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© 2002 Edition Antaios www.edition antaios.de Buchgestaltung und Satz: Oktavo, Syrgenstein Druck: DTP & Druck Matthias Kopp, Heidenheim Bindung: Industriebuchbinderei Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach
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Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Rogalla von Bieberstein, Johannes: „Jüdischer Bolschewismus“. Mythos und Realität. Mit einem Vorwort von Ernst Nolte. 312 Seiten, 12 Abb., broschiert. Dresden: Edition Antaios, 2002.
ISBN 3-935063-14-8
Johannes Rogalla von Bieberstein
„Jüdischer Bolschewismus“ Mythos und Realität Mit einem Vorwort von Ernst Nolte
EDITION ANTAIOS
Inhalt Widmung und Dank .............................................................................
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Vorwort ................................................................................................
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Einführung Überlegungen zur Erforschung des Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“....................................................................................
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Kapitel 1 Der Sozialismus als Heilslehre sowie als Arzt des Antisemitismus ....
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Kapitel 2 Sozialismus und Kommunismus als Alternative zum Christentum .....
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Kapitel 3 Ostjuden als Revolutionäre ...............................................................
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Kapitel 4 Weltkrieg und Weltrevolution.............................................................. 115 Kapitel 5 Die Komintern als bolschewistische Weltpartei................................... 145 Kapitel 6 Die „Judensäuberung“ Stalins und das Feindbild vom Bolschewismus............................................................. 193 Kapitel 7 Der neue antikommunistische Antisemitismus..................................... 219 Kapitel 8 Der Teufelskreis.................................................................................... 253 Register................................................................................................. 293
Widmung und Dank
Mein Buch widme ich der Erinnerung an meinen langjährigen Gesprächspartner Dr. Leon Poliakov (1910-1997) Mit seinen Eltern kam er als Flüchtling vor dem Sowjetregime aus St. Petersburg über Odessa nach Berlin, wo er von 1921 bis 1924 das GoetheGymnasium besuchte. Nach Paris verzogen, geriet er 1940 als französischer Soldat in deutsche Kriegsgefangenschaft. Ein aus meiner Geburtsstadt Leipzig stammender Wehrmachtsangehöriger ließ ihn auf eigene Faust frei. Die mörderische Judenverfolgung überlebte er im südfranzösischen Versteck als „Roben Paul“.. Als Erforscher der in mehrere Sprachen übersetzten „Geschichte des Antisemitismus“ ist Leon Poliakov ein unerbittlicher Wahrheitssucher gewesen. Trotz des Grauens, mit dem ersieh auch als Mitbegründer des „Centre de Documentation Juive Contemporaine“ beschäftigt hat, verlor er nicht seinen von Menschlichkeit gespeisten Humor und lehnte Kollektivverurteilungen ab. Einer Vielzahl von Historikern und Gesprächspartnern bin ich für Auskünfte und Ratschläge dankbar, auf die ich in besonderen Fällen im Text und in den Fußnoten Bezug nehme. Anmerken möchte ich, daß ich auch als Mitglied der von Professor Dr. Helmut Reinalter/Innsbruck geleiteten „Wissenschaftlichen Kommission zur Erforschung der Freimaurerei“ und als Angehöriger des Beirats der „Zeitschrift für Internationale Freimaurerforschung (IF)“ unter anderem in Brüssel, Innsbruck, Jerusalem, Krakau, Paris und Warschau über die von mir betriebene Erforschung der These von einer freimaurerisch-jüdischen Verschwörung referiert habe. Der EDITION ANTAIOS in Dresden danke ich für Publizierung des Buches, Herrn Professor Dr. Ernst Nolte für sein Vorwort und Herrn Dr. Karlheinz Weißmann für die Durchsicht des Manuskriptes, stilistische sowie inhaltliche Verbesserungs- und Straffungsvorschläge und auch für Nachfragen, die mir bei der Präzisierung meiner Argumentation geholfen haben.
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Meiner lieben Frau Margarete, die als Geschichtslehrerin für meine jahrelange Abendarbeit an Schreibtisch und Computer immer Verständnis aufgebracht hat, bin ich für ihr Mitdenken sowie Hilfe beim Übersetzen italienischer Texte verpflichtet. Endlich danke ich der Universitätsbibliothek Bielefeld, in der ich tätig bin und die die Infrastruktur für meine Recherchen bereitgestellt hat. Leopoldshöhe (Lippe) im April 2002 Johannes Rogalla von Bieberstein
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Vorwort
Eine Untersuchung über den Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ würde wohl auch in Deutschland als legitime wissenschaftliche Fragestellung anerkannt werden, sofern der Verfasser von Anfang an deutlich machte, daß er unter „Mythos“ so viel wie „Wahnvorstellung, Erfindung“ oder „Lüge“ versteht. Ganz anders sehen die Dinge aus, wenn als Mythos der begeisternde oder auch fanatisierende Impuls verstanden wird, der eine tatsächlich vorhandene Wirklichkeit zuspitzend und verzerrend überformt, so daß eine neue, eine ideologische Realität entsteht. Dann muß ja die Voraussetzung gemacht werden, daß der Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ eben nicht ein bloßer Wahn ist, sondern daß er einen rationalen, d.h. verstehbaren und überprüfbaren Kern in der Wirklichkeit besitzt. Notwendigerweise wird dann sofort die Erinnerung an die Tatsache wach, daß die Behauptung, der Bolschewismus sei jüdisch, zum Kernbestand der Auffassungen Hitlers und des Nationalsozialismus gehörte, zu jenem Kernbestand, den man weit mehr als die Lehre von dem zu erobernden „Lebensraum“ oder der zu bewahrenden „rassischen Reinheit“ als unmittelbare Ursache für die „Endlösung der Judenfrage“, den „Holocaust“ betrachten darf. Auch wer nie die Bücher von Hermann Fehst oder Rudolf Kommoss über „Bolschewismus und Judentum“ bzw. über ,Juden hinter Stalin“ zu Gesicht bekommen hat, kann gute Gründe vorbringen, um eine Studie für „gefährlich“ zu erklären, die einem so besonders folgenreichen und verhängnisvollen Teil der nationalsozialistischen Propagandaschriften ein gewisses Ausmaß von Recht zuspricht. Daß Johannes Rogalla von Bieberstein sich die zweite der möglichen Auslegungen des Begriffs des Mythos zu eigen macht, geht schon gleich zu Anfang daraus hervor, daß er den von einem jüdischen Autor angeführten Ausspruch eines Rabbiners zitiert: „Die Trotzkis machen die Revolution, aber die Bronsteins müssen dafür bezahlen“, d.h. für die Taten der zahlreichen und prominenten Revolutionäre jüdischer Abkunft werden von den Gegenrevolutionären auch deren Verwandte verantwortlich gemacht. Ein
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solches Vorgehen ist als eine Art Sippenhaft offenbar verwerflich, jedoch nicht grundlos. Und wer etwa das Komintern-Kapitel aufschlägt, der mag sich tatsächlich an Fehst und Kommoss erinnert fühlen, denn es werden viele Repräsentanten kommunistischer Parteien genannt, die bei den Kongressen der Kommunistischen Internationale zusammenkamen und an ihren Namen leicht als Juden erkennbar waren – die nicht wenigen Pseudonyme werden aufgelöst –, und der Eindruck drängt sich auf, daß unter den Vorkämpfern der Komintern eine starke Minderheit, wenn nicht sogar die Mehrheit, von Juden und Jüdinnen gebildet wurde. Und der Verfasser weist ausdrücklich darauf hin, daß das erste Exekutivkomitee der Komintern mehr jüdische als nichtjüdische Mitglieder hatte. Ebenso machten Juden unter den Autoren der maßgebenden Zeitschrift, der Internationalen Pressekorrespondenz, während der Jahre 1921-1924 mehr als die Hälfte aus. Ein Leser, der zum erstenmal mit diesen Tatbeständen in Berührung kommt, wird sich der Schlußfolgerung schwerlich entziehen können, daß mindestens die führenden Leute des frühen Bolschewismus in einem weit überproportionalen Maße Juden waren – die Nationalsozialisten behaupteten ja nirgendwo, daß die Masse der einfachen Anhänger der Partei aus Juden bestanden habe. Insofern könnte es als das Ergebnis der Untersuchung von Biebersteins gelten, daß das Aufkommen der These vom „jüdischen Bolschewismus“ nicht grundlos und leicht verstehbar war. Und dennoch wäre es absurd, Rogalla von Bieberstein in eine Reihe mit Fehst und Kommoss stellen zu wollen. Die Aufzählung von Namen gehört bei dieser Thematik zur unumgänglichen und elementaren Materialsammlung, die als solche völlig unabhängig von den Einstellungen der Autoren ist und an die lediglich die Frage „richtig oder falsch?“ zu richten ist. Selbst wenn Rudolf Kommoss aktiv an der späteren „Endlösung“ mitgewirkt hätte, könnte seine Aufzählung jüdischer Namen zutreffend sein; auch wenn von Bieberstein ein ausgeprägter „Philosemit“ wäre, könnten ihm böse Fehler unterlaufen. Der grundlegende Unterschied liegt schon darin, daß für die nationalsozialistischen Autoren die Fülle jüdischer Namen in sich einen Beweis des Vorhandenseins von etwas „Bösem“ darstellte, während es von Bieberstein in erster Linie darauf ankommt, die Tatsache der in der Tat erstaunlich hohen Anzahl von Menschen jüdischer Abkunft unter den bolschewistischen Revolutionären verstehbar, ja verständlich zu machen. Deshalb hebt er die gedrückte Lage besonders hervor, in der sich die jüdische Bevölkerung Rußlands, Polens und anderer osteuropäischer Länder befand: das
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Fehlen von bürgerlicher Gleichberechtigung, die feindselige Haltung der christlichen Kirchen, den weitverbreiteten Volksantisemitismus, und er stimmt offenbar innerlich einer Aussage des Grafen Witte, des zeitweiligen Premierministers des Zarenreiches, zu: die russische Regierung sei verantwortlich dafür, daß „aus zaghaften Juden Revolutionäre und Aktivisten würden“. Die Tatsache, daß die führenden Vertreter des österreichischen Austromarxismus zu zwei Dritteln jüdisch waren, aber ganz überwiegend mit Schärfe gegen den Bolschewismus Stellung nahmen, ist für den Verfasser nur einer der Beweise dafür, daß der Bolschewismus nicht „seinem Wesen nach jüdisch“ war, sondern daß eine spezifische historische Situation für das weitgehende Engagement vieler (aber längst nicht aller oder auch nur der meisten) Juden im Sinne des Bolschewismus ursächlich war. Von Bieberstein schließt es allem Anschein nach nicht einmal aus, daß dieses jüdische Engagement keineswegs nur verständlich, sondern im Rahmen einer übergeordneten Weltbewegung sogar gerechtfertigt war. Jedenfalls zitiert er ohne Kritik eine Äußerung von Franz Oppenheimer aus dem Jahre 1906, „der Jude“ stehe infolge seiner Diskriminierung und Verfolgung „überall im russischen Freiheitskampf an der Spitze der Sturmkolonnen“. Gab es im 20. Jahrhundert irgendetwas, das für die Liberalen wichtiger und positiver gewesen wäre als der Kampf von Verfolgten und Unterdrückten für ihre „Emanzipation“? So ist die Zielsetzung von Biebersteins derjenigen antijüdischer Autoren geradezu entgegengesetzt: wo sie angreifen und verwerfen, macht er nicht ohne Sympathie verständlich, aber er erweist sich dadurch als Wissenschaftler, daß er nicht lediglich an die Stelle der Polemik die Antipolemik setzt und dort ein „absolutes Gutes“ zu erkennen glaubt, wo jene Antisemiten das „absolute Böse“ wahrnehmen wollten. Was der Verfasser über die persönlichen Voraussetzungen seiner Arbeit sagt, ist aufschlußreich, und es sollte bei einem Thema wie diesem nicht fehlen. Er stammt aus einer adligen Familie von teilweise polnischem Ursprung, die in einigen ihrer Verzweigungen unter nationalsozialistischer Verfolgung zu leiden hatte; seine Dissertation handelte von der These der „jüdisch-freimaurerischen Verschwörung“ und brachte ihm viel Anerkennung ein; er hielt ein Referat über dieses Thema im Seminar von Yehuda Bauer und publizierte es in den Patterns of Prejudice. Seiner geistigen Herkunft nach gehört er also in den Bereich der „Vorurteilsforschung“. Den Überschritt zu dem vorliegenden Thema vollzog er offenbar in dem Augenblick, als er erkannte, daß die Rede vom „jüdischen Bolschewismus“
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mehr als ein bloßes Vorurteil ist und trotz der überaus „heiklen“ Zusammenhänge zum Gegenstand der Forschung statt bloß zum Ziel von erbitterten Anklagen werden sollte. Eine Fülle von jüdischen Selbstaussagen zwangen ihm diesen Überschritt geradezu auf – angefangen von dem Satz Leopold Treppers, des Chefs der „Roten Kapelle“: „Ich wurde Kommunist, weil ich Jude bin“, über die Feststellung des von Stalins Agenten 1940 in New York ermordeten Walter Krivitsky, die „Klagegesänge seines leidenden Stammes“ hätten ihn zum Kommunismus geführt, bis hin zu der umfassenden Interpretation des großen israelischen Denkers Jacob Leib Talmon: den auf Erlösung hoffenden europäischen Juden hätten nach dem Ersten Weltkrieg zwei „messianische Feuer“ geleuchtet, und zwar die „zionistische Erlösung“ in einem eigenen Judenstaat und die „kommunistische Weltrevolution“, die nicht bloß ihre eigene Diskriminierung, sondern alle Diskriminierungen aufheben würde. Wenn man die Reihenfolge umkehrt, weil in den ersten Nachkriegsjahren die kommunistische und weltrevolutionäre Hoffnung noch weitaus stärker war als die zionistische, dann ist auch das 6. Kapitel über die ,Judensäuberung Stalins“ leicht in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Es ist ja eine höchst bemerkenswerte Tatsache, daß eine viel größere Anzahl prominenter Juden zu Opfern Stalins als zu Opfern Hitlers wurde – aus dem naheliegenden Grund, daß sie vornehmlich Mitglieder von Stalins Partei waren; und wenn man dann bedenkt, daß schon der Kampf gegen den „Trotzkismus“, auch in den Augen von Trotzki selbst, gegen Ende der zwanziger Jahre unterschwellig einen „antisemitischen“, gegen die „jüdischen Intellektuellen“ in der Partei gerichteten Charakter besaß und daß die Verfolgung des „Kosmopolitismus“ nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie Juden betraf, dann wird es sehr wahrscheinlich, daß die Hinwendung zum Zionismus auch eine Folge der Enttäuschung durch den „Stalinismus“ war und daß nach 1945 für die meisten Juden, sofern sie nicht in den USA, England und Frankreich vollständig oder weitgehend assimiliert waren, nur noch ein „messianisches Feuer“ leuchtete, nachdem das andere erloschen war. Für die jüdischen Intellektuellen im Westen hatte in erster Linie der Stalin-Hitler-Pakt zu der Entfremdung beigetragen, und sicherlich hat überall die Einsicht eine Rolle gespielt, daß die Hoffnungen der frühen Jahre getrogen hatten und gutenteils auf simplistischen Fehleinschätzungen beruhten, die anderen Simplismen der Epoche auf die Seite gestellt werden konnten: Trotzki hatte ja schon früh gesagt, wenn der Kapitalismus eine neue Blütezeit erleben könne, dann seien die Kommunisten in einem tiefen
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Irrtum befangen gewesen, und ein leiser Zweifel war kaum zu überhören, als Bela Kun nach dem Bericht von Ervin Sinkó darlegte, es sei ihm und den anderen Revolutionären darum gegangen, „die Leiche des tödlich verwundeten Weltkapitalismus aus dem Wege zu räumen“. Jedenfalls konnte nach 1950 sogar der fanatischste Antisemit nicht mehr von dem „jüdischen Bolschewismus“ sprechen: der Mythos hatte sich überlebt so gut wie der utopistische Glaube, der ihm letzten Endes zugrundegelegen hatte. Aber gerade weil von Bieberstein das Selbstverständnis hervorragender Juden (die keine bloßen Einzelpersonen, wenngleich gewiß nicht Wortführer der Gesamtheit waren) sehr ernst nimmt, ist für ihn die Zurückführung der revolutionären Einstellung so vieler „Ostjuden“ auf die Unterdrückung und Diskriminierung, der sie unterlagen, nicht das letzte Wort. Daher kann es auch nicht richtig sein, daß der weitverbreitete Antisemitismus der christlichen Bevölkerung zumal in Osteuropa, der für viele Juden den Kommunismus bzw. den Bolschewismus als rettenden Ausweg erscheinen ließ, der Anfang jenes „Teufelskreises“ war, in welchem als Reaktion dieser Bevölkerung der neue und weit schlimmere Antisemitismus der Antibolschewisten entstand. Diesem allzu einfachen Bild widerspricht ja schon die Tatsache, daß auch das Motiv der Selbstbefreiung aus der Enge der rabbinischen Gesetzesreligion sehr stark war und daß die meisten der jüdischen Revolutionäre in einem innerjüdischen Entwicklungsprozeß zu Atheisten wurden, ohne daß sie dadurch in ihren eigenen Augen und in denen ihrer Umwelt zu Nichtjuden geworden wären. Arnold Zweig, wie Arthur Koestler zugleich Zionist und Kommunist, schrieb ja 1919 in der Weltbühne, „jüdisches Blut“ habe den Sozialismus in die Welt gebracht, „von Moses bis Landauer“, und ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Moses Hess geschrieben: „Wir Juden haben seit Anfang der Geschichte den Glauben an die messianische Weltepoche stets mit uns herumgetragen.“ Wenn „der Messianismus“ jedoch seit Jahrtausenden das Hauptkennzeichen des Judentums war, dann mußte es zulässig sein, von einem (historisch-kulturellen) „jüdischen Wesen“ zu sprechen, und schroffe Gegner konnten in dieser Annahme übereinstimmen, auch wenn sie entgegengesetzte Wertungen vornahmen – man sollte nicht vergessen, daß Hitlers Mentor Dietrich Eckart 1924 eine Schrift mit dem Titel Der Bolschewismus von Moses bis Lenin veröffentlichte. Aber der Bolschewismus läßt sich allenfalls als „Gewaltsozialismus“ definieren, und längst nicht jede der vielen Spielarten des sozialistischen Gedankens bejahte die Gewalt als Mittel zur Herbeiführung der Einheit
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einer harmonischen und konfliktfreien Menschheit. Das Problem spitzt sich daher auf die Frage zu, ob der Marxismus als die bekannteste und stärkste Version des Sozialismus ein „Gewaltsozialismus“ war oder nicht. Auf diese Frage gibt es keine allgemeingültige Antwort, und obwohl auch der Marxismus von seinen Gegnern häufig als „jüdisch“ charakterisiert wurde, so ließen sich hier noch weit mehr bedeutende Nichtjuden zur Stützung der Gegenthese anfuhren als später bei der Auseinandersetzung um den Begriff „jüdischer Bolschewismus“. Wenn von Bieberstein die Absicht hätte, seine Forschungen fortzuführen, so böte sich hier ein weites und vielversprechendes Feld. Aber er würde schwerlich zu einem anderen Ergebnis kommen als zu demjenigen, die Rede vom „jüdischen Marxismus“ sei ein noch fragwürdigerer Mythos als derjenige vom „jüdischen Bolschewismus“, denn der Marxismus sei allem zuvor die Version einer aus uralten Zeiten und vielfältigen Wurzeln stammenden Menschheitsidee und die Frage nach deren ethnischer Herkunft sei schlicht unangemessen. Man könnte den Eindruck gewinnen, es gehe dem Verfasser vor allem darum, den Bolschewismus und den Sozialismus gerade für diejenigen besser verstehbar zu machen, die dem Phänomen auch im historischen Rückblick mit großer Reserve gegenüberstehen. Aber die Dinge sind komplizierter und insofern besser, denn von Bieberstein macht auch den Antikommunismus eben dadurch verständlicher, daß er die kommunistischen Zielsetzungen nicht als „Rhetorik“ oder „ideologischen Überbau“ abtut. Der Marxismus stellte in der Idee und der Bolschewismus in der Praxis alle „bestehenden Verhältnisse“, die ganze „alte Welt“, in Frage, und nichts war wahrscheinlicher, als daß diese „alte Welt“ – sei es die Ordnung der „bürgerlichen Gesellschaft“, seien es die Kirchen, sei es das Militär – ihrerseits Vorkämpfer fand, welche die Herausforderung ernst nahmen und entschiedene Antworten zu geben versuchten. So verfällt er nicht in einen ironisierenden Ton, wenn er die Aussagen des katholischen Priesters Konrad Algermissen von der „Weltgefahr des Bolschewismus“ zitiert, dessen Ziel die „vollständige Ausrottung des Gottesglaubens“ sei, oder wenn er die tief emotionale Reaktion des Nuntius Pacelli beschreibt, der in seiner Münchner Residenz von „Bolschewisten und Juden“ mit dem Tode bedroht worden war und dem als Papst bis in die späte Zeit des Krieges die Tatsache lebendig vor Augen stand, daß sich in Sowjetrußland die „schlimmste Christenverfolgung aller Zeiten“ abgespielt hatte. Aber wenn selbst ein so bedeutender Schriftsteller wie Dmitrij Mereschkowskij den Bolschewismus für eine „Verkörperung des Bösen“ erklärte, dann wurde es nur allzu
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begreiflich, daß das Überschießen des menschheitlichen Gedankens im Bolschewismus ein Überschießen des anti-kosmopolitischen und anti-jüdischen Gedankens zur Folge hatte, das ebensosehr vergleichbar wie unvergleichbar war. Und es war abermals ein jüdischer Denker, Leopold Schwarzschild, der 1939 im Pariser Exil mit großer Klarheit den Zusammenhang formulierte, der zumal für viele Deutsche in der Gegenwart so unvollziehbar, ja empörend zu sein scheint: „die Bolschewisterei der europäische Primär-Affekt ist, die Ur-Syphilis, ohne die es nie und nimmer zur Folge-Syphilis des Fascismus und Nazismus gekommen wäre“ (Zit: S. 204). Am 27. April 1995 sagte der israelische Präsident Chaim Herzog in einer Rede im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen folgendes, und zwar in Anwesenheit des deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog: „Ich bin Angehöriger und Repräsentant eines einzigartigen Volkes in der Geschichte. Unser Lebensmotto durch die Zeiten hindurch könnte am besten zusammengefaßt werden in einem Psalmvers: „Ich werde nicht sterben, sondern ich werde leben und die Taten des Allmächtigen erzählen ...“ Er schloß diese Rede mit folgenden Worten: „Ich bringe keine Vergebung oder Vergessen. Die einzigen, die vergeben können, sind die Toten; die Lebenden haben kein Recht zu vergessen.“ Selten ist die Einzigartigkeit des jüdischen Volkes mit so klaren Worten hervorgehoben worden. Noch seltener ist die abgründige Verschiedenheit zwischen der jüdischen Religion mit ihrem Vergessensverbot und der christlichen Religion mit der Zentralität des „Vergebens“ so anschaulich geworden wie in diesen Worten eines berufenen Repräsentanten. Aber vermutlich ist dem Präsidenten selbst gar nicht ganz klar geworden, was er tat, als er in dem Verhältnis zum „Allmächtigen“ die jüdische Identität begründet sein ließ, obwohl er doch wußte, daß die Mehrzahl der Israelis sich zu den Atheisten rechnet. Hätte er nicht die Einzigartigkeit auch darin sehen sollen, daß das älteste noch existierende Religionsvolk der Erde im vielfältigen Ringen mit dem christlichen und konservativen Europa zum Vorkämpfer der Moderne geworden war und hinfort nur noch ein Volk sein konnte? Im Begriff des „jüdischen Bolschewismus“ steckt nicht nur eine Anklage. Er enthält vielmehr eine tiefgreifende Frage. Alle „Philosemiten“ sind dieser Frage nicht gewachsen, weil sie die Meinung zugrundelegen, die Juden seien im 20. Jahrhundert ein Volk oder eine Konfession geworden, dessen oder deren Angehörige nur den Wunsch hatten, ein ruhiges und unangefochtenes Leben zu fuhren, so daß bloß „Barbaren“ oder „Wahnsinnige“ auf
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den Gedanken kommen konnten, einen Angriff gegen sie zu führen. Daß darin eine eklatante Herabwürdigung eines welthistorischen Volkes und einer singulären Situation zu sehen ist, geht diesen wohlmeinenden Menschen nicht auf. Die Frage nach dem Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ könnte und sollte auch dahin fuhren, daß ein Empfinden für den eigenartigen „Antisemitismus“ dieser Philosemiten entsteht. Immerhin mag es sich hierbei um einen spekulativen Gedankengang handeln, und ich bin nicht sicher, daß von Bieberstein ihm zustimmen würde. Doch was auch immer an Kritischem, Erweiterndem, Einschränkendem zu diesem Buch gesagt werden mag, eins scheint mir unumstößlich festzustehen: alle die zahlreichen Thesen, Legenden und Mythen, die in den ideologischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts geläufig waren, müssen im 21. Jahrhundert aus emotionalen Behauptungen bzw. aus Kampfparolen zu Objekten wissenschaftlicher, d.h. distanzierter und abwägender Erörterung werden. Es gibt kaum einen wichtigeren und folgenreicheren Mythos als den von dem „jüdischen Bolschewismus“. Aber die konkreten Erfahrungen, die ihm zugrundelagen, sind gründlicher vergessen oder verdrängt worden als im Falle aller vergleichbaren Mythen. Johannes Rogalla von Bieberstein hat sich ein großes Verdienst erworben, als er ihn zum Gegenstand der Untersuchung und des Nachdenkens machte.
Berlin, im Juni 2002 ERNST NOLTE
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Überlegungen zur Erforschung des Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ „Der Oberrabbiner von Moskau, Jakob Mazeh, beschwor Trotzki: ,Die Trotzkis machen die Revolution, aber die Bronsteins müssen dafür bezahlen‘, ... Trotzki wußte, daß der Rabbiner recht hatte.“ ARTHUR HERTZBERG1
Der „jüdische Bolschewismus“ ist ein geschichtsmächtig gewordener politischer Mythos. Er hat in der gesamten christlichen Welt unzählige Anhänger gehabt, so daß Leon Poliakov in seiner Geschichte des Antisemitismus von der „Universalität des Phänomens“ spricht.2 Er wurde in die Welt gesetzt von „weißen“ Gegnern jener bolschewistischen „Oktober-Revolution“ von 1917, die bei näherem Zusehen ein Militärputsch gegen das frei gewählte russische Parlament war. Die Charakterisierung des Bolschewismus als „jüdisch“ hat man vor allem dazu verwandt, das Sowjetregime sowie die von ihm weltweit finanzierte und gesteuerte kommunistische Bewegung antisemitisch zu denunzieren. So verunglimpfte der in Kiew geborene Anwalt und antibolschewistische Agitator Grigorij Bostunic, den die Bolschewiki 1920 in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatten,3 Sowjetrußland als „Sowjetjudäa“.4 Er war 1924 unter dem Namen Gregor Schwartz-Bostunitsch deutscher Staatsbürger geworden und stieg schließlich zum „wissenschaftlichen Leiter“ im „Amt für Information“ des SD (Sicherheitsdienst) der SS auf. Heinrich Himmler verlieh ihm den Rang eines SS-Standartenführers. Der Rußland-Experte der Harvard-Universität Richard Pipes stellte 1996 fest, daß eine der „desaströsesten Konsequenzen“ der Russischen Revolution die „Identifikation von Juden mit dem Kommunismus“ gewesen sei und daß deswegen der Frage der „jüdischen Involvierung in den Bolschewismus“ mehr als akademisches Interesse zukomme. Die Unterstellung, daß das
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„internationale Judentum“ den Kommunismus erfand, um die christliche oder „arische“ Zivilisation zu zerstören, habe die „ideologische und psychologische Begründung“ der „Endlösung“ geschaffen.5 Auch Maxime Steinberg, Professor für Judaistik an der Freien Universität Brüssel, vertritt die Auffassung, daß die „,judeo-bolschewistische Fährte' (piste) essentiell für das Verständnis des Genozids an den Juden“ ist.6 In seiner Einführung zu dem Buch The Jews and the European Crìsis hat der Jerusalemer Historiker Jonathan Frankel 1988 daraufhingewiesen, daß der Antisemitismus am Ende des Ersten Weltkrieges ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreichte. Er sagte: ,Je größer der Erfolg der kommunistischen Bewegung“ gewesen sei, desto größer sei die „antikommunistische Feindseligkeit gegenüber den Juden“ geworden.7 Es handelt sich hier um einen Wìrkungszusammenhang, den Zeitzeugen, angesehene Wissenschaftler sowie Publizisten unterschiedlicher nationaler Herkunft und politischer Ausrichtung erkannt und aufgezeigt haben. So hat der aus Breslau stammende Fritz Stern in seinem Buch über Bismarck und dessen Bankier Bleichröder bemerkt, daß die Dynamik ihrer „Rückstoßung“ viele Juden veranlaßt habe, „für die Linke zu stimmen, die ihrerseits die Antisemiten zu neuer Dynamik anregte“.8 Manès Sperber charakterisierte diesen Mechanismus als „furchtbares Wechselspiel von Revolution und Konterrevolution“.9 Am 2. Dezember 1918 hat der bei der Niederschlagung der Münchener Räterepublik ermordete Anarchist Gustav Landauer diese Aufforderung an Martin Buber gerichtet: „Sehr schönes Thema, die Revolution und die Juden. Behandeln Sie dann auch den führenden Anteil der Juden an dem Umsturz.“10 Ganz ähnlich, aber in völlig veränderter historischer Lage, urteilte der 1942 in Los Angeles geborene Herausgeber der Jerusalem Post, Louis Rapoport, in seinem 1990 erschienenen Buch Stalins war against the Jews, daß „Männer jüdischer Herkunft“ die „Grundlage des Kommunismus und Sozialismus“ gelegt haben.11 Auf einen weiteren Aspekt dieses Zusammenhangs kam der Schriftsteller Franz Werfel zu sprechen. Das Mitglied der Wiener „Roten Garde“ in den revolutionären Tagen des Jahres 1918 verfaßte einen Artikel mit dem Titel Geschenk Israels an die Menschheit, in dem es hieß, daß Moses Heß, Karl Marx und Ferdinand Lassalle die „Kirchenväter des Sozialismus“ seien und daß es sich beim Sozialismus um eine „Metastase der Religion“ handele!12 Diese Bewertung wird durch den Tel Aviver Historiker Jacob Toury geteilt, der 1976 auf einem internationalen Symposium sagte, daß „der Sozialismus ...
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dem aus dem traditionellen Judentum Entwurzelten zur ethisch-religiösen Ersatzreligion, zum Glauben“, werden konnte.13 Dieser neue säkulare Glauben hat auf geradezu phantastische Weise 1906 in Paris auf einer aus dem jüdisch-sozialistischen Immigrationsmilieu stammenden Postkarte bildlich Gestalt angenommen. Sie zeigt den in französischer, deutscher, englischer, russischer und hebräischer Sprache angesprochenen „Modernen Moses“. Bei diesem mit wallendem Bart auf dem „Berg des Proletariats“ stehenden Mann handelt es sich um niemand anders als Karl Marx, der zwei Gesetzestafeln mit der Aufschrift Le Capital und Manifeste Communiste in der Hand hält!14 Der von sozialistischen Juden durchaus als Jude wahrgenommene Karl Marx15 ist im Milieu der Ostjuden vor dem Ersten Weltkrieg – folgt man dem Historiker der Zionistischen Bewegung, Adolf Böhm – „kritiklos als Heros der Weltbefreiung angebetet“ worden, so daß dieser „vielzitierte Satz“ geprägt wurde: „Karl Marx ist der Zaddik der Judengasse.“16 Nach Jaff Schatz, dem Direktor des Instituts für Jüdische Kultur an der Universität Lund, haben „radikale Juden die Aufmerksamkeit der Welt“ so auf sich gezogen, daß sie im Angesicht ihres disproportionalen Anteils an der revolutionären Bewegung „für ihren Radikalismus gepriesen, aber auch verflucht“ wurden.17 In den Neuen Jüdischen Monatsheften, die ursprünglich Ostjüdische Revue heißen sollten, wurde Ende 1919 in dem Artikel Der jüdische Revolutionär diese bemerkenswerte Feststellung getroffen: „So maßlos er von antisemitischer Seite übertrieben, und so ängstlich er vom jüdischen Bürgertum geleugnet wird: der große jüdische Anteil an der heutigen revolutionären Bewegung steht fest.“19 Wie in England sind auch in den Vereinigten Staaten bürgerliche Juden über die Sympathien eines Teils des neueingewanderten ostjüdischen Proletariats mit dem Bolschewismus beunruhigt gewesen. Sie haben befürchtet, daß das „jüdisch-bolschewistische Stereotyp die gesamte jüdische Gemeinschaft in Mißkredit (smear) bringen“ könnte.20 In der Berliner Emigration haben antibolschewistische Juden 1923 die Schrift Rossija i Evrei (Rußland und die Hebräer) veröffentlicht, in der dieser Satz steht: „Der grimmige Haß auf die Bolschewiki verwandelt sich in einen ebensolchen Haß gegen die Hebräer. Und nicht nur in Rußland.“21 Deshalb hat in Hollywood der Filmproduzent Harry Warner diese beschwörende Warnung ausgesprochen: „Vergiß nicht, daß du ein Jude bist. Jüdische Kommunisten werden den Zorn (wrath) der Welt auf den Rest der Juden richten.“22
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Die Öffnung der Archive nach 1989 Die nach dem Kollaps des Sowjetsystems erfolgte Öffnung der Archive hat nach dem Urteil eines Sowjetexperten das Ergebnis gezeitigt, daß „vieles, was noch bis vor kurzem als antikommunistisches Hirngespinst Kalter Krieger abgetan“ worden sei, nun mit Dokumenten belegt werden kann.23 So ist mittlerweile minutiös nachgewiesen, daß die Parteien der „Dritten Internationale“ bis hin zu den Vereinigten Staaten von Moskau finanziert und gesteuert worden sind. Hierbei waren Kommunisten aus jüdischen Familien in einer ganzen Anzahl von Ländern maßgeblich beteiligt. In den Schulbüchern und in dem von den Medien gezeichneten Geschichtsbild werden diese Fakten kaum vermittelt, so daß der aus derartigen Zusammenhängen resultierende politische Antisemitismus den meisten unverständlich bleibt und daher einseitig auf „Rassismus“ zurückgeführt wird.24 Deshalb wird auch der von dem englischen Historiker Peter Longerich aufgeworfenen Frage, inwieweit das „antibolschewistische Feindbild“ lediglich mit „rassistischen Elementen aufgeladen“ gewesen ist,25 oft überhaupt nicht nachgegangen. Bestimmte Aspekte der politischen Wirklichkeit, etwa das in den Jahren 1917 bis 1923 mit großer Intensität auch konspirativ betriebene weltrevolutionäre Ausgreifen des Sowjetsystems, klammern die meisten Geschichtsund Schulbücher weitgehend aus. Dies verdeutlicht schlaglichtartig folgender Sachverhalt: Unter Führung des von Antisemiten mit seinem jüdischen Namen Apfelbaum denunzierten Lenin-Vertrauten Grigori Sinowjew, dem damals der Titel „Steuermann der Weltrevolution“ beigelegt worden ist, hat die Komintern in Moskau beschlossen, im März 1921 einen bewaffneten Aufstand in Deutschland zu inszenieren. Er sollte der Weltrevolution in Mitteleuropa zum Durchbruch verhelfen. Es ist erstaunlich und gibt zum Nachdenken Anlaß, daß dieser von zeitgenössischen Sozialdemokraten als „kommunistischer Putschversuch“ und „Verbrechen an der Arbeiterklasse“26 gebrandmarkte „Märzaufstand“ von 1921 in den Geschichtsbüchern unserer Schüler keiner Erwähnung für würdig befunden wird!27 Dabei hat diese „Märzaktion“ immerhin den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 24. März 1921 veranlaßt, den militärischen Ausnahmezustand auszurufen. Zur Durchführung der kommunistischen Machtübernahme hatte damals der Kreml drei Spitzenfunktionäre nach Deutschland entsandt. Nämlich den Chef der 1919 zusammengebrochenen ungarischen Räterepublik, Bela Kun,
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weiter den Chef des Budapester Soldatenrats und Volkskommissar für Verteidigung, Josef Pogány, der später als ,John Pepper“ der KominternAufpasser der amerikanischen Kommunistischen Partei geworden ist, sowie schließlich den aus Litauen gebürtigen „Oberkampf-Leiter“ Samuel Guralski. Er führte den Decknamen August Kleine,28 war unter dem Namen Heifisz geboren und aus dem jüdischen „Arbeiterbund“ hervorgegangen.29 Bei der am 29. März 1921 im Leuna-Werk vorgenommenen Niederschlagung dieses Versuchs von deutschen Rotgardisten, gewaltsam die Macht zu übernehmen, haben 21 Hundertschaften der preußischen Bereitschaftspolizei und eine Batterie der Reichswehr mitgewirkt. Unter den 180 Toten dieses Bürgerkrieges, der nach einem von Bela Kun verfaßten Aufruf in der Roten Fahne vom 18. März die „Entwaffnung der Bourgeoisie“ besorgen und das „Proletariat“, sprich die Kommunistische Partei, an die Macht Dringen sollte, befanden sich immerhin 35 Polizisten!30 Der „jüdische Pfad“ zum Kommunismus In seiner Schrift Sozialismus, Revolution und Judenfrage hat Moriz Rappaport 1919 Leo Trotzki als „Begründer der Weltrevolution“ gerühmt und Kurt Eisner bescheinigt, er habe die Revolution in München „ins Rollen“ gebracht.31 Dann urteilte er verallgemeinernd, daß Juden in der Revolution das „treibende Element“ seien, ein „innerliches Moment“ habe viele von ihnen bewogen, „sich dem Sozialismus zuzuwenden.“32 Dieses innerliche Moment ist – wie noch ausführlich dargelegt werden wird – die Verzweiflung vieler Juden über den sie bedrückenden Antisemitismus gewesen. Sie haben erwartet, daß dessen „Arzt“33 der kosmopolitische und antichristliche marxistische Sozialismus werden sollte. Daher konnte der zum Chef der Roten Kapelle aufgestiegene Leopold Trepper lapidar sagen: „Ich wurde Kommunist, weil ich Jude bin.“34 Über die keineswegs nur von Antisemiten als spektakulär betrachtete Führungsrolle jüdischer Revolutionäre in Rußland, Berlin, Wien und Budapest hat der später nach Palästina ausgewanderte Student Eugen Hoeflich im Juli 1919 in der vom Wiener Jüdischen Hochschulausschuß herausgegebenen Zeitschrift Esra folgendes niedergeschrieben: „Der bolschewikische Jude will Europa nicht anzünden, um sich die Tasche zu füllen, ihn treibt die reinste Idee, die aber in ihrer Auswirkung tragischer Irrtum ist, Folge der durch den Krieg geborenen Massenpsychose.“35
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Das revolutionäre Engagement einer jüdischen Minderheit hat weltweit eine Welle eines „neuen“ und besonders giftigen, ja mörderischen Antisemitismus ausgelöst. Er hat Moriz Rappaport 1919 zu dieser Warnung veranlaßt: „Die Juden tun nicht gut daran, sich bei der Revolution allzu viel in den Vordergrund zu stellen. Es ist zu befürchten, daß die bodenstämmige Bevölkerung ... sich in bedrohlichen Formen gegen die Juden wenden wird.“36 Die unübersehbare Führungsrolle jüdischer Revolutionäre ist auch Leuten, die des Antisemitismus unverdächtig sind, in die Augen gesprungen. So hat der britische Diplomat Kidston am 5. Dezember 1918 seinen Eindruck formuliert, daß die Juden das „Rückgrat“ (backbone) des Bolschewismus bildeten.37 Und der amerikanische Präsident Woodrow Wilson bemerkte am 17. Mai 1919 während der Pariser Friedenskonferenz, es scheine, daß der Bolschewismus „jüdisch geführt“ (lead by Jews) sei.38 Schließlich sei noch der frühere Präsident des italienischen Ministerrates, Francesco Nitti, mit der Bemerkung zitiert: ,Jeder wundert sich, daß unter den Bolschewisten viele Juden sind, und dieses ist für die reaktionäre Presse ein neuer Anlaß zu Abneigung und Antisemitismus. Aber hat man schon die Greuel des Anti-Semitismus und die Judenpogrome in Rußland vergessen?“39 Antikommunismus und Antisemitismus Das bereits assimilierte jüdische Bürgertum sowie die jüdischen Frommen erblickten gleich der großen Mehrheit der Christen in dem weltrevolutionären und überdies antikirchlichen Ansturm des Bolschewismus eine existentielle Gefahr. Man sollte sich daher hüten, unter dem Eindruck des Judeozids ethnischen Kriterien rückprojizierend zu viel Gewicht beizulegen oder sie gar als alleinbestimmend zu werten. Ronnie Landau hat 1992 in seinem Buch Nazi Holocaust ganz richtig darauf verwiesen, daß der „fundamentale Riß“ (fundamental divide) in der deutschen Politik nicht durch den Haß auf die Juden, sondern durch die Furcht vor und den Haß auf die radikalen Sozialisten verursacht wurde.40 Dies verdeutlicht auch das von dem Marxisten Wolfgang Abendroth überlieferte Faktum, daß seine aus der jüdischen Großbourgeoisie stammenden Mitschüler in einem Frankfurter Gymnasium zwar den politischen Mord an Walter Rathenau verurteilten, es jedoch durchaus begrüßten, daß
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die Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg „umgelegt“ worden seien!41 Jüdische Kommunisten traf ein durch den Antisemitismus potenzierter Haß. So schrieb Franz Kafka aus Anlaß eines von ihm mitgehörten Restaurant-Gespräches im Mai 1920: „Den jüdischen Sozialisten und Kommunisten verzeiht man nichts, die ertränkt man in der Suppe und zerschneidet man beim Braten.“42 Wenngleich die große Mehrheit der Juden den sich etwa in der Person von Leo Trotzki zum politischen Terror, ja zur Ermordung der „Klassenfeinde“ bekennenden Bolschewismus43 abgelehnt hat, so hat doch die christliche Welt auf die bolschewistische Bedrohung vielfach summarisch antisemitisch reagiert. Kaiser Wilhelm II. ließ sich etwa bei der Lektüre von Artikeln über den Bolschewismus Anfang 1918 spontan zu solch Kommentaren wie „Donnerwetter Judenhalunke“ oder ,Judenlümmel“ hinreißen!44 Geoffrey Aldermann ist 1989 in seinem Aufsatz über den Antisemitismus in Großbritannien zu dem Ergebnis gekommen, daß dieser auch dort als „Resultat der Furcht vor dem Bolschewismus“ florierte.45 Von diesem fatalen Wirkungszusammenhang legt nicht zuletzt das 1920 erschienene Buch The International Jew des amerikanischen Autoindustriellen Hemy Ford Zeugnis ab. Es ist nach seinem Erscheinen gleich den sog. Protokollen der Weisen von Zion vom „MID“ (Military Intelligence Division) der amerikanischen Armee in Umlauf gebracht worden46 und hat allein in den USA eine Auflage von 500.000 Exemplare erlebt!47 Ganz offensichtlich fanden die in diesen Pamphleten artikulierten Vorstellungen und Ängste Resonanz bei sehr vielen bürgerlichen und christlichen Amerikanern. Der in sechzehn Sprachen übersetzte Weltbestseller Henry Fords prangerte den Juden generalisierend als „Weltbolschewisten“ an und glaubte einen „alljüdischen Stempel auf dem Roten Rußland“ erkennen zu können. Der Autokönig brandmarkte die Juden in „hervorragendem Maße“ als „Revolutionsmacher“, speziell auch in Deutschland und Ungarn, wo Bela Kun eine „jüdische Bolschewistenherrschaft“ errichtet habe.48 Gleichsetzungs- versus Komplott-Theorie Der Internationale Jude von Henry Ford hat weltweit eine enorme Wirkung erzielt und wird im Vergleich zu den Protokollen der Weisen von Zion^9 die in sprachlich verquaster Form die Sichtweise reaktionärer südrussischer Adeliger aus der Vorkriegszeit widerspiegelten50 und ein angebliches jüdisch-
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freimaurerisches Weltherrschaftsstreben zu entlarven suchten, unterschätzt. Ford propagierte unter Bezugnahme auf oft unbestreitbare, jedoch unzulässig verallgemeinerte und zurechtgebogene Fakten die später auch von der NS-Propaganda präferierte Theorie der angeblichen „Wesensgleichheit“ von Judentum und Kommunismus bzw. Bolschewismus. Solche „Jews-equal-Bolsheviks“-Agitation läßt sich während der Zwischenkriegszeit in vielen Ländern nachweisen. Sie hat vorübergehend auch in England starke Wirkung gezeitigt. Hier wurde sie von Hilaire Belloc in seinem Buch Die Juden aufgenommen.53 Henry Ford, der Adolf Hitler unterstützt hat,54 war als Freimaurer55 ebenso wie Belloc gegen die „unsinnige These von einem feinorganisierten Komplott“56 der Maurer immun. Auch die Verschwörungstheoretikerin Nesta Webster hat 1924 in ihrem bis heute nachwirkenden Buch über geheime Gesellschaften lapidar erklärt, daß die „Theorie von einer jüdischen Weltverschwörung“ (jewish world-conspiracy) „natürlich nicht auf dem Zeugnis der Protokolle beruht“.57 Die von manchen NS-Ideologen propagierte Vorstellung, daß die Freimaurerei die „Schutztruppe des Judentums“ gebildet habe,58 galt in gut informierten Rechtskreisen als durch die Tatsachen nicht gedeckt. Vielmehr ist die Theorie von der Wesensgleichheit, die man als Variante der Kollektivschuldtheorie ansprechen kann, die eigentliche Grundlage für die auch von Nesta Webster propagierte These der „jüdischen Verschwörung“. Obgleich nur eine Minderheit der Juden Kommunisten gewesen ist, macht man so die Juden kollektiv für den Kommunismus verantwortlich.59 Wie Norman Cohn als Erforscher der Protokolle der Weisen von Zion festgestellt hat, erwies sich der Mythos von einer „jüdisch-kommunistischen Verschwörung als noch zugkräftiger als der von der jüdisch-freimaurerischen Verschwörung“.60 Die 1903 in Rußland fabrizierten Protokolle, die viele aktualisierende Bearbeitungen erlebt haben, stellen gewissermaßen eine Brücke zwischen den beiden Grundtypen der Verschwörertheorie dar. Nur für ausgemachte und sogar von vielen „Parteigenossen“ nicht ernstgenommene Ideologen wie etwa Alfred Rosenberg,61 nicht aber für politische Realisten, war die in den Protokollen beklagte „Vernichtung der Adelsvorrechte“, die „Gewaltherrschaft“ nicht identifizierbarer „jüdischer Freimaurerlogen“62 sowie schließlich die Ankunft des Antichristen ein Thema. Der Judenreferent des SD, SS-Untersturmführer Mildenstern, hat die Protokolle intern sogar als „Quatsch“ abgetan.63 Es ist jedoch unbestreitbar, daß die Protokolle oft auch von solchen Antisemiten, die nicht wirklich von ihrer Authentizität überzeugt waren, als nützlich
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angesehen worden sind. Denn sie trugen zur Dämonisierung der Juden bei, indem sie das Wirken prominenter jüdischer Bolschewisten als Bestätigung von alten Prophezeiungen hinstellten. Dies tat auch der von Ghostwritern unterstützte Henry Ford, indem er behauptete, daß die von jüdischer „Zersetzung“ handelnden Protokolle „schon teilweise Erfüllung“ gefunden hätten.64 Über Sowjetrußland gab der Detroiter Industrielle, dessen Porträt in Hitlers Münchener Arbeitszimmer hing, dieses Urteil ab: „Im Lichte der Protokolle gesehen stellt das heutige Rußland noch nicht einen Juda-Staat dar, wohl aber einen von jüdischen Streitkräften eroberten nicht-jüdischen Staat.“65 Bemerkenswert ist, daß der als Rundfunkkommentator populär gewordene Vertraute von Joseph Goebbels, Hans Fritzsche, vor dem Nürnberger Militärgericht aussagte, die NS-Propaganda habe sich auf „einseitige Tatsachen wie den Antinationalismus der Juden und die Fälle, wo Juden Kommunisten waren“, gestützt. Er habe jedoch die Protokolle nicht einen Augenblick ernst genommen.66 Allerdings ist auch bei der Bewertung der von Adolf Eichmann über seinen einstigen Chef, Professor Franz Alfred Six, in Jerusalem gemachten Aussage zu berücksichtigen, daß sich die NSFunktionäre vor Gericht bemüht haben, „aufgeklärt“ zu wirken. Nach Adolf Eichmann betrieb Six „die weltanschauliche Gegnerforschung auf rein wissenschaftlicher Grundlage ... Es ist klar, daß wir unter solch einem Amtschef Märchen wie ,Weise von Zion' oder Ritualmorde glatt von der Hand wiesen.“67 Das Dogma vom „jüdischen Kommunismus“ und der Judeozid Der erste Biograph Adolf Hitlers, Konrad Heiden, hat 1936 bei der Erörterung des Hitlerschen Dogmas vom „jüdischen Kommunismus“ betont: „Wir wollen ja nicht wissen, ob Hitler recht oder unrecht hat, sondern wie er zu seinen Ideen kam.“69 Dies ist auch das Forschungsinteresse des Autors. Zugleich geht er der Verbreitung der Vorstellung vom „jüdischen Kommunismus“ in der gesamten christlichen Welt nach. Diese zu einem Mythos gewordene Vorstellung geht keineswegs in erster Linie auf nationalsozialistische Agitation zurück, sondern wurzelt in der russischen antibolschewistischen Ideologie, die unter anderem der Deutschrusse Alfred Rosenberg nach München importiert hat.70 Wie George L. Mosse 1991 in seinem Buch Die völkische Revolution forderte, müssen die Gründe der „antijüdischen“, aber gleichzeitig auch der
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antikommunistischen „Besessenheit“ Hitlers71 untersucht werden. Dabei sind bisher vernachlässigte Motive für den ,Judeozid“72 aufzudecken und Gründe dafür zu bestimmen, warum die ersten antijüdischen Maßnahmen auch außerhalb Deutschlands viele Menschen gleichgültig ließen.73 George Mosse, ein Enkel des Begründers des Berliner MossePressekonzerns und Vorsitzenden der jüdischen Reformgemeinde in Berlin, Rudolf Mosse, stellte fest, daß das Aufkommen des Nationalsozialismus durch die „Ereignisse in München sehr begünstigt“ worden sei.74 Damit spielte er an auf die linkssozialistische Regierung Kurt Eisners und die kommunistische Münchener Räterepublik, in der jüdische Revolutionäre eine maßgebliche Rolle spielten. Dies hat Adolf Hitler in Mein Kampf dazu bewogen, die Revolution in München als „vorübergehende Judenherrschaft“ zu bezeichnen.75 Es wird meist zu wenig beachtet, daß Hitler wiederholt erklärte, daß nach seinem Sieg die „Vernichtung“ und „Ausrottung“ des Marxismus auf der Tagesordnung stände.76 So bestimmte er am 27. Februar 1925 im Münchener Bürgerbräukeller als sein Ziel: „Kampf dem Marxismus sowie dem geistigen Träger dieser Weltpest und Seuche, dem Juden.“77 Unmittelbar nach Übernahme der Kanzlerschaft legte Hitler am 3. Februar 1933 in einer Geheimrede vor hohen Militärs seine „Gesamtpolitik“ dar. Danach stand auf seinem Programm im Innern die „Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel“ und nach außen der „Kampf gegen Versailles, Gleichberechtigung“.78 Wie der Völkische Beobachter bereits am 11. August 1932 für den Fall einer Machtübernahme die „sofortige Verhaftung und Aburteilung aller kommunistischen und sozialdemokratischen Funktionäre“ gefordert hatte,79 ist dann auch tatsächlich zunächst die Arbeiterbewegung ausgeschaltet worden. Bei der „Liquidierung des Marxismus“80 stand die „Kommunistenverfolgung“ im Vordergrund. Dabei sind Funktionäre jüdischer Herkunft mit besonderem Haß gejagt und in die neueingerichteten Konzentrationslager verschleppt worden.81 Darüber hinaus wurden die Juden nach und nach aus der öffentlichen Verwaltung, der Justiz, der Anwaltschaft sowie dem Wissenschafts- und Kulturbetrieb entfernt. Eher an den traditionellen Radauantisemitismus erinnert der vom Parteiapparat der NSDAP inszenierte und am 1. April 1933 durchgeführte Pogrom. Die bei ihm verübten Ausschreitungen gegen Personen und Sachen wurden als Antwort auf die von jüdischen Organisationen im Ausland gegen das „Dritte Reich“ gerichteten Boykottaufrufe hingestellt.
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Gleichwohl sind Juden als Einzelpersonen anfänglich nur dann in die staatlichen Verhaftungsaktionen einbezogen worden, wenn es sich bei ihnen um erklärte Gegner des Nationalsozialismus handelte. Dies war der Fall, wenn ihre Namen in der SD-Übersicht „Erfassung führender Männer der Systemzeit / Marxisten-Kommunisten“ aufgeführt waren, wie zum Beispiel derjenige Felix Fechenbachs, des einstigen Sekretärs des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Als sozialdemokratischer Redakteur hatte er noch am 10. Januar 1933 im Detmolder Volksblatt den „blutigen NaziTerror“ angeprangert. Am 11. März 1933 wurde er inhaftiert und anschließend „auf der Flucht“ erschossen, das heißt ermordet.82 Der frühere KPD-Reichstagsabgeordnete Werner Scholem wurde – obgleich er bereits 1926 aus der KP ausgeschieden war – im Februar 1933 verhaftet und nach langem Leidensweg 1940 im KZ Buchenwald erschlagen. Joseph Goebbels hat Werner Scholem 1935 in seiner Rede auf dem Reichsparteitag als einen der Hintermänner der bolschewistischen „Weltvergiftung“ beschimpft. Sein Bruder Gershom Scholem, der Jerusalemer Religionsphilosoph, der ihn vergeblich zu retten versucht hatte, schrieb im April 1936 resigniert, daß Goebbels ein paar Juden brauche, an denen er zeigen kann, daß er „den Bolschewismus zertreten“ hat. Dazu sei sein Bruder „ausersehen“.83 Der politische Antisemitismus als eine Bedingung des Holocaust? In seinem Aufsatz No Hitler, no Holocaust hat Milton Himmelfarb 1984 seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß der Antisemitismus eine „notwendige“ (necessary) Bedingung für den Holocaust, jedoch keine „ausreichende“ (sufficient) gewesen sei.84 In der gleichen, vom American Jewish Committee herausgegebenen Zeitschrift Commentary veröffentlichte Jerry 2. Muller von der Catholic University of America 1988 den Aufsatz Communism, Anti-Semitism and the Jews. Unter Bezugnahme auf jüdische Revolutionäre wie Rosa Luxemburg, Leo Trotzki und andere schrieb Muller dort, daß „die Verbindung zwischen Juden und dem Kommunismus drohend auf der Geschichte des 20. Jahrhunderts lastet (loomed large)“.85 Es habe eine „perniziöse Interaktion zwischen dem rechtsgerichteten Antisemitismus und der jüdischen Unterstützung für die Revolution“ gegeben.86 Letztere habe die „Flammen des Antisemitismus entfacht“.87
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In seinem Aufsatz über den Mythos vom jüdischen Kommunismus in Osteuropa, der 1995 in den East European Jewish Affairs erschien, kam Andre Gerrits, Dozent am Osteuropa-Institut der Universität Amsterdam, zu einem ganz ähnlichen Ergebnis und stellte fest, daß es verblüffend sei, wie wenig über diesen Mythos geforscht worden ist.88 Schließlich sei er doch ein wichtiger Bestandteil der Nazi-Ideologie gewesen. Dabei wies er auch auf die erstaunliche Tatsache hin, daß Tausende von Büchern über den Antisemitismus und den Nationalsozialismus vorlägen, jedoch kein einziges über den „jüdischen Bolschewismus“.89 Für diesen bemerkenswerten Sachverhalt lieferte Gerrits selbst eine formale und eine inhaltliche Erklärung: Zum einen sei es schwierig, die verstreuten relevanten Daten zu erfassen, auch weil dazu die Kenntnis von einer ganzen Anzahl Sprachen erforderlich sei. Von größerer Bedeutung zur Erklärung der Forschungslücke sei jedoch die Tatsache, daß es sich um ein ungemein heikles – von dem Jerusalemer Historiker Jacob L. Talmon 1970 sogar als „explosiv“ bezeichnetes90 – Thema handele. Denn es verweise auf „historische Verantwortung und Schuld von Juden“ (Jewish responsibility and guilt) und stelle somit ein umstrittenes Thema dar, das mit der dominierenden Vorstellung von jüdischer Unschuld und jüdischem Leiden kontrastiere.91 Gerrits Einschätzung, daß dieses Thema tabuisiert werde und jüdische Historiker es mieden, wird in gewisser Weise auch durch das vieldiskutierte Buch Hitlers willige Vollstrecker bestätigt. Darin behauptet der Politologe Daniel Jonah Goldhagen apodiktisch, daß der „Antisemitismus nichts mit dem Handeln der Juden zu tun“93 habe. Eine ganze Anzahl seiner Kritiker hat festgestellt, daß in der Darstellung des Politologen Goldhagen die historische Dimension fehlt.94 Der Erste Weltkrieg, ohne den Auschwitz nicht erklärt werden könne,95 komme bei ihm ebensowenig vor wie der weltrevolutionäre Bolschewismus, an dem eine ganze Anzahl von Juden beteiligt gewesen seien. Der Jerusalemer Holocaust-Forscher Yehuda Bauer bemerkte einigermaßen fassungslos zum Goldhagen-Buch: „Da steht nichts von Sozialdemokraten, nichts von den Kommunisten.“96 Bauer hat als Wissenschaftler übrigens auch die „Extremposition“ des durch seinen Dokumentarfilm Shoa bekannt gewordenen französischen Filmemachers Claude Lanzmann zurückgewiesen, wonach die Frage nach dem „Warum“ des Holocaust eine „Obszönität“ sei.97 Bei solcher selektiven Präsentation von Fakten handelt es sich nach einem Marxisten um die „Austreibung der gesellschaftlichen Realität aus
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der Geschichtswissenschaft“. Goldhagen verschweige den ihm sicherlich nicht entgangenen Sachverhalt, daß Adolf Hitler nicht nur die Juden, sondern auch die Marxisten verfolgt hat.98 Immerhin bekannte Hermann Göring in Nürnberg, daß er 1933 die Konzentrationslager hauptsächlich dafür eingerichtet habe, „um die Kommunisten unter Kontrolle zu haben“.“ Ein amerikanischer Sozialist hat sich darüber empört, daß in Goldhagens Buch die sozialistische Bewegung „praktisch nicht auftaucht“. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß Goldhagen als Antwort auf die „Nazispukgestalt des ewigen Juden“ die „Spukgestalt des ewigen Deutschen, des unerbittlichen und unwandelbaren Feindes des jüdischen Volkes“ entworfen habe.100 Efraim Zuroff von der Jerusalem Post brachte die Kritik an Goldhagen sarkastisch so auf den Punkt: „Man muß Deutsche und Nazis nur gleichsetzen, und das Rätsel des 20. Jahrhunderts ist gelöst.“101 Hans-Ulrich Wehler hat dies als „Diabolisierung“ bezeichnet.102 Diejenigen, die sich der pauschalisierenden Methode der Gleichsetzung bedienen, betätigen sich mehr als Geschichtspolitiker denn als historische Aufklärer. So ist bei einer selektiven Präsentation der Fakten in einem Fall für Kommunisten kein Platz, im anderen für die Juden. Marxisten haben das Judentum nämlich ihrerseits auf das (nach Karl Marx: reaktionäre) Bekenntnis zur „jüdischen Konfession“103 reduziert und daher den nationalsozialistischen Mord an den Juden als Volk verschwiegen oder doch heruntergespielt. Für sie war die allmächtige Verschwörungsagentur das „Monopolkapital“, als deren „Manager“ Eichmann gewirkt habe!104 In dem 1993 publizierten Buch The Holocaust in the Soviet Union wird Mordechai Altshuler zitiert, der gesagt hat, daß in der Sowjetunion „eine Mauer des Schweigens bezüglich des Holocaust“ errichtet worden sei.105 Auch der seine jüdische Herkunft sorgsam verbergende Kultusminister der DDR, Alexander Abusch, gehörte zu denen, die den Antisemitismus der Nationalsozialisten zugunsten des Antikommunismus unterschlagen und die Berührungspunkte zwischen Juden und Kommunismus als nicht opportun ausgeklammert haben. Für ihn ist es lediglich der „Antikommunismus“ gewesen, der „unter Hitler und Goebbels mit seinen Gaskammern und Verbrennungsöfen für Millionen und aber Millionen Menschen seine bestialische Fratze gezeigt hat“.106
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Die kommunistische Utopie als „zweite Menschwerdung“ und Fiasko Damit die Thematik nicht verkürzt abgehandelt wird, sollen hier außer den von Antisemiten besonders hervorgehobenen düsteren Seiten des „realen Kommunismus“ auch die mit der sozialistischen Utopie verbundenen positiven Erwartungen dargestellt werden. Sie sind nämlich die Ursache dafür, daß – wie Theodor Herzl 1896 in seinem Judenstaat formulierte – sehr viele „gebildete und besitzlose Juden“ dem Sozialismus „zugefallen“ sind.107 Nach Ernst Bloch, der sich 1918 als „rassebewußter Jude“ bezeichnete, war das prometheische Unterfangen der revolutionären Marxisten nichts weniger als eine „zweite Menschwerdung“.109 Arthur Koestler, der wie viele jüdische Intellektuelle als junger Mann für die Komintern arbeitete, verwies darauf, daß es in der ungarischen Internationale heißt: „Die Vergangenheit zu tilgen ... heb den Erdball aus den Angeln.“110 In seinem Roman Das Testament eines ermordeten jüdischen Dichters urteilte der Nobelpreisträger Elie Wiesel, der Kommunismus habe versucht, „tabula rasa zu machen ... Könige und Götter vom Thron zu stürzen, um an ihre Stelle die Menschheit zu setzen“.111 Für Wiesel, der die „größte Menschenvernichtungsanlage aller Zeiten“ überlebt hat, ist solcher intolerante, dezidiert antireligiöse Kommunismus mit dem Judaismus „inkompatibel“.113 Dabei billigt er allerdings vielen Kommunisten als Gläubigen der Utopie positive Absichten zu und begegnet ihnen mit Sympathie. Es wird nicht nur von Antisemiten oft übersehen, daß sowohl bürgerliche und sozialdemokratische (menschewistische) als auch orthodoxe und zionistische Juden den Bolschewismus als „Pogromsozialismus“ verurteilt haben, so etwa Israel Helphand („Parvus“) am 18. Oktober 1919 in der sozialdemokratischen Glocke.114 Der einstige Förderer Trotzkis hatte mit der Regierung des deutschen Kaiserreichs die legendäre Eisenbahnreise von Lenin und Genossen nach Rußland arrangiert. Der im Juni 1941 in Riga von einem Gestapo-Agenten ermordete Verfasser der zehnbändigen Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Simon Dubnow, ging in seinen Erinnerungen sogar so weit, von der „furchtbaren Schuld“ zu sprechen, mit der „sich Juden durch ihre Beteiligung am Bolschewismus beladen“ hätten.115 In seinem Aufsatz Die Hebräer in der Revolution urteilte der antibolschewistische Jude L. O. Lewin vom Berliner Vaterländischen Verband russischer Juden im Auslande116 bereits 1923, daß „das Feststellen der Verantwortung der Juden für die Teilnahme an der bol-
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schewistischen Bewegung ... gewöhnlich in jüdischen Kreisen Gereiztheit (razdrashanie) und Unverständnis“ hervorrufe.117 Der Grund hierfür war die bittere und daher von manchen übergangene Erkenntnis des Moskauer Rabbiners, daß die Trotzkis die Revolution machen und die Bronsteins dafür bezahlen. Dieses vielzitierte Wort beinhaltet, daß kommunistische Extremisten dem radikalen Antisemitismus – natürlich ohne dies zu wollen – Auftrieb gegeben haben. Hans Goslars Schrift Jüdische Weltherrschaft? von 1919 Der Anfang 1945 im KZ Bergen-Belsen umgekommene und 1919 zum Pressesprecher der sozialdemokratischen Preußischen Regierung berufene Hans Goslar hat 1919 im jüdischen Riesser Verlag in Berlin die Schrift Jüdische Weltherrschaft! Phantasiegebilde oder Wirklichkeit? herausgegeben. Goslar wendete sich darin gegen nationalistische Kreise, die in den Juden einen „Sündenbock für den verlorenen Krieg“ suchten.118 Zugleich berichtet er, daß die „russische Judenheit sofort die Gefahr erkannte, daß durch die ,Herrschaft Trotzkis eine ,ungeheure antisemitische Bewegung' entfacht“ werde!119 Goslar teilte mit, daß Juden aus eben diesem Grund den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner beschworen hatten, sich in das „Privatleben zurückzuziehen“, um den Juden nicht zu schaden. Dieser habe das jedoch als „typisch weltfremder und der Wirklichkeit entrückter jüdischer Ideologe“ mit dem Argument zurückgewiesen, wenn „heute immer noch ein Unterschied zwischen Jüdischen und Nichtjüdischen gemacht werde und es noch jüdische Sonderinteressen gäbe, müsse er sagen, daß die ganze Revolution umsonst gewesen“ sei.120 Für Goslar bestand kein Zweifel, daß die jüdischen Revolutionäre „ein gewaltiges Auflodern des zur hellen Flammen angefachten Funken des Judenhasses“ provoziert haben.121 Dabei sprach er auch die „grauenhaften“, von einigen später als „kleiner Holocaust“ bezeichneten Pogrome an, bei denen im Gefolge des Ersten Weltkriegs in der Ukraine zehntausende Juden „in bestialischer Weise hingemordet worden“ sind. Trotz seiner Kritik an den Kommunisten versagte Goslar den „russisch-jüdischen Freiheitsaposteln“, welche „auch den Weg nach Deutschland gefunden hätten , nicht jedes Verständnis. Denn: „Ein Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird, sollten da nicht die Juden sich mit elementarer Wucht auf-
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lehnen?“122 Schließlich stellt Hans Goslar als Folge der weit verbreiteten Judeophobie resigniert fest: „Was der einzelne Jude Unliebsames verübt, wird stets als Jüdische' Tat, nicht als menschliche Verirrung festgenagelt.“123 Jüdische Identität und Aufarbeitung des Kommunismus Dem Verfasser dieser Untersuchung ist als Historiker und auch als langjährigem Mitglied der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bewußt, daß es sich bei der durch die Themenstellung aufgeworfenen Frage der jüdischen Identität um ein komplexes Problem handelt, das hier nur kurz angesprochen werden kann. In jedem Fall sind zur Klärung objektive und subjektive Kriterien zu berücksichtigen und zu respektieren. Als Wissenschaftler, der in amerikanischen Computerlisten Titel über jüdische Fragen unter ethnic studies abgehandelt findet, hält er sich an das in jüdischen Lexika124 praktizierte Prinzip, nach dem außer religiösen auch getaufte und atheistisch-kommmunistische Juden zu den Juden gerechnet werden. So behandelt das 1995 in New York publizierte Who is Who in Jewish History beipielsweise Isaac Deutscher, Kurt Eisner, Lasar Kaganowitsch, Bela Kun, Rosa Luxemburg, Karl Marx, Grigori Sinowjew und Leo Trotzki ausdrücklich als Juden.125 Nicht nur dort werden auch solche Personen berücksichtigt, die lediglich ein jüdisches Elternteil haben. Während nach dem überkommenen jüdischen Verständnis ein Jude bzw. eine Jüdin eine jüdische Mutter haben muß, werden in jüdischen Lexika also vielfach auch solche Personen aufgeführt, die wie Theodor Adorno lediglich einen jüdischen Vater haben. Wie vielschichtig das Problem und wie wichtig die individuelle Prägung und das jeweilige Selbstverständnis ist, mag man aus folgendem ersehen: Eleonore Marx hat sich in London als Tochter einer christlichen Mutter und eines getauften Vaters als „german jewess“127 bezeichnet und der gegenwärtige Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger begreift sich gleichzeitig als Franzose, Katholik und Jude, das heißt als Angehöriger des jüdischen Volkes!128 Viele jiddisch sprechende Ostjuden, in besonderer Weise natürlich die Zionisten, aber durchaus auch Marxisten, verstanden sich als Angehörige der jüdischen Nation. So die aus Litauen gebürtige Altkommunistin und Leninfreundin Frieda Rubiner, geb. Ichak. Sie arbeitete für die Komintern und wurde später zur Dekanin der SED-Parteihochschule „Karl Marx“
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berufen. Diese 1949 naturalisierte Sowjetbürgerin gab im Juli 1946 auf einem Fragebogen der SED ihre Nationalität als „jüdisch“ und ihre Religionszugehörigkeit als „konfessionslos“ an.129 Auch die aus einer frommen jüdischen Familie stammende und von ihrem Biographen als „jüdische Kommunistin“ angesprochene Ana Pauker, geb. Rahbinsohn, eine frühere Hebräisch-Lehrerin, die nach dem Zweiten Weltkrieg zur „Nummer zwei des rumänischen Kommunismus“ aufstieg,130 hat sich als Jüdin verstanden. Als ihr Vater, Sohn eines Rabbis und von Beruf Kantor und ritueller Schlächter, sie hart dafür kritisierte, daß sie bei der Zubereitung des Kaffees die Sabbat-Gesetze gebrochen habe, erläuterte sie ihm, daß dies gar nicht der Fall gewesen sei!131 Bei vielen bürgerlichen und sozialistischen („roten“) Assimilanten hingegen dominierte ihr Judentum“ nicht andere Identitätsmerkmale. Zu ihnen gehört Raymond Aron, bei dem der Verfasser 1962/63 am Pariser Institut d'Etudes Politiques gehört hat und der sich als „dejudaisierter“ Jude verstand.132 Sowohl als Austauschstudent in Paris als auch als research Student an der Londoner School of Slavonic and East European Studies habe ich erstmals Juden kennengelernt und bedeutende, zum Teil aus Deutschland geflüchtete jüdische Wissenschaftler wie Aron, Francis L. Garsten, Alfred Grosser, Walter Laqueur, Karl Popper und Leonard Schapiro gehört. Einige von ihnen durfte ich persönlich kennenlernen. Dabei habe ich meine anfängliche Befangenheit verloren. Besonders bewegt hat mich ein Gespräch mit dem berühmten Kunsthistoriker Sir Nikolaus Pevsner, weil er darin plötzlich vom Englischen ins heimatliche Deutsch wechselte. Ihm hatte ich ein von dem israelischen Schriftsteller Amos Elon gelobtes Heft der Göttinger Studentenzeitschrift Politicon geschickt. Darin hatte ich mit Göttinger Kommilitonen den Pogrom vom 1. April 1933 in Göttingen sowie die ,Judensäuberung“ an der Georg-August Universität erstmals dargestellt, wobei auch der Name Pevsner aufgelistet worden war. Als Deutscher, der sich intensiv mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt hat, habe ich mich auch dafür interessiert, wie Juden mit der Tatsache umgehen, daß eine jüdische Minderheit eine bedeutsame Rolle in der kommunistischen Weltbewegung gespielt hat. Inimerhin hat ein Simon Dubnow wie erwähnt von der „furchtbaren Schuld“ gesprochen, mit der sich jüdische Bolschewiki beladen hätten.134 sicherlich hat er dabei auch an Lasar Kaganowitsch gedacht, der als zweiter Mann nach Stalin eine Mitverantwortung für den Tod von Millionen
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Ukrainern trägt. Dieser Massenmord wurde 1990 von Alfred Grosser in seinem Buch Ermordung der Menschheit.. Der Genozid im Gedächtnis der Völker dargestellt. Stuart Kahan, der amerikanische Neffe von Kaganowitsch, hat seinen greisen Onkel nach dem Zweiten Weltkrieg in Moskau besucht und sich auf jiddisch mit ihm verständigt. Er bezeichnete ihn als „Teufel“ (devil), der sich gegen sein eigenes Volk gewandt habe!135 Der jetzt in Jerusalem lebende Chaim (Hans) Noll berichtet, daß sein zur kommunistischen Nomenklatura der DDR gehörender Vater sein Judentum als Marxist verleugnen mußte und eine „regelrechte Allergie“ gegen die Wörter ,Jude“ und Judentum“ hatte.136 Wenngleich Noll es als unzulässig erklärt, die „kommunistischen Juden als Protagonisten des ... Judentums“ hinzustellen, so räumt er doch eine „jüdische Mittäterschaft am Kommunismus“ ein. In diesem Zusammenhang erwähnt er den von einem jüdischen Sozialrevolutionär ermordeten Leningrader Tscheka-Chef Moisei Uritzki sowie Leo Trotzki.138 Eben diese auch von Michael Wolffsohn angesprochene Täterschaft139 hat Isaac Singer in seinem Buch Verloren in Amerika behandelt. Dort weist er darauf hin, daß „in Rußland jüdische Jugendliche auch unschuldige Menschen im Namen der Revolution gepeinigt und getötet“ haben, sogar ihre „jüdischen Brüder“.140 Die jetzt in Berlin lebende moskauer Publizistin Sonja Margolina hat 1992 in ihrem Buch Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im zwanzigsten Jahrhundert die Beteiligung von Juden am Sowjetkommunismus ganz ausdrücklich zum Thema gemacht. Sie widmete es ihrem Vater, „der Kommunist und Jude war“, und bewertet dabei die „jüdische Katastrophe“ als den „neuralgischen Punkt der europäischen Krise“. Sonja Margolina schreibt, daß „liberale Historiker und Publizisten vor der Auseinandersetzung mit dieser Frage zurückschreckten“,141 und zwar offensichtlich deswegen, weil – wie sie provozierend formuliert – Juden die „Elite der Revolution“ gestellt haben und zunächst deren „Gewinner“ gewesen seien.142 Sie geht dabei so weit, Karl Marx als „Christus der Moderne“ und Trotzki als seinen „treuesten Apostel“ zu bezeichnen.143 Dieser „Schöpfer der Roten Armee“ wird in dem vieldiskutierten Buch Tough Jews des jüdisch-amerikanischen Historikers Paul Breines als „Prototyp“ des „starken Juden“ bezeichnet.144 Der Historiograph des Antisemitismus, Leon Poliakov, gehört zu den nicht wenigen jüdischen Wissenschaftlern, die auch aus eigener Erfahrung Stereotype wie die, daß es sich bei den Deutschen allesamt um Antisemiten handele, die ein Kollektiv der „Täter“ bildeten,145 nicht gelten läßt. Er
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wurde als kriegsgefangener französischer Soldat 1940 von einem deutschen Unteroffizier auf eigene Faust in die Freiheit entlassen und hatte in der Friedenszeit, von 1921 bis 1924, als russisch-jüdisches Emigrantenkind das Goethe-Gymnasium in Berlin besucht. Poliakov berichtet, daß es in dieser durch einen deutsch-nationalen Geist geprägten Schule – im Unterschied zur Straße! – nicht den geringsten antisemitischen Zwischenfall gegeben habe!146 Bemerkenswert ist auch, daß der Trotzki-Vertraute Karl Radek für die rußlandfreundliche und keineswegs durchgängig antisemitische deutsche Rechte ein gesuchter Gesprächspartner gewesen ist.147 Er wurde 1919 im Gefängnis von Moabit von prominenten Konservativen besucht und war später in der deutschen Botschaft in Moskau ein gern gesehener Gast.148 Der für die Frankfurter Zeitung schreibende Journalist Alfons Paquet hat Radek 1919 sogar als „proletarischen jüdischen Napoleon“ gepriesen!149 Der Autor als Betroffener Alfred Grosser, den ich im Winter 1962/63 in Paris gehört habe, hat einmal bemerkt, daß der Leser ein Recht darauf hat zu erfahren, wer mit ihm spricht. So möchte ich meinen durch Herkunft und Bildungsweg geprägten Standpunkt offenlegen. Meine Hinwendung zum Studium der Geschichtswissenschaft wurde von der Katastrophe der Herrschaft Hitlers motiviert, die auf meine Kindheit einen Schatten geworfen hat. Mein 1926 in die Reichswehr eingetretener, aus einer preußischen Soldatenfamilie stammender Vater wurde nach dem 20. Juli 1944 als Anti-Nazi in Gestapo-Gefängnissen mißhandelt und unehrenhaft aus der Wehrmacht ausgestoßen. Er hatte im März 1942 östlich von Leningrad seine Gesundheit verloren und war als Kavallerist nach langem Lazarettaufenthalt Direktor des Heeresgestüts Piber in der Steiermark geworden. Seine im Sommer 1941 tausendsechshundert Mann starke Aufklärungsabteilung war im März 1942 auf Sechsundsechzig Mann zusammengeschrumpft. Ihre aus dem katholischen Rheinland stammenden Soldaten haben bei sibirischer Kälte in ihren Schneelöchern am Wolchow so über den sie alle verderbenden „Führer“ geflucht, daß sie ermahnt werden mußten, bei Besuchen vom Divisionsstab vorsichtig zu sein. Nach der Machtübernahme der Kommunisten wurde meine Familie in der sowjetisch besetzten Provinz Sachsen im Herbst 1945 verfolgt. Wir
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wurden wegen unserer „Junker“-Herkunft151 als „Todfeinde des deutschen Volkes“ angeprangert, die „endgültig aus dem Leben unseres Volkes ausgeschaltet“ werden müßten.152 So formulierte damals der für die Propaganda in der sowjetischen Zone zuständige Kommunist Jürgen Kuczynski.153 Um nicht im Speziallager des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in Mühlberg an der Elbe154 einem Ungewissen Schicksal entgegenzusehen, mußten wir flüchten. Meine Mutter wurde mit uns Kleinkindern im Thüringer Wald von einer Streife der Roten Armee aufgegriffen, jedoch von einem menschlichen russischen Offizier in die amerikanische Besatzungszone laufen gelassen und damit gerettet.155 Ich habe mich oft gefragt, was für ein Verhältnis man in meiner Herkunftswelt zu Juden hatte. Den Schlüssel liefert hierzu dieser Satz aus den Erinnerungen von Jacob von Uexküll: „Auf den frommen gesetzestreuen Juden kann man sich auch heute verlassen, aber vor einem abtrünnigen, glaubenslosen Juden soll man sich hüten.“156 Für meine kirchlich eingestellte Familie war es kein Problem, mich entgegen Boykottaufrufen im Juli 1940 in Leipzig in der Privatklinik des alten jüdischen Professors Lichtenstein zur Welt kommen zu lassen.157 Für sie wie für Millionen Deutsche galt, was ein in Auschwitz eingesetzter SS-Mann bei der Überfuhrung von jüdischen Häftlingen in ein Außenlager von Buchenwald zu Arno Lustig sagte: „Wenn ich meiner Mutter und meinem Vater erzählen würde, was hier (in Auschwitz) Tag und Nacht geschieht, würden sie nicht mehr mit mir sprechen. Wenn ich es meiner Großmutter und meinem Großvater erzählen würde, würden sie vor Scham sterben. Deshalb melde ich mich an die Ostfront. Wenn sie mich nicht gehen lassen, werde ich mich erschießen.“158 Mein väterlicher Großvater gehörte der oppositionellen Bekennenden Kirche an. Ihm hat das – wie meine Großmutter schimpfte – „braune Gesindel“ 1934 beim „Röhm-Putsch“ die Fensterscheiben eingeworfen. An seiner Beerdigung – er war im Ersten Weltkrieg Oberquartiermeister der V Armee gewesen – hat im Sommer 1938 in Berlin der kurz darauf wegen seines vergeblichen Widerstands gegen die Hitlersche Kriegspolitik zurückgetretene und dann 1944 als führender Kopf des deutschen Widerstands erschossene Generalstabschef Ludwig Beck teilgenommen. Als preußischer Monarchist gehörte er zur „Reaktion“. Mein mütterlicher Großvater Ludwig Graf Zech-Burkersroda war nach dem Zeugnis eines jugendbewegten Kommunisten, dem er von 1933-1945 zu überleben geholfen hat, „nicht der Typus des schneidigen preußischen
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Junkers, er führte sein Leben im englischen, liberalen Stil“. Er ließ nicht zu, daß an seiner Burg Goseck an der Saale die Hakenkreuzfahne gehißt wurde, weigerte sich gegenüber der örtlichen NSDAP, einem Kommunisten den Pachtvertrag zu kündigen und hat 1934 zu seinem kommunistischen Gesprächspartner gesagt: „Was die Nazis mit den Juden machen, ist unchristlich“.159 Auf ihn trifft die Charakterisierung derjenigen zu, die der S A-Oberführer Achim von Arnim in der August-Nummer 1933 des Adelsblattes angegriffen hat: Unter den Standesgenossen gäbe es einen „kaum verhüllten Haß gegen die nationalsozialistischen Führer“, sie träten „für die armen verfolgten Juden“ ein und diffamierten die Nationalsozialisten als „verkappte Bolschewisten“.160 Mein Großvater hatte einen jüdischen Freund, der für meine Mutter ein geliebter Nenn-Onkel gewesen ist. Sein Vetter Julius Graf Zech war mit einer Tochter des Reichskanzlers Theobald von Bethmann-Hollweg verheiratet und hat seinen jüdischen Freund, den Publizisten und demokratischen Politiker Gustav Stolper, mit seiner Frau auf ihrer Flucht aus Deutschland als Hausgäste in der deutschen Gesandtschaft in Den Haag beherbergt. Als der später mit der Organisation der „Endlösung der Judenfrage“ betraute SD-Chef Reinhard Heydrich im Sommer 1939 mit einer SS-Fechtmannschaft zu einem Turnier nach Holland reiste, hat sich dieser dann bald pensionierte deutsche Gesandte krank gemeldet, um den für ihn unerträglichen Heydrich nicht empfangen zu müssen.161 Nach dem Krieg erfuhr Frau Stolper von Theodor Heuss, daß ihr gemeinsamer Freund Zech von den Russen ins KZ Bautzen „verschleppt und ermordet“ worden war.162 Der spätere Generalgouverneur in Krakau, Hans Frank, gehörte als Reservist dem Potsdamer Infanterie-Regiment IR 9 an, in dessen 1935 aufgelöstem Potsdamer Schwester-Reiterregiment RR 4 mein Vater gedient hat. Was Hans Frank kurz vor seiner Hinrichtung über seine Kameraden im IR 9 sagte, galt auch für die Offiziere des RR 4: „Keiner von diesen Offizieren verstand den Antisemitismus der spezifischen Nazi-Art, den sie für verrückt erklärten. Den Rosenbergischen ,Christenkoller' verspotteten sie als ,geistige Entwicklungsstörung'. Himmler war für sie der ,blutige Dserschinski Hitlers'.“163 Um es kurz zu sagen: im Umfeld meiner Familie hat manch einer anfänglich die „nationale Erhebung“ begrüßt, rassistische Judenfeinde nach NaziArt gab es in ihr keine, allerdings die in der christlichen Welt verbreitete Uftd mit freundschaftlichen Kontakten zu einzelnen Juden vereinbare Ju-
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deophobie. Dagegen war die Feindschaft zu solchen Kommunisten, welche die „herrschende Klassen“ zu vernichten suchten, selbstverständlich. Im Fall von jüdischen Kommunisten war sie wohl auch durch einen politischen Antisemitismus akzentuiert. Bei dieser Ausprägung des Antisemitismus hat es sich nach dem Jesuitenpater Gustav Gundlach um einen „staatspolitischen“ gehandelt, den er 1930 im Lexikon für Theologie und Kirche als „erlaubt“ erklärt hat. Dabei gehe es um die Abwehr „tatsächlich-schädlicher“ Einflüsse, die Gundlach nicht nur bei der „Weltplutokratie“ und dem „Weltbolschewismus“, sondern etwa auch bei „liberal-libertinistischen“ Literaten gesehen hat.164 Der „nicht erlaubte“ Antisemitismus war dagegen nach Pater Gundlach und anderen Christen der „unchristliche, völkische und rassepolitische“! Ein vergleichbarer „erlaubter“ Antisemitismus spielte auch außerhalb Deutschlands, etwa in den Vereinigten Staaten, eine bedeutsame Rolle. So ist der gesamte zweite Band von Der internationale Jude den „jüdischen Einflüssen“ im öffentlichen Leben Amerikas gewidmet, wobei Ford zu dem erstaunlichen und alarmistisch-abwegigen Schluß gelangte, daß es „mehr Bolschewisten in den Vereinigten Staaten als in Sowjetrußland“ gäbe!165 Im puritanischen Amerika richtete sich der Antisemitismus etwa auch gegen die maßgeblich von jüdischen Produzenten aufgebaute Filmindustrie in Hollywood, die man mit „Sodom und Gomorrha“ gleichsetzte.166 Die in dem führenden deutschen katholischen Lexikon getroffene, heute peinlich und künstlich wirkende Unterscheidung zwischen einem „erlaubten“ und einem verbotenen, rassischen Antisemitismus liefert einen wichtigen Hinweis darauf, warum dem „nicht erlaubten“ Antisemitismus nicht von Anfang an entschieden entgegengetreten worden ist. Denn wie sollte der Einzelne erkennen, wo der sich „sittlicher und rechtlicher Mittel“ bedienende und die „positiv-sittlich-gläubigen Faktoren im Judentum“ angeblich stärkende Antisemitismus aufhört und der „unchristliche“ anfängt? Daß keine unüberwindbare Kluft zwischen christlichen und assimilierten jüdischen Deutschen in meiner Herkunftsfamilie bestand, dokumentieren einige „Mischehepaare“ in ihrem Umfeld, die zum Teil in der Emigration überlebt haben. Ein Vetter meiner Mutter hat eine „halb-jüdische“ Großnichte des berühmten Baron Moritz Hirsch geheiratet, der einer der größten Mäzene der Judenheit gewesen ist. Ihre jüdische Mutter überstand die Haft im KZ Theresienstadt. Meine Tante Maria Gräfin Maltzan hat im Krieg in Berlin ihren jüdischen Mann Hans Hirschel, der wie sie Schlesier
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gewesen ist, gleich anderen Juden unter Lebensgefahr versteckt und gerettet. Ihre Erinnerungen sind verfilmt worden. Einer meiner Onkel wurde nach einer Denunziation mit einem Schauprozeß überzogen. Über ihn hat die Königsberger Allgemeine Zeitung am 10. März 1940 unter der Überschrift „Reaktionärer Landwirt ins Zuchthaus“ folgendes berichtet: „Ludwig Rogalla von Bieberstein ist zu einem Jahr Zuchthaus und zu zwei Jahren Ehrverlust“ verurteilt worden. Denn er sei als „hartnäckiger Reaktionär bekannt und macht daraus kein Hehl, daß er gegen die heutige Staatsform und damit gegen den Nationalsozialismus eingestellt ist. Schon lange war er für sein staatsfeindliches Verhalten reif, durch die Stimme des Volkes abgeurteilt zu werden“. Der „saubere Herr v. B.“ habe Weihnachten 1939 seine polnischen Gefangenen mit Braten, bunten Tellern und Tabakwaren bewirtet, „aus Prinzip“ den Deutschen Gruß verweigert sowie die Fahne des Dritten Reiches provozierend nur am Giebel eines Stalles aufgezogen. Am 4. August 1940 hing er tot an einem Fensterkreuz des ostpreußischen Zuchthauses Wartenburg. Sein Hof wurde vom NS-Staat zur Abschreckung eingezogen. Was den „Rassismus“ anbetrifft, nach dem für NS-Ideologen auch die Slawen „Untermenschen“ gewesen sind, so merke ich an, daß ich aus einer unter Friedrich dem Großen in die preußische Armee eingetretenen masurisch-polnischen Adelsfamilie stamme. Als ich 1997 in Krakau bei der Tagung über das Juden-Vorurteils-Stereotyp anmerkte, daß ich dasselbe Rogal(l)a-Wappen trüge wie der Verfasser der polnischen Nationalhymne, Josef Wybicki, haben mich die Polen halb zu den ihren gerechnet. Die These von der jüdisch-kommunistischen Verschwörung Als Verfasser der 1992 neu aufgelegten Doktorarbeit Die These von der Verschwörung 1776-1945. Philosophen, Freimaurer, Juden, Liberale und Sozialisten als Verschwörer gegen die Sozialordnung habe ich eine als Standardwerk geltende Untersuchung167 zu der in Reaktion auf Aufklärung und Französische Revolution erfolgten Entstehung der These von der freimaurerischen Verschwörung vorgelegt. In diese angebliche Verschwörung wurden seit Beginn des 19. Jahrhunderts als Drahtzieher auch Juden eingebaut. Die humanitären Freimaurer haben einen Beitrag zur Eingliederung assimilierter Juden in die bürgerliche Gesellschaft geleistet. Deshalb wurden sie
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nach der Devise „cui bono“ als „Schutztruppe des Judentums“ und „künstliche Juden“ verunglimpft. Es ist allerdings kein Zufall, daß außer Ludwig Borne und Heinrich Marx,170 dem Vater von Karl Marx, auch Moses Heß einer Freimaurerloge angehörte. Auf christlicher Seite sind in Deutschland zum Beispiel Christian Dohm, der 1781 die berühmte Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden verfaßt hat, sowie der Staatskanzler Hardenberg, der 1812 die preußischen Juden befreit hat, Freimaurer gewesen.171 Durch mein Buch lernte ich Leon Poliakov kennen. Er hat es in seiner Geschichte des Antisemitismus als „bedeutenden Beitrag“ erwähnt172 und mich zu einem Referat nach Paris ins Maison des Sciences de PHomme eingeladen. In der Leon Poliakov gewidmeten Festschrift hat Pierre Nora meine These von der Verschwörung als „die einzig wahre ,Geschichte' des KomplottThemas“ bezeichnet.173 Über meine Forschungen habe ich außer in Brüssel, Innsbruck, Paris und Warschau im Jahre 1977 auf Einladung der Deutschen Botschaft in Israel referiert. Mein im Seminar von Professor Yehuda Bauer in der Hebräischen Universität zu Jerusalem auf englisch gehaltenes Referat ist unter dem Titel The story of the Jewish-masonic conspiracy, 1116-1945 in der Zeitschrift Patterns of Prejudice veröffentlicht worden, die vom Londoner Institute of Jewish Affairs herausgegeben wird. Auch weil ich als Experte der Verschwörer-Theorie wiederholt aufgefordert worden bin, Referate zu halten und Beiträge zu Sammelwerken und Lexika zu liefern,175 hat mich das Thema nicht losgelassen. Während Armin Pfahl-Traughber 1993 eine Untersuchung über den „antisemitisch-antifreimaurerischen Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat“ vorgelegt hat,176 habe ich mich seit Jahren auf die Erforschung der angeblichen jüdisch-kommunistischen Verschwörung konzentriert. Sie hat diejenige von der freimaurerisch-jüdischen abgelöst und überlagert. Bereits bei der Publikation der „Verschwörerthese“ mußte ich die Erfahrung machen, daß man sich nicht bei allen beliebt macht, wenn man heikle Dinge dokumentiert. So mußte ich es vor einem Vierteljahrhundert erleben, daß mir gesagt wurde, meine These von der Verschwörung könnte nur dann in einer angesehenen wissenschaftlichen Reihe erscheinen, wenn ich das Schlußkapitel „Die Verwendung der Verschwörungsthese durch Katholizismus und Rechtsradikalismus“ wegließe! Dies hat Norman Cohn so verstimmt, daß er dieses Ansinnen als »disturbing and surprising« wertete.177
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In diesem Kapitel habe ich den Nachweis dafür erbracht, daß die von vielen für eine Nazi-These gehaltene Vorstellung von einem freimaurerischjüdischen Komplott unmittelbar auf christliche Gegner der Französischen Revolution zurückgeht.178 Der Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ als Tabu-Thema Auch mit der Erforschung der jüdisch-kommunistischen Variante der Verschwörer-These, speziell der Feststellung der Ursachen für die Entstehung des Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ betritt man schwieriges Gelände. Und zwar deswegen, weil viele „nichtjüdische Juden“, wie der Trotzki-Biograph Isaac Deutscher die Kommunisten jüdischer Herkunft nennt, tatsächlich eine welthistorische Rolle gespielt haben.179 Als ich Professor Yehuda Bauer das Manuskript meines Vertrages180 nach Jerusalem zuschickte, den ich im Herbst 1997 im Jüdischen Kulturzentrum von Krakau auf der polnisch-deutsch-jüdischen Tagung „Vorurteile überwinden“ über dieses heikle Thema gehalten habe, antwortete er mir, daß er mit meinen Thesen im allgemeinen übereinstimme. Er fugte aber hinzu, daß meine richtige Zurückführung des antikommunistischen Antisemitismus auf die historischen Realitäten von manchem mißverstanden werden könnte. Diesen Hinweis habe ich ernstgenommen und mich durch eine differenzierende Darstellung darum bemüht, Mißverständnissen zu begegnen. Zu dem Zweck bin ich besonders gründlich der Frage nachgegangen, warum viele Juden Sozialisten und Kommunisten geworden sind. Dabei stieß ich auf die plausible, die historischen Wìrkungszusammenhänge anschaulich erklärende Teufelskreis-These des Literaturnobelpreisträgers Isaac B. Singer. Mein damals bereits verstorbener langjähriger Gesprächspartner Leon Poliakov hatte mir bereits am 31. März 1994 zu einem Bericht über den Stand meiner Forschungen geschrieben: „Alles darin ist richtig. ,Verschämte' Juden werden sich entsetzen. Aber dem Judentum an sich leisten Sie einen Dienst.“ Die von Poliakov vorhergesagte Reaktion hat der Geschichtsprofessor Anio Mayer von der Universität Princeton schon erleben müssen, der 1940 818 Kind mit seiner jüdischen Familie aus Luxemburg nach Amerika geflüchtet ist. In seinem Buch über den Rußland-Feldzug des „Dritten
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Reiches“, der als Kreuzzug gegen den „jüdischen Bolschewismus“ hingestellt worden ist, hat er die Komponente des antikommunistischen politischen Antisemitismus herausgearbeitet. Dabei gelangte er zu dem ernsthaft nicht bestreitbaren Ergebnis, daß „den Juden ein Strick daraus gedreht“ wurde, daß viele von ihnen zu Wortführern „des sozialen und politischen Radikalismus“ gehört haben.181 Dieses Forschungsergebnis paßte dem Doktoranden Daniel Jonah Goldhagen nicht ins Konzept. Er ging so weit, dem hochangesehenen Mayer „falsch Zeugnis“ nachzusagen und warf ihm vor, daß für ihn der rassistische Antisemitismus nur „subsidiär“ gegenüber dem politischen sei.182 Somit machte er aus der Frage nach der historischen Wahrheit eine des Wohlverhaltens.183 Für solche, denen es nicht so sehr um wissenschaftliche Ursachenerkenntnis, als vielmehr ums Erinnern geht und die bezüglich des Völkermords an den Juden ein „symbolisch liturgisches Gedenken“ fordern, um eine „liturgische Verinnerlichung“ im „kollektiven Gedächtnis“ zu erzielen,184 vermag eine Analyse historischer Wirkungszusammenhänge als – überhaupt nicht beabsichtigte – Störung einer Gedenkveranstaltung erscheinen. Der Autor als Christ, Spürhund und Dokumentär Dem Verfasser ist im Herbst 1997 beim gedankenschweren Gehen jiber die Rampe in Auschwitz-Birkenau unwillkürlich dieses Wort aus dem im christlichen Gottesdienst abgelegten Glaubensbekenntnis in den Sinn gekommen: „Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Aus meiner Sicht muß jedermann für dasjenige einstehen, was er zu verantworten hat. Kurz zuvor hatte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, die Tagungsteilnehmer im Begegnungszentrum von Auschwitz in Übereinstimmung damit an das den Juden und Christen gemeinsame Bibelwort erinnert: „Wo warst Du Adam?“ Ich zähle mich zu jenen unter den Christen und Juden, für die das unsägliche Verbrechen des Judenmords kein „Grundpfeiler“ einer „säkularen Religion“ sein kann. Solch eine im Entstehen begriffene Säkularreligion macht der Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität bei vielen aus.185 Am 15. Juni 1993 habe ich in der Bielefelder Universität sein Referat Die „Mythologisierung“ des Holocaust in der
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Israelischen Gesellschaft gehört, das den Hintergrund der Goldhagen-Debatte ausleuchtet. In den Vereinigten Staaten hat Peter Novick solche „Sakralisierung des Holocaust“ untersucht.186 Bei solcher metahistorischen Einordnung des Völkermords ist zu beachten daß sie Vergleichsperspektiven eröffnet, die mir durch das Begehen der Mordstätte in Birkenau noch fremder geworden sind. Als ein der nüchternen Aufklärung verpflichteter Historiker und Sozialwissenschaftler verzichte ich bei meiner auf die Aufdeckung von Fakten gerichteten Arbeit auf geschichtstheologische Konstruktionen. Gleich dem von den Nationalsozialisten als Jude verfolgten Soziologen Norbert Elias, den ich im Bielefelder Zentrum für Interdisziplinäre Forschung erlebt habe, verstehe ich mich als „Mythenjäger“, der wissen möchte, „wie die Dinge zusammenhängen“ und dabei „Wunschdenken enthüllt und Verschleierungen entdeckt“.187 Für mich gilt dieser Grundsatz meines Zweit-Doktorvaters, des einstigen Direktors des Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte, Rudolf Vìerhaus: „Moralische Betroffenheit und globale Verurteilung ersetzen keine wissenschaftliche Analyse und schaffen keine Erkenntnis.“188 Die Tatsache, daß meine These von der Verschwörung noch nach einem Vierteljahrhundert als grundlegend gilt, war mir als Historiker und wissenschaftlicher Bibliothekar ein Ansporn, viele Jahre zu recherchieren und damit solche Kärrnerarbeit zu leisten, die den meisten in der Hektik des modernen, auf rasche Ergebnisse ausgerichteten Wìssenschaftsbetriebes nicht möglich ist. An mein Thema gehe ich auf empirische, historisch-sozialwissenschaftliche Weise heran, die der „metahistorischen-theologischen Position“ entgegensteht. Letztere ist nach dem Buch von Heien Fein über die soziologischen Perspektiven des Holocaust für diejenigen189 charakteristisch, die den Menschen eine schon festliegende Botschaft vermitteln möchten und dabei das weglassen, was der politischen Absicht nicht dienlich ist. Als ich 1964/65 in London studierte, habe ich mit einem Göttinger Mitstipendiaten, der wie ich damals ein Anhänger von Willy Brandt war, an einem Wochenende das pompöse Grabmal von Karl Marx im Highgate Cemetery aufgesucht. Von ihm ließ ich mich dazu anregen, an der London Scbool of Economics eine Vorlesung des gebürtigen Wiener Philosophen Karl Popper zu hören, der den kritischen Rationalismus begründet hat. Über dem Eingang dieser Hochschule steht die Devise „Facts will make you free“. Es handelt sich dabei um eine modifizierte Fassung des Verses aus dem Johannes-Evangelium „Die Wahrheit wird euch frei machen.“
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In seinem Buch Medien-Tabus und Kommunikationsverbote hat Hans Wagner zwei entgegengesetzte Typen von Autoren ausgemacht, nämlich den des „Spürhunds“ und den des „Missionars“.190 Ich rechne mich zu dem ersten Typus. Bei meiner Suche nach der geschichtlichen Wahrheit konzentrierte ich mich auf die Herausbildung von Vorstellungen und Motiven, welche den Mord an den Juden begünstigt und ermöglicht haben. Dabei fand ich wiederholt das Wort von Egon Erwin Kisch bestätigt: „Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantastischer als die Sachlichkeit.“191 Erst bei meinen Recherchen fand ich heraus, daß dieser aus einer jüdischen Prager Familie stammende „rasende Reporter“ Ende 1918 in Wien Kommandant der „Roten Garde“ gewesen ist. „Jüdische Verschwörung“ und Teufelskreis Als meine Aufgabe habe ich es angesehen, die These von der jüdischen Verschwörung zu erforschen. Diesen „Mythos“, der nach der AntíDefamation League das „Denken Hitlers durchtränkt“192 hat, möchte ich analysieren und dabei im Sinne von Karl Popper die Teufelskreis-These verifizieren oder falsifizieren. Diese hat der 1904 in Polen geborene, 1935 in die USA ausgewanderte und 1978 mit dem Nobelpreis ausgezeichnete jiddische Schriftsteller Isaac B. Singer 1950 in seinem Roman Die Familie Moschkat mit schlichten Worten so dargelegt: Ein polnischer Polizeioffizier fragt den Herrn Janowar, warum „die Zahl der jüdischen Kommunisten erstaunlich groß“ ist. Er erhält die Antwort: „Das, mein Herr, erklärt sich aus der unglücklichen Lage, in der wir Juden uns befinden.“ Singer präsentiert dann durch den Mund von Janowar diese These: „Antisemitismus erzeugt Kommunismus.“ Darauf der polnische Offizier: „Angenommen, das stimmt, sind sich die führenden jüdischen Persönlichkeiten eigentlich klar darüber, daß die Hinwendung der jüdischen Massen zum Kommunismus einen zehnmal, ja hundertmal heftigeren Antisemitismus heraufbeschwört?“ Janowar antwortet: „Auch das wissen wir. Es ist ein Teufelskreis.“193 Diese These begegnet uns in differenzierterer Form in dem 1958 veröffentlichten Dreyfus-Buch des Journalisten Siegfried Thalheimer. Dieser hat nach seiner Rückkehr aus der Emigration in Bayern als Privatgelehrter gelebt. In seiner Untersuchung bezeichnet Siegfried Thalheimer die Juden
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als ,Enterbte der bürgerlichen Gesellschaft“, die in revolutionären Parteien Sicherheit gesucht hätten. In Wahrheit jedoch habe sie „diese von ihnen nicht gesuchte, aber vom Schicksal aufgezwungene Bundesgenossenschaft auf das höchste“ gefährdet. Denn der überkommene, aus dem religiösen Gegensatz geborene Judenhaß sei noch überaus lebendig gewesen und habe sich „ohne weiteres mit der Feindschaft gegen die Revolution“ verbunden. So sei ein „doppelt genährter Haß“ entstanden, welchen Hitler „zum hauptsächlichen Motor seiner revolutionären Bewegung“ gemacht habe.194 Um noch einen dritten jüdischen Zeugen zu nennen, sei hier auf Arnold Zweig verwiesen, der bereits 1920 in der von Martin Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude schrieb: „Der Antisemitismus kann in Haß umschlagen ... wenn er (der Jude) als Träger einer allgemeinen geistigen Bewegung oder Haltung zu Recht oder Unrecht hingestellt wird, die der antisemitisch gestimmten Großgruppe entgegengesetzt, feindlich, haßerregend, seinsbedrohend ist oder scheint.“ Dabei hat Arnold Zweig auf die Beteiligung „breiter jüdischer Schichten am demokratischen Sozialismus und einer Anzahl führender Einzelner am Bolschewismus“ ausdrücklich hingewiesen.195
Anmerkungen
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Arthur Hertzberg: Wer ist Jude? München 2000, S. 265. Bd. 8. Worms 1988, S. 183. Nicholas Goodrich-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Graz 1997, S. 149 f. Gregor Schwartz-Bostunitsch: Die Bolschewisierung der Welt. München 1929. S. 28. Richard Pipes: Jews and the Russian Revolution. In: Polin vol. 9/1996, S. 55-57 (Zitat: S. 55); vgl. auch: Armin Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Wien 1993, S. 114. 6 Maxime Steinberg: La piste ,judéo-bolchevique'? In: Yannis Thanassekos u. Heinz Wismann (Hrsg.): Révisions de Phistoire. Totalitarismes, crimes et génocides nazis. Paris 1990, S. 175-186 (Zitat: S. 184). 7 The Jews and the European Crisis 1914-1921. Studies in contemporary Jewry IV. New York, Oxford 1988, *• 15 ff. 8 Fritz Stern: Gold und Eisen. Frankfurt/M. 1978, S. 640. 9 Manès Sperber: Sieben Fragen zur Gewalt. München 1983, S. 97. 10 Martin Buber: Briefwechsel. Bd. II (1918-1938). Heidelberg 1973, S. 15. zit. nach der deutschen Ausgabe: 11 Hammer, Sichel, Davidstern. Judenverfolgung in der Sowjetunion. Berlin 1992, S. 29. 12 In: Franz Werfel: Zwischen oben und unten. München 1975, S. 322 f. 13 Walter Grab (Hrsg.): Juden und jüdische Aspekte in der Arbeiterbewegung. Tel Aviv 1977, S. 58. 14 Die Postkarte wurde abgebildet am 11. 1. 1994 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 15 Vgl. Der Jude. (Hrsg. Martin Buber) 3 (1918/19), S. 62-68, wo anläßlich des 100. Geburtstags von Marx gezeigt wird, daß das Judentum das Recht habe, „Karl Marx als Blut von seinem Blut und Geist von seinem Geist“81 zu feiern“.
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16 Adolf Böhm: Die Zionistische Bewegung bis zum Ende des Weltkrieges. Tel Aviv 21935, Bd. I, S. 360. 17 Jaff Schatz: The Generation. The rise and fall of thejewish communists in Poland. Berkeley 1991, S. 11 £ 18 Steven Aschheim: Brothers and strangers. The east european Jew in german and german-jewish consciousness 1800-1923. Madison, Wìsc. 1982, S. 157. 19 4(10. 12. 1919)5, S. 96. 20 Richard G. Powers: The history of American anticommunism. New York 1995, S. 137. 21 Berlin 1923 (bzw. Reprint Paris 1978), S. 6. 22 Neal Gabler: An empire of their own. How the Jews invented Hollywood. New York 1989. S. 319. 23 Markus Wehner: Neue Archivstudien über das Wirken der „Komintern“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. 09. 1996. 24 Vgl. z. B. Heiner Lichtenstein und Otto R. Romberg: Täter – Opfer – Folgen. Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart. Bonn 1995, S. 7: „Der Völkermord an den Juden war die Konsequenz des Rassenwahns.“ 25 Peter Longerich: Propaganda im Krieg. München 1987, S. 82. 26 Hans-Ulrich Ludewig: Arbeiterbewegung und Aufstand 1920-1923. Husum 1978, S. 165. 27 Zumindest gilt dies für diejenigen, die im Oberstufen-Geschichtsunterricht in Nordrhein-Westfalen einsetzt werden. 28 Sigrid Koch-Baumgarten: Die Märzaktion der KPD 1921. Köln 1987, S. 52 ff. 29 Viktor Serge: Memoirs of a revolutionaiy 1903-1941. Ed. Peter Sedgwick. Oxford 1963, S. 158. 30 Sigrid Koch-Baumgarten: Die Märzaktion der KPD 1921. Köln 1987, S. 52 ff. 31 Leipzig, Wien 1919, S. 25. 32 Ebenda, S. 11 f. 3 3 Donald Davianu: Hermann Bahr und der Antisemitismus. In: Literatur und Kritik 1988, S. 26 (Interview von 1894). 34 Leopold Trepper: Die Wahrheit. Autobiographie. München 1978, S. 72. 35 Eugen Hoeflich: Tagebücher. Wien 1999, S. 361, Anm. 341. 36 In: Sozialismus, Revolution und Judenfrage. Leipzig 1919, S. 28. 37 Mark Levene: War, Jews and the new Europe. Oxford 1992, S. 212. 38 Zosa Szajkowski: Jews, wars and communism. Vol. II. New York 1974, S. 153. 39 In: Bolschewismus, Fascismus und Demokratie. München 1926, S. 69. 40 Ronnie Landau: The Nazi Holocaust. London 1992, S. 83. 41 Antifaschismus. Dialektik 7. Beiträge zur Philosophie u. Wissenschaften. Hrsg. Hans-Heinz Holz. Köln 1983, S. 92. 42 Franz Kafka: Briefe 1902-1924. Gesammelte Werke, Bd. 3. Frankfurt/M. 1958, S. 275. 43 Leo Trotzki: Terrorismus und Kommunismus. Hamburg o. J. (1920). 44 Winfried Baumgart: Deutsche Ostpolitik 1918. Wien 1966, S. 67. 45 Geoffrey Aldermann: Antisemitism in Britain. In: Jewish Journal ofSociology 1989, S. 125-130 (Zitat = abstract aus der Sociofile-Datenbank). 46 Joseph W. Bendersky: Thejewish threat. Anti-Semitic politics of the US Army. New York 2000, S. 136 ff. 47 Armin Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Wien 1993, S. 38 f. 48 Henry Ford: Der internationale Jude. Bd. 1. Leipzig o. J. (151922), S. 28, 182, 186. 49 Michael Hagemeister: Der Mythos der „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Ute Caumanns u. Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Osnabrück 2001, S. 89-101. 50 Ebenda. 51 Jutta Sywottek: Mobilmachung für den totalen Krieg. Opladen 1976, S. 107. 52 So Sharman Kadish in: Jews and the European Crisis. Studies in Contemporary Jewry. An Annual. 4 (1988), S. 97. 53 München 1927, S. 45. 54 James Pool: Hitlers Wegbereiter zur Macht. Bern 1979, S. 80 ff.
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55 Daniel Pipes: Verschwörung. München 1998, S. 205. 56 vgl. Hilaire Belloc: Die Juden. München 1927, S. 118, wo dieses Komplott als „offensichtlicher Unsinn“ bezeichnet wird. 57 Nesta H. Webster: Secret societies and subversive movements (1924). Reprint: Rando Palos Verdes, Gal.o.J,S.382. 58 Helmut Neuberger: Die Freimaurerei und der Nationalsozialismus. Bd. l, Hamburg 1980, S. 315 – so Völkische Beobachter am 16. 1. 1930. Vgl. Ralf Melzer: Konflikt und Anpassung. Freimaurerei in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“. Wien 1999. 59 Vgl. Hans Habe: Ich stelle mich. München 1986, S. 473: „Der ganze Antisemitismus, der rassische im besonderen, basiert auf einer Kollektivschuldlüge.“ 60 Norman Cohn: Die Protokolle der Weisen von Zion. Köln 1969, S. 157. 61 Er hat eine Bearbeitung der „Protokolle“ herausgegeben (München 1923, 25. Tsd.), in welche die revolutionären Aktivitäten von Karl Radek und Grigori Sinowjew aktualisierend eingearbeitet sind. So wird dort auf S. 43 der Auftritt von Sinowjew auf dem USPD-Parteitag in Halle erwähnt. 62 Gottfried zur Beek (d.i. Hauptmann a.D. Müller von Hausen): Die Geheimnisse der Weisen von Zion. München 231939, S. 27 u. 40. 63 Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Gütersloh 1976, S. 302. 64 Henry Ford: Der internationale Jude. Leipzig 201922, S. 114. 65 Ebenda, S. 149. 66 Gustave M. Gilbert: Nürnberger Tagebuch. Frankfurt/M. 1962, S. 262. 67 Lutz Hachmeister: Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six. München 1998, S. 157. 68 Ulrich Höver: Joseph Goebbels. Bonn, Berlin 1992, S. 208. 99 Konrad Heiden: A. Hitler. Bd. 1. Zürich 1936, S. 89. 70 Walter Laqueur: Deutschland und Rußland. Berlin 1965, S. 99 ff. 71 George L. Mosse: Die völkische Revolution. Frankfurt/M. 1991, S. 309. 72 Arno Mayer: Der Krieg als Kreuzzug. Reinbek 1989, S. 7. 73 John Lukacs: Die Entmachtung Europas. Stuttgart 1978, S. 351. 74 George L. Mosse: Die völkische Revolution. Frankfurt/M. 1991, S. 251. 75 Adolf Hitler: Mein Kampf. München 336-340 1938, S. 226. 76 Hans-Günter Richardi: Schule der Gewalt. Das Konzentrationslager Dachau 1933-1934. München 1983, S. 31. 77 Robert Wìstrich: Der antisemitische Wahn. Ismaning 1987, S. 60. 78 Gotthard Jasper: Die gescheiterte Zähmung. Wege zur Machtergreifung Hitlers 1930-1934. Frankfurt/M. 1986, S. 156. 79 Johannes Tuchel: Konzentrationslager. Boppard 1991, S. 37. 80 Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Berlin 1987, S. 907. 81 Peter Longerich: Politik der Vernichtung. München 1998, S. 25 f. 82 Hermann Schueler: Auf der Flucht erschossen. Felix Fechenbach. Köln 1981. 83 Art Scholem, Werner. In: MdR. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Düsseldorf31994. 84 in: Commentary (1988) 77, S. 37-43. 85 in: Commentary (1988) 86, S. 28-39 (Zitat: S. 28). 86 Ebenda, S. 28. 87 Ebenda, S. 39. 88 André Gerrits: Antisemitism and anti-communism. The myth of Judeo-Communism in Eastern Europe'. In: East European Jewish Affairs (1995) 25 , S. 49 (-72). 89 Ebenda, S. 70. 90 Jacob L. Talmon: Jews between revolution and counter-revolution, In: ders.: Israel among the nations.
