Dänische Gebietsverluste im 17. Jahrhundert an Schweden
In diesem Buch werden die grundlegenden Ereignisse und Entwic...
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Dänische Gebietsverluste im 17. Jahrhundert an Schweden
In diesem Buch werden die grundlegenden Ereignisse und Entwicklungslinien der dänischen Geschichte von der Wikingerzeit und der Christianisierung bis heute übersichtlich und kompetent dargestellt. Dabei stehen Gesellschaft und Wirt schaft im Mittelpunkt, die politische Geschichte bildet den festen Rahmen und liefert die Chronologie. Robert Bohn, geb. 1952, Dr. phil. habil., Prof., lehrt an der Universität Flensburg Mittlere und Neuere Geschichte. Schwerpunkte seiner Forschung: Geschichte Nordeuropas und Norddeutschlands seit der Wikingerzeit sowie Seefahrts geschichte und regionale Zeitgeschichte.
Robert Bohn
DÄNISCHE
GESCHICHTE
Verlag C.H.Beck
Kurt Jürgensen in Erinnerung
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Bohn, Robert: Dänische Geschichte / Robert Bohn. – Orig.-Ausg. –
München : Beck, 2001
(C.H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe ; 2162)
ISBN 3 406 44762 7
Originalausgabe
ISBN 3406447627
Umschlagentwurf von Uwe Göbel, München
© Verlag C.H. Beck oHG, München 2001
Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen
Printed in Germany
www.beck.de
Inhalt I. Der Eintritt der Dänen in die Geschichte:
Wikinger und Reichsgründer ....................................
6
II. Gesellschaft und Wirtschaft im Mittelalter ...............
12
III. Großmachtzeit: Innere und äußere Konflikte ............ Unionszeit .................................................................
20
32
V. Bürgerkrieg und Reformation ...................................
45
VI. Der Kampf um die Vorherrschaft im Ostseeraum.....
59
VII. Absolutismus: Der neue Staat ...................................
69
VIII.Aufklärung und Reformen..........................................
80
IX. Der Kleinstaat ...........................................................
90
X. Industrialisierung und politischer Wandel ................
100
XI. Krisen und Kriege .....................................................
106
XII. Der Wohlfahrtsstaat – Dänemark nach 1945 ............
117
Literatur..............................................................................
125
Register ..............................................................................
127
I. Der Eintritt der Dänen in die Geschichte:
Wikinger und Reichsgründer
In den letzten Jahrhunderten des ersten Jahrtausends n.Chr. entstanden durch herrschaftliche Zusammenfassung von einzelnen Stämmen beziehungsweise Stammesgruppen im Nor den Europas die in ihrer ethnischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Struktur aufs engste miteinander verwandten skandinavischen Königreiche. Ihre frühe Geschichte ist – so wohl dynastisch als auch politisch – nahezu unentwirrbar ineinander verflochten. Die spätere Nationalgeschichtsschreibung der Dänen, Norweger und Schweden hat zu diesem verwirrenden Bild dadurch beigetragen, daß sie bei der Her leitung ihrer jeweiligen Staatsgründungsmythen weitgehend auf ein und dieselben materiellen Grundlagen zurückgegriffen hat. Im Laufe des 8. Jahrhunderts rückte das neue politische Machtzentrum Europas, das Reich der Karolinger, immer nä her an Dänemark heran. Um 800 machte sich Karl der Große die Sachsen Untertan, wodurch das Frankenreich zum unmit telbaren Nachbarn der Dänen wurde, was nicht ohne Kon flikte blieb. In nichtdänischen Texten aus jener Zeit (dänische gibt es nicht) finden wir nun erstmals Berichte über die poli tischen Verhältnisse in Dänemark, das als ein einheitliches Königreich aufgefaßt wurde, was es aber, wie die Forschung gezeigt hat, tatsächlich noch nicht war. Denn lokale Große waren noch relativ unabhängig von der Königsmacht. Gleich wohl scheint der Reichsbildungsprozeß schon vorangeschritten gewesen zu sein. Darauf deuten unter anderem organi sierte Abwehrmaßnahmen gegen das weitere Ausgreifen der fränkischen Macht nach Norden. Wir erfahren, daß ein König Godfred gegen die im östlichen Holstein siedelnden slawi schen Stämme zog, die mit Karl verbündet waren. Godfred ließ auch das Danewerk, den schon einige Generationen (seit etwa 700) bestehenden Befestigungswall am Ende der Schlei, weiter ausbauen. Hier entstand die bedeutende däni 6
sehe Handelsstadt Hedeby (Haithabu), die spätere Drehschei be des Ost-West-Handels. Um sie zu fördern, ließ Godfred an der nahegelegenen slawischen Küste Handelsorte zerstören, beispielsweise Rerik, dessen Kaufleute Godfred nach Hedeby verpflanzt haben soll. Er suchte mit seinen Seekriegern sogar die Küstengewässer Frieslands heim, das nach dem Verfall der merowingischen Macht im frühen 8. Jahrhundert einige Zeit unter dänischem Einfluß gestanden zu haben scheint, nun aber von den Franken beherrscht wurde. 810 kam Godfred in in nerdänischen Machtkämpfen zu Tode. Sein Neffe und Nachfolger Hemming schloß ein Jahr darauf mit Karl dem Großen Frieden, wobei erstmals die Eider als Südgrenze Dänemarks festgelegt wurde. Hemming starb kurze Zeit später eines ge waltsamen Todes, wie überhaupt die fränkischen Quellen je ner Zeit von innerdänischen Auseinandersetzungen berichten, in denen die Könige eine für die fränkischen Chronisten wun derliche Neigung zu plötzlichem Versterben zeigten. Die Machtverhältnisse in Dänemark waren und blieben wechselhaft. Sie sind aufgrund spärlicher Quellen auch nicht mehr im einzelnen rekapitulierbar. Man weiß aber, was die politische Herrschaft betrifft, daß der Sohn eines verstorbenen Königs nicht ohne weiteres damit rechnen konnte, seinen Vater zu beerben. Er mußte sich gegen Konkurrenten aus der eigenen Sippe oder aus den Reihen der anderen Großen durchsetzen. Er war dabei nicht nur vom Kriegsglück abhängig, sondern auch von seiner Fähigkeit, Gefolgschaft (dän. Hird) an sich zu binden. Hierbei war zweierlei wichtig: Die Aura als erfolgreicher Krieger und Mehrer sowie das Vermö gen, die Gefolgsleute materiell zu belohnen. Die Gefolgschaft war freiwillig, sie konnte jederzeit aufgesagt werden. Der König herrschte solchermaßen nicht über das Land (im wörtlichen Sinn), sondern über eine Anhängerschaft, die zu ver größern er stets bestrebt sein mußte. Diese inneren machtpolitischen Verhältnisse waren ein entscheidender Faktor für die Wikingerzüge und die Ausweitung der dänischen Macht im Nordseeraum. Allerdings kamen noch andere Faktoren hinzu, die zusammengenommen erst die historische Epoche hervor 7
riefen, die gemeinhin Wikingerzeit genannt wird. Im Natio nalmythos gilt sie als dänische Großzeit schlechthin. In der älteren Literatur wird oftmals eine Überbevölkerung als Erklärung für die Wikingerzüge vorgebracht, zumal sich die Dänen (und Norweger) auch überall in den eroberten Gebieten als Siedler niederließen. Tatsächlich gab es in Skandinavien einen gewissen Bevölkerungsdruck. Im 8. Jahrhundert hatte hier ein relativ warmes Klima mit ausreichend Niederschlägen geherrscht, was dazu führte, daß ein großer Teil der früher nur als Weide nutzbaren Flächen für den Getreideanbau herangezogen werden konnte. Dies sowie die Einfüh rung neuartiger Ackerbaugeräte wie Radpflug mit Streichblech bewirkten eine Verbesserung der Lebensmittelversorgung und damit einen Anstieg der Bevölkerungszahl. Doch inzwischen weiß man, daß nach 800 keine Landnot herrschte, sondern daß die Wikingerzeit im Gegenteil auch eine Zeit der inneren Kolonisation war. Daher ist neben den genannten machtpolitischen Verhältnissen im Innern vor allem die allgemeine politische und militärische Lage in Westeuropa als entscheidend anzusehen. Die ses bot am Ende des 8. Jahrhunderts, trotz der Ausdehnung des fränkischen Großreiches unter Karl, vielerorts ein Bild der politischen Zersplitterung – insbesondere auf den britischen Inseln, gegen die sich die ersten großen Wikingerzüge richteten. Nach dem Tode Karls des Großen 814 und der Drei teilung seines Reichs 843 wurden das west- und das ostfrän kische Reich ebenfalls Objekte der dänischen Wikingerzüge. Neben die bereits genannten treten weitere Faktoren hinzu, die diese Raub- und Eroberungsfahrten erst ermöglichten: Die Entwicklung eines besonderen Schiffstyps sowie der Erwerb nautischer Fähigkeiten, durch die die Skandinavier den anderen europäischen Völkern seefahrtstechnisch überlegen wurden. Das Wikingerschiff war hochseetüchtig und seine Be satzung fähig, es über das offene Meer – Ostsee und Nordsee (später auch den Nordatlantik) – zu navigieren, ohne daß Sichtkontakt zur Küstenlinie gehalten werden mußte. Außer dem konnten sie damit bis zu den Oberläufen der großen 8
Flüsse vordringen; sich mit den kleineren Schiffen sogar kürzere Strecken über Land bewegen, um zu einem anderen Flußlauf zu gelangen. Erst so war das Eindringen in das Frän kische Reich möglich. Überall im Norden setzte um 800 die sogenannte Reichs sammlung, die großräumige Königsordnung mit der Tendenz zur Zentralisierung und Territorialisierung der Herrschaft, ein. Sie rief eine über Generationen andauernde Konfliktkonstellation hervor, bis sich schließlich das Einheitskönigtum gegenüber den Kleinkönigen, Häuptlingen und sonstigen Gro ßen durchsetzen konnte. In dieser Auseinandersetzung wurden viele, die sich nicht unterordnen wollten, aus dem Land gedrängt – oder sie gingen freiwillig. Das junge Einheitskönigtum mit ambitionierten Herrschern setzte sich oft auch selbst expansionistische Ziele, die gleichermaßen der Herrschafts sicherung und der Machtausweitung dienen sollten. Waren es zu Beginn des 9. Jahrhunderts noch Raubzüge von einzelnen Wikingerhäuptlingen zur englischen, friesischen oder fränkischen Küste gewesen, so nahmen diese Züge ab etwa 840 sowohl an Häufigkeit als auch an Zahl der daran beteiligten Krieger zu. Allmählich änderte sich auch ihr Charakter: Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts waren es mitunter große militärische Expeditionen, an denen Hunderte von Schiffen und Tausende von Kriegern beteiligt waren. Der Schlußpunkt dieser Entwicklung waren sozusagen staatliche militärische Unternehmungen, die von Königen oder Angehörigen des Königsgeschlechts geführt wurden. Seit den 840er Jahren erfolgte Angriff auf Angriff. 845 kamen die Dänen unter dem berühmten Wikinger Ragnar Lodbrok bis Paris, wo Karl der Kahle sie nur gegen eine hohe Tributzahlung zum Abzug bewegen konnte. 885/86 wurde Paris abermals belagert, diesmal über ein Jahr lang, bis Karl III. den Abzug wiederum teuer erkaufen konnte. An den Unterläufen der nordfranzösischen Flüsse dauerten die Ver heerungen aber weiter an. Mitunter zogen die Dänen (oft im Bunde mit Norwegern) jahrelang plündernd durchs fränki sche Land. 9
Neben den Zügen ins Frankenreich gingen um die Mitte des 9. Jahrhunderts Angriffe der Dänen nach England einher. Die Zersplitterung der Insel in angelsächsische Teilreiche kam diesen Unternehmungen sehr entgegen. Im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts war alles Land von der Themse bis zum Hadrianswall östlich einer Linie London – Chester in däni scher Hand. York wurde der Sitz des dänischen Wikingerkönigs Halfdan und die Stadt selbst ein blühendes Handelszentrum. Die keltischen bzw. angelsächsischen Kleinkönigreiche an den Rändern dieses dänischen Reiches, das bald die Bezeichnung Danelag (Dänenrecht) erhielt, wurden tributpflichtig. Hier in Mittelengland kam es nun gegen Ende des Jahrhunderts aber auch zu einer allmählichen Assimilierung – die Angelsachsen unterschieden sich ja kaum von den Dänen, man sprach sogar fast die gleiche Sprache. Mit der Seßhaftwerdung und dem Übergang zum Ackerbau ebbten die Angriffe der Dänen Ende des 9. Jahrhunderts ab. Das bot den angelsächsischen Königen Anfang des 10. Jahrhunderts die Möglichkeit, nach rund 70jähriger Dänenherrschaft wieder die Oberhoheit über das Danelag zu erlangen. Dieser Zusammenbruch der Dänenherrschaft hing mit der in nenpolitischen Schwäche Dänemarks zusammen. Es war die Zeit König Harald Blauzahns (ca. 960–87), der seine Herrschaft von zwei Seiten gefährdet sah: Einmal durch den deutschen Kaiser und zum anderen durch seinen eigenen Sohn Svend, der unter dem Beinamen Gabelbart in die Geschichte eingehen sollte. Harald hatte Dänemark erstmals unangefochten unter einer Krone geeint und dabei die Hilfe der Kirche in Anspruch ge nommen. Er erhob zudem Anspruch auf die Königsherrschaft in Norwegen, die er zeitweise auch durchsetzen konnte. Zwar war König Harald zum Christentum übergetreten, nicht aber alle seiner Dänen – und auch nicht sein Sohn Svend, der von dem räuberischen Wikingerberuf nicht lassen wollte. Viele Gefolgsleute teilten diese Einstellung. Es kam zur unvermeidlichen Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn, in deren Verlauf Harald 987 erschlagen wurde. 10
Nun wurde Svend Gabelbart König von Dänemark (bis 1014), und mit ihm kam wieder ein Wikingerhäuptling von altem Schrot und Korn an die Macht. Svend sicherte zunächst seine Stellung zu Hause, dann in Norwegen, wo er im Jahre 1000 in der Seeschlacht von Svolder, der größten der Wikin gerzeit, im Zusammenwirken mit dem schwedischen König Olof Skötkonung seinen norwegischen Widersacher Olav Tryggvason besiegte, der dabei zu Tode kam. Svend richtete die dänische Herrschaft nun auch wieder in England auf. Er sandte mehrere Jahre hintereinander Flotten gen Westen, und dem angelsächsischen König Ethelred dem Ratlosen blieb keine andere Wahl, als sich der dänischen Übermacht zu beugen. In diesen Jahren flossen riesige Summen englischen Geldes, Silbers und Goldes nach Dänemark, das sogenannte Dänengeld, insgesamt, so hat man berechnet, etwa 75000 Kilogramm – ein ungeheures Vermögen. Es war die Zeit, in der in Dänemark die großen, mit hohen Ringwällen versehenen Heerlager angelegt wurden, die Zeugnis ablegen von der letzten großen Kraftentfaltung der dänischen Wikin gerzeit. Diese strategisch verteilten Lager waren Burgen gleich, die dem König auch die Herrschaft im Innern sicherten. Sie wurden bisher in Nordjütland (Fyrkat, Aggersborg), Fünen (Nonnebakken) und auf Seeland (Trelleborg) ergraben und dokumentiert. Der Durchmesser solcher Anlagen betrug bis zu 240 Meter. In ihnen sieht die neuere dänische Forschung in erster Linie einen Stützpunkt der inneren Herrschaft. Das dänische Einheitskönigtum konnte sich in dieser Zeit entscheidend festigen und in dem Nordseereich unter Knud dem Großen (1018–1035), dem Sohn Svend Gabelbarts, seine größte Machtentfaltung entwickeln. Im Unterschied zu seinem Vater war Knud sich allerdings bewußt, daß er ohne das Mitwirken der Kirche ein solches Reich nicht würde regieren können. Die älteste dänische Königsurkunde bringt dies zum Ausdruck: Im Frühjahr 1020 schickte Knud ein Schreiben nach England, in dem er seinen Willen zur Regierung im Bunde mit der katholischen Kirche verkündete. Und daß dies nicht nur ein Lippenbekenntnis war, zeigte er dadurch, daß er 11
die Kirche durch Bauten, Schenkungen und Privilegien förder te. Knud veranlaßte auch, daß englische Priester nach Dänemark kamen, um dort den Aufbau der Kirche voranzubrin gen. Vermutlich wollte er die dänische Kirche an die englische binden, um dadurch den beiden Teilen seines Imperiums Zu sammenhalt zu verleihen. Gleichwohl blieb Dänemark (wie das übrige Skandinavien) im Einflußbereich des Erzbistums Bremen-Hamburg, woher auch die ersten Bischöfe kamen. Um 1060 kam es zu einer grundlegenden kirchlichen Organisation mit den acht Diözesen Schleswig, Ribe, Ärhus, Viborg, Vendsyssel (Borglum), Odense, Roskilde und Lund. Nach dem Tode Knuds fiel das dänische Nordseereich rasch auseinander. Seine Nachfolger richteten ihr Interesse auf die Festigung ihrer Macht und den Ausbau der Königsherrschaft im eigentlichen Dänemark. Mit der normannischen Erobe rung Englands 1066 rückte die Insel endgültig aus den Möglichkeiten dänischer Herrschaftsansprüche.
II. Gesellschaft und Wirtschaft im Mittelalter Bereits in der Wikingerzeit war die dänische Gesellschaft durch eine breitgefächerte soziale Differenzierung gekennzeichnet, wobei allerdings noch regionale Besonderheiten zum Tragen kamen. Die Forschung ermittelte Könige, Häuptlinge und freie Bauern auf der einen und Knechte und Sklaven (dän. Trajlle) auf der anderen Seite; aber auch Abstufungen dazwi schen. Gerade über die soziale und rechtliche Positionierung dieser Zwischengruppen herrscht noch einige Ungewißheit. Es gab unzweifelhaft viele Arme, die keine Knechte waren, und es gab mehrere Bezeichnungen für Männer, deren gesellschaftlicher Rang zwischen dem eines freien Bauern und dem der Angehörigen der obersten Kriegerkaste anzusiedeln ist. Die zahlenmäßig größte Gruppe war die der Knechte/Sklaven (Trælle), die in sich recht differenziert war. Wirtschaftsgeschichtlich betrachtet, waren es die Armen und Besitzlosen. 12
Und da diese, wie zu allen Zeiten, kaum über politischen Einfluß verfügten, haben sie fast keine Spuren hinterlassen. Knecht konnte jeder werden, freiwillig, durch Schuld oder Kauf oder durch Gefangennahme. Für bestimmte Vergehen war die Strafe die Knechtschaft. Auch die Kinder eines in Knechtschaft lebenden Paares wurden Knechte. Die meisten Menschen, die sich in Knechtschaft befanden, hatten aber einen Status, den man heute eher als Sklaverei bezeichnen würde. Viele Wikingerzüge dienten denn auch eigentlich keinem anderen Zweck, als solche Knechte oder Sklaven zu bekommen – sei es bei den benachbarten skandinavischen Stämmen oder anderswo. Diese mußten dann für den neuen Herrn arbeiten, oder sie wurden als Handelsgut weiterverkauft – meist letzteres. Verkauft wurden sie überallhin. Der Handel mit Sklaven erfolgte sowohl im Norden unter den Wikingern (Skandinaviern) selbst als auch mit ,Abnehmern’ außerhalb der nordischen Welt, die zu den Nordleuten Verbindung hatten. Vieles deutet darauf hin, daß die Sklaven die wichtigste Handelsware der Wikinger waren und daß insbesondere arabische Händler ihretwegen in den Norden fuhren. In der sozialen Hierarchie über den Knechten/Sklaven stand die breite Gruppe der freien Bauern, die in sich wiederum deutlich abgestuft war. Zwar hatte jeder Freie auf den Thingversammlungen Stimmrecht, doch seine tatsächliche Stellung in der Gesellschaft ergab sich aus seinem Besitz – an beweglichen Gütern (einschließlich Trselle), aber vor allem an Grund und Boden. Die Besitzverteilung war sehr ungleich, so daß nur ein kleiner Teil der Bevölkerung realiter volle politische Rechte ausübte. Große Grundbesitzer waren Häuptlinge, die gewöhnlich auch die Priesterfunktion in ihrem Bezirk inne hatten. Diese altnordisch Gode genannte Stellung bezog sich nicht nur auf die Durchführung der vorchristlichen Riten, wie sie uns am schönsten in der altisländischen Literatur vermittelt werden, sondern beinhaltete auch die Leitung der Thingversammlungen und die Funktion als Richter, der, vom Thing beraten, nach Gewohnheit Recht sprach. Diese Häuptlinge hatten ihre eigenen Kriegerscharen. Doch war die Durchset 13
zung der Richtersprüche keine öffentlich-rechtliche Angelegenheit, sondern eine privatrechtliche. Eine Exekutive im heutigen Sinn und ein geschriebenes Recht entstanden erst nach der Durchsetzung des Einheitskönigtums und der Christiani sierung. Allerdings wurde auch dann noch bis zum absolu tistischen Zeitalter nach verschiedenen Landschaftsrechten Recht gesprochen. Die tragende Säule im Wirtschaftsleben war die Landwirt schaft, wobei zum Ende der Wikingerzeit der Getreideanbau gegenüber der Viehwirtschaft stärker in den Vordergrund trat. Dies erforderte großflächige Rodungen, und ehedem große Ländereien wurden in kleinere Einheiten aufgeteilt. Es war die Zeit, in der die innere Kolonisation mit dem Entstehen vieler Dörfer einsetzte, die bis in das hohe Mittelalter hinein voranschritt. Dörfer mit der heutigen Endung auf -torp, -rup oder -rod weisen auf diesen Ursprung hin. Gleichzeitig fand eine Differenzierung der Besitzverhältnisse und Sozialstruktur statt. Zum einen entstanden die großen Güter, die den Magnaten, der Kirche oder dem König gehörten und die von Verwaltern bewirtschaftet wurden, die über eine gewisse Anzahl von Knechten geboten (noch bis ins frühe 13. Jahrhundert taucht die Bezeichnung Trælle auf). An diese Güter waren zudem kleinere Bauernstellen gebunden, die über wenig Land verfügten und deren Besitzer auf dem Gut arbeitspflichtig waren. Als weitere Kategorie gab es die Höfe mittlerer Größe, die teilweise eigenbesitzenden Bauern gehörten, teilweise aber auch Magnaten, die das Land verpachteten. Ein solcher – persönlich freier – Pachtbauer (dän. Fsestebonde) hatte einen Teil des Hofertrags als naturale Grundrente (dän. Landgilde) an den Grundherrn abzuführen. Hier ist dieselbe, an die Bodenbesitzverhältnisse geknüpfte gesellschaftliche Schichtung zu erkennen, wie sie uns auch im kontinentalen Europa entgegentritt. In Dänemark ist diese Struktur, Feudalismus genannt, zu dieser Zeit allerdings noch nicht so scharf ausgeprägt. Der Anteil der freien und eigenbesitzenden Bauern war vergleichsweise groß, und auch rechtlich waren die Befugnisse der Grundbesitzer gegenüber den 14
von ihnen abhängigen Bauern noch gering. Erst gegen Ende des Spätmittelalters sollten sich auch in Dänemark die feudalen Strukturen mit der Zurückdrängung des Freibauerntums, Durchsetzung der Schollenbindung (dän. Vornedskab), Einführung der niederen Gerichtsbarkeit sowie Zunahme der Dienstpflichten bzw. Fronarbeit (dän. Hoveri) und der Güter arrondierung des Adels ganz durchsetzen – übrigens als einzigem skandinavischen Land. In Norwegen und Schweden konnte sich das Freibauerntum mit allodialem Besitzrecht den Begehrlichkeiten des Adels und der Krone mit Erfolg entge genstemmen. Die dänischen Magnaten, insbesondere die füh renden Adelsgeschlechter, besaßen am Ende des Mittelalters Dutzende, mitunter sogar Hunderte von Höfen. Daß in Dänemark das Freibauerntum so stark zurückging, hing wesentlich mit der politischen und wirtschaftlichen Krise des 14. Jahrhunderts zusammen. Die außenpolitischen Verwicklungen der Krone erforderten ständig größere Mittel, die der König überwiegend bei den Freibauern, die – abgesehen von den Bewohnern der sogenannten Kaufstädte (dän. Keb stasder, d. h. Orte, in denen der Handel privilegiert war) – als einzige Steuern an ihn entrichteten, zu erlangen suchte. Auch die Dienstpflichten für die Krone wurden erhöht. Viele der Freibauern sahen unter diesen Umständen einen Ausweg darin, sich in die Obhut eines Adligen zu begeben, den Hof an diesen zu veräußern, um wiederum gegen eine Grundrente Pächter (Fasstebonde) dieses Hofes zu werden. Durch den damit verbundenen Statuswechsel wurden sie dem Adligen gegenüber nicht nur zins-, sondern auch dienstpflichtig, die Pflichten gegenüber der Krone fielen fort – jedenfalls nominell, praktisch haben die Inhaber der Krone gegen den Wider stand der Magnaten immer wieder versucht, sich auch die Arbeitskraft dieser Bauernschicht anzueignen. Die Auswirkungen der Pestepidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts und eine Klimaverschlechterung (ab ca. 1260) trugen ein übriges dazu bei, den Konzentrationsprozeß auf dem Lande zu fördern. Die Bevölkerungszahl ging dramatisch zurück, um cirka ein Drittel. Erst um 1800 sollte Dänemark 15
wieder in etwa die Bevölkerungszahl erreichen, die es Anfang des 14. Jahrhunderts aufgewiesen hatte, nämlich knapp über eine Million Menschen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs waren in einigen Regionen kata strophal: Ganze Landstriche verödeten. Zwar machte der Pestbazillus vor den Magnaten nicht halt, und auch die Mißernten trafen die großen Güter. Doch der Bauernstand, der sich mehrheitlich sowieso schon am Rande des Existenzminimums bewegte, wurde besonders hart getroffen. Die Folge war eine sowohl wirtschaftliche als auch rechtliche Ver schlechterung: Die an ein adliges Gut gebundenen Pachthöfe wurden zur gewöhnlichen bäuerlichen Wirtschaftsform. Zudem veränderte sich im 14. Jahrhundert die Wirtschaftsweise. Auch dies hing mit der knapper gewordenen bäuerlichen Arbeitskraft zusammen. Der arbeitsintensive Ackerbau wurde mehr und mehr zugunsten der Viehzucht aufgegeben. Viehprodukte waren angesichts der gesunkenen Getreideprei se außerdem profitabler. Vor allem in Jütland setzte sich die Ochsenaufzucht durch, und für mehrere Jahrhunderte sollten nunmehr alljährlich riesige Ochsenherden durch Jütland, Schleswig und Holstein zur Elbe getrieben werden, von wo aus sie auf die Märkte in Hamburg, Nordwestdeutschland und Holland gebracht wurden. Entlang des Ochsenweges profitierten davon auch viele Futterlieferanten, Krüger, Händler und Handwerker – und nicht zuletzt auch die Obrigkeit durch allerlei Zollabgaben. Voraussetzung für die Viehzucht war der Besitz von genügend Boden, weshalb die Gutsbesitzer beständig nach Ausweitung ihres Grundbesitzes strebten. Das geschah in nicht gerin gem Ausmaß auch auf Kosten der untersten Adelsschichten, die sich in der Krise des 14. Jahrhunderts bei ihren besser ge stellten Standesgenossen verschuldet hatte. Der Landhunger der Magnaten machte nicht einmal vor den Gütern der Kirche halt, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts diesen Bestrebungen kaum noch etwas entgegensetzen konnte. Die Magnaten traten so immer deutlicher als klar abge grenzter, führender Stand hervor, als Aristokratie. Deshalb 16
war es nur folgerichtig, daß um 1430 auch formell die Bedin gungen für die Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaftsklasse festgelegt wurden. In der Wikingerzeit setzte bereits die Gründung von Städten ein. Damit hielt auch die Geldwirtschaft Einzug, und die Ar beitsteilung nahm zu. Denn Urbanisierung heißt Mobilisierung von Kräften, die naturgegebene Grenzen überwinden: Verkehr über große Entfernungen, Erfindung und Handha bung technischer Geräte, auch Steigerung der landwirtschaftlichen und handwerklichen Erzeugung. Diese Entwicklung erforderte eine veränderte gesellschaftliche Organisation. Deshalb bedeutete Urbanisierung nicht zuletzt auch Herr schaftsfestigung. Der Handel benötigte sichere Verkehrswege und geschützte Märkte und damit die Präsenz von Macht. Diese erhob Zölle, prägte Münzen und konnte aufgrund ihres Gewaltmonopols den Handelsplatz kontrollieren. Organisierte Macht wurde zum ökonomischen Faktor. Kaufmännische und königliche Interessenkonvergenz war dabei die treibende Kraft. Der König erzielte seine Einnahmen hauptsächlich durch den Handel und durch das Prägen von Münzen. Wa ren im 9. und 10. Jahrhundert fast ausschließlich arabische, fränkische und englische Münzen im Umlauf, so nahm im 11. Jahrhundert der Anteil dänischer Münzen rapide zu, so daß an dessen Ende kaum noch neue ausländische Geldstücke nach Dänemark kamen. Das Münzwesen war nun völlig in königlicher Hand, und es galten ausschließlich die Geldstücke des regierenden Herrschers. Erste königliche Handelsstädte waren bereits im 8. und 10. Jahrhundert Ribe und Hedeby/Schleswig. Im 11. Jahrhundert kamen weitere Städte hinzu: Viborg und Odense, die auf alte Thingplätze zurückgingen, Århus, Ålborg, Slagelse, Roskilde und Lund. Letztere wurden die Zentren der Königsmacht und der Kirche. Zwar betont bereits Adam von Bremen in seiner Schilderung des Nordens um 1070, daß Dänemark ein Land mit vielen großen Städten sei, und er bezeichnet sie sogar als civitates, was eine fortgeschrittene soziale und wirtschaftliche Ausgestaltung andeutet. Doch rea 17
liter dürfte es sich zu seiner Zeit noch überwiegend um Orte mit einer bescheidenen Einwohnerzahl gehandelt haben. Erst im 12. und 13. Jahrhundert entwickelte sich eine produktive Stadtwirtschaft mit differenziertem Handwerk und Handel. In dieser von den Waldemaren (Waldemar I., Knud VI., Waldemar II.) geprägten Epoche schoß eine beträchtliche Anzahl neuer Städte aus dem Boden, und schon ihre Endungen auf -borg (-burg) oder -købing (-kauf) weisen darauf hin, daß sie entweder im Umkreis einer Königsburg oder ausdrücklich als Handelsstadt angelegt wurden. Der Kataster Waldemars II. zählt rund vier Dutzend Orte auf, die Stadt recht besaßen. Diese über das ganze Reich verteilten und in der Regel an der Küste gelegenen Handelsstädte waren gewissermaßen En klaven, die sich in administrativer, jurisdiktioneller, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht deutlich von ihrem Umland abhoben. Der König war Stadtherr, sie wurden in ihrer Mehrzahl auch zu den Krongütern (dän. Kongelev) gerechnet. Er verlieh ihnen Privilegien und garantierte ihre Sonderstellung, und als Gegenleistung nahm er Zoll-, Markt- und Handelsabgaben sowie einen besonderen Grundzins. Dies war ein wesentlicher Teil der Kroneinnahmen. Was die innere Organisation der Städte und ihrer Einwohner anbelangt, so entwickelte sich bereits um 1200 eine gewisse Selbstverwaltung, die eng mit dem Gildewesen ver knüpft war. Vor allem die dem Hl. Knud geweihten Schutzgil den, in denen sich die Kaufleute und Fernhändler organisierten, waren tonangebend. Sie bildeten den Rat der Ältesten, der die Stadt verwaltete. Später sollte sich mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Konkurrenz der Hansestädte die Überlegenheit von deren städtischer Ratsverfassung erweisen. Insbesondere Lübeck, dessen Rat aus consules bestand, die von den Bürgern gewählt worden waren, wurde nun Vorbild für die dänischen Städte. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts (Tondern machte 1243 den Anfang) gelang es einigen, mit königlicher Zustimmung Teile des lübischen Rechts in ihr dä nisches Stadtrecht einzufügen. Gleichzeitig wurden die Kom 18
petenzen des königlichen Vogts beschnitten. Das Vorbild der Hansestädte wirkte auch auf die Organisation der Handwerker in Zünften und machte sich zudem rein äußerlich im Baustil und der Anlage der Städte immer deutlicher bemerkbar. Im Unterschied zu den norddeutschen Hansestädten, wo sich im frühen 15. Jahrhundert die Handwerker infolge von Aufständen zeitweise eine Beteiligung an der Macht erkämpfen konnten, blieben die Handwerker in den dänischen Städten aber vom Stadtrat ausgeschlossen. Das 12. und 13. Jahrhundert war nicht nur die Epoche der Herausbildung der Grundherrschaft und Entwicklung des Städtewesens, es war auch die Epoche der kirchlichen Macht entfaltung. Diese wiederum war aufs engste verquickt mit der Festigung der Königsherrschaft. Die allmähliche Übertragung römisch-katholischer Verwaltungsstrukturen auf säkulare Bereiche hat die staatliche Organisation und die Festigung des Einheitskönigtums erst möglich gemacht. Mit der Etablierung eines eigenen, aus der Erzdiözese Bremen-Hamburg herausgelösten Erzbistums im Jahre 1104 in Lund, das für den gan zen skandinavischen Norden zuständig war, setzte sich die Danisierung der hohen Geistlichkeit durch. Gleichzeitig hielt gewissermaßen auch eine Europäisierung der klerikal gepräg ten Kultur Einzug, da eine Reihe der dänischen Kirchenfür sten, die in der Regel den führenden Adelsfamilien oder dem Königshaus entstammten, ihre Ausbildung in den damaligen Zentren der kirchlichen Gelehrsamkeit durchlaufen hatten. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist das Wirken des Erz bischofs Eskil Mitte des 12. Jahrhunderts, der mehrere Jahre in Hildesheim verbracht hatte, mit Bernard von Clairvaux in enger Verbindung stand und der – nicht zuletzt auch durch Donationen – dafür sorgte, daß die Zisterzienser ins Land kamen. Diese wiederum gaben bedeutende Impulse für die Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik. Aber auch andere Orden konnten in dieser Zeit in Dänemark ihre Klöster errichten. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden über das ganze Land verteilt knapp 50 Mönchs- und Nonnenklöster, deren wirtschaftliche Grundlagen Land- und Guts 19
besitz bildeten. Mit der Errichtung des Erzbistums Lund wur de in Dänemark auch der Kirchenzehnt eingeführt, der allerdings von der Landbevölkerung, vor allem was den sogenannten Bischofszehnt betraf, nur widerwillig gezahlt wurde. Noch im 14. Jahrhundert wurde der volle Bischofszehnt nur in drei der acht Bistümer gezahlt. Zwischen Adel und Klerus entstand dagegen – wie überall in Europa – eine enge Verflechtung – nicht nur dadurch, daß die hohe Geistlichkeit dem Adel entstammte, sondern auch durch die mitunter großzügigen Testamentierungen zugunsten von Bistümern und Klöstern. Auf diese Weise brachten bei spielsweise Bischof und Domkapitel von Roskilde bis zum Ende des 14. Jahrhunderts rund 4000 Höfe in ihren Besitz – ein Viertel aller Höfe auf Seeland. Auch die Krone stand bei der Übertragung von Landbesitz an die Kirche nicht zurück – allen voran Knud IV., der nicht zuletzt deshalb den Titel „der Heilige“ erhielt.
