MedR
Schriftenreihe Medizinrecht
Herausgegeben von Professor Dr. Andreas Spickhoff, Regensburg
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Albrecht Wienke • Wolfram Eberbach Hans-Jürgen Kramer • Kathrin Janke (Hrsg.)
Die Verbesserung des Menschen Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin
ABC
Herausbeger Dr. jur. Albrecht Wienke Sachsenring 6 50677 Köln
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Dr. jur. Dr. med. Hans-Jürgen Kramer Schönfeldstraße 13 80539 München
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Dr. jur. Wolfram H. Eberbach Milchinselstraße 19 99094 Erfurt
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Dr. jur. Kathrin Janke Sachsenring 6 50677 Köln
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ISSN 1431-1151 ISBN 978-3-642-00882-5 e-ISBN 978-3-642-00883-2 DOI 10.1007/978-3-642-00883-2 Springer Dordrecht Heidelberg London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
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Vorwort
Vorwort
Schon seit alters her hat sich die Menschheit Gedanken um eine Steigerung der menschlichen Fähigkeiten gemacht, sei es, um individuelle Defizite gegenüber einem subjektiven Normbild auszugleichen, sei es, um wissenschaftlich und technisch durch Fortentwicklung bekannter Prozesse neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die nach wie vor in jeder Beziehung strittige Debatte befasst sich heutzutage in erster Linie mit dem vielfältigen Bereich nicht indizierter ärztlicher Maßnahmen zur Steigerung der menschlichen Leistungsfähigkeit, Verschönerung, Verbesserung und Selbststilisierung, einem Bereich, der in der einschlägigen Literatur umfassend mit „Enhancement“ bezeichnet wird. Im Medizinrecht ist dieser Begriff noch nicht gesichert, meist spricht man hier bisher von „wunscherfüllender Medizin“ oder „Wunschmedizin“. In der sozialwissenschaftlichen und ethisch-philosophischen Literatur werden die Fragen des Enhancement bereits ausgiebig diskutiert. Auch in vielen medizinischen Bereichen ist die Diskussion in Gang gekommen – so etwa über den Einsatz von Psychopharmaka bei Gesunden oder im Zusammenhang mit der Durchführung von Schönheitsoperationen, insbesondere bei Jungendlichen. Von den medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, wie etwa der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie e.V., wird der zunehmende Schönheitskult mittlerweile als ein Massenphänomen bezeichnet, bei dem der Wunsch nach einem neuen Busen zum Abitur inzwischen keine Ausnahme mehr sei. Die Zahl der Schönheitsoperationen habe sich in den letzten Jahren auf etwa 660.000 pro Jahr versechsfacht. Jeder vierte Patient sei zwischen 15 und 25 Jahre alt. Aber auch die Möglichkeiten des zweckentfremdeten Einsatzes von Arzneimitteln wird mehr und mehr zu einem gesellschaftlichen Problem. Schon ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass Schüler und Studenten vor wichtigen Prüfungen auf Arzneimittel zurückgreifen, die – als Nebeneffekt bei Gesunden – eine höhere Konzentrations- und Leistungsfähigkeit in den Prüfungen erwarten lassen. Der ungehemmte Umgang mit Arzneimitteln und die damit erhoffte Steigerung der Leistungsfähigkeit ist gerade bei Jugendlichen „in“. Die juristische Debatte zur „wunscherfüllenden Medizin“ und zum „Enhancement“ steht demgegenüber erst ganz am Anfang. Die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e.V. hat sich dieses medizinrechtlichen Spannungsfeldes angenommen und vom 17. bis 19. Oktober 2008 in Einbeck dazu einen Workshop abgehalten. Hierzu konnten namhafte Referenten und Diskutanten gewonnen werden, die sich in Lehre und Praxis mit der gesetzten Thematik bereits eingehend beschäftigt haben. Die DGMR ist damit ihrer satzungsgemäßen Aufgabe verpflichtet geblieben, auf dem Gebiet des Medizinrechts wissenschaftlich tätig zu sein, die interdisziplinären Beziehungen zwischen Recht und Medizin zu vertiefen und für ein besseres wechselseitiges Verständnis zu sorgen.
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Vorwort
Das abschließende Ergebnis des Workshops ist in einem Empfehlungstext festgehalten, den die Beteiligten in der hier vorliegenden Fassung verabschiedet haben. Es ist damit gelungen, Empfehlungen zu erarbeiten, die von allen Beteiligten des Workshops getragen werden und welche der Lehre und Rechtsprechung, aber auch den Selbstverwaltungsorganen im Gesundheitswesen und der Legislative neue Impulse verleihen sollen. Besonderer Dank gebührt an dieser Stelle allen Beteiligten, die in kenntnisreichem und engagiertem Einsatz zum Gelingen der vorliegenden Publikation beigetragen haben. Hervorheben möchten die Herausgeber hierbei die maßgebliche Hilfe des Springer-Verlages, ohne dessen Unterstützung die Publikation des vorliegenden Werkes nicht möglich gewesen wäre. Die Herausgeber und die DGMR hoffen, dass das vorliegende Werk einen konstruktiven Beitrag und insbesondere einen Anstoß zur weiterführenden juristischen Debatte des in jeder Hinsicht spannenden Themas „Enhancement“ leistet. Köln, im Mai 2009
Rechtsanwalt Dr. A. Wienke Präsident der DGMR e.V.
Inhaltsverzeichnis
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wolfram H. Eberbach Schönheit um jeden Preis – „Ästhetisch Chirurgische Eingriffe“ . . . . . . . . 41 Heinz-Gerhard Bull Ästhetische Dermatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Liesl Häussermann-Mangold Reproduktionsmedizin: „De Finibus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Ricardo E. Felberbaum Die Wirkung von Psychopharmaka bei Gesunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Dimitris Repantis Pharmakologisches Enhancement – Eine Einführung in nichtmedizinische Anwendungen von Arzneimitteln zu Verbesserungszwecken . . . . . . . . . . . . 69 Davinia Talbot Pharmakologische und gentechnische Leistungssteigerung im Sport . . . . . 79 Toni Graf-Baumann Neuro-Enhancement unter besonderer Berücksichtigung neurobionischer Maßnahmen Anmerkungen aus ethischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Dominik Groß
VIII
Inhaltsverzeichnis
Salus aut/et voluntas aegroti suprema lex – Verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . . . 119 Wolfram Höfling Haftung für den Erfolgseintritt? – Die garantierte ärztliche Leistung . . . . 129 Bernd-Rüdiger Kern, Isabell Richter Ist die Verbesserung des Menschen rechtsmissbräuchlich? . . . . . . . . . . . . . 145 Christof Stock Der Arzt zwischen Heilen und Gewerbe – Zur Anwendbarkeit des ärztlichen Berufsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Karsten Scholz Eigenverantwortung der Patienten/Kunden Wohin führt der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V? . . . . . . . . . . . . . . . 169 Albrecht Wienke Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Autorenverzeichnis
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Dr. med. Heinz-Gerhard Bull Chefarzt der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Operationen St. Josefshospital Uerdingen Präsident der Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland e.V. Kurfürstenstraße 69 D - 47829 Krefeld Tel.: 02151 - 452312 Ministerialdirigent Dr. jur. Wolfram H. Eberbach Abteilungsleiter Wissenschaft, Hochschulen, Forschung im Thüringer Kultusministerium Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der DGMR e.V. Werner-Seelenbinder-Straße 7 D - 99096 Erfurt Tel.: 0361 - 3794800 Prof. Dr. med. Ricardo Enrique Felberbaum Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Klinikum Kempten-Oberallgäu gGmbH Robert-Weixler-Straße 50 D - 87439 Kempten Tel.: 0831 - 530 3393 Prof. Dr. med. Toni Graf-Baumann Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskulo-Skeletale Medizin, Member FIFA Sportsmedical Committee, Chairman FIFA Doping Control Sub-Committee, Gründungsmitglied und ehem. Präsident der DGMR e.V. Geschäftsführer Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes, Deutsche Schmerzgesellschaft (DGSS/DSG) Schillerstraße 14 D - 79331 Teningen Tel.: 07641 - 92240
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Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Vorsitzender des Klinischen Ethik-Komitees des Universitätsklinikums Aachen Medizinische Fakultät der RWTH Aachen Wendlingweg 2 D - 52074 Aachen Tel.: 0241 - 8088096 Frau Dr. med. Liesl Häussermann-Mangold Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Allergologie, Phlebologie, dermatologische Lasertherapie, medizinische Kosmetologie Korfstraße 2 a D - 61440 Oberursel Tel.: 06171 - 52666 / 06171 - 582210 – www.derma-oberursel.de Prof. Dr. jur. Wolfram Höfling, M.A. Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Finanzrecht und Gesundheitsrecht Albertus Magnus Platz D - 50923 Köln Tel.: 0221 - 4703395 Prof. Dr. jur. Bernd-Rüdiger Kern Direktor des Interdisziplinären Zentrums Medizin – Ethik – Recht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Wissenschaftlicher Leiter des Masterstudiengangs Medizinrecht der Dresden International University (DIU) Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht Juristenfakultät der Universität Leipzig Burgstraße 27 D - 04109 Leipzig Tel.: 0341 - 9735140 Dimitris Repantis M.D. Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie Charité-Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin Eschenallee 3 D - 14050 Berlin Tel.: 030 - 84458293 E-Mail:
[email protected]
Autorenverzeichnis
Frau Isabell Richter Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht Juristenfakultät der Universität Leipzig Burgstraße 27 D - 04109 Leipzig Tel.: 0341 - 9735140 Dr. jur. Karsten Scholz Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen Berliner Allee 20 D - 30175 Hannover Tel.: 0511 - 3802235 Prof. Dr. iur. Christof Stock Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizin- und für Verwaltungsrecht Katholische Hochschule NRW, Abt. Aachen Robert-Schuman-Straße 25 D - 52066 Aachen Tel.: 0241 - 60003-22 Frau Davinia Talbot, M.A., M.D. Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin Universität Münster Von-Esmarch-Straße 62 D - 48129 Münster Tel.: 0251 - 8352487 Rechtsanwalt Dr. jur. Albrecht Wienke Fachanwalt für Medizinrecht Präsident der DGMR e.V. Rechtsanwälte Wienke & Becker - Köln Sachsenring 6 D - 50677 Köln Tel.: 0221 - 3765310
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Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen – Ein Überblick
Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen – Ein Überblick
Wolfram H. Eberbach*
I. Enhancement im Alltag Die Optimierung des Menschen ist längst in vollem Gang. Wir sind sie schon so gewohnt, dass wir sie trotz ihrer oft auffälligen Erscheinung als solche meist gar nicht mehr wahrnehmen. 1. Spitzensport Die Medien berichten Tag für Tag über neue Dopingfälle im Spitzensport, egal ob etwa Radfahren, Leichtathletik, Schwimmen – war es heute das Doping-Geständnis der Sprinterin Marion Jones?1 Oder war es die Tennisspielerin Martina Hingis?2 War wieder ein Radprofi geständig oder wurde überführt, Patrik Sinkewitz vielleicht oder Stefan Schumacher,3 oder der Dritte der Tour de France 2008, Bernhard Kohl4, oder ging es immer noch um Jan Ullrich? Erwies sich der Quarterback eines American Football-Teams als mit Anabolika gemästet?5 Sind alle russischen Biathleten gedopt, oder nur die, die man erwischt hat?5a Oder wurden im chinesischen Anti-Doping-Labor während der Olympischen Spiele 2008 in Peking Proben verschlampt oder gar beseitigt?6 Wie glaubwürdig ist dabei das Internationale Olympische Komitee (IOC), wenn es einräumt, alle Berichte über diese Proben lägen längst bei ihm vor, es sei aber nicht Aufgabe des IOC, sie an die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) weiterzugeben – obwohl das IOC deren Auftraggeber und der IOCMedizinchef Arne Ljungqvist zugleich Vizepräsident der WADA ist?7 Erweist sich die „Menschen-Verbesserung“ in Form von Doping in jeglichem Spitzensport womöglich als systemimmanent, und ist Dopingfreiheit des Sports sowieso keine *1 1 2 3
4 5 5a 6 7
Der Verfasser ist Abteilungsleiter im Thüringer Kultusministerium. Er vertritt hier seine persönliche Auffassung. Das Manuskript wurde im November 2008 fertiggestellt. FAS v.7.10.2007, S. 24. FAS v. 4.11.2007, S. 24. Vgl. nur „Zum Doping motiviert“, FAZ v. 14.10.2008, S. 33; sowie „Olympisches Nachbeben“, FAZ v. 30.4.2009. Siehe FAZ v. 15.10.2008, S. 30. Kalwa, Das Spiel der Giganten, FAS v. 12. 10. 2008, S. 20. Kistner, Immer wieder Russen, FAZ v. 4.2.2009, S. 39. Simeoni, Verschlampt, verschwunden, verschwiegen, FAZ v. 13.10.2008, S. 30. Siehe Simeoni, „Kommunikationsprobleme“, FAZ v. 14.10.2008, S. 32.
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Wolfram H. Eberbach
Norm mehr, die bei Leistungssportlern akzeptiert ist?8 Sind die rund 26 % Spitzensportler, die bei einer anonymen Internetbefragung die Einnahme von Dopingmitteln einräumten,9 eine verlässliche Zahl oder nur die Spitze des Eisbergs? Lässt das sich wechselweise in seinen Erwartungen aufputschende System Wirtschaft-PolitikMedien, zu dem auch wir, das Publikum, als Vierter im Bunde gehören, eine Rückkehr zu geringeren, dafür „sauberen“ Leistungen gar nicht mehr zu?10 Indessen: Glaubt wirklich irgend jemand angesichts von 70 Milliarden US-Dollar, die in China zur Durchführung der Olympischen Spiele 2008 in Sportstätte und Infrastruktur investiert wurden, und angesichts der Einnahmen von 1,2 Mrd. US-Dollar durch das Pekinger Organisationskomitee sowie angesichts der rund 5 Mrd. USDollar, die das IOC in den letzten 4 Jahren einschließlich 2008 eingenommen hat11 – glaubt wirklich jemand, dass hier Doping ernstlich jemand interessiert? Ein solches Riesengeschäft kennt nur eine Devise: Sport und Spiele müssen weitergehen.12 Es liegt daher nahe, dass die in den vergangenen Jahren immer deutlicher erkennbar werdenden umfangreichen Doping-Strukturen im Spitzensport nicht nur Resultat individuellen Handelns sind. Sondern sie werden durch entsprechende gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen gefördert und gefestigt.13 Dieses geldgetriebene System fordert immer neue Höchstleistungen. Psyche und Körper der Athleten sind zu solchen ständigen Steigerungen nicht fähig. Deshalb kommt nach dem „schlichten“ Training das Höhentraining, dann kommt Doping14 – und schließlich Gen-Doping.15 Alles, „was die Verarbeitung einer genetischen Information einer Zelle verändert“, ist für Gen-Doping von Interesse16. Physiologische Ansatzpunkte entsprechender Strategien bieten die Sauerstoffversorgung, die Skelettmuskulatur und die Energiebereitstellung.17 Der Weg zum GenDoping ist bereits beschritten. 8 9 10
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So Wagner, Doping gehört zum Leistungssport, FAZ v.12.8.2008, S. 43. Vgl. Gerlinger, Doping im Leistungs- und Freizeitsport, TAB-Brief Nr. 33, Juni 2008, S. 9 ff., 11. Siehe zum Ganzen auch die Sportsoziologen Bette/Schimank, Der Hochleistungssport in der Falle, FAZ v. 29.12.2007, S. 30, sowie Daumann, Die Ökonomie des Dopings, 2008, S. 63–104. Zahlen nach FAZ v. 25.8.2008, S. 9: Die Spiele in Peking waren ein wirtschaftlicher Erfolg. Waldherr, Die Spiele müssen weitergehen, brand eins. 2007, Heft 10, S. 92 ff. Zutreffend Gerlinger, wie Fn. 9, S. 9 ff. Siehe nur Graf-Bauman, Doping – medizinische, rechtliche und ethische Aspekte, FS für Volker Röhricht, 2005, 1115 ff., ferner Clasing/Löllgen, Verbotene Arzneimittel im Sport, DÄBl. 2006, Heft 49, S. C-2788 ff. Siehe etwa Siegmund=Schultze, Doping – Im Reich der Mitte, DÄBl. 2008, Heft 34-35, S. C1509; Hucho/Müller=Röber/Domasch/Boysen, Gentherapie in Deutschland – Eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme, 2008, 125 ff., insbes. S. 133 ff.; Schulz/Smolnikar/Diel/Michna, Gendoping im Sport: Fakt oder Fiktion, F.I.T – Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln, 1/1998, S. 1 ff.; sowie ausführlich Bundestags-Drucksache 16/9552 v. 12.6.2008, TA-Projekt: Gen-Doping. Diel, Was an Mäusen geht, ist auch am Menschen möglich, Interview in der FAZ v. 12.3.2008, S. 32. Siehe TAB-Projekt „Gendoping“, S. 8, vorgelegt für das Fachgespräch zu Gen-Doping vom 12. März 2008 in den Bundestags-Ausschüssen für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie für Sport, Ausschuss-Drucksache 16(18)338.
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Und was kommt dann? „Techno-Doping“, die Zuhilfenahme technischer Apparaturen, wie sie im Fall des unterschenkelamputierten südafrikanischen Sprinters Oscar Pistorius Anwendung fanden?18 Auch hier dürften die Hilfsmittel aus anderen Bereichen, wie der Unterstützung für Kranke oder auch aus der Militärforschung (etwa zu Prothetik oder Mensch-Maschine-Symbiose) im Lauf der Zeit in den alltäglichen Gebrauch diffundieren. Stets aber sind auch Ärzte – egal ob nur die berühmten „schwarzen Schafe“, die angesichts des Umfangs des Sport-Doping-Systems allerdings bereits eine ganze Herde ausmachen müssten, oder ob womöglich viel verbreiteter – forschend, verschreibend und betreuend dabei. Doping ist ohne Ärzte kaum denkbar.18a Auch sie verdienen am Doping, an diesem hochrentablen Menschen-Verbesserungssystem mit. Und was tun wir? Die Zuschauer und Beobachter? Trotz all dieser Meldungen über manipulierte Ergebnisse, über pharmazeutisch optimierte Sportler, schauen viele morgens zuerst im Sportteil der Zeitung nach den neuesten Höchstleistungen. Auch für uns, das Publikum, zählt nur der Sieger – und der Zweite im Wettkampf ist schon der erste Verlierer. Auch wir, die Zuschauer, erliegen dem Mythos Leistung – obwohl wir wissen, bei diesem Wettkampf treten nicht nur Athleten, nicht nur Sportler gegen Sportler, sondern auch Sportler gegen Doping-Fahnder an. Und hier kämpfen zugleich Doping-Labore gegeneinander – wäre es da nicht ehrlicher, die Siegeshymne stammte aus der Operette „Wiener Blut“?18b Es ist völlig unbestritten, dass eine Vielzahl redlicher Sportler und ehrenhafter Funktionäre sich der geschilderten Entwicklung entgegenstemmen. Zumal die Anti-Doping-Agenturen des Sports wie des Fußballs leisten dabei bewundernswerte Arbeit. Aber haben sie gegenüber Dopern und Dollars eine Chance? Zählt noch der Kitzel, wer gewinnt – oder eher: wer wird entdeckt? Geht es noch um Freude am Sport – oder schon um Gier nach Skandal? Wird der Überlebenskampf in der Löwengrube des römischen Amphitheaters ersetzt durch die für die Massen zelebrierte öffentliche „Hinrichtung“ des Delinquenten in den Medien? In jedem Fall ist Kommerz das Ziel. Und die ständige, wahrlich mit allen Mitteln betriebene Verbesserung des Menschen ist das zentrale tagtägliche Agens dieser Show. 2. Freizeitsport Nicht nur der Leistungssport ist tendenziell gedopt. Neben der relativ kleinen Gruppe von rund 9.000 Spitzensportlern, die als potentielle Doping-Nutzer in Betracht kommen, verbreitet sich die künstliche, nicht auf Training beruhende 18
18a
18b
Siehe zu diesem Fall Coenen, Schöne neue Leistungsgesellschaft, TAB-Brief Nr. 33, Juni 2008, S. 21 ff. – auch zum Folgenden, insbesondere zur Militärforschung. Siehe aber Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer: Stellungnahme „Doping und ärztliche Ethik, DABl. 2009, Heft 8, S. C-300 ff. FAZ v. 2.4.2009, Die Wiener Blutbank hat wieder geöffnet; Lützow, FAZ v. 5.4.2009, Blutspur nach Wien.
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Wolfram H. Eberbach
Leistungssteigerung auch über den Freizeitsport immer weiter in die Gesellschaft.19 Naturgemäß sind genauere Angaben schwer zu erlangen, denn etwa die rund 27 Mio. Mitglieder des Deutschen Sportbundes jenseits der Spitzensportler unterliegen keiner Kontrolle. Dies gilt auch für andere Sportorganisationen. Und es gilt ebenso für die ca. 6.000 Fitness-Studios in Deutschland mit ihren rund 6 Mio. Nutzern. Die „kleinen Fittmacher für Zwischendurch“, die Energie-Riegel und EnergieDrinks sowie Nahrungsergänzungsmittel, bilden dort die untere Grenze der „Nahrungskette“ zur Selbstoptimierung. Dass auch die Einnahme von Doping-Substanzen als „schärfere“ Enhancer zunimmt, legen Befragungen in deutschen FitnessStudios zumindest nahe: Danach gaben ca. 20 % der Männer und zwischen 4 bis 8 % der Frauen den Missbrauch von Arzneimitteln der Doping-Verbotsliste zu.20 So finden zum Beispiel Wachstumshormone und Diuretika (entwässernde Substanzen) Verwendung. Weit im Vordergrund steht aber die Einnahme anaboler Steroide (durchschnittlich ca. 96 % der Befragten), mit dem Ziel des Aufbaus von Muskelmasse. Und wer erkennt sie nicht im Straßenbild, die jungen Männer im körperbetonten „trucker-undershirt“, deren Arm- und Brustmuskeln stundenlange Aufenthalte im Studio signalisieren? Ist dieser Trend zur Selbststilisierung und -optimierung in der Gesellschaft noch zu übersehen? Sind die vielen auffällig sportiv gestählten Menschen nicht genügender Beleg? Zeigt uns die TV-Werbung nicht genau diesen Körper-Typ täglich in Parfümreklame und Cola-Werbespots als die wahren Vorbilder der Selbstveredelung? Ist nicht jedes Mittel recht, um hier dabei zu sein? Aber nicht nur die Zahl der dopenden Besucher von Fitness-Studios geht in die Hunderttausende. Auch in anderen Sparten des Freizeitsports gaben bis zu knapp 10 % der Aktiven an, schon Dopingmittel eingenommen zu haben.21 Angesichts der Millionen Freizeitsportler handelt es sich dabei wohl um sechsstellige Größenordungen. Daher dürfte die Feststellung berechtigt sein: Medikamentös getriebene Leistungsverbesserung ist auch im Freizeitsport keine Randerscheinung mehr. In einer „Leistungsgesellschaft“, erscheint dies letztlich durchaus als systemkonform. In großem Umfang – nach einzelnen Studien bis zu fast 50 % – werden die der Leistungsverbesserung dienenden Substanzen mittels Arztrezepten bezogen. Bis zu 33 % erhielten die Dopingmittel ohne Rezept aus Apotheken.22 Insgesamt ist SportDoping Alltag in unserer Gesellschaft.
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Hierzu und zum Folgenden Gerlinger, wie Fn. 9, S. 9 ff. Gelinger, wie Fn. 9, S. 9, 11, m.w.N., vgl. auch Daumann, wie Fn. 10, S. 68 f. Gelinger, wie Fn. 9, S. 9,12. Gerlinger, wie Fn. 9, S. 9, 11.
Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen
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3. Lifestyle- oder Alltags-Doping a) Was Kranken hilft, nützt auch Gesunden Nicht nur im Sport, auch in anderen Lebensbereichen hat sich die „Verbesserung des Menschen“ etabliert. Dass Künstler dabei häufig unter „Aufputschmittel-Verdacht“ stehen, egal ob Absinth, Kokain oder LSD, ist Allgemeingut. In der Musikszene etwa stehen amerikanische Rapper unter dem Verdacht der Steroid-Einnahme.23 Gelegentlich kommt es zu Verurteilungen etwa wegen Kokain-Konsums, so im Fall des Sängers Konstantin Wecker. In der Opern-Szene, enthüllte der Tenor Endrik Wottrich, werden Doping-Paktiken angewandt.24 Die sogenannte Prominenten-Szene zeigt sich anfällig – die Regenbogen-Presse serviert jeweils den neuesten Fall. Für Stars, Sternchen und „Otto-Normalverbraucher“ empfiehlt sich die PartyDroge Ecstasy. Es genügt nicht mehr, gesellig und gutgelaunt zu tanzen, sondern man muss seine Ausgelassenheit zelebrieren. Normales Glück reicht nicht – nur eine exaltierte Show signalisiert Erfolg. Ecstasy-befeuert zuckt man deshalb stundenlang durch das Scheinwerferlicht wie ein galvanisierter Frosch. Indessen zieht die Stimmungs- und Leistungsverbesserung längst viel weitere Kreise. Überall wo Leistung gefragt ist, steht alsbald ein Präparat zur Verfügung, das nach dem Motto „Darf`s ein bisschen mehr sein?“ dem Willigen auf die – größeren – Sprünge hilft.25 Die dabei eingesetzten Präparate wurden ursprünglich für Erkrankungen oder altersbedingte Minderleistungen des menschlichen Gehirns sowie zur Behandlung psychischer Defizite wie Angsterkrankungen, Depression, M. Parkinson oder Schizophrenie entwickelt.26 Sie sollen etwa den Verlust an Neurotransmittern (wie Serotonin, Glutamat, Dopamin, Noradrenalin) ausgleichen, der zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit des Kurzzeit- wie des Langzeitgedächtnisses führt. Sie haben aber als „Gehirn-Doping“, als „Brainbooster“, „Neuropusher“ oder „Gedächtnisverstärker“, weil ihre Einnahme Vorteile verspricht, auch Eingang in den Alltag der Leistungssteigerung gefunden.27 Der weltweite Markt solcher „lifestyle drugs“ wurde schon im Jahr 2002 auf 20 Mrd. US-Dollar geschätzt.28 Einsetzbar sind die in Frage stehenden Medikamente wie Ritalin (Methylphindat), Virgil (Modafinil) und 23 24 25
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Jensen, Hopsa! Auch amerikanische Rapper sind gedopt, FAS v. 20.1.2008, S. 22. FAS v. 12.8.2007, S. 26. Zum Folgenden siehe etwa Crone, Gedächtnispillen, in: Ach/Pollmann (Hrsg.), No body is perfect, 2006, S. 233 ff. Siehe zum Folgenden TA-Bericht: Hirnforschung, Bundestags-Drucksache 16/7821 v. 22.1.2008, insbes. S. 73 ff.; ferner Talbot/Wolf, Dem Gehirn auf die Sprünge helfen, in: Ach/ Pollmann, wie Fn. 25, S. 253 ff.; sowie Sauter, Pharmakologische Neuro-Interventionen im Alltag: Motive, Konsequenzen, offene Fragen, TAB-Brief Nr. 33, Juni 2008, S. 16 ff. Siehe – auch zum Folgenden – etwa Knecht, „Wir stehen noch am Anfang des Verstehens“, Forschung & Lehre 2008, Heft 8, S. 514 ff., ferner den Bericht des Biochemikers Behl „Ein Wettrüsten, das unser Denken bedroht“, FAZ v. 10.9.2008, S. 33, sowie die Beiträge in Schöne = Seifert/Talbot u.a., .Neuro-Enhancement, 2009. Sauter, wie Fn. 26, S. 16 – auch zum Folgenden.
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Wolfram H. Eberbach
Prozac (Fluotexin – in Deutschland „Fluctin“) je nach dem zur Förderung von Aufmerksamkeit, Konzentration und Motivation, zur Verbesserung von Lernen und Gedächtnis, zur Hebung und Stabilisierung der Stimmung, zur Steigerung des Selbstvertrauens, der Kreativität, aber auch der spirituellen Erfahrung – kurzum: für fast alle Herausforderungen des Alltags. b) Spitzenleistungen von Spitzenkräften Konsumenten finden sich in nennenswertem Umfang schon bei den Forschern selbst – ca. 20% gaben bei einer Umfrage die gelegentliche, 12% sogar die regelmäßige Einnahme solcher Pharmaka an.29 Wen wundert dies aber in einer Wissenschaftswelt, in der die Vergabe von Stipendien sowie Berufungen unter dem Diktat des „Impact-Faktors“ stehen, nur noch „Exzellenz“ und Internationalität zählen? Zeitgleich ist die Teilnahme an Wettbewerben zur Drittmittelgewinnung, an Evaluationen und Prüfungen sowie an Gremiensitzungen erforderlich, Vorträge und Vorlesungen sind zu halten und Publikationen auf den Markt zu bringen… Den Anforderungen an Spitzenathleten stehen diese Arbeitsbedingungen für „Geistessportler“ nicht nach. Was berechtigt dann zur Hoffnung, solche wissenschaftlichen Spitzenleistungen könnten eher ohne pharmazeutische Leistungshilfe gelingen? Kein anderes Bild geben die Führungseliten der Industrienationen, auch sie stehen sozusagen zunehmend unter Drogen.30 Auch hier finden die chemischen Substanzen wie Methylphenidat (Ritalin), Modafinil („Vigil“) und Fluotexin („Prozac“, bzw. „Fluctin“) Verbreitung – notfalls bezogen über das Internet. Man schätzt am Konferenztisch, zumal bei Nachtsitzungen, die Konzentration steigernde Wirkung von „Ritalin“ und ebenso – nebenwirkungsärmer – Modafinil, das zudem die Gedächtnisleistung forciert. Der Kampf um den wirtschaftlichen Vorteil „heiligt“ auch hier fast jedes Mittel. Wer nicht legal in den Besitz von „Ritalin“ kommt, kann es womöglich illegal unter dem Namen „Speed“ erwerben.31 Auch bei der künftigen Führungselite, den Studenten, erfreut sich die Pharmazie der Beliebtheit: Jeder fünfte Student in den USA soll schon Methylphenidat zur Leistungssteigerung eingenommen haben.32 Nach anderen Berichten haben zwischen 4 bis 7 % der Collegebesucher in den USA mindestens einmal zur Prüfungsvorbereitung Arzneien genommen, die eigentlich zur Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivität-Syndroms (ADHS) bei Kindern angewandt werden.33 Häufig erfolgt der Bezug über das Internet aus asiatischen Ländern. Zudem wird die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln wie Ritalin zum besseren 29
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Vgl. auch Reichertz, Scientist`s little helper, Forschung & Lehre 2008, Heft 8, S. 518 – unter Hinweis auf eine Untersuchung von Maher in Nature, Heft 452, S. 674 f. – sowie zum Folgenden auf S. 520. Siehe Talbot/Wolf, wie Fn. 26, S. 253, 258 f. TA-Bericht: Hirnforschung, wie Fn. 26, S. 74. TA-Bericht: Hirnforschung, wie Fn. 26, S. 74. Siehe auch Loll/Balzter, Mit Ritalin durch die Prüfung, FAZ v. 1./2.11.2008, Beilage Beruf und Chance, S. C 8. Vgl. bei Simm, Neuroenhancement – Weichenstellung gefordert, DÄBl. 2008, Heft 20, S. C896 – auch zum Folgenden.
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Bestehen von Prüfungen nicht sanktioniert. Prüfungsordnungen enthalten keine entsprechenden Regelungen – angesichts der „üblichen“ Einnahme von Kaffee und Cola, von Vitaminen und Traubenzucker, bis zu vom Arzt verschriebenen Beruhigungsmitteln, wäre ein solches „Doping-Verbot“ rechtlich auch womöglich zweifelhaft.34 So wird schon frühzeitig als Verhalten eingeübt, dass zur Erbringung von Spitzenleistungen ein wenig medikamentöse Nachhilfe segensreich sein kann – hängen doch Arbeitsplatz, Einkommen und Karriere davon ab. Aber nicht nur „die anderen“, auch wir selbst sind Teil dieses VerbesserungsSystems, haben Anteil am Alltags-Doping – denn was spricht gegen „Pille statt Kaffee“?35: – Halfen früher bei Nachtsitzungen mit Mühe Kaffee, Red Bull oder ein GuaranaKaugummi, geht dies jetzt viel leichter – dank „Ritalin“. – Der Konzern besetzt eine Stelle nicht nach? Wir bieten an, die Arbeit mit wahrzunehmen – dank „Ritalin“. – Wir wollen einem Vorgesetzten imponieren? Gleichzeitig Emails lesen und versenden, Akten studieren und Briefe diktieren – ihm unsere Fähigkeit zum „Multitasking“ demonstrieren?35a Kein Problem – dank „Ritalin“. – Wir nehmen die politische Aufforderung zum „lebenslangen Lernen“ ernst und stürzen uns trotz abnehmender mentaler Fähigkeiten in Senioren-Studium und Abend-Akademie – dank „Ritalin“! c) Leistung ad liminem Dieser Trend zur Leistungsverbesserung wird sich in dem Maß fortsetzen und verstärken, wie weitere Substanzen auf den Markt kommen. Hierzu könnten die aus der Alzheimer-Forschung stammenden Ampakine zählen, die an Rezeptoren für Glutamat binden und wohl tauglich sind, Kognition und Gedächtnis zu verbessern.36 Weitere Substanzen aus dieser Forschungsrichtung, etwa zur Erhöhung interzellulärer Mengen bestimmter Proteine (sog. CREB-Proteine),37 die bei der Signalübertragung in den Gehirnzellen eine Rolle spielen und für die Gedächtnisleistung bedeutsam sind, sind zu erwarten.38 Und schließlich ist die Neurobionik, die mit Hilfe der Nano-Technologie neuronale Implantate („Hirnschrittmacher“) entwickelt, im Blick zu halten.39 Ausgehend 34 35
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Zimmerling/Brehm, Der „gedopte“ Prüfling, Forschung & Lehre 2008, Heft 8, S. 522 ff. So die provokante Frage von Schöne=Seifert, Pillen-Glück statt Psycho-Arbeit, in Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 279 ff. 283. Zum „Doping am Arbeitsplatz“ jüngst DAK-Gesundheitsreport 2009, S. 39 ff. Behl, wie Fn. 27 – auch zum Folgenden. Siehe auch Talbot/Wolff, wie Fn. 26, S. 253, 258 f. Sicher ist, dass die Firma, die als erste eine Gedächtnispille auf den Markt bringt, den wirtschaftlichen Erfolg von Viagra bei weitem in den Schatten stellen wird, so der Bioethiker Wolpe, zitiert bei Simm, wie Fn. 33, S. 896, 897. Siehe Fiedeler, Stand der Technik neuronaler Implantate, Forschungszentrum Karlsruhe, Wissenschaftlicher Bericht, März 2008; Merkel/Boer/Fegert, Intervening in the Brain, 2007, S. 117 ff.; Rohsahl, Getting wired, Newsletter der Europäischen Akademie No. 52, January 2005, S. 1-3; Talbot/Wolf, wie Fn. 26, S. 253, 256 f.
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auch hier von der Bekämpfung von Krankheiten wie M. Parkinson, Tourette-Syndrom, Depression, Zwangsstörungen, Clusterkopfschmerzen und Bewegungsstörungen, aber auch von der Militärforschung,40 richten sich die Begehrlichkeiten auf die Verbesserung des gesunden Gehirns.41 Vor allem im Bereich sensorischer Leistungen sind Enhancement-Entwicklungen denkbar, wie Schmerzunterdrückung, Infrarot-Sehen oder Ultraschall-Hören,42 die das Leistungsspektrum des Menschen in ihm bisher unzugängliche Gefilde erweitern könnten. Wenn auch derzeit noch außerhalb der Einsetzbarkeit, wird doch mit Nachdruck an solchen Fragestellungen gearbeitet. Ohne Hoffnung und Aussicht auf Erfolg fände solche Forschung nicht statt. Es genügt aber nicht, immer mehr Leistung zu bringen. Das Übermaß an Arbeit will auch fröhlich geleistet werden. Da helfen aus dem Kampf gegen Depressionen bewährte Mittel, wie der Wirkstoff Fluotexin, ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. In den USA unter dem Namen „Prozac“ (in Deutschland als „Fluctin“) auf dem Markt, verbessert es als „Mind-Doping“ oder „Stimmungsaufheller“ bei Managern und Studenten selbst unter Stressbedingungen die Laune. Rund 28 Mio. Amerikaner, also ca. 10 % der US-Bevölkerung, sollen „Prozac“ regelmäßig einnehmen.43 28 Mio. Amerikaner können nicht irren: Daher boomt auch in Deutschland das Geschäft mit einschlägigen, bei Gesunden angewandten Antidepressiva: 4,8 Millionen Packungen seien allein im Jahr 2006 verkauft worden.44 Warum jedoch nur depressionsloses Lachen und Leisten im Erwerbsleben? Auch Senioren erwarten zu Recht ihren Anteil an der pharmazeutischen Menschenverbesserung. „Fit im Alter“ wird von der Werbung schon allenthalben propagiert. Leistungsstark bis zur Auslinie („Leistung ad liminem“) ist das Ziel für die Zukunft.44a Am Ende der Entwicklung zur „Spaß-an-der-Leistung-Gesellschaft“ erscheinen dann die Schweizer Brüder und Schwestern von Dignitas und Co., die machen auch das Sterben noch froh – „easy dying“ als finale Leistung der Spaß-Gesellschaft … Das wär’s doch!?
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Siehe etwa Hennen/Grünwald/Revermann/Sauter, Einsichten und Eingriffe in das Gehirn 208, S. 126 f. und S. 133 f., sowie aerzteblatt.de v. 13.11.2008, Hirnschrittmacher lindert Zwangsstörungen. Vgl. Heier, Gehirn unter Strom, FAS v. 20.1.2008, S. 5; Bittner, Software fürs Gehirn: Immer mehr Technik steuert den Denkapparat, FAZ v. 24.12.2007, S. 18. TA-Bericht: Hirnforschung, wie Fn. 26, S. 62 ff., insbes. S. 63 f. Vgl. Birnbacher, Natürlichkeit, 2006, S. 107, m.w.N.; zu Prozac auch etwa Lenk, Therapie und Enhancement, 2002, S. 151 ff. Geipel, Interview „Öl für die Leistungsgesellschaft“, Forschung & Lehre 2008, Heft 8, S. 512. Siehe etwa den Bericht über das Alter der Präsidentschaftsbewerber im US-amerikanischen Wahlkampf, von Gelinsky, Fit for fun bis Achtzig, FAZ, 2.11.2008, S. 59.
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4. „…corpore sano“ a) Leitwährung Schönheit „Mens sana in corpore sano“ – und wo steht, dass es dabei mit „rechten Dingen zugehen“ muss, mit eigenem Bemühen und eigener Leistung? Dass der „corpore sano“ (corpus sanus) nicht ein wenig „saniert“ werden darf? Dass der Schönheit, die doch „von innen“ kommen soll, notfalls nicht ein wenig von außen chirurgisch oder dermatologisch nachgeholfen werden darf? Fernsehen und Hochglanzmagazine präsentieren tagtäglich in ihren Berichten optisch optimierte Prominente.45 Gelegentlich wird wieder einmal eine Frau als „Busenwunder“, also als Glanzlicht plastischer Silikon-Chirurgie vorgestellt – war es Pamela Anderson, oder schon wieder eine andere? Egal, denn schon richtet sich der Blick auf die Muskelberge eines Silvester Stallone oder gar eines US-amerikanischen Gouverneurs…Und gelegentlich erkennen wir noch jene, die in ihrer Entwicklung gleichsam stehen geblieben, wie optisch retardiert erscheinen: Gestern noch so alt wie wir selbst, heute schon im Alter unserer Kinder – und morgen? „Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli“ von A. S. Greer46 – mit dem Gesicht eines Greises geboren, stirbt Max, alt geworden, mit dem Aussehen eines kleinen Kindes – tritt aus der Fiktion und wird Realität. Das Gesicht manches früheren Politikers würde heute, im TV-Zeitalter, seine Karriere behindern, er wäre dem Publikum so „nicht vermittelbar“. Das Fernsehen ist unser tägliches Menetekel: Was zählt sind schöne Beine, straffer Hintern, voller Busen und faltenloses Gesicht. Und dies nicht nur bei den Lesern „bunter Blätter“. Auch Führungskräfte legen immer mehr Wert auf die Optik. Hielten noch 1986 nur 6 % die äußere Erscheinung für wichtig, waren dies im Jahr 2003 bereits 27 % – Schönheit schlug damit sogar Sprachkenntnisse.47 Selbst in der Arbeitswelt zahlt sich demgemäß gutes Aussehen aus und bringt eine „Schönheitsprämie“ – nach einer Untersuchung von Daniel Hamermesh, Universität Texas, USA,48 verdienen unattraktive Menschen 5 bis 10 % weniger als durchschnittlich attraktive, der Schöne bis zu 10 % mehr. Schönheit wird so zur Leitwährung zwischenmenschlicher Wertschätzung49 – und wir haben davon keine Valuta? b) Schönmacher-Markt Dem hilft der Schönheitsmarkt ab. Er lockt mit niedrigschwelligen Einstiegsangeboten. Produkte der Hautpflege, möglichst mit „Anti-Aging-Effekt“, für rund 2,9 Mrd. 45 46
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Siehe zur „Ästhetischen Chirurgie“ Bruck, ZaeFQ 2006, 647 ff. S. Fischer Verlag, 2005. Ebenso Fitzgerald, Der seltsame Fall des Benjamin Button, 1922 – Neuübersetzung 2008. Nienhaus/Hergert, Schönheit macht reich. Aber leider nicht glücklich, FAS v. 13.1.2008, S. 36, 37 – unter Hinweis auf eine Studie von Sonja Bischoff, Universität Hamburg – auch zum Folgenden. Zitiert bei Nienhaus/Hergert, wie Fn. 47. Bruck, Ästhetische Chirurgie, ZaeFQ 2006, 647 ff.
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Euro wurden im Jahr 2007 verkauft. 35.000 Nageldesigner und 40.000 Kosmetikinstitute bieten ihre Dienste an.50 Schon rund 5,3 Mio. Bundesbürger sind gepierct.51 Zur Krönung und – im wörtlichen Sinn – zur Abrundung informiert man sich dann über die Angebote des Schönheits-Chirurgen oder -Dermatologen:52 Aus Bauch, Po und Schenkeln wird Fett abgesaugt, Schlupflider werden gehoben, Brüste verkleinert oder vergrößert, Lippen und Stirnfalten – „Zornesfalten“ – unterspritzt, die Nase (womöglich „königlich“53) modelliert und Ohren angelegt, Tränensäcke entfernt, sogar Schamlippen verkleinert und der Penis verlängert.54 Kein Stück Haut, kein Körperteil entzieht sich dem ärztlichen Zugriff und wird verschont. Manche Behandlungsmethode sei (angeblich) umstritten – nach überwiegender Ansicht ist sie tatsächlich „state of the art“ – wie die ursprünglich zur Behandlung von Hauttumoren entwickelte photodynamische Therapie, die die Haut verjüngen könne. Und wem Skalpell und Spritze nicht behagen, kann vielleicht bald unter ärztlicher Aufsicht hochwirksame Abmagerungsmittel einnehmen, die aus der Bekämpfung von Alzheimer- und Parkinson-Erkrankung stammen.55 Im Übrigen ist etwa die Unterspritzung der Stirnfalten schon für 150,– € zu haben, das Anlegen der Ohren für 450,– €, die Stilisierung der Nase erfordert bereits den Einsatz von 2.000,– €. Die größte Investition stellt jedoch die Vergrößerung der Brüste dar, sie kostet etwa 5.200,– €.56 Die Preise differieren jedoch, auch zwischen West und Ost und noch weiter östlich.57 Es gibt kein Entrinnen, keine Ausrede zählt. Keine Zeit für eine Behandlung? Für ein „Botox to go“58 reicht`s immer. Zwar ist Zeit Geld – aber wenn mehr 50
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Zahlenangaben nach FAS v. 13.1.2008, S. 36 – 37: Färben, bleichen, operieren: Am Wunsch nach Schönheit verdienen viele. Siegmund-Schultze, Unter die Haut: Körperschmuck mit Risiken, DÄBl. 2008, Heft 28-29, S. C-1297 ff. Kritisch zur Schönheitschirurgie etwa Bayertz/Schmidt, Es ist ziemlich teuer, authentisch zu sein, in: Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 43 ff. Die Mehrheit der spanischen Untertanen soll die operierte Nase von Prinzessin Letizia als „königlich“ empfunden haben, siehe Wieland, Die neue Nase der spanischen Monarchie, FAZ v. 2.9.2008, S. 9 – man fragt sich nur, wie die Anmutung wohl bei fehlender Zugehörigkeit zum Königshaus bezeichnet worden wäre. Siehe die Angaben etwa bei Boecker, Saugen, heben, pumpen, SZ v. 16./17.5.2007, S. 1; sowie Ach, Komplizen der Schönheit? in: Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 187, 188 f.; ferner Korczak, „Schönheitsoperationen: Daten, Probleme, Rechtsfragen“, Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft, 31.1.2007, S. 45 ff., sowie Borkenhagen/ Brähler/Kentenich, Ein gefährlicher Trend, DÄBl. 2009, Heft 11, S. C-416 f., über Schönheitsoperationen an weiblichen Genitalien. Siehe zur photodynamischen Therapie aerzteblatt.de v. 22.10.2008; zum in Entwicklung befindlichen Abmagerungsmittel aerzteblatt.de v. 24.10.2008: Neues Abmagerungsmittel doppelt so wirksam – der darin enthaltene Stoff Tesofensin hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin. Wasner, Thüringer Allgemeine v. 6.10.2007, S. 9. Insider nennen auch zwei- und dreifach höhere Zahlen. Zur Warnung vor günstigen Angeboten im Ausland vgl. aerztblatt.de v. 5.6.2007: „Vorsicht bei Billigangeboten für Schönheits-OPs“. Siehe den Bericht von Hoffinger, Ware Schönheit, FAZ v. 21.9.2008, Beilage Beruf und Chance, S. C 4.
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Schönheit mehr Geld bringt, ist das optische Enhancement, die chirurgische oder dermatologische Ent-Faltung (!), ein gut angelegtes, kapitalmarktsicheres KörperInvestment. Auch dieses „Optik-Doping“ oder „Optik-Enhancement“ ist längst Alltag. Die – medizinisch nicht indizierten – Behandlungen gehen in die Hunderttausende und mehr, die Zahlen sind jedoch höchst unterschiedlich. So werden für die USA für das Jahr 1999 rund 4,6 Mio. und für das Jahr 2007 schon 11,8 Mio Eingriffe genannt.59 Für Deutschland schwanken die Angaben zwischen 176.000 für das Jahr 2005 – so die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland,60 hierbei sind naturgemäß aber die Maßnahmen von Dermatologen nicht enthalten – und 400.000 bereits im Jahr 2002,61 ebenso aber für das Jahr 2006.62 Im Antrag der Bundestags-Fraktionen CDU/CSU und SPD „Missbräuche im Bereich der Schönheitsoperationen gezielt verhindern – Verbraucher umfassend schützen“63 werden als Schätzungen für das Jahr 2001 ca. 400.000, für 2002 mehr als 800.000 und für die Jahre seit 2003 über eine Million Schönheitsoperationen genannt. Die zu diesem Antrag am 23. April 2008 durchgeführte Öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages erbrachte keine genaueren Zahlen.64 So schätzte die Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgie (DGPRÄC) für das Jahr 2004 die Zahl indikationsloser Eingriffe auf 150.00 bis 180.000, die Dunkelziffer sei jedoch nicht erfassbar, die kolportierten Zahlen von 700.000 bis 1 Mio. seien jedoch deutlich zu hoch gegriffen.65 Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) Graf von Finckenstein hatte „diesen Erfassungszahlen nichts Neues hinzuzufügen“.66 Eines ist jedoch gewiss: Die Zahlen steigen. Der milliardenschwere Schönheitsmarkt67 boomt – auch bei den Ärzten: „Was wir heute im Bereich der ästhetischen Medizin und hier insbesondere in der ästhetischen Dermatologie sehen, ist jedoch
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Bayetz/Schmidt, wie Fn. 52, S. 43, 44; Villa, Einleitung – Wider die Rede vom Äußerlichen, in: Villa (Hrsg.), schön normal, 2008, S. 7, 9. Nachweise etwa bei Ach, wie Fn. 54, S. 187, 189. Beck, Enhancement – die fehlende rechtliche Debatte einer gesellschaftlichen Entwicklung, MedR 2006, 96. Siehe Roebke, Wer schön sein will muss leiden – und zahlen, FAZ v. 15./16. 12. 2007, S. C – 2. Bundestags-Drucksache 16/6779, vom 24.10.2007, S. 1 f. Vgl. Bundestags-Drucksache Protokoll Nr. 16/83. Günter Germann, Bundestags-Drucksache Protokoll Nr. 16/83, S. 6. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie von Korczak, wie Fn. 54, S. 43 f.: Auf Grund einer Umfrage und Hochrechnung ergibt sich dort für das Jahr 2005 eine Zahl von rund 520.000 ästhetischen Eingriffen. Wie Fn. 65, S. 7. Boecker, wie Fn. 54, nennt einen Umsatz von geschätzten 5 Mrd. €; Connemann nennt in der Beratung des Antrags der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zu Schönheitsoperationen – Bundestags-Drucksache 16/6779, oben Fn. 63 – rund 700 Mio. € pro Jahr, vgl. Plenarprotokoll der 120. Sitzung des Deutschen Bundestages, vom 24.10.2007, Anlage 26; ebenso Korczak, wie Fn. 54, S. 90.
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erst der allererste Anfang einer Entwicklung, deren Richtung und weitere Dynamik derzeit nicht abzuschätzen ist“.68 Ob dabei angesichts des suggestiven Trommelfeuers von Werbung und Medienberichten wirklich immer eine Entscheidung der „Kunden“ entsteht, die die Bezeichnung „selbstbestimmt“ rechtfertigt,69 wird kaum zu ergründen sein. Im Zweifel orientieren sich er und sie an der „Schönheit der Saison“. Aber was ist falsch daran, sich am Schönheitsideal seiner Zeit zu orientieren – von Sophia Loren über Twiggi bis Claudia Schiffer? Von Hans Albers über Curd Jürgens bis Till Schwaiger oder Arnold Schwarzenegger? Es bedarf der eigenen Entscheidung, welchem Vorbild man folgt. Es offenbarte wohl einige Arroganz zu glauben, man sei – egal in welchem Lebensbereich – gänzlich frei von den Anschauungen seiner Zeit. Zudem: Wären wir nicht noch viel mehr irritiert, käme eine Kundin zum plastischen Chirurgen und forderte, sie wolle aussehen wie eine „Rubens-Frau“ – oder Margarete Maultasch?70 Oder käme ein Mann mit dem Wunsch, dem Aussehen von Charles Laughton zu gleichen – oder Quasimodo, dem Glöckner von Notre Dame? Weit überwiegend sind die Wünsche im Übrigen diskret: weniger Bauch, kleineres Gesäß, schlankere Beine, ein paar Jahre jüngeres Gesicht – eben eine harmonische Erscheinung.71 Ist das zu viel verlangt?
II. Ärztliche Berufsausübung im Wandel 1. Träume werden wahr In den Einbecker Empfehlungen „Zwischen Hippokrates und Staatsmedizin – Der Arzt am Beginn des 21. Jahrhunderts“ wurde festgestellt, dass die ärztliche Berufsausübung vor tiefgreifenden Strukturveränderungen steht.72 Ein solches neues Strukturelement, das in seiner Bedeutung noch kaum erfasst und dessen weitere Entwicklung noch kaum absehbar ist, liegt in den vor kurzem in diesem Umfang noch nicht vorstellbar erweiterten Handlungsmöglichkeiten ärztlicher Intervention.73 Bildete die Realität ärztlichen Bemühens Jahrtausende vor allem die Behandlung von „gesundheitlichen Schadensfällen“, also Erkrankungen und Verletzungen, und richteten sich die Träume darauf, wie es wäre, könnte man den Menschen, dieses „Mangelprodukt der Natur“, doch verbessern (natürlich gab es stets Wunder68 69
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Steinkraus, Ästhetische Dermatologie, ZaeFQ 2006, 650. Siehe zu „Schönheit, Normalität, Identität“ Ach, wie Fn.54, S. 187, 192 ff., und 199 ff., ferner Degele, Normale Exklusivitäten – Schönheitshandeln, Schmerznormalisieren, Körper inszenieren, in: Villa (Hrsg.), wie Fn. 59, S. 67, 69 ff. Siehe Feuchtwanger, Die hässliche Herzogin Margarete Maultasch, 1954. So der Schönheits-Chirurg Werner Mang, zitiert bei Ach, wie Fn. 55, S. 187, 193. Vgl. Einbecker Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, in: Wienke/ Dirks (Hrsg.), Zwischen Hippokrates und Staatsmedizin, Der Arzt am Beginn des 21. Jahrhunderts; 25 Jahre DGMR, Springer, 2008, S. 149, Ziff. I. Siehe hierzu die Darstellung oben I.
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heiler, Schamanen, Medizinmänner und Bader, die genau dies versprachen) – dann haben sich die Gewichte in den letzten Jahrzehnten und seitdem immer mehr gravierend verschoben: Die Träume werden wahr.74 Neben die traditionelle heilende, lindernde, begleitende Medizin ist nun eine moderne Medizin getreten, die sich die Verschönerung, Verbesserung, eben die Optimierung des Menschen, seiner Anlagen und Fähigkeiten zum Ziel gesetzt hat. Bei ihr ist die Gesundheit nicht mehr (nur) unvergleichliche biologische Existenzgrundlage, sondern ein Konsumgut. Die Ethik des Helfens wird ersetzt durch die Ästhetik der Zielsetzung. Der Blickwinkel wechselt von der Humanität des Arztes zur Egozentrik des „Patienten“ – der kein „Leidender“ mehr ist, sondern ein „Kunde“, der sich auf dem Markt der Leistungs-, Wettbewerbs- und Spaßgesellschaft durch Verbesserung seiner selbst Vorteile erstrebt. In den Blick einer umfassenden theoretisch-wissenschaftlichen Aufarbeitung ist diese Entwicklung trotz – oder vielleicht sogar gerade wegen – ihrer viele Aspekte der Medizin betreffenden Auswirkungen noch kaum gerückt. Eher als die Medizin selbst – und ebenso die Jurisprudenz – haben dieses Phänomen andere Disziplinen „entdeckt“ und unter dem Begriff „Enhancement“ diskutiert.75 Allerdings werden auch dabei eher einzelne Bereiche – wie Doping oder neurologische Interventionen oder die plastische Chirurgie – erörtert. Die starke Spezialisierung als immanente Gefahr aller modernen Wissenschaft, tendenziell immer mehr über immer weniger zu wissen – so dass man, nach Erwin Chargaff, am Ende alles weiß: über nichts76 –, verstellt leicht den Blick dafür, dass in der Medizin inzwischen auf breiter Front die Realisierung von Träumen als wunscherfüllende Medizin ein aussichtsreiches Geschäft geworden ist. 2. Dritter Gesundheitsmarkt Im Rahmen dieser wunscherfüllenden Medizin bieten Ärzte zunehmend Leistungen an, die über das traditionelle, ursprünglich altruistisch begründete ärztliche Handeln hinausgehen. Häufig dienen sie, wie oben I.4. dargestellt, der „Verschönerung“ des Körpers, wie etwa das Piercing – wiewohl nach Auffassung der Bundesärztekammer keine ärztliche Tätigkeit, wird es häufig von Ärzten (insbesondere HNO-Ärzten, Gynäkologen und Zahnärzten) durchgeführt.77 Hierzu gehören ferner Maßnah74 75
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Zum Folgenden ausführlich Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325 ff. Siehe etwa die Beiträge im Sammelband von Ach/Pollman,n wie Fn. 25; Fuchs/Lanzerath/ Hillebrand etc. (Hrsg.), Die ethische Diskussion über biomedizinische Verbesserungen des Menschen, drze-Sachstandbericht, 2002; Lenk, Therapie und Enhancement, 2002; Sandel, Plädoyer gegen die Perfektion, 2008; Villa (Hrsg.), schön normal, wie Fn. 59; Gesang, Enhancement und Gerechtigkeit, in: Sorgner/Birx/Knoepffler (Hrsg.), Eugenik und die Zukunft, 2006, S. 127 ff.; Knoepffler/Savulescu (Hrsg.), Enhancement und Genetik – im Druck; weitere Nachweise bei Eberbach, MedR 2008, 325, Fn. 7. Chargaff, Das Feuer des Heraklit, 1979, S. 229 f. Siehe Helmholtz-Zentrum München – FLUGS-Fachinformationsdienst „Dauerhafter Körperschmuck …“, S. 5, Stand: 4.3.2008.
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men in den Bereichen Wellness und Fitness, in denen ebenfalls zunehmend auch Ärzte engagiert sind. Allein die rund 5.600 Fitness-Clubs mit mehr als 200 qm Fläche sollen einen jährlichen Umsatz von ca. 2,6 Mrd. Euro erzielen. Vor allem zählen hierzu aber die Angebote individueller Gesundheitsleistungen (IGeL). Rund 16 Mio. Versicherten wurden 2006 solche medizinischen Zusatzleistungen angeboten.78 Im Jahr 2007 wurden damit über 1 Mrd. Euro/Jahr umgesetzt.79 Es entstand so – neben der kurativen Medizin als Erstem Gesundheitsmarkt – ein der Erzielung budget-unabhängiger Einkommen80 dienender Zweiter Gesundheitsmarkt. Mit der wunscherfüllenden Medizin, den oben I. dargestellten ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten, eröffnet sich dem Arzt darüber hinaus nun ein umfangreicher und ständig wachsender Dritter Gesundheitsmarkt.81 Die Übergänge zwischen Zweitem und Drittem Gesundheitsmarkt sind dabei teilweise fließend. Letzterer umfasst außer den oben I. aufgeführten Bereichen z.B. auch jene Teile der Fortpflanzungsmedizin sowie genetischer Behandlungen, die nicht mehr nur der Beseitigung körperlicher Defizite gelten. Maßnahmen des Dritten Gesundheitsmarkts sind für die „Volksgesundheit“ nicht von Bedeutung und damit auch nicht für die Gesundheitspolitik.82 Vielmehr handelt es sich bei der wunscherfüllenden Medizin um ein „Konsumgut“,83 das in einem freien ökonomischen System „vermarktet“ wird. Der Arzt gewinnt dadurch weitere, von staatlicher Budgetierung freie Einkommensmöglichkeiten. Zwar gilt auch für die Abrechnung der wunschärztlichen Leistung grundsätzlich die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).84 § 1 Abs. 2 Satz 1 GOÄ stellt zunächst fest, der Arzt dürfe nur solche Leistungen berechnen, die für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind. Allerdings erweitert Satz 2 dieser Vorschrift die Abrechenbarkeit auf Leistungen, die über dieses Maß hinausgehen, wenn sie auf Verlangen des Zahlungspflichtigen erbracht werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Gebührenordnung für Ärzte damit nach Wortlaut und Systematik auch auf nicht indizierte ärztliche Tätigkeiten anwendbar.85 § 2 Abs. 1 GOÄ lässt jedoch abweichende Vereinbarungen zu.86 Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GOÄ ist dabei außer der Nummer der Leistung auch der jeweilige 78
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Kersting/Pillokat, Medizinische Zusatzleistungen im stationären Bereich – IGeL im Krankenhaus, ZaeFQ 2006, 707 ff. Rabbata, DÄBl. 2008, Heft 36, S. C 1541. Auf den Zusammenhang der IGeL-Leistungen mit der Budgetierung verweist zutreffend Klakow=Franck, Individuelle Gesundheitsleistungen im ambulanten Bereich, ZaeFQ 2006, 703,704; siehe ferner Kersting/Pillokat, wie Fn. 78, S. 707. Eberbach, MedR 2008, 325, 327 f. Unschuld, Der Patient – Leidender, Partner oder Kunde?, ZaeFQ 2006, 639,641. Münch, zitiert bei Unschuld, wie Fn. 82, S. 639, 642. In der Fassung der Bekanntmachung v. 9.2.1996, geändert durch Gesetz v. 4.12.2001, BGBl. 2001 I, S. 3320. So für kosmetische Operationen ausdrücklich BGH, Urt. v. 23.3.2006 – III ZR 223/05 = NJW 2006, 1879, 1880 = MedR 2006, 424. BGH, wie Fn. 86, NJW 2006, 1879, 1881. Siehe auch Korczak, wie Fn. 54, S. 93, mit Fn. 73.
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Steigerungssatz anzugeben. Eine Überschreitung des 2,3fachen Gebührensatzes ist nach § 12 Abs. 3 GOÄ „nachvollziehbar und schriftlich zu begründen“. Wo im Gebührenverzeichnis Leistungstatbestände fehlen, können Analog-Ziffern herangezogen werden, vgl. § 6 Abs. 2 GOÄ.87 Durch diese „Stellschrauben“ erhält der Arzt eine beträchtliche Freiheit bei der Preisgestaltung. So ergibt sich etwa bei der Lippenkorrektur eine Bandbreite von 250,– bis 1.750,– €, bei der Bruststraffung von 2.200,– bis 5.000,– €, bei der Brustverkleinerung von 1.420,– bis 10.300,– € und beim Face-/Hals-/Stirnlift von 2.000,– bis 7.500,– € 88. Entsprechende Sondervereinbarungen – insbesondere über einen (auch deutlich) höheren Steigerungssatz – sind bei Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin der Normalfall. Ihre Preise richten sich daher de facto nach dem Markt. Komplettiert wird diese Entwicklung durch sie flankierende Angebote des Geldmarktes.89 Wie für Auto- und Waschmaschinenkauf wird für ärztliche Maßnahmen der Grundsatz propagiert: „Behandle gleich, bezahle später“. Spezialisierte Geldinstitute wie Medipay (dahinter steht die Readybank, eine Tochter der Landesbank-Gruppe West LB), ZAG Plus Medicalfinance (Postbank) und EOS Health (Otto-Gruppe) liefern gern zum neuen „maßgeschneiderten“ Gesicht die maßgeschneiderte Raten-Finanzierung. Die Darlehen sind niedrig verzinst, mitunter für eine gewisse Zeit sogar zinsfrei. Die Institute finanzieren sich aus abgetretenen Honoraranteilen der Ärzte – das so reduzierte Arzt-Honorar ist immer noch profitabler als der Kunde, der gar nicht erst kommt. Die Gesundheit ist damit in der Welt der Konsumgüter angekommen. 3. Eigene Kategorie ärztlichen Handelns Aus der Zusammenschau der verschiedenen medizinischen Bereiche, in denen diese Entwicklung gleichzeitig vonstatten geht, ergibt sich, dass mit der wunscherfüllenden Medizin oder „Wunschmedizin“ – eine einheitliche Begriffsbildung besteht noch nicht – eine eigene Kategorie ärztlichen Handelns90 entstanden ist. Sie muss für ihre wissenschaftliche Einordnung in ihrer Gleichrichtung erkannt werden. Die wunscherfüllende Medizin stellt einen wesentlichen Teil des genannten „Enhancements“, also der Steigerung und Verbesserung menschlicher Eigenschaften und Fähigkeiten, dar. Wesentlicher Teil deshalb, weil viele oder gar die meisten der dem Enhancement dienenden Maßnahmen nur – oder zumindest besser – von Ärzten durchgeführt werden können.
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BGH, wie Fn. 86, NJW 2006, 1879, 1880. Vgl. Korczak, wie Fn. 54, S. 61 – es handele sich um einen Markt, „der nach Marktgesetzen organisiert ist“, aaO, S. 87. Vgl. zum Nachfolgenden Oberhuber, Die Behandlung gibt`s auf Pump, FAS v. 5. Oktober 2008, S. 55 – auch zum Folgenden. Eberbach, MedR 2008, 325 f.
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Prägende Merkmale dieser Erweiterungen ärztlichen Handelns sind – individuell, auf Seiten des Patienten, das Fehlen einer medizinischen Indikation; die Maßnahme wird allein verursacht und getragen von Wunsch und Willen des „Kunden“,91 – generell die durchgängige Kommerzialisierung der angebotenen Leistungen. 4. Betroffene medizinische Bereiche Eine abschließende Umschreibung der medizinischen Bereiche, die der wunscherfüllenden Medizin zuzurechnen sind, erscheint nicht sinnvoll. Oft ist es zunächst nicht absehbar, ob oder wo sich die Gelegenheit entwickeln kann, optimierende Maßnahmen durchzuführen. In der Regel handelt es sich um Behandlungen, die zuerst in der kurativen Medizin Anwendung finden – zum Beispiel die oben I.3. aufgeführte Gabe von Prozac (Fluctin) gegen Depression. Im weiteren Verlauf lassen sie dann aber auch ihr weiterreichendes Potential erkennen und können daher mit dem Ziel der Verbesserung und Steigerung von Fähigkeiten eingesetzt werden, im genannten Beispiel etwa als „Stimmungsaufheller“ und „Mind-Doping“.92 Ausschlaggebend ist damit grundsätzlich nicht die Tätigkeit als solche, sondern die Intention der Behandlung: Ärztliche Tätigkeit ist dann wunscherfüllende Medizin, wenn sie geeignet ist und dafür eingesetzt wird, das menschliche Potential zu verbessern und die Leistungsfähigkeit zu steigern. In diesem Sinn können für die wunscherfüllende Medizin Maßnahmen in Betracht kommen insbesondere aus den Bereichen: – – – – – – –
Doping Schönheitschirurgie und -dermatologie zahnmedizinische Maßnahmen Lifestyle- und Anti-Aging-Medizin neurologische Behandlungen (pharmakologische wie nanotechnische) Fortpflanzungsmedizin gentechnische Behandlungsmethoden.93
5. Abgrenzung Heilmaßnahme – Wunscherfüllung Die Abgrenzung von Maßnahmen der Wunscherfüllung von Heilmaßnahmen ist im Einzelfall schwierig.94 Sie ist jedoch unvermeidlich, gehen doch etwa die gesetzliche wie die private Krankenversicherung von solchen Unterscheidungen aus, 91
92 93
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Kettner, „Wunscherfüllende Medizin“ zwischen Kommerz und Patientendienlichkeit, Ethik Med 2006, Heft 1, S. 81, 87; siehe auch Eberbach, MedR 2008, 325, 326, sub B. I. Schöne=Seifert, wie Fn. 35, S. 279. Zu Fortpflanzungsmedizin und Gentechnik unter dem Aspekt wunscherfüllender Medizin, siehe Eberbach, MedR 2008, 325, 329 ff., m. w. N. Siehe etwa Lenk, wie Fn. 43, Kap. I, S. 35 ff., und Kap. III, S. 103 ff.; ders. Verbesserung als Selbstzweck? in: Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 63 ff.; Buyx, Ethik Med 2006, 267 ff. Zum Folgenden auch Eberbach, MedR 2008, 325, 326 f.
