Roy Palmer Die Toteninsel
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Roy Palmer Die Toteninsel
1. Eine steife Brise wehte an diesem Oktoberabend des Jahres 1578 von Südwesten her und strich durch die düsteren Gassen von Callao, griff nach dem eigentümlich geformten Schild über dem Eingang einer alten Kneipe und bewegte es. Quietschend schwang es hin und her. Das Licht, das von innen durch trübe Fensterscheiben auf die Katzenköpfe der Gasse fiel und nur noch ganz schwach die gegenüberliegenden, windschiefen Gebäude erreichte, genügt kaum, um seine Aufschrift entziffern zu können. Das Grölen und Fluchen von Männern und das Kreischen von Frauen drang, von den Klängen einer Gitarre untermalt, verschwommen ins Freie. Eine kleine Gruppe von Männer blieb vor der Kneipe stehen. Esteban Pereda, ein hochaufgeschossener, schlaksiger Seemann - der größte der vier - stellte sich auf Zehenspitzen, um das Eisenschild lesen zu können. »El Gabian Feroce - zur wilden Möwe. Und das Schild hat auch die Form eines Vogels. Originell, was? Was haltet ihr von einem Abstecher in diese üble Spelunke, Caballeros?« fragte er. Marcos Chocaito, ein Mann mit glattrasiertem, kantigen Gesicht und tiefliegenden Augen, erwiderte: »Nichts, wenn der Wirt sich einfallen läßt, uns gepanschten Wein vorzusetzen.« »Wenn er das tut, kriegt er eine Abreibung, die er nie wieder vergißt«, sagte Eloy Campoamor. Er besaß Schultern, breit wie ein Vorratsschapp, hatte eine Glatze, buschige Brauen, wulstige Lippen, mächtige Muskeln, die sich unter seiner Jacke spannten. 2
Antonio Savedra, Steuermann und Lotse der spanischen Transportgaleone ›San Pedrico‹, die im Hafenbecken von Callao festgemacht hatte, lächelte unter seinem dichten schwarzen Vollbart. »Esteban, ich schlage vor, du drehst dich um und schaust nach, ob unser gottverdammtes Schiff von hier aus noch zu erkennen ist.« »Nein.« »Dann sind wir goldrichtig. Weit genug weg, um nicht ewig den Anblick des verfluchten Kahns ertragen zu müssen, und doch immer noch nahe genug dran, um rechtzeitig zum Wachwechsel wieder an Bord zu gelangen.« Er schritt an ihnen vorbei und stieg die ausgetretenen Stufen, die zum Eingang der Kneipe führten, hinunter. Seine Begleiter drängten nach. Savedra stieß die Tür auf, und die laute, riechende, schwüle Atmosphäre schlug ihnen wie eine Woge entgegen. Sie steuerten durch Lärm, Rauch, Schweißgeruch, Wein- und Schnapsdunst geradewegs auf den breiten Holztresen in der rechten hinteren Hälfte des Schankraumes zu. Das Licht der Talglampen lag in einem aussichtslosen Kampf mit der nebligen Schicht, die sich von der durchhängenden Balkendecke bis auf die blankgewetzten Tischplatten hinabzog und wie zum Schneiden im Räume stand. Nur undeutlich war die massige Gestalt des Wirtes hinter dem Tresen zu erkennen. Er war ein grinsender Typ, der die stämmigen Arme aufgestützt hielt und sich mit ein paar Zechern unterhielt, während ein etwa zwölf Jahre alter Junge die Humpen der Gäste auffüllte. Die vier Männer von der ›San Pedrico‹ traten an den Tresen, platzierten sich zwischen den Zechern und schauten sich prüfend um. Mindestens zwei Dutzend Männer belagerten die Tische, und etwa zehn Frauenzimmer waren redlich darum bemüht, sie in Stimmung zu halten. In einer Nische hockte der Gitarrenspieler in Begleitung von gleich zwei Weiberröcken, die kicherten und immer wieder erfolglos danach trachteten, 3
irgendein Lied anzustimmen. An der Theke hielten sich weitere zehn Männer auf - vierzehn jetzt mit ihnen. Die Spelunke war brechend voll und drohte aus den Fugen zu platzen. Ein Volltrunkener taumelte gegen das Holzregal hinter dem Tresen, und die darauf befindlichen ausgestopften Möwen und anderen Seevögel begannen bedrohlich zu wackeln. Der Wirt rief etwas. Zwei Männer halfen ihm, den Betrunkenen ins Freie zu befördern. »Schlagseite«, sagte Chocano lakonisch. »Wenn er jetzt noch eine volle Breitseite verpaßt kriegt, ist er vollends hinüber«, meinte Pereda. »Verdammter Suff«, sagte Chocano und grinste. »Mir ist nach Saufen zumute«, versetzte Eloy Campoamor. »Mir ist nach Weibern zumute«, sagte Perede mit einem Blick auf die beiden Huren bei dem Gitarristen. Antonio Savedra hob die Hand. »Eins nach dem anderen, immer hübsch der Reihe nach.« Er winkte dem Zwölfjährigen zu und hatte Mühe, sich gegen den Stimmenlärm zu behaupten. »Wein!« rief er. »Rotwein, und zwar den besten, den du hast, Junge!« Der Junge bediente sie aus demselben Krug, aus dem er auch den anderen Zechern servierte. Savedra teilte die gefüllten Gläser aus, hob das seine und betrachtete es mit hochgezogenen Augenbrauen. Campoamors Stirn war bereits ebenfalls umwölkt. Alle vier nahmen einen Probeschluck. Der Glatzkopf prustete, spuckte den Wein auf den Boden und setzte seinen Humpen ab, daß es nur so knallte. Dann griff er mit seinen Pranken über den Tresen und angelte sich das Bürschchen. Er schickte sich an, ihm ein paar gepfefferte Ohrfeigen zu verpassen, doch Antonio Savedra hielt ihn im letzten Augenblick zurück. »Bist du verrückt, Mann?« »Zur Hölle, der Wein ist gepanscht!« 4
»Laß mich los«, jammerte der Junge. Eloy Campoamor dachte nicht daran, und es entstand Aufruhr um ihn, seine Begleiter und den Zwölfjährigen. Die Zecher murrten. Endlich erschien wieder die füllige Gestalt des Wirtes hinter dem Tresen. Er trat keuchend heran - ein schwitzender Mann mit glattem, rosigen Teint, kleinen Augen und fleischiger Nase. Savedra brachte Campoamor dazu, das Bürschchen loszulassen, dann beugte er sich vor und stoppte den Wirt, bevor dieser sich den Glatzkopf kaufen konnte. »Mein Freund ist ein bißchen hitzig, Amigo, aber nicht ungerecht.« »Hast du gesehen, was ich mit Störenfrieden tue?« entgegnete der Wirt aufgebracht. »Ja. Aber besser nicht mit meinem Freund Eloy.« »Ich schmeiß ihn ‘raus und dich gleich mit, Mann ...« »Du verhinderst eine Katastrophe, wenn du dich besinnst.« »Einen Dreck werde ich tun.« »Du fällst aus der Rolle.« »Ihr habt angefangen!« Antonio Savedra zog den Beleibten über die Tresenplatte an den Aufschlägen bis zu sich heran und sagte so leise, daß sein Gegenüber es gerade noch verstehen konnte: »Der Wein ist gepanscht, mein Freund, und wenn du uns vieren nicht sofort einen besseren Tropfen zu schmecken gibst, veranstalten wir hier einen Höllenzirkus, so wahr ich Savedra heiße und Steuermann und Lotse auf der ›San Pedrico‹ bin.« »Hast du ›San Pedrico‹ gesagt?« »Bist du taub?« Der Wirt leckte sich mit flinker Zunge die Lippen. »Miguel Casias ist mein Name, Senor. Warum habt ihr euch nicht gleich zu erkennen gegeben? Ich habe einen heiligen Respekt und die größte Hochachtung vor allen Männern, die unter der Flagge seiner Majestät, des Königs von Spanien, über die Weltmeere segeln und sich ...« 5
»Du trägst zu dick auf, Miguel. Die ›San Pedrico‹ ist eine müde Transport-Galeone.« »Ich lasse einen Tisch für euch freimachen.« »Das hört sich gut an, Miguel.« »Ich sorge dafür, daß euch ein vorzüglicher Rotwein aus meiner privaten Reserve vorgesetzt wird.« »Dein bester Tropfen, Miguel?« »Ich schwöre es.« »Das hört sich noch besser an.« Wenig später konnten Savedra, Chocano, Pereda und Campoamor an dem Tisch in der Nische Platz nehmen, der kurz vorher noch unumstrittenes Reich des Gitarristen und der beiden beschwipsten Mädchen gewesen war. Die drei hatten das Feld räumen müssen. Der Musikant zog nun von Tisch zu Tisch. Miguel Casias scheuchte die Mädchen mit ein paar hastigen Handbewegungen zu einer Gruppe von johlenden Männern. Schwielige Hände griffen nach den verführerisch wippenden Hüften, eine Pranke landete klatschend auf einem Hinterteil, und das Mädchen kreischte auf. Casias selbst brachte den irdenen Krug mit dem Rotwein an Savedras Tisch. Er schenkte ihn in saubere Humpen aus, füllte auch einen fünften und prostete ihnen zu. »Laßt uns die kleine Auseinandersetzung vergessen. Darf ich mich zu euch setzen?« Savedra schaute den Glatzkopf an. Der nippte an seinem Wein, gab einen schmatzenden, genießerischen Laut von sich und nickte bedächtig. Savedra grinste. »Eloy meint, der Tropfen sei wirklich gut. Er irrt sich nie.« Er wartete, bis sich der beleibte Mann gesetzt hatte und fuhr dann fort: »Jetzt mal ‘raus mit der Sprache, Miguel! Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir so hoch in deiner Gunst stehen, nur, weil wir auf der ›San Pedrico‹ fahren.« Er beugte sich vor und senkte wieder die Stimme. Sie klang plötzlich kalt und gefährlich. »Und noch etwas. Dein Name kommt mir bekannt vor.« 6
»Wir kennen uns, Savedra. Indirekt.« »Indirekt?« »Durch Julio Herrera« sagte der Wirt. Der Steuermann richtete sich ein Stück auf, ließ sich dann zurücksinken und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, den Blick unverwandt auf Casias gerichtet. Seine Augen besaßen einen solch frostigen Ausdruck, daß man meinen konnte, er hätte den Wirt am liebsten auf der Stelle erdolcht. Casias schwitzte, doch er hielt dem Blick stand. Schließlich entspannten sich Savedras Züge. »Also gut. Du scheinst mir ein ausgekochtes altes Schlitzohr zu sein, Miguel, aber wir können offen reden. Marcos, Esteban und Eloy sind meine - nun, meine Geschäftspartner.« »Verstehe.« Casias lächelte süßlich. »Wo steckt Herrera?« »Ich habe keine Ahnung.« »Julio Herrera hat die Geschäfte vermittelt, die wir von Bord unseres Schiffes aus betrieben haben, und du warst sein Abnehmer. Ich habe nie herausgekriegt, wo du wohnst, Amigo, aber dein Name wurde mir von Herrera mehrmals genannt.« Casias leckte sich wieder die Lippen und schaute sich hastig nach allen Seiten um, ob auch niemand lauschte. Erfuhr ein Außenstehender auch nur ansatzweise von dem dunklen Handel, den er betrieb, dann war er verraten und verkauft, denn man würde ihm die Guardia auf den Hals hetzen. »Herrera ist untergetaucht«, sagte er. »Hat Schwierigkeiten gekriegt. Ich versuche seit Tagen, irgendwie Kontakt mit dir aufzunehmen, Savedra, aber es ist mir nicht gelungen. Welch ein glücklicher Zufall also, daß ihr hier bei mir gelandet seid. Eine Fügung des Himmels!« »Er übertreibt wieder«, bemerkte Esteban Pereda spöttisch. Savedra trank und setzte seinen Humpen auf dem Tisch ab. »Du bist der gerissenste Hehler in ganz Callao und Umgebung, Miguel. Hätte wirklich nicht gedacht, daß du dich als der Wirt 7
dieser Spelunke entpuppst. Nun, da wir uns kennen, rück endlich mit der Sprache heraus. Was willst du? Mir ein Geschäft vorschlagen?« »Ja. Ohne Herrera.« »Das versteht sich. Aber es gibt da eine Widrigkeit.« Casias schenkte Wein nach. »Ich weiß. Die ›San Pedrico‹ läuft in den nächsten Tagen mit einer Silberladung nach Panama aus.« »Du bist gut informiert«, stellte Savedra fest. »Wir warten noch auf eine bestimmte Ladung aus Callao, dann gehen wir ankerauf, und unsere einträglichen Wege trennen sich.« Miguel Casias rutschte auf die Bank neben dem Steuermann und warf wieder einen huschenden Blick in den Schankraum, bevor er sprach. »Hör mir gut zu. Ich weiß, um was es sich bei der Ladung handelt, die ihr noch aufnehmen sollt. Ich habe einen Mittelsmann am Hof des Vizekönigs in Lima, und der hat mich informiert, daß in dieser Nacht ein Transport vom Hof des Vizekönigs nach Callao zu eurer Galeone auf den Weg geschickt wird. Deshalb habe ich ja so verzweifelt versucht, Verbindung mit dir aufzunehmen, aber alle Botschaften, die ich dir schicken wollte, konnten wegen der Bordwachen nicht zugestellt werden. Der Schatz im Frachtraum der ›San Pedrico‹ wird schärfstens behütet. Und Herrera, der als einziger Mittel und Wege kannte, dich zu erreichen ...« »Schön, das wissen wir jetzt«, unterbrach Savedra ungeduldig. »Zur Sache. Um was handelt es sich bei dem Transport aus Lima?« Casias sagte es fast ehrfürchtig: »Um den Privatschatz des Vizekönigs, ein Vermögen von unschätzbarem Wert. Inkaschmuck! Das Zeug reicht aus, sich für alle Zeiten gesundzustoßen, sag ich dir.« »Teufel auch«, versetzte Chocano. »Das ist ein Fang für uns«, fügte Pereda hinzu. Und der Glatzkopf Eloy Campoamor sagte: »Heute nacht? 8
Wann?« Antonio Savedra musterte den Wirt aus geröteten Augen. Casias sah, daß die Gier der vier Seeleute geweckt war. Absichtlich ließ er sie ein wenig zappeln, bevor er mit seinem Plan herausrückte. »Man muß den Transport überfallen. Jetzt, da ich euch als Verbündete an meiner Seite weiß, kann ich es riskieren. An wen sonst hätte ich mich wohl wenden können?« »Mach es nicht so spannend«, sagte Savedra. »Der Transport besteht aus zwei Schatztruhen, die ein Maultiergespann bringen wird. Man könnte sie auf eine Pinasse verladen und mit der Pinasse zu den Chincha-Inseln segeln. Die befinden sich südlich von Callao, wie euch sicher bekannt ist.« »Warum ausgerechnet zu den Chincha-Inseln?« fragte der Steuermann mißtrauisch. Casias grinste. »Sie gelten als verhext. Niemand außer uns wird es jemals wagen, seinen Fuß auf eine der Inseln zu setzen. Außerdem wird kein Mensch vermuten, daß jemand einen geraubten Schatz statt nach Norden nach Süden schafft. Im Norden liegt Panama, und über Panama gelangt man nach Spanien. Doch Süden, das ist, mit Verlaub gesagt, der Arsch der Welt, da hat man nichts von seinem Reichtum.« »Richtig«, sagte Esteban Pereda. »Da bin ich ganz deiner Meinung, Amigo Miguel. Auf den Chinchas können wir uns höchstens von der Sonne schmoren lassen und ein paar nackten Indianermädchen nachjagen, aber - angenommen, wir schnappen uns den Schatz - richtig auskosten können wir das neue, sorglose Leben nicht.« »Das hast du treffend ausgedrückt«, sagte Savedra. »Moment.« Casias hob beschwichtigend die Hände. »Es ist euch doch wohl klar, daß wir eine Menge Gras über die Geschichte wachsen lassen müssen, nicht wahr? Auf den Chincha-Inseln sind wir in Sicherheit. Hat sich die allgemeine 9
Aufregung erst gelegt, holen wir den Schatz ab und transportieren ihn auf heimlichen Wegen nach Norden. Ich kenne das Land wie meine Taschen und weiß über jeden Schleichpfad Bescheid.« Der Steuermann überlegte eine Weile, dann erklärte er: »Ich muß sagen, das klingt eigentlich ganz logisch.« »Ihr seid also dabei?« Casias Augen glänzten erwartungsvoll. Savedra fixierte ihn. »Ja. Aber Vorsicht, mein Freund. Laß dir nicht einfallen, uns übers Ohr zu hauen. Kriege ich heraus, daß du ein doppeltes Spiel mit uns treiben willst, lasse ich dir den Kopf abschneiden, klar?« »Klar. Ich bin ein ehrlicher Handelsmann, du wirst es sehen.« Eloy Campoamor räusperte sich. »Augenblick mal. Ich will wissen, wieso diese idiotischen Chincha-Inseln als verhext gelten. Ich meine, bevor wir uns auf das Vorhaben einlassen, müssen wir erfahren, ob was Wahres an dem Gerede der Leute dran ist ...« Casias vollführte eine wegwerfende Gebärde. »Unsinn, Caballero. Es handelt sich um eine alte Inka-Legende, nichts weiter. Du kannst beruhigt sein, die Inseln werden nur von Seevögeln bewohnt.« »Also doch keine Indianerweiber«, sagte Esteban Pereda und warf den ausgelassenen Huren im Schanckraum einen sehnsüchtigen Blick zu. Casias fuhr fort: »Die Inkas holten sich von den Inseln Dünger, Guano genannt, aber nur in den Zeiten, in denen die Vögel nicht brüteten. Während der Brutzeit wurde das Betreten der Inseln mit dem Tode bestraft, das war ein strenges Gesetz der Inkakönige. Wir Spanier meiden die Chinchas, weil es dort so stinkt, Guano hat einen einfach widerlichen Geruch.« »Und ausgerechnet dorthin sollen wir segeln?« sagte Marcos Chocano. »Das will mir einfach nicht in den Kopf.« »Narr«, erwiderte Savedra scharf. »Leuchtet dir denn nicht ein, daß die Inseln gerade deswegen 10
ein todsicherer Aufbewahrungsplatz für den Schatz des Vizekönigs sind?« »Mir schon«, sagte Pereda. »Mir auch«, versetzte Campoamor, dessen Geist sich aber immer noch mit dem Fluch beschäftigte, der auf dem kleinen Archipel lasten sollte. Chocano zuckte mit den Schultern und nickte dem Wortführer der Gruppe zu. Savedra wandte sich wieder an den Wirt des »Gabian Feroce«. »Wir sind bereit, den Transport zu überfallen, Amigo Miguel. Das Problem ist nur, eine geeignete Pinasse zu beschaffen.« Casias goß die Becher wieder voll. »Für den Fall, daß aus meinem Plan doch noch etwas wurde, habe ich Vorsorge getroffen. Die Pinasse liegt bereits an einem geheimen Landeplatz. Und nun hört gut zu, ich erkläre euch die letzten wichtigen Einzelheiten, vor allen Dingen über den Weg, den der Transport nimmt.« Wieder schaute Pereda zu den Frauen hinüber. Savedra bemerkte es und stieß ihn an. »Dazu ist jetzt keine Zeit mehr, Mann. Du mußt dich noch ein bißchen bezwingen - bis wir von den Chincha-Inseln zurück sind.«
2. Callao, das ursprünglich den Namen Ciudad de los Reyes getragen hatte, lag rund zehn Meilen südwestlich der Hauptstadt und Residenz des spanischen Vizekönigs, Lima, an der Bai von Callao. Im Süden erstreckte sich eine lange Halbinsel, und durch die vorgelagerte Insel San Lorenzo wurde Callao hervorragend gegen Wind und Wasser abgeschirmt. Die Reede galt als einer der sichersten Ankerplätze. Es war nach Mitternacht. Fast drei Stunden waren vergangen, seit der Steuermann und 11
Lotse Savedra und seine drei Begleiter die Spelunke des Miguel Casias betreten hatten. Sie hatten sich, geführt von dem beleibten Wirt, aus dem Haus gestohlen und sich in das flache Hügelland zwischen Callao und Lima begeben. Bewaldete Kuppen lagen zwischen ihnen und der Reede, auf der die ›San Pedrico‹ ankerte. Sie hatten sich in einem dichten Gebüsch unweit des Fahrweges versteckt. In ihrem Rücken befand sich ein Pinienhain, ein Streifen, nicht breiter als schätzungsweise eine Kabellänge. Durchquerte man ihn, so gelangte man über einen sanft abfallenden Hang und die Uferböschung an die winzige Bucht, in der Miguel Casias die Segelpinasse versteckt hatte. »An Bord werden sie nach uns suchen«, sagte Marcos Chocano leise. Pereda winkte ab. »Laß sie. Bis die auch nur eine Spur von uns haben, sind wir über alle Berge.« »Hoffentlich«, meinte Eloy Campoamor. »Ihr wißt, wie fuchsteufelswild der Capitan werden kann.« Savedra grinste. »Ja, und wenn er erst feststellt, daß auch der Schatzkisten-Transport auf sich warten läßt, und es herauskommt, daß er überfallen wurde, wird er vor Wut bis unter die Topwanten fahren. Schade, daß wir das nicht miterleben können. Adios, ›San Pedrico‹, verfluchter alter Kahn, uns siehst du nicht wieder!« Campoamor bedachte ihn mit einem argwöhnischen Seitenblick. »Ich an deiner Stelle würde nicht so große Töne spucken. Noch wissen wir nicht, ob das verfluchte Maultiergespann überhaupt kommt.« »Wie das?« Casias reckte den dicken Kopf. »Soll das heißen, daß du mir nicht vertraust?« »Vielleicht ist der Transport auf einen anderen Tag verlegt worden.« »Nein.« Der Wirt drehte sich zu ihm um, daß die Zweige knackten. »Den Einwand muß ich entschieden ablehnen. Meine 12
Informationen sind immer zuverlässig, und was den Mittelsmann am Hof des Vizekönigs betrifft, so besteht auch für ihn kein Grund ...« »Du sollst dich nicht so geschraubt ausdrücken«, sagte Chocano zischelnd. »Ruhe!« Antonio Savedra lag reglos und spähte angestrengt in die Nacht hinaus. »Ich habe etwas gehört, kann aber noch nichts sehen. Haltet eure Mäuler und macht euch bereit!« Sie waren mit Säbeln, Dolchen, Radschloßpistolen und Musketen bewaffnet. Savedra hatte die Anweisung gegeben, so geräuschlos wie möglich vorzugehen und nur im äußersten Bedarfsfall zu schießen. Das Krachen der Schüsse konnte gehört werden - möglicherweise sogar bis nach Callao hin, denn der Wind drehte. Fiel er von Norden ein, konnte der Kampfeslärm tatsächlich in der Hafenstadt zu vernehmen sein. Noch herrschte Stille. Savedra lauschte in die Nacht, und bald vernahmen es auch die Komplicen: das Knarren von Rädern, das Fluchen von Männern, das Knallen von Peitschen sowie jene eigentümlichen Laute, die nur eine Art von Zugtieren hervorbrachte - Maultiere. »Sie kommen«, raunte Miguel Casias. »Na, was habe ich gesagt?« »Ruhe!« fuhr der Steuermann ihn an. Von dem Transport war immer noch nichts zu erkennen, denn der Fahrweg war nach Nordosten hin abschüssig und entzog sich den Lauernden hinter einer Biegung. Die Maultiere hatten also eine Steigung zu bewältigen und gelangten mit ihrer Last nur langsam voran. Savedra und seine Begleiter nutzten die ihnen verbleibende Zeit. Sie krochen aus ihrer bisherigen Deckung und verteilten sich hinter Felsquadern, kleineren Buschgruppen und anderen Versteckmöglichkeiten, um der Straße näher zu sein. Schließlich hatten sie sich auf beide Ränder der Fahrbahn verteilt. Auf der zum Meer hin 13
reichenden Seite kauerten Savedra, Chocano und Pereda, landeinwärts lagen Campoamor und der Wirt auf Lauer. In der Kurve erschienen die Umrisse der zerrenden Maultiere, dann die Konturen des vierrädrigen Lastkarrens, vor den sie gespannt waren. Acht Tiere legten sich ins Zeug, um die Ladung voranzubringen, und der Kutscher hatte sich breitbeinig auf den Bock gestellt, schwang die Peitsche und trieb sie mit heiseren Rufen an. »Ho, ihr schlappen Biester! Voran, ihr nichtsnutzigen Mähren, ich werde euch Beine machen!« Je drei Wachsoldaten marschierten an jeder Flanke des Achtergespanns. Das fahle Mondlicht ließ ihre Helme matt glänzen. Sie trugen Musketen. Antonio Savedra sah ihre Gestalten auf sich zurücken und hörte das Knirschen ihrer schweren Schritte. Er preßte die Lippen zusammen. Sechs Transportbewacher! Bei aller Verwegenheit, das würde kein leichtes Stück sein! Savedra, der der Biegung am nächsten lag, ließ das Gespann an sich vorbei, ohne sich vom Fleck zu rühren. Er kauerte hinter einem Felsblock. Die drei Soldaten, die an seiner Seite vorüberzogen, bemerkten ihn nicht. Mit gezücktem Messer glitt der schwarzbärtige Steuermann aus seinem Versteck hervor. Den Säbel trug er in der Scheide, die Radschloßpistole steckte in seinem Hosenbund. Einen Moment schlich er hinter dem Heck des Karrens her. Er gab Campoamor und dem feisten Wirt ein Handzeichen. Dann sprang er mit einem Satz vor, packte den letzten Bewacher von hinten und preßte ihm die linke Hand vor den Mund. Er stieß ihm den Dolch zwischen die Rippen, wartete sein Zucken ab, ließ ihn zu Boden gleiten und sprang den nächsten Soldaten an. In diesem Augenblick erhoben sich auch Chocano und Pereda aus ihren Deckungen. Während drüben der Glatzkopf und der Wirt am Werk waren, metzelten sie auf dieser Seite den vordersten Soldaten nieder. Savedra hatte inzwischen dem 14
mittleren Mann das Messer zu schmecken gegeben. Der Überfall erfolgte so überraschend, daß auch dieser ohne Gegenwehr zu Boden ging und seinen Geist aufgab. Der Kutscher schrie auf. Er hatte gesehen, was geschehen war. Wie wild drosch er auf die Rücken der Maultiere ein. Doch sie liefen nicht schneller. Er riß eine Pistole aus dem Gurt, aber Marcos Chocano erklomm den Kutschbock, entriß sie ihm und stach ihn mit einem kurzen Säbel nieder. Er zog die Klinge aus dem Leib des Mannes. Dieser stürzte auf den dunklen Untergrund, und mit dem Blut, das aus der großen Wunde flöß, trat auch das Leben aus seinem Körper und versickerte neben den knarrenden Wagenrädern im Boden. Eloy Campoamor und Miguel Casias hatten zwei Bewacher niedergemacht. Jetzt wollten sie sich den dritten an ihrer Seite vornehmen, doch der bot massive Gegenwehr. Mit einem Sprung brachte er sich hinter einem Quader in Sicherheit, riß die Muskete hoch und legte auf die beiden heranstürmenden Mörder an. Donnernd brach der Schuß. Ein weißes Qualmwölkchen stob hoch. Campoamor und der Wirt ließen sich fallen, fluchten und fühlten die Ladung heiß über ihren Rücken wegstreichen. Marcos Chocano zückte seine Radschloßpistole und feuerte vom Kutschbock aus auf den Soldaten. Doch dieser duckte sich rechtzeitig. Die Kugel ging fehl. Der Soldat hatte keine Zeit, seine Muskete nachzuladen. Chocano hatte das Gespann zum Stehen gebracht. Savedra, Pereda, Campoamor und Casias kreisten den einzigen Überlebenden des Gemetzels ein. Sie umzingelten ihn, gaben sich jedoch keine Blöße. Er hatte noch eine Pistole. »Gib auf«, sagte Antonio Savedra in die plötzliche Stille. »Du hast nicht die geringste Chance. Was willst du mit der einen Kugel ausrichten?« »Einen von euch nehme ich mit in die Hölle«, sagte der Soldat gepreßt. 15