III. Großmachtzeit: Innere und äußere Konflikte Auch wenn Svend Estridsen 1069/70 noch einmal England in alter Wikingermanier plünderte und sein Sohn Knud die Insel wieder in sein dänisches Königreich einzuverleiben gedachte – ohne jedoch jemals zur Tat zu schreiten –, war die Zeit der dänischen Expansion nach Westen am Ende des 11. Jahrhun derts definitiv vorbei. Dänische Eroberungsversuche richteten sich von nun an auf den Ostseeraüm. Die Stellung des Königs war am Ende der Wikingerzeit trotz des nun anerkannten Alleinkönigtums noch relativ schwach – sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich. Er besaß, abgesehen von den Zöllen und Abgaben in den Königsstädten (d.h. Kaufstädten), kein allgemeines Steuererhebungsrecht, und auch Gesetze konnte er nicht erlassen. Letzteres war noch immer das Vorrecht der Landschaftsthinge, von denen es drei gab: je eines in Jütland, Seeland und Schonen. Deshalb existierten 20
auch drei unterschiedliche Landschaftsrechte. Die drei Thinge besaßen zudem das Bestätigungsrecht für einen neugewählten König. Eine allgemeine Steuerpflicht der Untertanen gegen über der Krone gab es zunächst nicht. Allerdings bestand für jeden Freien die Pflicht zur Heerfolge, Leding genannt. Das Königreich war dafür in Kreise unterteilt, von denen ein jeder im Kriegsfall eine bestimmte Anzahl von Schiffen mit Besatzung dem König zur Verfügung stellen mußte. Kam jemand der Ledingspflicht nicht nach, konnte der König ihm Strafen auferlegen, die meist in der Abtretung von Grundbesitz bestanden. In Friedenszeiten konnte der König in seiner Eigen schaft als Friedensherr von den Ledingspflichtigen eine Ersatz leistung einforden, gewöhnlich in Form von Ernteabgaben. Mit der allgemeinen Veränderung des Militärwesens im hohen Mittelalter änderte sich auch diese Ledingspflicht. Rit terheere mit gepanzerten Reitern zeigten sich dem Aufgebot alter Ordnung überlegen. Pferde und Rüstungen konnten sich aber nur die Großbauern und Magnaten leisten. Der leichtbewaffnete Bauer war nicht mehr gefragt, stattdessen mußte er für die Entpflichtung von der Heerfolge der Krone eine Steuer entrichten. Er wurde zum Steuerbauern. Großbauern und Magnaten, die weiterhin für den König Waffendienst verrichteten, blieben von der Steuerpflicht befreit. Es war dies die Geburtsstunde des Feudaladels in Dänemark. Das Königtum konnte seine wirtschaftliche Stellung da durch stärken, daß es sich beträchtlichen Grundbesitz aneignete – durch Erbschaft, Eroberung oder durch erwähnte Strafabtretungen. Auch die Regalien, die Schätze des Bodens und der Strände, standen dem König zu. In die Verwaltung wurden, wie schon bei den Königsstädten, Vögte eingesetzt, die der lokalen Bevölkerung gegenüber die Königsmacht re präsentierten. Sichtbare Zeichen dieser Entwicklung waren die königlichen Burgen, die am Ende des 12. Jahrhunderts überall im Land errichtet wurden und um die herum in zunehmendem Maße auch Kronland arrondiert wurde. Allmählich gewann die Königsmacht im Zusammenwirken mit der Kirche auch Einfluß auf die Gesetzgebung; zunächst 21
dadurch, daß die einzelnen Landschaftsrechte von Klerikern, die im Kirchenrecht bewandert waren, systematisiert und „verbessert“ wurden. Die Herleitung der königlichen Macht von Gott erhielt auf diese Weise Eingang in die Gesetzestexte. Es dauerte aber noch bis zum 12. Jahrhundert, ehe sich in Dänemark die Monarchie von Gottes Gnaden mit Waldemar dem Großen endgültig durchgesetzt hatte. Nach diesem Ver ständnis war Ungehorsam gegenüber dem König gleichbedeu tend mit Ungehorsam gegenüber Gott. Doch galt dies wohl gemerkt nur so lange, wie der König als rechter christlicher Fürst auftrat und nicht als ungerechter Herrscher. Implizit war hiermit auch das Aufsichtsrecht der Kirche über den ,rechten christlichen Fürsten’ eingeführt. Diese enge Verbindung zwischen Gott, Kirche und König fand ihren symbolischen Ausdruck darin, daß nun auch die Krönung des Kö nigs durch den Erzbischof eingeführt wurde. Daß diese Entwicklung der Festigung der Königsmacht, die mit der Herrschaft Waldemars I. ihren vorläufigen Abschluß fand, nicht ohne Konflikte und Blutvergießen vonstatten ging, zeigt sich allein schon daran, daß fünf seiner Vorgänger auf dem dänischen Thron eines gewaltsamen Todes starben. Die Machtverhältnisse waren noch keineswegs stabil und der eben erst aus den Reihen der Großbauern erwachsene Adel nicht bereit, seine Macht zugunsten eines einzelnen, der über ihm stehen sollte, abzugeben. Hinzu kam, daß der Thron durch die ihm zugewachsenen Ressourcen auch wirtschaftlich interesssanter geworden war. Da Dänemark weiterhin ein Wahlreich war, stand der Königsthron theoretisch jedem Adligen offen, wenngleich sich die Praxis durchgesetzt hatte, auf den Thingen den ältesten Sohn eines verstorbenen Königs zu wählen. In der weitverzweigten Königsfamilie, zu der auch die unehelichen, aber vom König anerkannten Kinder gehörten, gab es deshalb immer wieder einen, der der älteste Sohn sein wollte, auch wenn er nicht an der Reihe war. Hieraus resultierten mitunter Tragödien Shakespeareschen Ausmaßes. Um diese Konfliktkonstellation zu entschärfen, ging man dazu über, einen Thronprätendenten an der Königsmacht teil- 22
haben zu lassen, indem ihm gegen Leistung des Treueeids eine Provinz an der Peripherie des Reiches als Lehen gegeben wur de. Allerdings konnte dies wiederum die Gefahr beinhalten, daß dieser Prätendent sich hier eine Hausmacht schuf, die ge gen den König gerichtet werden konnte. Beides, innerfamiliäre Auseinandersetzungen um die Thron folge und Einbeziehung der mächtigen Verwandtschaft an der Peripherie in diesen Streit, führte Mitte des 12. Jahrhunderts zu einem beinahe 30 Jahre währenden innerdynastischen Kleinkrieg, dem eine ganze Reihe von Angehörigen der Königs familie zum Opfer fiel, u.a. auch König Niels. Erst 1157 fand dieser Kampf um die Krone mit der Durchsetzung Walde mars I. ein Ende. Waldemar war der Kandidat der Kirche, der insbesondere im mächtigen Bischof von Roskilde, Absalon, seinen stärksten Verbündeten fand. Absalon, der spätere Erzbi schof von Lund und eigentliche politische Führer des Reiches, entstammte einer der reichsten Adelsfamilien des Reiches, den Hvide. Er gilt auch als der Gründer Kopenhagens, der hier eine Burg errichtete, von der aus die Schiffahrt im Öresund kon trolliert werden konnte. Die Kirche hatte während dieser dreißigjährigen Thronwirren das Reich praktisch zusammengehal ten. Die Aufgaben, die sich König Waldemar nun stellten, galten nicht nur der Wiederherstellung der Königsmacht, son dern gingen auch einher mit den Interessen der Kirche, die wie derum von Absalon formuliert wurden. Dieser hatte erkannt, daß ein eigenständiges Königtum, das nicht ständig von Ansprüchen des deutschen Kaisers in Frage gestellt werden wollte, nicht nur politisch und kirchlich, sondern auch historisch legitimiert werden müßte – ganz so wie in den anderen christlichen Reichen des Abendlandes. Dieses war der Entstehungs hintergrund der „Dänischen Chronik“ des Saxo Grammaticus, die im Auftrag des Lundenser Erzbischofs erstellt wurde. Auf Latein geschrieben, ist sie die bedeutendste mittelalterliche historiographische Schrift Dänemarks. Die machtpolitischen Ambitionen Absalons und Waldemars zielten auf die Ausweitung der dänischen Macht unter dem Deckmantel der Pazifizierung und Christianisierung der Ge 23
biete südlich der dänischen Inseln, wo der slawische Stamm der heidnischen Wenden durch wiederholte Raub- und Plün derüngszüge zu einer ernsten Bedrohung Inseldänemarks (damit sind die Inseln zwischen Jütland und Schonen gemeint) geworden war. Waldemar reorganisierte das Ledingswesen und führte nun, mit tatkräftiger Unterstützung Absalons, Jahr für Jahr militärische Expeditionen ins Wendenland (d.h. ins heutige Holstein und Mecklenburg) durch, die als Kreuzzüge den besonderen Segen des Papstes erhielten. Deren Höhepunkte waren die Eroberung Rügens und die Zerstörung des Kultzentrums der Wenden in Arkona. Diese dänische Expan sionspolitik entlang der südlichen Ostseeküste wurde von den beiden Söhnen Waldemars, Knud VI. und Waldemar IL, fortgesetzt. 1185 mußten die wendischen Fürstentümer Mecklenburg und Pommern König Knud als obersten Lehnsherrn an erkennen, der seitdem den Titel ,König der Dänen und der Wenden’ führte. Währenddessen unterwarf der jüngere Bruder Waldemar als Herzog von Schleswig die Grafschaft Hol stein sowie die unlängst gegründeten aufblühenden Hansestädte Hamburg und Lübeck. Nachdem Waldemar seinem Bruder 1202 auf dem Thron nachgefolgt war, griff er sogar bis nach Estland aus, was wiederum mit kirchlicher Zustim mung als Kreuzzug deklariert wurde. Hier nun ereignete sich ein im dänischen Nationalmythos zentrales Ereignis, nämlich das Niedersinken des Danebrog vom Himmel in der Schlacht bei Lyndanisse im Jahre 1219 als Zeichen für die christlichen Dänen, daß sie die heidnischen Esten besiegen würden. Fortan sollte das weiße Kreuz auf rotem Grund Symbol des dänischen Königtums sein. Das Ostseeimperium Waldemars II. (des Siegers, wie er fortan genannt wurde) dagegen bestand nur kurze Zeit, denn es stand auf tönernen Füßen: Zum einen überforderte seine Auf rechterhaltung schlichtweg die dänischen Kräfte, zum anderen gab es keine tragende Idee, die dieses heterogene Gebilde zusammenhielt, und letztlich war es realiter nichts anderes als die befristete Huldigung norddeutscher, slawischer, baltischer und estnischer Fürsten gegenüber dem dänischen König als Lehns 24
herrn. Bereits 1223 deutete sich der Zerfall der Macht an, und das auf eine für Waldemar besonders schmachvolle Weise, denn er geriet durch eine List in die Gefangenschaft norddeutscher Fürsten, in der er mehrere Jahre verbringen mußte, bis eine riesige Summe Lösegeld für ihn aufgebracht war. Den größten Nutzen aus den dänischen Eroberungen zog letzten Endes nicht das dänische Königtum, sondern die deut schen Kaufleute, die unter der Pax Danica im Ostseeraum wie an einer Perlenkette aufgezogen von Lübeck aus eine Hafen stadt nach der anderen bis nach Estland anlegten. Dies war gewissermaßen das Rückrat des innerhalb kürzester Zeit entstehenden mächtigen Hansebund unter Führung Lübecks, das sich 1227 in der Schlacht bei Bornhöved (bei Segeberg) zusammen mit den Holsteinern aus der dänischen Oberhoheit befreite. Die Auseinandersetzung mit dem Hansebund sollte – im Positiven wie im Negativen – zu einem bestimmenden Faktor in der dänischen Politik in den folgenden Jahrhunderten werden. Die Hanse trug als Abnehmer und Lieferant einerseits wesentlich zur Entwicklung des dänischen Wirtschaftslebens bei und vermittelte überdies bedeutende kulturelle Impulse. Sie strebte aber auch, vorweg Lübeck, stets nach Privilegien durch den dänischen König, die ihre beherrschende Stellung sichern bzw. ausweiten konnten. Dabei kam es mitunter zu massiven Eingriffen in die dänische Politik und zu kriegerischen Konflikten. Neben der Ausschaltung nichthansischer Konkurrenten waren es vor allem zwei Interessen, die die han sischen Kaufleute in Dänemark hatten. Das eine (in erster Li nie der preußischen Hansestädte) war ein verkehrspolitisches, nämlich die unbehinderte und möglichst zollfreie Durchfahrt ihrer Koggen durch den Öresund und die Belte. Das andere (vor allem Lübecks) waren die schonischen Heringsmärkte, wo in jedem Herbst von Hansekaufleuten die von dänischen Fischern im Öresund gefangenen gewaltigen Mengen Hering aufgekauft, eingesalzen und auf den deutschen Markt gebracht wurden. Dies war für die Hanse ein ungemein pro fitables Geschäft und ein starkes Fundament ihrer Wirtschafts 25
macht. Ihr Handelsmonopol auf den Schonenmärkten kam bei Streitfragen mit dem dänischen König regelmäßig auf die Tagesordnung und sorgte für zusätzlichen Zündstoff. Als schließlich im Laufe des 15. Jahrhunderts die Holländer in diese hansische Domäne einbrachen und in Konfliktsituationen vom dänischen König als Gegengewicht zur Hanse instrumentalisiert wurden, stieg die Bereitschaft zu hansischen Kriegszügen gegen Dänemark deutlich an. Nach dem Tode Waldemars II. im Jahre 1241 kam es zu einem rapiden Zerfall der Königsmacht durch dynastische Auseinandersetzungen, die sich über beinahe einhundert Jahre hinzogen und in ihrer Erscheinungsform und Intensität an die Rosenkriege in England erinnern. Dänemark war nahe daran, sich in Teilreiche aufzulösen bzw. zur Beute der Nachbarn zu werden. In diesem Streit wurde auch der Keim für einen Konflikt gelegt, der bis in das 20. Jahrhundert hinein wiederkehrend für Unruhe sorgen sollte. Es ging hierbei um das Herzogtum Schleswig, das Erik IV., Waldemars Sohn, der noch zu dessen Lebzeiten zum König gekrönt worden war, seinem Bruder Abel als Lehen gab, um dessen allzu offensichtliches Streben nach der Königskrone zu zügeln. Doch die Rechnung ging nicht auf, denn Abel griff nun von seiner neuen und rei chen Hausmacht aus noch begehrlicher nach der Krone, wobei ihn die Grafen von Holstein und die Stadt Lübeck unter stützten. Plündernd und brandschatzend zogen Abels Truppen durchs dänische Land. Und nicht wie im Alten Testament Abel, sondern Erik wurde – in Schleswig – erschlagen und Abel daraufhin 1250 König. Doch schon zwei Jahre später kam auch er – in einem Zug gegen die Friesen – zu Tode, so daß der dritte der Brüder, Christopher, auf den Thron gelangte. Dieser Zweig der Familie konnte die Krone zwar verteidigen, doch mußte er sich ständig gegen die Ansprüche der Abel-Dynastie, also der Herzöge von Schleswig, die dort ihre Machtposition ausbaute, sowie deren Holsteinische Verbündete zur Wehr setzen. Das Herzogtum Schleswig begann seit dieser Zeit, eine politische Sonderrolle zu spielen und Bestrebungen zu zeigen, sich auch staatsrechtlich aus der Monarchie 26
herauszulösen. Das ging schließlich so weit, daß sich die Her zöge von Schleswig in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun derts offen mit den Gegnern Dänemarks verbündeten und für einige Zeit sogar die Souveränität erlangten. Ein weiteres oppositionelles Element war im 13. Jahrhun dert die Kirche, die in der Mitte des Jahrhunderts stärker auftreten konnte, weil der Papst nicht mehr auf die Unterstüt zung des dänischen Königs gegen den Kaiser angewiesen war. Der Erzbischof in Lund scheute nun nicht mehr vor bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Krone zurück, um seine Auffassung von kirchlicher Immunität und Eigenrecht durchzusetzen. Auch der dänische Adel nutzte die Schwäche der Königsmacht, um seine politische und wirtschaftliche Stellung im Reich zu verbessern. Er trat immer selbstbewußter als eigener Stand auf, der als solcher ein Mitspracherecht bei der Machtausübung einforderte. Seit den 1250er Jahren hielt er regelmäßig Versammlungen ab, den sogenannten Danehof, auf denen der König den Magnaten gegenüber Rechenschaft ablegen sollte. Aus diesem Danehof heraus bildete sich einige Zeit später der Reichsrat, der sich aus den Bischöfen und den bedeutendsten Adligen zusammensetzte. Zusammen mit diesem Reichsrat als Beratungsorgan sollte der König fortan regieren, und um königlicher Willkür vorzubeugen, ließen sich die Magnaten 1282 von König Erik Glipping eine Handfeste (Kapitulation) ausfertigen, die die politische Mitbestim mung des Adels regelte und ihm dazu Rechtsgarantien (keine Gefangensetzung ohne Recht und Rechtsspruch) zusicherte. Solche Handfesten, in denen das Verhältnis zwischen Krone und Ständen, insbesondere dem Adel, geregelt wurde, hat künftig jeder neugewählte König unterzeichnen müssen. Im Ringen zwischen Adel, Kirche und Krone um die Aneignung der bäuerlichen Arbeitskraft konnte der Adel mit der Handfeste von 1282 einen weiteren Erfolg verbuchen, denn darin wurden der Krone Grenzen hinsichtlich der Arbeitsbe lastung der Bauern für königliche Gewerke gesetzt. Die Inhaber der Krone setzten in dieser Zeit der inneren und äußeren Auseinandersetzungen alles daran, ihre militä 27
rischen Ressourcen zu stärken, was sie vor allem durch die Anwerbung ausländischer Landsknechte, in erster Linie deutschen, bewerkstelligten. Die Folge war, daß sich die Krise zusehends verschärfte. Denn um die Landsknechte bezahlen zu können, wurde die Zoll- und Steuerschraube angezogen. Erik Glipping experimentierte sogar mit einer Münzverschlechte rung, so daß sich schließlich Magnaten und Kirche offen gegen die Königsmacht stellten. Die dubiosen Umstände der Ermordung Erik Glippings 1286, in die offensichtlich einige Große verwickelt waren, trugen zu einer weiteren Trübung des Verhältnisses zwischen Krone und Magnaten bei, das sich auch in der Folgezeit nicht entspannte, zumal sein Sohn und Nachfolger Erik Menved einer kostspieligen, kontinentalen Hofhaltung zuneigte und außerdem eine aggressive Außenpolitik einschlug, mit der er seine innere Stellung glaubte festi gen zu können. Obgleich es ihm zeitweilig gelang, in Holstein, Lübeck und Rostock sowie in Teilen Schwedens seine Lehns hoheit bestätigt zu bekommen, wurde er hier in ein anhaltendes militärisches Engagement verwickelt, das die Krone teuer zu stehen kam. Zudem erhoben sich 1313 in Teilen des dänischen Reiches die Bauern – nicht selten mit adliger Rücken deckung – gegen die königlichen Forderungen. Die Finanzen der Krone wurden auf diese Weise mehr und mehr zerrüttet, so daß Erik sowie sein Bruder und Nachfolger Christopher in ihrer Geldnot sogar gezwungen waren, die politische Macht zu kapitalisieren, indem sie bei den mächtigen Grafen von Holstein Unsummen Geldes liehen, für die die Holsteiner eine königliche Burg nach der anderen und viele der dänischen Lehen, zuletzt fast das ganze Kronland, als Pfand bekamen. Der größte Nutznießer war Graf Gerhard von Holstein (Rendsburg), der sich dadurch zum faktischen Regenten Dänemarks aufschwang. Es wurde nach Christophers Tod nicht einmal ein neuer König gewählt. Gerhards Regiment war hart und traf vor allem wieder die Bauern, denn seine Bestrebungen zielten nicht nur auf deren wirtschaftliche Ausbeutung, sondern liefen darauf hinaus, feudale Strukturen hol steinischen (also kontinentaleuropäischen) Zuschnitts zu schaf 28
fen, die dem jütischen Landschaftsrecht und den dänischen Bauernfreiheiten widersprachen. Als seine Herrschaft immer rücksichtsloser wurde und seine Landsknechte auch für die dänischen Magnaten zu einer ernsten Gefahr geworden wa ren, wurde Gerhard 1340 Opfer einer politischen Verschwörung, die gleichsam zum Fanal für die Befreiung des dänischen Landes von fremder Herrschaft wurde – denn inzwischen hatte auch im schonischen Landesteil der schwedische König Magnus Eriksson eine von den Holsteinern erkaufte Fremd herrschaft errichten können. Überall erhob man sich nun, und das auf knapp 12 000 Mann bezifferte Heer der Holsteiner zog sich nach anfänglicher Gegenwehr zurück, denn die Söhne des Grafen hatten sich inzwischen darauf verständigt, den teuren und letztlich unsicheren Machterhalt aufzugeben und statt dessen anzustreben, die Pfandschaften wieder in bare Münze umzuwandeln, anstatt diese möglicherweise ganz zu verlieren. Für diesen Ausgleich bedurfte es nicht nur des militärischen Rückzuges als Zeichen, sondern auch eines Eingehens auf die Bestrebungen der Magnaten. Als Kompromißkandidaten für den seit acht Jahren vakanten dänischen Thron einigte man sich auf den Sohn Christophers IL, Waldemar, der den Holsteinern den Vorzug deutscher Bindung zu bieten schien, da seine Schwester mit dem Sohn des Kaisers, dem Markgrafen Ludwig von Brandenburg aus dem Hause Witteisbach, verheiratet war. Waldemar, der später den Beinamen Atterdag (etwa ,der Zögerliche’) erhielt (die Zeitgenossen titulierten ihn zunächst noch ,der Böse’), sollte den namensgleichen großen Vorgängern auf dem Thron alle Ehre machen, ja diese an politischer Begabung und Geschick sogar übertreffen. Das war 1340 noch nicht absehbar, denn erst einmal mußte Waldemar die königliche Macht wieder festigen und das Kronland zurückgewinnen. Ihm kam dabei zugute, daß, abgesehen von den Holsteinern, auch andere auswärtige Mächte ein Interesse an der Konsolidierung der Königsmacht und an verläßlichen politischen Verhältnissen in Dänemark hatten: Die Hanse, weil die chaotischen machtpolitischen Zustände dort nicht ohne negative Auswirkungen auf ihren 29
Handel geblieben waren, der Brandenburger (eigentlich Wittelsbacher), damit ihm endlich die nicht unerhebliche Mitgift seiner Ehefrau ausgezahlt werden konnte. Waldemar war ein tüchtiger Intrigant, der mit dem schwedischen und dem norwegischen König sowie norddeutschen Fürsten wechselnde Bündnisse einging, die oft einander widersprachen oder sogar gegeneinander gerichtet, aber stets und emsig auf seinen Machtausbau gerichtet waren. Gleichzeitig belastete er seine Untertanen mit immer neuen Steuern und trieb systematisch die ehemaligen Krongüter ein. Bei letzterem kam ihm zugute, daß er persönlich von der Pestepidemie ver schont blieb, während ihr nicht wenige Magnaten und deren Familien zum Opfer fielen. Widerständigkeit wurde unbarm herzig niedergeschlagen und die alten dänischen Freiheitsrechte mit Füßen getreten. „Der Friede der Herren, Bürger und Bauern wurde so gering geachtet, daß im ganzen Reich keine Zeit zum Essen, Ruhen oder Schlafen war“, ist in einer see ländischen Chronik zu lesen. Mit dem Verkauf Estlands an den Deutschen Ritterorden bekam Waldemar 1346 die nötigen Gelder in die Hand, um die ärgsten auswärtigen Gläubiger der Krone zufriedenzustellen und zudem die militärische Basis zu schaffen, die es ihm in den folgenden Jahren ermögli chen sollte, die königliche Macht im ganzen Reich durchzusetzen und schließlich einen expansionistischen Kurs ein zuschlagen. Hierbei klangen erstmals deutlich vernehmbar Bestrebungen der Krone Dänemark an, die bis in das späte 17. Jahrhundert hinein zu einer die Geschicke des Landes maßgeblich beeinflussenden Konstante werden sollten: Die Herrschaft über die Ostsee, das vielbeschriebene Dominium Maris Baltici. Im Mittelpunkt der dänischen Interessen stand dabei die Kontrolle über die Handelswege und -platze vom Sund bis ins Baltikum. Die Hansestädte hatten seit über ein hundert Jahren gezeigt, welche Reichtümer aus dem Ost West-Handel gezogen werden konnten. Waldemar hatte er kannt, daß er, solange die Kroneinnahmen hauptsächlich aus der bäuerlichen Arbeitskraft gezogen wurden, er auch stets vom Adel abhängig sein würde. Die Krone mußte sich des 30
halb zusätzliche Einkunftsquellen sichern, und am lohnendsten schien ihm die Beteiligung an den kaufmännischen Profi ten zu sein. Die Aussicht, bei ihnen durch Zölle und Steuern schöne Gelder abschöpfen zu können, muß für Waldemar derart verlockend gewesen sein, daß er sich auf ein militäri sches Abenteuer einließ, dessen Ausgang für ihn allerdings mehr als zweifelhaft war. Zwar konnte Dänemark durch Waldemars Eroberungen einen territorialen Zugewinn erzielen, die faktische Macht fiel jedoch in die Hand des Hansebundes. Dieser unterstützte – bezogen auf Dänemark – zwar zunächst Waldemars Konsolidierungsbestrebungen, um sich dann aber, als dieser 1361 mit seinen Landsknechten die Insel Gotland überfiel und die alte Hansestadt Visby besetzte, mit aller militärischen Macht gegen ihn zu wenden. Dabei zog die Hanse auch unzufriedene dänische Magnaten auf ihre Seite, so daß die mühsam von Waldemar errungene dänische Einheit wieder zerbrach. Was folgte, war ein erbitterter Seekrieg der Hanse gegen Waldemar, der schließlich auch von seiner deut schen Verwandtschaft im Stich gelassen wurde. Dieser Krieg gegen den Dänen nimmt auch in der Hansegeschichte eine zentrale Bedeutung ein, konnten sich die Städte doch erstma lig auf ein einheitliches Vorgehen gegen eine fremde Macht einigen und diesen Beschluß auch konsequent in die Tat umsetzen. Das letzte Drittel des 14. Jahrhunderts wird denn auch gemeinhin als Höhepunkt hansischer Macht bezeichnet, was seinen deutlichen Ausdruck darin fand, daß die Städte 1370 im Vertrag von Stralsund nicht nur dem dänischen König den Frieden diktierten, sondern dabei sogar die Begehrlichkeiten ihrer verbündeten norddeutschen Fürsten auf dänisches Land abwehren konnten. Die Insel Gotland wurde sogar bei Dänemark belassen, das der Hanse allerdings die Kriegskosten ersetzen und das Recht einräumen mußte, bei künftigen Königswahlen ein entscheidendes Wort mitzureden. Die wichtigsten Festungen in Schonen, vor allem am Sund, wurden der Hanse für 15 Jahre als Pfand überlassen.
