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Earl Warren Kommissar X-Edition Nummer 2 „Die schwarze Witwe“ Kaltblütig führt sie ihren Plan aus und umgarnt bereits ihr nächstes Opfer von Earl Warren
Instrumentenanzeigen, damit keine unangenehme Überraschung passierte. Sie erfolgte von einer ganz anderen Seite. Whamm, knallte Rutledge ein Totschläger auf den Schädel. Er drehte die Augen auf null, wie die Junkies das nannten, und sackte hinter dem Steuerknüppel zusammen. Die Cessna behielt die Schnauze oben und flog geradeaus weiter. Der Höhenmesser zeigte konstant neuntausend und ein paar Fuß an. Mit eiskaltem Blick zog die Blondine ihre Kombination zu. Sie holte einen Fallschirm unter dem Sitz hervor und legte ihn an. Das geschah rasch und routiniert. Dann entwendete sie Rutledge die Brieftasche, steckte sie ein und zog eine Einwegspritze auf, die sie aus ihrer Handtasche holte. Die Nadel drang durch die Kombination in Rutledges Arm. Der Bewusstlose spürte es nicht. Das Betäubungsmittel zischte in seine Blutbahn. „Wäre doch schade, wenn deine Brieftasche mit verbrennen würde“, flüsterte die Blondine. Sie setzte den. Helm und die Schutzbrille auf und löste die Verriegelung der Cockpittür. „Leb wohl, Darling! Sterben muss auch einmal sein.“ Die Blondine hängte die Handtasche um. Gegen den Flugwind war es schwer, die Tür zu öffnen. Die Cessna flog immerhin 220 Stundenkilometer schnell. Die Luft war dünn und eiskalt hier oben. Doch schließlich wollte sich die Blondine nicht lange hier aufhalten. Es gelang ihr, das Cockpit zu verlassen.
Der Grauhaarige mit dem markanten Gesicht starb als glücklicher Mann. Er flog mit seiner Geliebten in sechstausend Fuß Höhe in nordöstlicher Richtung über Nevada. Der 180 PS starke Motor der viersitzigen Cessna Skyhawk 100 lief so gleichmäßig wie eine Nähmaschine. Wolken zogen vorbei. Dave Rutledge, der Pilot, lächelte die Blondine neben sich an. Sie hatte den Reißverschluss ihrer Pilotenkombination, unter der sie nichts trug, bis zum Nabel geöffnet und blickte Rutledge verlockend an. Er fasste nach ihren Brüsten. „Stell lieber den Autopiloten ein“, verlangte die Blondine, die es an Schönheit mit jedem Filmstar aufnehmen konnte. „Sonst stürzen wir am Ende noch ab.“ „Da besteht keine Gefahr. Ich bin ein Meisterpilot“ „Nicht mehr, wenn ich dir einheize, Dave. Ich weiß da was ganz Spezielles. Wenn du den Steuerknüppel dann noch in der Hand hältst, drehst du glatt einen Looping.“ „Da kenne ich was Besseres als den Steuerknüppel“, sagte Rutledge. Im Moment hatte er nur eine Hand frei. Die Idee mit dem Autopiloten war also nicht schlecht. Der Millionär war von der Frau, die mit ihm flog, restlos begeistert. Bei ihr fühlte er sich um zwanzig Jahre jünger. Er tat Dinge, die ihm früher im Traum nicht eingefallen wären. Er nahm mit Bedauern die Hand von ihr weg und widmete sich dem Autopiloten. Routinemäßig checkte er die
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rechte Tragfläche weg und schraubte sich der Erde entgegen. Der Motor heulte auf, als die Drehzahl nach oben ging. Ein Farmer, der auf seinem Feld ackerte, horte das helle Brummen und sah, wie die Maschine genau auf einen Hügel zustürzte. Senkrecht raste sie der Erde entgegen, noch in einem Stück und ohne Rauchfahne und sichtbaren Schaden. Hell blitzte noch einmal ein Lichtreflex von der Cessna. Dann knallte sie hinter dem Hügel auf den Boden. Der Farmer auf seinem Traktor hörte einen gewaltigen Knall. Er spürte, wie der Boden bebte. Dann zuckte ein greller Blitz auf. Hinterher stieg eine schwarze Rauchwolke gen Himmel. Trümmerteile zischten durch die Luft und stürzten in weitem Umkreis zu Boden. Der biedere Farmer bekreuzigte sich. Nachdem er kurze Zeit abgewartet hatte, um sich zu vergewissern, dass ihm keine Gefahr mehr drohte, fuhr er mit dem Traktor zur Absturzstelle. Er sah einen Krater, brandgeschwärzten Boden und verformte, zerfetzte Wrackteile. Als Laie konnte er unmöglich feststellen, was sie im Einzelnen einmal gewesen waren. Von der Cessna war nicht mehr viel übrig. Weggespritztes Kerosin brannte noch. Auch verschiedene Wrackteile, die in der Nähe der Absturzstelle lagen, brannten. Nicht mal der Rumpf der Maschine war heil geblieben. Von den Überresten von Insassen konnte der Farmer bisher nichts erkennen. Er bekreuzigte sich abermals. Dann fuhr er los, um den Sheriff zu verständigen. Helfen konnte er niemandem mehr.
Die Tür knallte zu. Der Wind pfiff und zerrte an der schlanken Frau mit der Filmstarfigur. Zunächst warf sie den Totschläger und die leere Einwegspritze weg. Dazu brauchte sie sie nur loszulassen. Mit ausgebreiteten Armen warf sie sich dann in den Flugwind und „schwamm“ regelrecht von der davonfliegenden Cessna weg. Das Motorengebrumm entfernte sich rasch. Im freien Fall stürzte die Mörderin der Erde entgegen. Wolkenfetzen wehten an ihr vorüber, Die Erde unten zeichnete sich in Grün, Gelb und Braun ab, fremdartig anzusehen aus der Vogelperspektive. In 4.500 Fuß Höhe, als sie die Cessna schon längst aus den Augen verloren hatte, zog die Frau die Reißleine. Mit leisem Knall zuckte der Fallschirm aus seiner Hülle und breitete sich aus. Er war grell orangefarben und hatte eine schmale Aussparung, die zur Richtungsbestimmung diente. Die Frau zog geschickt an den Leinen. Sie wusste ziemlich genau, wo sie sich befand, und wollte in der Nähe vom Highway 278 landen. Sie hatte keine Lust, stundenlang durch öde Wüste und Bergland zu marschieren. Mit einer Fallgeschwindigkeit von mehreren Metern pro Sekunde schwebte sie dem Boden entgegen. Sie hatte keine Angst. Im Gegenteil, ein Hochgefühl erfüllte sie. Verdammte Kerle, dachte sie. Elende Hundesöhne. Dem hab ich’s wieder gezeigt! Die Cessna hatte, als die Mörderin das dachte, noch für knapp zwei Stunden oder 400 Kilometer Sprit. So weit schaffte sie es jedoch nicht mehr. Heftige Luftturbulenzen brachten sie nach einer Stunde Autopilot-Flug ins Trudeln. Jetzt hätte ein tatkräftiger, erfahrener Pilot dazugehört, um sie abzufangen und die Situation unter Kontrolle zu bringen. Doch Dave Rutledge konnte das nicht mehr. In tiefer Bewusstlosigkeit spürte er nicht, wie die von den Böen gebeutelte Cessna abstürzte. Sie kippte über die
* Dave Rutledge stammte aus Boston, wo es am stockkonservativsten war. Jo Walker war von New York mit seinem champagnerfarbenen Mercedes 500 SL an die Stadt an der Massachusetts Bay gefahren. Der schnittige Roadster mit allen Schikanen bewältigte die Strecke wie nichts. Endlich hatte Jo mal wieder
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eigens dafür engagiert worden seien. Der hochgewachsene Privatdetektiv tigerte die Treppe hoch. Ein Butler empfing ihn stilecht und führte ihn in das teuer und gediegen eingerichtete Haus mit – ohne An- und Nebenbauten – bescheidenen dreißig Zimmern. In der Villa war es angenehm kühl. Der Butler war sehr aufgeblasen und würdevoll und roch dezent nach Portwein. Er brachte Jo ins Arbeitszimmer des Hausherrn im ersten Stock. „Mister Walker, Sir“, meldete er. Jo teilte er unnötigerweise nochmals mit, wen er gleich vor sich hatte: „Mister Kenneth Rutledge erwartet Sie, Sir.“ Aus dem großen, eichenholzgetäfelten Raum ertönte eine sonore Stimme: „Nehmen Sie’s James nicht übel. Er war vorher Butler beim Herzog von Marlborough. Jean, Daves Gattin, hat ihn dort abgeworben. Jean führt ihre Herkunft bis auf die Mayflower-Generation zurück. – Die Astors und Vanderbilts sprechen nur mit den Hartfords, Jeans Vorfahren, hieß es. Und die Hartfords sprechen nur mit dem lieben Gott.“ Jo warf dem Butler einen Blick hinterher, der ihm zwei Zoll weit vom aus der Brust ragte. „Den hat der Herzog im Winterschlussverkauf billig abgegeben“, sagte er. „Als früherer Mitarbeiter eines Zigarettenmarken-Adligen hat er einen beachtlichen Dünkel.“ Ken kam hinterm Tisch vor, ein hochgewachsener Mann vom Typ Yachtschiffer und Sportsmann, und begrüßte den Privatdetektiv mit einem kernigen Händedruck. Der Bruder des neulich verstorbenen Dave Rutledge war Ende Vierzig und damit vier Jahre jünger. Dave hatte in der Rutledge-Dynastie immer das Sagen gehabt. Ken Rutledge bot Jo in der Sitzecke am Panorama-Fenster Platz und einen milden alten Straight Bourbon an. „Sie sind also Kommissar X. Ich habe schon eine Menge von Ihnen gehört. Als Verbrecherfänger haben Sie einen Ruf wie
Gelegenheit, mit dem 326 PS starken Baby über den Highwayasphalt zu rutschen, was bei seinen Aufträgen außerhalb von New York, und das waren die meisten, oft zu kurz kam. In Boston wurde das Fahren unerfreulicher. Eine Hitzewelle staute sich über der Stadt. Die Abgasglocke war so dicht, dass Smogwarnung gegeben wurde. Jo quälte sich durch den Verkehr der Rushhour über den Ring-Highway in Richtung Medford. In diesem Villenviertel stand der Hauptsitz der Rutledges. Böse Zungen munkelten, den Grundstock zum MultiMillionen-Vermögen hätte der alte John C. Rutledge während der Prohibition mit Alkoholschmuggel gelegt. Als Bootlegger hatten sich damals viele eine goldene Nase verdient. Nach der Prohibition hatten die Rutledges ihre Gelder nur noch in legale Geschäfte investiert. Oder sich jedenfalls bei illegalen nicht erwischen lassen. Inzwischen gehörten ihnen eine Menge Immobilien, Fabriken für Fisch, Bohnerwachs, Konserven und x andere Artikel, Firmenanteile, Aktien und Zertifikate. Der Immobilienhandel machte fünfzig Prozent ihres Umsatzes aus. Jo stoppte dann endlich vor der RutledgeVilla. Sie stammte aus der Gründerzeit und stand auf einem weitläufigen Grundstück an den Mystic Lakes. Eine halbhohe Mauer mit einem schmiedeeisernen Gitter umgab die Villa. Alter Baumbestand schirmte sie gegen die Sicht und den Lärm von der Straße ab. Jo stieg aus und klingelte am Tor. Er grinste in die Videokamera, die ihn observierte, und nannte Namen und Anliegen. Wie von Geisterhand betätigt, schwang das Tor auf. Eine Stimme ertönte aus der Sprechanlage: „Fahren Sie bitte zum Haupteingang, Mister Walker. Welcome, Sir.“ Jo gehorchte und ließ den 500er vor der Treppe stehen. Die Vögel zwitscherten im Park der Millionärsenklave, als ob sie
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drei Dinge eine große Rolle: Sex, Sex und nochmals Sex. – Geschäftlich war er sehr clever, hielt die Dollars zusammen und vermehrte sie. Doch seine Leidenschaft war das nicht. Jean, die ungefähr so leidenschaftlich ist wie die Jungfrau von Orleans in voller Rüstung und genauso ansprechend im Bett, konnte die Allüren ihres Mannes schließlich nicht mehr ertragen. Deshalb ließ sie sich scheiden. – Im Klartext: Mein Bruder war ein Weiberheld, wie er im Buch steht. Die einzige Frau, die er niemals zu verführen versucht hat, von seiner eigenen abgesehen, die er aus gesellschaftlichen Gründen heiratete, war die Miss Liberty.“ Die Freiheitsstatue vor dem New Yorker Hafen also. „De mortuis nihil nisi bene“, flüsterte Ken Rutledge mit frommem Augenaufschlag. „Über die Toten nichts als Gutes. Doch ich muss Ihnen ja wohl reinen Wein einschenken.“ „Ich bin Privatdetektiv, kein Moralist“, sagte Jo. „Bisher habe ich noch keinen triftigen Hinweis gehört, dass Ihr Bruder ermordet worden sein könnte.“ „Von seinen Privatkonten ist eine Menge Geld verschwunden“, erklärte Ken Rutledge. „Der einzige, der darüber verfügen konnte, ist Dave selbst gewesen. – Er lebte immer flott. Doch drei Millionen Dollar innerhalb von acht Wochen, abgesehen von seinen übrigen hohen Spesen, sind mehr als üppig.“ „Wofür kann er das Geld ausgegeben haben?“ „Das sollen Sie ja herausfinden. Einen Teil hob er hier ab. Ein Teil ging nach Reno zu einer Privatbank. Von dort hat man uns auf unsere Nachfrage hin mitgeteilt, Dave habe das Geld in Begleitung einer bildschönen Blondine abgehoben.“ „In bar?“ fragte Jo. „Ja. Von den drei Millionen fehlt bisher jede Spur. Glauben Sie, dass das als Verdachtsmoment für einen Mord an meinem Bruder ausreicht?“ „Allerdings.“
Donnerhall.“ „Man tut, was man kann“, antwortete Jo bescheiden. „Was man nicht kann, tun andere. – Kommen wir gleich zur Sache. Sie haben mich herbestellt, weil ich den Tod Ihres Bruders aufklären soll, also ob dabei ein Verbrechen vorliegt. Fassen wir erst mal zusammen, was ich weiß. Dave Anderson Rutledge wurde vor sechs Wochen in Reno, Nevada, von seiner Gattin Jean Harriet Rutledge, geborene Hartford, geschieden. Der Ehe entstammen zwei Kinder: Linda, 14, und Dave Emmett, 12 Jahre alt. – Die Scheidung ging sehr dezent über die Bühne, ohne die übliche schmutzige Wäsche.“ Ken Rutledge nickte. Er rauchte stilecht eine Bruyere-Pfeife. Sein älterer Bruder war erst drei Tage tot. Doch Ken wohnte schon in seiner Villa. „Dave Rutledge ist vor drei Tagen vom Sierra Nevada Airport in Reno mit einer gecharterten Cessna Skyhawk zu einem Flug nach Las Vegas gestartet. Seltsamerweise stürzte er anderthalb Stunden später kurz vor dem großen Salzsee in Utah ab.“ Das war fast die entgegengesetzte Richtung. „Soweit bekannt und wie die Untersuchungen ergaben, saß Ihr Bruder allein in der Unglücksmaschine. Der Grund für den Absturz ist bislang unbekannt. Ein Augenzeuge, ein Farmer, berichtete, die Maschine sei ohne Rauchfahne wie ein Stein abgestürzt. Da das Wrack völlig zerfetzt und die Leiche des Piloten zerstückelt und verstümmelt wurde, gestalten sich die Untersuchungen schwierig. Der Flugschreiber konnte bisher noch nicht gefunden werden. – Vermuten Sie darum ein Verbrechen?“ Rutledge sog an seiner Pfeife. „Ich bin faul, aber nicht langsam. Wenn es um viel Geld geht, kann ich mich verdammt schnell bewegen. Dann ist eine Rakete langsam gegen mich. – Passen Sie auf, Mister Walker. Mein Bruder, nach außen hin ein sehr honoriger Bostoner Geschäftsmann, war das, was man einen Lebemann nennt. In seinem Leben spielten
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mehrmals nach Reno geflogen, um dort alles für die Scheidung vorzubereiten. Nach den Gesetzen des Staates Nevada mussten Scheidungswillige sich mindestens die letzten vierzehn Tage vor der Scheidung in diesem Bundesstaat aufgehalten haben. Jean Rutledge war auch dort gewesen, hatte jedoch in einem anderen Hotel als ihr Gatte gewohnt und ihn nur zu den Anwalts- und anderen offiziellen Terminen gesehen. Nach der Scheidung, die vor sechs Wochen ausgesprochen worden war, war Dave Rutledge noch mehrmals in Reno gewesen. „Weshalb, weiß ich nicht“, gab sein Bruder an. Jo suchte zuerst die frisch geschiedene Mrs. Rutledge auf, die noch in der Villa wohnte. Jean Harriet Rutledge, geborene Hartford, war um die Vierzig und so kühl wie eine Porzellanfigur. Da sie dem alten Bostoner Geldadel entstammte, war sie durchaus in der Lage, Jo wegen der verschwundenen drei Millionen Rede und Antwort zu stehen. Dass eine solche Summe verschwunden war, empörte sie. Geld war für die Bostoner Wasps äußerst wichtig und Armut eine Schande. Nicht mal das Wirken des Würgers von Boston hatte ihnen je den Blick für ihre Geldgeschäfte getrübt. „Das würde Dave ähnlich sehen, sich kurz nach der Scheidung umbringen und sich dabei auch noch drei Millionen aus der Tasche ziehen zu lassen“, empörte sich die puppenhafte Schönheit Jean Rutledge. „Wenn er sich unbedingt ermorden lassen musste, wäre es vor der Scheidung viel besser und vor allem unkomplizierter für alle Beteiligten gewesen.“ „Das hat er sich bestimmt nicht selbst ausgesucht“, sagte Jo. Doch die kleine Mrs. Rutledge in ihrem schicken, nicht zu auffälligen Modellkleid eines Spitzencoutouriers wollte sich nicht beruhigen. „Natürlich ist eine Frau in die Sache verwickelt“, fauchte sie. „Anders ging es
Vier Fragen erhoben sich. Erstens: Wo waren die drei Millionen geblieben? Zweitens: Weshalb war Dave Rutledge in die verkehrte Richtung geflogen? Drittens: Wie war der Absturz der Cessna bewirkt worden, und – viertens – wer hatte das getan? Jo erfuhr noch, dass Dave Rutledge ein begeisterter Amateurpilot gewesen war. „Er hatte ein Faible für alles, was heiß und schnell war“, erklärte Ken Rutledge. „Flugzeuge, Autos, Motorräder und boote.“ „Und Frauen.“ „Und Frauen.“ Auch da hatte Dave Andersen Rutledge II. keine langsamen Typen gemocht. Wie es aussah, war er mit seiner Vorliebe fürs Schnelle gründlich aus der Kurve geflogen. Sein Bruder erklärte Jo noch, dass Dave auch in Boston mehrmals mit hübschen Blondinen gesehen worden sei. „Eine davon war Kathleen Waxman“, sagte Ken Rutledge. „Doch da sie selber mit einem Millionär verheiratet ist, wird sie kaum Daves Ermordung und die Unterschlagung von drei Millionen veranlasst haben. Die übrigen blonden Nymphchen, mit denen mein Bruder verkehrte, habe ich nie näher kennen gelernt. Doch es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Dave eine blonde Favoritin in Boston hatte, oder dass diese ihn des Öfteren hier besuchte. Darüber kann Ihnen am besten sein Freund Richard Scalinger Auskunft geben. – Er ist Finanzmakler und Vermögensberater und fährt im Rollstuhl, was ihn jedoch nicht hindert, ein womöglich noch größerer Schürzenjäger als mein verblichener Bruder zu sein. – Vor Dick hatte Dave keine Geheimnisse in Bezug auf seine Weibergeschichten. Die beiden kennen sich schon ewig.“ „Weshalb ist Scalinger gelähmt?“ „Durch einen Autounfall. Seine Libido ist davon aber nicht betroffen.“ Jo ließ sich Scalingers Adresse geben. Der Vermögensberater bewohnte ein Penthouse in der City, direkt über einer renommierten Bank. Dave Rutledge war
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Kontinent vorgelagerten Inseln, jeweils nackt aufgetreten waren. Auch im „Columbus Club“ zeigte man sich gern hüllenlos. Da es ein Privatclub war, konnte keine Behörde eingreifen. Zudem ging es da sehr diskret zu. Denn auch hohe Beamte und Polizeioffiziere gingen dort gern auf Entdeckungsreise und erschlossen sich Neues. Die Chefin des Clubs hieß Ann-Margret Sorensen. Jeder redete sie nur mit dem Vornamen oder mit Madame an. Sie war um die Fünfzig und brünett mit eingefärbten blonden Haarsträhnen. Durch Diät und Gymnastik hatte sie sich einen schlanken, elastischen Körper erhalten, der noch mit viel Jüngeren konkurrieren konnte. An dem Abend erhielt sie einen Anruf von Richard Scalinger. „Ist Paulette da?“ Die Clubchefin tippte den Namen in den Computer. „Schon“, sagte sie, als die Terminliste des Girls erschien. „Aber sie hat ein Date. – Kann es nicht eine andere sein? Oder möchtest du mehrere Girls, Dick?“ „Ich will den Columbus Club mit einem Geschäftsfreund aufsuchen“, antwortete Scalinger. „Die blonde Paulette ist ihm empfohlen worden. Er steht nun mal auf Blondinen.“ Das Lächeln der Clubchefin hatte die Freundlichkeit eines gefrorenen ZyankaliCocktails. „Es gibt noch andere Blondinen.“ Sie spulte herunter: „Diana, Belle, Cher, Sonja, Tiffany, Queen, Babs ...“ Scalinger blieb hart. „Paulette. Mein Geschäftsfreund, der auch ein wertvoller Kunde ist, will Paulette. Wann ist sie frei? – Wenn er sie nicht kriegen kann, suche ich deinen Club nicht mehr auf und lege deine Vermögensverwaltung nieder. – Du weißt, was das für dich bedeutet.“ Das war der Swinger- und SexclubChefin klar. Scalinger ließ nicht nur eine Menge Geld bei ihr. Er brachte auch wichtige, zahlungskräftige Kunden. Zudem
bei Dave ja nicht. Wenn ich die Namen seiner sämtlichen Geliebten aufschreiben würde, mit denen er mich im Verlauf unserer Ehe betrogen hat, hätte ich ein Werk im Umfang der Encyclopedia Britannica.“ Jean Rutledge rümpfte ihr Naschen. Abgesehen von den drei Millionen, die für sie wegen ihrer Abfindung und Unterhaltszahlungen eine Rolle spielten, gönnte sie ihrem Ex-Mann sein Ende. Als Jo sich verabschiedete, sagte sie noch: „Wenn eine weibliche Leiche oder Reste einer solchen nach dem Absturz gefunden worden wäre, würde ich sagen, Dave trieb es mit einem von seinen Flittchen im Flugzeug und ist dabei abgestürzt. Das wäre eine ihm angemessene Todesart.“ Mangels einer mitabgestürzten Partnerin war es jedoch kein Höhepunkt gewesen, der wegen Verlusts der Kontrolle zu einem Absturz und Tiefpunkt führte. Es handelte sich um einen skurrilen Fall, den Jo Walker gerade übernommen hatte. Mit unbegrenztem Spesenkonto und fettem Erfolgsbonus, was Ken Rutledge ohne weiteres zugestanden hatte. Als nächstes wollte Jo Dick Scalinger aufsuchen. Auf diesen Mann war er schon sehr gespannt. * Der „Columbus Club“ befand sich in Salem, jenem Städtchen und jetzigen Stadtteil von Boston, in dem der ehrwürdige Cotton Mather Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts als Hexenjäger gewirkt hatte. Hätte Mather in die Neuzeit versetzt je den „Columbus Club“ betreten, würde er geglaubt haben, seine schlimmsten Befürchtungen seien eingetroffen. Hinter dem harmlosen Namen „Columbus Club“ verbarg sich ein SexEtablissement, das über die raffiniertesten Mittel verfügte. Der Name rührte daher, dass zu Zeiten der Entdeckung Amerikas die Kariben, die Ureinwohner der dem
