zu dem Mann und der Frau, die auf ihn gewartet hatten und ihm sofort ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmeten. Kate hörte noch, wie Patric sagte: "Dann bis morgen früh um neun." Sie nickten, lächelten ihnen kurz zu und verabschiedeten sich. "Patric", begann Kate, als er seinen Koffer auf den Gepäckwagen hievte und diesen dann durch die Tür der Halle nach draußen schob. Sicher hat Patric damit gerechnet, dass ich nachgeben würde, dachte sie, wütend auf sich selber. Aber wozu sollte sie sich aufregen - es war ja nur für eine Nacht. Patric winkte ein Taxi herbei. Sie stiegen ein, und er half Nick dabei, sich anzuschnallen. Kate war wütend. "Du musst wohl immer deinen Willen durchsetzen." "Es ist einfach das Vernünftigste, was ihr tun könnt, und das weißt du auch", erwiderte er ruhig. "Ich werde nicht gern so überrumpelt." Nicks Kopf sank gegen ihre Schulter, und er war sofort fest eingeschlafen.
Kate kuschelte sich an ihn und wartete darauf, dass Patric etwas sagen würde, doch er schwieg. Das Taxi fuhr durch die regnerische Nacht, bog von der Autobahn in Richtung Stadtzentrum ab und parkte schließlich unter einem Portico. Als Patric zusammen mit dem Taxifahrer das Gepäck aus dem Kofferraum holte, spürte sie eine leise Erregung und Nervosität. Sie wollte Nick, der tief und fest schlief, aus dem Wagen heben, konnte sich jedoch, weil er so schwer war, kaum aufrichten. Patric blickte zu ihr. "Ich werde ihn dir abnehmen", sagte er. "Ich schaffe das schon", winkte Kate ab. "Du wirst ihn nicht bis zu meiner Wohnung tragen können." Widerstrebend gab sie nach und blickte wehmütig auf das Gesicht ihres schlafenden Sohnes. "Bisher habe ich ihn immer tragen können." "Er wird eben größer." Das klang sehr schroff. Zitternd vor Kälte folgte sie ihm. Beim Haus angekommen, bat er sie: "Könntest du bitte die Tür aufschließen? Die Keycard ist in meiner rechten Jackentasche." Sie machte erst die Haustür, dann eine weitere Tür auf. Der Taxifahrer, der einen Teil des Gepäcks trug, folgte ihnen. In einem hochmodernen Aufzug, der nur ein sanftes Surren von sich gab, fuhren sie nach oben. Kate blickte Patric nicht an, der ihren Sohn sicher auf den Armen hielt. Sie betraten einen mit dicken Teppichen ausgelegten Flur. Kate schloss auf, und sie gingen in einen elegant eingerichteten Vorraum. Über einem italienischen Konsoltischchen aus poliertem dunklem Holz hing ein Spiegel, an der Wand ein modernes Gemälde in blauen und goldenen Farbtönen. "Euer Zimmer ist das dritte rechts", sagte Patric. Kate nahm Nicks Reisetasche und ging voran.
Lampen an der Decke und rechts und links von zwei großen Einzelbetten verbreiteten ein sanftes Licht. Patric legte den immer noch fest schlafenden Nick vorsichtig auf einem der Betten ab und betrachtete ihn einen Moment. Bedauerte er, dass Nick nicht sein Sohn war? Als er bemerkte, dass Kate ihn beobachtete, presste er die Lippen zusammen. "Ich werde das Taxi bezahlen und das restliche Gepäck heraufholen", sagte er. "Danke." Obwohl es angenehm warm im Zimmer war, zitterte Kate. Als sie Nick die Jeans auszog, betrat Patric mit ihrem Koffer in der Hand das Zimmer. Sein tiefschwarzes Haar glänzte im sanften Licht der Lampe, und seine markanten Gesichtszüge traten deutlich hervor. Er sagte: "Die Betten sind frisch bezogen. Das dort drüben ist die Tür zum Badezimmer. Handtücher sind im Schrank neben dem Waschbecken." Kate nickte und zog Nick geschickt das T-Shirt aus, drehte ihn auf die Seite und deckte ihn zu. Er rührte sich nicht einmal. Sie strich ihm sanft das Haar aus der Stirn und gab ihm einen Kuss. "Vielen Dank für alles", sagte sie zu Patric, der bereits zurück war. "Wann soll ich euch morgen wecken?" "Ich stelle meinen Wecker auf sieben Uhr." Sie lächelte unsicher. "Dann also gute Nacht, Kate", sagte er sanft, doch sie spürte seinen prüfenden Blick. Sie musste sich räuspern, und ihre Stimme klang heiser vor Erschöpfung. "Gute Nacht, Patric." Leise schloss er die Tür, und sie atmete auf. Kate sah ihren Sohn an, der friedlich schlief, und wieder wurden widerstreitende Gefühle in ihr wach: Liebe, aber auch
Bitterkeit und Bedauern. Nein, sie wollte nicht weiter darüber nachdenken. Nick glich seinem Vater in keiner Weise. Auch als erwachsener Mann würde er Frauen respektieren und nicht werden wie Sean, für den alle Frauen Flittchen waren. Und für Patric war in ihrer beider Leben kein Platz. Mit grimmig entschlossener Miene kniete Kate sich vor den Koffer und nahm ihre Kosmetiktasche und ein T-Shirt heraus. Das Bad, das zu dem Gästezimmer gehörte, war ganz in zartrosa und cremefarbenem Marmor gehalten. Wie viel es wohl gekostet hatte? Vermutlich wesentlich mehr, als ich in einem ganzen Jahr verdiene, dachte Kate sarkastisch. Sie duschte dann lange und ausgiebig. Das Badezimmer mit seiner teuren, luxuriösen Ausstattung führte ihr noch einmal vor Augen, dass Patric und sie in zwei völlig verschiedenen Welten lebten. Sie hätten nicht herkommen sollen, und ebenso wenig hätten sie in Australien so viel Zeit mit Patric verbringen dürfen - um so besser also, dass sie ihn nicht wieder sehen würde. Später, als Kate in dem breiten, komfortablen Bett lag, wurde ihr klar, dass sie Patric wohl nicht so einfach aus ihren Gedanken verbannen würde können. Rastlos wälzte sie sich hin und her. Sie fragte sich, ob sein Schlafzimmer wohl direkt an ihres grenzte, und stellte sich vor, wie er in seinem Bett lag, und die Vorstellung erregte sie - sein schlanker, sonnengebräunter Körper, das tiefschwarze Haar auf dem weißen Kissen, die muskulösen Arme, die schmalen Hüften ... Die Tatsache, dass sie noch immer so fasziniert von ihm war, lag wohl darin begründet, dass sie sich nur ein einziges Mal geliebt hatten, bevor Sean sie vergewaltigt und ihrer gerade erst erwachenden Sinnlichkeit brutal ein Ende gesetzt hatte. Vielleicht, sagte eine innere Stimme, solltest du dich auf eine Affäre mit Patric einlassen und ihn dann für immer vergessen.
So etwas sollte ich nicht einmal denken, dachte Kate und drehte sich auf die andere Seite, fest entschlossen, endlich einzuschlafen. Sie war schließlich eingenickt, als ihr plötzlich Nicks Wetterhäuschen einfiel. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie es mit in die Wohnung gebracht hatten. Nick wäre todunglücklich, wenn er es nicht zurückbekäme. Vielleicht lag die Tüte noch im Flur? Kate stand auf und ging leise über die warmen Fliesen im Flur zur Wohnungstür. Sie schaltete das Licht ein, aber das Wetterhäuschen war nirgends zu sehen. "Was ist los?" fragte Patric, der plötzlich vor ihr stand. Kate erklärte ihm, wonach sie gesucht hatte. Er runzelte die Stirn. "Ich kann mich nicht daran erinnern, es hier gesehen zu haben. Ich werde beim Taxiunternehmen anrufen und nachfragen." Obwohl er den Blick nicht von ihrem Gesicht abgewandt hatte, hatte sie den starken Wunsch, wieder in ihr Zimmer zu gehen und die Tür hinter sich zu schließen. Und obwohl ihr TShirt keinen tiefen Ausschnitt hatte und ihr bis auf die Oberschenkel reichte, fühlte sie sich seltsam entblößt. "Danke, das ist eine gute Idee", sagte sie betont locker und folgte ihm in sein großes Büro, wo ein riesiger Schreibtisch mit einer hochmodernen Computerausrüstung stand. Er wählte bereits die Nummer des Taxiunternehmens. "Guten Abend, ich vermisse etwas, das wahrscheinlich in einem Ihrer Wagen liegen geblieben ist." Detailliert erklärte Patric, was passiert war, und beschrieb das Wetterhäuschen. "Gut, vielen Dank. Ja, bitte noch vor acht Uhr." Kate blickte auf und bemerkte, dass er sie beobachtete und den Blick über ihren Körper schweifen ließ, bis er schließlich auf ihrem Gesicht ruhen blieb. Ihr wurde heiß, doch sie wollte sich nicht einschüchtern lassen und hielt seinem Blick stand. Er wandte ihn nicht von ihr ab, als er den Hörer auflegte. "Der Taxifahrer hat das Wetterhäuschen schon gefunden und
abgegeben", sagte er gelassen. "Morgen früh wird es vorbeigebracht." "Danke", antwortete sie nur, drehte sich unvermittelt um und wollte gehen. "Kate?" Patric sprach ihren Namen voller Zärtlichkeit aus. "Erinnerst du dich noch an die Nacht, in der wir uns geliebt haben?" Sie zuckte zusammen. "Warum fragst du?" "Hast du es vergessen, Kate?" "Nein, ich erinnere mich noch daran." Sie atmete tief ein und versuchte, sich zu beruhigen. Sanft fuhr Patric ihr mit den Fingern durchs Haar. Kate wurde plötzlich ganz nervös, und die Berührung ließ sie zusammenzucken. Offensichtlich verstand Patric ihre Reaktion falsch. "Oh, keine Angst, ich werde dir schon nichts tun", sagte er verächtlich. "Ich habe keine Angst vor dir. Ich bin es nur einfach nicht gewohnt, so berührt zu werden." Er schwieg und trat einen Schritt zurück. "So hast du also gelebt, seit Nick geboren wurde - wie ein Feigling, der jeder Herausforderung ausweicht. Ich habe gedacht, dass du mehr Mut hättest." "Nein!" Wütend fuhr Kate herum. "Ich habe nicht immer so gelebt!" Patric lächelte ironisch. "Und was wird passieren, wenn Nick irgendwann von zu Hause weggehen will?" "Dann werde ich ihn ziehen lassen", erwiderte sie, um Beherrschung bemüht. "Das bezweifle ich", entgegnete er. "Schließlich dreht sich dein ganzes Leben nur um ihn." Er klang gleichgültig, fast gelangweilt. "Geh wieder schlafen, Kate, du siehst müde aus." Aufgebracht und durcheinander ging sie ins Gästezimmer. Patric begehrte sie, dessen war sie sich jetzt sicher. Und wenn es ihr möglich gewesen wäre, körperliche Liebe einfach zu
genießen, hätte sie mit ihm geschlafen. Doch sie war dazu einfach nicht in der Lage. Als sie vor Patric gestanden hatte, war ihr plötzlich etwas klar geworden, das ihre Ruhe und Gelassenheit mit einem Schlag zunichte gemacht, die schützende Mauer niedergerissen hatte, die sie so mühevoll in den vergangenen Jahren errichtet hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie nach all den Jahren noch immer an Patric gebunden war. "Mummy, wach auf! Mr. Sutherland sagt, dass du aufstehen musst!" Widerstrebend öffnete Kate die Augen und sah ihren Sohn an. "Was?" "Du hast vergessen, den Wecker zu stellen. Es ist Viertel nach sieben", sagte Patric leicht amüsiert. "Ich stehe sofort auf", murmelte sie verschlafen. "Du brauchst dich nicht zu beeilen, ihr seid noch gut in der Zeit. Ich mache Nick jetzt Frühstück." Sie hob den Kopf und sah, dass Nick sich schon angezogen hatte, und sobald sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, sprang Kate aus dem Bett. Sie duschte rasch und kleidete sich an. Dann ging sie Patrics und Nicks Stimmen nach und betrat das Esszimmer, das an die geräumige Küche grenzte. Nick saß am Tisch und trank ein Glas Orangensaft. Patric stellte ihm einen Teller hin. "Mal sehen, ob dir das Müsli schmeckt." Kate dachte an den vorigen Abend und fühlte sich sehr unsicher. Sie gab Nick einen Kuss auf die Stirn. "Er isst fast alle Sorten Müsli gern." "Aber unseres mag ich am liebsten. Wir machen es selber, mit Haferflocken und Joghurt und Äpfeln von unserem eigenen Baum", erzählte Nick strahlend. "Mum, meinst du, unser Kohl und unser Salat können geerntet werden, wenn wir nach Hause kommen?"
"Ich denke schon, allerdings habe ich den MacArthurs gesagt, sie sollen alles ernten, was gegessen werden muss." Er nickte und griff zum Löffel, als Patric fragte: "Die MacArthurs sind die Eltern von Nicks bestem Freund, nicht wahr?" Kate setzte sich auf den Stuhl, den Patric ihr anbot, und antwortete: "Ja, sie sind Rangis Eltern." Patric reichte ihr ein Glas frisch gepressten Orangensaft, der fantastisch schmeckte: fruchtig und leicht säuerlich. "Hm, köstlich", sagte sie, nachdem sie einen Schluck probiert hatte. "Die Orangen kommen bestimmt aus Kerikeri." "Ja, ein Freund von mir besitzt dort einige Obstgärten und schickt mir ab und zu eine Kiste Orangen. Was möchtest du essen? Ich habe Porridge, kann dir aber auch etwas kochen." "Das klingt sehr verlockend, aber ich möchte bitte nur Toast. Sag mir doch einfach, wo der Toaster steht, du brauchst nicht extra aufzustehen." Aber Patric stand bereits und schnitt Brot ab, das er offensichtlich frisch aufgetaut hatte. "Was möchtest du trinken, Kaffee?" "Ja, bitte." Der Kaffee war heiß und stark und sie froh, etwas zu haben, woran sie sich festhalten konnte, während sie auf den Toast wartete. Sie sah zu Patric hinüber, der Porridge aß. Er bemerkte ihren Blick und erklärte: "Meine schottische Großmutter war felsenfest davon überzeugt, dass es mit jedem, der nicht täglich Porridge isst, ein schlimmes Ende nehmen würde. Ich muss allerdings gestehen", fügte er hinzu, "dass ich es nur während der kühlen Jahreszeit esse." Wenn er selber Porridge zum Frühstück aß, für wen hatte er dann das Müsli gekauft? "Porridge soll sehr gesund sein", sagte Kate etwas steif. Sie war auf der Hut, denn die trügerische Harmonie, in der sie hier
zusammen beim Frühstück saßen, könnte sie leicht zum Träumen verleiten, wenn sie nicht aufpasste. Und mit Träumen hatte sie abgeschlossen. Ihr Leben war ein ständiger Kampf. Sie musste ihr Kind ohne Vater aufziehen, an allen Ecken und Enden fehlte es an Geld, und außerdem musste sie sich mit dem Gedanken abfinden, dass sie sehr wahrscheinlich nie einen Partner finden oder Karriere machen würde. Sie hatte immer das Beste aus ihrer Situation gemacht und würde dies auch weiterhin tun. Patric und sie verband nichts außer einer kurzen Romanze, die Jahre zurücklag. "Ist Porridge auch für Kinder gesund?" wollte Nick wissen. "Möchtest du es mal probieren?" bot Patric an. Er nickte, und Patric stand auf und ging in die Küche. Er kam mit einer kleinen Portion Porridge und zwei Scheiben Toast für Kate wieder. "Ist da Zucker drin?" fragte Nick. Patric zog die Augenbrauen hoch. "Nur ein Sassenach isst Porridge mit Zucker", sagte er mit schottischem Akzent. "Richtige Männer essen ihn mit Salz." Nick grinste. "Was ist ein Sass-Sassenach?" "Ein Angelsachse. Jemand aus England." Nick griff zum Löffel und probierte. "Ist wirklich lecker", sagte er und ließ sich den Rest schmecken. "Wir leben ja in Neuseeland und nicht in England, also sind wir keine Sassenachs, oder?" "Nein", bestätigten Kate und Patric gleichzeitig. Nick war etwas verwirrt. "Warum essen sie Porridge mit Zucker und wir nicht?" Kate versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, während Patric ihm die tausend Jahre alte Rivalität zwischen Sachsen und Kelten auf leicht verständliche Art erklärte. Nick hörte aufmerksam zu. Wieder fühlte Kate sich ausgeschlossen. Es war albern, aber auch verständlich. Bisher war sie immer die einzige Person
gewesen, der Nick hatte Fragen stellen können. Doch das stimmte nicht ganz, denn er hatte bereits lange Gespräche mit Jacob und den MacArthurs geführt, ohne dass sie sich je ausgeschlossen gefühlt hatte oder eifersüchtig gewesen war. Nick machte sich mit großem Appetit über das restliche Frühstück her, während Kate Kaffee und Toast hinunterzwang und sich betont gelassen mit Patric unterhielt. Nach dem Frühstück bot sie an, den Abwasch zu machen, doch Patric lehnte ab. "Ich habe eine Spülmaschine." Sie stand auf. "Dann werde ich jetzt die Betten abziehen." "Das macht nachher meine Haushälterin", erwiderte er. "Macht euch lieber jetzt fertig. Übrigens ist das vermisste Wetterhäuschen heute früh schon vorbeigebracht worden. Es steht auf dem Tisch im Flur. Hast du eigentlich gut geschlafen?" "Ja, ausgezeichnet, danke", sagte Kate und begann, das Geschirr zusammenzuräumen. "Ich nicht, denn ich musste die ganze Nacht daran denken, dass du im Zimmer nebenan warst." Kurz nach acht klopfte Patric an die offen stehende Tür ihres Zimmers. "Ich bringe euer Gepäck hinunter", sagte er und hob ohne Anstrengung ihre Koffer hoch. Kate und Nick folgten ihm. Im Flur stellte Patric die Sachen wieder ab und erklärte: "Ihr habt noch genug Zeit, um den Ausblick zu genießen, den man vom Wohnzimmer aus hat." Von ihrem Raum aus hatten sie über die Stadt blicken können, doch vom Wohnzimmer, dessen eine gesamte Wand aus Glas bestand, hatte man eine fantastische Aussicht auf den Hafen. Die Glastüren führten auf eine Terrasse mit Stiefmütterchen, Bambus und anderen Pflanzen. Sogar an einem kühlen und regnerischen Morgen wie diesem vermittelte sie einen Eindruck von tropischer Wärme. Im Sommer muss es hier himmlisch sein, dachte Kate. Patric öffnete eine der Türen. "Dort drüben laufen die Whitbread-Yachten ein, und das ist die Brücke, über die ihr
nachher fahren werdet. Dort hinten sieht man das Marinemuseum, und das Gebäude auf der anderen Seite mit den vielen kleinen Türmen ist das Fährenterminal", erklärte er Nick. Ohne eine Spur von Angst zu zeigen, folgte Nick ihm bis zum Geländer. "Alles in Ordnung?" wandte Patric sich an Kate. "Ich habe nicht daran gedacht, dass du Höhenangst hast." "Wenn ein Geländer da ist, habe ich sie nicht", sagte sie schnell. Er reichte ihr die Hand. "Dann komm." Kate sah ihn an. Für Mutproben hatte Patric immer nur Spott übrig gehabt, aber seine Stimme klang leicht herausfordernd, und sie wollte nicht als Feigling dastehen. "Danke, ich brauche keine Hilfe", erwiderte sie und ging an ihm vorbei zu Nick, der ein ungewöhnlich aussehendes Schiff im Hafenbecken betrachtete. "Mum, das ist das Schiff von Xena, der Kriegerprinzessin", sagte er mit großen Augen. "Ich habe es im Fernsehen gesehen." Staunend betrachtete er das Schiff. "Ich habe die Serie mit Rangi zusammen gesehen. Es ist ein griechisches Schiff und Xena eine griechische Kriegerprinzessin. Haben Sie schon einmal gesehen, wie es fährt?" wollte Nick wissen. "Ja, schon mehrmals", erwiderte Patric lächelnd. Nick war beeindruckt. "Aber jetzt müsst ihr los, der Bus fährt bald ab." Er brachte sie mit dem Auto zur Haltestelle. Da er in der zweiten Reihe parken musste, fiel der Abschied kurz aus, was Kate nur recht war. Patric bestand jedoch darauf, ihr Gepäck bis zum Bus zu tragen. Sie gab ihm die Hand und dankte ihm. "Gern geschehen", erwiderte er und küsste ihr die Handfläche. Ihr Herz klopfte wild, als er sie losließ und sich zu dem Jungen umwandte, den er für seinen Sohn gehalten hatte.