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wenn sie ihre Erstattungspflicht auf erforderliche medizinische Behandlungen beschränken – denn diese Erforderlichkeit beruht letztlich auf eben dieser Abgrenzung von krank und gesund. Die radikalste Position dürfte sein, diese Differenzierung dennoch als „unnatürlich“ oder „künstlich“ überhaupt aufzugeben, weil ärztlich indizierte und wunschmedizinische Behandlung nur die beiden Extrempunkte ein und derselben Materie seien, die sich mit Körper und Psyche und deren Befindlichkeiten befasst. Es sei davon auszugehen, dass diese (einheitliche) Medizin durchgängig (nur) eine besondere Form von Konsumgut darstelle und damit keiner besonderen Regelung neben dem allgemein geltenden Recht bedürfe. Finanziell sei sicherzustellen, dass jedem Konsumenten nach seinen finanziellen Möglichkeiten der Zugang zu diesem Konsumgut offenstehe.95 Auch wenn diese Position den Vorteil hat, die genannte schwierige Abgrenzung zu erübrigen, und vielleicht nur eine künftige Entwicklung vorwegnimmt, die auch im Gesundheits- und Medizinmarkt gekennzeichnet sein mag von durchgängig merkantilem Denken, dürfte sie auf absehbare Zeit noch nicht die Praxis bestimmen. Die Abgrenzung Heilbehandlung – Wunscherfüllung bleibt daher unumgänglich. Zentrum dieser Problematik ist der Begriffe der Gesundheit (und der komplementäre Begriff der Krankheit). Die Frage ist daher: Bis wohin dient eine Maßnahme noch der Heilung – und ab wo zielt sie auf Verbesserung?96 Weder das Begriffspaar künstlich/natürlich noch die Abgrenzung normal/anormal bieten handhabbare Lösungen. Denn „künstlich“ ist letztlich jede ärztliche Intervention, soweit sie in naturgegebene Abläufe eingreift. Und „Normalität“ setzt einen fixen Bezugspunkt als Vergleichsgröße voraus.97 Die genetisch begründete Varianz von Aussehen und Konstitution widerlegt solche Normvorstellungen schon im Ansatz. Mit guten Gründen kann man vertreten, von „ganz gesund“ zu „ganz krank“ bestehe ein Kontinuum,98 auf dem eine Grenzlinie zu ziehen willkürlich sei. Gesundheit und Krankheit können auch nebeneinander bestehen, etwa bei dem, der die Anlage zu einer späteren, genetisch bedingten Erkrankung in sich trägt.99 Zudem sind selbst beim schwerkranken Menschen viele Einzelsysteme noch gesund.
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Münch, persönliche Mitteilung v. 28.8.2008, sowie Vortrag bei: „Hessischer Kreis e.V.“, am 19.2.2009. Zum Folgenden siehe auch Beck, MedR 2006, 95, 96 f., m. w. N. So auch Beck, MedR 2006, 95, 96. So auch Synofzik, Kognition a` la carte? – Der Wunsch nach kognitionsverbessernden Psychopharmaka in der Medizin, Ethik Med 2006, Heft 1, S. 37, 38. Vgl. Eberbach, Gesund oder krank – oder was sonst? Zum rechtlichen Gesundheitsbegriff bei Anlagen und Dispositionen, in: Jäger (Hrsg.), AIDS und HIV-Infektinen, 3. Aufl. 1990, Kapitel IX-2.3.6., S. 1 ff.
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Die Lösung kann sich daher nicht aus einer generellen Definition von „Gesundheit“ oder „Krankheit“ ergeben.100 Ob es sich hierbei um einen „dezidierten theoretischen Nihilismus“101 handelt, sei dahingestellt. Tatsächlich gibt es selbst im Bereich der Medizin keinen einheitlichen Gesundheitsbegriff. Gerade die dem Beispiel Enhancement gewidmeten Ausführungen etwa von Lenk102 zeigen letztlich auch nur die verschiedenen möglichen Kriterien auf, können jedoch deren Verbindlichkeit nicht belegen. Die Geschichte des Gesundheitsbegriffs erweist sich vielmehr als die Geschichte einer Idee.103 Was Gesundheit oder Krankheit ist, wird damit jeweils auch bestimmt von der Einschätzung durch die Gesellschaft – und es wird mitbestimmt durch den Fortschritt der medizinischen Fähigkeiten. So mag heute beispielsweise die Schiefstellung von Zähnen als behandlungsbedürftig gelten, weil sie inzwischen mittels Zahnspange gerichtet werden kann; Kleinwüchsigkeit, früher „gottgegeben“, aber keine Krankheit, kann grundsätzlich medikamentös behandelt werden. Durch die Zunahme medizinischer Interventionsmöglichkeiten wird so die Messlatte für Krankheit immer höher gelegt, gelten immer mehr gesundheitliche Befindlichkeiten als „krank“, weil nun behandelbar – der Zwang zur Hinnahme als schicksalsgegeben entfällt. Auch in anderen Disziplinen gibt es keine allgemein anerkannte Beschreibung von Gesundheit. Schon die Ausgangsfrage, ob Gesundheit generell-abstrakt oder individuell-konkret zu bestimmen sei, ist umstritten. Am ehesten ist daher mit der Rechtsprechung von einer Umschreibung auszugehen, die nicht auf philosophisch-abstrakt zwingende Logik setzt, sondern auf Alltagstauglichkeit durch Konsens und Plausibilität. Danach liegt Krankheit – ex negativo beschrieben – vor, wenn – unabhängig von den subjektiven Vorstellungen des Betroffenen – objektiv, also nach ärztlichem Urteil als dem Urteil eines Dritten (ggfls. Sachverständigen!), – ein anormaler körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand besteht, – der nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf.104 Den Schlüsselbegriff stellt dabei die Behandlungsbedürftigkeit dar.105 Durch ihre wertende Sicht wird zumindest indirekt über die Anormalität des Zustandes des Be100
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Anders wohl Beck, MedR 2006, 95, 98: „Zu finden und zu diskutieren wären also einige einheitliche Definitionsmerkmale von Krankheit und Gesundheit, Therapie und Enhancement….“, auch wenn diese einheitlichen Definitionsmerkmale „in den jeweiligen Kontexten durch Besonderheiten ergänzt oder eingeschränkt werden könnten“. Ob dann jedoch die erstrebte Einheitlichkeit noch erreichbar ist, erscheint zweifelhaft. Lenk, in: Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 63, 66. In: Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 63 ff.; ders. Therapie und Enhancement, wie Fn. 43. So v. Engelhardt, in: Lexikon Medizin – Ethik – Recht, 1989, Stichwort „Gesundheit“. Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 17.12.1986 – IVa ZR 78/85 – MedR 1987, 182 ff.; BFH, Urt. v. 10.5.2007 – III R 47/05 – NJW 2007, 3596. Siehe dazu auch Eberbach, MedR 2008, 325, 327, m. w. N.
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troffenen mitgeurteilt – wird dieser Zustand nicht als behandlungsbedürftig angesehen, ist er als (noch) „normale“ Befindlichkeit eingestuft. Die subjektive „medizinische“ Selbsteinschätzung des Betroffenen, „krank“ zu sein, ergibt also für sich noch keine „Indikation“ für eine ärztliche Intervention, sondern allenfalls Anlass, einen Arzt aufzusuchen. Von Maßnahmen der Wunschmedizin unterscheidet sich die Krankenbehandlung damit insbesondere durch die Merkmale – Beurteilung objektiv, durch Dritte / oder subjektiv, nach eigenen Kriterien des „Kunden“, – Behandlungsbedürftigkeit (Indikation) / Verbesserung, Wunschvorstellung.
III. Rechtliche Aspekte Die wunscherfüllende Medizin stellt, wie oben beschrieben, eine eigene Kategorie ärztlichen Handelns dar. Es ist erforderlich zu prüfen, ob die dem kurativen ärztlichen Handeln in den verschiedenen Rechtsbereichen „an-gemessenen“, das heißt vom Maß ihrer Charakteristika gewonnenen rechtlichen Beurteilungen auch auf diese andere, neue Kategorie passen oder ob es eigener rechtlicher Antworten auf die durch sie aufgeworfenen Fragen bedarf. 1. Ärztliches Berufsrecht Nach § 1 Abs. 1 und 2 Musterberufsordnung der deutschen Ärztinnen und Ärzte (MBO) dient der Arzt der Gesundheit des einzelne Menschen. Traditionell ist damit das indizierte, auf Heilung, Linderung und, wo anderes nicht mehr gelingt, auf Begleitung gerichtete ärztliche Handeln adressiert.106 Das allein von den subjektiven Wünschen des „Kunden“ legitimierte Streben nach Verbesserung und Steigerung menschlicher Fähigkeiten ist – außerhalb des Bereichs gesundheitlicher Prävention – zumindest vom Wortlaut her davon nicht erfasst.107 Die wunscherfüllende Medizin ist daher zumindest nicht a priori den berufsethischen und berufsrechtlichen Bestimmungen unterworfen. Ob man dem entgegenhalten kann, jede von einem Arzt ausgeübte Tätigkeit sei „ärztlich“ im Sinne des Berufsrechts, solange er dabei nur seine speziellen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten anwende, erscheint zweifelhaft. Dies impliziert die Aussage „einmal Arzt – immer Arzt“. Zu Zeiten, in denen ärztliches Handeln im traditionellen Sinn keine reale Alternative kannte und „Wunscherfüllung“ nur von Scharlatanen angeboten wurde, mag dies zutreffend gewesen sein. Für die heutige Situation mit ihren vielfältigen nichtindizerten Behandlungsmöglichkeiten erscheint aber eine Erstreckung des ärztlichen Berufsrechts auf so ziemlich jedes 106
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Vgl. Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der deutschen Ärzte (MBO), 4. Aufl., 2006, § 1, Rdnrn. 1 und 14. Siehe ausführlicher mit weiteren Nachweisen Eberbach, MedR 2008, 325, 332. Ebenso wohl Beck, MedR 2006, 95, 97.
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Handeln des Arztes, nur mittels Auslegung, das Grundrecht auf freie Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1 GG nicht genügend zu berücksichtigen. Das ärztliche Standesrecht stellt eine besonders enge Regelung der Berufsausübung dar. Sie auf weitere als die traditionellen ärztlichen Handlungsweisen zu erstrecken, erscheint zwar nicht grundsätzlich unmöglich, bedürfte jedoch wegen dieses Grundrechtseingriffs – und auch der Klarheit wegen – einer konkreten gesetzlichen Grundlage. Der Arzt agiert damit, mangels einer eindeutigen berufsrechtlichen Erfassung der Wunschmedizin, als freier Marktteilnehmer. Er ist dabei an das allgemein geltende Recht gebunden. Von besonderer Bedeutung sind für ihn einerseits die strafrechtlichen Vorschriften der Körperverletzungsdelikte, §§ 223 ff. StGB, andererseits die deliktsrechtlichen Bestimmungen nach §§ 823 ff. BGB. Sein „Kunde“ ist damit in wesentlichen Bereichen nicht weniger geschützt als der Patient durch das ärztliche Berufsrecht, das diese straf- und zivilrechtlichen Vorschriften in Bezug nimmt. Die Ärzteschaft sollte sich allerdings entscheiden, ob sie nicht die erforderlichen Schritte zur ausdrücklichen Erstreckung des ärztlichen Berufsrechts auf diese neue Kategorie ärztlichen Handelns einleiten will. Dann bedürfte es außer der oben angesprochenen klarstellenden gesetzlichen Fundierung hierfür auch eigener, dem Gegenstand – insbesondere dem Fehlen der Indiziertheit des Eingriffs – angepasster Regelungen etwa in den Kammergesetzen. Für eine solche Erstreckung könnte sprechen, Einheit und Ansehen des Berufsstandes zu bewahren und einer grenzenlosen Kommerzialisierung entgegenzutreten. Andernfalls könnte sich tendenziell eine Aufspaltung der ärztlichen Tätigkeiten und gar der Ärzteschaft ergeben in solche, die der traditionellen kurierenden Medizin zuzurechnen sind und damit dem ärztlichen Standesrecht unterliegen, und solche, die der wunscherfüllenden Medizin zugehören und damit von den engeren – auch finanziellen – Fesseln dieses Berufsrechts frei sind. Dies ist nicht wünschenswert. 2. Sozialrecht Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin unterliegen im Recht der gesetzlichen Krankenkassen keiner unmittelbaren Besonderheit.108 Mangels Erforderlichkeit entsprechender ärztlicher Maßnahmen sind sie vom „Kunden“ selbst zu bezahlen. a) Solidarhaftung contra Eigenverantwortung Der durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 16.3.2007 neu eingefügte § 52 Abs. 2 SGB V109 legte jedoch fest, dass ein gesetzlich Versicherter, der sich eine Krankheit zugezogen hat durch Maßnahmen wie zum Beispiel eine vorausgehende ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing, an diesen – mittelbaren – Kosten „in angemessener Höhe“ zu beteiligen und ihm das Krankengeld 108
109
Jansen, Haftungs-, berufs- und sozialrechtliche Aspekte der ästhetischen Medizin, ZaeFQ 2006, 655. BGBl. 2007 I, S. 378. Zum Folgenden ausführlich Eberbach, MedR 2008, 325, 333 f.
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für die Dauer der Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder von ihm zurückzufordern ist. Dass es sich hierbei nicht um eine rein vorsorgliche, von praktischer Relevanz noch ferne Regelung handelt, zeigen die in der Literatur berichteten Zahlen: Danach kommt es zum Beispiel beim Piercing in 10 bis 30 % aller Fälle zu Komplikationen wie Blutungen und Entzündungen, in seltenen Fällen aber auch etwa zu Hepatitis-Infektionen.110 Ferner kam es in den Jahren zwischen 1998 und 2002 bei knapp 200.000 Fettabsaugungen zu 67 lebensbedrohlichen Infektionen, Lungenembolien und durchstochenen Organen sowie zu 19 Todesfällen.111 Im Antrag der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD zum Thema Schönheitsoperationen, Bundestags-Drucksache 16/6779,112 wird aus in den USA durchgeführten Untersuchungen über einen Todesfall – infolge Lungenembolien, innere Verletzungen, Hautnekrosen oder Infektionen – auf 5.000 Fettabsaugungen berichtet. Auch die Rechtsprechung hat sich mit entsprechenden Fällen insbesondere aus der plastischen Chirurgie befasst.113 Zwar wurde etwa für Nikotin- und Alkoholgenuss oder für Übergewicht immer wieder diskutiert, den Versicherten einen erhöhten Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung abzuverlangen, um sie nach dem Verursacher-Prinzip an den durch ihr Verhalten entstehenden höheren Krankheitskosten zu beteiligen. Durchgesetzt hatten sich solche Pläne jedoch bisher nicht – unter anderem wegen der unmöglich erscheinenden Abgrenzung von ähnlich folgenreichen, aber nicht mit „Straf-„ oder „Disziplinierungs-Beiträgen“ belegten anderen gesundheitsriskanten Verhaltensweisen. Insofern kam die in § 52 Abs. 2 SGB V enthaltene Aufhebung der Solidarhaftung für eigenverantwortlich eingegangene gesundheitliche Risiken für ein noch nicht absehbar weites Feld von Maßnahmen – einschließlich negativer gesundheitlicher Folgen aller wunschmedizinischen Behandlungen – ohne Vorwarnung.114 b) Diskriminierung optischer Verschönerung Über diesen „ersten völlig verunglückten gesetzgeberischen Vorstoß“,115 dem Grundsatz der Selbstverantwortung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung 110 111
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Angaben nach Helmholtz-Zentrum München, wie Fn.77, S. 5. Vgl. Schmidt=Tintemann, Zeitschrift für Handchirurgie, Mikrochirurgie und Plastische Chirurgie (HaMiPla) 2007, 373. Ferner aerzteblatt.de v. 1.4.2009: Französischer Schönheitschirurg wegen Pfuschs verurteilt – in fast hundert Fällen. Vgl. oben Fn. 63, S. 2. Siehe etwa OLG Koblenz, Urt. V. 14.6.2007 – 5 U 1370/06 = MedR 2008, 161 ff. = MDR 2008, 84 f. = VersR 2008, 492 f. = NJW-RR 2007, 1622., sowie OLG Hamm, VerR 2006, 1511 f. Zutreffen weisen Merkel/Boer/Fegert etc., wie Fn. 39, S. 451, darauf hin, dass dies auch keine normativ zwingende Antwort auf diese Problematik sei, es bestehe aber ein weitreichender Ermessensspielraum des Gesetzgebers. Huster, Gesundheitsgerechtigkeit: Public Health im Sozialstaat, JZ 2008, 859, 865, in Fn. 55 – auch zum Folgenden. Kritisch auch Bernzen, Die neue Mitteilungspflicht nach § 294a Abs. 2 SGB V und der Leistungsausschluss nach § 52 Abs. 2 SGB V – verschleiert, verschmälert, verfassungswidrig, MedR 2008, 549, 550 ff.
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mehr Gewicht zu verleihen, anscheinend selbst erschrocken, beschloss der Gesetzgeber nach nur rund einem Jahr Geltungsdauer hektisch den – jedoch nur halben – „Rückbau“ dieser Vorschrift. Mit dem „Pflege-Weiterentwicklungsgesetz“ vom 28. Mai 2008 wurde der Text nicht weiter-, sondern zurückentwickelt: Die Worte „Maßnahmen wie zum Beispiel eines“ wurden gestrichen.116 Nach der Amtlichen Begründung soll diese Änderung der „Klarstellung“ dienen: „Durch sie wird gewährleistet, dass nur bei Folgen einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing eine Kostenbeteiligung der Versicherten erfolgt“.117 Tatsächlich ist damit aber vor allem „klargestellt“, dass dem Gesetzgeber bei dieser Turbo-Gesetzgebung, bei dem die Korrektur schon nahezu das erste Inkrafttreten überholt, der Überblick über mögliche Folgen seiner Regelungen verloren ging. Er bewegt sich mit ästhetischen Operationen, Tätowierung und Piercing im wörtlichen Sinn nur an der Oberfläche des Problems – der äußeren Verschönerung. Viel eher der vertieften kritischen Diskussion wären dagegen die Bereiche des Sport-Dopings sowie des Alltags-Dopings (oder Lifestyle-Enhancements) bedürftig gewesen, in welchen medikamentös mit womöglich schwerwiegenden Nebenfolgen die „innere Verschönerung“ betrieben wird. Nach der jetzigen Gesetzeslage gilt im Fall von Krankheitsfolgen: Für Schönheit bezahlt man selbst, für Klugheit zahlen die anderen. Dies belegt zwar, dass sich im Leben Klugheit bezahlt macht. Jenseits solcher eher ironischer Betrachtung ist jedoch zu fragen: Mit welcher rechtlichen Begründung werden, unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes nach Artikel 3 Abs. 1 GG, die noch wahrscheinlicheren und im Zweifel weitreichenden Folgen anderen gesundheitsrelevanten Verhaltens – wie die Einnahme das Muskelwachstum befördernder oder der Steigerung der Gehirnleistung dienender Pharmaka – anders behandelt? Schönheitsoperationen aber mit Prügeleien oder anderen kriminellen Handlungen gleichgesetzt?118 c) Dritter Versuch Es ist unbestreitbar, dass die Frage der Belastung der sozialen Sicherungssysteme durch die Folgen medizinisch nicht indizierter Maßnahmen der Diskussion bedarf. Es mögen auch gute Gründe dafür sprechen, diese Folgekosten der Verbesserung des Menschen nicht unbesehen der Allgemeinheit aufzuerlegen. Wie in anderen Bereichen könnte gelten, dass nicht der Gewinn privatisiert, der Schaden aber soziali-
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Vgl. BGBl. 2008 I, S. 874, Artikel 6 – Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Nr. 7 = § 52 Abs. 2 SGB V. Bundestags-Drucksache 16 / 7439, S. 96, Zu Nummer 7 – Hervorhebung vom Verfasser. So Mauersberg, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., in der Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages vom 23. April 2008 zum Antrag der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD 16/6779, – wie Fn. 63 – Protokoll 16/83, S. 17, zur neuen Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V; ebenfalls ablehnend zu dieser Vorschrift in der Anhörung Raiser, Deutscher Frauenrat e.V., aaO, weil diese Bestimmung als „Einfallstor für die Aufweichung des Solidarprinzips angesehen“ werde.
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siert werden darf – das heißt: Wer sich Vorteile erhofft aus der Selbstoptimierung, muss gegebenenfalls auch für die Nachteile einstehen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass diese weiteren Aus- und Fernwirkungen der gesetzlichen Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V auf andere gesundheitsrelevante Rechts- und Lebensbereiche vom Gesetzgeber mitbedacht wurden – zumindest aus der Amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes ist dies nicht erkennbar. Sie stellt nur auf die durch „nicht notwendige Schönheitsoperationen, Piercing und Tätowierungen“ oft entstehenden „gravierenden Gesundheitsstörungen“ ab.119 Jedoch ist Eigenverantwortung als Zurechnungsprinzip für Haftung weder nur bei den drei genannten Maßnahmen, noch (bei der ursprünglichen Gesetzesfassung) allein im unmittelbaren Zusammenhang mit gesundheitlichem Verhalten – etwa einer wunschmedizinischen Behandlung – von Bedeutung. Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen, notgedrungen noch einmal diese Regelung zu revidieren – entweder mit dem Ziel, sie gänzlich zu streichen und zunächst die gesellschaftliche Diskussion über ihre Notwendigkeit zu führen. Dies entspräche wohl auch der Intention der Entschließung des 110. Deutschen Ärztetages zu TOP I.: „Die Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V sollte wegen der in ihr enthaltenen Einführung des ´Verursacher-Prizinps` in die GKV politisch thematisiert werden“.120 In diese Diskussion wären etwa die Gedanken der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer zur „Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)“121 mit einzubeziehen. Im dort vorgestellten Stufenmodell für eine Prioritätensetzung für Leistungsansprüche gegenüber der GKV, das der Ausgabenexplosion im Gesundheitswesen Rechnung tragen soll, heißt es „Vierte Stufe: Verbesserung und Stärkung von Körperfunktionen – Erst auf einer vierten und letzten Stufe kann es um die Vervollkommnung von Körperfunktionen (Fitness, Wohlbefinden, Ansehnlichkeit) gehen.“ Sie stehen auf der Skala der Leistungsansprüche auf der letzten Stufe, angesichts knapper Mittel und wachsender Kosten ist ihre private Finanzierung zu diskutieren. Kann sich der Gesetzgeber zur Streichung des § 52 Abs. 2 SGB V nicht entschließen, wäre zumindest mit nachvollziehbaren Abgrenzungskriterien klarzustellen, für welche weiteren gesundheitsrelevanten Lebensbereiche/Handlungen künftig diese Eigenverantwortung der Solidarhaftung vorgehen soll. Zu klären ist dabei zunächst der bereits jetzt mit der „ästhetischen Operation“ angesprochene Bereich der wunscherfüllenden Medizin mit ihren vielfältigen Angeboten. Ferner müsste einbezogen werden etwa die Teilnahme an gefährlichen Sportarten (Boxen, Motorsport …) ebenso wie an riskanten Freizeitunternehmungen, einschließlich Reisen in kriegerisch oder terroristisch gefährdete Länder. Dabei sind nicht nur die Belastungen der Versicherten durch die Beiträge zur Krankenversicherung zu berücksichtigen. Sondern es gilt auch, dass die Freiheit 119 120 121
BR-Dr. 755/06 v. 3.11.2006, Zu Nummer 31 (§ 52). DÄBl. 2007, C-1276. DÄBl. 2007, C-2358.
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der Persönlichkeitsentfaltung (Vgl. hierzu unten III.b.), der die moderne Zeit so viele Möglichkeiten bietet, nicht durch die Hintertür gesundheits- und versicherungsrechtlicher Regelungen unangemessen eingeschränkt werden darf – oder letztlich nur wohlhabenden Bürgern vorbehalten bleibt. Auch ist dringend zu vermeiden, dass künftig die Kenntnis eigener genetischer, also anlagebedingter gesundheitlicher Risiken durch die Auferlegung gesundheitsrechtlicher Folgekosten das Maß der dem einzelnen verbleibenden Entfaltungsfreiheit bestimmt.122 Indem er die Eigenverantwortung als gesundheitskostenrelevantes Abgrenzungsmerkmal festgelegt hat, hat sich der Gesetzgeber auf stark vermintes Gelände begeben. Die Klärung, bis wohin die Solidarhaftung reicht und wo die Eigenverantwortung für eingetretene Krankheitsfolgen beginnt, sollte jedoch auch bei einer künftigen Regelung nicht auf die Rechtsprechung abgewälzt werden. Dies würde bis zur höchstrichterlichen Klärung womöglich jahrelange Rechtsunsicherheit bedeuten. Angesichts der denkbaren weitreichenden finanziellen Auswirkungen erscheint diese Ungewissheit unzumutbar. 3. Arbeitsrecht Nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz kann der Arbeitgeber seine Entgeltzahlung ganz oder teilweise einstellen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet hat. Dieses „Verschulden“ entspricht nicht der in § 276 BGB normierten Verhaltensanforderung gegenüber Dritten als „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt“.123 Vielmehr setzt – im Hinblick auf das grundgesetzlich in Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG fundierte Recht der „freien Entfaltung der Persönlichkeit“ – ein solches „Verschulden gegen sich selbst“ in der Regel ein „grobes Verschulden“, einen sozusagen unverständlichen Verstoß gegen die erkannten eigenen gesundheitlichen Interessen voraus.124 In diesem Sinn kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Verschulden vorliegen, „wenn der Arbeitnehmer an einer besonders gefährlichen Sportart teilnimmt oder wenn sich der Arbeitnehmer in einer seine Kräfte deutlich übersteigenden Art sportlich betätigt“.125 Bisher hat das Bundesarbeitsgericht jedoch noch von keiner Sportart – zumindest bei Einhaltung der einschlägigen Regeln – festgestellt, dass allein schon die Teilnahme an dieser Sportart ein solches Verschulden darstelle. Dies gilt etwa für Drachenfliegen126 ebenso wie für Ama-
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Vgl. Eberbach, Genomanalyse und Prävention, in: Sass (Hrsg.), Genomanalyse und Gentherapie, 1991, S. 81 ff. Zur aus der Präventionsidee ableitbaren Vorstellung einer Gesundheitsdiktatur vgl. den Roman von Julia Zeh, Corpus Delicti, 2009. Dörner, in: Müller=Glöge/ Preis, Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 8. Aufl., 2008, § 3 EFZG, Rdnr. 23. Vgl. nur BAG, NJW 1972, 702, sowie BAG, NJW 1979, 2326.; ferner etwa Eich, BetriebsBerater 1988, 197,199, sowie Linck, in: Schaub (Hrsg.), Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl., 2007, § 98, Rdnr. 37. Linck, in: Schaub (Hrsg.), aaO, Rdnr. 41, mit Nachweisen zur Rechtsprechung; ferner Dörner, aaO, Rdnr. 26. BAG, NJW 1982, 1014.
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teurboxen.127 Etwas anderes kann nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts jedoch gelten, wenn die Sportart so riskant ist, dass selbst ein gut ausgebildeter Sportler, trotz Einhaltung der Regeln, die Risiken nicht vermeiden kann. Es liegt nahe, dass die oben zitierte Eigenverantwortungsregelung des neuen § 52 Abs. 2 SGB V, die im Bereich der GKV – wenn derzeit auch (rechtlich unhaltbar) nur in den drei benannten Fällen – zu einer gänzlichen oder anteiligen Eigenhaftung des Versicherten führt, nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung auf die Überlegungen bezüglich des „Verschulden gegen sich selbst“ ausstrahlt. Dies würde auch im Arbeitsrecht zu einer engeren Auslegung dieser Verschuldensregelung führen. Denn es ist allgemein bekannt, dass auch bei regelgerecht betriebenem Sport Unfälle mit Krankheitsfolgen geschehen. Wenn es aber im Sozialrecht der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten ist, die gesundheitlich negativen Folgen eigensüchtiger, selbstverantwortlich verwirklichter Wunscherfüllung einzelner Versicherter solidarisch mitzufinanzieren, dann kann es auch eine Überstrapazierung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – sie gebietet ihm, eine dem Arbeitnehmer schicksalhaft auferlegte Krankheit mitzutragen – bedeuten, für dessen willentlich und eigenverantwortlich eingegangene Risiken einzustehen.128 Auch hier bedarf es jedoch zur Herstellung von Rechtssicherheit möglichst der gesetzgeberischen Abgrenzung der erlaubten von den eigenverantwortlich zu tragenden Risiken. Denn es wäre schwer nachvollziehbar, würde etwa – wie bisher – die eigenverantwortliche Teilnahme an gefährlichen Sportarten die Entgeltfortzahlungspflicht unberührt lassen, die ebenso eigenverantwortlich veranlasste Schönheitsoperation jedoch nicht. Hier sind valide Abgrenzungskriterien vonnöten. Sie dürfen jedoch auch im Arbeitsrecht die Freiheit des Einzelnen nicht ungebührlich beschneiden. 4. Zivilrecht a) Faktische Unterschiede Das traditionelle, kurative ärztliche Handeln wird nach herrschender Auffassung zu Recht dem Dienstvertragsrecht nach §§ 611 ff. BGB unterworfen.129 Danach schuldet der Arzt (nur) sein ärztliches Bemühen, nicht den (Heil-)Erfolg.130 Seine Begründung findet diese rechtliche Einordnung vor allem darin, dass der Arzt nicht „Herr der Natur“ ist, sie nicht zwingen kann. Letztlich wird der Arzt einbezogen in ein Geschehen, das dem Patienten schicksalhaft auferlegt ist – dieser wendet sich an den Arzt, der Arzt bietet sich ihm nicht von selbst an, sondern er springt ihm bei 127 128
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Zum Ganzen auch Eich, Betriebs-Berater 1988, 197, 200. Eberbach, MedR 2008, 325, 334. Wie hier wohl auch Löwisch, zitiert bei Roebke „Wer schön sein will muss leiden – und zahlen“, FAZ v. 15./16.12.2007, S. C 2. Uhlenbruck/Laufs in: Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., 2002, § 39, Rdnr. 10 m. w. N.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 5. Aufl., 2003, Rdnr. 17 f.; Müller=Glöge, in: MüKo, Bd. 4, 4. Aufl.2005, § 611, Rdnrn. 79, 83; ferner etwa BGH, NJW 1975, 305, 306 f.; BGH, NJW 1981, 2002, 2004. Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, wie Fn. 129, § 39, Rdnr. 10.
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in grundsätzlich altruistischem Impetus.131 Der Patient weiß (Empfängerhorizont!), dass er redlicherweise nicht mehr erwarten kann, als dieses hilfreiche Bemühen des Arztes. Auch wenn der Arzt daraus seinen Lebensunterhalt verdient, ist er doch in seinen Verdienstmöglichkeiten durch einschlägige Reglungen gebunden. Diese Wesensmerkmale seines Handelns rechtfertigen auch die privilegierte Haftung des Arztes. All dies trifft so auf Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin nicht zu.132 Zwar gibt es bei der unmittelbaren Durchführung der ärztlichen Handlungen keinen Unterschied zwischen Heilung und Verbesserung; Spritze, Skalpell, Haken und Tupfer kommen ggfls. gleichermaßen zum Einsatz. Aber die Art der Durchführung ist auch sonst nicht das alleinige Kriterium, kann – etwa bei der Herstellung einer Skulptur – dem Bemühen wie dem Erfolg zuzuordnen sein. Daher ist das ganze Geschehen in den Blick zu nehmen. Dies erhellt hier, der Typus des Dienstvertrages spiegelt die Eigenarten der wunschmedizinischen ärztlichen Behandlung nicht angemessen wieder: – Der „Kunde“ ist nicht vom „Schicksal geschlagen“ mit Krankheit, sondern trachtet nach Verbesserung. – Dem ärztlichen Handeln liegt daher keine medizinische Indikation zugrunde. – Der Arzt bietet hier von sich aus Leistungen an. – Der grundlegende Impetus des Arztes ist dabei nicht altruistisch, sondern kommerziell. – Der Arzt handelt bezüglich der Höhe des vereinbarten Einkommens nach den Regeln des freien Markts.133 – Dem „Kunden“ kommt es erkennbar auf den Erfolg an, nicht nur auf ein Bemühen. – Dafür ist der Kunde auch bereit, einen höheren Preis zu bezahlen. Diese Eigenarten werden dagegen vom Typus des Werkvertrags nach §§ 631 ff. BGB, nsbesondere mit seiner Ausrichtung am geschuldeten Erfolg, zumindest grundsätzlich besser erfasst.134 b) Auslegung und Aufklärung Dass der Arzt in seinem Innern vielleicht für den Erfolg „eigentlich“ ungern oder gar nicht einstehen will, ändert hieran nichts. Es ist für die gewechselten Erklärungen nicht nur auf einer Seite auf den „Empfängerhorizont“ abzustellen, mit dem Ergebnis, der „Kunde“ wisse ja, dass der Arzt keine Erfolgsgarantie geben wolle.135 131
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Siep, Die biotechnische Neuerfindung des Menschen, in: Ach/Pollmann, wie Fn. 25, S. 21, 22; Uhlenbruck/Laufs, wie Fn. 129, § 39, Rdnr. 7. Zur zivilrechtlichen Einordnung der wunscherfüllenden Medizin ausführlich Eberbach, Enhancement – oder die Grenzen des Dienstvertragsrechts bei der wunscherfüllenden Medizin, in: FS f. Günter Hirsch, 2008, S. 365 ff.; ders. MedR 2008, 325, 334 f. Auf die Möglichkeit von Sondervereinbarungen nach der GOÄ wurde bereits oben III.1. hingewiesen Zur Begründung siehe ausführlicher Eberbach, FS für Günter Hirsch, wie Fn. 132, S. 365, 372 ff.
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Sondern die Auslegung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts gilt für beide Vertragsbeteiligte. Dabei ist für den Arzt offenkundig, dass dem „Kunden“ z.B. bei einer Schönheitsbehandlung letztlich nur an einem erfolgreichen Eingriff gelegen ist. Soweit bei der Auslegung der wechselseitigen Erklärungen Widersprüchlichkeiten aufzutreten scheinen, sind auch die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die Erklärungen abgegeben werden. Hierzu zählt vor allem der gegenüber einer Heilbehandlung deutlich höhere Preis. Indem der Arzt diesen höheren Preis vereinbart, weiß er, worauf sich die Erwartung des Kunden richtet. Hieran muss er sich festhalten lassen. Andernfalls müsste er, wollte er den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens vermeiden, ausdrücklich klarstellen, wenn er dennoch nur für sein Bemühen einstehen wollte. Grundsätzlich besteht jedoch kein Anlass, dem Arzt den „Marktzugang“ zum besseren Verdienst zu erleichtern. Für eine Haftungsprivilegierung besteht kein Grund. Es gilt der Grundsatz: Wo Schicksal waltet, bedeutet Bemühen schon viel – wo Wille herrscht, zählt nur der Erfolg. Auf Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin ist daher grundsätzlich das Werkvertragsrecht der §§ 631 ff. BGB anzuwenden. Dies bedeutet nicht, dass die Anwendung jeder einzelnen Bestimmung der Werkvertragsregelungen in Betracht kommt. Vielmehr ist jeweils zu prüfen – etwa bei den verschiedenen Varianten der Mängelhaftung nach § 634 BGB oder bei § 645 BGB – ob eine Anwendung sinnvoll ist. Insoweit bewahrt der Vertrag über eine Maßnahme der wunscherfüllenden Medizin trotz seiner grundsätzlichen Zurechnung ebenso eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber dem Grundtypus des Werkvertrags, wie die auf Heilung gerichtete Vereinbarung gegenüber dem Dienstvertrag. Die Zuordnung zum Werkvertragsrecht verstößt auch nicht gegen das in § 11 Abs. 2 Satz 2 MBO enthaltene Verbot, Heilerfolge als gewiss zuzusichern. Denn wie oben III.1. ausgeführt, ist das ärztliche Berufsrecht nicht ohne weiteres auf Maßnamen der wunscherfüllenden Medizin anzuwenden. Unbeschadet dieser grundsätzlichen Typen-Zuordnung, ist ein zentraler – und unstreitiger – Aspekt der in Frage stehenden ärztlichen Maßnahmen, dass das Fehlen der Indikation durchbesonders hohe Anforderungen an die Aufklärung zu kompensieren ist.136 Denn Aufklärung und Indikation stehen in einem Verhältnis umgekehrter Proportionalität.137 135
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Für den „normalen“ Arztvertrag so zu Recht Uhlenbruck/Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, wie Fn. 129, § 39, Rdnr. 10. Siehe etwa Deutsch/Spickhoff, wie Fn. 129, Rdnr. 218; BGHZ JZ 1991, 210 f.; OLG Stuttgart NJW-RR 2000, 904, 905; LG Köln VersR 2001, 1382, 1383; LG Köln NJW-RR 2006, 1614,1615 – kosmetischer Charakter einer Laser-Operation; ferner OLG Hamm VersR 2006, 1509 ff., und VersR 2006, 1511 ff. Laufs, in Laufs/Uhlenbruck (Hrsg.), wie Fn. 129, § 63, Rdnr. 6. Zur kosmetischen Operation vgl. auch Laufs, Arztrecht, 5. Aufl. 1993, Rdnr. 199. Zu den Anforderungen an die Aufklärungspflicht auch Eberbach, Wahrheit am Krankenbett Rechtsgrundsätze der ärztlichen Aufklärungspflicht, in: Römelt (Hrsg.), Wahrheit am Krankenbett, 2002, S. 21 ff.
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5. Strafrecht Zu unterscheiden sind die eventuelle Strafbarkeit nach geltendem Recht einerseits des „Kunden“, andererseits des Arztes einer wunscherfüllenden Behandlung. a) Strafbarkeit der Selbstverbesserung Eine Strafbarkeit des „Kunden“ besteht grundsätzlich nicht.138 Denn Handlungen des zurechnungsfähigen „Kunden“, die nur ihn selbst betreffen, fallen unter seine geschützte Privatsphäre.139 In der Regel gilt dabei: „Verbesserung ist kein Schaden“.140 Der Spielraum dessen, was sich eine Person unter einer solchen „Verbesserung“ vorstellt, ist im Hinblick auf die grundgesetzlich garantierte Handlungsfreiheit und Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung, Artikel 2 Abs. 1 GG, weit zu fassen.141 Dasselbe gilt für den „Kunden“, wenn ein Arzt an ihm vertragsgemäß eine wunschmedizinische Behandlung durchführt (sog. Zwei-Personen-Fälle).142 Da nicht nur „Verbesserungen“, sondern sogar Selbstschädigungen – ohne Hinzukommen weiterer Umstände, wie die Absicht eines Versicherungsbetrugs o.ä. – grundsätzlich straflos sind,143 kommt eine Strafbarkeit des „Kunden“ aus Beteiligungsgesichtpunkten, wie Anstiftung oder Beihilfe, selbst dann nicht in Betracht, wenn sich der Arzt durch die „Verbesserungsbehandlung“ strafbar gemacht hat. b) Strafbarkeit ärztlicher Wunscherfüllung Im Vordergrund steht stattdessen die Frage der Strafbarkeit eben des Arztes. Zunächst gilt auch für seine Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin das Primat der Handlungsfreiheit.144 Bei körperlichen Eingriffen wie etwa plastischen Operationen oder bei der Einsetzung eines Hirnimplantats könnte jedoch die Anwendung der Körperverletzungsdelikte nach §§ 223 ff. StGB in Betracht kommen. Dies setzt voraus, dass ärztliche „Verbesserungsinterventionen“ überhaupt als eine Verletzung des Körpers anzusehen sind.145 Eine solche Abschichtung von Verbesserungs- gegenüber Heilungseingriffen ist jedoch ohne willkürliche Grenzziehung nicht möglich. Die Diskussion um den Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriff 146 würde hier wieder aufleben. Mit dem für das Strafrecht besonders zu beachtenden Bestimmtheitserfordernis 138 139 140 141
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Vgl. aber unten III.6.b). Merkel/Boer/Fegert etc., wie Fn. 39, S. 446. Merkel/Boer/Fegert etc., wie Fn. 39, S. 445. Das Grundgesetz schützt mit Artikel 2 Abs. 1 GG die Handlungsfreiheit umfassend, vgl. BVerfGE 6, 36, sowie Leipholz / Rinck/ Hesselberger, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Aufl., Stand: November 2007, Art. 2, Rdnr. 21. Vgl. Merkel/Boer/Fegert etc., wie Fn. 39, S. 439. Schulze=Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 1996, Art. 2 Abs. 2, Rdnr. 50. Zur allgemeinen Handlungsfreiheit als Freiheit, sich in aktiver Weise zu entfalten, siehe Dreier, in: Dreier (Hrsg.), wie Fn. 143, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 16. Dazu Beck, MedR 2006, 95, 99, m. w. N. Siehe oben II.5.
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wäre diese unklare Unterscheidung nicht vereinbar. Zudem rechtfertigt auch das beiden Eingriffen eigene äußere Geschehen keine unterschiedliche Qualifizierung – beide ärztliche Maßnahmen bringen notwendig einen Eingriff in die körperliche Integrität des Behandelten mit sich. Der Schnitt mit dem Skalpell ist bei der plastischen Operation kein anderer, je nach dem, ob er der Verschönerung des Gesichts dient oder der Beseitigung von Unfallverletzungen. Zudem: Der „Verbesserung“ dienen – wenn auch von unterschiedlichen Ausgangpunkten aus – beide Eingriffe. Die Vorschriften der §§ 223 ff. StGB sind daher grundsätzlich auch bei Maßnahmen der medizinischen Wunscherfüllung anwendbar. Das Erfordernis einer Indikation für solche Maßnahmen entfällt jedoch, wie oben II.3. dargestellt. Der Arzt ist durch die auf ausführlicher Aufklärung beruhende Einwilligung des „Kunden“ legitimiert. Eine Strafbarkeit aus den Körperverletzungsdelikten der §§ 223 ff StGB kommt daher im Normalfall ärztlicher Wunscherfüllung regelmäßig nicht in Betracht. c) Sittenwidrigkeit Jedoch können sich Grenzen der Rechtfertigung bei weitreichenden und schwerwiegenden Folgen des ärztlichen Eingriffs aus dem Gedanken des § 228 StGB147 ergeben, wenn diese Behandlung trotz Einwilligung des „Kunden“ gegen die guten Sitten verstößt.148 Durch diese Grenzziehung wird zum einen in die Handlungsfreiheit des „Kunden“ eingegriffen – zwar wird seine Einwilligung nicht selbst für sittenwidrig erklärt, sie wird jedoch ihrer Wirksamkeit beraubt, weil ihr der Arzt bei Meidung von Strafe nicht folgen wird. Damit wird die Reichweite der Handlungsmöglichkeiten des „Kunden“ begrenzt, wenn er für deren Realisierung, den geplanten medizinischen Eingriff, eines Dritten – des Arztes – bedarf. Zum anderen wird aber auch die Freiheit des behandelnden Arztes beschränkt. Ihm hätte die Einwilligung des „Kunden“ eigentlich eine Handlungsmöglichkeit eröffnet, die er nun wegen des drohenden Verdikts der Sittenwidrigkeit nicht wahrnehmen kann. Zur Begründung dieser Eingriffe in die grundgesetzlich fundierte Handlungsfreiheit der Beteiligten wird unterschiedlich etwa auf die Wahrung der Menschenwürde verwiesen, die hier durch schwerwiegende Eingriffe in die Gesundheit bedroht sein könne, oder auf die Notwendigkeit, gemeinschädliche Eingriffe abzuwehren.149 Wesentliche Voraussetzung für die Anwendung des § 228 StGB sind demnach die in ihrer Sittenwidrigkeit begründete Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit der konkreten ärztlichen wunschmedizinischen Intervention. Mit Merkel/Boer/Fegert etc.150 kommen hier grundsätzlich zwei Konstellationen in Betracht. Die eine ist gekennzeichnet dadurch, dass die wunschmedizinische Maßnahme helfen soll, einen
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Zur Umstrittenheit dieser Vorschrift siehe etwa Stree, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), StGB, 27. Aufl., 2006, § 228, Rdnrn. 5 ff.; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl., 2007, § 228, Rdnr. 10. Merkel/Boer/Fegert etc., wie Fn. 39, S. 446 f. Nachweise bei Stree, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), wie Fn. 147, § 228, Rdnr. 5. Wie Fn. 39, S. 446 f.
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illegitimen Zweck zu verfolgen.151 Dies könnte etwa der Fall sein, wenn sich die behandelte Person nach Begehung eines Delikts mit Hilfe des Arztes ihrer Verantwortung entziehen möchte, etwa durch Veränderung ihrer Psyche, die zu einem Auslöschen der Erinnerung an die Tat führt,152 oder durch Änderung des Aussehens mittels plastisch-chirurgischer Eingriffe. Der Arzt, der in Kenntnis dieses Zieles handelte, könnte sich wohl nicht auf die ihm gegebene Einwilligung berufen – dem stünden übergeordnete Belange des Gemeinwohls, hier: eine effiziente Strafverfolgung – entgegen. Daneben käme grundsätzlich eine Bestrafung wegen Strafvereitelung nach § 258 StGB in Betracht. Die andere zur Sittenwidrigkeit der Tat führende Konstellation könnte gegeben sein, wenn nur von dem „Kunden“ selbst das Ergebnis der ärztlichen Intervention als „Verbesserung“ empfunden würde, von jedem Dritten dagegen als bare Unvernunft oder gar als eine schwere Schädigung. Hierher könnten etwa Fälle der Amputation zählen153 – soweit sie nicht zugleich einem illegitimen Zweck wie der Entziehung vom Wehr- oder Kriegsdienst dienen und damit schon der ersten Fallgruppe zuzuordnen sind. Berichtet wird etwa der Fall der dringenden Bitte einer lesbischen Frau an den Arzt, ihr beide gesunden Brüste zu entfernen, sie selbst und auch ihre lesbische Lebenspartnerin wünschten dies und versprächen sich davon positive Auswirkungen auf ihre Beziehung.154 Merkel/Boer/Fegert etc. lassen für solche von ihnen als „exotisch und futuristisch“ bezeichneten Fälle letztlich die Frage nach der Gültigkeit der Einwilligung offen.155 Es dürfte hier jedoch zunächst eine Abgrenzung erforderlich sein, ob bei Erfüllung dieses Wunsches überhaupt ein „echter“ Fall einer wunschmedizinischen Behandlung vorliegt. Denn einiges spricht dafür, dass psychische Probleme entweder bereits diesen Wunsch veranlassen, oder umgekehrt: bei Unterlassen der Wunscherfüllung solche Probleme drohen, bis hin zur Suizidgefahr.156 Es gälte dann abzuwägen, ob der durch die Amputation angerichtete Schaden größer wäre als die psychischen Folgen. Eine offensichtliche Sittenwidrigkeit läge dann bei Durchführung der Maßnahme wohl nicht vor. 151 152
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Vgl. die Beispiele bei Stree, in: Schönke/Schröder (Hrsg.), wie Fn. 147, § 228, Rdnr. 10. Merkel/Boer/Fegert, wie Fn. 39, S. 447. Bachmann/Rippe, erörtern die Auslöschung der Erinnerung im Kontext mit traumatisierenden militärischen Einsätzen, Wieso es die Stepford Wives nicht geben darf, in: Ach/Pollmann (Hrsg.), wie Fn. 25, S. 79 ff., 84 f. Dass dies keine unrealistische Phantasterei ist, zeigen Forschungserfolge – siehe hierzu die Pressemeldung „Erinnerung bei Mäusen gelöscht“, Thüringer Allgemeine v. 24.10.2008; die Forscher um Joe Tsien vom Medical College of Georgia nähmen dabei ausdrücklich auf die künftige Anwendung beim Menschen Bezug. So der Hinweis bei Merkel/Boer/Fegert etc., wie Fn 39, S. 447 und 457. Das Fallbeispiel entstammt einer persönlichen Mitteilung des Medizinrechtlers Prof. W. Weissauer vom 31.1.2008. Vgl. auch Müller, Body Integrity Idendity Disorder (BIID) – Lassen sich Amputationen gesunder Gliedmaßen ethisch rechtfertigen? Ethik Med 2008, Heft 40, S. 287 ff. Wie Fn. 39, S. 447 f. Siehe Merkel/Boer/Fegert, wie Fn. 39, S. 447, in Fn. 313.
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Käme man jedoch zum Ergebnis, dass die Amputation überhaupt ungeeignet sei, sowohl evtl. psychische Probleme zu lösen als auch die weitergehenden Wunschvorstellungen der Frau zu verwirklichen, und würde der Arzt, etwa wegen des nachhaltigen Drängens der Frau und ihrer Lebenspartnerin, dennoch die Operation durchführen, dürfte er sich entweder der Körperverletzung strafbar machen wegen eines kontraindizierten ärztlichen „Heil“-Eingriffs.157 Vergleichbar dem „Zahnarzt-Fall“,158 wäre die Einwilligung selbst, gleichsam wegen groben Unverstands, ungültig159 und damit schon von daher keine Rechtfertigung der Körperverletzung gegeben. Oder, wenn man im Vordergrund nicht die – vermeintliche, aber nicht erreichbare – Heilung sieht, sondern die von der Frau als „Verbesserung“ erlebte Erfüllung ihres Wunsches, läge zwar deren gültige Einwilligung vor. Die Tat wäre jedoch wegen der tatsächlich erfolgten Verstümmelung dennoch sittenwidrig und der Arzt damit auch bei dieser Variante strafbar. Insgesamt werden für die Strafbarkeit des Arztes angesichts der grundsätzlich großen Reichweite der in seiner Handlungsfreiheit fundierten Einwilligung des „Kunden“ vor allem extreme Maßnahmen in Betracht kommen.160 Die Bewertung solcher Handlungen – und damit auch ihre strafrechtliche Relevanz – ist jedoch stark abhängig vom jeweiligen Stand der gesellschaftlichen Diskussion. 6. Verfassungsrecht a) Freiheit zur Selbstverbesserung Seit jeher war die Möglichkeit, dass ärztliches Bemühen um Heilung und Linderung auch fehlerbehaftet sein kann, untrennbar mit der Hilfeleistung des Arztes verbunden – die ärztliche Behandlung, zumal der Eingriff in den Körper, ist insoweit notwenig „gefahrgeneigt“, das heißt typischerweise mit der Gefahr der Schadenszufügung behaftet.161 Daher befasst sich ein erheblicher Teil des Arztrechts mit denkbaren negativen Folgen ärztlichen Handelns, also mit der Frage, wie Schaden zu verhindern oder auszugleichen sei. Nun jedoch rückt mit der ärztlichen Wunscherfüllung, mit der „Optimierung“ des Kunden, die Perspektive der grundsätzlich positiven Folgen in den Blick und konfrontiert mit der ungewohnten Frage, ob es überhaupt vorstellbar ist, dass es auch für die Verbesserung Grenzen gibt oder geben sollte. Grundsätzlich sind in ei-
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Vgl. hierzu Duttge, MedR 2005, 706 ff. BGH, NJW 1978, 1206. Zutreffend weist Duttge, MedR 2005, 706, 707, darauf hin, dass in dieser Abqualifizierung allerdings eine Entmündigung oder Verdummung des Betroffenen liege, da ihm von dritter Seite vorgeschrieben werde, was vernünftig ist und was nicht. Zur Frage, inwieweit solche extremen Maßnahmen sogar gegenüber dem „Kunden“ selbst den Erlass eines strafbewehrten Verbots rechtfertigen würden, vgl. anschließend III.6.b). Siehe zu diesem aus dem Recht der Arbeitnehmerhaftung stammenden, dort aber inzwischen als Abgrenzung der Haftungssphären zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgegebenen Begriff etwa Preis, in: Müller=Glöge/ Preis/ Schmidt, wie Fn. 123, § 619a BGB, Rdnr. 9; Linck, wie Fn. 124, § 53, Rdnrn. 64 ff.
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ner auf ständiges Wachstum, auf Wettbewerb und „survival of the fittest“ programmierten Welt „Verbesserung“, „Steigerung“, „Optimierung“ per se positiv konnotiert. Kann es da eine Antwort auf die Frage geben: „Wie viel ist viel genug?“ Mit welchem Argument wollte man begründen, wie viel Intelligenzzuwachs, verbesserte Merkfähigkeit, Schönheitsgewinn oder vermehrtes Glücksgefühl dem Einzelnen zuzumessen sind? Käme etwa der Gesetzgeber, wegen seiner demokratischen Legitimation, als „Glücks-Spender“ oder „Schönheits-Wächter“ in Betracht? Wäre überhaupt eine Instanz in der Lage, für die Selbstoptimierung eine nachvollziehbare Obergrenze zu definieren? Indessen: Wo die Verbesserung des Menschen tendenziell grenzenlos wird, sind Grundlagen und eventuelle Grenzen der zugrunde liegenden Freiheit zu klären. In der Kommentarliteratur zu Artikel 2 Abs. 1 GG stehen jedoch Fragen nach der Fundierung des Rechts zur Selbstverbesserung oder gar dessen eventuelle Grenzen nicht im Focus. Die – ungeklärte – Frage, ob der Staat den einzelnen vor sich selbst schützen muss,162 ist hier grundsätzlich nicht einschlägig, sie bezieht sich nur auf die Abwendung von Schäden. Das Recht zur Selbstverbesserung, die in der grundgesetzlich garantierten Handlungsfreiheit angelegte Freiheit zum Glück, erscheint dagegen so selbstverständlich wie dessen Eintritt selten. Und diese Selbstverständlichkeit besteht zu Recht: Denn die in Artikel 2 Abs. 1 mit Artikel 1 Abs. 1 GG angelegte Freiheit des Menschen – untrennbar verbunden mit seiner Würde – ist „sowohl Grundlage seiner persönlichen Entfaltung als auch seiner zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen“.163 Deshalb muss nicht die Freiheit begründet werden, sondern ihre Beschränkungen. Es ist auch gar nicht Aufgabe des Rechts, bevormundend die individuellen Präferenzen und selbstbezogenen Handlungen autonomer Bürger zu reglementieren.164 Daher ist das Recht, sich selbst – ggfls. mit Hilfe eines anderen, hier des Arztes – körperlich und/oder psychisch zu verbessern, von der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst, denn sie gilt für jede Form des Handelns, ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht dieser Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt.165 Dazu zählt auch, über die Darstellung der eigenen Person zu verfügen,166 über die eigene Ausstrahlung in den sozialen Raum, über die optische Wahrnehmung durch Dritte selbst bestimmen zu können – etwa durch die Wahl der Kleidung.167 Auch über das Recht am eigenen Bild168 verfügen zu können, zählt hierzu.
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Vgl. Schulze=Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), wie Fn. 143, Art. 2 Abs. 2 GG, Rdnr. 50. Papier, Essay „ Der Zweck des Staates ist die Freiheit“, DIE WELT v. 22.10.2008, S. 7. Merkel/Boer/Fegert, etc., wie Fn. 39, S. 445. Leipholz/ Rinck/ Hesselberger, wie Fn. 141, Art. 2, Rdnr. 21. Leipholz /Rinck/ Hesselberger, wie Fn. 141, Art. 2, Rdnr. 31; Dreier, in Dreier (Hrsg.), wie Fn. 143, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 17. Di Fabio, in Maunz/ Dürig/ Herzog etc. (Hrsg.) Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Abs. 1, Rdnr. 166. Ausführlich zu diesem Recht Di Fabio, in: Maunz/Dürig/Herzog (Hrsg.), wie Fn. 167, Rdnr. 166.
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Kann man aber darüber bestimmen, wie man wahrgenommen werden will, gehört hierzu notwendig die Möglichkeit, über die „Komponenten“ dieser Ausstrahlung selbst verfügen und Änderungen an diesem der Öffentlichkeit präsentierten Bild vornehmen zu können. Dabei besteht kein Anlass, dies nur auf die „äußere Schale“, die (Ver-)Kleidung, zu beziehen. Vielmehr umfasst diese Handlungsfreiheit erst recht den Umgang mit dem eigenen, einem selbst „gehörenden“ Körper und seinem Aussehen, einschließlich der Frage, ob man seinen Körper – teilweise oder ganz – etwa im Freibad oder FKK-Gelände oder in einem Film unbekleidet zur Schau stellt. Es kann dabei auch nicht nur darum gehen, dieses Bild zu verwerten, sondern zuvor noch darum, dieses Bild zu erzeugen, zu bestimmen, wie es aussieht, was es – konkret – ablichtet, also um die reale „Vorlage“ dieses Bildes. Die Bestimmung darüber, was das Bild zeigt, ist wörtlich „Geld wert“. Dies ist täglich an der Bildberichterstattung insbesondere über Prominente des ShowGewerbes zu beobachten: Das geliftete Gesicht von Cher, die schwellenden Lippen von Angelina Joli, der vergrößerte Busen von Pamela Anderson sowie die Muskelbepackung von Silvester Stallone und Arnold Schwarzenegger bringen höhere Honorare als das ursprüngliche Aussehen. Solche Maßnahmen der Selbstoptimierung durchführen zu können, unterfällt der Handlungsfreiheit ebenso wie die in ihr begründete Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit,169 dieses Äußere im wörtlichen Sinn „zu Markte zu tragen“. Dieser Freiheitsschutz umfasst dann notwendig, sich marktgemäß verhalten zu können, also diesen Marktwert zu steigern durch „Verbesserungsmaßnahmen“. Auch insoweit zeigt die wunscherfüllende Medizin ihre direkte Affinität zu Wirtschaft und Markt: Viele der in Frage kommenden Maßnahmen werden aus Einkommensgründen durchgeführt, sei es die äußere Verschönerung für das besser honorierte Foto oder die bessere Filmrolle; sei es die Einnahme des Dopingmittels zur Erringung des hochdotierten Preisgeldes; sei es die pharmakologisch verbesserte Leistungsfähigkeit zu Erhalt oder Gewinn des Arbeitsplatzes. Die Literatur spiegelt diese neue Realität wieder: „Habt ihr euch je gefragt, wie viel weiter ihr es hättet bringen können im Leben, wärt ihr nur ein bisschen größer und eure Gesichtszüge ein klein wenig symmetrischer? …Vielleicht so zwanzig Prozent attraktiver – das müsste doch reichen, um vielleicht so zwanzig Prozent mehr von den guten Dingen des Lebens und der Karriere zu bekommen“ resümiert Dan Kennedy in seinem der Musikindustrie gewidmeten Roman „Rock on“.170 Jedoch ist die Lebensrealität nicht anders. So erhalten etwa nach einer Studie der London Guildhall Univeristy Männer mit einer Körpergröße von mehr als 1,82 m rund 10 % mehr Gehalt als jene mit nur durchschnittlicher Größe.171 In einer Langzeitstudie der Universität Hamburg habe man festgestellt, dass nach Auffassung von Führungskräften die Bedeutung des äußeren Erscheinungsbildes für
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Leipholz/Rinck/Hesselberger, wie Fn. 141, Art. 2 GG, Rdnr. 21. Rogner & Bernhard, 2008, S. 199 f. Zitiert bei Wittershagen, „Der menschliche Makel“, FAZ v. 18.2.2007, S. V 19.
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den beruflichen Erfolg 1986 noch bei 7 % lag, im Jahr 2003 dagegen bereits bei 28 %172 – und damit noch vor Sprachkenntnissen. In gleicher Weise erfolgt im Rahmen der Handlungsfreiheit die „Bewirtschaftung des Körpers“ nicht nur durch Verschönerung des Äußeren, sondern ebenso durch Optimierung der „inneren Werte“:173 Um den ständig steigenden beruflichen Anforderungen des „Multitasking“ zu genügen, der weltweiten lückenlosen und grenzenlosen Verfügbarkeit für Vorgesetzte durch satellitengestützte Mobiltelefone, parallel Emails zu lesen und zu beantworten, mit Geschäftspartnern zu telefonieren und Akten zu bearbeiten, erfreuen sich im beruflichen Alltag „Enhancer“ wie Modafinil174 oder Ritalin (Wirkstoff: Methylphenidat) zunehmender Beliebtheit.175 Insgesamt gehören Maßnahmen der (Selbst-)Verbesserung des Menschen längst zum Alltag in der modernen Gesellschaft. Sie dienen in der Regel direkt oder indirekt der besseren Verwertung zu merkantilen Zwecken und damit überwiegend zur Einkommenserzielung. Die verfassungsrechtlichen Grenzen für diese freie Entfaltung der Persönlichkeit sind daher sehr weit zu ziehen, insbesondere dann, wenn die Auswirkungen solchen – eigenen oder ärztlichen – Handelns nur die eine solche Verbesserung wünschende Person selbst betreffen. Hier gilt grundsätzlich: „Anything goes“. b) Verbot selbstverbessernder Maßnahmen Dass eine Strafbarkeit und damit Begrenzung der wunschmedizinischen Behandlungsfreiheit des Arztes grundsätzlich besteht, wurde bereits erörtert.176 Hier ist deshalb von besonderem Interesse, ob auch für den „Kunden“ selbst – unter Berücksichtigung seiner dargelegten verfassungsrechtlichen Handlungs- und Freiheitsgarantien – eine Begrenzung der Selbstoptimierung in Betracht zu ziehen ist. Grundsätzlich erscheint seine Freiheit, wie dargelegt, „nach oben“, zur Steigerung und Optimierung, unbegrenzt. Dabei werden für diese Zielerreichung grundsätzlich auch gefährliche, riskante Tätigkeiten von der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst.177 Für – zumal strafrechtliche – Beschränkung (andere die Handlungsfreiheit des „Kunden“ beschneidende Regelungen dürften oft kaum Wirkung erzielen) sind damit jene Handlungen zu betrachten, bei denen die Optimierung dem „Kunden“ unverfügbare Rechte berührt. Für ein Verbot müssten – unter Beachtung von Straf172
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Bischoff, zitiert bei Wittershagen, wie Fn. 171 – dieselbe Studie wird von Nienhaus/Hergert, wie Fn. 47, zitiert mit 6 % und 27 %. Vgl. oben I.3. Siehe Farin/Parth „Leistung mit Substanz“, FAZ v. 9./10.8.2008, Beilage „Beruf und Chance“, S. C 5. Vgl. etwa die Berichte von Nienhaus, Die Karriere einer Pille, FAS v. 30.9.2007, S. 40 – im Wirtschaftsteil! Siehe ferner Breyer, Die Pathologie des Normalen, FAS v. 28.10.2007, S. 80. Zum Neuro-Enhancement vgl. auch Schäfer/Groß, Eingriff in die personale Identität, DÄBl. 2008, S. A 210ff. Vgl. oben III.5. Vgl. zu riskanten Tätigkeiten als Inhalt der allgemeinen Handlungsfreiheit Dreier, wie Fn. 143., Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 26.
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bedürfnis und Strafwürdigkeit – Gründe vorliegen, die stärker sind als die grundgesetzlich geschützte, aus den fundamentalen Vorschriften der Artikel 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG abgeleitete Handlungsfreiheit des „Kunden“. Als Rechtsgüter, deren Schutz Verbote wunscherfüllender medizinischer Behandlungen auch gegenüber dem „Kunden“ selbst rechtfertigen könnten, kommen damit vorrangig solche in Betracht, die für das Gemeinwohl, insbesondere Volksgesundheit und öffentliche Sicherheit, von besonderer Bedeutung sind178 – Fälle also, bei denen das Wohl vieler durch die übermäßig wahrgenommene Freiheit einzelner bedroht würde. So begründete Beschränkungen sind in anderen Bereichen anerkannt: Beispielsweise wurden die – gesundheitsrelevantes Verhalten betreffende – Gurtpflicht des Autofahrers nach § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO179 und die Helmpflicht des Motorradfahrers nach § 21a Abs. 2 StVO180 vom Bundesverfassungsgericht gegen den Angriff, es handle sich um unangemessene Bevormundungen der Bürger,181 für rechtens erklärt unter ausdrücklichem Hinweis auf den Gemeinschaftsbezug dieser Pflichten. Die Belastung der Allgemeinheit durch schwere Verletzungsschäden, die Inanspruchnahme von privater und öffentlicher Fürsorge bis zur Versorgung von Invaliden seien genügender Anlass, die Handlungsfreiheit des Einzelnen aus Artikel 2 Abs. 1 GG einzuschränken.182 Von dieser Wertung ausgehend, könnten im Bereich der wunscherfüllenden Medizin Verbote183 in Betracht kommen etwa von Maßnahmen, die der „Kunde“ zwar für sich – aus welchen Gründen auch immer – als „Verbesserung“ definiert, die jedoch unmittelbar gerichtet sind auf oder mittelbar führen zu – – – –
Beschränkung oder Beseitigung der Verantwortungsfähigkeit Herbeiführung der Hilfsbedürftigkeit Erzeugung von Erinnerungslosigkeit Herstellung persönlicher Unkenntlichkeit.
Von solchen medikamentösen, ggfls. aber auch chirurgischen Eingriffen könnten etwa die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme bzw. die polizeiliche 178
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Auf die Zulässigkeit staatlicher Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, wenn deren Wahrnehmung Lasten für das Gemeinwesen mit sich bringt, verweist zutreffend Dreier, wie Fn. 143, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 26. Siehe dazu Jagow, in: Jagow/ Burmann / Heß, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., 2006, § 21a StVO, Rdnr. 2. Auch schon vor der gesetzlichen Regelung wurde von den Gerichten – begründet über § 254 Abs. 2 BGB – eine Pflicht zum Anlegen des Sicherheitsgurts bejaht, vgl. nur etwa OLG Braunschweig, NJW 1977, 299 f. Dazu Jagow, wie Fn. 179, Rdnr. 5; die Helmpflicht gilt inzwischen auf für das Fahren von Trikes und Quads, vgl. Eggert, in: Ludovisy/ Eggert/ Burhoff (Hrsg.), Praxis des Straßenverkehrsrecht, 4. Aufl., 2008, Teil 4, B., Rdnr. 284. Nachweise in BGHZ, 74, 25, 33 ff., siehe ferner BVerfGE 59, 275,276; BVerfG, NJW 1987,180. BVerfG 1982, 1276; BGHZ 74, 25, 34 f. Ähnlich, allerdings zunächst nur als Verbote entsprechender Forschung, Bachmann/Rippe, wie Fn. 152, S. 79, 87 f.; hierzu auch Coenen, wie Fn. 18, S. 21, 26.
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Sicherheit im Übermaß betroffen sein. Dies kann nicht nur ein strafrechtliches Verbot solcher medizinischen Maßnahmen gegenüber dem Arzt, sondern ebenso gegenüber dem „Kunden“ rechtfertigen. Problematischer dürfte es dagegen sein, dem „Kunden“ gegenüber Maßnahmen zu verbieten, die allenfalls als spätere Folgewirkung bei ihm zu körperlichen oder geistigen gesundheitlichen Schäden führen, etwa wegen lang andauernder Einnahme neurologisch wirksamer Medikamente. Die Verletzung der oben genannten Helm- und Gurtpflicht führt bei eingetretenem Unfall in der Regel unmittelbar zu den befürchteten schweren Schäden – aus denen dann auch fortdauernde Folgen erwachsen können. Bei der ständigen Einnahme etwa leistungssteigernder Medikamente hingegen sind unmittelbar auftretende Schäden gerade nicht zu gewärtigen, ihre Gefahr liegt eher in möglichen Spätfolgen.184 Ein – gar strafbewehrtes – Verbot wäre daher fragwürdig. Jedoch könnte sich für den einzelnen der von ihm gesundheitlich zu entrichtende „Preis der Freiheit“, die Referenz an Leistungs- und „SpaßGesellschaft“, später als hoch erweisen. Schließlich wird die bloße „Veränderung der Persönlichkeit“ schon auf Grund ihrer Unbestimmtheit nicht als Gegenstand eines Verbots in Betracht kommen. Dies gilt auch dann, wenn das Selbstverständnis einer Person, ihr „Personsein“, durch die Maßnahme erkennbar betroffen ist.185 In vielen Fällen werden Persönlichkeitsveränderungen sogar „harmonisch in das personelle Selbstverständnis eingefügt. Insbesondere das Wertesystem, das einen wichtigen Teil des Selbstverständnisses darstellt, reagiert häufig in sehr dynamischer Weise auf Persönlichkeitsveränderungen….Wie auch immer sich der Charakter einer Person durch einen Eingriff in ihr Gehirn verändern mag, wird sie sich aller Voraussicht nach mit ihrer veränderten Persönlichkeit anfreunden, so dass ihr letztlich kein Schaden entsteht“.186 Auch wenn aber das soziale Umfeld der betreffenden Person die Persönlichkeitsveränderung negativer als der Betroffene selbst erlebt, wird im Einzelfall oft unklar sein, ob die jeweilige Veränderung zum Nutzen oder zum Schaden des Betroffenen gereicht. Ein strafrechtliches Verbot kommt daher grundsätzlich nicht in Betracht. Insgesamt erscheinen damit angesichts des hohen Wertes der persönlichen Handlungsfreiheit und der grundsätzlich „nach oben offenen Optimierungsskala“ gegenüber dem „Kunden“ nur extreme Maßnahmen der selbstbezogenen wunscherfüllenden Medizin verbietbar.