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IV. Unionszeit 1375 starb Waldemar überraschend, und wieder schien es hinsichtlich der Nachfolgerfrage zu Konflikten zu kommen, denn Waldemar war ohne männlichen Erben. Doch seiner Tochter Margarethe, seit 1363 verheiratet mit dem norwe gischen König Håkon, gelang es in geschickt geführten Ver handlungen, die Ansprüche ihres erst fünfjährigen Sohnes Olav durchzusetzen, für den sie gemeinsam mit dem dänischen Reichsrat die Regentschaft ausüben sollte. Die dänischen Magnaten und die Hanse versprachen sich von dieser Lösung einige Vorteile. Die Magnaten, weil noch während Waldemars Regentschaft das alte Problem der Machtvertei lung zwischen König und den privilegierten Ständen wieder in den Vordergrund gerückt war. Waldemar hatte sich geweigert, eine Handfeste auszustellen, und seine Herrschaft im Innern dadurch gefestigt, daß er landesweit seine Beamten auf die königlichen Burgen und festen Orte verteilt hatte. Diese Entwicklung glaubte man wieder zurückdrängen zu können. Die Hanse versprach sich schlicht weitere wirtschaftliche Privilegien, vor allem in Norwegen. Als Håkon 1380 verstarb, fiel seinem Sohn auch der norwegische Thron zu, und auch hier übte nun Margarethe im Namen des Sohnes die Regentschaft aus. Dies war der Be ginn der bis 1814 währenden dänisch-norwegischen Union (oder wie es die norwegische Nationalgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zu nennen pflegte: der „400jährigen Nacht“ in der norwegischen Geschichte). Nach dem frühen Tod ihres Sohnes wäre Margarethes Regentschaft nach gel tendem Staatsrecht eigentlich schon 1387 beendet gewesen, denn ein neuer König hätte gewählt werden müssen. Doch wieder konnte sie die Reichsräte der beiden Reiche auf ihre Seite ziehen, die ihr als ,Regentin auf Lebenszeit’ huldigten. Nur wenige Monate später, im März 1388, trug ihr auch ein einflußreicher Teil der schwedischen Magnaten die Regentschaft der Krone Schweden als bevollmächtigte Frau’ an, denn 32
die schwedischen Magnaten waren unzufrieden mit ihrem König Albrecht aus dem Hause Mecklenburg, der zu ihrem Nachteil immer dreister seine norddeutschen Vasallen auf die bedeutenden Posten im Reich gehoben hatte. Auch die mittelschwedischen Bergwerksunternehmer hatte er durch die Er hebung übermäßiger Zölle, mit denen Albrecht seine Kasse auffüllen und zugleich die Hanse treffen wollte, gegen sich aufgebracht. Margarethe scheint die Situation und die großen Möglichkeiten, die sich ihren dynastischen Ambitionen boten, schnell erfaßt zu haben. Im Süden Dänemarks beruhigte sie die Lage vorerst, indem sie den Grafen von Holstein mit dem Herzogtum Schleswig belehnte, das dieser sich sowieso schon faktisch angeeignet hatte. Sie schickte nun ein Heer nach Schonen, das gegen Albrecht antrat und diesen, der sie noch kurz zuvor als „König Hosenlos“ verhöhnt hatte, Ende Februar 1389 vernichtend schlug. Nur in Stockholm konnte sich eine mecklenburgische Besatzung halten, unterstützt von dort ansässigen deutschen Kaufleuten. Entsatz erhielt die belagerte Stadt über See durch norddeutsche Seefahrer, vor nehmlich aus Rostock und Wismar, denen die Mecklenburger Kaperbriefe gegen Dänemark ausstellten. Diese Lebensmittellieferanten, die sog. Vitalienbrüder, gingen zum Schaden der Handelsschiffahrt mehr und mehr dazu über, reine Piraterie auch über den Ostseeraum hinaus zu betreiben. Unterdessen schritt Margarethe unter eifriger Teilnahme der schwedischen Stände mit ihrer Herrschaftssicherung voran. Sie strebte nach einer raschen Lösung der Thronfolgefrage in allen drei nordischen Reichen. In ihrem zum damaligen Zeitpunkt noch unmündigen Großneffen Erich (Erik) von Pommern glaubte sie einen geeigneten Kandidaten für die Kronen gefunden zu haben. Schon 1388 ließ sie ihn vom norwegischen Reichsrat als „rechten Erben des Reiches“ annehmen, sie selbst sollte bis zur Mündigkeit Eriks die Regierungsgeschäfte ausüben. Sollte Erik keinen männlichen Nachfolger haben, sollte die Nachfolge auf den nächsten nach dem norwegischen Thronfolgerecht übertragen werden. Es war somit nicht nur eine Huldigung Eriks, sondern zugleich die Umwandlung Norwe 33
gens in ein erbliches Königreich. Eriks Nachfolger konnten daher ohne Huldigung das norwegische Erbe antreten. 1396 setzte sie die Nachfolge Eriks auch in Dänemark und Schwe den durch. Margarethe aber wollte mehr als einen in den einzelnen Reichen angenommenen gemeinsamen Thronprätendenten. Alle Absprachen, die vorausgegangen waren, sollten in einem einzigen, öffentlichen Akt vollzogen und dokumentiert werden und universale Rechtskraft erlangen. So berief sie die Spitzen des weltlichen und des geistlichen Adels der drei Reiche zu einer Krönungsversammlung nach Kalmar, der damaligen Grenzfeste zwischen Dänemark und Schweden. Im Anschluß an die Krönung Eriks fanden Verhandlungen über die Regierungsmodalitäten statt, deren Ergebnisse in zwei Dokumenten noch heute vorliegen: zum einen in dem Krönungs- oder Huldigungsbrief vom 13. Juli 1397, zum anderen im Unionsbrief vom 20. Juli 1397. Das erste Dokument ist ein den damals gebräuchlichen Formen entsprechendes Doku ment, das allerdings nur die vollzogene Krönung und Huldi gung mit dem gegenseitigen Treueversprechen auf Lebenszeit Margarethes und Eriks bestätigte sowie Margarethe General vollmacht für ihre Reichsverweserschaft gab. Die zweite Urkunde dagegen, die den Keim für die über hundert Jahre währenden Streitigkeiten zwischen Dänemark und Schweden legte, ließ aufgrund formaler Abweichungen und unpräziser Inhalte von vornherein die allgemeine Rechtsgültigkeit zweifelhaft erscheinen. Die beiden Dokumente schie nen sich in gewisser Weise zu widersprechen: Das eine bestä tigte die königliche Personalunion über die drei Reiche; das zweite aber brachte zum Ausdruck, daß man sich in Kalmar offensichtlich nicht einigen konnte, wie die Herrschaftsform realiter aussehen sollte. Eine einheitliche Regierung über alle drei Reiche wurde anscheinend von der Mehrzahl der Ver sammelten nicht gewünscht. Immerhin wurde festgelegt, daß die drei Reichsteile für alle Zukunft einen gemeinsamen König haben sollten. Den drei Reichsräten blieben jedoch noch allerhand Befugnisse, auch sollten Recht und Gesetz in jedem Reichsteil nach alter Gewohnheit bestehenbleiben. Die beiden 34
Dokumente belegen das Tauziehen um konstitutionelle Prin zipien zwischen der Königsmacht, die die Erblichkeit anstreb te, und dem Adel, der sich die Wahl des Throninhabers vor behalten wollte. Norwegen war ein Erbreich, Dänemark und Schweden waren dies nicht. Margarethes Regentschaft in Dänemark ist vor allem durch eine Neuordnung der Finanzen und die Reorganisation des Staatswesens gekennzeichnet. Die drei wichtigsten Reichsämter – Drost (Rechtswesen), Marschall (Militär) und Kammermeister (Finanzen) – wurden nach dem Tod ihrer Inhaber von ihr nicht mehr besetzt, wodurch dem Adel ein bedeutendes Instrumentarium zur Durchsetzung seiner Standesinteressen abhanden kam. Auch achtete sie in ihrem Reich auf die Ein haltung der den Hansestädten in Stralsund 1370 gewährten Privilegien. Darüber hinaus hielt sie sich zur Aufbesserung der Finanzen an der weltlichen und kirchlichen Aristokratie Dänemarks schadlos, indem sie umfassende Güterreduktionen durchführte. Erik von Pommern, der nach dem Tode Margarethes 1412 die Regentschaft in den drei Reichen übernahm, versuchte, mehr Kapital aus der Handelspolitik zu ziehen. Um den Einfluß der Hanse zurückzudrängen, begünstigte er das Eindringen der Holländer und Engländer in den Ostseeraum. Daß dem Öresund als natürliche Sperre zwischen Nord- und Ostsee dabei eine zentrale Bedeutung zukam, hatte er schon bald erkannt. Er nutzte die sich hier bietenden Möglichkeiten und gründete die Stadt und Festung Landskrona am östlichen Ufer des Sundes, um hier englische und holländische Kaufleute anzusiedeln. Außerdem räumte er der Stadt Malmö größere Handelsprivilegien ein und nahm 1417 Kopenhagen, das bis dahin dem Bischof von Roskilde unterstand, als neuen Königssitz in seinen Besitz. Aus denselben handelspolitischen Gründen wurde beiderseits des Öresunds eine Reihe weiterer Burgen von Erik angelegt, die ihm die Kontrolle dieser Was serstraße ermöglichten. Und so muß es nur konsequent erscheinen, daß er ab 1429 einen Zoll erhob, den jedes Schiff, das den Sund passierte, bezahlen mußte. Dieser sogenannte 35
Sundzoll blieb, mit mehreren im Laufe der Zeit durchgeführ ten Modifikationen, bis 1857 bestehen. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit war er eine der wichtigsten Einnahmequellen der dänischen Krone. Eriks rigorose Steuer- und Zollpolitik (man könnte ihn als einen Früh- oder Vormerkantilisten bezeichnen) führte langfristig nicht nur zu einer Konfrontation mit der Hanse mit Lübeck an der Spitze. Es entwickelten sich auch sowohl in Dänemark als auch in Schweden oppositionelle Kräfte, die dem Unionskönig immer gefährlicher wurden und vor denen er schließlich, 1439, kapitulieren mußte. Dazu kam in Nor wegen und Schweden der Mißmut des Reichsratsadels über die Besetzung der einheimischen Schlösser und Lehen mit dänischen Vögten, während weder Norweger noch Schweden mit ähnlichen Aufgaben in Dänemark betraut wurden. Auch die Kirche widersetzte sich zunehmend der Anwendung ihrer Mittel für militärische Zwecke, die der Machtausweitung Eriks dienten. Aber erst ein Schlag von ganz unerwarteter Seite leitete den Anfang vom Ende von Eriks Herrschaft ein: In der mittelschwedischen Bergbaulandschaft Dalarna hatte die selbstbe wußte großbäuerlich-bergbauunternehmerische Oberschicht den Druck der von dänischen Vögten getragenen harten Steu erpolitik und Lokalverwaltung, aber auch die durch den langjährigen Seehandelskonflikt zwischen Erik und der Hanse verursachte Wirtschaftskrise besonders zu spüren bekommen. Wirtschaftliche und soziale Bestrebungen wirkten hier zusammen, als 1434 unter der Führung Engelbrekt Engelbrektssons, eines kleinadeligen Gruben- und Hüttenbesitzers, ein Aufstand gegen den Unionskönig und dessen Anhängerschaft losbrach. Die allgemeine Unzufriedenheit im Lande führte zu einem raschen Übergreifen der Aufstandsbewegung auf das ganze schwedische Kernland, der sich bald der antidänische weltliche und geistliche Hochadel anschloß. Die Unruhen wurden sogar bis nach Norwegen hinübergetragen, wo die Zwangsleistungen für den Unionsherrscher angesichts der seit langem krisenhaften Wirtschaftslage des Landes besonders 36
das Bauerntum empört hatten. Doch konnte der Aufstand hier mit Hilfe des inzwischen danizierten Adels niedergeschlagen werden. In Schweden jedoch wurde Erik in einen langwierigen Kleinkrieg verwickelt. Der Aufruhr machte den Versuch Eriks, das wirtschaftliche Übergewicht der Hansekaufleute im Norden zu brechen, zunichte. Obwohl der Unionskönig in seinen Zielen scheiterte, scheint ein kurzer Blick auf seine Ostseepolitik doch interessant, in der er sich offensichtlich von weitreichenden Plänen einer macht- und handelspolitischen Dominanz über diesen Wirtschaftsraum leiten ließ. Die Ausgangslage war an sich nicht ungünstig. Als Unionskönig herrschte Erik über alle skandinavischen Häfen und dazu – was besonders wichtig war – über die Zufahrten zur Ostsee. Auch an der Südküste standen ihm durch seine pommerschen Besitzungen Stützpunkte zur Verfügung. Einer der Hauptkonkurrenten um die Ostseeherrschaft, der Deutsche Orden, war seit der Niederlage bei Tannenberg 1410 praktisch ausgeschaltet. Erik zögerte nicht, jetzt vom Orden das knapp hundert Jahre zuvor von Waldemar IV. verkaufte Estland zurückzufordern und zu diesem Zweck Polen, mit dem sich Erik verbündete, gegen ihn auszuspielen. Das Ziel war offenkundig: durch den Besitz der Südküste der finnischen Bucht den lukrativen Novgoroder Handel zu kontrollieren. Doch als schließlich auch im Kernland Dänemark der Hochadel, der im Reichsrat die politische Macht faktisch an sich zu reißen vermocht hatte, dem König die Gefolgschaft versagte und ihn entmachtete, zog sich Erik nach Gotland zurück, von wo aus er sich durch Förderung der Seeräuberei an seinen Gegnern schadlos hielt. Im Sommer 1439 sagte ihm der dänische Reichsrat endgültig die Treue auf, da Erik gegen den Willen des Rates versuchte, seinen Neffen Bogislav von Pommern als Erben (nach norwegischem Thronfolgerecht) einzusetzen. Im Herbst desselben Jahres folgte auch der Reichsrat in Schweden diesem Schritt und setzte Erik nun auch formal ab. Auch der vom dänischen Adel beherrschte norwegische Reichsrat folgte wenig später. 37
Die erfolgreiche Fronde der dänischen und schwedischen Magnaten gegen Erik wurde zum Preis einer neuerlich verfe stigten wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Hanse erkauft. Als der dänische Reichsrat Erik absetzte, mußte er den wendischen Städten für ihre Unterstützung ihre Privilegien erneuern und auf ihren Wunsch eine Handelssperre gegen Holland und Seeland anordnen. Die Holländer, inzwischen zu einer beachtlichen Seehandelsmacht geworden, setzten daraufhin einen Kaperkrieg gegen hansische und dänische Schiffe in Gang, worauf Dänemark insofern einlenkte, als es 1441 die Sundpassage für holländische Schiffe wieder freigab. Die Holländer sicherten den Dänen zu, sie im Falle hansischer Gegenmaßnahmen zu unterstützen. Die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun derts zeigt aber, daß die Nachfolger Eriks gelernt hatten, die Konkurrenz zwischen Holland und der Hanse für ihre Zwecke auszunutzen. Diese ganze Entwicklung ging mit einer Festigung der Geldwirtschaft im dänischen Reich einher. Da bei suchte das dänische Münzsystem einen stärkeren Anschluß an das lübische, was angesichts der engen wirtschaft lichen Verflechtung alich nahelag. Ein grundlegender Zug der weiteren Entwicklung, und zwar in allen drei nordischen Reichen, war der wachsende Einfluß der Interessenvertretung des Hochadels, des Reichsra tes, auf die Politik auf Kosten der Königsmacht. Dem Reichsrat kam dabei zugute, daß die Thronfolgefrage stets mit der Unionsfrage verbunden war, weshalb der Prätendent den Räten in den einzelnen Reichen Zugeständnisse machen mußte. Allerdings beschränkte sich die Einflußnahme der Magnaten de facto auf die Bereiche Steuerbewilligung und Thronfolge, aus den Alltagsgeschäften hielten sie sich meist weitgehend heraus, was dem König wiederum die Möglichkeit bot, die Ämter nach seinem Gusto zu besetzen. Hierbei kamen zu nehmend Angehörige des Bürgertums zum Zuge, wodurch dieser Stand politisch immer stärker aufgewertet wurde. Nach der Absetzung Eriks in Dänemark 1439 wählte der dänische Reichsrat 1440 den 25 jährigen Christopher (von 38
Bayern), einen Neffen Eriks, zum König, den die Räte schon 1438 als Reichsverweser eingesetzt hatten. Seine dem dänischen Adel gewährte Handfeste schränkte die königliche Macht weiter ein und festigte den Ratskonstitutionalismus. Nicht zuletzt aufgrund dieser Selbstbeschränkung Christo phers zogen die Räte der beiden anderen Reiche noch einmal nach und bestätigten durch seine Wahl die Union. Christoph blieb wenig eigener politischer Spielraum. Zudem wurde seine nur siebenjährige Regentschaft schon bald von Konflikten ge trübt. In Dänemark gelang ihm nur mit Mühe die Niederschlagung schwerer Bauernunruhen, die durch die zunehmend verschlechterte wirtschaftliche und rechtliche Lage des Bauerntums hervorgerufen worden waren. In Schweden führte der Reichsrat ein mehr oder weniger vom Unionskönig losgelöstes Regiment. Hier schlugen auch immer deutlicher die wirtschaftlichen Partikularinteressen der mittelschwedischen Bergwerks- und Hüttenbesitzer in politische Forderungen um, die zwangsläufig denen des in Schweden ansässigen, dänisch gesinnten Gutswirtschaftsadels entgegenliefen. Die solcher maßen in Gang gesetzte Zersplitterung der schwedischen Magnatenschicht sollte letzten Endes das Schicksal der Union besiegeln, wenngleich sich dieser Prozeß noch über rund 80 Jahre hinziehen sollte. Er war gekennzeichnet durch stete dänische Versuche, die Union wieder aufzurichten – meist mit Gewalt. Das konnte zeitweise immer dann gelingen, wenn sich die .dänische’ Fraktion der schwedischen Magnaten, die in der Regel in beiden Reichen Güter besaßen, gegen ihre Widersacher durchsetzte. Doch konnten Zweckbündnisse genauso schnell zerbrechen, wie sie aus Eigensucht entstanden waren. Ein erstes Beispiel lieferte die Nachfolgefrage Christophers, der 1448 erst 32jährig und kinderlos gestorben war. In Schweden konnte sich in Gestalt Karl Knutsson Bondes der Führer der nationalen’ Fronde durchsetzen und zum König wählen lassen. Obgleich er erkennen ließ, daß er sich auch zum Unionskönig ausersehen fühlte, wählten Dänen und Nor weger in ihren Reichen einen anderen Kandidaten, nämlich Christian von Oldenburg, den Neffen des mächtigen Schauen 39
burgers Adolfs VIII., seines Zeichens nicht nur Graf von Hol stein, sondern auch Herzog von Schleswig. 1450 wurde in Bergen sogar ein neuer Unionsvertrag zwischen dänischem und norwegischem Reichsrat beschlossen, nach dem beide Länder für alle Zukunft als selbständige und gleichberechtigte Reiche in einer Personalunion vereint bleiben sollten. Damit war für zwei der drei nordischen Reiche die Idee verwirklicht, die Margarethe für den ganzen Norden angestrebt hatte. Daß auch die schwedische Ratsaristokratie das Unionsprojekt nicht gänzlich aufgegeben hatte, zeigte sich schon wenige Jah re später: Die machtpolitischen Konstellationen hatten sich dort zu Ungunsten Karls verändert, der durch seine Gelüste auf die norwegische Krone sein Reich in kostspielige militärische Verwicklungen trieb, die er durch Ausheben von Sonder steuern zu finanzieren gedachte. Die schwedischen Reichsräte, angeführt vom Erzbischof von Uppsala, fielen einer nach dem anderen von Karl ab, der schließlich 1457 vom Thron gejagt wurde. Nun huldigte man auch in Schweden Christian I., der den Privilegienforderungen des Reichsrates weit entgegen gekommen war. Es zeugt von Machtkämpfen innerhalb der schwedischen Aristokratie und entbehrt auch nicht einer kuriosen Note, daß der schwedische Reichsrat Karl Knutsson noch zwei weitere Male (1464/65, 1467–70) auf den Thron hievte, nämlich jedesmal dann, wenn die dänische Herrschaft als zu drückend empfunden wurde. Doch stets wiederholte sich das gleiche Spiel, daß erneute innerschwedische Macht kämpfe zur Rückbesinnung auf den Dänen (eigentlich Olden burger) führten, der im übrigen – wie seine Nachfolger bis ins 17. Jahrhundert – seinen Anspruch auf die schwedische Krone nie aufgab. Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts setzte sich aber unter tatkräftiger Mithilfe des schwedischen Bauernstandes und kleinadeliger, unternehmerischer Schichten dieje nige politische Linie unter den schwedischen Magnaten durch, die nach einer völligen Lösung aus der Union und nach Bildung des frühneuzeitlichen schwedischen Nationalkönigtums strebte, das dann ab 1523 unter Gustav Wasa entstand. Christians II. gewalttätiges Unterfangen, im November 1520 40
im sogenannten Stockholmer Blutbad einen neuen, ihm erge benen schwedischen Reichsrat durch Beseitigung des alten zu schaffen, indem er unter dem Vorwurf der Ketzerei über 80 schwedische Adlige enthaupten ließ, hatte zum landesweiten Aufstand und endgültigen Verlust Schwedens geführt. Erfolgreicher als in Schweden war die Herrschaftsarrondierung der Oldenburger im Süden des dänischen Kernreiches, wo Christian I. 1460 nach dem Tode Adolfs VIII., der keinen männlichen Erben hinterließ, in der Ständeversammlung zu Ribe (Ripen) zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein gekührt wurde. Dabei kamen ihm zum einen die unterschiedlichen erbrechtlichen Bestimmungen und zum anderen die Interessen der Ritterschaft der beiden Länder entgegen, die aus wirtschaftlichen und finanztechnischen Gründen trotz deren unterschiedlicher staatsrechtlicher Bindung die beiden Länder zusammenhalten wollte. Schleswig wäre als dänisches Lehen an Christian – respektive seine jüngeren Brü der – gefallen und somit diese Einheit bei Durchsetzung eines anderen Anwärters in Holstein zerbrochen. Denn die Pinne berger Nebenlinie der Schauenburger machte Ansprüche auf Holstein geltend. Als Gegenleistung für die Wahl zum Grafen von Holstein garantierte Christian die Eigenständigkeit von Schleswig und Holstein (1474 wurde Holstein vom Kaiser zum Herzogtum erhoben) gegenüber dem dänischen Königreich, dazu „auf ewig“ die Einheit und Unteilbarkeit von Schleswig und Holstein, auch die Einheit von deren Ständen sowie die Teilhabe der Ritterschaft an der Landesherrschaft. Das waren weitgehende, dazu im Detail kompliziert ausformulierte Regularien, die zwar die Länder im Interesse und zum Nutzen der beteiligten Parteien vorerst befriedeten und vor den ewigen Streitereien im Zusammenhang mit Erbfolgeregelungen bewahrten, die langfristig aber bei unterschiedlicher Auslegung der Ribener Bestimmungen zu neuen Konflikten führen sollten. Noch vor Ablauf des Jahrhunderts fingen die dänischen Monarchen an, das ständische Wahlrecht der Herzogtümer zugunsten eines dynastischen Erbrechts auszuhebein, wodurch auch die garantierte Unteilbarkeit mehr und mehr zur Fiktion 41
wurde. Denn nach dem Tode König Christians 1481 einigten sich der neue König Hans und sein Bruder Frederik hinsichtlich der Herzogtümer dahingehend, daß jeder der beiden sowohl in Schleswig als auch in Holstein Herrschaftsteile bekommen sollte – und zwar in einer unübersichtlichen Gemengelage, die nach außen hin den Eindruck der Einheit aufrechterhielt. Es war dies der Ursprung der später so genannten königlichen bzw. herzoglichen Teile der Herzogtümer. Die drängendste innenpolitische Frage war für Christian I. die Eindämmung der Macht des Reichsrates, dem er bei seiner Wahl eine Handfeste mit weitgehenden Privilegien hatte ausstellen müssen. Es ging sowohl um politische als auch wirtschaftliche Interessen der Krone. Um seine mit hohen Kosten verbundene Wahl in den Herzogtümern, die Abfindung der anderen Erben sowie die diversen militärischen Verwicklungen im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Uni onskönigtums finanzieren zu können, hatte Christian umfangreichen Kronbesitz an Adlige verpfändet, die dies wiederum als Hebel benutzten, um ihre Teilhabe an der Herrschaft auszuweiten. Hier hatte er es in erster Linie dem finanzpolitischen Geschick seiner Gemahlin Dorothea zu verdanken, daß die Einlösung der Pfandschaften gelang. Die Verpfändung der Orkney- und Shetlandinseln an seinen Schwiegersohn König Jacob von Schottland als Mitgift für seine Tochter konnte Christian allerdings nicht wieder einlösen. Was das Zurückschneiden der politischen Einflußnahme des Rates betraf, nutzte Christian die Tendenz, daß den Magnaten die praktische Verwaltungsarbeit mehr und mehr lästig fiel und sie sich lieber auf die Bewirtschaftung ihrer Güter konzentrierten. Der König sorgte dafür, daß nun frei gewordene Ämter überwiegend mit Bürgerlichen besetzt wurden, die vor allem ihm und nicht den Reichsräten gegenüber loyal waren. Dies trug nicht unwesentlich dazu bei, daß das Bürgertum sich auch als politische Klasse zu verstehen begann. Ein entscheidender Schritt hin zu ständischer Repräsentation erfolgte 1468, als Christian eine Ständeversammlung mit Vertretern des Adels, des Klerus und der Bürger einberief. 42
In richtiger Erwartung bewilligte diese Versammlung die vom König den privilegierten Ständen, also Adel und Klerus, auf erlegten Extrasteuern. Eine entscheidende Stärkung der Kö nigsmacht bedeutete auch, daß es Christian gelang, seinen Sohn Hans noch zu Lebzeiten als seinen Nachfolger aner kannt zu bekommen, womit das Wahlrecht des Reichsrates neutralisiert wurde, das von den Räten bei Königswahlen stets benutzt worden war, um günstige Handfesten zu erzwingen. Im Gegenzug versuchten die Magnaten, einmal mehr auf der Unionstastatur zu spielen und im Zusammenspiel mit den schwedischen Räten demjenigen Prätendenten die Unions herrschaft anzubieten, der auf ihre Privilegienforderungen einging. Zwar konnte der schwedische Reichsrat in diesem Spiel Gewinne erzielen, der dänische jedoch mußte erkennen, daß die Krone die letztlich stärkere Position innehatte. Das hing auch wesentlich mit der dramatischen Veränderung des Militärwesens zusammen, die zu dieser Zeit europaweit erfolgte. Durch die Verbreitung von Feuerwaffen und Artillerie hatte das adlige Reiteraufgebot ausgedient. Spezialisten des Kriegshandwerkes waren jetzt gefragt, und diese ließen sich nicht länger Standesinteressen zuordnen, sondern wurden vom König über die Landesgrenzen hinweg angeworben. Die Schwäche des dänischen und holsteinischen Adelsaufgebotes zeigte sich besonders deutlich beim Feldzug von König Hans und seinem Bruder Herzog Frederik gegen Dithmarschen im Jahre 1500, als sie versuchten, die formal bestehende Oberhoheit über diesen Landesteil des Herzogtums Holstein auch faktisch zu vollziehen. Die beweglichen, mit Feuerwaffen ausgerüsteten Dithmarscher Bauern fügten dem dänisch-holstei nischen Heer eine vernichtende Niederlage zu und konnten dadurch für die beiden folgenden Generationen die Selbstän digkeit retten. Die wirtschaftspolitischen Bestrebungen Christians I. zielten in erster Linie auf die Stärkung des einheimischen Handels, wozu auch sein Versuch zählte, Zugriff auf die Stadt Hamburg zu bekommen, um am hansischen Transit zu partizipieren. Zwar war die Elbmetropole de jure noch eine schauen 43
burgische, d. h. holsteinische Landstadt und keineswegs reichs frei, faktisch jedoch war sie aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht durchaus in der Lage, die hoheitsrechtlichen Ansprüche des dänischen Königs und Herzogs von Holstein abzuwehren. Dieser versuchte statt dessen wieder verstärkt die holländische Karte zu spielen. Das korrespondierte durchaus mit den politischen und wirtschaftlichen Veränderungen im Ostseeraum. An dessen östlichem Ende waren nach der Eroberung Novgorods die Moskauer Zaren zu beträchtlicher Macht gelangt. Die Moskowiter setzten ebenfalls auf den holländischen Handel, wodurch immer mehr holländische Schiffe in die Ostsee kamen. Das Nachsehen hatten langfristig die Hansestädte des westlichen Ostseeraumes, zumal eines ihrer wichtigsten wirtschaftlichen Fundamente, der Heringsfang, in eine schwere Krise geriet. Die dänischen Magnaten versuchten derweil, in Norwegen ihre Position zu festigen. Hier war der einheimische Adel besonders schwer vom Schwarzen Tod getroffen worden, so daß es den Dänen ein leichtes gewesen war, freigewordene Lehen zu besetzen. Diese Entwicklung führte schließlich dazu, daß König Christian III. 1536 in seiner Handfeste niederschreiben lassen konnte, daß Norwegen als selbständiges Reich zu existieren aufgehört habe und in Zukunft nicht anders als Jut land oder Schonen wie ein Teil des dänischen Reiches behan delt werden sollte. Daneben verstärkten die Magnaten den Druck auf ihre Pachtbauern, deren Frondienstpflichten ausgeweitet wurden. Zudem wurden viele Dörfer und freie Höfe niedergelegt und deren Land direkt den adligen Gütern zugeschlagen, die da durch im Laufe des 15. Jahrhunderts immer größer wurden. Gleichzeitig fand innerhalb des Adels ein Konzentrationsprozeß statt, so daß sich die Zahl der Adelsfamilien verringerte; um 1500 gab es nur noch etwa 250. Diese schlossen sich aber hermetisch von nichtadeligen Schichten ab, u.a. dadurch, daß der Erwerb von Adelsland durch Nichtadelige, insbesondere reiche Kaufleute, ähnlich wie in Polen untersagt wurde. Dänemark schlug hier also einen anderen Weg ein als beispiels 44
weise England, wo gerade das Eindringen reicher, unternehmerischer Bürger in den niederen Adel (Gentry) zu einem dy namischen Moment der wirtschaftlichen Entwicklung wurde. Nobilitierungen waren in Dänemark ab 1513 ohne Zustimmung des Reichsrates nicht mehr zulässig. Auch der rechtliche Status des Bauernstandes verschlechterte sich, indem der Reichsrat die Gelegenheit von Bauerriunruhen nutzte, um ihm das Tragen von Waffen, seit alters her ein Zeichen des freien Mannes, vom König untersagen zu lassen. Überhaupt war die Stellung der Bauern in der Gesellschaft von einer zunehmen den Entrechtung gekennzeichnet und – vor allem in Insel dänemark – ihr Abgleiten in eine Leibeigenschaft kontinental europäischen Zuschnitts unübersehbar.
V. Bürgerkrieg und Reformation Als Christian II. 1513 seinem Vater Hans auf dem Thron nachfolgte, trat das Verhältnis zwischen Königsmacht und Adel in eine neue kritische Phase. Die Magnaten waren be reits durch Christians bürgerfreundliche Politik als Vizekönig in Norwegen (1506–13) aufgeschreckt und trachteten – ver geblich – danach, ihre Privilegien durch eine strenge Hand feste abzusichern. Bedenklich schien ihnen schon der große Einfluß der niederländischen Kauffrau Sigbrit Willoms, deren Tochter Dyveke Christian seit seiner Zeit in Bergen als Mätresse hielt. Auf Sigbrits Rat ist es wohl im wesentlichen zurückzuführen, daß niederländische Vorbilder in Staatsverwaltung und Wirtschaftspolitik zum Zuge kamen. Aber Christian war auch selbst eine Zeitlang in den Niederlanden gewesen und hatte die dortige Kunst und den Kommerz schätzen gelernt. Insbesondere die niederländische Handelsbürgerkultur scheint ihn beeindruckt zu haben. Sigbrit selbst diente als eine Art Finanzministerin – und das nicht zum Schaden der Krone. Den Magnaten gelang es zu diesem Zeit punkt noch nicht, den auf Schloß Gottorf residierenden Her 45
zog Frederik gegen seinen Neffen auszuspielen. Denn an Fre derik waren, da Dänemark nominell noch ein Wahlreich war, die Magnaten mit dem Angebot der Königskrone gegen Pri vilegienbestätigung herangetreten, doch hatte dieser in richtiger Einschätzung der realen Machtverhältnisse den Coup abgelehnt. Christian hatte nicht nur starke Verbündete in Dänemark, sondern durch seine Heirat der Schwester des spä teren Kaisers Karls V. auch außerhalb. Außerdem erhielt er seit 1518 Subsidien aus Frankreich. Christians antiadlige und bürgerfreundliche Politik kam deutlich in zwei Gesetzen des Jahres 1522 zum Ausdruck, mit denen er die dänische Wirtschaft reformieren wollte. Handel und Handwerk sollten allein den Städten vorbehalten sein, der bis dato zulässige Außenhandel des Adels und des Klerus mit eigenen landwirtschaftlichen Produkten wurde eingeschränkt, die Kirche durfte keinen Grund mehr erwerben, und auch der Verkauf von Pachtbauern wurde untersagt. Schließlich forcierte Christian die bereits von seinen Vorgängern betriebene Stärkung des bürgerlichen Elements in der Staats verwaltung, indem er auf Kosten des Adels bürgerliche Lehnsmänner einsetzte. Im Besitz der drei nordischen Kronen strebte Christian augenscheinlich danach, ein großes nordeuropäi sches, vom Handel getragenes Reich zu etablieren. Fast aller Widerstand schien niedergeschlagen. Die Handelsbeschränkungen trafen insbesondere den jütländischen Adel und dessen Viehausfuhr nach Norddeutschland und in die flandrischen und holländischen Städte zu einem Zeitpunkt, als die Nachfrage nach Tierprodukten von Jahr zu Jahr gestiegen war. Von Jütland aus begann sich denn auch die Adelsfronde gegen Christian zu bilden, der sich die Magnaten der anderen dänischen Landschaften in dem Augenblick anschlossen, als Christian infolge des Stockhol mer Blutbades von 1520 immer tiefer in die Niederschlagung des von Gustav Wasa geführten und von Lübeck finanzierten schwedischen Aufstandes verstrickt wurde. Dieses teure militärische Engagement zehrte an den Ressourcen der Krone und machte die Frondeure noch entschlossener, die schließlich 46
Herzog Frederik in Schleswig-Gottorf für ihre Sache gewinnen konnten. Unter dessen Führung wurde ein Heer aufge stellt, das gegen die Hauptstadt und gegen Christian in Marsch gesetzt wurde. Der allerdings zog es überraschender Weise vor, einer Schlacht aus dem Wege zu gehen, obwohl das Stadtbürgertum hinter ihm stand, und sich zur habsburgi schen Verwandtschaft seiner Frau nach Holland abzusetzen. Der dänische Reichsrat kündigte ihm umgehend den Treueeid, und so verlor Christian 1523 nicht nur die dänische Krone, sondern auch die schwedische. Gleichzeitig setzte der Reichsrat Christians Handelsgesetzgebung wieder außer Kraft. In der jahrhundertelangen Auseinandersetzung zwischen Königs- und Adelsmacht, zwischen Eingewalt und Ratskonstitutionalismus hatte sich somit der Adel noch einmal durch setzen können. Doch es sollte einer seiner letzten großen politischen Erfolge bleiben. Denn obschon der Reichsrat die Ma gnaten in den alten Privilegienstand zurückversetzte, konnte das Rad der wirtschaftlichen – und damit auch gesellschaftlichen – Entwicklung nicht zurückgedreht werden. Und dieses Rad lief in einer Welt des dramatischen wirtschaftlichen Um bruchs unaufhaltsam zugunsten des Handelsbürgertums. Herzog Frederik war nun vom Reichsrat gewählter König von Dänemark. Bei seiner Huldigung hatte er eine für die Königsmacht ungünstige Handfeste unterschrieben, die es weitgehend dem Reichsrat überließ, Dänemark zu regieren, der dies zu seinem Vorteil zu nutzen wußte. Dänemark gewann in dieser Zeit den Charakter einer Adelsrepublik. Zwei Fragen prägten Frederiks I. – kurze – Königszeit, und beide sollten auch auf Dauer das Geschick des Landes bestimmen. Zum einen war das die ständige Bedrohung durch den landflüchtigen König Christian II., und zum anderen war es das Luther tum, das auch in Dänemark immer mehr Anhänger fand. Christian II. hoffte, in den Niederlanden nicht nur Bündnispartner gegen seinen Onkel zu gewinnen, sondern auch endlich die Mitgift seiner Frau zu bekommen, mit der er ein Lands knechteheer hätte anwerben können. Während seines Aufenthaltes in den Niederlanden scheint Christian eine gewisse 47
Sympathie für den Protestantismus entwickelt zu haben, was dazu beitrug, daß die Habsburger noch weniger Grund hat ten, die fällige Mitgift zu zahlen. Dagegen fand Christian im holländischen Handelsbürgertum einige Geldgeber, und so war es ihm im Jahre 1531 möglich, Schiffe und Landsknechte zu beschaffen. Mit einer gutgerüsteten Flotte begab er sich im selben Jahr auf den Weg nach Norwegen, wo er aus seiner Zeit als Vizekönig noch die meisten Anhänger zu haben glaubte. Zu seinem Unglück geriet diese Flotte bei der Über fahrt über die Nordsee in einen Sturm, und ein großer Teil der Truppen und der Ausrüstung ging dabei verloren. Christian aber erreichte mit dem Rest den Oslofjord und begann mit der Belagerung der Festung Akershus, deren Besatzung ihn im Gegensatz zu den Bürgern der Stadt Oslo nicht willkommen hieß. Inzwischen aber war die Kunde von Christians norwegischem Landgang auch zu König Frederik nach Dänemark gedrungen, und auch der rüstete nun eine Flotte und schickte sie unter dem Kommando des Bischofs von Odense, Knud Gyldenstierne, in den Oslofjord. Allerdings kam es dort nicht zu einem Waffengang zwischen den beiden Parteien, sondern Christian ließ sich gegen das Versprechen freien Geleits zu ei nem Treffen mit Frederik überreden. Er schöpfte nicht einmal Argwohn, als ihm auf der Höhe von Kopenhagen mitgeteilt wurde, daß er bis Schleswig weitersegeln müsse, weil sein Onkel inzwischen dort residiere. Erst in der süddänischen Inselwelt wurde ihm klar, daß er in eine Falle getappt war. Den Rest seines Lebens, fast 28 Jahre, sollte er in Gefangen schaft verbringen – wenngleich mit einer seinem Stand zuste henden Dienerschaft. Fast gleichzeitig traf ihn ein weiterer Schicksalsschlag, denn sein bei der habsburgischen Verwandtschaft weilender Sohn Hans, der legitime Erbe der drei nordi schen Kronen, starb plötzlich. Schon vor diesen Ereignissen hatte sich die lutherische Leh re im dänischen Reich verbreitet, wozu insbesondere ein junger Priester mit Namen Hans Tausen beitrug, der bei Luther in Wittenberg studiert hatte und nach seiner Rückkehr in Jut land und Fünen die lutherischen Predigten verkündete. Die 48
dänischen Bischöfe protestierten zwar beim König gegen die nach ihrer Meinung ketzerische Agitation, doch Frederik erlaubte Tausen weiterzupredigen. Ja er stellte ihm sogar einen persönlichen Schutzbrief aus und ließ die Bildung von lutheri schen Gemeinden zu, die nicht mehr unter der Kontrolle der Bischöfe standen. Diese mußten 1526 sogar hinnehmen, daß Frederik bestimmte, daß fortan nicht mehr der Papst, sondern der dänische Erzbischof die dänischen Bischöfe zu bestätigen habe. Es war ein entscheidender Schritt in Richtung Loslösung von Rom. Natürlich verfolgte der König bei dem Bestreben, sich die Kirche gefügig zu machen, auch Eigenin teressen. Denn die katholische Kirche hatte auch in Däne mark gewaltige Reichtümer insbesondere in Form von Boden besitz angehäuft, die dem Zugriff der Krone entzogen waren. Dies und die Eigengerichtsbarkeit hatten die Kirche zu einer zweiten Macht neben der Krone werden lassen. Insofern war es in Frederiks Sinn, die Lutheraner gewähren zu lassen. Andere Prediger folgten Tausen nach, und so breitete sich die Lehre Luthers recht schnell zunächst in den Städten aus. Hier richtete sich die Empörung vor allem gegen die Bettelorden, die einen immer stärkeren Zugriff auf den Handel mit dem Umland gewonnen hatten, so daß die Kaufleute mit vielen Waren nicht mehr frei handeln konnten. Ansonsten hebt sich der Verlauf der Reformation in Dänemark vom übrigen Europa ab. Sie war zwar auch hier mit gesellschaftlichen Gegensätzen verknüpft, doch nicht so ausgeprägt, daß es deshalb zum Bürgerkrieg kam. Der verheerende Bürgerkrieg, der Dänemark in der Mitte der 1530er Jahre heimsuchte, hing in erster Linie wieder mit der Königsfrage und damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen zusammen. Daß als eines seiner Ergebnisse der Protestantismus als Staatsreligion in Dänemark eingeführt wurde, war eine Folgeerscheinung. Dieser innere Konflikt, der das Land nahezu verwüstete, hat später den Namen Grafenfehde bekommen, obwohl er mit einer Fehde im herkömmlichen Sinn gar nichts zu tun hat te. 1533 war Frederik I. gestorben, und der zu diesem Zeitpunkt mächtige – und mehrheitlich katholische – Reichsrat 49
zögerte, seinen Sohn Christian, seines Zeichens Herzog von Schleswig und Holstein, zum Nachfolger zu wählen. Denn dieser Christian war überzeugter Lutheraner, der in seinen Her zogtümern bereits den lutherischen Gottesdienst eingeführt hatte. Allerdings wurde der Schleswig-Holsteiner von einigen Magnaten und vom gesamten niederen Adel unterstützt. Zudem war er der legitime Thronfolger, und die einzige ernsthafte Alternative wäre die Wiedereinsetzung des unter Hausarrest stehenden Christian II. gewesen. In dieser Lage beschloß der Reichsrat, die Königswahl vorerst aufzuschieben und das Land selbst zu regieren, bis die Religionsfrage geklärt wäre. Alle Macht lag nun bei den Bischöfen und den Magna ten. Doch die machten die Rechnung ohne die divergierenden Kräfte, die ihre Stunde gekommen sahen, um ihre Interessen – notfalls mit Gewalt – durchzusetzen. In der Bürgerschaft der Städte – vorneweg Kopenhagen und Malmö – sah man die Chance, den bürgerfreundlichen Christian II. wieder auf den Thron zu setzen. Diese Bestrebungen wurden, was auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen mag, von dem alten Feind Christians II., der Hansestadt Lübeck, unterstützt. Auf den zweiten Blick erscheint die Unterstützung jedoch nicht mehr so sonderbar, denn in diesen ersten Jahrzehnten des 16. Jahr hunderts hatten sich Entwicklungen eingestellt, die die Hansestädte, insbesondere Lübeck, zunehmend beunruhigten und die mit der frühneuzeitlichen Globalisierung zusammenhin gen. Nicht mehr das Mittelmeer und die Ostsee waren die wichtigsten Handelsmeere, sondern der Atlantik. Die an ihn grenzenden oder an seinen Zufahrten gelegenen europäischen Staaten, wie die Niederlande, England, Frankreich, Portugal und Spanien sahen reichen Zeiten entgegen, während die alten Handelsmächte an den Binnenmeeren, die Hanse genauso wie die oberitalienischen Städte, von den Zentren des Welthandels ins Abseits gerückt waren und sich immer mehr mit einer Zuliefererrolle abfinden mußten. In Lübeck war zu dieser Zeit, als in Dänemark die Thron folgefrage auf der Tagesordnung stand, der ebenso ungestüme wie ambitiöse Bürgermeister Jürgen Wullenweber an der 50
