Die Vollstrecker
Begegnung mit den Sklaven des Dunklen
Oheims von H. G. Francis
Atlan - König von Atlantis - Nr. 480...
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Die Vollstrecker
Begegnung mit den Sklaven des Dunklen
Oheims von H. G. Francis
Atlan - König von Atlantis - Nr. 480
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In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen – und schwerwiegende Dinge vollziehen sich. Da ist vor allem Duuhl Larx, der verrückte Neffe, der für gebührende Auf regung sorgt. Mit Koratzo und Copasallior, den beiden Magiern von Oth, die er in seine Gewalt bekommen hat, rast er mit dem Organschiff HERGI EN durch die Schwarze Galaxis, immer auf der Suche nach weiteren »Kollegen«, die er ihrer Lebensenergie berauben kann. Der HERGIEN folgt die GOL'DHOR, das magische Raumschiff, mit Koy, Kolphyr und vier Magiern an Bord. Die Pthorer sind Duuhl Larx auf der Spur, um ihm seine beiden Gefangenen abzujagen, und nähern sich dabei dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Auch Atlan und Razamon gelangen auf Etappen immer mehr in die Nähe des Ortes, an dem die Geschicke der Schwarzen Galaxis gelenkt werden. Später mehr darüber! Jetzt blenden wir um nach Pthor und beschäftigen uns mit Sator Synk, dem Orxeyaner, Bördo, dem Sohn Sigurds, und AxtonKennon. Sie wurden in die Höhlen von Sub-Pthor verschleppt und treffen jetzt auf DIE VOLLSTRECKER …
Die Hautpersonen des Romans: S. M. Kennon - Der Terraner in der Unterwelt von Pthor.
Sator Synk und Bördo - Kennons Begleiter.
Ortuga - Ein unsterbliches Wesen, das sich der Rache des
Dunklen Oheims zu entziehen sucht.
Grufthüter - Ein uralter Techno.
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1.
»Das ist die Gelegenheit«, sagte Sator Synk. Er zeigte auf den nach oben führenden Antigravschacht. »Kommt. Wir verschwinden aus diesen Gefil den und setzen uns in die Ebene Kalmlech ab.« »Einverstanden«, entgegnete Bördo. Der Junge machte Anstalten, den Kreis zu betreten, der anzeigte, wie weit das unsichtbare Antigravfeld reichte. »Ich bleibe«, erklärte Sinclair Marout Kennon. Die beiden anderen blickten ihn überrascht an. »Natürlich«, sagte Bördo ärgerlich. »Du machst ja immer genau das Ge genteil von dem, was wir wollen.« Der Terraner zeigte nach oben. »Habt ihr daran gedacht, daß da oben die Ungeheuer der Horden der Nacht herumlaufen? Sie sind hungrig. Sie fallen über alles her, was ihnen in die Quere kommt. Da oben erwartet euch die Hölle.« »Die ist hier, wo wir sind«, entgegnete Bördo. »Ich werde diese Höhlen nicht eher verlassen, bis ich weiß, was das al les zu bedeuten hat. Woher kommen die roten Schnüffler? Wer gibt ihnen die Befehle? Wer lenkt sie? Wer steuert die Entwicklung der Organklum pen und läßt Bestien aus ihnen werden? Das will ich klären.« »Mich interessiert das alles nicht mehr«, eröffnete ihm der Sohn Si gurds. »Ich bin froh, wenn ich diese Höhle endlich hinter mir habe.« »Das bin ich auch«, bemerkte Sator Synk. Er blickte Kennon nachdenk lich an. »Dennoch muß ich dir irgendwie recht geben. Wenn ich von hier verschwinde, ohne erfahren zu haben, was das alles zu bedeuten hat, wer de ich nicht zufrieden sein.« Aus einem der zuführenden Gänge näherten sich die heiseren Stimmen der Rotgekleideten. »Schnell. Dorthin«, sagte Kennon und zeigte auf die Felsbrüstung, von der sie gekommen waren, und an der sie Ortuga, den Mann mit dem Büffelkopf, zuletzt gesehen hat ten. Es war, als hätten Synk und Bördo nur auf irgend etwas gewartet, das sie zum Handeln zwang. Wortlos kletterten sie die Felsen hinauf und ver steckten sich hinter den Steinen. Vergessen waren die Überlegungen, durch den Antigravschacht aus den Höhlen zu fliehen. Sie lagen kaum in Deckung, als eine Gruppe der rotgekleideten Schnüffler die Halle betrat, kurz am Antigravschacht verweilte, die Halle dann durchquerte und in einem gegenüberliegenden Tunnel verschwand. »Wollen wir hinterher?« fragte Bördo tatendurstig. Ihn hielt es nicht mehr an seinem Platz. Er wollte bereits wieder nach unten klettern. Kennon legte ihm die Hand auf den Arm. »Warte noch.«
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»Wozu?« Bördo schüttelte die Hand ab. »Weil ich es dir befehle.« Die Augen des Jungen weiteten sich. »Du befiehlst mir etwas?« fragte Bördo überrascht. »Niemand hat mir etwas zu befehlen. Und du schon gar nicht. Du …« Er suchte nach einem passenden Schimpfwort, sprach es jedoch nicht aus. Sator Synk hob eine Hand und stieß ihn um, so daß er wieder in die Deckung der Felsen geriet. Erregt versuchte Bördo aufzuspringen, doch der Orxeyaner hielt ihn fest. »Sei still, Hitzkopf«, zischelte er ihm zu. Bördo blickte in die Halle hinab und zog den Kopf sofort wieder zu rück. Die Rotgekleideten waren zurückgekehrt. Aber sie waren nicht allein. Sie begleiteten zehn nackte Gestalten, die einen wahrhaft erbärmlichen Anblick boten. »Schnüffler«, sagte Kennon. »Aber ohne Roben.« Die Nackten waren etwa zwei Meter groß und unglaublich dürr, als sei en sie dicht vor dem Verhungern. Kennon und seinen beiden Begleitern erschien es wie ein Wunder, daß sie sich überhaupt auf den Beinen halten konnten. Sie hatten greisenhafte Gesichter mit hohen Jochbeinen und flie henden Stirnen. Die Schädel waren vollkommen kahl. Mit weit aufgerissenen Augen blickten die Nackten um sich, als wären die Eindrücke von der Halle die ersten, die sie in sich aufnahmen. »Sie sehen alt aus, als wären sie schon hundert«, sagte Bördo. Er verzog das Gesicht. »Und sie sind so häßlich.« »Sie sehen alt aus«, bestätigte der Orxeyaner und fügte zweifelnd hinzu: »Aber sie sind nicht alt. Ich habe das Gefühl, daß sie eben erst geboren sind.« Bördo lachte leise. Er verstand nicht, was Synk gemeint hatte. »Du hast recht«, erwiderte Kennon. »Sie benehmen sich, als hätte man ihnen vor einigen Minuten so etwas wie ein Bewußtsein eingepflanzt.« »Das stimmt«, sagte Bördo überrascht. »Ja. Tatsächlich. Seht mal, wie sie die Roben von den anderen betasten.« »Seid mal leise«, bat Kennon. »Vielleicht können wir etwas verstehen.« Die Schnüffler in den roten Roben sprachen auf die Nackten ein. Diese hatten offenbar nicht nur Schwierigkeiten, sich richtig zu bewegen, sie hatten auch eine schlechte Auffassungsgabe, so als seien ihre Gehirne noch untrainiert. Die Rotgekleideten wurden zusehends ungeduldiger. Sie wiederholten ihre Anweisungen und sprachen immer lauter. Das kam den drei Lauschern zugute, denn nun endlich erfaßten sie, was die Roten sag ten, obwohl sie alle durcheinanderredeten. Die meisten wollten die Nack
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ten beruhigen und ihnen beibringen, daß sie sich nicht zu fürchten brauch ten. Sie versprachen darüber hinaus, sie an einen anderen Ort zu bringen, wo sie Kleider erhalten sollten und wo man ihnen alles beibringen werde, was sie wissen müßten. Dann zogen sie sich nach und nach mit den Nackten zurück, und die Halle leerte sich. »Und jetzt?« fragte Bördo. »Gehen wir nach oben?« Er zeigte auf den Antigravschacht. »Auf keinen Fall«, erwiderte der Terraner. Er erhob sich und begann mit dem Abstieg. »Ich weiß jetzt, daß wir einem der großen Rätsel von Pthor auf der Spur sind. Deshalb werde ich unter gar keinen Umständen aufgeben.« »Ich auch nicht«, erklärte Sator Synk. »Ich will wissen, was hier ge spielt wird.« Bördo legte die rechte Hand an sein Schwert. »Niemand soll behaupten können, daß ich ein Feigling bin«, versetzte er. »Deshalb werde ich bei euch bleiben, obwohl ich ganz gern wieder an der frischen Luft wäre.« Er folgte Kennon und Synk, die den Boden der Halle schon wieder er reicht hatten. Der Terraner zeigte auf die Gangöffnung, durch die die Nackten die Halle betreten hatten. »Dort geht es weiter«, sagte er. »Vielleicht brauchen wir gar nicht weit zu gehen, um den Dingen auf die Spur zu kommen.« Sie betraten den Gang, der von würfelförmigen Leuchtelementen erhellt wurde, die in den grob behauenen Fels eingelassen waren. Ein eigenartiger Geruch wehte ihnen entgegen. »Es stinkt«, stellte Bördo fest. Er blickte Kennon an. »Witterst du gar keine Gefahr, Krüppel?« Das war zuviel für Kennon. Er blieb stehen und drehte sich um. »Du solltest froh darüber sein, daß die Natur dir einen gesunden Körper geschenkt hat«, entgegnete er zornig. »Es ist nicht angenehm, in einem Körper zu leben, wie ich ihn habe. Ich würde lieber einen Körper haben wie du …« »Jeder erhält das, was er verdient.« »Sei endlich still, du Dummkopf«, sagte Sator Synk drohend, »sonst bringe ich dir Manieren bei. Kennon hat mehr Verstand im kleinen Finger als du im ganzen Kopf, und das ist tausendmal mehr wert als ein paar Muskeln.« Bördo lachte. »Ohne meine Muskeln wäre er längst ein toter Mann. Was hätte er denn ohne mich gegen die Bestien und die Organklumpen tun können?« Synk fuhr sich mit den Finger durch den Bart. Seine Augen blitzten är
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gerlich. »Ich gehe jede Wette mit dir ein, daß er auch das geschafft hätte. Irgend etwas wäre ihm eingefallen, worauf du nie gekommen wärst.« »Laßt den Streit«, bat Sinclair Marout Kennon. »Bördo leidet noch im mer unter den Nachwirkungen des Giftgases, das er eingeatmet hat. Das ist der Grund dafür, daß er ein wenig wirr redet.« »So? Rede ich wie ein Verrückter? Irgend jemand hat mal gesagt, daß nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist lebt.« Kennon lächelte. »Das ist richtig. Ein Terraner hat dieses Wort geprägt, aber damit hat er nicht gemeint, daß ein Krüppel wie ich von vornherein auch schwachsin nig ist. Er hat damit dazu aufgefordert, den Körper zu trainieren und zu stählen, damit der Geist gesund bleibt. Das Wort sollte jedoch keine Grundlage für deinen Hochmut sein.« Bördo errötete. Mit derart verweisenden Worten hatte er nicht gerech net. Hilfesuchend blickte er den Orxeyaner an. »Er hat uns noch immer nicht die Wahrheit gesagt«, erklärte er und zeigte auf Kennon. »Wir beide haben das Gefühl, daß wir ihm schon ir gendwo mal begegnet sind, aber er gibt es nicht zu.« »Warum auch?« Das Lächeln des Terraners vertiefte sich. »Euer Gefühl täuscht euch. Ich schlage jedoch vor, daß wir den Streit beenden und wei tergehen. Die Schnüffler haben uns bis jetzt nicht erwischt, das sollte uns nicht dazu verleiten, unvorsichtig zu werden.« »Auch darin hat er recht«, erklärte Sator Synk. »Komm, Bördo.« Murrend folgte der Junge dem Orxeyaner. Er legte die linke Hand an den Bauch. Kennon sah ihm an, daß ihm übel war. Das Gift war noch nicht aus seinem Körper. Daher verzieh er ihm die beleidigenden Bemer kungen. Als sie etwa dreißig Meter weit in den Gang vorgedrungen waren, ver nahmen sie dröhnende Schläge vor sich. »Was ist das?« fragte Synk, wartete jedoch keine Antwort ab, sondern eilte weiter. An einer Gangbiegung blieb er stehen und winkte Kennon und Bördo zu. Sie schlossen zu ihm auf und blickten in ein Gewölbe, in dessen Boden ein großes Loch gähnte. Ortuga, der geheimnisvolle Mann mit dem Büf felkopf, rammte seine Hörner immer wieder gegen eine Tür, die sich auf der anderen Seite des Loches befand. Öffnen konnte er sie damit aller dings nicht. Sie widerstand seinen Bemühungen und wies noch nicht ein mal Kratzer auf. Synk wollte Kennon festhalten, als dieser an ihm vorbeiging, und ihn daran hindern, sich bemerkbar zu machen, doch es war schon zu spät. »Ortuga«, rief der Kosmokriminalist. »Bist du von Sinnen?«
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Der Büffelköpfige fuhr wie vom Schlag getroffen herum. Die Kette wir belte um sein Handgelenk. Mit verengten Augen blickte er den Terraner an, der sich ihm furchtlos näherte. »Wenn du noch mehr Lärm machst, werden die Schnüffler kommen und dir Schwierigkeiten machen«, erklärte der Verwachsene. »Außerdem glau be ich nicht, daß du die Tür zerschlagen kannst.« Ortuga schnaufte wie ein Büffel, und er scharrte mit dem rechten Fuß, als wolle er angreifen. Kaum zwei Meter von ihm entfernt blieb Kennon stehen. Forschend blickte er Ortuga an. Er wußte nicht, wer zur Zeit die Oberhand über ihn hatte. War es jenes rätselhafte Wesen, dessen Bewußtsein in der Peripherie der Sonne existiert hatte? War es jener Ortuga, der sich dagegen gesträubt hatte, in dem Bewußtseinskonglomerat des schwarzen Kerns der Sonne aufzugehen? Oder war es jener Wahnsinnige, der ursprünglich in dem büffelköpfigen Körper gelebt hatte und der von einem Unbekannten zu einem langsamen Tod in einem zugemauerten Verlies verurteilt worden war? »Warum hältst du dich nicht von ihm fern?« fragte Synk leise. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Kennon, daß der Orxeyaner sich Ortuga von der anderen Seite her näherte. Er umklammerte den Schwertgriff mit beiden Händen. »Sollen die Roten nur kommen«, sagte der Büffelköpfige. »Ich fürchte mich nicht vor ihnen.« Ortuga hatte seine zerschlissenen Kleider gegen einen roten Fetzen aus gewechselt, den er sich um die Hüften geschlagen hatte. Sein Oberkörper war muskulös und dicht behaart. »Dennoch ist nicht nötig, daß wir sie herbeirufen«, entgegnete Kennon. »Geh zur Seite, damit ich die Tür öffnen kann.« Ortuga gehorchte! Seine Arme sanken herab. Klirrend fiel das Ende der Kette, mit der er noch vor wenigen Stunden an die Felsen gefesselt war, auf den Boden. »Endlich wirst du vernünftig«, sagte der Terraner. Er ging an Ortuga vorbei. »Du hast also eingesehen, daß du ohne unsere Hilfe nicht weiter kommst?« »Das mußte ich wohl.« Kennon untersuchte die Tür. Sie bestand aus hochfestem Stahl und war mit einem Computerschloß gesichert, das sich auf keinen Fall gewaltsam öffnen ließ. Wer es überwinden wollte, mußte schon sehr viel von Elektro nik und von Computerprogrammierung verstehen. »Ich hoffe, du wirst mir einige Fragen beantworten«, fuhr der Terraner fort. »Nein.« Die Antwort Ortugas kam schnell und entschlossen. Sie ließ
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keinen Zweifel daran, daß er nichts von sich preisgeben wollte. Kennon trat von der Tür zurück und überlegte. Dabei blickte er in den Schacht in der Mitte des Gewölbes. Bisher hatte er ihn sich noch nicht an sehen können, weil er sich ganz auf Ortuga konzentriert hatte. Jetzt stellte er fest, daß es ein Antigravschacht war, der mehr als dreihundert Meter in die Tiefe führte. Er wurde von schimmernden Kristallen an seinen Wän den matt erhellt. Verwundert blickte Kennon den Büffelköpfigen an. »Das ist ein Antigravschacht. Warum benutzt du ihn nicht?« fragte er. »Er ist nach oben gepolt«, erwiderte Ortuga. »Und ich habe nirgendwo eine Schaltung gefunden.« Bördo bückte sich und nahm einen Stein auf. Er warf ihn in die Öff nung. Das Antigravfeld erfaßte den Stein und ließ ihn sanft nach oben schweben. Als er etwa zwei Meter hoch war, glitt er zur Seite und fiel auf den Boden. »Das hilft uns also gar nichts«, sagte Kennon. »Du hast recht. Hinter der Tür könnte eine Treppe sein.« »Davon bin ich überzeugt.« »Was redet ihr eigentlich herum?« fragte Synk ungeduldig. »Kannst du die Tür öffnen oder nicht? Wenn du es kannst, dann beeile dich gefälligst. Hier können die Schnüffler uns ziemlich leicht in die Zange nehmen.« Der Kosmokriminalist wandte sich wieder der Tür zu, ohne auf die Worte des Orxeyaners einzugehen. Sator Synk hatte recht. Es war leicht sinnig, länger als notwendig in diesem Gewölbe zu bleiben. Er experimentierte fast eine halbe Stunde lang mit dem Schloß herum. Sator Synk und Bördo wurden bereits ungeduldig, während Ortuga gelas sen zusah. »Wie lange brauchst du noch?« fragte der Junge. »Vielleicht sollten wir es mit den Schwertern versuchen.« Es knackte im Schloß, und die Tür glitt zur Seite. Dahinter begann eine Wendeltreppe, die an der Außenwand des Anti gravschachts entlangführte. »Schnüffler kommen«, sagte Bördo. Er zeigte auf den Schacht und zog sich gleichzeitig von diesem zurück. Kennon trat an den Schacht heran und blickte vorsichtig hinein. Er sah, daß die Schnüffler nur noch etwa zehn Meter unter ihm waren. Sieben tru gen die bekannten roten Roben. Die übrigen, die in der Überzahl waren, trugen nichts. Sie sehen aus, als ob die organische Grundsubstanz nicht ausgereicht hätte, dachte der Terraner. Armselige Gestalten, die sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten können. Er fragte sich, warum der, der hinter dem ganzen Geschehen stand,
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nicht Technos für die in den Höhlen anfallenden Arbeiten einsetzte, son dern lieber auf Geschöpfe zurückgriff wie die Schnüffler. »Komm schon«, sagte Synk drängend. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und zog ihn durch die Tür. Er wollte diese zuwerfen, aber Ken non hinderte ihn daran. »Das wäre eine Katastrophe, die uns sofort verraten würde«, erläuterte er und schob die Tür vorsichtig zu. Mit Hilfe der Platine, die er im Schloß bewegte, verriegelte er sie. »Da hätte ich wohl fast einen Alarm ausgelöst, wie?« fragte Synk verle gen grinsend. »Allerdings.« Kennon blieb an der Tür stehen und horchte. Er hörte, wie die Schnüff ler aus dem Antigravschacht kamen. Die Nackten stießen klagende Laute aus. Ihnen schien es hier oben zu kalt zu sein. Heftig lamentierend entfernten sie sich. »Also dann«, sagte Kennon. Er schob sich an den anderen vorbei und blieb vor Ortuga stehen. »Bleibst du bei uns?« Die dunklen Augen des Büffelköpfigen blickten ihn an, ohne daß er ih ren Ausdruck deuten konnte. »Vorläufig ja«, erwiderte Ortuga leise. »Die Tafel muß irgendwo da un ten sein.« »Was für eine Tafel?« »Das geht dich nichts an.« »Oho, Freundchen«, entgegnete Bördo furchtlos. »Du hast uns lange ge nug an der Nase herumgeführt. Jetzt ist es Zeit, daß du endlich den Schna bel aufmachst.« »Halte den Mund, Kleiner, oder ich nehme dich auf die Hörner«, sagte Ortuga über die Schulter hinweg. Er hielt es nicht für nötig, sich dem Jun gen zuzuwenden. Der Sohn Sigurds wollte sich nicht so abspeisen lassen. Er griff nach seinem Schwert, um dem Büffelköpfigen auf seine draufgängerische Art zu antworten, doch Sator Synk hielt ihn zurück. »Laß das schön bleiben, Bördo. Schone deine Kräfte für später. Du wirst sie brauchen.« Sie stiegen die Stufen hinunter. »Ich will, daß er mich respektiert«, erklärte Bördo wütend. »Wenn er das nicht will, soll er verschwinden. Wir haben ihn nicht gerufen.« »Hast du gehört?« fragte der Orxeyaner. Ortuga ging nicht auf seine Worte ein. Er kicherte, als sei er nicht bei Sinnen. Kennon, der die Gruppe anführte, erschauerte. Er wußte, daß in diesem Moment das dem Wahnsinn verfallene Bewußtsein vorherrschte. Es war
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unberechenbar und gefährlich. Er wünschte, sie wären dem Büffelköpfigen nicht noch einmal begeg net. Klagelaute zeigten an, daß sie sich einem größeren Raum näherten. Kennon bedeutete Bördo und dem Orxeyaner, die miteinander stritten, daß sie ruhig sein sollten. Vorsichtig schob er sich an der Wand des Antigravschachts entlang bis er in eine matt erleuchtete Höhle sehen konnte, in der sich etwa hundert gräßlich verformte Gestalten zusammendrängten. Sie boten das gewohnte Bild, da sie mit den Füßen am Boden klebten und sich nicht fortbewegen konnten. Das biologische Ausgangsmaterial der Umformung waren ausschließ lich nackte Technos. Es waren alte verbrauchte Männer. Sie boten einen bejammernswerten Anblick. Ihre Haut war faltig und schlaff, und ihre Gesichter waren grau und ausgemergelt, als hätten die Technos seit Wochen Hunger und Durst gelitten. Aus ihren Beinen waren rötliche und blaue Klumpen geworden, aus denen dünne Tentakel herausragten. Die Augen der gequälten Wesen waren stumpf und leer, wie die von seelenlosen Puppen. »Nimmt denn das überhaupt kein Ende?« fragte Synk entsetzt. »Warum werden diese Kreaturen in Bestien verwandelt? Kann man sie nicht in Frieden sterben lassen?« »Sie sind längst tot«, sagte Kennon. Er wollte sich nicht bei dieser Halle aufhalten, weil sie nichts Neues bot, sondern weitergehen. Sator Synk aber schritt in die Halle hinein. Dicht vor einem der Gefangenen blieb er stehen und blickte ihm in die Au gen, wobei er darauf achtete, daß er nicht in den Fangbereich der Tentakel kam. »Hörst du mich?« fragte er. Der Techno antwortete nicht. Seine Augen blieben so ausdruckslos wie die eines Autistikers. »Bitte, laßt uns weitergehen«, sagte Kennon. Ihn quälten die Gedanken, seine Freunde und er könnten in die Gewalt jener geraten, die diese Meta morphose lenkten. »Ich bin froh, wenn mir diese Kreaturen aus den Augen sind«, bemerkte Bördo und schloß sich ihm an. Ortuga schüttelte den mächtigen Kopf und schnaufte zornig. Es schien, als wolle er seine Hörner gegen einen unsichtbaren Feind richten. Sator Synk wollte sich umdrehen. Er konnte es nicht. In seinem Entsetzen schrie er gellend auf.
