Nr. 290
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Nr. 290
Die Zeitkapsel Der kosmische Kundschafter im Strudel der Zeit - er wirft einen Blick in die Zukunft von H. G. Ewers
Auseinandersetzungen im Innern und Kämpfe gegen äußere Feinde – sie bestim men gegenwärtig das Geschehen im Großen Imperium der Arkoniden. Während die imperialen Flottenverbände gegen die mächtigen Methans im schweren Ringen be griffen sind, gärt es auf vielen Welten des Imperiums. Schuld daran ist einzig und al lein Orbanaschol, der Brudermörder und Usurpator, der in seiner Verblendung und Korruptheit einen politisch völlig falschen Weg beschritten hat. Die Tage Orbanaschols scheinen gezählt, und es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, wann die Gegenkräfte im Imperium stark genug sind, den Usurpator vom Thron zu stoßen. Kristallprinz Atlan, der eigentliche Thronfolger, und seine verschworenen Gefähr ten, die Orbanaschol bisher schwer zu schaffen machten, sind augenblicklich aller dings nicht in der Lage, gezielt einzugreifen. Kraumon, ihre geheime Stützpunktwelt, wurde von den Methans zerstört, und Atlan selbst weiß nichts Genaues über das weitere Schicksal seiner rund 15.000 Kampfgefährten. Algonkin-Yatta, der kosmische Kundschafter, der sich an Atlans Spuren geheftet hat, ist sich seinerseits im Unklaren über das Los des Kristallprinzen. Auf seiner Su che nach Atlan entdeckt er jedoch ein Gerät, von dem er sich wertvolle Dienste er hofft. Dieses Gerät ist DIE ZEITKAPSEL …
Die Zeitkapsel
3
Die Hautpersonen des Romans:
Algonkin-Yatta - Der kosmische Kundschafter von Ruoryc reist durch Raum und Zeit.
Anlytha - Algonkin-Yattas exotische Begleiterin.
Khoruna Skapron - Ein zweifacher Sonnenträger.
Orega Turketter - Ein berüchtigter Raumpirat.
1. Orega Turketter hatte die Nachricht durch einen Kurier übermittelt bekommen, und war mit seinen beiden Piratenschiffen sofort aufgebrochen, um den Punkt im Raum noch vor dem angekündigten Handelsraumer zu erreichen. Im Unterschied zu sonst hatte er das klei ne Kurierschiff nicht wieder fortgeschickt, sondern den Kommandanten angewiesen, in der Ortungsdeckung einer kosmischen Trümmerwolke auf ihn zu warten. Turketter wollte nach Abschluß des neuen Piratenakts wieder einmal persönlich in seinem Geheim stützpunkt aufkreuzen, der schon oft wert volle Informationen geliefert hatte. Der Pirat saß in der Steuerzentrale der OCHTEK und verfolgte die Arbeit der Zen tralbesatzung. Er pflegte nur in den selten sten Fällen aktiv in die Leitung eines seiner Raumschiffe einzugreifen, sondern überließ das in der Regel dem jeweiligen Komman danten, der seine Befehle allerdings von ihm erhielt. Kommandant der OCHTEK war Krothe Solk, ein vierundfünfzig Arkonjahre zählender Arkonide und ehemaliger Kommandant eines Schlachtschiffs der Imperiums-Flotte. Krothe Solk hatte sich im Dienst des Imperi ums vielfach bewährt und war mit hohen Auszeichnungen dekoriert worden – bis das Oberkommando der Flotte dahinter kam, daß er heimlich Beutegut an Händler ver schacherte und auch nicht davor zurück schreckte, auf arkonidischen Kolonialplane ten, die er mit seinem Schiff vor Angriffen durchgebrochener maahkscher Einheiten schützte, wertvolle Güter im Namen des Großen Imperiums zu beschlagnahmen und mit hohem Profit zu verkaufen.
Als Krothe Solk nach Arkon zurückbeor dert worden war, ohne daß das Oberkom mando Gründe dafür angab, war er infolge seines schlechten Gewissens argwöhnisch geworden. Er hatte auf dem Planeten Aspurh, der ihm bisher als Kontaktwelt zu den Händlern gedient hatte, versucht, sich abzusetzen und eine Position auf einem Händlerschiff zu bekommen. Aber die Händler wußten bereits, daß er auf Arkon in Ungnade gefallen war. Sie ließen ihn abblit zen. Daraufhin inszenierte Solk mit Hilfe von Offizieren, die an seinen dunklen Ge schäften beteiligt gewesen waren, eine Meu terei auf seinem eigenen Schiff, ließ alle Wi dersacher beseitigen und floh in einen Raumsektor, von dem er wußte, daß dort Piraten aufzukreuzen pflegten. Zwei andere Schlachtschiffe des Großen Imperiums waren ihm jedoch heimlich ge folgt. Sie stellten ihn und hätten sein Schiff – da er eine Kapitulation ablehnte – zusam mengeschossen, wären ihm nicht im letzten Augenblick zwei Schiffe des Piraten Orega Turketter zu Hilfe gekommen. Die beiden Imperiumsschiffe wurden nach kurzem Ge fecht in die Flucht geschlagen. Turketter aber übernahm Solk mitsamt seinem Schlachtschiff in seine Dienste. Seitdem diente Krothe Solk ihm und seinen schmut zigen Aktivitäten – und er war ihm treu er geben, weil es für ihn keinen Weg zurück gab. Das alles ging Orega Turketter durch den Kopf, während er beobachtete, wie Krothe Solk die ACHTEK, die ehemalige KART VON ARKON, befehligte. Der Raumpirat hatte an der Arbeit Solks nichts auszusetzen. Dennoch überlegte er, ob es ratsam war, ihn noch länger für sich arbeiten zu lassen. Kro the Solk war zu tüchtig als Schiffsführer und als Pirat. Die Leute, die er befehligte, waren
4 ihm ergeben und würden alles tun, was er ihnen befahl. Wenn es ihm in den Sinn kam, die Führung der Piratenorganisation selber zu übernehmen, würden ihm wahrscheinlich nicht nur die Männer seines Schiffes folgen. Wahrscheinlich war es besser, ihn mit einem Auftrag zu betrauen, bei dem er den Tod fand. Orega Turketter schob diesen Gedanken beiseite, als die beiden Piratenschiffe nach der letzten Transition in den Normalraum zurückkehrten und zum materiellen Bestand teil des vierdimensionalen RaumZeit-Kontinuums wurden. Er vergaß ihn je doch nicht. Ein Blick auf den Zeitmesser verriet ihm, daß sie es gerade noch geschafft hatten, kurz vor dem avisierten Handelsraumer zu rema terialisieren. Falls das Handelsschiff seinen Zeitplan einhielt, mußte es in wenigen Zeit einheiten ebenfalls seine Transition beenden und zur Durchführung eines Orientierungs manövers in diesem Raumsektor remateriali sieren. Über Hyperfunk erteilte Turketter den Kommandanten des zweiten Piratenschiffs neue Befehle. Es entfernte sich daraufhin von der OCHTEK und begab sich an einen Punkt, der nach den Berechnungen so lag, daß das Handelsschiff nach der Wiederver stofflichung genau zwischen den beiden Piratenschiffen und ihren Geschützen lag. Gerade hatte es seine neue Position einge nommen, als auch schon die Strukturtaster anschlugen. Wenig später formte sich – scheinbar aus dem Nichts – die Ortungssil houette des angekündigten Handelsraumers auf den Ortungsbildschirmen. Es handelte sich um ein fünfhundert Meter durchmes sendes Kugelraumschiff, das an verschiede nen Konstruktionsdetails als Produkt einer der letzten Fertigungsserien erkannt wurde. Orega Turketter frohlockte, denn ein sol ches Handelsschiff konnte nur einem Händ ler gehören, der die besondere Gunst der Clique um Imperator Orbanaschol genoß. Gewöhnliche Händler mußten sich mit aus gedienten und so gut wie schrottreifen
H. G. Ewers Transportraumern der Imperiumsflotte be gnügen und neuerdings mit den wenigen mehr oder minder zerschossenen Walzen raumer, die von den Maahks erbeutet wor den waren. Wer ein nagelneues Raumschiff flog, mußte ungewöhnlich gute Beziehungen zu einflußreichen Leuten haben – und trans portierte normalerweise nur äußerst wertvol le Güter, die wiederum nur für die Mächti gen und Einflußreichen bestimmt waren. »Heute machen wir die Beute des Jahr hunderts!« rief der Piratenchef seinen Leu ten zu. »Vorwärts, heizt den Burschen dort ein, bis sie froh sind, uns ihr Schiff und ihre Ware überlassen zu dürfen!« Die Piraten ließen sich das nicht zweimal sagen. Aus den Strahlgeschützen der beiden Piratenschiffe lösten sich Salven, die in der Lage gewesen wären, den Handelsraumer mit einem Schlag zu vernichten. Aber das Feuer lag vor und hinter, unter und über dem Handelsschiff und diente nur dem Zweck, die Besatzung einzuschüchtern.
* Nach der zweiten Salve befahl Turketter Feuereinstellung und rief das Handelsschiff über Hyperkom an. »Hier spricht Turketter!« stellte er sich vor, denn er legte keinen Wert darauf, an onym zu bleiben. Im Gegenteil, seine Erfol ge hingen teilweise von dem Ruf ab, den er bei den Handelsschiffern besaß. »Ihr Leben liegt in meiner Hand. Ich kann es zerstören, kann es aber auch schonen, ganz wie ich will. Doch ich will nicht Ihr Leben, sondern Ihr Schiff und seine Fracht. Wenn Sie inner halb von zwei Zeiteinheiten kapitulieren und mein Prisenkommando ohne Gegenwehr an Bord kommen lassen, dürfen Sie Ihr Schiff mit Rettungsbooten verlassen.« Der Bildschirm des Hyperkoms wurde hell und zeigte Oberkörper und Gesicht ei nes etwa vierzigjährigen Arkoniden. »Hier spricht Ayschir Bakten, lizensierter Händler unter der Schirmherrschaft des Ra tes von Arkon!« sagte der Arkonide mit zur
Die Zeitkapsel Schau getragener Arroganz, unter der jedoch die Furcht zu bemerken war. »Sie begehen einen schweren Fehler, wenn Sie mein Schiff nicht in Ruhe lassen, Turketter. Mei ne Gönner werden Ihnen die gesamte Impe riumsflotte auf den Hals hetzen und nicht eher Ruhe geben, als bis Sie in der Auflö sungskammer gelandet sind – falls Sie nicht mit einem Ihrer Schiffe vernichtet werden.« Orega Turketter lachte nur. »Die Imperiumsflotte wird kein einziges Schiff auf mich ansetzen, Bakten«, entgeg nete er. »Sie hat Mühe, sich gegen die über all vordrängenden Maahks zu halten und ih re hohen Verluste einigermaßen zu ersetzen. An dieser Tatsache ändern auch Ihre hoch gestellten Gönner nichts. Sie haben noch ei ne Zeiteinheit, um zu kapitulieren. Lassen Sie sie ungenutzt verstreichen, greife ich an. In dem Fall haben Sie und Ihre Leute das Leben verwirkt. Ich verlängere die Frist nicht.« Die Maske der Arroganz fiel von Ayschir Bakten ab und machte tiefer Resignation Platz. »Ich ergebe mich«, erklärte er mit tonlo ser Stimme. »Sie halten sich an Ihr Verspre chen, die Besatzung und mich zu schonen?« »Mein Ruf sollte Ihnen sagen, daß ich meine Versprechen stets einhalte«, erwiderte der Pirat. »Stoppen Sie und lassen Sie meine Prisenkommandos an Bord! Ende!« Entgegen seiner Gewohnheit gesellte er sich selbst zu dem Prisenkommando, das von OCHTEK zu dem Handelsraumer ge schickt wurde. Er erwartete, daß Ayschir Bakten neue Informationen über die politi sche Lage des Imperiums besaß und wollte sie von ihm selber hören, damit er entschei den konnte, welche seinen Leuten zugäng lich gemacht wurden und welche nicht. Kurz darauf stand er dem Händler in der Steuerzentrale des Handelsraumers gegen über, während das Gros der beiden Prisen kommandos bereits mit der Durchsuchung des Schiffes anfing. »Wie geht es dem Imperator?« fragte Tur ketter spöttisch. »Ich hörte davon, daß er
5 nicht einmal mehr seinen engsten Mitarbei tern traut und immer neue Verhaftungen vornehmen läßt.« »Orbanaschol III. ist ein Psychopath«, antwortete Ayschir Bakten mit deutlichem Ausdruck von Verachtung. »Er richtet das Große Imperium zugrunde, wenn ihm nicht bald Einhalt geboten wird. Von seiner dilet tantischen Machtpolitik profitieren nur die Maahks, die in letzter Zeit an vielen Fronten Erfolge erringen konnten, weil unserem Im perium die politische Geschlossenheit fehlt.« »So denkt man also in unmittelbarer Um gebung des Diktators«, meinte Turketter lau ernd. »Aber soviel ich weiß, hat Orbana schol eine große Stütze in der sogenannten Macht der Sonnen gefunden. Oder irre ich mich da?« Der Händler preßte die Lippen zusam men, dann rang er sich zu einem Entschluß durch. »Da wir mit den Rettungsbooten sowieso nur Unterlichtgeschwindigkeit erreichen und bestenfalls in einigen Jahren – die für uns in folge der Zeitdilatation nur Wochen bedeu ten – wieder Kontakt mit der Zivilisation be kommen, kann ich ruhig offen sprechen«, sagte er leise. »Sie wissen sicher, daß die Macht der Sonnen ein Interessenverband ist, der sich aus den größten Industriellen des Imperiums zusammensetzt. Anfangs unterstützten sie die Macht Or banaschols massiv, da er ihnen hohe Gewin ne garantierte. Heute ist das anders. Heute haben sie erkannt, daß Orbanaschol, bliebe er noch längere Zeit an der Macht, das Große Imperium in den Untergang führen würde. Daran können sie selbstverständlich nicht interessiert sein. Außerdem verfolgen sie seit einiger Zeit mit Sorge die Aktivitä ten eines gewissen Atlan, der als Kristall prinz das Amt des Imperators beansprucht. Sie wissen, daß Atlan, falls er Orbanaschol stürzen kann, die Cliquenwirtschaft beseiti gen würde, die ihnen soviel Profit einbringt. Sie müssen deshalb Atlan zuvorkommen und selbst dafür sorgen, daß Orbanaschol
6 beseitigt wird. Dann können sie bestimmen, wer das Amt des Imperators übernimmt – und sie wollen natürlich einen Mann an die Spitze bringen, der weitgehend ihre Interes se vertritt. Und selbstverständlich wollen sie auch verhindern, daß extreme politische Gruppierungen den jetzigen Imperator stür zen und die Macht übernehmen, um ihre po litischen Vorstellungen durchzusetzen.« Orega Turketter lachte. »Sie sitzen also in der Klemme und ste hen unter dem Zwang, ihren einstigen Günstling selbst zu beseitigen«, meinte er sarkastisch. »Das geschieht ihnen recht.« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Eigentlich muß ich ihnen Erfolg wünschen, denn auch mir liegt nichts daran, daß Kri stallprinz Atlan oder eine Extremistengruppe die Regierung übernimmt.« »Dann sollten Sie mein Schiff verscho nen«, sagte der Händler. »Ich transportiere nämlich im Auftrag der Macht der Sonnen eine Ladung der besten Schwingkristalle für Feuerleitgeräte. Ihr Wert ist so ungeheuer hoch, daß man zehn hochindustrialisierte Planeten damit aufkaufen könnte. Sie sollen dazu verwendet werden, Geld für die An werbung von Flottenoffizieren für einen Umsturzplan zu gewinnen.« »Und wie soll dieser Umsturzplan ablau fen?« fragte der Pirat gespannt. »Darüber weiß ich nichts«, antwortete Ayschir Bakten – und es klang aufrichtig. »Die Macht der Sonnen geht kein Risiko ein, seitdem der Imperator einige ihrer Mit glieder verhaften ließ. Er hat sicher keine konkreten Hinweise für seinen Verdacht, aber er schlägt eben neuerdings blind zu, weil er überall Verräter zu sehen glaubt.« »Vielleicht flüstert ihm der Chef seines Geheimdiensts auch nur ein, er wäre von Verrätern umgeben«, meinte Orega Turket ter. »Lebo Axton?« fragte Bakten und runzel te die Stirn. »Ich weiß es nicht. Dieser Krüp pel scheint eine undurchsichtige Rolle zu spielen. Manche Leute der Macht der Son nen halten ihn für ihren ärgsten Feind; ande-
H. G. Ewers re Männer und Frauen sehen in ihm einen potentiellen Verbündeten. Ich selbst weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Ich habe ihn nur einmal gesehen und hatte nur den Eindruck, daß er eine überaus starke Persön lichkeit besitzt.« Der Pirat erwiderte nichts darauf, da in diesem Augenblick einer seiner Leute in die Steuerzentrale kam und berichtete, was die Durchsuchung des Handelsraumers ergeben hatte. Dadurch wurde Baktens Aussage voll bestätigt. Orega Turketter hatte Mühe, sich zu be herrschen. »Eine ganze Schiffsladung voll Schwing kristalle!« sagte er. »Damit könnte ich einen ganzen Flottenverband kaufen!« »Sie hätten mehr davon, wenn Sie die Kristalle in die Hände gelangen ließen, für die sie bestimmt sind«, wandte Ayschir Bak ten ein. »Diese Leute würden trotzdem nichts mit mir zu tun haben wollen und mich jagen, wenn sie an der Macht sind«, erwiderte Tur ketter. »Nein, Bakten, in meinem Besitz nüt zen mir die Schwingkristalle viel mehr. Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit, mit Ihrer Be satzung das Schiff in der Hälfte der Ret tungsboote zu verlassen. Grüßen Sie Lebo Axton von mir, falls Sie wieder einmal nach Arkon kommen sollten und ihn noch lebend dort antreffen!«
* Die Kaperung des Handelsraumers mit seiner wertvollen Ladung gab Orega Turket ter den Gedanken ein, wie er sich Krothe Solks entledigen konnte, ohne daß der Raumfahrer etwas Böses argwöhnte. Nachdem die Besatzung mit Ayschir Bak ten in ihren Rettungsbooten abgeflogen war, hielt er eine Besprechung ab, in der er die Notwendigkeit betonte, die Schwingkristalle so schnell wie möglich zum Erwerb neuer Raumschiffe zu verwenden. Er begründete das damit, daß der Sturz Orbanaschols in ab sehbarer Zeit erfolgen würde und daß der
Die Zeitkapsel neue Imperator sich Popularität dadurch ver schaffen würde, daß er strengere Maßnah men gegen Piraterie und Schwarzhandel an ordnete. Darunter würde auch eine Aktion gegen alle Werften und Händler fallen, die zur Zeit noch ohne Lizenz Raumschiffe bau ten und schwarz verkauften. Nachdem er getan hatte, als müsse er überlegen, wen er mit der verantwortungs vollen Aufgabe betrauen würde, Kontakt mit der Schwarzhandelsorganisation aufzuneh men, die Raumschiffe verkaufte, wandte er sich an Solk und sagte: »Ich kann mir niemanden vorstellen, der besser dazu geeignet wäre, ein Geschäft vor zubereiten, bei dem – sagen wir – als erstes fünf Großkampfschiffe den Besitzer wech seln, als dich, Krothe. Du kannst entspre chend auftreten und kennst dich mit Groß kampfschiffen von allen meinen Mitarbei tern am besten aus, so daß ich bei dir die Gewißheit habe, daß uns niemand betrügen kann. Deshalb wirst du mit einem Beiboot der OCHTEK aufbrechen und nach Leslurg ha fliegen. Nimm dort Kontakt mit dem Händler Yamtron auf und lege alle Einzel heiten der Lieferung und der Besatzung fest.« »Yamtron wird darauf bestehen, eine Pro be der Schwingkristalle zu sehen und prüfen zu lassen«, wandte Krothe Solk ein, wie Orega Turketter erwartet hatte. »Kein Händ ler verläßt sich auf bloße Versprechungen – schon gar nicht bei einem solchen Großauf trag.« »Das ist richtig«, gab Turketter zu. »Du wirst deshalb einen Laderaum voller Schwingkristalle mitnehmen.« Der Piratenchef kannte Yamtron genauer als alle seine Mitarbeiter ahnten. Yamtron würde beim Anblick eines ganzen Lade raums voller Schwingkristalle der günstigen Gelegenheit nicht widerstehen können, sie sich ohne Gegenleistung anzueignen. Das konnte er aber nur, wenn er dafür sorgte, daß Solk und seinen Begleitern etwas zustieß. Natürlich beabsichtigte Orega Turketter nicht, dem Händler einen ganzen Laderaum
7 voller Schwingkristalle zuzuspielen, ohne etwas dafür zu bekommen. Er würde dem Beiboot der OCHTEK ein Beiboot des zwei ten Schiffes nachschicken. Die Männer dar auf würden tun, was er ihnen auftrug, näm lich auszuspionieren, wohin Yamtron die ge stohlene Ladung Schwingkristalle bringen lassen wollte. Und unterwegs würde das be treffende Schiff überfallen und ausgeraubt werden. Nachdem Orega Turketter alles zu seiner Zufriedenheit geregelt hatte und Krothe Solk – heimlich verfolgt – aufgebrochen war, schickte er das gekaperte Handelsschiff mit den zuverlässigsten Leuten des Prisenkom mandos zu einem unwirtlichen Planeten, der ihm schon lange als geheimes Depot diente. Dort sollte es in einem Hangar verborgen werden, der tief unter der Oberfläche lag und aus dem Weltraum nicht geortet werden konnte. Anschließend kehrte er zu dem Versteck zurück, in dem das Kurierschiff auf ihn war tete, stieg um und sah zu, wie seine beiden Schiffe Fahrt aufnahmen und in Transition gingen. Sie würden in einen neuen Bereit stellungsraum fliegen, um dort weitere An weisungen abzuwarten. Das Kurierschiff mit Orega Turketter aber flog zu seinem Ausgangspunkt zurück, einen am Rand des Dubnayor-Systems treibenden Asteroiden. Der Asteroid hatte in früheren Zeiten den arkonidischen Kolonien im Dubnayor-System als Raumfestung gedient, war aber von Raumschiffen eines aufständi gen Kolonialvolks angegriffen und so schwer beschädigt worden, daß sich eine In standsetzung nicht gelohnt hatte. Da die Arkoniden außerdem inzwischen in dem Bau großer Raumstationen große Fortschritte erzielt hatten und die unterwor fenen Völker »befriedet« waren, wäre es für Arkon unrentabel gewesen, den ausgeglüh ten Asteroiden mühsam wieder herzurichten. Sie hatten ihn aufgegeben. Als Orega Turketter davon erfuhr, sah er eine Gelegenheit, sich unter den Augen der Imperiumsflotte, die auf den Planeten Num
8 mer drei, vier und fünf Stützpunkte unter hielt, einzunisten. Die Ausführung seines Planes dauerte viele Jahre, da alle Ausrü stungen heimlich angeliefert werden muß ten. Doch dann besaß der Pirat einen Ge heimstützpunkt mit einer leistungsfähigen Funkabhörstation, die es ihm ermöglichte, den Funkverkehr zwischen den drei arkoni dischen Flottenstützpunkten mit anderen Planeten und Raumschiffen abzuhören. Da durch erfuhr er, wann Handelsraumschiffe mit lohnender Fracht unterwegs waren, wel chen Kurs sie einzuschlagen hatten und wo sie ihre Orientierungsmanöver durchführten – und vor allem auch, wann sie von Raum schiffen der Flotte begleitet wurden und wann nicht. Außerdem schickte er ab und zu Spione nach Hirc, Venco-Nar und Pejolc, den Pla neten des Systems, auf denen sich die Stütz punkte der Imperiumsflotte befanden. Durch sie erfuhr er nicht nur Einzelheiten über den weiteren Ausbau der Stützpunkte, sondern erhielt auch Informationen über die Verant wortlichen der Stützpunkte. Mit Hilfe dieser Informationen hatte er schon einige Offizie re und Bürokraten unter Druck setzen kön nen, so daß sie praktisch für ihn arbeiteten, ohne zu ahnen, daß ihr Auftraggeber unmit telbar vor ihrer Haustür saß. Diesmal hatte Orega Turketter allerdings noch einen besonderen Grund dafür, seinen Geheimstützpunkt vor dem Dubnayor-Sy stem zu besuchen. In zwei Arkon-Tagen sollten auf den Planeten Hirc und VencoNar die KAYMUURTES veranstaltet wer den, die traditionsreichsten und spannend sten Kampfspiele, die man im Großen Impe rium kannte. Turketter wollte die Fernübertragungen dieser Kampfspiele verfolgen, denn diese mit allen Raffinessen ausgefochtenen Spiele hatten ihn seit jeher fasziniert – und er hatte außerdem aus einer nur ihm zugänglichen Quelle erfahren, daß bei diesen KAYMU URTES jemand, allerdings unter falschen Namen, teilnehmen wollte, den die Häscher Orbanaschols bisher vergeblich gejagt hat-
H. G. Ewers ten: Atlan, Kristallprinz von Arkon.
2. Algonkin-Yatta musterte seine um zahl reiche neue Stücke bereicherte Sammlung von Kunstgegenständen, während er schwe relos durch seine kugelförmige Wohnzelle trieb. Er konnte stundenlang hier weilen, ohne zu merken, wie die Zeit verrann. Mathoner kannten keine eigene Kunst und waren of fenbar auch nicht in der Lage, selber Kunst werke herzustellen. Das bedeutete aber kei neswegs, daß sie die Produkte künstleri schen Schaffens – beziehungsweise das, was sie dafür hielten – nicht zu schätzen wußten. Im Gegenteil, wenn sie auf Kunstwerke stie ßen, konnten sie sich an ihrer Betrachtung oder Anhörung regelrecht berauschen – und sie ließen nichts unversucht, sie in ihren Be sitz zu bringen, wobei sie allerdings niemals Gewalt anwandten. Als ein zarter Ton erklang, drehte sich der Kundschafter herum. Er lächelte, als er An lytha entdeckte, die einem harfenähnlichen Instrument eine Melodie zu entlocken ver suchte. Seine Begleiterin stammte nicht aus seinem Volk. Er hatte sie aus einem hava rierten Kleinraumschiff gerettet, das er eines Tages auf seinem Kundschafterkurs ent deckte. Leider hatte Anlytha durch den Un fall alles vergessen, was davor gewesen war – außer ihrem Namen. Das Erlebnis, das er mit ihr vor kurzem auf dem Planeten Kaahlzoch gehabt hatte, war allerdings geeignet gewesen, einen Zip fel des Schleiers zu lüften, der über ihrer Herkunft lag. Anlytha hatte auf den Angriff von großen Fluginsekten auf eine Weise rea giert, die den Schluß zuließ, daß ihr Volk auf einem Planeten beheimatet war, auf dem es durch angriffslustige Großinsekten be droht war – oder bedroht gewesen war. Mehr wußte er allerdings noch immer nicht über sie. Anlytha stieß ein helles Zwitschern aus, das an einen Vogel erinnerte. An einen Vo
Die Zeitkapsel gel erinnerte auch der kleine weiße Feder kamm, der auf ihrem Kopf wuchs. Wenn er den Informationen von MYOTEX glauben durfte, die er in zahlreichen Hypnoschulun gen übermittelt bekommen hatte, besaß An lytha noch eine weitere Eigenschaft, die sie mit gewissen Vogelarten gemeinsam hatte. Sie stahl praktisch alles, was ihr in die Au gen stach und sich transportieren ließ – und sie stahl so geschickt, daß niemand von den Bestohlenen bisher auf die Vermutung ge kommen wäre, sie könnte die Diebin gewe sen sein. Die nächsten Töne, die Anlytha der Harfe entlockte, reihten sich zu einer melancholi schen Melodie aneinander. Das schien Anly tha zu beflügeln, denn ihre fliederfarbenen Finger zupften immer eifriger an den Saiten. Plötzlich fing Algonkin-Yattas empfindli che Nase ein Geruchssignal auf, das von der Türpsiotronik stammte und ihm die Informa tion vermittelte, daß jemand Einlaß begehr te. Da sich außer ihm und Anlytha nur Khoruna Skapron auf dem Kundschafter schiff befand, konnte es nur der Zweifache arkonidische Sonnenträger sein, der einge lassen werden wollte. Der Kundschafter drückte auf den Signal sensor seines Kommando-Armbands und be wirkte dadurch, daß der Zugang zur Wohn zelle sich öffnete. Gleich darauf schwebte Khoruna Skapron herein. Der Arkonide trug eine Raumkombination, den die vollautoma tische Produktionssektion des Kundschafter schiffs für ihn angefertigt hatte. Sie war ei ner arkonidischen Raumkombination nach empfunden und enthielt die Symbole, die Skapron als Zweifachen Sonnenträger und Offizier der Imperiumsflotte auswiesen. Vorher hatte er nur die einfache Kombinati on getragen, die ihm die Maahks während seiner Gefangenschaft auf Chanetra gelassen hatten – und es hatte ihn stets deprimiert, daß er dadurch von Fremden für einen ge wöhnlichen Raumfahrer gehalten wurde. Das Gesicht des Arkoniden verriet Un mut.
