Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 228
Die Seelenheiler Der Kristallprinz auf Perpandron - er sucht eine Chance für den ...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 228
Die Seelenheiler Der Kristallprinz auf Perpandron - er sucht eine Chance für den lebenden Toten von Peter Terrid Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, die in ihrer Habgier und Korruption das Gemeinwohl völlig au ßer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmu tigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orba naschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va ters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits mehrmals erfolg reich zum Einsatz gelangte. Aber Gonozal, der ehemalige Imperator, ist im wahrsten Sinne des Wortes nur ein lebender Toter, eine Marionette ohne Geist und Seele. Um Gonozals Körper wieder echtes Leben einzuhauchen, bedarf es eines Wunders. Und dieses Wunder, so er hofft sich Atlan, könne auf dem Planeten Perpandron vollbracht werden, denn dort le ben DIE SEELENHEILER …
Die Seelenheiler
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz besucht die Welt der Goltein-Heiler.
Ra und Karmina Arthamin - Atlans Begleiter.
Gonozal VII. - Ein Patient verschwindet.
Galur Paro - Ein junger Mann, der Angst hat.
Dargar Thal und Klemir-Theron - Zwei Seelenärzte von Perpandron.
1. Galur Paro hatte Angst. Furcht quälte ihn, als das kleine Schiff aus dem Hyperraum fiel und Kurs auf den Pla neten nahm. Auf den Tastern zeichnete sich Perpandron ab. Galur Paro betrachtete be klommen das Bild der Instrumente. Er hatte Angst vor dem, was auf ihn wartete, Angst vor der Möglichkeit, daß auch diese letzte Hoffnung vergeblich war, daß er mit seiner privaten Hölle würde weiterleben müssen. »Ich habe Angst«, sagte der junge Mann leise. Er war Pilot und Passagier zugleich. Au ßer ihm gab es kein lebendes Wesen an Bord der schnellen, schlanken Jacht. Die Ge räusche, die die kleine Pilotenkanzel erfüll ten, stammten von den Maschinen des Schif fes, seinem hastigen Atem und – nur für ihn hörbar – dem Hämmern seines von Furcht angetriebenen Herzens. Angst war es gewesen, die Galur Paro nach Perpandron getrieben hatte. Er hoffte, hier endlich diese Angst vergessen, für im mer zurücklassen zu können. Aber er fürch tete sich auch davor, ein völlig neues Leben beginnen zu müssen. Seit er bewußt denken konnte, war Galurs Leben von Angst bestimmt worden. Ihm selbst war erst sehr spät klar geworden, daß er nicht mehr Herr seiner Entschlüsse war, daß die Furcht, die tief in seinem Innern wurzelte, ihn leitete und führte, sein Leben einschnürte und beengte. Galur hatte alles versucht, um diesem lautlosen Würgegriff zu entkommen, aber die Angst war stärker gewesen. Dies war Galurs letzte Chance für ein Leben als freier Mann. Perpandron kam langsam näher. Ein Pfeifen aus dem Inter
kom belehrte Galur Paro darüber, daß er von der planetaren Ortung erfaßt worden war. Galur schob den schmalen Plastikstreifen, den man ihm auf Arkon gegeben hatte, in den Schlitz an der Seite des Funkgeräts. Er vermutete, daß auf der Karte ein Signal vor programmiert war, das seine Ankunft auf dem Planeten ankündigte und die Kontrol leure davon überzeugte, daß der Ankömm ling kein Ungebetener war. »Wir empfingen das Signal«, klang eine Stimme aus dem Lautsprecher. »Landen Sie auf dem Nebenfeld, das wir Ihnen bezeich nen werden. Überlassen Sie den Landean flug dem Autopiloten. Er wird Sie sicher ab setzen. Ende!« Unwillkürlich nickte der junge Mann, erst dann wurde ihm bewußt, daß man ihn über haupt nicht sehen konnte. Gehorsam befolg te Galur die Anweisungen, die ihm gegeben worden waren. Langsam senkte sich die Jacht auf den Planeten herab. Es war warm in der Kanzel der Jacht, aber Galur Paro begann zu frösteln. Ihn bedrück te das Bewußtsein, daß er jetzt keine Chance mehr hatte, dem Unausweichlichen zu ent gehen. Die Automatik würde ihn auf dem Planeten absetzen, und Galur hatte nicht die leiseste Vorstellung, was man dann mit ihm machen würde. Galur zog die pelzgefütterte Jacke enger um die Schultern. Die Automatik brachte die Jacht sanft dem Boden des Planeten näher. Galur konn te sehen, daß er bei weitem nicht der einzige war, der Hilfe auf Perpandron suchte. Über all starteten und landeten Schiffe, mal kleine Fahrzeuge wie das von Paro, aber auch Großraumschiffe, die tausend und mehr Pas sagiere transportieren konnten. Galur fragte sich, wie viele der Hilfesuchenden wieder gesund den Planeten verlassen mochten.
4 »Ein Trockendock für menschliche Wracks!« stellte Galur bitter fest. Ein leichter Ruck ging durch den Rumpf der Jacht, als das Schiff behutsam vom Au topiloten auf dem Landefeld abgesetzt wur de. »Sie können das Schiff verlassen«, wurde Galur informiert. »Wir wünschen einen an genehmen Aufenthalt!« »Witzbolde!« schimpfte Galur. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sich irgend jemand auf einen Besuch Perpan drons freute. Das Traktorfeld der Schleuse nahm Galur auf und setzte ihn sanft auf dem Boden des Landefelds ab. Es war heiß, die Sonne stand fast senkrecht über dem Beton des Feldes. Ein angenehm trockener Wind wehte über die Schiffe und Menschen, die sich zwi schen den Schiffen bewegten. Ein Gleiter kam beutesuchend näher, und Galur winkte. Der Fahrer hielt an und ließ Galur einstei gen. »Sie sind zum ersten Mal auf Perpan dron«, stellte der Mann fest. Galur setzte sich auf einen freien Platz und machte ein verdrossenes Gesicht. »Hier ist wohl jeder eine Art Seelen schnüffler«, behauptete er. »Man bekommt so seine Erfahrungen«, sagte der Fahrer. »Ich hole seit zwanzig Jah ren die Patienten vom Landefeld ab und bringe sie zu den Kliniken. Wenn man eine solche Arbeit so viele Jahre lang macht, dann weiß man ziemlich bald, wen man vor sich hat. Habe ich recht?« »Ja«, bestätigte Galur unwillig. »Ich bin zum ersten Mal hier!« »Machen Sie sich keine Sorgen«, meinte der Fahrer freundlich. »Was auch immer Sie bedrücken mag, hier werden Sie Hilfe und Heilung finden. Es gibt nichts, was man hier nicht könnte!« Der Mann fuhr schnell und geschickt. Galur fand kaum Zeit, sich näher umzuse hen. Die Straßen waren von Gleitern fast verstopft, und überall gingen Menschen. Manche schlurften mit hängenden Schultern,
Peter Terrid andere wiederum sahen sich oft um, als suchten sie nach etwas. Galur spürte, daß er in eine Welt geraten war, die mit normalen Maßstäben nicht mehr gemessen werden konnte. Mehr als neunzig Prozent der Men schen, die diesen Planeten bevölkerten, wa ren mehr oder minder erkrankt. Das Be drückende daran war, daß diese Krankheiten lange Zeit nicht erkannt worden waren und sich verschlimmert hatten, bis es in der ge samten bekannten Galaxis nur noch einen Platz gab, an dem die Möglichkeit bestand, die Krankheiten zu heilen – eben Perpan dron. Wer hier ohne Heilung abflog, dem konnte niemand mehr helfen. »In welcher Klinik werden Sie unterge bracht?« wollte der Fahrer wissen. Galur zuckte mit den Schultern. »Aber Sie werden doch wenigstens Ihren persönlichen Heiler kennen!« »Mir wurde gesagt, ich solle mich bei Dargai Thal melden!« »Ein guter Mann, ein sehr guter sogar. Ich würde behaupten, daß Thal einer der besten Heiler ist, die Perpandron je gesehen hat. Ich bin sicher, er wird Ihnen helfen können. Es wird allerdings nicht ganz billig sein!« »Geld spielt keine Rolle!« erklärte Galur. Es spielt keine Rolle, dachte er. Wenn ich von allen Gütern so viel hätte, wie ich an Geld besitze, brauchte ich diesen Planeten und seine obskuren Heiler nicht. Und hätte ich das Geld nicht, wäre ich auch nicht hier. »Wir sind am Ziel«, erklärte der Fahrer. Galur stieg aus, bezahlte die Fahrt und gab ein ansehnliches Trinkgeld. Während sich der Gleiter rasch entfernte, betrat Galur das Gebäude. Im Innern des Hauses war es angenehm kühl. Instinktiv zog Galur prü fend die Luft durch die Nase, aber der typi sche Geruch nach Krankenhaus fehlte. In der Eingangshalle gab es einen Informati onsschalter. Der Robot erklärte Galur, wo er Dargai Thal finden konnte. Galur spürte, wie seine Hände feucht wurden, als er den Gang entlangschritt. Wieder überfiel ihn die Angst und ließ sein Herz schneller schlagen.
Die Seelenheiler
5
* »Sie haben also Angst?« erkundigte sich der Heiler. Galur nickte. Angst war auch jetzt das vorherrschende Gefühl. Sie war nicht so schlimm wie sonst, aber greifbar und gegenwärtig. Angst, ver mischt mit der Hoffnung, daß er sich ihrer hier würde endgültig entledigen können. Galur sah den Mann genau an. Dargai Thal war noch relativ jung. Er konnte schwerlich älter als vierzig Ar konjahre alt sein. Das Gesicht war gleichmä ßig geschnitten, fiel durch kein besonderes Merkmal auf. Die Augen blickten freund lich, interessiert, aber auch zurückhaltend. In gewisser Weise fühlte sich Galur geborgen, gleichzeitig suchte er nach einem Weg, die sem Gespräch zu entrinnen. Galur wußte, daß er das, was er für seine absolut privaten Geheimnisse hielt, diesem Mann nicht allzu lange vorenthalten konnte. Irgendwann wür de das Gespräch – und diese Unterhaltung war nicht mehr als ein Vorgeplänkel – auf die Themen kommen, die Galur nicht zu be rühren wünschte, die aber gleichzeitig Kern punkt seiner Welt waren. »Wovor?« Galur biß sich auf die Lippen. Der junge Mann konnte nicht erkennen, was sich hinter der Stirn seines Gegenübers abspielte. Dar gai Thal sah ihn nur an und wartete geduldig auf eine Antwort. Was sollte Galur dem Hei ler sagen, welche Antwort traf wirklich zu? »Unter anderem auch davor, mit mir dar über zu sprechen?« Galur nickte. »Hören Sie zu! Es gibt viele Heiler auf Perpandron und viele Methoden zu heilen. Wenn mein Verfahren Ihnen nicht hilft oder zusagt, dann steht es Ihnen selbstverständ lich frei, sich für einen anderen Heiler zu entscheiden. Ich bin sicher, daß wir auch Ih nen werden helfen können. Es fragt sich nur, welches Verfahren wir anwenden. Meine Methode ist langwierig, kompliziert und an
strengend, sowohl für mich als auch für den jeweiligen Patienten. Dafür aber biete ich als Heilung einen hundertprozentigen Erfolg an. Versprechen kann ich allerdings nichts!« »Ich …« »Ja?« Galur stockte. »Sie wollen mir etwas sagen, aber irgend etwas hindert Sie daran. Wir werden diesem Etwas auf die Spur kommen. Aber dazu brauche ich, mehr als alles andere, Ihre Mit arbeit. Wenn Sie nicht gewillt sind, hart an sich zu arbeiten, können Sie diesen Raum sofort wieder verlassen. Ich erwarte von Ih nen, daß Sie mir auf jede meiner Fragen die Antwort geben, die der Wirklichkeit am nächsten kommt. Wenn dieses Etwas, das Sie bedrängt, sich einmischt und Ihnen den Mund verbieten will, dann sagen Sie mir auch das. Und jetzt füllen Sie bitte diesen Fragebogen aus!« Dargai Thal schob Galur einen bedruck ten Bogen hinüber. Er enthielt genau ein hundert Fragen; daneben konnte Galur an kreuzen – stimmt, stimmt nicht. Manche der Fragen erschienen Galur ziemlich merkwür dig: Nach einer Party habe ich oft Lust, mit den anderen noch Leute zu ärgern. Galur grinste und kreuzte an: stimmt. Andere Fra gen schienen auf Galurs Schwierigkeiten recht gut zugeschnitten: Ich bekomme vor bestimmten Ereignissen leicht Lampenfieber und körperliche Unruhe. Auch das traf zu. Vor allem der erste Satz bereitete Galur Vergnügen. Ich habe die Anleitung gelesen und bin bereit, jeden Satz offen zu beantwor ten. Galur verneinte ohne Zögern. Als er alle einhundert Sätze bestätigt oder verneint hat te, gab er den Bogen an Thal zurück. Der Heiler sah auf die Uhr, aber Galur konnte nicht erkennen, welche Folgerungen Thal daraus zog. Hatte er zu flüchtig gearbeitet? Thal studierte den Bogen kurz, dann sah er wieder auf. »Haben Sie schon früher einmal ein sol ches Persönlichkeits-Inventar gesehen oder ausgefüllt?« Galur verneinte sofort.
6 »Sie scheinen ziemlich ehrlich zu sein, und das ist gut so!« stellte Dargai Thal fest. Er bemerkte Galurs fragenden Blick und er klärte: »In jedem Test dieser Art werden soge nannte Lügen-Items eingebaut. Das sind Fragen, die jeder Patient, ja auch jeder Golt ein-Heiler in einer ganz bestimmten Art und Weise beantworten muß, wenn er ehrlich ist. Der Mann, der behauptet, er habe noch nie in seinem Leben gelogen, müßte ein Heili ger sein, wenn das der Wahrheit entspräche – und Heilige pflegen uns für gewöhnlich nicht aufzusuchen. Jeder Mensch, ob Patient oder Heiler, hat in seinem Leben bestimmt einmal etwas getan, für das er sich geschämt hat oder sich hätte schämen müssen. Wer ei ne solche Frage verneint, zeigt uns damit, daß er nicht zur offenen Zusammenarbeit bereit ist, und das erschwert den Fall be trächtlich oder führt zum Abbruch der Be handlung. Ich habe Ihnen dieses Spielchen nur vorgeführt, um Ihnen klarzumachen, daß Sie mich nicht werden täuschen können. Versuchen Sie es besser gar nicht erst!« »Ich habe nichts dergleichen vor«, be hauptete Galur Paro, aber an der Miene des Heilers war nicht abzulesen, ob er an dieser Behauptung zweifelte oder nicht. »Wollen wir sofort anfangen?« fragte Thal knapp. »Oder ziehen Sie es vor, sich erst einmal einzuleben, andere Patienten kennenzulernen oder – was ich bei Ihnen eher annehme – versuchen, sich mit ein schlägiger Fachliteratur zu versehen und sich in die Materie einzulesen?« »Woher wollen Sie das wissen?« erkun digte sich Galur betroffen. Die Diagnose des Heilers hatte präzise gestimmt. »Sie haben Angst«, stellte Thal gelassen fest. »Sie hassen es, wenn Sie einen Sach verhalt oder ein Problem nicht vollkommen im Griff haben. Ich bin mir ziemlich sicher, daß Sie auch versuchen werden, Ihre Be handlung jederzeit im Griff zu haben. Es liegt nahe, daß Sie versuchen werden, mei nen Informations- und Kenntnisvorsprung auszugleichen, um sich selbst behandeln zu
Peter Terrid können – damit kämen Sie um etliche Ein sichten und peinliche Eingeständnisse her um, glauben Sie jedenfalls!« »Volltreffer«, sagte Galur Paro und ver suchte ein Lächeln. Es mißlang. Galur stand auf, gab dem Heiler die Hand und wollte das Zimmer verlassen. Thal hielt ihn auf der Schwelle zurück. »Übrigens«, sagte der Heiler beiläufig, »wußten Sie, daß unsere planetare Abwehr jeden abschießt, der sich nicht einwandfrei ausweisen kann?« Galur schüttelte den Kopf. »Haben Sie sich vor dieser Gefahr ge fürchtet, als Sie Ihre Jacht auf Perpandron zusteuerten?« »Ich habe keinen Gedanken daran ver schwendet«, gestand er. »Sehen Sie«, meinte Thal lächelnd. »Da haben Sie Ihr Problem! Auf Wiedersehen!« Völlig verwirrt verließ Galur Paro das Zimmer des Heilers. Wie benommen schritt er durch die Gänge und Korridore und such te sein Zimmer auf.
* Die große Anlage der Goltein-Heiler war unerhört weitläufig. Es gab Dutzende von Spezialkliniken und Sonderabteilungen. Je der Heiler, vor allem die prominenten, unter hielten zusätzlich Privatstationen, in denen sie besonders interessante oder extrem schwierige Fälle einquartierten, um sie stän dig unter Kontrolle zu haben. Dargai Thal hatte sich dazu entschlossen, Galur in seiner Privatstation einzuquartieren. Galur hatte ei nige Mühe, sein Zimmer zu finden. Er ge nierte sich, einen der zahlreichen Assisten ten anzusprechen und sich nach dem Weg zu erkundigen. So benötigte Galur fast eine hal be Stunde, bis er endlich den Raum gefun den hatte, in dem er die nächste Zeit verbrin gen würde, von der er noch nicht wußte, wie lang sie war. Hätte Galur Paro gewußt, daß es Patienten gab, die manchmal jahrelang behandelt wurden, er hätte auf der Stelle kehrtgemacht und wäre wieder abgeflogen.