Macht. Wullenweber, den innerstädtische Auseinandersetzungen auf den Bürgermeisterposten gebracht hatten, war ein entschiedener Vorkämpfer des Luthertums. Durch ihn konnte sich die neue Lehre, die vom alten Rat lange behindert worden war, in der Hansestadt im Mai 1531 mit der Verabschiedung der neuen, von Johannes Bugenhagen entworfenen Kir chenordnung endgültig durchsetzen. Wegen seines großen Einflusses auch in den skandinavischen Ländern wurde Bu genhagen auch Reformator des Nordens genannt. Wullenweber hoffte, daß, wenn er mithelfen würde, Christian II. zu befreien und wieder auf den dänischen Thron zu setzen, Lübeck durch den gestiegenen Einfluß in Dänemark seine Machtposition im Norden ausbauen und so den Handel der Stadt wieder ankurbeln könnte. Diese Einflußnahme schien um so mehr geboten, als in Schweden der mit lübischem Geld an die Macht und auf den Thron gekommene Gustav Wasa sich anschickte, die Rückzahlung der lübischen Kredite zu stoppen und überhaupt die Verträge aufzukündigen, mit denen Lübeck eine Art Monopolstellung im schwedischen Außenhandel erkauft hatte. Gustav Wasa begann jetzt sogar, immer offensichtlicher die holländischen Konkurrenten Lübecks zu begünstigen. Lübeck war somit nicht nur durch die Veränderungen des Welthandels, sondern mehr noch durch den Verlust seiner politischen und merkantilen Dominanz im Ostseeraum in eine schwierige Lage geraten, zumal sich bei Verhandlungen mit Dänemark und Schweden herausgestellt hatte, daß es bei seinen Bestrebungen, den alten Status quo wiederherzustellen, nur von wenigen Hansestädten unterstützt wurde – so richtig eigentlich nur von Rostock und Wismar. Vor allem die preußischen Hansestädte hatten schon seit einiger Zeit eine eigene handelspolitische Richtung eingeschlagen und ihrerseits eine Festigung der Kontakte mit den Holländern gesucht. Sie wandten sich nun in scharfer Form gegen Lübecks Ansinnen, die Holländer – insbesondere durch militärische Maßnahmen – aus der Ostsee auszuschließen. Zwischen Wullenweber und den führenden dänischen Bürgerkreisen wurde eine politische Absprache getroffen, die bei 51
Wiedereinsetzung Christians II. der Travestadt Handelsprivilegien zusicherte. Als man in Dänemark gewahr wurde, daß Lübeck eine Flotte rüstete, festigte sich dort unter den Magnaten die hanse feindliche Front, in die sich sogar Gustav Wasa von Schweden einreihte. Denn diesen mußte eine Wiedereinsetzung Christi ans II. besonders beunruhigen, war der doch formaliter auch noch schwedischer König und hatte diesen Anspruch nie auf gegeben. Lübeck mußte damit rechnen, im Falle einer krie gerischen Auseinandersetzung eine breite Koalition aus Dänemark, Schweden, Holland und den beiden Herzogtümern gegen sich zu haben. Als Bündnisgenossen konnte es lediglich den französischen König Franz I., den Gegner Karls V., und Heinrich VIII. von England, ebenfalls Gegner Karls und vor allem der Holländer, gewinnen. WuUenweber verkündete, daß Lübeck den gefangengehaltenen Christian II. als legitimen dänischen König anerkenne und diesen unter seinen Schutz stelle. Für seine Befreiung und damit die „Wiederherstellung des Rechts“ gewann WuUenweber den Grafen Christoph von Oldenburg, einen nahen Verwandten der beiden Christians, der für den anstehenden Kampf zugleich die notwendigen Land truppen beibringen wollte. Christoph wurden zudem gewisse Hoffnungen auf den dänischen Thron gemacht, denn Chri stian IL war nicht mehr der Jüngste. Auch nach einem Ersatz für den widerspenstigen Gustav Wasa schaute WuUenweber sich um und fand ihn in dem Grafen Johann von Hoya, dem Schwager des Schweden. Nach diesen beiden nun, den Grafen von Oldenburg und Hoya, ist der Krieg benannt worden, der sich zwischen 1534 und 1536 hinzog und Dänemark verwüstete. Lübecks Ziele wurden zunächst dadurch begünstigt, daß die Bürgerschaft der Städte, vor allem der beiden wichtigsten, Kopenhagen und Malmö, und der überwiegende Teil der Bau ern in ihrer Gegnerschaft zum Adel sowie zur katholischen Geistlichkeit zu Christian II. standen und dem Grafen Christoph die Treue schworen. Der Krieg begann im Frühjahr des Jahres 1534 mit dessen Einfall in Holstein. Gleichzeitig erho ben sich die Bürger Malmös und besetzten das dortige Schloß. 52
Christoph landete nun auf Fünen, setzte von dort nach Seeland über und zog kurz darauf in Kopenhagen ein. Lübeck beherrschte damit den Sund. Als sich auch die jütischen Bau ern offen gegen Herzog Christian von Schleswig und den Adel auflehnten, schien der Sieg der Koalition sicher. Dies um so mehr, als die jütischen Bauern sogar ein wohlgerüstetes Rit terheer des jütischen Adels vernichtend zu schlagen vermochten. Der Bauernaufstand breitete sich über ganz Jütland aus, die Bauern stürmten die Herrenhöfe und brannten sie nieder. Es war nurmehr eine Frage der Zeit, daß die ganze kimbri sche Halbinsel überrannt und damit ganz Dänemark in der Hand Christophs und seiner Verbündeten sein würde. Die Geg ner des Grafen schwächte am meisten, daß sie sich nicht über die Thronfolge einigen konnten, weil Katholiken und Luthe raner im Reichsrat einander gegenüberstanden. In dieser ausweglosen Lage rief der lutherische Reichsrat Mogens Goye die jütländischen Adligen zu einem Herrentag in der Kirche von Ry in Mittel Jütland zusammen, auf dem er mit Unterstützung des niederen Adels und unter Androhung von Gewalt die Wahl Herzog Christians zum dänischen König durchsetzen konnte. Die Bischöfe und die katholischen Reichsräte mußten sich fügen, obgleich ihnen klar war, daß damit auch das Ende des Katholizismus in Dänemark besiegelt sein würde. Herzog Christian kam nun als Christian III. nach Jütland und brachte den kriegserprobten holsteinischen Grafen und Feldherrn Johann Rantzau mit, der umgehend die Gegenwehr im geteilten Land organisierte. Als erstes ließ er einen Handstreich durchführen, der sich letzten Endes als entscheidend für den Ausgang des Konfliktes erweisen sollte. Es gelang nämlich, Travemünde zu erobern, womit Lübeck von der of fenen See abgeschnitten war und auch keinen Kontakt mehr zu seiner Kriegsflotte hatte. Diese war nun in zunehmendem Maße dem Kaperkrieg dänischer, schwedischer und holländischer Schiffe ausgesetzt. In der zunehmend schwieriger wer denden militärischen Lage und angesichts ständig steigen der Lasten wuchs in der Hansestadt die Opposition gegen die Politik Wullenwebers. Dem alten, von Wullenweber entmach 53
teten Rat gelang es in dieser Situation, in seine alten Rechte zurückzukommen. Viele Anhänger Wullenwebers aus dem mittleren Bürgertum und der Handwerkerschaft wurden nach und nach ausgeschaltet. Im November 1534 schloß Lübeck einen Teilfrieden mit Christian III., der allerdings nur Holstein betraf. Rantzau hatte inzwischen die Stadt Aalborg, die Schlüsselstellung Nordjütlands und Hochburg der Aufständi schen, erobert. Die Bürger der Stadt und rund 2000 Bauern, die sich dort verschanzt hatten, waren dabei in den Straßen hingemetzelt worden, die Stadt wurde geplündert und anschließend ganz Nordjütland unterworfen. Im nächsten Jahr, 1535, unternahm Rantzau einen Kriegszug nach Fünen, der mit der vernichtenden Niederlage der Truppen Christophs von Oldenburg endete. Gleichzeitig muß te sich die lübische Flotte bei Svendborg der vereinigten däni schen und schwedischen Flotte geschlagen geben. Zwar hiel ten sich noch einige dänische Städte, so Kopenhagen und Malmö, für Lübeck jedoch hatte der Krieg faktisch ein Ende gefunden, und damit begann der unaufhaltsame politische Abstieg der einst so mächtigen Hansestadt. Ein kaiserliches Mandat verlangte sogar unter Androhung der Reichsacht die Wiederherstellung der alten Stadtverfassung. Wullenweber und seine Anhänger im Rat sahen sich zum Rücktritt ge zwungen. Die alten Herrschaftsverhältnisse waren wiederhergestellt – mit Ausnahme der Kirchenverfassung, denn Lübeck blieb lutherisch. Als die „Fehde“ 1536 mit der Kapitulation Kopenhagens beigelegt war, berief Christian III. im August einen Reichstag dorthin ein, auf dem er durch einen Handstreich alle katholi schen Bischöfe gefangennehmen ließ. Sie wurden nur gegen die Eidesversicherung freigelassen, daß sie allen Widerstand gegen die Reformation aufgäben. Auf einer großen Versammlung auf dem Alten Markt (Gammel Torv) erreichte der König, daß alle Stände beschlossen, die alte Kirchenordnung abzuschaffen. Damit war die Reformation sozusagen offiziell eingeführt. Jetzt mußte sie nur noch praktisch durchgeführt werden. Zwei Fragen standen dabei im Vordergrund: die 54
wirtschaftliche Entmachtung des Klerus und die Neubeset zung der hohen geistlichen Ämter. Zunächst wurden im ganzen Land überzeugte Lutheraner als Bischöfe eingesetzt, die in ihren Bistümern die von Luther anerkannte neue Kirchenordnung einführten. Die ehedem katholischen Pfarrer durften gegen die Verpflichtung, nur noch die lutherische Lehre zu predigen, in ihren Ämtern bleiben, wurden von den Bischöfen aber regelmäßig visitiert. Die meisten Pfarrer scheinen sich dazu bereitgefunden zu haben, was theologisch dadurch erleichtert wurde, daß ja kein neuer Glaube im eigentlichen Sinn eingeführt, sondern die christliche Lehre zu ihren evangelischen Ursprüngen zurückgeführt und durch den Protestantismus von den papistischen Verfehlungen gereinigt worden war. Zahlreiche evangelische Aufklärungsschriften entstanden in jener Zeit, Psalmbücher, Predigtsammlungen usw., und erstmals wurde auch die (lutherische) Bibel ins Dänische übersetzt – dazu auch Luthers Katechismus, das wichtigste Büchlein für die neue Kirche. Am aktivsten war bei all dem Hans Tausen, der von Christian III. inzwischen zum Bischof von Ribe ernannt worden war. Denn der König war jetzt Summus Episcopus, oberster Kirchenherr, Krone und Kirche waren eins. Die Bischöfe der neuen Kirche, es waren wie zuvor sieben (mit Schleswig acht), unterschieden sich von denen der alten Kirche dadurch, daß sie gewissermaßen Beamte der Krone waren, die keinen Sitz im Reichsrat mehr einnahmen. Sie hatten über ihr geistliches Amt hinaus überhaupt nichts mehr zu sagen, und das vermehrte die Macht des Königs neben dem wirtschaftlichen Zugewinn noch zusätzlich. Gleich nach der Versammlung in Kopenhagen hatte Christian III. alles Kirchengut für die Krone eingezogen. Während die Güter der Krone vor der Reformation etwa ein Sechstel des ganzen Landes ausgemacht hatten, wuchsen sie mit der Einziehung des Kirchenlandes auf knapp zwei Drittel. Allerdings gab es auch hierbei einige dänische Besonderheiten. Die großen Herrenklöster wurden zwar königliche Lehnshöfe und mußten Abgaben aufbringen, aber sie konnten weiterhin Klö ster sein. Ihr katholischer Kirchen- und Klosterdienst konnte 55
weitergehen. Im Grunde traten nur zwei wesentliche Änderungen ein: Klöster und Kirchen durften nicht länger Grund und Boden als Seelengeschenke entgegennehmen, und die Klöster durften keine neuen Nonnen und Mönche mehr aufnehmen. Diejenigen, die bei der Reformation schon in den Klöstern waren, konnten entweder in das weltliche Leben zurückkehren, zu Glaubensgenossen in das katholische Europa gehen oder bis zu ihrem Tode in ihren dänischen Klöstern bleiben. In dem Maße, wie im Laufe der Zeit deren Insassenzahl abnahm, wurden Klöster zusammengelegt. Das ist der Grund für die dänische Besonderheit, daß katholische Klöster mit Nonnen und Mönchen, mit Äbten und Äbtissinnen mehr als 30 Jahre nach der Reformation bestanden haben. Der infolge der Reformation durchgeführte Einzug des kirchlichen Grundbesitzes brachte der Krone nicht nur mehr als eine Verdreifachung ihrer Güter, sondern es wurden, um diese möglichst effektiv zu nutzen, auch einige Reformen in Gang gesetzt, die auf Dauer zu durchgreifenden Veränderungen der gesamten Staatsverwaltung führten. Ausgangspunkt war eine Verringerung der Zahl der königlichen Lehen sowie deren Umwandlung von Dienstlehen, über die deren Inhaber frei verfügen konnte, in Rechenschaftslehen, über die, wie der Name schon sagt, gegenüber der Krone Rechenschaft abgelegt werden und der Inhaber den über ein bestimmtes Maß hinaus gehenden Überschuß an die königliche Rentkammer abführen mußte. Hierdurch wurde die Stellung der Lehnsinhaber grundsätzlich verändert: War der Lehnsmann früher Krieger, der für seinen Waffendienst vom König mit Teilen des Reiches belehnt wurde, wurde er nun zum Verwalter des Reiches, der darüber Buch zu führen hatte. Bis etwa 1600 sind innerhalb eines halben Jahrhunderts knapp zwei Drittel der Lehen zu Rechenschaftslehen geworden, während sich entsprechend der Anteil der Dienstlehen auf etwa ein Achtel verringerte. Für viele Kleinadelige hatte der Prozeß der Lehnszusammenlegung die Folge, daß sie in den Bauernstand zurückfielen. Christian III. besaß nach dem Ende des Bürgerkrieges eine Machtvollkommenheit wie keiner seiner Vorgänger auf dem 56
Thron. Aber auch der Hochadel war gestärkt. Verlierer waren die Bürger und Bauern. Der Adel hatte dem Monarchen für sein Einverständnis des Kirchengütereinzugs dessen Zuge ständnis abgetrotzt, daß Dänemark weiterhin ein Wahlreich sein solle. Auch wurde der Außenhandel der Magnaten zum Nachteil der Kaufleute wieder freigegeben, was sich unmittel bar in einer Intensivierung der Bewirtschaftung der adligen Güter niederschlug. Die unter Christian III. eingeleitete Modernisierung der Staatsverwaltung war umfassend und spiegelte deutlich den Einfluß seiner deutschen, heißt holsteinischen Ratgeber wider. Die .inneren’ Angelegenheiten – wozu auch Schweden zählte – wurden fortan von der Dänischen Kanzlei (Danske Kancelli) in dänischer Schriftsprache erledigt, während die ,äußeren’ Angelegenheiten, wozu auch die Herzogtümer rechneten, von der Deutschen Kanzlei (Tyske Kancelli) in deutscher oder lateinischer Schriftsprache bearbeitet wurden. Es wurde eine Rentkammer eingerichtet, die sich der Staatsfinanzen an nahm und dabei besonderen Wert auf die ordnungsgemäßen Steuerzahlungen legte. Dänemark befand sich mit diesen administrativen Reformen im Einklang mit der europäischen Entwicklung auf dem besten Weg zum frühmodernen Finanz staat. Dazu gehörte auch die Systematisierung des Rechtswesens. Der Adel mußte sich einer Entwicklung anpassen, die seine alten Standesideale noch mehr in Frage stellte als die Veränderungen auf dem Gebiet der Kriegstechnik. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts war mehrfach deutlich geworden, daß das militärische Ritterideal der Vergangenheit angehörte. Das Gebot der Stunde hieß, sich an die Spitze der militärtechnischen Entwicklung zu setzen und Offi zier einer Landsknechtstruppe im landesherrlichen Dienst zu werden. Die Alternative war, sich Fachkenntnisse in der Staatsverwaltung anzueignen, wenn man sich nicht auf die Verwaltung der eigenen Güter beschränken wollte. Es war die Zeit, in der dänische Adelsfamilien deshalb ihre Söhne auf Ausbildungsreisen nach Europa schickten. Zurück in Däne mark, erhielten sie bevorzugt Ämter und Lehen und damit 57
Möglichkeiten, den Ruhm und Reichtum ihrer Familien zu mehren. Auf diese Art und Weise schälte sich immer deutlicher eine hochadlige Schicht heraus, die nicht nur weitläufig begütert war, sondern die sich im Vergleich zu den Standesge nossen auch dadurch auszeichnete, daß die wichtigsten Staatsämter von Generation zu Generation in ihren Reihen blieben, wobei nur rund ein Dutzend Familien im wesentlichen die Macht unter sich teilten. Wie schon seine Vorgänger trug auch Christian III. zur weiteren Verwirrung der Schleswig-Holstein-Frage bei. Seinen auf Schloß Gottorf residierenden Bruder Adolf machte er in den Herzogtümern zum Mitregenten, indem diesem zu gleichen Teilen, das heißt nach Ertragskraft und nicht nach territoria ler Gleichheit, in einigen Ämtern die erblichen Herrschaftsrechte zuerkannt wurden. Um auch seinen zweiten Bruder Hans zufriedenzustellen, trennte er um Hadersleben einige Ämter aus dem königlichen Anteil heraus und gab sie diesem als Lehen. Diese Teile fielen zwar bald (1581) wieder an die Krone zurück, weil Hans keine Erben hinterließ, doch war es unter Frederik II. 1564 zu einer neuerlichen Subdivision des königlichen Anteils gekommen, um Erbansprüche seines Bruders Johann (dem Stammvater der Sonderburger Linie) zu befriedigen. Auf diese Weise erhielten die Herzogtümer drei regierende Herren, allerdings unter dem Fortbestehen ungeteilter Stände gemäß dem Ribener Vertrag von 1460, der die Einheit der Herzogtümer forderte. Daß hier, bei der Betei ligung von vier Parteien an der Landesherrschaft, Konflikte vorprogrammiert waren, liegt auf der Hand. Schließlich regelte Christian III. auch das Verhältnis zu seinem Vorgänger Christian II., dessen Hausarrest mehr oder weniger aufgehoben wurde. Das Schicksal dieser beiden Könige blieb bis zu beider Ende auf merkwürdige Weise mit einander verknüpft. Sie starben auch fast gleichzeitig im Jahre 1559, der 78jährige Christian II. zehn Tage später als Christian III., der am Neujahrstag verstorben war.
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VI. Der Kampf um die Vorherrschaft im Ostseeraum Die Epoche zwischen 1559, dem Herrschaftsantritt Frederiks II., und 1721, dem Ende des Großen Nordischen Krieges, ist gekennzeichnet durch mehrere große Kriege, in denen es zum einen um Grenzrevisionen ging, zum anderen und vor allem aber um die Dominanz im Norden, insbesondere im Ostseeraum. In diesen rund 160 Jahren haben sich die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und schließlich die politischen Strukturen und Machtverhältnisse in Dänemark vollständig verändert. Das Land wurde zum einen politisch und kulturell sozusagen europäisiert. Bis dahin war Dänemark, genauso wie Schweden, ein in jeder Hinsicht rückständiges Reich an der Peripherie Europas, das von den großen Mächten nicht sonderlich beach tet wurde. Zum anderen verlor Dänemark unwiederbringlich seine Vorherrschaft im Norden und im Ostseeraum. Aufgrund der dynamischen Wirtschaftskonjunktur im Westen Europas, die wesentlich durch das Einströmen amerika nischen Silbers hervorgerufen wurde, erlebte auch Dänemark nach dem Bürgerkrieg eine wirtschaftliche Blüte. Hauptnutznießer waren zunächst die Magnaten, die die ständig steigen de Nachfrage insbesondere der niederländischen Städte nach Getreide und Viehprodukten ausschöpften. Untersuchungen haben gezeigt, daß die Preissteigerungen bei dänischem Getreide und Vieh bedeutend größer waren als bei Importwaren aus Westeuropa, was für die dänischen Exporteure ein unge mein günstiges Tauschverhältnis bedeutete. Die Getreidepreise beispielsweise vervierfachten sich bis zum Jahrhundertende. Dies schlug sich wiederum in den Bodenpreisen nieder: Inner halb eines halben Jahrhunderts stiegen diese in Dänemark um das Sechsfache. Zwar durften nur Adlige sogenanntes Adelsland, d.h. steuerbefreites Land, besitzen, doch innerhalb des Adelsstandes herrschte eine große Konkurrenz um Landbesitz, die die Spekulation anheizte und den Konzentrationspro zeß förderte. Die Tendenz ging zu großflächigen Gutswirtschaften durch Arrondierung umliegenden Landes – entweder 59
durch Kauf oder durch Bauernlegen. Anfang des 17. Jahrhun derts gab es etwa 500 Gutsbesitzer in Dänemark, aber nur 170 von ihnen besaßen etwa drei Viertel des Adelslandes, was etwa einem Drittel allen Landes entsprach. Zusammen mit dem größten Grundbesitzer, dem König, verfügten sie über rund 85 Prozent des dänischen Bodens. Die vielen im Renais sancestil erbauten dänischen Herrenhäuser und Schlösser zeugen von dieser wirtschaftlichen Blüte und der profitablen Abschöpfung bäuerlicher Arbeit. Denn die adligen Grundbesitzer legten größten Wert darauf, daß der bäuerliche Pacht zins in Naturalien – insbesondere Getreide – entrichtet wurde. Die rege Bautätigkeit der Magnaten stimulierte wiederum den Binnenmarkt durch die Nachfrage nach handwerklicher Ar beit und Beschaffung von Baumaterial. Mit der Hochkonjunktur für landwirtschaftliche Erzeugnisse ging eine Differenzierung der gesellschaftlichen Verhältnisse unter den nichtadligen Schichten auf dem Lande einher. Durch Bevölkerungszuwachs war das Arbeitskräfteangebot so günstig wie seit der Agrarkrise des 14. Jahrhunderts nicht mehr. Gleichwohl hielten sich die Magnaten eingedenk der Bauernunruhen der 1530er Jahre zurück, die Lage auszunutzen. Den Pachtbauern wurde durch ein königliches Dekret von 1551 sogar eine Verbesserung ihres Status gewährt, indem festgelegt wurde, daß sie vom Grundherrn nicht von ihren Höfen vertrieben werden durften, solange sie ihren Pflichten nachkamen. Seit etwa 1600 konnten sie gewohnheits rechtlich zudem damit rechnen, daß sie ihren Pachthof an einen Sohn oder Schwiegersohn weitergeben durften. Die Pachtbauern partizipierten auf diese Weise am Aufschwung der Wirtschaftskonjunktur. Sie profitierten wie die Grundbesitzer vom Anwachsen der untersten sozialen Schicht, der Kätner und Tagelöhner, die sie für einen Hungerlohn für sich arbeiten lassen konnten. Entsprechend waren die Verhältnisse in den Städten. Hier arbeiteten die großen Kaufleute Hand in Hand mit den Gutsbesitzern und besorgten allmählich ganz und gar deren Im- und Export. Für sie kam es deshalb darauf an, sich mit den Magnaten gutzustellen – allen voran mit dem 60
König als dem größten Landbesitzer. Die Großkaufleute fin den wir deshalb unter den bedeutendsten Kreditoren der Kro ne, wenn diese in kriegerischen Konflikten Geld brauchte. Auch in den Städten wuchs die Zahl der Menschen aus den untersten sozialen Schichten verhältnismäßig rasch an, weshalb Kaufleute, Handwerker und in den Küstenorten zunehmend auch Reeder ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung hatten. Die Lebensumstände dieser städtischen Tagelöhner waren in der Regel noch schlimmer als die ihrer Schicksalsgenossen auf dem Lande. Denn aufgrund der ständig steigenden Lebensmit telpreise konnten sie oft nicht einmal das tägliche Brot erwerben. Durch den mehr und mehr über die Kaufleute abgewickelten Export landwirtschaftlicher Produkte erlebten die Handelsstädte einen Aufschwung, der trotz der politischen Niederlage des Bürgertums nach der Entmachtung Christians II. zu wachsendem Selbstbewußtsein der kapitalstarken Handelsbürger führte. Gefördert wurde diese Entwicklung dadurch, daß in Dänemark wie in Westeuropa merkantilistisches Gedankengut eine staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik entstehen ließ. Warenproduktion und Warenaustausch sollten den Reichtum des Landes (eigentlich der Krone) mehren, und die wichtigsten Akteure hierbei waren die Kaufleute. Deshalb war es nur folgerichtig, daß ihr Wirkungsfeld von der Krone privilegiert wurde, indem Handel und Handwerk allein den Städten vorbehalten blieben. Selbst der bäuerliche Warenaus tausch durfte nur noch in der nächstgelegenen Kaufmannsstadt abgewickelt werden. Marktgesetze sowie Bestimmungen bezüglich der Währung, Gewichte und Maße dienten der Vereinheitlichung des Wirtschaftsraumes. Die Landwirtschaft sollte, was den Binnenmarkt betrifft, billige Nahrungsmittel in die Städte liefern, damit die Löhne der Arbeiter niedrig gehalten und die Gewinne der Produzenten aus Exportwaren gesteigert werden konnten. Privilegien für Handelskompanien mit klar definiertem Auftrag, wie die 1602 gestiftete Isländi sche Kompanie, die das Handelsmonopol mit der Atlantikin sel erhielt, vor allem aber die ab 1616 entstandenen Kompa nien für den Handel mit Asien, Afrika (1656) und Westindien 61
(1671) zeugen davon, daß die dänische Wirtschaftspolitik der westeuropäischen nacheiferte. Bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts lag der dänische Außenhandel noch überwiegend in den Händen ausländischer Händler und Reeder – zunächst der Hanse-, dann der holländischen Kaufleute. Der gestiege nen Bedeutung des Seehandels und der Aufmerksamkeit des Königs dafür entsprachen die Neuordnung des Seerechts durch Frederik II. und die von ihm initiierten Sicherungsmaßnahmen der dänischen Fahrwasser. Daß der Adel dem Bedeutungszuwachs des Bürgertums keine wesentlichen Hemmnisse in den Weg legte, lag zum einen daran, daß er wirtschaftlich davon profitierte, und zum anderen an der Tatsache, daß sich sein Standesideal verändert hatte. Erst im 16. Jahrhundert hat er sich gewissermaßen europäisiert und dabei auch ein gesteigertes Bedürfnis nach höfi scher Repräsentation entwickelt, das kaum noch Raum ließ für merkantiles oder bäuerliches Auftreten. Daß Burgund und Frankreich dabei eine gewisse Vorbildfunktion ausübten, wird allein schon am Baustil der vielen in jenem Jahrhundert ent standenen Schlösser und Herrenhäuser deutlich. Wenngleich sich der wirtschaftliche Schwerpunkt allmählich in die Städte verlagerte, muß man sich diese noch recht bescheiden vorstellen. Kopenhagen zählte um 1600 etwa 20 000 Einwohner, die nächstgrößeren Orte Malmö, Helsingör, Odense, Älborg und Ribe waren schon bedeutend kleiner und hatten höchstens 4000 Einwohner. Die übrigen Kaufstädte waren über die Region hinaus wirtschaftlich unbedeutend und eher Ansammlungen von Kleinhändlern, Zunfthandwer kern, Ackerbürgern oder Fischern. Im Sinne des Merkantilismus betrieben die Regenten, allen voran Christian IV., aber eine zielstrebige Urbanisierungspolitik. Neue Städte wurden gegründet, insbesondere an der Peripherie und in lohnend scheinenden Produktionsregionen (wie dem norwegischen Bergbau), bestehende Städte wurden ausgebaut. Es sollten nicht nur reine Handelsstädte sein, wie beispielsweise Glückstadt, sondern zugleich auch Festungsstädte, die die Herrschaftsansprüche des dänischen Königs markierten. Zudem 62
wurde mit dem Aufbau einer Kriegsflotte begonnen, die Reich und Handel schützen sollte. Denn die auswärtigen Mächte, insbesondere der schwedische Erzrivale, strebten ebenfalls nach Machterweiterung durch Zugriff auf den Handel und dessen Umschlagplätze. Vor allem der profitable Baltikumund Rußlandhandel zog die Begehrlichkeit an. Die russischen Rohstoffe waren für die Kaufleute und Reeder in den großen westeuropäischen Seehandelsstädten, insbesondere den englischen und niederländischen, seit dem frühen 17. Jahrhundert von allergrößter Bedeutung. Das spiegelt sich in den rasant angewachsenen Sundpassagen niederländischer Schiffe, aber auch darin, daß englische Seefahrer, um Konflikten in der Ostsee aus dem Weg zu gehen, eine andere Route zum russi schen Markt suchten und fanden, nämlich die zum Weißen Meer nach Archangelsk. Die alten Hansestädte an der balti schen Küste erstrahlten angesichts der blühenden Handels konjunktur in neuem Glanz, allen voran Riga, die Metropole an der Dünamündung, aber auch Danzig, der Hauptverschiffungshafen von polnischem Getreide. Die Kontrolle über die Ostseezugänge war für Dänemark wie schon zu Zeiten hansischer Vormachtstellung auch in der frühen Neuzeit ein zweischneidiges Schwert. Zum einen garantierte sie in Form der dort von den Schiffen und deren Ladung erhobenen Zollabgaben die bedeutendste Einnahmequelle für die Krone und zudem nicht zu unterschätzende Verhandlungsoptionen in Konfliktlagen. Zum anderen aber war sie auch stets Anlaß ausländischer Intervention. Im letz ten Drittel des 16. Jahrhunderts kam das unverkennbare Streben der Krone Schweden nach einem ungehinderten Zugang zur Westsee und Territoriengewinn zu Lasten Dänemarks hinzu. Denn für die aufstrebende schwedische Wirtschaftsmacht war die Umzingelung durch Dänemark und die Abschnürung von den Seehandelsrouten ein ständiges Ärgernis: Im Westen lag außer dem dänischen Kernland (mit den südschwedischen Besitzungen Halland, Schonen und Blekinge) als riesiges Boll werk das dänische Norwegen, zu dem seinerzeit noch die Provinz Bohuslen gehörte, die bis zur Mündung des Götaflus 63
ses hinunterreichte. Im Osten kontrollierte die Krone Dänemark durch ihre Inselbesitzungen (Bornholm, Gotland, Ösel) die Ostseefahrwasser. Schweden hatte allein an der Mündung des Götaflusses einen Zipfel Land, über den ein mehr oder weniger ungehinderter Zugang zur Westsee möglich war. So recht entwickeln konnte sich hier ein Umschlaghafen jedoch nicht, denn durch die ständige Bedrohung durch die Dänen und wiederholte Feldzüge wurden schwedische Versuche einer Stadtgründung lange im Keim erstickt. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts sollte durch die kraftvolle Politik Gustav Adolfs eine dauerhafte Stadtanlage möglich werden: das nicht zuletzt dank holländischer und schottischer Siedler schnell wachsende Göteborg. Noch etwas beunruhigte die Schweden: Frederik II. machte keinen Hehl daraus, daß die Wiedererrichtung der Union für ihn ein politisches Ziel darstellte und er seinen schwedischen Kollegen Erik XIV., der 1560 seinem Vater Gustav Wasa auf dem Thron nachfolgte, als bäuerischen Usurpator ohne standesgemäße Herrschaftslegitimation betrachtete. Erik seinerseits sah Frederik als deutschen Thronräuber an. Die relative Stabilität des bilateralen Verhältnisses, das unter Christian III. und Gustav Wasa zu beider Nutzen zustande gekommen war, schien in Frage gestellt. Hinzu kam, daß Erik XIV. durch sei ne Eigensinnigkeit (er sollte 1569 von seinem jüngeren Bruder Johan wegen vorgeblicher geistiger Umnachtung abgesetzt werden) die Lage nicht vereinfachte. Doch den Auslöser für neuerliche militärische Auseinander setzungen zwischen den beiden skandinavischen Rivalen bil dete eine Entwicklung am anderen Ende der Ostsee: das Aus greifen Ivans IV. nach Westen mit dem offensichtlichen Bestreben, Livland unter die Zarenkrone zu bringen. Der aufgeschreckte Rat der Stadt Reval hatte noch zu Lebzeiten Christians III. die Unterwerfung der Stadt unter die dänische Krone angeboten, doch der Däne hatte zur Vermeidung un wägbarer militärischer Verwicklungen keine eindeutige Stellungnahme abgegeben. Seinem in dieser Hinsicht risikofreudi geren Sohn und Nachfolger kam indes Erik XIV. 1561 durch 64
den schwedischen Einmarsch in Reval und Teilen Estlands zuvor, den der Rat der Stadt Reval und die Ritterschaft von Harrien und Wierland durch Huldigung sanktionierten. Damit waren Dänemarks Pläne vorerst durchkreuzt, im Baltikum die Herrschaft über Ösel hinaus zu erweitern. Dies trug wesentlich zur Hebung der Kriegsstimmung nicht nur bei Frederik, sondern auch bei den um ihn gescharten führenden dänischen Adelskreisen bei, zumal deren Selbstsicherheit durch die Eroberung Dithmarschens 1559 einen starken Auf trieb bekommen hatte. Doch das Werben eines großen Landsknechteheeres konnte den Schweden nicht verborgen bleiben, und vermutlich erfuhren sie auch von den gegen sie gerichteten Absprachen Däne marks mit Lübeck und Polen-Litauen. Lübeck glaubte, sein altes Spiel mit den beiden skandinavischen Reichen noch ein mal erfolgreich wiederholen zu können, um verlorengegangenen politischen Einfluß und wirtschaftliche Macht zurückzugewinnen. Polen-Litauen war Konkurrent Schwedens bei der Aneignung der Konkursmasse des Livländischen Ordens. Doch Schweden ergriff im Mai 1563 die Initiative, indem ohne Kriegserklärung eine vor Bornholm liegende dänische Flotte angegriffen und teilweise versenkt wurde. Schon hier zeichnete sich die Überlegenheit der Schweden zur See ab. Andererseits waren die Dänen dank ihres kriegserprobten Söld nerheeres zu Lande überlegen und führten im Süden und Westen des Nachbarreiches Verheerungsfeldzüge durch, ohne allerdings eine Entscheidung herbeiführen zu können. Die Leidtragenden waren in erster Linie die Bauern. Tausende von Höfen wurden geplündert und in Asche gelegt. Doch auch den Schweden gelangen Verheerungszüge in die dänischen Provin zen Halland, Blekinge und Schonen sowie nach Norwegen. Dieser Krieg belastete die Finanzen der Krone so stark, daß Frederik sich gezwungen sah, Geld beim Adel und bei seiner deutschen Verwandtschaft zu leihen. Er griff in seiner Not so gar zum Mittel der Münzverschlechterung. Der Staatsbankrott konnte schließlich nur dadurch abgewendet werden, daß Frederik sich herabließ, den von seinem Vater verstoße 65
nen Juristen und Finanzpolitiker Peder Oxe als Ratgeber aus dem Exil zurückzurufen. Oxe ordnete das Steuerwesen neu, belastete Adel und Bauern dabei mit Sondersteuern und über zeugte Frederik 1566 schließlich, die im Jahr zuvor verhängte Sundsperre aufzuheben. Gerade dieser Eingriff in die Schiff fahrt zwischen Nord- und Ostsee hatte nicht nur eine Haupteinnahmequelle der Krone zum Versiegen gebracht. Er hatte auch die Gefahr des Eingreifens der Holländer in den Konflikt zuungunsten Dänemarks heraufbeschworen. Denn der Han del mit Polen und dem Baltikum war der Lebensnerv der Niederlande, und jede Behinderung der schwerbeladenen Getrei deschiffe ließ in den niederländischen Städten die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen. So auch im Jahr 1565/66, als die Getreidekrise durch den sich zuspitzenden Konflikt mit Spanien noch verschärft wurde. Mit der Wiederöffnung des Sundes zeigte sich sogleich auch der finanzielle Nutzen der bereits 1548/49 geänderten Art der Zollveranlagung, die sich nun nicht mehr pauschal nach den Schiffen, sondern nach dem Wert der geladenen Waren richte te. Die Einkünfte aus dem Sundzoll konnten schon innerhalb eines Jahres um das Dreifache gesteigert werden und betrugen 1567 rund 132 000 Taler. Mit dieser Finanzspritze wurden neue Landsknechte geworben, die Krieg und Verwüstung unter Führung Daniel Rantzaus noch einmal tief in die südlichen schwedischen Landschaften hineintrugen. Doch in die mittelschwedischen Kernlandschaften drangen auch sie nicht vor, so daß sich die Kriegführung wieder auf Brandschatzungen in der Peripherie der beiden Reiche beschränkte. Schließlich wa ren die beiden Parteien so erschöpft, daß 1570 in Stettin ein Friede vereinbart wurde, der keiner Seite irgendeinen materiellen Gewinn brachte. Der schwedische König konnte allerdings erreichen, daß sein dänischer Kollege den Anspruch auf die schwedische Krone aufgab. Damit war deutlich geworden, daß die Idee des skandinavischen Unionskönigtums endgültig der Vergangenheit angehörte. Der Krieg hatte Dänemark zwar die gewaltige Summe von fünf Millionen Talern gekostet, doch stand an seinem Ende 66
die Krone keineswegs verarmt da, wie es bei früheren Kriegen der Fall gewesen war. Denn die von Peder Oxe herbeigeführ ten Änderungen in der Finanz- und Staatsverwaltung zahlten sich nun aus. Ein in diesem Zusammenhang bedeutender Ein griff war die Umstellung der Lehnsverfassung. Dabei wurde zum einen die Zahl der Lehnsgüter (Domänen) durch Zusammenlegungen reduziert. Zum anderen ging die Krone da zu über, sie nicht mehr durch von der Krone entlohnte Ver walter oder Lehnsmänner bewirtschaften zu lassen, sondern sie gegen einen bestimmten Zins an Adlige zu verpachten. Dadurch wurde das wirtschaftliche Risiko auf die Pächter abgewälzt, während die Krone mit dem festen Zins rechnen konnte. Hatten im 14. Jahrhundert ähnliche Maßnahmen der Lehnsverpachtung die Krone entscheidend geschwächt, dien ten sie nun der Stabilisierung der Königsmacht. Daß es so war, hing nicht unwesentlich damit zusammen, daß der König unbestrittener Eigentümer der Güter blieb. Den Preis des Krieges aber zahlten wieder einmal in der Hauptsache die dänischen Bauern. Im östlichen Reichsteil, insbesondere in Schonen und Blekinge, waren unzählige Höfe durch schwedische Vergeltungszüge zerstört worden. Die als außerordentlich für die Dauer des Krieges proklamierten Abgaben der Bauern wurden mit Zustimmung des Adels in stän dige umgewandelt. Der große Steuer- bzw. Zinsdruck trieb sowohl die Frei- als auch die Adelsbauern in immer stärkerem Maße in den „Schutz“ entweder der Krone oder des adligen Gutsbesitzers. Hinzu kam, daß die Arbeits- und Spanndienste in einem Umfang verschärft wurden, daß die eigene Bauern stelle kaum noch rentabel bewirtschaftet werden konnte. Aus Pachtbauern wurden dann durch Einziehen des Landes in Gutswirtschaften landlose Häusler. Das machtpolitische Kräfteverhältnis im Norden wurde dann endgültig durch den Dreißigjährigen Krieg vollständig umgekehrt. Durch die Bedrängnis, in die die norddeutschen protestantischen Fürsten nach den Vorstößen Tillys und Wal lensteins geraten waren, sahen sich die beiden Könige des Nordens veranlaßt, in das Kriegsgeschehen einzugreifen. Zu 67
erst tat dies Christian IV. in seiner Eigenschaft als Oberst des Niedersächsischen Kreises. Aber sein Versuch, die kaiserlichen Truppen zurückzuwerfen, scheiterte 1626 in der vernichtenden Niederlage bei Lutter am Barenberge (im nördlichen Harzvorland). Sie zog den Eroberungs- und Verheerungszug der Kaiserlichen bis weit nach Jütland nach sich. Mit dem Frieden von Lübeck 1629 verabschiedete sich Dänemark von der deutschen Kriegsbühne. Dafür trat Schweden auf den Plan, dessen Erfolge auf dem Kontinent Dänemarks Stellung im Norden ins Wanken brachten. Christian IV. sah sich nunmehr von zwei Seiten bedroht: von den Kaiserlichen und von den Schweden. Letztere glaubte er durch Behinderung ihrer Schiffahrt durch den Öresund wirtschaftlich schädigen und durch ein intrigantes Spiel hinter den Kulissen isolieren zu können. Deshalb nutzte Schweden ab 1643 seine militärische Macht, um den alten Rivalen in einer Reihe erfolgreicher Schlachten in die Knie zu zwingen. 1645, im Frieden von Brömsebro, gingen die Inseln Gotland und Ösel, die norwegischen Provinzen Jämtland und Härjedalen sowie Halland (für 30 Jahre verpfändet) verloren. Was in Dänemarks Lage ver schlimmernd hinzukam, war, daß Schweden sich drei Jahre später in den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück einige norddeutsche Territorien sichern konnte (Vorpommern, Wismar, Bremen und Verden), von denen aus es eine perma nente militärische Bedrohung für Dänemark darstellte und dessen Revanchismus im Zaum halten konnte. Dieser war in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts nach der inneren Neuordnung der Monarchie wieder deutlich vernehmbar. Die dänischen Ambitionen richteten sich dabei zusätzlich auf das reiche Hamburg, das als zur dänischen Krone gehörig proklamiert und als eine Art Ersatz für die Landverluste in Südschweden betrachtet wurde. Die Versuche, die Hansestadt in Besitz zu nehmen, gipfelten 1688 in der monatelangen Be lagerung der Stadt, die aber letzten Endes erfolglos blieb.