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Club“ und die Kreditkartenhinweise prangten. Der athletische schwarze Türsteher öffnete die Tür, sprang heraus und half Kommissar X, den Rollstuhl mit dem hageren Finanzmakler Scalinger die Stufen hochzutragen. Scalingers Gesicht reichte als Ausweis und Eintrittskarte. Jo gab die Autoschlüssel dem Clubboy, damit er ihm den Mercedes auf den nahen bewachten Parkplatz fuhr. Dann stand Jo Walker mit dem Rollstuhlfahrer Scalinger in der Empfangshalle des „Columbus Clubs“. Carraramarmor und Gold prangten hier. Bei der Einrichtung war nicht gespart worden. So war eine gehobene Atmosphäre erzielt worden, die ein besonderes Publikum anzog: Yuppies, Topmanager und Reiche, denen es nichts ausmachte, zur Befriedigung ihrer sexuellen Bedürfnisse eine – für den Normalverbraucher – Menge Geld auszugeben. Die Mädchen im Club waren teils Professionelle, teils Amateurinnen. Auch erlebnishungrige weibliche Singles konnten hier auf ihre Kosten kommen, genauso Ehefrauen oder Freundinnen. Es gab Partnertauschabende, Kaminfeuer- und Candlelight-Parties, Tausend-und-eineNacht und Spezialitäten des Hauses. Fünf Stockwerke und zwei Tiefetagen hatte dieses Haus, das vom Spiegelkabinett bis zum Harem, Whirlpools und Sauna für jeden Geschmack etwas bot. Außerdem gab es auf dem Gelände zwei Pavillons. Schließlich gehörten zwei Vergnügungsyachten, die diesen Namen ganz zu Recht trugen, zum Club. Bei Ausfahrten ging es auf den Yachten derart zur Sache, dass sie auch ohne Seegang schaukelten. Madame Ann-Margret kassierte überall ab. Oft flogen Politiker aus Washington herüber, um sich eine heiße Nacht zu gönnen, oder besuchten New Yorker Gaste den Club. Die Chefin begrüßte Dick Scalinger und Jo an der Bar. „Paulette, Joy, Tracy und Melanie warten
hatten seine Börsen- und Anlagetipps ihr eine Menge Geld eingebracht. Das ehemalige Callgirl Ann-Margret war scharf auf das Geld wie auf nichts anderes mehr auf der Welt. Wenn sie Scalinger nicht mehr als Berater hatte, verlor sie eine Goldgrube. „Ich will sehen, was ich ausrichten kann. Aber das wird sehr, sehr schwierig, Dick. Ein paar Top-Leute haben Paulette engagiert.“ Natürlich nicht nur sie allein. „Aber weil du es bist und wenn es unbedingt sein muss ...“ „Es muss!“ „ ... eise ich sie los. Mir wird schon was einfallen zur Begründung. Wer ist dein Freund denn?“ „Er kommt aus New York. Du wirst ihn nicht kennen. Es genügt, wenn du seinen Vornamen weißt – Jo.“ Ann-Margret säuselte noch ein paar Takte ins Telefon. Sie hatte ihren Betrieb fest im Griff und mochte am meisten, wenn alles nach Plan lief. Doch wo ging es schon ohne Sonderwünsche ab? Um 21 Uhr wollte Scalinger mit seinem Bekannten im Club sein. Die Chefin rief Paulette an, die prompt maulte. „Das wird heute ein ganz fetter Happen für mich, so wie es geplant ist. Die „Nacht bringt mir bestimmt einen Tausender ein. – Warum sollte ich umdisponieren?“ „Weil ich es so will. Tu es mir zu Gefallen.“ Paulette sagte zu, wenn auch mürrisch. Pünktlich um 21 Uhr fuhr ein champagnerfarbener Mercedes Roadster beim Club vor, der sich in einem Haus am alten Hafen von Salem direkt an der Mole befand. Ein hochgewachsener Mann stieg aus und holte einen Rollstuhl aus dem Kofferraum. Er klappte ihn auseinander. Dick Scalinger, lang, hager, mit schwarzgefärbtem Haar und Schnurrbart, wand sich ächzend vom Beifahrersitz in den Rollstuhl. Jo Walker schob den Behinderten zum Club, an dessen massiver Eichentür der dezente Hinweis „Columbus
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zerklirrte. „Geht alles auf Spesen. Können wir zu den Girls, Jo, oder willst du noch lange palavern?“ „Gehen wir“, sagte Kommissar X, dem die Atmosphäre im Club nicht sonderlich gefiel. Die Verbindung von Geld und Sex, schweren Brieftaschen und leichten Mädchen mochte er nicht. Ann-Margret hatte noch eine Frage. „In welcher Branche bist du eigentlich tätig, Jo?“ „Ich arbeite international.“ Damit zog sich Jo Walker aus der Affäre. Er fasste die Griffe von Scalingers Rollstuhl und schob den Gelähmten in die Richtung, die er ihm angab. Leicht wütend schaute Ann-Margret den beiden nach. „Dick Scalinger wird immer größer“, sagte sie zu ihrem Chef-Barmann, der zu ihr trat. Robin, der Barmann, bot weiblichen Singles auch noch sexuelle Dienste. Er war ein großer, drahtiger, äußerst schlanker Mulatte, geschmackvoll im Freizeit-Look angezogen. Eine Rasiermessernarbe auf er linke Wange gab ihm einen verwegenen, brutalen Touch, den seine Kundinnen liebten. Jetzt runzelte er die Stirn. „Weiß du, wer das ist?“ fragte er. „Der athletische Begleiter von Scalinger, meine ich.“ „Ein Geschäftsfreund von ihm.“ „Das kann ich mir kaum vorstellen, Eher halte ich es für möglich, dass er in unserm Club Ermittlungen anstellen will.“ „Wie das? Meinst du, er wäre von der Steuerfahndung? Das würde Scalinger uns nicht antun, obwohl er manchmal sehr bösartig ist und einen skurrilen Sinn für Humor hat. Aber bei mir hat er immer einen tadellosen Service genossen und ist nie geneppt worden.“ „Scalingers Begleiter ist nicht von der Steuerfahndung. Das ist kein Geringerer als Kommissar X, der bekannte New Yorker Privatdetektiv. Ich war vor Jahren dabei, als er den Mörder-Spielclub in
im China-Pavillon“, sagte die Chefin im paillettenbesetzten Glitzerkleid. Der hagere Scalinger, eine Zigarette im Mundwinkel, die Hände um die Lehnen des Rollstuhls gekrallt, grinste sie an. „Hast du dich litten lassen, AnnMargret?“ fragte er mit seiner bellenden, heiseren Stimme. „Irgendwie siehst du viel besser als sonst aus.“ Die Chefin setzte wieder ihr Zyankalicocktaillächeln auf. „Du bist noch immer der alte Scherzbold, Dick. – Freut mich, dass du uns mal wieder beehrst. Die letzte Zeit hast du dich rar gemacht. Scheußliche Sache ist das mit Dave Rutledges Tod. Ihr habt mir immer Leben in die Bude gebracht.“ „Der gute Dave hat einmal zuviel Sturzflug geübt“, sagte Scalinger. „Er war einer der zwei oder drei Menschen, die ich wirklich als Freunde betrachte. Die anderen sind schon tot. Paulette wird Daves Tod doch hoffentlich nicht die Laune verdorben haben? Sie kannten sich gut.“ „Paulette ist äußerst betroffen.“ Die Chefin wählte ihre Worte vorsichtig. „Schließlich war sie eng mit Dave Rutledge liiert, der wie du einer meiner Vorzugsgäste gewesen ist. Doch das Leben geht weiter. Zudem hat Dave sie schon seit einer Weile vernachlässigt. Warum, weiß ich nicht. – Wenn es Grund gibt zur Klage, sollen die Gäste damit zu mir kommen. – Weißt du, was Dave verprellte?“ Scalinger zuckte die Achseln. Ein nacktes Girl, eine Mulattin, brachte ein Tablett mit Sekt. An der Bar mit der Oben-und-untenohne-Bedienung herrschte schon reger Betrieb. „Würdest du bitte die Zigarette aus dem Mund nehmen, Dick?“ fragte die Chefin. „Du weißt, dass bei mir in den Gemeinschaftsräumen striktes Rauchverbot herrscht.“ „Ich rauche, wann und wo es mir passt.“ Scalinger war ebenso autoritär wie unzugänglich. „Her mit dem Spülwasser.“ Er nahm ein Champagnerglas, trank es leer und warf das Glas weg, dass es
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Atlantic City auffliegen ließ. Damals bin ich dort Croupier gewesen. Er hat mich nicht wieder erkannt, weil ich damals nur eine Randfigur war und im Hintergrund blieb. – Ich frage mich, was Jo Walker hier will.“ Ann-Margret fielen siedend heiß ihre sämtlichen Todsünden ein. Das waren etliche. Vor allem aber eine Sache, die mit Dave Rutledge in Zusammenhang stand. Die Frau im tiefausgeschnittenen Kleid, das einzige weibliche Wesen, das in dieser Umgebung angezogen war, winkte den narbengesichtigen Barmann zu sich. „Mir passt es nicht, dass sich ein Schnüffler in meinem Club herumtreibt“, sagte sie leise zu ihm. „Sag den Zwillingen Bescheid, damit sie ihn sich vorknöpfen. – Wenn Jo Walker früher als in sechs Wochen wieder aus dem Krankenhaus heraus ist, sind sie gekündigt und kriegen nie wieder eine vergleichbare Stellung. Dafür sorge ich, so wahr ich Ann-Margret heiße. Dann ist es vorbei mit Vergünstigungen bei den Girls und anderen Sonderleistungen.“ „Wird prompt erledigt“, sagte der Barmann im Smoking. „Ich kümmere mich persönlich darum. – Doch was ist mit Scalinger? Es wird ihm missfallen, wenn sein Geschäftsfreund auseinander genommen wird.“ Ann-Margret überlegte kurz. „Die Zwillinge sollen eine Eifersuchtsszene abziehen“, befahl sie dann. „Dass sie rein durchdrehen, weil Jo Walker seine Hände nach Paulette ausstreckt. Sie sollen den Schnüffler provozieren, damit er möglichst den ersten Schlag führt. – Wir müssen Scalinger bluffen.“ Wenn es nicht klappt, dachte die abgebrühte Chefin, haben wir eben Pech gehabt. Um jeden Preis musste verhindert werden, dass Jo Walker die Wahrheit über den bei dem Flugzeugabsturz um Leben gekommenen Dave Rutledge und den „Columbus Club“ herausfand. Denn das wäre fatal geworden.
Der Chinesische Pavillon, in dem vier Girls auf Jo Walker und Dick Scalinger warteten, war im Pagodenstil erbaut. Ein Seerosenteich mit roten Zierkarpfen darin befand sich hinter dem Pavillon. Chinesische Schriftzeichen waren über die Tür gemalt. „Stehen da irgendwelche Sauereien?“ fragte Jo Scalinger, den er im Rollstuhl schob. Der hagere Behinderte kicherte. „In der Tat. Das habe ich veranlasst. Ein chinesischer Maler hat die Schriftzeichen angebracht.“ Scalinger verriet Jo Walker, was sie bedeuteten. Jo, der nicht prüde war, verzog das Gesicht. Auf manche Sexualpraktiken stand er halt nicht. Der Pavillon hatte einen großen und einen kleinen Raum, Dusche und Bar sowie WC und Bidet. Matten lagen am Boden. Lampen mit Papierschirmen leuchteten. Zudem waren chinesische Wandschirme mit eindeutigen Motiven aufgebaut. Von den vier Girls waren zwei splitternackt, die beiden anderen spärlich bekleidet. Paulette Johnson war ein Engel an Schönheit – blond, blauäugig, mit einer Rassefigur und Unschuldsaugen. Sie trug einen Netzbikini, weil sie die Meinung vertrat, dass gleich alles zu zeigen den Reiz mindern würde. Joy, Tracy und Melanie, brünett, rot- und schwarzhaarig, drängten sich um Scalinger. Der hagere Mann war entzückt. Paulette schaute Jo scheinbar schüchtern an, was ihre besondere Masche war. Scalinger fragte Jo, ob er zuviel versprochen hätte. Kommissar X verneinte. Der Behinderte schlug ihm vor, dass Joy sich ihm ebenfalls widmen sollte. Das lehnte Jo ab. Er wollte mit Paulette unter vier Augen reden und zog sie ins Nebenzimmer, nachdem sie ein paar Sätze Smalltalk gewechselt hatten. „Du hast es aber eilig“, sagte die blonde Paulette. „Lass mich vorher wenigstens ein
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Rutledge die Gelder abhob? Es wäre besser für dich, wenn du mir alles sagst.“ „Ich hab nichts zu gestehen. Dave hat sich seit sieben oder acht Wochen nicht mehr bei mir blicken lassen, auch nicht im Club. Er war in Reno, wo er geschieden wurde.“ „Er ist nicht die ganze Zeit über in Reno gewesen. Bist du in Reno gewesen?“ „Da war ich überhaupt noch nie. Lass mich in Ruhe. Ich bin deine Fragerei leid. Wenn du keine redlichen Absichten in Sachen Sex hast ...“ Paulette nannte ihre sämtlichen Spezialitäten. Es waren einige. – „ ... dann schieß in den Wind. Schnüffler können wir hier nicht gebrauchen. Das ist ja pervers, im Columbus Club mit einem Girl aufs Zimmer zu gehen und sie über eine Mordsache zu befragen.“ „Woher weißt du, dass Dave Rutledge ermordet wurde?“ hakte Jo sofort nach. Die Blondine druckste herum. „Ich ... äh, das habe ich mir gedacht. Bei einem normalen Unfalltod würde kein Privatdetektiv engagiert.“ Das verschwundene Geld wäre auch ein Grund gewesen. Doch darauf stieß Jo die Blondine nicht mit der Nase. Er schaute sie kritisch an. „Du weißt mehr, als du sagst, Paulette.“ Die Blondine schwieg. Jo rechnete damit, dass sie weder Krawall schlagen oder auspacken würde. Der Kokainrausch setzte ihre Kritikfähigkeit herab und beseitigte Hemmungen. Auch jene zu reden. Kommissar X konnte warten – dachte er. Den Geräuschen und Stimmen von nebenan nach zu urteilen, war das Quartett dort anderweitig beschäftigt, als Jo und Paulette zu bespitzeln. Doch dann trampelten schwere Schritte herein. Scalinger rief barsch: „Raus! Was fällt euch ein?“ Er erhielt keine Antwort. Stattdessen wurde die Tür zum Nebenraum aufgerissen. Vor Jo und Paulette standen zwei Muskelprotze in Hawaii-Shorts und schreiend bunten Hemden. Sie glichen sich wie ein Ei dem ändern, von den stupiden Mienen angefangen bis hin zu den kurz
Löffelchen Koks nehmen.“ Sie öffnete ein Wandfach und entnahm ihm eine vergoldete Dose sowie einen winzigen Löffel. Nachdem sie das weiße Pulver eingesogen hatte, fragte sie Jo, ob er eine Prise haben wollte. Der Detektiv verneinte. Er wartete ab, bis Paulettes Pupillen nur noch stecknadelkopfgroß waren. Ihre Augen schimmerten. Die schöne Blondine war süchtig und tat alles, um ihre Sucht befriedigen zu können. Fast tat sie Jo leid. Er zeigte ihr ein Bild von Dave Rutledge, während die drei anderen Grazien nebenan mit Scalinger kicherten und juchzten. Jo fragte sich, was sie da trieben und was der im Rollstuhl fahrende Vermögensberater überhaupt noch mit gleich drei jungen Frauen anfangen konnte. Anscheinend war er sexuell total überdreht. „Kennst du diesen Mann?“ fragte Jo die Blondine im Netzbikini. Paulette schüttelte den Kopf. Jo packte sie fest am Arm. „Du musst ihn kennen“, sagte er. „Es ist Dave Rutledge. Du warst eine Weile seine Favoritin in diesem Club.“ „Kann sein“, maulte Paulette. „Aber ich bin diskret. Du wolltest auch nicht, dass ich anderen auf die Nase binde, dass du hier bei mir gewesen bist, oder? – Wollen wir jetzt auf die Matratze oder wollen wir nicht?“ „Rutledge ist tödlich verunglückt, wie du sicher weißt. Von seinen Privatkonten ist eine Menge Geld verschwunden. Mit einer rassigen Blondine zusammen hat er in Boston und in Reno hohe Beträge abgehoben. – Bist du in den letzten Wochen in Reno gewesen?“ „Was soll das sein?“ fragte das etwa 24jährige Girl. „Ein Verhör? Bist du von der Polizei? – Aber nein. Ein Bulle würde anders auftreten.“ „Genau. Ich bin Privatdetektiv und stelle wegen Dave Rutledges Tod und dem verschwundenen Geld Nachforschungen an, – Sag mir die Wahrheit, wenn du deinen Kopf noch aus der Schlinge ziehen willst, Paulette. – Bist du die Blondine gewesen, mit der zusammen Dave
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Er sagte: „Das wird eine harte Sache!“ und stürzte sich wieder in den Pavillon und ins Getümmel. Jo empfing ihn mit einem Aufwärtshaken, der den Rausschmeißer auf die Zehenspitzen seiner Plattfüße stellte. Im Chinesischen Pavillon ging es drunter und drüber. Scalinger saß nackt in seinem Rollstuhl und feuerte Jo an. „Los, gib’s ihnen! Wenn ich ein wenig mobiler wäre, würde ich dir helfen.“ Die Girls kreischten: „Aufhören! Aufhören!“ und verkrochen sich. Jo Walker geriet in Bedrängnis. Die CatcherZwillinge nahmen ihn in die Mangel. Tom Fortitude hatte sich erholt. Er hielt Jo von hinten fest. Rick stellte sich in Positur, um einem kurzen Anlauf zu nehmen und Jo mit dem Flying Neckbreaker zur Strecke zu bringen, seiner gefürchteten Spezialität aus seiner Catcherzeit. Danach hatten die Gegner oft eine gipserne Halskrause gebraucht. Da rollte Scalinger heran. Mit dem Zuruf „Einen Augenblick, Tom!“ brachte er den Muskelprotz aus dem Konzept und sprühte ihm Tränengas in die Augen. Die Dose hatte der Makler in einem Seitenfach seines Rollstuhls gehabt. Tom Fortitude brüllte auf wie ein Stier und hielt sich die Hände vor die Augen. Scalinger fuhr mit seinem Rollstuhl weiter, Rick Fortitude über die Füße. Der Hüne ließ Jo mit seiner Hand los und versetzte Scalinger mit der anderen einen Schlag, der ihn samt Stuhl in die Ecke warf. Jo konnte sich befreien. Mit knallharten Karateattacken streckte er Rick Fortitude zu Boden. Dagegen halfen dem Hünen weder seine Muskeln noch sein Körperbau, Jo stellte den Rollstuhl hin und hob Scalinger hinein, dessen linke Gesichtshälfte anschwoll. „Danke, Dick.“ Jo schaute nach den Girls. Zwei waren noch im Pavillon in Deckung gegangen. Paulette und Joy hatten sich verkrümelt. Gerade Paulette wollte aber sprechen. Er ging ans Telefon, wählte die Null, also die Zentrale, und verlangte die Chefin. Es waren bereits Polizeisirenen zu hören.
geschnittenen, mit Gel gestylten Haaren. Das waren die Zwillinge Rick und Toni Fortitude, die Männer fürs Grobe in jeder Hinsicht im „Columbus Club“. Beide hatten Catchererfahrung. Jeder wog gut und gern seine 210 Pfund. Wo sie hinschlugen, wuchs kein Gras mehr. „Das ist mein Girl!“ sagte Tom Fortitude und spuckte Jo ins Gesicht. Ruhig wischte der Detektiv sich den Speichel ab. Dann verpasste er dem Muskelprotz einen blitzschnellen Schlag, der ihn sich krümmen ließ. Während sein Bruder nach Luft rang, griff Rick Fortitude an. Mit den Füßen voran, wie er es im Catcherring gelernt hatte, sprang er Jo an. Er hatte nur das Pech, dass Kommissar X nicht mehr dastand, als er seine Quanten vorknallte. Rick Fortitude landete jedoch gewandt und federte sofort wieder hoch. In einen knallharten Hieb von Jo Walker hinein, der jeden Schwächeren sofort gefällt hätte. Rick Fortitude grunzte nur mal und schüttelte mit dem Kopf. Dann hatte er den Treffer weggesteckt. Ein wilder Kampf begann im Chinesischen Pavillon. Es polterte und schepperte, dass man es bis im Hauptgebäude und im anderen Pavillon hörte. Gäste und Personal schauten herüber. „Da treiben, sie es heute aber wild“, sagte ein Clubbesucher, der ein Saunahandtuch um seine Hüften trug. „Das ist vielleicht eine Orgie. Dazu braucht es Kondition.“ Rick Fortitude donnerte, von Jo mit einem Judowurf geschleudert, samt Rahmen durchs Fenster. Er landete im Seerosenteich. Rick Fortitude prustete wie ein Walross. Er hatte eine Seerose auf dem Kopf, was malerisch aussah, ihm aber dennoch nicht gefiel. Schreiend flüchtete der Hüne aus dem Teich. Er ekelte sich nämlich vor den glitschigen Karpfen und hatte Todesangst vor ihnen. Triefend spuckte der Rausschmeißer einen Zahn und ein wenig Blut in die hohle Hand.
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folgten. Jo war keine Bruce LeeKonkurrenz. Doch mit seinen Füßen was anfangen konnte er schon und musste das auch in seinem mörderischen Job, wo es nicht nur auf Köpfchen und Schießkünste ankam. Tom Fortitude sah, wie Jo halb um seine Achse wirbelte und das rechte Bein hochriss. Dann knallte ihm der Fuß des Detektivs, von oben herabgezogen, hart an den Kopf. Tom Fortitude legte sich schlafen. Scalinger applaudierte. Die Polizeiautos, von zwei waren die Sirenen ertönt, waren jetzt vor dem Club. Gleich musste das Überfallkommando eingreifen, was einigen Clubgästen gar nicht passte. Danach würden nämlich eine Überprüfung des Clubs und eine Untersuchung stattfinden. Der Mulatte Robin griff Jo mit seinem Rasiermesser an. Er erhielt jedoch keine Gelegenheit, dem Detektiv sein Monogramm ins Gesicht zu schnitzen. Scalinger sah nur einen Wirbel von Armen und Beinen. Jo hatte sich schnell wie ein Schatten bewegt. Dann lag Robin neben seinem Rasiermesser am Boden. Der rechte Arm des Mulatten hing schlaff herunter. Kommissar X klopfte sich die Hände ab. „Danke“, sagte er. „Ich rasiere mich lieber elektrisch. Dein Gesicht kenne ich doch, Bursche. Du bist ein Clubangestellter.“ „Das ist Robin, der Chef-Keeper“, sagte Scalinger. „So, so“, sagte Jo, ergriff das Rasiermesser und hielt es Robin vor die Augen. „Weißt du, was das ist? Soll ich in deiner Gigolofratze die Weichen für die Gesichtszüge damit mal anders stellen?“ „Nein!“ heulte der Mulatte. „Erbarmen“ „Wer hat die zwei Büffel und dich auf uns angesetzt? Sag es schnell!“ Jo hätte Robin keinen Kratzer zugefügt. Doch das wusste der Mulatte nicht. Er schloss von seiner gemeinen, rachsüchtigen Natur auf andere. „D-d-die Che-che-chefin“, stotterte er vor lauter Aufregung.