Die Seelenheiler Die abschließende Bemerkung des Heilers gab Galur noch zu denken, als er die rechte Hand mit der Innenfläche auf das Wärme schloß preßte und sich Sekunden später die Tür öffnete. Galur wurde sofort nervös, als er den jun gen Mann sah. Es handelte sich ganz offenkundig um einen zweiten Bewohner des gleichen Zim mers. Galur sah das zweite Bett und darauf den dunklen Haarschopf des jungen Mannes, der ihm interessiert entgegensah. »Herzlich willkommen«, sagte der junge Mann und stand vom Bett auf. »Ich heiße Borga Kontai!« »Galur Paro!« stellte Galur sich vor. »Aha«, machte Borga. »Und was ist deine Macke?« »Bitte?« »Ich sehe schon, ein Grünschnabel. Noch völlig auf dem Ego-Trip. Ich will wissen, was dich hergebracht hat.« »Meine Jacht!« erklärte Galur abweisend und stellte die Tasche auf das Bett. Das Zimmer war groß genug für zwei Personen und ansprechend möbliert. Die Fenster lagen auf der Rückseite und wiesen auf den ge pflegten Park hinter dem Gebäude. »Heilige Phobie«, seufzte Borga auf. »Ein Komiker. Die Tour kannst du dir sofort ab gewöhnen, da mache ich nicht mit. Wir wer den vermutlich einige Monate, vielleicht Jahre zusammen hausen. Irgendwie werden wir uns zusammenraufen müssen, und wenn wir uns dabei gegenseitig die Nasenbeine zertrümmern müssen. Also sprich vernünftig mit mir.« Borga stand auf und ging zu Galur hin über. »Laß nur. Das schaffst du ohne Hilfe nicht. Es gibt da ein paar Tricks, wie man in diese Kleiderschränke ein Maximum an Kleidung hineinpackt. Du wirst noch Zeit brauchen, bis du soweit bist!« Galur fühlte sich überfordert. Mit weni gen Sätzen hatte Borga Kontai ihn überrollt und die Initiative völlig an sich gerissen. Wenn Galur sich nicht bald dagegen zur
7 Wehr setzte, würde er in ein paar Wochen völlig unter der Kontrolle seines Mitbewoh ners stehen. »Mach nur«, ermunterte Galur den jungen Mann. »Ich habe mir schon immer ge wünscht, einen Psychopathen als Diener zu haben!« Borga verhielt in der Bewegung, dann drehte er sich zu Galur um und grinste. »Gut gekontert. Scheinst doch nicht so übel zu sein.« An der Tür klickte es vernehmlich. Galur sprang auf. »Keine Aufregung, Bruder«, sagte Borga grinsend. »Offenbar beginnt die große Show schon jetzt. Sie haben uns eingeschlossen!« Während Galur sich verwirrt umsah, packte Borga rasch und geschickt die weni gen Habseligkeiten Galurs in den Schrank. Galur sah ihm interessiert zu und stellte fest, daß er bei erheblich größerem Zeitaufwand mehr als doppelt soviel Platz gebraucht hät te. »Warum hat man uns eingeschlossen?« wollte Galur wissen. »Druck«, lautete Borgas einfache Ant wort. »Sie setzen uns unter Druck. Wir wer den erst wieder befreit, wenn wir genug ge leistet haben.« Galur setzte sich auf das Bett und schüt telte den Kopf. »Ich komme nicht mit«, gestand er. »Was soll das alles?« Borga verschloß den Schrank und setzte sich auf sein Bett, so daß er Galur ansehen konnte. »Es ist alles ganz einfach, Galur. Ich wer de von jetzt an genau darauf achten, was du tust oder sagst. Und bei jedem Wort und je der Handlung werde ich versuchen heraus zufinden, was dahintersteckt. Ich werde in deiner Psyche ein wenig herumbohren und wühlen – solange du nicht einen Hinweis bei mir findest, bei dem du nachhaken und mich in Verlegenheit bringen kannst. Erst wenn die Männer, die uns fortgesetzt beobachten, genug erfahren haben, werden sie die Tür wieder öffnen. Wir können uns natürlich
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Peter Terrid
einstweilen stundenlang über das Wetter un terhalten. Niemand wird uns daran hindern. Aber irgendwann werden wir wohl oder übel zu heikleren Themen übergehen müssen. Du kannst von Glück sagen, daß man dich nur mit mir eingeschlossen hat. Manchmal sit zen bis zu zehn Leute beieinander und fallen über einander her. Kannst du dir vorstellen, wie angenehm es ist, wenn die alle über dich herfallen würden? Sie tun es nicht aus Bös artigkeit, sie tun es nur, um zu verhindern, daß sie selbst derartig zerpflückt werden.« »Und wenn ich nicht will?« »Dann stehst du auf, packst deine Sachen und gehst. Man wird dir öffnen, aber damit erklärst du deine Therapie als gescheitert.« Galur zuckte mit den Schultern, dann stand er auf und ging zum Schrank hinüber. »Eine Warnung noch«, sagte Borga so fort. »Wenn du glaubst, daß ich dir zusehe, wie du deine Sachen packst und dann im entsprechenden Augenblick sagst, du solltest doch vernünftig werden und dich wieder set zen – das gibt es hier nicht. Erpressungsma növer dieser Art verfangen hier nicht. Wer diese Prozedur einige Male durchexerziert hat, kennt so ziemlich alle einschlägigen Manöver, die es gibt!« Galur sah sich zum wiederholten Male durchschaut. Das Bedrückende daran war, daß seine Verhaltensweisen so leicht zu ent schlüsseln waren. Galur hatte gedacht, daß er eine Persönlichkeit sei, einmalig und nicht zu wiederholen. Jetzt mußte er feststel len, daß selbst Patienten offenbar in der La ge waren, seine Reaktionen und Gefühle vorherzusagen, als hätten sie selbst ihn da mit programmiert. »Hock dich hin, damit wir anfangen kön nen!«
2. Wieder einmal waren wir knapp davonge kommen. Die ISCHTAR hatte das Stützpunktsy stem verlassen, gerade noch rechtzeitig. Wem wir letztlich diese verzweifelte Flucht
und unsere Rettung zu verdanken hatten, war für jeden an Bord klar. Karmina Arthamin, die junge Sonnenträ gerin, stand neben mir in der Zentrale. Ihre kühl wirkenden Augen verfolgten scheinbar unbeteiligt, was sich in der Zentrale des Schiffes abspielte, aber ich wußte genau, daß ihr kein noch so geringer Fehler entgan gen wäre, anderenfalls wäre sie niemals mit der höchsten Würde belohnt worden, die das Große Imperium zu vergeben hatte. Ich konnte beruhigt sein. Karmina würde nichts finden, was wert gewesen wäre, kriti siert zu werden. Dafür war Kejt Argalth ein viel zu guter, umsichtiger Kommandant. Daß sich der Tonfall an Bord der ISCHTAR beträchtlich von den Umgangsformen an Bord arkonidischer Schlachtschiffe unter schied, war nicht weiter verwunderlich. Im merhin waren diese Männer freiwillig hier und setzten für Arkon und mich ihr Leben aufs Spiel. Unsere Lage brachte es zwangs läufig mit sich, daß zwar das Nötige rasch und präzise getan wurde, aber für die flot tenüblichen Disziplinübungen, die haupt sächlich dazu dienten, das Selbstwertgefühl einiger Offiziere zu erhöhen, war an Bord der ISCHTAR kein Platz. Ich war mir nicht ganz sicher, ob dieser leicht saloppe Um gangston die Billigung der Sonnenträgerin finden würde. Zufällig sah ich in Karminas Gesicht, als der etwas zu temperamentvolle Stellvertreter des Kommandanten, Jedim Kalore, dem Bildschirm eine Nase drehte, auf dem vor kurzer Zeit noch der Stützpunkt Vayklon im Xallish-System zu sehen gewe sen war. Das hätte vielleicht noch hinge nommen werden können, aber als er dann auch noch ein vernehmliches »Ätsch!« hö ren ließ, war die Grenze dessen überschrit ten, was man an Bord eines Arkonschiffes üblicherweise duldete. Jeder normale Kom mandant hätte Kalore wegen grober Diszi plinlosigkeit vor ein Bordgericht gebracht – Kejt Argalth ließ es aber mit einem verwei senden Blick des Tadels genug sein. In Karminas Gesicht rührte sich nichts. Erst nach einigen Sekunden sagte sie:
Die Seelenheiler »Die Umgangsformen an Bord dieses Schiffes erscheinen mir ziemlich locker, aber vielleicht gehört dies zur Atmosphäre eines Rebellenschiffs!« »Wir sind schon ein fröhlicher Haufen«, bestätigte Jedim Kalore frech. »Sie sollten uns erst einmal sehen, wenn wir einen großen Passagierraumer überfallen, plündern und die vielen hübschen Mädchen ver schleppen!« Er grinste Karmina an und leckte sich die Lippen. Die Sonnenträgerin war nicht aus der Fas sung zu bringen. »Daß Sie sich für kleine Mädchen interes sieren, begreife ich, Jedim Kalore. Für eine erwachsene Frau würde Ihr infantiler Char me wohl kaum ausreichen!« Wäre dieses kleine Duell mit Fäusten aus getragen worden, hätten wir Kalore nun aus zählen müssen. Fartuloon lachte, daß sein Panzer schepperte, sogar Kejt Argalth schmunzelte, während Jedim Kalore es vor zog, sich wieder intensiv um seine Instru mente zu kümmern. »Wo sind wir eigentlich?« wollte ich wis sen. »System Teifconth«, berichtete Kalore so fort. »Die Sonne ist gelb, hat sieben Plane ten, von denen der vierte bewohnt ist. Er trägt den Namen Perpandron!« Fartuloon ließ ein unwilliges Brummen hören. Ich drehte mich zu dem dicken Bauchaufschneider herum. »Gibt es auf Perpandron irgend etwas Be sonderes?« wollte ich wissen. »Deinem Ge sichtsausdruck nach zu schließen, muß sich der Planet durch die schlechteste Küche der bekannten Galaxis auszeichnen.« »Er ist nämlich überaus genußsüchtig, un ser Fartuloon«, ergänzte Kalore schnell. Vorsichtshalber beugte er sich bei diesen Worten tief über seine Instrumente. »Unverschämtheit«, entrüstete sich Fartu loon. »Ich esse nur soviel, damit der Kri stallprinz keine Gelegenheit hat, Speck an zusetzen!« »Rührend, wie sich die Männer aufop
9 fern!« Der spitzzüngige Kommentar kam von Karmina, die damit ein weiteres Wortge plänkel schnell unterband. »Perpandron ist die Hauptwelt der Golt ein-Heiler«, erklärte Fartuloon. Er machte ein Gesicht, als handele es sich dabei um ei ne militante Templerenzler-Sekte. Mein fo tografisches Gedächtnis lieferte mir rasch die Fakten, die über die Heiler und ihre Welt gespeichert waren. Da nur wenige an Bord in den Genuß der Aktivierung dieses Teils des arkonidischen Gehirns gekommen wa ren, übernahm Fartuloon die Aufgabe, die Besatzung der Zentrale über Perpandron zu informieren. »Die Goltein-Heiler sind eine Gruppe von Seelenärzten, die überall auf Arkon ihr Un wesen treiben. Obwohl ihre Methoden sehr umstritten sind, haben sie dennoch auf den Arkon-Welten einen erstaunlich guten Ruf.« »Was an ihren Methoden ist denn so um stritten?« fragte Jedim Kalore. Fartuloon verzog das Gesicht. »Es heißt, daß die Goltein-Heiler alles Böse und Belastende aus den Seelen ihrer Patienten entfernen und förmlich sammeln. Alles Negative übernehmen sie und tragen es auf Perpandron zusammen. Ich möchte dazu vermerken, daß es eine Geisteskrank heit nur in zweierlei Form gibt – einmal als abstrakten Begriff, der in Wörterbüchern steht, zum anderen als Krankheit, die von ih rem Patienten nicht zu trennen ist. Ich halte es für absoluten Unfug, wenn behauptet wird, man könne Wahnsinn einem Patienten entnehmen wie ein Organ und an schließend transportieren. Eine Geistes krankheit ist entweder hirnorganisch bedingt oder idiopathisch!« »Was, bitte, heißt idiopathisch?« wollte ein Mann wissen. »Es bedeutet, daß die Ärzte keine Ahnung davon haben«, kommentierte Jedim Kalore. »Übrigens: wir kennen Körper ohne Be wußtseine, die dennoch leben. Warum sollte es dann nicht auch ein real vorhandenes Be wußtsein geben, das unabhängig vom Kör
10 per existiert?« »Mag sein«, räumte Fartuloon ein. »Mich stört einfach das Theater, das die GolteinHeiler spielen. Die meisten ihrer Patienten müssen anschließend den festen Glauben ha ben, durch magische, geheimnisvolle Kräfte geheilt worden zu sein. Und die Heiler tun nichts, um diesem Unfug Einhalt zu gebie ten – im Gegenteil, sie fördern ihn nach Kräften. Und was ihre Heilungserfolge an geht, die können mit anderen Hilfsmitteln ohne Scharlatanerie erzielt werden. Ganz ab gesehen davon: Man stelle sich vor, an Bord dieses Schiffes gebe es eine Fehlschaltung im Bordgehirn, das daraufhin verrückt wird. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß ein fähiger Mann die Schaltung ausfindig macht und den Fehler korrigiert. Dazu wird er die einzelnen Teile so schalten, wie es technisch sinnvoll und korrekt ist. Nachher ist aber die Fehlschaltung als solche verschwunden. Der Mann wird sie unmöglich aufheben und mit nehmen können!« »Es sei denn, er baut die schadhafte Stelle ganz aus und fügt ein neues, korrekt arbei tendes Teil an die Stelle des alten ein«, gab ich zu bedenken. »Das mag sein«, knurrte Fartuloon. »Auf die Goltein-Heiler übertragen, wür de dies bedeuten, daß der Heiler seinem Pa tienten ein Stück seines Charakters förmlich abnimmt, dafür ein neues Stück Seele ein baut – das erscheint mir mehr als absonder lich.« Auf der einen Seite erschienen mir seine Argumente ziemlich einleuchtend zu sein, auf der anderen Seite ließ der Tonfall, in dem Fartuloon sprach, die Vermutung zu, daß er aus irgendeinem Grund von einem Vorurteil den Heilern gegenüber besessen war. »Mein Onkel war einmal in der Behand lung eines Goltein-Heilers«, bemerkte Kar mina plötzlich. »Es hat ihm sehr geholfen, und wenn ich mich recht erinnere, dann war auch der Imperator einmal Patient eines Hei lers!« »Information richtig!« gab das fotografi-
Peter Terrid sche Gedächtnis bekannt. Fartuloon machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist für uns nicht weiter von Interes se«, behauptete er. Ich mußte unwillkürlich lächeln. Einen besseren Beweis für seine Befangenheit hät te mir Fartuloon kaum liefern können. »Ich bestehe darauf, daß du von der Sache erzählst, Fartuloon. In unserer Lage kann je de noch so kleine Information bedeutungs voll werden!« Fartuloon bedachte mich mit einem bitter bösen Blick. Ich begriff, daß er für die Golt ein-Heiler ein Gefühl der Eifersucht emp fand. Offenbar hatte er es mit seiner ärztli chen Standesehre nicht vereinbaren können, daß mein Vater einmal nicht seinem Rat ge folgt war, sondern sich – nach Fartuloons Ansicht – in die Hände von Quacksalbern und Scharlatanen begeben hatte. »Wenn es sein muß«, knurrte der Bauch aufschneider …
* Seine Erhabenheit war wütend. Hätte man die Türen im Kristallpalast zuschlagen kön nen, der Imperator hätte sie genußvoll mit großem Lärm in die Fassungen geworfen. Hinter dem Imperator schloß sich fast laut los das schwere Portal. Die große, mit zahl reichen Reliefs führender Künstler versehene Stahlplatte bewegte sich auf winzigen Energiefeldern, die ein fast reibungsfreies Gleiten ermöglichten. »Weibervolk!« schimpfte der Imperator. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, während er durch die menschenlee ren Gänge in seinen Wohnbereich zurück ging. Dort angekommen, stürzte er zuerst einen großen Becher eines erfrischenden Saftes hinunter, dann setzte er sich mit miß mutigem Gesicht hinter den Tisch, der mit Datenstreifen und Dokumenten übersät war. An der Stirnwand des Raumes waren mehr als ein Dutzend Bildschirme zu sehen, von denen über die Hälfte eingeschaltet war.
Die Seelenheiler »Admiral Arbai!« rief der Imperator laut. »Was gibt es?« Auf einem der Bildschirme zuckte ein ho her Offizier zusammen und drehte sich um. Er suchte nach dem Objektiv der Kamera. Erst als er seinerseits das Bild des Impera tors erkennen konnte, begann er zu spre chen. »Erhabener, ich habe eine Meuterei zu melden!« Der Admiral machte eine kurze Pause, während der Imperator die Augen schloß und leise seufzte: »Schon wieder?« »Es handelt sich um die Besatzungen ei nes Geleitzugs!« berichtete der Admiral. An seiner Miene war zu erkennen, daß es sich nicht um eine jener kleinen Meutereien han delte, wie sie in einer so großen Flotte wie der Arkons an der Tagesordnung waren. »Die Männer fordern, daß der Konvoi mehr Begleitschutz erhält. Ich habe vergeb lich versucht, den Männern klarzumachen, daß wir zunächst Palua mit ausreichend Ge rät versorgen müssen, damit wir genügend Erz fördern können, um das Metall für neue größere und bessere Schiffe zu bekommen. Erst dann, habe ich den Männern erklärt, könne man wieder Geleitzüge von Dutzen den von schweren Einheiten begleiten las sen, früher nicht!« Der Admiral stockte. »Sind Sie krank, Erhabener?« Der Imperator schüttelte langsam den Kopf, dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und setzte jenes zuversichtliche Lä cheln auf, das er immer zeigen mußte, wenn die Lage kritisch wurde. Zuversicht, das war das, was die Offiziere und Mannschaften brauchten. Ein Imperator, der sich müde oder verzagt gezeigt hätte, wäre eine Gefahr ersten Grades für die Disziplin der Flotten besatzungen gewesen. Solange der Impera tor, der die besten nur denkbaren Informa tionen hatte, zuversichtlich lächelte, war der scheinbar endlos lange Krieg gegen die Me thanatmer zu gewinnen. Und er mußte ge wonnen werden, sonst war Arkon verloren.
11 Zu viele Opfer hatte das Schlachten im Raum schon gekostet, als daß eine der Par teien sich mit weniger als der völligen Ver nichtung des Gegners zufriedengegeben hät te. »Sprechen Sie weiter, Admiral. Können Sie dem Konvoi Geleitschutz geben?« »Ich kann, allerdings müßte ich dazu eine Flanke in bedrohlicher Art und Weise schwächen.« Der Imperator zitierte eine alte Kriegs weisheit: »Wer alles verteidigen will, verteidigt am Ende gar nichts mehr. Können Sie eine Ver bindung zu den Meuterern herstellen?« »Es wird nur wenige Sekunden dauern!« Der Blick des Imperators flog rasch und routinemäßig über die anderen Bildschirme. Auf einem der Monitoren strebten gerade zwölf große Schlachtschiffe in den nacht dunklen Himmel über Arkon III. Es war ein beeindruckendes Bild von Kraft und militä rischer Stärke. Es verlor an Eindruckskraft bei den Menschen, die schon Dutzende, manchmal gar Hunderte solcher Schiffe aus geglüht durchs All hatten treiben sehen. Der Imperator preßte die Fingerspitzen an den Kopf und massierte die Schläfen. »Ich möchte schlafen«, murmelte er so leise, daß die Mikrophone die Worte nicht auffangen konnten. »Endlich wieder einmal ruhig durchschlafen, nicht von Schlachten träumen, von Intrigen und Verrat!« Der Bildschirm, der vor wenigen Augen blicken noch den Admiral gezeigt hatte, flackerte kurz und zeigte dann das Gesicht eines jungen Mannes. Der Imperator war er staunt, er kannte das Gesicht. Vor einem halben Jahr erst hatte er dem jungen Offizier eigenhändig die Würde eines Sonnenträgers verliehen. Der Offizier wurde blaß, als er seinen Ge sprächspartner erkannte. »Erhabener!« stammelte der junge Mann. »Hören Sie zu!« sagte der Imperator ernst. »Ich habe gerade mit dem Admiral ge sprochen, dem Sie und Ihre Männer unter stehen. Der Admiral braucht Schiffe, Schiffe
12 jeder Zahl und Größe. Er wartet auf Nach schub von Arkon III. Arkon III wiederum wartet auf ausreichenden Nachschub an hochwertigen Erzen. Diese Erze werden auf Palua abgebaut. Dort leben mehr als dreißig tausend Männer, die auf moderne Erzförde rungsanlagen warten und große Geschütze, mit denen sie die Gefahr eines Angriffs der Maahks abwehren können. Diese Männer warten auf Ihren Konvoi und seine Ladung. Und Sie wiederum warten auf Schiffe von Ihrem Admiral – erkennen Sie den Kreis lauf?« Der Offizier nickte stumm. »Sie können diesen Kreislauf auch anders sehen. Wenn Ihr Konvoi Palua erreicht, be kommt Arkon bald genug Erz, um Schiffe für Geleitzüge bauen zu können. Ich gebe zu, daß dieser Konvoi ungewöhnlich riskant ist – vor allem wegen des fehlenden Geleit schutzes, aber wenn Sie nicht bald losflie gen, dann wird das Risiko für ganz Arkon entschieden größer, als das Ihre jetzt ist! Ha ben Sie mich verstanden?« Der Offizier nickte. »Erhabener, wir werden sofort aufbre chen«, versprach er. Der Imperator lächelte schwach. »Warten Sie noch solange, bis die beiden Kreuzer bei Ihnen eintreffen, die Ihnen Ge leitschutz geben werden. Ich werde Anwei sung an den Admiral geben, die beiden Ein heiten in Marsch zu setzen!« »Wir werden auch so unser Ziel errei chen«, lautete die Antwort. »Lassen Sie die Kreuzer beim Admiral, wahrscheinlich braucht er sie dringender als wir!« Der Offizier grüßte, dann wechselte wie der das Bild. Der Admiral starrte den Impe rator verblüfft an. »Erhabener«, staunte er. »Selbst wenn ich den Befehl bekommen hätte, ich hätte kei nen einzigen Kreuzer für den Geleitzug ab stellen können. Meine sämtlichen Kreuzer sind in den Reparaturdocks.« »Das weiß ich, Admiral!« erklärte der Im perator lächelnd, dann trennte er die Verbin dung. Im gleichen Augenblick schwand das
Peter Terrid selbstsichere Lächeln aus dem Gesicht des Imperators. Der Mann stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch auf und vergrub das Gesicht in den Händen. Leise trat ein Mann in den großen Raum. Er sah den Imperator, und er hörte auch das leise Seufzen des mächtigsten Mannes der bekannten Galaxis. »Kann ich helfen?« Der Imperator sah auf und zeigte ein ver zerrtes Lächeln. »Fartuloon«, sagte er leise. Seine Gestalt straffte sich. »Was führt dich her?« »Der Zufall. Aber ich sehe, daß ich ge braucht werde. Was bedrückt dich, raubt dir den Schlaf und läßt dir die Hände zittern?« »Meine Hände zittern nicht!« Der Imperator verzichtete darauf, die Hände auszustrecken, weil ihn dies Lügen gestraft hätte. Fartuloon konnte er mit seiner Behauptung nicht irritieren. »Ich bin dein Arzt. Wenn ich dir helfen soll, dann muß ich alles wissen, was für die Diagnose oder Therapie wichtig ist. Und im Fall eines Imperators gilt das sogar für Staatsgeheimnisse!« Diesmal wirkte das Lächeln echt. »Fartuloon, laß das nicht meine Berater hören. Wenn sie erfahren, daß nichts sicher ist vor einem allzu neugierigen Bauchauf schneider, werden sie eine Revolution anzet teln.« »Dazu brauchen sie nicht mich als Vor wand. Eine kleine Revolte ist schon jetzt im Gange.« »Ich weiß, mein Bruder hetzt alle Welt gegen mich auf, angeblich, um damit die Menschen zu provozieren, die mir feindlich gesinnt sind. Langsam aber scheint es so, als meine er die aufrührerischen Reden tatsäch lich so, wie er sie hält! Nun ja, er ist jung, hitzköpfig und hat – obwohl Bruder des re gierenden Imperators – nicht den Erfolg bei Frauen, den er sich gerne wünscht. Er ist leichtsinnig und unbedacht. Laß uns nicht weiter davon reden.« »Er ist eine Gefahr für das Imperium«, stellte Fartuloon kalt fest. »Wenn er so fort
Die Seelenheiler fährt …« »Fartuloon!« »Ich schweige – zu diesem Gegenstand. Ansonsten aber …« Fartuloon prüfte den Puls des Imperators, maß den Blutdruck. Obwohl der Imperator lebhaft protestierte, unterzog sein Leibarzt ihn einer eingehenden Untersuchung, soweit dies ohne intensive Laborbenutzung möglich war. »Streß!« diagnostizierte Fartuloon. »Überanstrengung, zu starker Druck aufs Gemüt, zuwenig Schlaf, zu viele Aufputsch mittel – du solltest dich erholen!« »Ich werde deinen Ratschlag befolgen, Fartuloon. Ich werde mich in mein Privat haus zurückziehen, der Muße pflegen, viel lesen, viel schlafen, mich mit guten Freun den treffen und unterhalten – und warten!« »Worauf warten?« »Entweder wird man mich in die Luft sprengen, weil ich Arkon im Stich gelassen habe – oder die Maahks kommen, um sich bei mir persönlich für die Schützenhilfe zu bedanken, die ich ihnen durch meine Untä tigkeit erwiesen habe. Fartuloon, willst du nicht einsehen – ich kann mir keine Ruhe gönnen. Auf meinen Schultern …« »… ruht das Imperium! Den Spruch ken ne ich auswendig, ich habe ihn oft genug von dir gehört.« »Außerdem bin ich körperlich in Hoch form. Ich war niemals in meinem Leben so gesund wie gerade jetzt!« »Das mag stimmen«, räumte Fartuloon ein. »Aber es gibt nicht nur Körper. Dein Geist hat gelitten, du bist unruhiger, hekti scher geworden. Die psychische Belastung ist zur Zeit zu groß. Was macht übrigens Yagthara?« »Sie schmollt!« »Und davon läßt du dir die Nachtruhe rauben? Es ist nicht zu glauben. Ein Impera tor Arkons, verliebt wie ein junger Kadett – noch dazu in seine eigene Frau. Das hat es meines Wissens seit mehr als viertausend Jahren nicht mehr gegeben. Wenn ich mich recht erinnere, war es Robal V. der seine
13 Frau so sehr liebte – oder zu lieben wähnte –, daß er einen Admiral aus Eifersucht er schoß. Er wurde seinerzeit zum Tode verur teilt, konnte aber entfliehen. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Nach ihm kam der erste Gonozal auf den Thron Arkons. Willst du diesem Mann nacheifern?« Das Lächeln des Imperators wirkte auf Fartuloon wenig beruhigend. »Ein Traum, Fartuloon, ein Traum, der so schön ist, daß er schon wieder völlig un glaublich ist. Ein stiller, friedlicher Planet, auf dem ich mit Yagthara leben könnte, wo wir unsere Kinder bekommen und erziehen könnten. Ich möchte einen Sohn haben, Far tuloon, einen Sohn, auf den ich stolz sein kann. Er soll eines Tages das Imperium re gieren, und er wird es gut regieren, und ich werde dann auf meinen Sohn stolz sein kön nen …« »Hör auf zu schwärmen. Dein Sohn wür de dir fluchen, würde er erfahren, daß du dich entweder für das Imperium bis zum körperlichen und geistigen Zusammenbruch geschunden hast – oder dich schmählich vor der Verantwortung gedrückt hast. Du mußt dich endlich entscheiden. Du brauchst viel Ruhe, damit deine überreizten Nerven wie der einwandfrei arbeiten können, damit du wieder deine Entscheidungen triffst und nicht der Streß, der dich lähmt und unsicher macht. Früher bist du nie, wenn du ein Pro blem zu lösen hattest, im Zimmer auf und ab gelaufen. Du solltest dich sehen – den Rücken gebeugt wie ein alter Mann, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, die Stirn gefurcht, nervös mit den Lippen zuckend! Soll ich dir vormachen, wie du jetzt aussiehst?« Die Karikatur gelang vorzüglich, wider Willen mußte der Imperator lachen. »Übergib die Staatsgeschäfte für zwei bis drei Wochen einem anderen. Du hast genü gend gute, erfahrene Stellvertreter. Ruh dich aus, finde wieder zu dir selbst, und dein ge störtes Verhältnis zu deiner Frau wird sich auch sehr schnell wieder einrenken, wenn du dir endlich etwas mehr Zeit für sie nimmst!«
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Peter Terrid
»Zeit!« seufzte der Imperator. »Zeit ist, was mir fehlt. Es muß doch einen Weg ge ben, meine angegriffene Gesundheit wieder herzustellen, ohne daß ich meine Aufgaben als Imperator vernachlässige!« »Manche Dinge brauchen eben Zeit und Geduld, daran läßt sich nichts ändern, nicht einmal dann, wenn man Imperator des Großen Imperiums ist. Die Zeit überwindet jegliche Herrschaft!« »Ich werde es mir überlegen, alter Freund. Ich sage dir dann, wie ich mich entschieden habe!« Fartuloon empfand die Worte als Auffor derung, den Raum zu verlassen. Gehorsam zog sich der Bauchaufschneider zurück. Der Imperator biß sich auf die Lippen und dach te angestrengt nach. Die Lage war schwie rig, sehr schwierig sogar. Die Fronten im großen Methankrieg waren alles andere als stabil, hinzu kamen Unruhen im Imperium, privater Ärger, unzuverlässige Mitarbeiter – manchmal hatte der Imperator das Gefühl, er werde unter der Last der Verantwortung ei nes Tages zusammenbrechen. Das aber konnte er sich nicht leisten. Es hätte das Im perium geschwächt, denn Gonozal war sich sicher, daß sein Bruder Orbanaschol, dem im Fall seines Ausscheidens das Amt des Imperators zufallen würde, das Imperium mit unfehlbarer Sicherheit in den Untergang führen würde. Zwar hätte der Imperator durchaus die Möglichkeit gehabt, diese Klemme zu um gehen und einen anderen Mann mit der Re gierung zu betrauen – aber dem stand die Familienehre im Wege. Nach seinem Rück tritt würden Jahrtausende vergehen müssen, bis man das Imperium wieder einem Mit glied der Familie Gonozal anvertraut hätte. In solchen Dingen besaß man auf Arkon ein überaus sicheres Gedächtnis. Es dauerte lange, bis sich der Imperator entschieden hatte. Es entsprach seiner Art, diesen Entschluß unverzüglich in die Tat umzusetzen.
*
Unwillkürlich ballte Fartuloon die Fäuste, als seine Erzählung diesen Punkt erreicht hatte. Offenbar war damals sein Selbstbe wußtsein ziemlich stark angeschlagen wor den.