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Die Notwendigkeit, die Begrenzung der Autonomie zu diskutieren im Fall solcher ungewollten Folgen für die Solidargemeinschaft, betont zurecht Beck, MedR 2006, 95, 99. Siehe hierzu Crone, in: Ach/Pollmann (Hrsg.), Fn. 25, S. 233, 236 ff., insbes. 240 ff., S. 249: Die Anwendung von Techniken der Gedächtnismanipulation bei Menschen mit durchschnittlich ausgeprägter Erinnerungsfähigkeit sei problematisch. Aber ist es damit auch schon strafwürdig? Merkel/Boer/Fegert, etc., wie Fn. 39, S. 443 f.
Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen
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IV. Ausblick Die schon weitgehende Durchdringung unseres Alltags mit Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin erfordert unaufschiebbar, deren tatsächliche, medizinische Aspekte zu sortieren (siehe hierzu oben I. und II.) und sie auf den Prüfstein des Rechts zu legen (oben III.). Die Kräfte des „Marktes“, auch des Gesundheitsmarkts, drängen zu ungezügelter Entfaltung. Sie bedürfen daher der rechtlichen Begleitung. Jenseits dessen gilt es, die gegenwärtige Entwicklung vor ihrem gesellschaftlichen Hintergrund kritisch zu reflektieren. Sie erweist sich dabei nicht frei von manischen Zügen.187 Die beschriebenen Möglichkeiten, mit ärztlicher Hilfe die „Verbesserung des Menschen“ zu betreiben, sowie die ständig steigende Nachfrage nach solchen medikamentösen oder chirurgischen bzw. dermatologischen Eingriffen, weisen in deren überwiegender Zahl darauf hin, dass viele Menschen in ihrem jeweiligen Lebensbereich heute einer Überforderung ausgesetzt sind. Sie sind nicht etwa krank – im Gegenteil, oft zählen die Betroffenen sogar zur Leistungselite in ihrem Bereich. Jedoch herrschen in Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden, Sport etc. dauerhaft „Exzellenz-Terror“ und Höchstleistungszwang. Sogar das Aussehen wird immer häufiger und immer umfangreicher einkommensrelevant, sei es direkt, bei Berufen, bei denen das Äußere, die Haut „zu Markte getragen“ wird – Schauspieler, Models u.ä. – sei es indirekt, wie die zitierten Untersuchungen auch für die Arbeitswelt188 belegen. Diesen exorbitant gestiegenen Anforderungen sind die Betroffenen nicht mehr gewachsen. Mit den normalen „Bordmitteln“ ist ihnen die Erbringung der abgeforderten Leistungen nicht mehr möglich. Selbst das „generative Verhalten“, die Fortpflanzung, gerät unter den Druck von Verbesserung und Verschönerung in dem Maß, wie durch Auswahl etwa der Keimzellenspender189 oder durch Präimplantationsdiagnostik vor dem Embryotransfer oder zukünftig genetische Einflussnahme dem Nachwuchs bessere Chancen in Leben und Beruf eröffnet werden können.190 Abwehrende gesetzliche Regelungen, 187
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Die „Manie“ ist gekennzeichnet durch Antriebssteigerung, gehobene Stimmungslage und Exaltation, durch Ideenflucht und Beschäftigungsdrang, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 254. Aufl., 1982, Stichwort „Manie“. Vgl. oben I.4.a). Zwar sind dieser Entwicklung in Deutschland durch die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes derzeit Grenzen gesetzt. Von welcher Haltbarkeit diese jedoch sind, erscheint fraglich angesichts offensiver Entwicklungen wie insbesondere in Großbritannien – dazu aerztblatt.de v. 24.10.2008: Britisches Unterhaus billigt Forschung mit Mensch-Tier-Embryonen. Die Herstellung solcher Mensch-Tier-Embryonen (Chimären) ist in Deutschland nach § 7 ESchG verboten. Das in Großbritannien verabschiedete Gesetz erlaube es auch, sog. Rettungsgeschwister zu erzeugen, die wegen ihrer genetischen Nähe zu einem erkrankten Geschwisterkind biologisch geeignet sind, dessen Krankheit – z.B. durch Bluttransfusion oder Knochenmarksspende – zu bekämpfen. Da hierfür die Auswahl des dafür tauglichen Embyos mittels Präimplantationsdiagnostik erforderlich ist, ist in Deutschland auch diese Maßnahme derzeit – wenn auch nach umstrittener Auffassung – nicht erlaubt, vgl. § 2 Abs. 1 ESchG. Siehe hierzu ausführlicher im Kontext der wunscherfüllenden Medizin Eberbach, MedR 2008, 325, 329 f. und 331 f.
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wie sie derzeit in Deutschland mit dem Embryonenschutzgesetz vorliegen, werden wohl, sobald valide Methoden vorliegen, von geringem Bestand sein. Wer wollte es den Eltern auch verwehren, nicht nur „das Beste für ihr Kind“, sondern dann gleich „das beste Kind“ zu wollen? Wir leben damit zunehmend nicht mehr nach einem „menschlichen Maß“,191 sondern in einer Welt des „Über-Maßes“. Wir leiden an „Leistungs- und Verbesserungs-Hysterie“ – und bekämpfen sie mit Ritalin, mit Prozac, mit Dopingmitteln und anderen ärztlichen Maßnahmen. Wir bekämpfen sie damit aber nur symptomatisch, nicht kausal. Oder ist es nur unsere eigene Angst, zurückzubleiben, aus der Geschichte dankend verabschiedet zu werden, die uns treibt? Zum Teil erinnert diese Situation verblüffend an die Hypertrophien Anfang des Jahrtausends am „neuen Markt“ und heute, im Jahr 2008, der weltweiten Finanzkrise: Der Blick verengt sich auf einen Lebensbereich, auf ein Lebensziel – Internet, Geld, Leistung…. Dabei geht der Blick für das Gesamtbild, für Zusammenhänge und Proportionen verloren. Das Leben des einzelnen Beteiligten gerät in eine Schieflage. Aber man bemerkt es kaum, wenn das ganze Umfeld ebenso schief justiert ist. Fast schon beeindruckend ist, wie es den an dieser Entwicklung partizipierenden und oft sie vorantreibenden Marktkräften – einschließlich des Marktes der wunscherfüllenden Medizin – gelingt, diesen Weg in die Einäugigkeit als Fortschritt zu verkaufen und zu feiern. Sie verstehen es, ihre Produkte – wie zuvor Aktien von Internetfirmen und dann Finanzderivate – so begehrenswert darzustellen, dass der sich als Verlierer im sozialen Verteilungskampf fühlt, der nicht genügend davon an sich bringt. Was bedeutet schon der Verlust des inneren Kompasses, wenn man sich pharmazeutisch oder chirurgisch in diesem Wettlauf in die menschenverbesserte Zukunft einen Vorteil ergattern kann? Und wie schön ist es – dass dies alles vielleicht nur Schwarzmalerei ist? – dass man den Vergleich mit Internet- und Finanz-Hype so leichthändig als auf sämtlichen Beinen hinkend abtun kann? – dass man sich dieser Entwicklung so wenig wie früheren Lemmingzügen entziehen kann, weil es keine „Parallel-Welt“ gibt, in die man sich flüchten kann, bis alles vorbei ist? Wie geht das weiter? Wird künftig angesichts einer älter werdenden Gesellschaft der Jugendwahn und Köperkult noch weiter zunehmen? Werden – wie andernorts schon praktiziert – Schönheitsoperationen in Disco-Wettbewerben oder bei der Golf-Tombola gewon-
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Nach Aristoteles ist ein Merkmal tugendhaften Handelns dessen „mittleres Maß“, es sei dem Menschen am ehesten angemessen, vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, dtv, 3. Aufl., 1978, S. 81, 83 f.
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nen?192 Werden hübsch verpackte leistungssteigernde Mittel beim betrieblichen Weihnachtsfest verschenkt? Sind wir bereits auf dem Weg zur Leistungssteigerungsgesellschaft, der enhancement society?193 Der Optimist mag sagen: Ich kenne das Ziel nicht – aber die Richtung stimmt! Der Pessimist beruft sich wohl auf die Einsicht von Stanislaw J. Lec: Wer den weitesten Horizont hat, hat meist die schlechteste Aussicht.194 Der Vorsichtige hält sich eher an die Karl Valentin zugeschriebenen Einsicht: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Auch hier ist für jeden etwas dabei.
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Siehe den Bericht von Oehrlein über solche Entwicklungen in Argentinien: Wespenstich als Hauptgewinn, FAZ v. 24.10.2008. Siehe Coenen, wie Fn. 18, S. 21, 25. Letzte unfrisierte Gedanken, Carl Hanser Verlag, 2. Aufl. 1968, S. 64.
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Schönheit um jeden Preis – „Ästhetisch Chirurgische Eingriffe“
Schönheit um jeden Preis – „Ästhetisch Chirurgische Eingriffe“
Heinz-Gerhard Bull
Seriöse ästhetische Chirurgie gehört aus meiner Sicht zu einem festen Bestandteil der gesamten Medizin. Die ästhetische Chirurgie, die in Deutschland häufig mit der plastischen bzw. plastisch-rekonstruktiven Chirurgie verwechselt oder zumindest in einen Topf geworfen wird, ist in Deutschland, historisch gesehen, fachbezogen entstanden. Sowie es in der gesamten Medizin keinen Arzt gibt, der sämtliche Fachgebiete von Kopf bis Fuß gleich perfekt beherrscht – ein Augenarzt würde sicherlich nicht auf die Idee kommen, eine Gallenblase zu operieren – so ist dies genauso in der ästhetische Chirurgie zu fordern. Die ästhetische Chirurgie kann nur fachbezogen einen seriösen Platz in der gesamten Medizin einnehmen, wenn nach Ausbildung in einem entsprechenden Fach, die alle plastisch-rekonstruktiven Maßnahmen beinhaltet, zusätzlich eine Ausbildung in der speziellen ästhetischen Chirurgie erfolgt. So wird z.B. sicherlich ein MKG-Chirurg, der 50 Mal im Jahr eine Ohrspeicheldrüse wegen einer Tumorerkrankung operiert und dabei jedes Mal den Gesichtsnerven, den Nervus facialis, darstellen und schonen muss, auch die besten Voraussetzungen mitbringen, einen ästhetischen Eingriff im Gesicht, z.B. ein Facelift, mit sicherer Schonung des Gesichtsnerven, nach entsprechender Ausbildung durchzuführen. Gleiches gilt für die Nasenplastik: Wenn die funktionelle Nasenchirurgie, Nasenatmungsstörungen und Septumschiefstände durch einen Facharzt für HNOHeilkunde beherrscht wird, so wird er sicherlich die reine ästhetische Nasenkorrektur relativ leicht erlernen können. An diesen Beispielen wird klar, dass Funktion und Ästhetik untrennbar zusammengehören und gemeinsam beachtet werden müssen. So hat sich die Gesellschaft für ästhetische Chirurgie Deutschland als interdisziplinäre Gesellschaft mit sieben verschiedenen Fachgruppen dazu bekannt, dass alle Mitglieder sich 1. an ihre Fachgrenzen halten müssen und 2. eine regelmäßige Aus- und Weiterbildung durchführen müssen. Dies hat zu einem Leistungskatalog für die einzelnen Fachgruppen geführt, der innerhalb der Gesellschaft eingehalten werden muss. Die Wahrheit in den Medien sieht allerdings häufig anders aus. Schönheitsoperationen werden dort häufig als unbedingt erstrebenswert und ohne Komplikationsmöglichkeiten dargestellt. Die Operation wird zur Kosmetik, wenn sogenannte
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Schönheitsoperationen in gewissen Medien das Niveau der Alltäglichkeit wie den Gang zum Friseur erlangen, wenn z.B. auch in Internetportalen Patienten mit Rabatten geködert werden oder Männer aufgefordert werden, ihren Frauen zu Weihnachten doch ein Facelift zu schenken. Oder wenn Operationen in verschiedenen Fernsehformaten, vor allem der Privatsender oder auch in Radiosendungen, als Preis einer Verlosung ausgerufen werden, dann ist dieses sicherlich mit einer seriösen ästhetischen Chirurgie nicht zu vereinbaren und muss entschieden abgelehnt werden. Die gesamte ästhetische Chirurgie erfordert unzweifelhaft ärztliche Kompetenz. Die Durchführung ästhetisch-chirurgischer Eingriffe ist deshalb grundsätzlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Das heißt unmissverständlich, dass gerade in dem Bereich der sogenannten Fillersubstanzen die Behandlung durch Kosmetikerinnen und Kosmetiker sowie durch Zahnärzte ausgeschlossen sein muss. Ich darf in diesem Falle auf entsprechende Gerichtsurteile verweisen. Gerade in der jüngsten Zeit ist in einem Urteil aus Düsseldorf festgestellt worden, dass Zahnärzte grundsätzlich für diese ästhetischen Maßnahmen nicht berechtigt sind. Ein Zahnarzt wurde diesbezüglich zu einer Geldstrafe verurteilt. Dies deckt sich mit der schriftlichen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Dennoch versuchen – aus naheliegenden Profitgründen – verschiedene Firmen, die Fillersubstanzen anbieten, diese Produkte mit großen Gewinnmargen an Kosmetikinstitute und Zahnarztpraxen zu verkaufen. Aus unserer Sicht sind diese sogenannten „Fillersubstanzen“ leider keine Medikamente sondern nur Medizinprodukte und daher einfach über eine europäische CE-Zertifizierung auf den Markt zu bringen. Der Arzt ist in der Medizin der Behandlung von Erkrankungen zum Nutzen des Patienten verpflichtet. Dies muss uneingeschränkt auch für die Ästhetik gelten.
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Ästhetische Dermatologie
Ästhetische Dermatologie
Liesl Häussermann-Mangold
M. de Montaigne; Von der Eitelkeit: „Es scheint, dass die Zeit der eitlen Dinge dann anbricht, wenn uns die Verderblichen bedrängen. Zu einer Zeit, in der ruchloses Tun so alltäglich ist, erscheint unnützes Tun fast als lobenswert.“ Das unablässige multimediale Feuerwerk einer idealisierten Werbe- und Glitzerwelt, illuminiert von Geschöpfen mit perfektem Körper und Gesicht, verführt immer mehr Durchschnittsbürger zum Streben nach Stilisierung und Anpassung ihres eigenen Körpers an eine fiktive Norm von ewiger Schönheit, Jugend und körperlicher Vollkommenheit. Abweichungen von dieser medial vorgegebenen Norm einer Hyperästhetik werden als unzumutbar erlebt und zunehmend sozial sanktioniert. Unser heutiges Schönheitsideal unterliegt somit, vergleichbar anderen Konsumgütern, wechselnden Moden und Einflüssen. Ein Thema beschäftigt die Menschen jedoch seit Urzeiten: der Erhalt der ewigen Jugend. In einer demographisch rasch alternden Gesellschaft wird Jugend und Schönheit zu einem seltenen und damit kostbaren Gut und damit unvermeidlich zu einem Objekt der Begierde. Ausgelöst durch unzählige Inszenierungen sogenannter Promis und Models nimmt dieses alterslose Schönheitsideal zunehmend „multiethnische“ Züge an: die blond wallende Mähne einer Claudia Schiffer, die Latina-Lippen Angelina Jolies und der weder durch Schwangerschaften noch Schwerkraft beeinträchtige Busen der US-Ikone Madonna werden kombiniert mit strahlend weiten Augen und der perfekten Figur einer afroamerikanischen Naomi Campbell. Eine makellos schimmernde, faltenlose und reflektierende Haut in der jeweils aktuellen Pigmentierung ist dabei ein selbstverständliches Accessoire. Diese Ideale dienen inzwischen als erstrebenswertes Vorbild der Frauen zwischen 13 und 70 auf der ganzen Welt. Für Männer gelten entsprechend maskulin-androgyn modifizierte Vorbilder und Normen. Patienten fordern und erwarten von der Medizin das selbstverständliche Eingehen auf diese Wunschphantasien von angepasster Schönheit und reagieren auf den Hinweis, dass diese Vorstellungen unerfüllbar sind, mit teilweise pathologischen Reaktionen bis hin zur Dysmorhophobie. Während in den dermatologischen Praxen und Zentren noch die Enthaarungslaser im Dauereinsatz sind, um männliche Brust- und Rückenbehaarung zu entfernen, wünschen bereits wieder erste Patienten die medikamentöse Verstärkung und „Aufforstung“ eben dieser Körperbehaarung. Aktuelle Idealvorstellungen ersetzen den androgynen Mann durch den Testosteron betonten und somit „haarigeren“ Typ. Dies, sowie „Botoxparties“ und Kreuzfahrten mit integriertem Facelift-Service im bordeigenen „Body Shop“ für „Best-Agers“, zeigen die Extreme der aktuellen Entwicklung.
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Bereits vor Entstehung der Dermatologie als eigenständigem Fach beschäftigte sich die Medizin mit den objektiven Erscheinungen der diagnostizierbaren Hauterkrankungen, sowie auch mit den vielfältigen subjektiven, psychischen, sozialen und kommunikativen Seiten des Faches. Die Haut, definiert als Grenzorgan, verbindet Körper und Umwelt, ist gleichzeitig Spiegel der Seele, Schutz des Körperinneren und soziales Signal. Daher ist diese medizinische Fachrichtung untrennbar mit dem Identitätsgefühl, der Kommunikationsfähigkeit und den daran geknüpften Erwartungen und Hoffnungen der Patienten verbunden. Entstellungen der Haut durch Erkrankungen, aber auch sichtbare Alterung, führten schon immer zu Ausgrenzung, sozialer und sexueller Stigmatisierung und dadurch zu tiefgreifenden Veränderungen im Leben der Betroffenen. Sicherlich spielen hierbei auch tiefe, archaische Ängste vor Hautveränderungen als sichtbaren Stigmata infektiöser Krankheiten und reproduktiver Insuffizienz eine unbewusste Rolle. Längst vergangen sind die Zeiten, in denen die bloße Berührung durch die Hand des Souveräns (bevorzugt die Französischen Ludwig IX bis XV) die dankbaren Untertanen von Aussatz und Scrophulose heilte und damit wieder in ihr soziales Umfeld eingliederte. Weltweit sind Bibliotheken und Galerien gefüllt mit den Romanen, Dramen und Gemälden, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Insofern sind die gegenwärtige Entwicklung und deren Handhabung für die Dermatologen keinesfalls neu, wenn auch in der derzeitigen extremen Dynamik überraschend. Je mehr sich die Medizin in den vergangenen Jahren in diesem Zusammenhang mit ästhetischen Fragen beschäftigt, desto offensichtlicher wird die Komplexität des genetisch vorausbestimmten Alterungsprozesses, der im gesamten Organismus gleichmäßig in allen Geweben stattfindet. Die Haut spielt dabei eine besondere Rolle: Einerseits steht sie als Grenzorgan in verstärktem Maße im Kontakt mit den schädigenden Einflüssen der Umwelt (Licht, Nikotin etc.), andererseits ist der Alterungsprozess an der Haut offensichtlich und auch für Laien auf den ersten Blick zu erkennen. Es ist daher nur verständlich, dass die Haut das primäre – und anscheinend einfach zugängliche – Zielorgan der ästhetischen Medizin geworden ist. Zumal bestimmte Alterungserscheinungen wie Pigmentverschiebungen, aktinische Keratosen und andere Lichtschäden nicht nur das „schöne Bild“ stören, sondern als Präkanzerosen auch ein erhebliches gesundheitliches Risiko darstellen. Die „wunscherfüllende“ Dermatologie umfasst selbstverständlich nicht nur die Erscheinungen der alternden Haut, auch in der Jugend- und Kinderdermatologie werden große Fortschritte im Bereich der ästhetischen Therapie erzielt. Junge Erwachsene und Teenager mit schwerer, entstellender und vernarbender Akne, Säuglinge und Kleinkinder mit großen Haemangiomen gehören ebenso der Vergangenheit an, wie die Rosacea-bedingten „Blumenkohlnasen“ der Medici-Päpste und Kardinäle. In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche sehr effektive dermatologische Verfahren entwickelt, darunter systemische und topische (Cremes, Salben etc.) Therapien sowie operative und minimalinvasive Eingriffe, die mit fast immer geringer Traumatisierung und Zeitaufwand verbunden sind, deren Nebenwirkungen begrenzt und deren Kosten zumeist überschaubar sind.
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Noch zu Gottfried Benns Zeiten bestand die Grundausstattung einer dermatologischen Praxis aus einer Handvoll simpler Utensilien. Lupe, Mikroskop und Glasspatel sowie ein Rezeptblock zur Verordnung reichten völlig aus. Letzterer zur Verordnung meist heftig nach Teer und Schwefel riechender, stark und nachhaltig färbender sowie gut und ausdauernd haftender Salben und Tinkturen. In den vergangenen Jahren erweiterte sich das Therapiespektrum um zahllose laser- und lichtinduzierte Therapien, das große Gebiet der operativen Dermatologie, die Anwendung von Botulinumtoxin, chemical peels, Techniken zur Hauterneuerung (Rejuvenation) sowie zur Augmentation subkutaner Defekte mit unterschiedlichen Substanzen und Implantaten. Die modern ausgestattete Praxis ist mittlerweile ein technisch hochgerüstetes Wirtschaftsunternehmen. Die Ansprüche und Wünsche unserer Patienten variieren von der Milderung stigmatisierender Narben, dem Wunsch nach Minimierung des Risikos an einem lichtinduziertem Tumor zu erkranken bis zur Forderung nach „Antiaging“. Die Behandlung traditioneller dermatologischer Erkrankungen tritt in vielen Praxen zunehmend in den Hintergrund. Immer jedoch dominiert das Verlangen nach makelloser, faltenfreier, glatter, weicher und reiner Haut mit lichtreflektierender Oberfläche. Leider erstellt die DDG (Deutsche Dermatologische Gesellschaft) keine zuverlässigen Statistiken zu ästhetischen Therapien, so dass ich für diese Tagung eine – sicherlich statistisch nicht repräsentative – Befragung bei 20 Dermatologen des Rhein-Main-Gebietes über ihre Aktivitäten auf diesem Gebiet in den vergangenen 12 Monaten (Juli 2007 bis Juli 2008) durchführte. Diese Leistungen erbrachten für die einzelnen Praxen zwischen 18 und 60% des Jahresumsatzes. – – – – –
Verhältnis Frauen/Männer bei ästhetischen Behandlungen: Botulinumtoxintherapie mit ästhetischer Indikation: Infiltration von Fillern („Faltenunterspritzung“): Chemical Peels: Lasertherapie ästhetisch störender Hautveränderungen:
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Insbesondere die Nachfrage nach Therapien des alternden Gesichtes sowie Faltentherapie hat in den vergangenen Jahren um den Faktor 5 bis 10 zugenommen. Im Folgenden wird versucht, zumindest im Ansatz die medizinischen Grundlagen dieser neuen und aussichtsreichen Therapieansätze zu erläutern und zu bewerten.
I. Injektionsverfahren 1. Therapie mit Botulinumtoxin Die mimische Muskulatur des Gesichtes zeichnet sich durch eine enge Verbindung zum Bindegewebe und den unteren Schichten der Haut aus. Durch beständigen Zug der hochkomplexen und teilweise weitaufgefächerten Muskeln in spezifischen Regionen des Gesichtes entstehen die klassischen mimischen Falten wie z.B. „Denkerfalten“ und „Sorgenfalten“ der Stirn, eingezogene Nasolabialfalten, herabhän-
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gende Mundwinkel stark betonte Halsfalten, die bis tief ins Dekolletee ziehen etc. Die gezielte Injektion kleinster Mengen Botulinumtoxin A (BTX) führt binnen 10–14 Tagen zu einer reversiblen Ruhigstellung dieser Muskeln und damit zu einer eindrucksvollen Glättung und Harmonisierung der Gesichtszüge. „Symmetry is correlated with social and reproductive dominance“ … gezielte und wiederholte Injektionen von Botulinumtoxin in die mimische Muskulatur führen zu harmonischer symmetrischer Mimik. Botulinumtoxin A ist ein hochwirksames Toxin, das seit über 20 Jahren zur reversiblen partiellen Lähmung und Sedierung der mimischen Muskulatur eingesetzt wird. Für einen Zeitraum von ca. 4–6 Monaten erschlafft und entspannt sich der behandelte Muskel, so dass Falten weitgehend verschwinden und neue Fibroblasten auf dem Grund der Falte den Defekt zusätzlich auffüllen können. Dadurch entsteht auch noch längere Zeit nach dem Ende der eigentlichen Wirkungsdauer des BTX ein nachhaltiger Effekt in dem therapierten Areal . Zugelassen ist BTX A derzeit für die neurologische Therapie u.a. des Torticollis spasticus (Schiefhals), des Blepharospasmus (Lidkrampf) sowie im ästhetische Bereich für die Behandlung der primären, fokalen Hyperhidrosis axillaris (pathologischer verstärkter Achselschweiß) und die Behandlung der Glabellafalten (Stirnfalten), sofern sie eine erhebliche psychische Belastung des Patienten darstellen. Die ungezählten, ständig erweiterten Indikationen für BTX A in der ästhetischen Medizin sind derzeit sog. „off label“Anwendungen und erfordern daher eine erweiterte Aufklärung durch den behandelnden Arzt. Auf dem Europäischen Markt sind derzeit drei unterschiedliche BTX A Präparate erhältlich, deren Indikationsbereich weitgehend identisch ist: Botox® (Allergan), Xeomin® (Merz) und Dysport® (Ipsen). Tiefeingegrabene „Zornesfalten“ der Glabella, Querfalten der „Denkerstirn“, sowie das leicht schmerzlich wirkende „widows-smile“ durch herabgezogene Mundwinkel werden mit wenigen Injektionen ebenso rasch und unproblematisch behoben, wie „Krähenfüße“ und verkniffen wirkende „Tabaksbeutelfalten“ der Lippen. Auch strahlend geöffnete Augen mit leicht geschwungenen Augenbrauen lassen mit kleinen Mengen Botulinumtoxin für Monate den Glanz jugendlicher Ausstrahlung wieder auferstehen. Andere Weiterentwicklungen und ausgeklügelte Injektionstechniken führten in den vergangenen Jahren zu dem beeindruckenden Konzept des Botulinumlifts, sowie auch zu etwas exotischeren Ergebnissen wie dem leichten Anheben der Nasenspitze und der (vor allem von Asiatinnen gewünschten) Verschmälerung der Kaumuskulatur und damit der Wangenkontur. Die Botulinumtoxin-Therapie stellt derzeit die wichtigste Basistherapie bei der ästhetischen Behandlung des Gesichtes und Halses dar (Jane Caruthers: „…was there live before Botox?“). In der Hand des erfahrenen und gut ausgebildeten Arztes handelt es sich um eine sichere, in unzähligen Fällen erprobte und wirksame Therapie, ohne die die moderne ästhetische Medizin nicht mehr denkbar ist. Der Umgang mit BTX A erfordert eine sorgfältige theoretische und praktische Ausbildung sowie intensive Beschäftigung mit der komplizierten Anatomie der mimischen Muskulatur.
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Die Kosten pro Sitzung sind abhängig von der Menge des injizierten Botulinumtoxin Präparates, die zwischen 20 bis zu 120 MU für die gleiche Indikation variieren kann, und dem Renommee des behandelnden Arztes. Die ärztlichen Leistungen belaufen sich pro Gesichtsareal zwischen 100 € bis 1500 €. Die Sachkosten (BTX) belaufen sich je nach Hersteller für 100 MU auf zusätzlich ca. 340–400 €.
Abb. 1: Sedierung der hyperaktiven Muskulatur der Glabella (Zornesfalten) durch Botulinumtoxin A (Quelle: eigenes Archiv)
2. Augmentation mit „Fillern“ Junge Gesichter verfügen über ein größeres Volumen als ältere Gesichter. Pralle Haut mit ausreichenden Hyaluronsäurereserven reflektiert Licht deutlich besser als eingesunkene und schlecht hydratisierte Haut und wirkt somit jünger und attraktiver. Leicht angehobenen Lippenkonturen (der sog. „Skijump“), sowie erhaltene und symmetrische Polster des bucalen Fettgewebes der Wangen lassen Gesichter jung und attraktiv wirken. Modellierungen und Volumenaugmentation vornehmlich der Gesichtskontur, der Jochbeine, sowie des Kinns sowie das Aufpolstern spezifischer Strukturen wie der Schläfen und der lateralen Augenbrauen gehören heute zum täglichen Handwerk ästhetisch arbeitender Ärzte. So lassen sich Falten, Gewebsdefekte, Narben und eingesunkene Hautpartien durch die Injektion resorbierbarer, vorzugsweise biokompatibler Substanzen auffüllen. In den vergangenen Jahren setzten sich die gut verträglichen, kaum immunogenen (nicht allergieauslösenden) unterschiedlich hoch vernetzten stabilisierten Hyaluronsäuren mit Verweildauer von 6 bis 18 Monaten im tiefen bis mittleren Subkutangewebe als Goldstandard durch. Andere Techniken, wie Eigenfettunterspritzungen und Implantation von Calciumhydroxilapatit, Polymilchsäure, PET-Kügelchen oder Silicon sowie Kollagen-Injektionen führen in der Hand des erfahrenen Arztes zu vergleichbaren Resultaten, sind jedoch teilweise mit deutlich unangenehmeren Nach- und Nebenwirkungen sowie größerem technischen Aufwand verbunden. Idealerweise werden Implantate und Augmentationen in Kombinationsverfahren sowie nach vorausgehender Sedierung der mimischen Muskulatur durch Botulinumtoxin eingesetzt, um die verbliebenen Defekte und Falten aufzufüllen.
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Abb. 2: Augmentation der Nasolabialfalten, sowie der Marionettenfalten durch hochvernetzten Hyaluronsäurefiller (Quelle: eigenes Archiv)
3. Oberflächen-Resurfacing durch Injektion nativer Hyaluronsäure Native, unvernetzte Hyaluronsäuren (HA) weisen eine hohe Wasserbindungskapazität auf und spielen in der Erneuerung der Epidermis (Oberhaut) durch vermehrte Fibroblastenaktivität eine ebenso große Rolle, wie in der Reparatur von Zellschäden durch freie Radikale. Zu den auffallendsten histochemischen Veränderungen der alternden Haut (ca. ab dem 30. Lebensjahr …) gehört der dramatische Verlust von Hyaluronsäure im Bereich der Epidermis. Die wiederholt durchgeführte flach intrakutane Injektion mehrerer mg nativer Hyaluronsäure ist in der Lage, den Turgor atonischer, schlaffer Haut mit feinen Knitterfältchen deutlich zu verbessern und die Oberhaut voluminöser, praller und fester und damit jünger erscheinen zu lassen.
Abb. 3: Therapie der „Krähenfüße“ mit Botulinumtoxin A und nativer Hyaluronsäure (Quelle: eigenes Archiv)
Die Methode eignet sich als komplementäre, einfach zu erlernende und risikoarme Basistherapie im Rahmen der vielfältigen Kombinationstherapien der alternden sowie der durch Licht und Nikotin geschädigten Haut. Häufig wird sie auch mit oberflächlichen Mikroinjektionen anderer Substanzen als „Mesotherapie“ kombiniert.
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Sie ersetzt jedoch keinesfalls die tiefergehenden Injektionen mit Botulinumtoxin und/oder Fillern. 4. Injektionslipolyse Immer wieder tauchen in der Boulevardpresse reißerische und verlockende Berichte über die sog. “Fett-weg-Spritze“ auf, die in wenigen Tagen überfettete „Couch potatoes“ in schlanke, elfengleiche Geschöpfe verwandeln soll. Diese Methode stellt leider keinen Ersatz für die klassische Gewichtsreduktion durch Sport und Ernährungsumstellung dar und ersetzt auch keinesfalls eine operative Liposuction (Fettabsaugung). Die Injektionslipolyse ist jedoch recht gut geeignet zur Reduktion kleinerer, störender Fettpölsterchen sowohl des Gesichtes (z.B. Doppelkinn), wie auch der Oberschenkel (Reithosenpolster, Cellulite) und des Bauches (Schwimmreifenansatz und sog. love-handles). Die verwendete Substanz Phosphatidylcholin wird seit langen Jahren bei der Therapie von Fettembolien und gravierenden Störungen des Lipidstoffwechsels eingesetzt. Der „off-label-Einsatz“ von Phosphatidylcholin zur Reduktion lokalisierter Fettansammlungen gehört in Südamerika und insbesondere im schönheitsorientierten Brasilien seit ca. 15 Jahren zu den Standardeingriffen und setzt sich auch in Deutschland zunehmend als etabliertes Therapieverfahren durch. Phosphatidylcholin wird pur oder auch in einem sog. Compound mit vasoaktiven Substanzen und Vitamin B gemischt und mit zahlreichen unterschiedlich tiefen Injektionen in das störende Fettpolster infiltriert. Kurz nach der Injektion entsteht meist eine leicht druckdolente (schmerzhafte) und erythematöse Schwellung, die für 2–3 Tage persistiert. Bereits nach 14 Tagen beginnt eine deutliche Reduzierung der Fettgewebsmassen in den therapierten Arealen. Nach ca. 6 Wochen ist das endgültige Resultat zu beurteilen. In fast allen Fällen sind für befriedigende Ergebnisse 2–3 Injektionstherapien im Abstand von 8 Wochen notwendig. Erstaunlicher- und erfreulicherweise beobachtet man bei der Injektionslipolyse ähnlich wie bei der Liposuction eine deutliche Schrumpfung des Bindegewebes, so dass bei korrekter Injektion das Resultat eine homogene Oberfläche ohne „sacking“ und Hautüberschuss zeigt. Die Kosten und der therapeutische Aufwand der Injektionslipolyse sind gering. Phosphatidylcholin ist in Deutschland unter dem Handelsnamen Lipostabil® zugelassen, die Kosten pro 5 ml Ampulle betragen ca. 7 €. Unter Berücksichtigung der Kosten für die Injektion – Verbrauchsmaterial wie Injektionslösungen zur Verdünnung des Wirkstoffes, aufwändige Injektionssysteme usw. – entstehen z.B. bei der Therapie eines „Doppelkinns“ Sachkosten von ca. 50 € pro Sitzung. Die ärztlichen Honorare variieren – wie stets je nach Reputation und sozialem Umfeld – zwischen 200 bis 2000 €.
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Abb. 4: Injektionslipolyse „love-handels“ nach 2 Sitzungen (Quelle: Netzwerk Lipolyse Handbuch 2005)
Abb. 5: Injektionslipolyse Wangenfett nach 2 Sitzungen (Quelle: eigenes Archiv)
II. Lasertherapie Ohne Laser verschiedenster Wellenlängen ist die moderne Dermatologie nicht mehr vorstellbar. Ablative (hautabtragende) Laser wie der CO²-Laser oder der Erbium:Yag-Laser kommen in der operativen Dermatologie zum Einsatz. Dyschromasien (Fehlpigmentierungen), Bindegewebspapilomata (Alterwarzen etc.) werden ebenso problemlos, weitgehend narbenfrei und schnell entfernt, wie aktinische Keratosen (tiefe lichtinduzierte Precanzerosen) und letztlich auch oberflächliche Basalzellkarzinome. Falten werden durch sog. kalte Ablation schichtweise geglättet (Skin resurfacing), Narben, wie Akne-Narben, werden durch vorsichtiges Abflachen der umliegenden Haut angepasst – meist jedoch ohne vollständig zu verschwinden. Nichtablative Laser wie der Alexandrid-Laser, der Quality-switched RubinLaser, Farbstofflaser, Nd-Yag-Laser und ein Vielzahl anderer Laser und „Blitzlampen“ mit IPL-Technik werden in der Therapie oberflächlicher Gefäßerweiterungen (Blutschwämmchen, Besenreiser, Krampfadern) eingesetzt, sowie zur Entfernung
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unmoderner und nicht länger gewünschter Tätowierungen und auch zur erfolgreichen Photoepilation unerwünschten Haarwuchses des Gesichtes und des Körpers. Die Indikationsfelder ablativer und nichtablativer Laser überschneiden sich teilweise. So können Rhinophyme (Knollennasen bei Talgdrüsenerweiterungen) und Narben sowohl mit dem Co²- oder dem Erbium-Yag-Laser, wie auch mit dem Nd-Yag-Laser abgetragen werden. Neuere Entwicklungen, wie der Fraxel-Laser, der zur nicht ablativen Hauterneuerung bis in die Strukturen der tiefen Subkutis entwickelt wurde, werden in den kommenden Jahren zunehmend an Einfluss gewinnen. Bei der aktuell viel diskutierten fraktionierten Photothermolyse (Fraxel-Laser) erzeugen die Laserimpulse mikroskopisch kleine „Löcher“ in Epidermis und Dermis (Ober- und Unterhaut), die im umliegenden Gewebe über eine Stimulierung der Fibroblasten zur Bildung neuen Kollagens und damit zu einer wirksamen Hauterneuerung führen. Lasermedizin ist zeit- und kostenaufwändig. Einerseits kostet ein moderner Laser zwischen 40 000 € und 200 000 €, andererseits müssen die Räumlichkeiten, in denen Laser betrieben werden, hohen sicherheitstechnischen Anforderungen entsprechen. Der Umgang mit und die Indikationsstellung für die verschiedenen Lasertypen erfordern eine sorgfältige Ausbildung und oft jahrelange Erfahrung, um befriedigende Therapieerfolge zu erzielen. Laserchirurgische Eingriffe mit ablativen Lasern setzen fast immer eine Anästhesie voraus – sei es in Form einer Lokaloder Leitungsanästhesie oder auch als Vollnarkose. Bei nichtablativen Lasereingriffen sind meist eine sorgfältige mechanische Kühlung sowie eine Lokalanästhesie mittels topischer Anästhetika (Cremes, Gele) ausreichend. Die Abheilung meist nässender und erodierter Wundflächen nach großflächigen Eingriffen kann bis zu 4 Wochen dauern. Im Anschluss daran ist die Lichtempfindlichkeit der Haut für einige Monate deutlich erhöht. Wie bei konventionellen operativen Eingriffen können auch beim Einsatz von Lasern Komplikationen auftreten. Wundheilungsstörungen und Narbenbildungen sowie Pigmentverschiebungen zählen zu den häufigsten und oft nur schwer vorhersagbaren und erklärbaren Folgen der Lasertherapie.
Abb. 6: Laserresurfacing perioraler Falten mit Erbium Yag-Laser (Quelle: eigenes Archiv)
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Laserepilationen (Haarentfernung) sowie der Lasereinsatz bei vasculären Veränderungen (Haemangiomen, Besenreiser, Varizen etc.) werden fast immer in mehreren, zeitlich versetzten Sitzungen durchgeführt. Eine Arbeitsunfähigkeit entsteht nicht, die Eingriffe werden gern als sog. „Lunchtime-Treatments“ angeboten. Die Honorare für Lasereingriffe sind in den Anhang der GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) aufgenommen worden und variieren je nach Fläche und Impulszahl zwischen 120 € und 1000 €.
III. Chemical Peeling Verdickte, gräulich müde und schlecht vaskularisierte Haut bei Rauchern, grobporige Aknehaut, Aknenarben, Pigmentstörungen durch Hormone (Melasma) und/ oder Kosmetika, sowie aktinisch (durch Licht) geschädigte Haut können recht einfach mit chemical Peelings unterschiedlicher Intensität und Eindringtiefe behandelt werden. Auch in der Behandlung oberflächlicher Falten – insbesondere feiner Knitterfalten – sowie perioraler Falten sind mitteltiefe und tiefe chemical Peelings eine erfolgversprechende Therapieoption. Die gezielte Applikation verschiedener Säuren und anderer chemischer Substanzen wird seit Jahrzehnten zum Abschälen und zur langfristigen Regeneration der Epidermis bis hinein in die tiefe Dermis durchgeführt. Die Anwendung des chemical Peelings stellt eine technisch wenig aufwändige, kostengünstige Methode des Skin-Resurfacing mit guten bis sehr guten Ergebnissen dar. Die Vorgehensweisen für AHA-Fruchtsäuren (alpha-Hydroxysäuren), Bernsteinsäuren sowie Salicylsäure und Trichloressigsäure (TCA) und das in Deutschland nicht zugelassene (aber trotzdem häufig verwendete) Phenol und Hydrochinon wurden in der vergangenen Zeit zunehmend standardisiert und vereinfacht, um die Anwendung für die Patienten sicherer zu machen. Fruchtsäurepeelings (AHA-Peels) werden in mehreren Behandlungen im Abstand von 2–3 Wochen in steigender Dosierung (30–70% AHA) durchgeführt. Sie zeichnen sich durch gute Verträglichkeit aus und führen bei richtiger Indikation nach 4–7 Sitzungen zu sehr befriedigenden Ergebnissen. Die Wasserbindungskapazität der Haut wird gesteigert, die Epidermis verbreitert sich, die Keratinozyten und Fibroblasten lagern vermehrt Glycosaminglycane ein. Dadurch wird die Hautstruktur bis in die mittlere Dermis verbessert und geglättet, Hyperpigmentierungen gemildert und Talgdrüsenausgänge geschrumpft. Eine Anästhesie ist nicht notwendig, die Behandlung fällt in den Grenzbereich zwischen Kosmetik und dermatologischer Therapie. Mitteltiefe und tiefe Peelings zählen dagegen zu den chemochirurgischen Eingriffen, sind meist nicht ohne Lokalanästhesie, Sedoanalgesie oder auch Vollnarkose durchführbar und können bei unsachgemäßer Durchführung zu Narben, Dyschromasien sowie Wundinfektionen führen. Das postoperative Wundmanagement ist aufwändig, und auch nach Abschluss der Heilungsphase (Reepithelisierung) nach 7–24 Tagen besteht noch für 2–3 Monate eine irritative Rötung, sowie deutlich gesteigerte Lichtempfindlichkeit. Trichloressigsäure, sowie Phenol und die
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unterschiedlichen daraus kombinierten „Cocktails“ führen zu einer sofortigen Proteindenaturierung in der Epidermis, mit – je nach Konzentration der Lösung unterschiedlicher – Denaturierung und Nekrosenbildung bis in die tiefe Dermis. Problematisch ist dabei unter anderem, dass dieser Effekt bei höherer Säurekonzentration nur schwer steuerbar und neutralisierbar ist, so dass auch die Anwendung durch sehr erfahrene Therapeuten vor unbefriedigenden Resultaten nicht schützt. Insbesondere die – im Übrigen lokal sehr wirksamen – Phenol-Peelings sind durch die recht erhebliche systemische Toxizität des Phenols forensisch nicht völlig unbedenklich. Bei Anwendung auf größeren Flächen wird Phenol zu ca. 70% resorbiert und ist dann fakultativ nicht nur nieren- und lebertoxisch, sondern führt durch seine Toxizität auf das Myocard bei ca. 25% der Patienten zu Arrhythmien. Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch unerschütterlichem Vertrauen auch gut aufgeklärte Patienten bereit sind, bei rein ästhetischen Eingriffen unabsehbare gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen.
IV. Aptos-Fadenlift Der Schritt zum klassischen, operativen Facelift fällt vielen Patienten, die der zunehmenden Elastorhexis nicht tatenlos zuschauen wollen, schwer. Einen minimalinvasiven Kompromiss zwischen einem operativen Eingriff und dem im fortgeschrittenen Stadium der Gewebserschlaffung nur noch symptomatischen Aufpolstern von Weichteildefekten stellt die Implantation sogenannter Aptos-Fäden dar. Es handelt sich dabei um spezielle ca. 12–15 cm lange Polypropylen-Fäden, die, konvergent angeritzt, mit zahlreichen kleinen Widerhäkchen ptotische (absinkende) Gewebepartien heben und ähnlich einer Hängematte an stabilen anatomischen Strukturen fixieren. In Lokal- oder Leitungsanästhesie wird nach Stichinzision über eine längere, abgerundete Führungskanüle der Aptosfaden bogenförmig tief im Subkutangewebe der Behandlungsregion platziert. Ähnlich kleinen Angelhaken fixieren die Fäden unter leichtem Zug das Gewebe wieder und heben es nach Straffung des Fadenendes leicht an. Zusätzlich zum beeindruckenden Sofort- Effekt des Implantates bildet sich in den kommenden Wochen der Heilungsphase neues Bindegewebe im Bereich des Fadens, das auch nach Abbau der heute meist resorbierbaren Fäden noch für Jahre stabil bleibt. Der Eingriff benötigt je nach Anzahl und Lokalisation der eingebrachten Fäden zwischen 30 und 60 Minuten, nach Abheilen der fast immer obligatorischen Hämatome berichten Patienten noch für einige Wochen über ein leichtes Spannungsgefühl. Der Eingriff ist mit einer 1- bis 2-tägigen Ausfallszeit verbunden und bietet sich damit ideal als sogenanntes „Weekend-Treatment“ an.
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Abb. 7: Applikationsmöglichkeiten für Aptosfäden (Quelle: European Aesthetics.HIMED)
Abb. 8: Aptosfaden-Lift Wange (Quelle: eigenes Archiv)
Die Kosten für Aptosfäden belaufen sich auf 300 bis 400 €, das ärztliche Honorar für die Implantation, Lokalanästhesie und Op-Zuschläge unterliegt wie immer erheblichen Spielräumen und reicht von 200 € bis 1500 €.
V. Radio-Frequenz Therapie Das Thermaliftverfahren (z.B. „Thermage“, „Radiage“) beruht auf der Beobachtung, dass kurze Hitzeimpulse über eine Kollagendenaturierung einen Schrumpfungsprozess („Shrinking“) des Elastins im Bereich der mittleren und tiefen Dermis auslösen können. In der Folge entsteht durch einsetzende Reparaturmechanismen über mehrere Monate die Neubildung (Neogenese) von kollagenen Fasern in den behandelten Arealen. Dieser Schrumpfungs- und Erneuerungseffekt führt, anatomisch gezielt eingesetzt, zu einer Straffung und Hebung abgesunkener Hautpartien und zur Einschmelzung unerwünschter Fettgewebseinlagerungen (z.B. sogenannter Hängebäckchen) entlang vorher festgelegter Vektoren. Die verwendeten Geräte bestehen aus der Kombination eines HochfrequenzRF-Generators mit einem Spray-Kühlsystem. Die durch den Generator erzeugten
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Energien von 35–220J /m² werden über ein Handstück auf die Haut appliziert, während über das integrierte Kühlsystem Verbrennungen und Überhitzungen der Oberhaut verhindert werden. Die Therapie eignet sich sowohl für das Gesicht wie zur drei-dimensionalen Konturierung des Halses und des Kinns. Auch Bauchhaut und Oberarme, Dekolletee und Oberschenkel lassen sich mittels Radiowellen wieder für einige Monate leicht straffen. Problematisch ist die in den vergangenen Jahren propagierte Anwendung im Bereich der Lider (z.B.: „eyes by thermage“), die durch Überwärmung der Hornhaut und des Augapfels zu Störungen der Sehfähigkeiten führen können und wegen bisher unübersehbarer Spätfolgen noch heftig diskutiert wird.
Abb. 9: Radiofrequenztherapie Doppelkinn/Hängewangen 1 Sitzung (Quelle: eigenes Archiv)
Bei korrekter Durchführung entstehen für die Patienten keinerlei Ausfallszeiten. Die Vorbereitung und eigentliche Therapie erfordern einen Aufwand von ca. 2 Stunden. Die Kosten werden bestimmt durch die Verbrauchsmaterialen, wobei der Radiofrequenzkopf, Markierungspapiere und anderes Einmalmaterial pro Sitzung zwischen 500 € und 1000 € erfordern. Die Radiofrequenzgeräte sind derzeit für ca. 40 000 € auf dem Markt. Nach persönlichen Umfragen bewegen sich die Honorare für ein „Thermolift“ zwischen 1900 € und 3500 € pro Sitzung. Die Therapie erfordert langjährige Erfahrung in der ästhetischen Therapie, insbesondere der Lasertherapie, und wird erst nach Vereinfachung des noch komplizierten apparativen und technischen Aufwandes eine weitere Verbreitung finden.
Nachwort Allen moralisierenden Diskussionen um einen naturgegebenen Schönheitsbegriff zum Trotz, streben Menschen unbeirrbar nach einem jeweils zeitgemäßen physischen Ideal, das zumeist Jugend, Schönheit und sexuelle sowie soziale Dominanz verkörpert. Erstmals im Verlauf der Geschichte haben wir heute die medizinischen Möglichkeiten, diese Wünsche nach einem modisch angepassten „perfekten“ Kör-
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per weitgehend zu erfüllen. Parallel dazu ist auch die Akzeptanz ästhetischer Eingriffe zur Verbesserung des sozialen und beruflichen Erfolges in den vergangenen Jahren gestiegen. Es ist schwierig, einem 70 jährigen zu erklären, der ausgestattet mit Hörgerät und Hüft-Endprothese, kardialem Pacemaker und Zahnimplantaten sowie seiner 35jährigen Freundin zum Himalaja-Trekking aufbricht, dass die Erneuerung der Haut und die Linderung der visuellen Alterszeichen nicht ähnlich wichtig – und damit erstattungsfähig – sind, wie die Korrektur der internistischen und orthopädischen „Defizite“. Der Begriff der Krankheit und der Normabweichungen wurde auf allen Gebieten der Medizin in den vergangenen Jahrzehnten stark ausgeweitet. Die Dermatologie mit ihren minimalinvasiven Eingriffen, Injektionstechniken und Resurfacing-Methoden trägt einen Großteil dazu bei, diese Wünsche mit nur geringen Risiken zu verwirklichen.
Literatur Anders, Günther (1987), Die Antiquiertheit des Menschen, Beck. Burgess C.M. (2005), Cosmetic Dermatology, Springer. Carruthers J. and Carruthers A. (Ed.) (2005), Botulinum Toxin, Elsevier Saunders. Carruthers J. and Carruthers A. (Ed.) (2005), Soft tissue Augmentation, Elsevier Saunders. Dirschka T., Sommer B., Usmiani J. (2003), Leitfaden Ästhetische Medizin, Urban Fischer. Eco U. (2004) , Die Geschichte der Schönheit, Hanser. Goldberg D.J. (2004), Laser and Lights, Volume 1&2, Elsevier Saunders. Graziosi A. Greve B. (1998), Browlift with Thread, The Technique without undermining Using minimal Incisions, Aesthetic Plastic Surgery 22 (2):120.125. Guggenberger , B. (1997), Einfach schön. Schönheit als soziale Macht. Hassebrauck M. und Niketta R. (1993) Göttingen, Physische Attraktivität. Haug, Wolfgang Fritz (1971), Kritik der Warenästhetik, Suhrkamp. Heckmann M., Rzany B. (2003), Botulinumtoxin in der Dermatologie, Grundlagen und praktische Anwendung, Urban Vogel. Kardorff, B. (2005 ), Selbstzahlerleistungen in der Dermatologie und der ästhetischen Medizin, Springer. Levy P. et al. (2007), Fachmedizinische Ansätze zur Verwendung von Botulinumtoxin, Skript. Löser- Plewig (2008), Pantheon der Dermatologie, Springer. Lowe, Nicholas J. et al. (2002), Textbook of facial Rejuvenation. Menninghaus, W. (2007), Das Versprechen der Schönheit, Suhrkamp. Raulin C., Greve B. (2003), Laser und IPL Technologie in der Dermatologie und ästhetischen Medizin, 2. Auflage, Schattauer. Renz W. (2006), Schönheit eine Wissenschaft für sich, Berlin Verlag. Rubin M. (2004), Chemical Peels, Elsevier Saunders. Sattler G., Sommer B., Hanke C. (2003) Lehrbuch der Liposuktion, Thieme. Shorter, E.A. (1983), A History of Women´s bodies, London. Tosti, A., De Padova M.P. (2007), Color Atlas of Mesotherapy in skin Rejuvenation, informa. Tosti, A., Grimes P.E., De Padova M.P. (2006), Color Atlas of Chemical Peels, Springer. Trumble, Angus (2006), Eine kleine Geschichte des Lächelns, Spektrum.
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Internetplattformen: Ästhetische Dermatologie ADK (http:// www.adk-online.org) Arbeitsgemeinschaft ästhetische Dermatologie und Kosmetologie in der DDG American Academy of dermatology (http://www.aad.org) Berufsverband Deutscher Dermatologen (http://www.uptoderm.de) DDG Deutsche Dermatologische Gesellschaft (http://www.derma.de) DDL Deutsche Dermatologische Lasergesellschaft (http://www.ddl.de) DGDA Deutsche Gesellschaft für Dermatochirurgie und Ästhetik (http://www.dgda.de) ISDS International Society for Dermatologic Surgery (http://www.isdsworld.com) Netzwerklipolyse (http://www.netzwerk-lipolyse.de) National Portrait Gallery (http://www.npg.org.uk)
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Reproduktionsmedizin: „De Finibus“
Reproduktionsmedizin: „De Finibus“
Ricardo E. Felberbaum
I. Einleitung Der ursprüngliche Titel dieses Beitrages sollte lauten: „Mein Kind soll rote Haare haben“. Dieser Titel war meines Erachtens irreführend, da er von den tatsächlichen drängenden Problemen der Reproduktionsmedizin, vor allen Dingen, aber nicht nur, in Deutschland ablenkt. Es ist das, was ich die Suche nach dem süßen Duft des Skandalons nennen möchte, was sich hinter diesem spekulativen Titel verbarg. Wir blicken hinsichtlich der Reproduktionsmedizin auf mittlerweile 30 Jahre Medizingeschichte zurück, beginnend mit der Geburt des ersten nach extrakorporaler Befruchtung geborenen Menschen, Louise Brown, im Juli 1978. Mittlerweile können wir davon ausgehen, dass über 4 Millionen Menschen weltweit dem Einsatz dieser reproduktionsmedizinischen Technik der extrakorporalen Befruchtung ihre Existenz verdanken. Man könnte daher mit Fug und Recht die assistierte Reproduktion als eine Erfolgsgeschichte bezeichnen, und so geschieht dies auch im Ausland. In Deutschland mag dies etwas anders sein. Wenn Robert Edwards, gewissermaßen der wissenschaftliche Vater des ersten reproduktionsmedizinisch gezeugten Kindes, im Jahr 2006 die bisherige Entwicklung als „fabulous“ bezeichnet hat, kommentierte dies Margot von Renesse, die langjährige Vorsitzende der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik in der Medizin“ im Rahmen einer Sitzung der Leopoldina – Gesellschaft im September 2006 wie folgt: „Hätte Herr Edwards dies im Deutschen Bundestag gesagt, es wäre ein Schaudern durch die Reihen der Abgeordneten gegangen.“ Dies mag als Illustration zur geistigen Situation der Zeit hinsichtlich der Reproduktionsmedizin im Speziellen und der Kinderwunschbehandlung im Allgemeinen in Deutschland angesehen werden. Es ist tatsächlich so, dass die Frage des sogenannten „Designer-Babys“ in Deutschland keine Rolle spielt. Gleiches gilt für die Themen des reproduktiven Klonens, der Keimbahntherapie und des sogenannten genetischen Enhancings. Auch „gender-selection“ im Sinne des „social sexing“ ist in Deutschland verboten. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass „sex–selection“ in anderen Ländern, in denen tatsächlich eine Vernachlässigung und Verachtung von Töchtern und Mädchen vorliegt, durchaus zum Einsatz kommt. So muss Indien sich mit dem Problem konfrontiert sehen, dass es zu einem zunehmenden Missverhältnis zwischen Männern und Frauen in der Gesamtpopulation kommt.
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II. Genetisches Enhancement Bisher hat es in der Reproduktionsmedizin nur einen tatsächlich durchgeführten Versuch eines solchen genetischen Enhancements gegeben. Im Jahr 2000 publizierte die Arbeitsgruppe um Jaques Cohen in den Vereinigten Staaten Ergebnisse eines sogenannten Zytoplasmatransfers. In Eizellen einer älteren Frau mit schlechtem Implantationsergebnis wurde Zytoplasma aus der Eizelle einer jüngeren Spenderin transferiert. Dies führte tatsächlich zu höheren Befruchtungsraten und zur Entwicklung mikroskopisch morphologisch besserer Embryonen. Es kam zu Schwangerschaften und Kinder wurden geboren. Diese erwiesen sich allerdings hinsichtlich der DNA der Mitochondrien als Chimären. Da – zwar selten – mitochondriale Erkrankungen bekannt sind, könnte ein solcher mitochondrialer Transfer ein unkalkulierbares Risiko darstellen. Entsprechende therapeutische Maßnahmen wurden umgehend von der amerikanischen Regierung verboten. (Brenner at all, fertility und sterility; 74: 573–578).
III. Zur deutschen Situation Seit dem Jahr 1991 ist das deutsche Embryonenschutzgesetz gültig. Es stellt einen soliden juristischen Rahmen für die tägliche klinische Arbeit dar. Es hat eine Vorratshaltung von Embryonen verhindert, bzw. dazu geführt, dass nur sehr wenige verwaiste Embryonen vorliegen. Eine Kryokonservierung von Embryonen ist in Deutschland entsprechend dem Embryonenschutzgesetz nur im Notfall erlaubt. Ein solcher Notfall kann z.B. die Verunfallung oder Erkrankung der Kinderwunschpatientin im Zeitraum zwischen Follikelpunktion und Embryotransfer darstellen. Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet jegliche Form der Keimbahntherapie, die Bildung von Chimären und natürlich auch das reproduktionsmedizinische Klonen. Diese Verbote finden die uneingeschränkte Zustimmung der deutschen Reproduktionsmediziner. Ob die Präimplantationsdiagnostik unter den Gegebenheiten des deutschen Embryonenschutzgesetzes nun erlaubt und möglich wäre, ist weiterhin umstritten.
IV. Reproduktionsmedizinisches Klonen Hier ist die Situation in Deutschland aus dem Blickwinkel des geltenden Embryonenschutzgesetztes eindeutig: Sämtliche Verfahren des Klonens von Menschen, gleichgültig mit welcher Zielrichtung sie durchgeführt werden, sind verboten (Jochen Taupitz 2002; Therapeutisches und reproduktives Klonen aus juristischer Sicht; Zeitung ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung: 96: 449–455).
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V. Rettende Geschwister/„saviour siblings“ Die sogenannten „rettenden Geschwister“ stellen dagegen ein Thema dar, das ernsthaft diskutiert werden muss. Hier geht es darum, auf dem Wege der Präimplantationsdiagnostik ein HLA-kompatibles Spenderkind auszuwählen. Auf dem Wege der Embryoselektion gilt es dann, die Geburt eines solchen Kindes herbeizuführen. Die bei der Geburt anfallenden Nabelschnurstammzellen können dann zur gezielten Therapie eingesetzt werden. Einzelfälle dieses Vorgehens sind in Großbritannien, Australien, Spanien und den USA berichtet worden. Es ist darauf hinzuweisen und zu unterstreichen, dass bisher kein einziger Fall der Entnahme und Transplantation eines nicht erneuerbaren soliden Organs angestrebt und versucht worden ist, und zwar weltweit. Die Wahrscheinlichkeit in einer solchen Situation, wenn z.B. ein Kind mit einer entsprechenden Bluterkrankung, z.B. einer Thalassaemia major, mit den Stammzellen eines HLA-kompatiblen Geschwisterkindes behandelt werden soll, geheilt zu werden, liegt bei 85–90 %. Die Diskussion muss meines Erachtens ernsthaft geführt werden. Ich halte es für nicht redlich, den Eltern von vornherein zu unterstellen, sie würden das gewünschte zweite Kind nur um der Instrumentalisierung Willen anstreben. Ich gehe hingegen davon aus, dass diese Kinder von ihren Eltern genauso in Liebe empfangen und aufgezogen werden wie andere Kinder auch. Es ist mir klar, dass diese Position auf massiven Widerstand von unterschiedlichsten Seiten stoßen wird. Ich denke aber, dass man wirklich sehr starke Argumente finden muss, um eine Vorgehensweise zu verbieten, die vielleicht das Leben eines Kindes retten kann. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Auswahl eines solchen Kindes auch durch pränatale Diagnostik durchgeführt werden kann. Dies kann im schlimmsten Fall, wenn die HLA-Kompatibilität nicht gegeben ist, zur Interruptio einer solchen Schwangerschaft führen.
VI. Das tatsächliche Problem der deutschen Reproduktionsmedizin Die tatsächlichen brennenden Probleme der Reproduktionsmedizin in Deutschland liegen auf anderem Gebiet. Während Länder wie Finnland, Schweden, aber auch Belgien und Österreich zeigen, dass es möglich ist, durch den sogenannten „elektiven single Embryotransfer“ auf der Grundlage der Selektion nach mikroskopisch morphologischen Kriterien hohe Schwangerschaftsraten bei minimalen Mehrlingsschwangerschaftsraten zu erzielen, ist diese Form der Vorgehensweise in Deutschland nicht möglich. Auch wenn es gelungen ist, die Rate der Mehrlingsschwangerschaften in Deutschland nach assistierter Reproduktion zu reduzieren, so stellt diese nach wie vor ein Problem dar. Die Forderung nach einem umfassenden und den wissenschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragenden Fortpflanzungsmedizingesetz ist immer wieder mit Nachdruck geäußert worden. Der letzte Schritt auf diesem Weg bisher war die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens für die FriedrichEbert-Stiftung im September 2008 (Reproduktionsmedizin im internationalen Ver-
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gleich; Klaus Diedrich, Ricardo Felberbaum, Georg Griesinger, Hermann Hepp, Hartmut Kreß, Ulrike Riedel). Dem gegenüber steht die Interpretation des bisher gültigen Embryonenschutzgesetzes durch Frau Monika Frommel, die eine liberale Auslegung des Embryonenschutzgesetzes als möglich ansieht. Diese Sicht der Dinge wird durch Äußerungen von Günther, Taupitz und Kaiser (Günter, Taupitz und Kaiser; Embryonenschutzgesetz; juristischer Kommentar mit medizinisch- naturwissenschaftlichen Einführungen; Verlag Kohlhammer) gestützt. Hier findet sich die Aussage: „Wie viele Eizellen der Gynäkologe zur Vermeidung überzähliger Embryonen unter Berücksichtigung der vorgenannten Aspekte einem Befruchtungsversuch unterziehen und über das Vorkernstadium hinaus in vitro kultivieren darf, ohne sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 strafbar zu machen, kann inzwischen niemand mehr zuverlässig beantworten.“ Diese Aussage, sowie der juristische Grundsatz „nulla poena sine lege stricta“ bedeuten konkret, dass sich die deutsche Reproduktionsmedizin in einem juristischen Niemandsland bewegt. Es ist sicherlich so, dass viele Kollegen bereits heute der Frommel´schen Auslegung im Sinne einer liberalen Umsetzung des Embryonenschutzgesetzes folgen. Sie bewegen sich damit zweifelsohne auf dünnem juristischem Eis. Dies wiederum erscheint weder für die betroffenen Patientinnen, noch für die betroffenen behandelnden Ärzte zumutbar. Hier besteht Handlungsbedarf, und zwar dringender. Es scheint nur leider so zu sein, dass der Gesetzgeber nicht bereit ist, sich dieser Herausforderung zu stellen.
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Die Wirkung von Psychopharmaka bei Gesunden
Die Wirkung von Psychopharmaka bei Gesunden
Dimitris Repantis
In dem diesem Text zugrunde liegenden Vortrag wurden Erkenntnisse aus einer Arbeit vorgestellt, die im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts „ELSA: Enhancement – Potenziale und Risiken des pharmazeutischen Enhancements psychischer Eigenschaften“ an der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, Berlin entstanden. Unter „Enhancement“ werden alle medikamentösen und technischen Interventionen verstanden, die der Leistungsoder Funktionsverbesserung bei Gesunden dienen, soweit es sich dabei nicht um Therapie oder Prävention von Krankheiten und Behinderungen oder deren Symptomen handelt. Unser besonderes Interesse lag auf „Neuro-Enhancement“, also auf Enhancement der kognitiven, emotionalen und/oder motivationalen Eigenschaften des Menschen. Ein Neuro-Enhancement-Mittel kann technischer, genetischer oder chemischer Art sein und stammt oft ursprünglich aus dem medizinischen Bereich, wo es für die Therapie erkrankter Personen entwickelt und eingesetzt wurde. Hier liegt der Fokus auf Neuro-Enhancement mittels synthetischer Psychopharmaka, obgleich grundsätzlich auch Naturstoffe wie z.B. Ginkgo Biloba als Neuroenhancer dienen können. Es ist anzunehmen, dass manche Medikamente von Teilen der Bevölkerung, vor allem von besonders leistungsorientierten Personen, zum Zweck des Neuroenhancements eingenommen werden. Verschiedene Hinweise sprechen dafür, so etwa Fallberichte wie die von Peter Kramer, einem amerikanischen Psychiater, der Anfang der neunziger Jahre im Hinblick auf die rasche und sehr große Verbreitung der neuen Antidepressiva, den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs), das Phänomen als „kosmetische Psychopharmakologie“ bezeichnet hat. Andere Medikamente werden zur Verbesserung kognitiver Leistungen eingenommen. Dies belegen z.B. die Ergebnisse einer informellen Umfrage, die in diesem Jahr von dem hochrangigen wissenschaftlichen Journal Nature durchgeführt wurde. Zwanzig Prozent der 1400 Leser, die an dieser Onlinebefragung teilgenommen haben, hat bereits Medikamente zur Aufmerksamkeitssteigerung ausprobiert oder nimmt solche Medikamente ohne medizinische Indikation regelmäßig ein.
