ATLAN 131 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 630 Die Spur nach Farynt von Horst Hoffmann Die Verwirklichung von Atlans Ziel, ...
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ATLAN 131 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 630 Die Spur nach Farynt von Horst Hoffmann Die Verwirklichung von Atlans Ziel, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder besorgen zu müssen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Galaxis Xiinx-Markant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird. Schließlich, gegen Ende des Jahres 3807 Terrazeit, eskaliert die Auseinandersetzung zwischen Anti-ES und Anti-Homunk auf der einen und Atlan und den Solanern auf der anderen Seite in einem solchen Maß, daß die SOL den Sturz ins Nichts wagen muß. Das Generationenschiff gelangt dabei nach Bars-2Bars, in die aus zwei ineinander verschmolzenen Galaxien bestehende Sterneninsel. Hier hofft Atlan an Anti-ES heranzukommen und damit Zugang zu den verlorenen Koordinaten zu erlangen. Doch die Verhältnisse in der Doppelgalaxis sind mehr als verwirrend. Immerhin gibt es wieder eine Spur – es ist DIE SPUR NACH FARYNT ...
Die Hauptpersonen des Romans: Marcoyn - Ein Fetisch weist den Weg. Atlan - Der Arkonide im Masilan-System. Hage Nockemann, Uster Brick und Sternfeuer - Sie werden entführt. Pooch Veletta-Del - Lin-Khan von Uzerfon. Sanym-Bloo - Leiter des Raumfahrtprogramms von Uzerfon. Rypam - Gegenspieler des Lin-Khans.
1. Hage Nockemann tat das, was die meisten Solaner taten: Er versuchte, die Zeit totzuschlagen. Man saß auf Anterf fest und wartete darauf, daß die SOL wieder voll manövrierfähig wurde. Die politische Lage auf Anterf hatte sich weitestgehend entspannt, nachdem das Mondgehirn OBO-1 seine Arbeit in vollem Umfang wiederaufgenommen hatte. Narrm und seine Vertrauten befolgten inzwischen den Rat der Mammutpositronik, ein besonderes Auge auf die Anhänger der verschiedenen Glaubensströmungen zu haben. Diese Anterferranter machten zwar nicht mehr durch offenen Widerstand und Anschläge von sich reden, aber es gab sie noch, und sie lebten weiter nach ihren Überzeugungen. Und diesen waren allen zwei Dinge gemeinsam: Der Glaube an eine geheimnisvolle Macht irgendwo im Hintergrund, die über die Schicksale der Völker bestimmte, und die verhängnisvolle Verzahnung der beiden Galaxien Bars und Farynt. Nockemann schlenderte zwischen den Landestützen der SOL dahin und nickte einigen Technikern zu, die auf Antigravscheiben arbeiteten. Für die Normalisierung der Verhältnisse sprach auch, daß immer mehr Anterferranter zum Zuschauen kamen. Nockemann blieb an eine Stütze gelehnt stehen und beobachtete sie. Er wunderte sich dabei einmal mehr über die Dominanz der humanoiden Lebensform fast überall im bekannten Universum. Die Anterferranter waren menschenähnlich, daran änderten auch Äußerlichkeiten wie ihr dünnes Fell nichts, das in allen Farben und Mustern leuchtete. Oder der Stummelschwanz. Oder der Haarstreifen auf dem Rücken, die Katzenohren und Tasthaare, die breiten Lippen und die scharf hervorspringende Nase, die vier rudimentären Reißzähne. Sie waren im Schnitt zwei Meter groß, sprachen zischend und knurrend und bewegten sich raubtierartig. Ihre friedliche Mentalität schien manchmal im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild zu stehen. Indes hatte die Erfahrung gelehrt, niemals vom Aussehen auf den Charakter eines Wesens zu schließen. War es Zufall, daß der Galakto-Genetiker deshalb gerade jetzt an ein ganz anders geartetes Geschöpf denken mußte – an den Fetisch Marcoyn? Ein Zufall, daß er ihn gerade in diesem Moment auf einem der Gerüste aus Formenergie entdeckte, die um eine offene Hangarschleuse der SZ-1 errichtet worden waren? Er mußte zweimal hinsehen, denn Marcoyn war nur fünf Zentimeter groß, eine
rosafarbene Kugel auf acht winzigen Beinchen. Genau in der Körpermitte befand sich ein mundähnliches Sprachwerkzeug, und das war schon fast alles. Soweit bekannt war, dienten die Fetische den geheimnisvollen Prezzarerhaltern als phantastische Kommunikationsobjekte. Nur mäßig intelligent, standen sie untereinander in telepathischem Kontakt. Jeder Prezzarerhalter, so vermutete man, besaß ein solches Wesen. Was ein Prezzarerhalter seinem Fetisch akustisch mitteilte, wandelte dieser in telepathische Impulse um und gab sie an seine Artgenossen weiter. Prezzarerhalter – so wurden jene eintausend Beneterlogen genannt, denen in ihrem Volk eine Ausnahmestellung zukam. Die Beneterlogen wiederum waren das offenbar dominierende raumfahrende Volk der Galaxis Farynt. Einstmals war Farynt eine Milchstraße wie so viele andere auch gewesen – und wie Bars. Vor langer Zeit waren ihre Geschicke vom Volk der Bheynder gelenkt worden. Bars besaß eine Parallele in den Vlahresern, zu denen einstmals Kik gehörte. Nockemann schwirrte der Kopf von diesen noch unentwirrbaren Zusammenhängen und Informationen, mit denen die Solaner nach der Materialisation in Bars-2-Bars konfrontiert worden waren. Und Bars-2-Bars war die Bezeichnung für das Gebilde, das nach dem Zusammenstoß der beiden Galaxien entstanden war. Bars und Farynt waren zum Stillstand gekommen – relativ zueinander. In der Draufsicht wirkte die Doppelgalaxis wie ein Kreuz. Ein Kreuz im übertragenen Sinn war sie für die Anterferranter, sie nannten Bars-2Bars ein »Krebsgeschwür«. Und nicht nur sie waren daran interessiert, diese Konfiguration wieder aufzulösen. Ein Anterf-Bewohner hatte sich Nockemann unbemerkt genähert, als dieser gebannt zu Marcoyn heraufschaute. Der Fetisch wanderte über das Gerüst. Es war fast so, als zöge etwas ihn magisch an. »Werdet ihr gegen das Verderbenbringende kämpfen?« fragte der Anterferranter. »Euer Schiff ist viel mächtiger als alle unsere Raumer. Werdet ihr mit ihm die Verzahnung lösen?« Wahrscheinlich meinte er, ob die Solaner gegen die Beneterlogen ausziehen würden. Jedes Volk von Bars-2-Bars sah das Übel, den Grund für die eigene Stagnation, in den Bewohnern der jeweils anderen Teilgalaxis. Diese Stagnation ging auf das »Verstummen« von Tyar und Prezzar zurück – so hatte Wöbbeking es berichtet. Beide Wesenheiten hatten gewissermaßen die Seelen der Galaxien gebildet – Tyar für Bars, Prezzar für Farynt. Dies war das Unglaublichste an der
ganzen Geschichte. Aber Wöbbeking log nicht. Er hatte alles mit bestechender Logik erzählt und auch keinen Zweifel daran gelassen, wer Farynt gegen Bars in Bewegung gesetzt hatte – Hidden-X! »Werdet ihr?« fragte der Anterferranter hartnäckig. »Ungezwungen kämpfen wir gegen niemanden«, antwortete Nockemann. »Höchstens für etwas.« »Für uns!« Der Galakto-Genetiker fand einen Vorwand, um sich zurückzuziehen. Als er seine Ruhe hatte, sah er wieder zum Gerüst hoch. Er erschrak. Der kugelförmige Winzling war fast am Ende einer Verstrebung angelangt. Nur wenige Meter vor seinen acht Füßen gähnten dreißig Meter Tiefe. Er schien den Abgrund nicht zu sehen. Wieder machte er eine Pause. Nockemann dachte schon, daß er sich jetzt drehen und in die SOL zurückkehren würde. Der Fetisch tat genau das Gegenteil. Er ging wieder los. Er wird sich in den Tod stürzen! durchfuhr es Nockemann. Der Solaner schrie in seinen Armbandminikom: »Achtung bei Schleuse SZ-1-H-331! Marcoyn ist in Gefahr! Schiebt ihm eine Latte Formenergie unter die Füße!« Die ersten vier davon tappten schon ins Leere. Der Körper des Fetischs kippte langsam. * Atlan wachte neben Tyari auf und beobachtete sie eine Weile. Unwillkürlich drängten sich ihm die Erinnerungen an die Geschehnisse in Xiinx-Markant auf, in deren Verlauf Tyari und Barleona innerhalb kurzer Zeit auf der Bildfläche erschienen waren. Er dachte an die Reihe von Mißverständnissen und die vielen Spekulationen, die sich um die geheimnisvollen Frauen gerankt hatten. Wer Barleona in Wirklichkeit gewesen war, war nun jedem bekannt. Atlan wußte, er würde sie nie vergessen können. Und manchmal, wenn er wie jetzt neben Tyari lag, überkamen ihn Schuldgefühle. Tyari – stellte sie den Schlüssel zum Geheimnis Bars-2-Bars dar?
Sie war jenes Geschöpf, das Tyar, die »Seele« von Bars, in einem letzten Kraftakt vor seiner Lähmung erschuf, um Hilfe zu finden. Sie hatte den Auftrag erhalten, nach Atlan zu suchen. Dem Arkoniden wurde fast schwindlig bei dem Gedanken. Er war nur ein Mensch. Wie kam ein unfaßbarer Geist dazu, ihm quasi seine Zukunft anzuvertrauen? Aber Tyari war real. Sie war künstlich erzeugt und beseelt worden, aber in nichts von einer normalen Frau zu unterscheiden – abgesehen von ihren starken telepathischen Fähigkeiten, die sie lange verborgen hatte. Zu ihrem Auftrag gehörte es, daß sie fast wie Atlan selbst aussah – sein weibliches Pendant. Mittlerweile war sie für ihn mehr als eine Verbündete und Kampfgefährtin. Atlan wollte mit ihr gemeinsam handeln. Nur wofür? Wirklich nur, um die beiden Galaxien wieder zu entflechten? Was würde sein, wenn Tyar wieder erwachte? Und Prezzar? Tyar war von Wöbbeking als gutmütig und distanziert geschildert worden, Prezzar als launisch, übermütig und unberechenbar. Tyar sollte die Intelligenz verkörpert haben, Prezzar den Instinkt. Tyari schlug die Augen auf. Sie legte die Arme um ihn und preßte ihn an sich. Er fürchtete, sie würde ihm Fragen stellen. Doch bevor einer von ihnen nur ein Wort sagen konnte, summte der Interkommelder. In dem Moment war es wieder da – das Gefühl, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Atlan sprang aus dem Bett und zum Wandbildschirm seiner Kabine. »Marcoyn!« sagte der Galakto-Genetiker. »Er hat gerade ... Also ich würde sagen, er hat einen Selbstmordversuch unternommen.« »Der Fetisch!« rief Tyari aus. Sie war schon auf den Beinen und zog sich außerhalb des Optikbereiches schnell an. Sie wußte genau, was Atlan an stillen Hoffnungen auf Marcoyn und die Prezzarerhalter setzte. Er glaubte, daß die Prezzarerhalter mehr über Bars-2Bars wußten, als ihm alle Anterferranter sagen konnten. Und er brauchte jeden kleinsten Hinweis, um seinem Ziel näher zu kommen: der Wiedergewinnung der Koordinaten von Varnhagher-Ghynnst. Ohne sie konnte er den Auftrag der Kosmokraten nicht ausführen. Anti-ES besaß sie nun, und Anti-ES handelte unter Ausnutzung der Konstellation. An Anti-ES heranzukommen, und damit an die unersetzlichen Koordinaten, hieß alles über Bars-2-Bars zu wissen. Und da sah Atlan die Prezzarerhalter als bislang einzige Informationsquelle an. Niemand wußte, wo sie sich verbargen – höchstens ihre Fetische. Wenn sie in
telepathischem Kontakt miteinander standen, mußten sie die jeweilige Nähe eines anderen Fetischs irgendwie spüren – und verraten können. Darauf hatte Atlan bisher umsonst gehofft. »Was heißt das, Hage?« fragte der Arkonide rasch, »einen Selbstmordversuch unternommen? Ist er tot?« Nockemann schüttelte den Kopf. »Die Techniker konnten ihm gerade noch Formenergie unter die Füße zaubern, als er schon fiel. Blödel und ich haben ihn in das Labor auf dem 34. Deck der SZ1 gebracht, und ...« »Was und?« »Komm und sieh es dir selber an, Atlan.« * Marcoyn benahm sich wie ein Spielzeug, das man aufzog, auf den Boden setzte und marschieren ließ. Nockemann holte ihn ein, als er fast gegen die Wand stieß, und ging mit ihm auf die andere Seite des Raumes zurück. Er setzte ihn wieder ab, und prompt begann der Fetisch erneut zu marschieren. »So war es auch auf dem Gerüst«, sagte Nockemann. »Er ging starr in diese eine Richtung. Wenn man den Mund mit seiner Vorderseite gleichsetzt, ist sie immer dorthin gewandt.« »Laß ihn«, sagte Atlan, als der Freund Marcoyn vor der Wand wieder abzufangen versuchte. Der Fetisch schob sich dagegen und machte weitere Gehbewegungen, als wollte er das Metall mit Gewalt durchstoßen. »Wie lange macht er das schon?« fragte Tyari. Nockemann zuckte die Schulter. »Eben seitdem ich ihn auf dem Gerüst sah. Wir brachten ihn dann hierher, und ...« Seine Gesten sagten genug. Atlan bückte sich und hob den Fetisch sanft auf. Selbst in seiner Handfläche marschierte er noch gegen die nach oben gebogenen Finger an. Atlan drehte sich um 180 Grad. Marcoyn kletterte über seinen Arm auf sein Gesicht zu.
»Nimm ihn, Hage«, sagte der Arkonide und gab den Winzling in Nockemanns offene Hände. Dann neigte er sein Gesicht über Marcoyn und versuchte, ihn zum Reden zu bringen. Der Fetisch schwieg auf alle Fragen. »Ist Breck in der Zentrale?« fragte Atlan. Blödel bejahte. »Was hast du vor, Atlan?« wollte Tyari wissen. »Ich möchte herausfinden, was ihn anlockt.« Fetische im Dienst von Prezzarerhaltern! Vielleicht andere Fetische! Atlan stellte die Verbindung zur Zentrale her. Hayes’ narbenzerfressenes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Der Arkonide berichtete kurz und bat darum, Ortungen in die von Marcoyn angesteuerte Richtung vorzunehmen. Er nahm den Fetisch wieder und ließ ihn so lange am angewinkelten Arm hochklettern oder herunterlaufen, bis der ungefähre Vertikalgrad feststand. »Du bekommst das Ergebnis sofort«, versprach Hayes. »Bjo ist übrigens unterwegs zu dir. Vielleicht kann er etwas ausspähen.« Der rotbraungefleckte Katzer erschien nur kurz darauf. Mit Ausspähen meinte Hayes natürlich nichts anderes als das Wahrnehmen einer telepathischen Quelle. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis Breiskoll heftig nickte. »Ich kann eine sehr schwache Mentalstrahlung aus dieser Richtung auffangen, aber ...« »Aber?« »Sie läßt inhaltlich nichts Konkretes erkennen.« Atlan hatte diese Auskunft nicht erwartet. Wenn man von Marcoyn auf alle anderen Fetische schließen durfte, so waren sie nicht zu espern. Die solanischen Mutanten und selbst Tyari hatten Marcoyns Gedanken zu lesen vermocht. Falls Marcoyn auf irgendeine Weise mit anderen seiner Art in Verbindung stand, konnten also kaum diese anderen Fetische mit der Mentalquelle identisch sein. Worum handelte es sich dann? Was zog den Winzling an wie das Meer die Lemminge? »Die Quelle muß sehr weit entfernt sein«, sagte Bjo. »Mehr weiß ich auch nicht.« »Sind diese Impulse aggressiver Natur?« fragte Nockemann. Bjo schüttelte den Kopf. »Weder positiv noch negativ. Vielleicht erführen wir mehr,
wenn wir näher an die Quelle herankämen.« Atlan und Tyari warfen sich einen schnellen Blick zu. Nockemann seufzte. »Das dachte ich mir.« »Was?« »Tu nicht so. Du hast längst schon einen Entschluß gefaßt. Na ja, immerhin ist es auf Anterf ohnehin langweilig geworden.« Atlan winkte ab. Marcoyn strampelte schon wieder gegen die Wand an. Noch einmal hob der Arkonide ihn vor sein Gesicht. »Du hast doch alles gehört, oder? Kannst du uns nicht mehr antworten, Marcoyn? Weißt du, worum es sich bei der Mentalquelle handelt?« »Ich muß gehen«, antwortete das Wesen überraschend klar. »Sagt dir das jemand? Bekommst du Befehle?« »Laßt mich gehen ...« Es war sinnlos. Der Fetisch handelte ganz offenbar aus einem Instinkt heraus. »Wir haben jetzt etwas gefunden«, meldete sich Hayes aus der Zentrale. »Aber um wirklich sicher zu sein, muß die Richtung der Quelle nicht ungefähr feststehen, sondern auf die Bogensekunde genau. Am besten kommt ihr mit Marcoyn hierher.« * Hayes hatte insgesamt sieben besonders leuchtstarke Sterne zur Auswahl anzubieten, die sich in verschiedenen Entfernungen in der festgestellten Richtung befanden. Marcoyn mußte siebenmal auf einer Platte marschieren, die in ihrer Neigung verstellbar war. Jedesmal war sie auf eine der in Frage kommenden Sonnen ausgerichtet. »Nummer Vier«, konnte Curie van Herling danach bestätigen. »Der blaue Riese. Ließe man ihn, würde der Fetisch auf dieser Linie quer durch den Weltraum auf ihn zu marschieren.« Sie fuhr mit dem Zeigefinger den rot markierten Weg nach, den Marcoyn genommen hatte. »Allerdings würde er Jahrmillionen brauchen, um sein Ziel zu erreichen. Der Stern ist 102 Lichtjahre von Anterf entfernt. Er gehört übrigens nicht zu Bars, sondern schon zu Farynt.« Zu der Zone, in der die Sonnen der beiden Galaxien ineinanderstanden. Für Atlan
machte es das Rätsel noch größer. »Wann starten wir also?« fragte Nockemann. Auf die verwunderten Blicke der Stabsspezialisten zuckte er nur die Schultern. »Was ich vorhin schon sagte. In Gedanken sitzt Atlan schon längst in der CHYBRAIN.« Nach kurzer Diskussion war Hayes einverstanden. Auf Anterf gab es für das Atlan-Team nichts zu tun. Die Reparaturarbeiten würden noch Tage in Anspruch nehmen. Nur Federspiel blieb auf der SOL zurück, um Gedankenverbindung mit Breiskoll und Sternfeuer halten zu können. Am zehnten Januar 3808 verließen die CHYBRAIN und die FARTULOON das Barsanter-Sonnensystem. Mit von der Partie waren Tyari und natürlich Marcoyn.
2. Die beiden Spezialschiffe erreichten ihr Ziel ohne Probleme. Zehn Lichtstunden von der blauen Sonne entfernt kamen sie aus dem Linearraum. Atlan wollte kein Risiko eingehen und zunächst einmal alles an Informationen sammeln, was sich aus diesem Abstand gewinnen ließ. Marcoyn befand sich in der Zentrale der CHYBRAIN. Nockemann war bereits dabei, seine Marschrichtung neu zu bestimmen, als Uster Brick laut verkündete: »Der blaue Riese besitzt den zehnfachen Durchmesser einer gelben Normalsonne. Wir haben auch schon alle Planeten erfaßt. Insgesamt sind es zweiundzwanzig.« Vermessungen dieser Art waren Routine. Atlan beugte sich über Bricks Rücken und las die Daten von einem Monitor ab. »Was ist das?« fragte er erstaunt. »Nummer acht strahlt dermaßen stark, daß die Ursache nie eine normalentwickelte Zivilisation sein kann.« »Welche Strahlung?« erkundigte sich Sternfeuer. »Radioaktiv?« »Nein, nur Unmengen von Energie.« »Aber keine Anzeichen für intelligentes Leben«, sagte Brick. »Das scheint auf dem neunten Planeten zu sitzen. Die Energieemissionen von dort entsprechen schon eher unseren normalen Maßstäben. Außerdem herrscht dort anscheinend ein reger Funkverkehr. Um die Sendungen aufzunehmen und zu entschlüsseln, müssen wir näher heran.« Atlan drehte sich zu Nockemann um, der Marcoyn gerade wieder aufsetzte. »Der achte oder der neunte Planet«, erklärte der Wissenschaftler. »Uster hat recht. Wir müssen tiefer in das System einfliegen, um es genau festzustellen.« Atlan nickte. Es war kein Raumschiffsverkehr zu beobachten. Auch entsprechende Ortungen in den interstellaren Raum ergaben nichts in dieser Richtung. »Wir fliegen bis knapp über die Bahn des zehnten Planeten«, entschied der Arkonide. Die Strecke wurde in einer kurzen Linearetappe zurückgelegt. Als die Schiffe diesmal materialisierten, kam schlagartig das Gewirr von unzähligen Funksendungen aus den Lautsprechern. Die Fernoptiken zeigten eine
braungrüne Welt mit nur dünner Atmosphäre. Der Durchmesser am Äquator wurde von der Bordpositronik mit 8335 Kilometer angegeben. Der Arkonide hatte allerdings kaum Aufmerksamkeit für den Planeten, als das Bild seiner Nachbarwelt groß auf einem Schirm erschien. Nummer acht glänzte wie ein riesiges Juwel im Weltraum – oder wie ein von innen erleuchteter Ball. Brick pfiff durch die Zähne. »Daher die Strahlung! Dieser ganze Brocken ist in eine einzige Energieglocke gehüllt!« »Kein Grund zur Aufregung, Kleiner«, kam es von Vorlan Brick auf der FARTULOON. »So etwas hatten wir schon.« »So?« Uster drückte den Zeigefinger gegen die Monitorscheibe mit den einlaufenden Vermessungsdaten. »Und dies hier? Die Masse des Planeten ist hundertmal geringer, als sie bei dieser Größe sein müßte – falls wir die Oberfläche gleich unter der Energiehülle annehmen. Ich gehe jede Wette ein, daß wir es mit einer Hohlwelt zu tun haben.« Die Positronik lieferte die Bestätigung dafür. Tyari kam an Atlans Seite und nahm seine Hand. »Was hältst du davon? Sollten wir uns nicht zuerst um diese Welt kümmern?« Der Arkonide löste sich von dem faszinierenden Anblick und sah zu Sternfeuer hinüber. Sie nickte. »Ich finde, wir sollten uns zunächst anhören, was die Leute auf Uzerfon sich zu sagen haben.« »Uzerfon?« »Der neunte Planet. Ich habe mit Hilfe der Positronik einige starke Sender herausfiltern können. Unsere Translatoren arbeiten einwandfrei. Die Bewohner nennen sich Uzerfoner und ihre Sonne Masilan.« »Und was sagen sie über ihre Nachbarwelt?« »Gar nichts.« Nockemann schob Marcoyn in eine Tasche seiner Kombination. »Es wäre aber gut, wenn wir zufällig eine astronomische Rundfunk- oder TVSendung auffangen könnten. Marcoyn will nämlich dorthin.« Er zeigte auf das Bild der Welt Nummer acht.
