Ein galaktischer Krieg hat die Föderation der Planeten unter Führung der Erde zerschlagen. Ein Rückfall in die Feudalhe...
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Ein galaktischer Krieg hat die Föderation der Planeten unter Führung der Erde zerschlagen. Ein Rückfall in die Feudalherrschaft des Mittelalters ist die Folge. Hemmungsloses Machtstreben einzelner Fürsten treibt die Planeten noch weiter auseinander. Einziges Bindeglied sind die Raum-Wikinger, eine Gruppe von untereinander rivalisierenden Räuberbanden, die mit ihren lichtschnellen Raumschiffen die schwer angeschlagenen Planeten der einstigen Föderation, deren Zivilisation der Krieg ins Chaos und in die Barbarei zurückgeworfen hat, gnadenlos überfallen und ausplündern, um mit der Beute Handel zu treiben. Lucas Trask von Traskon verabscheut diese Praktiken – bis ihn ein Schicksalsschlag aus der bisher so geordnet erscheinenden Bahn wirft. Vor seinen Augen wird seine Braut erschossen, und Lucas schließt sich den Raum-Wikingern an, denn nur mit ihrer Hilfe kann es ihm gelingen, den Mörder in den Weiten des Weltalls zu finden ...
Ein spannendes Weltraum-Abenteuer mit verblüffenden Parallelen zur soziologischen Entwicklung unserer Zeit von H. BEAM PIPER.
Weitere Romane von H. BEAM PIPER in der Reihe der Ullstein Bücher: Null-ABC (2888) Der verschollene Computer (3167)
Ullstein Buch Nr. 3223 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der Originalausgabe: THE SPACE VIKINGS Aus dem Amerikanischen von Dolf Strasser
Umschlagillustration: ACE Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1963 by Ace Books, Inc. Übersetzung © 1976 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1976 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03223 0
H. Beam Piper
Die WeltenPlünderer SCIENCE-FICTION-Roman Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
GRAM 1 Sie standen am Geländer, die Arme umeinander gelegt, und ihr Kopf ruhte an seiner Wange. Hinter ihnen tuschelte großblättriges Gebüsch sanft im Wind, und von der Hauptterrasse kamen Musik und lachende Stimmen herauf. Die Stadt Wardshaven breitete sich vor ihnen aus mit weißen Gebäuden zwischen grünen Bäumen, über die hell im Sonnenlicht blitzende Aircars hinweghuschten. Violett schimmerten die fernen Berge durch den Nachmittagsdunst, und die riesige rote Sonne hing an einem Himmel, der so gelb war wie ein reifer Pfirsich. Sein Auge bemerkte ein Glitzern zehn Meilen südwestlich, und er runzelte die Stirn. Gleißendes Sonnenlicht lag auf einer riesigen Kugel von siebenhundert Meter Durchmesser. Es war Herzog Angus' neues Schiff, die Enterprise, die jetzt nach der letzten Probefahrt in die Werft zurückgekehrt war. Daran wollte er aber jetzt nicht denken. Statt dessen zog er sie noch enger an sich und flüsterte ihren Namen. »Elaine«, und dann, jede Silbe betonend, »Lady Elaine Trask von Traskon.« »O nein, Lucas!« Ihr Protest war halb scherzhaft
und halb besorgt. »Es bringt Unglück, wenn man schon vor der Hochzeit bei seinem neuen Namen genannt wird.« »Für mich heißt du schon immer so seit jenem Abend auf dem Ball des Herzogs, als du von der Schule auf Excalibur zurückgekehrt warst.« Sie sah ihn aus den Augenwinkeln an. »Seitdem habe ich mich selbst so genannt«, bekannte sie. »Traskon New House hat eine Westterrasse«, sagte er. »Morgen werden wir dort zu Abend essen und gemeinsam den Sonnenuntergang betrachten.« »Ich weiß.« »Du hast spioniert«, schalt er sie. »Traskon New House sollte eine Überraschung für dich sein.« »Ich habe schon immer meine Geschenke ausgekundschaftet, an Neujahr oder an meinem Geburtstag. Aber ich habe das Anwesen nur aus der Luft gesehen. Das Innere wird eine große Überraschung für mich sein«, versprach sie. »Ich werde mich sehr darüber freuen.« Und wenn sie alles gesehen hatte, und Traskon New House keine Überraschung mehr für sie war, würden sie eine lange Raumfahrt machen. Bis jetzt hatte er ihr noch nichts davon gesagt. Zu einigen von den anderen Schwert-Welten – Excalibur natürlich, Morglay und Flamberge und Durendal. Nein, nicht
Durendal; dort flammte der Krieg jetzt wieder auf. Aber sie würden sehr viel Freude haben. Und sie würde wieder klaren blauen Himmel sehen und Sterne am Abend. Der Wolkenschleier verbarg die Sterne auf Gram, und Elaine hatte sie vermißt, seit sie von Excalibur zurückgekehrt war. Der Schatten eines Aircars fiel kurz auf sie, und sie schauten hoch und sahen, wie er sich langsam auf dem Landeplatz von Karvall House niederließ, und Lucas erkannte das Wappen: Schwert und Atomsymbol, die Zeichen des Herzogshauses von Ward. Er fragte sich, ob es Herzog Angus selbst war, oder nur ein paar von seinen Leuten, die ihm vorausgereist waren. Aber jetzt mußten sie wieder zu den Gästen zurück. Und er nahm sie in seine Arme und küßte sie, und sie erwiderte heiß seinen Kuß. Ein leises Hüsteln hinter ihnen schreckte sie auf. Es war Sesar Karvall, grauhaarig und stattlich. Auf der Brust seines grauen Uniformrockes schimmerten Orden und Ehrenzeichen, und im Knauf seines Dolches leuchtete ein Saphir. »Ich dachte mir schon, daß ich euch zwei hier finden würde«, lächelte Elaines Vater. »Ihr habt morgen und danach Zeit füreinander. Jetzt aber darf ich euch daran erinnern, daß wir Gäste haben, und es werden jede Minute mehr.« »Wer kam eben im Schiff der Wards?« fragte Elaine.
»Rovard Grauffis. Und Otto Harkaman; ich glaube, du kennst ihn noch nicht, Lucas?« »Nein, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden. Ich würde ihn ganz gern kennenlernen, bevor er wieder abfliegt.« Er hatte nichts gegen Harkaman persönlich, nur gegen das, was er repräsentierte. »Kommt der Herzog?« »Ganz bestimmt. Lionel von Newhaven und der Lord of Northport kommen mit ihm. Sie sind jetzt im Palast.« Karvall zögerte. »Sein Neffe ist wieder in der Stadt.« Elaine war nicht besonders glücklich darüber; sie wollte schon sagen: »O je! Ich hoffe, er wird nicht ...« »Hat Dunnan Elaine wieder belästigt?« »Nicht der Rede wert. Er war gestern hier und wollte mit ihr sprechen. Wir konnten ihn ohne allzu große Unannehmlichkeiten zum Gehen bewegen.« »Ab morgen wird es für mich der Rede wert sein.« Oder vielmehr für seine Sekundanten und Andray Dunnan; er hoffte, daß es nicht dazu kommen würde. Er wollte nicht in die Lage geraten, einen aus dem Hause Ward erschießen zu müssen, auch wenn er verrückt war. »Er tut mir so leid«, sagte Elaine. »Vater, du hättest mich mit ihm reden lassen sollen. Vielleicht hätte ich ihm alles begreiflich machen können.« Sesar Karvall war schockiert. »Kind, auf so etwas
durftest du dich nicht einlassen! Der Mann ist wahnsinnig!« Lucas gab dem älteren Mann ein Zeichen, ihnen voranzugehen, und sie betraten die schattige Allee. Am anderen Ende spielte in einem offenen Kreis ein Springbrunnen, in dessen jadegrünem Bassin marmorne Jungen und Mädchen badeten. Auch ein Beutestück von einem der Planeten der Alten Föderation; das war etwas, das er bei der Ausstattung von Traskon New House vermieden hatte. »Ich werde beim Herzog ein gutes Wort für den Burschen einlegen«, sagte Sesar Karvall, in Gedanken immer noch bei Dunnan. »Vielleicht nützt es etwas, wenn er mit ihm redet.« »Ich bezweifle es. Ich glaube nicht, daß Herzog Angus irgendwelchen Einfluß auf ihn hat.« Dunnans Mutter war des Herzogs jüngere Schwester gewesen; von seinem Vater hatte er ein ursprünglich gut gehendes Landgut geerbt. Jetzt war es verschuldet bis hinauf zum Antennenmast des Gutshauses. Einmal hatte der Herzog Dunnans Schulden übernommen, weigerte sich aber, es ein zweites Mal zu tun. Dunnan hatte mehrfach an Raumfahrten teilgenommen – als Junior-Offizier bei Handels- und Raubfahrten in die Alte Föderation. Man hielt ihn für einen ganz guten Astrogator. Er hatte erwartet, daß sein Onkel ihm das Kommando der Enterprise über-
geben würde, was natürlich lächerlich war. Enttäuscht hatte er eine Söldnerkompanie angeheuert, mit der er militärische Aufgaben übernehmen wollte. Es wurde geargwöhnt, er stehe in Verbindung mit dem schlimmsten Feind seines Onkels, Herzog Omfray von Glaspyth. Und er war heillos verliebt in Elaine Karvall, mit einer Leidenschaft, die sich an ihrer eigenen Hoffnungslosigkeit zu nähren schien. Am Fuße der Rolltreppen blieben sie stehen; unten im Garten drängten sich die Gäste, und die hellen Schals der Damen und die Jacketts der Herren erzeugten wechselnde Farbmuster zwischen den Blumenbeeten, auf den Wiesen und unter den Bäumen. Bedienungsroboter, hellgelb und schwarz in den Farben der Karvalls, schwebten umher, spielten leise Musik und boten Erfrischungen an. Rund um den kreisförmigen Robo-Tisch wand sich eine Spirale aus Kleidern in allen Farben. Frohes Stimmengewirr plätscherte dahin wie ein Bergbach. Und während sie diese Eindrücke in sich aufnahmen, kreiste grün oder golden ein weiterer Aircar über ihnen. Er trug die Aufschrift PANPLANET NACHRICHTENSERVICE. Sesar Karvall fluchte verärgert. »Gab es nicht irgendwann so etwas wie Privatsphäre?« fragte er.
»Es ist halt 'ne große Story, Sesar.« Das war es auch; mehr als die Heirat von zwei Menschen, die zufällig einander liebten. Es war die Heirat zwischen den Farm- und Ranchbetrieben derer von Traskon und den Karvall'schen Stahlwerken. Mehr noch, es war die öffentliche Ankündigung, daß Reichtum und militärische Macht beider Häuser nun hinter dem Herzog Angus von Wardshaven standen. So gab es also einen allgemeinen Festtag. Alle Fabriken hatten mittags geschlossen und würden die Arbeit erst am übernächsten Morgen wieder aufnehmen, und in allen Parks würde man tanzen und in jeder Taverne feiern. Den Menschen der Schwert-Welt war jeglicher Vorwand für einen Feiertag recht. »Es sind unsere Leute, Sesar; sie haben ein Recht darauf, sich mit uns zu amüsieren. Ich weiß, daß jedermann in Traskon alles auf dem Bildschirm verfolgt.« Er hob die Hand und winkte dem Nachrichtenschiff zu, und als es seine Sensoren herumschwenkte, winkte er wieder. Dann fuhr er die lange Rolltreppe hinunter. Lady Lavina Karvall war der Mittelpunkt einer Ansammlung von würdigen älteren Damen, um die die Brautjungfern des kommenden Tages herumflatterten wie bunte Schmetterlinge. Jetzt holten sie ihre Tochter zu sich in den Kreis der Damen. Lucas sah
Rovard Grauffis, klein und düster dreinblickend – er war Herzog Angus' Knappe – und Burt Sandrasan, Lady Lavinas Bruder. Sie sprachen miteinander, und dann kam ein Oberdiener in mit der gelben Flamme und dem schwarzem Hammer der Karvall-Werke verziertem Rock mit irgendeinem Verwaltungsproblem zu seinem Herrn, und die beiden gingen gemeinsam weg. »Sie kennen Captain Harkaman noch nicht, Lucas«, sagte Rovard Grauffis. »Kommen Sie doch herüber, um ihm Hallo zu sagen und einen Schluck mit ihm zu trinken. Ich kenne Ihre Einstellung, aber er ist ein ordentlicher Bursche. Ich für meinen Teil wünschte mir, es gäbe hier mehr von seiner Art.« Das war sein größter Kummer. Es gab immer weniger Männer dieser Art auf irgendeiner der SchwertWelten.
2 Ein Dutzend Männer drängten sich um den BarRoboter: sein Cousin, der Familien-Anwalt Nikkolay Trask; Lothar Ffayle, der Bankier; Alex Gorram, der Schiffsbauer, und sein Sohn Basil; Baron Rathmore; noch weitere Angehörige der adeligen Familie Wardshaven, die er nicht näher kannte, und Otto Harkaman. Harkaman war ein Raum-Wikinger. Selbst wenn er nicht die Größten unter den Anwesenden um Haupteslänge überragt hätte, hätte ihn das von jedem unterschieden. Er trug eine kurze schwarze, goldbestickte Jacke und schwarze Hosen, die in knöchelhohen Stiefeln endeten; der Dolch an seinem Gürtel war nicht nur ein Schmuckstück. Sein gelocktes rotbraunes Haar war lang genug, um in einem Kampfhelm als Polsterung dienen zu können; sein Kinnbart war eckig geschnitten. Auf Durendal hatte er für einen der Zweige der königlichen Familie gekämpft, die sich mit allen Mitteln um den Thron stritten. Es war der falsche gewesen; er hatte sein Schiff verloren, die Mehrzahl seiner Männer und beinahe sein Leben. Auf Flamberge war er ein bettelarmer Flüchtling gewesen, der nichts hatte als die Kleidung, die er trug, seine Waffen und die
Ergebenheit eines halben Dutzends Abenteurer, die genau so wenig besaßen wie er. Dann hatte ihn Herzog Angus eingeladen, nach Gram zu kommen und die Enterprise zu kommandieren. »Es ist mir ein Vergnügen, Lord Trask. Ihre charmante Zukünftige kenne ich ja schon, und nun, da ich auch Sie kennengelernt habe, darf ich Ihnen beiden gratulieren.« Dann, als sie einen Drink nahmen, stellte er die etwas peinliche Frage: »Sie gehören nicht zu denen, die Geld in die Tanith-Expedition investiert haben, oder?« Lucas verneinte und hätte es dabei bewenden lassen, aber der junge Basil Gorram mußte die Sache noch breittreten. »Lord Trask lehnt das Tanith-Abenteuer ab«, sagte er geringschätzig. »Er ist der Ansicht, wir sollten zu Hause bleiben und Reichtum produzieren, anstatt Raub und Mord in die Alte Föderation zu exportieren.« Das Lächeln blieb auf Otto Harkamans Lippen; nur die Freundlichkeit war weg. Scheinbar zufällig wanderte sein Glas von der rechten in die linke Hand. »Nun, unsere Operationen könnte man als Raub und Mord definieren«, räumte er ein. »RaumWikinger sind professionelle Räuber und Mörder. Haben Sie etwas dagegen? Vielleicht haben Sie etwas gegen mich persönlich einzuwenden?«
»Ich hätte Ihnen weder die Hand gegeben noch mit Ihnen getrunken, wenn dem so wäre. Mir ist es gleich, wieviele Planeten Sie überfallen oder wieviel Städte Sie plündern, oder wieviele Unschuldige, wenn es welche sind, Sie in der Alten Föderation massakrieren. Schlimmeres, als diese Leute in den vergangenen zehn Jahrhunderten einander angetan haben, können Sie auch nicht tun. Wogegen ich etwas habe, ist die Art, wie Sie auf die Schwert-Welten losgehen.« »Sie sind ja wahnsinnig!« entfuhr es Basil Gorram. »Junger Mann«, sagte Harkaman tadelnd, »das Gespräch war zwischen Lord Trask und mir. Und wenn jemand eine Feststellung macht, die Sie nicht verstehen, dann sagen Sie nicht, er sei verrückt. Fragen Sie ihn, was er meint. Und was meinen Sie also, Lord Trask?« »Das sollten Sie am besten wissen; eben haben sie Gram um achthundert der besten Männer ärmer gemacht. Mich zum Beispiel um vierzig Vaqueros, Farm- und Holzarbeiter und Maschinisten, und ich bezweifle, ob ich sie durch ebenso gute ersetzen kann.« Er wandte sich an den älteren Gorram. »Alex, wieviele haben Sie an Captain Harkaman verloren?« Gorram wollte »ein Dutzend« sagen: dann aber mußte er doch zugeben, daß es mehr als doppelt so viele waren. Roboter-Techniker, Maschinenüberwacher, Programmierer, ein paar Ingenieure, ein Vorar-
beiter. Unmutig machten die anderen ähnliche Angaben. Burt Sandrasan hatte fast ebensoviele Leute vergleichbarer Qualifikation verloren. Sogar Lothar Ffayle gab zu, eines Computer-Manns und eines WachSergeanten verlustig gegangen zu sein. Auf den Farmen, den Ranches und in den Fabriken würde es auch ohne sie weitergehen, aber nicht mehr ganz so wie bisher. Weder auf Gram noch in irgendeiner der Schwert-Welten arbeitete man noch annähernd so effizient wie drei Jahrhunderte zuvor. »Und der genetische Verlust. Die besten SchwertWelt-Gene entweichen buchstäblich in den Weltraum, wie die Atmosphäre eines Planeten mit geringer Schwerkraft; jede neue Generation stammt von Vätern ab, die ihren eigenen Vätern nicht mehr ganz gleichwertig sind. Als die Raum-Wikinger ihre Heimat noch auf den Schwert-Welten hatten, war das nicht so schlimm; sie kamen hin und wieder nach Hause. Jetzt aber erobern sie Planeten der Alten Föderation, richten darauf Stützpunkte ein und bleiben dort.« Alles atmete auf; zu einem Streit würde es nicht kommen. Harkaman, der sein Glas jetzt wieder in der rechten Hand hielt, lachte ein wenig. »Das stimmt. Ich bin der Vater von einem Dutzend Bastarden in der Alten Föderation; und ich kenne Raum-Wikinger, deren Väter auf Planeten der Alten Föderation geboren wurden.« Er wandte sich Gorram
zu. »Sie sehen, der Gentleman ist keineswegs verrückt. Übrigens ist bei der Terranischen Föderation das gleiche passiert. Die guten Leute liefen alle weg, um Kolonien zu gründen, und Hampelmänner und Ja-Sager und Mitläufer und Angsthasen blieben auf Terra und versuchten, die Galaxis zu regieren.« »Nun, vielleicht ist Ihnen all dies neu, Captain«, sagte Rovard Grauffis säuerlich, »aber für uns ist Lucas Trasks Trauergesang über den Niedergang und das Ende der Schwert-Welten ein altes Lied. Ich kann nicht hierbleiben und mich mit ihm darüber auseinandersetzen; dazu habe ich zu viel zu tun.« Lothar Ffayle hingegen hatte offenkundig die Absicht, zu bleiben und sich auseinanderzusetzen. »Im Grunde sagen Sie nur, daß wir uns auf anderen Planeten ausbreiten, Lucas. Wollen Sie, daß wir hier sitzenbleiben und einen Bevölkerungsdruck erzeugen wie auf Terra im Ersten Jahrhundert?« »Mit dreieinhalb Milliarden Menschen, auf zwölf Planeten verteilt? So viele gab es schon auf Terra allein. Und wir haben achtzehn Jahrhunderte gebraucht, um das zu erreichen.« Das war seit dem neunten Jahrhundert der AtomÄra gewesen, seit dem Ende des Großen Krieges. Auf Abigor hatten zehntausend Männer und Frauen die Kapitulation verweigert, waren mit dem Rest der Flotte der Systemstaat-Allianz in den Weltraum auf-
gebrochen auf der Suche nach einer Welt, von der man in der Föderation keine Kunde hatte und die man auch lange Zeit nicht finden sollte. Es war die Welt, die die Auswanderer Excalibur genannt hatten. Von dort aus hatten ihre Enkel Joyeuse und Durendal und Flamberge kolonisiert; Haulteclere war in der nächsten Generation von Joyeuse aus kolonisiert worden, und Gram von Haulteclere aus. »Wir breiten uns nicht aus, Lothar; wir schrumpfen. Der Ausbreitungsprozeß ging vor dreihundertundfünfzig Jahren zu Ende, als jenes Schiff der Alten Föderation nach Morglay zurückkehrte und seine Insassen berichteten, was draußen seit dem Großen Krieg passiert war. Vordem entdeckten wir neue Planeten und kolonisierten sie. Seitdem nagen wir die Knochen der toten Terranischen Föderation ab.« Irgend etwas war los bei den Rolltreppen zur Landungsbühne. Erregt strömten die Menschen in diese Richtung, und die Schiffe der Nachrichtenagenturen kreisten dort wie Geier über einer kranken Kuh. Harkaman fragte sich hoffnungsvoll, ob nicht vielleicht eine Schlägerei im Gange sei. »Irgendein Betrunkener, den man hinauswirft«, tat Nikkolay Trask die Sache ab. »Sesar hat heute ganz Wardshaven hereingelassen. Aber was diese TanithExpedition anbelangt, Lucas: Es ist nicht einfach ein Überfall. Wir übernehmen den ganzen Planeten; in
fünfzig Jahren wird auch er eine Schwert-Welt sein. Ein bißchen weiter weg, natürlich, aber ...« »Innerhalb eines weiteren Jahrhunderts werden wir die ganze Föderation erobern«, erklärte Baron Rathmore. Er war Politiker und hatte keine Angst vor Übertreibungen. »Was ich nicht verstehe«, sagte Harkaman, »ist, warum Sie Herzog Angus unterstützen, Lord Trask, wenn Sie glauben, daß die Tanith-Expedition so schlecht für Gram ist.« »Wenn Angus sie nicht unternähme, würde es ein anderer tun. Aber Angus wird sich zum König von Gram krönen lassen, und ich glaube nicht, daß jemand anderer das tun könnte. Dieser Planet braucht eine ordnende Hand. Ich weiß nicht, was Sie außerhalb dieses Herzogtums schon gesehen haben, aber halten Sie Wardshaven nicht für typisch. Einige Herzogtümer wie Glaspyth oder Didreksburg sind richtige Schlangengruben. Alle wichtigeren Barone wollen einander an den Kragen und können nicht einmal ihre eigenen Ritter und Hintersassen im Zaume halten. Auf Southmain Continent zum Beispiel gibt es einen elenden kleinen Krieg, der dauert jetzt schon über zweihundert Jahre.« »Dorthin will wahrscheinlich Dunnan mit seiner Söldner-Armee«, sagte ein Roboter-Fabrikant. »Ich hoffe, sie wird aufgerieben, und Dunnan mit ihr.«
»Dazu brauchen die nicht erst nach Southmain zu gehen, Glaspyth genügt«, sagte jemand anderer. »Jedenfalls, wenn wir keine planetarische Monarchie bekommen, die Ordnung schafft, wird die Zivilisation dieses Planeten untergehen wie die der Alten Föderation.« »Ich bitte Sie, Lucas!« protestierte Alex Gorram. »Da gehen Sie doch zu weit.« »Ja, zum einen haben wir keine Neobarbaren«, sagte jemand. »Und wenn sie jemals hierherkämen, würden wir sie in Nullkommanichts zu Asche zerblasen. Wäre übrigens vielleicht ganz gut; könnte uns davon abhalten, uns gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.« Harkaman sah ihn überrascht an. »Wofür halten Sie eigentlich die Neobarbaren?« fragte er. »Für räuberische Nomaden, Attilas Hunnen in Raumschiffen?« »Ja, sind sie denn das nicht?« fragte Gorram. »Bei Nifflheim, nein! Es gibt keine eineinhalb Dutzend Planeten in der Alten Föderation, die noch den Hyperdrive haben, und die sind alle zivilisiert. Das heißt, wenn man Gilgamesch zivilisiert nennen kann«, fügte er hinzu. »Es sind hausgemachte Barbaren. Arbeiter und Bauern, die revoltierten, um den Reichtum unter sich aufzuteilen und sich anzueignen, und die dann sahen, daß sie die Produktionsmittel zerstört und alle technischen Gehirne vernichtet hatten. Überlebende von Planeten, die in den interstellaren Kriegen vom
elften zum dreizehnten Jahrhundert unter Beschuß waren und nicht mehr die Maschinerie der Zivilisation besaßen. Anhänger politischer Führer auf Planeten mit Diktatur. Kompanien arbeitsloser Söldner, die vom Plündern leben. Religiöse Fanatiker, die selbstgesalbten Propheten folgen.« »Glauben Sie denn, wir hätten nicht genügend neobarbarische Einflüsse hier auf Gram?« fragte Trask. »Sehen Sie sich einmal um.« »Glaspyth«, sagte jemand. »Die Bande von Galgenvögeln, die Andray Dunnan rekrutiert hat?« bemerkte Rathmore. Alex Gorram brummte, seine Werft sei voll von ihnen – Agitatoren, die Unruhe stifteten und einen Streik zu organisieren versuchten, um die Roboter loszuwerden. »Ja«, nahm Harkaman die letzte Äußerung auf. »Ich kenne zumindest vierzig Beispiele in den letzten acht Jahrhunderten, von anti-technologischen Bewegungen auf einem guten Dutzend Planeten. Schon im zweiten Jahrhundert der voratomaren Zeit gab es so etwas auf Terra. Und nachdem sich Venus von der Ersten Föderation trennte, bevor die Zweite Föderation konstituiert war.« »Interessieren Sie sich für Geschichte?« fragte Rathmore. »Ein Hobby. Alle Raumfahrer haben Hobbys. Im
Hyperraum gibt es sehr wenig Arbeit an Bord; Langeweile ist das größte Problem. Van Larch, ein Artillerie- und Raketenoffizier, ist Maler. Der größte Teil seiner Werke ging mit der Corisande auf Durendal verloren, aber auf Flamberge hat er uns ein paarmal vor dem Verhungern bewahrt, indem er Bilder malte und sie verkaufte. Mein Hyperraum-Astrogator, Guatt Kirbey, komponiert; er versucht, die Mathematik der Hyper-Raum-Theorie in Musik auszudrücken. Mir selbst sagt das nicht viel«, räumte er ein. »Ich studiere Geschichte. Wissen Sie, es ist merkwürdig; praktisch alles, was auf irgendeinem der bewohnten Planeten passiert ist, hat sich schon vor dem Bau des ersten Raumschiffes auf Terra ereignet.« Um sie herum war es jetzt ruhig im Garten; die Menge drängte sich bei der Landebühne. Harkaman hätte mehr gesagt, aber in diesem Augenblick sah er ein halbes Dutzend von Sesar Karvalls uniformierten Wächtern vorbeilaufen. Sie trugen Helme und kugelsichere Kleidung; einer von ihnen hatte eine Maschinenpistole, die anderen trugen Plastikknüppel. Der Raum-Wikinger stellte sein Glas weg. »Gehen wir«, sagte er. »Unser Gastgeber mobilisiert seine Truppen; ich glaube, die Gäste sollten sich einen Kampfplatz suchen.«
3 Die bunt gekleidete Menge starrte in unruhiger Neugierde auf die Landebühne. Die Damen hatten sich in ihre Schals gehüllt, manche sogar ihren Kopf bedeckt. Über den Häuptern schwebten vier Aircars der Nachrichtenagenturen; was auch geschah, wurde über TV auf dem ganzen Planeten verbreitet. Karvalls Wächter versuchten, sich einen Weg durch das Gedränge zu bahnen; der Sergeant sagte immer und immer wieder: »Bitte, Ladies und Gentlemen; verzeihen Sie, edler Herr«, ohne jedoch etwas auszurichten. Otto Harkaman fluchte und schob den Sergeanten beiseite. »Platz da!« brüllte er. »Lassen Sie die Wachen passieren.« Zur Linken wie zur Rechten warf er dabei je einen Gentleman fast zur Seite. Beide fuhren wütend herum, entfernten sich aber dann hastig. Unter kurzer Meditation über den Nutzen rüder Manieren im Notfall folgte Trask mit den anderen. Der hünenhafte Raum-Wikinger bahnte sich einen Weg nach vorn, wo Sesar Karvall, Rovard Grauffis und ein paar andere standen. Mit dem Rücken zu den Treppen befanden sich dort vier Männer in schwarzen Umhängen, die Gesichter ihnen zugewandt. Zwei waren nichtadelige Bedienstete – gemietete Leibwächter, um es genau zu
sagen. Der Mann vor ihnen trug einen funkelnden Diamanten auf seinem Barett, sein Umhang war mit blaßblauer Seide gesäumt. Sein dünnes, spitzes Gesicht hatte tiefe Linien um den Mund und war durch einen schmalen schwarzen Oberlippenbart akzentuiert: Andray Dunnan. Trask fragte sich kurz, wie bald er ihn aus fünfundzwanzig Metern Entfernung über dem Lauf einer Pistole würde anvisieren müssen. Das Gesicht des ein wenig größeren, bärtigen Mannes neben ihm war kalkweiß und ausdruckslos. Sein Name war Nevil Ormm; niemand wußte so recht, woher er stammte. Er war Dunnans Gefolgsmann und ständiger Gefährte. »Sie lügen!« rief Dunnan gerade. »Sie lügen erbärmlich aus Ihren stinkigen Mäulern, Sie alle! Sie haben jede Nachricht abgefangen, die sie mir zukommen lassen wollte.« »Meine Tochter hat Ihnen keine Mitteilungen geschickt, Lord Dunnan«, sagte Sesar Karvall mit erstaunlicher Geduld. »Außer der einen, die ich Ihnen eben ausgerichtet habe: Daß sie mit Ihnen nicht das Geringste zu tun haben möchte.« »Das soll ich glauben? Sie halten sie gefangen; nur der Satan weiß, welchen Torturen Sie sie unterworfen haben, um sie zu dieser abscheulichen Heirat zu zwingen.« Durch die Umstehenden ging eine Bewegung; das
war mehr, als man wohlerzogener Zurückhaltung zumuten konnte. Über dem ungläubigen Gemurmel wurde die Stimme einer Frau hörbar: »Also wirklich! Er ist tatsächlich verrückt!« Dunnan hörte es wie alle anderen. »Ich und verrückt?« rief er empört. »Vielleicht, weil ich all dieses heuchlerische Getue durchschaue? Hier ist Lucas Trask – er möchte eine Beteiligung an den KarvallWerken; und hier ist Sesar Karvall – er möchte Zugang zu den Erzvorkommen auf Traskons Land. Und mein lieber Onkel – der möchte die Hilfe von beiden, um sich Omfray im Herzogtum Glaspyth aneignen zu können. Und da ist dieser Kredit-Hai von Ffayle, der mir mein Land entreißen möchte, und Rovard Grauffis, der Apportierhund meines Onkels, der keinen Finger rührt, um seinen Anverwandten vor dem Ruin zu bewahren, und Harkaman, dieser Ausländer, der mich um das Kommando der Enterprise betrogen hat. Ihr alle habt euch gegen mich verschworen.« »Sir Nevil«, sagte Grauffis, »Sie sehen, daß Lord Dunnan im Augenblick nicht ganz er selbst ist. Wenn Sie sein Freund sind, bringen Sie ihn von hier fort, bevor Herzog Angus kommt.« Nevil Ormm lehnte sich nach vorn und sprach drängend in Dunnans Ohr. Doch Dunnan stieß ihn zornig von sich. »Großer Satan, sind auch Sie gegen mich?« fragte er.
Ormm packte ihn am Arm. »Sie Narr, wollen Sie denn jetzt alles zerstören?« Er senkte seine Stimme; der Rest war unhörbar. »Nein, zum Teufel, ich gehe nicht, bevor ich mit ihr gesprochen habe von Angesicht zu Angesicht!« Von neuem ging eine Bewegung durch die Zuschauer; die Menge teilte sich, und Elaine erschien, gefolgt von ihrer Mutter, Lady Sandrasan und fünf oder sechs anderen Damen. Sie alle hatten ihre Schals auf dem Kopf, das rechte Ende über der linken Schulter. Sie alle blieben stehen bis auf Elaine, die ein paar Schritte weiterging und vor Andray Dunnan trat. Der hatte sie nie schöner gesehen. Aber es war die eisige Schönheit eines geschliffenen Dolchs. »Lord Dunnan, was wünschen Sie mir zu sagen?« fragte sie. »Sagen Sie es schnell und gehen Sie dann; hier sind Sie nicht willkommen.« »Elaine!« rief Dunnan und machte einen Schritt auf sie zu. »Warum bedecken Sie Ihr Haupt; warum sprechen Sie zu mir wie zu einem Fremden? Ich bin Andray, der Sie liebt. Warum lassen Sie sich zu dieser verwerflichen Heirat zwingen?« »Niemand zwingt mich; ich heirate Lord Trask aus freien Stücken, weil ich ihn liebe. Und jetzt gehen Sie bitte, ohne meine Hochzeit noch weiter zu stören.« »Das ist eine Lüge! Die anderen haben Sie dazu gebracht, das zu sagen! Sie müssen ihn nicht heiraten!
Man kann Sie nicht zwingen. Kommen Sie jetzt mit mir. Man wird nicht wagen, Sie aufzuhalten. Ich hole Sie fort von all diesen grausamen, habgierigen Leuten. Sie lieben mich, Sie haben mich immer geliebt. Sie haben es mir so oft gesagt.« Ja, in seiner privaten Traumwelt, einer Welt der Phantasie, die jetzt Andray Dunnans Realität geworden war, existierte eine von seiner Einbildungskraft geschaffenen Elaine Karvall nur, um ihn zu lieben. Mit der wirklichen Elaine konfrontiert, wies er die Wirklichkeit einfach von sich. »Ich habe Sie nie geliebt, Lord Dunnan, und nie so etwas gesagt. Ich habe Sie auch nicht gehaßt, aber langsam wird das doch ein wenig schwierig für mich. Gehen Sie jetzt. Ich möchte Sie nie mehr wiedersehen.« Damit drehte sie sich um und ging zurück durch die Menge, die sich vor ihr teilte. Ihre Mutter und ihre Tante und die anderen Damen folgten. »Sie haben mich angelogen!« schrie Dunnan ihr nach. »Die ganze Zeit haben Sie gelogen. Sie sind genauso schlecht wie alle anderen, die sich gegen mich verschwören und mich verraten. Ich weiß schon, was los ist; ihr alle wollt mich aus meinen Rechten verdrängen und unterstützt meinen Onkel, der sich mit verbrecherischen Machenschaften den Thron angeeignet hat. Und du, du heuchlerische Hure, du bist die schlimmste von allen!«
Sir Nevil Ormm packte ihn an der Schulter und riß ihn herum, stieß ihn auf die Rolltreppe zu. Dunnan widersetzte sich, kreischte wie ein verwundeter Wolf. Ormm stieß wütende Flüche aus. »Ihr beiden!« rief er den Leibwächtern zu, »helft mir doch. Packt ihn.« Dunnan heulte immer noch, während man ihn auf die Rolltreppe riß, bis ihn die Umhänge der beiden Helfer, die auf dem Rücken den hellblauen Halbmond der Dunnans trugen, verbargen. Alsbald erhob sich ein Aircar mit dem nämlichen Wappen und schoß davon. »Lucas, er ist verrückt«, sagte Sesar Karvall mit Nachdruck. »Elaine hat keine fünfzig Worte mit ihm gewechselt, seit er von seiner letzten Reise zurückgekehrt ist.« Lucas lachte und legte seine Hand auf Karvalls Schulter. »Das weiß ich, Sesar. Sie glauben doch nicht, daß Sie das noch eigens beteuern müssen?« »Und ob er verrückt ist!« ließ sich Rovard Grauffis vernehmen. »Haben Sie gehört, was er über seine Rechte sagte? Warten Sie nur, bis Seine Gnaden davon erfahren.« »Erhebt er Anspruch auf den herzoglichen Thron, Sir Rovard?« fragte Otto Harkaman scharf und ernst. »Nun, er behauptet, seine Mutter sei eineinhalb Jahre vor Herzog Angus geboren, doch habe man ihr
wahres Geburtsdatum gefälscht, um Angus zur Thronfolge zu verhelfen. Aber Angus war drei Jahre alt bei ihrer Geburt. Ich war des alten Herzog Fergus' Schildknappe; Angus trug ich schon auf meiner Schulter, als man Andray Dunnans Mutter am Tage nach ihrer Geburt den Lords und Baronen zeigte.« »Natürlich ist er verrückt«, stimmte Alex Gorram zu. »Ich frage mich, warum der Herzog ihn nicht psychiatrisch behandeln läßt.« »Ja, ich würde ihn behandeln lassen«, sagte Harkaman und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Verrückte, die Ansprüche auf Throne erheben, sind Bomben, die entschärft werden müssen, bevor sie alles zerstören.« »Aber das können wir nicht tun«, sagte Grauffis. »Immerhin ist er Herzog Angus' Neffe.« »Ich könnte es tun«, sagte Harkaman. »Seine Truppe besteht nur aus dreihundert Mann. Warum man ihm erlaubt hat, sie überhaupt zu rekrutieren, weiß nur der Satan. Ich habe achthundert Männer; fünfhundert Bodenkämpfer. Ich würde ganz gern mal sehen, wie sie sich im Gefecht schlagen, bevor wir starten. In zwei Stunden könnten sie kampfbereit sein, und noch vor Mitternacht wäre alles vorbei.« »Nein, Captain Harkaman; Seine Gnaden würden das niemals erlauben«, entgegnete Grauffis. »Sie haben keine Vorstellung von dem politischen Schaden,
der unter den unabhängigen Lords angerichtet würde, auf deren Hilfe wir bauen. Sie waren nicht hier auf Gram, als Herzog Ridgerd von Didreksburg den zweiten Mann seiner Schwester Sancia vergiften ließ.«
4 Unter der Kolonnade blieben sie stehen; aus den Schallöffnungen hörte man alte Liebeslieder. Lucas sah auf die Uhr – vor neunzig Sekunden hatte er es zum letzten Mal getan. Fünfzehn Minuten noch, bis die Zeremonie begann, und eine weitere Viertelstunde für die anschließenden Glückwünsche. Und keine Hochzeit, und war sie noch so pompös, dauerte länger als eine halbe Stunde. Eine Stunde also noch, bis er und Elaine in ihrem Aircar sein würden, unterwegs nach Traskon. Plötzlich verstummten die Liebeslieder; nach einer kurzen Stille ertönte Trompetengeschmetter: Der Herzogliche Salut. Die Menge erstarrte, das Stimmengewirr erstarb. Am oberen Ende der Treppe erschien der Herzog mit seinem Gefolge. Hochrufe brachen aus; die Aircars der Nachrichtenagenturen nahmen Positionen über der Prozession ein. »Unser Fahrzeug ist doch bereit?« fragte Lucas zum hundertsten Mal. Sein Vetter Nikkolay versicherte ihm, daß es der Fall sei. Gestalten im Schwarz und Gelb der Karvalls erschienen jetzt auf der Terrasse. Wieder hob die Musik an; feierlich erklang jetzt der Hochzeitsmarsch. Lucas sah sich in plötzlicher Panik um. »Um Satans
Willen, wo ist unser Schal?« fragte er und atmete auf, als einer seiner Männer ihn vorwies, grün und braun in den Farben der Traskons. Zehn Meter vor dem Herzog blieben sie stehen. »Wer heischt etwas von Uns?« fragte Herzog Angus den Befehlshaber seiner Wache. Er hatte ein dünnes, spitzes, fast weiblich empfindsames Gesicht und trug einen kleinen Spitzbart. Er war barhäuptig bis auf den schmalen goldenen Reif, dessen Verwandlung in eine Königskrone sein ganzes Streben galt. Der Befehlshaber wiederholte die Frage. »Ich bin Sir Nikkolay Trask; ich bringe meinen Vetter und Lehensherrn, Lucas Lord Trask, Baron von Traskon. Er kommt, um die Lady-Demoiselle Elaine, Tochter von Lord Sesar Karvall, Baron von Karvallmills, um die Zustimmung Eurer Gnaden zur Verehelichung zu erbitten.« Sir Maxamon Zhorgay, Sesar Karvalls Gefolgsmann, nannte anschließend seinen Namen und den seines Herrn; sie brachten die Lady-Demoiselle Elaine, um sie Lord Trask von Traskon zur Frau zu geben. Der Herzog fragte, ob der Ehekontrakt geschlossen sei; beide Parteien bejahten dies. Sir Maxamon überreichte dem Herzog eine Pergamentrolle. Herzog Angus begann, die steifen, gewundenen Formulierungen vorzulesen. Bei Heiraten zwischen Adelshäusern dufte es keine offenen Fragen geben oder mangelnde Klarheit
über Nachfolge-, Erb- oder Mitgiftrechte. Lucas ertrug es mit Geduld; er wollte nicht, daß seine und Elaines Urenkel sich wegen eines falsch gesetzten Kommas gegenseitig umbringen sollten. »Und diese Personen hier vor uns schließen diese Ehe aus freien Stücken?« fragte der Herzog, als die Verlesung zu Ende war. Gleichzeitig trat er nach vorn, und sein Schildknappe reichte ihm das Staatsschwert, beidhändig und schwer genug, um einem Bison den Kopf vom Rumpf zu trennen. Die Rechtsgelehrten und Gefolgsleute wichen zur Seite. »Es ist also Ihr Wille, Lord Trask?« fragte er fast beiläufig. »Von ganzem Herzen, Euer Gnaden.« »Und Ihrer, Lady-Demoiselle Elaine?« »Es ist mein allergrößter Wunsch.« Der Herzog nahm das Schwert bei der Klinge und hielt es ihnen hin; sie legten ihre Hände auf den edelsteingeschmückten Knauf. »Und erkennt Ihr und Eure Häuser uns, den Herzog von Wardshaven, als Euren Herrn und Fürsten an, und gelobt Ihr Treue uns und unseren rechtmäßigen Nachfolgern?« »Das tun wir.« Nicht nur er und Elaine antworteten, auch die Menge stimmte in die Antwort ein. »Und wir, Angus, übertragen Euch beiden und Euren Häusern das Recht, nach Willen unser Zeichen zu führen, und verpflichten uns, Eure Rechte gegen alle
und jeden zu verteidigen, der sie zu beeinträchtigen sich unterfangen möchte. Und wir erklären, daß diese Heirat zwischen Euch beiden, diese Übereinkunft zwischen Euren beiden Häusern, uns wohlgefällig ist und erklären Euch beide, Lucas und Elaine, für rechtmäßige Eheleute, und wer diese Verbindung in Frage stellt, stellt uns selbst in Frage.« Dies war eigentlich nicht die für einen Herzog auf Gram übliche Formel. Es war vielmehr die eines planetarischen Königs wie Napolyon von Flamberge oder Rodolf von Excalibur. Und jetzt fiel Angus auch ein, daß er ständig den pluralis majestatis benutzt hatte. Die ganze Zeremonie wurde TV-übertragen, und Omfray von Glaspyth und Ridgerd von Didreksburg würden beide zusehen; in diesem Augenblick begannen sie sicher schon, Söldner anzuheuern. Vielleicht würde er auf diese Weise Dunnan loswerden. Der Herzog gab seinem Gefolgsmann das beidhändige Schwert zurück. Der junge Ritter, der den grün-braunen Schal trug, reichte ihn ihm, und Elaine ließ den schwarz-gelben Schal von ihren Schultern gleiten, das einzige Mal, daß eine ehrbare Frau das in der Öffentlichkeit tat. Ihre Mutter fing ihn auf und faltete ihn zusammen. Lucas legte ihr den Schal in den Farben der Trasks über die Schultern und nahm sie in seine Arme. Wieder wurden Hochrufe laut, und Sesar Karvalls Wachtruppe feuerte Böllerschüsse ab.