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2.
»Ich klebe fest«, rief der Orxeyaner. »Ich kann die Füße nicht mehr he ben.« Kennon und Bördo liefen zu ihm hin, ergriffen seine ausgestreckten Ar me und versuchten, ihn wegzuzerren. Vergeblich. Ortuga lachte schrill. Er trabte in der Halle hin und her, neigte den Kopf weit nach vorn, rannte schließlich auf den Orxeyaner zu, und als es schon schien, daß er ihn aufspießen werde, drückte er ihm den Schädel gegen den Leib. Wild schnaubend stemmte er sich mit den Füßen ab, konnte Synk jedoch nicht von der Stelle bewegen. »Zieh die Stiefel aus«, schrie Bördo, der außer sich war vor Angst um den Freund. »Es geht nicht«, antwortete Synk verzweifelt. »Ich habe es schon ver sucht.« Ratlos blickten sich Bördo, Kennon und Ortuga an. Sie wußten nicht mehr, was sie tun sollten. »Laßt mich nicht hier«, sagte der Orxeyaner mit versagender Stimme. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er wandte sich von den verformten Ge stalten der Technos ab. »Ich spüre es schon. Es will mich übernehmen. Da ist etwas Fremdes. Helft mir. Es darf mich nicht bekommen. Ich will nicht zur Bestie werden.« Angst und Entsetzen prägten sein Gesicht. Wieder zerrten Kennon, Bör do und Ortuga mit aller Kraft an ihm, sie erzielten jedoch nicht den ge ringsten Erfolg. »Dir fällt doch immer etwas ein«, schrie der Sohn Sigurds den Terraner an. »Warum jetzt nicht?« Kennon wich einige Schritte von Synk zurück. Bördo folgte ihm und packte ihn bei den Schultern. »Los doch. Wo bleiben deine Ideen?« Kennon stieß ihn zurück, aber Bördo stürzte sich erneut auf ihn. »Rede doch endlich«, schrie er. Sinclair Marout Kennon handelte kühl und entschlossen. Er wich einen Schritt zurück. Bördo folgte ihm und gab sich dabei die erwartete Blöße. Kennon schlug so hart zu, wie er eben konnte. Er traf den Jungen am Kinn und schleuderte ihn zu Boden. Betäubt blieb Bördo lie gen. »Nimm ihn und trage ihn zur Treppe«, befahl Kennon in einem Ton, der keine Widerrede duldete. Ortuga gehorchte. Er hob den Jungen auf und trug ihn hinaus.
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Langsam ging der Terraner zu Sator Synk hin. Die Kehle schnürte sich ihm zu, als er dessen Augen sah. In ihnen spiegelte sich die ganze Qual des Orxeyaners. »Ruhig, Synk«, sagte er beherrscht. »Mir fällt etwas ein. Darauf kannst du dich verlassen. Ich mußte Bördo nur zur Ruhe bringen, damit ich nach denken kann.« »Bitte«, flüsterte der Orxeyaner. »Denke schnell.« Ortuga führte den Sohn Sigurds, nachdem dieser sich erholt hatte, zu ihm. »Es tut ihm leid«, sagte der Büffelköpfige. Kennon blickte auf die Füße Synks, und plötzlich wußte er, was zu tun war. Er wandte sich um und legte Bördo die Hand auf die Schulter. »Du bist kräftig, und du hast eine sichere Hand, Bördo. Deshalb wirst du es übernehmen, Synk zu befreien.« Er sprach so leise, daß der Orxeya ner ihn nicht verstehen konnte. »Was soll ich tun?« »Nimm dein Schwert und durchtrenne die Sohlen seiner Stiefel. Das ist die einzige Chance, die er hat. Ich traue dir zu, daß du das Schwert so ge schickt führen kannst, daß du ihn nicht verletzt. Hast du mich verstan den?« Der Sohn Sigurds nickte. Er zog das Schwert aus dem Gürtel und näherte sich Synk. Dessen Au gen weiteten sich. Er glaubt, daß Bördo ihn töten will, schoß es Kennon durch den Kopf. »Sei ruhig«, sagte er laut. »Dir passiert nichts.« »Was habt ihr vor?« fragte Synk keuchend und streckte abwehrend die Hände aus. »Wollt ihr …?« Kennon schüttelte den Kopf. »Ob wir dich umbringen wollen? Natürlich nicht. Sei kein Narr. Wir wollen dir helfen.« Mit seinen Worten lenkte er den Freund ab. Bördo holte weit aus, ließ sich fast auf die Knie herabfallen und schlug mit ganzer Kraft zu. Das Schwert fuhr blitzend auf den rechten Fuß Sator Synks zu. Der Orxeyaner schrie auf und beugte sich nach vorn, als wolle er das Schwert mit den Händen aufhalten. Die Klinge fuhr mit einem seltsam knackenden Laut unter dem Fuß hin durch und zerschnitt die Ledersohle seines Stiefels. Synk zog unwillkürlich das rechte Bein an. Er war frei. Fassungslos blickte er Kennon an, während Bördo bereits zum nächsten Streich ausholte, den er dieses Mal gegen den linken Fuß des Orxeyaners führte.
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Sator Synk fühlte, wie ihm die Klinge siedend heiß unter der Fußsohle entlangfuhr und das Leder durchtrennte. Nur Millimeter höher hätte sie seinen Fuß getroffen. Die abgeschnittenen Sohlen hafteten auf dem Fels. Synk aber war frei. Er rannte wie von Furien gehetzt auf den Ausgang zu und blieb erst an der Treppe wieder stehen. Hier hob er seinen rechten Fuß an und betastete die ihm verbliebene, hauchdünne Sohle mit den Fingern. »Ich glaube, wenn ihr mir das vorher gesagt hättet, wäre ich nicht ein verstanden gewesen.« Er lächelte verzerrt, als Kennon, Ortuga und Bördo zu ihm kamen. Dann streckte er dem Sohn Sigurds spontan die Rechte ent gegen, um ihm zu danken. Bördo ergriff sie. »Ich glaube, ich habe mehr Angst als du gehabt«, sagt er. »Noch nie zu vor mußte ich so genau treffen.« Sator Synk lachte. »Und ich habe mir eingebildet, ich könnte dir beim Schwertkampf noch etwas beibringen«, sagte er. Während sie Stufe um Stufe hinabstiegen, fragte Kennon sich, ob auch in diesem Bereich der subpthorischen Anlage nur Manipulationshöhlen vor handen waren, oder ob es irgendwo auch eine Steuerzentrale gab. Du bist zu sehr in technischem Denken gefangen, warf er sich in Gedan ken vor. Auf Pthor gab es zahllose Dinge, die sich mit der Physik, wie er sie gelernt hatte, nicht erklären ließen. Vielleicht sah hier tief unter der Ebene Kalmlech alles ganz anders aus? Vielleicht gab es überhaupt keine technischen Anlagen, sondern ein organisches Hirn, das alle Vorgänge mit geistigen Impulsen steuerte. Die Höhle, in der Sator Synk beinahe einem grausigen Schicksal ausge liefert worden wäre, lag schon weit hinter ihnen. Kennon schätzte, daß sie sich nun schon etwa hundert Meter unter dem Ausgang des Antigrav schachts befanden. Er merkte, daß sich etwas veränderte. Die Schritte auf dem Stein der Stufen klangen anders. Die Geräusche fingen sich nicht mehr in dem engen Treppengang. »Vorsicht«, sagte er und blickte über die Schulter zu den anderen zu rück. »Ich glaube, vor uns ist eine Höhle.« Um nicht von einer Wache überrascht zu werden, verlangsamte er seine Schritte und bemühte sich, alle Geräusche zu vermeiden. Dann blieb er zö gernd stehen. »Was ist los?« fragte Bördo, der sich hinter ihm befand. Kennon atmete auf. »Wir können weitergehen«, sagte er. »Keine Gefahr.« Eine Höhle öffnete sich vor ihnen, die mit allerlei Gerümpel gefüllt war. Sie sah aus, als sei hier nur Abfall abgeladen worden. Kisten, Dosen, Ma
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schinenteile, Kleidungsstücke, Drähte und zahllose andere Dinge lagen wirr durcheinander. Kennon wollte bereits an der Höhle vorbeigehen, als ihm der Gedanke kam, daß unter dem Gerümpel eine geeignete Waffe für ihn sein könnte. »Wartet«, sagte er daher. »Es könnte sein, daß wir etwas davon gebrau chen können.« »Eine gute Idee«, lobte Ortuga. »Ich suche schon lange nach einem Werkzeug, mit dem ich die Kette entfernen kann.« Er hob den Arm, und Kennon sah, daß die Metallmanschette sein Hand gelenk blutig gescheuert hatte. »Das ist nicht gerade angenehm«, fügte der Büffelköpfige hinzu. Er betrat die Höhle, stieß eine Plastikkiste mit dem Fuß weg und nahm eine Eisenstange auf, um sie auf ihre Eignung zu prüfen. Er schleuderte sie tiefer in die Höhle hinein, wo sie klirrend gegen die verstaubte Instrumen tenwand eines ausrangierten Computers fiel. »Muß das sein?« fragte der Orxeyaner mißmutig. Da er ein Schwert und einen Lähmstrahler hatte, war er ausreichend ausgerüstet. Er hielt es nicht für notwendig, daß Ortuga und Kennon sich auch noch ausrüsteten. Der Terraner betrat die Höhle einige Meter von dem Büffelköpfigen entfernt. Ein fast zwei Meter hoher Gerümpelhaufen trennte ihn von dem geheimnisvollen Wesen. Er blieb stehen und sah sich suchend um. Auf den ersten Blick schien unter den Eisenstangen, Kisten, Rädern, Platten, Drähten und Formteilen nichts zu sein, was er gebrauchen konnte. Dann aber bemerkte er etwas Helles. Er beugte sich über das Gerümpel und wischte ein wenig Staub von einem gebogenen Stück, das er für Stahl hielt. Da erst ging ihm auf, daß er ein Schwert gefunden hatte. Er packte den Griff und zog die Waffe aus dem Gerümpel. »Ich habe ein Schwert«, rief Kennon. »Seht es auch an. Es ist vollkom men in Ordnung und sehr leicht.« Er wirbelte es um den Kopf. Die Waffe lag in der Hand, als sei sie für ihn gemacht. »Das wäre etwas für mich«, sagte Ortuga. »Such dir selber eins«, erwiderte Kennon. Er kehrte an den Eingang der Höhle zurück und sah den Büffelköpfigen erst jetzt wieder. Ortuga war noch weiter in die Höhle eingedrungen. Etwa drei Meter hinter ihm richtete sich ein metallenes Gestell auf, das entfernt an einen Roboter erinnerte. Es glich einem unvollkommenen Ske lett. In den klauenartigen Händen hielt es eine Eisenstange. »Ortuga«, rief Kennon. »Vorsicht.« Der Büffelköpfige wollte sich umdrehen, doch es war schon zu spät. Das Metallgerüst schlug ihm die Eisenstange quer über den Rücken. Mit
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einem Aufschrei stürzte der Büffelköpfige zu Boden. Aber auch für den Roboter war die Anstrengung zu groß gewesen. Ei nes der Mittelgelenke fiel auseinander, und das Gerüst sackte polternd in das Gerümpel. Eine blaue Stichflamme schoß daraus hervor, und krachend explodierten die Reste. Kennon warf sich auf den Boden, um von den herumfliegenden Trüm mern nicht getroffen zu werden. Als er wieder aufstand, waren Bördo und Sator Synk schon bei ihm. »Bist du verletzt?« fragte der Orxeyaner. »Nein. Ich bin in Ordnung, aber ich glaube, Ortuga hat es erwischt.« Der Terraner nahm das Schwert auf, das ihm entfallen war, und eilte zu dem Büffelköpfigen, der auf dem Rücken lag und Arme und Beine von sich streckte. Er beugte sich über ihn und legte ihm die Finger an den Hals, um den Pulsschlag zu prüfen. »Was soll das?« fragte Synk. »Siehst du nicht, daß seine Augen gebro chen sind?« Kennon senkte den Kopf. Er hatte es gesehen, dennoch hatte er sich da von überzeugen wollen, daß Ortuga nicht mehr zu helfen war. Der Schlag des Roboters hatte den geheimnisvollen Mann mit fürchterlicher Wucht getroffen. »Ja. Ich weiß. Es ist aus«, sagte er leise. »Du bist ein seltsamer Mensch«, bemerkte Bördo. »Dir scheint es leid zu tun, daß er tot ist. Ich dagegen bin froh, daß es so ist. Er war eine Ge fahr für uns. Sein Verstand hatte sich verwirrt, so daß wir nie genau wuß ten, was er tun würde.« »Es ist wirklich eigenartig.« Synk schüttelte den Kopf, als könne er sich selbst nicht verstehen. »Ich empfinde eine gewisse Sympathie für ihn.« Bördo wandte sich ab und ging zur Treppe. Er setzte sich auf die Stufen. »Was machen wir mit ihm?« fragte Kennon unschlüssig. »Wir lassen ihn liegen. Wir haben schließlich keine Möglichkeit, ihn zu begraben.« »Wir könnten zumindest ein wenig Gerümpel über ihn legen.« Synk schürzte die Lippen. »Nicht doch. Wir wollen nicht sentimental werden. Auch eine symboli sche Beerdigung wäre nicht sinnvoll. Hier gibt es nichts, das die Leiche gefährden würde. Oder hast du wilde Tiere gesehen?« Voller Unbehagen blickte Kennon Ortuga an. Er zuckte zusammen. »Komm. Wir gehen weiter«, sagte Synk und wandte sich ab. Kennon hielt ihn fest. »Sieh doch«, forderte der Terraner.
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»Was ist?« fragte Synk verblüfft. »Stimmt was nicht?« »Sieh ihn dir doch an.« Der Orxeyaner drehte sich um – und erstarrte. Er sah, daß die Augen Ortugas sich bewegten. »Das gibt es doch nicht«, sagte er flüsternd. »Er ist tot.« Der Büffelköpfige atmete so tief ein, daß sich seine Brust deutlich hob. Dann stöhnte er leise. Seine Hände erbebten und schoben sich unter den Rücken. Ortuga blickte Kennon an. »Was ist los?« fragte er mühsam. »Wer hat mich geschlagen?« »Er ist tot«, wiederholte Synk stammelnd. Er wich vor Ortuga wie vor einem Gespenst zurück. Bördo war aufmerksam geworden. Er eilte heran. Ortuga richtete sich auf. Stöhnend preßte er die Hände gegen den Rücken. »Ich habe das Gefühl, jemand hat mir den Rücken zerschlagen«, sagte er mit krächzender, schwer verständlicher Stimme. »Was ist passiert?« Kennon zeigte auf die rauchenden Reste des Roboters. »Hier war eine Maschine. Sie hat dich mit einer Eisenstange angegrif fen. Danach ist sie explodiert.« Ortuga lachte dumpf. »Dann ist es ihr schlechter ergangen als mir.« Er zog die Beine unter den Leib und kniete sich hin, wobei er sich mit beiden Händen auf dem Boden abstützte. Er krümmte den Rücken wie ei ne Katze und reckte sich. Er stöhnte vor Schmerz. Dann aber erholte er sich erstaunlich schnell. Er stand auf und verließ die Höhle, wobei er starr geradeaus blickte. Fassungslos schüttelte Sator Synk den Kopf. »Er war tot. Ich weiß es genau«, sagte er. Kennon folgte Ortuga. Er sah, daß der Büffelköpfige stolperte und der Länge nach auf den Boden stürzte. Ächzend wälzte Ortuga sich auf den Rücken herum. Die Augen quollen ihm weit aus den Höhlen. »Es tut so weh«, klagte er. »Diese Teufel. Warum quälen sie mich so?« Der Terraner kniete sich neben ihm hin. »Bleib liegen«, sagte er eindringlich. »Du mußt dich erholen. Du bist verletzt. Sei froh, daß du noch lebst.« Ortuga schrie auf. Er packte den Arm Kennons so fest, daß der Ver wachsene schmerzgepeinigt das Gesicht verzog. »Ich soll froh sein, daß ich noch lebe!« Ortuga stieß Kennons Arm von sich. »Willst du mich verhöhnen?« »Wie könnte ich das, da ich so gut wie nichts von dir weiß?« »Verzeih. Es sind die Schmerzen. Sie machen mich wahnsinnig. Wenn
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ich gewußt hätte, was auf mich wartet, wäre ich nie in diesen Körper ge gangen. Kannst du dir vorstellen, was es bedeutet, im Gehirn eines Wahn sinnigen zu sein? Ständig höre ich seine Gedanken. Sie peinigen mich un unterbrochen, und ich kann mich nicht vor ihnen verschließen. Ich spüre, daß ich mich dem Wahnsinn nähere.« »Wer bist du, Ortuga?« fragte der Orxeyaner, der sich ebenfalls auf den Boden kniete. »Wieso sprichst du davon, daß du in diesen Körper gegan gen bist, in dem schon ein anderer ist?« Der Büffelköpfige ging nicht auf Synks Frage ein. Er sprach nur mit Kennon, weil er wußte, daß dieser ihn verstand. »Ich wäre froh gewesen, wenn dieser Körper gestorben wäre«, erklärte er leise. »Ich wäre frei geworden und hätte mich retten können. Aber der Dunkle Oheim läßt seine Feinde nicht frei. Wenn er sich entschlossen hat, sich zu rächen, dann rächt er sich, und seine Rache nimmt kein Ende.« »Du bist ein Feind des Dunklen Oheims?« fragte der Terraner. »Was hast du getan?« »Ich habe gegen ihn gekämpft. Ich wollte ihn ablösen.« Der Kosmokriminalist erschauerte, als er diese Worte hörte. Für einen Moment hatte er geglaubt, sich in Ortuga geirrt zu haben und eine positive Kraft in ihm zu erkennen. Doch jetzt erfaßte er, daß das ein gefährlicher Irrtum gewesen wäre. Ortuga hatte gegen den Dunklen Oheim gekämpft, jedoch nur, um selber an seine Stelle treten zu können. Kennon dachte daran, wie er Ortuga zum erstenmal begegnet war. Das war gewesen, als er von Dorkh zurückgekehrt war, als sein Bewußtsein aus dem Körper Grizzards in seinen eigenen stürzen sollte. Da hatte er Ortuga gespürt, der an der Peripherie des schwarzen Kerns der Sonne gelebt hatte. Ein Sog hatte sein Bewußtsein erfaßt, und es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre nicht in seinen Körper geglitten, sondern im schwarzen Kern der Sonne in einem unübersehbaren Meer von anderen Bewußtseinen versunken. Ortuga aber hatte sich bei dem Versuch, Kennons Körper zu erobern, weit vom schwarzen Kern der Sonne entfernt. Er wollte Pthor durch die Dimensionen folgen, und er hatte dieses Ziel erreicht. Doch dann war er in den Körper des Büffelköpfigen gefahren, der in einem vermauerten Ver lies an die Felsen geschlagen worden war – in den Körper eines Wahnsin nigen. Kennon überlegte. Hatte Ortuga die Wahrheit gesagt? Hatte er sich wirklich aus eigener Kraft vom schwarzen Kern der Sonne ferngehalten? War es sein Wille ge wesen, nicht in dem Konglomerat der Bewußtseine aufzugehen? Oder war es ihm verwehrt gewesen, das zu tun? Er durfte nicht! dachte der Kosmokriminalist. Der Dunkle Oheim hatte
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ihn zur Einsamkeit verurteilt. An der Peripherie des schwarzen Kerns soll te Ortuga bleiben bis in alle Ewigkeit. Er sollte leiden. Hatte Ortuga aber wirklich diese Qualen gemeint, als er davon gespro chen hatte, daß die Rache des Dunklen Oheims kein Ende nahm? »Du wärest seiner Rache beinahe entgangen«, sagte er. »Es ist dir ge lungen, einen Körper zu finden, in dem du leben kannst.« Der Büffelköpfige stöhnte dumpf. »Einen unsterblichen Körper!« Wieder schob er die Hände unter den Rücken. »Unsterblich?« fragte Sator Synk. »Wir dachten schon, daß du tot bist.« Ortuga schüttelte den mächtigen Schädel. »Dieser Körper kann nicht sterben«, behauptete er. »Das Rückgrat war gebrochen, aber mittlerweile ist es wieder zusammengewachsen. Ich habe Schmerzen. Sie sind kaum zu ertragen, und sie werden nicht weichen. Auch das gehört zu seiner Rache.« »Er ist verrückt«, flüsterte Bördo kopfschüttelnd. Abermals entfernte er sich. Er glaubte kein Wort von dem, was Ortuga gesagt hatte, und er ver stand auch nicht, daß Kennon und der Orxeyaner ihm ernsthaft zuhörten. Der Büffelköpfige richtete sich erneut auf. Vorsichtig erhob er sich, wo bei er sich auf Kennon abstützte. »Das heißt also, daß du nicht verhungert wärst, wenn du in dem Verlies geblieben wärst?« fragte er. »Du hast begriffen«, erwiderte Ortuga mit gepreßter Stimme. »Ich bin in den Körper eines Wesens gefahren, das den Verstand verloren hat, weil es zur Unsterblichkeit verurteilt worden ist. Die Unsterblichkeit ist die Ra che der Herren der FESTUNG.« »Ich verstehe«, bemerkte Sator Synk. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, um den Schweiß abzuwischen. Er war blaß geworden. »Der Büffelköpfige hat sich gegen die Herren der FESTUNG aufgelehnt und ist dafür zu lebenslangem Kerker verurteilt worden. Da er unsterblich wurde, bedeutet dieses Urteil, daß er ewig in seinem Verlies bleiben mußte.« Sinclair Marout Kennon nickte. »Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, daß er vielleicht schon Jahre in dem Loch gewesen ist, bevor du mit deinen Faustschlägen die Mauer zerstört hast«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie lange er schon in dem Loch war«, bemerkte Ortu ga. »Es muß jedoch so lange gewesen sein, daß er darüber den Verstand verloren hat.« Er preßte plötzlich beide Hände an den Kopf und krümmte sich wim mernd zusammen. Unverständliche Laute kamen über seine Lippen. Tau melnd bewegte er sich durch die Höhle. Seine Füße verfingen sich in ei nem Stahlstück, und er stürzte zu Boden. Schmerzgepeinigt schrie er auf.
