PERRY RHODAN ACTION – 13 – Kristallmond 1 Die Trümmerwelt Autor: Frank Borsch PERRY RHODAN AUF OFFIZIELLER MISSION — ER ...
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PERRY RHODAN ACTION – 13 – Kristallmond 1 Die Trümmerwelt Autor: Frank Borsch PERRY RHODAN AUF OFFIZIELLER MISSION — ER TRIFFT EIN MÄDCHEN MIT SELTSAMEN FÄHIGKEITEN
Was bisher geschah: Seit Perry Rhodan mit der Rakete »Stardust« auf dem Mond landete und dort auf die menschenähnlichen Arkoniden traf, sind über 150 Jahre vergangen. Die Terraner, wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen, haben seitdem Dutzende von Planeten besiedelt und ein kleines Sternenreich errichtet: das Solare Imperium. Im 22. Jahrhundert nach Christi Geburt ist das Solare Imperium ein Teil des Vereinten Imperiums, dem großen Bündnis von Arkoniden und Terranern. Als Großadministrator leitet Perry Rhodan die Geschicke des Imperiums — doch als Politiker sieht sich der Raumfahrer nur selten. Immer wieder zieht ihn das Abenteuer hinaus in den Sternendschungel der Milchstraße. Der Besuch des Planeten Tarkalon soll ihn wieder an seine Aufgaben als Politiker erinnern. Hier sind seine Eigenschaften als Diplomat und Staatsmann gefragt, hier erwarten sich die Menschen viel von seinen Fähigkeiten und Kenntnissen. Tarkalon ist eine Trümmerwelt, und die Bewohner warten auf die mysteriöse Dreimondnacht...
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»Willst du es wirklich tun?« Benton, der Tarka mit dem weißen Haar eines alten Mannes und dem Feuer der Jugend in den roten Augen, sah Perry Rhodan fragend an. »Ja!« Rhodan unterdrückte ein Nicken, das sein Gegenüber ohnehin nicht ver- standen hätte. Auf der Trümmerwelt besaß die Geste keine Bedeutung. »Gut! Dann gehen wir alles noch einmal durch. Schritt für Schritt. Dein Leben hängt davon ab.« »Dann warte ich ab.« »Wie lange?« »Eine Stunde oder auch fünf oder auch Der junge Bewohner des Planeten zehn. So lange, bis ich den Rhythmus der Tarkalon, keine zwanzig Jahre alt, sprach Eruptionen des Geysirs verinnerlicht mit Perry Rhodan, als wäre er ein habe.« erfahrener Lehrmeister, der einen neuen Rhodan schwitzte. Die Sonne Tarkalons Schüler in eine gefährliche Kunst einweist. stand hoch am Himmel, sie brannte nahezu Und das tat er auch. Der Mann mit dem senkrecht auf den Platz in dem Ruinenfeld, glatten Kindergesicht war der Beste der der von der Stadtmitte Tarkals übrig Wolkenreiter, und Rhodan war ein geblieben war. Der Anzug war steif, und Anfänger, der bislang nicht mehr die Panzerplatte drückte ihm auf den vorweisen konnte als den Mut, auf die Magen. Wie alles auf Tarkalon war er Herausforderung Bentons und seiner improvisiert, zusammengeschneidert aus Kameraden einzugehen. einem halben Dutzend defekter »Wie steigst du auf den Strahl?«, fragte Kampfanzüge und einem Bruchstück der Benton. Panzerung eines Angriffsgleiters. »Ich gehe an den Absprungpunkt«, »Gut, du hast den Rhythmus erkannt. Was antwortete Rhodan und zeigte auf das Loch tust du dann?« im Boden des Platzes, einige Schritte von »Ich gehe zum Absprungpunkt«, sagte ihnen entfernt. Rhodan und fügte Die Hauptpersonen des Romans: Es schimmerte etwas hastig hinzu, bevor feucht. Seine Ränder Perry Rhodan — Der Großadministrator ist auf einer Benton ihn höchst offiziellen Mission. waren mit Kalk belegt, unterbrechen konnte: verfärbt »Aber ich sehe nicht Tanisha Khabir— Das junge Mädchen besitzt seltsame Fähigkeiten. von Bakterienkulturen. in den Geysir. Darauf Der Kalk versah die Mechter — Der Provisorische Verweser von Tarkalon will wartet er nur.« den Wiederaufbau seiner Heimatwelt. Kanten der Explosion, »So ist es. Sieh die das Loch einst Carl Deringhouse — Der junge Raumschiff-Kommandant niemals in das Loch, geschaffen hatte, mit muss grundsätzliche Entscheidungen fällen. niemals in die Rundungen, die ihnen Schwärze. Du kannst die Schärfe nahm. nicht wissen, was dort unten auf dich »Einfach so?« lauert.« Der Tarka gab ihm ein Zeichen »Nein. Ich höre auf einen erfahrenen und trat an den Geysir. Wolkenreiter wie dich.« Rhodan fühlte Rhodan folgte ihm, so schnell es ging. sich frei und unbeobachtet. Zu Recht: Er Jeder Schritt in dem Anzug bedeutete eine hatte sowohl den Provisorischen Verweser bewusste Anstrengung, einen neuen Tarkalon als auch die Kamerasonden, die Schwall von Schweiß, der aus seinen Poren jeden seiner Schritte auf dem Planeten trat, einen neuen, unvermuteten Schmerz, begleiteten, abgeschüttelt. als sich eine Naht oder ein störrisches, Benton hörte die Ironie aus Rhodans steifes Bauteil in sein Fleisch bohrte. Worten nicht heraus. »Und wenn kein Dem Großadministrator machte es nichts Wolkenreiter in der Nähe ist?« aus. Im Gegenteil: Er genoss jeden 1. 5. Juni 2167
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Augenblick. Der Schweiß und der Schmerz und der Kitzel, nicht zu wissen, was vor ihm lag, waren ihm aus seiner Zeit als Risikopilot der U. S. Space Force vertraut. Damals, vor 200 Jahren auf einer Erde, die nichts von dem Leben ahnte, das die Milchstraße erfüllte, war es nicht anders gewesen. Sie hatten sich mit lächerlich primitivem Gerät in das Unbekannte vorgewagt. Sie hatten penibel auf jede Einzelheit geachtet, hatten jeden Schritt und Handgriff hundertmal geübt — und dabei vor Angst und Aufregung geschwitzt. »Wie bringst du dich in Position?«, fragte der Tarka. »So«, antwortete Rhodan und tat es. Er platzierte sich auf das Loch des Geysirs, sodass sein Bauch genau auf seiner Mitte zu liegen kam. Es war kaum zu verfehlen. Die Panzerplatte vor seinem Bauch zog ihn mit ihrem ganzen Gewicht nach unten, sobald er sich nach vorne beugte. Die Platte schmiegte sich an das Loch und verschloss es. Benton ging neben Rhodan in die Knie. »Vorsicht, Terraner«, flüsterte er, »werd nicht übermütig!« Rhodan sagte nichts, sondern streckte die Gliedmaßen von sich, wie es ihm der junge Tarka gezeigt hatte. Er wirkte jetzt wie ein Fallschirmspringer, der auf dem Trockenen übte. »Gut so. Bleib so und du wirst auf dem Geysir reiten, vielleicht sogar bis in die Wolken«, sagte Benton. Er deutete nach oben, wo vereinzelte Wolken über dem Himmelstal lagen und sich an die Berghänge klammerten, damit der Wind sie nicht fortriss. »Gut, du reitest«, fuhr er dann fort, »was tust du, wenn es schmerzt?« »Nichts.« »Du wirst dich nicht zusammenkrümmen?« »Nein.« »Wieso?« »Weil ich auf diese Weise nie die Wolken erreichen werde«, antwortete Rhodan. »Ich kann den Geysir nur reiten, wenn ich
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meine Angst überwinde und meine Flügel ausstrecke.« »So ist es! Nur wer Hingabe besitzt, findet den Frieden der Wolken.« Der Tarka sah auf seine verkratzte Uhr »Wir haben noch zwei Minuten deiner Zeit bis zur Eruption. Was tust du, wenn du oben bist, Terraner?« »Erreiche ich eine Wolke, verliere ich mich in ihr. Ich finde Frieden.« »Solltest du eine erreichen.« Es war Benton anzusehen, dass er nicht daran glaubte. »Was tust du, wenn du wieder aus der Wolke fällst?« »Ich sehe mich um. Ich überblicke die Welt unter mir. Dann steuere ich die Landezone an.« »Wie steuerst du?« »Mit den Armen und Beinen. Aber ich bin vorsichtig. Die kleinste Bewegung besitzt im freien Fall eine große Wirkung.« »Richtig!« Der Tarka sah noch einmal auf die Uhr. »Noch eine Minute. Konzentriere dich!« Benton blieb bei Rhodan. Der Terraner sah den Tarka an und betrachtete sein Gesicht; er fragte sich, wie die Unschuld sich darin hatte halten können. Für einige Augenblicke vergaß er, weshalb er nach Tarkalon gekommen war. Die Pflicht, die ihn hierher geführt hatte. Die zahllosen, mühseligen, aber unverzichtbaren Pflichten, die er hier zu erfüllen hatte. Das unnötige Leid, das er auf Tarkalon erblickt hatte. Rhodans Blick wanderte weiter Der Tarka trug Teile mehrerer ehemaliger Uniformen. Auf der Brust hatte er zwei animierte Holo-Flächen angenäht. Eine zeigte die kommende Dreimondnacht, die Rhodan nach Tarkalon geführt hatte. Die Tränen des Nert, die tropfenförmigen Monde Tarkaloris, schoben sich einer nach dem anderen vor die Sonne und ließen sie erlöschen. Das zweite Holo zeigte Rhodan selbst, wie er, der großzügige Großadministrator des Vereinten Imperiums, sein Schiff verließ und den Tarkas zuwinkte, die sich auf dem Landefeld versammelt hatten, um einen Blick auf den Unsterblichen zu erhaschen. Die Sequenz endete mit dem Bild
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Rhodans, der beide Arme erhoben hatte, und einem Schriftzug: »Rhodan, unser Retter!« Sie haben mich auf ein Podest gehoben, dachte Rhodan. So hoch oben, dass sie mich nicht erkennen, selbst wenn ich ihnen gegenüberstehe. Benton, der weder Rhodans Gedanken ahnte, noch, wer bäuchlings vor ihm lag, erhob sich. »Reit zu den Wolken, Terraner!«, rief er und rannte an den Rand des Kreises. Dort war er vor der zu erwartenden Fontäne aus Dampf und kochendem Wasser in Sicherheit. Perry Rhodan verschloss das Visier des Helms... ... und im nächsten Augenblick rammte die Fontäne des Geysirs die Panzerplatte wie eine Faust in einen Magen. Rhodan stöhnte auf. Er wollte nach Luft schnappen, aber der Druck gegen seinen Bauch war zu stark, es gelang ihm nicht. Durch einen Vorhang aus Dampf und Gischt sah er, wie der Boden unter ihm zurückblieb. * Rhodan ritt den Geysir. Die Glieder von sich gestreckt, gelang es ihm, das Gleichgewicht zu behalten. Benton und die übrigen Wolkenreiter wurden zu Puppen, schließlich zu stecknadelgroßen Punkten. Als der Höhenmesser von Rhodans KomArmband das Äquivalent von 850 terranischen Metern über dem Startpunkt anzeigte, ließ der Druck gegen seinen Bauchpanzer nach. Rhodan schöpfte hechelnd nach Luft. Bunte Punkte tanzten vor seinen Augen, und der Dampf und die Gischt blieben hinter ihm zurück. Für einen Moment lang mutete es ihm an, als schwebe er reglos in der Luft. Der Terraner sah sich um. Über ihm, zum Greifen nahe und doch unerreichbar, hing eine makellos weiße Wolke, Um ihn erhoben sich die Flanken der Fünf- und Sechstausender, die Tarkal umringten, überragt vom geköpften Gipfel des Barrat. Und unter ihm schließlich die Stadt selbst. Tarkal erinnerte an den
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Friedhof riesiger Tiere, von denen nur die Skelette — die stählernen Gerüste von Gebäuden — geblieben waren. Zwischen den Skeletten und an den Rändern der verwüsteten Stadt blühten hier und da bunte Blumen auf, wiedererrichtete oder neue Viertel, wenn auch viel zu wenige, so doch unleugbare Zeugnisse des Neuanfangs. Dann war der Moment vorüber, und Rhodan fiel. Der Fahrtwind des Falls ließ seinen Anzug flattern und die vergessen geglaubten Reflexe des ehemaligen Risikopiloten erwachen. Rhodan steuerte mit präzisen Handbewegungen auf die Landezone zu, einen platt geschossenen, ehemaligen Wohnblock, in dem Benton und die übrigen Wolkenreiter Trümmer zu einem riesigen Kreuz zusammengetragen hatten. Ein Flimmern verriet Rhodan, dass das Antigravfeld aktiv war. Rhodan stürzte dem Zielkreuz entgegen und dann, als er bereits glaubte, am Boden zerschellen zu müssen, fing das Antigravfeld ihn auf. Sein Lehrmeister war zur Stelle und führte ihn aus der Landezone. Anerkennung lag in Bentons Blick. »Gut gemacht«, lobte er den Terraner, als er ihm den Helm abnahm. »Ein gelungener Ritt.« »Ich habe die Wolken nicht erreicht«, entgegnete Rhodan, benommen von der Schwere, die ihn mit der Ankunft auf dem Boden überkommen hatte, und überrascht von der echten Wärme, die der Tarka ausstrahlte. »Du hast es versucht. Das ist, was zählt.« Benton half ihm, den störrisch steifen Anzug auszuziehen. Rhodan ließ ihn machen und atmete tief die dichte Luft Tarkalons ein. Er sah hinüber zum Geysir. Mehrere Dutzend Wolkenreiter saßen und standen in kleinen Gruppen um ihn. Sie besserten Anzüge aus, diskutierten Flüge oder genossen einfach die Gemeinschaft. Es war ein Bild, das Rhodan von der Erde vertraut war: Jugendliche, die über einen Sport zueinanderfanden, sich ihre eigene Welt jenseits jener der langweiligen Erwachsenen schufen. Dass ihr Sport
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gefährlich war, von den Erwachsenen nicht verstanden wurde, bestärkte sie nur. Ein vertrautes Bild auf der Erde ... Doch auf Tarkalon war es die Ausnahme. Bisher waren die Wolkenreiter die einzigen Bewohner des Planeten, denen Rhodan seit seiner Ankunft vor zwei Tagen begegnet war, die es vermochten, das Leid, das sie einander angetan hatten, hinter sich zu lassen. Benton hielt den Anzug an den Hüften fest. Rhodan stützte sich auf seine Arme und zog die Beine heraus. Seine Kleidung war von Schweiß durchtränkt. »Besser, du ruhst dich einen Moment aus und trocknest«, riet ihm der Tarka. »Manchmal spielt nach einem Flug der Kreislauf verrückt ...« Rhodan folgte dem Rat und lehnte sich gegen einen Betonquader, der einmal zu einem Gebäudefundament gehört haben musste. Er genoss die warme Sonne, sah hinüber zu den Wolkenreitern und fragte sich, wie lange seine kurze Freiheit noch anhalten würde. Deringhouse ließ wahrscheinlich schon unauffällig den halben Planeten nach seinem wertvollen Schützling absuchen. Früher oder später würden seine Leute ihn finden. Und wenn nicht Deringhouse, dann würde der Provisorische Verweser ihn... Ein Geräusch riss ihn aus den Gedanken, ein leises »Plopp!« hinter seinem Rücken. Rhodan wollte sich umwenden, aber noch bevor er dazu kam, stießen ihn kleine Hände beiseite. »Aus dem Weg!«, knurrte ein Kind. Es trug einen selbst geschneiderten Wolkenreiteranzug und hatte schwarze Haare. Schwarz. Das Mädchen war keine Tarka. »Wer ist das?«, fragte er Benton. Das Kind hatte inzwischen beinahe den Geysir erreicht. Eine Handvoll Wolkenreiter versperrten ihm den Weg. »Tanisha«, antwortete der Tarka, als genüge diese Antwort. »Was will sie hier?« »Dasselbe wie du.« Benton sagte nicht mehr, aber Rhodan las in seinem Gesicht,
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dass er das Kind, wenn auch widerwillig, für seinen Mut bewunderte. Das Kind hatte sich inzwischen seinen Weg durch die Wand der Wolkenreiter gebahnt und warf sich auf das Loch des Geysirs. Tanisha war so klein, dass Rhodan beinahe erwartete, das Loch würde sie verschlucken. Die Wolkenreiter wollten sie wegzerren, aber Benton hielt sie auf. »Nein, gleich kommt die nächste Eruption!« Die jungen Männer blieben stehen. Das Kind grinste ihnen frech entgegen, sein Blick wanderte über den Platz - und blieb an Rhodan hängen. Das Kind sah ihm direkt in die Augen. Die Pupillen des Mädchens weiteten sich, als es ihn erkannte. Aber es war keine Überraschung. Eher Respekt ... oder war es Furcht? Der Geysir eruptierte. Eine Fontäne aus Dampf und kochendem Wasser stieg auf, und an ihrer Spitze ritt das Kind. Es ritt besser als Rhodan. Mit weit von sich gestreckten Gliedern ritt es dem Himmel entgegen und verschwand in einer Wolke. »Sie weiß jedenfalls, wie man zu den Wolken reitet«, bemerkte Rhodan. Benton sagte nichts. Er hatte den Kopf tief in den Nacken gelegt und sah in den Himmel. Sein Blick war sorgenvoll, als erwarte er eine furchtbare Wendung. Dann fiel das Kind wieder aus der Wolke. Tanisha hatte Arme und Beine ausgestreckt, ihr Körper beschrieb einen Bogen wie der eines erfahrenen Fallschirmspringers. Sie musste schon viele Male auf dem Geysir geritten sein. »Wieso wollten deine Freunde sie nicht reiten lassen?«, fragte Rhodan. »Tanisha gehört nicht zu uns.« »Sie ist jünger als ihr. Ein Kind. Aber das muss ...« »Das ist es nicht.« Der Tarka sah nicht zu Rhodan. Sein Blick war wie jene der übrigen Wolkenreiter fest auf das fallende Kind gerichtet. Die Sehnen an seinem Nacken traten hervor, als er den Kiefer fest zusammenpresste. »Was ist es dann?«
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»Tanisha ist nicht wie wir. Sie ist unheimlich.« »Dieses Kind? Das ist nicht dein Ernst! Sie ...« Rhodan brach ab, als er sich an den Blick erinnerte, mit dem ihn das Kind gemustert hatte. Es war nicht der Blick eines gewöhnlichen Mädchens gewesen. Benton flüsterte: »Du wirst gleich verstehen, was ich meine. Sieh!« Er zeigte auf das fallende Kind. Rhodan schätzte, dass es ungefähr die Hälfte seines Falls hinter sich gebracht hatte. Seine Flughaltung war weiter perfekt. Aber etwas stimmte nicht. Trotz des Falls wurde das Kind kleinen Es entfernte sich von ihnen. Es.... Rhodan verstand, als Benton neben ihm scharf die Luft einsog. Das Kind steuerte weg von der Landezone. »Was macht sie da?«, rief Rhodan. »Was sie immer tut.« »Hat sie einen Antigrav in ihrem Anzug?« »Nein. Nicht, dass wir wüssten.« »Was hat Sie vor? Wenn sie nicht sofort den Kurs korrigiert, verfehlt sie das Antigravfeld und ...« Als hätte das Kind seine Worte gehört, veränderte es seine Haltung: Es rollte sich zu einer Kugel zusammen und raste wie ein Geschoss dem Boden entgegen. »Nein!«, brüllte Rhodan. »Nicht! Du wirst Das Kind verschwand hinter dem Stumpf eines abgebrannten Hochhauses. Rhodan wartete auf den dumpfen Laut des Aufschlags, auf eine Staubwolke, die der Wind hinter der Ruine hervortragen würde. Der Terraner wartete vergeblich. »Was ist los?«, wandte er sich an Benton, der wie erstarrt schien. »Was ist mit ihr geschehen?« Rhodan packte den Tarka am Ärmel, um ihn aus seiner Benommenheit zu schütteln, als eine Stimme über den Platz donnerte. »Großadministrator, da sind Sie ja! Darf ich bitten?« Rhodan wandte sich um. Ein alter, dicker Tarka in einer makellosen Uniform war an ihn herangetreten. Er stützte sich auf einen Stock, der wahrscheinlich aus demselben Metall gefertigt war wie die Panzerplatte des Wolkenreiteranzugs. Es war Mechter,
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Rhodans ungeduldiger, fordernder Gastgeber, der Provisorische Verweser von Tarkalon. Hinter ihm warteten vier Dutzend Soldaten seiner Leibwache, Männer und Frauen, die im Bürgerkrieg Tarkalons aufgewachsen waren und vom Leben stets die brutalste Wendung erwarteten. Sie blickten noch grimmiger drein als gewöhnlich. Rhodan war ihnen davongeschlüpft, und das schmeckte ihnen nicht. »Großadministrator!«, rief Mechter erneut und verneigte sich. »Kommen Sie! Das Volk Tarkalons erwartet Sie.« Der Verweser nahm Rhodans Arm und zog ihn mit sich zu der Gleiter-Kolonne, die den Staatsgast erwartete. 2. 12. Januar 2156 »Willkommen in Trümmerhausen, Schwester !« Runa erwartete Silmi am Fuß der Gangway des klapprigen Springerfrachters, der sie nach Tarkalon gebracht hatte. Silmi zögerte, nahm die ersten Atemzüge auf dieser fremden Welt und versuchte den Schimmelgeruch, der überall in der Springerwalze geherrscht hatte, aus Nase und Rachen zu vertreiben. Die Luft Tarkalons schmeckte schwer, mit einem rauchigen Unterton, als hätte jemand vor einiger Zeit in der Nähe ein Feuer entzündet. »Worauf wartest du, Schwesterherz?«, rief Runa. »Komm schon - oder soll ich hochkommen und dich wie früher an den Haaren hinter mir herziehen?« »Versuch es nur. Aber vergiss nicht: Ich habe Krallen!« Silmi setzte ein verwegenes Grinsen auf, um ihre Unsicherheit zu überspielen, und ging vorsichtig die Gangway hinab. Ihr Bauch - Silmi Khabir war im achten Monat schwanger versperrte ihr die Sicht auf die eigenen Füße, brachte ihren Gleichgewichtssinn durcheinander Sie nahm Stufe um Stufe, beide Hände auf dem Geländer. Während des Abstiegs warf sie einen Blick über das Landefeld. Schiffswracks waren
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darüber verstreut, manche schwarz verbrannt, manche bleich wie Skelette, manche wie riesige, aufgeschlagene Eier. »Wenn man dich so ansieht«, rief Runa, »könnte man meinen,. du würdest gerade auf einem Seil fünftausend Meter über dem Grund der Getmeron-Schlucht balancieren.« Silmi suchte nach einer passenden Retoure, aber bevor sie eine fand, berührten ihre Füße den Boden Tarkalons, und Runa nahm sie in die Arme, mit einem wilden Ruck und ganz fest. Einige Augenblicke lang standen die beiden da, Arm in Arm, schweigend. »Nicht sauer sein, Schwesterherz«, flüsterte Runa ihr ins Ohr. »Du weißt nicht, wie sehr ich mich freue, dass du hier bist.« »Lass dich ansehen!« Runa machte sich los, betrachtete ihre ältere Schwester und nickte schließlich zufrieden. »Der Bauch steht dir gut. Weißt du schon einen Namen für das Kleine?« »Die Kleine«, korrigierte Silmi. Sie strich sich über den Bauch. »Nein, noch nicht.« Runa machte eine wegwerfende Handbewegung. »Macht nichts, das findet sich schon.« Sie schnippte mit dem Finger, und ein Gleiter, der ein paar Meter weiter gewartet hatte, fuhr heran. Er war verbeult, der Lack platzte ab und selbst Silmi, die mit Technik nie etwas hatte anfangen können, erkannte, dass es sich bei den Wulsten, die wie ein Ring um die Karosserie geschweißt waren, um Schirmfeldgeneratoren handelte. Ein Hund mit wedelndem Schwanz war auf das Blech gepinselt, aus dem Maul baumelten Strahler und Granaten, als wären es Würste. Der Pilot stieg aus. Er war ein kleiner, sehniger Mann, mit einer Flinkheit, 'die nicht zu seinem weißen Haar passen wollte. Ein Tarka. Arkonidenabkömmling und ein Bewohner der Welt, die Silmi in ihrer Verzweiflung zu ihrer neuen Heimat gewählt hatte. Für sich und ihr ungeborenes Kleines.