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London 1970, S. 1-81 (Zitat: S. 2). 91 Ebenda, S. 71; vgl. hierzu den Bericht des deutschen Diplomaten Wolf Calebow: Auf dem Weg der Normalisierung. 15 Jahre Dialog mit amerikanischen Juden. Berlin 1999, S. 114 f., wo Calebow ausführt, daß im Umfeld des US Holocaust Memorial Council ein „Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-Wollen der Tatsache der Existenz deutschen Widerstandes“ zu beobachten sei und ein „differenziertes Deutschlandbild während der NS-Zeit“ als „nicht hilfreich“ angesehen werde. 92 Ebenda, S. 52. 93 Berlin 1996, S. 61; Peter Novick weist in seinem Buch: The holocaust in American life. New York 1999, auf S. 94 darauf hin, daß jüdische Organisationen nach dem Krieg „die Assoziation von Juden und Kommunisten im öffentlichen Bewußtsein“ zu verhindern (prevent) oder zumindest zu begrenzen (limit) suchten. 94 So Fritz Stern, der das Goldhagen-Buch als „Potpourri von Halbwahrheiten“ und „beabsichtigte Provokation“ charakterisiert und Goldhagen vorwirft, daß er aus der Literatur nur dasjenige heraussuche, was „für seine These nützlich ist“ und anschließend „die Originalität seiner eigenen Version“ feiere. Vgl. Fritz Stern: Renommierter US-Historiker kritisiert Qualität des Buches „Hitlers willige Vollstrecker“. In: Welt am Sonntag Nr. 44 vom 3.11. 1996. 95 Yehuda Bauer: A history of the Holocaust. New York 1982, S. 59. 96 Ron Rosenbaum: Die Hitler-Debatte. München 1999, S. 536. 97 So Rudolf Walther in seiner Rez. von Ron Rosenbaum: Die Hitler-Debatte (1999) in: Tages Anzeiger (Zürich) vom 7. 8. 1999. Solch eine Präsentation der Geschichte liegt auf derjenigen Linie, die der Londoner Politologe Sebastian Borger Anfang 2001 in seiner Besprechung des Buches von Peter Novick Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord (in: Süddeutsche Zeitung vom 12. 2. 2001, S. 13) folgendermaßen charakterisiert hat: „Selbst das der historischen Wahrheit verpflichtete Washingtoner Holocaust Museum löschte die Kommunisten aus seiner Erinnerung.“ Tatsächlich hatten Sicherheitspolizei und SS 1941 bei der Besetzung Weißrußlands die Weisung gehabt, alle Kommunisten und Komsomolzen ohne jedes Verfahren zu erschießen. Vgl. Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland. Hamburg 1999, S. 1055-1060 = Kap. 10.1: Kommunisten, städtischer Widerstand und „Ostmenschen“. 98 Klaus Mewes: Goldhagen oder die marxistische Bescheidenheit. In: Marxistische Blätter 1997, S. 82-84. 99 Gustave M. Gilbert: Nürnberger Tagebuch. Frankfurt/M. 1962, S. 262. 100 David North: Antisemitismus, Faschismus und Holocaust. Essen 1997, S. 11 f. 101 In: taz vom 7. 8. 1996; vgl. die vom Büro des Jüdischen Europäischen Kongresses formulierte Schuldthese: „Dieses Deutschland muß heute und für alle Ewigkeit seine Kollektivschuld gegenüber dem Holocaust und seinen Opfern anerkennen“ – zit. nach: Konrad Löw: Im heiligen Jahr der Vergebung. Wider Tabu und Verteufelung der Juden. Zürich 1991, S. 9. 102 Zit. in: Goldhagen – ein Quellentrickser? In: Der Spiegel Nr. 33 vom 11. 8. 1997, S. 156. 103 Walter Mohrmann: Antisemitismus. Berlin 1972, S. 26. 104 So Jürgen Kuczynski im Jahre 1961, zit. nach: Bernhard Moltmann (Hrsg.): Erinnerung. Zur Gegenwart des Holocaust in Deutschland-West und Deutschland-Ost. Frankfurt/M. 1993, S. 55. 105 Lucjan Dobroszycki (Ed.): The Holocaust in the Soviet Union. New York 1993, S. 6. 106 Alexander Abusch: Kulturelle Probleme des sozialistischen Humanismus. Berlin 1967, S. 666 – das Zitat stammt aus dem Aufsatz: „Die nationale Aufgabe der sozialistischen Kultur in der DDR“ von 1963. 107 Theodor Herzl: Der Judenstaat. Leipzig, Wien 1896, S. 22. 108 Zit. nach: Uwe Backes u.a. (Hrsg.): Die Schatten der Vergangenheit. Frankfurt/M. 1990, S. 97. 109 Ernst Bloch: Karl Marx. Frankfurt/M. 1968, S. 13. 110 Arthur Koestler: Als Zeuge der Zeit. München 1983, S. 38. 111 Freiburg i. Br. 1991, S. 183. 112 Rudolf Höß: Kommandant in Auschwitz. München 1963, S. 124. 113 Zit. nach: Matthias Messmer: Die Judenfrage in der Sowjetunion. Konstanz 1992, S. 70. 114 Uli Schoeler: Despotischer Sozialismus oder Staatssklaverei. T. 1. Münster 1990, S. 446.
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Simon Dubnow: Mein Leben. Berlin 1937, S. 224. Karl Schlögel: Russische Emigration in Deutschland 1918-1941. Berlin 1995, S. 120 f. In: Rossija i Evrei. Berlin 1923, S. 121. Hans Goslar: Jüdische Weltherrschaft! Phantasiegebilde oder Wirklichkeit? Berlin 1919, S. 3. Ebenda, S. 19 f. Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 21 f. Ebenda, S. 24 f. Ebenda, S. 32. Neben der Encyclopaedia Judaica (Jerusalem 1971) seien hier genannt das Who's Who in Jewish History (New York 21995) und die Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918-1945 von Joseph Walk, München 1988. 125 Joan Comay (Hrsg.): New York, London 1995. 126 So auch die vom Jerusalemer Leo Baeck Institute herausgegebene Arbeit von Joseph Walk: Kurzbiographie zur Geschichte der Juden 1918-1945, München 1988, wo auf S. VII gesagt wird, daß auch die getauften Juden und „Mischlinge“ berücksichtigt werden. 127 Edmund Silberner: Eleonore Marx. In: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte. Tel Aviv VI (1977), S. 259-295. 128 Jean-Marie Lustiger: Gotteswahl, Jüdische Herkunft. München 1992, S. 30. 129 Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Köln 2000, S. 129. 130 Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim: Ebrei invisibili. Milano 1995, S. 4. 131 Robert Levy: Ana Pauker. The rise and fall of a Jewish communist. Berkeley, Cal. 2001, S. 181. 132 Raymond Aron: Mémoires. Paris 1983, S. 501. 133 Amos Elon: In einem heimgesuchten Land. Reise eines israelischen Journalisten in beide deutsche Staaten. München 1966. Auf S. 338 bescheinigt Elon Politicon, daß es „mit Mut und Witz der jungen Redakteure an Inhalt und Niveau den Vergleich mit dem Besten in Amerika und England“ aushalte. 134 Simon Dubnow: Mein Leben. Berlin 1937, S. 224. 135 Stuart Kahan: The wolf of die Kremlin. New York 1987, preface und S. 17. 136 Hans Noll: Jüdische Selbstverleugnung. In: Deutschland-Archiv (1989) 22, S. 769-778 (Zitat: S. 772). 137 Ebenda, S. 774. 138 Chaim Noll: Nachtgedanken über Deutschland. Reinbek 1992, S. 21. 139 Michael Wolffsohn: Die Deutschland-Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. München 1995, S. 14. 140 Isaac B. Singer: Verloren in Amerika. München 1985, S. 58. 141 Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Berlin 1992, S. 7 u. 10. 142 Ebenda, S. 106. 143 Ebenda, S. 101. 144 New York 1990, S. 103. 145 Daniel Goldhagen unterstellt in: Hitlers willige Vollstrecker, Berlin 1996, einen „Mordeifer der Deutschen“ (S. 463) und sagt ihnen pauschal eine „Leidenschaft, Juden umzubringen“ (S. 447) nach. 146 Leon Poliakov: L'auberge des musiciens. Paris 1982, S. 34. 147 Karl Schlögel: Berlin. Ostbahnhof Europas. Berlin 1998, S. 211. 148 Hans von Herwarth: Zwischen Hitler und Stalin. Frankfurt/M. 1982, S. 53. 149 Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Bd. 47. Göttingen 1971, S. 80. 150 Alfred Grosser: Ermordung der Menschheit. Der Genozid im Gedächtnis der Völker. München 1990,S. 7. 151 Johannes Rogalla von Bieberstein: Die Junker als Feinde des Volkes. In: Deutsches Adelsblatt (1994) 9, S. 198-201. 152 Jürgen Kuczynski: Monopolisten und Junker. Todfeinde des deutschen Volkes. Berlin 1945 (Zitat: S. 46).
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153 Jürgen Kuczynski: Ein linientreuer Dissident. Memoiren. Berlin 1992, S. 20. Als Geschichtsstudent in Göttingen habe ich im Historischen Colloquium mit diesem persönlich sympathischen Sohn der Berliner Bourgeoisie, der als Marxist seine jüdische Herkunft nur mit Andeutungen preisgab, diskutiert. Ich habe es als Aufgabe betrachtet, herauszubekommen, warum sich solch ein hochgebildeter Mann aus wohlhabendem Hause dem Kommunismus verschreiben und sich zu diesem Bekenntnis versteigen konnte: „Der Kapitalismus hat nur noch eine Perspektive: den Untergang. Untergang durch Sturz seines Systems. Sturz seines Systems durch die empörte Menschheit unter Führung der Arbeiterklasse.“ (J. K.: Das System gegen die Menschlichkeit. Frankfurt/M. 1972, S. 169). 154 Achim Kilian: Einzuweisen zur völligen Isolierung. NKWD-Speziallager Mühlberg/Elbe 1945-1948. Leipzig21993. 155 Johannes Rogalla von Bieberstein: Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland. Limburg/L. H 998, S. 451. 156 Jacob von Uexküll: Nie geschaute Welten. Berlin 1936, S. 165. 157 Vgl. den Lagebericht des Oberpräsidenten in Breslau vom April/Mai 1935: „Trotz der Agitation gegen die Juden ... bleibt die bedauerliche Tatsache, daß nicht nur jüdische Ärzte nach wie vor großen Zulauf haben, sondern das Publikum ... jüdische Geschäfte und Händler bevorzugt“. Zit. nach: Otto D. Kulka: Die Nürnberger Rassegesetze. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1984) 32, S. 582-624 (Zitat S. 594). 158 Werner Bohleben u. John S. Kafka: Antisemitismus. Bielefeld 1992, S. 203. 159 Walter Waldmüller (d. i. Walter Müller): Goseck. Landschaft und Schloß im Spiegel der Geschichte. Karlsruhe 1983, S. 183-185 (Manuskript-Druck). 160 Johannes Rogalla von Bieberstein: Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland. Limburg/L. 31998, S. 426. 161 Wolfgang Gans zu Putlitz: Unterwegs nach Deutschland. Berlin 1972, S. 249 f. 162 Toni Stolper: Gustav Stolper. Tübingen 1960, S. 333 und 453. 163 Ekkehard Klausa: Das Potsdamer Infanterieregiment 9. In: Peter Steinbach (Hrsg.): Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. München 1985, S. 533-545 (Zitat: S. 537). Vgl. hierzu die Erinnerungen des im Krieg zu den Vertrauten des Grafen Stauffenberg gehörenden Diplomaten Hans von Herwarth: Zwischen Hitler und Stalin. Frankfurt/M. 1982, S. 111. Herwarth sollte wegen seiner jüdischen Großmutter aus dem diplomatischen Dienst entlassen werden, wogegen sein nach dem 20. Juli 1944 hingerichteter Chef, der deutsche Botschafter in Moskau, Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, mit Erfolg protestiert hat! Mein Vater ist Herwarths Ausbilder zum Reserveoffizier im RR 4 gewesen. 164 Art. Antisemitismus. In: Lexikon für Theologie u. Kirche. Bd. l, Freiburg/Br. 1930. 165 Henry Ford: Der internationale Jude 2. Leipzig 121922, S. 133. 166 Stephen Carr: Hollywood & Anti-Semitism. Cambridge 2001, S. 112. 167 So Michael Hagemeister im kommentierten Literaturbericht im Anhang der Neuauflage von Norman Cohn: Protokolle der Weisen von Zion. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung. Baden-Baden 1998. 168 Jacob Katz: Jews and Freemasons in Europe, 1723-1939. Cambridge, Mass. 1970. 169 Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Aufklärung, Freimaurerei, Menschenrechte und Judenemanzipation in der Sicht des Nationalsozialismus. In: Jahrbuch des Institut für Deutsche Geschichte (1978) VII. Tel Aviv, S. 339-354. 170 Er gehörte zwischen 1812 und 1813 als Gerichtsdolmetscher der Loge l'Etoile Anséatique in Osnabrück an, s. Humanität (1992) 5, S. 13-15. 171 Hermann Schüttler: Die Mitglieder des Illuminatenordens 1776-1787/93. München 1991. 172 Bd. VII. Frankfurt/M. 1988, S. 164. 173 Pour Leon Poliakov: Le racisme. Mythes et sciences. Bruxelles 1981, S. 164. 174 1977 11 (6), S. 1-8. 175 Vgl. meinen Beitrag: Die These von der freimaurerischen Verschwörung. In: Helmut Reinalter (Hrsg.): Freimaurer und Geheimbünde. Frankfurt/M. 1983, S. 85-110. 176 Wien 1993.
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177 In seiner Rezension in: Times Literary Supplement vom 17. 6. 1977. 178 Vgl. die Rez. von Walter Grab: Joseph Goebbels war nicht der Erfinder der Verschwörungsthese. In: Frankfurter Rundschau vom 21. 5. 1977. 179 Feinde der Juden gehen daher so weit, von „millions of dead victims of jewish communism“ zu sprechen. So der in Idaho wohnende Michael Hoffmann in seinem Beitrag „The Jewish Communists. The documentary record“ (www. hoffmann-info.com). 180 Der Vortrag wurde in erweiterter und überarbeiteter Form publiziert: Der Mythos vom jüdischen Bolschewismus'. In: Zeitschrift für Internationale Freimaurerforscbung (IF) 2 (2000) 3, S. 29-73. 181 Arno Mayer: Der Krieg als Kreuzzug. Reinbek 1989, S. 26. 182 Daniel Goldhagen: False witness. In: The New Republic vom 17. 4. 1989, S. 39-44. 183 Vgl. hierzu die Rez. von Sonja Margolinas Buch: Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Berlin 1992, durch den Pädagogen Micha Brumlik in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart (1992) 10/11, S. 180. 184 So Micha Brumlik: Erziehung nach Auschwitz. In: Erziehung und Wissenschaft (1995) 4, S. 6-9. 185 Moshe Zimmermann: Wende in Israel: Zwischen Nation und Religion. Berlin 1996, S. 87. 186 Peter Novick: The Holocaust in American life. Boston 1999; deutsche Ausg.: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord. Stuttgart 2001. 187 Jürgen Kocka: Über Norbert Elias aus einer Historiker-Perspektive. In: Norbert Elias im ZIF. Bielefeld 1993, S. 15. 188 In: Jörg Hoensch (Hrsg.): Judenemanzipation – Antisemitismus – Verfolgung. Essen 1999, S. 13. 189 Heien Fein: Genocide. A sociological perspective. London 1993, S. 52. 190 München 1991, S. 51. 191 Hermann Boventer (Hrsg.): Medien und Moral. Konstanz 1988, S. 26. 192 Aus dem Internet-Text „The Protocols of the Learned Eiders of Zion“ der Anti Defamation League mit Copyright vom Juni 2000. 193 Isaac B. Singer: Die Familie Moschkat. München 1991, S. 652 f. 194 Siegfried Thalheimer: Macht und Gerechtigkeit. Ein Beitrag zur Geschichte des Falles Dreyfus. München 1958, S. 410 f. – In seinem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 14. 11. 2000 abgedruckten Leserbrief „Muster der Weißen, Methode der Braunen“ weist Gerhard Zwerenz unter Bezug auf Arno Lustiger: Rotbuch: Stalin und die Juden, Berlin 1998, daraufhin, daß die „antibolschewistischen Judenmassaker“ in Hitlers Krieg in der Tradition der Pogrome der Weißen von 1917-1921 stehen. 195 In seinem Aufsatz: Der heutige deutsche Antisemitismus. In: Der Jude (1920-21) 5, S. 129-139 (Zitat: S. 135).
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Der Sozialismus als Heilslehre sowie als Arzt des Antisemitismus „Der Sozialismus ist eine jüdische Idee. Die jüdische Lehre, das jüdische Leben – wo immer es blühte – geschah im sozialistischen Geist. Jahrtausende predigten unsere Weisen den Sozialismus.“ FELIX THEILHABER: Sozialismus und Judentum, 19191
Arnold Zweig hat 1919 in der Weltbühne gerühmt, daß „jüdisches Blut“ den Sozialismus zur Welt gebracht habe, von Moses bis Landauer.2 Siebzig Jahre später bilanzierte Louis Rapoport in seinem Buch Hammer, Sichel, Davidstern: „Männer jüdischer Herkunft“ wie Marx, Lassalle und Bernstein haben die Grundlage des Kommunismus und Sozialismus gelegt.3 Wir stellen also zunächst fest, daß es keineswegs nur Feinde der Juden sowie des Sozialismus und Kommunismus gewesen sind, die die revolutionäre Bewegung als jüdisches Produkt bezeichnet und verunglimpft haben. Vielmehr bekannten sich jüdische Revolutionäre und Patrioten ausdrücklich und enthusiastisch zum Sozialismus als einer guten, das soziale Heil verbürgenden Lehre. Auch Wissenschaftler stellten schon vor 1914 die bedeutsame, ja nicht selten spektakuläre Rolle, die Juden als Theoretiker – Heinrich Heine nannte sie „Doktoren der Revolution“4 – und Praktiker der Arbeiterbewegung spielten, heraus. So hat etwa das SPD-Mitglied Robert Michels im Jahr 1906 einen Aufsatz über die deutsche Sozialdemokratie geschrieben, in dem er Karl Marx und Ferdinand Lassalle als „Stammväter“ seiner Partei bezeichnet. Er würdigt darin auch den aus einem wohlhabenden jüdischen Frankfurter Haus stammenden Karl Höchberg.5 Dieser Mäzen der Sozialisten hat die Halbmonatsschrift Zukunft herausgegeben und Eduard Bernstein als seinen Sekretär engagiert, den die Große Jüdische National-Biographie als „Nestor der deutschen Sozialdemokratie“ feiert.6 Als weiteren Mitarbeiter konnte Höchberg den später als „Papst des
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Marxismus“ bezeichneten Karl Kautsky gewinnen. Dieser war als junger Mann offensichtlich noch durch die christliche Judeophobie geprägt und berichtete seinen Eltern über seinen neuen Arbeitgeber 1880 folgendes: „Was nun den Mephisto anbelangt, mit welchem ich einen Pakt geschlossen, ist er ein Frankfurter Jude, sieht jedoch nicht prononciert jüdisch aus, sein Charakter ist auch gar nicht jüdisch.“7 Als Erklärung für die außerordentliche Rolle der Juden in der sozialistischen Bewegung führte Michels an, daß der gesetzlichen Emanzipation der Juden die faktische Gleichberechtigung nicht immer gefolgt sei und ,Judenhaß und Judenhatz“ weiter existierten. Im Judentum lebe noch „ein altes und berechtigtes Gefühl sittlicher Empörung über das seinem Volksstamme zugefügte Unrecht“.8 Der später nach Palästina ausgewanderte Arthur Ruppin hat im Jahr 1904 in Berlin die soziologische Studie Die Juden der Gegenwart vorgelegt. Darin bemerkt er, daß es unverständlich bleibe, weshalb gerade wohlhabende Juden zu „Begründern der sozialistischen Bewegung“ geworden wären, „wenn nicht die wirtschaftliche Unterdrückung des Proletariats in der gesellschaftlichen (und politischen) Zurücksetzung der Juden ein Analogon“ gehabt hätte und noch habe. Arthur Ruppin traf dann diese wesentliche Feststellung: „Die Juden wurden Sozialisten, nicht weil sie gerade in einer sozialistischen Wirtschaftsordnung das Heil der Welt erblickten, sondern weil sie über ihre eigene soziale Zurücksetzung erbittert“ gewesen seien.9 Eben aus diesem Grunde hat Eduard Bernstein, der Sohn eines Lokomotivführers und Neffe des Begründers der Berliner jüdischen Reformgemeinde, Aaron Bernstein, in der „Sozialistischen Internationale“ die „erlösende Macht“ gesehen. Sie würde, hoffte er, die ,Judenfrage zur Ruhe bringen“. So formulierte Bernstein im Weltkrieg für die von Martin Buber herausgegebene Zeitschrift Der Jude. Dort bedauert er auch, daß „wir Juden einem nicht für voll gehaltenen Volksstamm angehören“, was ihm in seinen Kinderjahren „oft genug in unangenehmer Weise zu Bewußtsein gebracht“ worden sei.10 Arthur Hertzberg, langjähriger Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, konnte im Hinblick auf Moses Heß und Ferdinand Lassalle die sich aus der Analyse der Quellen zwingend ergebende Schlußfolgerung ziehen, daß es „jüdische Beweggründe“ gewesen sind, die viele Juden zu Sozialisten werden ließen. Karl Marx habe diese freilich für sich „geleugnet“.11 Über diesen Trierer hat aber Martin Buber geurteilt: „Auch der rhei-
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nische Judenstämmling Karl Marx ist nur ein Übersetzer des jüdischen Zukunftsglaubens und Zukunftswillens gewesen.“12 Noch bevor Theodor Herzl im Januar 1895 seine „Überzeugung“ aussprach, „daß die in die Enge getriebenen Juden keinen anderen Ausweg haben, als den nach dem Sozialismus“, hatte der gleich ihm in seiner Jugend deutschnational orientierte – jüdische – Literat Hermann Bahr diesen Gedanken noch weiter zugespitzt. Er drückte 1894 die Erwartung aus, daß der „Sozialismus der einzige Arzt des Antisemitismus“ sein werde.13 Der hochverehrte Begründer der österreichischen Sozialdemokratie Viktor Adler, dessen Vater in Prag die Talmudschule besucht hatte, der seine Söhne rituell beschneiden ließ und in Wien durch Immobilienhandel reich geworden war, sagte zu Kautsky, daß ihm die Marxsche „Mehrwertgeschichte ... völlig Wurst“ sei.14 Adler, der als Gymnasiast im Wiener Schottengymnasium am Antisemitismus wie unter einem „Alp“ gelitten hat, ließ sich als Erwachsener samt seinen Kindern taufen, um dadurch „das Judenelend“ zu beenden.15 Vergeblich erhoffte Adler von der sozialistischen Gesellschaft, daß sie „Ahasver, den ewigen Juden, zu Grabe geleiten“ würde.16 Auch bei dem gelernten Philosophen und nationalökonomischen Dilettanten Karl Marx, der keine Bedenken hatte, sich von dem Fabrikbesitzer/Kapitalisten Friedrich Engels aushaken zu lassen und der in bezug aufsein Kapital einmal von der „ökonomischen Scheiße“17 gesprochen hat, erklären offensichtlich außerökonomische Antriebe seine prophetische Absage an die Alte Welt.18 Es läßt aufhorchen, daß er einen derart tiefen Groll gegen die christlich-bürgerliche Gesellschaft hegte, daß er 1843 forderte, man müsse in den christlichen Staat „so viel Löcher“ wie möglich stoßen.19 Louis Rapoport hat darauf hingewiesen, daß in Lenins erstem Politbüro „Männer jüdischer Herkunft das Übergewicht“ hatten,20 die Juden Grigori Sinowjew und Leo Kamenew an die Spitze der bolschewistischen Partei getreten und Führer der internationalistischen Fraktion geworden seien. Auch der von seinem Biographen Isaac Deutscher als „bewaffneter Prophet“ gepriesene Leo Trotzki21 habe eine dominierende Rolle gespielt. Diese fast wie ein Hymnus auf die bolschewistische Führung wirkenden Auslassungen Rapoports sind geeignet, einer – auf Seiten von Antisemiten negativen – Mystifizierung sozialistischer Juden dadurch Vorschub zu leisten, daß eine Vielzahl bedeutender nichtjüdischer Sozialisten/Marxisten ungenannt bleibt. Daher sollen hier von diesen aufgelistet werden die Deutschen Friedrich
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Engels, Wilhelm und Karl Liebknecht, Georg von Vollmar, August Bebel, Clara Zetkin; die Österreicher Karl Kautáky und Karl Renner“, die Franzosen Jean Jaurès und Alexandre Millerand, die Briten James Keir Hardie und Ramsay McDonald, der Belgier Emil Vandervelde, der Italiener Filippo Turati, der Pole Ignacy Daszynski, die Schweizer Robert Grimm und Fritz Platten, der Schwede Hjalmar Branting und schließlich der „Vater des russischen Marxismus“, Georg Plechanow. Die Tatsache, daß von diesen Ignacy Daszynski, Karl Liebknecht – in zweiter Ehe –, Robert Grimm, Karl Kautsky, Felix Platten sowie Georg Plechanow jüdische Ehepartner hatten, verweist allerdings darauf, daß sich in den sozialistischen Zirkeln viele Juden befanden und es in dieser verschworenen Gemeinschaft zu einer einzigartigen Symbiose von säkularisierten Christen und Juden gekommen ist. Diese war freilich dadurch gekennzeichnet, daß sich sowohl die sozialistischen Juden wie die sozialistischen Christen von ihrer religiösen Herkunftswelt entfernt, wenn nicht gar mit ihr gebrochen hatten. Schließlich wurden „Mischehen“ sowohl von der christlichen als auch von der jüdischen Tradition verurteilt. Mit einer solchen Partnerschaft traten Sozialisten gleichsam in die Zukunftswelt ein, in der für die von Karl Marx dem Mittelalter zugeordnete und als „Opium“ bezeichnete Religion kein Platz mehr war. In der Praxis freilich stieß solche Emanzipation oft auf Widerstände. So gibt es wichtige Indizien dafür, daß die Familie von Jenny von Westphalen – mit Ausnahme des liberalen Vaters – ihre Heirat mit dem „Tauf juden“ Karl Marx ablehnte. Auch wenn er sich hierüber ausschwieg, hat Karl Marx unter dieser Zurücksetzung gelitten.22 Die Familie von Moses Heß, dessen Vater ein wohlhabender Fabrikant und Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Köln gewesen ist, hintertrieb dessen Eheschließung mit einer Christin durch Androhung von finanziellen Konsequenzen. Dabei spielte eine Rolle, daß Sybille Pesch proletarischer Herkunft und somit nicht „standesgemäß“ gewesen ist.23 Auch prominente jüdische Sozialisten haben sich gezwungen gesehen, aus Rücksicht auf ihre Frauen ihre ideologischen Überzeugungen hintanzustellen. So stammte Emma Braun, die Frau von Viktor Adler, aus einer frommen jüdischen Familie. Sie hielt an den jüdischen Gebräuchen fest und ließ ihren später christlich getauften Sohn Friedrich, den nachmaligen Generalsekretär der Sozialistischen Internationale, zum Ärger ihres Mannes nach dem jüdischen Ritus beschneiden!24 Ebenso wie Leo Trotzki ist der dann noch christlich getaufte Friedrich
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Adler nach dem jüdischen Ritus getraut worden. Er hatte sich während des Studiums in Zürich in die aus einer orthodoxen jüdischen Familie Litauens stammende Studentin Kathia Germanischkaja verliebt. Deren Vater drohte, seine Tochter zu „erschlagen“, falls sie aus der Tradition ausbräche,25 und erzwang so die religiöse Eheschließung. Es stellte also durchaus einen Akt revolutionärer Ablösung dar, wenn sich der aus einer katholischen polnisch-litauischen Adelsfamilie stammende spätere Tscheka-Chef Felix Dserschinski mit der Schwester eines Genossen, nämlich des Führers des Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes Mark Liber (Michael Goldmann) verband. Der in zweiter Ehe mit einer Warschauer Jüdin verheiratete „eiserne Felix“ hat sogar das Jiddische erlernt.26 Dieser bemerkenswerte Schritt ist auch auf die anfängliche Dominanz von Juden in der sozialistischen Bewegung Rußlands zurückzuführen. Die war auch daran ablesbar, daß bei der Gründung der russischen Sozialdemokratie 1898 in Minsk der zuvor gegründete jüdische Arbeiter-Bund27 organisatorische Hebammendienste leistete.28 Das Beispiel von Friedrich Adler zeigt, daß es durchaus nicht so war, daß lediglich Christen in Schwierigkeiten gerieten, wenn sie sich jüdische Ehepartner erwählten. Vielmehr haben auch Juden, wenn sie christliche oder aus der Gemeinde ausgetretene Partner nahmen, einen dramatischen Bruch mit ihrer religiös orientierten Familie riskiert, da für diese das Verbot der Ehegemeinschaft mit Nichtjuden galt. Der spätere Vorsitzende der britischen Labour Party, Harold Laski, schrieb 1911 an seinen aus Osteuropa eingewanderten und in England zu Wohlstand gelangten Vater, er könne es nicht akzeptieren, daß es eine „Sünde“ sei, wenn er eine Christin heirate. Darauf der Vater: „Du bist nicht länger mein Sohn. Was für ein Verbrechen habe ich begangen, daß mein Sohn den Glauben über Bord wirft, dem ich und meine Väter über zahllose Generationen angehangen haben.“29 Als Jakob Swerdlow, der früh verstorbene Organisator der Partei der Bolschewiki und das erste Staatsoberhaupt von Sowjetrußland, sich dem Kommunismus zuwandte, ist er als Abtrünniger von seinem Vater mit einem rituellen Fluch verstoßen worden.30 Der Biograph Leo Trotzkis, Isaac Deutscher, den sein frommer Vater zum Rabbi bestimmt hatte,31 soll von diesem im Zorn ins Gesicht geschlagen worden sein, als er durch Abschneiden seiner Schläfenlocken symbolisch Abschied vom religiösen Judentum nahm.
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Antisemitische und nationale Sozialisten Bevor wir uns wieder den marxistischen und internationalistischen Sozialisten zuwenden, die daran glaubten, daß der Sozialismus zum „Arzt“ des Antisemitismus werden sollte, muß hier zur Vervollständigung des Bildes kurz der nichtmarxistische Sozialismus vorgestellt und auf seine Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung des „nationalen Sozialismus“ hingewiesen werden. Vor allem in Frankreich gab es seit der Revolution von 1789 eine sozialistische Strömung, die sich nicht nur durch ihre Militanz, sondern auch durch eine Fortsetzung der jakobinischen Agitation gegen Kirche und Judentum auszeichnete. Abgesehen von Claude Henri de Saint-Simon, dessen Schule eine ganze „Schar Kinder Israels“ angehörte,32 war der größte Teil der französischen Sozialisten ausgesprochen antisemitisch orientiert. So Charles Fourier33 und vor allem sein Schüler Alphonse Toussenel, der im Jahre 1845 das vielgelesene und einflußreiche Buch Die Juden – Könige der Epoche (Les Juifs, rois de l'époche) vorlegte. Für Toussenel, der antikapitalistisch argumentierte und wie sein Lehrmeister Fourier bedauerte, daß man den Juden überhaupt das Bürgerrecht gewährt hatte, war ganz Europa „der Herrschaft Israels unterworfen“.34 Diese Auffassung unterschied sich kaum von derjenigen eines anderen Vaters des französischen Sozialismus, Pierre Joseph Proudhon, der den finanziellen Feudalismus brandmarkte und die in Frankreich mächtigen jüdischen Bankiers als dessen Hauptnutznießer angriff.35 In dem Buch des Jerusalemer Historikers Zeev Sternhell Die revolutionäre Rechte 1885-1914 (La drohe révolutionnaire) von 1997, in dem er die Ursprünge des französischen Faschismus untersuchte, findet sich ein Kapitel über den Antisemitismus der Linken.36 Darin wird einerseits auf die antichristliche Ausrichtung von Sozialisten wie Louis Auguste Blanqui hingewiesen, der Kirche und Judentum gleichermaßen bekämpfte, und andererseits auf Antisemiten wie den erwähnten Toussenel, die christliche Argumente gegen das Judentum übernahmen, etwa die Vorstellung, daß Juden den Heiland gekreuzigt haben. Besondere Beachtung in diesem Zusammenhang verdient Edouard Drumont, der 1886 die zum Weltbestseller gewordene und in die deutsche, englische, italienische und polnische Sprache übersetzte Streitschrift Das verjudete Frankreich (La France Juive) publiziert hat.37 Obgleich Drumont in der katholischen Tradition stand, hat er sich doch als „Sozialist“, genauer
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gesagt als nationaler Sozialist begriffen.38 Er vertrat die Auffassung, daß „der einzige, der bei der Revolution gewonnen hat, der Jude“ gewesen sei.39 Die Juden hätten ein „ungeheures Vermögen“ angehäuft, wobei der Name Rothschild als Beweis genannt wurde. Nach Drumont war Frankreich „durch seine Geschichte, durch seinen Glauben, durch all seine Erinnerungen die vollständige Verneinung des jüdischen Geistes“40 und mußte durch eine gewaltsame Aktion gegen die Juden wieder zu sich selbst gebracht werden. Drumont legte in seinem unförmigen Buch eine regelrechte antijüdische Verschwörertheorie vor: „Der Jude hat sich in der Absicht, die alte Zeit, welche ihn zurückwies, zu beseitigen, schlauerweise an die Spitze der demokratischen Bewegung gestellt. Karl Marx, Lassalle, sowie die hauptsächlichen Vertreter des Nihilismus sind Juden.“41 Das Verjudete Frankreich von Drumont zeichnete sich dadurch aus, daß es sich sowohl an die sozialistischen Arbeiter wie solche bürgerliche Christen wandte, die nicht einfach dem Anden Regime nachtrauerten. Damit hat es in der Nachfolge von Toussenels Kampfschrift einem modernen Antisemitismus zum Durchbruch verholfen. Dieser hebt sich deutlich ab von dem integral-katholischen AntiJudaismus, der in der Revolution einen Abfall von Gott sah und bei dem für einen rassischen Antisemitismus kein Platz war. In Deutschland hat im Jahre 1881 Eugen Dühring als Vertreter eines darwinistischen Sozialismus in seiner Schrift Die Judenfrage als Frage des Racencharakters für uns wichtige Unterscheidungsmerkmale herausgearbeitet. Dühring schied nämlich den „Racenjuden“ vom „Religionsjuden“42 und stellte fest: „Ein Christ, wenn er sich selbst versteht, kann kein ernsthafter vollständiger Antisemit sein“.43 Für den von der Berliner Universität entlassenen Nationalökonomen und erklärten Atheisten Dühring hatte „Herr Marx“ von London aus „unter der Firma des Socialismus einen sog. Arbeiterbund, in Wahrheit aber eine Judenallianz betrieben“.44 Für ihn stellte die Sozialdemokratie eine ,Judokratie‘ über die Arbeiter“45 dar. Allerdings blieb Dühring in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts ein Einzelgänger, die Heimat des antisemitischen nationalen Sozialismus war Frankreich. Im Vorwort zu dem Buch Die reaktionäre Linke (La gauche réactionnaire) von Marc Crapez, die man mit Zeev Sternhell ebensogut als „revolutionäre Rechte“ bezeichnen könnte, hat Pierre-Andre Taguieff 1997 darauf verwiesen, daß es besonders der rassische und antichristliche Antisemitismus gewesen ist, der eine wichtige Komponente des revolutionären und nationalen „Sozialismus“ bildet.46 Crapez selbst hebt hervor, daß
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der rabiate Antisemit Louis-Ferdinand Céline von der radikaljakobinischen („hébertistischen“) antichristlichen Tradition kam und sich einmal als „Kommunist“ bezeichnet hat.47 Célines Bagatellespour un massacre sind 1938 in Dresden unter dem Titel Die Judenverschivörung in Frankreich publiziert worden. Darin sagt er: „Die Wahrheit selbst heißt: der Jude.“ Diesem mystifizierten Juden wird eine „weltumfassende Verschwörung“ angelastet und der Vorwurf gemacht, auch bei der „bolschewistischen Revolution“ als unumschränkter Herr hinter den „Kulissen“ zu stecken.48 In seinem Buch Der Nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890 bis1933 hat Karlheinz Weißmann zum ersten Mal einen Gesamtüberblick über die verschiedenen Nationalsozialismen gegeben. Er legt dar, daß der einen rassistisch-antisemitischen Akzent tragende49 revolutionäre nationale Sozialismus, wie er sich erstmals in der – oft mit dem Nationalsozialismus verglichenen – Bewegung des Generals Boulangers zwischen 1886 und 1888 artikulierte, gekennzeichnet war durch ein Zusammenspiel von Kräften der „radikalnationalen Linken“ und einer neuen plebejischen Rechten.50 Wie dies später auch beim deutschen Nationalsozialismus der Fall ist, entzieht sich solch revolutionärer Nationalismus einer simplen Rechtslinks-Zuordnung. So legte ja Joseph Goebbels als Repräsentant der die alten gesellschaftlichen Eliten verhöhnenden NS-Linken 1929 die Broschüre Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten für den Nationalsozialisten51 vor. Der spätere Reichspropagandaminister hat sich in der „Kampfzeit“ sogar als „deutscher Kommunist“ charakterisiert, der den internationalen Kommunismus von Marx, Liebknecht, Radek etc. als „jüdisch verseucht“ bekämpfte.52 Bedeutende Sozialisten jüdischer Herkunft Moses Heß Kölner Sozialdemokraten haben in den Grabstein von Moses Heß in KölnDeutz die Worte „Vater der deutschen Sozialdemokratie“ einmeißeln lassen.53 Dieser heute nur noch Fachleuten bekannte Enkel eines orthodoxen Rabbiners hat 1837 anonym die Heilige Geschichte der Menschheit veröffentlicht.5* Sie gilt als das erste sozialistische Buch in Deutschland. Moses Heß beansprucht darin, die „Grundlage des Gottesreiches entdeckt“ zu haben55 und bekennt sich somit ausdrücklich zur heilsgeschichtlichen Sichtweise.
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Diese kulminiert darin, daß der Sozialismus für ihn gleichzeitig „höchste Religion“ und „höchste Wissenschaft“ war.56 Moses Heß war gemeinsam mit Karl Marx Mitarbeiter der Rheinischen Zeitung und hat den jungen Trierer 1841 euphorisch so gepriesen: „Dr. Marx, so heißt mein Abgott, der der mittelalterlichen Religion und Politik den letzten Stoß versetzen wird, er verbindet mit dem tiefsten philosophischen Ernst den schneidendsten Witz; denke dir Rousseau, Voltaire, Holbach, Lessing, Heine und Hegel in Einer Person vereinigt... so hast Du Dr. Marx.“57 Ende 1847 hat Moses Heß an den vorbereitenden Arbeiten für das Manifest der Kommunistischen Partei teilgenommen, dessen Titel ursprünglich „kommunistisches Glaubensbekenntnis“ lauten sollte. Lange vor Alexander (Israel) Helphand (Parvus),58 dessen Vater ein jiddisch sprechender litauischer Handwerker war, und auch vor Leo Trotzki hat Moses Heß 1849 in seinem Roten Katechismus für das deutsche Volk die Vorstellung von einer „permanenten Revolution“ entwickelt!59 Für ihn war die soziale Revolution „etwas Ahnliches wie das Jüngste Gericht“.60 Moses Heß war durchdrungen von dieser Überzeugung: „Wir Juden haben seit Anfang der Geschichte den Glauben an die messianische Weltepoche stets mit uns herumgetragen.“ Er glaubte fest daran, daß „die Zukunft uns den Geschichtssabbat bringen wird“.61 Der Dogmatiker Karl Marx hatte sich allerdings bereits bei den Vorarbeiten zum Manifest von Moses Heß abgesetzt, den er als „Kommunistenrabbi“62 verspottete. Tatsächlich ist Heß durch seine 1862 veröffentlichte Schrift Rom und Jerusalem zu einem Vorläufer des zionistischen Sozialismus geworden. Heß, der in Köln ein Förderer des 1863 von Ferdinand Lassalle begründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins wurde, hatte schon 1843 Friedrich Engels für den Kommunismus geworben. Er war in den Augen des preußischen Gesandten in Paris der „fähigste Kopf“ unter den Pariser Kommunisten.63 Karl Marx Es ist nicht nötig, hier Karl Marx ausführlich vorzustellen. Daher sollen lediglich einige Hinweise gegeben werden. Bekanntlich stammte Marx über beide Eltern von Rabbinern ab. Sein Vater war jedoch bereits Voltairianer. Von Beruf Jurist, ließ er sich aus Gründen der Opportunität taufen. Wie erst unlängst durch einen Aktenfund in Paris bekannt wurde, arbeitete er 1812/13 in der napoleonischen Zeit im Hanseatischen Departement in Osnabrück als Gerichtsdolmetscher. Dort hat Heinrich Marx der Frei-
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maurerloge l´Etoìle Anséatique angehört, die anders als die deutschen Logen dem Pariser Grand Orient direkt unterstand.64 Gleich dem französischen Frühsozialisten Charles Fourier identifizierte Karl Marx das Judentum kulturkritisch mit dem Kapitalismus. Für ihn, der als Schriftsteller stets finanzielle Sorgen hatte, war das Geld der „weltliche Gott“ der Juden.65 Sein Freund Heinrich Heine, dessen Unterhalt von seinem Hamburger Onkel Salomon Heine, dem reichsten Bankier der Hansestadt, großzügig finanziert worden ist und der als Sozialist „hier auf Erden schon das Himmelreich errichten“ wollte, gehörte in Paris zu den Gästen von Baron James Rothschild. Er hat ihm Tips für Aktienspekulationen erteilt. Karl Marx lehnte zwar die jüdische Religion als „widerlich“ ab, hat sich jedoch immerhin einmal als „Stammesgenosse“ von Benjamin Disraeli bezeichnet. Zu seinen engsten Freunden gehörten sein „Leibarzt“ Louis Kugelmann und sein Verleger Carl Friedrich Loening, der ursprünglich Zacharias Löwenthal hieß. Mit Heinrich Graetz, dem berühmten Verfasser der vielbändigen Geschichte der Juden., hat Marx Publikationen ausgetauscht.66 Wichtig erscheint, daß sein Kommunistisches Manifest von vielen bedeutenden Juden mit dem jüdischen Messianismus in Verbindung gebracht wurde. Aron Liebermann, der aus dem Wilnaer Rabbinerseminar hervorgegangene Begründer des jüdischen Sozialismus, hat 1875 gesagt, daß die „großen Propheten“ unserer Zeit wie Karl Marx und Ferdinand Lassalle „im Geiste unseres Volkes“ aufgewachsen seien.67 Auch für den Sekretär der Sozialistischen Internationale, Julius Braunthal, der als Sohn eines frommen Vaters in Wien die Thora-Schule besucht hatte, war das Kommunistische Manifest von einem „hinreißend messianischen Gedanken beherrscht“.68 Erich Fromm, dessen Großvater Hausrabbiner des Baron Rothschild gewesen ist,69 bekennt sich ebenfalls zu solch einer Deutung: „In der Sozialismusvorstellung von Marx kehren alle Elemente der messianischen Zeit wieder: die Abwesenheit von Neid, Aggression und Krieg und der Überfluß von allem für alle.“70 Der aus einer jüdischen Familie stammende und als junger Mann in der KPD engagierte Berliner Politologe Ossip Flechtheim sprach dem „Rabbinerenkel“ Karl Marx die „Ausstrahlungskraft“ großer Religionsstifter wie Moses, Buddha, Mohammed und Luther zu.71 Friedrich Adler hat Karl Marx 1913 dafür gerühmt, daß wir ihm „die Entdeckung der Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft“ ver-
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dankten.72 Auch Albert Einstein stellte Marx in eine Reihe mit den Juden Moses, Jesus und Spinoza, die sich alle für das „Ideal der sozialen Gerechtigkeit“ geopfert hätten.73 Endlich erblickte Leo Löwenthal, der mit dem Zionismus sympathisiert hat und Generalsekretär des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes gewesen ist, in Marx einen „treuen Erbe der rabbinischen Tradition“.74 Auf die eindrucksvolle Propagandapostkarte mit der Darstellung von Marx als Mose war schon hingewiesen worden, aber auch ein so feiner Kopf wie Theodor Lessing, dessen christliche Ehefrau wegen ihrer Eheschließung mit einem Juden enterbt worden war, hat 1932 an die Gestalt des Mose und die jüdische Exodustradition angeknüpft, indem er sagte: „Der Jude führt heute das Proletariat, weil ihm im Blut die Warnung liegt: ,Vergiß nie, daß du Knecht gewesen bist im Lande Ägypten'.“75 Ein Jahr später wurde er von Agenten des NS-Regimes in der Tschechoslowakei ermordet. Selbstzeugnisse belegen, daß jüdische Sozialisten Karl Marx als Juden wahrgenommen und verehrt haben. So schreibt eine Frauenforscherin in dem Buch Jüdische Frauenstimmen aus Israel, daß sie aus einer Moskauer Familie jüdischer „Kommunistinnen“ stamme. Marx' Porträt habe in ihrem Wohnzimmer gehangen. Sie bekennt dann: „Ich bin damit groß geworden, daß ein jüdischer Mensch sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt, progressiv und sozialistisch ist. Sozialismus war unsere Religion. In der Geschichte des jüdischen Volkes, den Weg vom Sklaventum zur Freiheit, von Ägypten nach Israel, sahen sie (meine Eltern) die entscheidende Botschaft für die ganze Menschheit.“76 Ihre Aussage ist praktisch identisch mit derjenigen von Julius Braunthal, für den die „sozialistische Idee ... die letzte und einzig mögliche Zuflucht der Menschheit“ gewesen ist.77 Ferdinand Lassalle Während Dogmatiker in Karl Marx ihren geistigen Stammvater verehren, erblickt die sozialdemokratische Mitte in Ferdinand Lassalle ihren Gründer. Der Sozialdemokrat Carlo Schmid schrieb 1963, daß sich seine Partei »mehr als Kind im Geist Lassalles denn als Verwalter der eschatologischen und apokalyptischen Geschichtsschau seines Widersachers“ Karl Marx erwiesen habe.78 Von reformistischen Sozialdemokraten wird neben Lassalle gelegentlich auch der durch den englischen ethischen Sozialismus beeinflußte79 Eduard Bernstein als geistiger Vater betrachtet. Er hat die Revolutions- und
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Klassenkampflehre von Karl Marx einer Revision unterzogen und den Sozialismus auf den Weg der Reform verwiesen. Im Unterschied zu den Theoretikern Heß, Marx und Bernstein war Ferdinand Lassalle nicht nur geistiger Führer, sondern zugleich auch ein begabter Organisator und mitreißender Redner.80 Er hat 1863 den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) gegründet und bis zu seinem Tode geführt. Dieser Verein fusionierte 1875, nach dem frühen Tod Lassalles, in Gotha mit der 1869 von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. Bei der Gründung dieser Vorläuferpartei der Sozialdemokratischen Partei hat ein jüdischer Pädagoge eine weithin unbekannte Rolle gespielt. Samuel Spier, Lehrer an der jüdischen Samson-Schule in Wolfenbüttel, war engagierter Lassalleaner, trat jedoch mit einigen anderen aus dem ADAV aus und berief gemeinsam mit Wilhelm Liebknecht und August Bebel den Eisenacher Kongreß ein. Er gilt als die eigentliche Geburtsstunde der späteren SPD. Spier hatte 1869 auf dem Baseler Sozialistenkongreß als Delegierter Marx kennengelernt. Er trat im September 1870 für einen Frieden mit Frankreich ohne Annexionen ein, zog sich jedoch aus dem politischen Leben zurück, nachdem er mit Anklagen wegen angeblichen Hoch- und Landesverrats und wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz überzogen wurde.81 Um auf Lassalle zurückzukommen. Er hatte als Sohn eines liberalen Breslauer Kaufmanns eine jüdische Erziehung genossen, sich jedoch vom religiösen Judentum abgewandt. Als junger Mann bekannte er: „Ich könnte mein Leben wagen, die Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu reißen; ich würde selbst das Schafott nicht scheuen, könnte ich sie wieder zu einem geachteten Volk machen.“82 Wie viele Juden fühlte sich Lassalle der christlich-bürgerlichen Gesellschaft entfremdet. Leo Löwenthal schreibt, Lassalles Grunderlebnis sei die „gesellschaftliche Knechtung seines Stammes“ gewesen, die er zu rächen gesucht habe.83 Sein Engagement hat sich dabei allerdings wie bei den meisten Sozialisten ins Universale gerichtet: ,Ja, ich will hintreten vor das deutsche Volk und vor alle Völker und mit glühenden Worten zum Kampf für die Freiheit auffordern.“84 In seinem Werbebrief an die junge Russin Sophie von Sontzoff hat Lassalle 1860 ausgedrückt, wie sehr er sich stigmatisiert fühlte: „Ihre
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Landsleute, Sophie, werden Sie verachten, einen Juden geheiratet zu haben.“ Anders als Karl Marx, mit dem er sich zerstritten hatte, war Lassalle stolz darauf, „aus dem Geschlecht des ersten großen zivilisatorischen Volkes“ zu stammen.85 Heinrich Heine urteilte 1845 über Lassalle, daß er in „diesem neunzehnjährigen Jüngling den Messias des 19. Jahrhunderts“ sähe. Diese Einschätzung hat offensichtlich mit beider Judentum zu tun gehabt. Der junge Lassalle lehnte gegenüber seinem Vater die Wahl eines bürgerlichen Berufs ab und bekannte sich dazu, „um die heiligsten Zwecke der Menschheit zu kämpfen“.86 Für ihn, der sich jahrelang für die von ihrem Ehemann schmählich behandelte Gräfin Sophie Hatzfeld einsetzte, war die Sache des vermögenslosen vierten Standes, der Arbeiter, „in Wahrheit die Sache der gesamten Menschheit, seine Freiheit ist die Freiheit der Menschheit selbst, seine Herrschaft ist die Herrschaft aller“. Lassalle bediente sich einer biblischen Wendung, indem er sagte, die Arbeiter seien „der Fels, auf welchem die Kirche der Gegenwart gebaut werden soll“.87 Der im Duell getötete Lassalle, der mit seinem Sozialismus „in das Paradies“ eintreten wollte, ist von den deutschen Arbeitern wie ein Messias gefeiert worden. So war im Neuen Sozialdemokrat vom 11. April 1873 zu lesen: »Jesus von Nazareth ist tot! Es lebe Ferdinand Lassalle!“ Nicht nur in Deutschland wurde Ferdinand Lassalle schwärmerisch verehrt und als Vorbild betrachtet. So wird Leo Trotzki nachgesagt, er habe als junger Mann der „russische Lassalle“ werden wollen. Auch der aus einer armen ostjüdischen Familie stammende und als junger Mann mit Lenin befreundete Nestor der russischen Sozialdemokratie, Paul Axelrod, hat als Jüngling durch Lassalle den Weg zum Sozialismus gefunden. Bemerkenswert ist, daß der junge Leo Jogiches (Tyszka), der im März 1919 ermordete Organisationschef der KPD und langjährige Lebensgefährte Rosa Luxemburgs, einst von dem „Vater des russischen Marxismus“, Georg Plechanow,88 als „Wilnaer Lassalle“89 bezeichnet worden ist. Damals stand dieser Sohn aus wohlhabender jüdischer Familie, dessen Großvater Talmudlehrer war, dem Jüdischen Arbeiterbund nahe. Schließlich sei hier noch darauf verwiesen, daß nach der Revolution von 1918 in einem jüdischen Kabarett in Wien gereimt wurde: „Heute schwärmt alles nur für Marx und Lassalles.“90
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Eduard Bernstein Der an der Hebräischen Universität zu Jerusalem lehrende Robert Wìstrich hat 1978 in dem Buch Bernstein und der demokratische Sozialismus gesagt, die sozialdemokratischen Arbeiterbewegungen Westeuropas seien „alle in größerem oder geringerem Ausmaß Vollstrecker des Erbes von Eduard Bernstein“.91 Die jüdische Herkunft der „drei herausragenden“ sozialistischen Denker Marx, Lassalle und Bernstein sei kein Zufall. Zugleich weist er darauf hin, daß für den nüchternen Reformer Bernstein in Isaac Deutschers Pantheon der „nichtjüdischen Juden“ mit Karl Marx, Rosa Luxemburg und Leo Trotzki kein Platz sei. Isaac Deutscher ist nämlich als marxistischer Trotzkist ein Radikaler gewesen. Eduard Bernstein92 absolvierte zunächst eine Lehre in dem Berliner Bankgeschäft S. & L. Rothschild, seine Neigung galt jedoch der Politik, so daß er bereits 1872 dem Arbeiterverein Utopia beitrat.93 Während der deutschen Sozialistenverfolgung war Eduard Bernstein ab 1881 in der Schweiz Chefredakteur des von Höchberg finanzierten Sozialdemokrat, des offiziellen Organs der deutschen Sozialisten. Hier lernte er den späteren Führer der russischen Sozialdemokraten (Menschewisten), Paul Axelrod, kennen. Nach seiner Ausweisung aus der Schweiz lebte Bernstein in London, wo er durch die ethischen Sozialisten von der Fabian Society beeinflußt worden ist, die den Klassenkampf ablehnten. In der von Karl Kautsky herausgegebenen Neuen Zeit findet sich 1892 ein Aufsatz von Bernstein über den Antisemitismus, der von seiner Unabhängigkeit zeugt. Er traf darin diese wichtige Feststellung: „Der Junker und der Geistliche haben kein spezielles Interesse daran, den Juden außer Landes zu treiben, nicht der Jude schlechtweg, sondern der liberale und radikale Jude ist ihnen ein Greuel vor dem Herrn.“94 Bernstein war ein Anhänger der Bebelschen These, daß der Antisemitismus der „Sozialismus der dummen Kerls“ sei. Diese Einschätzung wird durch die neuere Forschung insofern bestätigt, als der moderne Antisemitimus einen gegen die alten Eliten gerichteten plebejisch-demokratischen Charakter hatte und sich einem einfältigen Rechts-links-Schema entzieht.95 Rosa Luxemburg Als „Häretiker innerhalb der marxistischen Gemeinde“96 traf den sich zu seinem Judentum bekennenden „Revisionisten“ Bernstein die Verachtung
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der revolutionären Kommunistin Rosa Luxemburg. Sie hat ihm vorgeworfen, daß sein theoretisches Schaffen aus den Trümmern fast aller bürgerlichen Ideologien stamme.97 Rosa Luxemburg98 war die Tochter einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie aus dem zu Rußland gehörenden Teil Polens. Dieses Gebiet hatte nach der Niederschlagung des Unabhängigkeitskrieges vom Januar 1863 seine Autonomie verloren und wurde einem brutalen Russifizierungsdruck ausgesetzt. Rosa Luxemburgs Vater besuchte eine jüdische Schule und gehörte wie ihre Mutter, die berühmte Rabbiner zu ihren Vorfahren zählte, zu den assimilierten, sich der klassischen deutschen Literatur verbunden fühlenden Juden. Rosa Luxemburg beherrschte das Jiddische und mußte 1881 in Warschau als elfjähriges Mädchen einen Pogrom erleben. Sie vermochte aufgrund ihrer Begabung den gegen die Juden gerichteten numerus clausus an russischen Oberschulen zu überwinden. Daß sie sich bereits als Schülerin der sozialistischen Bewegung angeschlossen hat, dürfte mit ihrer spezifischen Situation zusammenhängen. Es gibt allerdings hierzu keine konkrete Äußerung von ihrer Seite, da sie als „sozialistische Internationalistin“ die ,Judenschmerzen“ zu verdrängen suchte.“ In ihrem Brief an die Kunsthistorikerin Sophie Liebknecht, die aus der wohlhabenden jüdisch-russischen Kaufmannsfamilie Ryss stammende zweite Frau Karl Liebknechts,100 gewährt sie uns einen Einblick in ihr Herz. Sie schrieb dort am 24. Dezember 1917, also unmittelbar nach der „Oktoberrevolution“, aufatmend: „In Rußland ist die Zeit der Pogrome endgültig vorbei. Dazu ist die Macht der Arbeiter und des Sozialismus viel zu stark. Die Revolution hat die Luft drüben gereinigt.“ Danach sprach sie das grauenhafte Pogrom von 1903 an, das weltweit Entsetzen und Empörung ausgelöst hat: „Kischinew ist endgültig passé“.101 Rosa Luxemburg studierte Nationalökonomie in Zürich und promovierte über die industrielle Entwicklung in Polen. In der Schweiz lernte sie führende russische Sozialisten wie Paul Axelrod, Vera Sassulitsch, Georg Plechanow, Adolf Warszawski (Warski) sowie ihren langjährigen Lebensgefährten Leo Jogiches (Tyszka) kennen. Mit dem aus einer wohlhabenden assimilierten jüdischen Kaufmannsfamilie Warschaus stammenden Warski und Jogiches gründete sie im Exil die marxistisch-internationalistische Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauen (SDKPiL).102 Diese wesentlich durch jüdische Intellektuelle geprägte Partei stand in einem Spannungsverhältnis zur Polnischen Sozialistischen Partei (PPS), für
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die die Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Polens ebenso wichtig wie der Sozialismus war. Im Jahre 1897 ging Rosa Luxemburg nach Deutschland, wo sie sich mittels einer Scheinheirat einbürgern ließ. Sie wurde zur Theoretikerin des linken Flügels der SPD. Als Journalistin und Dozentin an der Parteischule war sie bereits 1899 als Redakteurin der Parteizeitung Vorwärts im Gespräch. Ihre gemeinsam mit Jogiches konspirativ betriebene Führungsarbeit für die SDKPiL ist bis zum heutigen Tage in Deutschland weithin unbekannt, so daß sie hier einseitig als Deutsche vereinnahmt wird. Dabei ist Rosa Luxemburg 1905 zur Teilnahme an der Revolution nach Warschau geeilt und nur mit Müh und Not als deutsche Staatsbürgerin aus russischer Haft freigekommen. Rosa Luxemburgs „Ultra-Radikalismus“, der für viele deutsche Sozialisten befremdlich war, ist wesentlich auf ihre Prägung durch die russischen Verhältnisse zurückzuführen. Dort wurde dem Zaren nachgesagt, er habe gefordert, daß die Revolution im jüdischen Blut erstickt werden müsse. Als der Gouverneur von Moskau, ein Mitglied der kaiserlichen Familie, 1905 einem Attentat zum Opfer fiel, bejubelte Rosa Luxemburg die „Tötung des Moskauer Bluthundes Sergej Romanow“ in der Sächsischen Arbeiterzeitung. 103 In einem Brief bekannte sie sich damals dazu, daß man politische Gegner „ohne Umschweife erschießen“ müsse.104 Unter Bezug auf die Beiträge Rosa Luxemburgs während des Jenaer Parteitags von 1905 hat der SPD-Parteivorsitzende August Bebel geurteilt, er habe noch nie einer Debatte beigewohnt, in der so viel von Blut und Revolution die Rede gewesen sei. Er mußte unwillkürlich auf seine Stiefelspitzen schauen, „ob diese nicht in Blut wateten“.105 Ihren Briefwechsel mit Leo Jogiches führte Rosa Luxemburg auf polnisch, unter Hinzufíigung von deutschen und jiddischen Brocken. Mit Jogiches hat sie 1907 als Delegierte am Parteitag der russischen Sozialdemokraten in London teilgenommen. Nach ihrer Trennung von Jogiches hatte die „Jeanne d'Arc des Sozialismus“ mit verschiedenen Männern Romanzen. Außer mit Kostka Zetkin, dem Sohn ihrer Freundin Clara Zetkin, mit Parvus-Helphand, in dessen Münchener Wohnung sie Lenin kennenlernte. Helphand, der den Ehrgeiz gehabt haben soll, der „russische Marx“ zu werden, hat später mit der kaiserlich-deutschen Regierung die legendäre Eisenbahnreise Lenins nach Rußland vereinbart. Auch mit dem schwäbischen Fabrikantensohn Paul Levi106 verknüpften Rosa Luxemburg zarte Bande. Dieser feinsinnige und gebildete Mann übernahm nach ihrer Ermordung den Vorsitz der KPD,
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wurde jedoch nach dem gescheiterten Märzaufstand von 1921 als Gegner des Putschismus aus der Partei ausgestoßen. Rosa Luxemburg, die nach Trotzki „Marxismus in ihrem Blut“ hatte und der „Marx ihrer Zeit“ war,107 besaß nicht nur als Theoretikerin und Rednerin, sondern auch als Frau einnehmende Züge. All dies hat dazu beigetragen, daß sie für die marxistische Gemeinde bis zum heutigen Tage eine Kultfigur ist. „Rosa“, wie sie vielfach zärtlich genannt wird, wird als „große geistige Führerin des Proletariats“,108 als „Blutzeugin der Revolution“,109 als „Adler der deutschen Revolution“,110 als „eine der edelsten Frauen der Menschheitsgeschichte“,111 ja als „Du Einzige! Du Heilige! O Weib!“112 verehrt. Ihr revolutionärer Eifer, der sie das dualistisch verengte Weltbild „Sozialismus oder Untergang in Barbarei“ verkünden ließ,113 hatte einen messianischen und prophetischen Charakter. So hieß es in ihrem letzten Beitrag für die von ihr redigierte Rote Fahne am 15. Januar 1919: „Die Revolution wird sich morgen schon rasselnd in die Höhe richten und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: ‚Ich war, ich bin, ich werde sein.“'114 Lediglich der Altkommunist und Kulturminister der DDR, Alexander Abusch, dessen Vater aus dem jüdischen Viertel Krakaus stammte, hat darauf aufmerksam gemacht, daß dies eine „biblische Sprache“ ist,115 genau gesagt diejenigen Worte, mit denen Jahwe Moses anspricht (2. Mose 3.14). Georg Lukácz Der von der Neuen Linken herkommende Bostoner Historiker Paul Breines hat Ernst Bloch, Georg Lukácz und Herbert Marcuse als die „drei ketzerischen Rabbiner des Marxismus“ bezeichnet.116 Während der die „große Verweigerung“ gegenüber der kapitalistischen Konsumgesellschaft predigende und für eine „Erziehungsdiktatur“ eintretende Neomarxist Herbert Marcuse weltweit zum Vordenker der Jugendrevolte geworden ist, gilt Georg Lukácz vielen als der „größte marxistische Intellektuelle des 20. Jahrhunderts“117 überhaupt. Lukácz wurde nach dem Studium an der Universität Heidelberg promoviert. Er ist den langen Weg vom marxistischen Volks- und Politkommissar der ungarischen Räterepublik über den Stalinismus bis hin zum ungarischen Reformkommunisten des Aufstandsjahrs 1956 gegangen. Im Jahr 1885 wurde er unter dem Namen Löwinger in das Geburtsregister der israelischen Gemeinde in Budapest eingetragen. Sein Vater
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Josef ist als Chef der Kredit-Bank in Budapest geadelt worden und hat einer Freimaurerloge angehört. Dieser mit dem Titel eines königlich ungarischen Hofrats dekorierte Bankier ließ seinen Namen Löwinger in Lukácz magyarisieren. Ahnliches hat der spätere Führer der ungarischen Räterepublik, Bela Kun, getan, als er seinen jüdischen Namen Kohn vor dem Ersten Weltkrieg ablegte.118 Georg Lukácz, der protestantisch getauft wurde, sollte nach dem Willen seines Vaters Bankier werden. Er hat sich jedoch geweigert, diese Karriere einzuschlagen, und stellte als Zeichen des Protestes die Photographie eines Onkels auf seinen Schreibtisch. Dieser hatte dem „Aktivismus“ des Geschäftslebens entsagt und sich Talmud-Studien zugewandt.119 Als Lukácz in Heidelberg studierte und zum Kreis um Max Weber stieß, führte er noch das „von“ in seinem Namen. Bei der Heirat von Georg Lukácz mit der russischen Anarchistin Lljena Grabenko, die sich bei der russischen Revolution von 1905 ein Baby geborgt hat, um eine Bombe unter ihrer Schürze zu verbergen,120 ist Ernst Bloch 1914 Trauzeuge gewesen. Während der ungarischen Räterepublik war Lukácz nominell stellvertretender, faktisch amtierender Kulturkommissar. Überdies gehörte er dem Zentralkomitee an, war Kommissar der 5. Division und gab die Roten Nachrichten heraus. Ihre Ausgabe vom 3. Februar 1919 enthielt diesen flammenden Aufruf: „Zur Hölle mit der bürgerlichen Demokratie! Zur Hölle mit der parlamentarischen Republik ... Proletariat zu den Waffen!“ Für Lukácz konnte damals eine „neue Weltordnung ... nur durch Gewalt zustande kommen“.121 Dieser „Robespierre von Budapest“, der 1918 in zweiter Ehe die aus einer slowakischen Rabbinerfamilie stammende Gertrud Bortstieber heiratete,122 wurde nach dem Sturz der Räterepublik in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Unter denjenigen Intellektuellen, die sich gegen die Auslieferung des im österreichischen Exil lebenden Lukácz an die konterrevolutionäre Regierung in Ungarn aussprachen, befand sich Bloch. Er bescheinigte ihm im August 1919, daß er geholfen habe, „das ungarische Volk von Ausbeutern und vor allem Junkern freizumachen“. Er sei einer „der gewissenhaftesten, sittlich unantastbarsten Menschen dieser Zeit“ und komme aus „Eisners und Landauers Geschlecht“.123 Dem jungen Lukácz, der außer mit Bloch auch mit dem Judaisten und Zionisten Buber enge Beziehungen unterhielt, bescheinigt sein Biograph Istvan Herman „messianisches Sektierertum“.124 Als orthodoxer Marxist ehrte er 1921 in einem Nachruf Rosa Luxemburg als die nach Lenin „wohl
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würdigste Nachfolgerin von Marx und Engels“. Ihr ganzes Leben sei „ein aufopfernder Kampf zur Revolutionierung des Proletariates“ gewesen. Lukácz hat Lenin nach seinem Tod als „größten Denker seit Marx“ gepriesen, er habe die „Reinheit der Marxschen Lehre“ wiederhergestellt. Georg Lukácz Schrift Geschichte und Klassenbewußtsein von 1923 gilt vielen als die bedeutendste marxistische Schrift des 20. Jahrhunderts. Lukácz behauptete darin, die Freiheit sei kein Wert an sich, vielmehr habe sie der „Herrschaft des Proletariates“ zu dienen.125 Für ihn war der historische Materialismus „die Theorie der proletarischen Revolution“. Deren Lebensnotwendigkeit sei die „Unterdrückung der Bourgoisie, das Zerschlagen ihres Staatsapparates, das Vernichten ihrer Presse“.126 Die Aufgabe der kommunistischen Partei als „Erzieher des Proletariates zur Revolution“127 sei die Beseitigung des „sündhaften“ kapitalistischen Systems.128 Nach seiner Schülerin Agnes Heller, die zunächst zionistisch und dann marxistisch ausgerichtet war, war es das Bestreben von Lukácz, der „Heilige Aügustinus des Kommunismus“ zu werden.129 In seinen Moskauer Jahren (1929-45) arbeitete Lukácz zeitweise in dem von David Rjasanow (Goldendach) gegründeten und geleiteten Marx-Engels-institut. Vor dem Ersten Weltkrieg hat Rjasanow in Wien gelebt, wo er Schüler des ersten „Kathedermarxisten“ Karl Grünberg130 war. Dieser stammte aus einer jüdischen Familie Rumäniens, gründete 1911 das Archiv für Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung und wurde 1924 zum Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung berufen. Dieses Institut, das ursprünglich „Institut für Marxismus“ heißen sollte, ist von dem jüdischen Millionenerben und „Salonbolschewisten“ Felix Weil finanziert worden, der 1919 wegen revolutionärer Aktivitäten zeitweise inhaftiert war.131 Das Frankfurter Institut hat eng mit dem Moskauer MarxEngels-institut kooperiert, nach dessen Vorbild es aufgebaut war. Im Unterschied zu Rjasanow vermochte Georg Lukácz bei Stalins „großem Holocaust an den jüdischen Kommunisten“132 sein Leben zu retten, allerdings um den Preis, daß er im September 1936 auf einer Geheimsitzung in Moskau die „Liquidation der Schädlinge“ forderte.133 Ernst Bloch Ernst Bloch war für lange Zeit die „Kultfigur der Linken“ in Deutschland.134 Er hat dem Begründer der Bayerischen Republik, Kurt Eisner, am 14. Dezember 1918 nachgesagt, daß er „leider kein Deutscher im völligen
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Wortsinn, sondern ein Jude“ sei. Und zwar ein solcher, der vom Geist der „alttestamentarischen Propheten ergriffen gewesen sei“.135 Für Bloch stand fest, daß die „messianischen Sehnsüchte an eine ... erlöste Menschheit“ im Judentum dominierten.136 Bloch stammte aus einer liberalen jüdischen Familie Mannheims und promovierte 1908 in Würzburg über ein erkenntnistheoretisches Thema zum Dr. phil. Er ging dann nach Berlin, wo er Schüler des bedeutenden Soziologen Georg Simmel wurde, der seinerseits als Jude unter der „schreienden Ungerechtigkeit“ des Antisemitismus gelitten hat. Bloch freundete sich mit Lukácz an und gehörte wie dieser in Heidelberg zum Kreis um Max Weber. Der nicht kriegstaugliche Philosoph und Schriftsteller ging 1917 in die Schweiz, wo er publizistisch gegen die „prinzipiell menschenfeindlichen“ Zentralmächte Preußen und Österreich Stellung bezog.137 Bloch kennzeichnete dabei Deutschland als eine „einzige finstere, mitternächtliche Todesmaschine, in der der Satan haust“ und plädierte für die „Zertrümmerung Österreich-Ungarns“ mit seinem „christuslosen Katholizismus“. Die Habsburger Dynastie habe nur „rückgratlose, unwirkliche, jesuitisch verdorbene Menschen“ gezüchtet.138 Blochs Prägung durch einen prophetischen Messianismus, der sich in seinem expressionistischen Stil widerspiegelt, unterscheidet ihn als Charismatiker grundlegend von den sich des üblichen Politjargons bedienenden marxistischen Funktionären. In seinem Nachruf auf Bloch verglich der – jüdische – österreichische Kommunist Bruno Frei(stadt) Karl Marx mit dem Propheten Jesaja. Frei berichtete, die Schriften von Bloch verschlungen zu haben, „wie ein Hungriger Brot ißt“,139 und bekannte dabei, daß er Jeremias vor Karl Marx gelesen habe. Über Blochs Geist der Utopie von 1918 schreibt seine Biographin, Ernst Bloch erweise sich darin als ein „ganz und gar singulärer, Christentum, Judentum und Sozialismus auf häretische Weise durcheinanderwerfender und verkehrender Mystiker“.140 Ähnlich beurteilte ihn Siegfried Kracauer. Für ihn war der „Kommunist und Chiliast“ Ernst Bloch „ein von Schauern durchfieberter schweifender Geist“, bei dem „chiliastische Religiosität“ ein „folgenschweres Bündnis mit dem politischen Kommunismus“ eingegangen sei.141 Tatsächlich standen solch ekstatisch-expressionistischer Revolutionsmystik harte klassenkämpferische Parteinahmen gegenüber. So hat Bloch im Exil zu einem Zeitpunkt, als viele jüdische Marxisten bereits Stalin entsetzt den Rücken kehrten, mit diesen Worten die massenmörderische
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„Säuberung“ verteidigt: Manch einer käme „nicht darüber hinweg, daß der zwanzigjährige bolschewistische Jüngling“ – gemeint ist die Sowjetunion – sich „so vieler Feinde entledigen“ müsse.142 In seinem sprichwörtlich gewordenen Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung finden sich im Zweiten Buch in unmittelbarer Nähe die Aussage, daß es „kein Leid (gibt), welches dem jüdischen zu vergleichen wäre“,143 das Moses-Heß-Zitat, daß Sozialismus gleichbedeutend sei mit „Sieg der jüdischen Mission im Geist der Propheten“144 und schließlich das vielzitierte Diktum: „Ubi Lenin, ibi Jerusalem“, das heißt wo Lenin ist, da ist Jerusalem!145 Als nach wie vor überzeugter Marxist kehrte Bloch aus der amerikanischen Emigration nach Deuschland zurück und nahm den PhilosophieLehrstuhl an der Universität Leipzig an, um am Aufbau des sozialistischen neuen Deutschland mitzuwirken. In seiner Antrittsvorlesung von 1949 stellte er bedauernd fest, daß „unter den Reaktionären Amerikas Karl Marx, der Befreier der Mühseligen und Beladenen, sozusagen als Verbrecher“ gelte!146 Bloch, der nach der Aussage einer Schülerin und Vertrauten die „DDR für den Anfang eines sozialistischen Gottesstaates auf deutschem Boden“ gehalten hat,147 pries 1953 Karl Marx als „ungeheuren Lehrer dieser Auferhebung des Proletariates“.148 Bloch ist in der DDR zunächst als eine Art „Staatsphilosoph“ gefeiert worden149 und wurde bei seinem 70. Geburtstag mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet. Als im Jahr 1956 sowjetische Panzer den ungarischen Aufstand niederwalzten und seinen reformkommunistisch gewendeten alten Freund Lukácz aus dem Amt des Kultusministers verjagten, gerieten Bloch und seine Frau Karola – die stolz war, wie Rosa Luxemburg eine polnische Jüdin zu sein150 – in einen Konflikt mit der SED. Auf einer Hegel-Gedenkfeier in der Berliner Universität vom November 1956 kritisierte Bloch die „roten Oberlehrer“. Bei der sich daran anschließenden erregten Aussprache in der SED-Bezirksleitung schrie die Genossin Bloch unter Tränen, bei den Vorgängen in Ungarn handele es sich um „roten Faschismus“. Dieser Bewertung schloß sich Bloch selbst spontan an.151 Er wurde daraufhin zwangspensioniert und durch die „Staatssicherheit“ observiert. Im Jahr des Baus der Berliner Mauer zog er nach Tübingen. Als von vielen Linken verehrter „Vater und König“, wie ihn der auf sein Republikanertum stolze Walter Jens ehrfürchtig tituliert hat,152 begann er in dem von ihm verachteten „Kapitalismus“ eine neue Karriere mit bedeutender Medienwirksamkeit.
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Trotz seines ständig beschworenen marxistischen Humanismus hat Bloch ideologisch unerbittliche Positionen bezogen. So verlautbarte er 1969: „Es gibt besonders heutzutage eine Unmenge von Leuten, die kein Recht haben, recht zu haben.“ Und: „Wer Vietnam zugestimmt hat oder sich dazu verhalten hat, hat kein Recht, keine Legitimation, über die Aktion der Sowjetunion gegen Prag zu urteilen!“153 Sein Sohn Jan Robert Bloch, dem der Komponist Hanns Eisler zur Geburt ein Wiegenlied komponiert hatte, gehört zu denen, die solcher Argumentation nicht folgen wollten. Er hat dem Vater zum Vorwurf gemacht, daß er sich „bis zum Biegen und Brechen“ mit dem Parteistalinismus arrangiert und „Stalins Blutterror philosophisch und propagandistisch gedeckt“ habe.154 Ernst Blochs 1968 publizierte Schrift Atheismus und Christentum liefert zum Hintergrund seines politischen Glaubens wichtige Hinweise. Er bezeichnete darin den Kommunismus als den „härtesten Stein des Anstoßes“ für das römische Christentum und unterstellte, daß die Gestapo an den Ketzerrichtern und Hexenverbrennern ihr „Vorbild“ gehabt habe.155 Indem Ernst Bloch 1951 in seinem Aufsatz Der Student Marx davon sprach, daß der „Menschenbau Marxismus“ immer breiter auf der Erde gegründet und daß das „Werk der zweiten Menschwerdung“ angepackt werden müsse, wird der quasireligiöse Charakter seiner Theorie unübersehbar. Man denkt hierbei unwillkürlich an das Wort des bolschewistischen Kulturkommissars Anatoli Lunatscharski, der sich ausdrücklich zum Haß gegen Christus und das Christentum bekannte156 und den Marxismus als Nichtjude als eine von Juden „formulierte“ neue „fünfte Weltreligion“ gepriesen hat.157 Anmerkungen 1 Neue Jüdische Monatshefte 3 (10./25. Juli 1919) 19/20, S. 405-411 (Zitat: S. 411). 2 Arnold Zweig: Die antisemitische Welle. In: Weltbühne (1919) 15, S. 443. 3 Berlin 1999, S. 29. 4 Walther Victor: Marx und Heine. Berlin 1970, S. 86. 5 Robert Michels: Die deutsche Sozialdemokratie (1906). In: Masse, Führer, Intellektuelle. Politischsoziologische Aufsätze 1906-1933. Frankfurt/M. 1987, S. 109. 6 Art. Bernstein, Bd. l, Reprint 1979. 7 Karl Kautsky: Erinnerungen und Erörterungen. Den Haag 1960, S. 421. 8 Robert Michels: Masse, Führer, Intellektuelle. Frankfurt/M. 1987, S. 109 f. 9 Arthur Ruppin: Die Juden in der Gegenwart. Berlin 1904, S. 260. 10 Eduard Bernstein: Wie ich als Jude in der Diaspora aufwuchs. In: Der Jude 2 (1917/18), S. 186-195.
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11 Arthur Hertzberg: Das Judentum und die Moderne. In: Elie Kedourie (Hrsg.): Die jüdische Welt. Frankfurt/M. 1980, S. 314. 12 Peter Kaupp: Toynbee und die Juden. Meisenheim a. G. 1967, S. 113. 13 Donald Daviau: Hermann Bahr und der Antisemitismus, Zionismus und die Judenfrage. In: Literatur u. Kritik 1988, S. 21-41 (Zitat: S. 26). 14 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 1. Berlin 1978, S. 273. 15 So formulierte Theodor Wolff um 1942/43 in seinem Essay: Die Juden. Königstein/Ts. 1984, S. 54. 16 Zit. nach: Uwe Laugwitz: Albert Ehrenstein. Frankfurt/M. 1987, S. 277. 17 Werner Blumenberg: Karl Marx. Reinbek 1962, S. 11. 18 Vgl. hierzu Heinz Monz: Gerechtigkeit bei Marx und in der Hebräischen Bibel. Baden-Baden 1995 – Dieses Buch enthält ein Nachwort des Luxemburger Großrabbiners Emmanuel Bulz. 19 Helmut Hirsch: Marx und Moses. Judentum und Umwelt. Bd 2. Frankfurt 1980, S. 100. 20 Louis Rapoport: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin 1999, S. 44. 21 Isaac Deutscher. Trotzki. Stuttgart 1962 – der Untertitel des ersten Bandes lautet: Der bewaffnete Prophet. 22 Arnold Künzli: Karl Marx. Wien 1966, S. 122 ff. 23 Shlomo Na'aman: Emanzipation und Messianismus. Leben und Werk des Moses Heß. Frankfurt/M. 1982, S. 131. 24 Rudolf Ardelt: Friedrich Adler. Wien 1984, S. 32. 25 Ebenda, S. 114. 26 Georg W. Strobel: Die Partei Rosa Luxemburgs. Wiesbaden 1974, S. 128. 27 Henry Tobias: Thejewish Bund. Stanford 1972. 28 Grigori Sinowjew: Geschichte der kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewiki). Hamburg 1923, S. 52. 29 Granville Eastwood: Harold Laski. London 1977, S. 5 ff. 30 Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär. Frankfurt 1977, S. 78. 31 Isaac Deutscher: Der nichtjüdische Jude. Berlin 1988, S. 162 ff. 32 Edmund Silberner: Sozialisten zur Judenfrage. Berlin 1962, S. 12. 33 Ebenda, 2. Kap.: Charles Fourier, S. 16-27. 34 Ebenda, S. 29. 35 Robert F. Byrnes: Antisemitísm in modern France. New York 1969, S. 121. 36 Zeev Sternhell: La droite révolutionnaire 1885-1914. Les origines françaises du fascisme. Paris 1997, S. 222 ff. 37 Robert F. Byrnes: Antisemitísm in modern France. New York 1969, S. 137 ff. 38 Ebenda S. 166. 39 Eduard Drumont: Das verjudete Frankreich. Berlin 61889, Teil l, S. II. 40 Ebenda, Teil l, S. 51. 41 Ebenda, Teil l, S. 417. 42 Eugen Dühring: Die Judenfrage als Frage des Racencharakters und seiner Schädlichkeiten für Völkerexistenz, Sitte und Cultur. Berlin 51901, S. V. 43 Ebenda, S. 27. 44 Ebenda, S. 77. 45 Ebenda, S. 104. 46 Marc Crapez: La gauche réactionnaire. Mythes de la plèbe et de la race. Préface de Pierre-Andre Taguieff. Paris 1997, S. VII. 47 Ebenda, S. 245-268. 48 Louis-Ferdinand Céline: Die Judenverschwörung in Frankreich. Dresden o. J. (1938), S. 33 ff. 49 Karlheinz Weißmann: Der Nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890 bis 1933. München 1998, S. 76. 50 Ebenda, S. 113.
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51 Joseph Goebbels: Der Nazi-Sozi. München 1929. 52 Ulrich Höver: Joseph Goebbels – ein nationaler Sozialist. Bonn, Berlin 1992, S. 48. 53 Edmund Silberner: Moses Heß. Leiden 1966, S. 650. 54 Stuttgart 1937, Repr. Hildesheim 1980. 55 Ebenda, S. 287. 56 Edmund Silberner: Moses Heß. Leiden 1966, S. 198. 57 Ebenda, S. 96. 58 Winfried Scharlau und Zbynek Zeman: Parvus-Helphand. Köln 1964. 59 Moses Heß: Philosophische und sozialistische Schriften 1837-1850. Vaduz 1980, S. 448. 60 Edmund Silberner: Moses Heß. Leiden 1966, S. 318. 61 Ebenda, S. 407. 62 Jonathan Frankel: The „Communist Rabbi“ Moses Heß. In: Commentary 1966, S. 77-81. 63 Vgl. Zwi Rosen: Moses Heß und Karl Marx. Hamburg 1983, S. 8: „... ohne den Ideenreichtum und den sozialistischen Gehalt des Denkens von Heß ist die Marxsche Theorie undenkbar.“ 64 Humanität (1992) 5, S. 13-15. 65 Vgl. Heinrich Heine: „Das Geld ist der Gott unserer Zeit und Rothschild sein Prophet.“ Zit. nach: Frederic Morton: Die Rothschilds. München 1962, S. 91. 66 Helmut Hirsch: Marx und Moses. Frankfurt/M. 1980. 67 Polin: Studies in Polish Jewry. Vol. 9. London 1996, S. 4; Gerald Sorin: The prophetic minority. Bloomington, Ind. 1985, S. 26. 68 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 1. Berlin 1978, S. 70. 69 Rainer Funk: Erich Fromm. Reinbek 1983, S. 8. 70 Erich Fromm: Humanismus als reale Utopie. Weinheim 1992, S. 162. 71 Ossip Flechtheim: Von Marx bis Kolakowski. Köln 1978, S. 17. 72 Friedrich Adler: Die Erneuerung der Internationale. Wien 1918, S. 205. 73 Achim von Borries: Selbstzeugnisse des deutschen Judentums. Frankfurt/M. 1962, S. 217. 74 Leo Löwenthal: Studien über Judentum, Antisemitismus und faschistischen Geist. Leipzig 1990, S. 62. 75 Theodor Lessing: Die Unlösbarkeit der Judenfrage (1932). In: ders.: Ich warf die Flaschenpost. Darmstadt 1986, S. 424. 76 Silke Mertins: Zwischen töne: Jüdische Frauenstimmen aus Israel. Berlin 1992, S. 175 f. 77 Julius Braunthal: Auf der Suche nach dem Millenium. Nürnberg 1948, S. V 78 Carlo Schmid: Ferdinand Lassalle. In: Archiv für Sozialgeschichte (1963) 3, S. 5. 79 Helmut Hirsch: Der „Fabier“ Eduard Bernstein. Berlin 1977; Francis Garsten: Eduard Bernstein. München 1993. 80 Shlomo Na'aman: Lassalle. Hannover 1970. 81 Hans M. Hensel: Samuel Spier. In: Frankfurter Allgemeine Zeìtung~Nr. 100 vom 29. 4. 1995. 82 Hermann Oncken: Lassalle. Stuttgart 1966, S. 31. 83 Leo Löwenthal: Judaica. Schriften. Bd. 4. Frankfurt/M. 1984, S. 32 f. 84 Hermann Oncken: Lassalle. Stuttgart 1966, S. 34. 85 Ferdinand Lassalle: Eine Auswahl für unsere Zeit. Bremen 1963, S. 13. 86 Hermann Oncken: Lassalle. Stuttgart 1966, S. 34. 87 Heiner Grote: Sozialdemokratie und Religion. Tübingen 1968, S. 17. 88 Samuel H. Baron: Plekhanow. The father of Russian marxism. Stanford 1963. 89 Richard Abraham: Rosa Luxemburg. Oxford 1989, S. 32. 90 Hans Veigl (Hrsg.): Luftmenschen spielen Theater. Jüdisches Kabarett in Wien 1890-1938. Wien 1992, S. 145. 91 Robert Wistrich in: Horst Heimann und Thomas Meyer (Hrsg.): Bernstein und der demokratische Sozialismus. Berlin 1978. 92 Francis Garsten: Eduard Bernstein. München 1993. 93 Eduard Bernstein: Sozialdemokratische Lehrjahre. Berlin 1928, S. 7.
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94 Eduard Bernstein: Das Schlagwort und der Antisemitismus. In: Die Neue Zeit (1892/93) 11, S. 228-237, (Zitat: S. 234). 95 Vgl. Zeev Sternhell: La droite révolutionnaire 1885-1914. Paris 1992, Chap. IV: L'antisémitisme de gauche. 96 Klaus Epstein: Geschichte und Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. 1972, S. 54. 97 Thomas Meyer: Bernsteins konstruktiver Sozialismus. Berlin 1977, S. IX. 98 Elzbieta Ettinger: Rosa Luxemburg. Bonn 1990. 99 Sie schrieb einmal an ihre jüdische Freundin Mathilde Wurm: „Was willst Du mit den speziellen Judenschmerzen“, zit. nach: Edmund Silberner: Kommunisten zur Judenfrage. Opladen 1983, S. 69. 100 Susanne Leonhard: Gestohlenes Leben. Als Sozialistin in Stalins Gulag. Frankfurt/M. 1988, S. 17 f. 101 Rosa Luxemburg: Gesammelte Briefe. Bd. 1. Berlin 1982, S. 346 f. 102 Georg Strobel: Die Partei. Rosa Luxemburg, Lenin und die SPD. Wiesbaden 1974. 103 Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke. Bd.1.2. Berlin 1972, S. 519. 104 Leserbrief Prof. Georg Strobel in der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 25.1. 1994. 105 Gerhard Beier: Rosa Luxemburg. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1974) 10, S. 182. 106 Charlotte Beradt: Paul Levi. Frankfurt/M. 1969. 107 Richard Abraham: Rosa Luxemburg. Oxford 1989, S. l und 3. 108 Georg Lukácz: Geschichte u. Klassenbewußtsein. Neuwied 1968, S. 217. 109 Clara Zetkin: Ausgewählte Reden und Schriften. Bd. 2. Berlin 1960, S. 147. 110 Alexander Abusch: Stalin und die Schicksalsfragen der deutschen Nation. Berlin 1959, S. 44. 111 Hanns Eisler: Gespräche mit Hans Bunge. München 1976, S. 78. 112 Johannes Becher: Ewig im Aufruhr. Berlin 1920, S. 10-13: „Hymne auf Rosa Luxemburg.“ 113 Rosa Luxemburg: Politische Schriften. Bd. II. Frankfurt/M. 1966, S. 161. 114 Walter Nimtz: Die November-Revolution 1918 in Deutschland. Berlin 1965, S. 157. 115 Alexander Abusch: Die Welt Johannes R. Bechers. Berlin 1981, S. 145. 116 Paul Breines: Utopie und Partei. In: Reinhold Grimm (Hrsg.): Deutsches Denken im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1974, S. 96-103. 117 Arpad Kadarkay: Georg Lukácz. Cambridge/Mass. 1991. 118 György Borsanyi: Bela Kun. New York 1993, S. 2. 119 Ehrhard Bahr: Georg Lukácz. Berlin 1970, S. 11. 120 Arpad Kadarkay: Georg Lukácz. Cambridge/Mass. 1991, S. 160. 121 Georg Lukácz: Geschichte und Klassenbewußtsein. Neuwied 1968, S. 87. 122 Istvan Hermann: Georg Lukácz. Wien 1986, S. 75. 123 Ernst Bloch: Kampf, nicht Krieg. Politische Schriften 1917-1919. Frankfurt/M. 1985, S. 436. 124 Istvan Herman: Georg Lukácz. Wien 1986, S. 86. 125 Georg Lukácz: Geschichte und Klassenbewußtsein. Neuwied 1968, S. 469. 126 Ebenda, S. 569. 127 Ebenda, S. 110. 128 Ebenda, S. 81. 129 Agnes Heller: Der Affe auf dem Fahrrad. Berlin-Wien 1999, S. 119. 130 Henryk Grossmann und Karl Grünberg: Anarchismus, Bolschewismus, Sozialismus. Aufsätze. Frankfurt/M. 1971, S. 10. 131 Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. München 1988, S. 21 ff. 132 So Leonard Schapiro, zit. nach: Matthias Vetter: Antisemiten und Bolschewiki. Berlin 1995, S. 329. 133 Zit. nach: Walter Janka: Die Selbstzerstörung der Intelligenz. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4-2. 1992. 134 Der Spiegel (1992) 4, S. 164. 135 Ernst Bloch: Kampf, nicht Krieg. Politische Schriften 1917-1919. Frankfurt/M. 1985, S. 428. 136 Ebenda, S. 235. 137 Ebenda, S. 483.
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138 Ebenda, S. 497. 139 Karola Bloch und Adelbert Reif: In Memoriam Ernst Bloch 1885-1977. Köln 1978, S. 321. 140 Silvia Markun: Ernst Bloch. Reinbek 71996, S. 29. 141 Siegfried Kracauer: Aufsätze 1915-1926. Frankfurt/M. 1990, S. 196 f. 142 Silvia Markun: Ernst Bloch. Reinbek 1996, S. 57. 143 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Bd. 2. Frankfurt/M. 1959, S. 696. 144 Ebenda, S. 702. 145 Ebenda, S. 711. 146 Ernst Bloch: Über Marx. Frankfurt/M. 21968, S. 145. 147 Ruth Römer: Die ideologische Offensive. Rez. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. 3. 1995. 148 Ernst Bloch: Über die Kategorie Möglichkeit. In: Sinn und Form (1953) l, S. 51. 149 Silvia Markun: Ernst Bloch. Reinbek 1996, S. 91. 150 Karola Bloch: Sehnsucht des Menschen, ein wirklicher Mensch zu werden. Bd. I. Tübingen, S. 14. 151 Hoffnung kann enttäuscht werden. Ernst Bloch in Leipzig. Dokumentiert von Volker Caysa u.a. Frankfurt/M. 1992, S. 117 f. 152 Helmut Schelsky: Die Hoffnung Blochs. Stuttgart 1979, S. 188. 153 Ebenda, S. 215. 154 Der Spiegel (1992) 4, S. 164. 155 Ernst Bloch: Atheismus im Christentum. Frankfurt/M. 1968, S. 47 u. 49. 156 Efraim Briem: Kommunismus und Religion in der Sowjetunion. Basel 1948, S. 414. 157 Leonard Schapiro und Peter Reddaway (Hrsg.): Lenin. Stuttgart 1970, S. 63.
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Sozialismus und Kommunismus als Alternative zum Christentum „Alles ist Religion, was die Altäre niederreißt.“ FRIEDRICH AUSTERLITZ1
Auf einer Tagung der evangelischen Akademie zu Arnoldshain wurde 1985 der oft übergangene Sachverhalt angesprochen, daß es neben dem christlichen Antijudaismus auch einen jüdischen Antichristianismus gegeben habe.2 Dieser bestand im Kern darin, Jesus als den zu bezeichnen, der sich „angemaßt habe, der Christus (Messias)“ zu sein.3 Umgekehrt sind die Juden von christlichen Antijudaisten kollektiv als „Gottesmörder“ denunziert worden. Zur Überwindung dieser Belastung haben die christlichen Kirchen nach der Katastrophe des Holocaust durch die Sichtung ihres Erbes und die Eliminierung des Antijudaismus aus der christlichen Theologie viel getan. Trotzdem ist unbestreitbar, daß der Antisemitismus und der von einigen Juden als sein „Arzt“ begriffene Sozialismus eine religiöse Tiefendimension enthielten. Schon der in Berlin geborene Jerusalemer Judaist Gershom (Gerhard) Scholem glaubte einen „essentiellen Konflikt zwischen Judentum und Christentum“ im Hintergrund dieses Konflikts wahrzunehmen.4 Seine Jugenderinnerungen Von Berlin nach Jerusalem widmete Gershom Scholem dem Andenken seines Bruders Werner Scholem. Der hatte als Gymnasiast dem zionistischen ,Jung-Juda-Kreis“ angehört,5 trat 1913 der SPD bei und heiratete seine christliche Jugendfreundin Emmy aus der Sozialistischen Arbeiterjugend. Daraufhin verstieß ihn sein in der jüdischen Tradition stehender und zum gehobenen Bürgertum gehörender Vater.6 Der 1940 im KZ Buchenwald ermordete Werner Scholem wurde 1921 zum jüngsten KPD-Land tagsabgeordneten in Preußen gewählt und ist im April 1924 ins Zentralkomitee sowie ins Politbüro der KPD aufgestiegen. Er hatte seine Partei auch im Exekutivkomitee der Komintern in Moskau vertreten.
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Um auf die behauptete religiöse Tiefendimension zurückzukommen, seien hier noch drei jüdische Stimmen zitiert. So hat der Zionist Jakob Klatzkin bereits 1930 den Vorwurf erhoben, „die Schuld der Christenheit an Israel“ sei alt, aber unverjährbar.7 Raul Hilberg fällte in seinem Buch Die Vernichtung der europäischen Juden das Urteil: „Die Nazis brachen nicht mit der Vergangenheit, sie bauten auf ihr auf'.8 Und Elie Wiesel betont: „Die Mörder waren Christen.“9 Dies ist insofern unbestreitbar, als die Mörder der Juden zum christlichen Kulturkreis gehörten und christlich getauft waren. Und auch deswegen, weil Adolf Hitler bewußt an den überkommenen Antijudaismus/Antisemitismus angeknüpft hat, wenn er in Mein Kampf erklärte: „Indem ich mich der Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“10 Die kollektive Belastung der Christen mit dem Genozid ist zwar verständlich, jedoch insofern unbillig, als die Nationalsozialisten keine christlichen Motive, ja neuheidnische Zielsetzungen11 hatten und eine Anzahl von Haupttätern – so etwa Heinrich Himmler, Adolf Eichmann, Reinhard Heydrich und der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß – demonstrativ durch Austritt mit der Kirche gebrochen haben. Schließlich sind Adolf Hitler und Heinrich Himmler so weit gegangen, im Kreise ihrer Vertrauten anzukündigen, daß die „Ausrottung“ des von ihnen als jüdisches Produkt denunzierten Christentums nach dem „Endsieg“ auf ihrem Programm stehe.12 Es ist kein Zufall, daß der deutsche Widerstand gegen die NS-Diktatur außer von Sozialisten besonders von Christen getragen worden ist. Zu den Opfern des Nationalsozialismus gehörten Hunderte Priester und auch Mitglieder des von den Nationalsozialisten beargwöhnten evangelischen Johanniterordens.13 Auch im Blick auf die antichristliche Stoßrichtung gab es deutliche Parallelen zwischen Nationalsozialismus und Bolschewismus. In seinem Buch Ich war Stalins Sekretär hat Boris Baschanow festgestellt: „Unsere Zeit war vom Kampf des Kommunismus mit der alten christlichen Zivilisation erfüllt.“ Er urteilte weiter, daß Kommunismus und Marxismus als die „direkte Verneinung“ dieser Zivilisation erscheinen müßten.14 Am Kampf gegen die Religion haben jüdische Kommunisten an prominenter Stelle mitgewirkt. Trotzki war der erste Vorsitzende der „Gesellschaft der Gottlosen“15 und leitete diejenige Kommission, die den kirchlichen Besitz zugunsten der Finanzierung der Revolution beschlagnahmte.16 Sein Stellvertreter bei den „Gottlosen“, der dann zu seinem Nachfolger in
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diesem Amt wurde, war der aus einer jüdischen Familie stammende Emeljan Jaroslawski (Gubelmann). Jaroslawski ist der Verantwortliche für eine plumpe Agitation gewesen, die zum Beispiel das Flugblatt Der besoffene Christus verbreitet hat. Als Ziel der „militanten Gottlosen“ formulierte Jaroslawski: „Wir wollen alle Kirchen der ganzen Erde in ein riesiges Meer von Flammen stürzen. Unsere Gottlosenbewegung ... ist ... einer der wichtigsten Zweige des religiösen Klassenkampfes. Wir müssen unser antireligiöses Werk, das die Grundlagen der alten Welt untergräbt, noch verstärken. Die Gottesdiener aller Bekenntnisse sollten wissen, daß kein Gott, keine Heiligen, keine Gebete, die Welt des Kapitalismus vor dem Untergang retten werden.“17 Wie erfolgreich der durch einen „antireligiösen Fünfjahresplan“18 gestützte beispiellose Kampf der Bolschewiki gegen die Kirche gewesen ist, geht daraus hervor, daß von den im Jahr 1914 geöffneten 54000 russischen Kirchen im Jahr 1941 noch 500 und somit knapp l Prozent übrig geblieben war.19 Neben dem Christentum und dem Islam ist auch das religiöse Judentum von den Bolschewiki bekämpft worden. Dabei tat sich die aus dem jüdischen Arbeiterbund kommende Esther Frumkin (Malka Lifschitz) hervor. Sie hatte einen Rabbiner zum Großvater, übersetzte Lenin ins Jiddische und haßte die frommen Juden. Im Jahr 1923 publizierte sie die Broschüre Nieder mit den Rabbis. Esther Frumkin und der Chef der jüdischen Sektion (Jevsekcija) der Staatspartei, Semen Diamantstein,20 sorgten für die Auflösung der rabbinischen Schulen und Seminare sowie die Achtung des Hebräischen als Sakralsprache. Als Mitarbeiterin der jiddischen Ausgabe der Prawda, die unter dem Titel Emes erschien, ging es Esther Frumkin darum, den Kommunismus mit dem säkularen Judentum zu versöhnen.21 Juden auf der Suche nach Erlösung vom Antisemitismus In einem Brief vom März 1915 hat Stefan Zweig von dem unverdienten Schicksal gesprochen, „persönlich für eine Rasse gehaßt zu werden“.22 Der aus Rumänien stammende Elie Wiesel berichtet, daß für ihn als kleinen Jungen von den „schwarz gekleideten Pfarrern“, vor denen sich die alten Bäuerinnen bekreuzigten, „Feindschaft“ ausging.23 Und der mit Franz Kafka befreundete und wie er aus einer Prager jüdischen Familie stammende Literat Willy Haas schrieb 1922, daß das Judentum seine zeitliche Be-
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Stimmung „trotz und gegen die christliche Ideologie“ erfülle, und zwar als „der beste Kritiker, der witzigste Satyriker, der radikalste Kommunist“.24 Nach Jacob L. Talmon loderten für die unter ihrer Zurücksetzung leidenden und auf Erlösung hoffenden osteuropäischen Juden nach dem Ersten Weltkrieg an zwei Seiten „messianische Feuer“ , und zwar für 1. die „zionistische Erlösung“ in einem eigenen Judenstaat, und 2. die „kommunistische Weltrevolution“.25 Daß der Kommunismus auch auf sozialistische Zionisten der Poale Zion (Arbeiter Zions) große Anziehungskraft ausübte, belegt dies: Auf der Tagung des Weltverbandes der Poale Zion in Wien vom Juli/August 1920 spaltete sich der Verband in zwei gleich große Teile. Der linke Flügel entsandte eine Delegation nach Moskau, um über den Beitritt zur Komintern zu verhandeln, der ihm jedoch von den antizionistischen Bolschewiki verwehrt wurde.26 Tatsächlich haben die marxistischen Internationalisten diejenigen, die den nationalreligiösen und den zionistischen Weg gingen, als Reaktionäre, Nationalisten, ja als faschistisch verunglimpft.27 Es hat jüdische Sozialisten gegeben, die so weit gegangen sind, den Zionismus als „eine Art jüdischer Hitlerei“ zu denunzieren.28 Bislang ist die Frage meist ausgeklammert worden, welche Folgen sich daraus ergeben haben, daß die Juden „persönlich für ihre Rasse gehaßt“ worden sind, was ja schließlich eine außerordentliche psychische Belastung darstellt. Dafür, daß sie sich Jahrhundert um Jahrhundert geprügelt und gedrückt“ vorkamen, wie Louis Fürnberg während des Zweiten Weltkrieges in seinem Judenlied formuliert hat,29 mußten sie zwangsläufig ihre christliche Umwelt verantwortlich machen. Indem sich tatsächlich viele jüdische Kommunisten feindlich gegenüber Christentum und Kirche verhielten, ist außerdem die Frage aufzuwerfen: Inwieweit ist der als „jüdisch“ hingestellte Sozialismus eine Antwort auf, ja ein „Gegenpol“ zum Christentum gewesen, wie der im KZ Theresienstadt umgekommene, vom Judentum zum Katholizismus konvertierte konservative Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte, Paul Nikolaus Cossmann, behauptet hat.30 Seine rechtskonservative, gegenüber dem Zionismus aufgeschlossene Haltung hat Cossmann nicht davor bewahrt, im KZ Theresienstadt sein Leben zu lassen. Cossmanns These verdient um so größere Beachtung, als sie mit nur geringen Varianten auch von sozialistischen Juden vertreten wird. So mißt Jacob Talmon einer Analyse des jüdischen I848ers Karl Ludwig Bernays
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große Bedeutung zu. Dieser ist mit dem aus Mainz gebürtigen Bernays identisch, der zu den Freunden von Heinrich Heine und Karl Marx zählte.41 Bernays hat als politischer Flüchtling 1849 im New Yorker Israels Herold folgende These aufgestellt: Die revolutionären Juden hätten in ihrem Kampf um die Freiheit versucht, die europäischen Staaten vom Christentum zu „emanzipieren“. Sie hätten „Rache an einer feindlichen Welt“ (revenge upon the hostile world) geübt, und zwar auf eine gänzlich neue Weise. Sie hätten es unternommen, die Menschen von „jeglicher Religion und vom patriotischen Gefühl“ (from all religion, from all patriotic sentiment) zu befreien.32 Der Marx-Experte Helmut Hirsch schreibt hierzu, daß „Inhalt und Tenor“ dieser Ausführungen „Marxens Gedanken entsprechen“!33 Auch die – jüdischen – amerikanischen Politologen Stanley Rothman und S. Robert Lichter sind 1982 in ihrem Buch über die Wurzeln des Radikalismus der Neuen Linken zu einer vergleichbaren Einschätzung gelangt. Sie formulieren darin das Fazit, daß es „das Ziel des jüdischen Radikalen sei, die Christen von der Gesellschaft zu entfremden, und zwar ebenso, wie sie sich selbst von ihr entfremdet fühlen“.34 Vor ihnen hat der Erforscher der Protokolle der Weisen von Zion, Norman Cohn, seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Unterstützung der Linken durch die Juden der „Infragestellung der spirituellen Hegemonie des Christentums“ diene.35 Daniel Cohn-Bendit schließlich spitzte diese These provokatorisch zu, indem er die revolutionäre Bewegung als eine ins Universale gehobene „intellektuelle Rache“ von jüdischer Seite interpretierte.36 Tatsächlich war es so, daß viele jüdische Revolutionäre aus Mittel- und Oberschichtfamilien stammten. Sie haben sich somit keineswegs aufgrund ihrer ökonomischen „Klassenlage“ sozialistisch engagiert, sondern waren „Überläufer aus der Monopolistenklasse“.37 Agnes Heller berichtet, daß Georg Lukácz im Kommunismus die „Erlösung“ durch die Zerstörung der Alten Welt gesucht habe! Über diesen Sohn eines Bankiers gibt sie diese erstaunliche Beobachtung wieder: die Armut hätte ihn „nie interessiert“!38 Das „Sein“, das nach Marx das Bewußtsein bestimmt, darf also keineswegs nur ökonomisch verstanden werden. Vielmehr ist es bei vielen Juden ganz entscheidend durch die Zurücksetzung und die Demütigungen geprägt gewesen, die sie in ihrer christlichen Umwelt erfahren haben. Der 1904 in Galizien geborene Willi (William) Schlamm, der 1922 Redakteur der Roten Fahne wurde, im März 1923 – zunächst als Jugendvertreter – ins Zentralkomitee der österreichischen KP aufstieg, aber
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1929 aus der Partei ausgeschlossen wurde, hat in seiner Schrift Wer ist Jude? 1964 geurteilt, daß „erhebliche Teile des Judentums“ in eine „pervertierte Feindseligkeit gegen die christliche Umwelt getrieben“ worden seien.39 In seinen Erinnerungen Der rote Krieger hat der Wiener Literat Albert Ehrenstein diese meist als peinlich ausgeklammerte Thematik angesprochen. Er erinnert sich, daß er auf dem Schulweg mit den Worten „Geh zum Teufi, Saujud vafluchta“ beleidigt worden sei und sich in ihm „sehr früh ... eine ungemein starke Abneigung gegen Jesus Christus“ entwickelt habe. „Ich fand“ – so berichtet er – „es würde eine unverdient kräftige Reklame für ihn getrieben und tausend Kirchen, Kapellen und Kreuzeshölzer ihm zu Ehren“ errichtet.40
Das schmachvolle Joch der christlichen Monarchien Kein Wunder, daß Ehrenstein und mit ihm viele andere jüdische und nichtjüdische Sozialisten über den Sturz des „schmachvollen Jochs“41 der christlichen Monarchien in Deutschland, Österreich und Rußland frohlockten und mit Martin Buber gehofft haben: „Neu werden alle Dinge“.42 Auch der dann von Joseph Goebbels mit den Worten „dieses rote Judenaas muß krepieren“43 zur Ermordung freigegebene libertäre Anarchist Erich Mühsam glaubte „im feierlichen Glockenklang der Revolution“ die „Weihe einer neuen Zeit“ ausmachen zu können.44 Die Neuen Jüdischen Monatshefte gaben Ende 1918 ihre Genugtuung darüber Ausdruck, daß mit dem kaiserlichen Deutschland eine „Burg der Reaktion“ zusammengebrochen sei. Sie habe auch neben dem bereits untergegangenen zarischen Rußland das „zweite große Bollwerk des internationalen Antisemitismus“ dargestellt.45 Bei der Revolution, die der – jüdische – unabhängige Sozialist Hugo Haase am 24. Oktober 1918 als „Götterdämmerung des alten Systems“ bewertete,46 handelte es sich nicht nur um einen Sturz der Sozialordnung, sondern gleichzeitig auch der Wertordnung. Dabei wurde das alte „kapitalistische“ System als absolut böse, ja als „sündhaft“ betrachtet.47 Seine Götter waren neben dem „Kapital“ das System von „Thron und Altar“. In Gestalt einer „Pyramide des Kapitalistischen Systems“ haben Sozialisten das von ihnen vertretene klassenkämpferische Weltbild anschaulicher dargestellt, als dies in langatmigen Abhandlungen möglich ist.
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Danach bildeten schuftende „Ernährer“ die unterste Stufe der Pyramide. Darüber saßen an einer festlichen Tafel parasitäre, prassende Bourgeois. Über ihnen sind aggressive Militärs mit gezücktem Bajonett und der Inschrift „Wir schießen auf dich“ porträtiert. Auf ihnen wiederum thronten drei salbungsvolle Priester in vollem Ornat mit der Erläuterung „wir täuschen dich“, – es handelt sich um die sozialistische Priesterbetrugstheorie! Über den Priestern sind ein König in prächtigem Krönungsmantel sowie zwei bürgerliche „Regenten“ in Bratenröcken mit dem Kommentar zu sehen: „Wir beherrschen dich“. Und schließlich wird die gesamte Pyramide gekrönt durch einen prallen Geldsack als Götzen.48 Es ist nicht zu übersehen, daß kirchenfeindliche Äußerungen speziell von solchen Propagandisten des Kommunismus formuliert wurden, die aus jüdischen Familie stammen. So hat der aus Mähren gebürtige Literat Louis Fürnberg, der für die Rote Fahne schrieb und zunächst der KP der Tschechoslowakei angehörte, bis er nach dem Zweiten Weltkrieg als Kulturdeutscher in die DDR übersiedelte, ein Spottlied auf Jesus geschrieben. Darin kalauerte der „Minnesinger am roten Hof – wie ihn Der Spiegel 1950 charakterisierte49 – so: „Ein Kindlein kam im Stall zur Welt Der Vater Josef hatte kein Geld Der Josef schaute zum Stalltor heraus Doch, ach, die drei Könige blieben aus“S0 Der 1954 zum Generalsekretär der Schiller-Stiftung in Weimar berufene und mit Hymnen auf Karl Marx, Lenin und die als „Geliebte“ bezeichnete kommunistische Partei51 hervorgetretene Reimeschmied Fürnberg verfaßte auch ein Vatikanlied, in dem vom „Volksbetrug“ der Priester die Rede ist. Den Bischof von Rom hat er darin so angefahren: „Herr Papst! Halten Sie endlich ihren geheiligten Mund.“52 Fürnbergs Kritik an der Kirche mündete schließlich in folgende Drohung: „Ihr habt das Volk verpestet mit eurer Pfaffenbrut. Jetzt gehts euch an den Kragen, wir werden euch verjagen.“ Erstaunlich ist, daß eine einschlägige Stellungnahme des zu einer Kultfigur der Neuen Linken gewordenen Walter Benjamin unbeachtet geblieben ist. Benjamin, der aus einem wohlhabenden assimilierten jüdischen Bürgerhaus Berlins stammte und weitläufig mit Heinrich Heine verwandt war, sympathisierte zeitweise mit dem Kommunismus und hat an dem Goethe-Artikel der Sowjet-Enzyklopädie mitgearbeitet. Während der Jahreswende 1926/27 war Benjamin, der übrigens auch als „marxistischer
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Rabbi“ bezeichnet worden ist,53 Gast in Moskau. Damals notierte er in sein Tagebuch: „Die Kirchen sind fast verstummt. Die Stadt ist so gut wie befreit von dem Glockengeläut, das sonntags über unsere großen Städte eine so tiefe Traurigkeit verbreitet.“ Benjamin bezeichnet dann die russisch-orthodoxe Kirche als „Ochrana (Geheimpolizei) der Kultur“ und vergleicht deren Priester mit „Bonzen in den Pagoden“. Anschließend schreibt er über die am Roten Platz gelegene Basilius-Kathedrale voller Genugtuung: „Man hat das Innere nicht nur ausgeräumt, sondern wie ein erlegtes Wild ausgeweidet. Und anders konnte es wohl auch nicht enden, denn selbst im Jahre 1920 hat man hier noch mit Inbrunst gebetet. “54 Nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete der Lehrstuhlinhaber für dialektischen und historischen Materialismus an der SED-Parteihochschule „Karl Marx“, Viktor Stern,55 der einst Chefredakteur der Roten Fahne gewesen war, in dem Theorieblatt der SED Einheit das Christentum als „heuchlerischen Vorwand für reaktionären Volksbetrug“.56 Vor dem Krieg gehörte Stern, der Stalin als „großen Lehrer und Führer des Weltproletariates und aller fortschrittlichen Kräfte in der Welt“ besungen hat,57 dem Politbüro der KP der Tschechoslowakei an. Auch Albert Norden,58 der als Wuppertaler Rabbinersohn geboren wurde, wandte sich vom Glauben seiner Väter ab und gab 1921 die Rundbriefe der radikalsozialistischen jüdischen Jugend heraus. Als er in der DDR zum Sekretär des ZK und Chefagitator der Sozialistischen Einheitspartei (SED) aufgestiegen war, hatte er keine Hemmungen, christliche Geistliche als „lächerliche Figuren aus der Mottenkistenzeit“, „schwarze Drohnen“ und „unbelehrbare Finsterlinge“ zu schmähen.59 Das Proletariat als Messias Der französische 68er Bernard-Henri Lévy formulierte, daß die Sozialisten wie die Christen an einen Gott glaubten, sie hätten ihn „Proletariat“ genannt und „glaubten an seine Auferstehung, die tauften sie klassenlose Gesellschaft“.60 Tatsächlich besteht die Essenz der kommunistischen Lehre darin, daß ihre Träger in elitärer Weise beanspruchten, die „Avantgarde“ des Proletariats zu sein und den Werktätigen aus höherer, angeblich wissenschaftlicher Einsicht zu verordnen, was sie zu tun hätten. So forderte Rosa
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Luxemburg, daß das Proletariat „endlich begreifen“ müsse, was seine Führer von ihm erwarteten.61 Und Georg Lukácz hat die Partei unverblümt als „Erzieherin des Proletariats zur Revolution“ definiert!62 In der österreichischen Arbeiterzeitung ist aber auch schon 1895 feierlich vom „Heiland Proletariat“ gesprochen worden.63 Die „Anbetung des Proletariats“, von der der Ex-Kommunist Arthur Koestler gesprochen hat,64 kulminierte darin, daß das Proletariat 1917 in den Neuen Jüdischen Monatsheften von Leo Rosenberg als „Weltmessias“ verherrlicht wurde.65 Friedrich Austerlitz hat 1924 in der Arbeiterzeitung definiert, daß „alles Revolution ist, was die Altäre niederreißt“.66 Die Radikalität austromarxistischer „proletarische Freidenker“ wird deutlich in ihrer provozierenden Forderung, den Wiener Stephansdom in eine „Vìktor-Adler-Halle“ umzuwandeln!67 Der als Sohn eines Tuchhändlers geborene und nach dem jüdischen Ritus begrabene Theoretiker des Austromarxismus Max Adler hat in der katholischen Kirche seinen „Hauptfeind“ gesehen und den Kampf gegen sie als Element des Klassenkampfes betrachtet.68 Während der Austromarxismus das Niederreißen der Altäre nur symbolisch betrieb, hat die Sowjetdiktatur dabei physische Gewalt eingesetzt. Der „kriegerische Atheismus“, zu dem sich der 1885 in Lemberg als Karl Sobelsohn geborene Radek 1919 in der Kommunistischen Internationale bekannte,69 wurde in Sowjetrußland tatsächlich auf eine mörderische Weise verfolgt, so daß es hier zur umfassendsten Christen- und Religionsverfolgung der Geschichte gekommen ist. Ein Sachverhalt, der in den meisten Schulbüchern übergangen und aus dem Geschichtsbild verdrängt wird. Bei dieser Verfolgung haben Revolutionäre aus jüdischen Familien, wie besonders Trotzki und Jaroslawski, maßgeblich mitgewirkt. Daß der in Rußland als „Gesalbter Gottes“ geltende Zar von dem im deutschen Exil christlich getauften jüdischen Anführer des Exekutionskommandos, Jakov Chaimowits Jurowski, persönlich mit einem Revolver erschossen wurde,70 hat unter Christen weltweit Unruhe ausgelöst. Dieser Mord wird den Juden von russischen Nationalisten bis heute im Sinn einer Kollektivschuld angelastet.71 Daß führende jüdische Bolschewiki mit Leo Trotzki an der Spitze von dem Odessaer Rabbiner 1918 mit einem Anathema aus der jüdischen Gemeinde verstoßen worden sind, konnte nicht verhindern, daß die Verbrechen von Kommunisten aus jüdischen Familien als „jüdische“ Taten »den Juden“ angelastet worden sind, ja die Kollektivschuldthese von einem angeblichen „jüdischen Bolschewismus“ aufgestellt worden ist.