* Als Fartuloon am Morgen des darauffol genden Tages die privaten Gemächer des Imperators betrat, fand er seinen Freund und Patienten nicht allein. Der Imperator hatte es sich auf einer Lie ge bequem gemacht. Neben der Liege stand ein Sessel, und in dem Möbel saß ein Mann, der Fartuloon auf den ersten Blick unsympa thisch war. Der Mann war schon ziemlich alt, hager und knochig. Die Stirn war kahl, dort, wo noch Haare hätten wachsen können, waren sie geschoren. Die kahle Fläche war offen bar gründlich mit einer wachsartigen Sub stanz bearbeitet worden. Sie hätte im Licht der Deckenlampen spiegeln müssen, wären nicht die Tätowierungen gewesen, die den Schädel von einer Schläfe zur anderen be deckten. Fartuloon konnte nicht erkennen, wozu die Tätowierungen dienten und was die verworrenen Muster darstellen sollten. Immerhin wußte er ziemlich bald, mit wem er es zu tun hatte – der Mann mußte einer je ner Goltein-Heiler sein, die seit geraumer Zeit im Gespräch waren und trotz ihrer du biosen Methoden in immer höhere gesell schaftliche Schichten Einlaß fanden. Der Heiler trug ein langes dunkelblaues Gewand, das mit silbernen Fäden bestickt war. Auch dieses Muster wirkte, wie die Tä towierung des Schädels, fremdartig, geheim nisvoll – und auf Fartuloon fast schon be drohlich. Das Gesicht des Heilers zeigte die hage ren, ausgemergelten Züge eines fanatischen Asketen. Man sah ihm an, daß er sich seiner Sache, so obskur sie auch sein mochte, be dingungslos hingab. Menschen, die sich weit über das, was sich mit dem Verstand erklären ließ, für eine
Die Seelenheiler bestimmte Sache engagierten, waren schon immer auf Fartuloons Mißtrauen gestoßen, und dem Heiler gegenüber empfand der Bauchaufschneider fast körperlichen Ekel. »Wer ist dieser Mann?« fragte der Heiler, als er Fartuloon sah. Die Stimme des Heilers klang, daß mußte selbst Fartuloon zugeben, selbstsicher und vertrauenerweckend. Sie klang so, als wisse der Mann sehr genau, was er könne und wo von er rede, so, als wären seine magischen Praktiken anerkannte Wissenschaft. »Mein Leibarzt«, erklärte der Imperator. »Ich glaube nicht, daß ich seine Hilfe brauchen werde«, sagte der Heiler und mu sterte Fartuloon mit ersichtlicher Skepsis. »Als ich von Erholung sprach, meinte ich etwas anderes«, sagte Fartuloon und sah da bei den Goltein-Heiler an. »Ich halte nicht viel von solchen Methoden!« »Das denken viele, bis sie selbst Hilfe brauchen – und natürlich auch bekommen. Jeder hat seine Ansichten und Verfahren – entscheidend ist letztlich, welches Ergebnis dabei herauskommt!« »Ich werde auch ohne Hilfe dieses …« »Dimon Murvee!« stellte sich der Heiler gelassen vor. Er schien nicht die mindeste Furcht vor einer Auseinandersetzung mit Fartuloon zu haben. Vielleicht hatte er die sen Dialog, wenn auch nicht wörtlich, so doch sinngemäß schon einige Male durchex erzieren müssen. Es gab sicherlich nur weni ge Ärzte auf den Arkon-Welten, die es sich widerspruchslos gefallen ließen, wenn man ihnen Patienten abjagte, vor allem, wenn es sich um so prominente Patienten handelte. »Fartuloon«, unterbrach der Imperator, bevor der Bauchaufschneider mit Worten über den Heiler herfallen konnte. »Ich habe dir gesagt, daß ich keine Zeit habe, mich zur Erholung aus den Amtsgeschäften zurückzu ziehen. Dieser Mann sagt von sich, daß er mir helfen könne, ohne daß ich pausieren müßte. Warum soll ich keinen Versuch mit ihm wagen? Was kann es schaden?« »Das wüßte ich auch gerne«, entgegnete Fartuloon grimmig. »Nützen wird diese Zau
15 berkur mit Sicherheit nicht, aber ich frage mich besorgt, was für Schädigungen sie nach sich ziehen wird.« »Sind je Fehlschläge bekanntgeworden?« fragte der Heiler siegessicher. Fartuloon spürte den Blick des Imperators auf sich ruhen, aber er blieb bei der Wahr heit und verneinte. Triumphierend sah der Heiler den Bauchaufschneider an. Fartuloon stieß ein unwilliges Knurren aus, dann ver ließ er den Raum. Auf dem Gang stieß Fartuloon auf einen alten Erzfeind, den früheren Leibarzt des Imperators. Er hatte sein Amt zwar offiziell noch immer inne, war aber längst ins zweite Glied zurückgetreten – unfreiwillig, was hauptsächlich Fartuloons Einfluß zuzu schreiben war. Immerhin war der Mann ein erstklassiger Mediziner, und Fartuloon er klärte ihm rasch den Sachverhalt. Er hoffte darauf, daß in diesem Fall die Berufsehre hinter persönlicher Empfindlichkeit zurück stehen würde, aber Fartuloon sah sich ge täuscht. »Der Imperator trifft seine Entscheidun gen nach seinem eigenen Willen, und in die sem besonderen Fall hielt er es für richtig, auch mich zu konsultieren. Da die Kuren be stimmter Leute« – dabei warf er einen ge ringschätzigen Seitenblick auf Fartuloon – »seiner angegriffenen Gesundheit offenbar nicht bekommen, riet ich ihm zu dieser Lö sung!« »Sie wollen den Imperator allen Ernstes einem Kurpfuscher überantworten?« fragte Fartuloon, sichtlich betroffen. »Neue Zeiten verlangen neue Methoden, lieber Kollege!« entgegnete der entthronte ehemalige Leibarzt. Fartuloon hielt sich nur mit Mühe zurück. Er grüßte flüchtig, dann ließ er den Kolle gen stehen. Er drehte sich nicht nach dem Mann um, denn daß dieser ihm hinterher grinsen würde, wußte er. »Jetzt gibt es nur noch eine Instanz«, mur melte Fartuloon düster.
*
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Peter Terrid
Die Zofe huschte eilig davon, als Fartu loon die Gemächer Yagtharas betrat. Die Frau des Imperators machte einen ähnlichen Eindruck wie ihr Mann. Sie sah müde und überfordert aus. Trotz ihrer offenkundigen Schwäche zeigte sie ein freundliches Lä cheln, als Fartuloon nähertrat. Der Bauch aufschneider kannte die Gebräuche am Kri stallpalast zur Genüge, er konnte zwischen einer echten Sympathiebezeigung und dem künstlichen Dauerlächeln unterscheiden. »Du siehst angegriffen aus, Fartuloon«, sagte Yagthara leise. »Willst du um Urlaub nachsuchen?« »Urlaub? Lächerlich«, wehrte Fartuloon ab. Er setzte sich auf den niedrigen Hocker neben dem Ruhelager Yagtharas und suchte nach Worten. »Ich bin sehr besorgt. Ich habe deinem Mann klarzumachen versucht, daß er unbe dingt Ruhe braucht, um seine überreizten Nerven zu schonen. Statt meinem Rat zu fol gen, hat er sich von bestimmten Leuten ein reden lassen, einen Versuch mit diesen Scharlatanen zu machen!« »Von was für Scharlatanen redest du?« »Ich meine diese Goltein-Heiler. Ich möchte wissen, wer dem Imperator zu die sem Unfug geraten hat – der Betreffende kann nicht ganz bei Sinnen sein!« An der Art, wie sich die Gesichtszüge Yagtharas änderten, konnte Fartuloon able sen, daß er nicht weiterzusprechen brauchte. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, daß sich unter den Ratgebern des Imperators, die ihn zu diesem Entschluß gedrängt hatten, auch die Frau Gonozals befand. Fartuloon stand auf, deutete eine Verbeu gung an und entfernte sich rasch. Er wußte, daß er verloren hatte. »Jetzt kommt es darauf an, das Schlimm ste zu verhüten«, murmelte der Bauchauf schneider finster.
* »Und was ereignete sich dann?« Fartuloon zuckte mit den Schultern.
»Ich konnte nichts in Erfahrung bringen. Dein Vater verbrachte in den darauffolgen den Wochen viele Stunden mit dem Heiler. Niemand durfte die beiden stören, auch ich hatte keinen Zutritt. Was genau der Heiler mit deinem Vater angestellt hat, konnte ich nie in Erfahrung bringen.« »Hat die Kur des Heilers geholfen?« »Es sah so aus. Dein Vater wirkte danach ruhiger und gelöster, aber ich hatte auch den Eindruck, daß er sich auf merkwürdige Art und Weise verändert hatte. Irgend etwas war mit ihm geschehen, hatte seinen Charakter beeinflußt – und dieser Einfluß war gewiß nicht gut!« Stille breitete sich in der Zentrale aus. Auch ich dachte über die Worte Fartuloons nach. Währenddessen hatte die ISCHTAR Kurs aufgenommen. Sie würde in relativ gerin gem Abstand an dem Planeten der GolteinHeiler vorbeifliegen. Nun, in wenigen Stun den würde sich das Thema Perpandron von selbst erledigt haben, es gab keinen Grund für uns, auf Perpandron zu landen. »Aufgepaßt!« Der Impuls des Extrahirns war von schmerzhafter Stärke. Ich fuhr herum. Im Hintergrund der Zentrale saß mein Va ter. Er ließ die Geschehnisse teilnahmslos über sich ergehen. Es war erschütternd, die sen lebenden Leichnam zu sehen. Aber jetzt war Leben in ihn gekommen. Der Mann, der so gut wie nichts mehr tun konnte, wenn man ihn nicht mit einfachen, kurzen Anweisungen und Befehlen dazu brachte, richtete sich plötzlich auf. Der Blick meines Vaters war auf den Bildschirm ge richtet, der den näherkommenden Planeten Perpandron zeigte. Seine Lippen öffneten sich, er begann zu stammeln, unverständli che Silben, die keinen Sinn ergaben. Ich schluckte, spürte, wie sich mein Herz schlag beschleunigte. Fartuloon war blaß ge worden, die Männer sprangen von ihren Sit zen auf und starrten auf meinen Vater, der langsam hinübertappte zum Bildschirm. Er wandte den Kopf, aber der Blick war leer,
Die Seelenheiler schien durch mich hindurchzugehen. Er deutete auf den Bildschirm, wo sich das Teifconth-System mit Perpandron ab zeichnete. Sein.Lallen war unverständlich, aber ich wußte sofort, daß es zwischen mei nem Vater und dieser Welt eine geheimnis volle, fast gespenstisch anmutende Bezie hung gab. »Stoppt die Maschinen!« Meine Stimme krächzte bei diesem Be fehl. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis die Männer in der Zentrale ihre Erstarrung überwunden hatten und reagierten. Nach kurzer Zeit trieb die ISCHTAR antriebslos durchs All. Ich trat zu meinem Vater, legte ihm den Arm um die Schulter. Es gab etwas in die sem kaum noch beseelten Körper, etwas leb te noch darin, aber es war nicht genug, um ihn wieder in die Welt der Lebenden zurück zuführen. Behutsam führte ich ihn an seinen Platz zurück. Mein Vater wirkte völlig er schöpft, Fartuloon gab ihm ein Beruhigungs mittel. »Wir können hier nicht bleiben, Atlan! Das System zählt zum Imperium. In jedem Augenblick kann hier eine starke Flotte auf tauchen und uns den Garaus machen!« Ich nahm Fartuloons Warnung nur mit halbem Ohr wahr. Meine Gedanken beschäf tigten sich mit meinem Vater und dem Pla neten der Heiler. Es gab für mich keinen Zweifel – wenn ich etwas für meinen Vater tun wollte, mußte ich Perpandron anfliegen. Vielleicht besaßen die geheimnisumwitter ten Goltein-Heiler ein Mittel, das die nur un vollständig geglückte Wiedererweckung meines Vaters vollenden konnte. »Ich glaube, Sie sehen die Angelegenheit zu einseitig, Fartuloon!« mischte sich Kar mina ein. »Die Heiler werden von Orbana schol ziemlich unbehelligt gelassen, es ist kaum anzunehmen, daß es in der Nähe eine Flotteneinheit gibt!« »Mag sein, aber trotzdem sollten wir ver schwinden. Was hast du vor?« Ich erklärte, daß ich beabsichtigte, zusam men mit meinem Vater Perpandron anzuflie
17 gen und dort zu landen. Fartuloons Miene zeigte sofort, daß er mit diesem Vorhaben überhaupt nicht einverstanden war. »Das ist heller Wahnsinn. Die halbe Gala xis ist in Aufregung, man wird überall nach uns suchen. Wir müssen ein Versteck aufsu chen, und das bald, wenn wir nicht atomi siert werden wollen!« »Kann ich mitkommen?« Ich mußte mich nicht erst herumdrehen, um zu wissen, wer diese Frage gestellt hatte. Ras Tatendrang kannte wieder einmal keine Grenzen. Ich nickte kurz, während Fartuloon erbittert den Kopf schüttelte. »Narren!« schimpfte er. »Ein Schiff voll Narren. Will noch jemand bei diesem Wahn sinnsunternehmen mitmachen?« »Ich!« Karmina Arthamin hatte gesprochen. Ich wußte nicht, was sie zu diesem Entschluß gebracht hatte, aber ihre Begleitung konnte mir nur willkommen sein. Fragend sah ich Fartuloon an, aber der Bauchaufschneider schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Auf seine Hilfe konnte ich demnach nicht bauen. Ich zuckte mit den Schultern, dann verließ ich die Zentrale, um mich fertigzumachen. Als ich den Beiboothangar erreichte, trug ich einen flugfähigen Kampfanzug mit der üblichen Ausrüstung. Karmina und Ra wa ren in gleicher Weise ausstaffiert. Ra führte behutsam meinen Vater zu einem Sitz in dem Beiboot. Das Boot maß etwa fünfzehn Meter, war diskusförmig und konnte von ei nem Mann beherrscht werden. Das Gegen stück zu der transparenten Kuppel auf dem oberen Teil des Diskus bildete die Boden schleuse, durch die man das kleine Schiff betrat oder wieder verließ. Noch ruhte es auf den vier Landebeinen, die beim Flug einge zogen wurden. Ich nahm hinter den Kontrol len Platz und gab über Interkom der Zentral ebesatzung das Klarzeichen. Kurze Zeit spä ter waren wir bereits im freien Raum. Wir entfernten uns rasch von der ISCHT AR und steuerten Perpandron an. Langsam wuchs das Bild des Planeten auf unseren
18 Bildschirmen. Als wir nur noch etwas mehr als eine Lichtsekunde entfernt waren, ver langsamte ich den Flug. Dann griff ich zum Mikrophon. »… dron! Hier Raumüberwachung Per pandron! Melden Sie sich und identifizieren Sie sich! Hier Raumüberwachung Perpan dron!« Ich hatte während des Anflugs Zeit genug gehabt, mir eine Legende auszudenken. Ich nannte also unsere falschen Namen und gab auch dem Boot einen Namen. »Sie sind in unseren Listen nicht aufge führt. Was wollen Sie?« Ich schüttelte verweisend den Kopf. Einen derart rüden Ton war ich nicht gewohnt. »Wir haben einen Patienten an Bord!« »Das hat so ziemlich jeder, der hier lan den will. Name?« »Der Name tut nichts zur Sache. Es han delt sich um eine hochgestellte Persönlich keit, die unerkannt bleiben will. Geben Sie uns Landefreigabe?« »Kehren Sie um! Wir lassen nur Schiffe landen, die in unseren Listen erfaßt sind.« Langsam wurde ich ungeduldig. Sollte unsere Expedition scheitern, nur weil ein reichlich ruppiger Beamter der Raumüber wachung es so genau nahm? »Wir können natürlich umkehren. Aber der Patient wird dann dafür sorgen, daß man auf Arkon erfährt, wie Edle des Imperiums auf Perpandron behandelt werden. Das dürf te Ihrem Ruf nicht förderlich sein!« Für eine Weile blieb es still. Offenbar war dieses Argument zugkräftig, daher fuhr ich fort: »Glauben Sie ernsthaft, wir würden hier unangemeldet aufkreuzen und eine derart lange Reise unternehmen, wenn wir nicht wüßten, daß der Rang unseres Patienten äu ßerste Diskretion erforderlich macht?« »Sie können landen! Wir werden Sie ein weisen! Ende!« Etwas zugänglicher war der Mann gewor den, aber seine Stimme hatte nichts an Un freundlichkeit eingebüßt. Wenig später wurden uns die Anflugdaten
Peter Terrid heraufgefunkt, die dann vom Bordgehirn ausgewertet und verarbeitet wurden. Wir konnten die Landung getrost den Automaten überlassen. »Eine merkwürdige Welt«, murmelte Karmina Arthamin. »Kennen Sie die Sage von Caycon und Raimanja?« Ich nickte, während Ra verneinte. »Caycon und Raimanja waren ein junges Paar. Die Sage geht, daß sie von Fremden entführt wurden, weil sie im Begriff waren, ein – so hieß es – waches Wesen zu zeugen. Was man sich darunter vorzustellen hat, weiß ich allerdings auch nicht. Die Sage be richtet weiter, daß es den beiden gelang, ih ren Entführern zu entfliehen und ihr Kind zu bekommen.« »Vermutlich auf Perpandron!« unterbrach Ra. »Richtig. Die Legende war völlig in Ver gessenheit geraten, bis die Goltein-Heiler Perpandron zu ihrem Domizil erwählten. Sie gruben die Sage wieder aus und machten sie populär.« »Und? Ist etwas Wahres daran?« Karmina zuckte mit den Schultern. »In den meisten Sagen gibt es ein Körn chen Wahrheit, sehr oft bis zur Unkenntlich keit durch Ausschmückung und Umwand lung in Symbole verzerrt. Am Hof des Impe rators nimmt man die Geschichte allerdings nicht ernst, man hält sie für einen gelunge nen Versuch der Goltein-Heiler, auf sich und ihre Welt aufmerksam zu machen. Und das ist ihnen auch gelungen!« »Ein waches Wesen?« murmelte Ra nach denklich. Ich wußte, daß er sich jetzt einige Zeit da mit beschäftigen würde. Für alles, was my thisch beeinflußt war, besaß Ra ein besonde res Empfinden. Das war nicht weiter ver wunderlich, immerhin war der Barbar auf ei ner Welt aufgewachsen, die noch in dumpfer Unwissenheit dahindämmerte. Zwar hatte er inzwischen begriffen, daß Ischtar keines wegs eine Göttin war, sondern eine vargani sche Frau, allerdings mit bewundernswerten Eigenschaften und Fähigkeiten. Ra hatte ge
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lernt, daß vieles von dem, was er früher für Zauberei gehalten hatte, technische Spiele reien waren, aber irgendwo in seinem Bar barenschädel war sicher noch ein Winkel, der angefüllt war mit Ahnungen, Geheimnis sen und rätselvollen Vorstellungen. Viel leicht war es dies, was den stämmigen Bar baren so sympathisch machte. Perpandron kam näher, bald würden wir den Boden des Planeten betreten.