Nick reichte ihm die Hand, und Patric schüttelte sie ernst. Lächelnd sagte er: "Pass gut auf deine Mutter auf." Der Junge kämpfte mit den Tränen und nickte. Patric fuhr ihm sanft durchs Haar, drehte sich um und ging dann.
6. KAPITEL Zwei Wochen später musste Kate länger arbeiten. Sie hatte deshalb ihre Nachbarn Jacob und Anna gebeten, Nick von der Schule abzuholen. Als sie aus dem Mini stieg, kam Nick ihr entgegengerannt, Jacob folgte ihm langsam. Strahlend rief Nick ihr zu: "Mr. Sutherland hat mir aus Disneyland in Kalifornien geschrieben!" Aufgeregt zeigte er ihr ein farbenfrohes Bild mit einem Piratenschiff. Kate drehte die Postkarte um. Patric hatte sie richtig adressiert. Lieber Nick, gestern war ich mit einem Freund in Disneyland. Es hat zwar geregnet, aber wir hatten trotzdem viel Spaß. Als ich die Achterbahnen gesehen habe, musste ich an Dich denken. Viele Grüße, Patric Sutherland "Wer ist dieser Mr. Sutherland?" erkundigte sich Jacob, als Nick wieder im Haus war. "Ein alter Freund." Kate lächelte unsicher. Durchdringend blickte er sie an. "Ein alter Freund, der mehr als nur das sein möchte? Anna wittert schon eine Romanze." Kate lächelte und erwiderte betont gelassen: "Nein. Er mag Nick sehr gern, und ich glaube, dass er ihm auch ein wenig Leid tut."
"Dann ist er wohl ein guter Mensch. Nicholas hat mir erzählt, dass ihr in Australien viel Zeit mit ihm verbracht und auf dem Rückweg bei ihm übernachtet habt." Sie rang sich ein Lächeln ab. "Hoffentlich hat Nick auch erwähnt, dass wir im Gästezimmer geschlafen haben!" "Es geht mich ja nichts an", sagte Jacob ernst, "aber Nicholas wird immer mehr bewusst, dass alle seine Freunde Väter haben, nur er nicht. Und auch für dich wäre es schön, jemanden zu haben, der sich um dich kümmert." Kate gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Jacob, wir leben nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert. Frauen übernehmen heutzutage selbst die Verantwortung für ihr Leben." "Das mag schon sein", räumte er ein. "Aber du bist jung, schön und intelligent. Du würdest einen Mann sehr glücklich machen. Und auch du verdienst einen Partner, der dich glücklich macht. Nun, eines Tages wird der Richtige kommen. Pass nur auf, dass du eine gute Wahl triffst und dich für jemanden entscheidest, der auch meinen jungen Freund ins Herz schließt." "Das wäre für mich das Allerwichtigste, das kannst du mir glauben", sagte sie ernst. "Nun, vielleicht nicht das Allerwichtigste", erwiderte Jacob trocken. Nick hatte seine Sachen zusammengesucht und kam auf sie zugerannt. Nachdem sie eine Tasse Tee getrunken und einen flüchtigen Blick in die Zeitung geworfen hatte, begann Kate, das Abendessen vorzubereiten. "Ich muss Mr. Sutherland auch schreiben", verkündete Nick. "Für Postkarten braucht man sich doch nicht zu bedanken", antwortete sie und war plötzlich wütend auf Patric. "Aber du willst doch immer, dass ich zurückschreibe. Dann muss ich mich auch für die Postkarte bedanken." Wie alle Kinder verfasste auch Nick nur sehr widerwillig Dankeschön-Briefe. Wenn sie nicht darauf beharrte, würde er es bestimmt bald wieder vergessen. Sie versuchte, vom Thema
abzulenken. "Nimmst du die Postkarte morgen mit zur Schule und zeigst sie den anderen?" "Ja." Nick überlegte kurz und runzelte die Stirn. "Nein", sagte er dann. "Mr. Sutherland ist mein Geheimnis. Soll ich dir etwas vorlesen?" "Ja, bitte." Nick machte es sich an dem schmalen Frühstückstisch bequem und begann vorzulesen, während Kate Kartoffeln schälte und Gemüse für das Hühnerfrikassee zerkleinerte. Sie war wieder einmal froh darüber, dass Nick mit solcher Begeisterung las. Er genoss es zwar, von Zeit zu Zeit mit Rangi fernzusehen, schien dies zu Hause aber nicht zu vermissen. In Patrics luxuriösem Apartment hatte es zahlreiche Bücherregale gegeben, sie konnte sich jedoch nicht daran erinnern, irgendwo einen Bildschirm gesehen zu haben. Wahrscheinlich hat er ein komplett ausgestattetes Video- und Fernsehzimmer, dachte sie sarkastisch. Sie gab die Bohnen in einen kleinen Topf und fragte sich, warum sie so alarmiert gewesen war, als Nick verkündet hatte, er wolle die Postkarte nicht mit zur Schule nehmen. Wenn Patric ihm weiter schrieb und Nick damit jedes Mal so in Aufregung versetzte, müsste sie dem um seinetwillen bald ein Ende machen. Samstagmorgens spielte Nick in einer Rugbymannschaft. Kate sah dabei fast immer zu, und häufig nahm sie andere Kinder im Auto mit, deren Eltern keine Zeit hatten. Das Spiel an diesem Samstag fand jedoch in der Nähe ihres Hauses statt, und so konnten sie zu Fuß hingehen. Der Boden war von starken Regenfällen aufgeweicht, doch heute schien die Sonne. Kate wäre lieber zu Hause geblieben und hätte die schmutzigen Sachen der vergangenen Woche gewaschen, statt am Rand eines schlammigen Spielfeldes zu stehen und zuzusehen, wie ein Haufen kleiner Jungen eifrig hin und her rannte und dabei mit solcher Beharrlichkeit sämtliche
Regeln ignorierte, dass es ihr manchmal schwer fiel, nicht laut loszulachen. Gerade jetzt hatte Nick den Ball erwischt und rannte eifrig auf die Torlinie zu. Nur war es leider die der gegnerischen Mannschaft. Kate, der Mannschaftstrainer und ein halbes Dutzend aufgeregter Eltern begannen verzweifelt zu rufen: "In die andere Richtung, Nick!" Wie durch ein Wunder hörte Nick sie, sah sich um und machte unvermittelt kehrt, wobei er sich seinen Weg durch eine Horde anderer kleiner Jungen bahnen müsste. Die Spieler der gegnerischen Mannschaft waren durch dieses Manöver so verwirrt, dass es ihm tatsächlich gelang, sich am richtigen Ende des Spielfelds in den Schlamm zu werfen. "Gut gemacht, Nick!" brüllte der Trainer. "Jetzt alle zurück an die Mittellinie. Andersrum, andersrum!" Lachend applaudierte Kate. Die Frau, die neben ihr stand, sagte: "Sind sie nicht zum Schreien? War das sein erster Try?" "Ja, sein allererster", erwiderte Kate stolz. "Und bestimmt nicht sein letzter", prophezeite ihr die Frau. "Einer von meinen fünf Söhnen spielt in der anderen Mannschaft. Ich kenne mich mit Rugby aus. Ihr Junge hat ein gutes Gespür für den Sport, und er ist schnell." Sie blickte über Kates Schulter. "Ist das Ihr Mann? Sie haben aber ein Glück!" sagte sie leise und anerkennend. Überrascht drehte Kate sich um. Patrics stahlgraue Augen hielten ihren Blick gefangen. "Patric?" fragte sie entgeistert. "Was - was machst du denn hier?" "Ich sehe Nick zu", erwiderte er und lächelte die Frau neben ihr an, die sofort seinem Charme erlag und ihm ebenfalls ein strahlendes Lächeln schenkte. "Hallo", sagte sie, "Ihr Sohn spielt ausgezeichnet, ich würde sogar sagen, er ist ein Naturtalent." In einiger Entfernung rief jemand nach ihr: "Marie!" "Ich muss los. Auf Wiedersehen!"
Kate versuchte, sich die wilde Freude, die sie bei Patrics Anblick erfüllte, nicht anmerken zu lassen. "Wie hast du uns hier gefunden?" "Euer Nachbar hat mir gesagt, wo ihr seid." "Jacob?" "Ja." Aufmerksam beobachtete er die Jungen auf dem Spielfeld. "Es scheint weder Gedränge noch Tackling zu geben", bemerkte er. "Nein, sie rennen nur hintereinander her." Endlich konnte sie wieder einen klaren Gedanken fassen. Sie lächelte und hoffte, dass ihre Stimme normal und natürlich klang. Voller verzweifelter Sehnsucht dachte sie, dass sie sieben Jahre hierauf gewartet hatte. Das Leben war zwar seitdem weitergegangen, aber tief in ihrem Herzen war sie immer noch die Kate von damals, die sich in Patric verliebt hatte und ihn nicht hatte vergessen können. Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben. Und die Zuversicht, dass sich eines Tages erfüllen würde, was sie sich erhoffte, war eine Bedrohung für das Leben, das sie sich so mühevoll aufgebaut hatte. Warum war Patric nicht für immer aus ihrem Leben verschwunden? Damals in seinem Büro hatte sie deutlich gespürt, dass er sie begehrte. Wollte er jetzt eine Affäre mit ihr beginnen? Es war naiv, zu glauben, dass sie die vergangenen Jahren so einfach überbrücken und auf den Trümmern ihrer Vergangenheit etwas Beständiges aufbauen konnten. So etwas passiert nur im Märchen, sagte ihr Verstand. Patric war einer der reichsten Männer in ganz Neuseeland und Australien! Ihm gehörte ein riesiges Luftfahrtunternehmen. Was hatten sie schon gemeinsam, außer der Erinnerung an eine romantische Liebesbeziehung vor vielen Jahren, als sie beide noch jung genug gewesen waren, um an Wunder zu glauben? Patric hatte eine Weile schweigend dem Spiel zugesehen. "Für einen Sechsjährigen hat er recht geschickte Hände."
"Das ist eine starke Untertreibung für einen so brillanten Spieler wie Nick", erwiderte sie. Patric lachte. "Du bist doch wohl keine von diesen hysterischen Müttern, die ihre Kinder so abgöttisch lieben, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sie realistisch zu sehen." "Ich liebe Nick sehr, aber ich hoffe doch, dass ich nicht hysterisch bin." "Du bist eine sehr gute Mutter, und Nick ist ein toller Junge." "Er ist glücklich", antwortete sie schlicht und nahm all ihren Mut zusammen. "Patric, ich glaube nicht, dass es klug wäre, deine Freundschaft mit Nick fortzusetzen." "Warum nicht?" fragte er ruhig. "Weil er glücklich und zufrieden mit seinem Leben ist, so wie es ist. Ich will nicht, dass irgendetwas ihn traurig macht." "Warum sollte ich ihn traurig machen?" Kate wollte sich ihre Unsicherheit nicht anmerken lassen, um ihm keinen Angriffspunkt zu bieten. "Du bringst sein ganzes Leben durcheinander," Sogar in ihren eigenen Ohren klang das wie eine schlechte Ausrede. "Warum?" Sie richtete sich auf und sagte: "Er könnte in dir den Vater sehen, den er nie hatte, und ich will nicht, dass ihm das Herz bricht. Es wäre besser für ihn, wenn du ihm nicht mehr schreibst und ihn auch nicht besuchst." Seine Züge verhärteten sich, und seine stahlgrauen Augen funkelten. "Wulst du mir drohen?" "Womit sollte ich dir schon drohen?" fragte sie sarkastisch. "Du hast durchaus die Macht dazu", erwiderte er. Den Blick aufs Spielfeld gerichtet, fuhr er fort: "Ich glaube, dass man das Herz einer Mutter am leichtesten über die Zuneigung ihres Kindes gewinnen kann. Für mich ist es also ein Glück, dass ich den Jungen wirklich gern habe." Ungläubig blickte Kate ihn an.
Patric wandte sich zu ihr um. "Überrascht dich das?" fragte er sanft. "Ich habe dich nie vergessen können. Du warst meine Meerjungfrau, meine Loreley, und ich verspürte den brennenden Wunsch, immer bei dir zu sein. War dir nicht bewusst, dass sich an meinen Gefühlen für dich nichts geändert hat?" Tausend Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf. "Nein", erwiderte sie langsam, "das war mir nicht bewusst." "Als du dich damals in Tatamoa von mir getrennt hast, konnte ich es einfach nicht fassen, dass das Wichtigste und Schönste, was ich je erlebt hatte, dir offenbar so wenig bedeutet hatte." Seine Worte versetzten ihr einen Stich ins Herz. Wenn sie ihm damals nur erzählt hätte, was passiert war - aber dazu war sie einfach nicht in der Lage gewesen. Der Gedanke, dass sie das Kind ihres Peinigers unter dem Herzen trug, und die Drohungen, die er ausgesprochen hatte, hatten sie völlig verstört. Doch Patric wusste jetzt, was passiert war. Und dennoch begehrte er sie. Aber konnte sie die Gefahr eingehen, sich wieder in ihn zu verlieben, wenn sie damit Nicks Sicherheit aufs Spiel setzte? Kate hielt den Blick starr auf die Gruppe schlammverkrusteter Jungen gerichtet, die sich in Reihen aufstellten. "Ich lasse mich nicht auf Affären ein. Es wäre auch nicht gut für Nick, einen potenziellen Vater nach dem anderen präsentiert zu bekommen." Patric schwieg. Nach einer Weile antwortete er: "Es war auch nicht meine Absicht, dir eine Affäre mit mir vorzuschlagen. Ich möchte einfach, dass wir uns wieder besser kennen lernen." Sie war beschämt darüber, dass sie seine Absichten so falsch eingeschätzt hatte. "Kate", sagte er ruhig, "bitte glaub mir, dass ich in den vergangenen sieben Jahren dazugelernt habe. Ich schwöre dir, dass ich dich nie mehr im Stich lassen werde."
"Du hast mich nicht im Stich gelassen, ich war diejenige, die die Beziehung beendet hat!" widersprach sie. "Doch, das habe ich getan. Kate, können wir es noch einmal miteinander versuchen?" Kate dachte an jenen romantischen Sommer vor sieben Jahren und war versucht, diesen verführerischen Vorschlag sofort anzunehmen. Doch als sie Nick kurz nach der Geburt das erste Mal im Arm gehalten hatte, hatte sie sich geschworen, dass er bei all ihren Entscheidungen immer an erster Stelle stehen würde. Nie hätte sie geglaubt, dass es ihr so schwer fallen würde, diesen Schwur zu halten. "Wir können es versuchen", erwiderte sie leise. Wie aus weiter Ferne hörte sie eine Trillerpfeife, dann stießen die kleinen Spieler im Chor jeweils drei Beifallrufe füreinander und drei für den Schiedsrichter aus. Nick kam barfuß über das matschige Spielfeld gelaufen. Er strahlte über das ganze Gesicht. "Hallo, Mr. Sutherland", rief er fröhlich, noch ganz aufgekratzt von seinem Erfolg. "Haben Sie meinen Try gesehen? Zuerst bin ich in die falsche Richtung gelaufen, aber dann habe ich Mummy rufen hören und bin umgedreht." Er platzte fast vor Stolz, und Patric gratulierte ihm. Kate hatte keine Gelegenheit mehr, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Als er vorschlug, sie nach Hause zu fahren, wandte Kate ein: "Nick ist voller Schlamm, er würde den ganzen Wagen schmutzig machen." "Das ist nicht weiter schlimm", entgegnete er. Sie musterte den großen dunkelgrauen Wagen. "Gut, wenn es dir nichts ausmacht." Bevor er losfuhr, stellte er sicher, dass sie beide angeschnallt waren. Fröhlich winkte Nick seinen Freunden zu. Wenig später schloss Kate die Tür zu ihrem Apartment auf, das ihr auf einmal sehr klein und schäbig vorkam. Ich brauche
mich deswegen nicht zu schämen, ermahnte sie sich selber, als sie hineingingen. "Nick, du nimmst jetzt ein Bad und schrubbst dir ordentlich die Knie und Füße. Patric, was möchtest du trinken, Tee oder Kaffee?" "Tee, bitte", erwiderte Patric, als Nick im Badezimmer verschwand. "Soll ich ihn kochen?" Fragend blickte sie ihn an. "Ich dachte, du musst vielleicht das Badewasser einlassen oder Nick frische Kleidung rauslegen." "Das kann Nick alles allein", sagte sie gelassen. "Du hattest sicher ein Kindermädchen, als du klein warst, nicht wahr?" "Ich hatte eins, bis ich auf ein Internat geschickt wurde", erzählte Patric, der beobachtete, wie sie in der kleinen Küche umherging und hantierte. "Wie alt warst du da?" "Sieben Jahre." Sie erwiderte nichts, doch er musste ihre Empörung bemerkt haben. "Meine Eltern waren sehr viel auf Reisen", erklärte er. "Und obwohl ich sie und mein Kindermädchen natürlich vermisst habe, hat es mir in dem Internat gefallen." "Hast du deinen Teddy mitgenommen?" wollte Kate wissen. Patric lachte. "Ja, wir alle hatten unsere Kuscheltiere dabei. Aber trotzdem bin ich der Meinung, dass es das Allerbeste für Kinder ist, geborgen in einer Familie aufzuwachsen. Meine Kinder werden nicht aufs Internat geschickt werden, und ich werde nur auf Geschäftsreise gehen, wenn es unvermeidlich ist." Was wollte er damit sagen? Sie würde nicht weiter darauf eingehen und hinter allem, was er sagte, eine Andeutung vermuten. Kate sagte voller Überzeugung: "Kinder brauchen ihre Eltern." Damit hatte sie nicht andeuten wollen, dass Nick ein Vater fehlte. Patric hätte ohnehin nicht die Zeit, diese Rolle zu spielen. Er war sicher zu beschäftigt, um häufig nach Whangarei zu kommen. Und das ist auch besser so, redete sie sich ein, während sie die Teeblätter abmaß. Was genau hatte er damit gemeint, als er
sie fragte, ob sie es noch einmal miteinander versuchen könnten? Sie verdrängte diesen Gedanken und goss den Tee auf. "Ja, der Meinung bin ich auch", stimmte Patric zu. Das klang zweideutig. Er glaubte doch wohl nicht noch immer - nein, er wusste doch jetzt, dass Nick nicht sein Sohn war. "Oder Menschen, die diese Rolle übernehmen", fuhr er gelassen fort. "Du hast gesagt, dass du Nick auch deswegen behalten hast, weil du dich selber bei deinem Onkel und deiner Tante als Außenseiter gefühlt hast." "Ich war nicht unglücklich bei ihnen", stimmte Kate zu. "Und es war auch nicht ihre Schuld, dass ich mich nie ganz dazugehörig gefühlt habe. In vielen Familien gibt es einen Außenseiter." "Aber auch als solcher warst du dir deiner selbst sehr sicher", sagte Patric. "Deine Verwandten waren nett und gutmütig, aber du hattest etwas Geheimnisvolles an dir. Du warst etwas ganz Besonderes. Kein Wunder, dass du das Gefühl hattest, nicht zu ihnen zu passen." Das Wasser im Badezimmer hörte auf zu laufen, und ein lautes Platschen ertönte. Kate seufzte bei dem Gedanken an die Überschwemmung, die Nick in seinem Übermut verursachen würde. "Nick, lass das!" rief sie streng. "Okay", rief er fröhlich zurück, nicht im Mindesten beeindruckt. Kurze Zeit später erschien er, frisch gewaschen und angezogen. Kate betrachtete ihn und stellte wehmütig fest, dass er sich besonders viel Mühe gegeben hatte. Er hatte sich die Haare gekämmt und trug eins der neuen Sweatshirts. Sogar die Zähne hatte er sich geputzt - alles nur Patric zu Ehren! Kate rückte zur Seite, damit er sich neben sie auf die alte, harte Couch setzen konnte, die sie aus zweiter Hand gekauft hatte. Plötzlich ganz schüchtern, wandte Nick sich an Patric. "Das war mein allererster Try."