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Kennon, Synk und Bördo beobachteten ihn. Alle drei fühlten sich hilf los, und ihnen graute. Bisher hatte keiner von ihnen daran gedacht, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie dem Dunklen Oheim in die Hände fielen. Jetzt begannen sie zu ahnen, daß sie ihren Kampf mit einem grauenhaften Schicksal be zahlen mußten – falls sie ihn verloren. Sie erinnerten sich daran, daß Pthor seine bisherige Position verlassen hatte und durch die Dimensionen glitt, und keiner von ihnen zweifelte dar an, daß am Ende dieser Reise der Dunkle Oheim oder einer seiner Scher gen auftauchen würde. Sie fragten sich, ob es keine Möglichkeit gab, Pthor aufzuhalten oder in eine andere Richtung zu lenken. Waren sie dem Dunklen Oheim wirklich auf Gedeih und Verderb aus geliefert? »Bitte. Sagt ihm, daß er aufhören soll zu schreien«, bat der Sohn Si gurds. »Ich ertrage das nicht.« Ortuga wälzte sich auf dem Boden hin und her. Für Kennon war klar, daß der Wahnsinnige die Macht übernommen hatte. Beide Persönlichkei ten kämpften miteinander, und beide litten unter Schmerzen, die durch den Körper tobten. Sator Synk hob sein Schwert. »Wir sollten ihn von seinen Qualen erlösen«, sagte er. »Nein«, widersprach Kennon. »Das hat keinen Sinn. Du kannst ihn nicht töten. Oder hast du schon vergessen, wie das mit seinem Rücken war?« Der Orxeyaner blickte auf den Boden und preßte die Lippen zusammen. »Ich kann dieses Geschrei nicht mehr hören.« »Wenn es in unserer Macht stünde, ihn zu erlösen, würde ich es tun«, erklärte Kennon. »Es muß eine Möglichkeit geben«, Bördo griff nach dem Arm des Ter raners. »Sicher gibt es eine Möglichkeit«, erwiderte Kennon, »aber nicht für uns.« »Vielleicht doch.« Das Gesicht des Jungen rötete sich vor Erregung. »Hat er nicht davon gesprochen, daß er die Tafel finden muß?« »Ja. Das ist richtig. Er hat eine Tafel erwähnt«, erwiderte der Verwach sene. »Vielleicht ist sie hier irgendwo in der Anlage«, sagte Synk. Ortuga verstummte. Er streckte sich auf dem Boden aus. Seine Augen tränten. »Es ist vorbei«, stellte Kennon fest. »Er hat den Wahnsinnigen zurück gedrängt.«
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Er ging zu dem Büffelköpfigen hin und kniete sich neben ihm nieder. »Hör zu, Ortuga«, sagte er. »Wir werden dich nur dann bei uns dulden, wenn du uns endlich erklärst, welche Tafel du suchst. Wenn wir wissen, was für eine Tafel du meinst, werden wir dir helfen, sie zu finden.« Ortuga antwortete zunächst nicht. Er schien erschöpft zu sein. Er atmete laut und keuchend, und seine Hand tastete nach der des Terraners. Einige Minuten verstrichen. »Irgendwo hier in den Höhlen muß die Tafel sein, in der magische Kräf te vereinigt sind. Von ihr gehen die Impulse aus, die dafür sorgen, daß ich unsterblich bin. Ich spüre diese Impulse, aber ich weiß nicht, aus welcher Richtung sie kommen. Wenn ich diese Tafel finde, werde ich sie zerschla gen, und ich werde frei von der Rache sein.« Kennon versprach erneut, ihm bei der Suche zu helfen. Dabei ließ er sich durchaus nicht nur vom Mitleid leiten. Ortuga war eine äußerst ge fährliche Persönlichkeit, die keinen Einfluß gewinnen durfte. Er wollte, daß Ortuga seinen Frieden fand. Sollte sein Bewußtsein ruhig im Konglomerat der Bewußtseine in einem Kern der Sonnen aufgehen. Wichtig war nur, daß er in dieser Welt keine entscheidende Rolle spielen konnte. Er konnte sich andererseits nicht vorstellen, daß er Ortuga unter Kon trolle bekommen würde. »Was ist, wenn er durchdreht und uns angreift?« fragte Synk leise, als sie weiter nach unten gingen. »Wie können wir gegen jemanden kämpfen, den man nicht töten kann?« »Ich weiß es nicht«, antwortete Kennon.
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3.
Durch ein Loch in der Wand fiel helles Licht herein. Kennon blieb stehen. »Man kann in den Antigravschacht sehen«, sagt er, »aber das Loch ist zu hoch für uns, und Ortuga kann seinen Kopf wegen der Hörner nicht hindurchstecken.« »Ich nehme Bördo auf die Schultern.« Sator Synk gab dem Jungen ein Zeichen, und der Sohn Sigurds stellte sich so, daß der Orxeyaner ihn sich auf die Schultern heben konnte. Dann schob er seinen Kopf durch die Öff nung und blickte in den Schacht. »Wir sind etwa zweihundert Meter unter der Grotte. Vielleicht noch mehr«, berichtete er, während er nach oben blickte. Er drehte den Kopf, um nach unten zu sehen. Erschrocken fuhr er zurück. »Was ist los?« fragte Ortuga. »Still«, sagte der Junge zischelnd und legte sich die Finger warnend vor die Lippen. »Eine Bestie. Aber was für eine. Eine riesige Katze.« »Beruhige dich«, sagte Synk. »Sie ist im Schacht. Wir sind hier. Sie kann nicht zu uns.« Irgendwo unter Kennon und seinen Begleitern quietschte jetzt etwas, und Stahlplatten gerieten hörbar in Schwingungen. »Ein Tor öffnet sich«, erklärte der Terraner. »Schnell, Bördo. Sieh doch einmal durch.« Der Orxeyaner hob den Jungen hoch, so daß dieser den Kopf durch die Öffnung schieben konnte. »Die Bestie verläßt den Schacht durch ein Tor«, berichtete Bördo er regt. »Schnell. Wir müssen weg.« Ein bedrohliches Fauchen ertönte, das Ortuga, Kennon, Synk und Bördo kalte Schauer über den Rücken jagte. »Wohin?« fragte der Büffelköpfige. »Wir haben nur eine Möglichkeit. Wir müssen zurück nach oben. Wir sind eben an einer Höhle vorbeigekommen. Darin müssen wir uns ver stecken«, antwortete der Verwachsene und schob die anderen vor sich her. Bördo und Sator Synk rannten los. Sie nahmen zwei Stufen auf einmal. Ortuga stürmte hinterher. Er war größer als sie und hatte längere Beine. Mühelos überholte er sie. Kennon begann schon nach wenigen Schritten zu keuchen. Sein noch nicht gänzlich umgeformter Körper war untrainiert. Daher wurden ihm die Beine schnell schwer, und er verspürte Stiche in der Lunge. Der Abstand zwischen ihm und den anderen wurde immer größer. Die Stufen der Treppe begannen vor seinen Augen zu verschwimmen. Längst waren Ortuga, Bördo und Synk so weit voraus, daß er sie nicht
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mehr sehen konnte. Er hörte das Fauchen der Katze. Es klang so bedrohlich, daß Kennon sich noch einmal aufraffte. Er wollte zwei Stufen auf einmal nehmen, doch er konnte die Füße nicht hoch genug heben und stolperte. Er stürzte der Länge nach auf die Stufen, sprang aber sogleich wieder hoch und rannte weiter. Der Schweiß rann ihm in Bächen über das Gesicht. Er spürte, wie die Bestie näher und näher kam. Er glaubte, ihren heißen Atem bereits im Genick zu fühlen, und er meinte, die scharfen Krallen müßten sich jeden Moment in seinen Rücken bohren. Er wagte es nicht, zurückzusehen, weil er fürchtete, daß er dann aber mals fallen würde, und daß er es danach nicht mehr schaffte, erneut auf die Füße zu kommen. Er hörte, wie sich das Fell der Bestie an der Gangwand rieb. Es war ein rauhes, knisterndes Geräusch. Das Fell der Bestie schien aus dicken Bor sten zu bestehen. Der Verwachsene kämpfte mit letzter Kraft. Er wußte, daß es nicht mehr weit sein konnte bis zur Höhle. Wie von Sinnen blickte er auf die Gangwand, an der die Stufen der Wendeltreppe hochwanderten. Gleich mußte die Öffnung zur Höhle kommen. Kennons Fuß verfing sich an einer Stufe. Er fiel nach vorn. Ihm fehlte die Kraft, sich noch einmal aufzurichten. Auf allen vieren kroch er weiter und war dabei nicht weniger schnell als vorher. Verzweifelt hob er den Kopf, und unwillkürlich schrie er auf, als endlich die Öffnung der Höhle vor ihm auftauchte. Jetzt stemmte er sich doch hoch. Taumelnd vor Schwäche lief er in die Höhle. Gehetzt blickte er sich nach Bördo, Synk und Ortuga um. Sie waren nicht da. Kennon blieb wie vom Schlag getroffen stehen. Die Beine gaben unter ihm nach. Er wußte, daß er keine Zeit mehr hatte, sich noch ein Versteck zu suchen. Zu dicht war die Katze hinter ihm. Ihm blieben nur noch Se kunden, wenn er bis dahin nicht in Sicherheit war, war es zu spät. »Synk«, schrie er. »Komm. Hierher«, sagte der Orxeyaner ruhig neben ihm. Er half ihm auf die Beine. »Wir haben eine Tür gefunden.« Er führte den Terraner einige Schritte weit zu einer Holztür, die Kennon übersehen hatte. Sie befand sich direkt am Eingang der Höhle. Kaum war der Verwachsene hindurchgegangen, als ihn die Kräfte endgültig verlie ßen. Er fiel auf den Boden, weil seine Beine ihn nicht mehr tragen konn ten, und rang heftig keuchend nach Luft. Sator Synk schloß die Tür und verriegelte sie. Dann schob er Kennon die Hände unter die Arme und zog ihn einige Meter weit von der Tür weg, in der ein Brett fehlte. Ein riesiger, gefleckter Körper glitt an der Tür vorbei. Ortuga, Kennon,
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Synk und Bördo konnten ihn deutlich sehen. Aus der Kehle der Bestie kam ein tiefes Grollen. Die Katze hatte eine Schulterhöhe von wenigstens drei Metern, so daß es wie ein Wunder erschien, daß sie sich überhaupt in dem Treppengang hatte bewegen können. Einige Sekunden verstrichen. Dann kehrte die Katze zurück. Dieses Mal verharrte sie vor der Holztür. Sie schnupperte, und dann erschien ihr riesi ges, grünes Auge vor der Öffnung. »Sie sieht uns«, sagte Bördo mit bebender Stimme. »Katzen können im Dunkeln sehen.« »Sei still«, befahl Synk. »Sie braucht uns nicht auch noch zu hören.« Eine Pranke fuhr mit scharfen Krallen über die Holztür. Kennon glaubte sehen zu können, wie sich die Tür verbog, und er fürch tete, daß sie schon bei dieser leichten Berührung aus den Angeln brechen werde. Doch sie hielt. Sie zersplitterte auch nicht, als die Katze ihre Pranke dagegenschlug. »Wir müssen hier weg«, flüsterte Synk. »Seid mal leise«, bat Bördo. »Ich glaube, ich habe etwas gehört.« Sie horchten. Aus dem Innern der Höhle ertönte ein klägliches Gewimmer. »Da ist jemand«, sagte der Orxeyaner. Es schien, als hätten sie die Katze vergessen. Doch plötzlich warf sich die Bestie gegen die Tür. Diese krachte in ihren Halterungen, und ein wei teres Brett platzte heraus. Als Kennon, Synk, Ortuga und der Junge aber glaubten, daß die Katze nun energisch angreifen werde, um die Tür vollends zu zertrümmern, zog sich die Bestie zurück. Bördo eilte zur Tür und blickte hindurch. »Sie gibt auf«, berichtete er. »Sie verläßt die Höhle und zwängt sich in den Treppengang.« »Dann können wir uns um denjenigen kümmern, der sich hier ebenfalls in der Höhle versteckt hält«, sagte Sator Synk. »Seht ihr etwas?« »Ich glaube, er ist dort«, erwiderte der Büffelköpfige und zeigte in einen dunklen Winkel der Höhle. »Soll ich ihn holen?« »Wozu? Wir gehen zu ihm«, erklärte der Orxeyaner. Kennon, der bisher flach auf dem Boden gelegen hatte, setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er konnte kaum fassen, daß er der Bestie entkommen war. Er nahm sich vor, seinen Körper zu trainie ren, damit er derartigen Belastungen besser gewachsen war als bisher. All zu deutlich hatte sich gezeigt, wie sehr die anderen ihm aufgrund ihrer besseren Kondition überlegen waren. Als er die anderen sprechen hörte, hielt es ihn nicht mehr an seinem
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Platz. Er stand auf und ging zu ihnen hinüber. In einer Ecke der Grotte kauerte ein alter, in Lumpen gehüllter Techno. Um ihn herum lagen bescheidene Nahrungsmittelvorräte, einfache Werk zeuge und einige Decken. In den Händen hielt er einen Lähmstrahler, den er auf Bördo, Synk und Ortuga gerichtet hielt. Es war der älteste Techno, dem Kennon je begegnet war. Beruhigend sprach Synk auf ihn ein. »Du brauchst dich nicht vor uns zu fürchten«, sagte er. »Niemand hat vor, dir etwas zu tun.« Die Blicke des Alten richteten sich auf Kennon. Er ließ die Waffe sin ken, weil ihm offensichtlich die Kraft fehlte, sie länger zu halten. Der Terraner kniete sich neben ihm nieder. »Da hinten liegt etwas Holz«, sagte er. »Zündet ein Feuer an, damit es etwas wärmer wird.« Die Augen des Alten leuchteten dankbar auf. Er hüllte sich enger in sei ne Decken. »Bist du schon lange hier?« fragte Kennon. »Ich weiß nicht«, antwortete der Techno, »aber ich glaube ja.« Er musterte Bördo und schüttelte verwundert den Kopf. »Das verstehe ich nicht«, sagte er. »Wie ist das möglich?« »Wovon sprichst du?« Kennon blickte Bördo an, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches an ihm feststellen. »Ich verstehe nicht, wie es möglich ist, daß diese Fehlschöpfung die Quelle des Lebens verlassen konnte.« Bördo griff zu seinem Schwert. Er streckte das Kinn vor. »Hat er mich wirklich eine Fehlschöpfung genannt?« fragte er. »Das habe ich«, antwortete der Techno und schüttelte erneut den Kopf. Der Sohn Sigurds zog das Schwert, doch jetzt richtete der Alte seine Waffe auf ihn. »Komm mir nur nicht zu nahe«, sagte er drohend. »Ich würde dich so fort töten.« »Mit der Waffe da?« fragte Bördo höhnisch. »Mit dieser Waffe«, bestätigte der Alte. »Glaube nur nicht, daß es eine Waggu ist. Das war es einmal. Mittlerweile ist ein Todesstrahler daraus geworden.« Der Junge erbleichte. »Nimm das Schwert weg«, befahl Kennon. »Wir wollen keine Ausein andersetzungen.« Beruhigend legte er dem Alten die Hand auf den Arm, und der Techno ließ es sich gefallen. Er legte die Waffe zur Seite. »Wieso nennt er mich eine Fehlschöpfung?« schrie Bördo. »Das soll er mir erklären.«
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»Das wird er sicherlich auch tun«, antwortete Kennon, »jedoch erst dann, wenn er es will.« Der Alte grinste. Die Bemerkung des Terraners gefiel ihm. Er nickte. »Genauso ist es«, sagte er. »Ich habe noch nie einen so alten Techno wie dich gesehen.« Kennon setzte sich neben dem Alten auf den Boden und rückte ein wenig näher an ihn heran. Der Greis kicherte. »Eigentlich hätte ich ja auch in die Quelle des Lebens zurückkehren müssen, aber ich habe es nicht getan.« »Technos, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, müssen also in die Quelle des Lebens gehen«, stellte der Terraner fest. »Ist das richtig?« Der Alte nickte. »Das ist es. Wer die Altersgrenze überschritten hat, muß es tun. Aber ich habe es nicht getan. Ich habe vor der Quelle gestanden, bin jedoch nicht hineingegangen.« Sein faltiges Gesicht verzerrte sich, und seine Stimme bebte vor Haß und Abscheu. »Die Herren der FESTUNG manipu lieren die Quelle des Lebens und nutzen sie skrupellos aus. Das habe ich erkannt, als ich vor der Quelle stand. Ich weiß, ich kann nichts daran ändern. Und doch habe ich etwas getan. Ich habe mich selbst zum Wächter der Quelle ernannt.« »Ein wichtiger Schritt«, bemerkte Kennon, um dem Techno das Gefühl zu geben, daß er ihn ernst nahm. Tatsächlich bestätigte ihm die Aussage des Alten, daß dieser schon ein wenig wirr im Kopf war. »Ein überaus wichtiger Schritt«, erklärte der Techno, »denn die Quelle hat mir dafür gedankt. Sie hat mich unsterblich gemacht, und ich werde solange unsterblich bleiben, wie ich die Quelle des Lebens nicht im Stich lasse.« »Die Quelle des Lebens ist also der Ort, an dem alle Technos entste hen«, sagte der Terraner. »Stimmt das?« »Ja. Natürlich. Wußtest du das nicht?« Kennon ging nicht auf die Gegenfrage ein. »Wo ist die Quelle?« fragte er. Der Alte beugte sich vor. »Sie liegt am Grund des Antigravschachts«, erläuterte er. Nach und nach holte Kennon weitere Erklärungen aus ihm heraus. So erfuhr er, daß die verbrauchten Hüllen der alten Technos sich in der Quelle des Lebens auflösten. Nur der innere Kern, der rein vegetative Aufgaben erfüllte und in keiner Weise die Persönlichkeit eines Technos prägte, blieb erhalten. Dieser innere Kern umfaßte die technischen Gebilde im Körper eines Technos. Kennon erinnerte sich daran, daß Atlan einmal einen Techno im Mond
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licht beobachtet hatte. Dabei war der Techno halbwegs durchsichtig ge worden, und in seinem Innern waren mechanische Teile erkennbar gewe sen. Der Alte berichtete, daß die Quelle des Lebens um die inneren Kerne herum neue Hüllen entstehen ließ – mit Gehirnen und allen Organen. Bin nen weniger Monate reiften die Technos dann zu ihrer eigentlichen Größe heran. Kennon fragte, warum nur männliche Technos entstanden, aber das konnte ihm der Alte nicht beantworten. Er ging rasch über die Frage hin weg, als messe er ihr keine Bedeutung bei. Dafür beschrieb er, daß jeder Techno auf dem Weg zur FESTUNG durch eine Schleuse gehen mußte, die ihm die Erinnerung an seine Herkunft raubte. »Aber du hast die Erinnerung nicht verloren?« fragte Kennon. »Doch. Auch ich«, erwiderte der Alte, der sich Grufthüter nannte. »Aber sie kehrte zurück, als ich an der Quelle des Lebens stand und mich hineinwerfen sollte.« »Ich muß diese Quelle sehen«, sagte der Terraner. »Führst du mich zu ihr?« Entsetzt wehrte Grufthüter ab. »Schon zu normalen Zeiten ist es für jeden gefährlich, sich der Quelle zu nähern. Nur für mich nicht. Jetzt ist es unmöglich.« »Was ist anders geworden?« erkundigte sich Kennon. Ortuga, Bördo und Sator Synk verhielten sich ruhig. Sie überließen es dem Terraner, Grufthüter auszuhorchen, da sie sahen, daß der Alte zu ihm Vertrauen ge faßt hatte. Grufthüter beugte sich vor. »Das weißt du nicht?« fragte er mit gedämpfter Stimme und blickte sich um, als dürfe niemand hören, was er zu sagen hatte. »Nein. Sei so freundlich. Erkläre es mir.« »Als die letzten alten Technos hier eintrafen, haben sie schlimme Nach richten mitgebracht. Die Herren der FESTUNG sind gestürzt worden, der Tag Ragnarök hat stattgefunden und die Söhne Odins sollen sich an schicken, die Herrschaft zu übernehmen. Ein Fremder ist aufgetaucht und hat gefährliche Ideen der Freiheit mitgebracht.« »Das alles war mir nicht bekannt«, schwindelte Kennon, um Grufthüter das Gefühl zu geben, er sei ein wichtiger Informationsträger. »Die Technos schienen aber gar nicht zu wissen, wie furchtbar diese Nachrichten waren«, fuhr der Alte fort. »Die Quelle des Lebens aber wuß te es um so besser.« »Was hat sie getan?« fragte Kennon. »Ich habe gesehen, daß wenige Tage nach der Ankunft dieser Technos eine ungewöhnlich hohe Zahl von Lebenskeimen in der Quelle des Lebens
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erschienen sind, aber aus ihnen wurden keine normalen Technos.« »Sondern?« Voller Abscheu verzog Grufthüter das Gesicht. Er griff nach einem Be cher und trank etwas Wasser. »Ich habe gesehen, daß sich diese Keime nicht um eine innere Hülle herum gebildet haben. Aus ihnen wurden diese unästhetischen, dürren We sen, die jetzt hier überall umhergeistern. Einige von ihnen tragen rote Ro ben, und sie alle sehen so aus, als hätten sie schon hundert Jahre gelebt.« »Wir sind ihnen begegnet«, erklärte Kennon. »Sie sind in der Tat nicht schön.« »Seitdem sind keine alten Technos mehr gekommen«, fuhr Grufthüter fort. Er hob die Hand und zeigte nach oben. »Sie bleiben alle in den Hal len und verwandeln sich in Ungeheuer.« Er schüttelte sich vor Entsetzen. »Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist. Die Quelle sicherlich nicht.« »Woher kommen die Tiere? Wer hat die Pthorer in die Höhlen ge bracht?« »Die roten Klappergestelle«, antwortete Grufthüter. »Sie waren kaum der Quelle entstiegen, als sie auch schon losliefen und alles von oben her abschleppten, was ihnen in die Quere kam. Es ist furchtbar. Niemandem, selbst meinem schlimmsten Feind nicht, wünsche ich ein solches Schick sal. Ich wünschte, ich könnte einige davor bewahren, aber ich kann es nicht.« »Dann ist es also wegen der dürren Technos schwierig geworden, zur Quelle zu gehen?« »Nicht nur ihretwegen, obwohl auch sie eine große Gefahr darstellen. Sie würden jeden, den sie erwischen, sofort in die Höhle führen, um ihn dort in ein Ungeheuer zu verwandeln. Aber das ist es nicht allein. Minde stens ebenso gefährlich ist die Bestie, die ich Yuugh-Katze nenne. Ihr habt sie gesehen. Sie hätte euch beinahe gefangen.« »Ich mag gar nicht daran denken«, erwiderte Kennon. »Es hätte wirk lich nicht viel gefehlt.« Grufthüter kicherte. »Ich habe sie überlistet«, erklärte er. »Gegen mich ist sie machtlos. Ich war einige Male bei der Quelle, weil ich mir Sorgen um sie gemacht ha be.« »Das ist dir gelungen, obwohl die Quelle von der Katze bewacht wird?« Der Terraner pfiff anerkennend. »Du mußt wirklich sehr klug und listig sein, wenn du das geschafft hast.« Grufthüter nickte eifrig. »Das bin ich auch. Du hast es erkannt. Ich mußte nach der Quelle sehen,
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denn sie wird sich allmählich so erschöpfen, daß sie ihre Kräfte ganz ver liert. Sie kann diese dürren Wesen nicht ununterbrochen schaffen, ohne daß ihr Material zugeführt wird. Es kommen keine Technos mehr, also dürften auch keine neuen Geschöpfe entstehen.« »Ich hoffe, du konntest der Quelle helfen«, sagte Kennon. Der Alte schüttelte den Kopf. »Leider nicht«, erwiderte er niedergeschlagen. »Wie hätte ich das tun sollen?« »Wie ist es dir gelungen, die Katze zu überlisten?« forschte der Terra ner. »Dazu gehört ungewöhnliches Geschick. Oder hast du eine List ange wandt, auf die sie hereinfallen mußte?« »Das verrate ich nicht.« »Wie schade«, sagte Kennon, »dann werden wir ihr wohl zum Opfer fallen, denn wir können ja nicht hier bei dir bleiben. Die Nahrungsmittel und das Wasser reichen ja kaum für dich aus.« »Nein. Ihr könnt nicht bleiben.« »Meinst du nicht, daß die Katze erst wirklich gefährlich wird, wenn sie einen von uns erwischt hat? Vielleicht wird sie dann erst richtig wild.« »Das ist allerdings zu befürchten.« Grufthüter seufzte tief. Er senkte den Kopf, und es schien, als sei er eingeschlafen. Schließlich aber hob er den Kopf wieder und blickte Kennon an. Er flüsterte: »Es ist ein Geheimnis.« »Wir werden es bewahren«, versprach der Terraner ebenfalls mit ge dämpfter Stimme. »Du kannst dich fest auf uns verlassen. Niemand wird etwas verraten.« Grufthüter griff nach einer Blechdose. Er schraubte sie auf und zeigte Kennon, daß sie eine grünliche, schleimige Substanz enthielt. »Wenn du dich damit einreibst, kann die Bestie dich nicht wittern«, sag te er. Danach sank ihm der Kopf erneut auf die Brust, und er schlief ein. Ken non erhob sich und zog sich mit Bördo, Synk und Ortuga einige Schritte zurück. »Ich will mir die Quelle des Lebens ansehen«, erklärte er. »Wir werden dich begleiten«, entgegnete der Orxeyaner. »Das wäre ein unnötiges Risiko«, widersprach der Kosmokriminalist. »Du kannst dich nicht allein gegen die Katze wehren, wenn sie dich an greift«, sagte Synk. »Du kannst noch nicht einmal schnell genug weglau fen.« »Wozu willst du mitgehen? Wenn es zu einem Kampf mit dieser Bestie kommt, hast du genausowenig eine Chance wie ich.« »Er hat recht«, sagte Ortuga. »Ich werde mit ihm gehen. Ich muß die Tafel suchen. Irgendwo da unten ist sie. Also muß ich hinunter.« »Gut.« Sator Synk ging zur Tür. »Bördo und ich sehen uns hier oben ein
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wenig um. Vielleicht ist die Tafel hier irgendwo.« »Das wollt ihr für mich tun?« der Büffelköpfige schnaufte überrascht. Mit einem derartigen Angebot hatte er nicht gerechnet. Kennon war sich darüber klar, daß Ortuga sich nicht abweisen lassen würde. Nur ungern nahm er ihn mit, da er ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, sobald er mit ihm allein war. Bördo und Synk wollte er zurücklassen, weil er den Jungen nicht unnö tig gefährden wollte. Das aber sagte er diesem nicht, da er damit nur Wi derspruch herausgefordert hätte.