I. Potenzieller Neuroenhancer Antidepressiva wirken hauptsächlich auf Emotionen und Persönlichkeit und haben angeblich eine „stimmungsaufhellende“ Wirkung auch ohne Vorliegen einer psychischen Erkrankung. Ein gewisser Anteil der Verschreibungen von Antidepressiva
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geht vermutlich nicht an Patienten im engeren Sinn, sondern vielmehr an Menschen, die eher mit Alltagsproblemen als mit einer Erkrankung zu kämpfen haben. Für die Nutzung von Antidepressiva als „Mood Enhancer“ kommen weniger die älteren Präparate in Frage, sondern eher die modernen, besser verträglichen Antidepressiva. Dazu gehören in erster Linie die schon erwähnten SSRIs (Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin), der Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin und die dual wirkenden Antidepressiva, wie die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin und Venlafaxin und der Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion. Zusätzlich ist auch der reversible Monoaminooxidase-Hemmer Moclobemid zu erwähnen. Psychostimulanzien scheinen als „Cognitive Enhancers“ sehr verbreitet zu sein. Sie standen auch im Mittelpunkt der oben genannten Nature-Umfrage. In einer epidemiologischen Studie von 2001 zur Einnahme verschreibungspflichtiger Stimulanzien ohne medizinische Indikation wurden 11000 College-Studenten befragt. Fast 7% gaben an, bereits Erfahrungen mit derartigen Mitteln gemacht zu haben. 2006 war die Prävalenz mit 8,3% sogar noch höher. Als prototypische Psychostimulanzien gelten die Amphetamine, die schon seit dem Zweiten Weltkrieg von Soldaten als so genannte „Go-Pillen“ eingenommen werden. Außerdem sind sie sehr verbreitet als Party-Drogen in Form von Speed, Ecstasy und anderen DesignerDrogen, hauptsächlich auf Grund ihrer aktivierenden und euphorisierenden Wirkung. Man kann mit diesen Substanzen auch einen positiven Einfluss auf kognitive Leistungen erzielen, aber wegen ihrer Nebenwirkungen und ihres Abhängigkeitspotenzials sollten sie von den anderen Neuroenhancern deutlich unterschieden werden. Die gleichen Gründe stehen auch ihrer therapeutischen Nutzung entgegen. Uns haben hauptsächlich zwei andere Stimulanzien interessiert – Methylphenidat und Modafinil. Ersteres ist der chemische Wirkstoff in dem Medikament Ritalin®. Es handelt sich dabei um eine Amphetamin-ähnliche Substanz, die für die Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndroms bei Kindern indiziert ist. Letzteres ist ein Präparat, das die Wachsamkeit fördert und das Schlafbedürfnis vermindert. Deswegen findet es bei der Behandlung exzessiver, krankhafter Tagesmüdigkeit, bei Vorliegen einer Narkolepsie, eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms, oder eines chronischen Schichtarbeiter-Syndroms Verwendung. Als Cognitive Enhancers kommen auch die Antidementiva in Frage. Diese entfalten ihre Wirkung hauptsächlich nach einer Einnahme über einen längeren Zeitraum, ebenso wie die Antidepressiva. Es gibt ältere Substanzen, die auch als „Nootropika“ bezeichnet werden, wie etwa Piracetam, Aniracetam, Pyritinol, Hydergin® usw. Diese jedoch haben fragliche bzw. zum großen Teil keine wissenschaftlich belegte Wirkung – weder bei Dementen noch bei Gesunden. Uns interessierte in erster Linie die Wirkung derjenigen Medikamente, die heutzutage im Einsatz sind: vor allem Memantine und Acetylcholinesterasehemmer, die die StandardTherapie für Demenz bei Alzheimererkrankung sind. Zuletzt werden einige Substanzen vorgestellt, die noch in der Entwicklungsphase sind, und die eventuell auch bei Gesunden eine Wirkung zeigen könnten.
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II. Durchführung unserer Untersuchung Um eine Aussage über die Wirksamkeit der Medikamente bei Gesunden treffen zu können, haben wir einen „Systematic Review“ von Studien an gesunden Probanden durchgeführt. Das ist im medizinischen Bereich ein gängiges Verfahren zur Recherche von Primärliteratur und Analyse von Daten. Berücksichtigt wurden alle verblindeten, randomisierten, placebokontrollierten Studien mit diesen Substanzen unter der Voraussetzung, dass sie eine Stichprobe gesunder Probanden untersuchten. Um die Studien zu sammeln, wurde eine systematische Suche in den zwei größten internationalen medizinischen Datenbanken (MEDLINE und EMBASE) sowie den im Verlauf gefundenen Querverweisen durchgeführt. Zusätzlich wurde bei Firmen der Pharmaindustrie angefragt, ob sie über einschlägige Daten verfügen. Die Ergebnisse der gefundenen Studien wurden nach Substanz oder Substanzklasse in mehreren Metaanalysen zusammengefasst, so geschehen z.B. bei Antidepressiva, Methylphenidat und Modafinil. Bei unzureichender Datenlage wurde eine deskriptive Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse vorgenommen, was bei Antidementiva der Fall war.
III. Ergebnisse In der Mehrzahl der Studien zu Antidepressiva wurde das Medikament einmalig verabreicht, und mit diesem Vorgehen war kein Effekt nachweisbar. Aber auch die wenigen Studien mit wiederholter Einnahme waren nur in wenigen Fällen von ausreichender Dauer. So hatten z.B. nur 17 Studien eine Dauer von mehr als 2 Wochen, und davon nur 8 Studien eine Dauer von mehr als 3 Wochen, obwohl es aus der klinischen Praxis bekannt ist, dass die Wirkung von Antidepressiva erst nach mehrwöchiger Einnahme eintritt. Nichtsdestotrotz gab es mit zunehmender Dauer der Einnahme in unserer Analyse eine leichte Tendenz zu einer zunehmend positiven Wirkung auf die Stimmung. Es gibt also auf Basis der momentanen Forschungslage nur wenig Anhaltspunkte für die Annahme, dass Antidepressiva sich bei längerer Einnahme positiv auf die Stimmung gesunder Menschen auswirken könnten. Die in diesem Review untersuchten Studien liefern keine ausreichenden Belege für oder gegen einen Effekt auf gesunde Menschen, und sind sogar ungeeignet, um diese Frage zu beantworten. Dies mag daran liegen, dass die Mehrzahl der berücksichtigten Studien nicht entworfen wurde, um Neuroenhancement-Effekte zu untersuchen. Antidepressiva waren bei Gesunden in der Regel gut verträglich. Leichte vorübergehende Nebenwirkungen traten normalerweise nach einer ersten oder einzelnen Dosis ein. Es waren hauptsächlich gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Durchfall, trockener Mund usw.), Schlafstörungen, Unruhe, Tremor, Kopfschmerz, Schwindel, Müdigkeit und Schläfrigkeit. Außerdem wissen wir aus den Erfahrungen von Patienten, dass bei den am häufigsten verwendeten Antidepressiva, den SSRIs, auch sexuelle Funktionsstörungen als Nebenwirkung auftreten können.
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Methylphenidat ist laut epidemiologischen Studien ein Medikament, das häufig von Gesunden zur Konzentrationssteigerung genutzt wird. Aufgrund einer angeblich berauschenden Wirkung wird es auch als Freizeit-Droge eingenommen. Durch unsere Analyse konnten wir weder einen Effekt auf die Aufmerksamkeit, noch einen auf die Stimmung feststellen. Was wir nachweisen konnten, war eine positive Wirkung auf die Gedächtnisleistung nach einmaliger Einnahme. Zudem erbrachten auch die einzelnen Studien, die eine mehrmalige Einnahme oder eine Einnahme bei Probanden unter Schlafentzug untersucht hatten, keine eindeutig positiven Ergebnisse. Auch hier waren Nebenwirkungen selten und normalerweise mild. Es handelte sich hauptsächlich um Erscheinungen wie Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, vermehrtes Schwitzen, Appetitminderung, schneller und unregelmäßiger Herzschlag und Blutdruck-Schwankungen. Für Modafinil haben wir einen positiven Effekt auf die Aufmerksamkeit gefunden, jedoch keinen Effekt auf Gedächtnis oder Stimmung. Da diese Substanz ihre Hauptwirkung durch eine Verminderung des Schlafbedürfnisses erzielt, wurden bei einem großen Teil der Studien Gesunde unter Schlafentzug beobachtet. Die meisten derartigen Studien wurden vom Militär durchgeführt. Bei kurzem Schlafentzug (bis ca. 36 Stunden) gab es nach einer einmaligen Einnahme einen positiven Effekt auf Wachheit, Gedächtnis und exekutive Funktionen (kognitive Prozesse, die der Selbstregulation und zielgerichteten Handlungssteuerung einer Person in ihrer Umwelt dienen). Bei längerem Schlafentzug (bis ca. 64 Stunden) mit mehrmaliger Einnahme von Modafinil blieb die Wachheit erhalten – gleiches aber war nicht der Fall für Aufmerksamkeit und exekutive Funktionen. Außerdem gab es bei einer der wenigen Studien, die dahingehend geforscht haben, Hinweise auf eine Verschlechterung der Selbsteinschätzung mit einer Tendenz zur Überschätzung der eigenen kognitiven Leistungsfähigkeit. Nebenwirkungen waren auch hier selten und moderat. Am häufigsten waren Kopfschmerzen, Schwindel, gastrointestinale Beschwerden, erhöhte Harnausscheidung, Nervosität, und Schlafdysregulation. Zu der Substanzklasse der Antidementiva liegen insgesamt sehr wenige Daten vor. Daher konnten nur einzelne Substanzen näher betrachtet werden. Dem zur Behandlung mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-Demenz zugelassenen Medikament Memantine wird eine neuroprotektive Wirkung zugeschrieben. Die wenigen hierzu vorhandenen Daten bei Gesunden (5 Studien mit einmaliger Einnahme) ließen keinen eindeutig positiven Effekt erkennen. Mehr Daten, und die einzigen Studien mit längerer Einnahme, gab es zu dem Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil. Diesem Medikament wird aufgrund einer häufig zitierten Studie mit Piloten nachgesagt, eine enhancende Wirkung zu haben. In dieser Untersuchung wurden gesunde Piloten mittleren Alters in einem Flugsimulator trainiert und bekamen dann 30 Tage lang entweder Donepezil oder ein Placebo. Für die Donepezil-Gruppe blieb am Ende der Untersuchungszeit das ursprüngliche Niveau der Leistung bei den trainierten Manövern erhalten, wogegen es sich in der Placebo-Gruppe verschlechterte. Einige positive Ergebnisse gab es
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auch bei einer anderen Studie: nach 30 Tagen Donepezil-Einnahme ergab sich in einer ausführlichen neuropsychologischen Untersuchung eine Verbesserung des episodischen Gedächtnisses. In zwei 14tägigen Studien wurden dagegen nachteilige Effekte berichtet: es gab eine kleine Verschlechterung im episodischen und im Arbeits-Gedächtnis und die Autoren argumentieren, dass eventuell der Zeitraum zu kurz und die Veränderungen im cholinergen System suboptimal waren als die Probanden untersucht wurden. Insgesamt ist die verfügbare Evidenz nicht ausreichend, um die Annahme einer enhancenden Wirkung von Donepezil zu untermauern. Außerdem ist es fraglich, ob die Effekte dauerhaft sind. Die Nebenwirkungen, die die Probanden in diesen Studien berichtet haben, waren typisch für Donepezil, nämlich Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Alpträume, und Schlaflosigkeit.
IV. Zukünftig mögliche Neuroenhancer In der letzten Zeit wurde eine neue Behandlung von Demenz vom Alzheimer-Typ mit einer alt bekannten Substanz erprobt. Dimebon, ein ehemals in Russland als Antihistaminikum zugelassenes Medikament, hat eine positive Wirkung auf die Kognition von Alzheimer-Patienten gezeigt und es wird weiter intensiv in diese Richtung geforscht. Diese Substanz wird auch als „Cognition Enhancer“ propagiert, aber Daten bei Gesunden liegen bislang nicht vor. In der psychiatrischen Praxis herrscht insgesamt Optimismus, da momentan noch weitere neue Substanzen untersucht werden. Manche davon haben auch in Studien bei Gesunden einen positiven Effekt gezeigt. So verbesserte z.B. Ampalex, eine Substanz aus der großen Familie der Ampakine, das Gedächtnis von gesunden älteren Probanden. Der Fokus liegt im Moment auf anderen Substanzen dieser Klasse mit längerer Halbwertszeit, wie etwa CX-717. Diese Substanz konnte jedoch nicht die Beeinträchtigungen von Schlafentzug in einer simulierten Schichtarbeits-Situation umkehren. Ein anderes Ampakin, Farampator, verbesserte bei älteren Probanden das Kurzzeitgedächtnis, verschlechterte aber gleichzeitig das episodische Gedächtnis. Weitere Analysen zeigten, dass diese Verschlechterung nur bei jenen Probanden auftrat, die Nebenwirkungen berichteten, wie etwa Kopfschmerzen, Schläfrigkeit und Übelkeit. Diese Probanden hatten auch signifikant höhere Plasmaspiegel von Farampator. Außer Ampakinen gibt es noch mehrere andere Substanzklassen in der präklinischen Forschung, die sehr häufig in wissenschaftlichen Artikeln und in der ethischen Debatte über kognitive Enhancing-Medikamente erwähnt werden, so z.B. CREB-Modulatoren. Die Transkriptionsfaktoren CREB spielen eine zentrale Rolle in der Formation des Langzeitgedächtnisses. Erik Kandel hat den Nobel-Preis für seinen Beitrag zur Aufklärung ihrer Wirkweise erhalten. Seitdem werden große Erwartungen an die CREB-Modulatoren gestellt, die von seiner biopharmazeutischen Firma produziert werden. Aufgrund seiner Entdeckungen besteht großes Interesse sowohl an therapeutischen Ansätzen als auch an Enhancement mittels CREB-
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Modulatoren. Bisher wurden allerdings nur wenige Studien am Menschen, und diese ausschließlich mit Patienten, durchgeführt.
V. Zusammenfassung und Diskussion Der momentane Forschungsstand scheint nicht ausreichend zu sein, um eindeutige Aussagen über die enhancende Wirkung von Psychopharmaka treffen zu können. Nur wenige Studien befassen sich explizit mit dieser Fragestellung. Insbesondere bei den Substanzklassen Antidepressiva und Antidementiva mangelt es auch an Untersuchungen von ausreichender Dauer. Ein auf den ersten Blick überraschendes Ergebnis ist der Mangel an Beweisen für eine positive Wirkung der dennoch weit verbreiteten Substanz Methylphenidat – diese Diskrepanz ist daher besonders zu betonen. Einzig für das Stimulans Modafinil verfestigte sich die Annahme für ihre Wirkung bei Gesunden, die abhängig ist von dem Wachheitsstatus der Person zum Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme. Eine enhancende Wirkung kann aber auch für die anderen Substanzklassen unter Bezug auf den gesichteten Forschungsstand nicht ausgeschlossen werden. Weitere Forschung wäre zur Beantwortung dieser Frage vonnöten. Da psychiatrische Krankheiten, und darunter vor allem die Demenz-Erkrankungen, zu den am intensivsten erforschten Krankheiten unserer Zeit gehören, wird es wahrscheinlich immer wieder neue Wirkstoffe geben, die als potenzielle Neuroenhancement-Präparate von sich reden machen könnten. Die Frage nach der Notwendigkeit, die Möglichkeiten von Enhancement zu erforschen, und die ethischen und rechtlichen Implikationen, die diese Möglichkeit mit sich brächte, verlangen nach kritischer und ausführlicher Auseinandersetzung.
Pharmakologisches Enhancement – Eine Einführung in nichtmedizinische Anwendungen von Arznei69
Pharmakologisches Enhancement – Eine Einführung in nichtmedizinische Anwendungen von Arzneimitteln zu Verbesserungszwecken
Davinia Talbot
I. Ein Wort vorab Unter dem Begriff ‚Enhancement‘ werden Eingriffe verstanden, die der Verbesserung der Gestalt oder Funktionsweise des Menschen dienen und die dabei nicht auf die Befriedigung medizinischer Bedürfnisse gerichtet sind1. Dabei haben vor allem die medizintechnischen und pharmakologischen Entwicklungen der jüngeren Zeit, die ein erweitertes Wirkungsspektrum bestimmter Mittel bei einem günstiger werdenden Nebenwirkungsprofil versprechen, die ethischen Debatten über diese neuen ‚Enhancement-Machbarkeiten‘ stimuliert. Für einen Überblick über bereits bestehende oder in näherer Zukunft womöglich realisierbare Möglichkeiten lassen sich – je nach Interessenschwerpunkt – Enhancement-Mittel unterschiedlich gruppieren: zum Beispiel nach Art des Eingriffs (pharmakologisch, technisch, etc.), nach betroffener Zielfunktion (z.B. Emotion, Kognition, etc.), nach gewünschtem Effekt (Schönheit, Schnelligkeit, etc.), nach ausführender Fachdisziplin (Chirurgie, Dermatologie, etc.), nach der Nachhaltigkeit des Eingriffs (temporär vs. persistent), oder nach bestimmten Merkmalen der Betroffenen (z.B. Einwilligungsfähige vs. Nicht-Einwilligungsfähige). Diese Liste ließe sich fortsetzen. Interessant ist, dass man je nach dem Ausgangspunkt der Betrachtung zu unterschiedlichen Schwerpunkten etwa bei der Analyse der ethischen oder juristischen Probleme kommt. So liegen bei einer näheren Betrachtung von Enhancement unter dem Aspekt der jeweils Betroffenen Fragen nach Grenzen der Einwilligungsfähigkeit oder Verantwortung nahe, während sich beim Fokus auf die Zielfunktion eher Fragen von Natürlichkeit und den Grenzen des Menschseins stellen. Im Folgenden möchte ich einen Überblick über pharmakologische Möglichkeiten von Enhancement geben, betrachte dieses Feld also vor dem Hintergrund der Art des Eingriffs. Der Pluspunkt eines solchen Zugangs liegt in seiner Realitätsnähe: Pharmakologische Enhancement-Optionen sind nämlich – anders als derzeit viele der anderen technischen Möglichkeiten – oft tatsächlich schon realisier- und nicht bloß denkbar. Und im Gegensatz zu chirurgischen Eingriffen, z.B. zur Ver1
Vgl. Juengst 1998.
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besserung der Schönheit, sind die ethischen und juristischen Debatten um pharmakologisches Enhancement mit Medikamenten, die im therapeutischen Kontext wirksam und etabliert sind, vergleichsweise neu.
II. Pharmakologisches Enhancement als off-label-Verwendung Enhancement hat nichts mit Therapie zu tun, daher handelt es sich bei der Anwendung von Pharmaka zu reinen Verbesserungszwecken um einen off-label-Gebrauch, also den nicht-zulassungsgemäßen Einsatz der Mittel2. Damit sind – ethisch wie juristisch – bereits Fragen nach der Verantwortung für eventuelle negative Folgen und Fragen nach Wegen der Beschaffung aufgeworfen, denn viele der Mittel sind rezeptpflichtig bzw. unterliegen z.T. sogar dem Betäubungsmittelgesetz. Wenn Anwender also Pharmaka als Enhancement einsetzen, haben sie entweder selbständig die Medikamente, die ihnen von ihrem Arzt zur Therapie einer bestimmten Erkrankung zur Verfügung gestellt wurden, umfunktioniert (etwa Großmutters Beta-Blocker vor der Abiturprüfung). Damit trägt der Anwender die Verantwortung. Oder der Enhancement-Willige hat seinem Arzt vielleicht reinen Wein eingeschenkt und mit dem klar geäußerten Verbesserungswunsch unumwunden um die Rezeptierung eines bestimmten Medikaments gebeten. Ein Beispiel hierfür wäre die Welle, die der amerikanische Psychiater Peter Kramer durch sein Buch Listening to Prozac (1993) in Amerika ausgelöst hat. Einige von Kramers nicht-erkrankten Klienten beschrieben unter Einnahme des Antidepressivums Prozac® signifikante Stimmungsveränderungen und Hochgefühle. Prozac® erfreute sich daraufhin großer Popularität3. In Fällen, in denen offen um ein Enhancement nachgesucht wird, käme dem Arzt eine große Verantwortung zu, wobei er diese durch eine umfassende Aufklärung wohl teilweise – analog etwa zu schönheitschirurgischen Eingriffen – wieder an den Anwender zurückgeben könnte. Aber eine offene Bitte um pharmakologisches Enhancement hätte derzeit wohl bei vielen deutschen Ärzten kaum Erfolg, denn von Medizinerseite werden offenbar das medizinische Ethos und die empfundene Verpflichtung auf die Therapie Kranker als Hindernis für eine Kooperation beim Enhancement gesehen4. Ob dies nun ein gutes Argument ist oder nicht, in jedem Fall müssen bei derzeitigen pharmakologischen Enhancement-Wünschen gegenüber dem Arzt Gerechtigkeitsüberlegungen angestellt werden. Denn falls die Pharmaka nicht privat, sondern über die Krankenkasse rezeptiert würden, käme die gemeinschaftsfinanzierte Krankenversicherung still-
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Mit der Klassifizierung als off-label ist zunächst noch nichts über die moralische Zulässigkeit oder Verwerflichkeit der Verwendung ausgesagt, denn beispielsweise sind auch die meisten Pharmaka, die Kindern zur Therapie verabreicht werden, aus Gründen eines forschungsethischen Dilemmas off-label. V.a. kritische Stimmen wie Wurtzel 1994; Breggin 1995; Elliott 2003. Vgl. Talbot 2009.
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schweigend für die Kosten auf – diese Krankenversicherung ist aber nicht zur Befriedigung von Enhancement-Bedürfnissen konzipiert. Vielleicht ist der Enhancement-Willige auch zum Arzt gegangen und hat sich dort als ‚Grenzfall‘ dargestellt. Wie das quirlige Kind, dessen Eltern den Arzt um Ritalin® zur Therapie der ‚Hyperaktivität‘ des Nachwuchses nachsuchen. Viele Kinder erfüllen nicht die Kriterien eines sogenannten ADHD5, erhalten aber trotzdem die medikamentöse Therapie, denn Ritalin® steigert – wohl auch bei Gesunden – die Aufmerksamkeit6. In einem solchen Fall liegt disease mongering vor, das ist die Etikettierung von eigentlich nicht therapiebedürftigen Zuständen als krank7. Eine solche Praxis ist, obwohl sicher vorkommend, nicht wünschenswert, denn auch hier spielen die o.g. Risiko- und Gerechtigkeitsaspekte eine Rolle. Eine weitere Option für den Enhancement-Willigen wäre, sich die Medikamente auf dem florierenden Schwarzmarkt zu besorgen. Über die Negativa von Schwarzmärkten möchte ich hier nichts sagen, sondern verweise auf einschlägige Diskussionen. Nach diesen einleitenden Gedanken zurück zur Frage: Welche pharmakologischen Enhancement-Möglichkeiten gibt es? Ich möchte im Folgenden zunächst Verbesserungs-Mittel vorstellen, die primär im psychischen Bereich des Anwenders wirken. Dabei werde ich – unter Verweis auf den Beitrag von Repantis in diesem Band – den Bereich Kognition und Gedächtnis und aus dem Bereich des Emotions-Enhancements die Klasse der Antidepressiva auslassen. Im Mittelpunkt stehen hier also andere emotionsmodifizierende Pharmaka, sowie Mittel, die auf sexuelle Performance wirken. Sodann werde ich Pharmaka vorstellen, die vornehmlich im physischen Bereich des Anwenders Verbesserungen bewirken sollen. Dies sind Wachstumshormone und Mittel zum AntiAging. Meine Ausführungen beanspruchen keine Vollständigkeit, sondern sollen lediglich einen Überblick über Pharmaka geben, die im Enhancementbereich derzeit realistischerweise eingesetzt werden bzw. werden könnten.
III. Pharmakologische Enhancement-Möglichkeiten Die Bedeutung des griechischen Wortes ist Zaubermittel, Gift, Heilmittel8. Das lateinische Wort medicamentum bedeutet Arzneimittel, Heilmittel9. Ich verwende Pharmakon und Medikament in diesem Beitrag synonym und in Anlehnung an die Begriffsbestimmung von ‚Arzneimittel‘ (§ 2 Arzneimittelgesetz). Pharmaka werden üblicherweise eingesetzt, um kranke Menschen zu therapieren (z.B. Antiepileptika gegen Epilepsie) oder auch um eine Krankheit zu verhin5 6 7 8 9
LeFever et al 1999. Oken 1995. Blech 2003. Gemoll 1988. Stowasser 1994.
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dern (z.B. die Regulierung eines hohen Blutdrucks zur Prävention eines Schlaganfalls). Enhancement ist weder Therapie noch Prävention, auch wenn über die genauen Grenzen dieser Bereiche eine rege Debatte geführt wird10. Da theoretisch unzählige Substanzen als Pharmakon wirken können, möchte ich betonen, dass ich hier ‚Alltagsmittel‘ wie Cola oder Nikotin ausblenden möchte und mich auf solche Substanzen11 beziehe, die tatsächlich mit relativ eindeutig nachgewiesener Wirksamkeit12 üblicherweise zur Behandlung von Krankheiten bzw. zur Prävention eingesetzt werden. 1. Im psychischen Bereich a) Emotion In der englischsprachigen Literatur taucht zur Beschreibung dieser Zielrichtung von Möglichkeiten oftmals der Terminus „Stimmung und Affekt (mood and affect) beeinflussende Mittel“ auf. Zulasten der Genauigkeit der in der Psychiatrie etablierten Diktion, jedoch zu besseren Lesbarkeit werde ich den Oberbegriff 'Emotion' verwenden und verstehe darunter Stimmung (ungerichtet, länger andauernd), Affekte (gerichtet, meist eher kurzfristig) und Antrieb13. Mit Blick auf Enhancement spielen hier auch Aspekte der gesellschaftlichen Interaktion eine Rolle. Der Beitrag von Repantis in diesem Band ist der prominentesten Klasse von Mitteln zum emotionalen Enhancement, den Antidepressiva gewidmet; ich verweise entsprechend darauf. In der Klasse der Beta-Blocker ist besonders Propranolol14 als Enhancer untersucht worden: Zu Beginn der 90er Jahre wurde vom leistungssteigernden Effekt des Medikaments bei Musikern durch die Reduktion der körperlichen Symptome des Lampenfiebers15 berichtet. Ferner dämpft Propranolol die Erinnerung an emotional aufreibende Situationen offenbar ab, und Personen unter dem Einfluss des Medikaments erinnern sich der Situationen, als seien sie emotional neutral gewesen16, entwickeln also z.B. seltener Symptome einer post-traumatischen Belastungsstörung17. Wie verbreitet der Gebrauch von Anxiolytika wie z.B. Dormicum® im Enhancement-Kontext ist, ist unklar, die Substanz hat allerdings – bei gegebener Sicherheit 10 11
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Vgl. Lenk 2002. In der ethischen Enhancement-Debatte wird sehr wohl thematisiert, inwiefern man den Einsatz von Alltagssubstanzen zu Enhancement-Zwecken gegen den Einsatz von „echten“ Medikamenten mit dem gleichen Ziel abgrenzen kann und sollte und ob dies für die ethische Bewertung der resultierenden Verbesserung einen Unterschied macht. Ich möchte nichts sagen zu Ginseng, etc. Zusammenstellung der Qualitäten nach Möller 1996. Ursprünglich waren Beta-Blocker zugelassen zur Behandlung von Angina pectoris, Hypertension und zur Prophylaxe nach Herzinfarkt, wozu diese Klasse von Medikamenten auch heute noch therapeutisch eingesetzt wird. Vgl. Slomka 1992. Vgl. Cahill 1994. Vgl. Pitman 2002.
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aufgrund einer großen therapeutischen Breite – amnestische, sedierende und angstlösende Wirkung18. Ist also das (retrograde) Vergessen einer überschaubaren Zeitspanne erwünscht oder soll keine Angst empfunden werden, wären Anxiolytika wie das üblicherweise vor Operationen zur Prämedikation eingesetzte Dormicum® eine Option. Als Benzodiazepin birgt die Substanz allerdings die Gefahr der Abhängigkeit. Im experimentellen Stadium befinden sich derzeit Strategien, die auf die Beeinflussung von Neuropeptiden ausgelegt sind, die wahrscheinlich eine Rolle bei Depressionen und Angststörungen spielen19. Zum Beispiel haben wohl Medikamente, die den corticotropin-releasing factor blocken (CRF-Blocker), eine abmildernde Wirkung auf die Folgen von Stress20. Oxytocin, ein Neuropeptid des Hypothalamus, wirkt besonders bei der Weheninduktion und Laktation mit und spielt – auf jeden Fall im Tierexperiment – eine Rolle beim Kontaktknüpfen zwischen Mutter und Kind oder zwischen Sexualpartnern21. Kosfeld und seine Kollegen konnten in Simulationsversuchen zeigen, dass Oxytocin – verabreicht als Nasenspray – Investoren vertrauensseliger gegenüber ihren anonymen Treuhändern machte. Sie schlossen daraus, dass Oxytocin das Vertrauen erhöht, das Anwender anderen Menschen entgegenbringen22. Illegale Stimulantien wie Mescalin (das auch als ‚Entactogen‘ bezeichnet wird) oder Ecstasy erhöhen das Selbstvertrauen und reduzieren gesellschaftliche Scheu23. b) Sexuelle Performance Sildenafil (Viagra®) ist die wohl bekannteste Substanz zur Steigerung der sexuellen Leistungsfähigkeit24. Ursprünglich wurde das Medikament zur Therapie des pulmonalen Bluthochdrucks getestet und auf den Markt gebracht, wird inzwischen aber überwiegend wegen seiner erektionsfördernden Wirkung angewendet. Dabei ist schwer zu differenzieren, ob die Konsumenten Männer mit einer tatsächlich in dieser Weise therapiebedürftigen erektilen Dysfunktion (z.B. aufgrund von Diabetes o.ä.) sind, oder sich unter dieser Diagnose nicht auch Fälle des o.g. ‚disease mongering’ befinden, wobei Sildenafil dann eigentlich als Life-style-Substanz zu werten wäre. Eine sexualitätsbezogene Wirksamkeit bei Frauen konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Das Melanozyten-stimulierende Neuropeptid Melanocortin hat – zumindest im Tierexperiment – bei männlichen wie weiblichen Tieren zur Steigerung der sexuel18 19 20 21 22 23 24
Vgl. Curran 1991. Vgl. Chatterjee 2004, S. 970. Vgl. Salzano 2003. Vgl. Damasio 2005, S. 571. Vgl. Kosfeld et al 2005. Normann/ Berger 2008, S.113. „Leistungsfähigkeit“ ist im Zusammenhang mit Sexualität ein schwieriger Terminus, daher habe ich in der Überschrift „Performance“ gewählt. Die Bezeichnung Leistungsfähigkeit mag für Erektionfähigkeit noch tragen, aber spätestens bei der Libido geht sie fehl.
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len Aktivität geführt25. Ob es sich hier um eine Substanz handelt, die beim (gesunden) Menschen in ähnlicher Weise wirkt, bleibt abzuwarten26. 2. Im physischen Bereich Für den großen Bereich des medikamentösen Sport-Dopings verweise ich auf den Beitrag von Graf-Baumann. a) Wachstumshormon Die Gabe von Wachstumshormon (hGH) an kleinwüchsige Kinder27, bei denen ein Mangel an Wachstumshormonen vorliegt, ist eine Therapie. Hier wird etwas substituiert, das fehlt. Wie Thomas Runkel, der zu Kleinwuchs und Krankheitsbegriff geforscht hat, feststellt, werde allerdings die „Indikationsstellung immer mehr über den Wachstumshormonmangel hinaus erweitert“28 und auch Kinder mit einer dem Kleinwuchs zugrundeliegenden chromosomalen Problematik würden mit Blick auf erwartbares psychosoziales Leiden mit hGH behandelt. Dann aber stellt sich die Frage, warum nicht auch Kinder, die einfach z.B. aufgrund familiärer Faktoren klein sind und bleiben würden, mit hGH zu mehr Körpergröße kommen sollten. In diesem Fall wäre hGH aber ein Enhancement, denn klein zu sein ist per se keine Krankheit – wenn auch wohl unstrittig ist, dass die Betroffenen es gesellschaftlich tatsächlich schwerer haben als normgroße Menschen. Dieser Fall des Wachstumshormonmangels gegenüber einer familiär bedingten geringen Körpergröße ist bereits in den Anfängen der Enhancement-Debatte mit den Jungen Billy und Johnny konstruiert worden29 und soll illustrieren, dass Enhancement möglicherweise gegebene Ungerechtigkeiten in der ‚natürlichen genetischen Lotterie‘ ausgleichen helfen könnte. b) Anti-Aging „Starb Methusalem eines verfrühten Todes?“ fragt der deutsche Philosoph Bernward Gesang in seinem Buch über die Perfektionierung des Menschen30 humorvoll. Der menschliche Traum eines langen, u.U. ewigen Lebens ist tatsächlich so ‚alt wie Methusalem‘. Dabei geht es beim – modern ausgedrückt – Anti-Aging und der damit verbundenen Alternsforschung um zwei verschiedene Dinge: Entweder ist die Erweiterung der menschlichen Lebensspanne über das bisher erreichte Maß von ca. 120 Jahren31 hinaus gemeint, oder die Abmilderung der ‚normalen‘ Folgen des Alterns, also etwa größtmögliche geistige und körperliche Fitness und Krankheitsfreiheit innerhalb einer ‚normalen‘ Lebensspanne.
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Pfaus 2004. Bertolini 2009. Kleinwuchs ist definiert als eine Körpergröße unterhalb der 3. Perzentile der Altersnorm. Runkel 2005, S. 216. Brock 1998. Gesang 2007, S. 33. Der mit 122 Jahren bisher älteste Mensch war die Französin Jeanne Calment.
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Auf dem Wege der Entgrenzung der menschlichen Lebensspanne werden bislang noch Theorien dazu diskutiert, warum der Mensch überhaupt altert. Verantwortlich gemacht und als potentielle Angriffspunkte für eine Lebensverlängerung ins Auge gefasst werden genetische (z.B. Telomere) und chemische Faktoren (z.B. Abfangen freier Radikale, drastische Kalorienbegrenzung). Da sich dieser Beitrag mit pharmakologischem Enhancement befasst, beschäftige ich mich nicht weiter mit den genannten Theorien, sondern werfe einen Blick auf die Entwicklungen in dem zweiten Bereich des Anti-Aging, der Abmilderung der Alternsfolgen. Hier ist das Spektrum an Mitteln zum Gesund-und-Jung-Bleiben breit, denn der Markt verjüngungswilliger, kaufbereiter Kunden ist groß. Verschiedene Hormone sollen gegen Alterungsprozesse helfen. Die Hormonersatztherapie (HRT) für Frauen in der Perimenopause, also in den Wechseljahren, wirkt offenbar präventiv gegen Osteoporose, mindert das Risiko, eine koronare Herzerkrankung zu bekommen32, hält die Haut (incl. der Schleimhäute) feuchter und elastischer und beugt so Falten vor33. In Verruf geraten ist die HRT durch Studienbelege, nach denen Frauen, die diese Hormone einnehmen, ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben34. Hochumstritten in der Wirksamkeit als Anti-Aging-Mittel sind Melatonin, ein Hormon, das bei Schlafstörungen verabreicht werden kann, das menschliche Wachstumshormon hGH und das Steroidhormon DHEA. Allgemeine Maßnahmen wie spezielle Ernährung (beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel wie bestimmte Vitamine), die Anwendung kosmetischer Maßnahmen (etwa Botulinumtoxin35) und die frühzeitige – ggf. medikamentöse – Bekämpfung von Risikofaktoren (z.B. die konsequente Einnahme von Blutdruckmedikamenten zur Ausschaltung des Risikofaktors Bluthochdruck) sind vieldiskutiert. Da allerdings die Möglichkeit, die Maßnahme eins zu eins einem bestimmten Effekt zuzuordnen, eingeschränkt ist, würde mich eine Erörterung hier zu sehr in die Breite und in spekulative Sphären führen.
IV. Ausblick Aus dem Spektrum von Enhancement-Möglichkeiten habe ich einige der pharmakologischen Optionen herausgegriffen und vorgestellt, die ‚vor der Tür‘ stehen. Hieran schließen sich nun die eigentlich spannenden, kontroversen ethischen und juristischen Fragen an (vgl. hierzu u.a. den Beitrag von Groß in diesem Band). Die Stimmen, die sich in der nationalen wie internationalen Diskussion zu Wort melden, äußern sich sehr unterschiedlich: Skeptiker betonen die unbekannten Risiken von Enhancement-Pharmaka in der Anwendung bei Gesunden, die Unangemessenheit ‚medizinischer‘ Lösungen für soziale Probleme und weisen auf
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Vgl. Palacios 2008. Hall/ Philipps 2005. z.B. Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer 1997; Chen 2002. Vgl. dazu den Beitrag von Häussermann-Mangold in diesem Band.
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Fairness- und Gerechtigkeitsprobleme hin36. Sie plädieren überwiegend dafür, pharmakologisches (und anderes) Enhancement sehr restriktiv zu handhaben. Befürworter betonen die Chancen, die ein derartiges Enhancement dem Einzelnen und der Gesellschaft bietet. Sie sehen in der Anwendung von Pharmaka zu Verbesserungszwecken keinen kategorischen Unterschied zu Alltagsubstanzen wie Kaffee oder Nikotin und begrüßen die Idee der Verbesserung als zutiefst menschlich37. Einen progressiven Vorstoß haben kürzlich Henry Greely und seine Kollegen in einem in der Zeitschrift Nature erschienenen Artikel gemacht, in dem sie die Möglichkeit zum pharmakologischen Enhancement der Kognition nicht nur ganz generell verteidigen, sondern sogar laut einfordern38. Pharmakologisches Enhancement steht – anders als einiges an technischem Enhancement, über das ich hier gar nicht gesprochen habe – in der Tat ‚vor der Tür‘. Die Pharmaka sind im Prinzip verfügbar und Enhancement-Willige verschaffen sich Zugang. Es ist meiner Ansicht nach wichtig und vordringlich, diesen Zugang zu regeln und damit meine ich nicht etwa ein kategorisches Verbot. Vielmehr gilt es, ergebnisoffen die ethischen, juristischen und medizinischen und gesellschaftlichen Argumente abzuwägen, sich für eine Haltung zu entscheiden und entsprechende Regelungen zu schaffen. Dass es im Falle einer Restriktion wahrscheinlich immer einen Schwarzmarkt geben wird, ist klar, aber verschmerzbar, denn ganz unterbinden kann man Substanzgebrauch nie. Eine Regelung des Umgangs wäre auf jeden Fall besser als die derzeitige regulative Finsternis, in der Praktiken wie die seltsame Indikationsausweitung auch auf Fälle von Nicht-Krankheit aus der Nachfragenot geboren werden und gedeihen können. Man kann die Frage des Umgangs mit Enhancement nicht allein den Ärzten und Patienten überlassen und ihrer Beziehung aufbürden, denn die dahinterstehenden Fragen z.B. nach Gerechtigkeit müssen in einem größeren gesellschaftlichen Kontext entschieden werden. Ein klammheimlicher gemeinschaftsfinanzierter Enhancement-Luxus für wenige und ein fehlender Überblick über die Folgen pharmakologischen Enhancements sind nicht wünschenswert.
Literatur Bertolini A., Tacchi R., Vergoni A.V. (2009), Brain effects of melanocortins. Pharmacol Res., Jan;59(1):13-47. Blech, J. (2003), Die Krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden. Frankfurt: S. Fischer. Breggin, P.R. (1995), Talking back to Prozac: What doctors aren’t telling you about today’s most controversial drug. New York: Saint Martin’s Press. Brock, D.W. (1998), „Enhancements of Human Function: Some Distinctions for Policymakers“. In: E. Parens (Hrsg.) Enhancing Human Traits: Ethical and Social Implications. Washington: Georgetown University Press, S. 48-69. 36 37 38
Vgl. President’s Council on Bioethics 2003; Sandel 2007; Schleim 2008. Vgl. Caplan 2003; Kass 2003; Harris 2007. Greely et al 2008.
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Pharmakologische und gentechnische Leistungssteigerung im Sport
Pharmakologische und gentechnische Leistungssteigerung im Sport
Toni Graf-Baumann
Wenn wir im Zusammenhang mit der wunscherfüllenden Medizin auch über Doping diskutieren, sind drei Themenbereiche anzusprechen: 1. die Herstellung und der Vertrieb von gentechnisch hergestellten Dopingsubstanzen z.B. anabole Steroide oder Blutdopingmittel, 2. der Gebrauch von Menschlichen Wachstumshormonen HGH oder als Wachstumshormone in der Werbung bezeichnete andere Substanzen, 3. die Gen- und die Stammzell-Therapie.
I. Gentechnisch hergestellte Dopingsubstanzen Insbesondere anabole Steroide werden von illegalen Labors vor allem in Asien, in erster Linie in China, aber auch in den USA regelmässig produziert und über das Internet vorbei an allen zollrechtlichen und arzneimittelrechtlichen Bestimmungen in alle Länder exportiert. Zwischen der Herstellung dieser gegenüber den bekannten anabolen Steroiden oftmals nur geringfügig abweichenden molekularen Strukturen und ihrer Bewerbung im Internet liegen meist nur sehr kurze Zeiträume. Die Bestellungen werden i.d.R. prompt erledigt. Wissenschaftlich und rechtlich ausreichende Analysen durch von der WADA (World Antidoping Agency) akkreditierte Laboratorien dauern hingegen wesentlich länger, so dass die WADA heute in die Liste der verbotenen Substanzen dieser Art den Hinweis „und alle weiteren ähnlichen Wirksubstanzen“ aufgenommen hat.
II. Wachstumshormone „Testifying before the U.S. House of Representatives Government Reform Committee on behalf of the Endocrine Society, Dr. Alan Rogol outlined the legitimate medical uses of HGH (Human Growth Hormone) and the serious health consequences surrounding its abuse by athletes, celebrities, and those hoping to find a way to combat the effects of aging.“ „There are a number of safe and legitimate FDA-approved uses of growth hormone in adults and children“, führte Dr. Rogol an dieser Stelle aus.
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Der nicht medizinische indizierte Gebrauch von Wachstumshormonen, wie er zunehmend im sogenannten Anti-Aging und Body-Image-Markt der Fall ist, aber auch im Bereich des Sportes, ist mit einer Zunahme von Risiken verbunden. Eines der größten Risiken dieser Art der Nutzung von Wachstumshormonen ist die nicht korrekte Dosierung. Man kann davon ausgehen, dass die tatsächlich eingenommene Dosierung die z.B. ärztlich verordnete oder im Beipackzettel beschriebene Dosierung wesentlich überschreitet, selbst bei gegebener medizinischer Indikation. Bei solch hohen Dosierungen des Wachstumshormons ist es möglich, dass man ähnliche Level erreicht, wie man sie bei der endokrinologischen Erkrankung der Akromegalie findet. Akromegalie oder hyperphysärer Riesenwuchs ist die Folge eines chronischen Überangebots an Wachstumshormon nach Epiphysenschluss. Die Symptome sind eine Vergrößerung der Gesichtszüge, Weichteilschwellungen an Händen, Füßen, Nase, Augenbrauen, Lippen, dickere Haut, raue, tiefe Stimme, vermehrtes Knorpelwachstum, Gelenkspaltvergrößerung, Knorpeldegeneration, Arthrose, Kopfschmerzen, Schwächegefühl, vermehrtes Schwitzen, SchlafapnoeSyndrom, Hypertonie, Herzvergrößerung, Diabetes, erhöhte Triglyceridwerte, Zyklusstörungen bei der Frau, Potenz- und Libidoprobleme beim Mann. Therapeutisch ist eine operative Entfernung des ursächlichen Hypophysenadenoms, Strahlentherapie, Medikamente (Somatostatin-Analoga, Dopamin-Agonisten, Wachstumshormon-Rezeptorantagonisten) erforderlich. Die medizinisch nicht indizierte Einnahme von Wachstumshormonen kann zu einer ernsthaften Muskelschwäche und ebenso ernsthaften Herzerkrankungen führen. Aufgrund verschiedener Untersuchungen ist heute davon auszugehen, dass der überwiegend nicht medizinisch indizierte Gebrauch von Wachstumshormonen im Sport der Fall ist oder bei anderen Nutzern, die der Werbung vertrauend glauben, sie nehmen andere, davon zu unterscheidende Substanzen, die angeblich unschädliche Wachstumshormone enthalten. Anzeigen in Magazinen und im Internet preisen die Substanzen als Wachstumshormone an, genannt „growth hormone“, was intendiert, dass es sich um ein ungefährliches Wachstumshormon handelt und das ist in der Regel nicht der Fall. Diese sogenannten Wachstumshormone, wie auch immer, wirken nur, wenn sie injiziert werden. Diese Growth-Hormone, die als ungefährlich angepriesen werden, werden in der Regel oral genommen, so dass sie nicht dem menschlichen Wachstumshormon HGH entsprechen können. Diese also fälschlich als Wachstumshormone bezeichneten Produkte enthalten andere nicht angezeigte Substanzen, die im Sport auf der Verbotsliste stehen, wie anabole Steroidhormone oder sogenannte Steroid Precursor, die seit vielen Jahren als ursächlich für die Förderung des Tumorwachstums identifiziert wurden. Die weitaus überwiegende Mehrheit der klinisch eingesetzten Wachstumshormone wird durch sog. „recombinant DNA“-Techniken gewonnen, also nicht aus menschlichem Gewebe wegen der großen Gefahr der Übertragung der CreutzfeldJakob-Krankheit.
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Es gibt eine Reihe von medizinischen Indikationen für die Therapie mit menschlichem Wachstumshormon HGH, z.B. Mangel an Wachstumshormon, chronische Nierenerkrankungen, Turner-Syndrome, idiopathischer Kleinwuchs oder Muskelschwund bei HIV-Erkrankung. Bei Erwachsenen kann das HGH die Energielevel und damit die gesunde Muskulatur und die knöchernen Strukturen positiv beeinflussen. Wir sprechen aber immer noch vom körpereigen produzierten HGH der Hirnanhangdrüse am Hypothalamus (pituarity gland). Medizinisch gesehen bestehen also einige legitime Gründe, mit HGH zu therapieren. Das beinhaltet aber nicht die sogenannte Anti-Aging-„Behandlung“ und schon gar nicht die Leistungssteigerung im Sport. Menschen, die diese Substanz missbräuchlich benutzen, riskieren ernsthafte Gesundheitsschäden!
III. Gen- und Stammzelltherapie Grundsätzlich kann man keine „correct copies“ oder „wild types“ Gene einfach so in ein menschliches Genom einbringen. Man benötigt dazu einen „carrier“, den man Vector nennt. Er soll die therapeutischen Gene zu angestrebten Zielzellen transportieren z.B. bestimmte Viren. Es gibt aber auch nicht-virale Methoden, deren Entwicklung vor allem davon abhängt, dass die transportierte DNA nicht beschädigt wird. Hier sind enorme Fortschritte festzustellen (siehe dazu aktuelle Publikationen der Michigan State University). Das sogenannte Gen-Doping wird von der World Anti-Doping Agency WADA definiert als: „The non-therapeutic use of cells, genes genetic elements, or of the modulation of gene expression, having the capacity to improve athletic performance“. Die Definition von Gen-Doping erfordert eine sehr komplexe ethische und philosophische Diskussion, insbesondere im Hinblick auf die bioethischen Diskurse zum „human enhancement“. Die Grenzen zwischen medizinisch indizierter Therapie und unerlaubter Inkaufnahme einer Leistungssteigerung, z.B. bei der Behandlung von strukturellen Muskelverletzungen sind kaum eindeutig zu fixieren. Das Muskelgewebe (Fasern, Faszien) heilt wesentlich schneller bei gleichzeitiger Zunahme an Muskelmasse. Wir sprechen vom sogenannten Myostatin-Gen, welches zunehmend in den Vordergrund rückt und seit 2009 offiziell auf der Liste der verbotenen Substanzen und Methoden im World Anti-Doping-Code steht. Die meisten dieser chemisch hergestellten Substanzen unterscheiden sich kaum von ihren natürlichen „Counterparts“, so dass in solchen Fällen keine ungewöhnlichen „Substanzen“ ins Blut gelangen, also auch keine solchen bei Dopinganalysen im Urin und/oder Blut entdeckt werden können. Es gibt bis heute zwar eine enge Kooperation zwischen der Wissenschaft, der Politik und den zuständigen Sport-Institutionen, aber nicht viel mehr als einzelne Verurteilungen des sogenannten Gen-Dopings. Das Internationale Olympische Komitee im Jahr 2001, die WADA im Jahr 2002, das US President’s Council on
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Bioethics und die WADA in 2003 sowie die American Association for the Advancement of Science in den Jahren 2003 und 2004 haben sich entschieden gegen diese Art von Doping ausgesprochen. Als erste Substanz in diesem Sinne wurde bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin das Repoxygen als möglicherweise bereits verwendete Substanz diskutiert. Schließen wir neben dem Myostatin das Protein IGF-I (Insulin-like Growth Factor-I) und das Peptidhormon Erythropoetin in die Liste der Gentherapieformen ein, müssen wir auf die Entdeckbarkeit von IGF-I und EPO achten, die 1998 noch nicht gegeben war, jetzt aber de facto gegeben ist, wobei wie oben ausgeführt schon neue gentechnisch produzierte Nachfolgesubstanzen des EPO entwickelt und eingesetzt werden (siehe den Fall Johann Mühlegg bei den Olympischen Winterspielen 2002 mit Darbepoetin und die jüngsten Entdeckungen bei russischen Biathleten/innen im Jahr 2009). Die moderne Endokrinologie befasst sich u.a. mit der Identifizierung weiterer (neuer) Wachstumsfaktoren mit hormoneller Wirkung, die auch zur künstlichen Leistungssteigerung im Sport einsetzbar wären. Hier ist die enge Zusammenarbeit zwischen Forschung, Klinik und Sport unabdingbar. Kai Smolnikar, Diplom-Biologe an der Abteilung für Experimentelle Morphologie am Institut für Biochemie der Universität Köln, schrieb in einem Artikel im Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln (Heft 1/1998) zum Thema „Gendoping im Sport: Fakt oder Fiktion“ folgende Ausführungen zu den Ansatzpunkten für Gendoping: „Nachdem im Frühjahr 1997 ein weibliches Schaf mittels seiner Euterzelle (angeblich) geklont wurde, scheint es nur eine Frage der Zeit, wann aus dem Erbgut gentechnisch korrigierter Körperzellen Nachwuchs erzeugt wird. Der gezielte Eingriff in die Gene von Ei- und/oder Samenzelle oder auch einer befruchteten Eizelle wird Keimbahntherapie genannt.“ Auf Grundlage des hippokratischen Eides und der juristischen Situation in den meisten Ländern sind Eingriffe in die Keimbahn zu Heilung erblicher Krankheiten verboten. Nachdem jedoch der amerikanische Physiker und Biologe Richard Seed im Januar 1998 ankündigte, er wolle schon bald Menschen nach der Art klonen lassen wie schottische Forscher das Schaf Dolly, ist die Diskussion um die Ethik und den Missbrauch von medizinischen Forschungsleistungen neu entbrannt. Auch aus der Sicht des Sports wird das Klonen von Athleten als eine Art „science fiction“ diskutiert. In diesem Zusammenhang gibt es jedoch zu bedenken, dass das mögliche Verfahren erst in 20 Jahren „die Früchte des Erfolges“ erkennen lassen würde. Dabei erscheinen zwar körperliche Voraussetzungen planbar, jedoch gehört zum idealen Athleten bekanntlich mehr. Solange kognitive Fähigkeiten noch nicht kontrollierbar sind, bleibt der geklonte Superathlet wohl Fiktion. Aus diesen Gründen sollten die erdenklichen Missbrauchsmöglichkeiten des geklonten Athleten zunächst keine Gefahr für den Sport darstellen und im weiteren Verlauf noch nicht weiter diskutiert werden. Weniger absurd erscheinen andere Strategien eines Gendopings, auf die ich
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bereits eingegangen bin, z.B. die Entdeckung des Myostatin-Gens und seine Bedeutung für die Regulation des Muskelwachstums. Eine der am häufigsten gestellten Fragen bei den FIFA Elite Football Medicine Kursen, vor allem in den Anti-Dopingkursen beinhaltet das Problem, ob für eine Stammzelltherapie sog. „Therapeutische Ausnahmegenehmigungen (TUE) möglich sind. Der World Anti-Doping Code sieht das nicht vor. Obwohl die als Stammzelltherapie schon seit vielen Jahren (J. Till, E. McCulloch, L. Siminovitch, 1963) bezeichneten Behandlungsverfahren, bei denen körpereigene hämatopoetische Stammzellen oder die eines Spenders z.B. zur Behandlung der Leukämie Anwendung finden, ist bis heute seit der Entdeckung vieler anderer Stammzellen in den 90er Jahren, nicht ausreichend geklärt, wie die einzelnen Stammzellen in Verbindung stehen und welches biologische Potenzial sie haben. Die Forschung befasst sich derzeit noch mit grundlegenden Fragen, etwa, wie diese Stammzellen dazu gebracht werden können, in ganz bestimmte Zelltypen zu differenzieren, um etwa geschädigtes Gewebe damit ersetzen zu können (Zellersatztherapie) oder die Migration der Zellen an einen bestimmten Ort oder die Bildung zellprotektiver Faktoren (Zytokine, Wachstumsfaktoren), die noch vorhandenes Gewebe vor dem weiteren Untergang bewahren oder sogar regenerieren (Regenerative Medizin). Das alles beinhaltet potentiellen Missbrauch zu Dopingzwecken. Im Grunde sind wir also noch nicht im Bereich der evidence based medicine. Viele Regierungen und medizinischen Fachgesellschaften haben die Stammzelltherapie nicht genehmigt oder deutlich begrenzt. Viele medizinische und ethische Fragen sind unbeantwortet und dennoch gibt es Länder wie etwa China, Malaysia u.a.m., in denen bereits in der Sportmedizin die Anwendung von Stammzellen zur Regeneration von Knorpelsubstanz im Kniegelenk üblich ist. In China lassen sich so viele ausländische Athleten und Nicht-Athleten behandeln Zusammenfassend kann aus der Sicht des Sportes festgestellt werden, dass Gendoping als eine verbotene Methode in die Liste der World Anti-Doping Agency für verbotene Substanzen und Methoden aufgenommen wurde, wo hingegen die Detailkenntnisse über das sogenannte Gendoping nach wie vor weitgehend im Unklaren liegen.
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Neuro-Enhancement unter besonderer Berücksichtigung neurobionischer Maßnahmen
Neuro-Enhancement unter besonderer Berücksichtigung neurobionischer Maßnahmen Anmerkungen aus ethischer Sicht
Dominik Groß
Mit Neuro-Enhancement bezeichnet man gemeinhin Maßnahmen zur Verbesserung kognitiver Fähigkeiten oder emotionaler Befindlichkeiten bei Menschen, die nach medizinischen Kriterien als gesund gelten, also keine diesbezüglichen Krankheitszeichen zeigen. Doch welchen psychischen Phänomenen und Verhaltensweisen ordnen wir überhaupt einen Krankheitswert zu, welche dieser als krankhaft eingestuften Zustände erscheinen uns ihrerseits therapiebedürftig und welche Kriterien wenden wir diesbezüglich an? Welche mentalen Zustände und Verhaltensweisen fassen wir demgegenüber unter dem Attribut „gesund“? Bereits diese ersten Fragen zeigen, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Themenbereich Neuro-Enhancement eine Differenzierung zwischen Therapie und Enhancement und damit eine Klärung der Begriffe Gesundheit und Krankheit voraussetzt. Ebendiese Klärung steht daher am Anfang des vorliegenden Beitrages (Kapitel I). Anschließend sollen zunächst in nuce psychopharmakologische Enhancement-Verfahren beschrieben werden, um dann ausführlicher auf neurobionischinvasive Formen des Enhancement einzugehen (Kapitel II). In Kapitel III werden schließlich diese beiden modernen, gesellschaftlich umstrittenen Formen des Neuro-Enhancement mit „traditionellen“, gesellschaftlich akzeptierten oder zumindest tolerierten Enhancement-Methoden verglichen. Danach soll geklärt werden, ob es aus ethischer Sicht wesentliche Unterschiede in der Beurteilung neurobionischer und psychopharmakologischer Enhancement-Verfahren gibt (Kapitel IV) und welche Argumente sich für und gegen modernes Neuro-Enhancement ausmachen lassen (Kapitel V). Es folgen abschließende Forderungen für den Umgang mit den diskutierten Enhancement-Methoden.
I. Enhancement oder Therapie? Einleitende Bemerkungen Die Antwort auf die Frage nach der Trennlinie zwischen Enhancement und Therapie ist in hohem Maße kontextabhängig – d. h. sie unterliegt der jeweiligen soziokulturellen und politischen Einschätzung. Von wesentlicher Bedeutung sind hierbei die Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit, die in einer Gesellschaft zu einer
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bestimmten Zeit vorherrschen.1 Dies zeigt beispielsweise die in unterschiedlichen Kulturkreisen teilweise äußerst disparate Einstellung gegenüber Suchtmitteln und die hiermit eng korrelierte, jeweils unterschiedliche Einstellung gegenüber Suchterkrankungen. Mit anderen Worten: Der Unterschied zwischen Enhancement und Therapie lässt sich in wissenschaftlicher Sicht nicht zweifelsfrei bestimmen. Entsprechend schwer muss eine in der Praxis belastbare definitorische Abgrenzung zwischen beiden Termini fallen. Doch selbst wenn wir für einen Augenblick eindeutige Definitionen der Begriffe „Krankheit“ und „Gesundheit“ unterstellen, bleibt das Problem einer mangelnden Trennschärfe der Bezeichnungen „Enhancement“ und „Therapie“ bestehen, wie folgende vier Beispiele zeigen: Zum Ersten besteht die Möglichkeit, dass gleiche medizinische Befunde einmal als pathologisch und einmal als nicht krankhaft eingeordnet werden. Man denke etwa an einen (relativen) Mangel an Wachstumshormonen, der bei einem Kind von Eltern mit geringer Körpergröße u. U. als normal anzusehen wäre, während er bei groß gewachsenen Eltern an eine krankhafte Störung denken lassen muss. Zum Zweiten kommt es vor, dass eine Erscheinung zwar als krankhaft, nicht aber als therapiebedürftig eingestuft wird bzw. dass Krankheitscharakter und Therapiebedürftigkeit eines Zustandes je nach Kulturkreis oder sozialem Umfeld unterschiedlich beurteilt werden: So ist der Einsatz von Antidepressiva wie Fluoxetin (Fluctin®, Prozac®) bei Depressionen und Dysthymien kaum umstritten, während fehlendes bzw. mangelhaft ausgeprägtes Selbstvertrauen von manchen als Indikation für die Behandlung mit Fluoxetin angesehen, d. h. therapeutisch gedeutet, von anderen dagegen als Enhancement verstanden wird.2 Kontrovers diskutiert wird auch medikamentöses Enhancement mittels Antidementiva bei leichten kognitiven Störungen, die mehrheitlich als normale Alterserscheinungen angesehen, von einigen aber als pathologisch definiert werden.3 Zum Dritten besteht die Möglichkeit, dass bestimmte Zustände aus der Sicht der Gesellschaft als therapiebedürftig angesehen werden, ihre Einordnung als Krankheit gleichwohl fraglich ist. So wird Gehörlosigkeit von der Mehrheit der Gesellschaft als behandlungswürdige körperliche Störung aufgefasst, obwohl manche Betroffene diese Einschätzung nicht teilen. Dies zeigt etwa der Umgang mit CochleaImplantaten:4 In einigen Fällen weigern sich gehörlose Eltern, einem Eingriff an ihren gehörlosen Kindern zuzustimmen, da sie diesen Zustand prinzipiell nicht als krankhaft, sondern lediglich als „andersartig“ verstehen. Die mögliche Einpflanzung von Cochlea-Implantaten bei Kindern hat eine Diskussion über die Einordnung des neuroprothetischen Eingriffes ausgelöst: Handelt es sich bei der neuroprothetischen Behandlung aus Anlass einer „Behinderung“ um eine indizierte 1 2
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Für Details zu diesem Themenfeld vgl. Groß/Müller (2007). Gerade im angloamerikanischen Sprachraum ist Fluoxetin nachgefragt: vgl. Foster (2006) sowie de.wikipedia.org/wiki/Fluoxetin. Die Verfügbarkeit von Möglichkeiten (Antidementiva) dürfte hier die Messlatte beeinflussen, was als (noch) normal bzw. schon behandlungsbedürftig anzusehen ist: vgl. hierzu auch den nachfolgenden Beitrag in diesem Buchband. Bentele (2006).
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Therapie, um eine Enhancement-Maßnahme oder um eine dem gesellschaftlichen Druck geschuldete Fremdveränderung oder erzwungene Anpassung eines Menschen? Viertens ist zu bedenken, dass sich die gesellschaftliche Definition und das Verständnis von psychischen und neurologischen Erkrankungen durch die Verfügbarkeit neuer Techniken und Interventionsmöglichkeiten verschieben können. Was gestern als bloße funktionelle und strukturelle Abweichungen von einem „zerebralen Standard“ angesehen wurde, könnte demnach morgen als behandlungswürdiger Defekt interpretiert werden. Zusammenfassend bleibt die Erkenntnis, dass es definitorische Unschärfen gibt, die eine eindeutige Einordnung einer Maßnahme als „Enhancement“ oder „Therapie“ erschweren. In diesem Bewusstsein sollen im Folgenden behelfsweise diejenigen Interventionen als Enhancement verstanden werden, die gegenwärtig von der vermuteten Mehrheit der Bevölkerung in unserem Kulturkreis als nicht (primär) medizinisch indiziert angesehen werden.
II. Mögliche Formen und Einsatzbereiche von Neuro-Enhancement 1. Psychopharmakologisches Enhancement Psychopharmakologisches Enhancement, auch (wertend) „cosmetic psychopharmacology“5, „pharmakologisches Neuro-Enhancement“6 oder (verkürzt und wertend) „Gehirndoping“ genannt, bezeichnet die nicht-medizinisch indizierte Verabreichung von Medikamenten, die für Patienten mit Demenzerkrankungen (z.B. Donepezil), Depressionen (z.B. Fluoxetin), Aufmerksamkeitsstörungen (z.B. Methylphenidat) oder Narkolepsie (z.B. Modafinil) entwickelt wurden. Seit den Achtziger-Jahren lässt sich ein zunehmender „außermedizinischer“ Einsatz von Psychopharmaka beobachten.7 Ein solcher Einsatz dient dementsprechend der Verbesserung der Gedächtnisleistung, der Steigerung der Aufmerksamkeit, der Aufhellung der Stimmung, der „Modulierung“ von Persönlichkeitsmerkmalen oder der Reduktion des Schlafbedürfnisses. Während die Verbesserung der kognitiven Leistungen vor allem in Schule, Studium und Beruf eine Rolle spielt, werden Antidepressiva wie Fluoxetin von manchen Personen eingenommen, um sich von ungeliebten Eigenschaften wie z.B. einem (zumindest subjektiv) als mangelhaft empfundenen Selbstbewusstsein zu befreien oder sich einfach „besser als gut“ zu fühlen. Ob sich eine solche Erwartung durch die Einnahme von Fluoxetin tatsächlich erfüllen lässt, soll an dieser Stelle undiskutiert bleiben.8 Auch die 5 6 7
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Besagter Begriff geht zurück auf Kramer (1993). Vgl. Schäfer/Groß (2008). Er wurde von Peter Kramer im Rahmen einer Verschreibung des Antidepressivums Fluoxetin (Prozac®) beschrieben (1993). Gleichwohl sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Wirkung von Fluoxetin als „Glückspille“ von vielen Experten in Frage gestellt wird: vgl. Farah (2005), S. 36. – Vgl. auch Einemann (2003).
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Reduktion des Schlafbedürfnisses kann im schulischen und beruflichen Umfeld als wünschenswerte und attraktive Option angesehen werden. Sie ist jedoch auch und insbesondere im militärischen Bereich von Interesse, wo der Schlafbedarf von Soldaten im Verteidigungs- oder Angriffsfall eine entscheidende Rolle spielen kann.9 Ebenfalls beschrieben werden Versuche, mittels Psychopharmaka die Empfänglichkeit für religiöse Erfahrungen zu erhöhen.10 Insgesamt ist festzuhalten, dass sich der Bedarf an chemischen Neuro-Enhancern häufig an gesellschaftlich als erwünscht wahrgenommenen Charaktereigenschaften und psychischen Zuständen orientiert. Während im Bereich der Neuropharmakologie bereits konkrete außertherapeutische Möglichkeiten der Modulierung mentaler Zustände mit dem Ziel einer Leistungssteigerung oder eines erhöhten (subjektiven) Wohlbefindens existieren, befindet sich das Enhancement durch Gehirn-Computer-Interaktion (neurobionisches Enhancement) noch weitgehend im experimentellen Stadium. Allerdings deuten sich auch hier bereits konkrete Optionen an, die eine ausführlichere Betrachtung verdienen: 2. Neurobionisches Enhancement Das Kunstwort „Neurobionik“ bezeichnet ein Fachgebiet, das an der Schnittstelle der Disziplinen Neurowissenschaften, Biologie und Technik entstanden ist; es befasst sich mit der Integration von neuronalen Prothesen in das menschliche Nervensystem.11 Neurobionisches Enhancement, das auch unter den Schlagwörtern „außertherapeutische Neurobionik“, „Brain Engineering“12 oder technisches „Brain Enhancement“ firmiert, hat in der Regel noch spekulativen Charakter. Gemeint ist hiermit die Verwendung neurotechnologischer, invasiver Verfahren zur Erweiterung und Steigerung der Fähigkeiten von Menschen jenseits der arttypischen Funktionen.13 Es basiert in vielen Bereichen auf Implantaten aus dem Bereich der ICT, also der „Information and Communication Technology“.14 Die in der Fachliteratur beschriebenen Verfahren sind im Wesentlichen noch in der Entwicklungsphase bzw. werden – je nach Einschätzung – als visionär oder gar fiktional beschrieben. 15 9 10
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Vgl. Bielefeld/Eurich (2005). Vgl. Muggenthaler (2004). Muggenthaler berichtet im betreffenden Zeit-Beitrag von entsprechenden Aktivitäten der in der World Tanshumanist Association (WTA) organisierten Transhumanisten. Letztere fordern für sich die Freiheit, den eigenen Körper nach eigenem Ermessen mit allen verfügbaren Mitteln zu gestalten bzw. gestalten zu lassen. Bestrebungen, die Empfänglichkeit für religiöse Erfahrungen zu erhöhen, finden sich darüber hinaus bei Naturvölkern. Vgl. Bothe/Engel (1998); Rosaler (2003); Rossmann/Tropea (2004); Berger/Glanzman (2005); Groß (2007a und b). Vgl. den Titel „Engineering the brain“ bei Foster (2006). Siehe auch www.ics.uci.edu/ ~granger/. Vgl. Rötzer et al. (1996); Cochrane (2000); Brooks (2002); Farah (2002). Vgl. hierzu exemplarisch Hamburg (2005), S. 71 f. Die Frage, wie realistisch die technische Umsetzung bei den im Folgenden in der Theorie vorgestellten neurobionischen Verfahren ist, soll an dieser Stelle ebenso ausgeblendet bleiben wie die Frage, wie groß die tatsächliche Nachfrage nach solchen operativen Eingriffen sein dürfte.