Miguel Casias befleißigte sich eines freundlich-süffisanten Tonfalles. »Aber mein lieber Freund, welchen Wert hat ein solches Handeln? Überlege doch mal. Wir wollen die beiden Schatzkisten. Nicht dein Leben. Schön, die anderen sechs haben ins Gras beißen müssen. Aber du hast jetzt die Möglichkeit, dich zu entscheiden. Du hast wirklich die Wahl! Wenn du aufgibst und bei uns mitmachen willst - bitte. Wir sind bereit, mit dir zu teilen. Na, ist das nicht ein Angebot?« Eloy Campoamors Augen funkelten empört, doch Savedra bedeutete ihm, den Mund zu halten. »Wer sagt mir, daß du nicht lügst?« rief der Soldat verzweifelt. »Du mußt mir schon vertrauen«, erwiderte Casias katzenfreundlich. »Ich bin ein Ehrenmann, kein Haderlump. Und wir sind Landsleute, Caballero. Steh auf und komm her, dann wirst du sehen, was das Wort eines Mannes bedeutet.« Der Soldat warf die Pistole fort, erhob sich hinter dem Quaderstein und trat mit resignierender Geste auf sie zu. Savedra schwang hoch, warf sich ihm entgegen und stieß mit dem Dolch zu. Ein gurgelnder Laut war das letzte, was der zusammensinkende Mann von sich gab. Doch im Moment des Todes waren seine Augen anklagend auf den feisten Wirt gerichtet. »Elender Narr«, sagte Casias verächtlich. »Los, los!« rief Marcos Chocano ungeduldig vom Kutschbock her. »Ich kann die verflixten Biester nicht mehr lange halten. Die Schießerei hat sie vervös werden lassen. Beeilt euch!« Savedra und die anderen drei schafften die Leichen fort. Sie versteckten sie in dem nahen Pinienhain, einem feuchten Wäldchen, dessen Bodenzone stellenweise von stacheligem Gesträuch überzogen war. Die sieben Männerleichen verschwanden in dem urwaldähnlichen Dickicht. Sodann beruhigten die Mörder das Gespann, griffen ins Zaumzeug der 16
Tiere und führten sie samt dem Karren durch den Pinienhain. Es kostete einige Mühe, das Gefährt sicher den Hang hinabzubringen. Obwohl er sanft abfiel, drohte sich das Gespann selbständig zu machen. Der schwerbeladene Wagen drückte nach. Savedra und seine Komplicen stemmten sich dagegen und lenkten das Gespann seitlich am Hang hinunter. Sie brachten ihre Raubbeute zu dem verborgenen Landeplatz in der winzigen Bucht. Die Maultiere wurden ausgespannt. Sie schnaubten und stießen jene für sie so typischen, heiseren, trompetenden Laute aus. Die Männer jagten sie mit Peitschenhieben davon. Casias turnte erstaunlich behende in die hinter dichtem Ufergebüsch versteckt liegende Segelpinasse, überprüfte die Vertäuung und kehrte dann zu den Komplicen zurück. »Alles in bester Ordnung. Hieven wir die Kisten herunter?« Marcos Chocano klettere auf die Ladefläche des Karrens. Savedra mußte ihm helfen, denn allein vermochte er die beiden Schatztruhen kaum bis nach hinten zu bewegen. Sie waren sehr schwer. Es kostete die Verbrecher ihre gesamte Kraft, sie zur Pinasse zu schaffen und zwischen die Duchten hinabzubugsie ren. Der Einmaster senkte sich tiefer in die Fluten. Das wäre geschafft«, sagte Antonio Savedra und richtete sich auf. »Als nächstes lassen wir den Karren verschwinden.« Der Wirt blieb bei der Pinasse zurück. Savedra, Chocano, Pereda und Campoamor hasteten zu dem Wagen zurück, griffen in die Speichen und bewegten ihn auf die Bucht zu. Savedra sah die füllige Gestalt des Wirtes an Bord der Pinasse. Für einen Augenblick durchzuckte ihn die schreckliche Erkenntnis, daß er einen Fehler begangen hatte. Wollte Casias sie betrügen, dann hatte er jetzt die beste Gelegenheit dazu. Er brauchte nur die Leinen loszuwerfen und wegzusegeln. Weder Musketen- noch Pistolenkugeln würden ihn treffen, wenn er sich unter die Duchten warf, und der Pinasse nachzuschwimmen, hätte für die vier Seeleute auch nicht zum 17
Erfolg geführt. Savedra beruhigte sich wieder. Miguel Casias rührte sich nicht vom Fleck, er schaute nur abwartend zu ihnen herüber. Für den Steuermann der ›San Pedrico‹ stand nach wie vor fest, daß Casias ein durchtriebenes Schlitzohr war. Doch er sagte sich auch, daß der Mann ungeheuren Respekt vor ihnen hatte. Dies allein war der Grund, warum er es nicht wagen würde, sie übers Ohr zu hauen. Der Karren erreichte das Ufer der kleinen Bucht. Unter den Anstrengungen der vier Männer lehnte er sich schließlich über die Kante, neigte sich allmählich vornüber und kippte ins Wasser. Das Naß gurgelte und spritzte, dann kündeten nur noch ein paar Wellenringe von dem Platz, an dem der Karren untergegangen war. »Die Bucht ist tief genug, ihn für alle Zeiten verschwinden zu lassen«, sagte Savedra grinsend. »Man wird die Maultiere einfangen und schließlich die Leichen finden, doch ich hoffe, daß wir dann schon auf den Chincha-Inseln sind.« Sie stiegen zu Casias in die Pinasse. Chocano, der an Bord der ›San Pedrico‹ Rudergänger war, nahm auf der Heckbank Platz. Die übrigen vier lösten die Leinen, pullten ein paar kräftige Schläge, die sie aus der Bucht beförderten, und setzten dann das Segel. Die steife Brise fuhr hinein, ließ es aufbauschen und schob die Pinasse vor sich her in südliche Richtung. Sie gewannen Abstand vom Ufer. Bald war es in der Dunkelheit verschwunden. Immer größer wurde die Distanz zwischen der Pinasse und dem Festland. Casias sah, wie nahe das Dollbord der Wasserlinie war, und sagte: »Verdammt, die Schatztruhen sind ziemlich schwer. Wenn die See kabbelig wird, nehmen wir garantiert Wasser über.« »Für das, was in den Kisten steckt, nehme ich es gern in Kauf, nasse Füße zu kriegen«, erwiderte Antonio Savedra. Er 18
lachte, und die anderen fielen ein. »Ich möchte zu gern wissen, wie groß der Schatz ist«, sagte Eloy Campoamor. »Warum brechen wir die Kisten nicht schon jetzt auf?« »Hier an Bord? Du bist verrückt«, sagte Esteban Pereda. »So einfach ist es nicht, vielleicht brauchen wir sogar Pulver, um die Schlösser zu sprengen.« »Ja.« Savedra nickte. »Ihr müßt euch also gedulden. Wenn wir jetzt anfangen zu zündeln, kriegt die Pinasse möglicherweise ein Leck, und wir sagen den Haien guten Abend. Das wäre doch nicht im Sinne des Erfinders, oder?« »Nein«, sagte Miguel Casias entsetzt. »Um Himmels willen, nein.«
3. Als der Steuermann und Lotse Antonio Savedra sowie die Seeleute Marcos Chocano, Esteban Perede und Eloy Campoamor nicht pünktlich an Bord der spanischen Trans portgaleone ›San Pedrico‹ zurückkehrten, wurde dem Kapitän Bericht erstattet. Er hatte sich in seine Kammer zurückgezogen und bereits Vorkehrungen getroffen, um seine Koje aufzusuchen, doch jetzt kleidete er sich vollständig wieder an, begab sich an Deck und wartete auf die vier. Stunden vergingen, und auch der angekündigte Transport aus Lima traf nicht ein. Der Kapitän wurde immer nervöser. Er schritt wie ein gereiztes Raubtier auf dem Achterdeck auf und ab und war barsch zu jedem, der ihn ansprach. Es ging auf den Morgen zu, als er, vor Wut fast überschäumend, sowohl nach den vier Verschwundenen als auch nach dem erwarteten Maultiergespann forschen ließ. In Callao wurde nach Savreda und seinen drei Begleitern gefahndet - ohne Erfolg. 19
Boten ritten nach Lima und benachrichtigten den Vizekönig. Es wurde den ganzen Tag über unablässig gesucht, doch das Gespann schien samt seiner wertvollen Fracht und seinen Führern vom Erdboden verschluckt zu sein. Erst nach drei Tagen wurden die sieben Toten in dem Pinienhain entdeckt. Die Soldaten aus Lima ließen den Kapitän der ›San Pedrico‹ unterrichten. Dieser, ein cholerisch veranlagter Mann, wurde schneeweiß vor Zorn und Entsetzen, tobte an Deck herum und brüllte: »Wenn ich die Hunde fasse, die dafür verantwortlich sind, lasse ich sie auspeitschen, kielholen und an der Rahnock aufbaumeln, daß sie einen dreifachen Tod sterben. Und sollten Savedra, Chocano, Pereda und Campoamor mit den Morden zu tun haben, werde ich höchstpersönlich die Hinrichtung vornehmen!« * Ungefähr zur selben Zeit hatte die Segelpinasse der fünf Schatzräuber ihr Ziel nahezu erreicht. Es war ein sonniger, warmer Nachmittag, und die See breitete sich wie ein glatt gespanntes, riesiges blaugrünes Stück Tuch aus. Die drei Tage Fahrt waren nicht beschwerlich gewesen. Nur einmal hatte das Wetter umzuschlagen gedroht, doch ein heraufziehender Sturm hatte sich vor seinem Ausbruch doch noch gelegt und schwärzliche Wolken waren nach Nordwesten abgewandert. Miguel Casias hatte daraufhin gesagt: »Unser Unternehmen steht unter einem guten Omen, Freunde.« Hunger und Durst waren an Bord der Pinasse nicht aufgekommen, denn der Wirt hatte an alles gedacht und unter den Duchten Proviant verstaut: Schinken und Pökelfleisch, Obst, Käse, vorgekochtes Gemüse und Rotwein. Savedra hatte die Segeltuchpütz mit dem guten Tropfen gerade wieder an den Mund gehoben, als Chocano »Land in 20
Sicht« meldete. Ein flacher dunkler Streifen über der Kimm entpuppte sich als Insel. Wenig später schoben sich noch zwei andere, ähnlich beschaffene Gebilde hervor. »Das sind sie«, sagte der feiste Wirt. »Die Chincha-Inseln. Wir befinden uns auf der Höhe der Bai von Pisco an der peruanischen Küste.« Savedra trank, wischte sich die Lippen ab, betrachtete aufmerksam den kleinen Archipel. »Wie viele Inseln sind es insgesamt?« »Das weiß ich nicht«, entgegnete Casias. »Aber die größten und wichtigsten sind die Isla del Norte, die Isla del Medio und die Isla del Sur. So, wie ich die Position einschätze, befinden wir uns der Isla del Medio am nächsten. Ich schlage vor, wir laufen sie direkt an.« »Einverstanden.« Der Steuermann mit dem schwarzen Bart drehte sich zu Pereda um, der Chocano am Ruder abgelöst hatte. »Du suchst einen guten Platz zum Landen, Esteban. Ich möchte nicht, daß die Pinasse Schaden erleidet. Erstens weiß ich nicht, ob wir Material fürs Reparieren finden würden. Und zweitens stimmt mich der Gedanke, gezwungenermaßen länger als notwendig hierbleiben zu müssen, nicht gerade fröhlich.« »Geht klar.« Die Pinasse strich mit straff geschwelltem Segel vor dem Wind her. Glucksend schwappte das Salzwasser gegen die Bordwände. Das Heck lag tief, der Bug ragte hoch und schnittig auf. Bei der Geschwindigkeit, die die Männer zur Zeit fahren konnten, hatten sie die Inselgruppe rasch erreicht. Sie schwiegen und ließen ihre Blicke über die nackten, zerklüfteten Felsen gleiten, die da vor ihnen aus den Fluten emporragten. Die Isla del Medio war eine stellenweise etwa sechzig Yards hohe Formation zerrissenen, schroffen Gesteins, das über und über mit einer unansehnlichen Masse bedeckt war. Die farblichen 21
Nuancen reichten von hell- bis dunkelgelb und Braun. In den untersten Schichten schien sie sehr fest zu sein, weiter oben eher erdig. Savedra musterte voll Widerwillen die bizarren Auswüchse, die das Zeug an manchen Stellen, vor allem an Felsüberhängen, gebildet hatte. »Das ist das Guano«, sagte. Casias, »und das«, er wies in den mattblauen Himmel hinauf, »sind seine Erzeuger.« Schwärme verschieden großer Vögel kreisten über den Inseln und zogen kunstvoll geschwungene Bahnen. Einzelne Tiere stießen auf das Land hinunter, andere schwangen empor und gesellten sich zu den in der Luft befindlichen. Nur hin und wieder löste sich aus einem der Schnäbel ein schriller Ruf. »Ich hätte erwartet, daß sie mehr Lärm veranstalten«, sagte Savedra. »Ich finde, es ist hier geradezu unheimlich still.« »Also ist an dem Fluch doch was dran«, versetzte Eloy Campoamor düster. Casias lachte auf. »Nein, nein, das ist ihr ganz normales Verhalten. Untereinander benehmen sie sich sehr friedlich, es sei denn, es ist gerade Paarungszeit, und die Männchen balgen sich um die Weibchen. Aber sonst werden sie nur rabiat, wenn ihnen jemand zu nahe kommt oder sie sogar angreift.« »Du kennst dich ja gut mit den Viechern aus. Warst du schon mal hier?« Marcos Chocano blickte den beleibten Mann über die Schulter an. »Nein. Die Chinchas kenne ich nur aus Berichten von Leuten, die hier vorübergesegelt oder kurzfristig gelandet sind. Aber früher habe ich mir mein Brot damit verdient, Möwen, Kormorane, Tölpel und andere Vögel zu fangen, zu töten, auszustopfen und zu verkaufen. Das war ein Leben, sage ich euch. Ich hielt mich mehr schlecht als recht über Wasser. Später gelang mir der glückliche Wurf mit meiner Kneipe, der Cantina in Callao, die ich im Gedenken an die harten Zeiten »El Gabian Feroce« benannte und mit ein paar ausgestopften Vögeln ausstaffierte.« 22
»Ach, so ist das«, sagte Esteban Pereda. »Ich muß gestehen, du bist ein guter Erzähler, Wirt. Jetzt erkläre mir mal, wieso sich auf diesen Inseln eine so gewaltige Guano-Schicht bilden kann - und auf anderen, wo doch auch haufenweise Vögel leben, nicht.« »Guano entsteht aus Vogelmist.« Casias unterstrich seine Rede durch ausholende Gesten und fühlte sich ganz in seinem Element. »Damit dieser Vorgang jedoch geschehen kann, müssen tropische Temperaturen herrschen, und es darf nicht regnen - nie. Auf den Chincha-Inseln ist das der Fall.« Savedra beugte sich ein Stück vor. »Das heißt also, hier gibt es auch nirgendwo Trinkwasser?« »Stimmt. Gibt es nicht.« »Wir müssen mit dem Wein und dem Wasser sparsam umgehen, Männer«, sagte Savedra. Er schaute zum Himmel empor. Die Dämmerung warf ihre ersten Schatten. »Vielleicht verbringen wir die Nacht auf der Isla del Medio. Es ist mir lieber, wenn wir bei Sonnenaufgang wieder aufbrechen. In einem halben Tag legen wir die Strecke nach Pisco zurück, langen dort also bei Helligkeit an.« »Was haben wir in Pisco verloren?« erkundigte sich Casias verdutzt. »Du nichts. Du trennst dich dort von uns und kehrst nach Callao zurück - entweder mit der Pinasse oder auf dem Landweg.« »Ah, jetzt begreife ich«, sagte der Wirt. »Ihr wollt nicht mehr zurück an Bord der ›San Pedrico‹.« »Wollen?« Antonio Savedra lachte, und seine Kumpane stimmten mit ein. Campoamor hieb sich sogar vor Vergnügen auf den Schenkel. »Angenommen, wir wollten wirklich - wir könnten nicht mehr auf den Scheißkahn zurückkehren, denn wir gelten jetzt als Deserteure. Ob der Capitan einen Zusammenhang zwischen unserem Ausbleiben und dem Überfall auf den Transport ahnt oder nicht, er würde uns in 23
jedem Fall aufknüpfen oder einen Kopf kürzer machen lassen.« Marcos Chocano rieb sich unwillkürlich den Hals. »Eben. Aber wir brauchen die miese Heuer, die wir auf der Galeone gekriegt haben, nicht mehr.« Pereda klopfte auf den Deckel der einen Schatztruhe. »Wir haben für unser Leben ausgesorgt.« »In Pisco tauchen wir unter«, sagte Savedra. »Wir wechseln die Kleidung, ich rasiere mir den Bart ab, wir nehmen andere Namen an. Bald wird man nicht mehr nach uns suchen. In ein paar Monaten wirst du uns dann abholen, Amigo Miguel, und wir schaffen gemeinsam den Schatz nach Norden.« Die Segelpinasse war dem Ufer der Isla del Medio nahe. Wichtig türmte sich das von Guano überwachsene Felsland vor ihnen auf. Doch es gab einen schmalen Küstenstreifen, der zwar nicht aus Sand, sondern aus Kies bestand, jedoch flach genug für ihr Landeunternehmen war. Chocano hockte im Bug der Pinasse und gab Pereda Hinweise, nach denen er durch das flache Uferwasser steuern konnte. Sie mieden ein paar Untiefen, und schließlich schob sich die Pinasse knirschend auf Land. Ein paar Möwen und andere Vögel flatterten auf und zogen sich zu ihren auf den Felsen hockenden Artgenossen zurück. Savedra verfolgte ihren Flug mit dem Blick und sah, daß sich Tausende von Augenpaaren auf sie gerichtet hatten. Der Ausdruck in diesen Augen war kalt, argwöhnisch, abweisend. »Hoffentlich bleiben die friedfertig«, sagte er. »Solange wir sie nicht belästigen, bestimmt«, erwiderte der Wirt. Chacano und Campoamor sprangen ins flache Wasser und zerrten die Pinasse an den Leinen weiter auf Land. Als sie sich auf den Kiesstrand begaben, wurde dies von den Seevögeln mit schrillen, kreischenden Rufen quittiert. Einige Tiere hüpften auf der Stelle und schlugen mit den Flügeln. Im Verbund mit dem gotterbärmlichen, beißenden Gestank, der ihnen in die 24
Nasen drang, erschien Savedra dieses Verhalten als eine tödliche Drohung. »Die Insel gefällt mir nicht«, sagte er und konnte sich eines leichten Schauderns nicht erwehren. Casias lachte. »So geht es allen. Gerade deswegen wird hier niemand nach den Truhen suchen.« Er hatte kaum ausgesprochen, da ließen sich einige Vögel von ihren Plätzen in der Felswand fallen und stürzten wie Pfeile auf Chocano und den glatzköpfigen Campoamor hinunter. Erst dicht über den Männern breiteten sie die Flügel aus und fingen sich ab. Savedra rief: »Vorsicht!« Chocano und Campoamor konnten sich gerade noch ducken. Dann gingen die Vögel zum Angriff über. Der Überfall auf die beiden Seeleute wurde von gut zwei Dutzend Vögeln geführt. Es waren weiße und exotisch gezeichnete Möwen und andere Arten gleicher Größe. Wütend schlugen sie mit den Flügeln nach den Köpfen der unerwünschten Besucher. Ihre Schnäbel hackten nach den Augen der beiden. Chocano ging in die Knie und preßte die Hände vors Gesicht. Eloy Campoamor zog den Kopf ein und schlug wie ein Teufel um sich. »Ihr Höllenbestien«, brüllte er. »Haut ab, ihr verfluchten Mißgeburten!« Drei, vier Tiere konnte er abwehren, doch die anderen drängten wild kreischend nach. Ihre schlagenden Schwingen erzeugten flappende Geräusche. Campoamor packte eine Möwe und drehte ihr den Hals um. Schlaff fiel sie zu Boden. Marcos Chocano war so erschrocken, daß er kaum etwas gegen die Angreifer unternahm. Plötzlich lief Blut über seinen Hals. Savedra, Pereda und Casias waren im Moment der unerwarteten Attacke sofort aufgesprungen und übers Dollbord gejumpt. Jetzt stürmten sie auf den Kiesstrand und gingen gegen die Vögel vor. Es gelang ihnen, sie abzudrängen. 25
Savedra zückte seinen Degen und erteilte einem Tölpel einen tödlichen Hieb. Unter Kreischen und Schnattern zogen sich die Vögel wieder auf die Felsen zurück. Einige Augenblicke lang sah es so aus, als würde sich nun das ganze Heer auf die fünf Männer stürzen. Doch ihre Unruhe legte sich allmählich. Die ganze Szene hatte nicht länger als etwa eine halbe Minute gedauert. Eloy Campoamor war unversehrt. Doch Chocano hockte in unveränderter Haltung auf dem Ufer und stöhnte. Savedra blickte den Wirt an. »Solange wir die Biester nicht belästigen, tun sie uns nichts, hm?« »Mir ist das ein Rätsel«, erwiderte Miguel Casias. Er war bleich wie eine gekalkte Wand. Der Glatzkopf beäugte ihn unruhig. »Und ich sage, mit dem Fluch hat es doch etwas auf sich. Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu.« »Hör auf!« herrschte Sabedra ihn an. »Fehlt noch, daß du von Geistern und Dämonen zu faseln anfängst.« Er trat zu Marcos Chocano und untersuchte ihn oberflächlich. »Es sind nur ein paar harmlose Kratzer, Marcos. Stell dich nicht so an. Was ist denn los mit dir? Kannst froh sein, daß die Augen heil geblieben sind.« Der Seemann richtete sich verwirrt auf. Er blutete aus mehreren Wunden. Eine davon befand sich auf seinem Kopf, eine andere auf der rechten Wange. Rinnsale zogen sich über seine Gesichtshaut bis zum Hals. Sein Hemd war an mehreren Stellen zerrissen, unter den Löchern im Stoff zeichneten sich ebenfalls Blessuren ab. »Schön siehtst du nicht aus«, sagte Esteban Pereda. »Komm her, ich reiße ein Stück Leinentuch kaputt und verbinde dich.« »Wenn du ihm die Verletzungen auswäschst, geh sparsam mit dem Trinkwasser um«, wies Savedra ihn an. Savedra und der Wirt unternahmen einen Erkundungsgang. Der Kiesstrand beschrieb einen Knick. Hinter einem hoch 26
aufragenden Felsvorsprung befand sich eine Gegend, die sie vom Landeplatz aus nicht hatten einsehen können. Hier entdeckten sie eine Höhle. Ihre schwarz gähnende Öffnung befand sich rund zehn Fuß oberhalb des Ufers, doch es führte eine Art Pfad hinauf. Savedra benutzte ihn probeweise. Er war wegen des Guanos glitschig und trügerisch, leicht konnte man abrutschen. »Es wird kein leichtes Stück Arbeit sein, die Schatzkisten hier heraufzubringen!« rief er von oben. »Aber die Höhle ist genau das, was wir suchen.« Etwas später vertäuten sie die Pinasse, holten die beiden Truhen zwischen den Duchten hervor und schleppten sie über den Strand. Chocano schien sich erholt zu haben und packte kräftig mit zu. Zunächst schien es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, die zentnerschwere Last in das Grottenmaul hinaufzubugsieren. Ein erster Versuch mißlang kläglich. Antonio Savedra ließ jedoch Taue aus der Pinasse holen. Sie knüpften sie an einem Eisengriff der einen Truhe fest, stiegen über den rutschigen Pfad in die Höhle hinauf und zerrten mit vereinten Kräften. Zug um Zug beförderten sie ihre Beute zu sich herauf. Die Dunkelheit war über die Chincha-Inseln hereingebrochen, als sie es endlich geschafft hatten. Pereda und Campoamor trugen herbei, was sich noch in der Pinasse befunden hatte: Proviant, Waffen, Munition, Pulver, Zündschnur. Miguel Casias rieb sich in unbändiger Vorfreude die fleischigen Hände. »Und nun, Freunde, kommt der große, lange erwartete Augenblick.« »Brecht die Kisten auf«, befahl Savedra. Seine drei Männer gingen ans Werk und brachen bei dem Versuch, die dicken Eisenschlösser der Truhen zu öffnen, zwei Dolche ab. Savedra und der feiste Wirt halfen schließlich mit, doch es nutzte nichts. »So kriegen wir sie nicht auf«, sagte der Steuermann. Er 27
wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Na schön, dann sprengen wir die Schlösser. Esteban, gib mir das Pulver und die Lunten. Ich muß die Ladungen so genau wie möglich bemessen. Sind sie zu schwach, bleiben die Truhen verschlossen. Fallen sie zu stark aus, laufen wir Gefahr, einen Teil des Schatzes zu zerstören und in alle Windrichtungen zu zerstreuen ...« » ... und selbst dabei draufzugehen«, vervollständigte Casias. »Geht in Deckung!« Savedra brachte die Ladungen an und legte die Zündschnur. Alle fünf verließen die Höhle. Auf dem Kiesstrand angelangt, entfachte Savedra mit Feuerstein und Feuerstahl eine Lunte. Die Glut fraß sich gierig durch das Material und kroch den Pfad hinauf. Schweigend duckten sich die Männer. Ihre Spannung erreichte den Höhepunkt. Marcos Chocano zuckte zusammen, als das Krachen der Explosion die Stille zerriß. Feuer und Rauch stoben aus dem Höhlenmaul hervor, und irgendwo hoch über ihnen zeterten erbost die Seevögel. Savedra stand als erster auf, lief den Pfad hoch und stieß einen freudigen Laut aus. »Geschafft! Die Truhe ist offen! Hölle und Teufel, welche Pracht, Männer!« Casias kicherte und schickte sich an, ihm nachzueilen, aber Savedra drehte sich um und schrie: »Idiot, kannst du nicht warten? Wir müssen doch auch die zweite Kiste auf sprengen, oder?« Er kehrte zu den Männern zurück. Sie lachten, rempelten sich im Scherz an, boxten miteinander und benahmen sich wie die Kinder. Savedra zündete die zweite Lunte. Wieder krochen sie in Deckung. Der harte Donnerschlag der Explosion rollte in den Abend. Dann hasteten die fünf Schatzräuber durch den ätzenden Pulverqualm in die düstere Höhle und sahen, daß Savedra nicht übertrieben hatte. Der Deckel der ersten Truhe war durch die Wucht der Explosion hochkatapultiert und umgeklappt worden. 28