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Der Kampf gegen das Christentum Daß Leo Trotzki und Emeljan Jaroslawski eine führende Rolle im Krieg gegen das „Regiment von Jesus“72 gespielt haben, hatte fatale Konsequenzen, indem nämlich die Kirchenverfolgung von Antisemiten als „jüdische Rache“ hingestellt werden konnte. Daß auch Marxisten aus christlichen Familien religionsfeindlich eingestellt waren, wurde gern unterschlagen. Immerhin wird berichtet, daß schon Wilhelm Liebknecht angekündigt hat: „Zur Zeit, wo die Sozialdemokratie herrschen wird, wird die Kirche ein Märchen der Vergangenheit sein.“73 Der einstige Dualismus von Christentum und Sozialismus, die sich nach August Bebel „wie Feuer und Wasser“ gegenüberstanden,74 ist auf allegorische Weise so ausgedrückt worden: Ein 1903 vom Vorwärts-Verlag veröffentlichtes Plakat zeigt ein nach Art von Jesus ans Kreuz genageltes nacktes junges Mädchen mit wallendem Haar und der Unterschrift „Freiheit“. Christus als der Erlöser wurde somit durch eine Gestalt ersetzt, die ein weltlich-erotisches Heil verspricht.75 Gar nicht so weit entfernt von dieser Auffassung war ein für die Jugendweihe werbendes Plakat der Freien Deutschen Jugend (FDJ) aus der ersten Hälfte der fünfziger Jahre. Es stellte ein Mädchen mit zwei Gesichtern dar: Das bleiche und sorgenvolle blickt auf das Kreuz, unter dem die rechte Hand auf düsterem Hintergrund die Bibel hält, das andere lebensfrohe Gesicht jedoch blickt in die Helle mit dem strahlenden FDJSymbol. Die linke Hand unter ihm trägt ein Buch mit der Aufschrift „Marx“.76 Orthodoxe Marxisten haben ihre als „wissenschaftlich“ präsentierte Erlösungslehre für unvereinbar mit dem Christentum erklärt. Der christlich getaufte Lenin stellte die Religion als eine „Form geistiger Unterdrückung“ dar, eine „Art geistiger Fusel, worin die Sklaven des Kapitals die Menschen ... ersäufen“. Deswegen sollten Religion und Kirche in der proletarischen Revolution „zerschmettert“ werden!77 Die Botschaft ist durchaus verstanden worden. Das zeigt etwa eine von dem österreichischen Sozialisten Wilhelm Ellenbogen festgehaltene Wiener Marktszene: Darin fragt eine Frau eine andere: „Morgen ist Wahl Frau Nachbarin. Sie werden doch gewiß sozialdemokratisch wählen?“ Darauf diese: „Ach nein, ich lasse mir meinen Glauben nicht nehmen, ich wähle christlich“.78 Tatsächlich wollte der heute weithin in Vergessenheit geratene originäre
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Marxismus die Menschen gleich der Kirche von der Wiege bis zur Bahre, von der „roten Taufe“ bis zur „roten Beerdigung“ begleiten.79 Er hatte das Erscheinungsbild einer umfassenden Kulturbewegung, mit eigenen Bildungs- und Sportvereinen, ja einer weltlichen Kirche mit Ritualen, die teilweise den christlichen nachempfunden waren. So ersetzten die Jugendweihen Firmung und Konfirmation und wurde das Osterfest umgedeutet und zum Welterlöser Sozialismus in Beziehung gesetzt.80 Bezeichnenderweise mit dem Argument, daß die Kirche allwöchentlich zu religiösen Feiern aufrufe, hat ein Austromarxist im Hinblick auf die Maifeier von 1924 gefragt, ob „wir nicht imstande seien, allmonatlich eine proletarische Feier abzuhalten?“81 Anläßlich des Weihnachtsfestes 1923 gingen Sozialisten so weit, Karl Marx in eine „eindeutige Parallele zu Christus zu setzen“.82 Ja, sie hatten keine Skrupel, Christen dadurch zu provozieren, daß sie kleine Mädchen beim Fronleichnamsfest von 1924 auf Samtkissen Statuen von Karl Marx und Ferdinand Lassalle tragen ließen!83 Der als „Einstein des Sex“ gefeierte Magnus Hirschfeld verlangte anläßlich seiner Moskaureise von 1926 die Befreiung von der kirchlichen Moral.84 Vor ihm hatte der für die Weltbühne schreibende Moskau-Pilger Alfons Goldschmidt die mit dem Ehrentitel „Zentrale der Weltrevolution“ versehene Komintern als „kleinen Vatikan“ bezeichnet und ihren Sekretär Karl Radek als „Lassalle der Internationale“ tituliert.85 Der jüdische Berliner Arzt Fritz Kahn, der 1920 Moses, Christus und Marx als „spezifisch jüdische Erlöser und Prophetennaturen“ gepriesen hat, ging damals so weit zu sagen, „1818“, das heißt im Geburtsjahr von Karl Marx, „ging der Stern von Bethlehem zum zweiten Mal auf. Wieder steigt er empor über den Dächern Judäas: Marx“.86 Infolgedessen konnte bei sozialistischen Feiern in unübersehbarer Anlehnung an das Vaterunser deklamiert worden: „Sozialismus, Dein Reich komme.“ Weiter wurden Worte von Heinrich Heine und Ferdinand Lassalle vorgetragen, die den Sozialismus als bessere Alternative zur christlichen Lehre erscheinen ließen. So die Aufforderung Heines: „Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten.“87 Daß Sozialisten vielfältig versucht haben, Anleihen an der christlichen Volkskultur zu nehmen, zeigt auch ein Lied, das der im Juli 1934 im KZ Oranienbaum ermordete und durch ein jüdisches Elternhaus geprägte88 Erich Mühsam getextet hat: „Völker erhebt euch und kämpft für die ewigen Rechte! Kämpft und erobert die Freiheit dem Menschengeschlechte!“
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Diesem Revolutionslied hat Mühsam die Melodie von „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ unterlegt!89
Jesus Christus als Bolschewik Während die Marxisten-Leninisten anfänglich versuchten, das Christentum physisch zu vernichten, hat die Sozialdemokratie es lediglich geistig bekämpft. Aber auch bei vielen radikalen Marxisten war das Bemühen um eine Einflußnahme von innen sichtbar und zwar durch Umwertung der Werte. So hat Bloch gefordert, die „Bibel endlich mit den Augen des Manifestes“ zu lesen,90 was religiöse Sozialisten, die das Christentum mit der Idee des Klassenkampfs aussöhnen wollten, auch tatsächlich getan haben. In Sowjetrußland wollte man von solcher Vermittlung allerdings nichts wissen. Hier galt die Devise: „Der Kampf mit der Religion ist der Kampf für den Sozialismus.“91 Später verfolgten die Bolschewiki eine verfeinerte Doppelstrategie. Sie bestand darin, daß einerseits eine Unterwanderung der Kirche durch Bildung von willfährigen „roten Synoden“ in Gang gesetzt92 und andererseits eine hemmungslose Diffamierung und Bekämpfung der Kirche und der Gläubigen durch die „militanten Gottlosen“ betrieben wurde. Leo Trotzki hegte die Überzeugung, daß der Sozialismus als „der Welt Erlöser“93 imstande sei, im Unterschied zu den „hohlen Versprechen der Popen“, ein „wirkliches Paradies“ zu schaffen!94 Das entsprach ganz einer zeitgenössischen Interpretation der Absichten jüdischer Linker, wie sie 1919 in dem Aufsatz „Sozialismus und Judentum“ der Neuen Jüdischen Monatshefte formuliert wurde: Danach gehörten die „Verleugnung des Religiösen und Nationalen“95 einerseits, und die sozialistische Idee, die beides als „Surrogat“96 ersetzte, untrennbar zusammen. Ein interessanter Nebenaspekt der gegen die kirchliche Lehre gerichteten Argumentation war die für Juden sonst ganz ungewöhnliche Deutung Jesu. Ihn, den nach traditioneller jüdischer Lehre „falschen Messias“ erklärten sie zu einem sozialistischen „Messias“, einem jüdischen Revolutionär. So hatten sie ihn unter Provokation auch der jüdischen Frommen positiv bewertet. Deshalb konnte 1919 von den ermordeten KP-Führern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in den Neuen Jüdischen Monatsheften gesagt werden: „Sie starben wie Jesus von Nazareth und die anderen jüdischen Märtyrer“!97
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Nachdem bereits Heine Jesus als „göttlichen Kommunisten“ gepriesen hatte, titulierte ihn auch die österreichische Arbeiterzeitung 1882 als „Kommunisten“.98 Albert Ehrenstein gab ihn 1919 als „ersten Bolschewiken“ aus, der „nicht von dieser Dreckswelt“ stamme.“ Oscar Levy rühmte 1927 in der Weltbühne den „Freidenker“ Karl Marx dafür, daß er „den lieben Gott über Bord geworfen“ habe und bezeichnete Jesus gleichfalls als „ersten Bolschewiken“.100 In diese Reihe gehört schließlich auch Ilja Ehrenburg, der Jesus als „jüdischen Aufrührer“ gegen die römische Besatzung rühmte.101 All das waren, wenngleich erfolglose, Versuche, den Christen ihren Heiland zu entwenden. Rosa Luxemburg hat in ihrem letzten, am 15. Januar 1919 in der Roten Fahne veröffentlichten Artikel folgenden Vergleich gezogen: „Noch ist der Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse nicht beendet, aber der Tag der Erlösung naht.“102 Wenig später hat Erich Mühsam in seiner Zeitschrift für Menschlichkeit mit dem Titel Kam den Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mit dem Kreuzestod verglichen: „Die Christusgeschichte hat eine entsetzliche Wiederholung erfahren.“103 Neben marxistischen „roten Assimilanten“, die in provokatorischer Absicht Jesus als „Bolschewiken“ priesen, hat es viele jüdische wie nichtjüdische Marxisten gegeben, denen so konstruierte Synthesen von Marxismus und Christentum zuwider gewesen sind. Besonders Sozialisten mit christlichem Hintergrund haben es als peinlich empfunden, wenn jüdische Sozialisten sich eines christlich-biblischen Vokabulars bedienten. So war es dem späteren österreichischen Staatspräsidenten Karl Renner unangenehm, als der austromarxistische Theoretiker Otto Bauer auf dem Parteitag der SPÖ von 1925 seiner Hofíhung Ausdruck gab, daß „das Wort Fleisch“ werden möge.104 Eine Analyse der Quellen ergibt, daß der messianische Züge auíweisende religiöse Impetus vieler jüdischer Sozialisten deswegen besonders intensiv war, weil sie eine ihnen feindliche, antisemitische Welt mit aller Macht zu überwinden suchten und mit einem gewaltsamen Kraftakt eine neue Welt begründen wollten. Was das bedeutete, spiegelt sich auch wider in einem Bericht des ungarischen Kommunisten Ervin Sinkó über sein Zusammentreffen mit dem im Moskauer Exil lebenden Bela Kun. Er berichtet, daß dieser nur wenig später von Stalin ermordete frühere Chef der ungarischen Räterepublik tatsächlich glaubte, daß die „russische proletarische Revolution zum letzten welterlösenden Gefecht“ aufgerufen habe.105
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Rom gegen Moskau Als Mitstreiter Bela Kims im Revolutionsjahr 1919 fugte der jüdische Ungar Sinkó hinzu: „An dieses ,Auf zum letzten Gefecht' haben wir ... wortwörtlich geglaubt“. Man habe gemeint, die „Leiche des tödlich verwundeten Weltkapitalismus aus dem Weg“ räumen zu können. Damit waren zugleich Religion und Kirche gemeint.106 So wird in einem von Bela Kun mit einem Vorwort versehenen und 1959 in Berlin (Ost) erschienenen Buch über die ungarische Revolution berichtet, daß damals im Budapester Sowjethaus gefordert wurde: „Unsere blutige Arbeit ist, Christus zu kreuzigen. Aber diese sündhafte Arbeit ist zugleich unsere Berufung ... Wir Kommunisten nehmen also die Sünden der Welt auf uns, um dadurch die Welt zu erlösen.“107 Als der „reale Sozialismus“ kollabierte, trug Steffie Spira, die 1908 in Wien als Tochter des jüdischen Schauspielers Fritz Jacob Spira geboren war, am 3. Dezember 1989 in Berlin (Ost) diese Klage in ihr Tagebuch ein: „Großer marxistischer Gott, wo sind Deine anständigen Kinder geblieben?“108 Drei Tage später artikulierte Steffie Spira, für die Stalin noch 1956 „ein Riese dieses Jahrhunderts“ gewesen ist, in demselben Buch diese Überlegung: „Solange wir den Kirchen und den Kirchenglocken nichts entgegensetzen können, was die Menschen so ergreift wie die Glocken, die über das Land tönen, haben wir nicht gesiegt... Wie aber hat sich das Christentum in nun bald 2000 Jahren durchgesetzt? Mit Leichenbergen, Krieg und Schwert, Verrat und Ausbeutung. Was sind unsere armseligen 70 Jahre im Vergleich dazu?“109 Diese Sätze stellen einen Abgesang auf den ursprünglichen, messianischgewalttätigen Marxismus dar, der zum damaligen Zeitpunkt auch in den Augen der wirklichen Gläubigen des Kommunismus schon abgestorben und durch eine triste Diktatur von Partei-Apparatschiks abgelöst worden war. Menschen wie Steffie Spira stellen so etwas wie Dinosaurier des revolutionären Marxismus dar. Ihr Tagebuch gewährt uns einen Einblick in eine vergangene Welt, für die die Vorstellung von einer existentiellen Konfrontation von Kirche und Kommunismus prägend war. Auf katholischer Seite ist der Abwehrkampf speziell von Jesuiten geführt worden. So von dem demokratisch orientierten Bernhard Duhr 1919 in Der Bolschewismus, wo er diesen als „extremsten Kommunismus“ definiert und ihm bescheinigt, daß er in „den Abgrund“ führe und die „Kultur des Abend-
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landes zu verschlingen“ drohe.110 Während Duhr mehr beiläufig anmerkte, daß Lenins „meiste Helfer“ Juden seien,111 ging der bekannte Jesuit Erich Przywara 1926 in Judentum und Christentum auf diese Thematik näher ein. Mit Zitaten von Martin Buber und anderen führte Przywara den Sozialismus auf den jüdischen Messianismus zurück und gelangte zu der tief pessimistischen Überzeugung, daß der Jude „mit innerer Notwendigkeit zum unermüdlichen Revolutionär' der christlichen Welt“ werde. Es sei letztlich „seine innerste Religiosität, die seinen unermüdlichen Aktivismus treibt und stachelt. Er ist in Wahrheit der ruhelose Ahasver“.112 Der Jesuitenpater Jakob Nötges hat sich im Angesicht der unter Stalin verschärften Christenverfolgung in seiner 1932 in Köln publizierten Schrift Katholizismus und Kommunismus mit den „gott- und kirchenfeindlichen Zielen des Kommunismus“, mit den „kämpfenden Gottlosen“, der antireligiösen Propaganda der KPD usw. auseinandergesetzt und dabei folgende Schlachtordnung ausgemacht: „Rom gegen Moskau! Das ist Christus gegen den Satan.“113 Als Ergebnis der sowjetischen Christenverfolgung konnte schließlich der Kirchenhistoriker Gerhard Besier 1992 in seinem Aufsatz Antibolshevism and Antisemitism feststellen, daß es bemerkenswert sei, daß sowohl französische Kardinale als auch österreichische Bischöfe in der Zwischenkriegszeit den Bolschewismus mit dem Judentum „identifizierten“.114 Der Aufsatz Katholizismus und Judentum des ungarischen JesuitenSuperiors Bela Bangha aus dem Jahr 1934 zeigt, daß dabei ein sehr tiefsitzender Groll im Spiel war. Aus dem von ihm wahrgenommenen Sachverhalt, daß sich in fast allen Ländern „vornehmlich Juden an den sozialistischen und kommunistischen Bewegungen gern in leitenden Stellungen betätigen“, glaubte er den Schluß ableiten zu dürfen, daß der revolutionäre Marxismus „in seinem Wesen einer bestimmten jüdischen Seelenlage und Geisteshaltung“ entspreche.115 Bangha, der von seinem „christlichen Standpunkt“ die „sog. rassenantisemitische Einstellung“ ablehnte,116 hielt es gleichwohl für geboten, festzustellen, daß „ein Jude der Welt den Marxismus“ schenkte und daß neben dem „Nichtjuden“ Lenin Trotzki und Bela Kun Juden gewesen seien. Somit würde der von Sowjetrußland ausgehende „unmenschliche Schrecken“, der als „entsetzliche Drohung auf die gesamte nichtbolschewistische Welt“ falle, nicht zuletzt „die Rechnung der Judenschaft“ belasten!117 Paul Gundlach, ein Ordensbruder von Duhr, Przywara, Nötges und Bangha, hat zeitgleich in seinem schon zitierten Antisemitismus-Artikel des
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katholischen Lexikon für Theologie und Kirche zwischen einem nicht zulässigen „völkisch-rassischen“ und einem „erlaubten“ und somit quasi gebotenen „sittlichen“ Antisemitismus unterschieden. Zu ihm hat er sich bekannt. Die sowjetische Christenverfolgung ließ Papst Pius XI. am 8. Februar 1930 klagen: „Die schrecklichen und gotteslästerlichen Verbrechen, die sich gegen Gott und die Seelen der russischen Bevölkerung wiederholen, erregen unser Gemüt auf das allertiefste.“118 Nicht übersehen werden darf, daß es keineswegs nur fromme Christen und Anhänger der politischen Rechten gewesen sind, die das die Menschenrechte mit Füßen tretende Sowjetsystem gegeißelt haben. Angesichts des Stalinschen „Klassenkrieges“ hat damals der Internationale Ausschuß der religiösen Sozialisten das bemerkenswerte Urteil gefällt: „Der Geist des Bolschewismus ist ein Geist des Hasses und der Verachtung für alles, was nach Religion und gar Christentum aussieht.“119 Anmerkungen 1 In: Arbeiter-Zeitung (AZ) vom 27. 4. 1924, zit. nach: Alfred Pfabigan: Karl Kraus und der Sozialismus.Wien 1976, S. 240. 2 Welches Judentum steht welchem Christentum gegenüber? Arnoldshainer Texte Bd. 36. Frankfurt/M.1985, S. 57 ff. 3 Vgl. Ernst Bloch: Vom Hasard zur Katastrophe. Politische Aufsätze 1934 – 1935. Frankfurt/M. 1972, S. 10: „Die Juden, denen Jesus als der verruchteste Verbrecher galt, weil er sich Messias, Sohn Gottes, Gesalbter des Herrn nannte“ (so 1934). Wie die Encyclopaedia Judaica (1971) 10 in ihrem Art. „Jesus“ berichtet, ist dieser von frommen Juden als „son ofa harlot“ verunglimpft worden. 4 Gershom Scholem: Judaica I. Frankfurt/M. 1965, S. 7. 5 Michael Buckmiller (Hrsg.): Judentum und politische Existenz. Hannover 2000, S. 62. 6 Gershom Scholem: Von Berlin nach Jerusalem. Berlin 1994, S. 34. 7 Jakob Klatzkin: Probleme des modernen Judentums. Berlin 1930, S. 182. 8 Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden. Berlin 1982, S. 13. 9 Eugen Kogon (Hrsg.): Gott nach Auschwitz. Dimensionen des Massenmordes am jüdischen Volk. Frei burg i. Br. 1979, S. 45. 10 Adolf Hitler: Mein Kampf. München 336-3401938, S. 70. 11 Agnes Heller: Der Affe auf dem Fahrrad. Berlin 1999, S. 69: „Das bolschewistische und das nazistische System waren beide im Grunde heidnisch.“ 12 Heinrich Himmler soll gegenüber der Frau Ernst von Weizsäckers geäußert haben: „Wir werden nicht ruhen, bis das Christentum ausgerottet ist.“ Vgl. Ernst von Weizsäcker: Erinnerungen. München 1950, S. 351. 13 Mitglieder der NSDAP durften diesem Orden, dessen Auflösung zur Vermeidung von Unruhe in christ lich-konservativen Kreisen auf die Zeit nach dem Krieg vertagt war, nicht angehören. 14 Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär. Frankfurt/M. 1977, S. 139 f. 15 Isaac Deutscher: Trotzki. Bd. 2. Stuttgart 1972, S. 40. 16 Vladimir Brovkin: The bolsheviks in Russian society. New Haven 1997, S. 239. Der Ex-Kommunist Peter Schutt berichtet in seinem Artikel Zu Ostern im roten Kloster (in: Die Welt vom 2. 4. 1994):„Das
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Gold der Klosterkirchen war eingeschmolzen worden, und, so wußten die Leninschüler zu erklären, von Karl Radek in Koffern nach Hamburg geschleppt worden, um dort den deutschen Oktoberaufstand zu inspirieren und finanzieren.“ 17 Kurt Hütten: Christen hinter dem eisernen Vorhang. Bd. 1. Stuttgart 1962, S. 17. 18 Ebenda, S. 33-37. J9 Dimitry Konstantinow: Die Kirche in der Sowjetunion nach dem Kriege. München 1993, S. 286. 20 Zvi Gitelman: Jewish nationality and Soviet politics. Princeton, N.J. 1972, S. 130 ff. 21 Naomi Shepherd: A price below rubies. Jewish women as rebels and radicals. Harvard U.P.1993, S. 237 ff. 22 Am 23. 3. 1915 an Romain Rolland, zit. nach: Stefan Zweig: Briefe an Freunde. Frankfurt/M. 1984, S. 49. 23 Elie Wiesel: Juden heute. Wien 1997, S. 11. 24 Gotthard Wunberg (Hrsg.): Hofmannsthal und seine Kritiker. Frankfurt/M. 1972, S. 1972. 25 Jacob L. Talmon: Politischer Messianismus. Köln 1963, S. 63. 26 John Bunzl: Klassenkampf in der Diaspora. Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung. Wien 1975, S. 130 f. 27 Vgl. Louis Fürnberg: Reden und Aufsätze. Berlin 1973, S. 240: „Die Jugend (in Palästina) wird im Geist der faschistischen Herrenrassen-Ideologie erzogen.“ (so 1946). 28 Wolf Köpke: Lion Feuchtwanger. München 1993, S. 55. 29 Louis Fürnberg: Gesammelte Werke. Bd. 1. Berlin 1964, S. 400-403. 30 Neue Jüdische Monatshefte 3 (1919) 19/20, S. 415. 31 Helmut Hirsch: Freiheitsliebende Rheinländer. Düsseldorf 1975, S. 153-166. 32 Jacob L. Talmon: Israel among the nations. London 1970, S. 25. 33 Helmut Hirsch in einem Brief an den Autor von Ostern 2001. 34 Stanley Rothman: Roots of radicalism. Jews, Christians and the New Left. New York 1982, S. 125: „In sum, the aim of the Jewish radical is to estrange the Christian from society, äs he feels estranged from it.“ 35 Nathan Glazer: The social basis of American communism. Westport/Ct. 1961, S. 167. 36 Daniel Cohn-Bendit: Der große Basar. München 1975, S. 9. 37 Aurelia Gerlach: Der Einfluß der Juden in der österreichischen Sozialdemokratie. Wien 1939, S. 53. 38 Agnes Heller: Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte. Berlin-Wien 1999, S. 119. 39 William Schlamm: Wer ist Jude? Ein Selbstgespräch. Stuttgart 1964, S. 223. 40 Albert Ehrenstein: Der rote Krieger. Berlin o.J., S. 11. 41 Rosa Luxemburg: Politische Schriften II. Frankfurt/M. 1966. 42 Werner E. Mosse (Hrsg.): Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923. Tübingen 1971, S.146. 43 Franz Leschnitzer: Von Borne zu Leonhard. Rudolstadt 1966, S. 177. 44 Kain 5 (1918/19), Flugblatt vom 18. 11. 1918. 45 3 (1918) 3/5, S. 50. 46 Kenneth Calkins: Hugo Haase. Berlin 1976, S. 166. 47 Georg Lukácz: Geschichte und Klassenbewußtsein. Neuwied 1968, S. 81. 48 Konrad Löw: Der Mythos Marx und seine Macher. München 1996, S. 295. 49 (1950) 29, S. 4. 50 Zit. nach: Werner Maser: Genossen beten nicht. Köln 1963, S. 103. 51 Louis Fürnberg: Gesammelte Werke. Bd 2. Berlin 1965, 20. 3. 1951. 52 Louis Fürnberg: Gedichte 1927-1946. Berlin 1964, S. 50. 53 Wespennest (1992) 89, S. 86. 54 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Bd. IV/1. Frankfurt/M. 1972, S. 344-346. 55 Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Köln 2000, S. 239; Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Köln 1955, S. 475. 56 2 (1947), S. 319. 57 Viktor Stern: Stalin als Philosoph. Berlin 1949, S. 93. 58 Art. Albert Norden. In: Biographisches Handbuch der Deutschsprachigen Emigration. Bd. 1.
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München 1980. 59 Spiegel (1964) 52, S. 40. 60 Bernard-Henri Lévy: Die Barbarei mit menschlichem Gesicht. Reinbek 1978, S. 57. 61 Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke. Bd. 2. Berlin 1974, S. 42. 62 Georg Lukácz: Geschichte und Klassenbewußtsein. Neuwied 1968, S. 110. 63 Gerhard Steger: Rote Fahne, Schwarzes Kreuz. Wien 1987, S. 209 (AZvom 14. 4. 1895). 64 Arthur Koestler: Das rote Jahrzehnt. Wien 1991, S. 64. 65 Bd. 1(1917)15/16, S. 430. 66 Alfred Pfabigan: Karl Kraus und der Sozialismus. Wien 1976, S. 240 (AZvom 27. 4. 1924). 67 Wolfgang Broer: Wort als Waffe. Bd. 2. Wien 1973, S. 575. 68 Alfred Pfabigan: Max Adler. Frankfurt/M. 1982, S. 78. 69 Nr. 21, S. 8. 70 Orlando Figes: A people's tragedy. The Russian revolution. London 1996, S. 640; Michael Parrish: Soviet security and intelligence organizations. Westport, Ct., S. 158. 71 Vgl. Igor Schafarewitsch: Russophobie. Das Kleine Volk und die Russen. Berlin 1995, S. 93; Juri Buranow u. Wladimir Chrustaljow: Die Zarenmörder. 1993, S. 280 f. 72 Boleslaw Szczesniak: The Russian revolution and the religion. Notre Dame, Ind. 1959, S. 16. 73 V Gottfried: Der rote Judasbart der Sozialdemokratie. München 1892, S. 10. 74 Michael Rudioff: Weltanschauungsorganisationen innerhalb der Arbeiterbewegung. Frankfurt/M. 1991, S. 145. 75 Klaus-D. Pohl: Allegorie und Arbeiter. Bildagitatorische Didaktik und Repräsentation der SPD, 1890 1914. Diss. Osnabrück 1986, S. 156. 76 Werner Maser: Genossen beten nicht. Köln 1963. 77 Bohdan Bociurkiw: Lenin und die Religion. In: Leonard Schapiro (Hrsg.): Lenin. Stuttgart 1970, S. 5070 (Zitate: S. 51). 78 Wilhelm Ellenbogen: Menschen und Prinzipien. Wien 1981, S. 70. 79 Konrad Algermissen: Die Gottlosenbewegung der Gegenwart. Hannover 1933, S. 108 f. 80 Klaus-D. Pohl: Allegorie und Arbeiter. Diss. Osnabrück 1986, S. 156. 81 Bela Rasky: Die Fest- und Feierkultur der sozialdemokratischen Bewegung. Wien 1992, S. 11. 82 Bela Rasky: Arbeiterfesttage. Wien 1992, S. 23. 83 Ebenda, S. 35. 84 Manfred Herzer: Magnus Hirschfeld. Frankfurt/M. 1992, S. 44. 85 Alfons Goldschmidt: Moskau 1920. Tagebuchblätter. Berlin 1987, S. 193 u. 234. 86 Fritz Kahn: Die Juden als Rasse und Kulturvolk. Berlin 31922, S. 203, 200. 87 Klaus-D. Pohl: Allegorie und Arbeiter. Diss. Osnabrück 1986, S. 156. 88 Heinz Hug: Erich Mühsam. Glashütten 1974, S. 2. 89 Michael Rudloff: Weltanschauungsorganisationen innerhalb der Arbeiterbewegung der Weimarer Republik. Frankfurt/M. 1991, S. 158 f. 90 Zit. nach: Andreas M. Thomas: Das Ende des Mythos Sozialismus. Frankfurt/M. 1993, S. 22. 91 Konrad Algermissen: Die Gottlosenbewegung der Gegenwart. Hannover 1933, S. 132. 92 Als Student in Paris besuchte ich im Winter 1962/63 einen Vortrag des Bischofs Nikodim, des „Außenministers“ der russisch-orthodoxen Kirche. Dieser undurchsichtig wirkende und jung verstorbene spätere Erzbischof von Leningrad ist als KGB-Mitarbeiter enttarnt worden. 93 Arbeiterzeitung vom 1.5. 1924. 94 Bernhard Duhr: Der Bolschewismus. Freiburg i. Br. 21919, S. 3. 95 Neue Jüdische Monatshefte 3 (1920), S. 406. 96 Neue Jüdische Monatshefte 3 (1919) 19 / 20, S. 405-411 (Zitat: S. 406). 97 4(1919)5. 98 Gerhard Steger: Rote Fahne. Schwarzes Kreuz. Wien 1987, S. 206. 99 Lothar Peter: Literarische Intelligenz und Klassenkampf. Köln 1972, S. 90.
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100 Oscar Levy: England und der Bolschewismus. In: Weltbühne (1927) 23, S. 206. 101 Ilja Ehrenburg: Menschen, Jahre, Leben. Autobiographie. Bd. 3. München 1965, S. 360. 102 Walter Nimtz: Die November-Revolution in Deutschland. Stuttgart 1965, S. 157. 103 Kain (2-1.1. 1919) 4. 104 Gerhard Steger: Rote Fahne. Schwarzes Kreuz. Wien 1987, S. 215. 105 Ervin Sinkó: Roman eines Romans. Moskauer Tagebuch. Köln 1962, S. 109 f. 106 Ebenda, S. 109. 107 Joszef Lengyel: Visegrader Straße. Berlin 1959, S. 245. 108 Steffie Spira: Rote Fahne mit Trauerflor. Freiburg i. Br. 1990, S. 117. 109 Ebenda, S. 119 f. 110 Bernhard Duhr S.J.: Der Bolschewismus. Flugschriften der Stimmen der Zeit. H. 6. Freiburg/Br. o. J. S. 8 u. 31. 111 Ebenda, S. 28. 112 In: Stimmen der Zeit (1926), S. 81 ff. (Zitat: S. 98). 113 Köln 21932, S. 116. 114 Der Aufsatz ist publiziert in: Journal of Ecclesiastical History (1992) 43, S. 447-456 (Zitat: S. 451). 115 Bela Bangha, S.J.: Katholizismus und Judentum. In: Bela Bangha u.a.: Klärung in der Judenfrage. Wien 1934 (mit Imprimatur des erzbischöflichen Ordinariates), S. 43. 116 Ebenda, S. 18. 117 Ebenda, S. 68. 118 Friedrich Martin Balzer: Klassengegensätze in der Kirche. Köln 1973, S. 174. 119 Siegfried Heimann und Franz Walter: Religiöse Sozialisten und Freidenker in der Weimarer Republik. Bonn 1993, S. 59.
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Ostjuden als Revolutionäre „Aber nichts ist gewisser, als daß der heutige Jude in Osteuropa der geborene Revolutionär sein muß.“ FRANZ OPPENHEIMER 19041
In seiner Grabrede auf Spartakus bezeichnete Arnold Zweig Rosa Luxemburg 1919 in der Weltbühne als „jüdische Revolutionärin des Ostens“.2 Gustav Mayer, der Biograph von Friedrich Engels, berichtet in seinen Erinnerungen, daß er bei einem Spartakus-Kongreß ein einziges Mal Rosa Luxemburg gehört habe. Noch Jahrzehnte später gellte ihm ihr „fanatischer Haß in der Stimme“3 in den Ohren. Dieser Sozialist stellt dann fest, daß Sozialdemokraten wie Ebert, Legien und Scheidemann „jenen Typus von Politikern“, der die Revolution wie Rosa Luxemburg zu einer Diktatur des Proletariates „weitertreiben“ wollte, als „ihrer Wesensart fremd“ empfunden haben. Es sei kaum zu bestreiten, daß bei „diesen echten Revolutionären das jüdische Element überwog“,4 merkte der aus einer jüdischen Familie stammende Mayer an. Bevor wir uns solchen Revolutionären zuwenden, die dem Sozialismus als weltliche „Religion“ angehangen und ihn als Emigranten bis nach Amerika getragen haben, müssen zur Vermeidung von Fehlurteilen und Mystifikationen zunächst einige wenig bekannte geschichtliche Fakten aufgeführt werden. Ohne ihre Kenntnis besteht die Gefahr, daß als Ausdruck eines angeblichen jüdischen „Wesens“ hingestellt wird, was bei näherem Zusehen als Niederschlag bedrückender historischer Existenzbedingungen der Juden gewertet werden muß. Dies gilt insbesondere für den jüdischen Messianismus und Prophetismus, der in die christliche Tochter-Religion des Judentums Eingang gefanden hat und den viele – nicht zuletzt auch jüdische – Autoren in säkularisierter Form im Sozialismus glauben wiedererkennen zu können. Zu Recht hat der Schriftsteller Alfred Döblin, der sich als Jude intensiv mit jüdischen Fragen beschäftigte, 1933 in Unser Dasein formuliert, daß der
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„Messianismus-Glaube“ als „Glaube der äußersten Verzweiflung, der völligen Hoffnungslosigkeit“ geboren worden ist.5 Aus der Sicht des Sozialwissenschaftlers sind Prophetismus und messianische Verheißungen Ausdruck von gesellschaftlichen Umbrüchen. Nur in Zeiten der Krise hat solch ein latentes religiöses Erbe Chancen – meist in neuen Gewändern – reaktiviert zu werden und auf Resonanz zu stoßen. Zur Soziologie des Ostjudentums Die hier interessierenden Revolutionäre sind aus dem Ostjudentum6 hervorgegangen, das einst die große Mehrheit der Judenheit gestellt hat. Es wird geschätzt, daß im Jahr 1880 etwa 5,6 Millionen Ostjuden lebten, davon in Rußland 4 Millionen, in Galizien und der Bukowina 754000, in Ungarn 687000 und schließlich in Rumänien 20000.7 Bei genauerem Zusehen ergibt sich, daß die Ostjuden auf dem Territorium der einstigen polnisch-litauischen Großmacht siedelten. Dafür gibt es historische Ursachen. Als die „Schwarze Pest“ im vierzehnten Jahrhundert in West- und Mitteleuropa eine Welle des Judenhasses auslöste, hat der polnische König Kasimir der Große (1310-1370) die Ansiedlung der verfolgten Juden in seinem Herrschaftsraum mit besonderen Privilegien gefördert. Als Folge dieser Politik kam es in Polen zu einem „goldenen Zeitalter“ der Juden mit jüdischer Selbstverwaltung und eigener Gerichtsbarkeit. Im Jahre 1579 ist dort sogar ein Judenreichstag abgehalten worden! Durch den Niedergang Polens und seine Aufteilung wurden die Ostjuden, deren Muttersprache das Jiddische war, auf die Teilungsmächte verteilt. Das Gros, also die Juden aus Litauen, Weißrußland, der Ukraine und Großpolen kam zu Rußland, dem das 1815 wieder errichtete Königreich Polen („Kongreßpolen“) in Personalunion verbunden wurde. Was das kaiserliche Rußland anbetrifft, in dem die Orthodoxie Staatsreligion war, so hat es den Juden als „Fremdstämmigen“ (inorodcy) die Freizügigkeit versagt und sie lediglich in dem „Ansiedlungsrayon“ leben lassen. Dieser bestand aus den ehemals polnischen Gebieten sowie zusätzlich Neurußland mit Odessa am Schwarzen Meer. Während sich die relativ wenigen Juden aus dem Preußen zugeschlagenen Posen bereits im 19. Jahrhundert weitgehend assimiliert hatten und wie die übrigen Westjuden aus der Sicht frommer, orthodoxer und zionistischer
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Juden nur noch „halbe“ Juden8 waren, behielt die große Masse der Ostjuden ihre jüdischen Lebensformen bei. Dies traf auch für die Ostjuden in Galizien und der Bukowina zu, die dem Habsburger Reich als Provinzen angegliedert worden waren. Die zuweilen ,Jiddischkeit“ genannte ostjüdische Lebensform manifestierte sich in der Befolgung der durch die Religion festgelegten Gebräuche, dem Besuch jüdischer Schulen, in der Kleidung, dem Gebrauch der jiddischen Sprache und schließlich dem Wohnen in jüdischen Quartieren, dem legendären „Stetl“. Der Zionist Arthur Ruppin faßte dies 1904 in seiner Studie Die Juden der Gegenwart in die heute antiquiert wirkenden Worte: „Ein kernhaftes und in sich gefestigtes jüdisches Volkstum gibt es hernach nur in Osteuropa“.9 Joseph Roth hat 1927 in seinem Essay Juden auf der Wanderschaft über diese „in Frömmigkeit und nach den alten Gesetzen“ lebenden Ostjuden gesagt, daß nur bei ihnen, sogar auch bei den areligiösen, der „jüdischnationale Gedanke“ lebendig geblieben sei und sie als „nationale Minderheit“ abgesondert lebten.10 Als religiös-nationale Minderheit wiesen die Ostjuden eine andere Sozial- und Berufsstruktur auf als ihre christliche Umwelt, aber auch als die Westjuden. Im Unterschied zu diesen waren viele Ostjuden nicht nur im Handel, sondern auch im Handwerk, als Pächter sowie schließlich in der Industrie beschäftigt. In Polen, Böhmen und auch in Ungarn traten sie als Pächter von adeligem Land und Schenken in Erscheinung und begegneten somit der christlichen Landbevölkerung als Agenten der Herrenschicht. In Westeuropa und in Deutschland lag der Anteil der Juden an der Bevölkerung meist unter einem Prozent. Hier haben die Juden im 19. Jahrhundert nach der auf die Französische Revolution zurückgehenden Öffnung der Ghettotore, mit denen auch die Heirats- und Niederlassungsschranken fielen, eine weitgehende äußerliche Anpassung an ihre sich gleichfalls säkularisierende christliche Umwelt vollzogen. In einem Bild: Es waren aus Kaftan- nun Krawattenjuden11 geworden. Solch ein Assimilationsprozeß wurde von frommen und später zionistischen Juden als »Entjudung der Juden“12 beargwöhnt und abgelehnt. Mit Ausnahme einer kleinen assimilierten und wohlhabenden Oberschicht, aus der etwa die sozialistischen Führer Rosa Luxemburg, Leo Jogiches, Adolf Joffe und Julius Martow (Zederbaum) stammten, war die große Masse der Ostjuden noch als separate „Nation“ bereits von ihrem Äußeren her erkennbar. Tatsächlich stellten sie einen erheblichen Prozent-
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satz der Bevölkerung. Im russischen Kaiserreich machten sie um 1900 etwa 4 Prozent der Bevölkerung aus, wobei sich die Juden allerdings nicht gleichmäßig verteilten. Im „Ansiedlungsrayon“ hatten sie einen Anteil von 11,5 Prozent.13 Hier wiederum lebte die Mehrzahl in den Städten. Um 1900 stellten Juden in Warschau 36 Prozent, in Minsk 52 Prozent, in Wilna 41 Prozent, in Odessa 34 Prozent sowie in Lemberg und Krakau jeweils 28 Prozent der Bevölkerung. In der ,Judenhauptstadt“ Brody in Galizien waren sogar drei Viertel der Bewohner Juden! Dank der durch die Habsburger Monarchie gewährten Freizügigkeit setzte eine Binnenwanderung ein. Als deren Folge erreichte die von manchen als ,Judapest“ titulierte ungarische Hauptstadt14 um 1900 einen jüdischen Bevölkerungsanteil von 24 Prozent. Auch nach Böhmen, Mähren und Wien gingen viele Ostjuden, wo sie um die Jahrhundertwende 8,77 Prozent der Bevölkerung der Metropole an der Donau stellten. Diese Wanderungsbewegungen haben in Wien nicht nur zwischen Juden und Christen, sondern auch zwischen den bereits assimilierten Juden und den noch äußerlich als Juden erkennbaren Ostjuden Spannungen hervorgerufen. Aus der Sicht vieler arrivierter Juden repräsentierten die bitterarmen ostjüdischen Vettern eine Vergangenheit, die man hinter sich gelassen hatte und an die man oftmals nicht erinnert werden wollte. Es wird geschätzt, daß 40 Prozent der Ostjuden sogenannte „Luftmenschen“ waren, das heißt, sie besaßen keine gesicherte Lebensgrundlage, keine berufliche Ausbildung und kein Kapital und mußten daher vom Hausieren und Schnorren sowie von der privaten Wohltätigkeit leben. Manch einer von ihnen geriet aus Not auch auf die schiefe Bahn. Durch Begabung und Fleiß gelang jedoch vielen der in die großen Städte gewanderten Juden ein rascher sozialer Aufstieg. Da ihnen der Staatsdienst in den christlichen Monarchien zur Gänze oder doch weitgehend versperrt war, betätigten sich vergleichsweise viele als Selbständige und Unternehmer. Sie ergriffen freie Berufe und wurden Rechtsanwälte, Ärzte oder Journalisten. Da Juden bei solchen Betätigungen, die außergewöhnliche Einkommenschancen boten, aber zugleich Risiken enthielten, weit überproportional vertreten waren, hat ihr sozialer Aufstieg und wirtschaftlicher Erfolg dem Neid-Antisemitismus großen Auftrieb gegeben. Immerhin waren vor dem Ersten Weltkrieg bei einem Bevölkerungsanteil der Juden in Preußen unter l Prozent von den hundert reichsten Preußen dreißig Juden. 15
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Russische Autokratie und Totalopposition Im Rußland der Vorkriegszeit hat die Unzufriedenheit mit den rückständigen Verhältnissen einen beachtlichen Teil der Intelligenz, speziell der einer besonderen Diskriminierung – keine Freizügigkeit, numerus clausus im Bildungswesen – unterliegenden jüdischen, dem System entfremdet und in die Totalopposition getrieben.16 Als der erste russische Marxist gilt der aus einer reichen jüdischen Kaufmannsfamilie stammende Nikolaj Isaakovich Utin, der an der Universität St. Petersburg studierte und 1863 in die Emigration flüchten mußte. In Genf wurde der von Bakunin als „kleiner Jude“ angesprochene und als „Hahn im Hühnerstall“ ironisierte17 Utin Mitarbeiter der I. Sozialistischen Internationale und hat deren Organ L`Egalité herausgegeben. Im Jahr 1871 war Utin in London Delegierter auf dem Kongreß der I. Internationale. Bis zum Erstarken des russischen Marxismus18 trug die revolutionäre Bewegung Rußlands einen anarchistischen Akzent. Der revolutionären Organisation „Land und Freiheit“ (Zemlja i volja), die der mit einer russischen Adeligen19 verheiratete jüdische Medizinstudent Mark Natanson 1876 gegründet hat, gehörten viele Juden an. Im Herbst 1879 schlossen sich die meisten Führer dieses Bundes dem „Volkswillen“ (Narodnaja volja) an, der den Terror systematisch praktizierte und auch den Zarenmord plante. Solch ein mit Dynamit umgehender Narodnik ist noch Leo Jogiches (Tyszka), der langjährige Lebensgefährte von Rosa Luxemburg, gewesen.20 Eine Gegenposition zu diesen „Aufrührern“ hat der russische Generalstabsoffizier Peter L. Lavrov aufgebaut, den sein Freidenkertum in Konflikt mit der Obrigkeit gebracht hatte und der nach Paris und dann nach Zürich in die Emigration ging. In seiner Zeitschrift Vperiod (Vorwärts) sagte Lavrov der Gewaltanwendung ab und plädierte für langfristig angelegte Reformen. Lavrov war mit der Jüdin Rosali Idelson verheiratet, die den „Vater des jüdischen Sozialismus“, Aron Liebermann,21 protegierte. Dieser Zögling des Wìlnaer Rabbinerseminars hatte sich vom religiösen Judentum gelöst, blieb jedoch ein glühender jüdischer Patriot, der das Hebräische liebte. Er glaubte, daß Marx und Lassalle im Geiste des jüdischen Volkes groß geworden seien und versuchte 1875 eine jüdische Sektion der Sozialistischen Internationale einzurichten. Liebermann erblickte in der Thora die Grundlage der Idee der sozialen Gerechtigkeit und damit auch des Sozialismus. Er gründete 1876 mit Eliezer Goldenberg den Verband jüdisch-sozialistischer Arbeiter sowie die Zeitschriften Hebreiv Socialist und
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Ha Emet (Die Wahrheit). Wegen einer privaten Liebeskatastrophe nahm sich dieser „Rabbi der jüdischen Sozialisten“22 1888 das Leben. Denn seine verheiratete Geliebte beugte sich dem jüdischen Gesetz und kehrte zu ihrem untreu gewesenen Ehemann zurück. Ganz offensichtlich ist Liebermann das Vorbild für die Hauptfigur aus Elie Wiesels Roman Das Testament eines ermordeten jüdischen Dichters. Bei dem darin porträtierten „kommunistischen Agitator“ Ephraim handelt es sich um einen „künftigen rabbinischen Richter“, der heimlich politisches Propagandamaterial verteilt und an „Attentate gegen den Zaren“ denkt. Einem Kritiker dieses Aktivisten, der es vorzieht, auf den Messias zu warten, sagt Ephraim, daß er auf diesen lange warten müsse und ruft dann „begeistert aus: ,Wìr müssen die Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen'“.23 Der aus dem russischen Landadel stammende „Vater des russischen Marxismus“, Georg Plechanow,24 der als Offizierschüler seine militärische Laufbahn aufgab und sich dem Bergfach zuwandte, ist aus der anarchistischen Zemlja i volja hervorgegangen. Plechanow war mit Rosalia Markovana Bograd, der Tochter eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns liiert. Ihre Ehe, die von Rosalias Familie abgelehnt wurde, konnte erst 1909 in der Emigration legalisiert werden.25 Plechanow ging 1880 in die Schweiz, wo er 1883 in Genf die erste russische marxistische Gruppe „Befreiung der Arbeit“ (Osvoboschdenie trudy) gründete. Dieser Organisation gehörte neben Paul Axelrod und Leo Deutsch die durch ihr Attentat auf den St. Petersburger Polizeichef von 1878 zur Legende gewordene Vera Sassulitsch an, die in einem Aufsehen erregenden Prozeß freigesprochen wurde. Der jüdische Revolutionär Leo (Lev) Deutsch wurde 1884 von der russischen Regierung in die sibirische Verbannung geschickt. Über seine Sechzehn Jahre in Sibirien hat er ein berühmtes, in mehrere Sprachen übersetztes Buch geschrieben.26 Im Jahr 1923 legte Leo Deutsch in Berlin in russischer Sprache das Buch Die Rolle der Juden in der revolutionären Bewegung vor. Als Führer der russischen Marxisten stand Georg Plechanow im Kontakt mit den führenden Sozialisten seiner Zeit, so mit Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht, Karl Kautsky und Eduard Bernstein. Der junge St. Petersburger Rechtsanwalt Wladimir Iljitsch Uljanow, der sich später Lenin nannte, pilgerte im Mai 1895 zu Plechanow nach Genf, wo er sich mit Paul Axelrod anfreundete. Plechanow hat den Zarismus so gehaßt, daß er 1893 auf dem Internationalen Sozialistenkongreß in Zürich verkündete: „Wenn
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die deutsche Armee über unsere Grenzen einziehen würde, so käme sie als Befreier!“27 Tatsächlich gehörte er jedoch im Ersten Weltkrieg zu den von den Internationalisten als Verräter bekämpften „Vaterlandsverteidigern“, das heißt zu denjenigen Sozialisten, für die ihre Nation vor dem Klassenkampf rangierte. Angesichts der Beschränkung der Freizügigkeit für Juden und des gegen sie verhängten numerus clausus gingen die Söhne und Töchter der wohlhabenden russischen Juden meist zum Studium ins Ausland. Bei den „russischen“ Studenten beispielsweise in Berlin, Montpellier und in Zürich hat es sich überwiegend um jüdische gehandelt. Wie auch eine ganze Reihe von ehelichen Verbindungen ausweisen, haben die sozialistischen Studenten/Emigranten selbstverständlich Kontakt zu den sozialistischen Parteien ihres Gastlandes sowie zu ihren im Exil lebenden Genossen aufgenommen. So schrieb Alexander Helphand, in dessen Münchener Wohnung sich Lenin und Rosa Luxemburg kennenlernten, ebenso wie Rosa Luxemburg Artikel für den sozialdemokratischen Vorwärts. Trotzki hingegen war in Wien freier Mitarbeiter der Arbeiter Zeitung (AZ). Nicht selten sind die politischen Emigranten den sozialistischen Parteien ihres Gastlandes als Mitglieder beigetreten, so etwa Karl Radek der deutschen und Leo Trotzki der österreichischen Sozialdemokratie. Auch der standrechtlich erschossene Führer der bayerischen Räterepublik, Eugen Leviné,28 gehörte zu den Emigranten. Er war der Sohn eines St. Petersburger jüdischen Millionärs, dessen mondäne Witwe bereits vor dem Ersten Weltkrieg nach Heidelberg übersiedelt war. Dort studierte Leviné und erwarb – wie Rosa Luxemburg – die deutsche Staatsbürgerschaft. Gegen den Willen seiner Mutter heiratete er die zum Sprachstudium nach Deutschland gekommene und als Schauspielerin in einem jüdischen Theater tätig gewesene Tochter Rosa des Rabbiners Niessen Broido29 aus Grodek bei Bialystok. Über ihren zur Legende gewordenen ersten Mann berichtet Rosa Meyer-Leviné, daß er sich wegen der „antisemitischen Bemerkung eines Tölpels“ duelliert habe.30 Das Zentrum der russischen und polnischen Emigration befand sich in der Schweiz. Aber auch Berlin, Leipzig, München, Wien, Paris und besonders London und New York waren Metropolen, von denen aus die Sozialisten publizistisch und konspirativ in ihre russische und polnische Heimat einwirkten. In Berlin unterhielt Karl Liebknecht enge Beziehungen zu jüdisch-russischen Studenten, wobei er seine zweite Ehefrau, die Kunststudentin Sophie Ryss, kennenlernte. Sie ist nach der Ermordung
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ihres Mannes nach Moskau gegangen und hat hier eine von der sowjetischen Regierung ausgesetzte Ehrenpension bezogen. Zu den prominent gewordenen Sozialisten ostjüdischer Herkunft gehörte weiter die aus einer wohlhabenden jüdischen Grundbesitzerfamilie der Ukraine stammende Angelika Balabanoff.31 Sie hatte mit ihrer Familie gebrochen und ist nach Italien gegangen, wo sie mit Serrati und Mussolini in den Vorstand der sozialistischen Partei gewählt wurde. Als Stellvertreterin und vertraute Ratgeberin – manche Historiker behaupten: Geliebte – des Chefredakteurs des sozialistischen Avanti (Vorwärts), Benito Mussolini, hat sie dessen geistige Entwicklung beeinflußt!32 Nach der Gründung der Komintern übernahm Angelika Balabanoff die Stelle des Sekretärs von deren Präsident Grigori Sinowjew. In diesem Amt wurde sie, die sich bald von der Sowjetdiktatur lossagte und wieder nach Italien ging, aber bereits 1920 von Karl Radek abgelöst. Neben Kindern des wohlhabenden jüdischen Bürgertums begegnen uns unter den ostjüdischen Sozialisten Söhne des Kleinbürgertums, so Karl Radek, Israel Alexander Helphand und Paul Axelrod. Dieser spätere Führer der russischen Sozialdemokratie, der sich mit seinem Jugendfreund Lenin überwerfen hat, stammte aus einer armen jiddisch sprechenden Familie der Ukraine. Axelrod war zunächst Anhänger Bakunins und Verehrer Lassalles und ging 1874 nach Berlin, wo er sich dank seiner Beherrschung des Jiddischen rasch mit den sozialistischen Arbeitern verständigen konnte.33 Leo Trotzki,34 der deutsch mit jiddischem Akzent sprach, als Kind eine jüdische Schule (Cheder) besuchte, ein wenig Hebräisch gelernt hatte und mit seiner ersten Frau im Gefängnis von einem Rabbiner getraut wurde,35 stellte im Hinblick auf seine Herkunft einen Sonderfall dar. Er hatte einen ungebildeten, russifizierten und als Pächter und Gutsbesitzer zu Wohlstand gekommenen Vater sowie eine die jüdischen Gebräuche bewahrende Mutter. Sie ließ ihren kleinen Leo am Sabbat durch einen christlichen Angestellten zum Arzt fahren!36 Der Exodus ostjüdischer Massen Da sich das Interesse der meisten mehr auf Personen als auf soziale Strukturen richtet, ist der gewaltige Exodus der überwiegend bitterarmen Ostjuden in den Westen, speziell nach Nordamerika, nicht recht ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Von 1800 bis 1880 sind 250 000, von 1881 bis
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1900 eine Million und zwischen 1901 und 1914 knapp zwei Millionen Ostjuden ausgewandert!37 Welchen Umfang diese Emigration hatte, wird dadurch verdeutlicht, daß zwischen 1904 und 1914 allein in Hamburg 1,4 Millionen Juden eingeschifft wurden! Ausschlaggebend für diese Migration waren neben der schlechten wirtschaftlichen Lage die schrecklichen Pogrome in Rußland, die man drastisch als „Antisemitismus der Faust“ gekennzeichnet hat. Die Ermordung Kaiser Alexanders II. im Jahre 1881 durch eine anarchistische Gruppierung, bei der einige Juden mehr am Rande beteiligt waren, wurde zum Vorwand für eine antisemitische Kampagne genommen, deren Folge massive Ausschreitungen waren. Der Prokurator des Heiligen Synods und somit der höchste Repräsentant der russisch-orthodoxen Kirche, Konstantin Pobedonoscev,38 Privatlehrer von Kaiser Alexander III., hat damals den Kampf gegen die Revolution als „Kampf auf Leben und Tod“ gekennzeichnet. Es gehe darum, den „Samen des Bösen in Rußland“ auszureißen. Diesen meinte Pobedonoscev speziell bei den Juden finden zu können, die er so bedrohte: „Ein Drittel der Juden wird konvertieren, ein Drittel auswandern, der Rest wird bald ausgelöscht.“39 Unter den nach dem Zarenattentat zum Tod verurteilten Terroristen befand sich 1887 Lenins Bruder Alexander, der als Chemiestudent beim Bombenbau mitgewirkt hatte.40 Wie er war auch der aus Litauen gebürtige Jude Charles Rappoport41 in ein Attentat auf den Zaren verwickelt. Er wurde später zum Mitbegründer der französischen KP und hat mit Geldern der Komintern die Zeitschrift Revue Communiste herausgegeben. Angelika Balabanoff hat von Lenins „unüberwindlichem Haß gegen das zaristische Regime“42 gesprochen und deckte damit die wichtigsten Triebkräfte für dessen Handeln auf. Der zum Dissidenten gewordene Arthur Rosenberg, der die deutschen Kommunisten im Reichstag und in der Moskauer Komintern vertreten hatte, spricht in seiner Geschichte des Bolschewismus davon, daß es die große Leidenschaft Lenins gewesen sei, Rußland von den Zaren zu befreien. Dabei hätte ihm die Lehre von Marx nur als willkommene „Waffe“ gedient!43 Die Tatsache, daß bei den von den russischen Unterbehörden teilweise geduldeten Pogromen der fürchterliche Ruf erscholl „Tötet die Juden, rettet Rußland“,44 hilft zu verstehen, warum das destruktive Element bei vielen nissischen Revolutionären jüdischer Herkunft stärker entwickelt war als das konstruktive. Hellsichtig formulierte der mit dem Sozialismus sympathisie-
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rende Lord Bertrand Russell 1920 nach Gesprächen mit Lenin und Trotzki: „In the principles of bolshevism ìs more desire to destroy ancient evils than to build up new goods.”45 Die Lehre von Marx , die nach dem sozialdemokratischen Vorwärts vom 18. Oktober 1918 in Rußland zu einem „socialismus asiaticus, der sich Bolschewismus nennt“, entartete, lieferte eine im Namen der Menschenrechte auftretende Rechtfertigung dafür, mit der Alten Welt, ihren „herrschenden Klassen“ und ihrer Wertewelt blutig abzurechnen. Da dem letzten Zaren Nikolaus II. nachgesagt wird, er habe dazu aufgerufen, die Revolution im jüdischen Blut zu ertränken,46 mußten solche Ankündigungen unter vielen russischen Juden zwangsläufig einen unbändigen Haß entfesseln. So hat Rosa Luxemburg 1905 darüber frohlockt, daß mit dem „Bluthund“ Sergej Romanow in Moskau ein Mitglied der Zarenfamilie durch Terroristen ermordet worden war. Auch der Lenin-Vertraute Grigori Sinowjew sprach 1915 in der Schweiz von den „reißenden Hunden der Romanowschen Dynastie“.47 Die kaiserliche Familie ist dann auch tatsächlich unter dem Kommando des Kommissars Jurowski in einem wahren Blutbad liquidiert worden. Es hat nach dem Jerusalemer Historiker Jacob Talmon sehr demjenigen Schicksal geähnelt, das vielen jüdischen Familien während der Pogrome von 1905 widerfahren ist.48 Im russischen Bolschewismus steckt – wie schon marxistische Kritiker Lenins anmerkten – viel von der anarchistischen Tradition. In dieser stand auch der nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum faktischen Führer der deutschen KP aufgestiegene Leo Jogiches. Diesen einstigen „Kronprinzen“ des russischen Marxismus49 hat Friedrich Engels als „Miniaturausgabe von Netschajew“, also des berühmt-berüchtigten Schülers von Bakunin, bezeichnet!50 Das zarische Rußland war zu durchgreifenden Reformen nicht in der Lage gewesen und hatte den Ostjuden keine positive Lebensperspektive eröffnet. Es setzte auf Repression und führte eine Art Bürgerkrieg gegen die soziale Revolution, was fatale Konsequenzen nach sich zog. Der durch die Revolution von 1905 in sein Amt gekommene, jedoch bereits 1906 wieder entlassene erste Ministerpräsident Graf Witte urteilte, daß die russische Regierung die Verantwortung dafür trage, daß „aus zaghaften Juden Revolutionäre und Aktivisten“ würden.51 Tatsächlich verhielt es sich so, daß in Rußland bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 4 Prozent unter den aus politischen Gründen In-
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haftierten zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts etwa 30 Prozent Juden waren!52 Leo Rosenberg wies 1918 in der von Buber herausgegebenen Zeitschrift Der Jude daraufhin, daß der jüdische Anteil an der revolutionären Bewegung in Rußland das „achtfache ihres prozentualen Anteils“ betragen hat.53 Es fällt übrigens auf, daß viele der ehemaligen Berufsrevolutionäre nach 1917 Tschekisten wurden.54 Die außerordentliche Bedeutung ostjüdischer Sozialisten für die russische Sozialdemokratie zeigt sich darin, daß der 1897 gegründete „Allgemeine Jüdische Arbeiterbund in Litauen, Polen und Rußland“, dem damals der spätere Chef der Komintern, Grigori Sinowjew, angehörte, 1898 in Minsk die Gründung der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei organisiert hat. Dieser Dachpartei trat der jüdische Arbeiterbund kollektiv bei! Auf dem zweiten Parteitag der russischen Sozialdemokratie von 1903, der von Brüssel nach London verlegt werden mußte, kam es zum Streit, ob die Partei zu einer Massenpartei aus Gesinnungsgenossen oder – wie Lenin wollte – zu einer Elitepartei von Berufsrevolutionären werden sollte. Erst als sich die Bundisten, die wegen ihres Eintretens für die kulturelle Autonomie der Juden von den doktrinären Marxisten als „reaktionär“ bekämpft wurden, von den Verhandlungen zurückgezogen hatten, konnte Lenins Fraktion die Mehrheit (bolschinstvo) erringen. Daraus wurden die Bezeichnungen Bolschewiki/Bolschewisten (Mehrheitler) sowie Menschewiki/Menschewisten (Minderheitler) abgeleitet. Die dominierende Rolle des jüdischen „Arbeiterbundes“ im damaligen Rußland wird schon an seiner Mitgliederstärke erkennbar. Während die Russische Sozialdemokratische Arbeiterpartei 1905 gerade 8.400 Mitglieder zählte, gehörten dem Arbeiterbund 1904 bereits 23.000 Mitglieder an. An dem Londoner Kongreß der russischen Sozialdemokratie von 1907 nahmen 29,1 Prozent Juden und 35,3 Prozent Russen teil. Von den 100 jüdischen Delegierten gehörten 57 dem Bund an. Da diese sozialistischen Juden ganz überwiegend „menschewistisch“, also sozialdemokratisch, orientiert gewesen sind, soll damals Stalin den häufig kolportierten „Witz“ gemacht habe, Man müßte einen kleinen Pogrom unter ihnen veranstalten! Die unübersehbare Überrepräsentanz der Juden in den revolutionären Parteien Rußlands ergibt im einzelnen folgendes Bild: von den Sozialrevolutionären waren 14 Prozent jüdisch, von den Menschewiki 23 Prozent, dagegen von den Bolschewiki lediglich 11 Prozent.55 Die außerordentliche Bedeutung jüdischer Intellektueller für die russischen Revolutionäre wird daraus ersichtlich, daß von den sieben Redak-
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teuren der 1900 von Lenin in Leipzig gegründeten Zeitung Iskra (Der Funke) drei jüdisch gewesen sind, und zwar Julius Martow,56 Paul Axelrod und Leo Trotzki. Unter den vier Redakteuren von Trotzkis Wiener Prawda (Wahrheit) waren drei jüdisch, und zwar neben Leo Trotzki noch Adolf Joffe sowie David Rjasanow, der spätere Begründer des Moskauer MarxEngels-Institutes. Trotzki verfolgte damals noch einen unabhängigen Kurs und hat sich erst im Sommer 1917 nach seiner Rückkehr aus New York den Bolschewiki angeschlossen. Der deutsche Zionist Franz Oppenheimer bemerkte 1904: „Aber nichts ist gewisser, als daß der heutige Jude in Osteuropa der geborene Revolutionär sein muß.“57 In seiner Gedenkrede auf die Opfer der russischen Pogrome merkte er an, daß „Dünkel und Haß selbst uns deutschen Juden das Vaterland zum Stiefvaterlande“ machten.58 Im Januar 1906 erklärte er dann in Berlin selbstbewußt, daß wegen seiner Diskriminierung und Verfolgung „der Jude überall im russischen Freiheitskampfe an der Spitze der Sturmkolonnen“ stehe.59 Aus Memoiren wissen wir, daß die Erinnerung an die grauenhaften Judenverfolgungen in Rußland über Jahrzehnte fortgewirkt hat. So berichtet die 1898 in Kiew geborene spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir, daß das durch Pogrome ausgelöste Angstgefühl „die klarste“ ihrer Erinnerungen sei!60 Die traumatisierende Wirkung der russischen Pogrome61 auf die Ostjuden nahm literarische Gestalt an in dieser Schilderung des Literatur-Nobelpreisträgers Elie Wiesel: „Plötzlich brach er los. Ein Schrei zerriß das Schweigen und die Finsternis ,Tod den Juden!'. Der Schrei wurde von unzähligen Kehlen aufgegriffen, hallte in den Vorstädten wider, lief weiter über die Wälder hinweg und brach sich an den Enden der Welt. Er durchdrang Bäume und Steine, Himmel und Hölle.“62 Eine Anzahl prominenter jüdischer Sozialisten und deren Ehefrauen haben selbst einen Pogrom erlebt und erlitten, so Julius Martow und die Ehefrau von Alexander Helphand einen in Odessa, die elfjährige Rosa Luxemburg einen in Warschau und die zwölfjährige Ana Pauker einen in Bukarest. Der spätere Begründer des Staates Israel, Ben Gurion, der damals noch David Grün hieß, hat in jenen Jahren in der Ukraine eine jüdische Selbstschutzorganisation gegen Pogrome aufgebaut. Dies war ein Gebot der Stunde, als zwar nicht die russische Zentralregierung, jedoch die regionale und lokale Polizei oft viel zu spät gegen Pogrome eingeschritten ist und teilweise wohl auch klammheimliche Sympathien für die Pogromtschiki empfunden hat. Weltweites Aufsehen rief 1903
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der Pogrom von Kischinew hervor. Dabei wurden in dieser Stadt mit einem Judenanteil von 68 Prozent 45 Juden erschlagen, Hunderte verletzt und 700 Häuser sowie 600 Läden verwüstet. Über diesen Pogrom, der Entsetzen auslöste, soll Zar Nikolaus II. bemerkt haben, den Juden habe eine Lektion erteilt werden müssen.63 Der Führer der nationalistischen Union des Russischen Volkes, Nikolaj Markow, hat im Frühjahr 1911 auf einem Adelskongreß erklärt, Rußland befinde sich im Krieg mit den eine neue Revolution vorbereitenden Juden.64 Da in jenen Jahren russische Juden wegen solcher Kollektiwerurteilung gefährdet waren, wird es verständlich, daß sogar jüdische Kapitalisten den Sozialismus als „Arzt des Antisemitismus“ gefördert haben. Als vielen Delegierten des Londoner Parteitages der russischen Sozialdemokratie von 1907 das Geld für die Rückfahrt fehlte, da schoß es ihnen der jüdische Seifenmillionär Joseph Fels vor. Lenin hat es ihm später zurückerstattet! Da das zarische Rußland eine Art Krieg gegen die Gegner der Autokratie führte, wird verständlich, warum die ganz besonders diskriminierten und verfolgten Juden zu einem „eminent revolutionären Faktor“ geworden sind. So formulierte Karl Kautsky im Jahre 1914.65 Dabei brachte auch er die von vielen gehegte Hoffnung zum Ausdruck, daß der Sozialismus das Heilmittel sei, um den wandernden Juden Ahasver „zur Ruhe“ zu bringen Für unseren Zusammenhang ist nicht nur die Lage in Rußland von Interesse. Aufschlußreich ist auch die Entwicklung, die sich in Polen und außerhalb des russischen Reiches in Rumänien vollzog. In Russisch-Polen gründete der dem Warschauer Zweig der Berliner Bankiersfamilie Mendelssohn angehörende Stanislaw Mendelson den ersten sozialistischen Zirkel.66 Der mit einer polnischen Adeligen verheiratete Mendelson hat eine Übersetzung von Lassalles Kapital und Arbeit herausgegeben, wurde 1878 verhaftet und lebte dann im Exil. In London lernte er Eduard Bernstein, Aron Liebermann und Friedrich Engels kennen. Letzterer hat für die von Stanislaw Mendelson veranlaßte erste polnische Ausgabe des Kommunistischen Manifestes ein Vorwort geschrieben. Zu den führenden polnischen Sozialisten der ersten Generation gehörte Szymon Dickstein (Jan Mlot), ein assimilierter Warschauer Jude. Wie der aus dem Kleinadel stammende Ludwik Warynski und Mendelson war er in Genf Mitherausgeber der polnischen Ausgabe der Zeitschrift der Sozialistischen Internationale L'Egalité. Vor der Gründung der Polnischen Sozialistischen Partei (PPS) im Jahre 1892 waren die polnischen Sozialisten in der Gruppe Proletariat organi-
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siert, die Kontakte zur anarchistischen russischen „Narodnaja volja“ (Volkswille) unterhielt. Ihr Gründer war der erwähnte Warynski, der 1889 im russischen Staatsgefängnis Schlüsselburg umkam. Stanislaw Mendelson hat dem späteren Führer der PPS, Ignacy Daszynski, der mit Rosa Förster, der Tochter eines jüdischen Bauern verheiratet war,67 ein Stipendium gestiftet. Er wirkte an der Ausarbeitung des Programms der PPS mit, das sich am Erfurter Programm der deutschen SPD orientierte. Wesentliches Ziel der PPS war die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Polens, das nach dem gescheiterten Aufstand von 1863 seine Autonomie verloren hatte. Als Beispiel für die danach durchgeführte Russifìzierung Polens sei hier angemerkt, daß in dem Warschauer Gymnasium, das Rosa Luxemburg wegen ihrer Begabung trotz des numerus clausus für Juden besuchen konnte, das Russische Unterrichtsprache war. Um Rosa Luxemburg und den von einem adeligen polnischen Vater und einer westfälischen Mutter abstammenden Julian Marchlewski (Karski) bildete sich innerhalb der PPS 1893 die radikale Gruppe „Spmwa Rabotnica“ (Arbeiterfrage). Sie wurde zur Vorläuferin der 1899 gegründeten „Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauen“ (SDKPiL). Diese Partei war anders als die PPS nicht polnisch-patriotisch, sondern vielmehr marxistisch-internationalistisch ausgerichtet. Sie betrachtete den gemeinsamen Kampf gegen den Zarismus mit den russischen Genossen als vorrangige Aufgabe und war aus der Sicht nationalpolnisch orientierter Sozialisten unpatriotisch. Die vierköpfige Führungsgruppe dieser Partei, die mit dem linken Flügel der PPS um Felix Kon später zum Kern der polnische KP wurde und an den Kongressen der russischen Sozialdemokratie teilnahm, bestand aus Adolf Warszawski (Warski), Leon Jogiches (Tyszka), Rosa Luxemburg und Julian Karski (Marchlewski), mithin zu drei Vierteln aus solchen Juden, die der bereits assimilierten jüdischen Minderheit angehörten. Der einzige Nichtjude dieses Zirkels war Julian Karski, der zusammen mit Rosa Luxemburg in Zürich studiert hatte. Höchst bemerkenswert ist, daß der „Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauen“ mit Jakob Fürstenberg (Hanecki), Karl Radek und Josef Unszlicht drei jüdisch-polnische Sozialisten angehörten, die später in Sowjetrußland in Spitzenpositionen aufstiegen. Auch der zum Gründer der Tscheka gewordene adelige Pole Felix Dserschinski hat dieser Partei angehört. Seine erste Frau Sophie war die Schwester des Bund-Führers Mark Liber (Michael Goldmann), seine zweite die jüdische Warschauerin Sofja Muschkat.
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Auch in Rumänien ist der Marxismus durch einen Juden eingeführt worden. Es handelt sich dabei um den aus der Ukraine gebürtigen und aus der Tradition der Narodniki kommenden Nathan Katz (Cass). Er hat den Namen Constantin Dobrogeanu-Gherea angenommen und war menschewistisch-sozialdemokratisch orientiert.68 Anders sein Sohn Alexandra, der 1924 zum Generalsekretär der im Mai 1921 gegründeten KP Rumäniens gewählt wurde.69 Mitbegründer dieser Partei war Marcel Pauker, der im antisemitischen Rumänien während des Krieges als Jude kein Leutnant hatte werden dürfen und später gleich Alexandra Dobrogeanu-Gherea der „Säuberung“ Stalins zum Opfer fiel. Paukers Ehefrau Ana Pauker, geb. Rahbinsohn, Enkelin eines Rabbiners, kehrte Ende 1944 als Majorin der Roten Armee nach Rumänien zurück und stieg hier zur „stalinistischen“ Sekretärin des ZK sowie zur ersten weiblichen Außenministerin der Welt auf. Die Anfang 1953 als „Zionistin“ gestürzte Ana Pauker hat das Time-Magazin im September 1949 als die „mächtigste lebende Frau“ charakterisiert!70 Nur der Tod Stalins hat Ana Pauker, die vielen rumänischen Juden die Auswanderung nach Palästina ermöglichte, vor einem Schauprozeß bewahrt. Ostjüdische Subkulturen im westlichen Exil Die ungünstigen Lebensperspektiven zwangen viele Ostjuden zur Emigration. Als Folge dieser Wanderung hatten sich bereits um 1900 an der East Side von New York, im Londoner East End, um das Pletzl in Paris und auch im Berliner Scheunenviertel von Ostjuden besiedelte Wohnquartiere mit jiddischer Umgangssprache herausgebildet. New York, wo 1910 bereits 1,1 Millionen Juden lebten, gilt noch heute als größte jüdische Stadt der Welt. Im Jahre 1880 bemerkte Guy de Rothschild zu Disraeli über den „ständigen Zuzug“ von polnischen, russischen und rumänischen Juden, daß sie „halbverhungert ankommen und Sozialisten sind, bis sie reich werden“.71 Damit hatte er die wichtige Tatsache angesprochen, daß der Sozialismus in seinen verschiedenen Schattierungen so etwas wie die Zivilreligion eines beachtlichen Teils des ostjüdischen Proletariates sowie ostjüdischer Intellektueller gewesen ist. In seinem Buch Prophecy and Politics ist Jonathan Frankel von der Hebräischen Universität zu Jerusalem zu dem Ergebnis gelangt, daß nicht
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nur in Polen und Galizien, sondern auch in London, Paris und New York der „jüdische Sozialismus“ eine „politische Subkultur“ gebildet habe.72 Tatsächlich wurde die sozialistische Bewegung in den Vereinigten Staaten73 in solchem Maße durch Ostjuden geprägt, daß deren Presseorgane überwiegend in der jiddischen beziehungsweise deutschen Sprache erschienen,74 und ein amerikanischer Sozialist damals sogar Deutsch lernte, um die sozialistische Literatur lesen zu können!75 Der in Galizien geborene Viktor Berger,76 der Unterricht an der Sonntagsschule einer Synagoge erteilte und von Eduard Bernstein beeinflußt war, gehörte 1897 zu den Mitbegründern der „Social Democratic Party of America“ sowie der 1901 gebildeten „Socialist Party of America“. Im Jahre 1910 wurde er als erster Sozialist in das Repräsentantenhaus des Kongress gewählt! Er hat des weiteren die Arbayter Tsaytung sowie den Wisconsin Vorwärts herausgegeben! Am 15. September 1919 erklärte Viktor Berger im amerikanischen Kongress: „Der Bolschewismus ist das natürliche Ergebnis des Zarismus und der Methode des Zaren im Kampf gegen Sozialisten und Liberale in Rußland.“77 Zu den Gründervätern der amerikanischen Sozialdemokratie gehörte weiter der aus Russisch-Polen stammende Meier London, dessen Vater Talmud-Gelehrter und dessen Mutter die Tochter eines Rabbiners gewesen ist. Bekannte jiddisch-sozialistische Zeitungen in Amerika waren der Forward (Vorwärts) sowie die anarchistische Varhayt, letztere das Organ der jüdischen Pioniere der Freiheit. Deren Führer war das berühmte Pärchen Emma Goldmann und Alexander Berkmann, die beide in Rußland geboren waren! Emma Goldmann war durch die jüdische Kultur geprägt.78 Alexander Berkmann, der wegen eines Mordanschlages auf einen „Kapitalisten“ Jahre einsaß, hat in seinen berühmten, auch in jiddischer Sprache erschienenen Gefängniserinnerungen eines Anarchisten verkündet: „Das Wegräumen eines Tyrannen ... ist die höchste Pflicht eines jeden Revolutionärs ... Einen Tyrannen beseitigen ist ein Akt der Befreiung.“79 Die dominierende Rolle des Jiddischen in der amerikanischen Arbeiterbewegung zeigt sich auch in der Übersetzung sozialistischer Hauptschriften ins Jiddische. So hat der Präsident der jüdischen Tischlergesellschaft das Kapital von Karl Marx ins Jiddische übersetzt.80 Der in Warschau geborene und 1890 in die Vereinigten Staaten eingewanderte Benjamin Feigenbaum übertrug August Bebels Hauptwerk Die Frau und der Sozialismus ins Jiddische.
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Wie überall auf der Welt spaltete sich nach 1917 auch in den Vereinigten Staaten die sozialistische Bewegung in einen sozialdemokratischen und einen kommunistischen Flügel. Mit letzterem sympathisierte anfänglich der in Riga geborene Morris Hillquit (Hillkowicz), der die 1903 erschienene History of Socialism in the United States verfaßte.81 Hillquit hat mit dem bei Wìlna geborenen Abraham Cahane, der 1882 in die USA emigriert war und den seine orthodoxen Eltern zum Rabbi bestimmt hatten, in New York die Arbeiter-Zeitung begründet.82 Unter den Pionieren der amerikanischen Kommunisten, wie besonders Israel Amter, Martin Abern (Abramowitsch), Maximilian Cohen, Alexander Trachtenberg und William Weinstone, wurden mehrere in Rußland geboren. Der 1884 in Odessa auf die Welt gekommene und 1906 in die USA eingewanderte Alexander Trachtenberg ist gleich Rosa Luxemburg Dozent an einer sozialistischen Parteischule gewesen. Er hat ab 1927 die amerikanische Ausgabe von Lenins Gesammelten Werken herausgegeben und 1934 das Buch Lenin on the Jewish question publiziert! In Großbritannien, wo Bundisten seit 1885 den Arbaiter-Fraint herausgaben, gehörte der in Rußland geborene Vertrauensmann Lenins, Theodor (Feodor) Rothstein, zu den Gründern der KP.83 Als er dort als Radikaler Schwierigkeiten bekam, kehrte er nach Sowjetrußland zurück, wo er zum sowjetrussischen Botschafter in Persien ernannt wurde. In Moskau veröffentlichte Rothstein 1922 auf russisch seine Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung in England, die 1929 in Berlin auch in deutscher Sprache erschienen. Zu den Remigranten gehörte auch der 1878 in Rußland geborene Alexander Losowski (Solomon A. Dridzo).84 Er hielt sich von 1909 bis 1917 in Paris auf und war dort Sekretär der Hutmachergewerkschaft. Losowski kehrte 1917 nach Rußland zurück und stieg zum Generalsekretär der Roten Gewerkschaftsinternationale auf, die er in der Komintern repräsentierte. Während in den Vereinigten Staaten Viktor Berger und Morris Hillquit der Sozialdemokratie die Treue hielten, wechselten die Radikalen zu der im Mai 1921 gegründeten kommunistischen „Worker's Party of America“. Gleich Trachtenberg war auch der 1898 in Bessarabien geborene Martin Abern (Abramowitsch) an der Bildung der KP der USA beteiligt, die er 1922 als dreiundzwanzigjähriges ZK-Mitglied auf dem KominternKongreß und in der Kommunistischen Jugendinternationale vertrat. Später hat er sich – wie viele andere jüdische Kommunisten – von Stalin abgewandt.
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Ein weiterer Führer der amerikanischen Kommunisten war der in den USA als Sohn ostjüdischer Einwanderer geborene Israel Amter. Dieser Pianist, der sich vor 1914 länger in Deutschland aufgehalten hatte, vertrat die amerikanische KP 1923 und 1924 im Exekutivkomitee (EKKI) der Komintern. In Frankreich schufen Sozialisten vom Jüdischen Arbeiterbund 1904 die Zeitungen Die Kempfer und 1910 den Yiddischer Arbeiter. Hier hat sich 1899 Charles Rappoport einbürgern lassen, der 1865 in Litauen als Sohn eines jüdisch-orthodoxen Vaters geboren wurde.85 Gemeinsam mit dem Bruder Lenins war er an Vorbereitungen zu einem Attentat auf den Zaren beteiligt. Rappoport hat viele bedeutende Sozialisten wie Leo Jogiches, Clara Zetkin, Georg Plechanow, Friedrich Engels und Paul Axelrod persönlich gekannt. Zusammen mit dem 1895 in Kiew geborenen Boris Souvarine (Lifschitz) war Rappoport später an der Gründung der französischen KP beteiligt und hat sie auch in der Komintern vertreten.86 Beide haben später mit Stalin gebrochen und ihn als „Trotzkisten“ scharf und kenntnisreich bekämpft. Während die durch die Zustände in Rußland geprägten ostjüdischen Revolutionäre sich häufig durch besondere Radikalität auszeichneten, kann dies von der Mehrheit der bedeutenden einheimischen jüdischen Führer der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie nicht gesagt werden. Dies beweist, daß der Radikalismus jüdisch-russischer Revolutionäre primär aus der Auflehnung gegen die zaristische Autokratie resultiert. Verglichen mit den Zuständen in Rußland erfreuten sich die Juden in Deutschland und Osterreich bereits der Bürgerrechte. Allerdings verschlossen diese christlichen Monarchien den Juden weitgehend den Zutritt zum Staatsapparat. Der latente AntiJudaismus breiter Schichten sowie der virulente Antisemitismus der damals noch eine Randgruppe darstellenden Völkischen, die mit der Devise operierten „Gegen Junker und Juden“,87 bewirkte aber, daß sich Juden als Außenseiter, ja zuweilen als potentielle Verfolgte sahen. Dies hat viele von ihnen in die Arme der Sozialdemokratie getrieben. August Bebel hat das offen angesprochen, als er 1891 zu Friedrich Engels sagte, daß es „lauter Juden“ seien, die sich „uns annähern“.88 Auch Karl Kautsky ist als bemerkenswert aufgefallen, daß die „Corona“ um den Führer der österreichischen Sozialisten, Viktor Adler, aus Intellektuellen bestand, die „durch die Bank Juden“ waren, wohingegen das Milieu an der Parteibasis „fast ganz arisch“ gewesen sei.89 Jüdische Intellektuelle haben also eine bedeutsame, ja spektakuläre Rolle
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in den sozialdemokratischen Parteien von Rußland bis zu den Vereinigten Staaten von Amerika gespielt, sie sind dabei als Journalisten und auch als Parteijuristen besonders hervorgetreten. Es ist kein reiner Zufall, daß die sozialdemokratischen Parteizeitungen in Deutschland (Vorwärts) und Österreich (Arbeiterzeitung) mit Friedrich Stampfer und Friedrich Austerlitz über viele Jahre jüdische Chefredakteure hatten. Beide Zeitungen sind von vermögenden Juden begründet worden. In Wien von Viktor Adler, der auf ererbtes Vermögen zurückgreifen konnte, und in Berlin von Paul Singer. Der in Vergessenheit geratene Paul Singer hatte zusammen mit seinem Bruder eine erfolgreiche Damenmantelfabrik gegründet. Er zog sich 1886 aus dem Geschäft zurück, um sich der politischen Arbeit zu widmen. Singer gründete 1884 die Berliner Volkszeitung, die Vorläuferin des Vorwärts, und übernahm 1890 gemeinsam mit August Bebel den Parteivorsitz der Sozialdemokratie. Er führte die Fraktion der SPD im Reichstag und war ein hervorragender Redner, der von den Berliner Arbeitern zärtlich ,Judenpaule“ genannt wurde!90 In dem Nachruf Lenins auf Paul Singer heißt es: „Niemals hat das dreimillionenköpfìge Berlin solche Massen gesehen: nicht weniger als eine Million Menschen nahmen an dem Zug teil und säumten die Straßen. Niemals ist einem Mächtigen der Welt die Ehre einer solchen Bestattung zuteil geworden.“91 Die Bedrückung der Ostjuden hat nicht nur der sozialistischen Bewegung viele Anhänger und Köpfe zugeführt, sondern auch in der sozialistischen Intelligenz ein besonderes Gefühl der Solidarität mit den Juden unter russischer Herrschaft entstehen lassen. Schon 1854 forderte Ferdinand Lassalle gegenüber Karl Marx einen „unerbittlichen Krieg gegen Rußland“.92 Der von den Sozialisten ganz Europas verehrte SPD-Führer August Bebel hat trotz des Pazifismus seiner Partei bekannt, daß „er die Knarre allemal selbst in die Hand“ nehmen würde, wenn es gegen Rußland ginge!93 Auf dem Erfurter Parteitag der SPD hat er Rußland gegeißelt als „Hort der Grausamkeit und Barbarei, der Feind aller menschlichen Kultur“. Indem das Zarenreich viele Juden in eine sozialistische Totalopposition gegen die christlich-bürgerliche Gesellschaft trieb, hat es weitreichende Fernwirkungen ausgelöst. Es ist zu fragen, ob hier der Hauptgrund dafür Hegt, was Sonja Margolina später feststellen konnte, nämlich, daß das „Schicksal des Judentums, die jüdische Katastrophe zu einem neuralgischen Punkt der europäischen Krise in diesem Jahrhundert“ wurde.94 Schließlich
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ist es so gewesen, daß die durch Diskriminierung und Verfolgung motivierte Hinwendung einer Fraktion des Ostjudentums zur totalitären Ausprägung des Sozialismus eine noch darzustellende Welle eines mörderischen neuen Antisemitismus auslöste. Der zu einem Hauptakteur des zwanzigsten Jahrhunderts gewordene Lenin hat in seinem Aufsatz Über die Pogromhetze gegen die Juden drohend erklärt: „Schande über den verfluchten Zarismus, der die Juden gequält und verfolgt hat.“95 Kaum vorstellbar, daß er beim Hinweis auf die Juden nicht auch an seinen mütterlichen Großvater Alexander Blank96 gedacht hat, der als Kind im Jahre 1820 christlich getauft worden war und dabei seinen Vornamen Israel ablegen mußte. Nach diesem jüdischen Großvater, dessen Herkunft in der Sowjetära zum Tabu gemacht wurde,97 war Lenins 1887 am Galgen aufgehängter Bruder benannt. Anmerkungen 1 Shlomo Na'aman: Ferdinand Lassalle. Hannover 1968, S. 104. 2 Weltbühne (1919) 15, S. 75-78 (Zitat: S. 77). 3 Gustav Mayer: Erinnerungen. Zürich 1949, S. 317. 4 Ebenda, S. 367 f. 5 Alfred Döblin: Schriften zu jüdischen Fragen. Solothurn 1995, S. 544. 6 Heiko Haumann: Geschichte der Ostjuden. München 1990. 7 Salomon Adler-Rudel: Ostjuden in Deutschland 1880-1940. Tübingen 1959. 8 Arthur Ruppin: Die Juden in der Gegenwart. Berlin 1904, S. 79. 9 Berlin 1904, S. 267. 10 Josef Roth in: Romane, Erzählungen, Aufsätze. Köln 1964, S. 559-615 (Zitat: S. 561 f). 11 Vgl. Aram Mattioli (Hrsg.): Antisemitimus in der Schweiz 1848-1960. Zürich 1998, S. 431. 12 Vgl. Arnold Zweig: Heutiger Zionismus. In: Weltbühne (1925) 21, S. 124. 13 Zur Statistik der Juden s. die Artikel Juden in: Der Große Brockhaus. Bd. 9.151931 und in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft. Bd. 3. Freiburg/Br. 1969. 14 Tamás Ungvás: The ,Jewish question“ in Europe. The case of Hungary. New York 2000, S. 97. 15 Bernd Martin und Ernst Schulin (Hrsg.): Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München 1985, S. 250. 16 Erich Haberer: Jews and revolution in nineteenth Century Russia. Cambridge 1995. 17 Antje Schrupp: Nicht Marxistin und auch nicht Anarchistin. Königstein/Ts. 1999, S. 114. 18 Erich Haberer: Jews and revolution in nineteenth Century Russia. Cambridge 1995; Robert J. Brym:The Jewish intelligentsia and Russian marxism. London 1978; Salo W. Baron: The Russian Jew under Tsars and Soviets. New York 1976; Leopold Haimson: The Russian marxists and the origin of bolshevism. Boston1955. 19 Richard Stites: The woman's liberating movement in Russia. Princeton, N.J. 1978, S. 129. 20 Maria Seidemann: Rosa Luxemburg, Leo Jogiches. Berlin 1998, S. 28. 21 Ber Borochow: Class struggle and the Jewish nation. Ed. M. Cohen. New Brunswick 1984, S. 191 ff. 22 Nathan Weinstock: Le pain de misère. Histoire du mouvement ouvrier juif en Europe. Bd. l. Paris 1984, S. 38.
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23 Elie Wiesel: Das Testament ... Freiburg i. Br. 1991, S. 61 u. 67. 24 Detlef Jena: Georgi W. Plechanow. Berlin 1989; Samuel H. Baron: Plekhanow: The father of Russian marxism. Stanford, Cal. 1963. 25 Beate Fieseier: Frauen auf dem Weg in die russische Sozialdemokratie, 1890-1917. Stuttgart 1995, S. 92. 26 Die deutsche Ausgabe erschien 1904 und 1910 in Stuttgart. 27 Archiv für Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung (1919) 8, S. 42. 28 Rosa Meyer-Leviné: Leviné. Leben und Tod eines Revolutionärs. München 1972. 29 Dies.: Im inneren Kreis. Köln 1979, S. 9. 30 Dies.: Leviné. Frankfurt/M. 1974, S. 11. 31 Vgl. F. Herve und I. Nödinger: Lexikon der Rebellinnen. Dortmund 1996, S. 26. 32 Ivone Kirkpatrick: Mussolini. Stutttgart 1965, S. 32. 33 Abraham Ascher: Pavel Axelrod and the development of menshevism. Cambridge/Mass. 1972, S. 18 ff. 34 Joseph Nedava: Trotsky and the Jews. Philadelphia 1971; Isaac Deutscher: Trotzki. Bd. 1.2. Stuttgart 1962. 35 Joel Carmichael: Trotzki. Frankfurt/M. 1973, S. 11 ff. 36 Bertram D. Wolfe: Drei Männer, die die Welt erschütterten. Wien o. J. (1948), S. 211. 37 Nancy L. Green: The Pletzl of Paris. New York 1986, S. 12. 38 Gerhard Simon: Konstantin Pobedonoscev und die Kirchenpolitik des Heiligen Synod. Göttingen 1969. 39 Michel Bar Zohar: David Ben Gurion. Hamburg 1968, S. 10. 40 Leopold Haimson: The Russian marxists and the origins of bolshevism. Boston 1955, S. 96. 41 Charles Rappoport: Une vie révolutionnaire 1883-1940. Paris 1991. 42 Angelika Balabanoff: Lenin. Hannover 1959, S. 9. 43 Arthur Rosenberg: Geschichte des Bolschewismus. Berlin 1932, S. 169. 44 Chimen Abramsky: War, revolution and the Jewish dilemma. London 1975, S. 23. 45 Bertrand Russell: The practice and theory of bolshevism. London 1920, S. 176. 46 Micha Brumlik: Der Antisemitismus und die Linke. Frankfurt/M. 1991, S. 87. 47 Arthur Rosenberg: Demokratie und Klassenkampf. Frankfurt/M. 1974, S. 165. 48 Jacob L. Talmon: Israel among the nations. London 1970, S. 69. 49 Richard Abraham: Rosa Luxemburg. Oxford 1989, S. 32. 50 Ulrich Haustein: Sozialismus und nationale Frage in Polen. Köln 1969, S. 202. 51 Ismar Elbogen: Ein Jahrhundert jüdischen Lebens. Frankfurt/M. 1962, S. 219. 52 Anna Geifman: Thou shalt kill. Revolutionary terrorism in Russia, 1894-1917. Princeton, N.J. 1993, S. 32. 53 Der Jude (1917/18) 2, S. 216. 54 Anna Geifman: Thou shalt kill. Princeton, N.J. 1993, S. 32. 55 Heinz-Dietrich Löwe: Antisemitismus und reaktionäre Utopie. Hamburg 1978, S. 70. 56 Der Vater von Zederbaum hat die erste jüdische Zeitung in Rußland gegründet s. Leopold Haimson: The Russian marxists and the origins of bolshevism. Boston 1966, S. 62. 57 Zit. nach: Shlomo Na'aman: Ferdinand Lassalle. Hannover 1968, S. 104. 58 Franz Oppenheimer: Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes. Düsseldorf 1964, S. 299. 59 Ebenda, S. 302. 60 Golda Meir: Mein Leben. Hamburg 1975, S. 11. 61 John D. Klier (Ed.): Pogroms. Anti-Jewish violence in modern Russian history. Cambridge 1992. 62 Elie Wiesel: Das Testament eines ermordeten jüdischen Dichters (1980). Freiburg/Br. 1991, S. 40. 63 Heinz-Dietrich Löwe: Antisemitismus und reaktionäre Utopie. Hamburg 1978, S. 63. 64 Ebenda, S. 135. 65 Karl Kautsky: Rasse und Judentum. In: Ergänzungshefte zur Neuen Zeit (30. 10. 1914) 20, S. 94. 66 Georg W. Strobel: Quellen zur Geschichte des Kommunismus in Polen. Köln 1968; ders.: Die Partei Rosa Luxemburgs. Wiesbaden 1974. 67 Alexander Abusch: Memoiren. Der Deckname. Berlin 1981, S. 21. 68 Dinko A. Tomasic: The Rumanian communist leadership. In: The American Slavic and East European
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Review (1961) 20, S. 477-494. 69 Marcel Pauker: Ein Lebenslauf. Jüdisches Schicksal in Rumänien. Hrsg. William Totok, Konstanz 1999 70 Robert Levy: Ana Pauker. Berkeley, Cal. 2001, S. 1. 71 Fritz Stern: Gold und Eisen. Bismarckund sein Bankier Bleichröder. Frankfurt/M. 1978, S. 631. 72 Jonathan Frankel: Prophecy and politics. Socialism, nationalism and the Russian Jews, 1862-1917 Cambridge 1981, S. 552. 73 Milton Hindus: The Jewish East Side, 1881-1924. New Brunswick, N.J. 1996. 74 Die wichtigsten Führer des amerikanischen Sozialismus sind aufgeführt in: Gary M. Fink (ed.): Bio graphical dictionary of American labour leaders. Westport, Ct. 1974. 75 Betty Yorburg: Utopia and reality. A collective portrait of American socialists. New York 1969, S. 81 u. 64. 76 Art. Berger. In: Biographical dictionary of american labour leaders. Westport, Ct. 1974. 77 Loren Beritz (Ed.): The American Left. New York 1971, S. 131. 78 Marian J. Morton: Emma Goldmann and the American Left. New York 1992; G. Sorin: The prophetic minority. Bloomington, Ind. 1985, S. 117. 79 Alexander Berkmann: Die Tat. Gefängniserinnerungen. Berlin 1927, S. 2. 80 David Shuldiner: Of Moses and Marx. Westport, Ct. 1999, S. 11. 81 Art. Hillquit. In: Biographical dictionary of american labour leaders. Westport, Ct. 1974. 82 Milton Hindus: The Jewish East Side, 1881-1924. New Brunswick, N.J. 1996, S. 7 f. 83 Francis Beckett: Enemy within. The rise and fall of the British communist party. London 1995, S. 17. 84 Nancy Green: The Pletzl of Paris. New York 1986, S. 156. 85 Charles Rappoport: Une vie révolutionnaire. Paris 1991. 86 Joachim Schröder: Internationalismus nach Versailles. Die Beziehungen zwischen PCF und KPD. In: Jahrbuch für Kommunismusforschung 2000/2001. Berlin 2001, S. 144 –148. Beleg S. 151, Anm. 31. 87 Walter Mohrmann: Antisemitismus. Berlin 1972, S. 46. 88 Francis Garsten: Eduard Bernstein. München 1993, S. 57. 89 Karl Kautsky: Erinnerungen und Erörterungen. The Hague 1960, S. 530. 90 Paul Massing: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt/M. 1959, S. 218. 91 Heinrich Gemkow: Paul Singer. Berlin 1957, S. 163. 92 Georg von Rauch: Zarenreich und Sowjetstaat. Göttingen 1980, S. 329. 93 Ebenda, S. 329. 94 Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Berlin 1992, S. 7. 95 Detlev Claussen: Vom Judenhaß zum Antisemitismus. Darmstadt 1987, S. 160. 96 Dimitri Wolkogonow: Lenin. Düsseldorf 1994, S. 30. 97 Matthias Vetter: Antisemiten und Bolschewiki. Berlin 1995, S. 80.
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Weltkrieg und Weltrevolution „Der Krieg ist eine Weltrevolution und die Weltrevolution ist noch nicht beendet.“ 1 WALTER RATHENAU 1919
Der Erste Weltkrieg war nach George F. Kennan die „Urkatastrophe“ des zwanzigsten Jahrhunderts. Sowohl der Bolschewismus als auch der Nationalsozialismus sind Produkte dieses mörderischen Ringens, das vor dem Zweiten Weltkrieg schlicht „Großer Krieg“ genannt wurde. Tatsächlich war die durch ihn bewirkte Erschütterung, die Zertrümmerung der Alten Welt mit ihren Monarchien, die Voraussetzung dafìir, daß die Führer des Bolschewismus und Nationalsozialismus an die Macht kommen konnten. Vor dem Krieg fristeten Lenin und seine Frau ein ärmliches Emigrantenleben in einer bescheidenen Züricher Wohnung, während der aus Braunau am Inn stammende Postkartenmaler Adolf Hitler in München hart am Existenzminimum vegetierte und erst als Kriegsfreiwilliger ein gesichertes Auskommen erhielt. Ohne den Krieg, der Hitler geprägt hat, wäre dieser Gefreite unbekannt geblieben und würden nur wenige Spezialisten des Sozialismus den russischen Exilpolitiker Lenin kennen. Der Erste Weltkrieg hat, wie Lenin feststellte, als „größter Regisseur der Weltgeschichte“2 nicht nur eine „wirtschaftliche und soziale Revolution der Alten Welt“3 bewirkt, darüber hinaus wurde er zum Auslöser des Zweiten. Weil dieser ein Revanchekrieg war, der den nach Lenin „bestialischen und niederträchtigen Frieden von Versailles“4 umstieß, vermochte Hitler als Diktator zunächst für den Feldzug gegen Polen ausreichend Unterstützung und Duldung zu finden. Auch daß der Krieg mit einer erneuten Teilung Polens durch Hitler und Stalin begann, entsprach der Logik der Dinge. Mit dem Aufruf der Komintern zum Frieden von Versailles vom 13. Mai 1919, in dem es heißt, daß die Entente „mit einem großen Messer“ den
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„Körper Deutschlands viviseziert“5 habe, und in Gestalt des 1923 um die deutsche Rechte werbenden Komintern-Abgesandten Karl Radek haben die Bolschewiki den Deutschen Moskau als Hebel empfohlen, um das System von Versailles zum Einsturz zu bringen.6 Das geschah selbstverständlich nicht ohne politische Absicht. Bei seinem Pakt mit Hitler vom 23. August 1939 hatte Stalin den Hintergedanken, das Dritte Reich im Kampf mit den Westmächten ausbluten zu lassen, so daß dann nach Schwächung beider Seiten die Stunde für die Sowjetmacht schlagen könnte. Das Versailler Diktat stellte Deutschland unter Kuratel und verpflichtete es zu umfangreichen, als Knebelung empfundenen Reparationszahlungen. Die Kleine Entente aus Frankreich mit Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien war dazu eingerichtet, gleichzeitig Deutschland und Sowjetrußland in Schach zu halten. Es lag somit ein gemeinsames Interesse von Deutschland und Sowjetrußland vor, die Nachkriegsordnung umzustoßen. Nur vor diesem Hintergrund wird auch die schon in den zwanziger Jahren begonnene geheime Zusammenarbeit von Roter Armee und Reichswehr verständlich. Lenin hat den „Versailler Vertrag der berüchtigten westlichen Demokratie“ als „brutale und niederträchtige Vergewaltigung der schwachen Nationen“ gebrandmarkt.7 Grigori Sinowjew bezeichnete ihn gegenüber dem Nationalbolschewisten Otto Strasser als „Würgegriff an der Gurgel Deutschlands“, den „kein Volk von Ehre“ auf sich sitzen lassen könne.8 Wie traumatisch die Demütigung Deutschlands durch den „Schandvertrag“ von Versailles erfahren wurde, dokumentieren etwa die Worte des Pastors und späteren Bischofs von Berlin, Otto Dibelius, der unmittelbar nach der Unterzeichnung des „Diktats“ erklärte: „Es ist die Pflicht eines jeden, der sein Volk lieb hat, es dem deutschen Volk in die Seele zu hämmern, unablässig, unablässig, du bist ein Volk von Sklaven geworden.“9 Indem der Chefredakteur der Roten Fahne10 und spätere Kulturminister der DDR, Alexander Abusch,11 1930 gegen den „imperialistischen Schandvertrag von Versailles“ herzog,12 stand er mit seinen Genossen in der außenpolitischen Kardinalfrage gar nicht so weit von Joseph Goebbels entfernt. Auch dieser braune Agitator, der nach dem Zeugnis des britischen Deutschlandexperten Sefton Delmer „ein echter Radikaler, ein Jakobiner gewesen ist, der dem „Umsturz der alten Ordnung ebenso leidenschaftlich entgegenfieberte wie irgendein Kommunist“,13 bezeichnete die Deutschen 1930 in seinem „Appell an die Nation“ als „Sklavenvolk“, dem man die Souveränitätsrechte genommen habe.14
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Bevor die nach 1917/18 eingetretenen Entwicklungen näher ins Auge gefaßt werden, ist zunächst eine oft übersehene Tatsache ins Bewußtsein zu heben. Diejenige nämlich, daß der Kriegsausbruch von 1914 einen theoretischen und praktischen Bankrott der II. Sozialistischen Internationale signalisiert. Hierfür ist die prägnante Formel geprägt worden, daß Mars über Marx gesiegt hat. Dazu konnte es kommen, weil die sozialistischen „Internationalisten“ den Nationalismus als eine der mächtigsten Bewegungen der Neuzeit verkannt haben. In der „wissenschaftlichen“ politischen Theorie der Marxisten blieb der Nationalismus eine „Leerstelle“,15 was insofern folgerichtig war, als er eine praktische Widerlegung der These vom Primat des Klassenkampfes darstellte. Es war Wunschdenken, wenn marxistische Dogmatiker glaubten, der Arbeiter habe kein Vaterland und daß das Abstraktum „Proletariat“ ein neues Vaterland werden könne. Auch war der Nationalismus nicht einfach „reaktionär“, sondern nahm im 20. Jahrhundert noch einmal eine neue revolutionäre Gestalt an.16 Er hatte einen großen Anteil an der Zerstörung des Ancien Regime und seiner Monarchie, die Hitler als „Geschmeiß“17 bezeichnete. Die Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit durch marxistische Dogmatiker war in vielem realitätsfern und entsprach nicht dem Selbstverständnis der sich in aller Regel zu ihrer Nation bekennenden Menschen. So haben Rosa Luxemburg und andere Marxisten den Kapitalismus als „internationale Plage für die Menschheit“18 buchstäblich wie einen bösen Geist exorziert. Tatsächlich hat es sich bei dem Krieg aber eben nicht um eine „Selbstabschlachtung des Weltkapitalismus“19 gehandelt, sondern um den Bankrott des Systems von kriegerischen, souveränen Nationalstaaten. Diese haben sich jeweils als Vollstrecker einer besonderen historischen Mission verstanden und waren deswegen unfähig zu einem vernünftigen Interessenausgleich. Der aus Prag stammende Zionist Hans Kohn bezeichnete die hier in Frage stehende Epoche als „Zeitalter des Nationalismus“, das seine Sprecher in vielen „nationalen Propheten“ gehabt habe. Für Kohn wurde das Gottesgnadentum der Könige durch das Gottesgnadentum der Völker abgelöst.20 Tatsächlich war die Nation für Nationalisten so etwas wie ein weltlicher Gott, ja eine „Religion“ und somit ein „Heilskörper“.21 Viele Nationalisten haben das Christentum nationalisiert, wie wir dies etwa bei den „Deutschen Christen“, beim polnischen Katholizismus oder auch bei panslawischen Orthodoxen in Rußland beobachten können. Joseph Roth
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konnte deshalb in seinem Radetzkymarsch formulieren: „Man glaubt nicht mehr an Gott. Die neue Religion ist der Nationalismus.“22 Der ein besonders intensives Gruppenbewußtsein verkörpernde Nationalismus ist „bis in die entferntesten Winkel unserer Erde“ vorgedrungen und hat die „menschliche Gesellschaft nach seinem Bilde geformt“.23 Dazu gehörte auch die von extremen Nationalisten – gleich den Marxisten! – begrüßte Vernichtung der „reaktionären“ christlichen Monarchien! Die große Illusion der „Internationalisten“ war allerdings, daß sie fest daran glaubten, der Ausbruch eines Krieges zwischen den kapitalistischen Ländern würde den Auftakt zu einer revolutionären Erhebung des Proletariates gegen die bürgerlich-kapitalistische Ordnung bilden. Daß dieser revolutionäre Aufstand gegen den Klassenfeind ausblieb und nicht nur die deutschen und französischen Sozialisten mit diesem „Feind“ einen Burgfrieden schlossen, hat nach Karl Kautsky „wie ein Keulenschlag“ auf Gläubige des Sozialismus gewirkt.24 Er wurde dadurch verstärkt, daß der pazifistische französische Sozialistenführer Jean Jaurès am 31. Juli 1914 in einem Pariser Cafe durch einen französischen Nationalisten erschossen wurde. Den deutschen Sozialdemokraten erleichterte die weit verbreitete Furcht vor der „Dampfwalze“ des russischen Millionenheeres die Zustimmung zu den Kriegskrediten. Der jüdische Abgeordnete Hugo Haase erklärte am 4. August 1914 für die SPD-Fraktion: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich“ und begründete dies damit, daß bei „einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten seines Landes befleckt“ habe, die „freiheitliche Zukunft“ des deutschen Volkes auf dem Spiel stehe!25 Diese gänzlich unerwartete Entwicklung machte schlagartig deutlich, daß der Versuch der marxistischen Ideologen, den Begriff der Nation durch den der Klasse zu ersetzen und statt der Nation die Klasse zum „korporativen Messias“26 zu machen, gescheitert war. Dieser Prozeß wiederholte sich später in Sowjetrußland. Trotzki, der nicht zufällig wie viele andere jüdische „Internationalisten“ von Stalin ermordet wurde, konnte bereits 1929 von einem „Nationalsozialismus“ des Sowjetsystems sprechen!27 Der Sozialismus als Friedensbewegung Die wesentlich von bürgerlichen Intellektuellen geprägte sozialistische Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts war zuerst eine moralische Be-
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wegung. Sie basierte auf einer Gerechtigkeitsphilosophie, die vom Prinzip der Gleichheit ausging. Ihre moralische Kraft und ihr Pathos bezog sie nicht zuletzt aus ihrem Kampf gegen den Militarismus. Als Friedensbewegung war sie tief besorgt darüber, daß die miteinander rivalisierenden „imperialistischen“ europäischen Großmächte vor 1914 den Großen Krieg fatalistisch als bevorstehend und unvermeidlich hinnahmen. Dabei spielte die sozialdarwinistische Vorstellung eine Rolle, daß der Kampf ein Naturgesetz sei. Auch die heute eher grotesk anmutende Vorstellung vom Primat der nationalen Ehre war ein wichtiges Motiv. Es liegt auf der Hand, daß solche ideologischen Prägungen weniger auf den rechenhaften „Kapitalismus“ zurückgehen, als vielmehr neofeudale und sozialdarwinistische Wertvorstellungen widerspiegeln. So konnte der deutsche Soziologe Werner Sombart im Kriegsjahr 1915 den Militarismus als den „zum kriegerischen Geist hinaufgesteigerten heldischen Geist“ lobpreisen“!28. Es stellt sich die Frage, ob der Nationalismus nicht eine Art von modernem Stammesdenken war. Ähnlich wie beim marxistischen Sozialismus hatte dabei das Kollektiv den unbedingten Vorrang. Dies war die Voraussetzung dafür, dem Kollektiv als Moloch unzählige Individuen für einen vermeintlich guten Zweck zu opfern. Welche äußerste Zuspitzung nationalistisches Denken erfahren konnte, läßt sich dem bekannten Buch Deutschland und der nächste Krieg entnehmen, das der ehemalige General Friedrich von Bernhardi 1911 veröffentlichte und das in kurzer Zeit viele Auflagen erlebte. Darin sprach Bernhardi von „Deutschlands historischer Mission“29 und entwickelte ausführlich „Das Recht Krieg zu führen“30 und „Die Pflicht Krieg zu führen“,31 um schließlich zu der mörderischen Alternative zu gelangen: „Weltmacht oder Untergang“.32 Die Sozialistische Internationale stellte 1907 auf ihrem 7. Kongreß in Stuttgart das Thema „Kriegsverhinderung“ in den Mittelpunkt. Auf diesem Kongreß fand eine Resolution stürmischen und einhelligen Beifall, die Lenin, Julius Martow und Rosa Luxemburg verfaßt hatten. Es heißt darin: „Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen verpflichtet ... durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel“ – gedacht wurde hierbei an einen Generalstreik – „den Ausbruch des Krieges zu verhindern.“33 Eine eindrucksvolle Friedenskundgebung veranstaltete die Sozialistische Internationale im November 1912 auf ihrem Kongreß in Basel. Dort versammelten sich die Delegierten feierlich im Münster, hörten die c-Moll-
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Messe von Bach und gelobten einander feierlich, einen Krieg durch einen „internationalen, revolutionären Gegenkriegsstreik“ zu verhindern!34 Beschwörend forderte hier der österreichische Parteiführer Viktor Adler: „Es darf keinen Krieg geben, der der Fluch der Völker werden würde.“35 Unmittelbar vor Kriegsausbruch fand am 28. Juni 1914 im Brüsseler „Maison du Peuple“ eine weitere Konferenz der Internationale statt. Für die deutschen Sozialisten sprach hier der Rechtsanwalt Hugo Haase, ein aus Ostpreußen stammender jüdischer Schustersohn, der gemeinsam mit Friedrich Ebert Vorsitzender der SPD war, über deutsche Friedensdemonstrationen. Und hier schworen die Brüsseler Arbeiter „Guerre a la guerre!“ Juden als Internationalisten Als die Millionenheere der feindlichen Mächte aufeinanderprallten und unzählige auf grauenhafte Weise ihr Leben ließen, hat Rosa Luxemburg verzweifelt formuliert, daß sich der stolze Ruf „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ in die Devise verwandelt habe: „Proletarier aller Länder, schneidet euch die Gurgel ab.“36 Tatsächlich erscheint es heute als Rätsel, daß die Bindekraft des Nationalen so groß gewesen ist, daß dieser Krieg jahrelang geführt werden konnte. Erst 1917 begann sich eine Ermüdung der kriegführenden Parteien abzuzeichnen. Im Februar dieses Jahres kollabierte zunächst das marode Zarenreich. Das erleichterte den Vereinigten Staaten im April den Kriegseintritt auf der Seite der Entente, da es jetzt nur noch gegen die „reaktionären“ Monarchien ging. In den europäischen Ländern wurde aber der Wunsch nach Frieden immer stärker, und es erstarkten jene politischen Kräfte neu, die von Anfang an vor den Folgen eines großen Krieges gewarnt hatten. Daß unter denjenigen Linkssozialisten, die sich dem nationalstaatlichen „Militarismus“ verweigerten und dann vielfach als Mitbegründer kommunistischer Parteien in Erscheinung traten, unverhältnismäßig viele Juden waren, ist kein Zufall. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele assimilierte – auch und gerade deutsche – Juden glühende Nationalisten, ja Chauvinisten gewesen sind. Es war der deutsch-jüdische Literat Ernst Lissauer, der den „Haßgesang gegen England“ schrieb und dafür mit dem Roten Adlerorden ausgezeichnet wurde.37 Solche Juden aber, die sich als Außenseiter in der noch feudale Relikte
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aufweisenden christlich-bürgerlichen Gesellschaft empfanden, waren zwangsläufig gegenüber dem von ihnen abverlangten Patriotismus und Heldentod immuner als Christen. Schließlich konnten etwa Ostjuden, die sich einer eigenen „jüdischen Nation“ zurechneten, nicht ohne weiteres patriotische Gefühle für solche Nationen entwickeln,38 die sie infolge ihres ethnisch-christlich geprägten Nationenbegriffs ausschlossen.39 Antisemiten bestritten im übrigen sogar assimilierten Juden die Zugehörigkeit zur Nation, so daß diese „keinen Platz im Hause der Völker“ hatten. Wenn zionistische Juden deshalb ein eigenes jüdisches Vaterland verlangten und unter den Bedingungen des Ersten Weltkriegs sogar hoffen durften, diesem Ziel näherzukommen, so stand ihnen eine radikale Minderheit marxistischer Juden gegenüber, die versuchte im Proletariat ein internationalistisches Vaterland zu finden. Als „Luftmenschen“ fühlten sie sich „hingezogen zum Übervölkischen“,40 als Erben einer messianischen Tradition glaubten sie, „Mandatsträger der Menschheit“ zu sein.41 Zu dieser Kategorie Menschen gehörte Rosa Luxemburg ebenso wie der im galizischen Lemberg als Sobelsohn geborene Karl Radek. Er hätte eigentlich 1914 als österreichischer Soldat einrücken müssen, zog es jedoch als Mitglied einer „mißhandelten nationalen Minderheit“42 vor, in die Schweiz zu emigrieren und für die Weltrevolution zu kämpfen. Mit Erfolg, wie man zugeben muß: Bei den Friedensverhandlungen der Mittelmächte mit Rußland in Brest-Litowsk trat der mit deutscher Hilfe nach Rußland zurückgekehrte Radek, eben noch ein armer und verfolgter Flüchtling, als sowjetrussischer Unterhändler und Gesprächspartner des österreichischen Außenministers Ottokar Graf Czernin in Erscheinung. Dieser „vaterlandslose“ Mann, wie ihn sein amerikanischer Biograph mit einem deutschen Wort charakterisiert,43 hat in der Schweiz 1915 in Heft l der Jugend-Internationale die europäische Jugend beschwörend so zum Widerstand aufgerufen: „Der Weltenbrand frißt eure Leiber ihr Jugendlichen ... eure Eltern bringen sich und euch zum Opfer dem Moloch. Abraham, der sich und seinen Sohn einem fremden Gotte opfert“.44 Nach Michael Lerner waren Juden deswegen „natürlich enthusiastische Vertreter des Zusammenbruchs traditionaler Gesellschaften, weil diese auf religiösen Systemen beruhten, die sie diskriminierten“.45 Ernst Bloch illustrierte diese Feststellung, wenn er im September 1918 vom „prinzipiell menschenfeindlichen Gewalt-, Apparat- und Militärstaat Preußen-Österreich“46 sprach und gleichzeitig verkündete: „Vom Geist des Judentums kommt der Messianismus wie ein Stern, der nie verschwindet.“47
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Ostjuden und der Große Krieg Mit dem Ersten Weltkrieg wurde sowohl die Polen- als auch die „Ostjudenfrage“ aufgeworfen.48 Da der Zarismus unter den Juden weltweit als Inbegriff des Bösen, als „Knutenregime“ galt und Polen brutal zu russifízieren versucht hatte, warben die Mittelmächte 1914 sowohl um die Juden, wie um die Polen. Den Polen, die in der Polnischen Legion des späteren Staatspräsidenten Josef Pilsudski von Anfang an auf Seiten der Mittelmächte gegen Rußland kämpften, wurde am 5. November 1916 ein „Königreich Polen“ mit erblicher Monarchie und konstitutioneller Verfassung zugesagt. Die polnischen Juden hatte man bei Kriegsanfang in einer jiddisch gehaltenen Proklamation des Generalkommandos der Vereinigten Armeen des Deutschen Reiches und von Österreich-Ungarn so umworben: ,Juden in Polen! ... Wir kommen als Freunde und Erlöser zu euch! Unsere Fahnen bringen euch Recht und Freiheit: Gleiches, volles Bürgerrecht, wirkliche Glaubensfreiheit und Lebensfreiheit auf allen wirtschaftlichen und kulturellen Gebieten. Zu lange habt ihr unter dem eisernen Joch Moskaus gelitten ... Denkt an Kischinew ... und hundert andere blutige Pogrome ... Helft bei der Niederringung des Feindes und arbeitet für den Sieg von Freiheit und Gerechtigkeit.“49 Da man annehmen durfte, daß die dem Zarenreich reserviert, wenn nicht gar feindlich gegenüberstehenden Ostjuden solchen Verheißungen gern glauben würden, galten sie in Rußland als „fünfte Kolonne“ der Deutschen. Daher sind nach dem Kriegsausbruch 1914 auf Befehl der russischen Regierung mehr als eine halbe Million von ihnen in den Osten des Reiches deportiert worden. Unhistorische „antigermanistische“ Theorien, die in Reaktion auf den nationalsozialistischen Genozid an den Juden aufgestellt worden sind, machen vergessen, daß die Ostjuden – auch diejenigen in den Vereinigten Staaten! – beim Kriegsausbruch zunächst ihre Hoffnungen auf Deutschland richteten. Man sah allgemein in Deutschland das geringere Übel im Vergleich zu dem bei allen Demokraten und Sozialisten verhaßten Zarenreich. Die zionistischen Juden gründeten damals in Deutschland unter dem Vorsitz von Professor Franz Oppenheimer das „Komitee zur Befreiung der russischen Juden“, und zwar mit Zustimmung des Zentralkomitees des internationalen Zionistenverbandes!50 In Gestalt des aus Litauen stammenden, mit Lenin und Trotzki befreun-
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deten Alexander (Israel) Helphand (Parvus)51 nahm ein jüdischer Marxist Anfang 1915 Kontakt zur deutschen Regierung auf und erhielt bereits im März 1915 vom Auswärtigen Amt eine Million Goldmark für die Förderung der Revolution in Rußland. Selbst ein so kluger politischer Kopf wie der deutsche Gesandte in Kopenhagen, Graf Brockdorff-Rantzau, erhoffte sich von einer dieser Art betriebenen „Revolutionierung“ Rußlands für Deutschland den Sieg im Krieg und den „ersten Platz in der Welt“.52 Der Teufelspakt Die deutschen Subsidien für die russischen Revolutionäre, welche bis Anfang 1918 geflossen sind, wurden über Helphands Beauftragten in Skandinavien, Jakob Hanecki (Fürstenberg), durch eine Filiale des Hamburger Bankhauses Warburg abgewickelt. Hanecki war mit dem späteren Tscheka-Chef Felix Dserschinski befreundet, stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie Warschaus und stieg später in Sowjetrußland zum Volkskommissar für Finanzen sowie zum Direktor der Staatsbank auf. Der „Teufelspakt“53 der kaiserlich deutschen Regierung mit den russischen Revolutionären schien nach der russischen Februar-Revolution von 1917 seine Vollendung zu finden in dem legendär gewordenen EisenbahnTransfer der von Lenin geführten russischen Emigranten-Revolutionäre aus der Schweiz nach Rußland. In dem – übrigens nicht plombierten – Waggon haben neben Lenin dessen engster Mitarbeiter Grigori Sinowjew – in der Großen Jüdischen National-Biographie wird er unter dem jüdischen Namen Apfelbaum aufgeführt – sowie der Trotzki-Vertraute Karl Radek gesessen. Am Zustandekommen der Reise hatte Radek mitgewirkt, der über den späteren KPD-Führer und Lenin-Freund Paul Levi sowie einen Korrespondenten der Frankfurter Zeitung an den preußischen Gesandten in Bern herangetreten war. Im Auftrag von Lenin und Sinowjew hatte sich außerdem der Sekretär der Schweizer Sozialdemokraten und Chefredakteur der Berner Tagwacht, Fritz Platten, an den Reisevorbereitungen beteiligt. Um dem Vorwurf zu begegnen, er sei ein „Agent Wilhelms II.“ ließ sich Lenin von Paul Levi damals ein Dokument unterzeichnen, nach dem es „bolschewistische Pflicht sei, die gebotene Möglichkeit zur Heimreise nach Rußland auszunützen“.54 Aus der Sicht russischer und westlicher Nationalisten, die sich auch in
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Karikaturen niedergeschlagen hat, war dieses Unternehmen eine „jüdischdeutsche Konspiration“.55 Der amerikanische Jesuitenpater und Vizepräsident der Georgetown-Universität, Edmund Walsh, hat den „versiegelten Waggon“ in einem vielgelesenen Buch über die russische Revolution sogar mit dem „hölzernen Pferd von Troja“ verglichen!56 Die Zimmerwald-Bewegung Nicht nur in den Reihen der Bolschewiki, sondern auch in der revolutionären Antikriegsbewegung, die sich im September 1915 in Zimmerwald in der neutralen Schweiz konstituierte, spielten jüdische Sozialisten eine bedeutsame Rolle.57 Die Zimmerwald-Linke wurde auch zu einem Kristallisationspunkt für die späteren kommunistischen Parteien. Von den Bolschewiki sind neben Lenin sein Vertrauter Grigori Sinowjew sowie Karl Radek „Zimmerwälder“ gewesen. In Zimmerwald begegnen uns weiter die Menschewiken Pavel Axelrod und Julius Martow (Zederbaum) und schließlich auch Leo Trotzki als Repräsentant der Zeitung Nasche Slowo (Unser Wort). Die polnischen Sozialisten wurden in Zimmerwald vertreten durch Pawel Lapinski (Lewison), Adolf Warski (Warszawski) und Jakob Hanecki (Fürstenberg). Auf der zweiten Konferenz der Zimmerwälder in Kienthal befanden sich unter sieben russischen Delegierten vier jüdische, und zwar neben Sinowjew, Martow und Axelrod noch der greise Sozialrevolutionär Mark Natanson. Hier wurden die deutschen Spartakisten durch Bertha Thalheimer und den Vorwärts-Mitarbeiter Ernst Meyer vertreten. Letzterer hat 1918 in Berlin für die in der sowjetrussischen Botschaft untergebrachte sowjetische Presseagentur ROSTA, die Vorläuferin der TASS, gearbeitet und stieg später in die Führung der KPD auf. Bertha Thalheimer stammte wie ihr prominenter Bruder August aus einem jüdisch geprägten Elternhaus.58 August Thalheimer war seit 1909 Chefredakteur der Freien Volkszeitung, stand in Verbindung zu Karl Radek und gehörte zum Kreis um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Nach der Ermordung Rosa Luxemburgs übernahm er die Chefredaktion der Roten Fahne. Er galt als Chefideologe der KPD, vertrat diese in der Komintern, wurde jedoch 1928, also in der beginnenden Stalin-Ära, aus der KPD ausgestoßen.59 An den Zimmerwald-Konferenzen haben weiter teilgenommen Paul Levi
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und Frieda Rubiner, geb. Ichak. Der hier unter dem Decknamen „Hartstein“ auftretende Rechtsanwalt Paul Levi war Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten aus Württemberg. Er hatte Rosa Luxemburg schon vor Gericht verteidigt, 1915 Lenin und Radek kennengelernt und wurde 1919 Chef der KPD.60 Die aus einer jüdischen Kleinbürgerfamilie Litauens stammende Frieda Rubiner, geb. Ichak, hatte eine ungewöhnlich bewegte Biographie. Sie studierte von 1900 bis 1903 in Zürich, wirkte als Propagandistin der SPD, übersetzte für den ihr befreundeten Lenin Schriften, nahm am Gründungskongreß der Komintern teil, machte unter dem Decknamen „Friedjung“ Propaganda für die bayerische Räterepublik, arbeitete für die Rote Fahne, die KPD-Parteihochschule, das Moskauer Marx-Engels-Institut sowie die Presseabteilung der Komintern. Im Zweiten Weltkrieg diente sie in der Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee. Frieda Rubiner beendete ihre bemerkenswerte revolutionäre Laufbahn 1952 als Dekanin der SED-Parteihochschule Karl Marx in Kleinmachnow bei Berlin.61 Die Flugblätter der deutschen Spartakisten spiegelten in vielem den Geist der Zimmerwald-Linken, so auch das von Rosa Luxemburg verfaßte vom Oktober 1916. Darin wird die reine Klassenkampflehre dargelegt: „Zwei Nationalitäten gibt es in Wirklichkeit in jedem Lande: die Ausbeuter und die Ausgebeuteten. Der eigene deutsche Kapitalist ist dem deutschen Proletarier Feind, der fremde Proletarier hingegen, ob Franzose ... ist sein Bruder.“62 Der Weltkrieg erschien solchen Internationalisten als Bankrott der bürgerlichen Gesellschaft: „Geschändet, entehrt, in Blut watend, von Schmutz triefend, so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie“, formulierte Rosa Luxemburg Anfang 1915 in den Junius-Briefen.63 Das Adjektiv „bürgerlich“ stellte für Marxisten keine auf soziale Tatsachen verweisende, sondern eine „metaphysische Kategorie“ dar. Sie war eine beliebte kommunistische Diffamierungsvokabel. Niemand hat dies besser zum Ausdruck gebracht als der Sohn eines jüdischen Anwalts aus Posen, der Schriftsteller Rudolf Leonhard.64 Er formulierte 1918 scheinbar paradox, daß es nur zwei Klassen gäbe, nämlich die „Bürgerlichen, zu denen fast die ganze Aristokratie und fast das ganze Proletariat gehört – und die Unbürgerlichen“!65 Die Kommunisten haben das Gemetzel des Weltkrieges »dem“ Bürgertum angelastet und ihm ihre äußerste Verachtung bezeugt. So charakterisierte Paul Levi die „deutsche Bourgoisie“ als „brutal und kannibalisch in unvorstellbarem Ausmaße“.66
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Alfred Kantorowicz legte im Hinblick auf die Situation von 1918 dieses bemerkenswerte Bekenntnis ab: „Da die bürgerliche Gesellschaft aus den Fugen war, begaben wir uns auf die Suche nach neuen Propheten ... dabei stießen wir auf Marx.“67 Ebenso wie die abfällige Bemerkung Viktor Bauers über die Marxsche Mehrwert-Theorie macht diese Motivationsanalyse deutlich, daß der Marxismus für viele primär eine moralisch-kulturkritische und prophetische Bewegung war. Mit seinen messianischen Versprechen hat er in einer revolutionären Umbruchsituation, in der „die mitteleuropäische Welt den Boden unter den Füßen verlor“ und eine „neue“ bessere Welt greifbar nahe schien,68 ungeheure Hoffnungen erweckt und Energien entbunden. Am Ende des Ersten Weltkrieges glaubten viele allen Ernstes, daß eine konkrete Chance vorlag, aus dem Reich der Notwendigkeit, der Unfreiheit und der Entfremdung in ein paradiesartiges Reich der Freiheit zu springen. So konnte Rosa Luxemburg Ende 1918 nach dem Abwerfen des „schmachvollen Jochs“ der christlichen Monarchien im Sozialismus den „einzigen Rettungsanker der Menschheit“ erblicken und von der Schwarz-Weiß Alternative ausgehen: „Sozialismus oder Untergang in der Barbarei.“69 Am Heiligen Abend 1918 erklärte sie in der Roten Fahne, im „letzten Klassenkampf der Weltgeschichte um die höchsten Ziele der Menschheit“ gelte „dem Feinde das Wort: Daumen aufs Auge, Knie auf die Brust“.70 Das entsprach ganz den Vorstellungen, die die Bolschewiki vom Prozeß der Machtergreifung in Rußland hatten. Ihr Verhalten belegt, daß sie sich keineswegs von der kaiserlich-deutschen Regierung hatten kaufen lassen, wie etwa die über Einzelheiten der deutschen Zuwendungen an die Bolschewiki nicht unterrichtete bürgerliche russische Regierung im Sommer 1917 unterstellt hatte. Vielmehr bestand ein gemeinsames Interesse der Mittelmächte und der russischen Revolutionäre lediglich am Sturz dieser Regierung, die den Krieg gegen die Mittelmächte an der Seite der Entente fortsetzte. Die Mittelmächte wollten den Rücken für den Überlebenskampf im Westen frei bekommen, die russischen Revolutionäre hingegen den Umsturz im Inneren ihres Landes. Indem die russische Regierung auf Drängen der Entente den Krieg trotz der Hungersnot, der Erschöpfung der Armee sowie der Zerrüttung der Wirtschaft weiterführte, gab sie dem von Deutschland finanziell unterstützten Lenin den Hebel in die Hand, Rußland in seine Gewalt zu bekommen. Der weltrevolutionäre Impetus der Bolschewiki richtete sich bald auch gegen die Monarchien der Mittelmächte, die in ihrer Not die russischen
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Revolutionäre finanziert hatten, aber in Rußland vernichteten sie mit dem Ancien Regime samt Adel und Staatskirche auch noch das Besitz- und Bildungsbürgertum, worunter Rußland bis zum heutigen Tag leidet. Die Oktoberrevolution und die Rolle der Juden Von symbolischer Bedeutung in diesem revolutionären Umbruch war der Lebensweg Adolf Joffes. Geboren als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns von der Krim, den der gescheiterte russische Reformpolitiker Graf Witte als seinen „Lieblingsjuden“ bezeichnet hatte,71 studierte er Medizin und wurde in der für Juden ausweglos erscheinenden Lage im Vorkriegsrußland zum Revolutionär. Nach der Februarrevolution kehrte er aus der sibirischen Verbannung zurück und begegnet uns im Frühjahr 1918 als sowjetrussischer Unterhändler bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. Anschließend wurde der mit Liebknecht und Radek befreundete Joffe zum ersten sowjetrussischen Botschafter in Berlin ernannt. Er machte seine Botschaft zum Hauptquartier der Revolution, indem er die Spartakisten finanzierte, tonnenweise Propagandaschriften für sie drucken ließ und prominente Spartakisten wie Ernst Meyer und Eugen Leviné auf seine Soldliste nahm. Joffe verkörperte in gewisser Weise das, was man unter der Chiffre „jüdischer Bolschewismus“ verstand. Um die weltweit verbreitete Verschwörertheorie, nach der der „Bolschewismus von den Juden inszeniert“ gewesen sei,72 zu analysieren, empfiehlt es sich zunächst, die von der Wissenschaft bereits ermittelten und unbestrittenen Fakten anzusehen. Und zwar nicht so sehr in der Absicht, die offenkundig unsinnige und böswillige Verschwörertheorie zu widerlegen, sondern vielmehr um aufzuzeigen, welche Rolle eine Minderheit der Juden in der Revolution gespielt hat. Denn es besteht hinreichend Anlaß zu der Vermutung, daß das politische Wirken jüdischer Kommunisten die materielle Voraussetzung für pauschale Diffamierungen und Verschwörertheorien bildet. Zunächst muß rekapituliert werden, daß die große Masse der Ostjuden nicht revolutionär war, jedoch in Rußland das Gefühl haben mußte, in einer feindlichen Umwelt zu leben. Immerhin ist hier „der Antisemitismus ein Mittel zu regieren“ gewesen.73 Von der jüngeren Generation der Juden wurden deshalb viele Sozialisten, weil ihnen der Sozialismus als „Arznei“ erschien, um diesem Zustand abzuhelfen.