Jemand hatte die Polizei angerufen. AnnMargret war es nicht gewesen. Ganz im Gegenteil wollte sie immer, dass bei ihr alles möglichst diskret über die Bühne ging. Sie hetzte Robin, den Chef-Barkeeper, auf, die Situation zu klären. Der Mulatte trug nicht nur eine Rasiermessernarbe in seinem Gesicht, sondern auch ein Rasiermesser in der Tasche seines weißen Smokings. Besonders Mädchen ließen sich davon leicht einschüchtern, wie Robin schon festgestellt hatte. Er gab sich einen Ruck und lief zum Pavillon. Jo Walker hatte inzwischen die Chefin am Apparat. Er drohte ihr unangenehme Folgen an, wenn er nicht weiter mit Paulette sprechen konnte. „Die Eifersuchtsszene kaufe ich Ihnen nicht ab“, sagte er. „Es hatte andere Gründe, dass die beiden hirnlosen Muskelprotze uns überfallen haben.“ Tom Fortitude hörte „hirnlos“ und fühlte sich angesprochen. Mit tränenden Augen und laufender Nase walzte er auf Jo Walker los. Sein Bruder Rick lag noch am Boden in dem Durcheinander und zertrümmerten Möbeln. Er kam erst allmählich wieder zu sich. Jo zog die 38er Automatic, die er zuvor nicht eingesetzt hatte, aus der Schulterhalfter. Er hatte keine Lust, sich weiter mit dem Clubrausschmeißer zu prügeln. Fortitude wurde fürs Prügeln bezahlt, Jo nicht. Der Catcher war jedoch schneller, als Jo gedacht hatte. Mit einem abgebrochenen Stuhlbein schlug er Jo die Pistole aus der Hand. Sie flog in die Ecke. Robin, der gerade eintrat, sah es. Mit dem Stuhlbein und dem Rasiermesser bedrohten die beiden Halunken den Kommissar X. „Ah, der Barbier von Sevilla und Holzhacker-Tom!“ rief Jo Walker. „Gibt’s Probleme?“ „Äh, wieso?“ fragte Tom Fortitude. Im nächsten Moment traf ihn ein Karatetritt des durchtrainierten Privatdetektivs, dem blitzschnell weitere
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Er hieß O’Malley und war allgemein als Chief O’Malley, der Chef der Bostoner Polizei, bekannt. Der Polizeipräsident hatte seine minderjährige Gespielin ins Bad geschickt. Er stauchte den schwarzen Sergeanten fürchterlich zusammen. Der Sergeant beging den Fehler, den Chief zu fragen: „Was würde Mrs. O’Malley dazu sagen, dass ich Sie hier angetroffen habe, Sir? Sie, der im Kirchenvorstand sitzt, mehrfacher Großvater ist und als Säule von Sitte und Ordnung dasteht? – Bei der Neujahrsansprache predigen Sie uns immer Law and Order.“ „Willst du mich belehren, wie ich mich zu benehmen habe, du Rußkuchen?“ schnauzte der Polizeipräsident. „Ich bin selbstverständlich dienstlich hier gewesen, um einem – äh, anonymen Hinweis nachzugehen.“ Der Sergeant beging einen weiteren Fehler, als er sagte: „Und diesen Hinweis haben Sie zwischen den Beinen einer Minderjährigen gesucht?“ Der Polizeichef wurde leutselig. Wer ihn kannte, nahm das als bedenkliches Zeichen. „Sergeant, das können wir alles regeln. – Wie lange hast du es denn noch bis zu deiner Pensionierung, mein Sohn?“ „Zwölf Jahre.“ „Fein. Männer wie dich kann die Bostoner Polizei gebrauchen. – Möchtest du die zwölf Jahre als Fußstreife im miesesten Revier der Stadt zubringen? Dort wo die vier- und die zweibeinigen Ratten zwischen den Abbruchbauten auf der Straße herumlaufen?“ „Nein, Sir.“ „Dann nimm dir mir gegenüber bloß nichts mehr heraus! Ich sitze am längeren Hebel. Dich kleine Laus knacke ich jederzeit!“ Der Polizeichef stauchte den diensteifrigen Sergeanten derart zusammen, dass ihm Hören und Sehen verging. Der Sergeant wusste, wann er zurückzustecken hatte. Er entschuldigte sich bei seinem Vorgesetzten. Das Ende vom Lied war, dass der
Jo hob gelassen die Hände, als vier bullige Beamte der Bostoner Polizei hereinstürmten, mit Schlagstock und Revolver bewaffnet. „Was geht hier vor?“ stellten sie die übliche Standardfrage in solchen Fällen. „Wir haben nur für die demnächst stattfindende Artistik-Vorführung zum zehnjährigen Clubjubiläum geprobt“, antwortete Jo cool. „Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?“ fragte der schwarze Police Sergeant, der den Einsatz leitete. „Das ist hier ein Swinger- und Sexclub. Ein Nobelbordell, könnte man sagen. Hier hat eine Schlägerei stattgefunden. Da liegt ja auch eine Pistole.“ Er hielt alle Beteiligten mit seinem Dienstrevolver in Schach und hob Jos Automatic auf. Dazu packte er sie am Griff, um keine Fingerabdrücke zu verwischen. Er steckte die Waffe ein. „Artistik-Vorführung!“ schnaubte er. „Jetzt will ich die Wahrheit wissen.“ „Ich bin von der Leidenschaft übermannt worden“, sagte der nackt im Rollstuhl sitzende Makler Scalinger. „Da hat es mich gepackt. Ich geriet außer Kontrolle.“ Wäre der Sergeant nicht schwarz gewesen, wäre er vor Wut knallrot angelaufen. „Wenn Sie nicht behindert wären, würde ich Ihnen dafür eine runterhauen!“ sagte er. „Ihr seid alle verhaftet. Zieht euch was an, wer es nötig hat. Die Weiber auch! – Marsch, marsch! Hier findet eine Razzia statt. Euch werde ich geben, die Bostoner Polizei zu verscheißern. Das wird noch ein Nachspiel haben.“ * Fünf Minuten später stand der diensteifrige Sergeant einem beleibten Herrn gegenüber, der sich die Hose zuknöpfte. Dieser Gentleman war irischer Abstammung, was sein ehemals rotes Kraushaar, eine rotgeäderte Kartoffelnase und ein cholerisches Temperament bewiesen.
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hatte, der brauchte keine Feinde mehr. „Dann hat der ganze Zinnober mit dem Angriff der Muskelprotze auf mich und dem Einsatz Ihres Rasiermesser-Mannes, der sich jetzt seinen Arm im Hospital einrenken einlassen muss, wegen der zu Unrecht eingezogenen 96.200 Dollar stattgefunden?“ fragte Jo die Clubchefin. „Ja, Sir“, gestand sie. Sie wäre mit dem Betrug vermutlich durchgekommen. Ken Rutledge, der bei den zahlreichen Konten seines Bruders nicht durchblickte, hatte noch gar nicht bemerkt, dass der Betrag eingezogen worden war. Das hing auch damit zusammen, dass die Abbuchung gerade erst stattgefunden hatte. Ann-Margret Sorensen hatte sofort gehandelt, als sie von Dave Rutledges Tod erfuhr. Seine Angehörigen, von der prüden, gerade geschiedenen Ex-Frau angefangen, wären davor zurückgeschreckt, mit dem „Columbus Club“ wegen der knapp hunderttausend Dollar zu prozessieren. Denn dadurch wäre manches über die Lebensgewohnheiten des Verstorbenen an die Öffentlichkeit gedrungen. Jo Walker verhörte Ann-Margret wegen der fehlenden drei Millionen. Die 51jährige Club- und Callgirlchefin schwor, davon würde sie nichts wissen. „Sie haben bei Rutledges tödlichem Absturz nichts an der Maschine fingern lassen?“ fragte Jo. „Niemals“, wehrte Ann-Margret empört ab. „Ich bin doch nicht verrückt. Für 96.000 Dollar begehe ich keinen Mord. Das habe ich doch nicht nötig. Ich wollte nur die gute Gelegenheit ausnützen. Außerdem wurmte es mich, dass Dave Rutledge nach all den Jahren, die er bei mir verkehrte, einfach wegblieb. – Ich wüsste nicht, was er anderswo fand, was wir ihm nicht bieten konnten.“ Die Clubchefin war richtig empört. Jo vernahm dann noch unter vier Augen die blonde Paulette, Dave Rutledges Ex-Favoritin. „Er hat mich einfach fallengelassen“, sagte sie. „Von einem Tag auf den anderen
Sergeant mit seinem Überfallkommando ohne Verhaftete abzog. Er schrieb ins Protokoll, der Notruf aus dem „Columbus Club“ sei blinder Alarm gewesen. Die übrigen Beamten vom Überfallkommando würden diese Version bestätigen. Im Club setzten Jo Walker und Scalinger inzwischen der Clubchefin und Paulette zu, die sich wieder eingefunden hatte. AnnMargret legte in ihrem Office im obersten Stockwerk wachsbleich ein Geständnis ab. „Dave Rutledge war Mitglied bei uns. Seine Rechnungen pflegte er jeweils vierteljährlich zu begleichen. Die Summe buchte ich jeweils per Einzugsvollmacht von seinem Privatkonto bei der First National Bank ab.“ „Korrekt“, sagte Scalinger. „Bei mir ist es genauso.“ Die Chefin schluckte. „Well, Mister Rutledges Außenstände habe ich nach oben hin korrigiert. Ich habe ihm einiges in Rechnung gestellt, was nie in Anspruch genommen wurde.“ „Wie viel hast du herausgeschunden?“ erkundigte Scalinger sich. „Du geldgieriges Biest konntest es nicht lassen, Dave Rutledge noch nach seinem Tod zu bestehlen. – Wie viel ist es?“ „Achtundneunzigtausend Dollar. Achtzehnhundert wären korrekt gewesen. Sie stehen schon länger an. Dave ist in der letzten Zeit ja kaum noch im Club gewesen. – Er hat seine Bedürfnisse woanders befriedigt.“ „Achtundneunzigtausend?“ hakte Jo nach. „Das sind 96.200 Dollar zuviel. Wie haben Sie das begründet, Madame?“ „Mit Champagnerbädern, Mädchen, Sonderleistungen für Geschäftsfreunde und einer speziellen Geburtstagsparty. Dave ist schließlich letzten Monat 58 geworden.“ Scalinger, der alte Sarkast, brummte: „Er ist viel zu früh von uns gegangen. Für einen Mann seiner Art hätte es gepasst, als 69er zu sterben.“ „Ich denke, er war Ihr Freund?“‘ fragte Jo den Behinderten. Scalinger nickte. Worauf Jo gallig einfiel, wer mehrere Freunde von Scalingers Art
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und sonst gar nichts. Die zu Unrecht abgebuchten 96.200 Dollar würde die Clubchefin umgehend zurückerstatten. Ihr blieb keine andere Wahl, wenn sie keine Anzeige haben wollte. In Scalingers Penthouse, das geschmackvoll eingerichtet war, bat Jo ihn um Hinweise auf die geheimnisvolle Blondine, die sie im „Columbus Club“ vergeblich gesucht hatten. „Ich kenne sie nicht“, sagte der Behinderte. „Dave hat mir nichts Näheres über sie erzählt. Ich nahm an, es sei Paulette gewesen. Dave und ich kannten uns schon sehr lange und redeten sonst sehr offen miteinander. Ich weiß nicht, weshalb er diesmal so zurückhaltend war. – In einem hat Paulette recht: Er muss dieses Weibsstück in Reno kennen gelernt haben. Wäre es nämlich in Boston geschehen, hätte ich das mitgekriegt.“ Dick Scalinger war nicht neugierig. Er wusste bloß gern alles. Eine halbe Stunde später verließ Kommissar X sein Penthouse. Richard Scalinger, der hauptsächlich für seinen Trieb und den Sex lebte, rief sofort ein Callgirl an. Er konnte es eben nicht lassen.
wollte er nichts mehr von mir wissen. Dabei bin ich von all den vielen Girls, die er bei seinem regen Frauenverschleiß hatte, immer ein Festpunkt in seinem Leben gewesen.“ Paulette erzählte Jo einiges. „Was war denn der Grund für seinen Sinneswandel?“ erkundigte sich der Privatdetektiv. Rutledge hatte Paulette sonst regelmäßig getroffen, auf seiner Yacht und zu Geschäftsreisen mitgenommen. Sie war in jeder Beziehung brauchbar gewesen. „Genau weiß ich es nicht“, antwortete Paulette. „Doch es muss in Reno gewesen sein, und es steckt eine Frau dahinter. Da bin ich todsicher.“ Die Blondine, mit der zusammen Rutledge in Reno, Nevada, und auch in Boston bei der Bank Geld abgehoben hatte. Paulette war, wie sie glaubhaft versicherte, nicht diese Blondine gewesen. Jo knipste Paulette mit der Polaroid, die er aus seinem Mercedes holte. Er würde den Bankangestellten, die Rutledges blonde Begleiterin beim Geldabheben gesehen hatten, die Fotos für alle Fälle zeigen. Jo verdächtigte Paulette, die auch mit Alibis für die Daten der Geldabhebungen aufwarten konnte, jedoch kaum noch. Er strich sie dann bald völlig von der Verdächtigenliste. Als er mit Scalinger vom Club wegfuhr, leckte der alte Lüstling sich über die Lippen. „Heute Abend bin ich nicht auf meine Kosten gekommen“, sagte er. „Schade.“ „Soll ich Sie wieder beim Club absetzen?“ fragte Jo. „Nein. Ich habe auch meinen Stolz. AnnMargret wollte aus dem Tod meines Freundes Dave Kapital schlagen. Ich gehe nicht mehr in ihren Club. Ich suche mir ein anderes Revier. Ann-Margret wird ihren Verrat an Dave und den versuchten Betrug noch bereuen. Ich werde sie ruinieren.“ Scalinger war nachtragend und rachsüchtig. Jo konnte und wollte ihm seinen Plan nicht ausreden. Ihn ging das nichts an. Er hatte seinen Fall aufzuklären
* Die Spur führte nach Reno. Jo buchte sofort einen Flug nach Nevada. Er kümmerte sich darum, dass ein Student von einem Fahrdienst ihm seinen 500 SL nach New York zurückbrachte, erledigte in Boston, was es noch zu tun gab, und verließ die Stadt am nächsten Nachmittag. Er stieg in Detroit in ein anderes Flugzeug um – ein Direktflug war nicht möglich – und landete um drei Uhr früh auf dem Reno Cannon International Airport. Gähnend fuhr Jo zu seinem Hotel. Zunächst glaubte er, der Taxifahrer hätte sich in der Adresse geirrt und ihn in einem Spielcasino abgeliefert. Es war jedoch das Hotel, in dessen Erdgeschoss sich ein Casino befand. Die Spielautomaten waren überall im Hotel aufgestellt, sogar auf dem
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Hochzeitsnächte im Love Hotel schon ab 399 Dollar. Dafür, fürchtete Jo, würde das Bankett allerdings von McDonalds geliefert. Für ein größeres musste man/frau schon tiefer in die Tasche greifen. Wer volljährig war und anderswo nicht verheiratet, oder das jedenfalls angab, konnte in Reno zu jeder Tages- und Nachtzeit die Ehe schließen. Mit Ehescheidungen dauerte es etwas länger. Doch auch hier arbeiteten Spezialisten schnell und unkompliziert, wenn die Ehebande allzu sehr drückten. Es gab Scheidungsranches in und um Reno, wo auf die Scheidung wartende Ladies sich die Zeit vertreiben und Trost und Unterstützung jeglicher Art finden konnten. Oder auch schon nach dem nächsten Ehemann Ausschau hielten. Es hatte Fälle gegeben, dass frisch Geschiedene vom Office des Friedensrichters sofort zur Hochzeitskapelle gefahren waren, um sofort wieder zu heiraten. Manche kriegten halt nie genug. Jo schlenderte nach dem Frühstück in legerer Freizeitkleidung durch die Stadt und schaute sich um. Das Rodeo, die Cowboywettbewerbe mit Wildpferd- und Stierreiten, Kälberfangen und -branden, artistischen Kunststücken und Reiterspielen, fand mitten in der Stadt statt. Eine ausgelassene Stimmung herrschte. Reno barst vor Besuchern aus allen Nähten. Ken Rutledge hatte Jo Walker mit seinen Verbindungen und einem kräftigen Aufgeld im „El Dorado Inn“ ein Zimmer besorgen können. Die Innenstadt war für den Autoverkehr gesperrt. Da das Rodeo noch ein paar Tage dauerte, wollte Jo nicht abwarten, bis es vorbei war, um seine Ermittlungen in Reno zu beginnen. Kräftige Cowboys fragten ihn auf seinem Weg durch die Stadt mehrmals, ob sie ihn in den Brunnen auf der Plaza werfen sollten, weil er sich nicht im Westernstil kleidete. Doch keiner versuchte es ernsthaft. Jo rief mit seiner Telefonkarte von einer
stillen Örtchen. Jo ging im ersten Stock an den Counter und erhielt die Magnetbandkarte, die er jederzeit bei sich tragen sollte. Sie ersetzte den Zimmerschlüssel. Der Privatdetektiv legte sich aufs Ohr. Am anderen Morgen glaubte er, in einen Wildwestfilm versetzt worden zu sein. Auf der Straße wimmelte es von Cowboys und -girls. Kommissar X fiel ein, dass um die Jahreszeit – zweite Junihälfte – in Reno das große Rodeo stattfand. Aus diesem Anlass trugen alle Einheimischen Westernkleidung, die meisten Touristen und sonstigen Besucher ebenfalls. An der Frühstücksbar rekapitulierte Jo, was er über Reno wusste. Rund 80.000 Einwohner, an der Ostseite der Sierra Nevada gelegen, mit guter Luft und wenig Industrie. Reno war ein Heirats-, Scheidungs- und Spielerparadies, zudem ein Fremdenverkehrsund Handelszentrum. Die herrliche Landschaft mit viel Wald, die Berge, dazu der Lake Tahoe und Sehenswürdigkeiten wie die Tropfsteinhöhle Zephyr Grove, alte Goldgräberstädte und dergleichen zogen Touristen magnetisch an. Dazu kamen zahlreiche Freizeitmöglichkeiten, die Dude-Ranches – Freitzeitranches – und natürlich die Casinos sowie die Heiratsund Scheidungseinrichtungen. Hochzeitskapellen, die Marriage Chapels, gab es an jeder Straßenecke. Friedensrichter und Geistliche freier Kirchen boten ihre Dienste auf Reklametafeln und im Fernsehen genauso an wie in den Zeitungen. Der im Frühstücksrestaurant ausgelegten „Reno News“ entnahm Jo, dass es derzeit eine Rodeo-Hochzeitswoche zu besonders günstigen Preisen gab. Das Risiko, nachhaltig und hart auf die Schnauze zu fallen, war beim Rodeo und der Hochzeitswoche gleich hoch. Die Friendly-Heart-Chapel bot eine komplette Hochzeit mit Blumenschmuck, Orgelspiel, Videoclips und Brautjungfern sowie ein Bankett und drei
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Mrs. Lashman warf ihrem Gatten, der sich allzu schnell tröstete, einen bitterbösen Blick zu, stiefelte hinaus, stieg in eine offenen Ford Mustang Mach III mit einem Stiergehörn auf dem Kühler und fuhr wie eine Rennfahrerin davon. „Die Hörner bei ihr auf dem Kühler hätte ich ihr aufgesetzt, hat sie behauptet“, sagte der Noch-Ehemann und küsste sein Sweethart. Dann ging auch er. In Millers Office, das ganz in Weiß gehalten und topmodern eingerichtet war, unterhielt Jo sich dann mit dem Anwalt. Duff Miller zog seine Computerkartei zu Rate. „Klar, Dave und Jean Rutledge sind am achten Mai in Reno rechtskräftig geschieden worden. Es war eine komplizierte Scheidung, ein Nervenkrieg. Doch das sind die meisten. In dem Fall ging es um besonders viel Geld.“ Der Anwalt rasselte Jo die Fakten herunter. Kommissar X hatte sich bei ihm ausgewiesen. Zudem war er per Fax aus Boston von Ken Rutledge und dem Testamentsvollstrecker des verstorbenen Dave Rutledge angekündigt worden. Duff Miller plauderte unbefangen. „Der alte Dave war ein Playboy, wie er im Buch stand. Der ließ nichts anbrennen. Seine unterkühlte und prüde Gattin nahm seine Eskapaden jahrelang hin. Doch irgendwann reichte es ihr.“ „Er hat sie nach Strich und Faden betrogen. Könnte ein Rachemotiv vorliegen, dass sie ihm nach dem Leben trachtete?“ „Wie kommen Sie darauf? Ich denke, der Flugzeugabsturz war ein Unglück?“ Jetzt informierte Jo den Anwalt über die vermissten drei Millionen Dollar, Dave Rutledges Änderung seines Flugplanes und andere Ungereimtheiten. Miller runzelte die Stirn. „Das gibt mir allerdings zu denken. Haben Sie schon beim FBI und der State Police wegen der Untersuchung der Flugzeugtrümmer nachgefragt?“ „Die Experten untersuchen noch immer, was sie von der Cessna zusammengekratzt
Zelle aus in New York an, wo es drei Stunden früher war, und unterhielt sich mit April Bondy, die in seiner Detektei mal wieder die Stellung hielt. Dann suchte er die Kanzlei des Anwalts Duff Miller auf, der Dave und Jean Rutledges Scheidung durchgeführt hatte. Die Kanzlei befand sich in einem zweistöckigen Holzhaus am Idlewild Park. Eine aufgemotzte Empfangsdame verwies Jo in ein Wartezimmer, wo er einen Mann und eine Frau mittleren Alters und ein blutjunges Mädchen vorfand. Alle drei waren in Westernkleidung. Zwischen dem Mann und der Frau herrschte eine eisige Atmosphäre. Das Girl und die Lady schauten betont aneinander vorbei. Im Wartezimmer konnte man Videos sehen und Musik hören. Der Anwalt, bei dem Jo sich angemeldet hatte, erschien. Duff Miller war dunkelhaarig, zünftig zum Rodeo gekleidet, groß, blauäugig und gutaussehend. Jo schätzte ihn auf Mitte Dreißig. Er zeigte, wie April Bondy gesagt hätte, zu viele Zähne beim Lächeln und verkörperte jenen unbefangen auftretenden Große-Jungen-Typ, der in den USA in allen möglichen Sparten zu finden war. „Einen Moment Geduld noch, Mister Walker“, bat er und verpasste Jo einen kräftigen Sportler-Händedruck. „Missis und Mister Lashman, Miss Larue, darf ich Sie in mein Office bitten.“ Sie stiegen die Treppe hoch. Es dauerte so lange, dass Jo schon gehen wollte. Endlich bat ihn die Empfangsdame mit dem Superbusen zu Miller. Der Anwalt verabschiedete die Lashmans und Miss Larue gerade an der Tür. Lashman hatte den Arm um das Girl gelegt. „Eure Scheidung geht klar, Rita und Bill“, sagte der Anwalt fröhlich. „Dann kannst du sofort Liz heiraten, Bill. Das arrangiere ich alles. Überhaupt kein Problem. – Bevor die Tinte auf der Scheidungsurkunde trocken ist, könnt ihr schon im Love Inn Hotel die Hochzeitstorte anschneiden.“
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abhob. – Hat er vielleicht Sie ins Vertrauen gezogen, Mister Miller?“ „Sag ruhig Duff zu mir, wie all meine Klienten. Wenn ich was wüsste, hätte ich mich langst an die Polizei oder das FBI gewandt. Ich habe keine Ahnung, wo Dave die drei Millionen gelassen hat. – Die geheimnisvolle Blondine ist seit Daves Tod nicht mehr aufgetaucht?“ „Nein. Hast du sie jemals in Reno getroffen, Duff, oder erwähnte Dave sie dir gegenüber?“ „Er hatte ständig Weibergeschichten und redete auch gern und oft darüber. Das war für ihn das Thema Nummer eins. An einem Abend im Country Club erzählte er mir mal von einer tollen Blondine, mit der er ein Sexfeuerwerk veranstaltet hätte. Doch persönlich kennen gelernt habe ich diese Biene nie. Zudem hatte Dave ständig solche Geschichten drauf. Ich schätze, während der Zeit, die er in Reno verbrachte, hat er ein halbes Dutzend Blondinen vernascht.“ „Er hatte eine Vorliebe für Blondinen“, sagte Jo. „Doch gestorben ist er offensichtlich allein. Ich möchte mal wissen, weshalb er allein losgeflogen ist und der Flugsicherung einen anderen Kurs angab als den, den er dann einschlug.“ „Vielleicht flog er nur zum Vergnügen“, sage Miller. „Leisten konnte er sich’s. Und überlegte sich nach dem Start ganz einfach, dass er doch nicht nach Las Vegas wollte. Schließlich war er nicht verpflichtet, auch tatsächlich zu dem Ort zu fliegen, den er der Luftüberwachung angegeben hatte. Es ist Vorschrift, dass beim Start ein Ziel genannt wird, aber nicht strafbar, seine Meinung zu ändern.“ Der Anwalt fuhr fort: „Vielleicht wollte Dave nur mal über den Wolken allein sein. Auch ich fliege gern solo, besonders bei Nacht. – Hast du einen Pilotenschein, Jo?“ „Ja.“ „Dann kennst du das Gefühl“ der Freiheit über den Wolken. Drei Millionen sind eine Menge Geld. Dave hat einen Teil davon zur Nevada Trust Bank transferiert und abgehoben, sagtest du?“
haben. Eins steht fest: Ein Bombenattentat war es nicht. Die Ursache für den Absturz ist nach wie vor ungeklärt. Man nimmt derzeit menschliches Versagen und einen Bedienungsfehler an.“ „Dave Rutledge ist ein ausgezeichneter Pilot gewesen. Ich weiß das. Ich habe selber ein Flugzeug, eine Beech Bonanza, und bin mit Dave mal über die Sierras geflogen. Er war der Pilot. – Wir haben uns gut verstanden. Schade um den alten Dave. Er ließ sich durch die Scheidung nicht unterkriegen, obwohl er schwer bluten musste. Vielleicht hat, was den Bedienungsfehler betrifft, wegen dem seine Chartermaschine abstürzte, sein Herz versagt. Er war schließlich nicht mehr der Jüngste. Die vielen Weibergeschichten, Alkohol und Zigaretten en masse und dann noch die Scheidung nach langjähriger Ehe bleiben nicht in den Kleidern hängen.“ „Eine plötzliche Herzattacke wäre allerdings ein Grund, weshalb Rutledge abgestürzt sein könnte. Doch ich habe mir seine Krankenpapiere angesehen. Dave Rutledge hatte ein kerngesundes Herz und verfügte über die Kondition eines Dreißigjährigen, wie mir sein Arzt versicherte.“ „Was wieder mal meine Theorie bestätigt dass zu gesund zu leben ungesund ist“, sagte Miller. Der flotte Anwalt legte die Füße auf den Schreibtisch „Trotzdem, die Ärzte können in keinen reinsehen. Mir sind Fälle bekannt in denen Männer frisch aus der Herzklinik kamen, wo sie durchgecheckt und für kerngesund erklärt worden waren. Dann, plötzlich, griffen sie sich ans Herz und fielen tot um.“ „Solche Fälle kenne ich auch. Die Tatsache bleibt aber bestehen, dass eine Blondine im Spiel ist, die bisher noch keiner kennt, die Rutledge aber in Reno kennen gelernt haben muss. Jedenfalls gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass es woanders geschehen wäre. Im Zusammenhang mit dieser Blondine sind drei Millionen Dollar verschwunden, die Rutledge persönlich für ungeklärte Zwecke
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auf und guckte wie Yul Brynner als Killerroboter in „Westworld“. Die Colts, die er tiefgeschnallt in den Halftern trug, waren echt. Der Schlaksige hieß Glen Abbott und war ein berüchtigter Profikiller. Sein Auftrag lautete, Jo Walker in Reno zu beschatten. Es war beabsichtigt, Jo zu vergraulen und von dem Fall, in dem er ermittelte, abzubringen. Das sollte auf drastische Weise geschehen. Abbott fackelte nicht, gleich den ersten Schritt zu unternehmen. Er setzte eine große dunkle Sonnenbrille auf und ließ den Motor an. Kommissar X überquerte die Straße. Eine günstigere Gelegenheit konnte sich der Killer nicht wünschen. Wenn er Jo überfuhr und der Detektiv dabei draufging, nahm Abbott das in Kauf. Seine Auftraggeber würden sich deswegen kaum beschweren. Der 180 PS starke Motor des blauen Jeeps mit Allradantrieb heulte auf. Der Gangster wich einem Reiter aus. Dann hatte er Jo genau vor dem Rammschutz und Kühler. Kommissar X schrak zusammen. Im nächsten Moment musste der Jeep ihn treffen wie eine Stahlfaust von einer Dreivierteltonne Gewicht.