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Entwicklungsmöglichkeiten und künftige Anwendungsbereiche werden vor allem in folgenden Gebieten gesehen: a) „Supersensorische“ Wahrnehmung Hierbei geht es um Bestrebungen, dem Menschen mit Hilfe neurobionischer Implantate sensorische Funktionen bereitzustellen, die ihm von Natur aus nicht zur Verfügung stehen. Ziel ist das Erschließen von Erlebniswelten, die dem menschlichen „Mesokosmos“, d. h. dem menschlichen Bereich der sinnlichen Wahrnehmung, normalerweise nicht zugänglich sind.16 Ausgangspunkt der Bemühungen ist das Wissen um die Überlegenheit einzelner Sinne bei bestimmten Tieren.17 So erschließen sich uns etwa die Geruchswelt des Hundes, die Hörwelt der Fledermaus, die Farbenwelt der Biene oder die räumliche Orientierung eines Wals allenfalls über theoretisches Wissen oder mit Hilfe technischer Werkzeuge (z.B. Nachtsichtgerät), nicht aber als unmittelbare konkrete Wahrnehmung. Nahe liegende Möglichkeiten für derartige Funktionserweiterungen bestehen darin, derzeit bestehende Verfahren der Cochleaimplantation und der in der Erprobungsphase befindlichen Retinaimplantation weiterzuentwickeln und die Bereiche der verfügbaren Sinneswahrnehmung auszudehnen. Ein mögliches Ziel betrifft somit die neurobionische Ausweitung des Spektrums hörbarer Frequenzen. Andere halten eine verbesserte optische Sinneswahrnehmung („Supersensorisches Sehen“18), etwa durch das Erfassen von infrarotem bzw. ultraviolettem Licht, von chemischen Spektren, von Gamma-Strahlen oder die Weiterentwicklung der Augenfunktion hin zu einem „Nachtsichtgerät“ für erstrebenswert.19 Auch Verbesserungen der olfaktorischen und gustatorischen Fähigkeiten sind angedacht. Ein attraktives Ziel dieser Bemühungen ist es, die artspezifischen Grenzen menschlichen Erlebens zu transzendieren und sich sinnlich die Sicht-, Gehör- und Geschmackswelten von Tieren anderer Arten vollständig zu erschließen.20 Ziel ist also eine Erweiterung menschlichen Bewusstseins und menschlicher Erfahrung, die dazu führen könnte, die Welt neu zu erleben, zu organisieren und zu strukturieren. Allerdings existieren auch Hinweise darauf, dass mit derartigen Funktionserweiterungen ausgestattete Soldaten auch im militärischen Bereich zum Einsatz kommen könnten.21
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Für Details zum Begriff „menschlicher Mesokosmos“ siehe Engels/Hildt (2005), passim, sowie Engels (2005), S. 230-236. Der Begriff bezieht sich explizit auf den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen. Er beschreibt die Gesamtheit der physikalischen Gegebenheiten, die der Mensch ausschließlich mit Hilfe seiner Sinnesorgane erfahren und verarbeiten kann. Ausgeschlossen sind demnach z.B. UV- und Infrarotstahlen oder Schallwellen außerhalb des Frequenzbereichs von 16-20.000 Hz. Zur Wahrnehmungswelt der Tiere vgl. Varju (1998). Cochrane (2000); McGee/Maguire (2001); Brooks (2002). Vgl. Muggenthaler (2004). Vgl. National Science Foundation, Converging Technologies for Improving Human Performance (Report) (www.wtec.org/ConvergingTechnologies/). Engels (2005), S. 230-236. Vgl. Foster (2006), S. 191. Siehe auch Bielefeld/Eurich (2005).
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b) Verbesserung von Gedächtnisleistungen Neurochirurgische Eingriffe in das menschliche Gehirn gehören heute in den Industrienationen zum Standard medizinischer Behandlung. Sie dienen der Wiederherstellung verloren gegangener oder krankhaft veränderter Funktionen oder aber deren Erhalt. Dabei beschränken sich diese Operationen nicht auf die Entfernung krankhafter Missbildungen, sondern bestimmte Eingriffe dienen der Implantation von technischen Elementen (z.B. Elektroden zur Stimulation). Mit deren Hilfe sollen verloren gegangene oder krankhaft veränderte Funktionen wieder hergestellt bzw. gebessert werden. Darüber hinaus könnte eine Weiterentwicklung neurobionischer Implantate zukünftig zur Anpassung des Gehirns an bestimmte Situationen oder zu einer Erweiterung von kognitiven Leistungen im privaten oder Arbeitsalltag genutzt werden. Das „Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages“ kam 1995 in einer Studie zu folgendem Ergebnis: „Theoretisch ist es denkbar, dass das Gehirn mittels Mikrochip bestimmte Informationen (z.B. die Rechenfähigkeit22) direkt aufnehmen lernt bzw. Datenbanken ohne den Umweg über den Computer direkt ins Gehirn abgerufen werden können […].“23 Ein Blick in die einschlägige Literatur verrät ein großes Interesse an den visionären Möglichkeiten einer implantatgestützten direkten Verbindung zwischen Gehirn und Computer. Von ihr erhofft man sich einen schnelleren und effizienteren Umgang mit der in den letzten Jahrzehnten stetig anwachsenden Informationsflut. Als Beispiel hierfür lassen sich „Gedächtnis-Chips“ anführen, die einen schnellen Zugang zu enzyklopädischen Datenbanken ermöglichen und so z.B. neue Sprachen schnell verfügbar machen sollen.24 Realistischer erscheinen derzeit die Weiterentwicklung und der vermehrte Einsatz der „Transkraniellen Magnetstimulation“ (TMS) im außertherapeutischen Bereich.25 Hierbei handelt es sich, im Unterschied zu den vorgenannten Verfahren, um eine nicht-invasive Technologie, bei der mithilfe starker Magnetfelder bestimmte Bereiche des Gehirns stimuliert werden.26 Auch von TMS erhofft man sich Steigerungen der kognitiven und mnestischen Funktionen. Als moderne Variante des
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An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Rechenfähigkeit keine Information, sondern – wie der Begriff bereits angibt – eine Fähigkeit darstellt. Ihr geht ein Lernprozess voraus, unabhängig davon, ob ein „Rechner“ in das Gehirn integriert wird oder z.B. als Taschenrechner zur Verfügung steht. Büro für Technikfolgenabschätzung (1995), S. 14 f. Cochrane (1999a, 1999b, 2000); Brooks (2002). Zu den Anfängen der TMS siehe Barker et al. (1985), S. 1106-1107. Die TMS ist im Unterschied zu den übrigen in diesem Kapitel beschriebenen Maßnahmen bereits klinisch erprobt. Die häufigste, vor allem bei Mit-Stimulation von Muskulatur auftretende Nebenwirkung sind vorübergehende Kopfschmerzen. Am meisten gefürchtet ist jedoch das sehr seltene Auftreten eines epileptischen Anfalles bei repetitiver TMS. Deshalb wurden 1998 in einem Konsens strenge Anwendungsvorschriften erarbeitet.
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„Nürnberger Trichters“ wird in der Laienpresse eine Kappe („brain cap“) als „IQKappe“ und als Weg zur „Hyper-Intelligenz“ propagiert. Durch TMS, so der Tenor der betreffenden Beiträge, könne das Gehirn à la longue zu Höchstleistungen gebracht werden.27 c) Fähigkeit zu „Cyberthink“/„Google“ im Gehirn28 Andere Visionen betreffen die Realisierung von „Cyberthink“, d. h. der unsichtbaren direkten Kommunikation mit anderen Personen oder Informationsquellen, z.B. im Umfeld von Entscheidungsfindungsprozessen, auf der Grundlage von entsprechenden Hirnimplantaten.29 Auch diese Kommunikation soll zugleich dem leichteren Zugang zu Informationen, wann und wo sie benötigt werden, dienen. Hierher gehört die von manchen Befürwortern neurobionischer Maßnahmen geäußerte visionäre Vorstellung, direkt über das Internet mit anderen Personen zu kommunizieren, aber auch die Vision von in das Gehirn integrierter Radio-, Piepser- oder Telefonfunktionen.30 Neurotechnologische Verfahren sollen so eine bessere Anpassung an die schnelllebige technikgeprägte Welt der Gegenwart und der Zukunft ermöglichen.31 d) „Tuning“ bzw. Veränderung der Persönlichkeit durch Implantation von Elektroden Auch mit Blick auf Techniken wie die bereits klinisch eingesetzte Tiefenhirnstimulation (THS)32 bei Parkinson-Patienten oder die Vagus-Nerv-Stimulation (VNS) bei Epileptikern und bei der pharmakotherapieresistenten Depression sind neue Einsatzbereiche im therapeutischen wie im außertherapeutischen (= Enhancement-) Bereich vorstellbar.33 So könnte die Implantation von Elektroden in bestimmte Hirnareale dazu dienen, erwünschte Verhaltensweisen zu erreichen bzw. zu verstärken oder unerwünschte Aspekte der Persönlichkeit (z.B. Dysthymien) auszuschalten. Auch diesen Anwendungsbereich hat das „Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages“ in der oben zitierten Studie bereits 1995 angedacht. Hierin heißt es: „Auch könnte durch eingepflanzte Elektroden das Gehirn derart stimuliert werden, dass bei Schmerzen die Ausschüttung körpereigener Substanzen zur Beruhigung und Gemütsaufhellung ausgelöst wird. Hier ergeben sich völlig neue Anwendungsfelder beispielsweise für die Anästhesie, die Schmerztherapie und
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Vgl. etwa die September-Ausgabe von P.M., 2006, Editorial, S. 9, sowie Lackerbauer (2006), S. 12-20. Zitiert nach Orlowski (2004). McGee/Maguire (2001). Cochrane (1999b, 2000); Brooks (2002). Rötzer et al. (1996); Kurzweil (1999); Cochrane (1999a, 1999b, 2000); Brooks (2002); McGee/ Maguire (2001). Vgl. hierzu auch Wolf (2005), insb. S. 356 f. Deuschl et al. (2002); Andrews (2003).
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die Behandlung depressiver Zustände. Unter Umständen wäre eine künstlich erzeugte Ausschüttung solcher Körperstoffe auch zur Behandlung Drogensüchtiger einsetzbar.“34 In Mexico City wurde unlängst bei einer Patientin mit „therapieresistenter“ Depression, Borderline-Persönlichkeitsstörung und Essstörung eine tiefe Hirnstimulation im Pedunculus thalami inferior durchgeführt.35 Diese Kasuistik zeigt eindrucksvoll die komplexe ethische Problematik dieser als weniger invasiv geltenden Methode: Zum einen ist unsicher, ob die Patientin tatsächlich „therapieresistent“ war.36 Ferner ist unklar, ob sie angesichts der schwer ausgeprägten depressiven Symptomatik einwilligungsfähig war (informed consent). Ethisch bedenklich ist zudem, dass die Antidepressiva im vorliegenden Fall präoperativ abgesetzt wurden, obwohl die Patientin zwei Suizidversuche unternommen hatte und persistierende Suizidgedanken aufwies.37 Problematisch ist schließlich, dass die chronische Elektroden-Stimulation trotz Besserung der Symptomatik dann – offensichtlich aus wissenschaftlichem Interesse – abgeschaltet wurde.38 Die Publikation lässt auf eine paternalistischdirektive Patientenführung schließen. Durch die Elektrodenimplantation kam es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu „Mikro“-Läsionen von gesundem Hirngewebe.39 Die Neurostimulation zeigte im Übrigen keinen positiven Effekt auf die Essstörung und die Borderline-Störung.
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Büro für Technikfolgenabschätzung (1995), S. 14 f. Siehe Jiménez et al. (2005). Sie wurde zwar präoperativ mit verschiedenen Antidepressiva behandelt, allerdings nur in mittlerer Dosierung; die Dauer der jeweiligen medikamentösen Behandlungsversuche ist nicht angegeben. Klassische tricyclische Antidepressiva oder MAO-Hemmer kamen nicht zum Einsatz. Auch waren die psychotherapeutischen Optionen keineswegs ausgereizt, was angesichts der Essstörung und der Achse-II-Störung sicherlich aussichtsreich gewesen wäre. So fanden lediglich 20 Sitzungen kognitiver Therapie statt. Die Psychotherapie wurde nicht fortgesetzt aufgrund finanzieller Probleme. Stattdessen wurde nach zwei erfolglosen Serien Elektrokonvulsionstherapie (EKT) die neurochirurgische Operation durchgeführt, die indessen teurer gewesen sein dürfte als eine Psychotherapie – siehe Jiménez et al. (2005). Das Absetzen der Medikation führte denn auch prompt zu einem Anstieg der HamiltonDepressions-Scores von 33 auf 42: ebenda. Es geht aus der Publikation nicht hervor, dass dies nach einem vorab festgelegten und von Patientin und Untersuchern unterschriebenen Protokoll mit definierten Erfolgs- oder Abbruchkriterien geschah. Es ist vielmehr von einem doppelblinden Design die Rede, bei dem auch die Patientin nicht wusste, dass die Stimulation abgeschaltet war. Auch nach Ausschalten der Stimulation blieb der Zustand zunächst stabil. Wegen Exazerbation der depressiven Symptomatik wurde dann nach 20 Monaten wieder stimuliert: ebenda. Der bagatellisierende Terminus Mikro-Läsion bezieht sich lediglich darauf, dass dieselben neuroradiologisch nicht nachweisbar sind, wobei auch kleine unsichtbare Läsionen funktionell durchaus von erheblicher Relevanz sein können.
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e) Verhaltenssteuerung bzw. -kontrolle Die Implantation von stimulierbaren Elektroden könnte darüber hinaus eine besondere Anpassung des Gehirns an bestimmte Situationen ermöglichen. Dies lässt sowohl an einen Einsatz in der Arbeitswelt als auch im militärischen Bereich denken. Im Tierversuch sind derartige Bestrebungen bereits von ersten Erfolgen gekrönt: So gelang es beispielsweise, Ratten („Roborats“) mittels Stimulation des Gehirns durch Elektroden dazu zu bewegen, im dreidimensionalen Raum den Anweisungen (rechts – links – vorwärts etc.) des Versuchsleiters Folge zu leisten.40 Als möglicher Einsatzbereich41 für derart manipulierte Tiere wird etwa das Erkunden unwirtlicher Gegenden, das Suchen verletzter Menschen in zerstörten Gebäuden oder das Auffinden von Landminen genannt.42 Die meisten der hier erwähnten Vorstellungen sind nach derzeitigem Wissens- und Erkenntnisstand in den Bereich der Visionen zu verweisen. Bisher ist es nicht gelungen, mit Hilfe der Neurobionik grundsätzlich neue Fähigkeiten zu generieren oder etwa Daten direkt an das Gehirn zu übermitteln. Dies würde ein weit besseres Verständnis der Funktionsweise des menschlichen Gehirns voraussetzen. Dennoch finden sich in zunehmendem Maße Forschungsinitiativen in diesem Bereich.43 Zu betonen ist im Übrigen, dass der vielfach gebräuchliche Begriff „Neuroprothese“ für die meisten der hier skizzierten Szenarien nicht zutreffend erscheint. Während Prothesen im Zusammenhang mit ihrem Einsatz im menschlichen Körper im Dienst therapeutischer Zielsetzungen stehen und die Funktion des Organersatzes oder der Organentlastung ausüben, handelt es sich bei einigen der vorgenannten Beispiele um (visionäre) Fälle einer „Organüberbietung“.44 Hier werden Fähigkeiten angestrebt, die im menschlichen Organismus nicht vorhanden sind. Mit Blick auf die Versuche, die dem Mensch naturaliter mögliche Sinneswahrnehmung
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Talwar et al. (2002). Boyce (2002). Als rein spekulativ kann Ray Kurzweils Vision betrachtet werden, das Gehirn von innen her aufzuzeichnen und so eine Kopie des menschlichen Gehirns zu erzeugen, um diese anschließend in einen Computer zu transferieren. Im Computer ließe sich dann eine genaue Kopie des Denkens der Erinnerungen, d.h. letztlich der Persönlichkeit, eines Menschen finden. Nach einem derartigen „Überspielen“ des Gehirns in einen Computer existiert der betreffende Mensch in einer solchen Vision als PC-Software weiter. Auf diesem Wege könnte der Mensch im Computer eine Art von Unsterblichkeit erlangen – eine Vision, die insbesondere innerhalb der Bewegung der „Transhumanisten“ einige Anhänger gefunden hat. Gleichwohl erscheint sie besonders unrealistisch; im Übrigen wäre sie nach herkömmlicher Definition auch nicht mehr dem Bereich „Enhancement“ zuzuordnen. Für Details vgl. Kurzweil (1999); Muggenthaler (2004). Vgl. National Science Foundation, Converging Technologies for Improving Human Performance (Report) (www.wtec.org/ConvergingTechnologies/). Laut Foster unterhält das „National Institute of Health“ seit 1971 ein „Neural prosthesis“-Programm. Zwischen 1994 und 2003 erfolgte die Entwicklung von 19 entsprechenden Hilfsmitteln: ders. (2003). Begrifflichkeit nach Gehlen (1961); auch zitiert bei Engels (2005), S. 234.
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auszudehnen, schlug Eve-Marie Engels unlängst anstelle der Bezeichnung „Neuroprothesen“ den pointierten Begriff „Neuro-Transzender“ vor.45 Befürworter derartiger Neuro-Transzender verweisen auf die Vorzüge eigenen Erlebens gegenüber der bisherigen Notwendigkeit, mit Hilfe der Kenntnis physikalischer Gesetzmäßigkeiten sowie durch die eigene Imagination in eine solche (tierische) Erfahrungswelt einzutauchen. Sie gehen von einer nachhaltigen Erweiterung des Bewusstseins aus, weil wir im Lichte neuer sinnlicher Wahrnehmungen und damit verbundener Erfahrungen unsere Vorstellung von der Welt restrukturieren und neue Wirklichkeitsräume zugänglich machen könnten.46
III. „Gutes“ Enhancement, „schlechtes“ Enhancement? Während die bisherigen Beispiele für Neuroenhancement – der psychopharmakologische ebenso wie der hier ausführlicher behandelte neurobionische Weg – überwiegend kritisch diskutiert werden, existieren (bewusste wie unbewusste) Formen des „Enhancement“, die durchaus gesellschaftlich toleriert bzw. akzeptiert oder sogar gewünscht sind. Im Folgenden sollen einige Beispiele angeführt werden, die in unserem aktuellen soziokulturellen Umfeld als probates oder doch zumindest akzeptiertes „Enhancement“ angesehen werden. Anschließend sollen die Hintergründe für die gesellschaftliche Unterscheidung zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Enhancement analysiert und die Frage nach der Stringenz der Argumentation, die einer solchen Unterscheidung zugrunde liegt, gestellt werden.47 1. Enhancement durch Lernen Kognitives „Enhancement“ – d. h. die Verbesserung der natürlicherweise erzielbaren kognitiven Leistungen – findet nicht nur vermittels Methylphenidat (Ritalin®) oder Antidementiva, sondern beispielsweise auch durch „klassisches“ Lernen statt. Unsere Gesellschaft neigt dazu, die im schulischen Umfeld, im Rahmen einer beruflichen Aus- und Weiterbildung oder durch eigenverantwortliches Lernen im privaten Bereich erworbenen kognitiven Fertigkeiten – den sogenannten Lernerfolg – besonders wertzuschätzen, während sie einen durch Pharmaka oder Neuro-Transzender erreichten kognitiven Leistungszuwachs kritisch beäugt – selbst dann, wenn beide Wege zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen führen. Doch müssen wir in
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Vgl. Engels (2005), ebenda: „Daher sollte hier auch nicht von Neuroprothesen gesprochen werden, denn Prothesen haben die Funktion, verloren gegangene oder krankhaft veränderte Funktionen des menschlichen Körpers zu kompensieren bzw. wiederherzustellen. Bei der Überschreitung unseres artspezifischen Wahrnehmungsvermögens hätten wir es jedoch nicht mit einer Kompensation oder Wiederherstellung, sondern mit der Einrichtung zusätzlicher Funktionen zu tun, die zudem über die menschliche Erfahrung hinausgingen und ihr teilweise vollkommen fremd wären. Zur Kennzeichnung der Zielsetzung dieser Implantate würde sich daher der Begriff ‚Neurotranszender‘ anbieten.“ Engels (2005), S. 230-236. Vgl. hierzu auch Groß (2007a).
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Anbetracht veränderter pharmakologischer und technischer Bedingungen und Machbarkeiten nicht unsere Standards überprüfen? Ist das klassische Lernen noch zeitgemäß oder ist es – normativ betrachtet – wirklich noch alternativlos? Ist es z.B. noch sinnvoll, in der Schule dem Erlernen von bloßen (historischen) Fakten Raum zu geben, obwohl es mittlerweile möglich ist, derartiges Faktenwissen nahezu überall in Sekundenschnelle abzurufen? Warum soll ein Schüler etwa die chronologische Reihenfolge der Römischen Kaiser noch einpauken, wenn er sie ebenso gut oder gar leichter elektronisch aufrufen kann? Worin liegt der Unterschied, ob ich eine komplizierte Rechenprozedur durch virtuoses Kopfrechnen, mittels eines Taschenrechners, eines Laptops oder eines eingebauten Chips löse? Wenn ich mir in einem Spezialbereich das Know How eines Experten aneignen will, spielt es da eine Rolle, ob ich Fachbücher lese oder mir das erforderliche Wissen über einen Chip einspeisen lasse? Ist Erkenntnisgewinn durch klassisches Lernen im modernen Alltag noch ein erstrebenswertes Ziel? Einige Vertreter des NeuroEnhancement würden die beiden letztgenannten Fragen verneinen, manche „Traditionalisten“ verweisen dagegen auf die grundsätzliche Bedeutung des Lernprozesses für das Verständnis von Zusammenhängen und für die Möglichkeit, eine Gesamtperspektive auf bestimmte Sachverhalte zu gewinnen. 2. Enhancement durch pädagogische Frühförderung Zu den klassischen Methoden der Steigerung der intellektuellen Leistungsfähigkeit von Kindern zählt die pädagogische Frühförderung – sei es in Form der musikalischen Früherziehung, durch das gezielte Erlernen von Fremdsprachen im Kindesalter (z.B. mehrsprachige private Erziehung, Besuch mehrsprachig ausgerichteter [privater] Kindergärten) oder durch ein zielgerichtetes (professionelles) Fördern sich frühzeitig abzeichnender individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dass diese Form des kognitiven „Enhancement“ effektiv ist, kann als unbestritten gelten. Von vielen der sogenannten Wunderkinder ist bekannt, dass sie eine systematische Frühförderung erfahren haben. Die gesellschaftliche Akzeptanz der pädagogischen Frühförderung ist vergleichsweise hoch. Obwohl es egalitaristische Stimmen gibt, die eine Elitenbildung befürchten, wird die Frühförderung gerade bei hochbegabten Kindern mehrheitlich als notwendige Maßnahme angesehen; vor allem im bildungsbürgerlichen Umfeld hat sie überdies – wie vor allem die musikalische Früherziehung zeigt – eine lange Tradition.48 3. Enhancement durch Feedback-Mechanismen und Psychotherapie Eine weitere Form akzeptierten „Enhancements“ betrifft Verfahren, die den Umgang mit psychischen Belastungen betreffen. Hierunter fallen beispielsweise verschiedene Formen des Biofeedback. Bei der Biofeedback-Methode etwa „kommuniziert“ der Betroffene mit seinen eigenen neurophysiologischen Korrelaten. Besonders weitreichend ist das EEG-Biofeedback-Verfahren, mit dessen Hilfe eine 48
Vgl. The President’s Council on Bioethics (www.bioethics.gov/).
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merkliche Konzentrationssteigerung erzielt werden kann. Andere Beispiele sind die progressive Muskelrelaxation (PMR) nach Jacobson49, Autogenes Training50, die Meditation, das „Coaching“ oder verschiedene Formen der Psychotherapie.51 Allen erwähnten Methoden ist gemeinsam, dass sie – professionell durchgeführt – Interventionen mit potentiellem Neuro-Enhancement-Charakter darstellen. Ob ich meine (kognitive) Leistungsfähigkeit in Prüfungssituationen aufgrund des Erwerbs professioneller Tools aus dem Bereich des Autogenen Trainings steigere, ob ich sie durch eine Psychotherapie oder ob ich sie durch psychopharmakologisches Enhancement erreiche – in allen Fällen habe ich letztlich der eigenen Leistungsfähigkeit gezielt auf die Sprünge geholfen. 4. Enhancement durch „natürliche“ Psychopharmaka Seit Jahrhunderten greifen Menschen in Orient wie Okzident – wissentlich und unwissentlich – auf Mittel zurück, die den zerebralen Zustand beeinflussen. Historische Beschreibungen von Pflanzen oder Nahrungsmitteln mit derartigem Wirkungsprofil haben mit der Pharmaziegeschichte eine eigene historische Fachdisziplin hervorgebracht; früher wie heute sind derartige „natürliche“ Psychopharmaka von Bedeutung.52 Besonders markante und geläufige Beispiele sind zerebrale Stimulantien wie Coffein und dessen Analoga (Kaffee, Schwarztee, Cola), Sedativa wie Alkohol, Stimmungsaufheller wie Schokolade oder Nutrazeutika53 und Phytotherapeutika wie Kava und Ginkgo biloba54, die ihrerseits Bestandteil eines Milliardenmarkts und in der modernen Gesellschaft breit akzeptiert sind.55
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Bei der Progressiven Muskelentspannung (auch: Progressive Muskelrelaxation, kurz PMR oder Progressive Relaxation, kurz PR, oder Tiefenmuskelentspannung) nach Edmund Jacobson (1938) handelt es sich um ein Verfahren, bei dem durch die willkürliche und bewusste Anund Entspannung bestimmter Muskelgruppen ein Zustand tiefer Entspannung des ganzen Körpers erreicht wird. Das Autogene Training ist eine auf Autosuggestion basierende Technik zur Entspannung. Je nach Form der Psychotherapie findet hierbei eine Auseinandersetzung mit dem Unbewussten statt, um die Ursachen der Erkrankung zu klären (u.a. Traumdeutung), oder es wird der Bereich des bewussten Denkens und Empfindens ergründet und durchleuchtet (z.B. Gesprächstherapie). Vgl. Finzen (1994). Nutrazeutika sind Ernährungsprodukte, denen gesundheitlich relevante Effekte nachgesagt werden. Vgl. Gold et al. (2002). Während Enhancement durch Psychopharmaka teilweise sehr kontrovers diskutiert wird und die Zugänglichkeit von Psychopharmaka und Betäubungsmitteln strikten Bestimmungen unterliegt, „verstößt“ der menschliche Organismus – und damit auch das menschliche Gehirn – fortwährend gegen das Betäubungsmittelgesetz. Er produziert nicht nur benzodiazepinähnliche Stoffe und Endorphine, sondern auch Opiate und, wie man seit kurzem weiß, auch cannabisähnliche Substanzen. Das Betäubungsmittelgesetz regelt im Übrigen entgegen der eigentlichen Wortbedeutung nicht nur den Umgang mit Betäubungsmitteln, sondern z.B. auch den mit – gegenläufig wirkenden – Stimulantien: vgl. Betäubungsmittelgesetz (www.gesetze. 2me.net/btmg/).
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5. Nicht-Zerebrales Enhancement Auch wenn wir den Blick von Neuro-Enhancement-Verfahren in Richtung auf allgemeine, nicht-zerebale Formen des Enhancement weiten, stellen wir Bemerkenswertes fest. Ein medikamentöses sowie ein operatives Beispiel von nicht-zerebralem Enhancement mögen an dieser Stelle genügen: Seit geraumer Zeit etwa werden Wachstumshormone bei Kindern von Eltern unterdurchschnittlich geringer Körpergröße eingesetzt, um den Betroffenen im Erwachsenenalter eine Körpergröße im Normbereich zu ermöglichen – eine klar außertherapeutische, dem Bereich Enhancement zuzuordnende Maßnahme, die zwar gesellschaftlich diskutiert, aber im wesentlichen akzeptiert ist.56 Eine seit langem etablierte operative EnhancementVariante stellen die kosmetische Chirurgie wie auch nichtchirurgische Maßnahmen des kosmetischen Enhancements (z.B. Botulinumtoxin-Behandlungen) dar; sie erfreuen sich trotz anhaltender Diskussionen insbesondere um die Extremformen derartiger Maßnahmen eines steigenden Zuspruchs und sind – gerade unter Verweis auf die autonome Entscheidung des Klienten und die Berücksichtigung der Aufklärungsstandards (Informed Consent) – aus unserem gesellschaftlichen Alltag nicht mehr wegzudenken.57 Dies mag v.a. insofern überraschen, als die Eingriffe unter Umständen sehr invasiv und mit erheblichen gesundheitlichen Risiken und Komplikationsmöglichkeiten verbunden sind. Auch werden gerade bei invasiven kosmetischen Eingriffen zusätzliche Auswirkungen auf die Psyche und das Selbstbewusstsein der Betroffenen geltend gemacht, so dass sich auch hier – ähnlich wie bei den oben erwähnten psychotherapeutischen Maßnahmen – Verbindungslinien zu Formen des Neuro-Enhancement ausmachen lassen.58 An dieser Stelle ist somit festzuhalten, dass es fraglos Formen des (Neuro-)Enhancement gibt, die sozial akzeptiert sind; ergo ist Enhancement als Verfahren oder Maßnahme per se gesellschaftlich nicht diskreditiert. Mithin entzündet sich die eigentliche (normative) Diskussion nicht am Ziel selbst, sondern an den möglichen Wegen, die zu diesem Ziel führen. Warum aber sind etwa die oben skizzierten Wege zu einem Neuro-Enhancement aus gesellschaftlicher Sicht akzeptiert, während psychopharmakologische und neurobionische Ansätze eine medizinethische Grundsatzdiskussion auslösen? Inwiefern überdehnen die beiden letztgenannten Verfahrensweisen den anthropologischen Rahmen akzeptierter Enhancement-Verfahren?
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Vgl. Runkel (2005). Vgl. Stark (2006). Die Motive für eine kosmetische Operation bleiben vielfach im Dunkeln. In einigen Fällen dürfte von einem niedrigen Selbstwertgefühl bzw. von der unkritischen Übernahme vermeintlicher Schönheitsideale auszugehen sein. Erwähnenswert erscheint des Weiteren die Tatsache, dass präoperativ nicht standardmäßig eine psychiatrisch-psychotherapeutische Evaluation stattfindet.
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Wenngleich es keine eindeutige, unzweifelhafte und allgemeingültige Antwort auf diese Fragen geben dürfte, scheint es möglich, einige Thesen59 zu formulieren, die als Erklärungsansätze gelten können: 1. Personen wollen im Allgemeinen selbstbestimmt agieren und als verantwortlich für ihre Handlungen gelten – insbesondere, wenn diese positiv konnotiert werden, wie dies etwa bei einer Erhöhung kognitiver Leistungsfähigkeit zumeist der Fall ist. Von daher stellt es einen Unterschied dar, ob ich Veränderungen, die die eigene Person betreffen, auf mein eigenes Tun zurückführen kann, indem ich sie mir selbst erarbeite (etwa durch einen schulischen Lernerfolg, durch das Absolvieren einer unter Umständen langwierigen Psychotherapie oder durch die Aneignung von Mechanismen der Selbststeuerung) bzw. sie einer eigenständigen Planung und Ausführung verdanke oder aber ob sich diese Veränderungen außerhalb meines Kontrollbereichs vollziehen. Auch das Gefühl, durch Lernen einen persönlichen Erfolg erzielt zu haben und der erlebte Stolz über das Erreichte spielen eine Rolle.60 Demnach stellt es einen besonderen Wert dar, seinen Erfolg auf das eigene Tun zurückführen zu können, anstatt zerebrale Leistungen lediglich einer Technologie oder einem Psychopharmakon zu verdanken. Neuroimplantate oder Medikamente stehen letztlich auch für Fremdbestimmtheit und Kontrollverlust. Hier werden bestimmte intendierte zerebrale Leistungen und Fertigkeiten eben nicht durch eigene Arbeit erreicht, sondern künstlich erzeugt. Es findet sich also eine gewisse Analogie zur Beurteilung von Leistung im Sport: Legitime Mittel der Leistung sind nur natürliche Veranlagung und harte Arbeit, aber nicht pharmakologische oder gentechnische Manipulationen. „Gehirn-Doping“ ist folglich – aus dieser Perspektive betrachtet – ähnlich betrügerisch bzw. moralisch fragwürdig wie Doping im Sport. Die hier beschriebene Haltung beruht im Wesentlichen auf einem ausgeprägten Autonomiedenken und auf Konzepten wie dem der Selbstwirksamkeit. 2. Enhancement durch Neuroimplantate oder Psychopharmaka erzeugt u.U. ein Gefühl der Entfremdung, der Depersonalisierung. Es fällt manchen Betroffenen schwerer, sich eine „Verbesserung“ anzueignen, an deren Entstehung und Entwicklung man nicht beteiligt war, die gleichsam „über einen kommt“, als wenn diese durch eigenes Zutun erfolgt. Diese Sichtweise dürfte mit einer konservativen, bewahrenden Grundeinstellung und einer eher technikkritischen Haltung korrelieren. Beides führt dazu, technischen oder auch psychopharmakologischen „Manipulationen“ tendenziell ablehnend gegenüberzutreten bzw. einen derartigen Leistungszuwachs von der eigenen Person abzuspalten. 3. Enhancement durch Neuroimplantate oder Psychopharmaka interferiert zumindest bei bestimmten Bevölkerungsteilen mit deren Verständnis von „Natürlichkeit“.61
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Eine ethische Bewertung der in den folgenden Thesen skizzierten mutmaßlichen Sichtweisen und Haltungen soll an dieser Stelle unterbleiben; sie erfolgt – soweit medizinethisch relevant – im nachfolgenden Beitrag dieses Bandes. Hildt (2005a), S. 105. Zur grundsätzlichen Problematik des Begriffs „Natürlichkeit“ und der Implikationen für die philosophische Ethik und die Alltagsmoral vgl. Birnbacher (2002), S. 167-171.
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Technisch herbeigeführte Leistungssteigerungen wären unnatürlich und demnach schwerlich zu akzeptieren. Eine solche Sicht kann beispielsweise naturphilosophisch motiviert sein. Vertreter dieser Auffassung halten also nicht zwingend das Ziel der Leistungssteigerung für fragwürdig, sondern die Unnatürlichkeit der Mittel – also den Weg dorthin. Ein Beispiel wäre Fluoxetin als Enhancer bei Personen mit gering ausgeprägtem Selbstbewusstsein: Wenn etwa eine Stärkung des Selbstwertgefühls durch Selbstreflexion und „Reifung“ oder alternativ durch eine lange und profunde Psychotherapie erfolgt, so erfüllt dieser Vorgang das Kriterium der Natürlichkeit und wäre folglich grundsätzlich akzeptabel, während der Konsum von Fluoxetin als eine unnatürliche Abkürzung dieses Weges anzusehen wäre.62 4. Psychopharmakologische und neurobionische Enhancement-Methoden bergen neben bekannten Gefahren weitere Risiken, die noch im Dunkeln liegen.63 Demgegenüber sind die zu Beginn dieses dritten Kapitels in den Beispielen 1 bis 3 beschriebenen „akzeptierten“ Enhancement-Verfahren (Lernen, Frühförderung, Feedback, Psychotherapie) nebenwirkungsfrei oder aber – wie in Beispiel 4 (Enhancement durch „natürliche“ Psychopharmaka) – die Nebenwirkungen gelten (teilweise zu unrecht) als „beherrschbar“ oder wenig bedrohlich. Folglich lässt auch der Risiko-Aspekt mutmaßlich vor der Anwendung von Psychopharmaka und Neurobionik zurückschrecken.64 5. Die beschriebene Unterscheidung zwischen gesellschaftlich akzeptiertem und nicht akzeptiertem Enhancement ist unserem aktuellen soziokulturellen Umfeld geschuldet. Sie hat keine allgemeine Gültigkeit, sondern ist an den jeweiligen Kontext und die jeweilige Zeit gebunden und damit relativ. Im derzeitigen gesellschaftlichen Umfeld ist der Gebrauch einiger der erwähnten natürlichen NeuroEnhancer fraglos akzeptiert. Demgegenüber wurde z.B. der Gebrauch von Tabak und Kaffee in der frühneuzeitlichen Gesellschaft weithin missbilligt und demzufolge teilweise unter Strafe gestellt. Heroin wiederum ist Ende des vergangenen Jahrhunderts über Jahrzehnte hinweg als absolut nebenwirkungsfreies Hustenmittel im Handel gewesen; auch war Kokain über lange Zeit Bestandteil von Coca-Cola®. Beide Mittel sind demgegenüber in unserem aktuellen soziokulturellen Umfeld höchst umstritten. Andererseits zeigen die Alkoholprohibition in den USA der 1920er Jahre, das Alkoholverbot in muslimisch geprägten kulturellen Kontexten und der bewusst hochpreisige Verkauf von Spirituosen in skandinavischen Ländern auch einen repressiven Umgang mit Alkoholika, der sich mit unserer kontinentaleuropäischen Praxis nicht deckt. 6. Der faktischen Unterteilung der Enhancement-Methoden in „gute“ und „weniger gute“ liegen zudem erhebliche Wissensdefizite und Fehleinschätzungen zugrunde, d.h. sie ist auch ein Ergebnis mangelhafter Aufklärung. Dies zeigt der Blick auf die gesellschaftliche Einschätzung der verschiedenen unter „Psycho62 63 64
Vgl. Degrazia (2000), insb. S. 34 f. Für Details vgl. den nachfolgenden Aufsatz in diesem Band. Zur medizinethischen Bewertung des Risikoaspekts vgl. den nachfolgenden Aufsatz in diesem Band.
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pharmaka“ subsumierten Medikamentengruppen. So werden Antipsychotika und insbesondere Antidepressiva – also die Arzneimittelgruppen, die potentielle NeuroEnhancer darstellen könnten – laut einer Repräsentativbefragung von Angermeyer (1993) sehr viel kritischer gesehen als Benzodiazepine.65 Dabei wird bemerkenswerter Weise den erstgenannten ein Suchtpotential unterstellt – eine Eigenschaft, die realiter aber gerade Benzodiazepinen zukommt. Auch wird die Häufigkeit der tatsächlichen Rezeption von Psychopharmaka bei weitem unterschätzt: De facto sind fünf der zehn meistverkauften Medikamente Psychopharmaka – mithin also Vertreter einer Medikamentengruppe, der die Gesellschaft höchst ambivalent gegenübersteht. Die vorgenannten Fehleinschätzungen bezüglich Psychopharmaka korrespondieren mit einem unkritischen bis unreflektierten Gebrauch von „natürlichen“ Neuro-Enhancern. Festzuhalten bleibt somit zweierlei: (1) Nicht das Enhancement als solches ist Zielpunkt der Kritik; die Diskussion entzündet sich vielmehr am Weg dorthin. (2) Die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Wegen zum Enhancement basiert auf verschiedenen Faktoren, die mit den Schlagwörtern Selbstbestimmtheit, Entfremdung, Natürlichkeit, Risikoeinschätzung, soziokultureller Kontext und Fehleinschätzung umschrieben werden können.
IV. Besonderheiten des neurobionischen Enhancement Wenn sich nun aber die Diskussion nicht am Ziel des Neuro-Enhancement entzündet, sondern am Weg dorthin, stellt sich die Frage, inwieweit sich neurobionisches und psychopharmakologisches Enhancement als die beiden „modernen“ Wege zur „Verbesserung“ in medizinischer und normativer Sicht unterscheiden. Handelt es sich beim neurobionischen und psychopharmakologischem Enhancement schlicht um zwei Seiten ein- und derselben Medaille, oder ist es im Gegenteil ethisch geboten, eine Differenzierung vorzunehmen? Ein erster, medizinethisch durchaus relevanter Unterschied betrifft die Invasivität der Maßnahmen: Neurobionisches Enhancement ist stricto sensu an einem operativen Eingriff mit passagerer oder aber dauerhafter Inkorporation eines Implantats gebunden. Dies unterscheidet es bereits prima vista von pharmazeutischem Enhancement. Letzeres zählt zu den nichtinvasiven Methoden, d. h. die Maßnahme ist nicht mit einem operativen Eingriff (und den damit verbundenen Risiken) und folglich mit einer vorsätzlichen Verletzung des Körpers verknüpft. Ein zweites Unterscheidungsmerkmal betrifft die Reversibilität der Maßnahme: Während psychopharmakologisches Enhancement reversibel ist, trifft dies für neurobionische Eingriffe häufig nicht zu. Wenngleich es möglich erscheint, implantierte Chips oder implantierte, stimulierbare Elektroden „stillzulegen“, „stummzuschalten“ oder zu explantieren, ist damit keine Restitutio ad integrum zu 65
Vgl. Finzen (1994), S. 256.
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erwarten, denn sowohl die Implantation als auch eine Explantation führen zu Läsionen, die allerdings unterschiedliche Ausmaße und Folgen haben können. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die zeitweise „Inbetriebnahme“ von derartigen technischen Prothesen bzw. Transzendern ggf. auch die Funktion und Organisationsform des Gehirns nachhaltig beeinflusst.66 Eine dritte grundsätzliche und medizinethisch relevante Disparität betrifft die Dauer der jeweiligen Maßnahmen: Während neurobionische Eingriffe zeitlich umschrieben sind und allenfalls – je nach Ziel und Verlauf der Maßnahme – einzelne Folgeeingriffe durchgeführt werden müssen, setzt psychopharmakologisches Enhancement in vielen Fällen67 eine dauerhafte Einnahme voraus. Personen, die sich für pharmakologisches Enhancement entscheiden, bleiben demnach ein Leben lang von der regelmäßigen Einnahme der Arzneimittel abhängig. Dies ist demgegenüber weder bei neurobionischem Enhancement noch bei einigen der zuvor diskutierten, weniger strittigen Alternativen wie etwa der Psychotherapie (zwingend) der Fall. Daneben existieren viertens Unterschiede bezüglich der gesundheitlichen Risiken. Da unter das psychopharmakologische wie unter das neurobionische Enhancement durchaus verschiedene Maßnahmen fallen, die auch hinsichtlich der implizierten gesundheitlichen Risiken sehr unterschiedlich bewertet werden müssen, ist an dieser Stelle68 nur eine grundsätzliche Bemerkung möglich: Die Risiken der eingesetzten Psychopharmaka sind – bei allen auch hier bestehenden gesundheitlichen Unwägbarkeiten – besser erforscht. Die (Langzeit-)Folgen von neurobionischem Enhancement sind dagegen in weiten Bereichen terra incognita. Dies erzeugt – nicht nur, aber insbesondere in einem technophoben Umfeld – erhebliche Unsicherheiten. Ein fünfter, für die ethische Diskussion ebenfalls maßgeblicher Unterschied ließe sich mit dem Begriff „Werkzeug- und Hilfsmittelcharakter“ fassen: Anders als bei Medikamenten, die nach der Einnahme inkorporiert und „unsichtbar“ werden, ist neurobionischem Enhancement ein ausgeprägter „Werkzeugcharakter“ zuzuschreiben. Die Integrität des Körpers ist aufgehoben: Neurobionische Enhancer treten als implantierte, sichtbare Hilfsmittel in Erscheinung. Es handelt sich gleichsam um eine Verlagerung des Werkzeugs ins Innere des Körpers. Schließlich wäre ein sechster Unterschied auszumachen, der den sozialen Kontext betrifft, in dem die jeweilige Enhancement-Methode entwickelt wird: Während die Erforschung und Entwicklung der Psychopharmaka im medizinisch-pharmazeutischen Kontext, d.h. mit konkretem Blick auf therapeutische Erfolge am kran-
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Zu den Grenzen der Reversibilität und diesbezügliche Einschränkungen vgl. auch Kapitel 3 dieses Beitrages. Etwa bei der dauerhaften Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Antriebs. Gegenbeispiele wären z.B. die Einnahme aufmerksamkeits- und gedächtnissteigernder Mittel vor einer Prüfung oder in beruflichen Stress-Situationen bzw. die passagere Unterdrückung des Schlafbedürfnisses bei kriegerischen Handlungen. Vgl. hierzu auch Kapitel 3 dieses Beitrages.
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ken Menschen bzw. auf Absatzchancen am „Gesundheitsmarkt“ erfolgte (z.B. Antidepressiva oder Antidementiva) und derzeit „lediglich“ eine Erweiterung des Einsatzes hin zum außertherapeutischen Bereich erfährt, fand und findet die Entwicklung vieler neurobionischer Hilfsmittel weitgehend losgelöst vom Gesundheitsmarkt und von ‚Heilserwartungen‘ statt; sie ist vielmehr – wie oben bereits angesprochen – den Bereichen Technikentwicklung und militärische Forschung zuzuordnen. In einem eher technophoben gesellschaftlichen Umfeld dürfte dieser kontextuelle Unterschied durchaus Bedeutung haben: Enhancer, deren kurativ-therapeutischer (Primär-)Charakter offensichtlich ist, stehen weniger in Verdacht, manipulativen Zwecken zu dienen oder einer Instrumentalisierung oder Fremdbestimmung Vorschub zu leisten, als Produkte technologischer bzw. militärischer Forschung ohne medizinischen „Begleitcharakter“. Aus dem Vorgenannten ergibt sich, dass eine Gleichsetzung bzw. eine unkritische Vergesellschaftung von neurobionischem und pharmazeutischem Enhancement zu kurz greift. Es existieren Unterschiede auf verschiedenen Betrachtungsebenen, die allesamt für die medizinethische Diskussion von Relevanz sind, ohne dass sich schlechterdings in normativer Hinsicht eine Überlegenheit einer dieser beiden Enhancement-Wege behaupten ließe. Dennoch gibt es auch etliche gemeinsame ethische Implikationen. Diese Gemeinsamkeiten, aber auch die erwähnten Unterschiede werden Im Folgenden angesprochen, wenn es darum geht, die Argumente pro und contra Neuro-Enhancement aus medizinethischer Perspektive näher zu beleuchten.
V. Fluch oder Segen? Modernes Neuro-Enhancement in medizinethischer Sicht Befürworter psychopharmakologischer und neurobionischer Enhancer rekurrieren häufig vor allem auf die Autonomie und die Selbstbestimmtheit der an Enhancement-Verfahren interessierten Personen.69 Für sie stellt Enhancement eine eigenverantwortliche Selbstveränderung dar, die keine ethisch relevanten Probleme aufwirft, solange sichergestellt ist, dass sie aus eigenem Antrieb und freiwillig durchgeführt wird und in der Konsequenz keinen Schaden für Dritte mit sich bringt (z.B. Verringerung der Sozialverträglichkeit der „verbesserten“ Person, Einbuße an moralischer Kompetenz oder Inkaufnahme von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, für deren Behandlung die Solidargemeinschaft aufkommen müsste). Eine entsprechende Argumentation vertritt David Degrazia, der zur Veranschaulichung eine weibliche Person namens Marina konstruiert, die aufgrund eines von ihr als Defizit empfundenen, gering ausgeprägten Selbstwertgefühls zu dem Antidepressivum70 Fluoxetin greift. Zu dieser Fallkonstruktion führt Degrazia aus: 69 70
Für die folgenden Ausführungen dieses Abschnitts vgl. auch Groß (2007b). Degrazia spricht Prozac im vorliegenden Fall allerdings bewusst nicht als Antidepressivum, sondern als Enhancer an, indem er den Begriff „cosmetic psychopharmacology“ verwendet, ders. (2000), S. 37.
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„It is ultimately up to Marina to determine what counts as Marina and what counts as not-Marina; the story is hers to write […] transformation via cosmetic psychopharmacology can be a perfectly authentic piece of self-creation, in that the resulting personality and life are very much one’s own […] She should be allowed to select that which she believes is best for her. It is, after all, her identity.“71 Diese für Fluoxetin explizierte Argumentation lässt sich auf neurobionische Enhancer zwanglos übertragen – auch hier wäre die einzig relevante entscheidende Einschränkung eine Schädigung Dritter. Dieter Birnbacher schließt inhaltlich an die Argumentation von Degrazia an. Er hält „künstliche“ Verbesserungen der menschlichen Natur „zumindest soweit für erlaubt […], als sie mit den Idealen von Autonomie, Individuation, Selbststeuerung und sozialer Verantwortung“ nicht konfligieren.72 Birnbacher geht hierbei von in unserem gesellschaftlichen Umfeld dominierenden aufklärerischen Idealen aus und findet es vor diesem Hintergrund schwer verständlich, „warum eine mögliche Vervollkommnung seiner physischen (einschließlich genetischen) Natur mit diesem Ideal weniger vereinbar sein soll als die traditionell aus diesem Ideal hergeleitete geistige und moralische Vervollkommnung.“73 Weitergehende Ansichten vertreten die Vertreter des Transhumanismus. Sie rekurrieren auf die Freiheit, den eigenen Körper mit allen verfügbaren Mitteln so zu gestalten, wie es beliebt. Im Unterschied zu Degrazia und Birnbacher bedienen sie sich hierzu keiner differenzierten Argumentation, sondern begnügen sich mit einem Verweis auf das grundsätzliche Recht auf Selbstbestimmung.74 Andere Befürworter heben zusätzlich auf die Tatsache ab, dass es sich bei den diskutierten Neuro-Enhancern um Mittel handelt, die keine Veränderungen auf der genetischen Ebene bzw. auf der Ebene der Keimbahn bewirken, so dass auf diesem Weg keine direkten Auswirkungen für künftige Generationen zu befürchten sind. Auftretende Schädigungen sind also streng auf das betroffene Individuum begrenzt. Auch diese Argumentation wäre gleichermaßen für psychopharmakologisches wie neurobionisches Enhancement geltend zu machen. Eine weitere Argumentationslinie setzt bei der im vorangehenden Beitrag näher beleuchteten Annahme an, dass nicht das Ziel eines Enhancement, sondern der Weg dorthin gesellschaftlich umstritten sei. Wer aber die Versuche, den Weg dorthin abkürzen, moralisch verwerfe, stehe automatisch unter Ideologieverdacht, d. h. er mache sich beispielsweise einer egalitaristischen oder einer naturphilosophischen Einstellung verdächtig. Da man aber Mitglieder einer modernen pluralistischen Gesellschaft nicht auf eine bestimmte ideologische Ausrichtung festlegen könne, müsse man folglich den gewählten Weg zum Enhancement dem Einzelnen freistel71 72 73 74
Degrazia (2000), S. 37 u. 40. Birnbacher (2002), S. 188. Ebenda. Siehe Muggenthaler (2004). Vgl. auch die Homepage der „World Transhumanist Association“: (www.transhumanism.org/index.php/WTA/index/).
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len. Auch diese „pluralistische“ Sichtweise lässt sich für psychopharmakologische „Verbesserungen“ ebenso geltend machen wie für neurobionische. Allerdings lässt sich bei neurobionischem Enhancement noch zusätzlich das Argument anführen, dass es sich hierbei letztlich nur um eine Inkorporierung von Hilfsmitteln handelt, die extra corporem längst schon in Gebrauch sind. Ein Beispiel wäre das in Form einer Brille bereits eingeführte Nachtsichtgerät, das künftig dank neurologischer, neurochirurgischer und medizintechnologischer Fortschritte nicht mehr wie eine externe Prothese genutzt, sondern analog einem natürlichen Bestandteil des Körpers in den Organismus integriert werden könnte. Kompass oder Echolot wären weitere Beispiele. Es handelt sich also lediglich um eine dem technischen „Fortschritt“ gedankte Verlagerung eines primär externen Werkzeugs in das Innere des Körpers. All diese im Kontext der Autonomiedebatte genannten Argumente für neurobionisches und/oder psychopharmakologisches Enhancement sind für sich genommen stringent.75 Gleichwohl greifen sie zu kurz, weil sie den soziokulturellen Kontext bzw. den anthropologischen Rahmen, vor dem sie verhandelt werden müssen und vor dem auch die medizinethische Diskussion zu führen ist, nicht hinreichend beachten. So bleiben einige weitere, teilweise diametral entgegengesetzte Argumentationslinien unberücksichtigt, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen: So ist z.B. zu fragen, wodurch der persönlichen Freiheit des Einzelnen Grenzen auferlegt werden. Selbstverwirklichung kann nicht das einzige Kriterium für die Beurteilung von Maßnahmen des Neuro-Enhancement sein. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die individuelle Freiheit dort auf Grenzen stößt, wo die Rechte anderer Individuen oder der Gesellschaft betroffen sind.76 Im Übrigen findet sich auch das Argument, dass gerade Neuro-Enhancement nicht Ausdruck der Autonomie des Einzelnen ist, sondern ebendiese Autonomie schmälert: Versteht man unter Autonomie nämlich die Fähigkeit zu denken, vernunftgemäß zu handeln, Entscheidungen zu treffen und frei zu agieren, stellt die Implantation neurobionischer Werkzeuge eine Bedrohung dieser Autonomie dar. Barker entwirft in diesem Zusammenhang das Szenario eines „Automatenmenschen“, wenn sie mit Blick auf Hirnimplantate ausführt: „This does not make an individual more autonomous, but may merely make them an automaton.“77 Ein weiteres gegenläufiges Argument betrifft den Einfluss der genannten Maßnahmen auf unser Menschenbild. Die Generierung von Mensch-Maschine-Schnittstellen durch die Einverleibung künstlicher Systeme wirft die Frage nach dem Verständnis vom Menschen und der Abgrenzbarkeit von Mensch und Maschine auf. Für viele Enhancement-Gegner stellen die Aufrüstung und Veränderung kognitiver und sensorischer Fähigkeiten mittels technischer Implantate Eingriffe dar, die unser 75
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Ausgenommen die Forderungen der Transhumanisten, die nicht wirklich argumentativ unterfüttert werden. Vgl. hierzu auch Hamburg (2005), S. 72. Barker (2005), S. 68.
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Verständnis vom Menschen und unseren Blick auf den Menschen in fundamentaler Weise zu verändern drohen („Anthropotechniken“). Was bleibt an genuin Menschlichem, wenn unser Gehirn sein spezifisches Funktionieren (vollständig oder zu nicht näher bestimmbaren Teilen) der Technik verdankt bzw. durch sie determiniert wird? Inwieweit sind in dieser Weise „fremdbestimmte“ Menschen überhaupt noch zu eigenständigem Agieren befähigt bzw. für etwaiges soziales Fehlverhalten haftbar zu machen? Das hier angesprochene Argument der Beeinflussung des Menschenbildes ist also eng korreliert mit der Frage nach den Einwirkungen der Neuro-Enhancer auf die Identität und Individualität des Menschen. Neuro-Enhancement beeinflusst durch die Affizierung des Gehirns als Organ des Bewusstseins eben nicht nur die Funktion, sondern auch die personale Identität78, also die Identität einer Person über den Zeitverlauf hinweg.79 Wenn sich aber die Identität ändert, ist unklar, wer von einer solchen Änderung profitiert: die Person vor oder diejenige nach dem Eingriff.80 So gesehen müssen die oben zitierten Argumente von Degrazia81 als Beispiel für eine reduktionistische Sichtweise angesehen werden, die etwaige, mit der Funktionsveränderung einhergehende Veränderungen der Identität nicht hinreichend mitdenkt. Ein weiteres Problem betrifft die grundsätzliche Schwierigkeit festzustellen, ob bzw. inwieweit die vom Computer ermittelten und gespeicherten Daten Wirklichkeit abbilden. Bei dieser Problematik spielen die Aspekte subjektive Wahrnehmung und Privatheit mentalen Erlebens zentrale Rollen. Durch die Interaktion zwischen Mensch und Computer und den kommunikativen Austausch zwischen beiden Akteuren würden Grenzen zwischen Selbst und Gemeinschaft verwischt. Damit stellt sich die Frage, ob sich mittels Neurobionik „verbesserte“ Menschen in Zukunft noch „als ungeteilte Autoren ihres Lebens verstehen“ können82 – ein Aspekt, der oben bereits in Gestalt der Kritik am „Automatenmenschen“ aufschien. In diesen Kontext gehört auch die Sorge, dass die Etablierung von Neuro-Enhancement auch zu einer Angleichung von Persönlichkeitsmerkmalen und zu einer mangelnden Akzeptanz einzelner „abweichender“ Charaktere führen würde.83 Mittels Gehirn-Computer-Interaktion werden überdies mentale Inhalte, die normalerweise nur der betreffenden Person selbst zugänglich sind, für andere Menschen verfügbar. Der Wunsch nach effizientem Informations-Management
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Galert (2005), S. 91-99. Glannon (2006), insb. S. 49-51. Glannon (2006), S. 51 („If one’s psychological connectedness and continuity were disrupted by these changes, then it is unclear who would have benefited from the drug intervention.“). Der in Degrazias (2000) Fallkonstruktion angeführte Wirkstoff Fluoxetin bewirkt, insb. bei Jugendlichen, u. U. starke Persönlichkeitsveränderungen. Vgl. etwa de.wikipedia.org/wiki/ Fluoxetin. Habermas (2002), S. 124. Diese Ansicht äußert der Soziologe und Ethiker Paul R. Wolpe von der University of Pennsylvania – zitiert nach Kaulen (2003), S. N1.
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kontrastiert hier mit den Forderungen nach Schutz des Individuums und Wahrung der Privatsphäre. Ohnehin ist zu berücksichtigen, dass sich mit dem zunehmenden Rückgriff auf Informationstechnologien im Bereich Gesundheitswesen das Risiko eines Datenund Vertrauensmissbrauchs erhöht.84 Dies gilt für Maßnahmen des Neuroenhancement in besonderem Maße, zumal Eingriffe am Gehirn zusätzlich die Gefahr der sozialen Kontrolle bzw. der Instrumentalisierung der betroffenen Person bergen.85 Schon aus diesem Grund müssten künftige Träger von ICT-Implantaten vollumfänglich darüber informiert werden, wer Zugang zu ihren Daten haben wird und zu welchem Zweck bzw. aus welchem Grund. Des Weiteren müsste auch der Zugang zu den eigenen Daten gewährleistet sein. Des ungeachtet steht keineswegs fest, dass eine Erweiterung der kognitiven Möglichkeiten mittels Psychopharmaka oder ein effizienterer Umgang mit großen, artifiziell erzeugten Informationsmengen (z.B. „Google“ im Gehirn oder Gedächtnis-Chips) im Alltag einen merklichen Benefit erbringt, also überhaupt als Fortschritt oder Verbesserung angesehen werden kann. In jedem Fall muss über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt werden, womit zugleich die Frage des informed consent angesprochen ist. Dieser Aspekt verdient gerade vor dem Hintergrund des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von Neuro-Enhancement-Maßnahmen besondere Beachtung:86 Auch wenn man unterstellt, dass eine effiziente Kommunikation über Computer oder Internet von zunehmender Bedeutung ist, liefert diese Annahme noch kein Argument für die Sinnhaftigkeit der Inkorporierung derartiger Informationsträger bzw. Kommunikationsmittel. Was spräche beispielsweise dagegen, sich in der Kommunikation auf genuin menschliche Eigenschaften wie z.B. Kreativität, Originalität, Introspektionsfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit, die Fähigkeit, Zwischentöne herauszuhören, und eine situativ angepasste Gesprächsführung zu konzentrieren und „alles maschinell Erledigbare unbesorgt externen Computern zu überlassen“?87 Besondere Beachtung verdient auch der Umgang mit Gedächtnischips zur Steigerung der Merk- und Erinnerungsfähigkeit. Wie verfährt man etwa mit dem Risiko, dass aufgrund einer solchen „Optimierung“ des Gedächtnisses Erlebnisse in Erinnerung (ver)bleiben, bei denen dies nicht wünschenswert bzw. sogar schädlich ist? Wie ersetzt bzw. kompensiert man bei den Betroffenen die u.U. heilende Wirkung des Vergessens? Auch mit Blick auf das intendierte Überschreiten artspezifischer Sinneswahrnehmungen ist keineswegs als sicher anzunehmen, dass sich die im Gedankenexperiment antizipierten Fortschritte realiter einstellen. Die Sinnesorgane anderer Lebewesen sind auf deren jeweiligen Organismus und deren Lebensraum und -wirklichkeit ausgerichtet. Die Erlebniswelt anderer Tiere würde sich uns mögli84 85 86 87
Vgl. hierzu Barker (2005), S. 69. Vgl. hierzu etwa das weiter unten angeführte Beispiel der Roborats. Vgl. Synofzik (2005a), S. 212 f; ders. (2005b), S. 602 f. Hildt (2005b), S. 134.
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cherweise auch bei voll funktionsfähigen Neuro-Transzendern nicht eröffnen,88 denn wir empfinden spezielle Töne, Farben oder Gerüche eben nicht wie das betroffene, zum „Vorbild“ gereichende Tier, weil wir nicht mit dessen Organismus ausgestattet sind.89 Von einer tatsächlichen Einverleibung von Neuroimplantaten könnte also auch in diesem Fall nicht gesprochen werden. Andererseits müssten mögliche Störungen der Sinneswahrnehmung von Anfang an mitgedacht werden: Angesichts der Tatsache, dass unser Organismus für die intendierten Wahrnehmungen und die ihnen zugrunde liegenden Reize nicht ausgestattet ist, könnten gesundheitliche Nachteile infolge Überstimulierung und Reizüberflutung eintreten; auch Störungen des Gleichgewichts oder Orientierungsverlust sind denkbar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die hier diskutierten Szenarien derzeit ohnehin fiktiv oder – offener ausgedrückt – futuristisch sind. So erscheint etwa der Wunsch, durch eine Implantation von Gehirnchips eine erhöhte Konzentrationsfähigkeit zu erzielen oder zusätzliche Informationen abrufbar zu halten, aus heutiger Sicht nicht erfüllbar. Damit kommt einem weiteren medizinethisch relevanten Aspekt, der Zweck-Mittel-Rationalität, besondere Bedeutung zu.90 Demnach sollte das zu erreichende Ziel in einem probaten Verhältnis zu den aufzubietenden Mitteln stehen. Auch hieran sind indessen angesichts der vorgenannten Argumente Zweifel angebracht. Aber auch in evolutionstheoretischer Hinsicht ist der Nutzen von NeuroEnhancement beschränkt: Zwar wird von einigen fortschrittsoptimistischen Autoren91 suggeriert, der Einsatz psychopharmakologischer oder neurotechnologischer Verfahren diene der Fort- und Weiterentwickelung des Menschen; tatsächlich ist eine solche Aussage aber wenig plausibel, da die im Rahmen des Neuro-Enhancement erzielten „Verbesserungen“ nicht an nachkommende Generationen weitervererbt würden, sondern allenfalls dem „verbesserten“ Individuum selbst unter kompetitiven Gesichtspunkten soziale Vorteile einbringen könnten. Dem in vielerlei Hinsicht ungesicherten Nutzen stehen erhebliche Risiken gegenüber: Operative Eingriffe in das Gehirn können von schwerwiegenden Auswirkungen auf die jeweilige Person und deren soziales Umfeld begleitet sein.92 Zu den Risiken einer (alltäglichen, im therapeutischen Bereich durchgeführten) stereotaktischen Operation gehört neben Hirnblutungen, epileptischen Anfällen und Infektio-
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An dieser Stelle sei auf den Qualia-Diskurs in der analytischen „Philosophie des Geistes“ verwiesen: Hiernach können introspektiv zugängliche Erlebnisqualitäten (Qualia) nicht durch neuronale Prozesse erklärt werden. Beispielhaft sei die vieldiskutierte Kritik an der Unvollständigkeit des eliminativen Physikalismus von Thomas Nagel erwähnt. Nagel tritt mit seinem 1974 publizierten Aufsatz („What is it like to be a bat“) reduktiven Bemühungen in Bezug auf unser Bewusstsein entgegen: Egal wie viel wir über das Gehirn eines Wesens – etwa das einer Fledermaus wissen –, wir können nie dessen Erlebnisperspektive erschließen. Siehe hierzu Nagel (1974), sowie – exemplarisch – Sturma (2005), S. 35 f., 95. Engels (2005), S. 235 f. Vgl. etwa auch Synofzik (2005b), S. 598. Cochrane (1999a und b); McGee/Maguire (2001). Dennett (2001); McGee/Maguire (2001); Farah (2002).
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nen auch der Abfall kognitiver Leistungen.93 Berichtet wird je nach Operation und Lokalisation auch von negativen postoperativen Auswirkungen auf die Stimmung, das psychische Erleben, das Verhalten und die Persönlichkeit von Patienten.94 Dass die Risiken eines solchen operativen Eingriffes durch die zusätzliche Implantation einer Neuroprothese bzw. eines Neuro-Transzenders steigen, ist sicher. Hinzu kommt das Faktum, dass bei neuroprothetischen Eingriffen im Regelfall keine restitutio ad integrum möglich erscheint. Die Gefahren von Psychopharmaka sind zwar prinzipiell besser kalkulierbar als die durch die Implantation von Neuroprothesen bzw. -transzendern verursachten Risiken, sind aber gleichwohl nicht unerheblich bzw. nicht en détail bekannt.95 Zudem ist von einer grundsätzlichen Erhöhung des Risikos im Falle eines dauerhaften Gebrauchs auszugehen. So besteht etwa bei einer bereits in der Jugend einsetzenden, langjährigen Ritalin-Medikation die Gefahr einer Beeinträchtigung der natürlichen Gehirnentwicklung; auch werden Spätfolgen wie ein erhöhtes Suizidrisiko und eine spätere Drogensucht befürchtet. Gerade für vergleichsweise neue Neuro-Enhancer wie das Antidementivum Donepezil oder das Psychoanaleptikum Modafinil sind die Langzeitfolgen bei dauerhafter Einnahme noch nicht ausreichend erforscht; hier steht eine außertherapeutisch motivierte „Verbesserung“ möglichen Spätschäden gegenüber.96 Überdies ist auch die – vielfach unter Verweis auf die „Absetzbarkeit“ der Medikamente unterstellte – Reversibilität des psychopharmakologischen Enhancements zu relativieren.97 Selbst wenn keine (Langzeit-)Schädigungen auftreten, ist doch zu berücksichtigen, dass die unter der Medikation mit Neuro-Enhancern erfolgten (positiven wie negativen) Erlebnisse und Erfahrungen verfügbar bleiben und die Persönlichkeit u. U. ebenfalls nachhaltig prägen. Aus medizinethischer Sicht muss die Toleranz gegenüber Risiken umso geringer ausfallen, je unsicherer der potentielle Nutzen einer Maßnahme ist. Vor dem Hintergrund einer solchen Nutzen-RisikoAbwägung sind die diskutierten Neuro-Enhancer demnach nach heutigem Kenntnisstand ausgesprochen kritisch zu sehen. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei einer Abwägung von Nutzen und Risiken ist die Verfügbarkeit oder das Fehlen von alternativen ‚Behandlungs‘-Möglichkeiten.98 Risiken sind um so weniger in Kauf zu nehmen, als Alternativen bestehen. Ebendies ist allerdings vielfach der Fall: So bieten sich etwa mit Blick auf neurobionische Maßnahmen Möglichkeiten an, unsere ‚mesokosmischen‘ Erfahrungen zu erweitern bzw. unsere Wahrnehmungswelt zu transzendieren, ohne auf invasive Verfahren zurückzugreifen: Erwähnt sei der Gebrauch moderner Techniken, die außerhalb unseres Organismus zum Einsatz kommen und besonderen tierischen ‚Fähigkeiten‘ 93 94 95 96 97
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Vgl. Hildt (2005b), S. 127; Müller (2007). Vgl. Brentrup et al. (2004). Farah et al. (2004), S. 423; McGee/Maguire (2001). Müller (2008). Psychopharmaka sind zwar grundsätzlich ‚absetzbar‘, gleichwohl sind hierfür besondere Rahmenbedingungen einzuhalten: So müssen bestimmte Antipsychotika, Antidepressiva und Benzodiazepine ‚ausgeschlichen‘ werden. Foster (2006), S. 194 f.