3. Galur Paro wußte, daß er sterben würde, wenn er sich nicht eisern beherrschte. Sein Gegner stand dreißig Meter von ihm entfernt auf dem Sand der Arena, ein großer Mann mit breiten Schultern. Der Oberkörper war unbedeckt und zeigte die gewaltigen Muskeln. In der Hand wiegte der Mann ein langes Schwert, dessen Schneiden in der Sonne blitzten. Langsam kam der Mann nä her, er verzog das Gesicht zu einem mitleidi gen Grinsen. Galur befeuchtete die Lippen und wich zögernd zurück, bis er im Rücken die Spitze eines zweiten Schwertes spürte. Galur wuß te, daß er jetzt hinausgehen und mit dem Schwertträger kämpfen mußte. Andernfalls wäre er ohne langes Federlesen enthauptet worden. Galur holte tief Luft, er erinnerte sich ei ner Übung, mit der man sich selbst beruhi gen konnte. Konzentration und eine gute Atemtechnik brauchte man für diese Übung, deren Wirkung rasch eintrat. Galur trat einige Schritte vor. Er war jetzt vollkommen ruhig, gelassen und entspannt, dabei hellwach und hochkonzentriert. Er wußte, daß er die Körperkräfte seines Wi dersachers mit seiner Intelligenz und seiner Wendigkeit wettmachen konnte, und Galur Paro wußte auch, daß ihm dies gelingen würde. Wieder machte er einige Schritte auf den Gegner zu, der das Schwert hob und ebenfalls näher kam …
*
Galur Paro rieb sich die Augen und kam langsam wieder zu sich. In dem Raum herrschte ein sanftes Dämmerlicht, und aus dieser Dämmerung erklang die Stimme von Dargai Thal. »Erinnern Sie sich?« »Ja«, murmelte Galur. »Hatten Sie Angst?« Galur verneinte. »Sie haben Fortschritte gemacht in den letzten Monaten, große Fortschritte sogar. Sie wissen jetzt, daß Sie eigentlich durchaus Mut haben. In Situationen, wo Sie wirklich Grund gehabt hätten, Angst zu empfinden, haben Sie sich als mutig und kaltblütig er wiesen. Sie wissen jetzt, daß Sie eigentlich gar keine Angst haben, jedenfalls keine be gründbare!« »Hilft mir das?« fragte Galur. »Sehr viel. Wir können jetzt allmählich daran gehen, den Kern Ihrer Krankheit auf zustöbern, den Ausgangspunkt Ihrer Angst.« »Ein Punkt?« »Ein Ereignis, das den Schlüssel liefert. Es kann sich um eine Begebenheit aus Ihrer frühesten Jugendzeit handeln, ein Ereignis, daß Sie längst vergessen zu haben glauben.« »Wenn ich mich an etwas nicht erinnern kann, dann habe ich es wohl vergessen.« »Keineswegs. Nehmen wir an, Sie haben als kleines Kind etwas getan, was Ihren El tern nicht gefiel. Sie wurden beschimpft, ge prügelt oder, was meist noch schlimmer ist, gedemütigt, erniedrigt. Und das für eine Tat, bei der Sie sich keiner Schuld bewußt wa ren. Diese Tat und die damit zusammenhän gende Bestrafung sitzt als Information ir gendwo in Ihrem Unterbewußtsein. Denn Sie fanden keine Möglichkeit, dieses Erleb nis zu verarbeiten, wie wir es nennen, daher haben Sie es verdrängt. Ihr Unterbewußtsein hat, um Sie zu schützen, davor eine Deckerinnerung gelegt, eine Information ge schaffen, die es als Tatsache gar nicht gibt. Wenn Sie sich also erinnern wollten an die ses üble Ereignis, taucht in Ihrem Bewußt sein ein völlig falsches Bild auf, eine heitere und glückliche, einfache Szene, die es in
20 Wirklichkeit nie gegeben hat. Können Sie mir folgen?« »Einigermaßen.« »Natürlich weiß das Unterbewußtsein, wo diese Erinnerung sitzt, und jedesmal, wenn irgend etwas auftaucht, das eine Gedanken kette bis zu diesem Kern zurückbilden könn te, wehrt sich das Unterbewußtsein dagegen. Spielen Sie Schach?« »Leidlich, aber was hat das damit zu tun?« »Ist es Ihnen noch nie passiert, daß Sie bei einem Spiel nicht mehr wußten, wie der nächste Zug aussehen sollte – und dann Ihr Partner plötzlich erklärte, er gebe auf?« »Ab und zu.« »Ihr Gegner hat in diesen Fällen Ihre Ge danken vorwegzunehmen versucht, Gedan ken, die Sie überhaupt nicht hatten. Er hat kapituliert. Das gleiche macht Ihr Charakter. Jedesmal dann, wenn es möglich ist, von ei nem Ereignis eine Erinnerungs- oder Asso ziationskette bis zu diesem Schlüsselereignis zu knüpfen, blockt das Unterbewußtsein dies mit einem Angstanfall ab. Und da sich auf diese Weise zwangsläufig die Ereignisse mehren, wird auch die Angst immer größer. Was wir tun müssen, ist, diese Abwehr zu durchbrechen, das Schlüsselereignis aufzu finden und Ihnen die Möglichkeit zu geben, es zu verarbeiten. Das wird allerdings noch ziemlich lange dauern.« Galur machte ein verdrießliches Gesicht. »Ich bin nun schon mehr als ein halbes Jahr auf Perpandron, und allmählich bekom me ich Heimweh!« Dargai Thal lächelte kurz und antwortete: »Auch das wird sich geben. Sie werden es sehen. Haben Sie einen Wunsch, den ich Ih nen erfüllen kann?« Galur überlegte kurz, während Dargai Thal die Verbindungen löste, die Galur mit dem Projektor verbunden hatte, der die Illu sion geschaffen hatte, daß Galur zum Arena kämpfer geworden war. »Ich würde gerne einen Ausflug machen, mir die Landschaft ansehen. Läßt sich das machen?«
Peter Terrid Thal überlegte kurz, dann nickte er. »Ich gebe Ihnen zwei Wochen Zeit. Da nach melden Sie sich wieder bei mir. Und geben Sie acht – der Wald ist nicht ganz un gefährlich!« »Und das sagt mir ein Mann, der mir die Angst austreiben will«, meinte Galur, breit grinsend. »Ich werde mich vorsehen.«
* Ein leichter Ruck ging durch den Diskus, als das Beiboot sanft auf dem Boden des Planeten Perpandron aufsetzte. Auf dem großen Feld des Raumhafens herrschte ge schäftiges Treiben, pausenlos starteten oder landeten Schiffe. Die erstaunliche hohe Zahl flinker Jachten ließ den Schluß zu, daß es offenbar sehr viele hochgestellte Persönlich keiten gab, die Hilfe und Heilung auf Per pandron suchten. Allerdings sah ich auch Großraumschiffe, die mehrere hundert Pati enten fassen konnten. Es hieß, daß es keinen Fall in der Ge schichte Perpandrons gegeben hatte, daß ein Patient nicht geheilt worden war. Ich hatte da meine Zweifel. »Man sollte einmal ausrechnen, wie viele Patienten den Planeten aufsuchen, und wie viele Menschen ihn schließlich wieder ver lassen!« Der Einfall des Extrahirns war zweifellos gut, aber er ließ sich einstweilen nicht in die Tat umsetzen. Aber ich faßte den Plan, ihn später zu verwirklichen, obwohl ich wußte, wie problematisch solche Zählungen sein konnten. Offenbar hatte der ruppige Mann in der Raumüberwachung die Nachricht von unse rem Eintreffen weitergegeben. Ich sah einen Gleiter über das Feld rasen, der neben unse rem Schiff stoppte. Die halboffene Schale bot Platz für zwei Patienten und vier Be gleitpersonen. Gesteuert wurde das Gefährt von einem Robot. Wir verließen das Schiff und gingen auf den Gleiter zu. Der Robot grüßte und gab mir dann eine schmale Karte. »Bitte, setzen Sie sich sofort mit mir in
Die Seelenheiler Verbindung. Der Robot wird Sie führen!« Ich las den Text laut und suchte dann nach einer Unterschrift oder einem anderen Zeichen, das mir hätte sagen können, von wem diese Einladung stammte. »Wer hat dich geschickt?« fragte ich den Robot, aber die Maschine antwortete nicht. Sie nahm wieder hinter der Steuerung Platz und überließ es uns, wann wir einsteigen wollten. Ich führte meinen Vater zu einer bequemen Liege, nach uns bestiegen Karmi na und Ra den Gleiter. Sobald Ra an Bord war, fuhr der Robot los, und das mit einer Geschwindigkeit, die mir den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Natürlich wußte ich, daß ein solcher Robot so programmiert war, daß er keinen Unfall verursachen konnte, aber wohl war mit dennoch nicht. »Vielleicht hat der Robot einen besonde ren Auftrag: Er soll so schnell fahren, daß du nur wenig von den Anlagen und Gebäuden sehen kannst!« Auf diesen Gedanken wäre ich ohne den Hinweis des Extrahirns nicht gekommen. Wußte man auf Perpandron vielleicht schon, wer der Patient war, den ich brachte? Selbst wenn diese Möglichkeit zutraf, ich hatte kei ne Aussicht, die rasende Fahrt des Gleiters zu stoppen, ich hätte dabei nur einen tödli chen Unfall hervorgerufen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als geduldig abzuwar ten, wohin der Robot uns bringen würde. Das Fahrzeug stoppte vor einem flachen, langgestreckten Gebäude mit vielen Fen stern, das inmitten einer weitläufigen Park anlage untergebracht war. Vor dem Eingang stand eine Gruppe von sechs Männern. An ihren bemalten Schädeln und den wallenden, bis zu den Füßen herabfallenden Gewändern waren sie unschwer als Heiler zu identifizie ren. Der größte der sechs Männer trat einen Schritt vor. Es fiel mir auf, daß er unge wöhnlich große, leuchtende Augen hatte, von denen eine seltsame Faszination aus ging. Ich wußte, daß es Menschen gab, die einem anderen auch ohne technische Hilfs mittel ihren Willen aufzwingen konnten, und
21 ich hatte mir solche Menschen immer mit den gleichen auffälligen Augen vorgestellt, wie sie der Heiler besaß. »Man nennt mich Klemir-Theron!« stellte sich der Heiler vor. Er hatte eine dunkle, stark rollende Stimme. »Sie haben vor kurz er Zeit mit unserer Raumüberwachung ge sprochen?« Er wartete gar nicht erst meine Antwort ab, sondern ging zum Gleiter und betrachte te meinen Vater. In seinem Gesicht rührte sich nichts. Er betrachtete meinen Vater mit ruhigem Interesse, ohne das geringste Zei chen, daß er vielleicht schon erkannt hatte, mit wem er es zu tun hatte. »Wie heißt der Patient?« »Nennen Sie ihn Minol, das wird genü gen.« »Ich glaube, daß Sie recht haben. Was ist schon ein Name? Charaktere sind das Ent scheidende. Dieser Mann ist sehr krank, ein ungewöhnlicher Fall, scheint mir.« »Können Sie helfen, Klemir-Theron?« Der Goltein-Heiler sah mich nachdenklich an. »Wir helfen, so gut wir können. Und wir können vieles, was anderen verborgen bleibt. Wer hat den Patienten zuletzt behan delt? Gibt es Anamnesen, braucht der Pati ent besondere Pflege oder bestimmte Medi kamente?« »Keine Informationen!« drängte das Ex trahirn. »Die früheren Ärzte sahen sich unfähig, etwas auszurichten. Sie haben nichts unter nommen. Da der Patient nicht ansprechbar war, gibt es auch keine Krankengeschichte.« Der Heiler schloß kurz die Augen, nickte dann. Mit einer Handbewegung forderte er zwei seiner Begleiter auf näher zu kommen. Die beiden Heiler faßten meinen Vater unter den Armen und führten ihn sehr behutsam weg. Nach dieser Szene zu schließen, war mein Vater in besten Händen, aber ich woll te mehr wissen – hier ging es nicht nur um die Heilung meines Vaters, hier standen zu sätzlich hochpolitische Entscheidungen auf dem Spiel. Ich mußte vorsichtig sein.
22 Noch bevor ich etwas sagen konnte, wandte sich Klemir-Theron zu mir. »Man wird Ihnen Unterkünfte anweisen.« Er wollte sich entfernen, aber ich faßte einen Zipfel seines blauen Gewandes und hielt ihn fest. »Wohin wird« – in letzter Sekunde unter drückte ich die Worte mein Vater – »der Pa tient gebracht? Ich möchte in seiner Nähe bleiben.« »Sie würden nur stören. Ich muß Ihnen den Zutritt verwehren!« »Was soll das heißen? Ich habe den Auf trag, für den Patienten die bestmögliche Be treuung und Pflege zu erreichen.« »Das Beste, was Sie tun können, war, die sen Mann zu uns zu bringen. Ihre Aufgabe hat sich damit erledigt. Ein Besuch Uneinge weihter könnte verheerenden Einfluß auf den Heilungsprozeß haben.« Er entfernte sich und verschwand im In nern des Gebäudes, die anderen Heiler folg ten ihm rasch. »Narr!« schimpfte das Extrahirn. »Du hast dich von dem Wort Heilungsprozeß blenden lassen. Vergiß nicht die große Ähn lichkeit zwischen deinem Vater und dir!« Ich ballte unwillkürlich die Fäuste und wollte dem Heiler nachgehen, aber in die sem Augenblick kam ein weiterer Heiler, ein noch junger Mann, bei dem der völlig kahle und bemalte Schädel besonders befremdlich wirkte. »Folgen Sie mir bitte. Sie werden in der Nähe wohnen!« Das besänftigte mich halbwegs. Der junge Heiler ging voran, während vier Robots un ser Gepäck schleppten. Mich wunderte, daß niemand sich an unseren Monturen störte – immerhin waren wir die einzigen im weiten Umkreis, die Waffen trugen, noch dazu für jedermann sichtbar. Unser Gepäck war zwar voluminös, aber sehr leicht. Viel hatten wir nicht mitgenom men. Ra und ich trugen meist uniformähnli che Kleidungsstücke, und auch Karmina Ar thamin war an Uniformen gewöhnt. Unser Gepäck enthielt folglich einfache, zweckmä-
Peter Terrid ßige Kleidung, einige zusätzliche Waffen und – in allerdings ziemlich unzureichenden Verstecken – ein paar jener kleinen techni schen Spielereien, die bei geringem Kosten aufwand ein Maximum an Verblüffung beim Gegner hervorriefen. Welche Befehle der junge Heiler bekom men hatte, konnte ich nicht wissen, aber ich stellte erstaunt fest, daß man für Karmina und mich jeweils zwei Zimmer zur Verfü gung stellte, während für Ra ein winziger Raum bestimmt war, eine Art Verschlag, der bestenfalls für Haustiere geeignet war. Ra sah sich in dem kleinen Raum kurz um, dann wandte er sich zu dem Heiler um und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust. Der Heiler ging unwillkürlich einen Schritt zurück, als er Ras Gesichtsausdruck sah. Zu mir gewandt, sagte er: »Ihr habt einen ungewöhnlich aufsässigen und anspruchsvollen Sklaven, will mir scheinen.« »Freund, nicht Sklave«, klärte ich den Heiler auf. »Ich wünsche für ihn eine ange messene Unterkunft!« »Hier ist nichts mehr frei«, versetzte der Heiler. »Ich kann ihn natürlich in einem an deren Gebäude unterbringen, wenn Ihr es wünscht!« Ich verneinte sofort. Nur wenn wir zu sammenblieben, konnten wir etwas unter nehmen, um den Schleier des Geheimnisses zu lüften, den die Heiler über ihre Welt und ihre Arbeit gelegt hatten. »Ich werde den Raum mit meinem Freund teilen«, erklärte ich nach kurzer Überlegung. Ra grinste den Heiler spöttisch an. Der junge Mann verbeugte sich kurz, wobei er einen leicht irritierten Blick auf Ra warf, dann zog er sich zurück. Die Räume, die man uns zur Verfügung gestellt hatte, waren so eingerichtet, wie man es erwarten durfte, wenn man sich als Besucher von hohem gesellschaftlichem Rang anmeldete. In jedem Raum gab es einen Interkomanschluß, dazu eine direkte Verbindung zur großen Hyperkomanlage
Die Seelenheiler des Planeten. Theoretisch hätte ich nach Be lieben Gespräche mit Arkon führen können, wozu mir aber verständlicherweise die Lust fehlte. Ra betrachtete nachdenklich den An schluß und warf einen Seitenblick auf Kar mina Arthamin. Nichts hinderte die Sonnen trägerin daran, mir die POGIM auf den Hals zu schicken. Aber ich war mir sicher, daß diese Frau, wenn sie sich einmal dazu ent schlossen hatte mir zu helfen, diesen Ent schluß auch durchführen würde. »Was unternehmen wir nun?« fragte Ra und setzte sich auf den Rand des Bettes. Er sprang sofort wieder hoch, als sich das Bett zu bewegen begann. Erst als ich den Schal ter für die Vibrationsmassage in die Null stellung zurückgedrückt hatte, nahm er wie der Platz. »Ich werde in jedem Fall herauszufinden versuchen, was mit meinem Vater geschieht. Sobald es dunkel ist, werde ich versuchen, mich in das Gebäude zu schleichen, in dem man ihn untergebracht hat. Dann werden wir weitersehen!« Trotz des guten Rufes der Heiler war ich nicht gewillt, ihnen meinen Vater einfach zu überantworten. Zudem machte mich die Zu rückhaltung der Heiler mißtrauisch. Welche Verfahren wandten sie an, und warum durfte ihnen bei diesen Praktiken niemand zuse hen? Hatte Fartuloon vielleicht doch recht? Ich ging zum Fenster hinüber und sah auf den Park herab. Das Gebäude, in das man meinen Vater gebracht hatte, lag unserer Unterkunft genau gegenüber. Es mußte also relativ leicht sein, in das Haus zu gelangen. Auf den kiesbestreuten Wegen des Parks sah ich einige Heiler, in der Mehrzahl aber Menschen, die ich für Patienten hielt. Sie bewegten sich langsam, einige wirkten ge brechlich. Merkwürdigerweise zeigten die meisten der Patienten ein außerordentlich zufriedenes Gesicht. Hinter keiner dieser lä chelnden Mienen hätte ich eine geistige Er krankung vermutet. »Niemand sieht so irre aus, wie er ist«, kommentierte der Logiksektor trocken. Über diesen Teil des Planeten Perpandron
23 legte sich langsam die Dämmerung. In eini gen Stunden würde ich meinen Ausflug be ginnen können. Ich konnte nur hoffen, daß die Heiler den Park während der Nacht nicht beleuchteten, anderenfalls hätte man mich schnell aufgespürt.
* »Ich würde gern mitkommen«, flüsterte Ra, aber ich schüttelte den Kopf. Zwei Per sonen waren doppelt so leicht zu entdecken wie eine. Wir hatten gegessen und uns erfrischt. Das Essen war erstaunlich gut gewesen, al lerdings wußte ich, daß sich die Heiler auch dies sehr gut bezahlen ließen. Für ihre Be handlungen pflegten sie meist horrende Ho norare zu fordern, und sie bekamen sie auch. So leise wie möglich öffnete ich das Fen ster zum Park. Draußen war es dunkel, es brannte nur eine schwache Beleuchtung. »Es ist ziemlich tief«, stellte Karmina fest. Ich zuckte mit den Schultern, dann setzte ich mich auf die Fensterbank und sprang herab. Ich prallte ziemlich hart auf, rollte mich sofort ab und war rasch wieder auf den Füßen. Sofort sah ich mich um. Zu diesem Zeitpunkt war der Park verlassen, niemand konnte mich gesehen haben. Über mir schloß Karmina das Fenster mit einem kaum wahrnehmbaren Geräusch. Leise schlich ich weiter. Im Hintergrund konnte ich die vier kup pelförmigen Hauptgebäude sehen, die nachts angestrahlt wurden. Daneben schimmerten die Hüllen zweier Raumschiffe im Wider schein des Lichts, das von den Kuppeln zu rückgeworfen wurde. Sowohl die Kuppeln als auch die beiden Schiffe standen auf jener merkwürdigen Plattform, die den Unter grund der Station der Heiler bildete. Es handelte sich um eine gewaltige Stein platte, die ihre Ebenheit unverkennbar einer sorgfältigen Bearbeitung verdankte, obwohl das rote Felsmaterial im Laufe vieler Jahr hunderte stark verwittert war. Dennoch war
24 für einen leidlich aufmerksamen Beobachter klar zu erkennen, daß diese gewaltige Fläche keine Laune der Natur war – zu deutlich wa ren die Spuren der Bearbeitung. Sie mußten von einem Volk stammen, das längst ausge storben war und von dem es anscheinend au ßer dieser Plattform kein anderes Zeichen seiner früheren Existenz gab. Wer dieses Volk war, wie es einmal ausgesehen hatte, war bislang nicht festgestellt worden. Wahr scheinlich verspürten die Heiler auch nicht die geringste Lust, dieses Geheimnis aufzu klären, es genügte, daß es dieses Rätsel gab. Es konnte den besonderen Ruf des Planeten Perpandron nur erhöhen. Ohne daß mich ein Wesen gesehen hatte, erreichte ich das Haus, das unserer Unter kunft gegenüberlag. In dieses Gebäude hatte man meinen Vater gebracht, er mußte also in seinem Innern zu finden sein. Ich suchte nach einer Möglichkeit, unge sehen in das Haus gelangen zu können. Durch die Vordertür konnte ich selbstver ständlich nicht eintreten, dort waren Posten aufgestellt. Es waren zwar keine bewaffne ten Wächter, sondern Heiler, die scheinbar gelangweilt in der Eingangshalle auf und ab liefen, aber ohne triftigen Grund würden sie sich sicher nicht dort aufhalten. Ich mußte also versuchen, durch eines der Fenster zu schlüpfen, selbst auf die Gefahr hin, dabei auf einen Heiler zu stoßen. Ich hatte mir überlegt, daß mir eigentlich nicht viel zustoßen konnte, vermutlich würde man mich lediglich sanft, aber nachdrücklich hin auskomplimentieren. Nach kurzem Suchen hatte ich ein Fenster gefunden, das offen stand. Ich zog mich hoch und schwang mich auf das Fenster brett. Im Innern des Raumes war es dunkel. Ich wartete und hielt die Luft an, um deutli cher hören zu können und selbst nicht durch den eigenen Atem verraten zu werden. Es war still in dem Raum, und ich mühte mich vergebens, darin ein lebendes Wesen zu fin den. Ich brauchte einige Zeit, bis sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hat ten. Ich konnte ein Bett erkennen, auf dem
Peter Terrid aber niemand lag. »Also vorwärts«, murmelte ich im Selbst gespräch. Es gelang mir, auf den Boden zu kom men, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Obwohl ich mir sicher war, allein in dem Zimmer zu sein, schlich ich mit äußerster Vorsicht zur Tür. Ich legte ein Ohr an das Holz und lauschte. Auf dem Gang waren keine Schritte zu hören, also öffnete ich die Tür sehr leise und trat auf den Gang. Dieser Augenblick war gefährlich, denn wieder brauchten meine Augen einige Sekunden, bis sie sich an die grelle Helligkeit gewöhnt hatten. Zu meinem Glück war der Gang ebenso leer wie das Zimmer, das ich gerade verlassen hatte. »Wohin nun?« murmelte ich. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie dieses Gebäude aufgeteilt war, wo wichtige Räume waren, wo ich mich vorzusehen hat te. Es war durchaus möglich, daß ich an hochinteressanten Räumen vorbeiging und statt dessen mit äußerstem Raffinement eine Rumpelkammer anschlich. »Wichtige Räume werden näher am räumlichen Mittelpunkt sein«, gab das Ex trahirn lakonisch durch. Mit diesem Hinweis konnte ich schon et was anfangen. Ich bewegte mich vorwärts, aufrecht gehend, da es ziemlich lächerlich gewesen wäre, in den hell erleuchteten Gän gen zu schleichen. Zudem wollte ich nicht auf den ersten Blick durch meine Körperhal tung zu erkennen geben, daß ich eigentlich in diesem Gebäude nichts zu suchen hatte. Es war still im Haus, so still, daß ich die leisen Arbeitsgeräusche der Beleuchtung deutlich wahrnehmen konnte. Ich begann mich zu fragen, ob sich außer mir überhaupt jemand in dem Haus aufhielt. Ich beschloß, mich zu vergewissern. »Narr, du wirst entdeckt werden!« schimpfte mein Extrahirn. Ich kümmerte mich nicht um die War nung, sondern öffnete die Tür, die mir am nächsten war. Das Zimmer war erleuchtet und auch bewohnt.
Die Seelenheiler Der Mann auf dem Bett war unverkennbar Arkonide, ein noch junger Mann, der mit dem Rücken auf dem Bett lag und unver wandt zur Decke starrte. Er mußte gehört haben, daß jemand den Raum betreten hatte, aber er rührte kein Glied. Seine Augen blickten zur Decke, in einer Weise, als könnte der Blick das feste Mauerwerk durchdringen und bis zu den Sternen hinauf sehen. Erst als ich nähertrat, sah ich, daß der junge Mann weinte. Er starrte die Decke an und weinte lautlos. Ich zog mich zurück. Langsam begann ich zu begreifen, daß die Krankheiten, die auf Perpandron geheilt werden sollten, schlimmer und schreckener regender waren als jene Infektionen und Verletzungen, die man normalerweise mit dem Begriff Krankheit verband. Auch der junge Mann, den ich gerade gesehen hatte, war krank und brauchte Hilfe. Ich wußte nur zu gut, daß man diesen Patienten in seiner angeblich normalen Umwelt wahrscheinlich als irre angesehen und gemieden hatte. Die se Menschen wußten nicht – oder wollten nicht wissen –, daß bei genauer Prüfung auch im normalen Verhalten sich neuroti sche Strukturen haufenweise finden ließen. Ich wußte, daß es sogar Theoretiker gab, die den Begriff normal nur noch statistisch auf faßten und durchaus nicht als gleichbedeu tend mit dem Begriff geistig gesund ansa hen. Auf einen Besuch in einem weiteren Zim mer verzichtete ich. Ich konnte mir vorstel len, wie es hinter den anderen Türen ausse hen mußte. Ich fragte mich, wie ein Mensch geistig beschaffen sein mußte, der tagaus, ta gein mit solchen Patienten zu tun hatte. Mußte ein solcher Arzt nicht fast zwangsläu fig ebenfalls geistig Schaden nehmen? Viel leicht war das geheimnisvolle Treiben der Goltein-Heiler nötig, um sie eine solche psy chische Belastung ertragen zulassen. »Versuche, in die Tiefe zu gelangen«, meldete das Extrahirn knapp. Den Anlaß zu dieser Bemerkung bildete die Treppe, die ich gerade erreicht hatte. Ich
25 zögerte einen Augenblick lang. Je tiefer ich in das Gebäude eindrang, desto schwieriger würde es werden, wieder unbemerkt zu ver schwinden. Aber wenn ich etwas in Erfah rung bringen wollte, mußte ich das Risiko wohl oder übel eingehen. Also bewegte ich mich zögernd die Treppe hinab. Allmählich begann ich auch Geräusche zu hören, schwach zuerst, dann immer stärker werdend. Genauer bestimmen konnte ich die Geräusche nicht. Ich konnte mich nicht erin nern, jemals in meinem Leben etwas Ähnli ches gehört zu haben. Doch – eines gab es, und das war die Au ra der Furcht und des Schreckens gewesen, die der Blinde Sofgart für sich und seine Op fer geschaffen hatte. In diesem Bereich der Heiler-Station gab es ein verwandtes Flui dum, eine Atmosphäre, die mit Gefühlen wie Angst, Furcht, Verzweiflung und Haß aufgeladen war wie ein Hochspannungskon densator. »Das muß nicht unbedingt an den Heilern liegen«, mischte sich der Logiksektor ein. »Vielleicht bist du es, der diese Gefühle pro jiziert!« Im Kellerbereich war es entschieden dunkler als im übrigen Gebäude. Ein Däm merlicht nahm mich auf. Die Lampen waren verdeckt angebracht und verstrahlten ein dif fuses, rötliches Licht. Wahrscheinlich sollte es beruhigend wirken, auf mich jedoch wirk te es eher beklemmend. In diesem Teil des Gebäudes gab es of fenbar keine Türen. Die Gänge waren aus dem Felsen gemeißelt, aus dem die gesamte Plattform bestand, ein dunkles, rötliches Material. In den Wänden erkannte ich merk würdige Zeichnungen, Reliefs, die ich aber nicht zu deuten vermochte. Wenn es auf Per pandron einen Ort gab, der von den äußeren Voraussetzungen her für magische Handlun gen bestimmt war, dann mußte es dieses Ge wölbe sein. »Die Anlage verbindet sämtliche Gebäu de untereinander, die Gästehäuser ausge nommen!« Woher der Logiksektor die Informationen
26 bezogen hatte, die er in dieser knappen Mel dung zusammenfaßte, war mir ein Rätsel, aber sie ergab einen Sinn. Offenbar waren die Kuppelbauten und die anderen Gebäude lediglich Staffage. Das, was für Perpandron wirklich charakteristisch war, die eigentli chen Geheimnisse der Goltein-Heiler, lag buchstäblich im Dunkeln. Ich erreichte eine große Halle, aus der ein merkwürdiges Knistern an mein Ohr schlug. Erschrocken trat ich einen Schritt zurück. Die Halle war nahezu leer. Im Zentrum des kreisrunden Gewölbes stand ein steiner ner Sessel, auf dem ein Mann saß. Der kahle Schädel des Mannes schimmerte leicht im Licht, der Mann war offensichtlich ein Golt ein-Heiler. Was mich erschreckt hatte, war nicht der Heiler, der mit geschlossenen Augen auf dem Sessel saß. Es war die Wand der Kup pel. Die Oberfläche der Kuppelhalle wurde von merkwürdigen Gebilden vollständig be deckt. Es waren Blasen, die sich langsam durcheinanderbewegten. Die Oberflächen der Blasen opalisierten, im Innern gab es kleinere, kompakte Gebilde, die sich eben falls langsam bewegten. Ich hatte einmal einen vergrößerten Schnitt durch lebendes Gewebe gesehen, die einzelnen Zellen, die Zellkerne, das Proto plasma. An diese mikroskopische Aufnahme fühlte ich mich erinnert. Aber ich hatte noch nie von Zellen in Kopfgröße gehört, mit de nen man Wände bedecken konnte. Es war ein gespenstischer Anblick. Völlig lautlos, aber erschreckend lebendig wogten die Zellen durcheinander. Von den Zellker nen führten dünne Kanäle zu den Hüllen, von dort aus weiter zu anderen Zellen. Wahrscheinlich standen die einzelnen Zellen so untereinander in ständiger Verbindung. War dieses erschreckende Wesen intelli gent? Ich konnte die Frage nicht beantworten, und auch mein Extrahirn wußte keine Ant wort. Es schwieg, während ich den Heiler ins Auge faßte.