„Ja.“ „Dann wurde ich dort nachfassen. Aber das brauche ich dir wohl nicht extra zu erklären. Dave war auch ein Spieler. Er kam mehrmals wegen seiner Scheidung nach Reno und hielt sich insgesamt vier Wochen hier auf. Zwei-, dreimal unternahm er einen Abstecher nach Las Vegas. Möglich, dass er das Geld verspielt hat. Oder er meinte, es in ein besonders lohnendes Geschäft stecken zu können.“ Jo hatte darüber seine eigene Meinung, die er dem Anwalt jedoch nicht verriet. Dave Rutledge war ein Frauenheld und Zocker gewesen, ein Lebemann, der seine Geschäfte in fähige Hände delegiert hatte und nur noch selten hart arbeiten musste. Doch geschäftlich war Dave Rutledge, wie Jo von Richard Scalinger, Ken Rutledge und anderen zuverlässigen Stellen wusste, äußerst clever gewesen. Auch hatte er sich noch nie am Spieltisch die Hosen ausziehen lassen. Jo verabschiedete sich. Er teilte Miller mit, wo er ihn erreichen konnte. „Für den Fall, dass dir noch was einfällt, Duff. Ich besorge mir ein Mobiltelefon. Die Nummer kriegst du. Dann bin ich jederzeit zu erreichen. – Alles klar?“ „Yes. Viel Erfolg, Jo. Lass mich wissen, welche Fortschritte du machst. Ich habe Dave gut leiden können. Wir sind Freunde gewesen. Die Nachricht von seinem Tod war ein Schock für mich, und es entsetzt mich, dass er ermordet worden sein könnte. Hoffentlich ist das nicht der Fall gewesen.“ Die Hitze traf Jo wie ein Faustschlag, als er das vollklimatisierte Holzhaus verließ. Die Straßen von Reno wimmelten nach wie vor von Leuten in Cowboykleidung. Jo wollte zunächst mal zur Hertz-Filiale, um sich einen fahrbaren Untersatz zu besorgen. Das Mobiltelefon würde er in dem Gebäude dort auch kriegen. Auf der anderen Straßenseite saß ein schlaksiger, dunkelhaariger Mann in maßgeschneiderter Cowboykleidung in einem Jeep Wrangler Laredo. Der Schlaksige hatte einen schwarzen Stetson
* Sonny Trenton war 29 und besaß wesentlich mehr Geld als Verstand. Der Millionenerbe hielt sich derzeit in Reno auf, um sich von seiner sechs Jahre jüngeren mexikanischen Ehefrau Aranxta scheiden zu lassen. Die Ehe hatte gerade zwei Jahre gehalten. Jetzt wollte Sonny seine Freiheit wieder. Er fühlte sich eingeengt von Aranxta, die ihn immer noch glühend liebte, und spann sich zurecht, sie wäre nicht gut genug für ihn. Alle möglichen Kleinigkeiten störten ihn an der 23jährigen, die er mal vergöttert hatte. Sie war ihm zu nachgiebig und zu lasch, zu beschränkt, nicht feurig und intelligent genug. Sie nahm keine Drogen und konnte den wilden Parties, die er
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verletzte. Heimlich hielt sie natürlich trotzdem Kontakt, was wiederum Sonny ihr übel nahm und als Betrug auslegte. Die Ehe war restlos am Ende. Der exzentrische, verwöhnte Millionärssprössling fand an seiner eigenen Lebensweise nichts auszusetzen. Für ihn war es okay, dass er Drogen nahm, dem Vergnügen hinterher jagte und immer was Neues, Tolleres, Besseres wollte. Da er in seinem ganzen Leben noch nie einen Tag hatte zu arbeiten brauchen, hielt er sich für einen vom Schicksal Auserwählten. Sein Vater, ein Workaholic reinsten Wassers, ein steinreicher Geldscheffler, war einem Herzschlag erlegen, ehe er die Scheidung von Sonnys Mutter durchbrachte. Die Mutter, ein herzloses, geldgieriges Geschöpf, ehemaliges Hollywood-Starlet, kriegte alles. Diese Mutter hatte mit halb Hollywood geschlafen, um endlich eine größere Rolle zu erhalten. Das Talent dieser Dame entfaltete sich leider nur im Bett, nicht auf der Leinwand. Mit den größeren Rollen wurde es nichts. Als sie dann Hollywood verließ, um den Fabrikanten und Filmmäzen zu heiraten, schickte eine gehässige Klatschkolumnistin ihr ein Bonmot hinterher: Die Gestalt ihrer Arbeit war nicht überwältigend. Umso mehr die Arbeit ihrer Gestalt. Sonnys Mutter hatte sich in der Ehe total ins andere Extrem entwickelt, Sex völlig abgelehnt und ihren Sohn verhätschelt. Zuviel Geld nach dem Tod des Gatten und Vaters, das sich dank von Profis getätigten geschickten Vermögensanlagen und Patenten von selbst vermehrte, taten ein Übriges. Sonny war fürs normale Leben nicht mehr zu gebrauchen. Als seine Mutter an Unterleibskrebs starb, erbte er alles. Dieser Sonny Trenton also wohnte im „Harrahs“ in Reno in einer Suite. Seine verschüchterte Gattin, erst seit kurzem aus dem Sanatorium entlassen, war auf einer
schätzte, nichts abgewinnen. Partnertausch machte sie auch nicht mit, weil sie konservativ erzogen worden war. Trenton sah in der Ehe bloß noch eine Fessel. Die Vorhaltungen seiner Gattin, er sollte sich ändern, ödeten ihn an. Was er eigentlich wollte, wusste Sonny nicht. Doch Aranxta war es jedenfalls nicht. Der rothaarige Millionär mit dem Punkerschnitt, der mittelgroßen, leicht verfetteten Figur und den wulstigen, aufgeworfenen Lippen schikanierte die schöne Aranxta seit längerer Zeit, wo er nur konnte. Er beleidigte und demütigte sie. Mindestens dreimal am Tag sagte er ihr, sie solle zum Teufel gehen. Sie konnte ihm nichts recht machen. Er putzte sie wegen jeder Kleinigkeit herunter. Wie sie ging, stand, guckte, Sonny meckerte darüber und kritisierte sie höhnisch. Er war wie ein Kind, das, seines Lieblingsspielzeugs überdrüssig, es kaputtmachen wollte. Die sanfte Aranxta hielt den ständigen Nervenkrieg schließlich nicht mehr aus. Sie musste in eine Klinik. Sonny lehnte jede gemeinsame Therapie ab. Er spann sich zurecht, Aranxta sei geisteskrank, und wenn er sie bei sich behielte, würde er irgendwann mal mit einer Irren verheiratet sein. Oder, wenn sie Kinder hätten, würde bei mindestens einem von ihnen erblicher Wahnsinn ausbrechen, wofür natürlich Aranxta verantwortlich wäre. Recherchen Sonnys hatten ergeben, dass ein Großvater Aranxtas in einer Nervenklinik verstorben war. Ihre Familie hatte das ihm gegenüber nie erwähnt, weil sie es für zu unbedeutend hielt. Sonny regte sich deswegen schrecklich auf. Er wäre hereingelegt worden, tobte er. Man habe ihm arglistig verschwiegen, dass Wahnsinn in dieser Familie erblich wäre, und es nur auf sein Geld abgesehen. Er verbot seiner Frau jeden Kontakt zu ihrer Familie, was Aranxta, die an ihren Angehörigen hing und brav immer jede Familienfeier mitgemacht hatte, sehr
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„In der Rodeo Bar. Du wolltest unbedingt auf dem Schecken des Rodeostars Hoppalong Freckles auf der Bar entlangreiten.“ „Was? Wie? Daran entsinne ich mich nicht. Ich kann doch überhaupt nicht reiten.“ Lüstern schaute Sonny Sheila an. „Jedenfalls keine Pferde.“ Sie lächelte über die plumpe Anzüglichkeit. „Letzte Nacht hast du es aber geschafft. Hauptsächlich brachte das Pferd das zuwege. Spot ist dressiert wie ein Zirkuspferd. Ihr seid die hufeisenförmige Bar hinauf- und hinabgeritten, ohne ein Glas zu zerbrechen. Danach haben dich alle hochleben lassen. Der Barmann hat dir einen Tijuana Speed gegeben.“ Das war eine Designerdroge, die sich zum Crack verhielt wie ein Maserati zu einem ehemaligen DDR-Wartburg. „Den Tijuana Speed hättest du nicht einziehen sollen. Er hat dich umgehauen. Ich bugsierte dich in dein Hotel. Es war gar nicht so leicht es zu finden, weil du dich nicht mehr erinnern konntest, wo du wohnst.“ Sheila kicherte. „Du bist ungeheuer komisch gewesen. Und süß.“ Sonny hatte schon ganz andere Kommentare gehört, wie er in dem Zustand wirkte. Nachdem er sich jetzt besser fühlte, spürte er ein starkes sexuelles Verlangen nach Sheila. Sie liebten sich leidenschaftlich. Sheila war eine sinnliche Offenbarung. Sie kannte keine Tabus und stellte mit Sonny Sachen an, die sogar ihn, der auf dem Gebiet sehr beschlagen war, überraschten. Von da an blieb er mit Sheila zusammen. „Wieso bist du eigentlich in Reno?“ fragte er. „Willst du dich scheiden lassen?“ „Nein. Ich suche einen Job als Croupier in der Stadt. Ich habe eine Weile im Ausland gelebt. Jetzt will ich in den USA wieder Fuß fassen. Ich bin in Hongkong gewesen, wo ich im Top-Management eines Hotelkonzerns mitarbeitete.“ „Du kommst aus der Hotelbranche?“
Scheidungsranch untergekommen. Aranxta erklärte sich mit allem einverstanden. Duff Miller vertrat beide Ehepartner bei der Scheidung, wobei jeder halbwegs vernünftige Mensch Aranxta hätte sagen können, dass das zu ihrem Nachteil war. Miller war nämlich Sonnys Anwalt. Zu Sonnys Ehre musste erwähnt werden, dass er aus schlechtem Gewissen heraus finanziell großzügig gegen seine Frau sein wollte. Sie sollte eine hohe Abfindung und zehn Jahre lang hohe Zahlungen erhalten. Nur los sein wollte er sie. Eines Morgens erwachte er in seiner Suite mit einem Brummschädel und fragte sich, wo das Mädchen herkam, das neben ihm im Bett lag. Bei einer Swinger-Party in der Stadt hatte er Alkohol mit Drogen gemischt. Danach war bei ihm der Film gerissen. Er konnte sich nicht entsinnen, wo er das Girl aufgegabelt hatte und ob zwischen ihnen etwas gelaufen war. Bildhübsch war sie – dunkelhaarig, rassig, mit Formen, die jeden Mann entzücken mussten. Doch nicht Sonny in seiner Verfassung. Er hatte einen mordsmäßigen Kater. Nicht mal die Königin von Saba hätte ihn jetzt reizen können. Er schlich sich ins Bad und schluckte Aspirin. Als er zurückkehrte, war die Schöne wach, räkelte sich nackt auf dem Bett und lächelte ihm sinnlich entgegen. „Hallo, Sonny, wie geht’s?“ „Beschissen. Hau ab! – Sag dem Etagenservice, sie sollen mir mein übliches Katerfrühstück raufschicken.“ „Ich werde dir helfen, Sonny. Warte nur.“ Trotz seiner miserablen Laune ließ Sonny sich darauf ein. Seine Eroberung massierte ihn und behandelte neuralgische Punkte gegen seine Kopfschmerzen mit Eiswürfeln. Sie besorgte ihm eine Bloody Mary und Gesalzenes. Danach war Sonny einigermaßen fit. „Wie heißt du eigentlich?“ fragte er, weil jetzt sein Interesse an der Schönen erwachte. „Sheila Marshall.“ „Wo haben wir uns getroffen?“
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„Du bist der Größte“, sagte sie, als sie dann im Bett lagen. Sonny erwiderte: „Und du bist die Schönste. Ein Naturereignis. Wir zwei haben uns gesucht und gefunden. Wir sind aufeinander zugestrebt wie zwei Magnete. Das Schicksal hat uns zusammengeführt.“ Es war aber kein Schicksal gewesen, was Sheila Sonny in der „Rodeo Bar“ aufgabeln und an Land ziehen ließ, sondern exakte Planung. Sheila hatte Sonny beobachtet und ihm aufgelauert. Sie kannte seine Gewohnheiten genau. Gut unterrichtet, wie sie war, schleppte sie ihn im günstigsten Moment ab, als er ihr ausgeliefert und hilflos war.
„Eigentlich nicht. Aber das ist eine lange Geschichte, die ich dir jetzt nicht erzählen möchte. Ich bin in Las Vegas aufgewachsen. Casinos, das Spiel und die ganze dazugehörige Atmosphäre haben mich schon immer fasziniert.“ Sheila gab sich geheimnisvoll, was Sonny faszinierte. Sie war erfahrener und sinnlicher als er, wechselhaft, immer vital und immer auf dem Sprung. Über ihr Vorleben enthüllte sie ihm wenig. Doch Sonny kriegte mit, dass Sheila fließend sechs Sprachen beherrschte und hochintelligent war. Eine Weltbürgerin. Sie gab ihr Quartier in einem drittklassigen Hotel am Stadtrand auf und zog nach einem Tag, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, in Sonnys Suite ein. Als Sonny mal die Suite verlassen hatte, um eine Besorgung zu machen, tippte Sheila eine Renoer Nummer ins Telefon. Als der Teilnehmer am anderen Ende dran war, sagte sie knapp: „Der Gimpel hat angebissen. Wenn wir bei ihm noch genauso einen Coup landen wie zuletzt bei Dave Rutledge, sind wir steinreich.“ Die Schöne erhielt die Antwort: „Du machst das schon, Sheila. Wir werden Sonny ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, und dann wird er abserviert.“ Sheila blies Zigarettenrauch in die Luft. „Um den ist es nicht schade“, sagte sie. „Aber das war es um die beiden anderen auch nicht. Ich hasse diese Kerle. Sie sind eingebildet bis dorthinaus, protzen mit ihrer Potenz und ihrer Brieftasche und glauben, für Geld alles kaufen zu können.“ Sie hörte Sonny kommen, legte auf, lächelte strahlend und lief ihm entgegen. „Hi, Sonnyboy, bist du endlich wieder da? – Fein. Ich habe dich so vermisst. Ich bin ganz verrückt nach dir. So wie du kann es keiner.“ Der rothaarige Millionär lächelte geschmeichelt. Er fühlte sich von Sheila aber nicht über den grünen Klee gelobt. Die hohe Meinung, die sie ihm vermittelte, hatte er schließlich schon immer von sich gehabt.
* Jo warf sich zur Seite. Er glaubte, er würde es nicht mehr schaffen. Zu nahe war der Jeep. Der Rammschutz streifte die Schuhe des Privatdetektivs. Kommissar X überschlug sich auf der Straße. Er spürte den Schlag gegen die Füße, den Luftzug des vorbeifahrenden Jeeps und sogar die Hitze des Motors. Dann lag Jo am Boden. Er konnte nicht gleich aufstehen. Der weiße Jeep wich zwei Fußgängern in Cowboykleidung aus und bog mit aufheulendem Motor um die Ecke. Passanten rannten zu Jo Walker. „Sind Sie verletzt?“ Der Detektiv betastete seine Glieder und schüttelte den Kopf, um rasch wieder klare Gedanken fassen zu können. Er war um Haaresbreite davongekommen. „Nein, alles okay.“ „Das war wieder mal so ein rücksichtsloser Fahrer!“ schimpfte ein älterer Mann. „Sicher ein Betrunkener. Solchen Kerlen gehört der Führerschein abgenommen. Jo Walker war anderer Ansicht, was die angebliche Trunkenheit des Fahrers betraf. Doch davon erzählte er den zufälligen Zeugen der Szene nichts. Zwei hatten sich die Nummer des Jeeps gemerkt. Das war immerhin etwas. Jo stellte fest, dass er unverletzt war.
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gewesen war, nannte dem Sheriff die Autonummer. Der Deputy hatte sie per Computer-Suchprogramm nicht finden können, was der Sheriff leicht schaffte. Er teilte Jo das Ergebnis mit. „Diese Nummer gehörte einem Auto, das verschrottet wurde. Sie wurde seitdem nicht mehr neu vergeben. Das ist seltsam. – Können Sie sich einen Grund denken, weshalb dieser Amokfahrer gefälschte Nummernschilder verwendet?“ Jo konnte es und teilte ihn dem Sheriff in dessen persönlichem Office unter vier Augen mit. Charlie Hyatt verband Tradition mit Modernem, indem er die Stiefel mit den mächtigen Sporen auf dem Schreibtisch neben den Computer legte. Er schaute sich Jos Detektivlizenz an. „Ausgerechnet einen New Yorker Privatdetektiv haben die Rutledges hergeschickt“, sagte er. „Als ob wir hier keine einheimischen Schnüffler hätten.“ „Sicher solche, die hauptsächlich auf Scheidungsfälle spezialisiert sind. Schnüffler, die Ehefrauen oder -männern, die hier auf ihre Scheidung warten, Untreue nachweisen, damit ihnen die Gegenseite was am Zeug flicken kann.“ „Wahr, wahr“, sagte der Sheriff und seufzte. „Besonders die scheidungswütigen Weiber sind eine wahre Pest. Giftig auf alles, was Mann heißt, und zugleich ungeheuer scharf darauf. Ich könnte Ihnen Stories erzählen. – Die Rodeoreiter müssen ihre Hosen festnieten, wenn sie solchen Frauen über den Weg laufen. – Eifersuchtsdramen erleben wir hier auch jede Menge. Und dass Paare sich vorm Scheidungsrichter derart in die Haare geraten, dass die Polizei eingreifen muss, passiert jede Woche mindestens zwei-, dreimal. Neulich hat ein Mann aus Chicago versucht, seine Frau, mit der zunächst eine einvernehmliche Scheidung vereinbart worden war, und deren Anwältin mit einem Schnellfeuergewehr zu erschießen. Zum Glück hatte er Ladehemmung. Sonst hätte es ein Blutbad gegeben. – Jetzt will der Kerl auch noch allen Ernstes den Hersteller auf
Auch seine Füße waren heil geblieben. Der Sheriff wurde verständigt. Ein mitfühlender Einheimischer fuhr Jo Walker zum Sheriff s Office, wo er den Fall meldete. Das Office befand sich in der Glendale Avenue in der Nähe vom Washoe Medical Center, einem großen modernen Klinikkomplex. Im Großraumoffice des Sheriffsbüros waren zwei Deputies und mehrere Zivilangestellte an der Arbeit. Während des Rodeos hatten der Sheriff und seine Mitarbeiter alle Hände voll zu tun. Die Stadt barst vor Besuchern aus den Nähten. Immer wieder gab es Krawall. Dazu kamen noch die üblichen Verbrechen und Vergehen in dem Spieler- und Hochzeitsund Scheidungsparadies, das selbstverständlich auch ein Eldorado für kleinere und größere Ganoven und Gangster war. Ein überarbeiteter Deputy versprach Jo, sein Bestes zu tun, den Amokfahrer zu fassen. „Vielleicht wollte er Sie überfahren, weil Sie keine Cowboykleidung tragen, Mister, haha. Das Rodeo ist für uns so was wie ein Nationalfeiertag.“ Charlie Hyatt, der Sheriff von Reno und dem Storey County, erschien. Er schleppte zwei Betrunkene an, die er unterwegs festgenommen hatte. Einer der beiden hatte in alter Westernmanier auf die Straßenlaternen geschossen. Jo wandte sich an den Sheriff. Hyatt, ein großer, rotgesichtiger Mann mit vorspringendem Bauch, gab die Betrunkenen an einen Deputy für die Ausnüchterungszelle weiter. „Die Zelle ist schon proppenvoll“, protestierte der Deputy in dem nüchtern und zweckmäßig eingerichteten Office. „Mir egal“, erwiderte der Sheriff. „Dann stapelt die Saufköpfe meinetwegen. – Irgendwie müssen wir Ruhe und Ordnung in der Stadt aufrechterhalten. – Was wollen Sie, Mister?“ Die letzte Frage galt Jo. Kommissar X teilte dem Sheriff mit, dass ein Unbekannter versucht hatte, ihn zu überfahren. Der Deputy, bei dem er zuerst
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Dave Rutledge aufzuklären, nachdem dieser um drei Millionen Dollar erleichtert worden war, war er nicht clever genug. Jo fuhr im Taxi zur Hertz-Filiale und besorgte sich dort einen Mitsubishi Pajero. Der Geländewagen erschien ihm für seine Ermittlungen in Reno besser geeignet als ein purer Straßenwagen wie ein Mercedes oder auch Cadillac oder sonstiger. Das Funktelefon holte Kommissar X sich auch gleich, rief Duff Miller an und gab ihm die Nummer. Der Anwalt hatte schon gehört, dass Jo fast überfahren worden wäre. „Pass nur auf“, mahnte er. „Weshalb hast du denn nicht deine Knarre gezogen und den Kerl hinterm Steuer abgeballert?“ Miller wusste genau wie der Sheriff, dass Jo seine 38er ständig in der Schulterhalfter hatte. „Es ging zu schnell“, antwortete Jo. „Denn ich lag erst mal flach und musste meine fünf Sinne wieder zusammenkriegen.“ „Verstehe. Im Wiederholungsfall wünsche ich dir mehr Glück, falls es dazu kommt.“ Damit rechnete Jo Walker durchaus. Die Leute, denen seine Nachforschungen ein Dorn im Auge waren, würden nicht lockerlassen. Durch die von Menschen völlig verstopfte Stadt fuhr Jo zu der Privatbank, bei der Dave Rutledge mit der Blondine zusammen Geld abgehoben hatte. Der Bankier und die Angestellten, welche die beiden bedient hatten, standen ihm Rede und Antwort. Der Bankier war schon steinalt. Seine Hände zitterten. Mit schwarzer Jacke, Stetson und Schnürsenkelkrawatte sah er aus wie Methusalem im Wildwestanzug. Er hatte einen Sprachfehler. „Ich kenne Mifter Rutledge. Fweimal hat er fich Geld anweifen laffen. Einmal neunhunderttaufend Dollar, einmal einfkommafwei Millionen. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, alf er da reinspafiert und daf Geld in einer Umhängetafche mitnehmen will. Daf ift doch viel fu gefährlich, fage ich fu ihm. –
Schadensersatz verklagen.“ „Was verlangt er denn?“ fragte Jo. „Zwanzig Jahre Zuchthaus oder den Elektrischen Stuhl?“ Der Sheriff grinste dünn und fuhr fort: „Während des Rodeos ist im Reno der Teufel los. Skandale, Krawall, Scherereien en masse. – Jetzt kommen Sie auch noch daher und sorgen für Unruhe.“ „Sie sind verpflichtet, mir zu helfen, weil ich ein Verbrechen aufklären will“, sagte Jo. Er erklärte dem Sheriff, soviel er für richtig hielt. „Ich will die Blondine finden, die Dave Rutledge sich drei Millionen Dollar kosten ließ.“ Jo lieferte dem Sheriff eine Beschreibung und nannte ihm Fakten. Er teilte Hyatt mit, wo Rutledge jeweils in Reno abgestiegen war und bei welcher Bank er das Geld abgehoben hatte. Charlie Hyatt schüttelte den Kopf. „Rutledge kenn ich vom Sehen. Er war ein großer, grauhaariger Mann mit energischem Auftreten. Von der Blondine weiß ich nichts. Wir haben hier so viele Blondinen, echte und unechte, dass wir damit die Straßen pflastern können. – Waren Sie schon bei Rutledges Scheidungsanwalt?“ „Von dem komme ich gerade. Ich bin davon überzeugt, dass es kein Zufall gewesen ist, dass ich ums Haar überfahren wurde. Es sind Leute in Reno, die mich daran hindern wollen, Licht in diese Affäre zu bringen.“ „Gut möglich“, sagte der Sheriff. „Wo kann ich Sie erreichen? Wenn ich was Neues erfahre, lasse ich es Sie wissen.“ Kommissar X verabschiedete sich in der Gewissheit, dass ihm der Sheriff von Reno keine große Hilfe sein würde. Charlie Hyatt hatte zumindest während des vierzehntägigen Rodeo-Spektakels keine Gelegenheit, nebenher größere Ermittlungen in der Rutledge-Sache anzustellen. Zudem war er sicher ein guter und tüchtiger Sheriff, was die Routinefälle in seinem Amtsbereich betraf. Doch um einen raffiniert eingefädelten Mord wie den an
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offensichtlich verstellt war und durch ein Taschentuch vor dem Mund sprach, fauchte ihn an. „Verpiss dich aus Reno, du mieser Schnüffler, oder du wirst es bereuen! Wir brechen dir Arme und Beine und ersäufen dich im Truckee River.“ „Der führt um diese Jahreszeit kaum Wasser“, antwortete Jo trocken. „Spreche ich mit Dave Rutledges ständiger Begleiterin in Reno?“ „Das geht dich einen Dreck an, Kommissar X. Hau ab, solange du es noch kannst.“ Damit legte die unfreundliche Lady auf. Jo Walker hatte während seiner Laufbahn schon unzählige Drohanrufe erhalten. Er zitterte keineswegs. Doch es gab ihm zu denken, dass er in der Bank angerufen worden war. Er stand, seit er in Reno war, unter Beobachtung.