* Die Explosion lag schon mehr als fünf Stunden zurück, doch immer noch standen mehrere Gebäude des Raumfahrtzentrums von Uzerfon in Flammen. Lösch- und Rettungsflugzeuge waren pausenlos im Einsatz, gepanzerte Wagen rollten durch die giftigen Rauchwolken und brachten Verwundete und Tote zu den großen Notzelten außerhalb des Gefahrenbereichs. Der Komplex lag auf einer künstlichen Halbinsel, die wie ein Finger in eines der wenigen Binnenmeere hineinragte. Auf Uzerfon war das Wasser knapp und kostbar. Es gab keine Ozeane. Die kleinen Meere dienten als Trinkwasserreservoire. In Kanälen wurde das Wasser über Tausende von Kilometern in die landwirtschaftlichen Betriebe geführt. Was dazwischen lag, war größtenteils Wüste. Die wenigen großen Städte waren ebenfalls an den Kanälen errichtet worden. Der Leiter des Raumfahrtprogramms, Sanym-Bloo, gehörte nicht zu denjenigen Uzerfonern, deren Lebensphilosophie darin bestand, alles als gegeben und unveränderbar anzusehen. Dieser Weltanschauung hing die große Mehrheit der Bevölkerung an. Es gab eine Gruppe, deren Ansichten noch viel radikaler waren. Und genau diese Gruppe beschuldigte Sanym-Bloo nun leidenschaftlich des Anschlags, als er dem Monarchen gegenüberstand. Der Wissenschaftler war wie durch ein Wunder unverletzt geblieben und unverzüglich mit einem Dienstflugzeug zum Regierungspalast in der Hauptstadt Zerfon aufgebrochen. »Es kommen überhaupt nur die Karymauner in Frage!« klagte er an. »Sie wollen mit aller Gewalt verhindern, daß wir eines Tages Reisen zu fernen Welten antreten. Denn wir könnten uns ja zuerst einmal den Nachbarplaneten ansehen.« »Das reicht!« kreischte der Monarch. »Ich verbiete es dir, in diesen Wänden von Schjepp zu reden!« Sanym-Bloo ließ den Körper so zwischen die acht vielgliedrigen Beine sinken, daß er mit der Unterseite des Rumpfes den Boden berührte. Die Geste drückte Demut aus. Der Monarch seufzte und drehte sich etwas in seinem Thronsessel, der wie eine riesige Gabel aussah, deren mittlerer Zahn nach hinten gebogen war. In dieser Mulde ruhte der verfettete Leib des Herrschers. Pooch Veletta-Dels Titel lautete Lin-Khan. Das Geschlecht der Veletta-Dels lenkte die Geschicke des Planeten, solange die globale Geschichtsschreibung zurückreichte.
Man konnte bei einem Uzerfoner nicht von einem Leib sprechen, auf dem ein Kopf saß. Der Kugelkörper war beides. In der Regel hatte er einen Durchmesser von 90 Zentimetern. Ganz oben auf ihm saß ein drehbarer Ohrtrichter. Darunter lag der Haarkranz als umlaufender Ring. Bei Erregung richteten die Drahthaare sich auf oder wogten hin und her wie in einer Wasserströmung. Wieder etwas tiefer befanden sich die fünf Augen, in der Mitte das bewegliche Hauptauge, daneben jeweils zwei starre Nebenaugen, von denen die äußeren für das Nachtsehen besonders empfindlich waren und bei Tag meistens geschlossen blieben. Dann kam der Mund mit den breiten Mahlzähnen. Etwa in der Mitte des Körperkopfes – quasi an seinem »Äquator« – wuchs ein zweigliedriger Arm mit neun gleichlangen Fingern aus der Kugel. Unter ihm fand sich die Sprechmembran. Die untere Körperhälfte beinhaltete alle lebenswichtigen Organe. Die dunkelblaue Außenhaut mit ihren vielen Farbnuancen und Schattierungen war dort ohne besondere Unregelmäßigkeiten. Pooch Veletta-Del drehte sich sehr schwerfällig in seinem Gestell. Die acht Beine, jedes gut 60 Zentimeter lang, hingen wie dicke Schläuche herab. Streckte ein Uzerfoner sie ganz durch, konnte er eine Gesamthöhe von fast anderthalb Metern erreichen. Offenbar bereute der Lin-Khan seine Maßregelung schon wieder. Er neigte sich etwas vor und fragte: »Sind die Zerstörungen denn so schlimm?« Sanym-Bloo federte in die Höhe zurück. Er mußte den Körperkopf nach hinten neigen, um dem Monarchen auf seinem Podest in die Augen zu sehen. Der schwarze Haarkranz beruhigte sich wieder. »Schlimm ist gar kein Wort dafür, Lin-Khan! Unser Projekt kann auf Jahre hinaus nicht mehr durchgeführt werden. Neben den Verwaltungsgebäuden sind vor allem die Hallen betroffen, in denen sich die fertigen Montageteile der Sonde befanden. Es sind mindestens zehn Bomben an verschiedenen Stellen gezündet worden. Und die Zahl der Toten ...« Der Raumfahrtchef schauderte bei dem Gedanken an die unschuldigen Opfer. Pooch Veletta-Del kreischte befehlend: »Man informiere uns über den neuesten Stand!« Die stark gewölbte Kuppeldecke des Thronsaals verwandelte sich in einen Bildschirm. Die Bilder wurden direkt von den Flugzeugen übertragen, die über dem Raumhafengelände kreisten. Die Stimme eines Beobachters verkündete aus verborgenen Lautsprechern: »Die Zahl der Toten ist bis zur Stunde auf 42 angestiegen. Folgende Anlagen
sind durch die Druckwellen und die Brände zerstört worden ...« Der Lin-Khan hörte sich den Bericht bis zum Ende an. Erst als der Deckenbildschirm wieder erloschen war, platzte es aus Sanym-Bloo heraus: »Wie lange willst du die Karymauner noch ihr Unwesen treiben lassen, Lin-Khan! Jeder weiß, daß die Sonde zu den inneren und äußeren Planeten geschickt werden sollte, um diese Welten aus der Nähe zu untersuchen! Von Schjepp war nie die Rede! Was für ein Volk sind wir, wenn wir Angst haben, zu forschen! Der Tag ist nicht fern, an dem Uzerfon ganz ausgetrocknet sein wird. Dann müssen wir Raumschiffe haben, die uns zu anderen Welten tragen!« »Zügele dein Temperament. Dieser Tag wird niemals kommen.« »Ja, weil wir uns eine zweite Haut wachsen lassen, durch die wir die Wirklichkeit nicht mehr sehen!« Sanym-Bloo ignorierte die warnenden Schlingerbewegungen der Monarchenbeine. »Wir haben eine Technik entwickelt, die uns in die Lage versetzen würde, große Schiffe zu bauen – aber was haben wir bisher zustande gebracht? Primitive Raketen, mit denen wir unsere wenigen Wetter- und Funksatelliten in ihre Umlaufbahnen geschossen haben. Mehr gestatten die Karymauner uns nicht.« »Schweig!« schrillte Pooch Veletta-Del. »Die Karymauner regieren Uzerfon nicht!« Während der Raumfahrtchef sich wieder in höfischer Demut übte, dachte er wütend: Das tun sie doch! Was ihnen nicht gefällt, sabotieren sie. Seine Verbitterung war groß. Sein ganzes Leben hatte er dem Gedanken verschrieben, seinem Volk das Tor zum Weltraum zu öffnen. Der bevorstehende Start der Sonde hätte so viele neue Erkenntnisse bringen können. Daß der LinKhan die Karymauner gewähren und ihre unsinnigen Vorstellungen verbreiten ließ, lag vermutlich daran, daß sie nicht nach der politischen Macht strebten. Ihre Opposition bezog sich allein auf die Raumfahrt. Ihre unsinnige Lehre besagte, daß es der Untergang von Uzerfon sei, wenn je ein Uzerfoner seine Füße auf den Nachbarplaneten setzte. Das war um so haarsträubender, als Schjepp von seiner Energiehülle umgeben war, die eine Landung ohnehin unmöglich machte. Sanym-Bloo mußte sich korrigieren. Der Monarch ließ die Karymauner nicht wirklich gewähren. Man kannte sie ja nicht. Niemand wußte, welcher Uzerfoner zu ihnen gehörte. Sie handelten aus dem Untergrund, und man merkte das erst, wenn es schon zu spät und wieder eine technische Anlage in die Luft geflogen war.
Im Grunde beneidete er Pooch Veletta-Del nicht. Der Monarch war, im Vergleich zu seinem Vorgänger, relativ aufgeschlossen. Sein behäbiges Äußeres täuschte. Er hatte das Wohl des Volkes zu garantieren. Stimmte er dem von Sanym-Bloo geforderten großen Raumfahrtprogramm zu, dann riskierte er noch viel schlimmere Anschläge als den heutigen. Der Monarch schien der Ansicht zu sein, daß Sanym-Bloo nun genug Buße getan hatte. Gerade wollte er ihn entlassen, als die Doppeltür des Thronsaals aufgestoßen wurde und ein Bote hereinstolperte, in der Aufregung die acht Beine ineinander verschlang und an den Palastwachen vorbei bis zum Thronpodest kugelte. Der Monarch streckte vor Schreck alle Extremitäten von sich. »Was fällt dir ein, Begus!« empörte sich Pooch Veletta-Del. »Ich verlange eine Erklärung für diese Ungeheuerlichkeit!« Der Bote entwirrte die Beine und richtete sich stramm auf. Seine Hand klatschte dorthin, wo er in seiner unteren Hälfte das Herz vermutete. »Es ... es ist etwas geschehen, erhabener Lin-Khan!« sprudelte es schrill aus der Sprechmembran. »Etwas Ungeheuerliches!« »Das wissen wir schon seit fünf Stunden!« tadelte Pooch Veletta-Del ihn. »Der Raumhafen ist ...« Als hätte der Bote tatsächlich alle guten Geister verloren, fiel er dem Monarchen ins Wort: »Das ist es nicht! Ich würde nie wagen, dich deswegen zu stören! Aber ...« »Aber was?« fragte Sanym-Bloo. Der Bote drehte sich zu ihm um. »Weißt du es denn auch noch nicht? Ein fremdes Raumschiff nähert sich Uzerfon!« * Zwei Stunden nach dem Auffangen der ersten klaren Funksprüche von Uzerfon waren der Planet und seine Bevölkerung als harmlos genug eingestuft worden, um eine vorsichtige weitere Annäherung zuzulassen. Die FARTULOON blieb auf ihrer Beobachtungsposition, als sich die CHYBRAIN auf Uzerfon zu in Bewegung setzte. Jetzt wurden auch einige kleine Satelliten geortet. Beim Verschieben der Konstellationen wurde immer deutlicher, daß es Marcoyn zum achten Planeten
hinzog. Er marschierte dabei jetzt schneller auf die nächstbeste Wand zu, ein Zeichen dafür, daß die geheimnisvolle Mentalstrahlung nun stärker auf ihn einwirkte. Auch Bjo Breiskoll bestätigte das von der FARTULOON aus. Genaueres konnte er aber immer noch nicht sagen. Die Eindrücke waren fremdartig. Man hatte sich im Atlan-Team darauf geeinigt, zuerst eine Kontaktaufnahme mit den Uzerfonern zu versuchen. Atlan stellte seine brennende Neugier zugunsten der Sicherheit zurück. Der achte Planet war auch jetzt noch nicht in den Sendungen der Uzerfoner erwähnt worden. Er barg etwas Unbekanntes, dessen Gefährlichkeit sich im Gegensatz zur neunten Welt dieses Systems nicht vorhersagen ließ. Außerdem glaubte man, Zeit zu haben. Sternfeuer wußte von Federspiel, daß sich auf Anterf nichts Besorgniserregendes tat. »Das sollte genügen«, sagte Atlan, als die CHYBRAIN bis auf einhunderttausend Kilometer an Uzerfon heran war. »Wenn wir uns kein falsches Bild von der Technik der Planetarier gemacht haben, werden sie uns jetzt entdeckt haben. Geben wir ihnen Zeit, die Initiative zu ergreifen.« »Die kann auch in Raketen bestehen«, meinte Brick. Vielleicht mit Atomsprengköpfen. Mehr war nicht zu erwarten. Die Schutzschirme würden dann leicht mit ihnen fertig werden. Atlan glaubte aber nicht daran. Aus den Sendungen war hervorgegangen, daß die Uzerfoner im Augenblick Probleme genug mit sich selbst hatten. Eine Attentätergruppe hatte offenbar einen Anschlag auf ein Raumfahrtzentrum verübt. Ihr Name war nicht genannt worden. Ebenso wußten die Solaner noch nichts über das Aussehen der Uzerfoner. Ihre TVSendungen liefen anscheinend über Kanäle, die von der CHYBRAIN-Positronik nicht in sinnvolle Bilder umgesetzt werden konnten. Was bisher von den Planetariern bekannt war, erinnerte Atlan auffallend an die Menschheit des 20. Jahrhunderts, obwohl einiges auf ein dynastisches Regierungswesen schließen ließ. Er wartete. Wenn seine Vermutung zutraf, würde eine übereilte Landung ungefähr dem gleichkommen, was sich die Menschen vor Rhodans Mondlandeexpedition und der Entdeckung des Arkonidenraumers unter einer Invasion aus dem Weltraum vorgestellt hatten. Wesen in Panik aber waren keine guten Gesprächspartner. Tyari hatte lange geschwiegen. Jetzt fragte sie: »Könnte nicht wenigstens die FARTULOON schon einmal einen Vorstoß
unternehmen?« Zum achten Planeten. Atlan hatte auch kurz daran gedacht. Bjo und Sternfeuer standen in Telepathiekontakt, Doch was, wenn Bjo sich plötzlich nicht mehr melden konnte? »Das Risiko ist zu groß«, sagte der Arkonide. »Sie rufen uns an!« kam es von Sternfeuer. »Sie wollen wissen, wer wir sind!« Atlans Hoffnung, jetzt einen Uzerfoner zu Gesicht zu bekommen, erfüllte sich nicht. Sternfeuer schaltete die Stimme des Fremden auf die Zentralelautsprecher. Die Kommunikationsschirme blieben dunkel. »Wir kommen in friedlicher Absicht«, sagte der Arkonide in ein Mikrophon. Der zwischengeschaltete Translator übersetzte seine Worte in die Sprache der Uzerfoner. »Wir sind Freunde. Auf der Suche nach intelligentem Leben im Weltall entdeckten wir eure Welt. Wir bitten darum, auf Uzerfon landen zu dürfen.« »Du raffinierter Fuchs«, flüsterte Brick. »Suche, aha!« Die Empfänger schwiegen. Atlan stellte sich wieder die Erde des 20. Jahrhunderts vor – und wie ihre Bewohner auf diese Eröffnung reagiert hätten. Endlich sagte die Stimme: »Was würdet ihr tun, wenn wir euch die Landung verbieten würden?« Die Raumfahrer sahen sich überrascht an. »Wir fragen sie nicht lange!« flüsterte Tyari. »Sag ihnen das!« »Kannst du irgend etwas von den Uzerfonern espern?« »Nichts, jedenfalls keine klaren Gedanken. Nur Gefühlswellen.« Atlan nickte grimmig. Er sah stundenlange Feilscherei vor sich und war unentschlossen, auch ohne Erlaubnis zu landen und dann seine Friedfertigkeit unter Beweis zu stellen. Als er zu sprechen anhob, rief Nockemann laut aus dem Hintergrund: »Wenn wir nicht auf Uzerfon landen dürfen, fliegen wir weiter zum Nachbarplaneten, wo es vermutlich auch Leben gibt!« Atlan fuhr herum und starrte ihn an. Der Galakto-Genetiker lächelte geheimnisvoll. »Ihr dürft landen!« kam es prompt aus den Empfängern. »Bei unserer Hauptstadt. Sie liegt auf dem zwanzigsten Längen- und fünfzigsten Breitengrad. Wir werden Scheinwerfer in
den Weltraum richten, um euch die Orientierung ...« Der Rest ging in einem Krachen und Knistern unter. Eine andere Stimme meldete sich. Daß sie nicht dem ersten Sprecher gehörte, unterstrich die Positronik durch eine andere Modulation: »Ihr landet nicht! Nicht bei uns und schon gar nicht auf Schjepp! Beim Versuch vernichten wir euch!« Die Positronik erklärte, daß die Verbindung unterbrochen war. Störimpulse überlagerten alle Funksprüche, die noch von der ersten Quelle kamen. »Teufel nochmal!« knurrte Brick. »Die einen sind so gnädig, uns die Landung zu gestatten, und die anderen drohen uns. Ich denke, die Burschen haben eine kleine Ernüchterung verdient!« Atlan wurde an Anterf erinnert, an das Chaos der verschiedenen Interessengruppen bei der Ankunft der SOL. Hier schienen ähnliche Verhältnisse zu herrschen. »Wir landen«, sagte er hart. »An der bezeichneten Stelle. Immerhin dürften wir nun den Namen des achten Planeten haben, nämlich Schjepp. Wie kamst du auf die Idee, Hage?« »Die Uzerfoner zu bluffen?« Er zuckte die Schultern. »Wieso fragst du mich. Ihr habt doch alle den Eindruck, daß der Nachbarplanet ein Tabu für die Uzerfoner darstellt. Zugegeben, es war ein Schuß ins Blaue hinein – aber er traf.« Brick ließ die CHYBRAIN dem Planeten entgegenfallen und aktivierte vorsichtshalber die Schutzschirme. Es geschah keine Minute zu früh. Die dünne Atmosphäre war noch nicht erreicht, als die Raketen geortet wurden. Sie machten das schnelle Ausweichmanöver des Kreuzers mit und brachten sich in unmittelbarer Nähe des Schiffes zur Explosion. Die Energien ihrer Atomsprengköpfe verpufften wirkungslos in den Schutzfeldern. »Denkst du immer noch«, fragte Tyari, »daß wir mit Geduld und Gutmütigkeit etwas erreichen, Atlan?« Der Arkonide gab keine Antwort. Brick ließ die Triebwerke aufbrüllen und die CHYBRAIN wie ein flammendes Phantom in die Uzerfon-Atmosphäre schießen.
3. Der Monarch hatte sich dazu bequemt, den Gabelthron zu verlassen und mit schweren Schritten zu einem der bogenförmigen Fenster zu schreiten. Seine Beine taten ihm weh. Sie waren es nicht mehr gewohnt, den Fettkörperkopf zu tragen. Daß Pooch Veletta-Del überhaupt dermaßen aktiv geworden war, zeigte seine ganze innere Unruhe. Eben noch hatte er zu hoffen gewagt, daß mit dem vorläufigen Ende des Raumfahrtprogramms auch die Anschläge der Karymauner ein Ende gefunden hätten. Er liebte diese Gruppe nicht. Die wenigsten Uzerfoner wußten, wie hartnäckig er ihnen durch seinen Geheimdienst auf die Schliche zu kommen versucht hatte – und wie viele Enttäuschungen er dabei erleben mußte. Sie waren einfach nicht zu fassen. Das beste Beispiel dafür lieferte der neuerliche Anschlag. Kaum jemand verstand ihn. Er wollte nur das Beste für sein Volk – Ruhe und Frieden. Dabei war seine Seele in zwei Teile gespalten. Im Gegensatz zu seinen Beteuerungen auch Sanym-Bloo gegenüber wußte er, daß Uzerfon dem baldigen Untergang geweiht war. Im Grunde befürwortete er das Raumfahrtprogramm. Deshalb ließ er auch Sanym-Bloo freie Hand und gab ihm die finanziellen Mittel, die er benötigte. Andererseits aber fürchtete er auf lange Sicht einen Bürgerkrieg. Es war kein Geheimnis, daß die Karymauner immer mehr Zulauf aus der Bevölkerung erhielten. Und jetzt das fremde Raumschiff! »Ich möchte, daß mein Berater Zymm-Fort zu mir kommt!« rief der Monarch in den Saal. Das Raumschiff war bereits in der Atmosphäre. In einigen Städten brach Panik aus, als es wie ein glühendes Ungeheuer durch die Lüfte raste. Er hatte selbst mit den Außeruzerfonischen gesprochen. Der Schock ihrer Antwort war noch nicht verdaut. Sie hätten Schjepp angeflogen! Was hatte er da noch anderes tun können, als ihnen die Landeerlaubnis auf Uzerfon zu erteilen? Und dann die Störaktion der Karymauner. Ihr wahnwitziger Raketenangriff. Der Monarch hatte bis zu dieser Stunde nicht gewußt, daß sie über solche Geschosse verfügten – sie, die die Weltraumfahrt ablehnten. Die Konsequenz lag auf der Hand. Ihre Raketen mit den Atomsprengköpfen waren nicht für den Weltraum gedacht, sondern für den Einsatz auf Uzerfon.
Pooch Veletta-Del stöhnte und ließ sich gegen den Fensterrahmen sinken. Das kostbare Holz schnitt sich tief in seine Fettmassen. Einige Unterhalter kamen und versuchten, ihn durch Kunststücke und mit erlesenen Speisen und Getränken aufzuheitern. Er schickte sie fort, als Zymm-Fort eintraf. »Auch die Wachen hinaus!« befahl der Monarch. Zymm-Fort näherte sich vorsichtig. »Du suchst meinen Rat, Lin-Khan?« Der Monarch ließ sich um 180 Grad gegen die Wand schwenken und betrachtete kurz sein Gegenüber. Zymm-Fort trug ebenfalls ein Schärpenkleid, allerdings in knallroter Farbe. Und als einer unter tausend Uzerfonern hatte er schneeweißes Haar. Der Albinismus drückte sich auch in den roten Augen aus. »Was soll ich tun, Zymm-Fort? Es ist etwas eingetreten, worauf wir immer gewartet haben. Fremde Besucher aus dem Weltraum. Sie können unser ganzes Weltbild verändern.« »Mit Verlaub, Lin-Khan«, sagte der Ratgeber. »Du meinst, die Fremden zwingen dich nun zu einer eindeutigen Parteinahme.« Das war es. Natürlich war es das! Was Pooch Veletta-Del an dem Vertrauten haßte, war dessen schonungslose Offenheit. »Also, was erwartet das Volk von mir?« »Daß du den Fremden entgegengehst, Lin-Khan.« Zymm-Fort ließ sich vorsichtshalber schon jetzt in die Körperkopfhocke gehen. »Daß du mit ihnen sprichst und sie davon abhältst, nach Schjepp zu fliegen. Du mußt zu ihrem Raumschiff, wenn es gelandet ist.« Sie von Schjepp fernhalten. Sie zufriedenstellen, auf daß sie das Masilan-System wieder verließen und sich nie wieder blicken ließen. Auf der anderen Seite – wie vieles konnten sie den Uzerfonern geben? Möglicherweise hatte eine glückliche Fügung sie als Retter geschickt, und sie konnten zeigen, wie man große und schnelle Raumschiffe baute. Aber dann würden die Karymauner den Krieg entfesseln! »Was soll ich nur tun?« klagte der Monarch erneut. Zymm-Fort schob sich vorsichtig etwas näher. »Dich in ein Flugzeug setzen und zum Landeplatz fliegen, Lin-Khan.« »Wie stellst du dir das vor!« »Eine andere Frage, Lin-Khan. Vielleicht bekommen die Karymauner nur deshalb soviel Zulauf, weil das Volk dich für einen ... einen Schwächling hält.« Er ließ sich auf den Boden sinken. »Mit dem allergrößten Respekt, das ist nicht meine Meinung von dir, aber das einfache Volk versteht nur selten die wahre Größe eines Herrschers. Zeige dich ihm als Held, und du wirst alles gewinnen: Vertrauen, Macht – und auch die Unterstützung jener, die mit den Verschwörern
sympathisieren.« Ein furchtbares Dröhnen vom Himmel ersparte Zymm-Fort eine Zurechtweisung. Der Monarch drehte sich wieder dem Fenster zu und sah die flammende Kugel, wie sie sich langsam vor der Stadt herabsenkte. »Glaubst du daran, daß es unser Verderben bedeutete, auf Schjepp zu landen?« fragte Pooch Veletta-Del seinen Ratgeber, als die mächtige Kugel ruhig auf dem ebenen Land stand. »Das glauben oder sagen nur die Karymauner!« wies Zymm-Fort diesen Verdacht von sich. »Aber wir alle vermeiden die Gedanken an die Nachbarwelt. Warum ist das so, Zymm-Fort?« »Weil die Karymauner die Angst in unsere Herzen säen. Auch in deines, sonst hättest du nicht so auf die Drohung der Fremden reagiert. Zeige dem Volk, daß dieser Aberglaube falsch ist. Geh zu den Fremden. Mache deutlich, daß du sie nur von Schjepp fernhalten willst, um eine Vernichtungsaktion der Verblendeten zu verhindern.« Das war alles sehr widersprüchlich. Der Monarch fühlte sich in einem Kreis ohne Ende gefangen. Er wußte nicht mehr, was er denken sollte. Dann sah er die Wappen seiner Vorfahren an der Wand. Plötzlich wußte er, daß er etwas Großes tun mußte, um die Macht der Dynastie aufrechtzuerhalten. Und jetzt bot sich die Gelegenheit. Er richtete sich so hoch auf, daß er Probleme mit dem Gleichgewicht hatte, und verkündete seinem Berater: »Sorge dafür, daß mein Auftritt in alle Städte übertragen wird. Ich habe soeben beschlossen, mich persönlich zu dem Raumschiff zu begeben. Und ich will mein größtes Flugzeug vor den Toren des Palasts!« * Die CHYBRAIN stand etwa zwei Kilometer von der Stadtgrenze entfernt auf ödem Land. Atlan hatte sich schnell einen Eindruck dieser Welt verschaffen können. Während des Anflugs waren Wüstengebiete und Kanäle unter dem Kreuzer hinweggezogen. Grün war es nur entlang der Wasserstraßen und Binnenmeere. Die Schwerkraft auf Uzerfon war mit 0,87 g ermittelt worden.