"Das hast du ausgezeichnet gemacht", erwiderte Patric. "Haben Sie früher auch Rugby gespielt?" fragte Nick eifrig. "Ja, ich war Stürmer", erzählte Patric, "aber nicht so schnell wie du." Kate gab Nick ein Glas Wasser und einen Cracker mit Käse. Sie hörte zu, wie die beiden sich über Fußball unterhielten, und allmählich ließ ihre Anspannung nach. Patric schien mit seiner bloßen Anwesenheit das kleine Zimmer zu beherrschen, dessen Unansehnlichkeit lediglich durch die leuchtend rosa blühenden Seidelbastzweige gemildert wurde, die sie am Tag zuvor gepflückt und in eine Vase gestellt hatte. Doch trotzdem war dies ihr Zuhause. Nick und sie fühlten sich wohl hier. Kate war nervös und unruhig. In ihr rumorte ein sehnsüchtiges Verlangen. Lange Zeit hatte sie es verdrängen können, doch ihr erneutes Zusammentreffen mit Patric hatte es wieder wachgerufen. Tief in Gedanken versunken hörte sie Patric und Nick zu, die sich unterhielten. Wenn sie wieder lernen würde zu lieben und zurückgewiesen würde - das könnte sie nicht ertragen. Doch, sie könnte es. Sie war stark und hatte alles ertragen, was ihr in ihrem Leben widerfahren war. Aber sie musste ja auch nicht das Schicksal herausfordern. Nicks fröhliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken: "Wir können unten am Hafen essen gehen", schlug er vor. "Weißt du noch, Mummy, da, wo wir die Boote angesehen haben?" Er wandte sich wieder Patric zu. "Mummy hat das Boot aus Seattle in Amerika am besten gefallen, aber ich fand das aus Hamburg am schönsten. Es ist von Deutschland bis hierher gefahren - fast um die ganze Welt!" Patric lächelte und blickte Kate an. "Ich dachte, wir drei könnten vielleicht zusammen Mittag essen." Das war ihre letzte Chance. Noch konnte sie ihn abweisen und aus ihrer beider Leben ausschließen. Kate blickte von Patric zu Nick und wusste, dass sie es nicht fertig bringen würde. Sie
würde sich nie verzeihen, wenn sie noch einmal davonliefe. "Ja, das ist eine gute Idee", stimmte sie zu und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. "Ich ziehe mich noch schnell um." Patric ließ den Blick prüfend über sie gleiten. Der moosgrüne Pullover betonte ihre grünblauen Augen, und ihre Jeans saßen perfekt. Sie empfand Patrics Blick wie eine sanfte Berührung, und vor Erregung wurden ihre Brustspitzen fest. "Du brauchst dich nicht umzuziehen, du siehst sehr hübsch aus", sagte er. Kate stand auf. Patric machte ihr Platz und lächelte Nick zu, der ihn anstrahlte und ebenfalls beiseite rückte, damit sie vorbeikonnte. Es gab ihr einen Stich ins Herz. Sollte Patric irgendetwas falsch machen, würde er sich diesmal nicht mit einem todunglücklichen Teenager, sondern mit einer wütenden Mutter auseinander setzen müssen!
7. KAPITEL "Kein Wunder, dass du gern hierher kommst. Du hast schon immer die Nähe zum Wasser gesucht", sagte Patric, als sie vom Parkplatz zum Kai schlenderten. Rund um den Hafen befanden sich viele Grünanlagen, Geschäfte und Restaurants sowie mehrere Museen. Nick blieb vor einer eleganten weißen Yacht stehen. Der Anblick dieser Schiffe stimmte Kate immer sehr wehmütig, denn sie verhießen Reisen, Abenteuer und den aufregenden Duft der weiten Welt. Als sie sich dafür entschieden hatte, Nick zu behalten, war ihr bewusst gewesen, dass sie damit vieles aufgab. Und sie hatte diese Weichenstellung nie bereut. Obwohl sie nichts gesagt hatte, schien Patric zu wissen, was in ihr vorging. "Ich habe Hunger", sagte Nick mit Nachdruck. "Dann sollten wir jetzt in ein Cafe gehen. Es ist warm und sonnig, wir können also auch draußen sitzen." Plötzlich fühlte Kate sich wieder sehr einsam. Sie hatte viele Freunde, ebenso wie Nick, und doch kam es ihr so vor, als wäre sie in den vergangenen sieben Jahren allein gewesen. Durch Patric sah sie jetzt ihr Leben im greifen Licht der Wirklichkeit, und sie hatte ein wenig Angst davor, was zu Tage kommen und was sich verändern würde. "Was möchtest du essen?" fragte Patric, während er ihr einen Stuhl hinschob.
Sie hatte keinen Appetit. "Ein Sandwich", sagte sie, nachdem sie die Angebote auf der Tafel rasch überflogen hatte. "Käse und Tomaten oder etwas Ähnliches. Und einen Kaffee, bitte." "Und du, Nick?" "Können wir nachsehen, ob es drinnen noch andere Sachen gibt?" fragte Nick. "Natürlich", antwortete Patric. "Kommst du auch mit, Kate?" "Nein, ich bleibe hier", erwiderte sie. Ihre Stimme klang dünn und unsicher. Patric warf ihr einen Blick zu, und wieder hatte sie das beunruhigende Gefühl, dass er genau wusste, was in ihr vorging. Zusammen mit Nick ging er hinein. Kate stand auf, um einen der Sonnenschirme aufzuspannen. Sie ließ den Blick gedankenverloren über den Kai, über die zarten, spitz zulaufenden Blätter und blendend weißen Blüten der Rengarenga-Lilien gleiten, über die Masten der eleganten Boote und über die malerischen, mit Büschen bewachsenen Hänge von Parahaki auf der gegenüberliegenden Seite. "Du siehst traurig aus", stellte Patric fest. Kate fuhr zusammen. Nick strahlte über das ganze Gesicht, doch Patric wirkte distanziert. "Ich war in Gedanken", erwiderte sie nur. Mit einem leichten Lächeln sagte er: "Ich habe mich immer gefragt, was für Gedanken dir wohl durch deinen schönen Kopf schwirren. Du warst immer so anmutig und fröhlich, und doch wusste ich nie, was du gerade gefühlt hast. Jetzt bist du noch schöner, aber du lachst fast gar nicht mehr, und immer noch verbergen deine grünblauen Augen Geheimnisse." Er blickte zu Nick. "Bei deinem Sohn dagegen findet sich keine Spur von Schwermut." Kate versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, und erwiderte: "Ich war damals jung und naiv, ein Niemand. Das wird dir deine Mutter sicher auch gesagt haben."
"Meine Mutter ist durch eine Kultur geprägt, in der es ein strenges gesellschaftliches System gibt, und mein Vater hatte in vielen Dingen veraltete Ansichten." Nach kurzem Schweigen fragte er sanft: "Haben meine Eltern dich damals auf unsere Beziehung angesprochen?" Kate warf Nick rasch einen Blick zu, dessen gesamte Aufmerksamkeit auf das Stück Quiche auf seinem Teller gerichtet war. Als sie nicht antwortete, fragte Patric eindringlich: "Was haben sie zu dir gesagt, Kate?" "Deine Mutter machte sich Sorgen. Sie meinte, wir - würden nicht zueinander passen." Sie lächelte bitter. "Das wusste ich bereits." Kate spürte, wie Patric ruhig zu bleiben versuchte. "Sie hat sich getäuscht", meinte er gelassen. "Und du hast es auch. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert." Ohne Übergang stellte er ihr dann die Fragen, die Menschen einander stellen, die sich lange nicht gesehen haben: "Sind alle deine Cousinen schon verheiratet?" "Ja, und sie haben auch alle bereits Kinder", erzählte Kate. "Juliet und ihr Mann wohnen am nächsten bei mir. Sie betreiben Obstanbau in Kerikeri." Patric nickte. "Meine Tante Barbara, Seans Mutter, ist Teilhaberin einer Obstfarm in Kerikeri. Sie wollte eigentlich eine Straußenfarm aufbauen, aber zum Glück konnte ich sie davon überzeugen, dass es keine lohnende Investition wäre." "Ich habe drinnen Kuchen gesehen." Nick blickte Patric hoffnungsvoll an. Patric lachte. "Du solltest deine Mutter fragen." Kate hätte allem zugestimmt, nur um Patric noch einmal lachen zu sehen. Sie liebte sein Lachen, und seit ihrem erneuten Zusammentreffen hatte sie es viel zu selten gehört. "Natürlich darfst du ein Stück Kuchen essen", sagte sie. "Schließlich ist heute ein ganz besonderer Tag. Du hast deinen ersten Try gemacht."
Als Nick und Patric im Cafe verschwanden, konnte sie endlich wieder ruhig durchatmen. Es kam ihr vor wie ein Sakrileg, wenn Patric Seans Namen aussprach. Sie versuchte nicht, den Schmerz und das Gefühl der Erniedrigung zu unterdrücken, die wieder in ihr wach wurden, sondern wartete ab, bis sie von selber verebbten. Aber würde sich Patrics Beziehung zu Nick ändern, wenn er erführe, dass er Seans Sohn war? Vermutlich würde es so sein, denn Patric hatte für seinen Cousin, einen gut aussehenden, aber bösartigen Mann, dem es Spaß machte, andere zu tyrannisieren, nur Verachtung übrig. Und Sean hatte immer Angst vor seinem jüngeren Cousin gehabt. Während der letzten Sommerferien auf Tatamoa hatte er Kate bei einer Party in die Ecke gedrängt und versucht, sie zu küssen. Empört und angewidert hatte sie ihm einen Schlag in den Magen versetzt. Er hatte nach Luft geschnappt, als Patric hinzukam und ihn von ihr wegriss, kalte Wut in den Augen. In wenigen knappen Worten hatte er ein vernichtendes Urteil über Seans Charakter abgegeben, und sein Cousin, derart bloßgestellt und gedemütigt, war für den Rest der Ferien in gekränktem Groll versunken. Noch immer schauderte sie, wenn sie seinen Namen hörte, aber nur um Nicks willen fürchtete sie ihn. Doch wenn die Sutherlands keinen Kontakt mehr zu Sean hatten, würde er nie erfahren, dass er einen Sohn hatte, und Nick wäre in Sicherheit. Kates Hände verkrampften sich in ihrem Schoß. Eine einsame Möwe breitete die Flügel aus und glitt im Sonnenlicht über den Hafen. Nick kam zurück. Er trug einen Teller mit einem Stück Käsekuchen. "Mr. Sutherland hat gesagt, wenn du möchtest, können wir nachher zum Spielplatz im Park gehen", sagte er und sah sie fragend an. "Natürlich möchte ich", antwortete sie und rang sich ein Lächeln ab. Nick freute sich und ließ sich den Kuchen
schmecken. Kate warf Patric einen verstohlenen Blick zu. Als sie das Begehren in seinen Augen sah, wurde ihr heiß. "Wie lange willst du mich noch auf Abstand halten?" fragte er kaum hörbar. Seine Nähe raubte ihr den Atem: die bronzefarbene Haut, das tiefschwarze Haar, sein edles Profil, der schön geschwungene Mund, seine ganze maskuline Ausstrahlung, die sie in ihrer Fantasie und ihren Träumen verfolgt hatte. Doch nicht nur Patrics Anwesenheit erregte sie. Kate war verwirrt über die Intensität, mit der sie ihre Umgebung wahrnahm: den Duft des Kaffees, des Salzwassers und der Blumen, die Wärme der Sonne auf ihrer Haut. Ein verzehrendes Verlangen hatte von ihr Besitz ergriffen, fast spürte sie, wie die Luft um sie her aufgeladen war. Lust, dachte sie halb erschrocken, ich verspüre wieder Lust. Seans Brutalität hatte es ihr unmöglich gemacht, mit ihrer Sinnlichkeit natürlich und unbefangen umzugehen. Seit der Vergewaltigung hatte sie sich gefühlt, als wäre sie vom Rest der Welt abgeschnitten, und auch die Therapie hatte daran nichts ändern können. Und jetzt begehrte sie Patric. Doch sie wusste nicht, wie sie reagieren würde, wenn er sie tatsächlich berührte. Sein Kuss hatte sie sehr erregt, aber wie könnte sie es ertragen, wenn er weiter ging? Sollte sie das Risiko eingehen? Patric hatte ihr kein Versprechen gegeben, und das konnte er wohl auch nicht. Doch vielleicht konnten sie wirklich noch einmal von vorn beginnen ... Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, gingen sie zum Spielplatz. Nick lief sofort zum Klettergerüst. Zuerst wollte er ihnen zeigen, was er alles konnte, doch schon bald konzentrierte er sich ganz aufs Klettern. "Du scheinst gar keine Angst zu haben, dass ihm etwas passiert", bemerkte Patric.
Sie hatten sich gesetzt und sahen Nick zu. "Er kann es nicht ausstehen, wenn ich viel Wirbel um ihn mache, und für sein Alter ist er sehr vernünftig. Weil ich mich nur selten aufrege, hört er sofort darauf, wenn ich es doch einmal tue." "Als er noch klein war, hattest du es sicher nicht leicht." "Ja, es ist nicht einfach, sein ganzes Leben auf einen anderen Menschen einzustellen, auch wenn es das eigene Kind ist", gab sie freimütig zu. Mit unbewegter Miene sagte Patric: "In sehr jungem Alter Kinder zu bekommen ist meistens weder für die Eltern noch für die Kinder gut." Er klang streng. "Du hast Nick alles gegeben, was er brauchte - aber was ist mit dir? Du hattest doch bestimmt einmal ehrgeizigere Pläne, als Verkäuferin in einer Boutique zu werden." "Ohne Ausbildung hat man nicht sehr viele Möglichkeiten", sagte sie schlicht. "Allerdings habe ich nicht vor, für immer als Verkäuferin zu arbeiten. Ich werde nächstes Jahr meine Studien fortsetzen." "Gut. Und warum bist du ausgerechnet nach Whangarei gezogen?" Kate blickte ihren Sohn an. "In Christchurch wollte ich nicht bleiben, und die Wohnungen, die ich mir in Auckland hätte leisten können, lagen in Stadtteilen, die ich nicht für geeignet hielt, um dort mein Kind auf zuziehen." Außerdem hatte sie nicht riskieren wollen, Sean oder Patric zu begegnen. "Ich wollte mit Nick gern in eine Kleinstadt. In Whangarei waren die Mieten damals niedrig." "Du musst sehr einsam gewesen sein." "Ich habe schnell neue Freunde gefunden." "Du hattest immer viele Freunde", erinnerte sich Patric. "Und obwohl du an ihnen gehangen hast, hatte ich immer das Gefühl, dass du sie nie ganz an dich herangelassen hast." Überrascht fragte sie: "War ich so kalt und distanziert?"
"Nein, ganz und gar nicht." Er schwieg kurz und fuhr dann fort: "Du warst nur einfach nie auf jemand anders angewiesen, und das ist noch heute so." Vom Klettergerüst aus winkte Nick ihnen fröhlich zu. Sie winkten zurück. "Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Niemand kommt ganz allein zurecht." Nachdenklich erwiderte er: "Du warst schon als Kind entzückend, aber ich fragte mich, wieso mich ein so junges Mädchen derart faszinierte - noch dazu da du offensichtlich nicht im Geringsten an mir interessiert warst." Kate lachte überrascht. "Aber natürlich war ich es - sämtliche Mädchen in Poto, die zwölf oder älter waren, waren unsterblich in dich verliebt." Mit bitterer Ironie entgegnete er: "Sie waren wohl eher in den Namen Sutherland und das Vermögen meiner Familie verliebt als in mich." Sie sah ihn an. Er betrachtete sie kühl, und seine Augen verrieten nicht, was in ihm vorging. Warum hatte sie das Gefühl, ihn beschützen zu müssen? "Das glaubst du doch selber nicht", sagte sie ungläubig. "An meinem achtzehnten Geburtstag nahm mein Vater mich beiseite und machte mir klar, dass ich eine ,gute Partie' sei, da ich einmal Sutherland Aviation übernehmen würde." Patric klang ruhig und ungerührt. "Er sagte mir, dass viele Frauen nicht deshalb auf eine Beziehung mit mir aus seien, weil sie an mir persönlich interessiert seien, sondern weil sie es auf mein Vermögen abgesehen hätten." Kate dachte an Patrics Vater, einen gut aussehenden und klugen Mann, und wünschte sich, sie hätte nur fünf Minuten Zeit, um ihm die Meinung zu sagen. Laut sagte sie: "Aber das ist doch lächerlich! Du hattest viel mehr zu bieten als nur das Vermögen deiner Eltern ..."
Er blickte sie an und lächelte bitter. "Du bist so unschuldig, Kate. Er hatte Recht. Auch Laura war nur auf mein Geld aus, obwohl sie das niemals zugegeben hätte." Kate konnte es nicht fassen. Für sie war Patric immer der Mann ihrer Träume gewesen, sie hatte nie auch nur einen Gedanken an sein Geld verschwendet. Während ihre Liebe sich langsam entwickelte, hatten sie über vieles gesprochen, über ihre Träume, Ängste und Hoffnungen. Doch nun war ihr klar, dass sie von dem Mann, mit dem sie das erste Mal geschlafen hatte, trotz allem sehr wenig gewusst - und ihn noch weniger verstanden hatte. Sie betrachtete sein Profil. Als hätte er ihren Blick bemerkt, wandte er den Kopf und sah sie an. Eine Welle des Begehrens überflutete sie beide - stark und verführerisch. Er fragte: "Woran liegt es nur, dass ich dich nach all diesen Jahren noch immer so begehre, dass es mich fast verrückt macht? Ich habe andere Frauen kennen gelernt, doch als ich dich dort an der Gold Coast wieder sah, stockte mir der Atem, und ich musste all meine Selbstbeherrschung aufbringen, um dich nicht sofort zu küssen, denn ich war wie ausgehungert nach deiner Liebe." "Andere Frauen?" fragte Kate rasch. Sie verspürte eine leise Eifersucht. Er lächelte kalt. "Natürlich gab es andere Frauen in meinem Leben. Nach Lauras Tod hatte ich wieder nach dir gesucht, aber du warst wie vom Erdboden verschluckt. Hast du eine Vorstellung, wie viele Kate Browns es in Neuseeland gibt?" fragte Patric. "Es gibt Tausende! Schließlich akzeptierte ich, was du mir damals in Tatamoa mitgeteilt hattest. Es erschien sinnlos, einer Frau die Treue zu halten, die mich so energisch abgewiesen hatte, und so tat ich es nicht. Allerdings bin ich weder ein Freund von kurzen Affären noch leichtsinnig. Hat es in deinem Leben andere Männer gegeben?" "Nein."