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»Das ist Kellemdan«, stellte Runa ihr den Tarka vor. »Mein ... sagen wir, Kell ist der Mann, ohne den ich nichts wäre.« Kellemdan lächelte verlegen, und Silmi hielt ihm die Hand hin. Der Tarka nahm sie, aber die Schlaffheit seines Händedrucks zeigte Silmi an, dass er mit der Geste nichts anzufangen wusste. Kellemdan zog seine Hand zurück und verstaute Silmis Gepäck. Drei Koffer, zwei davon vollgestopft mit Ausstattung für das Kind, das sie erwartete — mehr war es nicht. Silmi wollte unbelastet in ihr neues Leben treten. »Steig ein, Schwester!«, sagte Runa. »Es wird bald dunkel, bis dahin wollen wir raus aus Tarkal sein.« »Wieso?«, fragte Silmi. Es ging ihr zu schnell. Sie war eben erst angekommen. »Kann dein Gleiter nicht nachts ...?« »Können schon, aber nicht dürfen.« Runa schüttelte den Kopf und der Pferdeschwanz, zu dem sie ihr langes schwarzes Haar zusammengebunden hatte, machte die Bewegung mit. »Der Provisorische Verweser hat eine Sperrstunde verhängt.« »Ich dachte, der Bürgerkrieg wäre vorbei.« »Ist er auch. Aber es gibt immer noch viel zu viele Leute, die hier mit Waffen rumrennen. Oder sollte ich sagen >rumirren Egal, bei Nacht kriechen sie aus ihren Verstecken.« »Sie halten sich nicht an die Sperrstunde?« Runa warf ihr einen abschätzigen Seitenblick zu. »Das ist ein Witz, nicht?« Silmi nickte rasch. »Die Sperrstunde ist dafür da, dass die Soldaten des Provisorischen Verwesers freie Schussbahn haben. Wer nach Einbruch der Dunkelheit auf den Straßen Tarkals angetroffen wird, ist Freiwild.« Runa gab Kellendam ein Zeichen, und sie fuhren los. Silmi nutzte die Minuten, die sie brauchten, das Landefeld hinter sich zu lassen, um ihre Schwester zu betrachten. Runa sah gut aus, wie immer. Sie trug einen dunklen Overall, mit Taschen übersät, aus dem verschiedenes Werkzeug hervorlugte. Er passte zu ihr. Runa, die sich nie damit zufriedengab, nur eine
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Sache am Laufen zu haben. Runa, die immer auf alles vorbereitet war. Runa, die kein Zögern kannte, geschweige denn Angst. Runa war ihre jüngere Schwester, aber irgendwie war sie Silmi vorausgewesen, seit sie sich erinnern konnte: in der Gunst ihrer Eltern, mit ihren spitzen Bemerkungen, mit den Jungs, mit den Männern, mit der Trennung und schließlich damit, die Erde Knall auf Fall hinter sich zu lassen. »Immer noch traurig?«, fragte Runa und gab ihr einen sanften Schubs. »Natürlich! Er hat mir viel bedeutet.« »Der Mann deines Lebens, was?« »Ja.« Mehr noch. Sarder war ihr Leben gewesen. Alles, was sich Silmi jemals erträumt hatte. Solide, kein Träumer, zuverlässig. Ein Fels, auf dem sie eine Familie hatte gründen wollen. Jetzt war der Fels zerbröckelt, und Silmi fühlte sich, als hätte sie jeden Halt verloren. »Er ist ein Schwein«, Runa nahm ihre Hand. »Vergiss das nie. Er hat dich betrogen, und als du schwanger wurdest, hat er dich sitzen lassen.« Sie drückte fest zu. »Und du bist hier, um ihn zu vergessen. Vergiss das nie!« Silmi nickte tapfer. Sie erreichten die Stadt. Oder vielmehr das, was von ihr übrig geblieben war. Tarkal war ein unüberschaubares Trümmerfeld, majestätisch eingerahmt von einer Handvoll Fünf- und Sechstausender, bevölkert von Tarkas in groben Kleidern, die der allgegenwärtige Staub grau gefärbt hatte. Die Tarkas räumten mit den denkbar primitivsten Werkzeugen den Schutt beiseite: Schaufeln und bloßen Händen. »Trümmerleute«, erläuterte Runa. »Die Regierung zahlt ihnen gerade so viel, dass sie genug haben, um zu überleben und nicht auf die Idee kommen, ihre Nachbarn zu erschlagen und auszurauben.« Sie zuckte mit den Achseln. »Nicht, dass es viel zu holen gäbe.« Als sie in die Außenbezirke der Stadt gelangten, versperrte ihnen eine Straßensperre den Weg. Kellemdan bremste den Gleiter scharf ab,
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verlangsamte ihn auf Schritttempo. »Keine Sorge, Schwesterchen«, flüsterte Runa. »Routine.« Runa tastete die Taschen ihres Overalls ab und fand eine Packung terranischer Zigaretten, holte eine hervor und zündete sie sich an. Der Gleiter hielt vor einem Tarka mit einer Armbinde, der mit beiden Händen einen schweren Strahler trug. Zwei gepanzerte Gleiter waren auf der Straße geparkt, verengten sie zu einem schmalen Durchlass. Silmi kam es vor, als zielten ihre Geschütze genau auf ihren Kopf. »Einen wunderschönen guten Tag, Erhabener!«, begrüßte Runa den Tarka mit dem Blaster. »Papiere?« Der Mann ging nicht auf ihren Gruß ein. Runa zog aus einer ihrer Taschen zwei Ausweise. und hielt sie ihm hin. Silmi versuchte sich verzweifelt zu erinnern, wo sie ihren gelassen hatte - und stellte fest, dass Kellemdan ihn dem Bewaffneten reichte. Der Tarka musste den Ausweis an sich genommen haben, als er ihr Gepäck verstaut hatte. »Woher kommen Sie?« »Vom Landefeld. Wir haben meine Schwester abgeholt.« Der Blick des Bewaffneten streifte Silmi. Er schien nicht interessiert an ihr. »Was will sie auf Tarkalon?«, fragte »Ein neues Leben beginnen.« Der Bewaffnete blickte auf, fixierte Silmi und prustete. »Sie ist verrückt.« »Und von der Provisorischen Regierung eingeladen. Sehen Sie hier.« Runa hielt ihm ein zweites Papier hin, nahm einen langen Zug von ihrer Zigarette. Sie warf die Kippe achtlos neben den Gleiter. »Auch eine?«, fragte sie und lächelte dieses Lächeln, für das Silmi sie hätte erwürgen können. Sie hatte noch keinen Mann gesehen, der ihm widerstanden hätte. »Wieso nicht?«, sagte der Tarka, nahm die gesamte Schachtel und winkte sie weiter. »Was ist das für eine Einladung von der Regierung?«, fragte Silmi, als die Straßensperre hinter ihnen zurückblieb. »Das Papier, das dich hierhergebracht hat.« »Davon weiß ich nichts.«
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»Musstest du auch nicht. Ich habe mich ja darum gekümmert.« »Das wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Ich ...« »Du hättest keine Chance gehabt ohne.« »Sagst du. Ich wette, die Leute hier sind froh um jeden, der auf ihren heruntergekommenen Planeten kommt.« »Schwester, du hast keine Ahnung, von was du redest.« Runa hielt das Dokument hoch. »Das hier sagt, dass du Ärztin bist. Nachfolger unseres geschätzten Gefährten Wempter, der ... Sagen wir, dem das Skalpell bei einer Eigenoperation ausgerutscht ist und ihm die Kehle durchgeschnitten hat.« »Aber ... aber ... Wie kommst du darauf? Das ist eine Lüge! Ich bin keine Ärztin. Ich ...« »Ohne die Lüge wärst du nicht hier. Esser, die zu nichts nütze sind, gibt es mehr als genug auf Tarkalon.« »Aber das geht doch nicht! Ärztin! Du weißt, dass ich das nicht kann!« »Ich weiß, dass jeder Mensch lernen kann. Auch du, Schwester!« Runa holte aus einem Seitenfach des Gleiters einen Stapel Bücher und Speicherkristalle hervor. »Hier, alles über die Anatomie von Arkonidenabkömmlingen. Der Rest kommt durch Übung. Und die wirst du hier genug bekommen.« Runa beugte sich demonstrativ vor und begann eine Unterhaltung mit Kellemdan. Silmi ignorierte ebenso demonstrativ die Unterlagen und sah zum Fenster hinaus, als machte ihr das Ganze nichts aus. Außerdem war sie neugierig. Sie wusste so gut wie nichts über Tarkalon. Sie hatte nur eines gewollt, als Sarder erklärte, ihre Beziehung sei zu Ende: weg. Weit, weit weg. Das Angebot ihrer Schwester war wie vom Himmel gesandt gekommen. Tarkalon war viereinhalbtausend Lichtjahre von der Erde entfernt, eine vergessene Welt. Allerdings eine Welt, auf der bis vor kurzem Krieg geherrscht hatte. »Kein Problem«, hatte Runa ihr versichert. »Der Krieg ist vorüber. Tarkalon wird dich
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auf andere Gedanken bringen, das verspreche ich dir. Und du wirst sehen, es ist ein prima Ort, um neu anzufangen, dein Kleines aufzuziehen. Tarkalon wird es stark machen.« * Ein prima Ort ... Die Straße, eine improvisierte Schotterpiste, die nur sporadisch dem Lauf folgte, den früher einmal eine mehrspurige Gleiterbahn eingeschlagen hatte, war von Wracks gesäumt. Kampfroboter, gepanzerte Fahrzeuge, einfach nur gewöhnliche Gleiter. Es waren mehr, als Silmi zählen konnte. Dazwischen fanden sich immer wieder Schuttfelder, die Überreste von Siedlungen. Oder Krater. Oder glasige Flächen, Erinnerungen an Thermowaffeneinschläge. Die wenigen Leute; die sie sahen, blieben stehen und blickten ihnen schweigend nach. In ihren Augen glaubte Silmi Verzweiflung und Feindseligkeit zu lesen. Was hindert diese Leute daran, auf uns loszugehen?, fragte sie sich. Dieser Gleiter allein muss unglaublichen Reichtum darstellen. Er ... Aus dem Augenwinkel nahm Silmi eine Bewegung wahr. Ein Strahl! Sie warf sich auf den Gleiterboden, ein Teil von ihr in Panik, ein anderer beinahe so etwas wie stolz auf ihre schnelle Reaktion. Der Stolz hielt nicht an. Runa lachte auf. »He, Schwester, komm wieder hoch! Oder wie soll ich unseren Eltern beibringen, dass du dir alle Knochen beim Kriechen über den Boden gebrochen hast?« Runa zog an ihr »Komm schon. Niemand nimmt es dir übel. Du hast ein Gespenst gesehen. Das ist ganz normal auf Tarkalon.« Silmi ließ es zu, dass ihre Schwester sie hochzog. »Das ist kein Energiestrahl«, sagte Runa. »Nur ein Geysir.« Silmi äugte vorsichtig in die Richtung des Strahls. Ja, er bestand aus Wasser. Kochendes, dampfendes Wasser spritzte Hunderte von Metern in den Himmel. »Beeindruckend, was?« Silmi nickte.
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»Das wirst du hier im Himmelstal noch oft mitkriegen. Alles voller Geysire. Ist ein Wunder, dass du jetzt erst einen gesehen hast.« »>Himmelstal« »Du hast noch nie davon gehört?« »Nein. Es ging alles so schnell. Ich hatte keine Zeit, um ...« »Schwesterchen«, Runa schüttelte tadelnd den Kopf, »was würdest du nur ohne mich anfangen?« Sie legte Silmi eine Hand auf den Mund. »Nein, du brauchst dich nicht zu bedanken. Also gut, Zeit für eine kleine Geschichtsstunde. Das Tal ist seit ungefähr sechstausend Jahren das Zentrum der hiesigen Zivilisation. Es ist fast anderthalbtausend Kilometer lang und wie mit dem Lineal durch das Zentralgebirge des Nordkontinents gezogen. Und weißt du, wie das kommt?« »Nein.« »Weil es ziemlich genau so entstanden ist. Vor zehntausend Jahren erreichte der Krieg zwischen Arkoniden und Methans seinen Höhepunkt. Es ging um das nackte Überleben. Keine der Seiten kannte besondere Rücksichten auf den Gegner oder auf die eigenen Leute. Auf jeden Fall stürzte etwas auf Tarkalon. Ein Meteorit, das Bruchstück eines Planeten, ein arkonidisches Schiff oder eines der Methans ... Was weiß ich? Jeder Tarka kann dir eine andere Geschichte darüber erzählen. Ist es nicht so, Kell?« Der Tarka hob eine Hand vom Steuer und winkte zustimmend. »Was immer es war, es kratzte im flachen Winkel über den Planeten, grub das Himmelstal mitten durch das Zentralgebirge, um am Ende des Tals zu explodieren, sich in mikroskopisch kleine Stücke aufzulösen und die Ebene zu planieren, auf der dein Schiff gelandet ist. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Zentralgebirge der wilde, nahezu unberührte Teil Tarkalons gewesen, schwer zugänglich und rau. Und das blieb es auch für die nächsten knapp 3000 Jahre - in der Zwischeneiszeit, die der Katastrophe folgte. Zu viel Staub in der Atmosphäre, die Sonne kam kaum durch.« Runa schüttelte sich, als fröstele es sie.
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»Aber dann«, fuhr sie fort,. »ging über Tarkalon wieder die Sonne auf, lang ersehnt - und mit durchschlagender Wirkung. Tarkalon fand sich in einer Warmzeit wieder, die den größten Teil des Planeten in Wüste verwandelte. Aber das Himmelstal ... Es liegt hoch und geschützt, das Gebirge sammelt die Niederschläge. Das Himmelstal ist in den Jahren nach dem Einschlag außergewöhnlich vulkanisch aktiv gewesen. Die Tarkas stellten fest, dass der Lavaboden äußerst fruchtbar war und das Tal ein angenehmes Klima besaß. Es wurde zu einer Art Oase in der Wüste. Denk an den terranischen Nil der Vorzeit, dann liegst du nicht allzu falsch. Das Himmelstal wurde zum Zentrum Tarkalons. Viele Tarkas zogen hierher. Und wo es viele Menschen gibt, gibt es viele Kämpfe ...« »Und es wird viel zerstört«, fügte Silmi hinzu, als sie eine Gruppe von Fahrzeugwracks passierten, die in der Glut eines Thermogeschütz es zu Klumpen geschmolzen und schließlich erhärtet waren. »Ja.« »Weshalb du hier bist.« »So ist es. Wir Minenhunde versuchen, wenigstens den handfesten Teil dessen zu beseitigen, was ein Krieg hinterlässt: Minen, Kampfroboter und halbautonome Maschinen, Spreng- und andere Fallen. Und nebenbei sammeln wir Tarkas ein, die noch nicht mitbekommen haben, dass der Krieg zu Ende ist.« »Ist das nicht gefährlich?« Runa zuckte mit den Achseln. »Gefährlich?« Sie wandte sich an den Piloten. »Was meinst du, Kell?« »Auch nicht gefährlicher, Run, als bei einer der fliegenden Garküchen in Tarkal einen gebraten Tez-Korn-Stab zu probieren ...« Die beiden lachten laut. Zu laut, fand Silmi, für den müden Scherz. Dann nahm Runa Silmis Hand. »Mach dir keine Sorgen. Es ist unser Job. Wir machen ihn jeden Tag, wir kennen uns aus. Wir sind vorsichtig.«
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Am Straßenrand kam eine Siedlung in Sicht. Sie lag an einem der vielen Bachläufe, die die steilen Hänge hinabstürzten. Die Häuser stachen heraus. Silmi bemerkte es, noch bevor Kellemdan den Gleiter abbremste und vor einem der Häuser am Rand der Siedlung anhielt. Plötzlich wurde ihr klar, wieso: neu. Die Häuser waren neu. Um die Häuser waren schwere Zugmaschinen gruppiert, in einem Kreis, der Silmi an eine altterranische Wagenburg erinnerte. »Gefällt es dir?« Runa zeigte auf das Haus unmittelbar vor ihnen. Vier stählerne Streben ragten aus dem Boden. Seile waren an ihren Spitzen befestigt, die das Haus in der Schwebe hielten. Silmi nickte.. »Wieso ist es aufgehängt?« »Wegen der Erdbeben. Und weil es So besser zu transportieren ist, wenn wir weiterziehen. Wir nehmen es einfach an den Haken. Komm, sieh es dir an!« Runa führte sie in das Haus. Innen sah es aus, als wäre eine Mine detoniert. Überall war Werkzeug verstreut, entschärftes Kriegsgerät, an dem Runa und Kellemdan übten, dazu eine Küche, ein Bad und winzige Zimmer, alle gerade so groß, dass sie leidlich ihren Zweck erfüllten. Silmi störte es nicht. Das Haus federte bei jedem ihrer Schritte, verlieh ihr eine ungeahnte Leichtigkeit, und es war genau das, was sie wollte: weit, weit weg von ihrem alten Leben. Später saß Silmi auf der Veranda des Hauses. Sie genoss sein leichtes Schaukeln im Wind, sah hinauf zum unmöglich klaren und prächtigen Sternenhimmel, während ihre Schwester und Kellemdan im Haus ihre Ausrüstung für den kommenden Tag zusammenstellten. Auf dem Tisch neben ihr stand eine Flasche, gefüllt mit einer roten Flüssigkeit, die hiesiger Wein sein musste. Er schmeckte rauchig, was Silmi bestenfalls milde überraschte. Es war das Aroma der verbrannten Erde Tarkalons. Silmi hatte die Flasche zur Hälfte geleert und fühlte sich so mutig wie noch nie zuvor im Leben.
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Sie hatte es getan. Sie, Silmi Khabir, das ängstliche Huhn. Sie hatte die Erde verlassen und vor ihr lag ein neues Leben. Silmi dachte an ihre Eltern, an ihre Mutter, die ihr immer davon erzählt hatte, wie stark ihre Familie war - eine Spitze gegenüber ihr, Silmi, der Zögerlichen. Wie ihre Urururur-oder-sonst-wie-vielGroßmutter Tanisha 1971 vertrieben worden war, als Bangladesch sich von Pakistan losgesagt hatte. Tanisha, ihre Vorfahrin, hatte alles verloren, das Haus, ihre Geschwister, ihre Heimat. Aber sie hatte nicht aufgegeben. Tanisha hatte von dem Astronauten Perry Rhodan gehört. Von wundersamen Außerirdischen, die er auf dem Mond angetroffen hatte. Von der Dritten Macht, die in der Wüste Gobi entstand und dem Nationalismus ein Ende setzen wollte, der ihre Heimat verwüstet hatte. Tanisha war ein halbes Jahr durch Gebirge und Wüsten marschiert und hatte neu angefangen. Silmi Khabir strich über ihren runden Bauch, streichelte das Kind, das sie erwartete. »Ich habe einen Namen für dich, Kleines«, flüsterte sie. »Tanisha.« 3. 5. Juni 2167 Die Kolonne fuhr an. Rhodan und Mechter saßen in dem, was der Provisorische Verweser Tarkalons unverdrossen als ihre »Sänfte« bezeichnete: ein umgebauter Gleiter älteren Fabrikats, auf dessen Karosserie man eine durchsichtige Kabine aus Kristallglas aufgesetzt hatte. Rhodan hatte sich anfangs gegen diese Art des Auftritts gewehrt, aber der Verweser hatte es nicht gelten lassen. »Wir Tarkas sind und bleiben Arkonidenabkömmlinge«, hatte er Rhodan erklärt. »Und jeder Arkonide weiß - nein, er fühlt es in seinem Herzen -, dass Pracht und Macht zusammengehören. Wo Pracht ist, ist auch Macht. Wo keine Pracht ist, kann keine Macht existieren. Sie wollen
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unser Retter sein, Großadministrator? Dann müssen Sie es auch zeigen!« Rhodan hatte sich dem alten Tarka gebeugt. Zu Recht, wie es schien. Als die Sänfte, umringt von einem halben Dutzend schwerer Kampfgleiter, majestätisch langsam durch die Straßen Tarkals schwebte, strömten die Menschen aus den Trümmerfeldern hervor, um den legendären Terraner mit eigenen Augen zu sehen. Mechter seufzte leise, dann wuchtete er sich aus dem Sitz hoch und stützte sich mit einem Arm auf seinen Stock; mit dem anderen winkte er huldvoll dem Volk zu. Einige der verdreckten Gestalten, die in den Trümmern hausten, winkten zurück. Viele hielten kleine terranische Flaggen in den Händen und wedelten hektisch mit ihnen. Andere hielten mit beiden Händen Holo-Bilder mit dem Porträt Rhodans hoch, wieder andere Bilder Tarkalons mit seinen Monden. Ein wohlmeinender Beamter im terranischen Außenministerium hatte sie wohl mit den Frachtern einfliegen lassen. »Großadministrator, ich bitte Sie«, flüsterte Mechter, ohne sein gütiges Dauerlächeln auch nur für einen Moment zu unterbrechen. »Das Volk wartet!« Rhodan erhob sich widerwillig und folgte dem Beispiel des Verwesers. Ein Aufschrei begrüßte ihn. Menschen sprangen auf und ab, kreischten Rhodans Namen und Slogans, die Rhodan nicht verstand. Immer wieder warfen sich Einzelne gegen die Sänfte, streckten Rhodan flehend die Hände entgegen oder starrten ihn einfach nur aus großen Augen an. Die Leibwächter ließen sie gewähren. »Was habe ich Ihnen gesagt?«, flüsterte der Verweser. »Das Volk verehrt Sie.« »Tatsächlich?«, entgegnete Rhodan, dem die Zurschaustellung zuwider war. Über der Kolonne schwebte eine Wolke von Mikrokameras, die die Szene auf jeden Planeten des Vereinten Imperiums übertrugen. Eine Viertelstunde lang fuhren sie winkend durch die Straßen, dann gab der alte Tarka dem Fahrer - ein Leibwächter, der auf
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einer Art Kutschbock an der Vorderseite der Sänfte saß - ein Zeichen. »Genug jetzt. Wir haben noch zu tun.« Die Kolonne beschleunigte; sie ließ Tarkal und die flehenden Menschen hinter sich zurück. Der Verweser sank erleichtert auf die Bank. Er zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich die schweißnasse Stirn ab. Dann sah er Rhodan an und sagte: »Ich verstehe nicht, wie Sie Ihre wertvolle Zeit mit diesen Nichtsnutzen von Wolkenreitern verschwenden konnten.« Rhodan zuckte die Achseln. »Ich wollte direkten Kontakt zu den Menschen hier aufnehmen.« »Wieso haben Sie nichts gesagt? Ich hätte eine Begegnung für Sie arrangiert. Mit Menschen, die typisch für unsere Welt sind. Also mit Trümmerleuten, die im Schweiß ihres Angesichts für die Zukunft Tarkalons arbeiten, nicht mit diesen Nichtsnutzen.« Rhodan dachte an Benton, den jungen Tarka, der ihn zu seinem Ritt auf dem Geysir verholfen hatte, und an seine Ernsthaftigkeit. Und er dachte an das seltsame Kind, das neben die Landezone gestürzt war. Wie war sein Name noch einmal gewesen? Tanisha. Er würde Deringhouse darum bitten, der Sache nachzugehen. Wahrscheinlich hatte das Mädchen sich eine zweite, private Landezone angelegt. Die Leute auf Tarkalon waren erfinderisch. »Die Wolkenreiter haben Mut, das muss man ihnen lassen«, sagte er. Der Verweser schnaubte. »Und was fangen sie damit an? Sie vergeuden ihn! Dafür, Rhodan, haben wir nicht gekämpft. Weder die Nertisten noch die Separatisten, noch sonst wer. Dafür habe ich nicht meine Gesundheit und die besten Jahre meines Lebens gegeben!« Schweigend fuhren sie weiter. Rhodan hatte den Verweser in den zwei Tagen, die er auf Tarkalon verbracht hatte, gut genug kennengelernt, um zu wissen, dass es fruchtlos war, mit ihm zu diskutieren. Diskussionen waren Mechter fremd. Er war ein alter Mann, vielleicht der älteste
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auf ganz Tarkalon, wie er es von sich behauptete. Alt genug jedenfalls, um als junger Mann die Tyrannei Nert Hermons am eigenen Leib erlebt zu haben. Der Nert hatte Mechters Vater hinrichten und seine Mutter verschwinden lassen, ihn selbst hatte er in den Dienst seiner Armee gepresst. Mechter hatte im Namen des Fürsten getötet, um nicht getötet zu werden - und als der Aufstand gekommen war, hatte er sich ihm bei der ersten Gelegenheit angeschlossen. In den Jahrzehnten des Bürgerkriegs war es Mechter gelungen zu überleben. Dank einer Kette glücklicher Zufälle, seines sechsten Sinns dafür, wann es an der Zeit war, die Seiten zu wechseln, seiner Härte zu sich selbst und anderen, vielleicht auch seiner Schläue, aber mit Sicherheit, nicht, weil er diskutiert hätte. Ein Mann, so Mechters feste Überzeugung, beobachtete die Welt aufmerksam. Hatte er lange genug beobachtet, traf er seine Entscheidung. Und hatte er erst einmal eine Entscheidung getroffen, hielt er unverrückbar an ihr fest. Langsam, aber stetig arbeitete sich die Kolonne das Himmelstal hinauf, an dessen Südende die Stadt Tarkal lag. Es war ein wildes, dampfendes Land. Moos bedeckte den Talgrund und die Flanken der Berge. Klare Bäche rannen und stürzten zwischen ihnen hinab, spülten das Moos weg und legten spitze Felsen bloß. Dampf stieg von heißen Quellen auf, hier und da eruptierte ein Geysir, wenn auch keiner von ihnen die Stärke ihres Verwandten in der Stadt erreichte. Tarkalon war eine junge Welt mit einer turbulenten Geologie und einer dünnen Erdkruste, die unablässig in Bewegung blieb. Beben waren ebenso Teil des Alltags auf Tarkalon wie heiße Quellen, Geysire und Vulkanausbrüche, und das galt insbesondere für das Himmelstal. Immerhin war das Tal weniger desolat als die Hauptstadt. Hier gab es wiedererrichtete Dörfer und kultivierte Felder. Nach einiger Zeit bog die Kolonne in ein Seitental ab und arbeitete sich einen engen
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Serpentinenweg hinauf. Rhodan sah auf den Höhenmesser seines Kom-Armbands. Sie hatten die 4000-MeterMarke passiert. Trotzdem bereitete ihm das Atmen dank der dichten Atmosphäre Tarkalons keine Schwierigkeiten. »Sehen Sie? Dort oben!« Mechter zeigte auf eine Felswand schräg über ihnen. In der Stimme hallte kein Zorn mehr über Rhodans Verschwinden oder seinen Widerspruch nach. Der Verweser war ein Mann, der es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen - aber er war auch einer, der nichts nachtrug. »Was ist dort?« Rhodan konnte nichts Besonderes an der Felswand erkennen. Einige Löcher, die Höhlenzugänge sein mochten, eine Handvoll Vögel, die sich träge von den Aufwinden tragen ließen, mehr war nicht zu sehen. »Unser Ziel. Ihr Auftritt:« Mechter beugte sich vor, holte eine Schachtel aus einem Fach am Boden der Sänfte und drückte sie Rhodan in die Hände. Ein rotes Kreuz auf weißem Grund klebte auf ihr. Der Terraner öffnete sie. »Schokolade? Was soll ich damit?« »Sie kennen Ihre eigenen Gaben schlecht.« Der Verweser schnalzte tadelnd. »Das ist keine gewöhnliche Schokolade. Sie stammt aus den Vorräten Ihrer Frachter und ist gespickt mit einer Mehrfachimpfung aus Ara-Produktion, wichtigen Vitaminen und Spurenelementen. Und, nicht zu vergessen, einer ordentlichen Portion Zucker. Kennen Sie die Wirkung, die Zucker auf einen unterernährten Menschen ausübt?« »Ich weiß, um was für Schokolade es sich handelt«, entgegnete der Terraner gereizt. Rhodan war der edle Spender, der Provisorische Verweser der Bittsteller, aber der Terraner bezweifelte, dass er jemals einen Satz von Mechter zu hören bekommen würde, der einem »Danke« nahekam. »Ich habe gefragt, was ich mit ihr soll.« Mechter ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ein Retter sollte niemals mit leeren Händen kommen«, sagte er nur. *
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Am Fuß der Felswand erwartete sie ein ebener Platz von der Größe eines terranischen Fußballfelds. Mechter ließ die Kolonne anhalten. Kaum waren die Fahrzeuge zum Stillstand gekommen, kam Leben in die Felswand. Kleine menschliche Gestalten erschienen an den Höhlenzugängen, verschwanden schließlich wieder, um gleich darauf mit dicken Seilbündeln zurückzukehren. Sie befestigten die Seile am Fels und begannen damit, sich abzuseilen. Es waren Hunderte. »Was ist das hier?«, fragte Rhodan, der die Näherkommenden als Kinder erkannte. »Ein Flüchtlingslager? Ein Waisenhaus? Oder eine Schule?« »So ähnlich. Kommen Sie!« Der alte Tarka stieß die Kristalltür der Sänfte auf und wuchtete stöhnend sein Gewicht aus dem Fahrzeug. Rhodan wollte ihm folgen, als sein Kom-Armband summte. Er sah auf das Display. Es war Deringhouse. Rhodan wandte sich an Mechter: »Einen Augenblick, Verweser. Ja?« Mechter rollte mit den Augen, aber er protestierte nicht. »Wenn Sie meinen ...« »Ja, ich meine.« Rhodan schlug die Tür der Kabine fest zu, ärgerlich über Mechter und seine Geheimnistuerei, ärgerlich über den unpassenden Anruf. Er schaltete die Verbindung frei. »Was gibt es, Deringhouse?« Auf dem Display erschien das Gesicht eines Mannes. Er hatte blonde Haare, ein sommersprossiges Gesicht und war seinem Vater, General Conrad Deringhouse, zum Verwechseln ähnlich - solange er nicht sprach. »Sir! Ich bin so froh, dass ich Sie erreiche! Ich, ich meine natürlich, wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht.« Carl Deringhouse war nervös. Gerade dreißig Jahre alt geworden, war dies sein erstes großes Kommando, der Moment, an dem er sich zu beweisen hatte. »Wieso?« »Sie waren nicht erreichbar, Sir! Nicht einmal der Verweser Tarkalons wusste, wo Sie stecken.«
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»Ich war unabkömmlich.« Deringhouse verarbeitete Rhodans Entgegnung einen Augenblick lang, dann sagte er: »Natürlich, Sir! Natürlich. Ich verstehe!« Rhodan musterte den jungen Mann nachdenklich. Er kannte Carl seit seiner Geburt. Sein Vater, Conrad Deringhouse, hatte zu den ersten Männern gehört, die sich vor knapp zweihundert Jahren nach der Mondlandung der STARDUST auf die Seite Rhodans und seiner neu gegründeten Dritten Macht geschlagen hatten. Nach wie vor zählte Conrad Deringhouse zu den Stützen, auf denen das Imperium der Menschheit ruhte. Draufgänger und kühler Rechner zugleich, unsterblich dank einer Zelldusche, zählte Conrad Deringhouse zu Rhodans engsten Freunden. Carl Deringhouse dagegen ... Rhodan zweifelte nicht an seinen Fähigkeiten. Der junge Mann hatte die Raumakademie Terranias mit Auszeichnung absolviert. Carl Deringhouse war intelligent und diszipliniert, ein gründlicher und besonnener Mann, und damit die perfekte Wahl für eine Mission wie jene, die sie nach Tarkalon geführt hatte. Doch in Rhodans Gegenwart war er befangen und fahrig, als hätte er Angst, dass er im Auge des Mannes, der der Menschheit das Tor zu den Sternen aufgestoßen hatte, nicht bestehen könne. »Wie ist der Stand bei Ihnen?«, fragte Rhodan, um Carl einen Weg aus seiner Befangenheit zu ebnen. »Keine besonderen Vorkommnisse, Sir.« Carl Deringhouse war sichtlich erleichtert, über dienstliche Vorgänge zu sprechen. »Die Frachterbesatzungen sind dabei, die humanitären Güter für die Bevölkerung zu löschen. Die Verteilung ist schwieriger als gedacht; jeder einzelne Tarka will der am schlimmsten vom Schicksal Getroffene des ganzen Planeten sein und glaubt einen Anspruch auf Sonderzuwendungen zu haben. Aber wir sind dennoch zuversichtlich, bis morgen Vormittag fertig zu sein.«
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Rhodan nickte. »Ich bin sicher, dass Sie es schaffen, Deringhouse. Was ist mit unserer Eskorte?« »Die KENIA II und die TANSANIA haben Position in Höhe des achten und neunten Planeten bezogen, Sir. Meine UGANDA steht auf dem Landefeld bereit, wir halten wie befohlen sekundäre Startund Gefechtsbereitschaft.« Rhodan war mit einem Verband von 15 Schiffen nach Tarkalon gekommen. Zwölf von ihnen waren Frachter. 800 Meter durchmessende Schiffsriesen, bis in den letzten Winkel vollgestopft mit allem, was der Bevölkerung fehlte, um die ärgste Not zu lindern: Nahrung, Medikamenten, Impfstoffen, mehreren mobilen Kliniken, Zelten und einigen tausend freiwilligen Helfern. Die drei übrigen Schiffe waren Schwere Kreuzer mit einem Durchmesser von 200 Metern, ausnahmsweise nach Staaten und nicht nach Gewässern benannt wie sonst üblich. Für Rhodans Begriffe waren die Schiffe mehr als ausreichend für eine diplomatisch-humanitäre Mission, aber dem Stirnrunzeln nach zu urteilen, mit dem ihn der Verweser begrüßt hatte, bestenfalls auf der untersten Stufe von Prachtentfaltung, die der alte Tarka für den, Herrscher über ein Imperium angemessen hielt. »Gut gemacht, Deringhouse! Machen Sie weiter so, aber treiben Sie Ihre Leute nicht zu hart an. Gönnen Sie Ihnen auch etwas Ruhe. Morgen sollten sie ausgeruht sein.« Carl Deringhouse blinzelte. »Sir, Sie glauben, morgen ...« »Ich glaube gar nichts. Die Dreimondnacht ist für mich ein rein astronomisches Phänomen, das von der hiesigen Bevölkerung überhöht wird. Sonst wäre ich nicht nach Tarkalon gekommen. Ich bin kein Selbstmörder. Aber es schadet nie, vorsichtig zu sein.« »Natürlich, Sir! Ich verstehe.« »Deringhouse, ich muss Schluss machen. Man erwartet mich. Ich melde mich, sobald es Neuigkeiten gibt. Verstanden?«
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»Verstanden, Si...!« Deringhouse unterbrach die Verbindung, noch bevor er fertig gesprochen hatte. Der Terraner stieß die Tür auf. Kalte Gebirgsluft strömte in die Kabine, erfrischte ihn. Mit einem langen Satz sprang Rhodan auf den Felshoden — und blieb wie angewurzelt stehen. Die Kinder hatten sich in der Zwischenzeit abgeseilt. Jetzt standen sie auf der ebenen Fläche, eng aneinandergedrängt, im Abstand von vielleicht 50 Metern. Es mussten Hunderte sein, womöglich Tausende. Sie warennochschmutziger als die Bewohner der Trümmerwüste Tarkalons. Viele waren nackt, viele barfuß, viele gebeugt. Und jeder Einzelne von ihnen war bewaffnet. Rhodan blickte in die Mündungen unzähliger Strahler, Desintegratoren und Rak-Werfern. »Mechter, was hat das zu bedeuten?«, zischte er. »Es besteht kein Grund zur Sorge, Großadministrator. Es sind nur Kinder.« Der Verweser sagte es beiläufig, als erkläre er seinem Besucher eine kuriose, aber harmlose Sitte der Tarkas. »Bis an die Zähne bewaffnete Kinder. Was ist hier los?« Rhodan fragte, obwohl er die Antwort längst ahnte. »Es sind Kindersoldaten.« »Wie ist das möglich? Ich dachte, der Bürgerkrieg hätte vor zehn Jahren geendet?« »Das hat er auch. Aber das war nur der offizielle Waffenstillstand, auf den sich die größten Kriegsparteien geeinigt hatten. Viele Splittergruppen kämpften noch jahrelang weiter, andere Gruppen zerfielen und massakrierten einander. Andere Kämpfer fanden sich zu kriminellen Banden zusammen. Große Teile Tarkalons sind noch ungesichert. Es herrscht kein Frieden auf unserer Welt.« . »Zu wem gehören diese Kinder?« »Zu niemandem. Ihre Eltern sind tot oder vermisst. Die Leute haben Angst vor den Kindern. Zu Recht. Sie haben nichts
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anderes gelernt, als zu stehlen und zu töten.« »Reizend! Und wieso führen Sie mich zu ihnen?« Der alte Tarka stampfte mit dem stählernen Stock auf. »Wenn wir auf Tarkalon Frieden wollen, muss es für diese Kinder einen Weg geben, der sie zurück in die Gemeinschaft führt. Allein können sie ihn nicht finden. Jemand muss ihn den Kindern ebnen.« »Ich?« Rhodan unterdrückte ein fassungsloses Kopfschütteln. »Ja.« Rhodan schluckte. Hatte der alte Tarka den Verstand verloren? Wenn nur eines dieser Kinder auf den Gedanken kam, seine Waffe abzufeuern... »Wieso ausgerechnet ich?«, fragte er. »Ich bin nicht von Tarkalon. Ich gehöre nicht hierher. Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ausgerechnet ich etwas ausrichten könnte?« Mechter wandte den Kopf und sah Rhodan in die Augen. »Sie sind Perry Rhodan. Der Unsterbliche. Der Großadministrator des Vereinten Imperiums. Unser Retter.« Der Verweser sagte es mit einer Ernsthaftigkeit, als wiederhole er ein Glaubensbekenntnis. »Ich bin nur ein Mensch«, sagte Rhodan. »Ich weiß.« Mechter nickte in Richtung der Kindersoldaten. »Aber diese Kinder wissen es nicht. Sie haben von Ihnen gehört, Großadministrator. Sie sind eine Legende für sie. Eine lebende Legende, die es mit der verfluchten Legende von Nert Hermon aufnehmen kann. Dass Sie hierhergekommen sind, beweist es. Sie, Großadministrator, können diesen Kindern geben, was sie brauchen. Sie können ihnen verzeihen.« »Sie auch.« »Ja. Aber es würde nichts bedeuten. Ich bin nur ein Tarka. Aber Sie, Großadministrator, sind ein höheres Wesen. Sie können die Kinder von ihrer Schuld freisprechen.« Rhodan schwieg. Er sah zu den Kindersoldaten, die jetzt langsam näher kamen. Sie wagten sich zwei, drei Schritte
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vor und sprangen einen zurück, erschrocken über ihren eigenen Mut. Sie hatten trotz der Waffen nichts Drohendes an sich. Nur Elendes. »Also gut. Was soll ich tun?« »Es ist ganz einfach.« Mechter holte die Schachtel mit der Schokolade aus der Sänfte und drückte sie Rhodan in die Hand. »Jedes Kind erhält eine Tafel. Das ist alles.« Als hätte der Verweser ein Signal gegeben, kam Bewegung in die Masse der Kinder. Eine Schlange bildete sich, mit Geschrei und Dutzenden Rangeleien zwar, aber es war dennoch eine Schlange, eine erste Anerkennung von Ordnung, die über dem Recht des Stärkeren stand. Rhodan gab dem ersten Kind eine Tafel Schokolade. Es war ein Junge mit langem, verfilztem Haar, großen Augen und einer langen Narbe auf dem nackten Oberschenkel. Der Junge nahm die Tafel, warf seinen Thermostrahler beinahe achtlos in die auffordernd entgegen gestreckten Hände des Verwesers, öffnete die Verpackung und schlang die Schokolade hinunter. Viele hundert weitere folgten seinem Beispiel. Als sich die Kolonne in der Abenddämmerung auf den Rückweg zur Stadt machte, folgte ihr eine beinahe endlos lange Schlange von Kindern, die Rhodan Dankeslieder sangen. Hinter ihnen verglühten ihre Waffen auf einem Scheiterhaufen, den die Leibwächter des Verwesers angelegt hatten. Die Kinder blickten nicht zurück. 4. 20. März 2164 Grishen kam noch vor Morgengrauen und kratzte leise an der Scheibe ihres Zimmers. Tanisha mutete das Geräusch so laut an, als zerteile ihr Stiefbruder Waffenschrott mit einer Stahlschere. Sie flitzte aus dem Bett und öffnete das Fenster. Ihre Füße berührten kaum den Boden, damit das Hängehaus sie nicht mit seinen Schwingungen verriet.