Die Hauptstadt bestand aus häßlichen Betonklötzen. Nur einige Bauwerke dazwischen waren von architektonischer Schönheit. Das größte erinnerte an eine irdische Moschee des 20. Jahrhunderts und schien der Regierungspalast zu sein. Von dort kamen jetzt die ersten Flugzeuge. Atlan verzichtete auf weitere Vergleiche. Alles wirkte wie der Erde entnommen, bevor der Aufbau der Dritten Macht unter Perry Rhodan begann. Die Flugzeuge wirkten nur klobiger, und als sie landeten und die ersten Planetarier ausstiegen und ihre Waffen in Anschlag brachten, bekam der Arkonide einen mittleren Schock. »Aber sie sehen ja aus wie überdimensionierte Fetische!« Die Optiken zeigten einzelne Uzerfoner mit maschinenpistolenähnlichen Objekten in der einen Hand, die aus der Mitte des Kugelkörpers ragte. Und nun schoben sich auch Panzer heran. »Herrliche Aussichten«, schimpfte Brick. »Ist das nun die Partei, die die Raketen auf uns abgefeuert hat, oder die andere?« »Wir unternehmen nichts!« warnte Atlan schnell. Gab es einen Zusammenhang? Menschliche Geschöpfe auf fremden Planeten vorzufinden, bedeutete nichts Außergewöhnliches. Aber solche, die einander so auffallend ähnelten wie Marcoyn und diese Fremden ... »Tyari?« »Du meinst, ob ich jetzt Gedanken empfangen kann? Tut mir leid, Atlan. Es sind immer nur noch Gefühle. Aber die schwanken zwischen Angst, Hoffnung und Unsicherheit. Und sie sind einmal klarer, dann fast ganz weg.« Brick ließ von der Positronik einen Funkspruch in alle Richtungen senden, der die friedlichen Absichten der Raumfahrer unterstrich. Es kam keine Antwort. Statt dessen landete ein phantasievoll bemaltes Prachtstück von einer Flugmaschine in respektvoller Entfernung vom Energieschirm. Atlan verstand nicht, wie dieses Ding sich überhaupt in der Luft hatte halten können. Es sah aus wie ein zwanzig Meter langes Ei mit sechs breiten Tragflächen und einer Reihe von »Haifischflossen«, die es an der Oberseite wie ein Kamm überzogen. Offenbar dienten sie zur Seitensteuerung. Die umstehenden Soldaten machten respektvoll Platz, als eine Luke sich mitten in einer Emblembemalung auftat und eine Art Rolltreppe ausgefahren wurde. Dann erschien ein Uzerfoner in der Öffnung, drehte sich langsam nach allen Richtungen und schien regelrecht vor seinen Artgenossen zu posieren. »Ihr Herrscher«, vermutete Nockemann. »O heilige Eitelkeit!« stöhnte Brick.
»Würde mich nicht wundern, wenn es auf dieser Welt auch noch Sklaverei gäbe. Jetzt setzt sich die Fettkugel in die Rampe und läßt sich zu Boden tragen.« »Der Kerl ist nackt«, wunderte sich Sternfeuer. »Ein nackter Kaiser? Oder Präsident? Vielleicht Priester?« »Andere Welten, andere Sitten«, sagte Blödel mit seiner knarrenden Stimme. »Aber jetzt kommt er auf uns zu.« Es sollte wohl würdevoll wirken, als sich der Uzerfoner nun mit gravitätischen Schritten in Bewegung setzte, gefolgt von Artgenossen aus dem Flugzeug. Atlan ließ sich dadurch nicht beirren. Nach wie vor waren die langen Kanonenrohre der Panzer auf die CHYBRAIN gerichtet. »Keine Funksprüche mehr. Auch die Außenlautsprecher aus.« Unheimliche Stille trat ein. An Bord des solanischen Schiffes wartete jeder auf eine Aktion des Fetten. Nur Brick sprach auf einer Spezialfrequenz mit der FARTULOON. Es war nicht anzunehmen, daß Hyperfunksendungen hier auf Uzerfon registriert werden konnten. Der Achtbeinige blieb stehen. Neben ihm rollte ein flacher Wagen heran, auf dem ein riesiger Trichter zu sehen war. Die Raumfahrer mußten noch fünf Minuten warten, bis aus dem Gigantlautsprecher die schrill scheppernde Stimme des Monarchen erklang: »Wenn ihr als Freunde kommt, seid willkommen! Kommt ihr in anderer Absicht, so nehmt die auf euch gerichteten Kanonen zur Kenntnis! Dann werde ich nicht zögern, den Feuerbefehl zu geben – ich, Pooch Veletta-Del, Lin-Khan von Uzerfon!« Die Worte wurden in Sekundenbruchteilen übersetzt. Nockemann seufzte. »Wie ein Khan sieht der bestimmt nicht aus – jedenfalls nicht wie ein Dschingis Khan.« »Sicher kann er in seinem Zorn furchtbar sein«, lachte Sternfeuer. Tyari ballte die Fäuste. »Wie lange machen wir den Spaß noch mit? Dieser Planet ist uninteressant für uns. Wir wollen nur etwas erfahren. Und dann nach Schjepp weiter. Also, was ist? Laden wir ihn zu uns ein oder gehen wir zu ihm hinaus?« »Wir gehen«, entschied Atlan. »Aber wir nehmen für ihn ein Gastgeschenk mit.
Einen tragbaren Translator. Für ihn muß es ein Zaubergerät sein, das uns die Kommunikation erleichtert.« Der Uzerfoner wich mit steil aufgerichtetem Haarkranz und zitternden Beinen vor dem anderen zurück. Sein Arm war zur Abwehr ausgestreckt. Im weißen Licht der Deckenbeleuchtung sah er die Reihen von Gesinnungsgenossen, die die Wände der niedrigen Halle zu beiden Seiten flankierten. Ihm blieb nur der Weg nach hinten. Als er an die Wand stieß, ließ er sich auf den Boden sinken und schützte den Körperkopf durch die angezogenen Beine. »Hab doch Erbarmen, Behüter!« schrillte es verzweifelt aus seiner Sprechmembran. »Ich bekenne den Fehler! Ich werde ihn wiedergutmachen, wenn du mich läßt! Aber schlage mich nicht!« Der mit »Behüter« angesprochene Uzerfoner ließ sich nicht beeindrucken. Sein Arm war zurückgebogen. Als er den Jammernden erreichte, schnellte der Arm wie eine Feder nach vorne und traf mit allen neun Fingern die Beine des anderen, die sich jetzt ausstreckten. Die nächsten Schläge trafen den ungedeckten Körperkopf. Noch drei-, viermal zuckte der Arm des Behüters vor. Dann war der Bestrafte ohne Bewußtsein. Kein Uzerfoner hatte eingegriffen. Sie drehten sich alle mit dem Behüter, als dieser zu seinem säulenförmigen Kontrollstand zurückkehrte und sich in die Sitzgabel davor schob. Er drehte an einigen Knöpfen. Kleine Wandbildschirme zeigten den Palast des Monarchen einmal von außen und in mehreren Teilausschnitten von innen. »Schafft Mircha fort!« befahl er. Der schlaffe Körper wurde auf eine Rollscheibe geschoben und abtransportiert. In wenigen Stunden würde er irgendwo in der Wildnis zu sich kommen, ein geistiges Wrack ohne jede Erinnerung. Die Organisation konnte sich keine Mitglieder leisten, die ohne zu Denken handelten – vor allem keine Mitglieder in hohen Positionen. Und Mircha war einer der drei Stellvertreter des Behüters gewesen. Er hatte sich auf den Funkspruch des Monarchen an die Fremden eingeschaltet und die törichte Warnung ausgesprochen. Noch schlimmer waren die Raketen gewesen, deren Abschuß er veranlaßt hatte, als der Behüter selbst noch auf dem Weg in seine Widerstandszentrale gewesen war. »Laßt euch das alle eine Warnung sein!« sagte der Uzerfoner zu seinen Mitkämpfern. »Nur ich treffe hier die Entscheidungen. Ich bestimme allein, ob, wann und wie wir aktiv werden. Was hat Mircha durch seine Ungeduld erreicht?
Der Lin-Khan weiß nun, daß wir über Raketen verfügen. Und sollten die Fremden noch nicht neugierig gewesen sein, so hat er sie nun nachhaltig auf Schjepp aufmerksam gemacht!« Scheue Blicke aus den Hauptaugen richteten sich wieder auf seinen Arm. Kein anderer Uzerfoner besaß die Kraft, mit wenigen Schlägen einen Gegner körperlich und geistig zugrunde zu richten. Wegen dieser furchtbaren Waffe wurde der Behüter auch mit Titeln wie »Magier« oder »Geistauslöscher« bedacht. »Ihr könnt nun alle gehen«, fuhr er fort. Das Exempel war überfällig gewesen. Nach dieser Lektion in Disziplin brauchte er die Mitkämpfer vorläufig nicht mehr. »Erwartet meine Befehle. Vorläufig unternehmen wir nichts.« Denn auf neue Störaktionen wartete der Lin-Khan nur. Sein offenes Auftreten war eine reine Provokation gewesen. Allerdings paßte die dem Behüter in seine Pläne. Nur im Gespräch mit den Fremden war zu erfahren, was sie wirklich im Masilan-System wollten. Vielleicht kamen sie tatsächlich nur als Botschafter eines anderen Sternenvolks. Der Behüter glaubte nicht daran. Aber er brauchte Gewißheit. Er erhielt sie, als sich sein Stellvertreter meldete und ihn über das informierte, was zwischen dem Monarchen und den Raumfahrern besprochen worden war. Pooch Veletta-Del hatte sie inzwischen in den Palast geführt. Sie hatten sich Freundlichkeiten gesagt, und nun schien der Monarch ganz von ihnen angetan zu sein. Die erste Furcht vor Außeruzerfonern schien sich gelegt zu haben. Sie unterhielten sich bei einem üppigen Mahl mit Hilfe eines kleinen Geräts, das Veletta-Del als Gastgeschenk überbracht worden war. »Die Fremden reden nicht direkt davon, daß Schjepp sie interessiert, geschweige denn, daß die Nachbarwelt ihr eigentliches Ziel sei«, sagte die Stimme des Stellvertreters aus dem Funkempfänger der Kontrollsäule. »Aber ganz abgesehen von unseren Überlegungen, daß jedes fremde Raumfahrervolk beim Einflug in unser System zuerst von Schjepp fasziniert sein müßte, beweisen ihre vorsichtigen Fragen, daß sie ein ganz besonderes Interesse an Schjepp haben. Ich bin fast sicher, daß Uzerfon für sie nur am Rande von Bedeutung ist.« »Und Pooch Veletta-Del?« fragte der Behüter. »Er wird immer zugänglicher. Wenn mir ein Schluß erlaubt sein darf, hat er nicht nur immer schon auf eine Gelegenheit gewartet, Sanym-Bloos Raumfahrtidee zu seinem Regierungsprogramm zu machen und sich dadurch zu profilieren. Ich
denke vielmehr, daß er die Macht der Fremden nutzen will, um uns mit ihren phantastischen Mitteln auszuschalten.« Narr! dachte der Behüter. Was weißt denn du schon! »Halte dein Ohr weiter in Bewegung«, befahl er. »Wer ist der Anführer der Fremden?« »Ein Wesen, das sich Atlan nennt. Aber auch seine Begleiter ergreifen das Wort. Jeder von ihnen scheint gleichgestellt zu sein.« Der Behüter gab noch einige Anweisungen und unterbrach die Verbindung. Er hatte sich also nicht getäuscht. Die Fremden waren nicht zufällig erschienen – an diesem Ort, zu dieser Zeit. Er brauchte nicht umzudisponieren. Er gab die Befehle an seine Karymauner, die er sich schon überlegt hatte. Jetzt war ein behutsames Vorgehen vonnöten. »Turgyn!« rief er seinen Stellvertreter im Hauptquartier an. »Du nimmst dir zehn Kämpfer und entführst mit ihnen fünf Fremde. Fangt sie beim Palast ab, wenn sie diesen wieder verlassen wollen.« Er gab detaillierte Anweisungen. Turgyn bestätigte und stellte keine Fragen. Der Behüter lehnte sich im Gabelsessel zurück und schloß die Augen. Er wurde so genannt, weil er als Anführer der Karymauner die Tradition behütete. So dachten jedenfalls seine Anhänger und seine Gegner. Weil er durch seine klugen Schachzüge dafür sorgte, daß Schjepp niemals vom Fuß eines Uzerfoners betreten werden konnte. In Wirklichkeit ging es um viel mehr. Davon ahnten nicht einmal seine Stellvertreter etwas. Seine Autorität war vollkommen. Was er entschied, wurde getan. Er war selbst unter den Karymaunern so gefürchtet, daß sein Name so gut wie nie ausgesprochen wurde. Aber der Lin-Khan kannte ihn. Es gehörte zu einem geschickten Psychospiel. Der Lin-Khan fürchtete Rypam. Doch wer Rypam war, wußte er nicht. Das wußten nur die wenigen verläßlichen Mitkämpfer, denen der Behüter vorhin noch einmal drastisch vorgeführt hatte, was einem Versager bevorstand. Er lachte still in sich hinein. Jedenfalls glaubten sie es zu wissen. *
Die Audienz war beendet. Atlan wurde mit Sternfeuer, Tyari, Uster Brick, Nockemann und Blödel aus dem Palast geführt. Der Arkonide konnte mit dem Ergebnis des Gesprächs nicht sehr zufrieden sein. Zwar hatte der Monarch zugestimmt, daß auch die FARTULOON landen dürfe, und zwar hatte er den Solanern erlaubt, so lange wie gewünscht auf Uzerfon zu bleiben, aber über den Planeten Schjepp war so gut wie nichts aus ihm herauszubekommen gewesen. Man wußte nun nur, daß dieses Thema auf Uzerfon weitgehend tabuisiert oder verdrängt wurde. Man wußte, daß der Grund dafür in den Aktionen einer Oppositionsgruppe zu suchen war, die den Weltuntergang für den Fall verkündete, daß Uzerfoner jemals Schjepp anflogen. Und man wußte, daß der Monarch heimlich auf die Hilfe der Solaner zählte, seine Probleme mit den Karymaunern ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Anfangs noch zögernd, war Pooch Veletta-Del schnell gesprächig geworden – sicher nicht zuletzt wegen dem Zeug, das die Translatoren in einer Annäherung als Wein bezeichneten. Atlan dankte seinem Zellaktivator dafür, daß ihm nicht so übel davon geworden war wie den Gefährten. Auch jetzt, als sie ins Freie traten, waren ihre Gesichter noch grau. Nur Blödel war naturgemäß von der Wirkung des Gesöffs verschont geblieben. Immerhin tat die frische Luft gut, auch wenn sie dünn war und man Atemverstärker benötigte. Nockemann ließ sich von Atlan stützen, als sie über den freien Platz auf das wartende Eiflugzeug zugingen, das sie wieder zur CHYBRAIN tragen sollte. Zu Fuß wäre das Schiff in einer Viertelstunde zu erreichen gewesen, doch der Lin-Khan bestand auf dem standesgemäßen Transport seiner Gäste. »Eines«, lallte Nockemann, »macht mischhhh-tutzig. Die Userwoner glauwen anscheinend, daß die Energiehülle um Sch... schjebb etwas gans Nad... dürliches iss.« Tyari schüttelte abgestoßen den Kopf und rückte weit vom Galakto-Genetiker ab. »Sssie halten sie für naddürlich«, wiederholte Nockemann. Und dann: »Au! Du verfluchter Blechkasten! Willssu mich in Ruhe lassen!« Die Injektionspistole verschwand im zylindrischen Leib des Roboters. Atlan hob den anderen auf die Arme. »Er wird bald wieder gesund sein«, sagte Blödel. »Bevor ich ihm das Mittel gab, analysierte ich den Wein. Wissenschaftler, die sich selbst für hochqualifiziert halten, vertragen offenbar weniger als normale Menschen.« »Rede doch keinen solchen Unsinn!« schimpfte Sternfeuer. »Mir geht’s auch hundsmiserabel!« Noch hundert Meter bis zum Flugzeug. Atlan hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Irgend jemand schien sie zu beobachten. Irgend etwas lag in der Luft. Er drehte
Irgend jemand schien sie zu beobachten. Irgend etwas lag in der Luft. Er drehte verstohlen den Kopf, ohne etwas entdecken zu können. Er beschleunigte seine Schritte. »Langsam!« rief Brick. »Oh, mein Schädel! Langsamer, Atlan!« »Diese Wissenschaftler«, fuhr Blödel ungerührt fort, »vertragen vielleicht deshalb so wenig, weil sie den Ehrgeiz verspüren, alles Mögliche zu versuchen – auch die sogenannten Speisen, die uns der Lin-Khan auftragen ließ. Gewisse Substanzen in ihnen haben sich mit denen des Weins in Nockemanns Magen vermischt.« »Halle die ... Klabbe, Blödel!« Atlan legte sich Nockemann über die linke Schulter, um die rechte Hand frei zu haben. Der Strahler steckte tief in einer Tasche der Kombination. Jeder hatte eine Waffe mitgenommen, als sie die CHYBRAIN verließen. Das Schiff wurde nur von seiner Positronik behütet. Sie hatte auch bereits den Hyperfunkspruch an die FARTULOON abgesetzt. In wenigen Minuten mußte das zweite Schiff sich am Himmel zeigen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Der Tag dauerte auf Uzerfon nur knapp acht Stunden, die Nacht zwölf. Dies galt natürlich nur speziell für diesen Breitengrad und die herrschende Jahreszeit. Noch fünfzig Meter. Nichts geschah. Als Atlan sich umdrehte, sah er nur die Lichter des Palasts und die Wachen Lin-Khans in den vielen Eingängen. Im Grunde konnte den Solanern auf dieser Welt keine Gefahr drohen, nicht mit der CHYBRAIN-Positronik und ihren Mitteln als Rückendeckung. Die Uzerfoner hatten ihre Technik erst vor rund fünfzig Jahren zu entwickeln begonnen. Gegen die Macht des Schiffes kamen sie nicht an. Die Leibgarde Lin-Khans hatte das Gebiet weiträumig abgeriegelt und kontrollierte jeden Bürger, der es betrat. Aber vor Überraschungen war man nie sicher, das wußte Atlan aus vieltausendjähriger Erfahrung. Sie waren da. Aber wo? Er konnte sich auf seinen Instinkt verlassen, der ihn vor Gefahren warnte. »Awwer die Energiehülle iss nich naddürlich«, lallte Nockemann wieder. »Oh, Hage«, stöhnte Brick. »Rede doch wieder, wenn du die Zunge wieder spürst.« Zwanzig Schritte. Fünfzehn. Atlan verkrampfte sich. »Aber die Uzerfoner halten sie dafür«, ging Sternfeuer endlich auf Nockemanns Worte ein. »Für etwas Natürliches, das schon immer da war und so und nicht anders sein darf. Deshalb haben sie vielleicht diese Furcht vor dem
Nachbarplaneten. Wie war es denn früher mit dem Mars, als die Menschen noch glaubten, die sogenannten Kanäle seien von Marsmenschen erbaut worden? Es muß etwas mit Religion zu tun haben, und die Karymauner machen sich diese Furcht zunutze, um an die Macht zu kommen.« Sie erreichte als erste das Flugzeug und ließ sich auf das nach oben führende Rollband fallen. »Und kann man ihnen einen Vorwurf machen? Vor fünfzig Jahren begannen sie, Schjepp aus der Ferne zu beobachten. Eine strahlende Kugel am Himmel. Vorher interessierten sie sich nicht für den Weltraum. Der Himmel war der Himmel und nichts weiter. Also gibt es auch keine astronomischen Beobachtungen aus früheren Zeiten. Falls irgendwann diese Energiehülle um Schjepp künstlich errichtet wurde, gibt es hier keinen Zeugen und keine Überlieferung davon.« Das Rollband zog sie auf die Luke des Flugzeugs zu. Atlan legte Nockemann darauf. Dann folgten Brick und Blödel. Atlan und Tyari bildeten den Abschluß. »Etwas baut sich vor uns auf«, flüsterte plötzlich die Botschafterin von Bars-2Bars. »Ich kann immer noch keine klaren Gedanken empfangen, aber die Eindrücke werden etwas klarer. Das ist eine Falle, Atlan.« Sie drehte sich und richtete ihren Kombistrahler auf die Luke. »Aber die Besatzung besteht aus Mitgliedern der Leibgarde.« »Ich kann nur sagen, was ich fühle. Außerdem ist da noch etwas. Irgend jemand da oben denkt in diesem Augenblick gezielt an etwas Fremdes auf Uzerfon. Ich kann nicht herausfinden, was und wo es ist. Nur scheint man es mit uns in Verbindung zu bringen. Paß jetzt auf. Besser wären wir als erste auf das Band gegangen.« Atlan hatte die eigene Waffe schon in der Hand und auf Paralyse geschaltet. Sternfeuer verschwand in der Luke, danach Nockemann und Brick, schließlich Blödel. Die Uzerfoner kannten keine Roboter. Das war der Fehler in der Rechnung der Karymauner. Als der Knüppel mit Wucht auf Blödels Kopf landete, brach er nicht wie die anderen vor ihm zusammen. Sein Ruf bewahrte Atlan und Tyari vor dem Schicksal ihrer Gefährten: »Nicht hineinkommen! Achtung, die ursprüngliche Besatzung ist überwältigt worden! Hier sind nur Karymauner!« Blödel erhielt einen Stoß und fiel auf die Rampe. Im nächsten Moment sah Atlan
einen Uzerfoner in der Luke und feuerte auf ihn. Der Karymauner brach gelähmt zusammen. Bevor der Arkonide oder Tyari einen weiteren Schuß abgeben konnten, wurden sie von Blödel regelrecht überrollt. Die Luke schloß sich. Die Rampe wurde vom Flugzeug getrennt, das sich im gleichen Augenblick in Bewegung setzte. Es rollte schwerfällig vom Vorplatz des Palasts und in eine breite Straße, die als Startbahn diente. Es war zu schnell für eine Verfolgung. Tyari schaltete den Strahler auf Impuls um. Atlan konnte ihn ihr im letzten Augenblick aus der Hand schlagen. »Nicht! Willst du unsere Freunde umbringen!« Blödel war das ganze Band heruntergepurzelt. Atlan schalt sich einen Narren, als er mit Tyari auf den freien Platz herunterstieg. Eine Falle! Er hätte es vor ihr wissen müssen. Wo bot sich für potentielle Gegner eine bessere Gelegenheit zum Zuschlagen als auf dem Transport zurück zur CHYBRAIN! Nur würde das Flugzeug Sternfeuer, Brick und Nockemann überallhin bringen – aber nicht wieder zum Schiff. Es hob am Ende der Straße ab. Fast konnte man einen Antigravantrieb bei der Maschine vermuten, so kraß war der Gegensatz zwischen Anrollgeschwindigkeit, Masse und aerodynamischer Form. »Ich hätte nur auf die Tragflächen geschossen!« sagte Tyari wütend. »Jetzt haben die Karymauner Geiseln. Kannst du dir denken, wozu?« Um uns daran zu hindern, mit der CHYBRAIN nach Schjepp aufzubrechen. Atlan sah Wachen aus dem Palast stürmen. Für einen Moment hatte er den Verdacht, Pooch Veletta-Del könnte mit den Karymaunern gemeinsame Sache gemacht haben. Sternfeuer hätte wie Tyari die drohende Gefahr espern können, wäre sie nicht von dem Wein halb betäubt gewesen. Er verwarf diesen Gedanken, als der Lin-Khan wutbebend vor ihm stand und Tyari ihm zu verstehen gab, daß der Monarch ehrlich bestürzt sei. »Diese Verbrecher!« kreischte Pooch Veletta-Del. »Versteht ihr jetzt, daß ich nichts gegen die tun kann?«
Am Nachthimmel senkte sich die FARTULOON wie ein riesiger Meteor auf das Ödland jenseits der Hauptstadt hernieder. »Die Karymauner hätten aus der Luke heraus auf uns schießen und uns alle töten können«, sagte Blödel. »Mit Ausnahme von mir. Daß sie es nicht getan haben, bedeutet Erpressung. Sie werden sich wieder melden.« Sie wollten uns alle haben, dachte der Arkonide. Alle, außer vielleicht einem, dem sie ihre Forderungen dann hätten diktieren können. Diese Aktion machte das Rätsel um Schjepp nur noch größer. Was sahen die Karymauner wirklich in diesem Planeten? Was bedeutete er ihnen? »Hast du Radar?« fragte Atlan den Lin-Khan. »Ihr müßt doch verfolgen können, wohin das Flugzeug fliegt!« »Die Karymauner haben noch nie verfolgt werden können«, antwortete der Monarch verzweifelt. »Aber natürlich versuchen wir es. Kommt zurück in den Palast!« Der Gesinnungswandel Veletta-Dels war ebenso bezeichnend für seine Schwäche wie der Verlauf des zuvor geführten Gesprächs. Prompt erwies es sich dann auch, daß das Flugzeug aus jeder Radarerfassung verschwunden war. Der Lin-Khan jammerte und beteuerte seine Verzweiflung. Er versicherte, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Entführten zu retten. Atlan ahnte, daß dies nicht viel sein würde. Der Anschlag auf das Raumfahrtzentrum hatte gezeigt, wie skrupellos die Karymauner zu Werke gingen. Es waren böse Minuten der Ungewißheit, bis jeder Empfänger in der Hauptstadt das Ultimatum der Widerstandsgruppe auffing: »Wir haben drei Außeruzerfoner in unserer Gewalt! Sie werden sterben, wenn ihre Gefährten sich nicht dazu bereit erklären, unser Sonnensystem für immer zu verlassen! Sie dürfen niemals zurückkehren, denn dies würde den Untergang von Uzerfon bedeuten! Ich weiß, daß die Fremden mich jetzt bei dir hören, Lin-Khan! Sie sollen wissen, daß ihren Gefährten ein Gift eingegeben wurde, durch das sie innerhalb von zehn Tagen grausam sterben werden! Das Gegenmittel bekommen sie, wenn sie wieder im Weltall sind. Aber auch das wird die Veränderung ihres Metabolismus nur so lange neutralisieren, wie sie nicht wieder in die Nähe von Schjepp kommen! Ich warte nun auf ihre Antwort. Und ich bin Rypam!« Die acht Fettfüße des Monarchen zuckten bei der Erwähnung des Namens heftig zusammen.