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4.
»Du willst dich wirklich mit dem Zeug einreiben?« fragte Ortuga, als Ken non die Blechdose mit dem schleimigen Inhalt aufnahm. »Natürlich. Sie schützt vor der Witterung der Katze.« Der Büffelköpfige lachte dumpf. »Dann müßte ich das auch tun, und dazu bin ich nicht bereit.« Kennon erkannte, daß er Ortuga nicht zwingen konnte. Deshalb steckte er die Dose in die Tasche. Ortuga lachte erneut. »Außerdem glaube ich dem alten Techno nicht. Er ist irre. Wahrschein lich hat der Schleim überhaupt keine Wirkung. Es war lediglich einem Zu fall zuzuschreiben, daß die Katze ihn nicht erwischt hat.« Kennon öffnete die Tür und verabschiedete sich von Bördo und Synk. »Wenn ihr in zwanzig Stunden nicht zurück seid, werden wir nach euch suchen«, erklärte der Orxeyaner. »Lenkt den Alten ab und sorgt dafür, daß er uns nicht stört«, bat Ken non. Die beiden versprachen es ihm, und der Terraner ging hinter Ortuga her, der bereits die Treppe hinabeilte. Er nahm sein Schwert in die Hand. »Nicht so schnell«, rief er dem Büffelköpfigen zu. »Wir wollen zusam menbleiben.« Ortuga reagierte zunächst nicht. Er tat, als habe er nichts gehört. Ken non versuchte, ihn einzuholen, schaffte es jedoch nicht. Doch dann besann sich der Büffelköpfige und wartete. Er hielt die Kette mit beiden Händen und ließ das Ende kreisen. »Es könnte immerhin sein, daß ich irgendwann deine Hilfe benötige«, sagte er. »Gut, daß du das einsiehst.« Kennon fiel auf, daß Ortuga die linke Hand zurücknahm und in den Rücken legte. Das war das einzige Zeichen dafür, daß er Schmerzen hatte. Als er sich dann aber umdrehte und weiterging, waren seine Bewegun gen verkrampft und vorsichtig. Ortuga litt bei jedem Schritt. Hin und wie der stöhnte er leise und griff sich an den Kopf, als könne er dadurch den Wahnsinnigen vertreiben, mit dem er zusammenleben mußte. Er wird die Tafel zerschlagen, wenn er sie findet, dachte Kennon, der zunächst daran gezweifelt hatte, daß Ortuga seinem Leben selbst ein Ende setzen würde. Er hatte geglaubt, daß der Fremde einen bestimmten Plan verfolgte, den er hinter dem Gerede von der Tafel und der ewigen Rache verbergen wollte. Möglicherweise hoffte das rätselhafte Wesen, in den schwarzen Kern ei ner anderen Sonne gleiten zu können und hier endlich zur Ruhe zu kom
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men. Kennon wollte nun nicht ausschließen, daß Ortuga diesen Plan von Anfang an gehabt hatte. Sie kamen an mehreren Höhlen vorbei, in denen allerlei technisches Ge rät abgestellt war. Ortuga begann bei jeder Höhle sofort mit der Suche nach der geheimnisvollen Tafel des Lebens, während Kennon an der Trep pe wartete, ihn beobachtete und versuchte, aus seinem Verhalten die rich tigen Schlüsse zu ziehen. Schließlich sagte der Terraner: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie in so einer Grotte ist. Wahrscheinlich ist sie unten bei der Quelle des Lebens. Das wäre nur logisch.« Ortuga kletterte von einem Berg von Gerümpel herunter und kam zu ihm. »Die Tafel des ewigen Lebens bei der Quelle des Lebens? Ich muß dir recht geben. Das hört sich logisch an. Sie könnte tatsächlich dort sein.« Von da an ging Ortuga an allen weiteren Höhlen vorbei. Wenn sie an Öffnungen in der Wand kamen, durch die sie in den Schacht sehen konn ten, hob er Kennon hoch, damit dieser kontrollieren konnte, wie weit sie noch von der Quelle des Lebens entfernt waren. Je näher sie der Quelle des Lebens kamen, desto größer wurden die Schwierigkeiten. Ortugas Schritte wurden zusehends unsicherer, und hin und wieder blieb er gar stehen, griff sich mit beiden Händen an den Kopf und stöhnte gequält. Kennon beobachtete ihn. Er war besorgt, denn er fürchtete, daß der Wahnsinnige, der sich offen sichtlich immer mehr in den Vordergrund drängte, Ortuga völlig unter drücken würde. Man hatte ihn zur Unsterblichkeit verurteilt, um ihn bis in alle Ewigkeit hinein quälen zu können, dachte der Terraner. Wenn Ortuga sich also wirklich mit Hilfe der Tafel von seinen Qualen befreien kann, dann hat man auch dafür gesorgt, daß er nicht so ohne weiteres zu dieser Tafel ge langen kann. Als Ortuga abermals stehenblieb, ging Kennon an ihm vorbei bis zu ei ner Tür, die den Gang versperrte. Dann drehte er sich um. »Ich schlage vor, daß du hier bleibst«, sagte er. »Ich werde die Tafel al lein suchen und zerstören.« »Rede keinen Unsinn«, erwiderte Ortuga mit schwerer Stimme. »Nichts kann mich davon abhalten, zur Quelle zu gehen.« Er stürzte sich nach vorn und stieß Kennon zur Seite. Der Terraner flog gegen die Felswand, ohne das geringste gegen den Büffelköpfigen tun zu können. Er schrie auf. Dolche schienen ihm in die Schulter zu fahren, und er fürchtete, daß er sich mehrere Knochen gebrochen hatte. Ortuga warf sich gegen die Tür und versuchte, sie aufzubrechen. Doch
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dazu reichten auch seine gewaltigen Körperkräfte nicht aus. So sehr er sei ne Muskeln anspannte und so wild er an der Tür rüttelte, er konnte sie nicht öffnen. »Narr«, sagte Kennon. »Wenn du noch mehr Lärm machst, kannst du die Katze auch gleich rufen.« Ortuga ließ die Hände sinken. Er wandte sich dem Verwachsenen zu. Schaum stand ihm vor dem Mund, und die Augen quollen ihm weit aus den Höhlen. »Sei still«, brüllte er, »oder ich bringe dich um!« Kennon kroch rückwärts rutschend die Stufen hoch. Er traute dem Büf felköpfigen ohne weiteres zu, daß er seine Drohung wahrmachte. »Wie würdest du denn die Tür öffnen?« fragte Ortuga. »Verschwinde«, entgegnete Kennon. Er zeigte über die Schulter nach oben. »Geh wenigstens zwanzig Stufen hoch, damit ich in Ruhe arbeiten kann.« Die Antwort des Büffelköpfigen verblüffte ihn. Sie kam ruhig und ge lassen und klang fast resignierend: »Gut. Einverstanden.« Ortuga strich sich über die Augen, schnaubte und ging dann geradezu behutsam an dem Verwachsenen vorbei. Er entfernt sich von der Tafel des Lebens, und schon drängt er den Wahnsinnigen zurück, erkannte der Kosmokriminalist. Furcht beschlich ihn. War er nicht bisher allzu arglos gewesen? Wie groß war der Einfluß des Dunklen Oheims? Hatte diese geheimnisvolle Persönlichkeit ihn bis lang überhaupt nicht beachtet, weil er zu bedeutungslos war? Stieß er jetzt in Bereiche vor, in denen eine Konfrontation mit den dunklen Mächten dieser Galaxis unvermeidlich wurde? Während Kennon sich der Tür näherte, überlegte er, was mit ihm ge schehen würde, wenn der Dunkle Oheim erst einmal auf ihn aufmerksam wurde. Er blickte über die Schulter zurück. Hoch über ihm kauerte Ortuga auf den Stufen der Treppe. Er hielt die Augen geschlossen und zitterte am ganzen Körper, als werde er von einem Fieber geschüttelt. Kennon wandte sich dem Türschloß zu. Es war einfach aufgebaut und ließ sich schon nach wenigen Minuten öffnen. Die Tür schwang zur Seite, und der Terraner blickte auf den gefleckten Körper der Riesenkatze, die et wa zwanzig Meter von ihm entfernt war. Die Katze glitt mit geschmeidigen Bewegungen durch einen Felsgang davon. Kennon hörte die Schritte Ortugas hinter sich. Er fuhr herum und be deutete ihm, leise zu sein. Das fremdartige Wesen krümmte sich zusam men, als wolle es auf allen vieren laufen, und eilte an ihm vorbei in eine
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Halle, deren Grundfläche kreisförmig war. Sie hatte eine Seitenlänge von annähernd fünfhundert Metern. In ihrer Mitte erhob sich eine Insel aus blauem Metall. Sie war ebenfalls kreisförmig. Ein Wassergraben, der etwa dreißig Meter breit war, trennte Kennon und Ortuga von ihr. Seltsame Ge bilde, die entfernt an menschliche Wesen erinnerten, erhoben sich an den Ufern der Insel. Sie bestanden aus einem rötlichen Material, wie der Terra ner es zuvor noch nie gesehen hatte. Im Innern der Statuen befanden sich schwarze Kerne, die ihn an die Kerne der Sonnen dieser Galaxis denken ließen. Hinter diesen Kunstwerken erhob sich ein Wall aus ebenfalls blauem Metall, so daß Kennon und Ortuga nicht bis ins Innere der Insel sehen konnten. Ortuga zögerte keine Sekunde. Er rannte auf den Wassergraben zu und stürzte sich kopfüber hinein. Er versuchte, zur Insel zu schwimmen. Doch er tauchte sofort wieder auf, schrie wild und versuchte heftig mit den Ar men rudernd zum Ufer zurückzukommen. Der Verwachsene sah schlanke Körper von allen Seiten durch das Wasser auf ihn zuschießen. Schreiend und um sich schlagend kämpfte Ortuga sich zum Ufer. Ken non streckte ihm die Hände entgegen, konnte ihm jedoch nicht helfen. Der Büffelköpfige kroch zu ihm hoch und ließ sich auf den Felsboden fallen. Einige silbern schimmernde Fische, die sich in seiner Haut verbissen hat ten, lösten sich von ihm und schnellten sich ins Wasser zurück. Ortuga blutete aus zahllosen Wunden. »Mußt du immer so unbedacht sein?« fragte Kennon mit mildem Vor wurf. »Ich kann nicht anders«, antwortete Ortuga. »Es quält mich so. Und es gibt keine Ruhe. Ich fühle, daß ich mich gegen den Wahnsinnigen nicht mehr länger behaupten kann. Es muß schnell gehen oder ich verliere.« »Wenn du noch einmal so etwas machst, hast du deine Chancen ver spielt«, stellte der Terraner fest. Eine Frage lag ihm auf den Lippen, aber er sprach sie nicht aus, weil sie ihm zu grausam erschien. Wie würde der Körper des Unsterblichen reagie ren, wenn er von den Raubfischen zerrissen wurde? Würde er sich auch dann wieder regenerieren? »Irgendwo muß eine Brücke sein«, sagte er. »Es muß eine Möglichkeit geben, zur Insel zu kommen, und wir werden sie finden.« »Die Tafel ist auf der Insel. Ich spüre es.« Ortuga stemmte sich mühsam hoch, und Kennon sah, daß sich seine Wunden bereits wieder schlossen. Der Büffelköpfige war tatsächlich gegen Verletzungen immun, schien jedoch gegen Schmerzen um so empfindlicher zu sein. Und während der Körper unzerstörbar zu sein schien, verlor der Geist Ortugas zunehmend an Widerstandskraft.
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Kennon zückte sein Schwert und ging am Ufer entlang. Er war etwa fünfzig Meter weit gekommen, als sich die Szene plötzlich veränderte. Aus dem Nichts heraus entstanden mehrere Gesteinsbrücken, die von der Insel herüberreichten. Überrascht blieb der Terraner stehen. Im ersten Moment glaubte er, das Geheimnis der Höhle entdeckt zu haben, dann aber reagierte sein kosmo kriminalistisch geschulter Verstand. Er trat einige Schritte zurück, und die Insel zeigte sich wieder so, wie sie vorher gewesen war. Er hob die Arme und gab Ortuga damit zu verstehen, daß er nicht weitergehen sollte. »Eine Falle«, erläuterte er. »Ich bin sicher, daß du sofort losrennen wür dest, wenn du dasselbe gesehen hättest wie ich. Aber dann würdest du weitere Qualen zu erdulden haben.« »Du hältst mich für dümmer, als ich bin«, entgegnete Ortuga ärgerlich. »Glaubst du, ich kann nicht denken? Was ist los?« »Eine optische Täuschung. Du glaubst, Brücken zu sehen, wo bestimmt keine sind. Wenn du darauf zuläufst, wirst du die Folgen spüren.« Der Büffelköpfige schnaubte herablassend und eilte weiter. Er ver schwand von einer Sekunde zur anderen aus dem Blickfeld Kennons. Es war, als habe er eine Lücke zwischen den Dimensionen durchbrochen. Kennon hörte ihn schreien. Er folgte ihm, wobei er das Schwert abwehrbereit in den Händen hielt. Als er Ortuga wieder sah, war dieser kaum zehn Schritte von ihm ent fernt. Er kämpfte mit einer Raupe, die aus einer Öffnung in den Felsen hervorgekommen war. Das Tier war etwa drei Meter lang, leuchtend rot und grün gepunktet und hatte dicke Borstenkämme auf dem Rücken. Es hatte vier Fangarme, die mit messerscharfen Reißzähnen besetzt waren. Ortuga lag halb unter dem Tier und wehrte sich verzweifelt gegen die Zangen, die ihn zu zerreißen drohten. Der Verwachsene griff augenblicklich an. Er stürzte sich auf die Raupe, hob das Schwert über den Kopf und schlug mit aller Kraft zu. Die Klinge fuhr in den weichen Körper des Tieres und durchtrennte ihn. Ortuga arbei tete sich unter dem Kadaver hervor. »Mir scheint, es ist doch nötig, daß du mir hin und wieder in die Beine trittst«, sagte er erschöpft. »Ich scheine nicht mehr bei klarem Verstand zu sein, sonst wäre ich nicht in die Falle gelaufen, nachdem du mich gewarnt hast.« Kennon kam nicht dazu, darauf etwas zu erwidern. Er sah, daß die Rie senkatze aus einer Öffnung im Fels kam, die etwa fünfzig Meter von ihnen entfernt war. Eine optische Täuschung? Oder ist sie es wirklich? fragte er sich. Die Bestie schnellte sich mit gewaltigen Sätzen auf sie zu. Kennon blickte sich gehetzt um. Es gab nur eine einzige Fluchtmöglichkeit für ihn.
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Er mußte in das Nest kriechen, aus dem die Raupe gekommen war. »Dorthin«, rief er Ortuga zu und zeigte auf eine runde Öffnung im Fels. Sie hatte einen Durchmesser von etwa anderthalb Metern, war also auch für den Büffelköpfigen mit seinen ausladenden Hörnern ausreichend. Der Terraner wollte hineinkriechen, aber Ortuga packte ihn und riß ihn zur Seite. Er warf sich förmlich in den Gang und flüchtete hinein. Die Katze raste fauchend heran. Kennon blieb keine andere Wahl. Er folgte Ortuga, obwohl er nicht mehr daran glaubte, daß er der Bestie entkommen konnte. Die Röhre er wies sich jedoch als so lang, daß für beide darin Platz war. Ortuga zog ihn auf den letzten Metern zu sich heran. Kennon blickte zum Ausgang zurück. Die Katze blickte ihn fauchend an. Sie schob eine Tatze in die Röhre und streckte die Krallen nach ihm aus, von denen jede fast so lang wie sein Arm und so scharf wie sein Schwert war. Immer näher und näher rückten die Krallen an ihn heran, während er versuchte, sich noch weiter in die Höhle hineinzudrängen. Schließlich scharrten die Krallen nur Zentimeter von seinen Beinen entfernt über das Gestein. Neben ihm begann der Büffelköpfige zu kichern, und Fieber schüttelte seinen Körper. Kennon wäre gern von ihm abgerückt, doch das konnte er sich nicht erlauben, weil die Krallen ihn dann erreicht hätten. So mußte er ausharren, bis die Katze sich endlich zurückzog. Er sah, daß sie sich in Richtung Insel entfernte und aus dem Wassergraben trank. Dann trabte sie lautlos davon, als habe sie die beiden Männer vergessen. Ortuga stieß den Terraner von sich. »Sieh nach, ob sie wirklich weg ist«, sagte er. Kennon war froh, endlich von dem Büffelköpfigen abrücken zu können. Je mehr er sich jedoch dem Ende des Ganges näherte, desto langsamer wurde er. Ihn quälte die Vorstellung, daß die Katze neben dem Stollen mund kauerte und darauf wartete, daß er den Kopf hinausstreckte, um dann blitzschnell zuzuschlagen. Er horchte, weil er glaubte, das Atmen der Katze hören zu können, merkte dann aber, daß er sich getäuscht hatte. Langsam schob er sich wei ter, wobei er das Schwert schützend vor sich hielt, in der Hoffnung, we nigstens den ersten Angriff abwehren zu können, falls dieser erfolgte. Dann war er am Ende des Ganges und mußte den Kopf hinausschieben. Er wandte ihn blitzschnell nach links und rechts und atmete dann erleich tert auf. Er stieg aus der Röhre und entfernte sich einige Schritte von ihr. Die Katze war nicht mehr zu sehen. Kennon vermutete, daß sie sich durch eine der zahlreichen Felsspalten und Tunnelöffnungen zurückgezo gen hatte. »Du kannst herauskommen«, rief Kennon dem Büffelköpfigen zu und
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ging weiter am Wassergraben entlang, nachdem er einen schmalen Durch laß in den Felsen entdeckt hatte, zu dem er hoffte fliehen zu können, falls die Bestie erneut angriff. Ortuga eilte hinter ihm her. Er bewegte sich schwerfällig und unsicher. Kennon bemerkte etwas Eigenartiges, das sogleich seine ganze Auf merksamkeit erregte. Auf der Insel befand sich irgend etwas, das einen ge wissen geistigen Einfluß auf ihn ausübte. Dieser war zunächst nur gering, wurde aber immer stärker. »Die Tafel ist da«, sagte Ortuga. »Ich fühle es. Ganz deutlich. Noch nie mals war ich ihr so nahe.« Kennon wußte, daß er die Wahrheit sagte. Die Tafel – oder was auch immer auf der Insel versteckt war – besaß eine ungewöhnliche Ausstrah lung, die auch auf ihn eine unübersehbare Wirkung ausübte. Er hatte Schmerzen in den Armen und Beinen, und er wußte, daß es Wachstums schmerzen waren. Sein Körper normalisierte sich unter dem Einfluß der Tafel! Er glaubte, bereits feststellen zu können, daß seine Oberarme und die Oberschenkel fester und voller wurden, schalt sich dann aber selbst einen Narren, weil er sich sagte, daß die Wirkung nicht so schnell eintreten konnte, wie er es sich ersehnte. Ortuga eilte torkelnd an ihm vorbei. Er machte den Eindruck eines Betrunkenen. Immer wieder mußte er Ausfallschritte nach links oder rechts machen, um seinen abkippenden Körper abzufangen und auszubalancieren. Hin und wieder beschleunigte er seine Schritte, weil er sonst über seine eigenen Beine gestolpert wäre. Kennon beobachtete ihn voller Sorge. Er wußte nicht, was er mit ihm anfangen sollte, und er fragte sich, wie er sich verhalten sollte, wenn die Katze plötzlich wieder auftauchte und angriff. Die Felsen rückten näher an den Wassergraben heran, so daß nur noch ein schmaler Durchgang an seinem Ufer entlangführte. Unwillkürlich ver zögerte der Terraner seine Schritte, und auch der Büffelköpfige schien un sicher zu werden. Sie konnten nicht sehen, was sich hinter den Felsen ver barg. War es überhaupt sinnvoll, weiterzugehen, oder war es besser, einen direkten Übergang zur Insel zu suchen? Kennon blieb stehen. Er blickte zur Insel hinüber und entdeckte überra schend einen schmalen Steg, der etwa hundert Meter von ihnen entfernt den Graben überbrückte. »Dort«, rief er und schloß unwillkürlich zu Ortuga auf. Er zeigte zu dem Steg hinüber, der aus roh zusammengenagelten Brettern bestand. Der Büffelköpfige blieb wie versteinert stehen. »Hilf mir«, sagte Ortuga dann und bewegte sich wieder. »Ich kann nicht
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mehr. Bringe mich hin zu der Tafel.« »Wie sollte ich das tun?« fragte Kennon hilflos. »Ich bin viel zu schwach.« Der Büffelköpfige schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu ver treiben. Er beugte den Oberkörper weit nach vorn, so daß die Arme vor seinem Körper baumelten, und die Kette, mit der er an den Fels geschmie det gewesen war, über den Boden schleifte. Schritt für Schritt kämpfte er sich voran. Er ging torkelnd an dem Felsvorsprung vorbei. Dann beschleunigten sich seine Schritte. Der Steg schien ihn mit magischer Kraft anzuziehen. Der Terraner folgte ihm langsam und zögernd. Er wurde von Sekunde zu Sekunde unsicherer. Er glaubte, die Gefahr spüren zu können, die sich ihnen näherte. Die Felsen wichen wieder zurück. In einer Einbuchtung wuchsen einige Büsche und Bäume, deren Blätter farblos waren. Kennon blickte voller Argwohn zu ihnen hinüber. Sie boten der Katze ein ideales Versteck. Je den Augenblick, so meinte er, müßte sie daraus hervorstürzen und sie an greifen. Doch die Katze kam nicht. Ortuga bot ein Bild des Jammers. Kennon hätte ihm gern geholfen. Er wußte aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich körperliche Unzulänglich keiten waren. Vergeblich sah er sich nach einem Gerät um, mit dem er Ortuga hätte transportieren können. Am Ufer gab es nur Steine und ein paar Büsche und Gräser. Rote und blaue Flächen durchzogen in breiten Streifen den Felsboden. Kennon, das kriminalistische Genie, wurde nicht mißtrauisch, und auch Ortuga bemerkte nichts. Er kroch auf allen vieren über die verfärbten Stellen hinweg. Bis plötzlich das Ende der Kette in einem der roten Streifen versank und mit dem rätselhaften Material verschmolz. Die Kette straffte sich. Der Büffelköpfige zerrte zunächst daran, ohne sich umzusehen. Dann drehte er sich langsam herum und blickte auf das Ende der Kette, das in dem Gestein steckte, als sei es darin eingegossen worden. Im gleichen Moment, als Ortuga begriff, daß er gefangen war, brach sei ne Widerstandskraft zusammen, und der Wahnsinnige drängte sich in den Vordergrund. Er begann zu toben und wild um sich zu schlagen. Er brüllte mit voller Stimmkraft, und so sehr Kennon sich auch bemühte, ihn zu be ruhigen, es gelang ihm nicht. Als er ihm ein wenig zu nahe kam, traf eine Faust des Büffelköpfigen sein Knie und schleuderte ihn zur Seite. Der Terraner begriff, daß es in diesen Sekunden tödlich gewesen wäre,
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ihm noch näher zu kommen. Er hockte sich auf den Boden, um abzuwarten, erfaßte dann aber, daß er keinerlei Fluchtmöglichkeiten hatte, falls die Katze angriff. Erschrocken sprang er auf und eilte zu einem Felsspalt, der zwar nur knapp zwei Meter tief war, ihm aber als Versteck dennoch geeignet erschien. Hier harrte er über eine Stunde aus, während der Büffelköpfige mit aller Kraft kämpfte. Nach einer Stunde brach Ortuga zusammen. Er war so erschöpft, daß er sich nicht einmal mehr hinknien konnte. Er lag bäuchlings auf dem Boden, und er hatte sich so weit von dem rötlichen Gestein entfernt, daß die Kette bis aufs äußerste gestreckt wurde. Eine weitere halbe Stunde verging, dann begann er, nach Kennon zu ru fen. Dieser erkannte, daß Ortuga es wieder war, der die Oberhand gewon nen hatte. Er ging zu ihm hin und kniete sich in sicherer Entfernung von ihm auf den Boden. »Warum hilfst du mir nicht?« fragte Ortuga. »Wie könnte ich das? Du weißt, daß ich schwach bin.« Der Fremde entsetzte ihn mit einer unglaublichen Forderung. »Schlage mir die Hand ab. Du hast ein Schwert. Benutze es.« Der Kosmokriminalist war sekundenlang nicht in der Lage, ihm zu ant worten. Er blickte auf die Hand, die sich ihm entgegenstreckte, und die von einer Stahlmanschette gehalten wurde. »Wenn du die Hand abtrennst, bin ich frei«, erläuterte Ortuga keuchend. »Ich werde Schmerzen haben, aber ich werde frei sein, und ich werde zur Tafel gehen können.«
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5.