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»Bist du dabei?«, fragte Grishen. Er sah sie aus großen roten Tarka-Augen an. Grishen war ihr Stiefbruder, ein Waisenkind, von ihrer Mutter aus Mitleid und aus dem Wunsch heraus, ein Geschwister für ihr eigenes Kind zu haben, adoptiert. Grishen war älter als sie, beinahe drei Jahre. Also vier terranische Jahre, wie ihre Mutter sie immer erinnerte, wenn sie von Jahren sprach. Grishen war größer und stärker als Tanisha und vor allem so selbstsicher, dass sie sich neben ihm immer wie ein dummes Kind vorkam. Dabei war sie schon acht. Acht terranische Jahre, ohne Terra je gesehen zu haben. »Was ist?«, fragte ihr Stiefbruder, als sie nicht gleich antwortete. »Hast du plötzlich Schiss?« »Quatsch. Wovor denn?« »Vor unserer geliebten Mutter zum Beispiel.« Grishen grinste. Er wusste genau, womit er sie treffen konnte. »Oder vor den schrecklichen Ungeheuern, die auf der anderen Seite der Grenze wohnen?« »Pah, Ungeheuer! «, machte sie. »Alle sagen, dass es sie gibt.« »Klar - und alle sagen auch, dass Nert Hermon eines Tages zurückkommt und euch Verräterschweinen die Bäuche aufschlitzt und sie zum Trocknen auf die Felsen schmeißt!« Grishen ließ sich nicht beeindrucken. »Und wennschon!« Er hob die Schultern. »Ungeheuer oder Nert - ist mir egal. Mich kriegen sie nicht!« »Blabblahblah!«, machte Tanisha. Grishen blickte auf einmal sehr ernst. »Kein Blahblah. Hier.« Er langte unter sein Hemd und holte einen Strahler hervor. Er war verbeult, aber in der Mündung glomm ein rotes Licht. Der Strahler war geladen und feuerbereit. Tanisha erschrak. Am liebsten hätte sie das Fenster zugeschlagen und wäre zurück ins Bett gekrochen, um sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber sie ließ es sein, als sie daran dachte, wie Grishen sie ausgelacht hätte. Nichts, konnte schlimmer sein als das. Nichts. »Angeber!«, schnappte sie. »Wirst schon sehen, was dir dein Strahler nützt!«
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Tanisha kletterte aus dem Fenster, und gemeinsam schlichen sie zu den Gleitern und Zugmaschinen. Es war nicht schwierig. Die Kinder waren flink und geschickt, und die beiden Wachen starrten hinaus in die zögerlich beginnende Morgendämmerung. Kurz darauf hatten Tanisha und Grishen Tante Runs Gleiter erreicht, der frisch gewartet in einem Werkstattzelt stand. Mit einem Satz landeten sie auf seiner Ladefläche. Sie kannten sich bestens aus. Die beiden verbrachten ganze Nachmittage und Abende bei den Werkstattzelten. Tante Run schraubte an den Gleitern und Zugmaschinen herum, wenn sie von jenseits der Grenze zurückkam, und sie und die anderen Minenhunde rissen Witze und störten sich nicht an Tanisha und Grishen. Tanisha kam sich unter den Minenhunden fast wie eine Erwachsene vor, nicht so wie bei ihrer Mutter, die immer nur an ihr herumnörgelte und mit ihr schimpfte, wenn sie von den Minenhunden kam. Ihre Mutter wollte, dass sie lernte. Echte Sachen. Sachen, die ihr draußen in der großen weiten Milchstraße etwas nützen würden. Nicht, wie man einen defekten Antigrav austauschte oder aus zwei defekten einen leidlich funktionierenden zusammenschusterte. Nein, Lesen und Schreiben; wie die Hauptstadt des Vereinten Imperiums hieß und ähnlichen Quatsch. Tanisha und Grishen versteckten sich auf dem Gleiter. Er war wenig mehr als eine Plattform, eingerahmt von einem äußeren Ring aus Schirmgeneratoren und Projektoren und einem inneren Ring aus an den Boden geschweißten Kisten, gefüllt mit allerlei Gerät - nur dass an diesem Tag in einer der Kisten keine Ausrüstung mitfahren würde, sondern zwei neugierige Kinder, die das Abenteuer des Verbotenen suchten. Es war eng und stickig in der Kiste. Tanisha war aufgeregt. Sie spürte Grishens Puls, der so hastig war wie ihrer, und wusste nicht; ob sie sich darüber freuen oder es ihr Angst machen sollte. Durch
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einen Schlitz, der sich ganz um die Kiste zog, sahen sie nach draußen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Tante Run und Onkel Kell kamen. Sie waren die Ersten wie üblich. Die beiden redeten nicht viel. Kell checkte den Gleiter durch, und Run sah sich noch einmal die Karten an, verglich sie mit den neuesten Daten der Satellitenortung. »Gleiter ist klar«, sagte Kell schließlich. Run nickte. »Operationsgebiet ist sauber, mit einer potenziellen Ausnahme.« Tanisha konnte durch den Schlitz auf das Zentraldisplay des Gleiters sehen. Auf der Karte verlief ein dicker schwarzer Strich, der derzeitige Verlauf der Grenze. Ein Bereich jenseits der Grenze leuchtete gelb. Er erinnerte Tanisha an einen langen Fettwurm, der sich zum Ende hin verjüngte. Es war ein Seitental des Himmelstals. Ein Punkt leuchtete innerhalb des Wurms. »Hohe Metallkonzentration«, sagte Run. Kell zoomte das Bild heran. »Ein befestigter Punkt?« »Möglich. Oder ein Fahrzeugkonvoi, der an der Stelle liegen geblieben ist. Oder ein Bataillon Kampfroboter, dem die Befehle ausgegangen sind.« »In Ordnung, ich bin vorsichtig.« Kell ließ die Maschine des Gleiters anlaufen. Der Gleiter vibrierte. Vor der Werkzeughalle wartete der Tross. Es waren zwei Dutzend Zugmaschinen. »Unkaputtbar«, wie Run sie immer nannte. Morgens räumten sie Minen, mittags brachten sie Kriegsschrott hinter die Grenze, wo eine Abteilung Minenhunde sicherstellte, dass keine Gefahr mehr von ihm ausging und ihn den Tarkas verkaufte, die dem Tross der Minenhunde wie eine getreue Herde folgte. Die Tarkas schafften den Schrott nach Tarkal, sagte Run, wo man daraus Träger für Häuser und Kochtöpfe machte. Hatten die Minenhunde einen Abschnitt erfolgreich gesäubert, nahmen die Zugmaschinen ihre Hängehäuser an den Haken und brachten sie näher an den neuen Grenzverlauf.
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Mehr Minenhunde, als Tanisha zählen konnte, Männer wie Frauen, waren auf den Zugmaschinen aufgesessen. Sie kannte alle Gesichter - schließlich waren die Minenhunde ihre Familie -, auch wenn viele von ihnen noch neu waren. Selbst das Kind Tanisha hatte schon bemerkt, wie oft bekannte Gesichter verschwanden. Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. Run und Kell unterhielten sich über das Essen, das sie gegen Mittag erwartete, und über die provisorische Regierung, die sie nicht genug unterstützte. Tanisha verstand nur die Hälfte von dem, was sie sagten, aber das machte ihr nichts aus. Sie mochte einfach die Art, wie Run und Kell redeten. Sie redeten immer gleich, ganz egal, ob sie mit einem Minenhund redeten, ob Tanisha es hören konnte oder sie sogar mit Tanisha selbst sprachen. An der Grenze hielten sie an. Tanisha sah den Energievorhang im Sonnenlicht glitzern, der die geräumte Zone von der ungeräumten trennte. Das Leben vom Tod, wie Run es manchmal nannte, wenn wichtige Leute von anderen Planeten kamen und Run angab, um von ihnen Geld für die Minenhunde zu bekommen. Tanisha fand das merkwürdig. Die ungeräumte Zone sah eigentlich nicht anders aus als die geräumte, nur dass durch den Energievorhang alles etwas verschwommen war. Man konnte die Augen so fest zusammenkneifen, wie man wollte, man sah nie scharf. Run stand auf. »Bevor wir den Tag beginnen, wollen wir der Gefährten gedenken, die nicht mehr unter uns sind. 'Sie sind nicht umsonst gestorben.« Alle waren still, eine ganze, lange Minute, und Tanisha spürte, wie sich die Haare auf ihren Armen aufgerichtet hatten. Dann ließ sich Run in den Sitz fallen und gab Kell einen Klaps auf die Schulter. »Los! Ich will mit dem Abschnitt durch sein, bevor uns die Mittagssonne brät.« Kell drückte einen Button am oberen Rand des Displays. Im Energievorhang der Grenze entstand eine Lücke. Ein Robot glitt von der Ladefläche einer Zugmaschine und stampfte los. Die
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Minenhunde hatten den Robot aus den Resten von einem Dutzend zerstörten Kampfrobotern zusammengeflickt, die sie vor einigen Wochen gefunden hatten. Tanisha, die einmal versucht hatte, mit der Maschine zu spielen, wusste, dass sie nicht mehr konnte, als leidlich geschickt durch die Gegend zu stampfen. Aber das war genug, hatte Run ihr erklärt: Der Robot war nur eine Art Lockvogel. Die Maschine passierte die Grenze, die Lücke im Energievorhang verschwand und bald darauf auch der Robot selbst. Die hohen Büsche, die das Seitental überwucherten, verschluckten ihn. Tanisha verfolgte auf dem Gleiterdisplay, wie der Robot zickzack durch die Gegend lief und schließlich den Punkt erreichte; den Run Kell gezeigt hatte. Kell schaltete auf die Kamera des Robots um. Büsche, dazwischen geborstenes Metall erschien auf dem Display. »Ein Bunker«, sagte Kell. »Ein Ex-Bunker«, verbesserte ihn Run. »Los, sehen wir ihn uns an!« Tanishas Puls machte einen Satz, als der Gleiter anfuhr, und sie spürte, dass es Grishen nicht besser ging. Sie fuhren über die Grenze! Tanisha erwartete, dass etwas geschah. Etwas Besonderes, etwas Großes. Wie, dass sie sich plötzlich ganz erwachsen fühlte. Oder dass ein Kampfrobot sich in einem Gebüsch versteckt hatte und auf sie schoss. Oder dass ein Ungeheuer sie ansprang und im Schirm des Gleiters in einer Stichflamme verpuffte. Nichts davon geschah. Der Gleiter arbeitete sich durch das Gestrüpp. Äste knackten und Blätter raschelten, als Kell ihn zu dem zerstörten Bunker steuerte. Nach einiger Zeit erreichten sie eine Lichtung. Der Lockvogel-Robot stand auf ihr, ungerührt und unbeschädigt. Run und Kell lasen die Instrumente des Gleiters ab. Diagramme und Auswertungen flackerten über das Display, von denen Tanisha keines verstand. Aber Run tat es. »Infrarotortung, größeres Objekt«, sagte sie. »Ich sehe mich kurz um.«
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»Run«, sagte Kell. »Warte einen Augenblick, dann komme ich ...« Tante Run schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Der Signatur nach ist es nur ein Klerm.« Klerms waren die Tiere, die Tanishas Mutter immer »komische Hirsche« nannte. Tanisha wusste nicht, was an einem sechsbeinigen Tier komisch sein sollte. »Ich bin gleich zurück«, sagte Tante Run. Sie stieg aus dem Gleiter und zog aus dem Gürtel einen Strahler, der mindestens so groß war wie der, den Grishen mitgebracht hatte. Sie verschwand zwischen den Gebüschen. Grishen gab Tanisha einen Stoß.»Los!«, flüsterte er. »Ihr nach!« »Bist du verrückt geworden?« Sie hatten ausgemacht, die Grenze zu überqueren. Aber aus dem Gleiter zu steigen? Niemals. »Wir ...« »Komm schon, wir jagen Run einen kleinen Schrecken ein. Du brauchst keine Angst zu haben.« Grishen pochte auf den Griff seines Strahlers. »Was Run kann, können wir schon lange.« »Grishen, du ...« »Wenn du Schiss hast, dann bleib eben hier ... du Kind!« Tanishas Stiefbruder hob den Deckel der Kiste an. Kell bemerkte es nicht, er war ganz auf das Display konzentriert und gab den anderen Minenhunden über Funk durch, sie könnten ihre Arbeit beginnen und nach Minen und vergessener Munition suchen. Tanisha steckte den Kopf aus der Kiste, sah Grishen nach - und huschte hinter ihm her. Sie und Schiss! Sie und ein Kind! Sie würde es ihm zeigen... Zusammen schlüpften die beiden durch das Unterholz. Tanisha war ganz aufgeregt. Sie waren nicht nur jenseits der Grenze, sondern zudem allein unterwegs. Noch besser: Grishens rote Pupillen hatten sich geweitet, als sie neben ihm aufgetaucht war. So viel Mut hatte er ihr nicht zugetraut. Tanisha genoss das Erstaunen ihres Stiefbruders und arbeitete sich an seiner Seite vor. Schließlich, Tanisha schwitzte schon, stießen sie auf ihre Tante. Run stand
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vor einem Loch im Boden, den Strahler nach unten gerichtet und sah drein, wie Tanisha sie noch gesehen hatte. Beinahe, als hätte sie Angst, was natürlich Unsinn war. Run hatte niemals Angst. Und da geschah es. Ein Ungeheuer brach aus dem Unterholz hervor, ein Bewohner der ungeräumten Zone. Er starrte vor Schmutz, hatte, wenn überhaupt, nur zerrissene Kleider - und in einer Hand hielt er ein langes Messer mit unregelmäßig gezackter Klinge. Die Zeit blieb stehen. Tanisha wollte schreien, aber sie bekam keinen Ton heraus. Hilflos sah sie zu, wie Run sich umdrehte - viel zu spät! Entsetzt registrierte sie, dass das Ungeheuer kein Messer, sondern einen langen, zurecht geschliffenen Granatsplitter in den Händen hielt, und sie sah, wie das Ungeheuer ihn hob und ... ... und plötzlich nahm sie eine Bewegung neben sich wahr. Es war Grishen. Er hatte den Strahler hochgerissen und drückte ab ... ... ein blendend heller Strahl zuckte aus der Mündung und griff nach dem Ungeheuer ... ... und die Zeit kehrte in ihr normales Tempo zurück. Das Ungeheuer schrie elend auf, als der Strahl ihm einen Arm abtrennte und sich tief in seinen Oberkörper fraß. Es sackte zusammen, im selben Moment gefolgt von Run. »Nein!«, schrie Tanisha. »Nein! Tante Run!« Sie rannte los, beugte sich über ihre Tante. Der Geruch von verbranntem Fleisch drang ihr in die Nase. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, dass sich das Ungeheuer sterbend am Boden wälzte. Sie beachtete es nicht. Sie hatte nur Augen für Run. »Tante!«, schrie sie. »Alles in Ordnung?« Run antwortete nicht. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sahen Tanisha an, ohne sie zu erkennen. Blut, überall war Blut. Es kam aus ihrer Brust, wo das Ungeheuer zugestochen hatte. Grishen sank neben Tanisha auf die Knie. »Was machen wir nur?«, murmelte er.
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»Was machen wir nur? Was machen wir nur?« »Hilfe, wir brauchen Hilfe!« Tanisha beugte sich vor und drückte die Hände gegen Runs Brustkorb, damit kein Blut mehr aus ihm floss. Es nützte nichts. Ihre Brust war durchlöchert, und Tanishas Hände waren klein, viel zu klein. Tanisha wusste, dass Run starb. Sie hatte manchmal heimlich zugesehen, wenn ihre Mutter im Lazarett um das Leben von verletzten Minenhunden kämpfte. Ein Mensch hatte nur eine gewisse Menge Blut in sich. Tante Run hatte nicht mehr viel übrig. »Hast du nicht gehört?« Sie sah hoch zu Grishen. »Wir brauchen Hilfe! Worauf wartest du noch? Renn schon! Renn zu Kell!« Tanisha hatte sich noch nie getraut, Grishen so anzubrüllen. Grishen war so viel stärker als sie, er hätte ihr einfach eine reingehauen. Aber das war ihr jetzt egal. Tante Run starb, und Grishen war nicht stark, sondern jämmerlich mit seinem Strahler in der Hand, der nichts genutzt hatte. Wenn sie jetzt nicht stark war, dann war es zu Ende mit Run. »Ja!« Grishen rannte los und verschwand zwischen den Büschen. Tanisha blieb allein mit ihrer sterbenden Tante zurück. Ihr Blut floss und floss, und Grishen kam und kam nicht zurück, und Tanisha wünschte sich, sie könnte etwas tun. Sie wünschte sich ihre Mutter her. Ihre Mutter konnte heilen. Blut, wenigstens Blut, machte ihr nichts aus. Wären sie jetzt nur bei ihrer Mutter! Run müsste nicht sterben. Mutter würde... ... und Tanisha wurde schwarz vor den Augen ... Sie verlor den Boden unter den Füßen, nur für einen Augenblick ... und dann machte es »plopp !« ... und Tanisha war im Haus ihrer Mutter und mit ihr Run, die sterbende Run ... ... und ihre Mutter stand direkt vor ihr, wandte ihr den Rücken zu ... »Mutter!«, schrie Tanisha, so laut sie nur konnte. »Mutter!«
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Ihre Mutter schreckte hoch, drehte sich um: »Tanisha! Wie kommst du hierher? Was ist ...?« Sie brach ab, als sie die blutende Run auf dem Boden sah, schluckte und sagte mit einer Härte in der Stimme, die Tanisha eigentlich nur von Tante Run kannte: »Du bleibst bei ihr, Tanisha. Verstanden? Lass sie nicht allein! Ich bin gleich wieder da!« Ihre Mutter rannte hinaus zum Lazarett. Tanisha hörte, wie ihre Schritte auf dem Kies knirschten. Jemand nahm ihre Hand, drückte sie. Es war Run. Sie hatte die Augen geöffnet und sah Tanisha an. »Tante Run!«, rief Tanisha. »Mutter holt Hilfe. Halt durch!« Run lächelte, und eigentlich hätte Tanisha vor Freude einen Luftsprung machen sollen, aber sie konnte nicht sagen, wieso. Tante Runs Lächeln machte ihr Angst wie noch nichts in ihrem Leben. »Tanisha ...«, flüsterte Run, »du ... du bist besonders, weißt du das?« Was redete sie? »Tante Run, bitte ...« »Ich habe es immer gespürt«, unterbrach sie Run. »Jetzt weiß ich es.« Ihr Griff wurde 'stärker. »Pass auf dich auf, Tanisha. Es ist nicht leicht, besonders zu sein. Glaub mir. Hüte deine Besonderheit, arbeite an ihr, mach sie stärker, aber behalte sie für dich. Versprichst du mir das?« »Ja. Das verspreche ich. Ehrenwort!« Tanisha verstand nicht, wovon Run redete, aber sie hätte ihr alles versprochen. Alles, wenn sie nur lebte. »Danke!« Run lächelte. »Und du musst mir noch etwas versprechen.« »Was?« »Pass auf deine Mutter auf, ja? Ich weiß, sie nervt oft, und sie trinkt zu viel, aber sie ist ein guter Mensch. Sie will nur das Beste. Immer nur das Beste. Sie braucht jemand, der nach ihr sieht. Tust du das für mich?« »Ja ... ja! Dankbarkeit leuchtete in Runs Augen auf. Und dann brach ihr Blick für immer. 5. 6. Juni 2167
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Mechter weckte Rhodan im Morgengrauen mit einem Tablett in der Hand, auf dem ein kräftiges Frühstück dampfte, wie es nur im engsten Umfeld des Provisorischen Verwesers zu haben war. »Wieso die Eile? Die Dreimondnacht bricht erst gegen Nachmittag an, nicht?« Rhodan setzte sich auf und rieb seine Augen. Der Terraner fühlte sich zerschlagen. Er hatte die eine Hälfte der Nacht von Ritten auf Geysiren geträumt, die andere von mordenden Kindersoldaten — und von dem merkwürdigen Kind mit dem schwarzen Haar, das beim Ritt in die Wolken verschwunden war. Mechter stellte das Tablett auf dem großen Tisch in der Mitte des Zelts ab. »Ja, aber der Aufstieg nimmt einiges an Zeit in Anspruch. Deshalb habe ich Ihnen eine Stärkung mitgebracht.« Er zeigte auf das Tablett. »Und außerdem möchte ich mit Ihnen den Ablauf des heutigen Tages noch einmal durchsprechen.« Rhodan schüttelte den Kopf, um die hartnäckige Müdigkeit zu vertreiben. Durch die dünne Wand des Zelts drangen Stimmen und klappernde Geräusche, Beleg dafür,, dass der Verweser nicht der Einzige war, den die kommende Dreimondnacht nicht im Bett hielt. Es klang, als sei die gesamte Zeltstadt, die den Regierungssitz bildete, auf den Beinen. Mehr als Zelte wollten die Tarkas ihrem Verweser nicht zugestehen, um den provisorischen Charakter seiner Regierung zu erhalten. Alles war ein Provisorium auf Tarkalon — bis zur Dreimondnacht. Sie würde die Entscheidung bringen. »Wozu?«, fragte Rhodan. »Was haben wir schon zu besprechen? Ich bin Ihrer Einladung nach Tarkalon gefolgt. Ich bleibe bis morgen. Das ist doch, was zählt.« »Ja, aber es ist nicht das Einzige. Ihre Haltung zählt mindestens ebenso viel. Sie dürfen keine Furcht zeigen.« Rhodan zuckte mit, den Achseln. »Das sollte mir nicht schwerfallen. Denken Sie an gestern. Furchtlos bin ich auf dem Strahl des Geysirs geritten. Furchtlos bin
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ich den Kindersoldaten entgegengetreten. Ich habe mich sogar zu Ihnen in die Sänfte gewagt und habe den Massen huldvoll gewinkt.« Noch während er den letzten Satz sagte, erkannte Rhodan, dass er sich im Ton vergriffen hatte. Der alte Tarka war nicht zu Scherzen aufgelegt. Das Schicksal seiner Welt stand in der Dreimondnacht auf dem Spiel. Rhodan hob beschwichtigend die Hand. »Entschuldigen Sie, Verweser. Meine Erschöpfung hat mir einen Streich gespielt. Die Bemerkung war nicht angemessen. Sie haben völlig Recht. Heute ist ein wichtiger Tag. Wir sollten ihn mit aller Sorgfalt angehen, die möglich ist.« Der Zorn verschwand übergangslos aus dem Gesicht des alten Tarka. Er ging zum Tisch und winkte Rhodan heran. »Kommen Sie!« Der Verweser rollte eine Holokarte auf dem freien Teil der Tischfläche aus. Eine Kugel löste sich aus der dunklen Oberfläche, formte sich zu seinem Planeten, der in der Schwärze des Alls schwebte: Tarkalon. Der Planet ähnelte der Erde, nur dass er aus der Entfernung unberührt schien und viel trockener war. Die vorherrschende Farbe der Landflächen war braun. Der Bürgerkrieg hatte die Zivilisation der Tarkas an den Rand des Erlöschens gebracht. Vier Kontinente verteilten sich über den Globus, drei südlich des Äquators, einer im Norden. Das Bild zoomte jetzt auf den größten der Kontinente, den nördlichen. Seine Form erinnerte entfernt an das Teil eines Puzzles. Eine Gebirgskette wuchs aus dem Kontinent, durch die sich schnurgerade der grüne Strich des Himmelstals zog. An seinem südlichen Ende, nicht weit, bevor das Tal in eine Ebene überging, lag die Hauptstadt Tarkal. »Ein ungewöhnlicher Ort für eine Hauptstadt in seiner Abgelegenheit, nicht wahr?«, sagte Mechter. »Ich bin sicher, Ihre Vorfahren hatten ihre Gründe«, entgegnete Rhodan vorsichtig.