»Wer ist das: Rypam?« fragte Atlan schnell. »Der Anführer der Karymauner. Niemand kennt ihn, wahrscheinlich auch seine eigenen Leute nicht.« »Blufft er?« fragte Tyari. »Ich meine, hat die Organisation überhaupt die Möglichkeit, ein solches Gift herzustellen? Wenn es auf die Nähe von Schjepp reagieren soll, muß es mit entsprechenden ... Sensoren ausgestattet sein.« Sie zuckte die Schultern, weil ihr kein besseres Wort einfiel. »Ich glaube einfach nicht daran. So weit ist eure Technik noch lange nicht entwickelt.« »Rypam kann alles«, klagte der Lin-Khan. »Ich traue ihm jedenfalls jede Gemeinheit zu.« Er schob sich in seine Throngabel. »Was werdet ihr jetzt tun? Mein Volk bestrafen?« »Nein«, sagte Atlan. »Wir kehren zu unserem Schiff zurück und beratschlagen. Aber diesmal gehen wir zu Fuß.« Tyari verstand seinen Blick. Wenn dieser geheimnisvolle Rypam schon so gut ausgerüstet war, hatte er auch Abhöranlagen im Palast. Erst jetzt kam dem Arkoniden so recht zu Bewußtsein, was tatsächlich geschehen war. Die Entscheidung, die er jetzt zu treffen hatte, würde keine leichte sein.
4. Die FARTULOON stand wenige hundert Meter neben der CHYBRAIN. Über beide Schiffe spannte sich nun die energetische Schutzglocke. Bis auf Bjo Breiskoll und die Entführten befanden sich alle Mitglieder der Expedition an Bord der CHYBRAIN. Vorlan Brick tobte. »Was reden wir hier überhaupt lange herum!« brüllte er durch die Zentrale. »Wir geben den Uzerfonern eine kleine Vorstellung davon, was unsere Kanonen können. Und dann stellen wir ein Ultimatum. Entweder die Karymauner rücken Uster, Sternfeuer und Hage heraus, oder wir legen ihre Verstecke in Schutt und Asche!« »Ach«, kam es von Argan U, »und da dachte ich, bei eurem dauernden Streit wärst du ganz froh über Usters Entführung.« Brick fuhr herum und krümmte die Hände so, als wollte er jemanden erwürgen. »Wer hat dich denn gefragt, Pelzmantel!« Atlan schlug mit der Faust auf ein Pult. »Hört beide auf. Vorlan, nur weil ich mir denken kann, wie es jetzt in dir aussieht, bekommst du nicht die passende Antwort auf diesen haarsträubenden Unsinn. Ganz abgesehen davon, daß wir kein friedliches Volk für das bestrafen können, was einige Verblendete tun, kennen wir die Schlupfwinkel der Karymauner nicht.« »Dann wird es Zeit, daß wir sie finden! Funküberwachung!« Brick gestikulierte in die Richtung der Hauptstadt. »Geht zum Lin-Khan und laßt verbreiten, daß ihr den Karymaunern etwas zu sagen habt. Sie werden sich wieder melden, und dann ...« Brick schlug die Hände zusammen und rieb sie gegeneinander, wie um eine gefangene Fliege zu zerquetschen. »So dumm wird dieser Rypam nicht sein. Er wird andere Wege finden, um seine Botschaften an den Mann zu bringen.« Tyari nickte. »Er muß tatsächlich ein ganz besonderer Uzerfoner sein. Die Angst des Monarchen vor ihm war ebenso echt wie sein schlechtes Gewissen uns gegenüber.« »Aber was interessiert uns das? Wir mischen uns nicht in die politischen Querelen der Uzerfoner ein. Wir lassen uns auch nicht vor den Karren der einen oder anderen Seite spannen. Wir befreien Sternfeuer, Uster und Hage, und dann sehen wir uns Schjepp an.« »Wir könnten das doch auch jetzt schon tun«, meinte Argan U. »Wenn die
CHYBRAIN hierbleibt, reicht das völlig, oder? Einige von uns könnten inzwischen mit der FARTULOON ...« »Nein, Argan«, wehrte Atlan ab. »Kommt nicht in Frage. Rypam sagte das nicht ausdrücklich, aber es käme dem Tod unserer Freunde gleich. Außerdem können wir jetzt auf niemanden verzichten.« »Dann sag du, was wir tun sollen«, forderte Vorlan von ihm. Atlan legte die Hände auf den Rücken und starrte auf einen der Schirme, die die Hauptstadt und deren Umgebung zeigten. »Wir teilen uns«, sagte er dann. »Sicher haben die Karymauner in der Stadt ihre Schlupfwinkel und Spione. Ihr Hauptquartier kann nicht sehr weit entfernt liegen, vielleicht in den Bergen hinter der Vegetationszone. Ihr versucht, eine Spur zu finden. Werft den Fanatikern Köder hin. Vielleicht verraten sie sich tatsächlich durch Funksendungen.« »Wir?« fragte Insider. »Was heißt das? Kommst du nicht mit?« Atlan drehte sich zu Tyari um. Sie verstand. »Ich habe es wirklich gespürt«, bestätigte sie nochmals. »Jemand in dem Flugzeug dachte an etwas, das nicht nach Uzerfon gehört. Er brachte es mit uns in Verbindung. Ich bin jetzt sicher, daß es sich in der Hauptstadt befindet.« Atlan runzelte die Stirn. »Jetzt auf einmal?« »Das ist seltsam, zugegeben. Was ich vorhin nur verschwommen wahrnahm, klärt sich allmählich wie ein Bild, das erst scharf eingestellt werden muß. Vielleicht ist es auch wirklich so, daß wir Telepathen die Uzerfoner im Grunde ausforschen können, daß dies aber seine Zeit braucht, bis sich unsere besonderen Sinne auf sie einjustiert haben.« »Ich kann das bestätigen«, sagte Breiskoll von der FARTULOON. »Mir geht es genauso.« »Aber es reicht nicht, um einen Karymauner als solchen zu überführen?« fragte Argan U. Sie schüttelte den Kopf. »Später vielleicht, aber darauf will ich mich nicht festlegen. Auf jeden Fall muß es
dieses Fremde geben, und wir sollten uns darum kümmern. Das meintest du doch, Atlan?« Der Arkonide zögerte noch. »Und wenn du dich selbst täuschst? Immerhin sind wir in Farynt. Wir wissen, daß dir alles fremd und unheimlich vorkommt, was seinen Ursprung nicht in Bars hat. Vielleicht nimmst du den ganzen Planeten und seine Bevölkerung unbewußt als etwas Fremdartiges auf und ...« »Es ist ein Ort oder ein Objekt!« sagte sie heftig. »Wenn wir wieder in der Stadt sind und uns frei bewegen können, ohne die väterliche Fürsorge des Monarchen, kann ich es vielleicht lokalisieren.« »Einverstanden«, sagte der Arkonide. »Vielleicht laufen die beiden Spuren zusammen. Wir halten Funkkontakt untereinander. Die Nacht dauert nur noch wenige Stunden. Also nutzen wir sie.« Er sah, wie Marcoyn gegen eine Wand anstrampelte. Zum Glück hatte Nockemann darauf verzichtet, den Fetisch mit in den Palast zu nehmen. Noch wußte überhaupt kein Uzerfoner von seiner Existenz. Atlan fragte sich, ob dies ein Vorteil oder ein Nachteil war. Er fragte sich, wohin Marcoyn »blickte«, als er ihn aufhob. Und wenn die Irrlehre der Karymauner einen tieferen Sinn hatte – welcher Zusammenhang bestand dann zwischen ihnen, ihren Zielen und dem, was den Fetisch so anzog? * Sanym-Bloo hatte am Stadtrand gewartet. Als er die Fremden aus ihrem Raumschiff und durch die strahlende Glocke kommen sah, atmete er auf. Er drückte sich in den Schatten eines Mauervorsprungs und sah sich zum hundertstenmal um. Kein Uzerfoner war zu sehen. Nur in der Nähe des Palasts herrschte ungewohnte nächtliche Hektik. Der Monarch wußte nichts vom Alleingang des Raumfahrtchefs, für den es nicht damit getan war, nur mit dem Gedanken an eine Hilfe der Solaner zu spielen. Pooch Veletta-Del war einfach zu vorsichtig – und jetzt auch noch von den Karymaunern eingeschüchtert. SanymBloo sah die Chance seines Lebens und konnte an nichts anderes mehr denken, als von den Fremden das Geheimnis der wirklichen Raumfahrt zu erfahren. Er hatte ihnen dafür auch etwas anzubieten. Er wartete, bis sich die Raumfahrer in zwei Gruppen teilten. Die kleinere bestand nur aus zwei Personen, und sie
kamen genau in seine Richtung. Daß er mehr Glück als Verstand hatte, sah er, als sie in den Lichtschein der Straßenbeleuchtung gerieten. Sie versuchten, sich in den Schatten unbemerkt zu bewegen. Aber der Raumfahrtchef erkannte die beiden Silberhaarigen auf Anhieb. Bei ihrem Empfang im Palast war er nicht anwesend gewesen. Zymm-Fort aber, Lin-Khans Vertrauter, hatte ihm das Aussehen der einzelnen Fremden beschrieben und auch gesagt, wer ihr Anführer war. Zymm-Fort hatte ihm im Grunde die Idee eingegeben, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Sanym-Bloo trat aus dem Schatten, als die Solaner fast schon an ihm vorbei waren. Die Nacht war gespenstisch. Es regnete leicht, was selten genug geschah. Die Straßendecke glänzte und spiegelte die Umrisse der beiden Wesen, die mit ihren hohen Körpern und nur zwei Beinen so unglaublich dürr wirkten. Der Fremde mit der etwas gewölbteren Körperoberhälfte unter dem Sinnesklumpen mit den Augen, den Ohren, den Haaren und dem Mund wirbelte schnell herum und riß eine Waffe aus dem Gürtel, als er die schlurfenden Schritte des Uzerfoners hörte. Der Raumfahrtchef machte entsetzt eine Bewegung zurück, als sich die Mündung der Waffe auf ihn richtete und zu flimmern begann. Ein dünner Laut kam über seine Lippen. Verstanden sie ihn überhaupt, wenn er beteuerte, ein Freund zu sein? Er besaß kein solches Zaubergerät wie VelettaDel. Der andere Fremde drückte den Arm mit der Waffe herunter. Sanym-Bloo atmete auf, als er ein Zaubergerät in seiner Hand auftauchen sah. Er sagte leise seinen Spruch auf, daß er mit den Solanern reden müsse und vielleicht wertvolle Informationen für sie habe. Endlich hörte er, wie es in der Sprache der Fremden aus dem Gerät klang. »Wer bist du?« fragte der mit der flacheren Körpervorderseite. »Sanym-Bloo«, sagte er schnell. »Der Leiter des Raumfahrtprogramms von Uzerfon. Ich muß mit euch reden. Kommt hierher, hinter die Mauer, wo uns niemand sehen kann.« Die beiden sahen sich an. Sie unterhielten sich kurz, und Sanym-Bloo erfuhr, daß Atlan der Flachkörperliche war. Sie kamen heran und folgten dem Raumfahrtchef in seine Deckung. »Also«, sagte Atlan. »Was willst du von uns?« »Hilfe, vielleicht ein Abkommen treffen. Ihr sucht nach den Karymaunern, weil sie eure Freunde entführten. Ich kann euch vielleicht einen Hinweis geben.« »Und zu welchem Preis?«
»Daß ihr uns helft, diese Irrsinnigen unschädlich zu machen. Und daß ihr uns den Weg zu den anderen Planeten und Sternen zeigt.« Leidenschaftlich berichtete der Uzerfoner von seinen Erfolgen und Mißerfolgen mit einfachen Raketen und Sonden. »Und wir brauchen unbedingt neuen Lebensraum, wenn unser Planet stirbt. Nur läßt sich ein sinnvolles Raumfahrtprogramm nicht verwirklichen, solange es die Karymauner gibt!« Der Fremde mit dem gewölbteren Vorderkörper lachte. »Hör zu, Freund! Erwartest du, daß wir sie auslöschen? Selbst wenn wir das wollten, müßten wir sie erst finden.« »Eben dabei kann ich euch helfen.« Sanym-Bloo zog ein Blatt Papier unter einer Schärpe hervor. »Ich habe die Namen und Wohnorte aller Uzerfoner aus der Personalkartei des Raumhafens herausgesucht, die bis heute bei uns arbeiteten und nicht mehr anwesend waren, als die Explosionen erfolgten. Unter ihnen müssen sich die Karymauner befinden, die die Bomben legten. Es sind nur acht, und drei von ihnen wohnen in Zerfon.« Atlan streckte seine Hand nach dem Papier aus. Sanym-Bloo zog es schnell zurück. »Werdet ihr uns auch helfen?« »Ich kann dir nichts versprechen, Sanym-Bloo. Grundsätzlich helfen wir gerne. Nur scheint es uns, als wollte dein Volk gar keine Veränderung der herrschenden Zustände.« »Das ist falsch!« Der Raumfahrtchef legte sich die neun Finger auf die Sprechmembran und verwünschte sich für seine Lautstärke. »Ganz falsch«, sagte er leiser. »Wegen der Karymauner und der Angst, die alle vor ihnen haben. Gibt es sie eines Tages nicht mehr, dann werden auch die Uzerfoner umdenken und begreifen, daß sie dem Tod geweiht sind, wenn unsere Welt weiter verödet und ihre Atmosphäre verliert.« Atlan und der andere Fremde flüsterten etwas miteinander. »Genügt dir mein Versprechen?« fragte Atlan danach, und dann überraschend: »Du weißt, daß wir nach Schjepp wollen?« »Dorthin«, sagte der Raumfahrtchef, »möchte ich auch. Ich glaube nämlich nicht an eine natürliche Energieschale um den Planeten. Ich glaube vielmehr, daß sie künstlich geschaffen wurde. Und wer das tat, kann für uns Uzerfoner eine Gefahr sein. Wenn wir in den Weltraum wollen, muß vorher das Rätsel um Schjepp gelöst sein.« Er beantwortete Atlans Frage dadurch, daß er ihm das Papier reichte. Erst dann fiel ihm ein, daß die Solaner seine Schriftzeichen natürlich nicht lesen konnten.
»Ich werde euch führen«, verkündete er. * Die Bitten des Uzerfoners stürzten den Arkoniden in Gewissensnöte. Denn wer konnte jetzt schon sagen, was sich aus dieser reichlich verworrenen Geschichte noch alles entwickeln würde – vor allem in bezug auf Schjepp. Doch darum ging es vorerst nicht. Einmal auf der Spur der Organisation, würde es Mittel und Wege geben, einen gefangenen Karymauner zum Reden zu bringen. Und ein Karymauner war es gewesen, der an das Fremde gedacht hatte. Wenn es sich nun in der Hauptstadt befand, konnten mit etwas Glück zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Atlan unterrichtete die von Vorlan Brick geführte Gruppe über Minikom. Brick vertraute auf Bjo Breiskoll als Führer, wie der Arkonide auf Tyari. In der CHYBRAIN befanden sich nur noch Insider und natürlich Marcoyn. Im Schutz der Dunkelheit schlichen sich die drei unterschiedlichen Wesen durch die Straßen und Gassen der Stadt. Tyari zeigte noch nicht, ob sie durch eine weitere »Verdichtung« der empfangenen Gedankeneindrücke des Karymauners aus dem Flugzeug eine genauere Lokalisierung des Fremden vornehmen konnte. Es würde sich aber wohl dann erweisen, wenn Sanym-Bloo sie zur ersten Adresse geführt hatte. Der erste Versuch erwies sich als Fehlschlag. Sanym-Bloo blieb in respektvoller Entfernung von einem Wohnblock stehen, in dem einer der Uzerfoner lebte, der auf der Liste stand. »Nichts«, sagte Tyari. »Ich kann nichts espern, und diese Gegend kommt mir vollkommen unbekannt vor. Sie sagt mir nichts.« »Der nächste«, forderte Atlan den Uzerfoner auf. Das Wesen setzte sich in Bewegung. Es ging tiefer in die Stadt hinein, gefährlich nahe an den Palast. Atlan wähnte sich zwar sicher, was den Monarchen anging und dessen eigene Abneigung gegen die Organisation. Aber bedeutete das nächtliche Herumschleichen auf eigene Faust nicht doch einen Vertrauensbruch? »Nichts«, sagte Tyari erneut, als Sanym-Bloo den einzigen Arm auf ein Hochhaus richtete. »Überhaupt ist es hier zu ... dicht. Das Fremde muß sich irgendwo befinden, wo mehr Raum zwischen den Gebäuden ist.« »Du hast jetzt ein Bild?« fragte Atlan schnell.
»Nur einen Eindruck. Wenn ich ein Haus vor mir sähe ...« Es blieb nur noch eine Adresse in Zerfon. Sanym-Bloo schien bereits desillusioniert. Atlan empfand Bewunderung für dieses Wesen. Der Monarch würde sein eigenwilliges Vorgehen kaum billigen, und den Karymaunern war Sanym-Bloo ohnehin der Dorn im Auge. Der Raumfahrtchef begab sich in Gefahr und wußte es. Atlan verglich ihn unwillkürlich mit den großen Pionieren der irdischen Weltraumforschung. Von diesem Vorkämpfer konnte tatsächlich die Zukunft seines Volkes abhängen. Wir werden dir helfen! dachte der Arkonide. Wenn wir es können. Diesmal führte Sanym-Bloo sie wieder in ein Randgebiet der Hauptstadt, dem Landeplatz der beiden solanischen Schiffe gegenüberliegend. Hier breiteten sich Parks mit relativ kleinen Gewächsen aus, denn auch die Wasserkanäle durch Zerfon reichten nicht aus, um eine üppige Vegetation entstehen zu lassen. Der Uzerfoner blieb hinter einem Busch mit sternförmigen Blättern stehen und deutete auf ein einsam gelegenes, flaches Haus. »Dort wohnt der letzte der Verdächtigen«, zirpte er. »Ein Techniker namens Goran-Lyrt.« »Tyari?« fragte Atlan. Sie hatte die Augen geschlossen. Zweimal holte sie Luft und wollte zum Sprechen ansetzen. Ihre Lider zuckten. »Das ist es«, sagte sie endlich. »Kein Zweifel?« »Kein Zweifel. An diesen Ort dachte der Karymauner im Zusammenhang mit dem Fremden, das nicht nach Uzerfon gehört.« * Goran-Lyrt gehörte nicht zu den wenigen, die Rypam jemals gesehen hatten. Er hörte immer nur die Stimme des Behüters, wenn er Befehle entgegennahm. Er hatte sie auch jetzt wieder gehört – genauer gesagt, vor drei Stunden, als der Behüter alle Mitglieder der Organisation in Zerfon zu erhöhter Wachsamkeit aufforderte. Und dies betraf ganz besonders Goran-Lyrt und seine zwölf Gefährten. Sie gehörten alle dreizehn zu der Organisation, und sie bewachten die TÜR. Goran-Lyrt saß mit ausgestreckten Beinen vor den Bildschirmen, auf die die Videokameras rund um das Haus alles übertrugen, was sich in der unmittelbaren
Umgebung tat. Sein Körperkopf war grau und von tiefen Falten durchzogen. Der Haarkranz war ihm ganz ausgefallen. Der Karymauner litt wie die zwölf anderen unter einer unheilbaren Krankheit. Kein Arzt konnte ihnen helfen. Nur Rypam vermochte das. Goran-Lyrt dankte dem Schicksal dafür, daß er nur Monate vor dem nahenden Ende von einem Karymauner angesprochen worden war, der ihm Hilfe versprach. Sein Name war Mircha gewesen. Er hatte ihm ein Mittel gegeben, das den weiteren Krankheitsverlauf wenigstens aufhielt. Mircha hatte auch gesagt, daß die Krankheit eine Strafe der Götter für jene sei, die daran dachten, Weltraumraketen zu bauen. Und tatsächlich wurden von ihr in erster Linie solche Uzerfoner befallen, die im Raumfahrtzentrum arbeiteten. Seit diesem Tag war Goran-Lyrt ein Karymauner. Der geniale Rypam ließ ihm auf immer wieder verschiedenen Wegen das Heilmittel zukommen, das er entwickelt hatte. Goran-Lyrts Bewunderung für ihn war grenzenlos, und grenzenlos sein Glaube an die Ideale der Organisation. Kamen einmal Zweifel auf, so wurden sie durch furchtbare Schmerzen schnell wieder ausgeräumt. So war aus dem Raumfahrttechniker ein Verschwörer geworden. Er hatte keine Skrupel gekannt, eine der Bomben zu legen und von seiner Wohnung aus zu zünden. Es geschah ja zum Besten seines Volkes. Und er stellte keine Fragen, was hinter der TÜR lag. Es genügte ihm, Rypams Vertrauen zu genießen und regelmäßig seine Medizin zu bekommen. Spritzte er sie einmal nicht rechtzeitig, so würde der Zerfallsprozeß beschleunigt einsetzen. Sein Leben währte dann nur noch Stunden. Das gleiche galt für die Gefährten. Das Schlimmste, das ihnen geschehen konnte, war die Auflösung der Organisation. Ihr persönliches Schicksal war mit ihr und mit Rypam untrennbar verbunden. Sollte der Lin-Khan es fertigbringen, Rypam zu fassen, bedeutete das einen qualvollen Tod. Und nun war eine unerwartete Gefahr aufgetaucht: die Fremden! Sie werden ihre Freunde suchen! hatte der Behüter gesagt. Sie werden in der Hauptstadt anfangen. Sie dürfen dabei nicht auf das Gehweg stoßen! Verhindert es nötigenfalls mit allen Mitteln! Das Geh-weg! Dies war die Bezeichnung für das, was sich hinter der TÜR verbarg. Es war unendlich wichtig für Rypam, soviel konnte sich Goran-Lyrt zusammenreimen. Dennoch fragte er nie danach.