9 »Ich habe an den Instrumenten abgelesen, daß wir in einer halben Stunde vor dem Dubnayor-System in den Normalraum zu rückkehren«, sagte er. »Das stimmt ungefähr«, erwiderte der Kundschafter. »Aber machen Sie es sich doch bequem! Anlytha hat herausgefunden, wie sie diesem Musikinstrument Melodien entlocken kann. Ich bin fasziniert.« Khoruna Skapron stöhnte, machte eine ruckartige Bewegung und segelte quer durch die Wohnzelle. Bevor er seinen Kurs durch »Schwimmbewegungen« korrigieren konn te, prallte er gegen einen Gegenstand, der in einer der zahlreichen Nischen stand und des sen Verwendungszweck für Algonkin-Yatta immer ein Rätsel gewesen war. Es handelte sich um einen ungefähr faustgroßen Kubus mit metallisch-blau leuchtender Oberfläche, auf der hin und wieder ohne ersichtlichen Anlaß undefinierbare Symbole erschienen und wieder verschwanden. Als der Arkonide mit dem Kopf dagegen stieß, knackste es so laut, als wäre der Ku bus zersprungen. Im nächsten Augenblick ertönten die Laute einer fremden Sprache, verstummten wieder, ertönten abermals und brachen schließlich ganz ab. Anlytha unterbrach ihr Harfenspiel und starrte aus geweiteten Augen zum Ort des Geschehens. Khoruna Skapron hielt sich mit den Hän den an der Unterkante der Nische fest, kniff die Augen zusammen und musterte den Ku bus. »Was war das?« fragte er. Algonkin-Yatta schwebte interessiert nä her. Seine stahlblauen Augen glänzten. »Sie haben offenbar eine gespeicherte Botschaft ausgelöst – beziehungsweise den Mechanismus, der die Abspielung bewirk te«, erklärte er. »Das war Anlytha und mir bisher nicht gelungen.« »Aber es handelte sich um eine Botschaft in einer völlig unbekannten Sprache«, erwi derte der Arkonide. »Das würde ich nicht sagen«, erklärte Al gonkin-Yatta. »Zumindest zeugt diese Spra
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H. G. Ewers
che von einer der unseren verwandten Men talität, denn sie klingt melodisch. Demnach dürfte sie keinem völlig mathematisierten Denken entstammen, sondern einem emotio nal untermalten.« Der Arkonide rieb sich die Stelle seines Schädels, die mit dem Kubus zusammenge prallt war und an der sich eine Schwellung abzeichnete. »Ob mathematisiert oder emotional unter malt, ich bin dafür, daß wir versuchen, die Botschaft noch einmal abzuspielen und zu übersetzen – aber später«, sagte er. »Vorrangig sollten wir uns darum kümmern, was uns erwartet, wenn das Schiff am Rand des Dubnayor-Systems in den Normalraum zurückkehrt. Es könnte nämlich sein, daß wir einem Kampfschiff des Großen Imperi ums genau vor die Geschütze fliegen – und es könnte sein, daß der Kommandant zuerst schießen läßt und dann fragt, woher wir kommen und was wir wollen.« »Das wäre irrational, falls sein Beschuß erfolgreich verliefe«, meinte Algonkin-Yat ta. »Pflegen denn alle arkonidischen Raum schiffkommandanten auf Besucher zu schie ßen, ohne zu wissen, was die wollen?« Khoruna Skapron lächelte verlegen. »Selbstverständlich nicht alle, Algonkin-Yat ta. Aber die letzten Niederlagen der Imperi umsflotte im Methankrieg haben viele Kom mandanten nervös gemacht, so daß sie in jedem fremden Schiff eine Bedrohung sehen.« Der Kundschafter gab keinen weiteren Kommentar. Er warf noch einen langen Blick auf den Kubus, dann schwebte er wortlos zur Tür. Khoruna Skapron und An lytha folgten ihm.
* Als das Kundschafterschiff seinen Interdi mensionsflug unterbrach und in den Nor malraum zurückkehrte, leuchtete auf dem vorderen Bildschirm ein heller blauer Stern. »Dubnayor!« sagte der Arkonide. »Eine mittelgroße und blaue Sonne, die von sieb zehn Planeten umkreist wird. Nummer drei
hießt Pejolc, Nummer vier Hirc und Num mer fünf Venco-Nar. Auf Pejolc pflegt das Organisationskomitee für die KAYMUUR TES zu arbeiten; dieser Planet ist auch die Verwaltungswelt für das gesamte System. Die eigentlichen Kampfspiele finden dage gen auf Hirc und Venco-Nar statt. Wir hät ten versuchen sollen, herauszufinden, wel ches Datum nach arkonidischer Zeitrech nung geschrieben wird, dann wüßte ich, ob die Spiele bereits stattgefunden haben oder erst stattfinden werden.« »Das wird sich herausstellen, sobald wir den Funkverkehr zwischen Pejolc und den beiden Kampfspielplaneten abgehört ha ben«, erwiderte der Kundschafter gelassen. »Hoffentlich werden wir nicht vorher ge ortet«, meinte Khoruna Skapron. »Fürchten Sie sich etwa vor den Angehö rigen Ihres eigenen Volkes, Skapron?« frag te Anlytha. »Das nicht«, antwortete der Arkonide. »Aber wie sollte ich ihnen erklären, daß ich mich auf einem mathonischen Kundschafter schiff befinde, dessen Kommandant es sich in den Kopf gesetzt hat, den ›Aufrührer‹ At lan zu finden und ihm zu helfen! Ich habe praktisch gegen alle Dienstvorschriften ver stoßen, indem ich mich mit Ihnen zusam mentat, anstatt mich so schnell wie möglich bei einem arkonidischen Stützpunkt zurück zumelden und um Wiederverwendung in der Flotte zu ersuchen.« »Und warum haben Sie es getan?« wollte der Kundschafter wissen. Khoruna Skapron sah ihn leicht irritiert an. »Es war Neugier – glaube ich jedenfalls. Eigenartig, erst jetzt wird mir klar, daß ich mir bisher kaum Gedanken über meine Handlungsweise gemacht habe.« »Das sollten Sie unbedingt nachholen«, sagte Algonkin-Yatta. »Aber zuerst werden wir uns ein Versteck suchen, von dem aus wir den Funkverkehr abhören können, ohne entdeckt zu werden. Sie scheinen das Dubnayor-System recht gut zu kennen, Ska pron.«
Die Zeitkapsel »Allerdings«, gab der Arkonide zurück. »Ich war früher auf dem Flottenstützpunkt von Pejolc stationiert.« Der Kundschafter deutete auf einen Or tungsschirm. »Dann wissen Sie sicher, was es mit diesem Asteroiden für eine Bewandt nis hat, der von den Ortungsgeräten aufge faßt wurde und am Rand des Dubnayor-Sy stems treibt«, erklärte er. »Falls sich dort ei ne automatische Ortungsstation befindet, müssen wir seine Nähe meiden. Andernfalls könnte er uns als Ortungsdeckung dienen.« »Das ist Fahmi«, sagte Khoruna Skapron. »Er diente den arkonidischen Kolonisten des Systems früher als Raumfestung. Raum schiffe aufständischer Untertanen des Impe riums griffen ihn vor vielen Generationen an. Dabei wurden die militärischen Einrich tungen des Asteroiden so schwer beschädigt, daß sich eine Instandsetzung nicht lohnte, zumal wir inzwischen große Fortschritte in der Errichtung großer Raumstationen ge macht hatten.« »Sie sind also sicher, daß Fahmi völlig leer ist?« vergewisserte sich der Kundschaf ter. »Absolut«, antwortete der Arkonide. »Dann werden wir am Asteroiden anlegen und meine Hyperfunkempfänger auf die drei besiedelten Welten des Dubnayor-Systems richten«, erklärte Algonkin-Yatta. Er setzte sich vor das Hauptsteuerpult und schaltete die Triebwerke des Kundschafter schiffs auf Minimalschub. Zwar war die Au ßenhülle seines Schiffes ein äußerst schlech ter Tasterimpulsreflektor, so daß eine Or tung von den drei bewohnten Planeten aus sehr unwahrscheinlich war, aber starke An triebsaktivitäten konnten selbst aus großer Entfernung als Feldimpulswirbel angemes sen und eventuell richtig gedeutet werden. Die Psiotronik schaltete unterdessen die auf den Asteroiden gerichtete hypertronische Bildererfassung auf Ausschnittvergröße rung. Dadurch konnte Algonkin-Yatta das Abbild des öden Felsbrockens so sehen, als wäre er statt zweieinhalb Millionen Kilome ter nur zehn Kilometer von ihm entfernt.
11 Er sah, daß die Oberfläche Fahmis an vie len Stellen ausgeglüht, zu poröser Schlacke verbrannt und teilweise regelrecht glasiert war. Hier mußten sich starke atomare Kräfte ausgetobt haben – und im Innern des Him melskörpers mochte die Wirkung infolge ex plodierender Reaktionsmassen noch verhee render gewesen sein. Es war unter diesen Umständen fast ein Wunder, daß der Astero id nicht zerbrochen war. Doch das alles interessierte den Kund schafter nicht so sehr wie die Aussicht, eventuell bald etwas über den Verbleib von Kristallprinz Atlan zu erfahren. Die Tatsa che, daß seine Suche nach Atlan bisher er folglos gewesen war, hatte seine Sehnsucht nach einer persönlichen Begegnung mit ihm nicht abgeschwächt, sondern eher verstärkt.
3. Orega Turketter saß nachdenklich in sei ner privaten Unterkunft innerhalb des Aste roiden, die mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet war. Aber er beachtete seinen Reichtum gar nicht, sondern beschäftigte sich mit einem Problem, das sich für ihn nach dem Ende der KAYMUURTES aufgeworfen hatte. Er war mit einem Tag Verspätung auf Fahmi zurückgekehrt, weil das Kurierschiff, in dem er reiste, wegen eines Manövers der Imperiumsflotte einen zeitraubenden Um weg einschlagen mußte. Dadurch hatte er nur den letzten Tag der KAYMUURTES am Bildschirm verfolgen können. Inzwischen waren seit dem Ende der Spiele vier Tage verstrichen – aber vor zwei Tagen hatte ihn der Bericht eines seiner Spione erreicht, der ihm zu denken gab. Hat te es anfangs ausgesehen, als wäre Atlan entgegen seiner Geheiminformation doch nicht bei den Spielen angetreten, so schien der Bericht auszusagen, daß er doch dabei gewesen war – und die KAYMUURTES als toter Mann verlassen hatte. Orega Turketter war keineswegs traurig darüber gewesen, denn ein toter Atlan war
12 ihm lieber als ein lebender, der eventuell Im perator hätte werden können – und, wie Tur ketter ihn einschätzte, harte Maßnahmen ge gen Schwarzhändler und Piraten durchge setzt hätte. Doch dann war heute ein zweiter Bericht des gleichen Spions eingetroffen, der ihn an der Richtigkeit des ersten Berichts zweifeln ließ. Orega Turketter brütete noch immer vor sich hin, als der Interkomanschluß summte. Ungehalten über die Störung, stieß der Pirat eine Verwünschung aus, aber er schaltete das Gerät dennoch ein, da er wußte, daß kei ner seiner Leute es wagen würde, ihn wegen einer unwichtigen Kleinigkeit zu stören. Als er das Gesicht seines Cheffunkers sah, wußte er, daß es nicht um Kleinigkeiten ging, denn das Gesicht des Mannes verriet, daß er für seine Störung Lob erwartete. »Rede schon, Kraspon!« sagte Turketter brummig und doch voller gespannter Erwar tung. Kraspon lächelte. »Eine wichtige Funkmeldung von, Hirc an das Kommando der Sicherungsflotte Ger wohn-Sektor, Chef!« stieß der Funker her vor. »Die Sicherungsflotte wird darin davon unterrichtet, daß der Handelsraumer IPS KAN BERK mit einer Ladung AustauschTransitionstriebwerke zu einem außerplan mäßigen Transportflug von Seithon zur Sammelstelle ORKEN-SÜD gestartet ist.« »Ausgezeichnet!« lobte Turketter seinen Untergebenen und leckte sich dabei über die Lippen, denn eine ganze Schiffsladung vol ler Austausch-Transitionstriebwerke war in dieser Zeit fast genauso wertvoll wie die La dung Schwingkristalle, die er letztens erbeu tet hatte. »Weiter, Kraspon!« »Die IPSKAN BERK wird die ersten bei den Transitionen ohne Begleitschutz zurück legen. Man gab dennoch die Koordinaten der ersten beiden Positionen durch, an denen das Schiff zwecks Orientierungsmanöver re materialisiert.« »Bürokratische Routine ist manchmal oh ne Sinn und Zweck für diejenigen, die sie
H. G. Ewers ausüben«, kommentierte der Pirat. »Ja, Chef«, bestätigte der Funker. »Und das Schönste ist, daß die Position des zwei ten Orientierungsmanövers unmittelbar über dem Großen Horn der Uzley-Dunkelwolke liegt, wo zwei unserer Schiffe stationiert sind. Die Begleitschiffe können zu dem Zeitpunkt nicht dort sein, deshalb beorderte man sie zur Position des dritten Orientie rungsmanövers.« »Du hast dir eine Sonderprämie verdient, Kraspon«, erklärte Orega Turketter. »Alarmiere sofort die Besatzung unseres Kurierschiffs. Sie soll sich startbereit halten. Ich komme persönlich – und du kommst ebenfalls und bringst die Positionsdaten mit. Klar?« »Klar, Chef!« sagte der Funker strahlend. »Ich habe bereits veranlaßt, daß ein Zeitplan ausgearbeitet wird. Aber meinen überschlä gigen Berechnungen nach kann der Kurier unsere Schiffe so rechtzeitig informieren, daß sie den Handelsraumer am zweiten Ori entierungspunkt abfangen.« Turketter erwiderte nichts darauf. Er hatte es plötzlich sehr eilig. Diese Beute durfte er sich nicht entgehen lassen, denn Transitions triebwerke brachten in der Zeit, in der die Imperiumsflotte ebenso mit dem Ersatzteil mangel wie mit den Maahkflotten zu kämp fen hatte, einen märchenhaften Profit. Nur kurz überlegte der Pirat, ob er die in der Uzley-Dunkelwolke bereitstehenden zwei seiner Schiffe über Hyperfunkricht strahl informieren sollte, aber er verwarf den Gedanken wieder. Jede Hyperfunkaktivität von Fahmi aus konnte, auch wenn peinlich vermieden wurde, daß ein Richtstrahl einen der bewohnten Planeten des Dubnayor-Sy stems tangierte, durch einen dummen Zufall von einem Raumschiff außerhalb des Sy stems aufgefangen und angepeilt werden. In dem Fall würde man den Asteroidenstütz punkt aufgeben müssen. Wenige Minuten später stand er mit der Besatzung des Kurierschiffs zusammen und hörte sich den Zeitplan an, den Kraspon aus dem kleinen Rechenzentrum abgeholt hatte
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und vortrug. Danach mußte es möglich sein, die beiden Piratenschiffe in der Dunkelwol ke so rechtzeitig in Marsch zu setzen, daß sie die Position des zweiten Orientierungs manövers der IPSKAN BERK eine halbe Stunde vor der Rematerialisierung des Han delsraumers erreichten. Als das Kurierschiff gestartet war, hatte Orega Turketter das Problem vergessen, mit dem er sich vor der Meldung seines Chef funkers so intensiv beschäftigt hatte. Er ahnte nicht, daß er bald wieder darauf gestoßen werden würde – und in einer Art, die ihm nicht gefiel.