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»Die Erklärung liegt in unserer Geschichte, Großadministrator. Tarkalon wurde in der Zeit der Methankriege besiedelt, vor beinahe elftausend terranischen Jahren. Es ging um das nackte Überleben. Das Zentralgebirge war unwirtlich, aber es bot einen hervorragenden natürlichen Schutz. Die Täler sind hier von einem Labyrinth von Höhlen und. Rissen durchzogen. Es war einfach, sie zu Schutzräumen auszubauen. Die Berge wiederum boten sich als Abwehrstellungen an. Auf den acht Gipfeln, die später Tarkal einrahmen sollten, wurden Forts errichtet. Sieben von ihnen wurden im Lauf der Jahre bei Vorstößen der Methans vernichtet, eines aber, auf dem Berg Barrat, überdauerte. Der Imperator verlieh dem Geschlecht der da Pental, das sich bei den Abwehrkämpfen ausgezeichnet hatte, Tarkalon als Lehen. Gemker da Pental, der Herrscher unserer Welt, richtete nach dem Sieg Arkons über die Methans in dem verbliebenen Fort seinen Regierungspalast ein und änderte den Namen seines Geschlechts auf da Tarkalon.« Rhodan hob die Warmhaltehaube des Tabletts an und nahm eine gefüllte Brotstange. Die Füllung war so scharf, dass sie ihm den Schweiß auf die Stirn drückte. Dem Verweser entging es nicht. »Ich hätte Sie warnen sollen, Großadministrator. Wir Tarkas hegen eine Vorliebe für Schärfe.« Er räusperte sich und fuhr fort: »Dem Geschlecht der da Tarkalon ist es zu verdanken, dass unser Volk die vielen schweren Prüfungen überlebt hat, die es noch erwarteten und mit denen ich Sie nicht langweilen will, Großadministrator. Dann, vor siebzig eurer Jahre; übernahm Hermon da Tarkalon das Lehen unseres Planeten, und unser Unglück begann. Hermon da Tarkalon war ein in sich zurückgezogener, schweigsamer Mann. Bevor er Fürst wurde, nahm man diese Eigenschaften als Reife, manche erwarteten sogar, dass ein Philosoph über uns herrschen würde, und sahen ein Goldenes Zeitalter heraufziehen.«
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Mechter schnalzte verächtlich. »Sie haben sich geirrt. Hermon war ein ängstlicher Mann, der überall Intrigen und Verschwörungen vermutete, mehr nicht. Aber nichts ist gefährlicher und grausamer, als ein Mann in Furcht. Menschen begannen zu verschwinden. Sie kehrten nicht mehr wieder. Niemand sprach darüber. Wer es. doch wagte, verschwand bald darauf ebenfalls. Bald lastete Hermons grausame Hand so schwer auf unseren Nacken, dass niemand es mehr wagte, sich ihm zu widersetzen ...« Die Augen des alten Tarkas wurden glasig. Er sprach von seiner eigenen Kindheit und Jugend, vom Schicksal seiner Familie. »Und dann kam der Aufstand?«, fragte Rhodan. »Nein, die Unabhängigkeit. Hermon erklärte sie im Jahre 2140 eurer Zeitrechnung. Wieso, hat bis heute niemand ergründen können. Hermon pflegte sich nicht mit irgendjemanden zu beraten, nicht einmal mit denen, die er seine Berater nannte. Ich vermute, dass er nach der absoluten Macht greifen wollte. Ekhas, keine fünfzig Lichtjahre von Tarkalon, hatte sich einige Jahre früher vom Imperium losgesagt und war damit durchgekommen. Also trat Hermon vor das Volk - was er niemals zuvor getan hatte und verkündete die Unabhängigkeit. Wir schüttelten nun die Fesseln der arkonidischen Unterdrückung ab.« Der alte Tarka zeigte auf den höchsten Berg, der aus der Holofolie ragte, den Barrat. »Hermon tat es vom Balkon seines Palasts aus. Millionen waren gekommen. Mehr noch, als es heute bei der Dreimondnacht sein werden. Es gab damals noch mehr Tarkas, es gab Gleiter und Rohrbahnen, die sie innerhalb von Stunden um den Planeten trugen. Und viele Tarkas, viel zu viele glaubten dem Nert. Sie ließen sich von der Pracht Hermons blenden und sie glaubten an die glorreiche Zukunft Tarkalons, die Hermon heraufbeschwor.« Mechter seufzte. »Sie blieb natürlich aus. Befreit von den ohnehin laxen Fesseln, die Arkon ihm angelegt hatte, ließ Hermon
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seiner Grausamkeit freien Lauf. Niemand konnte von sich behaupten, unschuldig zu sein, niemand war mehr seines Lebens sicher.« »Schließlich kam der Aufstand?« »Ja. Aber er brachte nicht das reinigende Gewitter, nach dem sich viele sehnten. Wissen Sie, Großadministrator, es gibt nichts, was ein Tarka, Arkonide oder Mensch schwerer verwinden kann, als enttäuschte Hoffnungen. Auf Tarkalon ist uns damals nichts Anderes geblieben als enttäuschte Hoffnungen. Irgendjemand musste dafür büßen, dass unsere glorreiche Zukunft sich als planetares Foltergefängnis entpuppte, also sind wir aufeinander losgegangen.« »Wieso?«, fragte Rhodan. »War die Schuld Hermons nicht eindeutig?« »Nicht für jene, die sich an seinen Verbrechen beteiligt hatten oder sie leugneten - und es waren Millionen, anders wären sie nicht möglich gewesen. Und viele Millionen starben, viele Jahre des Leids vergingen, bevor es uns gelang, Hermon endlich zur Strecke zu bringen. Er und seine treuesten Anhänger hatten sich im Palast verschanzt. Ich war dabei, als wir ihn ausräucherten. Wir sprengten den verfluchten Nert in Stücke.« Mechter schloss einen Augenblick lang die Augen. »Es war der schönste Moment meines Lebens, Zeuge zu werden, wie sein Palast zerbarst - und es war die größte Dummheit, die ich je begangen habe.« »Das verstehe ich nicht«, entgegnete Rhodan. »Ein Sturm auf den Palast hätte mit Sicherheit Abertausende das Leben gekostet. Sie haben diese Leben gerettet, Verweser.« »Mag sein. Aber um welchen Preis? Wir haben den Mann in Stücke geblasen, aber wir haben übersehen, dass es nicht um den Mann ging, sondern um das Symbol. Wir hatten unsere Toten noch nicht begraben, als schon die ersten Gerüchte umgingen. Der Nert sei entkommen, hieß es. Hermon habe Tarkalon mit einem getarnten Raumboot verlassen, um im All neue Verbündete zu suchen. Hermon sei durch einen Fluchttunnel entkommen und er und
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seine engsten Getreuen harrten in alten Bunkern aus der Zeit des Methankriegs aus. Er habe sich unter die Rebellen gemischt und gebe sich als gewöhnlicher Tarka aus.« Rhodan sah den alten Tarka zweifelnd an, der sich nun schwer atmend auf die Tischplatte stützte. »Es klingt beinahe, als glaubten Sie selbst an diese Gerüchte.« »Nein. Ich habe gesehen, was ich gesehen habe. Niemand konnte die Zerstörung des Palasts überleben. Aber ich weiß um die Macht von Legenden. Und als die Gerüchte kein Ende mehr nehmen wollten, wurde aus dem Schlächter Hermon da Tarkalon nach und nach eine Legende. Eine Lichtgestalt, eine Art Messias in terranischen Begriffen. Wo immer er sich aufhalten mag, er wird in der Dreimondnacht zurückkehren und Rache an all jenen nehmen, die sich gegen ihn aufgelehnt haben, so seine Legende. Es gibt keinen Tarka, der sie nicht kennen würde. Heute Nachmittag wird die Dreimondnacht anbrechen - und seine Legende wird ein Ende finden. Sie muss es.« »Davon gehe ich aus«, sagte Rhodan. »So, wie ich es tue. Aber ich bitte Sie, Ihren heutigen Auftritt nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Die Rache des Nert ist eine Legende, die Dreimondnacht nicht.« »Das ist mir klar.« Rhodan erinnerte sich an das Briefing seines Stabs. »Die Dreimondnacht ist ein seltenes astronomisches Phänomen. Im Schnitt ereignet es sich im Abstand von dreihundert Jahren, wenn alle drei Monde Tarkalons sich vor die Sonne schieben und sie verdunkeln.« »Das ist richtig. Nüchtern gesehen handelt es sich um eine Sonnenfinsternis, wenn auch vielleicht um eine exotische. Aber das trifft nicht den Kern. Unser Sonnensystem ist labil. Es zählt neun Planeten. Heute. Aber vor elftausend Jahren zählte es noch zwölf. Der fünfte, achte und neunte Planet waren Wasserstoff-Methan-AmmoniakRiesen ähnlich dem irdischen Jupiter. Sie wurden von der arkonidischen Flotte
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vernichtet, um den Methans mögliche Stützpunkte zu nehmen. Die Folge ist eine allgemeine Instabilität unseres Systems. Das Himmelstal entstand durch den Absturz eines planetaren Trümmerstücks, und die drei Monde unserer Welt sind weitere Bruchstücke der zerstörten Planeten, die von Tarkalons Anziehungskraft eingefangen wurden. Ihren Namen, die Tränen des Nert, verdanken sie dem Vorfahren Hermons, der nicht über den Tod seiner Kinder in der Katastrophe hinwegkam und sich schließlich das Leben nahm.« Der alte Tarka trat auf Rhodan zu und umfasste seine Handgelenke. Der Griff des Verwesers war hart. »Großadministrator, seien Sie vorbereitet! In einer Dreimondnacht ist nichts unmöglich. Beben erschüttern unsere Welt, Wasser fließt flussaufwärts, Lebende erkennen, wie müde sie ihres Leben sind, und wechseln in das Reich der Toten, und Tote kehren zurück unter die Lebenden.« »Auch der Nert?« »Nein. Auch wenn viele verwirrte Seelen es sich wünschen. Aber etwas wird geschehen. Was immer es sein mag, diese verwirrten Seelen werden versuchen, es als Zeichen auszulegen, das die Legende von der Rückkehr Hermon da Tarkalon belegt. Es liegt an uns, an mir, dem Provisorischen Verweser Tarkalons, und vor allem an Ihnen, Großadministrator, ihnen diese Deutung zu versagen. Was immer geschieht, bewahren Sie Haltung! Verstehen Sie?« Mechter gab Rhodans Handgelenke frei. Sie schmerzten. »Ja, ich verstehe«, sagte der Terraner. »Gut. Sind Sie bereit?« »Sofort.« Rhodan zeigte an seinem Pyjama hinunter. »Ist es mir gestattet, mich vorher dem Anlass angemessen zu kleiden?« »Selbstverständlich! Ich warte draußen auf Sie.« Der alte Tarka deutete eine Verbeugung an und verließ auf seinen Stock gestützt das Zelt. Rhodan sah ihm nach. Dann ging er zu dem Koffer, den er mitgebracht hatte. Er streifte den Pyjama ab, öffnete das
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Geheimfach des Koffers, holte einen Kampfanzug heraus und legte ihn an. Über den Kampfanzug zog er die Paradeuniform eines terranischen Generals an. Er überprüfte ihren Sitz in einem Spiegelfeld, stellte zufrieden fest, dass der Kampfanzug nicht zu erkennen war, und trat nach draußen. »Worauf warten wir noch, Verweser?« 6. 11. Dezember 2166 Das erste Mal brauchte Tanisha vier Tage nach Tarkal. Die Minenhunde hatten sich nach Tante Runs Tod weiter vorgearbeitet, die Grenze weiter zurückgedrängt, und inzwischen betrug die Entfernung zur Hauptstadt über tausend Kilometer. Den ersten Teil ihrer Reise marschierte Tanisha zu Fuß durch die Nacht. Sie hatte sich einen Rucksack mit dem gepackt, was eine Elfjährige für unabdingbar hielt, wenn sie für immer von zu Hause weglief: Bildern von Tante Run; ihr Lieblingsspielzeug, Gleiterund Raumschiffmodelle, von wohlmeinenden Minensuchern aus Schrott zusammengeschweißt, und ihr liebstes Kuscheltier, das, was von einem terranischen Teddybär blieb, wenn man ihn über 4000 Lichtjahre weit weg von seinem Zuhause verschleppte und ihn einem Kind überließ, das sich jede Nacht an ihn klammerte. Dazu hatte sie etwas Erwachsenes mitgenommen: Geld, von ihrer Mutter und damit den Minenhunden gestohlen. Ein ganzes Bündel, das ihr nichts bedeutete, aber von dem sie wusste - oder zumindest hoffte -, dass es Erwachsenen genug für ihre Zwecke bedeutete. . Was Tanisha nicht mitbrachte, waren Essen und Trinken. Noch in der Nacht plagten Hunger und Durst das Mädchen, während es durch das menschenleere Himmelstal marschierte, das bis vor wenigen Wochen noch zum Land jenseits der Grenze gehört hatte, unheimlich, unberechenbar und gefährlich.
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Aber Tanisha hatte keine Angst, sie hatte auch eine Waffe mitgenommen, auch wenn sie sich mit Leichtigkeit eine hätte stehlen können. Waffen nutzten nichts. Run hatten sie nichts genutzt. Sie war tot. Und außerdem wusste Tanisha um ihre Gabe: Ein Gedanke genügte und sie würde wieder zu Hause sein. Wenn nötig. Der Hunger war so schlimm, dass sich Tanisha schon im Morgengrauen am Rand der Straße wiederfand, die zu meiden sie sich geschworen hatte. Ja, einige der Minensucher würden froh sein, dass das unheimliche Mädchen einfach verschwunden war, vielleicht sogar viele. Seit Tanisha vor zweieinhalb Jahren ihre sterbende Tante auf unerklärliche Weise zurück in das Lager geschafft hatte, mieden sie viele Minensucher. Sie glaubten, Tanisha hätte sich jenseits der Grenze in ein Ungeheuer verwandelt oder vielleicht hatte auch nur eines ihren Platz eingenommen. Sie würden froh sein, Tanisha los zu sein. Aber nicht Kell. Und ebenso wenig ihr Stiefbruder Grishen und ihre Mutter. Sie würden nach ihr suchen. Tanisha hatte Glück. Es dauerte nicht lange, und ein Schrottsammler rumpelte die Schotterpiste entlang - und als sie dem Fahrer winkte, hielt er an. »Was willst du?«, rief der Fahrer durch das Fenster des Führerhauses. Es besaß keine Scheibe mehr. »Ich ... ich habe Hunger und Durst ... und ich will nach Tarkal!« Der Fahrer, ein älterer, beinahe kahler Mann, maß sie mit einem Blick von oben nach unten ab, dann sagte er: »Spring rein!« Tanisha tat es, wenn auch zögerlich. Da war die Angst vor der eigenen Courage. Und: Sie wusste nicht, was er wusste. Der Fahrer ließ den Schrottsammler weiterrumpeln, griff hinter die Sitzbank und gab ihr eine Flasche Wasser und einige Früchte. Tanisha nahm sie. Nachdem sie ihren Durst und Hunger gestillt hatte, fragte der Fahrer: »Du bist nicht von hier, was?« Tanisha hätte beinahe vor Erleichterung gejauchzt. Er ahnte nicht, dass sie das
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unheimliche Mädchen war! Er hatte nicht von ihr gehört. Sie war sicher. So sicher, wie ein Kind auf sich allein gestellt auf Tarkalon sein konnte. Tanisha entgegnete: »Doch, bin ich.« »Erzähl mir nichts. Du bist Terranerin. Sieh dich doch an: Deine Haare sind so schwarz wie die Dreimondnacht und deine Haut so braun wie ein Bach, in den ein Gewitter Schlamm gespült hat.« Der Fahrer stupste die eigene Nase mit einem Finger an. »Und deine Nase! Ist kaum zu sehen, so klein ist sie.« »Meine Nase ist so groß, wie sie sein muss!«, widersprach Tanisha empört. Ihr ganzes Leben wurde sie damit aufgezogen. Das war ungerecht! »Und selbst wenn sie nicht so groß ist wie deine, was macht das schon? Ich bin auf Tarkalon geboren. Meine Mutter kam hierher, als ich in ihrem Bauch war.« Der Fahrer musterte sie für einen Augenblick, ohne etwas zu sagen. Dann strich er sich langsam mit einer Hand über die Stirn und sagte: »Deine Mutter ist verrückt. Auf Terra habt ihr jeden Luxus und Frieden und dann bringt sie dich nach Tarkalon? Sie gehört eingesperrt!« Wieder widersprach Tanisha, aber dieses Mal in Gedanken. Ja, ihre Mutter war verrückt. Oder besser: Sie wurde langsam verrückt, wie Kell immer sagte. Aber ihre Mutter gehörte nicht eingesperrt. Man musste ihr helfen. Tanisha hatte es versucht; so hatte sie es Run versprochen. Aber was immer Tanisha versuchte, genügte nicht; also war es Zeit, nach sich selbst zu sehen. Sie musste auf sich aufpassen. Tanisha stellte sich vor, was jetzt im Lager der Minenhunde geschah. Noch würde niemand bemerkt haben, dass sie davongerannt war. Tanisha blieb für sich, seit ihre Tante gestorben war, und sie schlief meist lange. Ihre Mutter nicht. Ihre Mutter würde schon längst wach sein, wenn sie in der Nacht überhaupt Schlaf gefunden hatte. Die erste Flasche hatte sie schon geleert, vielleicht auch schon die zweite. Es ging nicht anders, sagte Kell. Tanishas Mutter hatte
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den Platz Runs eingenommen. Es war als die natürliche Folge erschienen, damals. Eine starke Terranerin war gestorben, eine Anführerin. Also folgte ihr die Schwester nach. Doch Silmi war nicht Run. Kell hatte es Tanisha einmal gesagt, in einer langen schlaflosen Nacht, in der er sich nach seiner toten Gefährtin gesehnt und in der er sich immer wieder vorgeworfen hatte, dass er sie hatte alleine gehen lassen. Tanisha war zu ihm gekommen, um ihn zu trösten und um selbst Trost zu finden. »Sei nicht zu hart zu ihr«, hatte Kell ihr gesagt, »es ist zu viel für sie. Ihre Schwester ist tot, und jeder erwartet von ihr, dass sie wie Run ist. Aber Silmi ist nicht wie Run. Run hat keine Angst gekannt, Silmi kennt mehr Ängste, als man zählen kann. Run konnte loslassen. Sie konnte das Gestern vergessen, um im Heute zu bestehen und ein besseres Morgen zu erschaffen. Silmi klebt an der Vergangenheit fest.« Ja, das war es. Ihre Mutter klebte fest. Zu fest, als dass Tanisha sie hätte losreißen können. Der Fahrer nahm sie den ganzen Weg nach Tarkal mit. Sie kamen nur langsam voran. Der Schrottsammler war schwer beladen und altersschwach, die Straße eine Abfolge von Schlaglöchern, selbst dann noch, als sie die Nähe der Hauptstadt erreichten. Der Fahrer teilte sein Essen mit ihr und leistete ihr Gesellschaft, auch wenn er selten etwas sagte. Anfangs war es Tanisha recht. Sie war davongelaufen. Sie wollte diesen Mann, der so gut zu ihr war, nicht belügen. Und die Wahrheit zu sagen, kam nicht in Frage. Tanisha wollte sich nicht vorstellen, was dann passierte. Doch nach einer Weile störte sie die Schweigsamkeit des Fahrers. Sie rannte weg! Sie; Tanisha Khabir, beinahe elf terranische Jahre alt. Sie rannte einfach weg, ließ alles zurück, was ihr Leben ausmachte. Sie war besonders. Sie besaß eine Gabe. Sie konnte springen. Von einem Ort zum andern. Über Kilometer hinweg. Sie musste nur ... Ihr stockte der Atem, wenn sie daran dachte, was sie war und was sie sich getraute. Und dieser alte
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Mann? Er hatte sie nicht einmal nach ihrem Namen gefragt! Als sie am vierten Tag Tarkal erreichten, musste sich Tanisha zusammenreißen, um ihm die Wahrheit nicht ins Gesicht zu brüllen. Die Hauptstadt erwies sich als Enttäuschung. Tanisha war Verwüstung gewohnt, sie war damit aufgewachsen. Das Lager der Minenhunde rückte dem Verlauf der Grenze nach, wurde stets in frisch gesäuberten Gebieten errichtet, wo es wenig anderes als Trümmer gab. Tarkal dagegen ... die Hauptstadt schien ihr nicht anders als ein verwüstetes Dorf, nur dass es größer war. Viel größer sogar, denn die Stadt schien kein Ende nehmen zu wollen, als der Schrottsammler durch die Straßen rumpelte. An einer Straßenecke zwischen den Trümmern hielt der Fahrer an. Er zeigte nach Süden, wo am Horizont Umrisse zu erkennen waren, die an große Gebäude erinnerten. »Bis hierher kann ich dich bringen«, sagte er. »Dort drüben findest du, was du suchst.« »Woher wissen Sie, dass ich zum Raumha...?« »Es steht dir ins Gesicht geschrieben, Kind.« Er räusperte sich, um den Staub der Stadt aus dem Hals zu bekommen. »Ich wünsche dir viel Glück. Ich hoffe, du findest, was du suchst.« »Aber ich ...« Tanisha öffnete ihren Rucksack, suchte darin und fand das Geld, das sie gestohlen hatte. Sie nahm einen Schein von dem Bündel und hielt ihn dem Fahrer hin. Er nahm es nicht. »Das ist nicht nötig, behalt dein Geld.« »Aber ich habe von Ihrem Essen gegessen!« »Ich will dein Geld nicht.« »Warum nicht? Sie haben mir geholfen.« Tanisha verstand nicht, was los war. Erwachsene gaben einander ständig Geld. Was war los? »Ich habe dir geholfen, weil ich es wollte.« »Wieso?«
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»Weil du mich an jemanden erinnerst, den ich einmal kannte.« Tränen traten in seine Augen. »Und jetzt raus mit dir, bevor ich es mir anders überlege und dich zur Polizei bringe!« Seine Heftigkeit traf Tanisha wie ein Schlag. Sie sprang aus dem Führerhaus und sah zitternd zu, wie der Schrottsammler davonfuhr. Nachdem er zwischen den Trümmern verschwunden war, machte sie sich auf den Weg zum Raumhafen. Sie rannte beinahe. Tarkal war ihr unheimlich. Die Hauptstadt war nicht ihre Welt. Sie gehörte nicht hierher. Tanisha spürte es. Und die Leute der Stadt taten es auch: Sie hörten auf, Trümmer zu klopfen, wenn sie vorbeikam, und sahen ihr schweigend nach. Sie können dir nichts tun, niemand kann dir etwas tun!, sagte sich Tanisha. Ein Gedanke und du bist weg! Du bist wieder zu Hause! * Der Raumhafen war eine noch größere Enttäuschung als die Stadt. Die Schiffe, die sie aus der Ferne gesehen hatte und die sie weg von Tarkalon bringen sollten, erwiesen sich als Wracks. Tanisha konnte es nicht glauben, sie wollte es nicht. Sie rannte immer schneller zwischen den Wracks umher und fand nur Trümmer, zerschossenes, geborstenes Metall. Tanisha wollte schon aufgeben - sie keuchte und hatte Seitenstechen -, als sie ein Schiff fand. Ein echtes, kein Wrack. Ihr Schiff. Es war eine Walze. Tanisha erinnerte sich, was ihre Mutter ihr beigebracht hatte. Sie hatte so viel Nutzloses lernen müssen, über die Milchstraße, das Imperium, Terra. Oder vielleicht war es nicht ganz nutzlos gewesen. Nicht alles wenigstens. Eine Walze. Das bedeutete Springer, also Galaktische Händler. Sie flogen überall hin. Für Geld. Und sie hatte Geld, nicht? Eine Frau saß in einem Liegestuhl vor einer geöffneten Schleuse und döste im Schatten. Sie hatte röte Haare und war dick. Tanisha hatte nicht geahnt, dass es so
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dicke Menschen gab. Unschlüssig blieb sie vor der Frau stehen - wie sollte sie es anstellen? -, als die Springerin ein Auge öffnete. »Hau ab, Kleine!«, sagte sie. »Wir haben schon einen halben Laderaum Süßigkeiten an euch Plagegeister verschenkt. Wir sind blank.« »Ich will keine Süßigkeiten.« »Nein? Was willst du dann? Mich anglotzen, als wäre ich ein Weltwunder?« »Nein. Ich ... ich will mit euch fliegen.« Die Frau setzte sich auf. »Das kann ich mir vorstellen. Würd ich an deiner Stelle auch wollen. Überall ist es besser, als auf diesem Scheißhaufen von Welt.« »Darf ich mit?« »Du träumst, Kleine. Geh zurück und klopf Trümmer!« Die Springerfrau schloss die Augen und ließ sich wieder zurücksinken. »Aber ich kann bezahlen!« Die Frau ruckte hoch. »Kannst du das?« »Ja.« »Zeig her!« Tanisha holte das Bündel Scheine aus ihrem Rucksack und hielt es der Frau hin. Sie schnappte es mit ihren dicken Fingern und zählte die Scheine. Der Anblick gefiel Tanisha nicht. Überhaupt nicht. Zugegeben, es war, was Erwachsene taten: Sie gaben Geld; um etwas dafür zu bekommen. Aber irgendwie fühlte es sich falsch an. »Ein schöner Batzen«, sagte die Springerfrau. »Wohin willst du?« »Mir egal. Irgendwohin.« »Verstehe.« Die Frau warf das Bündel von einer Hand in die andere. »Aber es tut mir leid. Das reicht nicht.« »Nein?« »Nein. Aber ich sag dir was, ich nehme es als Anzahlung.« Sie stand auf und steckte das Bündel in die Hosentasche. »Komm wieder, wenn du noch einmal so viel hast, dann nehmen wir dich mit. Einverstanden, Kleine?« »E... einverstanden.« »Wenn du mich jetzt entschuldigst. Ich habe noch zu tun.« Die Springerfrau trat vor, ein Antigravfeld trug sie und ihren
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Liegestuhl nach oben in die Schleuse -und die Schleusentür schloss sich. Tanisha stand noch lange vor dem Schiff und fragte sich, was ihr eben widerfahren war. Die Springer würden sie mitnehmen die Frau hatte es gesagt, ganz bestimmt -, sie musste nur noch einmal Geld bringen. Mehr nicht. Konnte es wirklich so einfach sein? Sie überlegte, ob sie nicht gleich zurück nach Hause springen sollte, ließ es aber sein. Zu Hause würden nur tausend Fragen auf sie warten und Geschrei und Strafen, nicht aber Geld. Tanisha hatte das ganze Geld mitgenommen, das die Minenhunde in den letzten zwei Wochen von Schrottsammlern bekommen hatten. Nein, besser sie wartete noch etwas ab, kehrte dann mit einem Sprung zu Grishen ins Lager zurück, schnappte sich neues Geld, bevor jemand bemerkte, was los war, und sprang wieder zurück zu der Springerin. Eine Sache von ein paar Minuten, ohne dass sie jemand Rede und Antwort stehen musste. Sie wandte sich ab und ging zurück in die Stadt. Auf dem Landefeld war es heiß, sie konnte dort nicht bleiben. Mit jedem Schritt, den sie sich von dem Springerschiff entfernte, stieg ihre Stimmung. Sie hatte es geschafft! Nur noch etwas Geduld, dann zwei schnelle Sprünge, und sie war weg von Tarkalon. Für einen Moment überkam sie Trauer, dass sie ihre Heimat nie mehr wiedersehen würde. Nicht das Tal, nicht die Minenhunde, nicht Kell, nicht Grishen, nicht ihre Mutter. Sie würde sie vermissen. Aber das würde vorbeigehen, sagte sie sich, sie würde neue Freunde finden. Tanisha hielt an, als aus der Stadt, die vor ihr lag, eine Fontäne in die Höhe schoss. Es war ein Geysir, ein vertrauter Anblick für Tanisha. Weniger vertraut aber war ihr seine Höhe: Der Strahl reichte Hunderte Meter hoch, über die Spitzen der größten Ruinen Tarkals hinaus, ja sogar beinahe bis in die Wolken. Und da war noch etwas, ein dunkler Punkt an der Spitze des Strahls. Als die Eruption versiegte, erkannte sie,