Peter Terrid Jetzt begriff ich auch die Ursache des ge heimnisvollen Knisterns, das mich auf die sen Raum aufmerksam gemacht hatte. Von der Spitze der Kuppel zog sich ein bläuli cher Strang senkrecht herab, kurz vor dem Kopf des Heilers fächerte er auseinander und mündete nach einem scharfen Bogen wieder am Kopf des Mannes. Auch dieser Strahl schien zu leben. Er zuckte, und von ihm ging auch das verhaltene Knistern aus. Unwillkürlich dachte ich an elektrische Hochspannung, aber das war ausgeschlossen – eine Spannung, die den Abstand zwischen der Decke und dem Kopf des Heilers über brücken konnte, hätte den Mann im Bruch teil einer Sekunde zu einem unförmigen Haufen zusammengeschmolzen. »Biologische Energie?« Offenbar hatte auch das Extrahirn seine Schwierigkeiten mit diesem Phänomen. Unverwandt starrte ich den Heiler an. Was machte dieser Mann, welchem Zweck diente dieser Raum? Bekam der Heiler von der Ansammlung von Gigantzellen Befehle oder Lebensenergie in Form der blauen Strahlung? Bezogen die Heiler hier die ge heimnisvollen Kräfte, mit denen sie angeb lich ihre Patienten heilten? Während ich den rätselhaften Vorgang beobachtete, schien der Heiler zu schrump fen. Ich traute meinen Augen nicht, blieb an meinem Platz und sah schärfer hin. Es ließ sich nicht leugnen, der Heiler schrumpfte tatsächlich zusammen. Ich schluckte nervös, und meine Augen wurden feucht – ein unübersehbares Zeichen für die Erregung, die von mir Besitz ergrif fen hatte. Meine Gedanken überschlugen sich förm lich. Ging die geheimnisvolle blaue Strah lung gar nicht von den Zellen aus, stammte sie vielmehr von dem Heiler selbst? War dies.der sagenumwobene Vorgang, bei dem das Böse, das der Heiler einem Patienten ab genommen hatte, gesammelt, gespeichert und konserviert wurde? Dann überschlugen sich die Ereignisse.
Es gab einen lauten Knall, dann war der
Die Seelenheiler Heiler von einer Sekunde zur anderen ver schwunden. Der Sessel war leer, und kaum war der Knall verhallt, da hörte ich hinter mir Schritte. Gegenüber, auf der anderen Seite der Kuppelhalle, gab es einen Ausgang. Ich zö gerte nicht lange und setzte mich in Bewe gung. Die Schritte waren hinter mir hörbar geworden, also suchte ich mein Heil in der Flucht nach vorn. Ich wollte gerade an dem steinernen Ses sel vorbeigehen, als die Strahlung, die zu sammen mit dem Heiler verschwunden war, nach mir griff. Der blaue Strahl zuckte auf mich herab. Ich stöhnte gequält auf. Laut zu schreien, durfte ich nicht wagen, obwohl die Schmer zen, die mir der Strahl bereitete, stark genug waren. Weißglühende Nadeln schienen in meinem Gehirn zu bohren, es zerreißen zu wollen. Ich spürte, wie meine Knie nachzu geben begannen. In meinen Ohren dröhnte es, den Impuls des Extrahirns hörte ich wie durch eine me terdicke Schicht aus Watte. »Vorwärts, bewege dich, sonst wirst du entdeckt!« Während der Schmerz mir den Schweiß auf die Stirn trieb, bewegte ich meine Beine. Sie wollten mir kaum gehorchen, aber ich kam Schritt für Schritt vorwärts. Immer stär ker wurde der Einfluß der Strahlung, und immer stärker wurde auch meine Angst. Ich wollte nicht wie der Heiler einfach ver schwinden, mich in Nichts auflösen. Wahr scheinlich, das bewiesen mir die Schmerzen, war ich überhaupt nicht für dieses Verfahren geeignet, weder physisch noch psychisch. Ich stand kurz vor dem Zusammenbruch, als die blaue Strahlung nachließ. Sie ver schwand ebenso schnell, wie sie mich über fallen hatte. Ich stürzte vornüber, aber ich war noch geistesgegenwärtig genug, mich sofort abzurollen und mich nach vorne zu werfen. Ich erreichte den rettenden Ausgang, Se kunden bevor ein zweiter Heiler den Raum betrat. Er sah sich kurz um, nickte zufrieden
27 und ging den Weg zurück, den er gekommen war. Es hatte nicht den Anschein, als habe er mich gesehen. Ich atmete erleichtert auf. Hätte der Mann mich gesehen, ich hätte kaum die Kraft ge habt, einen Angriff entgegenzutreten. Mein Atem ging pfeifend, mein Puls jagte. Dem Einfluß der blauen Strahlung war ich knapp eine halbe Minute lang ausgesetzt gewesen, aber diese dreißig Sekunden hatten ausge reicht, mich völlig zu erschöpfen. Ich brauchte Minuten, bis sich das Zittern mei ner Arm- und Beinmuskulatur gelegt hatte, eine noch längere Zeitspanne, bis sich meine Atmung und mein Herzschlag wieder nor malisiert hatten. »Du mußt weiter!« ermahnte mich mein Extrahirn. Ich raffte mich auf, obwohl ich mich zer schlagen fühlte. Im Weggehen warf ich noch einen Blick auf den Saal der Zellen. Zum zweiten Mal an diesem Tag blieb ich vor Verblüffung stehen. In den wenigen Minu ten, in denen ich zu erschöpft gewesen war, um mich um mehr als mich selbst zu küm mern, hatte sich der Raum vollständig ver ändert. Ich sah nur noch den nackten roten Fels, von den Zellen war nichts mehr zu se hen, auch der steinerne Sessel war ver schwunden. Statt dessen sah ich wieder den Heiler, der vor meinen Augen verschwunden war. Der Mann verließ gerade den Raum, zu meinem Glück durch den anderen Ausgang. Langsam begann ich zu begreifen, daß sich auf Perpandron Dinge abspielten, die mit meinem stark naturwissenschaftlich ge prägten Verstand nicht erfaßt werden konn ten. Waren hier Naturgesetze verwendet und benutzt worden, die ich noch nicht kannte? Oder vollzog sich das Geschehen in dem Kuppelsaal nach Regeln und Gesetzmäßig keiten, die das normale Weltbild überstiegen oder sprengten? Ich hatte keine Zeit, diese Frage gebüh rend zu bedenken. Ich mußte zusehen, daß ich weiterkam. Irgendwo in diesem Laby rinth der Rätsel wurde mein Vater versteckt gehalten, und ich war fest entschlossen, ihn
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Peter Terrid
zu finden.
4. Galur Paro pfiff vergnügt vor sich hin. Unter ihm brummte leise der Motor des Gleiters, seine Haare wehten im Fahrtwind, der von der See kam und merkwürdig roch, nach Salz und einigen anderen Dingen, die Galur nicht identifizieren konnte. Die Fläche hinter dem Sitz des Fahrers war mit Gütern vollgestapelt. Galur hatte ein aufblasbares Zelt mitgenommen, genügend Lebensmittel, um die Besatzung eines Kreu zers damit wochenlang verpflegen zu kön nen, dazu Tabletten, mit denen man ver schmutztes, salzhaltiges oder anderweitig ungenießbares Wasser so verändern konnte, daß man es dem menschlichen Metabolis mus ohne Risiko zuführen konnte. Natürlich hatte er sich auch bewaffnet. In seinem Ge päck befanden sich zwei Impulsstrahler, Thermithandgranaten, normaler Sprengstoff, ein Wurfseil, mehrere Schwerter und Mes ser, ein Langbogen mit Pfeilen … Der Ma gazinverwalter hatte nicht schlecht gestaunt, als Galur seine Anforderungsliste vorgelegt hatte. Ursprünglich hatte der Mann sich von dem Kriegsgerät nicht trennen wollen, aber einige größere Geldscheine hatten seine Be reitwilligkeit enorm gesteigert. Galur war mit sich selbst und seiner Um gebung zufrieden. Es war warm, die Sonne strahlte ohne hinderliche Wolken auf Per pandron hinab, und von der Station der Hei ler war längst nichts mehr zu sehen. Perpandron hatte ein Klima, das die Ent wicklung pflanzlichen und tierischen Lebens außerordentlich förderte. Das Gebiet, das Galur überflog, war allerdings nur schwach bewachsen. Der Wind hatte den feinkörni gen, roten Sand von der Küste landeinwärts getragen und auf einem mehrere Kilometer breiten Streifen das Leben fast erstickt. Galur hatte sich für diesen Landstrich ent schieden, weil er über den Dünen hinweg am leichtesten fliegen und so eine möglichst große Distanz zwischen sich und die Station
der Goltein-Heiler legen konnte. Aus der Ferne war das Kreischen der See vögel zu hören, dazwischen erklangen die heiseren Rufe der Tiere, die den nahen Dschungel bevölkerten. Galur hatte einige einschlägige Werke gelesen und wußte da her, daß sich in dieser grünen, dämmerigen Welt etliche Tiere herumtrieben, denen man besser aus dem Weg ging, wenn man nicht außerordentlich gut bewaffnet war und die nötige Kaltblütigkeit besaß, diese Waffen auch sinnvoll einzusetzen. Genau das war der Beweggrund, der Galur dazu gebracht hatte, sich für diesen Ausflug zu entscheiden. Er wollte sich selbst eine Mutprobe auferlegen, eine, in der es keine Möglichkeit gab, daß ihm Dargai Thal rechtzeitig zu Hilfe kam, wenn die Lage all zu bedrohlich werden sollte. Galur hatte nie mandem etwas von dieser Absicht erzählt, obwohl er das sichere Gefühl hatte, daß Thal ihn auch in diesem Fall durchschaut hatte. Galur hatte sich in den Monaten auf Perpan dron angewöhnt, jede seiner Handlungen mit größtmöglicher Ehrlichkeit zu durchleuch ten, und ihm war klargeworden, daß seine Sympathie für Dargai Thal gerade in der letzten Zeit merklich abgenommen hatte. Allmählich war Thal in Galurs Augen zu ei ner Art von menschlichem Lügendetektor geworden, und ein dauernder, allzu enger Kontakt mit einem solchen Detektor war mehr, als selbst der stärkste Charakter ertra gen konnte. Galur wäre vielleicht umgekehrt, hätte er gewußt, daß Thal selbstverständlich auch diese Reaktion genau vorhergesehen und so gar heraufbeschworen hatte. Für den Heiler war selbstverständlich, daß eine Heilung nicht so aussehen konnte, daß der Patient ohne Heiler nicht mehr leben konnte, daß er von ihm abhängig wurde wie von einem ge fährlichen Rauschgift. Irgendwann mußte der Patient lernen, ganz auf sich selbst ge stellt zu leben, und es war besonders erfreu lich, wenn dieser Trennungsvorgang lang sam verlief und vom Patienten selbst aus ging.
Die Seelenheiler Dies alles wußte Galur Paro nicht, und da her flog er weiter, pfeifend und ab und zu leise summend. Er freute sich auf die Aben teuer, die er zu erleben wünschte, allerdings hätte er sich nicht träumen lassen, daß er enorme Schwierigkeiten haben würde, diese Abenteuer zu überleben. »Was erlegen wir als erstes?« murmelte er nachdenklich. »Vielleicht einen Spring frosch?« Raumfahrer, die auf neue Planeten stie ßen, standen immer wieder vor dem glei chen Problem. Es gab Tausende von Welten, auf denen Leben existierte, aber nur ver gleichsweise wenige, auf denen sich intelli gentes Leben entwickelt hatte. Auf Planeten, auf denen es keine eigenständige Intelligenz gab, fanden sich folgerichtig keine Namen für die zahlreichen Tiere, die es dort gab. Also waren die Forscher gezwungen, für neue Tiere entweder vollständig neue Na men auszusinnen, was die meisten Raumfah rer allerdings überstrapazierte. Oder aber, man gab den Tieren Namen, die an bereits bekannte Tiere erinnerten. Der perpandronsche Springfrosch war ei nes dieser Tiere. Seinen Namen verdankte es dem Umstand, daß es grün war, häufig im Wasser lebte und enorm weite Sprünge ma chen konnte. Daß Springfrösche warmblütig waren, ihre Jungen lebend zur Welt brach ten, sie aber nicht säugten, war erst entdeckt worden, als die Frösche bereits mit einem Etikett versehen worden waren. Also war der Name geblieben. Galur Paro kannte die Spezies aus seinen Büchern. Gerne hätte er ein Exemplar in ei nem Zoo studiert, aber die Heiler vertraten die Meinung, daß es absoluter Unsinn sei, einen kostenintensiven Zoo zu bauen, wenn die Natur ein ungleich größeres Freigehege zur Verfügung stellte. Immerhin wußte Galur, daß perpandronsche Springfrösche ei ne Rumpflänge von bis zu vier Metern errei chen konnten, Mäuler mit zahngespickten Kiefern besaßen und dazu einen so langen Darm, daß sie fast alles verschlingen und verdauen konnten, unvorsichtige Jäger ein
29 geschlossen. Charakteristisch für die Frösche war das dritte Auge der Tiere. Es saß dort, wo bei Galur der Hinterkopf zu finden war. Beim Tode des Frosches erstarrte das Auge zu ei ner kristallinen Masse von erstaunlich hoher Härte. Gut geschliffene und polierte Spring froschaugen standen als Schmuck hoch im Kurs, und Galur wollte sich eine solche Tro phäe verschaffen. »Typisch«, murmelte er, als er daran dachte. »Wer selbst nichts ist, versucht we nigstens die Schale aufzupolieren!« Wie er es von Dargai Thal gelernt hatte, überprüfte er sich selbst und kam zu der Ein sicht, daß er es nicht nötig hatte, mit einer solchen Trophäe anzugeben. Das bestärkte ihn in seinem Entschluß, einen Springfrosch zu jagen und zu erlegen. Der Gleiter machte flotte Fahrt, während allmählich die Sonne hinter dem Horizont versank. Galur suchte sich einen Lagerplatz am Rande des Dünenstreifens. Das Zelt unmit telbar neben der Küste aufzuschlagen, wie er es ursprünglich geplant hatte, hatte er aufge geben. Es gab immer wieder überraschende Sturmfluten, und Galur hatte keine Lust, sich fortspülen zu lassen. Das Zelt war so konstruiert, daß es sich auch von einer Person ohne Mühe aufstellen ließ. Er mußte nur eine Öffnung in der dop pelwandigen Außenhülle mit einem Kom pressor verbinden, der an den Gleitermotor angeschlossen wurde und von dort seine Energie erhielt. Der Kompressor füllte die Hülle innerhalb weniger Minuten mit Druckluft und ließ so eine fünf Meter durch messende Halbkugelschale entstehen. Die nötige Festigkeit, um Stürme und sogar Raubtierangriffe überstehen zu können, er hielt die Halbkugel durch eingearbeitete Verstrebungen aus einem zähen, aber hoch elastischen Material. Es besaß zudem den Vorzug, sich beim Ablassen der Druckluft so zusammenzuziehen, daß die Zelthülle sich ganz von selbst wieder in ein handli ches Paket verwandelte – eine technisch auf
30 wendige, aber sehr einfache Lösung, die Zeit und Energie sparte. Galur arretierte die Steuerung des Glei ters, um zu verhindern, daß sich das Fahr zeug in der Nacht selbständig machte. Den Motor ließ er mit minimaler Kraft laufen, er lieferte den Betriebsstrom für die Leuchtkör per im Innern des Zeltes und die Kühlbox auf der Ladefläche, in der Galur neben tief gefrorenen Fleischstücken Getränke und vor allen Dingen hitzeempfindliche Medizinen aufbewahrte. Es gab etliche Tiere auf Per pandron, die bösartige Gifte produzierten, gegen die nur eine rasche Behandlung mit einem Gegengift half. Auch mit diesen Anti doten hatte sich Galur reichlich eingedeckt. In der Nähe des Lagerplatzes fand Galur eine klare Quelle. Das Wasser schmeckte fremd, aber sehr angenehm. Galur kannte nur Wasser, das destilliert worden war und anschließend mit Mineralien versetzt wurde. Selbst die aufwendigste Technik konnte nicht erreichen, daß dieses Wasser seinen merkwürdig dumpfen, schalen Geschmack verlor. Galur wußte, daß er mit jedem Schluck des Quellwassers einige Tausend Mikroorganismen schluckte, obwohl das Wasser völlig klar war, aber er störte sich nicht daran. Holz gab es ebenfalls in ausreichender Menge. Galur verzichtete darauf, die Geräte zu benutzen, die auf der Ladefläche gesta pelt waren. Er entfachte ein kleines Lager feuer und briet sich ein Stück Fleisch darauf. Dazu trank er das klare Wasser der Quelle und grinste vergnügt. »Galur, Galur«, murmelte er spöttisch. »Was würden deine Freunde sagen, wenn sie dich so sähen. Galur Paro, der Herr der Wildnis?« Er stand förmlich neben sich selbst und sah sich über die Schulter. Er trank Wasser, das von Keimen wimmeln mußte, briet Fleisch, das bei dieser Art der Zubereitung mit Sicherheit krebserzeugende Substanzen entwickelte, beispielsweise Brenzpyren, hockte neben einem unbequemen Zelt, führ te einen verbissenen Kampf gegen blutdür-
Peter Terrid stige Insekten – und fühlte sich wohl dabei. Galur war zu intelligent, um nicht zu wis sen, daß er dieses Abenteuer hauptsächlich wegen der darin vorhandenen Unlogik such te. Obendrein mußte er sich eingestehen, daß er – wenn er ehrlich war – nur am Abenteuer schnuppern wollte. Im Grunde genommen war er nicht der Typ Mann, der das Unbe kannte, das Fremde, die Gefahr brauchte, um wirklich leben zu können. Galur würde sich in gefährliche Situationen nur hineinbe geben, wenn er sicher sein konnte, mit ei nem Satz wieder ungefährdet zu sein – Abenteuer mit schußbereiten Traktorstrahlen und doppeltem Netz aus Arkonstahl sozusa gen. »Auch gut«, murmelte Galur und streckte sich neben dem Feuer aus. »Es kann nicht jeder ein Held sein!« Galur dachte an die neuen Besucher Per pandrons, die er am Morgen zufällig gese hen hatte. Dieser stämmige, muskelbepackte Kolonialarkonide mit den dunklen, krausen Haaren, der häufig grinste – er hatte sich an Galurs Stelle sicherlich anders aufgeführt. Dazu die Frau, nicht eben ein Ausbund an Schönheit, aber auf eigentümliche Weise reizvoll und attraktiv – sie machte den Ein druck einer ruhigen Selbstsicherheit, die Galurs ohnehin vorhandene Scheu vor Frauen bis zur Panik hätte steigern können. Dazu der zweite Mann, sichtlich ein reinblütiger Arkonide und von hohem Rang, aber ohne die typische Höflingsarroganz. Galur war sich sicher, daß diese drei Personen die Hilfe der Goltein-Heiler nicht brauchten. »Vergiß es, Galur!« murmelte er und gähnte. Er löschte das Feuer aus und zog sich in das Zelt zurück. Nach kurzer Zeit war er eingeschlafen und konnte in seinen Träumen befriedigt feststellen, daß er nicht nur ei gentlich ein ausgesprochen gutaussehender junger Mann war, sondern obendrein ein er staunlich erfolgreicher Draufgänger, zumin dest was diese unbekannte Arkonidin betraf. Galur grinste im Schlaf, drehte sich herum und träumte lächelnd weiter.
Die Seelenheiler
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* Ich hatte völlig die Orientierung verloren. Die unterirdischen Gänge in der Station der Heiler waren derart geführt worden, daß man sich verirren mußte, wenn man nicht zu den Eingeweihten gehörte. Allerdings erfüll te mich die Tatsache, daß ich mich verlaufen hatte, nicht mit Aufregung. Ich konnte mich darauf verlassen, daß mein fotografisches Gedächtnis jeden meiner Schritte gespei chert hatte. Notfalls brauchte ich mich nur auf das Extrahirn zu verlassen, es würde mich sicher auf den richtigen Weg bringen, selbst wenn ich so schnell laufen mußte, daß mir keine Zeit blieb, mich um die Richtung zu kümmern. Es war ein gefährliches Unterfangen, aber mir blieb, wenn ich Informationen sammeln wollte, nichts anderes übrig – ich mußte dorthin gehen, wo ich Geräusche hörte und wo es mit großer Sicherheit auch Heiler gab, die mich entdecken konnten. Ich schätzte, daß es im Untergrund der vier Kuppeln der Heiler mindestens fünfzig, wenn nicht mehr, Hallen und Säle gab, in denen die Goltein-Heiler ihre absonderli chen Riten praktizierten. Überall waren die Wände mit Bildern und Schriftzeichen be deckt. Ich konnte weder aus den Reliefs noch aus den Inschriften schlau werden. Fragen über Fragen türmten sich auf. Welche Verbindungen gab es zwischen dem ausgestorbenen Volk, das diese Gänge ge schaffen hatte, und den Heilern, die sie für ihre Zwecke nutzten? Hatten sie die magi schen Praktiken, deren Spuren ich überall finden konnte, von diesem Volk übernom men, und wenn ja, auf welche Weise? Das Dämmerlicht, das die Gänge erhellte, war wenig geeignet, mich klarer sehen zu lassen. Die Beleuchtung war offenkundig auf Effekt angelegt. Sie sollte die Besucher, vor allem die Patienten, beeindrucken, sie auf das vorbereiten, was ihnen bevorstand. Ich mußte zugeben, daß dieser Zweck er reicht wurde, auch meine Stimmung wurde
davon beeinflußt. Wieder erreichte ich einen der unterirdi schen Behandlungsräume. Der Lärm, der mir entgegenschlug, ließ darauf schließen, daß sich eine größere Zahl von Personen darin aufhielt. Ich schlich mich mit besonde rer Vorsicht an, spähte um einen Felsvor sprung … Diesmal gab es keine Kuppel aus Gigant zellen, diesmal waren die Wände mit Mas ken bedeckt, die von erlesener Scheußlich keit waren. Unwillkürlich erinnerte ich mich an die Monsterfabriken auf Za'Ibbisch, der schwarzen Welt. Die Masken in der Halle erinnerten stark an die grotesken Geschöpfe, die uns dort zugesetzt und meine Mann schaft erschreckend dezimiert hatten. Der »Wandschmuck« dieses Raumes war ähn lich beeindruckend, und beklommen stellte ich fest, daß die Fratzen, die ich für Masken gehalten hatte, offenbar lebten. Geifer tropf te aus den zahngespickten Kiefern, die ste chenden Augen rollten gierig, die Mäuler öffneten und schlossen sich mit einem ner venerschütternden Knacken. In der Mitte des Raumes stand ein Patient. Sein Oberkörper war nackt, aber nicht unbe deckt. Goldfarbene, leuchtende Gebilde schlängelten sich um den Körper, zuckten und bewegten sich. Der Patient war in Schweiß gebadet, sein Blick wanderte schreckerfüllt von einer der satanischen Fratzen zu anderen. Seine Lip pen öffneten und schlossen sich, aber der Mann brachte keinen Ton zuwege. Ich sah sein Zittern, den von Panik überschwemm ten Blick, die goldfarbenen Schlangen, die auf seinem Körper ein gespenstisches Ballett aufführten. Der Patient wurde umringt von minde stens zwanzig Goltein-Heilern. Auch ihre Oberkörper waren nackt. Man konnte fast durch sie hindurchsehen, wären die Gesich ter nicht gewesen, die auf den Körpern auf tauchten, den Patienten höhnisch anbleckten und wieder verschwanden. Es gab keine Er klärung für diese Vorgänge, auch das Extra hirn meldete sich nicht.