Endlich begann das Hochzeitsfest, an dem alle außer Braut und Bräutigam teilnehmen sollten. Eine der Brautjungfern gab Elaine ein riesiges Blumenbukett, das sie von der Treppe aus in die Menge werfen würde; sie hielt es mit einem Arm und hing mit dem anderen an Lucas'. »Liebling, wir haben es wirklich geschafft!« flüsterte sie, als sei es zu wundervoll, um wahr zu sein. Eines der Übertragungsschiffe – orange und blau, also Westlands TV & Ferndruck – bewegte sich jetzt auf die Landungsbrücke zu. Einen Moment lang war Lucas unwillig; hier wurden die Regeln journalistischen Anstands überschritten, auch für TV & F. Dann lachte er; heute war er zu glücklich, als daß er sich über irgend was hätte ärgern können. Am Fuß der Rolltreppe schlüpfte Elaine aus ihren vergoldeten Slippern – es befand sich ein anderes Paar im Aircar, darum hatte sie sich selbst gekümmert –, und sie traten auf die Treppe und wandten sich um. Die Brautjungfern stürzten hinzu und begannen, sich um die Schuhe zu balgen, und als sie halb oben war, warf Elaine ihr Bukett in die Menge, und die Mädchen unten griffen mit entzückten Schreien nach den verstreuten Blumen. Elaine warf jedermann Kußhände zu, und Lucas grüßte mit erhobenen Armen, bis sie die Plattform erreicht hatten. Als sie die Treppe verließen, hatte sich der orange-blaue Aircar direkt vor
ihnen niedergelassen und versperrte den Weg. Jetzt war Lucas wirklich wütend und eilte mit einem Fluch darauf zu. Dann erkannte er, wer in dem Aircar war. Er sah Andray Dunnan, der mit verzerrtem Gesicht einen Schlitz neben dem Fenster öffnete, in dem der Lauf einer Maschinenpistole erschien. Mit einem Aufschrei stieß er Elaine zu Boden und wollte sich über sie werfen, als die Waffe ratternd zu feuern begann. Irgend etwas hämmerte ihm in die Brust; sein rechtes Bein knickte unter ihm ein. Er fiel. Er fiel und fiel und fiel durch endloses Dunkel, in tiefe Bewußtlosigkeit.
5 Er war gekreuzigt und mit einer Dornenkrone gekrönt. Wem hatte man das angetan? Es war vor langer Zeit geschehen, auf Terra. Seine Arme, die es ihm fast aus den Gelenken zog, schmerzten; auch seine Füße und Beine schmerzten, und er konnte sich nicht bewegen. Und da war dieses Brennen auf seiner Stirn. Er war blind. Nein; nur seine Augen waren geschlossen. Er öffnete sie, und vor ihm war eine weiße Wand, die ein blaues Schneekristall-Muster trug, und er erkannte, daß es eine Decke war und daß er auf dem Rücken lag. Seinen Kopf konnte er nicht rühren, aber durch Bewegungen seiner Augen sah er, daß er völlig nackt und von einem Gewirr von Schläuchen und Drähten umgeben war, was er zunächst nicht verstand. Dann wußte er, daß er sich nicht in einem Bett befand, sondern auf einem Robomedic, und die Schläuche waren für medikamentöse Versorgung und Wund-Drainage und intravenöse Ernährung, und die Drähte zu Diagnosezwecken in seinen Körper eingepflanzte Elektroden, und auch die Dornenkrone bestand aus Elektroden für einen Enzephalographen. Er hatte schon einmal auf einem solchen Ding gelegen, als er von einem Bison schwer verletzt worden war.
Das war es also; er war noch in Behandlung. Und doch, es schien so lange her; so vieles schien geschehen zu sein. Hatte er es geträumt? Dann kam die Erinnerung, und verzweifelt, aber vergeblich versuchte er sich zu erheben. »Elaine!« rief er. »Elaine, wo bist du?« Irgend etwas bewegte sich, und jemand erschien in seinem beschränkten Gesichtsfeld. Es war sein Cousin, Nikkolay Trask. »Nikkolay«, sagte er. »Was ist mit Elaine geschehen?« Nikkolay zuckte zusammen. »Lucas.« Er schluckte. »Elaine ... Elaine ist tot.« Elaine tot? Was für ein Aberwitz! »Sie war sofort tot, Lucas. Von sechs Schüssen getroffen; ich glaube, sie hat nicht einmal den ersten gespürt. Sie mußte nicht leiden.« Jemand stöhnte auf, und dann begriff Lucas, daß er es selbst war. »Du wurdest zweimal getroffen«, erklärte ihm Nikkolay. »Einmal ins Bein; die Kugel durchschlug den Oberschenkelknochen. Und einmal in die Brust. Ging nur einen Zentimeter an deinem Herzen vorbei.« »Leider.« Jetzt wurde seine Erinnerung klarer. »Ich stieß sie zu Boden und versuchte, sie mit meinem Körper zu decken. Ich muß sie direkt in die Salve ge-
worfen haben, und nur noch die letzten Schüsse trafen mich selbst.« Da war noch etwas anderes. »Dunnan. Hat man ihn erwischt?« Nikkolay schüttelte den Kopf. »Er ist entkommen. Stahl die Enterprise und verließ mit ihr den Planeten.« »Ich will ihn selbst erledigen.« Wieder bäumte er sich auf; Nikkolay nickte jemandem zu, den Lucas nicht sehen konnte. Eine kühle Hand berührte sein Kinn, und er roch das Parfüm einer Frau, das ganz anders als das Elaines war. Etwas wie ein kleines Insekt biß ihn in den Nacken. Es wurde dunkel. Elaine war tot. Es gab keine Elaine mehr, nirgendwo in der Welt. Das mußte doch heißen, daß es keine Welt mehr gab. Deswegen also war es so dunkel geworden. Zuweilen erwachte er wieder, manchmal bei Tageslicht, wenn er den gelben Himmel durch ein offenes Fenster sehen konnte, oder bei Nacht, wenn die Lampen an den Wänden leuchteten. Stets war irgend jemand bei ihm. Nikkolays Frau, Lady Cecelia, Rovard Grauffis, Lady Lavina Karvall – er mußte sehr lange geschlafen haben, denn sie war jetzt viel älter, als er sie in Erinnerung hatte – und ihr Bruder, Burt Sandrasan. Und eine Frau mit dunklem Haar in einem weißen Kittel mit einem goldenen Kaduzeus auf der
Brust. Einmal war da Herzogin Flavia, und einmal Herzog Angus selbst. Er fragte, wo er sei, ohne besonders daran interessiert zu sein. Man sagte ihm, er befinde sich im Herzoglichen Palast. Er wünschte, sie würden alle verschwinden und ihn dorthin gehen lassen, wo Elaine war. Und immer wieder wurde es dunkel, und dann versuchte er, sie zu finden, denn da war etwas, was er ihr unbedingt zeigen wollte. Sterne am Nachthimmel, das war es. Aber es gab keine Sterne, keine Elaine, nichts, und er wünschte, es gäbe auch keinen Lucas Trask. Aber es gab einen Andray Dunnan. Er konnte ihn sehen, wie er in seinem schwarzen Umhang auf der Terrasse stand und wie die Diamanten auf seinem Barett böse glitzerten. Er konnte ihn sehen, wie er mit irrem Blick über den Lauf der Maschinenpistole hinweg auf ihn starrte. Und dann suchte er ihn im kalten Dunkel des Raumes, ohne ihn finden zu können. Allmählich blieb er längere Zeit wach, und dann waren seine Sinne klar. Man befreite ihn von seiner elektronischen Dornenkrone. Die Schläuche wurden ihm abgenommen, und er bekam Fleischbrühe und Fruchtsaft. Er wollte wissen, weshalb man ihn in den Palast gebracht hatte. »Es war das einzige, was wir tun konnten«, erklärte
ihm Rovard Grauffis. »Im Hause Karvall hatten sie ihre eigenen Probleme. Sesar wurde nämlich auch getroffen.« »Nein!« Das war also der Grund, warum ihn Sesar nicht besucht hatte. »Ist er tot?« »Verletzt; es geht ihm schlechter als Ihnen. Als die ersten Schüsse fielen, rannte er sofort die Treppe hinauf. Er hatte nichts als seinen Dolch. Dunnan schoß ihn nieder; wahrscheinlich hatte er deswegen keine Zeit, Sie zu erledigen. Sesar liegt auf einem Robomedic wie Sie. Er schwebt nicht mehr in Lebensgefahr.« Dann wurde auch das Gewirr von Drähten entfernt und die Elektroden mit ihnen. Die Ärztin erklärte ihm, er habe Schlimmes durchgemacht, als ob er das nicht gewußt hätte. Er fragte sich, ob sie von ihm Dank dafür erwartete, daß sie ihn am Leben erhalten hatte. »In ein paar Wochen bist du wieder auf den Beinen«, meinte sein Cousin. »Ich habe dafür gesorgt, daß in Traskon New House alles für dich bereit ist.« »Ich werde dieses Haus nicht mehr betreten, solange ich lebe, und ich wünschte, das wäre nur noch die nächste Minute. Es sollte Elaines Haus sein. Allein werde ich seine Schwelle nicht überschreiten.« Weniger und weniger wurde sein Schlaf durch Träume gestört, und langsam kam er wieder zu Kräften. Häufig kamen Besucher und brachten kleine Geschenke, und er stellte fest, daß ihm ihre Gesellschaft
Vergnügen bereitete. Er wollte wissen, was wirklich geschehen war und wie Dunnan hatte entkommen können. »Er brachte die Enterprise in seine Gewalt«, erklärte ihm Rovard Grauffis. »Er hatte diese Söldnerkompanie und bestach ein paar von den Leuten auf Gorrams Werft. Ich dachte schon, Alex würde seinen Sicherheitschef umbringen, als er erfuhr, was geschehen war. Beweisen können wir nichts – obwohl wir alles versuchen –, aber wir sind sicher, daß Omfray von Glaspyth das Geld bereitgestellt hat. Er hat es etwas zu nachdrücklich verneint.« »Dann war die ganze Sache vorgeplant?« »Die Kaperung des Schiffs jedenfalls; die muß Dunnan schon monatelang geplant haben, bevor er daranging, seine Söldner zu rekrutieren. Ich glaube, er hatte ursprünglich die Absicht, es am Abend vor der Hochzeit zu tun. Dann versuchte er, die LadyDemoiselle Elaine zu überreden, sich von ihm entführen zu lassen – offenbar glaubte er allen Ernstes, daß das möglich sei –, und als sie ihn demütigte, beschloß er, Sie beide zu töten.« Er wandte sich Otto Harkaman zu, der ihn begleitete. »Solange ich lebe, werde ich es bereuen, Sie damals nicht beim Wort genommen und Ihr Angebot akzeptiert zu haben.« »Wie kam Dunnan denn zu dem Aircar von Westlands TV & F.?«
»Oh. Am Morgen des Hochzeitstages setzte er sich mit dem Zentralbüro von Westlands in Verbindung und erklärte, er könne Enthüllungen über die Heirat machen und darüber, warum der Herzog selbst die Eheschließung übernahm. Er ließ durchblicken, daß irgendein Skandal im Spiele sei und bestand darauf, daß ein Reporter zu ihm kommen müsse, um ihn persönlich zu interviewen. Sie schickte einen Mann, und der wurde nicht wieder gesehen; unsere Leute fanden seine Leiche in Dunnans Haus, als wir es später durchsuchten. Den Presse-Aircar fanden wir auf der Werft; er hatte einige Treffer abbekommen, aber Sie wissen ja, wie stark diese Dinger gebaut sind. Er war direkt zur Werft gefahren, wo Dunnans Männer schon die Enterprise gekapert hatten; sobald er dort war, starteten sie.« Er starrte auf die Zigarette zwischen seinen Fingern. Sie war fast schon so kurz, daß die Glut seine Haut erreichte. Mit Anstrengung lehnte er sich vorwärts, um sie auszudrücken. »Rovard, wann wird dieses zweite Schiff fertig sein?« Grauffis lachte bitter. »Der Bau der Enterprise hat uns alles abverlangt, was wir hatten. Das Herzogtum ist jetzt am Rande des Bankrotts. Vor sechs Monaten haben wir die Arbeit an dem zweiten Schiff abgebrochen, weil wir nicht genug Geld hatten, um es weiter-
zubauen und gleichzeitig die Enterprise fertigzustellen. Wir zählten darauf, daß die Fahrten der Enterprise zur Alten Föderation so viel einbringen würden, daß wir das zweite Schiff würden beenden können. Von da ab, mit zwei Schiffen und einer Basis auf Tanith, würden wir Geld einnehmen statt ausgeben. Aber jetzt ...« »Hier bin ich nicht besser dran als damals auf Flamberge«, fügte Harkaman hinzu. »Eher schlechter. König Napolyon wollte den Elmersans helfen, und ich hätte da ein Kommando bekommen. Jetzt ist es dafür zu spät.« Lucas nahm seinen Stock, mit dessen Hilfe er mühsam aufstand. Dem gebrochenen Bein ging es besser, doch war er immer noch schwach. Er machte ein paar unsichere Schritte, blieb auf den Stock gestützt stehen, schleppte sich dann zu dem offenen Fenster und starrte einen Moment hinaus. Dann wandte er sich um. »Captain Harkaman, es könnte sein, daß Sie dennoch ein Kommando bekommen, hier auf Gram. Das heißt, wenn es Ihnen nichts ausmacht, es unter mir als dem an Bord befindlichen Eigentümer auszuüben. Ich werde mich an die Verfolgung Andrey Dunnans machen.« Beide sahen ihn an. Nach kurzer Pause sagte Harkaman: »Es würde mir eine Ehre sein, Lord Trask. Aber woher wollen Sie ein Schiff bekommen?«
»Es ist schon halb fertig. Sie haben bereits eine Mannschaft dafür. Der Herzog kann es für mich vollenden und für die Kosten seine neue Baronie Traskon verpfänden.« Er kannte Rovard Grauffis seit seiner Kindheit; bis zu diesem Augenblick hatte er noch niemals gesehen, daß sich Herzog Angus' Gefolgsmann Überraschung anmerken ließ. »Sie meinen, Sie tauschen Traskon gegen das Schiff ein?« fragte er. »Wenn es fertig, voll ausgerüstet und startbereit ist, ja.« »Der Herzog wird einverstanden sein«, sagte Grauffis sofort. »Aber Lucas, Traskon ist alles, was Sie besitzen. Ihr Titel, Ihre Einkünfte ...« »Wenn ich ein Schiff habe, brauche ich all das nicht mehr. Ich will Raum-Wikinger werden.« Das brachte ihm Harkamans laute Zustimmung ein. Grauffis sah ihn mit leicht geöffnetem Munde an. »Lucas Trask – Raum-Wikinger?« fragte er. »Jetzt habe ich alles gehört.« Nun, warum nicht? Er hatte die Auswirkungen der Wikinger-Überfälle auf die Schwert-Welten beklagt, weil Gram eine Schwert-Welt war. Und Traskon lag auf Gram, und Traskon hätte die Heimat sein sollen, wo er und Elaine leben wollten und wo ihre Kinder und Kindeskinder würden geboren werden. Aber das
Fundament, auf dem alles geruht hatte, es war nun zerstört. »Das war ein anderer Lucas Trask, Rovard. Der ist jetzt tot.«
6 Grauffis entschuldigte sich dafür, Herzog Angus über Televisor angesprochen zu haben. Offenbar hatte Angus alles liegen und stehen lassen, als er hörte was sein Gefolgsmann ihm zu berichten hatte. Harkaman schwieg, bis Grauffis gegangen war, und sagte dann: »Lord Trask, ich kann Ihnen nicht sagen, wie glücklich ich bin. Es war nicht angenehm für mich, als Kapitän ohne Schiff auf die Großzügigkeit anderer angewiesen zu sein. Was ich keinesfalls möchte, ist, eines Tages mit dem Gedanken leben zu müssen, Ihr Unglück in meinen eigenen Vorteil umgemünzt zu haben.« »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Wenn jemand übervorteilt wird, dann sind Sie es. Ich brauche einen Raum-Kapitän, und Ihr Mißgeschick ist mein Glück.« Harkaman stopfte sich eine Pfeife. »Haben Sie jemals Gram verlassen?« »Ich war ein paar Jahre auf der Universität von Camelot auf Excalibur. Das war alles.« »Nun, haben Sie irgendeine Vorstellung von dem, was Sie erwartet?« Der Raum-Wikinger knipste sein Feuerzeug an und zog an seiner Pfeife. »Sie wissen natürlich, wie groß die Alte Föderation ist. Das heißt,
Sie kennen die Zahlen; aber sagen Ihnen die irgend etwas? Ich weiß, daß sogar viele Raumfahrer sich nichts darunter vorstellen können. Wir verwenden leichthin Zahlen wie zehn in der hundertsten Potenz, aber gefühlsmäßig zählen wir immer noch eins, zwei, drei, vier. Ein Schiff im Hyperraum legt etwa ein Lichtjahr pro Stunde zurück. Von Gram nach Excalibur braucht man dreißig Stunden. Aber wenn Sie per Funk die Geburt eines Sohnes von Gram nach Excalibur melden, er würde selbst schon Vater sein, bevor die Nachricht dort ankommt. Die Alte Föderation, wo Sie Dunnan suchen wollen, hat ein Volumen von zweihundert Milliarden Kubik-Lichtjahren. Und in diesem riesigen Raum jagen Sie nach einem Schiff und einem Mann. Wie wollen Sie das machen, Lord Trask?« »Das habe ich mir noch nicht überlegt; ich weiß nur, daß ich's tun muß. Auf irgendeiner der Basen in der Alten Föderation werde ich seine Fährte finden. Früher oder später.« »Wir werden hören, wo er vor einem Jahr war, und bis wir dort sind, ist er schon seit eineinhalb oder zwei Jahren wieder weg. Seit über dreihundert Jahren fallen wir in der Alten Föderation ein, Lord Trask. Ich würde sagen, daß gegenwärtig mindestens zweihundert Raum-Wikinger-Schiffe dort operieren. Warum haben wir nicht schon lange alles abgegrast? Entfer-
nung und Flugzeit, das ist die Antwort. Wissen Sie, Dunnan könnte an Altersschwäche sterben – und bei Raum-Wikingern ist das nicht die normale Todesursache –, bevor Sie ihn erwischen.« »Trotzdem, ich werde ihn jagen bis an mein Ende. Alles andere hat für mich keine Bedeutung mehr.« »So etwas habe ich erwartet. Aber ich werde nicht mein ganzes Leben bei Ihnen sein. Ich brauche ein eigenes Schiff, wie die Corisande, die ich auf Durendal verlor. Irgendwann werde ich eines haben. Aber bis Sie Ihr Schiff selbst befehligen können, werde ich das für Sie tun. Das ist ein Versprechen.« Eine feierliche Bekräftigung schien angezeigt. Lucas ließ einen Roboter kommen, der ihnen Wein einschenkte, und sie tranken einander zu. Bis er kräftig genug war, um selbst auf der Werft nach dem Rechten zu sehen, verfolgte er die Arbeit auf dem Bildschirm und konferierte entweder persönlich oder über Televisor mit Ingenieuren und Bauleitern. Seine Räume im Herzogspalast wurden fast über Nacht von Krankenzimmern in Büros verwandelt. Die Ärzte, die ihn noch vor kurzem gedrängt hatten, sich neuen Interessen zuzuwenden, warnten ihn nun vor den Gefahren der Überanstrengung. Harkaman setzte sich schließlich in ihrem Sinne ein. »Übertreibe es nicht, Lucas.« Sie verzichteten jetzt
auf Formalitäten und duzten sich. »Du darfst die Maschinerie nicht überbeanspruchen, bevor sie wieder ganz in Ordnung ist. Wir haben genügend Zeit. Wenn wir einfach irgendwo nach Dunnan suchen, bringt uns das nicht weiter. Aber je länger er in der Alten Föderation herumfährt, bevor er hört, daß wir hinter ihm her sind, desto mehr Spuren wird er hinterlassen. Er wird irgendwann, irgendwo aus dem Hyperraum kommen, und wir werden auf ihn warten.« »Glaubst du, er ist nach Tanith geflogen?« Harkaman stand von seinem Stuhl auf und ging minutenlang im Raum hin und her, kam dann zurück und setzte sich wieder. »Nein. Das war Herzog Angus' Idee, nicht seine. Auf Tanith könnte er sowieso keine Basis errichten. Du weißt doch, was für eine Mannschaft er hat.« Man hatte sich sehr bemüht, Dunnans Hintermänner und Komplicen festzustellen; Herzog Angus hoffte immer noch auf einen eindeutigen Beweis für die Beteiligung von Omfray von Glaspyth. Dunnan hatte eineinhalb Dutzend Leute von Gorrams Werft bei sich, die er bestochen hatte. Einige davon waren fähige Techniker, die meisten aber Agitatoren, Unruhestifter und drittklassige Kräfte. Selbst unter diesen Umständen war Alex Gorram froh, sie loszuwerden. Was Dunnans eigene Söldnergruppe betraf, so waren
etwa zwanzig frühere Raumfahrer darunter. Daneben gab es eine bunte Auswahl vom Trunkenbold über den kleinen Dieb bis zum Gewaltverbrecher. Dunnan selbst war Astrogator, kein Ingenieur. »Selbst für einen Routinefeldzug ist der Haufen zu mies«, sagte Harkaman. »Niemals wären sie in der Lage, auf Tanith eine Basis zu errichten. Wenn also Dunnan nicht völlig wahnsinnig ist, was ich bezweifle, dann ist er zu irgendeinem normalen WikingerBasis-Planeten wie Hoth oder Nergal oder Dagon oder Xochitl geflogen, um Offiziere, Ingenieure und fähige Raumfahrer zu rekrutieren.« »Die Roboterausrüstung und die Maschinen, die für Tanith bestimmt waren – war das alles an Bord, als er das Schiff in die Gewalt bekam?« »Ja, und das ist ein weiterer Grund, warum er vermutlich zu einem Planeten wie Hoth oder Nergal oder Xochitl fliegt. Auf einem von Wikingern besetzten Planeten in der Alten Föderation wird ihm das Zeug fast in Gold aufgewogen.« »Und wie sieht es auf Tanith aus?« »Fast genauso wie auf Terra, Haulteclere oder Flamberge. Es war einer der letzten von der Föderation vor dem Großen Krieg kolonisierten Planeten. Niemand weiß genau, was passierte. Es gab keinen interstellaren Krieg; zumindest findet man dort, wo vorher Städte waren, keine Schlackenkrater. Wahrscheinlich gab es
eine Menge interner Auseinandersetzungen, nachdem sie die Föderation verlassen hatten. Kampfspuren sind noch zahlreich feststellbar. Dann kam der Niedergang ihrer Zivilisation bis auf den Stand der vormechanischen Zeit: Wind- und Wasserkraft, auch Tiere als Energiequellen. Sie haben Zugtiere, die wie von Terra importierte Carabaos aussehen, und ein paar kleine Segelboote auf den Flüssen. Außerdem haben sie Schießpulver; das scheint ja das letzte zu sein, was irgendeinem Volk verlorengeht.« »Vor fünf Jahren war ich dort. Tanith gefiel mir gut als Basis. Es gibt einen Mond, fast ganz aus Nickeleisen, und Erzlager. Dann kam ich auf den blödsinnigen Gedanken, bei den Elmersans auf Durendal anzuheuern, und verlor mein Schiff. Als ich hierher kam, hatte euer Herzog etwas mit Xipolotec vor. Ich habe ihn davon überzeugt, daß Tanith seinen Zwekken besser entspricht.« »Dann könnte Dunnan noch dorthin geflogen sein. Vielleicht meint er, er könne auf diese Weise Herzog Angus eins auswischen. Immerhin hat er ja die ganze Ausrüstung.« »Und niemand, der mit ihr umzugehen versteht. Wenn ich Dunnan wäre, würde ich nach Nergal oder Xochitl fliegen. Dort sind immer ein paar Tausend Raum-Wikinger, die ihre Beute verjubeln und es sich zwischen ihren Raubzügen gut gehen lassen. Auf
beiden Planeten könnte er eine komplette Mannschaft zusammenstellen. Ich schlage vor, daß wir zuerst nach Xochitl fliegen. Vielleicht hören wir Neues von ihm, wenn sich schon sonst nichts ergibt.« Nun gut, sie würden es erst auf Xochitl versuchen. Harkaman kannte den Planeten und war befreundet mit dem Adeligen von Haulteclere, der dort herrschte. Auf der Werft ging die Arbeit weiter; der Bau der Enterprise hatte ein Jahr gedauert, aber die Stahlwerke und Maschinenfabriken hatten jetzt ihre Produktion auf volle Touren gebracht, und Material und Ausrüstung kamen in ständigem Strom. Lucas' Zustand besserte sich von Tag zu Tag, und bald verbrachte er den größten Teil seiner Zeit auf der Werft und verfolgte den Einbau der Maschinen: Abbot-Vertikal- und Horizontalantrieb für den normalen Raum, DillinghamHyperantrieb, Kraftumwandler, Pseudograph, alles in der Mitte des kugelförmigen Schiffs. Dann kamen die Aufenthaltsräume und Werkstätten, alle mit Collapsium beschichtetem Stahl gepanzert. Dann stieg das Schiff zu einer Umlaufbahn tausend Meilen über dem Planeten auf, gefolgt von Schwärmen gepanzerter Arbeits- und Zubringerschiffe; der Rest der Arbeit war leichter im Raum zu erledigen. Gleichzeitig wurden die vier je sechzig Meter langen Tochterfahrzeuge fertiggestellt, die an Bord mitgeführt werden sollten. Jedes davon hatte seine eigenen Hyperantriebsmaschi-
nen und die gleiche Reichweite und Geschwindigkeit wie das Schiff selbst. Und jetzt studierte er seinen neuen Beruf eines interstellaren Räubers und Mörders, gegen den er sich einst so energisch ausgesprochen hatte. Otto Harkamans Männer wurden seine Lehrer. Vann Larch, Artillerie und Raketen, der auch Maler war; Guatt Kirbey, melancholisch und pessimistisch, der hyperaptiale Astrogator, der seine Musik in Wissenschaft auszudrücken versuchte; Sharll Renner, der Normalraum-Astrogator, und Alvyn Karffard, der Erste Offizier, der schon am längsten bei Harkaman war. Und Sir Paytrik Morland, erst neuerdings zu Harkaman gestoßen, der frühere Befehlshaber der Wachen von Graf Lionel von Newhaven, der für die Bodenkämpfer und die Gefechtskontragravitation zuständig war. Sie benützten die Farmen und Dörfer von Traskon für ihre Übungen, und er stellte fest, daß, obwohl die Nemesis – so sollte ihr Schiff heißen – nur Platz für fünfhundert Mann Boden- und Lufttruppen bot – über tausend ausgebildet wurden. Er machte eine Bemerkung darüber zu Rovard Grauffis. »Ja. Doch erwähnen Sie draußen davon nichts«, sagte der Gefolgsmann des Herzogs. »Sie und Sir Paytrick und Captain Harkaman werden sich die fünfhundert besten aussuchen. Den Rest wird der
Herzog in seine Dienste nehmen. Es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis Omfray von Glaspyth weiß, was ein Raum-Wikinger-Überfall wirklich bedeutet.« Und Herzog Angus würde Steuern von seinen neuen Untertanen auf Glaspyth erheben, um die auf seine neue Baronie Traskon aufgenommenen Kredite zurückzahlen zu können. Irgendein Schriftsteller des Voratomaren Zeitalters, den Harkaman gerne zitierte, hatte gesagt: »Gold bringt nicht immer gute Soldaten, aber gute Soldaten bringen immer Gold.« Die Nemesis kehrte zur Werft zurück und ließ sich auf ihre geschwungenen Beine nieder wie eine gigantische Spinne. Die Enterprise hatte das Schwert- und Atomsymbol der Wards getragen; die Nemesis sollte sein eigenes Wappen führen, aber der braune Bisonkopf auf grünem Grunde der Traskons gehörte nicht länger ihm. Er wählte einen auf einem aufrecht gestellten Schwert gespießten Schädel, und das Wappen wurde am Schiff angebracht, bevor er und Harkaman es zur ersten Probefahrt bestiegen. Als sie zweihundert Stunden später wieder in der Werft landeten, erfuhren sie, daß in ihrer Abwesenheit ein Frachter von Morglay nach Bigglersport gekommen war und Nachrichten von Andray Dunnan gebracht hatte. Auf Herzog Angus' dringende Bitte hatte sich der Kapitän nach Wardshaven begeben und erwartete sie im herzoglichen Palast.
Ein Dutzend Männer saß an dem Tisch in den Privatgemächern des Herzogs. Der Frachterkapitän, ein kleiner Mann mit angegrautem Bart, zog abwechselnd an einer Zigarette und nippte an einem Glas Brandy. »Vor zweihundert Stunden bin ich auf Morglay gestartet«, sagte er. »Ich war zwölf Tage dort gewesen, dreihundert galaktische Standardstunden, und die Fahrt von Curtana hatte dreihundertzwanzig gedauert. Dieses Schiff, die Enterprise, war dort einige Tage vor mir gestartet. Ich würde sagen, daß es Windsor auf Curtana jetzt zwölfhundert Stunden hinter sich gelassen hat.« Im Raum herrschte Stille. Die Brise ließ die Vorhänge an den offenen Fenstern flattern; unten im Garten zwitscherten Nachtvögel zwischen den Bäumen. »Damit hätte ich nicht gerechnet«, sagte Harkaman. »Ich nahm an, er würde sofort zur Alten Föderation fliegen.« Er schenkte sich Wein ein. »Natürlich, Dunnan ist verrückt. Und ein Verrückter hat manchmal einen Vorteil, wie ein linkshändiger Messerkämpfer. Er tut, was man nicht erwartet.« »So verrückt war das gar nicht«, sagte Rovard Grauffis. »Wir haben sehr wenig direkten Verkehr mit Curtana. Es ist reiner Zufall, daß wir jetzt von ihm hören.«
Das Glas des Frachterkapitäns war halb leer. Er füllte es auf bis zum Rand. »Es ist das erste Schiff von Gram, das dort seit Jahren landete«, stimmte er zu. »Das erregte natürlich Aufmerksamkeit. Auch, daß er das Wappen gewechselt hat und jetzt statt des Schwert- und Atomsymbols den blauen Halbmond zeigt. Dazu kam die Verärgerung anderer Kapitäne und Arbeitgeber darüber, daß er ihnen Männer weggelockt hat.« »Wieviele waren es denn, und was für welche?« Der Mann mit dem grauen Bart zuckte die Achseln. »Ich war zu sehr damit beschäftigt, meine Fracht für Morglay zusammenzustellen, als daß ich mich viel darum hätte kümmern können. Es war wohl fast eine volle Raumschiffbesatzung, Offiziere und Raumfahrer aller Art. Und eine Anzahl Industrie-Ingenieure und Techniker.« »Dann wird er die an Bord befindliche Ausrüstung selbst verwenden wollen und irgendwo eine Basis errichten«, sagte jemand. »Wenn er Curtana vor zwölfhundert Stunden verließ, ist er noch im Hyperraum«, sagte Guatt Kirbey. »Es sind über zweitausend Stunden von Curtana zum nächsten Planeten der Alten Föderation.« »Und bis Tanith?« fragte Herzog Angus. »Ich bin sicher, daß er Kurs dorthin genommen hat. Er nimmt an, daß ich das andere Schiff fertigstelle und ebenso
ausgerüstet wie die Enterprise losschicke; deswegen möchte er als erster dort sein.« »Ich hatte gedacht, Tanith würde der letzte Ort sein, den er anfliegen würde«, sagte Harkaman, »aber was wir gehört haben, ändert alles. Er könnte tatsächlich dorthin geflogen sein.« »Er ist verrückt, und Sie versuchen, Maßstäbe der Logik bei ihm anzuwenden«, sagte Guatt Kirbey. »Sie überlegen sich, was Sie selbst tun würden, und Sie sind nicht verrückt. Natürlich hatte ich manchmal meine Zweifel, aber ...« »Ja, er ist verrückt, und Captain Harkaman stellt das in Rechnung«, sagte Rovard Grauffis. »Dunnan haßt uns alle. Er haßt Seine Gnaden. Er haßt Lord Lucas und Sesar Karvall; möglicherweise nimmt er freilich an, daß er beide getötet habe. Er haßt Captain Harkaman. Wie also kann er uns allen auf einmal einen schweren Schlag versetzen? Indem er Tanith nimmt.« »Sie sagten, er kaufte Proviant und Munition?« »Ja. Patronen und Granaten, Schiffsraketen und eine Menge Boden-Luft-Raketen.« »Womit hat er das alles gekauft? Maschinen?« »Nein. Gold.« »Ja. Lothar Ffayle hat festgestellt, daß Dunnan eine Menge Gold von Banken in Glaspyth und Didreksburg erhalten hat«, sagte Grauffis. »Offensichtlich brachte er es an Bord, als er das Schiff kaperte.«
»Nun gut«, sagte Lucas Trask. »Es gibt keine völlige Sicherheit, aber wir haben Grund zu der Annahme, daß er nach Tanith fuhr. Wir wissen nicht, wie groß unsere Chancen sind, ihn dort zu finden, jedenfalls sind sie um einiges größer als irgendwo anders. Tanith wird unser erstes Ziel sein.«
7 Auf dem Außenbildschirm, der grau und leer gewesen war seit über dreitausend Stunden, war jetzt ein schwindelnder Wirbel von Farbe, der unbeschreiblichen Farbe eines zusammenbrechenden HyperraumFeldes. Trask bemerkte, daß er den Atem anhielt, wie Otto Harkaman neben ihm. Offenbar war dies etwas, woran man sich nicht gewöhnen konnte. Sogar Guatt Kirbey, der Astrogator, biß erregt auf seiner Pfeife herum, während er auf den Schirm starrte. Dann, auf einmal, erschienen die Sterne, die vorher einfach nicht dagewesen waren, und erfüllten den Schirm vor dem schwarzsamtenen Hintergrund des normalen Raumes mit gleißendem Licht. Genau in der Mitte, heller als die anderen, brannte gelb Ertados Stern, die Sonne von Tanith. Ihr Licht war zehn Stunden alt. »Gar nicht schlecht, Guatt«, sagte Harkaman und griff zur Tasse. »Nicht schlecht? Gehenna, es war perfekt«, sagte jemand anderer. Kirbey zündete seine Pfeife wieder an. »Na, es wird wohl gehen müssen«, sagte er. Er hatte graues Haar und einen struppigen Schnurrbart, und nichts war ihm jemals gut genug. »Ich wäre noch etwas nä-
her 'rangekommen. Jetzt brauchen wir drei Mikrosprünge, und der letzte muß ziemlich genau stimmen. Laßt mich also in Frieden.« Er begann, Knöpfe zu drücken. Einen Moment lang glaubte Trask, Andray Dunnans Gesicht auf dem Schirm zu sehen. Er zuckte zusammen, langte nach einer Zigarette und steckte sie verkehrt herum in den Mund. Als er sie umgedreht hatte und anzünden wollte, sah er, daß seine Hand zitterte. Otto Harkaman mußte es auch gesehen haben. »Nur die Ruhe, Lucas«, flüsterte er. »Halt deinen Optimismus unter Kontrolle. Wir vermuten ja nur, daß er hier sein könnte.« »Für mich ist es sicher. Er muß hier sein. Wir müssen annehmen, daß er hier ist. Wenn wir das tun, und es ist nicht der Fall, ist das eine Enttäuschung. Tun wir es nicht, und er ist doch hier, ist es eine Katastrophe.« Andere dachten offenbar ebenso. Das Schaltpult der Gefechtsstation war eine einzige rot leuchtende Fläche: Die Kontrollampen, die volle Kampfbereitschaft signalisierten. »So«, sagte Kirbey. »Wir springen.« Er packte den roten Hebel zu seiner Rechten und riß ihn herum. Wieder war auf dem Schirm das Kochen farbiger Turbulenzen; wieder erschütterten gewaltige, dunkle Kräfte das Schiff. Dann starrten die
Sensoren blind in ein dimensionsloses Nichts, und es wurde grau auf dem Schirm. Und dann kamen wieder die farbigen Wirbel, und diesmal war Ertados Stern, immer noch im Zentrum, eine münzengroße Scheibe, und um ihn herum standen seine sieben Planeten wie kleine Funken verstreut. Tanith war der dritte – wie das bei den bewohnbaren Planeten eines G-Systems meistens der Fall war. Sein einziger Mond war auf dem Bildschirm kaum zu erkennen; er hatte achthundert Kilometer Durchmesser und war achtzigtausend Kilometer von seinem Planeten entfernt. »Was meinst du?« fragte ihn Harkaman so beflissen, als wolle er die Meinung eines Experten erfahren und nicht seinen Schüler prüfen. »Wohin sollte Guatt uns steuern?« »So nahe heran wie möglich natürlich.« Das würde mindestens eine Lichtsekunde sein; wenn die Nemesis sich aus dem Hyperraum einer Masse der Dimension von Tanith stärker näherte, würde das kollabierende Feld selbst sie zurückwerfen. »Wir müssen annehmen, daß Dunnan seit mindestens neunhundert Stunden dort ist. In dieser Zeit könnte er auf dem Mond eine Warnstation und vielleicht sogar eine Raketenbasis eingerichtet haben. Die Enterprise hat vier Beiboote, genau wie die Nemesis; wäre ich an seiner Stelle, würde ich zumindest zwei davon um den Planeten herum auf Patrouillenfahrt schicken. Unterstel-
len wir also, daß wir sofort nach dem letzten Sprung entdeckt werden, und richten wir es so ein, daß der Mond dann direkt zwischen uns und dem Planeten steht. Ist er besetzt, dann können wir die Basis auf dem Weg zum Planeten ausschalten.« »Viele Kapitäne würden versuchen, in eine Position zu gelangen, wo der Mond durch den Planeten verdeckt ist«, sagte Harkaman. »Und du?« Der hochgewachsene Mann schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn sie auf dem Mond Raketen haben, könnten sie sie mit Hilfe von Daten der anderen Seite in einer Kreisbahn um den Planeten herum auf uns abschießen, und dann wäre es schwierig für uns, zurückzuschlagen. Also geradewegs drauf los. Hören Sie, Guatt?« »Ja. Leuchtet mir ein. Und jetzt laßt mich in Ruhe.« Wieder erschien auf dem Schirm der rasende Wirbel in allen Farben. Als das Bild wieder klar wurde, war der dritte Planet direkt im Zentrum. Sein kleiner Mond war, fast ebenso groß, ein wenig rechts darüber, von der Sonne beleuchtet auf der einen, vom reflektierten Licht des Planeten auf der anderen Seite. Kirbey sicherte den roten Hebel, zog die Jalousie über die Instrumentenkonsole und versperrte sie. »Sie sind dran, Sharll«, sagte er zu Renner, den Normalraum-Astrogator.