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um was es sich handelte: ein Mensch, der auf dem Strahl des Geysirs in den Himmel geritten war und jetzt mit ausgestreckten Armen und Beinen dem Boden entgegen fiel. Tanisha verfolgte den Fall des Reiters und sah, wie ihn ein Antigravfeld kurz vor dem Aufprall abfing. Ihr Puls hämmerte bei dem Anblick. Das musste sie sich aus der Nähe ansehen! Sie eilte zu dem Geysir, was nicht weiter schwer war. Seine regelmäßigen Eruptionen wiesen ihr den Weg. Er lag in der Mitte eines von Trümmern freigelegten Platzes. Zwei Dutzend Jungen standen um ihn herum. Einige von ihnen bedachten sie mit skeptischen, wenn nicht sogar feindseligen Blicken, als sie zu ihnen trat. Tanisha ließ sich nicht einschüchtern. Die Jungen erinnerten sie an Grishen. Nach außen hin waren sie schon Männer, gaben sich laut und stark. Aber Tanisha wusste es besser. In Wirklichkeit waren sie halbe Kinder und wussten nicht recht, wohin sie gehörten. Deshalb waren sie so laut. Wenn man mit ihnen klarkommen wollte, musste man nur gegenhalten. »Was macht ihr da?«, fragte Tanisha. Sie bekam keine Antwort. »Ich habe gefragt, was ihr da macht!« Einer der Jungen löste sich aus der Gruppe, ihr Anführer. »Das siehst du doch: Wir reiten bis zu den Wolken.« Anerkennung für ihren Mut blitzte in seinen Augen auf. Tanisha mochte ihn auf der Stelle. »Ich will es auch probieren!«, sagte sie. Die übrigen Jungen protestierten, aber der, der vorgetreten war, sagte: »Sie hat Mut, sie soll es versuchen.« Er wandte den Kopf zu seinen Kameraden. »Holt unseren alten Anzug.« Dann sah er wieder Tanisha an. »Ich bin Benton. Und wer bist du?« »Tanisha.« »Willkommen bei den Wolkenreitern, Tanisha Benton half ihr in den viel zu großen Anzug und erklärte ihr, wie sie auf dem Geysir reiten konnte. Schließlich, als sie über dem Loch des Geysirs lag und die Panzerplatte vor ihrem Bauch sie am
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Boden festnagelte, fragte er: »Bist du bereit für eine Erfahrung, nach der dein Leben nie wieder dasselbe sein wird?« »Ja!« Benton trat zurück. Der Geysir eruptierte, trieb Tanisha in die Höhe. Sie schrie vor Freude und Aufregung und plötzlich waren die Wolkenreiter unter ihr ganz klein, nur noch Punkte. Die Eruption setzte aus, und einen Moment lang schwebte Tanisha. Sie sah über die Stadt zum Landefeld, wo das Schiff der Springer auf sie wartete... ... und dann... ... dann glühten die Triebwerke des Springerschiffs auf, und noch bevor Tanisha verstand, was geschah, hatte die Walze die Wolken durchstoßen und ließ Tarkalon hinter sich zurück. Die Springerfrau hatte sie angelogen. Tanisha schrie auf. Vor Wut auf die Frau, vor allem ,aber vor Wut auf sich selbst, auf ihre eigene Dummheit. Tanisha schrie und schrie, und kurz bevor sie auf dem Boden aufschlug, wünschte sie sich zurück nach Hause. Sie sprang. Die Wolkenreiter sahen noch lange ratlos in den leeren Himmel. 7. 6. Juni 2167 Unzählige Tarkas drängten sich am Fuß des Berges Barrat. Als sie die Gleiterkolonne Rhodans und 'des Verwesers kommen sahen, wichen sie gefügig zur Seite, ohne der Sänfte weitere Beachtung zu schenken. Die Blicke der Menschen waren entweder in die Ferne gerichtet oder 'auf den Rucksack ihres Vordermanns oder auf den Boden. »Denken Sie sich nichts bei dem Empfang«, sagte Mechter. »Diese Menschen kommen von überall auf Tarkalon. Viele von ihnen sind seit Monaten unterwegs. Sie haben ihren kargen Besitz aufgegeben und sind um den halben Planeten marschiert, um die Dreimondnacht auf dem Berg Barrat zu erleben.«
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Die Kolonne gelangte an ein Tor, den einzigen Durchlass des Energiezauns, der den Berg abriegelte. Jenseits des Tors schlängelte sich ein Weg in Serpentinen den Berg hinauf und verlor sich in den tief hängenden Wolken. Schwerbewaffnete Soldaten der Provisorischen Regierung bewachten das Ton Rhodan sah, dass die Soldaten Menschen wie Gepäck gründlich durchsuchten und ihnen die Waffen und alles, was als Waffe zu gebrauchen war, abnahmen. »Zu Ihrer Sicherheit, Großadministrator«, sagte der Verweser. »Und der dieser Menschen selbstverständlich.« Mechter schnalzte. »Ich wünschte, es wäre so einfach. Aber wenn es diesen Menschen in den Sinn kommt, werden sie einander mit bloßen Fänden in Stücke reißen.« Die Soldaten salutierten und ließen die Kolonne passieren. Langsam, unerträglich langsam, wie Rhodan bald empfand, schwebte die Kolonne weiter. Sie hatte sich in den Wurm aus Tarkas eingegliedert, der sich den Berg hinaufwand. Hielt der Wurm, hielt die Sänfte, setzte er sich wieder in Bewegung, tat es auch die Sänfte. Der Wurm hielt oft. Am Rand des Weges standen in unregelmäßigen Abständen Hütten, die Rhodan anfangs für Schutzhütten hielt. Das Wetter in den Bergen war wechselhaft, der Gedanke lag also nahe. Bald aber kamen Rhodan Zweifel: Immer wieder scherten Tarkas aus dem Wurm aus und verschwanden mit Blumen in den Händen in den Hütten. Jede von ihnen besaß jeweils zwei Eingänge, die einander gegenüberlagen. Aus den Eingängen drang Licht, heller als das des Tages, und Rhodan glaubte Geschrei zu hören. Schreie und Explosionen und das Zischen von Strahlern. Rhodan wollte Mechter danach fragen, was es mit den Hütten auf sich habe, als der alte Tarka die Sänfte an einer Hütte anhalten ließ. »Sie entschuldigen mich für einen Augenblick, Großadministrator?« Er stieß die Kristalltür auf.
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Zwei Leibwächter erwarteten den schwerfälligen Mann und halfen ihm auf den Boden. Einer der Wächter reichte ihm einen Kranz aus roten Blumen. Mechter bedankte sich mit einem Nicken bei dem Mann und verschwand im der Sänfte zugewandten Eingang der Hütte. Ein Vorhang verhinderte, dass Rhodan in das Innere sah. Der Terraner wartete lange Minuten. Der Wurm der marschierenden Tarkas zog an ihm vorbei. Die Menschen schwitzten und keuchten. Älteren, von denen es wenige gab, und Kriegskrüppel, von denen es viele gab, gelang der Aufstieg nur dank der Hilfe anderer Tarkas. Rhodan fragte sich, was in diesen Menschen vorging. Er versuchte, sie den verschiedenen politischen Gruppen des Planeten zuzuordnen, aber es gelang ihm nicht. Sie waren alle gleich arm, gleich entschlossen und gleich verbissen. Die Aussicht auf die anbrechende Dreimondnacht schien niemanden zu erfreuen. Wenn die Anhänger des Nert Vorfreude empfanden, so war es eine grimmige und eine, die sie für sich behielten. Mechter kehrte aus der Hütte zurück und wuchtete sich in die Sänfte. Er wirkte ernst und in Gedanken verloren, seine Augen schimmerten feucht. Rhodan wagte nicht mehr als einen Seiten- blick auf den Provisorischen Verweser. Er durfte sich nicht dazu hinreißen lassen, ausgerechnet in diesem Augenblick die Gefühle des alten Tarka zu verletzen. Aber der Verweser hatte seinen Blick bemerkt. »Sie dürfen mich ruhig fragen,' was, zum Teufel - so sagen Sie doch auf Terra? -, ich dort drin getrieben habe.« Er wischte Tränen von seinen Wangen. »Ich bin ein Freund offener Worte. Nichts ist zwischen zwei Verbündeten schlimmer als Unausgesprochenes.« »Wie Sie wollen. Was haben Sie in dieser Hütte getan'?« »Es ist keine Hütte. Es ist ein Beinhaus, ein Denkmal für die tapferen Kämpfer, die bei der Schlacht um den Palast des Nert gefallen sind.«
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Rhodan dachte an die Hütten, die sie bereits passiert hatten. Es waren drei Dutzend gewesen, obwohl sie bestenfalls ein Viertel des Weges bis zum Gipfel zurückgelegt hatten. »Die Schlacht hat viele Leben gekostet?«, fragte er. »Ja. Und sie war jedes Einzelne davon wert.« Mechter gab dem Piloten der Sänfte ein Zeichen. Die Kolonne fädelte sich wieder in den Wurm der Aufsteigenden ein. »An diesem Punkt, den wir eben hinter uns lassen, ist meine Schwester gefallen. Sie war die letzte Angehörige meiner Familie, die neben mir die Raserei Hermons überlebt hatte.« »Wie ist es geschehen?« »Ein Hinterhalt. Es ging zu Ende mit dem Nert, und er und seine Anhänger wussten es. Sie hatten sich überall am Berg in kleinen Gruppen verschanzt, ein, manchmal zwei Dutzend Kämpfer. Sie hatten nichts mehr zu verlieren. Manche der Gruppen wurden von unseren Robotspitzen aufgespürt und vernichtet. Die übrigen verkauften sich so teuer wie möglich. Jede von ihnen nahm ein Vielfaches ihrer Zahl von unseren Leuten mit ins Grab. Meine Schwester hatte das Pech, zu ihnen zu gehören. Meine Mutter hat mir das Versprechen abgenommen, nach ihr zu sehen. Also komme ich so oft hierher, wie es mir möglich ist. Es ist das Einzige, was mir zu tun bleibt.« »Es muss ein schlimmer Verlust für Sie gewesen sein«, erkannte Rhodan. »Ja. Aber was bedeutet das schon? Sehen Sie sich die Leute an, die sich den Berg Barrat hinauf quälen. Wenn Sie ausstiegen und sie nach dem Krieg fragten, würden Sie niemanden finden, der nicht einen furchtbaren Verlust erlitten hat. So oder so.« Sie passierten ein weiteres Beinhaus. Tarkas traten aus den beiden Türen, ohne einander anzusehen. Der Verweser zeigte darauf. »Hier, Großadministrator. Haben Sie sich nicht gefragt, wieso jedes der Beinhäuser zwei Türen besitzt?« »Schon. Was ist der Grund?« »Jedes Beinhaus beherbergt die Toten beider Seiten. Sie werden gleichermaßen geehrt, egal, für wen oder was sie zu
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Lebzeiten standen, ob sie Mörder oder Opfer waren. Es ist zutiefst ungerecht, eine Verhöhnung der Opfer eigentlich.« »Wieso lassen Sie es dann zu, Verweser?« »Weil es die einzige Möglichkeit für uns Davongekommenen ist, zu leben, ohne einander beim geringsten Anlass an die Kehlen zu gehen.« Der alte Tarka wischte mit dem Taschentuch die Tränen aus den Augen. Er wandte den Kopf ab, sah nach draußen und gab sich seinen Gedanken hin. Rhodan schwieg. * Die Kolonne erreichte die Wolken. Rhodan erhaschte einen letzten Blick über Tarkal und das sich nach Süden hin zusehends verbreiternde Himmelstal, das schließlich in die weite Ebene überging. Wie Gebirge ragten die Kugeln der terranischen Frachter aus ihr heraus. Am Rand des Landefelds, zwischen ausgeglühten Wracks, stand eine kleinere Kugel, ein besseres Spielzeug: die UGANDA, der Kreuzer Deringhouses. Carl Deringhouse hatte sich seit Rhodans Abfuhr am Vortag nicht mehr gemeldet. Rhodan fragte sich, was in ihm in diesem Augenblick vorgehen mochte. Wahrscheinlich würde er in der Zentrale der UGANDA auf und ab gehen und seinen Offizieren und den Kommandanten der Wachkreuzer auf die Nerven fallen. Die Wolken blieben unter ihnen zurück. Strahlende Helligkeit verscheuchte den geisterhaften Nebel. Hoch ragten die Gipfel des Zentralgebirges aus dem Meer der Wolken. Ihre Flanken waren grün, sie glänzten in dem Frisch des allgegenwärtigen Mooses, das auf Tarkalon bis in die höchsten Höhen wuchs. Die Sonne Tarkalons stand beinahe im Zenit. Hielt Rhodan die Hand schützend vor die Augen, machte er in nächster Nähe die Monde Tarkalons aus. Sie waren bleich wie der irdische Mond, aber sie waren nicht rund, ihre Form erinnerte an Tropfen. Die Tränen des Nert. Bald würde die Sonne in ihnen ertrinken - so hatte es
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Mechter Rhodan gegenüber formuliert, in einer blumigen Sprache, die er von dem trockenen Tarka niemals erwartet hätte. Zwei Stunden später erreichte die Kolonne endlich den Gipfel des Barrat. Sie war hinter dem Zeitplan zurückgeblieben, weil sich der Wurm der Tarkas immer weiter verlangsamt hatte. Die Höhenluft, die Sonne, die unerbittliche Steigung hatten ihren Tribut gefordert. Immer wieder waren Tarkas ausgeschert und hatten sich an den Wegesrand gesetzt, manche waren zusammengebrochen. Sie blieben nicht liegen. Andere Tarkas hatten den Gefallenen aufgeholfen und sie gestützt. Kamen sie nicht mehr zur Besinnung, wurden sie schweigend weitergeschleppt. Die Kolonne, die aus Gleitern bestand, hätte mühelos in die Höhe steigen und innerhalb von Augenblicken den Gipfel erreichen können. Aber Mechter wehrte ab, als Rhodan es anregte. Es wäre nicht mit seinem Amt als Verweser zu vereinbaren gewesen. Die Tarkas wollten nicht, dass ihr Interimsherrscher sich über sie erhob. Schließlich glitt die Sänfte über den Rand der Caldera. Der Gipfel des Barrat erinnerte an einen Vulkan, dessen Spitze in einer furchtbaren Explosion in Stücke zersprungen war, um anschließend in sich zusammenzustürzen und einen Krater zu bilden. Der Eindruck täuschte und traf dennoch zu: Es hatte eine furchtbare Explosion auf dem Gipfel gegeben, doch war sie nicht dem Druck aufgestauter Gase zu verdanken gewesen, sondern dem konzentrierten Feuer der Rebellen, die den Palast des Nert zerstört hatten. Die Caldera, wusste Rhodan aus den Berichten Mechters und den Aufklärungsbildern seines Verbands, war für gewöhnlich ein seichter, einsamer See am oberen Rand der für Menschen oder Tarkas geeigneten Biosphäre. Jetzt war der See verschwunden. Millionen von Tarkas waren in die Caldera geströmt, standen dicht an dicht. Der See war in Schlamm aufgegangen, als die Füße der Tarkas seinen Grund zertrampelt und ihre Kleider sein Wasser aufgesogen hatten. Die Masse bildete eine neue Oberfläche,
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eine unruhige, die wie Wellen eines Meers hin- und herwogte, während immer neue Tarkas an den Wänden der Caldera abstiegen und sich ihr anschlossen. Die menschlichen Wellen teilten sich, als die Kolonne der Mitte der Caldera entgegen glitt. Dort war ein freier Platz verblieben, ein unregelmäßiger Kreis mit einem Durchmesser von vielleicht fünfzig Metern. Rhodan konnte keine Absperrung erkennen. Die freie Fläche existierte, weil sie dem gemeinsamen Willen der Millionen entsprach. Die Kolonne fächerte auf und positionierte sich im Stil einer altterranischen Wagenburg am Rand des Kreises. Die Sänfte ging in seiner Mitte nieder. Mechter ließ die kristallene Kanzel komplett einfahren, und verwandelte die Sänfte damit in ein erhobenes Podest. »Was jetzt?«, fragte Rhodan. Es blieb noch eine knappe Stunde bis zum Einbruch der Dreimondnacht. »Wir warten«, antwortete der Verweser. »Das ist alles?« »Ja. Seien Sie einfach sich selbst, zeigen Sie keine Unsicherheit, und in vier Stunden können Sie unserer Welt für immer den Rücken kehren.« »Ich habe keine Eile«, entgegnete Rhodan, der verdeckten Spitze bewusst. »Natürlich nicht. Es war nur eine Bemerkung.« Sie warteten. Anfangs war Rhodan froh darüber. Meist bedeuteten Staatsbesuche endlose Reden. Aber was hätte er diesen Menschen an diesem Ort sagen sollen? Doch nach einiger Zeit wünschte sich Rhodan, Mechter hätte ihn um eine Rede gebeten. Warten bedeutete Nichtstun, und Nichtstun bedeutete, seinen Gedanken nachzuhängen und das wiederum Unruhe. Die Menge, die um sie herumwogte, war still. Aber horchte man dieser merkwürdigen Stille, stellte man fest, dass es unter der scheinbar ruhigen Oberfläche arbeitete, dass dort eine unermessliche Spannung darauf wartete, sich zu entladen. Rhodan sah nach oben zur Sonne. Mechter hatte ihm einen einfachen geschwärzten Plastikstreifen gegeben, damit er die
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Finsternis verfolgen konnte. Die Monde waren jetzt so nahe an der Sonne, dass es ohne den Schutz der Streifen unmöglich war, sie auszumachen. Der Terraner verfolgte, wie die erste Träne sich anschickte, die Scheibe der Sonne zu berühren. Das Bild war dank der klaren, dünnen Luft stechend scharf. Nur hin und wieder querten kleine Punkte über die Sonnenscheibe, die an Insekten erinnerten. Es waren die Mikrokameras, die seinen Staatsbesuch verfolgten, eine Erinnerung daran, dass dort draußen die große galaktische Bühne existierte. Die Medien der Galaxis hofften auf eine Überraschung, wenn nicht eine Sensation für die nächsten Minuten. Rhodan wusste um die Spekulationen über seine Motive. Wieso gewährte er dieser unbedeutenden Welt mit ihren schmutzigen, grimmigen Bewohnern, die selbst Schuld an ihrem Unglück trugen, so großzügige Hilfe? Musste nicht mehr dahinterstecken als die humanitären Gründe, die der Großadministrator vorschob? Er schüttelte den Kopf, schüttelte die Gedanken an die Milliarden Augen ab, die ihm in diesem Augenblick beobachteten. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Die Menschen Tarkalons brauchten endlich Frieden, einen Abschluss des Bürgerkriegs, der nicht nur auf totem Papier geschrieben stand, sondern in ihren Köpfen, in ihren Herzen stattfand. Rhodan war hier, um ihnen diesen Abschluss zu ermöglichen. Der erste Mond, Luthe, schob sich vor die Sonne. Er war zu klein, um die Sonne zu verdecken, aber er veränderte auf eine Weise, die Rhodan nicht hätte benennen können, ihr Licht. Als Rhodan über die Caldera blickte, wirkte der Anblick plötzlich kraftlos, ausgebleicht. Und da war die Stille. Sie veränderte ihren Charakter, wurde in ihrer Vollkommenheit bedrückend. Rhodan hörte seine eigenen, in der dünnen Luft hastigen Atemzüge, er hörte das Blut in seinen Adern pulsieren. Das Atmen und Pulsieren waren kraftvoll und laut, und gleichzeitig schienen sie aus
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weiter Ferne zu kommen, gedämpft, als stünde er in einer Ebene aus schallschluckendem Schnee. Rhodan glaubte ein Zittern unter den Füßen zu verspüren. Eine Täuschung, die ihm seine überreizten Sinne vorspielten? Oder ein Effekt des gravitionellen Zuges der drei Monde? Er sah zu Mechter, aber der Verweser reagierte nicht. Der Verweser hatte den Plastikstreifen vor die Augen gehoben und sah regungslos wie eine Statue in die Sonne. Rhodan fragte sich, ob Benton und die Wolkenreiter sich irgendwo in der Menge befanden. Genügte ihnen die Augenblicke des Friedens, die sie bei ihren Ritten auf den Eruptionen des Geysirs fanden? Oder hatte sie der Sog der Masse mitgerissen? Rhodan konnte die jungen Männer nirgends finden. Timmon, der zweite Mond schob sich vor die Sonne. Er entsprach von der Größe her Luthe und war wie jener nach den Söhnen des Nert benannt, die beim Aufschlag getötet worden waren. Timmon schob sich in einem anderen Winkel vor die Sonne, und zusammen verdeckten die beiden Monde einen ansehnlichen Teil ihrer Scheibe. Dämmerlicht senkte sich über die Caldera. Dann erreichte der letzte und größte Mond die Sonne. Es war Dharan, benannt nach der einzigen Tochter des Nert, über deren Verlust er niemals hinweggekommen war. Dharan war riesig und verschluckte die Sonne samt der beiden kleineren Monde. Dunkelheit setzte ein. Auf Rhodans Netzhäuten tanzten trotz des Schutzes durch die geschwärzten Plastikstreifen grelle Lichter. Die Dreimondnacht war angebrochen - und sie würde genau 35 Minuten und 21 Sekunden terranischer Zeit dauern. Rhodan wartete. Mechter wartete. Millionen Tarkas warteten. Die Sekunden, die Minuten verstrichen. Nichts geschah. Weder stieg Nert Hermon mit seinen letzten Getreuen aus dem Untergrund auf, noch fiel Hermon mit neuen Getreuen aus dem Himmel über sie
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her, noch hatte sich Hermon jahrelang als gewöhnlicher Tarka ausgegeben, um sich in diesem Moment zu erkennen zu geben, seine Getreuen zu sich zu rufen und die treulosen Rebellen zu vernichten. Still verstrich die Dreimondnacht. 12 Minuten und 57 Sekunden waren vergangen, als Rhodans Kom-Armband piepste. Das Piepsen rollte wie ein Donnern über die Caldera, brach sich an den Felswänden, rollte zurück und verlor sich in Echos. Millionen von Köpfen ruckten hoch, Millionen von Augen richteten sich auf Rhodan. Der Verweser sah Rhodan an, und in seinen Augen glitzerte ein Zorn so unbändig, als wolle er den Terraner mit seiner Krücke erschlagen wie ein tollwütiges Tier. Der Terraner verfluchte sich lautlos für seine Unachtsamkeit. Wie hatte er nur vergessen können...? Er hob den linken Arm, um das Korn-Armband auszuschalten - und verharrte in der Bewegung. Rhodan hatte es ausgeschaltet. Aber das Armband pulsierte rot. Vorrangschaltung. Ein Anrufer hatte die Sperre außer Kraft gesetzt. Sofort schaltete Rhodan auf Empfang. Der Köpf eines Mannes erschien. Er hatte blonde Haare, und er blinzelte nervös. »Deringhouse!«, zischte Rhodan. »Sie haben besser einen verflucht guten Grund für diesen Anruf. Sonst, schwöre ich, sonst ...« »Sir!«, unterbrach ihn Deringhouse. Rhodan begriff noch im selben Augenblick, dass der Junge eben zum ersten Mal den Mut aufgebracht hatte, ihm das Wort abzuschneiden. »Sir, Sie müssen Tarkalon auf der Stelle verlassen!« 8. Frühjahr 2167 Tanisha rannte nicht mehr weg, sie sprang. Es war einfach, ungefähr so, wie man auf einem engen Gebirgspfad einen Fuß vor den anderen setzt. Man sah genau hin, wohin man trat, und machte den Schritt. Beim Springen schloss Tanisha die Augen,
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stellte sich eine Person vor, die sie irgendwo einmal gesehen und berührt hatte - schon hörte sie ein leises »Plopp!« und fand sich neben dieser Person wieder. Und damit begann der Ärger, denn Tanisha sprang buchstäblich blind. Sie hatte ein Bild der Person, der »Boje«, wie sie sie bald nennen sollte, im Kopf, aber das war auch schon alles. Das Bild war eine Erinnerung. Es zeigte die Person in der Umgebung, in der das Mädchen sie einmal gesehen hatte. Darüber, wo sich diese Person im Augenblick ihres Sprungs aufhielt, verriet es nichts. Tanisha fand sich an Orten wieder, von deren Existenz sie nichts geahnt hatte. Sie kam in einer Höhle heraus, eine Handbreit neben dem ehemaligen Minenhund, dessen Gesicht sie sich eingeprägt hatte. Er lag zusammen mit einer Frau auf einer Decke und stöhnte mit ihr um die Wette. Sie landete auf der überfüllten Ladefläche eines Lastengleiters, eingequetscht zwischen nach Schweiß stinkenden Leibern, ohne dass sie zu sagen vermocht hätte, welche der elenden Gestalten sie an diesen Ort geführt hatte. Sie fand sich in Tarkal wieder, in einem Keller unter den Trümmern, in dem ein einsamer, ehemaliger Schrottsammler hauste, dem eine übersehene Thermomine den rechten Arm weggebrannt hatte. Tanisha überstand diese und andere Begegnungen dank der Überraschung der Bojen, ohne Schaden zu nehmen. Für die Menschen kam ihr Auftauchen unversehens. Sie dagegen ahnte wenigstens, auf was sie sich einließ. Ein Gedanke genügte, um sie an einen anderen Ort zu bringen, zu einer anderen Boje, deren Bild in ihrer Erinnerung aufflackerte oder zurück zu Grishen. Ihr Stiefbruder wurde zum Fixpunkt ihrer Streifzüge. Vor Grishen hatte sie nichts zu verbergen. Er wusste seit Tante Runs Tod von ihrer Gabe. Wollte Grishen den Minenhunden erzählen, dass Tanisha nicht nur eine Terranerin war, sondern anders auf eine Weise, die sie niemals würden
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erraten können -, hätte er Hunderte von Gelegenheiten gehabt. Aber Grishen hatte es nicht getan. Er hielt zu ihr, wie es seinem eigentlichen Charakter entsprach: Er deckte sie, ohne ein Wort darüber zu verlieren, erfand Erklärungen für ihr plötzliches Verschwinden wie für ihr plötzliches Auftauchen, hob ihr Essen auf, verteidigte sie, Wenn das Gespräch der Minenhunde auf das Thema der kleinen Tanisha kam, die so seltsam geworden war. Grishen trat auf wie ein Großmaul. Er liebte es, sich mit Waffen zu behängen, als habe er aus dem Tod von Tante Run den Schluss gezogen, dass das Unglück nicht geschehen wäre, hätte er nur eine bessere Bewaffnung mit sich geführt. Er tat, als wäre es Zeitverschwendung, über Dinge nachzudenken, anstatt sie einfach anzupacken. . Tanisha kannte ihren Stiefbruder besser. Sie wusste, dass hinter der lautstarken Maske ein stiller, nachdenklicher Mensch existierte, auf den sie sich ohne Wenn und Aber verlassen konnte. Nur: Grishen war eben nur ein Mensch. Er lebte unter den Minenhunden und stieß mit ihnen inzwischen in ungeräumte Abschnitte von Die Stunden jeden Tages, in denen Grishen allein und unbeobachtet war, reichten bald nicht mehr aus, um Tanishas Drang, umherzuspringen, abzudecken. Tanisha brauchte also eine zweite Möglichkeit, sich aus brenzligen Situationen zu befreien. Sie fand sie schließlich in sich selbst: in ihrer großen Klappe, die sie brauchte, um unter den rauen Minenhunden zu bestehen. Ein genervtes »Was glotzt du so?« oder »Kannst du nicht aufpassen?« gegenüber einer verblüfften Boje verfehlte selten seine Wirkung. Damit war Tanisha frei. Sie verbrachte ihre Tage damit, von Boje zu Boje zu springen und das Gefühl auszukosten, dass nichts und niemand ihr etwas vorschreiben konnte. Doch irgendwann wurde Tanisha das zu wenig. Sie konnte den Erwachsenen auf
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der Nase herumtanzen, schön und gut, aber ihr fehlten zwei andere Dinge: Anerkennung und Nervenkitzel. Tanisha half beidem auf ihre Weise ab: Anstatt stundenlang wahllos herumzuspringen, zog sie sich in die Werkstätten des Lagers zurück. Dort wurde das Kriegsgerät gesichtet, das die Minenhunde von ihren Vorstößen jenseits der Grenze mitbrachten. Waffen, die noch zu gebrauchen waren, wurden überprüft, gereinigt und an die Provisorische Regierung verkauft. Metallischer Schrott ging an die Sammler, die ihn nach Tarkal schafften. Was dann noch blieb, wurde gesammelt und bei Gelegenheit vergraben oder bei der Zündung von Blindgängern vernichtet. Tanisha bediente sich bei den Resten und schusterte sich aus Überbleibseln von Kampfanzügen einen Anzug, mit dem sie auf dem großen Geysir in Tarkal reiten konnte. Tanisha war einigermaßen stolz auf ihr Werk: Der Anzug war luftdicht und besaß einen Kapuzenhelm, und wenn sie wollte, konnte sie auch noch einen Luftvorrat anschließen. Für den Fall, dass sie einen Geysir fand, der sie weit jenseits der Wolken in den Himmel trug, sagte sie sich; mit dem Ding konnte sie garantiert auch im Leerraum überleben, wenngleich nicht ewig. Benton und den anderen Wolkenreitern passte Tanisha nicht, aber sie trauten sich nicht, ihr den Zugang zu dem Geysir mit Gewalt zu versperren. Tanisha brachte ihren eigenen Anzug, sie hatte dasselbe Recht wie sie, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und die Wolkenreiter mussten zugeben, dass sie gut war, verdammt gut. Keiner ritt den Geysir so geschickt wie das Kind, das aussah wie eine Terranerin und doch keine war und sich niemals etwas vorschreiben ließ. Keiner ritt so hoch hinaus wie das Leichtgewicht, keiner stieß so oft in die Wolken vor wie sie. Und kein anderer Wolkenreiter verschwand kurz vor dem Aufprall im Trümmermeer Tarkals mit einem leisen Plopp!