32 Ich sah: Die Gesichter der Heiler, zu maskenhafter Starre verzerrt, schweigend und furchterre gend starrten sie den wie gelähmt verharren den Patienten an. Die Heiler tanzten, lang sam und gleichmäßig, zu einer lauten Musik von Pfeifen und Trommeln, die mitten aus der Luft zu kommen schien. Die Arme und Beine lösten sich von den Körpern, beweg ten sich frei durch die Luft, wuchsen an ei nem anderen Körper wieder an. Die Köpfe wanderten in gleicher Weise. Zwischen den stumm tanzenden Heilern und dem von Furcht und Entsetzen gelähmten Patienten standen metallene Schalen, deren Gravierun gen in düsterem Rot leuchteten. Rauch schwaden stiegen aus ihnen auf, ballten sich zusammen und formten Körper von er schreckender Häßlichkeit. In Sekunden ent standen die Monstren aus Rauch, verwehten dann wieder und machten neuen Schreckensgestalten Platz. Dazu kam der Geruch. Es war jener merk würdige Geruch der Jahreszeit, in der sich das Leben aus der Natur zurückzuziehen scheint, der leichte Moderduft verfaulender Blätter, die feuchte Kühle eines nebelge schwängerten Morgens, der von Blumenduft durchsetzte Geruch eines frischen Grabes, die Ausdünstung des frisch geschnittenen Sargholzes, der beklemmende Geruch der aufgeworfenen Erde, die durchsetzt ist mit abgestorbenen Blättern und Insekten – dies alles, tausendfach verstärkt und geschwän gert mit dem betäubenden Aroma schwelen den Harzes, das den Atem nimmt und das Hirn mit teuflischen Sinnestäuschungen um fängt. So roch der Tod, in seiner reinsten, fast abstrakten Form. Ich fand keinen anderen Vergleich als die sen. Ich stand am Rand des Geschehens und verdankte es wahrscheinlich meinem Extra hirn, wenn ich nicht völlig von dem Gesche hen gefangengenommen wurde. Was aber bewegte den Patienten, durch welche Höllen der Angst und der Qual wurde sein gemar-
Peter Terrid terter Geist durch diesen Spuk geschleift? Ein neues Geräusch erfüllte die Luft, ein Gelächter, dessen Bösartigkeit fast zu grei fen war. Ich sah, wie der Patient zusammen zuckte, sich zu krümmen versuchte, dann begann er zu schreien. Es war ein Schrei, der alles enthielt, was ein Mensch an Gefühlen der Angst und Verzweiflung ausdrücken konnte. Die Heiler setzten ihren gespensti schen Tanz ohne Pause fort, kümmerten sich nicht um das gellende Schreien des Patien ten, das langsam in ein Wimmern und Schluchzen überging. Der Patient begann zu stammeln, brachte sinnlose, unverständliche Silben hervor. Übergangslos brach der Spuk zusammen. Die Masken verschwanden hinter wir belnden Rauchschleiern, die infernalische Musik riß ab, die tanzenden Heiler verharr ten Sekundenlang. In der Zeit eines Herz schlags hatte sich das Bild völlig verändert. Der Patient wimmerte noch sekunden lang. Er öffnete die Augen, starrte verwirrt in die Runde. Die Heiler veränderten fast synchron ihre Gesichter, die maskenhafte Starre schwand, die Gesichter wurden aus drucksvoller. Sie lächelten. Ein Heiler nach dem anderen ging auf den verwirrten Patienten zu, umarmte ihn, strei chelte ihn. Ein Singsang leiser Worte ging auf den Patienten nieder wie ein lauwarmer Sommerregen. Der Tonfall der Stimmen, die Bewegungen – sie drückten eine Zärtlichkeit und ein Mitgefühl aus, das als Gegensatz zu dem schaurigen Spiel Minuten zuvor nicht extremer sein konnte. Ich sah, wie der Pati ent zu weinen begann, lautlos, und wie sein Gesicht den ersten Anflug eines Lächelns zeigte. Zwei Heiler nahmen den Patienten bei der Hand und führten ihn vorsichtig fort, ohne dabei ihren beruhigenden Zuspruch ab zubrechen. In dem gleichen Maße, in dem sie zuvor versucht hatten, den Patienten psy chisch zu foltern, versuchten sie nun, ihn zu frieden und glücklich zu stimmen, und ich konnte an dem Lächeln des Patienten sehen, daß sie beide Verfahren mit der gleichen Gründlichkeit und Präzision zu beherrschen
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wußten. Ich zog mich verwirrt zurück. Dieses Schauspiel überstieg mein Be griffsvermögen. Gern hätte ich jetzt Fartu loon an meiner Seite gehabt. Was hätte der Bauchaufschneider zu diesem Vorgang ge sagt? Ich wollte gerade weitergehen, als ich hinter mir ein leises Geräusch hörte. Ich wollte mich herumdrehen, aber noch in der Bewegung traf mich der Schuß aus einem Paralysator. Ich stürzte, vollständig gelähmt, zu Boden, schlug hart und schmerzhaft auf. »Es ist verboten, den Behandlungen bei zuwohnen«, sagte eine ruhige Baßstimme hinter mir. Ich lag so, daß meine Augen auf den Bo den blickten. Der Paralysatorschuß hatte mich voll getroffen, ich konnte kein Glied mehr rühren. Ich spürte, wie mich der Mann anfaßte und mir eine Maske über die Augen schob. Schlagartig wurde es um mich herum dunkel. In dieser undurchdringlichen Fin sternis ergriffen mich mehrere Hände und hoben mich in die Höhe. Man schleppte mich fort. Wohin?
* Galur Paro erwachte, streckte die Glieder aus und räkelte sich. Unwillkürlich stöhnte er leise auf. Er hatte auf dem blanken Boden geschla fen, wie es sich für einen abgehärteten Jäger gehörte, zumindest nach Galurs Vorstellung. Jetzt schmerzte jeder Muskel. Ächzend und stöhnend richtete sich Galur auf. Er bereute, daß er den bequemen Schlafsack auf der Ladefläche des Gleiters gelassen hatte. Es war früher Morgen, und im Innern des Zeltes war es unangenehm kalt. Galur, noch halb schlafend, wollte sich, wie er es ge wohnt war, unter eine Dusche stellen, bis ihm einfiel, daß er auf diese Annehmlichkeit freiwillig verzichtet hatte. »Elende Romantik«, fluchte er.
Nackt tappte er aus dem Zelt und blieb am Eingang minutenlang stehen. Die ersten wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne taten der Haut gut und wärmten die erstarr ten Muskeln wieder auf. Galur nahm ein Handtuch aus seinem Gepäck, dazu ein Stück Seife. Er grinste die Dose mit dem Haarentfernungsmittel an und ließ sie liegen. Irgend etwas mußte er als Andenken von diesem Ausflug zurückbringen, und wenn es nur ein struppiger, verfilzter Bart war. Hof fentlich wuchs in der kurzen Zeit des Aus flugs überhaupt genug Bart nach, daß er da mit Eindruck schinden konnte. Galur ging zu der Quelle hinüber. Er war es nicht gewohnt, ohne Schuhe zu gehen, schon gar nicht auf einem unebenen, von kleinen Steinen bedeckten Waldboden. Er bemühte sich, so selten wie möglich auf spitze oder harte Gegenstände zu treten und bekam dabei einen Gang, der verdächtig an den eines volltrunkenen Bären erinnerte. Das Wasser war von grimmiger Kälte. Mit äußerster Willensanstrengung brachte es Galur fertig, hineinzutauchen und sich zu waschen. Nach dem Bad war seine Haut fast blau, seine Zähne klapperten, und er hatte einige Mühe, das Handtuch in den zitternden Händen zu halten. Er hatte abends, um die lästigen Insekten abzuhalten, das Zelt dicht verschlossen. Die se Maßnahme entpuppte sich als glatter Fehlschlag. Zum einen waren genügend In sekten dennoch hineingeschlüpft, um seinen Körper mit einigen Dutzend leicht ange schwollener Einstichwunden zu versehen, von denen ein lästiger Juckreiz ausging. Zum anderen hatte sich Galurs Atemfeuch tigkeit an den Zeltwänden niedergeschlagen und im Laufe der Nacht sämtliche Klei dungsstücke gleichmäßig durchfeuchtet. Schimpfend stieg Galur in die klamme Klei dung. Sehnsüchtig dachte Galur an die Station der Heiler. Dort hätte er um diese Zeit in ei nem behaglichen Bett gelegen und darauf gewartet, daß ihm ein Robot das Frühstück servierte, in der Menge und Qualität, die
34 man als Patient der ersten Klasse erwarten durfte. Galur brauchte fast eine Stunde für das Frühstück, dann aber waren seine Kleider wieder trocken, das Medikament, das er ein genommen hatte, unterdrückte wirkungsvoll den Juckreiz, und auch die verspannten Muskeln schmerzten nicht mehr so stark. Ei ne weitere Stunde brauchte er, um das Zelt und die anderen Ausrüstungsgegenstände wieder auf der Ladefläche zu verstauen und festzuzurren. Galur schwang sich in die Schale und versuchte, die Arretierung der Steuerung zu lösen. Irgendein Wurm oder ein anderes Tier, das ziemlich klein war, hatte sich in jener Öffnung verkrochen, in die der Schlüssel ge hörte. Was für ein Tier genau das war, inter essierte Galur nicht, er stellte aber erbittert fest, das der ungebetene Gast nicht daran dachte, seinen Unterschlupf zu räumen. Galur versuchte es mit Gewalt, aber der Schlüssel ließ sich nur zur Hälfte ins Schloß stecken. Galur fluchte laut und hemmungslos, aber auch das half nicht. Der winzige Eroberer des Gleiters blieb, wo er war. »Wenn nicht mit Kraft, dann mit Che mie!« Galur holte den Insektenspray aus dem Gepäck. Die Aufschrift auf der Dose ver sprach, daß selbst handtellergroße Insekten nach einem Volltreffer abstürzten und schon tot waren, bevor sie den Boden berührten. Entweder war der Verfasser des Textes ein ausgemachter Lügner, oder die Erfinder des Mittels hatten noch nie etwas von dem per pandronschen Schloßwurm gehört, wie Galur seinen unsichtbaren Gegner getauft hatte. Das Tier wich nicht von der Stelle, im Gegenteil: es schien das Gift zu mögen, ver zehrte es und gab den Rest in Form eines feinen Flüssigkeitsstrahles wieder von sich. Galur konnte gerade noch zurückzucken, sonst hätte ihn der Strahl getroffen. Die Flüssigkeit spritzte auf die harte Sitzschale, die Sekunden danach Blasen warf und einen widerlichen Geruch verbreitete, der Galur
Peter Terrid zur Flucht zwang. »Auch gut, dann wirst du eben geröstet!« Galur stellte den Strahler auf geringste In tensität und zielte auf das Schloß. Der Strahl zuckte zu dem Schloß hinüber und erhitzte es. Innerhalb weniger Augenblicke änderte das Schloß seine Farbe, und nach kurzer Zeit glühte es dunkelrot. Galur schätzte die Tem peratur auf mindestens eintausend Grad, aber der Schloßwurm wich nicht. Noch gab Galur den Kampf nicht verloren. Er versuchte es mit Kälte, aber auch das schlug fehl. Er stülpte einen Becher über das Schloß, um dem Wurm die Luft zu nehmen, aber das Tier brannte mit seinen Ausschei dungen ein Loch in den Boden des Bechers und brachte es dabei zu allem Überfluß fer tig, das Funkgerät zu treffen und in ein qual mendes, stinkendes Etwas zu verwandeln, mit dem sich nichts mehr anfangen ließ. Langsam geriet Galur ins Schwitzen. Er wußte, daß er diese Episode nieman dem erzählen durfte. Er, Galur Paro, im Zweikampf einem Wurm unterlegen? Nie mals, schwor sich Paro. Er würde zum Ge spött der Galaxis werden. Galur versuchte, den Wurm zu locken, in dem er verschiedene Nahrungsmittel vor das kleine Loch hielt, in dem die Bestie steckte. Der Wurm schien sich ausreichend an dem Insektengift gesättigt zu haben und reagierte nicht. Dann füllte Galur eine Spritzflasche, erst mit Wasser, dann mit diversen Chemi kalien, dann mußte er einsehen, daß er den Kampf verloren hatte. Vielleicht war der Wurm tot, vielleicht lebte er noch – in jedem Fall hatte Galur aus Wasser, Hydraulikflüs sigkeit, Enthaarungscreme, eine höllisch scharfe Gewürzsauce und einem Gegengift gegen Schwirrflügler von Zalit, die es auf Perpandron gar nicht gab, einen neuen Kunststoff produziert, der in allen Farben des Spektrums schillerte, einen betäubenden Geruch nach gebratenem Fleisch verströmte und dazu eine Härte aufzuweisen hatte, ge gen die Galurs Werkzeugkiste kein Mittel wußte. Diese Masse verstopfte das Schlüs selloch und hatte einen Teil der Instrumente
Die Seelenheiler mit einem dünnen Film überzogen, der nicht mehr zu entfernen war. Galur hockte sich auf den sandigen Boden und fluchte erbittert. Das Funkgerät war hoffnungslos zerstört, die Sitzschale qualmte noch immer und zischte leise. Die Instrumente ließen sich kaum mehr ablesen, und das Schloß war er stens von dem Wurm verstopft und zweitens von Galurs unfreiwilliger Erfindung blockiert. Galur wußte, was das bedeutete. Zu dem Zeitpunkt, als die Instrumente noch klar erkennbar waren, hätte er den Gleiter immerhin noch in die Höhe gebracht und anlassen können. Er hätte dann aller dings auf dem schnellsten Wege zurückflie gen müssen, denn ein zweites Mal hätte er den Motor so nicht starten können. Hilfe herbeizurufen war ausgeschlossen, denn das Funkgerät war nicht mehr zu gebrauchen. Und ohne klar ablesbare Instrumente zu flie gen, kam einem Selbstmordversuch gleich. Galur konnte annähernd abschätzen, wie weit er sich von der Station der Goltein-Hei ler entfernt hatte. Für diese Strecke würde er zu Fuß mindestens zwei Tage brauchen, wahrscheinlich mehr. Zwei oder mehr Tage mit unzureichender Ausrüstung durch einen Dschungel, den er nicht kannte – Galur wuß te, daß seine Lage alles andere als rosig war. Er ballte die Fäuste und drohte damit dem versteckten Wurm. »Verfluchtes Biest!« schimpfte er. Zuerst nahm er die Bewegung gar nicht wahr, dann aber erkannte er, daß sich der von ihm zusammengebastelte Kunststoff zu bewegen begann. »Lebt das Zeug vielleicht?« staunte Galur. Wenig später wußte er, daß der Kunststoff nicht lebte, wohl aber der Schloßwurm. Der Kunststoff schmeckte ihm, und Galur glaub te fast, das genießerische Schmatzen seines winzigen Feindes hören zu können. Galur hielt den Atem an, als der Wurm sichtbar wurde. Der Wurm war dunkelblau, zeigte auf der Haut zartrosa Punkte und war eigentlich
35 hübsch anzusehen. Galur holte schnell ein Vergrößerungsglas und sah sich seinen Geg ner genauer an. Am Vorderende des Wurmes waren zwei winzige, dunkelgrüne Augen zu sehen, dar unter ein winziges Maul, das mit ungeheurer Geschwindigkeit den Kunststoff verschlang. Auch seine Erfindung betrachtete Galur etwas genauer, und plötzlich erschrak er so heftig, daß er fast aus dem Gleiter gefallen wäre. Als er sein Gebräu zusammengestellt hat te, waren ihm auch die Reste eines Mittels in die Hände gefallen, das er vor einigen Mo naten für kurze Zeit genommen hatte, um seine leicht aus.den Fugen gegangene Figur wieder zu stabilisieren. Jetzt sah Galur mit Entsetzen, daß sich der flüssige Appetitzüg ler nicht mit den anderen Bestandteilen ver mischt hatte. Das Plastikmaterial hatte den in kleinste Tropfen zerlegten Appetithem mer lediglich eingekapselt, und Galur sah schreckensbleich zu, wie sich der Wurm auf den ersten dieser Tropfen zubewegte. Galurs Stirn bedeckte sich mit feinem Schweiß, seine Hände wurden feucht. »Heilige Chemie!« stöhnte Galur unter drückt. Er nahm wieder das Vergrößerungsglas zur Hand und starrte auf den verhängnisvol len Tropfen. Die folgenden Sekunden er schienen ihm so dehnbar wie die Moral des derzeitigen Imperators. Galur hielt die Luft an. Der Wurm hatte mit seiner Mahlzeit auf gehört, einige Millimeter vor dem winzigen Tropfen, der Galur wie die Verkörperung des Unheils erschien. Der Wurm bewegte sich, hob das Vorderteil seines Leibes leicht in die Höhe. In dreißigfacher Vergrößerung sah Galur, wie der Wurm sein Maul öffnete und in die ser Stellung verharrte. Die dunkelgrünen Augen des Wurmes schienen direkt auf Galur gerichtet zu sein. Haß stieg in Galur hoch, Haß auf den nur einige Millimeter dicken Wurm. Es war völ lig ausgeschlossen, das es der Wirklichkeit
36 entsprach, aber Galur hatte plötzlich das Ge fühl, als würde er von diesem Wurm regel recht ausgelacht. »Ich dreh' dir die Gurgel um!« knurrte Galur haßerfüllt. »Friß, Vieh!« Der Wurm richtete sich noch weiter auf und begann mit dem Kopf hin und her zu pendeln. Galurs Körper begann vor verhalte nem Haß zu zittern, seine Muskulatur ver krampfte sich. Nach einer Zeitspanne, die endlos lang er schien, nahm der Wurm seine Mahlzeit wie der auf. Ohne zu zögern, schlang er auch den Appetitzügler hinab. Galur wankte er schöpft zur Seite, ließ die Hand sinken, die das Vergrößerungsglas gehalten hatte. Er at mete tief und erleichtert durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er brauchte eine halbe Minute, um seine Fassung wiederzufinden, dann erst war er fähig, den Wurm wieder mit dem Vergröße rungsglas zu beobachten. Der perpandronsche Schloßwurm hatte den langen Plastikstrang, der von dem Schloß bis auf den Boden des Gleiters reich te, zum größten Teil bereits gefressen. Seine Farbe hatte sich allerdings beträchtlich geän dert. Der Körper erstrahlte jetzt in einem sat ten Violett, die früher zartrosafarbenen Punkte hatten jetzt einen lindgrünen Ton. Unentwegt schlang der Wurm das Plastik material in sich hinein und wurde dabei zu sehends länger. Wieder hielt Galur den Atem an, als auch der letzte Rest des Stran ges verzehrt war. Der Wurm pendelte eine Zeitlang unschlüssig hin und her, dann zog er sich zusammen und nahm die Instrumen tenscheiben in Angriff. Während der Schloßwurm die Scheiben von dem Kunststoff befreite, verfertigte Galur aus kaum sichtbarer Angelschnur eine Schlinge, die er mit äußerster Behutsamkeit um den Wurm legte. Einstweilen zog er sie noch nicht zusammen, noch brauchte er das Tier. Erst als sämtliche Scheiben wieder klar waren, zog Galur sehr schnell an der Angel schnur. Die Schlinge zog sich zusammen und schnürte den Wurm ein. Dann begann
Peter Terrid Galur zu ziehen, sehr zart und behutsam – weniger aus Rücksicht auf die Gefühle sei nes bunten Widersachers, sondern mehr aus Angst, der Wurm könne sich in zwei Teile zerlegen, die vielleicht auch unabhängig voneinander existieren konnten. Dann hätte es Galur gleich mit zwei Schloßwürmern zu tun gehabt, und er wußte, daß dieser Kampf ihn überfordert hätte. Der Wurm zerriß nicht. Aber er wurde dünner. Galur entfernte sich langsam vom Gleiter. Er zog die Angelschnur hinter sich her, dar an den Wurm. Nach fünf Metern mußte Galur die erste Pause einlegen. Der Wurm war jetzt zwar so dünn, daß man ihn nur noch dank seiner auf fälligen Farbe sehen konnte, aber er war au ßerordentlich zäh. Bei zehn Metern legte Galur die zweite Pause ein, der Wurm mußte inzwischen eine Gesamtlänge von mehr als zwanzig Metern erreicht haben, und Galur begann sich zu fragen, wie lang die Bestie wohl noch werden mochte. Vor seinem gei stigen Auge tauchte eine Schreckensvision auf: daß der Wurm sich durch das Schloß hindurchgebohrt hatte und mit dem weitaus größten Teil seines Körpers im Erdboden steckte. Galur war gerade damit beschäftigt, sich geistig auf einen langen Marsch vorzuberei ten, als der Wurm ein Ende fand. Der Zug an der Angelleine hörte abrupt auf, Galur stürzte unsanft, aber er hielt das Ende der Angelschnur fest in der Hand und damit auch den Wurm. Während Galur sich aufrappelte, schrumpfte der Wurm zusammen und wurde mit jedem Herzschlag kürzer und dicker. Als Galur wieder auf den Füßen stand, hatte er noch eine Länge von zehn Zentimetern, da für aber einen Durchmesser von annähernd vier Zentimetern. Galur wartete noch einige Augenblicke, bis der Wurm seine Schwin gen ausgebreitet hatte und schrill pfeifend davongeflattert war, dann ging er zum Glei ter zurück. Mit einem ausgesprochen befriedigten
Die Seelenheiler
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Gefühl schob er den Schlüssel ins Schloß und entfernte die Arretierung. Eine Minute später schwebte der Gleiter wieder mit hoher Geschwindigkeit über die Landschaft Per pandrons. Galur pfiff vergnügt.
5. »Sie können ruhig Ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Ich habe nichts gegen Männer, die weinen, wenn es dafür einen Grund gibt, und die stöhnen, wenn sie starke Schmerzen haben!« Ich konnte Ra grinsen sehen. Mir war nicht nach Lächeln zumute. Ich litt unter den Nachwirkungen des Paralysatorschusses. Der Mann, der auf mich geschossen hatte, wollte sichergehen – er hatte den Strahler auf höchste Intensität gestellt, und dafür mußte ich jetzt zahlen. Man hatte mich durch die unterirdischen Gänge geschleppt und mich mit verbunde nen Augen in meinem Zimmer auf das Bett gelegt. Noch glaubte ich die Stimme eines der Heiler hören zu können: »Es ist ungeschriebenes Gesetz auf Per pandron, daß Unbefugte keinen Zutritt zu den Behandlungsräumen haben. Da in die sem Fall dagegen verstoßen wurde, werden wir Ihre Freiheit künftig in dem Maß ein schränken müssen, das uns aus Heilungs gründen erforderlich erscheint!« Dann waren die Heiler gegangen. Ra und Karmina Arthamin hatten sofort gewußt, was mir zugestoßen war. Sie kann ten Paralysatoren und deren Auswirkungen, und ich kannte sie auch, das war das Infame an der Sache. Stundenlang hatte ich hell wach auf meinem Bett gelegen und auf das Unvermeidliche gewartet. Die Schmerzen waren schlimm, aber das Warten darauf war eine Qual. Trotz Karminas Aufforderung biß ich die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien. Karmina sah dies und schüttelte den Kopf. »Männer?« Jetzt begann Ra laut zu lachen, und das
Geräusch schmerzte in meinen Ohren. Die schlimmsten Anfälle hatte ich bereits hinter mir, aber es würde noch einige Zeit verge hen, bis ich meine Gliedmaßen wieder ein wandfrei bewegen konnte. »Man hat dir übrigens alles gelassen«, er klärte mir Ra. »Die Waffen und auch die versteckten Geräte. Entweder sind diese Leute grenzenlos dumm oder unerhört selbstsicher!« Ich nahm an, daß die zweite Möglichkeit ins Schwarze traf. Die Heiler hatten von meinem Eindringen in ihr Heiligtum weiter kein Aufhebens gemacht. Sie hatten mich betäubt, abgeschleppt und unter Arrest ge stellt, als wäre dies ein Routineverfahren. Das gab mir zu denken. Hätten die Heiler gewußt, wer der Patient war, den ich ihnen übergeben hatte, wären sie wohl kaum derart ruhig geblieben. Oder war eben diese Gelas senheit ein sicheres Zeichen dafür, daß sie die wahre Identität meines Vaters erkannt hatten? Ich kam nicht mehr dazu, diesen Gedan ken weiter nachzuhängen, ein neuer Schmer zanfall lenkte mich davon ab. Ich ließ ein schmerzliches Seufzen hören, sonst gelang es mir, mich zu beherrschen. Natürlich hatte man mir ziemlich bald ein Medikament ver abreicht, das einen Teil der Schmerzen dämpfte, aber das Mittel half nur wenig. Ich versuchte mich aufzurichten, fiel aber wieder zurück. Ich mußte warten, Geduld haben, bis die Schmerzen so weit nachlie ßen, daß ich mich wenigstens mit Ra und Karmina unterhalten konnte. Ich brannte darauf, ihnen von meinen Erlebnissen der Unterwelt von Perpandron zu berichten.