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nachempfunden sind, wie etwa die erwähnten Nachtsichtgeräte, Kompasse oder Echolote.99 Sie lassen sich zwar nicht in den Körper integrieren, erweitern aber gleichwohl als extern nutzbare Techniken unsere Wahrnehmung. Doch auch ohne die beschriebenen Geräte bleibt dem Menschen die besondere kognitive Fähigkeit, sich in andere Lebewesen hineinzuversetzen bzw. perspektivisch in die Rolle und die Welt anderer zu schlüpfen. Auch für einige Einsatzbereiche des psychopharmakologischen Enhancement bieten sich Alternativen an. Hier wäre beispielsweise, wie oben erwähnt, an Psychotherapie, Coaching sowie an Biofeedback, Progressive Muskelrelaxation (PMR), Autogenes Training, Meditation u.ä. zu denken. Gegen den Einsatz der beiden beschriebenen Neuro-Enhancement-Verfahren spricht auch die Gefahr, dass sich bei deren Inanspruchnahme à la longue die Standards verschieben, d. h. die Auffassung darüber, was als ‚normale‘ Leistungsfähigkeit gelten kann.100 In Anbetracht einer zunehmenden Zahl von Menschen mit verbesserten Sinneswahrnehmungen könnten die Leistungen der nicht ‚verbesserten‘ Personen als unterdurchschnittlich angesehen werden. Die großflächige Verbesserung von Gedächtnisleistungen hätte demnach eine Normverschiebung zur Folge. Daneben besteht die Gefahr, dass auf lange Sicht – d. h. nach hinreichender Erfahrung – auch außertherapeutische Eingriffe am Gehirn vorgenommen werden könnten, um sozial unerwünschte Zustände zu korrigieren. So ist beispielsweise bekannt, dass der Bereich des Gehirns, der bei der Regulation des Körpergewichts eine wichtige Rolle spielt, durch Elektroden stimuliert bzw. reguliert werden kann. Unterstellt man angesichts der bestehenden Finanzierungsengpässe im Gesundheitswesen einen zunehmenden Druck, den zahlreichen mit Adipositas korrelierten „Zivilisationskrankheiten“ kostenwirksam zu begegnen, so könnte man sich z.B. vorstellen, dass die Implantation derartiger Elektroden auch in der AdipositasBehandlung zum Einsatz kommt. Gleichzeitig müsste – gerade auch mit Blick auf lebenslang eingenommene Psychopharmaka – von Medikalisierungserscheinungen ausgegangen werden, d.h. es wäre anzunehmen, dass die moderne Gesellschaft in steigendem Maße durch die Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen bestimmt und geprägt wird. Auch würde es zunehmend schwerer, einen gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich der Abgrenzung tolerierbarer von ‚verbesserungsbedürftigen Defiziten‘ herzustellen. Nicht zuletzt würde ein weit verbreitetes Neuro-Enhancement die Erwartungshaltung hinsichtlich unserer eigenen Leistungsfähigkeit verändern, was für den Einzelnen – wollte er persönliche Benachteiligungen vermeiden – u.U. einen indirekten Zwang zur Inanspruchnahme entsprechender Verfahren nach sich ziehen könnte. Hieraus ergibt sich ein weiteres Contra-Argument hinsichtlich der Anwendung beider beschriebener Neuro-Enhancement-Verfahren: die implizite Beförderung eines sozialen Drucks. Mögliche Äußerungsformen dieses Drucks wären die 99 100
Nachtigall/Blüchel (2000); Engels (2005). McGee/Maguire (2001).
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Angst, von Intelligenteren ins Abseits gedrängt zu werden,101 die Sorge vor einer allgemeinen Verschärfung des Leistungsgedankens, der Etablierung eines unsozialen, kompetitiven Klimas oder die grundsätzliche gesellschaftliche Überbewertung von Wettbewerb und Leistungsfähigkeit, die etwa mit dem Schlagwort „HyperCompetitiveness“ zu fassen wäre.102 Folgen dieses wachsenden sozialen Drucks wären Nachahmungseffekte aus Wettbewerbsgründen,103 die ihrerseits wiederum einer zunehmenden Medikalisierung104 Vorschub leisteten. Wie jede medizinische Behandlung sollten auch Hirnimplantate und pharmazeutische Neuro-Enhancer nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Kriterien des Informed Consent erfüllt sind. Besonders gefährdet sind hier aber vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, die mit der Einnahme von Psychopharmaka dem gesellschaftlichen Druck nach anhaltender kognitiver Leistungsfähigkeit nachgeben („kognitives Paradigma“105), und insbesondere Kinder und Jugendliche, denen Eltern in einem kompetitiven gesellschaftlichen Umfeld ggf. bereitwillig derartige Enhancer ‚verschaffen‘.106 Hier ergibt sich neben der Frage nach der Einhaltung der Informed-Consent-Prinzipien zusätzlich das Problem, dass die große Mehrheit der Medikamente nicht speziell für Kinder bzw. alte Menschen getestet und genehmigt ist.107 Ein anderes Problem ergibt sich aus dem Umstand, dass Implantationen im Gehirn auch die Eigenschaften und das personale Selbst des Betroffenen affizieren (können). Vor diesem Hintergrund wird gerade von Kritikern die (sarkastisch anmutende) Frage aufgeworfen, ob die betreffene Person nach der Implantation ein weiteres Mal nach dem Prinzip des Informed Consent aufgeklärt werden sollte, da sich die Eigenschaften und das Selbstverständnis der Person nach dieser Maßnahme geändert haben könnten. ICT Implantate im menschlichen Körper befinden sich bis dato in der experimentellen Phase. Gesetzt den Fall, dass irgendwann eine klinische Erprobung nachfolgt, sollte der Einsatz dieser Implantate nicht nur in Übereinstimmung mit der nationalen und europäischen Gesetzgebung stattfinden, sondern auch internationalen Konventionen und Ethikkodizes wie z.B. der Deklaration of Helsinki entsprechen.108
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Wagner (2003), S. N1 („Immer öfter greifen nun auch Gesunde zu solchen Arzneien. Sie wollen im Beruf und öffentlichen Leben als strahlende Helden erscheinen und ihre Mitmenschen durch intellektuellen Glanz blenden. Letztere stehen dann als arme Geister da.“) Degrazia spricht in diesem Zusammenhang von „troubling cultural values“: ders. (2000), S. 38. Einige Autoren befürchten, dass das soziale Gefälle durch Enhancement eher verschärft als abgemildert wird. Vgl. etwa Glannon (2006), S. 51: „Any beneficial options of enhancement would probably come on top of existing social inequality and would more likely exacerbate than ameliorate it.“ Vgl. Kaulen (2003), S. N1. Vgl. hierzu Wetzstein (2005), passim. Vgl. Walcher-Andris (2006). Blank (1999), S. 129. Barker (2005), S. 65 f.
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Eine andere Befürchtung, die mit einer sinkenden Hemmschwelle für den Gebrauch von Psychopharmaka oder Implantaten verknüpft wird, ist mit den Schlagwörten sozialer Quietismus und Instrumentalisierung zu umschreiben.109 So äußert etwa David Degrazia die Befürchtung, dass die Erreichbarkeit von derartigen Medikamenten dazu führt, soziale Probleme durch den Gebrauch von Psychopharmaka zu maskieren oder hintanzuhalten: „[…] cosmetic psychopharmacology can encourage social quietism because patients may favor drug-induced complacency over active struggle to change the social conditions that contribute to their discontent, with the result that these social problems are left untouched.“110 Die Entwicklung und der Einsatz von Neuroprothesen bzw. -transzendern könnte auch dazu genutzt werden, Gehirnleistungen zu „kontrollieren“. Manche befürchten deshalb, Neurobionik ließe sich zukünftig – ähnlich den oben beschriebenen „Roborats“ – im Sinne einer Fernsteuerung menschlicher Verhaltenskomponenten missbrauchen. Das Risiko eines Einsatzes, der über den Enhancement-Kontext hinausgeht, scheint vor allem deshalb bedenkenswert, weil etliche Forschungsprojekte zur Neurobionik und zum Thema Mensch-Maschine-Interface aus dem Budget des Militärs, etwa der US-amerikanischen „Defense Advanced Research Projects Agency“ (DARPA) finanziert werden.111 So wird von einigen Autoren gemutmaßt, hierbei würde auf eine „Fernsteuerung“ von Soldaten oder die Erhöhung ihrer Kampfbereitschaft abgezielt. Dies liefe auf eine Instrumentalisierung des Menschen hinaus.112 Aber auch tierethische Aspekte sind in diesem Zusammenhang geltend zu machen: Wie das Beispiel der „Roborats“ besonders eindrücklich zeigt, ist nicht allein die Zulassung neuer (Psycho-)Pharmaka, sondern gerade die Entwicklung invasiver neurobionischer Techniken auch mit Eingriffen an Tieren verknüpft; nicht nur Tierschützer sehen hierin eine unzulässige Verdinglichung und Bedrohung von Lebewesen. Ein weiteres eminentes soziales Problem betrifft die ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu den Medikamenten: sie lassen sich auf verschiedenen Ebenen ausdeuten. Zum Ersten wird sich in Industrienationen wie Deutschland nicht jeder Bürger Enhancement-Verfahren leisten können; sie wären vielmehr abhängig von der jeweiligen Finanzkraft des Konsumenten. Folglich wäre zu erwarten, dass sich die sozialen Unterschiede weiter verschärften.113 Zum Zweiten müsste angesichts der 109 110 111 112
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Vgl. Schaefer (2004). Degrazia (2000), S. 39. Vgl. Foster (2006), S. 191. Siehe auch Bielefeld/Eurich (2005). Vgl. auch Fosters Hinweise, wonach die Ereignisse vom 11. September 2001 in den USA wie auch im Ausland eine merkliche Schwächung der Bürgerrechte in den USA nach sich gezogen hätten: ders. (2006), S. 197 („Will there be a ‚reduced barrier against human experiments‘ for developing new neuroscience technologies for military or security uses?“). Siehe auch Nordmann (2004). Vgl. etwa Schaefer (2004).
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bestehenden Disparitäten zwischen reichen und armen Nationen auch auf internationaler Ebene von der Verschärfung der sozialen Kluft ausgegangen werden. Drittens sind zugleich Fragen der Finanzierung des Gesundheitssystems bzw. der Allokation und der Verteilungsgerechtigkeit angesprochen:114 Durch zunehmende Enhancement-Möglichkeiten könnten die Grenzen zwischen medizinischen Therapien und individuellem Lifestyle verwischen115 und so (Krankenkassen-)Gelder für Maßnahmen in diesem Grauzonenbereich aufgewendet werden.116 Hierdurch würden weitere finanzielle Belastungen auf das Gesundheitssystem zukommen. Dieser Aspekt scheint gerade insofern bedenkenswert, als therapeutische Maßnahmen im Bereich der Neurologie und Psychiatrie – und hierunter fallen auch Behandlungen mittels Psychopharmaka – bereits heute besonders hohe Kosten verursachen.117
VI. Fazit Aus den vorausgegangenen Erörterungen lassen sich – bei allen Unterschieden im Detail und im Bewusstsein von Verkürzungen und Generalisierungen – mehrere grundsätzliche Schlussfolgerungen ableiten: (a) Die gesellschaftliche Akzeptanz oder Ablehnung von Enhancement-Maßnahmen ist in hohem Maße kontext- und zeitabhängig. Dies gilt auch für etwaige Unterschiede in der Bewertung von pharmakologischen Maßnahmen und neurobionischen Eingriffen. (b) In Anbetracht der in unserem gegenwärtigen soziokulturellen Umfeld geltenden Überzeugungen und Standards bedürfen psychopharmakologische und insbesondere die (noch) nicht etablierten neurobionischen Enhancement-Verfahren einer kritischen Prüfung und Begleitung. Auch wenn wir von einer pluralistisch ausgerichteten Gesellschaft mit einer zunehmenden Diversifikation von Interessen auszugehen haben, lässt sich hier ein klarer Regelungsbedarf konstatieren, der sich an den Möglichkeiten bemisst, welche die pharmakologische und insbesondere die neurobionische Forschung den an Enhancement-Maßnahmen interessierten gesellschaftlichen Gruppierungen und Einzelpersonen in Zukunft tatsächlich offerieren kann und wird. (c) Damit ist ein weiteres besonderes Problem implizit angesprochen: die Schwierigkeit, die künftige technische Entwicklung zu antizipieren, d.h. fiktive, visionäre und realistische Ziele bzw. Zielvorgaben sicher zu unterscheiden und so den Regelungsbedarf konkret zu fassen und handhabbar zu machen. Diese Problematik birgt die Gefahr, Trends und Entwicklungstendenzen zu verkennen und erst dann eine Ursachenbekämpfung einzuleiten, wenn bereits Fakten geschaffen und somit nur noch Maßnahmen zur Schadensbegrenzung möglich sind – ein Vorwurf, der dem Fach Medizinethik und seinen Vertretern ohnehin häufig vorauseilt. Dieses 114 115 116 117
Vgl. exemplarisch Farah et al. (2004), S. 423. Helmchen (2005), S. 27. Vgl. Helmchen (2005), S. 27. Synofzik (2005a), S. 603; Blank (1999), insb. S. 129 f.
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Risiko scheint um so greifbarer, als gerade die neurobionische Forschung vornehmlich in den Gesundheitsexperten und Medizinethikern schwer zugänglichen Bereichen (Nano-)Technologie und Militär stattfindet, während der vergleichsweise transparente Sektor Gesundheitswesen und Gesundheitsforschung hier kaum berührt ist. (d) Besonders eklatant ist der Regelungsbedarf dort, wo (1) die Zustimmung zur Enhancement-Maßnahme nicht als sicher angenommen werden kann, wo (2) die Interessen Dritter berührt sind, und wo (3) das Risiko einer Instrumentalisierung (menschlichen) Lebens besteht. (e) Aus dem Gesagten ist zu folgern, dass die Medizin und speziell die mit normativen Fragen befassten Wissenschaftler die mit den angesprochenen „Visionen“ und Zielsetzungen verbundenen Problemfelder a priori thematisieren und diese von Anfang an diskursiv mitbestimmen müssen. Letzteres setzt indessen ein Interesse an psychopharmakologischer und neurobionischer Forschung voraus – ein Interesse, das über die Kenntnisnahme und nachfolgende Kommentierung jeweils neuer (pharmako-)technischer Errungenschaften deutlich hinaus reicht. Eben darin besteht derzeit die größte (medizin)ethische Herausforderung.
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Salus aut/et voluntas aegroti suprema lex – Verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts
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I. Problemaufriss Die Arzt-Patienten-Beziehung war über viele Jahrtausende geprägt durch eher magisch-religiöse Handlungsmuster. Doch bereits mit der hypokratischen Schule – mit wichtigen Vorläufern in China und Ägypten – bildeten sich Ansätze einer Berufsethik der Ärzteschaft als einer zentralen Profession von Heilern. Trotz der in den nachfolgenden Jahrhunderten eingetretenen rasanten Entwicklung einer später auch wissenschaftlich begründeten Medizin ließ sich doch eine weitreichende Kontinuität bestimmter konstitutiver Merkmale der Arzt-Patienten-Beziehung konstatieren. Hierzu zählt namentlich das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sowie das außergewöhnliche Eingriffsrecht des Arztes in den Integritätsbereich. In soziologischer Perspektive ist dabei vor allem auf die Herausbildung von Expertendominanz in der Ärzteschaft und den parallel sich vollziehenden Professionalisierungsprozess hinzuweisen. Industrialisierung, zunehmende Medikalisierung der Gesellschaft und Institutionalisierung eines sozialstaatlich orientierten Krankenversicherungssystems führten schließlich dazu, dass der Ärzteschaft gleichsam ein staatlich sanktioniertes Definitionsmonopol über Krankheit bzw. Gesundheit zuwuchs. Eine derartige Experten-, Definitions- und Steuerungsmacht bewirkte zugleich eine Asymmetrie zwischen Arzt und Patient.1 Gegenläufig zu dieser Entwicklung ist seit einigen Jahrzehnten ein gesellschaftlicher Modernisierungs- und Liberalisierungsprozess zu beobachten, der autoritative und paternalistische Einstellungen und Verhaltensweisen zunehmend zurückdrängt. Der Patient wird beraten und als Klient behandelt und soll eingebunden werden in eine therapeutische Partnerschaft.2 Die Qualifikation des Arzt-Patienten-Verhältnisses als eines Rechtsverhältnisses vertraglicher Art bringt dies zum Ausdruck. Der Vertrag ist geradezu das charakteristische Merkmal der Ausbildung einer offenen Gesellschaft; in historischer Perspektive lässt sich die Vertragsfreiheit als emanzipatorische 1
2
Hierzu zusammenfassend J. Siegrist, Arzt-Patient-Beziehung (1.), in: Korff (Hrsg.), Lexikon der Bioethik, Bd. 1, 1998, S. 238 ff. Dazu m.w.N. W. Höfling/H. Lang, Das Selbstbestimmungsrecht. Normativer Bezugspunkt im Arzt-Patienten-Verhältnis, in: Feuerstein/Kuhlmann (Hrsg.), Neopaternalistische Medizin, 1999, S. 17 ff. (17 f.).
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Chiffre, als Freiheitsparadigma schlechthin verstehen.3 Es mag nunmehr als systemimmanent-logische Konsequenz dieser Entwicklung erscheinen, dass im Zuge des gegenwärtigen Transformationsprozesses der modernen Medizin der „Patient“ als Nachfrager und seine Wünsche das Arzt-Patienten-Verhältnis immer deutlicher prägen. Immer mehr Bereiche der Medizin werden als Dienstleistungssektoren konzipiert, die auf Wunsch abgefragt werden können. Die „klassisch“-normative Leitidee der ärztlichen Hilfe wird zunehmend durch den Leitbegriff der „präferenzorientierten Dienstleistung“ abgelöst. Das Spezifische dieser präferenzorientierten Medizin besteht gerade darin, dass sich ihr Handeln auf die Präferenz des Nachfragenden – nennen wir ihn Kunden oder Patienten4 – richtet.5 Der Arzt wird „käuflicher Körperplastiker“,6 bei dem man beliebige „Baumaßnahmen“7 am „eigenen Fremdkörper“8 in Auftrag geben kann. So stark die (intuitive) Skepsis gegenüber der „bioethische(n) Neuerfindung des Menschen“9 auch sein mag: Was lässt sich dagegen einwenden, wenn jemand auf „Pillenglück statt Psycho-Arbeit“10 setzt, Praktiken schmerzhaften Körperschmucks als Individualisierungsgestus versteht, eine Bogenschützin sich die Brust verkleinern (oder gar amputieren) lässt, um ihren Sport besser ausüben zu können?11 Sind solche Entwicklungen vor dem Hintergrund grundrechtlich garantierter Selbstbestimmung nicht gerade zwangsläufig oder doch naheliegend? Ist das Autonomieprinzip als die kulturelle Leitidee liberaler Gesellschaften nicht prädestiniert, Enhancementstrategien von ethischen Rechtfertigungslasten12 zu befreien? Oder gibt es nicht doch „verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts“, die der Titel meines Vortrages ja – gegenläufig – anscheinend wie selbstverständlich unterstellt?
II. Das Grundrecht der freien Selbstbestimmung über die körperliche Integrität – Grundlinien einer Bereichsdogmatik Das Grundrecht auf freie Selbstbestimmung, dessen Existenz – bei aller Differenz über seine normative Verortung – unbestritten ist, dient dem Integritätsschutz. Seine Abwehr- wie Schutzdimension13 zielt auf die Respektierung des persönlichen 3 4
5
6 7 8 9 10 11 12 13
Dazu näher W. Höfling, Vertragsfreiheit, 1991. Die Ambivalenz der Problematik wird auch im Titel dieses Vortrages deutlich, in dem ja vom „Kranken“ die Rede ist, um den es sich aber in der wunscherfüllenden Medizin im eigentlichen Sinne nicht handelt. Dazu etwa G. Maio, Die Präferenzorientierung der modernen Medizin als ethisches Problem, ZfmE 52 (2006), S. 339 ff. Chr. Lenk, Therapie und Enhancement, 2002, S. 81. Siehe den Untertitel des von Ach/Pollmann hrsgg. Sammelbandes „No body is perfect“, 2006. Siehe ebenda, Inhaltsverzeichnis. L. Siep, in: Ach/Pollmann (Hrsg.), aaO, S. 21 ff. B. Schöne-Seifert, aaO, S. 27 ff. Zu diesem Beispiel T. Schramme, aaO, S. 163 ff. (163 f.). Siehe dazu M. Fuchs, ZfmE 52 (2006), S. 355 (360). Dazu noch unten.
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Status. Es schützt ganz allgemein vor Beeinträchtigungen autonomer Selbstbestimmung, Selbstdarstellung und Selbstentfaltung.14 Ein herausragendes Teilelement dieses zunächst umfassend formulierten Grundrechts ist das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. In seiner Arzthaftungsentscheidung vom 25. Juli 1979 war allerdings der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts noch gespalten über die zutreffende grundrechtliche Herleitung dieses Patienten-Selbstbestimmungsrechts. Während die Mehrheit des Senats insoweit auf das in Art. 2 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht rekurrierte,15 griffen die drei dissentierenden Richter auf das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als zentrale Maßstabsnorm zurück.16 Die Bestimmung über die leiblich-seelische Integrität gehöre „zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen. In diesem Bereich ist er aus der Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden“.17 In der Zwischenzeit hat sich der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts der (früheren) Mindermeinung angeschlossen. In einem Beschluss aus dem Jahre 199318 wird hervorgehoben: „Die Entscheidung über einen ärztlichen Eingriff steht grundsätzlich dem betroffenen Patienten zu. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit als Freiheitsrecht und macht deshalb den ärztlichen Heilversuch vom Willen des Patienten abhängig“.19 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als Grundrecht der freien Patienten-Selbstbestimmung schützt in dieser Perspektive „die Unversehrtheit des Menschen nicht lediglich nach Maßgabe seines jeweiligen konkreten Gesundheits- oder Krankheitszustandes; es gewährleistet zuvörderst Freiheitsschutz im Bereich der leiblich-seelischen Integrität des Menschen, nicht aber beschränkt es sich auf den speziellen Gesundheitsschutz“.20 In einem solch weiten Verständnis grundrechtlicher Selbstbestimmungsfreiheit sind auch die eingangs genannten Beispiele zweifelsohne (prima facie) vom Grundrechtstatbestand des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erfasst.
III. Begrenzungsmöglichkeiten Staatlich verantwortete Beschränkungen der grundrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmung bedürfen der Rechtfertigung. Diese Feststellung ist zwar eine grundrechtsdogmatische Selbstverständlichkeit, soll aber dennoch hervorgehoben werden angesichts einer nicht selten – und manchmal auch intuitiv nachvollziehbaren – anzutreffenden Position, für die die Annahme eines prima facie-Grundrechtsschutzes ausgefallener Enhancementtechniken geradezu absurd erscheint. Wie hoch auch 14
15 16 17 18 19 20
Siehe dazu etwa D. Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG, 5. Aufl. 2009, Art. 2 Rdnrn. 68 ff.; H. Dreier, in: Dreier (Hrsg.), GG, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 1 Rdnrn. 68 f. BVerfGE 52, 131 (168). Siehe BVerfGE 52, 171 ff. BVerfGE 52, 171 (175). BVerfGE 89, 120 ff. So BVerfGE 89, 120 (130) – Hervorhebung hinzugefügt. Siehe BVerfGE 52, 171 (174); 89, 120 (130).
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immer man den moralischen Status der menschlichen Kontingenz,21 die „Dignität menschlicher Imperfektibilität“22 einstufen mag – er kann den grundrechtlichen Status als solchen nicht relativieren. 1. Grundrechtsdogmatische Maßstabskriterien Grundrechtsbegrenzungen (Grundrechtsschranken) können als die negative Seite der grundrechtlichen Gewährleistung, als negative Voraussetzungen grundrechtlicher Rechtsfolgen bezeichnet werden.23 Das Grundgesetz kennt verschiedene Legitimationskategorien, die eine Begrenzung grundrechtlicher Freiheit grundsätzlich24 rechtfertigen können. Genannt werden insbesondere (1) der Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates – eine Grundrechtsbegrenzungskategorie, die im vorliegenden Kontext ersichtlich ohne Bedeutung ist; (2) der Schutz der Rechte Anderer; (3) Erfordernisse des Gemeinwohls im Übrigen.25 2. Rechtsgüter Dritter Der Schutz der Rechte anderer ist für die Grundrechtsbegrenzungen seit jeher und bis heute von zentraler Bedeutung, was in zahlreichen Grundrechtsgewährleistungstexten zum Ausdruck kommt. Gleichsam prototypisch nennt Art. 2 Abs. 1 GG die Rechte anderer ganz allgemein. Soweit diese Rechte Dritter grundrechtlich garantiert sind, kommt ihnen zusätzliche Relevanz insoweit zu, als sie Objekt verfassungsrechtlicher Schutzpflichten sind.26 Im Problemkontext der wunscherfüllenden Medizin ist diese Grundrechtsbegrenzungskategorie (in ihrer unmittelbaren Anwendungsvariante) indes nur von begrenzter Bedeutung: In der Regel bleibt die wunschmedizinische Intervention normativ – nicht unbedingt faktisch – auf die Zweierbeziehung von Leistungserbringer und Patient/Konsument begrenzt (etwa die Verkleinerung der Nase usw.). Ausgeklammert sei hier allerdings eine denkbare Gleichheitsproblematik, die sich dann ergibt, wenn sich jemand über Enhancementmaßnahmen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile (z.B. „Gehirndoping“ vor einer staatlichen Prüfung) verschafft. Doch gibt es spezifische Konstellationen. Ein anschauliches Referenzgebiet ist insoweit die Fortpflanzungsmedizin.27 Die Realisierung „reproduktiver Auto21
22 23
24
25 26 27
Dazu M. Fuchs u.a., Enhancement. Die ethische Diskussion über biomedizinische Verbesserungen des Menschen, 2002, S. 30 ff. AaO, S. 44. Näher hierzu M. Sachs, in: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 226 f. Ohne dass an dieser Stelle bereits die Beachtung des Übermaßverbots zu berücksichtigen wäre. Eingehend hierzu M. Sachs, aaO, S. 302 ff. mit zahlr. Nachw. Näher hierzu M. Sachs, aaO, S. 302 ff. mit zahlr. Nachw. Im hier interessierenden Kontext genannt auch bei W. Eberbach, MedR 2008, S. 325 (329 f.).
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nomie“ (die allerdings ihren grundrechtlichen „Ort“ in Art. 6 Abs. 1 GG findet) in ihren z.T. auch ethisch hochproblematischen Varianten kann durchaus mit Rechtspositionen Dritter kollidieren. Bereits die Ambivalenz der Wortkombination macht dies deutlich; denn „Autonomie“, die sich „reproduziert“, übersteigt bereits die eigene Person, transzendent das eigene Selbst.28 Beispielhaft genannt sei hier die sog. Eizellspende, die das deutsche Embryonenschutzgesetz unter Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verbietet (s. § 1 Abs. 1 Nr. 1 ESchG).29 Der Schutzhorizont des Embryonenschutzgesetzes ist insoweit der Embryo bzw. das später geborene Kind, in dessen Interesse eine gespaltene Mutterschaft, d.h. ein Auseinanderfallen von genetischer und austragender/biologischer Mutter, verhindert werden soll. In der Preisgabe der Eindeutigkeit der Mutter sah der Gesetzgeber eine Gefahr für die Identitätsfindung des gezeugten Kindes. Darüber hinaus befürchtete er Konflikte im Fall einer Krankheit oder Behinderung des gezeugten Kindes zwischen genetischer Mutter und „biologischer“ Mutter.30 Diese einfachrechtliche Begrenzung der reproduktiven Autonomie ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.31 Auch Interventionen mit intergenerationellen Auswirkungen, sog. Keimbahntherapien, überschreiten – ihre Praktikabilität hier unterstellt – den Rechtskreis des „Nachfragers“ und können schutzwürdige Interessen künftiger Menschen verletzen.32 3. Kollidierende Gemeinwohlinteressen a) Grundsätzliches Das Gemeinwohl als wohl allgemeinstes Leitbild der Verfassungsstaatlichkeit knüpft an alte Traditionen des Staatsdenkens an, hat aber mit der Anerkennung von prinzipiell auch für die Staatsgewalt verbindlichen (Grund-)Rechten des Einzelnen nunmehr eine elementare Funktion als Grundlage von Grundrechtsbegrenzungen erlangt. Allerdings kommt das „Gemeinwohl“ als explizites Begrenzungserfordernis in dem Grundrechtskatalog eher am Rande vor (vgl. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG). Im übrigen hat es zwar auch ohne eine derartige ausdrückliche verfassungstextliche Absicherung grundsätzlich übergreifende Anerkennung gefunden, bedarf aber der 28 29
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S. Kuhlmann, DZPhil 46 (1998), S. 917 (922). Zur Problematik näher W. Höfling, Verfassungsrechtliche Aspekte der Verfügung über menschliche Embryonen und „humanbiologisches Material“. Gutachten für die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, 2001, S. 165 ff. Siehe BT-Drs. 11/5460, S. 7 f. Auch die unterschiedliche Behandlung von Samenspender und Eizellspender hält einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Dazu näher W. Höfling, aaO, S. 168 ff. Fraglich kann in der genannten Konstellation allerdings sein, ob und inwieweit von einer rechtlichen Vorwirkung im Interesse des Schutzes zukünftiger Menschen ausgegangen werden kann und ob insoweit vom Schutz der Rechte Dritter gesprochen werden kann. Will man dies verneinen, bliebe indes ein legitimes Gemeinwohlinteresse. Zu dieser Kategorie noch im Folgenden.
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näheren Explikation und Einordnung in den verfassungsrechtlichen Kontext, um als Begrenzungsmaßstab Geltungskraft zu erlangen.33 Zunächst muss insoweit hervorgehoben werden, dass Exekutive bzw. Judikative nicht auf der Grundlage ungeschriebener Gemeinwohlvorbehalte ohne gesetzliche Grundlage Grundrechtsbeschränkungen vornehmen dürfen (Vorbehalt des Gesetzes). Die Regel „salus publica suprema lex“ mag als politische Maxime ihre Berechtigung haben, „als Rechtssatz, insbesondere als Grundrechtsschranke ist die Formel unbrauchbar“.34 Deshalb bedarf es der konkretisierenden Festlegung durch den grundrechtseinschränkenden Gesetzgeber selbst, der insoweit insbesondere die einfachen Gesetzesvorbehalte konkretisieren kann. Bedeutung erlangt eine genauere Bestimmung konkreter Gemeinwohlbelange insbesondere vor dem Hintergrund des Übermaßverbotes, dessen Beachtung nur im Blick auf ein bestimmtes öffentliches Interesse überprüft werden kann. b) Auf (unbestimmte) Individualinteressen zielende Gemeinwohlbelange In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts spielen insbesondere solche Gemeinwohlbelange eine wichtige Rolle, die mehr oder weniger deutlich auf Individualinteressen gerichtet sind.35 Gemeinwohlbelange wie der „Verbraucherschutz“ oder der „Gesundheitsschutz“ sind dafür Beispiele.36 4. Insbesondere: Interessen des Grundrechtsberechtigten selbst als begrenzungslegitimierender Aspekt? Für den vorliegenden Problemzusammenhang von besonderem Interesse ist die Frage, ob und inwieweit die Interessen der Nachfrager nach wunschmedizinischen Leistungen gleichsam gegen die Grundrechtssubjekte und ihre Handlungen selbst als begrenzungslegitimierender Topos ins Feld geführt werden können. Darf der Staat die beinebrechende Technik der Vergrößerung eines 1,73 m großen Managers, der sich mehr Respekt in seiner Firma erhofft, verbieten mit dem Argument, er schade sich (letztlich) nur selbst? Oder anders formuliert: Kann „salus“ „voluntas“ verdrängen? Schon die kategoriale Erfassung einer derartigen Grundrechtsbegrenzungsfigur erweist sich als schwierig. Zum Teil werden auch derartige Begrenzungen der Gemeinwohlkategorie zugerechnet. Der Schutz von Individualinteressen sei als mögliches Gemeinwohlanliegen unabhängig von der jeweils drohenden Gefahrenquelle 33 34 35
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Allgemein hierzu M. Sachs, aaO, S. 341 ff. Siehe K. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, 1968, S. 16. Das Bundesverfassungsgericht verzichtet weitgehend auf eine klare Trennung von Grundrechtsbegrenzungskategorien (s. dazu oben); siehe M. Sachs, aaO, S. 352. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa das sog. Duldungsverbot für Ärzte (gegenüber werbenden Veröffentlichungen Dritter) damit gerechtfertigt, es diene dem Ziel, eine Verfälschung des ärztlichen Berufsbildes zu verhindern und sieht dieses Ziel seinerseits legitimiert durch das Rechtsgut der Gesundheit der Bevölkerung, s. BVerfGE 85, 248 (259 f.). – Vor dem Hintergrund der neueren Entwicklungen des Gesundheitssystems erscheint zweifelhaft, ob man diese Position so noch aufrechterhalten kann.
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anzuerkennen.37 Doch mag dies dahinstehen. Wichtiger ist die genauere analytische Differenzierung und Abschichtung denkbarer Konstellationen. Insoweit sind folgende Fragen zu unterscheiden: a) Ermöglichung und Sicherung selbstbestimmter Entscheidungen aa) Kinder und Jugendliche sowie in ihrer Einsichtsfähigkeit eingeschränkte Volljährige Weitgehend unproblematisch sind Grundrechtsbegrenzungen in den Konstellationen, in denen es um Minderjährige geht.38 Entsprechendes gilt für volljährige Personen, deren Einsichtsfähigkeit – als tatsächliche Voraussetzung des Freiheitsgebrauchs39 – eingeschränkt ist.40 bb) Schutz vor unüberlegten Handlungen Abgesehen davon aber kennt die Rechtsordnung unterschiedliche Formen des Schutzes vor nicht hinreichend reflektierten und „gefährlichen“ Rechtshandlungen auch bei voll geschäftsfähigen Personen. Formvorschriften, Rücktrittsrechte u.ä. sind prinzipiell legitime Begrenzungen des Selbstbestimmungsrechts.41 Bei derartigen Regelungen handelt es sich um eine Art des weichen, prozeduralen Paternalismus. Dieser ist – wenn man so will – Ausdruck der „Lebensweltkompatibilität“ einer Rechtsordnung; denn nicht jeder ist immer und überall ein autonomes und valide informiertes Subjekt. b) Schutz mittelbarer Gemeinschaftsinteressen Denkbar ist schließlich, dass ein – prima vista – „Schutz des Menschen vor sich selbst“42 mit mittelbar betroffenen Gemeinschaftsinteressen legitimiert werden kann. So hat das Bundesverfassungsgericht etwa die Helmpflicht mit der Rücksichtnahmeobliegenheit für andere Unfallbeteiligte und mit denkbaren Folgekosten („z.B. durch Einsatz der Rettungsdienste, ärztliche Versorgung, Rehabilitationsmaßnahmen, Versorgung von Invaliden“) begründet.43 Ganz allgemein kann die 37 38 39 40 41 42
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In diesem Sinne etwa M. Sachs, aaO, S. 361. S. a. S. Beck, MedR 2006, S. 95 (100). S. BVerfGE 58, 208 (225). BVerfGE 58, 208 (224 ff.); s. a. BVerfGE 22, 180 (219). Dazu nur mit weit. Nachw. M. Sachs, aaO, S. 362. Dazu grundsätzlich Chr. Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992; J. Schwabe, JZ 1998, S. 66 ff. BVerfGE 59, 275 (278 f.): „Ein Kraftradfahrer, der ohne Schutzhelm fährt und deshalb bei einem Unfall eine schwere Kopfverletzung davonträgt, schadet keineswegs nur sich selbst […] Das Fahren ohne Schutzhelm, das dem Beschwerdeführer ein ‚Gefühl von Freiheit und Wagnis’ vermittelt, unterscheidet sich von anderen gefährlichen Betätigungen dadurch, daß es sich im öffentlichen Straßenverkehr abspielt, mithin in einem Bereich, der für die Allgemeinheit wichtig ist und für den der Staat deshalb eine besondere Verantwortung trägt. Wenn die Folgen eines […] berechenbaren und hohen Risikos die Allgemeinheit schwer belasten, ist es für den Einzelnen zumutbar, dieses Risiko durch einfache, leicht zu ertragende Maßnahmen zu senken.“ – Durchaus vergleichbare Erwägungen finden sich auch in der Cannabis-Entscheidung, BVerfGE 90, 145 (174 f.).
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Übernahme sozialstaatlicher Verantwortung für die Konsequenzen individueller Selbstschädigungen dazu führen, dass diese ihren Charakter als reine „Privatangelegenheiten“ verlieren.44 Der erzwungene „Schutz“ eines Grundrechtsträgers vor seiner autonomen Entscheidung alleine vermag indes eine Begrenzung seines Grundrechts kaum zu rechtfertigen.45 Der Staat hat „nicht die Aufgabe, seine Bürger zu ‚bessern’“.46
IV. Regulierungsstrategien Vor dem so entfalteten grundrechtsdogmatischen Hintergrund sind im Blick auf eine denkbare Regulierung der wunscherfüllenden Medizin durchaus legitime Begrenzungsstrategien denkbar. Einige seien abschließend skizziert, ohne allerdings zu definitiven Aussagen über die Verfassungskonformität konkreter Interventionen kommen zu können. Insoweit kommt es nämlich entscheidend auf die jeweilige Ausgestaltung des Regulierungsinstrumentariums an; zudem sind neben dem Selbstbestimmungsrecht weitere Grundrechtspositionen – etwa die Berufsfreiheit der (ärztlichen) Dienstleister – zu berücksichtigen. 1. Prozedurale Vorkehrungen zur Ermöglichung und Sicherung selbstbestimmter und reflektierter Entscheidungen Weitgehend unproblematisch sind zunächst prozedurale Regelungen: (1) So könnten spezifische Aufklärungspflichten47 normiert und für gravierende und irreversible – bzw. nur mit erheblichen invasiven Eingriffen korrigierbare – Enhancementinterventionen Altersgrenzen48 eingeführt werden. (2) Erwägenswert ist auch die Beschränkung bestimmter Interventionen auf spezifische Professionen, deren besondere Fachlichkeit eine eher zurückhaltendvorsichtige Praxis erwarten lässt. So könnte beispielsweise die Verordnung von Methylphenidat („Ritalin“) Kinder-/Jugendärzten bzw. -psychiatern vorbehalten werden.49 (3) Bei gravierenden, nicht bzw. nur schwer revidierbaren Interventionen bei Kindern und Jugendlichen, die einer genaueren Konkretisierung bedürfen, kann auch an die Einführung einer vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle der elterlichen Entscheidungen gedacht werden.
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Siehe auch BVerfGE – Rauschgiftkonsum. Siehe auch U. Steiner, Verfassungsfragen des Sports, NJW 1991, S. 2729 (2734 f.) im Blick auf Doping; zum Problem auch Chr. Enders, VVDStRL 64 (2005), S. 7 (41 f.). So BVerfGE 22, 180 (219) – s. a. BVerfGE 58, 208 (226): „Freiheit zur Krankheit“. Zur Frage der Anwendbarkeit berufsrechtlicher Regeln: W. Eberbach, MedR 2008, S. 325 (332); zur Frage der Aufklärung über mögliche wirtschaftliche Folgen: aaO., S. 334. Ähnlich wie im Transsexuellenrecht. S. dazu Chr. Lenk, Den gesunden Körper verbessern?, SAMW Bulletin 3/06, S. 1 (3 f.).
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2. Begrenzung bzw. Ausschluss sozialversicherungsrechtlicher Einstandspflichten Eine indirekt steuernde Einflussnahmemöglichkeit der Rechtsordnung zeigt die Regelung des § 52 II SGB V auf.50 3. Verbotsregelungen für bestimmte Enhancement-Interventionen? Soweit wunschmedizinische Maßnahmen mit hinreichend gewichtigen Rechten Dritter (in unmittelbarer Betroffenheit) kollidieren,51 sind auch direkte Verbotsregelungen grundsätzlich möglich.
V. Schlussbemerkungen Auch wenn damit von Verfassung wegen das Selbstbestimmungsrecht von „Enhancement-Patienten“ durchaus unterschiedlich regulierenden Begrenzungen durch das Recht unterworfen ist bzw. werden kann, sollte die thematische Fokussierung auf den Autonomieaspekt nicht den Blick dafür verstellen, dass – soziologisch gesprochen – komplexe gesellschaftliche Akteurskonstellationen und von diesen ausgehende „systemische“ Einflüsse die „individuellen“ Entscheidungsprozesse erheblich relativieren.52 Die überpersonellen Codes von Sieg und Niederlage, von Erfolg und Misserfolg, Einfluss und Machtlosigkeit prägen die private, berufliche und öffentliche Lebenswirklichkeit inzwischen so stark, dass spezifisch medizin-/ gesundheitsrechtliche Interventionen zu kurz greifen.
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S. a. W. Eberbach, MedR 2008, S. 325 (333): „Die Vorschrift trifft ins Zentrum der […] Wunschmedizin. Mit ihr kommt ein neuer Ton in die Debatte“. – Dazu der Beitrag von A. Wienke in diesem Band. Bsp. Eizellspende (s. o.). Dazu K. H. Bette, Doping im Leistungssport – zwischen individueller Schuld und kollektiver Verantwortung, Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 2008, S. 5 ff.
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Haftung für den Erfolgseintritt? – Die garantierte ärztliche Leistung
Haftung für den Erfolgseintritt? – Die garantierte ärztliche Leistung
Bernd-Rüdiger Kern, Isabell Richter
I. Einleitung In medizinrechtlichen Diskussionen wird immer wieder einmal zur Diskussion gestellt1, dass Verträge über Schönheitsoperationen nicht als Dienst-, sondern als Werkverträge angesehen werden sollten. In aller Regel wird damit die Erwartung verbunden, dass für den Erfolg „gehaftet“ werde, wobei nicht immer deutlich wird, ob damit wirklich der geschuldete Erfolg gemeint ist oder aber eine Haftungsverschärfung. Im Folgenden soll dieser Frage nachgegangen werden sowie der, ob sich andere juristische Lösungen anbieten. Dabei soll von der Dogmatik des Heileingriffs ausgegangen werden.
II. Die Zulässigkeit von Wunschbehandlungen/-eingriffen 1. Der Heileingriff und seine Rechtfertigung Die Heilbehandlung ist noch immer als „Prototyp“ ärztlichen Handelns anzusehen. Darunter wird eine ärztliche Maßnahme verstanden, die den Gesundheitszustand des Behandelten wieder oder soweit wie möglich herstellt2 oder Leiden lindert. Sie ist geprägt vom Heilauftrag. Von einer Heilbehandlung oder einem Heileingriff kann jedoch nur gesprochen werden, wenn hierfür eine Indikation besteht, der Eingriff dem medizinischen Standard entsprechend durchgeführt wird und die Einwilligung des Patienten den Eingriff deckt. Die Behandlung muss also mit anderen Worten unmittelbar Heilzwecken dienen.3 Dieser Ansatz blieb allerdings nicht unbestritten. Letztlich lassen sich drei Meinungen erkennen. Einerseits wird vertreten, dass nur ihr kumulatives Vorliegen rechtfertigende Wirkung entfalten kann.4 Andere hingegen sehen die Indikation als 1
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Zuletzt: Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325 und ders., Möglichkeiten und rechtliche Beurteilung der Verbesserung des Menschen – Ein Überblick, in diesem Band, S. 1–39. Staudinger-Bienwald, BGB, 14. Bearbeitung 2006, § 1904 Rn. 31 m.w.N. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 9, § 51 Rn. 6 f. So auch Steffen, Problemstellung zu OLG Naumburg, MedR 2009, 292 und Schönke/Schröder-Eser, StGB, 27. Aufl. 2006, § 223 Rn. 34 ff. (der allerdings dann Tatbestandslosigkeit annimmt).
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Basis der Rechtfertigung, die jedoch von der Einwilligung begrenzt wird. Demnach dürfen nicht indizierte Eingriffe auch nicht bei vorliegender Einwilligung des Patienten vorgenommen werden.5 Dritte betonen die Stärke des Selbstbestimmungsrechts des Patienten und stellen allein auf die wirksame Einwilligung ab, jedenfalls, wenn es sich um Fälle von Wunscheingriffen handelt.6 Im Folgenden soll davon ausgegangen werden, dass der Heileingriff seine Rechtfertigung in dem kumulativen Vorliegen von Indikation, Einwilligung und sachgemäßer Durchführung findet. Der Wunscheingriff unterscheidet sich vom Heileingriff dadurch, dass das Element der „Indikation“, und damit auch der „Heilzweck“, gänzlich fehlen. Diese Grenze lässt sich theoretisch sauber und eindeutig ziehen, in der ärztlichen Praxis gelingt das nicht immer so trennscharf. Zwar gibt es Eingriffe, die deutlich indiziert und deutlich nicht indiziert sind, aber eben auch solche, für die das nicht gilt, Fälle, in denen der Übergang fließend ist oder fließend gemacht wird. Daher ist es grundlegend wichtig, zunächst den Begriff der „Indikation“ zu klären, weil ihm insgesamt eine entscheidende Bedeutung im Zusammenhang mit der Zulässigkeit und der Rechtfertigung ärztlicher Eingriffe beizumessen ist. Unter Indikation, auch Heilanzeige genannt, wird der Grund zur Anwendung von Behandlungsmaßnahmen im Erkrankungsfall verstanden.7 Da das Sozialversicherungsrecht in § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V an der Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung anknüpft, muss es insoweit auch an die Indikation anknüpfen und tut es grundsätzlich auch. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung handelt es sich bei der Indikation und der damit einhergehenden Unterscheidung von Krankheit und Gesundheit demzufolge um den Zentralbegriff für die Leistungserbringung,8 wenn es allerdings auch medizinisch indizierte Eingriffe gibt, die nicht zum Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen gehören.9 2. Der Wunscheingriff und seine Rechtfertigung a) Die Bedeutung der Indikation für den Wunscheingriff Demzufolge stellt das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Indikation den entscheidenden Unterschied zwischen Heileingriff und Wunscheingriff dar. Vom Heileingriff ausgehend müsste strenggenommen jeder indikationslose Eingriff rechts5
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Vgl. dazu Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 9 f.; so deutbar: BGH, NJW 1978, 1206. Nicht eindeutig: BGH, NJW 1978, 1206; so wohl auch OLG Köln, GesR 2003, 169; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2009, Kap.7, § 39 Rn. 45; MüKo-Wagner, BGB, 4. Aufl. 2004, § 823 Rn. 665; Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, 2007, S. 93 f. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl. 2004, Stichwort „Indikation“, S. 905. Eingehend zum Krankheitsbegriff: Kötter in Lehr- und Praxiskommentar (LPK) – SGB V, 3. Aufl. 2009, § 27 Rn. 2 ff. Vgl. dazu Kern, Führt die Vorgabe von Standards, Leitlinien und ökonomischen Begrenzungen auch zu einer Veränderung des zivilrechtlichen Haftungsmaßstabes?, Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 2004, S. 222-226.
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widrig und damit unzulässig sein, weil ihm eines der drei Rechtfertigungselemente fehlt. Und so war es cum grano salis auch bis zur sogenannten Dohrn-Entscheidung des BGH aus dem Jahre 196410. Indessen ist allgemein bekannt, dass das heute nicht mehr zutrifft. Das Fehlen der Indikation wird vielmehr durch verstärkte Anforderungen an die ärztliche Aufklärung und damit an die Einwilligung ausgeglichen. Das Defizit bei einem Rechtfertigungselement wird also durch ein Übermaß bei einem anderen kompensiert. Ausgehend von den Regeln: je stärker die Indikation, desto schwächer kann die Einwilligung ausfallen; je schwächer die Indikation, desto stärkeren Anforderungen muss die Einwilligung genügen11, wird beispielsweise vor Schönheitsoperationen eine absolut vollständige (Brutal-) Aufklärung verlangt12. Vergleichbares gilt für die Lasertherapie13 und für die Blutspende14. Allerdings gibt es insoweit eine Grenze. Das vorstehend Gesagte gilt nicht, wenn eine Kontraindikation vorliegt. Unter Kontraindikation, der sogenannte Gegenanzeige, wird ein Umstand verstanden, der die Anwendung eines diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens bei an sich gegebener Indikation verbietet.15 So hat das OLG Karlsruhe beispielsweise für den Fall einer kontraindizierten Mehrfach-Laserbehandlung entschieden, dass sie auch durch Einwilligung nach eindring-lichster Aufklärung nicht gerechtfertigt ist.16 Das lässt sich damit begründen, dass eine Einwilligung in einen Behandlungsfehler nicht möglich sei17, weil der Behandlungsfehler durch nichts gerechtfertigt werden kann. Wer der medizinisch wohl gut vertretbaren Ansicht folgt, dass jeder nicht indizierte Eingriff eine Kontraindikation darstellt, kann an dieser Stelle die Erörterung als beendet betrachten und jede Form von nicht indiziertem Eingriff als unzulässig ansehen. Zwar gibt es vermehrte Anzeichen in Gesetzgebung und Rechtsprechung, die in diese Richtung weisen, aber noch dürfte das nicht herrschende Meinung sein. Demzufolge bedarf die Problematik einer gründlicheren Untersuchung. In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, inwieweit die Indikation überhaupt von Bedeutung ist. Das ist zum einen bei Eingriffen im weitesten Sinne an nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen der Fall, zum anderen für die dogmatische
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BGH, NJW 1965, 355 = BGHSt 20, 81. Laufs/Uhlenbruck-Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 11, § 63 Rn. 6; Kern/ Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 68; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, § 6 S. 328 f. BGH, NJW 1991, 2349; OLG Hamm, VersR 2006, 1511, 1512; OLG Düsseldorf, VersR 2003, 1579 und Kern, Die neuere Rechtsprechung zur Aufklärung, GesR 2009, 1, 3. OLG Düsseldorf, VersR 2004, 386. BGH NJW 2006, 2108 = ArztR 2007, 124. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Aufl. 2004, Stichwort „Kontraindikation“, S. 1023. OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104; OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; anders noch OLG Köln, VersR 2000, 492. Kern/Laufs, Die ärztliche Aufklärungspflicht, 1983, S. 68; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 111 f.; Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 254.
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Einordnung der ärztlichen Tätigkeit im Strafrecht und drittens zur Rechtfertigung ärztlicher Eingriffe an nicht Einwilligungsfähigen akut Behandlungsbedürftigen von Bedeutung. aa) Die Bedeutung der Indikation im Strafrecht Während es seit mehr als einhundert Jahren heftigst umstritten ist, ob der ärztliche Heileingriff tatbestandlich als Körperverletzung anzusehen ist18, besteht weitestgehende Einigkeit darüber, dass der Wunscheingriff jedenfalls eine Körperverletzung darstellt.19 Denn bei Wunscheingriffen kann die dogmatische Einordnung des Eingriffs als Körperverletzung gerade nicht mit dem Argument der faktischen Notwendigkeit des Eingriffs zum Zwecke der Heilung in Abrede gestellt werden20 und auch nicht mit der Heiltendenz. Wird von der Verwirklichung des Körperverletzungstatbestandes durch einen Wunscheingriff ausgegangen, stellt sich die Frage nach den Anforderungen an die Rechtfertigung. Auch insoweit erscheint ein Vergleich zum Heileingriff hilfreich. Denn auch der Wunscheingriff bedarf zu seiner Rechtfertigung zumindest der standardgemäßen Durchführung und der wirksamen Patienteneinwilligung. Hinsichtlich des einzuhaltenden medizinischen Standards ist auch bei Wunscheingriffen darauf hinzuweisen, dass dessen Nichteinhaltung einen Behandlungsfehler darstellt. Bedeutsam ist gerade auch im Hinblick auf die Vornahme sogenannter ästhetischer Eingriffe, dass der Arzt für den Eingriff fachlich qualifiziert sein muss. Diese persönliche Befähigung fehlt im Fall des unzureichenden Ausbildungsstandes oder wenn es sich um einen fachgebietsfremden Eingriff handelt.21 Problematisch ist allerdings, dass es kein einschlägiges Fachgebiet und demzufolge auch keinen Facharztstandard gibt. Dennoch lässt sich der Standard aus den Standards für verwandte Eingriffe ableiten. So gibt es zwar beispielsweise keinen Standard für das Entfernen von Tätowierungen mittels Lasers, aber einen Standard für Lasereinsätze an der Haut bei Heileingriffen, auf den bei der Beurteilung der Behandlungsfehlerfreiheit einer Schönheitsoperation zurückgegriffen werden muss. Entsprechendes gilt für die Fachgebietsüberschreitung. Hinzukommen muss die Einwilligung des Betroffenen nach Aufklärung. Nur das Strafrecht kennt eine Vorschrift, die die Funktion der Einwilligung zum Gegenstand hat. Gemäß § 228 StGB ist die Körperverletzung gerechtfertigt, wenn sie mit Einwilligung des Verletzten geschieht, es sei denn, die Einwilligung verstößt gegen die guten Sitten. Demzufolge sind Wunscheingriffe nach § 228 StGB je-
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Zum Streitstand: Schönke/Schröder-Eser, StGB, 27. Aufl. 2006, § 223 Rn. 29 f. Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 111 f. mwN; a.A. Tag, Der Körperverletzungstatbestand im Spannungsfeld zwischen Patientenautonomie und Lex artis, 2000, § 11 VI, S. 184 f. Ausführliche Darstellung: Laufs/Uhlenbruck-Ulsenheimer, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 23, § 138 Rn. 8 ff.; Schönke/Schröder-Eser, StGB, 27. Aufl. 2006, § 223 Rn. 30. Vgl. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 208 für Heileingriffe; vgl. auch Rehborn, Aktuelle Entwicklungen im Arzthaftungsrecht, MDR 2002, 1281, 1282.
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denfalls dann unzulässig, wenn dadurch für den Patienten ein unkalkulierbares Gesundheitsrisiko entsteht.22 Jedoch verbietet sich der weitergehende Schluss, § 228 StGB sei bei jedem indikationslosen Eingriffs erfüllt, weil er bereits am Begriff der „Sittenwidrigkeit“ scheitert. Seine Definition bereitet Schwierigkeiten und auch der standardmäßige Hinweis, es handele sich dabei um das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“23 ist wenig aussagekräftig. In einer pluralistisch geprägten Gesellschaft lässt sich ein Konsens über Moral und Sittlichkeit sicher nicht finden. Eine Entscheidungsfindung anhand eines Sittenwidrigkeitsverdikts ist daher nur ausnahmsweise, im Einzelfall und mit Zurückhaltung möglich.24 Jedenfalls ist die Rechtsprechung geneigt, krasse Fälle der fehlenden Indikation – wie den berühmten Zahnextraktionsfall25 – über § 228 StGB zu lösen. Strafbewehrte Verbote indikationsloser Eingriffe finden sich aber auch sonst, so z.B. die Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), die Kastration ohne Indikation (§ 1 iVm § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 KastrG26), die Leihmutterschaft (§ 1 Abs. 1 ESchG27) und der indikationslose Schwangerschaftsabbruch gemäß § 218 Abs. 2 und 3 StGB. Eine Besonderheit findet sich in § 109 StGB, die neben der Unwirksamkeit einer Einwilligung in den Fremdeingriff sogar die Selbstschädigung unter Strafe stellt, wenn sie der Wehrpflichtentziehung dienen soll. bb) Die Bedeutung der Indikation bei der Behandlung Minderjähriger Am deutlichsten wird im Moment die Funktion der Indikation bei Eingriffen an Minderjährigen. Grundsätzlich müssen die Betroffenen in Heileingriffe selbst einwilligen. Bei nichteinwilligungsfähigen Minderjährigen, aber auch Volljährigen darf und muss das ihr gesetzlicher Vertreter tun, allerdings nur, wenn es notwendig ist. Notwendig ist die Fremdbestimmung indessen lediglich bei indizierten Eingriffen.28 Das bedeutet für nichteinwilligungsfähige Minderjährige zweierlei: Die gesetzlichen Vertreter müssen einwilligen, wenn der Eingriff indiziert ist29 und sie dürfen es nicht, wenn es an der Indikation fehlt. Dem letzteren Gesichtspunkt hat der Gesetzgeber in mehreren Vorschriften durch Verbote nichtindizierter Eingriffe an Minderjährigen Ausdruck verliehen. So
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Schönke/Schröder-Stree, StGB, 27. Aufl. 2006, § 228 Rn. 8, 10. MüKo-Armbrüster, BGB, 5. Aufl. 2006, § 138 Rn. 14. Umfassend zur Problematik: MüKo-Armbrüster, BGB, 5. Aufl. 2006, § 138 Rn. 11 ff. BGH, NJW 1978, 1206. Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden v. 15.8.1969 (BGBl. I S. 1143), zuletzt geändert durch Artikel 4 Abs. 6 d. Gesetzes v. 26.01.1998 (BGBl. I S. 164). Vgl. dazu Kern, Kastration, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, Heidelberger Kommentar Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, Bd. 2, 2001, S. 2830/2. Embryonenschutzgesetz v. 13.12.1990 (BGBl. I S. 2746), geändert durch Artikel 22 d. Gesetzes v. 23.10.2001 (BGBl. I S. 2702). Vgl. dazu Kern, Fremdbestimmung bei der Einwilligung in ärztliche Eingriffe, NJW 1994, 753, 755. So auch AG Nordenham, MedR 2008, 225, 226.
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sind als nichtindizierte Eingriffe die Blutspende (§§ 6 Abs. 1, 18 TFG 30) und die Organspende (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) TPG) generell verboten. Wenig konsequent ist die Ausnahme, die das TPG bezüglich der Knochenmarkspende macht (§ 8a TPG). Vom Schweregrad her ist sie zwischen Blut- und Organspende angesiedelt und sollte daher wie sie verboten sein. Wenn allerdings die Anbindung an § 1627 BGB, die § 8a Nr. 4 TPG vornimmt, ernst genommen wird, so ist auch dieses Verbot gegeben. Daneben findet sich noch das Verbot der Sterilisation Minderjähriger in § 1632a BGB, das allerdings auch für indizierte Eingriffe gilt.31 Vor diesem Hintergrund wäre ein Verbot von Schönheitsoperationen an Minderjährigen durchaus verständlich und begrüßenswert. cc) Element des mutmaßlichen Willens Schlussendlich kommt der Indikation entscheidende Bedeutung als Rechtfertigungselement in den Fällen des aufgrund von Bewusstlosigkeit Nichteinwilligungsfähiger bei akuter Leibes- und Lebensgefahr zu. Ist die Einwilligung nicht bekannt und nicht einholbar und die Indikation dringend, so lässt sich das Interesse und der mutmaßliche Wille in Bezug auf die Geschäftsführung ohne Auftrag allein nach der Indikation bestimmen. c) Ergebnis Eine eindeutige Antwort auf die Frage, inwieweit es für die Rechtmäßigkeit des Eingriffs auf die Indikation ankommt, läßt sich momentan nicht geben. Der Gesetzgeber gibt zunehmend zu erkennen, dass er Wunscheingriffen grundsätzlich kritisch gegenübersteht. Das hat er – über die angeführten Fallgruppen hinaus – beispielsweise durch die Auferlegung der Kostentragungslast auf den Patienten für medizinisch indizierte Folgebehandlungen medizinisch nicht indizierter ästhetischer Operationen, Tätowierungen und Piercings (§ 52 Abs. 2 SGB V) zum Ausdruck gebracht.32 Um die Wirksamkeit dieser Entscheidung zu stärken, wurde sogar die ärztliche Schweigepflicht in diesem Punkt durchbrochen, indem § 294 a Abs. 2 SGB V eine Meldepflicht des Kassenarztes an die Krankenversicherung normiert. Weiterhin gibt es Vorschläge, beispielsweise Schönheitsoperation an Minderjährigen33 und Besuche im Sonnenstudio für Minderjährige34 gesetzlich zu verbieten.
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I.V. mit den Hämotherapie-Richtlinien, Abschnitt 2.1.4.2., BAZ v. 5.11.2005, Nr. 209a, S. 11; vgl. dazu MüKo-Tag, StGB Bd. 5, 2007, § 6 TFG Rn. 6 und Kern, Rechtliche Aspekte der Blutspende, in: Gostomzyk (Hrsg.), Blut und Plasma spenden – Leben und Gesundheit sichern, 2000, S. 55–66, 59. Zu dieser Problematik vgl. Kern/Hiersche, Zur Sterilisation geistig Behinderter, MedR 1995, 463, 467. Anders noch im viel enger gefassten Vorgängervorschlag: BT-Dr. 16/8525, S. 90 f. Vgl. dazu Wienke, Eigenverantwortung des Patienten/Kunden. Wohin führt der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V?, in diesem Band, S. 169–176. http://www.krankenkassen.de/dpa/131432.html; http://www.sueddeutsche.de/leben/artikel/ 56/170557/; http://www.n-tv.de/Minderjaehrige_unterm_Skalpell_Schoenheitswahn_im_Visier/220420081412/952515.html. http://www.tagesschau.de/inland/gabriel106.html.
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Die Genitalverstümmelung soll ausdrücklich als schwere Körperverletzung in das StGB aufgenommen werden.35 Auch die Rechtsprechung wird in der Frage der Rechtfertigung eines indikationslosen Wunscheingriffs zunehmend kritischer. Zwar geht sie dem Problem überwiegend aus dem Weg, indem sie die – oft schwierige – Entscheidung über das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer Indikation und den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen mit dem Hinweis dahingestellt sein lässt, dass zumindest die Aufklärung nicht den gebotenen Anforderungen entsprochen habe und der Eingriff schon deshalb rechtswidrig gewesen sei,36 jedoch zeichnet sich in der jüngeren Rechtsprechung die Tendenz ab, der Indikation mehr Bedeutung beizumessen. So sind nach neuerer Rechtsprechung kontraindizierte Eingriffe selbst durch eine Einwilligung nach einer absolut schonungslosen Aufklärung nicht gerechtfertigt37. Entsprechend kann nicht wirksam in eine Behandlung eingewilligt werden, die nicht dem Standard entspricht38.
III. Die Rechtsnatur des Vertrages über die Vornahme einer Wunschbehandlung 1.
Dienst- oder Werkvertrag?
Da die Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit der Durchführung von Wunscheingriffen durch Ärzte an einem Patienten in dieser Konsequenz bisher noch nicht gestellt und weder durch Gesetzgeber noch durch Rechtsprechung vertieft erörtert wurde, ist unter der Prämisse, dass der Abschluss eines Vertrages über die Durchführung eines Wunscheingriffs möglich ist, zu diskutieren, welches Rechtsverhältnis dem Eingriff zugrunde liegt. Der ärztliche Behandlungsvertrag ist gesetzlich nicht geregelt. Im Zivilrecht gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Daher können die Parteien schuldrechtlich den Vertragsinhalt grundsätzlich frei bestimmen.39 Es stellt sich also die Frage, was vertraglich geschuldet ist: Soll nur die sorgfaltsgerechte Vornahme des Eingriffs geschuldet werden (Dienstvertrag) oder darüber hinaus auch ein Erfolg (Werkvertrag)?
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BT-Dr. 16/12910. OLG Köln, GesR 2003, 169; OLG Brandenburg, Urt. v. 27.3.2008 – Az.: 12 U 239/06, juris. OLG Düsseldorf, VersR 2002, 611; OLG Karlsruhe, MedR 2003, 104 = VersR 2004, 244 = ArztR 2003, 253; anders noch OLG Köln, VersR 2000, 492. Vgl. dazu auch OLG Karlsruhe, VersR 2002, 717. BGH, NStZ-RR 2007, 340; BGH, MedR 2008, 435, 436. Allerdings geht das Gericht im zweiten Fall zu Unrecht davon aus, dass die Behandlung nicht dem medizinischen Standard entsprach. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 10; Lorz, Arzthaftung bei Schönheitsoperationen, 2007, S. 72.
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Für den Heileingriff wurde schon lange diskutiert, ob das zugrunde liegende Vertragsverhältnis ein Dienst- oder ein Werkvertrag ist, oder ob es sich nicht etwa um einen Vertrag sui generis handele. Die ganz h.M.40 geht dabei grundsätzlich vom Vorliegen eines Dienstvertrages aus. Das lässt sich ganz allgemein mit § 11 Abs. 2 S. 2 MBO begründen, demzufolge Ärzte keine Heilerfolge als gewiss zusichern dürfen. Diese Vorschrift der MBO beruht wiederum auf dem Gedanken, dass der menschliche Körper ein lebender Organismus sei, bezüglich dessen keine gewissen Prognosen möglich seien. Gegen die Übertragung dieser Begründung auf Wunscheingriffe werden jedoch in der Literatur vermehrt Bedenken vorgetragen. Der Arzt sei, wenn er sich seines hergebrachten Aktionskreises begebe und lediglich die erlernten Fähigkeiten zu kommerziellen Zwecken einsetze, nicht mehr schutzwürdig und verdiene eine andere Bewertung seiner Tätigkeit.41 In dem Moment, in dem aus Patienten Kunden und Ärzte zu „Maßschneidern“ werden, stelle sich auch schuldrechtlich die Sache anders dar und es müssten daher auch die Regeln des Werkvertrags Anwendung finden. In der Rechtsprechung hingegen wird auch der Vertrag über die Vornahme eines Wunscheingriffs als Dienstvertrag eingestuft.42 Bei der Frage, ob der Vertrag über die Vornahme eines Wunscheingriffs werkvertraglicher Natur sei, ist zu untersuchen, ob 1. für den Heileingriff bereits ins Feld geführten Argumente nun anderes Gewicht erlangen, und 2. inwiefern speziell im Zusammenhang mit Wunscheingriffen stehende Argumente zur Anwendung des Werkvertragsrechts überzeugen können. 2. Bisherige Argumentationslinien zum Heileingriff und ihre Bedeutung für Wunscheingriffe a) Anwendbarkeit des Dienstvertragsrechts Im Wesentlichen wurde die Anwendbarkeit des Dienstvertragsrechts stets mit folgenden Argumenten begründet: Der Arzt könne nicht verpflichtet sein, die Gesundung des Patienten als Erfolg der Behandlung oder Operation zu schulden. Der Erfolg eines Eingriffes sei von zahlreichen Faktoren abhängig, auf die der Arzt nur beschränkt Einfluss nehmen und daher auch den Behandlungserfolg weder garantieren könne noch wolle. Zu den hierfür ausschlaggebenden Faktoren werden der
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BGHZ 63, 306, 309; OLG Düsseldorf, VersR 2004, 386; Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/ Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 10; Medicus, Schuldrecht II, BT, 14. Aufl. 2007, Rn. 349; MüKo-Müller-Glöge, Bd. 4, 5. Aufl. 2009, § 611 Rn. 79, 83; MüKo-Busche, Bd. 4, 5. Aufl. 2009, § 631 Rn. 238; Jauernig-Mansel, BGB, 12. Aufl. 2007, vor § 611 Rn. 21; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 99 f.; Kern, Arzt-, Behandlungsvertrag, in: Rieger/Dahm/Steinhilper, Heidelberger Kommentar. Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2008, S. 335/1, Rn. 2. Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325, 334 f.; MüKo-Busche, BGB, Bd. 4, 4. Aufl. 2005, § 631 Rn. 239 (für kosmetische Operationen). OLG Köln, GesR 2002, 85, 86 (Brustvergrößerung); OLG Hamburg, MDR 2006, 873 (Bruststraffung und Fettabsaugung).