* Die beiden Löcher in der breiten Nase des Kundschafters blähten sich, als ein starkes Geruchssignal ankam (stark war es aller dings nur für den ausgeprägten Geruchssinn des Kundschafters; weder Anlytha noch Khoruna Skapron konnten es wahrnehmen). Algonkin-Yatta schaltete die Sprechver bindung zur Psiotronik seines Raumschiffs ein und sagte: »Die Ortungsanlage hat ein schnell be wegtes Objekt angemessen. Kannst du mir Einzelheiten dazu nennen?« »Es handelt sich um ein scheibenförmiges Raumschiff, das oben und unten aufgewölbt ist«, antwortete die Psiotronik. »Der Durch messer beträgt horizontal vierzig Meter. Es befindet sich in einer Beschleunigungspha se, die hohe Werte aufweist.« »Dann muß es in unserer Nähe gelauert haben!« rief Khoruna Skapron erregt. »Bestimmt hat es uns geortet und sich da nach abgesetzt, um Verstärkung anzufor dern.« Der Kundschafter blickte den Zweifachen Sonnenträger an. »Was sagt Ihnen die Beschreibung, Ska pron?« »Es handelt sich um ein arkonidisches Raumschiff – und zwar vom Typ der schnel len Beiboote, der auch für Kurierzwecke verwendet wird«, antwortete Khoruna Ska
pron. »Wenn es uns geortet hat, wie es scheint, sollten wir verschwinden!« »Ich bin nicht davon überzeugt, daß es uns geortet hat«, entgegnete Algonkin-Yatta. »Wenn es antriebslos in unserer Nähe lauer te, dann wäre es logisch von seinem Kom mandanten gewesen über Richtfunk Unter stützung von einem Planeten anzufordern, statt sich durch Absetzen mit starker Be schleunigung zu verraten. Psiotronik, was meinst du dazu?« »Ich sehe diese Handlungsweise ebenfalls als logisch an, Kundschafter«, teilte die Psiotronik mit ihrer melodischen Stimme mit. »Daraus, daß sich der Kommandant des betreffenden Raumschiffs nicht dieser Logik gemäß verhielt, schließe ich, daß er über un sere Anwesenheit nicht informiert ist.« »Aber warum sollte er dann vor uns flie hen?« warf der Arkonide ein. »Er muß nicht vor uns geflohen sein, son dern es gibt zahlreiche andere Gründe, die sein Manöver bestimmt haben könnten«, sagte die Psiotronik. »Welche Gründe könnte es gehabt haben, plötzlich zu starten, nachdem es zuvor an triebslos im Raum verharrte?« fragte Khoru na Skapron ungeduldig. »Ich denke, er hat durchgestartet, als er uns ortete.« »Berechne den Kurs des Raumschiffs zu rück und stelle fest, an welchem Punkt im Raum es mit dem Beschleunigungsmanöver begonnen hat!« befahl Algonkin-Yatta des Psiotronik. »Wozu soll das denn gut sein?« murrte Khoruna Skapron. »Ich sehe zwar ein, daß der Kommandant des Diskusschiffs klüger gehandelt hätte, wenn er sich ruhig verhalten und über Funk Unterstützung angefordert hätte, aber er wird angenommen haben, daß wir ihn sowieso geortet hatten.« Algonkin-Yatta äußerte sich nicht dazu, sondern wartete in aller Ruhe die Berech nungen seiner Psiotronik ab. »Berechnungen abgeschlossen!« meldete das Bordgehirn schließlich. »Das Raum schiff muß von dem Asteroiden gekommen sein, auf den wir zusteuern – zumindest aber
14 aus seiner unmittelbaren Nähe.« »Maahks!« rief der Arkonide aufgebracht. »Nur Maahks würden sich in dem Ortungs schatten des Asteroiden verbergen, um das System zu beobachten!« »Maahks – in einem arkonidischen Klein raumschiff?« fragte Anlytha zweifelnd. »Sie könnten es erbeutet und benutzt ha ben, um von unseren Wachschiffen nicht als Maahks erkannt zu werden«, erklärte Khoru na Skapron. »Das erscheint sehr unwahrscheinlich«, meldete sich die Psiotronik ungefragt. »Soviel mir an Informationen über die Men talität der Maahks zugänglich gemacht wur de, entspräche eine panikartige Flucht nicht ihrer normalen Verhaltensweise. Eine maahksche Besatzung hätte erst einmal ab gewartet, ob das Kundschafterschiff – das für sie ja kein arkonidisches, sondern ein völlig fremdes Schiff ist – sich ihrem Schiff nähert und wie es sich ihnen gegenüber ver hält.« »Es entspricht zwar auch nicht deiner Mentalität, ohne Aufforderung Erklärungen abzugeben, aber ich kann mich deinen Argu menten nicht verschließen«, meinte der Kundschafter. »Meiner Ansicht nach ließe sich sein Manöver dadurch erklären, daß es aus dem Asteroiden startete, ohne von unse rer Anwesenheit etwas zu ahnen.« »Aber ich sagte doch schon, daß der Aste roid durch einen früheren Beschuß un brauchbar geworden ist. Sein Inneres muß damals ausgeglüht sein«, sagte Khoruna Skapron. In Algonkin-Yatta erwachte die Wißbe gier. »Ich habe es nicht vergessen, Skapron«, erwiderte er. »Dennoch denke ich, wir soll ten an Fahmi anlegen und uns dort gründlich umsehen. Vielleicht existiert dort etwas, von dem das arkonidische Flottenkommando nichts weiß.« »Es könnte uns umbringen«, meinte Khoruna Skapron nachdenklich, aber kei neswegs ängstlich. »Ich schlage deshalb vor, wir verständigen das arkonidische Haupt-
H. G. Ewers quartier im Dubnayor-System durch einen Funkspruch.« »Aber dann würde unsere Spur zu Atlan hier enden«, entgegnete der Kundschafter. »Nicht unbedingt«, sagte der Arkonide. »Wenn wir jedoch auf eine Benachrichti gung des Hauptquartiers verzichten und beim Asteroiden umkommen, erfährt Arkon nichts von der Gefahr, die ihm vielleicht von dort droht.« »Wie weit ist Arkon von Dubnayor-Sy stem entfernt?« erkundigte sich Anlytha. »Rund tausenddreihundert Lichtjahre«, antwortete der Zweifache Sonnenträger. »Warum?« »Weil ich mir nicht vorstellen kann, daß Arkon durch etwas bedroht werden könnte, was sich tausenddreihundert Lichtjahre ent fernt eventuell in einem Asteroiden ver birgt«, erklärte Anlytha. Algonkin-Yatta lachte leise, dann meinte er: »Damit wäre Ihr Argument widerlegt, Skapron. Warum genießen Sie nicht einfach die Stillung Ihrer Wißbegierde, die mit der Erkundung von Fahmi verbunden ist.«
* Es gab einen Ruck, als das Kundschafter schiff am Asteroiden anlegte. Das war nicht verwunderlich, denn das dreiundsechzig Meter lange ovale Schiff mit der grünlich schimmernden glasähnlichen Außenhülle hatte zwischen sich und dem zerklüfteten Himmelskörper ein Pufferfeld aufgebaut, das gleichzeitig als Anker diente. Aufmerksam beobachteten die drei Perso nen in der Steuerzentrale die ungleichmäßig geformte, zernarbte und ausgeglühte Ober fläche des Felsbrockens, der durchschnitt lich achtunddreißig Kilometer durchmaß. Die Ansicht wurde von den Bildtastern auf die Bildschirme der Zentrale geschickt, denn auf dieser, der Sonne Dubnayor abgewand ten Seite des Astroiden gab es keine Licht quelle – und die Scheinwerfer des Kund schafterschiffs waren aus verständlichen
Die Zeitkapsel Gründen nicht eingeschaltet worden. »Völlig tot!« kommentierte Khoruna Ska pron den Anblick. »Oder sagen die Zell schwingungstaster Ihres Schiffes etwas an deres?« »Sie haben überhaupt nicht ausgeschla gen«, antwortete Algonkin-Yatta. »Das kann bedeuten, daß sich innerhalb des Asteroiden kein Leben befindet – es kann aber auch be deuten, daß die Streustrahlung von Zell schwingungsauren sich infolge von Reflexi on durch bestimmte Materialien nicht bis zu uns ausbreiten kann.« Er deutete auf den ausgefransten und aus geglühten Schlund links vom Schiff, der frü her der Eingang zu einem Stollen gewesen sein mochte. »Ich werde versuchen, dort einzudringen, soweit es geht.« »Allein?« erkundigte sich Anlytha. »Nie nimmst du mich mit, Algonkin!« Der Kundschafter verzog sein blauschwarzes Gesicht zu einem breiten Lä cheln. »Das stimmt nicht, Anlytha. Manchmal habe ich dich mitgenommen – und ich habe auch nichts dagegen, daß du mich jetzt be gleitest.« Seine Begleiterin stieß einen zwitschernden Jubelruf aus und schloß ihre enganlie gende silberfarbene Raumkombination. Khoruna Skapron machte ein finsteres Gesicht und erklärte: »Da Fahmi Hoheitsgebiet des Großen Im periums ist, bestehe ich darauf, an der Expe dition teilzunehmen, Algonkin-Yatta.« »Ich habe nichts dagegen«, erwiderte der Kundschafter und schloß ebenfalls seinen Raumanzug. Anschließend verstaute er seine »kleine« Expeditionsausrüstung in Taschen und an Magnethalterungen. Zum erstenmal nahm er einen transporta blen Zellschwingungstaster mit, der aller dings nur bis zu Entfernungen von siebzig Metern reagierte. Wenige Minuten später verließen die drei Personen das Kundschafterschiff durch die Mannschleuse und schwebten mit Hilfe ihrer
15 Rückstoßaggregate zu dem ausgeglühten Schlund. Als sie ihre Handscheinwerfer einschalte ten, beleuchteten die Lichtkreise einen Stol len, der noch Spuren früherer Bearbeitung erkennen ließ. An seinem Eingang mußte sich einmal eine Schleuse befunden haben. Von ihr war allerdings nichts übriggeblie ben. Algonkin-Yatta schaltete sein Flugaggre gat aus und sah, daß seine Gefährten seinem Beispiel folgten. Mit behutsamen Bewegun gen sprang er in den Stollen hinein, wobei die Sprünge infolge der kaum spürbaren niedrigen Schwerkraft des Asteroiden leicht gekrümmte Flugbahnen waren. Doch schon nach dem dritten Sprung ging es nicht weiter. Algonkin-Yattas Hand scheinwerfer riß Trümmerbrocken aus der Dunkelheit, die durch starke Hitzeeinwir kung teilweise miteinander verschmolzen waren. Die blockierten den Stollen vollstän dig. Der Kundschafter nahm einen Detektor und richtete den Abtastkopf auf die Trüm mermassen. »Sie füllen den Gang auf eine Länge von mindestens zwanzig Metern aus«, erklärte er, nachdem er die Anzeigefläche abgelesen hatte. »Bevor wir uns der Mühe unterziehen, uns hier durchzubrennen, sollten wir nach einem anderen Stollen suchen, der vielleicht nicht blockiert ist.« Sie kehrten um und versuchten es bei fünf anderen Stollen – mit dem gleichen negati ven Ergebnis. »Es scheint, als hätte eine schwere innere Explosion den Asteroiden so erschüttert, daß alle ehemaligen Stollen weiter drinnen zu sammengebrochen sind«, meinte Khoruna Skapron. Algonkin-Yatta nickte. »Man könnte denken, daß es sich so ver hält, Skapron. Allerdings fällt mir auf, daß sich uns in jedem Stollen das gleiche Bild geboten hat, obwohl sie jeweils mehrere Ki lometer auseinander liegen. So gleichmäßig kann sich eine spontane Explosion nicht aus
16 gewirkt haben.« Er zog eine stabförmige Waffe mit bügel förmigen Griffstück aus einer Beintasche seines Raumanzugs und zielte damit auf die vor ihm liegenden Trümmermassen. »Ich rate dir, Anlytha, und Ihnen, Ska pron, sich zurückzuziehen«, sagte er. »Es genügt, wenn ich mich allein einer wahr scheinlichen Gefahr aussetze.« Khoruna Skapron zog seinen maahkschen Beutestrahler, dessen Energiemagazin in zwischen auf dem Kundschafterschiff aufge laden worden war. »Ein Offizier des Großen Imperiums weicht der Gefahr nicht aus!« stellte er grimmig fest. »Und du, Anlytha?« fragte der Kund schafter. Anlytha trat von einem Bein aufs andere, dann erklärte sie entschlossen: »Ich bleibe bei dir, Algonkin, denn viel leicht brauchst du meine Hilfe. Außerdem lagern im Innern des Asteroiden möglicher weise Schätze, die darauf warten, von mir geborgen zu werden.« Algonkin-Yatta wandte sich wieder den Trümmermassen zu und betätigte den Aus löser seiner Waffe. Ein grünlich flimmernder Strahl löste sich aus der Mündung, ver breitete sich trichterförmig und fraß sich in der Art eines Desintegrationsfeldes in die Trümmer. Er wirkte allerdings nicht wie ein arkonidischer Desintegrator, denn die ihrer Bindungsenergie beraubten Moleküle des Hindernisses schwebten nicht als nebelhafte Wolke davon, sondern verschwanden spur los. Algonkin-Yatta konnte pro Minute fünf Schritte vorrücken, denn seine Waffe arbei tete sehr effektiv. Nach drei Minuten zeigte sein Detektor an, das das Hindernis nach sechs Metern endete. Dahinter befand sich ein Hohlraum. Aber bevor der Kundschafter weiter vor rückte, sprach sein transportabler Zell schwingungstaster an. »Lebewesen!« flüsterte Algonkin-Yatta. »Hochorganisierte lebende Zellverbände mit
H. G. Ewers hochentwickeltem Nervensystem, deren In telligenzquotient durchschnittlich dem eines Arkoniden entspricht.« »Arkoniden?« fragte der Zweifache Son nenträger verwundert. »Sollte die Überwa chungsabteilung des Sicherheitsdienstes der Imperiumsflotte hier eine geheime Station eingerichtet haben?« »Aus welchem Grund?« erkundigte sich der Kundschafter. »Vielleicht, um die Schiffsbewegungen innerhalb des Dubnayor-Systems zu kontrol lieren«, antwortete Khoruna Skapron. »Es kommt immer wieder vor, daß arkonidische Schiffskommandanten auf eigene Faust Flü ge unternehmen.« »Ohne Befehl ihres Hauptquartiers?« fragte der Kundschafter. »Sagten Sie nicht einmal etwas über die straffe Disziplin in der arkonidischen Flotte, Skapron?« Der Arkonide senkte den Kopf. »Sie ist nicht mehr so straff wie früher, Algonkin-Yatta. Seit sich Orbanaschol III. mit immer mehr unfähigen, korrupten Ele menten umgibt, sind mehr und mehr Kom mandanten der Heimatflotte dazu überge gangen, ihre Raumschiffe hin und wieder zu Transporten von Schwarzhandelsgütern zu mißbrauchen. Das betrifft aber nicht die Schiffskommandanten, die sich im Kampfeinsatz gegen die Maahks befinden.« »Ein weiterer Grund für mich, um Atlan so schnell wie möglich zu finden und ihm zu helfen«, erklärte Algonkin-Yatta. »Wir keh ren um!« »Umkehren – jetzt?« fragte Anlytha ent täuscht. Der Kundschafter lächelte geheimnisvoll. »Wir kehren um, aber wir geben nicht auf, schöne Vogelkönigin. Du solltest mich besser kennen.«
4. Das Kurierschiff war noch nicht lange un terwegs, als plötzlich die Alarmpfeifen durch den Piraten -Stützpunkt gellten. Orega Turketter, der sich auf dem Weg zu
Die Zeitkapsel seinem Privatquartier befunden hatte, kehrte sofort um und hastete in die Kontrollzentra le. »Was gibt es?« fuhr er die beiden dienst habenden Ortungstechniker an, die vor ihren Geräten saßen und ihre Finger über Schaltta sten wandern ließen. »Unbekanntes Raumflugobjekt im Anflug auf Fahmi, Chef«, sagte einer der Ortungs techniker. Turketter erkannte Slack Rathon, einen bewährten Mann, der früher in einer Raum station des Arkon-Systems Dienst getan hat te. Das dämpfte seinen Zorn über die an scheinend unqualifizierte Antwort ein we nig. »Wieso unbekannt, Slack?« fragte er. »Können Sie nicht feststellen, ob es sich um ein arkonidisches Raumschiff oder um eines der Maahks handelt?« »Um keines von beidem, Chef«, sagte Ra thon. »Die Auswerter geben ein Raumflug objekt von ovaler Form an, dessen Länge dreiundsechzig Meter und dessen Breite im Mittelteil neununddreißig Meter beträgt. Es besitzt eine grünlich schimmernde Außen hülle, die rein optisch unserem Glas gleicht, aber von unseren Massetastern nicht identi fiziert werden kann.« Orega Turketter trat zu den Ortungsgerä ten und kontrollierte die vielfältigen Anzei gen. Er sah, daß das fremde Raumflugobjekt auf den Bildschirmen nur als ovaler Sche men abgebildet wurde. Demnach mußte die Tasterreflexion äußerst gering sein. Der Pirat begriff, daß sich seinem Stütz punkt etwas näherte, das wahrscheinlich noch nie zuvor von einem Arkoniden gese hen worden war. Es konnte sich nur um das Raumschiff eines bisher unbekannten Vol kes handeln. »Aber wir kennen alle raumfahrttreiben den Zivilisationen innerhalb von ThanturLok und auch bis zu den nächsten Kugel sternhaufen!« stieß er hervor. »Außerdem kann kein Raumschiff nach Thantur-Lok einfliegen, ohne daß die Strukturerschütte rung seiner Transition angemessen wird. Ein
17 nichtgemeldeter Einflug aber würde sofort die Wachschiffe alarmieren.« »Vielleicht benutzt es einen anderen Hy perantrieb als die uns bekannten Sprungtriebwerke«, wandte Rathon ein. Turketter verspürte ein leichtes Frösteln, als er an die Konsequenzen dachte, die sich ergeben mußten, wenn die Vermutung Ra thons sich als wahr herausstellte. Doch dann kehrte seine berühmt-berüchtigte Entschluß kraft zurück. Er schaltete die Rundrufanlage ein und sagte: »Hier spricht Turketter! Fahmi wird von einem unbekannten Raumschiff angeflogen. Ich ordne höchste Alarmstufe an. Jeder Feh ler wird unnachsichtig bestraft. Ende!« Als er die Rundrufanlage ausschaltete, wußte er, was innerhalb der nächsten Minu ten im Stützpunkt ablief. Es war viele Male geprobt worden, denn man mußte immer da mit rechnen, daß ein Raumschiff sich zufäl lig dem Asteroiden näherte. Die seit langem vorbereiteten Stollen blockierungen wurden mit Maschinenkraft in die Außenbezirke der alten Stollen ge schoben. In anderen Gängen schlossen sich Tarnwände vor Schleusenschotten. Alle Energieerzeuger auf atomarer Basis wurden ausgeschaltet. Vorbereitete Sprengungen wurden kontrolliert und mit Posten besetzt. Überall eilten schwerbewaffnete Piraten in getarnte und gut ausgebaute Verteidigungs stellungen. Die Besatzung von Turketters kleinem Fluchtraumschiff – das allerdings so gut wie ein Schwerer Kreuzer der Imperi umsflotte bewaffnet war – besetzte ihre Plät ze, um das Schiff im äußersten Notfall schnell in den Raum bringen zu können. Au ßerdem gingen speziell ausgebildete und be waffnete Kampftrupps in ihre Ausfallstel lungen, von wo aus sie jeden gelandeten An greifer rasch und wirkungsvoll bekämpfen konnten. Als in der Kontrollzentrale die normale Beleuchtung erlosch und die rötlich glühenden Leuchtkörper der Notbeleuchtung düste res Halbdunkel verbreiteten, wußte Turket
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ter, daß die Vorbereitungen abgeschlossen waren. Er setzte sich in einen Kontursessel und wartete. Aller Voraussicht nach würde der Zwi schenfall ohne Folgen für den Stützpunkt bleiben, denn keine Raumschiffsbesatzung interessierte sich sonderlich für einen toten, ausgeglühten Asteroiden – und das durfte auch auf eine Besatzung zutreffen, die ei nem noch unbekannten Volk angehörte. Falls das fremde Raumschiff aber tatsäch lich anlegte und einen Erkundungstrupp aus schickte, würden seine Mitglieder nur die uralten Stollen finden und feststellen, daß sie eingestürzt waren, so daß sich ein weite res Vordringen nicht lohnte und zudem ge fährlich wäre. Unter solchen Umständen verlor selbst der Neugierigste das Interesse an dem toten Felsbrocken. Ironisch lächelnd, streckte der Pirat die Beine aus und stellte sich vor, wie die Frem den mit enttäuschten Gesichtern wieder ab flogen – falls sie überhaupt so etwas wie Ge sichter besaßen …
* In die Steuerzentrale zurückgekehrt, mu sterte Algonkin-Yatta prüfend die Anzeige des fest installierten Zellschwingungstasters. »Er zeigt nichts an«, sagte Khoruna Ska pron, der ihm über die Schulter sah. »Das bestätigt nur meine erste Annahme, daß es innerhalb des Asteroiden isolierendes Material gibt, das die Streustrahlung der Zellauren nicht hindurch läßt«, erwiderte der Kundschafter. »Aber wenn ich die Taststrah len scharf bündele und damit genau in den Stollen ziele, in dem ich den größten Teil der Trümmer beseitigt habe, müßte etwas hereinkommen.« Er klopfte leicht gegen die Steuerkonsole des Geräts und sagte: »Psiotronik, du kannst das bestimmt schneller erledigen als ich. Also ziere dich nicht länger!« »Ich hatte angenommen, du hättest es
nicht gern, wenn ich etwas selbständig un ternehme, Kundschafter«, entgegnete die Psiotronik. »Es könnte ja auch einmal etwas sein, was dir nicht gefällt.« »Das ist logisch«, gab der Kundschafter zu. »Aber in diesem Fall hast du ja schon meine Anweisung – und du weißt, worum es geht. Also fang an!« Die Kontrollanzeigen des Zellschwin gungstasters veränderten sich, ein Beweis dafür, daß die Psiotronik die Steuerung des Geräts übernommen hatte und mit einem scharf gebündelten Taststrahl so tief wie möglich in den Stollen vorzudringen ver suchte, in dem der Kundschafter die Zell schwingungen intelligenter Lebewesen an gemessen hatte. Plötzlich leuchtete das Hauptanzeigefeld auf. »Drei Streufeldquellen!« entfuhr es Al gonkin-Yatta. »Ich hatte eigentlich mehr er wartet, aber offenbar läßt das Isolationsma terial nur eine Tastererfassung von einem kleinen Teil des Asteroiden zu. Was meinst du, Psiotronik?« »Dein Schluß besitzt einen großen Wahr scheinlichkeitsgehalt, Kundschafter«, ant wortete die melodische Stimme des psiotro nisch »begabten« Bordgehirns. »Danke!« sagte Algonkin-Yatta. »Ist es dir möglich, eine Streufeldquelle so exakt anzupeilen, daß du das betreffende Lebewe sen mit einem Transmitterstrahl heraufholen kannst, ohne es zu beschädigen?« »Das ist mir möglich, da es keine Überla gerungen gibt, Kundschafter«, antwortete die Psiotronik. »Nach welchen Kriterien soll ich auswählen – und wann soll ich ausfüh ren?« »Die stärkste Zellschwingungsaura dürfte dem Lebewesen mit der am stärksten ausge prägten Persönlichkeit gehören«, sagte der Kundschafter. »Ich denke, wir holen dieses Lebewesen an Bord. Aber warte noch mit der Ausführung, bis ich es ausdrücklich be fehle!« Er wandte sich an Anlytha und sagte: »Ich möchte keine physische Gewalt an
Die Zeitkapsel wenden, denn mir geht es nur darum, von unserem unfreiwilligen Besucher zu erfah ren, ob die KAYMUURTES schon vorbei sind und ob er etwas davon weiß, daß even tuell Atlan daran teilgenommen hat. Besitzt er keine der gewünschten Informationen, muß ich mit ihm über die vorübergehende Mitbenutzung seines Stützpunkts verhan deln. Sagt er aber aus, daß die KAYMUUR TES beendet sind und daß Atlan – bezie hungsweise die Teilnehmer überhaupt – nicht mehr im Dubnayor-System weilen, brauchen wir uns hier nicht länger aufzuhal ten.« »Ich verstehe«, erwiderte Anlytha. »Ich werde unseren Besucher so verwirren, daß du ihn mühelos ausfragen kannst, Algonkin. Hast du in dieser Beziehung besondere Wünsche?« Der Kundschafter lächelte. »Nein, Anlytha. Du wirst es schon richtig machen.« Anlytha zwitscherte geschmeichelt und meinte: »Dann gaukle ich unserem Besucher vor, wir wären ihm freundlich gesonnene Ster nengötter, die ihn in ihrem Himmelspalast empfangen haben, um mit ihm zu plaudern und Geschenke von ihm zu empfangen.« Khoruna Skapron lachte. »Geschenke, die Sie Ihrer Kunstsamm lung einverleiben möchten, wie?« bemerkte er. »Alles, was ich an Schätzen erwerbe, ge hört Algonkin«, erwiderte Anlytha. »Das sagte ich bereits neulich. Bist du mit meiner Idee einverstanden, Algonkin?« »Ich halte sie für ausgezeichnet, Kleines«, lobte der Kundschafter aufrichtig. »Und ich werde mich wieder einmal köst lich amüsieren«, warf die Psiotronik ein. Algonkin-Yatta runzelte die Stirn. »Ich möchte wirklich wissen, wie eine Psiotronik dazu kommt, Emotionen zu emp finden«, sagte er. »Kannst du mir dein Ver halten erklären, das doch eindeutig von der Norm abweicht? Jedenfalls habe ich noch von keiner anderen Psiotronik gehört, die
19 sich amüsiert hätte.« »Ich kann es dir nicht genau erklären, Kundschafter«, antwortete die Psiotronik. »Ich vermute nur, daß gewisse verwandte immaterielle Produkte von Anlytha und mir bewirkt haben, daß in mir eine Art Gefühls leben geweckt und dem von Anlytha ange glichen wurde. Wie findest du das, Kund schafter?« »Verblüffend!« erwiderte Algonkin-Yatta trocken. Er wandte sich an seine Gefährten. »Gehen wir in den Transmitterraum, um unseren Ehrengast zu empfangen und der Psiotronik Gelegenheit zu geben, sich zu amüsieren!«
* »Ausführung!« befahl der Kundschafter. Ein schwaches, sich allmählich steigerndes Summen ertönte, dann bildete sich über dem markierten Transmitterkreis eine flim mernde Energiesäule. Als das Summen abbrach, erlosch auch die Energiesäule – und dort, wo sie eben noch gewesen war, stand ein großer breit schultriger Arkonide in blutroter Raumkom bination und mit einem harten, zernarbten Gesicht, aus dem zwei rötliche Augen ver wirrt umherstarrten. Als der Blick des Rematerialisierten auf Khoruna Skapron fiel und die Symbole er faßte, die ihn als Zweifachen Sonnenträger des Großen Imperiums auswiesen, ruckte die rechte Hand nach oben und packte das Griff stück des Energiestrahlers, der in einem le dernen Gürtelhalfter steckte. Aber im nächsten Augenblick wurden die Augen des Arkoniden glasig. Die Hand fiel schlaff vom Griffstück der Waffe; der Mann taumelte zwei Schritte vorwärts – und hielt plötzlich an, als sei er gegen eine unsichtba re Wand gerannt. Langsam verklärten sich die Gesichtszü ge. Der Arkonide wandte sich um und schaute Anlytha verzückt an, dann warf er sich vor ihr auf den Boden.
20 »Steh auf, Sterblicher!« rief Anlytha mit glockenheller Stimme. »Steh auf und sieh mir in die Augen!« Benommen richtete der Arkonide sich auf und schaute mit vorgeneigtem Kopf – da er viel größer war als die Begleiterin des Kundschafters in Anlythas Gesicht. »Herrliche, mächtige Sternengöttin, ich danke dir für deine Gnade!« flüsterte er. »Was immer du mir befiehlst, ich werde es tun!« »Gehorche den beiden Sternengöttern, die neben mir stehen, genauso wie mir!« sagte Anlytha. »Wenn sie dich etwas fragen, so antworte wahrheitsgemäß, denn wenn du bei einer Lüge ertappt wirst, verbannen sie dich in den finstersten Dunkelnebel des Univer sums!« Der Arkonide ballte die rechte Hand zur Faust und schlug sie hart gegen seine linke Brustseite. »Ich schwöre dir, nur die Wahrheit zu sa gen, Herrliche und mächtige Sternengöttin, so wahr ich Orega Turketter heiße!« rief er pathetisch. »Was?« schrie Khoruna Skapron. »Orega Turketter, der Pirat?« Der Arkonide richtete sich stolz auf. »Ja, Sternengott, ich bin der gefürchtete Orega Turketter!« erklärte er. »Wenn du willst, raube ich den schönsten Planeten der Galaxis und lege ihn dir zu Füßen.« Khoruna Skaprons Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze der Wut. Er knirschte mit den Zähnen und wollte seine Beutewaffe aus dem Halfter reißen. Algonkin-Yatta legte ihm die Hand auf den rechten Unterarm, drückte sanft – für seine Begriffe sanft – zu und flüsterte: »Hier wird nicht gerichtet, sondern hier werden Informationen gesammelt! Beherr schen Sie sich, was immer dieser Turketter auch verbrochen haben mag!« Er wandte sich an den Piraten und sagte: »Du brauchst für uns nichts zu rauben, denn wir herrschen über alle Sonnen, Plane ten, Monde und Asteroiden, Orega Turket ter. Aber wir waren lange in einer fernen,
H. G. Ewers finsteren Galaxis und wollen uns davon überzeugen, ob wir hier noch genügend re spektiert werden. Deshalb beantworte meine Fragen ohne Ausweichen, Turketter!« Anlytha schlug die Hand vor den Mund und rief halberstickt: »Du kannst ja lügen, Algonkin! Ein Wun der ist geschehen!« Sie mußte vor Überraschung darüber, daß der Kundschafter vorsätzlich die Unwahrheit gesagt hatte, obwohl ihm das bisher unmög lich gewesen war, wohl ihre Konzentration vernachlässigt haben, denn Orega Turketters blickte sich verständnislos um. Aber im nächsten Augenblick glättete sich seine Mie ne wieder. »Ich werde alles sagen, was ich weiß, denn ich habe erkannt, daß du allmächtig bist, blauschwarzer Sternengott«, sagte er. »Gut!« erwiderte Algonkin-Yatta. »Dann sage mir, ob die KAYMUURTES bereits abgeschlossen sind, Orega Turketter!« »Sie wurden vor vier Tagen Arkonzeit be endet, großer Sternengott«, antwortete der Pirat. Der Kundschafter mußte sich beherr schen, um nicht laut aufzuschreien, weil er wieder einmal zu spät gekommen war. Doch er gab die Hoffnung, eine brauchbare Spur zu Atlan zu finden, deshalb nicht auf. »Hat einer der Sieger aus den Endkämp fen sich als Kristallprinz Atlan zu erkennen gegeben?« fragte er weiter. »Nein, Sternengott«, sagte Orega Turket ter. Er blinzelte listig. »Aber mein Spion auf Hirc ist ein ungewöhnlich tüchtiger Mann, von dem ich den Eindruck gewonnen habe, daß er Gedanken lesen kann. Anders kann ich mir auch nicht erklären, wie er dahinter gekommen sein will, daß sich hinter dem Arenakämpfer Darbeck, der in die Endrunde der Amnestie-KAYMUURTES auf Hirc kam, Atlan verborgen hatte.« Algonkin-Yatta atmete auf. »Atlan hat also doch teilgenommen und gesiegt!« rief er triumphierend. »Aber wa rum hat er sich dann nicht zu erkennen gege ben? Oder wollte er sein Inkognito erst auf
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Arkon lüften?« Atlan von den Toten auferstanden ist – be »Der Arenakämpfer Darbeck starb im ziehungsweise von den Scheintoten! Nur das letzten Kampf«, sagte Turketter. ist noch wichtig, sonst nichts!« Algonkin-Yatta taumelte zurück, als hätte er einen heftigen Schlag bekommen. Ver 5. geblich versuchte er, Worte zu formen. Algonkin-Yatta war mit seinen Gefährten »Aber etwas stimmte nicht mit Darbecks in die Steuerzentrale des Kundschafter Tod«, fuhr Orega Turketter fort. »Mein Spi schiffs zurückgekehrt. Den gefangenen Pira on berichtete, sein Leichnam sei aus dem ten hatte er mitgenommen. Gebäude, in dem die toten KAYMUUR Orega Turketter stand noch immer im TES-Kämpfer aufbewahrt werden, bevor sie Bann der Illusionen, die Anlytha ihn mit ih in den Konverter kommen, auf mysteriöse ren psionischen Fähigkeiten vorgaukelte. Er Weise verschwunden.« »Verschwunden?« wiederholte Algonkin-Yat schien zu glauben, sich in einem Schloß der Sternengötter zu befinden. Jedenfalls deute ta benommen. »Wieso verschwunden?« ten seine Blicke, mit denen er die Umge »Jemand muß den Leichnam heimlich bung musterte, sowie gelegentliche Ausrufe fortgeschafft haben«, erklärte der Pirat. des Entzückens darauf hin. »Weil es gar kein Leichnam war!« schrie Nur Khoruna Skapron war nicht zufrieden der Kundschafter in jäh aufbrandender neuer mit der Entwicklung. Hoffnung. »Wenn Atlans Tod nur vorge »Turketter ist ein berüchtigter, gemeinge täuscht wurde, dann erscheint es logisch, fährlicher Pirat«, erklärte er dem Kundschaf daß die Verantwortlichen dafür nicht warten ter. »Als Zweifacher Sonnenträger des durften, bis der Scheintote im Konverter Großen Imperiums bin ich berechtigt, über aufgelöst wurde, denn dann hätten sie ihn ihn zu richten und das Urteil unverzüglich gleich richtig sterben lassen können. Ja, jetzt zu vollstrecken.« wird mir auch klar, warum Atlan die End Algonkin-Yatta blickte den Arkoniden ir runde verlor. Er hätte sie niemals verloren, ritiert an. wenn nicht jemand dafür gesorgt hätte, daß »Sie meinen, Sie dürfen ohne Beweisauf er betäubt wurde. So und nicht anders muß nahme seine Schuld feststellen und das es sich abgespielt haben, denn Atlan ist in Strafmaß nach eigenem Gutdünken festset einem ehrlichen Kampf unbesiegbar.« zen?« erkundigte er sich. »Steht nicht jedem »Niemand ist unbesiegbar«, warf Khoru Angeklagten das Recht zu, sich zu verteidi na Skapron ärgerlich ein. »Auch Atlan gen?« nicht.« »Normalerweise ja«, antwortete Skapron. Algonkin-Yatta schaute ihn mitleidig an. »Aber da Turketter seine Straftaten unter »Was wissen Sie schon von Atlan, Ska Ausnutzung des Kriegszustands zwischen pron! Sie kennen ihn nicht so gut wie ich.« Arkoniden und Maahks begangen hat, unter »Das erschien mir eben ziemlich unlo steht er der Kriegsgerichtsbarkeit – und für gisch, Kundschafter«, sagte die melodische ein Kriegsgericht genügt die Person eines Stimme der Psiotronik unverhofft. Flottenkommandeurs beziehungsweise auch »Außerdem möchte ich dich darauf hinwei die eines Schiffskommandanten, der auf sei sen, daß das Verschwinden Turketters aus nem Schiff ohnehin richterliche und aus seinem Stützpunkt die übrigen Piraten gegen übende Gewalt besitzt.« uns aufbringen muß. Ich rate dazu, gewisse Des Kundschafters Gesicht hellte sich et Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.« was auf. »Vorsichtsmaßnahmen!« wehrte der »Das Kriegsgericht muß also zur Aus Kundschafter verächtlich ab. »Wie könnte übung seiner Funktion auf dem Hoheitsge ich an Vorsichtsmaßnahmen denken, wenn
22 biet des Großen Imperiums zusammentreten, worunter auch jedes Raumschiff gehört, das dem Großen Imperium untersteht?« fragte er. »Das ist richtig«, gab der Arkonide zu. Algonkin-Yatta atmete auf. »Dann brauche ich weder einen Richter spruch noch eine Urteilsvollstreckung zuzu lassen, denn dieses Raumschiff gehört nicht zum Hoheitsgebiet des Großen Imperiums, sondern zu dem von Ruoryc – beziehungs weise zu dem des mathonischen Volkes.« »Aber das sind doch Haarspaltereien, Al gonkin-Yatta!« wehrte Khoruna Skapron ab. »Ihr Schiff befindet sich schließlich im Ho heitsgebiet des Großen Imperiums. Sie brau chen das Hoheitsrecht nur für die Dauer der Gerichtsverhandlung an das Große Imperi um abzutreten – und die Verhandlung wird sehr kurz sein.« »Das Hoheitsgebiet meines Volkes ist nicht manipulierbar, Skapron«, erklärte er. »Ich darf nicht zulassen, daß Turketter von Ihnen verurteilt wird und daß Sie dieses Ur teil vollstrecken. Da ich jedoch glaube, daß Ihre Anschuldigungen zu Recht bestehen, werde ich meinen Gefangenen festhalten und bei Gelegenheit an die Behörden des Großen Imperiums ausliefern.« »Und wenn er entkommt?« fragte Khoru na Skapron. »Außerdem muß sein Stütz punkt im Asteroiden vernichtet werden.« »Er wird nicht entkommen – und der Stützpunkt geht mich nichts an«, erwiderte der Kundschafter. »Darum mag sich Ihre Flotte kümmern. Ich muß weiter und nach Atlan suchen.« Ein Geruchssignal stieg in seine Nase und veranlaßte ihn, sich den Bildschirmen zuzu wenden. Das Alarmsignal hatte nicht getrogen. In der zerklüfteten und ausgeglühten Oberflä che des großen Felsbrockens hatten sich zahlreiche Öffnungen gebildet – und aus diesen Öffnungen jagten Gruppen schwerbe waffneter Männer in Raumanzügen, die mit ihren Flugaggregaten auf das Kundschafter schiff zuflogen.