»Wieso ist Kennon eigentlich allein gegangen?« fragte Bördo. »Wieso ha ben wir uns ihm nicht angeschlossen?« Er saß auf einem Stein vor der Höhle, in der sich Grufthüter versteckt gehalten hatte. Der alte Techno schlief noch immer. »Jetzt warten wir hier und wissen nicht, was an anderer Stelle geschieht. Vielleicht entdeckt Kennon etwas, was ihm große Macht einbringt?« Sator Synk lächelte. »Du meinst, er könnte etwas gegen deinen Vater, Balduur und Heimdall tun?« Er schüttelte den Kopf. »Das glaubst du doch selbst nicht. Es ist schon gut so, daß wir dieses Mal nicht dabei sind.« In der Höhle raschelte es. Mit einem Handzeichen bedeutete der Or xeyaner Bördo, daß der Techno aufgewacht war und zu ihnen kam. »Sei vorsichtig«, riet er dem Jungen. »Er braucht nichts davon zu wis sen, daß Kennon die Dose mit dem Schleim mitgenommen hat.« Grufthüter kam durch die Tür. Er blinzelte, weil das Licht in der größe ren Höhle ihn blendete. »Ich muß geschlafen haben«, sagte er in kaum verständlichem Pthora, weil er mit fast geschlossenen Lippen sprach. »Wo sind die beiden ande ren?« Bördo streckte den rechten Arm aus und zeigte mit dem Daumen nach unten, bevor Synk etwas anderes antworten konnte. »Sie sind zur Quelle des Lebens«, erklärte er. Erschrocken eilte Grufthüter in sein Versteck zurück. Als er abermals in der Tür auftauchte, hatte sich sein vorher verschlafen aussehendes Gesicht gestrafft. Zornig blickte er den Jungen und den Orxeyaner an. »Ihr habt mir das Geheimnis gestohlen, das mich gegen die Katze schützt«, rief er anklagend. »Nicht wir«, erwiderte Sator Synk gelassen. »Die beiden anderen. Und es mußte wohl sein, damit sie bis zur Quelle des Lebens vordringen kön nen.« »Dafür werden sie bezahlen«, rief der Techno, dessen Gesicht sich vor Zorn rötete. »Ich bin der Grufthüter, und ich bestimme, was hier geschieht. Niemand sonst.« »Mag sein«, antwortete Sator Synk, der davon überzeugt war, daß Grufthüter keine Möglichkeit hatte, Kennon zu schaden, »aber wir können es nicht ändern.« »Ich schon«, antwortete der Techno grimmig. »Der Blonde wird sich wundern, wie groß mein Einfluß ist.« »Was hast du vor?« fragte Bördo, dem das Verhalten des Greises immer
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weniger gefiel. Er hatte Angst, daß der Techno Kennon in den Rücken fal len würde, und er bereute, daß er verraten hatte, wo der Terraner war. Grufthüter lächelte listig. »Ich werde dafür sorgen, daß er die Quelle des Lebens nicht erreicht. Die Katze wird ihn aufhalten. Und sollte es ihm gelingen, an ihr vorbeizu kommen, dann …« Er sprach nicht aus, was dem Terraner dann drohte, sondern begann schrill zu lachen. Er senkte den Kopf und blickte sich suchend um, schien jedoch nichts zu bemerken, was ihn hätte beunruhigen können, und rannte tiefer in die Höhle hinein. Sator Synk verständigte sich durch ein Handzeichen mit dem Jungen. Sie eilten hinter dem Techno her. »Er ist irre«, sagte Bördo leise. »Mag sein – aber er kann gerade deshalb besonders gefährlich sein. Wir müssen verhindern, daß er irgend etwas anstellt, was Kennon und Ortuga in Schwierigkeiten bringt.« Der Techno ging in den Hintergrund der Höhle. Synk und Bördo erschi en sinnlos, was er tat, da es dort keinen Durchgang zu einem anderen Raum zu geben schien. Doch sie täuschten sich. An einer scheinbar fugenlosen Felswand blieb der Techno stehen, legte seine Hand auf die Fläche und drehte sie. Plötzlich schwang ein Fels brocken etwa zwei Meter neben ihm zurück, und eine Öffnung entstand. Der Techno ging hindurch, ohne sich nach dem Orxeyaner und Bördo um zusehen. Die beiden liefen eilig hinter ihm her, da sie fürchteten, die Felswand werde sich wieder schließen, so daß sie von Grufthüter getrennt wurden. Tatsächlich schwang der Felsbrocken wieder zurück, als sie ihn erreichten. Synk blockierte ihn jedoch mit seinem Schwert, so daß Grufthüter sie nicht abschütteln konnte. Sie krochen in eine langgestreckte Höhle, die von mehreren Stabscheinwerfern hell erleuchtet wurde. Der Techno hatte bereits einen beträchtlichen Vorsprung. Er stand auf einer schimmernden Scheibe, die ihn davontrug. Bördo und Synk mußten laufen, und sie mußten sich gewaltig anstrengen, wenn sie ihn einholen wollten. Er beachtete sie nicht und drehte sich nicht ein einziges Mal nach ihnen um, selbst als sie endlich dicht hinter ihm waren. Ihm schien völlig egal zu sein, ob sie bei ihm blieben oder nicht. Sator Synk versuchte trotz aller Eile, mit der sie dem Techno folgten, einige der Einzelheiten in dieser Höhle in sich aufzunehmen. Er sah, daß die Wände steil und glatt waren. Sie bestanden aus einem künstlichen Ma terial, das auf die Felsen aufgetragen worden war. Darin waren verschiede ne Geräte und Apparaturen eingelassen, die ihm fremd waren, und deren
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Sinn und Aufgaben er nicht verstand. Von der Decke hingen säulenartige Leuchtelemente von mehreren Metern Länge herab, die scharf gebündelte Lichtstrahlen versandten. Flüsternde Stimmen kamen aus den Wänden, doch Synk verstand sie nicht. Er versuchte, sich auf sie zu konzentrieren, aber auch das gelang ihm nicht. Er fand noch nicht einmal heraus, ob diese Stimmen Pthora sprachen. Am Ende der Halle – dem Ziel Grufthüters – glühte ein ovales Gebilde an der Wand, das den Orxeyaner an ein Auge erinnerte. »Warum, bei allen Mächten der Finsternis, hat er sich nicht hier ver steckt?« fragte Bördo. »Hier wäre er doch viel sicherer als da draußen ge wesen, und er hätte Licht gehabt.« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Synk, »aber wir werden es vielleicht er fahren, sobald wir das Ding da erreicht haben.« Er zeigte auf das augenförmige Gebilde, das nun noch etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt war. Er schätzte, das es an seiner breitesten Stel le einen Durchmesser von annähernd zwei Metern hatte. Grufthüter durchbrach mit seiner schimmernden Scheibe eine unsicht bare Energieschranke. Plötzlich wurde es dunkel in der Halle. Dafür leuch tete das Gebilde an der Wand auf. Es änderte seine Farbe und wurde inten siv grün. Eine schwarze Pupille bildete sich. Synk und der Sohn Sigurds blieben stehen. Irgend etwas schien sie von dem Auge fernzuhalten. Beide hatten das Gefühl, an die Stelle gefesselt zu sein, an der sie stan den. Der Orxeyaner dachte voller Panik daran, daß er beinahe ein Opfer der Metamorphoseeinrichtung geworden wäre. Daher wollte er nicht still stehen. Er wollte sich bewegen, um nicht am Boden festzuwachsen. Es ging nicht. Er war wie gelähmt. Seine Beine und seine Arme gehorchten ihm nicht. So sehr er sich auch bemühte, sie zu heben, sie reagierten nicht. Dagegen konnte er den Kopf und den Rumpf drehen und wenden, als ob alles in Ordnung sei. Wie gebannt beobachteten sie Grufthüter, der offenbar furchtlos an das Auge herantrat und von diesem nicht beeinflußt wurde. Er flüsterte etwas, und ein Teil der Wand schob sich zur Seite. Eine runde Öffnung entstand. »Wir müssen etwas tun«, sagte Bördo, mühsam jede einzelne Silbe for mulierend. »Es frißt uns auf.« Synk erkannte, daß der Sohn Sigurds genau das gesagt hatte, was gesch ah. Er selbst hatte das Gefühl, rapide an Körpersubstanz zu verlieren. Von dem Auge ging eine hypnotische Kraft aus, die ihn zu vernichten drohte. Grufthüter streckte die Arme in die Höhe. Er stand direkt vor der runden Öffnung, in der es nun rot glühte. »Hörst du mich, Quelle des Lebens?« rief er. Seine Stimme hallte aus
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der Öffnung zurück. Sator Synk ließ sich nach hinten fallen. Er warf sich mit ganzer Kraft herum, und plötzlich wurde er frei. Sein Schwert fiel klirrend auf den Bo den. Er packte es mit beiden Händen, wirbelte herum und schleuderte es wie ein Wurfhammer gegen das Auge an der Wand. Das Schwert flog blit zend durch die Luft, verfehlte Bördo nur knapp und prallte mit der Spitze voran gegen die schwarze Pupille. Es durchschlug eine dünne Glasschicht und schoß mit großer Wucht in die Pupille hinein. Grufthüter schrie auf, als sei er getroffen, während das Auge in sich zu sammenstürzte. Das rote Leuchten verschwand, und Bördo und Synk konnten sich wieder frei bewegen. Grufthüter kletterte kopfüber in die Öffnung, die nun wieder rot leuchte te, als sei nichts geschehen. Der Orxeyaner sprang auf. »Bördo – halte ihn fest. Schnell.« Der Sohn Sigurds zögerte. Er dachte noch daran, daß das Schwert Synks haarscharf an seinem Kopf vorbeigeflogen war. Der Schreck lähmte ihn. Der Orxeyaner versuchte, den Techno festzuhalten. Er krallte seine Fin ger in den Umhang Grufthüters, kam aber dennoch zu spät. Der greisen hafte Techno fiel in die Öffnung, und der mürbe Stoff zerriß in den Fin gern Sator Synks. Grufthüter verschwand in der Tiefe. Er kreischte vor Angst in den höch sten Tönen, und er schien erst jetzt zu begreifen, was er getan hatte. Sator Synk beugte sich über die Kante der Öffnung und blickte hinein. »Was ist da?« fragte Bördo erschrocken. »Eine Röhre?« »Ja – ein Schacht, der steil nach unten führt. Er scheint spiralförmig zu sein. Die Wände sind so glatt, daß Grufthüter sich nicht an ihnen halten konnte.« Der Junge bückte sich und nahm einen kleinen Stein auf. Er ließ ihn von der Hand in den Schacht fallen. Der Stein rutschte auf der Schräge weg und rollte an der Schachtwand in die Tiefe. Die beiden Freunde blieben an der Öffnung stehen. Sie hörten, wie der Stein sich weiter und weiter ent fernte und sich dabei immer mehr beschleunigte, bis es schließlich still wurde. Dann vergingen einige Sekunden, und sie vernahmen den Auf schlag weit unter sich. »Du hattest recht«, sagte Synk erschüttert. »Grufthüter hatte tatsächlich den Verstand verloren. Kein normaler Mensch wäre in diese Spirale ge stiegen. Es ist eine Todesspirale.« »Kein vernünftiger Mensch!« Bördo verzog die Lippen. »Das sagt sich so leicht. Viel hätte nicht gefehlt, und ich wäre Grufthüter gefolgt. Ich konnte nicht mehr klar denken und mußte immerzu dieses Auge ansehen. Es befahl mir, dem Techno nachzueifern.«
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Synk blickte den Jungen zweifelnd an. Er glaubte, daß Bördo sich diese Dinge einbildete, denn er selbst hatte keine solche Befehle erhalten. Er hatte aber dennoch unter einem fremden Zwang gestanden. »Du glaubst mir nicht?« fragte Bördo hitzig. »Es war aber so. Wenn das Auge …« Er verstummte, und Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Er wurde blaß. Synk fuhr herum. Er sah, daß sich das Auge regenerierte. Es leuchtete bereits wieder intensiv grün, und die schwarze Pupille war schon schwach zu erkennen. Er packte Bördo am Arm. »Weg hier. Schnell. Sonst erwischt es uns. Nicht hinsehen.« Er nahm sein Schwert auf und flüchtete. Schon nach wenigen Schritten merkte er, daß Bördo zurückblieb. Er ließ sich zurückfallen, bis der Sohn Sigurds auf gleicher Höhe mit ihm war. »Nicht umsehen«, rief er ihm zu. »Ich kann nichts anderes. Ich muß es tun. Es zwingt mich.« Der Junge wurde von Schritt zu Schritt langsamer, und jetzt spürte auch Synk die Macht des grünen Auges. Es griff mit unsichtbaren Händen nach ihm und wollte ihn festhalten. Er wußte, was geschehen würde, wenn Bördo und er sich nicht gegen das Auge behaupteten. Sie würden in den spiralförmigen Schacht stürzen und irgendwo weit unter dieser Höhle zerschmettert werden. Nun war ihm auch klar, warum Grufthüter nicht in dieser Höhle gelebt hatte. Sinclair Marout Kennon wich vor Ortuga zurück, aber er konnte seine Blicke nicht von dessen Hand lösen. »Ich werde sie dir nicht abschlagen«, erklärte er entschlossen. »Das kann ich nicht.« Ortuga brüllte und warf sich wütend hin und her, ohne sich dadurch be freien zu können. Der Terraner spürte die Impulse der Tafel des Lebens, und er erinnerte sich daran, einmal mit Atlan über die Impulse gesprochen zu haben, die dessen Zellaktivator aussandte. Der Arkonide hatte sie ihm beschrieben. Sie müssen ähnlich sein, dachte der Kosmokriminalist. Die Wirkung der Impulse war deutlich. Als er sich mit der Hand über den Schädel fuhr, merkte er, daß seine Haare wieder länger geworden wa ren. Die Kopfhaut hatte sich erwärmt, ein Zeichen dafür, daß sie besonders gut durchblutet wurde. Am Kinn bildete sich weicher Flaum. Das war etwas völlig Neues für
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Kennon, der noch niemals auch nur das Anzeichen eines Bartes gehabt hatte. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, daß sich sein Kinn rundete, und daß die Muskeln seiner Oberarme anschwollen. Der Effekt war nur gering, aber er war feststellbar, und er gewann besondere Dimensionen, weil er nicht nur ein körperliches, sondern vor allem ein seelisches Erlebnis für den Terraner war. Kennon drehte sich um und entfernte sich einige Schritte von Ortuga. Die Umwelt schien zu versinken. Er sah nur noch die Brücke, die zur Insel hinüberführte, und er fühlte die Impulse, die seinen Körper überfluteten. Hatte er erneut die Chance, ein äußerlich normaler Mensch zu werden? Er war als Krüppel geboren und aufgewachsen, ständig von Hohn und Spott begleitet. Er hatte sich durchgebissen und war einer der Fähigsten und wichtigsten Spezialisten der USO geworden, wobei es ihm gelungen war, alle körperlichen Mängel zu überspielen. Dann war er eines Tages in das Energiefeuer einer thermonuklearen Strahlenkanone geraten. Es hatte ihn fast völlig verbrannt. Nur das Gehirn war übriggeblieben. Ein Roboter hatte dafür gesorgt, daß dieses Gehirn auch weiterhin am Leben blieb, bis es in die Hände von Ärzten geriet. Die Mediziner hatten es in einen nahe zu vollkommenen Robotkörper verpflanzt. Von da an hatte er alle körper lichen Vorteile gehabt, nach denen er sich gesehnt hatte. Rein äußerlich war er nicht von einem Menschen zu unterscheiden ge wesen. Trotzdem hatte er in völliger Isolation gelebt. Menschliche Kon takte hatte er kaum gehabt. Jetzt war er erneut in seinem mißgestalten Körper gelandet, aber seine Lage hatte sich gebessert. Die Magier hatten ihm geholfen. Es war ihnen jedoch nicht möglich gewesen, ihr Werk zu vollenden, und niemand wuß te, ob sich eine solche Gelegenheit in der Zukunft jemals ergeben würde. Vielleicht bedeutete die Tafel die letzte Chance für Kennon, zu einem nor malen Körper zu kommen. Sollte er Ortuga unter diesen Umständen die Möglichkeit geben, die Ta fel zu zerschlagen? Der Büffelköpfige rüttelte an der Kette und flehte Kennon um Hilfe an. Seine Worte wurden so eindringlich, daß sie den Terraner erreichten und ihn aus seinem tranceähnlichen Zustand lösten. »Hilf mir doch!« rief Ortuga. »Warte nicht länger. Ich ertrage es nicht mehr. Gib mir dein Schwert, und ich befreie mich selbst.« Kennons linkes Lid zuckte. Dieses Zucken war nach der Behandlung durch die Magier bereits verschwunden gewesen. Die Tatsache, daß es nun wieder auftrat, erschreckte Kennon. Er hob die Hand und drückte die Fin ger gegen das Auge. Das Lid entspannte sich augenblicklich. Die Impulse der Tafel schienen sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, und der Terraner wußte plötzlich, daß dieses Lid nie mehr in der gleichen, quälen
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den Weise zucken und damit seine Nervosität verraten würde. Er versank erneut in einen tranceähnlichen Zustand, in dem die Worte des Gefesselten an ihm vorüberglitten. Er dachte nur noch an sich. Da aber vernahm er plötzlich die Schreie eines anderen Wesens. Er blickte hoch und sah, daß ein Mensch aus einer Öffnung in der Decke stürzte. Er erkannte Grufthüter. Der alte Techno schlug mit Armen und Beinen um sich, als hoffe er, noch irgendwo einen Halt zu finden. Zu Kennons Er staunen wurde Grufthüter tatsächlich ein wenig abgebremst, außerdem fiel er nicht mehr senkrecht herab. Schließlich verschwand er hinter dem Me tallwall, und es platschte – Grufthüter war offenbar in eine Flüssigkeit ge fallen. Dieses Ereignis riß Kennon aus seiner Trance. Willst du wirklich auf Kosten eines anderen und auf diese Weise zu ei nem schönen Körper kommen, obwohl es noch andere Möglichkeiten gibt? fragte er sich. Willst du ewig diese klagende Stimme Ortugas hören und dir vorwerfen müssen, ihm nicht geholfen zu haben? Er drehte sich um und rannte zu dem Büffelköpfigen hinüber, der sich hingekniet hatte und ihm flehend die rechte Hand entgegenstreckte. Ken non warf sich auf die Knie. Er versuchte, die Kette mit dem Schwert auf zubiegen. Es gelang ihm nicht. Ortuga versuchte, ihm das Schwert zu entreißen, aber Kennon war auf der Hut. »Halte still«, befahl er. »Wir werden eine Lösung finden.« Der Büffelköpfige ließ sich resignierend zurücksinken. »Sicher«, sagte er bitter. »Aber wie lange wird das dauern?« Kennon antwortete nicht. Er musterte das rote Material, in dem die Ket ten festsaßen. Als er vorsichtig mit der Spitze des Schwertes dagegen drückte, schien die Masse ein wenig nachzugeben. Der Terraner drückte energischer zu. Die Schwertspitze drang ein oder zwei Zentimeter tief ein. »Jetzt ist auch noch das Schwert verloren«, sagte Ortuga. »Du solltest lieber aufpassen, ob die Riesenkatze zurückkehrt«, bemerk te Kennon. »Wenn das Biest mich umbringt, kann ich erst recht nichts mehr für dich tun.« Ortuga war sichtlich verärgert, ließ aber seine Blicke ab und zu durch die Höhle schweifen. Kennon drückte das Schwert zur Seite, und es gelang ihm tatsächlich, die Waffe zu lockern und ein kleines Stück aus der Masse herauszubre chen. Verbissen arbeitete er weiter. Je weiter der Terraner in seiner Arbeit vorankam, desto weniger Auf
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merksamkeit verwendete Ortuga noch auf die Umgebung. Als der Terraner die Kette einige Zentimeter tief freigelegt hatte, spannte der Büffelköpfige seine Muskeln an. Die Kette löste sich knirschend aus der roten Masse. Ortuga verschwendete keine Sekunde auf irgendwelche Sentimentalitä ten. Er sprang auf, riß Kennon das Schwert aus der Hand und rannte auf die primitive Brücke zu, als komme es auf jede Sekunde an. Kennon folgte ihm hastig. Der Büffelköpfige betrat den Steg und eilte mühelos bis zur Mitte der Brücke. Dann aber begannen die Bretter unter ihm zu schwanken. Er schrocken riß er die Arme hoch. Um nicht die Balance zu verlieren, blieb er stehen, bis er die Brücke und sich selbst wieder unter Kontrolle hatte. Dann ging er vorsichtig wei ter. Sinclair Marout Kennon beobachtete ihn, und er wunderte sich darüber, daß er so beherrscht war. In diesen Sekunden hatte der Wahnsinnige in ihm offenbar nicht die geringste Chance. »Warte nicht«, rief Ortuga ihm zu. »Komm lieber gleich mit.« Er hatte sich dem gegenüberliegenden Ufer bis auf wenige Schritte ge nähert. Jetzt lief er wieder schneller und sprang schließlich mit einem Satz auf die blaue Insel. Triumphierend streckte er die Arme hoch. Das Schwert blitzte hell auf. Kennon wollte nicht von ihm getrennt werden, da er sich durch ihn zu mindest einen kleinen Schutz gegen die riesige Katze erhoffte. Daher eilte er nun zur Brücke hin und betrat sie ebenfalls. Die dünnen Bretter wackel ten unter seinen Füßen, so daß er sich kaum auf ihnen halten konnte. Er wunderte sich, daß Ortuga es geschafft hatte, den Steg so schnell und scheinbar mühelos zu überqueren. Im Wasser lauerten die schlanken Kör per der Raubfische, und er wußte, daß sie sofort über ihn herfallen würden, wenn er von der Brücke fiel. Er aber würde sich nicht wieder regenerieren. Für ihn bedeuteten die Angriffe der Fische das Ende. Als er die Mitte der Brücke erreicht hatte, wußte er, daß er das andere Ufer nur unter seinen Füßen spüren würde, wenn er an nichts anderes dachte als an die Bretter, die den Steg bildeten. Nur sie waren wichtig, und er mußte Schritt für Schritt ertasten, wie sie gelagert waren. Es gelangt ihm, sich in gleicher Weise zu konzentrieren wie vorher Or tuga, und nun rückte die blaue Insel erstaunlich schnell näher. Die letzten Schritte waren leicht, und ihn störte auch nicht, daß die Bretter unter sei nen Füßen wegkippten. Mit einem Satz rettete er sich auf die Insel. Ortuga stand neben einer humanoiden Statue und beobachtete ihn. »Nicht schlecht«, sagte er. »Du hast es geschafft. Komm jetzt. Du sollst sehen, wie ich mich befreie.«
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Mit diesen Worten wandte er sich um und eilte davon. Seine Bewegun gen waren leicht und locker, als ob er durch nichts behindert würde. Tat sächlich schien es, als habe der Wahnsinnige in ihm resigniert. Kennon folgte ihm. Das blaue Metall fühlte sich seltsam weich unter den Füßen an, so als ob es unter ihm nachgebe. Er stieg den Wall hoch, der ihm den Blick auf das Innere der Insel verwehrte.