Trotz der Dunkelheit vermochten sie das matte Schimmern ihrer Raubbeute zu erkennen. Die Kiste war bis zum Rand gefüllt. Gierig, halb verrückt vor Verlangen, lüfteten sie auch den Deckel der zweiten Truhe an. Savedra griff als erster mit beiden Händen in die überquellende Pracht, ließ goldene Ketten, Goldschmuck mit Edelsteinen, Spangen, Ringe und Armreifen durch seine Finger gleiten und zurück auf den Haufen klirren. »Reich!« rief Esteban Pereda. »Wir sind mit einem Schlag allesamt unermeßlich reich!« »Reich wie Könige!« jubelte Miguel Casias. »Und die Welt kann uns mal!« brüllte Eloy Campoamor. Sie wühlten lachend und kichernd in den Massen von Schmuck und bewarfen sich damit. Antonio Savedra entzündete eine Fackel. Unter ihrem flammenden Schein erkannten sie nun, was sie da in Händen hielten. Compoamor stierte mit geöffnetem Mund auf den glitzernden Schatz, Pereda behängte sich mit Ketten und Reifen, Chocano gab lallende Laute von sich. »Alles aus purem Gold«, sagte der feiste Wirt. »Alles in feinster Goldschmiedearbeit hergestellt. Himmel, das übersteigt meine kühnsten Erwartungen.« »Gegen diesen Schatz sind die Geschäfte, die wir bisher abgewickelt haben, mieseste Kleinkrämerei«, sagte Savedra gebannt. »Mal eine Muskete oder eine Offizierspistole, mal ein elender Silberbarren, der durch Herrera in deine Hände gelangte - pah! Damit ist Schluß, Amigo Miguel. So was haben wir nicht mehr nötig.« »Was mag das alles wert sein?« fragte Esteban Pereda. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Savedra. »Unheimlich viel«, sagte Casias. »Mehr als ein ganzer Verband königlicher Galeonen«, sagte Savedra. 29
Der Wirt grinste. »Mindestens so viel wie das Privatvermögen des Vizekönigs in Lima.« Sie brachen in schallendes Gelächter aus. Casias kramte in dem Inhalt der zweiten Truhe herum, stockte plötzlich und zog einen etwa faustgroßen Gegenstand hervor. Fasziniert hob er ihn vor die Augen und betrachtete ihn eingehend. Die Komplicen schauten ebenfalls auf und sahen einen aus massivem Gold geschmiedeten Vogel, dessen Augen aus Edelsteinen hergestellt waren. Casias wog ihn in der Hand und grinste beglückt. »Ein Tukan«, sagte er. »Das ist eine Vogelart, die in Peru vorkommt.« Savedras Blick war plötzlich mißtrauisch. »Und er gefällt dir so gut, daß du ihn am liebsten in der Tasche verschwinden lassen würdest, wie?« »Ich ...« »Es wird ehrlich geteilt«, sagte Savedra. »Vorläufig bleibt der gesamte Schatz in den Truhen, verstanden?« »Aber natürlich«, sagte der Wirt hastig. »Ist doch klar.« Pereda beschrieb eine überschwengliche Geste. »Keiner von uns hat das Recht, jetzt schon etwas von dem Gold einzuheimsen. Das wäre hinterhältig und verräterisch. Und außerdem, den Schatz nimmt uns ja sowieso keiner wieder weg. Auf dieser Insel ist er so sicher wie in Abrahams Schoß.« Der Wirt ließ den Goldtukan fallen, grinste und erwiderte: »Abrahams Schoß - das ist der richtige Ausdruck. Darauf laßt uns einen trinken.« Er stand auf und trat an die Höhlenwand, an der sie ihren Proviant abgelegt hatten. Wenig später machte die Segeltuchpütz mit dem Rotwein die Runde. Auch Savedra nahm ein paar kräftige Schlucke, setzte wieder ab und sagte: »Von mir aus kann der Wein heute nacht ausgesoffen werden. 30
Morgen früh brechen wir ja ohnehin wieder auf und lassen die verfluchte Insel hinter uns.« Es fiel ihnen auf, daß Marcos Chocano immer wortkarger wurde und sich nicht recht an dem ausgelassenen Treiben beteiligte. Bald zog er sich an die Höhlenwand zurück. Er lehnte sich mit dem Rücken dagegen und murmelte unverständliches Zeug. Savedra ging zu ihm und kniete sich neben ihn hin. »Was ist los, Marcos?« »Verdammte Biester - haut ab - will nicht ...« »Sag bloß, du machst wegen ein paar albernen Schnabelhieben schlapp?« »... Die - Insel will - uns nicht ...« Savedra legte ihm die Hand auf die Stirn und sagte: »Er fiebert. Wir decken ihn gut zu, trichtern ihm ein paar ordentliche Schlucke Rotwein ein und sorgen dafür, daß er einschläft. Morgen früh ist er wieder auf den Beinen.«
4. Miguel Casias öffnete die Augen zunächst nur spaltbreit. Er lag zwischen Antonio Savedra und Esteban Pereda und konnte ihr Schnarchen hören. Campoamor ruhte weiter entfernt in Marcos Choanos unmittelbarer Nachbarschaft, hielt den Mund halb geöffnet und sägte wie ein Walroß. Der fiebernde Chocano wälzte sich manchmal und stieß schwer verständliche, zusammenhanglose Worte aus. Casias schlug die Lider ganz auf. Er wartete ab, um sich genau zu vergewissern, ob der Steuermann auch wirklich schlief. Stellte er sich nur so? Zweifellos war er der gerissenste Mann der Gruppe von Bord der ›San Pedrico‹. Der Wirt besaß genügend Einfühlungsvermögen, um sich sagen zu können, 31
daß Savedras Mißtrauen immer noch nicht ganz gewichen war. Aber Casias kannte auch die Wirkung seines guten Rotweins. Obwohl er eine Menge davon vertragen konnte, hatte er sich beim Zechen zurückgehalten und nur so getan, als trinke er kräftig mit. Jetzt fühlte er sich frisch und ausgeruht. Er richtete sich mit dem Oberkörper auf. Savedra blieb liegen, bewegte sich nicht und öffhete auch nicht die Augen. Er schlief tatsächlich. Miguel Casias erhob sich ganz und schlich zu dem Platz, an dem der Proviant und die Waffen verwahrt waren. Er wählte eine Radschloßpistole und einen Dolch, lud sich den Sack mit den Eßwaren und der Trinkwasserpütz auf den Rücken und glitt gebückt auf den Ausgang der Höhle zu. Trotz seines Körpergewichtes bewegte er sich geschmeidig wie eine Katze. Plötzlich vernahm er ein Geräusch in seinem Rücken. Sofort blieb er stehen. Mit den Schultern gegen die linke Grottenwand gepreßt, hoffte er, nicht entdeckt zu werden. Etwas hatte sich scharrend geregt. Er wandte langsam den Kopf und spähte in das Dunkel der Höhle zurück. Schemenhaft sah er die Konturen von Marcos Chocanos Körper. Er warf sich wieder hin und her, hatte die wärmenden Jacken seiner Komplicen von seinem Leib gezerrt und drohte, die gesamte Mannschaft zu mobilisieren. Der Wirt fluchte im stillen und stand Höllenqualen durch. Er wollte nicht an seinen Ruheplatz zurückkehren und sich wieder ausstrecken, wußte aber auch, daß Savedra ihn umbringen würde, wenn er ihn mit dem Proviant und abmarschbereit am Rand der Höhle entdeckte. Was soll teer tun? Chocano redete im Fiebertraum, beruhigte sich jedoch wieder etwas. Der Glatzkopf an seiner Seite hielt mit dem Schnarchen inne, gab ein langgezogenes Stöhnen von sich, endete mit ein paar schmatzenden Lauten - und schlief weiter. Auch Pereda und Savreda wachten nicht auf. 32
Casias schwitzte. Er verweilte noch etwa eine Minute und zählte die Sekunden. Er hatte Angst, durch eine unbedachte Bewegung einen der vier doch noch aufzuwecken. Endlich wagte er es, auf den Pfad hinauszutreten. Vorsichtig balancierte er abwärts. Er war noch ein paar Schritte vom Kiesstrand entfernt, da rutschte er auf dem schmierigen Guano aus und legte das letzte Stück auf dem Hosenboden zurück. Seine Füße setzten auf dem Kies auf, es ertönte ein feines, knirschendes Geräusch. Casias Hand tastete nach dem Kolben der Radschloßpistole. Wieder verharrte er, lauschte und blickte nach oben zurück. Nichts. Niemand hatte etwas vernommen. Guter alter Rotwein, dachte er grinsend, ich werde dich stets in Ehren halten. Auf Zehenspitzen pirschte er über den Uferstreifen und umrundete den Felsvorsprung. Er sah den dunklen Schatten der Segelpinasse und beschleunigte seinen Schritt, weil nun auch die Aussicht, von den anderen gehört zu werden, geringer wurde. Das schwerste Stück Arbeit war für den feisten Wirt, die Pinasse ins Wasser zu schieben. Zum einen mußte er sich gegen den Bug stemmen und mit aller zur Verfügung stehenden Körperkraft dagegendrücken, um sie zu bewegen. Zum anderen ließen sich die dabei entstehenden Laute nicht unterdrücken. Das Schaben des Rumpfes auf dem Kies ging ihm durch und durch und klang in seinen Ohren überlaut. Endlich lag die Pinasse im flachen Uferwasser. Miguel Casias watete ein Stück durchs Naß, erklomm die Bordwand und ließ sich übers Dolbord rutschen, nachdem er den Proviantsack unter den Duchten verstaut hatte. Die Pinasse begann bedenklich hin und her zu schaukeln. Der Wirt legte die Riemen in die Dollen, pullte ein paar kräftige Schläge und blickte sich immer wieder zum Bug hin um, um seinen Kurs zu kontrollieren. Er hatte sich die Stellen gemerkt, an denen sich die Untiefen befanden. So dümpelte die 33
Pinasse zwischen Sandbänken und Riffs, die ihr hätten gefährlich werden können, hindurch und steuerte auf die offene See hinaus. Casias holte die Riemen wieder ein, stand auf und setzte das Segel. Dann konnte er sich am Heck niederlassen und brauchte nur das Ruder und die Schot zu bedienen. Einstweilen blies ein frischer Wind von Südosten. Er konnte mit rauhem Wind nach Norden segeln. Casias schaute zur Isla del Medio zurück. Das fahle Licht des Mondes schuf silberne Muster auf den Wellenkämmen, die Felsen der Insel ragten wie ein gigantisches Mal auf. Kein Laut drang herüber. Savedra und seine Männer schliefen nach wie vor. Auch die Vögel ruhten. Es herrschte Totenstille. »Eine echte Toteninsel«, sagte der Wirt im Selbstgespräch und kicherte. Von Anfang an hatte er vorgehabt, seine Komplicen auf den Chincha-Inseln sitzenzulassen, ohne Boot, ohne Nahrung, ohne Wasser, den Tücken der unwirtlichen Umwelt preisgegeben. Er hatte ein paar Dumme gesucht, die ihm dabei halfen, das Transportgespann aus Lima zu überfallen. Er hatte sie gefunden, und nun hatte auch der zweite Teil seines teuflischen Planes geklappt. Er brauchte mit niemandem zu teilen. Der Schatz gehörte ihm allein. Daß Savedra, Chocano, Pereda und Campoamor umkommen würden, stand für ihn außer Zweifel. Wer nicht vor Hunger oder Durst elendig zugrunde ging, würde der Wirkung des höllischen Guano erliegen. Casias wußte, daß der Guano-Staub in Wunden lebensgefährlich sein konnte, denn er rief Blutvergiftungen hervor. »Für Chocanos Dasein geb ich keinen Pfifferling mehr«, murmelte er. Und auch die drei anderen Männer auf der Insel schwebten durch die Exkrementablagerungen der Millionen Vögel in Gefahr - das Leben an oder über Guanovorkommen führte auf 34
die Dauer zu Taubheit, verminderter Sprechfähigkeit und eigentümlichen rosenroten Flecken auf der Haut, vor allem auf der Stirn. »Verdammte Narren«, sagte der Wirt. Er hatte keine Skrupel, vier Todgeweihte zurückzulassen. In einem halben oder einem Jahr, so beschloß er, würde er zur Isla del Medio zurücksegeln und die beiden Schatzkisten abholen. Wegschaffen konnten Savreda und seine Kumpane sie nicht, höchstens ein anderes Versteck suchen. Aber auch das würde er finden. Casias konnte frohlocken. Niemand würde ihn verdächtigen. Keinem Menschen würde es auffallen, daß er ein paar Tage nicht zu Hause gewesen war. Er hatte den zwölfjährigen Jungen, einen anderen, älteren Gehilfen und eine dicke Matrone gegen gute Bezahlung als Aufsicht und Bedienung in seiner Kneipe in Callao zurückgelassen. Offiziell hatte er verlauten lassen, daß er ins Landesinnere reise, um Wein, Fleisch, Gemüse und Obst für seine Cantina einzukaufen oder im voraus zu reservieren. Nur der Mittelsmann bei Hofe, durch den er überhaupt erst von dem Schatztransport erfahren hatte, konnte ihm Schwierigkeiten bereiten. Er hieß Lope Sastre und war ein gewiefter Bursche, der überall, wo er ein gutes Geschäft witterte, bedenkenlos zupackte. Casias hatte von Herrera erfahren, daß er dabei sogar alte Freunde skrupellos verriet, Hauptsache, es sprang genügend für ihn heraus. Abgesehen davon, daß Miguel Casias nach den gleichen Grundsätzen verfuhr - er hätte den Tip lieber von Julio Herrera erhalten und ihn an dem Reichtum beteiligt, doch so glücklich hatten sich die Dinge nun einmal nicht ergeben. Sastre konnte ihm noch gefährlich werden. Der Wirt grinste. Erpresser leben nicht lange, sagte er sich. Bei der nächsten Gelegenheit, die sich bot, würde er Lope Sastre umbringen, das war schon jetzt beschlossene Sache. Man muß für jeden Eventualfall vorsorgen, bevor es zu spät ist, 35
dachte er. * Ein mit goldenen Reifen und Ketten behängter Tukan flog durch den weißlich glitzernden Himmel auf Antonio Savedra zu. Erst aus nächster Nähe erkannte Savedra, daß seine Augen aus Edelsteinen bestanden und sein Leib massiv-golden war. Der häßliche Schnabel schwang auf, ein entsetzliches Stöhnen entrang sich der Kehle des Ungeheuers. Blut troff aus dem Schnabel der Bestie, und sie hielt mit größter Geschwindigkeit auf ihn zu, bereit, sich auf ihn zu werfen und ihn zu töten. Das fürchterliche Stöhnen nahm zu ... »Nein!« Savedra richtete sich auf. Er war schweißgebadet. Verdattert schaute er sich um. Der ätzende Geruch des Guano stieg ihm in die Nase, und er erinnerte sich, wo er sich befand. Dann stellte er fest, daß das Stöhnen von Marcos Chocano verursacht wurde. Wie im Krampf warf sich der fiebernde Mann hin und her. Es war ein Wunder, daß Campoamor und Pereda noch nicht aufgescheucht worden waren. Um Chocano schien es - entgegen Savedras Erwartungen - schlechter bestellt zu sein. Doch die schrecklichste Erkenntnis stand dem schwarzbärtigen Steuermann noch bevor. Er blickte auf den Schlafplatz neben sich, fühlte, wie ihn eine heiße Welle des Entsetzens durchfuhr und tastete mit den Händen nach dem zerwühlten Lager, mit der letzten vagen Hoffnung, sich getäuscht zu haben. Doch er hatte sich nicht getäuscht. Die Tatsache traf ihn wie ein Schlag. Miguel Casias war fort! »Casias!« Savreda sprang auf und tat ein paar taumelnde Schritte quer durch die Höhle. Es war noch dunkel, doch draußen begannen bereits die ersten Vögel zu kreischen und zu lärmen. Savedra trat Eloy Campoamor in die Seite, daß dieser 36
vor Schreck und Schmerz aufbrüllte, dann stürmte er aus der Höhle. »Casias!« Er hastete den Pfad hinunter, lief über den Kiesstrand und riß dabei seine Pistole aus dem Hosenbund. Eine böse Ahnung hatte ihn wie eine Krake gepackt und ließ ihn nicht mehr aus ihrer Umklammerung. Er bog um den Vorsprung - und die Ahnung wurde mit einem Schlag zur Gewißheit. Die Segelpinasse war verschwunden. »Verrat! Betrug!« Savedra feuerte die Pistole in der Luft ab. Er fluchte, stolperte weiter voran und lief zu der Stelle, an der die Pinasse gelegen hatte. Die Abdrücke zeichneten sich noch ab. Savedra trat mit dem Stiefel danach, stieß die lästerlichsten Verwünschungen aus und schleuderte die Pistole auf den Kies. Das Krachen des Schusses hatte die Vögel aufgescheucht. Sie flatterten in den Himmel und kreischten erbost durcheinander. Der Mann mit dem schwarzen Vollbart schaute zu ihnen auf. Das Firmament begann sich grau zu färben. Die Silhouetten der Tiere auf der Oberkante des Felsens hoben sich dagegen ab. Ein Schwarm kreiste aufgebracht in der Luft. »Kommt herunter und hackt mir die Augen aus. Straft mich, denn ich habe es verdient - o ich törichter Hund!« Savedra ließ den Kopf wieder sinken. Ein neues Gefühl bemächtigte sich seines Geistes und breitete sich lähmend in ihm aus. Die Angst. Er war den Tränen nahe und fühlte sich hundeelend. Ohne sich irgendwelchen Illusionen hinzugeben, wurde ihm innerhalb eines Augenblickes die ganze Tragik dieser neuen Situation klar. Esteban Pereda und Eloy Campoamor stürmten heran. Mit verzerrten Gesichtern blieben sie vor ihm stehen. Es bedurfte keiner Erklärungen. Die Lage sprach für sich. »Dieses Schwein«, sagte der Glatzkopf. »Eines Tages kriege 37
ich den verlausten Hurensohn zu fassen und zieh ihm die Haut ab.« »Verdammt, wie konnte das passieren!« rief der schlaksige Pereda. »Warum hat denn keiner bemerkt, wie sich der Dreckskerl verdrückt hat?« »Das fragst du mich?« schrie Savedra zurück. »Ich habe fest geschlafen.« »Und ich vielleicht nicht?« »Der Wein«, stieß Campoamor hervor. »O wir blöden Hunde, wie konnten wir bloß so dämlich sein, keine Wache aufzustellen!« »Es ist zu spät, sich Vorwürfe zu machen«, sagte der Steuermann. Pereda war außer sich vor Wut. »Ich hab’s von Anfang an geahnt, daß Casias ein Schwein ist. ›Vorsorglich‹ hatte er die Pinasse schon in der Bucht versteckt - vorsorglich! Er hätte den Raub mit jeden x-beliebigen anderen Kumpanen durchgeführt, denn jeder hätte ihm nur wie wir als Mittel zum Zweck gedient, als billiger Handlanger, als Narr, der die schmutzige Arbeit besorgt, während er sich ins Fäustchen lacht. Es war von vornherein festgelegt, daß er uns anscheißen würde, und du, Antonio, du hättest es wissen müssen, denn du bist hier der Anführer.« »Ich kannte Casias vorher nicht persönlich«, erwiderte Savedra leise. »Welche Rolle spielte das schon!« »Ich war mir über ihn nicht im klaren, Esteban, kapier das doch, du Idiot!« »Versager!« brüllte der schlaksige Mann ihn an. Campoamor trachtete vergebens danach, ihn zum Schweigen zu bringen. Jetzt war es zu spät. Savreda sprang auf den Komplicen zu, schlug mit der rechten Faust zu und traf ihn am Kinn. Pereda ging zu Boden. Er wollte sich aufrappeln, doch der Stiefel des Schwarzbartes traf ihn in die Seite, daß er sich 38
vor Schmerzen krümmte. »Ich bringe dich um«, sagte Savedra. »Ja, ich schwöre es, ich mache dich mit bloßen Händen fertig, und ich ...« »Hör auf«, erwiderte der Glatzkopf. Er verbaute ihm den Weg. »Fängst du jetzt auch an, Eloy?« »Nein.« »Dann tritt zur Seite, du gottverdammter Höllenhund.« »Nein.« »Ich töte dich, Eloy.« »Nein. Du weißt, daß du es nicht schaffst.« In einem Anflug von Haß wollte sich Savedra auf den bulligen Mann werfen, doch er bremste sich rechtzeitig. Campoamor hatte recht. Seinen Kräften war niemand gewachsen. Savedra gab einen schnaufenden Laut von sich und ließ die Arme herabbaumeln. »Casias ist getürmt, aber wir haben den Schatz«, sagte Eloy. Esteban Pereda richtete sich keuchend wieder auf. »Begreifst du denn nicht, daß uns der verfluchte Schatz nichts nutzt, solange wir kein Boot haben, solange wir dazu verdammt sind, auf dieser Insel zu hausen?« »Vielleicht ist Casias nicht weit weg«, sagte der Glatzkopf hoffnungsvoll. »Vielleicht segelt er um die Insel herum.« »Warum, zum Teufel, sollte er das?« fragte Savedra. »Weiß ich nicht. Ist nur eine Annahme.« »Wir sollten suchen«, rief der schlaksige Seemann. »Möglich, daß Eloy den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Wer sagt denn, daß wir dieses Dreckschwein von einem Spelunkenwirt nicht doch noch zu fassen kriegen?« »Wenn, dann gnade ihm der Leibhaftige«, sagte Savreda. »Also gut, wir suchen die Insel ab.« Sie holten sich sämtliche Waffen, dann begaben sie sich auf den Marsch. Der Tag brach an. Sie hatten Mühe, die Felsen zu erklimmen und einen Weg über das unwirtliche, 39
vegetationslose Land zu finden. Hinzu kam die Furcht vor einem neuen Angriff der Seevögel. Sie hockten überall und bedachten sie mit feindseligen Blicken. Doch sie erhoben sich nicht, um über sie herzufallen. Irgend etwas schien sie zurückzuhalten - noch. Die Sonne schob sich als rotglühender Ball über die Kimm, und der Himmel nahm einen eigentümlichen Glanz an. Als die drei Männer ihren Erkundungsgang abschlossen und wieder auf den Höhleneingang trafen, war es wärmer geworden. Der Guano-Gestank verstärkte sich. »Casias ist und bleibt verschwunden«, sagte Savedra niedergeschlagen. »Wißt ihr, was das bedeutet? Wir sind verraten und verkauft.« »Noch haben wir Nahrung«, widersprach Campoamor. Sie betraten die Höhle und stellten fest, daß der Wirt auch den Proviantsack hatte mitgehen lassen. Savedra schlug in seiner Wut mit der Faust immer wieder gegen die Höhlenwand, solange, bis die Hand schmerzte. »Es ist noch ein bißchen Rotwein da«, meldete Eloy Campoamor. »Zur Hölle damit!« »Gibt es denn nirgendwo eine Trinkwasserquelle?« sagte Esteban Pereda. Er wollte die Ausweglosigkeit ihrer Situation immer noch nicht einsehen. Savedra schrie ihn mit hochrotem Kopf an: »Nein! Nein! Du hast doch gehört, was Casias gesagt hat. Hier regnet es nie, und hier gibt es keinen Tropfen Süßwasser.« »Und die Vögel?« »Der Henker mag wissen, was die trinken.« »Irgendwie schlagen wir uns durch«, sagte Eloy Campoamor. »Wir haben Waffen und können jagen. Eine Fackel ist auch noch da, und mit Feuerstein, Pulver und Lunten sorgen wir für Feuer. Wir werden Vögel essen und notfalls ihr Blut saufen, um nicht zu verdursten.« 40
Savedra betrachtete ihn eine Weile verdutzt. Endlich antwortete er: »Mein Gott, Eloy, das ist endlich ein vernünftiger Vorschlag. Halten wir zusammen! Lassen wir uns nicht verrückt machen! Solange wir leben, gibt es eine Chance für uns. Wer weiß, ob nicht in den nächsten Tagen ein Schiff auftaucht. Wir könnten uns irgendwo an Land setzen lassen, bevor jemand herauskriegt, daß wir von Bord der ›San Pedrico‹ abgehauen sind.« Pereda nickte. »Ja. Tut mir leid, das von vorhin, Antonio.« »Schon vergessen.« Sie gaben sich die Hände und lachten heiser. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit auf den kranken Marcos Chocano gelenkt, der immer heftiger gestikulierte und stöhnte. Er schaute sie aus hervorquellenden Augen an, fluchte, flehte, betete, wiederholte immer wieder den einen Satz, den er nur noch stammelnd hervorbrachte: »Die - Insel will - uns nicht ...« Sie konnten nichts für ihn tun und mußten seine Schreie ertragen. Später begann er um sich zu schlagen, und es war gefährlich, sich in seine Nähe zu begeben, denn trotz des Fiebers und der Schwäche, die ihn befallen hatte, verfügte er über geradezu erstaunliche Kräfte. Es war die Kraft der Verzweiflung. »Wenn er morgen nicht über den Berg ist, stirbt er«, sagte Antonio Savedra. Am nächsten Morgen hatte sich Marcos Chocanos Zustand noch mehr verschlechtert. Seine Kumpane hatten ihn ans Ende der Höhle umquartiert, weil sie nicht wußten, an welcher Krankheit er litt und Angst vor Ansteckung hatten. Chocano schrie nicht mehr und gebärdete sich auch nicht mehr wie ein Wahnsinniger. Er konnte nur noch wimmern. Am dritten Tag nach Miguel Casias Verschwinden war Chocanos Leben nur noch ein klägliches Dahindämmern. Savedra und die beiden anderen hatten Möwen, Tölpel und einen Pelikan erlegt, die sie nun zubereiteten. Längst war der 41
Wein zur Neige gegangen. Ihr Durst war so groß, daß sie nicht zögerten, das Blut der Tiere zu trinken. Mit den letzten Pulverresten entfachten sie ein Feuer. Der Pelikan war so fett, daß Campoamor ihm die Haut samt Federn abziehen konnte. Sie brieten ihn und die anderen Vögel. Chocano weigerte sich, etwas zu sich zu nehmen. Am vierten Tag fanden sie Eier, schlugen sie auf und tranken gierig ihren Inhalt. Fortan waren Eier ihre wichtigste und bald einzige Nahrung, denn die Vögel lernten schnell, wie sie ihre Widersacher einzuschätzen hatten. Die Munition ging am fünften Tag endgültig zur Neige. Pereda wollte sich einen Kormoran greifen, doch der hackte mit dem Schnabel auf ihn ein und sorgte dafür, daß der Seemann ziemlich übel zugerichtet wurde. Den Morgen des sechsten Tages erlebte Marcos Chocano nicht mehr. In der Nacht erlosch die spärliche Lebensflamme, die ihn in den letzten Stunden nur noch wie ein wundes Tier hatte dahinvegetieren lassen. Sein Tod war qualvoll. Pereda, dem in seinen schrecklichsten Visionen ein ähnliches Ende vorgegaukelt wurde, kriegte einen Tobsuchtsanfall und mußte von dem bärenstarken Glatzkopf niedergeschlagen werden, um halbwegs wieder zur Vernunft zu gelangen. Am Morgen schlugen Savedra und Campoamor Chocanos Leiche in ein Stück Segeltuch, das ihnen verblieben war. Es kostete sie einige Anstrengung, ihn auf einen Felsen zu schleppen und von dort aus in die See zu werfen. Auch sie waren bereits geschwächt. Klatschend tauchte die grausige Last in den Fluten unter. Campoamor sichtete als erster die Dreiecksflossen, die auf den langsam sinkenden Toten zuschnellten. Schwarze, unheimliche Leiber waren ansatzweise unterhalb der Wasseroberfläche zu erkennen. Zahnbewehrte Mäuler klafften auf, packten die Leiche und zerrten sie mit sich in die Tiefe. »Haie«, sagte Savedra erschüttert. »Ich hatte noch eine 42
winzige Hoffnung gehabt, Eloy. Ich dachte, wir könnten vielleicht schwimmend aus diesem Inferno entweichen - bloß weg hier, verstehst du? Ich Narr.« Der Glatzkopf erwiderte nichts. Schweigend stapften sie zur Höhle zurück. Esteban Pereda hockte im Halbdunkel, schaute nicht auf, stellte keine Fragen, brütete nur dumpf vor sich hin. Die Stunden verstrichen entsetzlich langsam. Am darauf folgenden Morgen konnte sich der hochgewachsene Pereda nicht mehr auf den Beinen halten. Er hatte Fieber.