H. G. Ewers Die Absicht der Piraten war Algonkin-Yat ta klar! Sie hatten die Anwesenheit seines Schiffes mit dem rätselhaften Verschwinden ihres Chefs in Verbindung gebracht und wollten das Schiff stürmen, um Orega Tur ketter zu befreien. »Abwehr!« sagte er. Da die Piraten in diesem Augenblick das Feuer aus ihren Handwaffen auf das Schiff eröffneten, blieb ihm keine Zeit mehr, der Psiotronik Anweisungen über die Art der Abwehr zu geben. Die Psiotronik reagierte deshalb nach eigenem Ermessen, da sie für den Schutz des Kundschafterschiffs und für die Sicherheit seiner Besatzung verantwort lich war. Sie projizierte einen starken Energie schirm um das Schiff und dehnte ihn schlag artig aus. Die Ausdehnung erfolgte mit sol cher Wucht, daß der Asteroid schwer er schüttert wurde. In seiner Oberfläche bilde ten sich zahlreiche neue Risse und Spalten, aus denen Staub und teilweise gefrorene Luft quoll. Von den Piraten, die das Kund schafterschiff hatten entern wollen, war nichts mehr zu sehen. Sekunden später legte das Kundschafter schiff vom Asteroiden ab und entfernte sich allmählich: »Angriff abgewehrt, Kundschafter«, sagte die Psiotronik. »Ich erwarte weitere Befeh le.« Algonkin-Yatta war betroffen darüber, daß so viele Lebewesen umgekommen wa ren, auch wenn ihm klar war, daß die Psio tronik in Notwehr gehandelt hatte. Er wollte ihr befehlen, sich mit mittlerer Beschleuni gung aus der unmittelbaren Nähe des Dubnayor-Systems zurückzuziehen. Doch bevor er dazu kam, erfolgte am Rand des Asteroiden eine Sprengung. Der Kundschafter sah, daß die schlagartig expandierenden Explosionsgase einen großen Felspfropfen aus dem Asteroiden in den Raum schleuderten – und unmittelbar hinter dem Felspfropfen erschien ein kleines raketenförmiges Raumschiff, dessen Form einem plattgedrückten Ei mit riesigen Stabi
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lisierungsflächen glich. Zuerst sah es aus, als wollte das Raum schiff fliehen, doch dann vollführte es mit Hilfe außergewöhnlich starker Korrektur triebwerke ein enges Wendemanöver. Im nächsten Augenblick blitzte es an mehreren Stellen des Schiffsrumpfes auf. Gleichzeitig schlugen grell leuchtende Strahlbahnen in den Energieschirm, der das Kundschafter schiff umgab. Sie wurden zwar abgewehrt, aber in dem Energieschirm wetterleuchtete es bedrohlich. »Das haben Sie davon, daß Sie die Piraten schonen wollten!« rief Khoruna Skapron zornig. »Schlagen Sie wenigstens jetzt zu rück, Algonkin-Yatta!« »Ein faszinierendes Schiff!« sagte der Kundschafter beinahe andächtig, während er ein Ausweichmanöver und das nächste An griffsmanöver des Piratenschiffs beobachte te. »Psiotronik, du wirst es nicht vernichten, sondern nur seine Feuerkraft schwächen, bis es die Stabilität unseres Schutzschirms nicht mehr gefährden kann!«
* Das Kundschafterschiff bewies, daß es mindestens genauso wendig war wie das kleine Piratenschiff. Während der nächsten Minuten kurvten die beiden Raumschiffe mit atemberauben den Manövern umeinander, während die Waffen des Kundschafterschiffs durch Punktbeschuß einen Geschützstand des Pira tenschiffs nach dem anderen ausschalteten. Algonkin-Yatta, Khoruna Skapron und Anlytha verfolgten gespannt das Gefecht. Dabei vernachlässigte Anlytha ihre Beein flussung des Piratenchefs. Niemand sah, daß Turketter aus dem Bann der psiotronischen Kräfte erwachte und die Situation ungewöhnlich schnell durchschaute. Ebenso schnell reagierte er mit der Kompromißlosigkeit und Kaltblütig keit des Piraten, der jederzeit bereit zu sein hatte, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
Erst, als Turketter die Strahlwaffe Khoru na Skaprons in der Hand hielt und einem Arm um Anlythas Hals schlang, während er ihr die Mündung der Strahlwaffe gegen die Seite drückte, wurden die drei Gefährten sich ihrer Nachlässigkeit bewußt. »Diesmal bestimme ich, was geschieht!« sagte Orega Turketter. »Ich nehme an, daß ich irgendwie beeinflußt wurde, so daß ich mich selbst zum Narren machte. Aber ich warne euch! Sobald ich auch nur noch den geringsten Einfluß bemerke, werde ich ab drücken!« Er musterte Khoruna Skapron von oben bis unten. »Ein Zweifacher Sonnenträger des Großen Imperiums!« Seine Stimme wurde sarkastisch. »Sie wären wohl wirklich gern ein Sternengott, wie?« Er blickte Algonkin-Yatta prüfend an. »Und ein Vertreter eines bislang unbe kannten Volkes. Sehr interessant! Weshalb mischt du dich in arkonidische Angelegen heiten, kleiner blauschwarzer Mann?« »Ich bin Algonkin-Yatta, Kundschafter von Ruoryc«, sagte der Kundschafter. »Unser Zusammentreffen war rein zufällig – und ich hätte mir nicht das Recht angemaßt, dich zu bestrafen. Aber jetzt sieht es anders aus, Turketter! Indem du Anlytha bedrohst, machst du dich eines Verbrechens auf dem Hoheitsgebiet des mathonischen Volkes schuldig.« Der Pirat lachte höhnisch. »Du sagst es, Kundschafter, die Lage ist anders als zuvor. Nur hat sie sich zu meinen Gunsten gewendet. Wenn du nicht willst, daß Anlytha – die offenbar deine Frau ist – etwas geschieht, mußt du zuerst diesen auf geblasenen Zweisonnenträger ausschalten und danach vor der Besatzung meines Schif fes kapitulieren. Vor allem aber hast du so fort das Feuer auf mein Schiff einzustellen!« »Sie können tun, was Sie wollen, Turket ter«, erklärte Khoruna Skapron. »Letzten Endes entgehen Sie Ihrer Strafe doch nicht – auch dann nicht, wenn Sie uns alle töten.« »Ha!« stieß der Pirat hervor. »Spielst du
24 etwa auf die Tüchtigkeit der Imperiumsflotte an, die es bisher nicht fertigbrachte, mir das Geschäft zu verderben!« Er wandte sich erneut an den Kundschaf ter. »Ich hatte dir befohlen, diesen Zweison nenträger auszuschalten!« sagte er drohend. »Wenn du meinen Befehl nicht sofort be folgst, werde ich abdrücken!« »Nimm keine Rücksicht auf mich, Algon kin!« sagte Anlytha. »Wegen mir soll dieser Verbrecher nicht davonkommen.« »Strukturerschütterung!« sagte die melo dische Stimme der Psiotronik. »Elf Raum schiffe, die vor kurzer Zeit vom vierten Pla neten starteten, sind soeben in unserer Nähe rematerialisiert und formieren sich offen sichtlich zum Angriff.« »Die Systemüberwachung!« rief Khoruna Skapron. »Selbstverständlich hat man auf den Planeten die Energieausbrüche beim Asteroiden angemessen und entsprechend reagiert. Man wird das Schiff Turketters und unseres für Raumschiffe konkurrierender Piraten halten, die sich hier einen Kampf lie fern – und man wird versuchen, beide Schif fe zu vernichten.« »Wer hat da gesprochen?« schrie Orega Turketter. »Sofort in die Zentrale mit allen anderen Besatzungsmitgliedern!« »Es handelt sich nicht um eine Person, sondern um die Psiotronik des Kundschaf terschiffs«, erklärte Algonkin-Yatta. »Das ist richtig«, sagte die Psiotronik. »Orega Turketter, für Ihr Verständnis bin ich so etwas wie ein Robotgehirn. Deshalb können Sie mich zu nichts zwingen. Ich werde die Kommandanten der elf anfliegen den Raumschiffe darüber unterrichten, wer wir sind und wer sich auf Ihrem Schiff be findet.« Der Pirat nahm die Strahlwaffe von Anly thas Seite und zielte auf die Stelle, aus der die Stimme der Psiotronik gekommen war. »Ein Bordgehirn ist nicht unverwundbar!« stieß er grimmig hervor und sah sich mit wildem Blick um. »Ich werde deine emp findliche Stelle treffen, entweder beim er-
H. G. Ewers sten Schuß oder beim dritten oder vierten!« Anlytha und Algonkin-Yatta erkannten ihre Chance gleichzeitig – und sie handelten sofort. Während Anlytha den Piraten mit ihren psiotronischen Kräften überfiel, schnellte sich der Kundschafter aus dem Stand heraus vorwärts, drehte sich dabei so blitzschnell, daß ein Arkonide die Bewegung gar nicht wahrnehmen konnte, und traf die rechte Hand Turketters mit dem Fuß. Er hatte wegen der notwendigen Schnel ligkeit seine Körperkraft, die wegen seiner Teilanpassung an die Extremverhältnisse von Ruoryc der einer großen Raubechse ent sprach, voll einsetzen müssen. Als Folge da von flog Turketter aufschreiend zurück, ließ dabei Anlythas Hals los und stürzte schwer auf seine zerschmetterte rechte Hand. Khoruna Skapron handelte etwas später als Anlytha und der Kundschafter – und er handelte so, wie er als Offizier der Imperi umsflotte handeln zu müssen glaubte. Er sprang ebenfalls aus dem Stand, schnellte sich auf seine Waffe zu, die dem Piraten entfallen war, hob sie auf, feuerte noch im Liegen und tötete Orega Turketter.
* Algonkin-Yatta, Anlytha und Khoruna Skapron wiederum fanden keine Zeit, beim Ende des Piraten etwas zu empfinden, denn die Raumschiffe der Systemüberwachung waren inzwischen bis auf Gefechtsdistanz herangekommen und eröffneten warnungs los das Feuer aus sämtlichen Energiege schützen. Khoruna Skaprons Vorhersage bewahr heitete sich, denn sie schossen nicht nur auf das Piratenschiff, sondern auch auf das Schiff des Kundschafters. Abermals wetter leuchtete es im Schutzschirm. Die Ener gieblase verformte sich bedenklich. »Gemeinheit!« schimpfte Anlytha. »Sie fragen nicht einmal, wer wir sind! Gib ihnen die gebührende Antwort, Algonkin!« Algonkin-Yatta setzte sich vor die Haupt
Die Zeitkapsel kontrollen und schaltete wortlos. »Wollen Sie tatsächlich auf Raumschiffe des Großen Imperiums schießen?« fragte Khoruna Skapron. »Ich könnte es zwar ver stehen, aber eigentlich dürfte ich es nicht zu lassen.« Der Kundschafter lächelte – bis sein Schiff den Steuerbefehlen gehorchte und für seine Gefährten ersichtlich wurde, daß seine Schaltungen ein Ausweichmanöver bewirkt hatten, das das Schiff auf einen Kurs brach te, der vom Gegner und vom Dubnayor-Sy stem wegführte. Einige Schiffe der Systemüberwachung folgten ihm eine Weile, kehrten aber um, als sie merkten, daß die Entfernung zum flüch tenden Schiff sich trotz maximaler Be schleunigungswerte unaufhaltsam vergrö ßerte. Das Piratenschiff geriet dagegen in Be drängnis. Seine Besatzung begriff offenbar zu spät, daß Orega Turketter nicht mehr zu helfen war – und entsprechend spät faßte sie den Entschluß, ebenfalls zu fliehen. Aber da war ihr Schiff so eingekreist, daß der Flucht versuch im konzentrierten Feuer von Strahl geschützen scheiterte. Die drei Personen im Kundschafterschiff sahen, wie weit hinter ihnen ein grellweißer Glutball im All aufging, sich ausdehnte und innerhalb weniger Sekunden verblaßte. Khoruna Skapron registrierte es mit tiefer Befriedigung. »Wir sind der Auslöser für die Vernich tung des Piratenstützpunkts gewesen«, sagte er stolz. Dann beugte er sich vor und mu sterte die Kontrollen, die er inzwischen ebenso gut verstand wie der Kundschafter selbst. »Aber Sie beschleunigen ja immer noch, Algonkin-Yatta!« »Was sollte ich Ihrer Meinung nach sonst tun, Skapron?« fragte der Kundschafter. »Wir könnten aus sicherer Entfernung Funkkontakt mit der Systemüberwachung aufnehmen und erklären, wer wir sind«, ant wortete der Arkonide. »Sobald man mich identifiziert, gibt es keine Schwierigkeiten mehr für uns.«
25 »Unter anderen Umständen wäre ich auch dafür«, erwiderte Algonkin-Yatta. »Aber ich suche nach Kristallprinz Atlan – und ich be zweifle, daß die Systemüberwachung mir dabei helfen könnte. Folglich setzen wir uns erst einmal aus diesem Raumsektor ab, denn es ist zu erwarten, daß die Systemüberwa chung Raumschiffe der Flotte alarmiert hat, damit sie uns den Fluchtweg verlegen. Es widerstrebt mir, auf Arkoniden zu schießen, nur weil sie unüberlegt handeln. Schließlich gehören sie zum gleichen Volk wie Atlan.« Er berührte einen Sensorpunkt. Das Kundschafterschiff verschwand von einem Augenblick zum andern aus dem normalen Kontinuum und ging zum Interdimensions flug über. Algonkin-Yatta schaltete nur auf ein Mi nimum der erreichbaren Geschwindigkeit. Er wollte sich nicht zu weit von dem Raum sektor entfernen, zu dem das Dubnayor-Sy stem gehörte, denn er mußte irgendwo ver suchen, die Spur Atlans wieder aufzuneh men. Er wußte, daß die Suche sich wahrschein lich schwieriger gestalten würde als zuvor. Falls Kristallprinz Atlan sich in der Gewalt Unbekannter befand, die ihn aus unerfindli chen Gründen hatten »sterben« lassen, um ihn mit unbekanntem Ziel zu entführen, ver mochte er keine eigenen Aktivitäten zu ent wickeln, an denen sich seine Spur wiederfin den ließ. Doch er dachte nicht einmal daran, aufzugeben. Schon wollte er den Interdimensionsflug wieder beenden, als sein Schiff plötzlich aus dem Kurs gerissen wurde und ohne eigenes Dazutun beschleunigte. Das graue nebelhaf te Etwas, das sonst beim Interdimensions flug auf den Bildschirmen zu sehen war, verschwand und wurde von einer scheinbar unendlichen Masse winziger glühender Punkte abgelöst. Daran, daß die Glutpunkte nicht optisch zu einer Kugelschale ver schmolzen, sondern mit zunehmender Ent fernung ihre Abstände nur um maximal rund neun Zehntel verringerten, erkannte der Kundschafter, daß ihre Masse und ihre Aus
26 dehnung endlich war. Doch das war nicht das primäre Problem für ihn. »Kannst du erkennen, welche Kraft das Schiff aus dem Kurs gerissen hat, Psiotro nik?« fragte er. »Die Sensoren des Schiffes messen einen schwarzen Schlund aus sechs-dimensionaler Energie an, Kundschafter«, antwortete die Psiotronik. »Er scheint gleich einem giganti schen Strudel zu rotieren und saugt das Schiff in sich hinein.« »Volle Gegenbeschleunigung!« befahl Algonkin-Yatta. »Ausführung: volle Gegenbeschleuni gung«, erwiderte die Psiotronik. Das Kundschafterschiff vibrierte, als die Kraftwerke, die die Energie für die Kugel felder, in denen Materie und Antimaterie miteinander reagierten und die ungeheueren Energien für den Interdimensionsantrieb er zeugten, lieferten, auf Vollast und schließ lich auf Überlastung geschaltet wurden. Doch der Erfolg blieb aus. Stattdessen be gann die Schiffszelle zu rütteln, was anfangs nur von der Psiotronik registriert und gemel det wurde. Als das Rütteln sich aber so ver stärkte, daß es von den Absorberfeldern nicht mehr voll kompensiert werden konnte, machte es sich direkt bemerkbar. Überall klirrten Instrumentenverkleidungen, und die drei Personen in der Steuerzentrale hielten sich unwillkürlich an den Seitenlehnen ihrer Sessel fest. »Was ist das?« schrie Khoruna Skapron, um den Lärm zu übertönen. »Kein Kundschafter hat je so etwas erlebt, sonst hätte es MYOTEX gewußt«, antworte te Algonkin-Yatta. »Psiotronik, schalte den Interdimensionsantrieb ab!« »Ausgeführt, Kundschafter«, meldete die Psiotronik wenig später. »Aber das Schiff fällt nicht in den Normalraum zurück.« Die letzten Worte waren kaum zu verste hen, denn das Rütteln hatte sich so verstärkt, daß praktisch alles im Schiff in harte Schwingungen versetzt wurde. Anlytha wur de durchgeschüttelt, klammerte sich ver-
H. G. Ewers zweifelt fest und wimmerte. Khoruna Ska pron beging den Fehler, aufstehen zu wol len. Er wurde zu Boden geschleudert. Die Psiotronik sagte etwas, das aber nur als Klirren gehört werden konnte. »Alle Antriebssysteme aus!« schrie Al gonkin-Yatta mit voller Stimmenkraft. Aber er wußte nicht, ob die Psiotronik ihn überhaupt noch hören konnte. Er wußte nur, daß das Schiff auseinanderfallen würde, wenn das Rütteln sich weiter verstärkte. Sei ne Gefährten und er würden es aber nicht miterleben, weil sie schon vorher umkom men mußten.
6. Das System bestand aus einer großen grü nen Sonne, die von achtzehn Trümmerrin gen auf unterschiedlichen Bahnen umkreist wurde. Es war ein ebenso einzigartiges wie un heimliches Sonnensystem, denn nach den physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Uni versums hätte es so nicht zustande kommen dürfen. Die Tatsache, daß es dennoch so be stand, ließ nur den Schluß zu, daß von außen kommende Kräfte brutal eingegriffen und das Werk der Natur verändert hatten. Vielleicht hatte es auf den achtzehn Pla neten, die sich vor unbekannter Zeit in Trümmer verwandelten, sogar Leben gege ben – und auf einem möglicherweise intelli gentes Leben. Aber wie auch immer, es konnte die Katastrophe nicht überdauert ha ben – es sei denn, das intelligente Leben wä re vor der Katastrophe befähigt gewesen, in terstellare Raumfahrt zu betreiben. Dann hätten sich einige tausend oder auch einige Millionen Individuen retten können und vielleicht – unter besonders günstigen Um ständen – anderswo eine neue Zivilisation aufgebaut. Wenn es sich so verhielt, dann kamen ihre Nachkommen eines Tages sicher auf den Gedanken, das Sonnensystem aufzusuchen, aus dem ihre Ahnen stammten. Vielleicht gehörte ihnen das seltsame
Die Zeitkapsel Fahrzeug, das soeben beim fünften Trüm merring materialisiert war … Es handelte sich um eine Konstruktion aus silbrig schimmerndem Material, die aus einer zu einem großen Ring geformten Röh re bestand, auf der an Streben ein eiförmiger Körper verankert war. Aber bei der seltsamen Konstruktion tat sich nichts. Sie schwebte – relativ zu dem fünften Trümmerring – bewegungslos im Weltraum. Kein Lichtstrahl fiel aus ihr, und niemand stieg durch eine Öffnung aus. Das Auftauchen des Fahrzeugs schien ohne Sinn zu sein. Eine halbe Umdrehungsdauer um die grü ne Sonne veränderte sich nichts. Doch dann geschah etwas, das noch viel unheimlicher wirkte als dieses Sonnensystem. Die Umrisse des fünften Trümmerrings verschwammen, schienen sich zu einem gelblich leuchtenden Nebel zu formen, der sich unglaublich schnell zusammenzog und zu einem mattleuchtenden kugelförmigen Gebilde von der Größe eines mittleren Pla neten wurde, das genau neben dem seltsa men Fahrzeug schwebte. Doch das war noch nicht alles. Plötzlich schossen von allen Seiten bizar re Leuchtflecke heran. Es war nicht festzu stellen, woher sie kamen. Sie schienen ein fach da zu sein. Und sie interessierten sich offensichtlich für das seltsame Fahrzeug, denn das war ihr eigentliches Ziel. Als sie es erreicht hatten, begannen sie einen gespen stisch anmutenden Tanz, wobei einzelne Ex emplare immer wieder blitzschnell auf das Fahrzeug zuschossen, eine Weile an seiner glatten Oberfläche verharrten und danach wieder zurückwichen. Ein intelligenter Beobachter hätte aus dem Verhalten der Leuchtflecke vielleicht geschlossen, daß sie versuchten, in das selt same Fahrzeug einzudringen – und daß ihre Versuche immer wieder scheiterten. Ob er daraus auch auf eine bewußt denkende und planende Intelligenz der Leuchtflecken ge schlossen hätte, wäre von seiner Mentalität abhängig gewesen.