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Tanisha konnte sich nicht erklären, wieso sie sprang. Wieso ließ sie sich nicht einfach von dem Antigravfeld auffangen wie alle Übrigen? Vielleicht, weil sie nicht wie alle Übrigen war? Vielleicht, weil sie sich nach Hause sehnte? Den Nervenkitzel fand Tanisha woanders. Ein Zufall half ihr dabei. Als sie eines Tages eine Boje anpeilte, eine Frau, die einmal Obst an die Minenhunde verkauft hatte, fand sie sich in einem Zelt wieder und blickte beinahe im selben Augenblick in die flimmernde Mündung eines Strahlers. Weg hier! Sie sah noch eine Wand aus grellem Licht auf sich zukommen, dann sackte sie neben ihrem Stiefbruder zusammen, zitternd, die Haut ihres Gesichts und ihrer Arme gerötet, als wäre sie zu lange in der Sonne geblieben. »Tanisha, was ist los mit dir?« Ihr Bruder riss sie an sich, barg sie in seinen Armen. »Was ist mit dir passiert?« »Nichts«, brachte sie hervor. Grishen durfte nicht erfahren, was geschehen war, sonst hätte er sie nie wieder springen lassen. »Nur ein Sonnenbrand. Hab nicht aufgepasst.« Ihr Stiefbruder drang nicht weiter auf sie ein. Tanisha schloss. die Augen, rief sich ins Gedächtnis, was sie unmittelbar vor ihrem Sprung gesehen hatte. Da war ein Mann gewesen. In Uniform, mit einem Strahler im Holster. Er hatte sie gesehen und hatte reagiert, ohne Verzögerung, ohne überrascht zu erscheinen. Er hatte den Strahler gezogen und abgedrückt. Was für ein Mann war das gewesen? Da war ein Abzeichen an seiner Uniform gewesen, Tarkalon mit den drei Monden ... das Abzeichen der Provisorischen Regierung. Ein Soldat, der nicht zögerte. In einem Zelt. Tanisha verstand. Sie war in das Zeltlager des Verwesers gesprungen. Der Soldat war ein Leibwächter des Verwesers gewesen, deshalb die schnelle Reaktion. Er erwartete das Unerwartete. *
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Tanisha brauchte drei Tage, bis ihre verbrannte Haut so weit verheilt war, dass sie wieder schlafen konnte, und einen weiteren, bis sie genug Mut zusammengekratzt hatte, wieder in das Lager des Verwesers zu springen. Diesmal brachte sie dort einige Minuten zu, bevor man sie entdeckte. Von diesem Sprung an ging es aufwärts. Tanisha vermochte es, weitere Personen zu berühren, ohne noch einmal die Glut eines Strahlers zu spüren. Jeder Tag brachte neue Bojen für ihre Sprünge, und jede Boje bedeutete neue Möglichkeiten. Tanisha wurde verwegener. Sie begnügte sich nicht mehr damit, einfach nur in das Lager zu springen, sie wurde zur Diebin. Tanisha stahl das, was sie am besten kannte: Waffen. Sie holte sie aus Depots, nahm sie schlafenden Soldaten ab oder zog sie ihnen an Tagen, an denen sie sich unverletzlich fühlte, aus dem Holster. Sie kratzte an den Waffen herum, beschmutzte sie und legte sie heimlich in den Werkstätten des Minenhund-Lagers ab. Ihre Mutter würde von den Schrottsammlern gutes. Geld für die Waffen bekommen. Geld, mit denen sie Essen und Ausrüstung für die Minenhunde kaufen konnte. Geld, mit denen Tanisha vielleicht wettmachen konnte, was sie mit ihrer versuchten Flucht von Tarkalon angerichtet hatte. Dachte Tanisha an die dicke Springerfrau, der sie das Geld der Minenhunde überlassen hatte, lief sie knallrot an. Was war sie damals nur für ein dummes Kind gewesen! Doch das war vorbei. Immer öfter blieb Tanisha für Stunden im Zeltlager des Verwesers. Sie versteckte sich und lauschte den vielen Sitzungen, die der Verweser und seine Minister und die vielen Leute, die für ihn arbeiteten, hatten. Der Verweser horchte und fasste schließlich einen Beschluss, der Tanisha unweigerlich verblüffte. Tanisha lernte, dass auch ihre Tante Run sich irren konnte. Run hatte immer gesagt, die Regierung kümmere sich einen Dreck um die Leute, für die sie eigentlich da sei. Aber das
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stimmte nicht. Der Verweser und seine Leute taten nichts anderes, als zu überlegen, wie sie den einfachen Leuten von Tarkalon helfen konnten. Tanisha konnte den Sitzungen endlos lauschen. Zugegeben, vieles verstand sie nicht, aber das machte nichts. Sie verstand, worauf es ankam: Der Verweser dachte nicht nur daran, wie die Leute den nächsten oder übernächsten Tag überstanden, wie es die Minensucher taten. Nein, er dachte darüber nach, wie man- aus Tarkalon einen besseren Ort machen konnte. Und eines Tages erfuhr Tanisha etwas, was sie sofort zurück nach Hause springen ließ. Grishen musste es erfahren! Und Kell! Und ihre Mutter! Ihre Mutter würde vor Freude tanzen. Und nicht nur sie, alle Minensucher. »Grishen!«, rief sie, als ihr Sprung sie in das Zimmer ihres Bruders führte: »Du glaubst nicht, was ...« Sie brach ab. Ihr Bruder sah betreten drein. Er war nicht allein. Kell war bei ihm. »Grishen, bist du so gut?«, sagte Kell. »Ich will mich mit deiner Schwester unterhalten.« Grishen stand auf und verließ das Zimmer. Im Vorbeigehen warf er Tanisha einen um Verzeihung heischenden Blick zu. Nicht meine Schuld! »Setz dich.« Kell zeigte auf das Bett ihres Bruders. Tanisha tat es. Kell war jemand, den nichts aus der Ruhe brachte. Aber sein Zorn, einmal angeschürt, war furchtbar. Und Kell war zornig. »Was bildest du dir eigentlich ein?«, fragte er. »Ich weiß nicht, was du meinst.« »Du weißt es ganz genau. Dein Kommen und Gehen.« »Kell, ich ...« Er hob eine Hand. »Red nicht drum herum! Ich weiß, dass du eine Gabe besitzt.« »Du weißt davon?« »Natürlich!« Er zeigte nach draußen, wo Grishen wartete. »Und nein, dein Bruder hat dich nicht verraten. Aber das muss er auch gar nicht. Jeder, der Augen im Kopf
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hat und dem eine Mine nicht den Verstand weggeblasen hat, weiß es.« »Und wennschon! Ich kann machen, was ich will. Ich tue niemandem etwas.« »Das glaube ich dir. Ich weiß, dass du nie etwas Böses tun könntest. Nicht wissentlich.« Kell ging vor ihr in die Knie, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. »Aber nicht jeder kennt dich so wie ich. Die Minenhunde tuscheln über dich. Ihnen gefällt nicht, was sie sehen. Sie sagen, dass ein Ungeheuer von jenseits der Grenze dich angefallen und übernommen hat. Das und andere Geschichten in der Art.« »Na und! Sollen sie reden. Die Leute reden immer.« »Das stimmt, aber du vergisst, dass eine besondere Zeit bevorsteht. Die Dreimondnacht. Die Nacht, in der Nert Hermon zurückkehrt und Rache nimmt.« »Ich bin kein kleines Kind mehr. Das ist nur eine Geschichte!« »Bist du dir so sicher? Ich nicht.« Kell sah ihr in die Augen. »Hör zu, Tanisha!- Die Leute haben Angst. Sie wissen nicht, was kommt. Und Leute, die Angst haben, tun manchmal Dinge, die sie hinterher bereuen. Sie suchen Schuldige ... Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich könnte es nicht ertragen.« Tanisha wand sich. Sie wollte, dass Kell sie anschrie. Dann wäre es nicht so schwer gewesen, ihm böse zu sein. »Mir passiert nichts«, sagte sie. »Niemand kann mich halten. Also kann mir niemand was tun.« »Ist das so?« »Ja!« sagte sie trotzig, und im selben Moment kam ihr ein Gedanke. Was, wenn sie Kell sagte, was sie ihrem Brüder hatte sagen wollen? »Und außerdem«, fuhr sie fort, »weiß ich etwas, was du nicht weißt.« »Ach ja?« »Du brauchst keine Angst zu haben. Keiner muss es. Perry Rhodan kommt! Er kommt zur Dreimondnacht.« Sie sah die Verblüffung in Kells Gesicht, dann griff sie wahllos eine der Bojen aus ihrem Gedächtnis heraus und sprang. Tanisha fand sich an einem Marktstand an einer Straße in Tarkal wieder. »Was glotzt du so blöd, Mann?«, herrschte sie seinen
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Besitzer an. »Darf man sich nicht mal mehr die Ware ansehen?« Sie stolzierte davon und spürte, wie ihr seine verwirrten Blicke folgten. Es fühlte sich gut an. Tanisha fand einen Platz, an dem sie ihre Ruhe hatte. Auf der Spitze einer unregelmäßigen Pyramide von Trümmern, die einmal ein Haus gewesen war. Ein Stahlträger war stehengeblieben. Er spendete ihr Schatten und gab eine Lehne für sie ab. Rhodan kommt, dachte sie. Rhodan kommt! Tanisha wiederholte die Worte immer wieder. Perry Rhodan. Für ihre Mutter war er so etwas wie ein persönlicher Gott. Rhodan hatte der Vorfahrin, deren Vornamen Tanisha trug, eine Stelle bei seiner Dritten Macht gegeben. Rhodan hatte ihre Familie das Überleben zu verdanken, die Menschheit verdankte ihm die Sterne. Und jetzt kam Perry Rhodan nach Tarkalon, um auch hier Frieden und Wohlstand zu bringen. Aber natürlich war Perry Rhodan kein Gott. Tanisha war erst elf, aber sie war auf Tarkalon aufgewachsen. Niemand auf dieser Welt glaubte an Götter, zumindest nicht an gütige. Vielleicht an den Nert Hermon, aber wer das tat, behielt es meist für sich. Rhodan hatte die Menschheit nicht allein zu den Sternen geführt. Viele Menschen hatten ihm dabei geholfen. Gewöhnliche wie Tanishas Ahnin. Und Ungewöhnliche wie die Mutanten. Niemand wusste genau, wie viele Menschen dem Mutantenkorps angehörten. Dutzende bestimmt, vielleicht sogar Hunderte. Fest stand, dass es Menschen mit einer Gabe waren. Sie konnten kraft ihres Geistes die wildesten Dinge anstellen. Sie konnten die Gedanken anderer Menschen lesen, oder Sachen anheben ... oder von einem Ort zu einem anderen springen. Das waren die sogenannten Teleporter. Tanisha kannte immerhin zwei von ihnen beim Namen: Ras Tschubai und Tako Kakuta. »Tanisha Khabir.« Sie sagte ihren Namen laut. Würde er nicht wunderbar in die Reihe passen?
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Tanisha verbrachte Stunden mit Tagträumen, und als sie zurück nach Hause sprang, war es bereits nach Mitternacht. Ihr Stiefbruder schlief, er ließ sich schon lange nicht mehr durch das Geräusch ihrer Sprünge aus dem Schlaf reißen. Tanisha wollte sich noch etwas zu ihm legen und seine Wärme spüren, als sich von hinten Finger um ihren Hals schlossen und so fest zudrückten, dass ihr die Luft wegblieb. Sie spürte warme Atemzüge an ihrem Ohr, dann flüsterte die Stimme eines Mannes: »Spring, und dein Bruder stirbt.« »W... wer sind ... Sie?«, brachte Tanisha hervor. »Was wollen ... Sie von ... mir?« »Nur, dass du uns einen kleinen Gefallen tust, Mutantin.« 9. 6. Juni 2167 »Sir, Sie müssen Tarkalon auf der Stelle verlassen!« Die Worte Carl Deringhouses hallten in Rhodans Gedanken nach. Einen Augenblick lang weigerte sich Rhodans Verstand. sie zu akzeptieren, dann schaltete er um. Der Terraner handelte. Er nickte Deringhouse zu, der ihn vom Display des Kom-Armbands geradezu flehend anstarrte. »Einen Augenblick!« Der Terraner hob den Kopf, lächelte Mechter an, der vor mühsam unterdrückter Wut zitternd neben ihm stand, und sagte: »Verweser, wenn Sie die Güte hätten ...« Er zeigte auf die Sänfte und hoffte, dass der alte Tarka genug Menschenverstand besaß, um sein Lächeln zu durchschauen. Mechter tat es. Das wütende Glitzern in seinen Augen wurde zu einem Lauern. Der alte Tarka vergaß nicht, was auf dem Spiel stand. »Selbstverständlich, Großadministrator!« Der Verweser ließ die Kristallkuppel der Sänfte hochfahren. Er tat es ohne Hast, und Rhodan konnte nur hoffen, dass die Millionen von Tarkas in der Caldera ihr Botschaft richtig deuteten: kein Grund zur Aufregung. Es ist nichts. Der eigenmächtige Anruf eines Untergebenen zur Unzeit ...
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Die Kristallkuppel schloss sich. Damit standen Rhodan und er immer noch unter Beobachtung, aber wenigstens konnten sie frei sprechen. Rhodan holte tief Luft und sagte: »Deringhouse, noch einmal von vorne: Was ist los?« »Sie müssen sofort zur UGANDA zurückkehren, Sir!« »Wieso?« »Ein unbekannter Raumschiffsverband ist an der Peripherie des Systems aus dem Linearraum getreten. Insgesamt sind es elf Schiffe. Durchmesser der Einheiten laut den ersten Ergebnissen der Fernortung zwischen 750 und 1100 Metern. Der Verband reagiert nicht auf Funksprüche.« »Haben Sie einen technischen Defekt ausgeschlossen? Ein Missverständnis? Reginald Bull hat vor unserem Abflug darüber nachgedacht, einen zweiten Hilfskonvoi für Tarkalon zusammenzustellen. Er sollte aus gecharterten Schiffen bestehen. Vielleicht hat er schneller Spenden aufgetrieben als gedacht. Bully ist immer wieder für Überraschungen gut.« »Das ist mir bekannt.« Deringhouse schluckte. »Aber mit Verlaub, Sir, das halte ich für unwahrscheinlich. Der Verband hält direkten Kurs auf Tarkalon. Hohe Unterlichtfahrt. Wir müssen eine feindliche Absicht zumindest unterstellen und entsprechend handeln. Ich habe die KENIA II angewiesen, den unbekannten Verband abzufangen. Darüber hinaus habe ich Kontakt mit dem Oberkommando der Flotte aufgenommen und Verstärkung angefordert. Ein aus schweren und überschweren Einheiten bestehender Verband unter dem Kommando von Admiral Thomas LeMay ist auf dem Weg in das Tarkalon-System. Voraussichtliches Eintreffen in 132 Minuten, das des unbekannten Verbandes in 26 Minuten. Unter diesen Umständen halte ich es für verantwortungslos, wenn Sie weiter auf Tarkalon bleiben, Sir!« Deringhouse hatte recht. Flucht war das einzig Vernünftige. Doch ... Rhodan blickte auf. Der alte Tarka stand neben ihm
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und rang um seine Fassung. Noch dauerte die Dreimondnacht an. Wenn Rhodan jetzt Hals über Kopf vor unbe-. kannten Angreifern floh, was bedeutete das? Was bedeutete es für die Millionen, die draußen in der Dunkelheit warteten und zu ihm aufsahen? Was für die Unzähligen, die überall auf dieser geschundenen Welt täglich um ihr Überleben rangen? Rhodan räusperte sich. »Deringhouse, was Sie verlangen, ist unmöglich. Ich kann nicht davonrennen. Die Konsequenzen wären unabsehbar.« Und außerdem wusste Rhodan, dass er die Dreimondnacht, in der er unzählige Menschen, die auf ihn zählten, im Stich gelassen hatte, niemals würde vergessen können. Aber er behielt es für sich. Deringhouse nickte unnatürlich langsam, als erschüttere ihn Rhodans Antwort. Schließlich straffte er sich. »Ist das Ihr letztes Wort, Sir?« »Ja.« Deringhouse wandte sich ab und bellte einen Befehl, den Rhodan nicht verstehen konnte. Dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu. »Sir, ich muss Sie davon unterrichten, dass ich Ihre Wünsche nicht gelten lassen kann. Sie sind der Großadministrator des Vereinten Imperiums. Ich bin Soldat, es ist meine Pflicht, Ihr Leben um jeden Preis zu schützen.« »Was wollen Sie damit sagen, Deringhouse?« »Ich lasse eine Space-Jet ausschleusen, Sie wird in Kürze bei Ihnen eintreffen. Ich appelliere an Sie, Sir, keinen Widerstand gegen die Soldaten zu leisten, die Sie an Bord nehmen werden. Sie kommen nur Ihrer Pflicht nach, genauso, wie ich es tue.« »Deringhouse, Sie ...!« Rhodan brach ab. Vor sich auf dem Display erblickte er einen Carl Deringhouse, wie er ihn noch nie gesehen hatte: einen Mann, von dem im Augenblick der Bewährung alle Zweifel abgefallen waren. Einen Mann, der alles tun würde, um das zu erfüllen, was er für seine Pflicht hielt.
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»Sir, entschuldigen Sie mich jetzt bitte. Die Startvorbereitungen der UGANDA benötigen meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir werden die SpaceJet einschleusen, sobald wir die Atmosphäre Tarkalons hinter uns gelassen haben.« Das Display erlosch. Carl Deringhouse hatte die Verbindung unterbrochen. »Deringhouse!«, brüllte Rhodan. »Deringhouse! Sie werden unverzüglich ...« Er verstummte, als ihm aufging, wie sinnlos sein Gebrüll war, wie sehr er sich vor dem alten Tarka und vor den Millionen Tarkas in der Caldera bloßstellte. Er wandte sich an den Verweser. »Ich bitte Sie um Verzeihung. Deringhouse meint es nur gut.« Der alte Tarka hob die Hand. »Sie brauchen sich nicht für ihn zu entschuldigen. Er ist ein bemerkenswerter Mann. Ich wünschte, ich hätte welche wie ihn zur Verfügung.« »Von mir aus können Sie ihn haben, sobald das hier vorbei ist.« Rhodans Kom-Armband summte erneut. Der Anruf kam von der UGANDA, aber es war nicht Deringhouse, der ihn initiiert hatte, es war die Positronik des Schiffs. Sie überspielte Rhodan Orterdaten in Echtzeit. Anfangs blieb das Display schwarz. Dann erschienen Punkte auf ihm. Elf in einer Gruppe, der unbekannte Verband, und ein einzelner, der ihr entgegenstrebte — es war die KENIA II. »Hier Kreuzer KENIA II des Vereinten Imperiums«, hörte er die Stimme des Kommandanten, der die Unbekannten anrief. »Captain Tano Hikasha. Ich bitte um Kontaktaufnahme.« Hikasha wiederholte seinen Funkspruch mehrmals, während sich der Abstand zwischen der KENIA II und den Unbekannten zusehends verkürzte. Der Kreuzer näherte sich den Unbekannten in einem spitzen Winkel, um seine Fahrt anzupassen und längsseits zu gehen. Der Verband antwortete nicht, ließ den terranischen Kreuzer aber herankommen: Und dann, als die KENIA II die Unbekannten beinahe erreicht hatte,
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flammte ihr Orterbild auf wie eine Sonne, die zur Nova wurde. »Ihr Schiff«, rief der alte Tarka, der unmittelbar neben Rhodan getreten war, um in das Display zu sehen. »Diese Fremden haben es abgeschossen! Sie ...« Rhodans Kom-Armband piepste. Der Kopf von Deringhouse erschien, verdrängte den jetzt zusehends kleiner werdenden und verblassenden Orterpunkt. »Sir, die KENIA II wurde vernichtet.« Deringhouse traf die Feststellung ohne erkennbare Regung. »Unmittelbar vor ihrer Zerstörung konnte sie noch Orterdaten übermitteln. Sie sind eindeutig. Bei den Angreifern handelt es sich um Posbis.« Rhodan schluckte ein Unmöglich! hinunter. Noch vor wenigen Jahrzehnten hatten die Terraner und die positronischbiologischen Roboter einander gnadenlos bekämpft. Aber dann war es Rhodan gelungen, die Hass-Schaltung auf der Hundertsonnenwelt, der Heimat der Posbis, zu zerstören und ihre Raserei zu stoppen. Seitdem' war mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, und die dankbaren Posbis hatten sich als die treuesten Verbündeten erwiesen, die Terra jemals zur Seite gestanden waren. »Irrtum ausgeschlossen?«, fragte Rhodan. »Ausgeschlossen, Sir! Sehen Sie.« Deringhouse blendete eine Nahaufnahme eines Angreiferschiffs ein. Es war ein unförmiger Klumpen, der aus Funden von allen Schrottplätzen der Milchstraße zusammengefügt schien. Ein Fragmentschiff der Posbis, kein Zweifel. »Sir, ich habe der TANSANIA die sofortige Flucht befohlen.« Die TANSANIA war der zweite Kreuzer von Rhodans Verband, der am Rand des Tarkalon-Systems Patrouille flog. Der Zufall hatte es gewollt, dass die PosbiRaumer am anderen Ende des Systems aus dem Linearraum getreten waren. Die TANSANIA hätte ansonsten das Schicksal der KENIA II geteilt. »Die positronische Auswertung belegt, dass ein Eingreifen des Schiffs das Eintreffen der Posbis über Tarkalon um maximal neun Minuten verzögern würde.«.