5. Die Brennmaterialien waren aufgebraucht. Es gab nichts mehr, mit dem die Männer Vögel oder deren Eier garen konnten. Eloy Campoamor bewies bei der Jagd auf die Vögel die größte Ausdauer und Zähigkeit. Er lauerte ihnen auf und stellte ihnen einfache, aber wirksame Fallen. Die Schnabelhiebe, die sie ihm beibrachten, kümmerten ihn nicht. Jeden Tag brachte er mindestens einen größeren Vogel, dessen rohes Fleisch sie gierig in sich hineinschlangen. Peredas Fieber steigerte sich. Er weigerte sich, Nahrung aufzunehmen. Savedra und Campoamor sammelten unablässig Eier ein. Der Wille, dem Schicksal zu trotzen, hielt sie aufrecht. Sie tranken die Eier aus, ertrugen den fürchterlichen Gestank des Guano, und wehrten sich verbittert gegen die immer wieder aufflackernde Kampfeslust der Seevögel. Mit Messern, Degen und bloßen Fäusten trotzten sie den Scharen, die über sie herfielen. Eloy Campoamor hatte einige stark nässende Wunden. Savedra hatte Glück, trug noch keine Blessur und konnte sich immer wieder rechtzeitig vor den geflügelten Widersachern in Sicherheit bringen. Anderthalb Wochen nach der Flucht des verräterischen 43
Wirtes war Pereda nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Symptome seiner furchtbaren Krankheit waren die gleichen wie bei Chocano. »Es ist eine Vergiftung«, sagte Antonio Savedra. »Die Wunden schließen sich einfach nicht, und das Unheil, das über dieser Insel liegt, dringt direkt ins Blut ein.« »Bei mir nicht«, entgegnete Campoamor. »Nein, bei dir nicht, Eloy.« »Die Insel ist verhext, aber ich bin stark.« »Ja, Caballero.« »Stärker als Esteban.« »Du wirst es schaffen. Dir wird es nicht so ergehen.« Esteban Pereda starb nach weiteren zwei Tagen. Seine Kumpane wollten ihn wie Chocano fortschaffen und ins Meer stürzen. Doch sie brachten seine ausgemergelte Leiche nur ein paar Schritte voran. Erschöpft sanken sie neben ihr zusammen. »Es ist nur vorübergehend«, sagte Savedra schwach. Eloy Campoamor hustete krächzend. »Wir müssen viele Vögel töten. Und Eier trinken. Ich bin stark. Ich dreh nicht durch, ich nicht.« Rund eine Woche später - sie zählten die Tage nicht mehr und hatten die zeitliche Orientierung fast vollständig verloren - war auch der glatzköpfige Mann soweit. Er brüllte im Fieber und rannte gegen die Höhlenwände an, solange er sich noch auf den Beinen halten konnte. Dann brach er zusammen. Savedra wollte zu ihm, um ihm das Blut einer erschlagenen Möwe zu trinken geben. Doch Campoamor schlug wie besessen um sich. »Dämonen! Geister! Hexen! Ihr kriegt mich nicht!« schrie er. Die Nacht kam. Ein neuer heißer Tag voll Schrecken und Verzweiflung brach an, dann fiel der Schatten der Nacht wieder über die Isla del Medio. Antonio Savedra kauerte neben den Gerippen einiger Vögel. Er verhielt sich seit Eloys Zusammenbruch völlig apathisch. Der Hunger zehrte an ihm wie ein Schmarotzer, der sich in seinem Innenleben eingenistet 44
hatte, und der Durst trocknete seine Mundhöhle aus. Wie ein dickes Stück Filz fühlte sich seine Zunge an. Er hatte Angst, sich ins Freie zu wagen. Angst, doch noch Wunden davonzutragen und das gleiche Ende wie die Komplicen zu finden. Er verfolgte Eloy Campoamors fortschreitenden körperlichen und geistigen Verfall in allen Stadien. Zunächst schnitt es ihm ins Herz, den Mann leiden zu sehen. Später vernahm er seine Schreie nur noch wie durch eine Korkschicht, gedämpft, ein Schleier, gelb mit weißen Streifen, lag vor seinen Augen. Er sah Eloy nur noch wie ein Traumwesen, wie etwas Unwirkliches. Eloy starb nicht. Es sah nur so aus. Es ist alles Einbildung, Gaukelei, irgendwann wache ich auf, Madre de Dios, Mutter Gottes, es findet ein Ende, dachte der Steuermann. Die Tage kamen und gingen. Sie waren eine Ewigkeit, doch die Ewigkeit war ein Augenblick für Antonio Savedra. Der schwarze Bart war ihm bis auf die Brust gewachsen. Seine Lippen waren ausgetrocknet, aufgeplatzt, schorfig. In tiefen Höhlen lagen seine rötlich glänzenden Augen, die ledrige, ausgedörrte Haut spannte sich über die Wangenknochen und erfüllte die Höhlungen mit schlaffen Runzeln. Irgendwann gab er seine Kauerstellung auf, kroch auf die Vogelgerippe zu, hob eins auf und roch daran. Er zerbiß die bereits völlig abgenagten Knochen, spuckte sie wieder zu Boden und stieß ein kehliges Lachen aus. Mit unsicheren Bewegungen schob er sich weiter. Das Kreischen der Seevögel war schwächer geworden, nur der Gestank stand unverändert stark und bestialisch im Inneren der Höhle. Doch mehr und mehr ließ der Lärm der Tiere nach, und Savedra kicherte. Sie hauen ab, sagte er sich, auch sie halten’s hier nicht mehr aus, keiner kann hier bestehen. Neben Esteban Pereda hockte er sich hin. Daß ein Teil der infernalischen Ausdünstungen von der Leiche erzeugt wurde, 45
die sich bereits in einer fortgeschrittenen Phase der Verwesung befand, wurde ihm nicht bewußt. Undeutlich erkannte er die knochige Gestalt. In Peredas hagere Züge, so schien ihm, hatte sich ein breites Grinsen gekerbt. »Lach du nur«, sagte Savedra lallend. »Wirst schon noch kapieren, wie dick wir in der - in der Tinte sitzen.« Gelegentlich versagte ihm die dicke, pelzige Zunge den Dienst. Bald brachte er keine vollständigen Sätze mehr zustande und konnte nur noch stockend sprechen. Er robbte zu Eloy Campoamor, blickte verständnislos in dessen gebrochene Augen und begann wieder zu kichern. »Keine Lust - zum Reden, was - Eloy?« Keine Antwort. Lähmendes Schweigen. Savedra ließ einen unwilligen, grollenden Laut vernehmen. »Ich kenn - dich, du Hund - spielst den Einfältigen - hast es - aber faust - faust dick - hinter den Ohren ...« Er lauschte in das Halbdunkel der Grotte und glaubte, ein fernes Murmeln zu hören. »Ja - fluche, Eloy - aber den - den Goldtukan kriegst du - kriegst du nicht ...« Die Zeit lief unerbittlich weiter. Wochen wurden zu Monaten, und die verwesenden Leichen der beiden Kumpane wurden zu Gerippen. Das alte Jahr ging vorüber, doch Antonio Savedra wußte nicht, daß der Januar kam. Auch der Januar ließ ihn nicht sterben. Er sprach mit den Skeletten. Der glühende Haß auf Miguel Casias hielt ihn am Leben. Immer wieder unternahm er Abstecher ins Freie. Das unbändige, brennende Verlangen nach Nahrung und Flüssigkeit trieb ihn voran und ließ ihn die Angst vor den Seevögeln vergessen. Nie schleppte er sich ohne Dolch oder Degen nach draußen. Einmal gelang es ihm durch puren Zufall, ein lahmendes Muttertier zu erschlagen. Gleich auf dem Felsen riß er es auf, schlürfte sein warmes, pulsierendes Blut, vergrub die Zähne in dem zähen Fleisch. Manchmal fand er pro Tag ein Ei, bisweilen nur alle zwei bis 46
drei Tage. Wie ein Tier vegetierte er dahin. Er führte endlose, sinnlose, inhaltslose Gespräche mit den beiden Gerippen von Pereda und Campoamor. Wenn er schlief, hatte er wüste Träume, in denen immer wieder ein grinsendes rundes Gesicht erschien - das von Miguel Casias. Er wollte Casias packen, doch der entzog sich ihm und lief mit gellendem Lachen davon. Der Januar verging, und auch der Februar versetzte Antonio Savedra nicht den Gnadenstoß. Sein Dasein erwies sich als zäher, als er jemals selbst geglaubt hätte. Hatte er etwas Eßbares auftreiben können und in sich hineingeschlungen, fühlte er eine schwache Welle der Kraft in sich aufsteigen. Dann kroch er auf den Knien zu den beiden Schatztruhen, griff mit den Händen in die unübersehbare Pracht, kicherte, wühlte und ließ goldene Gehänge, Broschen, Ringe, Ketten und anderen Schmuck auf sich niederregnen - ein reicher Mann, dem aller Reichtum nichts nutzte. An einem Morgen kroch er aus der Höhle, rutschte den glitschigen Pfad hinunter und schaute zum Himmel hoch. Zum erstenmal seit seiner Ankunft entdeckte er Wolken. Sie schoben sich vor die Sonne und verliehen den Felsen schattige Muster. Savedra keuchte, lachte, schlug um sich. Mit letzter Kraft gelangte er auf die Felsen und erlebte, wie ein plötzlicher Regen auf die Guano-Inseln niederging. Er drehte sich wie ein Narr, breitete die Arme aus und öffnete den Mund. Tropfen benetzten seine Lippen, seinen Gaumen, seine Zunge, brannten auf der Gesichtshaut. Er torkelte über ein kleines Plateau und fand eine Naturzisterene, die sich allmählich mit Wasser füllte. Nur kurze Zeit dauerte der Niederschlag. Doch Antonio Savedra trank wie ein Tier aus der Pfütze und entging dem drohenden, schrecklichen Tod durch Verdursten. Er kehrte zur Höhle zurück. Die Vögel kreisten in Schwärmen über ihm, als die Sonne wieder erschien, doch ihre 47
Laute vernahm er nur ganz schwach. Er ließ sich neben den Skeletten nieder und sagte lallend: »Ihr Schwachköpfe - warum seid - seid ihr nicht - mit - ge - gekommen ...?« Der 7. Februar 1579 brach an, und Antonio bekam rote Flecken auf dem ganzen Körper. Seine Kraft ließ immer mehr nach, doch Schnitter Tod, der seinem Leiden ein Ende bereitet hätte, war immer noch von ihm entfernt.
An einem der folgenden Tage schleppte er sich auf allen vieren über den Kiesstrand und trachtete danach, einen jungen Kormoran zu greifen, der tolpatschige Flugversuche unternahm und immer wieder auf dem Ufer landete. Fast hatte er ihn erreicht und streckte schon die knochige, greisenhafte Hand nach ihm aus, da bemerkte ihn der Kormoran und rückte ein Stück weg. Er hackte ein paarmal nach den Fingern, die ihn packen und ihm den Garaus bereiten wollten, dann hob er ab und flatterte davon. Antonio Savedra weinte. Seine Hände krallten sich in den Kies, sein ausgelaugter Leib wurde vom Schluchzen geschüttelt und zuckte in Intervallen. Er hatte keine Tränen mehr. Seine Augen waren so trocken wie sein Mund. Er blieb liegen, verspürte aber irgendwann doch wieder den Antrieb, sich aufzurichten. Keuchend robbte er bis an den hohen Felsvorsprung, lugte um die Kante und entdeckte etwas. Sein geschundenes Herz schlug mit einem Mal schneller. Dort, wo die Segelpinasse gelegen hatte, hob sich etwas Dunkles vom Strand ab. Savedra lachte, schrie, brachte sich ein Stück weiter voran, erhob sich und lehnte sich mit zitternden Knien gegen den Felsen. Jetzt sah er, daß es sich bei dem angetriebenen Gegenstand um eine Art Floß handelte - eine hölzerne Gräting, groß genug, um drei Männern Platz zu bieten. In der Nacht 48
mußte sie angespült worden sein. Savedra kicherte irre, drehte sich um und hastete zur Höhle zurück. Kurz vor dem Pfad stolperte er und schlug der Länge nach hin. Er fühlte Schmerzen durch seinen gepeinigten Körper branden und stöhnte. Endlich kam er wieder hoch und hangelte in die Höhle hinauf. »Kommt«, sagte er zu den Gerippen. »Es - wir - ich habe die - die Rettung gefun - gefunden - eine Gräting - von irg - irgendei - nem Schiff ...« Pereda und Campoamor regten sich nicht, und er fluchte deswegen. Der schwarzbärtige, magere Mann vollführte eine wegwerfende Geste zu ihnen hin, die ihn fast wieder von den Beinen holte. Schwankend schlurfte er auf die offenstehenden Schatztruhen zu. Er wühlte darin und fühlte einen unterschwelligen, nicht näher zu erklärenden Drang, sich plötzlich mit Ketten zu behängen. Lachend stülpte er sich Armreifen über und steckte sich so viele Ringe wie irgend möglich an die Finger. Plötzlich hielt er inne. Seine Finger hatten etwas Gedrungenes, Massives in dem prachtvoll glitzernden Inhalt der zweiten Kiste ertastet. Er zog es hervor. Er hatte den goldenen Tukan in der Hand, der Miguel Casias so sehr gefallen hatte. Ein wilder Laut drang über seine Lippen. Er stopfte sich den Tukan in die Tasche, wandte sich ab und taumelte wieder hinunter zu der Landestelle. Neben der Gräting brach er zusammen. Eine kurze Ohnmacht nahm ihn gefangen. Rote, grüne und gelbe Blitze zuckten vor seinen Augen nieder, als er die Lider wieder aufschlug. Mühselig richtete er sich auf. Er stemmte sich gegen die Gräting, rutschte aber mit den Füßen auf dem Kies aus und stürzte wieder. Antonio Savedra schluchzte verzweifelt. Er sammelte die geringen Kräfte, die ihm verblieben waren, und warf sich wieder gegen die Gräting. Diesmal brachte er sie ein Stück in Richtung auf die flache Brandung voran. Er strengte sich an, 49
mußte immer wieder innehalten und benötigte Stunden, um das Strandgut zum Schwimmen zu bringen. Endlich schaukelte sie auf dem Wasser. Savedra wankte ihr nach, knickte in den Knien ein, konnte sich jedoch festkrallen. Eine Strömung trieb die Gräting etwas ab - Savedra wurde mitgezerrt, schluckte Salzwasser, hustete, spuckte. Dann gelang es ihm, auf die Oberfläche zu kriechen. Erschöpft blieb er liegen. Das Salz brannte höllisch in seinem Mund, und in seinem Kopf war ein mörderisches Hämmern. Die Wellen zogen die Gräting mit sich fort. Da sie keinerlei Tiefgang hatte, schwamm sie, ohne anzustoßen, über alle Untiefen weg. Aus Norden wehender Wind versetzte sie südwärts. Savedra blickte aus fiebrigen Augen zur Isla del Medio zurück. Hoch über den guanobeschmutzten Felsen zogen die Seevögel - seine Feinde - ihre Kreise. Für den zu Tode ermatteten Mann war es ein hohnvoller Gruß. »Verflucht - sollt ihr - sein«, stammelte er. Irgendwann verließ ihn das Bewußtsein. Die Gräting trug ihn. Sie hatte ein würfelförmiges Gitterwerk aus starken Holzleisten, und Antonio Savedras Füße und Arme hatten sich zwischen ihnen verhakt, so daß er nicht herunterrutschen und in den Fluten des Pazifischen Ozeans versinken konnte.