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VII. Absolutismus. Der neue Staat Nach dem Tod Christians IV. ging die Macht nicht unmittelbar auf seinen Sohn über, sondern fiel an den Reichsrat, denn Dä nemark war – trotz Christians protoabsolutistischen Alleinherrschaftsanspruchs – formell noch immer ein Wahlreich. Es konnte in der Wahlversammlung für die Vertreter des Adels, der Geistlichkeit und der Bürger der Kauf Städte (den Bauernstand vergaß man einzuladen) keinen Zweifel geben, daß allein Christians noch einziger lebender legitimer Sohn Frederik, Fürstbischof von Bremen, als Kandidat in Frage käme. Doch machte der hochadelige Reichsrat seine Zustimmung von der Annahme einer neuen Handfeste abhängig, die im Vergleich mit der Handfeste Christians IV. eine erhebliche Erweiterung seiner Machtbefugnisse vorsah. Die Position des Reichsrates als die politische Vertretung des Hochadels wurde in ihr überaus deutlich hervorgehoben und zugleich festgestellt, daß der König ohne Zustimmung des – meist 23köpfigen – Reichsrates keinen Krieg erklären oder Steuern ausschreiben dürfe. Außer dem ließ sich der Adel bei dieser Gelegenheit seine wirtschaftlichen Vorrechte ausweiten. Kurzum: alle wichtigen wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen Fragen wurden an die Zustim mung des Reichsrates und der von ihm besetzten Reichsämter gebunden. Die Krone und der Nichtadel mußten sich einmal mehr der Macht der Magnaten beugen, deren Regime deutlich oligarchische Tendenzen zeigte. Dies mußte zwangsläufig zu Spannungen nicht nur mit den Bürgern, sondern auch dem niederen Adel führen, die beide die Wahlbedingungen notgedrun gen akzeptieren und schriftlich bestätigen mußten. Die politische Sprengkraft der Handfeste von 1648 sollte sich bereits zehn Jahre später, 1658/60, in einer existentiellen Krise des Staates zeigen, die von den Magnaten erst heraufbeschworen und dann nicht gemeistert wurde. Die politische Entwicklung in Dänemark lag durchaus im Trend der Zeit. Wie hier standen in der Mitte des 17. Jahrhunderts vielerorts in Europa die Monarchen auf scheinbar 69
schwachen Füßen. In England ließ Oliver Cromwell den Kö nig sogar köpfen und die Republik einführen, und auch in den Niederlanden wurden die Oranier zeitweilig vom Thron vertrieben. Selbst in Frankreich war die Krone durch den Aufstand der sogenannten Fronde in Gefahr geraten. Doch aus dieser Krise sollten die Monarchien letztlich gestärkt hervorgehen. Denn die gesellschaftlich und politisch aufstrebenden, gegen den Hochadel gerichteten Kräfte sammelten sich um die Krone und verhalfen ihr noch im selben Jahrhundert zu neuer und bisher nicht gekannter Machtfülle, die – seit der Französischen Revolution – die Bezeichnung Absolutismus erhielt. In Dänemark wurde diese absolute Stellung des Königs sogar als erstem Land verfassungsrechtlich verankert. Dabei sah es 1648 noch nicht danach aus, daß Frederik III. Schritt für Schritt binnen weniger Jahre die Machtverhältnisse zu seinen Gunsten würde umkehren können. Einen ersten Erfolg konnte er bereits 1650 verbuchen, als im königlichen Teil der Herzogtümer das Erstgeborenenrecht bei der Erbfolge eingeführt wurde. Damit war diese Nachfolgeregelung praktisch auch in ganz Dänemark gültig, denn sonst wäre – bei einer abweichenden Erbfolgewahl – logischerweise die Bindung zwischen Herzogtümern und Dänemark in Gefahr geraten. Des weiteren kam ihm die Inkompetenz des Reichsrates zugute. Dieser zeigte sich den verwaltungstechnischen und finanzpolitischen Herausforderungen der Zeit nicht gewach sen. Dringend nötige Reformen, durch die Dänemark mit den anderen europäischen Volkswirtschaften, insbesondere auch dem Konkurrenten Schweden, hätte Schritt halten kön nen, wurden aufgeschoben. Ständischer Machterhalt war die Handlungsmaxime des Reichsrates. Der Stillstand in der Dänischen Kanzlei, dem politischen Verwaltungszentrum, war symptomatisch dafür, wie der Administration die Aufgaben über den Kopf wuchsen. Die adligen Kanzleisekretäre waren in jeder Hinsicht hoffnungslos überfordert. Eine Modernisie rung’ der Staatsverwaltung ohne adlige Vorrechte war unausweichlich. Nicht zuletzt auch durch die sich verschärfende Finanzkrise verlor der Reichsrat mehr und mehr an Rückhalt. 70
Die militärischen Konflikte hatten viel Geld gekostet, und immer öfter mußten die staatlichen Einnahmen durch die Erhebung von Sondersteuern aufgebessert werden. Diese wurden vom Reichsrat beschlossen, der davon aber nicht getroffen wurde, da der Adel weiterhin das Privileg der Steuer freiheit genoß. Somit waren es wieder die nichtprivilegierten Bevölkerungsschichten, die diese finanziellen Lasten zu tragen hatten. Insgesamt muß man mit einer Zunahme der Steuern um 550 Prozent in der ersten Jahrhunderthälfte rechnen, ohne daß die zunehmende Verschuldung der Krone eingedämmt werden konnte. Die Ausgaben des Staates für den Hof und das Militär betrugen zeitweise das Doppelte der regulären Einnahmen. Die Krone geriet dabei immer stärker in die Schuldnerschaft bürgerlicher Krediteure, überwiegend Großkaufleute der Hauptstadt, die ein Viertel der gesamten Staats schuld von rund 5 Millionen Reichstalern bei sich verbuchen konnten. Auch die Verschuldung bei niederländischen und deutschen Kaufleuten und Finanziers war astronomisch hoch. Die Staatskrise erreichte ihren Höhepunkt in einem neuerlichen Revanchekrieg mit Schweden, in dem Dänemark ab 1657 schwerste Verluste erlitt. Frederik III. und die führenden Reichsräte hatten angesichts der militärischen Verwicklungen Schwedens in Polen die Stunde für günstig gehalten, die 1645 verlorenen Gebiete zurückzugewinnen. Ermuntert wurden die Dänen von den Niederländern, die über die hohe Zollbela stung ihres Handels mit Danzig durch die Schweden verärgert waren. Auch andere Staaten, die sich über die zunehmende schwedische Dominanz im Ostseeraum sorgten, signalisierten ihr Einverständnis. Doch noch bevor der dänische Aufmarsch richtig in Gang gekommen war, zog sich der schwedische König Karl X. Gustav überraschend aus Polen zurück und warf seine kriegserfahrene und gut organisierte Militärmaschinerie gegen Dänemark, dessen Festlandterritorien bereits im Herbst 1657 in schwedischer Hand waren. Den Schweden kam neben eigenem strategischen Geschick und dänischem Unvermögen ein überaus strenger Winter zu Hilfe. In einem wagemutigen Unternehmen setzte Karl Gustav im Januar/Februar 1658 mit 71
seinen Truppen über die zugefrorenen Belte nach Fünen, Lol land und Seeland über und stand schon bald vor der dänischen Hauptstadt. Hilfe von außen konnten die Dänen angesichts der zugefrorenen Gewässer nicht erwarten. Um zu retten, was noch zu retten war, willigte Frederik Ende Februar 1658 in Roskilde überhastet in ein Friedensangebot (sog. Panikfrieden von Roskilde) ein, durch das die letzten dänischen Besitzungen jenseits des Sundes, immerhin ein Drittel Dänemarks, an Schweden verlorengingen, nämlich Schonen, Blekinge, Hallland und das norwegische Bohuslen sowie – zeitweilig – Bornholm und das Tröndelag (Trondheim). Ein halbes Jahr später flackerte der Krieg aber wieder auf, weil der schwedische Kriegskönig die vermeintliche Schwäche der Dänen nutzen wollte, um das Land endgültig in ein Vasallenverhältnis herabzudrücken. Doch die Truppen Karl Gustavs schafften es trotz anderthalbjähriger Belagerung nicht, das inzwischen zur Festung ausgebaute Kopenhagen zu erobern. Außerdem er hielt Dänemark diesmal militärische Hilfe von den Niederlanden und Brandenburg. Als dann im Februar 1660 der schwedische König überraschend starb, zeigte sich angesichts der mittlerweile prekären militärischen Lage und des politischen Drucks der Großmächte die adelige Vormundschaftsre gierung des minderjährigen Karl XI. zu neuerlichem Friedens schluß bereit. Dank Frankreichs Intervention konnten die Schweden den territorialen Zugewinn von 1658 sichern, allein Bornholm und das Tröndelag fielen an Dänemark zurück. Dieser dreijährige Krieg mit Schweden endete für Dänemark weitaus katastrophaler als alle früheren Kriege. Nicht nur der Verlust uralter dänischer Landschaften jenseits des Öresunds war zu beklagen, auch auf Seeland und in Jütland gab es durch die Züge erst der schwedischen, dann der niederländischen und brandenburgischen Truppen enorme materielle Verluste. Regionale Untersuchungen deuten auf die Zerstörung jedes dritten Bauernhofes hin, die Bevölkerungseinbußen lagen bei 20 Prozent im Landesdurchschnitt. Auch finanziell lag der Staat am Boden. 72
In dieser Situation berief Frederik III. im September 1660 die Stände (Adel, Geistlichkeit und Bürger) nach Kopenhagen, um über die Lösung der Staatsschuld zu beraten. Es war seit langem das erste Mal, daß alle Stände zusammenkamen, denn seit Generationen hatte der hochadlige Reichsrat quasi gewohnheitsrechtlich die ständischen Rechte allein wahrgenommen und dergleichen Ständeversammlungen verhindert. Die Bürger der Hauptstadt, auf deren entschiedene und auf opferungsvolle Haltung bei der Belagerung Kopenhagens es wesentlich zurückzuführen war, daß es die dänische Monarchie überhaupt noch gab, erkannten nun die Chance, die Pri vilegien des durch den Krieg diskreditierten Adels zu beseitigen. Deutlich unterstützt wurden sie von der Geistlichkeit, die seit langem für die Stärkung der Königsmacht eintrat. Die Position des Adels war zum einen dadurch geschwächt, daß Teile von ihm, die über Besitzungen in Schonen verfügten, durch Paktieren mit den Schweden diskreditiert waren; zum anderen dadurch, daß der Adel durch die seit Jahrzehn ten anhaltende Krise in der Landwirtschaft wirtschaftlich geschwächt und – mehr noch als die Krone – bei bürgerlichen Darlehensgebern verschuldet war. Noch während der Belagerung hatte das Kopenhagener Bürgertum gegen die Gewährung weiterer Kredite von Frederik das Versprechen erhalten, hinsichtlich des Erwerbs von privilegiertem Grundeigentum (einschließlich den dazugehörigen adligen Freiheiten) und beim Zugang zu staatlichen Ämtern mit dem Adel gleichgestellt zu werden. Den Bürgern ging es, was die Finanzen betrifft, in der Ständeversammlung nicht so sehr darum, ebenfalls von den Steuern befreit zu werden, als vielmehr darum, daß die adlige Steuerbefreiung aufgehoben würde. Da der Adel in dieser Frage hartnäckig auf seinen überkommenen Rechten beharrte, wurde der König gewis sermaßen als Schiedsrichter angerufen. Die Steuerreformpläne von Bürgertum und Geistlichkeit, der Kern der Reichstagsdebatten im September 1660, liefen darauf hinaus, daß eine all gemeine, im wesentlichen auf den Landbesitz zugeschnittene Besteuerung eingeführt werden sollte. Die Verringerung der 73
Staatsschuld sollte durch Verkauf und Verpachtung von Kronland – auch und vor allem an Nichtadlige – erreicht werden. Auch wünschten die Bürger die Wahlen zum Reichstag unab hängig von Standesbeschränkungen. Den König vermochten Priesterstand und Bürgervertretung letztlich mit einer gemeinsamen Resolution „Über eine Erbregierung“ auf ihre Seite zu bringen: Frederik sollte nicht nur allein über die strittige Steuerfrage entscheiden können, sondern dem König sollte auch die Erblichkeit der Krone zufallen. Damit wären die zwei wesentlichen Grundpfeiler des Ratskonstitutionalismus beseitigt: Steuerbewilligungs- und Königswahlrecht. Es war gewissermaßen ein Staatsstreich, der sich hier anbahnte, denn die zur Zustimmung zur Resolution aufgerufene Adelsversammlung wurde massiv unter Druck gesetzt, u.a. indem die Stadttore geschlossen und zusätzliche Wachen aufgestellt wurden, damit sich keiner der Magnaten der Abstimmung entziehen konnte. Am 13. Oktober 1660 brach der Widerstand des Adels zusammen. Frederik erhielt dessen Zustimmung zur Erblichkeit der Krone sowohl für seine männlichen als auch seine weiblichen Nachkommen. Hinsichtlich der Steuerfrage willigte der Adel in die Berufung eines paritätisch besetzten Ständeausschusses ein, der darüber im einzelnen beraten und dem König Vorschläge zur Entscheidung unterbreiten sollte. Damit war – gerade auch aufgrund der weiterhin bestehenden Unversöhnlichkeit im Ausschuß – der König faktisch von allen Parteien als oberste Entscheidungsinstanz anerkannt, noch bevor dessen Alleinherrschaft (dän. Enevælde) staatsrechtlich verankert wurde. Denn natürlich legte Frederik die ihm von den Ständen übertragenen Befugnisse zu seinen Gunsten aus. Als erstes wurde von ihm noch im Oktober die Handfeste von 1648 kassiert. Unmittelbar darauf ließ er sich von allen Ständevertretern öffentlich vor dem Schloß die Erbhuldigung entgegenbringen. Dabei wurde auch der auf dem Reichstag nicht vertretene Bauernstand einbezogen, indem kurzerhand einige Bauern aus der Umgebung herbeigebracht wurden, die für den gesamten Bauernstand den Treueeid ablegen mußten. Die gänzliche Entmachtung des Reichsrates und dessen Ende mar 74
kierte die Verfrachtung seines Archivs ins königliche Schloß. Den Schlußpunkt hinter den Umwälzungsprozeß setzte Frederik am 10. Januar 1661 mit der Erb- und Alleinherrschaftsakte, die er von allen Ständevertretern unterzeichnen ließ. In ihr wurden protokollartig die Ereignisse des Herbstes 1660 zusammengefaßt und festgehalten, daß wegen der „Inkonvenienzen“ die Stände dem König die Erblichkeit der Krone übertragen und das Wahlrecht aufgegeben hätten. Wie sehr sich die Machtverhältnisse inzwischen zugunsten der Krone verlagert hatten und wie zielstrebig Frederik die staatsrechtliche Legitimierung seiner Alleinherrschaft voranbringen konnte, kommt darin zum Ausdruck, daß er sich in der Akte mehr abzeichnen ließ, als tatsächlich stattgefunden hatte: Die Stände hätten ihm nämlich außer dem Erbrecht „alle Iura Majestatis, absolute Regierung und alle Regalien“ übertragen. Somit war Frederik legaliter, in Form eines Herrschaftsvertrages, in den Besitz der absoluten Regierungsmacht gelangt, wobei die rechtsphilosophische Anlehnung an Thomas Hobbes ins Auge fällt. Allerdings hat die dänische lutherische Orthodoxie diese naturrechtliche Begründung der absoluten Königsherrschaft später in eine theokratische umgewandelt. Ihre verfassungsrechtliche Grundlage erhielt die neue Regierungsform fünf Jahre später im November 1665 durch das Königsgesetz, die Lex Regia, das fast 200 Jahre, bis 1849, das dänische Staatsgrundgesetz bleiben sollte. Die Lex Regia stellt im Kontext der europäischen Verfassungsgeschichte ein Unikat dar, indem der königliche Absolutismus nur hier grundgesetzlich festgeschrieben wurde. Das „vollkommen unerschütterliche und unwidersprechliche ... auf ewige Zeit“ gültige Königsgesetz, das im übrigen erst 1709 vollständig veröffentlicht wurde, regelte in großer Ausführlichkeit die Erbfolge und legte die evangelisch-lutherische Konfession als alleinige des Monarchen und des Reiches fest. Der König erhielt die uneingeschränkte legislative Gewalt, das Recht, Krieg zu führen und Bündnisse zu schließen, Steuern und Zölle zu erheben sowie die Behörden des Reiches personell nach Gutdünken zu besetzen. Obwohl durch Herrschaftsvertrag zustande ge 75
kommen, sollte es kein Aufkündigungrecht dieses Vertrages geben. Nach dem „vertragsförmigen Staatsstreich“, wie die Ereignisse in der Geschichtsschreibung genannt wurden, begann die Modernisierung’ des dänischen Staates. Bereits im Sommer 1661 wurden neue Ständeprivilegien erlassen, die zwar die bestehenden Besitzverhältnisse auf dem Land bestätigten, jedoch die Steuerfreiheit des Adels beseitigten und dem Bürgertum den Zugang zu Grundbesitz und allen Beamtenstellen öffneten. Generell wurde nun jeglicher Grundbesitz besteuert, wozu in den folgenden Jahren Steuermatrikel, die das ganze Königreich umfaßten, erstellt wurden. Die Schulden des Staates verringerte die Krone in kürzester Zeit durch die Veräußerung von Kronland (zu überhöhten Preisen) an ihre bürgerlichen Kreditoren, wodurch sie zwar rund 40 Prozent ihres Grundbesitzes verlor, zugleich aber auch wieder kreditwürdig wurde. Mit den finanzpolitischen Veränderungen gingen grundlegende Reformen in der Staatsverwaltung sowohl auf zentraler wie regionaler Ebene einher. Das Aufbrechen des adligen Stellenmonopols führte zu einer fachlichen anstelle der personal-territorialen Geschäftseinteilung. Nach schwedischem Vorbild wurden fünf Kollegien als oberste Reichsbehörden ge schaffen, die über einen Geheimen Rat mit dem König verbunden waren. Nach deutschem Vorbild wiederum wurde das Königreich in Ämter gegliedert, die an die Stelle der älteren Lehnsverfassung traten. Zwar konnte sich der Adel überwie gend die herausgehobene Stellung in diesen Ämtern sichern, nämlich die des sogenannten Amtmannes, doch die faktische Verwaltung der Ämter lag in den Händen des bürgerlichen Amtsschreibers und seiner Unterbeamten, die der Zentralregierung in Kopenhagen direkt zugeordnet waren. Wirkten bei der ‚Modernisierung’ von Verwaltung und Regierung andere Staaten als Vorbilder, so gewannen dänische Reformen auf dem Gebiet des Rechtswesens Vorbildcharakter, namentlich für Preußen, Schweden und Rußland, ja es wurde sogar als ein Modell für die Gesetzgebung in der absolutistischen Epoche bezeichnet. Diese Rechtsreform begann mit der 76
Einrichtung des Obersten Gerichts (dän. Højesteret), das an die Stelle des Recht sprechenden Herrentags (Reichsrat und Adelsvertreter) trat, und wurde 1683 abgeschlossen mit der Verabschiedung eines neuen Gesetzbuches, des „Danske Lov“ (Dänisches Recht), das die Gesetze an die neuen politischen Gegebenheiten anpaßte, indem es die bestehende Gesetzgebung zusammenfaßte, systematisierte und vereinheitlichte. Die überkommene regionale, lokale und patrimoniale Gerichtsbarkeit blieb bestehen, wurde allerdings ebenfalls systematisiert und vereinheitlicht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse auf dem Land wurden von den absolutistischen Reformen nicht berührt. Die Abhängigkeit der Bauern von den Grundherren wurde im Gegenteil stabilisiert, indem die meisten gutsherrlichen Privilegien garantiert wurden. Die Krone war aus zwei Gründen an einer starken Gutsherrenschicht interessiert: sozial als Ordnungsfaktor und wirtschaftlich als Getreideproduzent. Die Entwick lung der Gutsherrschaft nahm denn auch in den folgenden Jahrzehnten schärfere Formen an, insbesondere durch eine Steigerung der bäuerlichen Fronarbeit. Ein weiteres Charakteristikum der absoluten Königsherr schaft war die Neuordnung des Militärwesens und dessen zentrale und gleichsam überdimensionale Stellung im Staat. In Friedenszeiten mußte dafür rund die Hälfte der Staatsausgaben aufgebracht werden, in Kriegszeiten flossen sogar rund vier Fünftel des Staatshaushaltes ans Militär. Um 1690 kam auf 50 Einwohner ein Soldat, rund zehn Jahre später standen diesen 50 Einwohnern bereits zwei Soldaten gegenüber. Damit war die dänisch-norwegische Monarchie einer der am stärk sten militarisierten Staaten Europas. Der König verfügte jetzt über ein bedeutendes stehendes, professionell ausgebildetes Heer, das bei den Offizieren zu etwa zwei Dritteln aus Deutschen bestand. Das adlige Reiteraufgebot war abgeschafft, statt dessen mußte der Adel aus den Erträgen seiner Güter zum Unterhalt der neuen Berufsreiterei beitragen. Auch die Bauern wurden belastet, indem fünf Durchschnittshöfe einen Soldaten zu stellen hatten, der – neben seinem Hofdienst – 77
regelmäßig an sonntäglichen Exerzitien und Übungen teilnehmen mußte. Diese Bauernmiliz wurde gewissermaßen das Rückgrat der dänischen Landesverteidigung. Dazu wurde eine umfassende Militärverwaltung aufgebaut, deren wichtigste Funktionsträger auf lokaler bzw. regionaler Ebene die Kriegs kommissare waren. Zwei Motive standen für den Unterhalt einer solch kostspie ligen Militärmacht im Vordergrund: zum einen die innere Sicherheit, d.h. die Sicherung der absoluten Königsmacht. Denn zumindest in der ersten Zeit des Absolutismus fürchtete der König noch ein Aufbegehren des entmachteten Adels. Zum anderen stand weiterhin die Rückeroberung der südschwedischen Provinzen auf der politischen Agenda der Krone. Objek tiv betrachtet verlangte auch die sicherheitspolitische Lage der Monarchie eine starke militärische Stellung. Durch den Verlust Südschwedens war das wirtschaftliche und politische Zentrum Kopenhagen an die Peripherie des Reiches gerückt und damit verwundbar geworden. In die Sicherung der Hauptstadt wurde deshalb besonders investiert. In einem Zeitalter, in dem die Macht zur See eine Rolle wie nie zuvor spielte, wollte auch Dänemark nicht zurückstehen, und angesichts der langen Küsten linien – insbesondere in Norwegen – und der unzähligen Inseln, auf denen der Danebrog wehte, konnte es dies auch gar nicht. Deshalb spielte der – teure – Ausbau der Kriegsflotte eine be sondere Rolle. Ihre Bewährungsprobe bestand sie erfolgreich in einem weiteren Revanchekrieg mit Schweden 1675–78, dem sogenannten Schonischen Krieg, als sie im Juni 1676 vor Öland und im Juli 1677 in der Bucht von Koge die zahlenmäßig über legene schwedische Flotte zweimal besiegte. Trotz der Seeherrschaft konnte das Kriegsziel aber nicht erreicht werden, da sich das dänische Heer in Südschweden nicht entscheidend durchsetzen konnte, obwohl es von der Bevölkerung als Befreier begrüßt und durch Freischärler unterstützt wurde. Der Krieg endete für Dänemark politisch mit dem status quo ante, für die dänische Bevölkerung der südschwedischen Provinzen mit einer rigorosen Schwedifizierung, die für viele die Vertreibung von den Gütern und Höfen bedeutete, die schwedischen Mili 78
tärs übereignet wurden. Schweden schuf auf diese Weise gegenüber Dänemark eine Militärgrenze, die sich 1710 bewährte, als während des Großen Nordischen Krieges (1700–1721) nach der schwedischen Niederlage 1709 bei Poltawa (Ukraine) Dänemark im Frühjahr 1710 eine neuerliche Rückeroberung versuchte. Dieser Versuch scheiterte aber kläglich, und Däne mark spielte in diesem Krieg in der Folgezeit nur noch eine passive Rolle. Im Frieden von Nystad (1721) wurde Schweden von den Großmächten der südschwedische Besitzstand garantiert. Die dänische Außenpolitik änderte sich danach grundlegend: Die Rückeroberung Schönens, Hallands und Blekinges wurde von der politischen Agenda genommen. Die außenpolitische Maxime war von nun an, sich aus europäischen Konflikten herauszuhalten, was auch rund einhundert Jahre lang gelang. Das bedeutete aber nicht, daß der Staat abrüstete, im Gegenteil: Ein starkes Militär wurde weiterhin für notwendig erachtet, doch nunmehr – was die Außenpolitik betrifft – zur Absicherung der Neutralität. In dieser Hinsicht kam es wäh rend des Siebenjährigen Krieges (1756–63) und des Amerika nischen Unabhängigkeitskrieges (1776–83) sogar zu einer po litisch-militärischen Annäherung an den ,Erzfeind’ Schweden. Die Militarisierung des Staates führte zu einer weiteren Verschlechterung der Rechtsstellung der bäuerlichen Bevölke rung. Zwar wurde auch die miserable Agrarkonjunktur in den Jahrzehnten um 1700, die den Grundbesitzern Probleme bei der Besetzung der Pachthöfe bereitete, als Argument herangezogen, doch offiziell diente die Verpflichtung zur bäuerlichen Landmiliz als Grund für die Verschärfung der Schollenbindung (dän. Stavnsbåndet) für Männer zwischen 14 und 30 Jahren im Jahre 1733. Die Gutsbetriebe wirtschafteten im Zeichen der allgemei nen landwirtschaftlichen Krise, die durch die Kriege der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und durch Seuchen verschärft wurde, an der Grenze der Rentabilität. Zum Rettungsanker nicht weniger Güter wurde in diesen Krisenjahren die Einfüh rung der Meiereiwirtschaft. Milch, Butter und Käse fanden in den Städten, vor allem Kopenhagen, steigenden Absatz, so 79
daß die sogenannten HoUändereien die traditionelle Land wirtschaft mancherorts fast verdrängten – insbesondere auf Seeland. Dies hatte für die einfachen Bauern wiederum negative Folgen. Denn die Güter benötigten nun zunehmend Wei deland für die Milchkühe, so daß die Gutsbesitzer Hofstellen niederlegten. Auf diese Weise verschwanden zwischen 1670 und 1700 rund 70 Dörfer. Gleichzeitig wurden die Frondienstpflichten für die Häusler und Kätner erweitert.