Patric kniff die Augen zusammen. "Warum nicht?" Sie musste ihm die Wahrheit sagen. "Weil ich es nicht hätte ertragen können, von irgendeinem Mann berührt zu werden", antwortete sie schlicht. Forschend ließ er den Blick über ihr Gesicht gleiten. Sie sammelte all ihre Kraft und wartete darauf, dass er etwas erwidern würde. Doch er schwieg. Dann nahm er ihre Hand und hielt sie in seiner. Die Berührung ließ sie erbeben. Bisher hatte sie geglaubt, dass sie sich unter Kontrolle hatte. Doch als Patric sie berührte, flammte das Verlangen in ihr auf, und sie hatte das Gefühl, dass ein kleiner Funke ausreichen würde, um ein alles verzehrendes Feuer zu entfachen. "Kannst du das ertragen?" fragte Patric eindringlich. Sie war nicht bereit nachzugeben. Ihre Hand, von seinen kräftigen Fingern gehalten, zitterte. "Dein Herz rast." Mit der anderen Hand presste er ihre Fingerspitzen auf seinen Puls. Auch der raste. "Mir geht es genau wie dir, Kate. Zum Glück haben wir uns wieder gefunden, denn sonst hätten wir einander bis an unser Lebensende gesucht." "Mummy?" Nick klang besorgt und fordernd zugleich, und der Bann war gebrochen. Mit noch geröteten Wangen wandte sie sich ihrem Sohn zu, und ohne Eile ließ Patric ihre Hand los. Nick blickte vom einen zum anderen. "Warum hast du Mr. Sutherlands Hand gehalten?" fragte er missbilligend. Kate stand auf. "Weil ich es gern wollte. Und jetzt sollten wir uns auf den Heimweg machen." Patric und Nick sahen sie an. Beide runzelten die Stirn, und für einen kurzen Augenblick sahen sie einander sehr ähnlich. Geschickt lenkte Patric Nick ab. "Wie heißt der Linksaußen eurer Mannschaft, der Junge mit dem roten Haar?" "Timmy Blunt", erzählte Nick eifrig. "Er ist cool." "Mir hat es gefallen, dass er dir den Ball zugespielt hat, anstatt ihn selber zu behalten. So etwas macht kein Anfänger."
Sie begannen, sich über die verschiedenen Spieler in Nicks Mannschaft zu unterhalten, und unwillkürlich drängte sich Kate der Gedanke auf, was für ein guter Vater Patric wäre. Er wäre streng, aber gerecht, und seine Kinder würden nie daran zweifeln, dass er sie liebte.
8. KAPITEL Als sie zu Hause ankamen, lud Kate Patric ein, auf einen Kaffee mit hineinzukommen. "Nein, danke", lehnte er ab. "Ich habe Montagmorgen ein geschäftliches Treffen in Wellington, für das ich noch einiges vorbereiten muss." Sie versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, und sagte ruhig: "Dann möchte ich dir für diesen schönen Tag danken." Vom hinteren Sitz ertönte Nicks Stimme: "Ja, vielen Dank, Mr. Sutherland!" Patric antwortete nicht sofort. Doch dann drehte er sich um und lächelte Nick zu. "Ich habe mich noch gar nicht für deinen netten Brief bedankt. Ich würde deiner Mannschaft nächsten Samstag gern wieder zusehen. Wann und wo ist denn das Spiel?" "In Kamo", antwortete Nick, "um neun Uhr, nicht wahr, Mummy?" "Ja." "Ich werde euch abholen", schlug Patric vor. Kate schüttelte den Kopf: "Ich nehme eine ganze Horde Kinder mit zum Spiel." "Das ist doch kein Problem", entgegnete er leicht ungeduldig. "In diesem Auto ist viel mehr Platz als im Mini. Um wie viel Uhr fahrt ihr normalerweise los?"
Kate war gereizt. Er nahm ihre Zustimmung als selbstverständlich hin. "Das ist wirklich nicht nötig, Patric. Wir sehen dich dann beim Spiel." Ohne ihm die Gelegenheit zu geben, etwas zu erwidern, gab sie ihm eine Wegbeschreibung und öffnete dann die Wagentür, um auszusteigen. Patric runzelte die Stirn, versuchte aber nicht, sie umzustimmen. "Wenn jemand bei Nick bleiben könnte, würde ich gern mit dir am Samstagabend zum Essen ausgehen." Es war sehr taktvoll von ihm, nicht das Wort "Babysitter" zu benutzen. Nick war trotzdem empört. "Ich will nicht, dass du ausgehst", sagte er trotzig. Angesichts Nicks aufsässiger Reaktion war Kate zu schnellem Handeln gezwungen. Sie ignorierte ihn und erwiderte: "Ja, das ist eine gute Idee. Um wie viel Uhr?" "Um halb sieben? Wäre dir das recht?" "Vielleicht lieber erst um halb acht. Nick muss vorher noch zu Abendessen." Er begleitete sie bis zur Haustür, wartete, bis sie aufgeschlossen hatte, und lächelte ihr und dem immer noch schmollenden Nick zu. "Dann bis nächsten Samstag", verabschiedete er sich und ging zurück zum Wagen. Kate blickte ihm nach. Sie war nervös und voll freudiger Erregung. Sie kam jedoch nicht dazu, über ihre Gefühle und Empfindungen nachzudenken, denn sofort bestürmte Nick sie mit Vorwürfen: "Warum kann ich nicht mitkommen? Ich habe keine Lust, zu Hause zu bleiben wie in Australien!" "Wir werden erst sehr spät wiederkommen", erwiderte Kate mit fester Stimme. Nick konnte sehr hartnäckig sein, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. In solchen Fällen reagierte sie mit freundlicher Unnachgiebigkeit. "Ich würde mich auch bestimmt sehr gut benehmen." Offensichtlich legte er es auf eine längere Auseinandersetzung an.
"Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Mr. Sutherland dich eingeladen hat", sagte Kate freundlich, aber bestimmt. Das brachte Nick sekundenlang zum Schweigen. "Er hätte mich bestimmt eingeladen, wenn du es erlaubt hättest." "Nein, sicherlich nicht, denn er weiß, dass Jungen in deinem Alter früh ins Bett gehen, weil sie noch wachsen müssen. Was meinst du, warum Mr. Sutherland so groß und stark ist? Bestimmt nicht, weil er als Sechsjähriger immer lange aufgeblieben ist." Nick gab nach. "Mummy, kann ich zu Rangi gehen und mit seinem Computer spielen?" "Wir gehen doch heute Abend zum Essen zu ihm", erinnerte sie ihn. "Wärst du so nett, mir einen großen Eisbergsalat aus dem Garten zu holen? Den können wir nachher mitnehmen. Pass bitte mit dem Messer auf, und halt es so, wie ich es dir gezeigt habe." Kate sah vom Küchenfenster aus zu, wie er vorsichtig den Salatkopf abschnitt. Sein schwarzes Haar glänzte in der Sonne. Stolz stand er auf und winkte ihr zu. Schmerzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sie Nick liebte, und sie fragte sich, ob sie wirklich riskieren durfte, dass ihnen beiden wehgetan wurde. Kate war hin und her gerissen. Einerseits hatte sie Angst vor den möglichen Gefahren, auf die sie sich einlassen würde, und fühlte sich für Nick verantwortlich, doch andererseits wusste sie, dass nur Patric ihre Sehnsucht nach sexueller, emotionaler und geistiger Erfüllung stillen konnte. Wenn sie sich nur vorstellte, wie Patric sie berührte, überlief sie ein lustvoller Schauer. Zumindest ihres körperlichen Verlangens war sie sich sicher. "Das hast du sehr gut gemacht", lobte sie Nick. "Möchtest du auch das Dressing machen?" Während er die Zutaten abmaß, wusch sie den Salat. Wie sehr würde es Nick treffen, wenn sich zwischen ihr und Patric keine Beziehung entwickeln würde? Wäre es nicht besser, gar keine Risiken einzugehen und auf jegliche Erfüllung zu
verzichten, bis Nick ausgezogen war? Das würde frühestens in zwölf Jahren passieren. Sie wäre dann sechsunddreißig. Die Entscheidung würde ihr leichter fallen, wenn sie daran glauben könnte, dass Patric vorhatte, sie zu heiraten. Und vielleicht wollte er das wirklich. Könnte sie ihn heiraten? Der Gedanke erfüllte sie mit einer schmerzlichen Sehnsucht. Nur wenn ich sicher bin, dass er auch Nick liebt, dachte sie entschlossen. "Ich bin fertig", unterbrach Nick ihre wehmütigen Gedanken. Er grinste sie an. "Muss ich jetzt noch duschen und mich umziehen?" "Nein", erwiderte Kate. "Aber du könntest ein bisschen aufräumen." Nick seufzte und verschwand in seinem Zimmer. Patric hatte sich den richtigen Moment ausgesucht, um sie zu bitten, mit ihr essen zu gehen. Doch auch wenn Nick nicht so trotzig gewesen wäre, hätte sie die Einladung angenommen. Und wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie weit mehr wollte, als nur mit Patric essen zu gehen. Sie hörte Nick rufen: "Ich bin fertig, wir können los!" "Ist dein Zimmer ordentlich?" "Ja, ich habe alle Spielsachen weggeräumt." Kate blickte auf die Uhr. "Wir haben noch ein bisschen Zeit. Was hältst du davon, wenn du Mr. Sutherland schreibst und dich für das Essen bedankst, und ich schicke es dann zusammen mit meinem Brief ab?" "In Ordnung", stimmte Nick zu. Wenn sie sich von den Fesseln befreien wollte, die sie immer noch an Patric banden, dann musste sie dies jetzt durchstehen. Patric hatte ihr gesagt, sie sei eine Gefangene ihrer Vergangenheit, und er hatte Recht gehabt. In vielerlei Hinsicht hatte sie sich in den vergangenen sieben Jahren nicht weiterentwickelt und war immer noch das naive achtzehnjährige
Mädchen, das von seinem Märchenprinzen verführt und von einem Bösewicht vergewaltigt worden war. Am folgenden Samstag waren Kate und Nick aufgeregt und voller Vorfreude. Er saß vorn neben ihr, während zwei weitere Kinder es sich auf der Rückbank des Minis bequem gemacht hatten. Am Spielfeld angekommen, blickte Kate suchend umher, aber Patric war nirgends zu sehen. Obwohl Nick sich nichts anmerken ließ, wusste sie, dass er sehr enttäuscht war. Fünf Minuten nach Spielbeginn hörte sie jemanden ihren Namen sagen. Sie fuhr herum und sah Patric, der lächelnd auf sie zukam. "Du siehst toll aus", sagte er. Die Sonnenstrahlen schienen vor ihren Augen zu tanzen und entfachten ein Feuer in ihr. Sie erwiderte betont gelassen: "Danke. Bist du gut hergekommen?" "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Verkehr so stark sein würde, deshalb habe ich mich auch verspätet. Es sieht so aus, als wären sämtliche Bewohner Aucklands auf dem Weg in den Norden." "Vielen Dank für eure Post", fuhr er fort. "Nick schreibt sehr gut für einen Sechsjährigen." "Das finde ich auch", stimmte sie ihm stolz zu. "Sein Lehrer sagt auch, dass Nick auffallend intelligent sei." Sie lachte. "Aber erzähl ihm das bloß nicht - er hält sich sowieso schon für nahezu perfekt." Sie wandten sich wieder den Jungen zu und feuerten sie an. Als das Spiel vorbei war und die erforderlichen Beifallrufe erklungen waren, kam Nick schlammbedeckt und rotwangig auf sie zugelaufen. "Hallo, Mr. Sutherland", rief er. "Hallo, Nick. Du hast wieder sehr gut gespielt", sagte Patric. Nicks Augen glänzten vor Stolz, als er antwortete: "Ich habe keinen Try gemacht."
"Nein, aber du hast deine Position verteidigt und den Ball weitergegeben, so dass einer deiner Mitspieler Punkte machen konnte. Das war sehr sportlich von dir." "Ich habe daran gedacht, was Sie neulich zu mir gesagt haben." Er und Patric gingen voraus, während Kate die anderen Mitfahrer einsammelte. Als sie beim Auto ankamen, fragte einer der Jungen Kate: "Ist das Nicks Vater?" Kate sagte: "Nein, er ist nur ein Freund von uns." Patric warf ihr einen Blick zu, der irgendwie geheimnisvoll war und sie erbeben ließ. Sie schenkte ihm ein unpersönliches Lächeln und schloss die Autotüren auf. "Alles einsteigen, und schnallt euch bitte an." "Wir sehen uns dann bei euch zu Hause", sagte Patric. Kate nickte nur und stieg ins Auto. Zwanzig Minuten später hatten sie die beiden Jungen bei ihren Eltern abgeliefert und machten sich auf den Nachhauseweg. "Ich werde Mr. Sutherland fragen, ob ich heute Abend mitkommen kann", bemerkte Nick beiläufig. "Rangi ist bestimmt nicht böse, wenn ich nicht bei ihm übernachte." "Es ist sehr unhöflich, jemanden einfach so zu versetzen", erwiderte Kate ruhig, "und noch unhöflicher, sich selber einzuladen." Er warf ihr einen finsteren Blick zu und wollte noch etwas entgegnen, doch Patric wartete bereits vor dem Apartment auf sie. Er kam ihnen entgegen und lächelte Nick zu. "Wo würdest du gern Mittag essen?" fragte er ihn, und Nick war, zumindest für den Moment, versöhnt. Danach gingen sie ins Uhrenmuseum. Patric schien ebenso fasziniert zu sein wie Nick, dessen zahlreiche Fragen er geduldig beantwortete. Als sie schließlich wieder draußen im Sonnenschein waren, fragte Nick: "Gehen wir noch in das Fischmuseum?"
Kate sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf. "Nein, wir müssen jetzt los." Er wollte protestieren, überlegte es sich dann aber anders. "Okay", sagte er und lächelte versöhnlich. Kate wandte sich an Patric. "Wo werden wir heute Abend essen? Ich möchte Ngaire die Telefonnummer geben." "Das Restaurant heißt Seabird." "Ich habe noch nie davon gehört. Es muss neu sein." "Es ist nicht in Whangarei, sondern in der Bay of Islands", erklärte Patric ruhig. Also eine ganze Autostunde entfernt. "Oh, na gut", sagte sie überwältigt. Pünktlich um fünf Uhr lieferte sie Nick samt seinem grünen Stoffdinosaurier und seinen Schlafsachen bei den MacArthurs ab. "Er sieht ein bisschen traurig aus", bemerkte Ngaire. "Ist etwas nicht in Ordnung?" "Er würde gern mitkommen", erklärte Kate ihr. Sie gab Ngaire einen Zettel mit dem Namen und der Telefonnummer des Restaurants. Ngaire bekam große Augen. "Dorthin würde ich allerdings auch gern mitkommen", sagte sie anerkennend. "Das Restaurant soll einfach toll sein - und das Essen fantastisch. Mit wem gehst du aus?" "Mit einem alten Freund." Als Ngaire gedankenvoll Nick betrachtete, der mit den beiden jüngsten MacArthurs nach draußen rannte, fügte Kate schnell hinzu: "Nicht, was du denkst." "Schade", erwiderte Ngaire fröhlich. "Wie dem auch sei, amüsier dich gut. Nick und Rangi werden sicher viel Spaß haben. Du solltest morgen nur nicht zu früh herkommen, um ihn abzuholen." Kate musste lachen. "Versprochen."
Ngaire warf ihr einen verständnisvollen Blick zu. "Ich wünsche dir einen tollen Abend. Du hättest etwas Glück in der Liebe verdient. Irgendwann wird Nick erwachsen sein und von zu Hause weggehen, und wenn du dir bis dahin kein eigenes Leben aufgebaut hast, wirst du ihn unsagbar vermissen." Kate war schmerzlich bewusst, wie Recht ihre Freundin hatte. "Ich weiß." "Und außerdem", setzte Ngaire nüchtern hinzu, "sollten kleine Jungen auf keinen Fall in dem Glauben aufwachsen, das ganze Leben ihrer Mutter würde sich nur um sie drehen, selbst wenn das tatsächlich der Fall ist." Ngaire fuhr fort: "Und jetzt solltest du nach Hause fahren und dich für heute Abend hübsch machen." Nick umarmte sie rasch zum Abschied. Ohne im Geringsten traurig zu sein, sagte er: "Bye, Mummy, und viel Spaß!" Die nächste halbe Stunde verbrachte Kate vor ihrem Kleiderschrank. Schließlich entschloss sie sich für ein grobmaschiges zartgrünes Oberteil, von einer Designerin kreiert, die für ihre erotischen Kreationen bekannt war. Es war ärmellos und hatte einen tiefen V-Ausschnitt. Kate hatte es zu einem herabgesetzten Preis in der Boutique gekauft, in der sie als Verkäuferin arbeitete. Sie zog es an und betrachtete die leichte Rundung dort, wo sich ihre Brüste abzeichneten. Es sieht kein bisschen aufreizend aus, versicherte sie ihrem Spiegelbild. Zu dem grünen Oberteil gehörte eine weite Seidenhose, die einen orientalischen Schnitt hatte. Das Ensemble hatte sich nicht gut verkauft, denn es ließ sich keiner Stilrichtung zuordnen. Der Schnitt war für feierliche Anlässe zu leger, das Material dagegen edel und kostbar. Kate hatte es auf Anhieb gefallen. Würde Patric sie hübsch finden? Eine heiße Woge der Erregung überflutete sie, und schnell verdrängte sie diesen Gedanken und betrachtete sich im Spiegel. Bis auf ein wenig Lidschatten und Lipgloss hatte sie sich nicht geschminkt. Kate
nahm das volle, glänzende Haar im Nacken mit einem grünen Band zusammen, dessen Farbe genau zu ihren Augen passte. Sie schlüpfte in schwarze Pumps und warf ihrem Spiegelbild einen aufmunternden Blick zu. Als es klingelte, wurde sie blass, doch sie ignorierte diese warnende innere Stimme der Vernunft. Die ganzen letzten sieben Jahre war sie vernünftig gewesen - nun war es an der Zeit, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen und die Chancen zu ergreifen, die es ihr bot.
9. KAPITEL Patric trug legere, aber offensichtlich teure und maßgeschneiderte Kleidung, die seine breiten Schultern, die schmalen Hüften und seine langen, kräftigen Beine betonte. Er betrachtete Kate kurz, aber eindringlich und sagte: "Du siehst wunderschön aus." Kate spürte, wie sich in ihr ein heftiges Begehren regte - trotz ihrer Bemühung, ihre Gefühle und Gedanken unter Kontrolle zu halten. Der Wagen fuhr durch die Nacht. Die Spannung zwischen ihnen nahm zu, da waren unausgesprochene Gedanken und unterdrückte Gefühle. Schließlich brach Patric das Schweigen. "Deine Augen sind so klar, doch sie verbergen Geheimnisse. Vor sieben Jahren wollte ich alles darüber herausfinden, und das möchte ich noch immer." Eine plötzliche Furcht ergriff Kate. Doch ruhig, beinahe gleichgültig sagte sie: "Im Leben jedes Menschen gibt es Dinge, über die er nicht gern spricht." "Sicher", erwiderte Patric gelassen, "doch damals wollte ich unbedingt wissen, was du dachtest und fühltest. Vermutlich erhoffte ich mir davon eine gewisse Macht." "Macht?" fragte Kate erschrocken. "Ja, natürlich." Patric wirkte fast ungeduldig. "War dir nicht klar, wie ausgeliefert ich mich fühlte? Das war mir noch nie
zuvor passiert, und es gefiel mir gar nicht, so hilflos zu sein. Ich konnte einfach nicht genug von dir bekommen, doch mir war klar, dass du noch zu jung warst, um mir irgendetwas zu versprechen. Und vor allem wollte ich wissen, ob du für mich ebenso empfunden hast." "Aber das musst du doch bemerkt haben", sagte Kate. Damals war sie doch so jung und leicht zu durchschauen gewesen. "Wie hätte ich das können sollen? Ich wusste, dass du mich gern hattest, aber du mochtest alle Menschen. Allen hast du dein Lächeln und deine Aufmerksamkeit geschenkt, und jedermann war entzückt von dir. Sogar zu meinem widerlichen Cousin Sean warst du nett, bis er versuchte, dich zu küssen." Kate blickte starr in die Dunkelheit. Sie fühlte sich, als ginge sie am Rande eines Kraters entlang - ein falscher Schritt, und sie wäre verloren. "Ich war damals doch nur ein ganz gewöhnliches und etwas orientierungsloses Mädchen", konnte sie nur herausbringen. "Nein. Die gewöhnlichen' Mädchen zogen ihre kürzesten Röcke an und machten mir schöne Augen. Du aber bist immer selbstbewusst deinen Weg gegangen. Den ganzen Sommer lang fragte ich mich, ob du für mich wirklich mehr empfunden hast oder ob ich es mir nur einbildete. Erst als wir uns geliebt haben, wusste ich es - oder glaubte es zu wissen." Kate verkrampfte die Hände. Was war ihm damals klar geworden? Dass sie sich ihm, der so viel erfahrener war als sie, nur hilflos hatte ausliefern können? "Die Welt stand einen Moment lang für mich still", sagte Patric rau. "Ich hätte nicht mit dir schlafen sollen, aber ich hatte meine Gefühle einfach nicht mehr unter Kontrolle. Habe ich dich so sehr erschreckt, dass du mich nicht mehr sehen wolltest, Kate?" . "Nein, natürlich nicht", antwortete sie leise.