6. 15. Februar 1579. Die ›Isabella III.‹ - vormals ›Valparaiso‹ - befand sich auf ungefähr vierzehn Grad südlicher Breite und etwa vier bis fünf Meilen querab der peruanischen Küste. Sie segelte bei leichtem Westwind nordwestwärts und folgte dem Verlauf der Küste. Die Mittagsstunden bescherten eine heiße, gnadenlos vom 50
Zenit herabknallende Sonne, und allen Männern an Bord setzte die Temperatur zu. In Südamerika herrschte ein ausgesprochen warmer Spätsommer. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, stand mit weit geöffnetem Hemd an der Quarterdeckgalerie und blickte auf die Männer in der Kuhl hinunter. Was die neue Zusammensetzung seiner Mannschaft betraf, brauchte er sich bislang keine grauen Haare wachsen zu lassen. Richard Minivy, Drakes Mann, der einzige Kerl, der ihm wegen der Araukanermädchen Schwierigkeiten bereitet hatte, war seit dem Feuergefecht mit spanischen Soldaten südlich der Mündung des Coquimbo nicht mehr dabei. Freiwillig hatte er sich in tödliche Gefahr begeben, denn er hatte die Schmach nicht ertragen können. Die neue Mannschaft schmiedete sich ohne Querelen von selbst zusammen. Karl von Hutten war nach der Kaperung der ehemaligen ›Valparaiso‹ praktisch mit »übernommen« worden und konnte schon fest zur Stammcrew gerechnet werden. Doch auch die dreizehn neuen Männer, die die Besatzung nunmehr auf eine Stärke von 26 Mann brachten, waren dabei, sich großartig zu bewähren. Vor der Bucht von Puerto de Caldera hatte der Seewolf Karibik-Piraten aus der Klemme geholfen, was ihm dann dadurch gedankt worden war, daß sie ihn attackiert hatten. Dreizehn waren jedoch zu ihm übergewechselt. Die ›Isabella III.‹ hatte das Piratenschiff zusammengeschossen und die Silberbarren übernommen, die es in seinem Frachtraum trug. Danach hatten sie die Galeone versenkt. Die ›Isabella III.‹ transportierte jetzt also einen stattlichen Silberschatz und die Reste der ursprünglichen Pulverladung. Hasard konnte in jeder Hinsicht zufrieden sein. Sein einziges Problem war, endlich die ›Golden Hind‹ von Kapitän Francis Drake zu finden. Zu spät hatten sie die Bucht im Mündungsgebiet des Coquimbo, die als Treffpunkt vereinbart 51
worden war, erreicht. Drake war bereits fort gewesen. »Ho!« Der Ruf erscholl aus dem Hauptmars. Hasard blickte auf und legte die rechte Hand schützend über die Augen. Der Franzose Jean Ribault beugte sich über die Brüstung des Ausgucks. »Treibgut Backbord voraus!« Ben Brighton, der Bootsmann und Erste Offizier an Bord der Zweimastgaleone, trat neben den Seewolf. »Langsam fängt er an, Dan, diesem Schlingel, mit seinen scharfen Augen Konkurrenz zu machen.« Hasard formte die Hände vor dem Mund zu einem Trichter. »He, Jean! Kannst du erkennen, was es ist?« »Scheint mir eine Art Floß zu sein und - parbleu, der Teufel soll mich holen, es liegt einer darauf!« »Näher ‘ran«, sagte Hasard. »An die Brassen! An die Schoten«, rief Ben Brighton über Deck. »Bewegt euch, ihr Faulpelze, wir segeln nicht auf dem Nachttopf spazieren!« Die schmucke Zweimastgaleone luvte an und hielt auf das rätselhafte Treibgut zu. Hasard lief über Deck nach vorn auf die Back, nahm neben einer der Drehbassen Aufstellung und hob den Kieker ans Auge. Er spähte am steil aufragenden Bugspriet vorbei und fing das schwimmende Etwas mit seinem Blick ein. Ribaults Angaben stellten sich als richtig heraus. Von weitem wirkte die Gräting tatsächlich wie ein quadratisches Floß. Und auf der Oberfläche lag die reglose Gestalt eines Mannes. Seine Kleidung war zerfetzt. Er war total abgemagert und bot alles in allem einen scheußlichen Anblick. Hasard konnte beim besten Willen nicht erkennen, ob er schon tot oder nur besinnungslos war. Irgend etwas, nicht näher zu definierende Gegenstände, blinkten an seinem Körper. Hasard beschloß, dem armen Teufel zu helfen, falls das überhaupt noch möglich war - und herauszufinden, was ihm widerfahren war. 52
»In den Wind gehen! Die Segel aufgeien!« befahl er. »Aye, aye, Sir!« Ben Brighton sorgte dafür, daß das Manöver sauber und flink ausgeführt wurde. Wenig später ließ der Seewolf die Segelpinasse außenbords schwenken und hinabfieren. Dan O’Flynn, Batuti, Stenmark, Matt Davis und Will Thorne, einer der ehemaligen Karibik-Piraten, ein grauhaariger, besonnener Mann, begaben sich an Bord der Pinasse. Sie stießen sich von der ›Isabella III.‹ ab und pullten auf die treibende Gräting mit dem Schiffbrüchigen zu. Dan O’Flynn kauerte im Bug und lehnte sich vornüber, daß es aussah, als würde er jeden Moment baden gehen. Mit der rechten Hand packte er den Rand der Gräting und zog sie ganz heran. Sie schwamm längsseits der Pinasse. Batuti und Stenmark griffen mit zu. Sehr behutsam hoben sie den bewußtlosen Mann von dem Holzgitter. Nachdem sie ihn in die Pinasse gebettet hatten, ließen sie die Gräting treiben und pullten zur Galeone zurück. Dan enterte als erster wieder auf, hielt sich an den Berghölzern fest und dirigierte die Taue, die nun abgefiert wurden. Die Männer in der Pinasse legten den Schiffbrüchigen auf ein Stück Segeltuch, knoteten die Tauenden fest und gaben ein Zeichen. Dan pfiff. Blacky und Bück Buchanan griffen an Bord der Galeone in die Taue. Die Taljen quietschten, und der Mann schwebte langsam außenbords empor. Etwas später lag er zu ihren Füßen auf den Decksplanken. Während ein Teil der Mannschaft die Segelpinasse wieder an Bord, nahm, rief Hasard den Kutscher. Der Kutscher war der Koch der Mannschaft, aber seit der Zeit, in der er bei Sir Freemont, einem Arzt in Plymouth, gedient hatte, verstand er sich auch auf Wundbehandlung und andere Arbeiten, die gewöhnlich ein Feldscher versah. »Seid ihr sicher, daß er wirklich nur bewußtlos ist?« fragte er besorgt. »Zum Teufel«, gab Matt Davies zurück. »Wofür haben wir 53
dich, du Kombüsenhengst?« Der Kutscher kniete sich neben den reglosen Mann, fühlte nach seinem Pulsschlag, horchte an seinem flachen Brustkasten. Schließlich richtete er sich wieder auf und verkündete: »Ganz schwache Lebenszeichen. Es ist ein Wunder, daß er noch nicht hinüber ist.« »Was können wir für ihn tun?« fragte Hasard. »Vorläufig nichts.« »Er ist krank«, sagte Smoky. Der Schimpansenjunge Arwenack hockte auf seiner Schulter, bewegte sich unruhig und fiepte, als wolle er Unheil ankündigen. »Wer weiß, was er hat«, fuhr Smoky fort. »Doch wohl nicht etwa die Pest oder die Pocken? Seht ihn euch an!« Argwöhnisch nahm die gesamte Mannschaft in Augenschein, wen sie sich da an Bord geholt hatte. Der Mann sah wirklich mehr tot als lebendig aus. Er war ein ausgemergeltes Gerippe mit eigenartigen Flecken auf dem Körper. Der Oberkörper war nur noch mit Stoffetzen behangen. Im Grunde war er bloß noch mit einer Hose bekleidet. Ein dichter, verfilzter schwarzer Vollbart reichte bis auf seine Brust. Die Blicke der Männer verharrten auf dem Schmuck, den er trug. »Mann, o Mann«, sagte Stenmark. »Ich gehe jede Wette ein, daß das echtes Gold ist.« Sam Roskill, einer der früheren Karibik-Piraten, bückte sich und unterzog einen Armreifen, eine Kette und die Ringe an der linken Hand des Mannes einer genaueren Prüfung. »Gold«, bestätigte er dann. »Möchte wissen, wer das ist«, sagte Dan O’Flynn. »Bestimmt ein Don«, sagte Pete Ballie. »Wie kannst du das wissen, bevor er überhaupt den Mund aufgetan hat?« sagte Karl von Hutten. »Na, die schwarzen Haare und die etwas dunkle Haut ...« »Die dunkle Haut habe ich auch«, entgegnete Karl. »Dennoch 54
drehe ich jedem den Hals um, der mich einen Spanier nennt.« Hasard hob die Hand. »Regt euch ab, Männer. Daß wir so nicht weiterkommen, müßt ihr doch alle einsehen. Batuti und Stenmark, ihr bringt den Mann nach Achtern. So vorsichtig wie möglich.« »Ich kann ihm kalte Umschläge machen, das ist alles.« Der Kutscher zeigte nach wie vor eine besorgte Miene. »Ihn gewaltsam aus der Ohnmacht zu reißen, wäre lebensgefährlich für ihn. Bei seinem Zustand kann er leicht einen Schlag erleiden und sterben.« Weisungsgemäß brachten der Gambia-Neger und der Schwede den Schwarzbärtigen im Achterkastell in eine Kammer und ließen ihn vorsichtig auf die Koje sinken. Der Kutscher erschien mit einer Pütz voll Wasser und Tüchern. Philip Hasard Killigrew trat nach ihm ein. Hasard beugte sich über den halbtoten Mann. »Vielleicht ist er ein Prinz oder irgendein anderer feiner Herr«, sagte Stenmark angesichts des vielen wertvollen Schmucks. »Glaube ich nicht«, erwiderte der Kutscher. »Ein Edelmann trägt nicht so eine Hose, ich meine, aus solchem Stoff.« Er bereitete den ersten Umschlag und legte ihn auf. Der Mann stöhnte verhalten, rührte sich aber nicht. Ben Brighton kam ebenfalls in die Kammer. Er hatte ihre Unterhaltung mitgehört. »Ich halte ihn für einen ganz normalen Seemann.« »Ich auch«, sagte Hasard. »Erstens: Wie sollte ein Landlubber wohl auf eine im Pazifik treibende Gittergräting geraten? Zweitens: Wie könnte es angehen, daß sich ein adliger Mann so übertrieben mit Schmuck behängt? Ich habe etwas Derartiges jedenfalls noch nicht gesehen.« »Er vielleicht Macke.« Batuti tippte bedeutungsvoll mit dem Finger gegen die Stirn. Der Seewolf schaute ihn nachdenklich an. »Das könnte 55
natürlich sein. Aber da bleibt immer noch die Frage, woher das Gold stammt. Ich bin der Auffassung, er hat es sich angeeignet. Ich will aber nicht vorgreifen. Vielleicht kommt er bald zu sich. Dann erfahren wir ja wohl seine Geschichte.« Hasard begann, ihm den Schmuck abzunehmen. »Ben, geh bitte in meine Kammer und hole eine leere Schatulle aus dem Schapp. Wir legen das Zeug hinein.« »Aye, aye, Sir.« Der Seewolf zog die Ringe von den Fingern des Schwarzbartes, befreite ihn von den matt schimmernden Reifen, die er an den Händgelenken trug, und nahm ihm auch die Halsketten ab. Der Kutscher mußte den Kopf des Mannes leicht anheben. Hasard nestelte die Ketten behutsam hervor. Der Mann stöhnte wieder. Ben Brighton kehrte mit der Schatulle zurück, und Hasard ließ den Schmuck hineinfallen. Kleine, klirrende Geräusche ertönten. Stenmark sagte respektvoll: »Himmel, das Zeug muß vielelicht einen Wert haben. Nicht nur, weil es Gold ist. Es scheint auch verdammt alt zu sein.« »Ja«, gab Hasard zurück. »Was hältst du davon?« fragte Ben. »Ich weiß es noch nicht. Ich muß noch darüber nachdenken.« Der Seewolf tastete die Hose des Bewußtlosen ab. Plötzlich stieß er auf Widerstand, griff in die eine Tasche und zog etwas Faustgroßes daraus hervor. Demonstrativ hielt er es hoch einen Vogel, ganz aus Gold, mit Augen aus Edelsteinen. »Donnerschlag«, sagte der Kutscher. Die anderen staunten nicht minder. Der Vogel ging von Hand zu Hand und wurde abschätzend gewogen. Hasard schickte Batuti los, Karl von Hutten zu holen. Wenig später wies er ihm an der Koje des Schiffbrüchigen den Fund vor. Er schwieg und blickte Karl nur abwartend aus seinen eisblauen Augen an. »Also, das ist eindeutig die Nachbildung eines Tukans«, 56
erklärte von Hutten nach einigem Überlegen. »Eine Vogelart, wie sie in Peru lebt.« Er stand auf und bedachte auch den Inhalt der noch geöffneten Schatulle mit einem taxierenden Blick. »Wenn ihr mich fragt, das könnte Inkagold sein.« Hasard richtete sich auf. »Woher?« »Das wissen die Heiligen.« »Wir kriegen es noch heraus. Jetzt lassen wir den bedauernswerten Kerl erstmal mit dem Kutscher allein. Kutscher, wenn du Ablösung brauchst, sagst du Bescheid. Ich will, daß stets jemand bei dem Mann ist und mich ruft, falls er aufwacht.« »In Ordnung. Aye, aye, Sir.« Der Seewolf brachte die Schmuckschatulle in die Kapitänskammer. Auch den goldenen Tukan legte er hinein, klappte den Deckel zu, gesellte sich wieder zu Ben Brighton, Stenmark und Karl von Hutten und ging mit ihnen auf Deck. »Ich glaube, hinter alledem steckt mehr als ein Schiffsuntergang«, sagte er versonnen. »Eine weitaus furchtbarere Sache.« * In den Nachmittagsstunden konnte die Mannschaft aufatmen. Die Hitze ließ nach. Sie konnten sich wieder auf Deck bewegen, ohne wie die Spanferkel geröstet zu werden. Als es auf den Abend zuging, senkte sich eine aufmunternde Frische auf die See, und alle Arbeiten an Bord wurden mit mehr Elan verrichtet. Philip Hasard Killigrew stand auf dem Achterdeck. Er hatte die Hände auf die Schmuckbalustrade gelegt, die den Querabschluß zum Quarterdeck hin bildete. Sein Blick schweifte über die Takelung und maß die Geschwindigkeit, mit der sie segelten. Er konnte stolz auf die Beutegaleone sein. Dank der ausgefallenen Bauweise war sie ein ausgesprochener 57
Schnellsegler. Die ›Isabella III.‹ führte zwar nur Fock- und Großmast, doch das hatte sich bisher nicht als Handicap erwiesen. Im Gegenteil, es machte sie manövrierfähiger als einen normalen Dreimaster. Alle Segel waren rahgetakelt - mit Ausnahme des Großsegels. Es war trapezförmig geschnitten und wurde an einer Gaffel gefahren. Die übrigen Segel bestanden aus Großmars, Fock, Vormars und Blinde. Die Armierung bestand aus je vier Neunpfündern auf beiden Seiten der Kuhl sowie, seit dem Abenteuer mit den Karibik-Piraten, sechs Drehbassen. Zwei waren vorn auf der Back montiert worden, zwei auf dem Achterdeck und zwei auf der Kuhl ganz achtern. Hasard rechnete sich zum wiederholten Male aus: Wenn die Wetterbedingungen so günstig wie bisher blieben und Francis Drake seinen bisherigen Kurs beibehielt, mußte die Distanz zwischen ihnen schrumpfen, denn die ›Isabella III.‹ war schneller als die ›Golden Hind‹. Innerhalb der nächsten Tage konnten sie Drakes Galeone einholen und Bericht erstatten über alles, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte. Drake würde heilfroh sein, den Seewolf doch noch zu sich rechnen zu können. Er wußte ja nicht einmal, daß die Isabella-Crew noch am Leben war. Schritte trappelten hastig heran. Hasard beugte sich vor und entdeckte Dan O’Flynn, der über das Quarterdeck stürmte. »Der Kutscher schickt mich. Der Schiffbrüchige scheint aufzuwachen!« Hasard hatte auf diesen Augenblick gewartet. Er winkte Karl von Hutten zu, dieser lief über die Kuhl nach achtern und war neben ihm, als er den Niedergang zu den Kammern im Achterkastell erreichte. Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinunter. Als sie die Tür zu der betreffenden Kammer öffneten, gab der Kutscher ihnen ein Zeichen, sich leise zu verhalten. Er hockte neben der Koje und schaute wie gebannt in das schweißbedeckte Antlitz des schwarzbärtigen Mannes. 58
Hasard wollte die Tür zudrücken, bemerkte jedoch Dan O’Flynn hinter sich. Er ließ das Bürschchen noch ein. Dann näherten sie sich auf Zehenspitzen der Koje. Der Schiffbrüchige regte sich, öffnete den Mund und brachte eine Reihe von unverständlichen Lauten hervor. Nur ein paar Worte waren deutlich zu vernehmen: »Madre« und »Santa« und »Dios«. »Also ist er doch ein Spanier«, flüsterte Hasard. »Er ruft die heilige Mutter Maria und Gott an.« Antonio Savedra sah die Konturen zunächst milchig verschwommen, und er glaubte, eine Insel unter sich zu haben. Die Isla del Medio, felsig, drohend, mit erdigem, stinkenden Guano beladen. Er hockte auf dem mächtigen Rücken einer riesigen Möwe und wurde durch die Lüfte entführt, wohin, das wußte er nicht. Der gewaltige Schnabel des Tieres öffnete sich - und Savedra vernahm das schrille Kreischen, Stöhnen und Gebrüll seiner sterbenden Kumpane, Miguel Casias hämisches Lachen und andere Laute, die er nicht einzuordnen wußte. Sie schienen direkt aus den Tiefen der Hölle zu entstammen. »Nein«, sagte er. »Heilige Mutter Gottes - nein.« Die Konturen liefen ineinander, alles drohte in einem Wirbel von Farben unterzugehen. Doch dann hob sich deutlicher über ihm ab, was er für die Umrisse der Toteninsel gehalten hatte das Gesicht eines Mannes. Ernst blickten die eisblauen Augen auf ihn herab. Es war ein junges Antlitz, aber doch schon von Wind und Wetter und den Härten des Lebens gezeichnet, unauslöschlich von Erfahrungen geprägt. Eine Narbe verlief deutlich sichtbar von der oberen rechten Stirnhälfte schräg über die linke Augenbraue und die linke Wange. Antonio sah, daß der Mann dichtes schwarzes Haar hatte. Seine Lippen zogen sich zu einem besänftigenden Lächeln auseinander und legten zwei Reihen weißer Zähne frei. Plötzlich dehnten sich die Ränder des Gesichtes nach den Seiten hin aus. Die Züge verformten sich grotesk. Antonio 59
Savedra konstatierte zu seinem Schrecken die feiste, aufgedunsene Physiognomie mit den kleinen, listigen Augen, die Fratze des Schreckens, die sich in sein Gedächtnis brannte und ihn nicht mehr losließ. »Casias!« Er schlug nach dem Gesicht, doch jemand hielt ihn fest. Er wollte kratzen, beißen, spucken, doch der Körper gehorchte nicht den Befehlen des Geistes. Matt sank er zurück. »Hund - Casias - verflucht so - sollst du - sein ...« Aus weiter Ferne drang eine tiefe Stimme an seine Ohren, doch er begriff nicht, was sie sagte. Das Gesicht über ihm nahm wieder die Züge an, die es vorher gehabt hatte. Savedra atmete etwas weniger hastig, doch er verstand immer noch nicht, was der Mund mit den weißen Zähnen ausdrückte. * »Oiga me, hombre«, sagte Hasard. »Hör mich an.« Doch es war sinnlos. Der Schiffbrüchige schien taub zu sein. Er gebärdete sich außerdem wie wild und würgte immer wieder das Wort »Casias« hervor. »Er kann nicht richtig sprechen«, stellte der Kutscher fest. »Was er erlebt hat, hat ihn um den Verstand gebracht«, sagte Karl von Hutten. Hasard gab nicht auf. Er brüllte den Fremden an, daß der Kutscher unwillkürlich ein Stück zurückzuckte. Hasard hatte, wenn er richtig loslegte, eine Stentorstimme, mit denen er Trommelfelle zum Dröhnen bringen konnte. »Wer bist du?« schrie er dem Mann direkt ins Gesicht. »Gib dich zu erkennen! Wir wollen dir helfen, helfen!« Der abgezehrte Fremde riß unvermittelt die Augen weit auf und schaute den Seewolf an. »Ich - wer bist du - die Vögel - sie kriegen mich - Marcos Mar-cos hat - gesagt - die - die Insel will uns nicht ...« 60
»Ich heiße Hasard und segle unter Captain Francis Drakes Kommando. Drake, verstehst du?« »Er begreift nicht«, sagte der Kutscher. Der stiere Blick des kranken Mannes war unverwandt auf Hasard gerichtet. Seine Augen hatten einen fiebrigen, irren Glanz, sein Gesicht war mit roten Flecken übersät. »Die Insel - Marcos ...« »Wer ist Marcos?« brüllte der Seewolf zurück. »Wer bist du?« »Esteban-Eloy ...« »Zum Donnerwetter, drück dich deutlicher aus.!« »Sie leben - leben - dige Kno - chen - gerip - pe ...« »Himmel und Hölle«, stöhnte Dan O’Flynn. Hasard packte den Mann an den Schultern. »Marcos, Esteban, Eloy - sind oder waren das deine Freunde?« »Ja - ja.« Der Fremde bäumte sich plötzlich unter Hasards Griff auf, strampelte mit den Beinen und schrie mit kaum noch als menschlich zu bezeichnender Stimme: »Casias! Miguel Casias! Verdammter - Hund - Mörder - Mörder ...« »Casias ist ein Mörder«, wiederholte Hasard laut. »Wo steckt er? Gehört ihm das Gold? Wer bist du?« Die Stimme des Schwarzbärtigen schlug in ein verzweifeltes Röcheln um. »Casias - nicht für ihn - nicht das Gold - die Truhen - nein.« »Es geht mit ihm zu Ende«, sagte der Kutscher leise. »Wo finde ich Casias?« fragte Hasard. »Callao - Cantina - Hafen ...« antwortete der Sterbende. »El Gabian Feferoce …« »Die wilde Möwe.« Karl von Hutten übersetzte das Wort ins Englische. Erschüttert verfolgte er den Todeskampf des Fremden in Philip Hasard Killigrews Armen. »Möwen. Vögel. Vögel scheinen ein Schlüssel zu seinem Geheimnis zu sein.« »Was für eine Insel meinst du?« wollte der Seewolf von dem Sterbenden wissen. Doch dieser zuckte konvulsivisch 61
zusammen, wurde noch einmal am ganzen Leib geschüttelt und sackte dann schlaff in Hasards Hände zurück. »Es ist aus«, sagte Hasard. Damit drückte er ihm die starr gewordenen Augen zu. Sie erhoben sich. Dan O’Flynn und Karl von Hutten nahmen die Mützen ab. Karl, der von Mönchen großgezogen worden war, schlug das Kreuzzeichen und sagte: »Gott sei seiner armen Seele gnädig. Wir wissen nicht, ob er ein ehrlicher Mann oder ein Schuft war, aber ich bete dafür, daß er in jedem Fall dort oben aufgenommen wird und ihm seine Sünden vergeben werden.« »Amen«, sagte der Kutscher. Hasard trat auf den Gang hinaus, nahm die Stufen des Niederganges mit ein paar langen Schritten und rief über Deck: »Ben, Blacky, Smoky, Stenmark! Besorgt Segeltuch, wir haben einen Toten zu bestatten. Bereitet alles für ein Seemannsbegräbnis vor.« Kurze Zeit später wurde der Tote an Deck geschafft. Ferris Tucker und Will Thorne, der früher Segelmacher gewesen war, übernahmen es, ihn in das Stück Segeltuch einzunähen. Hasard stand neben Ben Brighton und Karl von Hutten und verfolgte nachdenklich das Tun seiner Männer. »Hunger und Durst haben ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben. Doch von welcher Krankheit war er befallen? Hängt sie in irgendeiner Weise mit den Vögeln zusammen?« »Hoffen wir das beste für die Mannschaft«, sagte Ben Brighton. »Ich glaube nicht, daß es eine ansteckende Sache ist«, entgegnete Hasard. Karl von Hutten sagte: »Dein Wort in Gottes Ohr, Seewolf.« »Wenn Kaplan Francis Fletcher dich heute hören könnte, würde er vor Entzücken durchdrehen.« Hasard schaute zu, wie das Gesicht und der gesamte Körper des Toten unter dem Segeltuch verschwand. 62
»Marcos, Esteban, Eloy - seine Begleiter. Was ist aus ihnen geworden? Und Miguel Casias? Scheint ein großer Schweinehund zu sein. Wie er selbst heißt, das hat der Fremde mit in den Tod genommen. Für uns bleibt er ein namenloser Spanier.« Kurze Zeit darauf wurde der Segeltuchpacken, der die Leiche enthielt, über das Backbordschanzkleid geschoben. Buchanan und Stenmark hielten es fest, und Karl von Hutten sprach noch ein paar Worte, weil er es für angebracht hielt. Sonst ging das Begräbnis ohne großes Zeremoniell vonstatten. Der Tote wurde über Bord gegeben, fiel in senkrechter Haltung der Wasseroberfläche entgegen, tauchte ein und entzog sich den Blicken der Männer, die sich übers Schanzkleid gelehnt hatten. Hasard wandte sich ab. Er suchte die Kuhl auf. Er wollte sich dem Achterkastell zuwenden, als eine kleine Gestalt flink den Großmast herabturnte. Arwenack, der Gesellschaft von Jean Ribault offensichtlich überdrüssig, stieß ein vielsagendes Schnattern aus, turnte an Hasards Hosenbein hoch, stieg über den Gürtel weg und erklomm seine Schulter. Hier blieb er sitzen und kraulte dem Seewolf das Ohr. Hasard grinste. »Also gut, meinetwegen. Kannst mitkommen. Aber wenn du Dummheiten ausheckst, fliegst du achtkantig wieder ‘raus. Kapiert?« Arwenack nickte. Hasard ging in die Kapitänskammer, setzte sich und nahm sich wieder die Schmuckschatulle vor. Tief in seine Gedanken verstrickt, betrachtete er die gediegenen, reingoldenen Arbeiten, ließ Ketten und Ringe und Reifen durch seine Finger gleiten. Schließlich unterzog er den Tukan einer weiteren eingehenden Prüfung. Der Schimpansenjunge griff blitzschnell zu, schnappte sich einen Ring und schob ihn auf einen seiner runzligen Finger. Hasard wollte ihm das Ding wegnehmen, aber Arwenack fletschte die Zähne, grunzte und hüpfte über die Tischplatte auf 63
