Michael Butterworth
DIE ZEIT-ATTACKE Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-TASCHENBUCH-MO...
18 downloads
502 Views
738KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Michael Butterworth
DIE ZEIT-ATTACKE Mondstation 1999
Science – Fiction – Roman
Bastei Lübbe
BASTEI-TASCHENBUCH-MONDSTATION 1999 Nr. 25005 Originaltitel: THE TIME FIGHTERS Ins Deutsche übertragen von Leni Sobez Copyright by ITC Incorporated Television Company Ltd This novelization Copyright Michael Butterworth 1977 Deutsche Lizenzausgabe 1978
Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, Bergisch Gladbach Printed in Western Germany Titelbild: ATV Umschlaggestaltung: Roland Winkler Satz: Neo-Satz, Hürth Druck- und Verarbeitung: Mohndruck, Reinhard Mohn OHG, Gütersloh ISBN 3-404-00807-3
Commander John Koenig steuerte Eagles Eins und sah auf dem Monitor das Gesicht Carters, der ihn auf der Mondbasis vertrat. Plötzlich verzerrten sich die Konturen von Carters Gesicht und zerflossen. Der Bildschirm wurde grau. John Koenig zuckte zusammen. „Tony, verdammt, was ist das?“ Tony Verdeschi auf dem Co-Piloten-Sitz des Eagle hämmerte hektisch auf die Knöpfe und Hebel seines Armaturenbrettes ein. „Commander – ich glaube, der Mond explodiert!“ John Koenig schaltete die Kamera ein, die auf die Heimat der Alphaner ausgerichtet war. Der Außenmonitor zeigte nur die unendliche Leere des Alls. Der Mond war verschwunden!
I
Ein blaßgraues Raumschiff hing zwischen den Sternen über der Mondbasis Alpha. Die dünne, lebenswichtige Hülle war zerfetzt, die zerklüfteten Metallstücke sahen im fahlen Licht aus wie welke Blütenblätter. Es schien bewegungslos vor dem Hintergrund der Sterne zu hängen, doch in Wirklichkeit raste es ebenso schnell durch den Raum wie der aus seiner Bahn geschleuderte Mond. Es war das Opfer eines einzelnen tödlichen Meteoriten und der vielfältigen anderen Gefahren, die seinen Pfad belauerten. Aufgetaucht war es praktisch aus dem Nichts. Die Basis Alpha auf der Mondoberfläche hatte die kalten, unendlichen Sternenhaufen durchforscht und die wirbelnden Wolken des Raumstaubes mit ihren Scannern abgesucht. Urplötzlich hatten die Sensoren das UFO angezeigt, und die gestrandeten Alphaner erwachten zu hektischer Aktivität. John Koenig, Commander der Basis, und Tony Verdeschi, der Sicherheitschef, waren sofort zu einer Expedition aufgebrochen, um das Geheimnis des merkwürdigen Schiffes zu erkunden. Das Wrack hing vor dem Eagle. Die aus einem unbekannten Kampf stammenden Lecks klafften wie grauenhafte Wunden. An Bord war kein Leben zu erkennen, die ferngesteuerten Alpha-Sonden, die jede bioplasmische Aura um lebende Materie unfehlbar aufzeichneten, hatten dies gemeldet. Eine Drohung stellte das Wrack offensichtlich nicht dar, und doch… Man mußte sich selbst genau davon überzeugen. Da war eine Frage, die unter allen Umständen beantwortet werden
mußte. Vielleicht stellte sein lebensloses geheimes Herz das Geheimnis interstellarer Reisen dar, also einer Technologie, die es ihnen ermöglichen würde, zu ihrer geliebten Erde zurückzukehren. Vielleicht stammte dieses tote Schiff sogar von der Erde. Vielleicht… Es mußte schon seit Jahrhunderten durch den Raum jagen, soviel schien sicher zu sein. Wer immer es bemannt hatte, war vor unendlich langer Zeit umgekommen. Aber Zeit bedeutete denen nichts, die über das Wissen von den Sternenreisen verfügen. Eine Million Jahre konnte verstreichen, eine Milliarde, die Erde konnte schon tausendmal gestorben sein, und noch immer bestand eine Möglichkeit der Rückkehr. Koenigs Herz schlug schneller vor vager Hoffnung – und Sorge –, als sie sich dem Wrack näherten. Ehe er den Befehl zum Andocken gab, schaute er Tony Verdeschi fragend an. Er war der einzige Alphaner, dessen Leben er, außer dem eigenen, auf dieser Mission riskierte. Der Sicherheitschef stand unter extremen Belastungen. Im Moment hatte er viele persönliche Probleme. Maya, seine Freundin und wissenschaftlicher Offizier der Mondbasis, war vor wenigen Tagen ernstlich erkrankt, und trotz vorzüglicher Behandlung ließ sich kein Anzeichen einer Besserung erkennen. Er war darüber außerordentlich bekümmert, und man mußte ihn beschäftigen, um ihn abzulenken. Koenig hatte ihn auch deshalb mitgenommen, weil seine Geschicklichkeit für diese möglicherweise sehr gefährliche Mission unentbehrlich war. »Alles in Ordnung«, antwortete Verdeschi auf Koenigs fragenden Blick. Von den Instrumenten vor seinem Kontrollsitz las er die Daten ab. »Wir sind bis an die Zähne bewaffnet, und unsere Kanonen sind, nur für alle Fälle, auf das Wrack ausgerichtet.« Er lächelte düster. »Aber gegen die Möglichkeit eines labilen Zeitwarps können wir nichts tun.«
Koenig nickte grimmig. Auf den dunkelhaarigen Italiener konnte er sich bedingungslos verlassen, denn er war vernünftig und ungemein genau. Seine Sorge galt also nicht Verdeschi und auch nicht dem hypothetischen elektronischen Gegner, der vielleicht noch an Bord des Wrack lauerte. Der größte Unsicherheitsfaktor war der, daß die geringste Unvorsichtigkeit – es konnte aber auch Pech sein – genügte, um durch einen unberechenbaren und unvermuteten Zeitriß zu verschwinden, durch den das UFO aufgetaucht sein mußte. Warps, diese Zeitkrümmungen oder Verwerfungen, waren an den Raumstraßen nichts Ungewöhnliches. Supersterne aus Antimaterie, die sogenannten Schwarzen Löcher, bildeten sich ja ständig irgendwo, und die unausbleibliche Folge davon war ein Zerreißen oder Verwerfen des normalerweise stabilen Raum-Zeit-Gewebes. Da jedoch das Universum so unbeschreitbar riesig und die Menschheit im Vergleich dazu so unglaublich winzig war, blieb die Gefahr, in eine solche Verwerfung zu geraten, zum Glück ziemlich gering. Trotzdem hatte die Mondbasis auch davon ihren vollen Anteil abbekommen, seit sie im Jahre 1999 aus dem Erdorbit gerissen worden war. Hatten sie Pech und eine Zeitverwerfung vor sich, so konnte nichts sie davor bewahren, durch einen Riß in eine ganz andere Zeit geworfen zu werden, vielleicht sogar in ein völlig anderes Universum, und dann waren sie für immer von ihren Gefährten auf dem Mond getrennt. Das Wrack trieb näher heran. Es füllte den ganzen Sichtschirm des Eagle aus und wirkte trostlos und verlassen. Die beiden Piloten waren wenigstens von einem lebendigen Summen und Klicken umgeben, doch auch dies war wenig Trost bei diesem Anblick, der ihnen Schauer des Grauens über den Rücken jagte.
Im Kopf der Psychonierin hatte sich die Tragödie schon ereignet. Die Zeit war durcheinander geraten. Erinnerungen waren zu Wirklichkeiten geworden, als sie durch die psychische Zeitverwerfung stürzte, die sie in sich hineingezogen hatte. Nun war sie in der Vergangenheit verloren, und sie lebte in dem Bewußtsein, niemals eine andere Existenz gehabt zu haben. Ihr Geist hatte sich in jene Zeit verirrt, da sie von ihrem Heimatplaneten losgerissen worden war. Sie war in die letzten Erinnerungen an Mentor, ihren Vater, geworfen worden, an die tote Welt ihrer Vorfahren, die er so verzweifelt neu zu schaffen versucht hatte. Ohne daß sie es ahnte, hatte er sie als Hilfe benutzt, um die Leben anderer Wesen von anderen Welten zu stehlen, die er für seinen BioComputer brauchte, um seine sich selbst gestellte Aufgabe zu erfüllen. Er hatte es nur gut gemeint… Dann kamen Koenig und die Alphaner. Mentor hatte sie in seine Falle gelockt und auch sie für seine wohlgemeinten, aber unsinnigen Pläne zu benutzen versucht. Aber sie hatten ihn überlistet und ihr die schreckliche Wahrheit über ihren eigenen Vater enthüllt. Ihr Vater war irrsinnig gewesen… Seine erdichteten Geschichten konnte sie nicht länger mehr glauben, daß die Lebenskräfte, die er stahl, freiwillig gegeben wurden zum Nutzen von Psychon. Für sie war es eine ungeheure Erschütterung gewesen, aus der behüteten Kindheit herausgerissen zu werden, die der Vater ihr bereitet hatte. Die Alphaner hatten nicht nur die Träume ihres Vaters zerstört, sondern auch die Maschine vernichtet, die sein Lebenswerk war und zu Psychons Wiederauferstehung hätte führen sollen.
Dann hatte der Planet zu kochen begonnen… Schließlich war er explodiert; als der Computer, der ihn zusammenhielt, beschädigt war, konnte er nicht mehr länger existieren. Glühende Lavaströme hatten sich die kahlen Berghänge herabgeschoben, riesige Spalten sich in der Planetenkruste aufgetan, das Plasma war herausgebrochen, und Feuerzungen hatten über die ganze Oberfläche geleckt. Da schrie sie. Die Unschuld ihres Unwissens war dahin. Das Monster, das ihre Kindheit belauert hatte, war aufgetaucht und hatte begonnen, ihren Vater zu verschlingen… »Nein, Vater, tu das nicht!« Sie schüttelte heftig den Kopf auf dem schweißnassen Kissen. An ihrem Bett standen die beiden Ärzte Dr. Helena Russell und Dr. Ben Vincent. Helena war überaus besorgt. »Immer, wenn ich ein neues Medikament versuche, geht sie ins Delirium. Das verstehe ich nicht.« Sie legte ihre Hand auf Mayas Stirn. »Sie ist völlig außerhalb der Realität. Sie weiß gar nicht, daß wir da sind… Sie weiß gar nichts, außer…« Ein Gedanke schoß ihr durch den Kopf. »Vielleicht ist es das – es könnte ja sein, daß sie nie ganz verarbeitet hat, was ihr zustieß, und nun muß sie alles noch einmal durchleben…« Verzweifelt sah sie Ben Vincent an, doch der schüttelte den Kopf, weil er auch keine Erklärung hatte. Sie hatten alles versucht. Sie hatten jede Diagnosemöglichkeit ausprobiert und durchgesprochen. Nichts schien zu passen… Maya war nun schon weit über ein Jahr bei ihnen, aber sie mußten zugeben, daß sie noch immer nichts über ihren wundervollen und rätselhaften Körper wußten, am wenigsten wie er zu heilen war. Maya hatte höchstens einmal eine milde psychonische Form einer irdischen Erkältung gehabt.
Und jetzt konnten sie nur verängstigt und enttäuscht den durcheinander geratenen Organismus der Patientin beobachten. »Wir müssen Psychon verlassen, Vater«, klagte sie. »Wir können nicht bleiben… Der Planet kocht…« Sie furchte sorgenvoll die Stirn. »Er wird explodieren!« schrie sie. »Komm mit mir! Bleib nicht hier!« Sie warf sich heftig auf ihrem Bett herum und stieß die Decken von sich. Helena hielt ihre Schultern fest. »Maya, ist doch gut«, redete sie ihr zu. »Scht, Maya, das ist doch alles längst vorbei.« Aber die Kranke hörte nicht darauf. »Es hat keinen Sinn«, sagte Ben Vincent. »Sie kann dich ja nicht hören. Sie…« Er brach ab, weil er in Mayas Augen eine Veränderung bemerkt hatte. Sie starrten nicht mehr blicklos und fiebrig in die Leere, sondern huschten verzweifelt hin und her. Sie schrie auch nicht mehr, und das Delirium schien abzuebben. »Sie kommt wieder zu sich!« rief Helena überglücklich. »Nach drei Tagen kommt sie wieder zu sich! Das erste Zeichen dafür, daß wir sie doch noch heilen können.« Mit glasigen Augen schaute Maya zu ihnen hoch. Ihre Haut war blaß und sah leblos aus, ihre Lippen waren aufgeplatzt. Sie zitterte heftig. »Ich hatte so schreckliche Visionen…« flüsterte sie. »Flammen…« Ihre Stimme war so schwach, daß die beiden sich zu ihr niederbeugen mußten, um sie zu verstehen. »Jetzt ist es wieder gut, und alles geht in Ordnung«, versicherte ihr Vincent. »Wir bekommen dich bald gesund. Du hattest sehr hohes Fieber.« Er sah, daß sie nichts begriff und sich verzweifelt bemühte, seine Worte zu verstehen. »Sobald wir das Fieber herunter haben, bist du wieder ganz fit. Willst du etwas?« Sie schloß erschöpft die Augen. Langsam öffnete sie den Mund. »Ich habe… Angst…« wisperte sie kaum hörbar. Sie
klammerte sich an Helena. »Ich fürchte mich, Helena. Wo ist Tony? Ich will Tony sehen…« Sie legte den Kopf auf die Seite, ihre Augen schlossen sich. Helena streichelte ihr die Wange. »Er wird bald wieder hier sein, du sollst dir keine Sorgen machen.« Nun lag Maya still da. »Gott sei Dank, sie schläft«, sagte Helena und stand auf. »Ben, ich mache mir auch große Sorgen… wegen Koenig und Verdeschi… Etwas stimmt da nicht…« Entschlossen ging sie zum Monitor und drückte einen Knopf. Der Instinkt sagte ihr, daß Mayas Krankheit nicht nur eine Krankheit war, und was es sein könnte, mußten sie erst noch entdecken. Sofort erschien Alan Carters fröhliches Gesicht auf dem Schirm. Er war einer der tüchtigsten Eagle-Piloten und arbeitete gerade in der Zentrale von Alpha als Monitor des Erkundungsschiffes. Im etwas verschwommenen Hintergrund zeichneten sich die Computerbanken der Kommandozentrale ab. Sein freundliches Lachen machte einem besorgten Stirnrunzeln Platz, als er die Unruhe der Ärztin bemerkte. »Alles in Ordnung?« erkundigte er sich. Sie schüttelte den Kopf. »Bei Maya ist es immer dasselbe. Alan, würdest du dich bitte mal mit Eagle Eins in Verbindung setzen? Sie sollen so schnell wie möglich zurückkommen. Ich mache mir große Sorgen um Maya.« Er nickte. »Werd ich…« Er schaltete den Schirm ab, um Sahn am Alpha-Computer seine Weisungen zu erteilen, ließ aber den Kanal zu Helena offen, da er das Gefühl hatte, sie müsse zu ihrer eigenen Beruhigung eingeschaltet bleiben. »Sahn, hol mal bitte Eagle Eins auf den großen Schirm, und öffne einen Kanal.« Helena wartete gespannt und lauschte den Stimmen des Personals im Hintergrund der Kommandozentrale. Dann hörte sie Sahns Stimme, der Kontakt war hergestellt.
»Mondbasis Alpha ruft Commander Koenig… bitte kommen… bitte kommen.« »Anfangen, Alpha«, antwortete Koenigs Stimme. »Nur los.« Carter schaute auf seine Konsole und begann zu sprechen. »John, wir hätten gerne, daß ihr bald zurückkommt. Helena macht sich Sorgen.« »Sag ihr, sie soll sich keine Sorgen machen. Alles geht sehr schön glatt. Wir kommen zurück, sobald wir an Bord des Wracks waren und…« Plötzlich begann die ganze Kommandozentrale zu vibrieren. Koenigs Stimme brach ab. Carters Gesicht auf dem Schirm schwankte beängstigend; sein Mund öffnete sich, als wolle er sprechen, aber seine Worte ertranken in einer Kakophonie aus Kreischen und Angstschreien, die aus dem Lautsprechen kamen. Helena wich vom Monitor zurück, als Boden und Wände sich schüttelten. Die Betten und Instrumente im Lazarett schienen sich aufzubäumen und ineinander zu schieben; sie verlor die Orientierung und fiel zu Boden. Von irgendwoher aus dem Chaos kam Vincent getaumelt und beugte sich über sie. Auch er begann zu rufen und zu schreien und verschwand schließlich aus ihrem Blickfeld. Die ganze Mondbasis bebte und schien auseinanderbrechen zu wollen.
Verblüfft sah Verdeschi den zitternd verwischten Umriß von Carters Gesicht und versuchte das Bild auf seinem Monitor schärfer einzustellen und zu beruhigen. »Was, zum Teufel, ist denn da los?« fragte er gereizt, und blickte zu Koenig, der ebenso verwirrt wie er auf den Schirm schaute. »Das ist keine elektronische Störung«, stellte Koenig fest, als er an seiner
Konsole die Instrumente ablas. Er war jetzt ordentlich besorgt. »Gib mir mal Alpha auf den Konsolenmonitor.« Verdeschi drückte einen Knopf. Auf dem zweiten Schirm erschien ein Bild der Mondbasis, das aber auch nicht besser war als das Carters. Die leistungsfähige Zoomkamera holte das Bild heran, doch es war deutlich zu erkennen, daß die schlechte Bildqualität nicht von einer elektronischen Interferenz stammen konnte. Die gespenstischen Bauten der Mondbasis sahen aus wie ein verkümmerter Seeigel. Obwohl sie in der Dunkelheit des Raumes nur schwach zu erkennen waren, ließ sich feststellen, daß sie zitterten. Und noch schlimmer: die ganze nackte Mondoberfläche, die nun schon so lange ihre Heimat war, zuckte wie im Krampf. Koenig drehte sich schnell wieder zum Sektionsmonitor um und sah Carters zerfließendes Gesicht. »Alan!« schrie er. »Was ist los, Alan?« Er bekam keine Antwort. Er griff über Verdeschis Schulter und drückte einige Knöpfe. Das Bild der gefährdeten Mondbasis verschwand, dafür war der gesamte Mond sichtbar. Der dunkle, narbige Riesenfelsklotz stand vor den Myriaden Sternen und Galaxien. Er sah ebenso bewegungslos aus wie das Wrack des Sternenschiffes, und doch rasten beide durch den Raum. Zu erkennen war er nur, weil er einen ganzen Sternensektor auslöschte und an seinen Rändern die Sterne leuchteten. Wie das Wrack war er ein Stück kosmisches Treibgut; er wurde nicht mehr von seiner Muttersonne beleuchtet und trieb weg von der Sternenfamilie, zu der er einst gehört hatte. Und doch war dieser Felsbrocken ihre Heimat, die einzige Überlebensmöglichkeit. Und nun sahen die beiden Raumfahrer, daß er von einem Beben durchgerüttelt wurde.
Der Mond schien auseinanderbrechen zu wollen. Entsetzt beobachteten sie das grauenhafte Geschehen, und dann schien er sich plötzlich in einem winzigen Lichtschimmer aufzulösen. Die schwarze, zerklüftete Masse verschwand, die vorher verdeckten unzähligen Sterne leuchteten auf und füllten den Schirm mit einem höhnisch strahlenden Glanz.
II
Maya konnte von ihrem Bett aus nur Wände und Decken des Lazaretts sehen, und alles schien sich wie irr um sie zu drehen. Ihr Bett tat einen Satz und schlitterte über den Boden. Sofort herrschte wieder völlige Dunkelheit für sie. Das Delirium, das sie abgeschüttelt hatte, kehrte in der alten Heftigkeit zurück. Die Phobie ihres Unterbewußtseins, die normalerweise nur ihre Träume heimsuchte, beherrschte sie nun wieder mit den grausamen Gedanken, die auch die letzten Tage mit ihrem Vater Mentor gekennzeichnet hatten. Sie befand sich im Hain von Psyche, in dem Raum der Untergrundfestung von Psychon, in der ihr Vater den BioComputer installiert hatte. Der abscheuliche Koenig, ein Fremder, zerschlug die empfindlichen Röhren des Computers und ließ die kostbaren Flüssigkeiten, sein Herzblut, auslaufen. Der vor Wut irre Mentor griff ihn an beim Versuch, wenigstens noch Teile seines Lebenswerkes zu retten, um auf den Resten neu aufbauen zu können. Maya stand dabei und schaute hilflos zu, denn eingreifen konnte sie nicht. Tausendmal verwünschte sie sich selbst wegen der Rolle, die sie in diesem Drama gespielt hatte. Sie glaubte daran, daß Mentor schließlich doch hätte gerettet werden können, wenn sie ihn nicht betrogen und Koenig und den Alphanern die Flucht aus ihrem Gefängnis ermöglicht hätte. Aber sie hatte ihn doch zu seinem Besten betrogen, um der grausamen Schlächterei von Lebewesen Einhalt zu gebieten. In ihren Alpträumen erlebte sie immer wieder, wie sie angstvoll zuschaute, als der Computer zu sterben und Psychon
zu bröckeln und zu kochen begann. Der Hain löste sich auf. Überall in den Mauern zeigten sich Risse, und in den Böden taten sich Spalten auf. Flammenzungen leckten aus den Eingeweiden des Planeten und verbrannten alles, was nicht floh. Die Alphaner hatten versprochen, sie und ihren Vater zu retten, doch Mentor weigerte sich, den Hain zu verlassen. In seinem phantastischen Gewand stand er in den Flammen, umklammerte das, was ihm von seinem Lebenswerk noch erreichbar war, und wußte, daß sein Ende bevorstand. Sie erkannte, daß sein Leben nun keinen Inhalt mehr hatte, daß er mit seiner Schöpfung sterben mußte. Sein Gesicht war ganz ruhig und nur von der Sorge um sie überschattet. Die Flammenhitze rötete es und trieb ihm den Schweiß aus allen Poren, doch ihr Schein wob eine schimmernde Aura um ihn. Verzweifelt hatte sie versucht, zu ihm zu gelangen, um mit ihm zu sterben, doch Koenig ließ es nicht zu. »Commander, jetzt mußt du auf sie aufpassen!« hatte ihr Vater aus den Flammen gerufen. »Laß es nicht zu, daß sie zu mir kommt.« Dann verschwand sein Gesicht im Feuer. Er hatte nicht einen Schmerzenslaut von sich gegeben. Koenig hatte sie weggeschleppt, und sie hatte geschrien. Geschrien… »MENTOR! MENTOR!!!« Aber das half ihr nicht. Der Raum schwankte noch immer. Über ihr erschienen die Umrisse von Helenas Gesicht, aber sie wußte nun gar nicht mehr, wer oder wo sie war. »Nein, Maya«, redete ihr Helena sanft und drängend zu. Das Weiß um sie herum wirbelte. Arme schüttelten sie. Der Raum wankte und drehte sich. »Maya, wir sind nicht auf Psychon…« Helena weinte.
Vincent zog sich auf die Füße und taumelte dorthin, wo er Helena und Maya hörte. Die Einrichtung des Raumes lag in Trümmern. Die Frauen waren halb darunter begraben. Endlich ließ das Schwanken nach und hörte schließlich ganz auf. Es herrschte Stille, doch Vincent war darauf gefaßt, daß der Höllentanz von vorne beginnen könnte. »Helena«, rief er, »alles in Ordnung?« Er schüttelte den Kopf, um seine verwirrten Gedanken zu klären. Helena stand auf. Ihr Haar war wirr, ihr Gesicht von Tränen naß. Sie klammerte sich hilfesuchend an ihn. »Was, zum Teufel, war das nur?« fragte er. »Wer, um Himmels willen, hat das getan? Oder was?« Sie schob sich von ihm weg. »Wir versuchen wohl besser, die Kommandozentrale zu erreichen«, schlug sie vor. »Kümmere dich um Maya.« Unsicher ging sie zum Wandmonitor. Er war noch eingeschaltet. Die Störung hatte aufgehört, doch Carters Gesicht war verschwunden. Sein Platz war leer; auf seiner Konsole lag undefinierbarer Schutt. Sie legte den Finger auf den Kommunikationsknopf und schaltete ein.
Die ganze Kommandozentrale war dick mit Staub bedeckt. Er war zwischen den Isolierungsplatten an der Decke herabgerieselt; viele davon waren zerbrochen oder hingen schief. Auf dem Boden lag zertrümmertes Gerät. Die Computerbanken und andere elektronische Anlagen schienen zu funktionieren, denn sie summten und ließen ihre Lichter blinken. Ein paar Leute hatten sich zu einer Gruppe zusammengefunden. Die Angehörigen des Reparaturtrupps räumten das Durcheinander auf und reparierten die Schäden. Alan Carter saß im Kommandosessel, denn dies war sein Platz, wenn Koenig und Verdeschi von der Basis abwesend
waren. Auf dem großen Schirm war ein Bild der Sterne und des Alls zu sehen. Carter wirkte sehr besorgt. »Ich habe doch gesagt, ich will Eagle Eins auf dem Schirm haben«, befahl er Sahn noch etwas benommen. Die Operatorin war die einzige an der Konsole. Auch sie sah verblüfft drein, und ihre Finger schwebten unentschlossen über den Instrumenten. »Alan, ich kann ihn nicht finden«, erklärte sie schließlich verzweifelt, und ihre Verblüffung wurde zur Angst, als sie Carter anstarrte. »War das ein Mondbeben? Wir wissen gar nicht was los ist.« Carter schüttelte den Kopf und hob hilflos die Schultern. In Notfällen solchen Ausmaßes hatte er bisher noch nie allein entscheiden müssen. Meistens waren Koenig oder Verdeschi da, um sich mit ihnen zu befassen. Der Australier war ein Lebenskünstler und löste Probleme gerne damit, daß er sie umging; jetzt war er bis zur Unerträglichkeit gefordert. »Ich weiß noch nicht recht«, meinte er. »Versuch nur weiter, Eagle Eins hereinzukriegen.« In tödlichem Schweigen sahen er und die Besatzung der Zentrale zu, als Sahn den Himmel absuchte. »Nichts«, meldete sie nach einer Weile. »Ich kann das Schiff einfach nicht finden.« Dann kam ihr ein entsetzlicher Gedanke. »Oh nein…« wisperte sie, »nein… Mir fiel nur eben etwas ein, das dieses Beben ausgelöst haben könnte…« Mehr vermochte sie nicht zu sagen. Die blassen Gesichter wandten sich ihr zu. Der eine oder andere schien sich genau dasselbe überlegt zu haben, aber die meisten waren nur ratlos und sehr beunruhigt. »Und was hätte das sein können?« fragte Carter ungeduldig.
Goldenes Licht schien aus den Augen des Eagle in die unendliche Leere – zwei winzige Punkte warmen Lebens in
einer trostlosen Endlosigkeit. Der Mond war nirgends zu sehen. Sie waren verloren in der Wüste des Alls. Verdeschi starrte entsetzt den Schirm an. Ein Gefühl der Verlassenheit und eines unwiederbringlichen Verlustes beherrschte ihn, und das Grauen betäubte ihn fast. Nicht nur seine Heimat war verloren, sondern auch Maya. Vielleicht hätte sie sowieso nicht überlebt, aber jetzt zweifelte er nicht daran, daß dies ihr Ende war. Bilder der warmen, sonnendurchglühten Felder seiner Jugend im ländlichen Italien zuckten durch seinen Geist. Maya hatte ihn immer an diese goldene, unbeschwerte Jugend erinnert. Und jetzt war alles für ihn verloren – Maya, seine irdische und seine Mondheimat. »Tony, da gibt es nur eine Möglichkeit«, sagte Koenig ruhig neben ihm. Er war aschfahl. Natürlich war ihm zum Bewußtsein gekommen, wie gering ihre Chancen in dieser kalten, funkelnden Leere waren, und er vermochte kaum die tiefe Bewegung zu verbergen, die diese Erkenntnis zur Folge hatte. »Sie müssen durch die Raumverwerfung gegangen sein, und wir glaubten, daß wir selbst hineingeraten waren!« Bekümmert ließ er seine Hand auf die Konsole fallen. Aus jahrelanger Gewohnheit heraus handelte Verdeschi, denn seine militärische Ausbildung hatte dafür gesorgt, daß er auch in der verzweifeltsten Lage den Kopf nicht verlor. Es kam ihm selbst unwirklich vor, daß er erst Koenig ansah und seine Instrumente ablas, vor allem den Treibstoffvorrat. »Sie können ein paar Milliarden Meilen von uns entfernt sein, und unser Treibstoff reicht kaum für eine Million«, bemerkte er düster. Seine eigene Stimme klang ihm fremd in den Ohren. Die Ironie der Lage drückte sich in Koenigs bitterer Bemerkung aus: »Vielleicht spielt es gar keine Rolle, ob wir allen Treibstoff haben, den wir brauchen könnten…« Er mußte gegen die schleichende Panik ankämpfen, die auch sein
Inneres zu verkrampfen drohte. »Wir haben ja nicht einmal eine Ahnung, in welche Richtung wir fliegen müßten.«
»Wir müssen jetzt Ruhe bewahren«, begann Carter, der sich auf seine Pflicht besonnen hatte. Die sich in der Kommandozentrale ausbreitende Panik mußte mit allen Mitteln unterdrückt werden. »Alles zurück auf den Posten!« Aber die Leute blieben wie versteinert stehen und schauten einander entgeistert an. Sie hatten nicht einmal seinen Befehl begriffen. Erst allmählich und wie Automaten begannen sie zu ihren Konsolen zu gehen. Auch Carter zitterte, als er ihnen nachsah. Aber er mußte unter allen Umständen weiter Ruhe bewahren. Er war verantwortlich für die Basis; dieser Gedanke und seine Pilotenerfahrung bewahrten ihn vor dem Zerbrechen, denn die Wahrheit, die er ahnte, war vernichtend. Als alle sich gesetzt hatten, gab er seine Instruktionen aus: »Zuerst Position feststellen, die wir einnahmen, ehe wir durch den Zeitriß gingen«, befahl er Sahn. Die Operatorin machte sich sofort an die Arbeit. Diesmal brauchte der Computer ein paar Sekunden, um die fremdartigen, neuen Sternenmuster zu identifizieren, die nun am Himmel standen. Von hier ausgehend mußte er dann zurückfinden zu den vertrauten Sternbildern, die von der Mondbasis Alpha aus vorher zu sehen gewesen waren. Das war eine Mammutaufgabe, denn dazu mußte er eine Unzahl von Berechnungen anstellen. Schließlich erschien auf dem Schirm zwischen weit entfernten brennenden Sonnen ein winziger weißer Pfeil. »Das war unsere Position, ehe wir durch den Raumwarp gingen«, berichtete Sahn. Sie drückte weitere Knöpfe, und ein winziger weißer Punkt erschien nun in einiger Entfernung vom
Pfeil, und er pulste sehr schnell. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Hauptcomputer die riesigen Entfernungen berechnet hatte, die sie auf ihrer Warp-Reise durch Zeit und Raum zurückgelegt hatten. Die Operatorin beobachtete gespannt und in äußerster Konzentration die Instrumente und las sie ab. »Wir sind in wenigen Minuten fünf Lichtjahre gereist«, meldete sie. Carter sah grimmig drein. »Dann besteht also nicht die geringste Aussicht, daß John je wieder zu uns zurückkehrt.« »Außer er findet ein Fenster in der Raumverwerfung«, ließ sich Helenas Stimme in der Kommandozentrale vernehmen, und alle schauten erschreckt auf. Sie hatte also über ihren Monitor mitgehört. Erst war sie, wie alle anderen, seelisch völlig gelähmt gewesen; sie traf das Unglück ja doppelt. Ohne einen Kommandanten würde die Mondbasis weiterleben müssen, aber sie war ohne Koenig verloren. Sie wußte es, und deshalb trieb eine neue Entschlossenheit sie zum Handeln. Auch der letzte und schwächste Strohhalm einer Hoffnung auf ein Wiederfinden des verlorenen Eagle-Schiffes mit seiner Besatzung und die sichere Rückkehr zur Mondbasis war es wert, sich an ihn zu klammem. Carter schüttelte zweifelnd den Kopf. »Die Chance, ein solches Fenster zu finden, ist überaus gering«, meinte er, »aber versuchen werden wir’s.« Wieder wandte er sich an Sahn. »Wie ist unsere derzeitige Geschwindigkeit?« »Wieder normal.« Er dachte über das sogenannte Fenster nach. Ein solches Raumfenster war genau das, was der Name sagte, ein Fenster im Raum, das zu einer anderen Stelle des Weltraums führte. Ein Riß im Gewebe der Raum-Zeit. Der Durchgang, durch den der Mond gewirbelt war, als sich die Raumverwerfung um den Mond herum öffnete. Die Kräfte, die dieses Fenster geöffnet hatten, hielten den Kosmos zusammen, ermöglichten aber auch solche Raumsprünge. Zur richtigen Zeit hätte es ihnen mit
einem solchen Fenster auch gelingen können, die Erde wieder zu finden und zu ihr zurückzukehren. Das diese Zeit/RaumVerwerfung jedoch unvorhergesehen kam, war sie nichts anderes als ein bodenloser Schacht, der sie in sich hineingesogen und wieder irgendwohin ausgespuckt hatte. Es ließ sich nicht kontrollieren, wo sie ausgespuckt worden waren, aber das Fenster, durch das der Warp sie geschleudert hatte, blieb gewöhnlich stabil. Solange es bestand, war es am gleichen Platz. Er kam zu einer schnellen Entscheidung. Er beugte sich vor und öffnete den Kanal zur Eagle-Abschußzentrale. Bill Frasers mürrisches Gesicht erschien auf dem Schirm. »Fertigmachen zum Abschuß eines Tank-Eagle«, befahl er. Der andere Eagle-Pilot nickte, und sein Gesicht verschwand vom Schirm. Carter wandte sich wieder an Sahn, die ihn ungläubig anstarrte. »Okay, das ist eine Sache auf lange Sicht«, erklärte er ihr, »aber wenn er dieses Raumfenster findet, braucht er doch eine Tanknachfüllung, oder nicht?« Sie sahen einander lange an, und beide fühlten, daß der andere auch nicht viel Hoffnung hatte.
Helena verließ den Videomonitor und war froh, daß alles getan worden war, was man hatte tun können. Sie drehte sich zu Vincent um, der sich schon daran gemacht hatte, das Durcheinander aufzuräumen. Ein paar Pfleger halfen ihm dabei. Maya hatte er auf das Bett gelegt und beugte sich nun über sie. Seine Hand lag auf ihrer Stirn. Die Psychonierin warf sich auf dem Bett herum. »Mentor, ich komme, dich zu holen…«, stöhnte Maya mit leiser, drängender Stimme. »Nicht aufgeben… Bitte, nicht
aufgeben… Ich komme, dich zu holen.« Abrupt setzte sie sich auf und blickte mit wilden Augen um sich. Helena lief zu ihr, denn Maya brauchte einen Menschen, an den sie sich klammern konnte. Seltsam – ihre Gefühle für Koenig und ihre Sorge um ihn vertieften auch ihre Gefühle für ihre Patientin. »Maya!« rief sie besorgt, denn sie ahnte, was die Psychonierin zu tun vorhatte. Aber sie kam zu spät. Hilflos sah sie zu, als der starre Körper zu schimmern begann, wie immer, wenn eine Transformation erfolgte. Eiligst trat Vincent von der Lichtspindel zurück, die sich direkt über dem Bett geformt hatte. »Sie könnte sich selbst verletzen«, brachte er heraus. Das schimmernde Licht pulste hell, veränderte sich jedoch nicht. Die angeborene psychonische Fähigkeit, den molekularen Aufbau ganz nach Wunsch zu verändern, schien nicht richtig zu funktionieren. Endlich erschienen ganz schwache Umrisse einer Kreatur; es war vielleicht ein psychonisches Tier, das sie aus Kindheitserinnerungen hervorgeholt hatte. Das Wesen hatte zwei sehr kurze Hinterbeine und einen grauen, zerklüfteten Rückenpanzer. So stand es auf dem Bett und sah sich mit feuchten, braunen Augen erschreckt um. So schnell wie es erschienen war, verschwand es auch wieder, und das labile Bild wurde erneut zur strahlenden Energiespindel. Auch die verblaßte langsam, und dann erschien wieder Mayas normale Gestalt. Von der Anstrengung war sie schweißüberströmt, und auch ihre Augen tränten. Erschöpft ließ sie sich in die Kissen zurückfallen; Vincent und Helena kamen gerade rechtzeitig, um sie aufzufangen. »Habe ich versucht…?« fragte sie matt. Sie atmete mühsam. Es schien ihr nur mit Mühe zu gelingen, ihren Verstand zusammenzuhalten. Helena nickte und strich ihr mit einem feuchten Tuch über die Stirn. Dann befestigte sie das Thermometer an ihrem Arm
und las am Instrumentarium die Temperatur ab. Man hatte das Gerät schnellstens wieder neben ihrem Bett aufgebaut. »Du warst im Delirium«, sagte sie. »Oh…« Maya sah sehr verängstigt aus. »Du mußt sehr vorsichtig sein… Die Nachtmahre beginnen dir außer Kontrolle zu geraten und dich zu übernehmen…« Helena starrte sie entgeistert an. »Du meinst…« Vincent bat sie: »Bereite ein Sedativ vor.« Maya schüttelte den Kopf. »Ein Sedativ… nützt gar nichts. Helena, ich verliere… allmählich die molekulare Kontrolle… Ich weiß nicht, was geschehen wird… du mußt mich fesseln«, flüsterte sie besorgt. »Maya, das kann ich nicht.« »Helena, ich sage dir aber, ich könnte… gefährlich werden. Sperre mich ein…« Sie schloß die Augen und verlor das Bewußtsein. »Ben, gib ihr erst ein Sedativ, und dann legst du ihr die Gurten an«, bat sie. »Hoffentlich nützt es etwas«, antwortete Ben. Helena sagte nichts darauf. Sie kehrte zum Wandmonitor zurück, drückte einen Knopf und brachte damit Carters Gesicht auf den Schirm. »Kommandozentrale«, meldete er sich. »Alan, wir brauchen sofort einen Doppelposten vor dem Lazarett«, bat sie. »Es ist ganz dringend.« Sie schaltete den Monitor ab und sah Vincent zu, der sich über die bewußtlose Maya beugte. Er hielt eine Injektionsspritze in der Hand. Maya hatte recht; die Injektion würde auf ihre fremdartigen Körperzellen nicht die gewünschte Wirkung haben. Helena erinnerte sich daran, daß menschliche Drogen nur dann auf die Psychonierin wirkten, wenn Maya dies wollte. Mit anderen Worten: Wenn diese Drogen nicht unglaublich stark waren, taten sie mehr oder
weniger nur das, was Maya wollte und zuließ. Und was sie in einem Zustand halben Wahnsinns wollte oder zuließ, konnte niemand vorhersagen. Aber Helena mußte die Patientin ja irgendwie behandeln; das hieß, sie mußte es wenigstens versuchen. Im Korridor, der zur Kommandozentrale führte, überlegte sie sich, ob es überhaupt richtig war, Vincent zu veranlassen, Maya diese Injektion zu geben. Vielleicht hatte sie überhaupt keine Wirkung. Maya mußte ihre Körperchemie ja besser kennen als sonst jemand. Sie konnte nur hoffen, daß der seelische Zusammenbruch der unglücklichen Frau nicht allzu ernst sein möge, denn sonst fürchtete sie die Konsequenzen über alle Maßen. Natürlich galt ihre größte Sorge im Moment Koenig. Sie würde keine Ruhe finden, bis positive Informationen über ihn und sein Wohlbefinden vorlagen. Sie wollte und konnte nicht an seinen Tod glauben. Sie sah sehr besorgt drein, als sie die Kommandozentrale betrat. Hier waren die Aufräumungs- und Reparaturarbeiten noch in vollem Gange, wenn auch die schlimmsten Schäden schon beseitigt waren. Vor einer halben Stunde hatte es hier noch wüst ausgesehen. Sahn und Carter saßen an ihren Konsolen, und Sahn erkannte sofort, in welcher Verfassung Helena war. »Helena, du bist die Ärztin«, sagte sie, »aber du wirst mir verzeihen, wenn ich dir Vorschriften mache. Du brauchst unbedingt Schlaf. Du siehst ja fürchterlich aus…«Sie stand auf. »Setz dich hierher. Ich bringe dir Kaffee.« Dankbar ließ sich Helena in den Sessel sinken. Sie fühlte sich unendlich müde. »Wenn es irgendwelche neuen Entwicklungen gibt, Helena…«, begann Carter.
»Dann läßt du es mich wissen«, vollendete sie für ihn den Satz. »Ich weiß, daß du das tun wirst. Aber ich… Bestehen überhaupt Chancen, Alan?« Carter vermied eine direkte Antwort. »Du kennst doch John. Er gibt niemals auf«, erklärte er. »Hat er überhaupt Chancen, dasselbe Raumfenster zu finden?« drängte sie. »Du weißt doch, was ich meine.« Er zögerte. »Es hängt davon ab…« »Wovon?« »Vom Glück«, gab er zögernd zu. »Deine Idee ist gut, aber hier geht es um Glück.« »Glück? Im Raum? Dann sind seine Chancen recht gering. Eine Milliarde zu eins.« Der Kaffee kam, aber sie bemerkte es nicht. Blicklos starrte sie vor sich hin. »Hier…« Sahn warf Carter einen besorgten Blick zu. »Komm, trink. Du wirst dich besser fühlen.« Helena schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß zu Maya zurück.« Sie stand auf und versuchte tapfer zu lächeln. »Danke für den Kaffee.« Sie wandte sich um und ging hinaus. Sie wollte allein sein, weg von allen Leuten, von ihren Sorgen. Aber sie wollte Maya auch nicht Vincent allein überlassen, und deshalb eilte sie sofort wieder ins Lazarett. Die angeforderten Sicherheitsposten standen schon vor der Tür, und nun fiel ihr auch ein, daß sie es versäumt hatte, den anderen von ihren Besorgnissen zu erzählen. Carter hatte nicht weiter gefragt, warum sie die Posten brauchte. Vielleicht hatte ihr eigener Zustand ihn davon abgelenkt. Sie durfte nicht aus eigennützigen Gründen die Sicherheit der Mondbasis gefährden. Da sie zornig war auf sich selbst, schritt sie rascher aus, um sich mit Carter über den Monitor in Verbindung zu setzen, ehe etwas Ernstliches passierte. Aber sie kam zu spät.