»Acht Stunden bis Atmosphärenberührung«, sagte Renner. »Das heißt, wenn wir keine Zeit dabei verlieren, den Kleinen da oben abzuschießen.« Vann Larch besah sich den Mond auf dem Teleschirm. »Ich sehe nichts, was da abzuschießen wäre.« Warum mußte das sein? dachte Trask erbittert. Vor wenigen Minuten noch war Tanith zehneinhalb Milliarden Kilometer entfernt gewesen. Vor Sekunden noch etwa achtzig Millionen. Jetzt waren es noch vierhunderttausend, und obwohl der Planet auf dem Schirm zum Greifen nahe erschien, würde es noch acht Stunden dauern, bis sie ihn erreichten. Harkaman, der nach Belieben einschlafen konnte, wobei irgendein sechster oder x-ter Sinn in ihm wachte, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schloß die Augen. Trask wünschte, er wäre auch dazu in der Lage gewesen. Es würde Stunden dauern, bevor irgend etwas geschah, und bis dann brauchte er so viel Ruhe wie möglich. Er trank noch mehr Kaffee, rauchte eine Zigarette nach der anderen, stand auf, ging im Kommandoraum herum, kam zurück, setzte sich wieder, starrte auf den Schirm. Der Planet schien nicht im geringsten näherzukommen – aber er mußte doch; sie schossen mit mehr als Fluchtgeschwindigkeit darauf zu. Er saß da und starrte ... Mit einem Ruck fuhr er hoch. Das Schirmbild war
jetzt viel größer. Flußläufe und die Schattenlinien von Bergen waren deutlich sichtbar. In der nördlichen Hemisphäre mußte der Herbst begonnen haben; bis zum sechzigsten Breitengrad gab es Schnee, und ein brauner Gürtel bildete den Übergang zu den grünen Flächen im Süden. Harkaman saß da und aß. Auf der Uhr war es vier Stunden später. »Gut geschlafen?« fragte er. »Wir empfangen jetzt Signale. Nicht viel, aber etwas. Innerhalb von fünf Jahren, seit ich das letzte Mal da war, können die Leute das nicht gelernt haben.« Wenn Raum-Wikinger entzivilisierte Planeten heimsuchten, eignete sich deren Bevölkerung ziemlich rasch Bruchstücke technischer Kenntnisse an. In den vier müßigen Monaten ihrer Fahrt durch den Hyperraum hatte er häufig Geschichten gehört, die das bestätigten. Von der Stufe aus, auf die Tanith gesunken war, wäre der Schritt zur elektronischen Kommunikation für einen Zeitraum von fünf Jahren entschieden zu groß gewesen. »Sie haben doch keine Männer verloren, oder?« Das gab es häufig – Männer, die bei einheimischen Frauen blieben oder sich mit ihren Mannschaftskameraden überworfen hatten, Männer auch, die einfach blieben, weil der Planet ihnen gefiel. Wegen ihrer Fähigkeit und Kenntnisse waren sie bei den Einheimischen stets willkommen.
»Nein, dazu waren wir nicht lange genug da. Nur dreihundertfünfzig Stunden. Was über Funk hereinkommt, stammt nicht von den Einheimischen; irgend jemand muß da noch außer ihnen sein!« Wieder sah Lucas zu den Signallampen der Gefechtsstation hinüber. Alle leuchteten rot. Gefechtsklar. Er ließ seinen Messe-Roboter kommen, wählte ein paar Gerichte aus und begann zu essen. Nach dem ersten Bissen fragte er Alvyn Karffard: »Weiß Paul irgend etwas Neues?« Karffard sah nach. Ein kleiner AntigravitationsfeldVerzerrungseffekt. Noch war man zu weit entfernt, um Genaueres sagen zu können. Er wandte sich wieder seiner Mahlzeit zu. Beim Kaffee angelangt, zündele er sich eine Zigarette an, als ein rotes Licht aufleuchtete und eine Stimme aus einem der Lautsprecher rief: »Ortung! Ortung vom Planeten aus! Radar und Mikrowellen!« Karffard begann, rasch in ein Telefon zu sprechen; Harkaman nahm einen zweiten Hörer und lauschte. »Kommt von einem bestimmten Punkt, ungefähr zwanzig fünfzig nördlicher Breite«, sagte er. »Könnte von einem Schiff sein, das sich hinter dem Planeten versteckt. Auf dem Mond ist gar nichts.« Schneller und schneller schienen sie sich dem Planeten zu nähern. Allerdings schien es nur so: das
Schiff verlangsamte seine Fahrt, um in eine Kreisbahn einzuschwenken, doch schuf die abnehmende Entfernung die Illusion wachsender Geschwindigkeit. Wieder leuchtete ein Warnlicht auf. »Schiff geortet! Knapp außerhalb der Atmosphäre; kommt von Westen um den Planeten herum.« »Ist es die Enterprise?« »Das ist noch nicht festzustellen«, sagte Karffard und rief plötzlich: »Da ist es, auf dem Schirm, dieser Funke, etwa dreißig Grad nördlich, gerade über der Westseite.« Auch an Bord dieses unbekannten Schiffes würden jetzt Lautsprecher verkünden: »Schiff geortet!« und auf der Gefechtsstation würden die roten Lampen leuchten. Und Andray Dunnan am Kommandopult ... »Es funkt uns an.« Das war Paul Koreffs Stimme, die aus dem Lautsprecher kam. »Schwert-WeltStandard-Impuls-Code. Frage: ›Welches Schiff sind Sie?‹ Nennt seine Televisorkombination. Bittet um Antwort.« »Na schön«, sagte Harkaman, »seien wir höflich und antworten wir. Wie lautet die Kombination?« Koreffs Stimme nannte sie, und Harkaman gab sie ein. Sofort wurde es hell auf dem Kommunikationsschirm vor ihnen. Trask zog einen Stuhl neben den von Harkaman und umklammerte die Armlehnen. Würde es Dunnan selbst sein, und wie würde er rea-
gieren, wenn er erkannte, wem er sich auf dem Schirm gegenübersah? Es dauerte ein wenig, bis er erkannte, daß das andere Schiff keineswegs die Enterprise war. Die Enterprise war die Zwillingsschwester der Nemesis; ihr Kommandoraum war identisch mit seinem eigenen. Dieses Schiff war anders eingerichtet und ausgestattet. Die Enterprise war neu; dieses Schiff war alt und hatte bestimmt jahrelang unter einem nachlässigen Kapitän und einer schlampigen Mannschaft gelitten. Und der Mann auf dem Schirm war nicht Andray Dunnan oder irgend jemand anderer, den Lucas schon jemals gesehen hatte. Sein Gesicht war dunkel, und eine alte Narbe erstreckte sich vom linken Auge über die ganze Wange. Vor ihm stand ein Aschenbecher mit einer Zigarre, aus der ein dünner Rauchfaden aufstieg, und Kaffee dampfte in einem reich verzierten, aber leicht verbeulten Silberbecher daneben. Der Mann grinste fröhlich. »Oh! Captain Harkaman von der Enterprise, wenn ich nicht irre; willkommen auf Tanith. Wer ist der Gentleman bei Ihnen? Doch nicht der Herzog von Wardshaven, oder?«
TANITH 1 Mit einem raschen Blick auf den Kontrollschirm vergewisserte sich Lucas, daß seine Miene ihn nicht verriet. Neben ihm rief Harkaman lachend: »Oh, Captain Valkanhayn – welch unerwartetes Vergnügen! Sie sind an Bord der Geißel des Weltraums, nehme ich an? Was machen Sie auf Tanith?« Eine Stimme aus einem der Lautsprecher meldete, daß ein zweites Schiff über dem Nordpol geortet worden sei. Valkanhayn lächelte zufrieden. »Das ist Garvan Spasso mit der Lamia«, sagte er. »Und was wir hier tun? Wir haben diesen Planeten übernommen. Und wir beabsichtigen auch, ihn zu behalten.« »So! Sie und Garvan haben sich also zusammengetan. Sie beide sind wirklich für einander geschaffen. Und jetzt haben Sie einen Planeten, ganz für sich allein. Freut mich so sehr für Sie beide. Und was holen Sie da heraus – außer Geflügel?« Die Selbstsicherheit des anderen schien ein wenig erschüttert, aber er nahm sich zusammen. »Machen Sie keine Witze; wir wissen, warum Sie hier sind. Aber wir waren zuerst da. Tanith ist unser
Planet. Glauben Sie, Sie können ihn uns wieder wegnehmen?« »Ja, das kann ich, und Sie wissen es!« entgegnete Harkaman. »Ihre beiden Schiffe zusammen sind uns an Feuerkraft unterlegen; sogar unseren Tochterschiffen wäre die Lamia nicht gewachsen. Die einzige Frage ist, wollen wir überhaupt?« Von seiner Überraschung hatte sich Lucas jetzt erholt, nicht aber von seiner Enttäuschung. Wenn dieser Bursche die Nemesis für die Enterprise hielt ... Bevor er sich selbst daran hindern konnte, hatte er den Gedanken laut zu Ende gedacht. »Die Enterprise ist also gar nicht hier gewesen!« »Sind Sie denn nicht an Bord der Enterprise?« rief der Mann auf dem Schirm erstaunt. »Oh, nein. Verzeihen Sie mein Versäumnis, Captain Valkanhayn«, entschuldigte sich Harkaman. »Dies ist die Nemesis. Der Gentleman neben mir, Lord Lucas Trask, ist ihr Eigner, für den ich das Kommando ausübe. Lord Trask, Captain Boake Valkanhayn von der Geißel des Weltraums. Captain Valkanhayn ist ein Raum-Wikinger.« Er sagte das, als erwartete er, seine Worte würden in Zweifel gezogen. »Auch sein Kompagnon, Captain Spasso, dessen Schiff sich uns nähert – das soll also heißen, daß die Enterprise gar nicht hier war?«
Valkanhayns Stimme klang verwundert und etwas besorgt: »Bedeutet das, daß der Herzog von Wardshaven zwei Schiffe besitzt?« »Soviel ich weiß, hat der Herzog von Wardshaven überhaupt kein Schiff«, entgegnete Harkaman. »Dieses Schiff ist das Eigentum von Lord Trask. Die Enterprise, nach der wir suchen, steht im Besitz und unter dem Kommando eines gewissen Andray Dunnan.« Der Mann mit dem Narbengesicht hatte seine Zigarre aufgenommen und zog mechanisch daran. Dann nahm er sie wieder aus dem Mund, als frage er sich, wie sie überhaupt dort hingekommen sei. »Aber hat der Herzog von Wardshaven nicht ein Schiff hierhergeschickt, um eine Basis einzurichten? Das haben wir jedenfalls gehört. Wir hörten auch, Sie seien von Flamberge nach Gram gegangen, um ein Kommando für ihn zu übernehmen.« »Wo haben Sie das gehört? Und wann?« »Auf Hoth. Muß etwa zweitausend Stunden her sein; ein Gilgamescher brachte die Nachricht von Xochitl.« »Nun, in Anbetracht dessen, daß sie aus fünfter oder sechster Hand kam, war Ihre Information nicht falsch, als sie noch frisch war. Immerhin war sie eineinhalb Jahre alt, als Sie sie erhielten. Wie lange sind Sie schon hier auf Tanith?«
»Etwa tausend Stunden.« Harkaman schüttelte betrübt den Kopf. »Tut mir leid, daß Sie Ihre Zeit so unnütz vergeudet haben. Nun, hat mich gefreut, wieder mal mit Ihnen zu sprechen, Boake. Grüßen Sie Garvan von mir.« »Was denn, Sie bleiben nicht?« War Valkanhayn erschreckt – eine seltsame Reaktion für einen Mann, der eben noch mit einem erbitterten Kampf hatte rechnen müssen? »Sie machen sich sofort wieder auf den Weg?« Harkaman zuckte die Achseln. »Was sollen wir hier, Lord Trask? Offenkundig befindet sich die Enterprise anderswo. Sie war noch im Hyperraum, als Captain Valkanhayn und sein Kompagnon hier ankamen.« »Gibt es hier irgend etwas, was unser Bleiben lohnen würde?« Das schien die Antwort zu sein, die Harkaman erwartet hatte. »Das heißt, außer Geflügel?« Harkaman schüttelte den Kopf. »Es ist Captain Valkanhayns Planet; seiner und Captain Spassos. Sollen sie ihn doch behalten.« »Aber hören Sie: Das ist ein interessanter Planet. Es gibt eine große Stadt, mit vielleicht zehn- oder zwanzigtausend Leuten; Tempel und Paläste und alles. Dann gibt es ein paar Städte der Alten Föderation. Diejenige, wo wir sind, ist in gutem Zustand, und sie
hat einen großen Raumhafen. In den haben wir schon viel Arbeit investiert. Und die Einheimischen machen keinerlei Schwierigkeiten. Alles, was sie haben, sind Speere, Pfeile und Bogen und Luntengewehre ...« »Ich weiß. Ich bin schon hier gewesen.« »Nun, könnten wir nicht ein Übereinkommen treffen?« fragte Valkanhayn. Ein bettelnder Ton war in seine Stimme gekommen. »Ich kann Garvan auf den Schirm bekommen und zu Ihnen weiterschalten ...« »Wir haben eine Menge Schwert-Welt-Waren an Bord«, sagte Harkaman. »Für einiges davon könnten wir Ihnen gute Preise machen. Wie sieht es bei Ihnen mit Roboteranlagen aus?« »Aber bleiben Sie denn nicht hier?« Valkanhayn war fast in Panik geraten. »Hören Sie, ich werde mit Garvan reden, wir können uns alle hier zusammentun. Entschuldigen Sie mich nur für eine Minute ...« Sobald er sich ausgeschaltet hatte, warf Harkaman den Kopf zurück und lachte los, als hätte er eben den lustigsten Witz der ganzen Galaxis gehört. Trask selbst war nicht nach Lachen zumute. »Da komme ich nicht mit«, gab er zu. »Unsere Fahrt hierher war umsonst.« »Tut mir leid, Lucas.« Harkaman hatte sich immer noch nicht beruhigt. »Ich weiß, daß wir einen Reinfall erlebt haben – aber dieses Paar schlitzäugige Hühnerdiebe! Fast könnten sie mir leid tun, wenn es nicht
so komisch wäre.« Wieder mußte er lachen. »Weißt du, was sie vorhatten?« Trask schüttelte den Kopf. »Wer sind sie?« »Wie ich schon sagte, ein paar Hühnerdiebe. Sie überfallen Planeten wie Set, Hertha und Melkarth, wo die Einheimischen nichts in der Hand haben, womit sie kämpfen könnten – oder aber etwas, worum es sich zu kämpfen lohnt. Ich wußte nicht, daß sie sich zusammengetan hatten, aber es leuchtet ein. Niemand anders würde sich einen von ihnen zum Kompagnon nehmen. Irgendwie müssen sie von Herzog Angus' geplanter Tanith-Expedition Wind bekommen haben, und sie rechneten sich aus, ich würde sie, wenn sie zuerst hier wären, lieber an der Sache beteiligen, als es auf einen Kampf ankommen zu lassen. Wahrscheinlich hätte ich das auch getan. Immerhin haben sie ja Schiffe, und irgend etwas bringen sie schon zuwege. Jetzt aber wird es keine Basis auf Tanith geben, und die beiden haben einen wertlosen Planeten, auf dem sie sitzenbleiben.« »Können sie nicht selbst irgend etwas daraus machen?« »Aber was denn?« fragte Harkaman. »Sie haben weder Ausrüstung noch Männer. Nicht für einen Job wie diesen. Das einzige, was sie tun können, ist, sich wieder davonzumachen und die ganze Sache zu vergessen.«
»Wir könnten ihnen eine Ausrüstung verkaufen.« »Das könnten wir, wenn sie irgend etwas hätten, um zu bezahlen. Das haben sie nicht. Aber wir werden landen und unseren Männern Gelegenheit geben, Boden unter die Füße zu bekommen und für eine Weile einen Himmel zu sehen. Die Mädchen hier sind auch nicht schlecht«, sagte Harkaman. »Soweit ich mich erinnern kann, nehmen einige davon sogar hin und wieder ein Bad.« »So werden also alle Informationen aussehen, die wir über Dunnan kriegen. Sobald wir dort ankommen, wo er sein soll, ist er schon wieder ein paar tausend Lichtjahre entfernt«, sagte Lucas mißmutig. »Aber ich bin einverstanden; wir sollten den Männern hier eine Möglichkeit geben, sich die Beine zu vertreten. Die beiden da draußen werden uns keine Schwierigkeiten machen.« Die drei Schiffe steuerten auf einen Punkt fünfundzwanzigtausend Kilometer von dem Planeten entfernt und oberhalb der Schattengrenze zu. Die Geißel des Weltalls trug als Wappen eine gepanzerte Faust, die einen Kometen beim Kopf packte; es sah mehr wie ein Handbesen aus denn wie eine Geißel. Die Lamia hatte eine aufgerollte Schlange mit Kopf, Armen und Oberkörper einer Frau als Zeichen. Valkanhayn und Spasso hatten noch nicht wieder von sich hören lassen, und Lucas fragte sich, ob sie etwa beabsichtig-
ten, die Nemesis in die Zange zu manövrieren. Er bemerkte dies zu Harkaman und Alvyn Karffard, doch beide lachten nur. »Diese Besprechung kann noch Stunden dauern«, sagte Karffard. »Ja. Valkanhayn und Spasso sind nicht die Eigentümer ihrer Schiffe«, erklärte Harkaman. »Für Betriebskosten und Ersatzteile haben sie sich dermaßen bei ihrer Mannschaft verschuldet, daß alles jetzt allen gehört. Und so sehen die Schiffe auch aus. Eigentlich kommandieren die beiden nicht einmal; sie sitzen nur gewählten Kommandoräten vor.« Endlich hatten sie die beiden sogenannten Kommandeure auf dem Schirm. Garvan Spasso war ein kleiner, ziemlich kahlköpfiger Mann. Seine Augen standen ein wenig zu eng beieinander, und sein dünner Mund hatte einen hinterhältigen Zug. Er begann sofort zu sprechen: »Captain, Boake sagt mir, daß Sie nicht im Auftrag des Herzogs von Wardshaven hier sind.« Er sagte es unmutig, fast anklagend. »Das stimmt«, sagte Harkaman. »Wir sind hierher gekommen, weil Lord Trask annahm, ein anderes Schiff von Gram, die Enterprise, sei hier. Nachdem das aber nicht der Fall ist, ist unser Verbleiben hier sinnlos. Wir hoffen jedoch, daß Sie nichts einzuwenden haben, wenn wir landen und unseren Leuten ein paar
hundert Stunden Auslauf geben. Sie waren jetzt dreitausend Stunden im Hyperraum.« »Siehst du!« schrie Spasso. »Mit diesem Trick möchte er erreichen, daß wir ihn landen lassen ...« »Captain Spasso«, unterbrach ihn Trask. »Beleidigen Sie nicht die Intelligenz aller Beteiligten – auch nicht Ihre eigene.« Spasso starrte ihn an. »Mir ist klar, was Sie hierhergeführt hat«, fuhr Lucas fort. »Sie erwarteten, Captain Harkaman würde hier eine Basis für den Herzog von Wardshaven einrichten, und Sie glaubten, daß, wenn Sie vor ihm hier sein würden, er Sie lieber in die Dienste des Herzogs nehmen würde, als bei Ihrer Vernichtung Munition zu verschwenden und Schäden in Kauf zu nehmen. Nun, tut mir leid, Gentlemen. Captain Harkaman steht in meinen Diensten, und ich habe nicht das mindeste Interesse, eine Basis auf Tanith zu erstellen.« »Ich verstehe schon!« schrie Spasso. »Es gibt zwei Schiffe, die Enterprise und dieses. Der Herzog von Wardshaven hat die Enterprise bauen lassen, und irgend jemand anderer dieses Schiff hier. Beide wollen hier eine Basis errichten!« »Aber natürlich können Sie landen, Otto«, sagte Valkanhayn. »Ich weiß, wie es ist, dreitausend Stunden im Hyper zu sein.« »Sie sind bei dieser alten Stadt mit den zwei hohen Turmgebäuden, nicht wahr?« fragte Harkaman. »Um
Mitternacht müßten wir dort sein. Was macht der Raumhafen jetzt? Als ich dort war, sah er ziemlich übel aus.« »Oh, wir haben ihn hergerichtet. Ein ganzes Regiment Einheimische arbeitet für uns ...« Aus Otto Harkamans Beschreibungen und durch die Bilder, die Vann Larch während des langen Sprungs von Gram gemalt hatte, war ihnen die Stadt nicht unvertraut. Als sie näherkamen, machte sie einen imposanten Eindruck mit den fast tausend Meter hohen Zwillingstürmen und dem großen, achteckigen Raumhafen. Nach und nach freilich wich die Illusion einer lebenden Stadt. Zwischenräume zwischen den Häusern waren von Gebüschen überwuchert. Früher einmal hatte es drei der hohen Gebäude gegeben, die buchstäblich vertikale Städte für sich waren. Doch wo das dritte gestanden hatte, war jetzt nur noch ein tiefer Krater, umgeben von einem Wall von Trümmern. Eine mittelschwere Rakete von etwa zwanzig Kilotonnen mußte hier eingeschlagen haben. Am äußeren Rand des Raumhafens hatte ein ähnlicher Treffer Narben hinterlassen. Der Rest der Stadt schien eher an Vernachlässigung denn auf Grund von Gewaltanwendung zu sterben. Mit Sicherheit war das Gebiet nicht zusammengebombt worden. Der Kampf mußte hauptsächlich mit Subneutronen- oder Omega-Strahlenbomben durch-
geführt worden sein, vermutete Lucas, welche die Menschen töteten, ohne sonst Schaden anzurichten. Oder mit Bio-Waffen, einer von Menschen geschaffenen Pest, die außer Kontrolle geraten war und den Planeten mehr oder weniger entvölkert hatte. Als die Tochterschiffe die Nemesis zu ihrem Landeplatz bugsierten, konnte er tief unten im Hafen Leute an der Arbeit sehen. Entweder hatten Valkanhayn und Spasso mehr Männer, als die Größe ihrer Schiffe vermuten ließ, oder es mußte eine große Menge Einheimischer für sie arbeiten. Mehr als die ganze Bevölkerung der sterbenden Stadt, zumindest soweit Harkaman sich erinnern konnte. Im ganzen waren es etwa fünfhundert gewesen; sie lebten davon, daß sie Schrott aus den alten Gebäuden gruben und gegen Lebensmittel, Textilien, Pulver und ähnliche Dinge, die sie von anderswoher bekamen, eintauschten. »Ich beneide die armen Hunde nicht«, sagte Harkaman und sah auf das ameisenartige Gewimmel hinunter. »Vermutlich haben Valkanhayn und Spasso sie zu Sklaven gemacht. Wenn ich wirklich eine Basis hier einrichten wollte, wäre ich den beiden nicht gerade dankbar für die Public-Relations-Arbeit, die sie hier bei den Leuten geleistet haben.«
2 Spasso und Valkanhayn und ein paar ihrer Offiziere empfingen sie vor dem großen Gebäude in der Mitte des Hafens. Ihr Weg führte sie durch eine lange Vorhalle, vorbei an Frauen und Männern, die mit ihren Händen oder mit Schaufeln Unrat vom Boden aufhoben und in einen Behälter warfen. Beide Geschlechter trugen unförmige Gewänder aus grobem Stoff und flache Sandalen. Überwacht wurden sie von einem weiteren Einheimischen mit einem kurzen Schwert im Gürtel und einer Peitsche in der Hand. Er trug einen RaumWikinger-Helm mit dem Wappen von Spassos Lamia. Als sie an ihm vorübergingen, verbeugte er sich, wobei er die Hand zur Stirn führte. Danach konnten sie hören, wie er die anderen anschrie und wie seine Peitsche klatschte. Man kann Sklaven aus Menschen machen, und manche davon werden zu Sklaventreibern; sie beugen sich vor ihrem Herrn und lassen es dann die anderen entgelten. Harkaman rümpfte die Nase, als sei ein Stück verfaulten Fisches in seinem Schnurrbart hängengeblieben. »Wir haben etwa achthundert davon. Dreihundert nur waren tauglich für irgendeine Arbeit hier: den
Rest haben wir in Dörfer am Ufer des großen Flusses geschickt«, erklärte Spasso. »Und wie beschaffen Sie Nahrungsmittel für sie?« fragte Harkaman. »Oder kümmern Sie sich gar nicht darum?« »Oh, die holen wir uns von überall her«, erwiderte Valkanhayn. »Wir senden Teams los mit Landeschiffen. Sie fliegen zu einem Dorf, treiben die Bewohner hinaus, holen sich, was an Brauchbarem zu finden ist, und bringen es hierher. Hin und wieder kommt es zu einem Kampf, aber alles, was sie haben, sind ein paar Bogen und etliche Vorderlader. Wenn sie sich widersetzen, brennen wir das Dorf nieder und erschießen altes, was sich bewegt.« »So ist es richtig«, sagte Harkaman sarkastisch. »Wenn die Kuh nicht gemolken werden möchte, muß man sie erschießen. Natürlich gibt sie dann nicht mehr allzu viel Milch, aber ...« Der Raum, in den ihre Gastgeber sie führten, befand sich am anderen Ende der Halle. Wahrscheinlich war er einmal so etwas wie ein Konferenzraum mit getäfelten Wänden gewesen, doch die Vertäfelung war schon lange verschwunden. Überall hatte man Löcher in die Mauern geschlagen, und er bemerkte, daß die Tür fehlte und daß die Metallschiene, auf der sie gelaufen war, herausgerissen worden war.
In der Mitte des Raumes war ein großer Tisch, um ihn herum Stühle und Liegen mit farbigen Überzügen. Das ganze Mobiliar war handgemacht und auf Hochglanz gewienert. An den Wänden hingen Beutewaffen; Lanzen und Speere, Bogen und Schwerter, und eine Anzahl schwere Gewehre, klobig, doch sorgfältig gefertigt. »Haben Sie das von den Einheimischen?« fragte Harkaman. »Ja, das meiste davon stammt aus einer großen Stadt unten an der Flußgabelung«, sagte Valkanhayn. »Die haben wir uns ein paar Mal vorgenommen. Auch die Kerle, die wir als Aufseher beschäftigen, kommen von dort.« Er nahm einen Schlegel mit ledernem Kopf, schlug auf einen Gong und rief nach Wein. Von irgendwoher antwortete eine Stimme: »Ja, Herr, ich komme!« Augenblicke später erschien eine Frau, die in jeder Hand einen Krug trug. Anstelle der poncho-artigen Umhänge der anderen Sklaven trug sie einen blauen Bademantel, der ihr um einige Nummern zu groß war. Sie hatte dunkelbraunes Haar und blaue Augen: wäre sie nicht so verängstigt gewesen, man hätte sie schön nennen können. Sie stellte die Krüge auf den Tisch und holte Silberbecher aus einem Schrank; als Spasso sie entließ, ging sie hastig hinaus. »Es wäre wohl albern zu fragen, ob Sie diesen Leu-
ten irgend etwas bezahlen für die Arbeit, die sie tun, oder für die Sachen, die Sie ihnen wegnehmen«, sagte Harkaman. Nach der Art zu schließen, wie die Männer von der Geißel des Weltraums und der Lamia lachten, war es auch so. Harkaman zuckte die Achseln. »Nun, es ist ihr Planet. Hier können Sie Unheil stiften, so viel Sie wollen.« »Glauben Sie denn, wir sollten sie bezahlen?« staunte Spasso ungläubig. »Diese verdammte Horde von Wilden! Sollen wir die vielleicht verhätscheln?« »Etwas anderes wird Ihnen gar nicht übrig bleiben«, entgegnete Harkaman. »Sie haben zwei Schiffe. Mit einem nur können Sie auf Raubzug gehen; das andere muß hier bleiben, um den Planeten zu halten. Fliegen Sie beide weg, werden die Einheimischen, die Sie auf jede nur mögliche Art drangsalieren, sich über alle Leute hermachen, die Sie zurücklassen. Lassen Sie aber niemand zurück, wozu soll dann eine planetarische Basis gut sein?« »Nun, warum tun Sie sich nicht mit uns zusammen?« ließ Spasso endlich die Katze aus dem Sack. »Mit unseren drei Schiffen zusammen könnten wir einiges auftun.« Harkaman schaute ihn fragend an. »Die Gentlemen«, sagte Trask, »drücken sich nicht ganz korrekt aus. Sie meinen: Warum gestatten wir ihnen nicht, sich uns anzuschließen?«
»Bitte, wenn es Ihnen so lieber ist«, sagte Valkanhayn etwas kleinlaut. »Wir geben zu, daß Ihre Nemesis dabei die Hauptsache wäre. Aber warum nicht? Drei Schiffe; wir könnten hier eine richtige Basis haben. Nicky Grathams Vater hatte nur zwei, als er auf Jaganath anfing, und wenn man bedenkt, was die Grathams jetzt haben ...« »Sind wir interessiert?« fragte Harkaman. »Ich fürchte, nicht allzu sehr. Natürlich sind wir eben erst gelandet; vielleicht bietet Tanith große Möglichkeiten. Es wird wohl am besten sein, wir vertagen die Entscheidung und schauen uns erst einmal um.« Sterne standen am Himmel, und am westlichen Horizont leuchtete silbern der Mond. Es war nur ein kleiner Mond, aber er war nahe. Lucas ging zum Rand des Beobachtungsdecks. Der Lärm von drinnen, wo die Mannschaft der Nemesis mit den Besatzungen der Lamia und der Geißel des Weltraums feierte, wurde schwächer. Im Süden bewegte sich ein Stern: Eines der Tochterschiffe, das sich auf Wache befand. Tief unten flackerten Feuer, und er hörte Gesang. Plötzlich begriff er, daß es die armen Teufel von Einheimischen waren, die Valkanhayn und Spasso zu Sklaven gemacht hatten. »Haben Sie schon genug vom Zauber des RaumWikingertums, Lucas?«
Er wandte sich um. Es war Baron Rathmore, der für etwa ein Jahr mitgekommen war und dann von irgendeinem Basisplaneten nach Hause zurückkehren und politisches Kapital aus seiner Reise schlagen wollte. »Im Augenblick, ja. Die Kerle hier sollen aber nicht typisch sein.« »Ich hoffe nicht. Sie sind ein Haufen brutaler Sadisten, und Schweine obendrein.« »Nun, über Brutalität und schlechte Manieren könnte ich noch hinwegsehen, aber Spasso und Valkanhayn sind ein paar schäbige kleine Betrüger, und dumm sind sie außerdem. Wenn Dunnan vor uns hierher gekommen wäre, hätte er eine gute Tat in seinem abscheulichen Leben tun können. Ich kann nicht verstehen, wieso er nicht hierher kam.« »Ich denke, das wird er noch tun«, sagte Rathmore. »Ich kannte ihn, und ich kannte Nevil Ormm. Ormm ist ehrgeizig, und Dunnan ist wahnsinnig rachsüchtig ...« Er unterbrach sich mit bitterem Lachen. »Ausgerechnet Ihnen erzähle ich das!« »Warum ist er dann nicht direkt hierher geflogen?« »Vielleicht will er keine Basis auf Tanith. Das wäre ja etwas Konstruktives; Dunnan ist ein Zerstörer. Ich glaube, er fuhr mit seiner ganzen Fracht irgendwohin und verkaufte sie. Möglicherweise wird er warten, bis er annehmen kann, daß das andere Schiff fertig ist.
Dann kommt er und schießt alles in Fetzen, so wie ...« Er verstummte abrupt. »So wie auf meiner Hochzeit; ich denke die ganze Zeit daran.« Am nächsten Morgen nahmen Lucas und Harkaman einen Aircar, um die Stadt an der Flußgabelung in Augenschein zu nehmen. Sie war vollkommen neu in dem Sinn, daß sie seit dem Zusammenbruch der Föderation und dem Verlust zivilisierter Technologie gebaut worden war. Generationen mußten mit Spaten und Ochsenkarren daran gearbeitet haben. Wenn man aus einer Zivilisation kam, die Antischwerkraft und Antriebssysteme aller Art kannte, wirkte die Stadt nicht beeindruckend. Die Einheimischen nannten sie einfach Tradetown. Als sie sich näherten, dröhnte ein riesiger Gong, und mit einer weißen Rauchwolke folgte der Knall eines Signal-Mörsers. Boote wurden hastig zu Wasser gelassen; durch das Fernglas konnten sie sehen, wie Leute auf den umgebenden Feldern herumliefen und Vieh vor sich hertrieben. Als sie über der Stadt waren, war niemand mehr zu sehen. Ein Teil der Stadt war niedergebrannt, und auch Geschoßeinschläge waren zu sehen. Leichte chemische Sprengstoffe; selbst für Valkanhayn und Garvan war diese Stadt eine zu gute Kuh, als daß sie sie hätten schlachten wollen, bevor sie restlos gemolken war.