den gegenüber befindlichen Stuhl. Hier setzte er sich zufrieden hin, grinste und klatschte in die Hände. »Du rabenschwarzer Teufel.« Hasard schmunzelte und widmete sich wieder dem Tukan. Von Hutten hatte recht. Die Goldschmiedearbeit wirkte fremdländisch, mysteriös. Das galt auch für alle anderen Stücke. Wirklich Inkagold? Hasard hatte in dieser Beziehung großes Vertrauen zu von Hutten. Inkagold, das bedeutete unvorstellbaren Reichtum, wenn sie die Quelle fanden, der dieser Schmuck entstammte. Und daß eine solche Quelle existierte, war für den Seewolf so gut wie ohne Zweifel. Der tote Mann mit dem schwarzen Bart hatte von zwei Kisten gesprochen. Wo lagerten diese Kisten diese Schatztruhen? Verrenne dich nicht in zu kühne Vorstellungen, sagte sich der Seewolf im stillen, das hat schon manchem das Genick gebrochen. Dennoch faßte er seinen Entschluß. Er erhob sich und umrundete den Tisch. Arwenack wollte Reißaus nehmen, doch Hasard packte ihn und nahm ihm den goldenen Ring wieder ab. Arwenack hüpfte auf der Stelle und schimpfte wie ein Rohspatz, aber das nutzte nichts. »Das ist kein Spielzeug«, sagte Hasard zu ihm. Er begab sich auf Deck. Arwenack war beleidigt und zog es vor, nach Smoky zu suchen. Leise schimpfend trollte er sich. Hasard stieg auf die Poop. »Ben!« »Sir?« »Wir laufen Callao an. Ich will diesem Miguel Casias auf den Zahn fühlen. Irgend etwas scheint an der Sache oberfaul zu sein.«
7. In der Nacht des 15. Februar 1579 - zwei Tage, bevor die 64
›Isabella III.‹ diese Position erreichte - passierte eine Dreimastgaleone die langgestreckte Halbinsel im Süden der Bai von Callao, halste und lief heimlich in den so vorzüglich gegen Wind und Wasser abgeschirmten Hafen von Callao ein. Es gab weder auf der vorgelagerten Insel San Lorenzo noch in der Stadt selbst noch sonst irgendwo einen Menschen, der das Schiff sah und bei seinem Anblick düsteren Gedanken nachhing - dabei hätte dazu aller Anlaß bestanden. Streng bewachte Transportgaleonen wie seinerzeit die ›San Pedrico‹ befanden sich nicht auf der Reede, und so bemerkte eigentlich niemand die Galeone, die sich da dreist einschlich. Kurzum, Callao schlief und seine Menschen dachten an nichts Böses. Die fremde Galeone war ein dahingleitender gigantischer Schatten. Nur ein später Zecher, der mit heftiger Schlagseite vor den Häuserfassaden jenseits der Kaimauer entlangtorkelte, beobachtete, wie die Maststengen und Flögel kurze Zeit die bleiche Scheibe des Mondes streiften. »Feiner Kahn«, brummte er, mehr nicht. Er verschwand im Gewirr der Gassen und steuerte die nächste Spelunke an. Wäre er stehengeblieben und hätte dem stolzen Schiff ein bißchen länger seine Aufmerksamkeit gewidmet, hätte er weitere Einzelheiten erkennen können. Die Galeone zeigte ihre Breitseite, und das weißliche Mondlicht zeichnete die Konturen der Galionsfigur nach. Sie stellte eine goldene Hirschkuh dar. Ein Mann namens Ferris Tucker hatte sie geschnitzt und gegen den Pelikan ausgetauscht, der zuvor den Bug des Schiffes verziert hatte. Das war noch auf dem Atlantik geschehen, bevor die tollkühnen Mannschaften des damaligen Verbandes die Durchquerung der Magellan-Straße gewagt hatten. ›Golden Hind‹ hieß die vormals ›Pelican‹ getaufte Galeone seitdem, und der Name wies einerseits auf das legendäre »Goldland« hinter dem Atlantik hin, andererseits war die Hirschkuh auch 65
das Wappentier Sir Christopher Hattons, des Kapitäns der königlichen Garde am Hofe Elizabeths, deren Günstling der Kapitän dieses Schiffes war - Francis Drake. Drake stand am Steuerbordschanzkleid und ließ seinen Blick über die auf der Reede ankernden Schiffe wandern. Was er sah, behagte ihm nicht, Unwillig zog er die Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammen. »Profos!« sagte er. Edwin Carberry, der keine zehn Schritte entfernt gestanden hatte, ein bulliger Kerl mit Rammkinn und zernarbtem Gesicht, der weder Tod noch Teufel fürchtete und erst im Faustkampf mit einem gewissen Phillip Hasard Killigrew seinen Bezwinger gefunden hatte - Carberry also trat neben seinen Kapitän. »Sir?« »Was sehen Sie?« »Ein halbes Dutzend gottverdammter, bis unter die Toppnanten verlauster spanischer Segler, Sir.« »Hm. Was für Schiffe, Carberry?« »Kauffahrer.« »Sehr richtig. Und was hat es mit diesen Kauffahrern auf sich?« Carberry kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Er fühlte sich verunsichert. Wortspielereien waren absolut nicht seine Stärke. Er befürchtete, eine falsche Antwort zu geben, erwiderte aber trotzdem mit tiefer Stimme: »Sir - die Kähne haben allesamt keinen großen Tiefgang. Scheinen mir, der Teufel soll sie holen, leer zu sein.« »Eben, Profos. Hier gibt es, entgegen meinen Erwartungen, für uns keine Beute zu holen. Was bleibt uns also jetzt nur noch übrig, frage ich Sie?« Carberry begann seinen Hinterkopf mit größerer Intensität zu kratzen. Was war los? Auf was wollte der Alte hinaus? War das jetzt eine neue Taktik, die Leute kribbelig zu machen? Carberry fühlte sich unwohl in seiner Haut. 66
Ein Schatten löste sich aus der Dunkelheit und näherte sich ihren Rücken. Sie wandten sich um. Francis Fletcher, der Schiffskaplan, trat auf sie zu. Er war ein dicker Mensch mit spärlichem blonden Haar und hellen Augen, hatte Pausbacken wie ein Posaunenengel und steckte stets voller weiser Bibelsprüche und moralisierender Thesen - was der Mannschaft, besonders im Hinblick auf das Saufen, Fluchen und Zotenreißen, ein wahrer Balken im Auge war. »Mit Verlaub, meine Freunde«, sagte er salbungsvoll. »Ich habe den letzten Teil Ihrer Unterhaltung zwangsläufig verfolgt und möchte mir eine Bemerkung erlauben. Empfiehlt es sich nicht, schleunigst wieder umzudrehen, und, dem Ziele unserer Mission gemäß, mit Gott und allen guten Segenswünschen weiter nach Norden zu segeln?« »Hm.« Drake räusperte sich. Carberry ließ von seinem Hinterkopf ab, stemmte plötzlich die Fäuste in die Seiten und zog eine gallige Miene. »Moment mal. Das soll doch wohl nicht etwa heißen, daß wir abhauen, ohne den Höllenhunden von Dons gehörig eins ausgewischt zu haben, was, wie?« »Fluchen Sie nicht, Profos«, sagte Francis Fletcher. »Ich habe doch gar nicht ...« »Sie haben den Ausdruck Höllenhunde gebraucht. Der Herr sei Ihrem wirren Geist gnädig.« Carberry grinste und erwiderte: »Tut mir leid, Kaplan. Ich werde diese Galgenvögel, Hurensöhne und Bastarde von Dons niemals wieder als Höllenhunde bezeichnen und auch sonst keine schlimmen Worte mehr benutzen.« Fletcher lief dunkel an, doch Drake ergriff rasch das Wort. »Sie haben mir aus der Seele gesprochen, Profos. Wir kappen die Ankertrossen der Kauffahrer. Stellen Sie eine kleine Mannschaft von sechs Leuten zusammen, nehmen Sie ein Pinasse und führen Sie diesen Befehl aus.« »Aye, aye, Sir!« Edwin Carberry warf einen Seitenblick auf 67
den Kaplan und fügte noch hinzu: »Würde dringend empfehlen, sich unter Deck zu verziehen, denn wenn die Spanier was bemerken und Rabatz schlagen, kann es hier verdammt ungemütlich werden.« »Oh«, sagte Fletcher, drehte sich um und stiefelte hastig davon. Carberry grinste von einem Ohr zum anderen, wurde aber sofort wieder ernst, als er Francis Drakes strenge Miene konstatierte. Etwas später wurde die Pinasse zu Wasser gelassen. Carberry, Patrick Evarts, Mac Pellew und vier andere Männer der Golden-Hind-Crew enterten an der Backbordwand der Galeone ab, setzten sich auf die Duchten und griffen nach den Riemen. Der Profos nahm den Platz im Heck ein, er führte das Kommando. Die Männer begannen zu pullen. Das Beiboot glitt in die Dunkelheit hinaus. Die Galeone blieb hinter ihnen zurück. Ihre Konturen zerliefen in den Schatten der Nacht, kein Licht brannte an Bord, kein Laut drang herüber. Carberry ließ den ihnen am nächsten liegenden Kauffahrer ansteuern. Es war ein dickes Schiff, mit mehreren Ankern an Bug und Heck, die es daran hinderten, unkontrolliert durch das Hafenbecken zu treiben. Carberry begann zu grinsen. Er ließ um das Schiff herumfahren und kappte eigenhändig die Ankertrossen. Er benutzte dazu ein scharfklingiges Entermesser. Über ihnen, an Bord des Spaniers, regte sich nichts. Sie überließen das Schiff seinem Schicksal und hielten auf ihr nächstes Opfer zu, eine Dreimastgaleone, die wie die übrigen vier an der Ankertrosse schwojte. Die Prozedur war die gleiche. Und wieder wurden sie nicht entdeckt.. »Ich finde das richtig langweilig«, sagte Mac Pellew. »Halt den Mund«, zischte Carberry. »Daß du auch immer was zu meckern hast, Mac Pellew«, sagte Patrick Evarts. 68
Der Profos beugte sich vor und blickte sie drohend an. »Wenn jetzt noch einer von euch Affenärschen das Maul aufreißt, ziehe ich ihm das Fell ab, ist das klar, was, wie?« Sie schwiegen. Sie pullten weiter und besorgten es dem dritten und vierten Schiff auf der Reede. Einmal schauten sie sich um und stellten grinsend fest, daß der erste Kauffahrer sich bereits bedrohlich den Hafenbollwerken genähert hatte. Der vorletzte Segler lag etwas tiefer als die anderen, und Edwin Carberry konnte es nicht lassen: Er mußte entern. Sie pullten mit der Pinasse unter die Achtergalerie des Schiffes und warfen die Haken, die sich an dem Schanzkleid und den Berghölzern festkrallten. Carberry hangelte mit der Hälfte seiner Meute am Heck hoch, kletterte als erster aufs Achterdeck und pirschte sich an einen dösenden Don heran. Der Mann hockte mit angezogenen Beinen am Besanmast. Aus seinem halboffenen Mund drangen dünne Schnarchlaute. Carberry griff sich einen schönen glatten, akkurat gedrechselten Belegnagel und schwang ihn in der Faust. Die anderen waren hinter ihm, unter ihnen Mac Pellew. Der Profos hieb zu. Es gab einen trockenen Laut, und der Spanier setzte seinen Schlummer fort. »Holz auf Holz«, sagte Mac Pellew verhalten. »Schscht«, flüsterte Carberry. Sie besaßen die Dreistigkeit und Verwegenheit, über die Kuhl bis in die Frachträume vorzudringen. Sie stießen auf einen weiteren Don, und der schlief nicht. Aber Evarts knallte ihm die Faust unters Kinn, bevor er den Mund auftun und schreien konnte. Drakes Männer durchsuchten die Frachträume, öffneten Säcke, schauten untef Kistendeckeln nach. Der Bauch der Galeone war nur mäßig ausgefüllt, bei weitem nicht bis unter die Ladeluken. So erklärte sich der bescheidene Tiefgang. »Puh«, sagte Mac Pellew und rümpfte die Nase. »Nichts als Gewürze. Pfeffer, Muskatnuß, Rosmarin, Oregankraut. Das 69
sollen wir damit anfangen?« »Stopf dir die Taschen voll«, erwiderte Carberry mißmutig. »Ich hab noch genügend Gewürzvorräte in der Kombüse.« »Stopf dir trotzdem die Taschen voll - zum Andenken.« Der Koch tat es, dann schlichen sie wieder auf Deck, eilten zur Achtergalerie und kletterten in ihre Pinasse zurück. Carberry schaute zu der ersten Galeone hinüber. Sie drohte aufzulaufen. Die anderen Schiffe waren ebenfalls von leichten Strömungen erfaßt worden und fingen an, kreuz und quer durcheinander zu dümpeln. »Wenn die Flut einsetzte, das wäre gut«, flüsterte Patrick Evarts. »Sie würden allesamt gegen die Kaimauer krachen.« Sie nahmen sich das letzte Schiff vor. Danach pullten sie so schnell wie möglich zur ›Golden Hind‹ zurück. Sie legten an der Bordwand an, als das erste von ihnen »versorgte« Schiff unter Krachen und Knirschen auf die Bollwerke lief. Das Schreien und Fluchen von Männern war zu vernehmen. An Bord wurden Laternen geschwenkt. Hastig kletterten Carberry und die anderen die Jakobsleiter an der Bordwand ihrer Galeone hoch. Auf Deck meldete der Profos: »Befehl ausgeführt, Sir.« »Das sehe ich. Ausgezeichnet, Profos.« »Mac Pellew hat ein halbes Fuder Gewürze mitgebracht, Sir.« »Gewürze?« »Als - als Trophäe.« Drake schüttelte verständnislos den Kopf. Er teilte seine Befehle aus, und die Männer gingen schleunigst an die Arbeit. Die Pinasse wurde hochgehievt, die Segel gesetzt. Eine leichte Bö trieb die Galeone vor sich her - und so leise, wie Francis Drake in den Hafen von Callao eingedrungen war, so still und heimlich schlich er sich auch wieder hinaus. Bevor die Spanier an Bord der sechs Kauffahrer bemerkten, was gespielt wurde und wer für das Unglück verantwortlich war, hatte sich die ›Golden Hind‹ davongestohlen. Während sie 70
auf offener See wieder auf Nordkurs ging, entwickelte sich im Hafen ein Zustand heillosen Durcheinanders. Der aufgelaufene Segler krängte zur Seite über und brach fast in der Mitte auseinander. An Bord brach Panik aus. Beiboote wurden zu Wasser gelassen, einige Männer sprangen einfach in die Fluten und schwammen davon. Zwei andere Frachtgaleonen prallten miteinander zusammen, wurden gegen die Kaimauer getrieben und rieben sich daran, daß die Bordwände krachten und es in den Verbänden knackte. Das vierte Schiff erlitt Havarie, indem es auf ein Stück Strand lief, und die beiden übrigen wurden von der Dünung auf den Stillen Ozean hinausbefördert. Überall im Hafen von Callao flammten Lichter auf. Es wurde durcheinander gebrüllt, niemand wußte recht, welche Initiative zuerst zu ergreifen war, wer das Kommando führen sollte. Es war der Teufel los.
8. Am 17. Februar 1579 entdeckte das Bürschchen Dan O’Flynn vom Großmars der ›Isabella III.‹ aus eine kleine, versteckt liegende Bucht, die für Philip Hasard Killigrews Vorhaben vorzüglich geeignet zu sein schien. Sie lag nur vier Meilen südlich von Callao. Der Seewolf gab Anweisung, sie anzusteuern. Wenig später gingen sie in der Bucht vor Anker, und Hasard versammelte die Mannschaft auf Deck. Es war Nachmittag, die Hitze war bereits wieder im Abklingen begriffen. Hasard stützte sich mit den Händen auf die Quarterdeckgalerie. Er musterte die Männer kurz, dann sagte er: »Wir nehmen die Pinasse und segeln frech und gottesfürchtig in den Hafen von Callao.« »Wo es von Dons nur so wimmelt«, warf Dan O’Flynn vorlaut ein. »Das ist verdammt riskant.« 71
»Still, kleines O’Flynn«, warnte Ba-tuti. Hasard verzog den Mund. »Hör zu, Naseweis, dich nehme ich sowieso nicht mit, und zwar aus einem ganz plausiblen Grund. Ich brauche Männer, die Spanisch sprechen. Und die einigermaßen ›Spanisch‹ aussahen Sie dürfen keine hellen Haare und hellen Augen haben. Karl, du scheidest also auch aus.« »Verdammt!« Ben Brighton hob die Hand. »Ich gehe glatt als Don durch, wenn’s nötig ist.« »Richtig«, entgegnete Hasard. »Und dann du, Jean Ribault du beherrschst die Ausdrucksweise unserer lieben Freunde auch.« »Si, Senor.« Ribault, ein schlanker und verwegener Mann, der ausgezeichnet mit dem Degen umzugehen verstand, lächelte. Der Seewolf streckte die Hand aus und wies auf die anderen Männer, die er bei seinem Unternehmen dabei haben wollte. »Du, Blacky, und du, Al. Sam, dich will ich auch mitnehmen.« Blacky und Al Conroy gehörten wie Ben Brighton zur Stammcrew der ›Isabella‹. Ribault und Sam Roskill, ein schlanker Draufgänger, zählten hingegen zu der Gruppe ehemaliger Karibik-Piraten. Hasard drängte darauf, sich zu beeilen. Er wollte nicht, daß Drakes Vorsprung noch mehr wuchs, bis ins Unermeßliche, und daß er sich ihnen schließlich möglicherweise ganz entzog. Andererseits war der Seewolf aber auch geradezu versessen darauf, das Geheimnis des namenlosen Spaniers zu ergründen. Sie ließen die zwölfriemige Pinasse zu Wasser. Hasard und seine fünf Männer verabschiedeten sich, enterten ab, setzten Groß- und Focksegel der Pinasse und verließen die kleine Bucht. Die Freunde blickten ihnen nach, teils entsagungsvoll, teils richtiggehend enttäuscht. Sie bedauerten es, nicht dabeisein zu können. 72
Hasard und seine Männer trugen Pistolen und Dolche als Waffen bei sich. Außer ein paar Goldketten hatte der Seewolf auch den rätselhaften Tukan mitgenommen. Er wußte, daß er ihn gebrauchen würde. Der goldene Vogel war ein Symbol, etwas, das es aller Wahrscheinlichkeit nicht ein zweites Mal gab. Wer immer Miguel Casias war, wenn er den Goldschatz gesehen hatte, dann kannte er auch den Tukan. Die Pinasse segelte in Sichtweite des Ufers nordwärts. AI Conroy, der Hasard gegenüber saß, sagte: »Eines hätte ich gern gewußt. Wenn uns irgendein lausiger Don anspricht oder blödkommt, wie sollen wir uns dann verhalten?« »Ganz einfach. Wir sind Fischer aus Arica.« »Arica?« Blacky wandte sich zu ihnen um. »Liegt das in Peru oder in Chile?« »Noch in Chile, aber direkt an der Grenze«, erwiderte Hasard. »Wir wollen in Callao Netzwerk und Haken kaufen, weil die in Arica nicht mehr zu haben sind. Kapiert?« »Aye, aye, Sir.« »Daß sich keiner von euch verplappert! Und noch etwas. Ich will nicht, daß ihr Schlägereien vom Zaun brecht. Geht Streitigkeiten aus dem Weg. Steckt lieber was ein, statt unser Erkundungsunternehmen in Gefahr zu bringen. Falls wir scheitern und uns verzupfen müssen, bevor wir diesen Casias gefunden haben, kriegen wir nie Konkretes über das Gold heraus.« Ribault sagte: »Das leuchtet mir ein. Aber das mit dem Einstecken ist verdammt viel verlangt.« »Es ist doch im Interesse der Sache, du Hitzkopf.« Blacky grinste. »Kaplan Fletcher würde da sagen, wir sollen, wenn uns einer ein Ding verpaßt, ruhig auch noch die andere Backe hinhalten.« »Wange«, stellte Sam Roskill richtig. Der Tag ging zur Neige. Im Westen versank der Feuerball der Sonne unter nebligen Schleiern unter der Kimm. Jean Ribault 73
stand aufrecht vorn in der Pinasse, spähte voraus und meldete plötzlich: »Landzunge in Sicht. Dahinter liegt eine Insel.« »Wir müssen die Callao-Bai vor uns haben«, meinte der Seewolf. »Na, dann mal los. Strengt euch an. Von jetzt ab wird bloß noch Spanisch geredet. Läuft unser Ausflug erfolgreich aus, spendiere ich die letzten Vorräte von dem guten Malaga, die wir an Bord unserer Galeone aufgestöbert haben.« »Aye, aye«, gab Al Conroy zurück. »An, will sagen, si, si, mi Capitan!« Sie umrundeten die Halbinsel, ließen die Insel San Lorenzo Backbord achteraus liegen und glitten mit einer günstigen Strömung, die auflaufendes Wasser ankündigte, auf die Reede von Callao. In der Stadt waren vereinzelt Lichter entfacht worden. Doch es herrschte noch genügend Tageshelligkeit, um das Chaos erkennen zu können, das im Hafen herrschte. »Himmel, Arsch und Zwirn«, sagte Blacky. Sam Roskill stieß ihn mit dem Ellbogen an. Worauf er sich auf die Lippe biß und auf spanisch erklärte: »Al diablo, zum Teufel, was ist denn hier passiert? Entweder hat es einen Orkan oder ein Seebeben gegeben. Oder ein paar total besoffene Rudergänger haben sich verschätzt und ihre Kähne übers Ufer wegsteuern wollen.« Voll Staunen und Verwunderung beobachteten sie, was im Hafen vor sich ging. Auf den Bollwerken waren die beiden Hälften einer in der Mitte auseinandergebrochenen Galeone zu sehen - für die Dons sicherlich ein jammervoller Anblick. Da half auch die einsetzende Flut nichts mehr, da gab es nur noch Trümmer zu bergen und das ganze Schiff zu Brennholz zu zerhacken. An der Pier lagen zwei weitere Schiffe vertäut. Daß sie gleichfalls Havarie erlitten hatten, konnte ein Kleinkind sehen. In ihren Bordwänden klafften große Löcher und Risse. Ganze Mannschaften waren damit beschäftigt, neue Planken und Verbände einzusetzen. Auf einem Strandstück war schätzungsweise eine Hundertschaft von Männern am Werk 74
und hievte ein viertes Schiff in Wassernähe zurück. Das alles ging unter gebrüllten Kommandos und Flüchen vonstatten. Überall an Land waren spanische Soldaten zu sehen. »Schöner Mist«, gab Blacky einen neuen Kommentar ab. »Die Dons werden uns gewaltig auf den Zahn fühlen.« »Ruhig Blut«, erwiderte Hasard. Die einzigen beiden unversehrten Segler ankerten auf der Reede. Mit leicht schäumender Bugwelle schob sich die Pinasse an ihnen vorbei. Dem Seewolf genügte ein Blick, um sie zu klassifizieren und einzuschätzen. »Kauffahrer. Keine Ladung an Bord. Die anderen vier scheinen vom gleichen Kaliber zu sein. Sieht mir ganz danach aus, als habe hier jemand den wilden Mann gespielt.« »Ja, wer denn bloß?« Al Conroy spielte nicht den Begriffsstutzigen, er ahnte wirklich nichts. Ben Brighton, Blacky und die anderen hingegen fingen an zu grinsen. Erst auf einen Wink des Seewolfes hin setzten sie wieder ernste Mienen auf. Sie entdeckten einen hölzernen Landesteg, an dem sich zwischen Booten und kleineren Seglern ein Platz für die Pinasse befand. Hasard ergriff das Ruder, ließ die Segel aufgeien und steuerte geschickt in die Lücke. Wenig später hatten sie die Pinasse vertäut. Sie standen noch zwischen den Duchten, da näherten sich polternde Schritte über die Bohlen des Anlegers. »Da geht’s schon los«, sagte Al Conroy. Ein Uniformierter, ganz seiner Rolle bewußt, ganz stolzer Don mit adrett gezwirbeltem Schnäuzer im Dienste seiner Majestät, Philips II, marschierte heran und stoppte direkt vor dem Bug der Pinasse. Hasard konnte seinen Freunden gerade noch zuraunen: »Das ist ein Leutnant.« »Buenas tardes«, sagte Jean Ribault, der vorn im Bug stand 75
und also den Leutnant genau vor der Nase hatte. Er sprach es mit gespielter Unterwürfigkeit, erhielt aber keine Erwiderung. Der Leutnant war ein sehniger Mann um die Vierzig, und nichts an seinem Äußeren ließ vermuten, daß er bereit war, sich auf Kompromisse, ganz gleich, welcher Art, einzulassen. Er baute sich mit leicht abgewinkelten Beinen auf und fixierte sie mit herablassender Miene. »Hombres, ihr habt hier nichts verloren. Wer hat euch überhaupt die Erlaubnis gegeben, im Hafen von Callao festzumachen?« »Niemand«, erwiderte Hasard sofort. »Also. Ihr habt hier nichts zu suchen.« »Aber wir dachten ...« »Das Denken«, fiel ihm der Leutnant scharf ins Wort, »solltest du den Pferden oder den Maultieren überlassen, denn die haben die größeren Schädel.« Philip Hasard Killigrew registrierte ein drohendes Flackern in den Augen von Blacky, Al Conroy und Sam Roskill. Jean Ribault hatte sich gebückt und tat so, als beschäftige er sich mit einer Taurolle - er war auch dem Überkochen nahe. Der einzige, der außer dem Seewolf die volle Beherrschung besaß, war Ben Brighton. Hasard drängte sich also rasch nach vorn, bevor ein Unglück geschah. »Senor Teniente«, sagte er so ehrerbietig wie möglich. »Ich bitte um Verzeihung. Aber wir sind arme Fischer aus Arica. Ein Sturm überraschte uns auf See, zerriß unsere Netze und zerstörte unsere Gerätschaften. Unsere Familien müssen Hunger leiden, wenn wir keine neue Ausrüstung anschaffen. In Arica und auch in der Umgebung gibt es keinen Händler mehr, bei dem wir Netzwerk und Haken erstehen können, es sei denn, zu verbrecherischen Wucherpreisen.« »Hm.« »Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, Teniente. Haben Sie Erbarmen! Es gibt doch in Callao sicherlich einen Laden, in 76