Ehe sie noch die Posten erreicht hatte, bemerkte sie, wie sie zur Tür schauten, die sie bewachten. Von innen war irgendein Lärm zu hören. Automatisch legten sich ihre Hände auf die Laserwaffen; sie drehte sich zur Tür um, die sich gerade aufschob. Ein tiefes, kehliges Knurren war zu hören, das von einem wütenden oder verletzten Tier stammen konnte, und dann folgten Töne, die einem das Blut in den Adern gerinnen ließen. Fasziniert vor Angst sah sie zu, wie die Posten einen Schritt zurückwichen und durch die offene Tür schossen. Das wütende Schmerzgeheul verstärkte sich, als die Strahlen trafen, denn sie töteten die Beute nicht, sondern reizten sie nur. Das Knurren und Heulen wurde immer wilder, und dann erschien eine fürchterliche, wütende Kreatur unter der Tür. »Oh nein! Maya!« schrie Helena, doch ihre Stimme ging im Heulen der Kreatur und im Geschrei der Posten unter. Die Kreatur stand auf den Hinterbeinen und maß volle zweieinhalb Meter. An den Füßen hatte sie scharfe Hufe, und die Haut des glatten, schlanken Körpers glühte metallen im Licht des Korridors. Der hocherhobene Kopf glich dem eines Pferdes, war aber länger und mit scharfen Zähnen bewehrt; die Haltung war fast arrogant. Die Kreatur schien ihre Angreifer für weit unterlegen zu halten und war wütend, daß jemand es gewagt hatte, sie in einen Kampf zu verwickeln. Mit einer plötzlichen Bewegung schlug sie nach einem Posten, der ein ganzes Stück den Korridor entlangflog. Der zweite Posten schoß noch immer auf die metallene Haut und verletzte sie auch, doch dann ließ er die Waffe fallen und floh, ehe die außer sich geratene Psychonierin ihn erreichen konnte. Daß der Posten um sein Leben rannte, riß Helena aus ihrer halben Betäubung. Schlug der Mann Alarm, ehe sie die Möglichkeit fand, Carter zu erklären, daß die wütende Kreatur
kein Monster, sondern ein außer Kontrolle geratener Patient war, war Mayas Tod sicher. »Maya!« rief sie scharf. Ihre Angst verbarg sie so gut wie möglich hinter einer professionellen Miene. Sie ging der Kreatur entgegen, die nun ihre ganze Wut auf sie konzentrierte. Sie fletschte die Zähne und schnappte nach Helena, und zugleich gab sie einen wimmernden Ton von sich, eine Warnung, sich fernzuhalten. »Maya, bitte, verwandle dich zurück!« rief Helena und ging mit freundschaftlich ausgestreckten Händen furchtlos auf die Kreatur zu. Ein betäubender Schlag traf Helenas Schulter, als Maya mit einem Vorderhuf ausschlug. Helena stürzte zu Boden und konnte im Moment vor Schmerz kaum atmen. Die pferdeähnliche Kreatur stieg vor ihr hoch, die Hufe trommelten in die Luft, um das Gleichgewicht zu halten, und sie schien sich zu überlegen, ob sie Helena nun zertrampeln sollte oder nicht. »Nein, Maya, nein!« flehte Helena verzweifelt. Ihr war unendlich übel, und dann hüllten schwarze Nebel sie ein. Das Monster beschloß, sie am Leben zu lassen und ließ sich auf alle vier Beine nieder. Zornig schlug es mit den Hinterbeinen aus, schnaubte und wieherte und galoppierte den Korridor entlang. Der metallisch glänzende Körper schimmerte im Licht.
Es war ein schlanker, kraftvoller Körper. Ihre Kraft und Behendigkeit war berühmt bei allen Lebewesen, die mit ihr auf den Kristallebenen von Psychon lebten und jagten. Es war nur angemessen und richtig, daß ihr erlesen schöner Körper die
Freiheit des natürlichen Ausdrucks haben sollte. Man durfte sie nicht anketten. Sie hätte es nicht zulassen sollen, daß die erbarmungslosen Eindringlinge, die den Planeten plünderten und die Bewohner töteten, sie einfingen. Sie hätte mit dem ganzen Stolz ihrer Rasse gegen sie kämpfen sollen. Getötet hätten die Eindringlinge werden müssen… Sie, Tharr, war alles, was geblieben war. Nur sie konnte noch ihre Blutlinie verteidigen. Es war ihre Pflicht, all jene aus der Rasse der Slahs zu rächen, die auf so grausame Art gestorben waren. Sie trottete die seltsamen Straßen der Eindringlinge entlang, dort, wo deren Heim war und man ihren edlen Körper gefangen hielt. Die Türen und Räume bewegten sich an ihr vorbei. Sie waren mit merkwürdigen Zeichen beschriftet. Es waren so viele Fremde, und sie war allein, also mußte sie genau wählen, welchen Raum sie betreten wollte, welches dieser weichfleischigen Wesen zuerst zu töten war, um damit ihren Adel zurückzugewinnen.
Auf Alan Carters Monitor erschien das entsetzte Gesicht eines Sicherheitspostens. Er berichtete aus der Waffenabteilung. »Dringender Notfall im Korridor Stockwerk A«, meldete er atemlos. Petrov, der Abteilungsleiter, schob ihn weg; er hatte auf der Wange eine tiefe Schramme und war leichenblaß. Er hielt ein weißes Tuch an die blutende Wunde. »Auf Alpha läuft ein Monster herum, wir wurden eben angegriffen«, sprudelte er heraus. Carter wandte sich zu Sahn um. »Notfall in der Waffenabteilung.« »Habe ich gehört«, erwiderte die Operatorin.
»Laser auf Lähmung scheinen dem Biest gar nichts auszumachen«, berichtete Petrov aufgeregt. Carter überlegte schnell. Offensichtlich gab es hier nur eine Lösung. Er drückte einen Knopf. »An alle Sicherheitsleute.« Seine Stimme wurde in die entferntesten Winkel der Mondbasis getragen. »Hier läuft ein gefährliches Monster herum. Kein Risiko eingehen. Alle Laser auf Töten einstellen. Ich wiederhole: Kein Risiko eingehen!« Und dann fügte er entschlossen hinzu: »Auf Sicht schießen!« Das Geschwätz der sonderbaren fremden Stimmen erfüllte sie mit irrer Angst. Dieses Gemurmel drang von allen Seiten her auf sie ein. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, als einzige Slah gegen eine ganz fremde Rasse anzutreten. Ihre Feinde schienen sehr gut geschützt zu sein. Diese stechenden Waffen waren zwar unangenehm, aber nicht unbedingt gefährlich. Unerträglich empfand sie dagegen diese unsichtbaren telepathischen Mitleidsstrahlen, die sie ungeheuer verwirrten. Immer wenn sie einen dieser Fremden angriff, fühlte sie die Kontrolle einer seltsamen Macht; sie mußte Mitleid mit ihnen haben und sie, obwohl ihr der Sieg sicher war, wieder freigeben. Sie war sich nicht darüber klar, daß sie diese Fremden nicht töten konnte, weil sie ihre Freunde waren. Mit einem zornigen Hufschlag öffnete sie die Türen, aber die Räume waren leer. Einer der Bewohner hatte die anderen gewarnt, und alle waren in ein sicheres Versteck geflohen. Sie lief von einem Raum zum anderen, um ihr Versteck zu suchen. Plötzlich blieb sie stehen, denn sie sah zwei Alphaner in der Kleidung der Wissenschaftler. Sie drängten sich hinter einer Bank wissenschaftlicher Geräte zusammen und schienen sie sehr zu fürchten. Sie hatten wohl gehofft, nicht entdeckt zu werden. Ihre Gesichter waren aschfahl, und einer der beiden hatte eine Laserwaffe auf sie gerichtet.
Sie drang auf die beiden ein und hob die Hufe, um ihnen die Waffe aus der Hand zu schlagen. Zu spät… Diesmal spürte sie den Schmerz. Eine betäubende, lähmende Pein breitete sich von der ungeschützten Brust über den ganzen Körper aus. Und die Waffe brannte noch immer weiter. Ihre kostbare Lebensenergie floß aus ihr heraus. Endlich flüchtete sie aus dem Raum und rannte den Korridor entlang. Die Dunkelheit des Todes überkam sie, doch sie galoppierte blind weiter. Blitzartige Erinnerungen aus ihrem anderen Leben zuckten durch ihre Illusionen. Sie sah Mentor in den Flammen stehen. Tharr, der Anführer der Slahs, war tot. In ihrem Wahn hatte sie geglaubt, sie sei er. Doch nur ihr Vater zählte. Sie mußte zu Mentor gelangen und ihn veranlassen, seine slahköpfige Sturheit aufzugeben, die für alle Psychonier so typisch war, und mit ihr zu den Alphanern zurückkehren. Aber der Schmerz behinderte sie ungeheuer. Sie war unheilbar geschädigt worden. Da sie die Energie nicht mehr aufbrachte, sich in ihr altes Ich zurückzuverwandeln, würde sie sterben, ehe noch eine Stunde um war. Sie konnte keine Form länger als eine Stunde halten. Aber ihren Vater könnte sie retten, wenn sie rechtzeitig zu ihm gelangen würde. Vor ihr drehte sich der Korridor von Alpha. Sie schien einen unendlich langen Gewehrlauf entlangzugleiten. Irgendwo schrillte eine Alarm. Stimmen umgaben sie als vielfältiges Echo. Drohende uniformierte Gestalten rannten ihr entgegen. Sie bog in einen anderen Korridor und hetzte weiter. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ehe sie eine Lifttür fand. Sie aktivierte die Türen und warf sich hinein.
Helena kam auf einem der Betten im Lazarett zu sich. Vincent beugte sich über sie und betupfte eine Schramme an ihrem Kopf. »Du hast einen ganz schönen Schlag abbekommen«, sagte er ihr, als sie die Augen öffnete. Mühsam setzte sie sich auf. »Maya hat sich in irgendein fremdartiges Wesen verwandelt, und es läßt sich nicht sagen, was sie noch tun wird…« Aber Vincent wußte es ja sicher schon. »Das tut sie schon«, begann er. »Alan hat befohlen, sie auf Sicht zu töten.« Helena stand so schnell vom Bett auf, daß sie taumelte, doch sie lief zum Wandmonitor. »Alan!« schrie sie, als dessen grimmiges Gesicht auf dem Schirm erschien. »Du mußt diesen Tötungsbefehl zurücknehmen!« Carter musterte sie verblüfft. »Du hast ja keine Ahnung, was dieses Monster schon alles angestellt hat. Schau nur mal deinen eigenen Kopf an!« »Du mußt diesen Befehl zurückziehen!« »Auf Lähmung reagiert das Biest nicht.« »Dieses Tier ist doch Maya! Sie kann das, was sie tut, nicht kontrollieren.« Carters Gesichtsausdruck veränderte sich. Er war zutiefst erschüttert. Sein Gesicht verschwand, und sie hörte, wie er sofort Gegenbefehle erteilte. Erleichtert verließ sie den Monitor und machte sich an die Aufgabe, Maya wieder einzufangen, um sie in ihre menschliche Form zurückzuverwandeln.
III
Der Schirm in der Kabine des Eagle zeigte eine Masse kalter, grellglitzernder Sterne. Nicht einer dieser Sterne war nahe genug, als daß sie zu ihm hätten fliegen können. Es waren Welten des Lebens, die das Leben verneinten. Viele von ihnen waren so weit entfernt, daß das von ihnen ausgezahlte Licht bereits viele tausend Jahre alt war. Selbst wenn der Eagle genügend Treibstoff gehabt hätte, um diese lange Reise durchzustehen, so wäre es doch nicht sicher gewesen, ob dieser Stern bei ihrer Ankunft noch lebte oder sich grundlegend verändert hatte. Die Sterne waren nicht nur durch ungeheure Räume voneinander getrennt, sondern auch durch die ZEIT; und darüber hinaus hatte der Eagle nur Luft und Lebensmittel für ein paar Wochen Erdzeit geladen. Für die beiden Menschen an Bord gab es also nur eine Hoffnung: die nämlich, das Raumfenster zu finden. Das kalte, logische Führungssystem des Eagle hatte sie genau zu jenem Punkt zurückgeführt, wo sie vor wenigen Stunden aufgestiegen waren; sie hatten auch genau die gleiche Raumhöhe wie auf der festen Lunaroberfläche. »Wir sind genau da, wo Alpha verschwand«, erklärte Koenig nun. »Wir haben die Geschwindigkeit von Alpha, und jetzt brauchen wir nur noch dieses Loch im Raum zu finden. Du mußt jetzt die Suchmanöver einleiten.« Verdeschi nahm nun den Eagle durch eine Reihe langsamer Schleifen, Rollen und Steigflüge. Er war wie ein Wurm, der sich solange durch die lockere Erde gräbt, bis er das Loch zur Oberfläche findet. Nach einer Stunde anstrengender Manöver mußte Verdeschi jedoch aufgeben. »Es hat keinen Sinn«,
meinte er verzweifelt. »Wir können ewig hier herumkurven und verbrauchen dabei nur unseren ganzen Treibstoff.« »Wenn uns nichts anderes übrig bleibt, müssen wir’s eben tun«, erklärte Koenig, doch dann überlegte er kurz. »Ob wir wohl Alpha auf den Schirm bekommen können?« fragte er. Diese Idee war das Resultat äußerster Verzweiflung, und keiner von den beiden konnte glauben, daß die Raumverwerfung die Mondbasis in so unmittelbarer Nähe hätte absetzen können. Trotzdem aktivierte Koenig den Konsolenmonitor vor seinem Platz und programmierte ihn für die richtige Frequenz. Aber sie bekamen nur wieder den trostlosen Anblick unzähliger Sterne geboten. »Heute gibt es also keine Wunder«, bemerkte Koenig äußerlich gleichmütig. »Und was ist mit diesem Schrotthaufen?« Er drückte auf einen anderen Knopf, und das Wrack des Sternenschiffes erschien auf dem Schirm. Sie waren ziemlich weit auseinandergetrieben, und jetzt sah es aus wie ein winziger schillernder Flitter zwischen den grellen Sternen. »Vielleicht haben wir Glück.« Verdeschi versuchte sich und Koenig Hoffnung zu machen. »Es wäre ja möglich, daß der Antrieb des Wracks dem unseren ähnlich ist, und dann könnten wir dessen Treibstoff übernehmen, falls noch etwas da ist.« Das war natürlich eine Chance eins zu einer Million. »Schauen wir doch nach«, antwortete Koenig. »Was haben wir schon zu verlieren?« Verdeschi zwang sich zum Handeln und arbeitete an den Schiffsinstrumenten, obwohl ihm weniger denn je danach zumute war. Ihre Lage war nicht nur außerordentlich trübe, sondern aussichtslos. Verzweifelt hatte sein Geist nach einem Ausweg gesucht, aber keinen gefunden; also hatte es auch keinen Sinn, noch etwas anderes zu versuchen. Trotzdem tat er sein Äußerstes, um das Gefühl der Vergeblichkeit allen
Handelns abzustreifen und gegen die betäubende Angst vor dem Ende anzukämpfen.
Je drückender und schwieriger die Lage wurde, desto leichter schien er mit der Last, Commander der Basis zu sein, fertig zu werden. Das war eine Ironie, doch wenn man etwas tun mußte, weil das Leben vom Handeln abhing, dann fand man auch eine Möglichkeit, es zu tun. Unglücklich stand Carter vor dem Schirm des Lazaretts und beobachtete den Sicherheitsposten, der mit ihm sprach. »Wir haben das Biest aus dem Lift herausgeholt, und wir bringen es nach oben, aber wir halten uns in achtungsvoller Entfernung, wie uns befohlen wurde.« »Ja, richtig, aber nicht den Kontakt verlieren. Die Beruhigungspfeile sind gleich bereit.« Er stellte das Gerät ab und kehrte in das Vorbereitungslabor zu Helena und Vincent zurück. Vor ihnen stand auf einer Werkbank ein Krug mit Chemikalien und eine kleine Flasche mit einer Lösung. Vincent hatte eine Packung von Beruhigungspfeilen geöffnet und schüttelte die schwächere Flüssigkeit heraus, damit Helena die stärkere Lösung einfüllen konnte. »Vorsichtig«, mahnte Vincent. »Zu wenig hat keine Wirkung, zu viel ist tödlich.« Er mochte das, was sie taten, ebenso wenig wie Helena. Nur eine sehr starke Dosis an Drogen zeigte Wirkung auf Mayas Körper. Die kritische Dosis war ungeheuer schwierig zu bestimmen. »Wir werden nicht das geringste Risiko eingehen, daß die Dosis tödlich wirkt«, erklärte Helena sehr entschieden und beobachtete voll äußerster Konzentration die Flüssigkeit in der Pipette. »Hoffen wir, daß diese Menge richtig ist.«
»Helena, die Lähmungsgewehre nützen kaum etwas«, warnte Carter. »Diese Pfeile sind wirksamer«, antwortete sie. Endlich waren sie fertig. Vincent nahm das große DruckluftBetäubungsgewehr, das normalerweise zur Betäubung gefährlich aussehender Großtiere bei Expeditionen auf fremden Planeten diente. Er lud es mit einem der anhängenden Pfeile und packte die restlichen in einen Behälter, falls man sie noch brauchen würde. Wortlos reichte er Carter Waffe und Reservepfeile. Da meldete sich der Monitor, und gemeinsam liefen sie in den Lazarettraum hinüber. Der Posten erschien nun wieder auf dem Schirm. »Mr. Carter, diese Kreatur scheint entschlossen zu sein, zum Reisetunnel zu rennen, der zu den Hangars der Eagles führt.« »Im Delirium hat sie immer über Psychon gesprochen«, erklärte Helena, »und sie glaubte, ihr Vater lebe noch und sie müsse ihn retten.« »Meinst du, sie will einen Eagle erreichen?« fragte Carter bestürzt. »Ja, und wenn sie dorthin gelangt, dann wird sie sich zu einem Planeten auf den Weg machen, den es gar nicht mehr gibt.« »Moment«, sagte Carter zum Posten. »Sie warten, und wir kommen mit den Beruhigungspfeilen.« Hastig verließen sie das Lazarett, um das irre Tier noch rechtzeitig zu erreichen. Als Mentor und seine Schöpfung Psyche, der Bio-Computer, zerstört und der Planet Psychon damit unstabil wurde, war Mayas Heimatwelt völlig vernichtet worden. Der Planet war explodiert, und seine unzähligen Teile trieben auf unbekannten Bahnen durch den Raum. Noch immer befand sich die kranke Maya im Körper eines pferdeähnlichen Tieres, und sie fanden sie an der Tür zum
Reisetunnel. Eine ganze Reihe Posten bewachte sie aus sicherer Entfernung. Sie keuchte, und ihr Unterkiefer hing vor Erschöpfung herab. Mit einem erhobenen behuften Fuß versuchte sie den Türmechanismus zu betätigen. Ihre metallisch glänzende Haut war fleckig von den Brennstrahlen des Lasers. Sie schien in sehr schlechter Verfassung zu sein. Carter hob das Gewehr an die Schulter, um zu schießen, doch Helena wehrte ab. Beherzt trat sie vorwärts. »Maya!« rief sie. Der lange Pferdekopf spitzte die Ohren und wandte sich der Ruferin zu. Der Huf blieb in der Luft über dem Aktivierungsknopf hängen. »Maya, hör mir zu. Du mußt es zulassen, daß wir dir helfen.« Das Tier schien sich angestrengt zu konzentrieren, als hätten diese Worte tief in ihm etwas zum Schwingen gebracht. Mit einem so ausdruckslosen Blick sah es Helena an, daß es sie schüttelte. Helena wußte nicht, daß das Tier bei sich entschied, ob es diesen Menschen töten solle oder nicht. Aber dann schlug es mit dem Huf auf den Knopf. Die Tür schob sich auf, und es drängte seinen schlanken Leib nach innen. Da drückte Carter ab. Die Haut der Kreatur spannte sich, als der Pfeil sich hineinbohrte. Er lud nach, doch die Tür schloß sich. Er fluchte. »Sie rennt jetzt zu den Startrampen!« schrie er. »Zurück zur Kommandozentrale!« Wieder einmal rannten sie, um die letzte Psychonierin vor dem sicheren Tod zu retten. »Sie ist im Tunnel«, rief ihnen Sahn entgegen, als sie ankamen. Carter lief zu seiner Konsole und musterte den großen Schirm. Das Bild der Sterne war verschwunden, denn die Suche nach Koenig war vorübergehend zurückgestellt worden, um der unmittelbaren Gefahr zu begegnen. »Untergrundenergie abschalten«, befahl er und beobachtete das geduldig auf das Ende der Reise wartende Tier. Es schien tot zu sein, aber er selbst hatte das Gefühl, es war so etwas wie
ein wartendes Krokodil, das bei der geringsten drohenden Bewegung zuschlagen würde. Sahn legte etliche Schalter um und stellte die Energiezufuhr ab. Die Lichter im Reisetunnel gingen aus, und das Tier wurde nach vorwärts geworfen, als die Bewegung plötzlich aufhörte. »Na, schön, Helena, wir haben es im Untergrund in der Falle«, stellte Carter fest. »Trotz Lähmungsgewehr und Beruhigungspfeil ist es aber noch immer auf den Beinen.« Besorgt beobachtete er auf dem Schirm die zornigen Bewegungen des Tieres. »Und was jetzt?« »Wir gehen hinein«, erklärte Helena. Das Geräusch aufbrechenden Metalls kam über den Lautsprecher. »Alan!« rief Sahn scharf, um seine Aufmerksamkeit wieder auf den Schirm zu lenken. Erstaunt sahen sie zu, wie Maya in ihrer Tierform die hinteren Türen aufriß und davonhoppelte. Nun war deutlich zu erkennen, daß sich die Drogen auswirkten, aber die ungeheure Willenskraft der Frau in diesem Tier hielt es weiter aufrecht. »Wenn sie zu einem Eagle gelangt und damit abhebt, gibt es keine Hilfe für sie«, erklärte Helena bedrückt. »Komm schnell…« Carter lief voran. »Zum anderen Reisetunnel.« Sie rannten den Korridor entlang und drängten sich in den Tunnel. Sahn hatte inzwischen die Energiezufuhr wieder eingeschaltet, und nun eilten sie hinter der flüchtigen Kreatur her. Carter rief inzwischen die Sicherheitsposten der Abschußrampe an. »Große Alarmstufe«, kündigte er düster an. »Blockiert Reisetunnel eins. Nicht zulassen…« Seine Worte wurden unterbrochen von dem Lärm zerreißenden Metalls, und ein paar Posten schrien erstaunt. Das Gesicht des Sprechers verschwand vom Schirm.
»Abschußrampe… Abschußrampe… Was ist los?« hörten sie ihn rufen, und dann vernahmen sie das schrille, unirdische Wiehern der verstörten Kreatur. Endlich erschien das Gesicht des verschreckten Postens wieder. »Mr. Carter, wir wurden von diesem… diesem Tier angegriffen!« »Okay, das dachte ich mir schon«, schnappte Carter. »Wo ist es jetzt?« »In Eagle Vier.« »O Teufel! Wenn sich nur dieser verdammte Tunnel beeilen würde…« Ungeduldig schaute er zur Tür. Natürlich mußte die Abschußrampe ein Stück von den Hauptgebäuden entfernt sein, aber das hier war der einzige Reisetunnel, der voll im Gebrauch war. Endlich hielt der Tunnel an, und sie rannten hinaus in die Empfangszone. Vor ihnen befanden sich die Türen der Einstiegtunnel. Die zur Eagle Vier war geschlossen. Auf dem Boden lagen etliche Posten, von denen einige gerade wieder zu sich kamen. Der Posten, der mit ihnen gesprochen hatte, lehnte matt an der Wand, und seine Kombination war blutig. »Zu spät«, stöhnte er, als er sie kommen sah. »Der Einstiegtunnel legt schon wieder ab…« Carter rannte sofort weiter zum Abschußkontrollraum, und Helena folgte ihm, während sich Vincent um die Verletzten kümmerte und Sanitätspersonal anforderte. Vom Kontrollraum aus hatte man einen guten Überblick über die unter der Mondoberfläche liegenden Hangars, in denen die ganze Eagle-Flotte von Alpha angedockt war. Die Schiffe wurden betreut und ständig startbereit gehalten von einer Bodenmannschaft aus Ingenieuren und Mechanikern, die ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllten. Eine solche Tüchtigkeit war unter anderen Umständen lobenswert, nur wirkte sie sich an diesem Tag gegen sie aus.
»Ihr könnt doch den Eagle nicht einfach abheben lassen!« rief Helena den Leuten zu. Carter schob einfach die Kontrolleure in ihren weißen Mänteln von ihren Plätzen an den langen Konsolen weg und drückte rasch nacheinander etliche Knöpfe. Wenig später bekam er die Pilotenkanzel des Eagle Vier auf den Schirm. Die Kreatur stand vor den Instrumenten und war dabei, sie zu betätigen, aber sie schien nicht ganz wach zu sein. »Ah, endlich beginnt das Betäubungsmittel zu wirken«, stellte Helena erleichtert fest. Carter drückte auf weitere Knöpfe und kündigte an: »Ich bringe es jetzt herein.« Das Schiff war bereits in Startposition. Der riesige Lift, der es zur Abschußrampe der Oberfläche brachte, hatte schon die Hälfte des Weges hinter sich. Er stoppte den Lift und brachte die Maschine wieder herab, um sie von der Plattform aus in den Hangar zu leiten. An seiner Pflegestation dockte er es an. Die plötzliche Bewegung weckte das Tier wieder auf. Die Hufe schlugen auf die Flugkonsole, und die gläsern wirkenden Augen starrten verständnislos den Konsolenmonitor an. Dann dämmerte ihm eine Erkenntnis: es war in die Falle geraten. Helena und Carter sahen gespannt zu. Was würde das arme Tier nun tun? Es schwankte bedenklich über den Instrumenten und krachte schließlich mit dem ganzen Gewicht darauf. Sofort erwachten alle Maschinen des Eagle zum Leben. Die Beobachter im Kontrollraum flohen, und die Ärztin und der diensttuende Kommandant erwarteten entgeistert das bevorstehende Unglück. »Kannst du denn das nicht aufhalten?« rief Helena angstvoll. Auch Carter war halb betäubt vor unglaublicher Angst. »Oh Herr im Himmel! Ich habe jetzt keine Kontrolle über das Schiff…« Hilflos beobachtete er durch das dicke Glas, wie der Eagle zum Hangardach stieg. Alle acht Start-Triebwerke spuckten
rotes Feuer. Die Wucht des Anpralls drückte das Dach ein, und dann rutschte das Schiff seitlich unter dem Dach entlang, nahm Richtung auf die gesamte Eagle-Flotte, neigte sich zur Seite und krachte schließlich zu Boden. Auch die anderen Schiffe schoben sich ineinander und waren nur noch eine verkeilte Masse. Wie durch ein Wunder hatten sich die Maschinen abgeschaltet. Carter stöhnte. Die meisten Schiffe waren nicht einsatzfähig. Die Reparaturen würden einen vollen Einsatz an Mannschaften und Ersatzteilen erfordern. Er beschloß trotzdem, über den wenn auch großen, so doch begrenzten Schaden erleichtert zu sein, denn hätten sich die Maschinen nicht abgeschaltet, wäre es denkbar gewesen, daß der ganze Mond zu Staub zerblasen worden wäre. Aus allen Richtungen kamen die Feuerwehrleute in ihren silberfarbenen Schutzanzügen herbeigeeilt und besprühten die rauchenden Trümmer mit Löschschaum. Zwei Männer kämpften sich zu den Türen des Eagle Vier durch und brachen sie auf. Wenige Augenblicke später kamen sie wieder heraus und schleppten die leblose Pferdegestalt mit sich. Andere halfen, sie durch den schaumbedeckten Hangar zur Empfangssektion zu schaffen. Helena lief ihnen entgegen, untersuchte eiligst das arme Wesen und wandte sich mit Tränen in den Augen an Carter. »Sie stirbt…«, flüsterte sie. »Kannst du sie nicht retten?« Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. »Dieses Tier ist mir bis heute noch nie begegnet. Ich kenne seine Anatomie nicht… Seine Körperfunktionen sind ein Rätsel für mich…« Carter war nun auch ratlos. Erst dieses Tier und jetzt Helena… Und Verdeschi war vielleicht endgültig verloren. Und Maya, die Freundin des Italieners.
Beide waren verloren. Flehend wandte er sich an Helena. »Du mußt doch etwas tun können!« rief er.
IV
Die geheimnisvolle, lebensgefährliche Krankheit, die Maya befallen hatte, schien in ein letztes, besonders heftiges Stadium einzutreten. Man hatte sie buchstäblich ins Lazarett geschleppt und an den Operationstisch geschnallt, und nun begannen ihre irr gewordenen Moleküle in rascher Folge die Form zu verändern. Aber die neuen Tiere hatten keine Kraft. Es war so, als durchlaufe ihr in Unordnung geratener Geist ihr ganzes Leben in allen Kreaturen, die ihr je begegnet waren. Und nicht eine von ihnen vermochte das elastische Material auszudehnen, mit dem sie angeschnallt war, obwohl viele dazu fähig erschienen. Endlich verfestigte sich ihre Erscheinung zu einem merkwürdigen, baumähnlichen Wesen, das Helena noch nie vorher irgendwo gesehen hatte. Sicher war es humanoid, sogar mehr als die Pferdegestalt, und hatte eine grobe, rindenähnliche Haut und graues, mattenähnliches verfilztes Haar. Es hatte eine Nase, zwei Augen, einen Mund, Arme und Beine, aber hier endete die Ähnlichkeit. Helena wußte, daß ihr Skalpell, das sie zur Operation erhoben hatte, eher auf Pflanzensaft als auf Blut treffen könnte. Was sollte sie nun tun? »Maya, du mußt dich in dich selbst zurückverwandeln«, drängte sie und schaute beschwörend in das alte Rindengesicht. »Ich verstehe doch kaum deine normale biochemische Struktur, und die augenblickliche schon gar nicht.« Sie warf Vincent einen hilfesuchenden Blick zu. Beide trugen Operationskleidung und Gesichtsmasken. »Von ihrem alten Körper habe ich wenigstens eine Ahnung, aber das hier
wäre ja ein reines Glücksspiel… Maya, du mußt dich ganz einfach zurückverwandeln, sonst stirbst du doch.« Die Patientin atmete nur noch ganz flach. »Du kommst nicht zu ihr durch«, sagte Vincent und las den Röntgen- und thermographischen Scanner ab. Und zu Carter, der ebenfalls bei ihnen war, sagte er: »Deine Narkosepfeile haben nun doch gewirkt.« »Maya, du mußt dich wieder verwandeln«, drängte Helena. Vincent schaltete das Röntgengerät ein, so daß sie einen Blick in das Innere dieser merkwürdigen Kreatur tun konnten. »Der Druck ist hier irgendwo«, erklärte er Carter und deutete auf eine Zone mit bizarren Umrissen. »Wir haben nichts, das dem zu vergleichen wäre, und so etwas haben wir auch noch nie gesehen.« Er legte einen weiteren Schalter um. »Das sind thermographische Fotos«, erläuterte er. »Wir wissen viel zu wenig über diese Kreatur und können daher die Verletzungen nicht behandeln.« »Dann müssen wir also nur dabeistehen und zusehen, wie Maya stirbt?« fragte Carter ungläubig. Vincent gab darauf keine Antwort, sondern ging zu den Teströhrchen und nahm eines mit einer bernsteingelben Flüssigkeit. »Das ist ihr Blut. Wenn wir damit arbeiten, könnten wir das Korpuskel-Gleichgewicht stören. Wir wissen, verdammt noch mal, einfach nicht, womit wir’s zu tun haben.« Carter wandte sich an Helena. »Wann nahm Maya diese Gestalt an?« »Vor ungefähr fünfundvierzig Minuten.« »Okay. Und du hast Angst, sie zu operieren, wenn du ihre Anatomie nicht kennst?« Sie nickte beklommen. »Gut. Dann müssen wir noch fünfzehn Minuten warten. Maya kann keine andere Form länger als eine Stunde halten.«
»Daran habe ich auch schon gedacht, Alan«, erklärte ihm Helena geduldig. »Es ist nur so, daß sie keine fünfzehn Minuten mehr am Leben bleiben wird… Ben, es gibt keine andere Möglichkeit. Assistiere mir, bitte.« »Du kannst sie töten, wenn du operierst«, wandte Vincent besorgt ein. »Aber Alan hat recht, wir können nicht einfach zusehen, wie sie stirbt«, erklärte sie. »So hat sie wenigstens eine Chance. Schwester?« Die Operationsschwester trat vor. »Wir machen hier einen Einschnitt.« Helena deutete auf die Rindenbrust des Wesens. »Wenn wir diese Blockierung erreichen könnten…« Vincent unterbrach sie mit einer Reihe aggressiver Fragen. »Was dann, wenn es gar keine Blockierung ist? Wenn es sich um natürliches Gewebe mit einer natürlichen, lebenswichtigen Funktion handelt?« »Das müssen wir eben herausfinden«, erwiderte Helena betont gleichmütig. Die Schwester hob die sterile Decke von den Instrumenten und bereitete sich darauf vor, sie der Ärztin zu reichen. »Und jetzt vorsichtig«, mahnte Helena. »Wir fangen an.« Sie brachte das Skalpell in Schnittstellung, doch da wurde ihr Blick zum Oszilloskop gezogen, auf dem die Herzkurve des Wesens abzulesen war; sie hatte sich fast zu einer geraden Linie verflacht. Dann öffnete die Kreatur die Augen, und den zerklüfteten Lippen entfloh ein Todesstöhnen. »Du kannst nicht operieren!« rief Vincent. »Sie schafft es nicht!« Helena biß die Zähne zusammen, zog das Skalpell zurück und flehte ihre Patientin erneut an. Im Moment des Todes schien sie erwacht zu sein. Die Augen meldeten Bewußtsein. »Maya, du mußt dich ganz einfach zurückverwandeln«, drängte Helena. »Jetzt sofort, Maya…«
Als Antwort auf dieses Flehen wurde die erbarmenswerte Gestalt zu einer gelblichen Energiespindel, und alle, die um das Bett standen, wußten nun, daß Maya sich wirklich zurückverwandeln wollte. Erleichtert seufzten sie, denn Mayas Vernunft schien im allerletzten Moment zurückgekehrt zu sein. »Alan, sie kann mich hören!« flüsterte Helena erschüttert. »Sie hört mich ja!« Aber das hatte sie zu früh gesagt. Die Lichtspindel wurde zu einer noch häßlicheren Gestalt. Sie hatte einen riesigen, unförmigen Kopf, der völlig aus einem soliden Knochen zu bestehen schien, ein einziges Riesenauge, das fleckig war und wie Lack glänzte. Die Gliedmaßen waren Greifwerkzeuge, und der Körper war ganz mit einem langen Zottelpelz bedeckt. Aus dem häßlichen Schädel bogen sich zwei riesige, tödlich aussehende Stoßzähne. Das Wesen lag bewegungslos auf dem Bett und schien Kräfte sammeln zu wollen. Die Pulsrate beschleunigte sich, und die Alphaner traten angstvoll vom Bett zurück. Ehe jedoch das abscheuliche Wesen seine elastischen Gurte zu sprengen vermochte, handelte Carter –, er drückte auf den roten Alarmknopf an der Wand. Kaum hatte er das getan, als sich das Wesen aufsetzte und mit einem Schlag die Schwester und die beiden Ärzte wegwischte. Da schrillte aber schon der Alarm durch die Mondbasis. Der Heul ton der Sirene versetzte das Wesen in Wut, und es warf sich auf den Australier. »Es ist rasend vor Schmerzen!« warnte Helena und kam taumelnd wieder auf die Füße. »Die Transformation hat nicht alle Verletzungen beseitigen können.« Carter nützte die Warnung nichts, denn er wurde aufgehoben und an die Wand geschleudert. Vincent kämpfte sich auf die Füße und kam Carter zu Hilfe; er warf sich auf den zotteligen Rücken des Wesens, trommelte mit beiden Fäusten darauf und
riß ganze Büschel des Pelzes aus, um das Monster von Carter abzulenken. Endlich kamen ein paar Sicherheitsposten angerannt. Mit schußbereiten Lasern näherten sie sich dem Kampfplatz. »Aber überzeugt euch davon, daß die Waffen auf Lähmung stehen«, befahl Carter, dem es gelungen war, wieder aufzustehen. Seine Lippen waren aufgerissen, und er hatte das Gefühl, mit dem Kopf voran in ein Bad sonischer Strahlung getaucht worden zu sein. »Feuer!« Die Laser blitzten auf und trafen das Fell der Kreatur. Das Haar begann zu brennen und füllte das Lazarett mit beißendem, erstickendem Rauch. Kaum eine Kreatur hätte einen so betäubenden Energiefluß ertragen, aber die hier stand noch immer auf den Beinen. Sie bellte vor Schmerz und Wut, tappte auf die verblüfften Posten zu und fegte sie zur Seite. Dann verschwand sie in einer Wolke aus Rauch und Feuer durch die Tür. Am anderen Ende des Zeitbruches musterte Koenig grimmig die verlassenen Konsolen und die Instrumentennischen des Sternenschiffwracks. Der äußere Anblick hatte nicht getrogen: seit Hunderten von Jahren mußte es leer im Raum treiben. Seltsam, einige Teile der elektronischen Stromkreise funktionierten in der Pilotenkanzel des fremden Schiffes noch immer. Mit den Grapplerarmen hatten sie angedockt, und durch ein Loch im Rumpf waren sie hineingeklettert. Zu ihrem größten Staunen konnten sie die Kabine sogar wieder unter Druck setzen. Die Energiezufuhr ließ sich aktivieren, so daß der Raum soviel Luft und Wärme erhielt, wie sie brauchten. Zusammen mit den Vorräten des Eagle hatten sie nun für längere Zeit einen ausreichenden Schutz. Das Schicksal hatte ihnen also im unwahrscheinlichsten Moment zugelächelt. Die
Erleichterung, die sie fühlten, war jedoch nur wie ein kurzes Aufatmen.
Im Grunde waren sie eher neugierig als erleichtert, und sie nährten eine vage Hoffnung, daß das Geheimnis dieses Schiffes ihnen einen Weg zurück nach Alpha weisen möge. »Sieh mal die Energiequelle nach«, sagte Koenig zu Verdeschi, als sie die Schiffsinstrumente prüften, um herauszufinden, wie sie arbeiteten. »Vielleicht läßt sich der Treibstoff für unseren Eagle verwenden.« Verdeschi kratzte sich verdutzt den Kopf, denn er wußte nicht recht, wo er anfangen sollte. »Okay«, sagte er schließlich und nahm einen großen Schrank mit Sicherungen in Angriff, der eine ganze Wandseite der Kabine einnahm. Vielleicht konnte er von da aus die Kabel zurückverfolgen. Koenigs Aufmerksamkeit galt einem kleinen Sichtschirm und einem umfangreichen Kassettenlager. Es war raffiniert in die Instrumentenbanken des Schiffes eingebaut. Vielleicht, so meinte er, sei dies ein Teil des Hauptcomputers. Er zog eine der Patronen heraus und drückte sie in einen Schlitz am unteren Rahmen des Schirms. Sofort wurde der Schirm hell, und eine Karte nach der anderen erschien, aus denen er jedoch nicht klug wurde. Er ging eine ganze Anzahl von Kassetten durch, um etwas zu finden, das er verstehen konnte. Die Wesen, die dieses schöne Schiff navigiert hatten, schienen in ihrer Technologie den Alphanern nicht sehr überlegen zu sein, denn vieles im Instrumentarium ließ sich dem Zweck nach erkennen. Er zweifelte jedoch nicht daran, daß sie ein paar Tricks mehr gekannt hatten als er. Verdeschi kehrte zurück und besah sich mit ihm zusammen den Schirm. »Offensichtlich eine Datenbank«, meinte er.
Koenig nickte. Er setzte eine neue Patrone ein. »Die Energiequelle ist sehr ausgeklügelt«, berichtete Verdeschi. »Sie liegt ein paar Stufen über unserer eigenen Ebene. Ich kann wirklich nicht behaupten, daß ich sie begreife.« Auf dem Schirm erschien das Bild eines Fremden; es sah merkwürdig aus, und beide schwiegen erstaunt. Sie vermuteten, daß diese Patrone eine absichtlich hinterlassene und für die Augen und Ohren jener bestimmte Botschaft sein müsse, die dieses Schiff auffinden würden. Vielleicht war hier auch eine Erklärung zu bekommen, weshalb die Pilotenkabine in so makelloser Ordnung war. Der Fremdling war irgendwie humanoid, aber er hatte Ähnlichkeit mit einem Grashüpfer. Er trug eine militärisch aussehende Mütze mit dem Emblem des Schiffes. Die Fühler zitterten, die Kauwerkzeuge bewegten sich, als er zögernd zum Sprechen ansetzte. »Hier spricht Kapitän Duro, Kommandant des Betanon Pfadfinderkreuzers, Menon…« begann das Wesen mit hoher, flüsternder, fast klagender Stimme, die bei Koenig und Verdeschi ein Gefühl ehrfurchtsvoller Melancholie auslöste. »Wir waren zwölf Parsecs von unserem Mutterschiff Admenon entfernt, als es in einer Raumverwerfung verschwand. Das geschah zur Sternenzeit zwölf. Jetzt haben wir Sternenzelt zweiunddreißig, und während dieser ganzen langen Zeit haben meine Crew und ich verzweifelt den Durchgang durch diese Verwerfung gesucht. Wir glaubten schon, die genaue Örtlichkeit des Zugangs zum Mutterschiff in der Raumverwerfung gefunden zu haben, doch nach einigen erfolglosen Versuchen mußten wir feststellen, daß unsere Koordinaten falsch waren. Unser Schiff hat viele Schäden davongetragen, darunter auch an unserem WarpLokator. Ich setzte meine Ingenieure an die Arbeit.
Wir waren nahe daran, die korrekten Koordinaten zu erhalten, als ein Funktionsfehler in unserer Kraftanlage eine Explosion auslöste, die meine ganze Crew tötete. Ich selbst erlitt eine tödliche Verletzung. In den letzten Augenblicken meines Lebens mache ich nun diese Aufzeichnung; falls irgendein intelligentes Leben in diese Raumzone kommt, ist dies die Erklärung für die tragischen Ereignisse. Die Daten für den Warp-Lokator sind auf der Patrone 26 angeführt. Nach der Begräbnistradition meiner Spezies habe ich meine Crew in den Raum hinausgeschickt, und nach Abschluß dieses Berichtes werde ich mich zu meinen Kameraden gesellen.« Der Kommandant der Menon schwieg. Sein Gesicht zuckte nervös; dann verblaßte sein Bild und verschwand. Die beiden Alphaner waren sehr niedergeschlagen. Was diesem Fremden Kommandanten und seinem Mutterschiff zugestoßen war, glich dem Schicksal der Mondbasis und ihrem eigenen, aber auch dem der Mondbasis und der Mutter Erde. »Wir wissen genau, wie ihm zumute gewesen sein muß – falls dies ein Trost für ihn ist«, murmelte Verdeschi. »Und wir sind ihm Dank schuldig, daß er uns den Weg wies«, ergänzte Koenig voll aufrichtiger Bewunderung. Aber für solche Gefühle blieb ihnen jetzt wenig Zeit. Wo war Patrone 26? Sie waren aus irgendeinem Grund nämlich nicht mit Nummern bezeichnet, und so mußte er sie suchen. Sie war unter denen, die er bereits auf den Schirm übertragen hatte und die ihm gänzlich unverständlich geblieben waren.
Sicherheitsposten mit Lasern bewaffnet stürmten den langen Korridor der Mondbasis entlang. TV-Monitoren in den Wänden überwachten das gesamte Einzugsgebiet. Das ganze
Personal – außer dem Sicherheitsdienst – war angewiesen worden, hinter geschlossenen Türen in den Räumen zu bleiben. Carter drückte die Knöpfe an seiner Kontrollkonsole und blieb in Sichtkontakt mit den verschiedenen Abschnitten der Abschußzone. Vor den Türen des Reisetunnels wartete ein Halbkreis von Sicherheitsmännern. Die Türen schoben sich einen Spalt auf, und die Posten spannten sich merklich. Aber sie brauchten keine Angst zu haben, denn der Tunnel war leer. Maya war es gelungen, sich irgendwo zu verstecken. Besorgt und enttäuscht schaltete er den Schirm ab und stellte eine Verbindung zum Lebenserhaltungssystem ein. Ein Techniker meldete sich. »Etwas gesehen?« fragte Carter. »Es ist nicht in dieser Zone, Mr. Carter.« Nun drückte er den Knopf für den allgemeinen Kanal. »Achtung, Achtung, an das Sicherheitspersonal. Korridore sind klar, Reisetunnels sind sauber, Lebenserhaltungssystem klar, Stockwerke C und D ebenso. A und B überprüfen.« Seine Stimme hallte in alle Ecken der Mondbasis, über und unter der Oberfläche. Dann wandte er sich besorgt an Helena, die hinter ihm stand. »Sie muß doch hier irgendwo sein«, stellte er fest. Die Ärztin war sehr nachdenklich und bekümmert. »Wenn Mayas Gehirn noch immer fiebrig ist… wird sie versuchen, auf jeden Fall nach Psychon zu gelangen.« »Sie kann zu keinem Eagle gelangen, die Abschußrampen sind versiegelt«, rief Sahn von ihrer Konsole her. »Es kann noch etwas dauern, aber wir werden sie finden«, versprach Carter wenig überzeugend. Helena nickte. Sie wußte, daß niemand mehr an einen guten Ausgang glaubte. Dazu kam noch ihre tiefe Sorge um John. War was mit ihm? Vielleicht bekam sie darauf niemals mehr eine Antwort.