27 Auf jeden Fall aber hätte er sich wahr scheinlich gehütet, ihnen und dem seltsamen Fahrzeug – und wahrscheinlich auch dem nebelhaften planetenförmigen Gebilde – zu nahe zu kommen. Nach einiger Zeit, in der die Konturen des planetenförmigen Gebildes mehrfach ver schwammen und zu einer Art Ringnebel zer flossen – und umgekehrt –, strebten die Leuchtflecken auseinander, als gehorchten sie einem nur für sie wahrnehmbaren Signal. Und in einer bestimmten Entfernung von dem seltsamen Fahrzeug verschwanden sie so plötzlich, als hätte es sie nie gegeben …
* Unter Anspannung aller Kräfte stemmte sich Algonkin-Yatta aus seinem Sessel, während um ihn die Innenzelle des Schiffes einen wahren Höllenspektakel vollführte. Längst vermochte der Kundschafter nicht mehr festzustellen, ob das Dröhnen, Rattern, Knirschen und das infernalische Pfeifen durch das Rütteln seines Schiffes ausgelöst wurde oder auch durch die überlasteten Kraftstationen. Es war ihm im Grunde genommen auch egal. Er bewegte sich taumelnd vorwärts, ließ sich neben dem hin- und herrollenden Körper Anlythas auf die Knie fallen und hob seine Begleiterin auf, um sie mit seinen star ken Armen vor den schlimmsten Erschütte rungen und vor herumfliegenden Transpa rentverkleidungen zu schützen. Dabei war er sich klar darüber, daß die Si cherheit, die Anlytha in seinen Armen fand, nicht nur relativ, sondern auch befristet war. Früher oder später mußte das Kundschafter schiff trotz seiner ungeheuer stabilen Innen zelle und trotz der energetischen Struktur der Außenhülle auseinander fallen. Besten falls blieb die Außenhülle stabil; sie wäre dann aber nicht mehr als ein Behälter für die Trümmer der übrigen Schiffsteile. Der Kundschafter ließ sich diese Gedan ken einigermaßen gelassen durch den Kopf gehen. Noch vor wenigen Minuten hatte ihn
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die Furcht vor dem jähen Ende seiner Exi stenz beinahe gelähmt. Doch das war eine Schwelle, die hinter ihm lag. Er hatte erken nen müssen, daß nicht nur die Sicherheit des Lebens, sondern seltsamerweise auch die Si cherheit des Todes Kraft und Ruhe verlieh. Doch als er den Kopf senkte und in Anly thas Gesicht sah, dessen fliederfarbene Haut eine graue Tönung angenommen hatte, ver spürte er Schmerz – Schmerz darüber, daß er sie nicht vor dem Tod bewahren konnte. Mit großer Anstrengung löste er einen Arm von ihr, strich ihr mit der Hand über die Stirn und flüsterte – unhörbar in dem To ben entfesselter Gewalten: »Ich bleibe bei dir, mein Kleines – ich lie be dich mit der ganzen Kraft meines Her zens, auch wenn diese Liebe immer nur auf den rein geistigen Bereich beschränkt ge blieben wäre.« Rasch schob er den zweiten Arm wieder unter sie, als ihr Körper zuckte. Plötzlich ho ben sich ihre zarten Lider, und ihre außerge wöhnlich klaren Augen schienen ihn anzu schauen. Dann sanken die Lider wieder her ab, und Anlytha erschlaffte in seinen Armen. »Anlytha!« rief Algonkin-Yatta angstvoll. Sie antwortete nicht. Stattdessen wurde die Schiffszelle von einem so furchtbaren Ruck erschüttert, daß der Kundschafter den Halt verlor und auf dem Rücken durch die Zentrale rutschte. Aber er ließ Anlytha nicht los. Sekunden später prallte er mit dem Kopf gegen eine Stahlplastikwand. Das war selbst für seine ungewöhnlich starke Kondition zuviel. Er verlor das Be wußtsein. Deshalb merkte er nicht mehr, daß sein Schiff von dem »unteren« Ende des schwarzen Strudels ausgespien wurde und plötzlich ruhig lag.
* Als Algonkin-Yatta wieder zu sich kam, galt sein erster Gedanke Anlytha. Er spürte, daß sie nicht mehr in seinen Ar men lag, und wurde von der Sorge ergriffen, er könnte sie bei dem harten Anprall fallen-
gelassen haben, und sie wäre schwer verletzt oder gar tot. Deshalb richtete er sich auf, be vor seine Augen wieder halbwegs klar sa hen. Der Schmerz in seinem Schädel ließ ihn wieder zurücksinken. Aber sogleich richtete er sich abermals auf, nur vorsichtiger dies mal. Der Schmerz stach erneut durch seinen Schädel, aber er war jetzt darauf gefaßt und ertrug ihn besser. Sein Blick hatte sich in zwischen wieder geklärt, so daß er sehen konnte, wie es in seiner Umgebung aussah. Der Anblick war längst nicht so schlimm, wie er befürchtet hatte. Mehrere Abdeck platten hatten sich gelöst, sämtliche Trans parentverkleidungen waren geborsten und hatten ihre abgerundeten Splitter überall ver streut und etwa ein Viertel aller Kontrollam pen war dunkel. Doch das alles interessierte den Kund schafter nicht mehr, als er Anlytha sah. Seine rätselhafte Begleiterin kam durch das Schott, das in halbgeöffneter Stellung stehengeblieben war. Hinter ihr schwebte, mit dem eingebeulten hinteren Ende auf dem Boden schleifend, ein zylindrisch geformtes, rosa schimmerndes mobiles Medosystem. Als Anlytha den Kundschafter in sitzender Haltung erblickte, rief sie mit halber stickter Stimme seinen Namen und eilte auf ihn zu. »Oh, Algonkin!« flüsterte sie. »Ich hatte Angst um dich. Du sahst so leblos aus – und dein Hinterkopf ist voller Blut.« Algonkin-Yatta faßte sich mit einer Hand an den Hinterkopf. Als er sie wieder hervor zog, war sie mit halbgeronnenem blauroten Blut beschmiert. Er lächelte. »Sicher nur eine Platzwunde, Anlytha. Kümmern wir uns zuerst um den Arkoniden, ja?« Er stand auf. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor Augen, aber das ging schnell vorbei. Jetzt sah er auch, daß die Bildschirme der Zentrale tot waren. »Psiotronik?« rief er. Ein krächzendes Geräusch ertönte, dann
Die Zeitkapsel sagte eine blechern klingende Stimme: »Ich bin noch da, Kundschafter. Aber ent schuldige mich bitte, bis ich wenigstens meinen Sprechapparat wieder repariert habe. Ich klinge gar nicht amüsant. Übrigens habe ich die Reparaturschaltungen aktiviert. All mählich wird das Schiff wieder in Ordnung kommen.« »Nein, du klingst wirklich nicht amüsant«, gab Algonkin-Yatta zu. Er ent sann sich seines Vorsatzes und sah sich nach dem Arkoniden um. Khoruna Skapron lag schlaff wie ein Kleiderbündel unterhalb des Schaltpults für die manuelle Maschinenkon trolle. Sein rechtes Bein wirkte verdreht. Als der Kundschafter neben ihm nieder kniete und seinen Puls fühlte, erschrak er. »Der Puls ist kaum noch spürbar«, sagte er. »Medosystem, hierher! Untersuchen und möglichst schnell behandeln!« Der rosa schimmernde Zylinder schwebte näher, streckte mehrere Prüftentakel aus und berührte mit den saugnapfähnlichen Aus buchtungen an ihren Enden verschiedene Stellen von Skaprons Körper. »Diagnose!« forderte Algonkin-Yatta un geduldig. Das Medosystem ließ sich nicht antrei ben; es führte seine Untersuchungen mit peinlicher Sorgfalt zu Ende, bevor er ant wortete. »Starke innere Blutungen in der Bauch höhle, Riß des rechten Lungenflügels, Quet schung des Herzens, drei komplizierte und sieben glatte Knochenbrüche, Quetschung des Stirnlappens, aber keine Blutung im Be reich des Zentralnervensystems«, sagte es sachlich. Es fuhr Behandlungstentakel aus. »Die Sofortbehandlung besteht in einer Stüt zung von Kreislauf und Atmung, Absaugung der Blutgerinsel aus den Bronchien. An schließend ist der Patient sofort in eine Re generationskammer zu bringen.« »Wie sind seine Aussichten?« erkundigte sich der Kundschafter. »Im großen und ganzen gut. Die Voraus sage hinsichtlich bleibender Schäden im Stirnlappenbereich kann erst später erfolgen,
29 aber es wird keine irreparable Schädigung erwartet.« »Schlimm genug ist es für ihn«, meinte Anlytha, während das Medosystem den Ar koniden mit seinen Transporttentakeln an hob und abschleppte. »Er wird es schon schaffen«, sagte Algon kin-Yatta. »Die Regenerationskammern ei nes Kundschafterschiffs sind sehr leistungs fähig.« Er faßte Anlytha zart um die Hüften. »Ich bin sehr froh, daß dir nichts weiter passiert ist, Anlytha.« »Du hast mich gerettet, denke ich«, erwi derte Anlytha. »Als ich zu mir kam, hieltest du mich immer noch umschlungen. Ich hatte Mühe, mich aus deinem starken Griff zu be freien.« »Ich als der körperlich Stärkste hatte ein fach die Pflicht, dich zerbrechliches Wesen zu beschützen«, antwortete der Kundschaf ter verlegen. Anlytha lächelte zärtlich und strich ihm über die Wange, deren Haut so fest wie das Material eines Raumanzugs war. »Ich liebe dich auch, Algonkin – und mir macht es auch nichts aus, daß unsere Liebe auf den geistigen Bereich beschränkt bleiben muß.« Algonkin-Yatta wurde noch verlegener. »Du hast gehört, was ich zu dir sagte?« »Nicht gehört, glaube ich«, erwiderte An lytha. »Aber als ich erwachte, wußte ich ge nau, was du gesagt oder gedacht hattest.« »Gesagt oder gedacht?« fragte der Kund schafter überrascht. »Meinst du, du hättest mich auch verstanden, wenn ich das nur ge dacht hätte? Aber du hast nie etwas davon gesagt, daß du Gedanken lesen kannst.« »Das kann ich auch nicht – normalerweise nicht«, sagte Anlytha. »Aber möglicherwei se vermag ich in Extremsituationen Gedan ken aufzufangen und zu verstehen, wenn sie besonders intensiv sind. Jedenfalls danke ich dir, Algonkin.« Der Kundschafter blinzelte, als wäre ihm ein Sandkorn in die Augen geflogen. »Ich möchte nur wissen, wo wir uns be
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finden«, sagte er ablenkend. »Möglicherweise im Normalraum, aber da die Instrumente nichts anzeigen, gibt es vor erst keine Gewißheit.« »Was war das, das uns so sehr zugesetzt hat?« erkundigte sich Anlytha. »Ein energetischer Strudel«, antwortete der Kundschafter nachdenklich. »Beziehungsweise ein Schlund aus sechsdi mensionaler Energie. Ich frage mich nur, ob es sich dabei um ein natürliches Phänomen handelte oder um das Produkt anderer Lebe wesen. In letzterem Fall müssen es Lebewe sen sein, die meinem Volk und vielleicht so gar MYOTEX in technisch-wissen schaftlicher Hinsicht weit überlegen sind.«
7. Die Bildschirme flackerten, dann wurden sie hell und zeigten die Umgebung des Kundschafterschiffs. Algonkin-Yatta erblickte das Abbild einer großen, grünen Sonne, aber er sah es wie durch einen Staubschleier kosmischen Aus maßes. Doch das erschien ihm nicht so wichtig wie die Feststellung, daß auf den üb rigen Bildschirmen der Außenbeobachtung der sternenübersäte Hintergrund zu sehen war, der charakteristisch für das Bild war, das sich einem Beobachter innerhalb einer Galaxis bot. »Wir sind wieder im Normalraum, nicht wahr?« erkundigte sich Anlytha. Anstelle des Kundschafters sagte die Psiotronik – mit fast wieder normal klingender Stimme: »Das stimmt, aber eine Positionsbestim mung ist leider noch nicht möglich, da von hier aus keine der sichtbaren Konstellatio nen eingeordnet werden können.« »Kannst du rekonstruieren, wie wir aus dem schwarzen Schlund herausgekommen sind, den du mir zuletzt beschrieben hattest, Psiotronik?« fragte Algonkin-Yatta. »Indem ich die Antriebssysteme stillegte, Kundschafter«, antwortete die Psiotronik. »Es tut mir leid, daß ich diese Maßnahme so
lange hinauszögerte. Der Grund war, daß ich in der Sogwirkung des schwarzen Schlundes einen Angriff sah, gegen den ich Schiff und Besatzung mit allen Mitteln verteidigen wollte – und das ging eben nur, indem ich mit voller Kraft gegenbeschleunigte.« »Mein Befehl zur Stillegung der Antriebs systeme ist also fast zu spät gekommen«, meinte der Kundschafter. »Ich habe keinen Befehl von dir erhalten – oder wegen des Lärms keinen Befehl ge hört, Kundschafter«, erklärte die Psiotronik. »Es war vielmehr Anlytha, die mich zur Stil legung veranlaßte.« »Ich?« fragte Anlytha verwundert. »Davon weiß ich gar nichts. Außerdem dachte ich immer, ich wäre nicht autorisiert, dir Befehle zu erteilen – jedenfalls nicht oh ne ausdrückliche Zustimmung Algonkins.« »Das ist richtig«, erwiderte die Psiotronik. »Aber du hast auch keinen Befehl ausge sprochen. Vielmehr ging ein kurzer, aber sehr starker psionischer Impuls von dir aus, der auf Passivität drängte. Er gab den Aus schlag, meine entsprechenden Überlegungen zur Entscheidungsreife zu treiben.« Anlytha blickte den Kundschafter hilfesu chend an. »Aber wie kam ich dazu, Algonkin? Kannst du mir sagen, weshalb ich die Psio tronik mit einem psionischen Impuls beein flussen konnte?« Algonkin-Yatta lächelte verlegen und sag te: »Ich weiß es nicht, aber ich vermute, daß du zur Impulsabgabe angeregt wurdest, als ich etwas zu dir sagte, aus dem du Kraft schöpfest.« »Ich erinnere mich, daß von Liebe die Re de war – ob nun nur in Gedanken oder aku stisch«, flüsterte Anlytha. »Meinst du das?« Der Kundschafter schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, es war meine Versiche rung, daß ich bei dir bleiben würde, Anlytha. Daraus mußt du unbewußt erkannt haben, daß ich mit dir sterben könnte – und erst das gab dir die Kraft, dich gegen das Verhängnis zu wehren. Ich danke dir, mein Kleines.«
Die Zeitkapsel »Sehr interessant«, bemerkte die Psiotro nik. »Ich schließe aus euren Worten, daß zwischen euch eine sehr starke emotionelle Bindung besteht, aus der ihr beide viel Kraft schöpft. Es ist bedauerlich, daß ich nicht in der Lage bin, derart starke emotionelle Re gungen zu empfinden.« Algonkin-Yatta lachte. »Ich vermute, daß du dieses Stadium noch erreichen wirst, Psiotronik. Immerhin kannst du schon Bedauern empfinden und kannst dich über etwas amüsieren. Das sind eben falls emotionelle Regungen – und eigentlich dürfte ein kybernetisches System so etwas gar nicht haben.« »Ich bin nicht nur ein kybernetisches, sondern ein psionisch-kybernetisches Sy stem, Kundschafter«, wandte die Psiotronik ein. Ihre Stimme hatte inzwischen den vol len melodischen Klang zurückerhalten. Der Kundschafter runzelte die Stirn. »Wenn mich nicht alles täuscht, war das eben eine Regung, die man Eitelkeit nennt«, meinte er. »Aber wenden wir uns unserer Si tuation zu. Die Anzeigen in der Zentrale funktionieren noch immer nicht einwandfrei, so daß ich nur auf die Bildschirme angewie sen bin. Das ist jedoch bei Entfernungen im Weltraum unzulänglich. Kannst du mit den Sensoren feststellen, was es außer dieser grünen, nebelhaft verschleierten Sonne in unserer Nähe noch gibt, Psiotronik?« »Meine Direktverbindung zu den Außen sensoren arbeitet fehlerfrei«, sagte die Psio tronik. »Das, was du als Verschleierung der großen grünen Sonne siehst, Kundschafter, beruht auf der lichtabsorbierenden Wirkung von achtzehn Trümmerringen, die um die Sonne kreisen. Da die Trümmer überwie gend aus kleinen Partikeln bestehen, wirken sie staub- beziehungsweise nebelartig – je denfalls aus großer Entfernung. Übrigens habe ich festgestellt, daß die Entfernungen zwischen den Trümmerringen den Entfer nungen entsprechen, die bei diesem Sonnen typ charakteristisch für Planeten sind.« »Planeten«, wiederholte der Kundschafter nachdenklich. »Sollten diese achtzehn Ringe
31 die Trümmer von Planeten sein, die früher die grüne Sonne umkreisten? Aber welche Kraft hat sie dann derartig zertrümmert?« Darauf antwortete weder die Psiotronik noch Anlytha, denn eine Antwort erübrigte sich für Wesen oder Maschinen, die mit den Gesetzmäßigkeiten des Universums vertraut waren. Algonkin-Yatta sprach es aus. »Nur Lebewesen im Besitz einer hochent wickelten Technik und entsprechender Zer störungsinstrumente können dazu fähig ge wesen sein – und diese Definition trifft auch auf die Lebewesen zu, die den schwarzen Schlund erschaffen haben.« »Demnach wären wir in der Gewalt dieser Lebewesen«, stellte Anlytha fest und er schauderte. »Wir werden sehen«, erwiderte der Kund schafter. »Zum erstenmal seit meiner Tätig keit als Kundschafter bin ich nicht begierig auf einen Kontakt mit anderen Lebewesen.«
* Da die Instrumente in der Steuerzentrale noch immer nichts Genaues anzeigten, such ten Algonkin-Yatta und Anlytha das Rege nerationszentrum des Kundschafterschiffs auf. Die Medozentrale, von der auch alle mo bilen Medosysteme gesteuert wurden, war ein auf biologisch-medizinische Belange spezialisiertes Robotgehirn, das über keine psionische Komponente verfügte. Das war für die Erfüllung seiner Funktionen aller dings auch nicht erforderlich. Auf Algonkin-Yattas Befehl schaltete die Medozentrale ein Monitorsystem ein, und auf einem Bildschirm erschien die Wieder gabe der Regenerationskammer, in der Khoruna Skapron untergebracht worden war. Der Arkonide war nur schattenhaft in der Emulsion zu erkennen, die ihn völlig ein hüllte und teilweise ausfüllte. Es war eine biologisch aktive Emulsion, dazu befähigt, sich schnell an Patienten anzupassen, deren
32 Metabolismus sich von denen der Mathoner unterschied. Sie übernahm auch die direkte Sauerstoffversorgung des Patienten – hätte aber auch bei einem Maahk die Wasserstoff versorgung zum Zweck der Aufrechterhal tung der Zellatmung übernommen. »Welche Fortschritte macht die Regene rierung?« erkundigte sich der Kundschafter. »Die Fortschritte sind als befriedigend zu bezeichnen«, antwortete die Medozentrale. »Warum nicht als gut?« fragte der Kund schafter. »Das vordere Stirnhirn hat mehrmals Im pulse ausgesandt, die im Rautenhirn zur Blockierung der Atmungs- und Kreislaufre gulation führten«, antwortete die Medozen trale. »Dadurch kam es jedesmal zu einem komatösen Zustand, der nur durch das direk te Angreifen neuro-aktiver Emulsionssub stanzen überwunden werden konnte.« Algonkin-Yatta runzelte die Stirn. Bevor er seine Überlegungen zu einem Ende gebracht hatte, warf Anlytha ein: »Das kann aber keine Folge der Quet schung des vorderen Stirnlappens sein! Schlimmstenfalls würde das zum Ausfall der Stirnlappenfunktion führen, aber niemals zur Beeinflussung anderer Hirnfelder.« Der Kundschafter sah seine Begleiterin verwundert an. »Ich kann mich nicht erinnern, mit dir über biologische und medizinische Einzel heiten gesprochen zu haben. Woher hast du deine Kenntnisse?« Anlytha wurde sehr nachdenklich. »Ich weiß es nicht, Algonkin. Es war ein fach da.« Die Augen des Kundschafters leuchteten auf. »Du hast sie aus deinem eigenen Gedächt nis bezogen!« rief er freudig erregt aus. »Das ist ein Beweis dafür, daß deine Amne sie allmählich abklingt. Eines Tages wirst du sicher wieder alles aus deiner Vergangenheit wissen.« »Ob ich froh darüber sein werde?« meinte Anlytha zaghaft. Dann wurde sie plötzlich energisch. »Aber was reden wir da über
H. G. Ewers mich! Überlegen wir lieber, wie Skaprons Stirnhirn dazu kommt, Impulse zur Beein flussung des Rautenhirns auszusenden. Das widerspricht allen natürlichen Gegebenhei ten.« Algonkin-Yatta nickte. »Hast du eine Erklärung dafür, Medozen trale?« »Keine, die sich jetzt schon beweisen lie ße«, antwortete die Medozentrale. »Es er scheint lediglich logisch, daß eine widerna türliche Funktionsweise durch modifizierende äußere Einflüsse angeregt wurde. Im Fall Khoruna Skaprons käme hinzu, daß diese Funktionsweise schlafend angelegt wurde und erst durch die Folgen der Stirnlappen quetschung erwachte.« Der Kundschafter blickte seine Begleite rin bedeutungsvoll an. »Im Klartext hieße das, Skapron ist von irgendwem manipuliert worden. Ich be zweifle, daß das zu dem Zweck geschah, ihn irgendwann Selbstmord begehen zu lassen. Die Quetschung muß die ursprüngliche Mo difizierung, die wahrscheinlich einer Pro grammierung gleichkommt, verändert ha ben. Bleibt die Frage, wozu Khoruna Ska pron ursprünglich programmiert wurde – und von wem.« »Vielleicht von den Maahks – während er ihr Gefangener war«, überlegte Anlytha laut. »Das wäre möglich«, sagte der Kund schafter. »Aber das löst nicht das eigentliche Problem.« Er wollte noch mehr sagen, aber da mel dete sich die Psiotronik über die Rundrufan lage. »Draußen geht etwas Seltsames vor, Kundschafter. Die Umrisse des fünften Trümmerrings verschwimmen. Sie scheinen sich dabei zu einem gelblich leuchtenden Nebel zu verformen, der sich zusammen zieht.« »Hast du eine Erklärung dafür?« fragte Algonkin-Yatta. »Es läßt sich mit den bekannten physikali schen Gesetzen des Universums nicht erklä ren«, antwortete die Psiotronik. »Aber da es
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geschieht, muß es einer Gesetzmäßigkeit ge horchen.« »Ich komme in die Zentrale«, erklärte der Kundschafter. »Beobachte inzwischen wei ter und steure das Schiff dichter heran!«
* Als der Kundschafter mit Anlytha in die Steuerzentrale zurückkehrte, befand sich das Schiff bereits mitten im System der Trüm merringe. Schräg unter ihm war auf einem Bild schirm ein gelblich leuchtender Nebel zu se hen, der sich fast zu einer Kugel zusammen gezogen hatte und sich weiter zusammen zog. »Wie groß ist die Ballung?« fragte Algon kin-Yatta ahnungsvoll. »Neunzehntausend Kilometer Durchmes ser – abnehmend«, antwortete die Psiotro nik. Algonkin-Yatta setzte sich in einen Ses sel. »Also der Durchmesser eines mittel großen Planeten«, stellte er fest. »Ich will einmal die Überlegung ausklammern, wieso sich ein Trümmerring zur Gestalt eines Pla neten verformen kann – noch dazu in so kur zer Zeit. Wichtig ist die Tatsache, daß es ge schieht – und die Frage, wozu es geschieht. Kannst du sonst noch etwas Bemerkenswer tes entdecken, Psiotronik?« Bevor die Psiotronik antworten konnte, hob der Kundschafter ruckartig den Kopf. Er hatte das Geruchssignal des Dimensionssen sors aufgefangen. Ein Blick auf das betreffende Schaltpult bewies ihm, daß das Gerät inzwischen wie der funktionierte. Er trat hinzu und nahm ei nige Schaltungen vor. »Was hast du entdeckt, Algonkin?« fragte Anlytha. »Etwas stimmt mit der Zeitdimension nicht«, sagte der Kundschafter nachdenk lich. Er schaltete erneut. Auf der Kontrollwand der Psiotronik zuckten farbige Lichtpunkte,