Er presste die Lippen zusammen. "Damals konnte ich mir nicht anders erklären, warum du dich von mir getrennt hast." Sie versuchte, ihre Worte sehr sorgfältig zu wählen. "Während meines ersten Semesters in Christchurch ging es mir nicht gut." Sie war verstört gewesen, und ein Vierteljahr lang hatte sie nichts empfunden außer Schock und Erniedrigung. Ihrer Liebe und all ihren Träumen und Hoffnungen zum Trotz hatte Kate tief in ihrem Herzen immer gewusst, dass Patric keine Frau wie sie heiraten konnte. Und obwohl seine Eltern immer sehr nett zu ihr, der Nichte des Farmverwalters, gewesen waren, wären sie sicher niemals mit einer solchen Heirat einverstanden gewesen. In Pilar Sutherlands Welt waren nicht nur Klugheit und Intelligenz vonnöten, sondern auch Weltgewandtheit und gesellschaftlicher Schliff. Sean hatte Kate mit seinen Drohungen geängstigt und gedemütigt. "Ich werde Patric alles erzählen", sagte er voller Schadenfreude. "Vielleicht heiratet er dich, und dann werde ich ihm irgendwann verraten, dass ich dich besessen habe. Er ist sehr besitzergreifend - und er hasst mich, mal sehen, wie ihm das gefallen wird!" Es war ihr unmöglich gewesen, zu Patric zu gehen, während sie von Sean schwanger war. Nach ihrem letzten Treffen mit Patric war sie nach Christchurch gezogen, um möglichst weit weg von Tatamoa zu sein. Mit ausdrucksloser Stimme sagte Patric: "Ich hatte immer das Gefühl, dich im Stich gelassen zu haben, als ich am Tag, nachdem wir uns geliebt hatten, wegfuhr." Sie erwiderte: "Dein Vater lag im Sterben, wie konnte ich da von dir erwarten, dass du bei mir bleibst? Natürlich musstest du zu ihm. Im Mai wusste ich dann schon, dass ich ..." Ihr versagte die Stimme. "Patric, ich konnte dich nicht heiraten, weil ich von einem anderen Mann schwanger war." Patric steuerte den Wagen um eine der vielen engen Kurven Northlands. Ein bedrücktes Schweigen herrschte. Plötzlich
tauchte vor ihnen aus der Dunkelheit ein Auto auf und betätigte die Lichthupe "Patric!" rief sie erschrocken. Doch er hatte das Fernlicht bereits ausgeschaltet. Kate atmete tief durch. Sie hatte noch nie erlebt, dass Patric beim Fahren einen solchen Fehler machte. Hart sagte er: "Ich hätte dich trotz allem geheiratet, Kate. Das wollte ich mehr als alles andere ..." Wütend verstummte er. "Warum hast du mir nichts erzählt?" fragte er sie rau. "Du musstest doch gewusst haben, dass ich dir nicht die Schuld an dem geben würde, was passiert war." Aber wie hätte er reagiert, wenn sie ihm gesagt hätte, dass sein eigener Cousin sie vergewaltigt hatte? Wie hätte sie seiner Familie einen solchen Schock zumuten können, während Alex Sutherland im Sterben lag? Worte der Verzweiflung formten sich in ihrem Kopf, doch sie sprach sie nicht aus. Stattdessen sagte sie: "Ich war verletzt und erniedrigt worden, Patric. Und auch wenn ich ... wenn nichts passiert wäre, hätte es mit uns nicht funktioniert. Ich war viel zu jung, und außerdem wäre ich für dich in deiner Position nicht die richtige Frau gewesen." "Das hättest du schon geschafft", entgegnete er. "Du schaffst alles, was du dir vornimmst. Sieh dir doch an, wie großartig du Nick aufgezogen hast." "So habe ich ja nur die Ansprüche eines männlichen Wesens erfüllen müssen", erwiderte Kate, in dem Versuch, der Situation etwas von der unerträglichen Spannung zu nehmen. "Die Vergangenheit ist schon lange vergangen, Patric. Lassen wir sie auf sich beruhen." Regentropfen liefen an den Fenstern herab. Mehrere Minuten lang schwiegen sie beide. Dann sagte Patric ernst: "Das will ich gern tun, solange ich weiß, dass du Teil meiner Zukunft sein wirst."
Kates Herz begann heftig zu schlagen. Sie hatte damit gerechnet, dass er eine Affäre mit ihr beginnen wollte. Doch wenn sie ihn richtig verstanden hatte, wollte er viel mehr als das. Sie blickte auf ihre ineinander verkrampften Hände. "Das möchte ich sein." Ihre Stimme klang zaghaft, ängstlich. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, nahm Patric ihre Hand und führte sie zu seinen Lippen. "Diesmal werde ich nicht den Fehler begehen, Geld und Macht wichtiger zu nehmen als dich", sagte er entschlossen. "Aber das hast du auch damals nicht getan", widersprach sie. Ihre Stimme bebte vor Freude. "Es wäre grausam gewesen, sich dem Willen deines Vaters zu widersetzen, der so schwer krank war. Sicher wusste er, dass Sutherland Aviation nur von dir und Lauras Vater gemeinsam gerettet werden konnte." "Trotzdem hätte er mich nicht erpressen dürfen", sagte Patric grimmig, "und ebenso wenig hätte ich mich darauf einlassen dürfen. Ich habe aus meinen Fehlern gelernt, Kate. Jetzt erzähl mir, wie du die vergangenen Jahre verbracht hast." Erleichtert gab sie ihm eine kurze Zusammenfassung der letzten sieben Jahre ihres Lebens, wobei sie die schlimmsten Teile ausließ. Sie erzählte ihm einige der schönsten Anekdoten von Nick und brachte ihn damit zum Lachen. Als sie in der Bay of Islands ankamen, standen bereits die Sterne am Himmel, und ihr Herz war erfüllt von einer wachsenden Hoffnung. An diesem Abend schenkte Patric ihr all seine Aufmerksamkeit und wandte keine Sekunde lang den Blick von ihrem Gesicht. Das Essen war köstlich, das Restaurant vornehm und angenehm ruhig. Sie blickten auf die vielen kleinen Inseln und das Meer, in dem sich die Sterne spiegelten. Kate wurde bewusst, dass sie im Begriff war, sich erneut Hals über Kopf in Patric zu verlieben. Sie ließ es zu und war bald erfüllt von atemberaubenden intensiven Gefühlen, aber auch von Sehnsucht und Ängsten. Sie wurde nicht müde, Patrics Gedanken und
Wesen weiter zu erforschen, und mit jeder Sekunde liebte sie ihn mehr. Während sie sich angeregt unterhielten, wuchs das Verlangen zwischen ihnen. Nach dem Essen fuhr Patric sie nach Hause und begleitete sie bis zu ihrer Tür. Eine freudige Erregung erfüllte Kate. Patric wusste, dass Nick nicht da war ... "Du hast den Garten sehr hübsch hergerichtet", sagte er. Der Duft frisch gemähten Grases lag in der Luft und vermischte sich mit dem süßen Aroma der Blumen. "Anna und Jacob haben mir dabei geholfen", erwiderte sie angespannt. Ohne ihn anzublicken, schloss sie die Tür auf. Sie gingen hinein. "Kate", sagte Patric und legte ihr die Hände auf die Schultern. Dann beugte er sich herab und küsste sie voller Leidenschaft. Kate schloss die Augen und atmete seinen Duft ein. Erregt und freudig erwiderte sie seinen Kuss. Sie nahm den Druck seiner Hände wahr, seinen Mund, den ganzen Patric Sutherland. Ihr Verlangen wurde immer stärker, und als er den Kopf hob, hätte sie am liebsten laut protestiert. Unruhig sagte er: "Ich muss nach Auckland zurück. Wir sehen uns nächstes Wochenende." Überrascht und enttäuscht fragte sie sich, warum er sich von ihr zurückgezogen hatte. Aber sie wusste, dass sie beide Zeit brauchten. Sie hatten die Vergangenheit bewältigt, nun mussten sie einen Weg zu ihrer gemeinsamen Zukunft finden. Im Lauf der folgenden Wochen nahm ihr ungestilltes Verlangen immer mehr zu und raubte ihr fast den Verstand. Doch andererseits bedeutete ihr Patrics Behutsamkeit sehr viel, denn so gab er ihr Zeit, ihre Angst vor körperlicher Liebe zu überwinden. Beinahe war es so wie damals, als Patric sie zu umwerben begonnen hatte und sie fast noch ein Kind gewesen war. Nun lernte sie aufs Neue, wie machtvoll Leidenschaft und Begehren sein konnten, aber sie war froh darüber, dass alles langsam vonstatten ging.
Patric ging sehr sanft mit ihr um. Er berührte und streichelte sie häufig, und seine zurückhaltende Zärtlichkeit verstärkte ihr Verlangen. Wenn sie sich schließlich lieben würden, wären sein Körper und seine Liebkosungen ihr so vertraut, dass seine Leidenschaft sie nicht ängstigen würde. Aus Frühling wurde Sommer, und inzwischen fuhr Patric fast jedes Wochenende zu ihr in den Norden. Mehrmals in der Woche telefonierten sie, und ihre Gespräche wurden immer persönlicher, je besser sie sich wieder kennen lernten. Und immer noch, sechs Wochen nach ihrem gemeinsamen Dinner, hatte er dieselbe wundervolle Art, mit Nick umzugehen. Es schien ihm nichts auszumachen, dass Nick der Sohn des Mannes war, der sie vergewaltigt hatte. Mit Geduld und Ausdauer hatte er eine Freundschaft aufgebaut. Patric und Nick gingen am Strand spazieren, wo die schaumgekrönten Wellen über den puderweichen Sand spülten ein großer, kräftiger Mann und ein kleiner, quicklebendiger Junge. Von Zeit zu Zeit betrachteten sie gemeinsam etwas, das Nicks Interesse geweckt hatte. Kate sah, wie sie die Köpfe zusammensteckten, und ihr Herz klopfte wie wild vor Freude. Auch an diesem Abend würden sie und Patric zum Dinner ausgehen, so wie fast jeden Samstag, seit er sie das erste Mal besucht hatte. Inzwischen musste er wissen, wie sehr sie ihn begehrte und dass sie bereit war, ihre Beziehung zu vertiefen. Aber wie konnte eine Frau dies einem Mann klarmachen, ohne ihre Würde zu verlieren? "Warum guckst du so komisch?" fragte Nick, und Kate fuhr zusammen. Sie hatte ihren Gedanken nachgehangen und nicht bemerkt, dass die beiden sich ihr genähert hatten. "Das ist ihr Meerjungfrauenlächeln", erklärte Patric ihm, und Nick brach in Gelächter aus. "Aber sie hat doch gar keinen Fischschwanz!" "Manche Meerjungfrauen sehen genau aus wie Menschen", erwiderte Patric, und sein Blick glitt über Kates lange, noch
ungebräunte Beine. "Sie sind besonders gefährlich." Unter gesenkten Lidern warf er ihr einen leidenschaftlichen Blick zu. "Kommt, lasst uns schwimmen gehen, das Wasser ist sicher schon warm genug." Er reichte Kate die Hand und zog sie auf die Beine. Kate trug ihren Badeanzug unter ihrer Kleidung, und normalerweise hätte es ihr nichts ausgemacht, sich auszuziehen. Doch Patrics sanfte Berührung hatte sie durcheinander gebracht. Sie drehte sich zu Nick um, während sie sich auszog. Ohne Patric anzusehen, sagte sie zu Nick: "Wetten, dass ich schneller im Wasser bin als du?" "Wetten dass nicht?" entgegnete Nick und rannte los. Kate lief ihm hinterher, gerade so schnell, dass sie gleichzeitig in die Wellen sprangen. Nick liebte das Wasser und hatte auch beim Schwimmen im Meer keine Angst. Nick tauchte unter und kitzelte sie am Fuß. Prustend kam er wieder hoch. "Ich dachte schon, du wärst ein Fisch!" Patric kam auf sie zu. Mit seiner bronzefarbenen Haut und dem muskulösen Körper sah er in der knappen schwarzen Badehose einfach atemberaubend aus. Ihr Herz schlug heftig, und sie zwang sich, den Blick von Patric zu wenden. Um ihre Erregung zu verbergen, forderte sie Nick auf: "Komm, wir schwimmen ein bisschen." Patric blieb in Kates Nähe. Wann immer sie aufsah, trafen sich ihre Blicke, und er nutzte die kleinen Spiele, zu denen Nick sie beide fortwährend aufforderte, um Kate immer wieder zu berühren. Kate wurde von einer besonders hohen Welle erfasst und strauchelte. Sofort griffen zwei starke Hände nach ihren Schultern und hielten sie aufrecht. Und während sie in Patrics entschlossenes Gesicht blickte, beugte er sich zu ihr und küsste sie heftig. "Kate, willst du mich heiraten?" flüsterte er.
Ihr stockte der Atem, und sie war zunächst unfähig, etwas zu sagen. Sie sah die Leidenschaft in Patrics Augen und erwiderte: "Ja." "Mummy?" Nick warf ihr einen missbilligenden Blick zu. "Warum hat er dich geküsst?" Patric antwortete an ihrer Stelle. "Hättest du gern einen Vater, Nick?" Nick blickte ihn starr an, ohne zu antworten. Nach einer Weile nickte er. "Mütter und Väter küssen sich sehr häufig", erklärte Patric ihm ruhig. "Von nun an werde ich dein Vater sein." Nick sah erst ihn, dann Kate an. "In Ordnung", sagte er beruhigt. "Mr. MacArthur küsst Rangis Mum auch die ganze Zeit." Er berührte Kate am Arm. "Wetten, du kriegst mich nicht?" rief er fröhlich und tauchte in die nächste Welle. Patric kraulte ihm nach, während Kate den beiden zusah, noch immer ganz überwältigt. Mit kräftigen Zügen schwamm sie aufs offene Meer hinaus, um Patrics unerwarteten Antrag zu verarbeiten und ihre Gedanken zu ordnen. Als sie wieder den Strand erreichte, hatte Patric ihren Sohn bereits dazu überreden können, aus dem Wasser zu kommen und sich anzuziehen. "Er hat schon vor Kälte gezittert", sagte er und rieb sich mit einem Badetuch trocken. "Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast", erwiderte Kate betont gelassen, wobei sie ihn nicht ansah. "Dad wollte zu dir und dir helfen, aber ich habe ihm klargemacht, dass du die beste Schwimmerin auf der ganzen Welt bist", erzählte Nick eifrig. Kates Herz zog sich zusammen. Sie blickte Patric an, und als sie sein Lächeln sah, traten ihr Tränen in die Augen. "Wir waren beide der Meinung, dass ein Junge in Nicks Alter seinen Vater am besten ,Dad' nennen sollte. So nennt auch Rangi seinen Vater."
"Ich weiß", sagte sie mit bebender Stimme, um Fassung ringend. Während Patric und Nick schon zum Auto gingen, rieb sie sich heftig das Gesicht mit ihrem Handtuch trocken. Im Auto setzte sie ihre Sonnenbrille auf. Nick redete fröhlich und pausenlos. Niemand sagte etwas über den Antrag, den Patric ihr gemacht hatte. Als sie zu Hause ankamen, war Kate noch immer leicht benommen, doch langsam erfüllte sie eine wilde Freude. Sobald sie in der Wohnung waren, befahl sie Nick: "Du gehst jetzt sofort ins Badezimmer, ehe du noch mehr Sand verstreust." Und ohne Patric anzublicken, fragte sie ihn höflich: "Möchtest du auch hier duschen?" "Nein, ich fahre los", lehnte er ab. Obwohl Nick anwesend war, hob er Kates Kinn an und sah ihr in die Augen. "Ich hole dich um sieben ab." "Ich werde rechtzeitig fertig sein." Von der Tür aus fragte Nick: "Kann ich auch mitkommen?" "Nein", erwiderte Kate, froh darüber, sich von Patrics durchdringendem Blick befreien zu können. "Du bist mit Rangi verabredet." Nick gab sich geschlagen, erkundigte sich aber: "Aber morgen früh werde ich gleich abgeholt?" "Versprochen", sagten Kate und Patric gleichzeitig. Nick verschwand im Badezimmer, und Patric beruhigte sie: "Alles wird gut, Kate." "Ich weiß", sagte sie. "Nick wird sehr viel Bestätigung brauchen, aber eigentlich ist er sehr glücklich." "Willst du mich nur deshalb heiraten - weil Nick glücklich darüber ist? Er wird nicht immer glücklich sein, Kate." "Das weiß ich. Aber damit werden wir umgehen können. Nein, das ist nicht der Grund." Sie wusste jetzt, wie eine Frau einem Mann klarmachte, dass sie ihn begehrte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn dort, wo sein Kragen die
sonnengebräunte Haut freigab. "Nein", wiederholte sie mit Nachdruck. Patric hob ihr Kinn an und küsste sie heftig, doch dann trat er zurück und sagte: "Wir sehen uns dann heute Abend." Verträumt blickte sie ihm nach, und erst das Geräusch des voll aufgedrehten Wasserhahns brachte sie wieder zur Besinnung. Sie ging ins Badezimmer. Nick empfing sie mit blank geschrubbtem Gesicht und fragte: "Ist er jetzt wirklich mein Vater?" "Ja", bestätigte sie. Nick blickte sie ernst an, zu ernst für einen Sechsjährigen. "Gut", sagte er. "Er versteht Jungen wie mich." "Er war ja schließlich selber mal einer", erwiderte sie. Er nickte gedankenvoll. "Ich möchte auch so groß sein wie Mr. Sutherland." Zögernd, wie um sich an den Klang zu gewöhnen, verbesserte er sich: "Wie Dad." "Das Wichtigste ist, dass du ein ganz besonders braver Nick Brown bist", antwortete Kate rasch. "Und jetzt beug den Kopf über die Badewanne, damit ich den Sand und das Salz auswaschen kann." Nachdem sie Nick bei den MacArthurs abgeliefert hatte, zog sie dasselbe Ensemble an, das sie getragen hatte, als Patric und sie zur Bay of Islands gefahren waren. Überrascht stellte sie fest, dass seitdem erst sechs Wochen vergangen waren - sechs Wochen, die sich dahingezogen hatten, und sechs Wochenenden, die wie im Flug vergangen waren. Und jetzt hatte Patric sie gebeten, ihn zu heiraten. Kate sank aufs Bett und blickte starr an die Decke. Sie würde ihm erzählen müssen, wer Nicks Vater war, denn sie konnte ihn unmöglich heiraten, solange diese Lüge noch zwischen ihnen stand. Sie hätte es gleich tun müssen, als er ihr gesagt hatte, dass er sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr wünsche, aber sie war zu feige gewesen.