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6.
Ortuga schrie jubelnd auf. »Da ist die Tafel!« Er rannte auf ein Ziel zu, das Kennern nicht sehen konnte, weil zwei bi zarr geformte Statuen davor standen. Der Terraner folgte ihm, weil er sich nicht entgehen lassen wollte, was Ortuga tat. Er erreichte die Anhöhe und blickte auf das Innere der Insel. Wie vom Schlag getroffen blieb er stehen. Das Innere der Insel bestand aus einem See, über dem sich eine vielfach gegliederte Brücke erhob, die wie ein riesiges, steinernes Insekt über dem See kauerte. Aber das war es nicht, was Kennon außer Fassung brachte. Was ihn in Erstaunen versetzte und ihn den Büffelköpfigen vergessen ließ, war die Tatsache, daß der See nicht aus Wasser bestand, sondern aus dickflüssigem Plasma. Kennon stand wie versteinert auf dem Wall. Er dachte an das Zentralplasma von der Hundertsonnenwelt, und ihm fiel eine seltsame Parallele auf, die es zwischen den Posbis und den Tech nos gab. Beide bestanden aus je einer robotischen und einer organischen Komponente. Bei den Technos bildete dieser mechanische Teil den inne ren Kern, der von einer organischen Hülle umgeben war, während es bei den Posbis gerade umgekehrt war. Sie hatten ein metallisches Außenske lett und ein organisches Inneres. Ob die Masse in dem See irgend etwas mit dem Zentralplasma zu tun hatte, konnte der Kosmokriminalist auf Anhieb nicht ausmachen. Er zwei felte jedoch nicht daran, daß die Plasmamasse manipuliert wurde. Alles deutete darauf hin. Er fragte sich, ob sie eigener Empfindungen fähig war, ob sie denken konnte, und wenn sie es konnte, ob sie dann mit der Manipulation einver standen war. Er konnte es sich nicht vorstellen. In der trüben Biomasse trieben Klumpen, in denen sich etwas befand. Sie waren etwa so groß wie ein Medizinball. Kennon glaubte, die Umrisse von menschlichen Gestalten darin erkennen zu können. Ein Klagelaut schreckte ihn aus seiner Starre hoch. Er fuhr herum und blickte zu Ortuga hinüber, der mit erhobenem Schwert vor einer roten Tafel stand, die etwa zwei Meter breit und drei Meter hoch war, ihn also deutlich überragte. Er schlug mit dem Schwert darauf ein, ohne sie jedoch damit beschädigen zu können. Kennon stutzte. Er sagte sich, daß die Tafel des Lebens sicherlich nicht nur dazu da war,
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die Qualen Ortugas zu verewigen und den Körper, in den er geflüchtet war, am Leben zu erhalten. War die Tafel des Lebens das Instrument, mit dem die Quelle des Le bens manipuliert wurde? Der Terraner ging zu dem Büffelköpfigen hin, der blindwütig auf die Tafel einschlug. Diese bestand aus einem roten Material. Aus ihrem obe ren Teil ragte ein menschlicher Kopf hervor, auf dessen Stirn zwei mächti ge Hörner saßen, die jenen ähnlich waren, die Ortuga trug. »Meine Rache ist die Unsterblichkeit«, stand in pthorischer Schrift auf der Tafel. Ortuga sank erschöpft auf die Knie. Er ließ das Schwert auf den Boden fallen. »Die Rache ist vollkommen«, sagte er resignierend. »Ich kann die Tafel nicht zerstören. Ich werde ewig leiden.« Sinclair Marout Kennon glaubte sehen zu können, wie die Tafel sich be wegte. Er spürte die Impulse, die von ihr ausgingen. Es war, als ob sie leb te. Die Schläge, die Ortuga mit dem Schwert gegen die Tafel geführt hatte, waren wirkungslos geblieben und hatten keine Spuren hinterlassen. Die Tafel war nur an zwei Stellen mit der Felsplatte verbunden. Hinter ihr erhob sich eine Felsnadel bis zu einer Höhe von fast einem Meter. Kennon lachte, als er sie sah. Wütend richtete Ortuga sich auf. »Du verhöhnst mich?« fragte er. »Unsinn«, erwiderte der Terraner. »Ich habe nur eben festgestellt, daß du dein Ziel längst erreicht hättest, wenn du dich mehr auf deinen Ver stand, und weniger auf deine Muskeln verlassen hättest.« »Ach ja?« Der Büffelköpfige nahm sein Schwert auf. »Hast du schon versucht, die Tafel umzustürzen?« Ortuga blickte ihn verblüfft an. Er schüttelte den Kopf, trat dann ein paar Schritte zur Seite und blickte hinter die Tafel. Im Augenblick begriff er. »Jetzt habe ich es«, rief er, schob das Schwert unter die Tafel und stemmte sich mit dem Körper dagegen. Er erreichte nichts. »So geht es nicht«, sagte Kennon. »Laß mich das Schwert nehmen. Vielleicht klappt es, wenn du dich gegen die Tafel wirfst.« Ortuga überreichte ihm bereitwillig das Schwert. Kennon schob es unter die Tafel und setzte es als Hebel an. Der Büffelköpfige trat einige Schritte zurück, dann rannte er brüllend auf die Tafel zu und warf sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Das genügte.
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Die Tafel des Lebens stürzte um und prallte auf die Felsnadel. Der Auf prall war so hart, daß sie krachend in zahllose Stücke zerbrach. Ortuga war zu Boden gefallen. Nun erhob er sich langsam, schüttelte sich und rannte schweigend zum Plasmasee hinunter. Er sprang kopfüber hinein. Kennon lief hinter ihm her, ohne recht zu wissen, warum. Er sah, daß Ortuga sich spielerisch leicht in der Organmasse wälzte, so als habe er sich nirgendwo und niemals wohler gefühlt. Einige Male tauchte sein Kopf aus dem Plasma auf, und der Terraner glaubte, er wolle ihm etwas mitteilen. Doch er irrte sich. Ortuga beachtete ihn nicht. Es schien, als wähne sich der Büffelköpfige völlig allein. Dann aber trat etwas ein, womit Kennon überhaupt nicht gerechnet hat te. Ortuga löste sich plötzlich auf. Seine Gestalt floß auseinander. Seine Hörner zogen lange Fäden, die sich im Plasma verloren. Die Arme und Beine verlängerten sich immer mehr, wobei sie dünner und dünner wurden und sich wellenförmig in die Plasmamasse streckten. Dann paßten sich die Reste seines Körpers auch farblich der Organmasse an und verschwanden darin. So sehr der Terraner sich auch bemühte, sie noch einmal auszuma chen, es gelang ihm nicht. Er glaubte, ein Lachen wahrzunehmen, das von irgendwo über ihm aus dem Deckengewölbe der Höhle kam, und ihm war, als sehe er Ortuga über sich. Doch dann merkte er, daß er sich geirrt hatte. Er war allein. Und Ortuga? Näherte er sich in diesen Sekunden einem schwarzen Kern einer der vielen Sonnen der schwarzen Galaxis? War er endlich frei geworden, und war es ihm wirklich gelungen, der Rache zu entgehen? Kennon drehte sich um und kehrte zu der zertrümmerten Tafel des Le bens zurück. Die Bruchstücke waren zu Staub zerfallen. Ein leichter Windzug, dessen Ursprung sich nicht feststellen ließ, wehte die Reste da von. Das Schwert lag auf dem Boden. Kennon wollte sich danach bücken, als sich plötzlich jemand von hinten auf ihn warf. Der Angriff überraschte ihn. Er stürzte mit der Last auf seinem Rücken zu Boden, und zwei kalte Hände klammerten sich um seinen Hals und würgten ihn. Obwohl er nie ein körperliches Leistungsund Kampftraining mitge macht hatte, wußte er sich zu helfen. Er packte die Finger, die um seinen Hals lagen, und zog sie kräftig auseinander. Mit einem Schmerzensschrei wich der Angreifer zurück. Kennon wälzte sich herum.
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Über ihm stand die schwächliche Gestalt eines nackten Schnüfflers, dessen Haut naß war, als ob er gerade eben aus dem Wasser gestiegen sei. Sowohl Kennon als auch der Nackte waren für einen kurzen Moment unsi cher. Sie wußten nicht, was sie tun sollten. Der Terraner faßte sich als er ster. Er warf sich zur Seite und streckte die Hand nach seinem Schwert aus. Der Schnüffler griff sofort wieder an, als er die Gefahr erkannte. Mit bloßen Händen warf er sich auf den Terraner und versuchte erneut, ihn zu würgen. Kennon wehrte ihn jedoch ab, indem er ihm die Füße vor die Brust stieß. Der Schnüffler stürzte auf die Knie und schrie klagend auf. Dadurch gewann der Kosmokriminalist einen winzigen Vorsprung, der ihm genügte, sein Schwert zu erreichen. Er schlug damit zu, als der Nackte ihn abermals attackierte. Er verletzte seinen Gegner so, daß der Kampf hätte entschieden sein müssen. Der Schnüffler aber reagierte so, als kenne er keinen Schmerz. Er griff erneut an, und Kennon hatte alle Mühe, seinen Gegner auszuschalten. Als das Wesen endlich zu Boden gesunken war, wandte Kennon seine Aufmerksamkeit dem Plasmasee zu. Einige ovale Klumpen trieben an Kennon vorbei. Sie hatten transparen te Hüllen, unter denen der Terraner deutlich die Umrisse von menschli chen Gestalten ausmachen konnte. Damit erlosch auch der letzte Zweifel daran, woher die Schnüffler ka men. Sie wurden in diesem Plasmasee produziert, in den Eizellen heraus gebildet und von ihnen ausgeworfen, sobald sie groß genug waren. Den Manipulatoren fehlte es jedoch offenbar an technischen Geräten, so daß sie die hier entstehenden Technos nicht mit den Robotskeletten versehen konnten, sondern sich mit Kümmerformen zufriedengeben mußten. Kennon fragte sich abermals, warum sie unter solchen Umständen hier neue und weniger leistungsfähige Technos erzeugten, wenn sie oben auf Pthor Tausende von anderen hatten, die wesentlich leistungsfähiger und darüber hinaus auch ausgebildet waren. Sie sind unsicher, sagte er sich. Sie vertrauen ihren eigenen Kunstge schöpfen nicht mehr. Sie fürchten, von den Technos verraten zu werden und produzieren lieber diese Elendsgestalten, als sich auf die Technos zu verlassen. Er dachte daran, daß Pthor in Bewegung geraten war und auf ein unbe kanntes Ziel zuraste. Was erwartete die Bewohner von Pthor an diesem Ziel? Für einen kurzen Moment kam die grauenhafte Vision in Kennon auf, daß alle Bewohner des Dimensionsfahrstuhls in diesen Plasmasee getrie ben wurden, sich in ihm auflösten und von ihm zu anderen Lebensformen umgestaltet wurden. Das wäre ein Schicksal, das vielleicht nicht so schlimm ist, wie bei vol
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lem Bewußtsein zusehen zu müssen, wie man in eine Bestie verwandelt wird, schoß es ihm durch den Kopf. Die Zahl der Klumpen, die auf dem Plasmasee trieben, schien anzu wachsen. Der Terraner konnte nicht den ganzen See überblicken, da die Felsbrücken über dem Wasser ihm teilweise die Sicht nahmen. So wußte er nicht, ob die Eizellen über den ganzen See gleichmäßig verteilt waren, oder ob sie sich in einigen Buchten passierten. Viele Zellen waren nicht größer als seine Faust. Sie glichen flachen, ovalen Eiern. Diejenigen, die dicht vor der Reife standen, sahen aus wie dickbauchige Hülsen, während die Mittelformen den Umfang von Medi zinbällen hatten. Eine Insel aus großen Hülsen trieb langsam an ihn heran. Er beobachte te, wie die dürren Wesen darin sich bewegten. Die Hülsen begannen zu schaukeln und stellten sich senkrecht. Die Schnüffler stießen mit ihren Fäusten gegen die obere Wölbung, und einigen gelang es, diese zu durch stoßen. Noch im Innern der Hülsen richteten die meisten der kümmerlichen Ge stalten die Augen auf Kennon. Dieser wich beklommen zurück. Der Plasmasee hatte ihn bemerkt. Wollte er jetzt alle Kräfte mobilma chen und ihn angreifen? Kennon dachte nicht daran, sich auf einen Kampf einzulassen, bei dem er einer klaren Übermacht gegenüberstand, die ihn allein durch ihre Masse erdrücken würde. Er flüchtete den Wall hinauf und wollte zum Steg lau fen, über den er zur Insel gekommen war. Bestürzt blieb er auf dem Wall stehen, als er sah, daß die Brücke ver schwunden war. Laut krachend platzten die ausgereiften Hüllen hinter ihm auseinander. Der Verwachsene drehte sich um. Dutzende von Eizellen hatten das Ufer des Sees erreicht. Nackte Gestalten krochen daraus hervor, richteten sich auf und liefen auf ihn zu. Kennon hob das Schwert und wich zurück. »Schert euch zum Teufel«, rief er. »Wenn ihr wagt, mich anzugreifen, ist es vorbei mit euch.« Sie reagierten nicht. Noch nicht einmal ein Zucken in ihren greisenhaf ten Gesichtern verriet, daß sie ihn verstanden hatten. Sie handelten offen bar instinktiv. Als der erste Schnüffler ihn erreichte, schlug Kennon mit dem Schwert zu. Er sah weitere Gegner herbeieilen und wußte, daß es um sein Leben ging. Zum Glück besaßen die Dürren keine Waffen und waren gezwungen, mit bloßen Händen zu kämpfen. Doch diesen Nachteil machten sie durch ihre erdrückende Übermacht wieder wett.
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Während des Kampfes gegen eine nahezu gleichbleibende Zahl von Gegnern hatte Kennon wenig Zeit, sich umzusehen. Dennoch bemerkte er, daß jene Schnüffler, die er bereits ausgeschaltet glaubte, sich nach einiger Zeit erhoben und erneut in den Kampf eingriffen. Er warf sich energischer voran, da die Zahl seiner Gegner nicht geringer wurde, sondern eher noch anstieg. Einige der SchnüfflerTechnos versuch ten, nach seinen Beinen zu greifen und ihn zum Sturz zu bringen. Sie wa ren jedoch nicht geschickt genug, so daß es ihm immer wieder gelang, sie abzuschütteln. Kennon merkte jedoch, daß seine Kräfte erlahmten. Das Schwert wurde ihm immer schwerer in den Händen, und seine Hiebe und Stiche kamen nicht mehr so genau wie vorher. Das führte dazu, daß er manchen Faust schlag einstecken mußte und daß es einem Schnüffler gelang, ihn zu um klammern und sich ihm an die Hüften zu hängen. Da gleichzeitig fünf an dere angriffen, konnte er ihn nicht abschütteln, sondern mußte sich ihnen zuwenden. Am Ufer des Sees erhoben sich etwa zwanzig Nackte, die gerade aus den Bruthülsen geschlüpft waren. Sie schienen genau zu wissen, was sie zu tun hatten, denn sie liefen auf ihn zu, sobald sie die blaue Insel betreten hatten. Dabei schien sie nicht im mindesten zu beeindrucken, daß sie ge gen das Schwert kämpfen mußten und daß viele andere blutig zurückge schlagen worden waren. Der Terraner wehrte sich verzweifelt. Er war jetzt dicht am Ufer. Und als er einen der Dürren in den See beförderte, woraufhin sich das Wesen sofort in der Flüssigkeit auflöste, schöpfte er wieder Hoffnung. Von nun an war er darauf aus, möglichst viele Gegner in den Plasmasee zu befördern, und tatsächlich verschaffte er sich dadurch bald etwas Luft. Da bemerkte er auf der anderen Seite des Grabens eine Bewegung. Er blickte zu den Felsen hinüber. Die Riesenkatze kam aus einem Felsspalt. Sie fauchte laut, trabte auf den Graben zu und setzte mühelos über ihn hinweg. Sinclair Marout Kennon schloß mit seinem Leben ab.
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7.
Bördo packte Sator Synk am Gürtel und hielt sich daran fest. Er fiel auf den Boden, und der Orxeyaner schleppte ihn einige Meter weit mit. Dann blieb er kraftlos stehen. »Was ist mit dir?« fragte er. »Ich kann nicht mehr«, antwortete der Junge. »Laß mich hier.« Synk schüttelte den Kopf. Er wollte weitergehen, aber da Bördo ihn nicht losließ, konnte er nicht. Die Beine gaben unter ihm nach. Der Junge klammerte sich an ihn und verhinderte, daß er sich wieder erhob. Mit sanfter Gewalt versuchte Synk zunächst, ihn zurückzudrängen, aber das gelang ihm nicht. Obwohl er nicht wollte und sich mit ganzer Kraft dagegen wehrte, dreh te er den Kopf und blickte zu dem Auge hinüber, das sich wieder regene riert hatte und grün leuchtete, als sei es nie beschädigt worden. »Das Auge ruft uns«, sagte Bördo. Jetzt ließ er den Orxeyaner los. Ge löst lächelnd wandte er sich dem Auge zu. »Warum wehren wir uns ei gentlich? Warum gehen wir nicht zu ihm, so wie es das Auge will? Wa rum benehmen wir uns so, als sei es uns feindlich gesonnen? Das ist es doch gar nicht.« Er stand auf und entfernte sich einige Schritte von Sator Synk. Dann blickte er zurück und winkte dem Orxeyaner auffordernd zu. »Wo bleibst du, Sator? Komm doch.« Der Bärtige schüttelte den Kopf und bedeckte die Augen mit den Hän den. Er vernahm eine flüsternde Stimme, die aus ihm selbst zu kommen schien. Sie befahl ihm, Bördo zu folgen. Du glaubst, Grufthüter ist in sein Unglück gestürzt? wisperte es in ihm. Du armseliger Narr! Was weißt du schon? Der Orxeyaner fühlte sich von dem Auge mit unwiderstehlicher Kraft angezogen. Er ließ die Hände sinken. Ein Lächeln spielte um seine Lip pen. Bördo richtete sich auf. Für einige Sekunden befreite er sich aus dem Bann des grünen Auges. Er sah den Orxeyaner, und wie dieser lächelte. In seinem Gehirn schien etwas zu explodieren. Jetzt kehrte sich die Situation um, und er war zumindest vorübergehend frei. Er erfaßte, was geschah. Mit einem Satz warf er sich auf Sator Synk und riß ihn zu Boden, doch seine Hilfe kam zu spät. Während er noch mit dem Freund fiel, schlug ihm dieser die Faust unter das Kinn und betäubte ihn. Dann erhob sich der Or xeyaner, packte den Sohn Sigurds am Handgelenk und ging auf das Auge zu. Dabei schleifte er Bördo hinter sich her. Bördo kam zu sich, aber er konnte die geistige Fessel nicht abschütteln.