dem wir einkaufen können, was uns fehlt.« »Einen? Mehrere.« »Dann bitte, wir kaufen, zahlen und segeln noch an diesem Abend wieder nach Arica zurück, wenn Sie wollen. Die Nacht bereitet uns keine Angst. Wir fürchten den Hunger und die Armut.« »Also meinetwegen«, sagte der Leutnant gnädig. »Aber wehe euch, wenn ihr euch irgendwo vollaufen laßt und Unfug stiftet. Dann geht es euch schlecht. Wir haben hier schon genug Ärger.« »Wegen der havarierten Schiffe?« erkundigte sich Ben Brighton. »Du merkst auch alles, Fischer.« »Wie konnte ein solches Unglück geschehen?« fragte Hasard. »Ist ein Sturm über Callao hereingebrochen?« »Nein, nein, dies ist der wohl geschützteste Hafen an der gesamten Küste des neuen Landes. Nein, ein Teufel ist vor zwei Nächten über uns hergefallen, Männer, ein wahrer Satan, sage ich euch. Einzelne Besatzungsmitglieder der Kauffahrer wollen die Galeone von ›El Draque‹ erkannt haben. Er hat sämtliche Ankertrossen kappen lassen und sich dann davongeschlichen.« Hasard spürte, wie sein Herz einen wilden Sprung vollführte. Er hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu halten, und er sah auch, daß es seinen fünf Männern schwerfiel, ein Grinsen zu unterdrücken. Rollengemäß legte er los: »›El Draque‹? Der verfluchte Engländer? So ein elender Galgenvogel - er hat genug Aufruhr gestiftet und die Indianer gegen uns Spanier aufgehetzt. Genug damit! Er gehört hingerichtet! Zur Hölle mit ›El Draque‹!« »Ja, verdammt soll er sein«, hieb auch Ben Brighton in die Kerbe. Jean Ribault bewies, welche Gerissenheit sein südländisch angehauchtes, überschäumendes Temperament mit sich 77
brachte. »Ich hoffe«, so sagte er, »nein - ich bin sicher, daß unsere glorreichen Soldaten den Kerl mitsamt seiner Teufelsmannschaft bald erwischen und ausrotten, jawohl, sein Ende steht bevor. Viva la Espagna y sus Hejoes tambien - es lebe das spanische Königreich samt seinen Helden!« Der Leutnant war beeindruckt, beinahe gerührt, und ließ sie an Land. Bevor sie sich trennten, fragte Hasard nach dem »Gabian Feroce«. »Das ist eine Cantina, eine kleine, verstecktliegende Kneipe im Hafenviertel«, entgegnete der Spanier. Er setzte ihm wortreich auseinander, wie sie hinfinden konnten. Zum Schluß schien er sich auf ihr anfängliches Gespräch zu besinnen, kniff die Augen zusammen und musterte den Seewolf mißtrauisch. »He, Augenblick mal, Hombre, ich habe euch doch gesagt ...« Hasard lächelte. »Wir wollen uns nicht betrinken. Wir haben dort nur jemandem eine Nachricht zu überbringen. Miguel Casias.« »Das ist der Wirt. Er hat Verwandte in Arica?« »Ja.« »Ach so, ich verstehe. Viel Glück.« Die Männer tauchten im Dunkel einer Gasse unter und blieben stehen, sobald sie sich unbeobachtet fühlten. Sie stießen sich an, grinsten und lachten verhalten. »Junge, Junge, die Verwünschungen sind mir vielleicht schwer über die Lippen gekommen«, gestand Al Conroy. »Wenn der Alte gehört hätte, wie wir auf ihn geflucht haben!« »Im Dienst der Sache«, gab Hasard zurück. »Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Jetzt haben wir die Bestätigung, wer hier am Werke war. Und noch etwas: Wir wissen, daß uns nur noch zwei Tage von der ›Golden Hind‹ trennen.« *
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Nach einigem Suchen fanden sie den alten, zwischen ähnlich windschiefen Häusern eingeklemmten Bau, über dessen Eingang das Eisenschild mit der Aufschrift »El Gabian Feroce« hing. Hasard blieb darunter stehen und betrachtete seine eigentümliche Form. »Vögel«, sagte er. »Immer wieder Vögel. Ich brenne darauf, Näheres herauszufinden.« »Sehen wir nach, was für ein komischer Kauz dieser Casias ist?« fragte Blacky. Sie lachten über den Witz, stiegen über die wenigen Steinstufen nach unten und öffneten die Tür. Die Spelunke war gerammelt voll, es herrschte ein Heidenspektakel. Auf den ersten Blick erschien es unmöglich, einen Platz zu finden. Hasard und Ben Brighton bahnten sich einen Weg durch das Gedränge, die anderen folgten ihnen dichtauf. Einen Tisch zu ergattern, war natürlich ausgeschlossen. So drängelten sie sich bis zur Theke durch. Sie gingen dabei dicht an den Tischen vorbei und streiften so manches liederliche Frauenzimmer, das bei ihrem palavernden Kerl auf den Knien hockte. Hasard erntete ein paar bewundernde Blicke und spürte, wie sie ihm folgten. Er war ein gutaussehender Riese mit wilden schwarzen Haaren, und er besaß Charme. Daheim in Falmouth hatten sich die Frauen angestoßen und getuschelt, wenn er an ihnen vorübergeschritten war. Hasard blickte in einen Ausschnitt unter sich und buchstäblich bis in den siebenten Himmel hinein. Er wandte sich ab und fühlte sich dabei fast elend. Seinen fünf Männern erging es nicht anders. Seit langem schon hatten sie keine Frauen mehr gehabt, jetzt bot sich die Gelegenheit, aber die Zeit drängte und ließ ein kleines Vergnügen nicht zu. Sie erreichten den Tresen, hinter dem ein feister Mann mit Schweinsaugen und ein schätzungsweise zwölf Jahre alter Junge hantierten. Die Männer und die Frauen in der Kneipe sprachen lautstark über die Ereignisse, über die Tollkühnheit 79
von ›El Draque‹ und über das, was ihm blühte, wenn man ihn endlich zu fassen bekam. Der Seewolf sah seinen Männern an, daß sie hier liebend gern auch einmal ihre Meinung zum besten gegeben hätten, und zwar ganz handfest. Aber sie besaßen genügend Selbstdisziplin, sich nicht soweit gehen zu lassen. Sie hatten Hasards Plan im Geist und hielten sich strikt daran. Hasard wollte sich bis zu dem Wirt durchschlängeln, doch er wurde von den Leibern der Männer abgedrängt. Vorerst war es ihm nicht vergönnt, Miguel Casias genauer kennenzulernen. Er zog sich mit seinen Begleitern an die linke Seite des Tresens zurück. Hier stießen sie in eine Bresche der Menschentraube vor und bestellten bei dem zwölfjährigen Burschen. Er schwitzte und wußte sich vor Arbeit kaum noch zu retten. Endlich erhielten sie ihren Rotwein und setzten die Becher an. Jean Ribault verzog nach dem ersten Schluck das Gesicht. »Das soll Wein sein? Verdammt, er hätte uns auch gleich Essig zum Schlucken geben können.« Ben Brighton wollte etwas erwidern, doch in einer Raumecke entstand Tumult. Ein langhaariger Mann hatte mehr getrunken, als er vertragen konnte und brach jetzt wegen irgendeiner Nichtigkeit in einen Wutanfall aus. Er hieb um sich und wurde von vier starken Männern festgehalten. Miguel Casias, der Wirt, schrie ein paar deftige Flüche über die Köpfe der Gäste weg, lief um den Tresen herum und half mit, den Radaubruder ins Freie zu schaffen. Hasard nutzte die Gelegenheit. Ehe sich andere Zecher vom Tresen absondern konnten, setzte er sich an den frei gewordenen Tisch. Die Männer nahmen neben ihm Platz. Ein Kerl wollte seinen Anspruch und sein Vorrecht auf den Tisch erklären, doch als er ihre Mienen sah, stieß er nur noch einen resignierenden Seufzer aus und wandte sich ab. Der Seewolf trank und beobachtete, wie Casias in den Schankraum zurückkehrte. Der beleibte Bursche machte sich 80
wieder hinter seinem Tresen zu schaffen. Er hatte ein teigiges Gesicht, schien ohne Hals zu sein und erweckte alles andere als Vertrauen. Hasard überlegte, mit welcher Taktik er ihm zu Leibe rücken sollte. Wenig später wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Ein gutgekleideter Spanier betrat die Cantina. Er trug eine beinenge seidene Strumpfhose, eine Kürbishose darüber, ein Schoßwams, eine Art Cape und auf dem Kopf einen Filzhut mit ziemlich breiter Krempe. In diese Umgebung wollte er nicht so recht passen. Nur seine Züge verrieten Philip Hasard Killigrew, daß er so edel und unbescholten, wie er auf den ersten Blick wirken mochte, nicht sein konnte. Kleider machen Leute, aber gewissen Leuten steht die Verschlagenheit ins Gesicht geschrieben. Der gutgekleidete Mann hatte ein schmales Antlitz mit dunklen, stets in Bewegung befindlichen Augen. Um seine Mundwinkel spielte ein arrogantes Lächeln. Sein huschender Blick glitt durch den Raum und blieb auf Casias dicker Gestalt haften. »Was tun wir?« wollte Blacky wissen. »Wir warten«, erwiderte Hasard. »Ich habe den Eindruck, irgend etwas bahnt sich an.« »Spielst du den Hellseher?« fragte Ben Brighton. »Nein. Seht euch mal den geschniegelten Lackaffen an, der jetzt bei Miguel Casias an der Theke steht. Und schaut euch die Miene des Dicken an, aber möglichst unauffällig.« Ja, die Miene des Dicken hatte sich schlagartig verändert. So sehr er sich auch Mühe gab, freundlich und beflissen zu wirken, er konnte seine Nervosität nicht verbergen. Die Farbe seiner Gesichtshaut war käsig bis kalkweiß, und ständig blickte er unruhig hin un her. Schließlich raunte er dem Gutgekleideten mit dem glatten Gesicht etwas zu. Jener gab etwas zurück, das Casias ganz und gar nicht zu gefallen schien. Er zappelte förmlich vor Unruhe. »Der kommt direkt ins Schleudern«, sagte Sam Roskill - nach 81
wie vor in spanischer Sprache. »Scheint eine Hiobsbotschaft erhalten zu haben«, versetzte Ben Brighton leise und gelassen. »Ob die mit dem Gold zusammenhängt?« Blacky blickte seinen Seewolf an, doch der gab ihm ein Zeichen, zu schweigen und weiter zu beobachten. Miguel Casias unterbreitete seinem Gast wieder etwas, das sie nicht verstehen konnten. Diesmal antwortete der fein ausstaffierte Mann mit einem knappen Nicken. Kurz darauf umrundete Casias wieder den Tresen und strebte an Hasard und seinen Männern vorbei auf eine Tür zu, die vom Schankraum aus in irgendwelche Hinterzimmer zu führen schien. Nicht lange dauerte es, und auch der Gutgekleidete nahm diesen Weg. Er schaute sich lauernd um, bevor er die Türklinke herunterdrückte, und verschwand mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. »Der erinnert mich an Thomas Doughty«, sagte Blacky. »Hör bloß mit dem auf«, gab Al Conroy verdrossen zurück. Abgesehen davon, daß keiner aus der Crew des Seewolfs den Intriganten und Verräter Thomas Dougthy hatte leiden können, dachte doch keiner von ihnen gern an die Episode zurück, die sich vor der patagonischen Küste an Bord der ›Golden Hind‹ abgespielt hatte: Doughty hatte eine Meuterei anzetteln wollen und war auf Drakes Befehl hin von Edwin Carberry hingerichtet worden. Der Seewolf erhob sich. »Hört zu! Wenn wir hier noch was zu trinken kriegen wollen, müssen wir schon an die Theke gehen. Bedient werden wir nicht.« Er schob sich an Ben vorbei, schritt an den Tresen und winkte dem Zwölfjährigen zu. Die Freunde wunderten sich ein wenig über sein Verhalten. Ben und Blacky schlossen sich ihm jedoch an, während die anderen drei die Stellung am Tisch hielten. Hasard, Brighton und Blacky kehrten mit zum Überlaufen vollen Bechern zurück. 82
Rund zehn Minuten nach seinem hastigen Abgang ließ sich Miguel Casias wieder blicken. Der gutgekleidete Mann folgte ihm nicht. Hasard bedeutete seinen Gefährten, auszuharren und weiterhin den Wirt und die Tür zu beluchsen. Casias nahm wieder seine Tätigkeit auf - Gläser abräumen, füllen, auf die Tresenplatte knallen. Seine Gesichtsfarbe war immer noch wächsern, jedoch schien er jetzt ruhiger zu sein. Ein paar Zecher rückten von der Theke ab und marschierten durch den Schankraum zum Ausgang, so daß die sechs Männer von der ›Isabella III.‹ für eine Weile den Blick auf Casias übergewichtigen Leib frei hatten. Er drehte ihnen gerade den Bauch zu. »Moment mal«, sagte Hasard. »Fällt dir an dem Kerl nichts auf, Ben?« »Doch. Er hat rote Flecken auf dem Wams.« »Rotwein«, bemerkte Al Conroy. Jean Ribault schüttelte den Kopf. »Bevor er ‘rausging, waren die nicht da.« »Also was? Blut?« Blackys Miene nahm einen harten Ausdruck an. »O Mann, mir wird ganz kribbelig zumute.« »Mir auch«, sagte Hasard. »Ich verpasse ihm jetzt einen Schuß vor den Bug. Wartet hier auf mich.« Er stand auf, hielt auf den Tresen zu, verschaffte sich mit den Ellbogen Platz und drängte sich ganz nach vorn durch. Er wußte, daß er ziemlich hoch setzte, denn wenn der Dicke Krach schlug, hatte er wahrscheinlich alle Anwesenden als Helfer auf seiner Seite. Hasard riskierte es dennoch. Fünf Männer, die für ihn durchs Feuer gingen, waren seine Begleiter. Falls es Arger gab, würden sie eine Bresche hauen und sich ins Dunkle verdrücken. Oder die ganze Spelunke kurz und klein schlagen und dafür sorgen, daß eine Menge Leute hinterher ihre Knochen einzeln aufsuchen mußten. Hasard beugte sich zu Miguel Casias vor. »He, Caballero auf ein Wort!« 83
Der Wirt hatte alle Hände voll zu tun und blickte ihn zerstreut an. »Rotwein?« »Wenn du damit den sauren Most meinst, der hier ausgeschenkt wird, nein. Ich habe anderes mit dir zu bereden. Geschäftliches.« Casias wechselte Benehmen und Tonfall und war plötzlich ganz für ihn da. Er lehnte sich so weit vor, daß sich ihre Köpfe beinahe berührten. »Wer schickt dich? Ich kenne dich nicht.« »Wir haben einen gemeinsamen Freund.« Hasard bluffte ganz einfach und spielte auf den namenlosen Spanier an. Vielleicht, so dachte er, kriege ich auf diese Weise gleich seinen Namen heraus. »Herrera?« fragte Casias. Der Seewolf nickte. Casias sprach gerade so laut, daß Hasard ihn verstehen konnte. »Wo hält er sich jetzt versteckt? In Lima? In Pisco? Weiter südlich?« »Hm, ja. Arica.« »Da ist er sicher. Was für ein Geschäft hast du vorzuschlagen?« »Inkagold.« Der feiste Wirt zuckte zusammen, als habe ihn ein Hieb getroffen. Seine Zungenspitze glitt nervös über die Lippen. Seine Augen weiteten sich und suchten nach weiteren Erläuterungen in Hasards Gesicht. »Eine sehr heikle Sache«, erklärte Hasard. »Hier im Schankraum läßt sich schlecht ausführlich darüber reden.« »Ja. Ich verstehe. Folge mir!« Casias gab seinem jungen Gehilfen durch ein paar barsche Worte zu verstehen, er solle ihn während seiner Abwesenheit wieder vertreten, dann schlüpfte er an dem Seewolf vorbei und ging voraus. Als Hasard den Tisch erreicht hatte, an dem seine Männer saßen, bedeutete er Jean Ribault, sich ihm 84
anzuschließen. Zu zweit schritten sie hinter dem Wirt her. Dieser öffnete die Tür, durch die er vorher schon einmal verschwunden war. Er drehte sich um, erblickte den dünn lächelnden Franzosen und blieb abrupt stehen. »Moment mal. Was hat der da mit uns zu schaffen?« »Ein guter Freund von mir«, erwiderte Hasard. Miguel Casias schnitt eine Grimasse, war mit dem Verlauf der Dinge überhaupt nicht einverstanden, ließ sie aber dennoch den hinteren Bereich seiner Cantina betreten. Über einen düsteren Flur gelangten sie in einen Raum, in dem ein Talglicht brannte und matte, anheimelnde Helligkeit verbreitete. An den Wänden standen mehrere Schränke und Regale sowie eine Kredenz, alle aus dunkel gebeiztem Edelkastanienholz hergestellt. Das Zentrum wurde durch einen ausladenden Tisch mit dicker Holzplatte beherrscht, um den mehrere Stühle gruppiert waren. »Nobel, nobel«, sagte Hasard. »Man sieht, du verdienst nicht schlecht, Wirt. Ist dies dein Büro?« Casias grinste flüchtig. »So kann man’s nennen.« Er trat hinter den Tisch, setzte sich und trommelte mit den kurzen, dicken Fingern auf der Platte. Jean Ribault schloß die Tür und trat neben den Seewolf. Sie schauten sich aufmerksam im Raum um, und der Dicke wurde sichtlich nervöser. »Was wollt ihr also? Was hat es mit dem Inkagold auf sich? Julio Herrera will es anbieten, also schön, dann kommen wir endlich zur Sache. Ich kann hier nicht ewig herumsitzen.« Hasard spürte plötzlich etwas eisig seinen Nacken herablaufen. Einer der Kastanienholzschränke in Casias Rücken war ihm aufgefallen - nicht wegen des Möbels, sondern wegen eines gleichsam schockierenden Umstandes. Er stieß Ribault an, und dieser sah es auch. Casias folgte ihren Blicken, warf sich förmlich mit seinem Stuhl herum und konstatierte nun auch, was die Aufmerksamkeit der beiden 85
erregte. Aus dem unteren Türspalt des Schrankes sickerte seitlich etwas hervor. Flüssigkeit. »Blut«, sagte Hasard. »Verflucht!« rief der Wirt. »Ihr verdammten Hunde, was geht euch das an?« Er sprang auf. Jean Ribault brachte sich mit einem einzigen, pantherhaften Satz vor die Tür des Raumes. Seine rechte Hand zuckte nach unten, schlug den Jackensaum um und beförderte die Radschloßpistole aus dem Gurt hervor. Rasch brachte er sie in Anschlag. Der Hahn knackte, als er ihn spannte. »Nicht«, stieß Casias erbleichend hervor. »Setz dich hin und rühr dich nicht vom Fleck, dann passiert dir nichts«, sagte Hasard. Er trat auf den großen Schrank zu. Neben ihm ließ sich der Dicke auf seinen Stuhl zurückplumpsen. Plötzlich vollführte er jedoch eine Bewegung, die den Seewolf alarmierte. Unter der Tischplatte befand sich ein kleines Fach! Hasard wirbelte herum, schlug mit der Faust auf Casias Unterarm, und dieser ließ jammernd den Dolch fallen, den er schon in den Fingern gehabt hatte. Der Dolch fiel klirrend auf den Steinfußboden. Casias tat sich gehörig weh und bewegte schlenkernd die Hand. Damit nicht genug: Hasard versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn mit dem Stuhl umkippen ließ. Er kam rücklings zu Fall, überschlug sich halb, kroch bis zur Wand und richtete sich dort keuchend wieder auf. Ribault streckte die Pistole vor. »Jetzt noch einen Trick, Fettwanst, und ich blase dir ein Loch in den Kopf!« Miguel Casias stand wie festgenagelt. Er wußte, daß diese Männer nicht zögern würden, ihn abzumurksen. Was konnte er tun? Schreien hatte keinen Zweck, im Schankraum herrschte ein solcher Lärm, daß man ihn garantiert nicht hörte. »Wer seid ihr?« sagte er. »Keine Spanier. Ihr habt so einen 86
komischen Akzent ...« »Soll ich ihn niederknallen, Hasard?« »Noch nicht, Jean.« Hasard verhielt seinen Schritt vor der Doppeltür des Schrankes. Er drehte den Schlüssel um, zog den rechten Flügel auf - und fuhr zusammen. Eine Gestalt kam ihm entgegen. Er fing sie mit den Armen auf und blickte in die gebrochenen Augen des gutgekleideten Spaniers. Ribault stieß einen leisen Pfiff aus. Hasards Blick wanderte etwas tiefer, erfaßte den Rücken des Toten und das, was da bis zum Heft zwischen seinen Rippen steckte. »An Messern scheint es dir nicht zu mangeln, du Hundesohn!« Casias rang die Hände. »Bitte keinen Ärger. Das da geht euch nichts an. Eine alte Rechnung zwischen mir und dem Kerl, die beglichen werden mußte. Wir sitzen doch in einem Boot. Herrera schickt euch. Herrera wird von den Soldaten verfolgt, weil einer seiner Diebstähle oder Raubüberfälle aufgeflogen ist ...« »Ich kenne keinen Herrera«, sagte Hasard. »Wer bist du?« Casias’ Stimme klang nun schrill. Hasard rückte die blutige Leiche zurück und stopfte sie ungerührt wieder in den Schrank. Er schloß ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Dann drehte er sich zu dem schlotternden Wirt um. »Mitkommen!« Casias breitete die Arme aus, suchte nach Halt, fand ihn nicht. Am liebsten wäre er durch die Mauer gekrochen oder hätte sich ein Mauseloch gesucht, in das er sich verdrücken konnte. »Nein! Ich will nicht! Ihr dürft mir nichts antun! Ihr habt nicht das Recht dazu!« Jean Ribault rückte auf ihn zu, die Pistole im Anschlag. Hasard näherte sich von der rechten Seite. Miguel Casias schien, bei aller Fettleibigkeit, regelrecht in 87
sich zusammenzuschrumpfen. Die Hand des Seewolfes schnellte vor und packte ihn unter seinem speckigen Kinn. »Hör zu, Casias. Ich kenne einen Leutnant, der im Hafen von Callao bei den Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten mitwirkt. Was hältst du davon, wenn ich ihm verrate, wo er eine frische Männerleiche finden kann?« »Nein ...« »Du scheinst ja geradezu darauf zu brennen, einen Strick um den Hals zu kriegen.« »Was wollt ihr von mir?« Hasard zeigte ihm den goldenen Tukan, und der Wirt wurde weiß wie die gekalkte Wand in seinem Rücken. »Du kennst diesen Paradiesvogel, was, Casias?« sagte Hasard. »Ist deine Neugierde geweckt? Ein Geschäftsmann wie du müßte doch jetzt vor Gier vergehen.« »Ihr Teufel! Was wißt ihr?« »Genug. Los jetzt, du Strauchdieb, oder ich mache dir Beine.« Ribault setzte ihm probeweise die Mündung der Radschloßpistole an die Schläfe, worauf Miguel Casias den Kopf einzog und sich fügte. Sie suchten den dunklen Flur auf. »Wir gehen in den Schankraum«, sagte Philip Hasard Küligrew. »An meinem Tisch sitzen noch vier Freunde, und wir passen alle wie die Luchse auf dich auf. Wenn du Tricks versuchst, kriegst du eine Kugel, so wahr ich hier stehe. Und dann nehmen wir deine schmierige Bude auseinander. Klar?« »Klar«, sagte Casias matt. »Dann los.« Jean steckte die Pistole wieder ein. Sie folgten dem Wirt auf dem Fuß, stets bereit, über ihn herzufallen und ihn niederzuschlagen. Er war ein ausgekochter Bursche, sie durften ihn keine Sekunde aus den Augen lassen. Als sie den Schankraum betraten, gab Hasard Sam Roskill, Ben Brighton, Blacky und Al Conroy einen Wink. Sie erhoben sich. 88
Hasard und der Franzose blieben bei Casias, während sich ihre vier Gefährten bereits zum Ausgang der Cantina begaben. Der Wirt mußte noch seinem zwölfjährigen Gehilfen Bescheid geben. »Suche dir unter den Leuten jemanden aus, der bereit ist, dir zur Hand zu gehen«, sagte er dem Jungen. »Gegen Bezahlung natürlich. Ich muß diese Caballeros begleiten. Habe geschäftlich mit ihnen zu tun.« »Si, Senor.« Wenig später trottete Casias vor den Männern der ›Isabella‹ her durch die Gassen des Hafenviertels. Er hatte keine Vorstellung davon, was sie ihm antun wollten, doch ihm schwante Entsetzliches. Sein Herz war in die Hosentasche gerutscht, mit seiner Verschlagenheit war es nicht mehr weit her. Daß er mit einer seiner vielen Listen bei ihnen nichts erreichte, hatte er schon zur Genüge bemerkt. Sie näherten sich dem Anleger, an dem die Segelpinasse vertäut war, und Hasard sagte ihm: »Wir unternehmen jetzt eine kleine Kahnfahrt, Amigo. Laß dir bloß nicht einfallen, um Hilfe zu rufen, sonst kriegst du ein Messer zwischen die Rippen wie deine Leiche in dem Schrank und landest bei den Fischen im Hafenbecken.« »Gnade«, wimmerte Casias. »Dir geschieht nichts, wenn du tust, was ich dir sage.« »Ich werde gehorchen.« Zum Glück ließ sich der schnauzbärtige Leutnant, der mit dummen Fragen hätte aufwarten können, nicht wieder blicken. Unbehelligt stiegen sie in die Pinasse. Blacky und Sam Roskill lösten die Leinen, dann sprangen sie ebenfalls übers Dollbord und stießen ab. Sie lavrierten zwischen den vielen Booten und kleinen Seglern hindurch, glitten auf die Reede hinaus und waren kurze Zeit später aus dem Hafen von Callao verschwunden - der zwar gegen Wind und Wetter, aber, wie sich nun erwiesen hatte, nicht gegen sämtliche Arten von 89
turbulenten Ereignissen geschützt war.