Patric musste erfahren, wer Nicks Vater war. Sie durfte es ihm nicht länger verschweigen. Wenn er einen so starken Charakter hatte, wie sie vermutete, würde er es akzeptieren. Und falls nicht... nun, sie würde damit fertig werden. Sie musste damit fertig werden. Heute Abend. Heute Abend würde sie es ihm endlich erzählen. Sie versuchte sich zu beruhigen. Patric hatte ihr zwar nicht direkt gesagt, dass er sie liebe, doch warum sollte er sie sonst heiraten wollen? Er würde ihr die Lüge verzeihen und dafür sorgen, dass sie Sean niemals wieder sah. Es hatte so geklungen, als hätte sogar Seans Mutter den Kontakt zu ihrem Sohn abgebrochen. Die arme Mrs. Cusack. Vielleicht würden ihr die Kinder, die Kate Patric schenken wollte, ein wenig Trost spenden. Ja, heute Abend würde sie es ihm sagen. Patric kam pünktlich. "Was hältst du davon, wenn wir in dem Haus essen, in dem ich das Wochenende über wohne?" Bisher hatte er immer im Hotel gewohnt. Überrascht fragte sie: "Wo ist es?" "In den ,Heads'", antwortete er. Nördlich von Whangarei lagen mehrere seit langem erloschene Vulkane inmitten einer bizarr geformten, zerklüfteten Lavalandschaft, die jeden Morgen eine malerische Kulisse für die aufgehende Sonne bot. Erzähl es ihm jetzt, drängte sie sich. Doch bevor sie etwas sagen konnte, sprach Patric weiter. "Ich werde dir Geoff und Suse Simpson später einmal vorstellen. Im Moment sind sie in England. Sie haben mir angeboten, in ihrem Haus zu wohnen, wann immer ich möchte." "Ich kenne Mrs. Simpson, sie kauft manchmal in der Boutique ein, in der ich arbeite", erwiderte Kate und blickte aus dem Seitenfenster. Sie würde warten, bis sie beim Haus angekommen waren. Es wäre einfacher, es Patric zu erzählen, wenn er sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren musste. "Ich finde sie sehr nett." Kate erwähnte nicht, dass der Besitzer
der Boutique ihr eingeschärft hatte, wie wichtig Mrs. Simpson sei. "Schön, dass du sie magst", antwortete Patric. "Geoff und ich sind zusammen zur Schule gegangen." Geoff Simpson war ein erfolgreicher Rechtsanwalt und arbeitete in der Kanzlei seines Vaters. Seine Frau leitete eine Pilotenschule und kaufte die meisten ihrer eleganten Kleider in Auckland und Australien. Kate hatte bereits gehört, dass ihr Haus sehr schön sein sollte. Als sie es nun betrat und mit eigenen Augen sah, fand sie es fantastisch. Es lag oberhalb der Flussmündung und überblickte die "Bream Bay" bis zum "Great Barrier Island" und zum "Little Barrier Island". Das Meer erstreckte sich glitzernd bis zum Horizont. "Beeindruckend", fand Kate. "Was, das Haus oder die Aussicht?" Sie drehte sich vom Fenster weg und betrachtete das große, luxuriös eingerichtete Wohnzimmer. Sie ließ den Blick auf einem der Gemälde ruhen, eine abstrakte Komposition mit starken farblichen Kontrasten, sehr modern, aber geschmackvoll. "Beides." Feigling! Patric lächelte ihr zu. "Ich werde uns etwas zu trinken holen. Was möchtest du?" Dankbar für die Ablenkung, entschied sie sich für Weißwein, und er schenkte ihr ein Glas fruchtigen Riesling ein, der in der steinigen Marlborough-Ebene angebaut wurde. Sich goss er einen Whiskey ein, Kate lehnte sich in dem Wassily-Stuhl zurück, trank langsam den köstlichen Wein und versuchte, nicht an ihr unangenehmes Vorhaben zu denken. "Ich hoffe doch, du denkst nicht darüber nach, dein Versprechen von heute Nachmittag zurückzunehmen?" fragte Patric sie betont gelassen, während er sie aufmerksam beobachtete.
Kate zuckte zusammen und hätte beinahe den Wein verschüttet. Vorsichtig stellte sie das Glas ab. "Nein. Ich habe mich gefragt, ob du bereits bedauerst, mich um dieses Versprechen gebeten zu haben", sagte sie. Seit Patric sie abgeholt hatte, hatte er sie nicht ein einziges Mal berührt. "Du weißt, dass es nicht stimmt", erwiderte Patric. Doch seine Miene war undurchdringlich. Mit zittriger Hand nahm sie das Glas und trank einen Schluck. "Nick ist immer noch ganz aufgeregt deswegen. Wahrscheinlich erzählt er den Mac Arthurs gerade alle Einzelheiten." Jetzt! Er fragte sie scheinbar gelassen: "Was hättest du gesagt, wenn Nick nicht einverstanden gewesen wäre?" Doch bevor sie etwas erwidern konnte, setzte er hinzu: "Das ist eine dumme Frage, vergiss sie." Aber sie musste ihm eine Antwort darauf geben. "Ich weiß es nicht. Ich hätte wohl versucht, ihn umzustimmen." Das klang nicht sehr überzeugend, und so fügte sie hinzu: "Er himmelt dich geradezu an." "Das ist mein Glück", sagte er. "Und jetzt", fuhr er ruhig fort, "sag mir bitte, was dich bedrückt. Ich merke doch, dass etwas nicht stimmt." Sie umklammerte das Weinglas und atmete tief ein. "Patric, ich muss dir von Nicks Vater erzählen." Er stellte das Whiskeyglas auf dem Couchtisch ab. "Nein." Kate war unendlich erleichtert, aber sie durfte es sich nicht so leicht machen. Angespannt widersprach sie: "Aber ich muss dir sagen, dass ..." "Ich will es nicht wissen", schnitt er ihr energisch das Wort ab. "Mir genügt, was du mir bereits erzählt hast. Es ist nicht von Bedeutung. Ich habe alles, was ich mir nur wünschen kann." Patrics Züge wirkten wie in Stein gemeißelt. Er kam langsam auf Kate zu und zog sie sanft hoch. Er sagte nichts und hielt sie nur fest, bis sie sich so getröstet fühlte, wie es nur in seiner
Gegenwart möglich war. Ihre Ängste und Befürchtungen verschwanden. "Kate", sagte er schließlich, "nichts kann uns je wieder trennen." Patric versuchte jedoch nicht, sie zu küssen. Verwirrt blickte Kate ihn an und merkte, dass er darauf wartete, dass sie die Initiative ergriff. Einen Moment lang wurde die Erinnerung an Sean wieder in ihr wach - sein höhnisches Lachen, ihre Hilflosigkeit, der Schmerz ... Doch dann war es vorbei. Sie war bei Patric. Ihm vertraute sie. "Ich werde nicht daran zerbrechen", versicherte sie ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Patric erwiderte ihre Liebkosungen nicht. Kate wollte sich von ihm zurückziehen, doch plötzlich zog er sie eng an sich und küsste sie leidenschaftlich. Sie glaubte, den Moment bemerkt zu haben, in dem er seine Selbstbeherrschung verloren hatte. Und auch Kates Widerstand brach, und sie gab sich ihm mit Leib und Seele hin. Patric war zärtlich und leidenschaftlich zugleich und entfachte ihr Begehren. "Verstehst du jetzt, was ich für dich empfinde?" flüsterte er. Kate nickte überwältigt. "Dann sollten wir besser nicht weitergehen und uns zusammenreißen", sagte Patric. "Warum?" fragte sie verwirrt. "Ich will dich nicht wieder überrumpeln, so wie beim letzten Mal", erwiderte er. Ihr Herz klopfte heftig. Das war der schönste Liebesbeweis, den er ihr machen konnte. "Das ist lange her", antwortete Kate. Mit der Fingerspitze zeichnete sie die geschwungene Linie seines schönen Mundes nach. Er hatte sie sehr heftig geküsst, und sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen war leicht gerötet. Mit zittriger Stimme fuhr sie fort: "Ich bin kein achtzehnjähriges Mädchen mehr, Patric."
Er betrachtete sie mit halb geschlossenen Augen, die nicht verrieten, was in ihm vorging. Kate wartete darauf, dass er etwas erwiderte. Sie hatte ihm deutlich gemacht, dass sie mit ihm schlafen wollte - obwohl sie kein Verhütungsmittel bei sich hatte. Und sie hatte ihm immer noch nicht von Sean erzählt. Kate nahm all ihren Mut zusammen und sagte heiser: "Darling, ich muss dir etwas sehr Wichtiges sagen ..." Er beugte sich zu ihr und küsste sie sanft auf den Hals. Während er die Lippen über ihre Haut gleiten ließ, erwiderte er: "Nein, ich will es nicht hören. Ich habe dich und Nick, alles andere ist unwichtig." Und bevor sie sich selber an die Gründe erinnern konnte, warum sie noch nicht miteinander schlafen sollten, fand sein Mund ihren, und er küsste sie mit einer Leidenschaft, gegen die sie machtlos war.
10. KAPITEL Patrics Leidenschaft war wie ein Sturm, der Kate erfasste und mit sich riss. Die Berührungen seiner Hände, seines Mundes versetzten sie immer mehr in Verzückung. Kate spürte seine Hände über ihre Brüste gleiten, seufzte lustvoll und hob sich ihm entgegen - wie sehr hatte sie sich nach diesen Liebkosungen gesehnt... "Die Schwangerschaft hat dich noch schöner gemacht", sagte Patric rau und fuhr mit den Händen sanft die Rundungen ihres Körpers nach. Jede seiner Berührungen verstärkte noch ihre Leidenschaft und ließ sie erbeben. Kate presste das Gesicht an Patrics Hals und atmete seinen Duft ein. "Hast du dich auch verändert?" fragte sie ihn. "Das kannst du leicht herausfinden", erwiderte er. "Aber nicht hier." Mühelos trug er sie durch die hohe, ganz in Weiß gehaltene Eingangshalle in ein Schlafzimmer, von dem aus man über das Meer und zum Himmel emporblicken konnte. Kate sah den Mond, der sich im dunklen Wasser spiegelte und die zackigen, bizarren Konturen der Lavaberge erhellte. Patric ließ sie sanft auf das Bett gleiten. Er löste das Band, das ihre Locken zusammenhielt. Während er ihr den Nacken küsste, fragte er sie: "Soll ich die Vorhänge zuziehen?" Als sie sich vor fast sieben Jahren in Patrics Jugendzimmer im Hause seiner Eltern geliebt hatten, waren die Vorhänge
geschlossen gewesen, und sie hatte sich geborgen gefühlt wie in einem Nest. Doch nun war alles anders. "Nein." Ohne sich zu bewegen, sagte er: "Kate, wir können verhüten." Leise erwiderte sie: "Patric, das ist deine Entscheidung. Ich möchte dir ein Kind schenken." Sie Sah seine Augen im Dunkeln glänzen. Er breitete ihr Haar über ihre Schultern und küsste sie sanft. "Ich habe so oft davon geträumt", sagte er fast unhörbar, "wie du daliegst und der Mond auf dein Gesicht und dein Haar scheint. Und von deinem Lächeln. Kate, wenn ich nur gewusst hätte ..." "Aber du wusstest es nicht", unterbrach sie ihn. Sie wollte nicht, dass die Vergangenheit ihre neu erwachte Liebe überschattete. Sie wusste nicht, was die Zukunft bringen würde, und so wollte sie die Gegenwart voll und ganz auskosten. "Patric, das alles ist Vergangenheit. Lass uns nicht mehr daran denken. Wir sind wieder zusammen, und nur das zählt." Langsam begann sie, sein Hemd aufzuknöpfen. "Wir haben einander, und wir haben Nick, das ist so viel." Sie zog ihm das Hemd aus und küsste seine Haut und spürte, wie sein Herz heftig klopfte. "Patric", flüsterte sie, "ich brauche dich so sehr." Im Mondlicht sah sie seine breiten Schultern, die schmalen Hüften, die muskulösen Arme. Er zog ihr das Oberteil aus und sah sie an. In seinen Augen spiegelten sich Leidenschaft und Begehren. In diesem Moment wusste sie, dass er sie wirklich liebte. "Kate", sagte er rau, "dir zu sagen, wie schön du bist, ist so banal, aber es ist alles, was ich sagen kann. Deine Schönheit macht mich wehrlos und nimmt mir den Atem. Ich habe noch nie eine Frau so begehrt wie dich." Kate beugte sich vor und küsste seine Schulter. "Darling", flüsterte sie.
"Fast sieben Jahre habe ich mich nach dir gesehnt", sagte Patric heiser. Er versuchte nicht mehr, seine Gefühle zu verbergen. "Wo ich auch war, was ich auch tat, immer habe ich nach dir Ausschau gehalten, denn ohne dich war ich nur ein halber Mensch. Du warst noch so jung, und doch hast du mir alles gegeben. Und von mir erwartetest du dasselbe. Mit vierundzwanzig habe ich mich oft damit gebrüstet, wie gut ich über Frauen Bescheid wisse. Ich war überzeugt, alles über Leidenschaft und Begehren zu wissen. Doch du hast mir gezeigt, wie wenig das alles ohne Liebe bedeutet." Kate flüsterte: "Ich weiß, Darling. Aber jetzt sind wir wieder zusammen." Sie blickten einander an, und in den Augen des anderen sahen sie die Liebe, die sie füreinander empfanden. "Manchmal fragte ich mich, ob du wohl nur in meiner Phantasie existiert hast", sagte Patric rau. "Es fiel mir schwer, zu glauben, dass jemand wirklich so sinnlich, sanft und zugleich so aufregend und fordernd sein konnte. Nacht für Nacht, Jahr für Jahr bist du mir in meinen Träumen erschienen, und immer erwachte ich einsam." Mit Tränen in den Augen erwiderte sie: "Ich weiß, wie es ist, einsam zu sein." Seine Züge wurden hart. Er umfasste ihre Taille, dann ließ er die Hände zu ihren nackten Brüsten gleiten. Kate erschauerte unter der Berührung seiner kräftigen Finger. "Ja, das glaube ich dir", sagte Patric und lächelte bitter. Dann beugte er sich zu ihr und begann, an ihren Brustspitzen zu saugen. Eine heiße Welle der Erregung überflutete sie, und ihr lustvoller Schrei zerriss die Stille. Patrics fordernder Mund ließ ihren ganzen Körper erbeben. Patric stöhnte auf und presste sie enger an sich. In Kate regte sich jetzt ein ungestilltes Verlangen, das immer stärker wurde. Ein Schauer durchfuhr sie.
Patric blickte ihr in die Augen. Kate hatte endgültig vor ihren Gefühlen kapituliert. Sie presste die Hand auf ihr heftig klopfendes Herz und lächelte. "Meine Loreley", sagte Patric atemlos. Sie beugte sich vor, nahm eine seiner Brustwarzen zwischen die Lippen und biss sanft hinein. Erregt bemerkte sie, wie er erschauerte. "Ja", sagte er wie als Antwort auf eine lautlose Frage. Rasch streifte er ihr die Seidenhose und den Slip ab. Kate lag zwischen den kühlen Laken und sah zu, wie der Mann, den sie über alles liebte, sich auszog und sich zu ihr ins Bett legte. Vor sieben Jahren war Patric sanft, zärtlich und sehr behutsam gewesen, weil sie noch so jung gewesen war. Doch jetzt war es anders. Er liebte sie mit ungezügelter, wilder Leidenschaft. Festzustellen, dass es Sean nicht gelungen war, ihre Sinnlichkeit zu töten, machte Kate überglücklich. Erregt und voller Ungeduld, nahm sie nichts mehr wahr als Patrics Mund und seine Hände. Sie hatte aufgehört zu denken und gab sich ganz ihrer Lust hin. Patric neigte den Kopf und küsste die zarte Haut ihrer Oberschenkel. Kate konnte es nicht länger erwarten und hob sich ihm entgegen. "Nein, Kate", sagte er heiser, "jetzt noch nicht." Überwältigt von ihren Gefühlen, hatte sie dagelegen und sich Patrics Liebkosungen hingegeben, doch nun wurde ihr Verlangen immer heftiger. Sie ließ eine Hand über seine Brust und seinen flachen Bauch und dann weiter hinuntergleiten, während sie ihm sanft in die Schulter biss. "Nicht." Patric hielt ihre Hand fest. Sie hob die Lider und sah ihn an. Sein Blick war voll wilder Leidenschaft, und seine Augen glänzten. Kate folgte ihrem weiblichen Instinkt. Sie legte die Arme um ihn, bog sich ihm entgegen, öffnete sich ihm. Mit einem lustvollen Schrei drang er in sie ein.
Seine Liebkosungen hatten sie empfänglich gemacht, doch sie stöhnte auf, als sie endlich mit ihm vereint war. "Kate?" "Oh, ja", antwortete sie. Sie umschloss ihn enger. "Ja, mach weiter so ..." sagte er erregt und begann, sich zu bewegen. Kate umfasste seine Schultern und spürte die warme Haut unter ihren Fingern. Das Feuer ihrer Leidenschaft nahm zu, verzehrte sie. Kate flüsterte seinen Namen und öffnete die Augen. Patric betrachtete sie. Seine kraftvollen Bewegungen versetzten sie in Verzückung und wurden eins mit ihren Bewegungen. Wilde Lust nahm ihr den Atem und raubte ihr die Beherrschung. Und dann warf Patric den Kopf zurück und schrie seine Lust heraus, bis sie schließlich gemeinsam den Höhepunkt erreichten. Sie konnte nicht sagen, wie lange es gedauert hatte. Nicht lange genug, doch nur einen kurzen Moment länger, und sie hätte den Verstand verloren. Kate war noch ganz benommen, doch die Realität brach wieder unbarmherzig über sie herein, und Tränen traten ihr in die Augen. Noch immer schwer atmend, sagte Patric: "Ich habe dir wehgetan." "Nein, mir geht es gut." Doch er drehte sich auf die Seite und blickte sie durchdringend an. "Was ist los? Hat es sehr wehgetan?" fragte er eindringlich. "Nein, überhaupt nicht." Nie wieder würde ihr jemand wehtun können. Patric hatte mit seiner leidenschaftlichen Liebe ihr Herz und ihren Körper erobert und befreit - die Wunde, die Sean vor sieben Jahren gerissen hatte, war endlich verheilt. Den Tränen nahe, rang sie sich ein Lächeln ab. "Ich wusste nicht, dass es so schön sein kann", sagte sie, noch immer überwältigt. Sie barg das Gesicht an seiner Brust.
Patric strich ihr sanft übers Haar. "Ich auch nicht", erwiderte er ernst. "Es war vollkommen, ein paar kostbare Momente lang verspürte ich absolutes Glück und Erfüllung." "Ja", stimmte Kate ihm mit bebender Stimme zu. Sieben Jahre lang habe ich mich abgeschottet, dachte sie. Sie hatte keine Berührungen und körperliche Liebe zugelassen und sich in Sicherheit geglaubt. Patric hatte die Mauer niedergerissen, die sie um sich her errichtet hatte. Er hatte ihr ihre Sinnlichkeit zurückgegeben und ihr den Atem geraubt. Sie war ihm zutiefst dankbar. Patric hatte ihr geholfen, zu sich selber zurückzufinden. Der Morgen brach bereits herein, und die Sonne schien, als sie aufbrachen. Im Hafen hielten sie an, um Kaffee zu trinken und frisch gebackene Brötchen zu essen. Sie sprachen nicht viel. Kate fand keine Worte für das, was sie empfand. In Whangarei angekommen, schloss Patric ihre Tür auf und sagte: "Ich fliege heute Nachmittag nach Australien, aber Mittwoch bin ich wieder zurück. Dann komme ich vorbei, und wir können Pläne machen. Bis dahin pass bitte auf dich auf, Darling." Er beugte sich zu ihr und küsste sie flüchtig. "Und vergiss nicht, deine Kündigung einzureichen." Sein schwarzes Haar glänzte in der Sonne. "Ja, Sir", erwiderte Kate. Er runzelte die Stirn. "Klinge ich überheblich? Daran bist du selber schuld - so wie du mich ansiehst, muss ich mich ja wie ein Gott fühlen." Kate wurde rot, und er lachte zärtlich. "Wenn du nicht aufhörst, mich so anzusehen, dann komme ich nie von hier weg. Wirst du mich vermissen?" "Natürlich werde ich das", erwiderte Kate und zwang sich, ihm nicht um den Hals zu fallen. "Ich wünsche dir eine gute Reise, und komm bald wieder!" "Nichts wird mich von dir fern halten", versicherte Patric, und es klang wie ein Schwur.