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Unter den jüdischen Sozialisten Rußlands dominierten die eng mit dem jüdischen Arbeiter-Bund verflochtenen Menschewiki (Sozialdemokraten) sowie die Sozialrevolutionäre. Anders als bei ihnen waren diejenigen Juden die zu den Bolschewiki gehörten, meist bereits assimiliert beziehungsweise russifiziert. Solche Assimilanten glaubten mit Marx, daß eine Befreiung der Juden zugleich eine Befreiung vom Judentum, das heißt vom religiösen Judaismus sein müsse. Allerdings ist es dann so gekommen, daß der Machtmensch Lenin 1917 mit seinem beschönigend „Revolution“ genannten Oktober-Putsch Fakten geschaffen hat, die viele durchaus nicht bolschewistisch gesonnene Juden zwang, mit den Bolschewiki als dem geringeren Übel ein Arrangement zu suchen. Das machte die Polarisierung des Bürgerkriegs notwendig, bei dem viele Gegenrevolutionäre die Sowjetmacht als „jüdisch“ diffamiert und damit Pogrome auslöst haben. Infolgedessen wurden allein im Jahr 1919 in der Ukraine etwa hunderttausend Juden ermordet. Dieser „Holocaust“, wie er am 30. Mai 1919 im Londoner Jewish Chronicle genannt wurde,74 bedeutete nichts anderes, als daß sich russische Juden damals durch die Konterrevolution an Leib und Leben bedroht sehen mußten. Soweit sie nicht zu emigrieren vermochten, wie dies die nach Berlin gegangene Parteiführung der Menschewiki tat, blieb ihnen keine andere Wahl, als mit der Sowjetmacht einen modus vivendi zu suchen. Diese nämlich hat den mörderischen Antisemitismus als konterrevolutionär bekämpft und Ausschreitungen standrechtlich geahndet. Allerdings gab es auch entschiedene Gegner der Bolschewiki unter den russischen Juden. Einige aus den Reihen der Sozialrevolutionäre bekämpften die Sowjetdiktatur sogar mit individuellem Terror. So war der Mörder des berüchtigten Tschekachefs von Petrograd, Moisei Uritzki, selber jüdisch. Auch Fanny Kaplan, die ihr gescheitertes Attentat auf Lenin mit ihrem Leben bezahlte, war eine jüdische Sozialrevolutionärin. Welch ungute Gefühle das Arrangement vieler Juden mit der Sowjetmacht bei traditionellen Juden auslöste, hat der „jüdische Kosak“ Isaak Babel dargestellt, der im russisch-polnischen Krieg in Budjennys Armee kämpfte. Babel porträtierte in seiner Erzählung Die Reiterarmee den für eine „Internationale der guten Menschen“ eintretenden alten Trödler Gedalje, der die Frage aufwirft: „Sagen wir ,ja' zur Revolution. Sollen wir aber zum Sabbat ,nein' sagen?“75 Ein Tagebucheintrag dieses aus dem Odessaer Judenviertel stammenden und später in Stalins Gulag umgekommenen Schriftstellers vom 7. August
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1920 dokumentiert, daß fromme Juden auch und gerade den Kampf der Bolschewik! gegen die orthodoxe Kirche als Unrecht empfanden: „Ein schreckliches Ereignis – die Plünderung der Kirchen, sie zerfetzen die Ornate ... der Meßdiener zittert wie Eichenlaub ... er schluchzt... Bestien, sie sind gekommen um zu plündern, das ist klar, die alten Götter werden zerstört.“76 Die Juden befanden sich im russischen Bürgerkrieg in einer fürchterlichen Zwangslage. Bei den Bolschewiki gefiel den meisten vieles nicht, aber bei den „Weißen“, die entgegen der kommunistischen Propaganda keineswegs immer Reaktionäre waren, mußten sie wegen der weitverbreiteten Gleichsetzung von „Jude“ und „Bolschewik“ realistischerweise das Schlimmste befürchten. Der reale Hintergrund für diese pauschalisierende Gleichsetzungstheorie nimmt sich in nüchternen Zahlen so aus: Auf den Parteikongressen der Bolschewiki der Jahre 1917 bis 1922 waren 15 bis 20 Prozent der Delegierten Juden.77 Von den 267 Delegierten des August-Parteitages von 1917 füllten 171 Fragebögen aus, wobei sich 92 – also knapp 54 Prozent – als Russen und 29 – also 17 Prozent – als Juden ausgaben. Bei der Bewertung dieser Zahlen ist zu beachten, daß durch das Ausscheiden der baltischen Staaten und Polens aus dem russischen Staatsverband der jüdische Bevölkerungsanteil auf etwa 2 Prozent halbiert worden war. Eine Auswertung des enzyklopädischen Wörterbuchs Granat von 1960, in dem 246 prominente Bolschewiki gewürdigt wurden, ergibt, daß von diesen 16,6 Prozent jüdisch waren.78 Unter den 21 Mitgliedern des Zentralkomitees im August 1917 gehörten 6 der jüdischen Nationalität an, das heißt 28,6 Prozent. Demgegenüber waren zur gleichen Zeit von den 17 Köpfen des ZK der Menschewiki 8 jüdischer Nationalität und somit fast die Hälfte! Über die weiblichen Bolschewiki liegt eine statistische Spezialuntersuchung vor. Danach belief sich die Mitgliedschaft jüdischer Bolschewistinnen vor dem Bürgerkrieg auf 7,9 Prozent. Nach dem Bürgerkrieg, in dessen Gefolge die nichtbolschewistischen sozialistischen Parteien wie die Menschewiki, der Bund und die Sozialrevolutionäre verboten wurden, waren es jedoch 16 Prozent.79 Diese beachtliche Überrepräsentanz von jüdischen Parteimitgliedern erweckt insofern einen irreführenden Eindruck, als der jüdische Anteil dramatisch ansteigt, je mehr man sich der Spitze der Parteihierarchie nähert. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man sich die nationale Herkunft der Mitglieder von sowjetischen Machtapparaten wie der Komintern und der Tscheka ansieht.
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Nicht so sehr nüchterne Zahlen, als vielmehr spektakulär an die Öffentlichkeit tretende Führungspersonen pflegen Meinungsbilder zu prägen. So waren von den Mitgliedern des siebenköpfigen Politbüros der Bolschewiki im Oktober 1917 vier Juden, und zwar Sinowjew, Kamenew (Rosenfeld), Trotzki und Sokolnikow (Brilliant). Die eine Minderheit in diesem Politbüro bildenden Nichtjuden waren Lenin, Stalin und Bubnow. Der sowjetische Kulturkommissar Anatoli Lunatscharski hat nach der Oktoberrevolution eine Rangliste der bolschewistischen Führer aufgestellt. Sie lautet: 1. Lenin 2. Trotzki 3. Swerdlow 4. Stalin 5. Dserschinski 6. Sinowjew und 7. Kamenew.80 Unter diesen sieben befinden sich somit vier Juden, ein Russe (Lenin), ein Georgier (Stalin) und ein Pole (Dserschinski)! Das Militär-Revolutionskomitee der Bolschewiki vom Oktober 1917, das gegen den erklärten Willen der Parteiführung der Menschewiki den Oktoberputsch geplant und geleitet hat, umfaßte fünf Personen, darunter zwei Juden, und zwar den ersten sowjetrussischen Staatschef Swerdlow sowie Uritzki. Dieses Komitee, dem auch der aus der Sozialdemokratie des Königreich Polen und Litauen hervorgegangene und erst 1917 zu den Bolschewiki gestoßene Felix Dserschinski angehörte, wurde zum institutionellen Vorläufer der Tscheka, genauer gesagt der „Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung der Gegenrevolution“! Der als „Generalstabschef' der Oktober-Revolution und Schmied der Roten Armee gefeierte Leo Trotzki, war damals neben Lenin so dominierend, daß Rosa Luxemburg und andere von einer Lenin-Trotzki-Regierung gesprochen haben. Eine heute von vielen vergessene herausragende politische Rolle bei den Bolschewiki spielte damals auch der aus einer kleinbürgerlichen jüdischen Familie stammende Jakob Swerdlow. Sein Vater war Graveur und hat die Revolutionäre mit gefälschten Pässen versorgt. Swerdlow, der im Sommer 1918 als erster sowjetrussischer Staatschef den Befehl zur Liquidierung der Zarenfamilie in Jekaterinburg erteilt hat, ist der breiteren Öffentlichkeit lediglich deshalb wenig bekannt, weil er bereits im März 1919 an Überanstrengung starb. Dieser außergewöhnlich dynamische Mann wurde zum 1. Sekretär des ZK und am 21. November 1917 zum Vorsitzenden des Allrussischen Zentral-Exekutivkomitees bestellt. Swerdlow war es, der die Konstituante eröffnete, in der die Bolschewiki nur 25 Prozent der Delegierten stellten. Er hat Rußland am 5. Januar 1918 zur „Republik der Sowjets (Räte) der Arbeiter, Soldaten und Bauern“ ausgerufen!81 Eine hervorragende Rolle beim Aufbau des Sowjetstaates spielte auch der
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als „Schatten“ Lenins bezeichnete Grigori Sinowjew. Er übernahm den Vorsitz des Petrograder Sowjets sowie des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale. In dieser Funktion war zunächst Angelika Balabanoff seine rechte Hand. Sie wurde aber bald durch den TrotzkiVertrauten Radek abgelöst. Radek war gleichzeitig Chef der Presseabteilung des Kommissariats des Äußeren (Außenministerium), das Leo Trotzki neben der Roten Armee leitete. Vorsitzender des einflußreichen Moskauer Gebietssowjets war Leo Kamenew (Rosenfeld), der die Wirtschaftspolitik dirigierte und für die Parteizeitung Prawda verantwortlich zeichnete. Dieser Vertraute Lenins und Sinowjews war mit der Schwester Trotzkis verheiratet und hat gemeinsam mit Adolf Joffe und Sokolnikow (Brilliant) die sowjetrussische Delegation bei den Friedensverhandlungen mit den Mittelmächten in BrestLitowsk angeführt. Zur Zeit der schweren Erkrankung Lenins bildete Kamenew gemeinsam mit Sinowjew und Stalin die Führungstroika, das Triumvirat der Partei. Der von dem todkranken Lenin zu seinem Nachfolger bestimmte Trotzki hat sich aus der Parteiarbeit ganz herausgehalten und konnte deshalb vom Generalsekretär der Partei, Stalin, leicht ausgebootet werden. Anläßlich der Beisetzung Lenins im Jahre 1924 fand die außerordentliche Rolle, die jüdische Kommunisten in der Frühzeit der Sowjetunion spielten, noch einmal symbolischen Ausdruck darin, daß von den sieben Totenwächtern drei jüdischer Herkunft waren, und zwar Kamenew, Radek und Sinowjew. Unter den vier übrigen befand sich neben dem Polen Dserschinski, dem Georgier Stalin und dem Russen Tuchatschewski die sächsische Lehrertochter und angesehene Chefin der FrauenInternationale, Clara Zetkin. Ihr früh verstorbener erster Mann Ossip Zetkin war ein russisch-jüdischer Sozialist.82 Den Antisemiten in Rußland und aller Welt waren solche personellen Konstellationen ein ausreichender Beweis dafür, daß es sich bei dem Regime der Bolschewiki um eine „jüdische Macht“ (zydowskaja vlast) beziehungsweise um ein „Sowjetjudäa“ handelte. Da Juden bis 1917 lediglich vier und nach der Abtrennung Polens und der baltischen Staaten nur noch zwei Prozent der russischen Bevölkerung stellten, ist die gleichsam über Nacht zustande gekommene Überrepräsentanz dieser bisher diskriminierten Minderheit an der Spitze des neuen Staates allgemein als höchst bemerkenswert und spektakulär empfunden worden. Jedoch wurde meistens übersehen und unterschlagen, daß es sich bei den
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jüdischen Kommunisten alles andere als um Repräsentanten der Judenheit handelte. Vielmehr suchten die „roten Assimilanten“ oder die „nichtjüdische Juden“ mit dem Christentum auch das religiöse Judentum zu überwinden, um ein atheistisches Zukunftsreich zu begründen. In einem Brief des österreichischen Außenministers Ottokar Graf Czernin von den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk von Anfang 1918 spiegelt sich dies wider. Er berichtet, daß seine Gesprächspartner „fast durchweg Juden mit ganz phantastischen Vorstellungen“ gewesen seien!83 Jüdische Kommunisten stellten nach einer Formulierung der gebürtigen Moskauerin Sonja Margolina in der Frühzeit der Sowjetära unbestreitbar einen Großteil der „Elite der Revolution“, und zwar solche Sozialisten, die sich als „Ingenieure der Utopie“ verstanden.84 Dabei hat es sich keineswegs um eine „jüdische Verschwörung“ gehandelt, sondern darum, daß der Sowjetstaat einen gänzlich neuen Staatsapparat geschaffen hat, in dem die jüdischen Bolschewiki die Möglichkeit hatten, ganz anders als in der Vergangenheit sehr rasch Spitzenpositionen zu gewinnen. Abgesehen davon, daß aus den dargelegten Gründen ohnehin unverhältnismäßig viele Revolutionäre aus jüdischen Familien stammten, hat der Sowjetstaat aus verschiedenen Gründen bevorzugt auf jüdische Sowjetbürger zurückgegriffen: Weil „Konterrevolutionäre“, also Anhänger des Ancien Regime, als unzuverlässig galten, weil das Bildungsniveau der Juden im Vergleich zu dem der oft noch analphabetischen Russen außerordentlich hoch war, und schließlich, weil Lenin und seine Anhänger hofften, daß der Haß der Juden „auf den Zaren zugunsten der Revolution ausschlagen“ würde.85 Solche „bolschewistische Judophilie“86 ließ die Juden in Sowjetrußland zwangsläufig als Profiteure der Revolution erscheinen, was dem Antisemitismus neue Nahrung gab. Die Einrichtung einer ,Jüdischen Sektion“ (Jevsecija) in der Kommunistischen Partei sowie eines „Jüdischen Kommissariats“ als Untergliederung des Volkskommissariats für Nationalitäten, die Bildung „jüdischer Sektionen“ in der Roten Armee sowie jüdischer Miliz(Polizei)-Verbände dienten als Bestätigung dafür, daß sich das Sowjetregime in starkem Maße auf Juden stützte.87 Bei dieser Liaison hat es sich – anders als es Antisemiten gern unterstellen – meist um keine ideologische, gewissermaßen also Liebesehe, sondern um eine Vernunftehe im beiderseitigen Überlebensinteresse gehandelt. Tatsächlich wurden die genannten jüdischen Einrichtungen speziell für die Einbindung derjenigen Juden geschaffen, die dem durch die Bolschewiki
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aufgelösten/verbotenen Jüdischen Arbeiterbund sowie den gleichfalls verbotenen Menschewiki und Sozialrevolutionären angehört hatten. Anders als die meisten altbolschewistischen Juden waren die Mitglieder dieser Parteien noch durch das jüdische Stetl geprägt und benützten das Jiddische als Umgangssprache. Sowjetrußland, das nach dem blutigen Bürgerkrieg eine vorübergehende wirtschaftliche Erholung und eine avantgardistische Aufbruchsphase erlebte, bot auch in dieser zweiten Phase der Entwicklung anpassungswilligen Juden eine Vielzahl bisher versagter Aufstiegs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Das frühe Sowjetregime bekämpfte nämlich den virulenten russischen Antisemitismus, initiierte eine gewaltige Alphabetisierungskampagne, tat viel für die Volksgesundheit und förderte die jüdische Kultur in Gestalt von Schulen mit jiddischer Unterrichtssprache, jiddischen Verlagen, Zeitungen, der Einführung des Jiddischen als Gerichtssprache sowie der Gründung von jüdischen Theatern. Für das in Moskau errichtete hat Marc Chagall zwischen 1920 und 1922 Kulissen gemalt! Die Kehrseite solch anfänglichen Aufblühens der weltlichen Kultur der Juden war, daß das religiöse Judentum mit der religiösen Unterweisung und der Sakralsprache des Hebräischen von der ,Jüdischen Sektion“ ebenso als „reaktionär“ bekämpft wurde wie die orthodoxe und die katholische Kirche oder der Islam. Dabei gilt es freilich zu bedenken, daß die jüngere Generation der Juden vielfach der Enge des Stetl zu entkommen suchte und darunter, im Unterschied zur älteren, zunächst nicht sonderlich gelitten hat. Von dem aus frommem jüdischen Milieu stammenden Marc Chagall, dessen Muttersprache das Jiddische war und der noch das Hebräische erlernt hatte, ist dies bekannt: Seine Großeltern hielten es noch für bedenklich, daß ihr Enkel Russisch lernte und eine Kunstschule in St. Petersburg besuchte. Um dort – außerhalb des Ansiedlungsrayons – vor 1914 studieren und wohnen zu können, mußte Chagall sich als Dienstbote eines Advokaten tarnen. Nur so konnte er dort als Jude eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Nach der Revolution, im Jahr 1919, ist Chagall vom sowjetischen Kulturkommissar Lunatscharski zum Kulturkommissar im Gouvernement Wìtebsk ernannt worden, wo er eine Mal-Akademie errichtete.88 Mehr noch als der wenig später mit Genehmigung seines Förderers nach Frankreich emigrierte Chagall symbolisiert der Leiter der Jüdischen Sektion (Jevsecija) der bolschewistischen Partei, Semen Diamantstein, den säkularen Umbruch im russischen Judentum. Diamantstein stammte aus einem armen jüdischen Dorf in Weißrußland, wo er die Yeshiwa besuchte
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und zum Rabbiner ausgebildet wurde. Nach seiner Abwendung von der Tradition seiner Väter bot ihm die Oktober-Revolution ganz andere Möglichkeiten: Er übernahm die Leitung der jiddischen Ausgabe der Pravda (DerEmes), die für die noch nicht russifizierten Juden bestimmt war. In seiner Abhandlung Juden auf der Wanderschaft konnte der aus Galizien stammende Joseph Roth im Jahre 1927 ein überraschend positives, aber zugleich zwiespältiges Urteil über die Lage der Juden in der Sowjetunion abgeben. Darin heißt es, daß bei den russischen Juden die „Gläubigkeit der Massen“ rapide abnehme und daß dort die „Lösung der Judenfrage“ auch umfasse, daß es mit dem Zionismus, dem Antisemitismus und vielleicht auch mit dem Judentum vorbei sei. Solches könne man gleichermaßen begrüßen oder bedauern. Roth schloß seine Abhandlung mit diesen eindrucksvollen, nur wenig später durch Stalins Wirken überholten Worten: ,Jeder muß achtungsvoll zusehen, wie ein Volk befreit wird von der Schmach zu leiden, und wie ein anderes von der Schmach, zu mißhandeln; wie der Geschlagene von der Qual erlöst wird und der Schlagende von dem Fluch, der schlimmer ist, als eine Qual. Das ist das große Werk der russischen Revolution.“89 Dieses Urteil steht keineswegs allein. So schrieb ein Pseudonymus namens „Morus“ 1928 in seinem von der Weltbühne publizierten Artikel Sovjetpogrome, die Juden genössen in Sowjetrußland „mehr Rechte als in irgend einem anderen Lande“. Dabei schränkte er allerdings bereits ein, daß sich der Kampf Stalins gegen den Trotzkismus ausnähme „wie eine Judenhetze“!90 Der Verband der kämpfenden Gottlosen Solch positiven Ansätze, die auch von nichtsozialistischen Juden wie Roth anerkannt wurden, haben nicht zuletzt jüdische Bolschewiki in Mißkredit gebracht. Und zwar dadurch, daß einige von ihnen durch einen besonderen Verfolgungseifer sowohl als Tscheka-Funktionäre als auch als militante „Gottlose“ von sich reden machten. Ein fatales Signal ist davon ausgegangen, daß der damals zwar sein Judentum leugnende, jedoch von den Russen als Jude wahrgenommene Trotzki im Bürgerkrieg den Vorsitz der „Gottlosen“ übernommen hat. Damit spielte er einen wichtigen Part bei der Kirchen- und Christenverfolgung, die Tausenden das Leben kostete. Das Gold und das Silber, das
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bei der Einschmelzung der sakralen Schätze der orthodoxen Kirche gewonnen wurde, verwendete man zur Finanzierung der Revolution und der neugegründeten kommunistischen Parteien in aller Welt. Daß der Gottlosenverband neben den christlichen Kirchen auch das religiöse Judentum und den Islam bekämpfte, wurde schon aus dem Grund weniger wahrgenommen, weil in Rußland die orthodoxe Kirche als ehemalige Staatskirche dominierend war und der Verband von „Juden“ geführt wurde. Die Nachfolge Trotzkis als Chef der Gottlosen trat der aus einer kinderreichen jüdischen Familie stammende Atheist Emeljan Jaroslawski (Gubelmann) an.91 Als Mitglied des Zentralkomitees, der Kontrollkommission, das heißt des parteiinternen Geheimdienstes, sowie als späterer Präsident des Obersten Sowjets war Jaroslawski einer der Spitzenfunktionäre der KPdSU. Nachdenkliche und den Juden wohlwollend gegenüberstehende Sozialisten wie Maxim Gorki haben den gar nicht so abwegigen Verdacht geäußert, daß durch den Einsatz von Juden in derartig exponierten Positionen auf hinterhältige Weise versucht worden sein könnte, die Juden zu kompromittieren!92 Dazu hat in seinem Eifer Jaroslawski ohne Zweifel – wenn auch ungewollt – beigetragen, indem er so weit gegangen ist, zum Kampf gegen das „Regiment von Jesus“ aufzurufen, Jesus und Maria auf vulgäre Weise zu verhöhnen, Heilige auf Ikonen symbolisch erschießen zu lassen,93 Kirchen in Clubs, Kaufläden und Speicher umzuwandeln und für die Abschaffung der Zeitrechnung nach dem „mystischen“ Christus zu plädieren. Indem Jaroslawski 1930 in der Prawda die Einrichtung einer „internationalen antireligiösen Zentralstelle“ forderte, die die wachsende Bewegung gegen die Religion steuern sollte,94 wird deutlich, daß es sich bei dieser Militanz um keine rein innerrussische, sondern um eine weltrevolutionäre Angelegenheit handelte. Auf diese Herausforderung der Christenheit hat 1933 Konrad Algermissen mit seinem Buch Die Gottlosenbewegung der Gegenwart und ihre Überwindung reagiert, das mit dem Imprimatur des Bischofs von Hildesheim versehen ist. Algermissen sprach darin von der „Weltgefahr des Bolschewismus“, dessen „Ziel die vollständige Ausrottung des Gottesglaubens“ sei.95 Er bemerkte, daß beim Bolschewismus „jüdische Kräfte in besonderem Maße“96 mitwirkten, benennt dabei in einer Anmerkung Emeljan Jaroslawski als Jude“97 und führt schließlich eine Anzahl „führender Bolschewisten“ wie Trotzki, Sinowjew, Kamenew, Litwinow und Swerdlow auf, die alle „jüdischer Abstammung“ seien.98
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Nach Algermissen, bei dem sich übrigens keinerlei direkte judenfeindliche Äußerungen finden, sind von der bolschewistischen Regierung zwischen 1918 und 1924 achttausend „geistliche Personen hingerichtet“ worden.99 In Kiew wurde während des Bürgerkriegs der Metropolit Wladimir zu Tode gequält, wohingegen man den Patriarchen von Moskau und ganz Rußland, Tichon, zunächst unter Hausarrest stellte und 1922 förmlich verhaftete.100 Patriarch Tichon hat in seinem Hirtenbrief vom 19. Januar (1. Februar) 1918 den Bolschewiki vorgeworfen, „das Werk Christi zu vernichten“ und sein antibolschewistisches Anathema in diese Worte gipfeln lassen: „Beschwören Wir, mit diesem Auswurf des Menschengeschlechts keine Gemeinschaft zu haben: Entfernt das Böse aus eurer Mitte! (L Kor. 5,I3).“101 Nicht nur in Rußland, sondern in der ganzen christlichen Welt hat dieser beispiellose Kampf gegen die christliche Kirche tiefe Beunruhigung ausgelöst. Dem Vorstand der „Gottlosen“ gehörten neben Lenins Frau Krupskaja auch der ebenfalls nichtjüdische sowjetische Kulturkommissar Lunatscharski an,102 der sich als Hasser des Christentums bekannt und den Marxismus als eine von Juden geschaffene neue Weltreligion gepriesen hat. Daß Zar Nikolaus II. von dem aus einer frommen jüdischen Familie stammenden Anführer des Tscheka-Liquidationskommandos, Jakob Jurowski,103 – und zwar auf Weisung des von Christen als Jude wahrgenommenen Staatspräsidenten Jakob Swerdlow – persönlich erschossen worden war, hat christliche Ressentiments gegen Juden verstärkt und darüber hinaus die Aufstellung von Verschwörertheorien begünstigt. Der aus Tòmsk stammende Uhrmacher Jurowski, der sich vor dem Krieg in Berlin hatte evangelisch taufen lassen, pflegte übrigens von seiner jüdischen Herkunft nur in spöttischem Tonfall zu sprechen. Ein Unbekannter hat im Ipatievhaus zu Ekaterinburg, in dem die Zarenfamilie gefangen gehalten und liquidiert worden ist, diese Verse von Heinrich Heine auf die Tapete geschrieben: „Belsazar war in selbiger Nacht von seinen Knechten umgebracht.“104 Damit wurde ein „jüdisches“ Rachemotiv angesprochen, das die überkommene Dämonisierung der Juden mit neuen Argumenten unterfüttert hat. Rabbi Arthur Hertzberg berichtet, daß der Moskauer Oberrabiner, Jakob Mazeh, Trotzki mit den Worten beschworen hat: „Die Trotzkis machen die Revolution, aber die Bronsteins müssen dafür bezahlen“. Hertzberg kommentiert lakonisch: „Trotzki wußte, daß der Rabbiner recht hatte.“105
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Hervorgehoben werden muß an dieser Stelle auch die kaum bekannte Tatsache, daß der Rabbiner in dem noch nicht durch die Sowjets eroberten Odessa 1918 über Trotzki, Sinowjew und andere jüdische Bolschewiki 1918 das Anathema verhängt hat.106 Damit wurde unmißverständlich dargelegt, daß die Politik der Bolschewiki mit dem religiösen Judentum nichts zu tun hat. Schonungsloser Massenterror durch die Bolschewiki Unter den Einrichtungen Sowjetrußlands, in denen jüdische Kommunisten eine bedeutsame Rolle gespielt haben, ist neben der Organisation der Gottlosen stets die Tscheka,107 die „Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung der Gegenrevolution“, hervorgehoben worden. Ihr Gründer und erster Chef war der schon mehrfach erwähnte Felix Dserschinski. Bevor die Rolle jüdischer Tschekaführer skizziert wird, soll hier des ersten sowjetischen Justizkommissars (Ministers) Isac Steinberg gedacht werden. Dieser Sozialrevolutionär bildete eine fromme Ausnahme unter den jüdischen Spitzenfunktionären des frühen Sowjetregimes. Über ihn wird gesagt, daß er sich am Sabbat die Aktentasche von einem Nichtjuden tragen ließ. Steinberg hat einen zähen Kampf gegen die keinerlei Rechtsnormen beachtende Tscheka geführt, deren Name später sukzessive in OGPU, NKWD und KGB umgeändert wurde. Dabei zog Steinberg den kürzeren, so daß er schließlich resignierte und emigrierte. In seinen 1929 in München erschienenen Memoiren Als ich Volkskommissar war berichtet Steinberg, daß in der von den Bolschewiki auseinandergejagten Konstituante als „unser ältester Genosse, Mark Natanson ... der greise Alte mit dem Kopf eines patriarchalischen Rabbiners“ erschien.108 Er stellte dann klar, daß die Bolschewiki „von Anfang an nach einer Parteidiktatur strebten“ und erzählte, daß Trotzki auf einer ZK-Sitzung gedroht habe, man müßte auf einem öffentlichen Platz eine Guillotine errichten und die Regimefeinde um einen Kopf kürzer machen!109 Allerdings stellte Steinberg seine Kritik in die Perspektive, daß der Zarismus „die unmenschlichste Autokratie“ gewesen sei, die die Welt je gesehen hätte.110 Im Kampf gegen ihre Feinde waren den Bolschewiki alle Mittel recht. Für sie heiligte der „gute“ Zweck die Mittel, galt die Devise salus revolutionis suprema lex. Trotzki formulierte damals, daß „nur ein heuchlerischer
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Quäker den Staatsterror verneinen“ könne.111 Ein Vertrauter Trotzkis war der aus einer armen jüdischen Familie Wolhyniens stammende und im Juli 1918 ermordete Moisei Wolodarski (Goldstein). Dieser Berufsrevolutionär war 1911 verhaftet worden und ging 1913 nach seiner Begnadigung in die USA, wo er Mitglied der American Socialist Party wurde. Als Herausgeber der Krasnaja Gazeta (Rote Zeitung), des Hausorgans der Revolution, das ursprünglich einflußreicher als die Prawda war,112 sowie als Petrograder Agitprop-Kommissar hat Wolodarski damals kurz und bündig erklärt: „Die Interessen der Revolution erfordern die physische Vernichtung der Bourgeoisie“.113 Nach der Ermordung des Petrograder Tscheka-Führers Moisei Uritzki durch den jüdischen Sozialrevolutionär Kannegießer hat Lenin am 9. August 1918 den „schonungslosen Massenterror“ gegen Bauern (Kulaken), Geistliche (Popen) und Weißgardisten, also Adelige und Offiziere, angeordnet. Dabei sollten „verdächtige Personen in ein Konzentrationslager außerhalb der Stadt“ verbracht werden.114 Das bedeutete nichts anderes, als diese sozialen Gruppen als „Klassenfeinde“ für vogelfrei zu erklären. Tatsächlich hat die Tscheka als „Organ der proletarischen Rache“ in den Jahren 1917 bis 1921 vermutlich 250 000 Menschen exekutiert115 und damit ein Vielfaches derjenigen politischen Opfer produziert, die dem Zarenreich in den letzten fünfzig Jahren seiner Existenz angelastet werden können. Indem Sinowjew Ende 1917 verkündete: „Neunzig von hundert Millionen Sowjetrussen müssen mitziehen. Was den Rest angeht, so haben wir ihnen nichts zu sagen. Sie müssen ausgerottet werden“,116 wird noch einmal der schonungslose Vernichtungswille der neuen politischen Führung deutlich. Die Elite der Bolschewisten war entschlossen, den Sieg der Revolution mit einem Mord an Millionen Menschen zu erkaufen. Das gilt es zu bedenken, wenn man die großspurige Erklärung von Radek interpretiert, der als Sekretär der Kommunistischen Internationale im Oktober 1918 das bolschewistische Ziel so ausmalte: „Von der Wolga bis zum Rhein wird eine einzige rote Flut der Proletarier-Revolution sein.“117 Weltweit geprägt worden ist das Schreckbild vom Bolschewismus118 durch das in alle wichtigen Sprachen übersetzte Buch des russischen Sozialisten Sergej P. Melgunow Der rote Terror in Rußland 1918-1923. In dieser durch Fotodokumente angereicherten Schrift wurden der „Klassenterror“119 und die „Hinrichtungen in Sachen der kirchlichen Gegenrevolution“120 mit der Bemerkung dargestellt, daß man „die Welt zwingen (muß), das Furchtbare dieser Ströme von Blut ... zu erkennen“.121 Melgu-
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now, der gemäß einem sozialistischen Tabu trotz der Pogrome von „Weißen“ kein einziges Wort über die „jüdische Frage“ beziehungsweise den Antisemitismus verliert, bekräftigte das Wort von Karl Kautsky, es müsse dafür Sorge getragen werden, daß „die moralische Katastrophe einer Methode des Sozialismus nicht zu einer Katastrophe innerhalb des Sozialismus wird“.122 Zur Personalstruktur der Tscheka Bevor der heute phantastisch anmutende weltrevolutionäre Angriff der Bolschewiki näher beschrieben wird, sollen hier einige grundlegende Daten über die Spitzenfunktionäre der Tscheka123 präsentiert werden, weil dies für eine Bewertung der Kollektivschuld- und Verschwörertheorien unerläßlich ist. Der auch „Ritter der Revolution“ genannte erste Tscheka-Chef Felix Dserschinski hat elf Jahre und damit ein Viertel seines Lebens in russischen Gefängnissen oder sibirischer Verbannung zugebracht und aufgrund dieser Leidensgeschichte einen unbändigen Haß gegen das Zarenregime im Herzen getragen. Wie Dserschinski waren viele Tscheka-Führer Nichtrussen, so daß die Tscheka in Sowjetrußland bis in die Zeit Stalins hinein als eine Art Fremdherrschaft empfunden werden konnte. Im einzelnen sind anfänglich von den zwanzig führenden Tschekisten nur sieben Russen, dafür aber drei Letten und sechs Polen gewesen, von denen wiederum vier jüdischer Herkunft waren. Bei diesen letzteren hat es sich gehandelt um Josef Unszlicht, Moisei Uritzki, Stanislaw Messing und Genrich Jagoda. Jagoda war mit einer Tochter von Swerdlow verheiratet und leitete von 1934 bis 1936, dem Zeitpunkt seiner Verhaftung und Ermordung, den Tscheka-Nachfolger NKWD. Der wie Rosa Luxemburg und Leo Jogiches aus der Sozialdemokratie des Königreich Polen und Litauen hervorgegangene Josef Unszlicht hatte Lenin 1907 kennengelernt, war in der sibirischen Verbannung und bekleidete im Petrograder Militärrevolutionskomitee das Amt des Schatzmeisters. Als die Sowjets 1920 bei ihrem militärischen Vorstoß nach Warschau eine von Karski geführte polnische Marionettenregierung einsetzten, wurde er in diese berufen. Der aus einer frommen jüdischen Familie stammende Moisei Salomonovich Uritzki, der ursprünglich Menschewik und Mitarbeiter von Trotzkis Zeitung Nasche Slowo (Unser Wort) gewesen ist, kehrte 1917 wie
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manch anderer aus der Emigration nach Rußland zurück. Er hat gemeinsam mit Dserschinski dem Militärevolutionskomittee angehört und wurde der mächtige Tscheka-Chef der Region Petrograd, als die Sowjetregierung im März 1918 nach Moskau verzog. Die Moskauer Tscheka-Führung bestand im Dezember 1918 aus dem Vorsitzenden Dserschinski sowie Jurowski und Messing, der wie der „eiserne Felix“ aus der SDKPiL kam und gleich Unszlicht aus einer jüdisch-polnischen Familie stammte. Wie schon berichtet wurde, hat Jurowski am 16. Juli 1918 als Mitglied des regionalen Tscheka-Kollegiums im Ural und als Kommandeur des überwiegend aus Letten bestehenden Erschießungskommandos Zar Nikolaus II. mit einer Pistole eigenhändig erschossen. Messing, der aus dem Exil in Belgien zurückgekehrt war, leitete seit 1918 in Moskau einen Tscheka-Distrikt und übernahm 1921 die Gesamtleitung der Moskauer Tscheka, dann auch die in Petrograd, nachdem Uritzki ermordet worden war. Als Odessa und Kiew 1919 von den Bolschewiki erobert wurden, setzte man auch hier jüdische Tscheka-Chefs ein. Und zwar in Odessa den ehemaligen Bundisten Max Deich, der in Detroit Vorträge der Anarchistin Emma Goldmann gehört und sich 1919 den Bolschewiki angeschlossen hatte. In Kiew übernahm Isaak Schwarz im zehnköpfìgen Kiewer Tscheka-Kollegium die Führung. Anfänglich waren sieben seiner Mitglieder jüdisch.124 Das Tscheka-Personal in der Ukraine war – bei einem ukrainischen Bevölkerungsanteil von 80 Prozent125 – zu 75 Prozent jüdischer Herkunft. In diesen Zahlen spiegelt sich neben dem hohem jüdischen Bevölkerungsanteil in der Ukraine die dortige Bürgerkriegssituation mit den unsäglichen Morden an Zehntausenden von Juden wider, denen allerdings viele „Klassenmorde“ gegenüberstehen.126 Diese Konstellation ließ die Tscheka neben der Roten Armee als Rettungsinsel für viele an Leib und Leben bedrohte Juden erscheinen. Wenngleich die Rede vom „jüdischen Bolschewismus“ eine falsche und böswillige Verallgemeinerung darstellt, lassen solche Fakten doch folgendes deutlich werden: Viele machen es sich aus Unkenntnis der komplizierten osteuropäischen Geschichte oder auch deswegen, weil ihnen die Fakten unangenehm sind, zu leicht, wenn sie diesen Mythos als reinen Wahn verwerfen und keiner Analyse für würdig erachten. In ihrem bereits genannten Buch Rossija i Evrei (Rußland und die Hebräer) haben antibolschewistische Juden 1923 in Berlin die Parteinahme vieler Juden für den Bolschewismus als schwere und verhängnisvolle Schuld
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verurteilt. Sie haben darin diese, an die dargelegten Fakten anknüpfende „Frage“ wiedergegeben: „Sechs Kommissare sitzen an einem Tisch, was ist unter dem Tisch? – zwölf Knie Israels.“127 Aus veröffentlichten Geheimpapieren wissen wir, daß Trotzki selbst den hohen jüdischen Anteil am Tscheka-Personal als Problem ansah.128 Eine 1999 in Moskau erschienene Publikation über die in NKWD umbenannte Tscheka hat mit umfassendem Datenmaterial erhärtet, daß der „russische Volksmythos vom Jüdischen NKWD' ... einen realen Bezug“ hatte. Wenn noch 1934 bei einem jüdischen Bevölkerungsteil von etwa 2 Prozent immerhin 39 Prozent der Spitzenfunktionäre dieses Geheimdienstes aus jüdischen Familien stammten – hingegen aus russischen Familien nur 36 Prozent – berechtigt das den Historiker, von einer „Vormachtstellung der Juden im Geheimdienst“129 zu sprechen. Diese Vormachtstellung hat erst Stalin gebrochen, so daß 1940 nur noch 4 Prozent der Spitzenfunktionäre jüdischer, hingegen 81 russischer Herkunft waren. Es wird noch dargelegt werden, daß ähnlich wie in der Tscheka auch in der Komintern und deren Geheimapparat der Anteil jüdischer Kommunisten anfangs außerordentlich hoch war. Ein wichtiger Verbindungsmann zwischen der Tscheka und der Komintern war Michael (Meier) A. Trilisser.130 Er stammte aus einer jüdischen Familie Astrachans, trat 1901 der russischen Sozialdemokratie bei, hat als Revolutionär im Gefängnis eingesessen und wurde wie viele andere Revolutionäre nach Sibirien verbannt. Dieser Michael Trilisser hatte von 1921 bis 1929 die Leitung der Auslandsabteilung der Tscheka INO (Innostrannoe Otdel), im Jahre 1926 wurde er stellvertretender Chef der Tscheka-Nachfolgerin OGPU. Unter dem Decknamen M. A. Moskwin war Trilisser, der schließlich wie viele jüdische Kommunisten den stalinschen Säuberungen zum Opfer fiel, noch 1935 für den geheimen Finanzapparat der Komintern zuständig. Anmerkungen 1 Walther Rathenau: Der Kaiser (1919). Berlin 1929, S. 283. 2 So Lenin, zit. nach: Leonid Luks: Bolschewismus, Faschismus, Nationalsozialismus – verwandte Gegner? In: Geschichte und Gesellschaft (1988) 14, S. 98. 3 Walther Rathenau: Zeitliches. Berlin 1918, S. 84. 4 Lenin: Ausgewählte Werke. Bd. 1. Berlin 1961, S. 713. 5 Otto-Ernst Schüddekopf: Linke Leute von rechts. Stuttgart 1960, S. 71. 6 Ders.: Nationalbolschewismus in Deutschland. Frankfurt/M. 1973, S. 103. 7 Lenin: Ausgewählte Werke. Bd. 2. Berlin 1955, S. 771. 8 Otto Strasser: Mein Kampf. Frankfurt/M. o. J., S. 13. 9 Jochen Jacke: Kirche zwischen Monarchie und Republik. Hamburg 1976, S. 326.
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10 Unter dem Decknamen Ernst Reinhardt. 11 Er hat bei seiner Bar Mizwa-Feier in einer Nürnberger Synagoge hebräische Texte aus der Thora verlesen, s. Alexander Abusch: Memoiren. Der Deckname. Berlin 1981, S. 17. 12 Alexander Abusch: Entscheidung unseres Jahrhunderts. Berlin 1977, S. 74. 13 Sefton Delmer: Die Deutschen und ich. Hamburg 1963, S. 184. 14 Joseph Goebbels: Reden. Bd. 1. 1932-1939. Düsseldorf 1971, S. 1. 15 Isaiah Berlin: Der Nationalismus. Frankfurt/M. 1990, S. 44. 16 Karlheinz Weißmann: Der Nationale Sozialismus. Ideologie und Bewegung 1890 bis 1933. München 1998. 17 So in seiner Tischrede vom 28./29. 12. 1941, zit. nach: Rainer Zitelmann: Hitler. Hamburg 1987, S. 428. 18 Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke. Bd. 2. Berlin 1974, S. 43. 19 Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 329. 20 Hans Kohn: Propheten ihrer Völker. Bern 1948, S. 6 u.13. 21 Vgl. Otto-Ernst Schüddekopf: Linke Leute von rechts. Stuttgart 1960, S. 21 ff.: „Von den westlichen und östlichen Wurzeln des radikalen Nationalismus.“ 22 Zit. nach: Peter Walenhorst: Nationalismus als politische Religion. In: Olaf Blaschke (Hrsg.): Religion im Kaiserreich. Gütersloh 1996, S. 503-529. 23 Hans Kohn: Die Idee des Nationalismus. Heidelberg 1950, S. 9. 24 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 2. Berlin 21974, S. 22. 25 Zit. nach: Harry Pross (Hrsg.): Die Zerstörung der deutschen Politik. Dokumente 1871-1933. Frankfurt/M. 1959, S. 202. 26 Ebenda, S. 78. 27 Eugen Lemberg: Nationalismus I. Reinbek 1964, S. 233. 28 Zit. nach: Harry Pross (Hrsg.): Die Zerstörung der deutschen Politik. Frankfurt/M. 1959, S. 195. 29 Friedrich von Bernhardi: Deutschland und der nächste Krieg. Stuttgart 61917, Kap. 4, S. 77 ff. 30 Ebenda, Kap. l, S. 9 ff. 31 Ebenda, Kap. 2, S. 38 ff. 32 Ebenda, Kap. 5, S. 92 ff. 33 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 1. Berlin 21974, S. 340 f. 34 Ebenda, S. 349 ff. 35 Bernard Degen: Krieg dem Kriege. Basel 1990, S. 87. 36 Carola Stern: Ulbricht. Köln 1963, S. 29. 37 Werner E. Mosse (Hrsg.): Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923, Tübingen 1971. S. 30; Egmont Zechlin: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg. Göttingen 1969, S. 96 f. 38 Joseph Roth: Romane, Erzählungen, Aufsätze. Köln 1964, S. 562. 39 Vgl. Peter Alter u. a. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München 1999. 40 Theodor Lessing: Ich warf die Flaschenpost. Darmstadt 1986, S. 415. 41 Alain Finkielkraut: Der eingebildete Jude. Frankfurt/M. 1984, S. 131. 42 So Joseph Roth in: Die Lage der Juden in Sowjetrußland. In: ders.: Romane, Erzählungen, Aufsätze. Köln 1964, S. 611. 43 Warren Lerner: Karl Radek. Stanford, Cal. 1970, S. VIII. 44 Jugendinternationale l (1915) 1. Repr. Berlin 1972, S. 8. 45 In: Michael Werz (Hrsg.): Antisemitismus und Gesellschaft. Frankfurt/M. 1995, S. 161. 46 Ernst Bloch: Kampf nicht Krieg. Frankfurt/M. 1985, S. 483 (zuerst in: Vademecum für heutige Deutsche, Sept. 1918). 47 Ebenda, S. 530. 48 Egmont Zechlin: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg. Göttingen 1969. 49 Ernst Engelmann: Deutschland ohne Juden. Köln 1988, S. 460 f. 50 Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Düsseldorf 1984, S. 169. 51 Winfried Scharlau: Freibeuter der Revolution. Parvus-Helphand. Köln 1964. 52 Ebenda, S. 130.
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53 Sebastian Haffeer: Der Teufelspakt. Reinbek 1968. 54 Charlotte Beradt: Paul Levi. Frankfurt 1969, S. 20. 55 Vgl. Arnd Bauerkämper: Die ,radikale Rechte' in Großbritannien. Göttingen 1991, S. 124. 56 Edmund Walsh: The fall of the Russian Empire. Boston 1928, S. 230. 57 Horst Lademacher: Die Zimmerwalder Bewegung. The Hague 1967. 58 Vgl. Theodor Bergmann (Hrsg.): Ketzer im Kommunismus. Alternativen zum Stalinismus. Mainz 1993, S.50. 59 Theodor Bergmann: Gegen den Strom. Hamburg 1987, S. 430 f. 60 Charlotte Beradt: Paul Levi. Frankfurt/M. 1969. 61 Art. Frieda Rubiner, in: Biographisches Handbuch der Deutschsprachigen Emigration nach 1933. Mün chen 1980. 62 Rosa Luxemburg: Spartakus spricht. Kampfdokumente. Hrsg. KurtZeisler. Berlin 1961, S. 57. 63 Ernst Nolte: Die Krise des liberalen Systems und die faschistischen Bewegungen. München 1968, S. 38. 64 Sein Sohn Wolfgang, der in Moskau zusammen mit Markus Wolf die Komintern-Schule besucht hat, war von 1947 bis 1949 gemeinsam mit Frieda Rubiner Dozent an der SED-Parteihochschule. Er ist 1949 in den Westen geflohen und einer der glänzendsten Kritiker des Kommunismus geworden, ihm danke ich für eine Auskunft. Vgl. Wolfgang Leonhard: Spurensuche vierzig Jahre danach. Die Revolution entläßt ihre Kinder. Köln 1992. 65 Zit. nach: Lothar Peter: Literarische Intelligenz und Klassenkampf. Köln 1972, S. 73. 66 Kommunistische Internationale (1920) 13, S. 125. 67 Alfred Kantorowicz: Deutsches Tagebuch. Tl. 1. Berlin 1980, S. 18. 68 Eric Hobsbawm: Revolution und Revolte. Frankfurt/M. 1977, S. 345. 69 Rosa Luxemburg: Politische Schriften III. Hrsg. Ossip Flechtheim. Frankfurt/M. 1968, S. 19. 70 Werner E. Mosse (Hrsg.): Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923. Tübingen 1971, S. 231. 71 Nadeschda Joffe: Rückblende. Mein Leben. Essen 1997, S. 19. 72 Alois Hecker: Vor Juda's Weltherrschaft. Achern i. B. 1921, S. 7. 73 So Joseph Roth, zit. nach: ders.: Romane, Erzählungen, Aufsätze. Köln 1964, S. 611. 74 Karl Schlögel (Hrsg.): Russische Emigration in Deutschland 1918-1941. Berlin 1995, S. 109. 75 Isaak Babel: Exemplarische Erzählungen. Wien 1985, S. 138. 76 Isaak Babel: Tagebuch 1920. Berlin 1990, S. 98 f. 77 Zvi Gitelman: Jewish nationality and soviet politics. The Jewish section of the CPSU, 1917-1930. Princeton, N. J. 1972, S. 106. 78 Werner E. Mosse: Makers of the Soviet Union. In: Slavonic and East European Review (1968) 46, S. 141154. 79 Barbara E. Clements: Bolshevik women. Cambridge 1997, S. 166. 80 Matthias Messmer: Sowjetischer und postkommunistischer Antisemitismus. Konstanz 1997, S. 41. 81 In seinem Nachruf hat Stalin Swerdlow so gewürdigt: „Swerdlow war einer der Ersten, wenn nicht der Erste, der die Organisationsaufgaben beim Aufbau des neuen Rußland geschickt und reibungslos löste.“ Zit.nach: Z. Selikson-Bobrowskaja: J. M. Swerdlow. Paris 1939, S. 78. 82 Art. Clara Zetkin, in: Große Jüdische National-Biographie, Bd. 6 (Reprint Nendeln 1979). 83 Ottokar Czernin: Im Weltkriege. Berlin 1919, S. 298. 84 Sonja Margolina: Verbotene Zonen. In: Merkur (1991) 45, S. 179. 85 Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Berlin 1992, S. 71. 86 Ebenda, S. 71. 87 Hierzu Zvi Y. Gitelman: Jewish nationality and Soviet politics. Princeton, N. J. 1972. 88 Werner Haftmann: Marc Chagall. München 1978, S. 10 ff. 89 Joseph Roth: Romane, Erzählungen, Aufsätze. Köln 1964, S. 615. 90 Weltbühne (1928) 24, S. 533-535. 91 Isaac Deutscher: Trotzki. Bd. 2. Stuttgart 21972, S. 40. 92 Zvi Gitelman: Jewish nationality and soviet politics. Princeton, N.J. 1972, S. 298.
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93 Lynne Viola: Peasant rebels under Stalin. Oxford 1996, S. 39. 94 Konrad Algermissen: Die Gottlosenbewegung der Gegenwart und ihre Überwindung. Hannover 1933 S. 251. 95 Ebenda, S. XI und 4. 96 Ebenda, S. 72. 97 Ebenda, S. 53, Anm. 22. 98 Ebenda, S. 7l,Anm. 36. 99 Ebenda, S. 121. 100 Francis McCullagh: Die Verfolgung des Christentums durch die Bolschewiki. Paderborn 1926, S. 140 f. 101 Manfred Hellmann (Hrsg.): Die russische Revolution 1917. München 1964, S. 349. 102 Ebenda, S. 169. 103 George Leggett: The Cheka. Oxford 1981, S. 450. 104 Elisabeth Heresch: Nikolaus II. München 1992, S. 375. 105 Arthur Hertzberg: Wer ist Jude? München 2000, S. 265; Joseph Nedava: Trotsky and the Jews. Philadelphia 1971, S. 167. 106 Joseph Nedava: Trotsky and the Jews. Philadelphia 1971, S. 168. 107 Alle wichtigen Tschekisten sind abgehandelt in der grundlegenden und materialreichen Arbeit von George Leggett: The Cheka. Lenin's political police. Oxford 1981. 108 Isac Steinberg: Als ich Justizkommissar war. München 1929, S. 60. 109 Ebenda, S. 50. 110 Ebenda, S. 9. 111 Heinz Abosch: Trotzki-Chronik. München 1973, S. 52. 112 Anatoli Lunatscharski: Profile der Revolution. Frankfurt/M. 1968, S. 93 ff. 113 Werner Sombart: Der proletarische Sozialismus (Marxismus). Bd. 2. Jena 1924, S. 468. 114 Kai-Uwe Merz: Die deutsche Linke und der Bolschewismus. Diss. Berlin 1990, S. 49. 115 Christopher Andrew und Oleg Gordiewsky: KGB. München 1990, S. 87. 116 Louis Rapoport: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin 1992, S. 45. 117 Helmut Tiedemann: Sowjetrußland und die Revolutionierung Deutschlands. Berlin 1936, S. 65. 118 Kai-Uwe Merz: Das Schreckbild. Deutschland und der Bolschewismus 1917 bis 1921. Berlin 1995. 119 Sergej P. Melgunow: Der rote Terror in Rußland 1918-1923. Berlin 1924, S. 187 ff. 120 Ebenda, S. 17. 121 Ebenda, S. 27. 122 Ebenda, S. 360. 123 George Leggett: The Cheka. Lenin's political police. Oxford 1981. 124 Ebenda, S. 262. 125 Hunczak, Taras u. a. (ed.): The Ukraine. Astudy in revolution 1917-1921. Harvard 1977, S. 106 –auch die vielen russischen Mitglieder der ukrainischen KP (1922 = 53,6 Prozent) vermittelten den Nationalukrainern den Eindruck, daß es sich bei dem Sowjetregime um eine Fremdherrschaft handelte (ebenda, 106). 126 Elisabeth Heresch: Blutiger Schnee. Die russische Oktoberrevolution in Augenzeugenberichten. Graz 1987, S. 261. 127 Rossija i Evrei. Sbornik pervyj. I. M. Bikerman u.a. (Berlin 1923). Reprint Paris 1978, S. 209. 128 Vgl. Jan M. Meijer (Hrsg.): The Trotzky Papers 1917-1922. Bd. 1. The Hague 1964, S. 361 (Nr. 181), wo ein Protokoll der Politbüros wiedergegeben ist, in dem von einem „vast percentage“ von Letten und Juden in der Tscheka die Rede ist. 129 S. hierzu den ausführlichen Bericht des Osteuropahistorikers und Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Moskau, Markus Wehner: Wer waren Stalins Vollstrecker?, in: Frankfurter All gemeine Zeitung vom 30. 3. 2000, in dem er die Forschungsergebnisse des 1999 in Moskau erschienenen Buches „Kto rukovodil NKWD?“ (Wer führte den NKWD?) von Nikita Petrow und Konstantin Skorkin vorstellt. 130 Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford, Cal. 1973.
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Die Komintern als bolschewistische Weltpartei „Jetzt, wo wir diese Zeilen niederschreiben ..., hat die III. Internationale ... bereits drei Sowjetrepubliken: Rußland, Ungarn und Bayern ...In einem Jahr wird ganz Europa kommunistisch sein.“ GRIGORI SINOWJEW am 7. April 19191
Die „Kommunistische Internationale“, kurz Komintern genannt,2 wurde von Lenin und Trotzki konzipiert und offiziell auf dem ersten KominternKongreß im März 1919 in Moskau aus der Taufe gehoben. Sie stellte eine von den Bolschewiki dirigierte und finanzierte weltrevolutionäre Konkurrenzorganisation zur II. Sozialistischen Internationale dar. Diese hatte sich in den Augen der Linksradikalen durch das Bekenntnis der Sozialdemokraten zur Vaterlandsverteidigung und zur „bürgerlichen“, parlamentarischen Demokratie diskreditiert. De facto agierte der „Generalstab der Weltrevolution“ schon bevor er offiziell installiert wurde. Seine Keimzelle war die von Radek geleitete Presseabteilung des von Trotzki geführten sowjetrussischen Außenmmisteriums. Mit den Komintern-Parteien, die lediglich „Sektionen“ der bolschewistischen Weltpartei darstellten, schuf sich die Sowjetführung einen ihr ergebenen, von ihr finanziell abhängigen Apparat. So dirigierte und überwachte der Kominternagent „Max“, wie sich der von Rosa Luxemburg abschätzig als „Kommissar für Bolschewismus“ titulierte Radek nannte, im Dezember 1918 in Berlin die Gründung der KPD. Erster Präsident der Komintern wurde Sinowjew, der als jüdischer Bürgersohn durch eine „unproletarische Eleganz und die Neigung zum Luxus sprichwörtlich“ wurde3 und das „Urbild eines revolutionären Agitators“ verkörperte.4 Zu seiner Sekretärin machte er die aus einer wohlhabenden jüdischen Familie Südrußlands stammende Angelika Balabanoff.
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Sie hatte seit längerem in Italien gelebt und den Stuttgarter Kongreß der Sozialistischen Internationale von 1907 in Begleitung ihres italienischen Genossen Benito Mussolini besucht! Angelika Balabanoff, eine zierliche Intellektuelle, fühlte sich von dem terroristischen Bolschewismus bald abgestoßen und wurde 1920 als Kominternsekretärin durch Radek ersetzt. Sie kehrte nach Italien zurück, sagte in ihren vielbeachteten Memoiren der Sowjetdiktatur ab und trat erneut in die Sozialistische Partei Italiens ein. Auf dem II. Weltkongreß der Komintern wurde beschlossen, daß jede kommunistische Partei die Weltrevolution mit „legalen und illegalen Mitteln“ zu fördern hatte. Die illegale Arbeit der Kommunisten schloß die Anfertigung gefälschter Pässe, die Planung und Durchführung von Mordanschlägen sowie die Anzettelung und Durchführung von bewaffneten Aufständen/Revolutionen ein. Bevor dies näher ausgeführt wird, ist hier zunächst die Organisations- und Personalstruktur der Komintern darzulegen. Auf den jährlichen Kominternkongressen5 wurde als engerer Führungszirkel das Exekutivkomitee – kurz EKKI genannt – gewählt, dem der Präsident vorstand. Im Jahre 1921 bildeten unter dem Vorsitz des von Lenin in dieses Amt gehobenen Sinowjew sechs Personen das engere Büro der Exekutive. Es handelte sich dabei um den in Kiew geborenen Franzosen Boris Souvarine (Lifschitz), den Ungarn Bela Kun, den aus Galizien stammende Radek (Sobelsohn), den Italiener Egidio Gennari, den Deutschen Fritz Heckert und den Russen Nikolai Bucharin. Von diesen stammten außer dem Präsidenten die ersten drei und somit die Hälfte aus jüdischen Familien. Daß die Verkehrsprache auf den Komintern-Kongressen das Deutsche gewesen ist, hängt wohl damit zusammen, daß die jüdischen Kommunisten, soweit sie nicht ohnehin aus deutschsprachigen Ländern kamen, meist das Jiddische und damit eine Variante des Deutschen („Judendeutsch“) beherrschten. So sprach Sinowjew fließend deutsch, und von Trotzki wird berichtet, daß er das Deutsche mit einem jiddischen Akzent sprach. Unter den jüdischen Delegierten auf den frühen Komintern-Kongressen seien hier auf der Basis der Auswertung der einschlägigen wissenschaftlichen Personallexika6 die prominentesten genannt. Dabei wird angemerkt, daß es neben gewählten Vertretern auch ernannte gegeben hat und daß die Kommunisten mit dem demokratischen Vertretungsprinzip recht großzügig umgegangen sind. So „vertrat“ das in Galizien geborene ehemalige Bund-Mitglied David Lipec, der auch den Namen „Max Goldfarb“ führte, unter dem Namen
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„A.J. Bennett“ die britischen Kommunisten 1928 im Exekutivkomitee der Komintern. Und der in den USA unter einem Decknamen residierende Kominternagent Gerhard Eisler, der Sohn des jüdischen Wiener Philosophen Robert Eisler7 und spätere Vorsitzende des Staatlichen Rundfunkkomitees der DDR, hat die Kommunistische Partei der Vereinigten Staaten auf dem Moskauer Komintern-Kongreß von 1935 repräsentiert! Auf den Komintern-Kongressen begegnet uns in Moskau die Elite der jüdischen Kommunisten Sowjetrußlands, zu denen noch nach Rußland übergesiedelte und im Komintern-Apparat beschäftigte Nichtrussen stießen. Unter diesen seien hier als die wichtigsten hervorgehoben: Angelika Balabanoff, Samuel Guralski (Abraham Heifetz), Sergej L Gusew (Yakov Davidovich Drabkin), Leo Kamenew (Rosenfeld), Felix Ko(h)n, Bela Kun, Alexander Losowski (Solomon Dridzo), Arkadi Maslow (Isaak Tschemerinsky), Josef Piatnitzki (Ossip Aronovich), Josef Pogány (John Pepper), Karl Radek (Sobelsohn), Moisei Rafes, Jakob (auch: James) Reich (Rubinstein), David Rjasanow (Goldendach), Lasar A. Schatzkin, Grigori Sinowjew (Radomyslski beziehungsweise Apfelbaum), Grigori Sokolnikow (Brilliant), Michael A. Trílisser, Leo Trotzki (Bronstein), Josef Unszlicht. Als Ländervertreter sind bei Komintern-Kongressen erschienen: Deutschland: Ruth Fischer (Schwester von Gerhard Eisler), Leo Flieg, Paul Levi, Eugen Leviné (konnte 1919 wegen Verhaftung Moskau nicht erreichen), Arkadi Maslow (Isaak Tchemerinsky), Heinz Neumann, Frieda Rubiner, geb. Ichak, Arthur Rosenberg, Werner Scholem, August Thalheimer. Frankreich: A. E. Abramowitsch („A. Albrecht“), George Lévy, Charles Rappoport, Boris Souvarine (Lifschitz). Großbritannien: Josef Fineberg (Feinberg), D. Petrovsky (auch: Max Goldfarb beziehungsweise A. J. Bennett und David Lipec), Andrew Rothstein (C. M. Roebuck). Niederlande: David Wijnkoop. Österreich: Paul Friedländer, Franz Koritschoner. Polen: Felix Ko(h)n, Nathan Szapiro, Josef Unszlicht, Henryk Walecki (Maksymilian Horwitz), Adolf Warski (Warszawski).
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Rumänien: Alexandru Dobrogeanu-Gherea, Ana Pauker, Marcel Pauker. Schweiz: Rosa Grimm-Schlain, Moses Mandel. Tschechoslowakei: Eugen Fried, Bedrich Gminder, Josef Guttmann. Ungarn: Gyula (Julius) Alpári, Ernö Gero (Singer), Georg Lukácz, Mátyás Rákosi (Roth beziehungsweise Rosenkranz), Josef Revai, Jenö (Eugen) Varga. USA: Israel Ämter, Alexander Bittelmann, Gerhard Eisler, Benjamin Gitlow, Jay Lovestone (Jacob Liebstein), Josef Peters (Alexander Goldberger beziehungsweise Goldfarb), Alexander Trachtenberg, William Weinstone (Weinstein). Prominente Komintern-Agenten und Komintern-Presse Selbstverständlich arbeiteten in der Kominternführung auch die Leiter ihrer Sonderorganisationen mit. Also für die Rote Gewerkschafts-Internationale deren Chef Salomon A. Losowski.8 Dieser Sohn eines jüdischen Schmieds wurde von seinen Komintern-Untergebenen „höchst respektlos und treffend: Der Rebbe“ genannt!9 Die Kommunistische Jugend-Internationale vertrat deren Leiter Lasar A. Schatzkin in der Komintern.10 Er stammte aus einem wohlhabenden jüdischen Hause und hat den sowjetischen Jugendverband „Komsomol“ begründet. Des weiteren begegnet uns in der Komintern die Vorsitzende des Internationalen Frauensekretariates, die später an der Kremlmauer beigesetzte Clara Zetkin. Sie war Nichtjüdin,11 ist aber wie manch anderer „arische“ Kommunist wohl auch wegen ihres früh verstorbenen jüdisch-russischen ersten Mannes als Jüdin diffamiert worden. Publizistisch agierte die Komintern durch die ab Mai 1919 erscheinende und von Sinowjew zusammen mit Radek redigierte Kommunistische Internationale sowie ihre Internationale Pressekonferenz (Inprekorr). Diese Organe hatten in der im Krieg von den Zimmerwäldern veröffentlichten Jugend-Internationale einen Vorläufer. In diesem Blatt geißelte Radek am lMai 1917 die „Verbrecher“, die die Menschheit in den „Abgrund“ des Krieges geworfen hätten.12 Hier hat Felix Lewinsohn im Oktober 1917 in einem
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Bericht über die Sozialistische Jugendbewegung in Deutschland gerufen: „Es lebe die deutsche, es lebe die internationale sozialistische Revolution!“13 Auch Robert Danneberg,14 Sohn eines Wiener Verlegers, der 1908 zum Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale berufen wurde, 1909 aus der jüdischen Kultusgemeinde austrat und seit 1919 de facto Zentralsekretär der Sozialistischen Partei Österreichs war, schrieb für die JugendInternationale. Der nach dem Krieg in die Führungsspitze der neuen Kommunistischen Partei Frankreichs aufgerückte gebürtige litauische Jude Charles Rappoport hat als Internationalist in diesem Blatt den französischen Nationalismus für „ebenso gefährlich wie den preußischen“ erklärt!15 Sein 1895 in Kiew als Boris Lifschitz geborener und ebenfalls in die Führungsspitze der KP Frankreichs aufgerückter Mitstreiter Boris Souvarine16 gab mit Hilfe von Komintern-Geldern das Bulletin Communiste heraus. Souvarine, der 1919 eine Eloge des bolsheviks verfaßt hat, gehörte für Frankreich dem Exekutivkomitee der Komintern an, wurde jedoch als Dissident bereits 1924 aus der KP ausgeschlossen. Er ist einer der konsequentesten Kritiker Stalins geworden, der so weit ging, zu behaupten, es habe „Hitler ... viel von Stalin kopiert, vor allem in bezug auf die Konzentrationslager“.17 Die in dem Berliner KPD-Gebäude in der Friedrichstraße bis 1932 untergebrachte Zentralredaktion der Internationalen Pressekonferenz™ der Komintern hatte eine Reihe nationaler Ausgaben. Für die österreichische zeichnete das KPÖ-Mitglied Johannes Wertheim verantwortlich. Im Krisenjahr 1932 wurde die Inprekorr eingestellt, ihre Nachfolgerin war die ebenfalls von der Komintern getragene und in Zürich angesiedelte „Rundschau Nachrichten-Agentur“, kurz RUNA genannt. Als leitender Redakteur der RUNA fungierte Theo Pinkus, der für die Presseabteilung der Komintern arbeitete.19 Pinkus, der nach seinem Freund Robert Jungk seine „stalinistisch-parteitreue Periode“ überwinden konnte,20 wird in der ihm 1992 gewidmeten Festschrift als „Jude, Kommunist und Schweizer“ gewürdigt.21 Der aus einer Breslauer Familie stammende Pinkus hat in der Züricher Froschaugasse die nach ihm genannte Genossenschaft, eine auf Socialistica spezialisierte Antiquariatsbuchhandlung begründet und wurde nicht nur Lieferant seltener Bücher, sondern auch Freund von berühmten Sozialisten wie Ernst Bloch, Georg Lukácz22 und Herbert Marcuse. Seine historische Bedeutung liegt darin, daß er während der 68er Kulturrevolution die alte marxistische Linke mit der Neuen Linken zusammenbrachte. Durch seine
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Buchhandlung sowie das Bildungs- und Studienzentrum Stiftung Saleciana oberhalb von St. Moritz schuf er ein Freizeit- und Kulturzentrum von großer Attraktivität. Die Finanzierung der kommunistischen Parteien und Presse in aller Welt erfolgte durch Moskau. Die Kontaktmänner für die Bolschewiki im Westen waren anfänglich überwiegend Sozialisten ostjüdischer Herkunft. So lud Lenin den für die Prawda über die britische Arbeiterbewegung schreibenden Josef Fineberg (Feinberg) im Januar 1919 nach Moskau ein. Da auf dem Gründungskongreß der Komintern im März 1919 keine offizielle britische Delegation erschien, vertrat Fineberg dort die „englische kommunistische Gruppe“ mit beratender Stimme.23 Eine maßgebliche Rolle bei der Gründung der britischen kommunistischen Partei spielte der aus einer jüdisch-litauischen Familie stammende Feodor (Theodor) Rothstein.24 Der in Rußland geborene Rothstein war 1890 nach England emigriert und stand im Kontakt mit Lenin. Er hat für die Prawda geschrieben und verteilte in England konspirativ Moskauer Gelder an britische Sozialisten.25 Nach seiner 1920 erfolgten Ausweisung wurde er sowjetrussischer Botschafter in Persien. Sein 1898 in England geborener Sohn Andrew gehörte unter dem Namen „C. M. Roebuck“ zu den führenden Mitgliedern der britischen kommunistischen Partei. Er wurde 1923 ins Zentralkomitee und 1924 ins Politbüro gewählt und vertrat die britische KP 1928 auf dem Komintern-Kongreß. Nach Amerika schleuste der zum Millionär gewordene Lenin-Freund Armand Hammer die Sowjetgelder ein. Er stammte aus einer jüdischen Familie Odessas, die vor den Pogromen geflohen war.26 Gleich dem französischen Bulletin Communiste ist auch das Schweizer kommunistische Blatt Le Phare von der Komintern finanziert worden und zwar über deren Wiener „Südbüro“. Dessen Leiter war damals Josef Krasny,27 der als Josef Rotstadt in Polen geboren und als Mitglied der SDKPiL mit Rosa Luxemburg, Josef Unszlicht und Felix Dserschinski befreundet war.28 Nach seiner Befreiung aus der sibirischen Verbannung nahm Krasny an der Oktoberrevolution teil. Anschließend ging er als Emissär der Komintern nach Wien, wo er Agitprop-Arbeit auch für den Balkan leistete. Unterstützt wurde Krasny dabei von dem Komintern-Mitarbeiter Gerhard Eisler. Auch in den Niederlanden treffen wir auf einen Komintern-Agenten aus jüdischer Familie. Er hieß Max Friedmann, agierte unter dem Namen „Maximow“ und beherrschte mehrere Sprachen fließend.29
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Als Kontaktvermittlerin zwischen der Schweiz und Wien trat Rosa Bloch30 in Erscheinung, die in Zürich zu der Gruppe um Lenin gehört und an der 3. Zimmerwalder Konferenz in Stockholm vom September 1917 teilgenommen hatte.31 Sie verfaßte für den II. Weltkongreß der Komintern einen Bericht über die kommunistische Frauenbewegung in der Schweiz32 und ist von der Schweizer Rechtspresse als Jüdin diffamiert worden.33 Der eigentliche Kopf der Inprekorr war Gyula (Julius) Alpári, der während der ungarischen Räterepublik das Pressebüro von Bela Kun geleitet hatte und ungarisches ZK-Mitglied gewesen ist. Der aus einer bürgerlichen jüdischen Familie stammende Alpári hatte sich bereits als Gymnasiast dem Marxismus zugewandt.34 Nach dem Sturz der Räteherrschaft floh er in die Tschechoslowakei, wo er unter dem Namen „Marmorstein“ lebte. Im Oktober 1921 hat Alpári die Chefredaktion der deutschsprachigen Ausgabe der Inprekorr übernommen. Er wurde im November 1922 als EKKIMitglied von Lenin empfangen, gehörte dem Zentralkomitee der KP Ungarns im Exil an und wurde schließlich in einem nationalsozialistischen KZ ermordet.35 Wenn man die ersten vier Jahrgänge 1921-1924 der Inprekorr unter der hier interessierenden Fragestellung durchsieht, so fällt auf, daß mehr als die Hälfte ihrer Mitarbeiter und Korrespondenten, angefangen vom Komintern-Präsidenten bis hin zu dem Mitarbeiter in Chicago, Israel Amter, aus jüdischen Familien stammte. Der 1881 in den Vereinigten Staaten geborene Amter ist nach Ausbruch der Revolution nach Rußland gereist und hat die amerikanischen Kommunisten 1923 im EKKI vertreten. Dieser Chef der New Yorker Kommunisten bediente sich übrigens des Decknamens John Ford“.36 Aus Paris berichteten für die Inprekorr Charles Rappoport und George Lévy, aus Wien Franz Koritschoner, Viktor Stern und Johannes Wertheim, aus Sowjetrußland Frieda Rubiner und Kurt Lewien, aus Berlin Heinz Neumann, Arkadi Maslow und Arthur Rosenberg. Über amerikanische Fragen schrieb in Inprekorr unter dem Namen ,John Pepper“ der einstige Budapester Volkskommissar für Verteidigung Josef Pogány. Der nach der Großen Jüdischen National-Biographie christlich getaufte Pogány war vor der Revolution in Budapest Redakteur der sozialistischen Volksstimme, während der Räterepublik leitete er den Budapester Soldatenrat. Im Jahre 1921 trat er in die Dienste der Komintern, die ihn 1922 in die Vereinigten Staaten schickte, wo er als ,John Pepper“ zum Aufpasser und de facto zum Chef der amerikanischen KP geworden ist.37
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Des weiteren begegnet uns als Autor in Inprekorr der spätere Kulturminister der DDR, Alexander Abusch, der als Sohn eines aus Krakau stammenden jüdischen Kleinhändlers in Nürnberg religiös erzogen worden war.38 Zu ihren nichtjüdischen Autoren zählt der spätere Generalsekretär der SED und DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht. Im Jahr 1924 kündigte Ulbricht in diesem Kominternorgan an, die KPD werde die SPD „zerschlagen“!39 Der Geheimapparat der Komintern Während die kommunistische Presse zur legalen Seite der Partei gehörte, stellte ihr eng mit den sowjetischen Geheimdiensten verschränkter geheimer Apparat die konspirative dar. Eine Schlüsselrolle als „Herz der Komintern“40 spielte deren OMS (Otdel Mezdunarodnoi Svjazi = Abteilung für Internationale Beziehungen). Deren Leiter war Josef Piatnitzki,41 der als Sohn des Tischlers Ossip Aronovich geboren war und vor dem Krieg unter dem Decknamen „Freitag“ in Deutschland gelebt hatte. Piatnitzki organisierte damals den konspirativen Vertrieb von Lenins Iskra (Der Funke). Als Schatzmeister und Personaldirektor dirigierte er später das Netz der Komintern-Agenten in vielen Ländern, wobei er die kommunistischen Parteien am finanziellen „Gängelband“ Moskaus hielt.42 Piatnitzki war gleichzeitig der Verbindungsmann zum Auslandschef der Tscheka, Michael Trilisser, und zum Inlandsgeheimdienst der Sowjetunion. Den Hauptstützpunkt der Komintern außerhalb Sowjetrußlands bildete deren „Westeuropäisches Büro“, kurz WES genannt. Es war konspirativ in der sowjetischen Botschaft in Berlin untergebracht. Erster Leiter wurde im Herbst 1919 der aus der SDKPiL hervorgegangene Mieczyslaw Bronski, der als polnischer Vertreter in Zimmerwald Lenin kennengelernt hatte und 1921 als sowjetischer Botschafter nach Wien versetzt wurde. De facto war jedoch nicht er, sondern Karl Radek erster Leiter des WES. Radek hat zugleich das Amt des Komintern-Beauftragten für Deutschland wahrgenommen, wo bekanntlich der Weltrevolution zum Durchbruch verholfen werden sollte. Das WES unterhielt anfänglich eine Zweigstelle in Amsterdam. Deren Präsident war der Rabbinersohn David Wijnkoop,43 ein Mitbegründer der niederländischen KP. Wijnkoop stand seit 1915 in Kontakt mit Lenin und vertrat die niederländischen Kommunisten 1920 auf dem II. Komintern-
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Kongreß. Mit seinem Versuch, eine „Westliche Komintern“ zu gründen, das heißt die europäischen Kommunisten von dem beherrschenden Einfluß Moskaus zu befreien, ist er gescheitert.44 Nach Viktor Serge bildete Radek gemeinsam mit Lenin, Trotzki und Bucharin „das Gehirn der Revolution“. Vielleicht trifft aber die Bemerkung Isaac Deutschers noch genauer, der davon sprach, Radek habe „wie ein Maulwurf unterirdische Gänge“ angelegt.45 Sein OMS-Nachfolger wurde Ende 1921 zunächst Jakob Mirow-Abramow,46 ein jüdischer Russe, der vor dem Krieg in Deutschland studiert hatte und als 3. Sekretär der Sowjetbotschaft getarnt war. Nach seiner Rückkehr nach Moskau stieg er zur rechten Hand des Komintern-Chefs Dmitri Manuilski auf. Sein Nachfolger in Berlin wurde der in Galizien unter dem Namen Jakob (auch: ,James“) Reich geborene legendäre „Genosse Thomas“, der auch den Namen Rubinstein führte.47 Dieser „Mann des totalen Untergrunds“ hatte in der Schweiz studiert und 1918 in Bern die Russischen Nachrichten herausgegeben. Als enger Vertrauter Trotzkis bereitete er den Gründungskongreß der Komintern vor und gehörte deren Exekutivkomitee an. Die außergewöhnliche Machtstellung des „Genossen Thomas“ beruhte darauf, daß er als Vertrauter Radeks, Sinowjews und Bucharins zwischen 1919 und 1925 mehrere hundert Millionen Reichsmark für die Komintern verausgabte! Die mittel- und westeuropäischen kommunistischen Parteien waren von dem mysteriösen „Dicken“, dessen Finanzgebaren undurchsichtig blieb und der sich mit Veruntreuungsvorwürfen auseinandersetzen mußte, völlig abhängig. Für seine Kontakte nach Rußland standen dem „Genossen Thomas“ zwei gecharterte Flugzeuge zur Verfügung. Für den deutschen Märzaufstand von 1921 händigte er allein den aus Rußland angereisten Komintern-Emissären Bela Kun und Karl Radek jeweils zwei Millionen Reichsmark aus. Für den gescheiterten „deutschen Oktober“ soll er 50 Millionen zur Verfügung gestellt haben. Parallel zur Ausschaltung der linksradikalen Revolutionäre hat sich dieser mysteriöse Genosse 1925 von der Kominternarbeit und der Politik völlig zurückgezogen. Er überlebte den Krieg in New York. Als sein Nachfolger in der Leitung des WES begegnet uns später der aus dem Geheimdienst der Roten Armee hervorgegangene Walter Krivitsky, der als Samuel Ginsburg geboren war. Er berichtet in seinen Erinnerungen, daß ihn die „Klagegesänge meines leidenden Stammes“, die sich mit den »neuen Freiheitsliedern“ mischten, dazu verleitet hätten, Sozialist zu werden!48
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Im Zuge der „Säuberung“ hat Krivitsky von Stalin den Auftrag erhalten, die Frau seines gleichfalls jüdischen Freundes „Ludwig“, das ist Ignaz Reiss, zu ermorden, was ihn zum Bruch mit dem Sowjetsystem veranlaßte. Der in Rußland geborene Ignaz Reiss war Chef des sowjetrussischen Geheimdienstes GPU für Westeuropa. Den unter dem Decknamen „Eberhardt“ operierenden Reiss liquidierten dann GPU-Agenten im September 1937 in der Schweiz, weil er einen herausfordernden Brief an Stalin geschrieben hatte, in dem er die Säuberungen in Rußland als „gräßlichen Wahnsinn“ geißelte.49 Krivitsky schrieb in seiner 1940 in Amsterdam vorgelegten Abrechnung Ich war im Dienst Stalins, die Sowjetunion sei durch die „Säuberung“ (Tschistka) „zu einem riesigen Tollhaus“ geworden. Dabei bemerkte er bitter: „Es ist nicht komisch, wenn die Freunde und Kameraden eines langen Lebens über Nacht verschwinden.“50 Diese couragierte Kritik hat Krivitsky mit dem Leben bezahlt, er wurde Anfang 1941 in einem Hotel in Washington offensichtlich durch sowjetische Agenten als Verräter ermordet. Unter den wichtigsten Agenten der Komintern beziehungsweise der sowjetischen Nachrichtendienste seien hier noch diese kurz vorgestellt: Leopold Trepper, der grand chef der von Brüssel aus geleiteten „Roten Kapelle“, in der jüdische Agenten eine herausragende Rolle spielten.51 Des weiteren der camarade Harry genannte Henri Robinson. Dieser in Frankfurt geborene Jude war als KPD-Mitglied in der Kommunistischen JugendInternationale engagiert gewesen. Er unterstand zunächst Mirow-Abramow in Berlin und dann direkt Piatnitzki in Moskau. In Frankreich zog er ein großes Spionagenetz mit 1200 Korrespondenten auf.52 Während camarade Harry in Frankreich die Untergrundaktivitäten des sowjetischen Geheimdienstes leitete und der Rabbinersohn Roger Solomon Ginsburger unter dem Namen „Pierre Vìllon“ das OMS-Büro in Paris dirigierte,53 betätigte sich der Genosse Clément als Aufseher der Komintern über die KP Frankreichs.54 Er war im Jahre 1900 in der Slowakei als Eugen Fried geboren worden. Schatzmeister der französischen KP und damit ihr Verbindungsmann zur OMS war der legendäre und mysteriöse Genosse ,Jean Jérôme“, der 1906 als Michel Feintuch 1906 in Galizien zur Welt gekommen war.55 Der Komintern-Aufseher über die britische KP war D. Petrovsky (Max Goldfarb),56 aus dem jüdischen Arbeiterbund hervorgegangen und vor dem Krieg in New York Herausgeber des Daily Forward. Er trat auch unter
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Namen „A. J. Bennett“ auf, war mit der britischen Kommunistin Rose Cohen verheiratet und fiel wie sie den Säuberungen Stalins zum Opfer. In der deutschen KP war der 1891 als Sohn jüdisch-russischer Eltern geborene Isaak Tschemerinsky, der den Namen Arkadi Maslow annahm und an der Berliner Universität studiert hatte,57 ein Vertrauensmann der Komintern. Dieser zweite Lebensgefährte von Ruth Fischer, geb. Eisler, wurde 1924 in das ZK der KPD sowie deren Politbüro gewählt. Ohne Wissen ihrer Parteizentrale haben beide, nach ihrer 1924 erfolgten Wahl in das Exekutivkomitee der Komintern, Geheimberichte aus Berlin an Radek und Sinowjew in Moskau geschickt und damit deutlich gemacht, wem ihre höchste Loyalität galt.58 Selbstverständlich darf man die vorgestellten jüdischen Revolutionäre nicht als bezahlte Agenten bewerten, schon gar nicht als Agenten des als politische Handlungseinheit überhaupt nicht existierenden Judentums, was antisemitische Verschwörungstheoretiker unterstellten. Vielmehr hatten die gläubigen Soldaten der Weltrevolution das „reaktionäre“ Judentum hinter sich gelassen. Wie Karl Radek glaubten sie daran, daß der „revolutionäre Endkampf... in das gelobte Land des Sozialismus“ fuhren werde!59 Robert Jungk teilt die erstaunliche Tatsache mit, daß der für die Inprekorr schreibende Ex-Mann von Ruth Fischer, Paul Friedländer, seinen Beruf als „Welt-Revolutionär“ angegeben habe. Für ihn sei diese Berufsbezeichnung ebenso „selbstverständlich“ gewesen wie die eines „Vertreters für Textilien“.60 Zu den besonders erfolgreichen Sowjetagenten gehörte ohne Zweifel Arnold Deutsch („Otto“), der Sohn eines orthodoxen jüdischen Kaufmanns in Wien. Er arbeitete in der eigenartigen Sex-Pol Bewegung von Wilhelm Reich mit, trat später in die Dienste des sowjetischen Geheimdienstes und brachte es zum Führungsoffizier des als Sowjetagent berühmt gewordenen britischen Diplomaten Kim Philby. Dieser hat sich 1933/34 in Wien aufgehalten und heiratete hier die aus jüdisch-polnischer Familie stammende Litzi Kohlmann, die ihn in den kommunistischen Untergrund einführte.61 Den geheimen Apparat der amerikanischen Kommunistischen Partei (CPUSA) leitete von 1930 bis 1938 der aus einer jüdischen Arbeiterfamilie stammende Josef Peters. Er hatte an der ungarischen Räterepublik teilgenommen und führte gleich anderen Komintern-Agenten diverse Decknamen.62 Weiter ist hervorzuheben die Leiterin des Agentenrings in Washington Hede Massing. Diese Enkelin eines Rabbiners war in erster Ehe mit dem Kominternagenten in den Vereinigten Staaten, Gerhard
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Eisler, verheiratet. Sie hat übrigens ihren OMS-Chef Mirow-Abramow als „schlauen, kultivierten Ostjuden“ charakterisiert.63Neben ihr ist hier noch auf Jacob Golos und Shnil Kogan hinzuweisen. Der ukrainische Jude Jacob Golos hat als „Timmy“ in den USA ein großes Agentennetz aufgezogen.64 Er war Führungsoffizier von Elizabeth Bentley, die als Absolventin des exklusiven Vassar-College über hervorragende gesellschaftliche Kontakte verfügte. Der ebenfalls in der Ukraine geborene Shnil Kogan, der nach Kanada emigrierte und von 1929 bis 1931 in Moskau die Komintern-Schule besucht hatte, wurde als „Sam Carr“ zweiter Mann der Kommunistischen Partei Kanadas und deren Organisationssekretär. Als sowjetischer Agent entlarvt, verurteilte ihn ein Gericht zu sechs Jahren Haft.65 Als Fazit kann hier festgehalten werden, daß die kommunistischen Parteien und auch der Geheimapparat der Komintern in einer ganzen Reihe von Ländern wesentlich von ostjüdischen „roten Assimilanten“ geprägt waren. Die Exkommunisten Annie Kriegel und Stephane Courtois haben in ihrem Buch über den als „großes Geheimnis“ der französischen Kommunistischen Partei bezeichneten Eugen Fried festgestellt, daß „die reisenden Funktionäre der Komintern fast ausnahmslos Juden“ waren.66 Da die Historikerin Annie Kriegel als I6jähriges jüdisches Mädchen der französischen KP beitrat, kommt ihrer Feststellung über die Verwicklung eines „extremen Flügels der jüdischen Welt in das tragische Abenteuer des Kommunismus im 20. Jahrhundert“67 besonderes Gewicht zu. Diese Teilhabe am Kommunismus spiegelt sich übrigens auch darin, daß es innerhalb einer ganzen Reihe von nationalen kommunistischen Parteien, wie in Sowjetrußland (bis 1930), Polen, der Tschechoslowakei, Österreich, Frankreich (bis 1937) und auch den Vereinigten Staaten jeweils jüdische Sektionen oder Arbeitsgemeinschaften gab. Daß die jüdischen Kommunisten eine Minderheit in der Judenheit darstellten und deswegen keinesfalls mit den Juden gleichgesetzt werden dürfen, verdeutlicht die unbestreitbare Tatsache, daß das Judentum Mittel- und Westeuropas ganz überwiegend bürgerlich-liberal oder sozialdemokratisch ausgerichtet war. Selbstverständlich stellte die große Mehrheit der demokratischen Juden ebenso wie natürlich die jüdischen Frommen entschiedene Gegner des religions-, eigentums-, und freiheitsfeindlichen Sowjetsystems. Ein aktiver Kämpfer gegen den Bolschewismus war etwa der britische Agent Sidney Reilly. 1874 in Polen als Sigmund Rosenblum geboren, beherrschte er mehrere Sprachen und organisierte im August 1918 den
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gescheiterten schwörung.68
antibolschewistischen
Putsch,
die
sog.
Lockhard-Ver-
Schauplätze der Weltrevolution Berlin Unter dem Botschafter Adolf Joffe war die sowjetrussische Botschaft nach dessen eigenen Worten das „Stabshauptquartier der deutschen Revolution“. Joffe hat seinem Gesprächspartner Louis Fischer berichtet: „Wir wollten den monarchistischen Staat am Ende des Krieges stürzen.“69 Zu diesem Zweck nahm er einige Dutzend Spartakisten in seinen Dienst, unter ihnen den in St. Petersburg geborenen und in Deutschland naturalisierten Eugen Leviné. Dieser frühere Heidelberger Student wurde Referent für deutsche Fragen. Joffe engagierte auch den früheren í/orzw?>t.$--Redakteur und späteren KPD-Chef Ernst Meyer. Meyer hat nach der standrechtlichen Hinrichtung seines Freundes Eugen Leviné dessen Witwe Rosa geheiratet. Diese war in Weißrußland als zwölftes Kind des Rabbiners Niessen Broido geboren worden und hatte in ihrer Jugend als Schauspielerin in einem jüdischen Theater gearbeitet. Als zuletzt in London lebende und noch von Rudi Dutschke aufgesuchte Emigrantin hat Rosa Meyer-Leviné hochinteressante Erinnerungen hinterlassen.70 Als Karl Liebknecht im Oktober 1918 aus der Haft entlassen wurde, veranstaltete Joffe ein Festessen in der sowjetrussischen Botschaft. Mathilde Jacob, deren Vater ein aus Polen stammender koscherer Schlachter in Berlin war, berichtet, daß man zu diesem Anlaß das Geschirr mit dem kaiserlich-russischen Staatswappen verwandte. Erst unlängst hat man herausgefunden, daß die Rosa Luxemburg-Freundin Mathilde Jacob,71 die als Inhaberin eines Schreib- und Übersetzungsbüros firmierte, unter dem Decknamen „Lene“ eine Schlüsselfigur im konspirativen Apparat von Spartakus und KPD war.72 Anfang November 1918 wurde Joffe aus Deutschland ausgewiesen, nachdem man festgestellt hatte, daß seine Botschaft in großem Stil Propagandamaterial, Waffen und Geld für die Spartakisten beschaffte. Auch hatte sie Oskar Cohn, einem Reichstagsabgeordneten von den Unabhängigen Sozialisten, 350000 Mark sowie 50000 Rubel zur Förderung der Revolution übergeben. Oskar Cohn war Rechtsbeistand des sowjetischen Botschafters.73
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Es ist unbestritten und wird in der Forschungsliteratur immer wieder betont, daß der Anteil von Juden an der kommunistischen Bewegung in Deutschland anfänglich „erheblich“ gewesen ist.74 Dieser Anteil wird in dem 1982 von Stanley Rothman vorgelegten Buch Roots of Radicalism als „heavy jewìsh component“ bezeichnet.75 Bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 0,7 Prozent betrug der Anteil von Juden an der kommunistischen Reichstagsfraktion bis 1925 etwa 10 Prozent. Ähnlich wie nach 1917 in Sowjetrußland sind jüdische Kommunisten jedoch in den oberen Rängen der KPD-Hierarchie zuerst weit stärker vertreten gewesen als an der Basis. So waren auf dem Gründungsparteitag der KPD, auf dem der Kominternagent „Max“ (Karl Radek) in russischer Uniform als „Geburtshelfer der deutschen Revolution“76 agierte, etwa ein Drittel der Redner jüdisch. Das erste Zentralkomitee der KPD umfaßte mit Paul Levi, August Thalheimer, Leo Jogiches und Rosa Luxemburg ebenfalls ein Drittel jüdische Kommunisten.77 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sind im Verlauf des Berliner Januar-Aufstandes ermordet worden. Ihren Tod hat der Anarchist Erich Mühsam in seiner Zeitschrift für Menschlichkeit namens Kam so kommentiert: „Die Christusgeschichte hat eine entsetzliche Wiederholung erfahren“.78 Der Januar-Aufstand von 1919 in Berlin, der die „Diktatur des Proletariats“ aufzurichten und die „bürgerliche“ parlamentarische Demokratie zu verhindern suchte, war ein Bürgerkrieg, der mehr als tausend Tote gekostet hat und bei dem Maschinengewehre, Flugzeuge und Artillerie eingesetzt worden sind.79 Über diesen kommunistischen Umsturzversuch schrieb damals der sozialdemokratische Vorwärts: „Ein gewisser Levi und die maulgewaltige Rosa Luxemburg, die nie am Schraubstock oder in der Werkstatt standen, sind dabei, alles zu ruinieren, was wir und unsere Väter erträumten.“80Dieser Bürgerkrieg, der das Ausweichen der Verfassunggebenden Nationalversammlung nach Weimar notwendig machte, wird heute nur selten angesprochen. Vielen ist es peinlich, daß sich damals die Sozialdemokraten unter Friedrich Ebert und Gustav Noske gezwungen gesehen haben, zur Abwehr der kommunistischen Diktatur mit der alten Militärelite sowie mit militant-konterrevolutionären Freikorps zu paktieren. Wie ernst man die Lage einschätzte, wird dadurch beleuchtet, daß die deutsche Regierung den Entente-Mächten im November 1918 eine Botschaft zugehen ließ, in der sie darum bat, die Feindseligkeiten wiederaufzunehmen, wenn die Kommunisten die Oberhand gewönnen. Friedrich
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Ebert erklärte sogar im Dezember 1919, daß „es gut wäre, wenn die Alliierten Berlin besetzen und die Stadt vor dem Bolschewismus schützen würden“.81 Tatsächlich ist damals bei den Entente-Mächten die Furcht vor dem Bolschewismus so groß gewesen, daß Ende 1918 die Deutschland-Experten im Londoner Foreign Office empfahlen, durch alliierte Truppen ein Abschwenken der Deutschen ins Lager der Leninschen Weltrevolution zu verhindern.82 Immerhin hat auf dem Gründungskongreß der KPD Paul Levi klargemacht, daß „der Weg des Proletariats zum Sieg“ nur „über die Leiche der Nationalversammlung“ hinweggehen kann.83 Die amerikanische Biographin von Rosa Luxemburg schreibt über den nach den Januarmorden von 1919 zum faktischen KP-Chef aufgestiegenen Leo Jogiches: „Wie ein Kommandeur, der den Einmarsch in fremdes Territorium plant, entwarf Jogiches die Strategie für die Operation Deutschland bis hinunter ins kleinste Detail!“84 In dem Nachruf der Wiener Ausgabe der Inprekorr auf den im März 1919 von der preußischen Polizei erschossenen Leo Jogiches wird dieser als „Blutzeuge des Kommunismus“ und „Eckpfeiler der Spartakusbewegung“ gerühmt.85 Vor dem Einsturz des Sowjetimperiums erschien es vielen nicht opportun, mitzuteilen, daß das von bewaffneten Kommunisten besetzte sozialdemokratische Vorwärts-Gebäude in Berlin im Januar 1919 mit Maschinengewehren und Geschützen befreit worden ist und daß der – jüdische – sozialdemokratische Vorwärts-Chefredakteur Friedrich Stampfer am 24. Dezember 1918 diese Alternative aufgezeigt hat: „Volksherrschaft oder Verbrecherherrschaft.“86 Manch einem ist bis heute unangenehm, daß der Vorwärts am 12. Januar 1919, und somit in der höchsten Erregung des Bürgerkrieges, die mit ihren jüdischen Familiennamen angesprochenen „Braunstein (Trotzki), Luxemburg und Sobelsohn (Radek)“ als „Rußlands Asiaten und Mongolen“ bezeichnet hat. Rosa Leviné, deren Mann Eugen Leviné damals den Roten Vorwärts herausgab, hielt sich in jenen Tagen als Patientin in einem Berliner Krankenhaus auf. Sie berichtet, daß dort „alles schrie und tanzte vor Freude“, als das Extrablatt mit der Nachricht von der Ermordung der beiden KPD-Führer Liebknecht und Luxemburg erschien.87 Auf der beispielsweise durch Ruth Fischer/Elfriede Eisler verkörperten Gegenseite hat diese Nachricht einen „Weinkrampf“ ausgelöst.88
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Zum Nachfolger der ermordeten KP-Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurde der Bankiersohn Paul Levi gewählt. August Thalheimer, ein jüdischer Fabrikantensohn aus Württemberg und Vertrauter Radeks, übernahm die Nachfolge Rosa Luxemburgs als Chefredakteur der Roten Fahne. Damit war er der neue „theoretische Führer“ der KPD,89 den die Weltbühne 1924 ironisch als ihren „Großsiegelbewahrer“ titulierte!90 Als Gehilfe von Leo Jogiches wurde der aus einer jüdischen Berliner Familie stammende Bankangestellte Leo Flieg91 praktisch dessen Nachfolger. Als graue Eminenz hat Leo Flieg bis 1932 das Amt des Sekretärs im Org-(anisations)Büro des ZK der KPD bekleidet. Flieg vertrat den deutschen Kommunistischen Jugendverband (KJV) in der Moskauer Jugendinternationale und rückte zu deren Präsidenten und Vertreter in der Komintern auf. Ebenso wichtig wie Fliegs organisatorische war seine konspirative Tätigkeit als deutscher Verbindungsmann zum Komintern-Geheimdienst OMS. Der schweigsame Flieg verwaltete die geheimen Fonds, die – in Dollarwährung – aus Moskau über die Russische Botschaft in Berlin nach Deutschland flossen.92 Die hier vom „Genossen Thomas“ für die Komintern verteilten Millionen dienten nicht zuletzt dem Aufbau einer in Proletarische Hundertschaften93 gegliederten Roten Armee, die nach einem „Guerillakriegskonzept“94 in Deutschland die Macht erobern sollte. Bei der „Märzaktion“ von 1921 handelte es sich nach dem sozialdemokratischen Hamburger Echo um einen „kommunistischen Putschversuch“, der ein „Verbrechen am Volk, an der Arbeiterklasse“ darstellte.95 Wegen des Aufstandes mußte Reichspräsident Ebert am 24. März 1921 den Ausnahmezustand ausrufen. Die treibende Kraft bei diesem von Moskau inszenierten Putsch war die damalige „Großmacht in der Komintern“: Bela Kun. Er erwartete vom Erfolg der Erhebung eine Signalwirkung auf Westeuropa, speziell auch auf das konterrevolutionäre Ungarn Admiral Horthys.96 Zur Durchführung des Militärputsches machten sich im Januar 1921 vierundzwanzig russische Bürgerkriegsexperten auf den Weg nach Deutschland. Sie wurden angeführt von Bela Kun, Josef Pogány, dem Verteidigungskommissar der Budapester Räterepublik, sowie Samuel Guralski. Letzterer sollte den Generalstab des Revolutionskomitees – kurz Revkom – anführen.97 Guralski war in Polen als Abraham Heifetz geboren, hatte einst den marxistischen Zionisten der Poale Zion angehört und führte wegen seiner Statur als Kominternagent den Spitznamen „Kleine“ beziehungsweise „Le Petit“!98
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Großspurig verkündete Bela Kun am 18. März 1921 in der Roten Fahne den Beginn des deutschen Bürgerkrieges mit den Worten: „Die proletarische Revolution ist die Bewaffnung des Proletariates und die Entwaffnung der Bourgeoisie ... so muß das Proletariat ... PFEIFEN AUF DAS GESETZ.“99 Im Vorfeld zu diesem Aufstand führte der Geheimapparat der Komintern im Berliner Tiergarten bei dessen morgendlichem Ausritt einen – gescheiterten – Mordanschlag auf den Chef der Heeresleitung, Generaloberst Seeckt, durch. Ihn hatte der Komintern-Chef Grigori Sinowjew als „deutschen Koltschak und die größte Gefahr für die Arbeiter“ zur Tötung freigegeben.100 Der mitteldeutsche Aufstand mit dem Zentrum Leuna wurde am 29. März 1921 von 21 Hundertschaften der preußischen Bereitschaftspolizei und einer Reichswehrbatterie niedergeschlagen. Die Sicherheitskräfte gingen gegen 4000 bewaffnete Arbeiter vor, die über Maschinengewehre verfügten. Bei dem Gefecht gab es 180 Tote, davon 35 Polizisten.101 Der KPD-Führer Brandler wurde im Gefolge dieses Aufstands wegen Hochverrats zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.102 Der KPDFührer Paul Levi, der später Stalin als „Dschingis Khan“ verurteilte, geißelte den Märzaufstand als „größten Bakuninistenputsch in der bisherigen Geschichte“.103 Ihn hätten aus Moskau angereiste „Turkestaner“ angezettelt. Paul Levi brach mit der KPD und trat wieder der SPD bei. Noch größer angelegt als diese „Märzaktion“ von 1921 war der „deutsche Oktober“ von 1923. Wie sein anspruchsvoller Name besagt, sollte er ein Pendant der Oktoberrevolution werden und die Weltrevolution nach Mittel- und Westeuropa tragen. Sein Scheitern signalisierte das Ende der weltrevolutionären Bestrebungen und bahnte Stalin den Weg zur Macht. Der „deutsche Oktober“,104 dessen politischen Hintergrund das Krisenjahr 1923 mit der Ruhrbesetzung durch Frankreich, die Hyperinflation sowie die separatistischen Bestrebungen im Rheinland bildeten, war am 28. August 1923 auf einer geheimen Politbüro-Sitzung im Kreml beschlossen worden. Die Ausführung sollte die Komintern übernehmen. Diesem „Oktober“ wurde in Rußland solche Bedeutung zugemessen, daß man dort Plakate mit der Aufschrift aufstellte: „Russische Jugend, lerne Deutsch! Der deutsche Oktober steht vor der Tür!“105 Über die Bedeutung des Vorgangs hat Stalin Thalheimer einen am 10. Oktober 1923 in der Roten Fahne publizierten Brief geschrieben. Darin heißt es: „Die kommende Revolution in Deutschland ist das wichtigste Weltereignis unserer Tage. Der Sieg der Revolution in Deutschland wird für das Proletariat in Europa
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und Amerika eine größere Bedeutung haben als der Sieg der russischen Revolution vor 6 Jahren. Der Sieg des deutschen Proletariats wird ohne Zweifel das Zentrum der Weltrevolution aus Moskau nach Berlin versetzen.“106 Mit seiner Direktive vom 1. Oktober 1923 hatte Sinowjew die „sofortige Bewaffnung von 50-60000 Mann“ in Deutschland gefordert. Die proletarische Armee sollte von Sachsen nach Berlin und von Thüringen nach München marschieren. Durch die Erklärung des Ausnahmezustandes und das Einrücken der Reichswehr in Sachsen, – wo es schon zur Bildung einer Volksfrontregierung gekommen war, wurde der „deutsche Oktober“ jedoch im Keim erstickt. Ohne seine Kenntnis läßt sich auch der HitlerLudendorff-Putsch vom 9. November 1923 nicht richtig einordnen. Angeblich aufgrund einer Kommunikationspanne haben im Rahmen des „deutschen Oktober“ die kommunistischen Hundertschaften in Hamburg den bewaffneten Aufstand eröffnet. Sein militärischer Leiter war der sowjetische Brigadier Manfred (Moses) Stern, der später im Spanischen Bürgerkrieg als Chef der XL Brigade und „Retter von Madrid“ berühmt werden sollte. Er war bei Czernowitz als Sohn eines jüdischen Pächters und Händlers geboren, hatte eine Cheder besucht und geriet im Weltkrieg als österreichischer Fähnrich in russische Kriegsgefangenschaft, wo er dann als Mitglied der KP Rußlands Karriere machte.107 In Hamburg überfielen die Rotgardisten Polizeistationen, um Waffen zu besorgen, und errichteten Barrikaden und Panzerfallen. Bei diesem Hamburger Aufstand wurden 17 Polizisten getötet und 26 verwundet.108 Auf Seiten der Aufständischen verloren 24 Kommunisten ihr Leben.109 Die bereits für Zeitgenossen ersichtliche, in ihrem vollen Ausmaß jedoch erst nach der Öffnung der Geheimarchive sichtbar gewordene Tatsache, daß es sich bei den Strategen des „deutschen Oktober“ zum großen Teil um jüdische Weltrevolutionäre gehandelt hat, konnte von Antisemiten als Beweis für Verschwörertheorien gewertet werden. Schließlich sind beim „deutschen Oktober“ Sinowjew, Trotzki und Radek Schlüsselfiguren gewesen. Radek, dem die Oberleitung übertragen wurde, hatte sich eigens zu diesem Zweck nach Deutschland begeben. Josef Unszlicht,110 der sowohl in der Roten Armee als auch in der Tscheka Leitungspositionen ausübte, sollte die Bildung der Roten Armee in Deutschland überwachen! Kleine-Guralski war zum Führer des Revolutionskomitees (Revkom) bestimmt und Lazar Stern hatte die militärischen Operationen zu leiten.111
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„Karl Marx – der moderne Moses“ auf dem neuen Berg Sinai, dem Berg des Proletariats, umgeben vom neuen Israel, der internationalen Arbeiterklasse, mit den neuen Gesetzestafeln Kapital und Kommunistisches Manifest in der Hand. Postkarte von 1906 aus Frankreich mit französischem, deutschem, englischem, russischem und jiddischem Titel.