dann erschienen auf einem Bildschirm Schrift- und Zahlensymbole. »Etwas Ähnliches habe ich doch schon einmal gesehen«, meinte Algonkin-Yatta, nachdem er die Schrift- und Zahlensymbole eingehend betrachtet hatte. »Wir haben es mit einer Diskontinuität der Zeitdimension zu tun.« »Wie bei dem Planeten Perpandron!« ent fuhr es Anlytha. Algonkin-Yatta nickte. »So ungefähr, Anlytha. Aber dort bereite te sich die Störung wellenförmig aus, wobei sie sich abschwächte. Hier jedoch haben wir es mit einer primären Erscheinung zu tun, die eine Störung des kontinuierlichen Zeita blaufs bewirkt.« »Ich habe Angst!« sagte Anlytha. Der Kundschafter blickte auf den Bild schirm, der die Nebelballung zeigte. Sie hat te inzwischen eine vollendete Kugelform an genommen. »Wie groß ist der Durchmesser jetzt, Psiotronik?« fragte er. »Sechzehntausend Kilometer, Kundschaf ter«, antwortete die Psiotronik. »Wir gehen dichter heran!« entschied Al gonkin-Yatta. »Dieses Phänomen verdient es, daß wir uns näher mit ihm befassen.« Er lächelte. »Zur exakten Registrierung werde ich mit dem Recht des Kundschafters wieder einige Namen vergeben. Ich nenne die grüne Sonne Lathia und den schattenhaften Plane ten Kreemak. Oder hast du bessere Vor schläge, Anlytha?« »Nein«, sagte seine Begleiterin bedrückt. »Mir ist die ganze Sache unheimlich, Algon kin. Sollten wir nicht lieber aus diesem Sy stem verschwinden und versuchen, Atlans Spur wieder aufzunehmen?« »So oder so würde es uns viel Zeit kosten, uns von hier aus zurechtzufinden und Atlans Spur wieder aufzunehmen«, erklärte der Kundschafter. »Aber vielleicht sind wir sei ner Spur näher als wir vermuten. Als wir auf die Zeitanomalie bei Perpandron stießen, fanden wir zum erstenmal einen Hinweis auf ihn. Möglicherweise erhalten wir bei der
34 Zeitanomalie von Kreemak einen weiteren Hinweis.« »Soll ich das Schiff näher an Kreemak heranbringen, Kundschafter?« fragte die Psiotronik. »Nein, das möchte ich selbst tun, nach dem die Instrumente in der Zentrale wieder funktionieren«, antwortete Algonkin-Yatta. Er setzte sich in den Sessel vor dem Hauptsteuerpult und beschleunigte mit ge ringen Werten in Richtung auf Kreemak. Aber noch bevor das Kundschafterschiff richtig Fahrt aufgenommen hatte, veränderte sich der Schattenplanet wieder. Er dehnte sich aus und verformte sich dabei zu einem Schlauch – mit der klar ersichtlichen Ten denz, wieder die Gestalt eines Trümmerrings anzunehmen. Ratlos stoppte der Kundschafter das Schiff wieder, denn es gab keinen schatten haften Planeten mehr, den er anfliegen konnte. Er blickte zum Dimensionssensor und sah, daß die Quelle der Zeitanomalie sich in gleichem Maße ausdehnte wie die nebelhafte Trümmermasse des fünften Rin ges. »Ich glaube fast, was wir sehen, kommt durch einen Bruch in der Zeitdimension zu stande«, überlegte er laut. »Der schattenhaf te Planet gehört wahrscheinlich einer fernen Vergangenheit an, während der Trümmer ring den Zustand zeigt, wie er in unserer Zeit ist. Was meinst du dazu, Psiotronik?« »Ich erkenne deinen Gedankengang als Hypothese an, Kundschafter«, erwiderte die Psiotronik. »Mehr ist es leider nicht, da die Erklärung fehlt, wie das Phänomen zustande kommt.« »Ich dachte, du könntest mir diese Erklä rung geben«, meinte Algonkin-Yatta. »Das ist mir leider nicht möglich, da ich in der bekannten Definition der Zeit eben falls nur eine Hypothese sehe«, sagte die Psiotronik. »Um es konkret auszudrücken: Die Zeit ist für mich eine irrationale Größe, mit der ich nicht rechnerisch umgehen kann, sobald die Ebene der einfachen praktischen Handhabung verlassen wird.«
H. G. Ewers »Ich hätte es mir denken sollen«, sagte Algonkin-Yatta resignierend. »Über die Zeit an sich gibt es noch keine wissenschaftlich fundierten und praktisch erprobten Erkennt nisse, sondern nur eine Unmenge Spekula tionen und Hypothesen – jedenfalls bei uns Mathonern und wahrscheinlich auch bei Maahks, Arkoniden und anderen Völkern.« »Der Trümmerring zieht sich wieder zu sammen!« rief Anlytha und deutete auf die entsprechenden Bildschirme. Algonkin-Yatta sah es ebenfalls und be schleunigte erneut, wobei er den alten Kurs beibehielt, da er annahm, daß der Schatten planet sich an der gleichen Stelle formen würde wie zuvor. Seine Annahme erwies sich als richtig. Das Kundschafterschiff war von der ange steuerten Position nur noch hunderttausend Kilometer entfernt, als die schattenhafte Bal lung wieder Kugelform erreichte. Aus dieser großen Nähe glich sie mehr denn je einem Planeten, auch wenn die Oberflächenforma tionen fehlten. »Du solltest nicht näher herangehen, Al gonkin!« warnte Anlytha. Der Kundschafter stoppte, aber nicht we gen Anlythas Warnung, sondern weil die Ortung etwas angezeigt hatte, das bisher ent weder nicht dagewesen oder aus größerer Entfernung nicht sichtbar gewesen war. Eine silbrig schimmernde Konstruktion, deren Form dem Kundschafter so vertraut vorkam, als hätte er sie selbst schon einmal gesehen. Doch er kannte sie nur aus einer Beschreibung, die der Heiler Scoopar ihm vor seinem Tode gegeben hatte. Alles stimmte genau überein: die zu ei nem großen Ring geformte Röhre, der eiför mige Körper, der an Streben daran verankert war, sowie die Größe, die der von drei nor malen Fluggleitern entsprach. »Was ist das, Algonkin?« fragte Anlytha. »Eine Zeitkapsel«, antwortete der Kund schafter leise. »Genauer gesagt, eine Zeit kapsel, die der gleicht, die auf Perpandron den Tod der Heiler verursachte – und die, nach Scoopars Aussage, schon oft nach Per
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pandron kam, als wäre ihre Existenz mit die sem Planeten oder den zahlreichen Kulturen, die dort erblühten und wieder vergingen, auf seltsame Weise verbunden.«
8. Algonkin-Yatta steuerte das Kundschaf terschiff näher an die silbrig schimmernde Konstruktion heran. Er war überzeugt davon, daß er hier nicht eine beliebige Zeitkapsel sah, sondern die, die als ruheloser Wanderer durch die Zeit immer wieder auf Perpandron erschienen war und den Tod der Heiler verursacht hatte. Befand sich hier, bei der Schattenwelt Kreemak, vielleicht ihr Ausgangspunkt, von dem sie immer wieder aufbrach, um durch die Zeit, nach Perpandron und anderen Wel ten zu reisen? »Ich muß herausbekommen, was es mit der Zeitkapsel auf sich hat!« stieß der Kund schafter entschlossen hervor. »Aber wie willst du das anstellen, Algon kin?« wandte Anlytha ein. »Indem ich sie untersuche.« »Indem du sie untersuchst? Aber ich den ke, sie sendet eine tödliche Strahlung aus, durch die die Heiler von Perpandron getötet wurden. Du darfst dich dieser Gefahr nicht aussetzen, Algonkin!« »Ich werde kein unnötiges Risiko einge hen«, erwiderte der Kundschafter. »Vergiß nicht, daß ich als Mathoner teilweise an die Umweltverhältnisse von Ruoryc angepaßt bin – und die Oberfläche dieses Riesenpla neten strahlt so stark, daß ein Arkonide so gar im Raumanzug innerhalb weniger Minu ten sterben würde. Außerdem strahlt die Zeitkapsel nicht ständig.« »Aber sobald man versucht, sie zu öff nen«, entgegnete seine Begleiterin. »Und vielleicht noch aus anderen Anlässen, die wir nicht kennen. Bitte, laß die Kapsel in Ruhe! Was hättest du davon, wenn du sie untersuchst?« Algonkin-Yatta erwiderte nichts darauf. Er starrte aus brennenden Augen auf die
Konstruktion, die nur noch dreihundert Kilo meter entfernt war, aber ohne Ausschnittver größerung des entsprechenden Bildschirms bestenfalls als leuchtender Punkt zu sehen gewesen wäre. Sie hing dicht über oder ne ben der Oberfläche des Schattenplaneten. Als das Schiff sich der Kapsel bis auf zehn Kilometer genähert hatte, stoppte der Kundschafter. In diesem Augenblick ver formte sich die Schattenwelt erneut. »Ich möchte wissen, ob die Zeitanomalie von der Kapsel hervorgerufen wird und wel chen Sinn sie hat!« überlegte Algonkin-Yat ta. »Möglicherweise hatte sie irgendwann einen Sinn«, meinte Anlytha. »Aber er ist si cher inzwischen nicht mehr vorhanden. Ich begreife nicht, warum du dich um etwas völ lig Sinnloses kümmern willst.« »Du bist auch kein Kundschafter«, erwi derte Algonkin-Yatta. »Für mich ist die Zeitkapsel – und die Zeitanomalie – deshalb interessant, weil sie existiert. Verstehst du nicht, Anlytha, das sich mir hier wahrschein lich die einmalige Gelegenheit bietet, etwas mehr über das Phänomen Zeit zu erfahren? Die Zeit ist nicht nur das Maß für Abläufe von Ereignissen, sondern viel mehr. Das be weist die Zeitanomalie, die sich uns hier dar bietet. Vergangenheit und Gegenwart vermi schen sich mit und in Kreemak – und ich bin sicher, daß dieses Phänomen von der Kapsel hervorgerufen wird.« »Du bist ja regelrecht besessen, Algon kin!« Der Kundschafter reagierte nicht auf die sen Vorwurf. Er beobachtete gespannt die Veränderung des Schattenplaneten, die iden tisch sein mußte mit einer Manipulation der Zeitdimension. Wie diese Manipulation her vorgerufen wurde, konnte er sich nicht er klären. Dazu fehlte ihm das entsprechende Wissen. Aber er sah sie mit eigenen Augen ablaufen – und das genügte ihm. Es dauerte ungefähr anderthalb Stunden, bis die nebelhafte Masse des Schattenplane ten sich nach der Ausbreitung wieder zur Kugelform zusammengeballt hatte. Das war
36 für den Kundschafter der endgültige Beweis dafür, daß dieser Vorgang nur mit Hilfe ei ner Zeitmanipulation hervorgerufen werden konnte. Eine echte Ausbreitung durch den normalen Raum hätte bei der Größenord nung niemals in anderthalb Stunden erfolgen können. »Ich fliege mit einem Strahlenschutzpan zer hinüber!« erklärte Algonkin-Yatta und erhob sich. »Dann nimm mich mit!« sagte Anlytha. Der Kundschafter lächelte und strich sei ner Begleiterin sanft über den weißen Feder kamm. »Du bist dafür zu zart gebaut, mein Klei nes.« »Aber erst kürzlich hast du mir verspro chen, immer bei mir zu bleiben!« protestier te Anlytha. »Das war eine ganz andere Situation«, entgegnete Algonkin-Yatta. »Bitte, versteh mich. Ich muß hinüber, muß mir dieses Ge rät ansehen – und ich bin weitgehend immun gegen harte Strahlung. Der zusätzliche Schutz meines Strahlenpanzers garantiert, daß ich gesund zurückkomme.« Er war sich dessen keineswegs sicher, denn er kannte die Strahlungsart nicht, die die Zeitkapsel emittierte, aber seine Wißbe gierde war größer als alle Furcht – und nicht zuletzt wurde seine Haltung durch sein aus geprägtes Selbstvertrauen bestimmt. Anlytha lief jammernd hinter ihm her, als er die Ausrüstungskammer aufsuchte und sich in den rüstungsähnlichen Strahlen schutzpanzer zwängte, der gleichzeitig als Raumanzug diente. Die beweglichen Teile wurden nicht durch Muskelkraft bewegt, sondern durch eine elektronische Apparatur, die ihre Befehlsimpulse über einen Kopfreif direkt von Algonkin-Yattas Gehirn empfing. Der große Rückentornister enthielt ein Im pulstriebwerk mit Hauptdüse und Korrektur düsen, einen Schwerkraftregler und einen leistungsfähigen Schutzschirm-Projektor. Als der Kundschafter fertig war, bewegte er probeweise Arme, Beine und die Greif klauen, die die Hände ersetzten. Danach
H. G. Ewers schaltete er den Außenlautsprecher ein. »Ich gehe jetzt, Anlytha«, sagte er. »Bitte, beruhige dich! Ich komme bestimmt wieder – und wenn ich dazu durch alle Zeitetappen reisen müßte.« Er ahnte nicht, wie nahe er damit der Wirklichkeit kam, die vor ihm lag …
* Algonkin-Yatta schaltete das Impulstrieb werk seines Rückentornisters nach kurzer Beschleunigungsphase wieder aus. Mit geringer Geschwindigkeit trieb er auf die Zeitkapsel zu, die unverändert neben dem Schattenplaneten schwebte. »Es ist alles in Ordnung, Anlytha«, sagte er ins Mikrophon der Helmfunkanlage. »Das bezweifle ich«, erwiderte Anlytha. »Es wird erst dann alles wieder in Ordnung sein, wenn du gesund an Bord deines Schif fes bist.« »Mach dir keine Sorgen, Kleines«, sagte der Kundschafter. »Paß vor allem auf, daß niemand das Schiff angreift. Sollte das ge schehen, wende dich an die Psiotronik.« »Aber sie kann dich nicht schützen!« rief Anlytha verzweifelt. Diesmal antwortete Algonkin-Yatta nicht. Er wußte, daß seine Begleiterin Recht hatte, aber er vermochte den Drang, alles Unbe kannte zu untersuchen, nicht zu unter drücken. Ein Blick auf die Dosimeterlampe, die an der Innenwand seines Transparenthelms be festigt war, bewies ihm, daß keine schädli che Strahlung durch den Panzer drang. Doch auch die Kontrollampe des Außendosimeters zeigte durch ihr trübes Blinken nicht mehr an als die normale kosmische Strahlung. Der Kundschafter lächelte zuversichtlich. Die Zeitkapsel war inzwischen nur noch rund zwanzig Meter entfernt. Algonkin-Yat ta schaltete mit Hilfe des Funkimpulsknüp pels, der vorn aus seinem Panzer ragte. Langsam drehte er sich, dann arbeitete die Hauptdüse des Impulstriebwerks für einige Sekunden. Anschließend drehten ihn schwa
Die Zeitkapsel che Schübe aus den Korrekturdüsen wieder herum. Mit ausgebreiteten Armen schwebte er auf die Zeitkapsel zu. Als er sie erreichte, packte er mit den Greifklauen des linken Ar mes die zu einem Ring geformte Röhre des Geräts. Ein leichter Schwung beförderte ihn mit den Füßen auf den Ring. Behutsam ließ er sich nach vorn sinken, bis beide Greif werkzeuge an die Wandung der eigentlichen Kapsel stießen. »Ich habe die Kapsel erreicht – und es ist immer noch alles in Ordnung, Anlytha!« sagte er. Anlytha antwortete, aber er hörte nicht, was sie sagte, denn im gleichen Augenblick flammte die äußere Dosimeterlampe in grel lem Kirschrot auf. Das lenkte ihn ab, beun ruhigte ihn aber erst, als auch die innere Do simeterlampe aufleuchtete, wenn auch nur in trübem Rot. Wenn es nicht schlimmer kommt, läßt es sich ertragen! dachte der Kundschafter. Aber es kam schlimmer. Plötzlich strahlten beide Dosimeterlam pen in grellem Rot – und im nächsten Mo ment spürte Algonkin-Yatta ein Gefühl, als würde er von einer Flammensäule ein gehüllt. Für Teilangepaßte von Ruoryc war das das Zeichen dafür, daß die Strahlenbela stung ihres Körpers den kritischen Wert überschritten hatte. Der Kundschafter verlor dennoch nicht die Ruhe. Er wußte, daß er auch diese uner hört starke Strahlenbelastung für eine be grenzte Zeit ertragen konnte, ohne bleibende Schäden davonzutragen. Aber das Brennen wurde immer stärker. Algonkin-Yatta wollte die rechten Greif klauen um den Funkimpulsknüppel legen und das Haupttriebwerk auf einen Schnell start nach »oben« schalten, aber er hatte plötzlich kein Gefühl mehr dafür, so, als wä re die elektronische Rückkopplung ausgefal len. Doch das war nicht der Fall. Er konnte ja klar nach draußen sehen und erkannte deshalb, daß sein rechter Arm sich nicht be wegte.
37 Die Strahlung hat mein peripheres Ner vensystem gelähmt! dachte er. Als er einen Schwarm bizarrer Leuchter scheinungen sah, die die Zeitkapsel und ihn umschwirrten, glaubte er an eine Halluzina tion und hielt sie für das erste Anzeichen ei ner Bewußtseinstrübung. Plötzlich hörte der brennende Schmerz auf, aber nur, um von einem lähmenden Käl tegefühl abgelöst zu werden. Der Schock war zuviel für Algonkin-Yattas Bewußtsein. Es schaltete ab.
* Zuerst war da nur ein Kribbeln, das über all zu sein schien. Dann kamen die ersten Gedanken. Algonkin-Yatta kannte die Hypothesen, die schon vor vielen Generationen von An gehörigen seines Volkes aufgestellt und von MYOTEX niemals ausdrücklich abgelehnt worden waren, nach denen das aus reinem Geist bestehende Ego eines bewußt denken den Lebewesens sich nach dem Tode des je weiligen Trägerkörpers in einen Hyperraum flüchten und dort weiterbestehen sollte. Er hatte diese Hypothesen zwar für plausibel gehalten, war sich aber auch bewußt gewe sen, daß sie eben nur Hypothesen waren. Seine ersten, noch ziemlich trägen Gedan ken drehten sich denn auch darum, ob das, was diese Gedanken produzierte, sein Ego war, das irgendwo unsichtbar und selbst nichtsehend in einem Hyperraum schwebte. Irgendwie rief aber der Gedanke daran, daß etwas Unkörperliches schweben könnte, ver haltene Heiterkeit in ihm hervor. Das mußte die Rückkopplung zwischen Körper und Geist wiederhergestellt haben, denn er öffnete die Augen und bewegte sich gleichzeitig. Nein, ich bin nicht körperlos! dachte er, als er eine zwar fremdartige, aber doch ma terielle Umgebung sah. Es handelte sich um einen eiförmigen Hohlraum, dessen Boden mit einer rosa schimmernden elastischen Substanz bedeckt war. An den Wänden be
38 fanden sich ovale Bildschirme und farbige Linien, die zu Symbolen oder Ornamenten geformt waren. Silbrig schimmerndes Licht erhellte den Hohlraum – und in ihm schweb ten bizarre Leuchtflecken. Langsam richtete der Kundschafter sich auf. Er glaubte zu wissen, wo er sich befand, nämlich im Innern des eiförmigen Körpers der Zeitkapsel. Damit warf sich für ihn die Frage auf, wie er hineingekommen war. Ei nes wußte er genau: Er hatte die Kapsel nicht aus eigener Kraft betreten, denn er war zu keiner Bewegung mehr fähig gewesen, nachdem ihn die Strahlung mit voller Wucht getroffen hatte. Verwundert blickte er auf die Leucht flecken, die sich ihm plötzlich näherten und in gespenstischem Tanz um ihn herum huschten. Er erinnerte sich wieder daran, daß er gleiche Leuchterscheinungen außer halb der Zeitkapsel beobachtet und für Hal luzinationen seines angegriffenen Geistes gehalten hatte. Das waren sie zweifellos nicht, denn er fühlte sich geistig gesund und war sicher, daß er keinen Halluzinationen erlag. Einzelne Leuchterscheinungen huschten immer wieder von ihm zu den Innenwänden der Kapsel, fuhren dicht über den farbigen Linien entlang und kehrten danach wieder zu ihm zurück. Es ist, als wollten sie sich mir verständ lich machen! durchfuhr es den Kundschaf ter. Er sah die Leuchtflecken plötzlich mit an deren Augen an, denn wenn sie sich ihm verständlich machen wollten, konnte es sich nur um Lebewesen handeln – und da er sich ganz gewaltig von ihnen unterschied, muß ten diese Lebewesen über eine Intelligenz verfügen, die sie befähigte, analytisch zu denken und sogar in völlig fremden Erschei nungsformen die kosmische Verwandtschaft zu entdecken. Er schaltete die Außenlautsprecher seines Strahlenschutzpanzers ein und sagte einige belanglose Worte, denn eine akustische Ver-
H. G. Ewers ständigung mit völlig fremdartigen Lebens formen mußte selbst mit einem Translator einen langdauernden Lernprozeß vorausset zen. Aber obwohl er die Leuchtwesen genau beobachtete, konnte er an ihnen keine Reak tion auf seine Worte erkennen. Das ließ nur den Schluß zu, daß sie kein Gehör besaßen. Langsam bewegte er die Arme. Sofort eilten die Leuchtwesen auf seine Arme zu und sammelten sich in ihrer Nähe. Sie konnten also Bewegungen ausma chen; ob optisch oder mit Hilfe eines ande ren Ortungssystems, war nicht so wichtig. Der Kundschafter verzog ärgerlich das Ge sicht, als ihm klar wurde, daß er zu diesem Schluß viel früher hätte kommen können. Die Bewegungen der Leuchtwesen zwischen ihm und den Innenwandungen der Kapsel hätten ihm gleich verraten müssen, daß sie in der Lage waren, Gegenstände und deren Bewegungen zu erkennen. Andernfalls hät ten sie nicht versucht, sich auf diese Weise mit ihm zu verständigen. Aber wie ging es nun weiter? Wieder schwebten einige Leuchtwesen aus seiner Nähe zu der Innenwandung der Kapsel – und wieder fuhren sie dicht über den farbigen Linien entlang. Doch diesmal kehrten sie nicht zu dem Kundschafter zu rück, sondern wiederholten ihre Bewegun gen immer wieder. Algonkin-Yattas Beobachtungsgabe war schon immer gut gewesen; sie war durch Hypnoschulungen von MYOTEX überra gend geworden. Zudem befähigte ihn seine Ausbildung zum Kundschafter besonders dazu, hinter den Verständigungsversuchen fremder Lebensformen den Sinn zu erken nen. Deshalb wurde er sich bald klar darüber, daß die Leuchtwesen von ihm erwarteten, daß er ihre Bewegungen über den Linien wiederholte – und zwar in der gleichen Rei henfolge wie sie selbst. Er begriff außerdem, daß er die Bewegungen nicht über den Lini en nachvollziehen sollte, sondern auf ihnen – und daß dadurch etwas ausgelöst werden
Die Zeitkapsel
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sollte, wozu die Leuchtwesen nicht fähig waren. Dennoch zögerte er lange, denn er wußte ja nicht, was er bewirkte, wenn er tat, was die Leuchtwesen von ihm erwarteten. Es mochte für sie vorteilhaft sein, aber das be deutete nicht, daß es auch für ihn vorteilhaft wäre. Andererseits hatten die Bewegungen, die die übrigen Leuchtwesen um ihn herum vollführten, etwas Hilfeheischendes, das sei nen Beschützerinstinkt weckte. Als er nicht mehr daran zweifelte, daß diese Wesen förmlich um Hilfe bettelten, gab es für ihn kein Zögern mehr. Entschlossen ging er auf die Stelle zu, an der die Leuchtwesen über der Innenwand der Kapsel schwebten, streckte die rechte »Hand« aus und fuhr mit den Greifklauen nach dem beobachteten Muster über die far bigen Linien. Zuerst geschah nichts. Doch dann, als er alle vorgeführten Bewegungen nachvollzo gen hatte, blitzten an allen Innenwandungen der Kapsel plötzlich goldfarbene Lichtpunk te auf. Gleichzeitig ertönten mehrere dumpf hallende Schläge, die den Kundschafter an einen elektronischen Gong erinnerten. Die Bildschirme wurden hell. Sie zeigten die riesige Wölbung der Schattenwelt und in einiger Entfernung das grünlich schimmernde Oval des Kundschafterschiffs. Im nächsten Augenblick legte sich ein un durchdringlicher, substanzlos erscheinender Schleier um die Zeitkapsel und den Schat tenplaneten. Das Kundschafterschiff ver schwand dahinter ebenso wie die fremden Sternkonstellationen. Algonkin-Yatta erschauderte, als er sah, daß die Oberfläche der Schattenwelt sich laufend veränderte und allmählich feste For men annahm. Er begriff, daß er das Zeitver änderungsfeld der Kapsel aktiviert hatte und daß er, die Kapsel und der Planet eine Fahrt angetreten hatten, die im Irgendwann enden würde …
9.