Das Grashüpfergesicht des Commanders der Menon war wieder auf dem Schirm. Koenig wußte noch nicht, daß die Patrone 26, die er kurz überprüft hatte, auch Instruktionen des Fremden in Kartendiagrammen und Kalkulationen enthielt. Der tote Commander hatte sich vermutlich überlegt, daß seine Instruktionen dem helfen würden, der sie zu entziffern versuchte, aber Koenig und Verdeschi wurden von ihnen nur noch mehr verwirrt. »Dieser Abschnitt der Operationen ist kritisch«, berichtete die Flüsterstimme. Sein Gesicht verschwand, dafür erschien ein Diagramm, in dem sie keinen Sinn fanden, dann kam wieder das Gesicht. »Der Rest der Prozedur ist jedoch ziemlich einfach.« »Einfach«, höhnte Verdeschi. »Vielleicht dann, wenn wir Maya hier hätten.« Er knirschte mit den Zähnen, denn das Gefühl, das dieser Name in ihm hervorrief, war alles andere als beruhigend. »Nun ja, sie ist eben nicht hier«, erwiderte Koenig. »Ich verstehe einen Teil dessen, was er sagen will… Wir nehmen die Instruktionen mit zum Eagle und studieren sie.« »Das ist eine Möglichkeit auf sehr lange Sicht…«, bemerkte Verdeschi. »Aber eine Möglichkeit. Und jetzt wollen wir den WarpLokator finden.« Sie suchten in den Schränken und Fächern der Menon. Endlich fanden sie ihn. Es war ein vollständiger Sondensatz, der früher einmal außen am Rumpf des Schiffes angebracht gewesen war. Vor langer Zeit hatte man sie zur Reparatur hereingeholt. Ob sie wirklich überholt worden waren, hatte der Commander der Menon nicht erwähnt. Ein Gedanke zuckte durch Verdeschis Kopf. »John, selbst wenn wir durch das Warploch zur anderen Seite durchbrechen könnten… wir können aber Alpha nie einholen, weil wir vorher ohne Treibstoff sind.«
Koenig antwortete erst, als er wieder in seinen Raumanzug geklettert war. »Tony, ich habe eine Ahnung, daß jeder auf Alpha an dieser Sache arbeitet.«
Auf dem großen Schirm der Kommandozentrale blitzte eine Unzahl von Sternen. Pfeil und Punkt, mit denen die gegenwärtige Position des wie irr herumjagenden Mondes und die letzte aus der Vergangenheit gekennzeichnet worden waren, hatten sich beträchtlich voneinander entfernt. Ein winziger, fast unsichtbarer Lichtpunkt unter den Sternen war mit einem roten Kreis markiert worden. Es war der Eagle, der Koenig und Verdeschi am letzten Standort des Mondes in Empfang nehmen sollte, falls die beiden die Rückkehr schafften. »Verbinde mich mit dem Tank-Eagle!« rief Carter Sahn zu. Helenas Anwesenheit erinnerte ihn ständig daran, daß sie mit zwei Tragödien fertigwerden mußten – mit der außer Kontrolle geratenen Psychonierin und dem durch die Raumverwerfung verloren Eagle Eins. Sahn drückte einen Knopf. »Mondbasis Alpha an Eagle Drei… Mondbasis Alpha an Eagle Drei…« »Eagle Drei an Mondbasis Alpha«, meldete sich eine ferne Stimme. Sahn drückte noch einige Knöpfe, und das Bild des Piloten des Eagle Drei erschien auf Carters Schirm. »Wie ist eure Position, Eagle Drei?« erkundigte er sich. »Sieben Minuten zwölf Sekunden zum Rendezvous-Punkt.« »Hoffentlich Rendezvous-Punkt«, flüsterte Helena. Dann zum abwesenden Koenig: »Mein Liebling…« Carter brachte ein vergrößertes Bild der betreffenden Zone auf den Schirm. Es gab nun drei Pfeile und Punkte und einen roten Kreis; die Raumzone mit der Mondposition vor der Raumverwerfung war nun sehr deutlich zu erkennen.
»Wenn ihr den Rendezvous-Punkt erreicht, kreuzt ihr dort«, befahl Carter dem Piloten. »Wie lange?« wollte er wissen. »Bis zum Punkt der Nicht-Wiederkehr«, erwiderte Carter lakonisch. Der Pilot verstand. Er nickte und schaltete ab. Im selben Moment begann der Monitor laut zu piepen, und das blasse Gesicht eines Sicherheitsmannes erschien. »Mr. Carter, wir haben das Tier in der Luftschleuse 7«, berichtete er atemlos. »Es scheint höllisch entschlossen zu sein, Alpha zu verlassen.« Carter nickte. »Wir sind schon unterwegs«, antwortete er. Zusammen mit Helena rannte er zum Ausgang. Mayas Gestalt war zwar furchterregender als alle vorhergehenden, doch sie bemühte sich, den Laserwaffen zu entgehen. Statt der schwer bewachten Reisetunnels hatte sie eine Luftschleuse gewählt, und damit hatte sich für die Alphaner eine recht ernste Lage ergeben. Deshalb rannten Helena und Carter, so schnell sie konnten. Erschöpft kamen sie an der Luftschleuse an und waren von dem entsetzt, was sie dort sahen. Den Gang vor der Schleuse hatten etliche Posten, jeder mit einem schußbereiten Laser in der Hand, abgeriegelt; das Tier zitterte und bearbeitete die Verriegelung der Luftschleuse. Etliche Posten waren angegriffen worden und schwer verletzt. Bedrückt stellte Alan fest: »Es will noch immer nach Psychon, und es wird immer verzweifelter.« »Wenn sie die Luftschleuse einschlägt, wird eine explosive Dekompression alles in diesem Abschnitt Alphas töten!« rief Helena und rannte auf die Posten zu. »Alles auf Lähmung eingestellt?« erkundigte sich Carter, und die Posten nickten. »Dann schießen!«
Das arme, verzweifelte Tier wurde von brennendem Feuer eingehüllt, aber es schüttelte sich nur und bearbeitete die Schleuse weiter. Helena lief zum nächsten Wandmonitor und stellte eine Verbindung zum Hauptcomputer her. »Innere Türen zur Luftschleuse 7 öffnen«, ordnete sie an, und langsam schoben sich die Türen auseinander. Die Kreatur sprang hinein und hämmerte nun auf die äußeren Türen der Schleuse ein. Carter schaute Helena verblüfft an. »Was tust du da? Wenn sie durch diese Tür zur Oberfläche kommt, stirbt sie sofort!« Helena wandte sich jedoch nur wieder zum Monitor um. »Computer, innere Tür zur Luftschleuse 7 schließen«, befahl sie. Die Türen schoben sich zu, Maya saß in der Falle. Ehe Carter noch protestieren konnte, bekam Helena Vincent auf den Schirm. »Ich brauche sofort einen Narkosegaszylinder bei der Luftschleuse 7, aber sehr schnell!« »In Ordnung, bin schon unterwegs.« Der Schirm wurde dunkel. Gefolgt von Carter kehrte sie zur Schleuse zurück. Er verstand jetzt, was sie vorhatte. Sie aktivierten den Schirm der Luftschleuse und bekamen ein Bild des Tieres, das heftig auf die Außentür einschlug. »In diesem engen Raum müßte das Narkotikum sofort wirken«, meinte sie. »Aber vergiß nicht, daß sie jetzt ein anderes Tier ist als vorher.« Die Luftschleusentüren waren dick und stabil und beschäftigten die Gefangene eine ganze Weile, bis Vincent mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, ein Wägelchen vor sich her schiebend, den Korridor entlangraste. Damit blieb er vor der Schleusentür stehen. Carter griff nach der Gasflasche,
während Helena eine kleine Klappe in der Wand öffnete, durch die im Notfall komprimierte Luft geblasen werden konnte. Sie schraubten das Zylinderventil an die Düse in der Klappe und schalteten ein. Mit einem scharfen Zischen entwich das Gas, das Narkotikum strömte in die Schleuse. Ein dünner Nebel füllte sie. Das zottelige Wesen richtete seine Aufmerksamkeit auf die zischende Düse. Das Auge funkelte drohend, und als die Kreatur das Gas einatmete, schüttelte sie sich heftig. Dann stieß sie mit den riesigen Hauern wieder gegen die Tür. »Es scheint aber zu wirken«, bemerkte Helena vorsichtig. Das Gas wurde nun so dicht, daß im Nebel nichts mehr zu erkennen war. Carter schaltete auch den Monitorton ein, so daß sie das Tier auch hören konnten. Es knurrte und röhrte erschreckend. Das waren nicht die Laute, die ein Tier von sich gab, das der Bewußtlosigkeit nahe war. Ganz im Gegenteil – nach den ersten Momenten schien das Wesen von dem Narkotikum geradezu angeregt zu werden, denn es arbeitete mit neuer Kraft an der Tür. Mit den Hauern stieß es in die Fugen, und es warf sein ganzes Gewicht gegen das Metall. Die riesigen, kräftigen Greifhände hämmerten unablässig an die Tür, und dazu röhrte es wild und drohend. Schließlich gab die Außentür nach, und Gas und Kreatur wurden in den felsigen, luftleeren Gang gesogen, der zur Mondoberfläche führte. Entsetzt sahen sie zu, wie es zu Boden stürzte, doch dann kam es erstaunlicherweise wieder auf die Füße und trottete unsicher auf den Hinterbeinen hinaus in die lunare Finsternis. »Das Biest muß einen Luftvorrat haben, wie Kamele Wasser speichern können!« rief Vincent, dem fast die Augen aus dem Kopf fielen. »Aber wie lange könnte dieser Luftvorrat reichen?« fragte Carter.
»Spielt das denn eine Rolle?« rief Helena schluchzend. »Maya kann eine Gestalt doch nur eine Stunde lang aufrecht halten!«
Die kalte Finsternis umgab das halbe Bewußtsein der verängstigten, zu allem entschlossenen Kreatur. Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Es gab eine Million Richtungen, die eingeschlagen werden konnten, also waren eine Million Entscheidungen nötig. In ihrer Mitte hing Mentors Gesicht. Das winzige Flämmchen in dieser Kreatur, das noch immer Maya war, stellte sich vor, daß der riesige Abgrund zwischen der Mondwelt und dem Planeten ihres Vaters überbrückt worden sei; also war die Reise vorüber. Als sie die Tür der Luftschleuse aufbrach, war sie einer Wiedergeburt unterzogen worden, jener unmöglichen Reise nach Psychon. Und dort wartete nun ihr Vater auf sie. Ihr Geist sah die scharlachroten und blauen Vulkane von Psychon, die unzählbaren Arten von Pflanzen und Tieren, die dort lebten. Sie sah die Märchenstädte aus der verlorenen Jugend ihres Vaters, stolze Städte, die einst eine ganze Galaxis regiert hatten. Und er stand dort und winkte ihr. Sie lief über die Mondwüsten, ihm entgegen. Aber dann stolperte sie schwach über Steine, verletzte sich und war nun mit ihrem zähen Körper der Kälte und dem Vakuum ausgesetzt. Die Kraft sickerte aus dem Körper heraus. Tödliche, meilentiefe Krater warteten darauf, sie zu verschlingen.
V
Die zerklüftete Mondoberfläche dehnte sich aus bis zum sternenübersäten Firmament. Mag mancher Wissenschaftler auch anderer Meinung sein, auf diesen nackten, luftlosen Wüsten hatte noch nie Leben in irgendeiner Form gewohnt, seit dieser riesige Felsklumpen vor unbekannt wievielen Jahrmillionen ebenso wie Sonne und Erde aus einer Urwolke entstand. Der Mond war alt und runzelig. Die Landgebiete waren unstabil und konnten jederzeit zusammenbrechen. Die Atomexplosion des Jahres 1999 hatte die Struktur des Mondes weiter geschwächt, und nur ein Wunder hatte noch größere Schäden verhindert als schon entstanden waren. Sahn suchte mit den starken Außenkameras die Mondoberfläche ab. Sie schaltete auf höchste Vergrößerung und Schärfe, und sofort wurde das Schirmbild außerordentlich klar. Ein riesiger Krater, der von meilenhohen Felszacken eingesäumt war, erschien; um diesen Krater herum waren viele kleinere Mulden und Felsbrocken. Der Kopernikus-Krater und der Rest der Mondwüste lagen in tiefem Schatten. Seit der kahle Planetoid aus dem Erdorbit geschleudert worden war, erhellte ihn ja kein Sonnenlicht mehr, sondern nur noch das weit schwächere Licht unendlich ferner Sterne. Sahn schaltete auf Infrarot um. Das gleiche Bild wies diesmal Wärmekonturen auf; alles war von tödlicher Kälte – mit Ausnahme von zwei rosafarbenen Punkten, die sich bewegten. Der eine Punkt war kleiner als der andere und führte zwischen Felsnasen und Schrunden. Der größere Punkt folgte dem
kleineren schnell und holte ihn ein. Der zweite Punkt war deshalb größer, weil es sich um zwei Leute handelte.
In Helenas und Carters Helmen hörten sie Sahns Stimme: »Es nähert sich der Zone Kopernikus, kommt langsamer vorwärts, und ihr holt auf.« »Der Luftvorrat scheint zu Ende zu gehen«, bemerkte Carter besorgt und drückte auf das Tempoinstrument des winzigen Mondwagens, in dem sie saßen, doch das Ding fuhr nicht schneller. Außerdem wäre eine höhere Geschwindigkeit sowieso recht gefährlich gewesen. Dieser Mondkäfer war ja für die geringe Anziehungskraft des Mondes konstruiert worden. Sie waren fünf Minuten nach Mayas dramatischer Flucht aufgebrochen. Helena hatte darauf bestanden, nur zu zweit hinauszufahren, da ein größerer Verfolgungstrupp das Zottelwesen nur ängstigen würde. Die Schweinwerfer des über Steine und durch Gräben schaukelnden Gefährts beleuchteten die bizarren Felsformen und spielten manchmal auch über die Gestalt, die nun zwischen den Felsbrocken herumtaumelte. Wegen der zahllosen Hindernisse auf ihrem Weg konnten sie nicht so schnell aufholen, wie sie es gewünscht hätten. Aber als das arme, irre Wesen vor ihnen immer langsamer wurde, konnten sie es schließlich in einer Rinne zwischen den Felsen stellen. Die Kreatur wußte, daß sie in einer Falle war und versuchte, die beiden anzugreifen. Der Körper mit den verbrannten Zottelhaaren bewegte sich unbeholfen in der geringen Schwerkraft, und die großen weißen Stoßzähne störten das Gleichgewicht, als er sich bückte und mit den vorderen Greifgliedmaßen einen schweren Stein
aufzuheben versuchte. Diesen Stein hob das Wesen über seinen Kopf und warf ihn. Carter riß das Steuer des Mondkäfers herum; fast wäre er dabei gekippt. Wieder bückte sich das Tier und warf wahllos kleine Steine und große Brocken. Carter ließ sich davon nicht beirren und lenkte das Gefährt durch den Steinhagel, bis es auf die Nase getroffen wurde und die Scheinwerfer erloschen. Der Mondwagen knallte gegen einen Felsen. Helena wurde von dem Anprall herausgeschleudert, Carter flog gegen einen großen Stein. Helena landete im dicken Staub, rollte sich ein paarmal um sich selbst und blieb liegen. So gut sie konnte prüfte sie ihren Anzug nach, ob er Schäden davongetragen hatte, doch er schien unversehrt zu sein. Am anderen Ende der Rinne erkannte sie im Sternenlicht den dunklen Umriß der Kreatur, die ihr nun, einen schweren Stein in den Händen, in großen Sprüngen entgegenkam. Das Auge glühte voll düsterer Entschlossenheit. Es gelang ihr nicht, sich in dem plumpen Anzug aufzurichten, und so lag sie hilflos auf dem Rücken, als die drohende Gestalt über ihr stand. Sie sah den knochenweißen, häßlichen Kopf, das bösartige Auge, die gefletschten Zähne, die gefährlichen, hornartigen Stoßzähne. Sie tat einen entsetzten Schrei, als das Wesen sie zu zermalmen drohte. Im letzten Moment wurde die Gestalt zur Seite geschleudert, und der Felsbrocken, der Helena zugedacht gewesen war, landete neben ihr im Staub. Im Nu war die ganze Rinne so dick mit Staub gefüllt, daß sie nichts mehr sehen konnte. Allmählich erkannte sie dann Carters Umriß, und sie sah, daß er der schrecklichen Kreatur auf den Rücken gesprungen war. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen und kam auf die Füße. Als sie Carter zu Hilfe kommen wollte, sah sie zu ihrem Schrecken, daß das
Zottelwesen ihn über den Rücken zog und durch die Leere warf, einem großen Felsblock entgegen. Carter schlug auf, glitt daran hinab und blieb an seinem Fuß liegen. Fast sofort sah sie, daß Carters Hand seinen Anzug abtastete. Sein unersetzlicher Luftvorrat strömte in den Raum, und die unbeschreibliche Kälte und Leere drang statt dessen ein. Sie näherte sich ihm, um ihm zu helfen, aber die Kreatur versperrte ihr den Weg. Es gab einen heftigen Zusammenstoß, und beide stürzten zu Boden. Verzweifelt versuchte sich Helena von dem riesigen Gewicht zu befreien, doch als es ihr endlich gelang, hatte die Kreatur schon wieder einen großen Stein zum Wurf erhoben. Diesmal war sie in der Falle, und Carter hatte alle Hände voll zu tun, sein eigenes Leben zu retten; er konnte ihr also nicht helfen. Das Auge der Kreatur spielte nun in allen Farben und pulste wie irr, als wolle sie signalisieren, daß sie den Höhepunkt ihrer Energie erreicht habe. Sie richtete sich hoch auf, um sie mit dem Felsbrocken zu erschlagen, doch da begann sie plötzlich am ganzen Körper heftig zu zittern. Das abscheuliche Maul öffnete und schloß sich, als hole es keuchend Atem, das Auge wurde feurig rot, und nun begann das Wesen auf seltsam graziöse Art ganz langsam nach rückwärts zu fallen, so als sei dies lange eingeübt. Es landete auf dem Rücken und verschwand in einer Staubwolke; noch einmal prallte es vom Mondboden ab, dann lag es still, und das rote Auge erlosch. Helena kam schweißnaß vor Angst auf die Füße und stapfte zum Mondkäfer. Unter den Sitzen war eine Flasche mit Reserveluft, und mit der kehrte sie zu Carter zurück. Er bewegte sich nicht mehr. Sie fürchtete schon das Schlimmste. So schnell es ging, montierte sie die leere Luftflasche ab und schloß die neue an. Zum Glück hatte er selbst noch den Riß in seinem Anzug gefunden und ihn mit
einem Pflaster aus dem Notpack verklebt. Danach mußte er ohnmächtig geworden sein. Aber nun hatte er doch eine Chance, sich wieder zu erholen. Bald bewegte er sich, und seine Augen öffneten sich. Innen in seinem Helm bildete sich etwas Kondensflüssigkeit, so daß sie einen Seufzer der ausstieß. Natürlich dauerte es noch eine Weile, bis er ganz zu sich kam, aber diese Zeit benützt sie, um Sahn in der Kommandozentrale anzurufen. »Sahn, das Tier hat keine Luft mehr…« Sie spähte durch die Dunkelheit dorthin, wo Maya liegen mußte. Schnell erklärte sie, was geschehen war. »Wenn es sich jetzt in Maya zurückverwandelt, stirbt sie sofort. Ich brauche also einen Eagle, und zwar ganz schnell.« Sie unterbrach die Verbindung und schaute sich nach Carter um. Er saß jetzt, aber sein Kopf pendelte benommen von einer Seite zur anderen. »Alan…« begann sie über den Kanal zu sprechen, den sie zu ihm hatte. »Weiß schon«, unterbrach er sie und kam stöhnend auf die Füße. »Wie lange wird sie noch aushalten können?« Sie stapften zur sterbenden Kreatur, die völlig bewegungslos dalag und mit einem blicklosen Auge zu den Sternen hinaufzuschauen schien, die sie hatte erreichen wollen. »Höchstens noch ein paar Minuten«, antwortete Helena verzweifelt und untersuchte den Körper rasch mit einem winzigen Lebensdetektor. »Und der Eagle kann nicht mehr rechtzeitig kommen.« Carter warf dem Mondkäfer, der an den Felsen gekracht war, einen sehnsüchtigen Blick zu. Sofort begann er das bewegungslose, gewichtslose Wesen dorthin zu ziehen, und Helena half ihm dabei. Bald hatten sie es im kleinen Beifahrersitz verstaut. Eben wollte er in das Mondgefährt klettern, als ihn eine Welle der Übelkeit packte, so daß er auf die Knie fiel.
Er schüttelte den Kopf, als die Ärztin ihm ihren Arm bot, damit er aufstehen könne. Wieder schüttelte er den Kopf. Das Atmen fiel ihm schwer. »Nein, Helena… Ich warte auf den Eagle. Ich habe Luft und Wärme… Mit mir ist alles okay…« Sie zögerte, obwohl sie wußte, daß er recht hatte. Einer von ihnen beiden mußte sowieso zurückbleiben, denn der viel zu wuchtige Passagier nahm fast den ganzen Raum des Mondkäfers ein. »Ich werde versuchen, das Ding in Bewegung zu setzen«, sagte sie und kletterte auf den Fahrersitz. Zum Glück war der Schaden am Mondwagen nur äußerlich, und er reagierte sofort. Sie überzeugte sich noch einmal mit einem Blick auf Carter, daß er kurze Zeit allein bleiben könne, und fuhr mit höchster Geschwindigkeit zur Station zurück. Sie hinterließ dicke Staubwolken, die einige Zeit brauchten, um sich zu setzen; und dann blieb keine Spur von ihrer Route zurück. Es würde sehr schwierig sein, Carters Platz zu finden…
Sie waren sicher zum Eagle zurückgekehrte. Die Sonden des Warp-Lokators waren zusammengebaut und je eine an jedem Ende des Schiffes angebracht worden. Die Patronen und die außerordentlich ausgeklügelte Sichtvorrichtung hatten sie schon vorher transportiert und eingebaut. Nun studierten Verdeschi und Koenig die komplizierten Muster der Patrone 26, die sie mit ähnlichen Diagrammen aus ihrem eigenen Computer verglichen. Sie zerbrachen sich die Köpfe, und dann glaubten sie einen Fortschritt gemacht zu haben. »Die Koordinaten haben wir jetzt, aber nun müssen wir sie auch verstehen«, bemerkte Verdeschi leise und legte sein Auge wieder an das Okular des Lokators. Am Ende der Röhre tanzte ein schwaches blaues Licht. Während er schaute, wurde das
blaue Licht rötlich, dann golden und wieder blau. Im Hintergrund pulsten andere Farben, und sie waren unbeschreiblich schön in hübschen Mustern und Formen. Sie hatten ziemlich schnell entdeckt, wie der Lokator arbeitete – oder sie hofften es wenigstens. So, wie sie die fremde Technologie begriffen, mußte die Zeit zum Teil starr, zum Teil flexibel sein, fast wie Gummi. Sie existierte gleichmäßig im gesamten sichtbaren und beobachtbaren Universum, stabilisierte die Materie – eine riesige Masse heller, dreidimensionaler Substanz, die allgegenwärtig zu sein schien. Gelegentlich wurden bestimmte Gebiete ›flüssig‹, und dann wurden sie durch Ausgleichsbewegungen komprimiert. Diese Kompression konnte so hart werden, daß eine ›Passage‹ durch sie ›gestanzt‹ wurde. Diese Strukturfehler hielten solange vor, bis sich der ›Gummi‹ wieder schloß. Wenn die zeitsensitiven Sonden die genauen Koordinaten einer solchen Verwerfung entdeckten, wurden die Farben in der Röhre zu einem reinen Weiß. »Wir können ja nicht ewig so weitermachen«, bemerkte Koenig mißmutig und wandte sich vom Schirm ab. »Wir müssen es mit den Informationen versuchen, die wir bisher herausholen konnten, und die Konsequenzen auf uns nehmen.« Mit einem Ausdruck fast perverser Belustigung musterte er den schwarzlockigen Italiener. »Spielst du mit?« »Hm«, knurrte Verdeschi zustimmend, ohne das Auge vom Okular zu nehmen. »Gib’s doch ein, und dann hoffen wir, daß die alte Sally es schluckt.« Koenig lächelte. Die alte Sally war nämlich der Bordcomputer des Eagle. Verdeschi fütterte also die alte Sally, die bereitwillig alles schluckte. Sie schien sich sogar darüber zu freuen. Als er ihr inneres Führungssystem aktivierte, reagierte sie wie erhofft und führte sie dorthin zurück, wo der Mond verschwunden
war. Unter ihrer programmierten, geschickten Anleitung unterzog sich der Eagle einer neuen Serie von Rollen, Turns und Steig- und Sturzflügen, wurde aber diesmal von den sehr empfindlichen Sonden geführt. Es war harte Arbeit für König, diese Manöver zu überwachen und sich davon zu überzeugen, daß Sally die richtigen Daten von den Sonden erhalten hatte. Dieses Verfahren der Fremden begriff er nicht ganz, doch er tat dabei sein Bestes. »Eins, zwei, fünf, sechs, sieben, vier, eins… wieder blau«, rief Verdeschi. Er vermerkte die Daten auf dem Millimeterpapier und runzelte die Brauen. »Sollten wir da nicht etliche Kompensationsfaktoren bekommen haben?« fragte er. Verdeschi nickte und las die vergrößerten Leuchtskalen unter den tanzenden Lichterfarben ab. »Holen auf… Portschub… 22,2 Sekunden Brenndauer… Beharrungsfaktor – grün plus zwei.« Er schaute vom Okular auf, und diesmal drückte seine Miene Hoffnung aus. »Das wär’s.« Koenig tat einen Seufzer und machte eine schnelle Rechnung auf seinem Taschenkalkulator. »Gut… Wenn das stimmt, dann sind hier die Koordinaten… Hoffen wir, daß sie richtig sind.« Er trug die Daten zu Sallys Terminal hinüber. Die Differenz betrug nur eine Meile. Er knirschte mit den Zähnen. »Wir haben nichts zu verlieren, also los.« Er ging weiter zur Computereingabe und fütterte die neu ausgearbeiteten Koordinaten. Wieder machten sie sich daran, die erhaltenen Ziffern nachzurechnen, und Sally nahm ebenfalls ihr Suchprogramm wieder auf. Jetzt konnten sie nur noch warten… Und hoffen, daß ihre Auslegung der fremden Informationen richtig war.
Helena lief ungeduldig vor dem Lazarettwagen her, auf dem die bewegungslose Zottelkreatur lag. Mit ihrem Comlock öffnete sie die Tür und war erleichtert, als sie endlich wieder den schweren Raumanzug ablegen konnte und sich in der Sicherheit ihrer Abteilung der Mondbasis Alpha befand. Die Sanitäter halfen ihr, das bewußtlose Wesen vom Wagen auf das Bett zu heben. Ihr Lebensdetektor berichtete ihr, daß Maya oder ihre Transformation noch lebte. Dieses Wesen war sehr viel stärker als alle übrigen, und vielleicht war noch Zeit und Aussicht zu seiner Rettung. »Sie atmet wenigstens noch«, stellte Vincent fest und drückte sein Ohr auf die angesengte Haut der Brust der Kreatur. »Maya… Maya«, rief Helena immer wieder leise. Sie rechnete nicht mit einem raschen Erfolg, aber im Auge des Zottelwesens glomm ein schwaches Licht auf; vielleicht waren die Luft und die Wärme der Mondbasis das nötige Lebenselixier, das zur Erholung ausreichte. »Maya!« rief sie aufgeregt. »Maya, komm zurück!« Aber außer dem Licht im Auge gab das Tier kein weiteres Lebenszeichen. Vincent hatte inzwischen Monitorelektroden an der Haut befestigt und las die Instrumente ab. »Du hast noch keinen Kontakt«, erklärte er. Helenas Aufregung verebbte etwas. Sie schaute auf die Uhr. »Sie ist nun fast eine Stunde in dieser Form. Viel länger kann sie nicht aushalten. Dann…« Sie wußte selbst nicht, was dieses ›Dann‹ bringen würde. »Die letzten paarmal kam sie auch nicht als Maya zurück«, bemerkte Vincent unglücklich. »Was dann, wenn sie sich in etwas noch Schlimmeres verwandelt?« Er musterte Helena besorgt und stellte fest, daß ihr Gesicht Freude ausdrückte. Ihre Augen leuchteten vor Mitgefühl auf eine Art, die er seit langem nicht mehr gesehen hatte. Er folgte ihrem Blick, öffnete den Mund und vergaß ihn zu schließen.
Der wahre Körper der Psychonierin bildete sich deutlich aus einer schwach leuchtenden Lichtspindel. Ihre Anstrengungen waren nicht vergeblich gewesen. Beide Ärzte waren überglücklich, und das war auch verständlich; endlich hatten sie die Freude, Mayas Gesicht wieder beobachten zu können. Aber sie waren sehr tüchtige Ärzte und überließen sich nicht einem noch immer voreiligen Gefühl. Sie arbeiteten lieber fieberhaft, um das Wunder, das sich ereignet hatte, zu vollenden. Jetzt war die ärztliche Routine wichtiger als eine Gefühlsaufwallung. »Temperatur normal«, stellte Helena glücklich fest. Maya öffnete die Augen, denn sie hatte nun zum erstenmal seit langer Zeit Helenas Stimme richtig gehört. »Alle Lebensfunktionen normal«, berichtete Vincent. Er lachte breit. »Maya, die Instrumente sagen, daß es dir gut geht. Wie fühlst du dich?« Das Gesicht der Psychonierin war noch kalkweiß und wirkte sehr angestrengt. Ihre Augen waren noch gläsern, ihre Lippen blau. Aber ein winziger Anflug eines Lächelns lag auf ihren Zügen, die noch vor so kurzer Zeit einer Totenmaske geglichen hatten. Überglücklich lief Helena zum Monitor, um der Kommandozentrale die gute Nachricht zu melden. Alle sollten sofort davon erfahren. Aber unter dieser Freude war noch immer die alte Besorgnis lebendig, und da nun die eine Last von ihr genommen war, wurde die andere umso schwerer. Ein unbeschreibliches Angstgefühl überkam sie. Sahn meldete: »Tank-Eagle hält Position.« Auf dem Schirm vor ihr hing der Eagle bewegungslos im Raum. Es war ein aus dieser Entfernung heraus stark vergrößertes Bild, das nur deshalb so klar sein konnte, weil der Mond keine verschleiernde Lufthülle hatte. Die riesigen auf
der Oberfläche montierten Kamerateleskope gestatteten einen ungetrübten Blick. »Haben sie etwas zu berichten?« erkundigte sich Carter. Er saß auf Koenigs Kommandantenstuhl, litt aber noch ziemlich unter den Nachwirkungen seines Erlebnisses auf der Mondoberfläche. Das für Maya angeforderte Rettungsschiff hatte ja ihn abholen müssen. »Sie sind fast an dem ›Punkt ohne Wiederkehr‹.« »Sag ihnen, dort sollen sie auch bleiben«, befahl er etwas schärfer als beabsichtigt. Das Kommando der Mondbasis war für ihn ungeheuer anstrengend, so daß er manche Weichheit von früher abschüttelte. Er drückte gerade eine Hand auf seine schmerzende Stirn, als ihn ein Ausruf von Sahn erschreckte. »Was ist denn?« fragte er. Er stemmte sich aus dem Sessel und trat zu ihr. Sie studierte sehr konzentriert ihre Instrumente. »Komisch… Ich bekomme ganz sonderbare Daten aus dem Gebiet des Tank-Eagle«, antwortete sie und schaute auf den großen Schirm, als rechne sie damit, daß sich dort das Bild verändert habe. Aber das große Schiff sah weiterhin bewegungslos aus. Verblüfft runzelte sie die Brauen. »Da ist doch nichts auf dem Schirm«, stellte Carter ebenso verblüfft fest. Aber Sahn ließ sich nicht beirren. »Alan, hier ist etwas. Meine Sensoren verzeichnen eine ungeheure Bewegung.«
Die tanzenden Farben in der Röhre waren viel schwächer geworden, und Verdeschi zitterte vor Hoffnung. Die Luft im Pilotenabteil des Eagle, wo er mit Koenig arbeitete, kühlte sich plötzlich merklich ab. Die Wände des Schiffes schienen sich zu wölben und zu verformen. Sie mußten ihre Tätigkeit einstellen und einander gegenseitig stützen.
»Jetzt müssen wir wohl… durch die… Raumverwerfung gehen«, keuchte Verdeschi. Er holte schwer Atem im Versuch, soviel wie möglich von der dünnen Luft in sich aufzunehmen. Sie klammerten sich aneinander, aber während er noch sprach, lösten sich ihre Körper auf. Ihre Atome und Moleküle dehnten sich gewaltig aus, und sie wurden zu aufgeblähten Riesen. Der Eagle schien sich ebenfalls aufzulösen – in jene wirbelnden Farben, die sie am Grund des Lokators gesehen hatten. Diese Farben bildeten enorme gewölbte Wände, eine Art Vorhölle, in die mit immer größer werdender Geschwindigkeit die Bestandteile des irdischen Menschen zu stürzen begannen. Dann verblaßten die Farben, und der Tunnel wurde weiß; es war ein reines, blendendes Weiß, das kein Gefühl des Stürzens mehr vermittelte. Ein Blick in die Ewigkeit konnte ebenso gut ein Sekundenbruchteil wie eine Million Lichtjahre sein; nach diesem Blick löste sich der weiße Wirbel wieder in Farben auf. Er wurde zu Gold, Grün, Blau und Rot, und die Farben rasten wir irr durcheinander. Allmählich verblaßten auch sie wieder, und ihre Körper schrumpften zu normaler Größe. Die vertrauen Instrumente nahmen zitternd ihre gewohnte Form an, und die Pilotenkanzel war so, wie sie ihnen seit jeher bekannt war. Die gute alte Sally summte und klickte, Lichter blinkten und flackerten beruhigend. Der Zeitsturm war so schnell vorübergegangen, wie er aufgezogen war. Koenig wurde zuerst klar, daß sie tatsächlich durch den Warp gekommen waren. Schwerelos stieß er sich ab und glitt durch die Kabine zu den Instrumenten. Er drückte auf einen Knopf, der die Verbindung zur Mondbasis Alpha herstellen mußte. Der winzige Schirm flackerte auf und wurde hell. Ein ganz neuer Raumabschnitt stellte sich hier dar, und ihnen jagte, die Schnauze voran, das Eagle-Rettungsschiff entgegen. Die
Kabinenlichter waren goldene Tröstungen in der leeren Raumsee. »Siehst du das, was ich sehe?« rief er Verdeschi vergnügt zu. Der Sicherheitschef tauchte hinter ihm auf und spähte ihm über die Schulter. Er tat einen Jubelschrei. »Wir haben es geschafft!« rief er und schwebte in der Kabine herum. Koenig griff wieder nach einem Knopf, doch ehe er ihn drücken konnte, blinkte das Signallicht des Monitors. Das Bild des Eagle verschwand, und Sahns lächelndes Gesicht erschien klar und deutlich. »Alpha an Eagle Eins…« rief sie. »Alpha an Eagle Eins…« Sie schien also zu wissen, daß sie da waren. »Hereinkommen, Eagle Eins, bitte melden! Könnt ihr mich verstehen?« Verdeschi unterbrach seine Feierstunde und blieb neben Koenig stehen. »Wir verstehen euch«, bestätigte er fast ehrfurchtsvoll. »Und wir sehen euch sogar. Und hören können wir euch auch!« »Eagle Eins an Alpha, bitte sprechen!« Koenig lachte über das ganze Gesicht, denn nun gab es keinen Zweifel mehr daran, daß sie angekommen waren. Ja, sie waren zurückgekehrt in ihre Raumzeit. Sie hatten eine weite Reise hinter sich, und jetzt erlaubte er sich einen Augenblick lang, an die Frau zu denken, die er liebte.
Aber hinter ihm in den dunklen, unendlichen Raumweiten verbreiterten sich die Kreise im Ozean der Zeit wie in einem Teich, in den ein Stein geworfen wurde. Die Wellen dehnten sich aus bis zu den Sternen und forderten, daß den Gesetzen des Universums gehorcht werde, daß neue ausgleichende Berichtigungen im Gewebe von Zeit und Raum vorgenommen wurden. Die Zeit streckte sich erneut.
Irgendwo und irgendwie wurde ein hilfloses Raumfahrzeug auf den dunklen Wellen durchgeschüttelt und herumgeworfen. Es wurde hineingezogen in den neuen Wirbel und in eine neue Verwerfung geschleudert… Wieder eine hilflose von der Zeit durchgerüttelte Kapsel aus einer fernen Zivilisation… Der durch den Raum rasende Mond und die Störungen, die er hervorrief, zogen eine ganze Reihe weiterer katastrophenhafter Ereignisse nach sich, die sich wieder gegen ihn richten konnten.
VI
Das lauwarme glitzernde Wasser des Schwimmbeckens streichelte angenehm ihre Haut. Es regte sie an und belebte sie. Sein sanfter Druck schwemmte die Müdigkeit aus ihr, denn sie war von ihren Pflichten erschöpft, die ihr alles abverlangten. Sie dachte an die kühlen blauen Lagunen, an die murmelnden Bergbäche, an die rauschenden Wasserfälle der Erde. Vielleicht war das Wasser im Gesundheitskomplex reiner und klarer als irgendwo sonst auf ihrem Heimatplaneten, doch selbst die verseuchten Wasser der Erde kamen ihr noch unbeschreiblich köstlich vor. Genießerisch schwamm sie zu den Stufen und kletterte aus dem Becken. Sie schüttelte das Wasser aus den Ohren, aus den kurzen schwarzen Haaren, dann ging sie durch den Garten zu den Umkleideräumen. Der Gesundheitskomplex der Mondstation hatte auch eine Sauna und ein Solarium, einen Turnsaal und einen für Wettkämpfe. Abgesehen von der hydroponischen Abteilung, wo Alphas Gemüse gezogen wurde, war dies die einzige Sektion der Mondbasis, die der Erde glich. Für die Freizeit war sie die einzige Abwechslung zur klinischen Nüchternheit, die in den übrigen Abteilungen herrschte. Helena fühlte sich ungeheuer wohl, nachdem nun die schreckliche Prüfung mit Koenig und Maya gut überstanden war. Sie genoß diesen Frieden, der die Spannungen der Schlaflosigkeit vieler Tage löste, und winkte fröhlich anderen Mitgliedern der Mondbasis zu, die sich unter dem künstlichen Sonnenlicht auf dem Gras sonnten. Auch sie fühlten sich so glücklich, wie es unfreiwillige Gefangene nur sein konnten.
Sie ging durch die dampfende Sauna – die mochte sie nicht besonders – in den leeren Umkleideraum. Die meisten Leute waren doch klug, daß sie sich nicht mit mühsamen Aufgaben belasteten und ihre Freizeit genossen, wo und wann immer sie konnten. Aber sie hatte Ehrgeiz und mußte dafür auch bezahlen. Die Arbeit eines Arztes ging nie zu Ende, besonders nicht die eines leitenden Arztes. Sie trocknete sich das Haar mit einem großen Badetuch und zog ihren rotgoldenen Bikini aus. Genießerisch frottierte sie ihren Körper, denn sie hatte selten ein paar Stunden frei, und die mußte sie nun auskosten. Dann zog sie sich an; sie schätzte den langweiligen grauen Pullover und die blaßblaue Jacke darüber gar nicht besonders, aber das war nun einmal ihre Uniform. Als sie auch ihr Haar gekämmt und sich ein wenig zurechtgemacht hatte, verließ sie den köstlichen Zauberkreis und trat hinaus in den Korridor, um zu ihrer Pflicht und Verantwortung zurückzukehren. Koenig war wieder einmal weg, und das schien er in letzter Zeit recht häufig zu sein. Er führte nämlich eine Expedition an, die einen kolonisierbaren Planeten suchte. Nachdem sie aus der Raumverwerfung herausgekommen waren, konnten sie entdecken, daß sie in die Nähe einiger mittelweißer Sonnen vom Typ Sol geraten waren, und sie konnten es sich einfach nicht versagen, einen genaueren Blick auf sie zu werfen. Die ganze Besatzung der Mondbasis sehnte sich unbeschreiblich nach einem sonnigen Planeten, auf dem sie leben konnten, wenn sie sich auch erstaunlich gut den unwirtlichen Verhältnissen auf dem Mond angepaßt hatten. Sie hatte nichts dagegen, daß Koenig weg war. Natürlich sorgte sie sich um ihn, aber das mußte man akzeptieren, wenn man einen Raum-Commander liebte. Nachdem es ihm gelungen war, durch den Raumwarp zurückzufinden und als sich alles wieder ein wenig beruhigt hatte, gönnten sie sich ein
paar gemeinsame Tage mit Maya und Verdeschi, die ebenfalls nach einer langen Trennung etliche Urlaubstage verdient hatten. Carter hatte sich bereit erklärt, die Pflichten des Commanders weiter zu übernehmen. Und jetzt waren die schönen Ferientage vorbei. Während sie energisch zu ihren Wohnräumen ging, stellte sie sich schon wieder auf ihre Pflichten ein. Natürlich dachte sie automatisch an ein Thema, das sie zur Zeit außerordentlich beschäftigte, das der menschlichen Anpassungsfähigkeit. Sie stellte ihre eigene Meinung in Frage, daß sich die Menschen auf der Mondbasis Alpha außerordentlich gut angepaßt hätten. Sicher, den meisten war es gelungen, einigen jedoch absolut nicht. Sie dachte dabei besonders an eine kleine Gruppe, die sich in letzter Zeit als ziemlich rebellisch erwiesen hatte. Alles schien sich dabei um einen einzigen Mann zu drehen. Er war groß, dick, hatte sandfarbene Haare und arbeitete früher als Schweißer. Sein Name war Sandor. ›Früher‹ deshalb, weil er jetzt unbeschäftigt war. Er streikte, weigerte sich also zu arbeiten. In einer so kleinen und verletzlichen Kolonie wie der Mondbasis konnte auch die geringste Unregelmäßigkeit in der Arbeitsroutine ungeheuer gefährlich werden. Gerade als sie ihr Zimmer betrat, meldete sich der Monitor. Maya war am Gerät. »Schon fertig?« fragte sie lächelnd. Helena nickte. »Ein bißchen Luxus… es ist schwer, ihn aufzugeben.« »Wem fällt das schon leicht?« Maya kicherte, doch dann wurde sie ernst. »Wenn schon Arbeit – es sieht ganz so aus, als bekämen wir davon in Kürze jede Menge.« Helena hob die Brauen. »Oh? Welche Art Arbeit?« »Arbeit mit einem erstaunlich fortschrittlichen und ebenso großen Besucher aus dem Nordquadranten.« »Ist er schön?« »Nein, nicht.«
»Dann ist es wohl ein Raumschiff? Schon wieder ein Raumschiff?« »Ja, das meine ich.« »Und was kommt als nächstes?« Helenas Spott schlug in Resignation um. »Weißt du ganz bestimmt, daß es nicht John ist, der aus einem schwarzen Loch zurückkehrt?« Da lachten beide schallend. »Okay«, gab sie schließlich zu, »es wird also besser sein, ich komme. Laß mich nur schnell ein wenig Schönheit tanken.« Maya schaltete ab, und Helena beeilte sich mit ihrem Makeup. Sie musterte sich noch einmal im Spiegel, dann eilte sie hinaus.