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physische und der psychische Zustand des Patienten gezählt. Selbst unter optimalen Bedingungen seien diese Faktoren bei dem gegenwärtigen Stand der Medizin nicht voll beherrschbar, so dass in der Bedingungskette für einen Heilerfolg der Eingriff selbst nur ein einzelnes Glied darstelle.43 Eine Gesundungsgarantie widerspräche daher der Funktion des Behandlungsvertrages und der Stellung des Arztes in der sozialen Wirklichkeit und bürde ihm ein unübersehbares Haftungsrisiko auf.44 Die Gesundung des Patienten ist demnach zwar der angestrebte Erfolg der Behandlung, sie wird jedoch nicht geschuldet. Demzufolge muss der Arzt den Misserfolg einer Behandlung nur vertreten, wenn ihm diesbezüglich ein schuldhafter Behandlungsfehler unterlaufen ist. Seine Einstandspflicht beschränkt sich damit auf vorwerfbare Fehlleistungen.45 Die wenigen Befürworter der Anwendbarkeit des Werkvertragsrechts bestimmten den Erfolgsbegriff anders: Der vereinbarte Erfolg könne auch in der ordnungsgemäßen Vornahme der Handlung liegen.46 Dies wurde jedoch zu recht mit der Begründung abgelehnt, dass eine derartige Begriffsdefinition für den Behandlungsvertrag dazu führe, dass dadurch die Grenzen zwischen Dienst- und Werkvertrag verwischt werden.47 Außerdem gelte ein derartiger Erfolgsbegriff für jede ärztliche Behandlung. Ein so definierter Erfolg wäre auch wenig hilfreich für das Einstehenmüssen. Die ordnungsgemäße Durchführung des Eingriffs schuldet der Arzt auch beim Dienstvertrag. Weiterhin muss man sich verdeutlichen, dass keine Handlung um ihrer selbst Willen vorgenommen wird, sondern stets im Hinblick auf ein Ziel. Die Begriffe „Ziel“ und „Erfolg“ sind jedoch nicht deckungsgleich. Vielmehr wird das „Ziel“ nur im Werkvertrag zur geschuldeten Leistung in Form des „Erfolgs“. Die genannten Argumente für die Anwendung des Dienstvertragsrechts auf die Heilbehandlung finden auf den Wunscheingriff entsprechende Anwendung. Die Unwägbarkeiten des Körpers bleiben dieselben. Hinzukommt, dass der Dienst-, nicht aber der Werkvertrag, beinhaltet, dass der Arzt die Leistung im Zweifel in Person zu erbringen hat (§ 613 S. 1 BGB). 48 b) „Neue Argumente“ für den Werkvertrag aa) In der Literatur findet sich das Argument, dass dem Arzt aufgrund seines altruistischen Handelns beim Heileingriff Haftungserleichterungen zugestanden werden, die bei Wunscheingriffen gerade aufgrund der Tatsache entfallen müssten, dass der Arzt nicht mehr altruistisch, sondern mangels Indikation „merkanti43
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Soergel/Spickhoff, BGB, Bd. 12, 13. Aufl. 2005, § 823 Anh. I Rn. 39; Katzenmeier, Arzthaftung, 2002, S. 99 f. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 99; Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 10. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 10. Staudinger-Richardi, BGB, 14. Bearbeitung 2005, Vor §§ 611 ff. Rn. 33. So für den Zahnarztvertrag: Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2009, Kap. 7 Rn. 25; v. Ziegner, Der Zahnarzt in der zivilrechtlichen Haftung unter besonderer Abwägung des anzusetzenden Haftungsstandards, 2007, S. 15 f. Staudinger-Richardi, BGB, 14. Bearbeitung 2005, Vor §§ 611 ff. Rn. 54.
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listisch“ handele und daher auch eine strengere Haftung gerechtfertigt sei.49 Diese Ansicht verkennt jedoch zum einen, dass die Frage nach dem richtigen Vertragstyp keine Frage der Haftung ist, sondern eine solche, ob der Versprechende die vertragliche Garantie für den Erfolg übernimmt oder nicht. Zweitens darf die Einordnung zu einem bestimmten Vertragstyp nicht aufgrund der gewünschten Rechtsfolge unter Billigkeitsgesichtspunkten erfolgen, sondern nach den Vereinbarungen der Vertragsparteien und hilfsweise anhand des Erscheinungsbildes des zu beurteilenden tatsächlichen Geschehens, d.h. welcher Vertragstyp auf den Sachverhalt am besten passt.50 Die Haftung richtet sich dann in der Folge nach dem Vertragstyp und dem ihm entsprechenden Haftungsrecht. Der Natur eines Wunscheingriffes entspricht der Dienstvertrag besser als der Werkvertrag. An dieser Stelle wird offenbar, dass sich Wunsch- und Heileingriff im Tatsächlichen, d.h. bei der Durchführung nicht unterscheiden. Allein die Motivation der Parteien, der Anlass des Eingriffs – letztlich die fehlende Indikation – vermag nichts daran zu ändern, dass im Zusammenhang mit der Durchführung des Eingriffs der Arzt auf dieselben körperlichen Unwägbarkeiten des einzelnen Patienten trifft.51 Es verbleiben beispielsweise im Fall einer Operation „die üblichen Operationsrisiken wie die Gefahr der Nachblutung, Wundinfektion, Wundheilungsstörung und eines erhöhten Thrombose- und Embolierisiko, sowie einer gestörten Durchblutung nach Abschluss der Operation. Weiterhin kann es zu Folgen kommen, die einen Zweiteingriff erforderlich machen.“52 Besonders deutlich wird dies auch daran, dass ein Eingriff, der aufgrund einer rein psychischen Indikation vorgenommen wird, sich praktisch nicht von einem gleichartigen Wunscheingriff unterscheidet. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Arzt nicht in einem derartigen Maße merkantilistisch handelt, wie behauptet wird. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Arzt bei der Abrechnung nicht indizierter Maßnahmen an die Regelungen und das Gebührenverzeichnis der GOÄ53 gebunden und unterliegt damit zwingendem Preisrecht. Dies folge bereits aus § 1 Abs. 1 GOÄ, nach dem sich die Vergütungen für „die beruflichen Leistungen der Ärzte“ allein nach dieser Verordnung bestimmen. Der Begriff der „beruflichen Leistungen“ umfasse mehr als nur den Bereich medizinisch indizierter Handlungen. Eine medizinische Indikation ist demgemäß kein zwingendes Erfordernis für die Anwendbarkeit der GOÄ.54 Vielmehr sind zur Honorarberechnung entsprechende Positionen heranzuziehen.
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Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325, 335. Ehlers/Broglie-Broglie, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl. 2005, Kap. 7, A IV. Rn. 718. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 31 m.w.N. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urt. v. 23.04.2008 – Az.: L 5 KR 2/07. Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) in der Fassung der Bekanntmachung v. 9.2.1996, zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes v. 4.12.2001, BGBl. I S. 3320. BGH, MedR 2006, 424.
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bb) Weiterhin wird ins Feld geführt, der Arzt mache konkrete Angebote und stelle konkrete Erfolge im Hinblick auf die Verbesserung von Aussehen und Lebensqualität in Aussicht.55 Daran müsse er sich festhalten lassen. Wie bereits erwähnt, muss der Arzt ausdrücklich seinen Zusicherungswillen zum Ausdruck bringen. Allein aus dem bloßen Angebot, einen solchen Wunscheingriff vornehmen zu wollen, kann gerade nicht auf ein Einstehenwollen für den Erfolg geschlossen werden. Daran ändert sich auch nichts durch das Wissen des Arztes um den auf den Erfolg des Eingriffs gerichteten Willen des Patienten.56 Der Arzt kennt ebenso den starken Wunsch des Kranken nach Gesundung als Behandlungserfolg, ohne dass ein darauf gerichteter Eingriff dem Werkvertragsrecht unterfiele. Auch möchte der Arzt – abgesehen vom unwahrscheinlichen Fall der erklärten Garantie für den Erfolg – auch bei Vornahme eines Wunscheingriffs nicht für den Erfolg einstehen.57 Ein solches Erfolgsversprechen ist auch unter standesrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich58. Der Arzt unterliegt dem standesrechtlichen Verbot, „Heilerfolge … als gewiss zuzusichern“ (§ 11 Abs. 2 MBO). Da das Verbot sich ausdrücklich auf Heilerfolge bezieht, könnte der Umkehrschluss gezogen werden, dass für Wunscheingriffe ein Erfolg in Aussicht gestellt werden darf. Die Regelung ist jedoch dahingehend auszulegen, dass der Schwerpunkt der berufsethischen Aussage darauf liegt, dass ein – wie auch immer gearteter – Erfolg nicht zugesichert werden darf, unabhängig davon, ob der Patient auf Genesung, Leidenslinderung oder Verschönerung hofft. Dies ergibt sich auch vor dem Hintergrund der Überlegung, dass sich Wunsch- und Heileingriff oft nur durch den dem Eingriff zugrunde liegenden Anlass unterscheiden und nicht in ihrer praktischen Durchführung. Die Rechtsprechung59 verneint auch bei Wunscheingriffen das Vorliegen eines entsprechenden Versprechens und geht nicht auf die Frage ein, ob der Arzt das hätte versprechen dürfen. Ein Arzt, der einen Erfolg garantieren will, müsse das eindeutig und unzweifelhaft zum Ausdruck bringen. Ansonsten wird davon ausgegangen, dass ein Arzt bei einem medizinischen Eingriff nie die Gewähr für den Erfolg, d.h. den Eintritt der angestrebten Folge übernehmen möchte, sondern immer nur für die Vornahme der Maßnahme gemäß den medizinischen Standards. Fraglich ist auch, ob das Umsteigen auf den Werkvertrag überhaupt den gewünschten Erfolg brächte. Wie schon ausgeführt, beruht die Einordnung des Behandlungsvertrages auf den Unwägbarkeiten des menschlichen Körpers. Dieser Umstand bleibt selbstverständlich auch erhalten, wenn von einem Werkvertrag ausgegangen wird, und führte zur Anwendung der §§ 644, 645 BGB. Zwar mag es etwas makaber klingen, von einem „Mangel des vom Besteller gelieferten Stoffes“ 55 56 57
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Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325, 335. So aber Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325, 335. MüKo-Busche, BGB, 5. Aufl. 2009, § 631 Rn. 62; Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2009, Kap. 7, § 39 Rn. 29. Ebenso Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 32 mwN. OLG Hamburg, MDR 2006, 873.
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zu reden, aber der Grundgedanke der §§ 644f. BGB müsste doch in Konsequenz der Anwendung der Werkvertragsregeln auch beachtet werden. Damit entfiele die gewünschte Garantie wieder. cc) Die Annahme eines Werkvertrags würde zum verschuldensunabhängigen Einstehenmüssen des Arztes für den Erfolg des Wunscheingriffs führen. Damit verzichtete man auf die handlungssteuernde präventive Funktion des Verschuldens. Sachfremde Elemente würden Raum finden und der Weg zu einer Gefährdungs-, richtiger wohl Erfolgshaftung geebnet.60 Zu überlegen bleibt, ob das wirklich gewollt und zielführend ist. Zu bedenken ist, dass auch vor einem Wunscheingriff der Patient aufzuklären ist. Gemäß der Faustregel, dass die Aufklärung umso intensiver und umfangreicher zu erfolgen hat, je weniger dringlich der Eingriff ist, muss dem Patienten im Fall eines Wunscheingriffs das höchste Maß an Aufklärung zuteil werden.61 Dazu gehört u.a. die Aufklärung darüber, dass der Eingriff nicht notwendig ist, sowie auch eine umfassende Risikoaufklärung. Im Fall von Schönheitsoperationen etwa wurde entschieden, dass dem Patienten zur Verdeutlichung etwa u.a. abschreckende Bilder nicht erfolgreicher Eingriffe gezeigt werden sollten.62 Es fragt sich, ob ein Patient, der dermaßen aufgeklärt wirksam in den Eingriff einwilligt, dennoch die Vorzüge des Werkvertragsrechts genießen soll, wenn das Risiko eintritt, das er mit Erklärung seiner Einwilligung für sich selbst als hinnehmbar akzeptiert hat. dd) Dass das Werkvertragsrecht in vertragscharakteristischen Punkten nicht passt, wird nicht nur an der nicht möglichen „Abnahme“ deutlich, sondern beispielsweise auch daran, dass regelmäßig die Grundkonzeption des Gewährleistungsrechts ausgehebelt wird: das vorrangige Recht des Unternehmers (Arzt) auf Nacherfüllung dürfte aufgrund eines schwer gestörten Vertrauensverhältnisses dem Besteller (Patient) zumeist unzumutbar sein und daher zum sofortigen Rücktritt und zur Selbstvornahme (§ 637 Abs. 2 BGB) berechtigen.63 3. Vertrag sui generis oder Mischvertrag Teils wurde auch versucht, den ärztlichen Behandlungsvertrag als Vertrag sui generis zu konstruieren. Das wurde allerdings zu Recht mit dem Hinweis abgelehnt, dass die vorhandenen Vertragstypen ausreichen, den Behandlungsvertrag einzuordnen und daher ein Bedürfnis für ein solches Konstrukt nicht besteht.64
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Körner, Zur Aufgabe des Haftungsrechts – Bedeutungsgewinn präventiver und punitiver Elemente, NJW 2000, S. 241. Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Aufl. 2008, Rn. 289 m.w.N. OLG Hamburg, VersR 1983, 63. Vgl. dazu auch Kern, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2009, Kap. 17, § 97a. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 13.
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Die Anwendbarkeit des Dienstvertragsrechts schließt freilich nicht aus, dass in Einzelbereichen werkvertragliche Elemente Anwendung finden.65 Jedoch lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass ein Mischvertrag vorliegt, da der Gesamtcharakter der ärztlichen Leistung eindeutig durch den dienstvertraglichen Schwerpunkt geprägt ist.66 Nur für Teilbereiche, in denen keine besondere ärztliche Behandlung erfolgt, findet dann auch das Werkvertragsrecht Anwendung.67 4. Weiterführende Überlegungen zur Haftung a) Unabhängig davon, welcher Vertragstyp Anwendung findet, ist die Haftung zu klären, denn die Haftung für Behandlungsfehler ist selbstverständlich auch bei Dienstverträgen gegeben. Überhaupt scheint die ganze Diskussion um den rechtlichen Charakter des Behandlungsvertrages bei Wunschbehandlungen zu Unrecht durch die Haftungsproblematik überlagert. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um zwei Fragestellungen, nämlich was der Arzt schuldet und wofür er haftet. Es ist aber der zielgerichtetere Weg, beide Fragestellungen zu trennen, und dann den Haftungsmaßstab in den Vordergrund zu stellen. Schon Ebermayer, dessen medizinrechtliches Werk einen Schwerpunkt im Kampf gegen das Kurpfuschertum aufwies, hat 1918 den interessanten Gedanken geäußert, dass es mit einer gesunden Rechtsanschauung vollkommen verträglich sei, wenn man den Maßstab gegenüber den mit Phantasiepreisen arbeitenden Sanatorien etwas schärfer ansetzte als gegenüber dem Armenarzt68. Diesen Gedanke aufgreifend, liegt es nahe, den Sorgfaltsmaßstab nicht nur nach dem Gruppenstandard des Arztes (niedergelassener Hausarzt, Facharzt, Versorgungsstufe der Klinik) zu bestimmen, sondern auch nach der Indikation. Im Ergebnis würden stärkere Anforderungen an den Arzt gestellt, der Schönheitsoperationen oder dergleichen vornimmt, als an den, der Heilbehandlungen durchführt. Der Gruppenstandard würde auf eine neue Weise definiert. Nicht verschwiegen sei allerdings das Bedenken, dass der Standard normalerweise durch die betroffene Ärzteschaft festgelegt und nicht von außen vorgegeben wird. Allerdings mag der Gedanke der „erforderlichen Sorgfalt“ aus § 276 BGB hilfreich sein. b) Weitere Fragen schließen sich an, so z.B. die, ob nicht im Fall von Wunscheingriffen den Arzt eine Fehleroffenbarungspflicht trifft. Im Unterschied zur Rechtsprechung bezüglich der meisten freien Berufe ist für den Arzt seit langem umstritten, ob ihn die Pflicht trifft, begangene Fehler zu offenbaren. Bisher haben das Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Literatur verneint bzw. eng be65
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v. Ziegner, Der Zahnarzt in der zivilrechtlichen Haftung unter besonderer Abwägung des anzusetzenden Haftungsstandards, 2007, S. 16. So für zahnärztliche Prothesen bereits anerkannt: Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 18 f. Staudinger-Peters/Jacoby, BGB, 2. Buch, 16. Neubearbeitung 2008, Vor §§ 631 ff. Rn. 27; v. Ziegner, Der Zahnarzt in der zivilrechtlichen Haftung unter besonderer Abwägung des anzusetzenden Haftungsstandards, 2007, S. 17 ff. Ebermayer, Zivil- und strafrechtliche Haftung des Arztes für Kunstfehler, 1918, S. 8.
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grenzt auf Fälle der konkreten Nachfrage des Patienten oder der Notwendigkeit im Rahmen der sachgerechten Nachbehandlung eines erfolglosen Heileingriffs.69 Fraglich ist, ob sich für Wunscheingriffe eine andere Wertung ergibt. Dafür müsste eine Fehleroffenbarungspflicht als Nebenpflicht i.S. einer sogenannten weiteren Verhaltens- und Schutzpflicht (§§ 241 Abs. 2 BGB) im Rahmen des Dienstvertrages über die Vornahme eines nicht indizierten Eingriffs sein werden.70 Im Ergebnis lässt sich allerdings keine Offenbarungspflicht feststellen, weil allein der Vertrag über einen Wunscheingriff nicht den Rückschluss auf einen entsprechenden Parteiwillen zulässt und auch sonst eine solche, dem Gesetz an sich fremde Pflicht, nicht besteht. c) Dass das Werkvertragsrecht in vertragscharakteristischen Punkten nicht passt, wird nicht nur an der nicht möglichen „Abnahme“ deutlich, sondern beispielsweise auch daran, dass regelmäßig die Grundkonzeption des Gewährleistungsrechts ausgehebelt wird: das vorrangige Recht des Unternehmers (Arzt) auf Nacherfüllung dürfte aufgrund eines schwer gestörten Vertrauensverhältnisses dem Besteller (Patient) zumeist unzumutbar sein und daher zum sofortigen Rücktritt und zur Selbstvornahme (§ 637 Abs. 2 BGB) berechtigen.
IV. Fazit und Ausblick Das Dienstvertragsrecht kennt keine Gewährleistung.71 Nur bei Verschulden des Arztes kann der Patient einen Schadensersatzanspruch gegen den Arzt geltend machen.72 Da jedoch zunehmend die ärztliche Kunst als Handwerk zur Anfertigung des individuell bearbeiteten Körpers erscheint, ist zwar das Bestreben durchaus verständlich, rechtlich den Vergütungsanspruch auch nur für diejenige Arbeit zu gewähren, die das „bestellte“ Ergebnis liefert. Diese Sicht geht jedoch einseitig von der gewünschten Rechtsfolge aus, statt von den Voraussetzungen und diese sind für den Wunscheingriff und den Heileingriff gleich. Der Arzt vermag es beim Wunscheingriff genauso wenig, die biologischen Abläufe voll zu beherrschen wie beim Heileingriff. Körperliche Unwägbarkeiten bestehen beim gesunden Menschen ebenso wie beim kranken. Es besteht daher immer ein unkalkulierbares Risiko für das Scheitern der Behandlung, das nicht beim Arzt liegt, sondern in der Person des Patienten oder Kunden. Hinzukommt, dass der Behandlungsvertrag ein Vertrag über Dienste höherer Art ist, „die auf Grund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen“ (§ 627 Abs. 1 BGB). Und für diese Dienste stellt das BGB nun einmal den Dienstvertrag zur Verfügung, nicht den Werkvertrag.
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Prütting, Gibt es eine ärztliche Pflicht zur Fehleroffenbarung?, in: Kern/Wadle/Schroeder/ Katzenmeier (Hrsg.), FS für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag, 2006, S. 1009, 1014. Prütting, Gibt es eine ärztliche Pflicht zur Fehleroffenbarung?, in: Kern/Wadle/Schroeder/ Katzenmeier (Hrsg.), FS für Adolf Laufs zum 70. Geburtstag, 2006, S. 1009, 1014. BGH, NJW 2004, 2817 (für den Anwaltsdienstvertrag). Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 23.
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Unabhängig davon, ob ein Wunsch- oder ein Heileingriff vorliegt, bleibt also das Verhältnis zwischen Arzt und Patient stets mehr als eine juristische Vertragsbeziehung73, denn auch wenn der Patient sich nicht zu Heilungs-, sondern „Optimierungs“-Zwecken in ärztliche Hände begibt, so ist auch diese Beziehung geprägt von einem besonders intensiven Vertrauen und Zutrauen, denn stets wird ein Eingriff in das Privateste des Menschen erlaubt: in seinen Körper. Damit beruht das Arzt-Patienten-Verhältnis auch hier auf starken emotionalen Komponenten.74 Diese Grundeinstellung zwingt aber dazu, nach anderen Auswegen zu suchen. Am wirksamsten wäre ein totales Verbot aller nichtindizierten Behandlungen, von dem nur der Gesetzgeber nach gründlicher Güterabwägung (TPG, TFG) Ausnahmen zulassen dürfte. Damit erledigte sich die Frage nach der Rechtsnatur der Wunschbehandlung von alleine. Jeder Vertrag wäre nach § 134 BGB nichtig. Wieweit das mit der Berufsfreiheit der Ärzte und sonstiger Behandler und dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten oder Kunden vereinbar wäre, bedarf verfassungsrechtlicher Untersuchungen75. Immerhin hat das BVerfG die insoweit restriktive Regelung des § 8 TPG für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten76. Die Beeinträchtigung der ärztlichen Berufsfreiheit dürfte aus Gründen der Volksgesundheit zulässig sein, und die Selbstbestimmung der „Patienten“ ist bei genauer Betrachtung gar nicht tangiert. Zwar darf der Arzt nicht mehr tun, als der ausdrückliche Wille des Patienten ihm erlaubt, aber er muss und darf auch nicht jede Maßnahme vornehmen, die der Patient wünscht. Oder anders gesagt: nicht alles, was man sich selbst antun darf (Selbstbestimmung), darf man auch rechtlich zulässig als Aufgabe auf einen anderen übertragen (Fremdbestimmung). Von der geltenden Rechtslage ausgehend, böte eine konsequente Beachtung der Indikation eine vertretbare Lösung. Eine Behandlung ohne Indikation könnte als behandlungsfehlerhaft eingestuft werden. Mit der fehlenden Indikation verlöre die ärztliche Behandlung ein Rechtfertigungselement und wäre insoweit rechtswidrig. Ein derartiger Vertrag wäre gleichfalls nach § 134 BGB nichtig, weil er gegen §§ 223ff. StGB verstieße. Diese Lösung führte zwar vermutlich zu einer breiten Grauzone und zu starken Abgrenzungsproblemen, aber damit müssen Juristen immer leben. Ärzte wären aufgerufen, die Grauzone durch exakte Abgrenzungen einzudämmen. Für den Fall, dass es bei der derzeitigen Rechtslage bleibt, dass nur in behandlungsfehlerhafte ärztliche Eingriffe nicht wirksam eingewilligt werden kann, bleibt zu erwägen, den Sorgfaltsmaßstab bei Wunscheingriffen nach oben zu verändern.
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Vgl. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 1. Laufs/Uhlenbruck-Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. 2002, Kap. 7, § 39 Rn. 7. Vgl. dazu Höfling, Salus aut/et voluntas aegroti suprema lex – Verfassungsrechtliche Grenzen des Selbstbestimmungsrechts in diesem Band, S. 119–127. BVerfG, MedR 2000, 28.
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Der Umgang mit Wunscheingriffen ist geprägt von der Notwendigkeit, praktisch Ausgeübtes rechtlich zu bewerten. Die Tatsache der routinemäßigen und massenhaft vorgenommenen Wunscheingriffe führt meist zur unreflektierten Aussage, die wirksame Patienteneinwilligung allein rechtfertige den Eingriff. Es bedarf daher einer grundsätzlichen Klärung der Frage nach der Bedeutung der Indikation im Rechtfertigungsgefüge ärztlichen Handelns. Wenn sie tatsächlich entbehrlich sein sollte, so muss dies umfassend und damit auch für Heileingriffe gelten, und dann ist auch rechtlich des Menschen Wille sein Himmelreich.
Ist die Verbesserung des Menschen rechtsmissbräuchlich?
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Ist die Verbesserung des Menschen rechtsmissbräuchlich?
Christof Stock1
Die Fragestellung des Vortrags „Ist die Verbesserung des Menschen rechtsmissbräuchlich?“ mutet wie ein Paradoxon an. Rechtsmissbrauch bezeichnet unethisches, gesetzes- und sittenwidriges Verhalten – wie könnte dies eine Verbesserung des Menschen oder gar der Menschheit darstellen? Die moderne Medizin bietet immer perfektere Techniken an, um dem Bedürfnis nach Optimierung gerecht zu werden. Dazu gehören nicht nur kosmetische Eingriffe, die eine Verschönerung des Aussehens versprechen, sondern auch diejenigen medizinischen Mittel, die zur Optimierung der sportlichen Leistungsfähigkeit führen (Sport-Doping) oder jene, die als sog. Lifestyle-Psychopharmaka (Viagra, Prozac u.a.) zunehmend Verbreitung finden. Die Präimplantationsdiagnostik ermöglicht eine genetische Untersuchung – wenn auch noch nicht Perfektionierung – extrakorporal befruchteter Embryonen. Die medizinisch-neurologische Manipulation von Hirnvorgängen durch Implantate eröffnet – sei das nun begrüßenswert oder nicht – neue Optionen. Hier deuten sich radikale medizinische Eingriffe nicht nur zum Zwecke der Krankenbehandlung, sondern auch zur Optimierung eines als „normal“ oder „durchschnittlich“ zu bewertenden Zustandes an2. Ob es sich insgesamt oder im Einzelfall um eine Verbesserung handelt, ist eine Frage der Perspektive, auf die sogleich noch einzugehen ist. Fest steht: Wo sie ihm zur Verfügung stehen, setzt der Mensch diese Techniken bereits ein. Angesichts der mitunter persönlichkeitsverändernden Radikalität der Maßnahmen ist die Frage aufgeworfen, ob sich der Mensch ethische und rechtliche Grenzen gesetzt hat oder zukünftig setzen sollte. Gegenstand des Vortrags sind insbesondere die absoluten 1
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Die Dissertation des Autors über „Die Indikation in der Wunschmedizin“ wurde am 03.09.2008 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg angenommen. Sie erscheint im Juni 2009 im Peter Lang Verlag. Wertvolle Anregungen gaben die beiden Gutachter Prof. Dr. Hans Lilie und Prof. Dr. Wilfried Kluth, denen ich mit diesem Beitrag danke. Instruktiv für die medizinethische und –rechtliche Überlegungen: Ach / Pollmann, no body is perfect, Bioethische und ästhetische Aufrisse 2006; Fuchs/Lanzerath u.a.: Enhancement – die ethische Diskussion über biomedizinische Verbesserungen 2002; Groß/Müller, Sind die Gedanken frei? Die Neurowissenschaft in Geschichte und Gegenwart 2007; Groß/Müller/ Steinmetzer, Normal – anders – krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin 2008; Kettner, Assistenz zum guten Leben – Der Trend zur wunscherfüllenden Medizin, EthikMed 2006, 5 ff.; Lenk, Therapie und Enhancement, Diss. Münster 2002.
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rechtlichen Grenzen, die für solche Maßnahmen existieren. Sie werden u.a. durch das Strafrecht gezogen, denn es hat die Funktion, rechtsmissbräuchliches Verhalten zu ahnden. In bestimmten Handlungsfeldern wie etwa bei Maßnahmen der assistierten Reproduktion oder auch beim Sportdoping sind solche Grenzen durch die strafrechtlichen Nebengesetze definiert. Während sich die Rechtswissenschaften eingehend an Diskussionen um die Erweiterung oder Verschärfung dieser Grenzen beteiligt, fehlt bislang eine Darstellung der Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Handlungsfeldern der Wunschmedizin3. Deshalb befasst sich der Vortrag im Schwerpunkt mit der straf- und zivilrechtlichen Grundnorm der Körperverletzung und der absoluten Grenze der Gesetzes- und Sittenwidrigkeit. Zu den von der Wunschmedizin mit verursachten Problemlagen der strafbaren Körperverletzung gehört die Schwierigkeit, überhaupt das Körperliche zu bestimmen und die Grenze gegenüber dem Seelischen zu ziehen. Darüber hinaus tritt der Streit um die Körperverletzungsdoktrin in eine neue Dimension4: Seit der Entscheidung des RG aus dem Jahr 18945 ist umstritten6, ob der indizierte und den Standards entsprechende ärztliche Heileingriff den äußeren Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Sowohl die straf- als auch die zivilrechtliche Rechtsprechung haben dies stets bejaht und ihren Standpunkt mit der Auffassung begründet, jede unmittelbar und physisch auf den Organismus erfolgende Einwirkung werde von dem Körperverletzungsbegriff erfasst. Daran ändere auch ein als Ergebnis eintretender Heilerfolg nichts7. Das Schrifttum ist in dieser Frage gespalten; derzeit lässt sich wohl keine Meinung als herrschend bezeichnen8. Die Kritiker der Rechtsprechung sind der Auffassung, eine Handlung, die auf die Verbesserung des Gesundheitszustandes angelegt sei und im Erfolgsfall dieses Ziel auch erreiche oder zumindest körperliche Beschwerden lindere, verletze das Rechtsgut Gesundheit/körperliche Integrität nicht, sondern sei das Gegenteil einer Körperverletzung, bedeute Gesundheitsmehrung 9. 3
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Instruktiv: Damm/Schulte in den Bäumen, Indikation und Informed Consent, KritV 2005, 101 ff.; Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325 ff.; ders., Enhancement, FS Günther Hirsch 2008, 365 ff. So auch Beck, Enhancement, MedR 2006, 95, 99. RG Urt.v. 31.05.1894 – Rep. 1406/94 – RGSt 25, 375 ff. Zum Streitstand: LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 3 ff.; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 111 ff.; Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 138. Lediglich die Rechtswidrigkeit der vorsätzlichen Körperverletzung entfiele durch die tatsächliche oder mutmaßliche Einwilligung des Patienten in die ärztliche Maßnahme: Strafrecht: BGH, Urt.v. 22.02.1978 – 2 StR 372/72 – NJW 1978, 1206 (Zahnextraktion ohne medizinische Indikation); Urt.v. 23.12.1986 – 1 StR 598/86 – NJW 1987, 1495 ff.; Urt.v. 05.07.2007 – 4 StR 549/06 – GesR 2007, 482 ff. zur KV mit Todesfolge; Zivilrecht: BGH, Urt.v. 14.03.2006 – VI ZR 279/04 – BGHZ 166, 336 ff. (fremdnützige Blutspende); Urt.v. 09.12.1958 – VI ZR 203/57 – BGHZ 29, 46 ff.; weitere Nachweise bei LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 3. Vgl. LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 3; Katzenmeier, Arzthaftung, S. 114. Katzenmeier, m.w.N., S. 115.
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Zudem wirke die Zustimmung des Patienten als den Tatbestand ausschließendes Einverständnis10. Wenn also der tatsächlichen oder zumindest bezweckten Verbesserung der gesundheitlichen Situation unabhängig vom Patienten- bzw. Klientenwillen11 eigenständige tatbestandliche Bedeutung zukommt, könnte es um unterschiedliche Lösungen des Konfliktes „salus aut voluntas aegroti suprema lex“ gehen. Zumindest hat es den Anschein, dass die Rechtsprechung alles von dem Klientenwillen abhängig macht, in dem die Wirksamkeit der Einwilligung für entscheidend gehalten wird. Dann wäre der voluntative Aspekt ausschlaggebend. Demgegenüber betont der ihr nicht folgende Teil der Literatur das Gesamtergebnis, die gesundheitliche Verbesserung und so gesehen den salus.
I. Die Reichweite des Rechtsgutschutzes der körperlichen Integrität Zunächst aber besteht das Problem der Reichweite der Körperverletzung als Rechtsbegriff. Dem Wortlaut nach verfügen sowohl die straf- als auch die zivilrechtliche Grundnorm über alternative Tatbestände, die jeweils zu definieren sind. § 823 Abs. 1 BGB schützt sowohl den Körper als auch die Gesundheit; § 223 Abs. 1 StGB betrifft die körperliche Misshandlung bzw. Gesundheitsschädigung. Zivilrechtlich soll eine Körperverletzung vorliegen, wenn etwa ein Arzt fachwidrig in die äußere, leibliche Integrität eingreift oder bloßen Schmerz zufügt, und eine Gesundheitsverletzung, wenn er den Ablauf der inneren Lebensvorgänge stört, physische oder auch psychische Erkrankungen hervorruft12. Diese Abgrenzung „außen – innen“ ist für die zivilrechtliche Haftung wenig bedeutsam, denn die deliktsrechtliche Grundnorm behandelt beide Rechtsgüter gleich und kennt zudem das allgemeine Persönlichkeitsrecht als weiteres absolutes Rechtsgut, das über dieselbe Anspruchsgrundlage geschützt wird13. Das Strafrecht muss wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes die Alternativen klarer definieren. Es kommt dem auch nach, indem es die körperliche Misshandlung als üble, unangemessene Behandlung beschreibt, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt ist oder sonst auf die körperliche Unversehrtheit eingewirkt wird14. Eine Gesundheitsschädigung wird demgegenüber als jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustands verstanden. Sie betrifft also eine, wenn auch nur vorübergehende, pathologische Verfassung15.
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LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 4 m.w.N. Da es sich nicht um Krankenbehandlung handelt, wird für die Wunschmedizin der Begriff „Klient“ bevorzugt verwendet. Katzenmeier, a.a.O., S. 111. Wenzel, Fachanwaltshandbuch Medizinrecht, S. 321 Rdnr. 387 ff. LK-Lilie § 223 Rdnr. 6; Sch-Sch-Eser § 223 Rdnr. 3 ff. LK-Lilie § 223 Rdnr. 12; Sch-Sch-Eser § 223 Rdnr. 5 ff.
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Die neuen Möglichkeiten zur Abtrennung von Körperteilen und Organen16, zur Ei- und Samenspende17, zu sog. „heimlichen“ Aidstests18 betreffen die Frage nach der Reichweite des Rechtsgutschutzes der körperlichen Integrität und der Einbeziehung oder sogar Verselbständigung der Selbstbestimmung19. Ist nach einem Eingriff – etwa bei der Vernichtung einer Kryokonserve männlichen Spermas – die ursprüngliche und von dem Klienten gewünschte Funktion eines Körperteiles nicht mehr gewährleistet, soll es sich nach Auffassung des BGH-Zivilsenats20 um eine Körperverletzung handeln. Schutzgut des § 823 Abs. 1 BGB ist nach Auffassung des Gerichts nicht die Materie an sich, die nach der Abtrennung vom Körper zivilrechtlich zur eigenen Sache wird, sondern das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert sei. Das konservierte Sperma sei zwar endgültig vom Körper getrennt, andererseits aber vom Spender dazu bestimmt, die körpertypische Funktion der Fortpflanzung zu erfüllen. Seine Vernichtung wertet der BGH deshalb als Verletzung des Körpers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB21. Strafrechtlich ist dann wohl die Verschiedenheit von Körperverletzungs- und Freiheitsdelikten eingeebnet22. Im Kern geht es hier nicht mehr um den Körper als integrale Einheit, sondern um die Verletzung der Entscheidungsbefugnis des Klienten über die Fortpflanzung und damit um die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts23.
II. Die Reichweite des Rechtsgutschutzes im Hinblick auf rein psychische Gesundheitsschäden Für die Zulässigkeit der Wunschmedizin geht es um die Reich- und Tragweite des Klientenwunsches. Deshalb muss noch eine weitere Anmerkung zum Umfang des Rechtsgutschutzes folgen: Bleibt es nach den obigen Ausführungen strafrechtlich eher bei dem Integritätsschutz des Körpers, dann unterfallen seelische Beeinträchtigungen dem Gesundheitsschadensbegriff des § 223 Abs. 1 StGB erst dann, wenn auch ein organischer Prozess (z.B. Weinkrämpfe, Herz-, Magenbeschwerden) nach-
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LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 1; Sch-Sch-Eser § 223 Rdnr. 3a. BGH, Urt.v. 09.11.1993 – VI ZR 62/93 – BGHZ 124, 52 ff., NJW 1994, 127 ff.; zur Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber auch schon BGH, Urt. v. 11.04.1989 – VI ZR 293/88 – NJW 1989, 2941 ff. und neuerdings OLG Dresden, Urt. v. 23.10.2003 – 4 U 980/ 03 – NJW 2004, 298 ff.; auch: OLG München, Urt. v. 31.01.2002 – 1 (U 4705/98 – MedR 2003, 174 ff. (Bluttransfusion an Zeugin Jehovas). LG Köln, Urt. v. 08.02.1995 – 25 O 308/92 – NJW 1995, 1621 ff. LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 1. BGH, Urt.v. 09.11.1993 – VI ZR 62/93 – BGHZ 124, 52 ff., NJW 1994, 127 ff. Nur hilfsweise zieht der BGH a. E. seiner Entscheidung einen Analogieschluss. LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 1; Laufs/Reiling, Schmerzensgeld wegen schuldhafter Vernichtung deponierten Spermas, NJW 1994, 775 f. Taupitz, Der deliktsrechtliche Schutz des menschlichen Körpers und seiner Teile, NJW 1995, 745 ff.
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gewiesen ist24. Anders als im Zivilrecht25 wäre eine rein psychische Beeinträchtigung, die somatisch nicht objektivierbar ist, keine Schädigung der Gesundheit26. Die aktuellen Untersuchungen der Neurowissenschaften bestätigen wohl die Annahme, dass es eine äußerst enge Verbindung zwischen Psyche und Physis gibt27. Es ist anzunehmen, dass erhebliche seelische Beeinträchtigungen in der Regel auch körperliche Symptome zeigen, so dass diese Grenzziehung eher eine quantitative als eine qualitative sein könnte28. Für den Bereich der Körperverletzung scheint sie gleichwohl nicht abgeschlossen und eher Tatfrage zu sein: Der Schrecken einer Todesdrohung29 oder permanenter nächtlicher Telefonanrufe30 führt bei dem einen Opfer zu sofortigen körperlichen Reaktionen, ein anderes zeigt diese erst später und eventuell anders, ein drittes reagiert mit einer sog. posttraumatischen Belastungsstörung. Hier handelt es sich um ein psychisches Störungsbild31, das nach körperlichen Einwirkungen auftritt, aber auch nach Natur- oder von Menschen verursachten Katastrophen sowie der Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Die psychischen Auswirkungen dieser Ereignisse sind oftmals stärker und andauernder als die physischen. Sie können, wie die Beispiele zeigen, auch ausschließlich auftreten. Eingriffe in die Psyche können m.a.W. die Integrität der Person ebenso massiv verletzen wie körperliche Misshandlungen. Umgekehrt treten nur unerhebliche Beeinträchtigungen hier wie dort auf, und die Problematik einer möglicherweise erst Jahre später auftretenden Behandlungsbedürftigkeit ist im psychologischen32 wie im physiologischen Bereich virulent, man denke nur an die Diskussionen um die strafrechtliche Relevanz von Virusinfektionen33. 24 25
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Lilie Vor § 223 Rdnr. 2, § 223 Rdnr. 15; a.A. Sch-Sch-Eser, § 223 Rdnr. 6. Das Deliktsrecht bezieht Schäden der psychischen Gesundheit mit ein: BGH, Urt.v. 02.10.1990 – VI ZR 353/89 – NJW 1991, 747; Urt.v. 09.04.1991 – VI ZR 106/90 – VersR 91, 704; Palandt/Thomas § 823 Rdnr. 4 f.; Katzenmeier, a.a.O., S. 111. So BGH, Urt.v. 05.11.1996 – 4 StR 490/96 – NStZ 1997, 123 ff.; LK-Lilie § 223 Rdnr. 8 und 15 m. w. Bsp. Müller, Dilemmata bei operativen Eingriffen in das Gehirn, in: Groß/Müller, Sind die Gedanken frei? S. 175 ff.; Beutel, Neurowissenschaften und Psychotherapie, Psychotherapeut 2002, 1 ff. Psychische Erkrankungen sind sowohl im Handlungsfeld Kosmetische Operationen als auch bei Maßnahmen der assistierten Reproduktion anzutreffen. s. Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin. BGH, Urt.v. 05.11.1996 – 4 StR 490/96 – NStZ 1997, 123 ff.: Um die Kinder zu ermorden, lässt der Vater den Fön in das Badewasser fallen, in dem sie sitzen. Sie spüren jedoch nur ein Kribbeln in den Beinen, verarbeiten dies als „schockartige Erlebnis“ und haben in der Folgezeit „Angst“ vor dem Vater. OLG Düsseldorf, Beschl.v. 23.05.2002 – 2a Ss 97/02 – 41/02 II – NJW 2002, 2118 ff.; zum „Stalking“ s. jetzt § 238 StGB. DGPM Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung, Post Traumatic Stress Disorder PTSD, AWMF-Leitlinie Nr. 051/010. Sog. Late-Onset-PTSD, DGPM Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung. LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 10 ff.; Sch-Sch-Eser § 223 Rdnr. 7: abgestellt wird auf den Zeitpunkt der Infektion.
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Folgt man der Rechtsprechung zum ärztlichen Heileingriff und lässt darüber hinaus eine psychische Beeinträchtigung genügen, dann wäre die Mitteilung eines Arztes über die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit oder über den Tod eines nahen Angehörigen, wenn sie als Traumatisierung erlebt wird, tatbestandlich eine Körperverletzung im Sinne einer Gesundheitsschädigung. Sicher müssten dann Kausalitäts- und Vorsatzfragen noch geklärt werden, aber gleichwohl läuft hier sozial couragiertes Verhalten Gefahr, einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt zu werden. Ebenso wäre danach zu fragen, womit der Arzt denn zukünftig rechnen muss, wenn er Klientenwünsche ablehnt. Entscheidend dürfte sein, wer die Maßstäbe für das Vorliegen einer Gesundheitsschädigung setzt. Eine „Schlafstörung“, ein „Schock“ oder „latente Angstzustände“, „Selbstmordgedanken“ sind eher laienhaft-tatrichterliche Umschreibungen für komplexe somato- oder auch psychopathologische Vorgänge, deren Ausprägung und Behandlungsbedürftigkeit zu beurteilen den Fachleuten überlassen werden muss34. Solange dies nicht geklärt ist, muss an die Funktion des Strafrechts erinnert werden, gesellschaftlich inakzeptables Verhalten ultima ratio zu ahnden. Dementsprechend müssen Begriffe wie die körperliche Misshandlung oder die Gesundheitsschädigung im Rahmen der Körperverletzungsdelikte von vornherein und für jedermann klar sein. Mit diesem Maßstab und wegen der sonst drohenden Ausuferung kann für das Strafrecht vorläufig nicht auf die Körperbezogenheit der Misshandlung wie auch der funktionellen Beeinträchtigung verzichtet werden35.
III. Die Indikationsstellung als (strafrechtliche) Lösung des Konflikts „salus aut voluntas aegroti suprema lex“ Für die ärztliche Tätigkeit generell und eben jetzt auch für die Wunschmedizin zu klären ist, ob die objektive oder bezweckte Verbesserung des Gesundheitszustandes strafrechtlich als tatbestandsmäßige Körperverletzung anzusehen ist. Zu diskutieren ist ferner die deliktsrechtliche Lösung des Konflikts um „salus aut voluntas“. Die Literaturlösung, die der Rechtsprechung nicht folgt, muss erklären, von welcher Perspektive aus sie eine Verbesserung des Gesundheitszustandes annimmt, die zur Nichterfüllung des Tatbestands führen soll. Es sind vier Bezugspunkte36, die dafür in Frage kommen: wie in der traditionellen Medizin auch, kann sich die Orientierung auf einer ersten Ebene an Patientenwohl oder Patientenwille ausrich-
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Der BGH Urt.v. 05.11.1996 – 4 StR 490/96 – NStZ 1997, 123 ff. hätte daher eher die Sache zurückverweisen, als den Angeklagten freisprechen müssen. OLG Düsseldorf, Beschl.v. 23.05.2002 – 2a Ss 97/02 – 41/02 II – NJW 2002, 2118 definiert den Gesundheitsschaden als medizinisch relevanten Krankheitszustand; auch Wolfslast, Psychotherapie in den Grenzen des Rechts, S. 29 ff., unterscheidet zwischen bloßer seelischer Beeinträchtigung und Krankheitscharakter und weist im Übrigen auf den erforderlichen Nachweis des Kausalzusammenhangs hin. S. i.e. Stock, Die Indikation in der Wunschmedizin, Normative Bezugspunkte der Indikation; Damm, Beratungsrecht und Beratungshandeln in der Medizin, MedR 2006, 1, 7.
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ten. Unter Patientenwohl (salus) wird hier ein professioneller Standard verstanden, der auf die ärztliche Berufspraxis Bezug nimmt. Demgegenüber bezieht sich der Patientenwille (voluntas) auf die Selbstbestimmung des Patienten, ist also patientenzentriert. Auf einer zweiten Ebene kann sich der professionelle Standard entweder auf das Verhalten des je individuell-konkreten Arztes oder eines objektivierten „verständigen Arztes“ beziehen. Der Patientenstandard lässt sich ebenso auf einen objektivierten „verständigen Patienten“ oder den je individuellen konkreten Klienten ausrichten. Ein subjektiv-professioneller Bezug würde zur Straflosigkeit des eigenmächtigen ärztlichen Heileingriffs führen. Das ist das Hauptargument, das gegen die Literaturmeinung37 vorgebracht wird. Für einen subjektiv-klientenzentrierten Bezug spricht die Bedeutung, die die Rechtsprechung dem Klientenwunsch durchaus zubilligt38. Bei kosmetischen Eingriffen – so hat es das OLG Köln39 formuliert – beruhe der Operationswunsch des Klienten vielfach auf dessen höchstpersönlichem ästhetischen Empfinden. Das, was von einer Vielzahl von Menschen als normal oder jedenfalls akzeptabel hingenommen werde, könne dem einzelnen missfallen und ihn unter Umständen sogar sehr belasten. Gerade in diesem Bereich müsse das Selbstbestimmungsrecht vor anderen Auffassungen geschützt werden. Gleichwohl bedarf diese Betonung des individuell-konkreten Klientenbezugs mindestens der Korrektur durch das Objektive, wenn man an die Extremfälle denkt. In der neueren strafrechtlichen Literatur werden Klientenwünsche nach Amputation von Gliedmaßen40 oder nach „Korrekturen“ von Geschlechtsteilen diskutiert. Schon lange bekannt sind die Zahnextraktionsfälle41 und der sog. Marcumar-Fall42, in dem der Klient nach einem Mittel gegen seine Rückenschmerzen verlangte und eine absolut kontraindizierte Spritze erhielt. Ob und inwieweit es also nach der Literaturmeinung auf die objektive oder die subjektive, patienten- oder professionszentrierte Perspektive ankommt, ist unklar. Der Lösungsweg der Rechtsprechung erlaubt eine etwas breiter angelegte Vorgehensweise:
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LK-Lilie, Vor § 223 Rdnr. 6; Ulsenheimer in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 138 Rdnr. 3. Der in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gefasste Entschluss von Ehegatten, ein gemeinsames Kind zu haben, entzieht sich der rechtlichen Nachprüfung auf seine Notwendigkeit: BGH, Urt.v. 17.12.1986 – IVa ZR 78/85 – BGHZ 99, 228 ff., ; Urt.v. 21.09.2005 – AZ IV ZR 113/04 – NJW 2005, 3783. OLG Köln, Urt. v. 17.09.1987, AZ 7 U 58/87, VersR 1998, 1049; OLG Köln, Urt. v. 03.02.1999 AZ 5 U 118/98, VersR 1999, 1371-1372. Nitschmann, Chirurgie für die Seele, ZStW 2007, 547; Müller, Sabine; Body Integrity Identity Disorder – ist der Amputationswunsch eine autonome Entscheidung oder Ausdruck einer neurologischen Störung? in: Groß/ Müller/Steinmetzer, Normal – anders – krank? S. 229 ff. Urt. des OLG Colmar v. 20.04.1916, wiedergegeben bei Laufs/Uhlenbruck/Kern, Handbuch des Arztrechts § 81 Rdnr. 3; BGH Urt.v. 22.02.1978 – 2 StR 372/77 – NJW 1978, 1206; OLG Düsseldorf, Urt.v. 02.02.1984 – 8 U 71/83 – VersR 1985, 456. OLG Düsseldorf, Urt.v. 16.11.2000 – 8 U 101/99 – VersR 2002, 611 ff.; bestätigt durch BGH, Nichtannahmebeschluss vom 18.09.2001 – VI ZR 419/00 juris.
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Wenn jeder Schnitt oder Stich als Körperverletzung angesehen wird, ist damit eine Diskriminierung ärztlicher Tätigkeit nicht verbunden43. Eher im Gegenteil werden sämtliche wesentlichen medizinischen und nichtmedizinischen Aspekte auf derselben Ebene analysiert. Auf der Stufe der Rechtfertigung kann zuerst nach der wirksamen Einwilligung des Patienten bzw. Klienten gefragt werden. Sie setzt eine angemessene Aufklärung voraus. Diese wiederum verlangt eine umfassende, sämtliche Gesichtspunkte berücksichtigende Indikationsstellung. Indikation und informed consent stehen in einem engen Wechselbezug zueinander: Der Arzt kann nur über das aufklären, was er zuvor als medizinische Gegebenheit, mögliches Risiko und erzielbaren medizinischen Erfolg ermittelt hat. Danach handelt es sich bei der Wunschmedizin keineswegs um „indikationslose“ Medizin. Die Indikationsstellung ist hier wie dort der Entscheidungsprozess des Arztes, ob er die Maßnahme durchführt und mit welcher Methode. Die Indikation rechtfertigt insgesamt die Vorgehensweise des Arztes44. Allerdings gibt es in der Wunschmedizin im Vergleich zur traditionellen einen wesentlichen Unterschied: Der medizinische Anlass zum Tätigwerden fehlt. Deshalb kann die Indikation in der Wunschmedizin allenfalls eine relative sein. Weil der medizinische Anlass fehlt, besteht für den Arzt immer die Möglichkeit, die wunschmedizinische Maßnahme generell oder im Einzelfall zu unterlassen. Die beiden Pole salus / voluntas begegnen sich ebenfalls auf der Rechtfertigungsebene. Hier setzt für den Arzt das eigentliche Dilemma ein. Wenn die Maßstäbe fehlen, wie viel Aufklärung notwendig ist, um eine wirksame Einwilligung zu erreichen, könnte er stets befürchten, in die strafrechtliche Haftung genommen zu werden. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Klient eine Maßnahme verlangt, deren Erfolg eher unwahrscheinlich oder höchst subjektiv ist, gleichzeitig aber mit hohen Risiken verbunden. Diese, auch aus der traditionellen Medizin bekannte Problemlage spitzt sich in der Wunschmedizin zu, weil die Rechtsprechung umso höhere Anforderungen an die Aufklärung stellt, je geringer der Anlass für die medizinische Tätigkeit besteht45. Dieses reziproke Verhältnis zwischen medizinischer Indikation und Aufklärung46 ist zwingend, denn ein „verständiger“ Patient wird ein hohes Operationsrisiko erst bei großer Gesundheitsgefahr eingehen. Dies gilt eben auch umgekehrt: je geringer der medizinische Anlass für ärztliches Tätigwerden ist, desto unwahrscheinlicher ist, dass sich ein Klient dem überhaupt erst auftretenden Risiko aussetzt. Deshalb muss der Klient umso mehr aufgeklärt sein über alle me-
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Auch ein Polizeibeamter begeht z.B. bei der Festnahme eine Körperverletzung, und es wird geprüft, ob für sein Verhalten ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Damm/Schulte in den Bäumen, Indikation und Informed Consent, KritV 2005, 101 ff. St. Rspr.: BGH, Urt.v. 06.11.1990 – VI ZR 8/90 – NJW 1991, 2349 ff.; OLG Hamm, Urt.v. 29.03.2006 – 3 U 263/ 05 – VersR 2006, 1511; so verstanden, betont die Rechtsprechungslösung den voluntativen Aspekt keineswegs. Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdnr. 652; Katzenmeier, Arzthaftung, Damm/Schulte in den Bäumen, KritV 2005, 107.
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dizinischen, psychosozialen und ggf. auch rechtlichen Belange, die für seine Entscheidung Bedeutung haben könnten47. Wie also ist in der Wunschmedizin der Konflikt zwischen salus aut voluntas strafrechtlich zu lösen? Im Idealfall kann das „aut“ zwischen den beiden Polen der Gesundheit und des Willens als „einschließendes oder“ verstanden werden. Dann lautet die Kurzformel „salus et voluntas“. In dieser Konstellation haben alle medizinischen und nichtmedizinischen Belange Eingang in die ärztliche Entscheidung gefunden und sind auch von dem Klienten akzeptiert. Dazu gehören insbesondere: 1. Die Prüfung, ob absolute Kontraindikationen vorliegen. Das sind solche, die die gewünschte ärztliche Tätigkeit schlicht verbieten. 2. Die Prüfung, ob relative Kontraindikationen vorliegen. Das sind solche, bei denen der Klientenwunsch vorerst nicht oder nur unter strenger Abwägung sich daraus ergebender Risiken erfüllbar ist. Somatische, psychologische und auch ethische oder soziale Gründe können gegen die Anwendung der gewünschten Medizin sprechen. 3. Die Feststellung, dass wunschmedizinisches Handeln immer nur relativ indiziert ist. Obwohl der Klientenwunsch herausragende Bedeutung für die Herstellung des informed consent hat – die Einwilligung des Klienten ist nach der Indikation die zweite Grundvoraussetzung für rechtmäßiges ärztliches Handeln – bleibt für den Arzt in der Wunschmedizin stets die Möglichkeit, nichts zu tun. Es fehlt eben an dem medizinischen Anlass für die Maßnahme, so dass der Arzt abzuwägen hat, ob somatische, psychosoziale oder andere Gründe relativ für die Maßnahme sprechen. Im Idealfall findet das so entwickelte Indikationsmodell sein „Widerlager“ in dem Entscheidungsprozess auf der Seite des Klienten. Nach dem intensiven Studium der Fälle ergibt sich, dass in der Wunschmedizin nicht von einer spezifischen oder gar speziellen Klientel auszugehen ist. Der Anteil psychopathologisch auffälliger Paare, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterziehen, ist nicht größer als in der Allgemeinbevölkerung48. Ebenso sind die „Kunden“ und die Wünsche der ästhetischen Chirurgie nicht exotisch, sondern eher normal-bürgerlich49. Damit ist der Klientenwunsch regelmäßig eben auch nur ein relativer und nicht ein absoluter, jeglichen ärztlichen Rat in den Wind schlagender Behandlungsimperativ. Es besteht 47
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Zur rechtlichen Information bei der Verwendung heterologen Samens: Ziffer 5.3.3.1 der BÄK-Richtlinie zur assistierten Reproduktion, Deutsches Ärzteblatt vom 19.05.2006 A 1392 ff. Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe: Leitlinie Psychosomatisch orientierte Diagnostik und Therapie der Fertilitätsstörungen, AWMFLeitlinien-Register Nr. 016/003, Ziffer 1.2.1.; s. auch Sonnenmoser, Mythos psychische Blockade, Deutsches Ärzteblatt 2002, S, 166; Wischmann, Unerfüllter Kinderwunsch, J.Reprodukitionsmed. Endokrinol. 4/2006, 221. Freilich muss u.a. das Krankheitsbild der Dysmorphophobie in die Indikationsstellung einbezogen werden. Harth/Wendler/Linse, Körperdysmorphe Störungen, psychosozial 2003, 37 ff.
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eine durchaus hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Klienten den ärztlichen Entscheidungsweg bei der Herstellung des informed consent so oder so nachvollziehen. Kommt es zum kosmetischen Eingriff, liegt damit im Normalfall auch eine strafrechtlich wirksame Einwilligung vor.
IV. Die absolute Grenze der Gesetzes- und Sittenwidrigkeit Zu klären bleibt die Situation, dass nach ärztlicher Kenntnis von den konkreten Umständen „salus“ bzw. „voluntas“ einander ausschließen. Bei der „Verbesserung“ der gesundheitlichen Situation ohne oder gegen den Willen des Klienten fehlt es nach der Lösung der Rechtsprechung am rechtfertigenden Element der Einwilligung. Diese Position büßt die klare Abgrenzung zwischen Körperverletzungs- und Freiheitsdelikten ein50, denn es bleibt unklar, ob nun der Eingriff in die körperliche Integrität oder die Missachtung der Entschließungsfreiheit des Opfers die Strafbarkeit des Handelns auslöst51. So lange jedoch an der Körperbezogenheit des Delikts festgehalten wird, ist die Autonomie, über das eigene Wohlbefinden zu entscheiden, als Annex der körperlichen Integrität zu verstehen und eben auch geschützt52. Eine extreme Betonung der voluntas ist die bewusste Verschlechterung der gesundheitlichen Situation im ausdrücklichen Einvernehmen des Klienten. Insbesondere für diese Fälle ist zu begründen, ob und wann die Durchführung von Wunschmedizin rechtsmissbräuchlich ist. Wo medizinisches Handeln gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt, ist es unzulässig. Das folgt aus dem in § 134 BGB enthaltenen Grundsatz, dass ein gegen eine Norm verstoßendes Rechtsgeschäft von Anfang an nichtig ist. Insoweit sich aus dem Verbotsgesetz nichts anderes ergibt, ist die Arzt- und Klientenautonomie eingeschränkt53. Derartige Verbote bestehen für einzelne Handlungsfelder der Wunschmedizin. Bei Maßnahmen der assistierten Reproduktion sind beispielsweise die Eizellenspende und die Ersatzmutterschaft verboten54. Rechtsmissbräuchlich ist es, zu Dopingzwecken im Sport Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden55. Eine generelle Norm, die kosmetische Eingriffe verbietet, gibt es nicht. Für Minderjährige fordert die Bundesärztekammer56 ein solches Verbot seit 2004; eine Initiative von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, die Gesetzgeber zur Prüfung entsprechender Verbote zu veranlassen, wurde am 24.10.2007 in die Ausschüsse verwiesen57. Ein Gesetzentwurf liegt bislang nicht vor, so dass nur zu spe50 51 52 53 54 55 56 57
LK-Lilie Vor § 223 Rdnr. 1. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 116. Katzenmeier, Arzthaftung, S. 116. Palandt/Heinrichs, § 134 Rdnr. 1. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2, 7 ESchG. § 6a AMG. BÄK, Presseerklärung Schönheitswahn 2004. BT-Drucksache 16/6779; BT-Plenarprotokoll 16/120.
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kulieren bleibt, welches Rechtsgut in verhältnismäßiger Weise geschützt werden soll: es konfligieren hier unter Umständen die körperliche Integrität, das Selbstbestimmungsrecht der Minderjährigen und das Recht der Sorgeberechtigten mit dem Interesse der Allgemeinheit, medizinisch nicht veranlasste Maßnahmen einzuschränken. So lange eine Verbotsnorm fehlt, kommt als absolute Grenze der Wunschmedizin auch in solchen Fällen die Sittenwidrigkeit in Betracht. Nach § 138 Abs. 1 BGB darf ein Rechtsgeschäft nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen58. Die zumindest scheinbar korrespondierende strafrechtliche Grenze zieht § 228 StGB, wonach eine Körperverletzung vorliegt, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Gerade bei Arztverträgen, die nicht medizinisch notwendige Eingriffe zum Gegenstand haben, wird – ohne zunächst das Vorliegen einer Verbotsnorm zu prüfen – häufiger von Sittenwidrigkeit gesprochen59. Therapeutisch sinnloses Vorgehen wie im oben genannten Zahnextraktionsfall60 sei kein Heileingriff, sondern „unärztliches, sittenwidriges, rechtswidriges Tun“61. Für § 228 StGB haben der BGH62 und die überwiegende Literaturmeinung63 die Auffassung entwickelt, dass sich die Frage der Sittenwidrigkeit primär nach dem Umfang der eingetretenen Körperverletzung und den damit verbundenen Gefahren für Leib und Leben des Opfers trotz Einwilligung des Rechtsgutträgers richtet. Um dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens zu genügen, sei der Begriff der guten Sitten hier auf seinen rechtlichen Kern zu beschränken. Die Intensität der Rechtsgutverletzung müsse deshalb an die Fälle der schweren Körperverletzung heranreichen. Weder einverständlich vorgenommene sadomasochistische Praktiken64 noch einvernehmliche Heroininjektionen65 seien – für sich genommen – als sit58
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St. Rspr. BGH, Urt.v. 29.06.2005 – VIII ZR 299/04 – NJW 2005, 2991 ff; LG Koblenz, Urt. v. 26.06.2007 – 6 S 342/06 – juris (Online-Spielbank); Palandt/Heinrichs § 138 BGB Rdnr. 2 m.w.N. Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, § 45 Rdnr. 12 ff.; Sch/Sch/Eser § 223 Rdnr. 50b;Sch/Sch/Stree § 228 Rdnrn. 6, 16 ff.; LK Hirsch § 228 Rdnr. 44; Meyer, Die Unfähigkeit des erwachsenen Patienten zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, 203 ff. ; LG Lübeck, Urt.v. 14.06.1993 – 4 O 603/92 – NJW-RR 1994, 123 ff. (Haaranpflanzungsvereinbarung); OLG Hamm, Urt.v. 22.10.1984 – 2 U 172/83 – NJW 1985, 679 ff. (Patientenvermittlungsvertrag) Urt.v. 27.02.2002 – 8 U 153/01 – GesR 2003, 119 ff. (Honoraraufteilung zwischen Operateur und Anästhesist; die Rechtsprechung ist wesentlich zurückhaltender: vgl. BGH, Urt. v. 22.02.1978 – 2 StR 372/77 – NJW 1978, 1206, OLG Düsseldorf, Urt.v. 02.02.1984 – 8 U 71/83 – VersR 1985 456; Urt. v. 19.10.2000 – 8 U 116/99 – VersR 2001, 1380 ff. (Nasenkorrektur), Urt.v. 16.11.2000 – 8 U 101/99 – VersR 2002, 611 ff. (MarcumarFall); Urt.v. 07.12.2006 – I-8 U 43/04 – juris (BrustOP). BGH, Urt. v. 22.02.1978 – 2 StR 372/77 – NJW 1978, 1206. Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, § 45 Rdnr. 15, Fußn. 20. BGH, Urt.v. 11.12.2003 – 3 StR 120/03 – BGHSt 49, 34 ff., NJW 2004, 1054 ff.; BGH, Urt.v. 26.05.2004 – 2 StR 505/03 – BGHSt 49, 166, NJW 2004, 2458 ff. LK/Hirsch, § 228 StGB Rdnr. 9; Eschelbach, BeckOK § 228 StGB, Rdnr. 24. BGH, Urt.v. 26.05.2004 – 2 StR 505/03 – BGHSt 49, 166, NJW 2004, 2458 ff. BGH, Urt.v. 11.12.2003 – 3 StR 120/03 – BGHSt 49, 34 ff., NJW 2004, 1054 ff.
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tenwidrig i.S.d. § 228 StGB anzusehen. Wegen der Intensität der Rechtsgutverletzung sei die Tat jedoch dann sittenwidrig, wenn bei vorausschauender Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. Der mit der Tat verfolgte Zweck kann nach dieser Auffassung das Merkmal der Sittenwidrigkeit nicht allein ausfüllen. Zu prüfen ist zunächst die Schwere des Rechtsguteingriffs. Offen gelassen wurde in beiden hier zitierten Strafurteilen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen weitere Zwecke oder sonstige Umstände in die Würdigung der Tat einzubeziehen sind. In der Literatur66 wird die Auffassung vertreten, der mit der Tat verfolgte Zweck habe nur insoweit Bedeutung, als eine an sich negative Bewertung durch einen positiven Zweck kompensiert werden könne. Weder die Zahnextraktionsfälle noch die wirkungslose Augenlaserbehandlung67 oder eine zum 14. Mal durchgeführte Nasenkorrektur68 an derselben Stelle wäre danach sittenwidrig i.S.d § 228 StGB. Weil auch im Falle der Genitaloperation jedenfalls keine konkrete Todesgefahr besteht, verbliebe im Ergebnis kaum ein Fall, der im Sinne der Strafrechtsnorm als sittenwidrig einzustufen wäre. Für die Auffassung des BGH ausschlaggebend ist die Ausrichtung an dem Grundwert der Unverletzlichkeit fremden Lebens beziehungsweise fremder körperlicher Integrität, der auch kriminalpolitisch geschützt werden muss69. Niemand darf sich zum Herrn über fremdes Leben aufschwingen; auch dann nicht, wenn das Opfer einverstanden ist, denn dies würde genau diesen Grundwert beeinträchtigen. Das Strafrecht trennt deshalb zu Recht zwischen der straflosen Selbsttötung beziehungsweise Selbstverletzung, der ebenso straflosen Mitwirkung daran und der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen. Entsprechendes gilt für die straflose Selbstverletzung und die strafbare Verletzung fremder physischer Integrität. Hier werden im Allgemeininteresse70 nur existenziellen Verfügungen über das Rechtsgut der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder des eigenen Lebens Grenzen gesetzt. Die Dispositionsbefugnis des einzelnen endet dort, wo ein von der Rechtsordnung tolerierbarer Rahmen überschritten ist71. Durch die strafrichterliche Rechtsprechung ist dieser Rahmen jedenfalls dort gezogen, wo sich bei einer ex-ante-Betrachtung ergibt, dass der Einwilligende in konkrete Todesgefahr gebracht wird. Ebenso klar für diese Grenzziehung ist, dass eine Körperverletzung, die nicht an die Tatbestandsmerkmale der schweren Körperverletzung heranreicht, nicht sittenwidrig sein kann. Dass gleichwohl noch ein Zwischenraum verbleibt, zeigt der von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung72 ent66 67 68 69
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LK/Hirsch, § 228 StGB Rdnr. 9. OLG Karlsruhe, Urt.v. 11.09.2002 – 7 U 102/01 – VersR 2004, 244 ff. OLG Düsseldorf, Urt.v. 19.10.2000 – 8 U 116/99 – VersR 2001,1380 ff. Meyer, Die Unfähigkeit des erwachsenen Patienten zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, S. 218 ff. Auch der Normzweck des § 138 verfolgt einen solchen Abschreckungszweck: MüKo/Armbrüster, § 138 BGB Rdnr. 2. BGH, Urt.v. 26.05.2004 – 2 StR 505/03 – BGHSt 49, 166, NJW 2004, 2458 ff. BGH, Urt.v. 29.06.1976 – VI ZR 68/75 – BGHZ 67, 48 ff., NJW 1976, 1790 ff.; vgl. die Diskussion bei Uhlenbruck/Laufs, § 39 Rdnr. 42.
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schiedene Fall der freiwilligen Sterilisation: Der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit erfüllt – objektiv – den Fall der schweren Körperverletzung des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Auch wenn der Zivilsenat hier ausdrücklich keine strafrechtlichen Erwägungen angestellt hat73: Für ihn entscheidend war, dass die 34-jährige Frau, die vor der Geburt ihres dritten Kindes stand, so viel Lebenseinsicht in die Bedeutung der Mutterschaft für das eigene Lebensschicksal und das ihrer Ehe und Familie hatte, um diese Entscheidung selbstverantwortlich treffen zu können. Der von ihr verfolgte Zweck war nach Auffassung des BGH auch für den Arzt trotz der Irrevisibilität der Entscheidung und des Fehlens eines medizinischen Anlasses noch zu tolerieren74. In diesen Fällen spitzt sich der Konflikt „salus aut voluntas aegrotii suprema lex“ noch unter einem anderen Aspekt zu: Im Kern geht es bei der Sittenwidrigkeit wunschmedizinischer Eingriffe nicht nur um das Maß ärztlicher Eingriffe in die körperliche Integrität der Klienten, sondern gleichermaßen um die ärztliche Aufgabe im System der Krankenbehandlung und des Gesundheitsschutzes75. Weil das Berufsbild des Arztes durch Verfassung und Recht geprägt76 und im Verhältnis zu anderen Gesundheitsberufen am umfassendsten ausgestaltet ist, gewährleistet diese Profession die Gesundheit der Bevölkerung (salus i.w.S.). Maßnahmen, die unter keinem Gesichtspunkt einen Erfolg versprechen, extrem oder kontraindiziert sind, können eventuell nicht mehr mit diesen medizinischen Aufgaben in Einklang gebracht werden und das in diesen Berufsstand gesetzte Vertrauen erschüttern. Die zu § 228 StGB ergangene strafrichterliche Rechtsprechung steht solchen gesundheitspolitischen Erwägungen wegen der Ausrichtung am Rechtsgut ablehnend gegenüber. So hat der BGH77 in der Heroin-Entscheidung ausgeführt, aus dem gleichzeitigen Verstoß gegen einen die Volksgesundheit schützenden Straftatbestand ließe sich nichts für die Frage herleiten, ob die Einwilligung des Geschädigten mit allgemein anerkannten sittlichen Wertvorstellungen unvereinbar sei. Dabei sei irrelevant, dass das Universalrechtsgut mittelbar den Schutz von Individualrechtsgütern mitbewirke. 73
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BGH, Urt.v. 29.06.1976 – VI ZR 68/75 – BGHZ 67, 48 ff., NJW 1976, 1790 ff., Rdnr. 8 des juris-Dokumentes. Die an ihn gerichteten Bemerkungen (BGH, a.a.O Rdnr. 15), er müsse alle Umstände bedenken, die aus ärztlicher Sicht im Einzelfall für und gegen einen solchen Eingriff sprächen, wobei auch die künftige psychische Gesundheit seiner Patientin eine Rolle spiele, und er müsse bedenken, ob nicht ein weniger einschneidender Weg beschritten werden könne, entspricht der hier vertretenen Auffassung zur Notwendigkeit umfassender Indikationsstellung bei wunschmedizinischen Eingriffen. Dieser Aspekt fehlt in der Diskussion bei Nitschmann, Chirurgie für die Seele, ZStW 2007, 547; sie bezieht die sozialrechtlichen Folgelasten nach einer “Wunschamputation in ihre Überlegungen ein. Kluth, Probleme der Inanspruchnahme von Ärzten für nichtärztliche Leistungen, in: Thomas, Menschlichkeit der Medizin 1993, 143 ff.; ders., Juristische Bewertung des status quo – Stärkung der Autonomie oder Verlust der Freiberuflichkeit, in: Wienke/Dierks, Zwischen Hippokrates und Staatsmedizin 2008, S. 29 ff. BGH, Urt.v. 11.12.2003 – 3 StR 120/03 – BGHSt 49, 34 ff., NJW 2004, 1054 ff.