Langsam kreisten sie in einer Höhe von dreihundert Metern. Als sie wieder abdrehten, stieg schwarzer Rauch von Gebäuden am Stadtrand auf, die Töpfereien oder Ziegelbrennereien sein mochten. Auch außerhalb der Stadt stiegen an beiden Flußufern schwarze Rauchsäulen empor. »Wenn ich mir vorstelle, wie es diesem Planeten ergehen wird, wenn Spasso und Valkanhayn lange hier bleiben ...« bemerkte Trask. »Wäre auf längere Sicht vielleicht gar nicht schlecht. Was auf lange Sicht gut ist, ist oft für den Augenblick hart. Aber ich weiß, was mit Spasso und Valkanhayn passieren wird. Sie werden sich selbst entzivilisieren. Und irgendwann sind ihre Schiffe verschlissen, und sie können sie nicht mehr reparieren. Und dann, wenn sie einmal nicht auf der Hut sind, springen ihnen die Einheimischen an die Gurgel und machen sie kalt. In der Zwischenzeit aber lernen sie eine Menge von ihnen.« »Weißt du«, sagte Lucas schließlich, »ich werde diesen Leuten einen Gefallen tun. Ich lasse mich von Spasso und Valkanhayn überreden, ihnen diesen Planeten abzunehmen.« Harkaman, der am Steuer saß, fuhr herum. »Bist du verrückt?« »Wenn jemand eine Feststellung macht, die Sie nicht verstehen, dann sagen Sie nicht, er sei verrückt. Fragen Sie ihn, was er meint. Wer hat das gesagt?«
»Eins zu null«, grinste Harkaman. »Und was meinen Sie, Lord Trask?« »Ich werde Dunnan nie erwischen, wenn ich immer hinter ihm herfliege. Ich muß ihn irgendwo abfangen. Dies hier scheint mir ein guter Ort zu sein, um ihn abzufangen. Wenn er erfährt, daß ich hier eine Basis habe, greift er an, früher oder später. Und selbst wenn er das nicht tut, erhalten wir mehr Informationen über ihn von den Schiffen, die hier vorbeikommen, als wenn wir überall in der alten Föderation nach ihm suchen.« Harkaman überlegte einen Moment und nickte dann. »Ja, wenn wir eine Basis wie auf Nergal oder Xochitl einrichten könnten«, stimmte er zu. »Vier oder fünf Schiffe, Raum-Wikinger, Händler, Gilgamescher und so weiter, leben ständig auf diesen beiden Planeten. Hätten wir die Ausrüstung, die Dunnan mitnahm, dann könnten wir so eine Basis gründen. Aber wir haben nicht annähernd das, was wir brauchen, und du weißt, was Spasso und Valkanhayn haben.« »Das alles können wir von Gram holen. So, wie die Dinge liegen, haben die Beteiligten an der TanithExpedition, angefangen bei Herzog Angus, ihre ganze Investition verloren. Wenn sie bereit sind, schlechtem Geld gutes nachzuwerfen, können sie sie zurückbekommen und einen hübschen Profit obendrein. Und es müßte doch in nicht allzu großer Entfernung Planeten geben, mit mehr als nur Ruderboo-
ten und Ochsenkarren. Von denen könnten wir uns vieles holen, was wir brauchen.« »Das stimmt; ich kenne ein halbes Dutzend in einer Entfernung von weniger als fünfhundert Lichtjahren. Aber sie sind nicht von der Art, die Spasso und Valkanhayn gewöhnlich plündern. Und außer Maschinen gibt es Gold zu holen und wertvolle Waren, die wir auf Gram verkaufen könnten. Wenn das alles gelänge, kämst du weiter, wenn du hier auf Tanith auf Dunnan wartest, statt im Weltraum nach ihm herumzusuchen. Genauso haben wir auf Colada Sumpfschweine gejagt, als ich ein Kind war; man sucht sich einen guten Platz, und setzt sich hin und wartet.« Als sie Valkanhayn und Spasso an Bord der Nemesis zum Essen einluden, war es nicht schwer, das Gespräch auf Tanith und seine Möglichkeiten zu bringen. Nachdem sie bei Brandy und Kaffee angelangt waren, sagte Trask beiläufig: »Zusammen, glaube ich, könnten wir schon etwas aus diesem Planeten machen.« »Das sage ich ja schon die ganze Zeit«, unterbrach Spasso ihn eifrig. »Dies ist ein wundervoller Planet ...« »Das könnte er werden. Vorerst bietet er nur die Möglichkeit dazu. Zum einen brauchen wir einen Raumhafen.« »Na, und wo sind wir denn hier«, wollte Valkanhayn wissen. »Das war einmal ein Raumhafen«, entgegnete Har-
kaman. »Und es könnte auch wieder einer werden. Wir brauchen ein Dock, in dem wir alle nötigen Großreparaturen durchführen können. In dem wir sogar ein komplettes Schiff bauen können. Ich habe noch niemals ein Schiff mit nennenswerter Fracht unbeschädigt auf einer Wikinger-Basis landen sehen. Prinz Viktor von Xochitl verdient sein Geld mit Schiffsreparaturen, und Nicky Gratham auf Jaganath und die Everrards auf Hoth ebenfalls.« »Dann brauchen wir Maschinenfabriken, ein Stahlund ein Collapsiumwerk«, fügte Trask hinzu. »Außerdem eine Roboter-Erzeugung und ...« »Aber das ist völlig unmöglich!« rief Valkanhayn. »Ein Schiff dieser Größe müßte zwanzigmal fahren, um all das Zeug hierher zu bringen. Und wie sollten wir es jemals bezahlen?« »So hatte Herzog Angus von Wardshaven die Basis geplant. Die Enterprise, praktisch ein Duplikat der Nemesis, führte alles dazu Nötige mit sich, als sie gekapert wurde.« »Als sie ...?« »Jetzt wirst du den Gentlemen die Wahrheit sagen müssen«, meinte Harkaman lachend. »Das will ich auch.« Lucas nahm einen Schluck Brandy und erklärte Herzog Angus' Tanith-Expedition. »Das ganze war Teil eines größeren Planes; Angus wollte Wardshaven eine wirtschaftliche Vor-
machtstellung sichern, um seine politischen Vorhaben zu fördern. Ich war dagegen, weil ich fand, daß nur Tanith Vorteile daraus ziehen würde.« Er erzählte ihnen von der Enterprise und ihrer Fracht und wie Andray Dunnan sie gekapert hatte. »Das hätte mir aber weiter nichts ausgemacht; ich hatte kein Geld in das Projekt investiert. Was mich allerdings auf die Palme brachte, um es gelinde auszudrücken, war, daß Dunnan, bevor er mit dem Schiff davonfuhr, auf unsere Hochzeitsgesellschaft schoß, mich und meinen Schwiegervater verletzte und die Frau tötete, mit der ich kaum eine halbe Stunde verheiratet war. Ich rüstete dieses Schiff auf eigene Kosten aus, heuerte Captain Harkaman an, der nach der Kaperung der Enterprise ohne Kommando war, und kam hierher, um Dunnan zu suchen und zu töten. Das kann ich am besten dadurch erreichen, indem ich selbst eine Basis auf Tanith einrichte. Sie muß mit Gewinn betrieben werden, anders geht es nicht.« Er zog bedächtig an seiner Zigarre. »Gentlemen, ich lade Sie ein, meine Partner zu werden.« »Nun, Sie haben uns immer noch nicht gesagt, woher Sie das nötige Geld bekommen wollen«, insistierte Spasso. »Der Herzog von Wardshaven und die anderen, die in das ursprüngliche Tanith-Unternehmen investiert haben, werden es aufbringen. Es ist die einzige Mög-
lichkeit für sie, den Verlust der Enterprise wieder gutzumachen.« »Aber dann wird ja der Herzog von Wardshaven das Sagen haben, nicht wir«, wandte Valkanhayn ein. »Der Herzog von Wardshaven«, erinnerte ihn Harkaman, »residiert auf Gram. Wir sind hier auf Tanith. Dazwischen liegen dreitausend Lichtjahre.« Das schien eine befriedigende Antwort zu sein. Spasso wollte indessen wissen, wer dann auf Tanith den Oberbefehl haben würde. »Wir werden eine Versammlung aller drei Mannschaften einberufen müssen«, begann er. »Nichts dergleichen werden wir tun«, erklärte Trask. »Der Oberbefehl liegt bei mir. Wenn Sie es zulassen, daß Ihre Befehle diskutiert und einer Abstimmung unterworfen werden – ich werde das nicht tun. Sie werden Ihre Mannschaften in diesem Sinne unterrichten. Alle Befehle, die Sie ihnen in meinem Namen übermitteln, müssen ohne Debatte befolgt werden.« »Ich weiß nicht, wie die Männer das aufnehmen werden«, sagte Valkanhayn. »Ich weiß, wie sie es aufnehmen werden, wenn sie schlau sind«, sagte Harkaman. »Und ich weiß auch, was passieren wird, wenn sie es nicht sind. Lucas Trask ist Besitzer, und ich bin Captain. Ich befolge seine Befehle bezüglich dessen, was zu tun ist, und alle anderen befolgen meine Befehle, wie es zu tun ist.«
Spasso sah Valkanhayn an und zuckte dann die Achseln. »So will er es eben, Boake. Möchtest du dich mit ihm darüber auseinandersetzen? Ich nicht.« »Der erste Befehl lautet«, sagte Trask, »daß die Einheimischen bezahlt werden, die hier für Sie arbeiten. Sie dürfen nicht mehr von den Scheusalen geschlagen werden, die ihre Aufseher sind. Wenn welche von ihnen gehen wollen, können sie es tun; sie erhalten Geschenke und kostenlosen Heimtransport. Wer bleiben will, erhält Proviant, Kleidung und Unterkunft, darüber hinaus eine Entlohnung. Außerdem gibt es keine Raubzüge mehr zu den Dörfern. Wir zahlen für alles, was wir von den Einheimischen bekommen.« »Da wird es Schwierigkeiten geben«, prophezeite Valkanhayn. »Unsere Männer glauben, daß alles, was ein Einheimischer hat, jedem gehört, der es ihm wegnehmen kann.« »Ich auch«, sagte Harkaman. »Aber nur auf einem Planeten, wo ich einen Raubzug mache. Dies ist unser Planet, und es sind unsere Einheimischen. Wir berauben weder unseren eigenen Planeten noch unsere Einheimischen. Das werden Sie Ihren Leuten beibringen müssen.«
3 Spasso und Valkanhayn brauchten länger, um ihre Mannschaften auf die neue Linie einzuschwören, als Trask gedacht hatte. Schließlich erklärten sie sich bereit, sich unter den Befehl von Lord Trask und Admiral Harkaman zu stellen – die Titel gingen auf Rathmores Vorschlag zurück. Admiral Harkamans erster Hoheitsakt war die Anordnung, die Flotteneinheiten einer Generalinspektion zu unterziehen. Der Zustand der beiden Schiffe schockierte ihn nicht, aber nur deshalb, weil er weit Schlimmeres erwartet hatte. Sie waren raumtauglich; immerhin waren sie mit eigener Kraft von Hoth hierher gelangt. Kampftauglich waren sie freilich nur, wenn der Kampf nicht zu hart war. Seine ursprüngliche Einschätzung, die Nemesis könne beide in Fetzen schießen, erwies sich als eher zurückhaltend. Die Maschinen waren in gerade noch brauchbarem Zustand, und die Bewaffnung schlecht. »Wir werden nicht bloß hier auf Tanith herumsitzen«, erklärte er den beiden Kapitänen. »Wir werden es mit keinen schutzlosen Planeten zu tun haben. Ein Planet, den man kampflos plündern kann, ist die Zeit nicht wert, die man für den Weg zu ihm braucht. Auf keinem dieser Planeten wird es ohne Kampf abgehen,
und ich beabsichtige nicht, das Leben meiner Untergebenen, zu denen Ihre beiden Mannschaften ebenso gehören wie meine, durch untermotorisierte und unterbewaffnete Schiffe aufs Spiel zu setzen.« Schon am nächsten Tag begann die Arbeit an der Lamia, und es kam zu beträchtlichen Reibungen zwischen ihren Offizieren und den Ingenieuren von der Nemesis. Baron Rathmore ging an Bord und kam lachend zurück. »Wissen Sie, wie die das Schiff verwalten?« fragte er. »Es gibt eine Art Offiziers-Sowjet, Erster Ingenieur, Erster Offizier, Raketenoffizier, Astrogator und so weiter. Spasso ist weiter nichts als ihre Marionette. Ich sprach mit allen von ihnen. Keiner will sich auf irgend etwas festlegen, aber sie glauben, daß wir Spasso des Kommandos entheben und einen von ihnen ernennen, und jeder denkt, er selbst werde es sein. Ich weiß nicht, wie lange wir sie in dem Glauben lassen können. Aber es wird reichen, bis wir etwas Besseres finden.« »Wir müssen Spasso loswerden«, stimmte Harkaman zu. »Am besten, wir setzen einen von unseren eigenen Leuten an seinen Platz. Valkanhayn kann das Kommando auf der Geißel des Weltraums behalten; er versteht etwas von seinem Handwerk. Aber Spasso ist zu nichts nutze.« Die Lamia wurde so schnell wie möglich überholt.
Zwar war sie noch lange kein gutes Schiff, doch immerhin schon weit besser als zuvor. Sie wurde mit dem besten Detektor-System ausgerüstet, das man bauen konnte, und in eine Kreisbahn gebracht. Alvyn Karffard übernahm sie mit einigen von Spassos Offizieren, ein paar von Valkanhayns und mehreren von der Nemesis. Harkaman beabsichtigte, auf ihr die Offiziere der Lamia und der Geißel des Weltraums zu schulen, und ließ sie abwechselnd auf dem Schiff Dienst machen. Eine Handelswährung aus farbigem Kunststoff wurde eingeführt und ein Magazin eingerichtet, wo sie gegen Schwert-Welt-Artikel eingetauscht werden konnte. Nach einer Weile dämmerte es den Einheimischen, daß sie die Chips auch für ihren eigenen Handel benutzen konnten; Geld schien eines der Zivilisationsmerkmale zu sein, die auf Tanith schon lange verlorengegangen waren. Ein paar von ihnen waren in der Lage, die Schwerkraft-Handlifter zu bedienen; einige lernten sogar, mit Maschinen wie Bulldozern umzugehen. Sobald die Lamia auf ihrer Kreisbahn war, begann die Arbeit an der Geißel des Weltraums. Man entschied, daß Valkanhayn sie nach Gram fliegen sollte: es würden genügend Leute von der Nemesis dabei sein. Vor allem aber sollten sie mit Herzog Angus und den Geldgebern der Tanith-Expedition beraten. Baron Rathmore und Paytrick Morland sollten zusammen
mit einigen anderen letztere Aufgabe wahrnehmen: Alvyn Karffard war als Valkanhayns Erster Offizier vorgesehen und hatte Instruktionen, nötigenfalls selbst das Kommando zu übernehmen. Guatt Kirbey war der Astrogator. »Vorher aber müssen die Nemesis und die Geißel des Weltraums noch auf Kaperfahrt gehen«, sagte Harkaman. »Wir können die Geißel des Weltraums nicht leer nach Gram schicken. Wenn Baron Rathmore und Lord Valpry und die anderen mit Herzog Angus und den Investoren sprechen, müssen sie zeigen können, daß Tanith Gewinn abwirft. Und auch wir selbst können ein wenig Geld für Investitionen brauchen.« »Aber beide Schiffe. Otto?« Das gefiel Lucas nicht. »Und wenn Dunnan kommt und findet niemanden hier außer Spasso und der Lamia?« »Das müssen wir riskieren. Ich persönlich glaube, daß es ein bis eineinhalb Jahre dauern wird, bis Dunnan kommt. Sicher, wir haben uns getäuscht, als wir seinen Weg auszurechnen versuchten. Aber für den Beutezug, den ich im Sinne habe, brauchen wir zwei Schiffe, und außerdem möchte ich diese beiden Schiffe nicht während unserer Abwesenheit hierlassen, selbst wenn du das gern möchtest.« »Ja, das will ich eigentlich auch nicht. Trotzdem: Können wir Spasso vertrauen, wenn er allein hier bleibt?«
»Wir lassen genügend von unseren Leuten zurück, um das sicherzustellen. Alvyn zum Beispiel – und Baron Rathmore und den jungen Valpry. Andererseits gäbe es auch die Möglichkeit, Spasso mitzunehmen. Das würde bedeuten, daß wir ihn an unserem Tisch ertragen müssen; aber es wäre nicht unklug.« »Hast du schon ein Ziel ausgewählt?« »Drei. Zuerst Khepera. Das ist nur dreißig Lichtjahre von hier. Viel wird zwar dort nicht zu holen sein, doch bietet sich für unsere unerfahrene Mannschaft Gelegenheit für relativ ungefährliches Kampftraining. Außerdem können wir sehen, wie sich Spassos und Valkanhayns Leute halten und ihnen Selbstvertrauen für die nächste Aufgabe geben.« »Und dann?« »Amaterasu. Meine Informationen über Amaterasu sind etwa zwanzig Jahre alt. In zwanzig Jahren kann viel passieren. Soweit ich weiß – selbst war ich nie dort – ist der Planet einigermaßen zivilisiert. Etwa so wie Terra vor der Atom-Ära. Keine Nukleartechnik, aber sie haben hydro-elektrische und solar-elektrische Energie, nicht-nukleare Düsenflugzeuge und einige ganz gute chemische Sprengwaffen, die sie häufig und gern gegeneinander anwenden. Zuletzt soll ein Schiff von Excalibur vor zwanzig Jahren eine Beutefahrt dorthin gemacht haben.« »Klingt vielversprechend. Und der dritte Planet?«
»Beowulf. Auf Amaterasu werden wir keinen Schaden davontragen, der unsere Kampfkraft beeinträchtigen könnte, aber wenn wir Beowulf für zuletzt aufheben, könnten umfangreiche Reparaturen notwendig sein.« »Dort ist es also nicht ganz ungefährlich?« »Nein. Sie besitzen Kernenergie. Ich glaube nicht, daß es klug wäre, Spasso und Valkanhayn gegenüber etwas von Beowulf zu erwähnen. Warten wir erst Khepera und Amaterasu ab. Vielleicht fühlen sie sich danach wie Helden.«
4 Khepera hinterließ einen unangenehmen Nachgeschmack in Lucas' Mund. Er spürte ihn noch, als die farbige Turbulenz vom Bildschirm verschwand und dem grauen Nichts des Hyperraums wich. Garvan Spasso starrte angestrengt auf den Schirm, als könne er darauf noch den Planeten sehen, den sie eben geplündert hatten. »Das war gut; das war gut!« krähte er. Er hatte das schon ein Dutzend Mal gesagt, seit sie gestartet waren. »Drei Städte in fünf Tagen. Das stellt einen Wert von über zwei Millionen Stellars dar.« Zehnmal so groß war der angerichtete Schaden; es gab keine Wertskala, die das verursachte Leiden und Sterben hätte wiedergeben können. »Hören Sie auf damit, Spasso. Sie haben das jetzt oft genug gesagt.« Früher hätte er nicht so mit dem Burschen gesprochen, und auch mit niemand anderen. Spasso reagierte verärgert: »Wer glauben Sie eigentlich, daß Sie sind ...?« »Er glaubt, er ist Lord Trask von Tanith«, sagte Harkaman. »Und er hat recht; er ist es.« Für einen Moment sah er Trask forschend an und wandte sich dann wieder Spasso zu. »Ich bin es genauso müde
wie er, zu hören, wie Sie sich über lausige zwei Millionen Stellars den Mund zerreißen. Eigentlich sind es eher eineinhalb Millionen, aber auch zwei Millionen sind kaum der Rede wert. Vielleicht wären sie es für die Lamia, aber wir haben eine Flotte von drei Schiffen und eine planetarische Basis, für deren Kosten wir aufkommen müssen. Aus dieser Beute wird ein Bodenkämpfer oder ein guter Raumfahrer einhundertfünfzig Stellars bekommen. Wir selbst erhalten etwa tausend. Wie lange, glauben Sie, können wir mit solchem Kroppzeug weitermachen?« »Das nennen Sie Kroppzeug?« »Jawohl, und Sie werden das auch tun, bevor wir nach Tanith zurückkehren. Wenn Sie so lange leben.« Einen Augenblick war Spasso noch ungehalten. Dann zeigte sein Fuchsgesicht gierige Hoffnung, dann Besorgnis. Offensichtlich kannte er Otto Harkamans Reputation, und manches von dem, was Harkaman getan hatte, entsprach nicht seiner Vorstellung, wie er auf leichte Art und Weise zu Geld kommen wollte. Khepera war kein Problem gewesen; die Bewohner hatten kaum etwas, um sich zu verteidigen. Handfeuerwaffen und leichte Kanonen, die nicht mehr als ein paar Schüsse hatten abgeben können. Wo immer sich Widerstand erhoben hatte, waren die Gefechtsschiffe aufgekreuzt, hatten Bomben geworfen und
mit Maschinengewehren eingegriffen. Dennoch hatten die Kheperaner gekämpft, erbittert und hoffnungslos – so wie er selbst gekämpft hätte, hätte er Traskon verteidigen müssen. Von einem der Roboter ließ sich Lucas Kaffee und eine Zigarette bringen. Als er aufsah, war Spasso gegangen, und Harkaman saß auf der Schreibtischkante und stopfte sich seine kurze Pfeife. »Also, du hast den Elefanten gesehen, Lucas«, sagte er. »Scheint dir nicht gefallen zu haben.« »Elefant?« »Ein alter terranischer Ausdruck, den ich irgendwo gelesen habe. Ich weiß nur, daß ein Elefant ein Tier von etwa der Größe eines eurer Megatheres auf Gram war. Der Ausdruck bedeutet, daß man etwas zum erstenmal erlebt, was großen Eindruck auf einen macht. Elefanten müssen ein eindrucksvoller Anblick gewesen sein. Das war nun dein erster Wikinger-Raubzug. Du hast ihn also gesehen.« »Ein schmutziges Geschäft.« Harkaman nickte. »Das sind Raub und Mord immer. Du brauchst mich nicht zu fragen, wer sagte, daß Raum-Wikinger berufsmäßige Räuber und Mörder sind. Aber wer weiß, wer gesagt hat, es sei ihm gleich, wieviele Planeten in der Alten Föderation überfallen und wieviele Unschuldige massakriert wurden?«
»Der Mann ist jetzt tot. Lucas Trask von Traskon. Er wußte nicht, wovon er sprach.« »Jetzt wäre es dir also lieber, du wärest auf Gram geblieben?« »Nein. Hätte ich es getan, ich würde jede Stunde darauf brennen, das zu tun, was ich jetzt tue. Vielleicht kann ich mich daran gewöhnen.« »Das wirst du. Zumindest hast du deinen Mageninhalt unten behalten. Ich habe nach meinem ersten Überfall gekotzt, und ein Jahr lang verfolgte er mich in meinen Träumen.« Er reichte dem Roboter seine Kaffeetasse zurück und erhob sich. »Ruh dich ein paar Stunden aus. Dann nimm ein paar AlcodotePillen. Sobald alles an Bord ist, wird überall auf dem Schiff gefeiert werden, und wir werden bei allen vorbeischauen müssen, um einen Drink zu nehmen und zu sagen: ›gut gemacht, Jungs!‹« Elaine kam zu ihm, während er ruhte. Voller Entsetzen sah sie ihn an, und er versuchte, sein Gesicht vor ihr zu verbergen. Und dann begriff er, daß er es vor sich selbst verbergen wollte.
5 Seite an Seite gingen die Nemesis und die Geißel des Weltraums auf Amaterasu herunter. In einer Entfernung von 0,5 Lichtsekunden hatte das RadarWarnsystem sie erfaßt. Jetzt wußte der ganze Planet, daß sie kamen, und über das Warum war niemand im Zweifel. Paul Koreff hörte mindestens zwanzig Sender ab und teilte für jeden davon einen Mann ein. Was aus dem Lautsprecher kam, war ziemlich banale Lingua Terra. Vieles davon verriet große Aufregung, manches Panik. Für Spasso war das eine unangenehme Überraschung. »Sie haben Radio und Radar«, rief er. »Na und?« fragte Harkaman. »Das hatten sie schon vor zwanzig Jahren, als Rock Morgan mit der Coalsack hier war. Aber sie haben doch keine Kernenergie, oder?« »Das nicht. Ich kriege eine Menge Stromfluß 'rein, aber nichts Nukleares.« »Gut. Ein Mann mit einer Keule schlägt einen Mann, der nur seine Fäuste hat. Ein Mann mit einer Pistole ist einem halben Dutzend mit Keulen überlegen. Und zwei Schiffe mit Nuklearwaffen werden mit einem ganzen Planeten fertig, der keine solchen Waffen besitzt. Ist es jetzt Zeit, Lucas?«
Er nickte. »Paul, kannst du dich auf den Sender von Eglonsby aufschalten?« »Was wollen Sie tun?« wollte Valkanhayn wissen und war von vornherein dagegen. »Sie zur Kapitulation auffordern. Wenn sie sich weigern, werden wir einen Höllenbrenner abwerfen, und dann suchen wir uns eine andere Stadt und fordern sie auf, sich zu ergeben. Ich glaube nicht, daß die sich dann noch weigern wird.« Valkanhayn war bestürzt, wahrscheinlich über die Vorstellung, eine ungeplünderte Stadt zu verbrennen. Spasso fauchte etwas wie »... wird den dreckigen Neobarbs eine Lehre sein ...« vor sich hin. Koreff nahm ein Mikrophon in die Hand. »Raum-Wikinger Nemesis und Geißel des Weltraums rufen die Stadt Eglonsby. Raum-Wikinger ...« Er wiederholte es über eine Minute. Es kam keine Antwort. »Vann«, rief er den Artillerie- und Raketenoffizier. »Eine unterkritische Warnexplosion, etwa acht Kilometer über der Stadt.« Er legte das Mikrophon weg. Der Teleskopschirm ging aus, und der unvergrößerte Schirm wurde dunkel, als sich Filter vorschalteten. Der einzige ungefilterte Schirm an Bord der Nemesis empfing ein Bild von dem fallenden Sprengkörper. Eglonsby raste auf den Betrachter zu, und dann wurde es plötzlich dun-
kel. Auf den anderen Schirmen flammte es gelborange auf. Nach einer Weile wurden die Filter abgeschaltet, und der Teleskopschirm ging wieder an. Harkaman griff zum Mikrophon. »Raum-Wikinger rufen Eglonsby; dies ist die letzte Warnung. Melden Sie sich sofort.« Nicht ganz eine Minute später kam eine Stimme aus einem der Lautsprecher: »Eglonsby ruft RaumWikinger. Die Bombe hat großen Schaden verursacht. Wir bitten Sie, das Feuer einzustellen, bis ein Bevollmächtigter mit Ihnen Verbindung aufnehmen kann. Hier spricht der Ingenieur der Zentralstation. Ich selbst habe keine Befugnis, mit Ihnen zu verhandeln.« »Klingt ja sehr stark nach Diktatur«, bemerkte Harkaman zu Lucas. »Wenn du dir den Diktator holst und ihm eine Pistole vor die Nase hältst, dann hast du alles.« Dann sagte er wieder ins Mikrophon: »Es gibt nichts zu verhandeln. Holen Sie jemand, der bevollmächtigt ist, uns die Stadt zu übergeben. Geschieht dies nicht innerhalb einer Stunde, wird die Stadt mit sämtlichen Einwohnern vernichtet werden.« Nur Minuten später sagte eine neue Stimme: »Hier spricht Gunsalis Jan, Sekretär von Pedrosan Pedro, Präsident des Syndikalrates. Sobald Präsident Pedrosan direkt mit Ihrem Oberbefehlshaber sprechen kann, stellen wir eine Verbindung mit ihm her.«
»Das bin ich selbst; verbinden Sie also sofort.« Keine fünfzehn Sekunden vergingen, und sie hörten Präsident Pedros Stimme: »Wir sind gewillt, uns zu verteidigen, doch geben wir uns keiner Illusion darüber hin, welche Opfer an Gut und Leben dies für uns bedeuten würde«, begann er. »Und ob Sie das tun. Verstehen Sie etwas von Kernwaffen?« »Der Begriff ist mir aus der Geschichte bekannt. Wir selbst besitzen keinerlei Nuklearenergie. Auf diesem Planeten gibt es kein spaltbares Material.« »Der Verlust, wie Sie es nennen, würde alles und jeden in Eglonsby in einem Umkreis von fast hundert Meilen betreffen. Haben Sie weiter die Absicht, uns Widerstand zu leisten?« Der Präsident des Syndikalrates hatte sie nicht und erklärte dies. Trask fragte ihn, wieviel Autorität seine Position ihm verleihe. »Im Falle eines Notstandes habe ich unbeschränkte Befugnisse. Ich nehme an«, fügte die Stimme tonlos hinzu, »daß dies ein Notstandsfall ist. Der Rat wird automatisch jeder von mir getroffenen Entscheidung zustimmen.« Harkaman drückte auf einen Knopf. »Was ich sagte; eine Diktatur mit parlamentarischer Maske.« »Wenn er nicht der vorgeschobene Diktator einer
Oligarchie ist.« Lucas bedeutete Harkaman, den Knopf wieder loszulassen. »Wieviele Mitglieder umfaßt dieser Rat?« »Sechzehn, gewählt von den Syndikaten, die sie vertreten. Es gibt das Arbeitersyndikat, das Fabrikantensyndikat, das Mittelstandssyndikat, das ...« »Korporierter Staat, entspricht dem ersten voratomaren Jahrhundert auf Terra«, sagte Harkaman. »Fliegen wir also hinunter und reden mit ihnen.« Als sie sicher waren, daß die Öffentlichkeit instruiert worden war, keinen Widerstand zu leisten, ging die Nemesis auf dreitausend Meter Höhe herab und schwebte dann über dem Zentrum der Stadt. Gemessen am Standard von Leuten, die Antigravitation benutzen, waren die Gebäude niedrig; die höchsten erreichten kaum dreihundert Meter, und nicht viele maßen über zweihundert. An mehreren Stellen gab es seltsam angeordnete gekreuzte Pisten, die offenbar nirgendwohin führten. Harkaman lachte, als er sie sah. »Start- und Landebahnen. Die kenne ich von anderen Planeten, wo sie Antigravitation nicht mehr kennen. Sie sind für mit Flügeln versehene Luftfahrzeuge mit chemischen Brennstoffen. Ich hoffe, ich werde genügend Zeit haben, mich hier einmal umzusehen. Ich wette, es gibt hier sogar noch Eisenbahnen.« Der »große Schaden«, den die Bombe angerichtet
hatte, entsprach etwa der Wirkung eines mittleren Hurrikans. In erster Linie hatte der Sprengkörper eine moralische Wirkung gehabt, und das war auch ihre Absicht gewesen. Sie trafen Präsident Pedrosan und den Syndikalrat in einem ausgedehnten Raum im Obergeschoß eines der mittelgroßen Gebäude. Valkanhayn war überrascht; diese Leute mußten schon fast zivilisiert sein. Man wurde vorgestellt. Die Namen der Ratsmitglieder wurden vor ihren Vornamen genannt, was auf Organisationsformen schließen ließ, die sich alphabetischer Auflistungen bedienten. Alle trugen uniformähnliche Kleidung. Als man an einem großen ovalen Tisch Platz genommen hatte, zog Harkaman seine Pistole und klopfte damit auf den Tisch. »Lord Trask, werden Sie direkt mit diesen Leuten sprechen?« fragte er mit steifer Förmlichkeit. »Gewiß, Admiral.« Er wandte sich an den Präsidenten, ohne die anderen zu beachten. »Nehmen Sie zur Kenntnis, daß diese Stadt sich in unserer Gewalt befindet und daß wir völlige Unterwerfung erwarten. Solange Sie dies beachten, wird Ihnen, von der Übereignung uns passend erscheinender Objekte abgesehen, kein Schaden erwachsen; wir werden auf Gewaltanwendung verzichten, und Akte des Vandalismus wird es nicht geben. Dieser unser Besuch wird Sie teuer zu stehen kommen, daran kann kein Zweifel
bestehen, aber so hoch die Kosten auch sind, sie werden gering sein im Vergleich zu dem, was Ihnen sonst widerfahren würde.« Der Präsident und die Ratsmitglieder wechselten erleichterte Blicke. Sollten die Steuerzahler sich um die Kosten kümmern; sie selbst würden die Sache mit heiler Haut überstehen. »Beachten Sie, daß wir größtmöglichen Wert bei kleinsten Volumen erwarten«, fuhr Lucas fort. »Juwelen, Kunstgegenstände, Pelze, gehobene Luxusgüter aller Art. Seltene Metalle. Außerdem Monetärmetall, Gold und Platin. Sie haben eine Währung auf Metallbasis, nehme ich an?« »O nein!« Präsident Pedrosan war leicht erschüttert. »Unsere Währung basiert auf Dienstleistungen einer Gesellschaft.« Harkaman räusperte sich unhöflich. Offenbar kannte er solche Wirtschaftssysteme. Trask wollte wissen, ob sie überhaupt Gold oder Platin verwendeten. »Gold in gewissem Umfang, für Schmuck.« Augenscheinlich waren sie in wirtschaftlicher Hinsicht keine völligen Puritaner. »Und natürlich Platin in der Industrie.« »Wenn sie Gold wollen, hätten Sie Stolgoland überfallen müssen«, sagte einer der Räte. »Dort gibt es eine Währung mit Goldstandard.« So, wie er es sagte,
klang es, als klagte er sie an, mit den Fingern zu essen, oder womöglich ihre eigenen Rinder aufzufressen. »Ich weiß, die Karten, die wir von diesem Planeten haben, sind ein paar Jahrhunderte alt; Stolgoland scheint nicht drauf zu sein.« »Ich wollte, es wäre auch nicht auf den unseren.« Das hatte ein General Dagró Extor, Syndikus für Staatsschutz, gesagt. »Es wäre für den ganzen Planeten von großem Nutzen, wenn Sie statt uns Stolgoland angegriffen hätten«, sagte ein anderer. »Noch ist es für die Gentlemen nicht zu spät, diese Entscheidung zu treffen«, sagte Pedrosan. »Wie ich vermute, dient Gold bei Ihnen als Monetärmetall?« Als Trask nickte, fuhr er fort: »Es ist auch die Basis der stolgonischen Währung. Tatsächlich besteht das Geld aus Papier, das theoretisch gegen Gold eingetauscht werden kann. In Wirklichkeit ist die Zirkulation von Gold verboten, der gesamte Goldschatz der Nation ist in drei verschiedenen Horten eingelagert. Wir wissen genau, wo sie sind.« »Sie fangen an, mich zu interessieren, Präsident Pedrosan.« »Wirklich? Nun, Sie haben zwei große Raumschiffe und sechs kleinere Fahrzeuge. Sie haben Nuklearwaffen, etwas, was niemand auf diesem Planeten besitzt.
Sie haben Antigravitation, etwas, was hier nur mehr eine Legende ist. Andererseits haben wir eine eineinhalb Millionen starke Bodentruppe, Düsenflugzeuge, Panzerfahrzeuge und chemische Waffen. Wenn Sie bereit wären, Stolgoland anzugreifen, würden wir diese gesamte Streitmacht zu Ihrer Verfügung stellen; General Dagró wird sie nach Ihren Anweisungen befehligen. Nur eines bitten wir Sie: Lassen Sie, wenn Sie den Goldhort von Stolgoland auf Ihre Schiffe geschafft haben, unsere Truppen im Besitz des Landes.« Die Invasion Stolgolands begann am fünften Morgen nach ihrer Ankunft in Eglonsby. Die mit Abwehrstellungen versehenen Orte wurden neutralisiert. Neutralisiert war ein hübsches Wort, dachte Trask; es paßte so gut zu den Schreien derer, die verstümmelt, verbrannt und geblendet überlebten. Während Pedrosans Truppen mit all den üblichen Scheußlichkeiten über die Bewohner herfielen, luden die Raum-Wikinger das Gold und alle anderen Wertgegenstände in ihre Schiffe. Noch vor Sonnenuntergang waren sie wieder über Eglonsby. Die Beute belief sich auf fast eine halbe Milliarde Excalibur-Stellars. Boake Valkanhayn und Garvan Spasso waren ganz außer sich vor Staunen. Als sie wieder im Hyperraum waren, dauerten die Gelage drei galaktische Standardtage, und niemand war auch nur annähernd nüchtern. Harkaman redete
nur noch von den historischen Werken, die er in einer öffentlichen Bücherei gefunden hatte. Spasso überschlug sich fast vor Glück. Niemand konnte ihn mehr einen Hühnerdieb nennen. Er wiederholte das, solange er überhaupt noch etwas sagen konnte. Khepera, verkündete er, das war einmal. Lausige zwei oder drei Millionen Stellars; puh!
6 Beowulf war schlimm. Valkanhayn und Spasso hatten sich gegen den Überfall ausgesprochen. Niemand griff Beowulf an: Beowulf war zu stark. Beowulf hatte Kernenergie, nukleare Waffen. Antigravitations- und Normalraumschiffe. Alles hatten sie – außer Hyperdrive. Beowulf war ein zivilisierter Planet, und zivilisierte Planeten überfiel man nicht ungestraft. Außerdem, hatten sie von Amaterasu nicht genug Beute geholt? »Nein«, sagte Trask. »Wenn wir irgend etwas aus Tanith machen wollen, brauchen wir Energie, und ich denke nicht an Windmühlen oder Wasserräder. Wie Sie sagten, hat Beowulf Nuklearenergie. Dort bekommen wir unser Plutonium und unsere Kraftwerke.« Also steuerten sie Beowulf an. Als sie sich bis auf sechs Lichtminuten genähert hatten, stellten sie fest, daß sie durch Radar und Mikrostrahlen geortet wurden. Wieder im Normalraum, waren sie zwei Lichtsekunden über dem Südpol, und ein halbes Dutzend Schiffe waren entweder in einer Umlaufbahn oder stiegen von dem Planeten auf. Alles Normalraumschiffe natürlich, aber manche waren fast so groß wie die Nemesis.
Dann – Raketen, Abfangraketen, riesige, rasch anschwellende und dann wieder verlöschende Feuerbälle, rote Lichter auf der Schadensanzeige, Sirenengeheul – es war ein Alptraum. Die Bodenoperation war ein Alptraum anderer Art. Mit Paytrik Morland und einigen anderen unternahm Trask den Landeanflug. Raketen und Artilleriegeschosse empfingen sie. Kampfschiffe rasten, aus allen Rohren feuernd, an ihnen vorbei und explodierten. Schirmbilder brachen wegen der Strahlung zusammen; widersprüchliche Befehle dröhnten aus den Lautsprechern. Schließlich konzentrierte sich der Kampf über zwei Punkten: Über den Lagerdepots und über der Energiekartuschenfabrik. Die Tochterschiffe gingen nieder, über jedem der beiden Punkte ein Dreieck bildend; die Geißel des Weltraums hielt sich in einer Zentralposition und ließ Ladetransporter und große, klauenarmige Manipulatoren ausschwärmen. Das Kommandofahrzeug kreuzte zwischen den beiden Zielen; bei dem einen kamen faßähnliche Plutoniumkanister, collapsiumbeschichtet und tonnenschwer, aus den Gewölben, bei dem anderen brachten Ladetransporter nuklearelektrische Energiekartuschen, manche so groß wie ZehnLiter-Tanks, die zur Energieversorgung von Raumschiffen dienten, manche so klein wie eine Revolverpatrone für Dinge wie Taschenlampen.
Ungefähr jede Stunde sah er auf seine Uhr. Dann war es drei oder vier Minuten später. Schließlich gab die Nemesis das Signal, und aus den Lautsprechern kam der Rückruf.
7 Die Ortung der Lamia erfaßte sie, als sie den Normalraum wieder erreicht hatten. Trasks Befürchtung, Dunnan könne in ihrer Abwesenheit angreifen, war grundlos gewesen. Unglaublich, was Alvyn Karffard in dieser so kurzen Zeit geleistet hatte. Er hatte den Raumhafen völlig von Trümmern befreit und die Wälder um ihn und die beiden hohen Gebäude herum niedergelegt. Die Einheimischen nannten die Stadt Rivvin; aus vorgefundenen Dokumenten hatte man festgestellt, daß dies ihr ursprünglicher Name war. Er hatte den ganzen Planeten kartographisch erfaßt, vor allem den Kontinent, auf dem Rivvin lag. Und er hatte gute Beziehungen mit den Leuten von Tradetown hergestellt und mit ihrem König Freundschaft geschlossen. Als die Beute ausgeladen wurde, traute niemand seinen Augen, nicht einmal diejenigen, die sie selbst gemacht hatten. Auch die kleine Herde von langhaarigen Einhörnern – die Bewohner von Khepera hatten sie Kreggs genannt – hatten die Reise gut überstanden. Beide Schiffe waren schwer beschädigt worden. Die Nemesis wurde so gut wie möglich repariert und auf Patrouillenfahrt geschickt, und dann machte man sich daran, die Geißel des Weltraums herzurichten. Sie
völlig wiederherzustellen war eine Aufgabe für eine richtige Werft wie die Alex Gorrams auf Gram. Boake Valkanhayn würde sie auf der Reise nach Gram und zurück kommandieren. Seit Beowulf hatte Trask nicht nur aufgehört, den Mann nicht zu mögen, sondern sogar begonnen, ihn zu bewundern. Einst war er ein guter Mann gewesen, bevor ein unglückliches Schicksal, für das er nur teilweise selbst verantwortlich war, ihn befallen hatte. Damals war er nachlässig und gleichgültig geworden. Jetzt aber hatte er sich wieder gefangen. Das hatte sich schon nach ihrer Landung auf Amaterasu gezeigt. Er kleidete sich sorgfältiger, sprach korrekter. Dem Überfall auf Beowulf hatte er sich zwar widersetzt, dann aber, als es zum Kampfe kam, tapfer und umsichtig gekämpft. Bei seinen Männern war der Respekt vor ihm zurückgekehrt. Er war wieder ein Raum-Wikinger. Garvan Spasso war keiner und würde nie einer sein. Er war außer sich, als er hörte, Valkanhayn würde sein Schiff, beladen mit einem guten Teil der Beute von den drei Planeten, nach Gram fliegen. »Wissen Sie, was passieren wird?« fragte er Trask. »Er startet mit dieser Fracht, und das wird das letzte sein, was wir von ihm hören. Wahrscheinlich fliegt er damit auf Joyeuse oder Excalibur und kauft sich mit dem Erlös einen Adelstitel.« »Ach, das bezweifle ich, Spasso. Auch einige von
unseren Leuten sind dabei – Guatt Kirbey wird der Astrogator sein, und dem vertrauen Sie doch, oder? Und Sir Paytrik Morland und Baron Rathmore und Lord Valpry und Rolve Hemmerding ...« Dann verstummte er für einen Moment, denn er hatte eine Idee. »Hätten nicht Sie vielleicht Lust, die Fahrt mit der Geißel mitzumachen?« Spasso hatte, kein Zweifel. Trask nickte. »Gut. Dann sind wir sicher, daß keiner ein krummes Ding dreht«, sagte er völlig ernst. Als Spasso gegangen war, setzte er sich mit Baron Rathmore in Verbindung. »Sehen Sie zu, daß er so viel Geld bekommt, wie ihm zusteht, wenn er nach Gram kommt. Und bitten Sie Herzog Angus, ihm irgendeine sinnlose Position mit einem entsprechend eindrucksvollen Titel zu verleihen, Lordverweser des herzoglichen Waschraums oder so etwas. Dann kann er ihn mit falschen Informationen impfen und ihm Gelegenheit geben, sie Omfray von Glaspyth zu verkaufen. Anschließend kann man durchsickern lassen, daß er Angus' Spion sei. Irgend jemand wird ihn niederstechen; dann sind wir ihn endgültig los.« Einhundertfünfundzwanzig Tage bis Gram, und einhundertfünfundzwanzig Tage zurück. Die waren schon lange vergangen. Natürlich, da waren die Re-
paraturen an der Geißel des Weltraums, die Besprechungen mit den Kapitalgebern der ursprünglichen Tanith-Expedition, die Zeit, die für die Beschaffung der nötigen Ausrüstung für die neue Basis nötig war. Dennoch war Lucas ein wenig beunruhigt. Über etwas, was so weit außerhalb seiner Kontrolle lag wie die Geißel des Weltraums, beunruhigt zu sein, war nutzlos, das wußte er. Dennoch, er konnte nicht anders. Selbst der sonst unerschütterliche Harkaman begann sich Sorgen zu machen, nachdem zweihundertsiebzig Tage vergangen waren. Sie saßen im Obergeschoß des Raumhafengebäudes, ihre Drinks auf einem kleinen Tisch zwischen sich. »Sie muß bald kommen«, sagte Trask und goß sich Brandy nach. »Es sind genug von unseren Leuten an Bord, um sicher zu sein, daß niemand anderer sich des Schiffes bemächtigen kann. Und ich glaube wirklich, daß man Valkanhayn jetzt vertrauen kann.« »Ich auch. Ich mache mir keine Gedanken darüber, was an Bord des Schiffes geschehen könnte. Aber wir wissen nicht, was auf Gram passiert ist. Glaspyth und Didreksburg könnten sich zusammengeschlossen und Wardshaven eingenommen haben, bevor Herzog Angus Glaspyth erobern konnte. Boake könnte mit dem Schiff in einer Falle gelandet sein.« Das Televisor-Signal unterbrach ihn. Beide spran-
gen auf, und Harkaman schaltete ein. Es war ein Mann aus dem Kontrollzentrum, der berichtete, daß zwei Objekte zwanzig Lichtminuten nördlich des Planeten geortet worden seien. Harkaman stürzte seinen Brandy hinunter. »Gut. Haben Sie Generalalarm gegeben? Stellen Sie alles, was kommt, auf diesen Schirm.« Er holte seine Pfeife heraus und stopfte sie mechanisch. »In ein paar Minuten werden sie den letzten Mikrosprung machen und etwa zwei Lichtsekunden entfernt sein.« Trask setzte sich wieder, sah, daß seine Zigarette fast völlig verglüht war, zündete eine neue daran an und wünschte, er hätte ebenso ruhig bleiben können wie Harkaman. Drei Minuten später ortete der Kontrollturm die beiden Flugkörper in eineinhalb Lichtsekunden Entfernung. Dann flackerte der Bildschirm auf, und im neu eingerichteten Kommandoraum der Geißel des Weltraums erschien Boake Valkanhayn. Auch Valkanhayn schien sich einer Erneuerung unterzogen zu haben. Seine reich verzierte Kapitänsjakke sah aus wie das Werk eines der besten Schneider von Gram, und auf der Brust trug er einen großen, dekorativen Ritterstern, der unter anderem das Schwert- und Atomsymbol des Hauses Ward trug. »Fürst Trask; Graf Harkaman«, grüßte er. »Geißel des Weltraums, Tanith; dreitausendzweihundert Stunden unterwegs von Wardshaven auf Gram unter dem
Kommando von Baron Valkanhayn, begleitet von dem gecharterten Frachter Rosinante unter dem Kommando von Kapitän Morbes. Erbitte Anfluginstruktionen und Landeerlaubnis.« »Baron Valkanhayn?« fragte Harkaman. »Jawohl«, grinste Valkanhayn. »Und ich habe eine Pergamentrolle von der Größe einer Bettdecke, um das zu beweisen. Ich habe eine ganze Menge solcher Rollen. Auf einer steht, Sie seien Otto, Graf Harkaman, auf einer anderen, daß Sie Admiral der königlichen Marine sind.« »Er hat es tatsächlich fertiggebracht!« rief Trask. »Er hat sich zum König von Gram gemacht!« »So ist es. Und Sie sind sein Vertrauter, der hochgeschätzte Lucas, Fürst Trask, und Vizekönig des Dominiums seiner Majestät Tanith.« »Gehenna!« wies ihn Harkaman zurecht. »Tanith ist unser Dominium.« »Lohnt es sich auch, sich der Souveränität Eurer Majestät zu unterstellen?« fragte Trask. »Von den Pergamentrollen einmal abgesehen?« Valkanhayn grinste immer noch. »Warten Sie, bis wir erst einmal mit dem Löschen der Fracht beginnen.« »Kommt Spasso mit Ihnen zurück?« fragte Harkaman. »Oh, nein. Sir Garvan Spasso ist in die Dienste Sei-
ner Majestät, des Königs Angus getreten. Er ist jetzt Polizeichef von Glaspyth, und niemand kann ihn mehr Hühnerdieb nennen. Wenn er Hühner stiehlt, dann gleich die ganze Farm dazu.« Das klang nicht gut. Spasso konnte König Angus' Namen in ganz Glaspyth in Verruf bringen. Was König Angus' Annexion von Tanith und seine Souveränität anbetraf, so erschien es ratsam, beides anzuerkennen. Sie brauchten eine Schwert-Welt als Abnehmer für ihre Beute. Bis sie entsprechende eigene Industrien hatten, würden sie im Hinblick auf viele Dinge, die durch Überfälle nicht beschafft werden konnten, von Gram abhängig sein. »Ich nehme an, der König weiß, daß ich nicht zu meinem Vergnügen oder für seinen Profit hier bin?« fragte Trask Lord Valpry im Laufe einer ihrer Unterhaltungen, während die Geißel des Weltraums in eine Kreisbahn einschwenkte. »Mir geht es hier nur um Andray Dunnan.« »Oh, ja«, war die Antwort. »Er hat mir sogar erklärt, er würde es sehr begrüßen, wenn Sie ihm den Kopf seines Neffen in einem Plastikblock eingegossen bringen würden. Was Dunnan getan hat, hat auch seine Ehre berührt. Souveräne Fürsten verstehen da keinen Spaß.« »Vermutlich weiß er, daß Dunnan früher oder später Tanith angreifen wird?«
»Wenn Sie die Defensivbewaffnung sehen, die wir mitgebracht haben, werden Sie nicht mehr daran zweifeln.« Das Material war beachtlich, aber noch nichts gegen die Industrieausrüstung. Minenroboter für den Gebrauch auf dem Eisenmond Taniths, und Normalraumtransporter für den achtzigtausend Kilometer langen Weg zwischen Planeten und Satellit. Ein Collapsiumerzeuger; jetzt konnten sie selbst Armierungen durchführen. Ein kleines vollautomatisches Stahlwerk, das auf dem Mond betrieben werden konnte. Industrieroboter und Maschinen, die Maschinen erzeugten. Und vor allem zweihundert Ingenieure und hochqualifizierte Techniker. Verschiedene der industriellen Baronate würden binnen kurzem erkennen, was sie in diesen Männern verloren hatten. Er fragte sich, was Lord Trask von Traskon davon gehalten hätte. Lucas Fürst von Tanith war nicht länger daran interessiert, was auf Gram geschah. Vielleicht, wenn im folgenden Jahrhundert alles günstig verlief, würden seine Nachfolger Gram über Vizekönige von Tanith aus regieren.