Das fremde Schiff hing wie ein Raubtier auf der Lauer zwischen den Sternen. Sein Bild füllte fast den gesamten Sichtschirm aus. Es sah düsterer aus als sein Vorgänger, wahrscheinlich deshalb, weil es intakt wirkte und offensichtlich bemannt war; vielleicht auch allein der Größe oder des furchterregenden Baumusters wegen. Es wirkte auf fantastische Art fortschrittlich, ja überentwickelt, verglichen mit den EagleSchiffen von Alpha. Aber Maya machte sich weniger Sorgen als Carter und Verdeschi, denn solche Schiffe hatte sie auf Psychon gesehen, und die waren technologisch ebenso raffiniert. Ihr erschien es logisch, daß die Bemannung eines so hochwertigen Schiffes von wohlwollender Gutmütigkeit sein müsse und nicht von kriegerischer Bösartigkeit. Davon versuchte sie auch ihre Freunde auf Alpha zu überzeugen, aber es gelang ihr nicht. Sie wollten nicht einen Millimeter von ihrem normalen Verfahren abweichen, alles und jeden zu überprüfen. Sie seufzte ein wenig, als das Schiff sich näherte.
Sie hatte für sehr vieles dankbar zu sein. Wenn sie auch intellektuell unterlegen waren, so hatten ihre Freunde doch ganz bestimmt eine höher entwickelte Ethik in ihren Verhaltensweisen. Sie waren im besten Sinn des Wortes menschlich und hielten zu ihren Freunden. Diese Spezies konnte sich in jeder denkbaren Lage behaupten und sogar gedeihen. Sie hatte einen hohen Grad von Anpassungsfähigkeit und ein sicheres Erfolgsstreben, und diese beiden Eigenschaften glichen andere Schwächen bei weitem aus. Und brach einmal ihr empfindsames Nervengerüst zusammen, dann zerrten sie nicht eine ganze Zivilisation mit sich in den Abgrund, wie sie auf Psychon es getan hatten. Nachdem sie das schlimmste Stadium ihrer Krankheit überstanden hatte, aber noch immer dem Tod nahe war, hatten Helena und Vincent sie in aufopfernder Pflege wieder in die Normalität zurückgebracht. Dazu half auch eine kleine molekulare Auto-Operation, obwohl sie Helena davon natürlich niemals erzählen würde. Es war dies der zweite Zusammenbruch ihres Lebens gewesen. Bei ihrer Spezies waren solche Zusammenbrüche keine Seltenheit und praktisch eine Strafe dafür, daß die Rassenintelligenz weit über dem Durchschnitt lag. Beide Zusammenbrüche hatten übrigens den gleichen Grund gehabt; die Menschen nannten ihn ›Traum‹, auf Psychon war und blieb es eben ein Zusammenbruch. Beides diente auch dem gleichen Zweck. Traum und Zusammenbruch ordneten und programmierten den Geist um. Die Schwierigkeit war nur die, daß man auf Psychon ihr Verhalten erwartet und mit Gegenmaßnahmen beantwortet hätte, während dafür auf dem Mond nichts Gleichwertiges vorgesehen war. Sie hoffte jedoch, daß jetzt jeder von ihrer Anlage zu Zusammenbrüchen dieser Art Kenntnis hatte, und passierte der nächste, würde
man leichter damit fertig werden. Bisher hatte sie Hemmungen gehabt, jemandem darüber zu erzählen. Sie wandte sich wieder dem Schirm zu, um die Ausdrucke an ihrer Konsole zu studieren. Dann sah sie zu Verdeschi hinüber. »Tony, das Schiff ist genau in einer Höhe über uns, um in einen Orbit einzuschwenken.« Das Schiff hatte nahezu die Form einer Untertasse mit einem Kragen aus glühenden Portlöchern. Nur die Nase durchbrach die Kreisform; sie war lang und schlank und auf Alpha ausgerichtet. Am Ende der Nase befand sich eine rotglühende Kugel, in der wohl die Kontrollsektion untergebracht sein mußte. Die Geschwindigkeit des Schiffes war immens, um ein Mehrfaches größer als die der Eagles, und es war offensichtlich ein Sternenschiff. »Vergrößern!« befahl Verdeschi. Wenn Koenig abwesend war, hatte nun er die Pflichten des Commanders zu übernehmen. Yasko, die Computer-Operatorin, nahm die nötigen Einstellungskorrekturen vor, und das Bild auf dem Schirm wurde noch sehr viel größer. Es beherrschte nun fast die gesamte Kommandozentrale. Die Lichter der Portlöcher schienen sogar den großen Raum zu erhellen. Carter pfiff leise. »Unsere Eagles sind verglichen mit diesem Schiff wahre Blechdosen!« meinte er. »Jetzt hat es den Kurs geändert.« Yasko runzelte die Brauen und studierte ihre Ausdrucke. »In welche Richtung?« »Direkt auf uns zu.« »Das gefällt mir nicht«, bemerkte Helena, als sie die Zentrale betrat. Alle schauten sich zu ihr um. »Das ist zu… Ich weiß nicht recht… Es kam zu schnell nach dem anderen an.« Verdeschi nickte grimmig. »Ich weiß«, pflichtete er ihr bei. Statt einer weiteren Erklärung drückte er einen
Kommunikatorknopf. Der Konsolenschirm vor ihm leuchtete auf, und ein Ingenieur der Waffensektion erschien. »Laser in Bereitschaft«, befahl er dem Ingenieur. »Ziel ist das näherkommende Schiff.« Maya hörte dies und war bestürzt. »Aber ich bin ziemlich sicher, daß…« begann sie, doch er unterbrach sie. »Wir können kein Risiko eingehen«, erklärte er. »Es geschieht ihnen nichts – falls sie nicht vorher etwas versuchen.« Maya zuckte die Achseln. Sie hatte das sichere Gefühl, daß mit diesem Schiff alles in Ordnung sei. Dieses Baumuster kannte sie doch von irgendwoher! Ihr Gedächtnis war allerdings nicht ganz klar. Verdutzt wandte sich Verdeschi zu Yasko um, aber sie schaute genauso verständnislos wie er. Dann krachte nur noch weiße Statik. Er drückte einige Knöpfe – nichts rührte sich. Er war schon dabei, eine Inspektion des gesamten Kommunikationssystems anzuordnen, als die weiße, prasselnde Statik ebenso schnell verschwand wie sie gekommen war. Und nun erschien auf dem Schirm das unbeschreiblich schöne Gesicht einer menschenähnlichen Frau. Sie hatte goldenes Haar und rosige Wangen. Ihr blauen Augen funkelten wie klares Wasser. Auf ihren Zügen lag der Schimmer der Unschuld, der ihre Schönheit noch erhöhte, so daß eine göttliche Strahlung von ihr auszugehen schien. Die Alphaner waren stumm vor Staunen. Ein so schönes Gesicht hatte noch niemand von ihnen gesehen. Sie schnappten buchstäblich nach Luft und warteten darauf, daß sie sprechen möge, und das tat sie dann auch. Das war wieder eine Überraschung. Sie hatten eine helle, muntere Stimme erwartet, aber was sie da hörten, war schwer und ernst vor Besorgnis, ja Angst. Ihr Drängen erfüllte sie alle mit einem tiefgehenden, unbekannten Entsetzen.
»Erlaubnis, zu landen… dringend… Landeerlaubnis erbeten…« sprach sie ohne jede Formalität. Alle lauschten atemlos. Verdeschi fand als erster die Sprache wieder. »Identifizieren Sie sich, bitte…« Das schöne Gesicht verdüsterte sich eine Spur. »Mein Name ist Sahala«, begann sie wie bei einem traurigen Märchen. »Ich komme aus der Galaxis Croton. Wir wurden durch ein…« Sie zögerte. »Wir gingen durch irgendeine Störung. Einer aus meiner Crew ist tot, ein anderer schwer verletzt. Ich bin allein an den Instrumenten dieses Schiffes. Wollt ihr mir erlauben, bei euch zu landen?« Carter empfand tiefes Mitleid und wollte schon, beeindruckt von der würdevollen Schönheit dieser Frau, die Landeerlaubnis erteilen, denn er vergaß für einen Augenblick, daß er nicht mehr das Kommando hatte. Verdeschi fiel ihm ins Wort. »Nein«, erklärte der Sicherheitschef. »Sie haben keine Landeerlaubnis.« Carter wandte sich ungläubig zu Verdeschi um. »Aber sie braucht Hilfe, Tony! Sie hat einen Verletzten an Bord!« »Sahala, Sie sagen, Sie haben einen Toten an Bord Ihres Schiffes«, schaltete sich Helena ein. »War es eine Krankheit?« Die Frau zögerte. »Es ist wahr«, antwortete sie traurig, »wir haben eine Seuche an Bord… aber isoliert… Für Sie kann keine Gefahr bestehen. Bitte, helfen Sie uns doch«, flehte sie. Helena und Verdeschi tauschten Blicke. Der Italiener schien sich nicht entschließen zu können. Er wandte sich an Maya. »Richte einen Scanner auf dieses Schiff aus«, bat er. Maya tat es und aktivierte die sehr empfindlichen Sensoren außerhalb der Mondbasis, die sich nun auf das Schiff ausrichteten. Der Computer spuckte lange Datenbänder aus, die sie sofort studierte. Sie stellte ihre berühmt raschen Kopfrechnungen an und konnte wenig später ihren Bericht abgeben. »Croton… Unsere Astronomen auf Psychon
identifizierten kontrollierte Photonenemissionen in der Dritten Galaxis… Die Scanner bestätigen, daß das Schiff Photonenantrieb hat.« »Bewaffnung?« »Keine Bewaffnung.« Verdeschi nickte zufrieden. »Helena, willst du bitte einen medizinischen Trupp zur Abschußrampe schicken, um nach dem Verletzten zu sehen? Aber mit Antiseuchenanzügen, und überzeuge dich davon, daß die Seuche an Bord dieses Schiffes bei uns keinen Schaden anrichten kann.« Helena nickte und war schon unterwegs. Er wandte sich wieder zum Schirm um, lächelte aber nicht. »Sie haben Landeerlaubnis«, erklärte er. Das Gesicht der Fremden drückte große Dankbarkeit aus. »Danke tausendmal«, sagte sie. Ihr wundervolles Bild verschwand, die weiße Statik prasselte wieder. Carter machte ein sehr nachdenkliches Gesicht, als das fremde Schiff auf den Schirm zurückkehrte. Es war nun sehr nahe. Während die Kommandantin über die Landeerlaubnis verhandelte, hatte sie fast die Abschußrampe erreicht, als rechne sie bestimmt mit der Erlaubnis. Dann war das Schiff zu beobachten, das sich langsam herabsenkte. Verdeschi drehte sich zu Carter und Maya um. »Alan, ihr beide nehmt das Schiff in Empfang, aber ihr müßt euch davon überzeugen, daß keine Gefahr davon ausgeht.« Eiligst verließen sie die Kommandozentrale.
Helena und ein Sanitätertrupp waren schon in ihren Spezialanzügen auf dem Weg zur Landerampe. Endlich hielt der Reisetunnel an. Die Türen öffneten sich, sie liefen hinaus und schoben mit Instrumententaschen und Ausrüstung beladene Wagen vor sich her.
An der Tür zu den Eagle-Hangars stand ein großer, breitschultriger Posten, denn hier würden die Fremden die Mondbasis betreten. Der Posten winkte ab, und sie mußten, wenn auch ungeduldig, an der Tür Aufstellung nehmen. Aber sie brauchten nicht lange zu warten. Die Türen schoben sich auf, und da stand nun eine Sahala, die in Fleisch und Blut noch sehr viel schöner und strahlender war als auf dem Bildschirm. Auf den Armen trug sie ein junges, ebenfalls sehr schönes Croton-Mädchen, das schwer verletzt zu sein schien. Helena trat besorgt ein paar Schritte vorwärts, und die Posten ließen sie auch durch. Erst war sie zu verblüfft, um zur fremden Kommandantin zu sprechen, und außerdem galt ihre Sorge dem verletzten Mädchen. Sie nahm eine rasche Untersuchung vor. Kopf und Gesicht des Mädchens waren blutig und bereits verbunden, wenn auch ziemlich ungeschickt. Am Körper hatte das Mädchen zahlreiche Verletzungen, und etliche Knochen waren gebrochen. Sie gab nur schwache Lebenszeiten von sich und hätte eigentlich gar nicht transportiert werden dürfen. Betroffen vom Ausmaß der Verletzungen und der ungeschickten Art, mit der sie behandelt worden waren, warf Helena der Kommandantin einen vorwurfsvollen Blick zu. Sahala zuckte hilflos die Achseln, und ihr schönes Gesicht wurde vor Verlegenheit rot. »Ich bin ganz allein«, erklärte sie, »und ich hatte keinen Arzt bei mir. Wir waren nur zu dritt auf einem Routineflug… Wir konnten nicht mit einer… Katastrophe rechnen… Sind Sie Arzt? Wie geht es Yesta?« Helena war ein wenig besänftigt. Soviel Schönheit und offensichtliche Aufrichtigkeit und soviel Ungeschick… »Vielleicht ist es ein Schädelbruch«, antwortete sie und winkte die Sanitäter heran. »Sie hat viel Blut verloren. Wenn wir sie sofort in den Operationssaal bringen, hat sie vielleicht eine
Chance.« Da kein Widerspruch erhoben wurde, half sie das Kind auf den Rollwagen zu betten, und alle eilten zum Lazarett. Sahala machte den Schluß. Sie schien sehr besorgt zu sein. »Aber mit Ihrer Hilfe können wir sie doch bestimmt retten? Wir müssen sie retten!« »Wie kam das?« erkundigte sich Helena. »Wir haben einen Verbrecher an Bord, der fast unsere ganze Zivilisation vernichtet hätte. Es ist meine Aufgabe, ihn ins Exil nach Theselina zu bringen, das ist der fernste Planet des Systems Croton. Für ein paar unheilvolle Minuten kam er frei… nachdem unsere Instrumente ausgefallen waren. Wir wurden von einer Zeitverwerfung vom Kurs abgetrieben.« Mit einem schlanken, wohlgepflegten Finger deutete sie auf Yesta. »Und das hier ist das Ergebnis.« Schweigend schoben sie den Rollwagen in den Reisetunnel und holten die übrige Ausrüstung herein. Unter Helenas Aufsicht stillten die Sanitäter die Blutungen, reinigten die Wunden und verabreichten ein Sedativ. Sie hörte sich die Geschichte der Kommandantin an und wußte nicht recht, ob sie diese nun glauben sollte oder nicht. Ein Punkt machte ihr Sorgen. »Dieser Verbrecher«, sagte sie, »ist doch wohl die Seuche, die Sie an Bord haben, nicht wahr?« Wieder zögerte die Frau, aber dann gab sie müde und vorsichtig zu: »Ja. Und er ist jetzt wieder sicher isoliert.« Helena nickte erleichtert. Wenig später hatten sie den Untergrund der Mondbasis erreicht, wo sie schon von Carter und Maya erwartet wurden. »Wir werden Yesta jetzt sofort zur sorgfältigen Untersuchung und Behandlung ins Lazarett bringen«, erklärte Helena, als sie den Rollwagen aus dem Reisetunnel schoben.
»Danke«, murmelte Sahala. Sie hatte Maya gesehen, die beiden tauschten einen Blick, und plötzlich war eine deutliche Spannung bei ihr zu bemerken. Carter starrte die Frau voll Bewunderung und verzückt an und vergaß, daß er einen Laser hatte. Die beiden Posten waren von ihrer Harmlosigkeit überzeugt und bliesen den Alarm ab. Die Schönheit des bewußtlosen Kindes schien auch sie mit Mitleid und Entzücken zu erfüllen. Deshalb bemerkten sie nicht, wie Sahalas Aufregung zu Angst wurde. Ehe noch jemand diese Göttin daran hindern konnte, hatte sie in den Ärmel gegriffen und eine kleine Handwaffe herausgezogen, die sie auf die Psychonierin richtete. Maya starrte sie an. Das Wiedererkennen lähmte sie. Die Waffe spuckte einen violetten Strahl aus, und Maya sank, von ihm, zu Boden. Bewegungslos blieb sie liegen. Helena starrte die Frau und Maya entgeistert an. Carter und die beiden Sicherheitsmänner zogen verspätet ihre eigenen Waffen und wollten schon das Feuer eröffnen, als Sahala ganz unerwartet die kleine Waffe zu Boden warf und sich ihnen damit ergab. Ihre Augen blitzten wild, und ihre Brust hob und senkte sich in keuchenden Atemzügen. Eine aschfahle Helena wandte sich an sie. »Was haben Sie da getan?« Sahalas Schönheit intensivierte sich auf unwahrscheinliche Art. Sie schien sich selbständig zu machen, als sei sie ein eigenes Lebewesen, eine symbiotische Seele. »Ich mußte es tun!« rief sie so überzeugend, daß die anderen nur verständnislos den Kopf schütteln konnten.
VII
»Warum haben Sie das getan?« fuhr Verdeschi sie an. »Weil sie eine Psychonierin ist!« schrie Sahala in einem Ton, als sei es ihr gutes Recht, überall im Universum Psychonier auf Sicht zu ermorden. »Und das gibt Ihnen das Recht, auf sie zu schießen?« rief der Sicherheitschef aufgebracht. »Nur weil sie Psychonierin ist?« »Ja!« erklärte sie voll Leidenschaft. »Weil sie das meinem Volk angetan haben… Wir waren…« »Mir ist völlig egal, was Sie waren. Wenn Maya diesen Angriff nicht übersteht, werden Sie für den Rest Ihres Lebens in Gewahrsam bleiben.« Stundenlang ging das so weiter, und von Zeit zu Zeit mußte er sie verlassen, um sich wieder abzukühlen. Natürlich wußte er, daß seine persönlichen Gefühle die Ursache eines ausgeprägten Vorurteils waren und daß deshalb nicht er sie hätte vernehmen sollen. Aber sonst war niemand mit ausreichender Autorität da, und vor allem fürchtete er, jeder andere werde der Wirkung ihrer Schönheit erliegen. Helena war vollauf damit beschäftigt, Mayas Leben zu retten, Carter ganz offensichtlich die falsche Person. Und Koenig war nicht da. Maya… Er wandte sich zum Kommunikator um und drückte auf einen Knopf. Helenas weißes Gesicht erschien auf dem Schirm. »Nichts«, berichtete sie. »Es ist ein ausgesprochener Schwebezustand. So etwas ist mir noch nie untergekommen.« Er wandte sich wieder an Sahala. »Für den Rest Ihres Lebens!« schrie er sie an. Ihre arrogante Schönheit und ihre
offensichtliche Gleichgültigkeit über ihre Tat steigerten seine Wut immer mehr. Am liebsten hätte er sie geschlagen. »Bitte…«, flehte sie ihn schließlich an. »Bitte, lassen Sie mich doch erklären…« »Mir können Sie nichts mehr erklären!« Carter trat dazwischen. »Tony, so gib ihr doch wenigstens eine Chance…« »Nichts bekommt sie!« knurrte Verdeschi und stapfte hinaus. Carter stand ratlos vor ihr; ihre unbeschreibliche Schönheit verzauberte ihn, ihr unbeirrbarer Haß auf Maya stieß ihn ab. Er verstand sie nicht. Ein Gefühl hilfloser Zärtlichkeit erfüllte ihn. Er wußte selbstverständlich, daß Verdeschi sie zu hart angepackt hatte, daß sie zutiefst bekümmert war und eine Erklärung geben konnte. »Danke, daß Sie versuchten, gut zu mir zu sein«, sagte Sahala mit so seidig zarter Stimme zu ihm, daß er sich Gewalt antun mußte, sie nicht an sich zu ziehen. »Nun ja, ein besserer Zuhörer als Tony bin ich auch nicht, aber Maya bedeutet ihm eben ungeheuer viel«, meinte er verlegen. Sie nickte, stand auf und ging im Raum herum. Sie schien ungeheuer schmerzlich berührt und traurig zu sein. »Das System Croton besteht aus vielen Völkerschaften und Planeten«, erklärte sie schließlich. »Norvah, mein Planet, gehörte dazu. Vor mehr als tausend Dekonen wurde eine friedliche Föderation gebildet.« »Gehörte auch der Planet Psychon dazu?« fragte Carter. Sie schüttelte den Kopf. Ihre kalten blauen Augen schienen in eine unendliche Ferne zu schauen, und sie war zutiefst bewegt. »Wir wußten nichts von dessen Existenz – bis einer namens Dorzak zu uns kam…« Sie sprach diesen Namen voll Haß und Abscheu aus, und Carter war davon sehr betroffen. »Er kam zusammen mit anderen Psychoniern in einem Raumschiff. Sie
baten um Asyl und gaben an, ihr eigener Planet sei dabei, zerstört zu werden.« Da fiel Carter etwas ein. »Maya wußte, daß einige aus ihrem Volk den Planeten verlassen hatten, ehe er explodierte, aber sie hatte keine Ahnung, ob sie ein anderes Sonnensystem erreichten.« Sie zuckte ihre glatten, nackten Schultern. »Wir hießen sie auf Norvah willkommen. Technologisch waren sie sehr weit fortgeschritten, und für eine Weile schätzten wir uns glücklich, sie zu haben. Aber mit der Zeit erkannten wir, daß die Psychonier ein Virus waren, der unsere Gesellschaft vernichten würde.« Carter runzelte die Brauen und versuchte ihr vernünftig zuzureden. »Maya ist kein Virus«, erklärte er. »Sie kennen die Psychonier nicht so, wie wir sie kennen!« rief sie. »Ihre Macht ist hinterhältig. Dorzak verführte uns, die wir seit Jahrtausenden an Frieden gewöhnt waren, zu Gewalttaten.« »Aber Sie sagten doch, Dorzak sei der Gefangene auf Ihrem Schiff.« »Ja. Wir entwickelten eine Waffe, um ihn zu bekämpfen. Und auch die Psychologie, sie anzuwenden.« »Die Waffe, die Sie auf Maya richteten?« Sie nickte. »Das ist der Staser.« Sie hatte ihm inzwischen den Rücken zugekehrt; trotzdem machte sie ihn mit ihrer Schönheit verrückt, denn nicht nur ihr Gesicht verzauberte ihn, sondern jeder Zentimeter ihres schlanken, wohlgeformten Körpers. Ihr einfaches, klassisch schönes Gewand schien dazu bestimmt zu sein, ihren Zauber noch zu unterstreichen. Plötzlich wandte sie sich ihm wieder zu. Er hielt den Atem an. »Bitte, helfen Sie mir«, flüsterte sie.
Er streckte einen Arm aus, um sie zu berühren, und sie nahm seine Hand und drückte sie auf ihr Herz. Ein Feuer schien ihn verzehren zu wollen, und er konnte nicht anders, er glaubte an die Aufrichtigkeit dieser Frau. Aber seine Ausbildung und die Loyalität seinen Freunden gegenüber hemmten ihn, so daß er zögerte. »Wenn Maya sich nicht erholt…«, sagte er. Sie schien sehr erstaunt zu sein. »Crotoner töten nicht. Das war ja unsere Schwäche Dorzak gegenüber.« Sie drückte seine Hand. »Ich kann sie zurückholen.« Erleichtert nickte Carter. »Tun Sie das. Gelingt es Ihnen, dann haben Sie Tony auf Ihrer Seite.« »Sie ist in Stasis.« Sahala zögerte und schaute unsicher drein. »Das ist die einzige Möglichkeit, Psychonier unter Kontrolle zu halten. Sie können sich die Gefahr nicht vorstellen, der wir ausgesetzt sind, wenn wir sie daraus zurückholen.« Carter sah sie flehend an; er liebte sie schon, das wußte er, und deshalb wollte er ihre Freiheit. Und er wollte ihre Schuldlosigkeit bewiesen haben, damit er in aller Offenheit zu seiner Liebe stehen könnte. »Sie müssen Maya aus dieser Stasis herausholen, sonst kann ich Ihnen nicht helfen… falls Sie sie zurückbringen können…« Zögernd versprach sie es, und Carter griff begeistert nach dem Monitorknopf. Das Lazarett war mit allen möglichen Leuten angefüllt, als Sahala unter strenger Bewachung und angeführt von Carter den Raum betrat, um die versprochene Arbeit zu tun. Sie hatte ein kleines Instrument bei sich, das wie ein Bleistift aussah; man hatte ihr gestattet, es aus ihrem Schiff zu holen. Helena stand mit einer Gruppe von Pflegerinnen bereit. Im Zimmer neben Maya lag die junge Fremde Yesta. Sie war noch bewußtlos. Man hatte sie operiert und frisch verbunden. Mayas Körper war mit Elektroden an eine ganze Reihe von Überwachungsinstrumenten angeschlossen, die ständig
Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Gehirnströme und andere lebenswichtige Funktionen maßen. Sie lag bewegungslos da, und ihre Lebensfunktionen hatten einen Tiefststand erreicht. Geschwächt wie sie noch von ihrem Zusammenbruch her war, sah sich ihr Körper nun einer weiteren Belastungsprobe ausgesetzt. Helena sah der Kommandantin von Croton nicht sehr freundlich zu, als diese sich über Maya beugte. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und wartete nur auf die Notwendigkeit einzugreifen. Sie traute dieser Frau absolut nicht. Ein dünner goldener Strahl schoß plötzlich aus dem Instrument. Sahala ließ ihn über verschiedene Körperteile der Psychonierin spielen, als führe sie eine äußerst fortschrittliche Art Akupunktur durch. Die Alphaner beobachteten unterdes gespannt Mayas Gesicht nach Lebenszeichen. Nach einer Weile hielt die Crotonierin Verdeschi die offene Hand hin. »Staser?« fragte sie in der Art einer geschulten Chirurgin. Verdeschi zögerte voll Mißtrauen. Sahala wandte sich an Carter. »Können Sie ihn davon überzeugen, daß er mir vertrauen darf?« »Tony, laß sie beweisen, daß du dich irrst«, bat Carter. »Ich habe mit ihr gesprochen.« Die Entscheidung fiel Verdeschi nicht leicht. Er kniff die Lippen zusammen und reichte ihr die Waffe, winkte aber gleichzeitig den Posten zu, den Ring enger um sie zu schließen. Sahala nahm die Waffe und stellte eine winzige Apparatur an einem Ende anders ein. Dann legte sie die Mündung der Waffe an Mayas Stirn. In diesem Moment trat Verdeschi, der nun ein Verbrechen erwartete, vor, um sie aufzuhalten. Aber Carter stoppte ihn; er lächelte ihn ermutigend an, und die Frau
lächelte ebenfalls. Sie wandte sich wieder Maya zu und drückte nun auf den Knopf der Waffe. Vor den überaus verblüfften Zuschauern begann Mayas Körper in einem violetten Licht zu pulsieren. Besorgt drehte sich Helena zu den Instrumenten um, aber als sie die ersten Daten ablas, hellte sich ihre besorgte Miene auf. »Ihr Herz… Und Puls ist wieder da…« Alle atmeten erleichtert auf, und dann öffnete Maya sogar die Augen. Helena legte eine Hand auf ihre Stirn. »Wie fühlst du dich?« fragte sie. »Ich… fühle mich… wohl…« begann Maya noch sehr schwach und ziemlich verwundert. Ihr selbst schien es unfaßbar zu sein, daß sie sich so rasch erholt hatte. Sie setzte sich auf, sah Sahala, und ihre Verwirrung wurde zu Gekränktheit. »Warum hast du das getan?« fuhr sie die Crotonierin an. Sahalas Haltung hatte sich nun völlig verändert. Vorherrschend war nun nicht mehr ihre Schönheit, sondern ein starkes Gefühl des Abscheus. »Du bist eine Psychonierin. Ich habe meine Erfahrungen mit Psychoniern gemacht.« Maya wich bestürzt zurück. »Bringt sie weg!« rief sie. Carter schaltete sich diplomatisch ein. »Maya, Moment noch…«, begann er beruhigend, doch Maya wollte sich nicht beruhigen lassen. »Bringt sie aus meiner Nähe weg!« explodierte Maya, doch dann fiel sie ermattet auf das Bett zurück. »Nur ruhig, Maya«, redete ihr Helena zu, und Carter gab sie ein Zeichen, er solle Sahala wegbringen. »Ich will sie weiter in Gewahrsam halten«, erklärte Verdeschi und warf der Crotonierin einen haßerfüllten Blick zu. Auch Sahala hatte keine sehr freundlichen Gefühle für ihn. Carter versuchte zu protestieren, doch es nützte nichts.
Verdeschi fuhr fort: »Ein Posten hat ständig vor ihrer Tür zu stehen.« Verzweifelt nahm Carter Sahalas Arm, doch sie schüttelte ihn ab und schritt zornig zur Tür. Carter folgte ihr enttäuscht. »Maya«, sagte Verdeschi nun sanft zu ihr, »einer aus dem Raumschiff, das Psychon noch verlassen konnte, ehe euer Planet explodierte… scheint zum System Croton gelangt zu sein.« Das schien für Maya eine ungeheure Freude zu sein. Sie öffnete die Augen und stützte sich auf einen Ellbogen. »Aber das ist doch wundervoll!« rief sie. Niemand schien aber ihren Optimismus zu teilen, und da schwand auch ihre Begeisterung. »Ist es nicht wundervoll?« fragte sie kleinlaut. Helena übernahm die Erklärung. »Sie scheinen sich dort nicht besonders gut benommen zu haben… Dorzak…« »Dorzak!« rief Maya erregt. »Er hat sich gegen sie gewandt«, erklärte ihr Verdeschi. »Sahala sagte, er habe… Gewalttaten versucht und Unfrieden…« »Sie lügt!« rief Maya. »Er hat einen Aufstand auf ihrem Planeten Norvah inszeniert.« »Sie lügt, ich sage es dir. Dorzak war ein Philosoph, ein Dichter, ein Mann des Friedens. Er kann sich nicht geändert haben.« »Er habe, wie sie behauptet, große Leiden auf Norvah verursacht. Jetzt ist er als Gefangener in Sahalas Schiff. Sie bringt ihn ins Exil.« Abrupt setzte sich Maya auf. »Lebt er?« fragte sie fieberhaft. »Er ist hier?« Sie klammerte sich an Verdeschis Arm. »Tony, ich will ihn sehen! Ich muß ihn sehen!«
Unglücklich trottete Carter hinter Sahala und den beiden Posten her, die sie in die Mitte genommen hatten, um sie wieder in den als Kerker dienenden Raum zurückzubringen. Frauen, dachte er enttäuscht. Wie intelligent sie auch sein mochten, sie ließen sich doch immer von ihren Gefühlen beherrschen und verdarben damit alles. An ihre Vernunft appellierte man vergeblich. Sahala tat sich selbst unendlich leid, und er teilte dieses Gefühl wie ein mitleidender, langjähriger Ehemann. »Bin ich so aussätzig, daß ich allein essen muß?« beklagte sie sich, als sie sich gesetzt hatten und ein Tablett mit Essen gebracht worden war. »Ich denke nicht daran«, erwiderte er und dachte darüber nach, was er für sie tun könnte, während er zusammen mit ihr aß. »Es gibt nur eine Möglichkeit, mich für Ihre Freundlichkeit zu bedanken«, sagte sie und streichelte ihm die Hand. Elektrisiert hörte er zu essen auf. »Es ist sehr leicht, zu Ihnen freundlich zu sein«, antwortete er kauend. »Ich kann Sie nur vor der Gefahr warnen, in der Sie sich befinden…« Sie machte eine Pause, da sie Schwierigkeiten zu haben schien, sich richtig auszudrücken. »Diese Psychonierin Maya wird tun, was sie kann, um Dorzak zu befreien.« Carter dachte einen Moment nah. »Nein«, meinte er und schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Maya wird nichts tun, wozu sie keine Erlaubnis hat.« Aber Sahala gab nicht auf. »Die Loyalität der Psychonier ist wichtiger als jede andere Beziehung.« »Sie kennen Maya ja gar nicht«, wandte er ein. »Gut, ich kenne Maya nicht, aber ich kenne Dorzak. Ich kenne die Kraft seines Geistes, seine hypnotische Macht. Nicht
einmal eine Stasis genügt als Barriere für diese hypnotische Macht.« »Sie meinen, er ist ein Telepath?« fragte Carter bestürzt. Sie nickte, so daß ihre goldenen Locken flogen. Diese Information mußt er erst verdauen. »Sahala, wenn Sie Tony auf Ihre Seite bringen wollen«, sagte er schließlich, »dürfen Sie nichts übertreiben. Niemand kann aus einer Stasis heraus handeln.« »Aber er ist auch in Stasis gefährlich!« fuhr sie auf. »Einer aus meiner Crew ist tot, ein anderer fast tot. Sie waren besonders ausgewählt worden wegen ihrer Fähigkeit, seinen psychologischen Attacken zu widerstehen, und doch durchbrach er ihre Barrieren…« »Wie denn?« fragte er nun doch gereizt. Allmählich wurde er sich dessen bewußt, wie ihre Anziehungskraft seine rationellen Denkprozesse beeinträchtigte. Sie schaute träumerisch in eine weite, imaginäre Ferne. An ihre Verantwortung als Kommandantin schien sie überhaupt nicht mehr zu denken. »Ich sehe schon«, meinte sie schließlich, »daß ich Ihnen alles erzählen muß. Ich wollte Sie aber wirklich nicht mit meinen Problemen belasten.« Nun war er richtig neugierig geworden, legte seine Gabel weg und lehnte sich zurück, um ihr zuzuhören. Sie begrub den Kopf in ihre Hände und weinte fast, während sie erzählte. »Die Schwierigkeiten begannen, als wir auf halbem Weg nach Theselena waren, dem Planeten, auf den ich Dorzak ins Exil bringen sollte. Wie Sie wissen, wurden wir aus unserem Kurs geworfen. Diese Zeitverwerfung muß dann Dorzaks Kräfte vergrößert – oder Cleas Widerstandskraft geschwächt haben… Clea, Yesta und ich waren die ganze Crew. Wir waren daran gewöhnt, ähnliche Reisen zu machen. Wir glaubten, vor Dorzak in Stasis absolut sicher zu sein. Die Wohnräume
unseres Schiffes liegen um einen großen, runden Raum, wo wir unsere Privaträume haben. Die Reise nach Tehselena ist die längste, die wir zu machen haben, und außer Dorzaks Anwesenheit ist da auch noch der psychologische Streß des langen Fluges. Wir nennen diese Reise den Langeweiletrip… In meiner Freizeit schaffe ich kinetische Kunst, und das tat ich auch auf dem Schiff. Die anderen beiden waren manchmal ein Problem. Sie schliefen sehr viel und waren nur schwer zu beschäftigen. Manchmal überlegte ich mir, was sie wohl taten, wenn sie Dienst machten und ich doch auch einmal schlafen mußte. Wir wechselten einander in der Wache ab. Wir hatten uns eurem Mond schon ziemlich genähert und auch die Instrumente wieder auf Kurs gesetzt, als Clea diesen Schwächezustand erlitten haben muß. Yesta und ich schliefen. Von Dorzaks Geist veranlaßt, befreite sie ihn aus der Stasis…«
Clea bewegte sich schlafwandlerisch bei der Aufgabe, einen schlecht funktionierenden Photophaser zu überholen; das sind die lebenswichtigen Energiekontrollen, von denen die Lichtantriebsmaschinen des Schiffes geleitet werden, und sie setzte sie auf die Geschwindigkeit von Zeitreisen. Sahala hatte sie zu Beginn ihrer letzten Schicht neu eingestellt, aber nun trieben sie erneut vom Kurs ab und bedurften einiger neuer Einstellungen. Als sie den ersten hypnotischen Zug von Dorzaks Geist spürte, tat sie das. Sie wußte, es war Dorzak, der sie rief, weil sonst niemand auf dem Schiff war, der über eine solche, Willenskraft verfügte. Erst hatte sie sich gegen ihn gestemmt, aber dann wurde seine überredende Willenskraft übermächtig. Leise huschte sie an den Alkovenbetten ihrer beiden Kameradinnen vorbei, auch an Yestas halb vollendetem Wandgemälde und an der lautlos arbeitenden
Lichtmaschinerie, die Sahala benutzte, wenn sie ihre Meisterwerke schuf. Sie erreichte den Eingang zu Dorzaks Zelle, drückte ihre Handfläche auf die Schmuckwand, die davor stand, und sah zu, wie sie zurückglitt und die mit Metall verkleidete Nische der Stasiskammer freigab. In dieser Kammer und hinter einem transparenten Kraftfeld aus orangefarbenem Licht lag der Körper ihres Meisters, der sie aus seinem Träumen heraus rief und mit telepathischen Fingern Gedanken in ihren Geist pflanzte. Voll Bewunderung musterte sie ihn. Sie hob einen schlanken Finger zur Kontrollbank und sah voll Zufriedenheit zu, wie das Kraftfeld sich abbaute. Dann trat sie über die Schwelle der Kammer und stand nun vor Dorzak. Ein leidenschaftliches Verlangen wallte in ihr auf, seine Lippen zu berühren. Aber sie ließ nur die Fingerspitzen zärtlich über sein altersloses Gesicht spielen. Doch dann nahm sie den Kopf des Schlafenden in die Hände und küßte seine vollen Lippen. Die Leidenschaft des Kusses vertiefte sich, und sie ergab sich völlig seinen Wünschen. Da ertönte ein drängendes Signal des Bordcomputers. Schuldgefühl überfiel sie; dann spürte sie, wie Dorzak sie aus seinem Griff entließ, so daß sie ihren Pflichten nachkommen konnte. »Computer an Crew, Computer an Crew: ich wünsche eine Verständigung.« Die Stimme des Computers war so laut, daß sie fürchtete, Sahala und Yesta könnten aufwachen. Schnell verließ sie die Kammer, schloß die Wand hinter sich und lief zum Flugdeck. »Sprich«, sagte sie atemlos und enttäuscht. Immer hatte sie schon Dorzak geliebt, seit sie ihn und seine Kameraden von Psychon bei ihrer Ankunft sah. Ihre Liebe war ihr Geheimnis geblieben – nur nicht für Dorzak. Da er wußte, daß sie ihn liebte, bediente er sich ihrer. Es machte ihr nichts aus, daß er
mit der ganzen Kraft seines Geistes auf sie einwirkte. Sie liebte seine starke Autorität, denn dies war die Entschuldigung für ihre sehnsüchtige Liebe zu ihm. »Wir nähern uns einem felsigen Asteroiden«, meldete der Computer. Ein Bild des Ausreißermondes erschien auf dem Bildschirm. »Es ist der frühere Mond des Planeten Erde. Seine Bahn ist unberechenbar. Der Asteroid ist von etwas über dreihundert Erdenmenschen bewohnt.« »Na, und?« rief sie. »Deshalb hast du mich hergeholt?« Der Computer ignorierte ihren Vorwurf, denn er hatte eine gefühlsträchtige Antwort erwartet. »Die Kultur dieser Rasse ist primitiv«, fuhr er fort, »denn sie unterliegt den Gesetzen des alten Kontinuums. Sie stellt keine Bedrohung unserer Mission dar.« Clea war nun sehr interessiert. Dem Computer war klar, daß ihr größtes wissenschaftliches Interesse der galaktischen Geschichte gehörte. »Kursberichtigungen wurden zur Vermeidung eines Zusammenstoßes vorgenommen«, zitierte er weiter. »Kommunikation vollständig.« »Danke, Computer«, sagte sie eisig. »Halte mich weiter informiert. Bitte, übertrage alle anderen Informationen über diese Spezies in meine persönliche Akte.« Kaum hatte sie zu sprechen aufgehört, als Dorzak wieder Macht über sie gewann. Diesmal widerstand sie ihm nicht mehr. Eine Art perverser Freude erfüllte sie. Ihre Loyalität für ihre Kommandantin und ihre Rasse brach zusammen. Sie entwickelte sogar ein Gefühl der Ablehnung. Sie sprang auf und lief zu einem Kommunikationsgerät am anderen Ende des Flugdecks und riß es auf. Mit einer langen Metallnadel aus ihrem Haar, das nun offen auf ihre Schultern fiel, strich sie im Schrank über die ganze Elektronik, so daß Feuerblitze aufflammten. Dann schlug sie die Schranktür zu.
Sofort ertönte das schrille Notsignal. »Berichte Panne im Langzeit-Kommunikator«, meldete der Computer. »Die Ursache ist noch nicht…« Zornig rannte sie die Stufen zum Eingabegerät des Computers hinab und schlug mit der Faust darauf, um die Stimme zum Schweigen zu bringen. »Ruhig!« zischte sie. Dann lief sie zur Stasiskammer zurück. Sie beugte sich über die Gestalt des geliebten Mannes und hatte das kleine, bleistiftähnliche Instrument und den Staser schon in der Hand. »Dorzak, mein schöner Geliebter«, murmelte sie, als sie die Behandlung zum Wecken bei ihm durchführte. »Wach auf!« Dorzaks Körper schimmert in violettem Licht. Als das Licht verblaßte, bewegte er sich und öffnete die Augen. Im nächsten Moment stand er auf den Beinen. Er war groß und wohlgebaut. Für sie war er ein Gott. »Sind wir schon in Theselena angekommen?« fragte er, und sofort wurde ihr klar, daß seine Macht über sie aus seinem Unterbewußtsein stammte. Sein Geist hatte sich ihrer bedient, als er träumte. »Wie könnte ich es je zulassen, dich dieser Würdelosigkeit auszusetzen?« fragte sie ihn und schmiegte sich in seine Arme. Hoffnung glomm in seinen Augen auf. »Aber… wo sind wir?« »Wir nähern uns einem Asteroiden. Dort leben etwa dreihundert Menschen, etwas zurückgeblieben, aber vielleicht nützlich.« Dorzak lächelte wissend. »Was…hast du vor?«Natürlich gefiel ihm ihr Entgegenkommen; fest griff er nach ihren schlanken Schultern und schaute ihr tief und hypnotisierend in die Augen. »Wir könnten das Schiff übernehmen«, schlug sie vor, »und dann diesen Stützpunkt zu einer Rückkehr nach Norvah benutzen.«
»Aber würde das nicht deinem Interesse an Geschichte entgegenstehen?« fragte er, denn er kannte ihre Leidenschaft. »Wir brauchen sie ja nicht… zu schädigen, und ich könnte eine ganze Menge aus erster Hand erfahren«, meinte sie lachend. »Aber was willst du mit Sahala und Yesta tun?« Clea warf ihm einen schlauen Blick zu. »Ich dachte, du könntest sie… auf psychonische Art… unschädlich machen.« Dorzak legte die Stirn in Falten. »Bist du… Warum tust du das für mich?« »Oh, Dorzak…« Sie kuschelte sich fester in seine Arme, und dann hängte sie sich voll Leidenschaft an ihn. »Clea!« rief er. »Clea, meine wundervolle Clea! Du hast dich wirklich nicht verändert…« Ein Schlag von einem auf volle Leistung eingestellten Laser, der Dorzaks Rücken traf, unterbrach grausam diese Idylle. Er sackte in die Knie und rollte auf den Boden. Jetzt war er wieder in seiner geistigen Gefangenschaft. Clea wirbelte herum und sah, daß Yesta aufgewacht war und nun den Staser auf sie gerichtet hatte. »Oh, nein!« schrie sie und warf einen Blick auf den Boden, wo ihr Geliebter lag. Dorzaks Einfluß war völlig von ihr abgefallen, und ihre kurzfristige frühere Liebesgeschichte mit ihm hatte sich tief in ihr Gedächtnis zurückgezogen, wohin es auch gehörte. Verzweifelt rief sie: »Yesta, was habe ich getan?« »Er ist böse, Clea«, erklärte ihr Yesta voll Mitgefühl. Beruhigend strich sie über das Haar ihrer Kameradin. »Er ist böse. Böse!« »Ich weiß…« schluchzte Clea. »Komm.« Yesta führte Clea zurück in die Wohnzone. Dort gab sie Clea etwas zu trinken. »Wie ist das denn geschehen?« fragte sie. »Ich… weiß nicht…«, erwiderte Clea verwirrt.