Laffen Fie daf meine Forge fein, tagt er. – Die blonde Frau war beide Male bei ihm. Ein raffigef Weib, fage ich Ihnen.“ „Meinen Sie rassig?“ fragte Jo, obwohl der andere Ausdruck zutreffender gewesen wäre. Der Bankier riss die blassblauen Augen noch weiter auf. „Ja. Daf tagte ich doch: raffig.“ „Haben Sie eine Ahnung, was Mister Rutledge mit den immerhin zweikommaeins Millionen Dollar anfangen wollte, die er bei Ihnen abhob?“ Den Rest hatte sich Rutledge in Boston geholt. „Woher foll ich daf denn wiffen? Ich verwalte daf Geld meiner Kunden. Ef muf fich um ein Gefäft gröferen Aufmafef gehandelt haben.“ Jo fragte nacheinander jeweils unter vier Augen die beiden Angestellten, mit denen Rutledge und sein blonder Schwärm zu tun gehabt hatten. Der männliche Angestellte gab Jo einen Tipp. Dieser Banker brachte es fertig, auch im Cowboydress ganz als Yuppie zu erscheinen. „Die Blondine ist einsfünfundsiebzig groß, Alter Mitte bis Ende Zwanzig, mit langen Beinen und einer sagenhaften Figur. Sie stammt aus Texas. Das habe ich genau herausgehört, als sie mit Mister Rutledge sprach. Außerdem hat sie einen Leberfleck auf dem linken Handrücken. Sie kleidete sich geschmackvoll und teuer. Die Augenfarbe kann ich nicht sagen, da sie immer eine dunkle Brille trug. Ein sportlicher, herber Typ.“ Jo bedankte sich für diese bisher genaueste Beschreibung der geheimnisvollen, seit Dave Rutledges Tod spurlos verschwundenen Blondine. Als er die Bank verlassen wollte, wo es für ihn nichts mehr zu erfahren gab, er. hielt er einen Anruf. Die Zentrale stellte ihn zu ihm durch. „Telefon für Mister Walker. Dringend.“ In der Meinung, es sei April Bondy oder sonst jemand, der seine Funktelefonnummer noch nicht hatte und ihn unbedingt erreichen wollte, hob Jo im Bankoffice ab. Eine Frauenstimme, die
* Dave Rutledge hatte während seines Aufenthalts in Reno im „Continental Lodge“ gewohnt. Dieses Hotel stand in der Rancho San Rafael Region in malerischer, waldreicher und bergiger Umgebung. Es bestand aus einem Hauptgebäude und hübschen, rustikal eingerichteten Bungalows. Der Multimillionär aus Boston hatte einen solchen Bungalow bewohnt, wo er ungestört gewesen war. Jo fuhr in seinem Mitsubishi Jeep zum Hotel. Unterwegs passte er auf, um nicht aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen oder auf ähnliche Weise um die Ecke gebracht zu werden. Damit, das Rentenalter zu erreichen und irgendwann mal im Schaukelstuhl die Beine von sich zu strecken, rechnete Kommissar X bei seinem gefährlichen Beruf nicht. Doch ein paar Jahre wollte er es schon noch machen. Im Hotel wandte er sich an den First Manager. Dieser war eine gepflegte, immer noch jugendlich adrett wirkende Lady um die Vierzig. Erfreut stellte Jo fest, dass sie keinen Western Style trug. Ihr
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Manipulationsmöglichkeiten.“ „Mrs. White, Sie haben schon beruflich einen Blick für Menschen. Halten Sie diese Sharon für eine Zockerin?“ „Eher für einen weiblichen Croupier oder eine Casino-Bankhalterin. Ich kenne viele von diesen Mädchen und Frauen, habe des Öfteren mit ihnen zu tun. Sie haben alle dieselbe coole, professionelle Art und einen bestimmten Jargon. Sharon versuchte, das zu vertuschen. Doch mich konnte sie damit nicht täuschen. Manchmal kam die Casinospielerin bei ihr durch.“ „Halten Sie für möglich, dass sie bei einem hiesigen Casino arbeitet?“ „Da fragen Sie mich zuviel. Da müssten Sie sich schon selber erkundigen. – Glauben Sie denn, dass Mister Rutledge einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist?“ „Verschiedenes, was mit seinem Tod zusammenhängt, ist mysteriös“, antwortete Jo. Er sprach noch eine Weile mit Mrs. White und bedankte sich dann für ihre Hilfe. Er wollte sich nicht in die Karten sehen lassen und mochte auch nicht jedem mitteilen, dass drei Millionen Dollar verschwunden waren. Nach dem Gespräch mit der Hotelmanagerin sprach Jo noch mit Hotelangestellten, die Rutledges Bungalow betreut oder ihn und die blonde Sharon kennen gelernt hatten. Ein blutjunges Zimmermädchen erwies sich dabei als besonders ergiebige Quelle. Errötend teilte sie Jo unter vier Augen mit, dass sie mit Rutledge, wie man landläufig sagte, etwas gehabt hatte. „Mister Rutledge benahm sich so autoritär und selbstsicher. Ich traute mich nicht, ihm zu widersprechen. Am nächsten Tag bin ich mit zwei Freundinnen wiedergekommen. Das war gewesen, bevor Sharon, das blonde Gift, Dave Rutledges übersättigte Sinne vernebelte. Jo interessierte es. Er fragte: „Gleich drei junge Frauen? Konnte Rutledge das denn bewältigen?“
einziges Zugeständnis ans Rodeo-Festival war eine Broncobuster-Anstecknadel am Revers ihres marineblauen Kostümjacketts, das ein beachtlicher Busen wölbte. „Dave Rutledge hat bei uns gewohnt“, bestätige sie Jo. Sie schaute im Gästebuch nach und nannte die Daten. „Schade um ihn. Er war ein sympathischer Mann.“ Jo fragte die First Managerin nach der Blondine, in die Rutledge vernarrt gewesen war. „Sie hat nicht hier gewohnt, doch öfter in Rutledges Bungalow übernachtet“, erwiderte die Hotelleiterin. „Ich kann Ihnen nur ihren Vornamen nennen: Sharon. Rutledge pflegte sie allerdings meist Darling und Maus zu nennen. Er war schon ein Schürzenjäger und hinter allen Frauen her, bevor, diese Sharon auftauchte.“ „Bei Ihnen hat er es auch versucht?“ Die Hotelmanagerin lächelte. „Ich habe ihn abblitzen lassen, wenn Sie es genau wissen wollen. Er nahm es nicht krumm und ich auch nicht. Hätte Rutledge mich nicht zu erobern versucht, wäre ich irgendwie enttäuscht gewesen.“ „Verstehe. So hat also jeder seine Pflicht getan.“ Die Hotelmanagerin lachte. „Wenn Sie es so sehen, ja. Rutledge lernte diese Sharon kennen, als er das zweite Mal in Reno war. Beim ersten Mal handelte es sich nur um einen Kurzaufenthalt. Der zweite dauerte zehn Tage. Der dritte eine Woche. Bei seinem zweiten Besuch traf Rutledge Sharon, gleich in der ersten Woche. Er hat immer bei uns gewohnt. Er war ein sehr dynamischer Mann, rastlos. Es trieb ihn umher. Bei einem seiner Ausflüge in die Stadt hat er Sharon aufgegabelt.“ „Wo und wie, wissen Sie nicht?“ „In einem Casino, schätze ich.“ „Wie kommen Sie darauf?“ „Diese Sharon verstand eine Menge vom professionellen Glücksspiel. Vom Personal weiß ich, dass sie sich zumindest einmal in unserer Nevada Lounge angeregt mit Rutledge über die Gewinnchancen beim Blackjack und Roulette unterhielt, über die Doppelzero, den Hausbonus und
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Rovers liegen. Diese leichte Maschinenpistole erlebte in den USA einen Boom, seit sie in der Serie „Miami Vice“ mehrmals im Einsatz gezeigt worden war. Abbott, der drahtige Profi-Mörder, hielt sie für gut genug, um Kommissar X damit umzubringen. Zwar hatten seine Auftraggeber, die er nicht mal persönlich kannte, ihm Zurückhaltung auferlegt. Doch Glen Abbott sah das nicht so eng. Er ließ sich ungern dreinreden und war kein sklavischer Befehlsempfänger. Nur ein toter Kommissar X ist ein guter Kommissar X, sagte sich der eitle Killer. Er wollte den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, den Gangsterjäger Jo Walker zur Strecke gebracht zu haben. Seinen ersten Mord hatte Glen Abbott mit vierzehn Jahren an einem Farbigen begangen, weil er dessen modische Lederjacke für sich haben wollte. Seitdem rühmte er sich, 54 Hits mit Erfolg erledigt zu haben. Drei Mexikaner, die er mal im Suff um sich ballernd niedergeschossen hatte, rechnete er dabei nicht mit. Auch zwei weitere Fälle, bei denen nicht sicher war, wessen Kugel den Tod des Opfers verursacht hatte, rechnete er nicht zu seiner Liste. Schließlich konnte sie auch ein Komplice auf dem Gewissen haben. Glen Abbott schmückte sich nicht mit fremden Federn. Doch bei Kommissar X würde er ganz sicher sein. Glen Abbott gehörte zu jenen Gewissenlosen, die im Dunstkreis des Verbrechens lebten und denen ein Menschenleben nichts galt. Er war eine schreckliche Ausgeburt des American Dream, den man in seinem Fall als Alptraum bezeichnen musste. Kommissar X hatte den Range Rover längst gesehen. Er ahnte, dass der Tod hinter ihm herfuhr und jetzt zum Überholen ansetzte. Noch bevor er die Waldregion verließ und die Kings Row erreichte, trat Glen Abbott aufs Gas. Er fuhr auf gleicher Höhe mit Jos Jeep, griff zur Tec-9 und eröffnete das Feuer. Jo trat voll auf die Bremse. Die Garbe verfehlte ihn. Abbott bremste ab und zog
Er hatte es geschafft, wenn auch nicht mehr so wie ein Zwanzigjähriger. Im Nachhinein konnte Jo über den toten Multimillionär nur den Kopf schütteln. Dave Rutledge hatte nichts anderes im Kopf gehabt als Sex und ständig neue Partnerinnen gesucht und auch gefunden. Jo wunderte sich, dass er trotzdem auf Sharon hereingefallen war. Diese Frau musste über beachtliche Fähigkeiten auf sexuellem Gebiet verfügen, wenn sie einen so erfahrenen Liebhaber wie Dave Rutledge, der jede Menge Frauen haben konnte, an sich zu fesseln vermochte. An sich allein? Das Zimmermädchen Conchita gab Jo auch hier eine Aufklärung. „Diese Sharon hat für Mister Rutledge Partnerinnen zum Gruppensex herangeholt. Das weiß ich mit Sicherheit. Für mich interessierte er sich bald nicht mehr. Als ich mal in den Bungalow kam und aufräumen und saubermachen wollte, fand ich fünf Personen nach einer Orgie schlafend vor. Im Bungalow sah es aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte.“ „Das muss eine Sexbombe gewesen sein“, sagte Jo. Jo Walker verabschiedete sich und fuhr mit seinem Jeep vom Hotel „Continental Lodge“ weg. Weitere Aufschlüsse über die Ermordung des sexbesessenen Playboys Dave Rutledge erhielt er dort nicht. Jo war kaum vom Hotel weggefahren, als ein massiver Range Rover aus einem Wald weg rollte. Der Landrover mit verstärkter Stoßstange, Rammschutz, Allradantrieb und Kurbelwinde vorn holte auf. Am Steuer saß Glen Abbott, der schon einmal versucht hatte, Jo Walker zu überfahren. Das Fahrzeug, das er dafür benutzte, war er schnell losgeworden. Es stand wieder bei dem Schrotthändler, von dem er es sich besorgt hatte. Dieser Schrotthändler bezog seine Haupteinnahmen aus dem Umfrisieren gestohlener Fahrzeuge. Von ihm hatte der Killer auch den tarnfarbenen Landrover. Glen Abbott hatte eine Tec-9 neben sich auf dem Beifahrersitz des offenen Range
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schoss sein Magazin leer und setzte blitzschnell ein neues ein. Die MP spuckte Mündungsfeuer und Projektile. Patronenhülsen flogen nach allen Seiten. Jo zog den Kopf ein. Abbott sprang aus dem Jeep und näherte sich mit schussbereiter Waffe der Schlucht. Kommissar X überraschte ihn wieder. Er war ebenfalls aus dem Jeep ausgestiegen und ein Stück weiter vorn in der Schlucht an deren Wand hochgeklettert. Jetzt feuerte er wieder auf Glen Abbott. Der Killer sprang hinter dem Wurzelstock eines vom Sturm gefällten Baumes in Deckung. Ein Schusswechsel folgte. Abbott zog sich zu seinem Range Rover zurück, wobei er darauf achtete, schnell von einer Deckung in die andere zu gelangen und Jo möglichst kein Ziel zu bieten. In der Sommerhitze schwitzten beide Gegner. Sie waren sich ebenbürtig. Jo Walker hatte einen harten Brocken vor sich. Glen Abbott musste einsehen, dass er sich schon mehr anstrengen musste wie bisher, wenn er Kommissar X auf seine Abschussliste setzen wollte. Er hatte ihn, durch mehrere leichte Hits in der letzten Zeit verwöhnt, unterschätzt. Die Schüsse waren bis ins Hotel „Continental Lodge“ und anderswo zu hören. Abbott wusste, dass bald der Sheriff und die Forest Rangers per Hubschrauber eintreffen würden. Eine Fahndung würde beginnen, mit Straßensperren und allem Drum und Dran. Kommissar X, den er im Moment nicht sah, hatte der Killer auch noch im Genick sitzen. Er musste schleunigst verschwinden. Das Überraschungsmoment und der damit verbundene Vorteil waren verspielt. Abbott wollte fliehen. Er robbte zu seinem Jeep und fragte sich, wo Jo stecken mochte. Das merkte er, als er wieder von oberhalb seiner Position beschossen wurde. Die Kugeln zischten wie tödliche Hornissen um ihn herum. Abbott schaffte es mit schnellen Zickzacksprüngen, hinter seinen Range Rover zu gelangen.
seinen Geländewagen, der höher und schwerer war als Jos Jeep, nach rechts herüber. Er wollte den Detektiv von der Straße drängen, um ihn dann umso sicherer erledigen zu können. Kommissar X machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem er freiwillig von der Straße fuhr. Der Jeep Wrangler Laredo fuhr durch den flachen Graben ins Gelände. Jo wurde durchgeschüttelt wie der Drink im Shaker. Ohne die Sicherheitsgurte, die ihn hielten, wäre er glatt aus dem Auto geschleudert worden. Er fuhr den Hang hoch, an einzelnen Ponderosa-Kiefern und Fichten vorbei. Abbot hielt an, stieß rasant zurück und ballerte hinter dem Fliehenden her. Doch Jo überfuhr schon den Grat des Hangs. Er hörte zwei Kugeln pfeifen und eine in die Karosserie seines Jeeps schlagen. Sie richtete keinen größeren Schaden an. Dann war Jo weg aus Abbotts Sicht-und Schussfeld. Der Killer fluchte. Zähneknirschend drosch er den Gang hinein und fuhr ebenfalls“ durch den Graben, hinter Jo Walker her. Auf dem Grat des Hangs angekommen, sah er den Jeep zunächst nicht. Der Killer fuhr ein Stück weiter. Er stoppte und spähte umher, die Maschinenpistole im Anschlag. Dann knallte es. Jetzt war es Glen Abbott, in Westernkleidung und mit Sonnenbrille, dem die Kugeln um die Ohren pfiffen. Wäre Jo näher dran gewesen, hätte der Killer ein zusätzliches und höchst unerwünschtes Loch im Schädel gehabt. Doch so war die Entfernung auch bei einem erstklassigen Pistolenschützen für einen sicheren Treffer zu groß. Abbott sah Kommissar X’ Kopf. Jo war rückwärts in eine Schlucht gefahren. Er saß im Jeep. Sein Kopf schaute über die Bodenkante am Schluchteingang. Immerhin hatte Jo sechzehn Kugeln zu verballern. Wenigstens eine davon, hoffte er, würde auch bei der großen Entfernung treffen. Der Killer feuerte mit der Tec-9,
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warf die MP in den Straßengraben und winkte mit einer Hand. Die andere presste er auf seinen verbrannten Hintern. Abbott zog ein Gesicht, als ob er schwerverletzt sei, und nahm die entsprechende Haltung ein. Der Buick, ein offenes Cabriolet, bremste mit quietschenden Reifen auf dem heißen Asphalt. Die Frau mit der großen Sonnenbrille schaute Abbott an. Dann sah sie zu der Rauchsäule des brennenden Autowracks, die hinter dem Hügel emporstieg und die auch den Hubschrauber anlockte. „Was ist hier los?“ fragte die Lady. „Ich habe Schüsse gehört. Sind Sie verletzt, Mister?“ „Kaum“, antwortete Abbott knirschend mit zusammengebissenen Zähnen. Er sprang zu seiner MP, packte sie und richtete sie einhändig auf die Frau am Steuer. Weitere Wagen näherten sich aus beiden Fahrtrichtungen. Glen Abbott brannte die Zeit genauso auf den Nägeln wie die Brandblasen auf dem Hintern. Er musste schleunigst weg! „Sie bringen mich jetzt in Sicherheit, oder ich erschieße Sie! Ich warne Sie, Lady!“ Die Frau mit der großen Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht verdeckte, und dem Kopftuch erbleichte. Abbott flankte über die Beifahrertür in das Buick-Cabrio. Er hielt die MP so, dass man sie von außen nicht so leicht sehen konnte. „Fahren Sie zu!“ Die Frau gehorchte, stellte den Wahlhebel auf Drive und gab Gas. Das schnittige Buick-Cabrio fuhr in Richtung Reno. Direkt in die Stadt wollte Abbott nicht. Von dort würden bald Streifenwagen auftauchen, die alarmiert worden waren. Der Killer konnte sich vor lauter Schmerzen nicht setzen. Er hing in der Hocke neben der Fahrerin. Die Lady fuhr nach seinen Anweisungen. Niemand hielt sie auf. Von den Insassen der ändern Autos hatte keiner bemerkt, dass der Killer sich eine Geisel genommen hatte und sie zu Chauffeurdiensten zwang.
Gezielt feuerte Jo auf den Tank des Range Rovers. Zu seinem eigenen Pech hatte Abbott sich für einen Benziner entschieden. Er hörte die Kugeln des Privatdetektivs in den Tank klatschen. Voll getankt war der Geländewagen auch noch. Abbott flitzte schleunigst in Deckung. Dort kauerte er kaum, als es krachte und ein Feuerball aufflammte und den Range Rover einhüllte. Der Tank explodierte. Die Trümmer flogen nach allen Seiten. Brennendes Benzin spritzte umher. Abbot, der in nach vorn geduckter Haltung am Boden kauerte, erhielt eine Ladung brennendes Benzin auf den Körperteil, auf dem er zu sitzen pflegte. Der Schmerz war entsetzlich. Der Killer brüllte wie ein frisch kastrierter Stier, setzte sich auf den Boden und erstickte die Flammen. Er knirschte vor Schmerz mit den Zähnen und schlug mit der flachen Hand dorthin, wo es wehtat. Mit rauchendem Hintern feuerte er dann aus der Tec-9, was er aus dem Lauf kriegte, und zwang Kommissar X in Deckung. Ein Hubschrauber der Forest Rangers dröhnte von Westen heran, aus der Richtung der Sierra Nevada. Fluchend kletterte der Killer den Hang hoch zur Straße. Er verbrannte sich auch noch die Finger am heißgeschossenen Lauf der MP. Zudem jagte ihn Kommissar X, der zu seinem Jeep zurückgerannt war und damit losfuhr. Der Rauch des brennenden Autowracks vernebelte Jo die Sicht und hinderte ihn, auf den Killer zu schießen. Er hätte Abbott gekriegt. Doch auch Jo hatte Pech. Er übersah mit seinen vom Rauch tränenden Augen eine tiefe Bodenrinne. Der Jeep kippte um. Jo blieb durch den Überrollbügel unverletzt. Er war jedoch einen Moment benommen. Dann musste er die Sicherheitsgurte öffnen und kroch aus dem mit den Rädern nach oben liegenden Jeep. Inzwischen stand Glen Abbott schon auf der Straße. Ein schnittiger Buick mit einer Frau am Steuer näherte sich. Der Killer
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eingerieben. – Du hast Verbrennungen zweiten Grades. Weißt du das?“ „Und ob ich das weiß! Was glaubst du, wie weh das tut! Ausgerechnet dort, wo es am peinlichsten ist!“ stieß Abbott hervor. Sein alter Kumpel hatte eine kleine Ranch, in dem er eine Pension unterhielt. Abbott war einer von seinen Gästen. „Oh, dieser Hurensohn, dieser elende Bastard! Das hat er mit Absicht getan! Das vergesse ich ihm nie! Den Dreckskerl bringe ich um! Ich röste ihn über einem kleinen Feuer. Das soll er mir büßen!“ Abbott drohte Fürchterliches an, was er Kommissar X zufügen wollte. So schimpflich war er noch nie blamiert worden. Trotz seiner Schmerzen überlegte er cool, ob er in Gefahr schwebte, vom Sheriff oder der State Police geschnappt zu werden. Wenn sein alter Kumpel es schaffen, den Rambler wegzubringen, der schon als gestohlen gemeldet sein konnte, bestand keine unmittelbare Gefahr. Doch Abbott hatte in dem Buick-Cabrio wie im Rambler Fingerabdrücke hinterlassen. Da seine Prints registriert waren, würden der Sheriff und’ die State Police schnell wissen, mit wem sie es zu tun hatten. Anhand Abbotts alter Fotos und Personenbeschreibung aus der Verbrecherkartei würden sie nach ihm fahnden. Die Fotos stammten noch von seiner Zuchthausstrafe, die inzwischen zehn Jahre zurücklag. Die Frau würde ihn zudem beschreiben, so gut sie es konnte, und vor allem angeben, wie und wo er verletzt war. „Shit! Shit! Shit!“ schimpfte der bäuchlings auf der Couch liegende Gangster. Am besten wäre gewesen, nach Mexiko zu verschwinden, bis Gras über die ganze Sache gewachsen und Abbotts Hintern wieder verheilt war. Doch das wollte der Killer nicht. Er brannte darauf, mit Kommissar X abzurechnen. Und das möglichst bald.
Zwar erschien es manchen seltsam, dass da ein Mann in den Buick stieg und dieser schnell wegfuhr. Doch keiner versuchte, den Buick aufzuhalten. Drei Personen merkten sich allerdings die Autonummer. „Was haben Sie denn?“ fragte die Fahrerin. „Warum schneiden Sie solche Grimassen? Sind Sie physisch gestört? Haben Sie vielleicht ein Trauma?“ „Nein, einen verbrannten Hintern und angesengte Hoden! Sie sollen den Mund halten und fahren, kapiert? Biegen Sie da vorne rechts ab.“ Die Straße führte nach Sun Valley hinüber. Abbott kannte die Gegend wie seine Westentasche und rechnete sich aus, wie er am besten entkommen konnte. Erleichtert stellte er fest, dass der Hubschrauber ihn nicht verfolgte. Er hätte ihm gefährlich werden können. „Was treiben Sie denn in Reno?“ fragte der Killer die fremde Frau. „Ich warte auf meine Scheidung.“ Abbott drückte ihr die Mündung der Tec9 in die Seite. „Wenn Sie nicht parieren und Tricks versuchen, scheidet Sie der Tod! – Ist das klar? – Fahren Sie in den Wald.“ Die Frau hatte Todesangst. Abbott jagte sie mitten im Wald aus dem Auto. Dann fuhr er den Waldweg zurück und nach Sun Valley. Das Fahren war gar nicht so einfach, weil Abbott nicht sitzen konnte. Doch er schaffte es irgendwie. In Sun Valley knackte er auf einem Parkplatz einen metallicblauen Rambler Ambassador mit getönten Scheiben und fuhr damit weg. Das Buick-Cabrio ließ er abseits stehen. Der Killer hatte sein Quartier bei einem alten Bekannten, den er aus dem Zuchthaus kannte. Es befand sich außerhalb von Reno. Der Bekannte war halbwegs ehrlich geworden. Er brachte den Rambler Ambassador weg. Seine Frau legte dem Killer währenddessen rohe halbe Zwiebeln auf die verletzten Körperteile. „Das ist ein altes Hausmittel“, sagte die robuste, dralle Frau. Sie kicherte. „Sobald es gewirkt hat, wirst du mit Brandsalbe
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Deputy, der dort die Aufsicht hatte, ungläubig fragte: „Ja, Andy, du hast richtig gehört. Er hat sich gehörig verbrannt. – Frag mal bei allen Ärzten und im Hospital nach.“ Abbott wurde so schnell nicht entdeckt. Sheriff Hyatt und seine Deputies erhielten mehrere „brandheiße“ Hinweise, die jedoch alle nicht passten. Am Abend überprüften sie einen Mann, auf den die Fahndungsmeldung zutraf, in einem Motel in Reno. Zwei Shotguns, ein schwerer Colt und eine MP waren auf den Mann gerichtet, dessen verdächtige Körperregionen kontrolliert wurden. Es wies keine winzige Brandblase auf. Der wütende Mann, ein Handelsvertreter, forderte den Sheriff jedoch unverblümt auf, er könne ihn mal eben dort. „Das ist Beamtenbeleidigung!“ empörte sich der schwergewichtige Sheriff im Motelzimmer. „Ich bin in meiner Menschenwürde verletzt worden!“ zeterte der Handelsvertreter. „Und schwer beleidigt. Ham and Eggs hat Ihr Deputy die Kontrolluntersuchung frech genannt. – Ich beschwere mich und verlange Schmerzensgeld wegen polizeilicher Rohheit und Psychofolter.“ „Wir haben uns eben geirrt“, sagte der Sheriff. „Wir suchen einen Verbrecher und müssen unsere Pflichten tun. Was können wir denn dazu, wenn Sie einem gesuchten Killer ähnlich sehen?“ „Ich oder mein Hinterm?“ fragte der Handelsmann. „Ihr Renoer Cops seid doch alle plemplem.“ Der Sheriff beschloss, darauf nicht zu reagieren. Er verließ samt seinen Deputies das Motel.