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Deringhouse schwieg, als wolle er Rhodan Gelegenheit zum Widerspruch geben. Dieser kam nicht. Deringhouse handelte richtig. Es wäre ein Verbrechen 'gewesen, die Besatzung der TANSANIA in einen aussichtslosen Kampf zu schicken. »Sir«, fuhr Deringhouse fort. »Die Startvorbereitungen auf der UGANDA sind beinahe abgeschlossen. Unser Start .erfolgt in vier Minuten. Das wird genügen, um den Posbis zu entkommen.« »Was ist mit den Frachtern?«, fragte Rhodan. »Ich habe angeordnet, sie aufzugeben. Die Schiffe sind zu schwerfällig, als dass sie rechtzeitig fliehen könnten. Ihre Mannschaften verlassen die Schiffe in Rettungsboten und Gleitern und verstreuen sich auf Tarkalon. Das dürfte ihre Verluste minimieren, sollten die Posbis den Planeten angreifen - und davon müssen wir ausgehen.« »Gut gemacht, Deringhouse!«, sagte Rhodan. Deringhouse, der für gewöhnlich bei jedem Lob rot anlief, nahm es ungerührt zur Kenntnis. »Sir, die Space-Jet trifft jeden Augenblick bei Ihnen ein. Sie müssten das Schiff bereits mit dem bloßen Auge erkennen können ...« Rhodan und Mechter schauten in die Richtung, in der sie die Stadt Tarkal und das Landefeld wussten. Gleich darauf erblickten sie das Schiff: einen Diskusraumer, der sich mit einer Langsamkeit näherte, die Rhodan als entnervend empfand. »Der Pilot ist vorsichtig«, wandte der Terraner sich an Mechter. »Er versucht, eine Panik unter den Menschen zu vermeiden.« »Ich hoffe, es gelingt ihm«, antwortete der Tarka. Er war bleich, Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Seine Gedanken mussten sich überschlagen. Im Augenblick geschah, was unter keinen Umständen hatte geschehen dürfen: Die Dreimondnacht wurde gestört. Noch ahnten die Menschen um sie nicht, was sich in ihrem Sonnensystem abspielte, aber selbst dem Begriffsstutzigsten unter ihnen
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musste mit dem Erscheinen der Space-Jet klar werden, dass etwas Gewichtiges vor sich ging. Wie würden sie reagieren, wenn Rhodan floh, vielleicht sogar zusammen mit ihrem Verweser? Wie, wenn sie erfuhren, dass ihr Planet angegriffen wurde? Wie, wenn sie erkannten, dass es für sie keine Flucht geben würde? Rhodan verfolgte den Flug der Space-Jet. Er war dank der Antigravtriebwerke lautlos. Der Pilot hatte die Vorwärtsbewegung beinahe abgestoppt und ließ das Diskusraumschiff schräg in die Höhe steigen, um es schließlich von dort in die Mitte der Caldera sinken zu lassen. Die Jet, ein undeutlicher Umriss in der Dunkelheit der Dreimondnacht, erreichte den höchsten Punkt ihrer Bahn. Und dann ging die Nacht zu Ende. Unvermittelt stand ein Energiestrahl in der Luft, eine Schneise aus gleißendem Licht, deren Ausgangspunkt in der Stadt Tarkal lag — und deren Ziel die Space-Jet war. Ein Glutball entstand am Himmel. Er zeichnete die Form der Space-Jet nach, war aber um einiges größer: der Schutzschirm des Schiffes, "der bis zum Einschlag des Energiestrahls unsichtbar geblieben war. Jetzt leuchtete der Schirm auf, als er die auftreffenden Energien absorbierte. Millionen von Tarkas schrien auf, hielten schützend die Hände oder Plastikstreifen vor die Augen, um sich vor dem plötzlichen Aufglühen zu schützen. Der Pilot der Jet ließ sich nicht beeindrucken. Als ginge ihn der Energiestrahl nichts an, leitete er gemächlich den Sinkflug ein. »Nein!«, brüllte Rhodan in das KomArmband. »Nicht! Deringhouse, sagen Sie dem Piloten, er soll abdrehen. Er .;.« Es war zu spät. Plötzlich standen weitere Energiestrahlen in der Luft, brandeten gegen den Schirm der Jet an. Der Schirm verfärbte sich, warf Blasen, aber er hielt. Ein rotes Aufblitzen zeigte Rhodan an, dass der Pilot die Impulstriebwerke aktivierte, um die Jet aus dem Kreuzfeuer
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zu holen, doch da flammten bereits neue Energiebahnen auf. Der Schirm brach zusammen. Die Jet zerplatzte. 10. Frühjahr 2167 Der Mann nannte sich Fesk, und Tanisha hatte furchtbare Angst vor ihm, auch dann noch, als seine Finger ihre Kehle freigaben. »Reden wir!«, sagte er. Tanisha sank nach Luft schnappend neben das Bett, in dem Grishen schlief. Fesk ging in den Schneidersitz und sah auf sie herab. »Du bist Teleporterin?«, fragte er. . »Ja ...«, antwortete sie und korrigierte sich hastig: »Nein.« »Was heißt das? Bist du eine oder bist du keine?« Fesk blinzelte hektisch. Er tat es die meiste Zeit, als habe er ständig eine Mücke im Auge und wollte sie loswerden. Es war beinahe alles, was Tanisha über ihn wusste. Fesk war vor einem Monat zu den Minenhunden gestoßen. Er hatte niemandem erzählt, woher er kam oder wieso er zu den Minenhunden gehören wollte, und niemand hatte ihn gefragt. Wer erzählen wollte, erzählte. Wer nicht, ließ es sein. »Ich springe, aber nicht wie ein echter Teleporter«, sagte Tanisha. »Ein echter Teleporter stellt sich den Ort vor, an den er springen will. Ich nicht. Ich stelle mir einen Menschen vor. Wo der Mensch gerade ist, komme ich heraus.« »Wie stellst du dieses Springen an?« »Ich weiß es nicht. Ich kann es einfach.« »Du hast diese Fähigkeit jenseits der Grenze bekommen?« Tanisha dachte nach. Nein. Nichts und niemand hatte ihren Geist an dem Tag berührt, an dem Tante Run gestorben war. Die Gabe war die ihre. Die Verzweiflung hatte sie zutage gebracht, das war alles. »Nein«, antwortete sie. Zu ihrer Überraschung gab sich Fesk damit zufrieden. »Erzähl mir, wie du es tust!«, forderte er sie auf.
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»Ich ... ich mache die Augen zu und stelle mir die Person vor, zu der ich springen will. Einen Moment später bin ich bei ihr.« Fesk strich sich langsam über die Haare. Sie waren lockig und wollten nicht zu seinem bedrohlichen Ernst passen. »Dann reicht dir also ein Bild?« Tanisha schüttelte den Kopf. »Nein, ich muss den Menschen in Wirklichkeit sehen. Und ...« Sie brach ab. Was tat sie eigentlich? Wieso erzählte sie Fesk alles über ihre Gabe, die sie bislang tunlichst für sich behalten hatte? Sie konnte ihn ebenso gut anlügen, oder nicht? »Und was?«, bohrte Fesk. Tanisha sah zu ihrem Bruder. Er lag so friedlich da, als wäre er noch ein Kind. Manchmal, wenn Tanisha nachts von einem Sprung zurückkam, saß sie noch lange neben ihrem Stiefbruder und sah ihn an. Nein, sie durfte nicht lügen. Grishen durfte niemals etwas geschehen -und sie wusste nicht, was Fesk über ihre Gabe wusste. Vielleicht wusste er schon alles und stellte ihr die Fragen, um herauszufinden, ob sie log. Er hatte immerhin genug gewusst, um sie abzufangen -und zu wissen, wie er sie erpressen konnte. »Das Sehen allein reicht nicht«, hörte sie sich sagen. »Ich muss die Person berührt haben. Erst dann ist sie eine Boje.« »Boje. Nennst du so die Leute, zu denen du springen kannst?« »Ja.« »Wieso musst du eine Boje berührt haben, damit es funktioniert?« »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es sonst nicht geht.« »Wie weit kannst du springen?« »Weit.« »Was war die längste Strecke, die du je gesprungen bist?« »Zur anderen Seite von Tarkalon. Die Boje fuhr auf einem Frachtschiff mit, sie hatte als Seemann angeheuert.« Fesk schwieg für einige Augenblicke, blinzelte noch hektischer. Tanisha kam es vor, als verarbeitete er, was sie ihm gesagt hatte, als entwerfe er einen Plan. Der Gedanke machte sie elend.
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»Kannst du etwas mit dir tragen, wenn du springst?« Sie dachte an die vielen Waffen, die sie aus dem Zeltlager des Verwesers gestohlen hatte. »Ja.« »Auch mehrere Sachen? Schwere Sachen?« »Ja.« »Auch einen Menschen?« »Ich glaube schon.« Fesk strich sich zufrieden durch die Locken. »Und das ist alles, was du kannst?« »Ja. Was soll sonst noch sein?« »Das genügt für den Augenblick.« Fesk stand auf. »Verhalte dich wie üblich. Ich bringe dir beizeiten unsere Instruktionen.« Er wandte sich ab, aber an der Türschwelle wandte er sich noch einmal um und zeigte auf Grishen. »Was für einen tiefen, friedlichen Schlaf dein Bruder hat. Hoffen wir, dass es für ihn nie ein böses Erwachen gibt, was?« Fesk ging. Tanisha blieb zurück, allein mit ihrem Bruder, den sie so sehr liebte, allein mit den Gedanken, die sich in ihrem Kopf überschlugen. Wir. Fesk hatte »wir« gesagt. Wer steckte dahinter? Tante Run hätte es gewusst. Sie hatte sich immer darüber beklagt, dass es auf Tarkal mehr politische Splittergruppen gäbe als Tarkas. Tanisha war sich nicht sicher, was das zu bedeuten hatte, aber sie hatte nicht vergessen, dass Tante Run immer über jede dieser Gruppen Bescheid gewusst hatte. Sie hätte Fesk auf den ersten Blick durchschaut. Sie hätte sofort gewusst, was zu tun war. Sie hätte sich nicht erpressen lassen. Aber Tante Run war tot. Sie konnte Tanisha nicht helfen. Niemand konnte es. Was wollten diese Leute von ihr? Wie kamen sie ausgerechnet auf sie? Und: Was konnte sie nur tun? Sie fand keine Antworten. * Tanisha flüchtete sich in die Ferne. Sie sprang von einem Ende Tarkalons zum anderen, von Boje zu Boje, in der
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Hoffnung, die Last abzuschütteln, die sie zu erdrücken drohte. Manchmal, wenn ihr nach dem zwanzigsten oder dreißigsten Sprung vor Erschöpfung und Anstrengung der Schädel zu platzen drohte, schien es ihr zu gelingen. Sie verkroch sich irgendwo, wo sie ungestört blieb - in einem alten Bunker, in der Wüste, auf einer Bergspitze - und stellte sich vor, dass sie einfach abhaute. Dass sie nie wieder zurück nach Hause käme. Sie würde niemals erfahren, was aus Grishen geworden war, aus Kell, aus ihrer Mutter. In ihren Gedanken würden sie weiterleben. Tante Run hatte einmal von einem Baum erzählt, der im Wald umfällt. Wenn niemand den Baum umfallen sieht, ist es dann überhaupt geschehen? Die Vorstellung hielt nie lange. An Grishen, Kell und ihre Mutter zu denken hieß, ihre Bilder heraufzubeschwören. Und sie zu sehen versetzte ihr einen Stich ins Herz, der Tanisha ihre Erschöpfung, ihren Schmerz und ihre wilden Fantasien schlagartig vergessen ließ. Tanisha blieb im Lager und hängte sich an Grishen. Ihr Stiefbruder hielt es einen Tag lang aus, dann verscheuchte er sie. Er war jetzt ein Mann, ein Minensucher, der jeden Tag dem Tod jenseits der Grenze ins Auge blickte. Ein Kind, das an ihm hing wie eine Klette, passte nicht in dieses Bild. Die Anderen würden ihn auslachen. Tanisha hängte sich an Kell. Anfangs mit größerem Erfolg. Kell versuchte nicht, sie mit blöden Bemerkungen zu verscheuchen. Aber dafür tat er etwas Schlimmeres: Er schenkte Tanisha keine Beachtung. Kell tat es nicht aus Böswilligkeit, er war einfach zu beschäftigt. In seiner Hand lag der Tagesablauf des Lagers, und mit der Dreimondnacht, die mit jedem Tag näher rückte, wurden die Minenhunde unruhig. Minenhunde stritten miteinander, manchmal droschen sie aufeinander ein. Niemand wusste, was in der Dreimondnacht passieren würde, aber jeder erwartete, dass etwas geschehen würde. Tanisha ging zu ihrer Mutter. Sie war im Lazarett und verarztete gerade das Kind eines Schrottsammlers. Der Splitter einer
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Granate war ihm tief in die Ferse gedrungen. Tanisha setzte sich in eine Ecke - sie wusste, dass sie nicht stören durfte - und sah zu. Was sie sah, machte sie stolz. Es war, als beobachte sie nicht ihre unzufriedene Mutter, sondern einen anderen Menschen. Einen Menschen, der frei von den Sorgen war, die ihre Mutter erstickten. Einen Menschen, der nicht jeden Tag trinken musste, um sein Dasein zu ertragen. Einen Menschen, der auf seine Weise der toten Schwester in nichts nachstand. Oder war es nur, dass sie einen Blick darauf erhaschte, wie ihre Mutter wirklich war? Sie dachte daran, was gewesen wäre, hätte es sie, Tanisha, nicht gegeben. Ihr Vater hätte ihre Mutter nicht verlassen. Die Welt ihrer Mutter wäre nicht zusammengestürzt. Sie wäre auf der Erde geblieben, hätte nicht angefangen zu trinken und ... Es waren dumme Gedanken. Tanisha verscheuchte sie. Ihre Mutter war gut zu dem Kind. Sie schenkte ihm Süßigkeiten und machte Scherze, damit es nicht bemerkte, wie ihm geschah. Blut spritzte aus der Ferse, als ihre Mutter den Splitter herauszog, aber nur für einen Moment. Dann sprühte sie ein Heilplasma auf und wickelte einen Verband um die Ferse. »Das war's, Kleiner!«, sagte sie zu dem Kind und kniff es in den Arm. »In einer Woche rennst du wieder. Aber du passt auf, wohin du deine Füße setzt, in Ordnung? Ich will dich hier nicht wiedersehen!« Das Kind hüpfte auf einem Bein davon, gestützt auf Gehstöcke. Ihre Mutter wandte sich zu ihr und sagte: »Und was kann ich für dich tun, Süße?« »Ich ...« Tanisha heulte los. Sie konnte nicht anders. Ihre Mutter kam zu ihr, ging vor in die Knie. »Was ist dir Schlimmes passiert? Haben dich die anderen Kinder wieder geärgert?« Sie wollte ihre Tochter in die Arme nehmen, aber Tanisha sprang auf und rannte davon. Sie hätte die Berührung nicht ertragen.
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Fesk fand sie bei den Felsen in der Nähe des Lagers, zwischen die sich Tanisha geflüchtet hatte. Er hielt ihr ein Tuch hin, damit sie ihre Tränen trocknen konnte. Tanisha nahm es nicht. Fesk steckte es weg. Stattdessen zog er ein Foto aus der Tasche und zeigte es ihr. »Kennst du diesen Mann?« Was für eine dumme Frage. Natürlich kannte sie ihn. Jeder kannte ihn. Ihr Magen zog sich zu einem Klumpen zusammen. Es fühlte sich an, als hätte sie mit Grishen herumgetobt, und ihr Stiefbruder hätte ihr in den Bauch geboxt und sich mit der Kraft vertan. Sie nickte. »Wir wollen, dass du zu Perry Rhodan springst«, sagte Fesk. Tanisha dachte an ihre Tagträume. An das Mutantenkorps. Nichts hätte sie lieber getan, als zu Rhodan zu springen -wenn sie es wollte. Aber wenn Fesk es wollte ... niemals! »Das kann ich nicht«, sagte sie. »Ein Bild ist nicht genug. Ich habe es doch gesagt.« Fesk ließ sich nicht beirren. »Und ich habe es gehört. Du musst einen Umweg benutzen. Einen winzigen, er sollte dir keine Schwierigkeiten bereiten.« »Was soll ich tun?« »Spring zu den Wolkenreitern. Du reitest oft auf dem Geysir, niemand wird Verdacht schöpfen. Rhodan wird bei den Wolkenreitern sein.« Rhodan bei den Wolkenreitern? »Das glaube ich nicht«, begehrte sie auf. »Was soll Perry Rhodan bei diesen Jungen? Sie sind halbe Kinder.« Tanisha fiel nicht auf, wie merkwürdig die Bemerkung aus ihrem Munde klang. »Du kennst ihn schlecht, Kind. Rhodan ist nicht, wie du denkst. Er wird dort sein.« »Und dann?« »Du berührst ihn, machst ihn zu einer Boje.« »Das ist alles?« Fesk blinzelte hektisch. »Im Augenblick ja.« »Danach lässt du mich in Ruhe? Mich und Grishen und Kell und meine Mutter?«
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»Erledige deinen Auftrag, dann werden wir sehen.« Tanisha tat, was Fesk von ihr verlangte. Was blieb ihr sonst? Sie ging in ihr Zimmer, zog ihren Anzug an, beschwor das Bild Bentons, des Wolkenreiters, herauf, und im nächsten Augenblick war sie auf dem Platz des großen Geysirs in Tarkal und ... Perry Rhodan stand direkt vor ihr. Er wandte ihr den Rücken zu. Er war größer und schlanker als ein Tarka, seine Haare waren blond, und er trug einen grauen Anzug. Eigentlich unauffällig, aber in seiner Sauberkeit und Unversehrtheit eine Seltenheit auf Tarkalon. Rhodan unterhielt sich mit Benton. Tanisha münzte ihre Angst in Wut um. »Aus dem Weg!«, knurrte sie und stieß die beiden zur Seite. Sie ließen es sich gefallen. Benton, weil er Ruppigkeit von ihr gewohnt war. Rhodan, glaubte Tanisha, weil er zu überrascht war. Einige der Wellenreiter versuchten ihr den Weg zum Geysir zu verstellen. Tanisha ließ sich nicht aufhalten. Unbeirrt setzte sie ihren Weg fort und brachte sich über dem Loch des Geysirs in Position. Sie verschloss den Helm und wartete auf die Eruption, die in wenigen Sekunden kommen musste. Unwillkürlich blickte sie in Rhodans Richtung - und stellte fest, dass er zu ihr sah. Sein Blick erschütterte sie. In Rhodans Augen las sie Sorge, Weisheit - und dass er sie, Tanisha Khabir, als etwas Besonderes erkannt hatte. Als besäße er einen sechsten Sinn dafür, Menschen mit einer Gabe zu erkennen. Ein Gurgeln drang aus dem Loch unter ihr, gefolgt von dem kochenden Wasserstrahl, der sie in die Höhe trug. Es war ein ungewöhnlich starker Strahl, er trug sie so hoch wie nie zuvor. Am Scheitelpunkt setzte das Gefühl von Freiheit ein, das sie immer wieder zu den Wolkenreitern getrieben hatte. Sie schwebte im Dunst einer Wolke, allein, unbeschwert, in ihrer eigenen kleinen Welt.
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Dann stürzte Tanisha, und die Schwere kehrte zurück. Als sie Tarkal entgegen fiel, kam ihr ein neuer Gedanke: Was, wenn sie sich einfach fallen ließe? Was konnte Fesk ihr dann noch anhaben? Nichts!, war die Antwort. Aber Fesk würde Rache nehmen. Tanisha spürte es. Kurz bevor sie auf dem Boden aufschlug, sprang sie nach Hause, zu Grishen. Ihr Stiefbruder, der neben einem Haufen Waffenschrott im Schatten döste, schlug nur kurz die Augen auf. Er war es gewohnt, dass Tanisha in unmöglichen Momenten neben ihm auftauchte. Tanisha legte sich zu ihm, ohne ihren Anzug auszuziehen. Sie war so müde wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie träumte von Tante Run. Wie sie vor ihr gelegen hatte, mit ihrer zerschnittenen Brust und den gebrochenen Augen. Sie träumte von Grishen, von Kell und von ihrer Mutter. Sie waren tot, ihre Glieder zerschmettert, und Fesk stand über ihnen mit einer langen Metallstange. Seine Augenlider hatten aufgehört zu flattern. Er sah so zufrieden aus, wie ein Mensch nur aussehen konnte. Sie träumte von Menschen, zu denen sie gesprungen war. Wütend starrten sie Tanisha an, als stünde sie im Begriff, ihnen eine unerhörte Gemeinheit anzutun. Und dann träumte sie von etwas anderem: Wärme. Einer lockenden Wärme, die sie anzog. Eingebettet in Trümmer, Berge von Schrott, wie sie die Sammler wegfuhren. Nur dass die Berge viel größer waren, als sie sie je gesehen hatte, und die Trümmer nicht lose aufeinanderlagen, sondern miteinander verbunden waren, eine Einheit bildeten und ... ... und Hände legten sich auf ihre Schultern, schüttelten sie und holten sie zurück in die Wirklichkeit. »Schwester, aufwachen!«, flüsterte Grishen. »Oder willst du etwa die Dreimondnacht verschlafen?« Ihr Stiefbruder war real, kein Traum, aber irgendwie wollte es Tanisha nicht gelingen, ihn richtig zu sehen. Das Bild in ihren Gedanken überlagerte ihn.
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»He, was guckst du so?«, fragte er. »Siehst du Gespenster?« Nein. Sie spürte sie. 11. 6. Juni 2167 Die Trümmer der zerplatzten Space-Jet prasselten auf die Caldera herab. Rhodan erinnerte es an Hagel; die Gewalt der Explosion hatte nichts weiter als glühende Partikel von dem Schiff übrig gelassen. Mechter sah dem tödlichen Hagel einige Augenblicke zu, dann betätigte der Verweser eine Schaltung und bellte einen Befehl. Generatoren fuhren hoch, hüllten die Sänfte und die Gleiter der Leibwächter in Schutzschirme ein. Die Schirme flammten auf, als der Trümmerhagel sie traf. Rhodan hörte gedämpfte Schläge, als kämen sie von weit her, und verfolgte in benommener Faszination, wie die glühenden Partikel wie Tropfen an den Schirmen hinabrannen. Dann kamen die Schreie. Tausende von Tarkas wurden von glühenden Trümmern getroffen. In ihrer Angst zogen sie die Köpfe ein, streckten sie Arme und Hände aus, um sich vor dem tödlichen Hagel zu schützen. Es war sinnlos. Die Trümmerpartikel brannten sich durch Hände und Arme, durch Köpfe und Körper. Wolken stiegen auf, als die Glut menschliches Fleisch und anschließend den Matsch am Boden der Caldera verdampfte. Als hätte jemand Steine in einen Teich geworfen, breiteten sich, von den Getroffenen ausgehend, menschliche Wellen in der Caldera aus, während Verzweifelte vergeblich versuchten, dem glühenden Tod zu entfliehen. Die Wellen erstarben nach wenigen Augenblicken. Es gab keinen Ausweg für die Menschen. Zu dicht gedrängt standen sie, zu steil waren die Wände der Caldera, zu eng die Pfade, die aus ihr hinausführten. Rhodan sah zu Mechter. Die Pupillen des alten Tarka waren geweitet, der Schweiß lief in Strömen von seiner Stirn, vermengte
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sich mit den Tränen, die über seine Wangen rannen. »Die Nertisten«, flüsterte er. »Die ganze Zeit über waren wir nur auf Hermon fixiert. Auf die Prophezeiung, auf den Berg Barrat, den ehemaligen Palast des verfluchten Nert. Wir haben nur die Vergangenheit im Auge gehabt - und die Nertisten haben die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen und sich in Tarkal breitgemacht ...« Der alte Tarka war erschüttert. Aber Rhodan mutete es an, dass den hartgesottenen Alten weniger der Anblick der Tausenden, die vor seinen Augen verbrannten, unter die Haut ging als die Wut über seine eigene Begriffsstutzigkeit. Rhodan aktivierte das Korn-Armband. »Deringhouse, wie ist die Lage?« Der Kopf des Offiziers erschien. Rhodan erwartete, dass ihn der Verlust der SpaceJet die Fassung gekostet hatte, aber er irrte sich. Deringhouse war ruhig und konzentriert - als ließe ihn jeder Rückschlag, den er einstecken musste, erstarken. »Impulsfeuer aus schweren, fahrbaren Geschützen, Sir. Es sind mindestens drei Dutzend. So viele haben geschossen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass noch weitere Geschütze auf ihren Einsatz warten. Tarkal ist groß, die Trümmerlandschaft eignet sich bestens für einen Guerillakrieg.« Rhodan nickte. »Ich teile Ihre Einschätzung. Wir alle haben die Nertisten unterschätzt.« Der Terraner holte tief Luft. »Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Ich befehle Ihnen, mit der UGANDA aus dem Tarkalon-System zu verschwinden, Deringhouse. Es gibt gar nichts, was Sie hier ausrichten könnten.« Deringhouses Antwort kam ohne Zögern. »Sir, ich muss mich Ihrem Befehl widersetzen.« »Wie bitte? Deringhouse, stellen Sie keinen Unsinn an. Sie ...« »Ich kann Sie nicht zurücklassen, Sir.« Deringhouse unterbrach die Verbindung. Von der Ebene drang ein mächtiges Grollen heran, ein fortgesetzter Donner.
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Die Sänfte schüttelte sich, als der Boden unter ihr erbebte. Rhodan wusste, was das bedeutete: Die UGANDA startete unter Einsatz ihrer Impulstriebwerke. Ein kluges Vorgehen, wie sich Rhodan eingestand. Die Impulstriebwerke verliehen dem Schiff selbst im Atmosphärenflug überragende Manövrierfähigkeit und nahezu blitzartiges Beschleunigungsvermögen. Und die Hitzeund Druckwelle, die es am Boden verursachte, würde zumindest einige der Nertisten-Geschütze zum Schweigen bringen. Einige. Als die mächtige Kugel des Kreuzers über dem Berg Barrat erschien, lag sie im Feuer von mehr Geschützen, als Rhodan zählen konnte. Doch der Schirm der UGANDA hielt, er war für weit höhere Belastungen ausgelegt. Als der Kreuzer den Rand der Caldera erreichte, fuhr Deringhouse die Impulstriebwerke herunter und schaltete auf Antigrav, um die Menschen unter sich nicht zu gefährden. Die UGANDA war ein imposanter Anblick. Sie schob sich vor die Tränen des Nert, die eben im Begriff standen, die Sonne' wieder freizugeben und verdeckte Sonne wie Monde. Der Schatten des Schiffs fiel auf die Caldera, schloss sich nahtlos an die Dreimondnacht an. Von Zeit zu Zeit zuckte ein Energiestrahl aus der stählernen Kugel der Stadt entgegen, aber es waren nur wenige und von vergleichsweise geringer Intensität. Deringhouse beschäftigte die Nertisten lediglich, bis er Rhodan geborgen hatte. Die UGANDA hätte die Aufständischen mit einem Feuerschlag auslöschen können, aber dann wäre von der Stadt Tarkal nur eine Suppe aus flüssigem Gestein geblieben. Rhodans Kom-Armband sprach an. »Wir gehen nieder, Sir«, sagte Deringhouse. »Machen Sie sich bereit zur Einschleusung. Wir ...« Der Offizier unterbrach sich, seine Augen weiteten sich, als er die Daten von einem Display ablas, das Rhodan verborgen blieb. »Großer Gott ... nein!«
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»Deringhouse, was ist los?« »Der Posbiverband ist eben in den Linearraum gegangen! Er ...« Deringhouse kam nicht weiter. Der Boden bäumte sich unter Rhodans Füßen auf. Der Terraner stürzte. Neben ihm ging fluchend der alte Tarka zu Boden. Rhodan verharrte an Ort und Stelle und beobachtete, wie sich aus dem Kraterrand der Caldera wie in Zeitlupe große Felsbrocken lösten und Schneisen in die Masse der Tarkas rissen. »Gravobeben«, hörte er Deringhouses Stimme aus dem Kom-Armband kommen. Sie hatte ihre Sicherheit wiedergewonnen. »Gegnerischer Verband ist wenige Lichtsekunden vor Tarkalon wieder aus dem Zwischenraum getreten. Die PosbiSchiffe schwärmen aus. Schirme sind aktiviert. Energieortung zeigt an, dass ihre Kraftwerke auf Volllast laufen. Das ist unzweifelhaft ein Angriff, Sir.« Ein Angriff, ja. Rhodan zog sich am Armaturenbrett der Sänfte wieder 'hoch. Aber wieso? Was wollten die Posbis auf Tarkalon? Hier gab es nichts, was für sie von Interesse sein konnte - nicht einmal nennenswerte Mengen organischen Lebens, das sie vernichten konnten, sollte ihre alte Hass-Schaltung wieder aufgeflackert sein. Auf Terra, Arkon oder Akon oder vielen anderen aufstrebenden Welten lebte ein Vielfaches von Menschen. »Eine weitere Ortung, Sir«, meldete Deringhouse. »Zwei Objekte in unmittelbarer Nähe des Planeten Tarkalon. Energiesignaturen atypisch für die PosbiSchiffe.« »Unsere Leute?«, fragte Rhodan wider besseres Wissen. Ihr Entsatz war noch eine Stunde entfernt - und er bestand nicht nur aus zwei Schiffen. »Unwahrscheinlich. Beobachtete Objekte sind klein, eines unter dreißig Meter Länge, das zweite unter hundert. Kleineres Objekt hat hohe Fahrt, ungefähr fünfzig Prozent Lichtgeschwindigkeit und entfernt sich wieder vom Planeten. Keine Anzeichen dafür, dass sie in den Kampf eingreifen.« »Funkkontakt?«
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»Negativ, Sir. Keine Reaktion.« Was hatten diese Schiffe zu bedeuten? Rhodan schob die Frage beiseite. Es musste sich um Ortungsfehler handeln, wie sie oft in Gefechtssituationen vorkamen. Die Positroniken arbeiteten mit gewohnter Präzision, aber die Nerven ihrer menschlichen Herren spielten verrückt und gaben den Ortungswerten die unverständlichsten Deutungen. Rhodan waren in Gefechten schon ganze Flotten gemeldet worden, die sich als Hirngespinste herausgestellt hatten. Und selbst wenn diese beiden Schiffe existieren sollten, griffen sie nicht an, und das war für den Moment alles, was zählte. Jetzt galt es zu retten, was zu retten war. »Deringhouse«, sagte Rhodan. »Es ist genug. Die Übermacht ist zu groß. Verschwinden Sie, solange Sie es noch können.« »Das ist unmöglich!« Deringhouse hielt seinem Blick stand. »Ich ... ich ...« Er brach mit einer ärgerlichen Handbewegung ab, als ihm nicht die richtigen Worte kommen wollten, und sagte: »Bitte grüßen Sie meinen Vater, Sir. Deringhouse, Ende!« Noch bevor das Display des KomArmbands erlosch, begann die UGANDA dem Berg Barrat entgegenzusinken. »Was hat er vor?«, fragte Mechter, der das Gespräch mitverfolgt hatte. »Ich dachte, er wollte Sie einschleusen. Wieso hat er sich dann verabschiedet?« Rhodan schüttelte den Kopf. »Deringhouse will uns schützen! Er lässt die UGANDA so weit absinken, dass die Caldera im Bereich ihres Schutzschirms liegt. Aber das ist Irrsinn! Er überdehnt den Schirm. Er ist viel zu schwach, um uns im Ernstfall zu schützen!« Wie um Rhodans Worte zu bestätigen, erneuerten die Nertisten ihren Angriff auf den Kreuzen Dutzende Strahlenbahnen rammten in den Schirm. Er hielt, aber er begann, erste Blasen unter der Belastung zu werfen. Die UGANDA sank tiefen Ihr Schutzschirm berührte die Schirme der Gleiterkolonne. Überschlagsblitze
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züngelten zwischen den fünfdimensionalen Feldern. Mit einem durchdringenden Surren fuhren die Generatoren der Gleiter hoch, lieferten sich einen aussichtslosen Wettkampf mit denen des Kriegsschiffs und verloren. Die Gleiter schüttelten sich, als ihre Generatoren durchbrannten. . »Ihr Offizier hat unsere Schirme ruiniert!«, schimpfte Mechter. Der alte Tarka war bleich geworden. »Ist er verr...« Rhodan schnitt ihm das Wort ab. »Nein, nur folgerichtig. Unsere Schirme boten nur eine Scheinsicherheit. Sie hätten einem Posbigeschütz keine Sekunde lang standgehalten.« »Als wenn sein Kreuzer besser da stünde !«, rief der Verweser. Der Terraner entgegnete nichts. Carls Vorgehen war eine Botschaft. Die UGANDA war der einzige Schutzwall, der Rhodan verblieben war. Sie musste bleiben, egal, was geschah. Rhodan konnte es nicht zulassen. Mit dem Daumen hieb er auf das Kom-Armband ein. »Deringhouse! Melden Sie sich, verdammt noch mal! Hauen Sie ab, hören Sie! Hauen Sie ab, das ist ein Befehl!« Deringhouse hörte nicht. Die UGANDA blieb ungerührt an Ort und Stelle -bis der Posbi kam. Der Fragmentraumer arbeitete sich das Himmelstal entlang, an dessen Mündung Tarkal lag, und bestrich den Talboden mit willkürlich wirkendem Feuer. Als der Posbi die UGANDA registrierte, stoppte er abrupt ab. Einige lange Augenblicke verharrte er an Ort und Stelle, als versuchten die positronisch-biologischen Gehirne der Posbis den widersinnigen Anblick zu verarbeiten, den ihre Instrumente lieferten: ein terranischer Kreuzer, regungslos im ihn behindernden Element einer planetaren Atmosphäre schwebend, unter Feuer vom Boden und mit einem überdehnten Schutzschirm. Der Fragmentraumer - er war mindestens von doppelter Größe wie die UGANDA nahm Fahrt auf. Einmal, zweimal, ein drittes Mal umkreiste er den terranischen Kreuzer, als genieße er es, seine Beute ausgiebig zu taxieren, bevor er sie erlegte.