»Schscht. Komm, trink das jetzt.« Clea hatte sich in Yestas Arme geworfen, und so konnte sie in die Stasiskammer schauen. Unter der Tür stand Dorzak. Seine Augen zwangen sie zurück in den Zustand der Willfährigkeit, so daß sie unwillkürlich zu zittern begann. »Na, na«, redete ihr Yesta zu und streichelte sie. Clea stand ganz unvermittelt auf und nahm eine schwere Skulptur vom Tisch, der vor ihnen stand. Ehe die entsetzte Yesta noch reagieren konnte, schlug ihr die besessene Frau damit auf den Kopf. Yesta stürzte zu Boden, und Clea schlug noch immer weiter auf sie ein. Yesta hatte halb unbewußt wieder ihren Staser gezogen, und als Clea den letzten Schlag ausführte, gab sie einen Schuß ab. Dann wurde sie bewußtlos. Clea brach zusammen, als der violette Stasisstrahl sie traf.
»Als ich aufwachte, um meine Wache zu übernehmen, war Yesta nahezu verblutet«, beendete Sahala ihre Geschichte. Carter war völlig verblüfft. »Das verstehe ich nicht. Was ist dann mit Dorzak und… mit Clea geschehen?« »Dorzak war noch in Stasis. Es war ihm gelungen, mittels Telekinese seinen Körper zur Tür zu schleppen. Clea war in Stasis, und so hatte er keinen mehr, durch den er hätte handeln können. Durch mich wäre es ihm ganz sicher nicht gelungen! Ich entließ Clea aus der Stasis. Sie bekannte das, was ich gerade erzählt habe. Nachdem sie einsah, was sie getan hatte, konnte das arme Mädchen die Schuld nicht ertragen. Sie stürzte sich selbst in den Raum hinaus. Und da mußte ich dann den Kurs ändern und um eure Hilfe bitten.« Carter schwieg. Er war erschüttert, und seine Überzeugung, daß sie schuldlos war und keine bösen Absichten hatte, war
gefestigt. Dorzak war wirklich gefährlich und mußte entsprechend behandelt werden. Einer der Posten trat zu Carter. »Mr. Verdeschi möchte, daß Sie Sahala zu ihm bringen, Sir.« Er sprang auf. »Wo ist er?« »Im Dockhafen. Er will in das Schiff aus Croton.« Carter runzelte die Brauen. Er ahnte ja nicht, was vorging. »Ist Maya, die Frau aus Psychon, bei Mr. Verdeschi?« fragte Sahala. »Ja.« Sie und Carter schauten einander an. »Verstehen Sie?« sagte sie zu Carter und hob ihre schöngeschwungenen Brauen. »Es fängt an.«
Die große, rote Kugelnase des fremden Schiffes hing hoch über ihnen an der Decke des Hangars. Sie sah ein bißchen lächerlich aus, denn eigentlich paßte diese lange Nase mit dem Kugelende nicht zu der Untertassenform. Helena, Verdeschi, Maya und ein Sicherheitsposten warteten darauf, das Schiff betreten zu können. »Tony, warum müssen wir auf ihre Erlaubnis warten?« fragte Maya ein wenig ungehalten. »Das ist Protokoll«, erwiderte er. »Egal wie uns zumute ist, wir dürfen nie ein fremdes Raumschiff ohne die Erlaubnis des Kommandanten betreten.« »Auch dann nicht, wenn er uns zu betrügen versucht?« »Wir wollen doch nichts Übereiltes tun«, warf Helena ein. Sie warteten also weiter. Schließlich kamen Carter, Sahala und der ausgesandte Posten an. Die beiden Gruppen musterten einander betont kühl. Sahala warf Verdeschi einen vorwurfsvollen, Maya einen angewiderten Blick zu.
»Wir möchten um Ihre Erlaubnis bitten, Ihr Schiff zu betreten«, ersuchte Verdeschi eisig. Sahala lachte spöttisch. »Zu welchem Zweck?« Maya ging auf sie zu. Auch sie war schön und auf katzenhafte Art hochmütig. »Damit wir mit Dorzak sprechen können«, antwortete sie. Sahala zeigte Angst. »Ihr könnt nicht mit ihm sprechen. Er ist in Stasis.« »Sie können ihn aus der Stasis herausholen«, hielt ihr Helena vor. Sahala öffnete den Mund zu einer Entgegnung, doch Helena schnitt ihr das Wort ab. »Nur lange genug, damit wir ihm einige Fragen stellen könne.« »Wenn du die Wahrheit sagst, solltest du froh sein, mit uns zusammenarbeiten zu können«, fauchte sie Maya an. Sahala zögerte. Ihre Schönheit ließ ihre ganzen Gefühle und Handlungen irgendwie geprobt und oberflächlich erscheinen. »Wenn ich lüge«, erwiderte sie vorwurfsvoll, »warum ist dann Dorzak als Gefangener auf meinem Schiff?« »Weil Dorzak das Kommando hatte und du in Stasis warst«, erklärte ihr Maya. Sahala erwiderte spöttisch: »Das ist Psychon-Art. Man verbiege eine Lüge so, daß sie der Wahrheit ähnelt.« Sie seufzte schwer, und alle außer Carter nahmen diesen Seufzer als Arroganz und Unverfrorenheit. »Hören Sie auf mit Ihren Ausreden, Sahala«, befahl ihr Verdeschi. »Wir wollen mit Dorzak sprechen, und dann werden wir die Wahrheit bald genug erfahren. Holen Sie Dorzak nur aus der Stasis.« »Das ist zu gefährlich!« rief sie. Carter wurde von seiner Loyalität und der Begeisterung für diese Frau hin- und hergerissen. Er kannte die Wahrheit über Dorzak, konnte sie aber keinem erzählen oder sonstwie
begreiflich machen. Er hatte Angst, ein aus der Stasis geweckter Dorzak könne sie alle zu Sklaven machen. Er wandte sich also an Verdeschi. »Wir haben ja noch eine Zeugin, die uns sagen kann, was in Wirklichkeit geschah – Yesta im Lazarett. Wir brauchen also Dorzak gar nicht unbedingt zu wecken.« »Sie ist noch nicht bei Bewußtsein«, wandte Helena ein. Ihr gefiel es ganz und gar nicht, daß er so eindeutig Sahalas Partei ergriff. »Es ist sicherer, zu warten, bis sie aus der Bewußtlosigkeit aufwacht«, sagte die schöne Crotonerin. »Glaubt mir das, bitte.« »Wir wissen nicht, ob sie je wieder aus der Bewußtlosigkeit aufwacht«, entgegnete Helena. Verdeschi unterbrach sie. »Sahala, ich will Ihr Schiff nicht ohne Ihre Erlaubnis betreten, aber wenn Sie uns diese nicht geben, werde ich es doch tun müssen.« Sahala schaute ihn wütend an. Sie kochte innerlich. Einen Augenblick lang waren alle wie gebannt, sogar die Männer vom Sicherheitsdienst. Sie trat auf einen Posten zu, riß den Laser aus seinem Holster, und er stürzte wie gelähmt zu Boden. Sie wirbelte herum und richtete die Waffe auf die anderen. Alle begannen gleichzeitig, ihr entgegenzulaufen, doch sie stellte den Laser blitzschnell von ›Lähmung‹ auf ›Töten‹. »Mir. Verdeschi, sie hat auf Töten eingestellt!« rief der andere Posten. »Und das werde ich auch tun«, versicherte ihnen Sahala. Ihre Schönheit wurde auf teuflische Art übermenschlich, strahlte aus ihren Augen, ihrem Haar, ihrer Haut. Ihr Schmuck schimmerte zauberhaft. »Mr. Verdeschi, Sie werden sofort von dieser Einstiegluke weggehen«, befahl sie ihm.
VIII
In diesem Moment wurde sich Carter bewußt, wohin es führen würde, ließe er die Dinge so weiterlaufen – er handelte. Katzengewandt schlich er heran und entwaffnete die Crotonierin. Ob sie nun wegen Dorzak recht hatte, wie er glaubte, oder ob sie sich irrte oder böswillig die Wahrheit verkehrte – seine Loyalität mußte trotz seiner schnell aufgeflammten Liebe zu Sahala den Alpha-Leuten gehören. Er konnte es nicht zulassen, daß ihnen ein Leid oder Schaden zugefügt wurde. Sahala musterte ihn vorwurfsvoll und verblüfft, als er ihr die Waffe entwand. Ihr Blick traf ihn zutiefst, und er sehnte sich nach ihrer Vergebung, doch er widerstand diesem schier übermächtigen Gefühl. Dankbar drängten sich die anderen heran. Der Posten, den sie überwältigt hatte, war wieder auf den Beinen und nahm ihren Arm. »Bring sie wieder weg und sperr sie ein«, befahl ihm Verdeschi ernst. Der Posten nickte. Sahala wehrte sich verzweifelt gegen seinen Griff, warf Carter einen bitterbösen Blick zu und wurde weggeführt. »Und jetzt wollen wir Dorzak sehen«, erklärte Verdeschi grimmig. Der Posten drückte auf einen Knopf, der die Einstiegluke aktivierte, die Türen schoben sich auf, und er kletterte, von Maya und Helena gefolgt, hinein. Verdeschi warf erst Carter noch einen Blick zu, ehe er selbst einstieg. »Danke, Alan. Du hast mir eine Weile Sorgen
gemacht. Ich dachte schon, sie hätte dich völlig um den Finger gewickelt.« Carter zuckte die Achseln. »Das hat sie schon.« Seine Miene war sehr bekümmert, als ihn der Italiener besorgt musterte. Das Schiffsinnere erfüllte sie mit Ehrfurcht. Es fiel ihnen nicht leicht, dem Wunsch zu widerstehen, die glatten Wände und die einfachen Möbelstücke zu untersuchen, die merkwürdigen Kästen und Konsolen, die summenden Energiespender, die ungeheuer raffinierten Maschinen, den Irrgarten von Korridoren und Räumen genauer anzusehen. »Hübsches Schiff«, bemerkte Carter und sah sich in den Wohnräumen um, von denen Sahala ihm erzählt hatte. Er bemerkte ihre Licht-Show-Ausrüstung und das Wandgemälde, das Yestas Arbeit war. Überall hingen Malereien, und wo immer ein Fleckchen frei war, stand eine Skulptur. »Die Crotoner sind offensichtlich sehr kultivierte Leute«, sagte Verdeschi sehr beeindruckt. »Wie die Dame sagte«, antwortete Carter. Er sah drei Alkoven in der Wand mit den Bezeichnungen ›Yesta‹, ›Clea‹ und ›Sahala‹. Dorthin folgte ihm Verdeschi. Er ging in Sahalas Alkoven, dann in den Cleas. Die luxuriösen Flüssigkeitsbetten und die herrlichen, schweren Wandbehänge beeindruckten ihn ungeheuer. Auf Cleas Bett fanden sie eine winzige goldene Kapsel. Sie sah eher aus wie ein technologisches Gerät als wie ein Schmuckstück, und Verdeschi nahm sie in die Hand, um sie genauer anzusehen. »Hast du was gefunden?« fragte ihn Carter. »Eine elektronische Wanze?« meinte Verdeschi. »Möglich… Oder es ist so etwas wie ein Amulett.« Verdeschi steckte das Ding in die Tasche. »Das soll die Technik nachprüfen.« Er wandte sich zu Maya und Helena um. Sie untersuchten gerade das Wandstück vor der Stasiskammer. Maya betastete es und ließ die Hände darübergleiten. Endlich
glitt die Tür auf. Sie wichen, von ihrer Entdeckung entsetzt, einen Schritt zurück. Die beiden Männer liefen heran. Sie sahen Dorzak durch ein orangefarbenes Kraftfeld. Er war sehr groß, wie Sahala gesagt hatte, und lag schlafend da, war aber zusammengeringelt wie ein Kind im Mutterleib. Maya lächelte voll Freude die bewegungslose Gestalt an. Dieser Mann war tatsächlich Dorzak. Sie schüttelte den Kopf und hatte Mühe, ihre Tränen zurückzuhalten. Wie lange war es schon her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte! Und an wievieles erinnerte er sie, das es jetzt nicht mehr gab… Verdeschi setzte sich in Bewegung, doch Maya hielt ihn zurück. »Tony, warte. Zwischen uns und Dorzak ist doch ein Kraftfeld.« Sie schaute sich in der Stasiskammer um und erspähte eine Schalttafel in der Wand; sie berührte eine der zahlreichen Facetten, doch nichts geschah. Dann tippte sie auf verschiedene gleichzeitig, und das Kraftfeld löste sich auf. »Sieht aber nicht besonders bedrohlich aus«, bemerkte Carter, als sie in die Stasiskammer hineingingen. Dorzak schien friedlich zu schlafen. Sein Gesicht drückte überlegene Zufriedenheit aus. »Für einen, der die Geister verdirbt, schläft er aber sehr friedlich«, sagte er ein wenig sarkastisch und lächelte dazu. Maya war tief bewegt, kniete nieder und strich zart über Dorzaks Kopf. »Er würde niemals Geister verderben«, sagte sie. »Eher halte ich es für möglich, daß die Crotoner sehr beeindruckt waren und sich zu ihm hingezogen fühlten.« »Möglich«, gab Verdeschi zu. »Und die Regierenden von Croton sahen in seinen Ideen eine Drohung.« »Wenn die Regenten von Croton ihre Völker unterdrückten und er ihnen Widerstand leistete, schickten sie ihn natürlich ins Exil.«
»Dann könnte aber Sahala die Wahrheit über das sagen, was auf dem Schiff geschah«, warf Carter ein. Maya seufzte. »Eine Version der Wahrheit… um uns daran zu hindern, Dorzak aus der Stasis zu holen.« Helena runzelte nachdenklich die Brauen. »Aber wenn sie tatsächlich die volle Wahrheit sagt, wäre es ungeschickt, ihn wiederzubeleben.« Maya schien nun fast hysterisch zu werden und warf Verdeschi einen flehenden Blick zu. Aber Verdeschi schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, Maya, daß wir das Risiko eingehen sollen.« Maya sprang auf. »Ich kenne Dorzak!« rief sie. »Er ist wundervoll… und so mitfühlend…« Helena legte ihre Arme um sie. »Du kanntest ihn auf Psychon. Aber du weißt nichts von ihm, seit er dort weg ist.« Maya schüttelte Helenas. Arme ab. Sie begriff nicht, daß man anders denken konnte als sie, die sie doch diesen Mann kannte und überaus bewunderte. Sie setzte schon zu einer heftigen Diskussion an, als Helenas Comlock sich meldete. Vincents Stimme füllte den Raum aus. »Helena? Wir sind zur Operation bereit.« »Ich bin schon unterwegs«, antwortete sie und schaltete das Gerät ab. Verdeschi versuchte Maya von seinem Standpunkt zu überzeugen. »Yesta wird viele Probleme lösen, wenn wir sie ins Bewußtsein zurückholen können.« Maya legte ihr Arme um Verdeschis Hals. »Tony, ich bin nicht die einzige Überlebende von Psychon. Verstehst du denn nicht, was das für mich heißt? Ich denke, ich kann ihn aus der Stasis herausholen.« Carter wandte ein: »Warum willst du nicht warten, bis wir Yestas Geschichte hören?«
»Hier ist ein Kraftfeld, das ihn isoliert«, fuhr Maya fort. »Tony, er ist ein Psychonier. Ich glaubte schon, ich würde niemals mehr jemanden von meiner Rasse wiedersehen. Ich muß mit ihm sprechen.« »Wenn das, was Sahala sagte…«, begann er. »Selbst wenn ihre Anschuldigungen wahr wären, er kann doch keinem etwas zuleide tun, solange er hinter diesem Kraftfeld ist… wenn wir es reaktiviert haben«, beharrte sie. Für Verdeschi war das Kraftfeld ein gutes Argument. Er war schon in viele Kraftfelder gelaufen und hatte es bedauert. Sie waren tatsächlich undurchdringlich. Aber sicher konnte er dessen doch nicht sein. »Na, schön«, meinte er schließlich. »Sieh zu, ob du ihn aufwecken kannst.« Überglücklich küßte sie Verdeschi auf die Wange. Carter schüttelte den Kopf zu dieser Entscheidung, denn er wußte, daß sie alle es noch bedauern würden…
Bläuliches Licht schien grell auf den Operationstisch. In seinem entseuchenden Strahlenkegel lag der Körper des unglaublich schönen Kindes. Der Kopf war von Bandagen umhüllt, und das Mädchen war in tiefer Bewußtlosigkeit. Helena war in Operationskleidung und studierte eine Reihe von Röntgenaufnahmen in Leuchtrahmen. Sie erklärte Vincent die Schäden am Skelett des Mädchens. »Zuerst müssen wir den durch den komplizierten Schädelbruch entstandenen Gehirndruck beseitigen«, stellte sie fest. Vincent nickte. »Aber wenigstens haben wir schon die inneren Blutungen gestillt.« »Das mußt du jetzt ständig überwachen.«
»Klar.« Er deutete auf einen merkwürdigen Gegenstand auf einem der Filme. »Und was hältst du davon?« »Das weiß ich nicht. Es scheint eine metallische Legierung zu sein.« »Es könnte ein Implantat sein, also Absicht.« Helena nickte. »Wir müssen es jedenfalls herausholen, um zu sehen, was es ist und wie es funktioniert… Alles bereit?« Die Operationsschwester reichte Helena ein Instrument, und damit begann sie die Kopfbandagen zu entfernen. Sie öffneten den Schädel des Kindes und bemühten sich vor allem, so wenig Gehirnzellen wie möglich zu zerstören. Der Herzschlag war über einen Verstärker zu beobachten. Er und das gelegentliche Klirren eines Instruments waren die einzigen Geräusche. Dann erreichten sie den geheimnisvollen Gegenstand, den sie am Röntgenschirm gesehen hatten. Mit einer Spezialsonde griff Helena hinein und holte ihn heraus, ließ ihn in eine Schale fallen und säuberte ihn mit einem Wattebausch. Es war eine goldfarbene Kugel, jener ähnlich oder mit ihr identisch, die Verdeschi und Carter auf Cleas Bett im Sternenschiff gefunden hatten. »Bitte, Ben, mach ein paar Versuche damit«, sagte sie zu Vincent. Sie drückte auf ihrem Comlock Verdeschis Code. »Tony… In ein paar Minuten wird Yesta aus der Narkose erwachen.« »Bin gleich dort«, versprach er. »Maya, dieses Kraftfeld muß intakt bleiben… Bringt Sahala ins Lazarett«, wies er die Posten an. Dann versorgte Helena noch die Wunden des Kindes, legte das Stück der Schädeldecke wieder auf, das sie hatten heraussägen müssen, und verband den Kopf.
Maya drehte die Kontrollscheibe an Sahalas Strahlenwaffe. Auf Psychon hatten sie etwas Ähnliches gehabt. Sie drückte die Mündung an verschiedene Stellen von Dorzaks Körper, so wie Helena es bei Sahala gesehen hatte, als sie Maya aus der Stasis holte. Mit dem Staser machte sie es ebenso. Sie drückte ihn an Dorzaks Stirn und schaltete ihn ein. Dann verließ sie eiligst die Stasiskammer und stellte das Kraftfeld wieder an. Gespannt beobachtete sie die schlafende Gestalt durch den leuchtenden orangefarbenen Energievorhang. Langsam erwachte Dorzak aus dem Schlaf. Er richtete sich auf und schaute sich um. Er kniff die Augen zusammen, um sich zurechtzufinden, und stand schließlich auf. »Dorzak…«, flüsterte Maya. Er erschrak, als er die Stimme hörte, dann sah er sie. Ein breites Lächeln erhellte sein Gesicht. »Maya!« Sie konnte vor Bewegung nicht sprechen. »Du bist doch Maya, Mentors Tochter?« fragte er überglücklich. Sie nickte, und dicke Tränen liefen über ihr Gesicht. Noch immer fand sie ihre Stimme nicht. Dorzak runzelte die Brauen. »Aber… wie kommt es, daß du hier bist? In diesem Croton-Schiff? Ich dachte, du seist tot.« Trauer und Verwirrung prägten seine Miene. Endlich sprach sie mit halberstickter Stimme. »Ich überlebte die Zerstörung von Psychon… Ich bin die einzige Überlebende.« Sie lächelte. »Wir dachten, alle seien tot.« »Ich überlebte den Haß der Crotoner«, erklärte Dorzak. »Der einzige Überlebende…« Er ließ den Kopf sinken, dann schaute er sie ermutigend an. »Du und ich, Maya, wir sind die einzigen. Von Psychon haben nur wir überlebt.« Er ging ihr entgegen, doch dann wurde ihm klar, daß das Kraftfeld zwischen ihnen stand. Er lächelte sie freundlich an.
»Ja, das Kraftfeld. Ich glaubte, Maya, du seist gekommen, mich zu retten. Ich bin also noch immer ein Gefangener?« Maya begann wieder zu weinen, diesmal vor Schmerz. »Nicht mehr für lange«, versprach sie. »Sahala, die Kommandantin dieses Schiffes…« »Ah, Sahala!« rief er, als erkläre das alles. »Dieses böse Wesen! Welche Lügen hat sie über mich erzählt?« »Ihre Lügen helfen ihr jetzt nichts mehr, da Yesta geheilt wird.« Dorzak pflichtete ihr überraschend bei. »Ja. Wenn es je einen tadellosen Crotoner gab, dann ist es Yesta. Wo ist sie?« »Im Lazarett.« Er setzte sich wieder. »Maya, erzähl mir einiges von dem, was geschah, seit wir uns zuletzt sahen – bis die Wahrheit herauskommt.« Maya erzählte. Sie verwünschte die Crotoner, die sie in eine so lächerliche Situation brachten; sie mußte Dorzak nun zeigen, daß ihre Loyalität für die Alphaner größer war als ihr Glaube an ihn.
»Sie kommt zu sich«, meldete Helena der gespannt am Bett der jungen Crotonerin wartenden Gruppe. Yesta atmete nur ganz flach. Ihre zarten Lider waren noch geschlossen, aber sie flatterten schon leicht. »Yesta?« fragte Helena und beugte sich über sie. Ein winziges Lächeln war auf dem Gesicht des schönen Mädchens zu erkennen. »Ich bin Yesta«, sagte sie träumerisch, doch dann wurden ihre Züge von Angst überschattet, und sie begann zu stöhnen. »Ben, bereite ein Sedativ vor«, bat Helena. »Meinen Glückwunsch, Doktor Russell«, sagte Sahala offensichtlich ganz aufrichtig. »Sie haben eine
bemerkenswerte Arbeit geleistet. Ich danke Ihnen für das, was Sie für meine Freundin taten.« »Sie weiß nicht, wo sie ist und wer ich bin«, bemerkte Helena. »Ein bekanntes Gesicht müßte sie beruhigen.« Vincent gab ihr das Sedativ, und sie sprach selbst auf das fiebernde Mädchen ein. »Yesta… Yesta? Schau, Sahala ist hier… Du kannst sie sehen… Yesta?« Das Kind hörte zu kämpfen auf, ihr Blick konzentrierte sich auf Sahala, die sich nun über das Bett beugte und ihren Namen rief. »Yesta!« Sahala nahm die Hand des Kindes und drückte sie. Aber das Gesicht des Kindes wurde nun von großer Angst verdunkelt. In ihrem Geist formten sich düstere Wolken. Dorzaks Gesicht hing, kaum wahrnehmbar, in den Schatten. Sein Gesicht war von tiefen Furchen der Konzentration durchzogen. Und während er nachdachte, schossen glühende rote Pfeile hypnotischer Kraft durch sie…
»Bringt sie weg!« schrie das Mädchen, als Sahala erneut versuchte, sie zu trösten. Jetzt tat sie sehr besorgt, als sie sich an Verdeschi wandte, und ein Ausdruck schmerzlichen Kummers lag auf ihrem schönen Gesicht. Die Zuschauer waren verwirrt. Sie wandte sich wieder zu Yesta um. »Yesta!« flehte sie. »Yesta, ich bin’s doch. Bitte…« Aber Yesta weigerte sich, die Kommandantin anzusehen, und schaute Helena an. »Es war böse, was wir den Psychoniern antaten. Wir hätten sie in Frieden leben lassen sollen. Wir hätten…« Sahala war entsetzt. Nun fiel ihre Schönheit von ihr ab. »Aber Yesta, hör mir doch bitte zu! Du muß ihnen sagen…« Sie schüttelte das Kind heftig.
»Bringt sie weg!« stöhnte Yesta. »Bringt sie weg! Sie hat Clea getötet!« Bestürzt beobachtete Helena die Verbindungen zum Lebenserhaltungssystem, die durch die Heftigkeit des Mädchens gefährdet waren. Sie und Vincent bemühten sich, Yesta zu beruhigen. Erschüttert sah Carter Sahala an…
Die brennenden roten Pfeile durchbohrten sie, töteten sie nahezu. Die dunklen Wolken hüllten sie ein, ertränkten alles, außer den Pfeilen. Das war zuviel. Sie glitt weg, drohte zu ertrinken.
»Ben, schnell, ein Stimulans!« rief Helena. Vincent suchte ungeschickt auf dem Tisch mit den Medikamenten. Yesta lag bewegungslos da. Ihre Atmung war nun wieder ganz flach, noch schlechter als vorher, und ihr Herzschlag war fast zum Stillstand gekommen. Ihr junges, schönes, unschuldiges Gesicht war blaß und blutleer wie Marmor. Als Vincent die Injektion bereit hatte, war Yesta tot. Verzweifelt suchte Helena Halt bei Verdeschi. Sie schüttelte den Kopf, weil sie dieses Ende nicht akzeptieren wollte. Sahala brach zusammen. Sie schluchzte, und sie wußte, daß sie von allen mit vorwurfsvollen Blicken gemustert wurde. Sie ließen sich von ihrer Schönheit nicht blenden. »Sie ist tot«, erklärte Helena wenig später. Wie versteinert starrte Verdeschi auf die am Boden liegende schluchzende Schönheit. »Aber wir wissen jetzt wenigstens, wo wir stehen«, sagte er und griff nach seinem Comlock. »Maya…?«
»Ja, Tony?« »Dorzak ist unschuldig.« Als er das sagte, stöhnte die Frau auf dem Boden.
IX
Überglücklich wandte sich Maya an Dorzak. »Ich wußte es!« rief sie; in den letzten Minuten hatte sie ihm erklärt, was mit ihrem Vater und ihr geschehen war, und sie lobte die Fairneß und Lauterkeit der Alphaner. »Wenn es dir gelingt, Dorzak aufzuwecken…«, vernahm sie Verdeschis Stimme, aber sie unterbrach ihn sofort. »Das habe ich schon getan, Tony. Gibst du mir deine Erlaubnis, ihn aus dem Kraftfeld zu entlassen?« »Ja, natürlich. Bring ihn in gemütlichere Räume, in unsere eigenen. Dorzak, wenn Sie zuhören, dann akzeptieren Sie unsere Bitte um Entschuldigung und unsere Einladung, hier unser Gast zu sein.« Dorzak und Maya sahen einander strahlend an. Sie strich mit der Hand über die Facetten der Schaltanlage und ließ damit den trennenden Vorhang herab. Dann kam sie ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Sie umarmten einander und weinten vor Glück und Erleichterung. »Dein Glaube hat uns beide erhalten«, sagte Dorzak bewegt. »Es ist so herrlich, dich zu sehen!« rief Maya und weinte vor Freude.
In düsterer Stimmung ging Carter zum Technischen Labor. Verdeschi hatte ihm den Auftrag erteilt, das winzige goldene Gerät, das Helena aus Yestas Kopf geholt hatte, testen zu lassen. Aber Verdeschi hielt ihn noch einmal auf. »Sie hat also doch gelogen«, sagte er.
»Offensichtlich«, gab Carter zögernd zu. »Sie hat von der Macht gesprochen, die Dorzaks Geist über andere ausübt. Vielleicht ist es ihr Geist, der andere unterdrückt. Wenn ich dir also einen Rat geben darf…« »Ich soll mich von ihr fernhalten, das meinst du doch?« Verdeschi nickte. »Vielleicht halte ich mich an deinen Rat«, erwiderte er unglücklich. Im Technischen Labor fand er Ed Malcolm, einen der Techniker. Malcolm machte gerade Notizen. »Ich möchte, daß du das testest, Ed«, sagte er und hielt ihm das goldene Kügelchen entgegen. Malcolm kniff die Augen zusammen. »Eben habe ich den Zwilling untersucht. Auftrag von Dr. Russell. Gerade habe ich meinen Bericht fertig.« »Wie wär’s, wenn du mich wissen ließest, was du gefunden hast?« Das tat Malcolm nur allzu gern. Er hatte kaum jemals einen Besucher. Er führte Carter also zu seiner Werkbank, auf der viele Apparate und einiges Schneidewerkzeug herumstand. Er nahm die Zwillingskugel auf. »Das ist ein neuro-pulsonischer Störer. Er stammt aus Yestas Kopf.« »Und du meinst, er sei absichtlich in Yestas Kopf eingepflanzt worden?« »Ich weiß nicht, aus welcher Gehirnregion Doktor Russell das Ding herausgeholt hat, sie hat es mir nur gegeben. Aber es ist jedenfalls merkwürdig. So etwas habe ich noch nie vorher gesehen.« Carter musterte das Kügelchen. »Und was soll es stören? Hast du da eine Ahnung?« Malcolm berührte einen der Knöpfe an einem Monitor neben sich. Eine Reihe pulsierender elektrischer Wellen erschien auf
dem Schirm. »Schau mal, das hier sind organische Psychowellen«, erklärte er. »Und was soll das heißen, Professor?« wollte Carter wissen. »Das sind elektrische Impulse, die mit extrasensorischer Wahrnehmung verbunden sind.« »Du meinst also, wenn ich mein Gehirn dazu benutze, dir eine Botschaft zu schicken, dann sieht das ungefähr so aus?« »Richtig.« »Und wenn du nicht dem Befehl widerstehen kannst, den ich deinem Gehirn übermittle…« Er musterte nachdenklich das winzige Gerät. »Du könntest also, wenn du ein solches Ding in deinem Kopf hast, meine Botschaft oder meinen Befehl stören…« Ein schrecklicher Gedanke schoß nun durch seinen Kopf. »Genau«, pflichtete ihm Malcolm nachdrücklich bei. Carter deutete auf den Monitor. »Haben deine Sensoren solche organische Psychowellen heute aufgefangen?« Malcolm war sehr verblüfft. »Ja. Ja, ganz bestimmt. Wenn ich mir so überlege…« Aber Carter hörte das gar nicht mehr, er war schon verschwunden.
Vor Dorzak stand eine Menge Lebensmittel – Obst, Salate, gekochtes Essen, Flaschen und Packungen. Maya hatte ihn in ihre Räume mitgenommen und versorgte ihn mit allen Köstlichkeiten der Mondbasis. Schließlich kam sie mit einem weiteren Tablett. »Einige der gastronomischen Annehmlichkeiten von Alpha«, erklärte sie ihm. Dorzak sah Maya fragend an, als er ihre Erklärung anhörte, »Erstens, piments doux en salade, zweitens, roter und grüner Paprika, schwarze Oliven, Petersilie mit Salz, Olivenöl und etwas Knoblauch.« Sie deutete auf das erste Gericht. »Das ist rekonstituiertes Protein, aber man ist hier unermüdlich bemüht,
Textur und Geschmack irdischer Nahrung vollkommen zu treffen.« Einen Teller mit hors d’oeuvres musterte Dorzak ein wenig neugierig und sehr mißtrauisch. »Das schmeckt herrlich. Wenn man in Rom ist, muß man wie die Römer… Ah, entschuldige, du kennst diesen Ausdruck ja nicht«, meinte sie lächelnd, als sie seine verständnislose Miene sah. »Du bist sehr irdisch geworden, Maya«, stellte er fest. »Ich weiß es.« Er aß etwas Salat. »Du mußt mir einiges über die Technik der molekularen Transformation sagen. Du kennst sie doch genau, nicht wahr?« »Ja, ich beherrsche sie.« Wenigstens in dieser Beziehung hatte sie ihren alten Lehrer übertroffen, und darauf war sie mächtig stolz. »Natürlich mit der Hilfe meines Vaters«, ergänzte sie. »Und was ist mit deinen Freunden auf Alpha? Hast du ihnen diese Technik beigebracht?« »Nur Psychonier haben die einzigartige molekulare Struktur, die eine Transformation ermöglicht.« Er nickte lächelnd. »Dann mußt du sie mich lehren. Weißt du… Ah, diese Olive hier ist gar nicht schlecht.« Während er noch sprach, verwandelte sich Maya vor ihm. Erst wurde sie zu einer Maus, dann zu einem Zebra. Er klatschte Beifall. »Gut, gut! Und was noch, Maya?« Sie wurde ein Gorilla, und da lachte er schallend. »Maya, du bist einfach in jeder Beziehung großartig!« Sie wurde wieder sie selbst. »Nein, Dorzak. Du bist großartig. Mir gelang nur diese Kleinigkeit.« »Trotzdem mußt du mich das Prinzip lehren«, bat er. Der Monitor unterbrach sie. Verdeschis Gesicht erschien auf dem Schirm. »Maya, bitte, sofort ins Lazarett.« Sie runzelte die Brauen. »Bin gleich dort, Tony.«
Sein Bild verblaßte, und als sie ging, riet sie Dorzak: »Übe dein Gehirn, indem du über das Problem nachdenkst, für meine Alpha-Freunde einen bewohnbaren Planeten zu finden, und dann werde ich dich die molekulare Transformation lehren.« Dazu lächelte sie. Als sie gegangen war, lehnte sich Dorzak zurück. Seine Miene veränderte sich.
»Hier ist es, in der Hautfalte hinter dem Ohr«, erklärte Helena und deutete auf das winzige Implantat auf dem Röntgenbild von Sahalas Kopf. »Eine ganz einfache Operation. Du könntest sie in Minuten machen.« Die Crotonerin lag auf einem Bettwagen vor ihnen, und Helena zeigte Carter und Verdeschi die Stelle. Sahala hatte die Augen offen. Hoffnungsvoll schaute sie Carter an. Sie hatte ihre alte, erstaunliche Schönheit wiedergefunden. Er lächelte sie aufmunternd an. Maya trat ein und blieb stehen, als sie Sahala sah. Sie erstarrte. »Tony…«, begann sie, doch Verdeschi hob die Hand. Dann winkte er sie heran, und sie gehorchte zögernd. Er zeigte ihr einen der winzigen Störer. »Das ist ein neuropulsonischer Störer«, sagte er. »Ich weiß«, antwortete sie. »Das Ding soll elektrische Wellen stören oder ablenken – unter anderem.« »So auch Hypno-Suggestion«, warf Carter ein. Sie runzelte die Brauen. Hier schien es eine völlig neue Entwicklung zu geben. »He, was soll das?« fragte sie. »Unsere Sensoren nahmen eine hypno-suggestive Übertragung auf um genau dreizehn Uhr zwanzig Minuten«, erklärte ihr Helena. »Es war die Zeit, als du Dorzak aus der Stasis holtest.«
»Und sie hörte unmittelbar nach Yestas Tod auf«, fügte Carter hinzu. Die Art, wie man Maya damit konfrontierte, gefiel ihm gar nicht. Maya wandte sich hitzig an Sahala. »Sie beschuldigt Dorzak wegen der Übertragung dieser Impulse?« fragte sie. Helena schluckte. »Leider, ja. Die Crotoner entwickelten diese winzigen Geräte, um Psychowellen zu stören, ehe sie vom Gehirn empfangen werden konnten.« »Wenn dies wahr ist«, erwiderte Maya bestürzt, »warum waren dann auch Clea und Yesta davon betroffen?« »Clea liebte Dorzak«, schnurrte Sahala im Ton der Trauer, »und entfernte das einzige Ding, das sie vor seiner Macht hätte schützen können.« »Yesta war mein Fehler«, gab Helena zu. »Ich nahm das Gerät aus ihrem Gehirn, weil ich den Zweck nicht kannte. Dann war er in der Lage, sie erzählen zu lassen, was wir hören sollten.« Maya schüttelte den Kopf. Ihr Glück entglitt ihr. Ihr letzter, endgültig letzter Kontakt mit Psychon schwand dahin. »Das ist ein billiger Trick!« wandte sie ein. »Wie können wir das Risiko eingehen, von ihr betrogen zu werden?« Verdeschi legte einen Arm um ihre Schultern. »Wir können auch das Risiko nicht eingehen, daß Dorzak uns einen Streich spielt«, sagte er leise. »Wenn er aus der Stasis heraus Geister kontrollieren kann, dann kann er uns im Wachzustand völlig übernehmen.« »Maya, wir könnten in entsetzlicher Gefahr sein«, hielt ihr Helena vor. Maya ahnte, daß man ihr einen Vorschlag machen würde, und panische Angst packte sie. »Er hat nur über Sahala keine Kontrolle«, sagte Carter.
Die schöne Frau trat eifrig vor. »Ja, ich kann sogar ihn kontrollieren, wenn wir uns beeilen«, drängte sie. »Gebt mir eine Waffe. Ich mache ihn wieder zum Gefangenen.« Verdeschi spannte sich sichtlich. Maya wandte sich entsetzt an ihn. »Tony, du kannst ihr doch keine Waffe geben!« »Die Absicht habe ich auch gar nicht.« Er überlegte und wandte sich schließlich an den Posten. »Bring sie zurück in ihren Gewahrsam.« Sahala klammerte sich an Carter. Er nickte. »Es wird schon schiefgehen. Gehen Sie nur mit, Sahala.« Wie ein verängstigtes Tier ließ sie sich abführen. Als sie gegangen war, überlegte Verdeschi laut. »Es gibt eine Möglichkeit, die Wahrheit zu erfahren. Wenn Sahala und Dorzak miteinander allein sind, liegen alle Karten auf dem Tisch…« Er warf Maya einen scharfen Blick zu. Maya schaute von einem zum anderen. Sie ahnte natürlich, was man von ihr erwartet. Aber sie kämpfte dagegen an. Für sie war dies ein ungeheuerlicher Gedanke, denn sie hatte doch eben erst begonnen, Dorzak neues Vertrauen einzuflößen. Endlich gab sie sich geschlagen. Im Licht der neuen Beweise und der offensichtlichen Trauer ihrer Freunde von Alpha war es besser, Dorzak noch einmal zu täuschen – der Sicherheit aller anderen wegen. »Na, schön«, sagte sie endlich. »Gut.« Verdeschi tätschelte ihr anerkennend den Rücken. »Ich wußte doch, daß du’s tun würdest.« Sie konzentrierte sich. Ihr Körper wurde zu der bekannten Lichtspindel, die den Transformationen voranging. Nur zögernd entwickelte sich aus der Spindel Sahalas Gestalt, das himmlisch schöne Gesicht, die makellose Figur; sie wurde zu jenem Wesen, das so leidenschaftliche Gefühle bei Carter und so viel Ablehnung bei ihr hervorgerufen hatte.
»Du mußt aber sehr vorsichtig sein«, mahnte Helena sie besorgt. »Wenn er auch nur vermutet…« »Ich bin schon vorsichtig«, versprach Maya/Sahala und nahm den Laser, den Verdeschi ihr reichte. »Okay, und jetzt gehen wir.« Helena ging voran, Maya drückte ihr die Waffe zwischen die Rippen. Als sie den Raum verlassen hatten, drückte Verdeschi den roten Alarmknopf. Dann rannte er zum Wandmonitor und sprach zur ganzen Basis. »Achtung, Achtung! Sahala, die Frau aus Croton, ist aus ihrem Gewahrsam ausgebrochen!« Die Stimme dröhnte die Korridore entlang, als der Alarm schrillte. »Sie bedroht Dr. Russell mit der Waffe…« Nun mußte er irgendwohin gelangen, wo er den Ablauf dieser Sache besser überblicken konnte, und machte sich auf den Weg zur Kommandozentrale. Dort waren die Leute sehr erstaunt und bestürmten ihn mit Fragen. Er überhörte sie alle und eilte zu seiner Konsole. »Die Croton-Frau ist derzeit im Abschnitt L und unterwegs zu ihrem Schiff«, fuhr er mit seiner Meldung fort. »Niemand, ich betone ausdrücklich, niemand darf versuchen, sie aufzuhalten.« Er hatte noch kaum zu Ende gesprochen, als Dorzak eintrat. Er schien ernstlich besorgt zu sein. Diese Ratte lief, wenn er eine war, also direkt in die Falle. Er näherte sich der Kommandantenkonsole. »Kann ich irgendwie helfen?« fragte er mit der Miene größter Aufrichtigkeit. »Danke sehr«, erwiderte Verdeschi höflich. »Falls jemand meinetwegen irgendeine Verletzung erleiden sollte…«, fuhr der Mann aus Psychon fort, und Verdeschi wußte plötzlich sehr genau, daß sie es im Spiel mit Dorzak nicht leicht haben würden, die Wahrheit herauszufinden. Er sah Carter hereinkommen. »Sag mal, wie konnte das eigentlich passieren?« fragte er ihn.
Carter spielte vorzüglich den unglücklich Verlegenen. »Ich weiß selbst nicht…« Er zuckte die Achseln und breitete die Hände zu einer hilflosen Geste aus. »Diese verdammte Unfähigkeit!« polterte Verdeschi los. Dorzak war diesem Kreuzfeuer voll Aufmerksamkeit gefolgt, und er schien ehrlich betroffen zu sein. »Sagen Sie doch Sahala, daß Sie mich gegen Doktor Russell austauschen werden. Das ist es doch, was sie will.« Die beiden Alphaner schauten erst ihn, dann einander an. Verdeschi beruhigte sich angeblich. »Daran dachte ich auch schon flüchtig«, meinte er und strich sich über das Kinn, als denke er ernstlich darüber nach. Er bediente seine Instrumente und brachte ein Bild von Sahala und Helena auf den Konsolenmonitor. Der Psychonier beugte sich vorwärts und musterte aufmerksam die beiden Frauen. Helena ging reichlich hölzern und mit ausdruckslosem Gesicht den Korridor zu den Reisetunnels entlang. Ihr folgte Sahala/Maya mit dem Laser in Helenas Rücken. Zwei Alphaner, die neben der Tunneltür auf Posten standen, konnten die Entführung dem Befehl entsprechend ja nicht verhindern. Sie schienen unbeweglich zu sein, als die Frau, die Sahala zu sein schien, Helena zwang, die Türen zu öffnen. Beide gingen hinein, die Türen schlossen sich hinter ihnen. »Sie sind unterwegs zum Croton-Schiff!« rief Yasko von ihrer Konsole her. »Tony, du mußt Dorzak zurückbringen!« drängte sie. Verdeschi spielte Unentschlossenheit und wartete auf die nächste Szene. Er schaltete den Monitor ab, lief auf und ab, ließ dabei Dorzak ebensowenig aus den Augen wie dieser ihn, und die Alphaner sahen gespannt zu. Der Monitor meldete sich wieder, und er lief darauf zu. Sahalas schönes Gesicht erschien auf dem Schirm. Oder das Gesicht sah wenigstens aus wie das Sahalas. Verdeschi überlegte selbst-ironisch, daß die echte
Sahala vielleicht dem Gewahrsam entwischt sein könnte und nun ihren eigenen Plänen folgte. »Ich habe eine Forderung zu stellen, Mr. Verdeschi«, sagte sie, und ihre langen Wimpern flatterten verführerisch. Verdeschi nahm sein Stichwort auf. »Dorzak für Dr. Russell.« »Richtig«, flötete die Schönheit. Sie war also doch Mayas Transmutation! »Und falls Dorzak Sie zum Zögern veranlassen sollte, darf ich Sie daran erinnern, daß alles Leben auf Alpha vernichtet wird, wenn ich den Photonen-Antrieb zünde, ehe ich klar über Alpha bin?« »Ich dachte doch, Crotoner würden nicht töten!« wandte Yasko’ hitzig ein. Sie schien das sehr ernst zu nehmen. »Ah, diese Sprache scheinen Sie also zu verstehen«, erwiderte Sahala anzüglich. »Ich erwarte den Psychonier sofort.« Der Schirm wurde dunkel, und alle schauten Dorzak an. »Es tut mir leid, Dorzak«, sagte Verdeschi voll Bedauern. »Ich muß wohl auf ihren Vorschlag eingehen – es geht um unsere Leute und unser Heim.« Der Mann von Psychon nickte ernst. Seine Augen blickten düster, doch sie drückten sonst kein Gefühl aus. Die Tatsache galt, daß er sich selbst angeboten hatte, für Helena ausgetauscht zu werden. Nur daraus ließen sich Schlüsse ziehen. Langsam verließ er den Raum. Verdeschi und Carter folgten ihm, und sie winkten den anderen zu, sie sollten sich ruhig verhalten. Wenig später hatten sie den Reisetunnel erreicht, und dann standen sie unter den offenen Türen zum Hangar der Eagles. Sahala/Maya und Helena warteten an der Plattform, die zum Einstieg des riesigen Croton-Schiffes führte. Als die Kommandantin Dorzak sah, winkte sie ihn mit der Waffe
heran, und er gehorchte. Kaum hatte sie ihn in Reichweite ihrer Waffe, da nickte sie Helena zu, und diese sprang sofort auf. Sichtlich erleichtert ging sie hinüber zu ihren Kollegen. »Danke sehr, Mr. Verdeschi«, sagte die Kommandantin liebenswürdig und schob Dorzak die Plattform entlang und hinein ins Schiff.