Das brennende Autowrack im Rancho San Rafael Regional Park war gelöscht worden. Ein Hooker – Abschleppunternehmer – hatte es abgeschleppt. Der Sheriff war informiert, was geschehen war. Die von Glen Abbott als Geisel genommene Frau, die er zur Fluchthilfe gezwungen hatte, war aufgetaucht und hatte beim Sheriff ausgesagt. Sie hatte ihren Buick unbeschädigt wieder. Ihre Meinung über die Männer war durch die Episode noch schlechter geworden. „Die Männer sind alle Halunken und Verbrecher“, sagte sie zum Sheriff. „Doch dieser Gangster ist ein besonders schlimmes Exemplar.“ Charlie Hyatt schwieg. Als Sheriff von Reno war er mit der Psyche von Scheidungskandidatinnen vertraut und wusste, wann er besser den Mund hielt. Die Frau konnte zu der Scheidungsranch zurück, von der sie gekommen war. Die Lust, nach Reno zu fahren, war ihr vergangen. Sheriff Hyatt sah sich vor ein Problem gestellt. Die Fingerspuren waren schon ausgewertet, was per Computer und Bildfunk sehr schnell ging. Charlie Hyatt wusste, mit wem er es zu tun hatte. Noch vor Ort, also an der Stelle, wo die Schießerei stattgefunden hatte und die Feuerwehr und zahlreiche neugierige Zuschauer am Platz waren, formulierte er folgende denkwürdige Fahndungsbeschreibung: – Gesucht wird wegen versuchten Mordes: Glenn Abbott alias John Rafter alias Steve McKay. 33 Jahre. 1,83 Meter groß, schlaksige Figur. Schwarzes Haar, graue Augen, verbrannter Hintern und vermutlich angesengte Hoden. – Der Sheriff wählte zunächst ein krasseres Wort. – Vorsicht, der Gesuchte ist schwer bewaffnet und schießt rücksichtslos! Kein Beamter soll versuchen, ihn allein zu stellen, sondern Verstärkung herbeirufen, wenn er Abbott entdeckt. Hyatt funkte an sein Offices, als ihn sein
* Der Killer telefonierte über TelefonScrambler mit seinem Auftraggeber und beschwerte sich bitter, was ihm alles zugemutet würde. Er verlangte ein Aufgeld. Der Auftraggeber stauchte ihn
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Handrücken. Haarfarbe zuletzt blond. Sportlich. Es wird vermutet, dass die Gesuchte in einem Casino angestellt war oder ist. „Okay“, bestätigte April, die Jo über sein Funktelefon zurückgerufen hatte. „Ich melde mich, sobald ich was in Erfahrung gebracht habe. – Weißt du, ob diese Sharon vorbestraft ist?“ „Woher denn?“ fragte Jo. „Ich weiß nicht mal, ob Sharon ihr richtiger Name ist. Wahrscheinlich nicht. – Halt, noch was, April. Setz alle Hebel in Bewegung und scheu keine Ausgaben, um herauszufinden, ob es eine Parallele zum Rutledge-Fall gibt. Also dass ein reicher Mann nach seiner Scheidung in Reno oder einem Aufenthalt dort plötzlich verstarb und eine Menge Geld fehlte. Und ob dabei eine geheimnisvolle Geliebte, die hinterher nicht mehr aufzufinden war, eine Rolle spielte.“ „Du meinst, dieses Stückchen ist schon einmal abgezogen worden?“ „Möglich ist es“, meldete Jo aus seinem Hotelzimmer, in das er sich für kurze Zeit zurückgezogen hatte. „Wenn Verbrecher eine erfolgreiche Masche haben, bleiben sie meist dabei. – Wenn du ein Erfolgsrezept hast, änderst du es auch nicht ohne Grund.“ „Stimmt, Chef. Hast du auch solche Maschen? Zum Beispiel, um Frauen anzumachen? Wie steht’s mit den wilden Scheidungswitwen von Reno? Da soll es ja hoch hergehen, hörte ich.“ „Oder lasest du in Klatschmagazinen, die du während der Arbeitszeit schmökerst, wenn ich nicht da bin“, erwiderte Jo, „Kein Kommentar. Ich muss jetzt weg. – Bye.“ April kam nicht mehr dazu, gegen die von Jo ausgesprochene Unterstellung zu protestieren. Sie war nämlich sehr fleißig, enorm diszipliniert und pflichtbewusst. Jo hatte geduscht und sich umgezogen. Er verließ das Hotel. Die Fahndung nach dem Killer, dem er einen verbrannten Hintern und angesengte Hoden beschert hatte, lief immer noch. Bisher ohne Ergebnis. Eins war klar: Glen Abbott konnte sich so
zusammen. „Nicht genug, dass du meine Anweisungen nicht befolgt hast. Du hast auch noch dein Ziel verfehlt, Jo Walker zur Hölle zu schicken. Was hältst du denn deinen Hinterm hin, wenn brennendes Benzin durch die Gegend spritzt?“ „Das hätte Al Capone auch passieren können.“ „Es ist ihm aber nicht passiert. – Lass dich in Reno so schnell nicht mehr blicken. Halte dich erst mal versteckt. Ich habe noch andere Mittel und Wege, Jo Walker den Aufenthalt hier zu verleiden. Er kriegt schon sein Teil weg.“ „Krepieren soll er!“ „Du bleibst erst mal im Verborgenen, Glen. Dann sehen wir weiter.“ Damit legte der Auftraggeber auf. Glen Abbott lag mürrisch in der heißen Dachstube des Ranchos auf dem Bauch. Er war dick verbunden. Jo Walker setzte inzwischen unverdrossen seine Ermittlungen in Reno fort. Kommissar X hatte bei der Schießerei samt Überschlagen des Jeeps nur ein paar Schrammen und blaue Flecken abgekriegt. Nach wie vor wollte er feststellen, wer jene Sharon gewesen war, die Dave Rutledges drei Millionen gekostet hatte. Wegen des Rodeotrubels hatte Jo öfter mal Schwierigkeiten, Leute zu finden, deren Aussagen er brauchte. Ganz Reno stand köpf. Jeden Tag gab es Umzüge mit Kunstreitern, allen möglichen Vereinen, Uta-Indianern, die bei der Gelegenheit für Geldzuschüsse für ihr Reservat werben und Souvenirs verkaufen wollten, sowie Musikkapellen. Reno feierte seine Rodeostars. Nichts konnte die Festfreude trüben. Jo wandte sich an April Bondy in New York. Sie war an Captain Rowland herangetreten und wollte sich noch mit anderen Mitteln über die gesuchte Sharon informieren. Jo gab April die Daten durch, die er von der Hotelmanagerin erfahren hatte: Mitte bis Ende Zwanzig, Superfigur, möglicherweise leichter texanischer Akzent und Leberfleck auf dem linken
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durch die Gegend schleifen, dass er sich die Knochen brach.
schnell nicht mehr bei Tag auf die Straße wagen. Er lief nämlich wie auf rohen Eiern. Kommissar X zündete sich eine Zigarette an und schlenderte durch die abendlichen Straßen von Reno. Ein Riesenspektakel herrschte. Der Privatdetektiv zermarterte sich den Kopf nach der Lösung seines Falls. Sie war in Reno zu finden. Davon war Jo überzeugt. Er wusste nicht, dass er beobachtet wurde. Ein Cowboy in prachtvoller Rodeokleidung hielt schräg gegenüber vom Hotel bei einem Restaurant mit Tischen auf der Straße. Lange Fransen wehten von der weißen Hirschlederjacke des Berittenen. Er zog ein Walkie-Talkie aus der Tasche und gab seine Meldung durch, während Jo auf der anderen Straßenseite weiterging. „Da ist er. Der Große mit dem pinkfarbenen Hemd und dem braunen Stetson. Schnappt ihn euch.“ Aus dem Walkie-Talkie ertönte der Kommentar: „Ich denke, wir reiten ihn erst mal über den Haufen.“ „Von mir aus“, gab der Rodeo-Reiter zurück. „Stampft ihn in den Asphalt.“ Der prachtvoll ausgestattete Reiter schob die Antenne ein und steckte das WalkieTalkie mit einer endgültigen Bewegung weg. Sein Auftraggeber war derselbe, der auch Glen Abbott angeheuert hatte. Dieser Mann verfügte in Reno über erstklassige Kontakte. Unter den Rodeo-Teilnehmern gab es wilde Burschen, die für die entsprechende Bezahlung auch heikelste Jobs erledigten. Zudem war Jo verleumdet worden bis zum Gehtnichtmehr. Der Reiter mit der weißen, mit langen Fransen besetzten Hirschlederjacke trabte in der Abenddämmerung durch den langsam fahrenden Verkehr quer über die Straße, hinter Jo Walker her. Für alle Fälle löste der Rodeocowboy das Lasso, mit dem er ausgezeichnet umgehen konnte, vom Sattel. Er grinste kalt unter dem gezwirbelten Schnurrbart. Entweder Jo Walker wurde niedergeritten, oder er würde ihn am Lasso
* Jo Walker sah drei Rodeo-Reiter vor sich aus einer Seitenstraße reiten. Er hörte den trappelnden Hufschlag und freute sich an dem farbenprächtigen Bild, das die Reiter boten. Das verging ihm, als sie plötzlich auf ihn lospreschten. Jo begriff, dass die drei es auf ihn abgesehen hatten. Der Bürgersteig war schmal. Auf die Straße konnte Jo nicht, ohne einem der fahrenden Autos vor die Räder zu geraten. Er stand allein. Die Reiter hatten einen günstigen Moment abgepasst. In den Wildwestromanen stieß der Held in solchen Fällen einen Puma oder sonstigen Raubtierschrei aus, der die Pferde der Angreifer erschreckte und bocken ließ. Leider hatte Jo keine Ahnung, wie man einen Pumaschrei zustande brachte. Seine Pistole und das Funktelefon trug er in der umgehängten Herrentasche. Wegen der Wärme lief er hemdsärmlig herum und bereute jetzt, die Westernmode in Reno nicht intensiver mitgemacht zu haben und einen Waffengurt mit einem echten Revolver zu tragen. Die Reiter rasten heran. Im letzten Moment drückte sich Jo in eine Einfahrt. Die Rodeoreiter galoppierten vorbei und zügelten sofort ihre Pferde. Sie zogen sie hart an den Zügeln, dass sie sich aufbäumten, und ließen sie sich auf der Hinterhand drehen. Ein vierter Reiter kam quer über die Straße, trotz Autoverkehrs. Er schwang sein Lasso. Ein Huf seines Rappens knallte gegen einen vorbeifahrenden schnittigen Pontiac Kleinbus und hinterließ eine Beule in der Karosserie. Jo fasste in seine Umhängetasche. Im nächsten Moment schaute er in die Revolverläufe der drei Rodeoreiter, die gerade versucht hatten, ihn in den Boden zu stampfen. Sie hatten die Pferde
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Halfter. Er richtete die Waffe auf die in seiner Nähe befindlichen drei Reiter. Doch auch sie hielten ihre Revolver in den Fäusten. Es sah nach einer Schießerei aus. Jo sah übel aus – mit zerrissener Kleidung, verschmutzt und zerschunden. „Stopp!“ rief er. „Warum wollt ihr den Gunfight vom OK-Corral neu auflegen? Ich bin nicht Wyatt Earp. – Wer hat euch auf mich angesetzt.“ „Das geht dich einen Dreck an!“ fauchte der Sprecher der drei, ein herausgeputzter Bursche mit Spitzbart. „Lass die Knarre fallen, oder es knallt! – Ich zähle bis drei!“ Bis Drei hielt Jo seinen 44er Double Action Colt, einen Nachbau der Wildwestwaffe, noch immer in der Faust. Er hatte den Hammer gespannt und war bereit, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, wenn geschossen wurde. Doch die Rodeoreiter feuerten nicht. „Besser, wenn wir verschwinden!“ sagte der Reiter rechts außen. „Jack nehmen wir mit.“ Jack war der Rodeoreiter, den Jo bewusstlos geschlagen hatte. „Ihr nehmt niemanden mit, und ihr bleibt hier“, widersprach Jo. „Ich übergebe euch dem Sheriff.“ „Für wen hältst du dich eigentlich?“ fragten die drei Rodeoreiter, die nicht zur ersten Garnitur gehörten. „Für Jo Walker aus New York City.“ „Soll das ein Witz sein? Uns wurde gesagt, du heißt Anson Hadrick und bist ein besonders mieses Exemplar von einem Scheidungsdetektiv. Du würdest eine nette junge Frau terrorisieren, damit sie ihrem Mann, einem ganz großen Lumpen, in den Scheidungskonditionen möglichst viel nachgeben würde.“ „Da liegt ihr total verkehrt. Ich ermittle in einem Mordfall. – Wer hat euch denn diesen Unsinn aufgebunden?“ „Wir wissen es nicht. Jack hat das erledigt.“ Sie deuteten auf den Bewusstlosen zu Jos Füßen. Sein Pferd stand mit hängenden Zügeln ein Stück weiter. Die Rodeoreiter
gezügelt. „Lass das!“ fauchte der Mittlere Jo an. „Diese Bleispritzen sind echt und scharfgeladen! – Glaub uns das!“ „Ihr werdet Ärger mit dem Sheriff kriegen“, prophezeite ihnen Jo. „Du lausiger Scheidungsschnüffler wirst ihn im Gipskorsett miterleben.“ Jo zog die Finger von seiner Automatic. Das Lasso des über die Straße kommenden Reiters pfiff durch die Luft. Jo duckte sich. Doch der Rodeoreiter war ein Künstler mit dem Lasso. Wie ferngelenkt änderte die Schlinge ihre Flugrichtung. Jo konnte nicht verhindern, dass sie sich über seinen Oberkörper legte. Er verlor seine Herrentasche, als er mit einem Ruck von den Füßen gerissen wurde, und knallte hart auf den Boden. Der Reiter ließ seinen prachtvollen Rappen sich aufbäumen. Seine Kumpane schauten zu, als er Jo den Bürgersteig entlangzerrte. Passanten wichen entsetzt aus. Der Reiter schleifte Kommissar X zu einem nahen Park und dort über Stock und Stein. Für Kommissar X war das eine schmerzhafte Angelegenheit. Mit viel Geschick hatte er bisher vermeiden können, sich Knochen zu brechen. Der Reiter spielte mit ihm. Mehrmals ließ er Jo aufstehen, nur um ihn gleich wieder umzureißen. Seine Kumpanen johlten, führten Reiterkunststückchen auf und schössen in die Luft. Sie verhinderten, dass jemand zu Jos Gunsten eingriff. Doch dann konnte sich Kommissar X unerwartet mit beiden Füßen gegen den Boden stemmen. Jo hatte einen Arm in der Schlinge. Der andere war frei. Mit einem Ruck, der ihm durch den ganzen Körper ging, riss Jo den Rodeoreiter aus dem Sattel. Er streifte die Lassoschlinge ab, sprang zu dem Rodeoreiter und knallte dem Benommenen die Faust an die Schläfe. Der Reiter legte sich schlafen. Sein Pferd bäumte sich wiehernd auf. Jo wich den herabsausenden Hufen aus und zog dem Bewusstlosen den Colt aus dem
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frauenterrorisierenden Privatdetektiv, das ihm aufgebunden worden war. Erstaunt erfuhr er, von den Deputies bestätigt, dass es keinerlei Wahrheitsgehalt hatte. „Also, von wem hast du diese Story?“ übernahm Jo selbst das Verhör. „Wer hat dich angestiftet, mich aus dem Verkehr zu ziehen? Was habt ihr dafür bekommen?“ „Fünfzehnhundert Dollar für alle zusammen und ‘ne Pulle Whisky“, antwortete der Rodeoreiter geknickt. „Es sollte ein rauer Spaß sein. Ein Mann sprach mich auf dem Rodeoplatz an.“ „Wie sah er aus?“ „Groß und breitschultrig. Er trug teure Westernkleidung mit gehämmerter, ziselierter Gürtelschnalle aus Silber und handgearbeiteten mexikanischen Schuhen.“ „Ich meine mehr sein Gesicht“, sagte Jo. „Tut mir leid, davon habe ich nicht viel gesehen“, antwortete der auf der fahrbaren Trage liegende Rodeoreiter. „Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen. Den Rest verdeckte großenteils sein Bart.“ Wenn der nur mal echt war, dachte Jo. „Da hast du dich tüchtig in die Nesseln gesetzt, Cowboy“, sagte Jo zu dem Mann, der die Ohren hängen ließ. „Fürs diesjährige Rodeo ist es mit deiner Teilnahme vorbei. Es sollte mich nicht wundern, wenn du vom Rodeoverband eine Sperre erhieltest und für die nächsten Jahre weg vom Fenster wärst, mitsamt deinen Freunden.“ „Das wäre entsetzlich“, keuchte der Hero from West of the Pecos. „Dann bin ich schon dreißig, ein Greis. Das ist das Ende meiner Karriere als Rodeostar. – Mister, ich flehe Sie an, können Sie nicht ein Wort für mich einlegen? Es wäre alles nur ein Versehen gewesen?“ „Das könnte dir so passen. Um so was zu glauben, muss einer genauso bescheuert sein wie du, Jack. Dir hat wohl ein Pferd vor den Kopf getreten, wie? – Schafft ihn ins Medical Center, damit ich den Kerl nicht mehr zu sehen brauche. Der ist genauso dumm wie die Rindviecher, die
merkten, dass sie sich auf eine unsaubere Geschichte eingelassen hatten. Jos Auftreten überzeugte sie, dass er kein drittklassiger mieser Plattfuß war, der Frauen unter Druck setzte und Material für Scheidungsfälle sammelte. Eine Menschenmenge sammelte sich an. Autos hielten. Der Verkehr kam zum Erliegen. Ein Passant brachte Jo auf seine Bitte hin seine Tasche, die noch dort lag, wo er sie verloren hatte. Jo vertauschte den sechsschüssigen Colt mit seiner vertrauten 16schüssigen Automatic. Damit fühlte er sich wieder um einiges sicherer. Es war nicht mehr nötig, dass Jo das Sheriffs Office anrief und verständigte. Ein Patrolcar drängte sich bereits mit flackernden Rotlichtern und jaulendem Kojakhorn durch die stehenden Autoschlangen. Zwei Deputies stiegen aus, baumlange Kerle, die ihren Chewinggum malmten und cool auftraten. „Was geht hier vor? – Alles die Waffen weg! Wenn hier geballert wird, dann von uns.“ Jo ließ die Automatic fallen, die Rodeocowboys ihre Revolver. Kommissar X wies sich aus. „Sheriff Hyatt kennt mich. Die Burschen da wollten mir zu einigen gebrochenen Knochen verhelfen.“ Die Rodeocowboys waren abgesessen. Jo hatte bei jenem Jack, der sich mit Künstlernamen klangvoll San Antonio Kin Colt, Hero from West of the Pecos nannte, reichlich hart zugeschlagen. Es dauerte eine ganze Weile, bis jener „Hero“ seine Augen aufschlug, Da lag er bereits auf der Bahre eines Ambulanzfahrzeugs und sollte für alle Fälle zur Beobachtung ins Washoe Medical Center gebracht werden. Er hatte eine Gehirnerschütterung. Sein Schädel brummte wie eine Kesselpauke nach dem Konzert. Der eine Deputy fragte ihn trotzdem, wie er dazu käme, Jo Walker auf offener Straße anzugreifen und am Lasso zu schleifen. Und ob er von allen guten Geistern verlassen sei. Jack San Antonio King Colt erzählte das Märchen vom miesen
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Aranxta, schwarzhaarig, verwirrt und bildhübsch, im modischen, enganliegenden Sommerkleid, schluchzte in ihr Taschentuch. Miller redete ihr zu wie ein großer Bruder. „Wenn Sie noch länger warten, überlegt Sonny es sich womöglich anders. Ich weiß nicht, was man Ihnen erzählt hat. Jemand hat Ihnen einen Floh ins Ohr gesetzt. Darauf sollten Sie sich nicht einlassen. Sie handeln sich nämlich nur Nachteile ein, wenn Sie jetzt einen Rückzieher machen. – Ehrlich gesagt, bin ich verwundert, dass Sonny sich auf eine solche Scheidung mit Goldrand für Sie eingelassen hat. Ich gab ihm das auch zu bedenken. Das ist meine Pflicht als Anwalt. – Doch er will es so haben. Es trifft ja auch keinen Armen.“ Nach anderthalb Stunden hatte Miller Aranxta Trenton, geborene Juarez, so weit, dass sie zu ihrem ursprünglichen Entschluss zurückkehrte. Nämlich Anfang der kommenden Woche ihre Ehe auflösen zu lassen. Damit sie ihre Meinung nicht wieder änderte, ging der Anwalt mit ihr essen und hinterher in seiner Wohnung ins Bett. Er schwindelte Aranxta vor, sich in sie verliebt zu haben. Sie brauchte dringend Trost. Als sie schlief, rief Miller seinen Klienten Sonny Trenton an. Er hatte Mühe, ihn zu erreichen. Nach Mittemacht, nachdem er ihm hinterher telefoniert und die Aufforderung, ihn sofort zurückzurufen, in Trentons Hotel hinterlassen hatte, erhielt er den Rückruf. Aranxta, eng an den Anwalt geschmiegt, wachte auf, als das Telefon anschlug. „Das ist meine Mutter von der Ostküste“, behauptete Miller. „Dort ist es jetzt zehn Uhr abends. Sie ist schwer krebskrank und ruft mich öfter an.“ „Das verstehe ich, dass du deiner Mutter gegenüber Verpflichtungen hast“, sagte Aranxta gefühlsvoll. „Du bist ein guter Mensch. Das habe ich gleich gesehen.“ Der blonde Modellathlet und Jurist gab an, nebenan allein mit seinem „schwerkranken Mütterlein“, sprechen zu
sie in die Rodeoarena treiben.“ Jo wandte sich ab und zündete sich eine Zigarette an. Er war stocksauer. Schließlich war er kein Rodeoobjekt und ließ sich ungern mit dem Lasso fangen und durch die Gegend zerren, Das war jetzt der nächste Versuch, ihn von seinen Ermittlungen in Reno abzubringen. Kommissar X schwor sich, sie erst recht fortzuführen. Mehr denn je war er davon überzeugt, dass es beim Tod von Dave Rutledge nicht mit rechten Dingen zuging. Und dass es womöglich noch weitere Fälle wie den Rutledge-Fall gab. Zunächst mal musste er ins Hotel, um seine Schrammen zu verarzten und sich umzuziehen. * Die Frau, die sich bei Sonny Trenton Sheila Marshall nannte, war mit Dave Rutledge eng bekannt gewesen. Schon vor dessen Tod hatte sie Sonny Trenton angepeilt, der seiner Aranxta das Leben zur Hölle machte. Für die Scheidung der Trentons war schon alles abgesprochen. Doch dann überlegte Aranxta es sich noch einmal anders. Duff Miller vertrat beide Ehepartner als Anwalt, ein Verfahren, das üblicherweise nicht zu empfehlen war. Er redete der schönen Aranxta mit Engelszungen zu. Doch sie bestand darauf, sich eine Anwältin zu nehmen und das ganze Verfahren noch einmal von vorn aufzuziehen. Der Anwalt argumentierte: „Missis Trenton, wozu wollen Sie das Verfahren verschleppen und unnötig komplizieren? Sonny hat Ihnen weitgehende Zugeständnisse gemacht. Sie erhalten eine hohe Abfindung und zehn Jahre lang Unterhaltszahlungen. Besser können Sie es gar nicht treffen. Ich versichere Ihnen, Ihr Gatte benimmt sich sehr nobel Ihnen gegenüber. Er bedauert ja auch, dass es so gekommen ist. Doch die Ehe ist schwer zerrüttet und leider nicht fortsetzbar.“ „Aber ... ich weiß nicht ... Ich verstehe nicht ... Ich sehe nicht ein ...“
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antwortete Sonny zynisch. „Gesondert in Rechnung stellen kannst du mir deinen Einsatz allerdings nicht. Bis zum Scheidungstermin. Falls vorher noch was sein sollte, ruf mich an.“ Damit pfefferte er den Hörer auf die Gabel. Miller sagte „Idiot“ und legte ebenfalls auf. Er schaute kurz nach Aranxta. Sie war wach. „Es wird ein längeres Gespräch mit Mom“, sagte der Anwalt. „Schlaf schon mal ein. Ich rufe sie gleich wieder zurück. Sie ist seelisch vollkommen am Ende, die Arme, und braucht meinen Beistand.“ Er küsste Aranxta auf die Stirn. „Ich hole dir einen Drink, Sweetheart.“ Er mixte der jungen Frau einen exotischen Drink mit viel Alkohol. Der Fruchtgeschmack des Tropical Heat überdeckte die Stärke des Drinks. Lächelnd reichte Miller ihn ihr. „Cheerio.“ Wenn sie das Gesöff, Marke Hammerschlag Knockout, intus hatte, würde Aranxta tief und fest schlafen. Miller, in Boxershorts und seidenem Bademantel, verließ das Schlafzimmer. Er wartete in seinem Arbeitszimmer. Nach einer Weile klingelte das Telefon. Die Frau, die bei Sonny Trenton war und sich bei ihm als Sheila Marshall ausgab, rief an. Sie benutzte genauso einen elektronischen Zerhacker, einen Telefonscrambler, wie Duff Miller jetzt auch. Der Anwalt, die Füße auf dem Tisch, sog an seiner Zigarette, Der Rauch kräuselte sich im Licht der Leselampe, die als einzige Lichtquelle im Zimmer brannte. Jetzt sprach Miller ganz anders als vorhin zu Sonny. „Schläft der Trottel?“ „Und ob“, sagte Sheila. „Von dem, was er säuft und an Rauschgift und Tabletten einpfeift, würde ein Elefant krepieren. Gelegentlich haut es ihn dann weg, so wie vorhin. Er hatte das Telefonat mit dir kaum beendet, da fiel er über das Bett wie eine Leiche.“ „Fein.“