* Sie hatten mir schweigend zugehört, aber vor allem dem impulsiven Ra war dieses Schweigen sichtlich schwergefallen. Ich konnte sehen, wie stark mein Bericht die beiden beeindruckt hatte. Allerdings konnte ich auch aus Karminas Zügen eine unüber sehbare Spur von Skepsis herauslesen.
38 Wahrscheinlich erschienen ihr die Dinge, die ich berichtet hatte, ziemlich haarsträu bend. »Deinen Vater hast du nicht gesehen?« Ich mußte Ras Frage verneinen. Mein Logiksektor sagte mir, daß ich von dem riesigen unterirdischen Bezirk höch stens zehn Prozent gesehen hatte, vermutlich steckte mein Vater in den anderen neunzig Hundertteilen. »Und was sollen wir jetzt unternehmen?« fragte Karmina. Sie deutete auf das Fenster, vor dem ein kaum wahrnehmbarer Energie vorhang flimmerte. Töten würde er mich nicht, wenn ich ihn zu durchbrechen wagte, wohl aber würde er die Heiler alarmieren und mir entsetzliche Schmerzen bereiten. Draußen auf dem Gang spazierte ein Posten auf und ab. Wir waren praktisch Gefangene. »Das bedeutet nichts Gutes«, murmelte Ra. »Ob die Heiler inzwischen herausgefun den haben, daß ihr merkwürdiger Patient der alte Imperator Gonozal VII. ist?« »Genau das ist die Kernfrage«, warf Kar mina Arthamin ein. »Ich bin mir irgendwie nicht sicher, daß das Geheimnis weiterhin eines ist. Vor allem weiß ich nicht genau, welche Rolle die Goltein-Heiler in der arko nidischen Politik spielen, vor allem nicht, welche Stellung Klemir-Theron hat. Der alte Imperator ist in jedem Fall ein hochbedeut samer Machtfaktor. Klemir-Theron kann ihn an Orbanaschol ausliefern, dann ist er der Held des Imperiums, er kann ihn aber auch behalten und für eigene politische Ziele aus nutzen – falls er welche hat. Grundsätzlich stehen die Heiler nach dem, was ich weiß, ziemlich neutral zum Imperium. Sie sind un abhängig, genießen den Schutz Arkons und revanchieren sich, indem sie die Vornehmen des Imperiums heilen.« Damit hatte Karmina das Problem, das mich beschäftigte, kurz und präzise umris sen. Ich trommelte nervös mit den Fingerspit zen auf der Tischplatte. Karmina saß ruhig da, während Ra, ebenso erregt wie ich, im Zimmer umherlief. Er vertrug das Einge-
Peter Terrid sperrtsein noch weniger als ich. »Ein Ausbruchsversuch?« Ras Vorschlag klang beim ersten Anhören nicht schlecht, verlor aber rasch bei näherer Betrachtung. »Ohne meinen Vater?« Ich deutete aus dem Fenster. Zwischen uns und unserem Beiboot gab es genug Menschen, die uns den Weg verstellen konnten. Genau betrachtet, saßen wir in ei ner erschreckend guten Falle. Es klopfte an der Tür, Karmina öffnete. Im Eingang stand Klemir-Theron. Er zeigte das gleiche Gesicht wie bei unserer Begrü ßung. Auf mein Herumschnüffeln ging er mit keinem Wort ein. »Wir haben den Patienten untersucht«, er öffnete er. »Und?« Karmina, Ra und ich sprachen gleichzei tig. Karmina erhob sich von ihrem Sitz und starrte dem Heiler ins Gesicht, auch Ra un terbrach seine Wanderung im Zimmer. »Wir können nicht helfen, so sehr wir auch möchten«, sagte der Heiler ruhig. »Der Mann hat alles verloren. Sein Geist ist hoff nungslos vernichtet, es gibt nicht den ge ringsten Ansatz für eine Heilung. Einen Geist, der praktisch gar nicht mehr vorhan den ist, können wir nicht heilen, das über steigt selbst unsere Kräfte und Fähigkeiten!« Der Heiler mußte wissen, welche Bedeu tung diese Worte für meinen Vater und auch für uns haben mußten, aber er sprach so ge lassen, als verkünde er uns, daß ein Raum schiff so wrack sei, daß man es nicht mehr reparieren könne. Ich starrte den Mann an, versuchte etwas aus seinen Zügen herauszu lesen, aber es gelang mir nicht. Dieser Golt ein-Heiler war nicht zu durchschauen, jeden falls nicht von mir. Ich preßte die Zähne zusammen. Sicher, ich hatte meine Zweifel gehabt, aber im Stillen hatte ich doch gehofft, daß die Heiler ein kleines Wunder vollbringen konnten. Die Erlebnisse der letzten Nacht hatten diesen Glauben noch bestärkt. Um so schlimmer war jetzt der Absturz in die
Die Seelenheiler Wirklichkeit, die Enttäuschung, die sich in mir breitmachte. Auch Karmina und Ra machten betroffene Gesichter. Gelassen und fast abweisend blieb der Gesichtsausdruck von Klemir-Theron. »Es wird besser sein, wenn Sie abreisen. Die Heiler von Perpandron können Ihnen nicht helfen!« »Und mein …« »Was wird aus dem Patienten?« mischte sich Ra hastig ein, der sofort erkannt hatte, daß ich so niedergeschlagen war, daß ich al le Vorsicht vergaß und den Patienten fast als das bezeichnet hätte, was er war – mein Va ter. »Können wir den Patienten sehen? Wir wüßten gern, ob wir irgendwelche Vor schriften beachten müssen, wenn wir ihn zu rückfliegen.« »Sie können den Patienten nicht mitneh men!« Diese Eröffnung Klemir-Therons ver schlug mir die Sprache. »Bitte?« »Der Patient ist zwar nicht zu heilen, be darf aber ständiger sachkundiger Pflege. Es gibt in der ganzen Galaxis keine besseren Fachleute als hier auf Perpandron.« Ich öffnete den Mund zu einer Entgeg nung, aber der Heiler fiel mir ins Wort. »Unsere eingehenden Untersuchungen ha ben zudem ergeben, daß es gefährlich wäre, einen derart kranken Menschen ohne Auf sicht zu lassen. Der Patient könnte für seine Mitmenschen zur Gefahr werden, es wäre unverantwortlich, ihn weiter unter lebenden Arkoniden zu belassen!« Ich horchte auf. »Unter lebenden Arkoniden«, hatte der Heiler gesagt. Lebenden! Wußte er, daß ich versucht hatte, meinem toten Vater mit mei nem letzten Lebenskügelchen das Leben zu rückzugeben? Ahnte er, daß er einen FastToten untersucht hatte? Oder war dies eine rein zufällige Formulierung gewesen. »Das können Sie nicht bestimmen«, wi dersprach Karmina. »Wir werden den Pati enten mitnehmen, auch wenn Ihnen das
39 nicht recht ist!« »Wir haben entsprechende Vollmachten Seiner Erhabenheit«, versetzte der Heiler kalt. »Wir haben durchaus die rechtlichen Mittel, einen Patienten, der eine öffentliche Gefahr darstellt, auch gegen den Willen sei ner Angehörigen zurückzuhalten!« »Information korrekt!« gab der Logiksek tor durch. Jetzt blieb mir nur noch ein Einwand. »Grundsätzlich bin ich mit Ihrem Vor schlag einverstanden, Klemir-Theron. Aber ich fürchte, daß es sich die Familie des Pati enten nicht leisten kann, für den Rest seines Lebens die Pflege auf Perpandron zu bezah len. Mir fehlen zudem entsprechende Voll machten von Seiten der Familie des Patien ten!« »Narr!« schimpfte das Extrahirn. »Du hast deinen Vater als Mann höchster Ab stammung vorgestellt. Die Bezahlung der Pflegekosten kann für seine Familie niemals ein Hindernis darstellen!« Klemir-Theron reagierte auf diesen offen kundigen Fehler mit keiner Miene. Ruhig sagte er: »Vollmachten brauchen Sie nicht, die ha ben wir. Und was die Pflege angeht – der Fall dieses Patienten ist so außergewöhnlich, daß die Vereinigung der Heiler für die Ko sten aufkommen wird. Wir werden der Fa milie des Patienten in Abständen von einem Jahr Bulletins zugehen lassen, in denen wir über die Fortentwicklung des Patienten be richten werden. Ich wünsche einen angeneh men Flug!« Er ließ mich mit einem Gefühl ohnmäch tiger Wut zurück. Ich sah ein, daß ich einst weilen nichts unternehmen konnte. Erst mußten wir unsere Handlungsfreiheit zu rückgewinnen, dann konnten wir weiterse hen.
* Langsam senkte sich der Gleiter auf den Boden. Er kam, begleitet von einem dump fen Knirschen, zum Stillstand.
40 Es war früher Nachmittag in diesem Be reich des Planeten. Galur hatte sich dazu entschlossen, den Ort seiner großen Jagd et was näher an die Station der Heiler zu verle gen. Leicht konnte ihm ein ähnliches Mißge schick zustoßen wie am Morgen. Für diesen Fall wollte er wenigstens eine reelle Aus sicht haben, ohne mörderische Strapazen wieder die sichere Station der Goltein-Heiler erreichen zu können. Galur war ein wenig müde. Er hatte Hun ger und überall dort, wo er seinen Körper zu lange der Sonne ausgesetzt hatte, einen kräf tigen Sonnenbrand. In den nächsten Tagen würde er sich häuten wie eine Schlange. Galur sprang aus dem Gleiter, und als er stes griff er nach dem Klebeband und hin derte so seine speziellen Freunde, die per pandronschen Schloßwürmer, daran, ihm er neut Verdruß zu bereiten. Umsichtig und mit Ausdauer machte sich Galur daran, jede Rit ze, deren Inbesitznahme durch einen Schloß wurm Schwierigkeiten für ihn bereiten wür de, mit der Folie zuzukleben. Dann erst machte er sich daran, das Zelt aufzustellen. Nach einer halben Stunde hatte er den Platz für das Nachtlager so vorbereitet, daß er spä ter nicht mehr viel zu tun hatte – er würde lediglich das Feuer löschen müssen, dann konnte er in sein Bett kriechen, diesmal mit Schlafsack. »He, ihr Braten!« schrie er übermütig in den Dschungel hinein. »Wartet auf mich, ich komme gleich!« Er hätte sich auch von den üppigen Vorrä ten ernähren können, aber ihn reizte die Vor stellung, selbsterlegtes Wildbret über dem Feuer rösten und verzehren zu können. Trotz seiner romantisch angehauchten Schwärmerei war Galur vernünftig genug, sich bei seinem Pirschgang nicht nur mit Messer, Bogen und Pfeilen auszurüsten, sondern vorsichtshalber auch einen Strahler mit gefülltem Magazin mitzunehmen. Man konnte nie genau wissen, ob man in den nächsten Stunden Beute machen würde oder unversehens selbst in diese Rolle gedrängt wurde.
Peter Terrid Galur trug einen engen Anzug aus dün nem, sehr reißfestem Kunstleder. Den Bo gen trug er in der Hand, auf dem Rücken hing der Köcher mit den Pfeilen. An der Hüfte hing das Halfter mit dem Strahler, auf der anderen, der linken Seite, das Messer aus vergütetem Arkonstahl. Die lederüber zogene Scheide war eine Spezialanfertigung, sie schliff das Messer, angetrieben durch die Gehbewegungen, solange es in der Scheide steckte. Galur prüfte den Wind. Er wehte von der Küste landeinwärts, also von Galur auf die erwartete Beute zu. Das zwang Galur dazu, einen weiten Bogen zu schlagen, damit er den Wind von vorn hatte und von dem Wild nicht gewittert werden konnte. Ziemlich rasch geriet Galur ins Schwit zen. Er hatte sich das Anpirschen erheblich leichter vorgestellt. Äste schlugen ihm ins Gesicht, dornige Sträucher hinterließen rote Spuren auf den freien Hautflächen zwischen den Handschuhen und dem Ärmel. Immer wieder sank Galur bis an die Waden in den fauligen Schlamm ein, ab und zu mit solcher Geschwindigkeit, daß der Schlamm hoch spritzte und sein Gesicht allmählich mit ei ner graugrünen Masse bedeckte, die ebenso übel roch wie sie aussah. Leben gab es in diesem Bereich des Waldes genug. Galur hörte das Kreischen der Vögel, die über seinen Köpfen umher schwirrten und lärmten. Irgendwo wimmer ten andere Tiere in den Ästen, es raschelte leise im Unterholz, und ab und zu hörte Galur ein heftiges Knacken, das ihn sofort erstarren ließ. »Wenn ich nur wüßte, welches Viehzeug sich hier herumtreibt«, murmelte der junge Mann. Langsam wurde ihm unheimlich zumute. Um ihn herum war der Dschungel, in dem das Leben nach Grundsätzen verlief, die Galur nicht kannte. Diese dumpfe, grüne Welt war nicht sein Lebensbereich, hier konnte vieles, was er sah oder hörte, tödlich sein. Vor allem war es überaus anstrengend,
Die Seelenheiler sich einen Weg durch das Dickicht zu bah nen. Die Spezialscheide hatte an dem Mes ser zwar tagelang herumgeschliffen, aber durchaus nicht zur Hebung der Schärfe bei getragen. Galur mußte sich anstrengen, wenn er unterarmdicke Lianen durchtrennen wollte. Es war warm, unter dem dichten Blätter dach staute sich die Hitze. Dies, verbunden mit den körperlichen Anstrengungen des Marsches brachte Galur ins Schwitzen. Der Schweiß lief in dicken Tropfen über seine Stirn und brannte, wenn er in die Augen ge riet. Sein Rücken war naß, und das dichte Kunstleder trug dazu bei, im Innern des Le deranzugs Verhältnisse wie in einem Dampfbad zu schaffen. »Ich muß eine Pause machen!« murmelte Galur erschöpft. Er suchte sich einen Baumstumpf, der aus einem freien Stück des Bodens herausragte. Der Stamm lag einige Meter weiter, offen bar hatte hier ein Sturm die Verwüstungen angerichtet, die aber vom alles überwu chernden Dschungel nach kurzer Zeit ver deckt worden waren. Galur setzte sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Liebend gerne hätte er den feuchten, heißen Anzug ausgezogen, aber er fürchtete sich vor giftigen Insekten. Sehen konnte er von den geflügelten Plage geistern nichts, aber das bedrohliche Sum men war nicht zu überhören. Über ihm gab es einen Fleck in dem fast undurchdringlichen Blätterdach, und Galur machte die unangenehme Feststellung, daß er offenbar nicht auf die Zeit geachtet hatte, die er im Dschungel verbracht hatte. Es wur de langsam Nacht, und es wollte Galur gar nicht schmecken, eine Nacht im Dschungel zu verbringen. Dunkel genug war es schon jetzt, aber in kurzer Zeit würde es so finster sein, daß er vermutlich seine eigenen Füße nicht mehr würde sehen können. Galur versuchte herauszufinden, was er jetzt noch wahrnehmen konnte. Da war der Baumstumpf, der Stamm, die freie, grasbe standene Fläche rings um den Stumpf, der
41 braune Erdring, der diese Fläche abgrenzte, und der plötzlich einen Kopf hatte und zu Galur hinübersah, und einen Körper bekam, der ebenfalls braun war und sich bewegte – gradlinig auf Galur zu … Der Kopf wiegte sich hin und her. Die vier blauen Augen fixierten Galur, der ver ängstigt auf dem Baumstumpf saß und hoff te, daß die Bestie ihn nicht sehen würde. Zu rühren wagte er sich nicht. Vielleicht konnte das braune Wesen nur solche Objek te sehen, die sich bewegten. Es gab solche Tiere, das wußte Galur, aber die Wahr scheinlichkeit war gering, daß auch der Erd wurm zu dieser Sorte gehörte. Seit den Er eignissen am frühen Morgen hatte Galur vor Würmern jeglicher Art einen gehörigen Re spekt, der mit der Größe des betreffenden Wurmes wuchs, und dieser Wurm war ab scheulich groß. Der Wurm öffnete das Maul, und es war so groß, daß Galur recht gut darin Platz fin den konnte, wenn es dem Erdwurm einfiel, sein Maul über den Menschen zu stülpen. Galurs Gedächtnis suchte aus der Erinne rung eine längst vergessene Information her aus, einen Video-Film, in dem eine ver gleichsweise magere Schlange es fertig brachte, eine Beute in einem Stück zu ver schlingen, die mehr als viermal so dick war wie die Schlange. Angst überfiel Galur, Angst in ihrer hin terhältigsten und niederträchtigsten Form. Sie lähmte ihn, obwohl gerade diese Läh mung die Gefahr vergrößerte. Galur wußte, daß er etwas tun mußte, daß ihm die Zeit fortlief. Wenn er nicht sehr bald etwas unter nahm, wurde der kritische Termin überzo gen, dann gab es eine Katastrophe. Und die Angst, die Galur unerbittlich gepackt hatte, die Angst vor dieser verhängnisvollen Ter minüberschreitung, lähmte ihn. Der braune Wurm wurde zusehends dicker. Seine Länge konnte Galur in seiner Beklommenheit nicht schätzen, aber ihm war klar, daß sie in jedem Fall ausreichen würde, ihn mehrfach zu umwickeln. Dann konnte der Wurm ihn zerquetschen, und
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Galur spürte, daß er diesem Schicksal nicht mehr entrinnen konnte. Längst war der Zeit punkt verpaßt, an dem er durch rasches Han deln und energischen Einsatz noch das Blatt hätte wenden können. Galur verharrte in seiner Stellung. Einen menschlichen Gegner hätte Galur noch um Schonung anflehen können, aber Galur wuß te, daß der Erdwurm darauf nicht reagieren würde. Inzwischen hatte der Erdwurm eine Dicke erreicht, die annähernd der von Galurs Ober schenkel entsprach. In dem schwachen Licht, das durch den Filter aus Blättern drang, konnte Galur sehen, daß der Wurm lang genug war, um einen fünffachen Ring um ihn und den Baumstamm zu legen. Langsam beruhigten sich Galurs überreiz te Nerven wieder. »Vielleicht gibt es doch noch eine Mög lichkeit!« murmelte er so leise, daß man ihn nur einen halben Schritt weit hätte hören können. Galur bewegte sich so langsam, wie seine angstbebenden Glieder es zuließen. Nach ei ner angsterfüllten Minute stand er aufrecht auf dem Baumstumpf. Gleichzeitig hatte der Wurm seine Kriechgeschwindigkeit erhöht. Seine mörderischen Schlingen umfaßten be reits das untere Ende des Baumstumpfs. Galur brach der Schweiß aus allen Poren, als er sah, wie sich die Ringe höher und hö her türmten. Mit atemberaubender Ge schwindigkeit wickelte sich der Erdwurm auf, und nach einer halben Minute spürte Galur eine leise Berührung an den Waden. Ring auf Ring schob sich übereinander, er reichte die Hüften, den Magen … Galur schloß die Augen, wartete auf den Druck, auf das Geräusch brechender Kno chen, die seine eigenen sein würden. Dann schlug die Falle zusammen …
* Uns blieb nichts anderes übrig, wir muß ten unsere Quartiere räumen. Wir wurden von frostigen Blicken begleitet, als wir das
Gästehaus verließen. Die Heiler schienen sichtlich froh zu sein, uns loszuwerden. Klemir-Theron hatte uns bereits verab schiedet, er erschien nicht noch einmal. War unser Empfang nach der Landung schon kühl ausgefallen, so mußten wir jetzt fest stellen, daß man uns mit der Freundlichkeit behandelte, die man gegenüber Pestkranken an den Tag legen würde, wenn man eine An steckung vermeiden will. Immerhin erwartete uns am Ausgang ein Gleiter, wieder gesteuert von einem Robot, und diese Maschine schien es noch eiliger zu haben als ihr Vorgänger. Wir rasten in ei nem fürchterlichen Tempo durch die Stadt, und meine Begleiter hatten das zweifelhafte Vergnügen, mich angstbleich zu sehen. Al lerdings konnte ich bei einem raschen Sei tenblick feststellen, daß sie viel zu sehr da mit beschäftigt waren, ihr eigenes Seelenle ben in Ordnung zu bringen, um meine Reak tion überhaupt zu bemerken. Wir erreichten das Startfeld in Rekordzeit. Der Robot lud uns aus, räumte das wenige Gepäck mit einer fast schon beleidigenden Eile aus dem Laderaum und ließ uns stehen. »Ausräuchern sollte man die Brut!« schimpfte Ra. »Diese Heiler haben ein Be nehmen, wie man es sonst nur bei …« »… Barbaren findet«, half ich aus. Karmina lachte halblaut, und Ra grinste verwegen. Wir kletterten in das Beiboot und ließen die Maschinen anlaufen. Minuten später hob das Boot ab. Ich sah, daß ein an deres Boot zur gleichen Zeit zur Landung ansetzte, und sofort stand mein Plan fest. Ich tat so, als hätte ich die Sicherheits überwachung nicht gesehen und brachte un ser Boot auf Kollisionskurs. Erst in letzter Sekunde zog ich unser Boot zur Seite und verhinderte den unausweichlich erscheinen den Rammstoß. Es war ein riskantes Manöver, aber es glückte. Unser unfreiwilliger Helfer hatte einen miserablen Piloten, der vor Schreck die Steuerung verriß und in gefährlicher Weise auf das Landefeld hinabtrudelte. Ich imitier
Die Seelenheiler te seine Flugweise und brachte so unser Boot in der Form in Sicherheit, die mir vor geschwebt hatte. Anstatt in steilem Flug auf zusteigen, drückte ich das Boot zur Seite, auf einen nahen Bergkamm zu, den die Raumüberwachung mit ihren Orterstrahlen nicht durchdringen konnte. Währenddessen stürzte das fremde Boot in abenteuerlichen Spiralen dem Landefeld entgegen. »Verdammt, dieser Pilot ist entschieden schlechter als ich dachte!« Zu mehr als dieser Verwünschung hatte ich keine Zeit, ich mußte mich auf das ris kante Manöver konzentrieren, das mir jetzt bevorstand. Es galt, eine enge Felsspalte zum Durchschlüpfen zu benutzen. Das Ma növer glückte. Auf der anderen Seite der Spalte zog ich das Boot nach rechts und ra ste mit höchster Geschwindigkeit in der Deckung der Berge aus dem Erfassungsbe reich der Ortung. »Glück gehabt!« murmelte Ra. »Ich habe übrigens beobachten können, daß der andere Pilot sein Boot einigermaßen glatt landen konnte.« Ich atmete erleichtert auf. Ich hatte darauf gehofft, daß der fremde Pilot für kurze Zeit die Nerven verlieren würde. Es war nahelie gend, daß sich alle Welt dann ausschließlich mit dem vermeintlichen Havaristen beschäf tigte und unser Manöver nicht beachtete. Al lerdings hatte ich nicht vorhersehen können, daß mein Mitspieler ein derart erbärmlich schlechter Pilot war, daß er sein Boot fast hätte zerschellen lassen. In einem weiten Bogen flogen wir lang sam zu der Plattform zurück, auf der die Heiler ihre Station errichtet hatten. Ange sichts des Durcheinanders, das mein Manö ver hervorgerufen hatte, war nicht anzuneh men, daß man uns besondere Aufmerksam keit widmete. Vor allem, wenn wir schein bar gelangweilt die Landschaft überflogen, würde man uns nicht beachten. »Das fremde Boot gehört einem Mann, der zur Führungsspitze des Imperiums zählt!«
43 Diese knappe Nachricht des Extrahirns gab mir letzte Gewißheit. Ein Mann in so hoher Stellung würde in seiner – zugegebe nermaßen berechtigten – Wut auf mich einen derartigen Wirbel entfachen, daß man auf Perpandron tagelang damit zu tun haben würde. Auf unserem Rückflug durften wir natür lich der Station der Goltein-Heiler nicht zu nahe kommen. Ich setzte das Beiboot in ei nem Waldgebiet ab, in einiger Entfernung von der Station – weit genug, um nicht von jedem Ausflügler entdeckt werden zu kön nen, aber nahe genug, um mit den Trans portmitteln der Kampfanzüge schnell die Station erreichen zu können. Ich grinste zufrieden, als das Boot zum Stillstand kam. Um uns herum wurde es dunkel, die Nacht brach an. In der stählernen Zelle konnte uns nicht viel geschehen, aber wehe dem, der jetzt ohne ausreichende Aus rüstung in der Wildnis herumlief.