Titelblatt der sowjetischen jiddischen Zeitschrift Kommunistische Welt vom Oktober 1919 mit dem Bild Trotzkis.
„Verraten.“ – Ein Bolschewik mit jüdischen (?) Gesichtszügen zerrt als Kuppler mit deutschem Gold das widerstrebende Rußland zu dem sich im Hintergrund die Hände reibenden Kaiser Wilhelm II. und fordert es auf: „Komm her, komm her und laß dich vom ihm küssen.“ Karikatur der englischen satirischen Zeitschrift Punch vom 12. Dezemder 1917.
Der Bolschewismus als Hintermann des kapitalistischen Judentums. Karikatur aus der Zeitschrift der schweizerischen faschistischen Bewegung Front National vom 13. Juni 1936; die letzte Zeile lautet in der Übersetzung: „Für die Gleichheit im Elend, überall Sowjets!“
Trotzki als bluttriefendes Monstrum mit Davidstern auf der Mauer des Kreml. Weißrussisches Plakat aus der Zeit des russischen Bürgerkriegs.
„Bolschewistische Freiheit“ – polnische Karikatur Leo Trotzkis, des russischen Kommissars für das Kriegswesen, aus der Zeit des Russisch-Polnischen Krieges 1920.
„Das unterirdische Rußland“ – Sozialisten und Anarchisten von denen viele jüdische Gesichtszüge tragen – etwa beim Revolutionstribunal im Zentrum – als konspirative Organisatoren der Totalumwälzung von Monarchie, Kirche und Gesellschaft. Karikatur der österreichischen satirischen Zeitschrift Kikeriki aus der Zeit der russischen Revolution von 1905.
Antireligiöse Propaganda in der Sowjetunion. Plakat der Gottlosenbewegung, das sich gleichermaßen gegen das fromme wie das säkularisierte kapitalistische Judentum wendet.
Antijudaistische Propaganda in der Sowjetunion. Dem jüdischen Proletarier fesselt der Rabbiner mit dem traditionellen Gebetsriemen die Hände, während ihm der jüdische Kapitalist das Geld aus der Tasche zieht. Karikatur aus einer Zeitschrift der Gottlosenbewegung.
Antijüdisch-antibolschewistisches Flugblatt von 1919, das auf die Konfrontation zwischen revolutionärem Kommunismus und Christentum abhebt.
Der Sowjetstern mit Hammer und Sichel triumphiert über das christliche Kreuz. Titelblatt des den Bolschewismus als Erlösungsbotschaft verklärenden Reiseberichts von Arthur Holitscher Drei Monate in SowjetRußland, 1921.
Kirchenfeindliche Agitation der FDJ aus der frühen DDR zu Beginn der sechziger Jahre. Plakat zur Werbung für die Jugendweihe .
Antichristliche Propaganda in der Sowjetunion. Plakat der Gottlosenbewegung, das den Kapitalisten zeigt, der den proletarischen Massen im Rahmen des Priesterbetrugs das Kreuz aufbürdet.
Nach dem „Oktober“ ist es im Jahre 1924 in Deutschland nochmals zu einem Aufbäumen der „Ultraradikalen“ der KPD gekommen.112 Sie lösten mit Moskauer Hilfe auf dem Frankfurter Parteitag die zu Sündenböcken für das Oktober-Fiasko gemachten KP-Führer Brandler und Thalheimer ab. Von den sechs neuen KP-Führern waren mit Ausnahme von Paul Schlecht und Ernst Thälmann vier und somit zwei Drittel jüdisch, nämlich Ruth Fischer, Arkadi Maslow, Werner Scholem und Iwan Katz. Unter ihnen wiederum galten Ruth Fischer und Arkadi Maslow als die eigentlichen Führer der Arbeiterpartei.113 Zu den „Ultraradikalen“ gehörte auch der damalige, von Ruth Fischer geförderte Agitprop-Chef der KPD, Alexander Emel. Dieser war unter dem Namen Moses Lurje in Weißrußland geboren worden. In seiner 1937 in Zürich publizierten Diktatur der Lüge hat sich der Renegat des Kommunismus Willi Schlamm so über den – gleich sämtlichen jüdisch-kommunistischen Akteuren des „deutschen Oktober“ – zum Opfer Stalins gewordenen Lurje ausgesprochen: Es sei „phantastisch, aber unbestreitbar“, daß er „jahrelang die theoretische Ausbildung der deutschen Kommunistenpartei geradezu diktatorisch geleitet“ habe!114 Die größte intellektuelle Potenz der deutschen Ultralinken stellte der treue Gefolgsmann Ruth Fischers Arthur Rosenberg dar.115 Dieser christlich getaufte Sohn eines jüdischen Kaufmanns war während des Ersten Weltkrieges als Mitarbeiter des deutschen Kriegspresseamtes ein Bewunderer Erich Ludendorffs und hatte der chauvinistischen Vaterlandspartei angehört! Nach Ausbruch der Revolution vollzog er eine abrupte Kehrtwende und schloß sich zunächst der USPD und dann 1922 der KPD an. Rosenberg erklärte 1922 in Inprekorr kurz und mitleidlos: „Die Sowjetmacht hat die Pflicht, ihre unversöhnlichen Feinde unschädlich zu machen.“116 Er wurde 1924 in die Parteizentrale gewählt und im Juli 1924 auf dem 5. Weltkongreß der Komintern in deren Präsidium berufen.117 Am 26. August 1924 ermunterte Rosenberg im Deutschen Reichstag die Kommunisten, sie müßten die „fallende Republik“ stoßen.118 Am 4. November 1926 legte er dort das Bekenntnis ab: „Wir sind Feinde dieses Staates, das ist richtig.“119 Im Zusammenhang mit der beginnenden Entmachtung der „Trotzkisten“ in Moskau wurde die ultraradikale KPD-Führung aber bereits 1925 gestürzt. Arthur Rosenberg, Iwan Katz, August Thalheimer, Elfriede Eisler/Ruth Fischer sowie Werner Scholem kehrten ohne Aus-
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nahme der auf den Kurs Stalins gebrachten KPD den Rücken oder wurden aus ihr ausgeschlossen! Arkadi Maslow, der Lebensgefährte von Ruth Fischer, die in Paris mit Leo Trotzki Kontakt aufnahm, ist später auf mysteriöse Weise in Kuba ums Leben gekommen. Vermutlich wurde er wie Trotzki von Stalins Auftragsmördern liquidiert. Der Historiker Arthur Rosenberg, der vielbeachtete Bücher über die Geschichte des Bolschewismus und die Geschichte der Weimarer Republik geschrieben hat, starb in der amerikanischen Emigration. Zum harten Kern derjenigen, die der stalinistisch gewordenen KPD die Treue hielten, gehörte Heinz Neumann. Neumann, der sein „Judentum vergessen machen“ wollte,120 war eine Schlüsselfigur im Geheimapparat der KPD. Im Jahre 1922 hat er als Adlatus von August Thalheimer an einem Programmentwurf für die KPD mitgearbeitet, der im „prophetischen Ton“ das Todesurteil über die kapitalistische Ordnung verkündete und dessen Vollstreckung anmahnte.121 Gleich dem in der Endphase der Weimarer Republik zum Polizistenmörder gewordenen späteren Staatssicherheitschef der DDR, Erich Mielke, ist der als „Einpeitscher Stalins“122 geltende Neumann in Moskau für seinen Einsatz im konspirativen ,,M“(ilitär)- und ,,ZER“(setzungs)Apparat geschult worden. Als Vertreter der Offensiv- beziehungsweise Bürgerkriegsstrategie hat Heinz Neumann unter dem Pseudonym A. Neuberg die Schrift Der bewaffnete Aufstand verfaßt. In ihr wird festgestellt, daß der Aufstand als „eine der Formen des Klassenkampfes“ im „System von Marx und Engels“ an „hervorragender Stelle steht“.123 Am 5. November 1929 hat dann Neumann in der Roten Fahne tatsächlich diese Bürgerkriegsparole ausgegeben: „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft.“124 Bei ihrer Interpretation muß man wissen, daß für ihn und seinesgleichen Sozialdemokraten Sozialfaschisten waren! Der 1911 in Galizien geborene Leo Roth, der aus dem Kommunistischen Jugendverband hervorgegangen war, wirkte am Hamburger Aufstand als Chef einer „Roten Hundertschaft“ mit und wurde in der Moskauer Militärschule der Komintern ausgebildet. Unter Hans Kippenberger stieg er zum Stellvertretenden Chef des Geheim- beziehungsweise Militärapparats der KPD auf. Dem wie viele jüdische Kommunisten im Gulag umgekommenen Leo Roth ist es gelungen, als Agent „Viktor“ die Liebe einer Tochter des Chefs der Heeresleitung, Kurt von HammersteinEquord, zu gewinnen und sie für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit für Sowjetrußland anzuwerben!125
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Neumann hat bis 1932 gemeinsam mit Hermann Remmele und Ernst Thälmann in der KPD eine „Dreimännerherrschaft“ ausgeübt, deren intellektuelle Führung ihm zufiel. Als Redenschreiber des proletarischen Parteivorsitzenden Thälmann ist Neumann dessen „Füllfederhalter“126 und „egg-head“127 genannt worden. Im Jahr 1937 fiel dieser einstige Protege Stalins bei den sowjetischen Säuberungen einem Genickschuß zum Opfer.128 Wenn man sich mit dem Einfluß von Juden auf die Linie der KPD befaßt, so sticht ins Auge, daß die Chefredaktion des offiziellen KPD-Blattes Rote Fahne während der Weimarer Republik überwiegend in den Händen jüdischer Intellektueller lag. Unter ihnen seien hier aufgeführt: Rosa Luxemburg, August Thalheimer, Heinrich Süßkind, Sohn eines polnischen Rabbiners, Alexander Abusch, Heinz Neumann und schließlich 1932 Werner Hirsch. Letzterer war ein enger Mitarbeiter von Leon Jogiches, redigierte 1924/25 die Wiener Rote Fahne und übernahm 1930 die Chefredaktion der Berliner Roten Fahne. Hirsch diente weiter Ernst Thälmann und dem späteren ersten Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck als Sekretär, von ihm stammen „der größte Teil der Dokumente des Zentralkomitees“.129 Sein Vater war ein jüdischer Landgerichtsrat, seine Mutter hingegen stammte aus dem adeligen Haus Alt-Stutterheim, so daß er nach jüdischem Recht kein Jude war.130 Heinz Neumann und Werner Hirsch waren Anhänger der von Sinowjew 1924 aufgestellten und von Stalin übernommenen „Zwillingsbrüder-These“. Dergemäß bildeten die Sozialdemokratie und der Faschismus lediglich zwei verschiedene Flügel des Faschismus!131 Bei den bürgerkriegsähnlichen Berliner Unruhen vom April 1929 wurden zwanzig Polizeibeamte in Kämpfen mit dem kommunistischen Rotfrontkämpferbund verwundet. Das erklärt, warum es im Berliner „Blutmai“ von 1929 Überreaktionen der Polizei gegeben hat, mit der Folge, daß dreißig Aufrührer ihr Leben ließen. Daraufhin hat Neumann dem sozialdemokratischen preußischen Innenminister gedroht: „Wenn wir die Macht haben, baumeln Grzesinski und Genossen innerhalb drei Stunden.“132 Und Werner Hirsch warf der SPD mit diesen Worten den Fehdehandschuh hin: „Kein klassenbewußter Arbeiter kann Gemeinschaft mit der Partei der Mörder halten.“133 Trotzig verkündete damals der kommunistische Dichter Erich Weinert in seinem Gedicht Der rote Wedding: „... wir verteidigen das rote Berlin / die Vorhut der Roten Armee.“134
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Der „rote Wedding“ ist von Hanns Eisler vertont worden, dem Bruder von Ruth Fischer und Gerhard Eisler. Dieser geniale Komponist hat die Musik für die Stücke seines Freundes Bertolt Brecht und später für die DDR-Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ geschrieben. Solche personellen Querverbindungen verweisen auf einen die reine Parteipolitik überschreitenden Umstand: nämlich darauf, daß der revolutionäre Kommunismus eine den ganzen Menschen erfassende kulturrevolutionäre Bewegung war. Es ist deshalb auch kein Zufall, daß eine Reihe führender Kommunisten, so etwa Arthur Rosenberg und Elfriede Eisler (Ruth Fischer), aus der antibürgerlichen Jugendbewegung hervorgegangen sind, die die Frauenemanzipation und die sexuelle Befreiung auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Es lag auf dieser Linie, daß durch Empfehlung von Paul Levi und Clara Zetkin im Juni 1919 die aus einer gutbürgerlichen Frankfurter Familie stammende Recha Rothschild zur „Reichsfrauenleiterin“ der KPD gewählt wurde.135 Trotz eines gutes Examens hatte sie als Jüdin unter der Monarchie keine Chance gehabt, eine Lehrerstelle zu bekommen. Auffallend ist, daß eine ganze Anzahl von Sekretärinnen der Führungsspitze der KPD aus jüdischen Familien stammten, so Bertha Braunthal, Mathilde Jacob, Rosa Leviné und schließlich Rosi Wolfstein. Letztere war Delegierte auf der Gründungsversammlung der KPD, hat deren Protokoll geführt und die KPD-Delegationen nach Moskau begleitet. Zu diesen Sekretärinnen stieß 1922 noch die aus Sowjetrußland gekommene Kaethe Pol (Lydia Rabinowitsch).136 Die dynamischste und farbigste Figur unter den jüdischen Kommunistinnen war aber Elfriede Eisler/Ruth Fischer, die Radek als Nachfolgerin Rosa Luxemburgs pries. Ihr konnte aber die biedere „Großmutter der Revolution“ Clara Zetkin vorwerfen, daß sie ihre „politische Haltung von den wechselnden sexuellen Beziehungen abhängig“ mache.137 Elfriede Eisler/Ruth Fischer hat 1920 in ihrer Schrift Sexualethik und Kommunismus die legendär gewordene Wahlmöglichkeit eingefordert: „Die vollkommene Freiheit der Entscheidung, wie jeder sein sexuelles Leben gestalten will, ob promiscue, ob polygam, ob monogam.“ In der Großen Jüdischen NationalBiographie wird von ihr berichtet, daß sie sich bei einer Debatte so echauffierte, daß ihre leichte Bluse aufsprang und die nackten Tatsachen sichtbar wurden. Aufsehen erregte auch ihre Jungfernrede im Deutschen Reichstag vom 2. Juni 1924, wo sie ihre Kollegen als „verehrtes Schattentheater“ und „als Masken, als Hampelmänner der Kapitalisten“ anredete!138
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Furore machte ebenfalls die von dem Kommunisten Stefan Hermlin139 im Jahr 1951 als „Heilige der Zeit“140 gepriesene Olga Benario. Diese Tochter des wohlhabenden jüdischen Münchener Anwalts Leo Benario hatte sich als Fünfzehnjährige in den Sowjetagenten Otto Braun verliebt und ging unter dem Decknamen „Frieda Wolf-Behrendt“ nach Berlin. Dort wurde sie 1926 zur Agitprop-Sekretärin des kommunistischen Jugendverbandes berufen. Als ihr Geliebter sich wegen Hochverrats im Kriminalgericht Moabit verantworten mußte, hat sie ihn am 11. April 1928 mit einer Pistole in einer „tollkühnen Wildwest-Szene“ befreit! Olga Benario flüchtete nach Moskau, arbeitete für die Komintern und heiratete dann in Brasilien den Generalsekretär der dortigen KP. Im Jahre 1936 wies man sie nach Deutschland aus, wo sie 1942 im KZ ermordet wurde.141 Zu den Verehrern Ruth Fischers gehörte einst auch der 1931 zum EKKIPräsidenten aufgestiegene Heinz Neumann. Diese Schlüsselfigur des deutschen kommunistischen Untergrunds hatte in den zwanziger Jahre in Berlin zeitweise ein Zimmer von Magnus Hirschfeld gemietet.142 Der berühmte Gründer und Leiter des „Instituts für Sexualwissenschaft“, der sich in Palästina wohlwollend über das zionistische Experiment geäußert hatte und 1935 in Nizza von einem Rabbiner beerdigt wurde, hat als Homosexueller für die Entkriminalisierung der Homosexualität gekämpft. Bei seinem Besuch in Moskau von 1926 pries der als „Einstein des Sex“ gefeierte Sexualforscher die in Sowjetrußland erfolgte „Befreiung von kirchlicher Moral“ sowie die Überwindung des „theologischen Geistes“.143 Auch Wilhelm Reich, der die christliche Kirche als „sexualpolitische Organisation des Patriarchats“144 bekämpfte und die „autoritäre“ christliche Familie wegen ihrer „Unterdrückung der Geschlechtlichkeit“ denunzierte,145 war ab 1930 in Berlin Mitglied der KPD. Hier gehörte er in Wìlmersdorf zur legendären KP-Zelle „Roter Block“. Deren politischer Leiter war Alfred Kantorowicz, während Arthur Koestler als ihr Agitprop-Chef agierte. Wilhelm Reich war in Wien Mitglied der KPÖ-Organisation „Arbeiterhilfe“ und gehörte nach seiner Übersiedlung nach Berlin der KPD-Unterorganisation „Reichsverband für proletarische Sexualpolitik“ an.146 Als Freudomarxist versuchte sich Reich an einer Synthese zwischen Karl Marx und Sigmund Freud. Diese wurde von orthodoxen Marxisten allerdings als konterrevolutionär abgelehnt. Sie unterstellten dem später von der Neuen Linken als „Propheten des Orgasmus“ verehrten Reich, er wolle aus Turnhallen Bordelle machen, wodurch der Klassenkampf ins Hintertreffen gerate.147
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Einen „typisch ostjüdischen Lebensweg zur kommunistischen Idee hin“148 zeichnen die Erinnerungen von Leo Lania nach. Er wuchs unter dem Namen Lazar Herman als Sohn eines jüdisch-russischen Arztes in Wien auf und wurde dort Ende 1918 als Mitstreiter von Elfriede Eisler (Ruth Fischer) Redakteur der Wiener Roten Fahne. Lania beschreibt in seiner Autobiographie Welt im Umbruch anschaulich das revolutionäre Wien. Unter anderem berichtet er, daß er von dort als kommunistischer Emissär Bela Kun in Budapest aufsuchte. Dieser habe einen „wilden Krieg gegen die Kirche“ eröffnet und ihm erzählt, er sei von Lenin „zu seinem Vertreter für ganz Mittel- und Osteuropa ernannt worden“.149 Lania begab sich des weiteren in geheimer Komintern-Mission nach Berlin, wo er vom KPD-Chef Paul Levi sowie dem inoffiziellen Leiter des Westbüros der Komintern (WES), Karl Radek, empfangen wurde. Bei ihm traf er Rosa Leviné, die Witwe des in München hingerichteten Eugen Leviné an.150 Die Münchner Räte-Republik Auch in München war Ende 1918 die herrschende Ordnung zusammengebrochen. Die Bevölkerung, die sich unvorbereitet mit der Niederlage des Reiches und schwerwiegenden Versorgungsproblemen konfrontiert sah, erschien konsterniert und gelähmt. Die aktive sozialistische Minderheit hingegen fühlte sich bestätigt. Ihre Wortführer waren oft solche jüdischen Intellektuellen, die ein Alternativkonzept für den Neubau der Gesellschaft bereithielten und daher zunächst großen Zulauf hatten. Unter den revolutionären Literaten, die sich im Schwabinger „Cafe Stefanie“ getroffen hatten, gehörten außer Kurt Eisner, der von 1899 bis 1905 Redakteur des Vorwärts gewesen war und seit Januar 1918 als Rädelsführer beim Munitionsarbeiterstreik eingesessen hatte, Erich Mühsam, Ernst Toller, Gustav Landauer und Edgar Jaffé. Der vollbärtige Bohemien Kurt Eisner wird in einer Publikation des LeoBaeck-Instituts als „eindrucksvolle Figur im Stil der Propheten des Alten Testaments“ beschrieben.151 Er war es, der am 7. November 1918 von einem Lastwagen aus vor einer Volksversammlung auf der Theresienwiese den Freistaat Bayern mit den Worten ausgerufen hat: „Die Bayerische Revolution hat gesiegt. Sie hat den Plunder der Wìttelsbacher Könige hinweggefegt.“152 Der Anarchist Erich Mühsam hat allerdings seinerseits für sich in An-
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spruch genommen, am 7. November 1918 als erster die „Absetzung der Dynastie und die Errichtung einer freien bayerischen Räterepublik“ proklamiert zu haben. Er hatte schon in einem Tagebucheintrag vom 22. Oktober 1916 die Ermordung des österreichischen Ministerpräsidenten Graf Stürghk durch Friedrich Adler, den Sohn von Viktor Adler, „mit größter Freude und Genugtuung“153 begrüßt und am 30. November 1918 die „Vereinigung revolutionärer Anarchisten Bayerns“ begründet. Sein Freund Landauer, der aus einem religiösen jüdischen Elternhaus stammte und mit ihm und Martin Buber 1908 den Sozialistischen Bund begründet hatte,154 erklärte damals triumphierend im Provisorischen Nationalrat: „Das Deutsche Reich ... dieses Flickwerk der Gewalttätigkeit ist tot.“155 In jenen Wochen ging es in München turbulent zu. Anders als seine Gegner unterstellten, war Kurt Eisner, der den 1933 von den Nationalsozialisten ermordeten – jüdischen – Felix Fechenbach zu seinem Privatsekretär gemacht hatte, durchaus kein Bolschewik des russischen Typus. Für ihn ist die Durchfahrt der Bolschewiki durch Deutschland sogar ein Beweis dafür gewesen, daß es sich bei Lenin und Trotzki um „Kreaturen Ludendorffs“ handelte!156 Eisner war ein idealistischer Schwärmer, der 1908 in pastoralen Worten die „Religion des Sozialismus“ als Überwinderin der „Verzweiflung des Jammertals, der Hoffnungslosigkeit des irdischen Geschicks“ gepriesen hat.157 Indem Eisner sich am 4. Februar 1919 auf dem Internationalen Sozialisten-Kongreß in Bern die These von der Alleinschuld Deutschlands am Krieg zu eigen machte und sie außer einer „kleinen Horde größenwahnsinniger Militärs“ den Kapitalisten und Fürsten anlastete, erfuhr er sogar bei den Arbeiter- und Soldatenräten Widerspruch.158 Unter seiner Ministerpräsidentschaft hat Mühsam, der sich als „Anarcho-Kommunist“ bezeichnete,159 in der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember 1918 die Redaktion von fünf bürgerlichen Zeitungen durch revolutionäre Soldaten besetzen und den Besitz für sozialisiert erklären lassen. Wenige Tage später, am 12. Dezember 1918, erklärte Eisner in seiner Rede über „Die Aufgabe der Räte“, diese seien „die Grundmauern der Demokratie ... Wie auch das Wahlgesetz entscheiden mag, die Grundlage ist nicht mehr anzutasten. Die Tatsachen der Revolution sind unzerstörbar“.160 Die Situation in Bayern war dadurch gekennzeichnet, daß zwar eine radikale Minderheit in der Metropole München das Ruder in der Hand hatte, die übrige Bevölkerung, einschließlich der meisten Sozialdemokraten, je-
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doch gemäßigt war. Bei der Landtagswahl vom 12. Januar 1919 gewann die von Frank Auer geführte SPD 33 Prozent der Stimmen mit 61 Sitzen, während Eisners „Unabhängige“ Sozialisten mit lediglich 2,5 Prozent der Stimmen zu einer Splitterpartei absanken. An der großen Münchener Demonstration vom 16. Februar 1919 hatte auch Kurt Eisner teilgenommen und konnte somit, trotz seiner Warnungen vor „bolschewistischen Treibereien“, verdächtigt werden, solche Forderungen zu vertreten: „Hoch Lenin und Trotzki“- „Alle Macht den Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräten!“ – „Nieder mit Noske“ – „Nieder mit dem Kapitalismus“ – „Hoch auf Eisner, Trotzki, Lenin“.161 Am 21. Februar 1919 wurde Eisner auf dem Weg zur Eröffnung des Landtages von dem jungen Anton Graf Arco auf Valley162 erschossen. Es ist möglich, aber nicht bewiesen, daß Arco Beziehungen zur konterrevolutionären und antisemitischen Thule-Gesellschaft unterhielt. Auch wird darüber spekuliert, daß ihn diese Gesellschaft wegen seiner aus der jüdischen Bankierfamilie Oppenheim stammenden Mutter nicht als Mitglied akzeptiert hatte und er deswegen seine „vaterländische“ Gesinnung ganz besonders unter Beweis stellen wollte. Die Stimmung war damals so, daß die Gymnasiasten im Münchener Ludwigs-Gymnasium die Ermordung Eisners feierten.163 In der am 7. April 1919 von Ernst Toller ausgerufenen „sozialistischkommunistischen“ Räterepublik gaben zunächst utopische Revolutionäre den Ton an. Und zwar mit den programmatischen Worten, daß sie dem „Beispiel der russischen und ungarischen Völker“ folge.164 Nachdem sich die Räterepublik eine „Rote Armee“ zugelegt hatte, vollzog sie ganz offen den Bruch mit der Weimarer Reichsverfassung. Führend in dieser Republik waren neben dem Schriftsteller Ernst Toller die Anarchosozialisten Gustav Landauer und Erich Mühsam. Toller hat sich ausdrücklich jenem Volk zugerechnet, „das seit Jahrhunderten verfolgt, gejagt, gemartert, gemordet wird, dessen Propheten den Ruf nach Gerechtigkeit in die Welt schrieen“.165 Er war Vorsitzender des Zentralrats der Räte und Kommandeur der „Roten Armee“. Hier ist anzumerken, daß auch bürgerliche Juden die Räteherrschaft in München als Bedrohung erlebten. Weil sie leicht als ,Judenherrschaft“ denunziert werden konnte, haben sich nicht wenige von ihnen – was kaum bekannt ist – gegenrevolutionären Freikorps angeschlossen. So der Leutnant Willy Toller, ein Vetter von Ernst Toller, dem Freikorps „Schwaben“. Durch solches Engagement wollten Juden der „Pogrom-
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Stimmung“ begegnen, welche das Wirken jüdischer Revolutionäre in München erzeugt hatte.166 Die KPD – beziehungsweise die hinter ihr stehende Komintern – hat ihre Position im München der Rätezeit durch eine gezielte Personalpolitik aufgebaut und speziell Max Lewien, Eugen Leviné und Tobias Axelrod nach München entsandt. Alle drei waren in Rußland geboren. Während Leviné und Axelrod unbestritten jüdisch waren, wird das Judentum des mit Lenin und Trotzki befreundeten und 1885 in Moskau geborenen Deutschrussen und bayerischen KPD-Führers Max Lewien von einigen Autoren verneint.167 Tatsächlich ist Lewien nach dem Kriterium der jüdischen Mutter kein Jude, sondern hat offensichtlich lediglich einen assimilierten jüdischen Kaufmann zum Vater gehabt.168 Somit hat Harry Kahn diesen Max Lewien, dem er einen „Schuß SaintJust“ bescheinigt, 1919 in der Weltbühne wohl zutreffend als „Halbrusse“ und „Halbjude“ angesprochen.169 In den berühmt gewordenen Tagebüchern von Victor Klemperer heißt es Ende 1918 über den Präsidenten des Münchener Soldatenrates: „Den stärksten Eindruck machte als Diskussionsredner ein Doktor Levin vom Spartakusbund in Berlin. Er soll ein Balte sein, vielleicht ist er ein blonder Jude. Eine kalte unverschämte Romanschönheit ... Er tobt gegen die Bluthunde Ebert und Scheidemann.“170 Lewien ist auf dem Gründungsparteitag der KPD mit der Äußerung hervorgetreten, wenn ein Revolutionstribunal Scheidemann und Ebert zum Aufhängen verurteile, würde er „Bravo“ rufen.171 In der Komintern-Zeitung hat er 1922 den für die Exekution von Eugen Leviné verantwortlichen sozialdemokratischen bayerischen Ministerpräsidenten Hoffmann als „Massenmörder des Münchener Proletariates“ attackiert.172 Der spätere Nationalbolschewist Ernst Niekisch, ursprünglich selbst ein Akteur der Räteherrschaft:, sagte über den damals sechsundzwanzigjährigen Lewien, er sei „in der Haltung eines Napoleon, mit großen Reitstiefeln angetan,“ aufgetreten!173 In der liberalen Frankßirter Zeitung vom 5. Mai 1919 wird unter dem Titel „Blutschuld der Levien und Leviné-Niessen“ aus seiner letzten Rede im Kindl-Keller so zitiert: Angesichts der Tatsache, daß „Millionen von Proletariern“ im Krieg im Interesse des Kapitalismus totgeschossen worden seien, komme es „nicht darauf an, ein paar tausend Bürgerlichen die Gurgeln abzuschneiden“! Außer Lewien galt der besondere Haß dem in St. Petersburg geborenen Eugen Leviné. Er wurde 1919 unter dem Decknamen „Niessen“ aus Berlin
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nach München geschickt, um hier eine Ausgabe der Roten Fahne zu machen. Leviné, der 1906 in St. Petersburg aus politischen Gründen inhaftiert und 1907 in Minsk von der Polizei zum Invaliden geschlagen worden war,174 trieb ein unbändiger Haß gegen das Ancien Regime und den Kapitalismus. Sebastian Haffner charakterisiert ihn als einen jungen Mann von „wilder Energie, der ganz anders als Liebknecht oder Rosa Luxemburg, möglicherweise das Zeug zu einem deutschen Lenin oder Trotzki hatte“.175 Seinen Extremismus beleuchtet diese Äußerung bei der Belagerung Münchens durch die „Gegenrevolution“: „Was tut's, wenn einige Wochen weniger Milch nach München kommt. Die Milch erhalten doch nur zumeist die Kinder der Bourgeoisie. An ihrem Leben haben wir kein Interesse. Es schadet nichts, wenn sie sterben, aus ihnen werden ja doch nur Feinde des Proletariats.“176 Als Aufpasser für Leviné und Finanzkommissar der kommunistischen Partei hat die Komintern Tobias Axelrod nach München entsandt. Er war ein Neffe des Menschewistenführers Paul Axelrod und gehörte zu den Revolutionären, die Adolf Joffe in die Dienste der Berliner Sowjetbotschaft genommen hatte. Im Zuge der Radikalisierung der Münchener Revolution wurde die am 7. April 1919 von Ernst Toller ausgerufene „Scheinräterepublik“ bereits am 13. April 1919 durch die kommunistische Räterepublik abgelöst. In ihr haben die Komintern-Abgesandten Max Lewien und Eugen Leviné in einer Art „Duumvirat“177 für einige Wochen geherrscht. Eröffnet wurde diese Phase von Eugen Leviné als Vorsitzendem des Rats der Volkskommissare mit den Worten: „Heute endlich hat Bayern die Diktatur des Proletariates errichtet. Es lebe die Weltrevolution!“178 Die zweite Münchener Räterepublik ist zwischen dem 30. April und dem 8. Mai 1919 von 30.000 Reichswehr-Soldaten sowie Freikorps im Rahmen einer „Reichsexekution“ niedergekämpft worden. Dabei haben 600 Menschen ihr Leben gelassen und sind von Freikorps-Leuten blutige Racheakte verübt worden. So wurde Gustav Landauer am 2. Mai erschlagen. Ihn hat Martin Buber 1920 auf einer zionistischen Konferenz als „unseren heimlichen Führer“ gerühmt.179 Eugen Leviné wurde unter der Verantwortung der sozialdemokratischen Hoffmann-Regierung von einem Standgericht als „Eindringling in Bayern“ wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und am 5. Juni 1919 exekutiert. Wie Isaac Deutscher mitteilt, sind Levinés Abschiedsworte „Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub“ zur kommunistischen Legende geworden. Nach der Großen Jüdischen National-Biographie starb Leviné „den
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Tod eines Idealisten von reinstem Kristall“. Sein Anwalt Graf Pestalozzi hat für ihn ein Begräbnis nach dem jüdischen Ritus vermittelt, bei dem ein Rabbiner eine Ansprache hielt. Die Münchner Räterepublik, die der – jüdische – liberale Publizist Theodor Wolff als „blutigen Lumpenball“ und Max Weber als „blutigen Karneval“ charakterisiert hat, wühlte die Bevölkerung ungeheuer auf und heizte den Antisemitismus extrem an. Victor Klemperer notierte am 10. April 1919 in sein Tagebuch: „Ich habe den Eindruck, als schwanke ihr (der Stadt München) der Boden sub pedibus“.180 Fünf Tage später merkte er an, daß Lewien „de facto“ die Stadt beherrsche. Die Münchener Räterepublik hat auch dadurch Schlagzeilen gemacht, daß mit Gewehren, Pistolen und Handgranaten bewaffnete Rotgardisten am 18. April in die Nuntiatur des späteren Pacelli-Papstes eingedrungen sind und dem päpstlichen Gesandten die Pistole auf die Brust setzten.181 Der Nuntius hat noch am gleichen Tag einen hochemotionalen Bericht über Max Lewiens Hauptquartier in der Münchener Residenz nach Rom weitergeleitet. Darin wird Lewien als „Russe und Jude“ gekennzeichnet und ist die Rede von „einer Bande von jungen Frauen von zweifelhaftem Aussehen, Juden, wie sie alle, mit provokativem Benehmen ... Die Chefin dieses weiblichen Abschaums war Lewiens Gefährtin, eine junge Russin, Jüdin und geschieden.“182 Noch größeres Aufsehen als der erwähnte Vorgang erregte die von Rotgardisten am 30. April 1919 vorgenommene Erschießung von sieben Mitgliedern der „Thule-Gesellschaft“, die eine der Keimzellen der Gegenrevolution und Wegbereiterin der NSDAP gewesen ist.183 Dieser Gesellschaft haben führende spätere Nationalsozialisten wie Rudolf Heß, Hans Frank, Alfred Rosenberg, Gottfried Feder und Dietrich Eckart als Mitglieder beziehungsweise ständige Gäste angehört.184 Diese Geiselerschießung, der die Londoner Times am 5. Mai 1919 eine Schlagzeile gewidmet hat, gab einem giftigen Antisemitismus Nahrung und erzeugte lange nachwirkende Rachegelüste. In jenen dramatischen Tagen hatte die Revolutionäre eine apokalyptische Stimmung erfaßt, nach der es – wie es in der Internationale heißt – buchstäblich um das „letzte Gefecht“ ging. So schrieb Erich Mühsam am 25. April 1919 in seiner Zeitschrift Kain, es könne Hoffnung geschöpft werden, daß kein Widerstand so stark sei, die „,bolschewistische Welle’ zurückzudämmen. Sie hat die Grenzen Rußlands durchbrochen, kein Land der Erde wird ihr jetzt noch lange widerstehen.“185
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Der von Max Lewien am 28. April proklamierte „Kampf auf Leben und Tod mit der Bourgeoisie“186 hatte nach dem Scheitern des Weltrevolutionsversuchs verheerende Konsequenzen, nicht nur für jüdische Revolutionäre, sondern für die Juden überhaupt. Denn man konnte sie in Reaktion auf diese Ereignisse im Rahmen einer böswilligen und zuweilen auch wahnhaften kollektiven Schuldzuweisung als „Höllenhunde der jüdischen Weltrevolution“ dämonisieren.187 Es ist nicht nur Ruth Fischer gewesen, die die Mutmaßung geäußert hat, daß ohne diese Vorgänge München nicht zum Geburtsort der HitlerBewegung geworden wäre.188 Zu beachten ist auch, daß keineswegs nur ausgemachte Extremisten radikalisiert worden sind. Sogar in einem von dem sozialdemokratischen bayerischen Ministerpräsidenten Hoffmann unterzeichneten Flugblatt sind damals die nichtbayerischen Revolutionsführer folgendermaßen denunziert worden: „In München rast der russische Terror, entfesselt von landfremden Elementen. Diese Schmach Bayerns darf keinen Tag, keine Stunde weiterbestehen.“189 Thomas Mann hat damals in einem Gespräch mit seiner Frau Katja erregt vom „Typus des russischen Juden, dieser sprengstoffhaltigen Mischung aus jüdischem Intellektual-Radikalismus und slawischer ChristusSchwärmerei“ gesprochen. Eine Welt, die noch Selbsterhaltungsinstinkt habe, müsse mit „aller aufbietbaren Energie und standrechtlicher Kürze gegen diesen Menschenschlag vorgehen“.190 In Mein Kampf unterstellte Hitler, daß es in München nach dem Tod von Eisner zu einer „vorübergehenden Judendiktatur“ gekommen sei.191 Dieser Adolf Hitler hatte sich seit dem Januar 1919 in München als Angehöriger einer gegenüber der Räterepublik loyalen oder doch zumindest neutralen Truppe aufgehalten! Er stand damals offensichtlich der SPD nahe, die er später im Zweiten Weltkrieg in seinen Tischreden dafür gelobt hat, das „Hohenzollern-Geschmeiß“ beseitigt zu haben. Hitler wurde damals sogar zum Ersatz-Soldatenrat seines Bataillons gewählt,192 was er später selbstverständlich verschwieg! Bei Hitler hat aufgrund seiner Wiener Vorkriegsjahre unzweifelhaft eine antisemitische Prägung vorgelegen.193 Als radikaler und fanatischer Antisemit begegnet er uns jedoch erst nach dem Ende der Münchener Räterepublik. Dabei war offensichtlich viel Opportunismus im Spiel. Der Hauptmann der Nachrichtenabteilung des Gruppenkommandos 4 der Reichswehr, Karl Mayr, der den späteren „Führer“ als begabten Agitator in seine Dienste nahm, sagte 1933 in Frankreich aus: Hitler sei ihm vorge-
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kommen als „Mensch, dem es nicht um das deutsche Volk und Vaterland ging“, vielmehr habe er geglichen einem „müden und streunenden Hund auf der Suche nach einem Herrn“.194 Wien Bei dem durch den verlorenen Krieg verursachten Kollaps der Habsburgermonarchie fiel auch in Wien die Macht den Sozialisten in den Schoß. Die Führerschaft der maßgeblich von Viktor Adler geprägten sozialistischen Partei war „heavily Jewish“, wie der englische Historiker Steven Beller urteilt.195 Im einzelnen wies er daraufhin, daß von 137 führenden Austromarxisten 81 und somit 59 Prozent positiv jüdisch gewesen seien und daß man bei Hinzurechnung von 50 Prozent der zweifelhaften Fälle auf 88 (= 64 Prozent) jüdische Personen unter den wichtigsten Austromarxisten komme.196 Da achtzig Prozent der österreichischen Juden in Wien lebten, betrug ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung 2,8 Prozent, in Wien jedoch 10,8 Prozent. Diese Juden nun waren in den freien Berufen überrepräsentiert und stellten 60 Prozent der Rechtsanwälte, 50 Prozent der Ärzte und 50 bis 60 Prozent der Journalisten.197 Angesichts der Tatsache, daß in der Vorkriegszeit die Deutschnationalen offen rassenantisemitisch waren und die Christlichsozialen gegen eine als Überfremdung begriffene jüdische „Dominanz“ antraten, blieb den bürgerlichen Juden kaum eine Alternative zur Sozialdemokratie. Man schätzt, daß 80 Prozent der Wiener Juden sozialistisch wählten!198 Wenngleich der linke Flügel der SPÖ die Oktoberrevolution begrüßte199 und im Bolschewismus viel Positives, ja für Rußland sogar eine „Notwendigkeit“ sah,200 war es doch so, daß die österreichischen Sozialisten bei allem Verbalradikalismus ganz überwiegend bürgerlich-demokratisch ausgerichtet waren. Hans Hautmann ist in seinem Buch über die Kommunistische Partei Österreichs sogar zu dem Ergebnis gekommen, daß „der Kampf gegen die Bolschewisierung“ ganz überwiegend von den Sozialisten geführt worden ist.201 Auch dies widerlegt die These, daß der Bolschewismus seinem Wesen nach „jüdisch“ war. Allerdings verhielt es sich auch in Österreich so, daß diejenigen Linksradikalen, die die – im Unterschied zu Deutschland – eine kleine Sekte bleibende „Kommunistische Partei Österreichs“ (KPÖ) begründeten, vielfach aus jüdischen Familien stammten. Somit konnten antisemitische Agitatoren mit der denunziatorischen Gleichsetzungstheorie
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„Jude“ gleich „Revolutionär“ arbeiten und dabei die Etiketten „Umsturzjuden“,202 „Revolutionsjuden“203 sowie „RevoluZion“204 prägen. Wie der christlich getaufte Friedrich Adler seinem alten Wiener Vorkriegsbekannten Leo Trotzki sarkastisch schrieb, ist es auch in Wien nicht so gewesen, daß sich eine Partei Geld, sondern vielmehr so, daß sich russisches Geld eine Partei gesucht hat!205 Die österreichische kommunistische Partei wurde am 3. November 1918 als älteste KP Westeuropas von Elfriede Eisler, der Tochter des Philosophen Robert Eisler, und ihrem ersten Mann, dem Journalisten Paul Friedländer, gegründet. Elfriede Eisler, die uns bereits unter dem Namen Ruth Fischer – ihre zum Judentum konvertierte Leipziger Mutter trug diesen Familiennamen – als führendes KP-Mitglied in Berlin begegnet ist, trug die Parteibuchnummer Nr. l. Gemeinsam mit ihrem jüdischen Ehemann gab sie, die nach Einschätzung eines kommunistischen Mitstreiters „vor Radikalismus explodierte“,206 den mit russischem Geld finanzierten Weckruf heraus. Dieser wurde Mitte Januar 1919 in Die Soziale Revolution und noch später in Rote Fahne umbenannt. Bei der Gründung der österreichischen KP waren russische Bolschewiki beteiligt, die sich als Kriegsgefangenen- und Rote Kreuz-Delegation ausgaben. Die letztere wurde von einem Leutnant Weißbrot geführt. Der mit geheimen Aufträgen ausgestattete Leiter der erstgenannten Delegation war Jakob (Jakup) Berman, der ein Vertrauter der gleich ihm aus Warschau stammenden Ehefrau von Felix Dserschinski war.207 Jakob Berman, Sohn eines zionistischen Vaters, ist 1939 von Polen in die Sowjetunion emigriert und hat nach dem Zweiten Weltkrieg als Stalinist eine führende Rolle in der polnischen KP gespielt.208 Neben dem Ehepaar Friedländer war der in die Redaktion des Weckruf eingetretene Franz Koritschoner ein herausragender Kopf der österreichischen KP. Er gehörte schon zum Führungskern der österreichischen Linksradikalen, die sich in der Antikriegsbewegung formiert hatten und deswegen 1917/18 mit der Staatsmacht in Konflikt geraten waren.209 Der Bankangestellte Koritschoner war ein Neffe des aus einer Wiener jüdischen Familie stammenden Ökonomen Rudolf Hilferding, dessen Buch Das Finanzkapital (1910) die Imperialismus-Theorie von Lenin entscheidend beeinflußt hat.210 Koritschoner hatte das „Aktionskomitee der Linksradikalen“ 1916 auf die Konferenz der Zimmerwälder nach Kienthal geschickt, wo er Lenin und Karl Radek kennenlernte.211 Über seinen Radikalismus berichtet ein ehe-
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maliger Mitstreiter in der KPÖ, Leo Lama, daß er damals Wahrheit und Moral für ein „kleinbürgerliches Vorurteil“ erklärt und verkündet habe: „Aber zu lügen und zu stehlen, ja auch zu töten für eine Idee, das ist Mut, dazu gehört Größe.“212 Koritschoner wirkte bei der Gründung der Roten Garde in Wien mit, deren führender Kopf der Anarchosozialist Leo Rothziegel war. Dieser aus der „Poale Zion“, der zionistisch-sozialistischen Partei, hervorgegangene Revolutionär hat am 31. Oktober 1918 in einem Flugblatt verkündet: „Arbeiter, Soldaten! Eine neue Zeit bricht an. Die Revolution, die in Rußland begonnen, setzt sich nun bei uns fort. In der Nationalversammlung sitzen Leute, die Euch viereinhalb Jahre knechteten.“213 Neben dem proletarischen Schriftsetzer Rothziegel war der als „rasender Reporter“ in die Geschichte eingegangene Egon Erwin Kisch Kommandant der „Roten Garde“. Er arbeitete damals als Korrespondent des Prager Tagblatt in Wien. Die Wiener Rote Garde, in der KünstlerBohemiens wie Franz Werfel ein Gastspiel gegeben haben, versuchte am 12. November 1918 das österreichische Parlament zu stürmen. Damit sollte die Ausrufung der bürgerlichen Republik verhindert und statt dessen die „Diktatur des Proletariats“ etabliert werden. Bei diesem Unternehmen sind Rotgardisten blind in die Luft schießend zum Parlamentstor gestürmt und haben es mit Gewehrkolben zu öffnen gesucht. Des weiteren hat man die Redaktion der Neuen Freien Presse besetzt und die Drucker gezwungen, kommunistische Flugblätter herzustellen. Bei dem Aufruhr wurden fünf bis zehn Personen schwer und 32 leicht verletzt. Darunter befand sich der sozialdemokratische Pressechef des Staatsrats, Ludwig Brügel, der sein linkes Auge verlor.214 Auch der Kommunist Koritschoner und sein aus einer frommen jüdischen Familie stammender sozialistischer Kontrahent Julius Braunthal wurden verwundet. Der später zum Chronisten der Internationale gewordene Julius Braunthal war damals Adjutant des von Viktor Adler geförderten sozialistischen Parteisekretärs Ernst Julius Deutsch, der von der Komintern als „österreichischer Noske“ beschimpft wurde.215 Deutsch hatte einen jüdischen Dissidenten und Gastwirt zum Vater und war von 1914 bis 1917 Frontoffizier. Der neuen sozialistischen Regierung diente er als Staatssekretär für das Heerwesen. In sein Büro drangen Rotgardisten unter der Führung von Rothziegel am 3. November 1918 gewaltsam ein. Am 11. November konnte die Rote Garde von Deutsch durch ein Ablenkungsmanöver davon abgehalten werden, nach Schloß Schönbrunn zu marschie-
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ren, wo sie sich des dort mit seiner Familie lebenden Kaiser Karls bemächtigen wollte.216 Alle geschilderten Vorgänge riefen auch im Wiener jüdischen Bürgertum große Unruhe hervor. So notierte Hermann Bahr am 7. Dezember 1918 in sein Tagebuch, daß Egon Erwin Kisch als ,Jaromir der Roten Garde“ zu einem „wahren Bürgerschreck“ geworden sei.217 Und Arthur Schnitzler äußerte in einem Tagebuch-Eintrag sein Mißfallen über ein „Gemisch von literarischen Judenbuben, Raubgesindel und Idioten“.218 Wie solche Reaktionen zeigen, provozierte der Radikalismus von revolutionären Juden auch in Wien ein dramatisches Anwachsen des Antisemitismus. Um diesem zu begegnen, hat der Wiener Mittag damals einen Leserbrief veröffentlicht. Darin heißt es, die Rote Garde habe mit dem „deutsch-österreichischen Judentum in seiner Gesamtheit ebensowenig zu tun, wie mit den deutschösterreichischen Ariern“.219 Indem Leo Rothziegel am 18. Januar 1919 auf der Trauerfeier für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor dem Wiener Rathaus die österreichischen Sozialisten Renner, Seitz und Bauer als „unsere Scheidemänner“ attackierte220 und zum Kampf gegen Herrschaft des Kapitals „mit allen Mitteln“ aufrief,221 wird deutlich, daß sich auch in Österreich zwischen demokratischen Sozialisten und Kommunisten eine Kluft aufgetan hatte. Die in dem gescheiterten Putsch vom 15. Juni 1919 kulminierende Zuspitzung der bürgerkriegsähnlichen Situation in Wien folgte aus dem Zusammenspiel mit den kurzlebigen Räterepubliken in München und Budapest. In seinen Erinnerungen Der Papiersäbel bekennt der aus einer traditionsreichen jüdischen Familie222 stammende österreichische Kommunist Bruno Frei(stadt): „Ich war nicht der einzige, der hoffte, zwischen der Rätemacht in München und der Rätemacht in Budapest werde Wien die Brücke schlagen.“223 Nachdem am 21. März 1919 in Budapest die Räterepublik ausgerufen worden war, erklärte Leo Rothziegel am 26. März 1919 seine Bereitschaft, „wenn es not tut, an der Seite der Kommunisten und der Sowjetarmee in den Kampf zu ziehen gegen die eigenen und internationalen Ausbeuter“.224 Es kam in der Folge zu einem intensiven Zusammenspiel von Wiener Kommunisten und Räte-Ungarn. In der Wiener Botschaft der ungarischen Räterepublik gingen Kommunisten wie Ruth Friedländer, Koritschoner, Rothziegel und Wertheim ein und aus, sie wurden hier mit Geld und Flugblättern versorgt. Im Mai 1919 reiste Leo Lania (Lazar Herman) als KPO-Emissär nach Budapest, wo er mit Bela Kun zusammentraf, der sich
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ihm gegenüber wie erwähnt als Vertreter Lenins für ganz Mittel- und Westeuropa ausgab.225 Nach der Ausrufung der Münchener Räterepublik hat dann Elfriede Friedländer am 9. April 1919 siegesgewiß verkündet: „Bayern ist Räterepublik geworden und Deutschösterreich in der Mitte wird bald folgen.“226 Eine Erwartung, die deshalb plausibel schien, weil die Lage der gemäßigten österreichischen Sozialisten immer heikler wurde durch die Sympathie der Parteilinken für das Budapester Volksfrontregime. Als die ungarische Räterepublik durch ihre äußeren Gegner – hierzu gehörten französische Truppen im Süden Ungarns – in schwere Bedrängnis geriet, führte ihr Leo Rothziegel sein 1300 Mann starkes revolutionäres Volkswehrbataillon 41 als Hilfstruppe zu. Rothziegel verlautbarte am 29. April 1919: „Glücklich ziehe ich ... in den Tod für die Befreiung der Proletarier, glücklich und stolz: Mit Freude vergieße ich mein Blut für Sowjetungarn, das ich als Heimat des internationalen Proletariats betrachte.“ Gleichzeitig artikulierte Rothziegel, der tatsächlich aus Ungarn nicht lebend zurückkehrte, seinen „Haß gegen die heimischen Sozialverräter“ und „Bourgeois-Agenten“. Zu ihnen rechnete er außer dem „rechten“ Sozialisten und Staatspräsidenten Karl Renner auch die aus jüdischen Familien stammenden Sozialisten Otto Bauer, Julius Deutsch und Friedrich Adler.227 Die Sympathie von Austromarxisten für das kommunistische Regime in Ungarn beunruhigte nicht zuletzt die Westmächte. So berichtete der österreichische Geschäftsträger in Kopenhagen, Graf Deym, am 3. April 1919: „In Entente-Kreisen beschuldigt man die deutschösterreichische Regierung direkt des Einverständnisses mit den ungarischen Bolschewiken und Anhänger des Kommunismus zu sein.“228 Im Auftrage des britischen Außenminister Balfour intervenierte am 12. April 1919 der britische Militärbevollmächtigte in Wien, Colonel Cunningham, massiv gegenüber Julius Deutsch: Deutschösterreich müsse sich vor Augen halten, daß es von einer Unterstützung der russischen oder ungarischen Roten Armee nichts zu erhoffen habe. In Paris und London herrsche der Eindruck, daß seine Regierung den radikalen Umsturzelementen gegenüber zu schwach aufträte. Speziell monierte Cunningham, daß das von Rothziegel geführte Volkswehrbataillon am 2. April 1919 habe ungehindert nach Ungarn marschieren dürfen. Er drohte mit einer Intervention der Entente sowie der Einstellung der Lebensmittelhilfe für Österreich und forderte, daß man Rothziegel nicht wieder nach Österreich zurücklassen dürfe.229
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Der zweite Versuch der Machtergreifung der Kommunisten in Wien scheiterte am Gründonnerstag, dem 17. April 1919, als die Rote Garde das Parlamentsgebäude in Brand steckte. Sie wurde von der Polizei und der Volkswehr zurückgeschlagen, wobei fünf Polizisten und eine Frau ihr Leben ließen sowie 56 Personen schwer verletzt wurden.230 Einen Tag zuvor hatte der zur sozialistischen Parteilinken gehörende Präsident der Sozialisierungs-Kommission, Unterstaatssekretär Otto Bauer, einen „streng vertraulichen“ Brief an Bela Kun geschrieben. In diesem heißt es, er beobachte „die Vorgänge in Ungarn“ mit der „größten Anteilnahme“. Gegen eine „Proklamation der Rätediktatur“ in Österreich spreche, daß sie „wahrscheinlich zur sofortigen Losreißung der überwiegend bäuerlichen, daher klerikal-agrarischen Länder von Wien fuhren“ würde.231 Um sich Entlastung zu verschaffen, entsandte Bela Kun am 17. Mai 1919 den ungarischen Kommunisten, Rechtsanwalt und Stadtkommandanten von Budapest, Ernst (Ernö) Bettelheim, mit einer umfassenden, auf einen Komintern-Auftrag gestützten Vollmacht sowie 500000 Kronen nach Wien. Dieser unter dem Decknamen „Franz Jirowetz“ agierende jüdische Dissident berief als Diktator der österreichischen Kommunisten am 25. Mai eine geheime Konferenz der führenden Parteifunktionäre ein. Auf ihr wurde das Ehepaar Friedländer entmachtet und ein neues, von Bettelheim geleitetes Parteidirektorium installiert. Ihm gehörten Franz Koritschoner, Johannes Wertheim, Karl Toman, der Führer der russischen Gruppe der österreichischen Kommunisten, sowie Gilbert Melcher an. Die beiden letzteren waren in der russischen Kriegsgefangenschaft zum Kommunismus konvertiert. Als Verbündeter stieß damals zu den österreichischen Kommunisten der linke Flügel der Poale Zion unter Michael Kohn-Eber. Er hatte einst die galizische Sektion von Poale Zion geleitet, gehörte dem „Zentralkomitee der zionistischen Jugend“ an,232 arbeitete in den Roten Garden mit und propagierte einen Internationalismus Leninscher Prägung. Als Vertreter dieser Richtung hatte Nagler am 1. Mai 1919 erklärt, das jüdische Proletariat würde gemeinsam mit dem deutschösterreichischen für den Sieg des internationalen Kommunismus kämpfen.233 In Vorbereitung des von Bettelheim inszenierten Aufstandes erließen die Wiener Putschisten einen Aufruf mit folgendem Inhalt: „Soldaten! Die Stunde der Befreiung des Proletariats ist da! Unsere ungarischen und russischen Brüder haben den Militarismus der Entente besiegt! Von uns hängt es ab, ob die Weltrevolution jetzt zum Sieg schreiten wird. Genossen! Wir
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haben nichts zu verlieren! Entweder wir zerschellen unsere Gegner oder wir gehen zugrunde! Wir haben keine andere Wahl!“234 In der Nacht vor dem Putsch, der mit einem weltrevolutionären Aufruf zur „Errichtung der Rätediktatur“ eingeleitet wurde, haben Sicherheitskräfte 115 KP-Führer verhaftet. Beim Wiener „Kommunistenputsch“235 versuchten dann, am 15. Juni 1919, fünfhundert Mann das Polizeipräsidium zu stürmen. Dabei gab es 20 Tote und 80 Verwundete. Dieses Fiasko hat innerhalb der KPÖ heftige Diskussionen ausgelöst. Die Rote Fahne schrieb am 21. November 1919, „die Bettelheimerei“ gehöre mit Stumpf und Stil ausgerottet. Auch Radek distanzierte sich nachträglich von dem gescheiterten Staatsstreich, indem er im Komintern-Blatt den „Kretinismus der Putschtaktik“ geißelte.236 Die österreichischen Kommunisten wurden durch den Putsch derart geschwächt, daß ihre Führer flüchten mußten, um ihrer Verurteilung zu entgehen. Paul Friedländer und Elfriede Friedländer/Ruth Fischer, deren Ehe zerbrach, traten in Berlin in die Dienste der Komintern. Paul Friedländer arbeitete hier für die Inprekorr, Elfriede Friedländer/Ruth Fischer, die ihr Baby in Wien zurückließ, erhielt durch Vermittlung des KPChefs Paul Levi zunächst einen Posten im Frauensekretariat der Komintern. Radek übertrug ihr dann eine wichtigere Position in deren konspirativem Westeuropa-Sekretariat (WES).237 Budapest Der in Galizien geborene und 1983 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Manès Sperber, der 1934 in Paris zum „ideologischen“ Leiter des Komintern-„Instituts zum Studium des Faschismus“ (INFA) ernannt worden war238 und sich später wie viele jüdische Intellektuelle vom Kommunismus abwandte, berichtet dies: Durch den Sieg der Revolution in Ungarn sei Bela Kun „über Nacht so berühmt (geworden), daß man ihn häufiger neben Lenin und Trotzki nannte“.239 Als Sperber Bela Kun im Sommer 1931 in Moskau besuchte, erklärte ihm dieser, daß der „rote Terror ... Notwehr (war), in welcher sich das Neue, Gute gegen das Alte, Böse verteidigen mußte“.240 Während der revolutionären Kämpfe hat Bela Kun diesen Gedanken in dem Aufsatz Marxistische Theorie – Revolutionäre Praxis noch härter formuliert. Er sagt darin, daß es „nur ein Mittel gibt, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft ... abzukürzen, zu vereinfachen ... der revolutionäre Terrorismus“.241 Als sich der – jüdische – ungarische Schrift-
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steller Ervin Sinkó wenig später mit Bela Kun in Moskau unterhielt, da konstatierte er bei seinem Landsmann den felsenfesten Glauben, daß „die russische proletarische Revolution zum letzten welterlösenden Gefecht aufrief. Bela Kun bekannte: „An dieses ,Auf zum letzten Gefecht' haben wir ... wortwörtlich geglaubt.“ Es sei ihnen darum gegangen, „die Leiche des tödlich verwundeten Weltkapitalismus aus dem Weg zu räumen“.242 Wer war dieser Bela Kun, der 1919 zum Chef der ungarischen Räterepublik aufstieg und anschließend als Komintern-Funktionär in Moskau eine wichtige Stellung einnahm? Bela Kun kam 1886 als Sohn des Distriktsnotars Mov Kohn und der Rosalie Goldenberg243 in der ungarischen Provinz zur Welt. Seinen jüdischen Namen hat er bis 1909 geführt und dann in „Kun“ magyarisiert.244 Er trat 1902 in die Sozialdemokratische Partei Ungarns ein und hatte einen Stammplatz im legendären Cafe New York in der ungarischen Hauptstadt. Diese zählte einen jüdischen Bevölkerungsanteil von 20 Prozent und verfugte nach Warschau über die größte jüdische Gemeinde in Europa. Im selben Jahr 1902 gründete der aus einer jüdischen Familie stammende Ernö Szontagh (Erwin Szabo) den Club „Revolutionäre Sozialistische Studenten Budapest“. Er hatte so illustre Gäste wie Eduard Bernstein und den austromarxistischen Theoretiker Max Adler. Für diesen Sohn eines jüdischen Tuchhändlers war der Sozialismus eine „Kulturbewegung“.245 Adler rühmte die „geistige Macht“ von Karl Marx als ein „Beispiel von Welteroberung, dem an Großartigkeit des Wirkens kein anderes der bloß politischen Weltgeschichte gleichgestellt werden kann“.246 Dem früh verstorbenen Szabo folgte als Chefideologe der ungarischen Linken Georg Lukácz nach, den manche für den bedeutendsten marxistischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts halten.247 Dieser bereits vorgestellte Sohn des Chefs der Budapester Rothschild-Bank wurde von Bela Kun zum Kulturkommissar der Räterepublik berufen. Als Räteungarn sich seiner auswärtigen Feinde erwehren mußte, ließ der in Lederuniform gekleidete, von manchen als „Robespierre von Budapest“ bezeichnete politische Kommissar der 5. Division, Georg Lukácz, acht Leute durch das Kriegsgericht erschießen.248 Auch in Ungarn war der Große Krieg der Vater der Revolution. Der 1916 in russische Kriegsgefangenschaft geratene Bela Kun organisierte 1917 unter den ungarischen Kriegsgefangenen in Tomsk eine sozialistische Gruppe, kam 1918 in das bolschewistisch gewordene Petrograd und lernte über Radek Lenin kennen. Die Gründung der ungarischen KP wurde in
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Sowjetrußland ausgehandelt. Im Oktober 1918 trafen 20 ungarische Kommunisten in Budapest ein und bildeten am 4. November 1918 die ungarische KP, die Anfang 1919 durch 250 bis 300 aus Rußland angereiste „Agitatoren“ verstärkt wurde. In dem Bela Kun gewidmeten Artikel der Großen Jüdischen NationalBiographie heißt es, daß die ungarischen Kommunisten über „unerschöpfliche Geldmittel“ aus Rußland verfügten. Mit ihnen wurde die Vörös Ujsag, die Rote Zeitung gegründet. Die Encyclopaedia Judaica teilt mit, daß der zuweilen als ungarischer Lenin bezeichnete Bela Kun von wilder Energie erfüllt und dem Judaismus völlig entfremdet war.249 Auch in Budapest versuchten die Kommunisten die bürgerlichen und sozialistischen Zeitungen zu besetzen und ein Meinungsmonopol zu errichten. Dabei schritt am 18. Februar 1919 die Polizei gewaltsam ein, was acht Personen das Leben kostete, während hundert weitere verletzt wurden. Bela Kun warf man vorübergehend ins Gefängnis, behandelte ihn aber auffallend mild. Am 21. März 1919 erfolgte in Budapest der Zusammenschluß der Sozialistischen und Kommunistischen Partei, dann dankte die bürgerliche Regierung Károlyi ab und die Räterepublik wurde ausgerufen. Sie stellte nach Julius Braunthal einen „Triumph der Moskauer Intervention“ dar.250 Unbestrittener Chef der Budapester Räterepublik war Bela Kun, der sich als Speerspitze der Weltrevolution verstand und einem Genossen aus Wien stolz mitteilte: „Ich bin von Lenin zu seinem Vertreter für ganz Mittel- und Westeuropa ernannt.“251 Er entsandte den Budapester Stadtkommandanten Ernö Bettelheim nach Wien, um auch hier die Sowjetherrschaft mit einem Militärputsch zu etablieren und die „Weltdiktatur des Proletariates“ voranzubringen.252 Von großer Tragweite ist, daß das Führungspersonal der ungarischen Räterepublik überwiegend jüdischer Herkunft war. Aus diesem Grund konnte sie von ihren Gegnern leicht als ,Judenrepublik“253 denunziert werden. So bestätigen die Amerikaner Rothman und Lichter in ihrem Buch Roots of Radicalism, daß von 48 Volkskommissaren in Ungarn 30 jüdisch gewesen sind und von 202 Spitzenbeamten 16l.254 Aufgrund dieser Gegebenheiten vermochte die Londoner Times das Regime von Bela Kun 1919 als „jüdische Mafia“ zu denunzieren.255 Als Erklärung für solchen Radikalismus von ungarischen Juden weist Rothman in einem Beitrag für das Journal of Psychohistory darauf hin, daß diese Gruppe dem religiösen Judentum entfremdet gewesen sei und eine prinzipielle „Feindschaft“ (hostility) gegenüber der christlichen Kultur an
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den Tag gelegt habe.256 Als Leo Lahia im Mai 1919 als Wiener Emissär Budapest besuchte, stellte er fest, daß Bela Kun „seine Herrschaft mit einem wilden Krieg gegen die Kirche“ begonnen hatte.257 In Budapest wurde auf der Theresienkirche die rote Fahne gehißt, der Fürstprimas in einer Dachkammer seines Palais gefangengesetzt258 und eine wüste antiklerikale Agitation betrieben. In der Frankfurter Zeitung hieß es dazu am 29. April 1919 in dem Artikel Sowjet-Ungarns Kulturpolitik: „Im Schulwesen ... ist einstweilen namentlich die radikale Ausmerzung des Religionsunterrichts zu konstatieren.“ In dem von Bela Kun eingeleiteten Buch Visegrader Straße berichtet ein Mitarbeiter von Vörös Ujsag (Rote Zeitung), daß in jenen Wochen im Budapester „Sowjethaus“ so argumentiert wurde: „Wir Kommunisten sind wie Judas. Unsere blutige Arbeit ist, Christus zu kreuzigen. Aber diese sündhafte Arbeit ist zugleich unsere Berufung, Christus wird erst durch den Tod am Kreuz Gott, und das sei notwendig, um die Welt erlösen zu können. Wir Kommunisten nehmen also die Sünden der Welt auf uns, um dadurch die Welt zu erlösen.“259 Als Symbol für den Sturz der christlichen Monarchie wurde in Budapest das Denkmal für Kaiser Franz Joseph gestürzt und die Jungfrau Maria verhöhnt.260 Bei den Feierlichkeiten zur Weltrevolution vom 1. Mai 1919 ließ man stattdessen die wichtigsten Plätze mit Büsten von Karl Marx, Lenin, Trotzki, Liebknecht und Rosa Luxemburg als den neuen Heiligen dekorieren.261 Besonders unbeliebt hat sich in Ungarn Josef Pogány gemacht, der wie Georg Lukácz christlich getauft war und als Gymnasiallehrer und Journalist gearbeitet hatte. Er stieg zum Führer des Budapester Soldatenrats auf und bekleidete das Amt eines Volkskommissars für Verteidigung. Später ist er wie schon erwähnt unter dem Namen ,John Pepper“ als der KominternAufpasser der amerikanischen KP in Erscheinung getreten. Monarchisten und andere Gegner der Räteherrschaft hat Pogány am 22. April 1919 im Angesicht des Kollaps der Räteherrschaft so bedroht: „Zittert vor unserer Rache! Wir werden zurückkehren und euch diesmal nicht nur als Klasse, sondern in Wirklichkeit bis zum letzten Mann, bis zum letzten Gegenrevolutionär ausrotten!“262 Berüchtigter noch wurde Tibor Szamuely, der 1918 in Rußland politischer Kommissar des 1. Moskauer Bataillons war und am Gründungskongreß der KPD in Berlin teilgenommen hatte. Er übernahm als Chefredakteur die Vörös Ujsag (Rote Zeitung) und war überdies der „ver-
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haßte Chef der ungarischen Tscheka“.263 Die sich als „Leninbuben“ bezeichnenden ungarischen Tschekisten haben nach der Großen Jüdischen National-Biographie „ungeheuren Terror“ ausgeübt.264 Ohne jede Rechtsgrundlage wurden „Gegenrevolutionäre“ willkürlich verfolgt, verhaftet, verschleppt und auch getötet. Man rechnet ihnen mindestens 500 Opfer zu. Als Tibor Szamuely nach dem Sturz der ungarischen Räterepublik in Österreich auf der Flucht verhaftet worden war und Selbstmord verübt hatte, verweigerte ihm die Wiener Neustädter Israelitische Kultusgemeinde ein religiöses Begräbnis. Neben Bela Kun, Josef Pogány-Pepper und Georg Lukácz, der später in Moskau Mitarbeiter des Marx-Engels-Institutes sowie der Akademie der Wissenschaften gewesen ist, haben zwei weitere, gleichfalls jüdische ungarische Volkskommissare in der Komintern eine bedeutsame Rolle gespielt. Der Volkskommissar für Handel und Politkommissar einer Division, Mátyás (Matthias) Rákosi (Roth)265 kehrte erst 1945 als „Moskowiter“ aus der russischen Emigration nach Ungarn zurück. Hier stieg er zum Generalsekretär der KP Ungarns sowie zum stellvertretenden Premierminister auf. Der Volkskommissar für Finanzen, Jenö (Eugen) Varga, Sohn eines jüdischen Dorfschullehrers, nahm am II. Kominternkongreß von 1920 teil und leitete von 1922 bis 1927 das „Statistische Informationsbüro“ der Komintern, das im Gebäude der Berliner Sowjetbotschaft untergebracht war. Danach lebte er als Direktor des „Instituts für Weltwirtschaft und Weltpolitik“ in Moskau. Als Wirtschaftsberater Stalins ist er mit dem Lenin- und Stalinpreis ausgezeichnet worden.266 Das spektakuläre Hervortreten jüdischer Revolutionäre in der ungarischen Räterepublik hat nach Nathaniel Katzburg die weitreichende Konsequenz gehabt, daß fast allgemein akzeptiert wurde, daß „der Bolschewismus in Ungarn weitgehend ein jüdisches Unternehmen“ (largely a Jewish enterprise) gewesen sei.267 Die Rätediktatur in Budapest konnte daher als „Herrschaft der Juden“268 und als ungarische ,Judenrepublik“269 angeprangert werden. Nach dem Zusammenbruch der Räterepublik erschütterte eine Rachewelle Ungarn. Die Pogrome gegen die Revolutionäre richteten sich vornehmlich gegen die jüdischen. Dem „weißen“ Terror fielen rund 5000 Personen zum Opfer, davon etwa 3000 Juden. Die jüdische Gemeinde in Pest reagierte damals in der Weise, daß sie alle direkt oder indirekt für die Räterepublik engagierten Juden ausschloß.270
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Anmerkungen 1 In Komintern, zit. nach: Peter Rindl: Der internationale Kommunismus. München 1961, S. 19. 2 Zur Komintern s. Pierre Broué: Histoire de L'Internationale Communiste 1919-1943. Paris 1997; Alexander Wadin: Die Komintern. Mainz 1993; Thiery Wolton: Le grand recrutement. Paris; Theodor Bergmann und Mario Keßler: Aufstieg und Zerfall der Komintern. Mainz 1992; Vìlem Kahane: The Communist International, 1919-1943, The personnel ... In: International Review ofSocial History (1966) 21,S. 151 ff.; Milorad Drachkovitch und Branko Lazitch (Hrsg.): The Comintern. New York 1969. 3 Werner Angress: Die Kampfzeit der KPD. Düsseldorf 1973, S. 77. 4 Robert V. Daniels: Das Gewissen der Revolution. Köln 1962, S. 208. 5 Vìlem Kahan: The Communist International, 1919-1943: The personnel of its highest bodies. In: International Reviere of Social History 21 (1976), S. 151-185. 6 Von diesen seien hier hervorgehoben: Who was Who in the USSR? Metuchen, N. J. 1972; Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford, Cal. 1973; Jeanne Vronskaya: The biographical dictionary of the former Soviel Union. London 1992. 7 Robert Eisler hat als Student in Leipzig die Tochter seines christlichen Wirts, eines Metzgermeisters, geheiratet, welche zum Judentum konvertiert ist. Vgl. Art. Fischer, Ruth, in: Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Bd. 7/1999. 8 Art. Losowski, in: Rolf W. Schloß: Laß mein Volk ziehen. Die russischen Juden zwischen Sowjetstern und Davidstern. München 1971. 9 Peter Lübbe (Hrsg.): Ruth Fischer – Arkadij Maslow: Abtrünnig wider Willen. München 1990, S. 410. 10 Art. Shatskin, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. 11 Schriftliche Auskunft vom 2.11. 1994 des Zetkin-Biografen Gilbert Badia, Paris, an den Vf. 12 Karl Radek: Die Maien der Revolution. In: Jugend-Internationale (1917) 8, S. 5. 13 Ebenda (1917) 10, S. 14. 14 Leon Kane: Robert Danneberg. Wien 1980. 15 Charles Rappoport: Der Sozialnationalismus. In: Jugend-Internationale (1915) l, S. 11-12. 16 Jean-Louis Panne: Boris Souvarine. Paris 1993. 17 Boris Souvarine: Stalin. München 1980, S. 576. 18 Iren Komjat: Die Geschichte der Inprekorr. Frankfurt/M. 1982. 19 Peter Huber: Stalins Schatten in der Schweiz. Zürich 1994. 20 Erinnern und Ermutigen. Hommage für Theo Pinkus 1909-1991. Zürich 1992, S. 60. 21 Ebenda, S. 10. 22 Theo Pinkus (Hrsg.): Gespräche mit Georg Lukács. Reinbek 1967. 23 Morton Cowden: Russian Bolchevism and British Labour 1917-1921. New York 1984, S. 37. 24 Sharman Kadish: Bolsheviks and British Jews. London 1992, S. 231. 25 Ebenda, S. 121; ferner: Francis Beckett: Enemy within. The rise and fall of the British communist party. London 1995, S. 17. 26 Steve Weinberg: Armand Hammer. London 1989. 27 Art. Krasny, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. 28 Elisabeth Poretsky: Our own people. A memoir of „Ignace Reiss“ and his friends. London 1969, S. 43. 29 Ebenda, S. 75. 30 Hans Ulrich Jost: Die Altkommunisten. Frauenfeld 1977, S. 105. 31 Heinz Egger: Die Entstehung der Kommunistischen Partei und des kommunistischen Jugendverbandes in der Schweiz. Diss. Zürich 1952, S. 69 f. und 107. 32 Peter Stettier: Die Kommunistische Partei in der Schweiz 1921-1931. Bern 1980, S. 488. 33 Beat Claus: Die Nationale Front. Zürich 1969, S. 285. 34 Tibor Süle: Sozialdemokraten in Ungarn. Köln, Graz 1967, S. 197. 35 Iren Komjat: Die Geschichte der Inprekorr. Frankfurt/M. 1982, S. 15 ff. 36 Art. Israel Amter, in: Encyclopaedia Judaica. Jerusalem 1973.
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37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76
Art. Pogány, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. Alexander Abusch: Memoiren. Berlin 1981, S. 17. Inprekorr (1924) 33, S. 276. Walter Krivitsky: Ich war im Dienst Stalins. Amsterdam 1940, S. 68. Art. Piatnitzky, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. Walter Krivitsky. Ich war im Dienst Stalins. Amsterdam 1940, S. 68 f. Morton Cowdon: Russian bolshevism and British labour 1917-1921. New York 1984, S. 37. Mathijs C. Wiessing: Die holländische Schule des Marxismus – Die Tribunisten. Hamburg 1980, S. 110 ff. Markus Wehner und Aleksandr Vatiin: „Genosse Thomas“. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1993) l, S. l-19. Dietrich Möller: Karl Radek in Deutschland. Köln 1976, S. 14 und 17. Art. Mirow-Abramow in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. Markus Wehner und Aleksandr Vatiin: „Genosse Thomas“, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1993) l, S. 1-19. Walter Krivitsky: Ich war im Dienst Stalins. Amsterdam 1940, S. 8. Flora Lewis: Bauer im roten Spiel. Das Leben des Noel H. Field. Berlin 1965, S. 78. Walter Krivitsky: Ich war im Dienst Stalins. Amsterdam 1940, S. 178. Gilles Perrault: Auf den Spuren der Roten Kapelle. Wien 1990, S. 42. Thiery Wolton: Le grand recrutement. Paris 1993, S. 33-69. Peter Huber: Stalins Schatten über der Schweiz. Zürich 1994, S. 29. Annie Kriegel und Stephane Courtois: Eugen Fried. Le grand sécret du PCF. Paris 1997. Frances Malino und Bernard Wasserstein: The Jews in modern France. Hanover 1985, S. 177; D. S. Bell und Byron Criddle: The French communist party. Oxford 1994, S. 236. Art. Petrovsky, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. Art. Maslow, ebenda. Bernd Kaufmann und andere: Der Nachrichtendienst der KPD 1919-1937. Berlin 1993, S. 39 f. Karl Radek: Die Entwicklung des Sozialismus von der Wissenschaft zur Tat. Bern 1918, S. 4. Robert Jungk: Trotzdem. Mein Leben für die Zukunft. München 1994, S. 59. Ebenda, S. 156 ff. John Haynes und Harvey Klehr: Verona. Decoding Soviet espionnage in America. Yale UNDP. 1999, S. 60 f. und 378 f. Hede Massing: Die große Täuschung. Geschichte einer Sowjetagentin. Freiburg i. Br. 1967, S. 115. Harvey Klehr und andere: The sécret world of American communism. New Haven 1995, S. 309 ff. Art. Carr, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionary of the Comintern. Stanford 1973. Annie Kriegel und Stephane Courtois: Eugen Fried. Le grand sécret du PCF. Paris 1997, S. 111. Ebenda, S. 111. Christopher Andrew und Oleg Gordiewsky: KGB. London 1990, S. 73 ff. Louis Fischer: Men and politics. London 1941, S. 26 – auf S. 242 berichtet L. F., daß er aus einer orthodoxen Familie des jüdischen Ghettos von Philadelphia stammt und zeitweise mit dem Zionismus sympathisiert hat. Rosa Meyer-Leviné: Im inneren Kreis. Erinnerungen einer Kommunistin. Köln 1979 – auf S. 19 berichtet sie, daß sie als Emigrantin und Abtrünnige des Sowjetkommunismus unter anderem mit Eric Hobsbawm, Isaac Deutscher, Herbert Marcuse, Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit verkehrt hat. Heinz Knobloch: Meine liebe Mathilde. Berlin 1985. Ottokar Luban: Ermittlung der Strafverfolgungsbehörden gegen Mathilde Jacob und Leo Jogiches (1915-1918). In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1995) 31, S. 307-331. Branko Lazitch: Lenin and the Comintern. Vol. I. Stanford 1972, S. 39 ff. Francis Garsten: Essays in German history. London 1985, S. 227. Stanley Rothman: Roots of radicalism. Jews, Christians and the New Left. New York 1982, S. 84. So der aus einer reichen jüdischen Familie Ungarns stammende Julius Hay: Geboren 1900. Erinne-
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rungen. Reinbek 1971, S. 185; Hay ist während der Räterepublik unter Bela Kun ,Jungarbeiter-Propagandist“ gewesen – ebenda, S. 58 f. 77 Der aus Berlin stammende Londoner Professor Francis L. Garsten, in dessen Haus der Vf. Gast gewesen ist, weist z.B. in „Revolution in Mitteleuropa 1918-1919“ (Köln 1973), auf S. 166 daraufhin, daß „führende Intellektuelle“ der KPD „polnisch-jüdischer Herkunft“ gewesen sind. 78 Nr. 4 vom 21. 1. 1919. 79 Hannsjoachim W. Koch: Der deutsche Bürgerkrieg. Berlin 1978, S. 89 (Neuauflage Dresden 2002). 80 Charlotte Beradt: Paul Levi. Frankfurt 1969, S. 22. 81 Walter Nimtz: Die November-Revolution 1918 in Deutschland. Berlin 1965, S. 122. 82 Harm Mögenburg: Die Haltung der britischen Regierung zur deutschen Revolution 1918/19. Diss. Hamburg 1975, S. 171 ff. 83 Protokolle des Gründungsparteitages der KPD. Berlin 1972, S. 116. 84 Elszbieta Ettinger: Rosa Luxemburg. Bonn 1990, S. 95. 85(29.3. 1924) 13, S. 275. 86 Im Vorwärts, zit. nach: Richard Müller: Bürgerkrieg in Deutschland. Berlin 1974, S. 15. 87 Rosa Meyer-Leviné: Leviné. München 1972, S. 114. 88 Sabine Hering und Kurt Schilde: Kampfname Ruth Fischer. Frankfurt/M. 1995, S. 31. 89 Werner Angress: Die Kampfzeit der KPD 1921-1923. Düsseldorf 1973, S. 311. 9020(1924), S. 619. 91 Art. Flieg, in: Biographisches Handbuch der Deutschsprachigen Emigration. München 1980. 92 Werner Angress: Die Kampfzeit der KPD 1921-1923. Düsseldorf 1973, S. 455. 93 Ruth Fischer: Stalin und der deutsche Kommunismus. Bd. 1. Berlin 1991, S. 168 f. 94 Sigrid Koch-Baumgarten: Aufstand der Avantgarde. Die Märzaktion der KPD 1921. Köln 1987, S. 79. 95 Hans-Ulrich Ludewig: Arbeiterbewegung und Aufstand 1920-1923. Husum 1978, S. 165. 96 Julius Hay: Geboren 1900. Reinbek 1971, S. 231. 97 Werner Angress: Die Kampfzeit der KPD 1921-1923. Düsseldorf 1973, S. 454. 98 Ruth Fischer und Arkadij Maslow: Abtrünnig wider Willen. Hrsg. Peter Lübbe. München 1990, S. 631; Pierre Broué: Revolution en Allemagne. Paris 1973, S. 476. 99 Sigrid Koch-Baumgarten: Aufstand der Avantgarde. Die Märzaktion der KPD 1921. Köln 1987, S. 59. 100 Valtin (d.i. Richard Krebs): Tagebuch der Hölle. Köln 1957, S. 56 f. 101 Stefan Weber: Ein kommunistischer Putsch? Märzaktion 1921. Berlin 1991, S. 192 f. 102 Matthias Grünthaler: Parteiverbote in der Weimarer Republik. Frankfurt/M. 1995, S. 139. 103 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 2. Berlin 21974, S. 247. 104 Karsten Rudolph: Das Scheitern des Kommunismus im deutschen Oktober. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1969) 32, S. 484-519. 105 Ebenda, S. 300. 106 Zit. nach: Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Berlin 1987, S. 127 f. 107 Walerij Brun-Zechowoj: Manfred Stern – General Kleber 1896-1954. Berlin 2000 – Manfred Stern war ein Bruder von Leo Stern, der seit 1932 an der Lomonossov-Universität lehrte, im Krieg für Marschall Tolbuchin dolmetschte und in der DDR zum Rektor der Universität Halle bestellt wurde. Manfred Stern wurde bei der „Säuberung“ 1938 verhaftet, starb 1954 im Gulag und wurde 1956 rehabilitiert. 108 Richard Comfort: Revolutionary Hamburg. Stanford, Cal. 1966, S. 125 ff. 109 Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Berlin 1984, S. 654. 110 Art. Unszlicht, in: Branko Lazitch: Biographical Dictionaiy of the Comintern. Stanford 1973. 111 Art. L. Stern, in: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration. München 1980. 112 Hermann Weber: Die Wandlungen des deutschen Kommunismus. Bd. 1. 1969, S. 18 ff. 113 Hans Mayer: Der Widerruf. Über Deutsche und Juden. Frankfurt/M. 1994, S. 292. 114 Willi Schlamm: Diktatur der Lüge. Eine Abrechnung. Zürich 1937, S. 150. 115 Francis L. Garsten: Arthur Rosenberg als Politiker. In: Festschrift Karl Stadier. Linz 1974, S. 267-280. 116 Internationale Presse-Korrespondenz (1922) 157, S. 1007.
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117 Francis L. Garsten: Arthur Rosenberg als Politiker. In: Festschrift Karl L. Stadier. Linz 1974, S. 267-280. 118 Helmut Schachenmayer: Arthur Rosenberg. Wiesbaden 1964, S. 32. 119 226. Sitzung. 120 Margarete Buber-Neumann: Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Stuttgart 1967, S. 32. 121 Ebenda, S. 96. 122 Michaela Wunderle: à propos Margarete Buber-Neumann. Frankfurt/M. 2001, S. 15. 123 A. Neuberg: Der bewaffnete Aufstand. Frankfurt/M. 1971, S. 1. 124 Klaus Rainer Röhl: Nähe zum Gegner. Kommunisten und Nationalsozialisten im Berliner BVG-Streik von 1932. Frankfurt/M. 1994, S. 83. 125 Art. Leo Roth, in: Biographisches Handbuch der Deutschsprachigen Emigration. München 1980; Art. „Kommunistische Romeos“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2.5. 2001. 126 Margarete Buber-Neumann: Der kommunistische Untergrund. Kreuzungen 1970, S. 264. 127 Robert Kempner: Ankläger einer Epoche. Frankfurt/M. 1983, S. 171. 128 Hermann Weber und Ulrich Mählert (Hrsg.): Terror. Stalinistische Parteisäuberungen. Paderborn 1998, S. 174 f. 129 Reinhard Müller: Der Fall Werner Hirsch. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (2000) 36, S. 34-61. 130 Art. W. Hirsch, in: Biographisches Handbuch der Deutschsprachigen Emigration. München 1980. 131 Ernst Nolte: Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Berlin 1987, S. 187. 132 Christian Striefler: Kampf um die Macht. Berlin 1993, S. 313. 133 Thomas Kurz: „Blutmai“. Sozialdemokraten und Kommunisten im Brennpunkt der Berliner Ereignisse von 1929, Berlin 1988 (Hirsch-Zitat: S. 148). 134 Ebenda, S. 103. 135 Recha Rothschild: Verschlungene Wege. Identitätssuche einer deutschen Jüdin. Frankfurt/M. 1994, S. 83. 136 Alexander Watlin: Die Komintern 1919-1929. Mainz 1993, S. 42, Anm. 44. 137 Ruth Fischer: Stalin und der deutsche Kommunismus. Bd. 1. Berlin 1991, S. 11. 138 Sabine Hering und Kurt Schilde: Kampfname Ruth Fischer. Frankfurt/M. 1995, S. 42. 139 Hans-Dieter Zimmermann: Der Dichter und die Partei: Stefan Hermlin. In: Text und Kritik H. 108, Macht Apparat Literatur, 1990, S. 48-59. 140 In: Sinn und Form (1951) 3, S. 215. 141 Fernando Morais: Olga. Reinbek 1992. 142 Margarete Buber-Neumann: Von Potsdam nach Moskau. Stuttgart 1958, S. 132. 143 Manfred Herzer: Magnus Hirschfeld. Frankfurt/M. 1992, S. 44. 144 Wilhelm Reich: Die sexuelle Revolution. Frankfurt/M. 1971, S. 25. 145 Wilhelm Reich: Die Funktion des Orgasmus. Köln 1969, S. 19. 146 Bernd A. Laska: Wilhelm Reich. Reinbek 1981, S. 70. 147 David Boadella: Wilhelm Reich. Bern 1981, S. 88. 148 Maria Klanska: Aus dem Schtetel in die Welt 1772-1938. Wien 1994, S. 393. 149 Leo Lania: Welt im Umbruch. Biographie einer Generation. Frankfurt/M. 1954, S. 151 ff. 150 Ebenda, S. 170 f. 151 Paul Breines: The Jew as revolutionary – The case of Gustav Landauer. In: Leo-Baeck-Institute Yearbook XII (1967), S. 75-84. 152 Gerhard Schmölze (Hrsg.): Revolution und Räterepublik in München 1918/19. Düsseldorf 1969, S. 99. 153 Erich Mühsam: Tagebücher 1910-1924. Hrsg. Chris Hirte. München 1994, S. 181. 154 Leonhard Fiedler und andere (Hrsg.): Gustav Landauer. Frankfurt/M. 1995, S. 191 und S. 79. 155 Karl Bosl (Hrsg.): Bayern im Umbruch. München 1969, S. 37. 156 Erich Mühsam: Von Eisner bis Leviné. Berlin 1976, S. 19. 157 Kurt Eisner: Die halbe Macht den Räten. Hrsg. Gerhard Schmölze. Köln 1969, S. 207. 158 Art. Eisner, in: Neue Deutsche Biographie. Bd. 4, S. 423. 159 Erich Mühsam: Fanal. Hrsg. Kurt Kreiler. Berlin 1979, S. 12.
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160 Kurt Eisner: Die halbe Macht den Räten. Köln 1969, S. 282. 161 Franz Schade: Kurt Eisner. Hannover 1961, S. 86. 162 Friedrich Hitzer: Anton Graf Arco. München 1988. 163 George Hallgarten: Als die Schatten fielen. Frankfurt/M. 1969, S. 93. 164 Max Gerstl: Die Münchener Räte-Republik. München 1919, S. 12. 165 Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland. Zit. nach: Aufbau (New York) vom 6. 1. 1995. 166 Reinhard Baumann (Hrsg.): Die Revolution in der Provinz. Konstanz 1996, S. 178 ff. 167 Immanuel Birnbaum: Juden in der Münchener Räterepublik. In: Hans Lamm (Hrsg.): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. München 1982, S. 369-371. 168 Pierre Broué: Revolution en Allemagne. Paris 1971, S. 916. 169 Weltbühne (1919) 15, S. 474. 170 Victor Klemperer: Tagebücher 1918-1924. Bd. 1. Berlin 1996, S. 31. 171 Klaus-Michael Mallmann: Kommunisten in der Weimarer Republik. Darmstadt 1996, S. 69. 172 Inprekorr (1922) 82, S. 624. 173 Ernst Niekisch: Gewagtes Leben. Köln 1958, S. 75. 174 Rosa Meyer-Leviné: Leviné. Frankfurt/M. 1974, S. 14 ff. 175 Sebastian Haffher: Die verratene Revolution 1918/19. Bern 1969, S. 186. 176 Zit. nach: Werner Maser: Der Sturm auf die Republik. Stuttgart 1973, S. 35. 177 Ambroise Got: La terreur en Bavière. Paris 1922, S. 171. 178 Allan Mitchell: Revolution in Bayern 1918-1919. München 1967. 179 Annegret Walz: Hedwig Lachmann. Flacht 1993, S. 469. 180 Victor Klemperer: Tagebücher 1918-1924. Berlin 1996, S. 95. 181 Hansjakob Stehle: Die Ostpolitik des Vatikans. München 1975, S. 24. 182 John Cornwell: Pius XII. München 1999, S. 101. 183 Hermann Gilbhard: Die Thule-Gesellschaft. München 1994, S. 11. 184 Ebenda, S. 69 f. 185 Kain (l9l9) 9, S. 34. 186 Max Gerstl: Die Münchener Räte-Republik. München 1919, S. 14. 187 Hermann Gilbhard: Thule-Gesellschaft. München 1994, S. 144. 188 Arthur J. Ryder: The German revolution of 1918. Cambridge 1967, S. 214. 189 Karl L. Ay: Appelle einer Revolution. München 1968, Anlage 94. 190 Martin Meyer: Tagebuch und spätes Leid. Über Thomas Mann. München 1999, S. 114. 191 München 1938, S. 226. 192 Wolfram Meyer zu Uptrup: Wann wurde Hitler zum Antisemiten? In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (1995) 43, S. 687-697. 193 Brigitte Hamann: Hitlers Wien. München 1996. 194 Anton Joachimsthaler: Adolf Hitler 1908-1920. Korrektur einer Biographie. München 1989, S. 228. 195 Steven Beller: Vìenna and the Jews 1867-1938. Cambridge 1989, S. 17. 196 Ebenda. 197 Helmut Gruber: Red Vienna and the Jewish Question4. In: Leo Baeck Institute Yearbook 1993, S. 99-118, hier S. 104 f. 198 Ebenda, S. 106. 199 In der von F. Austerlitz redigierten Arbeiter-Zeitung (AZ) heißt es am 9. 11. 1917: „Ein Ereignis von gewaltiger Bedeutung hat sich heute vollzogen. Die Diktatur des Proletariates ist in Petersburg zur Wirklichkeit geworden ... Unsere leidenschaftlichen Wünsche sind heute bei unseren russischen Brüdern!“, zit. nach: Hans Hautmann: Die verlorene Räterepublik. Wien 1971, S. 43. 200 Vgl. Otto Bauer: Bolschewismus oder Sozialdemokratie. Wien 1921, S. 67. 201 Hans Hautmann: Die verlorene Räterepublik. Am Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs. Wien 1971, S. 11. 202 Die Wiener Stimmen sprachen am 31. 1. 1921 von der „Wühlarbeit der Umsturzjuden“, zit. nach:
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Marcus Patka: Egon E. Kisch. Wien 1997, S. 56. 203 Herbert Rütgen: Antisemitismus in allen Lagern. Graz 1989, S. 137. 204 Wolfgang Broer: Wort als Waffe. Bd. 2. Wien 1973, S. 535. 205 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 2. Berlin 21974, S. 159; vgl. Arthur Schnitzler: Tagebuch 1917-1919. Wien 1985, S. 239, Eintrag vom 20. 3. 1919: „Die hiesige Führerin, Frau Friedländer, lebt vom russischen Geld glänzend.“ 206 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 39. 207 Hans Hautmann: Die verlorene Republik. Wien 1971, S. 73. 208 Vgl. den Personalartikel in der Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971, wo auch sein zionistischer Bruder Adolf gewürdigt ist, der 1947 zum Präsidenten des ZK der polnischen Juden gewählt wurde und 1950 nach Israel ging, wo er für die Mapam und dann die KP der Knesset angehörte. Ferner Teresa Toranska: „Them“. Stalins Polish puppets. New York 1987, S. 203 ff. 209 Vgl. Hans Hautmann: Die Anfänge der linksradikalen Bewegung und die Kommunistische Partei Deutschösterreichs 1916-1919. Wien 1970. 210 Hilferding machte in der deutschen SPD Karriere und gehörte 1918-1922 vorübergehend dem Vorstand der linkssozialistischen USPD an. Er war Chefredakteur des USPD-Zentralorgans Die Freiheit, kehrte jedoch wieder in die SPD zurück und verübte dann im Herbst 1940 unter der deutschen Besatzung in Frankreich Selbstmord. Vgl. William Smaldone: Rudolf Hilferding. Northern Illinois, UP. Dekalb 1998. 211 Hans Hautmann: Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918-1924. Wien 1987, S. 141. 212 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 141. 213 Hans Hautmann: Die Anfänge der linksradikalen Bewegung. Wien 1970, S. 33. 214 Gerhard Botz: Gewalt in der Politik. München 1983, S. 33 ff. 215 Inprekorr (1921) l, S. 11. 216 Ebenda, S. 31. 217 Marcus Patka: Kisch. Wien 1997, S. 55. 218 Ebenda, S. 55. 219 So am 21. 11. 1918, zit. nach: Marcus Patka: Kisch. Wien 1997, S. 47. 220 Hans Hautmann: Die verlorene Räterepublik. Wien 1971, S. 106. 221 Zit. nach: Weg und Ziel. Wien 1978, S. 336. 222 Auf S. 117 seiner Erinnerungen: Der Papiersäbel. Frankfurt/M. 1972, bekennt Bruno Frei: „Der erste Autor, den ich mit Verstand aufgenommen habe, war nicht Karl Marx ... sondern Jeremias.“ 223 Ebenda, S. 62. 224 Hans Hautmann: Die Anfänge der linksradikalen Bewegung. Wien 1970, S. 85. 225 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 159. 226 Gerhard Botz: Gewalt in der Politik. München 1983, S. 45. 227 Weg und Ziel. Monatsschrift für Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus. Wien 1978, S. 378. 228 Hans Hautmann: Die Anfänge der linksradikalen Bewegung. Wien 1970, S. 152 f. 229 Hans Hautmann: Die verlorene Räterepublik. Wien 1971, S. 236. 230 Charles A. Gulick: Österreich von Habsburg zu Hitler. Wien 1976, S. 47. 231 M. Szimai: Otto Bauers Brief an Bela Kun. In: Acta Historica (1972) 18, S. 312-318. 232 Beatrix Hoffmann-Holter: Abreisendmachung. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1923. Wien 1995, S. 123. 233 Hans Hautmann: Die verlorene Räterepublik. Wien 1971, S. 236. 234 Ebenda, S. 79. 235 Julius Deutsch: Aus Österreichs Revolution. Wien o. J., S. 100. 236 Ebenda, S. 109. 237 Sabine Hering und Kurt Schilde: Kampfhame Ruth Fischer. Frankfurt/M. 1995, S. 35. 238 Manès Sperber: Bis man mir Scherben auf die Augen legt. München 1982, S. 45. 239 Manès Sperber: Die vergebliche Warnung. München 1979, S. 8. 240 Ebenda, S. 9.
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241 Zit. in: Marxismus Archiv. Bd. 1: Marxismus und Politik. Frankfurt/M. 1977, S. 210. 242 Ervin Sinkó: Roman eines Romans. Moskauer Tagebuch. Gütersloh 1969, S. 109 f. 243 Arkadi Vaksberg: Hotel Lux. Paris 1993, S. 211. 244 György Borsányi: The life of a communist revolutionary, Béla Kun. New York 1993, S. l ff. 245 Alfred Pfoser: Literatur und Austromarxismus. Wien 1980, S. 9. 246 Max Adler: Marx und Engels als Denker. Frankfurt/M. 1972, S. 17. 247 So Arpad Kadarkay: Lukácz. Cambridge 1991, S. 3. 248 Joseph Strelka: Unser Fahrplan geht von Stern zu Stern. Zu Franz Werfels Werk. Bern 1992, S. 115. 249 Encyclopaedia Judaica (Jerusalem 1971): Art. Kun, Bela. 250 Julius Braunthal: Geschichte der Internationale. Bd. 2, S. 150. 251 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 159. 252 Andras Mihalyhegyi: Die ungarische Räterepublik. Diss. Bochum 1974, S. 70. 253 Rolf Fischer: Entwicklungsstufen des Antisemitismus in Ungarn 1867-1939. München 1988, S. 143. 254 Oxford 1982, S. 89. Identische Zahlen nennt R. V. Burks 1961 in seinem Buch: The dynamics of communism in Eastern Europe. Princeton N.J. 1961, S. 162. 255 John Toland: Hitler. Bergisch-Gladbach 1977, S. 109. 256 Journal of Psychohistory (1978/79) 6: Group fantasies and Jewish Radicals. A psychodynamic Interpretation, S. 211-239 (Zitat: S. 223). 257 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 154. 258 Eugen Szatmari: Das rote Ungarn. Leipzig 1920, S. 81. 259 Joszef Lengyel: Vìsegrader Straße. Mit e. Vorwort von Bela Kun. Berlin 1959, S. 245. 260 Tibor Szamuely plante damals eine antikatholische Broschüre mit dem Titel: „Das Land der Jungfrau Maria unter dem Priesterjoch“; s. Rudolf L. Tökes: Bela Kun and the Hungarian Soviet Republic. New York 1967, S. 258. 261 Jérome und Jean Tharaud: Quand Israel était roi. Paris 1921, S. 244. 262 Eugen Szatmari: Das rote Ungarn. Leipzig 1920, S. 92. 263 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 154; Stephane Courtois (Hrsg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. München 1998, S. 302; Matyas Rakosi, in: Munzinger-Archiv. 264 Art. Bela Kun, in: Große Jüdische Nationalbiographie. 265 Charles Gati: Hungary and the Soviet Bloc. Durham 1986, S. 100. 266 Gerhard Duda: Jenö Varga. Berlin 1994. 267 In: Bela Vago und George L. Mosse (Hrsg.): Jews and non Jews in Eastern Europe 1918-1945. Jerusalem 1974, S. 115. 268 So heißt es in einem Budapester Flugblatt vom 24. 6. 1919, zit. nach: Andras Mihalyhegyi: Die ungarische Räterepublik. Diss. Bochum 1974, S. 256. 269 Rolf Fischer: Entwicklungsstufen des Antisemitismus in Ungarn 1867-1939. München 1988, S. 143. 270 Ebenda, S. 138 ff.
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Die ,Judensäuberung“ Stalins und das Feindbild vom Bolschewismus „Die Revolution verdämmerte, versank gar im GULAG.“ HEINZ BRANDT1
Bei der Bewertung der Beteiligung von Juden an der sozialistischen Bewegung ist außer dem quantitativen der qualitative Aspekt zu berücksichtigen. Dieser manifestiert sich sowohl in der großen Zahl prominenter jüdischer Revolutionsñihrer als auch in „jüdischen Motiven“ für die Parteinahme zu Gunsten von Sozialismus und Kommunismus. Arthur Hertzberg hat solche Motive bereits bei Moses Heß und Ferdinand Lassalle ausgemacht.2 Auch Karin Hartewig konnte in ihrem materialreichen Buch Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR herausarbeiten, daß Juden „in besonderer Weise von der kommunistischen Idee angezogen“ worden sind, da für sie die vom Kommunismus versprochene „künftige Gesellschaft... das Ende aller sozialen, religiösen und ethnischen Diskriminierung“ in Aussicht stellte.3 Die auf die dargelegte Weise zustande gekommene Überrepräsentanz jüdischer Funktionäre in der KP der Sowjetunion hat angesichts des Fortbestehens antisemitischer Ressentiments einerseits, der Verhaßtheit des Systems in Teilen der Bevölkerung andererseits für Juden eine heikle Situation herbeigeführt. Stalins Propaganda während der „Säuberung“4 in den dreißiger Jahren wies so starke „antisemitische Untertöne“5 auf, daß prominente jüdische Historiker dem Georgier einen „Holocaust an den sowjetischen Juden“6 anlasten, ja die „sowjetkommunistischen Verbrechen an den Juden sogar eine andere Art Shoa“ nennen.7 Es ist deshalb notwendig, auf diese Verfolgung näher einzugehen, wobei gefragt werden muß, wie sich der Kurswechsel des ursprünglich „judophilen“8 Sowjetregimes erklärt und warum die Nationalsozialisten gleichwohl weiterhin vom „jüdischen Bolschewismus“ sprachen. Immerhin hielt Goebbels anläßlich der Moskauer Schauprozesse im Januar 1937 in seinem Tagebuch fest, daß Stalin „vielleicht ... die Juden herausekeln“ könnte.9
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Und schon 1928 hatte Hitler in seinem „Zweiten Buch“ gefragt, ob nicht in Sowjetrußland „das jüdische Element vielleicht durch ein mehr oder weniger russisch nationales verdrängt werden könnte“.10 Die tatsächlich wesentlich durch eine „rote Kohorte“ jüdischer Revolutionäre geprägte weltrevolutionäre Phase des frühen Sowjetstaates11 ging unter Stalin in die „sowjetpatriotische“ Ära über. Der Richtungswechsel markierte einen Bruch in der Geschichte der Sowjetunion. Er umfaßte die Proklamation des „Sozialismus in einem Land“ und die Abkehr vom Internationalismus, vom Revolutionsexport. Statt dessen konzentrierte sich Stalin auf die Entwicklung seines eigenen Staates. Dies führte zu einer Russifizierung des Kommunismus, die sich auch darin äußerte, daß unter Stalin der Antisemitismus erneut zu einem Herrschaftsmittel werden konnte. Eine israelische Historikerin ist so weit gegangen, von einer ,,,Hitlerisierung' der Sowjetmacht“ unter Stalin zu sprechen!12 In der durch seinen politischen Erlösungsanspruch gekennzeichneten ausgreifend-messianischen Phase des Bolschewismus haben Kommunisten aus jüdischen Familien tatsächlich – nicht zuletzt auch in der Komintern – eine spektakuläre, anfangs teilweise dominierende Rolle gespielt. Die Vorstellung von einem angeblich „jüdischen Bolschewismus“ geht primär darauf, nicht so sehr auf dubiose Verschwörertheorien zurück. Damit sind die in Rußland bereits vor dem Ersten Weltkrieg fabrizierten Protokolle der Weisen von Zion angesprochen. Anders als dies gegenwärtig oft noch behauptet wird, sind diese „Protokolle“ nach neuesten Forschungen wohl nicht von der zarischen Geheimpolizei, sondern vielmehr von rechtsgerichteten südrussischen Adeligen verfaßt, zumindest aber redigiert worden.13 Meist wird auch übersehen, daß die ab 1919 weltweit publizierten Protokolle nicht etwa Neuauflagen der ursprünglichen russischen Ausgabe von 1905 darstellen, sondern vielmehr wesentlich erweiterte Bearbeitungen waren. Die ursprünglichen Protokolle der Weisen bildeten meistens nur noch eine Art Rahmen für die Anprangerung von „jüdischen“ Bolschewisten wie etwa Bela Kun und Leo Trotzki. In einer deutschen Ausgabe des Internationalen Juden von Henry Ford wird bezeichnenderweise bezüglich des „Wahrheitsbeweises“ der Protokolle festgestellt, daß „die Handlungen der Juden in Rußland ... der Wahrheitsbeweis (sind)“.14 Die auch von manchen Antisemiten für Fälschungen gehaltenen „Protokolle“15 – ein Judenreferent des Sicherheitsdienstes der SS hat sie intern als „Quatsch“ abqualifiziert16 – galten als Beleg für eine Drahtziehertheorie. Der zufolge gab es eine geheime jüdische Welt-
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regierung, der freimaurerische Organisationsformen nachgesagt wurden und die mit ihren Machenschaften eine jüdische Weltherrschaft herbeizuführen suchte. Der 1883 in Kiew geborene und später zum SS-Standartenführer aufgestiegene Gregor Schwartz-Bostunitsch17 hat 1939 in München das Buch Die Bolschewisierung der Welt veröffentlicht. Darin kolportiert er die auf die Stalinsche ,Judensäuberung“ anspielende Witzfrage Karl Radeks über den Unterschied zwischen Stalin und Moses. Sie lautet: „Moses führte die Juden aus Ägypten heraus, und Stalin führte die Juden aus dem Politbüro heraus!“18 Goebbels und andere nationalsozialistische Ideologen, die 1941 zum Kreuzzug gegen den „jüdischen Bolschewismus“ aufgerufen haben, ist die von Stalin durchgeführte Ausschaltung eines Großteils der Elite der weltrevolutionären Bolschewiki durchaus bewußt gewesen. Hitler hat sogar im Februar 1942 in einem Tischgespräch berichtet, daß der von ihm als „genialer Kerl“ heimlich bewunderte Stalin gegenüber Reichsaußenminister Ribbentrop keinen Hehl daraus gemacht hat, daß er „mit dem heute noch von ihm benötigten Judentum Schluß“ machen werde!19 Die heimliche Verwandtschaft der deutschen Nationalsozialisten mit den Bolschewiki – Goebbels hat einmal sogar von einem „gesunden Kern“ des Bolschewismus gesprochen20 – wurde somit im vertrauten Kreis ausdrücklich anerkannt. Antinazistische bürgerliche deutsche Zeitzeugen wie Thomas und Heinrich Mann lagen gar nicht so falsch, wenn sie das NSRegime als „S.A.-Bolschewismus“21 und „schlechteren Bolschewismus“22 wahrnahmen. Ein adeliger SA-Oberführer hat im August 1933 im Adelsblatt über den „kaum verhüllten Haß“ vieler seiner Standesgenossen gegen die nationalsozialistischen Führer geklagt und ihnen vorgeworfen, sich Sorgen um „arme verfolgte Juden“ zu machen und die Nazis als „verkappte Bolschewisten“23 zu verunglimpfen! Am 21. Mai 1933 hat das Blatt der liberalen palästinensischen Juden Haarez festgestellt: „Hitler und seine Fraktion ahmen Moskau in jeder Weise nach.“24 Bei der 1941 erfolgten Ausrufung eines Kreuzzuges gegen den „jüdischen Bolschewismus“25 handelte es sich letztlich um ein unglaubwürdiges und durchsichtiges Manöver. Man ist daher geneigt, zu sagen, daß das „moralische“ Motiv für den Eroberungskrieg lediglich als Rechtfertigung vorgeschoben wurde. Tatsächlich lassen einen manche Quellen fragen, ob dabei nicht gleichsam pervertierte moralisch-missionarische Motive im Spiel gewesen sind. So liegt von dem „Polenschlächter“ Hans Frank eine
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Tagebuchnotiz vom 10. Februar 1937 vor, in der es heißt: „Ich bekenne mich zum Glauben an Deutschland ... Wir sind in Wahrheit Gottes Werkzeug zur Vernichtung des Schlechten. Wir streiten in Gottes Namen gegen den Juden und seinen Bolschewismus. Gott schütze uns.“26 Heute wird oft übersehen, daß sich das ausdrücklich zu terroristischen Methoden bekennende Sowjetregime damals in den Augen der zivilisierten Welt weltweit diskreditiert hatte. Und zwar durch 1. den russischen Bürgerkrieg mit seiner brutalen, kollektivistischen „Klassen“-Verfolgung von Adel, Kirche, Bauern und Bürgern sowie die Ausschaltung der demokratischen Sozialisten und der bürgerlichen Intelligenz 2. die von der Komintern in Mitteleuropa mit Hilfe der von ihr gegründeten und finanzierten kommunistischen Parteien angezettelten militärischen Aufstände und Bürgerkriege, und schließlich 3. den billigend in Kauf genommenen Tod von Millionen Bauern („Kulaken“) bei der „Kollektivierung“ der Landwirtschaft. Das Bild von einem mörderischen, keinerlei rechtsstaatliche Prinzipien beachtenden und die Christen verfolgenden Sowjetregime hatte sich in der ganzen westlichen Welt, und zwar keineswegs nur auf der politischen Rechten, fest eingeprägt. Zur Erläuterung dessen sei hier auf den Bericht über die sowjetischen Zwangsarbeitslager verwiesen, den der russische Bauernsohn und Journalist Iwan Solonewitsch im Jahre 1934 nach seiner Flucht nach Finnland als Zeitzeuge über den GULAG verfaßt hat, in dem Millionen versklavt und getötet wurden. Dieser Bericht, der in Deutschland unter dem Titel Die Verlorenen. Eine Chronik namenlosen Leidens erschien, war von einem „heiligen Zorn gegen den Bolschewismus“ erfüllt.27 Er kam auch auf russisch – in Bulgarien – und in englischer beziehungsweise amerikanischer, italienischer und niederländischer Übersetzung heraus und hat weltweit Beachtung gefunden.28 Nach der Lektüre dieses Buches, das in keinerlei Weise rechtsradikal oder antisemitisch29 gehalten ist, notierte Goebbels in sein Tagebuch: „Das ist in Rußland die Hölle auf Erden. Ausradieren. Muß weg.“30 Dieses Zeugnis dokumentiert eine außerordentliche antikommunistische Energie bei Goebbels, wobei er mit seiner Einschätzung als „Hölle“ nicht falsch lag.