Und um so entschlossener war er nun, es zu beschützen. So entschlossen, daß er keine Sekunde zögerte, seine Schußwaffe zu entsichern, als die beiden Fremden und Sanym-Bloo auf einem der Beobachtungsschirme erschienen. Über Funk alarmierte er seine Gesinnungsgenossen im Garten und auf dem Dach: »Wenn es geht, nehmen wir sie gefangen. Sonst schießt sie nieder.« * »Goran-Lyrt«, piepste es leise aus Sanym-Bloos Sprechorgan. »Ausgerechnet er! An ihn hätte ich niemals gedacht.« »Warum nicht?« flüsterte Atlan, in Gedanken schon auf dem Weg in das Haus. Er suchte die Umgebung mit Blicken ab. Nichts und niemand war zu sehen. Aber sollte sich hinter den Mauern wahrhaftig etwas für Rypam so Wichtiges verbergen, war es gut bewacht. »Weil er krank ist und trotzdem fleißig weiterarbeitete.« »Das heißt nichts«, sagte Tyari. »Es hätte dich eher mißtrauisch machen müssen.« Atlan legte einen Finger über seine Lippen. Im Schutz des Busches machte er der Gefährtin durch Gesten klar, wie sie vorgehen sollten. Sie würden sich trennen und in einem weiten Bogen um das Haus von beiden Seiten nach einem Nebeneingang, einem offenen Fenster oder etwas Ähnlichem suchen. Zu Sanym-Bloo sagte der Arkonide: »Du bleibst hier. Nur wenn wir in einer Stunde nicht zurück sein sollten oder uns etwas geschieht, läufst du zum Palast und alarmierst den Monarchen.« »Und wenn er mir nicht glaubt?« »Soll er mein Raumschiff anrufen. Dazu genügt ein Druck auf den roten Knopf des Zaubergeräts.« Atlan winkte Tyari. Geduckt liefen sie hinter dem Busch auseinander, jeder mit seinem Strahler in der Hand. Es ging über ein Stück freies Gelände, bis Atlan wieder hinter einem Gewächs Deckung fand. Er sah Tyari auf der anderen Seite des Hauses verschwinden. Noch rührte sich nichts. Die rechteckigen Fenster des Hauses waren dunkel. Atlan entdeckte einen Anbau, möglicherweise eine Garage oder ein Schuppen. Kurz überlegte er, ob er die andere Gruppe informieren sollte. Von den letzten Funkkontakten wußte er ungefähr, wo sie sich befand. Aber jetzt einen Spruch
oder auch nur ein Peilzeichen abzusetzen, schien ihm zu riskant. Dazu blieb noch Zeit, wenn es zu Schwierigkeiten kommen sollte – dachte er. Er legte sich flach auf den Boden und robbte auf den Anbau zu. Alles war still. Das Haus schien verlassen zu sein. Wieder kamen dem Arkoniden Zweifel an Tyaris Wahrnehmung. Niemand rief ihn an oder erschien aus der Dunkelheit. Unangefochten erreichte er den Schuppen und richtete sich an der rückwärtigen Wand auf. Seine Kombination war naß und schmutzig, aber das sollte ihn jetzt nicht kümmern. Mit dem Rücken eng an der Mauer, schlich er fast lautlos um den Anbau herum, bis er vor der breiten Tür stand. Sie war nur angelehnt. Es sah wie eine Einladung aus. Du wirst sie natürlich annehmen, meldete sich der Extrasinn. Du würdest noch viel leichtsinniger sein, um deinen Verdacht bestätigt zu sehen. Atlan zögerte noch, als die Tür urplötzlich nach außen aufgestoßen wurde und eine neunfingrige Hand nach ihm griff. Bevor er die Gelegenheit zur Gegenwehr erhielt, schnellte ein zweiter Arm vor und riß ihn in den dunklen Schuppen. Atlan sah im einfallenden Streulicht der Stadtbeleuchtung ganz kurz die Körperköpfe von drei Uzerfonern. Dann krachte ihm auch schon etwas auf den Hinterkopf. Atlan ging unter der Wucht des Schlages in die Knie. Einen ungezielten Schuß konnte er noch abgeben, ehe der zweite Hieb ihm das Bewußtsein raubte. * Sanym-Bloo sah, wie Atlan von den Füßen gerissen wurde. Er hörte die dumpfen Laute und das kurze Stöhnen des Solaners und wußte, was geschehen war. Gleich darauf kam von der anderen Seite des Hauses der dünne Schrei des anderen Fremden. Der Haarkranz des Raumfahrtchefs richtete sich steil auf. Er kam sich feige vor. Dann aber sagte er sich, daß niemandem damit geholfen wäre, wenn er nun ebenfalls in die Gewalt der Karymauner geriete. Daß die Bewohner des Hauses Karymauner waren, stand für ihn nun außer Zweifel. In dem Haus gingen Lichter an. Ein Uzerfoner erschien hinter einem der Fenster und zog einen Vorhang zu. Ich muß zum Monarchen! dachte Sanym-Bloo. Er selbst hatte nicht sehr viel Hoffnung, daß Pooch Veletta-Del nun endlich zu einem Schlag gegen die Besessenen ausholen würde. Oder doch? Vieles war anders geworden. Eigentlich mußte er handeln, um sich die Freundschaft der Solaner nicht zu
verscherzen. Und außerdem wußte Atlan bestimmt, was er tat. Sanym-Bloo zog sich vorsichtig zurück. Erst auf der Straße begann er zu laufen. Am liebsten hätte er einen der geparkten Wagen genommen, doch seine acht Füße zitterten viel zu sehr, um die Pedale in den Vertiefungen der Sitzschale zu bedienen. Er war vollkommen erschöpft, als er endlich im Palast war. Die Wachen kannten ihn zum Glück und ließen ihn passieren. Auf der Rampe, die zum Thronsaal hinaufführte, brachte der Raumfahrtchef seine Beine in Ordnung. Er war noch dabei, sich die Worte für den Lin-Khan zu überlegen, als das Transportband abrupt anhielt. Überrascht richtete Sanym-Bloo sich auf. Den restlichen Weg mußte er ohne technische Hilfe zurücklegen. Als er dann im Korridor des Obergeschosses stand, trat ihm Zymm-Fort entgegen. Der Vertraute des Monarchen zeigte sich bestürzt. »Wie siehst du denn aus, Sanym-Bloo?« fragte er. »Hast du mit den Fremden gesprochen?« »Ich muß zum Lin-Khan. Sie sind von den Karymaunern gefangen worden. Und ich weiß jetzt, wo sich einer der Schlupfwinkel der Organisation befindet.« »Dann komm schnell, ich führe dich zu ihm. Der Lin-Khan fühlt sich nicht besonders wohl. Er ist krank vor Sorgen. Er hält sich in seinem Studierzimmer auf.« »Danke«, sagte der Raumfahrtchef und folgte dem anderen. Das Studierzimmer war leer. Vergeblich suchte Sanym-Bloo zwischen den hohen Bücherregalen, Sitzschüsseln und Lesetischen nach dem Monarchen. Zymm-Fort schloß leise die Tür hinter sich. »Du hast dich sehr beeilt«, sagte er. »Fast wäre ich zu spät gekommen, um dich vor dem Thronsaal abzufangen. Wir hatten gehofft, daß du mit den Fremden in Goran-Lyrts Haus gehen würdest. So aber muß ich jetzt dafür sorgen, daß du nichts verraten kannst.« Sanym-Bloo starrte sein Gegenüber fassungslos an. In der Hand Zymm-Forts lag eine Waffe mit aufgeschraubtem Schalldämpfer. Der Karymauner drückte ab.
* Atlan kam in einem spärlich eingerichteten Raum zu sich, dessen Mobiliar ganz auf die Körper der Uzerfoner abgestimmt war. Es gab in den Boden gearbeitete Mulden, in denen die Planetarier offenbar schliefen, und die schon bekannten Sitzgabeln und Sitzschalen. In einer lag der Körperkopf eines Uzerfoners. Die Beine baumelten fast lässig herab, und die neunfingrige Hand hielt eine Schußwaffe. Tyari lag gefesselt neben dem Arkoniden, dem ebenfalls die Arme auf den Rücken gebunden worden waren. Er hatte keine Waffe mehr. Auch das Funkgerät und der Translator waren ihm abgenommen worden. Als er an den Stricken zerrte, kreischte der Karymauner etwas. Der Lauf der Pistole hob sich drohend. Nach seinem Durchmesser zu schließen, mußte sie Projektile verschießen, die schon als kleine Granaten anzusehen waren. »Sie haben auf uns gewartet«, sagte Tyari bitter. »Und wir sind wie Narren in die Falle gelaufen. Aber jedenfalls wissen wir jetzt, daß ich recht hatte.« Das nützte ihnen wenig. Atlan musterte ihren Bewacher. Die Haut war faltig und nicht blau, sondern grau. Würde er wirklich schießen, oder hatten er und seine Komplizen den Auftrag, die Gefangenen dort abzuliefern, wo auch die anderen drei Entführten waren? Atlan drehte sich auf den Rücken und versuchte diesmal, unauffälliger die Fesseln zu lockern. Es war zu schaffen. Die Knoten waren nicht sehr fest. Der Arkonide wunderte sich überhaupt darüber, daß die Uzerfoner mit ihrer einen Hand in der Lage waren, sie zu knüpfen. Andererseits hatten sie sich eine Technik aufgebaut und dabei Geschicklichkeit beweisen müssen. Die Bedienungselemente, soweit sie bekannt waren, unterschieden sich nicht allzu sehr von denen der Menschen. Des Rätsels Lösung zeigte sich, als der Karymauner drei Finger weit abspreizte und den Atlan abgenommenen Translator unter einer Schärpe hervorzog. Dabei vernachlässigte er die Waffe nicht. Mit den langen und äußerst beweglichen Fingern besaßen die Uzerfoner quasi zwei oder gar drei Hände. »Lies nur meine Gedanken!« sagte Atlan schnell zu Tyari. Sie fragte nicht, warum. Der Karymauner reagierte prompt. Zum Glück wußte er mit Telepathie nichts anzufangen. »Ihr seid still!« kam es aus dem Translator. »Eure Sinnesklumpen sind sehr empfindlich. Das wissen wir. Bleibt ruhig liegen, bis wir euch wegschaffen. Sonst schlaft ihr wieder!« Mehr hatte Atlan gar nicht wissen wollen. Wenn man sie
abholte, mußte sich eine Gelegenheit zur Flucht finden. An Tyari gerichtet, dachte er intensiv: Dreh dich auch auf den Rücken und befreie die Hände! Eventuell will man uns zu Rypam bringen, dann träfen wir wahrscheinlich auch auf die Entführten und lernten den Chef der Organisation kennen. Ich will jetzt aber wissen, was hier versteckt gehalten wird. Sobald wir frei sind und die Karymauner entwaffnet haben, suchen wir danach! Sie gab durch ein vorsichtiges Nicken bekannt, daß sie verstanden hatte. Ihre Blicke drückten Zorn und Entschlossenheit aus, aber auch Zweifel. Auch Atlan mußte sich davor hüten, die Uzerfoner aufgrund ihrer plumpen Körperform zu unterschätzen. Er konnte nur abwarten. Es dauerte eine halbe Stunde, bis die einzige Tür sich öffnete und zwei Karymauner eintraten, ebenfalls grau und faltig. Waren sie krank? Oder mutiert? Sie trugen keine Waffen. Dafür hingen von ihren Händen schwere Decken bis auf den Boden. Was sie damit bezweckten, war leicht zu erraten. Wie Mumien eingewickelt sollten die beiden Solaner in ein wartendes Fahrzeug geschafft werden. Atlan dachte: Warte, bis ich das Zeichen gebe. Meine Fesseln sind los! Nicke, wenn du die Hände auch frei hast. Sie tat es in dem Augenblick, als der Bewaffnete sich zu den Eingetretenen umdrehte und zu ihnen sprach. Jetzt! Atlan zog die Knie an und stieß sich blitzschnell in die Höhe. Fast noch in der gleichen Bewegung warf er sich mit aller Kraft nach vorne und rammte den Karymauner mit der Schulter von der Sitzgabel. Ein Schuß fiel. Atlan schlug die Waffe mit der Handkante aus den Fingern des Gegners. Tyari fing sie geschickt auf und richtete sie auf die anderen. Sie blieben wie versteinert stehen. Dafür kam der Aufpasser auf die Beine und griff den Arkoniden an. »Halte die beiden in Schach, Tyari!« rief Atlan. »Laß sie vor allem nicht hinaus!« Er wich der vorschnellenden Neunfingerhand aus, die noch den Translator hielt.
Drei, vier graue Beine traten nach ihm. Atlan entging ihren wuchtigen Füßen nur knapp und suchte nach einer verwundbaren Stelle am Körperkopf. Er hatte keine Ahnung, wie man einen Uzerfoner ohnmächtig schlug. Er holte einfach aus und hieb beide Fäuste irgendwo in die Mitte des Kugelleibes. Der Karymauner ächzte, kreischte schrill und brach zusammen. Atlan entriß ihm den Translator und sprang zu Tyari. »Hört zu«, sagte er zu den beiden Wesen, die nun langsam zur Tür zurückwichen. »Ihr bleibt stehen, oder wir schießen. Wir tun es nicht gern, aber glaubt mir, wir tun es, wenn ihr uns dazu zwingt.« »Ihr habt keine Chance. Ihr könnt nicht entkommen. Wir sind viele.« Atlan nickte grimmig. »Das mag sein, aber das laßt unsere Sorge sein. Wo habt ihr unsere Waffen?« Sie antworteten natürlich nicht, doch einer drehte sich zu dem Bewußtlosen um. Das genügte Atlan. Er hatte gesehen, wie der Karymauner den Translator aus einer Schärpe geholt hatte. Die beiden Strahler fand er fast auf Anhieb unter einem anderen Stoffstreifen. Er wollte noch die Funkgeräte hervorholen, als Tyari eine Warnung schrie. »Sie fliehen!« Bevor die Gesandte Tyars die altmodische Donnerbüchse auslösen konnte, feuerte Atlan mit Paralysestrahlen. Die Uzerfoner fielen. Ihre Beine legten sich eng an die Körperköpfe, deren Augen starr wurden. Zur Vorsicht lähmte der Arkonide auch den Bewußtlosen. »Der Lärm muß die anderen Verschwörer aufmerksam gemacht haben«, sagte er schnell, als er Tyari am Arm packte. Sie nahm ihre Waffe und warf die schwere Pistole fort. »Durch die Tür, bevor ...« Die kreischenden Schreie der Gegner waren schon zu hören. Sie kamen von oben. Atlan und Tyari standen auf einem kleinen Flur, von dem ein Rollband nach oben, eines nach unten führte. »Hinunter!« rief Tyari. »Jetzt werden die Eindrücke aus den Gedanken des einen Kerls im Flugzeug noch klarer. Das Fremde muß sich in einem Keller befinden!« Die Karymauner ließen ihnen auch gar keine andere Wahl. Atlan konnte noch zwei Angreifer lähmen, die aus Türen des Flures kamen. Dann erschienen auch
schon jene, die von oben heruntergetragen wurden. Sie waren alle bewaffnet. Ein mörderisches Krachen, und der Schuß schlug einen mittleren Krater in die gegenüberliegende Wand. Endlich unten angekommen, hielt Tyari dem Arkoniden die Fanatiker vom Leib. Sie hatten nicht seine Skrupel. Wenn sie die Solaner schon nicht als Gefangene zu Rypam bringen konnten, sollten sie eher sterben – und vor allem, wenn sie ihrem Geheimnis auf der Spur waren. »Hier hinein!« Tyari hatte eine Tür aufgerissen, hinter der ein langer Flur lag, länger als das ganze Haus. Man befand sich also schon in den Kelleretagen. Der Gang war nur schwach erleuchtet. Atlan rannte hinter der Gefährtin her. Das entsetzliche Gekreische, das jetzt anhob, bewies, daß sie auf dem richtigen Weg waren. Wieder krachten Schüsse. Eine Kugel pfiff Atlan am Ohr vorbei und durchschlug eine Tür am Ende des Flures. Atlan warf sich zu Boden und nahm den Finger nicht vom Auslöser. Im breitgestreuten Wirkungsbereich des Paralysators fielen die Verfolger über die eigenen Beine, die kein Gefühl mehr besaßen. Sie rollten noch einige Meter, um dann still liegenzubleiben. »Wohin jetzt?« Tyari war stehengeblieben, als könnte keine Kugel sie verletzen. Sie zögerte, bis die nächsten Karymauner zu hören waren. »Wir müssen noch tiefer hinunter.« Sie fanden eine Art Aufzug, einen Netzkorb an einem starken Drahtseil in einem Schacht. Beide sprangen hinein. Offenbar allein durch ihr Gewicht aktiviert, senkte sich der Korb in die Tiefe. Atlan schätzte, daß sie zehn oder zwölf Meter sanken, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Tyari verhedderte sich in den Maschen. Atlan half ihr heraus. Im gleichen Moment wurde der Netzkorb wieder nach oben gezogen, wo mittlerweile das wohl letzte Aufgebot der Karymauner wartete. Das Kreischen wurde noch schrecklicher. Schüsse schlugen überall um die beiden Gefährten herum ein. Atlan dankte dem Schicksal dafür, daß die Planetarier so schlecht zielten. Aus dem Wirrwarr ihrer aufgeregten Stimmen konnte der Translator nur wenige sinnvolle Satzfetzen machen: »... nicht an die TÜR herankommen lassen!« – »... dürfen die TÜR nicht erreichen! Setzt sie unter Strom!« – »... Rypam anrufen! Wenn sie das Geh-weg finden ...!« Geh-weg! Das mußte also der Name für das geheimnisvolle Etwas sein, das nicht nach Uzerfon gehörte. »Schnell!« drängte Tyari. »Bevor sie den Korb bei sich oben haben, müssen wir
die TÜR gefunden haben. Ich glaube ...« Sie schaltete ihre Waffe um und zerstrahlte die Eisenstäbe eines Gitters, das den weiteren Weg versperrte. »Ja, Atlan. Hier muß es sein!« Und dann standen sie vor dem Panzerschott, das wie eine Starkstromleitung summte. Atlan zog Tyari mit sich hinter einen Stapel Metallkisten, die hier abgestellt worden waren. Er schoß. Der Impulsstrahl ließ das Schott in einer Explosion auseinanderfliegen. Die Druckwelle war so verheerend, daß die Gefährten sich vor den umstürzenden Kisten retten mußten. Hinter ihnen kam der Korb mit den Karymaunern herab. Atlan nahm wieder Tyaris Hand, und Seite an Seite stürmten sie in den Raum, der durch das Schott für jeden unbefugten Uzerfoner so unerreichbar gewesen war wie ein anderes Universum. Oder wie Schjepp! dachte Atlan. Er vergaß die Karymauner, als er sah, was in der Mitte des Kellergewölbes stand. Auch wenn das Objekt das Produkt einer fremdartigen Technologie war, so ließen die kennzeichnenden Konstruktionsmerkmale keinen Zweifel daran aufkommen, worum es sich handelte. Geh-weg war für relativ naive Wesen wie die Uzerfoner wirklich der passendste Name dafür. »Bei allen Planeten!« entfuhr es Tyari. »Ein Transmitter!« Hier auf Uzerfon, wo man gerade versuchte, die Planeten des eigenen Sonnensystems zu erforschen! Atlans Gedanken überschlugen sich. Ein Transmitter auf Uzerfon. Das konnte niemals uzerfonischem Geist entsprungen sein. Und er war das große Geheimnis der Karymauner. Was konnte das anderes heißen, als daß man die Karymauner bisher in einem völlig falschen Licht gesehen hatte – und vielleicht sträflich unterschätzt. Vielleicht wußten nur ihre Führer – oder nur Rypam – was hier versteckt wurde. Auf jeden Fall hatten keine Uzerfoner das Gerät gebaut. Um Transmitter zu konstruieren, bedurfte es hervorragender Kenntnisse der fünf- und sechsdimensionalen Physik. Der Monarch hatte versichert, daß Uzerfon noch niemals zuvor Besuch von einem anderen Volk gehabt hatte. Atlan bezweifelte nicht, daß er das selbst glaubte.
Aber hier stand der Transmitter. Ein Schuß krachte auf und schlug dem Arkoniden die Waffe aus der Hand. Tyari tat ihr Bestes, aber die eindringende Übermacht konnte sie auf die Dauer allein nicht aufhalten. Atlan sah nur noch einen Weg zur Flucht. Es ging um Sekunden, in denen es ihm gelingen mußte, den Transmitter zu aktivieren. Nur, wo würden er und Tyari herauskommen? In diesen Augenblicken spielte das die untergeordnete Rolle. Hier mußten sie unterliegen, und die Karymauner konnten sich diesmal keine Rücksichten mehr erlauben. Der Extrasinn hatte recht gehabt. Atlan hatte einen bestimmten Verdacht, allerdings jetzt in einer ganz anderen Richtung. Und falls er sich bewahrheiten sollte ... Er versuchte auf gut Glück, die Schalter des Kontrollpults in der richtigen Reihenfolge zu betätigen, während Tyari pausenlos mit Paralysestrahlen feuerte. Und er verfluchte sich dafür, nicht wenigstens ein Funkgerät aus den Bandagen ihres bewußtlosen Bewachers geholt zu haben. So konnte er nur hoffen, daß die andere Gruppe auf eine Spur stieß, die schließlich hierher führte – oder daß Bjo Tyaris Gedanken las. Dann konnte er Vorlan und die anderen hierherführen. Allerdings half das ihm und Tyari wenig, je nachdem, wohin der Transmitter sie abstrahlte. Zwischen den beiden runden Metallsäulen des Geräts baute sich das Entstofflichungsfeld auf. Atlan konnte nicht einmal wissen, ob der Transmitter überhaupt auf eine Gegenstation justiert war, als er Tyari packte und mit in das flimmernde Feld hineinzog. Wenn wir Pech haben, war sein letzter Gedanke, schleudert es uns ins Nichts zwischen den Dimensionen!