8 Die Nachricht von der Basis auf Tanith verbreitete sich langsam, erst durch Tramp-Frachter, die zwischen den Schwert-Welten verkehrten, dann durch Handelsschiffe und Raum-Wikinger in der alten Föderation. Drei Jahre und sechs Monate nachdem die Nemesis über Tanith aus dem Hyperraum gekommen war, kam der erste unabhängige Raum-Wikinger, um eine Fracht zu verkaufen und Reparaturarbeiten durchführen zu lassen. Zuvor hatte er mit den Everrards auf Hoth in Handelsverbindungen gestanden, zeigte sich aber mit den Ergebnissen auf Tanith wesentlich mehr zufrieden und beteuerte, wiederkommen zu wollen. Von Andray Dunnan oder der Enterprise hatte er nie etwas gehört. Es war ein Gilgamescher, der die erste Nachricht brachte. Von Gilgameschern – das Wort wurde sowohl für die Bewohner wie für Schiffe von Gilgamesch benutzt – hatte Lucas zum erstenmal auf Gram gehört, seit er auf Tanith war aber auch von jedem Raum-Wikinger, und zwar niemals in lobender und selten in druckbarer Form. Gilgamesch galt, mit gewissen Einschränkungen, als zivilisierter Planet, wiewohl nicht mit Odin, Isis, Baldur, Marduk, oder irgendeiner der anderen Wel-
ten gleichzusetzen, die die Kultur der terranischen Föderation ohne Unterbrechung bewahrt hatten. Vielleicht verdiente Gilgamesch eine bessere Beurteilung; seine Bevölkerung hatte zwei Jahrhunderte der Finsternis durchgemacht und sich selbst wieder hochgebracht. Sie hatten sich all die alten Techniken wieder erarbeitet. Bis hin zum Hyperdrive. Sie raubten nicht, sie handelten. Gewaltanwendung lehnten sie aus religiösen Gründen ab, wiewohl mit gewissen vernünftigen Einschränkungen. Wenn es um die Verteidigung ihres Planeten ging, konnten sie mit fanatischer Zähigkeit kämpfen. Ihre Gesellschaft schien auf einer Art Theo-Sozialismus zu basieren, und ihre Religion war ein absurdes Potpourri aus den meisten der wichtigeren Monotheismen der Föderationsperiode. Nachdem ihr Schiff in eine Kreisbahn gegangen war, kamen drei von ihnen herunter, um Handelsgespräche zu führen. Das Problem dabei war nur, daß sie feilschen wollten. Das Feilschen schien sogar ihr Lieblingssport zu sein. »Haben Sie jemals von einem Raum-WikingerSchiff namens Enterprise gehört?« fragte Lucas, nachdem der Handel zum siebten oder achten Male in eine Sackgasse geraten war. »Es trägt einen Halbmond, hellblau auf schwarz. Der Name des Kapitäns ist Andray Dunnan.«
»Solch ein Schiff hat vor etwas mehr als einem Jahr Chermosh überfallen«, sagte einer der drei, ein Priester. »Einige von unseren Leuten fahren nach Chermosh, um dort Handel zu pflegen. Dieses Schiff plünderte die Stadt, in der sie waren; manche von ihnen erlitten schwere Verluste an weltlichen Gütern.« »Wie bedauerlich.« Der Priester von Gilgamesch zuckte mit den Schultern. »Alles geschieht nach Yahs, des Allmächtigen, Willen«, sagte er, doch dann erhellte sich seine Miene. »Die Chermosher sind Heiden, die falsche Götter verehren. Die Raum-Wikinger plünderten ihren Tempel und zerstörten ihn; sie nahmen die Götzenbilder mit sich fort. Unsere Leute berichteten, daß es viel Heulen und Wehklagen unter den Götzenverehrern gab.« Der Kapitän der Black Star brachte weitere Informationen. Er war auf mehreren Planeten gelandet, die zeitweise von Raum-Wikingern besetzt gewesen waren, um dort Tauschhandel zu treiben, seinen Männern eine Ruhepause zu gönnen und Nachforschungen anzustellen, und er wußte die Namen einiger Planeten, die von dem Schiff mit dem blauen Halbmond angegriffen worden waren. Einer dieser Vorfälle lag erst sechs Monate zurück. Angesichts des Tempos, mit der sich Informationen in der Alten Föderation verbreiteten, war diese praktisch brandheiß.
Der Eigner und Kapitän der Alborak hatte etwas hinzuzufügen, als er sechs Monate später nach Tanith kam. »Es war vor fast zwei Jahren auf Jagannath«, sagte er. »Die Enterprise befand sich in einer Umlaufbahn, um kleinere Reparaturen durchführen zu lassen, und ich bin dem Mann ein paarmal begegnet. Sieht aus wie auf diesen Bildern, doch trägt er jetzt einen kleinen Spitzbart. Er hatte eine Menge Beute verkauft. Waren aller Art, Edel- und Halbedelsteine, geschnitzte und eingelegte Möbel, die aussahen, als stammten sie aus dem Palast irgendeines Neobaren-Königs, außerdem Zeug aus einem Tempel. Buddhistische Sachen, es waren ein paar große goldene Bai-Butsus darunter. Seine Mannschaft kaufte Drinks für alle, die kamen. Einige von den Männern waren ziemlich dunkel über dem Kragen, als wären sie nicht sehr lange zuvor auf einem Heißstern-Planeten gewesen. Auch hatte er eine Menge Imhotep-Pelze zu verkaufen, wirklich fabelhafte Stücke.« »Was waren das für Reparaturen? Kampfschäden?« »Ich hatte den Eindruck. Etwa hundert Stunden nach seiner Landung startete er wieder, zusammen mit einem anderen Schiff, der Starhopper; der Kapitän hieß Theodor Vaghn. Es verlautete, sie wollten irgendwo zu zweit auf Raubfahrt gehen.« Der Kapitän
der Alborak dachte einen Moment nach. »Und noch etwas. Er kaufte Munition, von Revolverpatronen bis zu Höllenbrennern. Außerdem nahm er alles mit, was er an Luft- und Wassergeneratoren, Carnikultur- und hydroponischer Ausrüstung bekommen konnte.« Nicht uninteressant, das zu wissen. Lucas dankte dem Raum-Wikinger und fragte ihn dann: »Wußte er zu diesem Zeitpunkt, daß ich hier bin?« »Wenn er es wußte, wußte es sonst niemand auf Jagannath. Ich selbst hörte erst sechs Monate später davon.« Noch am selben Abend sprach Trask darüber mit Valkanhayn. »Irgendwo muß er eine Basis haben, und zwar nicht auf einem Planeten vom Terra-Typ«, meinte er. »Was sollte er denn sonst mit den Luftund Wasserapparaturen und seiner hydroponischen und Carnikultur-Ausrüstung anfangen.« Die Alte Föderation war voll von Planeten nichtterranischen Typs, doch warum sollte sich irgend jemand die Mühe machen, dorthin zu gehen? Ein Planet ohne Sauerstoffatmosphäre und mit nur zehn- bis fünfzehntausend Kilometern Durchmesser war kaum der Mühe eines Besuches wert. War man jedoch entsprechend ausgerüstet, eignete er sich vorzüglich als Versteck. »Was für eine Art Kapitän ist dieser Theodor Vaghn?« fragte er.
»Ein guter«, sagte Harkaman prompt. »Er hat eine sadistische Ader, aber er kennt sein Metier und führt ein gutes Schiff mit einer ordentlichen Mannschaft. Glaubst du, daß er mit Dunnan unter einer Decke steckt?« »Du etwa nicht? Jetzt, da er eine Basis hat, baut er sich wahrscheinlich eine Flotte auf.« »Jetzt wird er schon wissen, daß wir hinter ihm her sind«, sagte Vann Larch, »und er weiß, wo wir sind. Damit hat er einen Trumpf in der Hand.«
9 Der Kapitän des Raum-Wikinger-Schiffs Damnthing hieß Roger-fan-Morvill Esthersan, was bedeutete, daß ein Mann der Schwert-Welt ihn als einen Bastard von einer der Frauen der Alten Föderation anerkannt hatte. Seine Mutter war vielleicht von Nergal gewesen; er hatte dichtes schwarzes Haar, mahagonibraune Haut und rotbraune Augen. Er probierte den Wein, den der Roboter ihm eingeschenkt hatte, nickte zustimmend und begann dann, das mitgebrachte Paket aufzuschnüren. »Etwas, was ich auf Tetragrammaton fand«, sagte er. »Ich dachte, Sie wären vielleicht daran interessiert. Es stammt von Gram.« Es war eine Automatikpistole mit Gürtel und Halfter. Das Leder war aus Bisonhaut; die ovale Gürtelschnalle war mit einem hellblauen Halbmond auf schwarzem Grunde verziert. Die Pistole war eine gewöhnliche 10-mm-Militärwaffe mit plastikummanteltem Griff; der Lauf trug den Stempel des Hauses Hoylbar, des Waffenherstellers von Glaspyth. Offenbar war es eine der Waffen, die Herzog Omfray für Andray Dunnans ursprüngliche Söldnerkompanie bereitgestellt hatte. »Tetragrammaton? Wie lange ist das her?«
»Etwa dreihundert Stunden. Ich kam direkt hierher. Dunnans Schiffe hatten den Planeten drei Tage vor unserer Ankunft verlassen.« Das war brandheiß. Nun, früher oder später mußte sich so etwas ergeben. Der Raum-Wikinger fragte Lucas, ob er wisse, was für eine Art Planet Tetragrammaton war. Er war von Neobarbaren bewohnt, die sich um eine bescheidene Zivilisation bemühten. Die Bevölkerung war gering, auf einem Kontinent konzentriert, lebte von Landwirtschaft und Fischerei. Ihr Exportprodukt war ein gräßlich riechendes Pflanzenöl, das als Grundlage für delikate Parfüms diente und von niemandem richtig synthetisiert werden konnte. Auch eine gewisse Industrie war vorhanden. »Ich hörte, daß sie jetzt Stahlwerke haben«, sagte der Mischling. »Wie es scheint, hat jemand auf Rimmon eben die Eisenbahn wiedererfunden, und sie brauchen dort mehr Stahl, als sie selbst produzieren können. Also nahm ich mir vor, mir auf Tetragrammaton Stahl zu holen, und ihn auf Rimmon gegen eine Ladung Himmelstee einzutauschen. Als ich jedoch hinkam, war der Planet ein einziges Chaos – nicht durch Plünderung, es war ganz einfach mutwillige Zerstörung. Die Einwohner kamen gerade wieder aus den Trümmern hervor, als ich landete. Einer von ihnen hatte diese Pistole; er sage, er habe sie einem getöteten Raum-Wikinger abgenommen. Die Schiffe, die sie überfallen hatten, wa-
ren die Enterprise und die Yo-Yo. Ich wußte, daß Sie an solchen Informationen interessiert sind. Ich nahm einige der Aussagen der Bewohner auf Band auf und kam dann auf direktem Weg hierher.« »Nun, ich danke Ihnen. Die Bänder höre ich mir gern an. Sie sagten, Sie suchten Stahl?« »Ich habe aber kein Geld. Deswegen wollte ich Tetragrammaton plündern.« »Zum Nifflheim mit dem Geld; Ihre Fracht ist bereits bezahlt. Das da«, sagte er und deutete dabei auf die Pistole, »und was auf den Bändern ist.« Noch am gleichen Abend wurden die Bänder abgehört. Sonderlich informativ waren sie nicht. Die befragten Einheimischen waren nicht in direktem Kontakt mit Dunnans Leuten gekommen, außer im Kampfe. Der Mann, der die 10-mm-Hoytbar in Besitz gehabt hatte, war noch der ergiebigste Zeuge, und selbst er wußte wenig. Dunnan hatte Landeschiffe gesandt, wie es schien, und erklärt, er wünsche Handel. Dann mußte irgend etwas geschehen sein – niemand wußte was – und sie hatten begonnen, die Stadt zu vernichten. Auf ihre Schiffe zurückgekehrt, hatten sie das Feuer mit Kernwaffen fortgesetzt. »Klingt ganz nach Dunnan«, sagte Hugh Rathmore verächtlich. »Die schiere Mordlust. Das schlechte Blut der Blackcliffes.« »Einiges ist merkwürdig an der ganzen Sache«,
sagte Boake Valkanhayn. »Ich würde sagen, es war ein Terrorüberfall, aber wen zum Teufel wollte er terrorisieren?« »Das habe ich mich auch gefragt«, sagte Harkaman stirnrunzelnd. »Die Stadt, wo er landete, scheint die Hauptstadt des Planeten zu sein. Sie landeten, stellten sich freundlich, was absolut unnötig war, und begannen dann zu plündern und zu massakrieren. Es gab aber nichts von wirklichem Wert; alles, was sie mitnahmen, war, was die Männer selbst in ihre Landefahrzeuge tragen konnten, und auch das taten sie nur wegen eines geradezu religiösen Tabus, das es ihnen verbietet, irgendwo wieder abzuziehen, ohne etwas geraubt zu haben. Die wirkliche Beute war in diesen anderen beiden Städten – ein Stahlwerk und große Stahlvorräte in der einen und eine Menge Öl in der anderen. Und was taten sie? Sie warfen auf jede eine Fünf-Megatonnen-Bombe und pusteten sie ins Nichts. Schlicht und einfach ein Terrorangriff. Aber wen, wie Boake mit Recht fragte, wollten sie denn terrorisieren? Wenn es irgendwo anders auf dem Planeten große Städte gäbe, dann wäre es verständlich. Aber es gibt keine.« »Dann wollten sie eben jemanden außerhalb des Planeten terrorisieren.« »Aber niemand würde je etwas davon hören«, wandte jemand ein.
»Doch, die Mardukaner; sie treiben Handel mit Tetragrammaton«, sagte der Kapitän der Damnthing. »Jedes Jahr kommen mehrere Schiffe von ihnen hin.« »Richtig«, stimmte Trask zu. »Marduk.« »Glaubst du wirklich, daß Dunnan Marduk zu terrorisieren versucht?« fragte Valkanhayn. »Großer Satan, so verrückt ist nicht einmal der!« »Doch, ich glaube, das ist er«, sagte Trask. »Und genau dadurch, daß er verrückt ist, wir aber nicht, ist er im Vorteil. Was hören wir denn von ihm? Wo er auch auftaucht, macht er wenig oder gar keine Beute. In allen Berichten ist nur von Mutwillen, mörderischen Bombardements die Rede. Ich glaube, daß Dunnan Marduk bekriegt.« »Dann ist er verrückter als sein Großvater und sein Onkel zusammen!« rief Rathmore. »Du meinst, er unternimmt diese Terrorangriffe auf ihre Handelspartner in der Hoffnung, die mardukanische Raumflotte von ihrem Heimatplaneten wegzulocken?« Harkamans Stimme klang jetzt nicht mehr so ungläubig. »Und sobald ihm das gelungen ist, würde er dort angreifen?« »So scheint es mir. Denk an unsere grundsätzliche Annahme: Dunnan ist wahnsinnig. Weißt du noch, wie er sich selbst einredete, der rechtmäßige Erbe der Herzogswürde von Wardshaven zu sein?« Und dann seine irrwitzige Leidenschaft für Elaine; doch diesen
Gedanken verdrängte er hastig. »Jetzt ist er überzeugt, der größte Raum-Wikinger der Geschichte zu sein. Nun muß er etwas tun, was diesem Anspruch gerecht wird. Wann ist zum letzten Mal ein zivilisierter Planet angegriffen worden? Ich meine nicht Gilgamesch, ich meine ein Planet wie Marduk.« »Vor einhundertzwanzig Jahren. Fürst Havilgar von Haulteclere, sechs Schiffe gegen Aton. Zwei Schiffe kamen zurück. Vier nicht. Seitdem hat es niemand mehr versucht«, sagte Harkaman. »Dann wird Dunnan der Große es tun. Ich hoffe, er wird es versuchen«, fügte er zu seiner eigenen Überraschung hinzu. »Vorausgesetzt, ich kann genau feststellen, was geschehen ist. Dann brauchte ich mir seinetwegen keine Gedanken mehr zu machen.« Immerhin hatte es eine Zeit gegeben, da er befürchtet hatte, jemand anders würde Dunnan töten. Bevor er selbst es tun konnte.
10 Seshat, Obiducut, Lugaluru, Audhumla. Der junge Mann, der durch den Tod seines Vaters bei Dunnans Überfall in die vererbliche Präsidentschaft der demokratischen Republik Tetragrammaton nachgerückt war, war sicher gewesen, daß die mardukanischen Schiffe, die auf diesen Planeten kamen, auch mit den Obengenannten Handel trieben. Überhaupt den Kontakt herzustellen, war nicht leicht gewesen; nur mit äußerstem Mißtrauen hatte der junge Präsident sich zu diesem Treffen überreden lassen. »Sie zerstörten das Stahlwerk hier und die Ölraffinerie in Jannsboro. Sie beschossen und bombardierten Dörfer und kleine Städte. Sie verstreuten radioaktives Material, das ebensoviele Todesopfer forderte wie die Bombardements. Und als sie wieder fort waren, kam dieses andere Schiff.« »Die Damnthing? Sie trägt einen Tierkopf mit drei Hörnern als Wappen.« »Ja. Sie richtete zunächst ein wenig Schaden an. Als der Kapitän sah, was uns zugestoßen war, ließ er Lebensmittel und Medikamente zurück.« Roger-fanMorvill Esthersan hatte das nicht erwähnt. »Nun, wir würden Ihnen gern helfen, wenn wir können. Besitzen Sie Kernenergie? Wir können Ihnen
einige Anlagen liefern. Erinnern Sie uns daran, sobald Sie wieder auf den Beinen sind. Aber fürchten Sie nicht, uns etwas schuldig zu sein. Der Mann, der Ihnen dies angetan hat, ist mein Feind. Und jetzt möchte ich mit jedem Angehörigen Ihres Volkes reden, der mir auch nur das Geringste sagen kann ...« Seshat lag am nächsten und war ihr erstes Ziel. Zu spät, Seshat hatte schon sein Teil abbekommen, und nach der Anzeige der Geigerzähler zu schließen, vor nicht allzu langer Zeit. Vierhundert Stunden höchstens. Zwei Höllenbrenner waren abgeworfen worden; die Städte, auf die sie gefallen waren, waren nur noch rauchende Löcher, buchstäblich in den Boden gebrannt. Auch einen Planetensprenger hatte man gezündet und damit ein größeres Erdbeben ausgelöst. Wahrscheinlich gab es eine gewisse Anzahl Überlebender – es ist ja schwierig, eine menschliche Planetenbevölkerung völlig auszurotten –, doch innerhalb eines Jahrhunderts würden sie erst bei Lendenschurz und Steinbeil angelangt sein. »Wir wissen nicht einmal, daß es Dunnan persönlich war«, sagte Paytrik Morland. »Vielleicht sitzt er in einer luftdichten Höhlenstadt auf einem Planeten, von dem wir noch nie gehört haben, auf einem goldenen Thron, umgeben von einem Harem.« Auch Trask begann zu argwöhnen, daß das wirklich so sein konnte. Der größte Raum-Wikinger der
Geschichte würde gewiß ein Raum-WikingerImperium gründen. »Ein Herrscher reist von Zeit zu Zeit durch sein Reich; ich verbringe auch nicht meine ganze Zeit auf Tanith. Versuchen wir es einmal mit Audhumla. Er ist am weitesten weg. Vielleicht kommen wir hin, während er noch Obidicut und Lugaluru in Fetzen schießt. Guatt, rechnen Sie einen Kurs aus.« Als die farbigen Turbulenzen vom Bildschirm verschwunden waren, sah Audhumla aus wie Tanith oder Khepera oder Amaterasu oder irgendein anderer Planet vom Terra-Typ. Es gab einen einzelnen ziemlich großen Mond, und auf den Teleskopschirmen die gewöhnlichen Umrisse und Linien von Meeren, Kontinenten, Flüssen und Bergketten. Nichts aber, was erkennen ließ ... Oh, doch; Lichter auf der dunklen Seite. Der Größe nach mußten es ausgedehnte Städte sein. Alle erreichbaren Daten über Audhumla waren längst überholt; in den letzten fünf oder sechs Jahrhunderten mußte sich eine beträchtliche Zivilisation entwickelt haben. Ein weiteres Licht erschien, ein greller, blau-weißer Funke, der zu einem größeren, weniger hellen gelben Licht wurde. Gleichzeitig brachen alle Alarmanlagen im Kommandoraum in ein Pandämonium von schrillem Geklingel, von Schnarren, Blitzen und Heulen
aus. Strahlung. Energieentladungen. AntigravitationsVerzerrungseffekte. Infraroter Output. Ein Wirrwarr von unentzifferbaren Funk- und Televisor-Signalen. Radar- und Funkortungsstrahlen vom Planeten. Trasks Fäuste schmerzten; er hatte das Schaltpult damit bearbeitet. »Wir haben ihn! Wir haben ihn!« schrie er heiser. »Höchste Beschleunigung, volle Geschwindigkeit bis an die Grenze des Möglichen! An Verzögerung denken wir erst, wenn wir auf Schußweite sind.« Der Planet wurde ständig größer. »Schiff geortet. Höhe einhundert bis fünfhundert Kilometer – hundert, nicht tausend – 35° nördlicher Breite, 15° westlich der Abendlinie. Schiff ist unter Feuer, Bombenexplosionen in nächster Nähe«, dröhnte eine Stimme. Jemand anderer brüllte, die gesichteten Lichter seien in Wirklichkeit brennende Städte oder glühende Wälder. Die vorher unterbrochene Stimme fuhr wieder fort: »Schiff auf dem Teleskopschirm sichtbar, genau an der Abendlinie. Ein weiteres Schiff geortet, aber nicht sichtbar, irgendwo beim Äquator; Antigravitationsfeld eines dritten registriert.« Offenbar gab es zwei Seiten und einen Kampf. Jetzt waren sie in etwa zweitausend Kilometer Höhe. Karffard stoppte die Beschleunigung und versuchte, in
eine Umlaufspirale zu gelangen. Plötzlich sahen sie eines der beiden Schiffe. »Sieht ziemlich übel aus.« Das war Paul Koreffs Stimme. »Verliert 'ne Unmenge Luft und Wasserdampf. Ein anderes Schiff gibt Signal«, fügte er hinzu. »Kommt eben über dem Äquator hoch. SchwertWelt-Impuls-Code; sendet seine KommunikationsKombination und bittet um Identifizierung.« Karffard gab die Kombination ein. Während Trask verzweifelt versuchte, seine Gesichtszüge unbeweglich erscheinen zu lassen, leuchtete das Schirmbild auf. Es war nicht Andray Dunnan – welche Enttäuschung. Dennoch, es gab einen Trost. Denn es war sein Gefolgsmann, Sir Nevil Ormm. »Sir Nevil! Welche freudige Überraschung«, hörte er sich sagen. »Zuletzt sahen wir uns auf der Terrasse von Karvall House, nicht wahr?« Und zum ersten Male veränderte das kalkweiße Gesicht von Andray Dunnans âme damnée seinen Ausdruck; doch ob es Angst, Überraschung, Schock, Haß, Zorn oder eine Kombination aus alledem war, konnte Trask nur vermuten. »Trask! Der Satan hole Sie ...!« Dann erlosch das Bild. Auf dem Teleskopschirm kam das andere Schiff immer näher. Paul Koreff, der die Daten von Masse, Energieausstoß und Dimensionen verglichen hatte, identifizierte sie als die Enterprise.
»Nichts wie drauf! Mit allem, was wir haben!« Es hätte des Befehls nicht bedurft; Vann Larch sprach schon hastig in sein Mikrophon, und Alvyn Karffard warnte die Besatzung vor plötzlicher Abbremsung und raschem Richtungswechsel. Auf dem Teleskopschirm war das andere Schiff deutlich zu sehen; Trask konnte das schwarze Oval mit dem blauen Halbmond ausmachen, und Dunnan würde auf seinem Schirm den aufs Schwert gespießten Schädel der Nemesis erkennen. Wenn er nur hätte sicher sein können, daß dort drüben auch Dunnan war. Und wenn sie mit einem der Projektile, die sie jetzt abschossen, einen Glückstreffer erzielten, würde er es wohl niemals wissen. Es war ihm gleich, wie Dunnan starb. Nur eines wollte er wissen: Daß Dunnans Tod ihn von einer Verpflichtung befreite, die er sich selbst auferlegt hatte – die ihm aber jetzt nichts mehr bedeutete. Die Enterprise feuerte Abwehrraketen, die Nemesis ebenso. Etwas mußte allerdings durchgekommen sein: Rote Schadenssignale flammten auf. Der Treffer war schwer genug gewesen, sogar die riesige Masse der Nemesis zu erschüttern. Gleichzeitig erhielt das andere Schiff einen Treffer, der es atomisiert hätte, wäre es nicht mit Collapsium armiert gewesen. Dann, als sie einander am nächsten waren, unterstützte Artillerie das Raketenfeuer, und
dann war die Enterprise hinter dem Horizont und außer Sicht. Ein weiteres Schiff von der Größe von Otto Harkamans Corisande II näherte sich; es trug einen Planeten als Wappen, an einem Faden gehalten von einer nagellackierten Frauenhand. Sie schossen aufeinander zu, wie durch einen Garten riesiger Feuerblumen, und rasten dann aneinander vorbei. Gleichzeitig fing Paul Koreff ein Signal des dritten, beschädigten Schiffes auf – eine Kommunikationskombination. Trask gab sie ein. Der Mann, der auf dem Bildschirm erschien, trug einen Raumanzug. Ein schlechtes Zeichen, wenngleich er seinen Helm noch nicht aufgesetzt hatte. Das Wappen auf seiner Brust stellte ein drachenähnliches Tier dar, dessen Schwanz einen Planeten umschloß, und über dem eine Krone schwebte. »Wer sind Sie, Fremdling? Sie kämpfen gegen meine Feinde; sind Sie also mein Freund?« »Ich bin der Freund eines jeden, der Andray Dunnan zum Feind hat. Das Schwert-Welt-Schiff Nemesis; ich bin der Kapitän, Fürst Lucas Trask von Tanith.« »Königlich mardukanisches Schiff Victrix.« Über das schmale Gesicht des Mannes huschte ein gequältes Lächeln. »Hat freilich nicht ganz gehalten, was der Name verspricht. Ich bin Prinz Simon Bentrik.« »Sind Sie noch kampffähig?«
»Etwa die Hälfte unserer Artillerie ist noch feuerbereit, auch besitzen wir noch ein paar Raketen. Das Schiff hat ein Dutzend Einschüsse. Manövrierfähigkeit sehr beschränkt.« »Wenn wir noch schnell genug abbremsen können, werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um Sie zu schützen.« »Da kommt die Enterprise!« rief Karffard plötzlich und fügte ein paar obszöne Bemerkungen hinzu. »Dann tun Sie doch etwas!« wollte Trask eben rufen, als er auf dem Bildschirm sah, wie sich etwas Längliches, Stumpfes von der Victrix löste und in weiter Kurve auf die Bahn der Enterprise, einbog. Die Enterprise hatte noch kaum den Horizont überschritten, als das Projektil in sie hineinraste und ein riesiger Feuerball beide verschlang. Einen Augenblick lang glaubte er, die Enterprise sei zerstört worden, doch dann kam sie wieder in Sicht, um gleich darauf hinter dem Horizont zu verschwinden. »Fabelhafter Schuß, Victrix!« ertönte es noch im Kommandoraum der Nemesis, als die Yo-Yo wieder erschien, und Vann Larch knurrte: »Schluß mit den Kinkerlitzchen! Jetzt wird ein Machtwort gesprochen!« Er rief Befehle – ein Durcheinander von CodeBuchstaben und -Zahlen –, und Projektile sausten davon. Die meisten detonierten im leeren Raum. Und
dann explodierte die Yo-Yo, ganz still, da der luftleere Raum keinen Schall trug, aber sehr hell. Für kurze Zeit lag taghelles Licht auf der Nachtseite des Planeten. »Das war unser Planetensprenger«, sagte Larch. »Ich weiß nicht, was uns für Dunnan bleibt.« Es dauerte nicht lange, bis die Enterprise wieder erschien, um zu sehen, was passiert war. Larch empfing sie mit einer Auswahl kleinerer Geschosse, begleitet von einem Fünfzig-Megatonnen-Nuklear-Sprengkörper mit Zielkamera. Er hatte sein eigenes Arsenal kleinerer Raketen, und er kam durch. Auf dem Teleskopschirm war unter dem Äquator der Enterprise ein Loch zu sehen, dessen gezackter Rand sich nach außen wölbte. Irgend etwas, möglicherweise ein abschußbereiter Sprengkörper, war in ihrem Inneren explodiert. Wie es drinnen aussah, und wieviele Angehörige der Besatzung noch am Leben waren, war schwer zu sagen. Doch einige mußten leben, denn von der Enterprise kam immer noch Gegenwehr. Die Geschosse wurden abgefangen und detonierten. Dann wurde die Enterprise immer größer auf dem Bildschirm, füllte ihn schließlich aus. Auf dem Schirm wurde es milchig-weiß, als die Rakete einschlug. Auch über die anderen Schirme huschte ein greller Blitz, bis die automatischen Filter sich vorgeschaltet hatten. Selbst dann war die helle Strahlung fast
schmerzlich für die Augen. Endlich, als die Lichtintensität nachgelassen hatte und die Filter sich wieder ausschalteten, war nichts von der Enterprise zurückgeblieben als ein oranger Nebel. »Werde ich je erfahren«, sagte Trask fast unhörbar zu sich selbst, »ob Dunnan auf diesem Schiff war?«
MARDUK 1 Fürst Trask von Tanith und Prinz Simon Bentrik speisten zusammen auf der Terrasse eines Hauses, das ursprünglich das Zentralgebäude einer Farm aus der Föderationszeit gewesen war. Jetzt war es das Ratsgebäude einer Stadt, die um es herumgewachsen war und Dunnans Überfall irgendwie ohne Schaden überstanden hatte. Gewöhnlich von fünf- bis zehntausend Leuten bewohnt, war der Ort nun überschwemmt von fast fünfzigtausend heimatlosen Flüchtlingen aus einem halben Dutzend anderer zerstörter Städte. Alle, die Einwohner, Mardukaner und Raum-Wikinger, hatten sich an den Hilfsaktionen beteiligt. Dies war die erste Mahlzeit, zu der die beiden Kommandeure sich ohne drängende Hast zusammenfanden. Prinz Bentriks Freude daran war freilich etwas getrübt: Von seinem Platz aus konnte er in der Ferne den Umriß seines schwer beschädigten Schiffes sehen. »Ich weiß nicht, ob wir es wieder starten, geschweige denn in den Hyperraum damit kommen können.« »Dann bringen wir Sie und Ihre Besatzung eben mit der Nemesis nach Marduk zurück. Sie haben doch
nicht geglaubt, wir würden Sie hier einfach sitzen lassen.« »Ich weiß nicht, wie der Empfang sein wird. RaumWikinger sind in letzter Zeit auf Marduk nicht populär. Allerdings, vielleicht wird man sich bei Ihnen bedanken, daß Sie mich für das Verfahren zurückgebracht haben, das auf mich wartet«, sagte Bentrik bitter. »Nun, ich würde jeden erschießen lassen, der es nicht fertigbrächte, zu verhindern, daß man seinem Schiff so übel mitspielt wie meinem. Die beiden Angreifer waren schon in der Atmosphäre, bevor ich erkannt hatte, daß sie aus dem Hyperraum kamen.« »Ich nehme an, daß sie schon vor Ihrer Ankunft auf dem Planeten waren.« »Oh, das ist lächerlich, Fürst Trask!« rief der Mardukaner. »So kann man ein Schiff nicht auf einem Planeten verstecken. Nicht vor den Instrumenten, wie wir sie in der Königlichen Flotte haben.« »Auch wir haben ganz gute Ortungsinstrumente«, erinnerte ihn Trask. »Trotzdem, es gibt eine Stelle, wo es möglich ist: Auf dem Grund eines Ozeans. Dort hätte ich die Nemesis versteckt, wenn ich vor Dunnan hiergewesen wäre.« Prinz Bentriks Gabel sank wieder auf seinen Teller zurück. Das war eine Theorie, die er gern akzeptierte. »Aber die Einheimischen – sie wußten nichts.« »Konnten sie auch nicht. Sie haben kein Frühwarn-
system. Wenn er direkt über dem Meer herunterkam, aus der Sonne heraus, dann konnte niemand das Schiff entdecken.« »Ist das ein gebräuchlicher Raum-Wikinger-Trick?« »Nein. Ich kam selbst darauf, auf dem Weg von Seshat hierher. Aber wenn Dunnan Ihrem Schiff auflauern wollte, mußte er ebenfalls auf die Idee kommen. Es ist praktisch die einzige Möglichkeit.« Dunnan – oder Nevil Ormm. Er wünschte, er wüßte es, und fürchtete, es sein Leben lang nicht zu erfahren.
2 Marduk hatte drei Monde; einen großen von zweitausend Kilometer Durchmesser und zwei bessere Felsbrocken. Der große Mond war befestigt und wurde ständig von mehreren Schiffen umkreist. Die Nemesis wurde geortet, sobald sie den letzten Hypersprung hinter sich hatte; zwei Schiffe schwenkten aus ihrer Kreisbahn aus und kamen ihr entgegen, während einige weitere vom Planeten selbst aus starteten. Prinz Bentrik hatte gleich Schwierigkeiten. Selbst als ihm die Lage schon zweimal geschildert worden war, wollte der Kommandant des mardukanischen Schiffes nicht verstehen. Eine im Kampf mit RaumWikingern vernichtete Flotteneinheit war schlimm genug; daß die Mannschaft aber von anderen RaumWikingern gerettet und auf Marduk zurückgebracht worden sein sollte, das gab es einfach nicht. Er nahm Verbindung mit dem königlichen Palast in Malverton auf; erst war er eisig höflich zu jemandem, der einige Rangstufen unter ihm stand, dann respektvoll höflich zu jemandem, den er als Fürst Vandarvant ansprach. Schließlich erschien ein zierlicher, weißhaariger Mann auf dem Schirm. Sofort sprang Prinz Bentrik auf und nahm Haltung an, und alle anderen Mardukaner im Kommandoraum taten es ihm gleich.