VIII. Aufklärung und Reformen Die bedeutendste Leistung der dänischen absoluten Monarchie war die Mobilisierung der oberen sozialen Schichten (Bürgerliche wie Kleinadlige), die sich zu einer dienstadligbürokratischen Elite des Landes herausbildeten. Der alte Geburtsadel wurde, wenngleich ihm seine Besitzrechte belassen wurden, durch einen neuen absolutistischen Rangadel politisch abgelöst. Mit der Abschaffung des Ständestaates wurde der Adelsbegriff von der Krone gewissermaßen neu definiert und in Form von drei Rangordnungen (1671, 1679, 1693) in barocker Systematik rechtlich verankert. Die Inhaber der obersten Ränge wurden deutlich vor den Geburtsadel gestellt und mit neugeschaffenen Grafschaften bzw. Baronien als Fi deikomisse eng an die Krone gebunden. Im Laufe von nur einer Generation wandelte sich Dänemark von einem mittel alterlichen selbstverwalteten Ständestaat in einen frühmoder nen zentralistischen Verwaltungsstaat. Für die weitere innere Entwicklung war bedeutsam, daß sich in der neuen Führungselite ab dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts die Ideen der Aufklärung festsetzten und somit gesellschaftsreformerische Kräfte politisch mächtig werden konnten. Einen ersten reformpolitischen Höhepunkt erlebte Däne mark Anfang der 1770er Jahre, in dem der Leibarzt des gei stesschwachen Christian VII., Johann Friedrich Struensee, die zentrale Rolle spielte. Der deutschstämmige, von den Ideen 80
der Aufklärung erfüllte junge Arzt nutzte seine besondere Stellung am Hofe, um innerhalb kürzester Zeit zunächst zum Kabinettssekretär und dann zum Geheimminister und Grafen zu avancieren, dem eine diktatorische Macht zufiel. Hilfreich war ihm dabei auch sein intimes Verhältnis zur Königin. Struensee erließ mit königlicher Generalvollmacht eine Sturz flut von Gesetzen und Verordnungen (ungefähr 600 in 16 Monaten), die eine Modernisierung der Staatsverwaltung und Liberalisierung der Wirtschaft herbeiführen sollten. Besonders angelegen war ihm der Bauernstand, dessen Lage Struensee durch Lockerungen der Frondienste zu verbessern suchte. Die Aufgabe der merkantilistischen Schutzzollpolitik führte zum Zusammenbruch dänischer Manufakturen, die bis dahin durch die Abschnürung der ausländischen Konkurrenz auf Kosten des Staates künstlich am Leben gehalten worden waren. Tausende von Lohnarbeitern wurden arbeitslos. Durch seinen Reformeifer und sein hochnäsiges Agieren schuf Struensee sich im Establishment bald mächtige Feinde, die schließlich Anfang 1772 seinen jähen Sturz herbeiführten und ihn nach einem Schauprozeß im April desselben Jahres in Kopenhagen öffentlich hinrichten ließen. Nach Struensees Sturz übernahm der konservative Emporkömmling Ove Høegh-Guldberg die Regierung, in der zum ersten Mal seit Einführung des Absolutismus nur Minister saßen, die in der dänischen Monarchie geboren waren. Eines ihrer wichtigsten Ziele war es, neben der Annullierung der Struenseeschen Reformen die dänische Sprache und Kul tur aufzuwerten und gleichzeitig den, nach Ansicht vieler Dänen, übermächtig gewordenen fremden (d.h. deutschen) Ein fluß zurückzudrängen. Bereits einen Monat nach dem Sturz Struensees wurde Dänisch als Amtssprache in dänischen und norwegischen Angelegenheiten sowie als Kommandosprache in der Armee festgeschrieben. 1776 wurde das Eindringen von Ausländern in die Ämter von der Regierung Høegh-Guldberg mit dem sogenannten Indigenatsgesetz eingedämmt. Nur in der Monarchie geborene Untertanen des dänischen Kö nigs sollten fortan öffentliche Ämter bekleiden dürfen. Zuvor 81
saßen z.B. im Regierungskollegium neben Deutschen nur ein Däne und ein Holsteiner. Das Gesetz wurde von allen begrüßt, selbst von den Holsteinern, die bereits eine herausragende Rolle im Staat spielten. Mit diesem Gesetz leitete die Regierung Høegh-Guldberg eine neue Entwicklung in der Monarchie ein. Das Selbstbewußtsein des dänischen Bürger tums wurde gestärkt, und das Bewußtsein einer eigenständi gen dänischen Kultur wuchs an, obgleich der deutsche Einfluß im politischen und auch kulturellen Leben weiterhin spürbar war. Aber der Keim war gelegt für einen Nationalismus, der zunächst noch latent blieb, doch im folgenden Jahrhundert zu scharfen nationalen Gegensätzen zwischen deutsch und dänisch führen sollte. Von der Regierung Høegh-Guldberg wurde zur Kontrolle der königlichen Entscheidungsfindung eine neue politische Führungsinstitution ins Leben gerufen, der geheime Staatsrat, der den König bei den Kabinettsvorlagen beraten sollte. Diese Staatsratsverfassung blieb bis zum Ende des Absolutismus 1849 in Kraft, wiewohl der reale Einfluß des Rats von der je weiligen Person des Königs abhängig war. Das Gedankengut der Aufklärung manifestierte sich in Dänemark politisch in erster Linie in einer Reformgesetzgebung, die seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts der Landbevölkerung und Agrarwirtschaft zugute kam. Alle dänischen Regierungen seit 1766, dem Herrschaftsantritt Christians VII., waren mit der Bauernfrage beschäftigt. Auch hatte man nach der Jahrhundertmitte hier und da mit Flurbereinigungsmaß nahmen begonnen, die aber einen eher experimentellen Cha rakter besaßen. Einen ersten echten Fortschritt brachte 1781 ein Erlaß, der es Bauern unter bestimmten Voraussetzungen erlaubte, sich aus dem altertümlichen Flurzwang zu lösen und ihren Besitz zu arrondieren. Bis dahin war die Flurbereinigung nur in etwa zwei Prozent aller Dörfer durchgeführt worden. Zu diesem Zeitpunkt war die dänische Landwirtschaft im westeuropäischen Vergleich noch in jeder Hinsicht rückständig und unproduktiv. Insbesondere die Getreidewirtschaft war durch die veralteten Anbautechniken (Dreifelderwirtschaft), 82
den Flurzwang (Gemengelage) und die feudalen Produktionsverhältnisse an ihre Ertragsgrenzen gestoßen. Zwar hatten be reits einige dänische Reformpublizisten den Zusammenhang zwischen bäuerlicher Hörigkeit, Frondiensten und Flurzwang auf der einen und geringem Ertrag auf der anderen Seite er kannt, doch in weiten Kreisen der Gutsbesitzer war noch lan ge nach der Jahrhundertmitte die Ansicht vorherrschend, der Bauer müsse streng gehalten und zur Arbeit angeleitet, wenn nicht gar gezwungen werden, da ansonsten der Schlendrian die Oberhand gewinnen würde. Klagen der Gutsbesitzer an die Obrigkeit über die Dumpfheit und Faulheit der Bauern, insbesondere der Häusler und Kätner, waren gang und gäbe. Verbunden waren sie mit Forderungen nach Ausweitung der niederen Strafgerichtsbarkeit, um Arbeitssäumige an Ort und Stelle abstrafen zu können. So wurde der die Peitsche schwingende gutsherrliche Reitervogt eine alltägliche Erscheinung im Leben der Landbevölkerung. Insofern war es aus der Sicht der Gutsbesitzer auch konsequent, eine Steigerung der Erträge durch Einziehen von Bauernland anzustreben, indem Pachtbauern in schollengebundene Einlieger umgewandelt wurden, die noch stärker unter der Knute des Gutsherrn standen. Obwohl bereits einige fortschrittliche Gutsbesitzer mit der Modernisierung ihrer Betriebe begonnen hatten, beschritt die überwiegende Mehrzahl der Magnaten zunächst diesen alt hergebrachten Weg einer noch direkteren Aneignung der bäuerlichen Arbeitskraft. Daß dieser Weg auf lange Sicht aber in eine Sackgasse münden würde, sollte sich bald herausstellen. Denn eine wesentliche Steigerung der Erträge setzte in erster Linie umfassende Reformen der Rechtsverhältnisse auf dem Lande voraus. Die makroökonomischen Umstände dafür waren nach der Jahrhundertmitte ausgesprochen günstig. Seit den 1740er Jahren waren in Folge eines stetigen Bevölkerungsanstiegs in Westeuropa, vor allem in England und den Niederlanden, die Preise für landwirtschaftliche Produkte, insbesondere für Getreide, erheblich gestiegen. Kapitalinve stitionen in die Verbesserung der Agrartechnik schienen nun lohnend wie kaum zuvor. Begünstigt wurde dies noch da 83
durch, daß aufgrund einer verhältnismäßig langen Friedenszeit in Dänemark der Geldbedarf der Krone und damit die Steuerlast geringer wurden. Bereits 1755 war durch die Regierung eine öffentliche Debatte darüber in Gang gesetzt worden, wie die Wirtschaft des Reiches, verbessert werden könnte. Die überraschend breite und landesweite Beteiligung führte zu einer ganzen Reihe von Vorschlägen, die gesammelt, systematisiert und in gedruckter Form (in acht Bänden) veröffentlicht wurden. Dieses Werk – „Danmarks og Norges Œconomiske Magazin“ – diente als Grundlage für die umfassende Reformgesetzgebung, die sich seit der Regentschaft des Kronprinzen Frederik (ab 1808 Frederik VI.) über ein halbes Jahrhundert hinziehen sollte. Frederik hatte 1784 als junger Mann staatsstreichartig die faktische Macht von seinem Vater Christian VII. übernommen. Es begann nun eine neue sozial- und wirtschaftspolitische Ära – zwar nicht schlagartig, aber doch merklich. Um den Prinzregenten sammelten sich einige deutschstämmige Magnaten, wie die Grafen Andreas Peter Bernstorff, Christian und Ludwig Reventlow und Ernst Schimmelmann, die reich begütert und welterfahren waren und im Geiste des aufgeklärten Absolutismus die Monarchie reformieren wollten. Politisch diente Preußen, wirtschaftlich England als Vorbild. Doch anders als bei der englischen Gutswirtschaft wollten die Reformer die dänische Bauernschaft konservieren, die sie bei einer völlig freien Separierung von Bauernland zugunsten der Gutswirtschaften in ihrer Existenz gefährdet sahen. Das frei gewordene Bauernland sollte deshalb nicht zu den Eigenländereien der Gutsbesitzer geschlagen werden dürfen. Kein Hof durfte aufgegeben werden. 1786 wurde eine Landkommission eingesetzt, in der Christian Reventlow und der aus Norwegen stammende Jurist Christian Colbjørnsen die tonangebenden Kräfte waren. Von den Gutsbesitzern unabhängige Taxatoren wurden im Lande herumgeschickt, um den Wert der Bauern höfe bei Ablauf der Pachtfristen zu schätzen. Ein entscheiden der gesetzgeberischer Schritt erfolgte am 20. Juni 1788 mit der Aufhebung der Schollenbindung. Dies und die Minderung 84
der Frondienstpflichten, die gänzliche Beseitigung des Flurzwanges sowie die den Pachtbauern nun eröffnete Möglichkeit, ihre Hofstelle käuflich zu erwerben, haben innerhalb einer Generation die Verhältnisse auf dem Land grundsätzlich verän dert. Den Erwerb der Pachthöfe erleichterte die Regierung durch Geldanleihen. Bis 1807 wurden etwa Dreiviertel des Bauernlandes in Inseldänemark und rund die Hälfte in Jütland separiert. Die meisten Bauern waren dadurch zu frei wirtschaf tenden Landwirten geworden. Eine Befreiung von der Willkür der Gutsbesitzer stellte auch die durch die Aufhebung der Schollenbindung notwendig gewordene Umstellung der Militärausschreibungen für die Landmiliz auf nunmehr staatliche Behörden dar. Durch Aufhebung des Flurzwanges und Arron dierung wurden viele Höfe aus dem Dorf hinausverlegt, so daß die dänische Kulturlandschaft einen völlig anderen Charakter erhielt: Der inmitten seiner Felder liegende Bauernhof wurde zum typischen dänischen Landschaftsbild, die aus dem Mittel alter überkommene Dorfgemeinschaft büßte ihre Funktion ein. Aus England kamen neue Anbaumethoden und neue Ackerbaugeräte. Alte, ausgemergelte Böden konnten wieder urbar gemacht und unter den Pflug genommen werden. Wirtschaft lich erwiesen sich die Reformen der ersten Periode bis 1800 als sehr erfolgreich: Die Getreideproduktion Dänemarks hat sich in diesen rund zwanzig Jahren verdoppelt. Aber nicht alle feudalen Zöpfe wurden in diesen Jahren abgeschnitten. Die Reformen blieben gewissermaßen auf halbem Wege stecken, weil der Widerstand der mächtigen Gutsbe sitzer zusehends stärker wurde. Niedere Gerichtsbarkeit und Hofdienste blieben bei den abhängigen Pachtbauern bestehen. Insbesondere für Häusler und Kätner hatte sich kaum etwas geändert, sie waren die eigentlichen Verlierer der Agrarreformen. Sie verfügten über kein oder nur sehr wenig Land, mit dem sie sich kaum selbst ernähren konnten und deshalb ge zwungen waren, auf Bauernhöfen oder Gütern zu arbeiten. Durch die Flurbereinigungen verloren sie zudem die Möglichkeit, von der Allmende Futter für das wenige Vieh, daß sie möglicherweise hatten, zu bekommen; auch die Möglichkeiten 85
des Brennholzsammelns waren nunmehr stark begrenzt. Die sozialen Unterschiede auf dem Land prägten sich deshalb schärfer aus als zuvor, es entstand neben der Schicht der land besitzenden Bauern ein in halbfeudaler Abhängigkeit lebendes Agrarproletariat, das erst im Zuge der politischen Reformen des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts „befreit“ wurde. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war diese Schicht zah lenmäßig stärker als die der Bauern. Die Chance für tüchtige Häusler, Bauernland zu erwerben und in die Bauernschicht zu wechseln, war aufgrund der im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts enorm gestiegenen Landpreise äußerst gering. Durch die Bauernbefreiung und Landreformen war gleichwohl der in der alten dänischen Agrargesellschaft besonders scharf ausgeprägte Gegensatz zwischen frei und unfrei aufge hoben, soziale Spannungen dadurch entschärft worden, bevor sie – wie in Frankreich – einen gewaltsamen Ausbruch erhielten. Die neben den wirtschaftlichen Auswirkungen bedeu tendste gesellschaftliche Folge der Reformen war das Entstehen einer ländlichen Mittelschicht freier Bauern, deren politische Loyalität sich der Staat durch Rechtsgarantien sichern konnte. Der Gutsherr stand nicht länger als Instanz der Obrigkeit zwischen Staat und Bauern. Das Verhältnis zwischen Gutsbesitzer und Pachtbauer wurde zu einer privatrechtlichen Angelegenheit zweier Bürger des Staates. Der landbesitzende und auch der Pachtbauer wurden zum Staatsbürger, dessen politisches Gewicht seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts bei der Demokratisierung des politischen Systems immer deutlicher spürbar wurde. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen spielten sich zwischen 1750 und 1850 nicht nur auf dem Lande ab. Die städtischen Gewerbe lösten sich in dieser Epoche ebenfalls aus ihren feudalen Bindungen. Auch hier waren es Krisenerschei nungen, die Reformen erzwangen. Vor allem das Textil- und das Glasgewerbe litten unter der englischen Konkurrenz, obwohl sie noch bis in die 1780er Jahre hinein vom Staat stark subventioniert wurden. Ausländischen Manufakturisten wurde im 18. Jahrhundert die Niederlassung in Dänemark mit 86
Privilegien schmackhaft gemacht, die Arbeitslöhne wurden auf äußerst niedrigem Niveau gehalten, und außerdem wurden strenge Qualitätskontrollen eingeführt, um das Vertrauen der Konsumenten zu gewinnen. Trotzdem war der Import ste tig gestiegen, so daß schließlich die Einfuhr solcher Güter, die auch in Dänemark hergestellt wurden, ganz verboten wurde. Es war im Grunde die gleiche Handelspolitik, die schon Christian IV. verfolgt hatte, um das dänische Manufakturgewerbe in Gang zu setzen. Doch wie damals führten auch im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die gleichen Ursachen zum Scheitern. Hauptsächlich war es der Mangel an billiger Arbeits kraft, unter dem die städtischen, protoindustriellen Gewerbe litten. Denn durch die ständige Ausweitung der Schollenbindung und der Frondienste war die in Dänemark verfügbare Arbeitskraft überwiegend in der Landwirtschaft gebunden. Die Zahl der Lohnarbeiter war gering. In England waren die Verhältnisse zu dieser Zeit ganz anders. Hier wurde die Industrielle Revolution gerade aufgrund der immens gestiegenen Zahl freier Lohnarbeiter erst ermöglicht. Mit der Abschaffung der staatlichen Subventionen verschwanden in Dänemark bis 1800 die meisten Manufakturen. Für andere städtische Gewerbe, insbesondere den Handel, war die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Blütezeit. Innerhalb von 50 Jahren wuchs die dänische Handelsflotte von 30 000 Tonnen auf 75 000, sie wurde damit zu einer der größten Europas. Die dänischen Kaufleute und Reeder waren die Gewinner des Kolonialkrieges zwischen England und Frankreich (1756–63) und des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1776–83) sowie schließlich der französischen Revolutionskriege. Unter der neutralen dänischen Flagge wurde ein immer größerer Teil des europäischen Überseehandels abgewickelt. Politisch wurde dies durch eine aktive Neu tralitätspolitik abgesichert, die die dänische Flotte im Bündnis mit anderen Neutralen vor den Kaperfahrern der Kriegführenden zu sichern suchte. Vor allem während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges waren die Gewinne der däni schen Kaufleute und Reeder gewaltig. Es war ihnen nunmehr 87
auch möglich, sich aus althergebrachten Organisationsformen zu lösen. Der Kompaniehandel war bis dahin in der Über seefahrt vorherrschend: Die Krone, Kaufleute, Gutsbesitzer, höhere Beamte, Kapitäne steckten eine bestimmte Geldsumme in die gemeinsame Ausrüstung eines oder mehrerer Schiffe. Nach Abschluß einer Handelsreise wurde der Gewinn unter den Kompagnons aufgeteilt. Im 17. Jahrhundert hatte Dänemark im Gleichklang mit den großen europäischen Handels mächten überseeische Kolonien erworben – wenngleich in äußerst bescheidenem Maße. 1620 wurde an der indischen Ostküste der Handelsstützpunkt Trankebar angelegt, 1658 konnte in der westafrikanischen Guineabucht eine Kolonie erworben werden, von der aus afrikanische Sklaven nach Westindien verbracht wurden. Dort hatte Dänemark die klei ne Antilleninsel St. Thomas in seinen Besitz gebracht, der später durch den käuflichen Erwerb von St. Croix arrondiert wurde. Es entwickelte sich ein auf königliche Monopole gestützter atlantischer Dreieckshandel, in dem der Verkauf von afrikanischen Sklaven und/oder die Ausbeutung von deren Arbeitskraft die zentrale Rolle spielte. Am Endpunkt dieses Handelssystems stand die Verschiffung von Kolonialwaren, vor allem von Rohrzucker und Tabak, von den westindischen Plantagen nach Kopenhagen, das als alleiniger Einfuhrhafen für Dänemark privilegiert wurde. Die dänische Hauptstadt erlebte in diesen Jahren einen enormen Aufschwung. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts stieg ihre Einwohnerzahl auf über 100 000. Mehr als ein Zehntel der Bevölkerung des Königreiches (ohne Norwegen und die Herzogtümer) lebte hier. Es war die Drehscheibe des nordeuropäischen Marktes, denn Kaufleute nicht nur aus den anderen dänischen Städten, sondern aus dem ganzen Ostseeraum bezogen von hier die west indischen und auch asiatischen Güter. Die zweitgrößte dänische Stadt, Odense, hatte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal 6000 Einwohner, was die bedeutende Stellung Kopenhagens noch deutlicher sichtbar macht. Doch auch die Handelsstädte in der zweiten Reihe wie Odense, Alborg, Aarhus, Helsing0r und Flensborg profitierten insgesamt vom dänischen Über 88
seehandel und der Expansion Kopenhagens. Kaufleute und Reeder in diesen Städten verdienten gutes Geld am Verkauf landwirtschaftlicher Produkte in die Hauptstadt oder in der regen Küstenschiffahrt bei der Versorgung des Binnenmarktes. Durch die großen Profite in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren mehr und mehr Kaufleute in die Lage versetzt worden, ein oder mehrere Schiffe für die Überseefahrt allein und nicht mehr in Kompanien auszurüsten und dadurch den ganzen Handelsgewinn einzustreichen. Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion und blühender Fernhandel waren die wichtigsten Triebkräfte der wirtschaftlichen Ent wicklung gegen Ende des Jahrhunderts. Gesellschaftlich wirkte sich dies dahingehend aus, daß ein selbstbewußtes Handelsbürgertum entstand, das sich auch immer stärker politisch bemerkbar machte. Aus ihm rekrutierten sich beispielsweise die Lesezirkel, die in der Haupt stadt aufklärerisches Gedankengut aus dem westeuropäischen Ausland diskutierten. Zeitschriften und Zeitungen begannen regelmäßig zu erscheinen, wie seit 1749 Berlingske Tidende, und schufen eine Öffentlichkeit, in der alles Althergebrachte einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde: die Adels privilegien, die Ungleichheit vor dem Gesetz, die Lage der Bauern usw. Begünstigt wurde dies durch eine im europäi schen Vergleich ungewöhnliche Toleranz der Obrigkeit ge genüber dieser Presse. 1770 ließ Struensee sogar die Zensur abschaffen, die nach seinem Sturz – formal – auch nicht wieder eingeführt wurde. Im Zeichen der Aufklärung setzte am Ende des Jahrhunderts eine im Lande bis dahin nicht erlebte Blüte des kulturellen Lebens ein, die sich insbesondere in der Dichtung niederschlug. Es war eine ausgeprägt bürgerliches Kulturleben, das sich auch nach der Jahrhundertwende fortsetzte und – mit aus Deutschland übernommenen Elementen der Romantik versehen – in das sogenannte dänische Goldene Zeitalter mündete mit Lichtgestalten wie Adam Oehlenschläger (1779–1850), Hans Christian Ander sen (1805–1875) und Soren Kierkegaard (1813–1855), um nur einige zu nennen. 89
IX. Der Kleinstaat Mit der Französischen Revolution änderten sich zusehends die außenpolitischen Rahmenbedingungen, die Dänemark ein Jahrhundert lang Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung gebracht hatten. Die Regierung war insbesondere um den blühenden Seehandel besorgt. Nach dem Beginn des französisch-englischen Krieges 1793 erklärte Dänemark, wie in den vorangegangenen Kriegen der europäischen Mächte auch, seine Neutralität und forderte von den Kriegführenden deren Respektierung. Doch blieb der britischen Regierung nicht verborgen, daß Dänemark französischen und niederländi schen Reedern den Wechsel zur dänischen Flagge gestattete, weshalb dänische Schiffe von britischen Kaperfahrern nicht verschont blieben. Im Vertrauen auf seine große Kriegsflotte erklärte Dänemark 1800, daß es seine Handelsflotte unter den Schutz dieser Kriegsflotte stelle und sich dem bewaffneten Neutralitätsbund Schwedens, Preußens und Rußlands an schließe. Die Antwort der Briten ließ nicht lange auf sich warten: Ende März 1801 tauchte die Royal Navy unter Admiral Nelson im Öresund auf und zwang die Dänen nach einer gro ßen Seeschlacht auf der Kopenhagener Reede am 2. April zur Kapitulation. Es war gleichsam der Anfang vom Ende der alten dänisch-norwegischen Monarchie. Dänemark war nicht mehr Herr seiner Außenpolitik, sondern wurde von den Briten zu Wohlverhalten gezwungen. Das rief im Lande Verbitterung hervor, weshalb die vorsichtige Hinwendung der Regie rung zu Napoleon nach dessen großen Siegen auf dem Kontinent von allen politischen Kräften im Lande getragen wurde. Nach der Verkündung der napoleonischen Kontinentalsperre fürchtete London das Übertreten der dänischen Flotte in französische Dienste. Da Dänemark eine englische Allianzforderung – nicht zuletzt unter französischem Druck – ausschlug, wurde die Royal Navy erneut in den Öresund geschickt, wo sie im September 1807 mehrere Tage lang Kopenhagen bom bardierte. Die Wirkung war verheerend: Rund 2000 Einwoh 90
ner kamen zu Tode, 1000 Gebäude wurden zerstört, doch für das dänische Selbstwertgefühl besonders schockierend war, daß Dänemark seine Flotte als Kriegsbeute an die Engländer ausliefern mußte. Die Verbitterung war in Dänemark so groß, daß das Land nun offen auf die Seite Napoleons trat, dessen Truppen an der Südgrenze des Königreiches lagen. Mit den wenigen verbliebenen Resten seiner Kriegsflotte – allerdings nur kleinen Einheiten – sowie mit Kanonen bestückten Handelsschiffen führte Dänemark in den folgenden Jahren einen – nicht sonderlich erfolgreichen – Kaperkrieg gegen England. Dieser hatte allerdings für den norwegischen Reichsteil katastrophale Auswirkungen, denn die Royal Navy unterbrach den Kontakt zwischen den beiden Reichsteilen, so daß die Versorgung Norwegens mit Lebensmitteln, vor allem Getreide, abbrach. Die Folge war eine schwere Hungersnot in Norwegen, der Unzählige zum Opfer fielen. Die mehr oder weniger erzwungene Anlehnung an Frankreich war so stark, daß für Dänemark ein Allianzwechsel, wie ihn die ehedem französischen Verbündeten nach Napoleons Niederlagen vollzogen, nicht möglich war. Deshalb stand das Königreich am Ende des Krieges neben Frankreich als Verlierer da. Im Frieden von Kiel wurde es im Januar 1814 gezwungen, seine Provinz Norwegen an Schweden und die Insel Helgoland an England abzutreten. Schweden sollte, weil es rechtzeitig auf die Seite der antinapoleonischen Allianz gewechselt war, dadurch für den Verlust Finnlands an Rußland entschädigt werden. Auf dem Wiener Kongreß erhielt Dänemark gewissermaßen als Kompensation das Herzogtum Lauenburg zugesprochen. Das dänische Wirtschaftsleben war am Ende des Krieges vollkommen zerrüttet, der Staat war bankrott. Noch drama tischer als der Handel war die Landwirtschaft von der Krise betroffen, da ehemalige wichtige Absatzmärkte (Norwegen) weggefallen waren oder sich durch Schutzzölle (England) verschlossen. Die Rentabilität in der dänischen Landwirtschaft war während der ganzen 1820er Jahre gering, viele Höfe wurden zwangsversteigert, bittere Armut breitete sich auf dem Lande und in den Landstädten aus. Die Preise für 91
dänisches Getreide sanken auf ein Viertel des Vorkriegsstan des. Wie schon hundert Jahre zuvor wurde die dänische Landwirtschaft durch die Krise gezwungen, Produktionsmittel und Produktionsverhältnisse zu modernisieren. Verbesserte Anbaumethoden und neue Gerätschaften hielten – vom Staat finanziell unterstützt – allmählich Einzug, gleichzeitig wurde die Milchviehwirtschaft intensiviert. Um 1830 konnte wieder rentabel produziert werden, und es setzte nunmehr eine landwirtschaftliche Hochkonjunktur ein, die bis in das letzte Jahrhundertdrittel anhielt. Das lag nicht nur an der verbesserten Produktivität, sondern in gleichem Maße an der Ausweitung der Absatzmärkte im Zusammenhang mit dem Bevölke rungswachstum in Europa. Von besonderer Bedeutung war die Industrialisierung in Großbritannien, wohin in steigendem Maße dänische Produkte abgesetzt wurden. Nach der Auf hebung der britischen Protektionszölle ging die Hälfte der dänischen landwirtschaftlichen Produktion, in erster Linie Getreide, über die Nordsee. Aber auch schon vorher war im Zuge der Lockerung der englischen Schutzzölle die Insel der wichtigste Markt für die dänische Landwirtschaft geworden. Bezeichnend ist auch, daß gewissermaßen im Gegenzug eng lisches Kapital die Rolle der Hamburger Banken im dänischen Kreditwesen übernahm. Damit entstand eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die über einhundert Jahre andauern sollte. Allein zwischen 1830 und 1870 vervierfachten sich die däni schen Exporte. Gleichzeitig wuchs der Wohlstand der dänischen Bauern und deren Möglichkeiten, die betriebliche Modernisierung weiter voranzubringen. Alte, schwere Holzgeräte wurden durch leichtere aus Eisen ersetzt, größere Höfe und Güter wandten bereits Dreschwerke an, die Mechanisierung und auch die Nutzung der Dampfkraft breiteten sich mehr und mehr aus. Mit den gestiegenen Verdienstmöglichkeiten kam auch die Abwicklung letzter feudaler Produktionsverhältnisse wieder in Gang, die während der Napoleonischen Kriege und in der Zeit danach ins Stocken geraten war. Dies äußerte sich insbe sondere in der bis 1853 erfolgten nahezu gänzlichen Ablösung 92
der Hofdienstpflichten. Aber auch die Differenzierung in der Landwirtschaft setzte sich fort, wobei die Zahl der unteren Schichten, der Kätner, Häusler und Landarbeiter, überpropor tional zunahm. Insgesamt stieg die Zahl der in der Landwirt schaft Beschäftigten zwischen 1830 und 1870 um 50 Prozent auf rund 500 000 Menschen. Gut die Hälfte davon gehörte zur Schicht der Kätner und Häusler, die kein oder nur sehr geringes Land besaßen und an einen Gutsbetrieb gebunden waren. Durch die Landreformen und die Agrarkonjunktur war zur Mitte des 19. Jahrhunderts aber eine bäuerliche Mittelschicht entstanden, der über die Hälfte des dänischen Bo dens ganz oder in Erbpacht gehörte. Mit den Reformen auf dem Lande waren auch politische Reformen unerläßlich geworden. Die Juliereignisse des Jahres 1830 in Frankreich hatten dem Hof in Kopenhagen vor Augen geführt, daß sich das Volk nicht länger von der politischen Mitsprache ausschließen ließ. Zwar waren die Ver hältnisse in Dänemark noch weit von denen in Frankreich entfernt, doch auch hier im Norden hatte sich liberales politisches Denken immer lauter artikuliert, und Frederik VI. konnte sich dem nicht ganz verschließen, wollte er seine absolute Stellung bewahren. Bereits auf dem Wiener Kongreß hatte er der Einrichtung von Ständeversammlungen, zumindest in den zum Deutschen Bund gehörenden Landesteilen, zustimmen müssen, ohne dies anschließend in die Tat umzu setzen. Um einer drohenden politischen Radikalisierung mit unabsehbaren Folgen vorzubeugen, entschloß sich Frederik nunmehr, diesen Schritt nachzuholen und sogar auf ganz Dänemark auszuweiten. Im Mai 1831 gab er einen Erlaß heraus, durch den in vier Teilen des Reiches (Jütland, Insel dänemark, Schleswig und Holstein) jeweils beratende Ständeversammlungen gewählt werden sollten. Für die weitere politische Entwicklung in Dänemark war von größter Bedeutung, daß durch die Wahlordnung zu diesen ersten Ständewahlen seit 1660 der politischen Privilegierung des Adels eine Absage erteilt wurde und das Wahlrecht allein an Grundbesitz ge knüpft wurde, wobei Eigentums- und Pachtbauern gleichge 93
stellt wurden. Das heißt, daß bäuerliche Wähler dieselben politischen Rechte erhielten wie Aristokraten und Besitzbürger. Ausgeschlossen blieben die grundeigentumslosen länd lichen und städtischen Schichten, zu denen – kurios genug – auch niedere Beamte und Dorfpfarrer zählten. Insgesamt er hielten landesweit etwa drei Prozent der Bevölkerung das Stimmrecht, in Kopenhagen waren es nur 1,4 Prozent. Auch wenn die ab 1835 etablierten Ständeversammlungen nur Beratungsorgane waren, die den Monarchen zu nichts verpflichteten, dienten sie doch der politischen Formierung einer Gesellschaftsschicht, nämlich der Bauern, die der däni schen Politik spätestens ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ihr besonderes Gepräge geben sollte. Wurden hier von den bäuerlichen Sprechern zunächst die Hoffnungen auf Weiterführung der Agrarreformen und die endgültige Bauernbefreiung artikuliert, so gewannen zunehmend auch allgemeinpolitische Fragen an Gewicht. Vor allem wuchs die Kri tik an der absolutistischen Staatsverfassung und der Art der ständischen Repräsentation selbst. Es waren zwei weitere ge sellschaftliche Gruppen, die mit den bestehenden Verhältnissen aus unterschiedlichen Gründen unzufrieden waren und dies zunehmend zum Ausdruck brachten: zum einen die wachsende Schicht der Häusler und Kätner sowie der Handwerksgesellen, zum anderen eine – zahlenmäßig noch geringe – Gruppe von Beamten und Akademikern. Während die Erst genannten vornehmlich eine Statusangleichung an die Besitz bauern im Auge hatten, waren die Vorstellungen der Letztge nannten von der europäischen bürgerlichen Emanzipation geprägt und zielten auf radikale Änderungen des politischen Systems, also Beseitigung des Absolutismus, und Liberalisierung der Wirtschaft. Hier verbanden sie sich mit den Interes sen der Handwerksgesellen, die in den 1840er Jahren noch immer in eine starre Zunftordnung aus der Zeit des Frühabsolutismus gezwängt waren, wenngleich diese in einigen Handwerken in der Praxis schon hier und da ausgehöhlt worden war. Immer unverhohlener wurde die Beseitigung des Absolutismus und die Aufhebung der auf diesen zurückge 94
führten berufsständischen Beschränkungen gefordert. Gleich zeitig nahm die politische Radikalisierung auf dem Lande zu, wo sogenannte Bauernagitatoren umherzogen, um die länd lichen Unterschichten darüber aufzuklären, daß ihr Schicksal nicht gottgewollt, sondern von Klasseninteressen abhängig war und durch politische Forderungen verändert werden könnte. Es ging vor allem um die Ablösung der letzten feudalen Bindungen, die Abschaffung des Pachtsystems und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Bislang waren näm lich nur Bauern wehrpflichtig. Die politische Agitation auf dem Land nahm bis 1845 einen solchen Umfang an, daß sich der absolutistische Staat entschloß, dagegen einzuschreiten, indem alle politischen Versammlungen verboten wurden. Das hatte zum einen zur Folge, daß die bäuerlichen Forderungen noch radikaler wurden und nun sogar die absolute Monarchie in Frage gestellt wurde; zum anderen, und das war für das politische Leben der folgenden Jahrzehnte von entscheidender Bedeutung, führte dies zu einem Zusammengehen der Bauern mit dem nationalliberalen Bürgertum. 1846 gründeten libe rale Bürger die „Gesellschaft der Bauernfreunde“ (Bondeven nernes Selskab), die die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Forderungen der Bauern zusammenfaßte und in Zeitungen artikulierte. Durch diese politische Allianz drang zugleich Gedankengut in die Bauernschaft, das sich im Bür gertum und in der Akademikerschaft seit Jahren immer mehr durchgesetzt hatte und das – nunmehr auf eine breite gesellschaftliche Basis gebracht – zu einer tödlichen Bedrohung des Mehrvölkerstaates werden sollte. Gemeint ist der Nationalismus. Der Gegensatz zwischen Dänisch und Deutsch und die daran geknüpften verfassungsrechtlichen und sozioökonomischen Fragen wurden zum alles beherrschenden Thema. Der Dreh- und Angelpunkt war das Problem SchleswigHolstein. Seit 1581 wurden die Herzogtümer Schleswig und Holstein von zwei Herren regiert: dem König von Dänemark und dem Herzog von Gottorf – beide aus dem Hause Oldenburg, das schon seit dem Vertrag von Ribe 1460 die Landesherren gestellt hatte. In einer unübersichtlichen Gemengelage 95
gab es seitdem nicht nur die königlichen und die gottorfischen Anteile, sondern darüber hinaus noch gemeinsam regierte Landesteile. Trotz der dynastischen Verbindungen kam es im Laufe der Zeit zu einer Entfremdung der beiden Teilhaber, die sich in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und danach zu einem tiefen Gegensatz entwickelte. Der Herzog von Gottorf strebte nach Souveränität, wie sie die deutschen Fürstentümer auch erlangt hatten; der König bestand – zumindest was das Herzogtum Schleswig als Bestandteil des dänischen Königrei ches betraf – auf seiner Lehnshoheit gegenüber dem Herzog. In den Kriegen mit Schweden in der Mitte des 17. Jahrhun derts unterstützten die Gottorfer den dänischen Erzfeind mit dem Ergebnis, daß das Herzogtum 1658 (Frieden von Roskilde) von Dänemark formell völlig unabhängig wurde. Doch bereits 1721 konnte der dänische König nach der Niederlage Schwedens im Nordischen Krieg ganz Schleswig an sich bringen. Gottorf wurde auf seine holsteinischen Besitztümer redu ziert und Kiel die neue Residenz dieses Duodezfürstentums, das aufgrund unzureichender Verwaltung und Korruption innerlich zerrüttet und zu einer eigenständigen Außenpolitik nicht in der Lage war. Doch durch die enge dynastische Ver bindung mit Rußland blieben die Gottorfer für den Hof in Kopenhagen ein ernst zu nehmender Faktor. Herzog Karl Friedrich hatte Anna Petrowna, eine Tochter Peters des Gro ßen, geheiratet. Ihr Sohn Karl Peter Ulrich wurde 1762 als Peter III. russischer Zar, doch wurde er schon ein Jahr später ermordet. Seine Gemahlin folgte ihm daraufhin als Katharina II. auf dem Zarenthron. Unter dem Zaren Peter hatte Dänemark ein Erstarken Gottorfs zu erwarten gehabt, Katha rina indes suchte den Ausgleich. Durch die maßgebliche Mit wirkung Caspar von Salderns (auf russischer Seite) und Johann Bernstorffs (auf dänischer Seite) kam es 1773 nach intensiven Verhandlungen zum Vertrag von Zarskoje Zelo, mit dem die Gottorfische Frage gelöst wurde. Es war ein Tauschvertrag: Der russische Großfürst und Thronfolger Paul, der Erbe Gott torfs, verzichtete zugunsten des Königs von Dänemark sowohl auf seine schleswigschen als auch seine holsteinischen und die 96
gemeinsam regierten Anteile. Dafür erwarb die jüngere, im Fürstbistum Lübeck regierende gottorfische Linie von Dänemark die Herrschaftsrechte in den Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst, die seit 1667 mit Dänemark in Personal union verbunden gewesen waren. Die königlichen, gemeinschaftlich regierten und die herzoglich-großfürstlichen Teile Schleswigs und Holsteins waren nun im dänischen soge nannten Gesamtstaat vereint – und damit die Zeit der Landesteilungen und inneren Gegensätze vorerst vorüber. Holstein war damit das dritte Glied des dänischen Staates geworden. Das spiegelte sich auch in der Staatsideologie wider. Der Gesamtstaat wurde in Allegorien mit den drei gleichberechtigten Kindern Dänemark, Norwegen und Holstein abgebildet. Programmatisch war auch der Titel eines neuen Schulbuches, das 1777 erschien: „Große und gute Taten von Dänen, Norwegern und Holsteinern“. In ihm wird das Zu sammenleben der verschiedenen Völker im absolutistischen Staat propagiert. Das Vaterland ist aber nicht Dänemark, Norwegen oder Holstein, sondern der Gesamtstaat und die Integrationsfigur der absolutistische Monarch. Noch 1801 haben sich Kieler Dozenten und Studenten, als sie von der Schlacht auf der Kopenhagener Reede erfuhren, als „brave Dänen“ bezeichnet. Nach den Napoleonischen Kriegen wurden die beiden südlichen Teile des Gesamtstaates, Holstein und Lauenburg, Mitglieder des Deutschen Bundes, der dänische König somit auch Bundesfürst. Damit entstand ein schier unlösbares verfassungsrechtliches Problem. Denn gemäß Wiener Bundesakte hatten Holstein und Lauenburg einen Anspruch auf eine Verfassung, Schleswig natürlich nicht. Da aber aufgrund des Vertrages von Ribe Schleswig und Holstein nicht voneinander getrennt werden sollten, war es – selbst wenn der dänische König gewollt hätte – nicht möglich, Holstein eine neue Verfassung zu geben und gleichzeitig in Schleswig die Lex Regia beizubehalten. Als Frederik VI. gegen Ende seiner langen Regierungszeit doch noch in die Errichtung von Ständeversammlungen im Gesamtstaat einwilligte, war es schon zu spät, um die verfassungsrechtlichen Gegen 97
sätze zu entschärfen, denn inzwischen hatten sie sich unauf löslich mit nationalen Forderungen verschränkt. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Neuordnungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts hatten die Herzogtümer nicht betroffen. Tatsächlich behielten sie ihre spät mittelalterliche Verfassungs- und Rechtsstruktur bei, die durch vielerlei Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten gekennzeichnet war. In den Jahren nach 1815 entstand hier eine Verfassungsdiskussion, die immer weitere Kreise zog und im Vormärz mit nationalem und liberalem Gedankengut ver knüpft wurde. Die deutschen Schleswig-Holsteiner wollten die Ablösung der absolutistischen Regierungsform und hatten die Eingliederung beider Herzogtümer in den Deutschen Bund vor Augen. Ihnen standen die dänischen Nationalliberalen gegenüber, deren Ziel der dänische Einheitsstaat bis zur Eider als Südgrenze unter Verzicht auf Holstein und Lauenburg war. Im Landesteil Schleswig kam der Sprachenstreit als Katalysator des nationalen Konflikts hinzu. Der Gegensatz zwischen Deutsch und Dänisch erhielt noch dadurch eine verschärfende Note, daß die dänischen Nationalliberalen Vorreiter des politischen Skandinavismus wurden, der erstmals so etwas wie eine gesamtnordische Identität formulierte, in der das Deutschtum keinen Platz mehr hatte. Der Konflikt eskalierte nach dem Tode Christians VIII. im Januar 1848, als dessen Nachfolger Frederik VII. von den Nationalliberalen die Zusage einer Verfassungsänderung abgerungen wurde, wozu im März in Kopenhagen eine konstituierende Nationalversammlung einberufen wurde. In dieser Situation sahen die Deutschen in den Herzogtümern ihre Chance, durch eine eigene schleswig-holsteinische Verfassung und Bildung einer eigenen Regierung die drohende Inkorpora tion in den Einheitsstaat abzuwenden. Dies führte im Revolutionsjahr 1848 zu einem dreijährigen Bürgerkrieg in Schleswig und Jütland, in den durch ein Mandat der Frankfurter Paulskirchenversammlung auch Preußen verwickelt wurde, das dabei allerdings zur Enttäuschung der Aufständischen eigene Großmachtinteressen verfolgte. Der Krieg endete 1851 unter 98
dem Diktat der Großmächte mit dem Status quo ante, d.h. der Wiederherstellung des Gesamtstaates, in dem allerdings die Verfassungsfrage noch komplizierter geworden war. Denn inzwischen war im Juni 1849 in Dänemark ein neues Grundgesetz in Kraft getreten, daß die absolutistische Regierungs form ablöste und einen Zweikammerreichstag aus Folketing und Landsting mit liberalisiertem Wahlrecht etablierte. Die Regierung wurde zwar weiterhin vom König ernannt, war aber hinsichtlich ihrer Gesetzesvorlagen de facto von der Reichstagsmehrheit abhängig. Dies war der Durchbruch des Parlamentarismus in Dänemark. In den Herzogtümern dage gen blieb nach der Niederlage der Demokraten formell die überkommene absolutistische Staatsform in Kraft. In Dänemark nahm seit der ersten Reichstagsversammlung auf der Grundlage der neuen Verfassung die Formierung der politischen Parteien deutlicher Gestalt an, wobei die Vertretungen der Bauern und des liberalen Bürgertums die führen den Kräfte waren, denen eine – nicht sehr homogene – Gruppe von höheren Beamten und Gutsbesitzern gegenüberstand, die allein die Gegnerschaft zur neuen Verfassung verband. Innenpolitisch gelang es dem Bündnis von Bauern und Natio nalliberalen, die Reformen voranzubringen, die eine wesent liche Voraussetzung des wirtschaftlichen Fortschritts wurden. Doch außenpolitisch führten die Nationalliberalen den Staat in eine Krise, die in eine Katastrophe münden sollte. Denn entgegen den Bestimmungen des Londoner Vertrages von 1852, die die Einheit Schleswig-Holsteins garantierten, arbeiteten die Nationalliberalen weiter beharrlich an der Durchsetzung ihres Eider-Programms, d.h. der Eingliederung Schleswigs. Dabei nahm der Sprachenstreit unaufhörlich an Schärfe zu. Wieder war es der Versuch der Verfassungsausweitung bis zur Eider bei gleichzeitiger Ausgliederung Holsteins und Lauenburgs, der 1863 zum Eingreifen des Deutschen Bundes führte. Da die dänische Regierung in falscher Einschätzung der außenpoli tischen Lage nicht bereit war, die Londoner Bestimmungen wiederherzustellen, und ein diesbezügliches Ultimatum des Bundes zurückwies, schritten Österreich und Preußen Anfang 99
1864 zur Bundesexekution, die zu einer vernichtenden militärischen Niederlage Dänemarks und dem Verlust der Herzogtümer führte. Statt an der Eider verlief die dänische Südgrenze nun an der Königsau, d.h. von unmittelbar südlich von Kol ding im Osten nach südlich von Ribe im Westen. Lauenburg, Holstein und – vorerst – auch Schleswig schieden damit aus der dänischen Geschichte aus. Dänemark war nun tatsächlich zu einem nationalen Einheitsstaat geworden, doch anders als die nationalliberale Führung beabsichtigt hatte.