9. An Bord der ›Isabella III.‹ wurden Sie mit großem Hallo begrüßt. Miguel Casias war während der kurzen Reise zu der versteckten Bucht mit Tauenden gefesselt worden. Er war ein zu dicker und vielversprechender Fisch im Netz des Seewolfes, und jedes Risiko mußte ausgeschaltet werden. Immerhin hätte er sich außenbords der Segelpinasse fallen lassen können, trotz der Haie. Seine Angst war groß. In seinen Augen lag ein unstetes Flackern. Er stand zwischen Blacky und Jean Ribault am Großmast und hielt den Kopf gesenkt. Hasard berichtete, was sie in Callao erlebt hatten. »Eine Leiche im Schrank«, wiederholte Karl von Hutten, als der Seewolf geendet hatte. »Das ist ja ein starkes Stück. Wer war der Mann?« »Da mußt du Casias fragen.« Der Wirt schrie: »Ihr dürft mich nicht gefangenhalten, ich bin ein freier, unbescholtener spanischer Bürger! Laßt mich los! Laßt mich fort!« »Der hat vielleicht Nerven«, sagte Dan O’Flynn. »Wir kriegen schon aus ihm heraus, was wir wissen wollen.« Hasard grinste verwegen. »Pete Ballie und Matt Davies, ihr bleibt als Ruderwache auf Deck. Ihr anderen kommt mit. Wir gehen in die Kapitänskammer. Es wird ein bißchen eng, aber wenn ihr euch wie die Heringe zusammendrückt, wird es schon gehen.« Etwas später nahm Philip Hasard Killigrew hinter seinem Tisch in der Kammer Platz. Die Männer standen rund um ihn herum. Casias wurde auf seinen Wink hin wie ein Delinquent vorgeschoben. Er war nach wie vor gefesselt. Blacky und der 90
Franzose keilten ihn ein. »Was ist das? Ein Bordgericht?« Casias keuchte. »Ihr habt keine Befugnis dazu - ihr seid Engländer, und nur meine Landsleute dürfen mich wegen der Sache mit dem Toten im Schrank zur Rechenschaft ziehen.« »Ja, das ist mir klar«, erwiderte Hasard in aller Seelenruhe. Er stellte den goldenen Tukan auf die Tischplatte, legte die Ketten dazu, ließ sich von Dan die Schatulle reichen und öffnete nun auch diese. »Nun, Miguel Casias? Was sagst du dazu?« »Ich - ich habe das Zeug noch nie in meinem Leben gesehen.« »Vorhin, im »,Gabian Feroce«, hatte ich einen anderen Eindruck.« »Ich war verwirrt. So eine Pracht.« Casias versuchte ein Grinsen, aber es wurde zu einer Grimasse. »Wir wollten doch miteinander ins Geschäft kommen, oder? Nun, mein Wort gilt. Ich bin bereit, den goldenen Schmuck zu kaufen und ...« »Soll ich ihm eine verplätten?« fragte Ferris Tucker plötzlich. Casias starrte den Schrank von einem Kerl an und erbleichte. Hasard schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Also, Casias, wir zogen einen todkranken Mann aus der See.« Er beschrieb den namenlosen Spanier und schilderte, was geschehen war. Hasard sprach sehr ruhig, doch Casias wurde zusehends nervöser. Er schwitzte und nagte an seiner Unterlippe. »Zwei Kisten«, sagte Hasard zum Schluß. »Eine Insel. Vier Männer, darunter die Namen Marcos, Esteban und Eloy. Gerippe. Sagt dir dies alles nichts, Mann, kriegst du keinen Geistesblitz? Warum nannte der Sterbende deinen Namen, warum verfluchte er dich?« Casias begann zu zittern. »Ich glaube, wir müssen ihn uns doch mal richtig vorknöpfen«, sagte Ferris Tucker. Hasard stand auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie Miguel Casias an: »Mord! Du hast die armen Teufel auf 91
dem Gewissen, du hast sie in den Tod getrieben, welches immer deine verbrecherischen Interessen waren, du Hund. Du gehörst an die Rahnock!« Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Casias fiel auf die Knie, flehte, schluchzte, winselte. Dann gestand er alles und erzählte stockend von dem Überfall auf den Schatzkistentransport, über den Mord an den Soldaten und dem Kutscher des Gespanns, über die Chincha-Inseln und den Plan, den er zur Durchführung gebracht hatte. Schließlich erwähnte er auch die vollständigen Namen seiner Komplicen: Marcos Chocano, Esteban Pereda, Eloy Campoamor. »Ihr Wortführer, der einstige Steuermann und Lotse der Galeone ›San Pedrico‹ hieß Antonio Savedra. Er war der Mann, den ihr an Bord genommen habt. Nur er konnte sich noch mit dem Goldschmuck behängt haben, nachdem seine Kumpane bereits ...« »Und Herrera? Wer ist das?« wollte Hasard wissen. »Ein Mann, der früher Geschäfte zwischen mir und Savedra vermittelt hat.« Karl von Hutten sagte: »Savedra hatte sich im Grunde also selbst zuzuschreiben, was ihm widerfahren ist. Er war alles andere als ein Unschuldsengel, sondern ein Plünderer, Räuber und Mörder wie seine drei Gefährten. Aber du, Casias, hast dich als der ausgekochteste, skrupelloseste Halunke erwiesen.« »Gnade!« »Wer ist der Tote im Schrank?« fragte Hasard. Hastig antwortete sein Gefangener: »Lope Sastre, mein Mittelsmann am Hofe des Vizekönigs in Lima - der, der mir den Tip über den Transport der Schatzkisten gab. Er erschien heute abend, um mich zu erpressen. Da habe ich ihn nach hinten gelockt und ihn mir vom Hals geschafft. Was sollte ich denn anderes tun? Was hättet ihr an meiner Stelle denn getan?« »Ich kann sein Geplärr einfach nicht mehr hören«, sagte Sven Nyberg, der dunkelblonde Däne. 92
»Was machen wir jetzt mit dem Schwein?« fragte Stenmark. Für kurze Zeit breitete sich lähmendes Schweigen aus. Die Männer blickten anklagend auf den feisten Wirt. Selbst der Schimpansenjunge Arwenack, der wieder mal auf Smokys Schulter hockte, funkelte Casias wütend an. Casias zerschmolz fast unter der Verachtung der Mannschaft. Er war ein Häufchen Elend und glaubte, die Balkendecke der Kapitänskammer müsse ihm jeden Augenblick auf den spärlich behaarten Kopf fallen. Endlich gab Hasard seinen Befehl. »Bringt ihn erst mal ins Vordeck. Sperrt ihn in die Piek, später sehen wir weiter. Ben, du teilst Wachen ein. Ich will, daß Casias keinen Augenblick ohne Aufsicht bleibt.« »Aye, aye, Sir.« Der feiste Wirt rang die Hände und verlegte sich von neuem aufs Betteln. »Hab doch Erbarmen mit mir! Ich habe vieles falsch angepackt, aber selbst für mich muß es noch eine Chance geben, umzukehren. Du siehst doch, wie bereitwillig ich mich zeige. Ich tue alles, was in meinen Kräften steht, um dich zur Isla del Medio zu führen.« »Ich weiß, wo sie liegt.« »Aber - aber ohne mich hättet ihr den Schatz niemals gefunden!« Casias Stimme kippte fast über, klang im höchstens Diskant. »Ich will euer Verbündeter werden, so glaube mir doch!« »Und du würdest also mit uns teilen, wie?« »Selbstverständlich.« Batuti lachte kehlig. »Dicker will Happen vom Kuchen abhaben. Sein verrückt. Total plemplem.« Er deutete mit dem Finger zur Stirn, und die anderen fielen in sein Lachen ein. Hasard grinste auch und trat auf Casias zu. »In Plymouth gibt es einen Wirt namens Nathaniel Plymson«, sagte er. »Er trägt eine Perücke, und wenn Sturm in seiner Spelunke ist, sitzt sie meistens schief. Er ist ein gewaltiges Schlitzohr. Verschachert 93
besoffene Seeleute und Landratten an Preßgangs. Aber du übertriffst ihn um ein Vielfaches. Sei froh, daß wir dich nicht kielholen oder an der Rahnock aufbaumeln. Los, führt ihn jetzt ab!« Blacky, Ribault und Ben Brighton zogen mit ihm ab. Hasard entließ die gesamte Mannschaft, dann holte er die Seekarte aus dem Schapp und breitete sie auf dem Tisch aus. Er studierte sie eingehend, und nachdem etwa eine halbe Stunde vergangen war, rief er Ben Brighton und Ferris Tucker zu sich. »Die Chincha-Inseln haben wir aus der Ferne gesehen«, sagte er. »Wir sind an ihnen vorbeigesegelt, verdammt noch mal.« Ferris Tucker schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Hölle und Teufel, hätten wir doch bloß da schon von dem Schatz gewußt.« »Hätten, hätten«, sagte Ben. »So kommen wir nicht weiter, es hat doch keinen Zweck, der Sache nachzutrauern.« Hasard setzte sich hin und stützte den Kopf auf. »Unser Problem ist euch hinlänglich bekannt. Wir müssen Drake einholen. Wenn wir jetzt zur Isla del Medio zurücksegeln, geht wieder kostbare Zeit verloren, und die ›Golden Hind‹ fährt Gott weiß wo umher. Zur Zeit trennen uns etwa zwei Tage, aber wenn die Distanz wieder größer wird und Francis Drake nicht bald ein Lebenszeichen von uns erhält, wird er uns endgültig abschreiben. Wenn er dann möglicherweise seine Pläne ändert, können wir ihn wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen - und finden ihn doch nie.« »Stimmt alles«, pflichtete Ben Brighton ihm bei. »Aber denk doch mal an den Schatz.« »Was meinst du, was ich die ganze Zeit über tue?« »So einen fetten Happen kriegen wir vielleicht so schnell nicht wieder. Der Privatschatz des Vizekönigs! Mann! Wir wären doch blöd, wenn wir da nicht zulangen würden.« Ferris Tucker hob den goldenen Tukan und eine Handvoll Ketten von der Tischplatte auf. »Also, wenn ich mir diese 94
Klunker so betrachte - ich bin ganz Bens Meinung.« Hasard ließ die Faust auf den Tisch niedersausen, daß es krachte. »Gut. Was dem spanischen Vizekönig recht ist, das soll uns billig sein. Auf keinen Fall darf das Gold, das die räuberischen Conquistadores den Inkas abgenommen haben, wieder zurück in die Hände der Spanier fallen.« Er ging zum Schapp, öffnete es und holte grinsend ein paar verstaubte Flaschen hervor. »Wir gehen noch heute nacht ankerauf und nehmen Kurs auf die Chincha-Inseln. Aber vorher spendiere ich meine eiserne Reserve Malaga. Versprochen ist versprochen.«
10. Die Reise zu dem kleinen, gottverlassenen Archipel nahm zwei Tage in Anspruch. Am ersten Tag geriet die ›Isabella III.‹ gegen Abend in kabbelige See. Heftige Böen fielen von Land aus über sie her, und sie begann zu stampfen und zu schlingern. Miguel Casias, der in der Vorpiek schmachtete, machte Bekanntschaft mit dem Bilgewasser, einer schmutzigbraunen, stinkenden Brühe, die bei jeder Abwärtsbewegung des Bugs aus der Gräting hervortrat und auf ihn zuschwappte. Casias flehte, heulte und fluchte, doch es nutzte ihm alles nichts. Hasard bestand darauf, daß er gefesselt in dem finsteren Loch hocken blieb. Die Vorpiek war der Eingang zur Hölle. Schon mancher Kerl war in einem solchen Kabuff weichgeklopft worden - und genau das hatte der Seewolf mit dem verbrecherischen Wirt vor. Ein richtiger Sturm kam nicht auf. Während der Nacht glättete sich die See wieder, und am darauffolgenden Tag klüsten sie bei günstigem Wind schnurstracks südwärts. Am späten Nachmittag meldete sich D an O’Flynns grelles Organ aus dem Großmars. 95
»He, ho! Land in Sicht!« Über das Steuerbordschanzkleid der Back hinweg sichtete Philip Hasard Killegrew die zerklüfteten Felsen, die sich über der Kimm erhoben. Er nahm das Spektiv zur Hand, blickte hindurch und sah Schwärme von Vögeln, die über den kahlen und geisterhaft erscheinenden Inseln ihre Kreise zogen. »Smoky!« »Sir?« »Holt Casias herauf.« »Aye, aye.« Kurz darauf brachten Smoky und Stenmark, der gerade Wache vor der Vorpiek geschoben hatten, den feisten Wirt. Abgenommen hatte er nicht, aber sein Gesicht war von den Strapazen gezeichnet. Borstige Bartstoppeln bedeckten seine Kinnpartie. Unter den Augen zeichneten sich düstere Ränder ab. Er war über und über verdreckt, ging gebückt, und seine Miene war ein einziger Ausdruck der Verbitterung und des Hasses. »Gott, wie der stinkt!« »Verhöhnt mich nur«, versetzte der Wirt mit heiserer, gepreßter Stimme. »Eines Tages schnappen meine Landsleute euch und euren Seewolf und euren Drake, und dann geht es euch genauso dreckig wie mir.« Hasard musterte ihn scharf. »Das steht hier nicht zur Debatte, Casias. Wie du siehst, sind wir am Ziel. Welches ist die Isla del Medio?« »Die mittlere der drei, auf die wir zuhalten«, erwiderte der Wirt. »Das sagt der Name doch schon.« »Ich würde ihm am liebsten eine schmieren«, sagte Stenmark. »Soll ich?« »Nein. Casias, wo lagern die beiden Schatzkisten?« »In der Höhle, die ich euch beschrieben habe - es sei denn, Savedra und seine Begleiter haben sie woanders hingeschafft.« »Werden wir sehen.« 96
Hasard ließ die Pinasse aufklaren. Er gab Ben Brighton und Pete Ballie Anweisung, welcher Kurs zu halten war, dann suchte er sich die kleine Mannschaft zusammen, mit der er an Land gehen wollte: Ben Brighton, Batuti, Dan O’Flynn, Blacky sowie Matt Davies, Karl von Hutten, Buck Buchanan und Jean Ribault. Arwenack saß auf der Schulter des riesigen GambiaNegers, und es gab schon jetzt keinen Zweifel darüber, daß er mitfahren würde. Sie mieden das flache Wasser vor dem Ufer der Isla del Medio und warfen gut drei Kabellängen vom Kiesstrand entfernt den Anker. Die Segelpinasse wurde zu Wasser gelassen. Hasard und die ausgewählten Männer kletterten über die Jacobsleiter nach unten. Natürlich war auch Miguel Casias mit von der Partie - diesmal ohne Fesseln. Sie pullten an Land und mieden dabei die Untiefen. Dan hockte im Bug und meldete immer rechtzeitig, wenn sie auf eine Sandbank oder ein Riff zuliefen. Ohne Verzögerungen gelangten sie auf den Kiesstrand. Die Pinasse wurde an Land gezogen. Ben Brighton hatte seine Pistole in der Faust und auf den Wirt gerichtet. »Himmel, dieser furchtbare Gestank«, sagte Jean Ribault. »Jetzt begreife ich, warum es die Menschen hier nicht aushalten können.« Casias hatte sie über alles, was mit Guano zusammenhing, aufklären müssen. So wußten sie auch um die schädliche, infizierende Wirkung des fermentierten Vogelkotes - daß seine Ausstrahlung auf Wunden den Tod zur Folge hatte, daß man in seiner Nähe taub und des Sprechens unfähig werden konnte. Der ätzende Geruch stieg ihnen peinigend in die Nasen, reizte ihre Haut und brachte sie zum Jucken. »Erledigen wir es schnell«, sagte Hasard. Sie hatten kaum die ersten Schritte über den groben Kiesstrand getan, da begann es. Über ihnen hatten sich Tausende und Abertausende von 97
Vögeln auf den Felsen zusammengerottet. Jetzt stimmten sie Geschrei an, schlugen heftig mit den Schwingen und hüpften auf und ab. Arwenack klammerte sich ängstlich an Batutis Schulter fest und begann zu greinen. »Das gefällt mir nicht«, sagte Ben Brighton. »Nehmt die Waffen zur Hand«, ordnete der Seewolf an. Er hatte noch nicht richtig ausgesprochen, da ließen sich die ersten Tiere von ihrer schroffen, hochaufragenden Gesteinsburg fallen und rasten mit schrillen Rufen auf sie los. Ben Brighton dirigierte Miguel Casias auf eine kotbekleckerte Felsennische zu. Arwenack stürzte von Batutis Schulter zu Boden und rannte ihnen kreischend nach. Die Vögel griffen an! Reaktionsschnell wehrten Hasards Männer die erste, wütende Attacke ab und schlugen mit Degen, Dolchen, Entermessern und anderen Waffen auf die Vögel ein. Kormorane, Möwen, Tölpel und andere Spezies fielen blutend zu Boden. Ben Brighton erlegte mit einem wohlgezielten Pistolenschuß einen Albatros, der Anstalten traf, über Dan O’Flynn herzufallen und ihm die Augen auszuhacken. Arwenack warf aus seiner Deckung mit Steinen und traf sogar. Die Vögel bemerkten, wie viele ihrer Artgenossen schon tot oder verwundet zu Boden gegangen waren. Ganz unversehens, als habe ihnen jemand ein Kommando erteilt, traten sie den Rückzug an. Ungefähr im selben Moment hastete Miguel Casias los. Er hetzte geduckt an der guanoüberwucherten Felswand entlang. Ben Brighton fluchte, was das Zeug hielt, konnte aber nicht mehr schießen, weil er die Kugel auf den Albatros abgefeuert hatte. Arwenack zeterte. Bück Buchanan rief: »Halt!« und »Zum Teufel!« und legte mit seiner Radschloßpistole auf den Flüchtenden an. Der Schuß krachte. Eine weiße Wolke Pulverdampf puffte hoch. Die Kugel traf auf den harten Guano, prallte ab und jaulte als 98
Querschläger davon. Daneben! Casias hastete weiter und fand einen Aufgang, über den er in eine Spalte gelangte. Batuti, Matt Davies und Karl von Hutten stürmten ihm als erste nach. Doch plötzlich waren wieder die Vögel da. Sie ließen sich auf dem Felsen vor der Spalte nieder, zeigten drohende, flatternde Bewegungen und hackten mit den Schnäbeln. »Zurück!« rief Hasard seinen Männern zu. Kurze Zeit darauf sahen sie die fette Gestalt des Wirtes hoch über sich auf dem Felsen erscheinen. Er lachte höhnisch und schüttelte die Faust gegen sie. Karl von Hutten hatte eine Muskete ergriffen und legte sie an. Doch der Seewolf drückte auf den Lauf nach unten. »Laß das. Wir kriegen ihn noch. Buck und Jean bleiben als Wachen bei der Pinasse zurück. Fort kann Casias nicht, die Insel ist nicht so groß und bietet nicht so viele Versteckmöglichkeiten, daß wir ihn bis zum Abend nicht wieder aufgegriffen haben.« »Seht doch!« rief Blacky bestürzt. Casias hieb plötzlich wild um sich. Möwen, Reiher, Kormorane und andere Vögel hatten sich überraschend auf ihn gestürzt. Sie traktierten ihn mit erbitterten Schnabelhieben, und er schrie gellend um Hilfe. Mindestens zwanzig Tiere hingen an ihm. Er lief ein Stück am Rand des Plateaus entlang, doch sie klebten wie die Zecken an ihm. Voll Grauen verfolgten Hasard und seine Männer, wie Blut über das Gesicht und die ganze Gestalt des Mannes lief, wie er langsamer wurde, stehenblieb, in den Knien einknickte. »Entsetzlich«, sagte Karl von Hutten. »Wir können nichts mehr tun«, entgegnete Hasard. Casias Todesschrei hallte schaurig über die öde Landschaft, dann brach er ab. Die Vögel vollendeten ihr Werk. Sie zerfetzten ihn im wahrsten Sinne des Wortes, und was noch 99
von ihm übrigblieb, zerrten sie über den scharfen Abbruch der Felsenkante und schleuderten es in die Tiefe. Ein paar hundert Fuß von der Crew entfernt klatschten die sterblichen Überreste des Mordwirtes in die Fluten. Es herrschte betretenes Schweigen. »Ich konnte da nicht eingreifen, ohne euch zu gefährden«, sagte der Seewolf schließlich. »Los, gehen wir jetzt zu der Höhle.« Sie hatten keine Schwierigkeiten, sie zu finden. Buck Buchanan und Jean Ribault blieben wie vereinbart an der Segelpinasse zurück. Von Hutten, Matt, Dan, Blacky, Batuti und Arwenack warteten vor dem glitschigen Pfad, der in die Grotte hinaufführte, als Hasard und Ben sich anschickten, die letzte Etappe zu bewältigen. Die Schleier der Dämmerung senkten sich über die Insel und das Meer. In der Höhle herrschte trübes Halbdunkel. Dennoch gewahrten sie sofort die beiden Gerippe. Sie knieten sich hin und betrachteten sie eingehend. Hasard wandte den Kopf, sah Bens Gesicht und stellte fest, daß er gleichermaßen erschüttert war. »Wo mag der dritte abgeblieben sein?« sagte Ben. »Möglich, daß die anderen es noch geschafft haben, ihn im Meer zu bestatten. Die beiden anderen starben und verwesten hier in der Höhle, und Antonio Savedra, halb wahnsinnig vor Hunger, Durst und Verzweiflung, war Zeuge.« »Furchtbar. Ich habe schon viel gesehen, aber so was ...« »Es muß eine nicht zu beschreibende Tragödie gewesen sein. Wenn sie auch Verbrecher waren - ein so furchtbares Ende hat keiner verdient.« Brighton würgte einen Kloß herunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte. »Casias hat auf jeden Fall seine gerechte Strafe empfangen.« Er wandte sich vom Anblick der bleichen Skelette ab und betrachtete die beiden Truhen. Eine davon war geöffnet, eine augenblendende Pracht offenbarte sich ihnen. 100
Fasziniert versenkten sie die Hände in den Bergen von Goldschmuck, hoben sie wieder an und ließen den Reichtum niederprasseln. Sie lüfteten auch den Deckel der zweiten Kiste und sahen, daß sie ebenfalls bis zum Rand gefüllt war. Sie blickten sich an und lachten. »He!« rief Dan O’Flynn von draußen. »Feiert ihr da drinnen Orgien oder was ist los? Kann man sich vielleicht mitfreuen ?« Hasard erhob sich und nahm den Degen auf, den er beim Betreten der Höhle abgelegt hatte. Er schaute ins Freie und konnte seine Männer, die Pinasse und die ›Isabella III.‹ sehen. »Kommt, der Schatz wartet auf euch!« rief er. Trotz allem war es ein beinahe feierlicher Augenblick. »Los, bewegt euch, wir wollen uns nicht ewig die Beine in den Leib stehen -wir haben noch zu tun!« Dann erschienen die Männer. Sie stutzten, als sie die Gerippe sahen, weideten sich jedoch an dem einmaligen Anblick des Inkagoldes. Hasard ließ sie gewähren, ließ zu, daß sie sich mit dem Schmuck behängten. Sie tanzten um die beiden Truhen herum und benahmen sich wie die Kinder. Erst Hasards scharfer Kommandoruf ließ sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. »An die Arbeit, Männer! Schafft Segeltuch herbei! Die Skelette werden eingenäht. Schließt die Kisten und befördert sie an Bord der Pinasse, damit wir wieder in See gehen können.« »Aye, aye, Sir!« Sie standen da und blickten ihren Seewolf an. In ihren Mienen lag Bewunderung, ihre Augen drückten aus, was in ihrem Geist vorging. Treue und echter Kameradschaftsgeist bestimmten das Leben der Besatzung an Bord der ›Isabella III.‹. Für Philip Hasard Killigrew würden sie sich in Stücke hauen lassen. Die Truhen wogen schwer, aber die Männer nahmen Taue zu Hilfe und hievten sie den Pfad hinunter bis auf den Strand, 101
ohne sie zu beschädigen. Leichter war es, sie bis zur Pinasse zu zerren. Mit vereinten Kräften hoben sie ihre Beute schließlich zwischen die Duchten. Danach holten sie die Segeltuchpakete mit den beiden Toten aus der Höhle. Blacky und Dan hatten sie eingenäht. Sie begaben sich zurück an Bord ihrer Zweimastgaleone. Die Skelette der beiden Spanier wurden gemäß dem einfachen Zeremoniell bestattet, das auch dem toten Antonio Savedra zuteil geworden war. Hasard ließ die Schatztruhen in den Laderaum zu den Silberbarren und den Pulverfässern tragen und mit Brooktauen festzurren. Der Abend brach über die Chincha-Inseln herein. Der Seewolf ließ ankerauf gehen. Unter frischem Wind glitt die ›Isabella III.‹ westwärts. Sie lief mit vollen Segeln an der Isla del Medio vorbei. Schwärzlich erhoben sich die GuanoFelsen, und über ihnen kreisten mit vereinzelten schrillen Rufen die Boten des Todes, die Vögel, die keine Menschen in ihrem Reich duldeten. Karl von Hutten stand neben Hasard auf dem Quarterdeck. Ihre Blicke streiften noch einmal die düsteren Steinfassaden des Eilandes. »Isla de la Muerte«, sagte von Hutten. »Todesinsel - so würde ich sie nennen. Ein Ort des Grauens. Ich hoffe, daß wir nie wieder hierher zurückkehren.« Hasard schüttelte den Kopf. »Ein zweites Mal versteckt dort keiner einen Schatz. Das wäre zu schrecklich, um wahr zu sein.« Als die Chincha-Inseln nicht mehr zu sehen waren, ging die ›Isabella III.‹ auf Nordwestkurs. Weiter trieb es den Seewolf und seine tollkühnen Männer hinter der ›Golden Hind‹ von Francis Drake her.
ENDE 102
Der Mann aus Eisen von John Roscoe Craig
John Doughty muß lange auf seine Rache warten - aber eines Nachts läuft ihm der verhaßte Profos Carberry über den Weg. Er fällt unbemerkt über Bord - und in der Weite des Meeres bedeutet das für Carberry den sicheren Tod. Doch der Profos ist härter, als Doughty denkt. Wenige Tage später wünscht sich Carberry, lieber in den Wellen den Tod gefunden zu haben, als noch einmal von den Chimus »gerettet« zu werden ...
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