»Es ist doch absurd, daß wir miteinander Krieg führen sollen!« rief Dorzak voll Bitterkeit, aber Maya/Sahala freute sich über die mutige und würdige Geisteshaltung ihres Landsmannes. »Für euch Psychonier scheint Krieg doch etwas Natürliches zu sein«, entgegnete sie. Ihre betrügerische Rolle spielte sie überaus ungern. Mit der Waffe bedeutete sie ihm, zur Stasiskammer weiterzugehen. »So weit von Norvah entfernt sehe ich die Dinge schärfer«, erklärte ihr sehr intelligent und vernünftig ihr geliebter Dorzak. »Ihr Crotoner seid in wesentlich größerer Gefahr durch euch selbst als durch die Psychonier.« Sie zweifelte nicht daran, daß Dorzak echt war. »Ihr seid für uns keine Gefahr mehr«, erwiderte sie erbarmungslos. »Aber eure Zivilisation – sie wurde geschwächt durch eure Selbstzufriedenheit!« meinte er voll Ehrlichkeit. »Psychonier sind gestählt durch ihren Kampf ums Überleben.« Sie drängte ihn in die Kammer und war entschlossen, ihn schon ihretwegen genau zu testen. Sie wußte, daß Verdeschi und Carter bereitstanden. Ihr blieb also nicht viel Zeit. »Meinen Geist kannst du dir nicht so unterwerfen, wie du dir Yesta Untertan machtest«, sagte sie so stolz wie es ihr möglich war. Dorzak setzte sich auf seine Couch. Er schien bereit zu sein, wieder in Stasis zu gehen. »Eure Zivilisation mag Äonen alt sein«, hielt er ihr vor, »aber ursprünglich beruhte sie auf
militärischer Überlegenheit. Nur wenn die erreicht war, konnte der Luxus der Kultur gezüchtet werden.« »Diese Waffe steht auf Töten. Leg dich hin«, sagte sie. Er legte sich gehorsam auf die Couch, und ihr tat das Herz weh. Solch ein Mann, solch ein prachtvoller Psychonier, sollte nie gezwungen werden dürfen, eine solche Demütigung hinzunehmen. Aber er schien sogar ihren Befehl voll Ruhe zu akzeptieren. Ihr Entschluß, ihn zu betrügen, wurde ein wenig unsicher. »Wie ist es dir gelungen, dir Yesta zu unterwerfen?« fragte sie daher. Er sah sie scharf an. »Das müßtest du doch wissen, Sahala. Du, gerade du solltest es wissen.« Sie zitterte. Er setzte sich auf und sah ihr tief in die Augen. »Warum zitterst du, Sahala?« fragte er. »Ich zittere nicht«, erwiderte sie, aber es war zu spät. Seine Augen hatten sie schon in ihrem Bann. »Fürchtest du mich plötzlich?« fragte er. »Sahala hätte keine Angst vor mir.« Zitternd hielt sie die Waffe weiter auf ihn gerichtet und griff in ihre Tasche, um den Staser der echten Sahala herauszunehmen. Dorzak beobachtete sie interessiert. »Und weißt du auch, weshalb du dich vor mir fürchtest?« Er stand auf. In seinen Augen glühte Triumph. Sein zwingender Blick hinderte sie daran, den Staser richtig anzuwenden. Er legte ihr fest den Arm um die Schulter und drückte sie auf die Couch. »Du hast Angst vor mir, weil, weil du nicht Sahala bist. Du bist…« Er saß neben ihr und schaute ihr in die Augen. Im Griff ihres Lehrers war sie hilflos. »Du bist Maya«, sagte er. Es gelang ihr nicht, weiter in Sahalas Gestalt zu bleiben, und sie kehrte zu ihrer eigenen zurück. Tränen standen in ihren Augen, doch er sah sie zärtlich.
»Du hast mich getäuscht. Warum?« fragte er. Sie vermochte nicht zu antworten. Ihre Loyalität kämpfte mit ihrer Scham und dem Bewußtsein, versagt zu haben.
X
Ungeheure Scham und Verzweiflung überkamen Maya, als ihr klar wurde, daß Dorzak so kriminell und gefährlich war, wie Sahala gesagt hatte. Sie schämte sich nicht ihretwegen, sondern für ihre ganze Rasse. »Hat die Natur der Psychonier einen solchen Fehler, daß sie uns alle zu Monstern macht?« rief sie. »Mein Vater… und jetzt du?« Dorzak hielt sie in den Armen, als sie weinte. »Philosophie gewinnt einem Volk keinen Lebensraum«, versuchte er ihr zu erklären. »Es ist der Kampf ums Überleben, der aus uns allen Ungeheuer macht.« »Aber die Alphaner sind durch ihren Kampf nicht verdorben worden«, wandte sie ein. Sie konnte seine Arme nicht mehr ertragen und entzog sich ihm. »Sie sind ein pathetisches Beispiel eines lange hinausgezogenen Prozesses des Aussterbens«, erklärte er ziemlich überheblich. »Ohne deine Hilfe als Psychonierin wären sie schon ein Dutzend Tode gestorben.« »Sie haben mich gerettet!« rief sie zornig. »Von unserem dem Untergang geweihten Planeten!« Dorzak seufzte, als falle es ihm schwer, es ihr richtig zu erklären. »Maya, du bist ein Kind, aber ein Kind, das mir ausgezeichnete Dienste leisten kann.« Sie fühlte seine Betrugsabsicht und war angewidert, obwohl an ihren Gefühlen für ihn als ihrem Landsmann nicht zu zweifeln war. »Ich weigere mich«, entgegnete sie und funkelte ihn böse an.
Er lachte nur. »Dann muß ich also Sahala unter meinen Willen zwingen, denn nur Crotoner können ihre eigenen Raumschiffe fliegen. Also muß Dr. Russell diesen neuropulsonischen Störer entfernen.« Maya wollte sich zur Flucht wenden, doch ehe sie die Tür erreichte, fühlte sie, wie sein Geist sich in den ihren bohrte. Ihr Geist vernebelte sich, und sie schien sich nicht mehr konzentrieren zu können. »Ich befehle dir, mir dein Wissen über die molekulare Transformation zukommen zu lassen«, gebot er. Langsam trat er hinter sie und zog sie zu sich herum, so daß seine Augen alles aus ihr heraussogen – ihre Vergangenheit, ihre Träume, ihre Gedanken, ihr Wissen – alles.
Helena stieg ungeduldig die Plattform hinauf. »Es ist schon zuviel Zeit vergangen«, stellte sie fest. »Das stimmt«, gab Carter zu. Auch er war nervös. Verdeschi beruhigte sie und bedeutete den beiden Posten, sie sollten ihm folgen. Er ging voran ins Schiff. Alles hing nun von Maya ab, sie mußte der endgültige Test sein. Mit schußbereiten Waffen stürmten sie in den großen Wohnraum. Die Gestalt, die sie für Maya hielten, kam ihnen aus dem Stasisraum entgegen. Sie wirkte sehr unglücklich. »Ich habe mich getäuscht«, sagte sie. »Sehr getäuscht.« Sie schüttelte den Kopf und schien sich sehr elend zu fühlen. Verdeschi hatte Angst um sie. Er hielt sie fest. »Fühlst du dich auch wohl?« fragte er und schaute sich im Raum um. »Nicht besonders. Aber es ist auch schwer zu glauben, was ich von ihm selbst hörte. Er ist nicht der Dorzak, den ich kannte.« Der Sicherheitschef warf Carter und Helena einen wissenden Blick zu. Das Resultat war also sehr aufschlußreich. »Ich gehe jetzt und sage es Sahala«, kündigte er an und begab sich zur
Tür. Verdeschi lachte plötzlich. »Sag ihr, sie kann ihr Schiff zurückhaben. Und ich möchte, daß sie so schnell wie möglich von Alpha verschwindet.« Er wandte sich wieder zu Maya um. Sie zitterte. »Ich hatte solche Angst.« Helena legte einen tröstenden Arm um ihre Schultern. »Er ist sicher in Stasis… Du brauchst keine Angst mehr zu haben, Maya.« Verdeschi überlegte einen Augenblick. »Ich weiß, was dich aufheitern wird. Wie wär’s mit einem Bier? Ich habe eben frisches fertig… Und du weißt ja, daß mein Bier dich immer aufheitert.« Seine Künste als Bierbrauer wurden nicht allgemein so geschätzt wie von Maya. »Ja, ich hätte gerne Bier«, antwortete sie lächelnd. »Komm, gehen wir.« Er wollte sie mitziehen. Sie stemmte sich dagegen, und ihr Blick war wieder ernst. »Ein bißchen später, Tony. Ich möchte mich erst bei Sahala entschuldigen.« »Nun ja, wenn du mußt… Ich warte jedenfalls auf dich. Helena, wir gehen inzwischen.« Aber Helena wurde plötzlich von einer betäubenden Schwäche im Geist befallen. Sie kämpfte erbittert, aber ein Wesen hinter ihr nahm sie in Besitz. Für Verdeschi schien sie nur die Brauen zu runzeln. »Du gehst voran, Tony«, antwortete sie. »Ich will diese Stasisprozedur studieren.« Er zuckte die Achseln und war offensichtlich enttäuscht. »Okay, Helena.« Kopfschüttelnd ging er. Die zwei Posten folgten ihm. Die Marionette Helena wandte sich an die angebliche Maya. Die Psychonierin erklärte ihr leise und bestimmt: »Ich will, daß du für mich eine Operation ausführst, Doktor.« Die Marionette nickte gehorsam. »Ja, Dorzak«, erwiderte sie.
Erleichtert und außerordentlich vergnügt verließ Sahala ihren Arrestraum, in dem sie die letzten Stunden in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung verbracht hatte. »Dann kann ich also auf mein Schiff gehen?« fragte sie Carter. Er nickte. »Maya hat ihn erwischt. Er dachte, er spräche mit… Ihnen. Und da kam die Wahrheit heraus.« Sie hielt ihn fest und legte ihm die Arme um den Hals. Der arme Eagle-Pilot fühlte sich ganz schwach, als er ihr zauberhaftes Gesicht vor sich sah. »Wie kann ich dir danken?« flüsterte sie. Carter schmolz dahin. »Wie kannst du uns verzeihen, daß wir an dir gezweifelt haben?« »Nicht sprechen.« Sie küßte ihn voll Zärtlichkeit und Leidenschaft. Ehe er aber die Situation ausnützen konnte, war sie gegangen, und er schlenderte den Korridor entlang und schaute ihr sehnsüchtig nach.
»Helena, ich habe die Berichte, die du haben wolltest.« Vincent stand auf, als eine Gestalt, die absolut seiner Vorgesetzten glich, das Lazarett betrat. Er war ziemlich verdutzt, als sie an ihm vorbeiging, ohne ihn auch nur anzuschauen. Aus einem Schrank nahm sie einen chirurgischen Bestecksatz, suchte anderes Material und etliche Medikamente zusammen und ging wieder. Ben hängte sich sofort an den Monitor. »Ja, Ben?« fragte der Italiener. Er sah nun entspannter aus. »Helena war eben hier.« »Ist ja auch ihre Abteilung, oder?« meinte er. Vincent überhörte den Spott und erzählte ihm genau, was er gesehen hatte.
»Es ist wirklich eine Beruhigung, ihn wieder sicher in Stasis zu sehen«, erklärte Sahala, als sie und Carter durch den orangefarbenen Lichtschild spähten, der sie von dem trennte, das wie Dorzak aussah. »Fühlt euch nur nicht allzu sicher«, riet ihnen eine bekannte Stimme. Beide wirbelten herum. »Dorzak!« rief Carter entgeistert. Er versuchte einen Laser zu ziehen, aber der despotische Psychonier war schneller. Die grausamen Augen bohrten sich in die seinen, und bereitwillig übergab er die Waffe. »Und jetzt, Mr. Carter, werden Sie bitte in die Stasiskammer gehen.« Er richtete die Waffe auf Sahala. Wie auf Holzbeinen stelzte Carter hinein, als Dorzak das Kraftfeld aktivierte. Gehorsam setzte sich Carter auf die Couch neben einen anderen Dorzak, doch er ahnte natürlich nicht, welcher Dorzak nun der richtige war und welcher Maya. Dorzak reaktivierte das Kraftfeld und widmete sich wieder Sahala. Er lächelte höflich. »Verzeih mir, daß ich dich mit der Waffe in Schach halte, Sahala«, sagte er, »aber ich kann deinen Geist nicht erreichen, solange dieses Ding nicht aus deinem Kopf entfernt ist.« Erwartungsvoll schaute er zu den Türen des Wohnbereichs. Sie schoben sich auf; Helena erschien mit einem Instrumententablett. »Ah, Doktor Russell!« Er ging ihr entgegen und drehte sich wieder zu Sahala um. »Bitte bereite dich auf die Operation vor, die Doktor Russell nun an dir vornehmen wird.« Sahalas schöne Augen blitzten, und sie rannte zur offenen Tür. Dorzak fing sie ab und überwältigte sie. »Doktor Russell, Ihre Patientin ist bereit.« Er schleppte Sahala zur Couch und legte sie darauf. Helena kam mit ihrem Tablett, stellte es ab und bereitete mit marionettenhaften Bewegungen eine Injektion vor. Die Crotonerin wehrte sich
gegen die Spritze, doch die starke Droge brach ihren Widerstand sofort. Kaum hatte Helena die Nadel zurückgezogen, als die Tür aufging und Verdeschi hereinkam. Mit einem Blick erfaßte er die Szene. Er hob seine Waffe, um zu schießen. Dorzak schaute nicht einmal auf, als er seine telepatische Hypnose auf den Italiener wirken ließ. »Mr. Verdeschi, geben Sie mir bitte Ihre Waffe«, befahl er ruhig. Verdeschi schien ebenso hilflos zu sein wie die Frauen, torkelte vorwärts und hielt ihm die Waffe hin, aber mit einer blitzschnellen Bewegung schlug er dem Psychonier die Laserwaffe aus der Hand. Das war ein Schock für Dorzak. Verdutzt schaute er Verdeschi an. Dann versuchte er zur Tür zu gelangen. Der Sicherheitschef hob die Waffe und schoß. Der riesige Mann, der echte Dorzak und Verbrecher, brach in einem Strahl sengenden Lichtes zusammen.
»Aber wie hast du das geschafft?« wollte Carter von Verdeschi wissen, als sie vom Croton-Schiff zur Kommandozentrale zurückkehrten. Verdeschi und Maya gingen Arm in Arm. Er und Helena liefen dem glücklichen Paar voran. Sie hatten Sahala mit zwei Posten zurückgelassen, damit sie nicht allein war, bis sie aus der Narkose erwachte. Verdeschi lachte von einem Ohr zum anderen und lüftete sein Geheimnis vorläufig nicht. Aber nun war zu erkennen, daß sein Lachen doch etwas gezwungen wirkte, als leide er unter einem Schmerz. Helena blieb abrupt stehen. »Okay«, sagte Verdeschi. »Du hast dir’s verdient.« Er wandte ihr die eine Kopfseite zu und deutete auf ein kleines Pflaster hinter seinem linken Ohr. »Siehst du?«
Alle musterten das Pflaster aufmerksam. »Das kannst du noch nicht…« flüsterte Carter ehrfurchtsvoll. »Nun ja, ich bin… Du mußt das Ding ohne Narkose eingesetzt haben, weil es gar so schnell ging.« Allmählich dämmerte es Maya und Helena, was geschehen war. »Tony, das kannst du doch nicht getan haben!« rief Maya entsetzt. »Wie kannst du nur eines von diesen Dingern einfach so…« »Was hätte ich sonst tun können?« fragte er, noch immer lachend. »Es war doch die einzige Möglichkeit, Dorzaks Gedankenwellen zu blockieren.« »Aber wie wußtest du, daß Dorzak in meiner Gestalt war?« fragte Maya. »Ben sah Helena, als sie das Tablett im Lazarett zusammenstellte, und er meinte, sie sähe ziemlich marionettenhaft aus. Ich wollte also kein Risiko eingehen. Au, mein Kopf!« Er schnitt eine schmerzliche Grimasse. »Und du gehst jetzt sofort mit ins Lazarett, mein Lieber«, befahl ihm Helena streng. »Ben hatte kein Recht, dich so zu operieren. Warte nur, bis er mir in die Finger kommt!« Maya und Carter lachten amüsiert, als sie den Korridor entlangmarschierten. Aber sie hatten noch nicht ganz das Lazarett erreicht, als ihnen eine Gruppe Alphaner begegnete, die heftig gestikulierten und stritten. Sie schienen Meinungsverschiedenheiten über eine Arbeit auszutragen. Es waren dies Sandor, der Schweißer, und seine Anhänger, auf deren rebellische Art sie schon seit einiger Zeit ein wachsames Auge hatten. Die Rebellion schien ansteckend zu sein und nun gleichzeitig an verschiedenen Stellen aufzuflackern.
XI
Hohe, schlanke, pappelähnliche Bäume standen auf den quadratischen Feldern maisähnlicher Pflanzen in einer grünen Parklandschaft. Duftige weiße Wolken trieben über den eisblauen Himmel. Von irgendwoher kam die Wärme einer gelben Sonne, die ihr Licht auf die makellose Dadaistenformen einer futuristischen Landschaft warf. Die Luft war rein und frisch. Es war ein herrlicher Frühlingstag, doch er war von einer sonderbaren Stille überschattet, einer tödlichen Stille, die Koenig gar nicht gefiel. Dieser Ort sagte ihm rein gefühlsmäßig nicht zu. Er schaute mit Blake Maine, seinem Arzt-Piloten, von der Landeplattform des Eagle Fünf aus auf die Sonne, die daran schuld war, denn sie hatte etwa fünfzehn Kinder, und die ganze Familie war auf Kollisionskurs mit Alpha. Oder, genau gesagt, die Raumverwerfung hatte Alpha auf diesen Kurs geschleudert. Er und Maine hatten sich zu einer Expedition aufgemacht, um Alphas neue Nachbarsterne zu karthographieren. Sie blieben auf dem gleichen Kurs wie der Ausreißermond, und da entdeckte er sehr bald, daß sie mit hoher Geschwindigkeit direkt in dieses Sonnensystem rasten. Es dauerte nicht lange, bis sie festgestellt hatten, daß der Stern selbst in sicherer Entfernung am Mond vorbeiziehen würde, aber einer der äußeren Planeten, vergleichbar in der Größe etwa dem Planeten Pluto des Sonnensystems, in sehr ungemütliche Nähe kommen müßte. Hatte der Mond Glück, dann verpaßte er den Zusammenstoß um ein paar hundert Meilen, doch die Kollision war viel wahrscheinlicher.
Sofort hatte er Alpha gewarnt und die Mission abgebrochen. Er und Maine waren schon auf dem Rückweg zur Basis, als sie verzweifelte Hilferufe auffingen, die von irgendwoher aus dem Planetensystem dieser Sonne stammten. Sie schwankten zwischen der Entscheidung, nach Alpha zurückzukehren, wo man sie dringend brauchte, oder ihre Mission weiterzuführen; sie entschlossen sich zum Versuch einer Hilfeleistung, da sie selbst auch vielleicht einmal Hilfe brauchten, um Unheil vom Mond abzuwenden. Natürlich hatten sie ständigen Radio- und Fernsehkontakt mit dem Mond, als sie ihre Reise fortsetzten. Den Planeten, von dem der Hilferuf ausging, hatten sie bald entdeckt, und sie landeten. Seit ihrer Ankunft hatte der Hilferuf jedoch auf geheimnisvolle Art aufgehört. Hier war, und das war noch unverständlicher, kein Anzeichen dafür vorhanden, daß es hier Leben gab. Bei der Annäherung hatte das System der Lebensformsensoren im Schiff ein ganz schwaches Signal eines erlöschenden Lebens aufgefangen, dann aber nichts mehr. Doch überall um ihren Landplatz sahen sie die Beweise dafür, daß es bis vor kurzem hier Leben gegeben hatte. Zwischen zwei sanften Hügeln lag eine merkwürdige Stadt. Alles war still, nicht einmal ein Vogel sang, und kein Luftzug spielte in den nahen Pappeln. Vor ihnen stand ein kleines, rechteckiges Objekt, das kaum höher und breiter war als der Eagle. Es ruhte auf einem runden Podest aus poliertem schwarzem Material und bestand aus bläulichem, durchsichtigem Glas, das sonderbarerweise lebendig zu sein schien. Und schließlich fanden sie auch den Hinweis für eine Erklärung dieser Stille. Nicht weit von ihnen entfernt lagen in wahllos aufgetürmten Haufen die Leichen zahlreicher humanoider Kreaturen.
Sie trugen bunte, einteilige Anzüge, die mit schwarzen und blauen blitzähnlichen Mustern verziert waren. Ihr Tod schien schmerzhaft gewesen zu sein, denn die Körper waren verzerrt, die Gesichter zu Masken großer Pein verzogen. Koenig zögerte. Sollten sie nun einfach wieder starten und sich nicht in Dinge hineinziehen lassen, mit denen sie nichts anfangen konnten? Offensichtlich war ja kein Leben mehr auf dem Planeten festzustellen. Wer oder was immer den SOS-Ruf ausgeschickt hatte, mußte tot sein. »Nicht ein Lebenszeichen«, flüsterte Maine erschüttert. Auf welche Art mochte diese fremde Rasse gestorben sein? »Wir müssen nachsehen«, beschloß Koenig, trat hinab auf das weiche Gras und ging vorsichtig zur nächsten Leiche. Maine folgte ihm mit seinem medizinischen Sensorenköfferchen. Damit konnte er die Leiche untersuchen, ohne sie zu berühren. »Keine Wunden oder Verletzungen, weder innerlich, noch äußerlich«, stellte er fest. Er stand vor einem Rätsel. »Leiche tadellos erhalten. Zeit des Todes unbestimmbar.« »Ursache?« fragte Koenig und schaute sich vorsichtig um. »Das ist eine ausgezeichnete Frage«, erwiderte Maine grimmig. »Alle sind tot, die einzige Lebensform ist die Vegetation.«Er drehte sich zur TV-Kamera um, die in der Luke des Eagle aufgestellt war. Auf der Mondbasis Alpha mußte ein ebenso bestürzter und verdutzter Crew-Angehöriger das mit ansehen und anhören, was sie beide erlebten. »Es könnte vielleicht ein sonischer Strahl von hoher Wirksamkeit gewesen sein«, bemerkte er für seinen Vorgesetzten Dr. Vincent. »Etwas, das einen sofortigen Tod zur Folge hatte…«
Vincent lauschte diesen Worten, die über Millionen von Meilen durch den Raum zu ihm kamen. Er sah Koenig und
Maine und die verkrümmt daliegenden Leichen in dieser friedlichen Landschaft, die man, wenn auch vielleicht nicht ganz so abgezirkelt und regelmäßig, auch in seinem Heimatland England auf der Erde hätte finden können. »Kannst du mir eine Nahaufnahme der Leichen geben?« fragte er. Sofort lief der schlanke medizinische Pilot zur Kamera und verschwand aus dem Bild am Kommandantenschirm der Basis. Dann entstand aus verwischten Umrissen das Bild einer Leiche. Die Ohren waren etwas spitzer als menschliche Ohren, der Körper etwas massiger und größer als ein durchschnittlicher Menschenkörper, sonst aber sah er durchaus menschlich aus. Gerade das ließ den Fund so grausig erscheinen. Der Doktor studierte das Bild mit professionellem Interesse und schüttelte den Kopf. »Ich möchte noch gerne die Augen sehen«, bat er. Koenigs Hand spreizte die Lider, während Maine die Kamera darauf ausrichtete. In der Iris des Toten kam eine Masse strahlender Fasern zum Vorschein. Die Pupillen waren ungewöhnlich erweitert, während der weiße Augapfel mit den roten Flecken geplatzter Blutgefäße durchsetzt war. Vincent zuckte zurück. »Die Kraft, die auf das Zentralnervensystem einwirkte, muß einen ungeheuren Druck ausgeübt haben, um all diese Blutgefäße zum Platzen zu bringen…« Er wandte sich zu Bill Fraser um, der neben ihm stand. Er zuckte die Achseln. »Nervengas irgendeiner Art? Ein tödliches Pathogen, das in den Körper eindrang? Oder Bakterien, die in die Atmosphäre entkamen?« Er drehte sich wieder zum Schirm um. »Blake?« »Ja?« meldete sich Maine.
»Nimm eine Blutprobe, bring Bodenmuster und Vegetationsproben mit zurück. Und, Commander, wir brauchen bitte noch etliche Aufnahmen der Leichen.« Koenig nickte. »Hier ist kein Leben mehr. Wir können keine Hilfe bringen oder empfangen. Also sind wir schon auf dem Rückweg.« Das grausame Bild des toten Auges verblaßte, dafür erschien Koenig, der energisch auf die Kamera zuging. Das bläuliche, durchsichtige Objekt auf dem schwarzen Podium stand nun links im Hintergrund und zog die Blicke der Beobachter auf sich. Während sie schauten, begann es in einem gespenstischen blauen Licht zu glühen. »John, hinter dir!« rief Vincent schrill. Koenig wirbelte herum, blieb einen Moment wie versteinert stehen und rannte dann mit gezogenem Laser in die Sicherheit der Einstiegluke des Eagle. Das blaue Rechteck pulste heftig und formte eine Lichtkugel, die um ein Mehrfaches größer war als der viereckige Gegenstand. In der Mitte dieser Kugel bildete sich der dunkle Umriß einer fötusähnlichen Gestalt heraus. Sie wurde klarer, festigte sich und begann nun ruckhaft durch die Wände des Rechteckes zu gehen, das in der glühenden Masse noch zu erkennen war. Als sie auf das Podium stieg, verschwand die blaue Aura, und nun ließ sich die Gestalt genau erkennen. Sie war, ebenso wie die herumliegenden Leichen, groß und breit und trug dasselbe schwarz-blaue Gewand. Aber das Gesicht strahlte vor Freude und Glück und war nicht schmerzverzerrt wie die Gesichter der Leichen. Die Gestalt stand still und sog die Luft in tiefen Zügen ein. Dann schaute sie sich fast gemütlich um. Sie legte die Stirn in Falten, als sie das Schiff sah. Die Leichen ihrer Gefährten hatte die Gestalt noch nicht gesehen, ging nun zögernd der Kamera entgegen, wo sie Koenig und
Maine erblickt haben mußte. Nach ein paar Schritten überflog Angst die Züge. Ein von innen heraus kommender Schauder schüttelte den Körper, das Gesicht verzog sich vor Schmerz, und die Hände klammerten sich an die Brust. Vor den verblüfften Alphanern begann sie heftig zu zucken, dann fiel sie neben den anderen Leichen zu Boden. Im Sterben mußten die Augen dieses Wesens noch die Leichen der Freunde gesehen haben, und nun krümmte es sich auf die gleiche Art im Todeskampf. Koenig lief sofort auf die Leiche zu und bückte sich, um sie zu berühren. Vincent schrie: »Nein, nicht in die Nähe der Leiche! Nicht berühren! Sie könnte ansteckend sein. Verlaßt sofort diesen Planeten!«
Maine drückte ein paar Knöpfe in der Pilotenkanzel des Eagle, und die acht mächtigen Startraketen donnerten los. Zitternd vor Kraft stieg das Schiff in die unbewegte Luft und schoß über die Stadt davon. Koenig bediente inzwischen die Kameras und brachte vergrößerte Bilder der Parklandschaft und Gebäude auf den großen Schirm der Pilotenkanzel. Rasch nacheinander sahen sie Straßen, Felder und Gärten, und überall die grausigen, gräulichen Umrisse der Leichen. Wie tote Fliegen lagen sie herum, und sie waren ungeheuer zahlreich. Der Eagle raste davon. »Das Signal einer sterbenden Lebensform, das ich auffing, muß von einer dieser armen Kreaturen ausgesandt worden sein«, vermutete Maine. »Alle auf diesem Planeten sind tot«, teilte Koenig über das Kommunikationssystem der Basis Alpha mit. »War es ein nerventötendes Pathogen, dann muß unser System eine eingebaute Immunität haben. Wir können uns aber nicht damit befassen, was immer auch hier geschah. Wir kehren zurück.«
Er wollte gerade die Kameras abschalten, als die Lebensformsensoren heftig zu blinken begannen. »Halt! Sensoren nehmen humanoide Lebensformen auf…!« Er studierte die Sensoren, dann die Position des Schiffes. Der Eagle verließ das Schwerkraftfeld des Planeten, und die riesige, gebogene Fläche seines Mondes erschien nun leuchtend unter ihnen. »Lebensformen scheinen auf dem Mond des Planeten zu sein«, berichtete er. »Wir gehen so weit hinab wie möglich, machen einem Umlauf und versuchen soviel wie möglich aufzunehmen.« »Nicht zu tief runtergehen, John«, riet ihm Vincent besorgt. »Sie könnten dort Seuchenträger haben und den SOS-Ruf ausschicken, um gerettet zu werden.« »Das scheint mir auch so«, erwiderte Koenig. »Wir sind sehr vorsichtig…« Er wandte sich an Maine. »Sieh zu, daß du die Lebensform lokalisieren kannst, dann überflieg die Stelle zweimal unterhalb der Wolkendecke.« Maine nickte. Koenig sprach wieder in den Monitor. »Sind sie freundlich, können wir vielleicht ihre Hilfe finden… Status des Evakuierungsprozesses Notfall?« Alan Carters besorgte Stimme war nun zu vernehmen. »Schwierigkeiten, John… Bei den Leuten. Aber Verdeschi und Maya sind dabei, das Personal auf die Evakuierung vorzubereiten. Alle Eagle-Schiffe sind startklar. Die Ingenieure arbeiten fieberhaft an der Reparatur des von Maya beschädigten Schiffes…« Koenig brummte etwas, war aber zu beschäftigt, als daß er sich hätte erkundigen können, um welche Unruhe es sich bei den Arbeitern handle. Der Eagle Eins bockte heftig, und die Warnleuchten am Instrumentenbrett blinkten Alarm. »Hauptantrieb… Panne!« keuchte Maine und kämpfte mit den Instrumenten. Der dicke Wolkengürtel war durchstoßen,
und unter ihnen lag eine weite, leicht hügelige Landschaft mit Wäldern und Grasland. So penibel sah es hier nicht aus wie auf dem Mutterplaneten, aber dieser Satellit wirkte dafür auch lebendig und sogar wild. »Auf Hilfsraketen gehen«, befahl Koenig scharf, denn er ahnte, daß sie in eine Art Falle geraten waren. Aber die Hilfsraketen reagierten nicht. »Panne im Hilfsantrieb!« rief Maine verzweifelt. »Und Notantrieb?« Auch der funktionierte nicht. »Wir stürzen mit Höchstgeschwindigkeit dem Boden entgegen!« schrie Maine. Das Schiff bockte und rollte. Sie wurden auf ihren Sitzen brutal durchgeschüttelt. Dann begann der Eagle mit der Nase voran nach unten zu rasen. »Eagle Eins an Mondbasis Alpha…« gelang es Koenig zu rufen. »Wir haben keine Kontrolle mehr über das Schiff…« Entsetzt starrte er den kleinen Monitorschirm an, denn nun stand nicht nur sein eigenes Schicksal auf dem Spiel, sondern das der Mondbasis. Alphaner rannten zu den Konsolen und griffen das Personal der Kommandozentrale an. Dann wurde der Schirm dunkel und Alan Carters Gesicht erschien. »Sandor…« keuchte er, »Meuterei… Eagle Zwei zu eurer Hilfe unterwegs…« Sein blutverschmiertes Gesicht verschwand, als der Schirm abgeschaltet wurde. Heulend schoß das Schiff nach unten. Koenig machte noch einen schwachen Versuch, es aufzurichten, dann wurde er ohnmächtig.
Sandor Knox lachte und nickte mit seinem riesigen Kopf den drei blitzenden Sternen auf dem Schirm zu.
»Der mittlere, der eine mit dem roten Ring.« Mit einem kurzen, dicken Finger wies er auf die blitzenden Lichtpunkte. »Dort forscht unser unerschrockener Kommandant.« Cernik, ein Nachwuchs-Schweißer, und Stevens, ein Elektrotechniker, beides Freunde von Knox, starrten den Stern voll Ehrfurcht an. Auf ihren Gesichtern lag das strahlende Glück jener überreligiösen Menschen oder Drogensüchtigen, die immer irgendwie aus dem Rahmen fallen, oder von Leuten, die aus sonst irgendeinem Grund in gefährlicher euphorischer Stimmung waren. Eva, eine attraktive brünette Bibliotheksassistentin, derzeit Knox’ Freundin, war ein wenig objektiver, doch sie fürchtete ihren riesigen, selbsternannten Messias-Propheten. Knox war eher sehr breit als riesengroß und eine ziemlich furchterregende Gestalt und dazu in etwas zu knappe, schmutzund fettfleckige Overalls gekleidet. Niemand wagte seine Befehle in Frage zu stellen. »Wir haben das Recht, zu wissen, was vorgeht, und jetzt wissen wir’s!« schrie er und fuchtelte mit den Armen herum. Eva hatte auf seine Anordnung hin die Türen der Kommandozentrale geschlossen, so daß kein Posten hereinkonnte. Neben den Konsolen lagen auf dem Boden die bewußtlosen Computer-Operatoren und das übrige Personal der Zentrale. Knox schien das egal zu sein. Er ging zum Kommandantenstuhl und ließ sich schwer hineinfallen. »Ich weiß bestimmt, daß wir uns einem bewohnbaren Planeten nähern«, sagte er. »Koenig meint vielleicht, er kann uns mit Tricks abspeisen, so daß er alles für sich und seine Snobs behalten kann.« Triumphierend schaute er sich um. Seine Augen waren blutunterlaufen; sie schweiften zu den beiden anderen des Trios. Alle drei schienen sich ihrer Sache recht sicher zu sein.
Eva lächelte, schob ihren Arm unter den seinen und legte ihren Kopf an seine breite Brust. »Du hast alles vorhergesagt, Sandor«, flüsterte sie. Er nickte nachdrücklich. »Ja… Ja…Aber jetzt brauchten wir noch eine Bestätigung, um sicher zu sein. Vorbereiten!« Eva löste sich von ihm und ging zu Cernik und Stevens, die bereits die Monitore und Computer der Zentrale abschalteten; nur den großen Schirm hielten sie aktiviert. Die sonst hellen Lichter glommen nur noch schwach. »Und jetzt konzentrieren…« befahl ihnen Sandor, als sie zu ihren Sitzen zurückkehren. Er schaute in den strahlenden Lichtkreis auf dem Schirm, faltete die Hände vor dem Magen und nickte, als sei er in Trance. »Konzentrieren…« Seine tiefe Stimme drang als Echo in ihre Geister, und bald waren auch sie in einem tranceähnlichen Zustand. »Völ-li-ge Kon-zen-tra-ti-on!«
»Er ist total verrückt!« tobte Verdeschi vor den Türen der Kommandozentrale. Gereizt wie ein böser Tiger lief er auf und ab und debattierte mit den Posten, was sie nun tun konnten oder sollten. »Mr. Verdeschi, er hat Vincent und Carter dort drinnen«, berichtete ihm einer der Posten. »Er hat die Computer abgeschaltet, und wir haben keinen Kontakt mit dem Commander. Wir wissen nicht, ob Mr. Koenig…« »Carter hat eine Mitteilung an Fraser durchgebracht«, sagte Verdeschi. »Er und Sahn sind vor fünf Minuten im Eagle Sieben gestartet, um nach ihm zu suchen. Wir fürchteten, er könnte schon tot sein…« Ungeduldig spähte er über die nickenden Helme der Posten im Korridor. Helena und Maya kamen mit medizinischer Ausrüstung herangerannt. »Der Evakuierungsprozeß wird sofort abgeblasen. Seinetwegen und
dieser irregeführten…« Das richtige Wort fiel ihm nicht ein. »Unsere Pläne wurden alle verzögert, und jetzt können wir vermutlich vor der Kollision nicht mehr weg von Alpha. Wir sind zum Untergang verurteilt!« Die beiden Frauen kamen atemlos und sehr blaß an. Helena beschäftigte sich sofort mit den Injektionsnadeln. Sie hatte Verdeschi gebeten, bis zu ihrer Ankunft nichts zu unternehmen. »Du kümmerst dich sofort um Sandor«, sagte sie zu ihm. »Er ist der Anführer. Wenn wir ihn kriegen, haben wir’s mit den anderen leicht.« Verdeschi nickte und zog grimmig seinen Laser. Im weißen, heißen Lichtstrahl schmolzen auch die stärksten Schlösser. Die Türen glitten auf, er trat rasch hinein und ging hinter einer der Konsolen in Deckung. Seine Männer folgten ihm mit schußbereiten Waffen. Auch sie gingen in Deckung. »Ergebt euch!« rief Verdeschi, stellte seinen Laser auf ›Lähmung‹ und spähte um die Konsolenkante. Statt einer Antwort schoß ein sengender Lichtstrahl an seinem Gesicht vorbei und brannte ein Loch in den Boden. Aber Verdeschi tat einen unerschrockenen Satz und war nun in der Lage, den dicken Mann mit dem sandfarbenen Haar deutlich zu sehen. Während sein Gegner nachlud, schoß Verdeschi. Knox zorniges rotes Gesicht versteinerte, als der Strahl ihn traf. Sein Körper leuchtete vom Überschuß der Energie; dann kippte er, beobachtet von seinen drei bewaffneten Jüngern, sehr unelegant von seinem Stuhl und krachte auf den Boden. Blitzschnell rannten nun die Posten herbei und umstellten Stevens und Cernik, die beide Pistolen hatten. Verdeschi sprang auf und rieb sich die Schulter. »Helena, du kannst jetzt reinkommen!« rief er und musterte böse die drei entwaffneten Gefangenen. »Den Dicken mußten wir leider lähmen… Bringt den Kerl weg«, befahl er den Posten.
Helena kam von Maya und einem großen Team an Sanitätspersonal gefolgt herein. Sofort untersuchten sie die noch bewußtlosen Leute und hoben sie auf ihre Rollbetten. Sie mußten zu ihrem großen Leidwesen feststellen, daß ihre Verletzungen viel schlimmer waren als sie angenommen hatten, und die Rebellen hatten viel zuviel Gewalt angewandt, um sie zum Schweigen zu bringen. Carter tat Helena am meisten leid, denn er litt ja noch sehr unter Sahalas Abreise vor wenigen Stunden, die ja ihren Gefangenen ins Exil bringen mußte. Sie schalt sich selbst, weil sie Sandors wegen nicht schon früher etwas unternommen hatte, als sie seine geistige Verfassung erkannte. Auch das seelische Wohlbefinden der Alphaner gehörte zu ihren Pflichten. Es war die Zeit, die sie vollends aus dem Gleichgewicht geworfen hatte. Nach dem Warp waren sie aktiver geworden als je zuvor. Er schien Sandors Kopf verseucht zu haben, und nun rasten sie auf dem ihnen von der Raumverwerfung aufgezwungenen Pfad an ihr Verderben…
XII
Der dunkle Nebel der Bewußtlosigkeit hob sich langsam von Koenigs Kopf. Er öffnete die Augen und erblickte ein Durcheinander von Linien und ineinanderschwimmenden Farben. Vor ihm schien eine Wüste aus Skalen, Wählscheiben und Instrumentenlichtern zu sein, dann ein blauer Riß. Die Instrumente waren warm, der Riß fühlte sich kalt an. Langsam begriff er, daß er saß, in seinen Gurten hing und drei herausgerissene Wände des Eagle vor sich hatte. Da fiel ihm der tödliche Sturzflug ein und der bewohnte, fremde Mond, über den sie gerast waren. Wie kam es überhaupt, daß er noch lebte? Benommen befreite er sich von den Gurten. Neben ihm stöhnte jemand, und da sah er Maine, ebenfalls angeschnallt, halb über der Flugkonsole liegen. Er bewegte sich, als wolle er aufstehen. Da griff Koenig zu und half ihm ungeschickt vor Schwäche bei den Gurten. »Unser Schiff wird wohl gleich in die Luft gehen«, keuchte er, als Maine befreit war. »Komm, steh schnell auf.« Taumelnd gelang es Maine, auf die Füße zu kommen. Das chaotische Innere des Schiffes raste wie irr um ihn herum, und er drückte die Hände fest auf seinen Magen, um ihn zu beruhigen. »Ich schaffe es schon«, behauptete er, doch es klang nicht sehr überzeugend. »Gut, dann weg von hier!« Ungeschickt kletterten die beiden Männer am klaffenden Loch vorbei zum Deck und in das Passagierabteil. Dort sah es noch schlimmer aus als in der Pilotenkanzel. Hier hatte sich ein Ast durch den Rumpf gebohrt, und im Schiff blühten nun
die unzähligen beblätterten Zweige. Sie zwängten sich durch diesen Urwald und stiegen über die verstreuten Instrumente und anderen Gegenstände. Die starken Wände des Schiffsrumpfes waren eingedrückt und die Türen der Luftschleuse aufgerissen. Kaltes, hartes Tageslicht fiel durch die Löcher. Endlich gelangten sie zur Landeplattform. Sie sahen vor sich eine weite Ebene wilden Graslandes. Hier und da standen ungepflegte Gruppen ulmenähnlicher Bäume. Eine strahlende junge Sonne schien irgendwo hinter dem Schiff, also in ihrem Rücken. Die Luft war frisch, und ein kühler Wind streifte ihre Gesichter. Ehe sie die Stufen hinabkletterten, blieben sie einige Sekunden stehen. Dann erreichten sie steifbeinig das Gras, und sie flohen in die Deckung eines nahen Gehölzes. Sie setzten sich und schauten benommen hinüber zum Eagle, um die Explosion abzuwarten. Als dies geschehen war – sie hielt sich in Grenzen – wurde die Benommenheit von einer ungeheuren Müdigkeit verstärkt, und sie trieben in die Bewußtlosigkeit zurück.