X. Industrialisierung und politischer Wandel Der Durchbruch der kapitalistischen Produktionsweise vollzog sich in Dänemark ab der Mitte des 19. Jahrhunderts immer sichtbarer. Es handelte sich zunächst um einen Agrarkapi talismus, der durch landwirtschaftliche Reformen von oben ermöglicht worden war. Diese förderten zum einen den Konzentrationsprozeß der landwirtschaftlichen Produktionsmittel, vor allem indem zum Vorteil der Gutswirtschaften Agrarland arrondiert und rentabler gemacht wurde. Zum anderen lösten sie die Produktionsverhältnisse aus feudalen Beziehungen und verwandelten sie in privatrechtliche, pekuniär vermittelte. Die Obrigkeit zog sich aus der Gestaltung dieser Produktionsverhältnisse zurück. Die Arbeitskraft der besitzlosen, stetig wachsenden Landbevölkerung wurde zur Ware, die von den Landbe sitzern flexibler und gewinnbringender angeeignet werden konnte. Die Aneignung dieser Arbeitskraft durch außeröko nomische Zwangsmaßnahmen, ein Kennzeichen feudaler Ver hältnisse, verschwand. Bis zum Ende des Jahrhunderts wurden auch die letzten Reste des überkommenen Pachtsystems beseitigt. Wieder war es der englische Markt, der die Modernisierung der landwirtschaftlichen Technik und Organisation vorantrieb. Denn dort stieg mit dem Bevölkerungswachstum und der Industrialisierung die Nachfrage nach dänischen Fleisch 100
waren und hochwertigen Molkereiprodukten sowie Getreide. Die Beschickung des englischen Marktes war auch der Haupt grund für die Gründung Esbjergs als Nordseehafen, der die Funktion der verlorengegangenen holsteinischen Häfen über nehmen sollte. Hatten zunächst die Gutswirtschaften an der Spitze der landwirtschaftlichen Produktion gelegen, so wurden sie spätestens ab den 1880er Jahren von den in Molkerei- und Fleischereigenossenschaften organisierten Bauern abgelöst. Diese Genossenschaftsbewegung und die sie begleitende flächendek kende Einrichtung von Sparkassen wurde zum deutlichsten Ausdruck für die Umstrukturierung in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Insbesondere kleinere und mittlere Betriebe konnten sich durch sie ent falten. Jetzt hielten durch verstärkte Investitionstätigkeit industrielle Produktionsmethoden nach und nach Einzug, die Arbeitsabläufe auf den Bauernhöfen wurden immer stärker mechanisiert und dadurch effektiviert, und in den expandie renden Lebensmittelfabriken wurde die Nutzung der Dampfkraft ständig verbessert. Obwohl das Land auch eine sogenannte Gründerzeit erlebte, entstanden in Dänemark keine großen Industrieanlagen wie in anderen Ländern. Das lag zum einen an fehlenden Rohstoffvorkommen, zum anderen an der zu geringen Bin nennachfrage. Nennenswerte industrielle Unternehmen sind in erster Linie in der Metallverarbeitung (Werften, Eisengieße reien), der Textilherstellung und dem Bauwesen (Ziegeleien) zu finden. Dagegen wurden am Ende des 19. Jahrhunderts bei der Intensivierung der Lebensmittelproduktion die Fun damente für eine typische dänische Kleinindustrie gelegt, die bis in unsere Zeit von erheblicher Bedeutung bleiben sollte, nämlich die sogenannte Werkstattindustrie, d. h. die Fertigung von Geräten in kleinen Serien, Wartung und Reparatur. Der Durchbruch der Industrialisierung wird von der däni schen Geschichtsschreibung – je nach Sichtweise – unterschiedlich datiert. Diejenigen, die ihr Hauptaugenmerk auf Organisations- und Finanzierungsfragen richten, sehen ihren 101
Beginn im Einzug eines modernen Bankwesens um 1870. Dagegen setzen Sozialhistoriker, ausgehend von Strukturverän derungen im großstädtischen Handwerk und Entstehen der Lohnarbeiterklasse, den Zeitpunkt noch vor den Krieg von 1864. Ausgeprägte Wirtschaftshistoriker wiederum vertreten den Standpunkt, von Industrialisierung könne erst gegen Ende der 1890er Jahre die Rede sein, als die industrielle Produktion in der dänischen Volkswirtschaft statistisch signifikant durchschlug und dem primären Sektor gleichwertig wurde. Zu die sem Zeitpunkt war auch ein modernes Verkehrsnetz entstan den: Eisenbahn- und Dampfschifflinien verknüpften nahezu lückenlos die einzelnen Teile des Landes miteinander und revolutionierten den Warenaustausch und die soziale Mobilität. Ein Drittel der rund zwei Millionen Einwohner Dänemarks lebte gegen Jahrhundertende in den Städten, in denen in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten vor allem die Arbeiterquartiere rasant gewachsen waren. Das Heer der Lohnarbeiter war zum Ende des Jahrhunderts auf rund 200 000 gestiegen, etwa die Hälfte davon lebte in Kopenhagen, dessen Dominanz als Wirtschaftszentrum noch stärker geworden war. Die Mehrzahl dieser Arbeiter war inzwischen politisch formiert und hatte in der Sozialdemokratischen Partei ihr Sprachrohr gefunden. Eine Generation zuvor war die Organisation der Arbeiter noch von bürgerlichen Liberalen in Szene gesetzt worden. In vielen Orten wurden damals Arbeitervereine mit volkspädagogischen Ambitionen gegründet, die in der Tradition der ländlichen Aufklärungs- und Bildungsarbeit standen, die mit dem Namen des Klerikers und Pädagogen Nikolai Grundtvig, des Gründers der dänischen Volkshochschulbewegung, verknüpft war. Eine gewerkschaftliche und politische Organisation und Agitation mit sozialistischem Gedankengut ent stand erst um 1870, hatte aber schon 1872 in der Hauptstadt bei einem Streik der Maurergesellen den ersten gewaltsamen Konflikt mit der Obrigkeit zu bestehen. Der herausragende Agitator war der Postbedienstete Louis Pio, dessen Vorfahren aus Frankreich stammten. Er schuf Verbindungen zu den so 102
zialistischen Bewegungen auf dem Kontinent und gründete 1871 die dänische Sektion des Internationalen Arbeitervereins, die im Laufe eines halben Jahres zur Beunruhigung der Behörden auf 9000 Mitglieder anwuchs. Die Reaktion der Regierung auf die erstarkende Arbeiterbewegung war in Dänemark im Prinzip nicht anders als andernorts in Europa, wenngleich nicht so scharf wie beispielsweise in Deutschland unter Bismarck. Gleichwohl gab es auch in Dänemark polizeiliche Überwachung, Versammlungsverbote und gerichtliche Verfolgung – von Arbeitsentlassungen und Schikanen der Un ternehmer ganz zu schweigen. Pio zum Beispiel wurde beim Streik 1872 verhaftet und zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung nahm er die politische Agitation wieder auf, die er nunmehr sozialdemokratisch nannte. Zu einer eigentlichen Parteigründung war man zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht gelangt, da Rivalitäten in der Führung und zwischen einzelnen Berufsgruppen dagegen standen. Die Arbeiterbewegung war zudem ein getreues Ab bild der besonderen dänischen Industrialisierung. Genau wie diese stand sie lange im Schatten der ländlichen und klein städtisch-handwerklichen Produktionsverhältnisse. Die Domi nanz der Landwirtschaft im dänischen Wirtschaftsleben führte – wenn man von Kopenhagen absieht – zu einer relativ schwachen und zersplitterten Bürgerschaft, die von einem starken Kleinbürgertum umgeben war. Das wirkte sich auch auf die Arbeiterbewegung aus, die in ihrer Etablierungsphase sehr stark im Handwerk verankert war. Auch wenn im Laufe der Zeit der Anteil der Fabrikarbeiter zunahm, wurde er nie mals so groß, daß das kleinbürgerlich-handwerkliche Element verschwand. Das war auch der Grund dafür, daß die dänische Arbeiterbewegung nicht den Radikalisierungsgrad erreichte wie in den Nachbarländern. Es fehlten auch ganz einfach die Arbeitermassen aus großen Schlüsselindustrien. 1876 kam es zur Gründung der Sozialdemokratischen Partei, die in der deutschen Sozialdemokratie in jeder Hinsicht ihr Vorbild sah. Bereits zwei Jahre später wurde die Gewerkschaftsbewegung organisatorisch aus der Sozialdemokratie 103
herausgelöst, um auch jene Arbeiter und Handwerker zu gewinnen, die letztere ablehnten. Ihren großen Durchbruch erzielte die organisierte Arbeiterbewegung jedoch erst im Laufe der späten 80er Jahre, als sich im Zuge eines erneuten Wirtschaftsaufschwungs insbesondere die Gewerkschaftsbewegung überall im Lande verankern konnte. Die einzelnen Fachgewerkschaften schlossen sich 1898 unter einem Dachverband (später Landesorganisation, LO, genannt) zusam men, der eng mit der Sozialdemokratischen Partei verbunden war. Im Gegenzug vereinigten sich auch die Unternehmer zur Dänischen Arbeitgebervereinigung, die im Frühsommer 1899 die erste landesweite Kraftprobe mit dem Gewerkschaftsverband wagte. Es zeigte sich bei diesem mehrmonatigen Arbeitskampf, daß keine der beiden Parteien die Oberhand gewinnen konnte, so daß erstmalig ein Abkommen für die künftige Regelung von Arbeitskonflikten getroffen wurde, das später so genannte ,Grundgesetz des Arbeitsmarktes’. Da durch und durch ein 1910 eingerichtetes ständiges Schiedsgericht erhielten die späteren Arbeitskämpfe einen fast parla mentarischen Anstrich. Die Anerkennung ihrer Rechte durch die Gegenpartei stärkte die Arbeiterbewegung auf lange Sicht, obgleich es vorübergehend wegen der Vereinbarungen zu Ge werkschaftsaustritten kam. Nicht nur die Partner des Arbeitsmarktes organisierten sich. Im politischen Raum vollzogen sich in Dänemark in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts weitere wirkungsmächtige Differenzierungen. Die auf dem linken Flügel noch immer dominierende Kraft war die Venstre, die Linke – heute eine konservative Partei. Damals war sie ein eigentümliches, seit Anfang des Jahrhunderts links von den Konservativen stehendes Zweckbündnis von Bauernbewegung – mit starker Verankerung in dem von Grundtvigs religiöser Volkspädagogik geprägten Bauerntum Jütlands – und liberalen Intellektuellen Kopenhagens. In den 80er Jahren wurde immer deutlicher, daß dieses Bündnis unnatürlich war, denn die großstädtische Intelligenz entwickelte in wichtigen Fragen wie Landesverteidigung, Sozial- und Kulturpolitik dem 104
Bauernkonservativismus gegenläufige Standpunkte. So kam es zwangsläufig zu einer Abspaltung der Intelligenziafraktion unter Führung Viggo Hørups, des Gründers der Zeitung „Politiken“. Zunächst war diese Fraktion als radikaler Club’ weiter in der Venstre tätig, doch 1905 kam es über Steuerreformfragen zum endgültigen Bruch und zur Gründung einer selbständigen linksliberalen Partei, der Radikalen Venstre, die seitdem als Zünglein an der Waage eine zentrale Rolle im dänischen politischen Leben spielt. Der große Gegenspieler von Venstre und Sozialdemokraten waren die Konservativen, die sich seit den 1870er Jahren als parlamentarische Fraktion enger zusammenschlossen und sich H0Jre (Rechte; ab 1915 Konservative Volkspartei) nannten. Die Konservativen dominierten die politische Szene und stellten seit der Katastrophe von 1864 ununterbrochen den vom König berufenen Staatsminister (damals noch Konseilsprsesident genannt). Zwanzig Jahre lang hatte der Gutsbesitzer J. B.S. Estrup diese Position inne. Er schürte und instrumen talisierte eine nationalistische Stimmung im bürgerlichen und großbäuerlichen Lager, wobei er insbesondere die Verteidigungsfrage zum Kernpunkt seiner Agitation gegen die Linke machte. Von 1884 bis 1894 regierte Estrup gegen die Mehr heit des Folketings, indem er vom König provisorische Haus haltsgesetze unterzeichnen ließ. Hort des dänischen Nationa lismus, vor allem seiner jütischen Spielart, waren am Ende des Jahrhunderts auch die Grundtvigschen Volkshochschulen ge worden, die der „Erfindung von Traditionen“ (Hobsbawn) stark Vorschub leisteten. Der Durchbruch des Parlamentarismus, der sogenannte Sy stemwechsel, konnte erst 1901 bewerkstelligt werden, als sich der König den Forderungen von Sozialdemokraten und Libe ralen nach parlamentarischer Verantwortlichkeit der Regie rung nicht mehr verschließen konnte. Die Regierungen sollten von nun an mit Rücksicht auf die Kräfteverhältnisse im Fol keting gebildet werden. Den Nutzen daraus zog aufgrund des weiterhin eingeschränkten (Männer-)Wahlrechts und der besonderen Wahlkreiszuschnitte die Venstre, deren Regierungen 105
in den folgenden Jahren eine Reihe von Reformen durchführten, deren wichtigste die Einführung der progressiven Ein kommenssteuer war. Weitere Reformen betrafen die Moderni sierung des Schulwesens, auf dem Arbeitsmarkt wurde das kollektive System der Tarifabkommen durch eine Reihe von Gesetzen stabilisiert, und außerdem wurde die staatliche Anerkennung und finanzielle Unterstützung von Arbeitslosenkassen beschlossen. Ein anderes Reformvorhaben, auf das das linke politische Lager drängte, blieb allerdings aufgrund des massiven Widerstands der Konservativen vorerst ungelöst, nämlich das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer sowie eine neue, den veränderten sozialen Verhältnissen angepaßte demokratische Verfassung. Die immer stärkere Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt förderte deren Emanzipation aus traditionellem Rollenverhalten. Zwar wurde 1908 auf kommunaler Ebene das Frauenwahlrecht eingeführt, doch die Wahlen zum Folketing und die zweite Kam mer, den Landsting, blieben davon vorerst unberührt. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges ließ die innenpolitischen Auseinandersetzungen über Verfassungsfragen zunächst ver stummen.
XI. Krisen und Kriege Die Stimmung in Dänemark war seit der Annexion SchleswigHolsteins durch den preußischen Staat und den Eindeutschungsmaßnahmen in Nordschleswig dezidiert antideutsch. Bei Kriegsausbruch im Sommer 1914 wurden Heer und Flotte mobilisiert, denn man befürchtete, daß das Land wegen der Kontrolle der Zufahrtswege in die Ostsee Ziel britischer oder deutscher Militäroperationen werden könnte. Doch die Royal Navy hielt sich zurück. Und von deutscher Seite ließ man es mit der Forderung nach Verminung des Großen Beltes, der Dänemark sofort nachkam, bewenden. Im übrigen war man in Berlin vollauf zufrieden mit der positiven Antwort der 106
dänischen Regierung auf die Anfrage in den Mobilmachungstagen, ob Dänemark gegenüber Deutschland eine wohlwol lende Neutralität einnehmen werde. Dies entsprach der von allen politischen Parteien getragenen Einsicht der dänischen Führung in das Unausweichliche angesichts der geographischen Lage. Von der linksliberalen Regierung (Radikale Venstre) un ter C. Th. Zahle wurden auch alle antideutschen Demonstra tionen unterbunden, um den übermächtigen Nachbarn im Süden nicht zu verstimmen. Auch die Nordschleswig-Frage sollte nicht debattiert werden. Außenpolitische Absicherung suchte Dänemark bei den skandinavischen Nachbarn, indem es sich deren Neutralitäts proklamation anschloß. Es kam zu einer Wiederannäherung mit Schweden, nachdem das Verhältnis wegen der deutsch freundlichen Haltung Schwedens einige Zeit gestört gewesen war. Sichtbarer Ausdruck des interskandinavischen neutralen Schulterschlusses waren die Dreikönigstreffen in Malmö im Dezember 1914 und in Oslo im November 1917. Dänemark unterhielt während des ganzen Krieges Handels verbindungen mit beiden kriegführenden Seiten, was von Deutschland und Großbritannien stillschweigend geduldet wurde. Allerdings war die dänische Handelsflotte zunächst der Minengefahr und später dem deutschen Ubootkrieg ausgesetzt, was sich in hohen Verlustziffern widerspiegelte: Etwa 700 Seeleute verloren ihr Leben. Die Nachfrage nach dänischen Waren, insbesondere Agrarprodukten, führte im Lande in der ersten Kriegshälfte zu einer Hochkonjunktur, die aber von Anfang an konsensual von einer Regierungskommission staatlich reguliert wurde, damit bei den ungebundenen Marktmechanismen nicht nur wenige davon profitierten und die schlechter Gestellten noch mehr verlören. In den „dunklen Jahren des Krieges“ wurden so die Fundamente des Wohlfahrtsstaates gelegt, wie später hervorgehoben wurde. Zu nächst aber litten weite Bevölkerungsteile in der zweiten Kriegshälfte infolge von Rohstoffmangel (vor allem Brennstoff) und Rationierungen immer größere Not. Die Arbeiterbewegung wuchs und wurde radikaler, insbesondere ihr syn 107
dikalistischer Flügel. Das förderte die Bereitschaft der bürgerlich-liberalen politischen Elite, die gemäßigte Sozialdemokratie an der politischen Verantwortung teilhaben zu lassen. Bereits 1915 war unter dem Eindruck großer Wahlerfolge der Sozialdemokraten und Linksliberalen die Verfassungs diskussion wieder in Gang gekommen, die noch im selben Jahr im Zeichen des innenpolitischen Burgfriedens zu einem neuen Grundgesetz führte, das den endgültigen Durchbruch der parlamentarischen Demokratie brachte: allgemeines und gleiches Wahlrecht für Männer und Frauen für beide Kammern, wobei allerdings das Wahlalter mit 25 Jahren für Fol keting und 35 Jahren für Landsting recht hoch lag. Außerdem wurde das Verhältniswahlrecht eingeführt, das die frühere Benachteiligung der Linken bei der Stimmenbewertung besei tigte. Gegen Kriegsende schöpfte die dänische Volksgruppe in Nordschleswig neue Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit dem Mutterland. Um irredentistische Bewegungen zu verhindern, war hier das Dänentum von der preußischen Obrigkeit starken kulturellen und politischen Einschränkungen unterworfen worden. Die wehrpflichtigen Dänen in Nordschleswig mußten gleichwohl als preußische Staatsangehörige in der Reichswehr dienen, etwa 5000 fielen an den Fronten. Der politische Vertreter der Dänen im Berliner Reichstag, der Abgeordnete H. P. Hansen, pochte gegen Kriegsende immer lauter auf das Selbstbestimmungsrecht der Dänen und sah sich dabei im Einklang mit den diesbezüglichen Erklärungen des amerikanischen Präsidenten Wilson. Die Forderungen der dänischen Volksgruppe fanden schließlich Berücksichtigung im Versailler Friedensvertrag, in dem zwecks neuer Grenzziehung in Schleswig eine Volksabstimmung festgelegt wurde. In Dänemark herrschte jedoch Uneinigkeit darüber, wie weit die territorialen Forderungen gehen sollten. Den extremen Vorstellungen der Nationalisten, das historische Herzog tum Schleswig – wenigstens aber die Gebiete nördlich der Schlei – für Dänemark zurückzugewinnen, stand die realistische Haltung der Regierung gegenüber, das Ergebnis der 108
Volksabstimmung zu akzeptieren, die einen neuen Grenzver lauf von unmittelbar nördlich von Flensburg nach südlich von Tondern ergeben hatte. Die Agitation der Nationalisten steigerte sich, nachdem die Einwohner Flensburgs mehrheitlich für Deutschland votiert hatten, so sehr, daß sich der König im Frühjahr 1920 zu einem Verfassungsbruch hinreißen ließ, indem er die linksliberale Regierung Zahle absetzte, obwohl diese im Folketing die Mehrheit besaß. Dieser letzte Versuch eines dänischen Königs, in der Politik eine aktive Rolle zu spielen, wurde zwar von den Konservativen und Nationalliberalen gestützt, stieß jedoch bei den Linksparteien, namentlich den Sozialdemokraten und der 1919 entstandenen Kommuni stischen Partei, auf erbitterten Widerstand. Deren Drohen mit Generalstreik und Ausrufen der Republik ließ Christian X., das Schicksal ausländischer Herrscherkollegen vor Augen, schließlich einlenken und Neuwahlen ausschreiben, womit die sogenannte Osterkrise beigelegt wurde. Die Wahlen im April 1920 brachten mit etwa einem Drittel der Wählerstimmen die weiterhin in der Bauernschaft veran kerte Venstre an die Regierung, die von den Konservativen gestützt wurde. Als zweitstärkste politische Kraft nicht weit hinter der Venstre konnten sich bereits die Sozialdemokraten etablieren. Dänemarks Wirtschaft litt zu dieser Zeit unter einer starken Nachkriegsdepression mit erheblichem Preisverfall – bei landwirtschaftlichen Produkten bis zu 40% – und sinkender industrieller Produktion. 1922 erschütterten Ban kenkonkurse das Land, und große Handelsgesellschaften, die spekulativ auf eine Nachkriegskonjunktur gesetzt hatten, gingen bankrott. Das Straßenbild wurde immer mehr durch Ar beitslose geprägt, Demonstrationen der Gewerkschaften und Arbeiterparteien wurden eine nahezu alltägliche Erscheinung. Es waren die Jahre der großen Arbeitskämpfe. Die Situation wurde durch eine Wirtschaftspolitik verschärft, die das Schwergewicht auf die Abwicklung der staatlichen Lenkungsmaßnahmen aus der Kriegszeit und Liberalisierung der Arbeitsschutzbestimmungen legte. Die Arbeitgeber wurden dadurch in die Lage versetzt, die Arbeitslöhne signifikant zu 109
kürzen. Diese sanken zwischen 1921 und 1924 in Industrie und Handwerk um durchschnittlich 30%. Die Krisensituation brachte nach den Wahlen 1924 erstma lig die Sozialdemokraten unter Führung von Thorvald Stauning an die Regierung, doch blieb diese Minderheitsregierung nur eine knapp zweijährige Episode, da sie mit ihren arbeitsmarktpolitischen Gesetzesvorlagen im Parlament immer wieder scheiterte. Das Hin und Her zwischen Venstre und Sozialdemokraten in den 1920er Jahren war im Grunde der politische Ausdruck dafür, daß sich die dänische Gesellschaft und Wirtschaft in einer Übergangsphase befand. War bis dahin die Landwirt schaft der dominierende Erwerbszweig gewesen und die Bauern die politisch stärkste Klasse, deren Sprachrohr Venstre war, so war inzwischen dem Industriekapital und der von ihm erzeugten Arbeiterklasse immer mehr Bedeutung zugeflos sen. Das zeigte sich nicht nur in den Anteilen der industriel len Produktion am Bruttonationalprodukt, sondern wurde zwangsläufig auch in ordnungs- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen deutlich, die denen des Bauerntums entgegenliefen. Selbst für die meisten Industriellen war die ihrer klas senkämpferischen Inhalte entkleidete Sozialdemokratie im Vergleich zur Bauernvertretung eine modernere Alternative, wenn es galt, einen politischen Bündnispartner für die Siche rung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu finden. Da die dänische Industrie im Unterschied zur Landwirtschaft auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig war, sollte der Staat subsidiär tätig werden. Und dafür bot sich dem Industriekapital die Sozialdemokratie an, da deren Klientel ebenfalls an einer blühenden dänischen Industrie gelegen sein mußte. Auf diese Weise fand nicht nur die politische Integration der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in den dänischen Staat statt, sondern gleichzeitig erhielten ihre Sozialingenieure die Möglichkeit, ihre Gesellschaftsvorstellungen in ein politisches Handlungsprogramm einzubringen. Dies war die Geburtsstunde des dänischen Sozialstaates, in dem der Wohlfahrtsge danke die zentrale Rolle spielt. 110
Trotz der schweren Wirtschaftskrisen und Arbeitskämpfe ist somit in Dänemark in den 1920er und besonders 30er Jah ren eine ganz andere und dem südlichen Nachbarn vollkom men gegenläufige politische Entwicklungslinie zu beobachten. Im Jahr 1929 wurde nach dem erneuten Scheitern einer Venstre-Regierung mit der sozialdemokratisch-linksliberalen Mehrheitsregierung eine sozialdemokratische politische Hegemonie eingeleitet, die bis in die erste Hälfte der deutschen Okkupation dauern sollte, konkret bis zum 29. August 1943, als die dänische Regierung aufgrund der Verhängung des Aus nahmezustandes durch den Wehrmachtbefahlshaber zurücktrat. Diese 14jährige politische Stabilität muß angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Probleme des Landes in den 30er Jahren erstaunen – Probleme, die in anderen Ländern, insbesondere in Deutschland, den Antidemokraten gewaltigen Zulauf brachten. Die Wirtschaftskrise erreichte in Dänemark zur Jahreswen de 1932/33 mit einer Arbeitslosigkeit von knapp 44% aller organisierten Arbeiter ihren Höhepunkt. Die Landwirtschaft litt schwer an einer miserablen Exportkonjunktur. So blieb es nicht aus, daß auch in Dänemark radikale Parteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums einen gewissen Zulauf erhielten. Am rechten Rand hatten sich bereits seit Ende der 20er Jahre politische Gruppierungen gebildet, die offen Sympathien für den deutschen Nationalsozialismus zeigten. Von einem wirklichen Einfluß der NS-Ideologie in Dänemark war aber nicht einmal andeutungsweise etwas zu spüren. Die zahlreichen, sich selbst auch so nennenden natio nalsozialistischen Gruppierungen und Parteien konnten in der dänischen Bevölkerung weder eine größere Anhängerschaft noch viele Wählerstimmen für sich gewinnen. Zwar verspürten die Konservativen eine Zeitlang eine gewisse Affinität zu Hitlerdeutschland. Das war aber weniger dem Nationalsozia lismus geschuldet als vielmehr dem starken Staat, den man sich auch in Dänemark wünschte. Doch behielten auch in die ser Partei die demokratischen Kräfte letztlich die Oberhand. Der dänische Nationalismus war durch den Zugewinn Nord 111
Schleswigs gewissermaßen saturiert und schied dadurch – anders als es in Deutschland der Fall war – in den 1920er und 30er Jahren als konstitutives Element für faschistisches Denken aus. Abgesehen davon hatten sich die dänischen Sozial demokraten mit nationalen Positionen versöhnt, die sie noch Jahre zuvor zum Teil energisch zugunsten des Internationalismus zurückgewiesen hätten. Nation und Arbeiterklasse – jedenfalls die sozialdemokratisch gebundene – standen sich nicht länger unversöhnlich gegenüber. Ein weiterer Grund für die geringe Bedeutung nazistischer Gruppierungen ist darin zu sehen, daß anders als in Deutschland oder auch Italien die dänische Kommunistische Partei ein von Moskau alimentier tes Schattendasein führte und politisch marginalisiert war – wenngleich die DKP 1932 zwei Mandate im Folketing erobern konnte und 1939 sogar noch ein Mandat hinzugewann. Es gab keinen Selbstzerfleischungskampf der linken Parteien, der der antidemokratischen Rechten zugute kam. Für die innenpolitische Entwicklung und die Stabilität der Demokratie entscheidend war der Ende Januar 1933 ge schlossene historische Pakt zwischen sozialdemokratischer Arbeiterbewegung und der von der Venstre repräsentierten Bauernschaft, mit dem für die beiden von der Wirtschaftskrise am härtesten getroffenen Bevölkerungsschichten ein Krisenbewältigungsprogramm realisiert werden sollte. Die Regierung Stauning erhielt die Unterstützung der Liberalen für das Verbot von Aussperrungen sowie die Zustimmung für Sozialhilfe- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Zu letzterem gehörte der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere durch den Bau von Brücken – am bedeutendsten war die 1935 fertiggestellte Brücke über den Kleinen Belt, die Jütland mit Fünen verband. Im Gegenzug stimmte die sozialdemokratisch geführte Regierung einer Abwertung der Krone sowie Schutzzöllen zu, um die Exporte der Bauern wieder in Gang zu bringen. Zudem wurden durch Fördermaßnahmen Kätnerstellen geschaffen, die rund 15 000 Kleinbauernstellen begründeten. Das dafür benötigte Land wurde hauptsächlich durch staatlichen 112