Kate ging ins Haus. Sie war so glücklich, dass sie förmlich schwebte. All ihre Träume und Wünsche schienen sich erfüllt zu haben. Sie blickte in den Badezimmerspiegel und stellte fest, dass sie genauso glücklich aussah, wie sie sich fühlte. Die Zukunft verhieß mehr, als sie, Kate, je zu hoffen gewagt hatte. Sie und Patric würden sich noch besser kennen lernen und aufeinander einstellen müssen, denn er sah in ihr noch immer das junge, unschuldige Mädchen von damals. Kate musste lächeln. Die letzte Nacht hatte vermutlich schon erheblich dazu beigetragen. Gemeinsam würden sie jedes Problem bewältigen. Sie war sicher, dass Patric Nick um seiner selbst willen liebte, mit einer tiefen Zuneigung, die durch nichts zu erschüttern war. Außer durch Sean. Kates Lächeln erstarb, und starr blickte sie ihr Spiegelbild an. Die Liebesnacht mit Patric hatte sie alles andere vergessen lassen, und sie hatte nicht mehr daran gedacht, dass sie ihm etwas Wichtiges mitteilen musste. Ihr Glück basierte auf Lügen. Sie hätte es ihm sagen müssen, noch bevor sie sich geliebt hatten, noch bevor sie möglicherweise ein zweites Kind zeugten. Nun würde sie warten müssen, bis er aus Australien wiederkam, denn am Telefon konnte sie unmöglich über so etwas sprechen. Um neun Uhr holte Kate Nick ab. Ngaire, die noch im Nachthemd war, lud sie ein, eine Tasse Kaffee mit ihr zu trinken, doch sie lehnte ab. Ngaire sagte: "Nick hatte viel Spaß, und ob du einen schönen Abend hattest, brauche ich gar nicht zu fragen - du siehst aus, als hättest du den Himmel auf Erden erlebt." Kate wurde rot und hätte ihr am liebsten alles erzählt, unterließ es aber. Vielleicht wäre es Patric nicht recht. Aber nein, das war ein absurder Gedanke. Ngaire lächelte. "Aha! Na gut, ich werde dich nicht ausquetschen. Aber wenn du es mir später erzählen möchtest, will ich jedes Detail wissen!" Mit einem Lächeln fuhr sie fort: "Nick hat erzählt, dass Patric sein neuer Vater ist."
"Es gibt ein paar Dinge, die wir noch klären müssen", erwiderte Kate ausweichend. Sie sehnte sich danach, ihrer Freundin alles zu erzählen. Ngaire lachte. "Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass ihr glücklich werdet. Du hast es wirklich verdient." Kaum waren sie aus der Haustür getreten, da fragte Nick bereits: "Wo ist Mr. Sutherland - Dad?" Kate erklärte es ihm. "Warum hatte er mir nichts davon erzählt?" Nick machte ein beleidigtes Gesicht, um zu überspielen, wie verletzt er war. "Mir hat er es auch erst heute Morgen berichtet", tröstete sie ihn. "Er musste auf eine Geschäftsreise nach Australien." Den Rest des Tages war Nick sehr schweigsam. Doch schon am nächsten Morgen war er wieder gut gelaunt und voller Pläne und Ideen. Kate verbrachte den Tag in einem Nebel der Benommenheit. Ein gemeinsames Leben mit Patric und Nick lag vor ihr, doch sie konnte sich nicht darauf freuen. Sie kam sich vor wie eine Betrügerin, weil sie Patric nicht gesagt hatte, was er unbedingt wissen sollte. Abends rief er von Australien aus an. "Geht es dir gut?" fragte sie besorgt, während Nick übermütig auf und ab hüpfte. "Warum fragst du?" "Du klingst erschöpft." Nach einem kurzen Schweigen sagte er trocken: "Ich muss mich wieder einmal um etwas kümmern, was Sean mir eingebrockt hat." Kate zuckte zusammen, als sie Seans Namen hörte. "Ich dachte, du hast keinen Kontakt mehr zu ihm", erwiderte sie, plötzlich von einer bösen Vorahnung erfüllt. "Das habe ich auch nicht", antwortete Patric. "Normalerweise habe ich nichts mehr mit ihm zu tun, aber seine Mutter hat mich gebeten, mich darum zu kümmern. Ich wusste nicht, dass die
beiden noch Kontakt haben, aber zumindest ist Tante Barbara vernünftig genug, ihn nicht wieder in den Schoß der Familie zurückkehren zu lassen. Außerdem muss ich mich damit befassen, da er meinen Namen benutzt hat." Plötzlich wechselte er das Thema und fragte: "Ist Nick auch da?" "Ja. Möchtest du mit ihm sprechen?" "Ja, bitte." Kate war froh darüber, den Hörer an Nick weiterreichen zu können. Sie trank etwas Wasser, da ihr die Kehle wie zugeschnürt war. Ihre glückliche Zukunft wurde plötzlich wieder von der Vergangenheit überschattet. Nick unterhielt sich einige Minuten mit Patric und reichte ihr dann den Hörer zurück. "Kate, ich muss jetzt aufhören. Ich werde versuchen, dich morgen um dieselbe Zeit wieder anzurufen, damit ich auch mit Nick sprechen kann. Und am Mittwoch sehen wir uns dann wieder." Er verstummte, und sie hörte andere Stimmen in seiner Nähe. "Pass auf dich auf", sagte er rasch und legte auf. Das heftige Klopfen ihres Herzens ließ nach. Kate ermahnte sich, sich nicht so aufzuregen. Sean konnte ihr und Nick nichts anhaben. Sie würde Patric bei der nächsten Gelegenheit alles erzählen, ob er es nun hören wollte oder nicht. Angespannt und nervös erwartete sie Patrics Anruf am folgenden Abend. Aber er war in Eile und konnte nur kurz mit ihr sprechen. Abends konnte Kate nicht schlafen und versuchte zu lesen. Doch die Worte schienen vor ihren Augen zu tanzen. Schließlich legte sie das Buch beiseite und sah sich in ihrem kleinen Schlafzimmer um. Die Sonne Northlands hatte die Tapeten ausgeblichen, und die Säume der Gardinen waren zipfelig. Kate hatte sie selbst genäht, als sie nach Whangarei gekommen waren, aber sie hatte es sich nie leisten können, neue zu kaufen.
In Patrics Gegenwart war sich Kate sicher, dass sie gemeinsam alle Hindernisse überwinden konnten. Doch hier, allein in ihrer Wohnung, wo der billige Bettüberwurf und die alten Möbel von ihrer Armut zeugten, war sie entmutigt. Sie zweifelte daran, dass sie Patric die Frau sein konnte, die er in seiner Position brauchte. Sie fühlte sich unzulänglich, seine Ehefrau zu werden. Mit den weltgewandten Menschen, mit denen Patric zu tun hatte, hatte sie nichts gemeinsam. Und wahrscheinlich würde sie sie nicht einmal mögen. Auch seine Mutter würde sie nicht willkommen heißen. In dieser Nacht fand sie keinen Schlaf. Am folgenden Tag musste sie bis um halb fünf arbeiten, und Nick ging nach der Schule mit zu Rangi. Während Kate das Auto parkte, dachte sie, dass Ngaire ihr sehr fehlen würde, falls - nein, wenn - sie und Nick zu Patric nach Auckland ziehen würden. Aber Whangarei war nur zwei Stunden entfernt, so dass sie sich oft besuchen könnten. Beladen mit Einkäufen, ging Kate durch die Hintertür ins Haus und begann wenig später, die Lebensmittel wegzuräumen. Aus irgendeinem Grund - vielleicht durch einen Luftzug oder einen angeborenen Instinkt, der sie vor Gefahren warnte, bemerkte Kate, dass sie nicht allein war. Schnell drehte sie sich zur offen stehenden Hintertür um, doch Sean Cusack war bereits im Haus. Vor Angst war ihr die Kehle wie zugeschnürt. Ohne zu überlegen, griff Kate in die Besteckschublade und zog das Tranchiermesser heraus. "Wenn du noch einen Schritt näher kommst, bekommst du das hier zu spüren", sagte sie heiser. "Oh, du bist aber mutig", höhnte er und taxierte sie von oben bis unten mit seinen hellblauen Augen. "Verschwinde." Zum Glück war Nick bei den MacArthurs! "Begrüßt man so ein Familienmitglied?" fragte Sean. "Ich habe mich halb totgelacht, als ich hörte, dass mein vornehmer Cousin sich wieder mit dir trifft. Ihr solltet beim Telefonieren
etwas vorsichtiger sein - es kann immer sein, dass jemand von einem Nebenanschluss aus mithört. Natürlich wollte ich genau wissen, was da vor sich geht, und habe gleich das erste Flugzeug genommen. Meine dumme alte Mutter hatte mir erzählt, dass Patric in letzter Zeit oft nach Whangarei fährt, und da habe ich einfach im Telefonbuch nachgeschlagen. Weiß er, dass das Gör von mir sein könnte?" Kate hielt noch immer das Messer in der Hand und blickte ihn mit versteinerter Miene an. Doch er musste etwas bemerkt haben, denn plötzlich stieß er einen Pfiff aus und lachte schadenfroh. "Es ist also tatsächlich von mir? Und du hast Patric erzählt, dass er einen Sohn hat. Ich hätte dich damals wirklich behalten sollen, meine Süße. Du bist äußerst geschickt darin, aus allen Dingen deinen Vorteil zu ziehen." "Raus aus meiner Wohnung", sagte Kate ruhig. "Sei doch nicht so unhöflich", erwiderte er spöttisch. "Patric weiß also gar nicht, dass du damals mit mir geschlafen hast." "Du hast mich vergewaltigt, Sean. Und du solltest froh darüber sein, dass Patric es nicht weiß", antwortete sie. Einen Moment lang war Sean verunsichert. "Du wolltest es doch", zischte er boshaft, "und es hat dir gefallen. Du hast dich doch nur so gesträubt, weil du geglaubt hast, Patric würde dich heiraten - und weil ich kein Geld hatte." Ein Schauder lief ihr über den Rücken. "Du hast mich vergewaltigt", wiederholte sie und ließ ihn nicht aus den Augen. Sie würde nicht zulassen, dass er sie jemals wieder berührte. "Ich bezweifle, dass Patric dir das glauben wird. Er war schon immer eifersüchtig auf mich, weil ich besser aussehe als er." Höhnisch bemerkte er: "Und außerdem warst du ja auch schon keine Jungfrau mehr." Sean konnte ihr nichts anhaben, und sie hatte auch keine Angst vor ihm. Er hatte sie nie besessen, er hatte sich nur ihres Körpers bemächtigt - gegen ihren Willen. Er hatte sie
vergewaltigt, weil sie Patrics Freundin gewesen war, den er hasste und beneidete. Sie musste Patric und Nick vor ihm beschützen. "Bilde dir nicht ein, dass Patric sich wirklich etwas aus dir macht", sagte Sean bösartig. "Er will dich nur deshalb heiraten, weil er denkt, dass das Kind von ihm sei. Später wird er dich ignorieren - so wie er es damals mit Laura gemacht hat." "Mach, dass du wegkommst, Sean", erwiderte Kate voller Verachtung. "Du kannst mir nichts mehr anhaben. Du bist ein Niemand." Er starrte sie an, sein Gesicht war rot vor Wut. Doch dann wurde er ruhig, schien zu überlegen und brach schließlich in Lachen aus. "Oh, das ist einfach köstlich. Mein eingebildeter Cousin wird das uneheliche Kind eines anderen Mannes auf ziehen - das auch noch meins ist!" Voller Schadenfreude fuhr er fort: "Als sein Cousin halte ich es für meine Pflicht, ihn über seinen Irrtum aufzuklären. Mal sehen, wie er darauf reagiert." "Erzähl es ihm ruhig, wenn du es wagst", sagte sie kalt. "Und im Übrigen weiß er, dass mein Sohn nicht von ihm ist." "Warum sollte ich es nicht wagen? Dein Wort würde gegen meins stehen, und er ist Frauen gegenüber sehr misstrauisch, während ich zur Familie gehöre." "Warum sollte er deine Lügen glauben?" entgegnete sie gelassen. "Natürlich würde ich damit deinen netten kleinen Plan zerstören, eine gute Partie zu machen." Sean beobachtete sie, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte auf sie hatten. "Andererseits wäre es eine Genugtuung für mich, zu sehen, wie er mein Kind aufzieht. Vielleicht warte ich also noch etwas vorausgesetzt, du entschädigst mich entsprechend." "Du musst völlig übergeschnappt sein." Kate versuchte nicht, ihren Abscheu zu verbergen. "Nein, du arrogantes kleines Miststück, ich bin nicht übergeschnappt", sagte Sean wütend. "Du musst dich schon
erkenntlich zeigen, wenn du meinen tollen Cousin und sein Bankkonto behalten möchtest." "Ich habe kein Geld." Sean lachte höhnisch. "Ich kann von Patric so viel Geld bekommen, wie ich will - dank seiner albernen Vorstellung von Familienehre. Doch es gibt noch andere Wege, einem Mann einen Dienst zu erweisen. Unser kleines Intermezzo hat mir damals viel Spaß gemacht. Und wenn du erst Patrics Frau bist, wird es mir noch besser gefallen. Welche Opfer bist du bereit, für deinen Sohn zu bringen, Kate?" Sie versuchte, sich ihre aufkommende Panik nicht anmerken zu lassen. "Ich werde niemals ..." erwiderte sie voller Verachtung und stieß dann einen erschrockenen Schrei aus, denn Patric kam durch die Tür, kalte Wut in den Augen. Sean fuhr herum. Als er Patric sah, sackte er in sich zusammen. "Nein!" schrie Kate, ließ das Messer fallen und stürzte auf ihn zu. Mit erschreckender Wucht ließ Patric seine Faust auf Seans Kiefer sausen, holte erneut aus und versetzte ihm einen zweiten Schlag. Er schien Kate gar nicht zu bemerken, die sich an seinen Arm klammerte und ihn zurückzuhalten versuchte. "Bitte nicht, Patric!" Sean stürzte zu Boden, Blut rann ihm aus dem Mund. Patrics Blick war ausdruckslos. Kate zwang sich, ruhig zu bleiben, und sagte eindringlich zu ihm: "Patric, lass ihn. Er ist es nicht wert, er ist ein Niemand." Behutsam schob er sie beiseite. "Steh auf", befahl er seinem Cousin drohend. Sean richtete sich auf und stellte sich mit dem Rücken an die Wand. Hastig blickte er abwechselnd zu Patric und zu Kate, ohne etwas zu sagen. Gelassen forderte Patric ihn auf: "Mach, dass du von hier verschwindest, und komm ja nicht wieder zurück. Solltest du dich jemals näher als hundert Meilen von Kate oder dem Jungen
entfernt blicken lassen, werde ich dafür sorgen, dass du ins Gefängnis kommst." Erst als er schon aus dem Haus war, rief Sean: "Ich wünsche dir viel Spaß dabei, meinen Sohn auf zuziehen, Patric." Kate atmete tief ein und schloss für einen kurzen Moment die Augen. "Warum hast du mir das nicht gesagt?" fragte Patric beherrscht. "Zuerst konnte ich den Gedanken nicht ertragen, es dir zu erzählen. Ich wusste, dass du ihn verachtest, und die Tatsache, dass Sean mich vergewaltigt hatte und nicht irgendein Unbekannter, machte alles noch schlimmer." Als Patric nichts entgegnete, fuhr sie unsicher fort: "Das ergibt keinen Sinn, nicht wahr? Aber so empfand ich es. Ich hoffte ..." "Was hast du gehofft? Dass du es mir nie sagen müsstest?" Sie blickte ihn an, doch seine Miene war undurchdringlich. "Ja. Du hattest mir erzählt, dass du keinen Kontakt mehr zu Sean hast, und deswegen glaubte ich, Nick sei in Sicherheit." Obwohl sie bezweifelte, dass er ihr glauben würde, fuhr sie fort: "Als du mich gebeten hast, deine Frau zu werden, war mir klar, dass ich es dir sagen musste. Doch ich wusste nicht, wie du reagieren würdest. Ich war einfach feige." Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie ihm noch nicht vollständig vertraut hatte. Hoffnungslos setzte sie hinzu: "Ich habe versucht, es dir zu erzählen, aber du wolltest nichts davon hören, und ich war unendlich erleichtert. Doch ich hätte darauf bestehen müssen, es dir zu sagen. Es tut mir so Leid, Patric." Er betrachtete seine malträtierte Hand, an der noch Seans Blut klebte. Kate drehte das kalte Wasser auf und reichte ihm ein Papiertuch. Er wusch und trocknete sich die Hand und bewegte dann die Finger. Ängstlich fragte Kate ihn: "Stimmt es, was Sean gesagt hat? Du hast gedacht, Nick wäre dein Sohn und ich hätte dich angelogen?"