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Er drehte sich und riß sich los. Dann sprang er auf und schloß sich Synk an. Seine Augen nahmen den gleichen starren Ausdruck an wie die des Or xeyaners. In tiefer Trance näherten sich die beiden Freunde dem grün leuchtenden Ziel. Als sie etwa fünf Schritte von diesem entfernt waren, wechselte es die Farbe und wurde intensiv rot. Bördo ging etwas schneller als Synk. Er überholte ihn und erreichte die Öffnung zu dem steil abfallenden Spiralschacht als erster. Er legte die Hände an die Kante der Öffnung. »Worauf wartest du?« fragte der Orxeyaner. »Springe.« »Ich warte nicht«, erwiderte der Junge. Sator Synk holte tief Luft. Er wollte einen Warnschrei ausstoßen oder irgend etwas anderes tun, um den Bann zu brechen, unter dem sie beide standen. So klar wie zu keiner Zeit zuvor wußte er, daß ihnen beiden der Tod sicher war, wenn sie in die Spirale stiegen. Doch er war wie paralysiert. Er konnte die Hände nicht heben, um Bör do zurückzuhalten, als dieser in die Öffnung kletterte. Kein Wort kam über seine Lippen. Bördo steckte bereits mit dem Oberkörper in dem Loch. Er neigte sich nach vorn, um sich fallen zu lassen, als das Auge an der Wand plötzlich explodierte. Sator Synk warf sich über die Beine des Jungen, um ihn zu halten, wäh rend sich für Sekunden neben ihm aus der Explosionswolke ein Kopf mit zwei mächtigen Hörnern formte. Der Orxeyaner ließ sich nach hinten fallen und zog Bördo dabei mit sich. Der Junge blickte fassungslos auf die Explosionswolke, die sich so schnell auflöste, daß der Kopf nur für Sekundenbruchteile zu sehen war. »Habe ich richtig gesehen?« fragte er. »Ein Büffelkopf war da«, erwiderte Synk. »Der Kopf Ortugas.« Bördo fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Ortuga?« Synk schüttelte den Kopf. »Nein, wir müssen uns getäuscht haben. Da war eine gewisse Ähnlichkeit, sonst nichts.« Der Sohn Sigurds lachte nervös. »Wieso sind wir nicht in die Öffnung gesprungen?« Er blickte Synk un sicher an. »Ich erinnere mich genau daran, daß ich es tun wollte, und es für das einzig Richtige hielt. Aber du hast mich zurückgerissen. Hast du das Auge zerschmettert?« »Ich habe nichts getan«, erklärte der Orxeyaner nachdenklich. »Das Ding da ist von selbst explodiert. Genau in dem Augenblick, in dem du den Weg nach unten antreten wolltest.«
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Bördo sprang auf. Er eilte einige Schritte in die Höhle hinein und nahm sein Schwert auf, das er auf dem Weg zum Auge verloren hatte. Derart be waffnet, stellte er sich vor die rauchende Öffnung, in der das hypnotisie rende Gebilde gewesen war. »Es hat sich schon einmal regeneriert. Vielleicht kann es das dieses Mal auch?« Sator Synk stand auf. »Das glaube ich nicht«, entgegnete er. »Es muß etwas anderes passiert sein. Ich habe jedenfalls nichts dazu getan, das Auge zu zerstören.« »Was sollte das sein?« »Ortuga muß die Tafel des Lebens gefunden und zertrümmert haben. Zwischen dieser Tafel und dem Ding hier muß ein Zusammenhang bestan den haben. Es ist mit der Tafel zerstört worden.« Bördo steckte das Schwert in den Gürtel. »Ich komme mir hier oben überflüssig vor«, erklärte er. »Wäre es nicht besser, Kennon zu folgen? Wenn die Tafel des Lebens wirklich nicht mehr existiert, dann hat es auch keinen Sinn, daß wir bleiben. Grufthüter ist tot. Wozu sollten wir also untätig in dieser Höhle warten?« »Du hast recht. Es könnte immerhin sein, daß Kennon unsere Hilfe ge brauchen kann.« Sinclair Marout Kennon wußte nicht mehr, was er tun sollte. Er hatte das Gefühl, gegen eine Geisterarmee zu kämpfen, die nicht zu besiegen war. Und jetzt tauchte auch noch die Riesenkatze auf, die gefährlicher war als jede andere Bestie, die in dem subpthorischen Höhlensystem entstan den war. Kennon war jedoch nicht bereit, aufzugeben und sich umbringen zu las sen, solange er noch ein Schwert in den Händen hielt. Nach wie vor hoffte er, daß er noch irgendeine Lösung finden würde. Er konnte und wollte sich nicht vorstellen, daß er alle Anstrengungen nur auf sich genommen hatte, um Ortuga zu seinem Ziel zu verhelfen und dann selbst zu sterben. Während er sich mit erlahmender Kraft gegen die angreifenden Schnüffler wehrte, blickte er zur Katze hinüber. Diese strich am Ufer der blauen Insel entlang und schien sich noch nicht entschließen zu können, einzugreifen. War sie so sicher, daß ihr die Beute nicht mehr entgehen konnte? Sein Bewußtsein schien sich von seinem Körper trennen zu wollen, und eine fremde Macht berührte seinen Geist. Er glaubte, eine Stimme zu ver nehmen. War es Ortuga, der doch nicht die Erfüllung gefunden hatte, die er ge sucht hatte? War es die Riesenkatze, die vielleicht doch nicht den Bestien zuzurech nen war?
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Oder meldete sich der Plasmasee, der bisher geschwiegen hatte? Kennon wurde für einige Sekunden derart abgelenkt, daß er seine Ab wehr vernachlässigte. Die Schnüffler stürzten sich auf ihn und warfen ihn zu Boden. Sie schlugen auf ihn ein und versuchten, ihn zu erwürgen. Eini ge wollten ihm das Schwert aus den Händen winden, doch er bäumte sich mit aller Kraft auf und trieb sie zurück. Selbst für einen stärkeren Mann wie etwa Sator Synk hätte diese Streit macht ein Problem dargestellt. Kennon aber hatte einen untrainierten und schwach ausgebildeten Körper. Zu mehr als dieser letzten, verzweifelten Abwehr reichte es nicht. Dennoch kam der Terraner noch einmal auf die Beine. Er sah, daß wie derum einige Schnüffler in den Plasmasee fielen, und auch diesmal beob achtete er, wie sie sich auflösten. Ihre Körper zerfielen und gingen in der Plasmamasse auf. Kennon dachte daran, daß Grufthüter von der Erschöpfung der Quelle des Lebens gesprochen hatte. Jetzt riß diese ihre eigenen Kreaturen wieder an sich, weil sie die orga nische Substanz dringend benötigte. Sein Gedanke war richtig gewesen. Aber warum löste das Plasma nicht auch die unfertigen Wesen auf, die in ihm schwammen? Das konnte nur mit den Hüllen zusammenhängen, von denen die sich entwickelnden Wesen umgeben waren. Als weitere Hüllen herantrieben und weitere Dürre an Land kletterten, geriet Kennon in höchste Bedrängnis. Ihm fehlten die Kräfte, den Kampf für sich zu entscheiden. Er fintierte, wandte sich um und flüchtete, weil er hoffte, den dürren Technos auf irgendeine Weise entgehen zu können. Doch da schoß die Riesenkatze über den Wall auf ihn zu, und nun er losch auch der letzte Hoffnungsfunke in dem Terraner. Nichts, so meinte er, konnte ihn jetzt noch retten. Er blieb stehen und hob das Schwert, weil ihm seine Instinkte geboten, sich zu wehren. Plötzlich fiel ihm ein, daß er die Blechdose mit dem grünen Schleim noch nicht eingesetzt hatte. Während die Katze sich ihm mit riesigen Sät zen näherte, riß er sie heraus, öffnete sie und schleuderte die zähflüssige Substanz heraus. Die Katze reagierte nicht darauf. Sie wuchs über ihm auf, und Kennon wartete auf den Prankenschlag, der ihm ein Ende bereiten mußte. Er blieb aus. Die Katze setzte über ihn hinweg und stürzte sich auf die dürren Tech
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nos, die ihm zu Dutzenden gefolgt waren. Kennon drehte sich fassungslos um. Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Das riesige Wesen schlug mit fürchterlichen Prankenhie ben in die Horde der Schnüffler und fegte sie förmlich hinweg. Sie packte sie mit den Zähnen und schleuderte sie in hohem Bogen in den Plasmasee hinein. Der Terraner verfolgte das Geschehen, ohne es sich erklären zu können. Bis jetzt war er nicht ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen, die Katze könnte auf seiner Seite kämpfen und gegen die dürren Technos sein. Widersprach das Verhalten dieses Wesens nicht jeglicher Logik? Wenn sie die Schnüffler umbringen wollte, warum hatte sie dann bis jetzt gedul det, daß sie die Quelle des Lebens verließen und nach oben zur Oberfläche von Pthor gingen? Und aus welchem Grund hatte die Riesenkatze vorher Ortuga und ihn angegriffen? Wie paßte das alles zusammen? Nur wenige Minuten vergingen, dann hatte die Katze aufgeräumt. Kein einziger Techno befand sich noch außerhalb des Sees. Kennon hatte sich währenddessen bis zu den steinernen Bögen zurück gezogen, die sich über der Mitte des Sees erhoben. Sie boten ihm die ein zige Möglichkeit, sich vor der Bestie zu verstecken. Er kletterte in aller Ei le hinauf und beobachtete die Katze von oben herab. Als sie den letzten Schnüffler in die Plasmamasse geschleudert hatte, wandte sie sich ihm zu. Sie entblößte ihre riesigen Reißzähne, und ein dumpfes Grollen kam aus ihrer Kehle. Es jagte Kennon einen kalten Schauer der Furcht über den Rücken. Er schalt sich einen Narren, weil er den grünen Schleim weggeworfen hatte. In seiner Not sagte er sich, daß er sich jetzt damit hätte einreiben können. Vielleicht – so meinte er – hätte er eine Chance gehabt, wenn er sich in den Felsen versteckt hätte. Die Chance war vertan. Sator Synk und Bördo waren froh, als sie die Höhle verlassen hatten, die ihnen beinahe zum Verhängnis geworden war. Schweigend eilten sie die Stufen der Treppe hinab. Sie blieben nur stehen, wenn sie an einer Höhle vorbeikamen, die sich der Treppe anschlossen. Flüchtig blickten sie sich dann nach Kennon um, obwohl sie davon überzeugt waren, daß dieser längst die Quelle des Lebens erreicht hatte. Als sie schließlich an das Ende der Treppe kamen, stießen sie auf eine Tür, die sich nicht ohne weiteres öffnen ließ. Kennon hätte keine großen Schwierigkeiten mit ihr gehabt, für Bördo und Synk aber stellte sie ein na hezu unüberwindliches Hindernis dar, da sie beide kaum etwas von Elek tronik verstanden.
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Sie experimentierten einige Zeit an dem Türschloß herum, dann schlug der Junge vor: »Wir sollten eine Brechstange oder etwas Ähnliches aus dem Gerümpel von oben holen. Vielleicht können wir sie damit aus den Angeln drücken.« Synk nickte. Auch er sah keine andere Möglichkeit. Sie eilten die Trep pe bis zur nächsten Höhle hoch, in der allerlei Abfall lag. Und es dauerte auch nicht lange, bis sie ein geeignetes Werkzeug gefunden hatten. Damit ausgerüstet, kehrten sie zur Tür zurück, und nun endlich gelang es ihnen, sie aufzusprengen. Staunend traten sie in die Halle hinaus, in deren Mitte sich die blaue In sel erhob. »Nichts von Kennon und Ortuga zu sehen«, stellte Bördo enttäuscht fest. Er deutete zur Insel hinüber, die etwa hundertfünfzig Meter von ihnen entfernt war. »Ob er da drüben ist?« »Ich sehe nur, daß die Katze dort ist«, antwortete der Orxeyaner. Jetzt bemerkte auch der Sohn Sigurds die Bestie, die sich dicht hinter dem Wall bewegte. Hin und wieder richtete sie sich auf. »Sie kämpft mit jemandem«, sagte Bördo. Synk schüttelte den Kopf. »Oder sie spielt mit ihrer Beute«, entgegnete er. »Sie verhält sich ge nauso wie eine Hauskatze, die ihrer Beute sicher ist.« »Aber wo ist Kennon?« Der Orxeyaner zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht …« Er griff plötzlich nach dem Arm Bör dos. »Er ist auf der Insel. Sieh doch. Er steht auf einem der Felsbögen.« Für einen kurzen Moment bemerkte der Junge den Terraner auch. Dann verschwand Kennon wieder zwischen den Felsen. »Wir müssen ihm helfen«, sagte Bördo grimmig entschlossen. Er zog sein Schwert. »Wer weiß, wie die Katze auf die Waggus reagiert? Versu chen müssen wir es auf jeden Fall.« Er sah, daß Synk zögerte. »Oder willst du ihn mit der Bestie allein lassen?« »Natürlich nicht«, antwortete der Bärtige. Auch er griff nach seinem Schwert. Die Waggu nahm er in die linke Hand. Dann schritt er auf die In sel zu. Bördo folgte ihm und trieb ihn zur Eile an. Als sie den Graben erreichten, der zwischen der Insel und ihnen lag, sa hen sie, daß die Katze auf einen der Felsbögen sprang, die sich über der Insel erhoben. Obwohl sie wußten, daß die Bestie sich nun Kennon näher te, zögerten sie. Vor ihnen brodelte das Wasser. Hundert von armlangen Fischen schnellten sich aus den Fluten und peitschten mit ihren Körpern das Wasser auf. Synk eilte einige Schritte zur Seite und beobachtete erschrocken, daß
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die Tiere ihm folgten. »Sie warten nur darauf, daß wir hinüberschwimmen«, sagte Bördo. »Wenn wir ins Wasser gehen, fressen sie uns auf«, erwiderte Synk. Er war ratlos. Den Kampf gegen die riesenhafte Katze wollte er jederzeit auf nehmen, obwohl er wußte, daß sie ihm weit überlegen war. Er hätte auch nicht gezögert, die Insel zu betreten, wenn er gewußt hätte, daß noch wei tere Katzen dieser Art dort lauerten. Doch gegen die Fische wußte er nichts auszurichten. Er konnte sie nicht mit dem Schwert bekämpfen. Immer wieder löste er die Waggu aus, weil er hoffte, die Tiere damit be täuben zu können, doch sie reagierten nicht auf die Lähmstrahlen. Bördo gab noch nicht auf. Er ging vorsichtig in das am Ufer flache Wasser hinein. Augenblicklich schossen die Fische auf ihn zu und verbissen sich in seinen Beinen. Er schrocken sprang er zurück und hieb mit dem Schwert nach den Tieren. Doch das war gar nicht mehr nötig. Sie fielen von selbst ab und schnellten sich ins Wasser zurück. Bördo betrachtete seine Beine. Die Verletzungen waren unerheblich, warnten ihn aber eindringlich genug davor, ins Wasser zu gehen. »Wenn wir versuchen, nach drüben zu schwimmen, zerreißen sie uns«, sagte Synk. »Wir könnten ein Stück weitergehen. Vielleicht sind anderswo weniger Fische.« Sie entfernten sich einige Meter, liefen etwa hundert Meter parallel zum Ufer und kehrten dann ans Wasser zurück. Die Fische waren ihnen ge folgt. Zu Hunderten warteten sie darauf, daß die beiden Männer in das von ihnen beherrschte Element kamen. »Man muß sie den Bestien zurechnen«, sagte der Orxeyaner niederge schlagen. »Wir können nichts tun«, stellte Bördo fest. Er blickte zu den Felsen hinüber, die über der Mitte der Insel eine vielfach gegliederte Brücke bil deten. Die Riesenkatze glitt geschmeidig und lautlos wie ein Schatten an den Felsen hoch. »Sie wird Kennon erwischen«, sagte Sator Synk mit belegter Stimme. »Ich gebe nicht auf«, antwortete der Sohn Sigurds und stürzte sich ins Wasser, das augenblicklich aufschäumte und zu brodeln begann. Die Fi sche griffen so wild an, als wären sie vollkommen ausgehungert. Bördo flüchtete so schnell aus dem Wasser, wie er hineingesprungen war. »Es ist unmöglich«, sagte er danach. »Auf diese Weise schaffen wir es nicht.« Synk entgegnete: »Vielleicht führt irgendwo eine Brücke zur Insel hin
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über. Uns bleibt nur, um die Insel herumzugehen. Wenn es einen Weg nach drüben gibt, werden wir ihn nur so finden.« »Dann ist es zu spät für Kennon«, erwiderte Bördo, während er sich zu sammen mit dem Orxeyaner auf den Weg machte. Weder er noch Synk schien daran zu denken, daß die Katze sie als nächstes Opfer auswählen könnte. Sinclair Marout Kennon sah die riesige Katze kommen. Sie strich zunächst am Fuß der Felsen entlang, die eine Brücke über dem See bildeten, dann sprang sie an den Felsen hoch und verharrte fauchend etwa zwanzig Meter von ihm entfernt. Der Terraner versuchte, ein Versteck zu finden. In den Felsen gab es Risse und Schründe, aber nirgendwo bot sich ihm ausreichend Platz. Ver zweifelt zog Kennon sich immer weiter zurück. Er kletterte über den höch sten Punkt des Brückenbogens hinweg, weil er hoffte, dahinter doch noch einen Spalt zu finden, der groß genug für ihn war. Die Katze kroch hinter ihm her. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Dabei hatte er seltsamerweise den Eindruck, daß sie ihn nicht bedrohte. Je länger sich das unvermeidlich erscheinende Ende hinauszögerte, de sto mehr verstärkte sich das Gefühl in Kennon, daß die Katze ihn nicht tö ten würde. Dennoch blieb er nicht stehen, sondern flüchtete an den Felsen entlang, bis er schließlich an einem Brückenbogen hinab kletterte und den Fuß wieder auf das blaue Metall der Insel setzte. Die Katze sprang. Mühelos und elegant überwand sie annähernd zwanzig Meter. Kennon rannte vor ihr her, doch mit einer leichten Prankenbewegung wischte sie ihn hinweg. Er stürzte und rollte hilflos über den Boden. Als er hochspringen und weiterlaufen wollte, drückte sich ihm eine Pranke in den Rücken, die breiter war als seine Schultern. Der Terraner konnte sich nicht mehr bewegen. Als er versuchte, unter der Pranke herauszukommen, verstärkte die Katze den Druck auf ihn, so daß er kaum noch atmen konnte. Kennon wurde von einer eigenartigen Gleichgültigkeit sich selbst ge genüber erfaßt, wie sie häufig Menschen überkommt, die erkannt haben, daß ihnen der Tod absolut sicher ist. Er gab auf und wehrte sich nicht mehr. Der Kopf der Katze näherte sich ihm. Er fühlte ihren heißen Atem. Der Druck der Tatze lockerte sich etwas, dann drückten sich ihm die Schneide zähne der Bestie in den Rücken. Instinktiv schlug Kennon um sich, doch er konnte nicht verhindern, daß die Bestie ihn mit ihrer Pranke tiefer zwi schen die Zähne ihres Raubtiergebisses schob. Dann schien der Boden unter ihm zu versinken. Kennon brauchte einige Sekunden, bis er begriff, daß die Katze ihn ins Maul genommen und den
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Kopf angehoben hatte. Jetzt hing er etwa drei Meter über dem Boden im Maul der Riesenkatze, und ein leichter Druck ihrer Zähne genügte, ihn zu töten. Der Terraner sah Bördo und Synk am Ufer des Grabens, der die Insel umlief. Er bemerkte, daß sie zu ihm herüberblickten, aber er war nicht fä hig, ihnen ein Zeichen zu geben. Er konnte die Arme nicht mehr bewegen. Der Kopf der Katze drehte sich herum. Die beiden Freunde verschwan den aus seinem Blickfeld. Dafür erschien der Plasmasee. Der Kopf sank nach unten. Sie duckt sich! schoß es Kennon durch den Kopf. Sie will in den See springen. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, als die Katze auch schon sprang. Die Plasmamasse schoß auf Kennon zu. Er sah, wie sich ei ne Pranke vorstreckte und in die Organmasse schlug. Diese teilte sich und spritzte hoch auf. Dann tauchte der Kopf der Katze in den Plasmasee. Das Maul öffnete sich, und die zähflüssige Masse riß Kennon heraus. Er wir belte in der aufgewühlten Masse herum, eine unsichtbare Hand schien nach ihm zu greifen, und er breitete die Arme aus, um an die Oberfläche zu schwimmen. Unwillkürlich dachte er an Ortuga, der freiwillig in diesen See gesprun gen war, weil er sich von ihm Erlösung erhofft hatte. Der Körper Ortugas hatte sich aufgelöst. Ob er nun auch Bestandteil der Plasmamasse werden würde?