5. Insider stieß ein aufgeregtes »Patsch-uuh!« aus, als die Strukturtaster der CHYBRAIN anschlugen. Das damit verbundene akustische Signal war nur von kurzer Dauer. Insider ließ die Aufzeichnung zurückfahren und bat die Positronik um Auswertung. Beim besten Willen konnte der Zwzwko sich nicht vorstellen, was hier auf Uzerfon für eine Erschütterung des Raum-Zeit-Gefüges verantwortlich sein sollte. Dann meldete die Positronik: »Die Strukturerschütterung zeigt alle charakteristischen Merkmale eines Transmissionsvorgangs. Die Quelle der damit verbundenen hyperenergetischen Impulse liegt im Bereich der Hauptstadt.« Auf einem Bildschirm erschien ein Rasterbild Zerfons. Insider hatte nach dem Aufbruch der beiden Gruppen Spionsonden ausschleusen lassen. In das von ihnen übertragene Bild wurde von der Positronik nun eine Leuchtmarkierung geblendet. »Du meinst«, fragte Insider schnell, »daß es hier auf diesem Primitivplaneten eine Transmitterstation gibt?« »Jemand oder etwas ist durch einen Transmitter abgestrahlt worden«, bestätigte die Positronik. »Und wohin?« »Das läßt sich nicht feststellen. Ich kann dir nur sagen, daß sich keine Gegenstation auf Uzerfon aktiviert hat.« Insider sprang aus dem Sitz auf, drehte sich und sah Marcoyn gegen die Wand anmarschieren. Er wußte nicht, was er tun sollte. Es war ja vereinbart worden, daß er sich mit den beiden Gruppen nur im Notfall in Verbindung setzen sollte. Aber wenn das kein Notfall war ... Er setzte sich vor die Funkanlage und rief Atlan und Vorlan Brick an – über Hyperfunk, verstand sich. Nur Brick antwortete: »Was ist denn los, Insider?« Der Extra versuchte noch einmal, Atlan zu erreichen. Als der Arkonide sich wieder nicht meldete, stieg ein ungeheuerlicher Verdacht in ihm auf.
nicht meldete, stieg ein ungeheuerlicher Verdacht in ihm auf. »Vorlan, wenn ich mich nicht verdammt irre, dann befinden sich Atlan und Tyari nicht mehr auf dieser Welt.« Er informierte den Piloten rasch über das Geschehene, soweit er es beurteilen konnte. »Es sei denn, irgend jemand hätte sie überwältigt und ihnen die Minikome abgenommen.« Brick schwieg. Insider hörte für Sekunden nur sein heftiges Atmen aus dem Empfänger. Es bestand keine Bildverbindung. »Wo steht dieser Transmitter, Insider?« fragte Brick dann. »Kannst du uns hinlotsen?« Die CHYBRAIN-Positronik spielte die Position der Suchgruppe als zweite Leuchtmarkierung in das Rasterbild der Hauptstadt ein. »Ihr befindet euch etwa zwei Kilometer, davon entfernt, eher etwas weniger. Ihr müßt nach Osten gehen. Ich werde euch laufend korrigieren.« »Verdammt«, knurrte Brick. »Vielleicht ist das ein Trick, um uns von der Spur abzubringen.« »Ihr habt eine gefunden?« »Nicht direkt. Es gibt keine verräterischen Funksendungen der Karymauner. Offenbar erreichen ihre Botschaften die Empfänger über eine lange und verwirrende Kette von Relaispunkten. Oder die Kerle telefonieren oder schicken sich Brieftauben. Bjo kann nicht viel auffangen.« »Bjo!« entfuhr es Insider. »Er muß doch wissen, ob Atlan und Tyari noch auf Uzerfon sind!« »Eben nicht«, kam es von Breiskoll. »Ich espere jetzt wieder gar nichts. Ich kann es mir nur so erklären, daß die Uzerfoner zu bestimmten Zeiten eine geistige Aura aufbauen, die Telepathie unmöglich macht. Ich weiß auch, daß das lächerlich klingt. Aber einmal kann ich Gefühle empfangen, dann fast klare Bilder, und dann wieder gar nichts. Es gibt irgendeinen geistigen Faktor.« »Hör mir bloß damit auf!« brummte Brick. »Noch einmal ein geistiger Faktor fehlt uns gerade noch.« Er grunzte wütend. »Wir suchen nach dem Transmitter, Insider. Möglicherweise steht er im Hauptquartier der Karymauner, und wir finden dort auch Sternfeuer, Hage und meinen kleinen Bruder. Wenn wir in drei Stunden keinen Erfolg gehabt haben sollten, dann knöpfe ich mir höchstpersönlich diesen fettsüchtigen Lin-Khan vor!« Insider sagte lieber nichts darauf. Er sah auf den Bildschirmen, wie am Horizont über den flachen Bergen die Sonne aufging und
das Ödland in ihr violettes Licht tauchte. Die Stadt erwachte zum Leben. Die Spionsonden übertrugen die Bilder von Uzerfonern, die aus ihren Häusern kamen und in die Sitzschüsseln ihrer klobigen Autos stiegen. Bricks Gruppe konnte nicht mehr lange unentdeckt bleiben. * Pooch Veletta-Del hatte eine sehr schlimme Nacht hinter sich, ohne Schlaf, dafür voller Sorgen, Nöte und Ängste. Er hatte mit sich gerungen, nach einer Entscheidung gesucht, und immer wieder Entschlüsse verworfen, die ihm zu verwegen erschienen. Nun jedoch, als der Monarch beim üppigen Frühmahl saß, stand für ihn fest, daß er die Fremden offiziell um Hilfe bitten würde. Gern hätte er Sanym-Bloo bei sich gehabt, doch der Raumfahrtchef hatte ohne das Wissen seines Lin-Khans offenbar schon früh in der Nacht den Palast verlassen. Veletta-Del hatte vergeblich darauf gewartet, daß die Solaner sich wieder bei ihm meldeten. Vielleicht beratschlagten sie noch in ihren Schiffen. Auf jeden Fall waren die Karymauner durch die Entführung und Rypams Drohung auch ihre Feinde geworden. Die Solaner und ich, dachte der Monarch, sind damit Verbündete. Die große Frage war nur, was er in den gewünschten Pakt einbringen konnte. Inzwischen dachte er sich das so, daß er seine Leibgarde in Alarmbereitschaft versetzen würde und Atlan zur Verfügung stellte. Sobald die Solaner ein Versteck der Karymauner entdeckten, würden seine Soldaten die Widerständler gefangennehmen und verhören. So konnte die gesamte Organisation zerschlagen werden. Und mochte Rypam noch so mächtig sein – er war Atlan sicherlich nicht gewachsen. Veletta-Del speiste genüßlich. Dazu ließ er sich Zeit. Nichts noch so Wichtiges konnte dieses Ritual stören, zu dem auch gehörte, daß Zymm-Fort nach dem Frühmahl zur Berichterstattung erschien. Ein mächtiger Rülpser verkündete den wartenden Bediensteten, daß der Hunger des Monarchen gestillt war und sie den Tisch abräumen konnten. Veletta-Del stemmte den schweren Körperkopf in die Höhe und begab sich zu seiner Throngabel. Zymm-Fort kam in den Saal, als der letzte Diener gegangen war. Er war erregt
und vergaß die üblichen Morgengrüße. Sein Haarkranz war unordentlich, seine Neunfingerhand zuckte von einer Richtung in die andere. »Es ist ungeheuerlich, Lin-Khan!« kreischte er. »Die Karymauner hetzen die Bevölkerung auf. Überall sind Parolen an die Häuserwände geschmiert worden! ›Veletta-Del, der Verräter!‹, ›Jagt die Fremden fort!‹, oder ›Schießt den Lin-Khan mit den Fremden nach Schjepp!‹« Die Beine des Monarchen bogen sich vor Abscheu in die Höhe. »Das ist nicht wahr!« fuhr er auf. »Mit größtem Respekt, tritt an die Fenster und sieh selbst. Die Karymauner müssen erfahren haben, daß die Solaner an Schjepp interessiert sind. Indem du die Fremden empfingst und bewirtetest, hast du dich in den Augen der Verblendeten zu ihrem Verbündeten gemacht.« Es war eine Zumutung, so früh am Morgen schon soviel Bewegung aufgezwungen zu bekommen. Zymm-Fort ging dann auch demütig in die Hocke, als der Lin-Khan zum Fenster schritt. »Wirklich und wahrhaftig!« schrillte er. »Aber warum werden die Schmierereien noch nicht entfernt?« »Es wird sogleich geschehen«, versprach der Berater. »Warte. Ich habe dir einen Entschluß mitzuteilen und will deine Meinung dazu hören. Ich habe beschlossen, die Karymauner mit der Hilfe der Fremden unschädlich zu machen. Außerdem soll Sanym-Bloo unbegrenzte Mittel für das Raumfahrtprogramm zur Verfügung gestellt bekommen.« Zymm-Fort schwieg. »Hast du nicht gehört?« »Doch«, sagte der Berater. »Hast du schon mit den Solanern darüber gesprochen?« »Das nicht«, gab der Monarch zu. »Ich werde sie mit dem Zaubergerät anrufen und es ihnen verkünden.« »Ich weiß nicht, ob das klug wäre ...«, meinte Zymm-Fort zögernd. Er blieb gleich in der Hocke. »Was soll das heißen!« kreischte Veletta-Del ihn an. Zymm-Fort zog sich etwas zurück.
»Nun, es soll heißen, daß du deine Absicht vorher der Bevölkerung mitteilen solltest – und feststellen, wieviel Zustimmung oder Ablehnung du findest. Immerhin brauchst du das Volk, um die Karymauner zu eliminieren.« Der Monarch schob sich wieder in die Throngabel und legte die gespreizten Finger über die Augen, dort, wo das Gehirn saß. »Ich denke darüber nach, Zymm-Fort.« »Dann laß mich wissen, wofür du dich entschieden hast, Lin-Khan. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich werde die Schmierereien entfernen lassen.« Selbst dem Monarchen fiel auf, daß sein Berater es plötzlich sehr eilig hatte. Doch bevor er ihm eine Frage stellen konnte, wurde die große Doppeltür aufgestoßen. Von Wachen verfolgt, rutschte ein Uzerfoner auf vier Beinen herein. Mit den anderen vieren schob er sich vorwärts. In seinem Leib klaffte eine schlimme Schußwunde, aus der immer noch dickes, schwarzes Blut quoll. »Sanym-Bloo!« entfuhr es Veletta-Del. »Aber bei allen Geistern der Nacht, wer hat ...?« Ihm versagte die Stimme. Sanym-Bloo blieb in der Mitte des Saales liegen. Auf einen Wink des Monarchen zogen die Wachen sich bis zur Tür zurück. SanymBloo hatte sich anscheinend mit allerletzter Kraft bis hierhin geschleppt. Jetzt zitterte seine Hand, als er sie auf den Berater richtete. »Du hast schlecht gezielt, Zymm-Fort! Du hättest noch einmal schießen und mich ganz töten sollen. Aber so war ich nur bewußtlos.« »Was bedeutet das!« rief der Monarch. Zymm-Fort rührte sich nicht von der Stelle. Nur seine Hand näherte sich vorsichtig einer Schärpe. »Das bedeutet«, antwortete der Raumfahrtchef mit schwächer werdender Stimme, »daß er ein Verräter ist! Er wollte mich umbringen, weil ich weiß, wo sich ein Schlupfwinkel seiner Bande befindet. Atlan und einer seiner Freunde sind dort überwältigt worden.« »Das glaube ich nicht!« »Dann frage dich, warum Zymm-Fort dir geraten hat, zu den Fremden zu gehen. Er wollte, daß du den Karymaunern einen Vorwand lieferst, das Volk gegen dich aufzuhetzen. Er ermutigte mich, mit den Fremden nach den Attentätern vom Raumhafen zu suchen, und wußte genau, daß sie sie erwarteten. Er wird dir sicher empfohlen haben, dich zu den Fremden zu bekennen, Lin-Khan. Tust du es, wird dein Tod den Karymaunern angelastet werden können, weil du ihnen zu
gefährlich wurdest.« »Mein ... mein Tod?« Veletta-Del sprang aus der Throngabel. »Du hast noch keine Nachkommen, Lin-Khan. Wer also wird im Fall deines Todes deine Nachfolge antreten? Es wird Zymm-Fort sein, dem du blind vertraut hast.« Sanym-Bloo sank nun völlig in sich zusammen. Der Monarch drehte sich zu seinem Berater um. »Sage, daß er gelogen hat, Zymm-Fort!« Der Karymauner zog die Pistole unter der Schärpe hervor und richtete sie auf den Lin-Khan. »Er sagt die Wahrheit, aber das ist nicht mehr weiter schlimm. Er zwingt mich nur, früher als geplant zu handeln. Der neue Lin-Khan wird nach außen hin der trauernde Freund des ermordeten alten sein. Aber kein Schiff wird jemals von Uzerfon in den Weltraum aufbrechen.« Veletta-Dels Haarkranz richtete sich steil auf. Der Monarch rief: »Wachen herbei! Entwaffnet den Verräter und werft ihn in den Kerker!« Sie machten keine Anstalten, dem Befehl zu folgen. »Gib dir keine Mühe, sie gehören zu mir«, sagte Zymm-Fort triumphierend. Der Monarch sank zu Boden. Er schloß die Augen. Zwischen den Beinen jedoch drückte er auf den roten Knopf seines Zaubergeräts. »Dann«, kam es ganz leise aus der Sprechmembran, »bist du Rypam.« * Vorlan Brick achtete nicht mehr auf die Uzerfoner, die ihn und seine Gefährten sahen und entweder neugierig folgten oder ängstlich Abstand suchten. Es war ihm auch gleichgültig, ob der Lin-Khan über die Aktivitäten der Solaner erfreut sein würde oder nicht. Er stampfte durch die Straßen und über die freien Plätze, die Hand demonstrativ auf dem Strahler, die Lippen aufeinandergepreßt. Neben ihm ging Bjo Breiskoll, der verzweifelt versuchte, Gedanken von Tyari oder Sternfeuer aufzufangen. Die Hoffnung, Karymauner anhand ihrer Gedanken aus den Zehntausenden Zerfon-Bewohnern herausfiltern zu können, hatte er ohnehin längst aufgegeben. Es war wie verhext, als ob sich ein Mantel des psionischen Schweigens über den ganzen Planeten gelegt hätte.
Argan U, Wuschel, Joscan Hellmut und Blödel kamen schweigend hinterher. »Position, Insider?« fragte Brick an der nächsten Kreuzung. Der Stadtkern lag hinter ihnen. Sie befanden sich bereits in den Randbezirken. »Es ist nicht mehr weit, Vorlan«, kam es aus dem Minikom. »Geht jetzt nach rechts, dann müßtet ihr das Haus schon sehen – falls der Transmitter in einem Haus versteckt ist. Sonst sucht Einstiege in Kanäle oder Ähnliches.« Brick murmelte wieder Verwünschungen. Er war noch keine zehn Schritte gegangen, als Insider sich wieder meldete. Seine Stimme klang aufgeregt: »Der Monarch hat den Funkteil seines Translators eingeschaltet! Er spricht nicht, aber ich kann hören, was im Palast geschieht! Er wird bedroht! Ich verlasse die CHYBRAIN, Vorlan! Vielleicht komme ich noch rechtzeitig!« »Insider!« Der Zwzwko antwortete nicht mehr. Vorlan hatte das untrügliche Gefühl, daß sich die Gefahr nun von allen Seiten zusammenbraute. Er begann zu laufen. Insider konnte ihm nicht mehr bestätigen, ob er den richtigen Weg nahm. Rechts, dann ein Haus. Und genau am Ende der Straße stand eines inmitten von Büschen und geplätteten Wegen. »Wir bleiben zusammen«, sagte Bjo. »Wir können es uns nicht leisten, noch weiter verstreut zu werden. Wir gehen kein Risiko ein. Nehmt die Waffen und bestreicht das Gebäude mit Paralysestrahlen.« »Warte noch«, sagte Hellmut. »Es braucht uns nicht jeder schießen zu sehen.« Gleich darauf verwünschte er sich für diese Rücksichtnahme. Die Solaner schoben sich durch die Büsche mit den Sternblättern, bis sie den Blicken der wenigen Neugierigen entzogen waren, die ihnen noch gefolgt waren. »Jetzt!« knurrte Brick. Sie hoben die Waffen, doch kein Schuß löste sich – nicht auf ihrer Seite. Einer nach dem anderen brachen sie gelähmt zusammen, auch Blödel. Das fremdartige Feld erfaßte sie alle gleichzeitig. Brick fiel ins braune Gras und konnte keinen Finger mehr rühren. Aber er sah, wie die Karymauner aus dem Haus kamen. Es geschah alles wie im
Zeitlupentempo. Hände griffen nach den Solanern und zerrten sie in den dunklen Eingang. Die Eindrücke verschwammen. Es war nicht so wie in einer »normalen« Paralyse. Brick konnte denken und wußte, daß nicht mit Atlans oder Tyaris Strahler auf sie geschossen worden war. Womit dann? Das Rätsel wurde nur noch größer. Wer schaffte einen Transmitter nach Uzerfon und verfügte über supermoderne Bewaffnung? Ein grauhäutiger Uzerfoner geriet kurz in das Sichtfeld des Piloten. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf. Waren die Karymauner gar keine Uzerfoner? Jemand nahm ihm den Translator ab, die Waffe und das Funkgerät. Die neunfingrige Hand entfernte sich perspektivisch verzerrt von Brick und legte sich an die Sprechmembran des Wesens, zu dem sie gehörte. Es blickte seine Gefangenen an. Brick schauderte, als er die Augen auf sich gerichtet sah. »Damit hätten wir euch alle bis auf einen«, sagte der Karymauner. »Ihn kriegen wir auch noch. Das Problem läßt sich viel leichter lösen, als ich dachte.« Rypam! durchfuhr es Brick. Das ist er! »Schafft sie zur TÜR!« befahl der Chef der Organisation seinen Komplizen. »Danach bringe ich sie selbst zum Geh-weg.« Warum das? Durften die anderen nicht wissen, daß es den Transmitter gab? Rypam schien seine Gedanken erraten zu haben. Sein Körperkopf wurde in der unwirklichen Perspektive riesengroß, als er sich dem Gelähmten näherte. »Nicht wahr?« sagte er. »Ihr wißt, was das Geh-weg ist. Dann wißt ihr auch, was mit solchen geschieht, die hineingestoßen werden, ohne daß es auf eine Gegenstation justiert ist.« Zum erstenmal glaubte Brick, einen Uzerfoner lachen zu hören. Rypam entfernte sich wieder und geriet aus dem Gesichtsfeld des Piloten. Er gab den Karymaunern Befehle, die Brick nicht mehr verstand.
6. Atlan hatte das Gefühl zu fallen, schwerelos in ein unwirkliches trübes Dämmerlicht hinein. Er war noch zu benommen, um die Widersprüchlichkeit dieser Empfindung zu begreifen. Er drehte sich um die eigene Achse und sah Tyari neben sich wirbeln. Sein erster klarer Gedanke war: Es hat uns nicht in die Dimensionen geschleudert! Ich kann atmen! Ich höre etwas! Tyaris Rufe nach ihm – und ein unheimliches Säuseln wie von Wind, der durch einen Kristallwald strich. Nur gab es hier keinen Wind. Es schien nur das Dämmerlicht zu geben, das die Sicht auf wenige Dutzend Meter begrenzte. »Atlan!« Die Stimme klang seltsam, ohne daß der Arkonide zu sagen gewußt hätte, wieso. Sie war einfach anders als gewohnt, wie mit einem künstlichen Hall versehen. Doch das allein war es auch noch nicht. »Wir müssen versuchen, zusammenzukommen!« rief er der Gefährtin zu. Etwa zehn Meter trennten sie voneinander. »Was für ein Medium ist das, Atlan? Ich komme mir vor wie in den obersten Schichten einer dichten Planetenatmosphäre!« Der Vergleich traf ziemlich genau Atlans eigenes Gefühl. Dann aber merkte er, daß er auf irgend etwas zu gezogen wurde. Im nächsten Moment sah er auch schon den Boden – oder eine Wand? – aus den Nebeln auftauchen. Leicht wie Federn schwebte er und Tyari darauf zu. Atlan streckte alle viere von sich und landete sanft. Unwillkürlich versuchte er dabei, sich abzustützen. Der schwache Druck seiner Arme stieß ihn sogleich wieder von dem Untergrund fort. Tyari mußte die gleiche Erfahrung machen. »Es ist ein Boden!« rief der Arkonide. »Hast du die Steine gesehen? Wir sind auf einem Planeten, aber die Schwerkraft ist so gering, daß wir uns kaum halten können!« »Sie muß unter einem Zehntel Gravo liegen! Aber das ist unmöglich! Dann besäße die Welt keine Atmosphäre, sie hätte sich längst in den Weltraum verflüchtigt!«
Atlan behielt seinen Verdacht vorerst für sich. Tyari hatte zweifellos recht, wenn sie an normale Planeten dachte. »Wir lassen uns wieder hinabsinken! Es muß hier die Gegenstation zu dem Transmitter in Zerfon geben! Wahrscheinlich haben wir uns bei der Materialisation unbewußt vom Boden abgestoßen wie gerade eben, und fanden uns deshalb in der ... der Atmosphäre wieder.« Diesmal waren sie vorsichtiger. Sie landeten flach auf dem Bauch und blieben für einige Sekunden regungslos liegen. Dann drehte Atlan sich zur Gefährtin um. Sie war nahe genug, um ihre Hand zu packen. Mit der anderen hakte der Arkonide sich in einen dünnen Spalt in der Felsenkruste. Noch weit weniger als ein Zehntel Gravo, dachte er. Vielleicht ein Zwanzigstel. Das hieße ein Zwanzigstel Körpergewicht – aber bei unveränderter Muskelkraft. Natürlich ging die Rechnung nicht auf, daß ein Sprung einen Meter in die Höhe ihn nun zwanzig Meter hoch – oder tief? – in das Dämmerlicht hineintragen mußte. Er würde viel weiter steigen und wieder Minuten brauchen, um aufzusetzen. »Und was nun?« fragte Tyari. »Wir stehen erst einmal ganz langsam auf.« Sie halfen sich gegenseitig. Eine unvorsichtige Armbewegung genügte bereits, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Atlan kam sich wie ein Kind vor, das laufen lernte, als er hinfiel und wieder auf die Beine kam – und noch zweimal in die Höhe federte. Allmählich stellten sich seine Körpersinne auf die Gegebenheiten ein und erkannten den felsigen, völlig unbewachsenen Boden als Grund an. »Jetzt stehen wir«, sagte Tyari etwas aggressiv. »Und weiter?« »Wir müssen nach Uzerfon zurück und die Freunde warnen«, sagte er zögernd. »Aber?« Sie beantwortete die Frage selbst. »Du brauchst es nicht erst zu sagen. Natürlich denkst du, daß wir in Schjepp sind – im Innern der Hohlwelt, wenn Uster mit seiner Vermutung über Schjepp recht hatte. Und nach Schjepp wollten wir. Ich kenne dich wie mich selbst. Du weißt nicht, ob wir je wieder hierhergelangen, und willst über den Planeten herausfinden, was du nur ...« »Ich weiß vor allem noch nicht, ob und wie wir überhaupt wieder nach Uzerfon kommen. Sieh dich um. Hier wächst nichts. Wenn die Karymauner nun den Transmitter in ihrem Schlupfwinkel umjustieren oder blockieren, stecken wir fest. Wir können uns aussuchen, ob wir verhungern oder verdursten wollen.« »Man
verdurstet schneller«, sagte sie trocken. »Übrigens glaube ich nicht, daß die Karymauner, die hinter uns her waren, überhaupt etwas von dem Transmitter wußten. Es war wieder so ein Eindruck. Die Gedanken der Uzerfoner sind grundsätzlich lesbar, aber sie kommen wie Wellen. Und eine dieser Wellen traf mich, als wir durch ihr Geh-weg fliehen mußten.« Jemand hatte den Transmitter aufgestellt. Die Karymauner bewachten ihn, ohne zu wissen, was sich hinter der TÜR verbarg. Wenn das stimmte – wer benutzte ihn dann? Rypam! Er befehligte die Organisation. Ihm attestierte der zwar immer jammernde und plumpe, aber nicht dumme Lin-Khan fast überweltliche Macht. Der Name wurde allmählich zum Synonym für das Geheimnis dieses Sonnensystems. Benutzte er die Karymauner lediglich als Helfer, die an Ideen glaubten, die nicht die ihren waren? Und was drohte jenen Karymaunern, die den Transmitter in aktiviertem Zustand gesehen hatten? Atlan schauderte, als er sich die Antwort darauf gab. »Wir suchen nach dem Transmitter«, sagte er. »Er muß in der Nähe sein. Vielleicht sind das Dämmerlicht und diese Nebel nicht überall, und wir können eine größere Fläche übersehen.« »Es kommt aus dem Boden«, sagte Tyari, nachdem sie wenige Schritte gegangen waren. »Das Licht, meine ich. Das Felsgestein phosphoresziert und erzeugt es.« »Nicht überall. Es scheint regelrecht schimmernde Inseln und Adern zu geben.« Sie behielten die einmal eingeschlagene Richtung bei. Atlan versuchte, sich den Weg an Steinen und Leuchtadern zu merken. Kein Laut war zu hören außer dem scheinbar ewigen Säuseln und den eigenen Schritten. »Mir ist kalt«, sagte Tyari plötzlich. Atlan hatte sich noch gar keine Gedanken über die hiesigen Temperaturen gemacht. Eigentlich fühlte er weder Kälte noch Wärme. Allmählich häuften sich größere Felsenansammlungen. Die Brocken lagen wie in eine endlose Ebene hineingestreut, zwei Meter und höher. »Ich friere schrecklich«, sagte Tyari wieder. »Und es kommt von innen. Wir müssen diesen Ort verlassen, Atlan. Es gibt etwas, das ... das ich nicht beschreiben kann. Ich fühle es nur, und es macht mir Angst.«