Verblüffte Schreie und entsetztes Kreischen weckte sie auf. Die Sonne stand tief am Horizont, und das Tageslicht wurde graublaß. Es war noch kälter geworden, und sie froren. Mühsam erhoben sie sich, stampften herum und schlugen die Arme um die Brust, um sich zu erwärmen. Die Schreie näherten sich. Es waren Frauenstimmen, dann tiefere, die im Befehlston schrien, und denen folgte das scharfe Knallen von Peitschen. Sie hörten mit ihren Übungen auf und duckten sich hinter einen sehr dicken Baumstamm. Von hier aus konnten sie eine humanoide Gestalt über das Grasland rennen sehen. Das war offensichtlich ein Mann, und er trug
den gleichen Anzug, wie sie ihn an den Toten und dem Sterbenden auf dem Mutterplaneten gesehen hatten. Ihm folgten drei weibliche Wesen vom Amazonentyp. Die Verfolger waren gut genährt, die Beute sah recht elend aus. Sie trugen hautenge, knallrote einteilige Anzüge, die breite Brüste und mächtige Schenkel umspannten. Ihre Stiefel waren rot, halbhoch, hatten niedrige Absätze und Sternsporen daran. Ihre Haare waren reinweiß, smaragdgrün und rabenschwarz und flogen hinter ihnen im Wind, als sie rannten; ihre gewaltigen Brüste hüpften, ihre Peitschen knallten über dem Kopf des verängstigten Mannes. Der Flüchtling war unendlich erschöpft, stürzte manchmal, rappelte sich aber immer wieder auf und strebte einer großen, blaugefleckten Säule entgegen, die den ganzen Horizont beherrschte. Sie ragte mehr als hundert Meter in den wolkigen Himmel. An ihrer Spitze hockte ein riesiges rundes Modell ihres Heimatplaneten, und sie vermuteten sofort, daß die Säule irgendwie verbunden war mit dem merkwürdigen rechteckigen Apparat, den sie auf dem Planeten gesehen hatten. Sicher war es eine fremdartige Transmitterform, mit deren Hilfe die unglücklichen Bürger der einen Welt in einen sicheren Tod auf der anderen geschickt wurden. Und sie waren nun Zeugen eines blutrünstigen Sportes, ausgeübt von den grausamen Amazonenjägerinnen. »Wie Hunde, die hinter einem Fuchs her sind«, bemerkte Koenig. »Und da sollen wir einfach zusehen?« fragte Maine entrüstet. Die verängstigte Beute tat einen Schmerzensschrei, stolperte und fiel, und die elektrischen Peitschenspitzen berührten ihn fast. Koenig sprang auf. »Nein!« rief er. »Das lassen wir nicht zu!«
Er kam hinter dem Baum hervor und lief auf die Teufelinnen zu. Maine folgte ihm. Beide zogen ihre Laser. Sie trennten sich und griffen von zwei Seiten an, damit ihnen keine dieser Furien entkommen konnte. Die drei Frauen sahen die zwei Männer und blieben mit gespreizten Beinen, die Hände arrogant in die Hüften gestemmt, stehen. Die schönen Gesichter drückten unendliche Verachtung für die beiden Alphaner aus. Nicht weit von ihnen blieb Koenig stehen. Drohend hob er seine Waffe. Er war schon dabei, seinen Namen und seine Absicht zu rufen, als ihn ein schrecklicher Schrei Maines ablenkte. Er schaute hinüber – er war ahnungslos in ein unsichtbares Kraftfeld gelaufen, und sein Körper glühte in einem intensiven silberblauen Licht. Sein Freund blieb eine Sekunde mitten im Laufschritt in der Luft hängen, dann sackte er zusammen in einen Haufen glimmender Kleider und versengten Fleisches. Die drei Amazonen kamen boshaft lachend auf ihn zu. Ihre Peitschen holten nach ihm aus, und ihr Knall explodierte an seinen Ohren. Diese Peitschen waren wie giftige, brennende Schlangenzungen, die zustießen und sich zurückzogen und ihn schließlich trafen. Wie von einem Schmiedehammer traf ihn der Schlag, als alle drei elektrischen Peitschen ihren Strom in ihn entluden. Halbtot, zusammengekrümmt und besinnungslos blieb er auf dem harten Gras liegen. Die drei Weiber kamen heran und standen triumphierend über ihm. Sie stellten ihre roten Stiefel auf seinen Körper, so wie Jäger es mit der erlegten Beute tun. Ihre tödlichen Waffen hoben sie in Siegerpose hoch.
Hohe, düstere Mauern reichten bis zum nebeligen Plafond der riesigen Empfangshalle von Entran. Es herrschte, allein schon
durch die ungewöhnlichen Ausmaße, eine Stimmung düsterer Unwiderruflichkeit. Unten kauerten auf Händen und Knien die Gefangenen Entrans. Die Halle war massiv und warf das gelegentliche Stöhnen eines Gefangenen als vielfältiges Echo zurück. Die Männer trugen schwarze, mosaikartig gemusterte Jacken, und sie wurden von zahlreichen großen, stämmigen, rotgekleideten Jägerinnen bewacht, die mit gespreizten Beinen und die Elektropeitschen an ihrer Seite dastanden. Am Ende der Halle stand auf einer riesigen smaragdfarbenen Estrade ein Thron aus wirbelnden Farben. Die Intensität dieser Farben und das Wirbeln ließen ihn fast flüssig erscheinen. Auf dem Thron saß eine Frau von betäubender Schönheit und überheblichem Gehabe; sie war etwas fülliger und sehr viel schöner als die anderen Frauen, sah aber auch viel grausamer und arroganter aus als die anderen. Sie trug dieselbe scharlachrote Uniform wie ihre Untergebenen, dazu aber einen breiten, mit funkelnden Juwelen besetzten Gürtel und sonstigen reichen Schmuck, der ihre Würde betonte. Vor ihr kauerte mit erhobenem Kopf ein Vertreter der Gefangenen. Er war so gekleidet wie seine Leidensgefährten, nur hatte er dazu gelbe Achselstücke. Neben ihm lag ein Gefangener, dessen ganzer Körper krampfhaft zuckte. »… und ich muß das zugeben, Elizia«, sprach der Mann mit den Achselstücken die auf dem Thron sitzende Halbgöttin an. »Aber das einzige Verbrechen, dessen man diesen Gefangenen beschuldigen kann, ist die Ausnutzung seiner Redefreiheit.« Mit einer theatralischen Handbewegung deutete er auf den neben ihm Liegenden. »Um ihn dieses Rechtes zu entkleiden«, fuhr er fort, »ist er hier auf dem Strafplaneten Entra in Arrest, oder er muß als freier Mann auf dem Mutterplaneten Elina sein. Beraubt man ihn der Redefreiheit, wird jeder Grundsatz vernichtet, für den die Zivilisationen aller Galaxien je
gefochten haben. Verdammt Ihr den Gefangenen, so verdammt Ihr alles Leben, wo immer es auch existiert.« Die mit Schmuck behangene Frau hörte ihm zu. »Ich bin wirklich gerührt von deiner Beredsamkeit, Crael«, sagte sie mit hochmütiger Stimme, »und auch ich, die Herrin von Entra, schätze das Recht der Redefreiheit. Das habe ich allen Gefangenen klargemacht, auch dir. Du bist vom Mutterplaneten nach Entra verbannt worden. Aber ich habe auch Zeugnis von anderen. Der Gefangene hat geheime Zusammenkünfte veranstaltet, um die Kolonie zum Aufruhr zu verleiten und die Autorität zu stürzen. Solange ich hier regiere, dulde ich keinen Mißbrauch der Redefreiheit – von keinem!« Ihre Stimme wurde zu einem hysterischen Kreischen. Sie war gerade dabei, ihr Urteil auszusprechen, als eine ihrer Untergebenen die Halle betrat und ihr Koenigs Laser entgegenhielt. Sie legte die Waffe auf einen kleinen Tisch vor ihre Herrin Elizia. »Die Waffe des Fremden, Sares?« Die Frau nickte. Eliza nahm die Waffe mit beringten Fingern. »Und der Fremde?« »In Gewahrsam. Der Sicherheitsdienst vernimmt ihn… Wir brachten sie sanft in ihrem Schiff herunter, um die Jagd zu erleichtern und Eure Neugier zu befriedigen.« Die Teufelin nickte befriedigt. »Gut. Du wirst für die Gefangennahme des Fremden belohnt werden.« »Danke«, sagte Sares und stand stramm. »Und der… Gefangene?« »Fast hätte er die Asylsäule erreicht«, antwortete Sares. »Fast…«, wiederholte sie befriedigt. Sie schaute den am Boden liegenden Mann an. »Ich kann nicht anders, dich muß ich schuldig sprechen.«
Crael erhob sich auf die Knie und legte bittend die Hände zusammen. »Ich flehe Euch an…« »Barmherzig zu sein?« fragte sie ihn höhnisch. Sie griff nach dem Laser des Alphaners. »Na gut. Ich werde es sein.« Sie zielte und schoß, ohne es sich nur einen Augenblick zu überlegen, auf den Gefangenen. Der Strahl konzentrierten Lichtes traf den Armen in den Rumpf. Er zuckte und leuchtete in einem großartigen Schimmer aus Lichtenergie auf. Das Licht verblaßte, er lag still da. »Tot?« fragte Elizia und legte die schöne Stirn in Falten. »Bewußtlos… Gelähmt«, erklärte ihr Sares. »Die Waffe war nicht auf Töten eingestellt.« »Gut. Sonst wäre er sofort gestorben, und das wäre zu barmherzig gewesen.« Sie wandte sich an Crael. »Er hat Glück, daß er auf Elina keine Familie hat. Man würde sonst für seine Taten Rache nehmen.« Sie warf den Laser weg. »Die Jagd für ihn!« rief sie. »Das ist unmenschlich!« protestierte Crael und rang bekümmert die Hände. »Wann wird das ein Ende nehmen?« »Unmenschlich? Eine Chance für die Freiheit? Und die Rückkehr nach Elina?« Crael schluckte heftig, doch er war beharrlich. »Einer von hundert überlebt die Jagd«, sagte er. »Das ist unmenschlich!« Elizia umfaßte mit einer ausholenden Armbewegung alle Gefangenen in der Halle. »Biete doch einem die Chance an, und sieh zu, wie viele sie ergreifen!« »Und ich sage noch immer, das ist unmenschlich und barbarisch. Nur um die Launen von…« Er deutete auf die weiblichen Posten, die arrogant herumstanden. Elizia schniefte. »Vielleicht ist deine nächste Fürsprache für einen Gefangenen erfolgreicher, Crael.«
Er ließ bedrückt den Kopf hängen. Sie hatte recht, und er hatte wieder verloren. Immer verlor er. »Ich zweifle daran, daß ich je Erfolg haben werde,« sagte er niedergeschlagen. Sie wurde nun verführerisch. »Du brauchst doch nur darum zu bitten, dann kannst du nach Hause gehen.« Sie deutete auf einen Transmitter in einer Ecke der Estrade. Er war ebenso rechteckig und durchsichtig wie der Empfänger auf Elina. »Die Transfer-Station. Tritt hinein und geh nach Elina zurück.« Er lächelte nervös, denn er wußte, daß sie mit ihm spielte. Er schüttelte den Kopf und deutete auf den hinter ihm kauernden Gefangenen. »Mein Platz ist hier, um meinem Volk so wirksam wie möglich zu helfen. Aber ich danke Euch trotzdem. Ihr tötet mich mit Eurer Freundlichkeit.« Rückwärts kriechend zog er sich zurück und ließ seinen bewußtlosen Klienten auf der Estrade. Sie lächelte auf lasterhafte Art. »Ich habe nur einen Weg noch nicht ausprobiert…« sagte sie.
Der einfache, sechseckige Raum war nackt bis auf ein bankähnliches Bett. Die Wände stellten eine Art übergroßen Schachbrettes dar, aber in den grellen Farben orange, blau, gelb, schwarz und weiß. In einer Wand befand sich ein Schirm, in einer anderen eine Glastrennwand, die in einen anderen, genauso aussehenden Raum führte. Auf dem Bett lag Koenig. Er trug noch seine eigene Kleidung und atmete sehr schwach. Am Kopf hatte er ein Kissen aus zahlreichen Instrumenten, deren Drähte an allen Teilen seines Körpers befestigt waren und ihm Energie entzogen. Zwei Frauen, Elizia und eine dunkle, größere Frau in einem schwarzen Anzug und glänzend polierten schwarzen Stiefeln, wachten über den Bewußtlosen. Neben ihnen stand ein Wägelchen mit weiterem Überwachungsgerät, das mit
mehreren Drähten an dem Kissen befestigt war, und das Wägelchen war wiederum mit Wandsteckern verbunden. Schweigend und brutal aktivierten sie die Maschinen und beobachteten die Bilder aus dem Geist des Alphaners, die über den Schirm zu ihren Köpfen flackerten. Sie sahen Alpha, Helena, den Planeten Elina, wie Koenig ihn erst vor wenigen Stunden erlebt hatte, und sie wußten, daß er im Besitz gefährlicher Informationen war. Sie beobachteten Maya, die sich von einem Tier in ein anderes verwandelte; sie sahen die Eagle-Maschinen, wie sie explodierten, und auch Koenigs Kindheitserinnerungen an die Erde. Sie entdeckten, daß andere Alphaner von der Basis ausgeschickt wurden, um ihn zu suchen. Sie erfuhren alles von ihm – nur nicht seinen Namen. Und wenn sie den erst hatten, wollten sie seinen ganzen Geist auslöschen…
XIII
Sandors bewegungsloser Körper lag auf einem der Untersuchungstische im Lazarett. Auf anderen Tischen waren unter den grellen Lichtern Eva, Stevens und Cernik. An ihren Schläfen und Handgelenken hatte man Elektroden angebracht, die zu Instrumenten führten, welche von Helena überwacht wurden. Sandor wußte, daß sie sich fügen mußten. Mit einem bewaffneten Posten vor der Tür blieb ihnen keine andere Wahl. Ihm reichte es jetzt. Mehr von der idiotischen Einmischung dieser Frau in sein Privatleben konnte er nicht verdauen. Sie verschwendete ja doch nur ihre Zeit. Wenn die Arbeiter auf Alpha nicht Koenig und seine perverse Gefolgschaft ausschalten konnten, war es auch nicht möglich, den neuen Planeten zu kolonisieren. Und was dann noch von der Menschheit auf Alpha übrig blieb, war doch nur zum Untergang verdammt. Konnten sie jetzt nicht die Kontrolle übernehmen, dann kamen sie nie aus ihrem Gefängnis heraus, und niemals konnten sie sich ein erdähnliches Heim schaffen, wie es ihnen zustand. Sie hatten zuviel Zeit verstreichen lassen, seit der Mond aus dem Erdorbit geschleudert worden war. Tausend bewohnbare Welten hätten sie erreichen können, wenn nicht… Mit einer ungeheuren Kraftanstrengung sprengte er die Gurte, die man ihm angelegt hatte. Er riß die Drähte von Schläfen und Handgelenken, setzte sich auf und löste damit Helenas Entsetzensschrei aus. »Was tun sie da?« fuhr sie ihn an. »Ihre Tests sind noch lange nicht fertig. Ihre Körpertemperatur ist gefährlich niedrig…«
»Das hätte ich schon längst tun sollen«, knurrte er. »Ich will zu Koenig.« »Koenig ist nicht da«, antwortete sie. »Dann will ich Verdeschi sehen!« brüllte er und stampfte zur Tür. »Das können Sie nicht. Sie sind vorläufig im Lazarett unter Arrest.« »Und wer will mich zurückhalten?« röhrte er. Die Türen schoben sich auf, und zwei Posten traten ein. Als sie ihn sahen, hoben sie ihre Waffen, um zu schießen, doch es war zu spät. Mit seinen riesigen Pranken stieß er ihnen vor die Brust. Schlaff sanken sie zu Boden. Er brach aus in den Korridor. Als er in der Kommandozentrale ankam, sah Verdeschi gerade Helenas besorgtes Gesicht auf dem Konsolenmonitor. »Tony, ich konnte ihn nicht aufhalten«, meldete sie. »Er ist unterwegs.« Verdeschi schaltete den Schirm ab und wirbelte herum. Automatisch griff er nach seinem Laser, sah aber, daß Sandor unbewaffnet war, und überdies war er Helenas psychiatrischer Patient. »Du bist unter Arrest im Lazarett!« herrschte er ihn an. »Klar«, meinte Sandor lächelnd und besah sich höhnisch die bandagierten Gesichter. »Aber dort hört ja keiner, was ich über den neuen Planeten zu sagen habe.« »Es gibt keinen neuen Planeten«, knurrte Verdeschi. »Der Planet, den du meinst, rast uns entgegen und wird uns vernichten. Und der Planet, auf dem Koenig gelandet ist, war von einem Virus vergiftet. Und der nächst war feindlich eingestellt, und soviel wir wissen, ist Koenig tot.« Sandor zog eine verächtliche Grimasse. »Um diese Sonne gibt es einen bewohnbaren Planeten, und das wissen Sie. Aber Sie wollen dort nicht landen.«
»Warum sollte ich so etwas tun?« Verdeschi bemühte sich angestrengt um Ruhe und versuchte es nun mit Humor. Der Mann war ja wahnsinnig. »Weil Sie den Gedanken an ein normales Leben nicht ertragen können.« Sandor hatte jetzt die ganze Kommandozentrale als Zuhörer, und das genoß er. »In einem normalen Leben können wir nämlich unsere eigenen Entscheidungen treffen, Kinder haben und wählen. Für einen Diktator Koenig ist dort kein Platz. Und deshalb wollen Sie uns nicht die Wahrheit sagen.« »Wäre dort draußen ein geeigneter Planet, hätte es sofort die ganze Basis Alpha erfahren.« Sandor schniefte. »Das kaufen Ihnen vielleicht hier ein paar Leute ab, aber ich tu’s nicht. Und ich bin da, um Ihnen zu raten, Verdeschi, die Kontrolle abzugeben. Ich hab genügend Anhänger, um Ihnen das Leben unangenehm zu machen. Streik und Aufruhr zum Beispiel. Diesmal haben Sie’s vielleicht noch umgangen, aber beim nächstenmal…« »Nichts zu machen, Sandor«, knurrte Verdeschi, denn bei diesem Gedanken ging automatisch sein Temperament mit ihm durch. »Zufällig verschwendest du nämlich unsere Zeit und gefährdest das Leben eines jeden hier auf Alpha.« Er nickte fast unmerklich den Posten zu, die sich außen im Korridor versammelt hatten. Aber der große Mann bemerkte das und wirbelte herum. Dann sprang er den Sicherheitschef an und riß ihm den Laser aus dem Holster. Damit bedrohte er die Posten. »Zurück!« schrie er, und seine Augen funkelten. Die Posten öffneten eine Gasse. Er zerrte Verdeschi an ihnen vorbei und hinaus aus der Kommandozentrale. Seine eben ›erworbene‹ Waffe drückte er seiner Geisel in die Rippen.
In der riesigen Halle befanden sich nur Elizia, Crael und einer neuer Gefangener, den der erfolglose Anwalt vor sie gebracht hatte, und zwei rotgekleideten Jägerinnen. Crael lächelte hoffnungsvoll. Er wußte, daß dieser Gefangene von gutem Ruf war, und rechnete daher fest mit einem Erfolg. Aber ein Erfolg hing immer von Elizias Laune ab. Wenn er ein Dutzend Gefangene verteidigte, bekam er, wenn er Glück hatte, einen frei. Das war kein großer Erfolg. Er wußte, daß seine ganze Tätigkeit als Verteidiger ein groteskes Spiel war, das die sadistischen Frauenherrscher von Entra sich ausgedacht hatten. Aber wenn er nur einen von zwölf frei bekam, war er schon froh. Kürzlich hatte er sogar etwas mehr Erfolg gehabt; mehr Gefangene wurden freigelassen. »Nun, Gefangener, bist du bereit, nach Hause zu gehen?« fragte Elizia den zu ihren Füßen kauernden Mann. »Das bin ich, Herrin.« »Siehst du.« Sie wandte sich an Crael. »Das ist Gerechtigkeit, wenn einer sie verdient.« Sie legte einen Schalter an der Armstütze ihres Thrones um, und auf einem Miniaturschirm konnte sie die Akte des Gefangenen ablesen. »Ein Jahr Straferlaß wegen guten Benehmens… Du warst ein Modellgefangener, Beron, und hast die Rückkehr auf deinen Heimatplaneten verdient.« Die untertänige Gestalt zu ihren Füßen leckte devot den Boden und zog sich kriechend zurück. »Danke… Danke. Ich versuchte… Ich…« »Ich hoffe, ich sehe dich hier nicht wieder«, sagte sie streng. »O nein, nie mehr…« versprach Beron und meinte es in seiner zerstörten Seele auch so. Elizia stand auf und schritt zur Transportstation. Crael half dem Gefangenen beim Aufstehen, und sie folgten ihr.
»Tritt hinein«, befahl sie ein wenig amüsiert. Beron gehorchte. Er war entzückt, daß er in seine Heimat zurückkehren durfte. Er wandte sich zu Crael um. »Ich danke dir für deine Hilfe, leb wohl«, sagte er. »Crael, ich danke dir. Und Euch, Göttliche Herrin, danke ich von Herzen. Lebt wohl.« »Na, leb wohl«, antwortete sie und lächelte grausam. »Bist du fertig? Dann können wir aktivieren.« Beron nickte eifrig und strich mit der Hand über eine farbige Kontrollscheibe im Boden. In einem Schimmer pulsierender Materie verschwand er – zurück in die Gesellschaft, die ihn ins Exil geschickt hatte, die vor Jahren von ihm geschädigt worden war. Als Beron verschwunden war, wandte sich Crael an Elizia. »Macht es Euch etwas aus, Herrin, wenn ich Euch eine kühne Frage stelle?« »Dir dies zu verweigern hieße, dir auch die Freiheit der Rede zu verweigern«, antwortete sie. Nun war ihre Miene wieder von eisiger Verachtung. »Nun, stell deine Frage.« »Wir haben viele Gefangene entlassen«, sagte er. »Wir haben von keinem wieder gehört. Und Elina schickt uns keine neuen Gefangenen herauf.« Sie zuckte die Achseln. »Die Zahl der Verbrechen, auf die Exil steht, ist eben zurückgegangen.« »Ich frage nicht nur für mich selbst, sondern für viele andere.« »Ihr hört doch jede Woche die Nachrichten und Berichte von den Familien… Was wollt ihr denn sonst noch?« »Hören ist nicht gleich Sehen!« wandte Crael beschwörend ein. »Es gab eine Zeit, da konnte ein Mann seine Familie auf dem Bildschirm sehen… Auch seine Kinder. Aber das ist jetzt nicht mehr…«
Ihre Augen blitzten vor Haß, denn ihre Launen wechselten so schnell, wie die Farben eines Chamäleons. »Das sind meine Vorschriften!« Crael zitterte. Er war feig aus einem inneren Zwang heraus, doch nun verblieb er in ihrer Gegenwart, um seine Ansichten zu vertreten. »Die Gefangenen mögen diese Veränderung gar nicht. Sie fordern…« »Ihr Gefangenen seid politische Stänkerer, also ist es eure Natur, unzufrieden zu sein. Ihr macht nur immer Schwierigkeiten…« »Wir können gar keine Schwierigkeiten mehr machen; Ihr habt uns ganz zu Boden gedrückt; wir haben keine Kraft mehr…« »Das ist aber doch wirklich keine Folter, daß wir euch eure Aufsässigkeit abgewöhnt haben. Ihr wollt nur diesen sterilen Asteroiden verlassen, um auf euer schönes Elina zurückzukehren. Ihr habt dazu nur zwei Möglichkeiten – eure Strafe durch gutes Benehmen zu verkürzen – oder lebend die Jagd zu überstehen.« Er wußte, daß er wieder einmal verloren hatte, weil sie Zeichen der Langeweile erkennen ließ. Er lächelte matt und klatschte in die Hände, um ihr schmeicheln, aber es war auch ein wenig Ironie dabei. »Ich spende Euch meinen Beifall für Euer tiefes Verständnis der menschlichen Rechte…« Sie schenkte ihm jenes süße Lächeln, das einem das Blut zu Eis gerinnen ließ. »Wie gut, daß du mich immer zu amüsieren verstehst, Crael!« Sie kletterte von ihrem Thron herab und schritt hochmütig aus der Halle hinaus.
Sofort fühlte sie sich wieder ungeheuer gelangweilt; immer mußte sie nach Anregung suchen, um dieses trübselige Leben ertragen zu können. Seit Elina gestorben war, gab es keine
solchen Anregungen mehr, und außer den Gefangenen hatte sie kein Vergnügen. Und die Gefangenen waren allmählich verbraucht – und wurden aufsässig. Jetzt war aber dieser fremde Raumschiffkommandant da. Ihre Mädchen, die ja ihren Geschmack kannten, hatten ihn ihr besorgt. Ah, er konnte eine Quelle neuen, wundervollen Vergnügens werden, vielleicht auch noch eine Lösung ihrer Probleme. Ihre eisenbeschlagenen Stiefel knallten auf dem Steinboden, als sie zur Sicherheitsstation eilte. Sie war wütend, weil Crael sie in einem so interessanten Moment aufgehalten hatte. Die schwarzgekleidete Spezialistin für Verhöre war gerade dabei, einen aus Koenigs Erinnerungen konstruierten Film laufen zu lassen. Er zeigte im Moment ein Bild von Koenig, wie er Helena küßte, und da kochte ihr Blut fast vor Begehren. »Hast du sein Gehirn auch nach medizinischem Wissen angezapft?« fragte sie. »Ich will endlich erfahren, ob er auf unserem Heimatplaneten eine Immunität gegen diese Nervenbakterien schaffen kann. Und warum er nicht an diesen Bakterien starb.« »Das weiß ich noch nicht«, erwiderte die Frau mißmutig. »Ich habe doch keine Ahnung, wieviel er weiß. Sein Gehirn widersteht gewissen Fragen. Er hat einen starken Willen.« »Dann schwäche ihn doch.« Die Spezialistin verbarg geschickt ihren Haß wegen dieses Befehles und gab vor, ihre Instrumente zu überprüfen. »Seine Gehirnkonstruktion unterscheidet sich von der unseren in bestimmter Beziehung…« »Ah, ein Führer!« bemerkte Elizia angewidert. »Behandelt Untergebene und Sklaven als Gleichgestellte… Gelegentlich unterwirft er sich ihnen auch noch…« »Und das sollten wir – gelegentlich – wohl alle tun«, murmelte die Frau.
»Was soll das heißen?« fragte die Herrin scharf. Die Frau schaute sie voll an. »Meine Sicherheitsleute berichten von Unruhe unter den Gefangenen. Sie denken laut über ihren Heimatplaneten nach.« »Und du sprichst allmählich schon wie Crael!« Darauf reagierte die andere nicht. »Laß sie doch die Wahrheit über Elina erfahren, dann würden sie verstehen…« »Dann wären sie nicht mehr zu regieren…« »Eines Tages erfahren sie die Wahrheit sowieso.« »Und wenn die Wahrheit herauskommt, sind wir alle verloren…« Elizia schüttelte ihr langes, blaues Haar. Majestätisch richtete sie sich auf. »Ich bin die einzige Barriere gegen das Unheil!« »Er hat aber unseren Heimatplaneten gesehen. Und er wird es ihnen sagen.« Die Spezialistin deutete auf den schlafenden Koenig. »Ihm werden sie nicht glauben. Man hat doch ihre Geister programmiert, damit sie so denken wie ich.« »Und wenn sie diese Programmierung durchbrechen?« »Ich habe nichts zu fürchten«, antwortete die Herrscherin nach kurzem Überlegen lächelnd. »Schließlich bist ja du die Leiterin meines Sicherheitsdienstes. Die Loyalität unserer Garden… Oder etwa nicht?« fügte sie vielsagend und seidig lächelnd hinzu. Die Verhörspezialistin fühlte sich in eine Falle gelockt und nickte daher nur. Elizia spürte den Widerstreit von Gefühlen, beugte sich vor und küßte die schwarzgekleidete Frau auf die Wange. »Hör mit der Vernehmung auf, meine Schöne. Schicke ihn nach Block drei… Aber verstümmle ihn mir nur ja nicht!« Die schwarze Frau schaute ihr voll Ekel und Ablehnung nach. Widerstrebend folgte sie dem ihr erteilten Befehl.
Erinnerungen kehrten zurück wie ein kaleidoskopisches Muster. Was er für einen schlimmen Traum gehalten hatte, wurde zur kalten, nicht abzuleugnenden Wahrheit: Die Mondbasis raste dem Zusammenstoß mit dem Planeten entgegen, in dessen Sonnensystem er gefangen war. Die Mondbasis war von Meuterern belagert. Fraser kämpfte gegen Raum und Zeit, um ihn rechtzeitig zu retten. Maine… Aber Maine war tot. Maine war tot! Ihm fiel die bizarre Jagd ein. Der Mann rannte um sein Leben, und die drei rot gekleideten Jägerinnen ließen ihre elektrischen Peitschen knallen… Benommen öffnete er die Augen und sah drei hagere, bärtige Gesichter, die ihn mißtrauisch musterten. Im Schock setzte er sich auf. Die Männer wichen einen Schritt zurück, aber sofort kamen sie wieder näher. Sie trugen alle diese schwarzen, weißgemusterten einteiligen Anzüge. »Fremder, woher kommst du?« fragte der älteste der drei Männer voll offener Feindseligkeit. »Ich bin von der Mondbasis Alpha«, antwortete Koenig. »Nie gehört«, murmelte ein anderer. Er hatte kaum mehr Zähne im Mund und sah sehr heruntergekommen aus. Koenig schüttelte den Kopf. Er war nur halb wach. »Mein Eagle… Mein Raumschiff ist auf eurem Planeten zerschellt…« Erst jetzt wurde er sich darüber klar, daß er auf dem obersten von etlichen Etagenbetten saß. Seine Beine baumelten über die Kante. Er ließ sich herabgleiten. Der älteste der Männer musterte ihn zweifelnd. »Elizia wird es nie müde, Spione zu schicken.« »Mich hat niemand geschickt.« »Sag ihr, wir sind keine Aufrührer«, forderte der Mann mit den Zahnlücken. »Wir wollen nur die Jägerinnen überlisten, und das ist uns ja erlaubt.«
»Jägerinnen?« fragte Koenig. »Soll das heißen, daß ihr die Jagd wollt?« Die Männer tauschten untereinander Blicke aus. »Das ist richtig, Spion oder Fremder, was immer du bist. Wir melden uns freiwillig zur Jagd. Wenn wir die Heilige Säule erreichen, ohne vorher getötet zu werden, dann sind wir frei und dürfen nach Hause gehen…« »Dort hinunter?« fragte Koenig und deutete auf den Boden, als ihm der hohe Transmitter am Horizont einfiel. Der älteste Mann nickte. »Nach Elina, unserem Heimatplaneten.« Koenig starrte in die häßlichen, abgehärmten Gesichter und hatte unendliches Mitleid mit diesen Menschen. Sollte er ihnen sagen, was er gesehen hatte und ihnen den kleinen Rest Hoffnung nehmen, der sie noch am Leben erhielt? »Da unten ist alles tot«, sagte er leise. »Lügner!« riefen sie zornig. »Ich weiß… Ich war doch dort. Ich habe die Leute gesehen. Alle sind tot. Alle.« »Meine Familie ist auf Elina!« rief der älteste Mann wütend. »Elizia hat dich geschickt, daß du uns anlügen sollst, um uns zu quälen, um uns mit deinen Lügen zum Wahnsinn zu treiben«, rief der Mann mit den Zahnlücken. Alle drei gingen nun auf ihn los, die beiden, die gesprochen hatten, und auch der dritte, der taubstumm zu sein schien. Koenig schlug nach dem Mann mit den Zahnlücken, so daß er gegen die Wand flog, und der Taubstumme bezog auch einen Schlag, aber der älteste Mann packte ihn von hinten um den Hals, und dann kamen auch die anderen beiden wieder auf die Beine. »Er will uns die Möglichkeit nehmen, nach Hause zu gehen!« rief der Zahnlückenmann. »Hört doch auf mich!« schrie Koenig sie verzweifelt an. »Ich war doch auf Elina. Ich sah einen Mann, der dorthin
transportiert wurde. Er starb… sofort!« Der Älteste erwürgte ihn fast. »Was hat ihn getötet? Was hat alle anderen getötet? Und wie kommt es, daß du nicht auch gestorben bist?« »Ich weiß nicht… Vielleicht war es eine Art Pest. Ich weiß auch nicht, weshalb, ich nicht starb. Vielleicht bin ich immun.« Die Männer waren jetzt sehr verwirrt, aber sie konnten dann die Unterhaltung nicht weiterführen, weil der Wandlautsprecher im kleinen Zellenraum zu plärren begann. »Achtung, Achtung, alle Gefangenen… Es ist Zeit für die wöchentlichen Nachrichten vom Heimatplaneten!« Koenig lauschte verblüfft. Der Älteste hatte ihn losgelassen, und er rieb sich den schmerzenden Hals. »Die Frau des Gefangenen Branik hat um die Mittagszeit des Sonnentages einen Sohn geboren«, begann die Sendung. Die Gefangenen vergaßen Koenig für einen Augenblick und lauschten hingerissen, denn sie hofften, auch ihr Name möge genannt werden. »Beiden geht es gut. Herzliche Glückwünsche, Gefangener Branik… Warme Winde von den Kanälen jenseits der östlichen Berge von Elina ließen die Temperaturen steigen und erzeugten eine Hitzewelle, so daß alle in die kühleren oberen Kanalzonen reisten… Die Familie Strat Distil und ihre Freunde gaben eine große Party, um seine Rückkehr aus der Strafkolonie Entra zu feiern…« Als ihnen aufging, daß sie keine Neuigkeiten über ihre eigenen Angehörigen erfahren würden, wandten sich die drei wieder Koenig zu. Sie schienen in sehr häßlicher Stimmung zu sein. »So, dann sind also auf unserem Heimatplaneten alle tot, und der arme alte Strat Distil starb in der gleichen Minute, als er aus dem Transporter trat…« Der Zahnlückenmann knurrte
sarkastisch und riß einen großen Streifen aus Koenigs Bettzeug. »Der Leiter des Sicherheitsdienstes auf unserem Heimatplaneten, Inver, berichtet ein Nachlassen der Unzufriedenheit bei der Opposition…« fuhr der Nachrichtendienst fort. Die drei Männer gingen wieder auf ihn los, und Koenig zog sich zur Wand zurück, um einen Fluchtweg zu suchen. »Und nur du bist immun, Spion oder Fremder?« bohrte der Zahnlückenmann. »Inver sagt voraus, daß es sehr bald keine Opposition mehr gibt…« »Dann laß mal sehen, wie immun du bist gegen einen Strick um deinen Hals!« Der Zahnlückenmann warf ihm den Streifen Bettzeug um den Hals und zog fest zu. Koenig fühlte plötzlich panische Angst, und er starrte verzweifelt diese drei Killer an. »Die Mondbasis… Mein Heimatplanet wird mit einem Planeten eures Sonnensystems zusammenstoßen… Ihr müßt mich zurückkehren lassen. Sonst sterben ein paar hundert von meinen Leuten…« Aber sie hörten ihm gar nicht zu. Da warf er sich auf sie und versuchte ihren Ring zu durchbrechen. Sie packten ihn, und der Mann mit den Zahnlücken machte eine Schlinge aus dem Streifen Bettzeug.
»Wir nähern uns der Position der letzten Mitteilung des Kommandanten«, berichtete Sahn ruhig von der Konsole in der Kabine des Eagle Sieben. Die Instrumente summten und klickten, Lichter blitzten und brannten beruhigend im großen Schiff, als es durch die interstellaren Weiten pflügte.
Auf dem Schirm neben ihr war das Bild des großen Sterns, in den ihre Heimat stürzen, der sie vernichten würde. In der unteren Ecke ließ sich die Rundung des Teufelsmondes Entra erkennen, und darüber, aber ein ganzes Stück entfernt, war die Kugel Elina. »Versucht, Eagle Eins mit euren Sensoren zu erfassen«, riet Fraser vom Flugdeck aus, wo er immer noch versuchte, die Mondbasis Alpha zu erreichen. Seit ihrem Start – ein paar Augenblicke vor Sandors Meuterei – hatten sie keinen Kontakt mehr bekommen, und nun wußten sie nicht, ob und wie sie weiterleben könnten. Sie befanden sich in einer unmöglichen Lage. Zu viele Ereignisse drängten sich in eine zu kurze Zeit zusammen, und da war es fast unmöglich, sie alle unter Kontrolle zu bekommen. Natürlich hatten sie mit einer solchen Situation – früher oder später – gerechnet, denn sie schien unvermeidlich zu sein. Nur über die Zeit hatten sie keine Vermutungen anstellen können. In den letzten Minuten hatte der Bordcomputer die Ergebnisse der Kalkulation ausgespuckt, die sie angestellt hatten für den entscheidenden Moment des Zusammenstoßes der Mondbasis mit dem fremden Planeten. Sie hatten noch zwei Erdentage Zeit, und vermeiden ließ sich der Zusammenstoß nicht. Waren der Mond und seine Alphaner noch am Leben, so rasten sie alle dem Aufprall entgegen, da sie sich schon im Sonnensystem dieses Planeten befanden. Es war eine Ironie, daß sie ohne diesen kleinen, Sonnenfernen Planeten in sicherer Entfernung an dieser Sonne hätten vorbeiziehen können, denn hier wäre deren Anziehungskraft nicht mehr sehr groß gewesen, und sie hätten ihren weiteren Weg in den Raum ungestört fortsetzen können. Aber es sollte nicht sein. Fraser starrte erbittert den dunklen Schirm an und dann die Computerausdrucke, die er in seinem Zorn zerrissen hatte. Sie
brauchten ein paar Stunden, um auf dem fremden Mond unter ihnen zu landen und sich zu orientieren. Und wie lange würde es dauern, Koenig und Maine zu finden, falls sie noch lebten? Und lebten sie noch, wieviele Stunden würden sie brauchen, um sie vom Planeten wegzuholen? Die Rückreise zur Mondbasis würde, wie er errechnet hatte, etwa fünf Stunden dauern. Also hatten sie noch etwa dreißig Stunden Spielraum, dazu ein paar Stunden, um den Mond zu evakuieren und dann zuzusehen, wie er in kleine Stücke zerfiel…
XIV
In tiefster Verzweiflung besah sich Verdeschi das Bild des bevorstehenden Verhängnisses. Der übergroße Kamerad im Tod war eine eisige, rostfarbene Kugel aus Urgasen und Flüssigkeiten. Genau gesagt: er war mehr eine See oder ein Sumpf als ein Planet, und schlugen sie auf ihn auf, würden sie eher wie ein Stein in den Morast versinken als sich beim Aufprall in Atome auflösen. Er war wie ein böses Auge. Die glatte Oberfläche atmosphärischer Gase war noch ruhig, aber bald mußte hier die Hölle los sein. In gereizter Verzweiflung starrte er das Schirmbild an. Dann forderte er von Yasko, der lächelnden ComputerOperatorin, die an ihrer Konsole saß: »Gib mir den Reisetunnel Vier, Ebene D.« Yasko ließ ihre Finger kurz über ihre Instrumente spielen, und das Bild des Planeten verschwand. Einen Augenblick später waren Sandor und seine drei Gefolgsleute zu sehen. Verdeschis erste Reaktion war ungezügelte Wut, weil er daran dachte, wie der Riese ihn als Geisel benutzt hatte, um seine Freunde aus dem Lazarett zu befreien, danach das Lebenserhaltungssystem zu sabotieren und sich schließlich auf halbem Weg zur Mondoberfläche im Reisetunnel zu verbarrikadieren. Der psychotische Spinner hatte äußerst wichtige Teile des Lebenshaltungssystems gestohlen, und das Lösegeld dafür war die Alpha-Führerschaft. »Sandor, hör mir zu!« schrie Verdeschi. »Und sag mir’s, wenn du mich hörst. Ich bin wirklich nicht in der Laune, dich
zu ertragen, und Zeit haben wir auch keine mehr zu verlieren. Wir befinden uns auf einem Kollisionskurs, und das ist die reine Wahrheit. Du glaubst das besser, suchst den letzten Rest deines Verstandes und deines Gewissens zusammen, kommst heraus und übergibst diese Teile. Ohne sie wird unsere Luft allmählich vergiftet…« Sandors rötliches Gesicht trug den Ausdruck eines Mannes, der entschlossen war, keinem Menschen mehr zu trauen. Er lächelte auch nicht mehr sarkastisch und schnitt Verdeschi barsch das Wort ab. »Ah, Sie geben also zu, daß es einen Planeten gibt«, stellte er fest. Verdeschi wurde noch wütender. »Ja, aber einen Planeten im frühesten Stadium seines Entstehens. Kein grünes Gras, keine Bäume, keine Flüsse – wir sind fünfzig Millionen Jahre zu früh daran.« »Nein, Sie lügen, Verdeschi!« schrie Sandor. »Es ist nicht mehr als ein Mantel aus Staub und nicht atembaren Gasen, ein Ozean aus Ammonium mit einem dicken Eiskern.« Sandors irre Augen starrten verächtlich vom Schirm. Er weigerte sich, das zu glauben. Aber seine drei Anhänger spürten, wie ehrlich es Verdeschi meinte, wie besorgt er war. Sie waren erschüttert und waren fast bereit aufzugeben. »Sandor, er könnte ja die Wahrheit sagen.« Cernik zitterte am ganzen Körper. Der Messias von eigenen Gnaden hörte ihn kaum. Mit seinen fanatischen Augen starrte er Verdeschi an. »Er lügt. Er will uns zum Aufgeben zwingen. Deshalb lügt er. Auf unserem gegenwärtigen Kurs werden wir in einen Orbit um den neuen Planeten gezogen. Das sagen unsere Berechnungen. Wir können uns nicht irren… Verdeschi, wir warten noch immer…«
Der temperamentvolle Italiener winkte Yasko zu, sie solle die Verbindung unterbrechen. Dann stürmte er wie ein gefangener Tiger in der Kommandozentrale auf und ab. »Wir müssen zu ihm durchkommen…« Er wandte sich an Maya. »Wieviel Zeit haben wir noch?« Die Psychonierin schaute auf ihre Konsole. »Auf unserem derzeitigen Kurs stoßen wir in genau vierundzwanzig Stunden mit dem Planeten zusammen. In fünfzehn Stunden beginnen wir mit der Evakuierung.« »Können wir denn den Kurs des Planeten nicht verändern?« fragte Yasko. Verdeschi schüttelte den Kopf. »Nein, uns fehlen die Megatonnen…« Er überlegte angestrengt, und alle warteten gespannt darauf, daß erweiterredete. »Aber wir haben doch soviel Energie, daß wir Alpha klarsteuern können.« Jetzt leuchteten seine Augen auf. »Du meinst, wir könnten den Mondkurs verändern?« Maya legte die schöne Stirn in Falten. »Sicher haben wir auch nicht die Megatonnen, das tun zu können.« »Wie dieser ganze Mondtrip 1999 anfing… Als die Atomabfälle hochgingen…« Darüber mußte er noch eine ganze Weile nachdenken. Ungläubig starrten sie ihn an. »Du meinst, daß du absichtlich den Rest Atomabfälle hochgehen lassen könntest?« tastete sich Yasko schließlich vor. »Einen Teil davon«, erwiderte er. »Wie sonst kommen wir zu einer Explosion, die stark genug ist, den Mond um einen oder zwei Grade aus dem jetzigen Kurs zu werfen?« Maya war sofort begeistert. »Ja, das würde gehen! Wir brauchen einen atomaren Auslöser! Und sehr viel Glück…« Sie lief zu ihrer Konsole. »Ich lasse sofort berechnen, wieviel für eine Kursveränderung um zwei Grad nötig ist.«
»Na?« fragte Verdeschi nach ein paar Minuten gespannten Wartens. Sie las laut die Daten ab und übersetzte die Ziffern. »In allen Abteilungen ist mit ernstlichen Schäden zu rechnen. Großes Brandrisiko…« Sie schaute auf. »Das ist nicht allzu schlimm. Meine eigenen überschlagsweisen Berechnungen ergaben, daß sich die gesamte Basis… auflösen würde.« Verdeschi nickte grimmig. »Diesmal vertrauen wir lieber dem Computer. Nicht, daß deine persönliche Vorhersage falsch wäre, aber die des Computers ist unser einziger Hoffnungsstrahl. Was ist mit den Leuten?« »Überlebensrate Null.« Er biß die Zähne zusammen. »Dann müssen wir wohl auf den Evakuierungsplan zurückgreifen.« Schnell trat er an seine Konsole und drückte einen Knopf. »Achtung, Achtung, an das gesamte Personal der Mondbasis«, kündigte er ernst die wichtige Mitteilung an. »Wir sehen uns dem enormen Risiko gegenüber, den Mond aus seinem derzeitigen Kollisionskurs zu sprengen. Um die Gefahren auf ein Mindestmaß zu beschränken, ordne ich eine sofortige und vollständige Evakuierung an. Bitte, jeder bringt sofort an die vorgesehenen Evakuierungspunkte das erlaubte und in allen Einzelheiten vorbestimmte Gepäck. Alle nicht lebenswichtigen Systeme sind abzuschalten, die Abteilungen und Räume zu versiegeln…« Er unterbrach die Verbindung und wandte sich an Maya. »Wenn Sandor nicht aus dem Reisetunnel herauskommen will, soll er zum Teufel gehen und in der Hölle verrotten, denn eine Hölle wird Alpha in einigen Stunden sein.« Eine Stunde später meldete sich Helena bei ihm. »Tony, das Lazarett ist völlig klar.« Verdutzt blieb sie stehen, als sie die Unmengen von Ausrüstungsgegenständen und Apparaten sah, die sich in der Kommandozentrale, alles schön
in einige große Container verpackt, angesammelt hatte. Sie bemerkte, da scheine ja jeder Bleistift zum Mitnehmen vorgesehen zu sein, von größeren Dingen gar nicht zu reden. Verdeschi zuckte die Achseln. »Wenn es uns nicht gelingt, den Mond aus seinem Kurs zu sprengen, werden diese paar Eagles unsere ganze Heimat sein.« »Und wie lange können wir in einer Flotte von Raumtransportern leben, ohne einander die Kehlen durchzuschneiden?« »Diese Frage haben mehrere Alphaner gestellt, als wir aus dem Erdorbit geschleudert wurden«, erwiderte er müde. Sie lächelte matt. »Das ist Tony Verdeschi/John KoenigPhilosophie. Solange wir die Chips am Tisch haben, sind wir noch im Spiel.« »Ja, ungefähr so« antwortete er. Eine Stunde später war die Mondbasis Alpha verlassen, nur Verdeschi, Maya und Sandor waren noch da. Die Pflegerinnen und Sanitäter, die Ärzte, die Sicherheitsposten, alles operative Personal und alle anderen Leute warteten schweigend in der reparierten und völlig überholten Eagle-Flotte, um ihre so unsicher gewordene Heimat zu verlassen. Sie hatten an Ausrüstung alles bei sich, was sie in den nächsten paar Monaten brauchten; waren sie nach dieser Zeit noch immer gezwungen, im Raum zu bleiben, mußten sie wohl damit beginnen, für ein neues Heim zu sorgen; wenn Schiffe alle zusammengedockt wurden, konnten sie eine Raumstation bauen. Auf vorüberjagenden Planeten und Asteroiden mußten sie sich holen, was sie zum Leben brauchten und dort zu finden war, bis sie eine neue Welt fanden, auf der sie Wurzeln schlagen konnten. Verdeschi wartete auf Sandor, der sich ja schließlich für etwas entscheiden mußte. Der zum Untergang anscheinend
entschlossene Messias hatte mit seinen irren Aposteln genau zehn Minuten Zeit. Entweder verließen sie dann zusammen mit den anderen die Mondbasis, oder sie riskierten, getötet zu werden.