Als aus der Schattenwelt ein echter Planet mit fester Oberfläche, hohen Gebirgen und weiten Ozeanen geworden war, verschwan den die Leuchtwesen plötzlich. Algonkin-Yatta stand ganz allein in der Zeitkapsel. Er kam sich verloren vor und spürte, wie die Verzweiflung an seinem Verstand nagte. Der Planet veränderte sich nicht mehr – und der substanzlose Schleier um ihn und die Zeitkapsel lichtete sich allmählich. Algon kin-Yatta begriff, daß damit die Reise been det war – aber er begriff auch, daß das Kundschafterschiff für ihn verloren war, weit in eine Zukunft zurück, die einst auch seine Gegenwart gewesen war. Was mochte Anlytha empfinden? Algonkin-Yatta spürte körperlichen Schmerz bei dem Gedanken an seine rätsel hafte Begleiterin, die dort oben – irgendwie verband der Kundschafter die Fahrt in die Vergangenheit mit einer Abwärtsbewegung, und dementsprechend lag die Zukunft für ihn oben – allein mit Khoruna Skapron in seinem Schiff zurückgeblieben war. Gab es denn eine Möglichkeit, zurückzu finden? Er riß sich zusammen und musterte die Linien, durch die er die Kapsel in die Ver gangenheit gesteuert hatte. Die goldfarbenen Lichtpunkte an den Wandungen waren erlo schen, als die Kapsel in der Zeit zum Still stand gekommen war. Wenn er die Bewegungen in umgekehrter Reihenfolge vollführte, würde die Kapsel ihn dann in seine eigene Zeit zurückbringen? Schon streckte er die Hand danach aus, als ihm etwas anderes einfiel. Wenn die Zeitkapsel wieder aufwärts stieg, was geschah dann mit dem Planeten Kreemak – und was würde mit den anderen Planeten geschehen, die in dieser Zeit wahr scheinlich ebenfalls noch keine Trümmerrin ge waren? Oder war nur Kreemak in die Vergangen heit gestürzt? Und was hatten die Leuchtwe sen damit bezweckt, daß sie ihn veranlaßten, Kreemak in die Vergangenheit zu beför
40 dern? War Kreemak ihre Heimatwelt, die sie hatten retten wollen? Aber niemand konnte eine gerettete Welt in die Zukunft transferie ren, ohne ein Paradoxon auszulösen. Kree mak war nur in dieser Vergangenheit eine heile Welt. Doch die Zeit würde auch hier nicht stehenbleiben. Also hatte Kreemak keine Zukunft. Waren die Bemühungen der Leuchtwesen demnach völlig sinnlos gewesen? Der Kundschafter mochte es nicht glau ben. Diese Wesen hatten ein beträchtliches Maß an Intelligenz bewiesen, als sie sich mit ihm verständigten. Einem völlig fremdarti gen Lebewesen wie ihm etwas klarzuma chen, und es zu einer zielstrebigen Handlung zu bewegen, setzte logisch-analytisches Denken und planvolle Initiative voraus. Das sollte eigentlich ausschließen, daß die Leuchtwesen ihren Planeten nur deshalb in die Vergangenheit befördert hatten, um ihn noch einmal als heile Welt zu sehen, bevor er im Fortschritt der Zeit vom unentrinnba ren Schicksal ereilt wurde. Algonkin-Yatta ließ die ausgestreckte Hand wieder sinken. Er hatte sich dazu ent schlossen, vorläufig nichts zu unternehmen, sondern abzuwarten, ob die Leuchtwesen wieder Kontakt mit ihm aufnahmen. Dann wollte er klären, was sie zu ihrer Handlung bewogen hatte. Er brauchte nicht einmal lange zu warten. Plötzlich tauchte auf einem der Bildschir me eine goldfarben leuchtende Kugel auf. Sie schien von Kreemak gekommen zu sein, denn sie »stieg« zu der Zeitkapsel empor. Es konnte sich nur um ein Raumschiff handeln, dennoch suchte Algonkin-Yatta vergeblich nach Triebwerken oder den Ef fekten, die eine Tätigkeit von Rückstoßag gregaten erzeugte. Die Kugel schien schwe relos zu steigen und vermittelte trotz ihrer einfachen Form einen Hauch von ästheti scher Vollendung. Dicht neben der Zeitkapsel verharrte die Kugel. Algonkin-Yatta schätzte ihren Durchmesser auf hundert Meter. Er wartete darauf, daß sich in ihr eine Öffnung auftat
H. G. Ewers und jemand – ein Leuchtwesen? – heraus kam. Stattdessen zirpte es in seiner Helmfunk anlage. Der Kundschafter wußte, was dieses Zirpen hervorrief. Es entstand, wenn die Im pulse eines automatischen Frequenzabtasters eingingen. Da das Gerät noch eingeschaltet war, brauchte er nur zu warten, bis der Abtaster seine Frequenz ermittelt und das Gegengerät darauf justiert hatte. Er schaltete lediglich seinen Translator dazu, den er immer mit führte. Als das Zirpen verstummte, ertönte eine helle, unwirklich klingende Stimme. Sie wirkte irgendwie kindhaft oder auch wie von Sphärenmusik durchdringen. Der Translator übersetzte sie nicht, aber das war auch nicht zu erwarten gewesen. Auch das leistungsfä higste Übersetzungsgerät benötigte ein be stimmtes Quantum an Grundelementen einer fremden Sprache, um sie in eine andere übersetzen zu können. Es glich sowieso fast einem Wunder, daß die Konstruktionen, die MYOTEX geschaffen hatte, fremde Spra chen ohne die Herstellung optischer Bezie hungen analysieren konnten. Nach einiger Zeit vermochte der Transla tor die ersten einfachen Lautgebilde zu über setzen. Von da an machte er rasche Fort schritte – und endlich war eine echte Ver ständigung möglich. »Wir danken dir, du Wesen, das zwischen den Dimensionen des Raumes reiste«, hörte Algonkin-Yatta. »Brüder von uns entdeck ten dich und dein Schiff zwischen den Dimensionen und holten dich mit einer uralten Rückkehrschaltung zu uns. Wir hofften, daß du uns helfen könntest, denn andere Brüder von uns beobachteten dich auf Perpandron, wo sie vergeblich versucht hatten, die Zeit kapsel aufzuhalten.« »Ich verstehe«, erwiderte der Kundschaf ter. »Der schwarze Schlund war also eine Rückkehrschaltung aus sechsdimensionaler Energie. Aber warum wolltet ihr, daß ich uns und euren Planeten mit der Zeitkapsel in die Vergangenheit brachte? Ich bin übrigens
Die Zeitkapsel Algonkin-Yatta, ein Kundschafter von Ruo ryc.« »Das ist eine lange Geschichte«, übersetz te der Translator die Antwort der unsichtba ren Gesprächspartner. »Unsere Zivilisation wurde in einer Zeit, die von hier aus nicht weit in der Zukunft liegt, von kriegerischen Wesen angegriffen und zerstört, die von dem Planeten stammten, der heute Perpan don heißt. Daraufhin konstruierten und bauten die Überlebenden der alten Zivilisation die Zeit kapsel. Sie sollte in die Vergangenheit vor dringen und das Entstehen des kriegerischen Volkes auf Perpandon verhindern. Niemand hatte damit gerechnet, daß die Kriegerischen dieser Möglichkeit vorgebeugt hatten. Die Zeitkapsel traf auf eine Wesenheit, die sich ANTE nennt, und wurde auf unerklärliche Weise manipuliert. Dadurch kam es zu einem Zeitparadoxon, das die Kapsel zu einem ruhelosen Wande rer durch die Zeit machte, der überall dort, wo er auftauchte, Schrecken und Tod ver breitete. Wir und alle anderen Paths unserer Zeit suchten nach der Zeitkapsel, um sie un schädlich zu machen. Es war uns nicht mög lich, da wir ohne fremde Hilfe nicht in sie eindringen und auch die Schaltungen nicht selbst aktivieren konnten. Erst mit deiner Hilfe konnten wir die Zeit kapsel in eine Vergangenheit bringen, in der sie von dem Zwang zur Wanderung durch die Zeiten erlöst wird.« »Ihr meint, sie wäre jetzt keine Zeitma schine mehr?« fragte der Kundschafter be klommen, denn wenn seine Vermutung zu traf, gab es für ihn keine Rückkehr in die ei gene Zeit. »Deine Befürchtung ist grundlos«, ant worteten die Wesen, die sich Paths nannten. »Wir hätten dich nicht in die Vergangenheit geführt, wenn es für dich keinen Weg zu rück in deine Zeit geben würde. Die Zeit kapsel funktioniert noch, aber sie wird ihren Zwang zur selbständigen Wanderung durch die Zeit verlieren, sobald unsere Welt nicht mehr besteht.«
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* Algonkin-Yatta brauchte einige Zeit, um zu begreifen, daß die Paths offenbar ent schlossen waren, ihre Heimatwelt zu opfern, damit die Zeitkapsel kein Unheil mehr an richten konnte. »Läßt sich eure Welt nicht retten?« fragte er. »Nur um den Preis unzähliger unschuldi ger Wesen«, lautete die Antwort. »Und die ser Preis wäre zu hoch. Die Zeitkapsel hat schon mehr als genug Unheil angerichtet. Außerdem ist unsere Welt sowieso zum Un tergang verurteilt. Wir werden uns von dir verabschieden, Algonkin-Yatta – und wir wünschen dir Glück, denn du wirst Glück brauchen, um deine Zeit wiederzufinden. Aber wir wissen, daß du die Intelligenz und Ausdauer besitzt, um es zu schaffen.« »Geht noch nicht!« bat der Kundschafter. »Ich habe noch viele Fragen – und ich wür de euch gern sehen, um zu wissen, ob ihr auch in dieser Zeit die Lichtgestalten seid, als die ich euch kennenlernte.« »Wir haben uns durch die Zeitreise verän dert, Algonkin-Yatta«, antworteten die Paths. »Unser Anblick würde dir einen Schock versetzen. Aber wir würden dir gern alle deine Fragen beantworten, wenn dafür genug Zeit wäre. Leider verrinnt die Frist, die uns blieb. Viel Glück, Algonkin-Yatta!« »Viel Glück!« erwiderte der Kundschafter und wurde sich im gleichen Moment des Widersinns seines Wunsches bewußt, denn die Paths würden sicher mit ihrer Welt un tergehen. »Ganz gleich, wie ihr ausseht, ihr seid gut«, fügte er hinzu. Diesmal erhielt er keine Antwort. Dafür setzte sich die golden schimmernde Kugel wieder in Bewegung, entfernte sich von der Zeitkapsel und sank zu dem Planeten hinab, der zum Untergang verurteilt war. Algonkin-Yatta bedauerte, daß die Paths keine andere Möglichkeit sahen, das unheil volle Wirken der Zeitkapsel zu beenden. Er blickte der goldenen Kugel noch nach, als er
42 sie schon nicht mehr sehen konnte. Als der Planet lautlos barst und seine Trümmer sich in Nebelschwaden auflösten, seufzte der Kundschafter tief. Er fühlte Trauer und Schmerz – und empfand große Hochachtung vor den Wesen, die sich Paths genannt hat ten. Nach einer Weile trat er wieder zu der Stelle der Innenwandung, an der die Linien verliefen, die er berührt hatte, um in diese Zeit zu kommen. Die Paths hatten gesagt, er würde Glück brauchen, um in seine Zeit zurückzufinden. Er schloß daraus, daß es nicht genügte, die Bewegungen in umgekehrter Reihenfolge zu vollführen. Doch er besaß keinen anderen Anhaltspunkt zur Steuerung der Zeitkapsel als diesen. Deshalb entschloß er sich, es erst einmal so zu versuchen. Er fuhr mit den Greifklauen der rechten Hand über die Linien. Wieder blitzten die goldfarbenen Lichtpunkte an den Innenwan dungen auf, als er die Bewegungen beendet hatte – und wieder waren die Gongschläge zu hören. Der undurchdringliche, substanz los erscheinende Schleier legte sich aber mals um die Zeitkapsel. Algonkin-Yatta nahm an, daß er nicht nur ein Zeitverände rungsfeld war, sondern die Kapsel gleichzei tig gegen alle äußeren temporären Einflüsse abschirmte. Der Kundschafter hatte das Gefühl, in ei nem Lift nach oben zu steigen. Er war sich allerdings klar darüber, daß es sich dabei nur um einen subjektiven Eindruck handelte, denn er bewegte sich nicht durch den Raum, sondern ausschließlich durch die Zeit. Bei dieser Überlegung fiel ihm ein, daß die Zeitkapsel sich auch durch den Raum steuern lassen mußte. Anders ließ es sich nicht erklären, daß sie viele Male auf Per pandron und – nach den Aussagen der Paths – auch auf anderen Welten gelandet war. Al gonkin-Yatta nahm sich vor, diese Funktion bei nächster Gelegenheit zu erproben. Wahr scheinlich dienten andere Linien an den Wänden dazu, die räumliche Fortbewegung auszulösen und zu steuern.
H. G. Ewers Als es plötzlich einen harten Ruck gab, runzelte der Kundschafter verwundert die Stirn. Diesen Ruck hatte er bei der Reise in die Vergangenheit nicht gespürt. Er konnte demnach kaum eine normale Begleiterschei nung der Zeitreise sein. Im nächsten Augenblick hatte er das Ge fühl, als hielte der imaginäre Lift an. Wenig später lichtete sich der substanzlose Schleier und nach einer weiteren Zeitspanne waren auf den Bildschirmen der Kapsel die Sterne zu sehen. An Backbord aber leuchtete die große grüne Sonne, die Algonkin-Yatta »Lathia« getauft hatte, und unter der Zeit kapsel war deutlich ein Ausschnitt der stau bartigen Trümmerringe zu erkennen. Doch von seinem Kundschafterschiff sah er nichts, so angestrengt er auch danach Ausschau hielt. Dafür entdeckte er leicht überhöht hinter dem Trümmerring etwas Blinkendes, das sich ihm zu nähern schien. Er ärgerte sich darüber, daß er nicht ein mal wußte, ob die Zeitkapsel Ortungsgeräte besaß und wie sie aktiviert und ausgerichtet werden konnten. Bisher konnte er nicht ein mal eine Ausschnittsvergrößerung schalten, falls das überhaupt technisch vorgesehen war. Deshalb vermochte er Objekte von der Größe von Raumschiffen erst aus nächster Nähe genau zu erkennen. Es dauerte einige Minuten, bis sich das Blinkende soweit genähert hatte, daß eine Form zu erkennen war. Der Kundschafter erkannte eine Art Diskus, bei dem aber Ober- und Unterseite aufgewölbt waren. Die Triebwerke waren im Diskusrand unterge bracht, wie am mehrmaligen Aufblitzen zu erkennen war. Das fremde Schiff bremste ab. In zirka fünfhundert Metern Entfernung kam der Diskus zum Stillstand relativ zur Zeitkapsel. Algonkin-Yatta sah, daß sich auf der oberen und unteren Aufwölbung je ein großes flammendrotes V befand, wahr scheinlich eine Art Erkennungssymbol. Wieder zirpte es in seiner Helmfunkanla ge. Es dauerte nicht lange, bis es verstumm te und eine Stimme sich meldete.
Die Zeitkapsel
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Der Kundschafter horchte auf. Die Stimme verwendete keine ihm be kannte Sprache, aber die Worte und ihre Modulation wirkte auf Anhieb vertraut. Erst Sekunden später wurde dem Kundschafter klar, daß die Sprache der Unbekannten in veränderter Form sowohl Elemente seiner eigenen Sprache als auch der arkonidischen enthielt. Der Translator analysierte die Sprache der Unbekannten in sehr kurzer Zeit. »Ich kann Sie verstehen!« rief Algonkin-Yat ta erfreut. »Ich bin Algonkin-Yatta, ein Kundschafter von Ruoryc.« »Das ist nett von Ihnen«, antwortete die fremde Stimme, vom Translator in die ma thonische Sprache übersetzt. »Ich bin Cap tain Ibur Laronge, Raumschiff CORONA im Dienste des Obmanns von Plophos, zur Zeit mit einer Space-Jet auf Erkundungsflug in diesem Trümmersystem. Öffnen Sie Ihr Fahrzeug und steigen Sie aus, Algonkin-Yat ta!«
* Der Kundschafter stutzte. Er hielt es nicht für einen geschickten Kontaktversuch, wenn jemand ihn auffor derte, aus seinem Fahrzeug zu steigen. Ganz davon abgesehen, daß er nicht wußte, wo sich eine Schleuse befand und wie er sie öff nen sollte. Er war in bewußtlosem Zustand in die Zeitkapsel gekommen und hatte keine Ahnung, wie das geschehen war. »Es tut mir leid, Captain Laronge«, erwi derte er. »Aber ich weiß nicht, wie ich die Kapsel öffnen kann. Wenn Sie etwas Geduld haben, will ich es aber gern ausprobieren.« »Versuchen Sie nicht, Zeit zu gewinnen und Verstärkung zu rufen!« antwortete Ibur Laronge barsch. »Unser Mutterschiff befin det sich in der Nähe. Ich gebe Ihnen fünf Minuten, dann lasse ich das Feuer eröffnen.« Algonkin-Yatta ließ sich die Botschaft des Fremden durch den Kopf gehen. Sie war ein Ultimatum, das stand fest. Aber er wußte nicht, wie er den Obmann von Plophos, in
dessen Diensten der Fremde stand, einord nen sollte. Er hatte nie etwas von einem Le bewesen dieses Namens gehört. Wahr scheinlich hatte es ihn in seiner eigenen Zeit nicht mehr oder noch nicht gegeben. Aber es war möglich, daß die Fremden etwas von Atlan wußten, obwohl der Kristallprinz ent weder noch nicht geboren oder schon lange tot war? Er entschloß sich dennoch zu einer Frage. »Wissen Sie etwas über Atlan?« erkun digte er sich. Captain Laronge lachte. Es klang aller dings nicht amüsiert, sondern eher zornig. »Sie gehören also zu dem abgetakelten Ex-Imperator, Freundchen!« sagte er. »Der ist weg vom Fenster – und Sie werden es auch gleich sein, wenn Sie meiner Aufforde rung nicht endlich folgen.« Algonkin-Yatta erkannte, daß er es mit Lebewesen zu tun hatte, die keinen Wert auf friedliche Kontakte legten. Mit dem Aus druck »weg vom Fenster« vermochte er al lerdings nichts anzufangen. Aber er hielt es für ratsam, aus dieser Zeit zu verschwinden, denn die Zeitkapsel würde einem Beschuß kaum standhalten. »Es ist bedauerlich, daß Sie so abfällig von Kristallprinz Atlan reden«, sagte er, während die Greifklauen seiner rechten Hand über Linien fuhren, die den soeben be nutzten direkt benachbart waren. »Aber falls Sie ihm einmal begegnen sollten, richten Sie ihm aus, daß Algonkin-Yatta nach ihm su chen wird, bis er ihn gefunden hat.« »Kristallprinz Atlan!« wiederholte Cap tain Laronge gedehnt. »Was soll dieser Un sinn? Das war er vielleicht vor zehntausend Jahren, aber doch nicht heute.« Algonkin-Yatta war dankbar für den Hin weis. Gleichzeitig warf sich damit ein neues Problem auf. Atlan lebte demnach in dieser Zeit, obwohl seine Zeit als Kristallprinz zehntausend Jahre zurücklag und die Le benserwartung eines Arkoniden nach Khoru na Skaprons Aussagen durchschnittlich hun dertdreißig Arkonjahre betrug. Wie verein barte sich das?
44 Der Kundschafter hätte gern gefragt, aber in diesem Augenblick geschah zweierlei: Bei dem Diskusschiff blitzte er auf – und nach einem mehrmaligen Gongschlag legte sich der bekannte Schleier um die Kapsel. Der vom Diskusschiff abgefeuerte Energie strahl kam nie an – und das Diskusschiff verschwand für den Kundschafter. Als die Bewegung durch die Zeit wieder aufhörte und der Schleier sich lichtete, lag das Lathia-System wieder so verlassen da wie vor dem Auftauchen des Diskusschiffs. Und das mußte so sein, denn das Diskus schiff würde erst nach Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten auftauchen. Algonkin-Yatta beschloß, vorerst keine weiteren Experimente durchzuführen. Er wollte sich erst mit der Raumsteuerung der Kapsel vertraut machen und danach versu chen herauszufinden, wie eine kontrollierte Zeitreise möglich war. Vorher aber wollte er etwas essen, denn er verspürte Hunger. Als er den Versorgungsbeutel von seinem Gürtel nahm, wunderte er sich über die pral le Füllung. Anlytha hatte ihn gepackt, aber sie konnte doch unmöglich vorausgesehen haben, daß er Tage oder vielleicht auch Wo chen unterwegs sein würde. Er öffnete den Beutel und staunte erneut. Außer ein paar Konzentratriegeln und Was serkapseln lag ein in Plastikfolie gewickeltes Paket darin. Als er die Verpackung entfern te, kam Schaumstoffpolsterung zum Vor schein – und darunter tauchte ein ungefähr faustgroßer Kubus mit metallisch-blau leuchtender Oberfläche auf. Es war der Kubus, aus dem die Laute ei ner fremden Sprache ertönt waren, als Khoruna Skapron versehentlich mit dem Kopf daran gestoßen war. Der Kundschafter schüttelte den Kopf. »Ich möchte wissen, was die Kleine sich dabei gedacht hat, als sie mir den Kubus ein packte«, sagte er zu sich selbst. »Sie wird ja wohl nicht angenommen haben, daß ich ihn verspeise.« Er lachte. Anschließend setzte er sich auf die rosa
H. G. Ewers schimmernde elastische Substanz, die den Boden der Kapsel bedeckte, aß einen Kon zentratriegel und nahm zwei Wasserkapseln zu sich. Danach musterte er nachdenklich den Kubus. Plötzlich leuchteten auf seiner Oberfläche wieder die undefinierbaren Symbole auf, die schon früher ohne äußeren Anlaß erschienen und wieder verschwunden waren. »Es muß doch herauszufinden sein, wel chen Zweck der Kubus ursprünglich diente«, sagte der Kundschafter. Er klopfte mit den Fingerknöcheln dage gen – und plötzlich ertönte wieder die seltsa me Stimme. Rasch schaltete Algonkin-Yatta seinen Translator ein. Als die Stimme verstummte, hatte das Gerät die Sprache noch nicht voll ständig analysiert. Deshalb klopfte der Kundschafter noch einmal gegen den Kubus. Wieder erscholl die Stimme. Und plötzlich übersetzte der Translator: »Wer mich hört und versteht, soll wissen, daß ich ein Orientierungselement des Zeitauges bin, das vom Luna-Clan geschaf fen wurde. Aber ich wurde modifiziert, als ich zwischen den Dimensionen mit einem Psi-Roboter zusammentraf. Seitdem spreche ich seine Sprache und handle so, wie er mir aufgetragen hat. Wer nicht nur meine Spra che, sondern auch mein Wesen versteht, dem diene ich; wem das Verständnis für mein Wesen fehlt, für den bin ich nutzlos.« Algonkin-Yatta hob den Kubus auf und nahm ihn in beide Hände. Nachdenklich mu sterte er die leuchtenden Symbole. »Du bist als Maschine erschaffen worden, hast dich aber zu einem selbständig denken den Wesen entwickelt«, sagte er. »Ich freue mich, dich kennenzulernen. Mein Name lau tet Algonkin-Yatta. Ich bin ein Kundschafter von Ruoryc, befinde mich in einer fremden Zeitkapsel und versuche, mit ihr zurecht zu kommen. Ich möchte nicht, daß du mir dienst, aber wenn ich dich als Partner be trachten darf, werde ich gern Hilfe von dir annehmen.« Eine Weile blieb der Kubus still, dann
Die Zeitkapsel sagte er: »Algonkin-Yatta, du verstehst nicht nur meine Sprache, sondern auch mein Wesen – und du erwartest keine Dienste, sondern Partnerschaft. Du bist mir sympathisch – ich will versuchen, dir zu helfen.«
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nem bestimmten Punkt aus gemerkt haben, so daß sich daraus eine Berechnung anstel len ließe.« »Ich habe gar nicht darauf geachtet, Log gy. Du meinst also, wir sollten mit Hilfe der Raumsteuerung einen bewohnten Planeten anfliegen und nach der Zeit fragen?« »So ungefähr«, antwortete der Kubus. »Es 10. würde aber schon genügen, aus sicherer Ent Trotz der Hilfsbereitschaft der würfelför fernung den Funkverkehr abzuhören.« migen Wesenheit, die Algonkin-Yatta in lie Algonkin-Yattas Miene hellte sich auf. bevoller Erinnerung an einen Spielroboter »Dann fliegen wir nach Arkon! Schließ seiner Kindheit »Loggy« genannt hatte, dau lich ist die Arkonzeit außer meiner eigenen erte es viele Stunden, bis sie ausgerechnet die einzige, nach der ich gesehen habe, be hatten, daß die Zeitkapsel sich zwischen vor ich mein Schiff verließ. Ich hoffe nur, dreitausendneunhundertzwanzig und vier daß es nicht Jahre dauert, bis ich dahinterge tausend Jahren Arkonzeit »über« Algonkinkommen bin, wie die Raumsteuerung der Yattas eigener Zeitebene befand. Zeitkapsel bedient wird.« »Achtzig Jahre sind auch noch zuviel«, »Das würde keine Rolle spielen«, meinte meinte Loggy abschließend. »Jedenfalls Loggy. »Wir können von jedem beliebigen dann, wenn du genau zu dem Zeitpunkt in Zeitpunkt zu dem gewünschten Zeitpunkt deiner Gegenwart ankommen willst, zu dem zurückkehren, sobald wir wissen, wann wir du sie verlassen hast.« uns befinden.« »Muß ich das denn?« fragte der Kund »Für mich würde es schon eine Rolle schafter. »Ich verstehe ja, daß es sinnlos wä spielen, da meine Verpflegung höchstens re, zu einem früheren Zeitpunkt zurückzu noch fünf Tage reicht«, erwiderte der Kund kehren, denn dann würde ich mir selber ge schafter. »Wovon ernährst du dich eigent genüberstehen. Aber ist es nicht egal, ob ich lich?« auf die Sekunde genau oder ein paar Tage »Ich zapfe die Energie des Zeitstroms später zurückkehre?« an«, antwortete Loggy. »Ein paar Tage würden sicher nichts aus »Faszinierend!« entfuhr es Algonkin-Yat machen«, antwortete der Kubus. »Aber bei ta. Er blickte den unscheinbar wirkenden den meisten Versuchen würdest du den ge Kubus voller Hochachtung an. Danach nauen Zeitpunkt um Jahre verfehlen. Dann wandte er sich seiner schwierigen Aufgabe wären Anlytha und Khoruna Skapron aber zu, nach Raumsteuerkontrollen zu suchen längst mit deinem Schiff weitergeflogen, und herauszufinden, wie sie bedient wurden. weil sie denken müßten, du würdest nie Nach achtzehn Stunden und ungezählten mehr zurückkehren.« Versuchen beherrschte der Kundschafter »Das sehe ich ein«, erwiderte Algonkin-Yat endlich die Raumsteuerkontrollen der Zeit ta. »Aber wenn wir einige Jahre zu spät ein kapsel genauso gut wie die seines Kund treffen, brauchen wir nur eine Zeitkorrektur schafterschiffs. Er hatte dabei herausgefun vorzunehmen.« den, daß das Überlichttriebwerk der Kapsel »Das ist richtig, aber dazu müßten wir nach einem ihm bisher unbekannten Prinzip wissen, um wieviel Jahre, Monate und Tage funktionierte. wir den gewünschten Zeitpunkt verfehlt ha Auch jetzt durchschaute er dieses Prinzip ben. Das läßt sich nicht im unbewohnten La noch nicht ganz. Er wußte nur aus den Tests, thia-System feststellen, und du wirst dir daß die Kapsel jedesmal, wenn sie auf Über kaum die exakte Stellung der Sterne von ei lichtflug geschaltet wurde, die nächste Son
46 ne ansteuerte – aber nicht, um sie zu errei chen. Sie näherte sich ihr lediglich auf eine von Flug zu Flug unterschiedliche Entfer nung, hüllte sich kurz in ihr Zeitverände rungsfeld und vollführte, sobald dieses Feld erlosch, eine ganz normal wirkende Transiti on. Algonkin-Yatta konnte lediglich vermu ten, daß die Zeitkapsel wegen ihrer naturge mäß geringen Treibstoffvorräte aus Fusions material ihre Raumsprungspulen auflud, in dem sie bei einem kurzen Zeitversetzungs manöver Zeitenergie in normale Energie umwandelte. Nach einer letzten Überprüfung der Kon trollen, die nur bei Berührung einer be stimmten farbigen Linie sichtbar wurden, wandte er sich an Loggy und sagte: »Da wir die Sternkonstellationen in die sem Raumsektor nicht kennen, werde ich einen Sprung über zweitausend Lichtjahre durchführen, der uns aus der galaktischen Ebene bringt. Von außerhalb hoffe ich, den Kugelsternhaufen identifizieren zu können, den die Arkoniden Thantur-Lok nennen.« »Nur zu!« erwiderte Loggy. »Du wirst es schon schaffen. Algonkin.« Der Kundschafter bückte sich und strich mit der Hand behutsam über den Kubus. »Danke, Loggy! Du wirst sehen, daß An lytha dich ebenfalls mag, sobald sie dich kennenlernt.« »Und Khoruna Skapron?« fragte der Ku bus. Algonkin-Yattas Miene verfinsterte sich. »Dem Arkoniden fehlt das Verständnis für andersartige Lebewesen. Er ist das Pro dukt einer Erziehung, die Haß auf alles Fremde erzeugen will, weil das Volk der Ar koniden von etwas Fremden, nämlich von den Maahks, in seiner Existenz bedroht wird. Aber so tief sitzt die falsche Erziehung nicht. Mich hat er schließlich auch akzep tiert und Anlytha ebenfalls.« Als er es gesagt hatte, kam ihm der Ge danke, daß Khoruna Skapron ihn und Anly tha möglicherweise nur deshalb akzeptiert hatte, weil er hoffte, ihnen technische Ge-
H. G. Ewers heimnisse abschauen zu können, die sein Volk für den Methankrieg brauchen konnte. Seufzend wandte er sich den Kontrollen zu und schaltete, indem er mit den Fingern über eine Art Rasterbild fuhr. Die Zeitkapsel beschleunigte augenblicklich und nahm Kurs auf die Sonne Lathia. Schon nach kurz er Zeit hüllte sie sich in das Zeitverände rungsfeld, blieb eine Weile darin und schal tete es wieder ab. Algonkin-Yatta spürte den Entstoffli chungsschmerz nicht, da dieser Vorgang viel zu schnell ablief. Erst nach der Wiederver stofflichung raste der Entzerrungsschmerz durch seine Nervenbahnen und erreichte als Signalwelle sein Gehirn. Der Kundschafter registrierte die Schmerzsignale, vermochte sie aber bewußt zu ignorieren, da er darauf trainiert war und außerdem wußte, daß die Schmerzen keinen bedrohlichen Zustand signalisierten. »Was zeigen die Bildschirme?« fragte Loggy. »Schräg unter uns den hell strahlenden Kern der Galaxis, umgeben von dichtem Sternengewimmel und Dunkelwolken«, be richtete der Kundschafter. »Und über uns se he ich mit bloßem Auge mehrere große Ku gelsternhaufen. Leider sind sie zu weit ent fernt, als daß ich erkennen könnte, ob Than tur-Lok dabei ist.« »Wir könnten auch auf der falschen ›Seite‹ derGalaxis sein«, meinte Loggy. »Das wäre schlimm«, erwiderte Algon kin-Yatta. »Denn dann könnten wir lange suchen.« Er stellte die Kontrollen auf einen Sprung von weiteren zweitausend Lichtjahren. Als die Zeitkapsel danach rematerialisierte, stieß der Kundschafter einen Freudenschrei aus und deutete auf einen der drei nächsten Ku gelsternhaufen. »Das ist er! So habe ich ihn gesehen, als ich zum erstenmal von der Galaxis in den Kugelhaufen der Arkoniden flog – aller dings ohne zu wissen, daß es Arkoniden gibt. Ich versuche, direkt in die Mitte von Thantur-Lok zu springen.«
Die Zeitkapsel
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»Das könnte gefährlich werden«, warnte Loggy. »Ich weiß«, erwiderte der Kundschafter. »Aber ich muß nicht nur meine eigene Zeit wiederfinden, sondern auch Atlans Spur.« Abermals schaltete er.