wollen. Aranxta hatte dafür Verständnis. In seinem Arbeitszimmer in der schicken Wohnung am Paradise Park Boulevard telefonierte der Anwalt mit Sonny Trenton. Er verschwieg zunächst, wie sehr er Aranxta unter seine Fittiche genommen hatte, sondern legte ihm nur ans Herz, zum Scheidungstermin rechtzeitig zu erscheinen. „Dann bist du wieder ein freier Mann, Sonny. Mit Aranxta geht alles klar. Dafür verbürge ich mich.“ „Bist du sicher, Duff? Sie ist leider wenig beständig.“ „Darauf kannst du Gift nehmen, alter Junge.“ Weil Sonny sich Sorgen machte, gestand Miller, wie er sich um Aranxta kümmerte und dafür sorgte, dass sie bei der Stange blieb. „Du siehst, ich setze mich mit Haut und Haaren für dich ein.“ „Einen Anwalt wie dich finde ich nie wieder“, antwortete Sonny. „Aber irgendwie bin ich doch geschockt. Das ist ein starkes Stück, was sich Aranxta da leistet. – Ehebruch nennt man das. – Und du als Anwalt. Verträgt sich das denn mit deinen Standesvorschriften?“ Duff Miller verdrehte die Augen. Ausgerechnet Sonny musste das sagen. Wenn es einen Pfad ehelicher Treue gab, hatte er ihn im Dschungel seiner Triebe und Leidenschaften noch nie gefunden. „Willst du geschieden werden, so wie vereinbart, oder willst du es nicht? Dann werfe ich deine Alte nämlich gleich aus dem Bett.“ Das wollte Sonny nun auch wieder nicht. „Jetzt sieh das doch nicht so eng. Ich meinte ja bloß“. „Ich tue es nur, damit die Sache endlich über die Bühne geht“, sagte Miller. „Oder meinst du vielleicht, ich hätte Spaß mit Aranxta, die mir ständig die Ohren vollflennt und jammert, wie sie in ihrer Ehe mit dir gelitten hat? Mein ganzes Wochenende geht drauf, bloß damit deine Scheidung klappt.“ „Ich merke schon, wie sehr du dich überwinden musst und aufopferst“,
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Rockstars, die irgendwann tot im Swimming-pool trieben. – Die Details arbeite ich noch aus.“ „Du willst ihn tatsächlich heiraten?“ fragte Duff Miller. „Klar. Er ist eine klasse Partie, wenn man ihn beerben kann.“ „Und wie willst du ihn dazu bringen, dass er beim Friedensrichter Ja sagt?“ „Lass mich nur machen. Ich sorge dafür, dass er ständig high und benebelt ist, und knete ihn mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln weich. Dir obliegt es, die Scheidung über die Buhne zu bringen und alles für eine schnellstmögliche neue Eheschließung zwischen mir und Sonny vorzubereiten.“ Miller zündete sich eine neue Zigarette an. Die Sache war riskant, aber sehr lohnend. „Versuchen wir es“, sagte der Anwalt. „Noch was: Die Abfindung für Aranxta ist mir ehrlich gesagt zu hoch. Vielleicht sollte ich ihr auch einen Heiratsantrag machen. Oder eine Klausel in den Scheidungsvertrag einbringen, dass alles an Sonny oder seine Erben zurückfällt im Fall ihres Todes. Er müsste dann bald erfolgen. – Nach dem Coup können wir uns zur Ruhe setzen.“ Sheila war anderer Ansicht. Die Masche lief so gut, dass sie sie weiterstricken wollte. Duff Miller hingegen war der Meinung, man sollte nichts übertreiben. „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, Darling.“ „Erzähl keine Sprüche. Der Sheriff von Reno kommt uns nie auf die Schliche. Wegen des FBI und der State Police sorge ich mich nicht. Der einzige, der uns gefährlich werden könnte, ist dieser Jo Walker. Zu blöd, dass er noch immer am Leben ist und wegen Rutledges Tod ermittelt. – Von Rutledges Vorgänger, dem texanischen Ölmillionär, weiß er noch nichts. Walker muss weg. Glen Abbott soll endlich reinen Tisch mit ihm machen. – Hast du übrigens keinen anderen gefunden? Lässt sich von Jo Walker den Hintern und sonst was verbrennen. Dass
„Läuft alles?“ fragte Sheila. „Sonny hat mir keine Auskunft mehr geben können.“ „Da hast du nicht viel versäumt. Er redete sowieso nur Stuss und gibt an. Die Scheidung geht am Montag über die Bühne. Ich kümmere mich persönlich um Aranxta und lasse sie nicht aus den Augen, bis alles gebongt ist. Sie ist jetzt bei mir.“ Sheila kicherte. „Ich entdecke ungeahnte Talente an dir, Duff. Vielleicht sollten wir mal die Rollen tauschen, und du solltest dich an reiche Scheidungskandidatinnen heranmachen und sie ausnehmen.“ „Ich bin Anwalt. Das eine verträgt sich schlecht mit dem anderen. – Hast du den Gimpel fest im Griff?“ „Sonny frisst mir aus der Hand. Ich will dir was sagen, Duff. Diesmal sahnen wir ganz groß ab. Wenn Sonny geschieden ist, kann er gleich wieder heiraten. Nämlich mich. Dann wird er ganz plötzlich das Zeitliche segnen.“ „Wieder durch einen Unfall?“ „Nicht so wie die zwei anderen. Ich sagte dir schon, dass Sonny raucht, säuft, kokst und Tabletten frisst, dass einem schon vom Zusehen schwindlig wird.“ „Wie steht’s denn bei ihm mit der Sexualität?“ fragte Duff Miller anzüglich. „Er ist total überdreht“, sagte Sheila. „Ich verstehe das nicht. Womöglich frisst Sonny auch noch Spanische Fliege oder ähnliche Potenzmittel. Er hat die Potenz eines Kosakenregiments samt der Gäule, ist aber viel perverser.“ „Lange brauchst du es mit ihm nicht mehr auszuhalten“, tröstete Miller seine Komplizin. „Wie soll er abserviert werden?“ „Durch Kreislaufversagen infolge Medikamentenvergiftung und/oder einer Überdosis Drogen. Das deichsle ich schon, und keiner wird sich darüber wundern. Wenn sie Sonnys Blut analysieren, haben sie einen Querschnitt durch sämtliche Suchtmittel. – Ich mixe ihm, wenn wir erst Mann und Frau sind, einen Medikamentenund Drogencocktail, den er nicht überleben kann. Er wird sterben wie einer von diesen
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ich nicht gekommen. Ich wollte es wieder so anpacken wie bei den beiden letzten Malen, wo du deinem jeweiligen Lover Geld zum Begleichen angeblicher Schulden von dir und für Geschäftsanlagen aus der Tasche zogst. Du bist ein As, Sheila.“ „Das mit der Heirat lag auf der Hand, Duff. Sonny weiß übrigens noch gar nichts von seinem Glück. Aber ich kriege ihn schon soweit. Schließlich habe ich zwei Tage und Nächte dazu Zeit. Verlass dich auf mich. Wenn Sonny genug Dope in der Birne hat, macht er alles mit.“ Der Skrupellosigkeit und Kaltblütigkeit seiner Komplizin erschreckte Duff Miller und gab ihm zu denken. Sie besprachen noch einige Einzelheiten und beendeten dann das Gespräch. Duff Miller blieb in dem halbdunklen Arbeitszimmer sitzen und dachte angestrengt nach. Er traute Sheila nicht über den Weg. Wenn sie ihn auch noch abservierte, wie es, wenn es mit Sonny klappte, schon mit drei Männern geschehen war, hatte sie alles für sich. Die Mörderin war jeweils sie gewesen. Der stattliche blonde Mann hatte plötzlich Angst. Zudem fragte er sich, wie er Sheila zwingen konnte, wenn sie Sonny Trenton beerbte, ihm seinen Anteil zu geben. Er traute ihr alles zu. Duff Miller rauchte und überlegte, wie er seinerseits Sheila aus dem Weg räumen und sich alles krallen konnte. Das würde sehr schwierig sein. Auf Anhieb fiel ihm dazu nichts Konkretes ein. Als Realist musste sich Miller sagen, dass das wohl auch nicht möglich sein würde. Doch er konnte sein Leben sichern, indem er einschlägiges Beweismaterial an einem sicheren Ort hinterlegte. Und zwar so, dass es im Fall seines Todes ans FBI ging. Wenn Sheila davon wusste, wurde sie sich nicht trauen, ihm nach dem Leben zu trachten. Mit der Regelung fifty-fifty wollte Duff Miller zufrieden sein. Wenn nämlich Sheila Mrs. Trenton wurde und Sonny beerbte, und man die für Aranxta ausgesetzten Gelder
ich nicht lache. Und so was will ein TopKiller sein.“ „Glen hatte Pech. Brennendes Benzin spritzte durch die Gegend. Ich gehe nicht gern über Leichen, jedenfalls nicht über mehr, als es sein muss. Bei Mord gibt es immer Wirbel. Wenn irgend möglich, vermeide ich den. Aber was Kommissar X betrifft, wird es wohl sein müssen. Bei dem Texaner haben wir uns eine Million gekrallt, bei Dave Rutledge drei. Wenn wir Sonny richtig drankriegen, du seine Witwe wirst und Aranxtas Abfindung wegfällt, wird das ein Riesendeal. Dabei geht es um über fünfzig Millionen Dollar. Damit sind wir für immer saniert. Was willst du denn noch? Mehr können wir dabei nicht rausholen. Ich selbst hätte schon mit Rutledge aufgehört.“ Leises Lachen tönte durch die Leitung. „Du bist kein richtiger Spieler, Duff. Wenn man eine Glückssträhne hat, muss sie ausgereizt werden. Außerdem hasse ich diese reichen Kerle, die meinen, dass sie für Geld alles haben könne. Ich bin froh, dass wir zwei davon ausgenommen und abserviert haben und dass noch einer folgt. Von der Sorte sollten noch viel mehr dran glauben müssen. Sie verdienen es nicht besser.“ Duff Miller hatte sich schon lange gedacht, dass seine Komplicin einen pathologischen Hass auf reiche Männer hatte. Habgier war die Haupttriebfeder ihres Handelns. Hass kam hinzu. Miller teilte Sheila nach kurzer Überlegung mit, dass einer Heirat zwischen ihr und Sonny Trenton nichts im Weg stünde, sobald er geschieden sei. „Das ist mir recht“, sagte Sheila. „Es muss nur schnell über die Bühne gehen. Sonny stinkt mir von Tag zu Tag mehr. Wenn ich noch länger mit ihm zusammen bin, fange auch ich an zu koksen oder. zu saufen. Nüchtern ist Sonny nicht auszuhalten. – Okay, jetzt weißt du, was Sache ist. Wir sind uns einig.“ „Klar, Sheila. Prima Idee von dir, dass du Sonny so kirre machst, dass er dich heiraten will. – Viel Erfolg. Darauf wäre
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bereits seit Wochen in Reno. Sie wollte gar nicht mehr weg aus dem Dunstkreis des Glücksspiels und der Hochzeits- und Scheidungsrummels. Sie bemühte sich nach Kräften, die hohe Abfindung, die ihr Gatte bezahlen musste, mit Gigolos und allerlei Vergnügungen durchzubringen. Charles Bixford, der Gatte, hatte das Scheidungsschlachtfeld als zweiter Sieger grollend verlassen. Nachdem er sich bei seinem Anwalt ausgeweint hatte, zog er sich auf die Bahamas zurück. Dort fing er als Sportfischer Fische, unternahm einsame Strandspaziergänge und ging allem, was Weib hieß, weit aus dem Weg. Die Kinder der Bixfords waren bei Verwandten untergebracht, weil sich im Moment keiner der Eltern um sie zu kümmern vermochte. Mit siebzehn und vierzehn waren sie nicht mehr so klein, dass sie Vater oder Mutter ständig gebraucht hätten. Leben sollten sie später abwechselnd bei beiden. Wie das funktionieren sollte, stand noch in den Sternen. Auf der Scheidungsranch „Heartbreak Ridge“, gleichnamig mit einem ClintEastwood-Filmtitel, traf Jo Nancy Clay bei der Massage an. Der schwarze Masseur walkte sie durch. Er schwitzte tüchtig und verlor dabei die Pfunde, die eigentlich dem Objekt seiner Massage abgehen sollten. Mrs. Clay musterte Jo von Kopf bis Fuß mit einem wahren Röntgenblick und sagte dem Masseur, sie hätte genug. Er hängte sich das Handtuch über die Schulter, nahm seine Utensilien und ging. Mrs. Clay, um die Vierzig, setzte sich auf die Liege, nur mit einem Minislip angezogen. Sie bat Jo um eine Zigarette und war sichtlich darauf aus, ihn in Verlegenheit zu bringen. Kommissar X fragte sie nach Dave Rutledge. „Das ist doch der aus Boston, der dann abgestürzt ist“, sagte Nancy Clay. „Ein bemerkenswerter Mann. Wir hatten viel Spaß zusammen und haben viel unternommen.“ Von Nancy Clay erfuhr Jo endlich, wie
sparte, war das immens viel. So packen wir’s an, dachte der blonde Mann. Er wollte sich darauf konzentrieren und seine ganze Cleverness und Kaltblütigkeit einsetzen, um den großen Coup über die Bühne zu bringen. Im Rahmen dessen musste auch für Jo Walkers Ableben gesorgt werden. Miller wusste, wo sich Glen Abbott versteckt hielt. Er schaute auf die Uhr. Obwohl er sehr müde war, zog er sich an, um loszufahren. Verkleidet wollte er den Killer aufsuchen und nochmals auf Jo Walker ansetzen. Diesmal musste es klappen. Zunächst hatte Miller nicht gewollt, dass Abbott so schnell noch mal ranging. Er war der Meinung gewesen, der Killer sollte sich lieber für eine Weile versteckt halten. Doch nachdem Jack San Antonio King Colt und seine drei Rodeo-Cowboyfreunde einen Reinfall erlebt hatten, sah es anders aus. Miller fuhr zu dem Rancho. * Am folgenden Tag, Sonnabend, recherchierte Jo weiter im Bekanntenkreis von Dave Rutledge. Er suchte Orte auf, die der Bostoner Millionär besucht hatte, und sprach mit Leuten, die ihn kennen gelernt hatten. April Bondy arbeitete auch am Wochenende und stellte Nachforschungen an, wie Jo sie ihr aufgetragen hatte. Von den Experten der State Police verlautete wegen des Absturzes der von Rutledge gecharterten Cessna Skyhawk 100 nichts Neues. Es gab keine Anhaltspunkte für Sabotage und Mord. Rutledge war, was Sex betraf, in die Schar der Renoer Scheidungswitwen eingebrochen wie der Fuchs in den Hühnerstall. Eine seiner Affären hieß Nancy Clay, frisch geschiedene Bixford. Sie hatte ihren Mädchennamen bei der Scheidung wieder angenommen. Die dunkelhaarige Frau feierte ihre erfolgreiche Scheidung – in finanzieller und sonstiger Hinsicht –
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in der Kabine und wartete ab. Nancy Clay rauchte. Plötzlich fing sie zu weinen an. „Es ist furchtbar. Mir kommt alles vor wie ein Albtraum. Ich möchte daraus erwachen, aber ich kann es nicht. Ich will nach Hause – aber ich habe kein Zuhause mehr. Ich wollte Charles verletzen, ihm heimzahlen, was er mir angetan hat. Dass er mich wegen einer anderen verließ. Dabei liebe ich ihn immer noch. Um von ihm loszukommen, habe ich mich in einen Strudel von Affären und schalen Vergnügungen gestürzt. Jetzt ist es, als ob er mich verschlingen würde. Ich weiß weder aus noch ein.“ Hinter Nancy Clays scheinbarer Lebensgier verbarg sich eine tief verletzte, ratlose und desorientierte Frau. Jo suchte nach den richtigen Worten. „Schaffen Sie sich ein neues Zuhause. Kümmern Sie sich um Ihre Kinder.“ Er hatte von anderer Seite gehört, dass Nancy Clay welche hatte. „Verlassen Sie Reno. Was Sie hier erreichen wollten, haben Sie erreicht. Führen Sie bald wieder ein normales Leben.“ „Aber mein Leben hat keinen Sinn mehr.“ „Dann geben Sie ihm einen. – Das hier ist nichts für Sie.“ „Können Sie das beurteilen? Was wissen Sie denn von mir?“ „Menschenkenntnis ist ein Teil meines Jobs. Wenn Sie meinen, dass es Ihnen in Reno gefällt, bleiben Sie.“ Nancy Clay drückte die Zigarette aus. Ihre Hand zitterte. „Sie sind erwachsen und frei“, sagte Jo. „Und niemandem Rechenschaft schuldig. Wenn Sie meinen, sich weiter bei Ihrem Mann revanchieren zu müssen, weil er Sie betrog und Ihnen die Ehe aufgekündigt hat, tun Sie es. Sie tun niemandem damit weh – nur sich selbst.“ Er gab Mrs. Clay ein Papiertaschentuch. Sie putzte sich die Nase. Dann schaute sie in den Spiegel. „Ich sehe verheerend aus.“ „Das finde ich nicht.“ Die dunkelhaarige Frau ging nach
Dave Rutledge das blonde Gift Sharon kennen gelernt hatte. Nach wie vor fehlte von ihr jede Spur. „Das war im Nuggett Casino“, schilderte Mrs. Clay. „So schamlos, wie diese Person angezogen war, hätte es eher Naked Casino heißen sollen. Die Blondine setzte beim Roulette raffiniert und gekonnt. Dave, der selber ein leidenschaftlicher, ausgefuchster Spieler war, erkannte sie als seinesgleichen. Von da an war ich für ihn gestorben. Er vergaß mich von einer Sekunde zur anderen völlig. Es war demütigend. Ich frage mich heute noch, was sie hatte, was ich nicht habe. Bin ich denn hässlich, Mister Walker?“ „Durchaus nicht.“ „Dann zeig mir, dass du mich hübsch und begehrenswert findest.“ Jo hatte anderes im Sinn, als einer durch die Scheidung aus dem Gleis geratenen Frau eine Selbstbestätigung zu geben. Nancy Clay befand sich in einem Ausnahmezustand. Hässlich war sie durchaus nicht. Doch auch nicht mehr so strahlend jung wie die Girls, die in Scharen nach Reno zogen, um hier ihr Glück zu suchen. In allen möglichen Jobs konnte man sie antreffen. Reno war eine Glanz- und Flitterstadt wie Las Vegas. Jo zögerte. „Was ist los?“ fragte ihn Nancy Clay. „Bist du vom anderen Ufer oder kannst du nicht? Ist an mir was verkehrt?“ „Nein. Aber die Situation ist verkehrt, Missis Clay. Irgendwann müssen Sie mal wieder zurück auf den Teppich kommen. Hören Sie auf, sich selbst zu bemitleiden und außer Rand und Band zu spielen. Ich weiß nicht, wie lange Sie verheiratet waren, noch was Ihr Mann Ihnen einmal bedeutete, noch wie sehr Sie enttäuscht wurden, wie lange die Ehe dauerte und wie die Scheidung verlief. Ich will es auch gar nicht wissen. – Ich habe einfach keine Lust, bei Ihrem Trip mitzuwirken.“ „Ich bin nicht dein Typ?“ „Mag sein.“ Jo setzte sich auf die leere zweite Liege
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Bondy. „Halte dich fest“, meldete ihm seine tüchtige Mitarbeiterin. „Es gibt einen zweiten Fall, der dem von Dave Rutledge verblüffend ähnelt. Stuart Webster III, ein texanischer Ölmagnat, ist acht Wochen vor Rutledges Tod in Reno geschieden worden. Kurz darauf erlag er in einer Jagdhütte in der Sierra Nevada einem Unfall beim Gewehrreinigen. In die Jagdhütte soll er sich zurückgezogen haben, um von dem Scheidungsstress Abstand zu gewinnen. So lautet sie offizielle Version.“ „War Webster allein in der Jagdhütte?“ „So heißt es. Er war ein leidenschaftlicher Jäger und Waffenexperte. Seltsam, dass er sich aus Versehen das halbe Gesicht wegputzte und den Schädel dazu. Webster wurde vorher in Reno des Öfteren mit einer brünetten, sehr hübschen Frau zusammen gesehen. In die abgelegene Jagdhütte fuhr er aber, soweit bekannt ist, allein.“ Die Frau konnte ihm heimlich gefolgt sein. Unter welchem Vorwand sie ihn dazu bewogen hatte, konnte Jo derzeit nur raten. „Fehlt Geld von Websters Vermögen?“ fragte er. „Allerdings“, erhielt er von April zur Antwort. „Kurz vor seinem Tod orderte Webster eine Million Dollar für eine angeblich todsichere Geschäftsanlage auf seiner Bank in Reno. Dort hat er sie abgehoben. Das Geld ist spurlos verschwunden.“ Ein todsicheres Geschäft – das war es für den Texaner gewesen. Jos Gedanken rasten. Er fragte: „Wer hat Webster bei der Scheidung als Anwalt vertreten?“ „Duff Miller, Chef. Der gleiche, der auch Rutledges Scheidungsanwalt gewesen ist.“
nebenan unter die Dusche. Im Badeanzug kehrte sie zurück. Jo hatte gewartet. „Es reicht mir jetzt in Reno“, sagte sie. „Morgen fliege ich heim nach Kansas City. Wollen Sie mit mir essen gehen, Mister Walker? Ich glaube, ich kann Ihnen noch einiges über Dave Rutledge und diese Blondine erzählen. Das ist ein ganz besonderes Luder. Sie zog Dave an wie ein Magnet den Eisenspan. Die anderen Frauen im Casino und auch ich fielen um Klassen gegen sie ab. Wie Wasser gegen Champagner.“ „Wasser“, sagte Jo Walker, „ist gesünder und klarer.“ Im Restaurant setzte er, nachdem sie sich umgezogen hatte, seine Unterhaltung mit Nancy Clay fort. Als er dann in den Suzuki Trooper stieg, den er inzwischen statt des bei dem Mordanschlag des Killers beschädigten Mitsubishi Pajero fuhr, küsste sie ihn rasch auf den Mund. „Du hast mir geholfen, Jo. Viel Erfolg bei der Mörderjagd.“ Jo hatte offen gesagt, dass Dave Rutledge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Verbrechen zum Opfer gefallen war. Nancy Clay war betroffen gewesen. Doch tief trauern konnte sie nicht um den Bostoner Millionär, mit dem sie nur eine flüchtige Bekanntschaft verbunden hatte. Auf eine brandheiße Spur hatte sie Kommissar X nicht setzen können. Auch Nancy Clay erwähnte den leichten Texasakzent der Blondine und den Leberfleck auf ihrem Handrücken. Jo wusste nach einigen Recherchen, dass die blonde Sharon, deren Nachname er nach wie vor nicht kannte, gezielt bei Dave Rutledge angesetzt hatte. Es konnte kein Zufall gewesen sein, dass sie im Casino zusammengetroffen waren. Die Blondine hatte erstklassige Informationen gehabt und gewusst, wie sie Rutledge für sich einnehmen konnte. Die Frage war, wer ihn so gut kannte und sie ihr vermittelt hatte. Auf der Fahrt zu seinem Hotel erhielt Jo übers Mobiltelefon einen Anruf von April
* Am frühen Abend suchte Duff Miller Jo Walker in seinem Hotel auf. Er erkundigte sich nach den Fortschritten, die Jo im Fall Rutledge machte. Kommissar X sprach in