Sie sah ihn bittend an, doch seine Miene verriet nicht, was in ihm vorging. "Zuerst glaubte ich das wirklich", antwortete er. "An dem Tag, als wir uns wieder trafen, habe ich Nicks Geburtsurkunde überprüfen lassen. Du hattest nicht angegeben, wer sein Vater war, aber sein zweiter Name war Patric. Außerdem hat er mich in vielem daran erinnert, wie ich - und auch ,Black Pat' - als Kind war, wie sehr er sich für Dinge begeistern konnte, sogar die Art, wie er den Kopf neigte. Natürlich habe ich geglaubt, er wäre mein Sohn." Kate war verzweifelt. All ihre Träume und Hoffnungen waren zerstört. Ja, sie hatte gelogen, doch auch er hatte ihr nicht die Wahrheit gesagt - dass er nur deshalb ihre Nähe gesucht hatte, weil er dachte, Nick wäre sein Sohn. "Ich habe ihm deinen Namen gegeben, weil das alles war, was mir noch von dir geblieben war", flüsterte sie voller Schmerz, "mehr konnte ich ihm nicht von dir geben. Aber natürlich war das eine Lüge." Patric klang gefasst und emotionslos. "Und als du mir von der Vergewaltigung erzählt hast, machtest du keinen sehr verstörten Eindruck, du warst sogar sehr ruhig." Mit zittriger Stimme erwiderte sie: "Außer meiner Psychologin bist du der Erste, dem ich davon erzählt habe. Nur wenn ich mir selber jegliche Gefühle verbiete, bringe ich es fertig, überhaupt darüber zu sprechen." Für einen Moment schien Patric die Fassung zu verlieren, hatte sich jedoch sofort wieder unter Kontrolle. Noch immer machte er keine Anstalten, sich ihr zu nähern oder sie zu berühren. "Ich bin mir nie sicher, was du denkst und was du fühlst." Wütend rief sie: "Warum hätte ich dir ein Lügenmärchen über eine angebliche Vergewaltigung erzählen sollen?" "Um mich dafür zu bestrafen, dass ich Laura geheiratet habe", erwiderte er. Plötzlich ließ er seine Faust auf die Holzbank krachen. Erschrocken hielt Kate den Atem an, während er sagte: "Ich hätte es wissen müssen - mein Gott, als
wir uns das letzte Mal getroffen haben und du mir gesagt hast, dass du mich nicht mehr liebst, hätte ich bemerken müssen, dass etwas mit dir nicht in Ordnung war! Doch ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, um zu sehen ..." Erschrocken stellte sie fest, das? er Tränen in den Augen hatte. "Nein!" widersprach sie eindringlich. "Wie hättest du denn wissen sollen, was passiert war? Ich habe doch versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Und du hast selber unter einem solchen Druck gestanden - nein, Patric. Du darfst dir keine Vorwürfe machen." "Ich werde es mir nie verzeihen." Ängstlich fragte sie ihn: "Wann hast du gemerkt, dass ich dir damals die Wahrheit gesagt hatte - dass Nick nicht dein Sohn ist?" "Dass du wirklich vergewaltigt worden warst, wurde mir klar, als wir zum Dinner zur Bay of Islands gefahren sind und du mir so ruhig erklärt hast, dass du mich damals nicht hast heiraten können, weil du von einem anderen Mann schwanger warst." Sie erinnerte sich an Patrics Gesichtsausdruck - und daran, wie er vergessen hatte, das Fernlicht auszuschalten. "Aber natürlich wusste ich nicht, dass mein Cousin dich vergewaltigt hatte - auch ein Nachkomme von ,Black Pat', deshalb glaubte ich immer noch, dass Nick mein Sohn war." Ausdruckslos fuhr er fort: "Es gibt ein Foto von ,Black Pat', auf dem er fünf Jahre alt war und Nick zum Verwechseln ähnlich sieht. Ich hatte gehofft, dass ich durch ein Wunder doch sein Vater bin." Das Herz zog sich ihr zusammen. "Ich war voller Wut - und ich schämte mich", fuhr Patric fort. "Ich war froh, dass der Mann, der dir das angetan hatte, tot war. Und ich wusste, dass ich sehr behutsam mit dir umgehen musste, dass du Männern gegenüber noch immer misstrauisch
sein könntest - dass du mich vielleicht nie so begehren könntest, wie ich dich begehrte." Plötzlich verlor er die Beherrschung, und verzweifelt fragte er sie: "Warum nur hast du es mir nicht erzählt, als wir uns das letzte Mal in Tatamoa getroffen haben? Du hast doch wohl nicht gefürchtet, dass ich dich verstoßen würde, weil Sean dich vergewaltigt hat?" Erschöpft lehnte Kate sich gegen den Küchentisch. In ihrer Hoffnungslosigkeit wünschte sie sich, Patric würde gehen, bevor sie Trauer und Verzweiflung überwältigten. Doch sie schuldete ihm eine Erklärung. "Damals fühlte ich mich schmutzig und erniedrigt. Außerdem lag dein Vater im Sterben - hätte ich es dir erzählt, hätte das eure Familie endgültig auseinander gerissen. Ich liebte dich immer noch, aber ich musste dich verlassen, um mich von all dem zu befreien, was passiert war." Um Patrics Mund zuckte es leicht. "Sean hat dich vergewaltigt, weil du meine Freundin warst und weil er mich schon immer gehasst hat. Monatelang lief er mit einem höhnischen Grinsen herum, aber mir war nicht klar... Wie konnte ich nur so blind sein!" Eindringlich sagte Kate: "Ich mache dir keine Vorwürfe, Patric. Sean allein trägt die Schuld an dem, was passiert ist." Leise erwiderte Patric: "Du bist sehr großherzig, Kate." "Das bin ich nicht. Warum hasst Sean dich nur so?" Mit ausdrucksloser Miene erklärte Patric: "Sean ist der Meinung, dass seine Mutter, die ja älter ist als mein Vater, die Hälfte von Sutherland Aviation hätte erben sollen, und vermutlich hat er damit sogar Recht. Aber ,Black Pat' war nun einmal ein unverbesserlicher Chauvinist, ebenso wie mein Vater. Und so hat sie nicht einen Teil des Unternehmens geerbt, sondern ein kleines Geldvermögen, von dem nicht mehr viel übrig ist, weil sie sich auf Anraten ihres Mannes immer wieder auf unsichere Spekulationen eingelassen hat." Patric klang geistesabwesend: "Jahrelang habe ich Sean ignoriert, aber dann ging er zu weit. Er hat versucht, seine
Mutter dazu zu bringen, ihm Geld aus dem Fonds zu geben, den ich neu für sie angelegt hatte. Du wirst ihn nie wieder sehen." Erschöpft erwiderte Kate: "Aber trotz allem ist er Nicks Vater. Ich glaube, du solltest jetzt besser gehen." "Kate..." "Bitte geh, Patric", bat sie ihn leise. "Kate", sagte er eindringlich, "ich kann dich jetzt nicht im Stich lassen ..." Kate nahm all ihren Mut zusammen und sagte entschlossen: "Du lässt mich nicht im Stich, und das hast du auch damals nicht getan. Ich bin eine erwachsene Frau, und im Moment muss ich mich mit der Tatsache auseinander setzen, dass du mir nur mit dem Ziel den Hof gemacht hast, Kontakt zu Nick zu bekommen, weil du dachtest, er wäre dein Sohn. Und dazu muss ich allein sein, Patric." "Gut", erwiderte er. "Auch ich muss über einiges nachdenken, aber ich werde wiederkommen. Ich bin im Hotel. Ruf mich sofort an, falls Sean dich noch einmal belästigen sollte." Er sah sie mit seinen dunklen Augen an, und sein Blick verriet seine aufgewühlten Gefühle. "Wann immer du mich brauchst, Kate, ruf mich an. Ich werde sofort kommen." Erst nachdem Nick ins Bett gegangen war, hatte Kate die Gelegenheit, sich in Ruhe mit all dem auseinander zu setzen, was passiert und gesagt worden war. Ihr war die Kehle wie zugeschnürt, und es dauerte eine Weile, bis sie wieder klar denken konnte. Wäre sie damals nicht der Versuchung erlegen, Nick mit zweitem Namen nach Patric zu benennen, hätte sie Patric wohl gleich zu Anfang davon überzeugen können, dass sie wirklich vergewaltigt worden war, und er hätte sie in Ruhe gelassen. Gab es überhaupt noch Hoffnung? So schnell gebe ich nicht auf, dachte sie grimmig. Man hat mir schon oft wehgetan, und ich bin immer damit fertig geworden. Und das werde ich auch diesmal. Aber diesmal waren ihre Träume und Hoffnungen
zerstört worden. Kate wusste, dass diese Wunde nie ganz heilen würde. Das Telefon klingelte. Zuerst wollte sie nicht abheben, doch bei dem Gedanken, dass es Patric sein könnte, sprang sie auf. "Ich dachte, es interessiert dich, dass ich morgen zum Gericht gehen werde, um das Sorgerecht für das Gör zu bekommen", hörte sie Sean boshaft sagen. Wie gelähmt vor Schreck, legte Kate sofort auf. Doch dann riss sie sich mit aller Macht zusammen. "Nein!" rief sie entschlossen. Niemals würde sie zulassen, dass der verschlagene, bösartige Sean das Sorgerecht für Nick bekäme. Sie würde alles abstreiten. Nur mit Hilfe eines DNA-Tests könnte bewiesen werden, wer Nicks Vater war. Und wenn Sean dies beabsichtigen sollte, würde sie mit Nick flüchten. Das erneute Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Sie hob den Hörer ab. "Wenn du dich ihm auch nur näherst, gehe ich morgen zur Polizei und erstatte Anzeige wegen Vergewaltigung", sagte sie kühl und beherrscht. "Meine Tante wird als Zeugin auftreten, ich habe ihr damals alles erzählt", behauptete sie mit dem Mut der Verzweiflung. Einige Sekunden lang war es still, dann hörte sie Patric leise und voll kalter Wut sagen: "Ich komme sofort zu dir." Innerhalb von zehn Minuten war er da. "Erzähl mir genau, was er gesagt hat", forderte er sie auf. Wort für Wort wiederholte sie, womit Sean ihr gedroht hatte. "Er blufft nur", sagte Patric. "Damit versucht er, mich zu erpressen. Er wird verlangen, dass ich ihn finanziell unterstütze, als Gegenleistung dafür, dass er nicht das Sorgerecht für Nick fordert." "Aber warum glaubt er, dass du dich darauf einlassen wirst?" fragte Kate. Er lächelte ironisch. "Sean weiß, dass ich für dich alles tun würde." Nach einem kurzen Schweigen fuhr er fort: "Ich wollte abwarten, dass du mir deine Liebe gestehst, bevor ich dir sagen
würde, dass ich dich liebe. Vielleicht wollte ich mich damit auf eine niederträchtige Weise dafür rächen, dass du mich damals nicht geheiratet hast. Ich habe eine gerechte Strafe bekommen, denn du hast mir bisher nicht gesagt, dass du mich liebst." Kate sank aufs Sofa und sagte: "Du musst doch spüren, was ich für dich empfinde." "Ich weiß, dass du mich begehrst", erwiderte er rau. "Aber das genügt mir nicht. Ich habe dich immer geliebt und nie die Hoffnung aufgegeben, dass ich dich eines Tages wieder finden würde. Ich war mir dessen sicher, denn du allein warst und bist der Grund, warum ich lebe. Ich habe tatsächlich geglaubt, dass Nick mein Sohn ist, und zuerst dachte ich, das sei der Grund, warum ich mich um dich bemühte. Aber schon nach wenigen Tagen wurde mir klar, dass sich an meinen Gefühlen für dich nichts geändert hatte. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben und das werde ich auch nie." Kate blickte Patric an und wusste, dass er die Wahrheit sagte. Überwältigt von den Gefühlen, die sie in seinen Augen sah, flüsterte sie: "Patric, ich liebe dich so sehr, und ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du meinetwegen Seans Bösartigkeit ertragen musst." "Mit Sean werde ich schon fertig", erwiderte er kühl. "Aber ich werde mir nie verzeihen, dass er dich vergewaltigt hat, weil du meine Freundin warst, und dass du Schmerz und Erniedrigung erdulden musstest, weil ich dich liebte. Ich musste dich heute Nachmittag verlassen, weil ich ganz sicher sein wollte, dass ich Nick lieben kann, obwohl er Seans Sohn ist. Denn ich weiß, du wirst mich nur heiraten, wenn du überzeugt bist, dass es Nick glücklich machen würde." Kate hielt den Atem an. Patric ging zu ihr und nahm ihre Hand. Sein Blick suchte ihren, während er sagte: "Und ich bin mir sicher. Was Sean dir angetan hat, kann ich nie wieder gutmachen. Diese Schuld werde ich für immer mit mir herumtragen. Aber seinen Sohn
liebe ich, Kate, aus verschiedenen Gründen. Weil er auch dein Sohn ist, aber vor allem um seiner selbst willen, denn er ist ein aufgeweckter, intelligenter und liebenswerter Junge, auf den jeder Mann stolz wäre. Ich werde alles dafür tun, ihm ein guter Vater zu sein, ebenso den anderen Kindern, die wir zusammen haben werden." "Ich liebe dich", flüsterte Kate unter Tränen. Endlich gab sie ihren Gefühlen freien Lauf. Patric lächelte, zärtlich und erleichtert zugleich, als wäre er sich ihrer Liebe bisher nicht ganz sicher gewesen. Sanft hob er sie auf seinen Schoß. In seinen starken Armen fühlte sie sich sicher und geborgen. Kate zögerte kurz und bemerkte dann: "Deine Mutter wird nicht sehr glücklich darüber sein, dass wir wieder zusammen sind." Er versuchte nicht, die Wahrheit zu beschönigen: "Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie mir sicher eine andere Ehefrau ausgesucht. Aber du kannst mir glauben, dass auch sie dazugelernt hat. Sie wünscht sich Enkelkinder, und sie möchte, dass ich mit meiner Frau glücklich bin." Zärtlich blickte er sie an. "Und mit dir verheiratet zu sein wird mich unendlich glücklich machen." Und Kate war fest entschlossen, Mrs. Sutherland für sich zu gewinnen und ihr Bestes zu geben, um Patric die Ehefrau zu sein, die er brauchte. Er küsste sie auf den Mund. "Vertrau mir, gemeinsam werden wir es schaffen." "Ich vertraue dir", versicherte sie ihm. Eindringlich betrachtete er ihr Gesicht. "Ja, jetzt endlich tust du das." Er schloss sie noch fester in die Arme und presste sie an sich. "Und ich vertraue dir." An diesen Augenblick würde Kate sich ihr ganzes Leben lang erinnern.
Patric sagte: "In drei Tagen können wir heiraten. Und wir werden einen DNA-Test machen. Gestern Nachmittag habe ich einen alten Freund meines Vaters angerufen und mich, was das anbetrifft, kundig gemacht. Vermutlich gäbe es bei einem solchen Test zwischen Sean und mir so viele Ähnlichkeiten, dass niemand mit absoluter Sicherheit feststellen könnte, wer von uns beiden Nicks Vater ist. Falls Sean also tatsächlich das Sorgerecht für Nick beansprucht, können wir die Testergebnisse bei Gericht vorweisen. Außerdem gibt es einige Dokumente, die Sean mit Sicherheit geheim halten möchte und die ich veröffentlichen könnte. Und falls er sich je wieder in Neuseeland blicken lässt, werde ich ihn vernichten." Patric klang kühl und mitleidslos. Dann fragte er sie: "Hast du Angst vor ihm?" "Nein", antwortete sie verächtlich. "Sex hat keinerlei Bedeutung, wenn er erzwungen wird. Tatsächlich hat es mir sogar geholfen, Sean wieder zu sehen, denn mir ist klar geworden, was für ein verachtenswerter Niemand er ist. Aber ich mache mir Sorgen wegen Nick. Ich will nicht, dass er je herausfindet, wer sein Vater ist." "Wir werden dafür sorgen, dass er es nie erfährt", versprach Patric ihr. Er hob ihr Kinn an und sah ihr in die Augen, und endlich spiegelten seine sonst so unbewegten Gesichtszüge seine Empfindungen wider. "Darf ich heute die Nacht bei dir verbringen, Darling?" fragte er sie. "Ich möchte dich im Arm halten und wissen, dass du in Sicherheit bist." Kate traten Tränen in die Augen, und sie nickte. Dann ging sie mit ihm ins Schlafzimmer, und dieses Mal machte es ihr nichts aus, dass die Möbel alt und schäbig waren. Als sie das erste Mal nach ihrem Wiedersehen miteinander geschlafen hatten, waren sie voll ungestümer Leidenschaft gewesen. Diesmal zog Patric sie behutsam aus, sagte ihr, wie schön sie sei und wie sehr er sie liebe. Kate tat dasselbe, und als
sie schließlich mit ihm im Bett lag, voll freudiger Erregung, fand sie, dass es war wie vor sieben Jahren, als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten: sanft und unendlich zärtlich. Mit dem Unterschied, dass sie damals viel zurückhaltender gewesen war und Patric sich nicht über das Bett beschwert hatte ... "Zum Glück gibt es in meiner Wohnung ein Bett in einer vernünftigen Breite", sagte er, als sie aneinander gekuschelt im Bett lagen. "Ich möchte ein Haus am Meer kaufen, in dem wir alle zusammen leben werden." Kate lachte glücklich und ließ ihre Hand über seinen Rücken und seine Hüfte gleiten. Mein ganzes Leben blüht auf wie ein Garten im Frühling, dachte sie. Ein Garten mit einer Schlange, aber Patric würde dafür sorgen, dass Sean ihnen nichts anhaben konnte. "Wir müssen nicht miteinander schlafen, wenn du es nicht möchtest", sagte Patric. "Mir genügt es, dich einfach in meinen Armen zu halten." Kate blickte ihn an: "Warum sagst du das?" Er küsste sie auf die Schläfe. Dann fragte er: "Als wir uns neulich geliebt haben, war es für dich das erste Mal, seit ... seit Nick gezeugt wurde?" Sie nickte, und er fuhr fort: "Ich habe versucht, behutsam mit dir umzugehen, aber ich habe mich nicht zurückgehalten." Dir Herz klopfte heftig. "Ich mich auch nicht", erwiderte sie und küsste ihn auf die Wange. "Es war wunderschön. Ich bin nicht so zerbrechlich, wie du denkst, Patric. Ich liebe dich und begehre dich. Was Sean mir angetan hat, war schrecklich, aber es kann meiner Liebe zu dir nichts mehr anhaben." Er legte die Arme um sie und drückte sie an sich. "Nein, ich liebe dich so", flüsterte er und küsste sie. Und ihre sanften Liebkosungen endeten in einem Feuer der Leidenschaft.
EPILOG "Puh, ist das heiß!" Kate nahm ihren Hut ab und atmete tief ein. "Es ist eben Sommer", sagte Patric, der hinter ihr stand. Kate drehte sich zu ihm um, und sie küssten sich zärtlich. "Warum macht ihr das immer?" zog Nick sie auf, der aus seinem Zimmer gekommen war - dem Zimmer, in dem er und Kate auf ihrem Rückweg aus Australien geschlafen hatten. Erst vier Monate waren seitdem vergangen! "Mummy, hast du ein Haus für uns gefunden?" "Ja, vielleicht schon", antwortete sie. "Die Maklerin hat mir von einem wunderschönen Haus erzählt, zu dem ein kleiner Strand gehört. Es liegt an der Nordküste. Auch eine Mole und ein Anlegeplatz gehören dazu." Sie lächelte Patric an. "Klingt das interessant?" "Ja", sagte Patric. "Wie sieht es mit dir aus?" "Ich würde es mir gern ansehen. Morgen um zehn können wir es besichtigen. Ist dir das recht?" "Sehr", stimmte er zu. Kate warf ihm rasch einen Blick zu. Es gelang ihr immer besser, seinen Gesichtsausdruck zu deuten, doch manchmal wusste sie nicht genau, was in ihm vorging. Sie war unruhig, doch sie hatte ein neues Selbstvertrauen gewonnen. Er würde ihr im richtigen Moment alles sagen.
Als Nick schlief, setzte Patric sich neben sie auf das breite Sofa und sagte: "Brian Pierce hat mich heute angerufen." Kate zuckte zusammen. Brian Pierce war der Facharzt, der den DNATest durchgeführt hatte. Sie nahm Patrics Hand. Jetzt musste sie endgültig die Hoffnung aufgeben, dass Sean nicht Nicks Vater war. Patric drückte ihre Hand. "Es gibt keinen Zweifel daran: Nick ist mein Sohn." Ungläubig blickte sie ihn an. "Aber ich hatte eine Blutung", sagte sie, "nachdem wir uns geliebt hatten und vor ... Sean." Er küsste ihr die Hand und fragte: "War die Blutung schwächer als sonst?" "Ich... ja, ich glaube schon, aber es war eine richtige Blutung." Sanft erwiderte er: "Brian hat mit einer Frauenärztin gesprochen. Laut ihrer Aussage kann es vorkommen, dass es aussieht wie eine leichte Blutung." Kate war es, als würde ihr eine schwere Last von den Schultern genommen. Überwältigt von ihren Gefühlen, flüsterte sie: "O nein, ich bin so glücklich. Ich habe es mir immer gewünscht, und nun ist es tatsächlich wahr ..." "Wein nicht, Darling." Er schloss sie in die Arme und hielt sie, während sie von Schluchzern geschüttelt wurde. Dann hob er ihr Kinn an und sah ihr in die Augen. "Auch ich bin natürlich froh und erleichtert darüber, dass Sean keinerlei Ansprüche bezüglich Nick erheben kann, aber auch sonst hätte ich dafür gesorgt, dass er ihm nichts anhaben kann." Patric lächelte. "Wir werden uns nie wieder belügen. Wir mussten lange aufeinander warten, aber unsere Liebe war es wert." Seine tiefe Stimme war voller Zärtlichkeit. "Kate, meine Geliebte", sagte er heiser, "lass uns die Vergangenheit vergessen."
Er beugte den Kopf, und sie küssten sich, und mit diesem Kuss breitete sich vor ihnen die gemeinsame Zukunft aus. Sie mussten nur vorwärts gehen, ohne zurückzublicken. Und auf einmal schien alles so einfach zu sein.
-ENDE