* Die Zeitkapsel rematerialisierte in unmit telbarer Nähe einer roten Riesensonne. Fast sofort wurde es heiß in der Kapsel, die kei nen Schutzschirm aufbauen konnte. Ein durchdringendes Summen ertönte. Algonkin-Yatta begriff, daß sein winziges Fahrzeug innerhalb weniger Minuten verglü hen würde, wenn es so lange dicht über der Sonnenoberfläche blieb. Hastig schaltete er einen neuen Sprung. Nach der Wiederverstofflichung atmete er auf. Es schien alles noch einmal gutgegan gen zu sein. »Wie geht es dir, Loggy?« fragte er und sah nach dem Kubus. »Mir hat die Hitze nicht geschadet, Al gonkin«, antwortete Loggy. »Aber natürlich wäre auch ich verloren gewesen, wenn die Kapsel verglüht wäre.« »Ich werde künftig vorsichtiger sein«, versprach Algonkin-Yatta. »Aber bevor ich mich orientiere und nach Arkon weiterflie ge, möchte ich dreitausendneunhun dertzwanzig Jahre in der Zeit zurückgehen.« »Warum?« erkundigte sich der Kubus. »Wenn Arkon in der Zeit, in der wir uns be finden, noch existiert, wird es dort auch noch eine Zeitrechnung geben, an der wir uns orientieren können.« Algonkin-Yatta lächelte verlegen. »Das ist zwar richtig, aber ich möchte so dicht wie möglich an meiner eigenen Zeit sein. Vielleicht erfahre ich dann etwas, das mir später hilft, Atlans Spur wiederzufin den.« »Kristallprinz Atlan scheint dich unge heuer zu faszinieren«, meinte Loggy. »Allmählich werde ich selbst neugierig auf ihn. Hoffentlich lerne ich ihn kennen.«
»Wenn wir zusammenbleiben, wirst du ihn kennenlernen«, versicherte der Kund schafter. »Ich ruhe jedenfalls nicht eher, als bis ich ihn gefunden habe. Notfalls gehe ich durch Zeit und Raum und alle Gefahren die ses Universums.« Er wurde nachdenklich, als er sich daran erinnerte, daß er beim ersten Versuch der Rückkehr in seine eigene Zeit von etwas Unbekannten aus dem Zeitkurs geworfen worden war. Die Paths schienen von der Existenz dieses Hindernisses – oder was es sonst war – gewußt zu haben. Er nahm sich vor, irgendwann zu ergründen, worum es sich handelte, denn dann gab es vielleicht ei ne Möglichkeit, weiteren Zusammenstößen auszuweichen. »Ich werde es herausfinden!« sagte er grimmig, während er die Schaltungen für die Zeitversetzung vornahm. Nach dem Zeitmanöver ließ er die Zeit kapsel kleine Sprünge vollführen, die sie all mählich näher an das Zentrum von ThanturLok und damit an das Arkon-System brach ten. Endlich war es dann soweit. Die Sonne Arkon leuchtete in wenigen Lichtwochen Entfernung zwar nur wie ein normaler Stern, aber die Position stimmte. Mit Hilfe der Or tungsgeräte, die er bei der Suche nach der Raumsteuerung gefunden hatte, suchte er die Umgebung ab. »Das sind mindestens dreitausend Raum schiffe, die in unmittelbarer Nähe von Ar kon kreuzen!« entfuhr es ihm. »Und ständig erfolgen Strukturerschütterungen neu an kommender weiterer Raumschiffe. Es ist ei genartig, aber der größere Teil der Raum schiffe scheint sich innerhalb des Arkonsy stems zu sammeln, während die anderen Schiffe außerhalb Wartepositionen bezogen haben.« »Es werden die normalen Sicherungs streitkräfte sein«, meinte Loggy. »Aber ich kenne über die Verhältnisse im Großen Im perium nur das wenige, das du mir erzählt hast.« »Mir kommt es eher vor, als bahnte sich
48 eine Raumschlacht an«, sagte Algonkin-Yat ta. Plötzlich wurde er von Erregung gepackt. »Vielleicht ist die außerhalb von Arkon war tende Flotte Atlans Streitmacht, mit der er den Sturz Orbanaschols gewaltsam herbei führen will.« Doch er verwarf den Gedanken schnell wieder. »Nein, Atlan würde anders vorgehen und nicht die Vernichtung Tausender von Raum schiffen und den Tod ihrer Besatzungen ris kieren. Er achtet auch das Leben seiner Geg ner – und die Besatzungen der orbanaschol treuen Schiffe sind ja nur aus Unwissenheit oder gezwungenermaßen seine Gegner.« Er schaltete die Funkanlage der Kapsel ein, die er ebenfalls erst während der Suche nach der Raumsteuerung entdeckt hatte. Da er durch den Kontakt mit Khoruna Skapron die arkonidische Sprache wie seine eigene beherrschte, zweifelte er nicht daran, daß die Funksprüche, die er auffangen würde, ihm erheblich mehr liefern würden als nur eine genaue Zeitangabe. Nach einer knappen halben Stunde sah er ein, daß er sich verrechnet hatte. Beinahe al le Funksprüche, die von Arkon kamen, nach Arkon gingen oder zwischen Raumschiffen gewechselt wurden, erwiesen sich als hoch wertig verschlüsselt. Ohne die Hilfe der Psiotronik war jedoch eine Entschlüsselung aussichtlos. »Warum gehst du nicht ein Jahrtausend vorwärts oder zurück?« fragte Loggy, als der Kundschafter ihm von seinem Problem berichtet hatte. »Irgendwann wird es genü gend unverschlüsselte Funksprüche geben.« »Aber irgendwann nützen sie mir nichts«, entgegnete Algonkin-Yatta. »Irgendwann er halte ich keine Informationen über Atlan.« Erneut suchte er die Frequenzen ab, um vielleicht doch noch eine wichtige Nachricht zu finden, die nicht verschlüsselt war. Hin und wieder empfing er kommerzielle Sende stationen, deren Sendungen aber nicht inter essant für ihn waren. Immerhin erfuhr er aus ihnen das Datum, das auf Arkon geschrieben wurde.
H. G. Ewers »Wir brauchen nur noch eine kurze Zeit spanne zurückzugehen, um exakt die Zeit zu treffen, aus der ich gekommen bin«, sagte er zu Loggy. »Dann sollten wir es tun«, erwiderte der Kubus und ließ zahlreiche Symbole auf sei ner Oberfläche erscheinen. »Noch nicht«, erklärte Algonkin-Yatta hartnäckig. Er suchte unermüdlich weiter – und fand schließlich den Sender einer Widerstands gruppe auf Arkon I, der zwar relativ schwach war, aber dennoch einigermaßen verständlich empfangen werden konnte. Und vor allem: Er sendete unverschlüsselte Nachrichten, die an die Bevölkerung des Ar kon-Systems gerichtet waren. Der Kundschafter lauschte wie gebannt den Informationen, denn sie enthüllten Tat sachen und Zusammenhänge, die einen Teil seiner Erwartungen übertrafen, ihm aber auch Enttäuschungen bereiteten. Immer wie der fielen die Namen von Atlan, Fartuloon und Orbanaschol. So schien ein Arkonide namens Upoc, der bisher weitgehend unbe kannt gewesen war, plötzlich eine höchst be deutsame Rolle zu spielen. In diesem Zu sammenhang fiel auch mehrmals der Name Lebo Axton, den Algonkin-Yatta bereits frü her gehört hatte. Plötzlich unterbrach der Sender seine Nachrichten. Eine Weile herrschte Stille, und Algonkin-Yatta befürchtete schon, der geheime Sender sei von Sicherheitstruppen Orbanaschols ausgehoben worden. Doch dann meldete sich der Sprecher wieder – und was er bekannt gab, verschlug dem Kundschafter den Atem. Als die Sendung beendet war, stand Al gonkin-Yatta lange Zeit reglos da, um zu verarbeiten, was er gehört hatte. Loggy frag te ihn nicht danach – und er war dankbar da für, denn er glaubte, daß es mehr als genug war, wenn eine Person, die nicht – noch nicht – in diese Zeitebene gehörte, Bescheid wußte. Als er sich wieder gesammelt hatte, dreh te er sich um und sagte:
Die Zeitkapsel
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»Endlich können wir in unsere Ausgangs zeit zurückkehren, Loggy. Ich freue mich schon darauf, Anlytha wiederzusehen.« Er schaltete die Raumsteuerung ein und programmierte sie auf drei Sprünge, die sie zum fünften Trümmerring der Sonne Lathia zurückbringen sollten. Erst dort wollte er dann den Zeitsprung wagen, der sie endgül tig zurückbringen würde.
* Wieder schwebten sie in der kleinen Zeit kapsel neben dem fünften Trümmering der Sonne Lathia. Algonkin-Yatta beobachtete mehrere Stunden lang, denn er wollte sichergehen, daß der Effekt der Zusammenballung und Ausdehnung des nebelhaften Trümmerrings sich nicht mehr wiederholte. Er hatte offen bar mit der Anwesenheit der Zeitkapsel zu sammengehangen und sollte eigentlich – nachdem die Paths durch die Zerstörung ih res Planeten die Zwangsschaltung der Kap sel desaktiviert zu haben glaubten – endgül tig der Vergangenheit angehören. Tatsächlich trat der Effekt nicht ein. Der fünfte Trümmerring drehte sich genauso un verändert um seine Sonne wie die übrigen Trümmerringe. Aufatmend wandte sich der Kundschafter an den Kubus und sagte: »Ich denke, wir können beruhigt zurück kehren, Loggy. Die Zeitmaschine ist kein In strument des Unheils mehr, sondern nur noch ein Werkzeug, das seinem Besitzer ge horcht.« »Du wirst es wahrscheinlich brauchen können, Algonkin«, erwiderte der rätselhafte Kubus. Algonkin-Yatta stutzte. »Hast du etwa die letzte Sendung der Wi derstandsgruppe von Arkon mitgehört, Log gy?« »Sie war zu leise, als daß der Schall bis zu mir hätte dringen können«, antwortete Log gy. Der Kundschafter war mit der Antwort
nicht ganz zufrieden. Sie war ihm nicht ein deutig genug. Aber er verzichtete darauf, Loggy weiter auszufragen. So, wie er sein Geheimnis bewahren durfte, so sollte auch Loggy sein Geheimnis, wenn es eines gab, für sich behalten dürfen. »Ich stelle jetzt die Zeit ein, die wir zu rückgehen müssen«, erklärte er und trat zu den Kontrollen für die Zeitmaschine. Er war voll freudiger Erwartung, als sich der undurchdringliche, substanzlos erschei nende Schleier um die Zeitkapsel legte. Doch als die Bewegung durch die Zeit be gann, bekam seine Erwartung schnell einen Dämpfer. Plötzlich gab es einen harten Ruck, der dem Kundschafter nur allzu bekannt vor kam. Er hatte das Empfinden, als geriete die Zeitkapsel ins Schleudern und stiege danach aufwärts anstatt abwärts. Aber Algonkin-Yat ta war sich nur zu genau der Subjektivität solcher Empfindungen bewußt. Irgendwann hatte er das Gefühl, als stün de die Zeitkapsel still. Erwartungsvoll sah er nach draußen, denn nach dem Ende der Zeit reise mußte sich der substanzlose Schleier lichten. Doch seine Erwartung wurde ent täuscht. Zwar schien der Schleier zu wogen und formte undefinierbare Gebilde, aber er lichtete sich nicht. »Mir scheint, als säßen wir irgendwann fest«, sagte er zu dem Kubus. »Wenn du das modifizierte Orientierungs element eines Zeitauges bist, kannst du viel leicht eher vermuten als ich, was mit uns ge schieht, Loggy.« »Ich weiß es sogar«, antwortete Loggy. »Etwas Ähnliches geschah, als ich zwischen den Dimensionen mit dem Psi-Roboter zu sammentraf, der mich modifizierte. Auch wir sind offenbar mit etwas zusammenge troffen, das durch die Zeit reist – und das Zusammentreffen scheint das andere und uns an der Weiterfahrt zu hindern.« »Dann sitzen wir praktisch zwischen den Zeiten fest«, sagte Algonkin-Yatta betrübt. »Damals war es genauso«, erklärte der Kubus. »Der Zustand änderte sich erst, als
50 zwischen dem Psi-Roboter und mir ein Aus tausch stattfand, der uns beide etwas verän derte. Wenn zwischen dem anderen und uns ein Austausch möglich wäre, kämen wir wahrscheinlich alle weiter.« »Aber wie soll ein Austausch stattfinden, wenn wir nicht einmal Kontakt zu dem an deren haben?« erkundigte sich der Kund schafter. »Wir erkennen das andere ja nicht einmal. Und wenn, was könnte ausgetauscht werden?« »Wir müssen abwarten«, antwortete Log gy. Algonkin-Yatta sah ein, daß er nichts wei ter tun konnte, als Loggys Rat zu folgen. Er beobachtete weiter. Der substanzlose Schleier veränderte sich laufend. Einmal entfernte er sich von der Zeitkapsel, dann wieder näherte er sich ihr bis auf kurze Entfernung. Während einer dieser Annäherungsphasen glaubte der Kundschafter, die große dreidimensionale Form eines halb von Nebel verdeckten Ei lands zu sehen, das zwischen düsteren Wol ken dahinglitt. Irgendwo darauf bildeten sich Berge, zerflossen wieder und entstanden für kurze Zeit neu. Hin und wieder gab der Ne bel den Blick auf seltsam bizarre Gebilde frei, die möglicherweise Bauwerke sein konnten. Doch alle diese Erscheinungen hielten nicht lange genug an, als daß der Kund schafter sich ein klares Bild von ihnen hätte machen können. Außerdem hielt er sie le diglich für Begleiterscheinungen anderer, di mensional übergeordneter Vorgänge. Als er während einer der Annäherungs phasen einmal glaubte, einen gellenden Schrei zu hören, war er sicher, daß alles nur Halluzinationen waren, die von den sinnver wirrenden Einflüssen des Zeitveränderungs felds ausgelöst wurden. Aber dann hörte er den gleichen Schrei noch einmal – und diesmal kam er aus gerin ger Entfernung hinter ihm! Algonkin-Yatta fuhr herum – und sah, daß sich Loggy in eine grell strahlende Mi niatursonne verwandelt hatte, die dicht über
H. G. Ewers dem Boden schwebte und langsam empor stieg. »Loggy!« schrie er. Niemand antwortete. Die kaum mehr als faustgroße Miniatur sonne stieg immer höher. Verzweifelt über legte der Kundschafter, wie er sie anhalten könnte, denn wenn sie an die obere Wan dung der Zeitkapsel traf, mußte sie eine Ka tastrophe auslösen. Doch er besaß nichts, womit er eine Miniatursonne anhalten konn te. Hastig stieg er in seinen Strahlenschutz panzer, denn wenn die Sonne ein Loch in die Kapsel brannte, mußte er geschützt sein, wenn er nicht durch eine explosive Dekom pression umkommen sollte. Doch er schaffte es nicht. Die Miniatursonne erreichte die Wandung der Kapsel – und formte sich plötzlich zu ei ner Spirale, die in hellgrünem Feuer leuchte te. Im nächsten Augenblick gab es einen Blitz. Die Spirale war verschwunden – aber die Kapsel war nicht beschädigt. Als Algonkin-Yattas Augen sich von dem Blitz erholt hatten, sah er dort, wo zuvor der Kubus gestanden hatte, einen zu einer faust großen Kugel geschliffenen grünen Kristall liegen. »Loggy?« flüsterte er. »Ich bin Loggy und bin es doch nicht«, vernahm er – aber es waren keine gespro chenen Worte, sondern sie kamen direkt in seinem Gehirn an. »Etwas von mir ist in das andere gegangen – und etwas von dem ande ren ist zu mir gekommen. Sieh hinaus, Al gonkin!« Der Kundschafter schaute auf die Bild schirme und sah, wie sich in den wirbelnden Schleiern Symbole formten, ähnlich denen, die manchmal auf der Oberfläche des Kubus entstanden waren. Im nächsten Augenblick waren sie verschwunden – und der Kund schafter hatte das Gefühl, als fiele die Zeit kapsel mit großer Geschwindigkeit durch einen unsichtbaren Schacht.
*
Die Zeitkapsel Als diesmal das Gefühl des Stillstands auftrat, lichteten sich die Schleier. Auf der einen Seite der Zeitkapsel war der fünfte Trümmerring zu sehen – und auf der anderen das Oval des Kundschafterschiffs. »Wir haben es geschafft, Loggy!« rief Al gonkin-Yatta freudig erregt. Er eilte an die Funkanlage, schaltete sie auf die Frequenz seines Schiffes und rief nach Anlytha. Sekunden später tauchte der Oberkörper Anlythas auf dem Bildschirm auf. »Endlich, mein Kleines!« rief der Kund schafter. »Ich bin so froh, dich wiederzuse hen nach meiner langen Irrfahrt.« Anlytha stieß ein helles Zwitschern aus. »Ich bin auch froh, dich wiederzusehen, Algonkin. Aber so lange warst du gar nicht fort. Als die Leuchtgebilde dich einhüllten und die Kapsel sich plötzlich öffnete und dich in sich aufnahm, glaubte ich allerdings, du seiest verloren. Aber bevor ich eingreifen konnte, verschwand die Zeitkapsel mitsamt dem Schattenplaneten. Der Schattenplanet tauchte allerdings schon bald wieder auf – nach genau einer halben Stunde. Warum hast du doppelt so lange für den Rückweg gebraucht?« »Der Schattenplanet tauchte wieder auf?« fragte der Kundschafter nach einem Blick auf den fünften Trümmerring. »Ja, aber er dehnte sich sofort aus und blieb seitdem, was er auch jetzt ist. Wo warst du, Algonkin?« Algonkin-Yatta lächelte. »Du bist neugierig wie immer, Anlytha. Ich reiste durch Raum und Zeit und habe viel erlebt, denn für mich waren es Tage, die ich fort war – und Jahrtausende, wenn man meine Zeitreise berücksichtigt. Aber was re den wir über Funk! Gib der Psiotronik die Anweisung, sie soll einen Bergungshangar für die Zeitkapsel öffnen! Dann sehen wir uns direkt wieder.« »Für die Zeitkapsel?« fragte Anlytha. »Aber sie ist doch gefährlich!« »Nicht mehr«, erwiderte der Kundschaf ter. »Aber davon später! Ich bin froh, wenn
51 ich wieder auf meinem Schiff bin.« Als die Zeitkapsel im Bergungshangar verstaut war, nahm Algonkin-Yatta die grü ne Kristallkugel, in die Loggy sich verwan delt hatte, in die Hand und stieg aus. Drau ßen wartete bereits Anlytha. Sie eilte auf den Kundschafter zu, der sie hochhob und herumschwenkte, ohne Loggy loszulassen. Nachdem er sie abgesetzt hatte, bemerkte er, daß sie fragend auf die Kristall kugel blickte. »Das ist mein Freund Loggy«, erklärte er. »Sicher wird er auch bald dein Freund sein. Wie geht es Khoruna Skapron?« »Viel besser«, antwortete Anlytha. »Ich habe mich schon mit ihm unterhalten kön nen, obwohl er noch in der Regenerations kammer liegt.« Ihre Miene wurde ernst. »Die Medozentrale hat ihn hypnosuggestiv behandelt. Dabei wurde ihm bewußt, daß die Maahks sein Gehirn paramechanisch behan delt haben. Er war darauf programmiert, At lan zu finden und zu töten. Aber er wußte es vorher nicht. Durch die Programmierung kam es auch zu der seltsamen Aktivität sei nes gequetschten Stirnhirns. Seit er davon weiß, ist die Programmierung erloschen. Er möchte nach seiner Heilung auf einem arko nidischen Planeten abgesetzt werden und für Atlan und gegen Orbanaschol kämpfen.« Algonkin-Yatta lächelte erleichtert. »Ich ahnte seit einiger Zeit, daß etwas mit ihm nicht stimmte, Anlytha – jedenfalls, seit er meine Kristallinse heimlich an sich nahm.« »Er hat mir gesagt, wo die Linse ist. Ich hoffe, du gönnst uns etwas Ruhe und jagst nicht gleich wieder hinter Atlan her, Algon kin.« Der Kundschafter strich seiner zarten Be gleiterin über den Federschopf. Sein Blick schweifte dabei in unbekannte Ferne. »Nein, vorläufig jage ich nicht hinter At lan her, denn für einige Zeit braucht er mich nicht.« »Woher weißt du das?« fragte Anlytha verwundert. »Ich habe einen Blick in die Zukunft ge
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worfen«, antwortete Algonkin-Yatta. »Aber darüber spreche ich nicht. Wichtig ist, daß Atlan mich eines Tages dringender brauchen wird als jetzt, denn vor ihm liegen noch unzählige gefahrvolle Abenteuer.« »Die Zeitkapsel wird dir helfen – und vielleicht auch ihm«, warf Loggy ein. »Wie soll ich das verstehen?« fragte der Kundschafter. »Ich habe, als wir zwischen den Zeiten festhingen, etwas gegeben und etwas ge-
nommen – und das, was ich nahm, enthält eine wichtige Information. Aber auch ich spreche nicht über die Zukunft.« Algonkin-Yatta sah die Kristallkugel nachdenklich an, dann meinte er: »Das ist sicher auch besser so, sonst wä ren wir nicht so gespannt auf die Zukunft.«
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 291: Armee der Seelenlosen von Peter Terrid Atlan in der Gruft der lebenden Leichen – ein unheimliches Heer wartet auf die Stunde X