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Stalins Juden- und Kulakensäuberung Wenn man die tieferen Ursachen für die Verfolgung der als „Kosmopoliten“, „Trotzkisten“ und „Zionisten“ gebrandmarkten jüdisch-kommunistischen Intellektuellen in der Sowjetunion der dreißiger Jahre verstehen will, muß man bedenken, daß Stalin schon früher seinem antisemitischen Affekt Ausdruck verliehen hatte, wenn er etwa die Menschewiki als „beschnittene Juden“ verunglimpfte.31 Offensichtlich versuchte er sich durch seinen Antisemitismus bei den Russen als russischer Patriot zu empfehlen32 und gleichzeitig die Juden als Sündenböcke für Defizite des Sowjetsystems verantwortlich zu machen. Der irische Schriftsteller Liam O'Flaherty, der 1930 Sowjetrußland bereiste, hat als kluger Beobachter des von ihm in Rußland wahrgenommenen grassierenden Antisemitismus 1931 in seinem Reisebericht die Befürchtung ausgedrückt, „daß es den Juden nicht gelingen würde, sich mit Hilfe des Kommunismus selbst zu liquidieren“.33 Für Stalin eignete sich der Antisemitismus zunächst als kalkuliert eingesetztes Herrschaftsmittel. Durch die vielen jüdischen Funktionäre des Sowjetsystems einerseits und das Einströmen vieler nichtsozialistisch sozialisierter Arbeiter in die Partei andererseits wurde der Antisemitismus verstärkt. Indem sich eine Kluft auftat zwischen dem Heilsversprechen der Partei und der tristen sozialen Realität, die durch Desorganisation der Produktion, Hunger und Kriminalität gekennzeichnet war, bedurfte dieser eklatante Widerspruch einer Erklärung. Gabor Rittersporn hat in Die sowjetische Welt als Verschwörung dargelegt, daß das Sowjetsystem seine Defizite auf die Wühlarbeit und Sabotage finsterer Kräfte wie Diversanten, Kapitalisten, Imperialisten und nicht zuletzt auch „Zionisten“ – sprich Juden – zurückzuführen und wegzuerklären suchte.34 Wenn Stalin scheinheilig anmerkte, daß er Sinowjew, Kamenew, Trotzki und Radek nicht angreife, weil sie Juden seien,35 wollte er sie als Juden stigmatisieren. Sein bis ins Zentralkomitee aufgestiegener Sekretär Lev Mechlis und sein Vertrauter Lasar Kaganowitsch, der 1938 als Vizepräsident des Rates der Volkskommissare und Vorsitzender des Politbüros der zweite Mann der Sowjetunion wurde, dienten ihm als Alibi dafür, daß er nichts gegen Juden habe.36 Es kennzeichnet den für den Abriß der Moskauer Christus-ErlöserKathedrale verantwortlichen Machtmenschen Kaganowitsch, daß er dafür plädiert hatte, Klassenfeinden den „Schädel“ einzuschlagen.37 Neben Kaganowitsch, der 1925 in die Ukraine geschickt worden war, um dort als Generalsekretär des Zentralkomitees die Zügel in die Hand zu neh-
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men, trägt der dann selbst zum Opfer Stalins gewordene jüdische Geheimdienstchef Genrich Jagoda, der mit einer Nichte des Staatspräsidenten Jakob Swerdlow verheiratet war, erhebliche Mitschuld am Tod von Millionen Bauern, speziell in der Ukraine. Dies gilt auch für Jakob Epstein, der 1922/23 stellvertretender Chef der Agitprop-Abteilung des Russischen ZK gewesen und 1929 zum Volkskommissar für Landwirtschaft ernannt worden ist.38 Durch die „Kollektivierung“ der Landwirtschaft in der ganz überwiegend agrarisch geprägten Sowjetunion sollte der Sozialismus auf dem Weg einer zweiten Revolution zur bestimmenden Macht werden. Die Kollektivierung stellte bei Licht besehen einen Krieg gegen die selbständigen Bauern („Kulaken“) und einen Angriff auf die christlich geprägte bäuerliche Kultur dar, der als „kultureller Genozid“ bezeichnet worden ist.39 Er forderte zwischen 1930 und 1937 etwa 14,5 Millionen Tote. In der Literatur über den Völkermord wird die „Kulaken“-Verfolgung explizit mit anderen Genoziden verglichen.40 Wie grauenhaft die durch die „Kollektivierung“ bewirkten Verhältnisse waren, beleuchtet ein Bericht des lettischen Gesandten in Moskau von 1933. Danach fand man in der Ukraine keine „Leichen von gestorbenen Kindern“, weil „wie die Bauern selbst gestehen, das Fleisch von Kinderleichen gegessen wird. Nur die Rote Armee und die Fabrikarbeiter werden noch ,einigermaßen' mit Nahrung versorgt.“41 In seinem Buch Wandlungen der bolschewistischen Diktatur zitierte der aus dem jüdischen Bund hervorgegangene Menschewist Rafael Abramowitsch 1931 einen Artikel der New York Times vom 3. Februar 1930. Danach waren bereits damals nicht weniger als 2 Millionen Bauern verhaftet und verbannt, von denen sich „etwa die Hälfte“ in Konzentrationslagern befand.42 Außer durch seine fabrikmäßigen Mordmethoden unterschied sich das NS-Regime vom Sowjetsystem auch dadurch, daß das letztere weniger systematisch und unberechenbarer gewesen ist. Gleichwohl wird eine Konstante erkennbar: Zu den bevorzugten Gegnern Stalins gehörte die Führungsschicht der intellektuellen „Revolutionstheoretiker“, unter denen sich vergleichsweise viele Juden befanden. „Revolutionspraktiker“ dagegen,43 zu denen ebenfalls viele „rote Assimilanten“ gehörten, blieben – zumal in den mittleren und unteren Rängen – eher verschont und konnten oft überleben. Einige von ihnen sind an den mörderischen „Säuberungen“ beteiligt gewesen. So Lev Mechlis, der von 1937 bis 1940 Leiter der Politischen
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Hauptverwaltung der Roten Armee war, oder auch Lasar Kaganowitsch. Diese beiden Spitzenfunktionäre haben freilich öffentlich erklärt, daß sie sich nicht als Juden betrachteten.44 Kaganowitsch wurde 1893 an der weißrussisch-ukrainischen Grenze als Sohn eines jiddisch sprechenden Schneiders geboren und hatte eine Yeshiwa besucht. Im Unterschied zu seinen Brüdern verweigerte er die Bar Mizwa (Konfirmation). Auch durch seine Heirat mit einer Russin entfernte er sich vom Judentum. Anders als die jüdischen „Internationalisten“ war Kaganowitsch ein typischer Proletarier, der „die Intellektuellen wegen seiner eigenen Unbildung verachtete“,45 und als ein sich „selbsthassender Jude“ hatte er sich gegen „sein eigenes Volk gewandt“.46 Diejenigen Juden, die ihre Positionen in der Sowjetunion behaupten oder auch nur überleben wollten, mußten unter Stalin, der 1930 die Jüdische Sektion“ der bolschewistischen Partei aufheben ließ, ihre jüdische Identität aufgeben oder doch verbergen. Jüdische Bolschewiki wie Samuel Agurski, ein Leitungsmitglied des jüdischen Kommissariats, hatten ja ohnehin an der „Entjudaisierung der russischen Juden“ aktiv mitgearbeitet. Agurski unterzeichnete Dekrete zum Verbot des Hebräischen als der jüdischen Sakralsprache, zur Einstellung der religiösen Unterweisung sowie zur Auflösung der jüdischen Gemeinden.47 Zu den prominenten assimilierten Juden, die unter Stalin zunächst überlebten, gehörten viele Tschekisten. Nach einer 1999 in Moskau erschienenen Untersuchung betrug der Anteil jüdischer Tscheka-Führer am 10. Juli 1934 – bei einem jüdischen Bevölkerungsanteil von etwa 2 Prozent – immerhin 39 Prozent, das heißt er war höher als der russische Anteil mit 36 Prozent! Wie schon berichtet wurde, ist dieser Anteil im Rahmen der „Slawisierung“ der Tscheka bis zum 1. Januar 1938 auf 27 Prozent zurückgeführt und dann bis zum 1. Juli 1939 auf 4 Prozent radikal abgesenkt worden, wobei der Anteil russischer Tscheka-Führer gleichzeitig auf 81 Prozent anstieg!48 Zu denjenigen Geheimdienstlern, die die weitgehende Säuberung der Juden in den Organen der „proletarischen Rache“ überlebten, gehörte der Generalmajor der Geheimpolizei Leonid Eitingdon.49 Er zählte zu denen, die das Mordkommando organisierten, das den bei den Moskauer Prozessen zum Tode verurteilten Trotzki im August 1940 im fernen Mexiko tötete. Erst als die Sowjetunion 1941 durch den Angriff des nationalsozialistischen Deutschland in tödliche Gefahr geriet und zu einem Verbündeten der
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Vereinigten Staaten wurde, hielt Stalin es aus propagandistischen Gründen für zweckmäßig, von seiner antijüdischen Linie abzugehen und das JüdischAntifaschistische Komitee zu gründen. Unterstützung im „Großen Vaterländischen Krieg“ suchte Stalin auch in der bislang verfolgten orthodoxen Kirche. Der Priesterzögling Stalin stellte das von Peter dem Großen aufgelöste russisch-orthodoxe Patriarchat wieder her! Bezeichnenderweise ist das Jüdisch-Antifaschistische Komitee,50 mit dem Stalin bei seinen westlichen Verbündeten eine positive Außenwirkung zu erzielen suchte, nach dem Krieg gleich wieder aufgelöst worden. Sein Vorsitzender Shlomo Michaels wurde im Januar 1948 erschlagen und anschließend von einem Lastwagen überfahren. Eine polizeiliche Untersuchung dieses Mordes hat nicht stattgefunden.51 Nach dem Krieg ließ Stalin die beiden berühmtesten Schriftsteller jiddischer Sprache, Perez Markisch und David Bergelson, ermorden. Manès Sperber hat dies einen „kulturellen Genozid“ der russischen Juden genannt.52 Ilja Ehrenburg sah sich in dieser Atmosphäre 1948 zur Distanzierung vom Judentum genötigt, indem er in der Prawda den Zionismus, Israel und die Verbindungen der Juden in andere Ländern angriff.53 Im Jahr 1949 hat Stalin das berühmte Jüdische Theater in Moskau schließen lassen. Bei der Verfolgung eines Großteils der jüdisch-kommunistischen Führer durch Stalin wurden diese als Agenten Hitlers und der Zionisten beschuldigt, gefoltert und ermordet. Der polnische KP-Führer Adolf Warski, der in der Moskauer Wohnung der aus Warschau stammenden Witwe54 des verstorbenen Tscheka-Chefs Dserschinski verhaftet worden sein soll, ist bei den Verhören irrsinnig geworden. Er hat geglaubt, sich in den Händen der Gestapo zu befinden!55 Der ehemalige Komintern-Chef und Lenin-Vertraute Sinowjew legte vor Gericht folgendes wahnwitzige „Geständnis“ ab: „Über den Trotzkismus bin ich zum Faschismus gelangt. Der Trotzkismus ist eine Abart des Faschismus, der Sinowjismus aber eine Abart des Trotzkismus.“56 Der gleichfalls liquidierte und für den sowjetischen Geheimdienst arbeitende Sekretär des rumänischen ZK, Marcel Pauker, hat bei einem Bankett im Kreml die letzten Minuten Sinowjews vor dessen Hinrichtung imitiert: Dabei „riß er beide Hände hoch und schrie mit schwerem jüdischen Akzent: ,Höre, O Israel, unser Gott ist der einzige Gott'. Stalin brüllte vor Lachen.“57 Dem ebenfalls verhafteten und liquidierten Volkskommissar für Außenhandel, Arkadi Rosengolz, hatte seine Frau als Talisman Verse aus
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den Psalmen 68 und 69 in die Gesäßtasche gesteckt: „Gott erhebt sich, seine Feinde müssen zerstieben. / Es fliehen vor seinem Angesicht, die ihn hassen / Sie müssen verwehen, wie Rauch verweht .../ Sage zum Herrn: Du bist meine Burg, meine Zuflucht ...“58 Der kommunistische Renegat Arthur Koestler hat dieses makabre Geschehen in seinem Roman Sonnenfinsternis literarisch verarbeitet. Darin porträtiert er den Volkskommissar Nicolai Salmonowitsch Rubaschow, für den Radek Vorbild gewesen ist, und schreibt über dessen letzte Stunde: „Auch Moses war es nicht erlaubt gewesen, das Land der Verheißung zu betreten. Aber er hat es wenigstens sehen dürfen, vom Gipfel des Berges, zu seinen Füßen ausgebreitet. So war es leicht zu sterben, mit der sichtbaren Gewißheit des Ziels vor Augen. Ihn, Nicolai Salmonowitsch Rubaschow, hatte man nicht auf die Gipfel der Berge geführt; und wohin immer sein Auge blickte, sah er nichts als Wüste und die Finsternis der Nacht. Ein dumpfer Hieb zerschmetterte seinen Schädel.“59 Lew Kopelew äußerte in einem Vergleich der „feindlichen Brüder“ Stalin und Hitler, was sich von 1935 bis 1941 in der Sowjetunion abgespielt habe, sei „selbst mit den gräßlichsten Ereignissen der Weltgeschichte einmalig, grausam und sinnlos“.60
Motive der „Judensäuberung“ Bei Licht besehen war der „Massenterror“ ein Macht- und Richtungskampf, bei dem Juden in antisemitischer Manier zu Sündenböcken gestempelt worden sind.61 In „Stalins Judensäuberung“ verband sich die russische Xenophobie mit dem Anti-Intellektualismus und dem Antijudaismus. Die Juden, die vielfach Verwandte im Ausland und mit dem Jiddischen auch Zugang zur deutschen Sprache hatten, waren beargwöhnte „Kosmopoliten“ par excellence. So hat es der NKWD als verdächtig angesehen, daß das in der Moskauer Emigration lebende krebskranke KPD-Mitglied Paul Levi Post von der israelitischen Kultusgemeinde in Wien erhielt. Und in den NKWD-Akten des 1937 liquidierten Kommunisten Heinrich Süßkind wurde nicht nur festgehalten, daß er „Sohn eines Kapitalisten“, sondern auch, daß er „deutscher Jude“ gewesen sei.62 Ein von Stalin verfolgter jüdischer Kosmopolit reinsten Wassers war der 1870 in Odessa als David Borisovich Goldendach geborene David Rjasa-
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now. Dieser Nationalökonom hat als Mitglied der revolutionären Bewegung in Rußland mehrere Jahre im Gefängnis und der Verbannung verbracht. Seit 1901 lebte er im Exil in Genf, Paris, Zürich und Berlin und arbeitete mit bekannten Sozialisten wie Kautsky, Lenin und Trotzki zusammen. Rjasanows Hauptinteresse galt der Erforschung des Sozialismus. Er publizierte zum Beispiel 1913 den Artikel „Briefe Lassalles an Dr. Moses“ im Archiv für Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung.63 Das Archiv gab der – jüdische – „Vater des Austromarxismus“, der staatssozialistisch-konservative Wiener Karl Grünberg heraus. Dieser Lehrer von Max Adler, Friedrich Adler und Otto Bauer wurde nach dem Krieg zum Leiter des von dem – jüdischen – Mäzen Hermann Weil gestifteten Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS) berufen.64 Vorbild des Instituts war das 1921 in Moskau von David Rjasanow gegründete und von ihm bis zu seiner Verbannung geleitete Marx-EngelsInstitut. Dessen Hauptprojekt war die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA).65 In diesem Institut, das mit westlichen Einrichtungen wie dem Amsterdamer Institut für Sozialgeschichte und dem ironisch „Cafe Marx“ genannten Frankfurter IfS kooperierte,66 herrschte eine für Moskauer Verhältnisse ungewohnte liberale Atmosphäre. Es war eine Anlaufstelle für westliche Marxisten wie Jürgen Kuczynski67 oder Georg Lukácz, der 1930/31 dort gearbeitet hat. Der an diesem Ort praktizierte Internationalismus war Stalin, der Rußland nie verlassen hat, ein Dorn im Auge. Er ließ im März 1931 einen Schauprozeß gegen die „Menschewistenzentrale“ veranstalten. Rjasanow, der seinen verbannten Freund Leo Trotzki Texte von Karl Marx übersetzen ließ, wurde verhaftet und nach Saratow verbannt. Dort ist er im Zuge der „Tschistka“ 1937 verhaftet und erschossen worden. Unter unsäglichen Mißhandlungen sowie grotesken Beschuldigungen und Selbstanklagen – der stellvertretende Tscheka-Chef hat sich damals gerühmt, er könnte Karl Marx beim Verhör dazu bringen, sich als Agent Bismarcks zu bezichtigen68 – fielen dieser „Säuberung“ neben vielen anderen folgende prominenten jüdischen Kommunisten zum Opfer: Isaak Babel, Semen Diamantstein, Alexandru Dobrogeanu-Gherea, Alexander Emel, Jakob Fürstenberg, Esther Frumkin, Genrich Jagoda, Leo Kamenew, Walter Krivitsky, Bela Kun, Alexander Losowski, Ossip Mandelstamm, Wsewelod Meyerhold, Jakob Mirow-Abramow, Marcel Pauker, Josef Pepper-Pogány, Ossip Piatnitzki, Karl Radek, Isaak Reingold, Ignaz Reiss,
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David Rjasanow, Arkadi Rosengolz, Grigori Sinowjew, Grigori Sokolnikow (Brilliant), Aron Solts, Manfred Stern, Meier Trilisser, Leo Trotzki, Josef Unszlicht und Adolf Warski. Liquidiert von Stalin wurde auch die gleich ihrem Mann aus der polnischen SDKPiL hervorgegangene Gisa Fürstenberg, geb. Adler, eine Verwandte des Begründers der österreichischen Sozialdemokratie Viktor Adler.69 Stalins Opfern muß auch Adolf Joffe hinzugerechnet werden, der nacheinander sowjetischer Botschafter in Berlin, Peking und Wien gewesen war und schon Ende 1927, nach dem Sturz seines Freundes Trotzki, aus Verzweiflung Selbstmord verübt hatte. Zu beachten ist, daß Stalin auch viele in Sowjetrußland lebende oder aus dem Exil in die Sowjetunion zitierte Kommunisten liquidieren ließ. Zu ihnen gehörte mit Adolf Warski fast die gesamte Führung der polnischen KP, der Führer der exilierten ungarischen KP, Bela Kun, sowie die meisten fuhrenden Mitglieder der KP Palästinas. Ihnen allen hat Stalin nach Leopold Trepper ein „Golgatha“ bereiten lassen.70 Auch die deutschen KPFührer Leo Flieg, Werner Hirsch, Max Lewien, Arkadi Maslow, Heinz Neumann, Heinrich Süßkind und Leo Roth sind dem Vernichtungswillen Stalins zum Opfer gefallen. Zu den von der Sowjetunion unter dem Stalin-Hitler-Pakt ins „Dritte Reich“ überstellten und damit praktisch zum Tode verurteilten 600 deutschen Kommunisten, von denen viele Juden waren, gehörte der österreichische KP-Führer Franz Koritschoner, der 1941 in Auschwitz ermordet wurde. In deutschen KZs starben oder wurden ermordet: Gyula Alpári, Paul Friedländer, Karl Grünberg, Werner Scholem und Johannes Wertheim. Der im Untergrund lebende Eugen Fried ist 1943 in Belgien von der Gestapo erschossen worden. Die Gerechtigkeit gebietet es, darauf hinzuweisen, daß Stalin keineswegs nur jüdische, sondern auch viele andere prominente Kommunisten umbringen ließ. Darunter Nikolai Bucharin, den „Liebling der Partei“. Er war mit der Tochter des jüdischen Ökonomen und Mitbegründers der Komintern, Moses Lurje (Michael Larin), verheiratet.71 Des weiteren fielen dem Großen Terror Hunderte Offiziere der Roten Armee zum Opfer, an der Spitze der Marschall Michael Tuchatschewski. Zu Opfern Stalins wurden auch der Leiter des Untergrundapparates der deutschen KP, Hans Kippenberger, sowie die KP-Spitzenfunktionäre Hugo Eberlein („Hugo mit der Zündschnur“) und Hermann Remmele, ferner der Schweizer Kommunist Fritz Platten. Er hatte 1917 Lenin,
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Radek, Sinowjew, Martow und andere an den legendären Eisenbahnwaggon geleitet. Diese hier nur summarisch angesprochenen Schicksale verdeutlichen, daß damals in der Sowjetunion eine komplizierte, noch heute kontrovers diskutierte Lage entstand. Auch die Verfolgung jüdischer Intellektueller und die Vernichtung der – anfänglich von den Bolschewiki geförderten – säkularen jüdischen Kultur durch Stalin konnte nicht das fest eingewurzelte Stereotyp vom „jüdischen Bolschewismus“ zerstören. Dazu trug bei, daß eine Anzahl prominenter jüdischer Kommunisten – auch Ernst Bloch und Georg Lukácz gehörten zu ihnen – Stalin unter der Alternative „Hitler oder Stalin“ beziehungsweise „Hakenkreuz oder Sowjetstern“ die Treue gehalten haben. Indem Stalin auf hinterhältige Weise jüdische Kommunisten zu Leitern von elf der zwölf großen Lager des Archipel GULAG ernannt hat,72 sorgte er weiter dafür, daß antisemitische Ressentiments genährt wurden. Das zusammen mit der Tatsache, daß bei dem „Krieg der utopischen Intellektuellen-Diktatur gegen die russische Bauernklasse“73 jüdische Kommunisten und Tschekisten maßgeblich beteiligt waren, ließ den Volkszorn auf die Juden immer weiter wachsen. Schließlich hat Lew Kopelew, der als junger Mann zu den Gläubigen der Weltrevolution gehörte, in der Rückschau reumütig bekannt: „Unser großes Ziel war der Sieg des Weltkommunismus; um seinetwillen kann man und muß man lügen, rauben, Hunderttausende, ja Millionen von Menschen vernichten ... Die Begriffe Gut und Böse, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit waren für uns hohle Abstraktionen.“74 Erst das 1939 geschlossene „Bündnis zweier Mörder“, wie der einstige Leiter der jüdischen Sektion der polnischen KP, Hersch Mendel, den Hitler-Stalin-Pakt nannte,75 hat viele jüdische Sozialisten dem Sowjetsystem entfremdet und – besonders in der Emigration – offen mit ihm brechen lassen. Manch einer büßte solchen „Verrat“ mit seinem Leben. Wie viele zu der Einsicht in die Zusammenhänge gekommen waren, die der im Pariser Exil lebende deutschjüdische Nationalökonom Leopold Schwarzschild gewonnen hatte, ist kaum zu klären. Aus Anlaß des Hitler-StalinPaktes schrieb er: „Seit Jahren haben wir nicht zurückgehalten mit unserer Meinung, daß die Bolschewisterei der europäische Primär-Affekt ist, die Ur-Syphilis, ohne die es nie und nimmer zur Folge-Syphilis des Fascismus und Nazismus gekommen wäre.“76 Manès Sperber, der 1934 in Paris zum „ideologischen“ Leiter des Komintern-Instituts zum Studium des Faschismus bestellt wurde und sich wie
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viele Juden wegen der „Säuberung“ vom Kommunismus abgewandt hatte, räumte ein, daß ,Juden nicht immer nur die Opfer, sondern auch Täter waren“.77 Unter abtrünnigen Kommunisten und unter Kindern jüdischer Kommunisten wird schon länger eine Diskussion über die „jüdische Mittäterschaft am Kommunismus bis hin zum Verbrechen“ geführt. So hat sie Chaim Noll, der Sohn eines Kulturfunktionärs der SED, bezeichnet.78 Die russische Journalistin Jewgenija Albaz trieb „als Jüdin“ die Frage um, warum es unter den „gefürchteten NKWD-Untersuchungsführern“ so viele Juden gegeben habe. Sie bekennt: „Ich habe viel über sie nachgedacht, qualvoll nachgedacht.“79 Dabei gelangte sie zu dem Ergebnis, daß es „die Hoffnung auf Überleben, auf gleiche Rechte für alle“ gewesen sei, die viele Juden zu Unterstützern der Revolution gemacht habe.80 Adolf Hitlers „antibolschewistische Platte“ Die Nationalsozialisten, denen es in Osteuropa nicht um Befreiung, sondern um die Ausschaltung eines Rivalen und in Verbindung damit um die Eroberung von Lebensraum, Versklavung, Zwangsumsiedlung und Ausrottung der Bevölkerung ging, haben die antibolschewistische „Platte“ aus taktischen Gründen aufgelegt.81 Obgleich die NS-Ideologie neuheidnisch war und Hitler vorhatte, nach dem gewonnenen Krieg mit dem Christentum abzurechnen, wie dies auf ihre Weise auch die Bolschewiki unternommen hatten, versuchten sich die Nationalsozialisten als „Bollwerk des Westens gegen den Weltbolschewismus“82 auszugeben und dadurch Verständnis und Unterstützung zu finden.83 Manch ein deutscher Soldat hat diese Rechtfertigung des antibolschewistischen Kreuzzuges für bare Münze genommen, wohl auch um dem ihn in die östlichen Weiten verschlagenden und verrohenden mörderischen Krieg einen Sinn abzugewinnen und das Gewissen zu erleichtern. Schon vor dem Beginn des Krieges hatte die nationalsozialistische Führung alles getan, um eine Ausrichtung der Bevölkerung auf den Kampf gegen den „jüdisch-bolschewistischen“ Feind zu erreichen. Diesem Zweck sollte auch die vom „Reichsverband antikommunistischer Vereinigungen“ getragene Anti-Komintern dienen, die dem von Goebbels geführten Reichspropagandaministerium unterstand. Rudolf Kommoss, der Leiter der Pressestelle der „Anti-Komintern“, hat in seinem Buch Juden hinter Stalin die Kirchenfeindlichkeit der Kommunisten herausgestellt und dabei einge-
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räumt: „Der Typus des bolschewistischen Juden ... ist keinesfalls der Rabbiner, sondern der Gottlose.“84 Aber diese Einsicht spielte keine wirkliche Rolle für die von Kommoss gelieferte Analyse. Bezeichnenderweise verschwieg er die Tatsache, daß das unter Stalin ermordete fanatische Mitglied der „jüdischen Sektion“, die Rabbiner-Enkelin Esther Frumkin, 1923 die Broschüre veröffentlichte Nieder mit den Rabbinern.85 Denn schließlich mußte er den Nachweis führen, daß der „Judobolschewismus an der Macht“ sei.86 Diese Vorstellung ist in Rußland selbst, vor allem unter der kirchlich geprägten Landbevölkerung, allgegenwärtig gewesen.87 Schließlich hat Sonja Margolina, die harte Kritik an den jüdischen „Machthabern und Ingenieuren der Utopie“ übte, festgestellt, daß unter Stalin das russische Dorf in ein „Agrar-KZ“ umgewandelt worden sei.88 Der St. Petersburger Soziologieprofessor Viktor Voronkov stellte unlängst über die Haltung der russischen Kolchosbauern der dreißiger Jahre überspitzt, aber im Kern zutreffend fest: „Sie haßten natürlich das Regime. Auch wenn sie das Eindringen der deutschen Wehrmacht in ihre Heimat nicht akzeptierten, erschienen ihnen die Deutschen doch besser als die eigenen Machthaber, die sie als ‚jüdische Okkupation' empfanden.“89 Stalin als nationaler Sozialist Wie einschneidend der Kurswechsel der bolschewistischen Politik unter Stalin gewesen ist, haben Rußlandexperten drastisch formuliert. Für den in Erlangen lehrenden Leonid Luks stellt die „Verwandlung des Kommunismus von einer Kraft, die den Antisemitismus anprangerte und unter Strafe stellte zu einem der wichtigsten Wortführer des Kampfes gegen den sog. Kosmopolitismus und Zionismus, d.h. gegen die Juden ... eine der seltsamsten Metamorphosen dieses Jahrhunderts“ dar!90 Der Grund hierfür war, daß Stalin – wie Trotzki bereits 1930 feststellte – den „nationalen Sozialismus“ wollte.91 In diesem Sinne hat sich auch der ungarisch-jüdische Exkommunist Leo Lania in seinen Erinnerungen geäußert. Über den von ihm in Moskau aufgesuchten Radek und seine weltrevolutionären Genossen urteilte er: „Sie waren Idealisten. Sie wollten den Sieg des Kommunismus. Stalin den Sieg Rußlands.“92 Bereits im Juli 1919, also unmittelbar nach dem Fall der ungarischen Räterepublik, hatte der junge Wiener Literat Eugen Hoeflich – später Mose
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Y. Ben-Gavriel – ähnliche Überlegungen angestellt: „Der bolschewikische Jude will Europa nicht anzünden, um sich die Taschen zu füllen, ihn treibt die reinste Idee, die in ihrer Auswirkung tragischer Irrtum ist, Folge einer durch den Krieg geborenen Massenpsychose.“93 Wie der Begründer des Zionismus Theodor Herzl 1896 in seinem Judenstaat feststellte, sind die „gebildeten und besitzlosen Juden“ in großem Umfang dem Sozialismus zugefallen.94 Sie ließen sich von der von Viktor Adler formulierten Hoffnung leiten: „Die sozialistische Gesellschaft wird Ahasver, den ewigen Juden, zu Grab geleiten.“95 Somit war für viele von ihnen der Sozialismus keineswegs nur ein sozialpolitisches Programm, sondern eine attraktive Heilslehre. Nämlich – wie Eduard Bernstein formuliert hat – eine „erlösende Macht“, die die ,Judenfrage ... einst zur Ruhe bringen“ wird.“96 Eduard Goldstücker, der die tschechoslowakische Volksrepublik als erster Botschafter in Israel vertrat und als Anhänger des Prager Frühlings 1968 von der kommunistischen Parteizeitung Rude Pravo (Rotes Recht) als „zionistische Hyäne“ beschimpft wurde,97 hat in seinen Erinnerungen bekannt, daß für ihn als zionistischen Schüler die Tatsache „von Bedeutung“ gewesen sei, daß „Karl Marx Jude“ war.98 Ganz offensichtlich gilt dies für viele jüdische Sozialisten und Kommunisten. In seinem Moskauer Tagebuch berichtet Ervin Sinkó, der im Kreml Radek aufgesucht hat, daß er sich auch mit Bela Kun und Isaak Babel lange unterhalten habe. Dieser berühmte Dichter erzählte ihm, daß er aus einer jüdischen Familie Odessas stammte und dort einen Pogrom erlebt hat. Babel habe ihn so angeredet: „Ervin Isidorevich, Ungar, und Jude und kommunistischer ungarischer Schriftsteller – das grenzt an Perversität.“99 Babel, der gleich Radek und Kun und Rjasanow wenig später ermordet worden ist, war sich also seiner prekären Lage unter Stalin bewußt. Höchst bemerkenswert ist, daß der Religionswissenschaftler und Rabbiner Arthur Hertzberg die von Karl Marx und seinen Anhängern proklamierte Revolution als „Antwort auf das Fortbestehen des Antisemitismus in Europa“ gewertet hat!100 Er konstatiert also einen ursächlichen Zusammenhang von Antisemitismus und marxistischer Revolution! Indem der Sozialismus unter Stalin eine „russisch-nationale“ Wende erfuhr, wurde die marxistische Antwort auf die ,Judenfrage“ im „realen Sozialismus“ erledigt. Dadurch, daß die stalinistische Transformation dem weltrevolutionären Marxismus-Leninismus in der Alltagspraxis einen nationalrussischen und antisemitischen Akzent verlieh, erhielt der Nationalkommunismus Züge,
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die ihn in manchem dem NS-System ähnlich machten. Dies wird dadurch bekräftigt, daß das als „rechts“ geltende „Konstrukt der jüdischen Weltverschwörung schließlich sogar in der Sowjetunion“ propagandistisch eingesetzt worden ist.101 In der Rückschau erweist sich der Glaube der „roten“ Assimilanten, sie könnten ihr Judentum einfach ablegen, als tragischer Irrtum. Beispielhaft wird dies deutlich am Schicksal des 1947 zu 15 Jahren Haft verurteilten und von stalinistischen Geheimpolizisten buchstäblich in Nazi-Manier als „dreckiger Jude“ verunglimpften102 Leopold Trepper. Dieser frühere Chef der Roten Kapelle hat – für viele sprechend – bekannt: „Ich wurde Kommunist, weil ich Jude bin.“103 Zum Selbstverständnis „jüdischer“ Kommunisten Eine Analyse der Quellen ergibt, daß sich die osteuropäischen Juden auch dann als Juden gesehen haben, wenn sie – wie etwa Rosa Luxemburg oder Leo Trotzki – ihre jüdische Herkunft wegen des grassierenden Antisemitismus gegenüber der Öffentlichkeit versteckt, heruntergespielt und sich um eine „internationalistische“ Identität bemüht haben. Trotzki, der nach der Revolution verkündete, er sei weder Russe noch Jude, sondern „Internationalist“, hat sich als ein das Jiddische beherrschender Sozialdemokrat noch 1903 als Repräsentant des jüdischen Proletariats ausgegeben!104 Seine Schwester Olga gehörte wie die Ehefrau von Grigori Sinowjew in der Schweiz dem Jüdischen Arbeiterbund an.105 Nach der Revolution hat Trotzki Lenin mitgeteilt, daß er als Jude lieber nicht das ihm zugedachte Amt des Volkskommissars des Innern (Innenminister) übernehmen wolle. Es war ihm also bewußt, daß er von Russen und anderen Christen als Jude wahrgenommen wurde. Ebenso wie das kulturelle Juden-Stereotyp läßt sich eine jüdische – wie vergleichbar andere – Prägung nicht einfach ablegen. So hat der mit antisemitischen Bemerkungen wie „jüdischer Nigger“ – so über Ferdinand Lassalle – hervorgetretene Karl Marx einmal ganz selbstverständlich von seinem „Stamm“ gesprochen!106 Anna Seghers, Tochter eines jüdischen Kunsthändlers aus Mainz, promovierte 1924 über Juden und Judentum im Werk Rembrandts. Als Präsidentin des DDR-Schriftstellerverbandes hat sie nach dem Zeugnis Stefan Hermlins bei einer Tagung in Stockholm im Selbstgespräch leise
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gemurmelt: „Mein geliebtes jüdisches Volk, mein geliebtes jüdisches Volk.“107 Gegenüber der Öffentlichkeit ist Anna Seghers aber als stramme deutsche Kommunistin aufgetreten, der nachgesagt wird, sie sei dem „Dogma der ,scholastischen Schreibart' zum Opfer gefallen“.108 So hat sie nach dem Tod Stalins darüber geklagt, daß sich „Millionen Menschen verwaist“ fühlten.109 Als sich Deutsche in der DDR 1953 gegen die Diktatur erhoben, diffamierte sie diese als „Horde Banditen“. Und als die Ungarn 1956 um ihre Freiheit kämpften, da hat sie diese „Konterrevolution“ öffentlich mit dem „weißen“ Terror von 1919 verglichen!110 Tatsächlich wissen wir heute, daß Anna Seghers wie andere jüdische Kommunisten in der DDR eine Doppelexistenz führte. So setzte sie sich 1956 beim SED-Chef Walter Ulbricht für den „konterrevolutionären“ Reformkommunisten Georg Lukácz ein, dessen jüdische Herkunft für ihre Solidarität eine ausschlaggebende Rolle spielte. Daß eine kommunistische Einstellung mit der subjektiven Zugehörigkeit zum Judentum durchaus vereinbar gewesen ist, zeigt auch eine Äußerung Arnold Zweigs gegenüber dem israelischen Journalisten Amos Elon von 1964. Zweig berichtete diesem: „Voriges Jahr ... passierte etwas komisches. Wir kamen zu einem kleinen Bankett zusammen: Gerhard Eisler, Albert Norden, Alexander Abusch. Alles Juden, wie Sie vielleicht wissen. Da sagte ich ihnen: heute ist Pessach, wir können gleich einen ,Seder' veranstalten.“111 Der 1912 in Galizien geborene Leo Bauer, dessen Großvater bei einem Pogrom erschlagen wurde, war vor dem Krieg Mitglied des militärischen Untergrundapparates der Komintern und übernahm 1949 die Chefredaktion des „Deutschlandsenders“ der DDR. Im Gefolge des Prager Schauprozesses gegen Rudolf Slansky wurde Bauer 1952 wegen angeblicher Spionage zum Tod durch Erschießen verurteilt, jedoch begnadigt und 1956 in den Westen entlassen. Nach dem Zeugnis seiner Frau sang Leo Bauer zuweilen jiddische und hebräische Lieder. Sie berichtet: „Dann warf er den Kopf zurück und so, wie ich es später in Synagogen in Israel gesehen habe, sang er mit vibrierender Stimme, die die Juden im Gottesdienst haben. Er war ein vollkommen anderer Mensch dann.“112 Nach Hans (Chaim) Noll war in der DDR alles Jüdische zu einem „Schattendasein“ verdammt. Sein kommunistischer Vater habe eine „regelrechte Allergie gegen Wörter wie Juden' und Judentum'“ gehabt. Das sei nicht zuletzt deswegen der Fall gewesen, weil die Nazis „Kommunismus und Judentum miteinander verkettet“ hätten.113 Das in der DDR über die
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Juden verhängte Tabu ist in den achtziger Jahren gelockert worden und beim Mauerfall zerbrochen. In seinen 1992 erschienenen Erinnerungen Ich war ein Diener der Partei berichtet der einstige Chefredakteur von Neues Deutschland und ZK-Sekretär für Internationales, Hermann Axen, daß er jüdisch konfirmiert worden sei und seine aus Galizien stammenden Eltern entsetzt gewesen seien, als er aus der jüdischen Gemeinde austrat.114 Eine griechische Vertraute von Willy Brandt hat den Auschwitz-Überlebenden und Spitzenfunktionär der SED, Axen, interviewt und ihn plakativ „Opfer, Täter, Hofjude“ genannt. Ihr gegenüber hat er schlicht gesagt: „Ich bin ein Jude, und meine Familie haben sie im KZ ausgerottet.“115 Mit diesem Bekenntnis hat sich Axen von einer Lebenslüge des Realsozialismus befreit, der mit den Menschenrechten auch die Juden als Juden unterdrückte, indem er ihnen ihre Identität nahm. Gemäß der von Karl Marx geforderten Überwindung des „reaktionären“ Judentums ist der Trierer von dem langjährigen Propagandachef der SED, Albert Norden, dem Sohn des im KZ Theresienstadt umgekommenen Wuppertaler Rabbiners Josef Norden, sogar zum „größten Deutschen“ erklärt worden.116 Der Wegbereiter des Reformjudentums, Moses Mendelssohn, dessen deutsche Thora-Übersetzung mit der Bibelübersetzung Martin Luthers verglichen worden ist, wurde in der DDR unter Verschweigen seines Judentums im kommunistischen Jargon als deutscher „kleinbürgerlicher Philosoph“ präsentiert!117 Wir stellen also fest, daß das Wort Jude“ auch im „realen Sozialismus“ lange Zeit ein Tabu-Wort gewesen ist und – mit Ausnahme der unwillig geduldeten „Glaubensjuden“ – eher in diskriminierender Absicht verwandt wurde. So hat man beim Prozeß gegen Rudolf Slansky, den dann hingerichteten Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, diesen als ,Juden tschechischer Sprache“ gleichsam ausgebürgert. Überdies versäumte man nicht, in antisemitischer Absicht darauf hinzuweisen, daß er eigentlich „Salzmann“ hieße.118 Der „ungarische Stalin“ Mátyás Rákosi, der seine jüdische Herkunft vergessen zu machen suchte, mußte erleben, daß er vom sowjetischen Geheimdienstchef Berija als „König der Juden“ zum Sturz freigegeben wurde.119 Auch die rumänische KP-Spitzenfunktionärin Ana Pauker, die sich im Unterschied zu Rákosi durchaus als Jüdin verstanden hat, fiel als „Zionistin“ einer Säuberung – allerdings nicht physisch – zum Opfer.120
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Die Revolution „frißt ihre Juden“ Der 1965 in New York verstorbene Manfred Georg, der 1893 als Sohn des Kaufmanns Cohn geboren war, veröffentlichte 1930 in der Weltbühne den Aufsatz Der jüdische Revolutionär. Darin spricht er davon, daß jetzt „die große Periode der Reaktion, der Konsolidation der europäischen und russischen Revolution“ einsetze und daß „alle Revolutionen ihre Juden ... gefressen haben“. Auch die russische Revolution habe allmählich ihre „jüdischen Parteigänger gestürzt oder aus ihren Schlüsselpositionen gedrängt“. Der „revolutionäre Jude“ sei „auf die Höhen der Revolutionswogen“ hinaufgetragen worden, „lange Zeit an der Spitze“ geblieben und würde nun mit der Welle sinken, wobei „der Terror beginnt“.121 Die eine besondere Kategorie von Genossen darstellenden jüdischen Intellektuellen sahen sich bei der Stabilisierung und Bürokratisierung kommunistischer Regime in einer prekären Lage. Sie konnten mit Hilfe traditionell-antisemitischer Stereotype, zum Beispiel aus reinen Konkurrenzgründen, leicht angegriffen und zu Sündenböcken für Defizite des tristen Realsozialismus gemacht werden. Eine Nationalisierung des mit hehren internationalistischen Idealen angetretenen Regimes entbehrt nicht einer inneren Logik. Nachdem diese in der Sowjetunion unter Stalin unter grauenhaften Umständen erfolgt war,122 wiederholte sich die Entwicklung nach 1945 zeitverschoben in sowjetischen Satellitenstaaten. Hier hatte die Rote Armee kommunistische Parteien an die Macht gebracht, die verboten und verfolgt worden waren und über keine Massenbasis verfügten. Folglich mußten die Spitzenfunktionäre aus der Emigration zurückgeholt werden. Diejenigen, die in der Sowjetunion überlebt hatten, waren meist stalinhörige „Moskowiter“. Die Westemigranten hingegen beargwöhnten die Stalinisten als unzuverlässige „Kosmopoliten“ mit unerwünschten Kontakten. Der Prager Slansky-Prozeß, bei dem von 14 Angeklagten 11 jüdisch waren, bildete dann im Ostblock der Nachkriegszeit den Auftakt zur »Liquidierung der jüdischen Kommunisten“. So brandmarkte sie 1953 unter dem Pseudonym Peter Meyer der Vorkriegs-Chefredakteur des Parteiblatts Rude Pravo und einstige Vertreter der tschechoslowakischen KP im Präsidium der Komintern, Josef Guttmann, in seinem Buch The jews in tbe Soviet Satellites.123
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Dieser jüdische Intellektuelle hatte sich vom Kommunismus abgewandt und war nicht aus der amerikanischen Emigration zurückgekehrt. Aus Zorn über die Ermordung seiner alten Freunde warf er dem „totalitären kommunistischen Regime“ in Prag vor, mit der „totalen Eliminierung der jüdischen Minorität“ so etwas wie eine „Endlösung“ (final solution) durchzuführen.124 Mehr noch als in Ungarn, wo zunächst ein ausnahmslos aus jüdischen Kommunisten bestehendes „Vierergespann“125 von „Moskowitern“ unter Mátyás Rákosi als „numero uno dello stalinismo“126 das Regiment führte, kam es in Polen zu einer Synthese von Antikommunismus und Antisemitismus. Die „kommunistischen Hofjuden“, wie sie Paul Lendvai 1982 in seinem Buch Antisemitismus ohne Juden nannte,127 haben in den Augen der in ihrer großen Mehrheit katholischen und antikommunistischen Polen den ohnehin vorhandenen Antisemitismus verstärkt, ja sogar gerechtfertigt erscheinen lassen. Diese Haltung bündelte sich in dem Stereotyp von der „zydokomuna“, das eine Synthese von Judentum und Kommunismus unterstellt und praktisch mit dem Feindbild vom „jüdischen Bolschewismus“ weitgehend identisch ist. Antisemitismus-Forscher weisen im übrigen darauf hin, daß man das Klischee vom „jüdischen Bolschewismus“ nur durch „Trotzkismus“ ersetzen müsse, um das „Grundmuster des Stalinschen Weltbildes“ zu haben.128 Besonders verhaßt war in Polen Jakob Berman, der Sohn des bekannten, im KZ Treblinka ermordeten Zionisten Isser Berman.129 Er leitete im Krieg in Moskau die polnische Gruppe der Komintern-Schule und wurde nach dem Krieg „Nummer zwei“ in Polen.130 Mehr als bei der proletarischen „Nr. l“, Boleslaw Bierut, liefen bei ihm als promoviertem Juristen die Fäden der Macht zusammen. Berman hat das Sekretariat des Zentralkomitees geleitet und war verantwortlich für ideologische Fragen, Bildung, Kultur, Propaganda, Außenpolitik, vor allem aber für die Innere Sicherheit und den verhaßten Geheimdienst. In Polen haben nicht nur die bürgerlichen Antikommunisten, sondern zugleich auch – wie in der Sowjetunion unter Stalin – Nationalkommunisten mit antisemitischen Parolen gearbeitet. So wurde bei den Posener Unruhen von 1956, die die Nationalkommunisten an die Macht brachten, ausdrücklich eine „Dejudaisierung“ gefordert.131 Als das kommunistische Regime erneut in Schwierigkeiten geriet, hielt der mit einer Jüdin verheiratete Parteichef Wladislaw Gomulka 1967 seine berüchtigte „Fünfte Kolonne“-Rede.
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In dieser wurden die polnischen Juden als national unzuverlässig verdächtigt. In ihrer Not versuchte die polnische Regierung die polnische Studentenbewegung vom März 1968 dadurch zu diskreditieren, daß das Zentralorgan der Partei unter 1200 Verhafteten acht jüdische Namen herauspickte. Diese wurden stigmatisiert, indem man die hohen Parteifunktionen ihrer jüdischen Väter herausstellte.132 Der Vorgang bildete den Auftakt zu einer systematischen Judensäuberung, für die eine Sektion des polnischen Innenministeriums seit 1966 Akten „mit Ahnentafeln nach nazistischem Muster“133 angelegt hat! Dadurch wurde das ohnehin durch den Völkermord dezimierte polnische Judentum im Kern getroffen, Tausende wanderten aus, darunter auch Leopold Trepper. Unter denjenigen, die damals ihre Posten verloren, befand sich einer der wichtigsten Ideologen der Partei, der Chefredakteur der Parteizeitung Trybuna Ludu, Roman Werfel. Dieser gläubige Marxist war der Sohn eines bürgerlichen Rechtsanwalts und Enkel eines Rabbiners!134 In der DDR hatten die im Zusammenhang mit dem Slansky-Prozeß eröffneten und durch Moskau initiierten Verfolgungen ein vergleichsweise geringes Ausmaß.135 Einen ins Auge gefaßten Schauprozeß setzte man ab. Vorsorglich hat der Chef der Staatssicherheit, Erich Mielke, aber Überwachungslisten für Juden angelegt, welche Vermerke wie „J“(ude) und „Halbjude“ trugen.136 Damals flohen Hunderte von Juden aus der DDR in den Westen und wurden prominente jüdische Kommunisten aus ihren Regierungsposten entlassen oder degradiert, allerdings teilweise später wieder rehabilitiert. Einige prominente Marxisten jüdischer Herkunft wie Stefan Hermlin, Stefan Heym und Jürgen Kuczynski vermochten als mit dem Privileg der Reisefreiheit ausgestattete „linientreue Dissidenten“ eine Sonderrolle zu spielen.137 Kuczynski war 1950 so couragiert, als 1. Präsident der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) zurückzutreten. Er hatte sich geweigert, seinen Generalsekretär Hans Mark zu entlassen, weil dieser – wie er selber – Jude war!138 Hans Mayer, Alfred Kantorowicz und Ernst Bloch haben es im sogenannten realen Sozialismus nicht ausgehalten und zogen es als Sozialisten vor, in der „kapitalistischen“ Freiheit des westlichen Deutschland zu leben. Als Arthur Holitscher 1921 als Protege Radeks nach Moskau gepilgert war, pries er in seinem Reisebericht seinen Gastgeber und seinen ungarischen Landsmann Bela Kun als „Kommunisten großen Kalibers“ und
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„Pioniere der Weltrevolution“. Dabei hat er, der selbst aus einer jüdischungarischen Familie stammte, nicht ohne Stolz angemerkt: „Das ist kein Zufall, daß es zum großen Teil Intellektuelle jüdischer Rasse sind, die die Sache der Unterdrückten fuhren, und deren Führerschaft von dem klassenbewußten Proletariat aller Rassen und Konfessionen solidarisch anerkannt wird.“139 Neben dem gewöhnlichen Antisemitismus ist solch jüdisches Elitebewußtsein offensichtlich ein Nebenmotiv für die nativistische Reaktion gegen jüdische Kommunisten gewesen. Es wurde von dem Zionisten Jakob Klatzkin 1930 in seinem Buch Probleme des modernen Judentums angesprochen, in dem er sagte: „Unsere intellektuelle und sittliche Überlegenheit gegenüber dem Kulturniveau des Wirtsvolkes“ – er bezog sich damit speziell auf Rußland – „ist ein Hindernis für unsere Assimilierung.“140 Dieser Aspekt ist von Leo Trotzki in seinem Nachruf auf Lenin mit einer verdeckten Anspielung auf dessen getauften jüdischen Großvater Alexander Blank so angesprochen worden. Trotzki sagte als „Russe“: „Wir sind als Volk zwar intellektuell begabt, aber zu träge. Der wirklich intelligente Russe ist fast immer ein Jude oder doch jemand mit etwas jüdischem Blut in den Adern.“141 Isaac B. Singer hat auf die unter kommunistischen Juden weit verbreitete Illusion hingewiesen, daß „der Kommunismus die jüdische Frage ein für alle mal lösen würde“ und daß es künftig keine Juden und Christen mehr geben würde, sondern nur noch eine „einzige vereinte Menschheit.“142 Zu dieser schicksalhaften Fehleinschätzung des Marxismus als einer für Juden attraktiven Heilslehre hat ein jüdisch-polnischer Flüchtling lapidar gesagt: „Mir höhn gewigt a toyt kind. “143 Anmerkungen 1 Heinz Brandt: Ein Traum, der nicht entführbar ist. Frankfurt/M. 1985, S. IX – Heinz Brandt, Enkel eines Rabbiners, ist KPD- und SED-Funktionär gewesen und war Häftling im nationalsozialistischen KZ Buchenwald sowie im kommunistischen Zuchthaus Bautzen. 2 Arthur Hertzberg: Das Judentum in der Moderne. In: Elie Kedourie (Hrsg.): Die jüdische Welt. Frankfurt/M. 1980, S. 309-316 (Zitat: S. 314). 3 Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Köln 2000, S. 613. 4 Leider konnte eine wichtige Neuerscheinung nicht mehr berücksichtigt werden. Es handelt sich um: Reinhard Müller: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung. Hamburg 2001. 5 Wadim S. Rogowin: 1937. Jahr des Terrors. Essen 1998, S. 197; Matthias Messmer: Sowjetischer und postkommunistischer Antisemitismus. Konstanz 1997, S. 54 ff.
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6 Leonard Schapiro: The role of the Jews in the Russian revolutionary movement. In: Sžavonic and Eart European Revieiv (1961/62) 40, S. 148-167 (Zitat: S. 166). 7 So Arno Lustiger: Rotbuch. Stalin und die Juden. Berlin 1998, S. 46. 8 Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Berlin 1992, S. 71. 9 Rainer Zitelmann: Hitler. Stuttgart 1987, S. 442. 10 Ebenda, S. 440 11 Ralph Schon L'antisémitisme en France. Paris 1992, S. 123. 12 So Liudmila Dymerskaya-Tsigelman, in: Leonid Luks (Hrsg.): Der Spätstalinismus und die „jüdische Frage“. Köln 1998, S. 39. 13 Vgl. hierzu Michael Hagemeister: Der Mythos der „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Ute Caumanns und Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Osnabrück 2001, S. 89-101. 14 Henry Ford: Der internationale Jude. Bd 2. Leipzig 121922, S. 113. 15 Nesta Webster: Secret societies and subversive movements (1924) Repr. Rando Palos Verdes, Cal. o. J., S. 382: „The theory of Jewish world-conspiracy does not of course rest on the evidence of the Protocoís“. 16 Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Gütersloh 1976, S. 302. 17 Nicholas Goodrich-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Graz 1997, S. 149 f. 18 S. 5. 19 Rainer Zitelmann: Hitler. Stuttgart 1987, S. 443. 20 Uwe Backes und andere (Hrsg.): Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus. Frankfurt/M. 1990, S. 231. 21 Thomas Mann: Tagebücher 1933-1934. Frankfurt/M. 1977, S. 468 (am 11. 7. 1934). 22 Heinrich Mann: Der Haß (1933). Berlin 1983, S. 133. 23 So Achim von Arnim im August 1933 in seinem Artikel „Adel am Scheideweg“, in Adelsblatt, zit. nach: Johannes Rogalla von Bieberstein: Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland. Limburg a. d. L. 1998, S. 426. 24 Nachum Orland: Der Faschismus in zionistischer Sicht. Frankfurt/M. 1986, S. 14. 25 Arno Mayer: Der Krieg als Kreuzzug. Das Dritte Reich, Hitlers Wehrmacht und die „Endlösung“. Reinbek 1989. 26 Christoph Kleßmann: Der Generalgouverneur Hans Frank. In: Vierteljahrshefìe für Zeitgeschichte (1971) 19, S. 245-260 (Zitat: S. 259). 27 Iwan Solonewitsch: Die Verlorenen. Eine Chronik namenlosen Leidens, l Tl.: Rußlands Zwangsarbeitslager. Berlin 1937, S. 3. 28 National Union Catalogue, Bd. 555. London 1978. 29 Iwan Solonewitsch porträdert im 1. Tl. seiner „Die Verlorenen“ (Berlin 1937) auf S. 339 eine hohe GULAG-Funktionärin namens Katz, jedoch ohne antisemitische Anspielung. 30 Zit. nach: Ernst Nolte: Die historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie. In: Zeitschrift für Politik (1996) 43, S. 11-122 (Goebbels-Zitat: S. 119). 31 Robert McNeal: Stalin. Oxford 1988, S. 17. 32 Vgl. Arno Lustiger: Rotbuch. Stalin und die Juden. Berlin 1998. 33 Liam O'Flaherty: Ich ging nach Rußland. Reisebericht. Zürich 1971, S. 54. 34 Gabor T. Rittersporn: Die sowjetische Welt als Verschwörung. In: Ute Caumanns und Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Osnabrück 2001, S. 103-124. 35 Robert V. Daniels: Das Gewisssen der Revolution. Kommunistische Opposition in Sowjetrußland. Köln 1962, S. 353. 36 Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär. Frankfurt/M. 1977, S. 71. 37 Louis Rapoport: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin 1992, S. 58 f. 38 Sheila Fitzpatrick: The commissariat of enlightenment. Cambridge 1970, S. 326. 39 So Lynne Viola: Peasant rebels under Stalin. Oxford 1996, S. 240. 40 Frank Chalk u. Kurt Jonassohn: The history and sociology of genocide. New Haven 1990, S. 291 ff.; Dmytro Zlepko: Der ukrainische Hunger-Holocaust. Stalins verschwiegener Völkermord. Sonnenbühl 1988.
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41 Ebenda (Dmytro Zlepko), S. 168. 42 Rafael Abramowítsch: Wandlungen der bolschewistischen Diktatur. Berlin 1931, S. 14. 43 Diese Unterscheidung stammt von dem katholisch getauften konservativen Juden Waldemar Gurian, dem Heinz Hurten die 1972 in Mainz erschienene Studie „Waldemar Gurian“ gewidmet hat (ebenda, S. 55). 44 Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär. Frankfurt/M. 1977, S. 166. 45 Smart Kahn: The Wolf of the Kremlin. New York 1987, 131. 46 Ebenda: preface. 47 Louis Rapoport: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin 1992, S. 43. 48 Markus Wehner: Wer waren Stalins Vollstrecker? (= Ausführlicher Bericht über: Nikita Petrow und Konstantin Skorkin: Kto rukovodil NKWD. Spravotschnik Moskau 1999) in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. 3.2000. 49 Michael Parrish: Soviet security and intelligence organizations. Westport, Ct. 1992, S. 96 f. 50 Joshua Rubenstein: Stalin's secret pogrom. The postwar inquisition of the Jewish Anti-Fascist Committee. New Haven, Con. 2001. 51 Gerd Koenen und Karla Hielscher: Die schwarze Front. Antisemitismus in der Sowjetunion. Reinbek 1991, S. 180. 52 Ebenda, S. 188. 53 Erica Burgauer: Jüdisches Leben in Deutschland 1945-1990. Diss. Zürich 1992, S. 123. 54 Georg Strobel: Die Legende von der Rosa Luxemburg, in: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1992) 3, S. 387. 55 Robert Conquest: Am Anfang starb Genosse Kirow. Düsseldorf 1970, S. 522. 56 Fritz Keller: Gegen den Strom. Fraktionskämpfe in der KPÖ. Wien 1978, S. 122. 57 Louis Rapoport: Hammer, Sichel, Davidstern. Berlin 1992, S. 65 f. 58 Robert Conquest: Der große Terror. München 1992, S. 279. 59 Arthur Koestler: Sonnenfinsternis (1960). München 1967, S. 254. 60 In: Johannes Vollmer (Hrsg.): Aufstand der Opfer, verratene Völker zwischen Hitler und Stalin. Göttingen 1989, S. 24. 61 Heinz Abosch: Antisemitismus in Rußland. Darmstadt 1972, S. 63. 62 Hermann Weber und Ulrich Mählert (Hrsg.): Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936-1953. Paderborn 1998, S. 134 u. 163. 63 Bd. 3/1913. S. 129-142. 64 Rolf Wiggershaus: Die Frankfurter Schule. München 1988. 65 Volker Külow: David Rjasanov – mit Marx gegen Stalin. In: Argument (1992) 34, S. 897 f. 66 1928 erschienen in Frankfurt/M. zwei von David Rjasanov hrsg. deutschsprachige Bände mit dem Titel: „Marx-Engels Institut. Zeitschrift des Marx-Engels-instituts in Moskau“. 67 Vgl. Jürgen Kuczynski: Memoiren. Köln 1983, S. 204. 68 Robert Conquest: Am Anfang starb Genosse Kirow. Düsseldorf 1970, S. 118. 69 Semion Lyandres: The Bolshevik „German Gold“ revisited. Pittsburg 1995, S. 54. 70 Leopold Trepper: Die Wahrheit. München 1975, S. 65. 71 Anna Larina Bucharina: Nun bin ich schon weit über zwanzig. Göttingen 1991, S. 239 ff. 72 Matthias Messmer: Sowjetischer und postkommunistischer Antisemitismus. Konstanz 1997, S. 55. 73 Rafael Abramowitsch: Wandlungen der bolschewistischen Diktatur. Berlin 1931, S. 9. 74 Lew Kopelew: Aufbewahren für alle Zeit. München 1979, S. 53 und 55. 75 Hersch Mendel: Erinnerungen eines jüdischen Revolutionärs. Berlin 1979, S. 260. 76 Joachim Radkau: Die deutsche Emigration in die USA. Düsseldorf 1971, S. 239. 77 Zit. in: Paul Rothenhäusler und Hans-Ueli Sonderegger (Hrsg.): Erinnerungen an den Roten Holocaust. Stäfa 1999, S. 304. 78 Chaim Noll: Nachtgedanken über Deutschland. Reinbek 1992, S. 21. 79 Jewgenija Albaz: Geheimimperium KGB. Totengräber der Sowjetunion. München 1992, S. 122. 80 Ebenda, S. 123.
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81 Gerd Überschär und Wolfram Wette (Hrsg.): Unternehmen Barbarossa. Paderborn 1984, S. 121. 82 So Hitler in einem Interview im November 1935, zit. nach: Guenter Lewy: Die katholische Kirche und das Dritte Reich. München 1965, S. 227. 83 Vgl. Hugh Seton-Watson: Osteuropa zwischen den Kriegen 1918-1941. Paderborn 1948, S. 473. 84 Rudolf Kommoss: Juden hinter Stalin. Berlin-Leipzig 21939. 85 Naomi Shepherd: A price below rubies. Jewish women äs rebels and radicals. Harvard 1993, S. 137. 86 Rudolf Kommoss: Juden hinter Stalin. Berlin, Leipzig 21939, S. 21. 87 Matthias Vetter: Antisemiten und Bolschewiki. Berlin 1995, S. 53 ff. 88 Sonja Margolina: Verbotene Zonen. Fragen an die Juden in Rußland und Deutschland. In: Merkur (1991)45, S. 174-181. 89 Peter Ulrich Hein und Hartmut Reese (Hrsg.): Klönne-Festschrift. Frankfurt/M. 1996, S. 401. – Der Vf. dieses Buches hat Prof. Voronkov bei der Kooperation der soziologischen Fakultäten Bielefelds und St. Petersburgs kennengelernt. 90 Leonid Luks: Stalin und die jüdische Frage. In: ders. (Hrsg.): Der Spätstalinismus und die „jüdische Frage“. Wien, Köln 1998, S. 270. 91 Anatoli Iwanow: Logik des Alptraum. Berlin 1995, S. 214. 92 Leo Lania: Welt im Umbruch. Frankfurt/M. 1954, S. 319. 93 Eugen Hoeflich: Tagebücher. Wien 1999, S. 361, Anrn. 341. 94 Theodor HerzI: Der Judenstaat. Leipzig, Wien 1896, S. 22. 95 Uwe Laugwitz: Ehrenstein. Frankfurt/M. 1987, S. 277. 96 Eduard Bernstein: Wie ich als Jude in der Diaspora aufwuchs. In: Der Jude (1917/18) 2, S. 186-195 (Zitat: S. 195). 97 Paul Lendvai: Antisemitismus ohne Juden. Wien 1982, S. 248. 98 Eduard Goldstücker: Prozesse. Erfahrungen eines Mitteleuropäers. München 1989, S. 41. 99 Ervin Sinkó: Roman eines Romans. Moskauer Tagebuch. Köln 1962, S. 296. 100 Arthur Hertzberg: Wer ist Jude? München 2000, S. 262. 101 Wolfgang Benz: Die Legende von der Verschwörung des Judentums in den Protokollen der Weisen von Zion. In: Uwe Schultz (Hrsg.): Große Verschwörungen. München 1988, S. 205-217 (Zitat: S. 216); vgl.hierzu den Aufsatz des in der Sowjetunion geborenen Israeli Yaakov Tsigelman: The universal Jewish conspiracy in Soviet Anti-Semitic propaganda. In: Theodore Freedman (Hrsg.): Anti-Semitism in the Soviet Union. Its roots and consequences. New York 1984, S. 394-421. 102 Leopold Trepper: Die Wahrheit. München 1978, S. 316. 103 Ebenda, S. 72. 104 Kevin Mac Donald: The culture of critique. Westport, Ct. 1998, S. 102. 105 Beate Fieseier: Frauen auf dem Weg in die russische Sozialdemokratie. Stuttgart 1995, S. 210. 106 Helmut Hirsch: Marx und Moses. Karl Marx zur Judenfrage. Frankfurt/M. 1980. 107 Wespennest (1992) 89, S. 7 f. 108 So Marcel Reich-Ranicki in: Klaus Sauer: Anna Seghers. München 1979, S. 9. 109 Gerd Koenen: Die großen Gesänge. Lenin, Stalin ... Sozialistischer Personenkult. Frankfurt/M. 1987, S. 144. 110 Klaus Sauer: Anna Seghers. München 1978, S. 25. 111 Arie Wolf: Größe und Tragik Arnold Zweigs. London 1991, S. 562. 112 Peter Brandt und andere: Karrieren eines Außenseiters. Leo Bauer. Bonn 1983, S. 23. 113 Hans Noll: Jüdische Selbstverleugnung und Antisemitismus in der DDR. In: Deutschland-Archiv (1989) 22, S. 769-778 (Zitat: S. 772). 114 Berlin 1996, S. 26. 115 Margarita Matthiopoulos: Das Ende der Bonner Republik. Stuttgart 1993, S. 96. 116 Albert Norden: Die Nation und wir. Bd. 2. Berlin 1965, S. 98. 117 So im Register zu: Ausgewählte Schriften von Marx und Engels. Bd. 1/2. Berlin 1968, S. 728. 118 Heinz Abosch: Antisemitismus in Rußland. Darmstadt 1972, S. 68.
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119 Tamas Aczel und Tibor Meroy: Die Revolte des Intellekts. München 1961, S. 153. 120 Robert Levy: Am Pauker. Berkeley, Cal. 2001, S. 194 ff. (The Purge). 121 In: Weltbühne (1930) 26, S. 313-316 (Zitat: S. 313 f.). 122 Joshua Rubenstein (ed.): StaJin's secret pogrom. The postwar Inquisition of the Jewish Anti-Fascist Committee. New Haven 2001. 123 Peter Meyer u.a.: The Jews in the Soviet satellites. Syracus U.P. 1953, Repr. Westport, Ct. 1971, S. 158. 124 Ebenda, S. 165. 125 Tamas Aczel und Tibor Meroy: Die Revolte des Intellekts. München 1961, S. 21. 126 Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim: Ebrei invisibili i sopprovissuti dell'Europe Orientale dal communismo. Milano 1995, S. 3. 127 Wien 1982, S. 69. 128 Gerd Koenen und Karla Hielscher: Die schwarze Front. Der neue Antisemitismus in der Sowjetunion. Reinbek 1991, S. 158. 129 Art. Berman, in: Encyclopaedia Judaica. Jerusalem 1971. 130 Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim: Ebrei invisibili. Milano 1995, S. 120. 131 Marian Dziewanowski: Poland in the twentieth Century. New York 1977, S. 202. 132 Paul Lendvai: Antisemitismus ohne Juden. Wien 1982, S. 99. 133 Ebenda, S. 120. 134 Teresa Toranska: Die da oben. Polnische Stalinisten zum Sprechen gebracht. Köln 1987, S. 98 ff. 135 Karin Hartewig: Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR. Köln 2000, S. 334-347 = Kap. 3.2: „Inquisition im Zeichen des Antizionismus“. 136 Bernd Siegler: Auferstanden aus Ruinen. Berlin 1991, S. 122. 137 „Ein linientreuer Dissident“ hat Jürgen Kuczynski seine Erinnerungen überschrieben. Berlin 21992. 138 Anneli Hartmann und Wolfram Eggeling: Die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft. Berlin 1993, S. 20 f. 139 Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Rußland. Berlin 1921, S. 233. 140 Berlin 1930, S. 66. 141 Gerd Koenen: Die großen Gesänge. Frankfurt 1987, S. 29. 142 Isaac B. Singer: Verloren in Amerika. Vom Schtetl in die Neue Welt. München 1985, S. 50. 143 Jaff Schatz: The generation. The rise and fall of the Jewish Communists in Poland. Berkeley 1991, S. 312.
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Der neue antikommunistische Antisemitismus „The greater the successes of the communist movement were, the greater the anti-communist hostility to the Jews became.“ JONATHAN FRANKEL 19881
Sowohl Juden als auch Nichtjuden haben die bedeutsame Rolle, die jüdische Kommunisten in der russischen Revolution spielten, als spektakulär empfunden und vielfältig kommentiert. Dabei handelte es sich deshalb um einen Vorgang von großer Tragweite, weil sich „der grimmige (ljutij) Haß auf die Bolschewiki... in einen ebensolchen Haß auf die Hebräer, und nicht nur in Rußland, verwandelt hat.“2 So heißt es in der von losef Bikerman verfaßten Einleitung zu dem 1923 in Berlin in russischer Sprache erschienen Buch Rossija i Evrei (Rußland und die Hebräer), das vom „Vaterländischen Verband russischer Juden im Ausland“ herausgegeben worden ist. Zu diesen russifìzierten Emigranten gehörte Grigori Landau, der mit Bikerman darin übereinstimmte, daß jüdische Selbstkritik gefordert sei.3 Die Verfasser dieser Publikation bezeichneten die Juden als Hebräer, weil das Wort Jude (zyd) im Russischen einen abwertenden Charakter hat. Indem es im Vorwort dieser „An die Hebräer aller Länder“ gerichteten Schrift heißt: „Die sowjetische Herrschaft wird identifiziert mit der hebräischen Herrschaft“,4 erkannte man ausdrücklich an, daß eine Gleichsetzung vorlag. In der Wissenschaft spricht man daher von einer Gleichsetzungstheorie (equation theory). Sie ist zu unterscheiden von der Verschwörer- oder Komplott-Theorie. Diese beinhaltet die wahnhafte Vorstellung oder auch machiavellistische These, daß Hintermänner im Verborgenen die Geschicke der Welt bestimmen. Unter diesen haben die vorgeblichen „Weisen von Zion“ als geheime jüdische Weltregierung eine besondere Bedeutung erlangt. Ihnen wird bis heute von manchen nachgesagt, daß sie von einer Loge aus die Marionettenfäden zögen, an denen die vorgeblich Mächtigen der Welt hängen.
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Bei den hinsichtlich ihrer komplizierten Textgeschichte immer noch umstrittenen und in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in Rußland fabrizierten Protokollen dieser erdachten „Weisen“5 handelt es sich um eine ziemlich wirre Schrift, die nach dem Ersten Weltkrieg in unterschiedlichen aktualisierenden Bearbeitungen und vielen Übersetzungen weltweit verbreitet wurde. Der renommierte Rußland-Historiker Richard Pipes von der Harvard-Universität ist zu dem Urteil gelangt, daß diese Protokolle sich aber erst nach der Etablierung der terroristischen Herrschaft der Bolschewiki den „Ruf einer Prophezeiung“ erworben haben.6 Die Gleichsetzungstheorie ist durch die Drahtziehertheorie radikalisiert und ins Mythologische erhöht worden. Dabei wird unterstellt, daß das Verhalten der jüdisch-kommunistischen Minderheit Ausdruck einer spezifisch „jüdischen“, im Extremfall von einer jüdischen Geheimregierung ausgeübten Politik sei. In der Bearbeitung der Zionistischen Protokolle durch den „Altmeister des deutschen Antisemitismus“, Theodor Fritsch, heißt es, daß „die jüdischen Sowjetgewaltigen ... den Beweis dafür erbracht“ hätten, „welch blutiger Ernst es ihnen um die Knechtung und Erwürgung der Gojim ist“.7 Es ist ein enormer Aufwand betrieben worden – etwa auch in einem 1933 vor dem Berner Amtsgericht angestrengten Prozeß –, „um die Protokolle als Fälschung zu entlarven“.8 Die von jüdischen Verbänden gehegte Hoffnung, damit „dem Antisemitismus einen entscheidenden Schlag zu versetzen“,9 erwies sich als Illusion. Der Grund dafür, warum die Frage der durch das Gericht negativ beantworteten Authentizität der Protokolle Antisemiten nur wenig interessierte, lag darin, daß ihre Neubearbeitungen stark auf die Bekämpfung jüdischer Bolschewiki abhoben und sich von der mysteriösen Urschrift der Protokolle weit entfernt hatten. So brandmarkte auch der Deutschrusse Alfred Rosenberg in seinen Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik die „jüdischen Führer des Bolschewismus“10 und prangerte dabei den Anführer des Ermordungskommandos des Zaren Jurowski, den „Henker Petersburgs“ Uritzki, den „Präses der Mordkommune“ Sinowjew sowie die „jüdische Diktatur Bela Kuhn und Szamuely“ an. In Rußland seien „Millionen Russen durch den Judenterror“ untergegangen,11 wobei Rosenberg feststellte, daß „die Geistlichkeit fast ausgerottet“ sei und „nur die ,neue Kirche' von Trotzkis Gnaden“ ein kümmerliches Dasein fristen dürfe.12 Für Rosenberg bestand „kein Zweifel an der Gleichartigkeit der Denkprozesse“ in den Protokollen und dem sonstigen jüdischen Schrifttum.13
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Auch in seinen Pamphleten Pest in Rußland. Der Bolschewismus sein Häupter, Handlanger und Opfer sowie in Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten unterstellte der 1923 zum Hauptschriftleiter des Völkischen Beobachter berufene Rosenberg eine „jüdische Leitung“ des Bolschewismus.14 Er sprach von einer „russisch-jüdischen Revolution“15 und behauptete das „Moskauer Judengeld (Joffe, Radek-Sobelsohn)“ habe eine ,Judenherrschaft in Deutschland“ zum Ziel gehabt.16 In der Regel wird das wahnhafte und darum leicht entlarvbare Moment der erdichteten „Weisen von Zion“ herausgestellt, wohingegen die antibolschewistische Ausrichtung der diversen Neubearbeitungen der Protokolle nach 1919 unerwähnt bleibt. Das führt zur Ausblendung der darin vollzogenen agitatorischen Gleichsetzung von Juden und Bolschewisten. In seinem Beitrag für den oben vorgestellten Band Rossija i Evrei hat der jüdische Emigrant I. O. Lewin offenherzig das Motiv für dieses Verfahren genannt. Er merkte an, daß das „Feststellen der Verantwortung für die Teilnahme von Juden an der bolschewistischen Bewegung ... gewöhnlich in jüdischen Kreisen Gereiztheit (razdrashenie) und Unverständnis hervorruft.“17 In der Diskussion über den grundlegenden Aufsatz Communism, AntíSemitism and the jews, den der amerikanische Professor Jerry Z. Muller 1988 in der vom American Jewish Commitee herausgegebenen Zeitschrift Commentary veröffentlichte,18 hat auch Rabbi Eugene A. Wernick diesen heiklen Punkt freimütig angesprochen. Er räumte ein, daß es „irritierend“ sei, daß „jüdische Aktivität in linken und kommunistischen Angelegenheiten“ dem Antisemitismus „Futter“ gegeben habe.19 Tatsächlich ist der in St. Petersburg geborene Leon Poliakov in seiner in mehrere Sprachen übersetzten Geschichte des Antisemitismus zu dem Ergebnis gelangt, daß man hinsichtlich des „Gespenstes des jüdischen Bolschewismus'“ von einer „Universalität des Phänomens“ sprechen müsse. Dieses Gespenst habe „Wellen des Antisemitismus“ ausgelöst, die man sogar in den Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien habe feststellen können.20 Auch Fritz – später Peretz – Bernstein räumte 1926 in seiner im Jüdischen Verlag in Berlin publizierten Soziologie des Judenhasses ein, daß „der Judenhaß, den die Bolschewisten, d. h. die jüdischen Bolschewisten, erregt haben“, keine „ausführliche Begründung“ erfordere. Dabei merkte er an, daß die „kollektive Haftbarmachung“ für das „unliebsame Wirken einzelner jüdischer Kommunisten“ das „Vorhandensein einer antijüdischen Gruppenfeindschaft“ bestätige.21
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Rußland Der Kern der kommunistischen Botschaft lautet, daß die alte Welt mitsamt der Monarchie, den herrschenden Klassen von Adel und Bürgertum sowie der christlichen Kirche als Stütze der Monarchie verderbt sei und zugunsten einer neuen Welt mit einem neuen Menschen zerstört werden müsse. An diesem prometheischen Unterfangen waren nicht nur in Rußland jüdische Kommunisten maßgeblich beteiligt. Das bedeutet zwangsläufig, daß sie den Haß derjenigen auf sich ziehen mußten, die durch die Umstürzler angegriffen, ja teilweise – besonders in Rußland – buchstäblich bis aufs Messer bekämpft worden sind. In Rußland hat die Tscheka während des Bürgerkriegs auf ausdrückliche Weisung der Partei mindestens zweihunderttausend Adelige, Offiziere, Priester, Nonnen und andere Mitglieder der „herrschenden Klassen“ liquidiert. Nach einer von Churchill 1930 vorgetragenen statistischen Untersuchung eines Professors sollen den Sowjets bis 1924 zum Opfer gefallen sein: 28 Bischöfe, 1219 Geistliche, 6000 Professoren und Lehrer, 9000 Doktoren, 12950 Grundbesitzer, 54000 Offiziere, 70000 Polizisten, 193290 Arbeiter, 260000 Soldaten, 355250 Intellektuelle und Gewerbetreibende sowie 815000 Bauern.22 Im Januar 1918 klagte der Archimandrit (Abt) Wostokov auf einer Synode (Sobor): „Wir haben den Zaren gestürzt und uns den Juden unterworfen.“23 Die von dem „Juden“ Jakob Swerdlow veranlaßte Erschießung von Zar Nikolaus II. ist nicht nur in Rußland, sondern weltweit als symbolträchtige Bestätigung dafür genommen worden, daß es sich bei der Sowjetmacht in Wahrheit um eine „jüdische“ beziehungsweise jüdisch dominierte Macht gehandelt habe. Daß der Zar mit seiner Familie von einem „jüdischen Bolschewiken“24 exekutiert worden ist, hat keineswegs nur in der Agitation der russischen „Weißen“ und der Nationalsozialisten,25 sondern im ganzen christlichen Kulturkreis Beachtung gefunden. In dem in eine Vielzahl von Sprachen26 übersetzten Bestseller des russischen Exilgenerals Petr Nikolaevic Krasnow Vom Zarenadler zur Roten Fahne fragt ein Oberst „Und Sie glauben, daß ohne diese Juden, wie Swerdlow und Jurowski, russische Leute jemals die Hand erhoben hätten gegen den Zaren? Alles andere hätten sie vielleicht getan – aber das nicht.“27 Im Jahr 1936 heißt es in dem nationalsozialistischen Buch Weltbolschewismus: „Der letzte Zar fiel einsam und verlassen von der Kugel eines Juden.“28
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Auch in der NS-Publikation Antisemitismus der Welt in Wort und Bild wird angeklagt: „Die Henker der Zarenfamilie waren Juden.“29 In Reaktion auf das frühe Sowjetregime hat der Antisemitismus nicht nur in Rußland eine neue Qualität erlangt. Es ist bezeichnend, daß Krasnow bezüglich des Smolny-Kloster in Petrograd, wo Lenin zunächst sein Hauptquartier eingerichtet hatte, von „den frechen Judenlümmeln im Smolnaer Institut“ spricht.30 In seinem Buch charakterisiert ein Oberst die Juden“ dämonisierend als „jenen Gärstoff ..., auf dessen Wirkung beinahe jede russische Aufruhrbewegung zurückgeführt werden kann“.31 Schließlich präsentiert Krasnow eine makabre „Traum“-Szene. Darin werden auf einer Volksversammlung „die Juden“ folgendermaßen angeklagt: „Sie schlugen Christus ans Kreuz.“ In Reaktion auf diese MordAnklage ließ Krasnow die aufgeputschte Menge den Schrei „über die Steppe“ gellen: „Erschlagt sie, erschlagt sie!“32 Damals sind in Petrograd tatsächlich Aufrufe mit der Forderung verbreitet worden, die Stadt „von der jüdischen Pest zu säubern“.33 Indem unter den Gegnern des Sowjetregimes das Stereotyp vom „jüdischen Bolschewismus“ allgegenwärtig34 wurde, entstand eine explosive Situation. Sie spiegelt sich in dem berühmten antibolschewistischen Plakat aus dem Bürgerkrieg wider, auf welchem Trotzki mit einem Davidstern um den Hals als bluttriefendes Monster auf der Kreml-Mauer sitzt und auf einen Berg von Totenschädeln niedersieht.35 Ein emotionales Schreckbild von den Zuständen in Sowjetrußland malte auch Robert Nilostonski in seiner 1920 in Berlin publizierten Schrift Der Blutrausch des Bolschewismus. Berichte eines Augenzeugen über die Schreckenstaten der Bolschewisten in Rußland. Darin wurden Greueltaten der neuen Machthaber in Rußland polemisch und im Detail beschrieben und festgestellt, daß in Rußland jetzt auf dem Thron sitzt „der Hebräer Laiba Bronstein, der sich, um das Volk betrügen zu können, den Namen ,Trotzki' ausgedacht hat“.36 Nilostonski bezeichnete in seinem Bericht Sinowjew als „Petersburger Diktator“, „berüchtigten Massenmörder und Sadisten“ sowie als „Bluthund Apfelbaum“.37 Dabei versicherte er treuherzig: „Natürlich bin ich weit davon entfernt, das ganze Judentum zu beschuldigen ... doch kann dem Judentum der Vorwurf gemacht werden, daß es sich angesichts der leitenden Rolle und der enormen Teilnahme seiner Vertreter an dem satanischen Verbrechen, das ganz Rußland in einen Blutstrom verwandelt, überhaupt völlig passiv verhält und somit selbst die Schuld an der Identifizierung des Bolschewismus mit dem Judentum trägt.“38
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Der mit Kollektivschuldvorwürfen operierende Nilostonski beteuerte scheinheilig, er sei „weit entfernt von jedem Antisemitismus“, fühle sich jedoch verpflichtet, die „Tatsachen als nacktes wissenschaftliches und historisches Material“ wiederzugeben, da der Verbrecher „immer ein Verbrecher, ungeachtet ob Deutscher, Russe oder Jude“ sei und mit seinem Namen genannt werden müsse.39 Auf dem Hintergrund solcher Stimmungsmache sind während der Bürgerkriegszeit besonders in der Ukraine und in Galizien von Antibolschewisten und antisemitischen Nationalisten blutige Pogrome veranstaltet worden, die weltweit Schrecken auslösten. So berichtete am 8. März 1919 die Frankfurter Zeitung unter der Überschrift „Die Judenverfolgung in Polen“ über „ein systematisches Abschlachten zahlloser Frauen, Greise und Kinder durch die polnische Legion in Lemberg“. In den zeitgenössischen Berichten über die Pogrome in der Ukraine wird mitgeteilt, daß dabei die schauerliche Parole „Tötet die Juden, rettet Rußland!“ zu hören gewesen sei.40 Mit dieser erschreckenden Sachlage hat sich eine Denkschrift des Zentralbüros der Jüdischen Kommunistischen Sektionen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Rußlands und des Hauptbüros der Jüdischen Sektionen beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Ukraine von 1919 auseinandergesetzt. Sie gelangte zu dem Schluß: „Die Verteidigung der Sowjetmacht fällt hier mehr als irgendwo mit dem Schutz gegen die physische Ausrottung zusammen.“41 Der aus einer Odessaer jüdischen Familie stammende Frank Golder, der der Begründer der berühmten „Slavic Collection“ der Hoover Institution in Stanford/Kalifornien war, hat in einem Brief aus Petrograd vom 15. Januar 1922 über den durch die Revolution angeheizten Antisemitismus gesagt: „Ich möchte Sie informieren über den Haß, der sich unter Russen auf die Juden verbreitet ... der Antisemitismus schwelt jetzt und wenn er ausbricht, dann werden Ströme von jüdischem Blut fließen.“42 USA In den USA, wo die sozialistische und auch die kommunistische Bewegung über Jahrzehnte von der ostjüdischen Emigration geprägt wurde,43 haben Juden den Sturz des verhaßten Zarenreiches selbstverständlich gefeiert. An der Oktoberrevolution aber schieden sich die Geister auch unter den jüdi-
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sehen Sozialisten. Von der jüdischen Bäckerei-Genossenschaft „Arbeiter Ring“ in Los Angeles wird berichtet, daß sich in ihr die Anhänger der Bolschewiki mit den Sozialdemokraten derart in die Haare gerieten, daß die unterliegende antibolschewistische Partei aus der Kooperative ausschied!44 In seiner Ausgabe vom 10. September 1920 hat sich der American Hebrew ausdrücklich zur Oktoberrevolution bekannt: „Die bolschewistische Revolution in Rußland war das Werk jüdischen Denkens (brains), jüdischer Unzufriedenheit und jüdischer Planung, um eine neue Weltordnung zu erschaffen. Was dank dem jüdischen Geist so hervorragend in Rußland geschaffen worden ist... soll in der ganzen Welt Realität werden.“45 Die Sympathien vieler ostjüdischer Sozialisten für die Bolschewiki haben in Amerika die bürgerlichen Juden, die meist zur deutschen 1848er Emigration gehörten, alarmiert. Deren Sprachrohr war das American Jewish Committee (AJC), das am 20. Oktober 1918 vor dem „Horror und der Tyrannei“ der bolschewistischen Regierung warnte. Der für das AJC arbeitende Anwalt Louis Marshall erklärte damals, daß das, wofür der Bolschewismus stehe, „für den Juden verächtlich“ sei.46 Damals wurde in Brooklyn das Magazin Anti-Bolshevist herausgebracht, das der „Verteidigung der amerikanischen Institutionen gegen die jüdischbolschewistische Doktrin von Morris Hillquit und Leon Trotzki“ gewidmet war. Der 1869 in Riga als Morris Hillkowicz geborene Hillquit47 gehörte der Redaktion der jiddischen Arbeiter Zeitung an, war führender Gewerkschafter, Vorsitzender der amerikanischen Socialist Labour Party und Verfasser der History of Socialism in the United States. Das Magazin AntiBolshevist signalisierte, daß in Reaktion auf den russischen Bolschewismus auch in Amerika „eine neue Welle des Antisemitismus“ ausgelöst wurde.48 Die Befürchtung von Louis Marshall, daß die Existenz jüdischer Kommunisten das Entstehen antisemitischer Verschwörertheorien begünstigen würde, war nur zu berechtigt. Denn auch in Amerika grassierte das Schlagwort vom „jüdischen Kommunismus“.49 Und zwar nicht zuletzt aufgrund der Sympathien vieler ostjüdischer Emigranten für die Sowjetherrschaft in Rußland.50 Am Rande sei angemerkt, daß Trotzki noch 1934 in einem Interview zur amerikanischen Zeitschrift Class Struggle äußerte: „Die Rolle der jüdischen Arbeiter ausländischer Herkunft wird in der amerikanischen proletarischen Revolution eine sehr große und in gewisser Hinsicht eine entscheidende sein.“51 Im Jahr 1919, in dem Moskaus Abgesandte in Budapest und München Räteregime installierten und in Berlin und Wien kommunistische Putsch-
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versuche unternommen wurden, hatten amerikanische Diplomaten ernsthaft die Befürchtung, daß Deutschland „von der Welle des Bolschewismus“ überrannt werden könne.52 Größer war aber noch die Besorgnis im Hinblick auf das eigene Land. Der amerikanische Literary Digest hatte schon am 14. Dezember 1918 die Frage aufgeworfen „Are Bolshewiki mainly Jewish?“ und benutzte im folgenden die Ausdrücke Juden und Bolschewiki synonym.53 Der Christian Science Monitor referierte am 19. Juni 1920 unter dem Titel The Jewish Peril die eine angebliche jüdische Weltverschwörung entlarvenden Protokolle der Weisen von Zion. Am gleichen Tage charakterisierte die Chicago Tribüne den Bolschewismus als „Instrument der jüdischen Kontrolle über die Welt“.54 Die nach dem Ersten Weltkrieg in den USA eskalierende Judenfeindschaft55 wurzelte in der Anschuldigung, daß die neueingewanderten Juden einen „Vortrupp des Bolschewismus“ darstellten und – so ein Kongreßabgeordneter – daß das jüdische Element an der New Yorker East Side das „Bollwerk des Bolschewismus“ in Amerika bilde.56 In der amerikanischen Armee, in der Henry Fords Internationaler Jude und die Protokolle der Weisen von Zion von der „Military Intelligence Division“ in Umlauf gebracht wurden,57 erreichte die Angst vor der „roten Gefahr“ (red menace) ein solches Ausmaß, daß Überlegungen angestellt wurden, eine Erhebung von 600000 bis 1,5 Millionen Revolutionären niederzuschlagen!58 Derartige Befürchtungen konnten sich auf einige jüdische Heißsporne wie A. Sachs berufen, der 1921 in New York den Artikel Bolshevism and the Jews veröffentlicht hatte. In ihm sprach er folgende Hoffnung aus: „Ich wünsche, daß viele radikale Juden wie Trotzki, Eisner und ihresgleichen Staatschefs wären. Unsere Gegner würden dann mit den Zähnen klappern und vor Wut schäumen, aber sie würden es nicht wagen, uns zu berühren, ganz abgesehen davon, Massaker und Pogrome gegen uns zu veranstalten. Der jüdische Bolschewismus demonstriert der ganzen Welt, daß das jüdische Volk noch nicht degeneriert ist.“59 Ein vergleichbares Motiv ist bereits am 19. November 1917, also unmittelbar nach dem Oktober-Putsch, von der russischen Evrejskaja Nedelja (Hebräische Woche) als „Verlangen ... nach Rache für die vorige rechtlose Lage“ ausgemacht worden.60 Für ein Aufbegehren gegen all die Demütigungen, welche Juden zugefügt worden sind, hatten Antisemiten kein Verständnis. Sie prangerten die kommunistischen Juden an und führten deren Radikalismus nicht auf die vorangegangene Diskriminierung zurück, sondern werteten ihn als Ausdruck eines verächtlichen jüdischen Wesens.
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Besonderes Gewicht hatte dabei die 1927 unter massivem politischen Druck eingestellte61 Kampagne des Autoindustriellen Henry Ford.62 Seine Schrift Der Internationale Jude, eine Zusammenfassung von unter seinem Namen erschienenen Artikeln des ihm gehörenden Dearborn Independent ist in viele Sprachen übersetzt worden. Sie bediente sich sowohl der Gleichsetzungs- als auch der Verschwörer-Theorie.63 So bezeichnete Ford „den“ Juden als „Weltbolschewisten“, der „in hervorragendem Maß Revolutionsmacher in Deutschland“ gewesen sei.64 Weiter erklärte er den Sowjet für „keine russische, sondern eine jüdische Einrichtung“.65 Henry Ford glaubte in seinem Eifer einen „alljüdischen Stempel auf dem Roten Rußland“ wahrnehmen zu können.66 Dabei brandmarkte er die Entweihung christlicher Kirchen in Rußland, und behauptete wahrheitswidrig, daß die „jüdischen Synagogen“ von dieser antireligiösen Kampagne „unberührt“ geblieben wären.67 Eine andere Ausgabe des Internationalen Juden hob stark auf die Protokolle der Weisen von Zion ab und propagierte massiv die Verschwörertheorie. Dort wurde die Chicago Tribüne mit der Unterstellung zitiert, daß Trotzki „die jüdischen Radikalen zur Weltherrschaft“ führe.68 Den „Protokollen“ billigte Ford „teilweise Erfüllung“ zu,69 wobei er den „Weisen von Zion“ bescheinigte, daß sie die christlich-bürgerliche Welt „zersetzen“.70 Weiter wurde im Internationalen Juden die Frage aufgeworfen, ob nicht der Sowjet (Rat) mit der jüdischen Gemeindeversammlung Kahal identisch sei.71 Schließlich nannte Ford Bela Kun einen von jüdischen Kommissaren umgebenen „Ober-Roten“72 und zog das Fazit, daß im Lichte der Protokolle der Weisen von Zion das neue Rußland „noch nicht einen Juda-Staat, wohl aber einen von jüdischen Streitkräften eroberten nichtjüdischen Staat“ darstelle.73 In den dreißiger Jahren entfaltete dann der irischstämmige Pater Charles Coughlin in den Vereinigten Staaten mit seinen von Millionen verfolgten Rundfunkpredigten eine einschlägige Agitation. Für den Katholiken Coughlin, der zwischen „schlechten Diktatoren“ wie Hitler und Stalin und „guten“ wie Mussolini, Franco und Salazar unterschied und 1938 eine Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion veranstaltete, war der Kommunismus in Rußland durch Juden „dominiert“. Trotz seiner Kritik am Nazismus hielt Coughlin ihm zugute, daß er „ein Verteidigungsmechanismus gegen den Kommunismus“ sei.74
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Großbritannien Die Londoner Times denunzierte die Bolschewiki, die die Kriegskoalition mit der Entente aufgekündigt hatten, am 23. November 1917 als „Abenteurer von deutsch-jüdischem Blut und im deutschen Sold“.75 Diese Stellungnahme signalisierte ein Aufflammen des Antisemitismus auch in Großbritannien, ausgelöst nicht nur durch das Bündnis mit den russischen „Weißen“, sondern vor allem durch die Überrepräsentation jüdischer Revolutionäre in den Reihen der Roten und der offenkundigen Bedeutung ihres „deutsch-jüdischen“ Inspirators Karl Marx. Dabei wurde die Gleichung „Juden = Bolschewisten“ vorgenommen, der Bolschewismus als „jüdische Rache“ denunziert und als Beleg hierfür der Zarenmord genannt.76 Der Jewish Chronicle hat am 30. November 1917 Leo Trotzki als „einen neuen jüdischen Typus“ porträtiert, der „als Rächer für jüdische Leiden und Demütigungen unter dem Zarenregime“ in Erscheinung träte. Der britische Diplomat Kidston gab am 5. Dezember 1918 dieses Urteil ab: „Da ist, so befürchte ich, einige Berechtigung in der These, daß die Juden das Rückgrat des Bolschewismus stellen“.77 Bei solchen Wertungen handelte es sich nicht um die Meinung von rechtsradikalen Außenseitern, sondern vielmehr um Stellungnahmen von Mitgliedern des Establishments. Bei ihrer Bewertung ist zu bedenken, daß die britische Historikerin Sharman Kadish den massiven Anklagen gegen den „jüdischen Bolschewismus“ aus den dargelegten Gründen ein „Element Wahrheit“ (element of truth) zubilligt.78 Dieses Element ist dazu benutzt worden, um in demagogischer Weise Verschwörungskonstruktionen zu errichten. Der Globe ging am 5. April 1919 so weit zu unterstellen, daß der Bolschewismus der „erste offene Angriff des Judaismus auf das Christentum“ sei.79 Diese Beschuldigung war durch den von dem Zionisten Leopold J. Greenberg herausgegebenen Jewish Chronicle provoziert worden, der am 4. April 1919 geschrieben hatte: „Die Ideale des Bolschewismus stimmen in vielen Punkten mit den schönsten (fìnest) Idealen des Judentums überein (consonant), von denen wiederum einige die Basis für die beste Lehre des Gründers des Christentums gelegt haben.“80 Ein Rabbi einer Reformsynagoge hat an dieser philobolschewistischen Interpretation massiv Kritik geübt, indem er darauf verwies, daß der Bolschewismus den Atheismus predige und die Religionen abschaffe. Vor allem aber waren dem Establishment angehörende britische Juden durch diesen Vorgang aufs höchste beunruhigt. So hat Baron Ginsburg am 17.