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Ortuga empfand so etwas wie grenzenloses Glück, als er die Impulse der Tafel des Lebens nicht mehr fühlte. Er glaubte, frei zu sein und den Dunklen Oheim überlistet zu haben. Er meinte, sich seiner Rache endgültig entzogen zu haben. Sein einziger Gedanke war, sich nun seinerseits an ihm zu rächen. Er wußte jedoch, daß es gefährlich war, daran auch nur zu denken, denn er wußte, daß die Arme des Dunklen Oheims weit reichten, und er fürchte te ihn wie niemanden sonst. Dennoch schwor er sich, ihm heimzuzahlen, was er ihm angetan hatte – und sich dann selbst an entscheidender Stelle in den Machtapparat des Dunklen Oheims einzuschalten. Wie sehr Ortuga sich geirrt hatte, merkte er erst, als sich sein Körper im Plasmasee auflöste. Er war nicht frei. Er erkannte, daß seine Gedanken ein Echo auslösten. Sie verliefen nicht im Nichts, sondern wurden irgendwo aufgefangen. Von banger Ahnung erfüllt, versuchte Ortuga sie für sich zu behalten, und als ihm das nicht gelang, sie zumindest zu kontrollieren und in die Bahnen zu lenken, die er für richtig hielt. Er dachte bewußt daran, daß er seinen Kampf gegen den Dunklen Oheim aufgeben und sich in seinen Dienst stellen wollte, um für ihn zu kämpfen, und seine Pläne zu verwirklichen. Doch dann erkannte er, daß er einen schweren Fehler begangen hatte. Das Plasma, in dem sich sein Körper auflöste, war kein williges Instru ment des Dunklen Oheims. Es identifizierte sich nicht mit ihm, sondern ar beitete nur für ihn, weil es manipuliert wurde. Und dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Ein Bewußtseinssog erfaßte ihn. Ortuga wehrte sich mit aller Kraft dagegen. Panik kam in ihm auf. Er erinnerte sich daran, wie er noch an der Peripherie des schwarzen Kerns einer Sonne gelebt hatte und wie übermächtige, auf diese Sonne programmierte Kräfte verhindert hatten, daß er in dem schwarzen Kern aufging. Nichts hätte er lieber getan als das, solange er keine Möglichkeit gehabt hatte, unter die körperlich Lebenden zurückzukehren und den Kampf ge gen den Schwarzen Oheim aufzunehmen. Ihm fiel wieder ein, wie es zu dem Zweikampf mit Kennon um dessen Körper gekommen war, und wie er ihn verloren hatte. Er hatte die parapsychischen Kräfte der Sonne auf das Bewußtsein Kennons gelenkt, um ihm den Körper zu nehmen und sein Bewußtsein in den schwarzen Kern
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der Sonne zu zwingen. Es war ihm nicht gelungen. Jetzt befand er sich in der umgekehrten Situation. Der Sog eines anderen Wesens, das sich irgendwo zwischen den Di mensionen befand, wirkte auf sein Bewußtsein. Ortuga erfaßte die Tragweite des Geschehens sofort. Das fremde Wesen, das ihn an sich reißen wollte, war in einer ausweg losen Lage. Es trieb irgendwo im Universum zwischen den Dimensionen. Es war gestrandet und hoffte nun, von dem vorbeirasenden Pthor aus sei ner Einsamkeit erlöst zu werden. Doch es gab auch noch ein Bewußtsein, das den Plasmasee erfüllte, und dieses Bewußtsein stemmte sich dem anderen Wesen mit aller Macht ent gegen. Es duldete nicht, daß es sich auf Pthor rettete. Das Bewußtsein des Plasmasees hatte sich für den umgekehrten Weg entschieden. Ortuga konnte nichts dagegen tun. Sein Bewußtsein verließ den Plasmasee, als dieser es wollte. Ortuga stürzte von Pthor und wirbelte als kaum begreifliches Etwas durch das Nichts bis in einen kugelförmigen Körper, der durch die Unend lichkeit trieb. Als Ortuga in die Kugel eingedrungen war, verschwand Pthor aus seiner Nähe. Der Dimensionsfahrstuhl war so schnell, daß Ortuga ihn mit seinen neuen Sinnen nicht mehr verfolgen konnte. Verzweifelt erkannte er, daß er allein war. Dieses Mal befand sich nicht einmal eine Sonne in seiner Nähe. Er konnte keine Sterne sehen, denn er trieb durch einen Raum, in dem es keine Sonnen gab. Zwischen den Di mensionen war nichts. Du bist nicht allein, wisperte es in ihm. Dann folgte das Gelächter eines Wahnsinnigen. Kennon gelang es nicht, an die Oberfläche des Plasmasees zu kommen. So sehr er auch mit den Armen ruderte, er kam nicht voran. Als er schon glaubte, ersticken zu müssen, bildete sich plötzlich eine Luftblase um ihn. Die Plasmamasse rückte von ihm ab, und er konnte frei atmen. Die Blase war durchsichtig, so daß er die Katze sehen konnte, die sich noch immer in seiner Nähe aufhielt. Sie tauchte tiefer in den See, und er meinte feststellen zu können, daß sie sich dabei auflöste. Kennon hörte laute, bellende Stimmen in der Nähe. Er drehte sich und stellte dabei überrascht fest, daß sich die Luftblase, in der er kauerte, ihm unterwarf. Sie bewegte sich so, wie er es wollte. Er trieb näher an das Ufer des Sees heran, während er das Gefühl hatte, daß jemand versuchte, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Die Stimmen lenk ten ihn jedoch ab, so daß er sich nicht genügend auf den anderen konzen trierte. Einige rotgekleidete Gestalten erschienen am Ufer des Sees. Kennon
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näherte sich ihnen. Er bewegte sich im Schatten, den einer der Felsbögen der Brücke bildete, und er trieb so dicht an das Ufer heran, daß er die Schnüffler verstehen konnte. Als erstes erfaßte er, daß die rotgekleideten Gestalten sich als Voll strecker bezeichneten. Einer von ihnen war kaum einen Meter von ihm entfernt. Er blickte auf den See hinaus, ohne ihn zu bemerken. »Wie ist das möglich?« rief dieser Vollstrecker. »Wieso ist kein Nach wuchs da?« »Das verstehe ich auch nicht«, antwortete ein anderer. »Das ist noch nie vorgekommen«, erklärte ein dritter. »Der See ist erschöpft«, äußerte der Rotgekleidete neben dem Terraner. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.« »Dort ist eine Hülse«, rief ein Vollstrecker, der eine auffallend tiefe Stimme hatte. »Eine Hülse. Eine einzige!« Der Schnüffler neben Kennon war so ent täuscht, daß er bereit war, auf diese eine Hülse zu verzichten. Doch damit waren die anderen Vollstrecker nicht einverstanden. Kennon drückte sich tiefer in den Schatten. Glücklicherweise ahnten die Rotgekleideten nichts von seiner Anwesenheit, und da sie auch Bördo und Synk nicht erwähnten, wußte er, daß diese sich gut versteckt hatten. Ein Schatten trieb heran. Kennon drehte sich um. Er sah, daß eine ausgereifte Hülse den Schatten geworfen hatte. Glücklicherweise wandte der Schnüffler, der darin steckte, ihm den Rücken zu, so daß er ihn nicht sehen konnte. Er hörte, daß die Hülse aufplatzte. »Komm heraus«, befahl einer der Vollstrecker am Ufer. Der Nackte gehorchte. Er kletterte aus der Hülse, kroch aus dem Plas masee und richtete sich vor den Vollstreckern auf. »Du hast zu tun, was wir dir sagen«, erklärte ihm jener Rotgekleidete, der neben Kennon stand. »Ich bin gehorsam«, antwortete der Nackte mit bellender Stimme. Kennon war erstaunt, daß er die pthorische Sprache bereits beherrschte. »Welche Aufgaben habe ich?« fragte der Nackte. »Wir haben Pthor für eine Reise und für neue Aufgaben vorzubereiten«, erläuterte der Vollstrecker neben Kennon. Er schien eine Führungsrolle in nezuhaben. »Wir treten in Zukunft an die Stelle der verweichlichten Tech nos, auf die nicht mehr genügend Verlaß ist.« »Wann wird diese neue Reise beginnen?« fragte der Nackte. »Das wirst du schon noch erfahren. Zuvor jedenfalls muß Pthor gründ lich gesäubert werden.« »Ist das ebenfalls meine Aufgabe?«
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»Natürlich nicht. Das übernimmt der Dunkle Oheim selbst. Wir Voll strecker haben lediglich dafür zu sorgen, daß die Horden der Nacht nach der Reinigung unverzüglich zur Verfügung stehen«, erwiderte der Rotge kleidete neben Kennon. »Darüber hinaus werden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Magier ihre Arbeit wieder aufnehmen können.« Der Terraner horchte auf. Mit dieser letzten Bemerkung des Vollstreckers konnte er nur wenig an fangen. Hatten sich alle von den Bewohnern der Barriere von Oth täu schen lassen? Hatten sich die Magier gar nicht gegen den Dunklen Oheim aufgelehnt, sondern nur so getan, als ob sie gegen ihn wären? Hatten sie tatsächlich die ganze Zeit über in seinem Sinn gearbeitet? Er rückte noch näher an das Ufer heran, um sich kein Wort entgehen zu lassen. Dabei ging er das Risiko ein, entdeckt zu werden. Er hoffte jedoch, rechtzeitig wegtauchen zu können, falls einer der Rotgekleideten ihn an greifen sollte. »Der Dunkle Oheim«, fuhr der Vollstrecker neben ihm fort, »wird die Magier behandeln. Er wird sie dahingehend beeinflussen, daß sie auf Jahr tausende hinaus nicht mehr auf die Idee kommen werden, sich auch nur in Gedanken gegen ihn zu wenden.« »Sie werden seine gehorsamen Sklaven werden«, ergänzte der Nackte. »So ist es.« »Wir haben die Magier in eine Höhle gebracht«, sagte einer der anderen Rotgekleideten, »damit sie die Reinigung überleben.« »Was geschieht mit den anderen Wesen, die sich auf Pthor aufhalten?« fragte der Nackte. »Alle intelligenten Wesen, die sich noch an der Oberfläche von Pthor befinden, werden dem Dunklen Oheim zum Opfer fallen.« Wieder meldete sich ein anderer Vollstrecker zu Wort, der weiter von Kennon entfernt war, und den dieser nicht sehen konnte. Er verstand ihn jedoch gut. »Wenn der Dunkle Oheim die Oberfläche von Pthor säubert, wird es keine Bestie in den Horden der Nacht mehr geben, die über einen Rest von Verstand verfügt. Das ist vorläufig noch bei einigen der Fall.« »Und was geschieht mit uns?« fragte der Nackte. Seine Stimme schwankte. Er schien zu befürchten, daß auch er ein Opfer der tobenden Bestien der Nacht werden würde. Der Rotgekleidete neben Kennon lachte leise. »Wir nehmen in diesen Anlagen Zuflucht, damit wir verschont bleiben. Hüte dich, an der Oberfläche zu verweilen, wenn es losgeht. Es wäre dein sicheres Ende.« »Ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich alles tun werde, was ihr mir befohlen habt.«
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»Du wirst nichts vergessen?« Der Vollstrecker, der neben Kennon ge standen hatte, ging zu dem Nackten hin. Seine Stimme wurde scharf und drohend. Der Nackte beteuerte, daß er alles behalten und allen Befehlen des Dunklen Oheims gehorchen werde. Die Rotgekleideten waren mit seiner Antwort zufrieden. Sie entfernten sich vom Plasmasee und nahmen ihn mit. In diesem Moment glaubte Kennon, eine Stimme zu hören. Sie war un deutlich und schien keine Worte zu formulieren. Er trieb vom Ufer weg und fühlte sich plötzlich eins mit dem riesigen Wesen, in dem er sich aufhielt. Das Plasmawesen war intelligent. Daran hatte er keine Sekunde lang ge zweifelt. Jetzt spürte er, daß die amorphe Kreatur litt. Er fühlte, daß sie gut und friedlich war. Wer manipulierte sie? War es der Dunkle Oheim selbst, der sie für seine Zwecke mißbrauchte? Sinclair Marout Kennon hätte sich gern näher mit dem Plasmawesen be faßt, doch die Zeit drängte. Er konnte es sich nicht leisten, noch länger im See zu bleiben, während allen intelligenten Geschöpfen an der Oberfläche von Pthor ein schreckliches Schicksal drohte. Ein Gefühl schien ihn zu streifen wie ein Windhauch. Kennon drängte sich der Gedanke auf, daß das Plasmawesen ihn ver stand. Die Luftblase glitt ans Ufer des Sees und hob sich aus der amorphen Masse heraus, so daß der Terraner ans Ufer gehen konnte. Er blieb stehen und blickte zurück. Das Plasmawesen tat ihm leid, und er wünschte, daß er schnell etwas tun konnte, es aus den geistigen Fesseln zu befreien, in denen es gefangen war. Dann plötzlich erinnerte er sich daran, daß die Vollstrecker noch in der Nähe waren. Er ließ sich rasch auf die Knie fallen, um nicht gesehen zu werden. Die Rotgekleideten hatten die Insel offenbar verlassen. Kennon eilte geduckt zum Wall hinüber, hinter dem der Wassergraben lag. Vorsichtig blickte er über ihn hinweg, und er atmete erleichtert auf, als er die roten Gestalten an der Tür entdeckte, durch die Ortuga und er in diese Halle gekommen waren. Die Vollstrecker drängten sich um die Tür und diskutierten gestikulierend miteinander. Plötzlich vernahm der Terraner einen Pfiff. Er wußte sofort, daß Sator Synk ihm dieses Zeichen gegeben hatte. Als er sich umdrehte, erschien der Bärtige etwa hundert Meter von ihm entfernt auf der anderen Seite des
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Wassergrabens, winkte ihm zu und ließ sich sofort wieder auf den Boden sinken. Kennon glitt am Hang des Walles hinunter und eilte zu der Stelle, an der er den Orxeyaner gesehen hatte. Vorsichtig stieg er den Wall hoch, wobei er zu den Vollstreckern hinüberblickte. Diese standen noch immer an der Tür. Kennon rannte über den Wall hinweg und duckte sich. Synk und Bördo lagen auf der anderen Seite des Wassergrabens auf den Felsen in der Deckung einiger Steine. »Die Halunken haben bemerkt, daß wir die Tür aufgebrochen haben«, rief Bördo mit gedämpfter Stimme. »Das war nicht besonders geschickt von euch«, antwortete Kennon ta delnd. »Jetzt wissen sie, daß hier jemand eingedrungen ist, der in der Höh le nichts zu suchen hat.« Synk hob bedauernd die Arme. »Wir wollten dir helfen«, sagte er. »Und so geschickt wie du sind wir nicht.« »Wenigstens nicht beim Öffnen solcher Türen«, fügte der Sohn Sigurds hinzu, der nicht so gern zugeben mochte, daß der Terraner ihm in irgend einer Hinsicht überlegen war. »Wie sind die Rotgekleideten auf die Insel gekommen?« fragte Kennon. »Ich weiß auch nicht«, entgegnete Synk leise, während Bördo sich ein wenig aufrichtete und zu den Vollstreckern hinüberspähte. »Eine Brücke hat sich gebildet. Sie verschwand wieder, als die Schnüffler auf der Insel waren. Weiß der Teufel, wie sie die Brücke geschaffen haben.« »Sie kommen«, berichtete der Sohn Sigurds, der sich wieder flach auf den Boden gelegt hatte. »Sie werden die ganze Höhle durchsuchen, bis sie uns gefunden ha ben«, sagte der Orxeyaner. »Ihr könnt nicht dort bleiben.« Kennon stand entschlossen auf und stell te sich auf den Wall, so daß er weithin zu sehen war. »Geht zu den Felsen dort drüben und versteckt euch. Sollen sie mich doch jagen.« »Bist du verrückt geworden?« fragte Synk bestürzt. »Jetzt haben sie dich bemerkt.« Tatsächlich schrien die Vollstrecker erregt durcheinander. Sie rannten auf die Insel zu. Nur der Nackte blieb bei der Tür. Er schien nicht zu wis sen, was er zu tun hatte, da ihm offenbar niemand einen Befehl erteilt hat te. Sator Synk und Bördo sprangen auf und flüchteten von der Insel und dem Wassergraben weg. Die Insel mit dem Wall befand sich zwischen ih nen und dem Rotgekleideten, so daß sie sich noch in Deckung befanden. Sinclair Marout Kennon harrte gelassen auf dem Wall aus. Er hatte sich entschlossen, sich notfalls in den Plasmasee zu stürzen, wenn die Voll
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strecker die Insel betraten. Er wollte sie davon überzeugen, daß sie denje nigen gefunden hatten, der die Tür gewaltsam geöffnet hatte, und daß sie sich nicht mehr um ihn zu kümmern brauchten, weil das Plasmawesen ihn verzehrt hatte. Gleichzeitig war er sich dessen sicher, daß dieses seltsame Geschöpf ihn auch dieses Mal bei sich aufnehmen würde. Da vernahm er ein dumpfes Grollen hinter sich. Er drehte sich um und sah die gefleckte Riesenkatze, die aus dem Plas masee kam. Das Tier trabte auf ihn zu. Kennon wich keinen Schritt zurück. Er fürchtete sich nicht mehr vor dem riesigen Wesen, das ihn zuvor mühelos hätte töten können. Da zuckte eine der mächtigen Pranken vor und wischte ihn vom Wall herunter. Die Vollstrecker schrien erregt auf. Für sie hatte es so ausgesehen, als habe das Tier Kennon mit einem einzigen Hieb zerschmettert. Tatsächlich aber hatte die Katze die Pranke im letzten Moment zurückgehalten, so daß sie den Terraner nur sanft berührt hatte. Kennon rutschte am Wall herun ter, ohne verletzt worden zu sein. Die Katze warf sich zur Seite und hieb mit beiden Pranken auf den Bo den, der unter den wuchtigen Schlägen aufdröhnte. Dann fuhr sie mit den Lippen über das Blut, das einige nackte Schnüffler bei ihrem Kampf gegen Kennon vergossen hatten. Danach schob sie sich fauchend über den Wall und leckte sich die Lef zen. Die Vollstrecker blieben etwa zwanzig Meter vor dem Wassergraben stehen. Wie raffiniert! dachte Kennon, der hinter dem Wall auf dem Boden lag. Die Vollstrecker müssen denken, daß die Katze mich mit ihren Tatzen ge tötet hat, und das Blut soll sie davon überzeugen, daß ich mittlerweile in ihren Magen gewandert bin. Er hörte die bellenden Stimmen der Vollstrecker, die sich langsam wie der entfernten. Die Katze blieb auf dem Wall liegen und putzte sich. Kennon wartete, bis die Katze ihn behutsam mit einer Pfote anstieß. Dann stand er auf. Der riesige Kopf beugte sich zu ihm herab, und der Rachen mit den ge waltigen Zähnen öffnete sich. Bevor der Terraner weglaufen konnte, drückten sich die Spitzen der Zähne an ihn. Das seltsame Geschöpf hob ihn erneut hoch. Ohne das geringste Gefühl der Furcht klammerte er sich an die Zähne. Die Katze duckte sich kurz und sprang dann spielerisch leicht über den Wassergraben hinweg. Auf der anderen Seite setzte sie Kennon ab.
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»Danke«, sagte der Kosmokriminalist, wobei er sich nicht sicher war, ob die Katze ihn verstand. Das Tier stieß ihn mit der Pfote an und bedeutete ihm damit, weiterzu gehen. Er winkte Bördo und Synk zu, die aus sicherem Versteck beobach tet hatten, was geschehen war. Jetzt kamen die beiden zögernd heran. Die Katze lief auf ein Stahltor zu, das versteckt in den Felsen lag. Es öffnete sich vor ihr, ohne daß sie etwas dazu getan hätte. Sie verharrte vor dem Tor und blickte zurück, als sie sah, daß Kennon, Bördo und der Or xeyaner ihr folgten, lief sie weiter. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich das begreife«, sagte Synk. »Ich dachte die ganze Zeit über, diese gefleckte Bestie will uns umbringen.« Sie passierten das Tor und gingen hinter der Katze her, die durch einen mit Metallstäben ausgeschlagenen Gang zu einem schwach beleuchteten Raum gelaufen war. Ihre Augen glühten grün auf, als sie sich umwandte und zurückblickte. »Hoffentlich ist das nicht ihre Speisekammer«, sagte Sator Synk, »in der sie sich einen Vorrat anlegen will.« »Bestimmt nicht«, antwortete Kennon zuversichtlich lächelnd. Er betrat die Kammer. Bördo und Synk blieben am Eingang stehen, während die Katze durch einen Felsspalt davonglitt. »Nun kommt schon«, sagte Kennon. »Ich bin fest davon überzeugt, daß wir ihr vertrauen können.« Kaum waren die beiden Freunde bei ihm, da schloß sich die Tür. Bördo schrie auf und versuchte zu fliehen, aber er blieb kurz vor der Tür abrupt stehen. Stöhnend griff er sich an den Kopf. »Was hat das zu bedeuten?« rief Sator Synk erschrocken. »Was zieht da an mir?« Kennon antwortete nicht, und auch Bördo war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß er auf den Orxeyaner hätte achten können. Alle drei hatten das Gefühl, als ob etwas sich an ihrem Kopf zu schaffen machte. Es bereitete ihnen keine Schmerzen, aber es war unangenehm und bedrohlich. Wir sind in der Kammer, in der den Technos die Erinnerung an die Quelle des Lebens genommen wurde, schoß es Kennon durch den Kopf. Beunruhigt durchforschte er sein Gedächtnis, fand aber heraus, daß er sich noch immer an alles erinnern konnte, sowohl was die ferne Vergan genheit als auch die jüngsten Ereignisse anging. Trotzdem war er sehr er leichtert, als das geisterhafte Tasten in seinem Gehirn aufhörte. »Es hat uns freigegeben«, stellte Sator Synk erleichtert fest. »Laßt uns schnell von hier verschwinden.« »Ja, aber nicht dort hinaus«, antwortete Kennon. »Oder willst du den Vollstreckern wieder über den Weg laufen? Da drüben ist noch eine Tür.«
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Synk und Bördo folgten ihm nur zögernd. Als sie die zweite Tür fast er reicht hatten, war es plötzlich, als griffen unsichtbare Riesenhände nach ihnen und versuchten sie in der Luft zu zerreißen. Kennon sah und hörte, wie Bördo und Synk zusammenbrachen, aber er konnte ihnen nicht helfen. Immerhin wußte er aber, daß ihnen nichts Ernstes zustoßen konnte, es sei denn, das Gerät, das sich ihrer angenommen hatte, war derart schlecht ein gestellt, daß es sie falsch wieder zusammensetzte. Kennon zweifelte nicht daran, daß sie sich in einem Transmitter befan den. Wenig später klangen die Begleiterscheinungen ab. »Nichts wie 'raus hier!« schrie Sator Synk und riß die Tür auf. Er rannte hinaus, ohne nachzusehen, ob ihm draußen nicht neue Gefahren drohten. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und sah sich verblüfft um. »Das kommt mir bekannt vor«, bemerkte er. Kennon und Bördo waren ihm gefolgt. Der Kosmokriminalist betrachte te den kurzen, düsteren Gang, auf dem er nun stand. Ein paar Meter vor ih nen lag ein in mattes Dämmerlicht getauchter Raum. Kennon ging schweigend los. Er spähte in den Raum hinein und stellte fest, daß weitere Gänge nach allen Richtungen führten. Zwei steile Ram pen führten zu einer Galerie hinauf. Bis auf ein paar Dellos, die schlafend auf dem kalten Steinboden lagen, war der Raum leer. Synk drängte sich an dem Terraner vorbei. Er ging zu einem der Dellos und versuchte ihn aufzuwecken, was ihm aber nicht gelang. »Es ist dasselbe wie bei den Magiern«, bemerkte er. Kennon nickte. Er glaubte schon jetzt zu wissen, wo sie sich befanden. Bördo und der Orxeyaner folgten ihm, als er über eine der Rampen nach oben ging. Von der Galerie führten Gänge weg, von denen einer wiederum in einer Rampe endete. »Wir sind in der FESTUNG«, stellte Kennon fest. »Ich erkenne diese Stelle wieder. Wir brauchen nur noch zwei weitere Rampen hinaufzustei gen, dann gelangen wir zu den Räumen, in denen die Odinssöhne gehaust haben.« »Wenn es so ist«, sagte Bördo, »dann laßt uns schneller gehen. Sie sol len wissen, was unter der Ebene von Kalmlech passiert. Vielleicht unter nehmen sie dann endlich etwas.« Kennon ging schweigend voran. Besorgt bemerkte er auf der Rampe einen weiteren Schläfer. Auch er ließ sich durch nichts aus seinem Schlaf wecken. Weiter oben fanden sie noch mehr schlafende Pthorer, und als sie endlich Heimdall, Sigurd und Balduur vor sich sahen, begriff auch Bördo, daß hier für den Augenblick alle Vorwürfe sinnlos waren, denn die drei Söhne Odins schliefen ebenfalls. Sie verließen die große FESTUNGsPyramide und gingen in den Park
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hinaus. Auf Schritt und Tritt trafen sie auf schlafende Pthorer. »Es kann nicht überall so sein!« sagte Bördo verzweifelt. Kennon und Sator Synk sahen sich an. »Mir werden die Beine schwer«, bemerkte der Terraner nüchtern. Bördo fuhr herum, aber seine Bewegungen wirkten nicht so flink und kraftvoll, wie man es an ihm gewöhnt war. Er sah, wie Synk sich langsam zu Boden sinken ließ, und zog sein Schwert. »Steh auf!« schrie er wütend. »Wir müssen wach bleiben!« Sator Synk hörte ihn nicht mehr. Er schlief bereits, und auch Kennon wurde von einer unwiderstehlichen Müdigkeit ergriffen. Schwankend stand Bördo zwischen ihnen, auf sein Schwert gestützt, und kämpfte gegen den Schlaf an, bis er in die Knie brach und langsam vornüber sank. Pthor aber raste weiter durch den Dimensionskorridor in die Unendlich keit. An seinem Ziel wartete der Dunkle Oheim.
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Weiter geht es in Atlan Band 481 von König von Atlantis mit: Der Dunkle Oheim von Marianne Sydow
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