»Euer Majestät! Eine große Ehre!« »Geht es Ihnen gut, Simon?« fragte der alte Herr fürsorglich. »Man hat Ihnen doch nichts angetan? Oder?« »Sie haben mein Leben gerettet und das meiner Männer, und mich wie einen Freund und Kameraden behandelt, Euer Majestät. Erlauben Sie, daß ich Ihnen formlos ihren Anführer, Fürst Trask von Tanith vorstelle?« »Bitte, Simon. Ich bin dem Gentleman sehr zu Dank verpflichtet.« »Seine Majestät, Mikhyl der Achte, Planetarischer König von Marduk«, sagte Fürst Bentrik. »Seine Hoheit Lucas, Fürst Trask, Planetarischer Vizekönig von Tanith für Seine Majestät Angus den Ersten von Gram.« Der Monarch neigte leicht sein Haupt; Trask machte eine Verbeugung. »Ich bin sehr glücklich, Fürst Trask, zunächst, wie ich bekennen muß, über die sichere Rückkehr meines Verwandten, Prinz Bentrik, daneben aber auch über die Ehre, jemandem zu begegnen, der das Vertrauen König Angus' von Gram genießt. Für das, was Sie für meinen Cousin, seine Offiziere und Mannschaften getan haben, danke ich Ihnen. Und ich bitte Sie, während Ihres Aufenthaltes auf diesem Planeten in meinem Palast Wohnung zu nehmen; ich werde alles für
Ihren Empfang vorbereiten lassen und wünsche, daß Sie mir noch heute abend formell vorgestellt werden.« Er zögerte ein wenig. »Gram; das ist doch eine der Schwert-Welten, nicht?« Noch ein kurzes Zögern. »Sind Sie wirklich ein Raum-Wikinger, Fürst Trask?« Vielleicht hatte er geglaubt, daß Raum-Wikinger vier Meter groß seien und drei Hörner hätten. Es dauerte mehrere Stunden, bis die Nemesis in eine Umlaufbahn gesteuert war. Bentrik verbrachte den größten Teil davon in einer Televisorkabine und kam dann sichtlich erleichtert wieder heraus. »Wegen der Geschehnisse auf Audhumla erhebt man keine allzuschweren Vorwürfe«, erklärte er Trask. »Es wird einen Untersuchungsausschuß geben. Ich fürchte, ich mußte Sie da hineinziehen. Nicht nur wegen Audhumla; vom Raumfahrtminister abwärts wollen alle erfahren, was Sie über diesen Dunnan wissen. Wie Sie, hoffen auch wir, daß er in seinem Flaggschiff atomisiert worden ist, aber wir können nicht sicher sein. Wir müssen über ein Dutzend Handelspartner beschützen, und mehr als die Hälfte von ihnen hat er schon heimgesucht.« »Seht euch die Stadt an!« flüsterte Paytrik Morland plötzlich. »Wir reden dauernd von zivilisierten Planeten, aber ich hätte nie geahnt, daß es so etwas gibt. Daneben sieht ja Excalibur eher wie Tanith aus!« Der Ort war Malverton, die Hauptstadt. Wie über-
all, wo Antigravitation bekannt war, bestand sie aus einer Kreisfläche mit hohen, durch viel Grün getrennten Gebäuden, die von den kleineren Kreisen des Raumhafens und der Industrievororte umgeben war. Der Unterschied war, daß jede dieser letzteren so groß wie Camelot auf Excalibur oder vier Wardshavens auf Gram war, und Malverton selbst war beinahe halb so groß wie das ganze Baronat von Traskon. »Sie sind auch nicht zivilisierter als wir, Paytrik. Sie sind nur mehr. Wenn wir zwei Millionen Einwohner auf Gram hätten – was hoffentlich nie der Fall sein wird – dann hätte auch Gram solche Städte.« Einen Planeten wie Marduk zu regieren, war in der Tat etwas komplizierter als der lose Feudalismus der Schwert-Welten. Angesichts der Komplexität der Bevölkerung und ihrer Probleme war diese »Goldbergokratie« vielleicht die einzige Möglichkeit gewesen. Alvyn Karffard sah sich rasch um, um sicher zu gehen, daß keiner der Mardukaner in Hörweite war. »Ganz gleich, wie viele Leute sie haben«, sagte er, »Marduk ist zu erobern. Kein Wolf kümmert sich darum, wieviele Schafe in einer Herde sind. Mit zwanzig Schiffen könnten wir diesen Planeten einnehmen wie Eglonsby. Natürlich, es gäbe Verluste, aber sobald wir unten wären, hätten wir ihn.« »Woher sollten wir zwanzig Schiffe nehmen?« Tanith konnte allenfalls fünf oder sechs bereitstel-
len. Beowulf hatte eines, ein zweites war fast fertiggestellt. Auf Amaterasu befand sich jetzt ein weiteres. Aber eine Raum-Wikinger-Armada von zwanzig zusammenzubekommen ... Er schüttelte den Kopf. Der wirkliche Grund, warum Raum-Wikingern noch niemals ein erfolgreicher Überfall auf einen zivilisierten Planeten gelungen war, lag in ihrer Unfähigkeit, sich in ausreichender Stärke unter einer einzigen Führung zusammenzufinden. Außerdem wollte er Marduk nicht überfallen. Ein erfolgreicher Raubzug würde gewaltige Beute bringen, doch hundert, ja tausendmal soviel Verwüstung hinterlassen, und etwas Zivilisiertes wollte er nicht zerstören. Der Landeplatz des Palastes war voll von Menschen, als Lucas und Prinz Bentrik landeten. Trask wurde sogleich zu seiner Suite gebracht. Sie war außerordentlich luxuriös, blieb jedoch durchaus im Rahmen des Schwert-Welt-Standards. Die Zahl der menschlichen Diener, die Arbeiten verrichteten, für die Roboter besser geeignet waren, war erstaunlich. Die vorhandenen Roboter leisteten wenig, und viel Arbeit und Geist war dabei verschwendet worden, menschliche Formen nachzuahmen – zum Nachteil der Funktion. Nachdem sich Lucas der meisten der ohnehin überflüssigen Diener entledigt hatte, schaltete er einen Te-
levisorschirm ein und sah sich verschiedene Nachrichtensendungen an. Es gab ein breites Spektrum von Kommentaren. Die Regierung hatte bereits dementiert, daß (1) Prinz Bentrik die Nemesis gekapert und als Prise hierher gebracht habe, und (2) daß die Raum-Wikinger Prinz Bentrik gefangengenommen hätten und als Geisel hielten. Weitere Informationen hielt die Regierung zurück, und die Opposition sprach von korrupten Machenschaften und heimtükkischer Verschwörung. »Warum veröffentlicht die Regierung nicht die Fakten, um diesem Unfug ein Ende zu machen?« fragte Trask. »Warum sollte sie«, erwiderte Bentrik. »Je länger die Regierung wartet, desto mehr macht sich die Opposition lächerlich, wenn die Tatsachen auf den Tisch kommen.« Die formelle Vorstellung würde am Abend stattfinden; erst würde es ein Diner geben, und da Trask noch nicht offiziell vorgestellt war, konnte er nicht mit dem König dinieren. In seiner Eigenschaft als Vizekönig von Tanith jedoch galt er als Staatschef und würde mit dem Kronprinzen speisen, dem er freilich zuvor offiziell vorgestellt werden sollte. Es geschah in einem kleinen Vorraum des Bankettsaales; Kronprinz, Kronprinzessin und Prinzessin Bentrik erwarteten ihn bei seiner Ankunft. Der Kron-
prinz war ein Mann in mittleren Jahren, mit grauen Schläfen und dem glasigen Blick, der Kontaktlinsen verrät. Die Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Vater war offenkundig; beide hatten denselben nachdenklichen, etwas lebensfremden Gesichtsausdruck und hätten Professoren der gleichen Universitätsfakultät sein können. Er reichte Trask die Hand und versicherte ihn der Dankbarkeit des Hofes und der Königlichen Familie. »Wissen Sie, daß Simon nach mir und meiner Tochter den nächsten Platz in der Thronfolge einnimmt?« fragte er. »Aus diesem Grund dürfen wir mit ihm kein Risiko mehr eingehen.« Er wandte sich Bentrik zu. »Ich fürchte, das war dein letztes Raumabenteuer, Simon. Von nun an wirst du deine Tätigkeit auf den Raumhafen beschränken müssen.« »Ich bin nicht traurig darüber«, sagte Prinzessin Bentrik. »Und wenn irgend jemand Fürst Trask zur Dankbarkeit verpflichtet ist, dann ich.« Sie drückte ihm herzlich die Hand. »Fürst Trask, mein Sohn möchte Sie sehr gerne kennenlernen. Er ist zehn Jahre alt und er glaubt, Raum-Wikinger seien romantische Helden.« »Da müßte er mal selbst einer werden.« Und einen Planeten sehen, auf dem RaumWikinger gehaust hatten! Die meisten Gäste am oberen Ende der Tafel waren
Diplomaten – Botschafter von Odin, Baldur, Isis, Ishtar, Aton und den anderen zivilisierten Welten. Sie alle waren über das, was Trask für Fürst Bentrik getan hatte, eingehend unterrichtet. Während des Essens zeigten sie sich ungemein höflich und interessiert und versuchten, ihm möglichst nahe zu sein, bis sich die Prozession in den Thronsaal bewegte. König Mikhyls goldene Krone trug das PlanetenEmblem und wog wohl doppelt so viel wie ein Gefechtshelm. Seine Robe war sicher schwerer als ein gepanzerter Raumanzug. Beides war freilich nicht annähernd so prunkvoll wie die Regalia von König Angus' I. von Gram. Er erhob sich, ergriff Prinz Bentriks Hand, nannte ihn »lieber Cousin«, und beglückwünschte ihn zu seinem tapferen Kampf und seiner glücklichen Rettung. Das straft alles Gerede von einem Kriegsgerichtsverfahren Lügen, dachte Trask. Dann reichte Mikhyl Trask die Hand und nannte ihn einen »geschätzten Freund meiner und meines Hauses«. Erste Person Singular; da würden manche ein wenig staunen. Dann setzte der König sich wieder, und der Rest der Anwesenden defilierte an ihm vorbei, und schließlich war es vorüber, und der König erhob sich und schritt, begleitet von seinem unmittelbaren Gefolge, zwischen sich verbeugenden und knicksenden Höflingen durch das breite Portal hinaus. Nach einer
angemessenen Weile begleiteten Kronprinz Edvard und Fürst Bentrik ihn auf dem gleichen Weg hinaus, und die anderen folgten ihnen in den Ballsaal, wo es leise Musik und Erfrischungen gab. Es war nicht viel anders als ein Empfang beim Hof von Excalibur, abgesehen davon, daß Getränke und Speisen von menschlichen Dienern gereicht wurden. Nach einer halben Stunde kam eine Gruppe von Höflingen und gab bekannt, daß Seine Majestät geruhe, Fürst Trask in seinen Privatgemächern zu empfangen. Manchen der Anwesenden stockte sichtlich der Atem; sowohl Prinz Bentrik als auch der Kronprinz versuchten, nicht allzu unverhohlen zu lächeln. Augenscheinlich kam so etwas nicht allzu häufig vor. In einem kleinen, überaus einfach wirkenden Raum, den er durch mehrere große, unglaublich prächtige Säle erreicht hatte, empfing ihn der alte König Mikhyl allein. Als die Wachen die Tür geschlossen hatten, winkte er Trask zu einer Sitzgruppe mit einem niedrigen Tischchen, auf dem sich Flaschen, Gläser und Zigarren befanden. »Nur meine königliche Autorität macht es mir möglich, Sie den Gästen im Ballsaal zu entreißen«, begann er. »Sie stehen im Mittelpunkt des Interesses.« »Ich bin Eurer Majestät dankbar. Hier ist es ruhig, und ich kann mich setzen. Im Thronraum waren Euer Majestät das Zentrum der Aufmerksamkeit, und doch
glaubte ich, einen Ausdruck der Erleichterung bei Ihnen zu bemerken, als Sie ihn wieder verließen.« »Ich versuche, das so gut wie möglich zu verbergen.« Der alte König nahm sein kleines goldgefaßtes Käppchen ab und hängte es an seine Stuhllehne. »Majestät kann ziemlich ermüdend sein, wissen Sie.« Hierher konnte er also kommen und sie ablegen. Trask spürte, daß eine Geste seinerseits am Platze war. Er nahm den Uniformdolch von seinem Gürtel und legte ihn auf den Tisch. Der König nickte. »Jetzt können wir ehrliche Handelsleute sein. Unsere Geschäfte sind für den Rest des Tages geschlossen, und wir unterhalten uns bei etwas Wein und Tabak«, sagte er. »Nicht wahr, Freund Lucas?« Es war wie die Aufnahme in einen Geheimbund, deren Ritual er Schritt für Schritt erraten mußte. »Ja, Freund Mikhyl.« Sie erhoben die Gläser und tranken; Freund Mikhyl bot Zigarren an, und Freund Lucas hielt ihm die Kerze hin. »Ich habe einiges Unangenehme über Ihr Tun gehört, Freund Lucas.« »Alles ist wahr, und das meiste noch untertrieben. Wir sind berufsmäßige Räuber und Mörder, wie einer meiner Kollegen sagt. Das Schlimmste daran ist, daß Raub und Mord einfach eine Tätigkeit wird wie Roboter-Service oder Gemüseverkauf.«
»Dennoch, Sie kämpften mit zwei anderen RaumWikingern, um die havarierte Victrix meines Cousins zu schützen. Warum?« Also mußte er die Geschichte erzählen. König Mikhyls Zigarre ging aus, während er lauschte. »Und seitdem jagen Sie ihn? Und jetzt wissen Sie nicht, ob Sie ihn getötet haben oder nicht?« »Ich fürchte, er lebt noch. Der Mann auf dem Bildschirm war der einzige, dem Dunnan wirklich vertraute. Einer von beiden wird zweifellos immer auf der Basis bleiben.« »Und wenn Sie ihn einmal töten – was dann?« »Ich würde versuchen, aus Tanith einen zivilisierten Planeten zu machen. Früher oder später wird es eine Auseinandersetzung mit König Angus geben, und dann werden Wir Unsere Majestät Lucas I. von Tanith sein, auf einem Thron sitzen und Unsere Untertanen empfangen, und ich werde verdammt froh sein, wenn ich meine Krone abnehmen und mit ein paar Männern reden kann, die mich ›Freund‹ statt ›Euer Majestät‹ nennen.« »Nun, es wäre natürlich gegen mein Berufsethos, einem Untertanen zur Auflehnung gegen seinen Souverän zu raten; dennoch könnte das eine gute Sache sein. Sie haben doch beim Diner den Botschafter von Ithavoll kennengelernt, nicht wahr? Vor drei Jahrhunderten war Ithavoll eine mardukanische Kolonie
– jetzt können wir uns offenbar keine Kolonien mehr leisten – und trennte sich dann von uns. Ithavoll war damals ein Planet, wie Tanith jetzt einer zu sein scheint. Heute ist es eine zivilisierte Welt und gehört zu Marduks besten Freunden. Wissen Sie, manchmal glaube ich, daß es da und dort wieder heller wird in der Alten Föderation. Wenn es so ist, tragen Ihre Raum-Wikinger dazu bei.« »Sie meinen, die Planeten, die wir als Basen benutzen, und die Dinge, die wir den Einwohnern beibringen?« »Auch das natürlich. Eine Zivilisation erfordert zivilisierte Technologien. Die aber müssen für zivilisierte Zwecke benutzt werden. Wissen Sie etwas von einem Raum-Wikinger-Überfall auf Aton etwa vor einem Jahrhundert?« »Sechs Schiffe von Haulteclere; vier zerstört, die anderen beiden kehrten beschädigt und ohne Beute zurück.« Der König von Marduk nickte. »Dieser Überfall rettete die Zivilisation auf Aton; es gab vier große Nationen; die beiden größten waren am Rande des Krieges, die beiden anderen warteten nur darauf, sich auf den erschöpften Sieger zu stürzen und dann gegeneinander um die Reste zu kämpfen. Die Raum-Wikinger zwangen sie, sich zu vereinigen. Aus dieser zeitweiligen Allianz entsprang die
Liga für Gemeinsame Verteidigung und später die Planetarische Republik. Jetzt ist die Republik eine Diktatur, unter uns gesagt eine ganz scheußliche, die Unserer Majestät Regierung ganz und gar nicht gefällt. Früher oder später wird sie zerbrechen, doch Partikularherrschaft und Nationalismus dürfen nicht wiederkehren. Die Raum-Wikinger schreckten sie davon ab, als die damit verbundenen Gefahren es nicht mehr konnten. Vielleicht wird dieser Dunnan für uns auf Marduk dasselbe tun.« »Haben Sie Schwierigkeiten?« »Sie haben entzivilisierte Planeten gesehen. Wie kommt es dazu?« »Sie wissen, wie es in vielen Fällen war: Krieg. Zerstörung von Städten und Industrien. Überlebende in den Ruinen, die zu viel damit zu tun haben, sich überhaupt am Leben zu erhalten, als daß sie noch eine Zivilisation aufrechterhalten könnten.« »Das ist Entzivilisation durch Katastrophen. Es gibt auch eine Entzivilisation durch Erosion, und niemand bemerkt sie, während sie fortschreitet. Jeder ist stolz auf seine Zivilisation, seinen Reichtum und seine Kultur. Aber der Handel geht zurück; weniger Schiffe kommen von Jahr zu Jahr. Also tönt man großartig von planetarischer Autarkie; wer ist denn überhaupt noch auf interplanetarischen Handel angewiesen? Jedermann scheint Geld zu haben, doch die Regierung
ist stets bankrott. Defizitärer Haushalt – und immer mehr unerläßliche soziale Leistungen, für die die Regierung Geld ausgeben muß. Die unerläßlichste davon ist natürlich der Kauf von Stimmen, um die Regierung an der Macht zu halten. Und der Bewegungsspielraum der Regierung wird immer geringer. Die Disziplin der Soldaten läßt nach, ihre Uniformen und Waffen verkommen. Die unteren Ränge sind unverschämt. Immer größere Teile der Stadt sind nachts gefährlich, manche schon bei Tag. Seit Jahren schon sind keine neuen Gebäude erstellt worden, und die alten werden nicht mehr repariert.« Trask schloß die Augen. Plötzlich spürte er die warme Sonne von Gram auf seinem Rücken, hörte die lachenden Stimmen von der Terrasse herauf, sprach wieder mit Lothar Ffayle, Rovard Grauffis, Alex Gorram, Cousin Nikkolay und Otto Harkaman. Er sagte: »Und schließlich setzt man überhaupt nichts mehr instand. Und die Reaktoren bleiben stehen, niemand scheint in der Lage zu sein, sie wieder zu starten. Noch ist es in den Schwert-Welten nicht ganz so weit gekommen.« »Hier auch noch nicht. Noch nicht.« Freund Mikhyl entschwand, König Mikhyl VIII. sah über den Tisch hinweg seinen Gast an. »Fürst Trask, haben Sie schon von einem Mann namens Zasper Makann gehört?«
»Gelegentlich. Nichts Gutes freilich.« »Er ist der gefährlichste Mann auf diesem Planeten«, sagte der König. »Doch niemand will es mir glauben. Auch nicht mein Sohn.«
3 Der Untersuchungsausschuß war mehr wie eine kleine, geruhsame Cocktail-Party. Ein Admiral Shefter präsidierte, wobei er sorgfältig alles vermied, was diesen Eindruck hervorgerufen hätte. Alvyn Karffard, Vann Larch und Paytrik Morland von der Nemesis waren da, und Bentrik sowie mehrere der Offiziere der Victrix, außerdem mehrere Experten für Operationsplanung, Schiffskonstruktion, Forschung und Entwicklung. Eine Weile plauderten sie miteinander, bis Shefter sagte: »Nun, Commodore Prinz Bentrik wird keine Zurechtweisung erhalten für die Art, in der er sich hat überraschen lassen. Das war in jener Situation nicht zu vermeiden.« Er sah den Offizier von Forschung und Entwicklung an. »Es darf aber nicht mehr sehr häufig passieren.« »Nicht mehr oft, Sir. Einen Monat werden wir etwa brauchen und dann die Zeit, bis wir alle Schiffe entsprechend ausrüsten können.« Der Mann von der Schiffskonstruktion war der Ansicht, es würde nicht einmal so lange dauern. »Wir werden Sorge tragen, daß Sie umfassende Information über das neue Unterwasser-Detektionssystem erhalten, Fürst Trask«, sagte der Admiral.
»Die Herren verstehen jedoch, daß sie das alles für sich behalten müssen«, sagte ein anderer Offizier. »Wenn ruchbar wird, daß wir Raum-Wikinger über unsere technischen Geheimnisse informieren ...« Er befühlte seinen Nacken in einer Weise, die Trask vermuten ließ, daß Enthauptung die gebräuchliche Form der Exekution auf Marduk war. »Wir müssen herausfinden, wo der Kerl seine Basis hat«, sagte der Mann von der Operationsplanung. »Vermutlich nehmen Sie nicht an, Fürst Trask, daß er auf seinem Flaggschiff war, als Sie es vernichteten?« »O nein. Ich glaube nicht, daß er und Ormm jemals auf demselben Schiff fuhren. Einer von ihnen blieb wohl stets auf der Basis.« »Nun, wir sagen Ihnen alles, was wir über sie wissen«, versprach Shefter. »Das meiste unterliegt der Geheimhaltung, und Sie werden auch das für sich behalten müssen. Haben Sie irgendeine Vorstellung, wo sich seine Basis befinden könnte, Fürst Trask?« »Eigentlich nicht, wir glauben nur, daß es ein Planet nichtterranischen Typs sein müßte.« Er erzählte ihnen von Dunnans massierten Käufen von Luft- und Wasseraufbereitungsanlagen und Carnikultur- und hydroponischer Ausrüstung. »Das hilft uns natürlich nicht sehr viel weiter.« »Ja, es gibt ja rund fünf Millionen Planeten im Gebiet der früheren Föderation, die in künstlicher Um-
welt bewohnbar sind. Darunter ein paar, die völlig von Meeren bedeckt sind und wo man mit genügend Zeit und Material nach Belieben Unterwasserstädte errichten könnte.« »Was ich gern wissen möchte«, sagte ein Nachrichten-Offizier, »ist, woher dieser Dunnan wußte, wann unser Schiff auf Audhumla sein würde. Ihre Erwähnung der Unterwasser-Kuppelstädte erinnerte mich daran. Ich kann mir nicht denken, daß er sich einfach ein Jahr auf den Meeresgrund setzte und wartete, bis irgend etwas kommen würde. Er muß gewußt haben, daß die Victrix Audhumla anfliegen würde, und auch wann.« »Das gefällt mir gar nicht, Commodore«, sagte Shefter. »Glauben Sie, mir gefällt es, Sir?« entgegnete der Nachrichten-Offizier. »Aber so scheint es nun einmal zu sein. Wir müssen uns damit abfinden.« »Das tun wir«, stimmte Shefter zu. »Gehen Sie der Sache nach, Commodore, und ich brauche Sie kaum darauf hinzuweisen, daß Sie jeden, den Sie damit beauftragen, aufs Gründlichste durchleuchten müssen.« Er füllte langsam sein Glas. »Es ist lange her, daß die Flotte Sorgen wie diese hatte.« Er wandte sich Trask zu. »Ich nehme an, ich kann Sie im Palast erreichen, wann immer es nötig ist?« »Fürst Trask und ich sind Gäste Prinz Edvards, ich
meine Baron Cragdales, in seinem Jagdhaus«, sagte Bentrik. »Wir fahren von hier aus direkt dorthin.« »Ah.« Admiral Shefter lächelte ein wenig. Zweifellos stand dieser Raum-Wikinger auf sehr freundschaftlichem Fuß mit der königlichen Familie. »Wir werden in Verbindung bleiben, Fürst Trask.« Das Jagdhaus, wo Kronprinz Edvard einfach nur Baron Cragdale war, lag am Ende eines steil ansteigenden Gebirgstales, durch das ein Flüßchen lief. Manche der Gipfel zu beiden Seiten waren mit ewigem Schnee bedeckt. Die tiefer liegenden Hänge waren bewaldet wie auch das Tal dazwischen. Zum erstenmal seit über einem Jahr war Elaine bei Lucas, begleitete ihn und sah die Schönheit der Landschaft durch seine Augen. Und er hatte schon geglaubt, sie hätte ihn für immer verlassen. Das Jagdhaus selbst entsprach nicht ganz dem, was ein Schwert-Weltler sich unter einem Jagdhaus vorstellte. Aus der Luft gesehen wirkte es auf den ersten Blick wie eine Sonnenuhr – ein schlanker Turm erhob sich aus einem Rund aus flachen Gebäuden und Gärten. Das Boot landete an seinem Fuße, und er, Prinz und Prinzessin Bentrik, der junge Graf von Ravary und sein Tutor stiegen aus. Sofort eilte eine Schar von Bediensteten auf sie zu; das zweite Boot mit Bentriks Dienern und seinem Gepäck kreiste noch über der Landestelle. Elaine, bemerkte Lucas, war nicht mehr
bei ihm. Dann wurde er von den Bentriks getrennt und in einem Lifter nach oben gebracht. Bedienstete packten seine Koffer aus, bereiteten sein Bad und bemühten sich weiter um ihn, während er sich umzog. Zwei Dutzend Gäste kamen zum Diner. Bentrik hatte ihn gewarnt, daß er einigen seltsamen Typen begegnen würde; vielleicht meinte er auch damit, daß nicht alle zum Adel gehörten. Unter den Bürgerlichen waren mehrere Professoren (vor allem der Sozialwissenschaft) ein Gewerkschaftsführer, ein paar Repräsentanten, ein Mitglied der Delegiertenkammer sowie einige Sozialarbeiter, was immer das bedeutete. Seine Tischnachbarin war eine Lady Valerie Alvarath. Sie war schön – schwarzes Haar, auffallend blaue Augen, eine in den Schwert-Welten außerordentlich seltene Kombination – und sie war intelligent oder wußte zumindest geschickt den Eindruck zu erwecken. Sie wurde ihm als die Hofdame der Tochter des Kronprinzen vorgestellt. Als er sie fragte, wo die Tochter sei, lachte sie. »Sie wird noch lange nicht an Empfängen für Raum-Wikinger teilnehmen, Fürst Trask. Sie ist genau acht Jahre alt; ich habe sie noch zu Bett gebracht, bevor ich herkam. Nach dem Diner werde ich noch einmal bei ihr nachsehen.« Dann fragte ihn Kronprinzessin Melanie, die zu
seiner Linken saß, einiges über die Hofetikette der Schwert-Welten. Er erging sich in allgemeinen Ausführungen über das, was er in seiner Studentenzeit am Hof von Excalibur kennengelernt hatte. Diese Leute hatten schon eine Monarchie gehabt, bevor Gram kolonisiert worden war; er wollte nicht zugeben, daß Grams Monarchie eingerichtet worden war, nachdem er den Planeten verlassen hatte. Der Tisch war klein genug, daß jeder hören konnte, was er sagte, und die Möglichkeit hatte, ihm Fragen zu stellen. Auch nach dem Essen, als man in der Bibliothek den Kaffee nahm, zeigte man sich wißbegierig. »Aber wie steht es mit Ihrer Regierungsform, Ihrer sozialen Struktur und so fort?« wollte jemand wissen. »Nun, wir gebrauchen das Wort Regierung nicht sehr häufig«, antwortete Lucas. »Wir reden viel von Autorität und Souveränität, ein wenig zu viel vielleicht, aber die Regierung scheint uns ein Souverän zu sein, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen. So lange sie die öffentliche Ordnung aufrecht erhält und ernstere Verbrechen riskant für die Verbrecher macht, sind wir zufrieden.« »Aber das ist rein negativ. Tut die Regierung denn nichts Positives für das Volk?« Er versuchte, ihnen das Feudalsystem der SchwertWelten zu erklären. Es war schwierig, stellte er fest, jemandem, der nichts davon wußte, etwas zu erklä-
ren, was man selbst ein ganzes Leben für selbstverständlich angesehen hatte. »Aber die Regierung tut tatsächlich nichts für das Volk!« erklärte einer der Professoren. »Sie überläßt alle sozialen Leistungen der Laune der Lords oder Barone.« »Und das Volk hat keine Möglichkeit der Willenserklärung; aber das ist ja Tyrannei!« fügte ein Mitglied des Parlaments hinzu. Er versuchte zu erklären, daß das Volk sehr wohl seinen Willen erklären konnte und daß Barone und Lords, die am Leben bleiben wollten, sorgfältig darauf achteten. Das Parlamentsmitglied sah die Sache jetzt anders. Das war keine Tyrannei, das war Anarchie. Und der Professor wollte immer noch mehr über die sozialen Leistungen wissen. »Wenn Sie Schulen, Krankenhäuser oder die Sauberhaltung der Städte meinen, das regeln die Leute selbst. Die Regierung paßt lediglich auf, daß niemand auf sie schießt, während sie es tun.« »Das ist nicht, was Professor Pullwell meint, Lucas. Er denkt an Renten für Pensionisten«, sagte Prinz Bentrik. »Etwas wie das, worüber Zaspar Makann so große Töne spuckt.« Auf dem Weg von Audhumla hierher hatte er davon gehört. Nach dreißig Jahren Arbeit oder im Alter von sechzig würde jedermann auf Marduk mit an-
gemessener Rente pensioniert werden. Als er wissen wollte, woher das Geld komme, hatte man ihm erklärt, es werde eine Verkaufssteuer geben und daß die Renten im Laufe von dreißig Tagen würden ausgegeben werden müssen, was die Konjunktur anrege, und daß die Hochkonjunktur Steuergeld für die Renten erbringen würde. »Bei uns erzählt man sich einen Witz über drei Gilgamescher, die auf einem unbewohnten Planeten gestrandet sind«, sagte er, »Zehn Jahre später, als man sie rettete, waren alle drei ungeheuer reich, und zwar dadurch, daß sie sich gegenseitig Hüte verkauft hatten. Genauso würde auch diese Sache hier laufen.« Eine der Sozialarbeiterinnen erstarrte; es war nicht recht, herabsetzende Scherze zu machen. Einer der Professoren räusperte sich; hier bestand keinerlei Parallele; der Selbstfördernde Rentenplan war durchaus machbar. Leicht schockiert erinnerte sich Trask, daß der Mann Professor der Wirtschaftswissenschaften war. Alvyn Karffard würde keine zwanzig Schiffe benötigen, um Marduk zu plündern. Er brauchte den Planeten nur mit ein paar smarten Vertrauensleuten zu infiltrieren, und innerhalb eines Jahres würde ihnen alles auf dem Planeten gehören. Dann kam das Gespräch auf Zaspar Makann. Manche meinten, er habe einige gute Ideen, schade aber
durch Extremismus seiner eigenen Sache. Einer der reicheren Adeligen sagte, er sei ein Pfahl im Fleisch der herrschenden Klasse; ihre Schuld sei es, daß Leute wie Makann Anhänger gewinnen konnten. Trask erachtete es nicht für angebracht, Freund Mikhyl hier zu zitieren. Er nahm es auf seine eigene Verantwortung, zu sagen: »Nach dem, was ich über ihn gehört habe, ist er sicherlich die größte Bedrohung für die zivilisierte Gesellschaft auf Marduk.« »Ich neige der Ansicht Fürst Trasks zu«, sagte Bentrik nüchtern. »Und ich fürchte, die Wahlergebnisse werden für uns ein Schock sein, nicht für Makann. Er spricht gerade auf einer Versammlung der Volkswohl-Partei in Drepplin«, sagte er dann. »Darf ich einschalten, damit Sie sehen, was ich meine?« Als der Kronprinz zustimmend nickte, drückte er auf den Knopf. Der Bildschirm wurde hell. Ein Gesicht erschien darauf. Die Züge waren nicht die Andray Dunnans – der Mund war breiter, die Backenknochen stärker, das Kinn runder. Aber die Augen waren die Dunnans, wie Trask sie auf der Terrasse von Karvall House gesehen hatte. Wahnsinnige Augen. Mit schriller Stimme schrie er: »Unser geliebter Herrscher ist ein Gefangener! Er ist von Verrätern umgeben! Die Ministerien sind voll davon! Sie sind alle Verräter! Die blutrünstigen Reaktionäre der fälschlicherweise so genannten Loyalisten-
Partei! Eine Verschwörung der interstellaren Bankiers! Die dreckigen Gilgamescher! Alle vereint in einer unheiligen Allianz! Und jetzt dieser Raum-Wikinger, dieses blutbefleckte Ungeheuer aus den Schwert-Welten ...« »Entsetzlich! Schluß damit!« versuchten einige Stimmen den Redner zu übertönen. Nur, es ging nicht. Sie konnten den Televisor abdrehen, aber Zaspar Makann würde weitergeifern, und Millionen auf dem Planeten würden ihn weiter hören. Bentrik schaltete auf einen anderen Kanal. Das Bild zeigte einen großen Park. Dicht gedrängt standen Leute, von denen die meisten Kleidung trugen, deren sich auf Gram jeder Landstreicher geschämt hätte; da und dort aber standen zwischen ihnen Gruppen von Männern in etwas, was beinahe aussah wie eine Militäruniform. Jeder von ihnen trug einen dicken kurzen Schlagstock. Am anderen Ende des Parks war Zaspar Makann auf einer riesigen Projektionswand zu sehen. Sobald er sich unterbrach, um Atem zu holen, erhob sich ein Ruf, ausgehend von den Gruppen uniformierter Männer: »Makann! Makann! Makann ist der Führer! Makann an die Macht!« »Sie gestatten ihm sogar eine Privatarmee?« fragte er den Kronprinzen. »Ach, diese albernen Hampelmänner in ihren Ope-
rettenuniformen«, sagte der Kronprinz achselzukkend. »Sie sind nicht bewaffnet.« »Nicht sichtbar«, wandte Trask ein. »Noch nicht.« »Ich wüßte nicht, woher sie Waffen bekommen sollten.« »Nein, Euer Hoheit«, sagte Prinz Bentrik. »Ich auch nicht. Und gerade das macht mir Sorgen.«
4 Am nächsten Nachmittag brachte ihm einer seiner Diener die Nachricht, Baron Cragdale würde sich freuen, wenn Fürst Trask die Zeit für eine private Unterredung aufbringen könnte. Das Gespräch war erst wenige Minuten alt, als Baron Cragdale plötzlich Kronprinz Edvard wurde. »Fürst Trask, ich höre von Admiral Shefter, daß Sie und er die Möglichkeit einer Kooperation gegen unseren gemeinsamen Feind Dunnan diskutiert haben. Das ist gut; es findet meine Billigung und die Billigung von Prinz Vandarvant, dem Premierminister, und, wie ich hinzufügen darf, die von Freund Mikhyl. Indes glaube ich, wir sollten weiter gehen. Ein formeller Vertrag zwischen Tanith und Marduk könnte sehr zum gegenseitigen Vorteil sein.« »Auch ich neige dieser Ansicht zu, Prinz Edvard. Aber geht diesem Heiratsantrag nicht eine ziemlich kurze Bekanntschaft voraus? Seit unserer Ankunft hier sind erst fünfzig Stunden vergangen.« »Nun, wir wußten schon vorher einiges über Sie und Ihren Planeten. Es gibt hier eine größere Kolonie von Gilgameschern. Auch auf Tanith haben Sie eine Anzahl davon, nicht wahr? Und was ein Gilgamescher weiß, wissen alle, und unsere arbeiten eng mit
unserem Nachrichtendienst zusammen.« Das war wohl der Grund, warum Dunnan die Gilgamescher mied. Zweifelsohne war es das, was Zaspar Makann meinte, als er gegen die interstellare Verschwörung der Gilgamescher zu Felde zog. »Mir ist klar, inwieweit ein solches Arrangement für beide Seiten von Vorteil sein würde. Ich wäre durchaus dafür. Zusammenarbeit gegen Dunnan natürlich und gegenseitige Einräumung von Handelsrechten bei unseren Partnern, und direkter Handel zwischen Marduk und Tanith; Beowulf und Amaterasu würden noch dazukommen. Findet dies auch die Zustimmung des Premierministers und des Königs?« »Freund Mikhyl ist dafür; es gibt einen Unterschied zwischen ihm und dem König, wie Sie sicher bemerkt haben. Der König kann sich für nichts aussprechen, bevor die Versammlung oder der Kanzler ihre Meinung äußern. Auch Fürst Vandarvant ist persönlich dafür; als Premierminister behält er sich seine Stellungnahme noch vor. Wir werden uns um die Unterstützung der Loyalisten-Partei bemühen müssen, bevor wir uns eindeutig festlegen können.« Ganz inkognito kam an diesem Abend der Premierminister zu Cragdale, begleitet von mehreren Führern der Loyalisten-Partei. Im Prinzip stimmten sie alle einem Vertrag mit Tanith zu. In politischer Hinsicht hatten sie Zweifel. Nicht vor den Wahlen;
das war ein zu kontroverses Thema. »Kontrovers« war, wie es schien, auf Marduk das schlimmste Etikett, das man einem politischen Vorhaben anhängen konnte. Es würde die Wähler der Arbeiterpartei beeinflussen; sie würden befürchten, daß eine Steigerung der Importe ihre Arbeitsplätze gefährden könnte. Zaspar Makanns Partei protestierte bereits flammend dagegen, daß die Nemesis in Werkstätten der königlichen Flotte wieder instandgesetzt wurde. Und mehrere Mitglieder der Volksversammlung, die zu Makann hin tendierten, hatten eine Resolution eingebracht, in der sie ein Kriegsgerichtsverfahren gegen Prinz Bentrik und eine Untersuchung der Loyalität von Admiral Shefter forderten. Und jemand anderer, wahrscheinlich ein Strohmann Makanns, behauptete, Bentrik habe die Victrix den RaumWikingern verkauft und daß die Filme von der Schlacht von Audhumla gefälscht, auf der Mondbasis hergestellte Trick-Aufnahmen seien. Admiral Shefter tat letzteres, als Trask ihn am nächsten Tag aufsuchte, verächtlich ab. »Kümmern Sie sich nicht darum; so etwas haben wir vor jeder Wahl. Auf diesem Planeten kann man jederzeit unbeschadet auf die Gilgamescher oder auf die Armee eindreschen; beide haben weder Wählerstimmen, noch können sie zurückschlagen. Das ganze wird am Tag nach der Wahl vergessen sein. So ist es immer.«
»Das heißt, wenn Makann nicht gewinnt«, sagte Trask. »Ganz gleich, wer die Wahl gewinnt. Ohne die Flotte können sie alle nicht auskommen, und das wissen sie ganz genau.« Trask wollte wissen, ob der Nachrichtendienst irgendwelche Informationen habe. »Nicht darüber, woher Dunnan wußte, daß die Victrix nach Audhumla beordert worden war, nein«, sagte Shefter. »Das war auch gar kein Geheimnis; mindestens tausend Leute, bei mir angefangen bis hinunter zu Schuhputzern, konnten davon wissen, sobald der Befehl ausgefertigt war. Wir werden hier etliche Jalousien herunterlassen müssen. Was die Liste von Schiffen anbelangt, die Sie mir gaben, ja. Eines davon kam regelmäßig auf diesen Planeten; erst gestern ist es wieder gestartet. Die Honest Horris.« »Großer Satan! Haben Sie denn nichts unternommen?« »Ich glaube nicht, daß wir etwas hätten tun können. Oh, wir untersuchen die Dinge, aber ... Sehen Sie, das Schiff ist in letzter Zeit durch viele Hände gegangen. Vor ein paar Jahren war es unter dem Kommando eines gewissen Horris Sasstroff hier. Sein Zustand war so schlecht, daß es nicht mehr starten konnte. Sasstroff war nicht in der Lage, die Reparatur zu bezahlen, und wir mußten es pfänden. Dann wur-
de es von einer kleinen Gesellschaft zur anderen verkauft und landete schließlich bei der Startraders Ltd. auf Gimli. Scheint eine ordentliche Gesellschaft zu sein, aber wir untersuchen das Ganze. Wir suchen auch nach Sasstroff, konnten ihn allerdings noch nicht finden.« »Wenn Sie ein Schiff auf Gimli schicken, dann können Sie feststellen, was man dort über die Honest Horris weiß. Vielleicht werden Sie entdecken, daß sie überhaupt niemals dort war.« »Das könnte schon sein«, räumte Shefter ein. »Wir gehen der Sache nach.« Innerhalb weniger Tage wußte jedermann auf Marduk, daß ein Vertrag mit Tanith im Gespräch war. Wenn nicht, war es nicht die Schuld von Zaspar Makanns Partei, die eine beunruhigend große Anzahl von Fernsehstationen zu kontrollieren schien und im Äther Schauergeschichten von Grausamkeiten der RaumWikinger und Anschuldigungen gegen wohlweislich nicht genannter Verräter in der Umgebung des Königs und des Kronprinzen verbreiteten. Die Indiskretion kam offenbar nicht von Cragdale, denn man nahm allgemein an, daß Trask noch im königlichen Palast in Malverton sei. Zumindest fanden dort die Demonstrationen der Makannisten gegen ihn statt. Er sah sich so eine Demonstration auf dem Bildschirm an. Die Kame-
ra war offenbar auf einer der Landebühnen des Palastes postiert und hatte den ganzen Park im Blickfeld. Eine dichte Menschenmenge brandete gegen den dünnen Polizeikordon an. Die vorderen Reihen der Menge nahmen sich wie ein Schachbrett aus – eine Gruppe in Zivilkleidung, dann eine Gruppe in den seltsam weibisch anmutenden Uniformen von Zaspar Makanns Volksgarde, dann wieder andere in gewöhnlicher Kleidung, dann wieder Volksgarde. Über den Köpfen schwebten kleine Antigravitationsboote, aus deren Lautsprechern es rhythmisch dröhnte: »RAUS MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN, RAUS MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN!« Die Polizei verharrte bewegungslos; der Mob kam näher. Als er noch fünfzig Meter entfernt war, rannten die Volksgardisten nach vorn und verteilten sich dann, bis sie eine sechs Mann tiefe, sich über die ganze Front erstreckende Linie bildeten. Andere Gruppen kamen von hinten und stießen die nicht uniformierten Demonstranten beiseite. Obwohl sie ihm mit jeder Sekunde widerwärtiger waren, konnte Trask nicht umhin, ihrem geschickten, diszipliniert ausgeführten Manöver Anerkennung zu zollen. Wie lange sie diese Taktik wohl gedrillt hatten? Jetzt stürmten sie weiter auf die Polizei zu. »RAUS MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN, RAUS MIT DEN RAUM-WI-KIN-GERN!«
»Feuer!« hörte er sich schreien. »Laßt sie nicht näherkommen; feuert jetzt!« Aber die Polizisten hatten nichts, womit sie hätten feuern können, nur Knüppel, nicht besser als die der Volksgardisten. Nach kurzem Schlagwechsel verschwanden sie einfach in der Menge, und Makanns Truppe stürmte weiter. Alles war sehr schnell gegangen. Die Palasttore wurden zugemacht; die Menge schloß zu der Phalanx von Makanns Volksgardisten auf und kam zum Stehen. Die Lautsprecher brüllten weiter ihren rhythmischen Chor. »Diese Polizisten wurden ermordet«, sagte Trask. »Ermordet von dem Mann, der sie unbewaffnet dort hinaus geschickt hat.« »Das wäre ja Graf Naydnayr, der Sicherheitsminister«, sagte jemand fast vorwurfsvoll. »Dann müßte eben er dafür gehängt werden.« »Aber was hätten Sie denn getan?« fragte Kronprinz Edvard. »Ich hätte fünfzig Kampfwagen hingeschickt. Dann hätte ich eine Grenze angegeben, die niemand überschreiten durfte, und im Zuwiderhandlungsfalle sofort das Feuer eröffnet. Dann hätte ich weitere Kampfwagen hinausgeschickt und jeden erschießen lassen, der die Uniform der Volksgardisten trägt. Innerhalb von achtundvierzig Stunden gäbe es keine
Wohlfahrtspartei mehr, und auch keinen Zaspar Makann.« Der Kronprinz erstarrte. »Vielleicht sind das Ihre Methoden in den Schwert-Welten, Fürst Trask, aber nicht unsere auf Marduk. Unsere Regierung hat nicht die Absicht, das Blut des eigenen Volkes zu vergießen.« Er war schon versucht zu antworten, daß in diesem Falle zuletzt das Blut der Regierung vergossen würde. Statt dessen sagte er ruhig: »Tut mir leid, Prinz Edvard. Sie haben eine wunderbare Zivilisation hier auf Marduk. Sie hätten fast alles daraus machen können. Aber jetzt ist es zu spät. Die Dämme sind gebrochen, die Barbaren sind da.«
5 Die vielfarbige Turbulenz wich dem Grau des Hyperraums; fünfhundert Stunden bis Tanith. Guatt Kirbey verschloß sein Steuerpult, glücklich, sich seiner Musik zuwenden zu können. Vann Larch würde jetzt Zeit haben für Pinsel und Farbe, und Alvyn Karffard für das Modell, an dem er baute, seit die Nemesis Audhumla verlassen hatte. Trask ging das Verzeichnis der Schiffsbibliothek durch und drückte auf den Knopf für Geschichte, alte terranische. Davon war genügend vorhanden, dank Otto Harkaman. Dann sah er nach unter Hitler, Adolf. Harkaman hatte recht; alles, was in einer menschlichen Gesellschaft möglich war, hatte sich, irgendwo und zu irgendeiner Zeit in der einen oder anderen Form bereits ereignet. Hitler konnte ihm helfen, Zaspar Makann zu verstehen. Als die gelbe Sonne Taniths in der Mitte des Schirmbilds stand, wußte er eine Menge über Hitler – gelegentlich auch Schicklgruber genannt – und er begriff mit Bedauern, auf welche Weise das Licht der Zivilisation auf Marduk erlosch. Neben der Lamia waren auch die Geißel des Weltraums und die Königin Flavia auf Patrouille. Etwa ein halbes Dutzend anderer Schiffe war auf einer Umlaufbahn: Ein Gilgamescher,
ein Frachter, ein paar Raum-Wikinger und ein neues unbekanntes Schiff. Als er die Mondbasis fragte, um wen es sich handle, erfuhr er, es sei die Sonnengöttin von Amaterasu. Harkaman war die der Corisande auf Handelsfahrt. Er suchte seinen Cousin Nikkolay Trask in Rivington auf. Als er sich nach Traskon erkundigte, fluchte Nikkolay. »Ich weiß nichts von Traskon; ich habe nichts mehr damit zu tun. Traskon ist jetzt das persönliche Eigentum unserer geliebten – vielgeliebten – Königin Evita. Die Trasks besitzen jetzt auf Gram nicht einmal mehr genügend Land für ein Familiengrab. Siehst du, was du angerichtet hast?« fügte er bitter hinzu. »Laßt gut sein, Nikkolay. Wenn ich auf Gram geblieben wäre, hätte ich Angus mit auf den Thron geholfen, und am Ende wäre alles genauso gekommen.« »Es könnte sehr viel anders sein«, sagte Nikkolay. »Du könntest mit deinen Männern zurück nach Gram gehen und selbst den Thron besteigen.« »Nein; nach Gram gehe ich nie zurück; Tanith ist jetzt mein Planet. Aber ich werde Angus die Gefolgschaft aufkündigen. Ich kann genau so gut mit Morglay oder Joyeuse oder Flamberge Geschäfte machen.« »Das wird nicht nötig sein; du kannst auch mit Newhaven und Bigglersport Handel treiben. Graf Lionel und Herzog Joris lehnen sich gegen Angus
auf, sie weigern sich, ihm Leute zur Verfügung zu stellen, haben seine Steuereinnehmer vertrieben, bauen ihre eigenen Schiffe. Auch Angus baut Schiffe. Ich weiß nicht, ob er sie gegen Bigglersport und Newhaven oder gegen dich verwenden wird, aber so viel ist sicher: Es wird Krieg geben, bevor noch ein Jahr vergeht.« Die Goodhope und die Speedwell, stellte er fest, waren nach Gram zurückgekehrt. Sie standen unter dem Kommando von Männern, die sich neuerdings der Gunst König Angus' erfreuten. Die Black Star und die Königin Flavia – deren Kapitän einen Befehl von Gram mißachtet hatte, sie in Königin Evita umzutaufen – waren geblieben. Sie waren seine Schiffe, nicht König Angus'. Der Kapitän des Frachters aus Wardshaven weigerte sich, Fracht für Newhaven aufzunehmen; er war von König Angus gechartert worden und nahm von niemand anderem Befehle an. »Gut«, sagte Trask. »Das war Ihre letzte Reise hierher. Wenn dieses Schiff noch einmal unter der Charter von Angus von Wardshaven erscheint, eröffnen wir das Feuer.« Dann ließ er die Regalia, die er bei seiner letzten Televisor-Botschaft an Angus getragen hatte, abstauben. Zunächst hatte er beabsichtigt, sich zum König von Tanith zu erklären. Lord Valpry, Baron Rathmore und sein Cousin sprachen sich dagegen aus.