6. Galur Paro schrie gellend. Er flog durch die Luft, prallte auf einen nachgiebigen Gegenstand und wurde erneut in die Höhe geschnellt. Wieder flog er frei und schrie. Er spürte den Wind auf seinem Gesicht und das wahnwitzige Hämmern sei nes Herzens. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als er endlich wieder Herr seiner Sinne war. Er hatte das Gefühl, als sei jeder Knochen seines Körpers in Splitter zerlegt. Daß zumindest die oberen Halswirbel in takt sein mußten, zeigte sich, als Galur mit der Hand ein Insekt wegfegte, das sich auf seinem Gesicht niedergelassen hatte. Stöh nend tastete Galur seinen Körper ab. Sehen konnte er in der undurchdringlichen Finster nis nichts, aber es schien nichts gebrochen zu sein. Und langsam begriff Galur Paro auch, wie er an diesen Ort geraten war. Er hatte stark geschwitzt, erst vor An strengung, nachher aus Angst. Ein Teil der
44 Flüssigkeit war durch die Poren des Kunstle ders gedrungen, und angesichts der Angst, die Galur ausgestanden hatte, war auch ge nügend Schweiß vorhanden gewesen, um die Oberfläche des Anzugs seifig glatt zu machen. Galur konnte sich vorstellen, was geschehen war. Der Wurra hatte seine Schlingen zugezo gen, rasch und energisch. Ihm war das glei che widerfahren, was Galur schon einige Male erlebt hatte, als er in einer von Schmutz und Seifenlauge undurchsichtig ge wordenen Brühe im Bad gelegen hatte und eine ausdauernde Hatz nach der verlorenge gangenen Seife veranstaltet haftte. Wenn man nicht sanft zupackte, glitt die Seife wie der aus den Fingern, manchmal sprang sie senkrecht aus dem Wasser, beschrieb eine Parabel und tauchte dann platschend wieder ins Wasser, wo die Jagd weitergehen konnte. In ähnlicher Weise war Galur aus den Fängen des Erdwurms geglitten und durch die Luft geschleudert worden. Anschließend mußte er auf einer sehr biegsamen Astkrone gelandet sein, die sich durchgebogen hatte, bis seine kinetische Energie aufgezehrt war. Diese Energie verwandelte sich in den bieg samen Fasern des Baumes, um sich nach dem Stillstand der Bewegung zurückzuver wandeln und Galur erneut in die Höhe zu schleudern. Mit wie vielen Baumwipfeln er auf diese Weise Bekanntschaft gemacht hatte, konnte Galur im nachhinein nicht schätzen, aber den Schmerzen nach zu schließen, mußte er eine beträchtliche Strecke auf diese Weise zurückgelegt haben. »Heilige Galaxis!« stöhnte Galur. »Wenn ich das meinen Freunden erzähle … kein Wort darf ich berichten, sonst werde ich für immer auf Perpandron eingesperrt!« Das Skurrile an seinem Erlebnis reizte Galur zum Lachen, aber er unterdrückte die Heiterkeit. Seine Bauchmuskeln schmerzten derart, daß ein Lachen zur Qual geworden wäre. Irgend etwas kroch langsam über Galurs rechtes Bein. Galur bewegte es ruckartig,
Peter Terrid und das Tier verschwand geräuschvoll im nahen Unterholz. Um Galur herum war es so finster, daß er nichts sehen konnte, nicht einmal sich selbst. Aber Leben gab es im Dschungel trotz der Finsternis, das konnte Galur überdeutlich hören. Überall knackte und knisterte es, be wegten sich samtpfotige Tiere durch die Fin sternis, Flügel knatterten, Insekten summten. Zum ersten Mal in seinem Leben nahm Galur die Geräusche des Lebens in dieser Vielfalt und Konzentration wahr. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Im Dunkeln zu liegen, den vielfältigen Klängen nachzulauschen, den ruhigen, gleichmäßigen Schlag des Herzens zu spüren – Galur be gann zu lächeln. Auf eine seltsame Art fühl te er sich ruhig und sicher. Der Boden unter ihm war weich und bequem, nach kurzer Zeit war Galur eingeschlafen.
* Ich sah auf die Uhr, es wurde Zeit für mich. Nach meiner Schätzung lagen jetzt die normalen Bewohner Perpandrons in ihren Betten, während die Heiler in den dunklen Gewölben ihren Praktiken folgten. Ich hatte selbstverständlich keine Lust, meinen Vater hier einfach zurückzulassen. Die Bedeutung seiner Person machte ihn zu einer Art politi scher Zeitbombe. Früher oder später würde einer der Heiler sich an das markante Ge sicht erinnern, und dann würde es zu spät sein, meinen Vater aus den Händen der Hei ler zu befreien. Ich war fest entschlossen, ihn zurückzuholen, nötigenfalls mit Gewalt. Ra sah nachdenklich zu, wie ich in den flugfähigen Kampfanzug schlüpfte und den Waffengurt umschnallte. »Allein dürftest du kaum eine Chance ha ben!« stellte er fest. »Ich werde dich beglei ten!« »Und wer paßt auf das Boot auf?« fragte ich. »Wir können es nicht einfach hier ste henlassen.« Ich wußte nur zu gut, daß es nicht nur tie
Die Seelenheiler risches Leben gab, das durch die kleinsten Ritzen kriechen und den Tod bringen konn te, es gab auch Pflanzen, die einen mörderi schen Appetit auf Blut hatten. Und was Pflanzen zuwege bringen konnten, wußte ich ebenfalls. Ich hatte Keimlinge gesehen, die es geschafft hatten, eine halbmeterdicke Platte aus Plastbeton zu sprengen. Dieses Material galt als nahezu unverwüstlich und wurde gerne für kleinere Raumhäfen ge braucht. »Ich werde aufpassen!« versprach Karmi na Arthamin und lächelte mir beruhigend zu. »Ich nehme an, Sie vertrauen meinen Fähig keiten genug, um mir das Schiff anvertrauen zu können?« Ich mußte grinsen. Natürlich konnte Karmina das Beiboot bewachen, von einer Sonnenträgerin wurde üblicherweise mehr verlangt, als selbst abge brühte und kampferfahrene Raumlandesol daten zuwege brachten. Ra hatte ihren Vorschlag gar nicht erst ab gewartet, sondern sich ebenfalls seinen Kampfanzug übergestreift. Der Anzug paßte leidlich, obwohl Ras Statur in den Maßlisten der arkonidischen Flottenschneiderei sicher lich nicht enthalten waren – er war zu kurz und zu breitschultrig für normale Maße. Daß er es aber mit jedem normalen Anzugträger aufnehmen konnte, hatte ich schon früher feststellen können. Der Barbar stellte in je der Lage seinen Mann, und er hatte sich auch schon mit mir gemessen. Wenn er ge gen andere Gegner mit der gleichen Zähig keit, Schläue und Kraft vorging, mit der er mich bekämpft hatte, brauchte ich keine Sorgen zu haben. Mit der ihm eigenen Schnelligkeit und Gründlichkeit prüfte Ra seinen Anzug durch. Alle Geräte arbeiteten einwandfrei. Dann erst konnten wir daran denken, das Beiboot zu verlassen. »Wie lange soll ich warten?« erkundigte sich Karmina. Ich brachte ein verzerrtes Lächeln zuwe ge. Auch Ra grinste. Natürlich, in unserem
45 Selbstvertrauen war die Möglichkeit nicht enthalten, daß uns etwas zustoßen konnte. Ich hatte oft genug am Rande des Todes ge standen, aber vorher und nachher hatte ich irgendwie immer das sichere Gefühl gehabt, daß es zwar übel zugehen konnte, aber mir nicht Entscheidendes geschehen würde. »Vierundzwanzig Stunden«, sagte ich ha stig. »Wenn wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht zurückgekehrt sind, dann informieren Sie Fartuloon. Er wird wissen, was zu tun ist!« Karmina nickte kurz, sie hatte verstanden. Ra und ich verließen das Beiboot, hinter uns verschloß Karmina Arthamin die Schleuse wieder. Das nächtliche Dunkel des Dschun gels nahm uns auf. Im Licht meines Helm scheinwerfers konnte ich Ras breites Grin sen sehen. »Woran denkst du?« »An meine Heimat«, sagte der Barbar fröhlich. »An die vielen Nächte, die ich im Urwald verbracht habe. Eine schöne Zeit, wenn auch ziemlich gefährlich.« »Sehnsucht?« »Kaum. Gefahren gibt es überall genug, Menschen auch. Aber …« Ich konnte ihn gut verstehen. Überall in der Galaxis gab es schöne, aufregende, abenteuerliche Plätze, und wer suchen konn te, fand auch überall Freunde, aber wie in den meisten Fällen ging nichts über alte Freunde und alte Plätze, die man kannte und liebte. »Bevor wir zu träumen anfangen, vor wärts!« Ich schaltete den Antigrav des Anzugs ein und stieß mich ab. Ra folgte sofort meinem Beispiel. Wenig später schwebten wir mit hoher Fahrt über den Baumwipfeln. Unser Ziel war nicht zu verfehlen. Deutlich zeich neten sich die erleuchteten Kuppeln der Hei ler-Station gegen den nachtdunklen Himmel ab. Wir brauchten eine knappe halbe Stunde schnellen Fluges, um den Rand des Gebiets zu erreichen, das von den Goltein-Heilern besiedelt worden war. Wir schlugen einen
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Bogen um diesen Bereich. Solange wir im dunklen Teil des Gebiets bleiben konnten, wollten wir uns dort verstecken. Die Gebäude waren unverändert, und ich stellte zufrieden fest, daß die Sicherheits maßnahmen, die man nach meinem Eindrin gen getroffen hatte, inzwischen wieder rück gängig gemacht worden waren. Ich sah kei ne Wächter, keine Energiesperren, nichts, was darauf hindeutete, daß die Heiler sich gewarnt fühlten und sich auf unseren Besuch vorbereitet hatten. Langsam ließen wir uns auf den Boden sinken und schalteten die Antigravs ab. So leise wie möglich bewegten wir uns durch die Dunkelheit. Wenig später fanden wir auch eine Möglichkeit, in das Gebäude ein zudringen. Diesmal versuchte ich nicht, in die unter irdischen Räume einzudringen. Ich suchte vielmehr nach einem Büro. Die Goltein-Heiler waren nicht anders ge artet als die meisten Bewohner des Imperi ums, und zu deren Angewohnheit gehörte es, über jeden nur halbwegs wichtigen Vor gang eine Aktennotiz anzufertigen. Irgendwo wurden solche Daten normalerweise ge sammelt, um von Zeit zu Zeit positronisch durchkämmt und ausgearbeitet zu werden. Ich war sicher, daß es auch bei den Heilern eine Kartei gab, in der die Krankengeschich te meines Vaters gespeichert war und ver mutlich auch die Tatsache, daß ich versucht hatte, die Geheimnisse der Heiler zu lüften. Wenn es mir gelang, diese Kartei zu fin den, würde ich bald auch wissen, wo ich meinen Vater zu suchen hatte.
* Galur erwachte vom durchdringenden Kreischen etlicher Tiere, die mit dem infer nalischen Lärm den heraufdämmernden Morgen begrüßten. Galur streckte und reckte sich, dann stand er vorsichtig auf. Erstaunli cherweise hatte er keine Schmerzen, nur einen bösartigen Hunger, der sich mit lau tem Magenknurren bemerkbar machte.
Galur fühlte sich erfrischt und ausgeruht. Jetzt erst, wo es wieder hell wurde, hatte er Gelegenheit, sich selbst anzusehen und das, was von seiner Ausrüstung geblieben war. Er besaß noch sein Messer, das aber in zwischen mehr als nur stumpf geworden war. Der Strahler steckte noch in seiner Hal terung, das Magazin war noch voll. Der Bo gen war zerbrochen, der Köcher, der hoch immer über seiner Schulter hing, war leer. Besorgt blickte Galur auf seine Uhr, die ihm auch als Kompaß dienen konnte. Auch sie hatte die Ereignisse der letzten Stunden ohne Schaden überstanden. »Wenigstens etwas!« Galur begann seine nähere Umgebung sy stematisch abzukämmen, und innerhalb ei ner Stunde hatte er genügend eßbare Pflan zen, Nüsse und Beeren gefunden, um sich davon sättigen zu können. Daß eine der Bee rensorten länglich geformt war und peinlich an Würmer erinnerte, nahm er mit einem Grinsen hin. In jedem Fall schmeckten sie vorzüglich und stillten zugleich den Durst. Völlig satt war Galur nach dieser Mahl zeit immer noch nicht, also suchte er weiter. Der Wald war hier weniger dicht. Galur mußte größere Strecken zurücklegen als er gedacht hatte. Plötzlich blieb er überrascht stehen. Was dort hell schimmerte, war unver kennbar Metall, und zwar eine Sorte Metall, die üblicherweise nur für einen Zweck ver wendet wurde – für die korrosionsbeständi ge Außenhülle eines raumtüchtigen Fahr zeugs. Galurs Interesse erwachte schlagartig. Was hatte ein Raumschiff hier zu suchen, zu welchem Zweck wurde es versteckt? Vorsichtig schlich Galur näher. Erst als er die Gestalt sah, die sich von der Schleuse entfernte, wußte er, mit wem er es zu tun hatte. Die schlanke Gestalt war un verkennbar jene Arkonidin, die Galur im Gästehaus der Heiler so fasziniert hatte. Zweierlei hielt Galur davon ab, die Frau sofort anzusprechen. Zum einen eine gewis se Befangenheit, zum anderen die Neugierde. Galur wollte wissen, welchen Grund die
Die Seelenheiler Frau und ihre beiden Begleiter hatten, sich hier im Wald zu verstecken. Die Frau entfernte sich weiter von dem Beiboot. Galur hatte schnell erkannt, daß sich mit diesem Gefährt keine größeren Strecken zurücklegen ließen. Also mußte es ein Mutterschiff geben, das vermutlich in ei nem Orbit um Perpandron kreiste. Galurs In teresse wuchs von Minute zu Minute. Vor allem staunte er über den unbegreifli chen Leichtsinn der Frau. Die Schleuse stand weit offen, eine offene Herausforde rung an alle Lebewesen des Dschungels, sich im Innern des Schiffes einzunisten – beispielsweise für Schloßwürmer, die durch aus fähig waren, das Schiff für alle Zeiten lahmzulegen. Was die Frau im Wald wollte, war Galur einstweilen unklar. Erst als er sah, daß sie zu einem Dauerlauf rund um das Schiff ansetz te, verstand er mehr. Offenbar war die Frau bemüht, ihre Kondition zu halten oder zu verbessern, und für diesen Zweck gab es an Bord eines so kleinen Schiffes naturgemäß wenig Möglichkeiten. Galur grinste und sch lich sich an das Schiff heran. Unterwegs fand er noch einige verlockend aussehende Früchte, die er sammelte und in der Tasche verstaute. Dann turnte Galur ge schickt an der Außenwand des diskusförmi gen Schiffes in die Höhe und machte es sich auf dem Rand bequem. Während er genuß voll die Früchte verzehrte, lief ihm der rötli che Saft übers Gesicht und färbte es intensiv rot, auch die Hände wechselten die Farbe. Die Frau schien Galur überhaupt nicht wahr zunehmen, sie rannte unentwegt um das Schiff herum. Galur staunte, denn zu einer solchen sportlichen Leistung wäre er nicht fähig gewesen. Galur sah den Springfrosch erst im letzten Augenblick. Das Tier hatte sich bei seinem gewaltigen Sprung um einen Meter ver schätzt. Galur hörte den massigen Körper neben sich aufprallen, dann stieß ihn etwas hart gegen die Brust. Galur verlor das Gleichgewicht, rutschte ab. Mit einem lau ten Schrei stürzte er von der Kante des Dis
47 kus auf den Boden hinab. Instinktiv drehte er sich im Fallen so, daß er mit den Füßen zuerst aufkam, dann über schlug er sich und rollte ab. Der Spring frosch war ein selten großes Exemplar seiner Art, und ganz offenkundig war er sehr hung rig und sehr angriffslustig. Das Tier brauchte einige Sekunden länger als Galur, um den Sturz und seine Folgen zu überwinden. Als der Springfrosch Galur wieder sah und angriff, war Galur bereits auf den Beinen und brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit, den er sich normaler weise niemals zugetraut hätte. Wieder prallte der Springfrosch gegen das harte Metall des Beiboots. Er verletzte sich leicht, Blut floß von einer Wunde über dem Auge hinab und blendete das Tier sekunden lang. Den winzigen Zeitraum der Unsicherheit nutzte Galur rücksichtslos aus. Er stieß einen gellenden Schrei aus, stürzte auf das Tier los und rammte den stumpfen Dolch in den Rumpf des Raubtiers. Das Tier schrie vor Schmerz auf, Galur sprang sofort zurück, holte noch einmal aus und stieß ein zweites Mal zu. Wieder er schütterte der Schrei des Springfroschs den Wald. Aus den Augenwinkeln heraus konnte Galur sehen, daß die Frau hinter einem Baum Deckung suchte und ihre Waffe zog. Allerdings konnte ihm das nicht viel helfen, der Körper des Springfroschs war zu nahe bei Galur, als daß die Frau eine Gelegenheit für einen Schuß gehabt hätte. Der Springfrosch kippte vornüber, offen bar hatte Galur das Tier entscheidend getrof fen. Noch einmal brüllte das Tier auf, und Galur konnte sehen, wie sich die anderen Tiere des Dschungels fluchtartig in Sicher heit brachten, dann ging ein letztes Zucken durch den gewaltigen Körper. Galur war naß vom Blut des getöteten Tieres, aber er fühlte sich außerordentlich wohl dabei. Langsam kam die Frau näher. Galur zögerte nicht lange. Er wälzte den Springfrosch auf den Rücken, und mit eini
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Peter Terrid
gen energischen Schnitten entfernte er das dritte Auge, das inzwischen kristallin gewor den war – das sicherste Zeichen dafür, daß das Tier gestorben war. Galur schwenkte tri umphierend seine Trophäe in der Luft. Er bot einen furchterregenden Anblick. Gesicht und Hände waren vom Fruchtsaft gerötet, der Lederanzug vom Blut des Springfroschs bedeckt. Galur grinste und deutete eine Kußhand an, dann sprang er auf und verschwand rasch im Dschungel.
* »Ziehen wir uns zurück.« Ich nickte nur zu Ras Vorschlag. Niemand hatte uns gestört, wir hatten das Gebäude fast nach Belieben durchsuchen können. Gefunden hatten wir praktisch nichts. Das einzige Ergebnis war eine Eintragung in der Kartei gewesen, die einzige Karte, die man nur mit einer Kodenummer versehen hatte, während alle anderen Karten Bild und Namen des Patienten enthielten. Unter der Kodenummer stand ein kurzer Eintrag: Verlegt. Ich war sicher, daß es sich bei diesem Pa tienten um meinen Vater handeln mußte, und das Extrahirn hatte diesen Verdacht mit einem kurzen Impuls bekräftigt. Es war sinnlos geworden, weiter nach meinem Va ter zu suchen – wenigstens im Bereich die ser Station. Es wurde langsam hell, ohnehin Zeit für uns, das Weite zu suchen. Wir stießen auf keinen Widerstand, als wir den Weg zurück flogen, den wir gekommen waren. Ra mach te ein ebenso niedergeschlagenes Gesicht wie ich. Wo sollten wir nun nach meinem Vater suchen? Ein Planet war eine gewaltige Sa che, wenn es darum ging, auf der riesigen Oberfläche einen einzelnen Menschen zu su chen. Aber irgendwo mußte mein Vater stecken; ich war mir sicher, daß die Heiler ihn nicht ausgeflogen hatten.
Müde und erschöpft trafen wir bei unse rem Beiboot ein. Neben der metallischen Hülle lag ein großer Tierkadaver, der wegen der brütenden Hitze schon fast in Verwe sung übergegangen war. Ich sah Tausende großer Ameisen, die sich um das Aas küm merten – in wenigen Stunden würde es voll ständig verschwunden sein. Karmina Arthamin empfing uns in der Schleuse. Ich deutete mit einer Kopfbewe gung auf den Kadaver. »Ein kleiner Zwischenfall«, sagte sie lä chelnd. »Ist der Imperator noch in der Stati on?« Ich schüttelte den Kopf. »Er ist verschwunden«, sagte ich dumpf. »Jetzt können wir den ganzen Planeten nach ihm absuchen!« Karmina half uns aus den Anzügen. »Sollen wir Fartuloon um Hilfe bitten?« fragte sie leise. »Das hat wenig Sinn«, antwortete ich mü de. »Wir würden nur die Heiler aufmerksam machen. Das könnte bedeuten, daß sie ent weder meinen Vater einfach töten, oder aber sie rufen ihrerseits Arkon. Was das bedeutet, brauche ich wohl nicht klarzumachen.« Galur Paro war mit sich selbst außeror dentlich zufrieden. Neben ihm, auf dem Sitz des Beifahrers, lag der große Kristall aus dem dritten Auge des Springfroschs. Galur hatte einige Zeit gebraucht, bis er seinen Gleiter wiedergefunden hatte, dann aber hat te er rasch sein Zelt verpackt und den Heim weg angetreten. Er gab den gemieteten Glei ter wieder ab, zahlte den Schaden, den der Schloßwurm angerichtet hatte, und suchte sein Quartier auf. Mit einem außerordentlich befriedigten Gefühl packte er seine Sachen, stellte für Dargai Thal einen großzügigen Scheck aus und verließ seine Unterkunft. Ein Gleiter brachte ihn zum Landefeld, wo bereits seine Jacht auf ihn wartete. Galur verlor auch hier keine Zeit, brachte die For malitäten schnell hinter sich, wobei er ein mal mehr die Nützlichkeit hoher Geldge schenke feststellen konnte, dann startete er. Er freute sich auf das Wiedersehen mit
Die Seelenheiler
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seiner Familie, die ihn praktisch schon abge schrieben hatte. Galur Paro erreichte Arkon nach einem Flug, der ihn eine dicke Stange Geldes we gen Überschreitung sämtlicher Flugregeln kosten würde. Dergleichen kümmerte einen Paro wenig, für solche Familien hielten die Banken ohnedies besonders breite Konto auszüge bereit, um die langen Zahlenkolon nen unterbringen zu können. Galur begrüßte seine Familie, die bei sei nem Eintreffen verdächtig betroffene Ge sichter zeigte, vor allem der jüngere Bruder. Einige Tage lang sonnte er sich in seinem Ruhm als Bewältiger eines ausgewachsenen Springfroschs, obwohl er genau spürte, daß man ihm kein Wort glaubte und eher bereit war anzunehmen, daß er den ungeschliffe nen Kristall einem Raumtramp abgekauft hatte. Am dritten Tag nach seiner Ankunft such te Galur seinen Hausarzt auf, denselben Mann, der ihn zu einer Kur auf Perpandron überredet hatte. Die Untersuchung war sehr lang und sehr gründlich, und das Gesicht, das der Mediziner bei seiner Rückkehr aus dem Labor machte, war sehr ernst. »Eigentlich sind Sie kerngesund, auch psychisch!« »Das wußte ich bereits!«
»Sagen Sie, haben Sie auf Perpandron vielleicht Nahrung zu sich genommen, die, sagen wir …« – das Gesicht des Arztes zeig te einen Anflug von Ekel – »nicht ganz ein wandfrei war?« Galur schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte.« Der Arzt zuckte bedauernd die Schultern. »Dennoch muß ich Ihnen leider mitteilen, daß Sie nicht vollständig gesund sind. Es handelt sich um eine Erkrankung, die aller dings harmlos ist, wenn sie sofort und gründlich bekämpft wird!« Galur sah den Arzt an und erschauerte. Eine fürchterliche Ahnung befiel ihn. »Hat diese Krankheit vielleicht etwas mit meinem … äh … Verdauungssystem zu tun?« Der Arzt nickte feierlich. Galur wurde blaß. »Doch nicht etwa …?« Wieder nickte der Arzt. Galur stieß einen Schrei aus, der die Scheibe erzittern ließ: »WÜRMER!«
E N D E
ENDE