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April 1919 an Lionel de Rothschild geschrieben, daß ihn das „taktlose Verhalten einiger unserer jungen revolutionären Religionsbrüder außerordentlich betrübe“. Es sei wichtig, sie davon zu überzeugen, daß jegliche aufsehenerregende jüdische Aktion desaströs für uns“ wäre.81 Daraufhin verfaßte Lionel de Rothschild einen am 23. April 1919 in der konservativen Morning Post veröffentlichten und als „Letter of the Ten“ bekannt gewordenen Antwort-Artikel zu Bolschewismus und Judentum Darin heißt es: „Nach unserer Meinung können solche Artikel keinen anderen Effekt haben, als die Annahme häretischer Prinzipien der russischen Bolschewiken durch ausländische Juden zu ermutigen, welche in England Zuflucht erhalten haben ... Britische Juden sollten sich von einer Sache distanzieren, welche dem jüdischen Volk in aller Welt Schaden zufügen kann.“82 Winston Churchill hat die bei britischen Konservativen grassierenden Vorstellungen von einem „jüdischen Bolschewismus“ in seinem Aufsatz Zionism versus Bolshevism zugespitzt. Er wurde am 8. Februar 1920 im Illustrated Sunday Herald veröffentlicht. Darin entwarf Churchill ein „die Juden“ in den Mittelpunkt stellendes Verschwörungsgemälde, wobei er auf die in Reaktion auf Aufklärung und Französische Revolution entwickelte konterrevolutionäre Verschwörerthese Bezug nahm.83 Sogar den von Professor Adam Weishaupt 1776 in Ingolstadt begründeten radikalaufklärerischen Illuminaten-Orden sprach er an!84 Um seiner These mehr Schlagkraft zu verleihen, machte dabei Churchill gleich anderen Autoren den Jesuitenschüler und Professor für kanonisches Recht, Adam Weishaupt, der den Ordensnamen „Spartakus“ geführt hat, zu einem Juden! Er unterstellte: „Diese Bewegung unter den Juden ist nicht neu. Seit den Tagen von Spartakus-Weishaupt bis zu denen von Karl Marx, und weiter zu Trotzki (Rußland), Bela Kun (Ungarn), Rosa Luxemburg (Deutschland) und Emma Goldmann (USA) ist die weltweite Verschwörung zum Umsturz der Zivilisation ständig gewachsen.“85 Es ist kein Zufall, daß die im Februar 1920 herausgekommene britische Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion von der Times am 8. Mai 1920 zunächst zustimmend als Ausdruck der Jewish Peril vorgestellt wurde. Allerdings warf man die Frage auf, ob diese Protokolle „authentisch seien. Schließlich wurde noch gefragt, ob England einer „Pax Germanica“ entkommen sei, um einer „Pax Judaica“ unterworfen zu werden!86 Diese Diskussion führte man in Großbritannien auf dem Hintergrund des russischen Bürgerkriegs, der 1920 für die von den Briten unterstützten
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„Weißen“ verlorenging.87 Die Bolschewiki, die damals auch in England die neugegründete britische Kommunistische Partei finanzierten, wurden in London durch den späteren Außenminister Maxim Litwinow vertreten. Er war 1876 unter dem Namen Meer G. Moisevich Wallach als Sohn eines Bankbeamten in Bialystok geboren worden88 und hatte im revolutionären Untergrund Waffen für terroristische Zwecke beschafft.89 Der Journalist Lucien Wolf, der damals das Conjoint Foreign Committee of British Jews auf der Pariser Friedenskonferenz leitete, hat zu der Frage des von einigen Juden vorgeschlagenen Manifestes gegen die probolschewistischen Juden folgendes in sein Tagebuch eingetragen: Solch ein Manifest würde nur ein „Manifest von Juden zugunsten des Bolschewismus oder zumindest eines revolutionären Sozialismus“ provozieren und damit dokumentieren, daß es „eine starke Tendenz in dieser Richtung in der jüdischen Gemeinschaft gibt. Bisher sei man in der Lage gewesen, dies bis zu einem gewissen Grade zu verschleiern (obscure).“90 Polen Was die etwa 10 Prozent betragende jüdische Bevölkerungsminderheit in Polen angeht, so ist zunächst zu beachten, daß sie noch beim Zensus von 1931 zu 80 Prozent ihre Muttersprache als jiddisch angab und somit überwiegend nicht assimiliert war.91 Da die polnischen Juden von polnischen Patrioten und Katholiken als separate Nation und damit als Nicht-Polen betrachtet wurden, erschien den Kommunisten unter ihnen die „rote Assimilation“ als Weg zur Befreiung. Diesen „jüdischen Pfad zum Kommunismus“92 hat Leopold Trepper in die bereits zitierten Worte gefaßt: „Ich wurde Kommunist, weil ich Jude bin.“ Die kommunistische Partei Polens, die wie die sowjetische eine jüdische Sektion hatte, wurde in hohem Maße durch Juden geprägt. Nach Schätzungen waren 1930 etwa 35 Prozent ihrer Mitglieder jüdisch, in Warschau sogar 65 Prozent!93 In den zwanziger Jahren soll dieser Prozentsatz noch höher gewesen sein, was den nationalpolnischen Antisemitismus verschärft hat.94 Polen war das Land, in dem das Stereotyp von der „Zydokomuna“, das mit dem Stereotyp vom „jüdischen Bolschewismus“ weitgehend identisch ist, ebenso wie in Rumänien95 große Resonanz gefunden hat.96 Bernard Goldstein, der Führer des jüdischen Arbeiterbundes, der das Warschauer
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Ghetto überlebt hat, bemerkte in seinen Erinnerungen, der „alte Slogan der polnischen Reaktion“ habe gelautet: „Wer Jude sagt, sagt Bolschewik!“97 Die Kluft zwischen den Polen und den polnischen Juden wurde durch Pogrome bei der polnischen Staatsgründung98 sowie den polnisch-russischen Krieg von 1920 noch vertieft. Beim Vorrücken der erst durch das „Wunder an der Weichsel“ aufgehaltenen Roten Armee hatte die Sowjetführung mit dem „Provisorischen Polnischen Revolutions-Komitee“ (Polrevkom) am 23. Juli in Bialystok eine vierköpfìge MarionettenRegierung installiert. Diese erließ den Aufruf: „Lang lebe die Rote Armee, Befreierin der Arbeiterklasse der ganzen Welt. Lang lebe die Dritte, Kommunistische Internationale. Lang lebe die Revolution!“99 Nominell war Julian Karski (Marchlewski) Vorsitzender dieses Revolutionskomitees, faktisch jedoch der Tscheka-Führer Felix Dserschinski. Sein jüdisch-polnischer Vertreter Josef Unszlicht wurde gleich dem polnischen Komintern-Mitarbeiter Felix Kon in das Revolutionskomitee berufen. Diese von den Sowjets eingesetzte Regierung, mit der sich die polnischen Kommunisten solidarisierten, stellte in den Augen der Nationalpolen ein hochverräterisches Unternehmen dar und verfestigte die Vorstellung von einer „Zydokomuna“, einer jüdisch-kommunistischen Verschwörung. In ihrer panischen Angst vor Verrat entfernten die Polen während des Krieges mit Sowjetrußland Juden aus wichtigen öffentlichen Funktionen, speziell im Sicherheitsapparat, bis hin zu den Krankenschwestern! Damals ließ die polnische Armee ein Plakat mit der Überschrift drucken „Bolschewistische Freiheit“. Darauf hockt ein mit einer „jüdischen“ Nase ausgestatteter Trotzki auf einem Berg von Totenköpfen, im Hintergrund eine brennende Stadt, im Vordergrund Rotarmisten, die Menschen mit Gewehrkolben erschlagen.100 In jenen für Polen schicksalhaften Wochen erließen die polnischen Bischöfe einen beschwörenden Hirtenbrief. Darin hieß es: „Das wahre Ziel des Bolschewismus ist die Welteroberung. Die Rasse, welche die Führung des Bolschewismus in ihren Händen hat ... zielt auf die endgültige Unterwerfung der Nationen ... besonders, weil jene, die die Führer des Bolschewismus sind, den traditionellen Haß gegen das Christentum in ihrem Blut haben. Der Bolschewismus ist in Wahrheit die Verkörperung und Fleischwerdung des Antichrist auf Erden.“101 Dieser Hirtenbrief ist gekennzeichnet durch eine heilsgeschichtlich bestimmte Sicht und antijudaistisch-antisemitische Generalisierungen. Zu deren verschwörungstheoretischer Untermauerung hat 1920 eine polnische
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Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion beigetragen. Sie fiel in der Krise von 1920 auf fruchtbaren Boden. Hier nämlich schien die personelle Struktur des von den Sowjets eingesetzten Revolutionskomitees eine Bestätigung für die Unterstellung zu liefern, daß der Davidstern und der Rote Stern identisch seien.102 Daß es sich bei den Angriffen gegen die Juden nicht nur um haltlose Verdächtigungen gehandelt hat, sondern daß sie einen realen, aber verzerrt wiedergegebenen Kern hatten, bestätigt der 1935 aus Polen in die USA emigrierte und 1978 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Rabbinersohn Isaac B. Singer. Er schreibt in seinen Erinnerungen: „Die Warschauer Kommunisten, fast alle Juden, häuften Feuer und Schwert auf alle Parteien und behaupteten, daß echte soziale Gerechtigkeit nur in Rußland herrsche.“103 Bei der Bewertung des damaligen „Bolschewismus“ ist zu berücksichtigen, daß das Bekenntnis zu ihm als Einverständnis mit dem von ihm nicht nur praktizierten, sondern auch ausdrücklich gerechtfertigten Terror bewertet werden mußte. So hat Trotzki im Herbst 1920 in Hamburg in einer von der Komintern erworbenen Verlagsbuchhandlung die Schrift Terrorismus und Kommunismus veröffentlicht und sich darin als Chef der Roten Armee zum Klassenmord bekannt: „Unsere Außerordentlichen Kommissionen (Tscheka) erschießen die Gutsherren, Kapitalisten, Generäle, die die kapitalistische Ordnung wiederherzustellen bestrebt sind.“104 Trotzki hat als damaliger Vorsitzender der militanten „Gottlosen“ auch eine unmittelbare Mitverantwortung für die Kirchenverfolgung in Sowjetrußland, die die polnischen Bischöfe in Angst versetzen mußte. Von diesem Kampf gegen die Kirchen waren aber eben auch die frommen Juden betroffen, die sich in einer schier ausweglosen Situation befanden. Sie sahen sich mit einer fürchterlichen Alternative konfrontiert: „Die Gojim zetteln Pogrome an, und die jüdischen Kommunisten peinigen gläubige Juden. Sie dringen in Synagogen ein, stehlen die Bücher und machen Makulatur daraus.“105 In der atheistischen Sowjetunion waren am 23. Januar 1918 die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts aufgehoben worden, ihr Grundbesitz wurde eingezogen und der Religionsunterricht verboten! In Polen verfolgte man naturgemäß mit besonderer Aufmerksamkeit das Schicksal der verfolgten Katholiken unter dem Sowjetregime. Der katholische Erzbischof Ropp im weißrussischen Mohilow wurde am 19. April 1919 gleich vielen anderen katholischen Priestern verhaftet. Seinen für alle russischen Katholiken zuständigen
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Amtsnachfolger Jan Cieplak verurteilten die Sowjets 1923 gleich seine Generalvikar in einem Schauprozeß wegen „konterrevolutionäre Handlungen“ zum Tode! Während man Erzbischof Cieplak dank weltweiter Proteste zu zehn Jahren Haft „begnadigte“, ist sein Generalvikar am Ostersonntag 1923 in der Moskauer Lubjanka, der Tscheka-Zentrale durch Genickschuß liquidiert worden.106 Deutschland Am 6. November 1918 bezeichnete die Neue Preußische Kreuzzeitung die russische Botschaft in Berlin durchaus zutreffend als „Herd bolschewistischer Agitation“. Zwei Wochen später schrieb der Generalquartiermeister Wilhelm Groener, der dem SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert als Regierungschef die Unterstützung der Armee zugesagt hatte, an seine Frau, daß ihm die Juden als „Drahtzieher der Revolution“ in Deutschland erschienen.107 Er stand mit dieser Einschätzung nicht allein, so daß bereits die Ausgabe vom Dezember 1918 des Mitteilungsblattes des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ besorgt konstatierte: „Es weht Pogromluft in Deutschland.“108 Indem der vom sowjetrussischen Botschafter Joffe finanzierte Spartakus, der sich unter Assistenz Radeks im Dezember 1918 als Kommunistische Partei Deutschlands konstituiert hatte, gleich den Bolschewiki viele jüdische Spitzenfunktionäre aufwies, konnten schlichte und böswillige Gemüter auch hier dazu verleitet werden, die Gleichsetzung von Juden und Kommunisten zu vollziehen. Helphand (Parvus), der wie erwähnt den Eisenbahntransfer von Lenin und Genossen nach Rußland arrangiert hatte, charakterisierte das von seinen früheren Kampfgefährten errichtete Regime in Rußland in der sozialdemokratischen Glocke jetzt vernichtend als „Pogromsozialismus“. Um einer Verengung des Blickfelds auf das sozialistische Spektrum vorzubeugen, sei an dieser Stelle eingeschoben, daß die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) damals selbstverständlich demokratisch-antibolschewistisch orientiert war. Sie wurde von manchen ihrer Anhängern stolz als „Partei der Juden“,110 genauer gesagt des jüdischen Bürgertums angesprochen. Harry Graf Kessler, ein Anhänger dieser Partei, hat am 13. November 1918 den zu den Unabhängigen Sozialisten übergewechselten früheren
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SPD-Parteivorsitzenden Hugo Haase als Mitglied des „Rats der Volksbeauftragten“ im Reichskanzlerpalais aufgesucht. Wenn schon ein Anhänger der neuen Ordnung irritiert war über diesen „kleinen unscheinbaren Mann mit freundlicher jüdischer Manier“ an Bismarcks Schreibtisch,111 kann man ermessen, welch dramatische Wirkung solcher Elitenwechsel auf andere haben mußte. Das gilt auch im Hinblick auf die furchterregende Perspektive, die eine weitere Radikalisierung der Revolution nach sich ziehen würde. Schließlich hat Rosa Luxemburg am 27. November 1918 in der Roten Fahne dazu aufgefordert, ein Revolutionstribunal zu errichten, das die „Verbrecherbande“ der Hohenzollern samt dem früheren Reichskanzler Bethmann-Hollweg aburteilen sollte. Die von ihren russischen Genossen finanzierten Kommunisten haben keineswegs nur die Anhänger der Monarchie aufs Blut gereizt, sondern zugleich auch die Sozialdemokraten. So hat Rosa Luxemburg die Führer der SPD, der sie selbst über Jahre angehört hatte, am 30. Dezember 1918 auf dem Gründungsparteitag der KPD als „Halunken und Zuchthäusler“ beschimpft.112 Ja, sie ging so weit, dazu aufzurufen, „die Regierung Ebert-Scheidemann hinwegzuräumen“.113 Paul Levi, der Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als Führer der KPD nachgefolgt ist, verlangte, in das Gebäude der Nationalversammlung „einzudringen, die Feuerbrände zu werfen“!114 Der utopisch-gewalttätige Fanatismus kommunistischer Revolutionäre hat den sich zu seinem Judentum bekennenden Arnold Zweig in seinem Weltbühne-Aufsatz Die antisemitische Welle im Jahre 1919 erkennen lassen: „Juden in den alten judenfeindlichen Regimen (ständen) überall in der ersten Linie der Opposition“! Weiter stellte Arnold Zweig fest, daß „der Jude ... radikaler als der Deutsche“ sei.115 So konnte der sozialdemokratische Fraktionschef Otto Wels im April 1922 auf der Vorkonferenz für den Arbeiterweltkongreß Radek brandmarken als „Drahtzieher des Versuchs, dem deutschen Volk seine eben erst errungene Freiheit zu nehmen und ihm die Diktatur des Proletariats, welche in Wirklichkeit die Autokratie einer kleinen Gruppe von kommunistischen Führern sei, aufzuzwingen“.116 Helphand hat in seiner Schrift Der Arbeitersozialismus und die Weltrevolution den Bolschewiki 1919 das „Niederknallen aller mißliebigen Bourgeois“ vorgeworfen und den „Allrussischen Sowjetkongreß“ als „Farce einer Volksvertretung“ bezeichnet, die die „Herrschaft einer Clique“ verdecke.117 Solche Kritik von Juden am Bolschewismus wurde „den“ Juden nicht gutgeschrieben. Sogar ein Mitarbeiter des Vorwärts hat am 12. Januar
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1919 in der Hitze des in Berlin mit schweren Waffen ausgetragenen Bürgerkrieges unter Verwendung der jüdischen Namen von Trotzki und Radek gereimt: „Sie knieten hin vor blutigen Idolen / Vor Rußlands Asiaten und Mongolen / Vor Braunstein, Luxemburg und Sobelsohn / O kehret um ihr aufgehetzten Horden! / Ihr ruft die Freiheit nur, um sie zu morden.“118 Während also solche Juden, die von ihren Anhängern als treibendes Element in der Revolution“ gepriesen wurden,119 sogar von Sozialdemokraten mit judeophobem Akzent angegriffen wurden, ließen Rechte oft grob antisemitischen Ressentiments freien Lauf. So widmete die Neue Preußische Kreuzzeitung am 21. Februar 1919 dem ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten diesen verleumderischen Nachruf: „Eisner war einer der übelsten Vertreter des Judentums, die in der Geschichte der letzten Monate eine so bezeichnende Rolle gespielt haben.“120 Den Auftritt des Komintern-Chefs Grigori Sinowjew auf dem Hallenser Parteitag der Unabhängigen Sozialisten kommentierte der Tag am 19. Oktober 1920 so: „Es war der Jude Apfelbaum, der bei uns eingekehrt und der in Halles Tempelraum als Sinowjew verehrt.“121 Die führende Rolle von linksradikalen Juden hatte nach dem – jüdischen – Pressesprecher der preußischen Regierung, Hans Goslar, ein „Auflodern des Judenhasses“ zur Folge. Dabei sei alles, „was einzelne Juden“ getan haben, als „jüdische Tat“ gebrandmarkt122 und den Juden als Kollektivschuld angelastet worden. So verteilte etwa der „Deutschvölkische Schutzund Trutzbund“ 1919 Handzettel mit der Behauptung: „Fast jeder Jude ist ein verkappter Bolschewist“.123 Und der rechtsradikale Vortrupp hetzte: „Eine Ostjüdin war die Megäre Rosa Luxemburg, ein Ostjude war das Scheusal Leviné, ein Ostjude die Bestie Levien.“124 Nach der Niederwerfung des von der Komintern inszenierten und von Bela Kun beaufsichtigten Märzaufstandes von 1921 erklärte der deutschnationale Abgeordnete Graefe im April des Jahres, daß „verhetzte deutsche Arbeiter“ am „Narrenseil ausländischer Juden tobten“ und einen „jüdisch geleiteten Rätestaat Moskauer Stils“ zu errichten suchten.125 Bei solcher Agitation wurde der Brandmarkung der Verhältnisse in der Sowjetunion großes Gewicht beigemessen, die man durch Robert Nilostonskis 1920 in Berlin publizierten Blutrausch des Kommunismus, einen Augenzeugenbericht, hinreichend beschrieben sah. Die schlichte Gleichung „Juden = Kommunisten“ wurde auch in dem erstmals 1918 erschienenen und 1934 bereits in einer Auflage von 260000 Exemplaren vorliegenden Bestseller Artur Dinters Die Sünde wider das Blut aufgemacht. Im
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Nachwort dieses antisemitischen „Zeitromans“, in dem Jesus eine Abkunft von „edlem Gotenblut“!126 bescheinigt wird, heißt es: „Die Führer des Bolschewismus Lenin (Levi), Trotzki (Braunstein), Radek (Sobelsohn) sind bekanntlich Juden.“127 Für den „Geistchristen“ Arthur Dinter und viele andere reichte dies als Beweis dafür aus, daß „die Juden ... im Begriffe (sind) die Weltherrschaft anzutreten“.128 Nicht nur Nationalsozialisten, sondern auch linksradikale Marxisten haben in ihre antikapitalistische Agitation129 antisemitische Töne einfließen lassen. Entgegen dem von Kommunisten verbreiteten edlen Selbstbild haben solche Marxisten, die die Moral für ein bürgerliches Vorurteil ausgaben, mit den durchaus auch unter ihren Anhängern verbreiteten Vorurteilen verschiedentlich massiv „antikapitalistische“ Agitation betrieben. So Ruth Fischer, die in ihrer Rede vom 25. Juli 1923 aufforderte: „Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an der Laterne auf, zertrampelt sie.“ Ihre Genossin Clara Zetkin hat Ruth Fischer deswegen allerdings als „faschistische Antisemitin“ angegriffen!130 Mehr noch als dies in Berlin der Fall gewesen ist, sind in München bei der Revolution jüdische Revolutionäre in Erscheinung getreten. Diese wurden damals nicht nur von Antisemiten, sondern auch von Juden und neutralen Beobachtern als Juden wahrgenommen. Die Folge war ein ganz besonders giftiger und aggressiver Antisemitismus. So verlautbarte die konterrevolutionäre Thule-Gesellschaít bereits am 9. November 1918: „An Stelle unserer blutsverwandten Fürsten herrscht heute unser Todfeind Juda.“131 In einem unter der Räterepublik verteilten Flugblatt wurde unterstellt: „Bolschewismus ist Judensache. Bolschewismus ohne Juden gibt es nicht.“132 Und in dem 1919 in München publizierten Pamphlet Judas, der Weltfeind hieß es: „Die Völker Rußlands und Ungarns seufzen unter der Judengeißel. Wohin ihr faßt, ihr werdet den Juden fassen.“133 Der – jüdische – Kommandant der Roten Armee und expressionistische Schriftsteller Ernst Toller, der am 7. April 1919 in München die „Sozialistisch-kommunistische Räterepublik“134 ausgerufen hat, trat solcher Agitation mit dem Aufruf „An die Bürger der Räterepublik“ entgegen. Darin heißt es: „In Bayern werden Flugblätter verteilt, die in der würdelosesten und verbrecherischsten Weise die Leidenschaften der Massen gegen die Juden aufzuhetzen versuchen.“135 In frommen und bürgerlichen jüdischen Kreisen war man damals äußerst beunruhigt darüber, daß eine Minderheit von radikalen Juden, die für die
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„Diktatur des Proletariats“ kämpfte, eine Lawine von extrem aggressivem Antisemitismus lostreten würde. Diese Lageeinschätzung hat zum Beispiel der für die jüdische Gemeinde in München tätige Anwalt Feuchtwanger geteilt.136 Der jüdische Fabrikant Siegmund Fränkel ging im April 1919 in einem offenen Brief an Erich Mühsam, Ernst Toller und Gustav Landauer so weit, beschwörend zu warnen, daß die „bolschewistischen und kommunistischen Irrlehren“ von Seiten „des bayerischen Volkscharakters unkundiger Phantasten und Träumer“ eine sich in „aufreizenden antisemitischen Flugblättern“ niederschlagende Stimmung hervorgebracht habe die eine Gefahr für das „Judentum selbst“ signalisiere. Er wolle seine „Glaubensgemeinschaft vor dem Odium schützen, daß das überlieferte Judentum irgend etwas mit den destruktiven Tendenzen ehrgeiziger Revolutionspolitiker gemeinsam habe“.137 Noch unter der Regierung von Kurt Eisner hat die Frankfurter B'nai Brith-Loge die bayerischen Juden aufgefordert, sich von Eisner zu distanzieren.138 Für den liberalen – jüdischen – Publizisten Theodor Wolff war die Münchener Räterepublik ein „kommunistischer Lumpenball“.139 Der später an der Harvard-Universität tätige liberale Wiener Finanzminister Josef Redlich hat sie in einem Brief an seinen – jüdischen – Freund Hermann Bahr sogar als „jüdischen Kabarett-Wahnsinn“ verurteilt.140 In welchem Ausmaß die Ereignisse in München die Bevölkerung aufgewühlt und Rachegelüste ausgelöst haben, hat der als Mitakteur zu 15 Jahren Festungshaft verurteilte und im Gefängnis in Ebrach einsitzende Revolutionär Erich Mühsam in einer Tagebuchnotiz vom 6. Mai 1919 festgehalten. Darin teilt er mit, was er im Bamberger Volksblatt gelesen hatte: „Der gewöhnliche Tod durch Erschießen ist für die Münchener Bestien viel zu wenig ... sie sollten auf öffentlichem Platz gehenkt und als abschreckendes Beispiel für vertierte Gesellen zur Schau gebracht werden. Gleichviel, ob die Toller, Levien und Leviné.“141 Zwei nichtdeutsche Beobachter haben damals über die Folgewirkungen der Münchener Räterepublik folgendermaßen geurteilt: Der später zum Chef der CIA aufgerückte und unmittelbar nach Kriegsende in der Schweiz stationierte amerikanische Geheimdienstler Allen Dulles hielt in einem Bericht vom 10. April 1920 fest: „Als Ergebnis der oft leitenden Mitgliedschaft bayerischer Juden in kommunistischen Gruppen hat sich inzwischen die Toleranz der Vorkriegszeit geändert und eine stark antisemitische Bewegung ist entstanden.“142
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Auch der Franzose Ambroise Got konstatierte in seinem 1922 in Paris veröffentlichten Buch Der Terror in Bayern, daß Bayern ein „virulenter Herd des Antisemitismus“ geworden sei.143 Dazu habe beigetragen, daß hier ebenso wie in Rußland und Ungarn ein weit überproportionaler Anteil von jüdischen Revolutionären in Erscheinung getreten sei. Es habe sich dabei um Ostjuden gehandelt. Got ging so weit zu sagen, daß das „Duumvirat“ Levien und Leviné die Stadt München „tyrannisiert“ hätte.144 Nach ihm wäre ohne den jüdischen Beitrag die Revolution in Deutschland nicht möglich gewesen. Um ein vollständiges Bild von den Ursachen der weiteren Entwicklung zu erhalten, sollte man diese Aussage mit derjenigen der Kommunistin Ruth Fischer verbinden, die die These vertrat, daß ohne den Bürgerkrieg in Bayern München niemals zur Geburtstätte der Hitler-Bewegung geworden wäre.145 Russische Emigranten wie der deutsch-russische Architekt Alfred Rosenberg trugen wesentlich dazu bei, daß sich in Hitlers Kopf die Interpretation der Rätediktatur als „vorübergehende Judenherrschaft“146 festsetzen konnte. Für Hitler war das Sowjetregime eine „jüdische Diktatur“147 wie sie auch Deutschland drohe.148 Damals glaubte er versichern zu müssen: „Wir lassen uns nicht wehrlos vom Judentum die Gurgel durchschneiden.“149 Einiges spricht dafür, daß der eng mit Rosenberg kooperierende „Mentor“ Hitlers, Dietrich Eckart, Sohn eines bayerischen Justizrats und Literat mit abgebrochenem Medizinstudium,150 seinem „Schüler“ eine geschlossene, obsessive antijüdische und zugleich verdeckt-antichristliche Weltsicht vermittelt hat. Sie war durch die Vorstellung von einem dualistischen Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ charakterisiert, bei dem der Jude als „ewiger Störenfried“ agierte.151 In seiner 1924 posthum publizierten Schrift Der Bolschewismus von Moses bis Lenin – Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir152 schrieb Eckart den Juden eine diabolisch-revolutionäre Rolle in der Weltgeschichte zu. Bereits Moses habe den – gescheiterten – Versuch unternommen, die Macht in Ägypten zu ergreifen, die Ägypter hätten jedoch sein „Pöbelvolk“ zum Teufel gejagt.153 Unter dem Deckmantel des Christentums hätten die Juden dann dem Römischen Reich den „Todesstoß“ versetzt, ebenso wie später Rußland, wobei sie sich der wohlklingenden Phrasen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ bedienten. Für Eckart – und nach seinem Zeugnis Hitler – waren Moses, der Apostel Paulus und Lenin „Haupträdelsführer der jüdischen Weltrevolution“.154
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Eckart behauptet, „Er“ (= Hitler) habe seine politische Position so definiert: „Gegen links und rechts steht unsere Front. Und so kommt das eigentlich Seltsame: daß wir von zwei Richtungen abgewehrt werden, die sich gegenseitig selbst bekämpfen. Die Roten anschreien uns als Reaktionäre und den Reaktionären sind wir die Bolschewisten. Dort wie hier bläst der Jude zum Sturm auf uns.“155 In Übereinstimmung mit diesem Schlüsseldokument verkündete Hitler am 27. Februar 1925 im Münchener Bürgerbräu als sein Programm: „Kampf dem Marxismus sowie dem geistigen Träger dieser Weltpest und Seuche, den Juden.“156 Österreich In seinem 1939 in New York publizierten Buch Die Wahrheit über Österreich hat der frühere Generalsekretär der „Vaterländischen Front“, Guido Zernatto, geurteilt, „die wichtigste Grundlage des modernen österreichischen Antisemitismus war der Anteil der jüdischen Intellektuellen an der Führung der sozialdemokratischen Partei“. Dieser Tatbestand habe der Auffassung Vorschub geleistet, es sei „der Sozialismus, der Kommunismus eine Angelegenheit der Juden“.157 Zernattos Analyse bleibt insofern an der Oberfläche, indem sie die jüdische Motivation, nämlich das Leiden am Antisemitismus und damit den christlichen Antijudaismus als Beweggrund vieler für die Option zugunsten des Sozialismus ausklammert. Allerdings war auch in Österreich die Rolle jüdischer Intellektueller als Theoretiker und Praktiker des Sozialismus ein Grund dafür, daß viele Christen in ihnen so etwas wie Repräsentanten einer Gegenkirche sahen. Daß die Sozialdemokratie „verjudet“ gewesen sei, war ein zentraler Punkt in der Agitation der katholischen Tagespresse.158 Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die überwiegend von jüdischen Redakteuren redigierte Arbeiter-Zeitung bereits am 15. April 1892 – und damit in der Osterzeit – provozierend vom „Kommunisten Jesus“ gesprochen und am 1. Mai 1924 vom Sozialismus gesagt hat: „Denn er allein wird der Welt Erlöser sein.“ gelangt man zu dieser Schlußfolgerung: Der Angriff des revolutionären Marxismus auf den Kern des christlichen Glaubens stellt einen Kulturkampf, einen clash of civilizations, dar. Der Sozialismus beschränkte sich ja keineswegs auf eine atheistische oder doch antikirchliche Propaganda. Er wollte die Religion in ihrem Kern treffen und an ihre Stelle tre-
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ten.160 Die Austromarxisten kämpften für eine sozialistische Kultur, die den Alltag durchtränken und dabei christliche durch sozialistische Rituale, etwa bei Geburt, Heirat und Tod, ersetzen sollte. Dank der oft dürftigen historischen Bildung und dank der Tatsache, daß die sozialistischen Parteien ihren Charakter als Heilsanstalten und Kulturbewegung längst abgelegt haben, ist all dies heute weitgehend in Vergessenheit geraten. Da das „Erinnern“ einen pädagogisch-selektiven Charakter hat, erscheint es vielen nicht opportun, darauf hinzuweisen, daß Juden „die radikalsten Kommunisten“161 gestellt haben. Auf diese keineswegs nur wahnharte, sondern tatsächliche Herausforderung ist in der christlich-bürgerlichen Welt, und eben auch in Österreich, mit einem radikalisierten Antisemitismus reagiert worden. Schon in einem Zirkular des Wiener Innenministeriums von Anfang 1918 war daraufhingewiesen worden, daß die bolschewistische Agitation „hauptsächlich auf international-jüdischem Wege“ erfolgte.162 Auch unter den radikalen Kriegsgegnern in Österreich begegnen uns in hohem Maße jüdische Führer wie Franz Koritschoner, Leo Rothziegel, Johannes Wertheim, Michael Kohn-Eber.163 Leo Rothziegel und Egon Erwin Kisch waren Ende 1918 als Führer der Roten Garde in Wien „Bürgerschrecks par excellence“,164 und weiter haben in der Kommunistischen Partei Österreichs jüdische Intellektuelle wie Elfriede Eisler/Friedländer (später: Ruth Fischer), Paul Friedländer, Franz Koritschoner und Johannes Wertheim eine maßgebliche Rolle gespielt. Auch war der aus Budapest mit umfassenden Vollmachten und viel Geld herangereiste Beauftragte der Komintern und Bela Kuns, Ernö Bettelheim, der den Wiener „Kommunistenputsch“165 anzettelte, ein jüdischer Dissident.166 Es war somit kein reiner Wahn, wenn die Wiener Stimmen am 31. Januar 1920 mit giftigem Zungenschlag die „Wühlarbeit von Umsturzjuden“ brandmarkten.167 Schließlich hat sich der berühmte Kritiker Karl Kraus Ende Juli 1919, also unmittelbar nach dem Sturz der Münchener und Budapester Räterepubliken, von den „Erhebungen des Gewaltjudentums“ distanziert.168 Es läßt aufhorchen, daß der aus der jüdischen Kultusgemeinde ausgetretene169 Kraus anmerkte, es „wäre ein unausdenkbares Grauen“, wenn „einer angesagten Weltrevolution der Weltpogrom zuvorkommt“170 Von solchen Sorgen zeigte sich die radikale Linke weitgehend unbeeindruckt. Elfriede Friedländer kündigte am 9. April 1919 an: „Bayern ist
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Räterepublik geworden und Deutschösterreich in der Mitte“ – zwischen Bayern und Ungarn – „wird bald folgen.“171 Indem Leo Rothziegel mit seinem 1300 Mann starken Volkswehrbatallion Bela Kun zu Hilfe geeilt ist, hat er eine massive diplomatische Intervention der Entente gegen Österreich ausgelöst. Der dann im bewaffneten Kampf für die ungarische Räterepublik gefallene Rothziegel äußerte noch am 29. April 1919 euphorisch: „Mit Freude vergieße ich mein Blut für Sowjet-Ungarn, das ich als Heimat des internationalen Proletariats betrachte.“172 Über solch schwärmerischen Messianismus hat Eugen Hoeflich – wie schon berichtet – im Juli 1919 in der Zeitschrift des Wiener Jüdischen Hochschulausschusses Esra gesagt, daß „der bolschewikische Jude“ von der „reinsten Idee“ getrieben sei, die in ihrer Auswirkung „tragischer Irrtum“ sei.173 In der Hitze des politischen Kampfes interessierten solche Feststellungen wenig und wurde das spektakuläre Auftreten von jüdischen Revolutionären ohne Skrupel ausgeschlachtet. Noch 1985 schrieb Heinrich Drimmel abfällig von der „ungarischen Judenwirtschaft“ unter Bela Kun.174 Und der katholische Publizist Friedrich Funder hat 1971 in seinen Erinnerungen süffisant angemerkt, daß die Namen der Emissäre Bela Kuns „nicht nach magyarischer Herkunft, eher nach galizischer klangen“.175 In Reaktion auf den hohen jüdischen Anteil linker Radikaler verschärfte sich in Österreich nach Kriegsende die Feindseligkeit gegenüber den Juden nachhaltig. Als antisemitischer Agitator in der Revolutionszeit hat sich in Wien etwa Anton Orel hervorgetan, der 1909 wegen seiner Radikalität aus der Christlich-Sozialen Partei ausgestoßen worden war. In einer Rede vom 24. Mai 1919 sprach er vom „Weltherrschaftsstreben der Juden“, von „Judenrepubliken“ als Ergebnis des Weltkrieges und davon, daß sich jüdische und christliche Kultur „wie Feuer und Wasser“ gegenüberständen.176 Ins Programm seiner wenig erfolgreichen Rechtspartei hat er diese dramatisierende Vision aufgenommen: „Eine schreckliche Blut- und Säbelherrschaft werden die roten Juden über uns aufrichten ... jede freie Regung des Christenvolkes werden sie in Blut und Kerker ersticken wie in Rußland.“177 Bei einer Bewertung solch alarmistischer Stimmen muß man bedenken, daß damals die christliche Religion in ihrer überlieferten Gestalt, ebenso wie auch das quasireligiöse Bekenntnis zur „Religion“ des Sozialismus, oft noch eine die Existenz des Einzelnen bestimmende Macht gewesen ist. Dies kann man an einem Flugblatt der Christlichsozialen zur Wahl vom 16. Februar 1919 ablesen. In ihm wird gefordert: „Wir wollen ein Deutsch-
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Österreich, aber kein Judoösterreich!“ Als Begründung für diese durch das Leitbild vom christlichen Staat geprägte Alternative wird angeführt: „Wir wollen die christliche Schule, die christliche Ehe, volle Freiheit für alle religiösen Bekenntnisse!“178 Ungarn In seiner Autobiographie hat der zionistische Historiker Ismar Elbogen festgestellt, daß die Zahl derjenigen Juden, die in der revolutionären Bewegung an leitender Stelle gestanden haben, so „in die Augen fallend“ gewesen sei, daß es leicht war, „antijüdische Leidenschaften zu entfesseln.“179 Tatsächlich haben in der von Bela Kun geleiteten Räterepublik jüdische Kommunisten und Sozialisten unbestritten etwa 2/3 der Volkskommissare (Minister) gestellt. Dies hat weltweit Beachtung gefunden. Die antireligiöse Politik dieser Räteherrschaft, die etwa die Verhaftung des ungarischen Fürstprimas befahl, konnte somit leicht als jüdische Rache denunziert werden. Randolph Braham stellt in seinem Buch über den Holocaust in Ungarn fest, daß die auf die „Weltrevolution“ gerichtete „chiliastische Leidenschaft“ von Bela Kun zwangsläufig die Konterrevolution provozieren mußte. Die kurze aber rauhe kommunistische Herrschaft in Ungarn habe eine bittere Erbschaft hinterlassen und sich für die ungarischen Juden „verheerend“ (devastating) ausgewirkt.180 Wie es in der ungarischen Version der Internationale heißt, haben die Revolutionäre tatsächlich das prometheische Unterfangen begonnen, „die Vergangenheit zu tilgen“ und „den Erdball aus den Angeln“ zu heben.181 Dabei wurden der Kampf gegen das Christentum eröffnet und an die Stelle der gestürzten Götter Standbilder für Marx und Lenin gesetzt. All denjenigen, die die Räterepublik als ihre Feinde betrachtete, darunter auch den Priestern, wurde das Stimmrecht vorenthalten. Die als „reaktionär“ Abgestempelten gerieten in Gefahr, von den „Leninbuben“ des Tibor Szamuely verfolgt, vielleicht sogar getötet zu werden. Gleichwohl hat der an der Heidelberger Universität promovierte Bankiersohn Georg Lukácz im Budapester Sowjethaus allen Ernstes den „großen Sprung aus der Sklaverei in das Reich des befreiten Menschen“ verkündet.182 Solcher Radikalismus jüdischer Revolutionäre183 löste auch in Ungarn einen aggressiven Antisemitismus aus. So wurde in Budapest während der
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Räteherrschaft ein Flugblatt verteilt, in dem es heißt: „Arbeiter, Genossen! Wir stehen unter der Herrschaft der Juden. Fünfzig jüdische Volkskommissare stecken den Reichtum des Landes in ihre Taschen.“184 Diese Agitation fand Gehör, als bei vielen revolutionären Intellektuellen „jüdische“ Motive erklärtermaßen im Spiel waren. So hat sich nach der Budapester Volksstimme vom 15. Juni 1919 der Volksbildungskommissar Lukácz auf die jüdische Heilsgeschichte bezogen, indem er erklärte: „Unser Schicksal mag dasjenige von Moses sein, der als Führer des jüdischen Volkes durch die Wüste niemals das Gelobte Land erreichte.“185 Das führende jüdisch-assimilatorische Organ Egyenlöség (Gleichheit) schrieb unter Bela Kun siegesgewiß: „Ein Neues Ungarn ist geschaffen worden! Die proletarische Diktatur der Armen und Unterdrückten ist geboren! Und wer kann dies besser verstehen und begrüßen als die tausend Jahre Unterdrückten, die Juden? Wir sind das Proletariat der Weltgeschichte. Die revolutionäre Flamme, welche unter der Oberfläche der Weltgeschichte geglüht hat, flammt nun erstmals in einem jüdischen Genius, in Leo Trotzki, auf und sie brennt mit einer göttlichen Kraft ...“186 Diese Quelle verdeutlicht, daß jüdische Revolutionäre in Budapest sich sehr wohl als Juden begriffen haben, die sich als Glieder eines weltrevolutionären Verbundes sahen. So hat Tibor Szamuely im Dezember 1918 an dem von Radek dirigierten Gründungskongreß der KPD in Berlin teilgenommen und Kontakt zu Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht geknüpft.187 Der Präsident des Budapester Arbeiter- und Soldatenrats, Josef Pogány, war der Sohn eines Synagogenbeamten. Er hat die Gegner der Rätediktatur mit „Ausrottung“ bedroht188 und ist Anfang 1921 von der KominternZentrale zusammen mit Bela Kun nach Deutschland geschickt worden, um durch die „Märzaktion“ auch in Deutschland die Sowjetherrschaft aufzurichten. In der 1921 in Paris veröffentlichten Schrift Als Israel König war (Quand Israel était roi) wurde die antisemitische These propagiert, daß sich unter Bela Kun „ein neues Jerusalem an der Donau“ erhoben habe.189 Auch in dem vielgelesenen, erstmals 1922 in England und den USA publizierten Buch von Hilaire Belloc Die Juden wurde die These vertreten, der Bolschewismus sei „jüdisch“.190 Die „Niedermetzelung“ Ungarns und die Aufrichtung eines „ephemeren Bolschewismus“ wurde dabei dem Revolutionsführer „Cohen“, das heißt Bela Kun, angelastet.191 Für die ungarische Rechte, die 1925 unter dem späteren Ministerpräsident Gyula Gömbös in Budapest einen „antisemitischen Weltkongreß“
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organisierte,192 war die weltweit zu beobachtende diffamierende Gleichsetzung von Juden und Bolschewiki ein unbestrittenes Dogma. Es war somit kein Zufall, daß im März 1921 auf einer Versammlung des Antisemitenbundes in Wien ein Professor aus Budapest unterstellen konnte, das Ziel der Revolution in Ungarn sei es gewesen, das „ganze Land unter die Herrschaft der Juden zu bringen“.193 Fazit Als Fazit können wir feststellen, daß – unabhängig von ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung – unter Zeitzeugen wie unter Fachwissenschaftlern Einmütigkeit darüber bestand, daß die spektakuläre Beteiligung von Juden an der sozialistischen, vor allem aber der kommunistisch/bolschewistischen Bewegung der Jahre 1917 bis 1923 dem Antisemitismus einen enormen Auftrieb und eine neue Qualität verliehen hat. Benno Jacob vom „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ stellte schon 1919 sorgenvoll fest, daß „seit Ausbruch der Revolution in den Kreisen auch des gemäßigten Bürgertums, das uns (den Juden) bisher wenigstens nicht feindselig gesinnt war, eine unfreundliche Stimmung gegen die Juden Fortschritte macht“.194 Die Einschätzung von Hilaire Belloc, daß „die Revolution in Rußland der historische Ausgangspunkt für die Erneuerung der Feindseligkeit gegen den Juden in Westeuropa“ war,195 wird von der Spezialforschung für eine ganze Reihe von Ländern bestätigt. So hat der nicht sonderlich antisemitische Benito Mussolini im Juni 1921 in der von ihm herausgegebenen Zeitung II popolo d‘Italia geschrieben, daß die kommunistische Revolution organisiert gewesen sei von ,Juden, die sich in Moskau wie in Budapest eine Revanche gegen die arische Rasse vorgenommen“ hätten.196 Sogar das Zentralorgan des Jesuitenordens in Rom La Civiltà Cattolica definierte am 21. Oktober 1922 in dem Artikel La rivoluzione mondiale e gli ebrei (Die Weltrevolution und die Juden) den Kommunismus als „die Perversion einer semitischen Phantasie“, also der „jüdischen Rasse“.197 Der amerikanische Historiker John Lukacs ist zu dem hier durch viele Quellen erhärteten Fazit gelangt, daß wegen der Teilnahme von Juden an den kommunistischen Umsturzversuchen nach 1917 der Antisemitismus besonders in Mitteleuropa zu einer „populären Massenbewegung“ geworden ist.198 Man spricht daher von einem – etwa auch in Frankreich zu beob-
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achtenden – „neuen Antisemitismus“, der auf die „Zurechnung von Marxismus und Bolschewismus auf das Konto des Judentums“ zurückgeht.199 Hierfür kann man auch Hitler als Zeugen anfuhren. Er schrieb in Mein Kampf: „Im Jahr 1918 konnte von einem planmäßigen Antisemitismus noch keine Rede sei. Noch erinnere ich mich der Schwierigkeiten, auf die man stieß, sowie man nur das Wort Jude in den Mund nahm. Man wurde entweder dumm angeglotzt, oder man erlebte heftigsten Widerstand.“200 Dafür, daß die Vorstellung von einem „jüdischen Bolschewismus“ geboren wurde, einer der „potentesten Mythen des 20. Jahrhunderts“,201 sind somit nicht primär dubiose Drahtziehertheorien oder „rassistische Vorurteile“ verantwortlich. Vielmehr haben jüdisch-kommunistische Revolutionäre eine so spektakuläre und unübersehbare Rolle gespielt, daß sogar des Antisemitismus unverdächtige Leute wie der amerikanische Präsident Woodrow Wìlson im Mai 1919 zu der Einschätzung gelangen konnten, die bolschewistische Bewegung sei „jüdisch geführt“ (lead by jews).202 Der eine ideologische Überhöhung darstellende und die Juden dämonisierende Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“ konnte überaus gefährlich und desaströs werden. Denn nach dem von vielen nachdenklichen Wissenschaftlern geteilten Urteil der – jüdischen – englischen Historikerin Sharman Kadish vom Jahre 1992 war ihm wegen der „auffallenden Präsenz einer Anzahl von Juden unter den bolschewistischen Führern in Rußland“ – und auch anderswo – ein von Antisemiten böswillig ausgeschlachtetes „Element Wahrheit“ (element of truth) eigen.203 Wenn man unbequemen Tatsachen ins Auge blickt und sich nicht mit dem „Rassismus“ als Generalsündenbock begnügen möchte, dann erkennt man, daß die Rede vom „Judo-Marxismus“ durch den nationalsozialistischen Dozenten an der Deutschen Hochschule für Politik, Hermann Fehst, etwas widerspiegelt, was offensichtlich für Millionen – auch außerhalb Deutschlands – eine feststehende Tatsache war. Was Andreas Wirsching speziell für Frankreich festgestellt hat, galt für Millionen anderer – besonders auch für christlich orientierte Deutsche –, nämlich, daß der „Rassegedanke“ eine „untergeordnete, höchst akzidentielle“ Bedeutung für den Antisemitismus der Zwischenkriegszeit hatte und daß die „neue antisemitische Welle“ somit eher einen „politischen“ als rassistischen Charakter hatte.204
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Anmerkungen 1 Jonathan Frankel (Hrsg.): The Jews and the European crisis 1914-1921. Studies in contemporary Jewry IV. New York, Oxford 1988, S. 15. 2 losef Bikerman und andere: Rossija i Evrei. Sbornik pervyj. Berlin 1923 (Repr. Paris 1978), S. 6. 3 Karl Schlögel (Hrsg.): Russische Emigration in Deutschland, 1918-1941. Berlin 1995, S. 120 f. 4 losef Bikerman und andere: Rossija i Evrei. Berlin 1923, S. 6. 5 Hierzu Michael Hagemeister: Sergej Nilus und die ,Protokolle der Weisen von Zion'. Überlegungen zur Forschungslage. In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung (1996) 5, S. 127-147; ders.: Der Mythos der „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Ute Caumanns und Mathias Niendorf (Hrsg.): Verschwörungstheorien. Osnabrück 2001, S. 89-101. 6 Richard Pipes: Die Russische Revolution. Bd. 3. Berlin 1993, S. 418. 7 Die Zionistischen Protokolle. Das Programm der Internationalen Geheimregierung. Vorwort: Theodor Fritsch. Leipzig o. J. 8 Urs Lüthi: Der Mythos von der Weltverschwörung. Basel 1992, S. 27. 9 Ebenda, S. 102. 10 Alfred Rosenberg: Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik. 41933, S. 44. 11 Ebenda, S. 76. 12 Ebenda, S. 112. 13 Ebenda, S. 132. 14 Alfred Rosenberg: Pest in Rußland. Der Bolschewismus, seine Häupter, Handlanger und Opfer. München o. J. (1922), S. 17. 15 Alfred Rosenberg: Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten. München 41939, S. 110. 16 Ebenda, S. 103. 17 losef Bikerman und andere: Rossija i Evrei. Berlin 1923, S. 121. 18 Jerry Z. Muller: Communism, Anti-Semitism and the Jews. In: Commentary (1988) 86, S. 28-39. 19 In: Commentary (1989) 87, S. 12 20 Leon Poliakov: Geschichte des Antisemitismus. Bd. 8. Frankfurt/M. 1988, S. 183. 21 Fritz Bernstein: Der Antisemitismus als Gruppenerscheinung. Versuch einer Soziologie des Judenhasses. Berlin 1926, S. 195 f. 22 Joachim Hoffmann: Stalins Vernichtungskrieg 1941-1945. München 1995, S. 150. 23 Ebenda, S. 191. 24 Vladislaw Krasnow: Russia beyond communism. Bolder, Oxford 1991, S. 178. 25 Vgl. Alfred Rosenberg: Die Protokolle der Weisen von Zion und die jüdische Weltpolitik. München 4 1933, S. 43. 26 Laut dem „National Union Catalogue“ (NUC) der Library of Congress, vol. 305, ist das 1921 in Berlin auf russisch erschienene Buch in die deutsche, englische, französische, spanische, italienische, serbische und slovenische Sprache übersetzt worden und hat eine Vielzahl von Auflagen erlebt. 27 Petr N. Krasnow: Vom Zarenadler zur Roten Fahne. Bd. 3. Leipzig, Zürich 1928, S. 359. 28 Weltbolschewismus. Bearb. Adolf Ehrt. Berlin, Leipzig 1936, S. 474. 29 Robert Körber: Antisemitismus in Wort und Bild. Dresden 1935, S. 155. 30 Petr N. Krasnow: Vom Zarenadler zur Roten Fahne. Bd. 2. Berlin 1921, S. 360. 31 Ebenda, Bd. 3, S. 358. 32 Ebenda, Bd. 3, S. 380. 33 Matthias Vetter: Antisemiten und Bolschewiki. Berlin 1995, S. 53. 34 Ebenda, S. 53. 35 Boris Baschanow: Ich war Stalins Sekretär. Berlin 1977, Illustration Nr. 18. 36 Robert Nilostonski: Blutrausch des Kommunismus. Berlin 1920, S. 6. 37 Ebenda, S. 6 und 46. 38 Ebenda, S. 43.
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39 Ebenda, S. 59. 40 Jonathan Frankel: The Jews in the European crisis 1914-21. Studies in contemporary Jewry. An annual IV. Oxford 1988, S. 7. 41 Ebenda, S. 59. 42 Frank Golder: War, revolution and peace in Russia – The passages of Frank Golder, 1914-1927. Ed. T. Emmons. Stanford, Cal. 1992, S. 139. 43 David P. Shuldiner: Of Moses and Marx. Folk ideology and folk history in the Jewish labour movement. VVestport, Ct. 1999; Gerald Sorin: The prophetic minority. American jewish immigrant radicals. 18801920. Bloomington, Ind. 1985. 44 David Shuldiner: Of Moses and Marx. Westport, Ct. 1999, S. 149. 45 Zit. aus dem im Internet stehenden Aufsatz von lan McKinney: „The Jewish disproportionate involvement in Communism“ vom Juli 2000 (www. jeffsarchive.com). 46 Richard G. Powers: Not without honor. The history of American anticommunism. New York 1995, S. 46 und 47. 47 Art. Hillquit, in: Biographical Dictionary of American labour Leaders. Westport, Ct. 1974. 48 So Richard Gid Powers: Not without honor. The history of American anticommunism. New York 1995, S. 46 f. 49 Sander Diamond: Herr Hitler. Düsseldorf 1985, S. 97. 50 Arthur Liebmann: Jews and the Left. New York 1979, S. 422. 51 Eine von Nikolaus Brauns vorgenommene Übersetzung dieses Interviews steht unter dem Titel „Leo Trotzki über das ,jüdische Problem'“ im Internet (ito.gn.apc.org/Trotskyjews.htm-23k). 52 Sander Diamond: Herr Hitler. Düsseldorf 1985, S. 37. 53 Leonard Dinnerstein: Antisemitism in America. New York 1994, S. 80 und 279, Anm. 5. 54 Seymor M. Lipset und Earl Raab: The politics of unreason. Right-wing extremism in America, 17901970. London 1971, S. 13. 55 Jonathan Sarna: The American Jewish experience. New York 1986, S. 175. 56 Leo Trepp: Die amerikanischen Juden. Stuttgart 1991, S. 52. 57 Joseph Bendersky: The Jewish threat. Anti-Semitic politics of the US Army. New York 2000, S. 136 ff. 58 Ebenda, S. 130 ff. 59 Joseph Nedava: Trotsky and the Jews. Philadelphia 1971, S. 162. 60 Matthias Vetter: Antisemiten und Bolschewiki. Berlin 1995, S. 70 f. 61 Spencer Blakeslee: The death of American antisemitism. Westport, Ct. 2000, S. 34. 62 Neu Baldwin: Henry Ford and the Jews. New York 2001. 63 Vgl. ebenda, S. 111: „populär equivalence of Jew = Bolshevik'“. 64 Henry Ford: Der internationale Jude. Bd. I. Leipzig o. J. (1922), S. 28. 65 Ebenda, Bd. I, S. 142. 66 Ebenda, Bd. I, S. 182. 67 Ebenda, Bd. I, S. 184. 68 Henry Ford: Der internationale Jude. Leipzig 1922, S. 87. 69 Ebenda, S. 114. 70 Ebenda, S. 125. 71 Ebenda, S. 142. 72 Ebenda, S. 146. 73 Ebenda, S. 149. 74 Thomas P. Ehlen: Eine Stimme Amerikas: Charles Coughlin. Diss. Bonn 1993, S. 128 ff; Neu Baldwin: Henry Ford and the Jews. New York 2002: Ch. 19: „The radio priest.“ 75 Sharman Kadish: „Boche, bolshie and the Jewish bogey.“ The Russian revolution and press antisemitism in Britain, 1917-1921. In: Patterns of Prejudice (1988) 22, S. 24-39 (Zitat: S. 25). 76 Sharman Kadish: Bolsheviks and British Jews. London 1992, S. 10 ff. 77 Mark Levine: War, Jews, and the New Europe. Oxford 1992, S. 212.
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78 Sharman Kadish: Bolsheviks and British Jews. London 1992, S. 244. 79 Ebenda, S. 33. 80 Ebenda, S. 75. 81 Ebenda, S. 107. 82 Sharman Kadish: The ,Letter of the Ten'. In: Studies ofContemporary Jewry. An annual IV (1988), S. 321. 83 Johannes Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung 1776-1945. Bern 1976 u. Neuauflage Flensburg 1992. 84 Helmut Reinalter (Hrsg.): Der Illuminatenorden 1776-1785/87. Ein Geheimbund der Aufklärungszeit. Frankfurt/M. 1997. 85 Gisela C. Lebzelter: Political antisemitism in England 1918-1939. London 1978, S. 19. 86 Patterns of Prejudice (1988) 22, S. 30. 87 Vgl. Stephen White: Anti-Bolshevik Control Officers and British foreign policy, 1918-1920. In: CoExistence (1976) 132, S. 144-156. 88 Hugh D. Phillips: Between revolution and the west. A political biography of Maxim M. Litwinov. Boulder, Col. 1992, S. 1. 89 Anna Geifman: Thou shalt kill. Princeton, N. J. 1993, S. 95. 90 Mark Levine. War, Jews, and the New Europe. Oxford 1992, S. 247. 91 Richard Lukas: The forgotten Holocaust. The Poles under german occupation 1939-1944. Lexington 1986, S.123. 92 Jan Blonsky in: From Shtetel to Socialisms. Studies from Polin. Hrsg. Antony Polonsky. London 1993, S. 479. 93 Joseph Marcus: Social and political history of the Jews in Poland, 1919-1939. Berlin 1983, S. 290. 94 Marian K. Dziewanowski: Poland in the twentieth Century. New York 1977, S. 198. 95 Leon Volovici: Nationalist ideology and antisemitism. Studies in antisemitism. Ed. Yehuda Bauer. Oxford 1991, S. 64. 96 Michal Checinski: Poland, communism, nationalism, antisemitism. New York 1982, S. 9. 97 Bernard Goldstein: Cinq annéés dans le ghetto de Varsovie. Bruxelles 1962, S. 226: „Qui dit Juif, dit bolshevik“; vgl. Leo Cooper: In the shadow of the polish eagle. New York 2000, S. 76: „The Poles were lead to believe that all communists were Jews and that all Jews were communists.“ 98 Leo Cooper: In the shadow of the Polish eagle. The Poles, the Holocaust and beyond. New York 2000, S. 43. 99 Norman Davies: White eagle, red star. The polish-soviet war, 1919-1920. London 1972, S. 153. 100 Eduard Fuchs: Die Juden in der Karikatur. München 1921, Beilage. 101 Ulrich Haustein: Das Verhältnis von Juden zu Polen. In: Karl H. Rengstorf (Hrsg.): Kirche und Synagoge. Bd. 2. Stuttgart 1970, S. 479. 102 Frank Golczewski: Polnisch-jüdische Beziehungen 1881-1922. Wiesbaden 1981, S. 233 ff. 103 Isaac B. Singer: Verloren in Amerika. Vom Schtetel in die Neue Welt. München 1985, S. 59. 104 Leo Trotzki: Terrorismus und Kommunismus. Anti-Kautsky. Hamburg o. J. (1920), S. 44. 105 Isaac Singer: Das Visum. München 1998, S. 265. 106 Gabriel Adrianyi: Geschichte der Kirche Osteuropas im 20. Jahrhundert. Paderborn 1992, S. 13 ff. 107 Egmont Zechlin: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg. Göttingen 1969, S. 559. 108 Ebenda, S. 559 (Im deutschen Reich [1918] 24, S. 455). 109 Kai-Uwe Merz: Die deutsche Linke und der Bolschewismus. Diss. Berlin 1990, S. 407. 110 Werner Stephan: Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1918-1933. Göttingen 1973, S. 141. 111 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918-1937. Frankfurt/M. 1961, S. 29. 112 Eberhard Kolb: Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolik 1918-1919. Frankfurt 1978, S. 220. 113 Ottokar Luban: Demokratische Sozialistin oder ,blutige Rosa'. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1999) l, S. 176-207 (Zitat: S. 187). 114 Charlotte Beradt: Paul Levi. Frankfurt/M. 1969, S. 25.
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115 Weltbühne (1919) 15, S. 442-446 (Zitat: S. 443). 116 Hans Adolph: Otto Wels und die Politik der deutschen Sozialdemokratie. Berlin 1971 S 192 117 Parvus: Der Arbeitersozialismus und die Weltrevolution. I/II. Berlin 1919, S. 13 und 19 118 Werner Angress: Die Kampfzeit der KPD 1921-1923. Düsseldorf 1973, S. 58. 119 Moritz Rappaport: Sozialismus, Revolution und Judenfrage. Leipzig, Wien 1919 S. 11 120 Werner E. Mosse (Hrsg.): Deutsches Judentum in Krieg und Revolution 1916-1923 Tübingen 1971 S. 248. ' 121 Ute Döser: Das bolschewistische Rußland in der deutschen Rechtspresse. Diss. Berlin 1961 S 112 122 Hans Goslar: Jüdische Weltherrschaft? Berlin 1919, S. 32. 123 Ludger Heid: Maloche – nicht Mildtätigkeit. Ostjüdische Arbeiter in Deutschland. Hildesheim 1995 S. 267. 124 Trude Maurer: Ostjuden in Deutschland. Hamburg 1986, S. 179. 125 Ebenda, S. 146. 126 Artur Dinter: Die Sünde wider das Blut. 3., umgearb. Aufl., Leipzig 1919, S. 171. 127 Ebenda, S. 433. 128 Ebenda, S. 422. 129 Angelika Müller: Der ,jüdische Kapitalist' als Drahtzieher und Hintermann. In: Jahrbîich für Antisemitismusforschung (1998) 7, S. 175-207. 130 Mario Keßler: Antisemitismus, Zionismus und Sozialismus. Mainz 1993, S. 59 f. 131 Gerhard Schmölze: Revolution und Räterepublik in München. Düsseldorf 1969, S. 19. 132 Peter Lösche: Der Bolschewismus im Urteil der deutschen Sozialdemokratie. Berlin 1967, S. 257. 133 Hermann Greive: Theologie und Ideologie. Katholizismus und Judentum in Deutschland und Österreich 1918-1935. Heidelberg 1969, S. 35. 134 Gyula Tokody: Deutschland und die ungarische Räterepublik. Budapest 1982, S. 67. 135 Karl Ludwig Ay: Appelle und Revolution. München 1968, Anlage 68. 136 Franz Feuchtwanger: Der militärpolitische Apparat der KPD. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1981) 4, S. 486. 137 Hans Lamm: Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München. München 1982, S. 373-375; vgl. Wolfgang Leske und Peter Zahn: Lion Feuchtwanger. Stuttgart 1984, S. 83. 138 Jonathan Frankel (ed.): Jews and die European crisis 1914-21. Studies in Contemporary Jewry (1988) IV New York 1988, S. 77. 139 Wolfram Köhler: Der Chefredakteur Theodor Wolff. Düsseldorf 1978, S. 188. 140 Dichter und Gelehrter. Hermann Bahr und Josef Redlich in ihren Briefen 1896-1934. Hrsg.: Fritz Fellner: Salzburg 1980, S. 362. 141 Erich Mühsam: Tagebücher 1910-1924. Hrsg. Chris Hirte, München 21995, S. 190. 142 Sander Diamond: Herr Hitler. Düsseldorf 1985, S. 41. 143 Ambroise Got: Le terreur en Bavière. Paris 1922, S. VII. 144 Ebenda, S. 171. 145 Arthur J. Ryder: The German revolution of 1918. Cambridge 1967, S. 214. 146 Adolf Hitler: Mein Kampf. München 336-340 1938, S.226. 147 Robert Wistrich: Der antisemitische Wahn. Ismaning 1987, S. 85. 148 Vgl. auch die Einschätzung von Rudolf Heß, der die Auffassung vertrat, daß der Bolschewismus „im Judentum verkörpert“ sei. In: Reden. München 1938, S. 136. 149 Zit. nach: Ernst Nolte: Historische Existenz. München 1998, S. 554. 150 Zit. nach: Margarete Plewnia: Auf dem Weg zu Hitler. Der „völkische“ Publizist Dietrich Eckart. Bremen 1970. 151 Ebenda, S. 97 f. 152 Ernst Nolte: Eine frühe Quelle zu Hitlers Antisemitismus. In: Historische Zeitschrift (1961) 192, S. 584606. 153 Zit. nach: Margarete Plewnia: Auf dem Weg zu Hitler. Der „völkische“ Publizist Dietrich Eckart.
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Bremen 1970, S. 99 ff. 154 Ebenda, S. 99. 155 Ebenda, S. 101. 156 Robert Wistrich: Der antisemitische Wahn. Ismaning 1987, S. 60. 157 Guido Zernatto: Die Wahrheit über Österreich. New York 1939, S. 66 f. 158 Walter Hannot: Die Judenfrage in der katholischen Tagespresse Deutschlands und Österreichs 19231933. Mainz 1990, S. 176. 159 Gerhard Stegen Rote Fahnen. Schwarzes Kreuz. Wien 1987, S. 206 u. 209. 160 Klaus-D. Pohl: Allegorie und Arbeiter. Bildagitatorische Didaktik und Repräsentation der SPD 18901914. Diss. Osnabrück 1986, S. 156 f. 161 So der aus Prag stammende jüdische Kritiker Willy Haas, zit. nach: Hugo von Hofmannsthal und seine Kritiker. Hrsg. Gotthart Wunberg. Frankfurt/M. 1972, S. 295. 162 Leopold Spira: Feindbild Jud'. Wien 1981, S. 74. 163 Hans Hautmann: Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918-1924. Wien 1987, S. 140 ff. 164 Marcus Patka: Kisch. Wien 1997, S. 55. 165 Julius Deutsch: Aus Österreichs Revolution. Wien o. J., S. 100. 166 Auskunft von Prof. Hans Hautmann gegenüber dem Verf. 167 Marcus Patka: Kisch. Wien 1997, S. 56. 168 Die Fackel (1919) 21, 514-518, S. 56 (im Artikel: „Gespenster“, S. 21-86). 169 Alfred Pfabigan: Karl Kraus und der Sozialismus. Wien 1976, S. 33. 170 Ebenda, S. 66. 171 Gerhard Botz: Gewalt in der Politik. Österreich 1918-1938. München 1983, S. 45. 172 Weg und Ziel. Monatsschrift für Theorie und, Praxis des Marxismus-Leninismus. Wien 1978, S. 378. 173 Eugen Hoeflich: Tagebücher. Wien 1999, S. 361. 174 Heinrich Drimmel: Vom Umsturz zum Bürgerkrieg, Österreich 1918-1927. Wien 1985, S. 257. 175 Friedrich Funder: Von Gestern im Heute. Wien 1971, S. 484. 176 Herbert Rütgen: Antisemitismus in allen Lagern. Publizistische Dokumente zur Ersten Republik Österreich 1918-1938. Graz 1989, S. 137. 177 Ebenda, S. 136. 178 Ebenda, S. 535. 179 Ismar Elbogen: Ein Jahrhundert jüdischen Lebens. Frankfurt/M. 1967, S. 449. 180 Randolph Braham: The politics of genocide. The Holocaust in Hungary. Vol. 1. New York 1981, S. 15 f. 181 Arthur Koestler: Als Zeuge der Zeit. München 1983, S. 38. 182 Ervin Sinkó: Roman eines Romans. Köln 1962, S. 231. 183 William O. McCagg: Jews in revolution. The Ungarian experience. In: Journal of Social History (1972) 6, S. 78-105. 184 Andras Mihalyhegyi: Die ungarische Räterepublik. Diss. Bochum 1974, S. 449. 185 Arpad Kadarkay: Georg Lukácz. Cambridge 1991, S. 221. 186 William O. McCagg: Jews in revolution. In: Journal of Social History (1972) 6, S. 99. 187 Bennett Kovrig: Communism in Hungary. Stanford, Cal. 1979, S. 28. 188 Eugen Szatmari: Das rote Ungarn. Der Bolschewismus in Budapest. Leipzig 1920, S. 92. I89jérome et Jean Tharaud: Quand Israel était roi. Paris 1921, S. 220. 190 Hilaire Belloc: Die Juden. München 1927, S. 45. 191 Ebenda, S. 137. 192 Franz Seidler: Die Kollaboration 1939-1945. München 1995, S. 226. 193 Francis L. Garsten: Faschismus in Österreich. München 1977, S. 72. 194 Achim von Borries: Selbstzeugnisse des deutschen Judentums 1861-1945. Frankfurt/M. 1988, S. 43. 195 Hilaire Belloc: Die Juden. München 1927, S. XII. 196 Juliane Wetzel: Das faschistische Italien und der Antisemitismus. In: Vorurteil und Rassenhaß. Antisemitismus in den faschistischen Bewegungen Europas. Hrsg. Hermann Graml u.a. Berlin 2001, S. 49-74
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(Zitat: S. 54). 197 Ebenda, S. 54. 198 John Lukacs: Die Entmachtung Europas. Stuttgart 1978, S. 347. 199 Andreas Wirsching: Vom Weltkrieg zum Bürgerkrieg? Politischer Extremismus in Dent«.Kl A A Frankreich 1918-1933/39. München 1999, Š. 497 und 500. uacmana una 200 Adolf Hitler: Mein Kampf. München 336-340 1938, S. 628. 201 Andre Gerrits: Antisemitism and Anti-Communism. The myth of Judeo-Communism in Eastern Europe. In: East European Jewish Affairs (1995) 25, S. 49. 202 Zosa Szajkowski: Jews, wars and communism. Bd. 2. New York 1974, S. 153. 203 Sharman Kadish: Bolsheviks and British Jews. London 1992, S. 229 u. 244. 204 Andreas Wirsching: Auf dem Weg zur Kollaborationsideologie. Antibolschewismus, Antisemitismus und Nationalsozialismus im Denken der französischen extremen Rechten 1936 bis 1939. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1993) 41, S. 31-60 (Zitat: S. 32 f.).
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Der Teufelskreis „Den jüdischen Sozialisten und Kommunisten verzeiht man nichts, die ertränkt man in der Suppe und zerschneidet man beim Braten.“ FRANZ KAFKA im Mai 19201
In seinem Artikel Socialism and Judophobia hat der Professor für jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität zu Jerusalem, Robert S. Wistrich, 1992 festgestellt, die Beziehung zwischen Sozialismus und Antisemitismus sei ein „ziemlich obskures Kapitel“.2 Das erstaunt um so mehr, als die „Verbindung“ zwischen Juden und Kommunismus „schwer auf der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ lastet3 und dem Holocaust unzählige Bücher gewidmet sind. Der mit seiner Interpretation keineswegs allein dastehende belgische Judaist Maxime Steinberg ist 1990 so weit gegangen zu behaupten, die „jüdisch-bolschewistische Fährte“ („piste ,judéo-bolchevique'“) sei „essentiell für das Verständnis des Völkermords an den Juden“.4 Bei einer Annäherung an dieses Thema tut man gut, sich zu vergegenwärtigen, welch eine ungeheure, die Existenz der Menschen vital berührende Herausforderung der ursprüngliche, weltrevolutionäre Kommunismus/Bolschewismus für die christlich-bürgerliche Gesellschaft darstellte. Alfred Weber äußerte in seinem Aufsatz Der Beitrag der Juden zur Menscheitsgeschichte die Meinung, der Kommunismus stelle eine „riesige geschichtliche Zäsur“ dar und die von Lenin aus dem Marxismus gezogene Schlußfolgerung negiere „die ganze bisherige vom Abendland her beeinflußte Geschichte“.5 Schließlich hatte Karl Marx schon in seinem Manifest der Kommunistischen Partei einen „gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“ gefordert, im einzelnen die „Aufhebung der Familie“, „despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht“ sowie die „Abschaffung“ von Religion und Moral. Das war ein Totalangriff auf die tradierte Ordnung. In seinem Buch Das Reich des Antichrist. Rußland und der Bolschewismus beschrieb der russische Schriftsteller Dmitrij Mereschkowskij die Bolschewiki 1921 als „Verkörperung des Absolut Bösen“.6 Für ihn als Christen
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stand fest, daß „keine Verschwörung von Juden und Freimaurern'“ bestand, „sondern eine viel schrecklichere, bolschewistisch-bourgeoise Verschwörung gegen die ganze christliche Menschheit, gegen das Kreuz, für das Pentagramm“.7 Dieses Pentagramm (Fünfwinkelzeichen) war für ihn der íiïnfzackige Rote Stern, für den Lenin und Trotzki als „Werkzeuge geheimer Mächte“ standen.8 Der Weg von der Annahme einer „bolschewistisch-bourgeoisen Verschwörung“ zu der Annahme, daß auch dafür „der Jude“ verantwortlich sei, war nicht weit. Hilaire Belloc äußerte 1927: „Der Jude reitet auf dem kapitalistischen Pferde und auf dem kommunistischen, aber beide sind nicht aus seinem Stalle.“9 Der Philosoph des Austromarxismus, Max Adler, hat die von Karl Marx ausgeübte „geistige Macht“ positiv gepriesen als „ein Beispiel für Welteroberung, dem an Großartigkeit des Wirkens kein anderes der bloß politischen Weltgeschichte gleichgestellt“ werden könne.10 Für den aus Prag stammenden amerikanischen Soziologen Ernest Gellner bildet der Marxismus das „erste formal säkulare Glaubenssystem“. Es sei gleichzeitig Weltreligion und Staatsideologie in einer erheblichen Anzahl von Ländern, darunter einer Supermacht, gewesen. Diese Zivilreligion, die nach einem Aufsatz der jüdischen Monatszeitschrift Midstream eine „säkularisierte Version des jüdisch-christlichen Messianismus“ darstellte,11 versprach nach Gellner eine „Sakralisierung aller Aspekte des geistigen Lebens“ und beinhaltete „vollkommene Erlösung“.12 Die von den Bolschewiki mit Gewalt („roter Terror“) in Angriff genommene Umsetzung der Utopie hat der Islamforscher Wìlfred Cantwell Smith mit dem Angriff des Islam auf Europa als der ersten ernsthaften Infragestellung der westlichen Zivilisation vor Marx verglichen.13 Seine Analyse berührt sich mit derjenigen des ersten sowjetischen Kulturkommissars, Anatoli Lunatscharski, der den Marxismus als „fünfte große Religion, die vom Judentum formuliert wurde“,14 gepriesen hat. Bemerkenswert ist, daß auch Arnold J. Toynbee in seinem Gang der Weltgeschichte die von dem „deutschen Juden Karl Marx“ entwickelte Lehre von der „totalen Verwerfung der abendländischen Gesellschaftsordnung“ als „emotionalen intellektuellen Ersatz“ für das Christentum bezeichnete.15 Danach habe Marx Moses ersetzt und sei Lenin an die Stelle des Messias getreten. Und die „historische Notwendigkeit“ habe die Gottheit Jahwe, das Proletariat hingegen das auserwählte Volk abgelöst.16 Als sensibler Zeitzeuge ordnete Harry Graf Kessler in seinem Tagebuch-
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eintrag vom 5. Januar 1919 den durch den Weltkrieg ausgelösten Epochenbruch von 1917 so ein: „Die Welle des Bolschewismus, die vom Osten her kommt, hat etwas von der Überflutung durch Mohammed im siebenten Jahrhundert, Fanatismus und Waffen im Dienste einer unklaren, neuen Hoffnung. Die Fahne des Propheten weht auch in Lenins Heeren.“17 Tatsächlich ist Lenin nach seinem Tod in der Prawda außer mit den friedlichen Religionsstiftern Jesus und Buddha auch mit dem kriegerischen Mohammed verglichen worden.18 Der weltrevolutionäre bolschewistische Ansturm war gekennzeichnet durch äußerste Aggressivität, den Willen zur Vernichtung der Gegner. Er artikulierte sich etwa in dem Diktum Radeks, daß „Diktatur ohne Bereitschaft zum Terrorismus ... ein Messer ohne Klinge“ sei.19 Es war dieser gewalttätige Charakter des Bolschewismus, der den sozialdemokratischen Vorwärts vom „socialismus asiaticus“20 und Rosa Luxemburg vom „tartarischen Marxismus“ hat sprechen lassen.21 Für den später in Marxismus/Leninismus umbenannten Bolschewismus heiligte der Zweck die Mittel, war der „rote“ Terror ein legitimes und notwendiges Mittel der Politik. Das Tscheka-Organ Rotes Schwert hatte keine Scheu, am 18. August 1919 stolz zu verkünden: „Uns ist alles erlaubt.“22 Daß Leo Trotzki in seiner 1920 in Hamburg publizierten Schrift Terrorismus und Kommunismus23 die Erschießung von „Klassenfeinden“ durch die Tscheka ausdrücklich befürwortete und gleichwohl ernsthaft die Auffassung vertrat, daß auf diesem Wege ein „wirkliches Paradies“24 erreicht werden könne, ist heutzutage kaum noch zu begreifen. Lord Bertrand Russell, der 1920 mit einer britischen Labour-Delegation nach Rußland gefahren ist und sich dort mit Lenin und Trotzki unterhalten hat, liefert einen Schlüssel für das Verständnis dieses Geschehens. Er kennzeichnete damals den Bolschewismus als „neue Religion“, die „mehr von dem Drang nach der Zerstörung alter Übel als nach dem Aufbau neuer Güter“ beseelt gewesen sei.25 Diese Interpretation berührt sich mit der Lagebeurteilung des – jüdischen – Wiener Schriftstellers Richard A. Bermann (Pseudonym: Arnold Höllriegel), der 1939 in der New Yorker Emigration verstorben ist. Er schrieb am 10. Januar 1919 in Der Friede: „Ein bolschewistisches Deutschland ist heute die letzte Hoffnung Lenins und Radeks ... Es hat viele eine Entzückung ergriffen, ein mystischer Fanatismus ... von Rußland strahlt ein religiöser Wahnsinn in die Welt.“26 Die bolschewistischen Befürworter von Klassenkampf, Bürgerkrieg und
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Weltrevolution orientierten sich nicht am Nächsten, dem konkreten Menschen. Sie unternahmen es, aus der schlechten „alten“ Welt durch Zerstörung eine tabula rasa zu machen und auf ihr eine gute „neue“ Welt zu errichten. Indem sie ganze Klassen zu vernichten und alternative Wertvorstellungen in die Köpfe der Menschen einzupflanzen suchten, erhielt ihre vollmundig erklärte Liebe zur Menschheit einen schalen Beigeschmack. Wer sich den Weltbeglückern entgegenstellte, sollte nämlich „weggeräumt“ werden. Dies hat Rosa Luxemburg am 8. Januar 1919 etwa bezüglich des SPD-Vorsitzenden und Reichskanzlers Friedrich Ebert gefordert.27 Der Bolschewismus als „Pogromsozialismus“ Tatsächlich wurden von den Bolschewiki keineswegs nur „Klassenfeinde“ liquidiert, sondern auch die Sozialrevolutionäre und sozialistische Opposition, so die aufständischen Matrosen in der Festung Kronstadt und damit die Kerntruppe der Oktober-Revolution. Die Matrosen erklärten am 9. März 1919 in der Kronstadter Izvestija: „Das Volk hat sich davon überzeugt, daß bolschewistischer Kommunismus Herrschaft der Kommissare plus Erschießung bedeutet.“28 Es fällt auf, daß diese Sozialrevolutionäre den zu ihrem Vernichter gewordenen Leo Trotzki als Juden“ angesprochen und die Parole ausgegeben haben: „Nieder mit den Kommunisten und Juden“!29 Dabei dachten die Matrosen zweifellos an den für Kronstadt zuständigen Vorsitzenden des Petrograder Gebietssowjets Grigori Sinowjew sowie den Petrograder Tscheka-Chef Moisei Uritzki. Ersterer hat bezüglich der zu Unmenschen gemachten „Klassenfeinde“ zynisch angemerkt, es sei „nicht entscheidend, ob wir sie illegal aufhängen oder legal“.30 Der Mord an den Klassenfeinden, für den die Bolschewiki den Ausdruck „liquidieren“ geprägt haben, ist nach dem russischen Sozialisten Sergej Melgunow als „Waffe der Macht“31 eingesetzt worden. Noch im Gefängnis sitzend hat die mit widersprüchlichen Äußerungen hervorgetretene Rosa Luxemburg am 30. September 1918 diese Regierungsmethode vernichtend kommentiert. Sie sagte, der „Einfall“ Radeks, „die Bourgeoisie abzuschlachten“ oder auch nur eine Drohung in diesem Sinne sei „Idiotie summo grado“.32 Israel Helphand/Alexander Parvus, der einstige Förderer Lenins, hat während des Kronstadter Aufstands in Berlin den mörderischen Bolschewismus schlicht als „Pogromsozialismus“ verurteilt.33
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Selbstverständlich darf der „Socialismus asiaticus“, der den Klassenkampf als „Klassenkrieg“ (russisch: vojna klasov) begriffen hat, nicht einfach Karl Marx angelastet werden, obgleich die Gewalttätigkeit in seiner Geschichtsphilosophie angelegt war. Vielmehr ist der Marxismus in Rußland unter den Bedingungen des zarischen Systems rezipiert worden Der aus einer Odessaer jüdischen Familie stammende Sozialdemokrat Alexander Solomonovic Lande, der sich Izgoev nannte, hat bereits 1910 russische Revolutionäre folgendermaßen charakterisiert: „Die Feinde des Absolutismus sind selber vom Absolutismus durchtränkt und in seinem Geist erzogen. Sie haben die Gewalttätigkeit und die Willkür jenes Regimes, das sie bekämpfen, in ihre Psyche aufgenommen.“34 Der Kreml als „Wiege eines neuen Glaubens“ Die „marxistische Apokalypse“, wie sie Toynbee nannte, hat nicht nur in Rußland einen „ungeheuren Eindruck“ auf Millionen Köpfe gemacht.35 Für nach einem neuen Glauben ausschauende Intellektuelle waren die Vorgänge im Osten ein Zeichen der Hoffnung, ja ein Versprechen der Erlösung. So hat Martin Buber während der Jahreswende 1918/19 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Der Jude36 den Aufsatz Die Revolution und wir veröffentlicht. Darin legte er ein Bekenntnis zur Revolution ab und bescheinigte dem Judentum“, es habe einen „besonderen Beitrag zum Werk der Menschheits-Revolution, zur Wiedergeburt der Gesellschaft aus dem Geiste der Gemeinschaft“ geleistet“.37 Der Ullstein-Redakteur Alfons Goldschmidt, Sohn eines jüdischen Textilkaufmanns, besuchte 1920 auf Einladung Radeks Moskau und veröffentlichte über diese Reise im Rowohlt-Verlag Tagebuchblätter. Deren erstes Exemplar widmete er „dem Genossen Lenin mit aufrichtiger Verehrung“.38 Seinen Gastgeber Radek pries er darin als „Lassalle der Internationale“, wobei er die Marx in Moskau erwiesene „Verehrung“ sowie die „Bekämpfung“ der Kirche durch die Bolschewiki mit Zustimmung quittierte.39 Ein Jahr später pilgerte der sich dem jüdischen Patriziat Ungarns zurechnende Arthur Holitscher nach Sowjet-Rußland und veröffentlichte hierüber im S. Fischer Verlag die Schrift Drei Monate in Sowjetrußland. Ihr Titelblatt trägt einen aufsteigenden roten Stern mit Hammer und Sichel, der über ein fallendes christliches Kreuz triumphiert! In diesem Buch wird der Kreml als
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einstiger „Hort der Tyrannei“ dafür gerühmt, daß er jetzt eine „Wiege eines neuen Glaubens, einer jungen Freiheit, Hirn der Weltgeschichte“ sei.40 Für Holitscher, der in seinem Reisebericht Radek, Bela Kun und Rosa Luxemburg enthusiastisch preist und Lenin sogar als „Erlöser der Menschheit“ anhimmelt,41 war es „kein Zufall, daß es zum großen Teil Intellektuelle jüdischer Rasse sind, die die Sache der Unterdrückten führen und deren Führerschaft von dem klassenbewußten Proletariat aller Rassen und Religionen anerkannt wird“.42 Den Bolschewismus vergleicht er dabei mit einer Reformation, die die Dogmen „zertrümmert“.43 Als „Ergebnis“ brachte Arthur Holitscher diese Überzeugung aus Moskau nach Hause: „Aus der Politik des Bolschewismus muß die Religion des Kommunismus erstehen.“44 In Übereinstimmung damit hat am 4. April 1919 Leopold Greenberg zur Empörung des jüdischen Bürgertums im Londoner Jewish Chronide geschrieben, der Bolschewismus stimme mit den „schönsten Idealen des Judentums“ überein.45 Die Revolution als „welterlösendes Gefecht“ Für den Ethnologen Wilhelm Mühlmann ist die „apokalyptische Empörung“ das Thema der Revolution. Sie spiegele sich in den bolschewistischen Losungen: „Zertrümmern der alten und Errichten einer neuen Welt“ und „Entzünden eines Weltbrandes.“46 Elie Wiesel hat dieses Aufbegehren in seinem Roman Das Testament eines ermordeten jüdischen Dichters zum Thema gemacht. Darin wird auf dem Hintergrund blutiger Judenpogrome in Rußland ein kommunistischer Agitator und künftiger rabbinischer Richter mit dem Namen Ephraim porträtiert, der „begeistert“ folgendes fordert: „Wir müssen die Revolution machen, weil Gott es uns befiehlt. Gott will, daß wir Kommunisten sein sollen!“47 Das Vorbild für diese Romanfigur war der „Vater“ beziehungsweise der „Rabbiner der jüdischen Sozialismus“ Aron Samuel Liebermann.48 Dieser „Pionier des jüdischen Sozialismus“, wie ihn die Encyclopaedia Judaica nennt,49 ist aus dem vom russischen Staat getragenen Wilnaer Rabbinerseminar hervorgegangen und 1875 als polizeilich gesuchter Revolutionär über Berlin nach England emigriert. Auf eindrucksvolle Weise hat der einstige Sowjetkommissar Lew Kopelew, Sohn eines jüdischen Agronomen,50 den quasireligiösen Impuls vieler Kommunisten charakterisiert: „Unser großes Ziel war der Sieg des
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Weltkommunismus, um seinetwillen kann man und muß man lügen, rauben, Hunderttausende, ja Millionen von Menschen vernichten Die Begriffe von Gut und Böse, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit waren für uns hohle Abstraktionen ... alles was nützlich ist, ist gut, was dem Feind nützt, ist schlecht... schadet dem Sozialismus.“51 Das durch die „Oktoberrevolution“ ausgelöste ungeheuerliche Geschehen, das von Bela Kun und vielen anderen als „letztes, welterlösendes Gefecht“ begriffen wurde,52 ist nicht nur von denjenigen, die sich dadurch tödlich bedroht sahen, mit jüdischen Sozialisten in Verbindung gebracht worden. Vielmehr haben jüdische Revolutionäre selber in ihrer Begeisterung den Sozialismus und den Kommunismus wiederholt als von Juden geprägt und geschaffen gefeiert. Jüdische „Kirchenväter des Sozialismus“ Dies hat auch der Schriftsteller Franz Werfel getan, der sich als junger Mann der von Egon Erwin Kisch kommandierten „Roten Garde“ in Wien anschloß. In seinem Essay Geschenk Israels an die Menschheit pries er Moses Heß, Karl Marx und Ferdinand Lassalle als „Kirchenväter des Sozialismus“. Für ihn stellte der Sozialismus eine „Metastase der Religion“ in der Sprache des Zeitgeistes dar, welche „die zweite entscheidende Weltbewegung nach Christus“ entfesselt habe.53 In dem schon erwähnten Weltbühne-Aufsatz über die durch die revolutionären Umbrüche ausgelöste „antisemitische Welle“ hat Arnold Zweig54 nicht nur Juden dafür gelobt, daß sie „von Moses bis Landauer“ den Sozialismus „zur Welt gebracht“ hätten. Zugleich wies er daraufhin, warum viele Juden „radikaler“ seien als die Nichtjuden. Und zwar, weil sie die „alten Regime“ als „judenfeindlich“ wahrgenommen hätten und deshalb „überall in der ersten Linie der Opposition“ ständen.55 Radikalität als „Zeichen“ jüdischer Leidensgeschichte Arnold Zweig hat solche „jüdische Radikalität“ als ein „Zeichen ihrer tausendjährigen Leidensgeschichte“56 gewertet. Auch für den amerikanischen Historiker Michael Lerner stand 1995 fest: Juden waren natürlich enthusiastische Vertreter eines Zusammenbruchs traditioneller Gemeinschaften,
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weil diese auf religiösen Systemen beruhten, die Juden diskriminierten.“57 In seinen 1899 erschienenen Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts hat Houston Stewart Chamberlain daher gegen die „jüdischen Atheisten“ den massiven Vorwurf richten können, „unmögliche sozialistische und ökonomische Messiasreiche zu planen, unbekümmert, ob sie dabei unsere ganze mühsam erworbene Civilisation und Kultur zu Grunde richten.“ Dabei unterstellte er, die „angeblichen Freigeister“ seien „echte Produkte jener jüdischen Thora- und Talmudreligion“58 Daß solche Verdächtigungen nicht vollkommen aus der Luft gegriffen waren, belegt der von dem Amerikaner A. Sachs 1921 in New York publizierte Aufsatz Der Bolschewismus und die Juden. Darin wird frohlockt: „Der Bolschewismus zerschmettert die Hooligans, die Schwarzhunderter – das Werkzeug der Reaktion“, um „Rache für die von ihnen gehaßten Juden zu nehmen“. Anschließend gab Sachs seiner Hoffnung Ausdruck: „Ich wünsche, daß viele radikale Juden wie Trotzki, Eisner und ihresgleichen Regierungschefs wären. Unsere Feinde würden dann mit den Zähnen klappern und vor Wut schäumen.“59 Wie Stefan Zweig 1915 formulierte, hat „das Schicksal, persönlich für eine Rasse gehaßt zu werden“,60 das Leben vieler Juden überschattet. Die psychischen und politischen Auswirkungen solcher Diskriminierung und Verfolgung, die Juden besonders in Osteuropa die christliche Kirche als bedrohliche Macht wahrnehmen ließ,61 sind bisher kaum erforscht worden. Welche traumatisierende Wirkung Pogrome gehabt haben, beleuchtet die Biographie der „roten Matrone“ Ana Pauker. Als zwölfjährige wurde Ana Rahbinsohn Zeugin antijüdischer Ausschreitungen, die sie so mitgenommen haben, daß sie weinend nach Hause kam und im Fieberdelirium mehrere Tage zu Bett lag.62 Solche Zustände erklären, warum viele Ostjuden ihre christliche Umwelt als bedrohlich wahrgenommen haben.63 So berichtet der 1921 in Wien geborene Erich Fried, er sei als „Saujud“ beschimpft worden und habe als Kind von einigen Seiten gehört: „Die Gojim sind unsere Feinde.“64 Der aus Galizien stammende William S. Schlamm, der führender Funktionär des Kommunistischen Jugendverbandes in Österreich und Redakteur der Roten Fahne war und nach dem Zweiten Weltkrieg als Befürworter eines antikommunistischen roll back bekannt wurde, hat 1964 in seiner Schrift Wer ist Jude? Ein Selbstgespräch aus intimer Kenntnis seines Herkunftsmilieus gesagt: „Erhebliche Teile des Judentums“ seien in eine „pervertierte Feindseligkeit gegen die christliche Umwelt getrieben“ worden.65
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Bündnis des „Paria-Judentums“ mit der Arbeiterbewegung Auf der Tagung „Yiddish and the Left“, die die dritte „Mendel Friedman International Conference on Yiddish“ unlängst abhielt, erklärte Tony Michels, der Sozialismus habe ein „jüdisches Gesicht“ (jewish face) gehabt. Zugleich konstatierte er das „Widerstreben“ (reluctance) seiner Zeitgenossen, öffentlich die „disproportionale“ Zahl der jüdischen Mitglieder der kommunistischen Parteien zu diskutieren.66 Allerdings verschwinden Tatsachen nicht dadurch, daß man sie verschweigt. Dem Wissenschaftler muß es darum gehen, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen und nach einer Erklärung zu suchen. Die liegt im Fall des „jüdischen“ Sozialismus oder Bolschewismus nicht in den Merkmalen eines spezifischen Volkscharakters, sondern in den konkreten Umständen jüdischer Existenz. Für den französischen Politologen Enzo Traverso und viele andere war die „Paria“-Existenz der Juden in der christlichen Gesellschaft der Grund für deren Revolte.67 Im Kampf gegen ihre Diskriminierung suchten revoltierende Juden nach Bundesgenossen und stießen dabei auf die Arbeiter. Denn, wie Theodor Lessing 1926 in Jüdisches Schicksal in einem kühnen Vergleich schrieb, war „die Industriearbeiterschaft aller Länder ... nichts anderes als eine einzige Judenheit. Ein einziges riesiges Ghetto“! Lessing äußerte dabei die gleichermaßen optimistische wie illusionäre Überzeugung: „Der Arbeiter aber fühlt instinktiv sich dem Juden verwandt.“68 In dem Artikel Yuden un sotsialism hat die Zeitung des argentinischen jüdischen Arbeiterbundes Der avangard die Motive der Zuwendung einer „großen Mehrheit unseres Volkes“ zum Sozialismus 1916 so erläutert: „Wenn der Sozialismus anderer rein proletarisch ist, so ist und wird er bei uns national bleiben, weil keine andere Nation so eine Ordnung nötig hat, die mit dem Haß zwischen den Völkern aufräumt wie wir Juden.“69 Im Jahr 1933 skizzierte Arnold Zweig in seinem Aufsatz Die Illusion des bürgerlichen deutschen Judentums die Ratio „jenes Bündnisses, das wir jüdischen Intellektuellen mit den Arbeiterparteien geschlossen hatten. Wir gaben ihnen die geistige Führung ... sie verbürgten uns die Sicherheit unseres Lebens und die Grundlage unserer Arbeit als Juden. Es war ein anständiger ungeschriebener Vertrag.“70 Dieser „Vertrag“ wurde konstitutiv für die These vom „jüdischen Kommunismus“, wobei anzumerken ist, daß sich jüdische Kommunisten meist nicht so bewußt als Juden verstanden haben wie der Zionist Arnold Zweig.
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Für den Jerusalemer Historiker Jonathan Frankel ist der „jüdische Sozialismus“, der über Jahrzehnte sozialistische Parteien in aller Welt geprägt hat, so ein bedeutsamer Faktor gewesen, daß man ihn als eine „politische Subkultur“ ansprechen kann. Man habe sie etwa in Polen, Galizien, London, Paris und New York vorgefunden.71 William Rubinstein bestätigt dies 1996 in seinem Buch über die britischen Juden, indem er sagt, daß „für Tausende von East End-Juden (in London) der Kommunismus an die Stelle der traditionellen jüdischen Religiosität getreten und eindeutig ein Ersatz für diese gewesen ist“72 Dabei präzisierte er, daß der Kommunismus sowohl für jüdische Intellektuelle als auch für das jüdische Proletariat attraktiv gewesen sei, also eine bedeutsame Fraktion der Judenheit, die vom geistlichen und wirtschaftlichen Establishment, den Frommen, den Bürgerlich-Liberalen und auch vielen „rechten“ Sozialdemokraten beargwöhnt, abgelehnt und bekämpft worden ist. Übrigens auch deswegen, weil aufgrund des kommunistischen Extremismus und Terrorismus das Stereotyp vom „jüdischen“ Kommunismus beziehungsweise Bolschewismus geprägt wurde und die Judenheit insgesamt in Gefahr gebracht hat. Die Gefahr, die vom Stereotyp des „jüdischen“ Kommunismus für alle Juden ausging, hat der als Anwalt für die jüdische Gemeinde in München tätige Vater des Kommunisten Franz Feuchtwanger erkannt. Er hat – so sein Sohn – „nicht zu unrecht“ befürchtet, daß „der starke Anteil von Juden unter den führenden Mitgliedern der Räterepublik eine heftige antisemitische Hetze zur Folge haben“ würde.73 Das Bündnis von jüdischen Intellektuellen mit Teilen des noch nicht in die bürgerliche Gesellschaft integrierten „Proletariats“ erlangte welthistorische Bedeutung. Der „Klassenverrat“, bei dem Abtrünnige des Bürgertums das Proletariat zum Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft und die Religion aufriefen, hat viele irritiert, provoziert und zu bösartigen Reaktionen verleitet. So konnte der Katholik Oskar Schmitz den „entwurzelten Juden“ im Jahre 1927 in der christlich-jüdischen „Sammelschrift“ Der Jude vorwerfen, sie hätten „dem Proletariat ihr eigenes Ressentiment eingeflößt“74 und ausrufen: „Was in aller Welt gingen Marx, Lassalle, Eisner, Landauer, Toller die deutschen Proletarier an?“75
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Jesus als „erster Bolschewik“ Schmitz hatte unter ganz anderen Umständen als den heutigen keine Scheu, marxistische „Juden ohne Thora“ 1927 als „lebensfremde Fanatiker“76 zu titulieren. Dabei ging er so weit, dem Marxismus „teuflisches Antichristentum“ nachzusagen und ihn als „Drachensaat“ zu werten, die eine „Umkehrung des Christentums“ bezwecke.77 Solche Behauptungen erscheinen vielen heute überaus heikel. Meist wird stillschweigend übergangen, daß es keine böswillige Unterstellung, sondern eine Tatsache ist, daß gerade jüdische Revolutionäre das Christentum zu vernichten suchten. Extremisten wie der Führer der bolschewistischen „Gottlosen“, Emeljan Jaroslawski, oder auch Bela Kun in Budapest, haben – wie erwähnt – den Kampf gegen das „Regiment von Jesus“ aufgenommen.78 Andere deuteten den von jüdischen Frommen als angemaßten Messias verurteilten Jesus zu einem jüdischen Sozialrevolutionär um! So hat der Wiener Philosoph Robert Eisler, der Vater der berühmt gewordenen kommunistischen Kinder Ruth Fischer, Gerhard Eisler und Hanns Eisler, Jesus in seiner Schrift Jesus Basileus ou Basileus dem patriotischen Lager der jüdischen Freiheitskämpfer zugeordnet. Dieses Buch hat bei den Zeitgenossen „wie ein Bombe“ eingeschlagen!79 Indem Sozialisten Jesus Ostern 1892 in der Wiener Arbeiter Zeitung als „ersten Kommunisten“80 rühmten und Albert Ehrenstein 191981 und Oscar Levy 1927 – in der Weltbühne82 – Jesus provozierend als „ersten Bolschewiken“ priesen, wandten sie sich demonstrativ vom Judaismus ab und schlossen gleichzeitig ein Bündnis mit abtrünnigen Christen. Vor allem aber stellten sie die ganze traditionelle Legitimation der Gesellschaftsordnung in Frage. Der „vernichtende Gegenangriff“ Der Soziologe Manès Sperber, der wie viele jüdische Intellektuelle – bis 1937 – Kommunist gewesen ist, hat zur Herausforderung der bürgerlichchristlichen Umwelt durch den revolutionären Marxismus festgestellt: „Nur politische Dummköpfe können glauben, daß auf Vernichtung abzielende Angriffe gegen die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und gegen die an diesen vital interessierten Schichten lange fortgeführt werden
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können, ohne bei den Angegriffenen den entschiedenen Willen zur Abwehr und zum vernichtenden Gegenangriff auszulösen.“83 Die Richtigkeit dieser Analyse wird bestätigt durch die von jüdischer Seite wiederholt an jüdische Revolutionäre gerichtete, jedoch von diesen regelmäßig verworfene beschwörende Warnung. Unter ihnen ragt die 1923 von Iosef M. Bikerman im Berliner Exil formulierte heraus. Nach ihr war die „übermäßige Teilhabe hebräischer Bolschewisten an der Unterdrückung und Zerstörung Rußlands eine Sünde, die in sich selbst Vergeltung“ barg. Bikerman hat damals düster prophezeit: „Der grimmige Haß auf die Bolschewiki verwandelt sich in einen ebensolchen Haß gegen die Hebräer. Und nicht nur in Rußland.“84 Wenngleich die Mehrheit der Christen, auch in Deutschland, sicherlich nicht zu Judenhassern geworden ist, so haben doch viele einer Fraktion der Judenheit eine – von Demagogen noch aufgebauschte – Mitschuld am Kommunismus angelastet. Somit wurde nach der Formulierung der Polin Teresa Prekerova der „Philosowjetismus der Juden ein wichtiges Alibi“, bei der Judenverfolgung nicht allzu viele moralische Skrupel zu haben.85 Bevor die antisemitischen Gegenangriffe näher ins Auge gefaßt werden, ist noch einmal festzustellen, daß zeitgenössische jüdische Sozialisten diesen fatalen Wirkungszusammenhang – nämlich das „furchtbare Wechselspiel von Revolution und Konterrevolution“86 – erkannt haben. So hat der Biograph des austromarxistischen Chefdenkers Otto Bauer auf folgenden Sachverhalt hingewiesen: „Der jüdische Intellektuelle, der dem Glauben seiner Väter untreu geworden ist, sich zum Sozialismus und Internationalismus bekannte, galt dem braven Christenmenschen oder gar dem treudeutschen Biedermann als Brandstifter, als eine Art Höllengeist.“87 Dabei wurden auch sehr viel ältere Ängste und Schreckensvorstellungen wiederbelebt. Bereits im Revolutionsjahr 1848 hat der Wiener Adolf Jellinek erkannt: „Reaktionäre denunzieren die Juden als perpetuum mobile der Revolution.“88 Damals ist in Wien in einem Flugblatt auf brutale Weise daraufhingewiesen worden, daß der Fall einer die Juden zwar diskriminierenden, jedoch zugleich schützenden christlichen Ordnung für die Juden verhängnisvolle, ja tödliche Konsequenzen haben könnte: „Die Christen, die keinen Christusglauben mehr haben, werden die wütendsten Feinde der Juden sein. Wenn das Christenvolk kein Christentum und kein Geld mehr hat, dann ihr Juden, laßt euch eiserne Schädel machen, mit dem beinernen werdet ihr die Geschichte nicht überleben.“89 Der Jerusalemer Historiker Jacob Talmon hat 1970 in seinem Aufsatz
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Jews between Revolution and Counter-Revolution dem 1849 im deutsch-jüdischen New Yorker Israels Herold veröffentlichten Zeugnis des deutschen Emigranten Karl Ludwig Bernays außerordentliche Bedeutung zugemessen. Bei diesem handelt es sich um den Sohn eines jüdischen Mainzer Kaufmanns, der mit Heinrich Heine, Friedrich Engels und Karl Marx zusammengearbeitet und in den Vereinigten Staaten mit Abraham Lincoln Kontakt gehabt hat.90 Bernays legte 1849 eine Analyse vor, die nach Auffassung des Marx-Spezialisten Helmut Hirsch den Marxschen Gedanken ganz „entspricht“:91 „In ihrem Kampf für die Emanzipation haben die Juden die europäischen Staaten vom Christentum befreit ... Die Juden nahmen Rache an einer feindlichen Welt in einer völlig neuen Weise ... indem sie die Menschen von jeglicher Religion befreiten, von jedem patriotischen Gefühl.“92 Diese Einschätzung wurde gerade auch von denjenigen geteilt, die dem Judentum skeptisch oder feindlich gegenüberstanden. Während der nationalliberale Historiker Heinrich von Treitschke in bezug auf die jüdischen Führer des Sozialismus abfällig von „orientalischen Chorleitern der Revolution“ sprach,93 hat der christlich-konservative Constantin Frantz die revolutionären Juden 1874 in einer Streitschrift bezichtigt, ihren „Thron“ auf den Trümmern der christlichen Kirche und der christlichen Staaten errichten zu wollen.94 Zu diesem Zweck versuchten sie „den Sozialismus in ihren Dienst zu stellen“ und mit ihm als „Sturmbock“ gegen Kirche und Christentum anzurennen.95 Diese Interpretation berührt sich wiederum mit derjenigen von Daniel Cohn-Bendit in seinem Buch Der große Basar. Dort erläutert der 1968er, daß es bei den Juden zweierlei Arten von Auflehnung gäbe: erstens die „humanitäre“ gegen Rassismus und zweitens die „intellektuelle Rache, die ihren Ausdruck in den revolutionären Bewegungen findet“. Dabei führte er als Beispiele Radek und Trotzki an, wobei letzterer für ihn den „leibhaftigen kleinen talmudischen Juden“ verkörperte.96 Welche zerstörerischen Gegenkräfte durch einen solchen Angriff entfesselt werden konnten, läßt der Aufsatz Katholizismus und Judentum des offensichtlich unter einer Art Bela-Kun-Schock stehenden ungarischen Superiors des Jesuitenordens, Bela Bangha, von 1934 ahnen. Darin behauptete er, daß der revolutionäre Marxismus „in seinem Wesen einer bestimmten jüdischen Seelenlage und Geisteshaltung“ entspräche97 und daß der „unmenschliche Schrecken, der als eine entsetzliche Drohung auf die gesamte nichtbolschewistische Welt“ falle, die „Rechnung der Judenschaft“ belaste!98
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Solchen Aussagen gab Bangha Nachdruck durch die kaum verhüllte Drohung, daß die „vulkanhaft hervorbrechenden Judenverfolgungen der Jahrhunderte sämtlich diesen Charakter des letzthinnigen Abrechnenwollens nach lange schweigend hingenommenen Herausforderungen aurwiesen.“99 Neuer Antisemitismus aus Furcht vor Bolschewismus Was den Antisemitismus angeht, so ist es erforderlich, zwischen dem christlichen Antijudaismus und dem modernen politischen Antisemitismus zu unterscheiden, dessen Spannweite von einer auch Salonantisemitismus genannten moderaten Judeophobie bis zum Vernichtungs-Antisemitismus reicht. In der Praxis begegnet man gleitenden Übergängen und Mischformen. Zu einem Zeitpunkt, als der Begriff „Rasse“ noch nicht diskreditiert war und oft gleichbedeutend mit Volk verwandt worden ist, haben sich übrigens Juden selber als Angehörige der jüdischen „Rasse“ bezeichnet. Dies belegt etwa der Bestseller des Berliner Arztes Fritz Kahn Die Juden als Rasse und Kulturvolk von 1920, in dem die „Legion jüdischer Revolutionäre“ euphorisch gepriesen wurde.100 Für unseren Zusammenhang kommt es aber darauf an, das Gewicht des militanten politischen, antikommunistischen Antisemitismus zu bestimmen, der auf den tradierten Antijudaismus aufsetzt. Wie auch Bernstein anerkannt hat, ist der traditionelle Antijudaismus in Mittel- und Westeuropa außer in Krisenzeiten vergleichsweise moderat gewesen und hat geschäftliche und gesellschaftliche Beziehungen zu Juden durchaus eingeschlossen. Dabei ist außerdem anzumerken, daß die Ablehnung und Abgrenzung eine gegenseitige war. Auch für fromme und traditionelle Juden kam eine Ehe mit einem Christen nicht in Betracht,101 wie ja überhaupt eine Apartheid nicht nur zwischen Christen und Juden, sondern in abgeschwächter Form auch zwischen Katholiken und Protestanten vorgelegen hat. Der Erste Weltkrieg sowie die von ihm ausgelösten Revolutionen, bei denen jüdische Revolutionäre eine spektakuläre Rolle spielten, veränderte die Lage vollständig. Geoffrey Alderman hat 1989 in seinem für das Jewish Journal of Sociology geschriebenen Artikel Antisemitism in Britain ein Forschungsergebnis formuliert, das keineswegs nur für England Gültigkeit beanspruchen kann. Es lautet: „Der Anti-Semitismus florierte in den zwanziger Jahren als Ergebnis der Furcht vor dem Bolschewismus.“102
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Die antijüdische Aggressivität war um so größer, als die außerordentliche Rolle, die jüdische Revolutionäre gespielt hatten, nicht rein Zufälliges war, sondern vielfach spezifisch jüdische Motive hatte. Viele Juden sind nämlich wie etwa Leopold Trepper Kommunisten geworden, „weil“ sie Juden gewesen sind. Es hat durchaus symbolische Bedeutung, daß der beim Sturz der Münchener Räterepublik ermordete Anarchist Gustav Landauer am 18. Mai 1916 bei der Eröffnung des „Jüdischen Volksheimes“ in der Dragonerstraße im Berliner Scheunenviertel den Vortrag Judentum und Sozialismus gehalten hat.103 Landauer ist es gewesen, der am 2. Dezember 1918 an Martin Buber schrieb: „Sehr schönes Thema, die Revolution und die Juden. Behandeln Sie dann nur auch den führenden Anteil der Juden am Umsturz!“104 Die Parteinahme einer bedeutsamen Fraktion der Judenheit für Sozialismus und Kommunismus hat unzählige Christen und Bürgerliche, die Christentum, Kirche, bürgerliche Freiheiten und Eigentumsordnung durch den mörderischen Klassenkampf und den „kriegerischen Atheismus“ der Bolschewiki105 bedroht sahen, in aller Welt alarmiert und antijüdisch reagieren lassen. Zu ihnen gehörte Wìnston Churchill, der über die Rolle der „internationalen und meist atheistischen Juden beim Aufstieg des Bolschewismus“ beunruhigt gewesen ist, wie er im Februar 1920 in seinem schon erwähnten Artikel Zionism versus Bolshevism formulierte.106 „Rom gegen Moskau“ Die weltweite Beunruhigung durch die bolschewistische Herausforderung lieferte Stoff für Verschwörertheorien. So hat die in London erscheinende Wochenschrift Catholic Herald am 21. und 28. Oktober sowie am 4. November 1933 die von der Naturwissenschaftlerin Annie Homer verfaßte und 1934 auch als separate Schrift107 publizierte Artikelserie Judaism and Bolshevism herausgebracht. Darin wird der Bolschewismus als eine auf den Schriften von Karl Marx basierende „jüdische Konzeption“ hingestellt, welche „antichristlich“ sei. Es wird dabei Bezug genommen auf den sowjetischen Fünfjahresplan und die „hemmungslose Verfolgung der Christen durch die Bolschewiken“ angeprangert, nicht nur in Rußland, sondern auch in Spanien und Mexiko. Annie Homer kennzeichnete die „sowjetische Bewegung als eine jüdi-
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sche, nichtrussische“, setzte den Davidstern mit dem Sowjetstern gleich und porträtiert die Juden als dämonische Weltverschwörer, die ihren jüdischen Nationalismus als Internationalismus tarnten. Sie unterstellte dabei eine vollkommen erdichtete, jedoch von Verschwörungstheoretikern oft behauptete „Allianz“ zwischen den Bolschewiken als „erklärten Feinden des Kapitalismus“ mit jüdischen „Weltsuperkapitalisten“, die angeblich den sowjetischen Fünfjahrplan finanzierten.108 In den Vereinigten Staaten geißelte der Rundfunkpater Charles Coughlin gleichzeitig jüdische Bankiers und jüdische Kommunisten wie Bela Kun und Leo Trotzki. Wie enorm der Einfluß seiner rechtspopulistischen Bewegung war, verdeutlicht eine Meinungsumfrage vom April 1938. Danach stimmten 27 Prozent Coughlin zu, während ihn mit 32 Prozent nur wenig mehr abgelehnt haben!109 Coughlins Überzeugung von 1933, daß zwischen der Kirche und dem Kommunismus ein „Kampf um Leben und Tod“ (war unto death) herrsche,110 wurde also von sehr vielen Amerikanern geteilt. Dies hatte zur Folge, daß – wie Coughlin im November 1938 in einer Rundfunkpredigt behauptete – auch in den Vereinigten Staaten viele den Nazismus als überzogenen „Verteidigungsmechanismus gegen den Kommunismus“ bewerteten und ihn somit für bedingt nützlich erachteten.111 Auch in der mit einem Kölner Imprimatur vom März 1932 versehenen Schrift Katholizismus und Kommunismus des Jesuitenpaters Jakob Nötges wird der Kampf zwischen christlicher Religion und Kommunismus als existentielle Auseinandersetzung hingestellt. Unter Verweis auf den Vorsitzenden des „Verband der Kämpfenden Gottlosen“, Emeljan Jaroslawski – der übrigens nicht als Jude etikettiert wurde – machte Jakob Nötges diese Schlachtordnung aus: „Rom gegen Moskau! Das ist Christus gegen den Satan.“112 Und emphatisch rief er: „unser Volk mit Weib und Kind“ auf zum „geistigen Sturm für den Katholizismus gegen den Kommunismus, zu Sieg und Tod!“113 Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Ernst von Weizsäcker berichtete noch im Herbst 1943 nach Berlin: „Tatsächlich ist die Bolschewistenfeindschaft der sicherste Bestandteil der vatikanischen Außenpolitik.“ Und weiter: „Was der Bekämpfung des Bolschewismus dient, ist der Kurie willkommen.“114 Dies macht deutlich, daß Hitler in der Bolschewistenfurcht einflußreicher Kreise – keineswegs nur in Deutschland – passive Verbündete hatte, bei allen sonstigen politischen und weltanschaulichen Differenzen. Es lag nämlich eine Teilidentität seiner antikommuni-
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stischen Ziele mit derjenigen von kirchlichen und bürgerlichen Kreisen vor. So bezog der als NS-Gegner bekannte und den frommen Juden wohlwollend gegenüberstehende Clemens Graf Galen115 als Bischof von Münster am 14. September 1941 in einem Hirtenbrief Stellung gegen die „Pest des Bolschewismus“ und gewährte damit dem Krieg gegen die Sowjetunion moralische Rückendeckung.116 Herausgestellt werden muß, daß es sich bei den Gegnern des Bolschewismus keineswegs nur um Konservative, Rechtsradikale und Antisemiten gehandelt hat. Selbstverständlich wurde die antibolschewistische Agitation nach dem Ersten Weltkrieg auch von jüdischen Bankiers unterstützt.117 Die sozialdemokratische Mitte war dezidiert antibolschewistisch orientiert, und sogar der „Internationale Ausschuß der religiösen Sozialisten“ sah sich 1930 veranlaßt, zu erklären: „Der Geist des Bolschewismus ist ein Geist des Hasses und der Verachtung für alles, was nach Religion und gar nach Christentum aussieht“!118 Vor dem Fall des Sowjetimperiums und damit dem Schwinden der Roten Gefahr, der red menace, tat sich mancher schwer, ein ungeschminktes Bild der Sowjetherrschaft zu zeichnen. Hierfür war nicht nur maßgeblich, daß nach Eric Hobsbawm viele Intellektuellen „zum Marxismus eine Art Liebesbeziehung“ hatten.119 Hinzu kam, daß manch einer sich mit der auch im Westen über viele Einflußmöglichkeiten verfügenden Sowjetmacht nicht ohne Not anlegen wollte.120 Unter Leugnung des fundamentalen Unterschieds zwischen dem demokratischen und dem verbrecherischen „Antibolschewismus“ der Nationalsozialisten wurde der „Antikommunismus“ von interessierter Seite insgesamt zu einer Art Sünde erklärt und als angeblich „in den Fußstapfen von Goebbels“ stehend denunziert und tabuisiert.121 Es schien also vor dem Kollaps des „realen Sozialismus“ häufig opportun, die „bolschewistische Gefahr“ zu leugnen und als Schreckbild122 hinzustellen. Für die Situation von 1917/18 geht diese Einschätzung an den Tatsachen vollkommen vorbei. Englische und französische Diplomaten haben Mitteleuropa 1919/1920 ernsthaft durch den Bolschewismus bedroht gesehen und energische Schritte zum Sturz der durch Moskau finanzierten Räteherrschaft in Ungarn unternommen. Auch hat Frankreich den Polen 1920 bei der Abwehr der an die Weichsel vorrückenden Roten Armee durch die Entsendung von militärischen Beratern geholfen. Zu ihnen gehörte der junge Offizier Charles de Gaulle! Im Krisenjahr 1919 hat der in Rußland geborene und in Deutschland
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lebende jüdische Soziologe und Schriftsteller Elias Hurwitz allen Ernstes diese Lagebeurteilung vorgelegt: „Die künftige Ausbreitung des Bolschewismus in der Welt ist eine der brennendsten Fragen der Gegenwart, die alle anderen weit hinter sich zurückläßt.“123 Die Haßformel „jüdischer Bolschewismus“ Das Verhalten der Menschen wird ganz entscheidend durch subjektive Faktoren, in unserem Falle die reale, manchmal zu einem Wahn gewordene Angst vor dem Bolschewismus bestimmt. Der aus Breslau stammende amerikanische Historiker Fritz Epstein hat seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß in der Geschichte der Neuzeit die „Gefahrenkomplexe – Bedrohung und Angst – eine große, noch ungenügend erforschte Rolle“ gespielt haben.124 Für die Entstehung der „Haßformel“125 „jüdischer Bolschewismus“ spielte Angst eine entscheidende Rolle. Zu Grunde lag ein komplexes Feindbild,126 dessen Motive und Elemente sorgfältig zu bestimmen sind. Beachtung in diesem Zusammenhang verdient die nach 1933 formulierte Beobachtung von Siegfried Kracauer, daß das deutsche Bürgertum „nicht wenig dazu beigetragen (hat), um Hitler die Machtergreifung zu ermöglichen. Aus Angst vor dem Kommunismus. Man muß in Deutschland Gesellschaften mitgemacht haben, in denen vom Kommunismus die Rede ist. Kluge, anständige Geschäftsleute, Rechtsanwälte usw. erbleichen, sobald dies Schreckenswort ertönt“.127 Aufhorchen läßt auch die von Saul Friedländer, Professor an der Hebräischen Universität zu Jerusalem, ermittelte und in krassem Gegensatz zu den Unterstellungen von Daniel Jonah Goldhagen stehende Tatsache, daß „für viele Anhänger der Partei (NSDAP), etwa unter den einfachen Mitgliedern und auch den Mannschaftsgraden der SA, Haß auf den Kommunismus eine weitaus größere Rolle spielte als die antijüdische Einstellung“!128 Diese Einschätzung wird durch die Forschungen von lan Kershaw bestätigt. Er verweist auf die Lagebeurteilung des Regierungspräsidenten von Niederbayern und der Oberpfalz kurz nach der „Machtergreifung“. Danach wurde es in der Bevölkerung als „angenehm“ empfunden , daß die „kommunistischen Hetzer in der Hauptsache unschädlich“ gemacht worden sind.129 Hingegen habe die antisemitische Weltanschauung für die „große
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Masse der Bevölkerung im großen und ganzen nur sekundäre Bedeutung“. Ihr Verhalten sei allerdings durch „Teilnahmslosigkeit und Apathie gegenüber dem Schicksal der Juden“ gekennzeichnet gewesen.130 Auch Ronnie Landau sagt in seinem Buch über den Holocaust, daß die fundamentale Trennlinie in der deutschen Politik nicht durch den Haß auf die Juden, sondern die Furcht vor und den Haß auf die radikalen Sozialisten gekennzeichnet gewesen sei.131 Hitlers antikommunistischer Antisemitismus Hitlers Judenhaß war komplex und durch den christlichen Antijudaismus wie rassistische Vorstellungen mitgeprägt. Bei seiner Feindbestimmung in der Bürgerbräu-Rede vom 17. Februar 1925 nannte er freilich eindeutig folgendes politisches Hauptziel: „Kampf gegen den Marxismus sowie den geistigen Träger dieser Weltpest, den Juden.“132 Sozialistische und kommunistische Juden sowie durch sie provozierte wahnhafte antijüdische Geschichtsdeutungen haben bei Hitler die zur Besessenheit gewordene Vorstellung entstehen lassen, daß hinter dem „marxistischen Glaubensbekenntnis ... der Jude“ steht.133 Die Tatsache, daß bei der Münchener „Rätediktatur“ jüdische Revolutionäre eine maßgebliche Rolle spielten, war für Hitler ein Beleg, daß es sich um eine „vorübergehende Judenherrschaft“ gehandelt hatte.134 Aus dem gleichen Grund sah er im „russischen Bolschewismus“, den „Versuch des Weltjudentums ... sich die Weltherrschaft anzueignen.“135 Hitler bekämpfte in „dem“ Juden primär den Revolutionär. Er hat am 7. Juni 1944 in einer Tischrede das erstaunliche Dogma aufgestellt, „daß es ohne den Juden keine Revolution gäbe“. Denn, „wenn in Krisenzeiten der Jude fehle, so sei kein Katalysator für eine Revolution vorhanden“.136 Der Jerusalemer Historiker Talmon kennzeichnete dieses Feindbild des „Führers“ 1981 so: „Hitler erwählte sich den internationalen jüdisch-marxistischen Revolutionär als seine Hauptzielscheibe, als den Prototyp des jüdischen Bösewichts (evil-doer).“137 In ihrem Buch Hitler, Germans and the Jewish Question hat die renommierte amerikanische Historikerin Sarah Gordon 1984 bemerkt, daß es eine Tendenz gibt, die „signifikante Rolle“, die jüdische Intellektuelle in SPD und KPD gespielt hätten, auszuklammern und zu ignorieren und so „genuine und objektive Gründe für den verstärkten Antisemitismus“ zu vernach-
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lässigen!138 Nach dem – von Saul Friedländer eingeleiteten und in mehrere Sprachen übersetzten – Buch Hitler und die Endlösung von Gerald Fleming ist es eben der hier zum Thema gemachte politische Antisemitismus gewesen, der bei Hitler zu einer „schicksalsschweren Radikalisierung seines Judenhassen“ geführt hat.139 Ernst Nolte hat diesen heiklen und gern tabuisierten Punkt mit „metaphorischer Verkürzung“ angesprochen. Seine im Rahmen des sogenannten Historikerstreits vorgetragenen Thesen haben viele so empört,140 daß über das von ihm angesprochene Thema überhaupt nicht diskutiert wurde. Mit Verdächtigungen und politisch motivierten Angriffen gegen die Person Noltes wurde der Wahrheitsgehalt seiner zentralen Behauptungen gar keiner Prüfung mehr für würdig befunden. Wenn man Noltes Rede vom „rationalen Kern“ der Bedrohung durch den „jüdischen Bolschewismus“141 dahingehend präzisiert – wie er es selbst getan hat –, daß es nicht um einen „berechtigten“, sondern um einen „verstandesmäßig erfaßbaren und nachvollziehbaren“ Kern gehe,142 dann erkennt man, daß Noltes Schlußfolgerungen nicht sonderlich weit von denjenigen der hier mit ihren Forschungsergebnissen zitierten – vielfach jüdischen – Historiker liegen. Der in Deutschland und Israel lebende Henryk M. Broder hat im Jahr 2001 anläßlich der Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin im Spiegel respektlos den Finger auf die Wunde gelegt, die für solche Empfindlichkeit ausschlaggebend ist. Er wies darauf hin, daß dieses Museum nur die „braven Juden“ präsentiere, dagegen in ihm jüdische Ketzer wie Karl Marx und Rosa Luxemburg als „unerwünscht“ überhaupt nicht vorkämen!143 Bei solcher Eliminierung von Marx aus dem Geschichtsbild dürfte – mehr oder weniger bewußt – das Bedürfnis im Spiel gewesen sein, nicht auf die antikommunistisch-antijüdische Ausrichtung des Nationalsozialismus und seinen Charakter als einer Gegenbewegung hinzuweisen.144 Die im medialen Geschichtsbild meist ausgeblendete antikommunistische Motivation Hitlers wird bestätigt durch kaum beachtete Quellen. Sein erster Außenminister Konstantin von Neurath sagte 1946 in Nürnberg aus, er habe sich in der Frühzeit darum bemüht, Hitlers Antikommunismus zu dämpfen. Dieser habe dies mit dem Argument abgelehnt, der Antikommunismus sei „das wesentliche Bindemittel, welches die Partei zusammenhält“.145 Hieraus kann man mit Martin Broszat schließen, daß Hitler zumindest aus taktischen Gründen die in der Bevölkerung durchaus populäre „Be-
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kämpfung des Marxismus“ in den „Vordergrund“ gestellt hat. Hingegen sei seine „Geheimvision“, die wohl erst nach Beginn des Kriegs konkret gewordene Entscheidung für den Völkermord an den Juden, verborgen gehalten worden.146 Wie bestimmend die antikommunistische Argumentationsschiene für Hitler und viele Antisemiten gewesen ist, verdeutlicht auch dieser Sachverhalt: Als Max Planck, der Präsident der Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft, im Mai 1933 bei seinem Antrittsbesuch beim Reichskanzler Hitler die Gelegenheit zu nutzen suchte, für „wertvolle Juden“ einzutreten, antwortete ihm der „Führer“: „Gegen Juden an sich habe ich gar nichts. Aber die Juden sind alle Kommunisten und diese sind meine Feinde, gegen sie geht mein Kampf.“147 Fusion und Bewertung der antijüdischen Feindbilder Mit einer Formulierung, wie Hitler sie am 24. November 1920 im Hofbräuhaus benutzte – „Lieber sind mir 100 Neger im Saal, als ein Jude (Beifall).“148 – bestätigte er, daß es sich beim Antisemitismus nicht einfach um den „Ausdruck einer rassistischen Ideologie“ handelt, wie zwei jüdische amerikanische Autoren – ein Rabbiner und ein Wissenschaftler – in ihrem vielbeachteten Buch Why the Jews? mit Nachdruck betont haben.149 Vielmehr war für Nationalsozialisten und manch andere der Jude der Inbegriff des Bösen. Dabei flossen das überkommene Feindbild des Juden als „Antichrist“150 und das moderne Feindbild vom „jüdischen Bolschewiken“ zusammen. Dadurch, daß bürgerliche und christliche Kreise den Bolschewismus weltweit als „jüdisch“ betrachten und denunzieren konnten, konnte das Feindbild vom „jüdischen Bolschewismus“ zu einem der mächtigsten politischen Mythen der Neuzeit werden. Der Mythos ist dabei als eine „emotional aufgeladene Sinnwelt“151 zu verstehen, die das Denken und Handeln beeinflußt. Die nationalsozialistische Propagandaformel vom „Bolschewismus als Vollstrecker des Judentums“152 erzielte eine um so größere, ja verheerende Wirkung, als die Vorstellung von einem „jüdischen Bolschewismus“ nach dem Ersten Weltkrieg weltweit verbreitet war. Prager und Telushkin haben 1985 in ihrem schon erwähnten Buch Why the Jews? eingeräumt, daß es sich bei „der Assoziierung von Juden mit revolutionären Doktrinen und ideologischen Umbrüchen (upheaval) unglückseli-
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gerweise nicht um das Produkt antisemitischer Imagination handelt“.153 Wie dies auch die Forschung praktisch einhellig tut, gehen sie davon aus, daß die Vorstellung von einem „jüdischen Kommunismus“ ohne die Existenz vieler prominenter jüdischer Kommunisten nicht entstanden und auch nicht plausibel zu machen gewesen wäre. Bemerkenswert ist, daß Ezra Mendelsohn von der Hebräischen Universitätjerusalem 1993 in seinen Buch On modern Jewish politics zustimmend das folgende Urteil des russisch-jüdischen Autors Vasily Grossman wiedergibt: „Die Logik der jüdischen Geschichte scheint unerbittlich (inexorably) zur Identifizierung des modernen säkularisierten Juden mit dem Kommunismus zu führen.“154 Für Mendelsohn ist die „Prominenz“ von Juden in kommunistischen Regimen ein „Desaster für die gesamte jüdische Gemeinschaft“ gewesen.155 Sie erkläre auch die Bereitschaft von Litauern, bei der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik mitzuwirken.156 Da jüdische Kommunisten in Litauen 1939 die sowjetische Besetzung begrüßt hätten, kann Donald Horowitz die spontanen antisemitischen Ausschreitungen bei der Besetzung des Landes durch die Wehrmacht im Sommer 1941 den „tödlichen ethnischen Ausschreitungen“ zurechnen.157 Eine vergleichbare Situation lag in Ostpolen vor, wo die Sowjets im Herbst 1939 nach der Aufteilung Polens durch Hitler und Stalin gleichfalls eine brutale Sowjetisierung vorgenommen hatten, an der jüdische Kommunisten beteiligt gewesen sind. Dies rief nach Bogdan Musial auf dem Hintergrund der eingewurzelten christlichen Judenfeindschaft in Polen ein „kollektives Rachebedürfnis“ hervor,158 das sich 1941 – auch dank nationalsozialistischem Gewährenlassen und vielleicht auch Ermunterung – in grauenhaften Pogromen wie dem von Jedwabne entladen hat. Musial schreibt, daß diese lange verdrängten Vorgänge in den Augen der deutschen Soldaten, das „abstrakte Propagandabild“ vom „jüdisch-bolschewistischen“ Terror zu einer „subjektiven Realität“ haben werden lassen.159 Bezüglich der politischen Bewertung des antibolschewistisch-antijüdischen Feindbildes hat Henri Amouroux in einem Aufsatz über die französische „Kollaboration“ diese aufschlußreiche Bemerkung über die Hierarchie der Feindbilder gemacht: „Der Kommunist steht in der Rangordnung eindeutig vor dem Freimaurer oder dem Juden. Und wenn der Kommunist ebenfalls Jude ist, oder, was seltener der Fall war, Freimaurer, welch Freude gab es dann, in seiner Person eine dämonische Trinität zu verfolgen.“160 Diese Einschätzung entspricht derjenigen, die ein amerikanischer Jour-
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nalist nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Frage geliefert hat, warum ein jüdischer Diplomat im Warschauer Außenministerium nicht beliebt sei. Sie lautet: „25 Prozent hassen ihn, weil er Kommunist ist, 25 Prozent hassen ihn, weil er Jude ist, und 50 Prozent hassen ihn, weil er jüdischer Kommunist ist.“161 In dem stalinisierten Polen, in dem jüdische Kommunisten eine maßgebliche Rolle spielten,162 galt für die mehrheitlich antikommunistischen katholischen Polen weithin die Devise: „Im Kampf gegen den Kommunismus befreit man sich von den Juden und umgekehrt.“163 Die Kampfansage des revolutionären Marxismus (Bolschewismus) an die bürgerliche und christliche Welt, die durch extremistische und terroristische164 jüdische Führer wie Trotzki und Bela Kun wesentlich mitgetragen worden ist, hat den überlieferten Antisemitismus in einen neuen Aggregatzustand überfuhrt. Diesen Zusammenhang zu ignorieren und wie Daniel Jonah Goldhagen zu behaupten, daß „Antisemitismus nichts mit dem Handeln der Juden zu tun hat,“165 verdeckt entscheidende Fakten, deren Kenntnis für das Verständnis der historischen Zusammenhänge unabdingbar ist. Gerechterweise ist anzumerken, daß es nicht zuletzt renommierte jüdische und israelische Wissenschaftler wie etwa Raul Hilberg und Yehuda Bauer gewesen sind, die deswegen Goldhagens Buch für wissenschaftlich weitgehend „wertlos“ erklärt haben. Nahezu fassungslos haben sie festgestellt, daß darin Sozialisten und Kommunisten und damit die dramatischen revolutionären Umbrüche der Jahre 1914-1923 überhaupt nicht vorkommen!166 Rassischer versus staatspolitischer Antisemitismus Erich Goldhagen, der Vater von Daniel Jonah Goldhagen, hat 1976 mit der Unterscheidung von „objektivem oder realistischem“ und „subjektivem oder nichtrealistischem Antisemitismus“167 einen Fingerzeig zu dem von seinem Sohn ausgeklammerten Thema geliefert.168 Seine Unterscheidung deckt sich nicht zufällig weitgehend mit derjenigen, die der Jesuitenpater Gustav Gundlach 1930 in seinem bereits vorgestellten Lexikon-Artikel Antisemitismus getroffen hat. Sie begegnet uns später auch bei Ernst Nolte, der seinerseits zwischen einem „realen“ und einem wahnhaften „Vermutungsantisemitismus“ unterscheidet.169 Gundlach verurteilte den „völkischen und rassenpolitischen“ Antisemi-
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tismus als „schädlich“ und „unchristlich“, erklärte aber den „staatspolitischen“ für „erlaubt“, sofern er einen „tatsächlich-schädlichen Einfluß des jüdischen Volksteils ... mit sittlichen und rechtlichen Mitteln bekämpft“.170 Pater Gundlach hat übrigens als Professor an der vatikanischen Jesuitenuniversität Gregoriana im Jahre 1938 ganz wesentlich den Entwurf zu der nicht erlassenen Encyklika Wider den Rassismus formuliert!171 In seinem im Hannoverschen Sonntagsblatt publizierten Aufsatz Zur Judenfrage hat der protestantische Pfarrer Wilhelm Lüder im August 1920 diese Unterscheidung noch militanter vollzogen. Auch er lehnte den „verkehrten“ oder „Pogrom-Antisemitismus“ ab und verwarf entschieden den „Rassenantisemitismus“. Gleichzeitig forderte er jedoch dazu auf, den „rechten Antisemitismus“ zu fördern. Diesen sah Lüder begründet durch „Juden an der Spitze der revolutionären Bewegung“, wobei er unterstellte: „Kurz, sie sind die Seele des Bolschewismus.“172 Bei einem undifferenzierten Umgang mit dem Wort Antisemitismus und seiner volkstümlichen Gleichsetzung mit dem recht „diffusen Gedanken“ des Rassismus173 wird verkannt, daß auch führende Nationalsozialisten nicht oder doch nicht primär „rassistisch“, sondern vielmehr kulturell und politisch argumentiert haben, allerdings extrem brutal. So Hermann Göring und Joseph Goebbels. Göring erklärte am 2. März 1933: „Meine Hauptaufgabe wird es sein, daß die Pest des Kommunismus ausgerottet wird, ich gehe auf der ganzen Linie zum Angriff über.“174 In seinem Aufsatz Vernichtung von Marxismus und Kommunismus hat Hermann Göring damals anklagend erklärt, daß ,Juden ... Führer des Marxismus und Kommunismus in erster Linie stellten“. Zynisch fügte er hinzu: „Mögen sich die anständigen Juden bei ihren Rassegenossen bedanken, wenn das deutsche Volk sie heute alle über einen Kamm schert.“175 Der Gerichtspsychologe beim Nürnberger Prozeß berichtete später, daß Göring in der Haft „genußvoll“ erzählte, wie er sofort nach der Machtergreifung „die Kommunisten verfolgt“ und die KZs „hauptsächlich dafür eingerichtet habe, um die Kommunisten unter Kontrolle zu haben“.176 Am 13. September 1935177 und am 9. September 1936178 hat Goebbels auf dem Nürnberger Reichsparteitag jeweils eine programmatische antibolschewistische Rede gehalten. In ihnen prangerte er prominente jüdische Kommunisten namentlich an. Er widmete sich dabei intensiv der Münchener Räterepublik und der „Bolschewistenherrschaft des Juden Bela Kun“.179 Auch ging er auf die „Zwangskollektivierung“ in Rußland ein, bei der der „Jude“ Kaganowitsch eine führende Rolle gespielt habe. Durch die
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Kollektivierung seien „mehr als 15 Millionen Bauern samt ihren Familien physisch vernichtet worden“.180 Nach Goebbels unterlag es keinem Zweifel, daß „der Jude“ den Bolschewismus „gemacht“ habe, dieser stelle „die krasseste Blut- und Terrorherrschaft dar, die die Welt je“ gesehen habe.181 Dem „Weltzerstörungsapparat Komintern“ sagte Goebbels dabei nach, es handele sich „in Wirklichkeit um eine jüdische Internationale.“182 Über die Wirkung der erstgenannten Goebbels-Rede berichtete der geheime Deutschlandbericht der SPD (Sopade) vom 16. Oktober 1935: „Die Goebbelsrede gegen den Bolschewismus ist nicht ohne Eindruck geblieben. Diese Art von Propaganda ist gut dazu geeignet, dem Bürger den Schrecken vor dem Bolschewismus neu einzuimpfen. Dazu kommt noch, daß die gegen das politische Judentum gerichtete Propaganda selbst bei den Arbeitern nicht selten verfängt.“183 Von der antifreimaurerischen vom „jüdischen Bolschewismus“
Verschwörertheorie
zum
Mythos
Vieles spricht dafür, daß die von vielen – sogar nationalsozialistischen – Deutschen als sektiererisch betrachteten Rassetheoreme der NS-Ideologie in ihrer Wirkung überschätzt, der politische Antisemitismus hingegen unterbewertet, ja nicht selten als inopportunes Thema ausgeblendet wird. Mit Hilfe des Abstraktums „Rassismus“ sucht man der für viele peinlichen Verwicklung einer Fraktion der Judenheit in den revolutionären Kommunismus aus dem Weg zu gehen, obgleich aufgeklärte liberale und sozialistische Juden darüber freimütig sprechen. Der juristische Gutachter für das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, Reinhard Maurach, betonte, daß die „Kombinationstheorie“, welche das „jüdische mit dem bolschewistischen Problem“ verschmelze, zu der Standardausrüstung der NS-Doktrin gehört habe. Es könne nicht bezweifelt werden, daß es dem Nationalsozialismus im weitesten Umfang gelungen sei, die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes davon zu überzeugen, daß eine „Identität von Bolschewismus und Judentum“ vorliegt.184 Diese auf einen realen Kern verweisende Equation theory wird auch deshalb heruntergespielt, weil es bis in die Gegenwart hinein zum Repertoire von rechtsextremen und auch islamischen Kreisen in aller Welt gehört, den Juden ihre Teilhabe am Kommunismus anzulasten.185
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In seinem 1998 neu aufgelegten Standardwerk Die Protokolle der Weisen von Zion. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung186 legt Norman Cohn ganz richtig dar, daß sich der „Mythos von der jüdisch-kommunistischen Verschwörung ... als zugkräftiger (erwies) als der von der jüdischfreimaurerischen Verschwörung“.187 Die in Reaktion auf Aufklärung und Französische Revolution entwickelte These von der Verschwörung,188 die die Freimauer und Illuminaten in den Mittelpunkt stellte, hatte einen primär bildungsbürgerlichen Charakter und wurde nach 1917 zunehmend durch die Vorstellung von einer jüdisch-kommunistischen Verschwörung abgelöst.189 Die traditionelle Verschwörerthese mit ihrer Dämonisierung der Freimaurer, aber auch der Jesuiten, hat besonders in der sektiererischen weltanschaulichen Gegnerforschung und -bekämpfung Himmlers einen Niederschlag gefanden.190 Trotzdem hat er den Hauptfeind niemals aus den Augen verloren und seine „Schutzstaffel“ (SS) 1936 als „antibolschewistische Kampforganisation“ bezeichnet.191 Einen Brückenschlag zwischen der traditionellen und der modernen Verschwörerthese versuchte zuerst Friedrich Wichtl 1921 mit seiner Schrift Freimaurerei, Zionismus, Kommunismus, Spartakismus, Bolschewismus. Darin warf er den Freimaurern und Juden vor, sie hätten sich im Weltkrieg gegen Deutschland verschworen und es mit Hilfe des freimaurerischen Diktatfriedens ruiniert. Wichtl konstruierte dabei eine Verbindung zwischen dem den Ordensnamen „Spartacus“ führenden Begründer des Illuminatenordens, dem Ingolstädter Professor Adam Weishaupt, mit den Spartakisten Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und dem „Juden“ Axelrod.192 Der Vorwand für die Dämonisierung der Freimaurerei war, daß die Freimaurer dem Gedanken der religiösen Toleranz, dem Kosmopolitismus sowie dem Liberalismus verpflichtet waren und sich überdies im – leicht zu diffamierenden – Arkanraum der Loge versammelten. Die humanitären Logen haben einen Beitrag zur Integration assimilierter Juden – hierzu gehörten Ludwig Börne und Moses Heß sowie die Väter von Karl Marx und Georg Lukácz – in die nachständische und sich säkularisierende bürgerliche Gesellschaft geleistet.193 Dies hat ihnen sowohl von den christlichen Frommen als auch von Nationalisten, denen der Kosmopolitismus suspekt war, Kritik und Unterstellungen eingetragen. Das Gerede vieler Völkischer und Himmlers von einem „jüdisch-freimaurerisch geführten Bolschewismus“194 entbehrte aber jeder Grundlage, zumal die Freimaurerei vor der Revolution in Rußland keinen nennenswer-
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ten, schon gar keinen revolutionären Faktor darstellte195 und überdies von den Bolschewiki als bürgerlich-reaktionäre Gruppierung sogleich verboten wurde! Trotzki hat 1922 in dem Komintern-Organ Inprekorr den Beitrag Kommunismus und Freimaurerei veröffentlicht und darin brutal gesagt: „Die Freimaurerei ist ein bösartiges Eitergeschwür am Körper des französischen Kommunismus. Dieses Geschwür muß mit glühendem Eisen ausgebrannt werden.“196 Diese Stellungnahme macht hinreichend deutlich, daß der Bolschewismus als socialismus asiaticus mit der Freimaurerei – im Unterschied zum westlichen Marxismus – rein gar nichts im Sinn hatte. Goebbels hat diesem Sachverhalt Rechnung getragen und in seiner Agitation auf eine ideologische Feindbilderhöhung durch Freimaurer und ominöse „Weise von Zion“ verzichtet. Unter seiner Ägide erschienen 1934 und 1938 die Pamphlete von Hermann Fehst Bolschewismus und Judentum197 und von Rudolf Kommoss Juden hinter Stalin198 die bezeichnenderweise ohne jeden Rekurs auf die Freimaurerei auskamen. Zumal zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches von Kommoss Stalin die Elite der jüdischen Kommunisten bereits liquidiert hatte, muß dessen Feststellung: „Der Judobolschewismus ist an der Macht“199 als unaufrichtige, pseudomoralische Einstimmung auf den „antibolschewistischen Kreuzzug“ gewertet werden. Diese Publikationen nationalsozialistischer Propagandisten signalisierten die Abkehr von unhaltbaren Feindbildern. Man vollzog damit nur nach, was andere antisemitische/antibolschewistische Autoren wie Hilaire Belloc, Henry Ford, selbst ein Logenmitglied,200 und die britische Bankierstochter Nesta Webster bereits getan hatten, indem sie auf jeden Bezug zur Freimaurerei oder die Protokolle ausdrücklich verzichteten. Bezeichnenderweise hat der Goebbels-Chefpropagandist, der RundfunkKommentator Hans Fritzsche, in Nürnberg ausgesagt, daß sich die NSPropaganda außer auf den „jahrhundertealten Antisemitismus“, auf „einseitige Tatsachen“ wie den „Anti-Nationalismus der Juden und die Fälle, wo Juden Kommunisten waren“, gestützt habe. Dagegen bezeichnete Fritzsche die Protokolle als „Lügen“, welche er „nicht einen Augenblick ernst genommen“ habe!201 Letztlich ist die Gleichsetzungstheorie vom NS-Regime zur Staatsideologie202 gemacht worden, so daß Hans Mommsen feststellen konnte, daß „der Antibolschewismus und der Antisemitismus als Dioskuren auftraten.203 Der Nationalsozialismus unterstellte eine „Wesensgleichheit von
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Judentum und Bolschewismus“.204 Diese wurde in unzähligen Schriften in die Köpfe gehämmert. So von Rosenberg, der den Bolschewismus ein „jüdisches Unternehmen“ nannte,205 von Himmler, der den Bolschewismus als „von Juden organisiert“206 erklärte und schließlich von Heß, der das Judentum im Bolschewismus „verkörpert“ sah und den „jüdischen Bolschewismus“ als „Menschheitsgeißel“ verfluchte.207
Identifikation von Juden und Bolschewiki als Vorwand für Pogrome Nach der englischen Historikerin Sharman Kadish hat die Identifikation von Juden und Bolschewiki als „perfekter Vorwand für Pogrome“ gedient.208 Mit dieser Bewertung stimmt Richard Pipes überein. In Jews and the Russian Revolution bemerkt er, daß „eine der desaströsesten Konsequenzen der Russischen Revolution die Identifikation der Juden mit den Kommunisten gewesen ist“. Die Frage der jüdischen Beteiligung am Bolschewismus sei von mehr als akademischem Interesse, denn die Unterstellung, daß die „internationale Judenschaft“ den Kommunismus erfunden habe, um die christliche beziehungsweise arische Zivilisation zu zerstören, habe die „ideologischen und psychologischen Grundlagen für die ,Endlösung' durch die Nazis“ geliefert.209 Diese Einschätzung teilt Christian Streit. In seinem Aufsatz Ostkrieg, Antibolschewismus und Endlösung äußerte er 1991 seine Überzeugung, daß „extremer Antibolschewismus entscheidend dazu beitrug ... ,katalysierende Randbedingungen‘ zu identifizieren, die es möglich machten, den Völkermord in Gang zu bringen.“210 Dabei spielte ein Mechanismus eine Rolle, den François Furet 1998 beschrieben hat: „Der antisemitische Terror verlor schließlich jeden Zusammenhang mit dem Bereich, von dem er ausgegangen war.“211 Indem der Vernichtungsantisemitismus jeden Juden – vom Kleinkind bis zum Greis – zu morden suchte, ist es menschlich verständlich, daß er bis heute Entsetzen und Trauer auslöst und ohne näheres Hinterfragen pauschal auf „Rassismus“ zurückgeführt wird. Der Nationalsozialismus war in vieler Hinsicht „eine Reaktion auf den Kommunismus“, wie der einst für die kommunistische Partei engagierte – jüdische – Berliner Politologe Ossip Flechtheim 1964 formuliert hat.212 Es ist bemerkenswert, daß auch der Marxist Wolfgang Haug den National-
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sozialismus 1980 als „Gegenbolschewismus“213 charakterisierte und insoweit mit dem Konservativen Ernst Nolte übereinstimmt.214 Das Problem der „rächenden Gewalt“ In seinen Widersprüchen schrieb der frühere Auschwitz-Häftling Jean Amery (Hans Mayer), daß das oft tabuisierte „Problem der Rache, richtiger der rächenden Gewalt“ nicht ausgespart werden dürfe.215 Es ist damit auch die Frage gestellt, inwieweit sich militante Gegenrevolutionäre, deren revolutionären Flügel die Nationalsozialisten bildeten, als Rächer verstanden haben. Nach dem wegen der Judenverfolgung nach England geflüchteten späteren Londoner Historiker Francis L. Carsten,216 Sohn eines deutschnational orientierten Berliner jüdischen Augenarztes, der in der Weimarer Zeit dem Kommunistischen Jugendverband beigetreten war und sich hierüber selbstkritische Gedanken gemacht hat, haben radikale jüdische Minderheiten in München und Budapest den „Weg zur Gegenrevolution“ vorbereitet.217 Nämlich insofern, als sie ein Rachemotiv lieferten. Tatsächlich hat sich die Gegenrevolution in einem Münchener Flugblatt zum Beispiel so artikuliert: „Bolschewismus ist Judensache! Bolschewismus ohne Juden gibt es nicht.“218 Aus solcher Lageanalyse ergab sich für die Radikalvölkischen als logische Schlußfolgerung: „Wer den Kommunismus bekämpfen will, der muß zuerst die Wurzel erfassen und das sind die Juden.“219 Es fällt auf, daß Rosenberg am 10. September 1936 in einer Rede auf dem Nürnberger Parteitag die gleiche mörderische Konsequenz zog und damit die zum Völkermord drängende ungeheure Energie des politischen Antisemitismus offenlegte. Rosenberg erklärte nach Ausführungen über Verhältnisse und Personen in Sowjetrußland: „Man kann deshalb Marxismus und Bolschewismus nicht mit Erfolg bekämpfen, wenn man das Judentum ausnimmt.“ Es handele sich dabei um eine „Kernfrage“, denn „im Wesen ist der Bolschewismus die Form der jüdischen Weltrevolution“.220 Solche extremen Reaktionen schienen fanatischen Antisemiten, die die soziale Wirklichkeit nur haßerfüllt-selektiv wahrzunehmen vermochten, dadurch gerechtfertigt, daß unter den bedrängten Ostjuden nicht wenige Karl Marx als „Heros der Weltbefreiung“ verehrten und sich den bewaffneten Jüngern dieses neuen Propheten anschlossen. Tatsächlich hieß es 1919
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in der zionistischen Zeitschrift Der Jude, daß „ein gerader Weg von Paulus über Marx zu Trotzki“ führe.221 Das Judentum hätte das Recht, „Karl Marx als Blut von seinem Blut und Geist zu feiern“. Es sei „tiefer jüdischer Geist“, der die „stärkste Verkündigung der neuen kommenden Menschheitsordnung zu formen berufen wurde“.222 Die von Ezra Mendelsohn, Professor an der Hebräischen Universität zu Jerusalem, 1993 konstatierte „traurige Allianz (sad alliance) zwischen jüdischen Radikalen ... und einem bösen (wicked) Regime, das Millionen von Unschuldigen ermordete“,223 hatte schwerwiegende Folgen. Deswegen nämlich, weil der von Fritz Fischer konstatierte „Brei von Antisemitismus und Antimarxismus“224 ein realgeschichtliches Fundament, einen realen „Kern“ hatte. In dem 1920 in den Preußischen Jahrbüchern publizierten Aufsatz Jüdischer und arischer Geist heißt es, eine Verschwörung unterstellend, daß es „einer Gruppe von Juden“ gelungen sei, in Sowjet-Rußland eine „zentrale Kraftquelle“ zu schaffen, welche „unter der Firma eines internationalen Sozialismus und der ,Diktatur des Proletariats' die Zerstörung aller nationalen und religiösen Werte der Wirtsvölker“ emsig betriebe.225 Der sich wohl hinter einem Pseudonym verbergende Verfasser beschloß seine Ausführungen mit der Prognose, daß für die „himmelstürmenden jüdischen Idealisten“, die sich jetzt als Gründer von „Räterepubliken und Anführer von entmenschten ,Lenin-Buben'“ betätigten, „unzählige ganz unschuldige Juden ... schrecklich zu büßen haben.“226 Kaum bekannt ist das von Georg Schott verfaßte und 1924 in München publizierte Volksbuch vom Hitler. Der sich als schwärmerischer Christ darstellende Verfasser spricht darin von einer „jüdisch-marxistischen Revolution“227 und zitiert aus der Verteidigungsrede Hitlers vor dem Staatsgerichtshof, nach der „die Zukunft Deutschlands ... Vernichtung des Marxismus“ heißt.228 Schott bezog sich für seine Ausführungen unter anderem auf das Handbuch der Judenfrage von Theodor Fritsch, das den Bolschewismus als „jüdische Bewegung“ charakterisiert, und erklärt weiter, daß die „Abrechnung mit dem ,Marxismus', mit den ,Novemberverbrechern' die Lösung“ sei.229 In diesem Buch, das sich auch auf Henry Fords Internationalen Juden sowie die Geheimnisse der Weisen von Zion berief, wird darüber spekuliert, wie die „endgültige Lösung der Judenfrage“ durch „A. H.“ aussehen könne. Über diesen „Vorgang“ seien „die abenteuerlichsten und zum Teil geradezu unglaublichsten Gerüchte in Umlauf.