»Beschränken Sie sich darauf, sich Fürst von Tanith zu nennen«, sagte Valpry. »Der Titel hat keinen Einfluß auf Ihre Autorität hier, und wenn Sie Anspruch auf den Thron von Gram erheben, kann niemand sagen, Sie seien ein fremder König, der den Planeten zu annektieren versuche.« Also setzte er sich als Fürst von Tanith auf seinen Thron und kündigte »Angus von Wardshaven, dem selbsternannten König von Gram« die Gefolgschaft auf. Sie schickten das Band mit dem im übrigen leeren Frachter. Als Harkaman von seiner Fahrt zurückkehrte, billigte er Trasks Verhalten gegenüber König Angus. »Wir können auch ohne die Schwert-Welten auskommen. Wir haben unsere eigene Industrie, die alles herstellt, was wir brauchen, und können mit Beowulf und Amaterasu, mit Xochitl, Jagannath und Hoth Geschäfte machen, wenn wir zu einer Übereinkunft mit ihnen kommen. Alle müssen sich bereiterklären, die Handelspartner der anderen in Frieden zu lassen. Zu dumm, daß du mit Marduk keine Übereinkunft erzielen konntest.« Harkaman bedauerte das sekundenlang und zuckte dann die Achseln. »Unsere Enkel werden wahrscheinlich Marduk plündern.« »Siehst du so schwarz?« »Du nicht? Du warst dort; und du hast gesehen,
was los ist. Die Barbaren kommen nach oben, sie haben einen Führer und halten zusammen. Jede Gesellschaft hat eine barbarische Grundlage. Die Leute, welche die Zivilisation nicht verstehen, und denen sie nicht gefiele, wenn sie es täten. Die Mitläufer. Die Unkreativen, die nicht schätzen, was andere für sie geschaffen haben, und die glauben, daß Zivilisation einfach selbstverständlich sei und daß sie sich nur an dem zu erfreuen brauchen, was sie begreifen – Luxus, ein hoher Lebensstandard und leichte Arbeit für hohen Lohn. Verantwortung? Pah! Wozu haben sie denn eine Regierung?« Trask nickte. »Und jetzt glauben die Mitläufer, sie verstehen mehr von der Maschine als die, die sie entworfen haben. Also nehmen sie jetzt alles selbst in die Hand. Makann sagt, daß sie es können, und er ist der Führer. Trotzdem verstehe ich das Ganze einfach nicht. Auf unserem Heimweg las ich über Hitler. Wenn Makann die entsprechende Literatur gelesen hätte, würde mich das absolut nicht wundern. Er bedient sich sämtlicher seiner Tricks. Aber Hitler kam in einem Land an die Macht, das durch eine militärische Niederlage verarmt war. Marduk hat seit fast zwei Generationen keinen Krieg geführt, und der letzte war eine Farce.« »Es war nicht der Krieg, der Hitler an die Macht brachte. Es war die Tatsache, daß die herrschende
Klasse einer Nation diskreditiert wurde. Die Massen hatten niemand, der für sie die Verantwortung übernehmen konnte. Was sie auf Marduk haben, ist eine herrschende Klasse, die sich selbst diskreditiert hat. Eine herrschende Klasse, die sich ihrer Privilegien schämt und sich um ihre Verpflichtungen drückt. Eine herrschende Klasse, die allmählich glaubt, die Massen seien ebenso gut wie sie, was sie in Wirklichkeit keineswegs sind. Und eine herrschende Klasse, die keine Gewalt anwenden wird, um ihre Position zu erhalten. Und sie haben eine Demokratie und lassen es zu, daß die Feinde der Demokratie sich mit demokratischen Mäntelchen maskieren.« »Auf den Schwert-Welten gibt es so etwas nicht«, sagte Lucas. »Und unsere herrschende Klasse schämt sich nicht ihrer Macht, und unser Volk setzt sich nicht aus Mitläufern zusammen, und solange man es gut behandelt, wird es nicht versuchen, selbst an die Macht zu gelangen. Und trotzdem steht nicht alles zum Besten.« Harkaman nickte. »Weißt du warum? Unsere Herrscher sind die Barbaren unter uns. Nicht einer von ihnen – Napolyon von Flamberge, Rodolf von Excalibur oder Angus von etwa der Hälfte von Gram – fühlt sich wirklich der Zivilisation verpflichtet, und das ist das Kennzeichen eines Barbaren.« »Und wem fühlst du dich verpflichtet, Otto?«
»Dir. Du bist mein Häuptling. Auch ein Kennzeichen eines Barbaren.« Bevor er Marduk verließ, hatte Admiral Shefter ein Schiff auf Gimli geschickt, das Nachforschungen über die Honest Horris anstellen sollte; ein paar Männer in einem kleineren Boot sollten dort bleiben, um mit etwa von Tanith kommenden Schiffen Verbindung aufzunehmen. Trask sandte Valkanhayn mit der Geißel des Weltraums dorthin. Als sie wieder von Gimli zurückkamen, berichtete Valkanhayn, daß dort niemand je etwas von der Honest Horris gehört hatte. Sie hatten das hauptsächlich mit Offizieren besetzte mardukanische Schiff getroffen. Ihren Aussagen zufolge waren die Nachforschungen nach der Honest Horris an einem toten Punkt angekommen. Ihre Eigentümer behaupteten – und konnten an Hand von Dokumenten beweisen –, daß sie es einem Privatunternehmer verchartert hätten, der seinerseits behauptete und beweisen konnte, ein Bürger der planetarischen Republik von Aton zu sein; sobald sie ihn befragen wollten, nahm er Zuflucht beim atonianischen Botschafter, der sofort dem mardukanischen Außenministerium eine Protestnote schickte. Die Wohlfahrtspartei hatte sich sogleich des Falles bemächtigt und die Untersuchung als willkürliche Verfolgung eines Angehörigen einer befreundeten Nation
gebrandmarkt, hinter der korrupte Werkzeuge der interstellaren Verschwörung von Gilgamesch steckten. »So steht es nun«, schloß Valkanhayn. »Offenbar haben sie Wahlen und wollen es mit niemandem verderben, der eine Stimme zu vergeben hat. Also mußte die Untersuchung gestoppt werden. Auf Marduk hat alles Schiß vor diesem Makann. Glaubst du, er und Dunnan könnten unter einer Decke stecken?« »Daran habe ich in der Tat schon gedacht. Sind seit der Schlacht von Audhumla noch irgendwelche von Marduks Handelspartnern überfallen worden?« »Ein paar. Die Bolide war vor nicht allzu langer Zeit auf Audhumla. Mehrere mardukanische Schiffe waren dort, die Victrix war inzwischen wieder kampffähig gemacht worden. Die Bolide wurde vertrieben.« So schickte er Harkaman in der Corisande und Ravallo in der Black Star aus, um nach Dunnans Schiffen zu forschen und der königlich mardukanischen Flotte beizustehen. Weniger als tausend Stunden nach seinem Start war Ravallo mit der Black Star wieder zurück. »Ich fuhr nach Gimli und traf dort ein mardukanisches Schiff. Es hatte Neuigkeiten für Sie, und ein paar Passagiere.« »Passagiere?« »Ja. Sie werden sehen, wer es ist, wenn sie herunterkommen.« Die Besucher waren Lucile, Prinzessin Bentrik und
ihr Sohn, der junge Graf von Ravary. Sie speisten mit Trask; nur Kapitän Ravallo war noch dabei. »Ich wollte meinen Mann nicht verlassen und Ihnen hier nicht zur Last fallen, Fürst Trask«, begann sie, »aber er bestand darauf. Während der ganzen Reise bis Gimli mußten wir uns in den Räumen des Kapitäns verbergen; nur ein paar von den Offizieren wußten, daß wir an Bord waren.« »Makann hat die Wahlen gewonnen, ist es das?« fragte er. »Und Prinz Bentrik will nicht riskieren, daß Sie und Steven zu Geiseln gemacht werden?« »So ist es«, sagte sie. »Richtig gewonnen hat er die Wahlen nicht, aber es läuft auf dasselbe hinaus. Niemand hat im Repräsentantenhaus eine Mehrheit, aber er hat mit einigen der Splitterparteien eine Koalition gebildet. Ich schäme mich zu sagen, daß er auch die Unterstützung einiger Loyalisten hat.« »Und abgesehen vom Repräsentantenhaus?« fragte Trask. »Mit den Splitterparteien und einigen abtrünnigen Loyalisten hat er auch eine Mehrheit im Delegiertenhaus. Noch vor einem Monat hätten die meisten entrüstet verneint, irgend etwas mit Makann zu tun zu haben, aber hundert von einhundertzwanzig unterstützen ihn jetzt. Makann ist natürlich Kanzler.« »Und wer ist Premierminister?« fragte er. »Andray Dunnan?«
Einen Augenblick lang sah sie ihn etwas verblüfft an und sagte dann: »Nein, nein. Premierminister ist Kronprinz Edvard. Nein; Baron Cragdale. Er glaubt ehrlich, die Wahl sei der Ausdruck des Volkswillens und daß es seine Pflicht sei, sich ihm zu beugen.« Trask fragte, ob die Volksgardisten jetzt öffentlich Waffen trügen. »O ja. Sie hatten ganz recht; sie waren die ganze Zeit bewaffnet, verfügten sogar über Kampfwagen und schwere Artillerie. Nach der Bildung der neuen Regierung erhielten sie Armee-Status. Sie haben sämtliche Polizeistationen auf dem Planeten übernommen.« »Und der König?« »Ach, der macht weiter, zuckt die Achseln und sagt: ›Ich bin nur der König‹. Was könnte er sonst auch tun? In den letzten dreihundert Jahren haben wir die Macht des Throns immer mehr beschnitten.« »Was macht Prinz Bentrik? Und warum befürchtet er, daß man Sie beide als Geiseln nehmen könnte?« »Er wird kämpfen«, sagte sie. »Fragen Sie mich nicht wie oder womit. Vielleicht als Guerilla in den Bergen, ich weiß es nicht. Ich wollte bei ihm bleiben und ihm helfen. Er aber erklärte mir, ihm sei am besten geholfen, wenn Steven und ich ein Gebiet verließen, wo er beständig um uns besorgt sein müßte.« »Ich wollte bleiben«, sagte der Junge. »Ich hätte bei ihm kämpfen können. Aber er sagte, ich müsse mich
um Mutter kümmern. Und wenn er getötet würde, müsse ich ihn rächen.« »Wie geht es der kleinen Prinzessin Myrna?« fragte Trask, und dann, nach kurzem Zögern – »und Lady Valerie?« Er sah sie ganz nahe vor sich, mit ihren blauen Augen und ihrem tiefschwarzen Haar, wirklicher als Elaine seit Jahren für ihn gewesen war. »Sie sind in Cragdale; dort dürften sie sicher sein. Ich hoffe es jedenfalls.«
6 Als Gastgeber ließ Trask ein wenig zu wünschen übrig. Freilich, er hatte Sorgen, und alle trugen denselben Namen: Fürst Viktor von Xochitl. Gilgamescher hatten die Nachricht gebracht, Viktor baue eine starke Flotte auf. Er hatte einmal mit Viktor gesprochen; der Herr von Xochitl hatte sich unverbindlich, ja feindselig gezeigt. Xochitl lag tausend Lichtjahre von Tanith entfernt. Trask verwarf den Gedanken an einen Präventivschlag; es war möglich, daß seine Schiffe Xochitl unverteidigt vorfanden, um dann auf ein völlig verwüstetes Tanith zurückkehren zu müssen. Solche Dinge waren in Raumkriegen schon vorgekommen. Es gab nur eines: Wachsam zu bleiben und Tanith zu verteidigen, falls Viktor es angriff, um dann zum Gegenangriff zu schreiten, sofern noch brauchbare Schiffe übrig waren. Fürst Viktor stellte möglicherweise die gleichen Überlegungen an. Er hatte jetzt keine Zeit mehr, an Andray Dunnan zu denken. Mehr und mehr wünschte er, Harkaman würde die Suche nach ihm aufgeben und mit der Corisande zurückkehren. Er brauchte das Schiff auf Tanith, und er brauchte den Verstand und den Mut seines Kommandeurs.
Weitere Nachrichten kamen von Xochitl. Nur zwei Schiffe, beides bewaffnete Frachter, befanden sich auf dem Planeten. Fürst Viktor hatte mit dem Rest den Planeten verlassen – etwa zweitausend Stunden bevor die Nachricht Trask erreichte. Das war zweimal so lange, als die Armada von Xochitl gebraucht hätte, um Tanith zu erreichen. Auch auf Beowulf war er nicht, das war nur fünfundsechzig Stunden von Tanith entfernt, und sie hätten längst darüber gehört. Das gleiche galt für Amaterasu oder Khepera. Wieviele Schiffe Viktor hatte, war ungewiß; sicher nicht weniger als fünf, vielleicht sogar mehr. Er hätte sich in das Tanith-System einschleichen und seine Schiffe auf einem der äußeren unbewohnbaren Planeten verstecken können. Doch war dies nicht der Fall, wie Valkanhayn und Ravallo feststellten. Zumindest lauerte Viktor von Xochitl nicht in ihrem eigenen Planetensystem auf eine Gelegenheit zum Angriff. Aber irgendwo war er und führte bestimmt nichts Gutes im Schilde. Man konnte nur warten. Trask war zuversichtlich, daß er ihm einen höllisch heißen Empfang bereiten konnte. Er hatte die Nemesis, die Geißel des Weltraums, die Black Star und die Königin Flavia, daneben die Lamia und mehrere unabhängige RaumWikinger-Schiffe, darunter die Damnthing seines Freundes Roger-fan-Morvill Esthersan, der darauf bestanden hatte, zu bleiben und ihm bei der Verteidi-
gung beizustehen. Natürlich nicht aus bloßem Altruismus. Wenn Viktor angriff und seine Flotte vernichtet wurde, würde Xochitl ungeschützt sein, und es gab genug Beute auf dem Planeten, um sämtliche Schiffe damit zu füllen. Sämtliche Schiffe, die nach der Schlacht von Tanith noch übrig waren, natürlich. Entschuldigend sagte Trask zur Prinzessin Bentrik: »Tut mir sehr leid, daß Sie von Zaspar Makanns Regen in Fürst Viktors Traufe geraten sind«, begann er. Sie lachte. »Wir werden ja sehen. An Schirm und Schutz scheint es mir hier nicht zu mangeln. Wenn es zum Kampf kommt – werden Sie dafür sorgen, daß Steven an einem sicheren Ort ist?« »Bei einem Raumangriff gibt es keine sicheren Orte. Ich werde ihn bei mir behalten.« Der junge Graf von Ravery wollte wissen, auf welchem Schiff er dienen würde, wenn der Angriff käme. »Auf gar keinem Schiff, Graf, Sie werden zu meinem Stab gehören.« Zwei Tage später kam die Corisande aus dem Hyperraum. Auf dem Televisorschirm drückte sich Harkaman betont vorsichtig aus. Trask nahm ein Landeboot und flog zu dem Schiff hinaus. »Marduk mag uns nicht mehr«, erklärte ihm Harkaman. »Sie haben Schiffe auf allen ihren Partnerplaneten, und alle haben Befehl, auf jeden – ich wiederho-
le, auf jeden – Raum-Wikinger zu feuern, einschließlich der Schiffe des selbsternannten Fürsten von Tanith. Ich habe das von Kapitän Garravay von der Vindex. Nach unserem Gespräch gab es einen netten kleinen Kampf Schiff gegen Schiff, damit er filmen konnte. Auf diese Weise wird niemand auf unerwünschte Gedanken kommen.« »Dieser Befehl kam von Makann?« »Vom kommandierenden Admiral. Es ist nicht dein Freund Shefter. Shefter trat aus ›Gesundheitsgründen‹ zurück. Jetzt ist er in einem ›Hospital‹.« »Wo ist Prinz Bentrik?« »Das weiß kein Mensch. Er wurde des Hochverrats beschuldigt und verschwand einfach. Verschwand im Untergrund, oder wurde heimlich verhaftet und exekutiert; du kannst es dir aussuchen.« Trask fragte sich, was er Prinzessin Lucile und Graf Steven sagen sollte. »Sie haben Schiffe auf allen ihren Partnerplaneten. Vierzehn im ganzen. Aber ihr Ziel ist nicht, Dunnan zu fangen. Sie wollen die Flotte von Marduk weghaben. Sie vertrauen der Flotte nicht mehr. Ist Prinz Edvard noch Premierminister?« »Nach den letzten Informationen ja. Wie es scheint, hält sich Makann peinlich genau an das Gesetz, abgesehen davon, daß er seine Volksgardisten in die Armee eingebracht hat. Er beteuert seine Ergebenheit
gegenüber dem König, wann immer er den Mund aufmacht.« »Und wann wird das Feuerwerk losgehen?« »Wie? Ach ja, du hast über Hitler gelesen. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich ist es schon passiert.« Dreitausend Stunden waren vergangen, seit die erste Warnung Tanith erreicht hatte. Das bedeutete, daß es fünftausend Stunden her war, seit Viktors Schiffe vermutlich Xochitl verlassen hatten. Manche, darunter Valkanhayn, bezweifelten jetzt, ob das überhaupt stimmte. »Das Ganze ist nichts als eine Lüge der Gilgamescher«, erklärte er. »Irgend jemand hat sie bezahlt, damit sie uns das andrehen und unsere Schiffe hier festsetzen. Oder, die Gilgamescher haben die Sache selbst erfunden, um freie Hand bei unseren Partnerplaneten zu bekommen.« Vier Tage später näherte sich eine HyperraumYacht mit dem Wappen von Bigglersport. Sobald sie den letzten Mikrosprung hinter sich hatte, meldete sie sich über Televisor. Trask kannte den Mann nicht, der auf dem Bildschirm erschien, doch Hugh Rathmore wußte, wer er war: Herzog Joris' Geheimsekretär. »Fürst Trask, ich muß Sie so bald wie möglich sprechen«, begann er fast stotternd. Wie dringend seine
Mission auch sein mochte, man hätte gewiß vermutet, daß er nach einer Reise von dreitausend Stunden seine Erregtheit ein wenig abgelegt haben würde. »Es ist von größter Wichtigkeit.« »Sie sprechen mit mir selbst. Diese TelevisorVerbindung ist ausreichend sicher. Wenn es von größter Wichtigkeit ist, dann sollten Sie mir so bald wie möglich ...« »Fürst Trask, Sie müssen nach Gram kommen, mit jedem Mann und jedem Schiff, das Sie aufbringen können. Nur der Satan weiß, was jetzt dort los ist, aber vor dreitausend Stunden, als der Herzog mich aussandte, landete Omfray von Glaspyth in Wardshaven. Er hat eine Flotte von acht Schiffen, bereitgestellt vom König von Haulteclere, einem Verwandten seiner Frau. Kommandiert werden sie von König Konrads Cousin, dem Fürsten von Xochitl.« Dann kam ein Ausdruck schockierter Überraschung in das Gesicht des Mannes auf dem Bildschirm, und Trask wunderte sich, bis, er bemerkte, daß er sich in seinem Stuhl zurückgelehnt hatte und schallend lachte. Bevor er sich entschuldigen konnte, hatte der Mann auf dem Schirm wieder die Sprache gefunden. »Ich weiß, Fürst Trask; Sie haben keinen Grund, viel von König Angus zu halten – dem früheren König Angus, oder dem möglicherweise bereits verstor-
benen König Angus –, aber ein blutrünstiger Mörder wie Omfray von Glaspyth ...« Es dauerte eine ganze Weile, bis er dem Geheimsekretär des Herzogs von Bigglersport die Komik der Situation erklärt hatte. Noch andere gab es in Rivington, die sie nicht auf der Stelle verstanden. Die berufsmäßigen RaumWikinger, Männer wie Valkanhayn, Ravallo und Alvyn Karffard waren wütend. Monatelang waren sie nun gefechtsbereit hier gesessen und hätten ganz Xochitl kassieren können, wenn sie das nur gewußt hätten. Die Leute von Gram waren entsetzt. Angus von Wardshaven war schlimm genug gewesen, aber selbst er war immer noch besser als ein schurkischer Mordbube – manche nannten ihn sogar einen Teufel in Menschengestalt – wie Omfray von Glaspyth. Beide Gruppen hatten natürlich ihre feste Vorstellung darüber, was Fürst Trask jetzt zu tun hatte. Die Raum-Wikinger bestanden darauf, daß alles, was auf Tanith hyperraum-fähig war, sofort zum Xochitl geschickt werden solle, um von dort alles zu holen bis auf ein paar absolut unbewegliche Teile der Natur. Die Leute vom Gram forderten ebenso leidenschaftlich und laut, daß jeder, der irgendwie eine Waffe halten konnte, unverzüglich auf einen Kreuzzug zur Befreiung Grams gesandt werde. »Du bist wohl für keines von beiden?« fragte ihn
Harkaman, als sie nach zwei Tagen Auseinandersetzung endlich allein waren. »Nifflheim, nein, wenn wir Xochitl angriffen – weißt du, was dann passieren würde?« Harkaman schwieg. »Innerhalb eines Jahres würden sich vier oder fünf von diesen kleinen Planetenherrschern wie Gratham oder die Everrards gegen uns verbünden und einen Aschenhaufen aus Tanith machen.« Harkaman nickte zustimmend. »Seit wir ihn zum erstenmal gewarnt haben, haben Viktors Schiffe unsere Planeten in Frieden gelassen. Wenn wir jetzt, ohne direkt provoziert worden zu sein, Xochitl angriffen, würde niemand mehr wissen, was er von uns zu erwarten hat. Leute wie Nicky Gratham oder die Everrards von Hoth werden nervös, wenn sie die Lage nicht mehr durchschauen, und wenn sie nervös sind, werden sie schießwütig.« Er zog nachdenklich an seiner Pfeife und meinte dann: »Dann machst du dich also jetzt auf den Weg nach Gram.« »Das ist damit noch nicht gesagt; wenn Valkanhayn und Ravallo und diese Leute unrecht haben, dann heißt das noch nicht, daß Valpry, Rathmore und Ffayle deswegen recht haben. Du weißt noch, was ich denen am Tag unserer ersten Begegnung in Karvall House sagte. Du hast die Entwicklung gesehen, die Gram inzwischen genommen hat. Otto, die SchwertWelten haben keine Zukunft mehr; sie sind jetzt
schon halb entzivilisiert. Hier auf Tanith – hier lebt und wächst die Zivilisation. Ich möchte hierbleiben und ihr dabei helfen.« »Hör zu, Lucas«, sagte Harkaman. »Du bist Fürst von Tanith, und ich bin nur dein Admiral. Aber ich sage dir eines: Du mußt etwas unternehmen, sonst fällt hier alles auseinander. Wie die Dinge stehen, kannst du Xochitl angreifen, und die Zurück-aufGram-Partei würde mitziehen. Oder du kannst dich für diesen Kreuzzug gegen Omfray von Glaspyth entscheiden, und die Anti-Xochitl-Partei macht noch mit. Läßt du aber die Dinge weiter so treiben, dann wirst du bald auf keine der beiden Fraktionen mehr Einfluß haben.« »Und dann ist es aus mit mir. Und in wenigen Jahren wird es auch aus mit Tanith sein.« Er stand auf und ging erregt im Raum hin und her. »Nein, ich werde Xochitl nicht angreifen. Ich habe dir erklärt, warum, und du hast zugestimmt. Und ich werde auch nicht Taniths Männer, Schiffe und wirtschaftliche Kraft in irgendeine dynastische Auseinandersetzung der Schwert-Welt werfen. Großer Satan, Otto; du warst im DurendalKrieg. Das ist genau das gleiche, und es wird noch ein halbes Jahrhundert so weitergehen.« »Was also willst du tun?« »Wer mich hierher geführt hat, war Andray Dunnan, nicht wahr?« fragte er.
»Ich fürchte, weder Ravallo noch Valpry, ja nicht einmal Valkanhayn oder Morland dürften so interessiert an Dunnan sein wie du.« »Dann werde ich eben ihr Interesse wecken. Wie du weißt, habe ich mich auf der Fahrt von Marduk hierher mit Hitler beschäftigt. Ich werde ihnen allen eine große Lüge auftischen. Eine Lüge, so groß, daß niemand sich unterstehen wird, sie nicht zu glauben.«
7 »Glauben Sie denn, ich hätte Angst vor Viktor von Xochitl?« fragte er. »Ein halbes Dutzend Schiffe; zusammen mit dem, was wir hier haben, könnten wir einen neuen Van-Allen-Gürtel um Tanith herum damit einrichten. Unser wahrer Feind sitzt auf Marduk, nicht auf Xochitl; sein Name ist Zaspar Makann. Zaspar Makann und Andray Dunnan, der Mann, den ich von Gram aus verfolgte; sie haben sich verbündet, und ich nehme an, daß Dunnan jetzt selbst auf Marduk ist.« Die Delegation, die mit der Yacht des Herzogs von Bigglersport von Gram gekommen war, war nicht beeindruckt. Marduk war für sie nur ein Name, einer der legendären zivilisierten Planeten der Alten Föderation, die kein Schwert-Weltler jemals gesehen hatte. Zaspar Makann war nicht einmal das. Und auf Gram hatte sich seit der Ermordung Elaine Karvalls und der Kaperung der Enterprise so viel ereignet, daß sie Dunnan völlig vergessen hatten. Paytrik Morland, auf Gram geboren, hatte sich bisher für den Kampf gegen Omfray von Glaspyth ausgesprochen. Jetzt änderte er seinen Standpunkt. Er war auf Marduk gewesen und wußte, wer Zaspar Makann war. Viele Offiziere der Königlichen Flotte
waren seine Freunde geworden, und der Gedanke, daß sie jetzt Feinde waren, schockierte ihn. Auch Manfred Ravallo und Boake Valkanhayn begannen nun, Trasks These zuzuneigen. Natürlich mußte Dunnan und Makann Hand in Hand arbeiten. Wer gab Dunnan den Tip, daß die Victrix auf Audhumal sein würde? Makann; er wußte es von seinen Zuträgern bei der Flotte. Und was die Honest Horris anbelangte: War es nicht Makann, der eine Untersuchung blockierte? Warum hatte Admiral Shefter zurücktreten müssen, sobald Makann an der Macht war? »Wie dem auch sei; wir wissen nichts von diesem Zaspar Makann«, begann der Geheimsekretär und Sprecher des Herzogs von Bigglersport. »Eben«, erwiderte Harkaman. »Deshalb schlage ich vor, Sie verhalten sich ruhig, bis Sie ein wenig über ihn wissen.« »Also, es würde mich gar nicht wundern, wenn Dunnan die ganze Zeit, während wir nach ihm suchten, auf Marduk gewesen wäre«, sagte Valkanhayn. Trask überlegte. Was hätte Hitler getan, wenn er eine seiner großen Lügen erzählt und festgestellt hätte, daß sie der Wahrheit entsprach? Vielleicht war Dunnan auf Marduk gewesen ... Nein; ein halbes Dutzend Schiffe hätte er nicht auf einem zivilisierten Planeten verstecken können. Nicht einmal auf dem Grund eines Ozeans.
»Und ich würde mich nicht wundern«, rief Alvyn Karffard, »wenn Andray Dunnan kein anderer als Zaspar Makann wäre. Ich weiß, daß er nicht aussieht wie Dunnan, wir alle sahen ihn auf dem Schirm. Aber es gibt so etwas wie plastische Chirurgie.« Das machte die Lüge doch ein wenig zu groß. Zaspar Makann war fast einen Kopf kleiner als Dunnan; es gibt Dinge, die keine Chirurgie leisten kann. Paytrick Morland, der Dunnan gekannt und Makann auf dem Bildschirm gesehen hatte, hätte das auch wissen müssen, aber entweder dachte er nicht daran, oder er vermied es, einer Argumentation zu widersprechen, die er selbst bereits völlig akzeptiert hatte. »Soweit ich feststellen konnte, hatte vor fünf Jahren auf Marduk niemand auch nur von Makann gehört. Das entspräche etwa dem Zeitpunkt, da Dunnan dort angekommen sein könnte«, sagte er. Der große Raum, in dem sie sich aufhielten, war inzwischen zu einem Stimmen-Babel geworden. Jeder versuchte, den anderen zu überzeugen, daß er selbst es die ganze Zeit schon gewußt habe. Dann bekam die Zurück-auf-Gram-Partei ihren Gnadenstoß; Lothar Ffayle, von dem Herzog Joris' Sendboten am meisten Unterstützung erhofft hatten, lief zur Gegenpartei über. »Ihr wollt, daß wir einen Planeten verlassen, den wir aus dem Nichts aufgebaut haben; daß wir auf den
Ertrag von Zeit und Geld, die wir hier investiert haben, verzichten, um euch auf Gram die Kastanien aus dem Feuer zu holen? Zur Gehenna mit euch! Wir bleiben hier und verteidigen unseren eigenen Planeten. Und wenn ihr klug seid, bleibt ihr gleich bei uns.« Die Delegation aus Bigglersport bemühte sich immer noch, Söldner für den König von Tradetown anzuwerben und einen Gilgamescher für ihren Transport auf Gram anzuheuern, als aus der großen Lüge so etwas wie die Wahrheit wurde. Der Beobachtungsposten auf dem Tanith-Mond ortete zwanzig Lichtminuten nördlich über dem Planeten ein Schiff. Eine halbe Stunde später wurde ein weiteres in fünf Lichtminuten Entfernung entdeckt – ein sehr kleines. Dann tauchte in zwei Lichtsekunden Entfernung ein drittes auf, das über Radar und Mikrostrahlen als ein Tochterboot ausgemacht werden konnte. Er fragte sich, ob auf Amaterasu oder Beowulf etwas passiert sein mochte; jemand wie Gratham oder die Everrards konnten die defensive Mobilisierung Taniths ausgenützt haben. Dann kam der Anruf von dem Tochterboot, und Prinz Simon Bentrik erschien auf dem Bildschirm. »Ich freue mich, Sie zu sehen! Ihre Frau und Ihr Sohn sind hier und machen sich Sorgen um Sie. Aber es geht ihnen gut.« Er rief jemandem zu, den jungen
Graf Steven von Ravary und seine Mutter zu holen. »Wie steht's mit Ihnen?« »Ich hatte ein gebrochenes Bein, als ich die Mondbasis verließ, aber das ist unterwegs geheilt«, sagte Bentrik. »Die kleine Prinzessin Myrna ist mit an Bord. Nach allem, was ich weiß, ist sie jetzt Königin von Marduk.« Er schluckte. »Fürst Trask, wir sind als Bettler gekommen. Wir bitten um Hilfe für unseren Planeten.« »Sagen Sie mir, was passiert ist. Hat Makann den König gestürzt und die Macht übernommen?« Bentrik mußte es bestätigen. Es hatte schon vor den Wahlen begonnen. Die Volksgardisten hatten Waffen besessen, die ganz legal auf Marduk hergestellt worden waren, um auf neobarbarischen Planeten verkauft zu werden, die dann aber heimlich in Arsenale der Volksgardisten geschafft wurden. Ein Teil der Polizei war zu Makann übergegangen; der Rest war so verängstigt, daß er nicht mehr zu handeln wagte. Bestechung und Einschüchterung hatten die Wahlen zu einer Farce gemacht. Dennoch hatte Makanns Partei die absolute Mehrheit im Repräsentantenhaus verfehlt und war gezwungen gewesen, eine labile Koalition einzugehen, um die Wahl eines ihr genehmen Repräsentantenhauses sicherzustellen. »Natürlich wählten sie dann Makann zum Kanzler«, sagte Bentrik. »Alle Oppositionsführer im Re-
präsentantenhaus sind verhaftet worden, auf Grund von allen möglichen lächerlichen Anschuldigungen – Sexualverbrechen, passive Bestechung, Spionage – nichts war zu absurd. Dann boxten sie ein Gesetz durch, das den Kanzler ermächtigte, selbst freiwerdende Sitze im Repräsentantenhaus zu besetzen.« »Warum hat sich der Kronprinz für etwas Derartiges hergegeben?« »Er hoffte, auf diese Weise nicht ganz die Kontrolle zu verlieren. Die Königliche Familie ist für das Volk ein beinahe heiliges Symbol. Selbst Makann konnte nicht umhin, sich dem König und dem Kronprinzen gegenüber für loyal zu erklären ...« »Aber es half nichts; er spielte direkt in Makanns Hand. Was geschah dann?« Der Kronprinz war ermordet worden. Der Mörder, ein Unbekannter, vermutlich ein Gilgamescher, war von sofort eingreifenden Volksgardisten erschossen worden. Zum Schutze des Königs hatte sich Makann auf der Stelle des königlichen Palastes bemächtigt, und Massaker der Volksgardisten waren überall gefolgt. Die mardukanische Planetenarmee wurde aufgelöst; Makanns Erklärung war, daß ein Militärputsch gegen den König und die Regierung geplant gewesen sei. Die in kleinen Garnisonen über den Planeten verstreute Armee war in einem Tag und zwei Nächten vernichtet worden. Jetzt war Makann dabei,
sie von neuem aufzustellen – ausschließlich aus Mitgliedern der Wohlfahrtspartei. »Aber Sie haben doch nicht tatenlos zugesehen?« »O nein«, erwiderte Bentrik. »Ich unternahm etwas, dessen ich mich vor einigen Jahren noch nicht für fähig gehalten hätte. Ich organisierte einen Putsch der königlich mardukanischen Flotte. Nach Admiral Shefters erzwungenem Rücktritt und seiner Einweisung in eine Nervenheilanstalt verschwand ich von der Bildfläche und verwandelte mich in einen LifterFahrer auf der Werft von Malverton. Als man dann Verdacht gegen mich schöpfte, gelang es einem der Offiziere – er wurde später festgenommen und zu Tode gefoltert –, mich auf einer Fähre zur Mondbasis zu schmuggeln. Ich arbeitete dort im Hospital. Am Tag, als der Kronprinz ermordet wurde, gab es auch bei uns eine Meuterei. Wir töteten jeden, der auch nur in dem Verdacht stand, ein Makannist zu sein. Seitdem ist die Mondbasis das Ziel schwerer Angriffe vom Planeten aus.« Hinter ihm bewegte sich etwas; als er sich umwandte, sah er, daß Prinzessin Bentrik und der Junge den Raum betraten. Er erhob sich. »Wir werden das zu gegebenem Zeitpunkt weiter besprechen. Hier sind ein paar Leute ...« Er schob sich nach vorn, ging dann aus dem Raum und nahm alle anderen Anwesenden mit.