Bei ihr wollte das eine ganze Menge heißen. Unwillkürlich ließ der Arkonide sich von Tyaris Unsicherheit anstecken. »Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg«, versuchte er sich und ihr Mut zu machen. »Die Felsen. Niemand versteckt einen Transmitter auf übersichtlichem Gelände. Es muß zwischen den Felsen sein.« Tyari lachte rauh. »Sie können der Anfang von einem Gebirge sein!« »Wenn wir uns bei der Materialisation instinktiv herumgeworfen oder vom Boden abgestoßen haben, können wir nicht allzu weit fortgetragen worden sein.« »Wie kommst du eigentlich darauf, daß der Transmitter versteckt liegt?« Atlan schwieg. Weiter in die Felsenburgen hinein. Keine zu heftigen Bewegungen. Sich für den Notfall den Weg merken. Paradoxerweise ermüdete das Gehen in der geringen Schwerkraft mehr als unter normalen Verhältnissen, weil jeder Muskel kontrolliert werden mußte. Die Nebel wurden wieder dichter, das Säuseln schwoll an. Der Boden schien aus dünnem Material zu bestehen und von unterhalb erleuchtet zu sein. Tyari ging langsamer. »Laß uns eine Pause machen, Atlan.« Irgend etwas sagte ihm, daß dies dem sicheren Tod gleichkäme. War die Gefährtin nur erschöpft, oder wirkte etwas anderes auf sie ein – das, was sie schwach registrierte? Atlan stützte sie. Das Säuseln veränderte sich, wurde aggressiver. Es war nicht natürlich. Es war wie ein unsichtbarer Gegner, dessen Kräfte sich ganz langsam aufbauten. Atlan schwitzte jetzt. Tyari stolperte, hob vom Boden ab und zog Atlan mit sich. Er hatte ganz kurz das Gefühl, aus den leuchtenden Nebeln dämonische Fratzen auftauchen zu sehen, und Krallenhände, die nach ihm griffen. Das Säuseln schwoll zu einem Crescendo an – und erlosch schlagartig. Atlan und Tyari lagen vor dem Transmitter. Das aus den zwei Säulen und den Schaltelementen bestehende Gerät stand mitten in einem Ring von Felsentürmen, jeder über fünf Meter hoch. Er war lückenlos. Atlan erkannte, daß sie ohne den »Ausrutscher« und den Umweg durch die Luft niemals hierher hätten zurückfinden können. »Warte«, sagte Tyari, als der Arkonide sich über das Kontrollpult beugte. »Da
sind einige Symbole, auf die du den Zeiger des Justierungsschalters drehen kannst. Wer sagt dir, wo wir herauskommen? Es gibt doch offenbar ein ganzes Transmitternetz. Welches Symbol steht für Uzerfon?« Und werden uns die Karymauner mit ihren Donnerbüchsen bereits in dem Keller erwarten? »Uns bleibt nichts anderes übrig, Tyari. Wir müssen es durch Versuche herausfinden.« Oder hier sterben. Nicht durch Verdursten. Das Gefühl einer nahenden Gefahr wurde immer stärker. Atlan aktivierte den Transmitter. Er nahm die Hand der Gefährtin. Tyari hielt die Strahlwaffe in der anderen. * Vorlan Brick schloß mit seinem Leben ab, als ihn zwei Karymauner auf das flimmernde Entmaterialisierungsfeld zutrugen. Er sollte also als erster die Reise ins Nichts antreten. Die anderen würden ihm folgen, schön der Reihe nach. Rypam hatte offenbar umdisponiert, oder er besaß einen besonderen Kreis von Vertrauten, die in das Geheimnis des Geh-weg eingeweiht worden waren. Sie alle besaßen graue und faltige Haut und hatten hier in diesem Kellergewölbe gewartet. Man konnte auch sagen, sie waren hier eingeschlossen gewesen. Brick hatte bemerkt, daß die TÜR, womit nur das Stahlschott gemeint sein konnte, erst vor kurzem erneuert worden war, möglicherweise erst vor ein oder zwei Stunden. Ihre Verankerungen waren in Beton eingegossen, der noch feucht glänzte. Überall auf dem Gang lagen Trümmer und verbogenes Metall. So hätte es durchaus aussehen können, wenn jemand ein Schott mit einem Impulsstrahler angegangen wäre. Die Konsequenz war niederschmetternd genug. Brick versuchte, nicht daran zu denken. Er wollte überhaupt nichts mehr wissen, nichts sehen und hören, denn was nützten ihm alle Erkenntnisse, wenn er in wenigen Sekunden tot war. Er hätte etwas zu sagen gehabt, wenn ... Es gab kein Wenn mehr. Die grauhäutigen Karymauner blieben mit ihm vor dem Entstofflichungsfeld stehen. Rypam war bereits durch den Transmitter verschwunden, allerdings als er noch auf eine Gegenstation justiert gewesen war. Jetzt holten die Grauhäutigen
aus, schwangen den Piloten zwischen sich vor und zurück, und sobald sie ihn beim Vorwärtsschwung losließen ... Das Transportfeld erlosch. Brick hörte die Karymauner kreischen. Ihr Zaubergerät funktionierte nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatten. Es entwickelte für sie eine Art Eigenleben. Brick wurde losgelassen und fiel schwer zu Boden. Er lag so, daß er die beiden Säulen sehen konnte – und wie es zwischen ihnen wieder zu flimmern begann. Der Transmitter spie Atlan und Tyari aus! Sie schienen beide damit gerechnet zu haben, sofort nach der Materialisation von Gegnern bedroht zu werden. Anders war ihr blitzschnelles Reagieren nicht zu erklären. Sie schienen einige Gleichgewichtsstörungen zu haben, doch als die ersten Schüsse der Karymauner aus dem Hintergrund krachten, lagen sie bereits flach auf dem Boden, und Tyari erwiderte heftig das Feuer. Sie zielte über die Körper der gelähmten Gefährten hinweg und schaltete die Kombiwaffe erst um, als ihre Impulsstrahlen das halbe Kellergewölbe in Schutt und Asche gelegt hatten. Atlan robbte auf Brick zu, während die Gesandte Tyars mit Paralysestrahlen weiterschoß. Immer noch krachten Schüsse aus den Mammutpistolen der Karymauner, die das erste Chaos überlebt hatten. »Was ist los, Vorlan?« fragte der Arkonide. Offensichtlich begriff er erst jetzt, daß die Freunde gelähmt waren. »Wer hat das getan? Rypam?« »Wir müssen von hier verschwinden!« rief Tyari. »Hörst du nicht? Es kommen wieder neue Karymauner! Es ist genau wie vorher, nur müssen wir jetzt auch noch die anderen in den Transmitter bringen!« Gib Atlan die Waffe! dachte Brick angestrengt und hoffte, daß sie ihn empfangen konnte, wenn Telepathie auf Uzerfon so gut wie unmöglich war. Ich kann euch zeigen, wohin Rypam sich abgesetzt hat! Sie blickte unsicher herüber. Brick richtete den Appell noch einmal an sie. Dann warf sie dem Arkoniden den Strahler zu und kam herangekrochen. Atlan muß die Fanatiker in Schach halten, Tyari! Du hebe mich auf und drehe mich so lange, bis ich genau auf das Symbol blicke, auf das Rypam den Transmitter justiert hatte! Sie verstand und gab Vorlans Botschaft an Atlan weiter. Er nickte grimmig und bestrich den Eingang mit Paralysestrahlen. Das nützte so lange etwas, bis die Karymauner auf die Idee kamen, vom Ende des Ganges zu
schießen oder eine Bombe zu werfen. Tyari war stark. Sie hob den Gelähmten an und zog ihn bis zum Kontrollpult. Seine Augen waren starr. Sie drehte ihn so lange, bis sein Blick auf das Symbol gerichtet war, das Rypam gewählt hatte. Er dachte: Halt! Das ist es! Geht ihr beide und überrascht den Bandenchef! Laßt uns hier, wir wären nur Ballast für euch! »Du bist wohl verrückt geworden!« sagte sie. Sie drehte den Schalter auf das Symbol. Das Entmaterialisierungsfeld wurde aktiviert, Atlan mit wenigen Worten informiert. Tyari fing wieder den Strahler auf und deckte den Rückzug. Atlan machte einen Satz in das Transmitterfeld, löste sich auf und kehrte nach einer halben Minute zurück. »Die Luft ist rein!« rief er. »Halten wir noch durch, Tyari?« »Wenn wir uns beeilen, ja. Die Karymauner gehen kein Risiko mehr ein. Sie beschießen die Wände. Der Keller kann jeden Augenblick einstürzen!« »Dann schnell. Keine Angst, Freunde, wir kommen in frischer Luft heraus!« Atlan hob den Piloten auf, nachdem der Transmitter wieder umgepolt war. Er legte ihn sich über die rechte Schulter, auf die andere lud er Joscan Hellmut. Mit zwei, drei schnellen Schritten war er im Entmaterialisierungsfeld. Frische Luft! dachte Brick. Ein Glück, daß die Karymauner uns wenigstens die Anreicherungsröhrchen nicht aus den Nasenlöchern gezogen haben! Dann sah er die neue Umgebung, jedenfalls einen Teil davon. Der Transmitter befand sich offenbar in einer Höhle, auf deren Eingang Bricks Augen gerichtet waren, bis Atlan ihn und Hellmut ablegte und wieder verschwand. Der Solaner hörte das Einrasten der Umpolungsschaltung. Wir sind im Gebirge! Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis Atlan mit Wuschel und Argan U zurückkehrte. Dann folgte Tyari als letzte. Sie legte Bjo und Blödel neben den anderen Gelähmten ab. »Was bedeutet das, Atlan?« fragte sie irritiert. »Wie kommt die Gegenstation in diese Wildnis? Ich rechnete mit einem weiteren Schlupfwinkel der Fanatiker.« »Er wird in der Nähe sein. Wenn wir Glück haben, ist die Benutzung dieser Station noch nicht entdeckt worden. Ich habe den Transmitter so gepolt, daß er von der anderen Seite hoffentlich nicht so schnell wieder hierher justiert werden kann. Solange die Lähmung anhält, können wir nicht viel tun.« Brick versuchte,
sich zu bewegen. Es ging noch nicht. Immerhin aber war der Nebeneffekt so gut wie abgeklungen. Tyari blickte unsicher von Vorlan zu Breiskoll und wieder zurück. Offenbar versuchte Bjo, mit ihr in Telepathiekontakt zu treten. Natürlich mußte er sich mit ihr viel besser verständigen können. Aber was war auf Uzerfon in dieser Hinsicht schon natürlich! Brick dachte konzentriert an das, was während Atlans und Tyaris Abwesenheit geschehen war. Er wiederholte es immer wieder, bis die Gesandte Tyars zaghaft nickte. Er hörte etwas – das Kreischen eines Uzerfoners aus nächster Nähe. * Insider ging keine Kompromisse ein. Die CHYBRAIN hatte er unter der Energieglocke versiegelt. Nur ein Befehl an die Positronik konnte den Weg ins Schiff wieder freimachen, in dem Marcoyn nun alleine war. Die Positronik vermochte sehr leicht zu erkennen, ob ein Mitglied des Atlan-Teams sie aus freien Stücken oder unter Zwang von außerhalb anrief. Die beiden Schiffe waren sicher vor allem, was sich auf Uzerfon verbarg. Auch dann, wenn Insider ebenfalls in die Gewalt der Karymauner geriet. Eine der Spionsonden hatte die Gefangennahme von Bricks Gruppe beobachtet. Die CHYBRAIN-Positronik informierte Insider erst nach seinem Aufbruch. Er ließ sich von einem Flugaggregat mit wahnwitziger Geschwindigkeit zum Regierungspalast tragen. Außerdem benutzte er einen Körperschutzschirm. Er paralysierte die Wachen und drang in den Palast ein. Den Weg zum Thronsaal kannte er. Er schoß regelrecht die Rollrampen hinauf und durch die Korridore. Noch genoß Zymm-Fort seinen Triumph und ließ sich vom Lin-Khan hinhalten. Doch jede Sekunde konnte der tödliche Schuß fallen. Die CHYBRAIN-Positronik informierte Insider über das, was sie von dem Translator des Monarchen auffing, und berichtete von weiteren Strukturerschütterungen durch Transmitterbenutzungen. Der Lautsprecher des Spezial-Minikoms klemmte in Insiders rechtem Ohr, das Mikrofon war an seinem Kehlkopf angebracht. Insider hoffte, daß kein Uzerfoner zu nahe an der Doppeltür stand, als er sie mit einem Impulsstrahl sprengte. Er ließ sich in den Thronsaal tragen und überschaute die Situation mit einem einzigen Blick. Alle Anwesenden waren durch die Druckwelle einige Meter weit durch den Raum gekugelt worden. ZymmFort richtete sich mit überraschender Schnelligkeit wieder auf, als der Zwzwko landete. Er begriff ebenso rasch, schwenkte die Riesenpistole auf Insider und
drückte ab. Die Wucht, mit der das Explosivgeschoß auf den IV-Schirm auftraf, trieb Insider einige Meter weit zur Tür zurück. Er ging in die Knie, fiel aber nicht. Sein Strahler war auf den Karymauner gerichtet. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie der Lin-Khan sich hinter sein Podest flüchtete und dabei einen anderen Uzerfoner mitnahm. Das mußte Sanym-Bloo sein. Veletta-Del mußte ihn hinter sich herziehen. Er war entweder bewußtlos oder schon tot. Zymm-Fort überwand seine Überraschung und schrie den beiden Wachen etwas zu. Sie feuerten gleichzeitig auf den Vierarmigen, der sich mit einem Satz in die Höhe aus den Schußlinien bringen konnte. Das Flugaggregat brachte ihn vor das Podest. Blitzschnell bückte er sich nach dem Translator des Monarchen und paralysierte gleichzeitig die Wachen. »Gib es auf, Zymm-Fort!« forderte er den Verräter auf. »Ich weiß über alles Bescheid!« Er schaltete die Waffe um und schoß ein großes Loch in die Fensterwand. »Du siehst, ich kann nicht nur lähmen. Noch ein Schuß von dir, und mein nächster wird dich töten!« Zymm-Fort stand anscheinend unentschlossen vor ihm. Er sah sich seiner Verbündeten beraubt. »Er ist Rypam!« kam es von hinter dem Podest. »Das glaube ich nicht. Rypam ist seit wenigen Minuten in der Gewalt meiner Freunde. Er hat Zymm-Fort verraten. Nur so konnte ich rechtzeitig kommen.« Es war ein Bluff. Insider baute darauf, daß Zymm-Fort den Translator nicht entdeckt hatte, als Veletta-Del die Funktaste drückte. Doch nur so würde er ihn vielleicht zum Sprechen bringen können. Im Grunde konnte er ja tatsächlich Rypam sein. »Das stimmt nicht!« kreischte Zymm-Fort. »Ich weiß, daß du lügst! Nicht Rypam ist verloren, sondern deine Komplizen! Sie sind ...« Der Karymauner schwankte. Seine Beine knickten auf einer Körperseite ein, und er rollte auf die Fenster zu, als sei er bewußtlos unter dem Schock zusammengebrochen. »Das wollte ich nur wissen«, sagte Insider. Zymm-Fort stieß gegen die Wand, sprang blitzschnell auf seine acht Beine und schrie: »Rypam wird euch alle vernichten! Ihr plant das Verderben! Seinen Stellvertreter könnt ihr besiegen, aber niemals ihn!« Bevor Insider es verhindern konnte, stürzte er sich durch das in die Mauer geschossene Loch in die Tiefe. Der Monarch kam langsam hinter dem Podest hervor. Sein Haarkranz wirbelte
durcheinander und verflocht sich zu kurios anzusehenden Zöpfen. »Er war es nicht?« fragte Veletta-Del. »Nicht Rypam?« »Er war nicht Rypam, und meine Freunde haben Rypam auch nicht gefangen. Ich fürchte, es ist tatsächlich eher umgekehrt.« Wachen stürmten in den Thronsaal. »Lähme sie!« kreischte der Monarch. »Ich bin von Karymaunern umgeben!« »Wenn es noch Karymauner im Palast gäbe«, erwiderte Insider, »hätte sich Zymm-Fort nicht in den Tod gestürzt. Ich denke, hier sind wir sicher.« Er sah etwas auf dem Boden. Es mußte Zymm-Fort aus einer Schärpe gefallen sein. Er hob es auf und betrachtete es von allen Seiten. »Ich habe keine Zeit, um das Gerät zu untersuchen, Lin-Khan. Vermutlich stand Zymm-Fort damit in Verbindung mit Rypam. Wenn wir die Funktionsweise herausfinden, wissen wir wenigstens, wie sich die Karymauner untereinander verständigen, ohne daß wir es abhören können. Wir haben jetzt keine Zeit dazu.« Er erklärte knapp, was er über die jüngsten Ereignisse wußte. Veletta-Del überraschte einmal mehr durch plötzlichen Gemütswechsel. »Ich kann nicht glauben, daß es auf Uzerfon Dinge gibt, die von anderen Welten kommen«, sagte der Monarch. »Aber ich werde alles tun, um dir bei der Suche nach deinen Freunden zu helfen. Meine Leibwache und alle Flugzeuge stehen dir zur Verfügung, Solaner.« »Ich fliege vor«, erklärte Insider. »Ich habe dir das Haus beschrieben, in dem der Transmitter stehen muß. Kreist es ein und nehmt alle Uzerfoner gefangen, die ihr dort finden könnt.« * Atlan sah den Uzerfoner aus einem Gang herauskommen, der anscheinend noch tiefer in den Berg hineinführte. Der Planetarier schien sehr alt zu sein. Er wirkte schwach, seine Haut war voller Falten, aber immer noch blau. Jetzt sank er zusammen und neigte sich mit dem Körperkopf gegen eine Felswand. Noch einmal kam der Schrei aus der Sprechmembran. Dann blieb das Wesen regungslos liegen. Es war nackt wie der Monarch. Nirgendwo konnten Waffen oder andere technische Geräte verborgen sein. Irgend etwas sagte dem Arkoniden, daß der Fremde harmlos war. Er trat vorsichtig an ihn heran und
berührte den Kugelleib. Er war warm, und unter der Faltenhaut zirkulierte das Blut. »Er lebt«, sagte Atlan. »Aber wer ist er?« Ein Einsiedler? Gefühlen und Eingebungen zu vertrauen, war manchmal gut, oft aber auch sehr gefährlich. »Wenn wir nur noch einen Translator hätten, verdammt!« fluchte der Arkonide. Die Zeit verrann. Die Gefährten rührten sich nicht. Es gab keine Möglichkeit, mit den Schiffen Verbindung aufzunehmen. Tyari winkte ihm vom Eingang der Höhle. Bei seinem ersten kurzen Aufenthalt hier hatte er selbst schon einen Blick hinausgeworfen. Er folgte ihrer Aufforderung. Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander und sahen auf das öde Bergland, das nach Westen hin zusehends abflachte. Es mußte der Höhenzug sein, der – von der Hauptstadt aus gesehen – dem Landeplatz der Kreuzer gegenüberlag. Atlan schätzte vorsichtig, daß es bis Zerfon etwa zwanzig Kilometer sein mochten. »Wir brauchen keinen Translator«, sagte Tyari. »Ich kann wieder besser die Gedanken und Gefühle der Uzerfoner empfangen. Also liegt es tatsächlich an einer Art Mentalblockade, die sie unbewußt aufbauen, wenn wie in der Stadt viele von ihnen zusammen sind. Hier lebt fast niemand. Die Gedankensendungen dringen auf mich ein wie ein Bild, das langsam an Schärfe gewinnt.« Der Vergleich war bekannt. Aber Tyari sprach in Rätseln. »Fast niemand?« Sie nickte, hob einen Arm in südliche Richtung und sagte: »Dort liegt der Stützpunkt der Karymauner, und gleichzeitig Rypams Hauptquartier. Er hat Bewaffnete auf den Weg geschickt. Sie werden in einer halben Stunde bei uns sein, wenn wir nicht vorher verschwinden können.« »Wir können nicht alle Gelähmten tragen!« »Natürlich nicht. Notfalls müssen wir die Karymauner ablenken. Sie wissen nicht, daß hier ein Transmitter steht. Sie haben den Befehl bekommen, die Höhle zu beschießen und zum Einsturz zu bringen.« »Ich verstehe dich nicht«, sagte der Arkonide ungehalten. »Du meinst, wir sollen ihnen ein Scheingefecht liefern, um sie fortzulocken? Tyari, wenn du plötzlich ihre Gedanken so gut empfangen kannst – was hat es dann mit Rypam auf sich? Du
mußt doch auch ihn ausspionieren können!« Sie konnte es. Sie weigerte sich aber, jetzt schon darüber zu sprechen. Vielleicht irrte sie sich auch. Aber einen Hinweis konnte sie dem Gefährten geben. Und an dem, Was der Uzerfoner aus der Höhle bei seinen Schreien gedacht hatte, gab es nun wahrhaftig keinen Zweifel. Sie drehte sich um und sah ihn im Halbdunkel des Felsengewölbes noch an der Wand liegen. »Er ist wirklich ein Einsiedler und schon uralt. Er lebt seit vielen Jahren hier. Er beobachtete aus Verstecken heraus Uzerfoner, die den Transmitter benutzten, beziehungsweise Karymauner.« »Und?« »Der Transmitter ist für ihn etwas Heiliges, Höllenmaschine und Tor der Götter zugleich. Er verstand nie, wie Uzerfoner ihn benutzen konnten, ohne von den Göttern gestraft zu werden.« Sie korrigierte sich. »Von seinem Gott.« »Tyari! Wenn die Zeit drängt, dann rede nicht laufend in Rätseln!« »Er sah immer nur Uzerfoner durch den Transmitter gehen und aus ihm kommen.« Auch das stimmte nicht ganz. Er hatte immer nur einen gesehen. »Uzerfoner sind für ihn keine Götter. Dann aber kamst du als erster von uns aus dem Transmitter, Atlan. Du siehst ganz anders aus als seine Artgenossen. Willst du wissen, wen er in dir sah?« Er wußte es und weigerte sich dennoch, es auszusprechen. »Prezzar«, sagte Tyari. »Prezzar, die Gottheit von Farynt. Den Geist, den Instinkt dieser mißgeleiteten Galaxis!« Sie schüttelte sich angewidert. Prezzar! Und die gesuchten Prezzarerhalter! Tyari brauchte weiter nichts mehr zu sagen. Jetzt glaubte Atlan zu wissen, wer Rypam war. Und nun hatte er es noch eiliger, Rypams Hauptquartier zu finden. Auf einmal wurde ihm vieles klar. »Ich sehe«, sagte Tyari, »daß du das gleiche denkst wie ich. Wenn aber die Prezzarerhalter das Transmitternetz aufgebaut haben, und wenn Rypam weiß, daß wir sein Geheimnis entdeckt haben, dann kann er seinesgleichen über
seinen Fetisch jederzeit alarmieren.« Sie meinte damit nicht die Karymauner. Atlan lief in die Höhle zurück und versuchte in sinnlosem Bemühen, die gelähmten Gefährten durch Bewegen ihrer Gliedmaßen aus der Paralyse zu reißen. * Zuerst konnte sich Joscan Hellmut wieder rühren, dann Brick, dann Bjo Breiskoll. Das war etwa noch zehn Minuten vor dem von Tyari geschätzten Eintreffen der Karymauner. Und wieder vergingen quälende Minuten, bis endlich auch Argan U und Wuschel ihre Lähmung überwanden. Blödel blieb liegen. Tyari winkte bereits wieder heftig vom Eingang und drängte zur Eile. Brick nahm sich des Roboters an. Normalerweise wirkten Paralysestrahlen zwar grundsätzlich auf Blödel, doch seine Notprogramme gaben ihm bei einer eventuellen Lähmung des Bioplasmazusatzes dennoch Bewegungsfreiheit. Daß dies jetzt anders war, konnte ebenfalls nur auf das fremde Wirkungsprinzip der angewendeten Waffe zurückzuführen sein. Vorlan stemmte Blödels Vorderkörper in die Höhe, und Bjo Breiskoll packte hinten an. Zusammen konnten sie ihn einigermaßen gut tragen. »Dorthin!« sagte Tyari rasch. »Um die Bergkuppe herum! Die Karymauner kommen von der anderen Seite!« Der Abhang war pulvertrocken. Hier war kein Regen niedergegangen, wie auch das ganze kleine Gebirge eher den Eindruck von Wüstenhügeln machte. Geröll rutschte unter den Füßen der Solaner. Einige verloren den Halt und zogen sich Schürfwunden zu. »Zum Glück hinterlassen wir keine Spuren«, sagte Tyari, »oder kaum. Die Felsen dort. Wir dürfen uns nicht zu weit entfernen.« Atlan gab den Gefährten einen Wink. Sie legten Blödel hinter den mächtigen Steinen ab und kauerten sich selbst in den Felsnischen nieder. Tyari legte den Strahler in eine kimmenartige Vertiefung. »Dort sind sie.« Atlan konnte den Pfad gerade noch sehen, über den die Karymauner kamen. Der Höhleneingang selbst lag hinter der Hügelbiegung. Als auch die Karymauner – insgesamt waren es sechs – dahinter verschwanden, hielt der Arkonide den Atem an. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie vom Transmitter fortzulocken, auch wenn die Notwendigkeit durch das Abklingen der Lähmung nun nicht mehr direkt bestand. Aber das Gerät war wertvoll. Der Lin-Khan mußte erfahren, was sich auf