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Rhodan verfolgte das Schauspiel schweigend. Er versuchte nicht mehr, Deringhouse anzurufen. Es war zu spät. Er würde geschehen, Was geschehen musste. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen - und wie eine Hand die seine griff. Es war die des alten Tarkas. Mechter wusste nicht viel von Raumschlachten, er kannte nur den Krieg am Boden, das eigenhändige, schmutzige Töten, aber er war zu klug, um das Schauspiel nicht zu erkennen, das sich vor seinen Augen abspielte. Er bot Rhodan die einzige Stütze an, die er zu bieten hatte: seinen Trost. Der Terraner erwiderte den Händedruck. Der Posbi griff an. Der Fragmentraumer schien aufzuglühen, als er eine Breitseite feuerte. Der Schirm der UGANDA hielt für einige Sekunden, gerade lange genug für Rhodan, um zu registrieren, dass Deringhouse dem unteren Teil des Schirms verstärkt Energie zuleitete, um ihn und die Tarkas zu schützen. Dann wölbte sich oberhalb des Ringwulsts eine in allen Farben des Regenbogen schillernde Blase auf und platzte. Mehrere Meter durchmessende Energiestrahlen stießen durch die Lücke und fraßen sich in den ungeschützten Rumpf der UGANDA. Ein Abschnitt des Ringwulsts detonierte. Die Explosion ließ ein tiefes, klaffendes Loch zurück, als hätte ein riesiger Hai ein Stück des Kreuzers abgebissen. Die UGANDA erbebte. Schleusentore öffneten sich, und Dutzende von Punkten lösten sich von dem Schiff. Es waren die Bei- und Rettungsboote der UGANDA. Sie kamen nicht weit. Eines nach dem anderen zerplatzten sie im Feuer des Fragmentraumers oder der NertistenGeschütze. Die UGANDA nahm Fahrt auf. Rhodan sah die verbliebenen Impulstriebwerke des Kreuzers ungleichmäßig aufflammen. Die Positronik der UGANDA musste ausgefallen sein. Jemand musste das Schiff in Manuellsteuerung fliegen. Die UGANDA schlingerte, dann stabilisierte sich ihr Flug, als ihr Pilot virtuos die Abweichungen korrigierte.
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Plötzlich erinnerte sich Rhodan an einen Abend vor zwei Jahren, in seiner Villa am Goshun-See. Er hatte ihn mit seinem alten Gefährten Conrad Deringhouse verbracht. Die Männer sahen einander nur selten, zu stark nahmen sie ihre Pflichten in Anspruch. Wie immer hatten sie in aller Offenheit geredet, sie kannten einander seit beinahe zwei Jahrhunderten und waren einen langen Weg miteinander gegangen. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander. Conrad hatte seine Sorgen über Carl geäußert. Wie wenig Carl aus sich mache, wie er immer wieder über seine eigene Befangenheit stolpere. Dass sie wieder einmal gestritten hätten und es ihm einfach nicht gelinge, zu Carl durchzudringen. Carl verwechsle seine Sorge als Vater mit einem Angriff. Dass er, Conrad, glaube, dass so viel mehr in seinem Sohn stecke. Und dann, als er Rhodan sein Leid geklagt hatte, hatte Conrad Deringhouse von Carls fliegerischen Fähigkeiten geschwärmt, was für ein großartiger Pilot er sei, er, wenn nötig, selbst einen rostigen Eimer fliegen könne... ... oder einen wrackgeschossenen Kreuzer. Rhodan wusste, wer die UGANDA steuerte - und er ahnte, wohin. »Carl!«, brüllte er in das Kom-Armband. »Carl, nein! Tu es nicht!« Carl Deringhouse hörte ihn nicht. Die UGANDA machte einen unmöglichen Sprung, nahezu im rechten Winkel zu ihrem bisherigen Kursvektor. Der Posbi, von der logischen Annahme ausgegangen, dass sein Gegner zu flüchten versuche, war zu überrascht, um rechtzeitig zu reagieren. Die UGANDA rammte in den Schirm des Fragmentraumers. In einem blendenden Blitz verdampfte das vordere Drittel des terranischen Kreuzers. Der Schirm des Posbis kollabierte. Mit einem fürchterlichen Knirschen bohrte sich die UGANDA in den Fragmentraumer. Der Posbi zerbrach. Taumelnd und sich überschlagend stürzten die beiden Hälften des Fragmentraumers und das, was von der UGANDA geblieben war, der Oberfläche entgegen.
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Das Gebirge verschluckte sie. Lichtblitze, gefolgt von Rauchwolken, schossen aus den Tälern in die Höhe, in denen sie zerschellten. Die Geschütze der Nertisten schwiegen, als die Rauchwolken immer höher stiegen und sich anschickten, in die oberen Schichten der Atmosphäre und um den ganzen Planeten getragen zu werden. Millionen Tarkas am Grund der Caldera schwiegen und fragten sich, was das Geschehen für sie bedeuten mochte. Rhodan und der alte Tarka schwiegen. Und dann machte es hinter ihrem Rücken plopp. 12. 6. Juni 2167 Tanisha Khabir war ein Kind, aber sie war Kind einer Welt, die von einem Krieg bestimmt wurde, der nur vorgeblich sein Ende gefunden hatte. Sie erkannte augenblicklich, was Fesk ihr im Schutz einiger Felsen außerhalb des Lagers gab: eine thermische Bombe. Zündete die Bombe, würde kurzzeitig eine Sonne aufflammen - und wer immer sich in ihrem Innern gefangen fand, verglühte zu Staub. Tanisha wog das metallene Ei in den Händen. Es war fabrikneu, kein aufgefrischter Blindgänger aus der ungeräumten Zone, wie sie auf Tarkalon an der Tagesordnung waren. »Was soll ich damit?«, fragte sie. Sie trug ihren Wolkenreiteranzug, von dem sie den Bauchpanzer abgenommen hatte. Auf diese Weise war er ihr nicht zu schwer, und sie konnte den Anzug als Stütze nutzen: ein Stück zu Hause, ihre eigene, kleine Welt, in der sie sich zumindest streckenweise selbst glauben machen konnte, alles wäre in Ordnung. »Du nimmst sie mit dir.« Fesks nervöses Blinzeln war verschwunden. Die Dreimondnacht stand bevor. Der Punkt, auf den er hin lebte. Es war, als Wolle er ihm ungestört ins Auge blicken. »Wohin?«, fragte Tanisha, obwohl sie die Antwort längst ahnte. Ihr wurde übel.
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»Zu Rhodan.« »Ihr wollt Rhodan töten?« Tanishas Knie wollten unter ihr nachgegeben. Ja, sie hatte die Antwort geahnt. Aber eine Ahnung war eine Sache, ein andere war es, die Antwort von Fesk zu bekommen. »Natürlich, was hast du gedacht?« Fesk wirkte aufrichtig enttäuscht. »Du hast eine große Klappe für ein Kind, aber offenbar ist nicht viel dahinter. Du wirst Rhodan für uns töten.« »Nein.« Tanisha ließ die Bombe fallen. »Nein, nein, nein!« Fesk ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ganz ruhig, Kind. Tu jetzt nichts Unüberlegtes. Denk an deinen Bruder, deine Mutter, Kell ... Du willst doch nicht, dass ihnen etwas geschieht?« Sie schüttelte den Kopf. »Siehst du? Ich verspreche dir, dass ihnen nichts passieren wird. Tu einfach, was ich dir sage, und alles wird gut.« Tanisha antwortete nicht. »Es ist nur ein Augenblick«, fuhr Fesk fort. »Ein Sprung wie jeder andere. Du springst hin, presst den Zünder, lässt die Bombe fallen und springst wieder zurück. Was immer danach geschieht, muss dich nicht kümmern. Du hast lediglich getan, was deine Pflicht war. Du hast die Deinen geschützt.« Tanisha dachte an Tante Runs Geschichte von dem umstürzenden Baum. Rhodan und unzählige andere Menschen würden in der Explosion verglühen. Und sie würde die Schuldige sein, ganz gleich, ob sie Zeuge ihres Todes. wurde oder nicht. Tanisha blickte auf. »Aber ihr könnt nicht Perry Rhodan töten!«, sagte sie. Sie dachte daran, was ihre Mutter über ihn erzählt hatte. Rhodan war kein gewöhnlicher Mensch. Er stand für die Menschheit. Er war, es, der die Menschheit geeint hatte, der verhindert hatte, dass sie sich wie die Tarkas gegenseitig zerfleischten, bis nur noch Trümmer blieben, vom 'Land wie von den Körpern und Seelen der .Menschen. Rhodan zu töten war undenkbar. »Wozu?«, fragte sie Fesk. »Wozu wollt ihr ihn töten? Er hat euch nichts getan.«
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»Er ist ein Symbol«, antwortete Fesk. Tanisha hatte erwartet, dass der Einwand ihn zumindest schwanken ließe. Aber Fesk war ungerührt. »Wir brauchen ein Symbol, um neu anzufangen. Nur dann wird Nert Hermon zurückkehren und uns wahren Frieden bringen.« »Aber was wollt ihr von Rhodan? Er hat nichts mit uns zu tun!« »Noch nicht. Doch das ändert sich in diesem Augenblick. Rhodan ist nach Tarkalon gekommen, zur Dreimondnacht. Er hat es aus freien Stücken getan. Er hat sein Schicksal mit dem unseren verbunden. Nun muss er den Weg, den er eingeschlagen hat, zu Ende gehen.« Fesk blinzelte heftig, als er es sagte. In Tanisha blitzte eine Erkenntnis auf: Fesks Bemerkung traf ebenso sehr auf ihn selbst wie auf Rhodan zu. Fesk würde nicht nachgeben. Er würde den Weg, den er eingeschlagen hatte, zu Ende gehen. Ganz gleich, wie hoch der Preis sein mochte. Fesk sah auf die Uhr. »Du hast noch zwei Stunden Zeit. Zünde die Bombe auf dem Höhepunkt der Dreimondnacht.« Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und stampfte zurück zum Lager der Minenhunde, ein Mann, der kurz ausgetreten war. Tanisha verfolgte, wie er sich im Lager zu einer Gruppe von Männern gesellte, die in ein Brettspiel vertieft waren. Nichts deutete darauf hin, dass Fesk etwas anderes war als ein Mensch, der bei den Minensuchern Gemeinschaft und eine Aufgabe suchte, für die es sich lohnte, das eigene Leben zu riskieren. Es war zu viel_ Sie konnte weder den Anblick des angeblich so arglosen Fesk ertragen, noch konnte sie sich vorstellen, ihrem Bruder, ihrer Mutter oder Kell unter die Augen zu treten. Ihre Knie, die eben noch durchgehalten hatten, würden nachgeben, und sie würde heulen und alles verraten, und Fesk würde tun, was er ihr angedroht hatte...
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Sie beschwor in Gedanken Bilder von Bojen herauf, griff sich willkürlich eine davon heraus und sprang. Ihr Sprung endete auf einem steilen Pfad, der sich die Kraterwand der Caldera auf dem Berg Barrat hinabwand. Schweiß von zahllosen Leibern empfing sie, Kälte, klare, dünne Luft, die sie über die Weite der Caldera und hinaus in die Ferne sehen ließ. Die Caldera war ein Meer aus Leibern. Einer von ihnen trat ihr in die Ferse. »He, kannst du nicht aufpassen?«, herrschte sie die Frau an, die einen Säugling vor den Bauch gebunden hatte, ihre Boje. Tanisha schnaubte und kehrte ihr demonstrativ den Rücken zu, noch bevor die Frau reagieren konnte. Im Gleichschritt der Menge stieg Tanisha den Pfad hinab. Niemand schenkte ihr Beachtung. Sie war nur eine von Millionen. Ihr schwarzes Haar, das sie als Terranerin verriet, ihr unerklärliches Auftauchen, das von Anderen beobachtet worden sein musste, ihr merkwürdiger Anzug kümmerten niemand. Die Menschen waren still und warteten darauf, was die Dreimondnacht bringen mochte. Nur das Schlurfen ihrer Schritte war zu hören, ihre keuchenden Atemzüge in der dünnen Luft und von Zeit zu Zeit das Poltern eines Steins, der sich unter dem Ansturm von Millionen Füßen gelöst hatte. Einige Zeit lang gelang es Tanisha in der Menge aufzugehen. Zu vergessen, weswegen sie gekommen war, das Gewicht der schweren Bombe in ihrer Tasche, die sie nach unten zog, sogar Fesks Blinzeln. Doch dann glitt eine Kolonne von Gleitern über den Kraterrand der Caldera, in der Mitte ein Fahrzeug, dessen Kanzel aus einer durchsichtigen Kuppel bestand. In der Kuppel saßen zwei Menschen, die sie kannte. Mechter, der Provisorische Verweser, dem sie oft gelauscht hatte, wenn er sich bemühte, den Menschen, Tarkalons Gutes zu tun. Und Rhodan -der Mensch, den sie töten sollte, töten musste. Tanisha scherte aus der Schlange der Marschierenden aus und kletterte auf einen
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Felsen, um ungehinderte Sicht auf Rhodan zu haben. Wider Erwarten war es nicht schwer, sich den Platz zu sichern. Die Menschen strebten nicht danach, Rhodan und den Verweser zu sehen, sondern ihnen so nahe wie möglich zu sein. Tanisha wartete. Die Menge wartete. Rhodan und der Verweser warteten. Rhodan schien Tanisha beinahe übermenschlich gelassen. Er unterhielt sich hin und wieder beiläufig mit dem Verweser, als stünde nicht die Dreimondnacht bevor, sondern er unternähme einen harmlosen Ausflug mit Mechter. Rhodan erinnerte Tanisha an Tante Run. Run war auch immer so gewesen, bevor sie in die ungeräumte Zone vorstieß. So ... mutig, ohne Aufheben darum zu machen. Ja, mutig, das war das richtige Wort. Genauso wie Perry Rhodan. Rhodan war auch mutig. Niemand hatte ihn gezwungen, nach Tarkalon zu kommen und sein Leben zu riskieren. Und doch hatte er es getan. Und sie, Tanisha Khabir, würde sein Leben beenden. * Die Dreimondnacht brach an. Dunkelheit senkte sich über die Caldera. Das einzige Licht blieb der Schein des Instrumentenbretts des Gleiters mit der transparenten Kuppel. Es war gerade hell genug, um Rhodan und den Verweser zu erahnen. Tanisha schloss die Augen und beschwor das Bild Rhodans herauf. Ihre Hände umschlossen die Bombe, ihr Daumen fand den Zünder. Jetzt! dachte sie. Tu es! Sie dachte an Grishen, ihre Mutter an Kell. Sie musste es tun. Für sie. Tanisha konzentrierte sich, und ... ... es piepste. Es war das Kom-Armband Rhodans. Das Piepsen hallte wie ein Donner durch die Caldera, erschütterte die Millionen, die sich an ihrem Grund versammelt hatten.
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Tanisha öffnete die Augen und sah einen Moment lang Rhodan, der sich über das Display seines Kom-Armbands beugte. Das Licht wirkte so hell wie das eines Scheinwerfers. Rhodan wirkte ärgerlich, aufgeregt - und schließlich betroffen. Was war los? Vielleicht war etwas geschehen, was alles veränderte. Was sie davon befreite, Rhodan töten zu müssen. Tanisha beschloss zu warten. Sie verfolgte, wie Rhodan ein hitziges Gespräch führte. Kein Laut drang durch die Kristallkuppel des Gleiters. Sie konzentrierte sich auf Rhodans Lippen, versuchte ihre Bewegungen zu lesen, als plötzlich die Wärme zurückkam. Sie explodierte in ihrem Bauch, drang in ihre Glieder, erfüllte sie zur Gänze. Sie war lockend, ein Gefühl, wie sie es nie zuvor verspürt hatte. Die Wärme barg sie. Tanisha gab sich ihr hin, verlor sich in ihr und... Plötzlich ertönte ein Donnern. Tanisha riss die Augen auf. Die Menschen in der Caldera hatten die Köpfe in den Nacken gelegt. Tanisha machte es ihnen nach und sah über der Caldera einen Feuerball zerplatzen. Glühende Trümmer schleuderten nach allen Seiten, regneten auf die Caldera herab. Menschen schrien auf, Menschen verbrannten, Menschen brannten. Ein Angriff? Ein Angriff von oben, aus dem Weltraum? Nein! Das Himmelstal. Grishen, ihre Mutter, Kell, die Minenhunde ... Sie musste zu ihnen! Tanisha dachte an Grishen. Das Bild ihres Bruders erschien in ihren Gedanken, verdrängte das der angreifenden Trümmerraumer. Sie konzentrierte sich und ... nichts. Sie kauerte noch immer auf dem Felsen am Rand der Caldera. Sie versuchte es ein zweites Mal; ein drittes. Nichts, nichts. Was war los? Grishen war immer für sie da. Immer. Und jetzt ... Sie musste zu ihm! Sie dachte an Kell, konzentrierte sich fest ... nichts.
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Ihre Mutter ... nichts. Tränen stiegen ihr in die Augen, liefen ihr über die Wangen. Sie musste zu ihnen. Sie musste, musste, musste. Da kam ihr ein Gedanke. Fesk. Sie dachte an den Mann mit dem nervösen Blinzeln, kämpfte ihren Widerwillen nieder; konzentrierte sich - und sprang. Rauch stieg ihr in die Nase, stach in ihrer Lunge. Sie hielt sich ein Tuch vor Mund und Nase und sah sich um. Fesk lag neben ihr, den. Oberkörper gegen das gestützt, was Tanisha als eine umgekippte Zugmaschine erkannte. In einer Hand hielt er einen Strahler, den Lauf auf sie gerichtet. Fesk musste nur abdrücken, um sie zu töten. Sie würde nicht schnell genug springen können. Aber es war merkwürdig, sie empfand keine Angst. Fesk wirkte so hilflos, so traurig. Fast empfand sie Mitleid mit ihm. »Was ist passiert?«, brüllte sie ihn an. »Sie sind tot«, antwortete er. Er sah sie aus geweiteten Augen an, die niemals zu blinzeln schienen. »Alle. Sie haben sie umgebracht.« Tanisha zog sich an der Zugmaschine hoch und blickte über ihren Rand. Sie konnte nicht viel erkennen. Nur Glut und Feuer und dichten schwarzen Rauch, in dem der Bach verschwand, an dessen Lauf die Minenhunde ihr Lager aufgeschlagen hatten. »Sie haben das Lager unter Feuer genommen. Ich ...« Fesk hustete nun schwer. »... niemand hat überlebt. Sie ...« »Wer sind sie?« »Ich weiß es nicht. Ein Schiff, glaube ich.« Fesk holte tief Luft, verzog dabei das Gesicht vor Schmerzen. Tanisha bemerkte, dass sein Brustkorb eingedrückt war. Unter dem Hemd rann ein Strom von Blut hervor und ergoss sich auf den Boden. »Es ging alles so schnell. Plötzlich waren nur noch Licht und Glut.« Sie ging neben ihm in die Knie. »Wieso lebst du noch?« »Ich bin aus dem Lager gefahren. Ich wollte die Dreimondnacht allein verbringen.« Fesk stieß auf. Ein Schwall Blut brach aus seinem Mund. »Ich wusste,
Die Trümmerwelt
dass die Dreimondnacht alles verändern würde. Ich wollte nicht mit Leuten sein, die. nicht verstehen würden. Ich ...« Er brach ab, als ihn die Kräfte verließen. Tanisha barg den Kopf in den Händen. Grishen tot. Ihre Mutter tot. Keil tot. Die Minenhunde tot. Tot, tot, tot. Was ...? »Hast du es getan?«, flüsterte Fesk. Er musste nicht aussprechen; was er meinte. »Nein.« Tränen traten in seine geweiteten Augen. »Wirst du es noch tun?« Tanisha überlegte. Nein. Niemals. Sie war frei. Fesk konnte sie nicht mehr zwingen. Niemand könnte sie mehr zu irgendetwas zwingen. Sie spürte eine Berührung. Fesk hatte den Strahler fallen lassen, seine Finger klammerten sich um ihr Handgelenk. »Wirst du es tun?« Tanisha dachte an Run. Wie sie blutend vor ihr gelegen hatte, ihren Arm umfasst hatte. Run hatte gewusst, dass sie starb. Aber Run hatte keine Angst gehabt, nicht, nachdem Tanisha ihr versprochen hatte, das zu tun, was Run selbst im Moment des Sterbens keine Ruhe gelassen hatte. Als sie an Run dachte, kehrte die merkwürdige Wärme in sie zurück - und mit ihr eine Sicherheit, wie sie sie nie gekannt hatte. Tanisha wusste, was sie zu tun hatte. Sie spürte es. Sie musste zu dieser Wärme. Tanisha hielt Fesks flehendem Blick stand. »Ja«, sagte sie. »Ich springe zu Rhodan.« Sie hielt die Bombe hoch. Fesk sagte nichts. Seine Augen verloren ihren Glanz, er blinzelte ein letztes Mal. Tanisha machte sich von den toten Fingern frei, die ihr Handgelenk umklammerten, drückte den Zünder der Bombe, ließ sie fallen und sprang. 13. Plopp ! Es war das merkwürdige Mädchen. Die Wolkenreiterin, die auf so merkwürdige Weise verschwunden war. Die schwarzhaarige Terranerin, die auf Tarkalon nichts zu suchen hatte.
Frank Borsch
Perry Rhodan 54
Das Mädchen, das insbesondere einen Schritt von Rhodan und Mechter entfernt nichts zu suchen hatte. Das Geräusch war noch nicht verklungen. als vier Dutzend Leibwächter herumgewirbelt waren und' auf das Kind angelegt hatten, das es wagte, dem Großadministrator und dem Provisorischen Verweser zu nahe zu treten. Eine falsche Bewegung und ... Der alte Tarka hob langsam die Hände, signalisierte den Leibwächtern, die Ruhe zu bewahren. Rhodan musterte das Mädchen im grellen Licht der von den Tränen des Nert wieder freigegebenen Sonne. Es vermischte sich mit grellen Blitzen, die aus den umliegenden Tälern drangen. Sie stammen von Geschützen, die orientierungslose Nertisten ins Geratewohl abfeuerten, und von Explosionen, die Trümmer der UGANDA und des Posbi-Raumers verursachten. Das Mädchen war ein Kind. Es stand in seinem Wolkenreiteranzug, einem Flickwerk aus einem halben Dutzend ehemaliger Kampfanzüge, verschmutzt und verschrammt. Ob das Ding im Leerraum funktionierte, wusste Rhodan nicht; zumindest sah es aber stabil aus. Ihre Augen und Wangen waren gerötet, als hätte sie tagelang geheult, und in ihrem Blick lag Trotz. Nein, korrigierte sich Rhodan, nicht kindlicher Trotz, sondern Entschlossenheit. Die Entschlossenheit eines Menschen, der alles verloren hatte, was für ihn von Bedeutung war, aber nicht bereit war, aufzugeben. Ein Mensch, der in
Die Trümmerwelt
der Stunde der Krise erkannte hatte, dass er frei war. »Was willst du?«, fragte Mechter das Mädchen. Seine Stimme klang weder herablassend noch feindselig, sondern respektvoll. »Ihn.« Die Kleine wies auf Perry Rhodan. »Wozu?« »Um mit ihm dorthin zu springen.« Das Mädchen zeigte nach Westen, wo sich am Horizont der alptraumhafte Umriss eines weiteren Posbi-Raumers abzeichnete. »Kannst du das?«, fragte der Verweser. »Ich glaube schon.« »Wieso?« »Ich spüre sie in mir. Die Wärme.« Schweigend sahen Rhodan und der alte Tarka dem sich nähernden Fragmentschiff entgegen. Sie widersprachen nicht. Dann flüsterte Mechter: »Gehen Sie, Großadministrator.« Und als Rhodan zum Widerspruch ansetzte, fügte er hinzu: »Sie haben für uns getan, was Ihnen möglich war.« Der Verweser wandte sich ab. Das Mädchen entfaltete den Helm seines Anzugs, trat auf Rhodan zu und nahm seine Hand. Der Griff war so fest wie der eines erwachsenen Manns. Rhodan entfaltete seinerseits den Helm. Das Letzte, was er sah, bevor das Mädchen mit ihm sprang, war ein alter Soldat, der drei Jahrzehnte Tyrannei; drei Jahrzehnte Krieg und ein Jahrzehnt Frieden überlebt hatte und nun seinem Schicksal entgegensah. Mechter tat es aufrecht. Er hatte lange auf diesen Augenblick gewartet.
ENDE Perry Rhodans Staatsbesuch auf Tarkalon endet in einem fürchterlichen Desaster, für das der Terraner allerdings nicht verantwortlich zu machen ist. Aus bisher unbekannten Gründen kommt es zu dem Gefecht über der Oberfläche des Planeten – und es sieht so aus, als gäbe es erneut ein Blutbad für die geschundene Trümmerwelt. Wie es auf Tarkalon und im Leerraum außerhalb des Planeten weitergeht, das zeigt der nächste Band von PERRY RHODAN-Action, der in zwei Wochen erscheint. Verfasst wurde der Roman von Marc A. Herren, und er trägt folgenden Titel: DIE PLASMA-PENDLERIN