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Diese strenge Trennung zwischen dem Schutz unterschiedlicher Individualbzw. Kollektivrechtsgüter, die auch in der späteren Entscheidung78 beibehalten wurde, führt zu der Frage, ob der Begriff der Sittenwidrigkeit in § 138 BGB weiter ausgelegt werden kann als der des § 228 StGB. Dies ist wohl zu bejahen: § 228 StGB bezieht sich auf die Bewertung eines Verhaltens, während § 138 BGB die Prüfung eines Rechtsgeschäftes zum Gegenstand hat. Vor allem ist § 228 StGB auf das Rechtsgut der Körperverletzung bezogen, während § 138 BGB insgesamt die Funktion der Lückenfüllung für rechtlich zu missbilligende Rechtsgeschäfte innehat79. Die Frage, ob die Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB mit der ärztlichen Aufgabe des Gesundheitsschutzes begründet werden kann, führt zunächst zu der Erkenntnis, dass zivil- und strafrechtliche Entscheidungen80, die bei kosmetischen Operationen einen Verstoß gegen §§ 134, 138 BGB annehmen, eher selten sind81. In dem von dem BGH82 entschiedenen Zahnextraktionsfall fehlen diesbezüglich Ausführungen, weil die Klientin schon nicht für fähig gehalten wurde, eine wirksame Einwilligung zu erteilen83. In dem Marcumar-Fall84 war der Klient nicht über die mit der Operation zwangsläufig verbundenen Risiken aufgeklärt, auch hier fehlte es also an einer wirksamen Einwilligung, so dass über die Sittenwidrigkeit der Tat bzw. der Einwilligung nicht zu befinden war. Intensiv hingegen wurde die Sittenwidrigkeit bei der oben beschriebenen freiwilligen Sterilisation diskutiert85. Es ist zu hinterfragen, ob nicht der grundgesetzlich verankerten Therapiefreiheit des Arztes86 durch Gesetz und Sitte absolute Grenzen gesetzt sind. Rechtsgeschäfte
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BGH, Urt.v. 26.05.2004 – 2 StR 505/03 – BGHSt 49, 166, NJW 2004, 2458 ff. Staudinger/Sack, § 138 BGB Rdnr. 23 ff. Keine Ausführungen enthalten: BGH, Urt.v. 06.11.1990 – VI ZR 8/90 – NJW 1991, 2349; Urt.v. 09.11.1993 – VI ZR 248/92 – AZ VI ZR 248/92 – NJW 1994, 801 (Weisheitszahn); BGH, Urt.v. 23.03.2006 – III ZR 223/05 – NJW 2006, 1879 ff. (GOÄ); BayVerfGH, Entsch. v. 14.07.2006 – Vf. 20-VI-05, juris; OLG Düsseldorf, Urt.v. 13.10.1997 – 8 U 102/96 – VersR 1999, 61 (Fettabsaugung), Urt.v. 19.10.2000 – 8 U 116/99 – VersR 2001, 1380 (Nasenkorrektur), Urt.v. 07.12.2006 – I-8 U 43/04 juris (BrustOP); OLG Hamm, Urt.v. 01.02.2006 – 3 U 250/05 – juris (Fettabsaugung); Urt.v. 29.03.2006 – 3 U 263/05 – VersR 2006, 1511 (BrustOP); OLG Köln, Urt.v. 17.09.1987 – 7 U 58/87 – VersR 1988, 1049 (NasenOP); Urt.v. 03.02.1999 – 5 U 118/98 – VersR 1999, 1372 (OhrenOP); OLG München, Beschl. v. 01.08.2006 – 1 U 3241/06 – juris (BrustOP) LG Köln, Urt.v. 15.06.2006 – 23 S 86/04 – NJW 2006, 1409, VersR 2007, 386 ff. (Lasik); LG Lübeck, Urt.v. 14.06.1993 – 4 O 603/92 – NJWRR 1994, 123 ff. (Haarverpflanzung). BGH, Urt.v. 29.06.1976 – VI ZR 68/75 – BHGZ 48 ff., NJW 1976, 1790 ff. (Freiwillige Sterilisation); OLG Saarbrücken, Urt.v. 12.08.1998 – 1 U 431/97 – NJW 1999, 871 ff. Sittenwidrigkeit eines Haftungsverzichts bei Fingeramputation. BGH, Urt.v. 22.02.1978 – 2 StR 372/77 – NJW 1978, 1206. Siehe jedoch: Uhlenbruck/Laufs, Handbuch des Arztrechts, § 45 Rdnr. 15, Fußn. 20; Meyer, Die Unfähigkeit des erwachsenen Patienten zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, 203 ff. OLG Düsseldorf, Urt.v. 16.11.2000 – 8 U 101/99 – VersR 2002, 611 ff. BGH, Urt.v. 29.06.1976 – VI ZR 68/75 – BGHZ 67, 48 ff., NJW 1976, 1790 ff. Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenautonomie, 1994, S. 63.
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können, wenn sie nicht schon gegen klar geregelte Verbotsnormen verstoßen, wegen Standeswidrigkeit sittenwidrig sein. Das setzt voraus, dass der betreffende Berufsstand eine besonders wichtige Gemeinschaftsaufgabe erfüllt, was nach den obigen Ausführungen sich für Ärzte zwanglos ergibt. Ferner muss eine besonders wichtige Standespflicht verletzt worden sein87. Die Durchführung kosmetischer Operationen ist nicht schon von vornherein standeswidrig. Im Gegenteil ist die Notwendigkeit, derartigen Wünschen nachzukommen, mit der Fachlichkeit der Ärzte zu begründen88. Gerade bei kosmetischen Operationen beruht der Wunsch des Klienten auf seinem höchstpersönlichen ästhetischen Empfinden89. Deshalb wäre es verfehlt, eine kosmetische Operation schon dann als sittenwidrig zu bezeichnen und damit von dem Chirurgen die Unterlassung seiner Tätigkeit zu verlangen, wenn – auch nach Sicht eines „verständigen“ Laien90 – eine Verbesserung nicht erreichbar, die Behandlung aber folgenlos ist. Das dürfte in den Zahnextraktionsfällen wegen des Einsatzes einer Prothese so sein. Darüber hinaus fehlt es an der Möglichkeit einer Grenzziehung: In den Zahnextraktionsfällen ist nicht bestimmbar, von welchem Grade an die Extraktion aus Schönheitsgründen als radikal beziehungsweise verwerflich anzunehmen wäre – es kann sich um einen Zahn, mehrere oder alle Zähne, den gesamten Oberkiefer oder nur die Schneidezähne handeln. In anderen Fällen ist nicht definierbar, für welche Körperregionen oder Körperteile nun eine vermeintliche Verschönerung als verwerflich anzusehen sein könnte oder welcher der 17 häufigsten oder anderer kosmetischer Eingriffe als gegen die guten Sitten verstoßend zu beurteilen wäre. Hier überzeugt die Auffassung des OLG Köln91, dass das Selbstbestimmungsrecht grundsätzlich vor anderen Auffassungen zu schützen ist. Anders ist die Situation zu bewerten, wenn die Maßnahme auch aus Sicht des mehrfach voroperierten Klienten keinen Erfolg (mehr) zeitigen kann. Hier verstößt der Arzt gleich mehrfach gegen das Standesrecht: Er hat die Pflicht, der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes zu dienen. Diese Pflicht durchzieht das gesamte Standesrecht, wie sich aus § 1 BÄO, § 1 MBO-Ä ergibt, und ist deshalb von hervorragender Bedeutung. Niemand außer dem Arzt selbst hat bei der Durchführung einer von Anfang an und auch für den Klienten bekanntermaßen wirkungslosen Maßnahme einen Vorteil. Zugleich wird das Vertrauen in die ärztliche Tätigkeit, das der Arzt zu fördern verpflichtet ist92, gestört. Es handelte sich um ausschließlich wertschöpfende und somit auch an keine Berufsethik mehr gebundene, gewerbliche Tätigkeit.
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MüKo/Armbrüster, § 138 BGB Rdnr. 46; Staudinger/Sack, § 138 BGB Rdnr. 41 ff. Arztvorbehalt u.a. in § 9 ESchG; § 4 S. 1 Nr. 2 TFG; § 9 GenDG; vgl. i.ü. die Rspr. zum Heilpraktikergesetz: Stock, a.a.O. m.w.N. OLG Köln, Urt.v. 03.02.1999 – 5 U 118/98 – VersR 1999, 1371 ff. Objektiv-patientenbezogener Standard. OLG Köln, Urt.v. 03.02.1999 – 5 U 118/98 – VersR 1999, 1371 ff. § 29 HeilberufsG NRW; Präambel der MBO-Ä.
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Deshalb ergeben hier die Gesamtumstände93, dass ein Arzt aus generalpräventiven Gesichtspunkten94 daran gehindert werden muss, unnütze, kontraindizierte und radikale, wenn auch unterhalb der Schwelle des § 226 Strafgesetzbuch liegende medizinische Maßnahmen durchzuführen. Anderenfalls ginge das Vertrauen in die ärztliche Tätigkeit schlechthin verloren (Dammbrucheffekt)95. Für eine derartige Wirkung ausschlaggebend kann insbesondere sein, dass es dem behandelten Klienten gar nicht auf eine solche vertrauensgestützte ärztliche Tätigkeit ankommt. Das ist der Fall bei den Klienten, die gemeinsam mit dem Arzt von der Wirkungslosigkeit oder sogar Schädlichkeit der Maßnahme ausgehen. Hier kommt es beiden gar nicht mehr darauf an, dass der Arzt sein Verhalten rechtfertigen, die Indikation stellen muss. Sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB ist demnach insbesondere ein Verhalten, das unter keinen Umständen – weder aus objektiver noch aus subjektiver Perspektive – indiziert ist96.
V. Fazit Für die Körperverletzungsdelikte sind durch die Wunschmedizin neue Problemlagen in Bezug auf die Reichweite des Rechtsgutschutzes der körperlichen Integrität und die Bedeutung psychischer Gesundheitsschäden entstanden. Damit es nicht zu Ausuferungen des Tatbestandes kommt, ist strafrechtlich an der Körperbezogenheit der Misshandlung und der funktionellen Beeinträchtigung der Gesundheit festzuhalten. Die Betonung der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund für den körperlichen Eingriff bedeutet keine Einbuße zulasten der ärztlichen Entscheidungsfindung. Wo es – wie bei wunschmedizinischen Maßnahmen97 – an einem medizinischen Anlass fehlt, ist die Indikation umso umfassender zu stellen. Die Indikationsstellung ist der Abwägungs- und Entscheidungsprozess auf Seiten des Arztes zur 93 94 95
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Staudinger/Sack, § 138 BGB Rdnr. 146. MüKo/Armbrüster, § 138 BGB Rdnr. 2. Meyer, Die Unfähigkeit des erwachsenen Patienten zur Einwilligung in den ärztlichen Eingriff, 219, Fußn. 80; krit. Nitschmann, Chirurgie für die Seele, ZStW 2007, 547, 582. Einen Dammbrucheffekt haben die Entscheidungen zur freiwilligen Sterilisation offensichtlich nicht ausgelöst, so dass in diesem Fall die Verletzung von Standesrecht, selbst wenn sie vorliegen sollte, aufgrund der konkreten Gesamtumstände noch nicht die Sittenwidrigkeit des Arztvertrages begründen kann. Einen ähnlichen, allerdings in keiner Weise typischen Fall, bildete die medizinisch nicht indizierte, gleichwohl aber gewünschte Amputation eines Fingers (OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.08.1998 – 1 U 431/97 – NJW 1999, 871 ff., MedR 1998, 556 ff.): Der Klient hatte sich selbst als sachkundiger Veterinärmediziner vorgestellt und einen Haftungsverzicht angeboten nur, um einer angeblich drohenden, objektiv und auch vom Operateur nicht feststellbaren vitalen Gesundheitsgefahr vorzubeugen. Hier könnte ein Körperschaden angenommen werden, der an einen schweren i.S.d. § 226 StGB heranreicht. Die besonderen Umstände jedoch lassen den Haftungsverzicht weder nach § 228 StGB noch nach § 138 BGB als sittenwidrig erscheinen. Ähnlich: Forschung, Prävention.
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Frage, ob und wie er die Maßnahme durchführt. Darin ist der Klientenwunsch zu integrieren, er ersetzt jedoch nicht die Professionalität und Fachlichkeit der ärztlichen Entscheidung. Ärztliches Handeln ist dann gerechtfertigt, wenn es indiziert ist, d.h. nach einem intensiven Abwägungs-, Kommunikations- und Entscheidungsvorgang den Anforderungen an ärztliche Standards genügt und auf dieser Basis der informed consent hergestellt ist. Für die Wunschmedizin gilt ein ähnlicher Indikationskatalog wie für die traditionelle Medizin: Es sind zunächst absolute und relative Kontraindikationen festzustellen, die die Maßnahme ausschließen oder einschränken. Eine wunschmedizinische Maßnahme ist stets nur relativ indiziert. Das heißt: Da kein medizinischer Anlass zum Tätigwerden besteht, kann sich der Arzt frei dazu entscheiden, ob er generell oder im Einzelfall eine solche Maßnahme durchführt oder ablehnt. Die Option, nichts zu tun, ist immer eine gewichtige Alternative. Sie ist, da kein medizinischer Anlass besteht, für den Klienten mit keinem Risiko verbunden. Das hier vorgeschlagene Indikationsmodell löst diesen Konflikt nur zum Teil, indem es die medizinischen Gesichtspunkte einschließlich der psychischen in den Vordergrund stellt und auch nichtmedizinische Aspekte in den Indikationskatalog aufnimmt. Die sich daraus ergebende Prioritätenfolge bildet einen objektiven Maßstab selbst dort, wo der Klientenwunsch ansonsten nicht mehr hinterfragt werden kann. Weil der Arztberuf im Übrigen ein seiner Natur nach freier Beruf ist, verbleibt gleichwohl zwischen den Alternativen salus und voluntas ein hohes Maß an individueller Freiheit des jeweils handelnden und entscheidenden Arztes. Dies birgt ein auch strafrechtlich relevantes Haftungsrisiko in sich, das sich mit diesem Indikationsmodell nur minimieren lässt. Es zeigt dem Arzt gleichermaßen Prioritäten wie Freiräume auf98. Rechtsmissbräuchlich ist ärztliches Handeln jedenfalls dann, wenn gegen strafrechtliche Verbotsnormen verstoßen wird. Sie dienen den absoluten Rechtsgütern auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Sittenwidrig ist ärztliches Handeln, wenn Arzt und Klient gemeinsam in nicht mehr tolerierbarer Weise eine Grenze überschreiten, – sei es, indem der Klient bei vorausschauender objektiver Betrachtung durch die Körperverletzungshandlung in Todesgefahr oder zumindest die Gefahr gebracht wird, einen der in § 226 StGB genannten Schäden zu erleiden. Diese Fallgruppe wurde mit dem außerhalb der Disposition Einzelner stehenden Rechtsgut des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit begründet; – sei es, indem nach den Gesamtumständen eine unter keinen Umständen tolerierbare unnütze, kontraindizierte oder radikale Maßnahme vorliegt, Arzt und Klient 98
In der Dissertation wurde zwischen Abwägungs- und Entscheidungsebene gerade für Konfliktlagen eine Beratungsebene vorgesehen.
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ihre Schädlichkeit oder Wirkungslosigkeit kennen, sie aber dennoch vornehmen. Diese Fallgruppe wurde insbesondere mit der standeswidrigen und kollusiven Außerachtlassung der ärztlichen Aufgabe des Gesundheitsschutzes (salus) begründet.
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Der Arzt zwischen Heilen und Gewerbe – Zur Anwendbarkeit des ärztlichen Berufsrechts
Der Arzt zwischen Heilen und Gewerbe – Zur Anwendbarkeit des ärztlichen Berufsrechts
Karsten Scholz
Zur Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit des ärztlichen Berufsrechts hat kürzlich das OVG Lüneburg in einem Beschluss vom 7. August 2008 – 8 LC 18/08 – Stellung genommen. Der Rechtsstreit betraf die Kammermitgliedschaft und die sich daraus ergebende Pflicht zur Beitragszahlung eines Psychologischen Psychotherapeuten. Dieser ist Leiter einer kirchlichen Psychologischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensplanung und vertrat die Auffassung, der Psychotherapeutenkammer nur dann als Pflichtmitglied anzugehören, wenn er auch heilkundlich im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 Psychotherapeutengesetz tätig sei. Er übe seinen Beruf, anders als es das Kammergesetz für die Heilberufe (HKG) voraussetze, nicht „aufgrund einer Approbation“ aus, sondern sei in der Beratungsstelle auf der Grundlage der §§ 16 – 18, 27f. SGB VIII psychologisch tätig. Seine beratende Tätigkeit tangiere zwar den Bereich des Gesundheitswesens, setze aber keine Approbation nach dem Psychotherapeutengesetz voraus. Das OVG entschied, dass § 2 Abs. 1 S. 1 HKG ein eigenständiger, weiter Begriff der Berufsausübung zugrunde liege1. Eine die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer begründende Berufsausübung bestehe bereits dann, wenn der Approbierte einer Tätigkeit nachgehe, bei der er die Kenntnisse und Fähigkeiten, die Voraussetzung für seine Approbation waren, einsetze oder auch nur einsetzen oder verwenden könne. Ansonsten wären etwa ausschließlich lehrend oder forschend tätige Berufsträger ebenso wie solche, die sich auf Verwaltungstätigkeiten beschränken mangels unmittelbar heilkundlicher Tätigkeit von der Pflichtmitgliedschaft befreit. Dadurch würde die im HKG umschriebene Aufgabe der Kammer verfehlt, die gemeinsamen beruflichen Belange des Berufsstands zu wahren. Das zweite Argument des Gerichts führt uns unmittelbar zu unserem heutigen Thema: Für das weite Verständnis des Begriffes der Berufsausübung spreche auch § 32 Abs. 1 HKG, wonach die ärztliche oder psychotherapeutische Tätigkeit auch für Träger ausgeübt werden könne, die nicht gewerbs- oder berufsmäßig ärztliche oder psychotherapeutische Leistungen erbringen. Diese Vorschrift ist im niedersächsischen Kammergesetz mit der Überschrift „Grundlagen der Berufausübung“
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Ebenso im Ansatz VG Ansbach vom 22.8.2007 – AN 9 K 06.02357, wonach die Kammermitgliedschaft nicht durch Aufnahme einer berufsfremden Tätigkeit sondern nur durch den Verzicht auf die Approbation beendet werden kann.
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umschrieben und geht der die Berufspflichten und die Berufsordnung regelnden Norm unmittelbar voraus. Wenn es daher in § 33 Abs. 1 S. 1 HKG heißt, dass die Kammermitglieder verpflichtet sind, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben, gilt dieses Gebot auch für den Bereich der Wunschmedizin, und zwar umfassend. Vor diesem Hintergrund gewinnt die in § 2 Abs. 2 der (Muster-) Berufsordnung enthaltene Verpflichtung des Arztes, dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen, eine bislang zu wenig beachtete Bedeutung: Wer Arzt ist, mag zwar den Arztkittel an dem einen oder anderen seiner Tätigkeitsorte an den Kleiderhaken hängen können. Gleichwohl bleibt er in allen seinen Tätigkeitsbereichen Arzt. Weil er Arzt und damit seinem Gewissen und den Geboten der ärztlichen Ethik verpflichtet ist (§ 2 Abs. 1 S. 1 MBO), geht das Vertrauen des Patienten aber auch des Kunden dahin, dass er die Grenze des ärztlich Vertretbaren nicht überschreitet. Wenn Jugendliche zum Arzt gehen, weil eine Arztpraxis bei einem in den Gelben Seiten beworbenen „Piercing by the Doctor – Körperschmuck vom Fachmann“ bessere hygienische Voraussetzungen erfüllt als ein Piercing- und Tattoo-Studio2, muss der Arzt ein Genitalpiercing verweigern, weil dieses nicht mehr mit seiner Aufgabe vereinbar ist, die Gesundheit seines Patienten zu schützen (§ 1 Abs. 2 MBO). Anders als beim Berufszulassungsrecht, bei dem es ärztliche von den nichtärztlichen Leistungen zu unterscheiden gilt, spielt diese Differenzierung für den Anwendungsbereich der Kammergesetze und der auf ihrer Grundlage erlassenen Berufsordnungen keine Rolle. Die von Ärzten wahrgenommenen Tätigkeiten unterliegen daher der Berufsaufsicht seitens der Ärztekammern, es sei denn, der Arzt wird „berufsfremd“ tätig, d.h. er kann dabei seine im Studium erworbenen medizinischen Fachkenntnisse nicht einsetzen. Die Berufsordnung widmet sich allerdings auch diesem Bereich, indem § 3 Abs. 1 S. 1 MBO dem Arzt neben der Ausübung seines Berufs andere Tätigkeiten untersagt, welche mit den ethischen Grundsätzen des ärztlichen Berufs nicht vereinbar sind. Auf der Ebene der Berufsordnung lässt sich meine Position daher zusätzlich mit einem Erst-recht-Schluss begründen: Belegt das Berufsrecht den Arzt sogar bei eindeutig nichtärztlichen Tätigkeiten mit Berufspflichten, muss das erst recht im Bereich der wunscherfüllenden Medizin gelten. Die Heilberufe- und Kammergesetze der Länder sind daher von der Vorstellung geprägt, dass das Ansehen der Ärzteschaft in der Öffentlichkeit beeinträchtigt würde, wenn die Kontrolle durch die Heilberufskammern auf den unmittelbaren Bereich der Heilkundeausübung beschränkt wäre. Das hätte mit Sicherheit Rückwirkungen auf das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Der weite Anwendungsbereich des Berufsrechts verfolgt damit ähnliche Schutzzwecke wie die ärztliche Schweigepflicht. Ohne die umfassende Einbindung der Ärzteschaft in die Berufsaufsicht würde deren Zielsetzung, das Vertrauen der Bevölkerung in die Einhaltung der Grundsätze der ärztlichen Ethik zu erhalten und zu fördern, nur unvollkommen erreicht. Dieses Vertrauen ist aber die Basis dafür, sich 2
Vgl. Meyer DÄBl 2001, A-819 = B-679 = C-635.
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dem Arzt zu offenbaren und seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nur dann kann das Ausbreiten ansteckender Krankheiten wirksam verhindert werden. Die mit dem weiten Anwendungsbereich des ärztlichen Berufsrechts verbundene Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit ist damit auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Eberbach3 hat den Anwendungsbereich des ärztlichen Berufsrechts jüngst vor dem Hintergrund der in § 1 MBO umschriebenen Aufgaben des Arztes hinterfragt. Danach hat der Arzt das Leben zu erhalten, die Gesundheit des einzelnen Menschen zu schützen und wiederherzustellen, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, Sterbenden Beistand zu leisten und die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Die Aufnahme des Umweltschutzes durch die Berufsordnungsnovelle des Jahres 1996 zeigt die Wandelbarkeit dieses Aufgabenkatalogs. Es handelt sich gewissermaßen um Pflichtaufgaben des Arztes, die den Arzt nicht darin beschränken, seine Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten für andere Ziele einzusetzen, wenn er die allgemeinen und die jeweils einschlägigen besonderen Berufspflichten nicht verletzt. Wenn Lippert in seinem gemeinsam mit Ratzel verfassten Kommentar zur Muster-Berufsordnung die Frage aufwirft, was gelten soll, wenn der Arzt Leistungen im Fitness- oder Wellness-Bereich anbietet, deren Vornahme keine ärztliche Vorbildung erfordert4, muss diese meines Erachtens dahin präzisiert werden, ob die Berufsordnung in gleicher Weise Anwendung findet wie für eine heilkundliche Tätigkeit. Auch dazu gibt die Entscheidung des OVG Lüneburg einen Fingerzeig. Die ärztliche Tätigkeit im Sinne des Kammergesetzes könne, sofern es sich um keine ärztliche Tätigkeit im Sinne des Heilpraktikergesetzes handele, auch für Träger ausgeübt werden, die nicht gewerbs- oder berufsmäßig ärztliche Leistungen erbringen. Der Begriff der ärztlichen Leistungen in § 32 Abs. 1 Nr. 3 HKG wird hier in einem engen Sinne verstanden. Danach darf der Arzt außerhalb seiner Praxis, sofern er keine Heilkunde ausübt, auch gewerblich tätig sein. Meine Praxis als Kammerjustiziar zeigt allerdings, dass im Wellnessbereich, aber z.B. auch im Bereich der Ernährungsberatung die auf Anbieterseite Beteiligten die Verbraucher im Unklaren darüber lassen, in welcher Rolle der Arzt tätig wird. Beliebt ist die Werbung einer Einrichtung damit, sie stehe „unter ärztlicher Leitung“. Das wird nicht näher beschrieben. Man könnte darunter verstehen, ein Arzt habe das Konzept entworfen. Scheinbar soll jedoch bei den Kunden der Eindruck vermittelt werden, ärztliche Fachkenntnisse seien, wenn notwendig, verfügbar. Jedenfalls dann, wenn damit geworben wird, dass zeitweise ein Arzt anwesend ist und „Risikopatienten“ deshalb eher diese Einrichtung aufsuchen werden, muss zivilrechtlich Folgendes beachtet werden: Die Willenserklärungen der Vertragspartner sind dann so auszulegen, dass im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses eine Nebenpflicht besteht, Kunden auf deren Nachfrage, bei erkennbaren Problemen aber auch ungefragt, medizinisch zu beraten. Berät den Kunden jedoch ein Arzt, zumal wenn er sich ihm auch als solcher vorstellt, verpflichtet ihn zusätzlich auch das 3 4
Eberbach, Die Verbesserung des Menschen, MedR 2008, 325, 332. § 1, Rn. 15.
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berufsrechtliche Gebot der gewissenhaften Berufsausübung, sein medizinisches Fachwissen tatsächlich einzusetzen. Da Verbraucher und Anbieter die gleichen Vorstellungen haben, nämlich einerseits Vertrauen in die Tätigkeit eines Arztes haben bzw. sich dieses andererseits verkaufsfördernd zunutze machen wollen, sind die Fälle zahlenmäßig zu vernachlässigen, in denen der Sachverhalt nicht vom ärztlichen Berufsrecht erfasst wird. Meistens bestehen bei den an die Ärztekammer herangetragenen Fällen Vorstellungen, eine ärztliche und eine gewerbliche Tätigkeit miteinander zu verquicken. Vor einiger Zeit wollte eine Ärztin bei einer promovierten Biologin mit Zusatzausbildung zur Ernährungsberaterin tätig werden, und zwar, wie sie angab, ohne die Heilkunde am Menschen auszuüben. Darauf angesprochen, wie sie sich das vorstelle, zumal die Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen eine Zusätzliche Weiterbildung Ernährungsmedizin kennt, gab sie an, eine Anamnese erheben und Ernährungsempfehlungen aussprechen zu wollen. Sie wolle nicht nach der GOÄ abrechnen; gleichwohl sei angedacht, dass sie den „Kunden“ selbst eine Rechnung ausstellen wolle. In der Beratung hat die Ärztekammer Niedersachsen die Ärztin auch unter berufsrechtlichen Aspekten (vgl. § 12 MBO) auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit der GOÄ für medizinisch nicht indizierte kosmetische Operationen verwiesen5. Diese gilt danach für alle beruflichen Leistungen des Arztes. Das Gericht stellt insofern fest, dass dieser weite Begriff ebenso wie das in der Ermächtigungsnorm des § 11 Bundesärzteordnung verwendete gleichbedeutende Merkmal der „ärztlichen Tätigkeit“ inhaltlich über den den Ärzten in erster Linie (!) zugewiesenen Dienst an der Gesundheit und die „Ausübung der Heilkunde“ hinausgeht. Obwohl der Bundesgerichtshof die mit dem Erlass einer Gebührenordnung verbundene Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit der Ärzte auch verfassungsrechtlich für gerechtfertigt hält, stellt sich dort wie auch für die Berufsordnung die Frage, ob es geboten ist, in der Berufsordnung bzw. in einzelnen ihrer Normen zwischen der ärztlichen Tätigkeit in einem enger und in einem weiter verstandenen Sinne zu unterscheiden. Die ärztliche Tätigkeit im weiteren Sinne ist häufig, aber nicht stets mit keinen unmittelbar bestehenden Gesundheitsgefahren verbunden. Das könnte Anlass für die Berufsausübung weniger einschränkende Normen sein. Eine Differenzierung ist juristisch zunächst dort nicht geboten, wo die Berufsordnung Generalklauseln verwendet. Sie können in der Rechtsanwendung flexibel der Situation des konkreten Einzelfalls angepasst werden. Es erscheint zudem fraglich, ob sich die Berufsordnung außerhalb des Bereichs der Heilkundeausübung tatsächlich zurücknehmen kann oder nicht zum Teil sogar noch strengere Anforderungen aufstellen muss. Das machen folgende Beispiele deutlich: Die Anforderungen an die Aufklärung sind bei nicht indizierten Heileingriffen höher6 und neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die in den Leistungskatalog der GKV einge5 6
BGH, Urt. v. 23.3.2006 – MedR 2006, 424. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht5, Rn. C 9 mwN.
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führt werden, unterliegen nach § 135 Abs. 1 SGB V einer sozialrechtlichen Reglementierung. Würde nicht die Gefahr gesehen, Maßnahmen der medizinisch nicht indizierten plastischen Chirurgie dadurch noch aufzuwerten, wären berufsrechtlich begründete Qualitätssicherungsmaßnahmen denkbar. Dass im Bereich der Schönheitschirurgie über die Implementierung von Regelungen zur Strukturqualität in die (Muster-) Berufsordnung nachgedacht wird, hat die Bundesärztekammer am 23. April 2008 in einer öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages zur Schönheitschirurgie angekündigt7. Lockerungen des Berufsrechts wären für den Bereich der Wunschmedizin bei der Zusammenarbeit mit Dritten, §§ 30ff. MBO, denkbar. Die Regelungen sollen sicherstellen, dass sich der Arzt am Patientenwohl orientiert und nicht von merkantilen Gesichtspunkten leiten lässt. Insofern sind Gesunde weniger schutzbedürftig als Kranke. Das lässt den Blick auf § 3 Abs. 2 MBO zurückwerfen. Danach dürfen Ärzte im Zusammenhang mit ihrer „ärztlichen Tätigkeit“ keine Waren abgeben oder gewerbliche Dienstleistungen erbringen, sofern die Abgabe des Produkts oder die Dienstleistung wegen ihrer Besonderheiten nicht notwendiger Bestandteil der „ärztlichen Therapie“ sind. Die Berufsordnung meint mit „ärztlicher Tätigkeit“ hier ganz offensichtlich die Heilkundeausübung. Dafür spricht die Verwendung des Begriffes „ärztliche Therapie“ am Ende der Norm. Das ist auch die Sichtweise des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 29. Mai 20088 –, der es für zulässig hält, dass ein Arzt in den Räumen seiner Praxis eine gewerbliche Ernährungsberatung durchführt, wenn er diese Tätigkeit im Übrigen von seiner freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit in zeitlicher, organisatorischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht trennt. Wer als Arzt jedoch eine „Einzel-Ernährungsberatung“ durchführt, darf berufsrechtlich nicht den Beratungsstandard eines Arztes verlassen, weil er seinen Beruf andernfalls nicht gewissenhaft ausübt. Der vom BGH angenommene Dualismus lässt sich daher nur aufrechterhalten, wenn sich die gewerbliche Ernährungsberatung auf die Durchführung von Informationsveranstaltungen für „Kunden“-Gruppen und den Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln beschränkt. Es ist schließlich zu klären, ob jedenfalls die Tätigkeit eines Arztes als Verkäufer keine ärztliche und damit von der Berufsordnung nicht erfasste Tätigkeit ist. Man kann daran zweifeln, denn auch dabei kann der Arzt Kenntnisse einsetzen oder verwenden, die Voraussetzung für seine Approbation waren. Nimmt man das an, wird die Musterberufsordnung der Bundesapothekerkammer den Ärztekammern wahrscheinlich wertvolle Anregungen geben können.
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www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/083/index.html. GesR 2008, 474.
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169 Eigenverantwortung der Patienten/Kunden Wohin führt der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V?
Eigenverantwortung der Patienten/Kunden Wohin führt der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V?
Albrecht Wienke
I. Juristische Bestandsaufnahme Schönheitsoperationen wie Brustvergrößerungen, Lippen- oder Nasenkorrekturen stehen auch und gerade bei Jugendlichen immer mehr hoch im Kurs und tauchen auch immer häufiger auf den Wunschzetteln zum Geburtstag oder zum Abitur auf. Ähnlich wie bei den vom Schönheitskult getriebenen Zahnkorrekturen durch sogenannte Brackets und Veneers schwappen auch hier offensichtlich gesellschaftliche Tendenzen aus den USA über den Atlantik nach Europa. Dies gilt gleichermaßen für Tätowierungen und das Piercing. Noch anlässlich der diesjährigen Tagung der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie (DGPW) vom 08.10.2008 bis 10.10.2008 in Heidelberg bezeichnete deren Präsident, Herr Prof. Volker Ewerbeck, den Schönheitskult mittlerweile als ein Massenphänomen, bei dem der Wunsch nach einem neuen Busen zum Abitur inzwischen keine Ausnahme mehr sei. Nach Angaben der DGPW hat sich die Zahl der Schönheitsoperationen zwischen 1990 und 2002 von 109.000 auf 660.000 pro Jahr versechsfacht. Jeder vierte Patient sei zwischen 15 und 25 Jahre alt. Einige „schwarze Schafe“ der Branche griffen allzu schnell zum Skalpell, wenn es darum ginge, gerade Jugendlichen z.B. eine schönere Nase zu gestalten. Manche Eltern stimmten „guten Glaubens, aber ohne Kenntnisse der Risiken“ zu. Hinter dem Wunsch nach einer Schönheits-Operation könne eine gestörte Selbstwahrnehmung stehen. Heute träume jedes fünfte Kind zwischen 9 und 14 Jahren laut einer Studie von einer Schönheitsoperation. Angesichts dieser Zahlen sei es nach Ansicht des Präsidenten des DGPW an der Zeit, über Gegenmaßnahmen, auch im gesetzlichen Bereich, nachzudenken. Offenbar hat sich auch der Gesetzgeber von diesen Tendenzen und der Diskussion um den Schönheitswahn treiben lassen, als er mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung vom 24.10.2006, gemeinhin als GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG bekannt –, die hier maßgebliche gesetzliche Neuregelung in § 52 Abs. 2 SGB V in die Diskussion brachte. Die dann auch mit Wirkung vom 01.04.2007 tatsächlich in Kraft getretene Neufassung lautete wie folgt:
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Albrecht Wienke
„§ 52 Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden (1) Haben sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen, kann die Krankenkasse sie an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit versagen und zurückfordern. (2) Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte Maßnahme wie zum Beispiele eine ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.“ Diese Norm weist insbesondere zwei bemerkenswerte Besonderheiten auf: Zum einen werden die in Absatz 2 konkret genannten medizinisch nicht indizierten Maßnahmen beispielhaft aufgeführt, zum anderen grenzt sich die Regelung in Absatz 2 von derjenigen in Absatz 1 dadurch ab, dass die Krankenkassen nach Absatz 2 ausnahmslos verpflichtet werden, die Versicherten an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern. Demgegenüber beinhaltete die Regelung in Absatz 1 schon seit jeher einen Ermessenspielraum. Die Einräumung dieses Ermessensspielraums hatte aber nach den bisherigen Erfahrungen dazu geführt, dass die Krankenkassen allenfalls in seltenen Einzelfällen von den Möglichkeiten des § 52 Abs. 1 Gebrauch gemacht hatten. Um dem Maßnahmenkatalog in Bezug auf die Regelung in Absatz 2 damit mehr Durchsetzungskraft zu verleihen, hat sich der Gesetzgeber jedenfalls in Bezug auf Absatz 2 dann für eine obligate Rechtsfolgenregelung entschieden. Bemerkenswert ist aber in erster Linie der Umstand, dass die im Einzelnen als medizinisch nicht indizierten Maßnahmen aufgeführten Leistungen beispielhaft genannt werden. So war natürlich auch daran zu denken, dass in der Praxis Maßnahmen relevant würden, die z.B. lediglich der Erhöhung der sportlichen Leistungsfähigkeit dienen oder andere Maßnahmen zur Erhöhung der Lebensqualität. Diese beispielhafte Aufzählung medizinisch nicht indizierter Maßnahmen hat in der Folge zu zum Teil grotesken Auswüchsen in der Diskussion geführt: Der Gesetzgeber hatte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch die Auffassung vertreten, dass durch medizinisch nicht notwendige Schönheitsoperationen, Piercing und Tätowierungen oft gravierende Gesundheitsstörungen entstehen, deren Behandlung nach der bisherigen Rechtslage durch die Krankenkassen finanziert werden müsse. Da sich Versicherte, die derartige Maßnahmen durchführen ließen, aus eigenem Entschluss gesundheitlichen Risiken aussetzten, sei es nicht sachgerecht, diese Risiken durch die Versichertengemeinschaft abzudecken. Hier sei von den betroffenen Versicherten die Übernahme von Eigenverantwortung einzufordern. Die Krankenkassen würden sie daher an den Behandlungskosten angemessen zu beteiligen haben und Krankengeld gegebenenfalls ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern haben.
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Nachdem sich an diese insoweit offene Fassung des Gesetzestextes z.B. auch Fragen anschlossen, ob auch der Kreis der Raucher, der Diabetiker und der Leistungssportler einzubeziehen sei, weil nicht von der Hand zu weisen sei, dass auch diese ihre Erkrankungen zum Teil selbstverschuldet herbeigeführt haben, war die Spitze des Eisberges durch einen Beitrag der Deutschen Aids-Hilfe bald erreicht: Im Referentenentwurf vom 10.09.2007 zu einem Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung sollte § 52 Abs. 1 SGB V dahingehend geändert werden, dass nun auch Versicherte, die sich „eine selbstverschuldete oder selbst zu verantwortende Krankheit zugezogen haben“ für die damit zusammenhängenden Krankheitskosten in Anspruch genommen werden sollten. Im Zusammenhang mit der beispielhaften Aufführung von medizinisch nicht indizierten Maßnahmen nach § 52 Abs. 2 SGB V war dann schnell die Diskussion eröffnet, ob denn die vorgesehene Änderungsfassung nun auch auf Diabetiker, Organtransplantierte, Raucher, Haushaltsunfälle, Sportunfälle, Verkehrsunfälle, Übergewichtige, sexuell übertragbare Krankheiten und natürlich auch auf HIV-Positive anzuwenden sei. Die Deutsche Aids-Hilfe wies im Rahmen der Diskussionen darauf hin, dass die Privatisierung gesundheitlicher Risiken weiter vorangetrieben werde und das Ende des Solidarprinzips und der endgültige Abschied von der Gesetzlichen Krankenversicherung in ihrer heutigen Form eingeläutet werden. Diese Aufregungen dürften sich heute jedoch wohl weitestgehend gelegt haben. Es ist in erster Linie einem Änderungsantrag einiger Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen zu verdanken, die unter dem 12.03.2008 zum Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (PflegeWeiterentwicklungsgesetz) eine völlige Aufhebung des § 52 Abs. 2 forderten. Mit dieser Neuregelung sei in der solidarischen Krankenversicherung nämlich ein Paradigmenwechsel eingeläutet worden. Das eingeführte Selbstverschuldensprinzip stehe für einen ersten Schritt aus dem bisher solidarisch organisierten Krankenversicherungssystem. Mit dieser Regelung sei ein falscher Schritt getan worden. Statt die Selbstverantwortung der versicherten Frauen und Männer zu stärken, würden Sanktionierungsmechanismen eingeführt, die faktisch Rationierungs- und Einsparungsbestrebungen gewesen seien. Auch die im Gesetzentwurf zum Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vorgesehene Einschränkung der Regelung auf „medizinisch nicht indizierte ästhetische Operationen, eine Tätowierung oder ein Piercing“ reiche nach Ansicht der Fraktion Bündnis 90 / Die Gründen nicht aus. Damit werde zwar die Gefahr gebannt, dass die Regelung beliebig auf andere Gruppen (z.B. Personen, die Suizidversuche mit Medikamente unternehmen) und Behandlungen (z.B. Stechen eines Ohrrings) ausgeweitet werde. Es bleibe jedoch bei der Einführung des Selbstverschuldungsprinzips in die Gesetzliche Krankenversicherung, verbunden mit ungeklärten Abrechnungs- und Praktikabilitätsproblemen. So sei z.B. ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Entzündung und einer Tätowierung schwierig herzustellen, wenn diese zeitverzögert, möglicherweise erst nach Wochen oder Monaten aufträte. Hier werde fälschlicherweise eine Laborsituation angenommen, bei der externe Faktoren weitgehend ausgeklammert würden.
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Im Ergebnis hat sich der Gesetzgeber dann auf die heutige Fassung des § 52 Abs. 2 SGB V verständigt: „§ 52 Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden (1) Haben sich Versicherte eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen zugezogen, kann die Krankenkasse sie an den Kosten der Leistungen in angemessener Höhe beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise für die Dauer dieser Krankheit versagen und zurückfordern. (2) Haben sich Versicherte eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen, hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld für die Dauer dieser Behandlung ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern.“ Hierzu spricht die Gesetzesbegründung im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz insoweit von einer „Klarstellung“. Durch sie sollte gewährleistet werden, dass nur bei Folgen einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing eine Kostenbeteiligung der Versicherten erfolge. Nun zu den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen: Eine etwaige Leistungsbeschränkung durch die Krankenkasse setzt zunächst voraus, dass sich Versicherte eine Krankheit zugezogen haben. Diese Krankheit muss mit der medizinisch nicht indizierten Maßnahme in ursächlichem Zusammenhang stehen. Unausgesprochene Voraussetzung ist ferner, dass es sich um eine Maßnahme gehandelt hat, d.h. um Handlungen, welche die Versicherten willentlich an sich selbst vorgenommen haben oder von Dritten haben vornehmen lassen. Nicht darunter fallen also nach dem Gesetzeswortlaut sowie nach Sinn und Zweck der Regelung Handlungen, die ohne oder gegen den Willen der Versicherten stattgefunden haben, da sie nicht ihrer Eigenverantwortung zugerechnet werden können. Kritisch wird diese Frage insbesondere bei medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operationen bei Kindern, die in erster Linie dem Wunsch der Eltern entsprungen sind. Die Eigenverantwortung bezieht sich in diesem Fall nicht auf den Patienten selbst, sondern auf den Versicherten, der letztlich die rechtlich verbindliche Entscheidung zur Durchführung der jeweiligen Maßnahme getroffen hat. Zu denken ist hier z.B. an eine operative Ohranlegeplastik, die bei einem 4-jährigen Mädchen durchgeführt wurde, ohne dass der Nachweis einer psychiatrischen oder psychischen Störung, also einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne, geführt werden konnte. Die Durchführung einer operativen Ohranlegeplastik ist in einem solchen Fall zweifelsfrei medizinisch nicht indiziert, da weder eine psychiatrische oder psychische Beeinträchtigung des Kindes vorliegt und im Übrigen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts selbst im Falle einer solchen psychiatrischen oder psychischen Beeinträchtigung nicht eine operative Beseitigung des krankhaften Zustandes, sondern eine Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie an erster Stelle steht.
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Die Durchführung einer Ohranlegeplastik führt in diesen Fällen zweifelsfrei zu der Annahme, dass eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation bei einem Kind durchgeführt wird, in deren Folge beim Auftreten unmittelbar kausaler Komplikationen, etwa Infektionen, der Krankenversicherungsträger die Eltern des Kindes an den Kosten einer Revisionsbehandlung in angemessener Höhe beteiligen muss. In diesen Fällen wird man nicht darauf verweisen können, dass die Behandlung gegen den Willen des Patienten erfolgte, da der Tatbestand des § 52 Abs. 2 SGB V ausdrücklich auf Versicherte abstellt und damit im Rahmen der Familienversicherung natürlich auch die Eltern als Entscheidungsträger für das Auslösen von Versicherungsleistungen im Blick hat. Weitere schwierige Fragen ergeben sich insbesondere bezüglich des Tatbestandsmerkmals „nicht indiziert“. Mit diesem Tatbestandsmerkmal wird ein Terminus aus dem medizinischen Sprachgebrauch verwendet, der besagt, dass aus ärztlicher Sicht kein Grund besteht, der die Anwendung eines bestimmten diagnostischen oder therapeutischen Verfahrens rechtfertigt. Die Indikation in diesem Sinne kann „absolut“ sein, nämlich beim Vorliegen zwingender Gründe, aber auch „relativ“, wenn die Gefährdung des Patienten bedingt ist oder sinnvolle Alternativen in Betracht kommen. Im Wesentlichen wird sich der Begriff „indiziert“ mit der „Notwendigkeit“ einer Maßnahme im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V decken. Nach der Neufassung bezieht sich § 52 Abs. 2 SGB V nur noch und ausschließlich auf medizinisch nicht indizierte ästhetische Operationen, eine Tätowierung oder ein Piercing. Bei ästhetischen Operationen handelt es sich um Eingriffe in den menschlichen Körper zur Verbesserung des Aussehens, bei Tätowierungen handelt es sich um das Einbringen von Farbpigmenten in die Haut zur Schaffung von Mustern und beim Piercing handelt es sich um das Herstellen künstlicher Körperöffnungen zum Anbringen von Ringen oder anderen Schmuckgegenständen. In der Rechtsfolgenregelung werden die Krankenkassen nach § 52 Abs. 2 SGB V verpflichtet, die Versicherten an den Kosten zu beteiligen und das Krankengeld ganz oder teilweise zu versagen oder zurückzufordern. Wie sich bereits an der Ermessensregelung des § 52 Abs. 1 SGB V gezeigt hat, haben auch die Krankenkassen auf Grund der Neufassung des § 52 Abs. 2 SGB V jedenfalls nach unseren Ermittlungen von den Regressmöglichkeiten bisher nicht Gebrauch gemacht. Es verwundert nicht, dass die Krankenkassen auch in ihrer Außendarstellung mit allen möglichen Leistungen werben, aber Leistungsbeschränkungen durchgängig negieren. So findet sich bei keiner großen Krankenkasse im Internetauftritt ein Hinweis auf Leistungsbeschränkungen des § 52 SGB V. Es ist daher davon auszugehen, dass die praktische Relevanz der Anwendung des § 52 Abs. 2 SGB V gen Null tendiert. Auch im Gesetzgebungsverfahren ist die Neuregelung des § 52 Abs. 2 SGB V von der Diskussion um die Meldepflicht des § 294 a Abs. 2 SGB V völlig überlagert worden. Dieser in der Diskussion als „Petzparagraph“ vorgesehene Mitteilungspflicht hat die Möglichkeiten der Regressierung nach § 52 Abs. 2 SGB V völlig in den Hintergrund gedrängt.
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Ungeachtet dessen haben die Spitzenverbände der Krankenkassen im Januar 2008 allgemein anwendbare Hinweise für die Umsetzung des § 52 Abs. 2 SGB V erarbeitet. Danach sei zu beachten, dass jeder Fall individuell zu regeln sei. In diesem individuellen Rahmen treffe die jeweilige Krankenkasse ihre Entscheidung. Ungeachtet der damit verbundenen Schwierigkeiten empfehlen die Spitzenverbände dringend, dass die Versicherten von ihrer Krankenkasse über den zu erwartenden Kostenanteil informiert werden – was offensichtlich nicht befolgt wird. Hinsichtlich dieses Kostenanteils halten es die Spitzenverbände für vertretbar, dass von den Versicherten grundsätzlich ein 50 %-iger Eigenanteil an den Behandlungs- und Nebenkosten gefordert wird, soweit nicht auf Grund der der Krankenkasse bereits bekannten Verhältnisse ein anderer Prozentsatz angemessen erscheint. Im Einzelfall seien aber die finanzielle Leistungsfähigkeit und die Unterhaltspflichten des Versicherten zu berücksichtigen. Im Übrigen sehen die Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkasse Zumutbarkeitsgrenzen vor, die einkommensabhängig gestaffelt sind und zwischen 1 % des Einkommens bis 15.340,00 € pro Jahr bei Versicherten mit drei oder mehr Kindern und bis zu 7 % des Einkommens in Höhe von über 51.000,00 € bei Alleinstehenden ohne Kindern betragen. Zum Abschluss dieses rechtlichen Diskurses noch ein Wort zur Verfassungswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 52 Abs. 2 SGB V selbst: Es liegt auf der Hand, die seit dem 01.07.2008 geltende Neufassung des § 52 Abs. 2 SGB V im Lichte des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes als verfassungswidrig einzustufen. Wie dargelegt hat der Gesetzgeber den ehemaligen Wortlaut von „Maßnahmen wie z.B. eine“ aus dem Tatbestand der Norm strichen und den Leistungsausschluss auf Krankheiten reduziert, die sich Versicherte durch eine Schönheits-Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen haben. Damit schafft der Gesetzgeber grundlos eine Diskriminierung, die unter Berücksichtigung der auch in Bezug auf die handelnden Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu beachtende Verfassungsnorm des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes zu bedenken ist. Der ehemals in der offenen Regelung erkennbare Zweck, das erhöhte Risiko einer Erkrankung infolge eines medizinisch nicht indizierten Eingriffs allgemein in den Verantwortungsbereich des Einzelnen einzuordnen, wird in dieser generellen Form aufgegeben. An seine Stelle tritt eine willkürliche Inanspruchnahme der Versicherten bei ganz konkreten Maßnahmen. Dabei übersieht der Gesetzgeber, dass die von ihm spezifisch genannten Maßnahmen bei weitem das Spektrum des „modernen“ Schönheitskultes nicht abdecken. Bernzen (MedR 2008, S. 5049 ff.) führt in diesem Zusammenhang insbesondere das sogenannte „Cutting“ (das Zufügen von Schnittwunden zur Erzielung eines gewünschten Narbenmusters auf der Haut), das „Branding“ (das Einbrennen von Symbolen und Schriftzeichen auf der Haut zur Erzielung eines Brandnarbenmusters), das sogenannte „Tongue Cutting“ (das Aufschneiden, Aufspalten der Zungenspitze zur Erzielung einer amphibisch anmutenden Zungenform) oder das „Subdermals/Transdermals“ (das Anbringen eines Form gebenden Implantats aus Silikon oder Metall unter der Haut zur Erzielung eines dreidimensionalen Abdrucks) auf.
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Es besteht sicherlich Einigkeit darüber, dass solche Eingriffe den gesetzlich genannten Eingriffen der ästhetischen Operation, der Tätowierung und dem Piercing in nichts nachstehen; dennoch müssen nach der spezifischen Regelung des § 52 Abs. 2 SGB V die für solche außergewöhnlichen Maßnahmen anfallenden Behandlungskosten bei Komplikationen von der Gemeinschaft der Beitragszahler übernommen werden. Die genannten außergewöhnlichen Maßnahmen lassen sich nicht als „ästhetische Operationen“ und auch nicht als „Piercing“ verstehen. Eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 SGB V scheidet ebenfalls aus, da eine verfassungskonforme Auslegung stets ihre Grenzen dort findet, wo sie zum Wortlaut der Norm und zum klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Wie bereits eingangs dargelegt, sollte die Neufassung des § 52 Abs. 2 SGB V ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich der Klarstellung dienen und sich nur noch auf Folgen einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing beziehen. Von einer planwidrigen oder legislativ unvermeidbaren Regelungslücke kann daher keine Rede sein. Die Neufassung des § 52 Abs. 2 SGB V ist daher ohne jeden Zweifel im Lichte des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verfassungswidrig. Eberbach brachte dies im Rahmen vorangegangener Diskussionen auf den Punkt: „Wer schöner werden will, zahlt selbst, wer schlauer werden will, bekommt es bezahlt.“
II. Entsolidarisierung in der GKV Bei einer gesellschafts- und rechtspolitischen Analyse der Neuregelung des § 52 Abs. 2 SGB V stellt sich schnell die Frage, ob der Gesetzgeber – wie ihm auch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von verschiedenen Seiten vorgeworfen worden ist – eine Entsolidarisierung in der GKV einführen wollte. Ursprünglich war die GKV eine Art genossenschaftliche Hilfseinrichtung für diejenigen Arbeitnehmer, die im Krankheitsfall ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten konnten, weil dann der Arbeitslohn nicht mehr gezahlt wurde. Ihre wichtigste Leistung war daher das Krankengeld, welches – ebenso wie die Beiträge – einkommensabhängig war. Die Funktion der GKV hat sich zwischenzeitlich völlig verändert. Heute ist nicht mehr das Krankengeld, sondern die medizinische Versorgung ihre Hauptaufgabe, deren Ausgestaltung von der Einkommens- und Beitragshöhe gerade unabhängig ist. Zudem ist heute fast die gesamte Bevölkerung in das System einbezogen. Wenn heute – jedenfalls nach bisheriger gesellschaftspolitischer Einordnung – die Beiträge zur GKV von dem individuellen Krankheitsrisiko unabhängig, von dem individuellen Einkommen aber abhängig sind – die sogenannte „solidarische Finanzierung“ der GKV -, so beruht dies in erster Linie auf der Gerechtigkeitsvorstellung, dass einerseits für den Zugang zur Gesundheitsversorgung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht relevant sein darf, andererseits aber auch die unter-
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Albrecht Wienke
schiedlichen Gesundheitszustände und –risiken keine finanziellen Auswirkungen haben dürfen. Hinzu kommen noch weitere Umverteilungselemente, die mit Krankheit und Gesundheit eigentlich nichts zu tun haben, wie etwa die kostenfreie Mitversicherung der Familienmitglieder. Die GKV hat also von ihrem Grundverständnis her das Risiko der Krankheit vollständig sozialisiert und die Absicherung dieses Risikos mit Elementen der allgemeinen Sozialumverteilung vermischt. Neben den Leistungsbeschränkungen des § 52 SGB V regeln solche Beschränkungen oder Ausschlüsse von Leistungen bei Selbstverschulden auch die Unfallversicherung in § 101 SGB VII und die Gesetzliche Rentenversicherung in den §§ 103 und 104 SGB VI. Parallelregelungen, wie wir sie mit der Intensität und Durchsetzungskraft des § 52 SGB V kennen, gibt es bisher jedoch im Sozialversicherungsrecht nicht. Schon seit jeher beklagen sich Versicherte und Arbeitgeber über steigende Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung. Auch die Anhebungen des Beitragessatzes durch den Gesundheitsfond werden Entlastungsmöglichkeiten wieder neu in die Diskussionen einbringen. Es dürfte daher zu erwarten sein, dass auch die Diskussion um die Herausnahme von Risikosportarten oder ungesunden Lebenswandel wieder aufflammt. Auch die Raucherrisikodebatte und die damit einhergehende Belastung der Solidargemeinschaft dürften neuen Auftrieb bekommen. Zu berücksichtigen ist aber, dass es viele Versicherte gerade zu als soziale Diskriminierung empfinden würden, wenn sie auf bestimmte Freizeitaktivitäten oder einen bestimmten Lebensstil verzichten müssten, weil sie sich dessen krankenversicherungsrechtliche Absicherung nicht mehr leisten könnten. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass es in der Praxis nicht einfach sein wird, individuell beeinflussbare und schicksalhafte und vernünftige und unvernünftige Risiken zu unterscheiden. Fußball spielen ist bekanntermaßen verletzungsanfällig, wird aber wohl nicht als Risikosportart einzuordnen sein. Auch bei starkem Übergewicht ist nicht geklärt, inwieweit es durch die genetische Veranlagung oder durch den Lebensstil bedingt ist. Die von vielen geforderte größere Eigenverantwortung der Versicherten ist zudem vieldeutig: Eigenverantwortung kann bedeuten, dass der Einzelne starker auf seine Gesundheit achten soll, indem er z.B. mehr Vorsorge betreibt und gesünder lebt. Gesundheitspolitisch ist diese Vorstellung äußerst plausibel. Ob man auf diesem Wege aber Kosten einsparen kann, ist bekannterweise nicht erwiesen: Wer nicht mit 60 an der Raucherlunge, sondern erst mit 80 an einem Alterskrebs stirbt, ist für die Krankenversicherung vermutlich ein ungünstigeres Risiko. Zum anderen kann mit einer höheren Eigenverantwortung aber auch verstanden werden, dass der Einzelne für seine Krankenversicherung mehr Verantwortung übernehmen sollte, sich also nicht mehr darauf verlassen kann, dass er „alles“ bekommt, sondern auswählen muss. Mit diesem Verständnis von Eigenverantwortung hängen auch Versorgungsmodelle zusammen, die von einer Grund- und Zusatzversorgung ausgehen. Der Rechtsgedanke des § 52 SGB V mit dem nach Auffassung des Gesetzgebers ausdrücklich die Übernahme von Eigenverantwortung von den betroffenen Versicherten eingefordert werden soll, beschreitet – so auch Eberbach (MedR 2008, 333)
Eigenverantwortung der Patienten/Kunden
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– den Weg in die Entsolidarisierung, in die Verabschiedung der Solidarhaftung im Krankheitsfall.
III. Ausblick Die vorstehenden Ausführungen führen uns zwangsläufig zu der abschließenden Frage, ob der vom Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 52 Abs. 2 SGB V verfolgte Normzweck zukünftig auch in anderen Bereichen der Sozialversicherung stärker Berücksichtigung finden wird, ob also die von den Versicherten ausdrücklich eingeforderte Eigenverantwortung möglicherweise sogar letztlich zu einem Systemwechsel von der Solidargemeinschaft hin zu einer von Eigenverantwortung getragenen Selbstvorsorge führt. Zunächst muss man dazu sicher zur Kenntnis nehmen, dass die Rückführung der offenen Regelung des § 52 Abs. 2 durch die Neufassung zum 01.07.2008 auf die beschränkte Anwendbarkeit bei ästhetischen Operationen, Tätowierungen und Piercing nicht den Eindruck erweckt, dass der Gesetzgeber hier Größeres im Blick hat. Bedenkt man aber, dass diese willkürliche Beschränkung der gesetzlichen Regelung auf Spezialtatbestände ohne jeden Zweifel verfassungswidrig ist und sich der Gesetzgeber im Rahmen einer seiner zahlreichen Novellierungen des SGB V veranlasst sehen wird, sich auch hier wieder zurückzubesinnen, wird man in § 52 Abs. 2 SGB V schnell eine generelle Eröffnungsklausel sehen können. Dann nämlich ist bei Wegfall der Beschränkung auch das Thema für die Raucher, Diabetiker, Übergewichtige, Organtransplantierte, Extremsportler, Sportwagenfahrer, im sexuellen Verkehr Leichtsinnige und auch für HIV-Positive wieder relevant. Der Kreis der Betroffenen ist dann auf einmal fast unübersehbar, da die vormalige offene Fassung des § 52 Abs. 2 SGB V eine Kostenbeteiligung an den Folgekosten solcher medizinisch nicht indizierten Maßnahmen auf eine Vielzahl von Sachverhalte erweitert. Der Diskussion sind dann wieder Türen und Tore geöffnet. Es würde mich daher nicht verwundern, dass im Falle des Eingeständnisses der Verfassungswidrigkeit des § 52 Abs. 2 SGB V in der derzeitigen Fassung der Gesetzgeber wieder zu seiner ursprünglichen Fassung zurückkehrt, welche jedenfalls im Hinblick auf eine dann nicht mehr bestehende Diskriminierung im Lichte des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht mehr befürchten müsste. Es wäre dann z.B. Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses, der ja in vielfältiger Hinsicht bereit ist, Aufgaben des Gesetzgebers zu übernehmen, bestimmte Sachverhalte zu definieren, bei denen die Regressmöglichkeiten des § 52 Abs. 2 SGB V eingreifen würden. Im Ergebnis liegt daher die mit § 52 Abs. 2 SGB V vom Gesetzgeber eingeforderte Eigenverantwortung der Versicherten ohne jeden Zweifel auf der Linie einer stärkeren Öffnung des das System der GKV bisher prägenden Solidaritätsprinzips hin zu einem Prinzip der Eigenverantwortung des Erkrankten im Sinne eines Verursacherprinzips. Die weitere gesundheits- und gesellschaftspolitische Diskussion wird zeigen, ob sich der Gesetzgeber damit durchsetzen kann.
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Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin
Einbecker Empfehlungen der DGMR zu Rechtsfragen der wunscherfüllenden Medizin
Die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e.V. hat vom 17. bis 19. Oktober 2008 ihren 12. Einbecker Workshop unter dem Titel
„Die Verbesserung des Menschen – Tatsächliche und rechtliche Aspekte der wunscherfüllenden Medizin“ durchgeführt. Als Tagungsergebnis wurden die nachfolgenden Empfehlungen verabschiedet:
I. Definition Wunscherfüllende Medizin bezeichnet jede Art von nicht medizinisch indizierten Eingriffen in den menschlichen Organismus mit dem Ziel der Verbesserung, Veränderung oder Erhaltung von Form, Funktion, kognitiven Fähigkeiten oder emotionalen Befindlichkeiten (sog. Enhancement), die unter ärztlicher Verantwortung durchgeführt werden. Dazu zählen insbesondere operative, pharmakologische, biotechnische (z.B. neurobionische) und gentechnische Maßnahmen. Dabei kommen häufig Substanzen und Verfahren zum Einsatz, die ursprünglich zur Behandlung und Prävention von Krankheiten entwickelt wurden.
II. Tatsächliche Aspekte 1. Ästhetisch-chirurgische und ästhetisch-dermatologische Eingriffe (z.B. Facelift, Implantationen, Unterspritzungen, Fettabsaugen, Botulinumtoxin-Injektionen), die ausschließlich auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden, haben gerade in jüngster Zeit weite Verbreitung gefunden. 2. Medikamente werden im Rahmen des psychischen Enhancements zur Beeinflussung kognitiver Fähigkeiten oder emotionaler Befindlichkeiten von Menschen eingesetzt (z.B. zur Steigerung der mentalen Leistungsfähigkeit, zur Empathieförderung, zur Stimmungsaufhellung). Beim physischen Enhancement beeinflussen Medikamente körperliche Funktionen (z.B. Ausdauer und Kraft durch Doping, Wachstum, Potenz, Appetit, Anti-Aging). 3. Neurobionisches Enhancement umschreibt die noch im Experimentalstadium befindliche Ingebrauchnahme oder Implantation elektronischer Hilfsmittel in das Zentralnervensystem mit dem Ziel, menschliche Fähigkeiten zu erweitern (z.B. Entwicklung supersensorischer Fähigkeiten, Ausweitung der Gedächtnisfunktion, Modulation persönlicher Eigenschaften).
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4. Genetisches Enhancement betrifft Veränderungen der Erbsubstanz. Hierbei kann es sich um gentechnische Maßnahmen bei Einzelpersonen (z.B. im Sport durch Gendoping) oder um denkbare Eingriffe in die Keimbahn mit Auswirkungen auf zukünftige Generationen handeln.
III. Rechtliche Aspekte 1. Die Maßnahmen des Enhancements werden grundsätzlich von dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Selbstbestimmung im Bereich der körperlich-seelischen Integrität erfasst. Es wird begrenzt durch den Schutz der Rechte Dritter, z.B. im Bereich der Fortpflanzungsmedizin, und durch kollidierende Gemeinwohlinteressen, z.B. wirtschaftliche Überstrapazierung der Solidargemeinschaft durch medizinisch indizierte Folgebehandlungen. 2. Für Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin bestehen besonders umfassende Aufklärungspflichten über deren Risiken und Nebenwirkungen. Zudem muss über mögliche rechtliche, psychosoziale und wirtschaftliche Folgen informiert werden, zu denen auch die Kosten der Behandlung etwaiger Komplikationen der durchgeführten Eingriffe gehören. 3. Bei bestimmten gravierenden oder irreversiblen Maßnahmen sollten in Anlehnung an § 1631 c BGB (Verbot der Sterilisation Minderjähriger) Mindestaltersgrenzen eingeführt werden. Für andere gravierende oder irreversible Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen wäre ggf. auch an vormundschaftsgerichtliche Kontrollen der elterlichen oder eigenen Entscheidung zu denken. 4. Verträge über Leistungen der wunscherfüllenden Medizin sind grundsätzlich als Dienstverträge zu qualifizieren, auch wenn sie zum Teil werkvertragliche Elemente enthalten. 5. Auch bei Maßnahmen der wunscherfüllenden Medizin unterliegt der Arzt der ärztlichen Berufsordnung. Diese ist auch anwendbar und zu beachten, wenn der Arzt außerhalb der Heilkunde – auch im gewerblichen Bereich (Wellness, Ernährungsberatung) – tätig wird. Die Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder sowie die Berufsordnungen der Landesärztekammern sollten entsprechende Klarstellungen enthalten. 6. Die Durchführung bestimmter Eingriffe der wunscherfüllenden Medizin sollte nur besonders weitergebildeten Ärzten bestimmter Fachgebiete vorbehalten werden oder einen speziellen Fachkundenachweis erfordern. 7. Es ist zu empfehlen, die Aufnahme der ärztlichen Tätigkeit in Klinik und Praxis von dem Nachweis einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung abhängig zu machen, die auch den Bereich der wunscherfüllenden Medizin erfasst, wenn solche Leistungen durchgeführt werden. 8. Die Leistungsbeschränkung in § 52 Abs. 2 SGB V (angemessene Beteiligung an den Kosten einer Folgeerkrankung), welche nur bei einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation, einer Tätowierung oder einem Piercing Anwendung finden soll, stellt eine Diskriminierung dieser Versicherten und damit
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einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG dar. Es ist daher eine Änderung dieser Norm zu empfehlen. Der Rechtsgedanke des § 52 Abs. 2 SGB V, nämlich die Übernahme von Eigenverantwortung durch die Versicherten, sollte den Gesetzgeber nicht dazu veranlassen, das Solidaritätsprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung weiter einzuschränken.
Einbeck, im Oktober 2008
Das Präsidium der DGMR e.V.