seinem Planeten tat. Und auch Rypam brauchte den Transmitter doch, um sich notfalls wieder absetzen zu können. Oder besaß er noch andere Stationen? Wie viele umfaßte das Netz? Es war zu spät. Die Explosionen sprengten die Höhle. Die Karymauner schossen nicht mit ihren Pistolen, sondern mit mörserähnlichen Waffen, die sie mitgeschleppt hatten. Gesteinsbrocken wurden in die Luft geschleudert, ein Teil des Hügels brach und rutschte einfach den Hang hinunter. Die Entsetzensschreie der Uzerfoner erstarben im Donner der Felsenlawine. »Sie sind alle tot«, flüsterte Tyari erschüttert. »Rypam hatte es von Anfang an so geplant. Es darf keine Mitwisser um sein Geheimnis geben.« »Weißt du, was du da sagst? Als wir die TÜR sprengten, sahen unsere Verfolger doch auch, was sich dahinter verbarg.« »Rypam ist sich seiner Sache jetzt ziemlich sicher. Er glaubt uns aus dem Weg geräumt. Ich empfange seine Gedanken immer klarer. Er will den Transmitter in der Stadt aufgeben, weil er ihn nicht mehr braucht. Er hat noch einen, durch den er sich absetzen kann.« »Er will von Uzerfon fliehen?« Tyari schüttelte den Kopf. »Nicht direkt, denn er sieht die Gefahr durch uns so gut wie gebannt. Nur Insider ist ihm noch hinderlich. Und natürlich Sternfeuer, Nockemann und Uster Brick. Ja, sie sind in seinem Hauptquartier. Er will sie töten, dann über seinen Fetisch die anderen Prezzarerhalter alarmieren und sich vorerst zurückziehen. In diesen Augenblicken gibt er einer Gruppe von Karymaunern neue Befehle. Sie sollen den Planeten in ein Chaos stürzen.« »Also doch Flucht. Aber weshalb, wenn wir ...?« »Irgend etwas muß in der Hauptstadt geschehen sein. Es hat mit Insider zu tun. An gewisse Dinge denkt Rypam entweder nicht, oder er kann seine Gedanken teilweise abschirmen. So auch über Schjepp. Ich kann auch nur vermuten, daß Insider einen Coup der Karymauner in Zerfon vereitelte. Und für Rypam stellen unsere Schiffe nach wie vor eine potentielle Gefährdung dar, auch ohne uns. Der Lin-Khan könnte an sie herankommen, denkt er.« »Verlieren wir keine Zeit mehr«, sagte der Arkonide. »Wie schnell können wir das Hauptquartier der Organisation erreicht haben?«
»Wenn wir uns beeilen, in etwas mehr als einer halben Stunde. Aber das wird nicht reichen!« »Es muß reichen!«
7. Er wußte, daß sich Uzerfon auch nach der Ausschaltung aller Fremden bis auf einen zu einem Gefahrenherd erster Ordnung entwickelt hatte. Was in langer Arbeit im geheimen aufgebaut worden war, hatte sich innerhalb weniger Stunden gegen ihn gekehrt. Er durfte im Interesse seiner Aufgabe nicht länger zögern, die Prezzarerhalter zu informieren, auch wenn dies dem Eingeständnis des eigenen Versagens gleichkam. Er blickte den Mitgliedern der Kampfgruppen nach, die unter Turgyns Führung das Hauptquartier verließen, um in genau einer Stunde den Regierungspalast und alle anderen wichtigen Stellen auf Uzerfon zu besetzen. Turgyn war nun der letzte noch lebende Stellvertreter. Zymm-Forts Kommunikationsgerät war dem Lin-Khan in die Hand gefallen. Es besaß ein elektronisches Gehirn, das ZymmForts Tod und die Geschehnisse im Palast an den Behüter gefunkt hatte. Die Transmitter konnten bis auf einen durch Fernbefehle gesprengt werden. Das gleiche galt für die Kommunikationsgeräte und Waffen. Der Lin-Khan und seine Mitwisser konnten gefangengenommen und unschädlich gemacht werden. Schwieriger würde das schon bei dem Fremden sein, der gegen Schüsse gefeit war. Dazu kam das Risiko, daß die Schiffe der Fremden beim Ausbleiben ihrer Besatzungen andere Raumer der Solaner herbeirufen konnten. Rypam wollte die Verantwortung allein nicht mehr tragen. Jetzt mußten die Prezzarerhalter mit ihrer ganzen Macht auf den Plan treten. Er traf die letzten Vorbereitungen zum Aufbruch. Mit den Transmittern und KomGeräten würden auch die Stützpunkte der Organisation in die Luft fliegen. Wer wie Goran-Lyrt und dessen Gruppe etwas von der fremden Technik auf Uzerfon gesehen hatte, durfte nicht leben. Für Goran-Lyrt bedeutete der schnelle Tod eine Erlösung. Die Krankheit, die er und seine Helfer sich einbildeten, war nichts anderes als der körperliche Verfall durch ein Gift. Die »Medizin« stoppte den Prozeß nur für begrenzte Zeit. Um immer wieder eine neue Dosis zu erhalten, mußten die Betroffenen loyal sein. Rypam hatte verschiedene Mittel, um seine absolute Macht in der Organisation der Karymauner zu sichern. Er brauchte sie nun kaum noch. Turgyn hatte er gesagt, daß er bis auf weiteres nicht zu erreichen sein würde. Der Stellvertreter sollte sich für diese Zeit als Rypam ausgeben und das Chaos kontrollieren. Als die Flugzeuge der Kampfgruppen in den Himmel stiegen, aktivierte Rypam die Selbstvernichtungsschaltung. Er verzichtete darauf, sich noch einmal zu den
Gefangenen zu begeben und sie selbst umzubringen. Auch ihnen ersparte er den Tod durch das eingegebene Gift. Er hatte nur in einem Punkt geblufft. Auch für ihn gab es keine Möglichkeit, sie bei einer Annäherung an Schjepp sterben zu lassen. Ohne ein Gegenmittel jedoch waren sie nicht mehr zu retten. Das alles war überflüssig geworden. Bei der Explosion des Hauptquartiers würden sie wie die noch anwesenden Karymauner umkommen. Turgyn sollte die Katastrophen dem Lin-Khan und seinen Anhängern anlasten und den Haß der Bevölkerung schüren. Die mögliche Bedrohung durch Verstärkung der Solaner konnte Rypam nicht eliminieren, aber Uzerfon würde zum Tollhaus werden, die bisherige Regierung handlungsunfähig. So gesehen, hatte er aus einer unerwarteten Krise noch das Beste für sich und die Prezzarerhalter gemacht. Dennoch wollte er erst unmittelbar vor seinem Verschwinden von hier über den Fetisch Kontakt aufnehmen. Er hatte die Zeitschaltung der Vernichtungsanlage auf ebenfalls eine Stunde eingestellt. So konnte das Verhängnis von allen Seiten über Uzerfon hereinbrechen. Turgyn wußte davon nichts, doch er war machthungrig und würde die Situation ohne viele Skrupel schnell zu seinen Gunsten ausnützen. Rypam verließ das Hauptquartier und ließ sich in sein kleines Flugzeug tragen. Er programmierte den Kurs zur Transmitterstation und überließ dem Flugcomputer die Steuerung seiner Maschine. Das konnte er sich erlauben, denn hier handelte es sich um ein Spitzenprodukt rein uzerfonischer Technik. Ausgerechnet Sanym-Bloo war maßgeblich an seiner Entwicklung beteiligt gewesen. Der Weg führte über die gesprengte Höhle nach Norden. * Atlans Gruppe hatte kaum ein Drittel des anstrengenden und zermürbenden Fußmarsches über Pfade an rutschigen Abhängen und durch Täler zurückgelegt, als Tyari plötzlich stehenblieb. »Rypam!« entfuhr es ihr. »Er hat sein Hauptquartier verlassen! Er hat eine Selbstvernichtungsanlage aktiviert!« »Und Uster?« rief Vorlan Brick. »Was ist mit ihm und den anderen!« »Rypam denkt daran, daß er ihnen tatsächlich das Gift gegeben hat. Ich bekomme einfach keinen Kontakt zu Sternfeuer. Möglicherweise liegt es an dem Mittel.« »Aber wir schaffen es doch noch vor der Explosion zu dieser Station!«
»Warte!« Tyari schloß die Augen. Brick fluchte und wollte weiter gehen. »Wir haben vielleicht Glück, denn Rypam muß über uns hinweg! Er ist schon ganz nahe. Er will zu seinem letzten noch unentdeckten Transmitter auf Uzerfon und ...« »Dann muß er das sein!« rief Bjo. Er deutete auf den silbrig schimmernden Punkt am Himmel, der schnell größer wurde. »Er benutzt doch ein Flugzeug?« »Ja!« »Versteckt euch!« sagte Atlan schnell. »Irgendwo, aber beeilt euch! Gib mir den Strahler, Tyari!« »Denkst du, ich könnte nicht ...?« »Ich fühlte mich besser, wenn ich es selbst tue!« Sie warf ihm die Waffe zu. Das Flugzeug flog niedrig. Es war fast schon über den Gefährten, als Atlan den Strahler mit beiden Händen hielt, zielte und feuerte. Der Impulsstrahl traf eine der Tragflächen. Atlan war sich über die geringe Chance im klaren, Rypam lebend in die Hände zu bekommen. Die Maschine brannte und kam wie ein Stein herunter. Wenn der Prezzarerhalter sich nicht durch einen Schleudersitz retten konnte, war alles verloren. Das Flugzeug zerschellte an einem Abhang. Nur die Druckwelle der Explosion machte den Raumfahrern etwas zu schaffen. Atlan konnte ihr standhalten und suchte verzweifelt nach einem Fallschirm am Himmel. Endlich entdeckte er ihn. Ein leichter Wind trieb Rypam genau auf die Solaner zu. Atlan brauchte nichts zu sagen. Als Rypam schwer landete, war er umstellt. Und bevor er eine Waffe aus seiner Schärpenbekleidung ziehen konnte, war Vorlan Brick hinzugesprungen und hatte sie ihm unter der Hand weggezogen. Im nächsten Moment trafen ihn die neun Finger des falschen Uzerfoners. Mit einem Aufschrei sank der Pilot in die Knie und krümmte sich vor Schmerzen. Rypam holte sich den Strahler zurück. »Ihr lebt also noch!« sagte der Prezzarerhalter haßerfüllt und in akzentfreiem Interkosmo. Atlan war nur für einen Moment verwundert. Rypam war ja von einer Körpermaske umgeben. In ihr mußten sich die Projektoren für den überraschenden Schlag gegen Brick ebenso verborgen befinden wie ein
Translator und vielleicht noch andere Überraschungen. »Aber das nützt euch nun auch nichts mehr! In einer Dreiviertelstunde wird ...« »Ich weiß, was dann geschehen wird!« fuhr der Arkonide ihm ins Wort. »Wir wissen überhaupt alles über dich, Prezzarerhalter!« Das schien selbst für Rypam zuviel zu sein. Der blaue Körperkopf bebte, als müßte sich die Maske jeden Augenblick lösen. Rypam kam auf die acht falschen Beine. »Ihr könnt nicht alles wissen!« Tyari sagte, was sie von ihm erlauscht hatte, und verschwieg das, was ihr nicht klar geworden war. Es mußte sich allerdings so anhören, als wäre auch das bekannt. »Wir könnten dich vielleicht vor den Uzerfonern retten, die du getäuscht hast«, sagte Atlan. »Zu deinem Fluchttransmitter kommst du nicht mehr. Deine Helfer werden noch lauter als die Anhänger des Lin-Khans nach deinem Tod schreien, wenn sie erfahren, wer ihr Anführer in Wirklichkeit war. Du kannst es verhindern, indem du die Selbstvernichtungsschaltung desaktivierst und uns das Mittel zur Neutralisierung des Giftes gibst.« Rypam drehte sich um sich selbst. Die Solaner hielten respektvoll Abstand, um nicht die gleiche Erfahrung wie Brick machen zu müssen. Rypams Waffe richtete sich auf Atlan. »Töte mich«, sagte der Arkonide. »Der nächste von uns fängt meinen Strahler auf und macht dir ein Ende. Erfülle unsere Forderungen, und wir bringen dich auf unser Schiff. Ich garantiere dir Sicherheit, wenn du dich bereiterklärst, Fragen zu beantworten und vor allem über Schjepp Auskunft zu geben.« »Über ... Schjepp! Ihr wißt nichts über Schjepp!« »Wir waren dort«, sagte Tyari. »Durch den Transmitter in Zerfon.« »Nein!« »Doch, und du weißt es! Du hast die Justierung gekannt!« Wieder drehte sich Rypam. Als er Atlan erneut gegenüberstand, war seine Stimme ganz ruhig: »Aber ihr habt nichts über Schjepp herausfinden können, nicht wahr? Denn sonst würdet ihr nicht mehr fragen.« Er lachte irr. »Und ihr erfahrt auch nichts! Nicht von mir!« Bevor irgend jemand es verhindern konnte, setzte er seine Waffe an den Körperkopf und löste sie aus. Der blaue Strahl fuhr quer durch den Kugelleib hindurch. Die Maske platzte auf, als Rypam fiel. In dem abfallenden Stützgewebe kam der blauhäutige, völlig menschenähnliche Körper eines Beneterlogen zum
Vorschein. Der Strahl hatte Rypam genau in die Brust getroffen. Und noch etwas anderes. Das Kästchen mit Rypams Fetisch war in der Körpermaske genau so angebracht gewesen, daß es und der Fetisch noch vor dem Prezzarerhalter durchschlagen worden waren. Die Augen des Sterbenden waren noch auf den Arkoniden gerichtet, als Rypam röchelnd hervorbrachte: »Auch das hilft euch nicht mehr. Ich war gut beraten, die Prezzarerhalter zu alarmieren, als ich mich mit dem Schleudersitz retten mußte. Versucht nun, nach Schjepp zu fliegen, aber ihr werdet ...« Er bäumte sich auf und lag still. * Vorlan Brick, der sich kaum rühren konnte, und Blödel waren bei der Leiche des Beneterlogen zurückgelassen worden. Atlan, Tyari, Bjo, Hellmut, Wuschel und Argan U rannten und stolperten, stürzten und rappelten sich wieder auf. Es ging um Minuten, wenn nicht um Sekunden. Sie kamen trotz aller Bemühungen viel langsamer voran als von Tyari geschätzt. Was die Gesandte Tyars nur tun konnte, war die Richtung zur Station zu weisen, wo sie einige Karymauner espern konnte, aber immer noch nichts von Sternfeuer. Als sie das flache Gebäude, als verlassenes Bergwerk getarnt, endlich sahen, war die Frist fast um. Und noch immer trennte sie ein guter Kilometer davon. Und als sie, weiterstolpernd über das Geröll, schon alle Hoffnungen verloren sahen, erschien die CHYBRAIN am Himmel. Das Schiff senkte sich über der Station herab. Noch bevor es landete, sah Atlan etwas über sich glitzern. Eine Robotsonde legte sich in seine aufgehaltene Hand. An ihr war ein Minikom befestigt. Die Ereignisse überschlugen sich. Niemand versuchte mehr, etwas zu verstehen. Atlan hörte Insiders Stimme aus dem Empfänger, ließ den Zwzwko nicht ausreden und erklärte überhastet, was geschehen war. »Du mußt die Entführten herausholen, Insider! Schutzschirme, alle Sicherungsmaßnahmen treffen! Die Explosivladungen müssen jeden Moment
hochgehen!« »Ich schicke euch Antigravscheiben und bin schon unterwegs!« verkündete Insider. »Der Lin-Khan ist an Bord. Ihr habt keine IVSchirme, also kommt nicht auf die Idee, mir zu folgen. Veletta-Del wird euch sagen, was inzwischen in der Stadt geschehen ist!« Atlan dachte nicht daran, haltzumachen. Der Zwzwko konnte es gar nicht allein schaffen, alle drei Gefangenen schnell genug aus dem Hauptquartier der Karymauner herauszutransportieren. »Ihr wartet auf die Scheiben!« wies er die Gefährten an. »Ich habe die einzige Waffe und helfe ihm!« Er duldete keinen Widerspruch. Insider kam mit dem Flugaggregat aus einer Mannschleuse und jagte auf die Station zu. Atlan war noch einige hundert Meter entfernt und merkte sich den Eingang, den der Grünhäutige nahm. Er wußte, daß er aus falschem Heldenmut heraus handelte. Er wußte aber auch, daß er sich sein ganzes Leben lang Vorwürfe machen würde, tat er es nicht. Immer wieder fiel er, und jedesmal schien die Entfernung zum Gebäude nur um Meter geschrumpft zu sein. Er wartete auf den Blitz, der alles beenden mußte. Flugzeuge des Monarchen zogen in Staffeln Schleifen über der CHYBRAIN. Es mußte tatsächlich schon vieles geschehen sein, um den Lin-Khan aus seiner Lethargie zu reißen. Aber was nützte das! Atlan rannte weiter und achtete nicht auf die Schürfwunden und Prellungen von den vielen Stürzen. Irgendwann erreichte er den Eingang, in dem Insider verschwunden war. Irgendwann fand er sich in verzweigenden Gängen wieder. Irgendwann stand er vor einer offenen Tür, schon viele Stockwerke tief im Felsboden, und sah Insider. Der Zwzwko verzichtete auf jedes Wort und warf ihm Sternfeuer in die Arme. Nockemann und Brick trug er selbst. Irgendwann und irgendwie fanden die Solaner ins Freie, zusammen mit Karymaunern, die in Panik aus ihrer Station flohen. Und dann, als hinter ihnen ein kleiner Vulkan auszubrechen schien, waren sie durch eine Strukturlücke innerhalb der CHYBRAIN-Schutzschirme. * Ein Tag später:
Der Zusammenkunftsort hatte Ähnlichkeit mit einem mittelalterlichen Heerlager. Er befand sich am Stadtrand von Zerfon etwa auf halbem Weg zwischen den solanischen Schiffen und dem Regierungspalast: riesige Zelte mit wehenden Bannern, Flugzeuge, Schüsselwagen und Panzer. Die Energieglocke existierte nicht mehr. Alles hier besaß symbolhaften Charakter und sollte verdeutlichen, daß sich zwei gleichberechtigte Partner gegenüberstanden. Die eine Seite bestand aus Atlan und seinem Team, die andere aus dem Lin-Khan und seiner Gefolgschaft. Was innerhalb nur eines Tages aus einem uneinigen und verunsicherten Volk geworden war, weckte in Atlan noch einmal Erinnerungen an die Erde des 20. Jahrhunderts. Allerdings hatte es dort viel länger gedauert, bis sich die zerstrittenen Nationen angesichts der Bedrohung aus dem Weltall unter Perry Rhodans genialer Regie endlich zusammengefunden hatten. Der Lin-Khan sprach nun für sein gesamtes Volk. Zwar hatten die Explosionen der Transmitteranlagen stattgefunden, zwar waren durch Fernbefehl alle technischen Hinterlassenschaften Rypams vernichtet worden, doch zum Überraschungsschlag Turgyns und seiner Mitstreiter war es nicht gekommen. Turgyn mochte Rypam durchschaut oder im letzten Augenblick die Zeichen der Zeit erkannt haben. Jedenfalls hatte er als Rypams letzter Stellvertreter allen Karymaunern befohlen, ihre Aktionen auszusetzen. Den Rest hatten die Filmaufnahmen von Rypams Leichnam in seiner offenen Körpermaske besorgt. Rypams legendärer Ruf richtete sich nun gegen seine Organisation. Die Karymauner waren in Scharen zum Lin-Khan übergelaufen, als sie sich bitter getäuscht sahen. Sie stellten keine Gefahr mehr dar. Im Gegenteil, reumütig gaben sie alles an Informationen, das zur Aushebung der letzten Widerstandsnester führte, die nicht explodiert waren. Der Wermutstropfen für Atlan bestand darin, daß auch der geheime letzte Transmitter auf Uzerfon durch die hyperenergetischen Schockwellen zerstört worden war, die die Explosion der beiden anderen ausgelöst hatte. Es gab somit keine Chance mehr, das Innere Schjepps durch sie zu erreichen. Dafür lebten Sternfeuer, Uster und Vorlan Brick und Hage Nockemann. Blödel war so rechtzeitig wieder aktionsfähig geworden, daß Nockemann bereits vermutete, es könnte sich bei der Paralyse um einen der Scherze des Roboters gehandelt haben. Als die drei Entführten noch im Koma lagen, analysierte Blödel das Gift und stellte ein Gegenmittel her. Die Vermutung, Sternfeuers psionisches Schweigen sei eine Folge der Vergiftung gewesen, konnte ebenso bewiesen
werden wie die Beeinträchtigung von Telepathiefähigkeiten durch die Nähe vieler Uzerfoner. Das Rätsel der unbelauschbaren Kommunikation der Karymauner untereinander hatte Insider durch eine rasche Untersuchung des Kommunikationsgerätes von Zymm-Fort lösen können, bevor es sich zerstörte. Sie funktionierte auf der Basis von Funksprüchen auf einer 5-D-Frequenz, ähnlich dem Kontakt der Solaner unter sich, und bei weniger wichtigen Mitgliedern der Organisation durch direkten Kontakt. Atlan hätte ein solches Gerät gern noch zur Verfügung gehabt, um weitere Schlüsse auf die Technologie der Prezzarerhalter ziehen zu können. In dem größten von allen Zelten trafen der Arkonide und sein Team mit dem LinKhan und seinem neuen Beraterstab zusammen. Auch Sanym-Bloo war dabei, den Nockemann und Blödel nach der Genesung des Galakto-Genetikers dem fast sicheren Tod noch entrissen hatten. Auch dafür zeigte Pooch Veletta-Del grenzenlose Dankbarkeit. »Ich hätte niemals glauben können«, sagte der Monarch nach der Begrüßungszeremonie und bei dem unverzichtbaren Festmahl, »daß eine fremde Macht sich auf Uzerfon etablieren und Uzerfoner auf ihre Seite ziehen konnte.« »Kein Karymauner wußte, wer Rypam war, und für wen die Organisation arbeitete«, erinnerte Atlan ihn. »Also wurde der Irrglaube, daß das Betreten Schjepps durch Uzerfoner eine furchtbare Katastrophe nach sich ziehen müsse, von dem Fremden ausgestreut? « fragte Sanym-Bloo. »Es ist nichts als ein Manöver gewesen, um uns daran zu hindern, irgendein Geheimnis zu entdecken?« Geheimnis, dachte Atlan. Schjepp war nun noch geheimnisvoller denn je. Nicht nur, daß Marcoyn weiterhin dorthin gezogen wurde. Nun kamen die Prezzarerhalter direkt ins Spiel. War Rypam ein Bewacher des achten Planeten gewesen? Wenn ja, warum? Welche ungeheure Bedeutung besaß Schjepp für die Prezzarerhalter? »Ihr wolltet von Anfang an dorthin«, sagte der Monarch. »Uzerfon war nur eine Zwischenstation für euch. Natürlich sind wir euch dankbar, daß ihr unsere Welt von einer großen Bedrohung befreit habt. Aber was führte euch überhaupt ins Masilan-System?« Ob die Bedrohung gebannt war, blieb die große Frage. Sie war der Grund für Atlans Entschluß.
»Meine Freunde und ich werden mit unserem Schiff CHYBRAIN aufbrechen, um das Rätsel zu lösen«, umging der Arkonide eine direkte Antwort. »Die FARTULOON bleibt hier zurück, um eventuelle Racheakte der Prezzarerhalter auf Uzerfon zu vereiteln. Ich werde mit nach Schjepp fliegen. Wenn das Geheimnis dieses Planeten gelüftet ist, dürfte auch der friedlichen Zukunft von Uzerfon nichts mehr im Wege stehen.« Alle weiteren Vermutungen und Ahnungen behielt er für sich. Aber er war verantwortlich für das Volk der Körperköpfe. Wären die solanischen Schiffe niemals hier erschienen, hätte Rypam sein Spiel vielleicht für Jahrzehnte oder Jahrhunderte noch weitergetrieben. Nachdem er die Prezzarerhalter nun informiert hatte, konnte das Masilan-System zum Schlachtfeld werden – aus Gründen, die es herauszufinden galt. »Die FARTULOON bleibt hier und wird euch schützen«, wiederholte Atlan. »Und ganz gleich, was nun unser Vorstoß nach Schjepp ans Tageslicht bringen mag – die Positronik der FARTULOON wird alle Daten in eure Computer überspielen, die ihr benötigt, um die interstellare Raumfahrt zu entwickeln, bevor euer Planet stirbt.« Sanym-Bloos fünf Augen leuchteten. Er hob einen Becher und brachte einen Trinkspruch aus. Auf die Solaner. Auf die Zukunft der Uzerfoner. Auf das neue Raumfahrtprogramm. Der Monarch überging diese Anmaßung gnädig. Er ahnte nichts von den Gedanken, die Atlan bewegten, und nichts von der Macht der Prezzarerhalter. Auch er fand einen Grund für einen Trinkspruch. Atlan war in Gedanken schon auf der CHYBRAIN. Und er hütete sich, dem Wein noch einmal zuzusprechen. Auch Nockemann übte sich aus guten Gründen in Abstinenz. Eine von so vielen Welten, auf denen wir Station machen mußten, dachte der Arkonide verbittert. Ein Planet und ein unschuldiges Volk, das in den kosmischen Plänen anderer Mächte nur eine Statistenrolle spielt. Und es soll keinen Schaden erleiden! Auch deswegen müssen wir das Rätsel lösen! Eine wichtige Spur der Prezzarerhalter war gefunden. Man konnte es auch andersherum sehen. Die Prezzarerhalter waren nun auf die Solaner aufmerksam geworden. Die SOL lag noch auf Anterf fest. Konnten die beiden Schiffe des Atlan-Teams mit der drohenden Gefahr fertig werden? Das Festmahl endete diesmal ohne Kater. Dennoch war die Stimmung des Arkoniden düster, als er sich auf den Weg zur CHYBRAIN machte.
ENDE