»Er wird es nicht wagen, den Atomabfall hochgehen zu lassen, während wir im Reisetunnel sind!« erklärte Sandor seinen Zuhörern. Sie drängten sich eng aneinander. Die von Sandor her anrollenden Wellen pathologischer Energie schienen ihnen nicht recht zu behagen. Die beiden Männer hatten Angst, ihm nicht beizupflichten; sie hatten weder den Mut, ihm zu widersprechen, noch den Willen, vor ihm zu fliehen. Aber Eva liebte ihn, und sie legte ihre zierliche Hand auf die derbe Pranke und drückte sie ermutigend. »Du sprichst immer von dem neuen Planeten, Sandor«, sagte sie leise. »Du sprichst von Freiheit von John Koenigs Befehlen… Ich würde sagen, wir vier müßten jetzt beginnen. Wir wollen abstimmen, was zu tun ist.« Er musterte sie mißtrauisch. Sein Blick wurde weicher, denn tief innen wollte er doch ihr Bestes. Aber plötzlich runzelte er verstört die Brauen. »Abstimmen?« fragte er. »Warum denn nicht?« fragte sie. »Koenig ist doch der Diktator, nicht du. Oder?« Er schwieg einen Moment und sah recht bedrückt drein. Dann kniff er die Augen zusammen und musterte schlau einen nach dem anderen. »Cernik? Stimmen wir ab?« Cernik tat überlegen. »Warum nicht?« »Stevens? Und Eva?« Beide nickten. »Schön«, sagte er. »Wer ist für die Evakuierung?«
Erst zögerten alle, dann hoben sie die Arme. Er nickte, als habe er das längst erwartet, doch er schien es mit gemischten Gefühlen aufzunehmen. Er schaltete den Monitor ein. »Verdeschi? Wir kommen heraus.« Nach einer kleinen Pause erschien Verdeschis müdes, mißtrauisches Gesicht auf dem Schirm. »Ihr habt noch fünf Minuten, dann starten die Eagles. Und bring die Teile mit, die du gestohlen hast.«
Ein riesiger Eagle nach dem anderen hob ab mit den unbezahlbaren Ladungen an Leben und Gütern. Er sah ihnen nach, wie sie auf ihren Feuerschwänzen in den sternenbesäten, dunklen Himmel stiegen. Die Andeutung einer Dämmerung lag nun über dem Mond, denn sie waren schon im Bereich der fernen Sonne. Im Moment war Tag, und der Stern hing wie ein riesiger Edelstein über dem felsigen Horizont. Viel nützten die lebensspendenden Strahlen nicht, denn sie waren viel zu weit entfernt. In der oberen Ecke des Schirmes, ein paar Grad über der Sonne, hing der drohende rostfarbene Planet. Er war schon so groß wie ein Golfball und wuchs sehr schnell. Während er dastand und ihn beobachtete, weil er wartete, bis der letzte Eagle-Transporter abgehoben hatte, glaubte er zu sehen, wie der Umfang allmählich anschwoll und immer heller wurde. »Evakuierung vollständig mit Ausnahme von Eagle Elf, Tony«, meldete ihm Maya von ihrer Konsole. »Das ist das Schiff, in dem Sandor abfliegen soll. Achtzehn Stunden und dreizehn Minuten bis zum Kollisionspunkt.« In der leeren Kommandozentrale klang die Stimme fern und seltsam. Er drehte sich um. »Na, gut. Dann wollen wir also den Atomzünder in Position bringen. Noch länger können wir auf Sandor nicht warten. Gib dem Schiff durch, es soll abfliegen.«
Er spannte sich, sah sich nervös um; er wußte, daß Sandor irgendwo in der Nähe war. Und nirgends befand sich jetzt ein Posten… Sein Körper strahlte vor Licht und Feuer. Es war ein momentaner grausamer Schmerz. Dann fühlte er nichts mehr, weil er bewußtlos zu Boden sank.
Das bunte Schachbrettmuster der Zelle auf Entran blinkte in einer verwirrenden Lichtfülle und rasend schneller Farb- und Feldfolge. Koenig drückte die Hände auf die Augen, um von diesem Farb- und Lichtwirbel nicht ganz benommen zu werden. Er mußte ja auch die drei Gefangenen im Auge behalten, die sich ihm mit der Schlinge aus Bettzeug drohend näherten. Zu Koenigs Glück wirkten die Lichter auf sie ebenso wie auf ihn. Sie schrien Flüche und torkelten vor Schmerz und Verwirrung herum. Plötzlich ahnte er, daß man die Lichtorgie vielleicht seinetwegen veranstaltete, um ihm zu helfen. Als sich der Wirbel allmählich wieder beruhigte, wurde die Zellentür aufgerissen, und eine rotgekleidete Jägerin erschien. Sie sah ihn, trat zu ihm und bearbeitete ihn mit dem Peitschenstiel. Die anderen Gefangenen, die mehr denn je davon überzeugt waren, daß er ein Spion sei und für Elizia arbeitete, sahen neidvoll und wütend zu, wie er aus der Zelle mehr geschleppt als geführt wurde. Die Posten knallten die Tür hinter den beiden zu. »Dein Tod wäre eine solche Verschwendung gewesen«, sagte eine sehr sinnliche, selbstbewußte Stimme zu ihm. Er erschrak und drehte sich um. Im Korridor stand eine große, bizarr gekleidete, trotzdem betäubend schöne Frau. »Da stimme ich zu«, meinte er lächelnd und verneigte sich leicht in ihre Richtung.
»Ich bin Elizia«, sagte sie geschmeichelt. »Aufseherin dieser Strafkolonie.« Den Namen erkannte er sofort und deutete zur Zellentür. »Die da drinnen meinen, Sie hätten mich zum Spionieren hineingeschickt.« »Und das beweist wieder einmal meine Ansicht, daß denkende Gefangene gefährlich sind«, antwortete sie lachend. An ihrem ganzen Körper blitzten Diamanten. »Komm!« Sie ging ihm voran, und dabei unterhielten sie sich. Koenig war verwirrt. »Ich habe kein Verbrechen begangen. Ich kam eigentlich nur, weil ich ein Notrufsignal auffing… und weil ich meine Basis vor der Zerstörung retten wollte.« Er berichtete ihr kurz von dem bevorstehenden Zusammenstoß der beiden Planeten und drängte, er müsse sofort wieder abfliegen. Sie nickte. »Der Notruf war ein Computersignal, das aktiviert wurde, als Elina dieses Unheil befiel. Du bist der einzige, der je darauf reagierte. Ich kann Fremden nicht gestatten, hier zu landen. Niemand kann dich hier abholen.« Er sah sie zornig an. »Aber wir sind doch gar keine Bedrohung für euch… Ich bin John Koenig, Commander der Mondbasis…« »Ja, ja, wir haben doch dein Gehirn sondiert. Wir wissen alles über dich.« Sie waren auf der Sicherheitsstation angelangt. Er erklärte ihr nachdrücklich, daß er hier unter Zwang sei und ihn niemand festhalten dürfe. Elizia blieb stehen und lächelte dünn. »Du überschätzt dich selbst.« »Meine Leute wissen, wo ich bin. Sie werden mich holen.« Sie lachte verächtlich. »Kein Mann hat je gewünscht, so schnell aus meiner Nähe zu verschwinden. Bleib bei mir, und du wirst ungeahnt herrliche Vergnügen erleben… bis ich deiner müde bin.«
Koenig überhörte das. »Ich fordere aber, daß ich gehen darf. Sie haben kein Recht, mich hier festzuhalten. Meine Leute werden hier nach mir suchen und…« Ein plötzliches hohes, summendes Geräusch unterbrach ihn. Der Wandschirm meldete sich, und Elizia aktivierte ihn. Kopf und Schultern einer rotgekleideten Frau erschienen. Sie sah ein wenig älter aus als die anderen, wirkte auch militärischer. Ihr purpurfarbenes Haar war ganz kurz geschoren, und sie sprach mit tiefer, barscher Stimme. »Fremdes Raumschiff ist in unserem äußeren Quadranten… direkter Kurs auf uns.« Elizia nickte. »Kontrolleur, Barriereschilder aufrichten«, befahl sie. Die Frau nickte und tippte auf ihrer Konsole eine Reihe von Zahlenkombinationen. Dann schaute sie auf. »Schild in Position.« »Auf weitere Befehle warten.« Der Schirm wurde dunkel. Elizia wandte sich an die Vernehmerin im schwarzen Anzug und sagte verschwörerisch: »Wir werden das Raumschiff warnen, in angemessener Entfernung zu bleiben.« Die Verhörspezialistin musterte Koenig und meinte zweifelnd: »So wie ich diese Fremden einschätze, werden sie auf Warnungen nicht hören.« »Dann werden sie eben im Raum ausbrennen«, meinte Elizia lachend. Koenig wurde wütend, behielt diesen Zorn aber für sich, weil er wußte, daß es unnütz ist, mit Frauen dieser Art zu argumentieren. Er hatte sie ja sofort richtig eingeschätzt, als er ihren grausamen Sport beobachtete. Die Führerin konnte daher auch nicht besser sein als die Untergebenen, doch er hatte gehofft, als Fremder mit Respekt behandelt zu werden. Die Sicherheitschefin fragte: »Willst du ihn zu einer solchen Zeit hier haben?«
Elizia musterte ihn so kalt wie ein Schlächter ein Stück Vieh abschätzt. »Er könnte vielleicht nützlich sein, obwohl er’s bisher nicht war… Bringt ihn hinter die Schirmwand, während ich seine Gedächtnisfilme durchgehe. Ich muß etwas erfahren.« Man schob ihn in den durchscheinenden Zellenraum, der die Sicherheitsabteilung von einem ähnlichen Zimmer trennte. Es war eigentlich nur ein ganz enger Schacht zwischen zwei Wänden aus Doppelglas. Hier konnte er keinen Ton hören, aber er sah die beiden Frauen herumgehen; sie sprachen miteinander, weil sich ihre Münder bewegten, und dabei schauten sie auf den großen Wandschirm über seinem Kopf, den er selbst jedoch nicht sehen konnte. Sie schienen zu streiten, und jede mochte wohl ihre Meinung zu einem künftigen Verhalten verteidigen. Ihn schienen sie vergessen zu haben. Er benützte also die Zeit dazu, sich einen Fluchtplan auszudenken. Endlich drehte sich Elizia zu ihm um, berührte einen Knopf an ihrem juwelenbesetzten Gürtel, und nun hörte er wieder Geräusche und Worte. »Wir entdeckten, daß ihr eine sehr gewalttätige Spezies seid«, sagte sie erstaunt. »Erst glaubte ich es nicht, aber ihr scheint ebenso viel Vergnügen aus den Leiden anderer zu beziehen wie wir.« »Es ist falsch, voreilige Schlüsse zu ziehen, wenn ihr meinen Geist anzapft«, erwiderte er abweisend. »Wir sind nur dann gewalttätig, wenn wir angegriffen werden. Alle anderen Eindrücke stammen wohl aus der Vergangenheit, aus der alten Geschichte unserer Erde.« »Egal, wie es ist, wir haben jedenfalls beschlossen, euer Schiff hier landen zu lassen«, erklärte sie ihm und bemerkte vergnügt den Hoffnungsschimmer in seinen Augen. »Obwohl eure Heimatwelt ja doch zerstört wird, scheint mir, ihr seid gut ausgerüstet und werdet noch weitere Schiffe aus schicken,
solange sie noch glauben können, daß du lebst. Unser Kraftfeld ist zwar riesig, aber der Invasion einer großen Flotte ist es wahrscheinlich doch nicht gewachsen. Wir auf Entra haben nicht genügend große und starke Waffen, um uns verteidigen zu können. Deine Freunde werden jedoch wohl landen, nicht aber zu sehen sein, und sie werden auch dich nicht sehen. Maines Leiche werden sie finden und dann noch etwas, das sie für deine Leiche halten…« Sie drehte sich zu der Frau in Schwarz um. »Es wird die Leiche eines Gefangenen sein, der glaubt, nach Hause gehen zu dürfen.« Sie lachte schrill über ihren eigenen makabren Witz, noch mehr aber darüber, daß die andere Frau das gar nicht lustig fand.
Ein langer amöbenartiger Arm sumpfiger Gase zuckte aus der sich nähernden blutfarbenen Welt und griff mit den starken Gravitationskräften nach Alpha. Bald war die trostlose Mondlandschaft in rote, erstickende Wolken gehüllt. Loser Fels und Staub wurden von der Mondoberfläche weggerissen und in wilden Wirbeln in die sonderbaren, ruhelosen Seen aus Ammoniak auf der Oberfläche des fremden Planeten gesaugt. Verdeschi hatte sich wieder erholt und stand in ehrfurchtsvollem Staunen auf der Landeplattform von Eagle Neun. Nur die dünne Haut seines Raumanzuges schützte ihn vor der kalten Raumleere und den giftigen Dünsten. Unter den Arm hatte er sich einen Atomtrigger geklemmt, den er brauchte, um eine der Atomdeponien zu zünden. Jedes dieser Lager hatte eine Schutzkappe aus Stahlbeton, die es gegen Menschen und andere Lebensformen absicherte. Sie waren sicher nicht leicht zu öffnen, so stark waren sie. In der anderen Hand hatte er ein Explosivgerät und den Zeitzünder, von denen er gehofft hatte, sie würden genügen.
Über das Helmradio setzte er sich mit Maya in Verbindung. »Vier Minuten bis zur Sprengung der Betonkappe, zwei Minuten, um das Gerät an dem Silo zu befestigen, sechs Minuten für die Rückkehr zum Schiff und sechs Minuten volle Kraft voraus, um uns aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Okay, ich gehe jetzt hinab.« »Viel Glück, Tony.« Ihre Stimme klang sehr besorgt. Sobald er die Stufen hinabstieg und den Mondboden erreichte, würde sie das Schiff nach oben nehmen und mit einer Antenne nach Sandor Ausschau halten. Und daran hatte sie gedacht, als sie Tony viel Glück wünschte. Nachdem Sandor Verdeschi in den Rücken geschossen und gelähmt hatte, verging kostbare Zeit, weil der irre Fanatiker sie als Geiseln festhielt. Er war dann schließlich von Maya überlistet worden, die sich in eine Boa Constrictor verwandelte, war aber entkommen und ließ Eva, Cernik und Stevens zurück, die da schon aufgegeben hatten. Die drei Apostel hatte man in den Eagle Neun eingesperrt, also in das Schiff, das Maya und Verdeschi für ihre sichere Flucht benutzen wollten, und Sandor war mit einem Mondkäfer und einem Lasergewehr zu den Atomschuttkuppeln aufgebrochen, um einen irren Versuch zu machen, Verdeschi an der Kursänderung des Mondes zu hindern. Jetzt konnte der Verrückte irgendwo sein; wahrscheinlich duckte er sich hinter Felsen in der Nähe der Lager, um auf Verdeschi zu warten. Verdeschi vertraute auf Maya, daß sie ihn finden würde, und so stieg er die Stufen hinab, mitten hinein in den wirbelnden roten Nebel.
Es gibt Menschen und Narren, dachte Sandor, Menschen, die an Ehrlichkeit, Wahrheit und Lauterkeit glaubten und sich dem
Leben stellten. Und es gibt Narren, überlegte er, die nur schwindelten, betrogen und manipulierten, die alles verkünstelten und verdarben und dem wahren Leben feige auswichen. Männer wie er selbst, oder wie er gewesen war, ehe man ihn gezwungen hatte, Zeit und Energie zu verschwenden und seine Ehre aufs Spiel zu setzen, weil er gegen Koenig und Verdeschi kämpfen mußte, und Narren wie Koenig und Verdeschi. Immer hatte er selbst versucht, nach seinen Idealen zu leben. Immer hatte er nur ein Ziel gehabt: ein neues und glücklicheres Leben für die Alphaner. Man hatte ihn verachtet, getreten, lächerlich gemacht – und jetzt wurde er zum Märtyrer. So sah er nämlich seine letzte Tat. Er konnte vielleicht Verdeschi töten und selbst Erfolg haben, wahrscheinlich war es jedoch, daß er keinen Erfolg hatte und getötet wurde. Er wußte nun, daß es die ironische Tatsache allen Lebens war, daß die Narren immer gewannen. Er ließ den Eagle, der über ihm wie ein Dämon kreiste, nie ganz aus den Augen, aber auch nicht die Kuppelkappen der Atomabfallsilos unter ihm, hob die starke Waffe auf die Schulter und suchte die wirbelnden Dämpfe nach seinem Ziel ab. Was immer auch in den nächsten Minuten geschah, er würde jedenfalls versuchen, auch unter Aufopferung seines Lebens, zu beweisen, daß ein Mann gegen Lügen und Falschheit ankämpfen und gewinnen konnte.
Crael weinte und stöhnte und riß sich seine restlichen paar Haare aus, als er an die zahlreichen unverzeihlichen und schändlichen Verbrechen dachte, die er Elizias wegen begangen hatte. Ihr unersättlicher Appetit nach Sadismus und Vergnügen war nun aber zu weit gegangen. Er verwünschte den Tag, da er
jenes Verbrechen beging, das ihn ins Exil auf diesen Strafmond schickte, denn seit er hier war, hatte er viel mehr und vor allem ungeheuerliche Verbrechen begangen. Sie hatte ihm wiederholt gesagt, daß seine Strafzeit eigentlich längst abgelaufen sei, und wenn er frei sein wollte, brauchte er nur in den Transporter zu treten und sich nach Elina transportieren zu lassen. Aber er blieb an diesem unerträglichen Ort – wie ein Arzt in einer Schlacht. Als er sich entschlossen hatte, die anderen Gefangenen zu vertreten, hatte er bemerkt, daß sie sich ihm gegenüber ständig feindseliger und verächtlicher verhielten. Sie hatten schon unter schlimmeren Bedingungen gelebt. Jetzt vermuteten er und einige andere, daß Elina, ihr Heimatplanet, wo ihre Frauen und Kinder lebten, tot war. Und sie vermuteten, daß Elizia und ihre amazonenhaften Herrscherinnen die Kolonie weiter existieren ließen, um ihrem sadistischen Vergnügen nachzugehen. Sie konnten nicht glauben, daß Elinas Ordnungskräfte so entartet waren, wie es den Anschein hatte. Aber Elina mußte etwas zugestoßen sein, und die Gefangennahme dieses fremden Commanders und seine anscheinend verrückte Erklärung verstärkten noch ihren Verdacht. In ihrem Elend und ihrer Todesangst wurden sich viele Gefangenen darüber klar, daß sie ja gar nichts mehr zu verlieren hatten, wenn sie gegen Elizia rebellierten und selbst herausfanden, was mit Elina los war. Crael hatte ungeheure Angst vor den Folgen einer solchen Meuterei, aber ebenso viel vor dem gegenwärtigen Zustand, und so näherte er sich der Empfangshalle, wo Elizia saß und sich neue Vergnügen ausdachte. Das Blut ihres letzten Opfers klebte noch an ihren Händen, jenes Gefangenen, der in Koenigs Kleidern und in der
Überzeugung, befreit zu werden, mitten hinein in das Kraftfeld rannte, das die Säule umgab. Er meldete sich an der Tür und trat ein. »Ja, Crael?« sagte sie tonlos. Sie saß im Glanz ihrer Juwelen auf dem Thron und sah heiter und verträumt drein. Was mochte sie in eine solche Stimmung versetzt haben? Er hatte gar nicht gewußt, daß sie auch menschlicher Gefühle fähig war. »Das ist ja noch schlimmer als die Jagd, und Ihr habt versprochen, es nicht zu tun«, sagte er. Sie lachte fröhlich. »Ah, du meinst diese Freunde des fremden Commanders? Eine Wahl zwischen Versprechen und Selbsterhaltungstrieb. Es mußte sein, weil sie unsere Freiheit gefährdeten. Weil…« Verträumt brach sie ab. »Weil John Koenig mit sehr viel bedeutet, Crael. Ich will nicht, daß er hier weggeht. Wie hättest du dich entschieden?« »Ich meine nicht seine Freunde, obwohl das auch schlimm genug war, sondern Phirley, den Gefangenen.« Fast weinte er jetzt. Seine Weichheit ärgerte sie. »Weshalb bist du heute so frech und aufsässig? Wie kann ich alles riskieren, wofür ich gearbeitet habe? Crael, ich habe dich allmählich satt. Du langweilst mich… John Koenig glaubt, er könne meiner Liebe widerstehen, denn er tat es schon! Er versuchte es«, berichtigte sie sich. »Aber das erlaube ich natürlich keinem Mann!« In ihren funkelnden grünen Augen lagen Machtgier, Wahnsinn und ein ungeheurer Haß. »Ich habe John Koenig gewarnt. Mein Körper begehrte ihn. Jetzt wird er den Preis bezahlen. Oh, ich werde ihn lieben! Und ich werde ihn töten! Ich werde ihn jagen wie ein Tier…«
XV
Das trockene, harte Gras reichte bis zu den mageren Büschen am Horizont, und dort stand die Marmorsäule des Transmitters. Ob dies auch wirklich ein Transmitter war? Er zweifelte daran, doch es war auch unwichtig, welchem Zweck sie diente. Wichtig waren nur die in Scharlach gekleideten Gestalten, die ihn verfolgten… und die viel zu schnell verrinnende Zeit, denn jede Stunde brachte den Mond der gefürchteten Kollision näher. »Gebt ihm einen guten Vorsprung«, hatte Elizia gesagt, »das tun wir doch immer. Aber wenn er umzingelt ist, laßt ihn langsam sterben…« Eine Baumreihe tauchte auf, und er änderte seine Richtung. Eine Reihe sah ja aus wie die andere, aber diese hier konnte vielleicht zum Wrack des Eagle führen. Falls er über Radio Fraser erreichen und ihm sagen konnte, daß er ja gar nicht tot sei, könnte er umkehren und ihn abholen. »Ich bin nicht tot, ich lebe!« schrie er, als er rannte. »Er muß mehr leiden als ein Entraner… Er ist ein Fremder, der unsere Kultur verachtet. Jagt ihn zur Ebene von Entra! Der Lohn wird größer sein als ihr euch je erträumt habt…« Er warf einen Blick zurück. Die Jägerinnen schwärmten aus, um ihn zu umzingeln. Dreißig waren es, und die Kolonie hatte noch viel mehr davon. Jetzt gab es fast mehr Zuchthausaufseherinnen als Zuchthäusler, und sie warteten nur auf seine Leiche. Er wurde allmählich müde, und sie holten auf. Aber nun erreichte er den ersten dicken Baum, hinter dem er sich mit
Maine versteckt hatte, und taumelnd auch das kleine Waldstück. Und zwischen den Bäumen, wenn auch fast zu weit entfernt, schimmerte das weiße Dach des Schiffswracks. Er rannte weiter, immer weiter, eine Ewigkeit lang… Seine Beine waren wie Gummi, und die schrillen Schrie der blutrünstigen Weiber kamen immer näher. Mit einer letzten Kraftanstrengung erreichte er den Eagle, tat einen Satz und verschwand durch ein gähnendes Loch im Innern des Wracks. Er stürzte vor Schwäche und verletzte sich und versuchte ein paar Sekunden still zu liegen, um Luft zu holen. Dann stemmte er sich in die Höhe, kletterte in das Pilotenabteil und brach über der Flugkonsole zusammen, doch in halber Bewußtlosigkeit fand er den richtigen Knopf. »Eagle Eins an Mondbasis Alpha«, rief er drängend, als wie durch Zauberhand das Gerät aktiviert wurde. »Eagle Eins an Mondbasis Alpha…« Antwort bekam er aber keine. Wahrscheinlich war Alpha schon tot, oder sein Radioruf durchdrang nicht den Verteidigungsschild um den Planeten. Doch die Hoffnung gab er nicht auf. Fieberhaft arbeitete sein Geist; er wußte, daß er nur noch wenige Sekunden Zeit hatte. Er suchte in der Kabine etwas, das ihm in seiner mißlichen Lage von Nutzen sein könnte…
Das dünne, schwarze Kabel streckte sich zwischen der Betonkappe und ihm. Vorsichtig kniete Verdeschi in seinem unförmigen Anzug nieder und legte den Zünder hinter einen kleineren Felsbrocken. Die atomaren Abfalldeponien waren viele hundert Fuß tief unter der Mondoberfläche, riesige Stahlbehälter und in Beton eingegossen in der Mondkruste begraben. Als der Mond noch der Trabant der Erde gewesen war, hatte man dort die
Atomabfälle begraben, die man auf der Erde nicht zu lagern wagte. Es hatte viele solcher Deponien gegeben, doch nach der nuklearen Explosion 1999 gab es nur noch ein paar davon. Sie waren noch immer radioaktiv und würden es auch noch eine Viertelmillion Jahre sein, wenn man sie in Ruhe ließ; da waren sie nämlich recht harmlos, und nur ein Stab aus reinem Plutonium als Zünder würde wieder eine Explosion auslösen. Die paar Deponien waren über eine große Fläche verteilt. In unmittelbarer Nähe Verdeschis waren drei, und von denen hoffte er, daß sie detonieren sollten. Es war dann egal, in welche Richtung der Mond geschleudert wurde; wichtig war nur, daß die Hitze der ersten Zündung auch die der zweiten und dritten Kuppel auslösen würde, denn dann reichte die Explosionskraft aus. Drei der vier Minuten, die er sich für die Zündung zugestanden hatte, waren vergangen. Langsam griff er nach unten, um den Knopf zu drücken. Und oben suchte der Eagle nach dem Killer. Er fühlte es mehr als er es sonstwie bemerkte, daß Sandors Gewehr nach ihm zielte wie der Arm eines mörderischen Kraken. »Tony, auf den Boden!« hörte er plötzlich Mayas Stimme im Helmradio. Er ließ sich in der geringen Schwerkraft zu Boden fallen, rollte sich herum und sah gerade noch einen Lichtspeer gegen den Felsen stoßen, vor dem sein Rücken gewesen war. Er kam von einem Felsgrat in unmittelbarer Nähe der Kuppeln. Ehe Sandor erneut zielen konnte, brachte Maya den Eagle herunter und direkt über sein Versteck. Verdeschi sah zu, wie die Kanonen am Dach des Schiffes Laserlicht ausspuckten; der Strahl traf den Grat, und Steine und Staub wurden herumgeschleudert. Doch ehe der Steinregen noch aufhörte, traf ein Laserstrahl vom Grat den Bauch des Eagle. Der nächste Schuß erzeugte
eine zweite Explosion. Das ging noch ein paar Sekunden so weiter, doch dann geschahen zwei Dinge auf einmal. Sandors Körper torkelte langsam den Steilhang herab, und das große Schiff tat einen Hüpfer, geriet anscheinend außer Kontrolle und steuerte einen Kraterrand an. Entgeisterte starrte Verdeschi durch seinen Sichtschild, aber er hatte ja eine Aufgabe zu erfüllen, bückte sich und drückte den Knopf. Die Betonkappe wölbte sich erst langsam, dann brach eine Flammen- und Steinmasse heraus, die Deponie war offen. Vier Minuten waren vergangen. In der fünften machte er einige lange Schritte oder vielmehr Mondhüpfer, erreichte den Silo, befestigte den Zünder an der Innenwand und eilte davon. Sechs Minuten waren vergangen. Sechs Minuten blieben ihm zur Rückkehr zum Schiff. Zum erstenmal erlaubte er sich, an Maya und den Eagle zu denken. Das Schiff hatte sich seitlich in den Staub gebohrt. »Maya!« rief er verzweifelt über sein Helmradio. »Kannst du mich hören, Maya?« Er bekam keine Antwort. In tödlicher Angst begann er zu rennen. Doch dann blieb er wie versteinert stehen. Sandor stand höchstens zehn Schritte von ihm entfernt da und sah in seinem Raumanzug aus wie ein plumper Teufel.
Tod und Verzweiflung bedrohten Koenig, als er seinen Kopf nach einem Gedanken durchwühlte, nach einer Idee, wie er aus seiner unheilvollen Lage herauskommen könne. Aus den Tiefen seines Geistes zuckte blitzartig eine Inspiration. Neben und halb unter der Konsole befand sich ein winziges Notgerät. War es aktiviert, sandte es einen starken ›Heim‹Strahl aus, der auch Fraser im zurückkehrenden Eagle erreichen konnte. Er mußte nur vorher den planetaren Verteidigungsschild außer Funktion setzen.
Fieberhaft suchte er nach einem geeigneten Gegenstand und fand ein kleines rundes Ding; schnell riß er einen Schaumfeuerlöscher von der Wand. Das Peitschenknallen und die Schreie der Jägerinnen waren schon gefährlich nahe. Er rannte zu dem Loch und spähte hinaus. Drei der Jägerinnen hatten, gefolgt von einer keuchenden Elizia, den Rand des Graslandes vor dem Schiff erreicht. Er kletterte durch die Luftschleuse hinaus. Und jetzt rannte er um sein Leben. Leider konnte er seine Verfolgerinnen nicht abschütteln. Schreiend folgten sie ihm und lagen schließlich kaum mehr als zwanzig Schritte hinter ihm. Die ausgeschwärmten Jägerinnen versuchten ihm den Weg abzuschneiden, doch er lief ihnen direkt entgegen, so daß sie einen Moment verhielten. Sie bewegten sich fast wie Ballettänzerinnen, als sie sich ihm in großen Sprüngen weiter näherten, und ihre Gesichter waren von wilder Killerlust gezeichnet. Sie hatten Schaum um den Mund wie tollwütige Hunde, und gleichzeitig hoben sie ihre Peitschen, um auf ihn einzuschlagen. Da richtete er die Düse des Feuerlöschers auf sie und drückte den Hebel herab. Dicker weißer Schaum traf ihre Gesichter und verklebte ihre Augen. Es gelang ihm, einer Jägerin die Peitsche zu entreißen, und damit rannte er ungehindert weiter über das Grasland. Vor ihm lagen die hohen, nackten Türme der Strafkolonie, und die waren sein Ziel.
Für Verdeschi war es ein überaus häßlicher Sandor, der ihm entgegentorkelte. Er sah in seinem riesigen Raumanzug aus wie eine dicke, immense Made. Diese monströse Gestalt bückte sich, um einen Stein aufzuheben. Verdeschi wich ihm jedoch noch rechtzeitig aus, so daß der Stein lautlos über seinen Kopf flog und in der Tiefe der Deponie verschwand.
Aber der Irre erwischte ihn doch und legte seine Pranken in den unförmigen Handschuhen um Hals und Luftzufuhr Verdeschis. Er mußte also Sandor nun erledigen, ehe der Riese ihm umbringen konnte. Vielleicht gelang es ihm dann, so rechtzeitig zum Eagle zurückzukehren, daß noch Hoffnung auf Überleben bestand. Er ließ sich, obwohl er damit seinen Lebenserhaltungspack gefährdete, nach rückwärts fallen, um Sandors Vorwärtsbewegungen ins Leere laufen zu lassen. Er brachte seine Füße unter Sandors Magen und stieß nach oben, so daß der Dicke unwillkürlich seinen Griff lockerte und davonsegelte, dem Sprengloch entgegen. Es sah gespenstisch aus, als die fette Made durch den roten Nebel schwebte. Der Tritt in den Magen mußte irgendwie sein Radio beschädigt haben, weil Verdeschi ihn laut fluchen hörte. Einen Augenblick später gellten Angstschreie in Verdeschis Helmradio. Er richtete sich soweit auf, daß er beobachten konnte, was geschah. Der Mann glitt dem Sprengloch entgegen, versuchte verzweifelt, sich in den lockeren Staub und das Geröll zu krallen, rutschte schließlich über den Rand und verschwand mit einem letzten Entsetzensschrei im gähnenden Loch. Verdeschi war übel von diesem Anblick, doch in großen Sprüngen eilte er zum gestrandeten Schiff. Noch immer hörte er Sandors Entsetzensschreie, aber Verdeschi konnte sein Helmradio nicht abschalten; es war blockiert. Er aktivierte die Luftschleuse des Schiffes und kletterte hinein. Maya lag bewußtlos über den Kontrollen des Pilotensitzes. Er zog sie heraus und aktivierte die Instrumente. Sofort wurde der Eagle lebendig, und auf einem Feuerpolster hob er ab und stieg in den sicheren schwarzen Raum.
Zehntausend Meilen vom Mond entfernt wartete die Eagleflotte mit der hoffnungsvollen Bevölkerung der Mondbasis voll ungeheurer Spannung auf die Explosion, die über ihre weitere Existenz bestimmen würde.
Die Gesichter der in der Empfangshalle versammelten Jägerinnen und Gefängnisangestellten nickten und schwankten wie blasse Monde. Er stand vor dem Eingang zur Transportstation, Elizia am anderen Ende der Estrade. Ihr Thron war leer, ihr Blick eiskalt. Sie richtete eine Waffe auf ihn. »Gescheiter Koenig«, sagte sie mit zitternder, schriller Stimme, »du hattest nur Glück, weil unser Planet dir den Vorteil einer geringeren Schwerkraft gab. Sehr klug, mit einer Peitsche hierher zurückzukehren, um über den Transporter nach Elina zu kommen, wo du deine Leute leichter erreichen kannst. Aber für uns bist du noch lange nicht gescheit genug. Transportiert werden nur jene, die Jägerinnen überlisten, und das ist dir nicht gelungen.« »Ich habe dich überlistet, Elizia, und das ist viel wichtiger«, entgegnete Koenig. Schnell betrat er die Station. »Wenn du den Transmitter zu aktivieren versuchst, wirst du aufgelöst«, erklärte sie und zielte. Aber Koenig wandte sich nicht an sie, sondern an die vielen blassen Gesichter. »Wenn sie schießt, zerstört sie den Transmitter. Keiner von euch wird dann je mehr nach Hause zurückkehren können.« Das erschien ihnen logisch, und sie nickten Aber Elizia zitterte vor Angst und war zu allem entschlossen. Die schwarzgekleidete Sicherheitschefin, die neben ihr stand, trat nun vor sie. »Warte, Elizia. Wenn die Gefangenen keine Hoffnung auf Rückkehr haben, können wir sie nicht mehr
unter Kontrolle halten.« Dazu nickten alle Jägerinnen und die Aufseherinnen. »Wir finden eine andere Möglichkeit«, erklärte Elizia kalt. Koenig hatte sich ihr nicht unterworfen, und wenn sie ihn nun ziehen ließe, könnte er ja zurückkehren und sie für das zur Rechenschaft ziehen, was sie getan hatte. »Aber was ist mit uns?« wollte Sares wissen. Sie war wütend. »Und einige von uns sind eben mit ihrer Dienstzeit fertig. Wir wollen nach Hause.« Die Königin der Jägerinnen zögerte, denn sie ahnte die kommenden Schwierigkeiten. Sie wollte Koenig nur daran hindern, den Transmitter zu aktivieren. »Der Fremde ist voller Tricks«, sagte Crael. »Ja, Crael«, bestätigte Elizia und schniefte verächtlich. »Er ist ein sehr schlauer Betrüger… Schleppt ihn aus dem Transporter heraus«, befahl sie den Posten. Aber Crael winkte ihr ab und wandte sich an die Versammelten. »Hört mich an. Unter den Gefangenen geht das Gerücht um, der Fremde habe gesagt, auf Elina seien alle tot.« Er wandte sich an Koenig. »Ist das wahr?« »Das ist wahr. Alle auf Elina sind tot.« Ein Schrei der Angst und Sorge aus Hunderten von Kehlen war die Antwort. »Das weiß Elizia auch, und sie hat euch angelogen!« rief Koenig. »Er lügt!« kreischte sie. »Wenn alle auf Elina tot wären, warum würde er dann dorthin wollen?« Einige aus der Menge nickten, andere schüttelten zweifelnd die Köpfe. »Na, schön!« fuhr Koenig fort. »Wenn es also auf Elina keinen Tod gibt, kann Elizia mir ja folgen und mich wieder zurückbringen.« Jetzt war die ganze Halle in Aufruhr.
Elizia zuckte die Achseln, als sich das Toben gelegt hatte. »Wir lassen ihn gehen. Er ist ja sowieso ein Verbrecher. Elina wird ihn zurückschicken.« Crael trat aggressiv vor sie, denn er spürte den Sieg und das Ende der Tyrannei. »Außer er sagt die Wahrheit«, wandte er sich an alle. »Er lügt!« kreischte sie, doch alle sahen sie nur steinern an. Sie wandte sich an die Sicherheitschefin, die allein, außer ihr, die Wahrheit kannte. Aber die Frau schüttelte den Kopf, nicht aus Sorge um Elizia, sondern wegen ihrer schlechten Leitung der Kolonie. »Mir glaubt ihr nicht, wohl aber einem Fremden?« schrie Elizia beleidigt. »Er lügt doch, ich sage es euch, er lügt!« »Es gibt nur eine sichere Möglichkeit, das Herauszufinden«, erklärte die Chefin der Wachen. Crael gab ihr recht. »Du mußt uns beweisen, daß Elina so ist, wie du sagst, sonst… ziehen sie dir bei lebendigem Leib die Haut ab«, flüsterte er ihr zu. Sie wurde aschfahl, tat aber weiterhin überlegen und lächelte verächtlich; das Lächeln glitt aber von ihrer Totenmaske ab. »Wenn ich zurückkomme, verehrt ihr mich ja doch wie vorher«, sagte sie wenig überzeugend. »Und wenn du nicht zurückkommst, verflucht man dich als Tyrannin.« »Was willst du also, Crael?« »Was uns die meiste Hoffnung läßt.« Sie nickte lächelnd, als wolle sie die feindseligen Blicke überspielen. Aber sie wußte, daß dies das Ende ihrer Herrschaft war. Da packte sie der unendliche Zorn der Verzweiflung, und sie marschierte stolz und überheblich in ihr Verderben. Ehe sie den Transmitter erreichte, glühte er auf, denn Koenig hatte ihn aktiviert und war verschwunden. Mit
dieser Person wollte er nicht zusammen durch den Raum reisen. Nachdem das Glühen nachgelassen hatte, trat sie selbst hinein und folgte ihm.
Als er auf Elina angekommen und damit außerhalb des Kraftfeldes war, zog Koenig das Notgerät aus seiner Tasche und schaltete es ein. Sofort gab es unhörbare Notsignale von einer Wellenlänge ab, die jeder Computer eines Eagle erkannte und aufnahm. Jetzt konnte er nur noch warten und hoffen; hoffen, das Alpha nicht tot war. Und warten auf einen Eagle, der ihn abholte. Während er wartete, vertrieb er sich die Zeit mit der Beobachtung der stolzen und gierigen, schönen und tödlich gefährlichen Herrin von Entra, die ihre letzten Riten unter den Leichen jener Unglücklichen vollzog, mit denen sie soviel Vergnügen erlebt hatte.
Die riesige Federwolke der Atomexplosion auf dem Mond griff nach der Eagle-Flotte aus. Verdeschi beobachte sie auf dem Schirm. Zwischen den Rändern und ihnen lagen etwa neuntausendachthundert sichere Meilen. Zum Glück war die Explosion in die richtige Richtung erfolgt. Es sah aus, als sei der Mond noch in einem Stück. »Mission erfolgreich«, hörte er Mayas matte Stimme. Sie lag noch auf dem Sitz, wo sie es bequemer hatte. Ihre Augen öffneten sich flatternd. Sie versuchte sich aufzusetzen. Lachend wandte er sich zu ihr um. Aber sehr glücklich war das Lachen trotzdem nicht. »Vielleicht… Wir wissen es noch nicht…«
Der Konsolenmonitor piepte in größter Lautstärke und sehr dringend. Helenas überglückliches Gesicht erschien auf dem Schirm. Sie sprach aus Eagle Drei. »Fraser und Sahn haben eben den Kontakt wieder hergestellt. Sie haben Signale von John empfangen, und jetzt holen sie ihn. John lebt!« »Tony!« Yaskos kühle Stimme kam dann herein. Sie war im Überwachungs-Eagle, der eine Position am Rand der EagleFlotte hatte, um das Verhalten des Mondes während und nach der Explosion zu beobachten. »Unsere Instrumente zeigen an, daß der neue Kurs des Mondes zwei-Punkt-sechs-null Grad vom vorherigen Kurs abweicht. Wir werden also in etwa fünfzigtausend Meilen Entfernung an diesem roten Planeten vorbeiziehen, und wenn wir Glück haben, wird dessen Geschwindigkeit und Größe keine Schwerkraftwirkungen auf uns haben.« »Und wenn wir kein Glück haben, drehen wir uns endlos um einen uninteressanten Ball aus Gas und Ammoniak«, erwiderte Maya. »Und wenn ihr mich fragt – besser als auf Psychon ist das auch nicht.« Nun war die Radioverbindung zwischen den Schiffen plötzlich sehr fröhlich. Es gab viele lustige Unterhaltung und Gelächter, denn die aufgestaute Spannung und Sorge löste sich auf in übersteigerte Heiterkeit. Maya und Verdeschi konnten bei dem allgemeinen Geschnatter nicht denken. Sie schalteten das ganze Kommunikationssystem ab. Sie hielten einander umklammert und beobachteten so in schweigender Liebe und erfüllter Ruhe den rostfarbenen Planeten und die dunkle, fast schwarze Masse ihres Mondes, als sie aneinander vorüberzogen.