Aufkauf aus Gutsbesitz herausgetrennt, dessen Ackerareal sich dadurch um etwa ein Drittel verringerte. Damit konnte der ländlichen Armut die Spitze gebrochen werden. Der Pakt legte den Grundstein für eine expansive Wirt schaftspolitik, die in der ganzen zweiten Hälfte der 30er Jahre andauern sollte. Die Staatsfinanzen wurden massiv eingesetzt, um die Kaufkraft der Bevölkerung aufrechtzuhalten und den Konsum anzukurbeln, wodurch wiederum Beschäftigung geschaffen werden konnte. Dabei wurde jedoch streng darauf geachtet, daß die Zahlungsbilanz im Außenhandel nicht nega tiv wurde. Auf dem Gebiet der Außenpolitik wurde die Lage für Dänemark in den dreißiger Jahren zusehends komplizierter. Hatte die Einbindung in den Völkerbund dem Land nach dem Ersten Weltkrieg einen politischen Spielraum ermöglicht, der – trotz weiterhin verfochtener Neutralität – zu einer engeren Zusammenarbeit mit anderen Kleinstaaten Nord- und Westeuropas führte, so sah sich die Regierung in Kopenhagen nach Hitlers Machtantritt zu einem vorsichtigeren außenpolitischen Kurs genötigt. Denn die Grenzfrage schien nun auf deutscher Seite wieder auf die Tagesordnung zu kommen. Zwar deutete der Abbruch des ,Ostersturmes’ 1933, als einige Schleswiger Nationalsozialisten durch einen spektakulären Marsch zur Grenze deren Revision erzwingen zu können glaubten, durch allerhöchste Parteistellen darauf hin, daß Berlin das Thema nicht zu forcieren gedachte. Auch hatte kein führender deutscher Nationalsozialist öffentlich gefordert, daß Nordschleswig „heim ins Reich“ geholt werden müßte. Doch mit der Aufkündigung der Versailler Verträge durch Hitler konnten auch im Süden des Königreiches deutsche Grenzrevisionsfor derungen nicht ausgeschlossen werden. Kopenhagen war gegenüber Berlin angesichts der immer aggressiver auftretenden deutschen Außenpolitik sowohl bilateral als auch international um stete Zurückhaltung bemüht. Die in Dänemark selbst von verschiedener Seite und allgelegentlich an die Regierung herangetragene Forderung, sich die bestehende Südgrenze von Deutschland offiziell bestätigen zu 113
lassen, wurde von der Regierung Stauning nicht beachtet. „Politik der Unsichtbarkeit“ wurde diese Haltung gegenüber NS-Deutschland genannt. Und der Protagonist dieser Linie war Außenminister Peter Munch, der der Radikalen Venstre angehörte. Doch trotz der äußersten Zurückhaltung im Völkerbund bei Sanktionsforderungen gegenüber Deutschland, trotz ständigen Eingehens auf deutsche Wünsche, wie 1938 das Einräumen der Benutzung dänischer Hoheitsgewässer durch deutsche Kriegsschiffe: eine verbindliche Grenzgarantie kam aus Berlin nicht. Als Hitler im Zusammenhang mit der Sudetenkrise äußerte, daß es, wenn dieses Problem gelöst sei, für Deutschland in Europa kein territoriales Problem mehr gäbe, wurde dies in Dänemark von vielen Stellen mit großer Er leichterung aufgenommen und als die erhoffte Grenzgarantie interpretiert. Umgehend wandte sich aber der deutsche Gesandte in Kopenhagen, Renthe-Fink, an die Regierung mit dem Hinweis, Hitlers Aussage dürfe keineswegs auf die deutsche Minderheit in Nordschleswig bezogen werden. Trotz eines am 31. Mai 1939 auf deutsche Initiative abgeschlossenen Nichtangriffsvertrages und der noch am 1. Sep tember 1939 abgegebenen Neutralitätserklärung wurde Dänemark ein halbes Jahr später ebenfalls Opfer der national sozialistischen militärischen Aggression. Das Hauptziel der Wehrmacht im Norden war zwar Norwegen, doch Dänemark lag nun einmal auf dem Weg dorthin und wurde aus strategi schen und logistischen Gründen gebraucht. Nach dem deutschen Überfall am 9. April 1940 und der – abgesehen von den ersten Stunden – ohne Gegenwehr erfolgten militärischen Besetzung sollte Dänemark allerdings, da formell fortwährend souverän und sich selbst regierend, völkerrechtlich und praktisch eine Ausnahme unter den von Hitlerdeutschland besetzten Ländern einnehmen. Dies war nicht zuletzt die Folge eines Besatzungsregimes, das Däne mark, anders als andere Staaten, weder einer deutschen Zivil verwaltung noch Militärverwaltung unterstellte, sondern formell und weitgehend auch praktisch die grundlegenden ge 114
seilschaftlichen, politischen und rechtlichen Verhältnisse im Lande unberührt ließ. Alle politischen und Verwaltungsinstanzen blieben – zumindest in den ersten Jahren – in Funk tion. Es war das Ergebnis einer Besatzungspolitik, die – jedenfalls in der ersten Hälfte – bestrebt war, vergleichsweise maß voll zu sein und Rücksicht auf die Dänen zu nehmen. Bis weit in das Jahr 1942 hinein konnten die Besatzer es dabei belas sen, da die dänische (Sammlungs-)Regierung ihren Forderungen in allen wesentlichen Punkten stets nachkam. Deren „Zusammenarbeitspolitik“ ging so weit, daß sie die Rekrutierung eines „Frikorps Danmark“ für den Einsatz an der deutschsowjetischen Front tolerierte. Sie ließ sich sogar dazu bringen, den Beitritt Dänemarks zum Antikominternpakt zu erklären. Doch ab Sommer 1942 entstanden mit der wachsenden dänischen Widerstandsbewegung und deren Sabotagetätigkeit Probleme, die zu einer Krise in der Besatzungsregelung führten. Im Mai 1942 war Thorvald Stauning gestorben, dessen Autorität wesentlich dafür gesorgt hatte, daß die Bevölkerung die „Zusammenarbeitspolitik“ mittrug. Ein Zeichen für einen neuen besatzungspolitischen Kurs wollte das Hitlerregime im Herbst 1942 mit der Abberufung Renthe-Finks und der Installation des SS-Gruppenführers Werner Best als neuen Reichsbevollmächtigten setzen, der sich auch nicht mehr als Gesandter akkreditieren ließ. Daß Berlin aber dennoch weiterhin an ,guten’ Beziehungen mit Kopenhagen gelegen war, zeigt die Tatsache, daß es im März 1943 die verfassungsmä ßig anstehenden Parlamentswahlen zuließ, an der alle Parteien (außer der verbotenen KP) teilnehmen durften und die ohne deutsche Repression abliefen – auch dies eine Ausnahme im besetzten Europa. Die Wähler bestätigten mit ihrem Votum den Kurs der Regierung. Im August 1943 kam es in Fragen der Widerstandsbekämpfung schließlich doch zum politischen Bruch; die dänische Regierung trat zurück, aber die „Staatskollaboration“ (Hans Kirchhoff) hörte damit nicht auf, sie wurde durch eine ,Regierung’ der Staatssekretäre weitergeführt. Die dänische Gesandtschaft in Berlin blieb bestehen, und das Auswärtige Amt 115
war weiterhin deutscher ‚Partner’, weil Dänemark von deutscher Seite weiterhin als souveräner Staat betrachtet wurde. Zwar gab es durch Best gewisse Modifikationen, aber wider Erwarten keine grundlegende Wende im Besatzungsregime. Es wurde allerdings verschärft, um vor allem dem wachsenden Widerstand und der Sabotage zu begegnen. Im Oktober 1943 kam deutsche Sicherheitspolizei nach Dänemark, das Land bekam einen Höheren SS- und Polizeiführer und einen Befehlshaber der Sicherheitspolizei, und seit 1944 praktizierte Best sein Verordnungsrecht, mit dem er nun direkt in innere dänische Angelegenheiten eingriff. In einer einzigartigen soli darischen Aktion verhalf die dänische Bevölkerung Anfang Oktober 1943 ihren jüdischen Mitbürgern, die bis dahin von der Besatzungsmacht weitgehend unbehelligt geblieben wa ren, nun aber in die deutschen Tötungslager deportiert wer den sollten, zur Flucht nach Schweden. Ab August 1944 übernahm die Besatzungsmacht praktisch die ausübende Gewalt, nachdem die dänische Polizei entwaffnet und interniert worden war, und ihre Maßnahmen gegen die Widerstandsbewegung wurden zunehmend brutaler. Obwohl der Krieg durch die Blockade der Alliierten und deutsche Lieferschwierigkeiten gewisse wirtschaftliche Ein schränkungen zur Folge hatte und auch gelegentliche Bom benangriffe der RAF den Krieg nach Dänemark führten, war die faktische Lage nicht als regelrechter Kriegszustand im völkerrechtlichen Sinne anzusehen. Dänemark wurde auch nicht in den Krieg auf deutscher Seite hineingezogen. Selbst nachdem die politische Zusammenarbeit am 29. August 1943 abgebrochen und kurzzeitig durch den militärischen Ausnahmezustand ersetzt worden war, schien unklar, ob Kriegszu stand herrschte. Kriegsrechtlich gesehen, kann wohl erst da von gesprochen werden, als Dänemark als alliierte Macht anerkannt wurde. Das geschah bei der Befreiung am 5. Mai 1945 nach der deutschen Teilkapitulation in Norddeutschland. Die fünfjährige Okkupation stellte den absoluten histo rischen Tiefpunkt der deutsch-dänischen Beziehungen dar. Während sie auf deutscher Seite bis heute, wenn überhaupt, 116
eher als eine Episode im Gesamtzusammenhang des Zweiten Weltkrieges wahrgenommen wird, ist sie für Dänemark noch immer ein unbewältigtes Trauma, das sich in vielerlei Form und nicht zuletzt in tagespolitischen Äußerungen Luft verschafft. Das Mißtrauen gegenüber dem Nachbarn im Süden sitzt tief, und auch die (Vor-)Urteile über die Deutschen, die in der Besatzungszeit geprägt wurden, haben weiter Bestand – trotz allgelegentlich an der Oberfläche gepflegter Harmonie. Dies zeigten in den Europadebatten der vergangenen Jahrzehnte immer wieder die von allen politischen Richtungen instrumentalisierten antideutschen Ressen timents.
XII. Der Wohlfahrtsstaat – Dänemark nach 1945 Der Gründungsmythos des modernen Dänemark zieht eine direkte Entwicklungslinie von den Agrarreformen des späten 18. Jahrhunderts über die Grundtvigsche Volksbildungs- und -aufklärungstätigkeit, die Arbeiterbewegung und die Wahl rechtsreformen zur Entstehung und Ausformung des Wohlfahrtsstaates. 1934 tauchte im neuen Parteiprogramm der Sozialdemokraten erstmalig das Schlagwort „Dänemark für das Volk“ auf, und seitdem begann die Regierung Stauning – nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise – zielbewußt ihre Reformarbeit. Schon im Jahr zuvor war eine neue Sozialgesetzgebung verabschiedet worden, die an die Stelle der überkommenen Armenfürsorge gesetze trat. Es wurde nun ein Rechtsanspruch der wirt schaftlich Schlechtergestellten sowie der unverschuldet in Not Geratenen auf staatliche Hilfe festgeschrieben, wobei der Staat einen Teil der vorher kommunalen Aufgaben übernahm. Ein Finanzausgleich zwischen den Kommunen sollte einheitliche Lebensbedingungen im ganzen Land sichern. Schließlich wurden Krankenversicherungspflicht, Arbeitslosen- und Rentenversicherung neu geregelt. Das strategische reform 117
politische Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Radikale Venstre hatte auch in der Nachkriegszeit Bestand. In den mei sten von einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten gebildeten Regierungen waren die Linksliberalen als Juniorpart ner vertreten – oder sie saßen mit den Sozialdemokraten auf der Oppositionsbank. Als der Krieg zu Ende war und auch in Dänemark sichtbar wurde, was das deutsche Besatzungsregime in anderen Län dern angerichtet hatte, mußte man feststellen, daß das Land relativ glimpflich davongekommen war. Trotz des individuellen Leids war die Zahl der Toten verhältnismäßig gering, waren die Zerstörungen – abgesehen von Verkehrseinrichtungen – kaum der Rede wert, und die wirtschaftlichen Lasten wurden vor allem durch die Gewinne der Landwirtschaft nahezu aufgewogen. Das traditionelle politische System war im Laufe des letzten Kriegsjahres durch den Macht- und Ansehenszuwachs der Widerstandsbewegung zunehmend in Frage gestellt worden. Dazu hatte auch beigetragen, daß erst die Aktionen dieser Widerstandsbewegung dazu führten, daß die Westalliierten Dänemark als Verbündeten anerkannten. Das politische Organ dieser dänischen Resistance, der Freiheitsrat, hatte im November 1943 einen Forderungskatalog für die Nachkriegszeit aufgestellt, mit dem die etablierten Parteien nach dem Ende der Besatzungsherrschaft einen Kompromiß eingehen mußten. Die Kernforderungen waren strafrechtliche Verfolgung von Landesverrätern und Kollaborateuren, Wiedergut machung für die Opfer sowie Aufgabe der dänischen Neutralität und Anschluß an die Westmächte. Diese drei Themen sollten – neben wirtschaftspolitischen – die dänische Innenpolitik in den folgenden Jahren beherrschen. Dabei zeigte sich, daß das taktische Geschick der etablierten Politiker viele der radikalen Forderungen der Resistanceführer, die zudem schnell in die Parteienpolitik integriert wurden, abschwächen konnte. Das politische System der Vorkriegszeit konnte schon nach wenigen Monaten wieder stabilisiert werden. Aus den ersten Nachkriegswahlen im Herbst 1945 ging die Ven 118
stre als Sieger hervor, so daß Dänemark erstmals seit 16 Jah ren wieder eine bürgerliche Regierung erhielt. Zwar konnte die KP bei diesen Wahlen massive Stimmengewinne zu Lasten der Sozialdemokraten verbuchen, womit die Wähler den Einsatz der Kommunisten in der Widerstandsbewegung hono rierten, doch schon zwei Jahre später gewannen die Sozialdemokraten ihre Stärke zurück und bildeten eine Minderheitsregierung. Die drängendste außenpolitische Frage, die sich den Regierungen nach dem Ende des Krieges stellte, war die der Positionierung Dänemarks im Zusammenhang mit den entstehenden politischen Blöcken. Zwar gehörte das Land zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen, doch da die poli tische Neutralität und das Engagement im Völkerbund in der Zwischenkriegszeit die deutsche Okkupation nicht hatten verhindern können, orientierten sich die Dänen nunmehr in Richtung einer aktiven militärischen Bündnispolitik. Zwei Lösungen boten sich an: zum einen die Integration in das ent stehende westliche atlantische System, zum anderen ein Bündnis der skandinavischen Staaten. Letztere Alternative wurde 1948 von den regierenden schwedischen Sozialdemokraten ins Spiel gebracht, die ihre Schwesterparteien in Dänemark und Norwegen dafür ebenfalls interessieren konnten. Der damalige dänische Ministerpräsident Hans Hedtoft ging sogar so weit zu erklären, daß Dänemark nicht geneigt sei, sich der Blockpolitik der Großmächte anzuschließen. Doch die Verhandlungen zwischen den drei skandinavischen Staaten scheiterten Anfang 1949: Schweden hatte die Ausweitung seines Neutralitätsmodells auf die skandinavischen Nachbar länder vor Augen, während Norwegen die USA und Großbri tannien als Garantiemächte in irgendeiner Form in dieses Bündnis eingebunden sehen wollte, was wiederum in Schweden auf Widerstand stieß. Der Kalte Krieg und die Teilung Europas sowie die Machtausweitung der Sowjetunion im Ost seeraum ließen die dänische Führung nun ganz auf die atlan tische Karte setzen, und so gehörte das Land (ebenso wie Norwegen) im April 1949 zu den Gründungsmitgliedern der 119
NATO – mit einem Vorbehalt hinsichtlich der Stationierung von Atomwaffen auf dänischem Territorium. Die internordische Zusammenarbeit war durch dieses sicherheitspolitische Votum indes nicht zusammengebrochen. Sie hatte bereits tiefe Wurzeln geschlagen, da seit Beginn des Jahrhunderts insbesondere auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet eine Abstimmung der Gesetzgebung stattfand und sich auch die kulturpolitische Kooperation seit dieser Zeit in der Gründung einiger Vereinigungen niederschlug. 1951 wurde von Hans Hedtoft der Gedanke eines nordischen Parlamentes wieder aufgegriffen, der allerdings insbesondere bei den bürgerlichen Parteien in Norwegen auf heftigen Widerstand stieß. Deshalb kam es nicht zu der engen, formali sierten parlamentarischen Kooperation, doch wurde 1952 immerhin der Nordische Rat als beratendes Organ gebildet, das von Parlamentariern aus Dänemark, Norwegen, Schweden und Island (ab 1955 auch Finnland) beschickt wurde. Eine Ergänzung erhielt dieses Gremium 1971 durch die Gründung des Nordischen Ministerrates, in dem die Regierungen der nordischen Staaten zusammenkommen. Diese beiden Organe wurden zwar immer wieder als zahnlose Organisationen beschrieben, wenn es um die Lösung ernster Probleme ging, doch haben sie in besonderem Maße die internordische Inte gration befördert, die zu einer nahezu vollkommenen Angleichung der Lebensverhältnisse und der politischen Kultur geführt hat. Dazu hat auch wesentlich die fast hegemoniale Stellung der Sozialdemokraten in der Politik der genannten Länder beigetragen, deren gesellschaftspolitisches Modell des dritten Weges zwischen Sowjetsozialismus und westlichem Kapitalismus von der Bevölkerung in einem Maße akzeptiert wurde, daß selbst in Phasen bürgerlicher Regierungen diese als gute Sachwalter dieses Modells dienten, wie mitunter überspitzt hervorgehoben worden ist. Allerdings hat der skandinavische Wohlfahrtsstaat in Dänemark nicht solche Verästelungen hervorgebracht wie in den nördlichen Nach barländern, da die dänische Gesellschaft, wie einmal treffend formuliert wurde, stets von zwei Kräften gelenkt wird: zum 120
einen vom sozialistischen Gleichheitsideal, zum anderen vom Liberalismus. Dies drückt sich auch sinnfällig in den Regierungsbildungen und dem nahezu regelmäßigen Wechsel zwi schen Sozialdemokraten und Venstre aus, wobei die überwiegende Mehrzahl der 24 Regierungen (nämlich 21) seit Kriegsende Minderheitskabinette waren. Der Zwang zum Konsens, um bei Abstimmungen parlamentarische Ad-hoc-Mehrheiten zu gewinnen, förderte eine besondere dänische politische Kul tur, in der trotz gelegentlich harter Auseinandersetzungen in der Sache stets die Bereitschaft zum Dialog und Eingehen auf die Argumente des anderen vorhanden ist. Auf parlamentarischer Ebene findet die politische Debatte seit 1953 nur noch im Folketing statt, weil durch die im selben Jahr verabschiedete neue Verfassung die zweite Kammer, der Landsting, ab geschafft wurde. Auch wirtschaftspolitisch setzten die Dänen nach dem Krieg lange Zeit auf eine Zusammenarbeit mit den skandina vischen Nachbarn. Es herrschte weitgehend Einigkeit darin, daß für das Land eine Freihandelspolitik das beste wäre. Die Sozialdemokraten verfolgten diese Linie, um die Grundlagen für die Wohlfahrtspolitik zu schaffen, während die Liberalen den Freihandel sowieso prinzipiell befürworteten. Ab 1948 profitierte Dänemark von der Marshallplanhilfe, durch die zum einen die Währung gestützt wurde und zum anderen die Importe von Rohstoffen und Maschinen (vor allem aus den USA) gefördert wurden, was wiederum zu einer durchgreifenden Modernisierung und Rationalisierung in Landwirtschaft und Industrie führte. Durch die Mitgliedschaft in der OEEC, dem Vorläufer der OECD, wurde Dänemark schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit in die Internationalisierung der Wirtschaft einbezogen. Doch herrschte darüber hinaus Unei nigkeit hinsichtlich der Einbindung in supranationale Organisationen. Modelle wie das der Beneluxstaaten oder die Mon tanunion wurden für Nordeuropa zwar angedacht, erwiesen sich in der Umsetzung aber als schwierig und wurden schließ lich von der internationalen Entwicklung überholt. Denn nun kam Ende der fünfziger Jahre die westeuropäische Wirtschaft 121
liehe Integration auf die Tagesordnung, und für Dänemark stellte sich damit die Beitrittsfrage. Trotz prinzipieller Befürwortung insbesondere durch die Venstre waren es die Rücksichtnahme auf Großbritannien, dem damals noch wichtig sten Absatzmarkt, sowie die Orientierung nach Norden, die zu diesem Zeitpunkt einen Beitritt verhinderten. Politisch und ideologisch kam den Dänen dagegen die Freihandelszone EFTA entgegen, zu deren Gründungsmitgliedern sie gehörten, obwohl diese wirtschaftlich wenig Gewinn brachte, weil die Landwirtschaft ausgeklammert blieb. Es mußten deshalb be zogen auf die Landwirtschaft weiterhin bilaterale Verträge mit den Hauptabnehmerländern getroffen werden. Die EG-Debatte verstummte indes auch in den sechziger Jahren nicht. Besonders die Landwirtschaft machte sich für einen Beitritt stark, und in dem Maße, wie die internationale Konkurrenzkraft der dänischen Industrie wuchs, stieg auch in diesen Kreisen das Interesse an einer Mitgliedschaft. Ent scheidend war auch, daß die Bedeutung Großbritanniens als Handelspartner stark zurückging, dagegen aber der kontinentale Markt, voran der deutsche, an Bedeutung gewann. Als sich 1967 eine breite parlamentarische Mehrheit für eine EGMitgliedschaft fand, scheiterte der dänische Beitrittswunsch an der starren Haltung Präsident de Gaulles, der keine Erwei terung der Gemeinschaft wollte, wobei er aber in erster Linie an England dachte. Erst nach der Entmachtung de Gaulles war der Weg in die EG für Dänemark frei, dem sich nun auch Großbritannien anschloß. Zwar sind die Dänen seit 1973 in der Europäischen Gemeinschaft, doch hat sich in der Bevölke rung eine gehörige Portion Euroskeptizismus gehalten, der bei den verschiedenen Reformvorhaben der Gemeinschaft (ab 1993 EU) regelmäßig zum Ausdruck kam. So konnte die Regierung die Zustimmung des Volkes zum Maastricht-Vertrag 1993 erst im zweiten Anlauf und nach Nachverhandlungen über dänische Sonderbestimmungen gewinnen, denn das Referendum hatte im Jahr zuvor nach bitteren politischen Debatten den Maastricht-Gegnern die Mehrheit gebracht. Ähnlich verhielt es sich mit der europäischen Währungsunion: Die 122
Einführung des Euro wurde im September 2000 per Volksent scheid abgelehnt, obwohl die großen Parteien und die Wirtschaft dafür plädiert hatten. Dänemark hat in den letzten 25 Jahren – wie andere Industrieländer auch – einen einschneidenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandlungsprozeß erlebt. Die fünfziger und insbesondere sechziger Jahre waren eine Epoche des steti gen wirtschaftlichen Wachstum gewesen, in der der Ausbau des Wohlfahrtsstaates konsensual vorangetrieben wurde, wobei in der Wohlfahrtsgesetzgebung das Prinzip des Universalis mus verankert wurde, d. h. des Anspruches nicht nur Bedürfti ger, sondern aller Einwohner auf Leistungen des Staates. Im selben Zeitraum wurde das Bildungswesen grundlegend refor miert: Ausgehend von einer Umstrukturierung der Grund schulen, erlebten die Gymnasien und die Hochschulen explo sionsartige Zuwächse, neue Universitäten wurden gegründet. Gleichzeitig fand in der Wirtschaft eine zweite industrielle Revolution statt, die nicht nur Auswirkungen auf die Beschäf tigungsstruktur hatte, sondern auch gewissermaßen zu einer Urbanisierung der Provinz führte, indem die industrielle Fertigung von den traditionellen großstädtischen Zentren an den Rand mittelgroßer Städte verlagert wurde, wo die in der Landwirtschaft freigewordenen Arbeitskräfte genutzt werden konn ten. Der Dienstleistungssektor spielte in dieser Entwicklung eine immer größer werdende Rolle. Erleichtert wurde der Pro zeß durch einen weiteren Ausbau der Verkehrswege. Neue Wohnstrukturen bildeten sich heraus, die vorstädtische Eigenheimsiedlung wurde zum Sinnbild der Wohlstandsgesellschaft. Auch in der politischen Landschaft kam es zu Veränderungen, die allerdings erst in der Wirtschaftskrise der siebziger Jahre sichtbar wurden. Die sogenannten Erdrutschwahlen von 1973 haben die Parteienlandschaft nachhaltig durcheinandergebracht. Bis dahin konnten die vier traditionellen Parteien stets rund 90% der Wähler an sich binden, 1973 fiel dieser Anteil auf unter 60%. An beiden Rändern des politischen Spektrums waren Protest-Gruppierungen entstanden, um die sich eine wachsende Klientel Unzufriedener scharte. Am be 123
kanntesten wurde die Steuerprotestpartei des Mogens Gli strup, die populistisch gegen die hohe Steuerbelastung und das Anwachsen des öffentlichen Sektors agitierte. Am linken Rand bildeten sich – ausgehend von studentischem, außerparlamentarischem Protest – sogenannte neue soziale Bewegungen, von denen die Umweltschutz- und die Frauenbewegung nicht nur die dauerhaftesten, sondern auch die einflußreichsten wurden. Die politische Zersplitterung und die wirtschaftliche Krise mit einer ständig ansteigenden Arbeitslosenquote stellten das politische Establishment vor große Herausforderungen. Die konservativen Regierungen unter Poul Schlüter haben in den achtziger Jahren die Antwort in einer Einschränkung der öffentlichen Ausgaben und im Zurückschrauben wohlfahrtsstaatlicher Leistungen gesucht, wodurch zwar der Haushalt stabilisiert werden konnte, doch die Zahl der Arbeitslosen weiter zunahm. Harte Arbeitskämpfe waren die Folge. Nach einer elfjährigen Regierungszeit Schlüters mit wechselnden bürgerlichen Koalitionen konnte sich 1993 das traditionelle Bündnis aus Sozialdemokraten und Linksliberalen unter Poul Nyrup Rasmussen wieder durchsetzen. Die wirtschaftspoli tische Linie Schlüters wurde im Prinzip beibehalten, wobei allerdings – begünstigt vom internationalen Wirtschaftsaufschwung – wieder ein stärkeres Augenmerk auf die Sicherung des Wohlfahrtsstaates gelegt wurde. Investitionen der öffentlichen Hand, Beschäftigungs- und Weiterbildungsprogramme sowie eine Flexibilisierung der Arbeitsgesetzgebung haben einen starken Abbau der Arbeitslosigkeit ermöglicht, so daß Dänemark, was die Wirtschaftsdaten angeht, am Beginn des neuen Jahrtausends im europäischen Vergleich einen vorderen Platz einnimmt.
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Personenregister Abel (Kg.) 26 Absalon 23, 24 Adam v.Bremen 17 Adolf Hz. v. Schleswig 58 Adolf VIII. Gf. v.Holstein 40, 41 Albrecht v. Mecklenburg 33 Andersen, Hans Christian 89 Anna Petrowna (russ. Zarin) 96 Bernard v. Clairvaux 19 Bernsdorff, Andreas 84 Bernstorff, Johann 96 Best, Werner 115, 116 Bismarck, Otto 103 Bogislav v. Pommern 37 Bugenhagen, Johannes 51 Christian I. (Kg.) 39–43 Christian II. (Kg.) 40, 45–48, 50–52, 58, 59, 61 Christian III. (Kg.) 44, 50, 53–58, 64 Christian IV. (Kg.) 62, 68, 69, 87 Christian VII. 80, 82, 84 Christian VIII. (Kg.) 98 Christian X. (Kg.) 109 Christoph Gf. v. Oldenburg 52–54 Christopher I. (Kg.) 26 Christopher II. (Kg.) 28, 29 Christopher v. Bayern (Kg.) 38, 39 Colbjørnsen, Christian 84 Cromwell, Oliver 70 de Gaulles, Charles 122 Dorothea 42 Engelbrekt Engelbrektsson 36 Erik Glipping (Kg.) 27, 28 Erik IV. (Kg.) 26 Erik Menved (Kg.) 28
Erik v.Pommern (Kg.) 33–39 Erik XIV. (schwed. Kg.) 64 Eskil 19 Estrup, J. B. S. 105 Ethelred (angels. Kg.) 11 Franz I. (franz. Kg.) 52 Frederik I. (Kg.) 42, 43, 46–49 Frederik II. (Kg.) 58, 62, 64–66 Frederik III. (Kg.) 69–75 Frederik VI. (Kg.) 84, 93, 97 Frederik VII. (Kg.) 98 Gerhard Gf. v. Holstein 28, 29 Glistrup, Mogens 124 Godfred (Kg.) 6, 7 Geye, Mogens 53 Grundtvig, Nikolai 102, 104, 105, 117 Gustav Adolf (schwed. Kg.) 64 Gustav Wasa (schwed. Kg.) 40, 46, 51, 52, 64 Håkon (norw. Kg.) 32 Halfdan 10 Hans (Kg.) 42, 43, 45, 48 Hans Hz. v. Hadersleben 58 Hansen, H.P. 108 Harald Blauzahn (Kg.) 10 Hedtoft, Hans 119, 120 Heinrich VIII. (engl. Kg.) 52 Hemming (Kg.) 7 Hitler, Adolf 113, 114 Hobbes, Thomas 75 Høegh-Guldberg, Ove 81, 82 Hørup, Viggo 105 Ivan IV. (russ. Zar) 64 Jacob (Kg. v. Schottland) 42 Johan III. (schwed. Kg.) 64
127
Johann Gf. v. Hoya 52
Johann Hz. v. Sonderburg 58
Peter III. (russ. Zar) 96
Pio, Louis 102, 103
Karl d. Große 6–8
Karl d. Kahle (westfr. Kg.) 9
Karl Friedrich Hz. v. Gottorf 96
Karl III. (westfr. Kg.) 9
Karl Knudsson Bonde 39, 40
Karl V. (Ks.) 46, 52
Karl X. Gustav (schwed. Kg.) 71,
72
Karl XI. (schwed. Kg.) 72
Katharina II. (russ. Zarin) 96
Kierkegaard, Seren 89
Knud d. Große (Kg.) 11, 12
Knud Gyldenstierne 48
Knud IV. d.Heilige (Kg.) 20
Knud VI. (Kg.) 18, 24
Ragnar Lodbrok 9
Rantzau, Daniel 66
Rantzau, Johann 53, 54
Rasmussen, Poul Nyrup 124
Renthe-Fink, Cecil 114, 115
Reventlow, Christian 84
Reventlow, Ludwig 84
Ludwig v. Brandenburg 29
Luther, Martin 48, 49
Magnus Eriksson (schwed. Kg.) 29
Margarethe I. (Kg.) 32–35, 40
Munch, Peter 114
Napoleon 90, 91
Nelson, Horatio 90
Niels (Kg.) 23
Oehlenschläger, Adam 89
Olav (norw. Kg.) 32
Olav Tryggvason (norw. Kg.) 11
Olof Skötkonung (schwed. Kg.) 11
Oxe, Peder 66, 67
Paul (russ. Zar) 96
Peter I. d. Große 96
Saldern, Caspar v. 96
Saxo Grammaticus 23
Schimmelmann, Ernst 84
Schlüter Poul 124
Shakespeare 22
Stauning, Thorvald 110, 112, 114,
115,117
Struensee, Johann F. 80, 81, 89
Svend Estridsen (Kg.) 20
Svend Gabelbart (Kg.) 10, 11
Tausen, Hans 48, 49, 55
Tilly, Johan 67
Waldemar I. d. Große (Kg.) 18,
22–24
Waldemar II. d. Sieger (Kg.) 18,
24–26
Waldemar IV. Atterdag (Kg.)
29–32, 37
Wallenstein, Albrecht 67
Willoms, Dyveke 45
Willoms, Sigbrit 45
Wilson, Woodrow 108
Wullenweber, Jürgen 50–54
Zahle, C.Th. 107, 109