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Daran schloß sich der ungeheuerliche Satz an, der auch in der im nationalsozialistischen Eher-Verlag erschienenen Neuauflage des Volksbuches von 1934 enthalten war: „Viele stellen sich ,die Sache' in Form eines Judenpogroms von ungeheuren Ausmaßen vor. Die Juden werden einfach kalt gemacht.“230 Milton Himmelfarb hat 1984 seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß der Antisemitismus eine „notwendige Voraussetzung für den Holocaust gewesen sei, jedoch keine ausreichende“.231 Gewichtige Gründe sprechen dafür, daß die Kombination des überkommenen Antisemitismus mit dem Antimarxismus/Antibolschewismus einen neuen Antisemitismus erzeugte und ihm in einer konkreten historischen Krisensituation eine todbringende Stoßkraft verlieh. Der aus einer frommen jüdischen Familie stammende Psychoanalytiker Erich Fromm, der zu Martin Buber Kontakt gehabt und es unternommen hat, Karl Marx und Sigmund Freud zu verbinden, hat 1974 in seiner Anatomie der menschlichen Destruktivität gesagt, daß Hitlers „Demütigung um so größer war, als einige Anführer des Münchener Putsches Juden waren, in denen er ... seine Erzfeinde sah“. Diese „äußerste Demütigung konnte nur durch die Vernichtung all derer, die er für die Verantwortlichen hielt, ausgemerzt werden.“232 Unter Bezugnahme auf die Drohungen Hitlers von 1939 schlußfolgerte der Psychiater Fromm: „Sein wahres ,Motiv' Rache zu nehmen für das ,Verbrechen', Revolutionäre zu sein, das ein paar Juden zwanzig Jahre zuvor begangen hatten.“233 Der polnische Kommunist Adam Rayski, der einst die von der jüdischen Sektion der Französischen Kommunistischen Partei herausgegebene Naie Presse redigiert hat, ist in seinen Erinnerungen zu diesem Urteil gelangt: „Die Menschen unserer Generation haben den Rausch bei der Suche nach dem kommunistischen Gral kennengelernt, aber auch die bittere Ernüchterung ... Wir, die Ritter des Kreml, bewegten uns auf die Abgründe der Selbstverleugnung zu und wurden dabei zu direkten oder indirekten Komplizen von Verbrechern.“234 Es sind vor allem nachdenkliche Juden gewesen, die über die von Adam Rayski selbstkritisch angesprochene „auffallende Teilnahme der Juden an den modernen revolutionären Bewegungen in allen Ländern“235 und deren Konsequenzen nachgedacht haben. So auch der einstige KZ-Insasse Simon Wìesenthal, der in seinen Erinnerungen ein von vielen Marxisten tabuisiertes Thema so ansprach: „Es hat, gleich ob in Polen, Rußland oder Österreich, stets den Haß der ,arischen' Arbeiter- und Parteifunktionäre gegen
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jüdische Intellektuelle und Ideologen gegeben.“ Aus dem in die Augen fallenden hohen jüdischen Anteil von Juden in den revolutionären Parteien sei bei „Leuten, die den Kommunismus haßten“ eine „heftige Aversion gegen Juden“ entwickelt worden, weil ihnen diese als „Träger der kommunistischen Idee erschienen.“236 Siegfried Thalheimer hat nach seiner Rückkehr aus der Emigration über die den Juden widerfahrene Katastrophe als Privatgelehrter lange nachgedacht und in seinem Dreyfus-Buch bereits 1958 ein Ergebnis formuliert, das auch heute noch Gültigkeit hat. Er sagte, daß die den Juden vom „Schicksal aufgezwungene Bundesgenossenschaft“ mit revolutionären Parteien die Judenheit insgesamt „aufs höchste“ gefährdete.237 Denn der „alte Judenhaß“ sei noch „überaus lebendig“ gewesen und habe sich „ohne weiteres mit der Feindschaft gegen die Revolution“ verbunden. Hitler habe diesen „mächtigen, doppelt genährten Haß zum hauptsächlichen Motor seiner revolutionären Bewegung gemacht“.238 In ihren Erinnerungen Wir lebten in Deutschland hat Rahel Straus, eine Nichte von Eduard Bernstein, ganz in diesem Sinne darauf hingewiesen, daß es in ihrer Familie 1918/19 als „erschreckend“ empfunden worden sei, daß sich unter den Führern der Revolution so viele Juden befunden hätten. Dies sei „ein Unglück und der Anfang der Katastrophe“ gewesen, deren „entsetzliches Ende wir noch miterlebten“.239 Es scheint, daß sich dieser Folgerung viele verschließen. Dazu trägt bei, daß die zur Psychologie gehörende Motivforschung ein unsicheres Terrain ist, vor dem mancher zurückschreckt. Mehr noch aber ist dies wohl der Fall, weil viele es für inopportun halten, sich mit dem durch „rote Assimilanten“ geprägten revolutionären Kommunismus als einer einstmals vitalen Bedrohung für die christlich-bürgerliche Welt ernsthaft zu befassen. Dabei sind abtrünnige Kommunisten schon lange vor dem Kollaps der Sowjetunion zu der Einsicht gelangt sind, daß ihr Engagement einer verbrecherischen Sache gewidmet war. Der einstige Komintern-Mitarbeiter Joseph Berger, der von 1929 bis 1931 Sekretär der Kommunistischen Partei Palästinas war und von 1935 bis 1956 in Stalins GULAG als Sklavenarbeiter eingesessen hatte,240 legte in seinen Erinnerungen Shipwreck of a generation das Geständnis ab: „Kommunisten meiner Generation ... billigten seine (Stalins) Verbrechen. Wir sahen sie als wichtige Beiträge zum Sieg des Kommunismus an.“241 Die „antisemitische Besessenheit“ Hitlers wird trotz deren wesentlich antikommunistischer Motivation immer wieder einseitig auf einen ahistori-
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schen und als eine Art Krankheit begriffenen „Rassismus“ zurückgeführt. Auf diese Weise weicht man nicht nur der schmerzlichen Einsicht in die jüdische Verstrickung in den Kommunismus und Bolschewismus aus. Das läßt auch die politisch nützliche Befürchtung pflegen, daß der Bazillus „Rassismus“ beziehungsweise „Antisemitismus“ erneut massenmörderisch wirksam werden könnte. So wird vergessen gemacht, daß die tiefere Ursache für den Vernichtungsantisemitismus nach der „Oktoberrevolution“ und dem Zerfall der drei europäischen Kaiserreiche entstand, also in einer Zeit, die durch wirtschaftliche Zerrüttung, Bürgerkrieg und kommunistische Putsche gekennzeichnet war. Der „neue Antisemitismus“ wurde geboren in Reaktion auf den „kommunistischen Universalismus“, der zeitweise „zu einem neuen Gelobten Land (terra promessa) für viele Juden“ geworden war.242 Indem eine Minderheit „nichtjüdischer Juden“ – wie sie Isaac Deutscher genannt hat – für die alle Menschenrechte mißachtende terroristische Diktatur der Sowjets mitverantwortlich gemacht werden konnte, erfuhr die überkommene Judenfeindschaft bei extremen Parteien eine tödliche, ja in einen beispiellosen Völkermord einmündende Zuspitzung. William B. Cohen stellte 1985 fest, daß die von den einen dämonisierte, von den anderen verschwiegene „jüdische Romanze mit dem Kommunismus“ zu einem Ende gekommen sei.243 Dieser „praktische Bruch mit dem Kommunismus“244 wurde durch Stalins „Holocaust an den sowjetischen Juden“, wie ihn Leonard Schapiro 1961 genannt hat,245 ganz entscheidend motiviert. Nur Ignoranten können somit den Juden noch immer kommunistische und stalinistische Verbrechen als gewissermaßen erbliche Kollektivschuld anlasten. Umgekehrt hat sich André Glucksmann als der Aufklärung verpflichteter jüdischer Intellektueller zu der Mahnung veranlaßt gesehen, der deutschen Jugend nicht über Generationen „die Last von Auschwitz“ aufzubürden.246
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Anmerkungen 1 Franz Kafka: Briefe 1902-1924. Gesammelte Werke. Bd. 3. Frankfurt/M. 1958, S. 275. 2 In: Leo-Baeck Institute Yearbook 1992, S. 11-145 (Zitat: S. 111). 3 Jerry Z. Muller: Communism, Anti-Semitism and the Jews. In: Commentary (1988) 86, S. 28. 4 Maxime Steinberg: La piste ,judéo-bolchevique'. In: Yannis Thanassekos (Hrsg.): Revision de PHistoire. Totalitarismes, crimes et génocides nazis. Paris 1990, S. 184. 5 Alfred Weber: Der Beitrag der Juden zur Menschheitsgeschichte. In: Gesamtausgabe. Bd. 8. Marburg 2000, S. 657-705 (Zitat: S: 698 f.). 6 Dmitrij S. Mereschkowskij: Das Reich des Antichrist. München 1921, S. 12. 7 Ebenda, S. 28. 8 Ebenda, S. 184 f. 9 Hilaire Belloc: Die Juden. München 1927, S. 222. 10 Max Adler: Marx und Engels als Denker. Frankfurt/M. 1972, S. 17. 11 Will Herberg: Socialism, Zionism and the Messianic Passion. In: Midstream (1956) 2, S. 65 ff. (Zitat: S. 70). 12 Ernest Gellner: Bedingungen der Freiheit. Stuttgart 1995, S. 49 f. 13 Wilfred Cantwell Smith: Islam in modern history. Princeton, N.J. 1957, S. 105. 14 Bohdan Bociurkiw: Lenin und die Religion. In: Leonhard Schapiro und Peter Reddaway (Hrsg.): Stuttgart 1970, S. 63. 15 Arnold Toynbee: Der Gang der Weltgeschichte. Bd. 1. München 1974, S. 283. 16 Ebenda, Bd. 2, S. 524. 17 Harry Graf Kessler: Tagebücher 1918 bis 1937. Frankfurt/M. 1961, S. 93. 18 Jay Bergman: The image of Jesus in the Russian revolutionary movement. In: International Review of Social History (1990) 35, S. 220-248 (Zitat: S. 243). 19 Kurt Eisner: Die halbe Macht den Räten. Ausgewählte Aufsätze und Reden. Köln 1969, S. 41. 20 Am 18. 10. 1918. 21 Georg Strobel: Die Legende von der Rosa Luxemburg. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1992) 3, S. 376. 22 Hans Maier (Hrsg.): Wege in die Gewalt. Die modernen politischen Religionen. Frankfurt/M. 2000, S. 48. 23 Leo Trotzki: Terrorismus und Kommunismus. Hamburg o. J. (1920), S. 44. 24 Arnhelm Neusüss: Utopie. Neuwied 1968, S. 172. 25 The practice and theory of bolshevism. London 1920, S. 176. 26 Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel: Österreicher – Demokrat – Weltbürger. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs. München 1995, S. 127-129. 27 Ottokar Luban: Demokratische Sozialisten oder „blutige Rosa“. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1999) 2, S. 176-207 (Zitat: S. 187). 28 Günter Bartsch: Anarchismus in Deutschland. Bd. II/III. Hannover 1973, S. 204. 29 Paul Avrich: Kronstadt 1921. Princeton, N.J. 1970, S. 15. 30 Margarete Buber-Neumann: Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Stuttgart 1967, S. 22. 31 Sergej Melgunow: Der rote Terror. Berlin 1924, S. 13. 32 Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke. Bd. 6. Berlin 1993, S. 209. 33 Kai-Uwe Merz: Die deutsche Linke und der Bolschewismus. Diss. Berlin 1990, S. 407. 34 Karl Schlögel: Jenseits des Großen Oktober. Berlin 1988, S. 403. 35 Arnold Toynbee: Der Gang der Weltgeschichte. Bd. 2. München 1974, S. 485. 36 Eleonore Lappin: Der Jude 1916-1928. Tübingen 2000. 37 Martin Buber: Die Revolution und wir. In: Der Jude (1918-19) 3, S. 345-347 (Zitat: S. 347). 38 Alfons Goldschmidt: Moskau 1920. Tagebuchblätter. Repr. Berlin 1987, S. 54. 39 Ebenda, S. 127 u. 149. 40 Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Rußland. Berlin 1921, S. 162.
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41 Ebenda, S. 226. 42 Ebenda, S. 233. 43 Ebenda, S. 242. 44 Ebenda, S. 253. 45 Sharman Kadish: Bolsheviks and British Jews. London 1992, S. 75. 46 Wilhelm Mühlmann: Chiliasmus und Nativismus. Berlin 1961, S. 374. 47 Elie Wiesel: Das Testament... Freiburg/Br. 1991, S. 67. 48 Nathan Weinstock: Le pain de la misère. Histoire du mouvement ouvrier juif en Europe. Bd. I. Paris 1984, S. 38. 49 11(1971). 50 Munzinger-Archiv: Kopelew. 51 Lew Kopelew: Aufbewahren für alle Zeit. München 1979, S. 53. 52 Ervin Sinkó: Roman eines Romans. Moskauer Tagebuch. Köln 1962, S. 109. 53 Franz Werfel: Zwischen oben und unten. München 1975, S. 323 f. 54 Weltbühne (1919) 15, S. 442-446 . 55 Ebenda, S. 443. 56 Arnold Zweig: Der Jude in der deutschen Gegenwart. In: Der Jude. Sammelschrift. Judentum, Christentum, Deutschtum. Berlin 1927, S. 1-8 (Zitat: S. 5). 57 Max Lerner: Amerikanische Linke und Antisemitismus. In: Michael Werz (Hrsg.): Antisemitismus und Gesellschaft. Frankfurt/M. 1995, S. 161. 58 Houston St. Chamberlain: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. 1. H. München 31901, S. 450 f. 59 Joseph Nedava: Trotsky and the Jews. Philadelphia 1971, S. 162. 60 Stefan Zweig: Briefe an Freunde. Frankfurt/M. 1984, S. 48-50. 61 Robert MC Afee Brown: Elie Wiesel. Freiburg/Br. 1990, S. 179. 62 Robert Levy: Ana Pauker. Berkeley, Cal. 2001, S. 28. 63 Clemens Thoma: Der jüdisch-christliche Dialog. In: Hans-Hermann Henrix und Werner Licharz (Hrsg.): Welches Judentum steht welchem Christentum gegenüber? Arnoldshainer Texte. Bd. 36. Frankfurt/M. 1985, S. 57. 64 Erich Fried: Gedanken in und an Deutschland. Wien 1988, S. 195 f. 65 Stuttgart 1964, S. 223. 66 Gennady Estaikh und Mikhail Krutikov (Hrsg.): Yìddish and the Left. Oxford 2001, S. 25. 67 Enzo Traverso: Die Juden und Deutschland. Berlin 1993, Kap. 2: Der Jude als Paria, S. 81 ff. 68 Theodor Lessing: Wortmeldungen eines Unerschrockenen. Leipzig 1987, S. 73. 69 Nancy L. Green (Ed.): Jewish workers in the modern diasporah. London 1998, S. 158 f. 70 Achim von Borries: Selbstzeugnisse des deutschen Judentums. Frankfurt/M. 1988, S. 53. 71 Jonathan Frankel: Prophecy and politics. Socialism, nationalism and the russian Jews, 18621917.Cambridge 1981, S. 552. 72 William D. Rubinstein: A history of the Jews in the english-speaking world: Great Britain. New York 1996, S. 244. 73 Franz Feuchtwanger: Der militärpolitische Apparat der KPD. In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz (1981) 4, S. 485-533 (Zitat: S. 486). 74 Der Jude. Sammelschrift. Berlin 1927, S. 30. 75 Ebenda, S. 77. 76 Ebenda, S. 77. 77 Ebenda, S. 79 u. 85. 78 Boleslaw Szczesniak (Hrsg.): The Russian Revolution and the religion. Notre Dame, Ind. 1959, S. 16. 79 Pinchas Lapide: Der Rabbi von Nazareth. Trier 1974, S. 104. 80 Gerhard Steger: Rote Fahne. Schwarzes Kreuz. Wien 1987, S. 206 (AZvom 15. 4. 1892). 81 Lothar Peter: Literarische Intelligenz und Klassenkampf. Köln 1972, S. 90.
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82 Weltbühne (1927) 23, S. 206 (im Artikel: England und der Bolschewismus). 83 Manès Sperber: Sieben Fragen zur Gewalt. München 1983, S. 97. 84 Rossija i Evrei. Sbornik pervyj. Berlin 1923, Repr. Paris 1978, S. 6. 85 Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim: Ebrei invisibili. Milano 1995, S. 130. 86 Manès Sperber: Sieben Fragen zur Gewalt. München 1983, S. 97. 87 Viktor Reimann, zit. nach: Ladislaus Singer: Marxisten im Widerstreit. Stuttgart 1979, S. 105. 88 Robert Wistrich: The Jews of Vìenna in the age of Franz Joseph. Oxford 1990, S. 3. 89 Erika Weinzierl: Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938-1945. Graz 21985, S. 19 f. 90 Helmut Hirsch: Freiheitsliebende Rheinländer. Düsseldorf 1977, S. 153-166. 91 Brief Helmut Hirschs an den Verf. von Ostern 2001. 92 Jacob L. Talmon: Israel among the nations. London 1970, S. 25. 93 Giora S. Shohan: Walhalla, Golgatha, Auschwitz. Wien 1995, S. 256. 94 Constantin Frantz: Der Nationalliberalismus und die Judenherrschaft. München 1874, S. 23. 95 Ebenda, S. 38. 96 Daniel Cohn-Bendit: Der große Basar. München 1975, S. 9. 97 Bela Bangha und andere: Klärung in der Judenfrage. Wien 1934 (mit Imprimatur des erzbischöflichen Ordinariats Wien), S. 43. 98 Ebenda, S. 68. 99 Ebenda, S. 47. 100 Fritz Kahn: Die Juden als Rasse und Kulturvolk. Berlin '1922, S. 204. 101 Bis in das 19. Jahrhundert hinein durften sogar Sepharden (Westjuden) keine Aschkenazi (Ostjuden) heiraten! 102 Geoffrey Alderman: Antisemitism in Britain. In: Jewish Journal of Sociology (1989), S. 125-130. Zitat aus dem abstract der Datenbank SocioFile. 103 Salomon Adler-Rudel: Ostjuden in Deutschland. Tübingen 1959, S. 52. 104 Martin Buber: Briefwechsel. Bd. 2 (1918-1938). Heidelberg 1973, S. 15. 105 Kommunistische Internationale (1922) 21, S. 8. 106 Michael Cohen: Churchill and the Jews. London 1985, S. 55. 107 National Union Catalogue (NUC) der Library of Congress. t. 253: Homer, Annie. 108 Dieser Text ist in das E-Journal im Internet des rechtsradikalen National Militant gestellt worden. 109 Seymor M. Lipset und Earl Raab: The politics of unreason. Right-wing extremism in America 17901970. London 1971, S. 167-187: The Coughlin movement. 110 Thomas P. Ehlen: Eine Stimme Amerikas: Charles Coughlin. Diss. Bonn 1993, S. 27. 111 Stephen Carr: Hollywood & Antisemitism. Cambridge 2001, S. 114. 112 Köln21932, S. 116. 113 Ebenda, S. 6. 114 Wigbert Benz: Das „Unternehmen Barbarossa“ und der Vatikan. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (1989) 34, S. 981-991 (Zitat: S. 991). 115 Nach dem „Kristallnacht“-Pogrom schickte Galen in Münster einen Vertrauten zu dem Rabbiner Steinthal, um sich nach seinem Befinden zu erkunden und ihm Hilfe anzubieten. In Reaktion auf die Judenverfolgung ließ er in den Kirchen seines Bistums für die Juden beten. Heinz Mussinghoff: Rassenwahn in Münster. Der Judenpogrom 1938 und Bischof Clemens August Graf Galen. Münster 1989, S. 21. 116 Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Das Rußland-Bild im Dritten Reich. Köln 1994, S. 350. Die russische Fürstin Marie Wassiltschikow berichtet in ihren Erinnerungen (Die Berliner Tagebücher 1940-1945. Berlin 1987, S. 106), daß ihre in der deutschen Emigration lebenden Eltern gehofft haben, daß der deutsche Einmarsch in die Sowjetunion einen antikommunistischen Aufstand auslösen würde. 117 Eduard Stadtler: Als Antibolschewist 1918/19. Düsseldorf 1935, S. 46 f. 118 Siegfried Heimann und Franz Walter: Religiöse Sozialisten und Freidenker in der Weimarer Republik. Bonn 1993, S. 59. 119 Eric Hobsbawm: Revolution und Revolte. Frankfurt/M. 1977, S. 42.
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120 Vgl. die Erinnerungen der – jüdischen – Witwe des zu einem Dissidenten gewordenen prominenten ungarischen Dramatikers Julius Hay. Eva Hay: Auf beiden Seiten der Barrikade. Erinnerungen. Leipzig 1994, S. 399: „Manche Westintellektuellen standen im seelischen Sold der DDR, einige nicht nur im seelischen.“ 121 So Alexander Abusch: Kulturelle Probleme des sozialistischen Humanismus. Berlin 1967, S. 53 u. 666. 122 Vgl. Kai-Uwe Merz: Das Schreckbild. Deutschland und der Bolschewismus. Berlin 1995. 123 Elias Hurwitz: Die Weltexpansion des Bolschewismus. In: Süddeutsche Monatshefte (1919) 16, S. 9. 124 In: Festschrift Fritz Fischer: Deutschland und die Weltpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Düsseldorf 1973, S. 143. 125 Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht. Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs. Frankfurt/M. 1997, S. 586. 126 Wolfram Wette: Das Rußlandbild der NS-Propaganda. In: Hans-Erich Volkmann (Hrsg.): Das Rußlandbild im Dritten Reich. Köln 1994, S. 58. 127 Siegfried Kracauer: Aufsätze 1932-1965. Frankfurt/M. 1990, S. 229. 128 Saul Friedländer: Haß war die treibende Kraft. In: Spiegel-Spezial. Juden und Deutsche. Hamburg 1992, S. 37. 129 lan Kershaw: Der Hitler-Mythos. Stuttgart 1980, S. 53. 130 Ebenda, S. 132. 131 Ronnie Landau: The Nazi-Holocaust. London 1992, S. 83. 132 Robert Wistrich: Der antisemitische Wahn. Ismaning 1987, S. 60. 133 Adolf Hitler: Mein Kampf. München “<“*>I938, S. 69. 134 Ebenda, S. 226. 135 Ebenda, S. 751. 136 Rainer Zitelmann: Hitler. Stuttgart 1987, S. 52. 137 In: „The myth of the nation and the vision of revolution“. London 1981, S. 169, zit. nach: Robert Levy: Ana Pauker. Berkeley, Cal. 2001, S. 4. 138 Sarah Gordon: Hitler, Germans and the ,Jewish Question“. Princeton 1984, S. 23. Vgl. hierzu Ernst Nolte: Streitpunkte. Berlin 1993, S. 379: „Kaum eine These ruft heute mehr Zorn und Haß hervor als die, auch der nationalsozialistische ,Antisemitismus' habe einen ,rationalen Kern' gehabt.“ 139 Gerald Fleming: Hitler und die Endlösung. Frankfurt/M. 1987, S. 26. 140 Ernst Nolte: Die historisch-genetische Version der Totalitarismustheorie. In: Zeitschrift für Politik (1996) 43, S. 111-122 (Zitat: S. 117). 141 Ernst Nolte: Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus. Berlin 1993, S. 379. 142 Volker Kronenberg: Ernst Nolte und das totalitäre Zeitalter, Bonn 1999, S. 220 f. 143 Henryk Broder: Museen. In: Der Spiegel (2001) 39 (24. 9. 2001), zit. nach: Spiegel online. 144 Vgl. hierzu die Erinnerungen des letzten preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun: Von Weimar zu Hitler. Hildesheim 1979, S. 5: „Wie konnte es in Deutschland nur zu einer Hitler-Diktatur kommen? Ich kann immer nur antworten: Versailles und Moskau.“ Aufschlußreicherweise tituliert Otto Braun dort auf S. 379 solche Nationalsozialisten, die in der Endphase der Weimarer Republik Überfälle auf ihre Gegner verübten und ihnen Körperverletzungen zufügten als „rechtsbolschewistische Raufbolde“! 145 John L. Heinemann: Hitler's first foreign minister. Berkeley, Cal. 1979, S. 281. 146 Martin Broszat: Motivation und Führer-Bindung. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (1970) 18, S. 392-409 (Zitat: S. 400). 147 Benno Müller-Hill: Tödliche Wissenschaft. Reinbek 1984, S. 30. 148 Reginald Phelps: Hitler als Parteiredner im Jahre 1920. In: Vierteljahreshefteßr Zeitgeschichte (1963) 11, S. 274-330 (Zitat: S. 182 f.). 149 Dennis Prager und Joseph Telushkin: Why the Jews? The reason of antisemitism. New York 1985, S. 161. 150 So Goebbels am 16. 6. 1926, zit. nach: Michael Ley: Genozid und Heilserwartung. Wien 1993, S. 194.
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Vgl. hierzu die – nicht antisemitische – Schrift des russischen Schriftstellers Dmitrij Mereschkowskij: Das Reich des Antichrist. Rußland und der Bolschewismus. München 1921. 151 Rudolf Speth und Edgar Wolfrum (Hrsg.): Politische Mythen und Gesellschaftspolitik. Les travaux du Centre Marc Bloch, cah. 7 (Oktober 1996), S. 10. 152 So der Wochendienst des Reichspressechefs vom 21.3. 1943, zit. nach: Leon Poliakov und Joseph Wulf: Das Dritte Reich und seine Denker. Berlin 1959, S. 455. 153 Dennis Prager und Joseph Telushkin: Why the Jews? New York 1985, S. 60. 154 Ezra Mendelsohn: On modern Jewish politics. New York, Oxford 1993, S. 98. 155 Ezra Mendelsohn: The Jews of East Central Europe between the World Wars. Bloomington 1983, S. 239. 156 Ebenda, S. 225 ff. 157 Donald L. Horowitz: The deadly ethnic riots. Berkeley, Cal. 2001, S. 163. 158 Bogdan Musial: „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen.“ Die Brutalisierung des deutschsowjetischen Krieges im Sommer 1941. Berlin 2000, S. 79 u. S. 191 ff.: Der antisowjetische und antijüdische Hintergrund der Ausschreitungen. 159 Ebenda, S. 238. 160 In: Franz Knipping/Ernst Weisenfeld (Hrsg.): Eine ungewöhnliche Geschichte. Deutschland-Frankreich seit 1870. Bonn 1988, S. 129-138 (Zitat: S. 135). 161 Peter Dittmar: Die Juden im kommunistischen Europa. In: Politische Studien (1968) 19, S. 310. 162 Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim: Ebrei invisibili. Milano 1995, S. 120-135: II mito della giudeocommune. 163 Ebenda, S. 133. 164 Die Encyclopaedia Judaica (Jerusalem 1971) spricht zum Beispiel in ihrem Bela Kun-Artikel von dessen „Fanatismus“ und „Extremismus“. 165 Daniel Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Berlin 1996, S. 61 – vgl. hierzu: Ernst Nolte: Streitpunkte. Heutige und künftige Kontroversen um den Nationalsozialismus. Berlin 1993, S. 379: „Kaum eine These ruft mehr Zorn und Haß hervor als die, auch der nationalsozialistische ,Antisemitismus' habe einen ,realen Kern' gehabt. Aber wenn man diesen rationalen Kern nicht ebenso ernst nehmen will wie den des nationalsozialistischen Antibolschewismus, so macht man sich an eine unwissenschaftliche Zerstörung der Zusammenhänge und der dogmatischen Konstruktion eines absolut ,Bösen' schuldig.“ 166 Ron Rosenbaum: Die Hitler-Debatte. München 1999, S. 535. 167 Erich Goldhagen: Weltanschauung und Endlösung. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (1976) 24, S. 379. 168 Vgl. hierzu: Klaus Mewes: Goldhagen oder die marxistische Bescheidenheit. In: Marxistische Blätter 1997, S. 82-84, wo festgestellt wird, daß die „Ausrottung des Juden ... bei Hitler zugleich für die Ausrottung des Marxismus“ stand und wo Goldhagen der Vorwurf der „Austreibung der gesellschaftlichen Realität aus der Geschichtswissenschaft“ gemacht wird. 169 Ernst Nolte: Interview mit Politische Studien (1992) 323, S. 5-18 (Zitat: S. 14). 170 Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 1/1930. 171 Gustav Gundlach: Wider den Rassismus. Entwurf einer nicht erlassenen Enzyklika (1938). Texte aus dem Nachlaß. Hrsg. Anton Rauscher. Paderborn 2001. 172 Gerhard Lindemann: „Typisch jüdisch“. Die Stellung der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers zu Antijudaismus, Judenfeindschaft und Antisemitismus. Berlin 1990, S. 81 ff. 173 Pierre-Andre Taguieff: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und sein Double. Hamburg 2000, S. 27. 174 Martin Broszat: Der Staat Hitlers. München 1969, S. 103. 175 Hermann Göring: Aufbau einer Nation. Berlin 1934, S. 90 f. 176 Gustave M. Gilbert: Nürnberger Tagebuch. Frankfurt/M. 1962. 177 Dokumente der Deutschen Politik. Bd. 3. Berlin 1939, S, 3-20. 178 Ebenda, Bd. 4. Berlin 1937, S. 38-53. 179 Ebenda, Bd. 3, S. 7.
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180 Ebenda, Bd. 4, S. 62. 181 Ebenda, Bd. 4, S. 57 f. 182 Ebenda, Bd. 3. S. 14. 183 Deutschlandberichte der Sozialdemokratischen Partei (Sopade) 1934-1940, 2 (1935). Frankfurt/M. 1980, S. 1021. 184 Trials of war criminals before the Nuremberg Military Tribunals under control law no. 10, vol. IV. Washington 1949, S. 339-353. 185 Vgl. hierzu den im Internet stehenden Aufsatz von lan McKinney „The Jewish disproportionate involvement in Communism“ (datiert: July 24, 2000) sowie den von „Radio Islam“ publizierten Beitrag „Die Macht der Zionisten“ von Ahmed Rami. 186 Baden-Baden, Zürich 1998. 187 Norman Cohn: Die Protokolle der ,Weisen von Zion'. Köln 1969, S. 157. 188 Johannes Rogalla von Bieberstein: Die These von der Verschwörung 1776-1945. Flensburg 1992. 189 Ronald Modras: The Catholic Church and Antisemitism in Poland 1933-1939. Chur 1994, S. 91. 190 Die wichtigsten neueren Arbeiten hierzu sind: Helmut Neuberger: Freimaurerei und Nationalsozialismus. Bd. 1.2. Hamburg 1980 (Neuauflage München 2001 unter dem Titel: „Winkelmaß und Hakenkreuz. Die Freimaurer und das Dritte Reich“); Armin Pfahl-Traughber: Der antisemitisch-antifreimaurerische Verschwörungsmythos in der Weimarer Republik und im NS-Staat. Wien 1993; Ralf Melzer: Konflikt und Anpassung. Freimaurerei in der Weimarer Republik und im ,Dritten Reich'. Wien 1999. 191 Hans Adler: Der verwaltete Mensch. Tübingen 1974, S. 60. 192 Hamburg 1921, S. 15. 193 Jacob Katz: Jews and Freemasons in Europe, 1723-1939. Cambridge 1970. 194 So im Januar 1937 in seiner Rede Wesen und Aufgabe der SS und der Polizei, zit. in: Der Prozeß gegen die Kriegsverbrecher. Bd. 29. Nürnberg 1948, S. 229. 195 Léon Poliakov: Geschichte des Antisemitismus. Bd. VII. Worms 1988, S. 136 f. 196 Inprekorr (1922) 238, S. 1725-1726. 197 Hermann Fehst: Bolschewismus und Judentum. Berlin, Leipzig 1934, S. 5. 198 Rudolf Kommoss: Juden hinter Stalin. Berlin 1938,21939. 199 21939, S. 21. 200 Daniel Pipes: Verschwörung. München 1998, S. 205. 201 Gustave M. Gilbert: Nürnberger Tagebuch. Frankfurt/M. 1962, S. 262. 202 Donald L. Niewyk: Socialist, Anti-Semite, and the Jew. Baton Rouge 1971, S. 9: „The identification of Jews and bolshevism was the basic element of Hitler's antisemitism.“ 203 Hans Mommsen: Neues Geschichtsbewußtsein und Relativierung des NS. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (1986) 31, S. 1200-1213 (Zitat: S. 1213). 204 So in der Publikation Unser Wille und Weg, zit. von: Jutta Sywottek: Mobilmachung für den totalen Krieg. Opladen 1976, S. 109. 205 Alfred Rosenberg: Schriften aus den Jahren 1921-1923. München 1943, S. 570. 206 Heinrich Himmler: Geheimreden 1933-1945. Frankfurt/M. 1974, S. 56. 207 Rudolf Heß: Reden. München 1938, S. 136 und 256. 208 Sharman Kadish: Bolsheviks and British Jews. London 1992, S. 12. 209 In: Polin (1996) 9, S. 55(-57). 210 In: Geschichte und Gesellschaft (1991) 17, S. 242-255 (Zitat: S. 242). 211 François Furet und Ernst Nolte: „Feindliche Nähe.“ Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert. München 1998, S. 94. 212 Ossip Flechtheim: Eine Welt oder keine? Frankfurt/M. 1968, S. 88. 213 In: Manfred Behrens und andere: Argument-Sonderband 60: Faschismus und Ideologie 1. Berlin 1980, S. 59. 214 Ernst Nolte: Streitpunkte. Berlin 1993, S. 353: „Hitlers Antimarxismus“. 215 Jean Amery: Widersprüche. Stuttgart 1971, S. 219.
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216 Der Verf. dieses Buches ist als research-Student in London sein Gast gewesen. 217 Francis L. Carsten: Revolutionäre Situationen. Festschrift Fritz Fischer. 1978, S. 388. 218 Peter Lösche: Der Bolschewismus im Urteil der deutschen Sozialdemokratie, 1903-1920. Berlin 1967, S. 257. 219 O.O. 8. April 1920 – ein Exemplar dieser Broschüre befindet sich in der Bibliothek der FriedrichEbert-Stiftung. 220 Alfred Rosenberg: Rede des Reichsleiters am 10. 9. 1936. In: Dokumente der deutschen Politik. Bd. 4. Berlin 1937, S. 78-91 (Zitat: S. 87). 221 Der Jude (1918-1919) 3, S. 11 (Albrecht Hellmann in dem Aufsatz: Die Juden in der Weltpolitik), 222 Ebenda, S. 62-68 (Hermann Glenn: Karl Marx zu seinem 100. Geburtstag). 223 Ezra Mendelsohn: On modern Jewish politics. Oxford 1993, S. 102. 224 Fritz Fischer: Hitler war kein Betriebsunfall. München 1992, S. 176. 225 179 (1920), S. 423-444 (Zitat: S. 423) – der Vf. dieses Beitrags nennt sich Alexander Waldmann – ein Pseudonym? 226 Ebenda, S. 432. 227 Georg Schott: Das Volksbuch vom Hitler. München 1924, S. 105. 228 Ebenda, S. 167. 229 Ebenda, S. 169. 230 Ebenda, S. 175. 231 Milton Himmelfarb: No Hitler, no Holocaust. In: Commentary (1984) 77, 37-43 (Zitat: S. 37). 232 Stuttgart 1974, S. 358. 233 Erich Fromm: Gesamtausgabe. Bd. 7. Stuttgart 1980, S. 362. 234 Adam Rayski: Zwischen Thora und Partei. Freiburg i. Br. 1985, S. 219. 235 So Elias Hurwitz 1919 in seinem Aufsatz: Judentum – Sozialismus – Christentum. In: Neue Jüdische Monatshefte(l9l9)3,S.4U. 236 Simon Wiesenthal: Recht nicht Rache. Erinnerungen. Frankfurt/M. 1988, S. 260. 237 Vgl. hierzu die Schrift des Jesuitenpaters Georg Michael Pachtler: Die internationale Arbeiterverbindung. Essen 1871. Darin erklärt Pachtler den von dem „Juden Dr. Karl Marx“ (S. 6) gegründeten Sozialistenbund für die „furchtbarste Verschwörung in der ganzen Weltgeschichte“ (S. 77 f.). 238 Siegfried Thalheimer: Macht und Gerechtigkeit. Ein Beitrag zur Geschichte des Falles Dreyfus. München 1958, S. 410 f. 239 Rahel Straus: Wir lebten in Deutschland. Stuttgart 1961, S. 225. 240 Stephane Courtois und andere: Das Schwarzbuch des Kommunismus. München 1998, S. 233. 241 Ebenda, S. 24; vgl. Andre Glucksmann: Köchin und Menschenfresser. Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager. Berlin 1978, S. 7. 242 So heißt es auf S. 5 in dem leider nur ins Hebräische (1997) übersetzten und von Yehuda Bauers Vidal Sassoon Zentrum für die Erforschung des Antisemitismus an der Universität Jerusalem geförderten Buch: Ebrei invisibili. I sopravissuti dell’Europa Orientale dal communismo a oggi (Milano 1995) der italienischen Journalisten Gabriele Eschenazi und Gabriele Nissim. 243 William B. Cohen und Irwin M. Wall: French communism and the Jews. In: Frances Malino und Bernard Wasserstein (ed.): The Jews in modern France. Hanover, London 1985, S. 81 ff. (Zitat: S. 98). 244 So heißt es in einem Papier über eine Diskussion zwischen Dany Cohn-Bendit, Andre Glucksmann und französischen Freunden über Solschenizyn, die UdSSR, den Antikommunismus und die westliche Linke, zit. nach: Andre Glucksmann: Köchin und Menschenfresser. Berlin 1978, S. 173. 245 Leonard Schapiro: The role of the Jews in the Russian revolutionary movement. In: Slavonic and East European Review (1961/62) 40, S. 148-167 (Zitat: S. 166). 246 Andre Glucksmann: Die Macht der Dummheit. Frankfurt/M. 1988, S. 12.
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Register erstellt von Tobias Wimbauer
Abendroth, Wolfgang 16 Abern, Martin 109 Abosch, Heinz 144, 216 f. Abraham 121 Abraham, Richard 70 f., 113 Abramowitsch, A. E. 147 Abramowitsch, Martin —› Abern, Martin Abramowitsch, Rafael 198, 216 Abramsky, Chimen 113 Abusch, Alexander 23, 42, 63, 71, 113, 116, 142, 152, 165, 187, 209, 289 Aczel, Tamas 218 Adam 3 6 0 Adler, Friedrich 50 f., 56, 69 f., 169, 176, 179, 202 Adler, Gisa —› Fürstenberg, Gisa Adler, Hans 291 Adler, Max 81, 90, 182, 192, 202, 254, 286 Adler, Viktor 49 f., 110 f., 120, 169, 175, 177, 203, 207 Adler-Rudel, Salomon 112, 288 Adolph, Hans 249 Adorno, Theodor 26 Adrianyi, Gabriel 248 Agurski, Samuel 199 Ahasver 49, 87, 105, 207 Albaz, Jewgenija 205, 216 Albrecht, A. —› Abramowitsch, A.E., Aldermann, Geoffrey 17, 40, 266, 288 Alexander II. 101 Alexander III. 101 Algermissen, Konrad 8, 90, 135 f., 144 Alpári, Gyula Qulius) 148, 151, 203 Alter, Peter 142 Altshuler, Mordechai 23 Amery, Jean 281, 292 Amouroux, Henri 274 Amter, Israel 109 f., 148, 151, 186 Andrew, Christopher 144, 187
Angress, Werner 186, 188, 249 Apfelbaum —› Sinowjew, Grigori Arco auf Valley, Anton Graf 170, 190 Ardelt, Rudolf 69 Arnim, Achim von 31,215 Aron, Raymond 27, 43 Aronovich, Ossip —› Piatnitzki, Josef Aronovich, Ossip 152 Ascher, Abraham 113 Aschheim, Steven 40 Auer, Frank 170 Augustinus, Hl. 65 Austerlitz, Friedrich 73,81,111,190 Avrich, Paul 286 Axelrod, Paul (Pavel) 59-61, 98, 100, 104, 110, 113, 124, 172, 278 Axelrod, Tobias 171 f. Axen, Hermann 210, Ay, Karl Ludwig 190, 249 Babel, Isaak 128, 143, 202, 207 Bach, Johann Sebastian 120 Backes, Uwe 42, 215 Badia, Gilbert 186 Bahr, Ehrhard 71 Bahr, Hermann 40, 49, 69, 178, 237, 249 Bakunin 97, 100, 102 Balabanoff, Angelika 100 f., 113, 131, 145-147 Baldwin, Neu 247 Balfour 179 Balzer, Friedrich Martin 91 Bangha, Bela 87, 91, 265 f., 288 Baron, Salo W. 112 Baron, Samuel H. 70, 113 Bartsch, Günter 286 Baschanow, Boris 69, 74, 88, 215 f., 246 Bauer, Leo 209, 217 Bauer, Otto 85, 178-180, 190 f., 202, 264
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Bauer, Viktor 126 Bauer, Yehuda 5, 22, 34 f., 42, 248, 275, 292 Bauerkämper, Arnd 143 Baumann, Reinhard 190 Baumgart, Winfried 40 6 Bebel, August 50, 58, 60, 62, 82, 108, 110 f. Becher, Johannes R. 71 Beck, Ludwig 30 Beckett, Francis 114, 186 Beek, Gottfried zur —› Müller von Hausen Behrens, Manfred 291 Beier, Gerhard 71 Bell, D.S. 187 Beller, Steven 175, 190 47 Belloc, Hilaire 18, 41, 243 f., 250, 254, 279, 286 Belsazar 136 Ben-Gavriel, Mose Y. —› Hoeflich, Eugen Benario, Leo 167 Benario, Olga 167, 189 Bendersky, Joseph W. 40, 247 Benjamin, Walter 79 f., 89 Bennett, A.J. —› Lipec, David Bentley, Elisabeth 156 Benz, Wigbert 288 Benz, Wolfgang 217 Beradt, Charlotte 71, 143, 188, 249 Bergelson, David 200 Berger, Joseph 2 84 Berger, Viktor 108 f., 114 Bergman, Jay 286 Bergmann, Theodor 143, 186 Berija 210 Beritz, Loren 114 Berkmann, Alexander 108, 114 Berlin, Isaiah 142 Berman, Adolf 191 Berman, Isser 212 Berman, Jakob Qakup) 176, 212, 218 Bermann, Richard A. 255, 286 Bernays, Karl Ludwig 76 f., 265
294
Bernhardi, Friedrich von 119, 142 Bernstein, Aaron 48 Bernstein, Eduard 47 f., 57 f., 60, 68, 70 f., 98, 105, 108, 114, 182, 207, 217, 266, 284 Bernstein, Fritz (Peretz) 221, 246 Besier, Gerhard 87 Bethmann-Hollweg, Theobald von 31, 234 Bettelheim, Ernst (Ernö) 180 f., 183, 240 Bierut, Boleslaw 212 Bikerman, losef M. 144, 219, 246, 264 Birnbaum, Immanuel 190 Bismarck, Otto von 12, 114, 202, 234 Bittelmann, Alexander 148 Blakeslee, Spencer 247 Blank, Alexander (Israel) 112, 214 Blanqui, Louis Auguste 52 Blaschke, Olaf 142 Bleichröder 12,114 Bloch, Ernst 24, 42, 63-68, 71 f., 84, 88, 121, 142, 149, 204, 213 Bloch, Jan Robert 68 Bloch, Karola 67, 72 Bloch, Rosa 151 Blonsky, Jan 248 Blumenberg, Werner 69 Boadella, David 189 Bociurkiw, Bohdan 90, 2 86 Bograd, Rosalia Markovana 98 Bohleben, Werner 44 Böhm, Adolf 13, 40 Borger, Sebastian 42 Borne, Ludwig 34, 89, 278 Borochow, Ber 112 Borries, Achim von 70, 287 Borsanyi, György 71, 192 Bortstieber, Gertrud 64 Bosl, Karl 189 Bostunic, Grigorij —› SchwartzBostunitsch, Gregor Botz, Gerhard 191, 250 Boulanger, Georges 54 Boventer, Hermann 45
Braham, Randolph 242, 250 Brandler 161, 163 Brandt, Heinz 193, 214 Brandt, Peter 217 Brandt, Willy 37, 210 Branting, Hjalmar 50 Braun, Emma 50 Braun, Otto 167, 289 Brauns, Nikolaus 247 Braunstein —› Trotzki Braunthal, Bertha 166 Braunthal, Julius 56 f., 69 f., 142, 177, 183, 188, 191 f. Brecht, Bertolt 166 Breines, Paul 28, 63, 71, 189 Briem, Efraim 72 Brilliant —› Sokolnikow, Grigori Brockdorff-Rantzau, Graf 123 Broder, Henryk M. 272, 289 Broer, Wolfgang 90, 191 Broido, Niessen 99, 157 Bronski, Mieczyslaw 152 Bronstein, Laiba —› Trotzki, Leo Bronstein, Olga 208 Broszat, Martin 272, 289 f. Broué, Pierre 186, 188, 190 Brovkin, Vladimir 88 Brügel, Ludwig 177 Brumlik, Micha 45, 113 Brun-Zechowoj, Walerij 188 Brym, Robert J. 112 Buber, Martin 12, 39, 48, 64, 78, 87, 103, 169, 172, 257, 267, 283, 286, 288 Buber-Neumann, Margarete 189, 286 Bubis, Ignatz 36 Bubnow 130 Bucharin, Nikolai 146, 153, 203 Bucharina, Anna Larina 216 Buckmiller, Michael 88 Buddha, Siddharta Gautama 56, 255 Budjenny, Semjon Michailowitsch 128 Bulz, Emmanuel 69 Bunge, Hans 71 Bunzl, John 89 Buranow, Juri 90
Burgauer, Erica 216 Burks, R.V. 192 Byrnes, Robert F. 69 Cahane, Abraham 109 Calebow, Wolf 42 Calkins, Kenneth 89 Carmichael, Joel 113 Carr, Sam —› Kogan, Shmil Carr, Stephen 44, 288 Carsten, Francis L. 27, 70, 114, 187-189, 250, 281, 292 Cass, Nathan —› Katz, Nathan Caumanns, Ute 40, 215, 246 Caysa, Volker 72 Céline, Louis-Ferdinand 54, 69 Chagall, Marc 133, 143 Chalk, Frank 215 Chamberlain, Houston Stewart 260, 287 Checinski, Michal 248 Christus, Jesus 28, 52, 57, 59, 66, 68, 73, 75, 78 f., 82-88, 135 f., 158, 184, 223, 236, 239, 255, 259, 263 f., 268, 286 Chrustaljow, Wladimir 90 Churchill, Winston 222, 229, 267, 288 Cieplak, Jan 233 Claussen, Detlev 114 Clément Fried, Eugen Clements, Barbara E. 143 Cohen —› Kun, Bela Cohen, Maximilian 109, 112 Cohen, Michael 288 Cohen, Rose 155 Cohen, William B. 285, 292 Cohn 210 Cohn, Norman 18, 34, 41, 44, 77, 278, 291 Cohn, Oskar 157 Cohn-Bendit, Daniel 77, 89, 187, 265, 288, 292 Comay, Joan 43 Comfort, Richard 188 Conquest, Robert 216 Cooper, Leo 248 Cornwell, John 190
295
Cossmann, Paul Nikolaus 76 Coughlin, Charles 227, 247, 268, 288 Courtois, Stephane 156, 187, 192, 292 Cowden, Morton 186 f. Crapez, Marc 53, 69 Criddle, Byron 187 Cunningham 179 Czernin, Ottokar Graf 121,132,143 Daniels, Robert V 186, 215 Danneberg, Robert 149, 186 Daszynski, Ignacy 50, 106 Daviau, Donald 40, 69 Davies, Norman 248 Degen, Bernhard 142 Deich, Max 140 Delmer, Sefton 116, 142 Deutsch, Arnold 155 Deutsch, Ernst Julius 177, 179, 191, 250 Deutsch, Leo (Lev) 98 Deutscher, Isaac 26, 35, 49, 51, 60, 69, 88, 113, 143, 153, 172, 187, 285 Deym, Graf 179 Diamantstein, Semen 75, 133, 202 Diamond, Sander 247, 249 Dibelius, Otto 116 Dickstein, Szymon 105 Dinnerstein, Leonard 247 Dinter, Artur 235 f., 249 Disraeli, Benjamin 56, 107 Dittmar, Peter 290 Döblin, Alfred 93, 112 Dobrogeami-Gherea, Alexandra 107, 148, 202 Dobrogeanu-Gherea, Constantin —› Katz, Nathan Dobroszycki, Lucjan 42 Dohm, Christian 34 Döser, Ute 249 Drabkin, Yakov Davidovich —› Gusew, Sergej L Drachkovitch, Milorad 186 Dreyfus, Alfred 38, 45, 284, 292 Drimmel, Heinrich 241, 250 Dridzo, Solomon A. —› Losowski,
296
Alexander Drumont, Edouard 52 f., 69 Dschingis Khan 161 Dserschinski, Felix 31, 51, 106, 123, 130 f., 137, 139 f., 150, 176, 200, 231 Dserschinski, Sophie 106 Dubnow, Simon 24, 27, 43 Duda, Gerhard 192 Duhr, Bernhard 86 f., 90 f. Dühring, Eugen 53, 69 Dulles, Allen 237 Dutschke, Rudi 157, 187 Dymerskaya-Tsigelman, Liudmila 215 Dziewanowski, Marian K. 218, 248 Eastwood, Granville 69 Eberhardt —› Reiss, Ignaz Eberlein, Hugo 203 Ebert, Friedrich 14, 93, 120, 158-160, 171, 2 3 3 f., 2 56 Eckart, Dietrich 7, 173, 238 f., 249 f. Eggeling, Wolfram 218 Egger, Heinz 186 Ehlen, Thomas P. 247, 288 Ehrenburg, Ilja 85, 91, 200 Ehrenstein, Albert 69, 78, 85, 89, 217, 263 Ehrt, Adolf 246 Eichmann, Adolf 19, 23, 74 Einstein, Albert 57, 83, 167 Eisler, Elfriede —› Fischer, Ruth Eisler, Gerhard 147 f., 150, 155 f., 166, 209, 263 Eisler, Hanns 68, 71, 166, 263 Eisler, Robert 147, 176, 186, 263 Eisner, Kurt 15, 20 f., 25 f., 64 f., 168-170, 174, 189, 190, 226, 235, 237, 260, 262, 286 Eitingdon, Leonid 199 Elbogen, Ismar 113, 242, 250 Elias, Norbert 37, 45 Ellenbogen, Wilhelm 82, 90 Elon, Amos 27, 43, 209 Emel, Alexander 163, 202 f. Emmons, T. 247
Engelmann, Ernst 142 Engels, Friedrich 49 f., 55, 65, 93, 98, 102, 105, 110, 164, 192, 202, 217, 265, 286 Epstein, Fritz 270 Epstein, Jakob 198 Epstein, Klaus 71 Eschenazi, Gabriele 43, 218, 288, 290, 292 Estaigh, Gennady 287 Ettinger, Elzbieta 71, 188 Fechenbach, Felix 21, 41, 169, Feder, Gottfried 173 Fehst, Hermann 3-5, 245, 279, 291 Feigenbaum, Benjamin 108 Fein, Heien 37, 45 Feinberg —› Fineberg, Josef Feintuch, Michel 154 Fellner, Fritz 249 Fels, Joseph 105 Feuchtwanger 237 Feuchtwanger, Franz 249, 262, 287 Feuchtwanger, Lion 89, 249 Fiedler, Leonhard 189 Field, Noel H. 187 Fieseier, Beate 113, 217 Figes, Orlando 90 Fineberg, Josef 147, 150 Fink, Gary M. 114 Finkielkraut, Alain 142 Fischer, Fritz 142, 282, 289, 292 Fischer, Louis 157, 187 Fischer, Rolf 192 Fischer, Ruth 147, 155, 159, 163 f., 166-168, 174, 176, 178-181, 186, 188 f., 191, 236, 238, 240, 263 Fitzpatrick, Sheila 215 Flechtheim, Ossip 56, 70, 143, 280, 291 Fleming, Gerald 272, 289 Flieg, Leo 147, 160, 188, 203 Ford, Henry 17-19, 32, 40 f., 44, 194, 215, 226 f., 247, 279, 282 Ford, John —› Amter, Israel Förster, Rosa 106
Fourier, Charles 52, 56, 69 Franco 227 Frank, Hans 31, 173, 195, 215 Frankel, Jonathan 12, 70, 107, 114, 219, 246 f., 249, 262, 287 Frankel, Siegmund 237 Frantz, Constantin 265, 288 Franz Joseph 184, 288 Freedman, Theodore 217 Frei(stadt), Bruno 66, 178, 191 Freitag —› Piatnitski, Josef Freud, Sigmund 167, 283 Fried, Erich 260, 287 Fried, Eugen 148, 154, 156, 187, 203 Friedjung —› Rubiner, Frieda Friedländer, Elfriede —› Fischer, Ruth Friedländer, Paul 147, 155, 176, 180 f., 203, 240 Friedländer, Saul 270, 272, 28 Friedmann, Max 150 Friedrich d. Große 33 Fritsch, Theodor 220, 246, 282 Fritzsche, Hans 19, 279 Fromm, Erich 56, 70, 283, 292 Frumkin, Esther 75, 202, 206 Fuchs, Eduard 248 Funder, Friedrich 241, 250 Funk, Rainer 70 Furet, François 280, 291 Fürnberg, Louis 76, 79, 89 Fürstenberg, Gisa 203 Fürstenberg, Jakob —› Hanecki, Jakob Gabler, Neal 40 Galen, Clemens Graf 269, 288 Gans zu Putlitz, Wolfgang 44 Gati, Charles 192 Gaulle, Charles de 269 Geifman, Anna 113, 248 Gellner, Ernest 254, 286 Gemkow, Heinrich 114 Gennari, Egidio 146 Georg, Manfred 211 Gerlach, Aurelia 89 Gerlach, Christian 42
297
Germanischkaja, Kathia 51 Gero, Ernö 148 Gerrits, Andre 22, 41, 251 Gerstl, Max 190 Gilbert, Gustave M. 41 f., 290 f. Gilbhard, Hermann 190 Ginsburg, Baron 228 Ginsburg, Samuel —› Krivitsky, Walter Ginsburger, Roger Solomon 154 Gitelman, Zvi Y. 89, 143 f. Gitlow, Benjamin 148 Glaus, Beat 186 Glazer, Nathan 89 Glenn, Hermann 292 Glucksmann, Andre 285, 292 Gminder, Bedrich 148 Goebbels, Joseph 19, 21, 23, 41, 45, 54, 70, 78, 116, 142, 193, 195 f., 205, 215, 269, 276 f., 279, 289 Goethe, Johann Wolfgang von 79 Golczewski, Frank 248 Goldberger, Alexander —› Peters, Josef Goldenberg, Eliezer 97 Goldenberg, Rosalie 182 Goldendach, David Borisovich —› Rjasanow, David Golder, Frank 224, 247 1 Goldfarb —› Peters, Josef Goldfarb, Max —› Lipec, David Goldhagen, Daniel Jonah 22 f., 36 f., 42 f., 45, 270, 275, 290 Goldhagen, Erich 2 75, 290 Goldmann, Emma 108, 114, 140, 229 Goldmann, Michael —› Liber, Mark Goldschmidt, Alfons 83, 90, 257, 286 Goldstein —› Wolodarski, Moisei Goldstein, Bernard 230, 248 4 Goldstücker, Eduard 207, 217 Golos, Jacob 156 Gömbös, Gyula 243 Gomulka, Wladislaw 212 Goodrich-Clarke, Nicholas 39, 215 Gordiewsky, Oleg 144, 187 Gordon, Sarah 271, 289. Göring, Hermann 23, 276, 290
298
Gorki, Maxim 135 Goslar, Hans 25 f., 43, 235, 249 Got, Ambroise 190, 238, 249 Gottfried, W. 90 Grab, Walter 39, 45 Grabenko, Llenja 64 Graefe 235 Graetz, Heinrich 56 Graml, Hermann 251 Green, Nancy L. 113 f., 287 Greenberg, Leopold J. 228, 258 Greife, Hermann 249 Grimm, Reinhold 71 Grimm, Robert 50 Grimm-Schlain, Rosa 148 Groener, Wilhelm 233 Grosser, Alfred 27-29, 43 Grossman, Vasily 274 Grossmann, Henryk 71 Grote, Heiner 70 Gruber, Helmut 190 Grün, David —› Gurion, David Ben Grünberg, Karl 65, 71, 202 f. Grünthaler, Matthias 188 Grzesinski 165 Gubelmann —› Jaroslawski, Emeljan Gulick, Charles A. 191 Gundlach, Gustav 32, 275 f., 290 Gundlach, Paul 87 Guralski, Samuel 15, 147, 160, 162 Gurian, Waldemar 216 Gurion, David Ben 104, 113 Gusew, Sergej I. 147 Guttmann, Josef 148, 211 Haas, Willy 75, 250 Haase, Hugo 78, 89, 118, 120, 234 Habe, Hans 41 Haberer, Erich 112 Hachmeister, Lutz 41 Haffher, Sebastian 143, 172, 190 Haftmann, Werner 143 Hagemeister, Michael 40, 44, 215, 246 Haimson, Leopold 112 f. Hallgarten, George 19
Hamann, Brigitte 190 Hammer, Armand 150, 186 Hammerstein-Equord, Kurt von 164 Hanecki, Jakob 106, 123 f., 202 Hannot, Walter 2 50 Hardenberg 34 Hardie, James Keir 50 Harry —› Robinson, Henri Hartewig, Karin 43, 89, 193, 214, 218 Hartmann, Anneli 218 Hartstein —› Levi, Paul Hatzfeld, Sophie Gräfin 59 Haug, Wolfgang 280 Haumann, Heiko 112 Haustein, Ulrich 113, 248 Hautmann, Hans 175, 190 f., 250 Hay, Eva 2 89 Hay, Julius 187 f., 289 Haynes, John 187 1 Hecker, Alois 143 Heckert, Fritz 146 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 55, 67 Heid, Ludger 249 Heiden, Konrad 19, 41 Heifetz, Abraham –+ Guralski, Samuel Heifisz —› Guralski, Samuel Heimann, Horst 70 2 Heimann, Siegfried 91, 288 Kein, Peter Ulrich 217 Heine, Heinrich 47, 55 f., 59, 68, 70, 77, 79, 83, 85, 136, 265 Heine, Salomon 56 Heinemann, John L. 289, Heller, Agnes 65, 71, 77, 88 f. Hellmann, Albrecht 292 Hellmann, Manfred 144 Helphand, Alexander Israel 24, 55, 62, 70, 99 f., 104, 123, 142, 233 f., 249, 256 Henrix, Hans-Hermann 287 Hensel, Hans M. 70 Herberg, Will 286 Heresch, Elisabeth 144 Hering, Sabine 188 f., 191 6 Herman, Istvan 64, 71
Herman, Lazar —› Lania, Leo Hermlin, Stefan 167, 189, 208, 213 Hertzberg, Arthur 11, 39, 48, 69, 136, 144, 193, 207, 214, 217 Herve, F. 113 Herwarth, Hans von 43 f. Herzer, Manfred 90, 189 Herzl, Theodor 24, 42, 49, 207, 217 Herzog, Chaim 9 Herzog, Roman 9 Hess, Moses 7, 12, 34, 48, 50, 54 f., 58, 67, 69 f., 193, 259, 278 Heß, Rudolf 173, 249, 280, 291 Heuss, Theodor 31 Heydrich, Reinhard 31, 74 Heym, Stefan 213 Hielscher, Karla 216,218 Hilberg, Raul 74, 88, 275 Hilferding, Rudolf 176, 191 Hillkowicz, Morris —› Hillquit, Morris Hillquit, Morris 109, 114, 225, 247 Himmelfarb, Milton 21, 283, 292 Himmler, Heinrich 11, 31, 74, 88, 278, 280, 291 Hindus, Milton 114 Hirsch, Helmut 69 f., 77, 89, 265, 288 Hirsch, Moritz Baron 32 Hirsch, Werner 165, 189, 203 Hirschel, Hans 3 2 Hirschfeld, Magmis 83, 90, 167, 189 Hirte, Chris 189, 249 Hitler, Adolf 3, 6 f., 18-23, 29-31, 38-45, 74, 76, 88, 115-117, 142, 149, 162, 174, 190-192, 194 f., 200 f., 203-205, 215-217, 227, 238 f., 245, 247, 249-251, 268, 270-274, 282-284, 289-292 Hitzer, Friedrich 190 Hobsbawm, Eric 143, 187, 269, 288 Höchberg, Karl 47, 60 Hoeflich, Eugen 15, 40, 206 f., 217, 241,250 Hoensch, Jörg 45 Hoffmann, Joachim 246 Hoffmann, Johannes 171 f., 174
299
Hoffmann, Michael 45 Hoffrnann-Holter, Beatrix 19l Hofmannsthal, Hugo von 89, 250 Höhne, Heinz 41,215 Holbach 55 Holitscher, Arthur 213, 218, 257 f., 286 Höllriegel, Arnold –> Hermann, Richard A. Holz, Hans-Heinrich 40 Homer, Annie 267, 288 Horowitz, Donald L. 274, 290 Horthy 160 Horwirt, Maksymilian—› Walecki, Henryk Höß, Rudolf 42, 74 Höver, Ulrich 41, 70 Huber, Peter 186 f. Hug, Heinz 90 Hunczak 144 Hurten, Heinz 216 Hurwitz, Elias 270, 289, 292 Hütten, Kurt 89 Ichak, Frieda —› Rubiner, Frieda Idelson, Rosali 97 Iwanow, Anatoli 217 Izgoev —› Lande, Alexander Solomonovic Jacke, Jochen 141 Jacob, Benno 244 Jacob, Mathilde 157, 166, 187 Jaffé, Edgar 168 Jagoda, Genrich 139, 198, 202 Janka, Walter 71 Jaromir 178 Jaroslawski, Emeljan 75, 81 f., 135, 263, 268 Jasper, Gotthard 41 Jaurès, Jean 50, 118 Jeanne d'Arc 62 Jellinek, Adolf 264 Jena, Detlef 113 Jens, Walter 67 Jeremias 66, 191
300
Jérôme, Jean —› Feintuch, Michel Jesaja 66 Jirowetz, Franz —› Bettelheim, Ernst (Ernö) Joachimsthaler, Anton 190 Joffe, Adolf 95, 104, 127, 131, 157, 172, 203, 221, 233 Joffe, Nadeschda 143 Jogiches, Leo 59, 61 f., 95, 97, 102, 106, 110, 112, 139, 158-160, 165, 187 Johannes 37 Jonassohn, Kurt 215 Josef 79 Jost, Hans Ulrich 186 Judas 184, 236 Jungk, Robert 149, 155, 187 Jurowski, Chaimowits 81, 102, 136, 140, 220, 222 Kadarkay, Arpad 71, 192, 250 Kadish, Sharman 40, 186, 228, 245, 247 f., 251, 280, 287, 291 Kafka, Franz 17, 40, 75, 253, 286 Kafka, John S. 44 Kaganowitsch, Lasar 26-28, 197, 199, 276 Kahan, Stuart 28, 43 Kahane, Vìlem 186 Kahn, Fritz 83, 90, 266, 288 Kahn, Harry 171 Kahn, Stuart 216 Kamenew, Leo 49, 130 f., 135, 147, 197, 202 Kane, Leon 186 Kannegießer 138 Kantorowicz, Alfred 126, 143, 167, 213 Kaplan, Fanny 128 Karl 178 Károlyi 183 Karski, Julian —› Marchlewski, Julian Kasimir d. Große 94 Katz 215 Katz, Iwan 163 Katz, Jacob 44, 291 Katz, Nathan 107
Katzburg, Nathaniel 185 Kaufmann, Bern 187 Kaupp, Peter 69 Kautsky, Karl 48-50, 60, 68, 98, 105, 110, 113 f., 118, 139, 202, 248 Kedourie, Elie69, 214 Keller, Fritz 216 Kempner, Robert 189 Kennan, George F. 115 Kershaw, lan 270,289 Kessler, Harry Graf 233, 248, 2 54, 2 86 Keßler, Mario 186, 249 Kidston 16, 228 Kilian, Achim 44 Kippenberger, Hans 164, 203 Kirkpatrick, Ivone 113 Kirow 216 Kisch, Egon Erwin 38, 177, 191, 240, 250, 259 Klanska, Maria 189 Klatzkin, Jakob 74, 88, 214 Klausa, Ekkehard 44 Kleber 188 Klehr, Harvey 187 Kleine, August —› Guralski, Samuel Klemperer, Victor 171, 173, 190 Kleßmann, Christoph 215 Klier, John D. 113 Klönne 217 Knipping, Franz 290 Knoblauch, Heinz 187 Koch, Hannsjoachim W. 188 Koch-Baumgarten, Sigrid 40, 188 Kocka, Jürgen 45 Koenen, Gerd 216-218 Koestler, Arthur 7, 24, 42, 81, 90, 167, 201, 216, 250 Kogan, Shnil 156, 187 Kogon, Eugen 88 Köhler, Wolfram 249 Kohlmann, Litzi 155 Kohn —› Kun, Bela Ko(h)n, Felix 147 Kohn, Hans 117, 142 Kohn, Mov 182
Kohn-Eber, Michael 180, 240 Kolakowski, Leszek 70 Kolb, Eberhard 248 Komjat, Iren 186 Kommoss, Rudolf 3-5, 205 f., 217, 279, 291 Kon, Felix 106,231 Konstantinow, Dimitry 89 Kopelew, Lew 201, 204, 216, 258, 287 Köpke, Wolf 89 Körber, Robert 246 Koritschoner, Franz 147, 151, 176-178, 180,203,240 Kovrig, Bennett 250 Kracauer, Siegfried 66, 72, 270, 289 Krasnow, Petr Nikolaevic 222 f., 246 Krasnow, Vladislaw 246 Krasny, Josef 150, 186 Kraus, Karl 88, 90, 240, 250 Krebs, Richard 188 Kreiler, Kurt 190 Kriegel, Annie 156, 187 Krivitsky, Walter 6, 153 f., 187, 202 Kronenberg, Volker 2 89 Krupskaja 136 Krutikov, Mikhail 287 Kuczynski, Jürgen 30, 42-44, 202, 213, 216,218 Kugelmann, Louis 56 Kulka, Otto D. 44 Külow, Volker 216 Kun, Bela 7, 14 f., 17, 26, 64, 71, 85-87, 146 f., 151, 153, 160 f., 168, 178, 180-185, 188, 191 f., 194, 202 f., 207, 213, 220, 227, 229, 235, 240-243, 258 f., 263, 265, 268, 275 f., 290, Künzli, Arnold 69 Kurz, Thomas 189 Lachmann, Hedwig 190 Lademacher, Horst 143 Lamm, Hans 190, 249 Landau, Ronnie 16, 40, 271, 289 Landau, Grigori 219 Landauer, Gustav 7, 12, 47, 64,
301
168-170, 172, 189, 237, 259, 262, 267 Lande, Alexander Solomonovic 257 Lania, Leo 168, 177 f., 184, 189, 191 f., 206,217 Lanzmann, Claude 22 Lapide, Pinchas 287 Lapinski, Pawel 124 Lappin, Eleonore 286 Laqueur, Walter 27, 41 Larin, Michael —› Emel, Alexander Laska, Bernd A. 189 Laski, Harold 51, 69 Lassalle, Ferdinand 12, 47 f., 53, 55-60, 70, 83, 97, 100, 105, 111-113, 193,. 202, 208, 257, 259, 262 Laugwitz, Uwe 69, 217 Lavrov, Peter L. 97 Lazitch, Branko 144, 186-188 Lebzelter, Gisela C. 248 Leggett, George 144 Legien, Karl 93 Lemberg, Eugen 142 Lendvai, Paul 212, 217 f. Lene —› Jacob, Mathilde Lengyel, Joszef 91, 192 Lenin, Wladimir Iljitsch 7,14, 24, 49, 59, 62, 64 f., 67, 71 f., 75, 79, 82, 87, 89 f., 98-105, 109-116, 119, 122-126, 128, 130-132, 136, 138 f., 141, 144-146, 150-153, 159, 168-172, 176, 179, 180-185, 187, 200, 202 f., 208, 214, 217, 223, 233, 236, 238, 242, 253-258, 282, 286 Leonhard, Rudolf 125 Leonhard, Wolfgang 89, 143 Leonhard, Susanne 71 Lerner, Max 287 Lerner, Michael 121, 259 0 Lerner, Warren 142 Leschnitzer, Franz 89 88 Leske, Wolfgang 249 Lessing, Gotthold Ephraim 55 8 Lessing, Theodor 57, 70, 142, 261, 287 Levene, Mark 40 Levi —› Lenin
302
Levi, Paul 62, 71, 123-125, 143, 147, 158-161, 166, 168, 181, 188, 201, 234, 249 Levin —› Lewien, Max Leviné, Eugen 99, 113, 127, 147, 157, 159, 168, 171 f., 188-190, 235, 237 f. Leviné, Mark 248 Leviné, Rosa —› Meyer-Leviné, Rosa Lévy, Bernard-Henry 80, 90 Lévy, George 147, 151 Lévy, Oscar 85, 91, 263 Lévy, Robert 43, 114, 218, 287, 289 Lewien, Kurt 151 Lewien, Max 171-174, 203, 235, 237 f. Lewin, I.O. 24, 221 Lewinsohn, Felix 148 Lewis, Flora 187 Lewison —› Lapinski, Pawel Lewy, Guenter 217 Ley, Michael 289 Liber, Mark 51, 106 Licharz, Werner 287 Lichtenstein 30 Lichtenstein, Heiner 40 Lichter, S. Robert 77, 183 Liebermann, Aron Samuel 56, 97 f., 105, 258 Liebknecht, Karl 17, 50, 54, 61, 84 f., 99, 102, 124, 127, 157-160, 172, 178, 184, 234, 243, 278 Liebknecht, Sophie 61, 99 Liebknecht, Wilhelm 50, 58, 82, 98 Liebmann, Arthur 247 Liebstein, Jacob —› Lovestone, Jay Lifschitz, Boris —› Souvarine, Boris Lifschitz, Malka —› Frumkin, Esther Lincoln, Abraham 265 Lindemann, Gerhard 290 Lipec, David 146 f., 155 Lipset, Seymor M. 247, 288 Lissauer, Ernst 120 Litwinow, Maxim M. 135, 230, 248 Loening, Carl Friedrich 56 London, Meier 108 Longerich, Peter 14, 40 f.
Lösche, Peter 249, 292 Losowski 186 Losowski, Alexander 109, 147, 202 Losowski, Salomon A. 148 Lovestone, Jay 148 Löw, Konrad 42, 89 Löwe, Heinz-Dietrich 113 Löwenthal, Leo 57 f., 70 Löwenthal, Zacharias —› Loening, Carl Friedrich Löwinger, Georg —› Lukácz, Georg Löwinger, Josef —› Lukácz, Josef Luban, Ottokar 187, 248, 286 Lübbe, Peter 186, 188 Ludendorff, Erich 162 f., 169 Lüder, Wilhelm 276 Ludewig, Hans-Ulrich 40, 188 Ludwig —» Reiss, Ignaz Lukacs, John 41, 244, 2 51 Lukácz, Georg 63-67, 71, 77, 81, 89 f., 148 f., 182, 184-186, 192, 202, 204, 209, 242 f, 250, 278 Lukácz, Josef 64 Lukas, Richard 248 Luks, Leonid 141, 206, 215, 217 Lunatscharski, Anatoli 68, 130, 133, 136, 144, 254 Lurje, Moses —› Emel, Alexander Lustig, Arno 30 Lustiger, Arno 45, 215 Lustiger, Jean-Marie 26, 43 Luther, Martin 56, 210 Lüthi, Urs 246 Luxemburg, Rosa 17, 21, 26, 59-64, 67, 69-71, 80, 84 f., 89 f., 93, 95, 97, 99, 102, 104, 106, 109, 112 f., 117, 119-121, 124-126, 130, 139, 142 f., 145, 150, 157-160, 165 f., 172, 178, 184, 188, 208, 216, 229, 234 f, 243, 248, 255 f., 258, 272, 278, 286 Lyandres, Semion 216 Machiavelli 219 Mac Donald, Kevin 217 Mählert, Ulrich 189,216
Maier, Hans 286 Malino, Frances 187, 292 Mallmann, Klaus-Michael 190 Maltzan, Maria Gräfin 32 Mandel, Josef 148 Mandelstamm, Ossip 202 Mann, Heinrich 195, 215 Mann, Katja 174 Mann, Thomas 174, 190, 195, 215 Manuilski, Dmitri 153 Marchlewski, Julian 106, 139, 231 Marcus, Joseph 248 Marcuse, Herbert 63, 149, 187 Margolina, Sonja 28, 43, 45, 111, 114, 132, 143, 206, 215, 217 Maria 135, 184, 192 Mark, Hans 213 Markisch, Perez 200 Markow, Nikolaj 105 Markun, Silvia 72 Marmorstein —› Alpári, Gyula 0ulius) Mars 117 Marshall, Louis 225 Martin, Bernd 112 Martow, Julius 95, 104, 113, 119, 124, 204 Marx, Eleonore 26, 43 Marx, Heinrich 34, 55 Marx, Karl 12 f., 23, 26, 28, 34, 37, 39, 42, 47-50, 53-60, 62 f., 65-70, 72, 77, 79, 82 f., 85, 89, 97, 101 f., 108, 111, 114, 117, 126, 128, 164, 167, 182, 184, 191 f., 202, 207 f., 210, 216 f., 228 f., 242, 247, 253 f., 257, 259, 262, 265, 267, 272, 278, 281-283, 286, 292 Maser, Werner 89 f., 190 Maslow, Arkadi 147, 151, 155, 163 f., 186-188, 203 Massing, Hede 155, 187 Massing, Paul 114 Mattioli, Aram 112 Mattiopoulos, Margarita 217 Maurach, Reinhard 277 Maurer, Trude 249 Max —› Radek, Karl
303
Maximow —› Friedmann, Max Mayer, Arno 35 f., 41, 45, 215 Mayer, Gustav 93, 112 Mayer, Hans —› Amery, Jean Mayer, Hans 188, 213 Mayr, Karl 174 Mazeh, Jakob 11,136 0 McAfee Brown, Robert 287 McCagg, William O. 250 McCullagh, Francis 144 McDonald, Ramsay 50 McKinney, lan 247, 291 McNeal, Robert 215 Mechlis, Lev 197 f. Meijer, Jan M. 144 1 Meir, Golda 104, 113 Melcher, Gilbert 180 Melgunow, Sergej P. 138 f., 144, 256, 286 Melzer, Ralf 41, 2 91 Mende, Hersch 204, 216 Mendelsohn, Ezra 274, 282, 290, 292 Mendelson, Stanislaw 105 f. Mendelssohn 105 Mendelssohn, Moses 210 Mephisto 48 Mereschkowskij, Dmitrij 8, 253, 286, 290 Meroy, Tibor 218 Martins, Silke 70 Merz, Kai-Uwe 144, 248, 286, 289 Messing, Stanislaw 139 f. Messmer, Matthias 42, 143, 214, 216 Mewes, Klaus 42, 290 Meyer, Ernst 124, 12 7, 157 Meyer, Martin 190 Meyer, Peter —› Guttmann, Josef Meyer, Thomas 70 f. Meyer zu Uptrup, Wolfram 190 Meyer-Leviné, Rosa 99, 113, 157, 159, 166, 168, 187 f., 190 Meyerhold, Wsewelod 202 Michaels, Shlomo 200 Michels, Robert 47 f., 68 Michels, Tony 261
304
Mielke, Erich 164, 213 Mihalyhegyi, Andras 192, 250 Mildenstern 18 Millerand, Alexandre 50 Mirow-Abramow, Jakob 153 f., 156, 187,202 Mitchell, Allan 190 Mlot, Jan —› Dickstein, Szymon Modras, Ronald 291 Mögenburg, Harm 188 Mohammed 56, 255 Mohrmann, Walter 42, 114 Möller, Dietrich 187 Moltmann, Bernhard 42 Mommsen, Hans 279, 291 Monz, Heinz 69 Morais, Fernando 189 Morton, Frederic 70 Morton, MarianJ. 114 Morus 13 4 Moses 7, 13, 47, 56 f., 63, 69 f., 83, 114, 195, 201, 217, 238, 243, 247, 254, 259 Moses 202 Moskwin, M.A. —› Triliser, Michail Mosse, George L. 19 f., 41, 192 Mosse, Rudolf 20 Mosse, Werner E. 89, 142 f., 249 Mühlmann, Wilhelm 258, 287 Mühsam, Erich 78, 83-85, 90, 158, 168-170, 173, 189 f., 237, 249 Müller, Jerry Z. 21, 221, 246, 286 Müller, Angelika 249 Müller, Reinhard 189,214 Müller, Richard 188 Müller, Walter 44 Müller von Hausen 41 Müller-Hill, Benno 289 Muschkat, Sofja 106 Musial, Bogdan 274, 290 Mussinghoff, Heinz 288 Mussolini, Bennito 100, 113, 146, 227, 244 Na'aman, Shlomo 69 f., 112 f. Nagler 180
Napoleon 29, 171 Natanson, Mark 97, 124, 137 Nedava, Joseph 113, 144, 247, 287 9 Netschajew 102 Neuberg, A. —› Neumann, Heinz Neuberger, Helmut 41, 291 Neumann, Heinz 147, 151, 164 f., 167, 189,203 Neurath, Konstantin von 272 Neusüss, Arnhelm 286 Niekisch, Ernst 171, 190 Niendorf, Mathias 40, 215, 246 Niessen —› Leviné, Eugen Niewyk, Donald L. 291 Nikodim 90 Nikolaus II. 102, 105, 136, 140, 144, 222 Nilostonski, Robert 223 f., 235, 246 Nilus, Sergej 246 Nimtz, Walter 71,91,188 Nissim, Gabriele 43, 218, 288, 290, 292 Nitti, Francesco 16 Nödinger, L 113 Noll, Chaim (Hans) 28, 43, 205, 209, 216 f. Nolte, Ernst l, [3-10], 143, 188 f., 215, 249, 272, 275, 281, 289-291 Nora, Pierre 34 Norden, Albert 80, 90, 209 f., 217 7 Norden, Josef 210 North, David 42 Noske, Gustav 158, 170, 177 Nötges, Jakob 87, 268 Novick, Peter 37, 42, 45 O'Flaherty, Liam 197, 215 Oncken, Hermann 70 Oppenheim 170 Oppenheimer, Franz 5, 93, 104, 113, 122 Orel, Anton 241 Orland, Nachum 215 Otto —› Deutsch, Arnold Pacelli 8, 173
Pachtler, Georg Michael 292 Panne, Jean-Louis 186 Paquet, Alfons 29 Parrish, Michael 90, 216 Parvus —› Helphand, Alexander Israel Patka, Marcus 191, 250 Pauker, Ana 27, 43, 107, 114, 148, 210, 218,260,287,289 Pauker, Marcel 107, 114, 148, 200, 202 Paul, Robert—› Poliakov, Leon Paulus 238, 282 Pepper, John —› Pogány, Josef Perrault, Gilles 187 Pesch, Sybille 50 Pestalozzi, Graf 17 3 Peter, Lothar 91, 143, 287 Peter d. Große 200 Peters, Josef 148, 155 Petrovsky 187 Petrovsky, D. —› Lipec, David Petrow, Nikita 144, 216 Pevsner, Nikolaus 27 Pfabigan, Alfred 88, 90, 250 Pfahl-Traughber, Armin 34, 39 f., 291 Pfoser, Alfred 192 Phelps, Reginald 289 Philby, Kim 155 Philliops, Hugh D. 248 Piatnitzki, Josef 147, 152, 154, 187 Piatnitzki, Ossip 202 Pieck, Wilhelm 165 Pilsudski, Josef 122 Pinkus, Theo 149, 186 Pipes, Daniel 41, 291 Pipes, Richard 11, 39, 220, 246, 280 Pius IX. 88 Pius XII. 190 Planck, Max 273 Platten, Fritz 50, 123, 203 Plechanow, Georg 50, 59, 61, 70, 98, 110,113 Plekhanow —› Plechanow, Georg Plewnia, Margarete 249 f. Pobedonoscev, Konstantin 101, 113 Pogány, Josef 15, 147, 151, 160, 184 f.,
305
187, 202, 243 Pohl, Klaus-D. 90, 250 Pol, Kaethe 166 Poliakov, Leon l, 11, 28 f., 34 f., 43 f., 221, 246, 290 f. Polonsky, Antony 248 Pool, James 40 Popper, Karl 27, 37 f. Poretsky, Elisabeth 186 Powers, Richard Gid 40, 247 Prager, Dennis 273, 289 f. Prekerova, Teresa 264 Pross, Harry 142 Proudhon, Pierre Joseph 52 Przywara, Erich 87 Raab, Earl 247, 288 Rabinowitsch, Lydia —› Pol, Kaethe Radek, Karl 29, 41, 54, 81, 83, 89, 99 f., 106, 116, 121, 123-125, 127, 131, 138, 142, 145-148, 152 f., 155, 158-160, 162, 166, 168, 176, 181 f., 186 f., 195, 197, 201-203, 206 f., 213, 221, 233-236, 243, 255-258, 265 Radkau, Joachim 216 Radomyslski —› Sinowjew, Grigori Rafes, Moisei 147 Rahbinson, Ana —› Pauker, Ana Rákosi, Mátyás 148, 185, 192, 210, 212 Rami, Ahmed 291 Rapoport, Louis 12, 47, 49, 69, 144, 215 f. Rappaport, Moritz 15 f., 249 Rappoport, Charles 101, 110, 113 f., 147, 149, 151, 186 Rasky, Bela 90 Rathenau, Walter 16, 115, 141 Rauch, Georg von 114 Rauscher, Anton 290 Rayski, Adam 283, 292 Reddaway, Peter 72, 286 Redlich, Josef 237, 249 Reese, Hartmut 217 Reich, Jakob (James) 147, 153, 160, 187 Reich, Wilhelm 155, 167, 189
306
Reich-Ranicki, Marcel 217 Reif, Adelbert 72 Reilly, Sidney 156 Reimann, Viktor 288 Reinalter, Helmut l, 44, 248 Reingold, Isaak 202 Reinhardt, Ernst —› Abusch, Alexander Reiss, Ignaz 154, 186, 202 Rembrandt 208 Remmele, Hermann 165, 203 Rengstorf, Karl H. 248 Renner, Karl 50, 85, 178 f. Revai, Josef 148 Ribbentrop, Joachim von 195 Richardi, Hans-Günther 41 Rindl, Peter 186 Rittersporn, Gabor T. 197, 215 Rjasanow, David 65, 104, 147, 201-203, 207, 216 Robespierre, Maximilien de 64, 182 Robinson, Henri 154 Roebuck, C.M. —› Rothstein, Andrew Rogalla von Bieberstein, Johannes 3-5, 7 f., 10, 43 f., 215, 248, 291 Rogalla von Bieberstein, Ludwig 33 Rogalla von Bieberstein, Margarete 2 Rogowin, Wadim S. 214 Röhl, Klaus Rainer 189 Röhm, Ernst 30 Rolland, Romain 89 Romanow, Sergej 62, 102 Romberg, Otto R. 40 Römer, Ruth 72 Ropp 232 Rosen, Zwi 70 Rosenbaum, Ron 42, 290 Rosenberg, Alfred 18 f., 31, 173, 220 f., 238, 246, 280 f., 291 f. Rosenberg, Arthur 101, 113, 147, 151, 163 f., 166, 188 f. Rosenberg, Leo 81, 103 Rosenblum, Sigmund —› Reilly, Sidney Rosenfeld —› Kamenew, Leo Rosengolz, Arkadi 200, 203 Rosenkranz —› Rákosi, Mátyás
Roth —› Rákosi, Mátyás Roth, Leo 164, 189, 203 1 Roth, Joseph 95, 112, 117, 134, 142 f. Rothenhäusler, Paul 216 Rothman, Stanley 77, 89, 158, 183, 187 Rothschild 53, 56, 70 Rothschild, Guy de 107 Rothschild, James 56 Rothschild, Lionel de 229 Rothschild, Recha 166, 189 Rothstein, Andrew 147, 150 Rothstein, Theodor (Feodor) 109, 150 Rothziegel, Leo 177-179, 240 f. Rotstadt, Josef —› Krasny, Josef Rousseau, Jean-Jacques 55 Rubenstein, Joshua 216, 218 Rubiner, Ludwig 142 Rubiner, Frieda 26, 125, 143, 147, 151 Rubinstein —› Reich, Jakob (James) Rubinstein, William D. 262, 287 Rudioff, Michael 90 Rudolph, Karsten 188 Ruppin, Arthur 48, 68, 95, Russell, Bertrand 102, 113, 255 Rütgen, Herbert 191, 250 Ryder, Arthur J. 190, 249 Ryss 61 Sachs, A. 226, 260 Saint-Just 171 Saint-Simon, Claude Henri de 52 Salazar 227 Salzmann —› Slansky, Rudolf Sarna, Jonathan 247 Sassulitsch, Vera 61, 98 Sauer, Klaus 217 Schachenmayer, Helmut 189 Schade, Franz 190 Schafarewitsch, Igor 90 Schapiro, Leonard 27, 71 f., 90, 215, 285 f., 292 Scharlau, Winfried 70, 142 Schatz, Jaff 13, 40, 218 Schatzkin, Lasar A. 147 f. Scheidemann, Philipp 93, 171, 178, 234
Schelsky, Helmut 72 Schilde, Kurt 188 f., 191 Schlamm, Willi(am) S. 77, 89, 163, 188, 260 Schlecht, Paul 163 Schlögel, Karl 43, 143, 246, 286 Schloß, Rolf W. 186 Schmid, Carlo 57, 70 Schmitz, Oskar 262 f. Schmölze, Gerhard 189, 249 Schnitzler, Arthur 178, 191 Schoeler, Uli 42 Scholem, Emmy 73 Scholem, Gershom (Gerhard) 21, 73, 88 Scholem, Werner 21, 41, 73, 147, 163, 203 Schor, Ralph 215 Schott, Georg 282, 292 Schröder, Joachim 114 Schrupp, Antje 112 Schüddekopf, Otto-Ernst 141 f. Schueler, Hermann 41 Schulenburg, Friedrich Werner Graf von der 44 Schulin, Ernst 112 Schulz, Uwe 217 Schutt, Peter 88 Schüttler, Hermann 44 Schwartz-Bostunitsch, Gregor 11, 39, 195 Schwarz, Isaak 140 Schwarzschild, Leopold 9, 204 Sedgwick, Peter 40 Seeckt 161 Seghers, Anna 208 f., 217 Seidemann, Maria 112 Seidler, Franz 250 Seitz 178 Selikson-Bobrowskaja, Z. 143 Serge, Viktor 40, 153 Serrati 100 Seton-Watson, Hugh 217 Shatskin 186 Shepherd, Naomi 89, 217 Shohan, Giora S. 288
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Shuldiner, David P. 114, 247 Siegler, Bernd 218 Silberner, Edmund 43, 69-71 Simmel, Georg 66 Simon, Gerhard 113 Singer —› Gero, Ernö Singer, Isaac B. 28, 35, 38, 43, 45, 214, 232, 248 Singer, Ladislaus 288 Singer, Paul 111,114 Sinkó, Ervin 7, 85 f., 91, 182, 192, 207, 217, 250, 287 Sinowjew, Grigori 14, 26, 41, 49, 69, 100, 102 f., 116, 123 f., 130 f., 135, 137 f., 145-148, 153, 155, 161 f., 165, 197, 200, 203 f., 208, 220, 223, 235, 256 Six, Franz Alfred 19, 41 Skorkin, Konstantin 144, 216 Slansky, Rudolf 209, 210 f., 213 Smaldone 191 Smith, Wilfred Cantwell 2 54, 2 86 Sobelsohn, Karl —› Radek, Karl Sokolnikow, Grigori 130 f., 147, 203 Solonewitsch, Iwan 196, 215 Solschenizyn 292 Solts, Aron 203 Sombart, Werner 119, 144 Sonderegger, Hans-Uehli 216 Sontzoff, Sophie von 58 f. Sorin, Gerald 70, 114, 247 Souvarine, Boris 110, 146 f., 149, 186 Spartakus —› Weishaupt, Adam Sperber, Manès 12, 39, 181, 191 f., 200, 204, 263, 288 Speth, Rudolf 290 Spier, Samuel 58, 70 Spinoza, Benedictus (Baruch) de 57 Spira, Fritz Jacob 86 Spira, Leopold 250 Spira, Steffie 86, 91 Stadier, Karl 188 f. Stadtler, Eduard 288 Stalin 3, 6, 12, 27, 43-45, 65 f., 68 f., 71, 74, 80, 85-89, 103, 107, 109 f., 115 f.,
308
118, 124, 128, 130 f., 134, 138, 141, 143 f., 149, 154 f., 161, 163-165, 185-189, 191, 193-195, 197-207, 209-212, 215-218, 227, 246, 274, 279, 284 f., 291 Stampfer, Friedrich 111, 159 Stauffenberg, Graf 44 Steger, Gerhard 90 f., 287 Stehle, Hansjakob 190 Steinbach, Peter 44 Steinberg, Isac 137, 144 Steinberg, Maxime 12, 39, 253, 286 Steinthal 288 Stephan, Werner 248 Stern, Carola 142 Stern, Fritz 12, 39, 42, 114 Stern, Leo 188 Stern, Lazar 162 Stern, Manfred (Moses) 162, 188, 203 Stern, Viktor 80, 89, 151 Sternhell, Zeev 52 f., 69, 71 Stettier, Peter 186 Stites, Richard 112 Stolper, Frau 31 Stolper, Gustav 31, 44 Stolper, Toni 44 Strobel, Georg W. 69, 71, 113, 216, 286 Strasser, Otto 116, 141 Straus, Rahel 284, 292 Streit, Christian 280 Strelka, Joseph 192 Striefler, Christian 189 Stürghk, Graf 169 Süle, Tibor 186 Süßkind, Heinrich 165, 201, 203 Swerdlow, Jakob 51, 130, 135 f., 139, 143, 198, 222 Sywottek, Jutta 40, 291 Szabo, Erwin —› Szontagh, Ernö Szajkowski, Zosa 40, 251 Szamuely, Tibor 184 f., 192, 220, 242 f. Szapiro, Nathan 147 Szatmari, Eugen 192, 250 Szczesniak, Boleslaw 90, 287 Szimai, M. 191
Szontagh, Ernö 182 Taguieff, Pierre-Andre 53, 69, 290 Talmon, Jacob Leib 6, 22, 41, 76, 89, 102, 113, 264, 271, 288 Taras 144 Tchemerinsky, Isaak —› Maslow, Arkadi Telushkin, Joseph 273, 289 f. Thalheimer, August 124, 147, 158, 160 f., 163-165 Thalheimer, Bertha 124 Thalheimer, Siegfried 38, 45, 284, 292 Thälmann, Ernst 163, 165 Thanassekos, Yannis 39, 286 Tharaud, Jean 192, 250 Tharaud, Jérome 192, 250 Theilhaber, Felix 47 Thoma, Clemens 287 Thomas —› Reich, Jakob (James) Thomas, Andreas M. 90 Tichon 136 Tiedemann, Helmut 144 Timmy —› Golos, Jacob Tobias, Henry 69 Tökes, Rudolf L. 192 Tokody, Gyula 249 Toland, John 192 Tolbuchin 188 Toller, Ernst 168, 170, 172, 190, 236 f., 262 Toller, Willy 170 Toman, Karl 180 Tomasic, Dinko A. 114 Toranska, Teresa 191, 218 Totok, William 114 Toury, Jacob 12 Toussenel, Alphonse 52 f. Toynbee, Arnold Joseph 69, 254, 257, 286 Trachtenberg, Alexander 109, 148 Traverso, Enzo 261, 287 Treitschke, Heinrich von 265 Trepp, Leo 247 Trepper, Leopold 6, 15, 40, 154, 203, 208, 213, 216 f, 230, 267
Trilisser, Michael (Meier) A. 141, 147, 152,203 Trotzki, Leo 3, 6, 11, 15, 17, 21, 24-26, 28 f., 35, 40, 49-51, 55, 59 f., 63, 69, 74, 81 f., 84, 87 f., 99 f., 102, 104, 113, 118, 122-124, 130 f., 134-139, 141, 143-147, 153, 159, 162, 164, 169, 170-172, 176, 181, 184, 194, 197, 199, 202 f., 206, 208, 214, 220, 223, 225-229, 231 f., 235 f., 243, 247 f., 254-256, 260, 265, 268, 275, 279, 282, 286 f. Tsigelman, Yaakov 217 Tuchatschewski, Michael 131, 203 Tuchel, Johannes 41 Turati, Filippo 50 Tyszka —› Jogiches, Leo Uberschär, Gerd 217 Uexküll, Jacob von 30, 44 Ulbricht, Walter 142, 152, 209 Uljanow, Alexander 101, 112 Uljanow, Wladimir Iljitsch —› Lenin Ullrich, Volker 289 Ungvás, Tamás 112 Unszlicht, Josef 106, 139, 147, 150, 162, 188,203,231 Uritzki, Moisei Salomonovich 28, 128, 130, 138-140, 220, 256 Utin, Nikolai Isaakovich 97 Vago, Bela 192 Vaksberg, Arkadi 192 Valtin —› Krebs, Richard Vandervelde, Emil 50 Varga, Jenö (Eugen) 148, 185, 192 Vatiin, Aleksandr 187 Veigl, Hans 70 Vetter, Matthias 71, 114, 217, 246 f. Victor, Walther 68 Vierhaus, Rudolf 37 Viktor —› Roth, Leo Vìllon, Pierre —› Ginsburger, Roger Solomon Viola, Lynne 144, 215
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Volkmann, Hans-Erich 288 f. Vollmar, Georg von 50 Vollmer, Johannes 216 Volovici, Leon 248 Voltaire 55 Voronkov, Viktor 206, 217 Vronskaya, Jeanne 186 Wagner, Hans 38 Waldmann, Alexander 292 Waldmüller, Walter —› Müller, Walter Walecki, Henryk 147 Walenhorst, Peter 142 Walk, Joan 43 Wall, Irwin M. 292 Wallach, Meer G. Moisevich —› Litwinow, Maxim Walsh, Edmund 124, 143 Walter, Franz 91, 288 Walther, Rudolf 42 Walz, Annegret 190 Warner, Harry 13 2 Warski —› Warszawski, Adolf Warszawski, Adolf 61, 106, 124, 147, 200, 203 Warynski, Ludwik 105 f. Wasserstein, Bernard 187, 292 Wassiltschikow, Marie Fürstin 288 Watlin, Alexander 186, 189 Weber, Alfred 253, 286 Weber, Hermann 188 f., 216 Weber, Max 64, 66, 173 Weber, Stefan 188 Webster, Nesta H. 18, 41, 215, 279 Wehler, Hans-Ulrich 23 Wehner, Markus 40, 144, 187, 216 Weil, Felix 65 Weil, Hermann 202 Weinberg, Steve 186 Weinert, Erich 165 Weinstein —› Weinstone, William Weinstock, Nathan 112, 287 Weinstone, William 109, 148 Weinzierl, Erika 288 Weisenfels, Ernst 290
310
Weishaupt, Adam 229, 278 Weißbrot 176 Weißmann, Karlheinz l, 54, 69, 142 Weizsäcker, Ernst von 88, 268 Wels, Otto 234, 249 Werfel, Franz 12, 39, 177, 192, 259, 287 Werfel, Roman 213 Wernick, Eugene A. 221 Wertheim, Johannes 149, 151, 178, 180, 203, 240 Werz, Michael 142, 287 Westphalen, Jenny von 50 Wette, Wolfram 217,289 Wetzel, Juliane 250 White, Stephen 248 Wichtl, Friedrich 278 Wiesel, Elie 24, 74 f., 89, 98, 104, 113, 258, 287 Wiesenthal, Simon 283, 292 Wiessing, Mathijs C. 187 Wiggershaus, Rolf 71,216 Wijnkoop, David 147, 152 Wilhelm II. 17, 123 Wìnkler, Heinrich August 41, 188 Wilson, Woodrow 16, 245 Wirsching, Andreas 245, 251 Wismann, Heinz 39 Wistrich, Gotthard 41 Wistrich, Robert S. 60, 70, 249 f., 253, 288 f. Witte, Graf 5, 102, 127 Wladimir 136 Wolodarski, Moisei 13 8 Wolf, Arie 217 Wolf, Luden 230 Wolf, Markus 143 Wolf-Behrendt, Frieda —› Benario, Olga Wolfe, Bertram D. 113 Wolff, Theodor 69, 173, 237, 249 Wolffsohn, Michael 28, 43 Wolfrum, Edgar 290 Wolfstein, Rosi 166 Wolkogonow, Dimitri 114 Wolton, Thiery 186 f. Wostokov 222
Wulf, Joseph 2 90 Wunberg, Gotthard 89, 250 Wunderle, Michaela 189 Wurm, Mathilde 71 Wybicki, Josef 3 3 Yorburg, Betty 114 Zahn, Peter 249 Zech, Julius Graf 31 Zech-Burkersroda, Ludwig Graf 30 Zechlin, Egmont 142, 248 Zederbaum —› Martow, Julius Zeisler, Kurt 143 Zeman, Sbynek 70 Zernatto, Guido 239, 250 Zetkin, Clara 50, 62, 71, 110, 131, 143, 148, 166, 186, 236 Zetkin, Kostka 62 Zetkin, Ossip 131 Zimmermann, Hans-Dieter 189 Zimmermann, Moshe 36, 45 Zitelmann, Rainer 142, 215, 289 Zlepko, Dmytro 215 f. Zohar, Michel Ben 113 Zuroff, Efraim 2 3 Zweig, Arnold 7, 39, 47, 68, 93, 112, 209,217,234,259,261,287 Zweig, Stefan 75, 89, 260, 287 Zwerenz, Gerhard 45
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