Als Bentrik endlich gelandet war, gelang es Lucas, dem Prinzen hastig ins Ohr zu flüstern: »Wenn Sie hier mit jemandem sprechen – vergessen Sie nicht, daß Dunnan mit Zaspar Makann zusammenarbeitet, und daß Makann nach Festlegung seiner Position ein Expeditionskorps gegen Tanith senden wird.« »Woher zum Teufel wissen Sie denn das?« fragte Bentrik. »Von den Gilgameschern?« Dann kamen Harkaman, Rathmore, Valkanhayn, Ffayle und die anderen hinzu, und Fürst Bentrik versuchte, seine Frau und seinen Sohn gleichzeitig zu umarmen. »Fürst Trask.« Lucas fuhr herum und sah in tiefblaue Augen unter kohlschwarzem Haar. Sein Puls begann zu klopfen, als er sagte: »Valerie!« und dann: »Lady Alvarath; ich bin so glücklich, Sie hier zu sehen.« Dann bemerkte er, wer neben ihr stand, und kauerte sich nieder, um sich auf die geeignete Größe zu bringen. »Lady Valerie, kommen Sie mit?« fragte er. »Wir werden Quartier für Prinzessin Myrna suchen.« »Ist sie nun Prinzessin Myrna oder Königin Myrna?« fragte er Bentrik. Der Prinz schüttelte den Kopf. »Wir wissen es nicht. Der König lebte, als wir die Mondbasis verlie-
ßen, aber das war vor fünfhundert Stunden. Auch über ihre Mutter wissen wir nichts. Sie war im Palast, als Prinz Edvard ermordet wurde. Seitdem haben wir nichts mehr über sie gehört. Der König hatte ein paar Televisor-Auftritte und plapperte Dinge nach, die Makann ihm vorgesagt hatte. Unter Hypnose. Das ist das mindeste, was sie ihm angetan haben. Sie haben ihn zu einer Marionette gemacht.« »Und wie kam Myrna auf die Mondbasis?« »Das war vor allem Lady Valeries Verdienst. Ihres und Sir Thomas Kobblys und Captain Rainers. Sie bewaffneten die Bediensteten in Cragdale, kaperten Prinz Edvards Raumjacht und fuhren damit davon. Die Yacht ist jetzt unterwegs nach Gimli«, sagte Bentrik. »Dort wird sie versuchen, die Einheiten der Königlichen Flotte um sich zu vereinigen, die nicht zu Makann übergegangen sind. Sie sollen auf Gimli meine Rückkehr erwarten. Falls ich nicht innerhalb von fünfzehnhundert Stunden nach meinem Start von der Mondbasis dort eintreffe, sollen sie nach eigenem Gutdünken verfahren. Vermutlich würden sie dann Marduk angreifen.« »Das sind etwas über sechzig Tage«, sagte Harkaman. »Eine arg lange Zeit, die die Mondbasis gegen einen ganzen Planeten aushalten müßte.« »Es ist eine starke Basis. Sie wurde vor vierhundert Jahren gebaut, als Marduk gegen eine Gruppe von
sechs anderen Planeten kämpfte. Einmal widerstand sie fast ein ganzes Jahr ununterbrochenen Angriffen. Seitdem ist sie noch verstärkt worden.« »Und was haben die Gegner aufzubieten?« fragte Harkaman. »Bei meinem Abflug waren es sechs Einheiten der früheren Königlichen Flotte, die zu Makann übergegangen sind. Außerdem noch vier von Andray Dunnans Schiffen ...« »Sie meinen, er ist tatsächlich auf Marduk?« »Ich dachte, Sie wüßten das, und wunderte mich schon, woher. Ja; Fortuna, Bolide und zwei bewaffnete Frachter, die Reliable und die Honest Horris.« »Sie glaubten gar nicht wirklich, daß Dunnan auf Marduk sei?« fragte Valkanhayn. »Eigentlich nicht. Ich mußte irgendeine Geschichte erfinden, um diesen Leuten den Kreuzzug gegen Omfray von Galspyth auszureden.« Valkanhayns eigenen Vorschlag einer Plünderungsexpedition gegen Xochitl ließ er unerwähnt. »Nun, da sie sich als wahr erweist, bin ich dennoch nicht überrascht. Vor langer Zeit nahmen wir an, daß Dunnan Marduk überfallen wollte. Offenbar haben wir ihn unterschätzt. Vielleicht hat auch er über Hitler gelesen. Er plante keinen Überfall; er plante die Eroberung, und zwar auf die einzige Art, wie eine große Zivilisation erobert werden kann – durch Subversion.«
»Ja«, warf Harkaman ein. »Wer war denn dieser Makann vor fünf Jahren, als Dunnan dieses Programm startete?« »Niemand«, sagte Bentrik. »Ein bescheuerter Agitator in Drepplin; er hatte eine Anhängerschaft von ein paar anderen Hohlköpfen, die sich im Hinterzimmer eines Restaurants trafen. Im folgenden Jahr hatte er bereits eine Anzahl von Büros und konnte sich Fernsehzeit kaufen. Im Jahr darauf hatte er schon drei eigene Fernsehstationen und hielt Massenkundgebungen ab. Und so weiter und so fort.« »Ja. Dunnan finanzierte ihn. Und er wird ihn erschießen lassen, genauso wie er Prinz Edvard hat erschießen lassen, und den Mord als Vorwand zur Liquidation seiner persönlichen Anhänger nehmen.« »Und dann gehört ihm Marduk. Und die mardukanische Flotte wird Tanith angreifen«, fügte Valkanhayn hinzu. »Also greifen wir Marduk an, vernichten ihn jetzt, solange er noch nicht zu stark dazu ist.« Nicht wenige hatten dasselbe mit Hitler tun wollen. Viele mußten später bedauern, daß es nicht rechtzeitig geschehen war. »Die Nemesis, die Corisande und die Geißel des Weltraums auf alle Fälle?« fragte Lucas. Harkaman und Valkanhayn stimmten zu. Valkanhayn erklärte, daß die Wikinger-Geschenk von Beowulf wohl mitmachen würde, und Harkaman war sich der
Hilfe von Black Star und Königin Flavia beinahe sicher. Er wandte sich Bentrik zu. »Starten Sie bitte sofort nach Gimli; innerhalb der nächsten Stunde noch, wenn möglich. Wir wissen nicht, wieviele Schiffe dort versammelt sind, jedenfalls dürfen sie sich nicht in Kleinangriffen verzetteln. Sagen Sie dem dortigen Kommandeur, daß Schiffe von Tanith unterwegs sind. Auf die sollen sie warten. Vielleicht dauert es eine gewisse Zeit, bis wir eine kampfkräftige Flotte beisammen haben. Selbst wenn wir uns grundsätzlich darüber geeinigt haben. Auseinandersetzungen gibt es nicht nur in Demokratien.« Der Führer der Bigglersporter Delegation versuchte es mit einer leidenschaftlichen Tirade über Hilfeleistung an Fremde, während der eigene Planet versklavt werde. Er wurde niedergebuht und darüber aufgeklärt, daß Tanith verteidigt werden sollte, wie es sich gehöre, nämlich auf fremdem Grund und Boden. Nach dem Treffen erfuhren die Bigglersporter, daß ihre eigene Raumyacht zu Amaterasu und Beowulf ausgesandt worden war, um dort Hilfe zu holen, daß das in Tradetown rekrutierte Infanterieregiment von den Behörden von Rivington übernommen worden war, und daß der von ihnen gecharterte Gilgamescher Frachter sie nunmehr statt auf Gram auf Marduk bringen würde. Das Problem bestand aus zwei Teilen: Die reine Flottenaktion zur Unterstützung des Marduk-Mondes,
wenn er noch aushielt, und die Niederwerfung von Makanns Anhängern auf dem Planeten selbst nebst der Wiederherstellung der mardukanischen Monarchie. Entsprechend ausgerüstet und unterstützt, würde ein ansehnlicher Teil der Bevölkerung begierig die Gelegenheit ergreifen, gegen Makann aufzustehen. Die Grendelsbane kam von Beowulf, die Sonnengöttin von Amaterasu. Drei unabhängige Raum-WikingerSchiffe befanden sich noch auf einer Umlaufbahn um Tanith; sie schlossen sich der Expedition an; mit ihnen würde es auf Marduk Probleme geben – sie würden plündern wollen. Sollten die Mardukaner damit fertigwerden. Zwölf Raumschiffe warteten in der Nähe des Mondes von Tanith, darunter die drei unabhängigen und der in Beschlag genommene Gilgamescher Truppentransporter. Das war die größte Flotte, die RaumWikinger je versammelt hatten. Alvyn Karffard sagte es, als sie die Formation auf dem Bildschirm überprüften. »Es ist keine Raum-Wikinger-Flotte«, widersprach Prinz Bentrik. »Es sind nur drei Raum-WikingerSchiffe. Die anderen kommen von drei zivilisierten Planeten, Tanith, Beowulf und Amaterasu.« Karffard war überrascht. »Sie meinen, wir sind zivilisierte Planeten? Wie Marduk, Baldur, Odin oder ...?« »Nun, sind Sie es etwa nicht?«
Trask lächelte. Schon seit einigen Jahren hatte er so etwas geahnt. Bis jetzt aber war er nicht wirklich sicher gewesen. Vierhundertfünfzig Stunden in dem kleinen Universum, das die Nemesis war; draußen war nur das Nichts, und drinnen konnte man lediglich warten, während jede Stunde sie näher zu Gimli brachte. Sir Thomas Kobbly betätigte sich als Landschaftsmaler und verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit, mit Vann Larch über Maltechnik zu diskutieren. Nicht wenige Freiwillige waren bereit, Lady Valerie Alvareth die Zeit zu vertreiben, doch hoher Rang hat seine Privilegien: Trask selber sorgte dafür, daß sie nicht allzu sehr unter Langeweile zu leiden hatte. Etwa hundert Stunden vor dem Wiedereintauchen in den Normalraum kamen Scharll Renner und Captain Rainer während der Cocktail-Stunde vor dem Diner zu ihm. »Ich glaube, wir haben herausgefunden, wo Dunnans Basis ist«, sagte Renner. »Oh, gut!« Das hatten auch schon viele andere geglaubt. »Und wo ist sie eurer Meinung nach?« »Auf Abaddon«, erklärte Captain Rainer. Als er sah, daß Trask der Name nichts sagte, fügte er hinzu: »Der neunte, äußerste Planet des Marduk-Systems.« Er sagte es grimmig.
»Ja; wissen Sie noch, wie Sie Boake und Manfred mit ihren Schiffen losschickten, damit sie erkundeten, ob Prinz Viktor sich auf einem der äußeren Planeten aufhielt? Nun, wenn man das Zeitelement in Rechnung stellt und bedenkt, wie die Honest Horris zwischen Marduk und irgendwo anders – aber nicht Gimli – hin- und herfuhr, und wie Dunnan mit seinen Schiffen dasein konnte, sobald die Schießerei auf Marduk losging – er mußte doch auf einem der unbewohnten äußeren Planeten des Marduk-Systems sein.« »Ich weiß nicht, warum wir nicht selbst darauf gekommen sind«, warf Rainer ein. »Vermutlich, weil es einfach keinen Grund gibt, überhaupt an Abaddon zu denken. Es ist nur ein kleiner Planet, etwa sechstausend Kilometer im Durchmesser, und fünfeinhalb Milliarden Kilometer vom Zentralgestirn entfernt. Er ist hart gefroren. Deswegen hat sich um Abaddon niemand Gedanken gemacht.« Für Dunnans Zwecke aber mußte er genau das Richtige sein. Lucas rief Prinz Bentrik und Alvyn Karffard zu sich; sie fanden den Gedanken sofort überzeugend. Trask und Bentrik fingen auf der Stelle an, Schlachtpläne zu schmieden. Karffard stellte die Frage, ob sie nicht besser warten sollten, bis sie auf Gimli waren und die anderen zu Rate ziehen konnten.
»Nein«, entgegnete Trask. »Dies ist das Flaggschiff; hier und nirgendwo anders wird die Strategie entschieden.« »Nun, was die mardukanische Flotte anbetrifft ...« sagte Captain Rainer. »Ich glaube, Flottenadmiral Bargham ist Befehlshaber auf Gimli.« Prinz Simon Bentrik schwieg einen Augenblick, als gestehe er sich nur widerwillig ein, daß die große Entscheidung nicht länger zu umgehen war. »Vielleicht ist er es im Augenblick, aber nicht mehr, sobald ich dort bin. Ich werde der Befehlshaber sein.« »Aber ... Euer Hoheit, er ist Flottenadmiral; Sie sind nur Kommodore.« »Ich bin nicht nur Kommodore. Der König ist ein Gefangener, wahrscheinlich sogar tot. Der Kronprinz ist tot. Prinzessin Myrna ist noch ein Kind. Ich erkläre mich zum Regenten und Fürst-Protektor.«
8 Auf Gimli gab es gewisse Schwierigkeiten mit Flottenadmiral Bargham. Flottenadmiräle nahmen von einem Kommodore keine Befehle entgegen. Vielleicht von Regenten; was aber verlieh Prinz Bentrik die Autorität, sich zum Regenten zu machen? Regenten wurden auf Vorschlag des Kanzlers von der Delegiertenkammer gewählt. »Sie meinen Zaspar Makann und seine Marionetten?« lachte Bentrik. »Nun, die Verfassung ...« Er hielt inne, bevor ihn noch jemand fragte, von welcher Verfassung er sprach. »Nun, ein Regent muß gewählt werden. Nicht einmal Mitglieder der königlichen Familie können sich einfach zum Regenten erklären.« »Ich kann es. Und ich habe es eben getan. Im übrigen wird es so schnell wohl keine Wahlen mehr geben. Nicht, bevor wir sichergestellt haben, daß das Volk von Marduk wieder mit der Kontrolle der Regierung betraut werden kann.« Nachdem sie wieder gestartet waren, gab es eine Party. Dann machten sie sich daran, die Strategie für die Schlacht von Abaddon auszuarbeiten. Doch es gab keine Schlacht von Abaddon. Abad-
don war ein toter Planet. Über der einen Seite war Nacht, die andere lag im schwachen Zwielicht des fünfeinhalb Milliarden Kilometer entfernten Sonnenpunktes. Scharf gezackte Berge erhoben sich aus dem Schnee, der den Planeten von Pol zu Pol bedeckte. Die Oberflächentemperatur lag unter –100° Celsius. Ein Schiff umkreiste ihn. Schwache radioaktive Strahlung wurde registriert, die aber von Mineralien stammen konnte. Elektrische Entladungen waren nicht feststellbar. Im Kommandoraum der Nemesis tauschte man nicht gerade Artigkeiten aus. Die Kapitäne der anderen Schiffe meldeten sich und wollten wissen, was nun zu tun sei. »Näher heran«, ordnete Trask an. »Um den Planeten herum, und bis auf einen Kilometer heran, wenn notwendig. Sie könnten sich irgendwo verstecken.« »Auf dem Grund eines Ozeans kann er jedenfalls nicht sein«, sagte jemand. Es war einer dieser schwachen Witze, über die jedermann lacht, weil es sonst im Augenblick so gar nichts zu lachen gibt. Schließlich stießen sie darauf – am Nordpol, der nicht kälter als der Rest des Planeten war. Zuerst wurde Strahlung registriert von der Art, wie sie aus einem stillgelegten Kernkraftwerk kommt. Dann wurde minimale elektrische Entladung verzeichnet. Endlich wurde auf den Teleskopschirmen der Raum-
hafen sichtbar, ein riesiges ovales Amphitheater zwischen zwei Gebirgskämmen. Die Sprache im Kommandoraum war noch genauso deftig, aber der Ton hatte sich geändert. Es war bemerkenswert, welch weite Gefühlsskala sich durch ein paar einfache Blasphemien und Obszönitäten ausdrücken ließ. Alle, die sich vorher über Sharll Renner mokiert hatten, waren jetzt voller Lob. Aber da war kein Leben. Die Schiffe drängten sich über der Stelle; Landungsboote gingen hinunter. Auf den Bildschirmen des Kommandoraums erschienen die ersten Nahaufnahmen. Eindrücke im Schnee, die von den Landegestellen von Raumschiffen stammten. Reihen von Ladetransportern. Und rund herum in den Bergflanken Schleusentüren zu Höhlen und Tunnels. Viele Leute mit einer Menge Ausrüstung mußten in den etwa fünf oder sechs Jahren hier gearbeitet haben, seit Andray Dunnan – oder jemand anderer – die Basis eingerichtet hatte. Andray Dunnan. Sie fanden sein Wappen, den blauen Halbmond auf schwarzem Grund. Sie fanden Objekte, die Harkaman als Bestandteile der ursprünglichen Fracht der gestohlenen Enterprise wiedererkannte. In den Wohnräumen fanden sie sogar ein vergrößertes Foto von Nevil Ormm – schwarz umrandet. Was sie jedoch nicht fanden, war irgendeine Art Gefechtsausrüstung – keine Pistole, nicht einmal eine Handgranate.
Dunnan war ausgeflogen, aber sie wußten wohin. Die Eroberung Marduks war in ihre letzte Phase getreten. Als der größte Teil des Weges nach Marduk zurückgelegt war, richteten sie den letzten Mikrosprung auf den Marduk-Mond, der auf dem Teleskopschirm bereits gut zu sehen war. Sie verließen den Hyperraum in eineinhalb Lichtsekunden Entfernung – nach Kirbeys Ansicht eine gute Leistung. Als sich das Schirmbild wieder stabilisiert hatte, sahen sie, daß sie noch nicht zu spät gekommen waren. Der Marduk-Mond lag unter Feuer – und feuerte zurück. Bentrik stand neben Trask und sprach in ein Mikrophon. »Simon Bentrik, Fürst-Protektor von Marduk, ruft die Mondbasis.« Zweimal wiederholte er langsam seine Kommunikator-Kombination. »Mondbasis, bitte kommen; hier spricht Simon Bentrik, Fürst-Protektor.« Er wartete zehn Sekunden und wollte eben von neuem beginnen, als ein Flimmern über den Schirm ging. Der Mann, der darauf erschien, trug ein Rangabzeichen eines mardukanischen Offiziers. Er bedurfte einer Rasur, grinste jedoch fröhlich. Bentrik begrüßte ihn mit seinem Namen. »Hallo, Simon; freut mich, Sie zu sehen. Euer Ho-
heit, meine ich; was bedeutet das mit dem FürstProtektor?« »Jemand mußte es tun. Ist der König noch am Leben?« Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Kommodores, beginnend bei den Augen. »Wir wissen es nicht. Zuerst ließ ihn Makann über Televisor sprechen und die Bevölkerung auffordern, mit ›unserem Kanzler, der unser aller Vertrauen genießt‹, zusammenzuarbeiten und seinen Anordnungen Folge zu leisten. Makann erschien stets mit ihm auf dem Schirm.« Bentrik nickte. »Ich erinnere mich.« »Als Sie noch da waren, blieb Makann im Hintergrund und ließ den König die Rede halten. Nach einer Weile konnte der König nicht mehr zusammenhängend sprechen; er stammelte und wiederholte sich; dann nahm nur noch Makann selbst das Wort; sie konnten nicht einmal mehr sicher sein, daß er nachplappern würde, was man ihm über einen Ohrhörer vorsagte. Dann erschien er überhaupt nicht mehr. Vermutlich physische Symptome, die man nicht sehen sollte.« Bentrik fluchte vor sich hin; der Offizier auf der Mondbasis nickte. »Ich hoffe in seinem Interesse, daß er tot ist.« Armer Freund Mikhyl. Bentrik sagte: »Ich auch.« Der Befehlshaber der Mondbasis fuhr fort:
»Wir haben mehrere Schiffe der Renegaten, darunter die Fortuna und die Honest Horris. Wir haben den Hafen von Malverton zerstört. Jetzt benützen sie die antarktische Flottenbasis, obwohl auch die schwer beschädigt ist. Zweimal versuchten sie, bei uns zu landen, und verloren mehrere Schiffe. Vor achthundert Stunden stieß der Rest von Dunnans Flotte, bestehend aus fünf Schiffen, zu ihnen. Sie landeten in Malverton, als der Ort auf der von uns abgewandten Seite des Planeten lag. Makann gab bekannt, sie seien Einheiten der Königlichen Flotte, die von den Partnerplaneten gekommen seien. Das hat man ihm offenbar abgekauft. Außerdem verkündete er, daß ihr Kommandeur, Admiral Dunnan, Befehlshaber der Volksarmee sei.« Dunnans Truppen mußten also Malverton in der Hand haben. Es, stand zu vermuten, daß Makann jetzt genauso sein Gefangener war, wie König Mikhyl VIII vorher Makanns Gefangener gewesen war. »Also hat Dunnan Marduk erobert. Jetzt braucht er nur noch zuzusehen, daß er sich nicht mehr vertreiben läßt«, sagte Bentrik. »Ich sehe vier Schiffe über der Mondbasis; wieviele haben Sie noch?« »Es sind die Bolide und die Eclipse, Dunnans Schiffe, und die Champion sowie die Guardian von der früheren Königlichen Flotte. Fünf weitere sind in einer Umlaufbahn: Die Paladin, und Dunnans Starhopper, Banshee, Reliable und Exporter. Die beiden letzteren
sind als Frachter registriert, agieren aber wie richtige Kampfschiffe.« Die vier über der Mondbasis nahmen Kurs auf die Einsatzflotte; zwei, die in einer Umlaufbahn gewesen waren, wechselten ebenfalls ihren Kurs. Drei weitere waren vom Planeten her unterwegs, die anderen verlangsamten ihre Fahrt, um sie aufschließen zu lassen. Trask wollte die vier vom Satelliten kommenden stellen, bevor die fünf vom Planeten dazustießen, aber Karffards Computer errechneten, daß es nicht möglich war. »Na gut, dann müssen eben alle unsere faulen Eier in einen einzigen Korb«, sagte er. »Versucht sie zu treffen, sobald es möglich ist.« Als die Entfernung eintausend Kilometer betrug, schoß man die ersten Raketen ab. Abgefangene Projektile flammten zu Feuerbällen auf. Ein feindliches Schiff erhielt einen Treffer. Der Kapitän der Königin Flavia erschien auf dem Bildschirm und meldete, sein Schiff sei schwer beschädigt. Drei Schiffe mit dem mardukanischen Wappen umkreisten einander hektisch; zwei davon feuerten auf das dritte, das sich verzweifelt zur Wehr setzte. Das dritte zerplatzte, und jemand rief aus dem Lautsprecher: »Ein Verräter weniger!« Noch ein Schiff explodierte, dann ein weiteres. Er hörte jemanden sagen: »Das war eines von unseren«, und fragte sich, welches es wohl gewesen sei. Nicht
die Corisande, hoffte er; nein, er konnte sie zwei andere Schiffe verfolgen sehen, die ihrerseits auf die Black Star, die Sonnenkönigin und den Frachter von Gilgamesch Kurs nahmen. Dann kamen die Nemesis und die Starhopper auf Gefechtsdistanz und beschossen einander wütend. Die Schiffe waren zu einem sich um sich selbst drehenden feuerspeienden Knäuel geworden, das sich rasch dem Planeten näherte. Als sie den inneren Rand der Exosphäre erreichten, begann das Knäuel sich zu entwirren, und Schiff auf Schiff schwenkte in eine Kreisbahn ein. Manche davon waren schwer beschädigt, andere griffen beschädigte Gegner an. Er holte Harkaman auf den Schirm. »Wo ist die Black Star?« fragte er. »Vernichtet«, antwortete Harkaman. »Wir haben die Bolide und die Reliable erledigt.« Über Marduk wurde an diesem Tage eine beträchtliche Menge Materie in Energie verwandelt. Auch Manfred Ravallo; das bedrückte ihn. Manfred war ein guter Mann gewesen und ein guter Freund. Er hatte ein Mädchen in Rivington ... Nifflheim, achthundert Mann waren an Bord der Black Star gewesen, die meisten von ihnen hatten Mädchen auf Tanith, die jetzt vergebens auf sie warten würden. Was hatte Harkaman einmal auf Gram gesagt? Alter sei bei RaumWikingern nicht gerade die häufigste Todesursache ...
Jetzt wurde es Zeit für ihn, seine ihm noch verbliebenen Schiffe zu zählen. Und dann galt es, über eine Strategie für die Schlacht auf Marduk nachzudenken. Die Black Star war verloren, die Challenger und die Conquistador – beides mardukanische Schiffe – ebenso. Die Geißel des Weltraums war arg mitgenommen, schlimmer als nach dem Angriff auf Beowulf, sagte Valkanhayn. Auch die Wikinger-Geschenk und die Corisande waren schwer beschädigt, ebenso aber die Nemesis – die roten Lichter der Schadensanzeige bewiesen es. Drei Schiffe waren vermißt: Die drei unabhängigen Raum-Wikinger Harpy, Fluch und Cagn und Roger-fan-Morvill Esthersans Damnthing. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß alle drei vernichtet wurden, ohne daß es irgend jemand bemerkt hätte«, sagte Prinz Bentrik stirnrunzelnd. »Ich auch nicht. Allerdings könnte ich mir denken, daß alle drei sich davongemacht haben. Sie sind nicht hierher gekommen, um Marduk zu befreien, sondern um Beute zu machen. Ich hoffe nur, daß sie solche Leute berauben, die bei den letzten Wahlen für Makann gestimmt haben.« Nur eines gab ihm ein wenig Trost, und er sagte es Bentrik. »Die einzigen, die bewaffnet sind und Widerstand leisten werden, sind Makanns Sturmtruppen und Dunnans Piraten; nur sie werden die Opfer sein.« »Wir wollen nicht mehr Opfer als ...« Prinz Simon
verstummte plötzlich. »Ich rede schon wie der verstorbene Kronprinz Edvard«, sagte er. »Auch er wollte kein Blutvergießen – und wessen Blut ist jetzt vergossen worden? Wenn sie das tun, was Sie vermuten, dann werden wir, fürchte ich, auch einige Ihrer Raum-Wikinger töten müssen.« »Sie sind nicht meine Raum-Wikinger.« Er war ein wenig überrascht, als er bemerkte, wie er diesen Namen wie etwas nicht zu ihm Gehöriges verwendete, nachdem er ihn selbst acht Jahre lang getragen hatte. Nun, warum nicht. Er war also Herrscher eines zivilisierten Planeten. »Aber vermeiden wir einen Kampf, bis der Hauptkrieg vorüber ist. Diese drei Schiffsladungen Raum-Wikinger sind nicht schlimmer als ein Schnupfen. Makann und Dunnan sind die Pest.« Bis zur Landung würde es noch vier Stunden dauern. Sie spielten die Aufzeichnungen ab, die sie unterwegs gemacht hatten. Der Fürst-Protektor Simon Bentrik sprach: Die ungesetzliche Herrschaft des Verräters Makann war beendet. Seinen irregeleiteten Anhängern wurde nahegelegt, sich wieder loyal zur Krone zu verhalten. An die Volksgardisten erging der Befehl, sich unter Ablieferung ihrer Waffen aufzulösen. Wo sie sich weigerten, wurde der königstreue Teil der Bevölkerung aufgerufen, sich mit dem legitimen Streitkräften zu verbünden und sie zu bekämpfen. Waffen würden sobald wie möglich zur Verfügung gestellt.
»Sie sagten nichts von der Verfassung, und auch nichts von Demokratie«, bemerkte Trask. »Allerdings«, antwortete der selbsternannte FürstProtektor. »Etwas stimmt nicht mit der Demokratie. Sonst könnte sie nicht von Leuten wie Makann zerstört werden, die sie von innen her mit demokratischen Mitteln bekämpfen. Ich glaube nicht, daß sie prinzipiell nicht funktioniert, es sind nur einige Fehler im System. Und es ist gefährlich, sich auf einen defekten Mechanismus zu verlassen. Man muß die schwachen Stellen erkennen und sie beseitigen.« »Nun, hoffentlich glauben Sie nicht, der Feudalismus der Schwert-Welten hätte keine Schwächen.« Er nannte einige Beispiele und zitierte dann Otto Harkaman, der gesagt hatte, dort breite sich die Barbarei von oben nach unten aus, statt von unten nach oben. »Es könnte sein«, fügte er hinzu, »daß es etwas gibt, was eine vernünftige Regierung überhaupt unmöglich macht. Solange der homo sapiens terranis ein wildes Tier ist, was er immer war und immer sein wird, bis er sich in einer Million Jahren endlich zum Besseren ändert, ist ein brauchbares Regierungssystem vielleicht einfach nicht denkbar, so wie die Umwandlung von Elementen eine physikalische Unmöglichkeit war, so lange man sie mit chemischen Mitteln versuchte.« »Wir müssen eben versuchen, den bestmöglichen Weg zu finden. Und wenn wir scheitern, bleibt uns
nur die Hoffnung, daß unsere Nachfolger es ein wenig besser machen werden«, sagte Bentrik. Malverton wurde auf den Teleskopschirmen größer, während sie hinuntergingen. Der Königliche Palast war mit am stärksten umkämpft. Er war noch nicht genommen worden. Die oberen Terrassen standen nicht unter Beschuß, als sie landeten. Erst als sie in das Gebäude eindrangen, stießen sie auf Widerstand. Sie stürmten in Räume voller Leichen, in denen Staub und Pulverdampf in der Luft hing. Verwundete wurden ins Freie gebracht. In einer riesigen Halle hatte man Gefangene versammelt, und Männer von der Nemesis machten polyenzephalographische Veridikatoren bereit, starke Stühle mit Drähten und verstellbare Helme, auf die durchscheinende Kugeln montiert waren. Ein paar von Morlands Männern schnallten einen Volksgardisten auf einen der Stühle. »Du weißt, was das ist, ja?« sagte einer von ihnen. »Das ist ein Veridicator. Die Kugel leuchtet blau; sobald du versuchst, uns anzulügen, wird sie rot. Und sobald sie rot wird, hau ich dir mit dieser Pistole die Zähne ins Maul.« »Haben Sie schon etwas über den König in Erfahrung gebracht?« fragte ihn Bentrik. Der andere wandte sich um. »Nein. Keiner der bisher Befragten weiß etwas über ihn, was nicht länger
als einen Monat zurückliegt. Er ist ganz einfach verschwunden.« Er wollte noch etwas sagen, sah Bentriks Miene und blieb stumm. »Er ist tot«, sagte Bentrik dumpf. »Sie folterten ihn, wandten Gehirnwäsche an und benützten ihn auf dem Bildschirm als die Marionette eines Bauchredners, solange es ging; als er dann nicht mehr vorzeigbar war, steckten sie ihn in einen Konverter.« Stunden später fanden sie Zaspar Makann. Hätte er noch gelebt, er hätte ihnen vielleicht etwas sagen können, aber er und einige seiner fanatischen Anhänger hatten sich im Thronsaal verschanzt und starben bei seiner Verteidigung. Sie fanden Makann auf dem Thron, der oberen Hälfte des Kopfes ledig, die Hand um eine Pistole gekrampft. Die große Krone lag auf dem Boden; das samtgefütterte Innere war von Kugeln durchlöchert und voller Blut und Gehirnmasse. Bis auf einen zerschmetterten Kronleuchter und mehrere Leichen, die hinausgeschafft werden mußten, war der Sitzungssaal des Ministerrates intakt. Sie richteten ihr Hauptquartier darin ein. Boake Valkanhayn und einige andere Schiffskapitäne stießen zu ihnen. Im Palast wurde noch an mehreren Stellen gekämpft, und in der Stadt herrschte weiterhin Chaos. Ein paar Angehörige der Königlichen Familie brachten eine alte Frau herein, schmutzig, zerlumpt, am Ende ihrer Kräfte.
»Sie möchte mit Prinz Bentrik sprechen – sie läßt sich nicht abwimmeln – sagt, sie wisse, wo der König ist.« Bentrik sprang auf, führte sie zu einem Stuhl, schenkte ihr ein Glas Wein ein. »Er ist noch am Leben, Euer Hoheit. Kronprinzessin Melanie und ich – verzeihen Sie, Hoheit, die Witwe des Kronprinzen – wir haben ihn versorgt, so gut wir konnten. Wenn Sie nur, bitte, schnell kommen möchten ...« Mikhyl VIII., Planetarischer König von Marduk, lag, auf schmutzige Kissen gebettet, auf dem Boden eines schmalen Raumes hinter einem Masse-EnergieKonverter, der Abfälle aller Art in Strom für den Ostflügel des Palastes verwandelte. Eine hagere, zerraufte Frau in einem verschmierten Overall kauerte neben ihm. Es war Kronprinzessin Melanie, die Trask noch als die charmante, liebenswürdige Gastgeberin von Cragdale in Erinnerung hatte. Sie versuchte aufzustehen und taumelte. »Prinz Bentrik! Und Fürst Trask von Tanith!« rief sie. »Schnell; schaffen Sie ihn hier weg, irgendwo hin, wo er versorgt werden kann. Bitte.« Dann setzte sie sich wieder auf den Boden und fiel bewußtlos zur Seite. Sie konnten nicht erfahren, was geschehen war. Prinzessin Melanie war völlig zusammengebrochen.
Ihre Begleiterin, eine Edelfrau vom Hofe, stammelte nur unzusammenhängende Silben. Und der König, den sie gewaschen, umgekleidet und in ein sauberes Bett gebracht hatten, lag nur da und sah sie verständnislos an, als beinhalte nichts von dem, was er sah oder hörte, für ihn irgendeinen Sinn. Die Ärzte konnten nichts tun. »Sein Geist ist tot. Er hat nicht mehr davon als ein neugeborenes Kind. Wir können ihn am Leben erhalten, ich weiß nicht wie lange. Es ist unsere ärztliche Pflicht. Seiner Majestät aber tun wir nichts Gutes damit.« Am nächsten Tag wurden die verbleibenden Widerstandsnester im Palast niedergekämpft – bis auf eines tief unter dem Hauptgenerator. Sie versuchten es mit Schlafgas; die Verteidiger hatten Ventilatoren und bliesen es zurück. Sie versuchten es mit Sprengstoff, durften aber die Belastungsfähigkeit des Gebäudes nicht überschreiten. Und niemand wußte, wie lange es dauern würde, sie auszuhungern. Am dritten Tage kroch ein Mann heraus, ein weißes, an den Lauf seines Karabiners geknüpftes Hemd schwenkend. »Ist Fürst Lucas Trask von Tanith hier?« fragte er. »Ich spreche nur mit ihm selbst.« Trask wurde rasch herbeigeholt. Von dem anderen
Mann war nur der Gewehrlauf und das weiße Hemd zu sehen. Als Trask ihn ansprach, hob er seinen Kopf über den Rand des Schutthaufens, hinter dem er in Deckung lag. »Fürst Trask, wir haben Andray Dunnan hier. Er war unser Führer, aber wir haben ihn entwaffnet und festgenommen. Wenn wir ihn Ihnen ausliefern, lassen Sie uns dann gehen?« »Wenn alle unbewaffnet herauskommen und Dunnan mir überstellt wird, dann verspreche ich, daß die restlichen Männer den Palast verlassen dürfen und unbestraft bleiben sollen.« »Gut. Wir kommen in einer Minute.« Der Mann hob die Stimme. »Wir haben sein Wort!« rief er. »Bringt ihn heraus.« Es waren etwa drei Dutzend Leute. Einige trugen Uniformen hoher Ränge der Volksgarde oder von Funktionären der Wohlfahrtspartei. Sie führten einen schmalgesichtigen Mann mit Spitzbart heraus. Trask mußte zweimal hinschauen, bevor er Andray Dunnan erkannte. Er sah Herzog Angus von Wardshaven ähnlicher, als er es in Erinnerung hatte. Dunnan blickte ihn mit gleichgültiger Verachtung an. »Euer vertrottelter König konnte nicht ohne Zaspar Makann regieren, und Zaspar Makann nicht ohne mich. Und Sie auch nicht. Lassen Sie diese Bande von Überläufern erschießen, und ich werde Marduk für
Sie regieren.« Noch einmal sah er Trask an. »Wer sind Sie?« fragte er. »Ich kenne Sie nicht.« Trask zog seine Pistole und entsicherte sie. »Ich bin Lucas Trask. Den Namen haben Sie schon gehört«, sagte er. »Geht weg hinter ihm, Leute.« »Ach ja; der arme Tor, der glaubte, er würde Elaine Karvall heiraten. Nun, das werden Sie nicht, Lord Trask von Traskon. Sie liebt mich, nicht Sie. Sie ist auf Gram und wartet auf mich.« Trask schoß ihm eine Kugel durch den Kopf. Dunnans Augen weiteten sich ungläubig; dann gaben seine Knie nach, und er fiel auf das Gesicht. Trask sicherte seine Pistole wieder, steckte sie weg und betrachtete den auf dem Betonboden liegenden Körper. Es hatte ihm überhaupt nichts ausgemacht. Es war, als hätte er eine Schlange erschossen, oder einen der scheußlichen Skorpione, die in den alten Häusern in Rivington herumkrochen. »Nehmen Sie das Aas, stecken Sie es in einen Masse-Energie-Konverter«, sagte er. »Den Namen Dunnan möchte ich in Zukunft nie wieder hören.« Er sah gar nicht hin, als Dunnans Leiche abtransportiert wurde. Er schaute zu, wie die Führer von Marduks gestürzter Mißregierung auf schwachen Beinen hinaus in die Freiheit schlurften, bewacht von Paytrick Morlands Garde. Einen Vorwurf mußte er sich machen: Er hatte ein Verbrechen gegen Marduk
begangen, indem er sie alle am Leben ließ. Bevor noch die Sonne von neuem aufging, würde jeder einzelne von ihnen erneut Unheil anrichten, es sei denn, er würde von jemandem erkannt und getötet. Nun, König Simon I. würde schon mit dem Problem fertig werden. Er erschrak ein wenig, als er begriff, wie er von seinem Freunde gedacht hatte. Nun, warum nicht? Mikhyls Geist war tot. Sein Körper würde ihn nicht länger als ein Jahr überleben. Dann ein Kind als Königin und eine lange Regentschaft – lange Regentschaften waren gefährlich. Besser ein starker, mächtiger König. Die Nachfolge konnte gesichert werden, indem man Steven und Myrna verehelichte. Myrna hatte im Alter von acht Jahren akzeptiert, eines Tages aus Staatsräson heiraten zu müssen; warum also nicht ihren Spielkameraden Steven? Und Simon Bentrik würde erkennen, was notwendig war. Er war weder ein Tor, noch ein Feigling; er brauchte nur etwas Zeit, um sich neuen Ideen und Gegebenheiten anzupassen. Trask durfte Simon den Gedanken nur nicht allzu heftig aufdrängen. Er mußte ihn nur damit vertraut machen und ihm dann die nötige Zeit geben. Außerdem würde es den Vertrag geben – Tanith, Marduk, Beowulf und Amaterasu; später auch Verträge mit anderen zivilisierten Planeten. Verschwommen begann der Gedanke an eine Li-
ga der Zivilisierten Welten in ihm Gestalt anzunehmen. Es würde wohl keine schlechte Idee sein, den Titel »König von Tanith« anzunehmen. Und sich von den Schwert-Welten zu trennen, vor allem von Gram. Sollte Viktor von Xochitl den Planeten haben. Oder Garvan Spasso. Und wenn er schon König sein sollte, mußte er nicht auch eine Königin haben? So war es doch in der Regel. Er dachte an Valerie Alvarath. Während der Fahrt auf der Nemesis hatten sie Gefallen aneinander gefunden. Er fragte sich, ob ihr seine Gesellschaft auf Dauer gefallen würde, auch auf einem Thron ... Elaine war bei ihm. Er spürte sie neben sich und glaubte fast, sie berühren zu können. Ihre Stimme flüsterte ihm zu: Sie liebt dich, Lucas; sie wird ja sagen. Sei gut zu ihr, und sie wird dich glücklich machen. Dann war sie wieder verschwunden, und er wußte, daß sie niemals zurückkehren würde. Leb wohl, Elaine.