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bekannt. Meine Rechnung ist von seinen Erben anstandslos bezahlt worden.“ Miller tat, als ob ihm das jetzt erst aufginge. „Du hältst doch nicht etwa auch Websters Tod für ein Verbrechen? Die zuständige Mordkommission, die wie bei jedem unnatürlichen Todesfall zu ermitteln verpflichtet war, hat zweifelsfrei einen Unfall festgestellt.“ Jo lächelte wie die Sphinx von Gizeh. Er äußerte sich nicht weiter dazu und ließ bei Duff Miller durchblicken, dass er nahe an der Lösung der Fälle Rutledge und Webster sei. Der Anwalt behielt seine Fassung. Abermals bot er Jo seine Hilfe an und bat, auf dem Laufenden gehalten zu werden. Als er dann in seinem Cadillac Coupe wegfuhr, war er hochgradig nervös. Jo rechnete fest damit, dass Miller, den er als Anstifter wenigstens zweier Morde verdächtigte, ihn umbringen lassen wollte. Dem Anwalt blieb gar keine andere Wahl. Am nächsten Tag – Sonntag – fand die große Abschlussparade des Renoer Rodeos statt. Mehr denn je glich die Stadt einem Hexenkessel. Jo war wieder mal unterwegs. Er löste seine Fälle, indem er sich bewegte und Dinge in Gang brachte. Zudem war er risikofreudig. Kommissar X erhielt einen Anruf über sein Funktelefon. „Hier spricht Sharon“, meldete sich eine Frauenstimme, deren Sexappeal die Membrane zum Vibrieren brachte. „Ich hörte, Sie suchen mich?“ Allerdings. Ich muss dringend mit Ihnen reden. Wo kann ich Sie finden?“ „Hören Sie, Mister Walker, es ist nicht so, wie Sie denken. Rutledge und Webster sind umgebracht worden. Aber nicht von mir. Ich konnte es nicht verhindern. Eine Verbrecherbande steckt dahinter. Ich bin gezwungen worden, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Ich will meinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Für die Flugkarte ins Ausland und einen fünfstelligen Betrag sage ich Ihnen alles, was Sie wissen wollen. Von dem Geld, das die Bande an
der Lounge mit dem Sonnyboy von Anwalt. „Es geht voran, Duff. Näheres kann ich dir leider nicht sagen, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden.“ „Was soll denn die Floskel? Dave Rutledge und ich waren Freunde. Wenn er ermordet worden ist, halte ich es für meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, mit dazu beizutragen, dass sein Mörder gefasst wird.“ Jo spielte ein wenig Katz und Maus mit dem Anwalt. „Woher weißt du, dass es keine Mörderin war?“ „Eine Frau?“ Aber wie sollte sie ihn denn im Flugzeug umgebracht haben und danach weggekommen sein?“ „Dafür kenne ich nur eine einzige Möglichkeit, nämlich dass sie mit einem Fallschirm absprang. Es reichte zudem, wenn sie ihn betäubte. Den Rest besorgte dann der Absturz.“ „Eine Frau. Hm. Das müsste aber ein ganz besonderes Kaliber sein. Wer käme dafür in Frage?“ „Soweit bin ich noch nicht, das zu wissen. Sagt dir der Name Stuart Webster III etwas, Duff?“ „Ja. Das war ein Klient von mir. Ein prima Kerl. Ich habe ihm bei der Scheidung zur Seite gestanden und viel geholfen. Ohne mich hätte ihn seine Frau, ein eiskaltes Luder, vollkommen ausgeblutet.“ Kommissar X hörte sich mit Pokerface Millers Eigenloblied an, was für ein erstklassiger Anwalt er sei. „Leider ist er kurz nach der Scheidung bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Scheußliche Geschichte. Er wollte in den Bergen allein sein, um Abstand von allem zu gewinnen. – Und dann passierte ihm das.“ „Auch bei Webster ist eine Menge Geld verschwunden. Anderthalb Millionen Dollar.“ „So?“ meinte Miller aalglatt. Er war viel zu clever, um auf die von Jo absichtlich falsch genannte Zahl hereinzufallen und sie zu berichtigen. „Davon ist mir nichts
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näherten sich. Dazu Footballteams samt Cheerleadern und allem Drum und Dran, die Feuerwehr, Reservatsindianer, der Veteranenverband und andere. Geschmückte Festwagen und offene Autos gehörten zum Festzug. Die Goldgräberund Pionierzeiten lebten bei dem zweihundert verschiedene Nummern umfassenden Zug genauso wieder auf wie die Bande von Jesse James. Jo ließ sein Auto stehen und ging den Rest des Weges zum Automuseum zu Fuß. Der Detektiv trug eine kugelsichere Weste unter der leichten Windjacke und schwitzte redlich. Musik erklang von dem sich nähernden Festzug. Platzpatronenund auch scharfe Schusse knallten in die Luft. Das Automuseum bestand aus einer Ausstellungshalle und einem Freigelände. Bei schlechtem Wetter wurden die wertvollen Oldtimer von dort in die Halle und in Garagen gefahren. Der Parkplatz von Harrahs Automuseum war voll belegt. Da er hinter der Halle lag, hatte man von dort keine Sicht auf den Rodeofestzug. Lassoschwingende, herausgeputzte Cowboys und -girls auf Paradepferden führten ihn an. Der Festzug näherte sich. Zuschauer, die zur Straße wollten, um ihn zu sehen, liefen über den Parkplatz. Jo blieb auf dem Parkplatz, die Hand am Griff der 38er in der Schulterhalfter. Er schaute sich nach der Blondine Sharon um. Die Rodeoreiter und übrigen Teilnehmer zogen bereits auf der Glendale Avenue vorbei. Jo zündete sich eine Zigarette an, sah auf die Uhr und schlenderte über den Parkplatz. Es war 35 Minuten nach zwei. Da sah er ein metallisches Aufblitzen auf dem Dach der Lagerhalle hinter dem Ausstellungspavillon. Ein Gewehrlauf funkelte in der Sonne. Jo duckte sich und sprang hinters nächste Auto. Die Schüsse waren nicht zu hören. Doch in den Toyota Tercel schlugen mit dumpfem Geräusch drei Kugeln ein. Die Einschüsse in der Karosserie und das Loch
sich gebracht hat, erhielt ich nur ein Trinkgeld.“ „Wo kann ich Sie treffen?“ fragte Jo. Er glaubte ihr kein Wort. „Bei Harrahs Automuseum, während des Rodeoumzugs um 14.30 Uhr. Warten Sie auf dem Parkplatz hinter dem Museum. Dann können wir uns in Ruhe unterhalten.“ „Ich werde da sein.“ Die Anruferin atmete hastig. „Sie sind meine letzte Hoffnung, Kommissar X. Ich werde bedroht und schwebe in Lebensgefahr. Lassen Sie mich nicht im Stich, bitte!“ Ein Schluchzen folgte. „Mit einer Kronzeugenregelung würde ich mich unter Umständen auch einverstanden erklären.“ „Wir sprechen darüber. Kennen Sie mich?“ „Sie sind mir beschrieben worden. Ich kann Sie erkennen. Wie ich aussehe, wissen Sie ja. Sie werden allein kommen?“ „Klar. Wofür halten Sie mich?“ „Ich kann nicht länger sprechen. Ich habe Stuarts und Daves Tod nicht gewollt. Diese Gangster gehen kaltblütig über Leichen.“ Damit war die Verbindung unterbrochen. Was für ein kaltblütiges Aas, dachte Jo. Er hatte die nötige Ausrüstung mitgebracht. Rechtzeitig, während die ganze Stadt sich im Rodeofieber befand und vor Besuchern aus allen Nähten platzte, machte sich Jo auf den Weg zu dem Automuseum an der Glendale Avenue am östlichen Stadtrand. Kommissar X umfuhr das wegen des Umzugs gesperrte Areal weiträumig. Trotzdem hatte er Schwierigkeiten, an sein Ziel zu gelangen. Die Zufahrtsstraßen waren entweder ebenfalls gesperrt oder verstopft. Zuschauermassen strömten über die Straßen zur Route des Umzugs. Dort standen die Zuschauer schon mehrere Glieder tief, waren auf Dächer und Mauern geklettert oder schauten aus den Fenstern, der an der Umzugsroute stehenden Häuser. Musik ertönte. Die Rodeoteilnehmer, Kunstreiter, Vereine und Spielmannszüge
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Betroffenen und unmittelbaren Zeugen bisher noch niemandem größer auf. Jo rief zu den Zeugen, meist Jugendlichen, am Dach hinauf: „Achtung, das ist ein gesuchter Killer! Ich bin Detektiv! Holt den Sheriff.“ Er rannte los, um Abbott den Weg abzuschneiden. Der Killer sprang fluchend und blutend vom Hallendach auf das Dach eines Oldtimers, eines Marmons aus den dreißiger Jahren. Seine hochhackigen Cowboystiefel zerbeulten das gute Stück. Da rannte Jo um die Ecke und ging in den Combatanschlag. „Gewehr fallen lassen, Killer! Du bist am Ende!“ Mit verschwitztem, verzerrtem Gesicht, in die Enge getrieben, flitzten Abbotts Augen hin und her. Er sah keinen Ausweg mehr. Also ließ er das Gewehr fallen und hob langsam die Hände. „Du hast gewonnen, Kommissar X! Aber ich schwöre dir, irgendwann breche ich aus dem Zuchthaus aus! Ich kriege dich doch noch.“ „Pass nur auf, dass du nicht in der Gaskammer landest“, sagte Jo. Jetzt erschienen mehrere Jugendliche aus Reno und Umgebung am Dach und von beiden Seiten am Boden. Es waren an die zwanzig Männer und zwei oder drei Girls. Jo zeigte seine Detektivlizenz nach allen Seiten. Er glaubte, er hätte Abbott sicher. Doch einer der Jugendlichen, ein langer, grobknochiger Bursche, wie die anderen in Western-Gala-Kleidung, machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er hatte, wie viele Zuschauer, einen scharf geladenen Revolver in der Halfter seines reichverzierten Waffengurts. Als er das Zielfernrohrgewehr sah, drehte er durch. „Das ist auch so ein Schwein wie der, der JFK umgelegt hat! Da habe ich neulich erst einen Film darüber gesehen!“ Sonst hätte er es vielleicht gar nicht gewusst. „Solche Lumpen wollen unser Land ruinieren! – Du Bastard, du Hurensohn, du Präsidentenmörder, wie schmeckt dir das?“
in der Seitenscheibe waren deutlich zu sehen. Jo fackelte nicht, sondern lief zwischen den Autos geduckt zu der Halle. Von der Straße ertönte Musik. Dann hörte sie für einen Moment auf. Die Cheerleaders des Reno Red Socks Footballteams brachten Hochrufe auf ihre Mannschaft, das Rodeo und auf Reno aus. Die Zuschauer fielen ein. Während dieses Geschreis feuerte der Killer wieder, dessen Kopf und Schultern Jo über die Dachkante sah. Abermals schoss er Löcher in den Boden des Autos. Der Privatdetektiv schoss jetzt zurück. Seine Schüsse krachten. Die Kugeln pfiffen dem Mann mit dem Zielfernrohrgewehr mit Schalldämpfer um die Ohren. Der Schütze war Glen Abbott. Er trug wieder Westernkleidung. „Hands up, Hollalong Cassidy!“ schrie Jo und zielte mit auf einen Autokühler aufgestütztem Arm. Abbott wollte es wissen. Sein beim letzten Mordanschlag angesengter Hintern drückte ihm empfindlich aufs Selbstbewusstsein, Er nahm Jo ins Fadenkreuz. Doch in dem Moment, ehe er sacht abdrückte, knallte wieder Jos Automatic. Abbott erhielt einen Streifschuss am Arm. Die Entfernung war für einen Pistolenschuss groß. Jo hatte Abbott nicht besser treffen können. Es genügte jedoch, dass der Killer seinen Schuss verriss. Er verfehlte Kommissar X weit. Dann sprang er auf und floh stark blutend. Er verlor die Nerven. Zudem kamen Zuschauer des Rodeoumzugs, die Jos Schüsse gehört hatten und nachsehen wollten. Vom Dach des Automuseum-Pavillons sahen sie den Killer mit dem Zielfernrohrgewehr in der Hand über das niedrige Hallendach rennen. Von ihnen aus gesehen, war das nach rechts. Jo stand halblinks auf dem Parkplatz. Da bei der Rodeoparade öfter geschossen wurde, zum Salut und zum Vergnügen, fiel die Schießerei außer den direkt
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Straßenreinigung, den vom Rodeo massenweise zurückgebliebenen Dreck und Abfall zu beseitigen. Duff Millers bombastisch aufgemachte Kanzleiangestellte saß am Schreibcomputer und streckte ihren Silikonbusen vor. „Hi“, begrüßte sie Jo. Kommissar X dachte ganz richtig, dass sie geistig zu unterbelichtet war, als dass Miller und seine Komplizin sie in ihre Verbrechen eingeweiht hätten. Als da waren die Ermordung von Stuart Webster III aus Texas und Dave Rutledge aus Boston, jeweils als Unfall getarnt. Und die Unterschlagung von satten vier Millionen Dollar. „Wo ist denn Ihr Chef?“ fragte Jo und setzte sich auf die Schreibtischkante. Er flirtete ungeniert mit der Wasserstoffblondine mit der stufiggeschnittenen Frisur. „Er hat eine Scheidung“, lispelte sie. „Seine eigene?“ „Ach wo. Mister Miller heiratet doch nicht. Was soll ich denn eine Kuh kaufen, nur weil ich ab und zu einen Liter Milch trinken will, sagt er. Trenton gegen Trenton. Und stellen sie sich vor, der frisch geschiedene Ehemann heiratet nach der Scheidung gleich wieder. Gleich nebenan in der Hochzeitskapelle von Father Brown. -Wie finden Sie das? Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln. – Manche lernen es nie.“ Die Schöne musste auf einer Farm aufgewachsen sein, nach ihren aus dem Landleben gegriffenen Vergleichen zu schließen. Jo nutzte die Gelegenheit, dass sie so redselig war. „Mister Trenton kennt die Lady, die er heiraten will, wohl schon länger? Sicher ist sie der Scheidungsgrund?“ „O nein. Er hat sie erst hier in Reno kennen gelernt. Eine Schwarzhaarige. So toll ist sie auch wieder nicht. Ich habe eine viel bessere Figur als sie. Und krumme Beine hat sie auch. Ein eiskaltes, berechnendes Frauenzimmer, das sich den
Ehe es jemand verhindern konnte, hatte der Jugendliche seinen Colt gezogen und drei Schüsse auf Abbott abgegeben. Der Killer brach zusammen, wälzte sich sekundenlang ächzend am Boden und starb. Mit rauchendem Colt schaute sein Mörder sich um. „Du hast einen Mord begangen, Ed“, sagte ein Girl in Cowboykleidung. „Ich habe das Gesetz in die Hand genommen“, erklärte der Schütze großspurig. „Damit sind viel Arbeit und Kosten gespart worden. Was heißt hier denn Mord? War das ein verdammter Killer mit einem Zielfernrohrgewehr, oder nicht? Ist das ein potenzieller Präsidentenmörder gewesen, oder nicht?“ Es gab einen Auflauf. Die Rodeoparade stockte für kurze Zeit. Dann wurde sie fortgesetzt. Inzwischen war Sheriff Hyatt am Tatort beim Automuseum eingetroffen. Der Junge, der den Killer niedergeschossen hatte, hieß Edward Coreno und war 18 Jahre alt. Er war nicht gerade debil, aber geistig zurückgeblieben. Den Film über den Mord an John F. Kennedy 1963 in Dallas hatte er völlig falsch verstanden. Dass er genau wie der Berufskiller Abbott mit einer scharfen Schusswaffe, die legal erworben war, herumlaufen und sie gebrauchen konnte, beleuchtete schlaglichtartig die Situation im Land. Glen Abbott konnte seinen Auftraggeber nicht mehr nennen. Edward Coreno verlangte in seiner Zelle, eine Pressekonferenz geben zu dürfen. Er erwartete, wie ein Held gefeiert zu werden und war sehr enttäuscht, als das nicht geschah. * Der Sonntag verging. Die Anruferin, die Jo in die Falle gelockt hatte, ließ nichts mehr von sich hören. Am Montag suchte der Detektiv Duff Millers Kanzlei auf, um sich den geschniegelten Yuppie-Anwalt und Amateurverbrecher vorzuknöpfen. In den Straßen von Reno plagte sich die
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Hochzeitskutsche, die acht Schimmel zogen, bis hin zur sozusagen Fast-FoodTrauung im Schnelldienst ohne Schnickschnack. Nach der feierlichen Trauung, die an sich nicht dringend notwendig war, die aber die meisten wollten, wurde an einem Pult seitlich vom Altar die Heiratsurkunde unterschrieben. Brown hatte dazu die rechtliche Befugnis. Vor der Kapelle standen bezahlte Statisten, um das frischgebackene Ehepaar mit Reis zu bewerfen. Sonny Trentons Frau Aranxta war nach der Scheidung sofort heulend in ihr Quartier gefahren. Trenton hatte sich zwar nicht für die Hochzeitskutsche, doch für eine Hochzeit der oberen Preisklasse entschieden. Ein schneeweißer offener Cadillac Eldorado mit livriertem Chauffeur sollte das junge Paar ins Hotel fahren. Von dort sollte es rasch in die Flitterwochen gehen, die Sonny Trenton nicht überleben sollte. Der Mörder-Lady und Duff Miller schwebten sein Ableben in Bali vor. So weit weg, dachten die beiden, würden sich mögliche Ermittlungen schwerer gestalten. Zumal die dortige Polizei vermutlich nicht die tüchtigste war. Duff Miller hatte für Scheidung und Hochzeit alles arrangiert. Sonny Trenton stand im weißen Glitzeranzug vor dem Traualtar in der mit Blumen übersäten Kirche. Die Braut, die sich mit gefälschten Papieren als Sheila Marshall ausgab, hatte auf einem weißen Brautkleid und Brautkranz bestanden. Sie hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Ein Schleier verhüllte ihr Gesicht. Duff Miller und ein Bekannter von ihnen waren Trauzeuge. Damit die Kapelle mit den weißen Schleiflackbänken nicht leer war, hatte der rührige Anwalt Statisten engagiert. Die Orgel spielte. Der Kirchenchor sang; „So nimm denn meine Hände.“ Reverend Brown gab sich Mühe. „Willst du, Sheila Marshall, den hier anwesenden Sonny Trenton zum Manne nehmen? Willst du ihn lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, und ihm
Goldfisch Sonny Trenton geangelt hat. – Er ist so ein schöner, gefühlvoller, toller Mann.“ Toll war ein Lieblingswort der Blondine. Sie verfügte über eine sagenhafte Menschenkenntnis und Weltsicht. In Jos Gehirn klingelten Alarmglocken. „War diese schwarzhaarige Lady früher schon mal hier?“ „In unserer Kanzlei? Nein. Wir haben sie weder geschieden noch jemals verheiratet, also einen Ehevertrag für sie ausgearbeitet, noch sonst wie beraten.“ „Spricht sie mit leichtem Texasakzent?“ „Das ist mir nicht aufgefallen.“ Im Fall Rutledge im „Continental Lodge“ konnte jede Frau, die sich Sharon genannt hatte, ihn vorgetäuscht haben. „Hat sie einen Leberfleck auf dem rechten Handrücken?“ fragte Jo. Er hatte Glück. Die neidische Wasserstoffblondine hatte sich die Schwarzhaarige, der sie den guten Fang Sonny Trenton missgönnte, genauestens angesehen. Nicht ein Fältchen war ihr entgangen. „Ja, sogar einen recht großen. Ich hätte ihn mir längst wegmachen lassen.“ Jo sprang auf. „Wann ist die Scheidung?“ Sie war schon vorüber. „Wo ist Father Browns Hochzeitskapelle?“ „Erste Straße rechts um die Ecke. Halt, Mister, wohin denn so eilig?“ „Ich bin Hochzeitsfan!“ rief Jo und flitzte hinaus. Die Kanzleiangestellte holte enttäuscht ihren Nagellack aus dem Schreibtisch. Auch dieser tolle Mann wollte nichts von ihr wissen. Es war schon ein Jammer. Die Männer wussten alle nicht, was gut war. Jo ließ den Geländewagen stehen und rannte zur Hochzeitskapelle. Sie war weiß und bonbonrosa gestrichen. Ein blühender Garten umgab sie. Ein Schild zwischen Hyazinthen verkündete, dass Father Brown hier rund um die Uhr, außerhalb der üblichen Zeiten gegen Aufpreis, Trauungen vornahm. Von der Luxustrauung mit weißer
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Da zog Duff Miller eine 32er Pistole und versuchte, eine Brautjungfer als Geisel zu nehmen. Jo schoss ihm in die Schulter. Der Anwalt kreischte weibisch auf, setzte sich auf die Altarstufen und presste die Hand auf die Wunde. Father Brown floh mit flatterndem Talar hinter den Altar und versteckte sich dort. Sheila jedoch handelte. Sie riss ein Stilett unter dem Brautkleid hervor und setzte ihrem Fast-Ehemann die rasiermesserscharfe Klinge an den Hals. Sonny Trenton war so mit Rauschgift und Tabletten vollgedröhnt, dass er alles mit sich machen ließ. Die Braut hielt ihn als Kugelfang vor sich. „Gib mir deine Pistole, Walker, oder ich schneide ihm die Kehle durch!“ „Nein“, sagte Jo. Sheila hätte ihn kaltblütig niedergeschossen. „Wenn du ihn hier vor Zeugen umbringst, gehst du dafür in die Gaskammer, Sheila oder Sharon, oder wie immer du richtig heißt. Du hast Stuart Webster auf dem Gewissen und Dave Rutledge. Gib auf! Du kommst hier nicht mehr weg!“ „Halts Maul! Komm, Sonny, wir verschwinden. Keiner rührt sich von der Stelle.“ Sheila zog Sonny Trenton, der albern grinste, zur Seite. Sie hob die 32er auf, die Miller fallen gelassen hatte. Jo konnte es nicht verhindern. Der Anwalt war nicht in der Lage, mit seiner Komplicin zu flüchten. Er stöhnte und stand unter Schock. Seine Beine trugen ihn nicht. Jo duckte sich im Mittelgang bei den Bänken, damit Sheila nicht auf ihn schießen konnte. Er folgte ihr. „Sind wir schon verheiratet, Sheila?“ brabbelte Sonny Trenton. Die Mörderin zerrte ihn zum Seitenausgang hinaus. Einige der georderten Hochzeitsgäste sahen sie staunend an. Diese Personen hatten zwar den Schuss gehört, jedoch geglaubt, es handle sich um die Fehlzündung eines Jeeps. Vor der Kapelle hatte noch keiner bemerkt, was drinnen vorging.
eine treue Gattin sein?“ „Ja, Reverend.“ „Und du, Sonny Trenton, willst du die hier anwesende Sheila Marshall zu deiner Frau nehmen? Willst du sie lieben und ehren ...“ Die gleiche Formel folgte. Sonny murmelte: „Yeah.“ Er war so bekifft, dass er überhaupt nicht mitkriegte, was vorging. Father Brown merkte zwar, dass der Bräutigam high war. Doch für das Geld, das Duff Miller ihm zugesteckt hatte, sah er das nicht so eng. Father Brown, ein Farbiger im feierlichen Talar mit weißem Kragen, hob die Hand und schaute von den Stufen seines kitschig aufgemachten Altars aus in die Runde. Die Brautjungfern, zwei kleine Mädchen mit Blumenkörbchen, standen beim Brautpaar und den Trauzeugen. „Ist jemand hier, der gegen diese Ehe Einspruch erhebt?“ fragte der Geistliche einer Freikirche, als die Orgel verstummte. „Dann möge er jetzt vortreten und sprechen oder für immer schweigen.“ Niemand antwortete. „Wie ich sehe, ist das nicht der Fall“, erklärte der Reverend. „Dann erkläre ich hiermit kraft meines Amtes nach den Gesetzen des Staates Nevada Sheila Marshall und Sonny Trenton für Mann und ...“ „ Stopp!“ rief da eine Stimme aus dem Hintergrund. „Das verbiete ich! Die Frau ist eine zweifache Mörderin, die dem Mann nach dem Leben trachtet. Duff Miller ist ihr Komplice. – Ihr seid beide festgenommen!“ Ein Tumult entstand. Father Brown fragte: „Wissen Sie denn überhaupt, was Sie da sagen?“ „Das weiß ich sehr genau“, antwortete Jo. „Ich bin Privatdetektiv. Keine falsche Bewegung!“ Das galt der Braut und dem Anwalt. Jo hielt die Automatic in der rechten Hand und mit der Linken den Ausweis hoch. Die Hochzeitsgäste drängten sich in die Bänke. Jo stand allein im Mittelgang. „Holt Sheriff Hyatt!“ verlangte er.
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Hochzeitspaar angriff. Sie hielten ihn für einen eifersüchtigen Rivalen. Doch dann kam der Sheriff und klärte die Sachlage. Sonny Trenton fragte: „Können wir jetzt in die Flitterwochen?“ Sheila würde sie im Zuchthaus verbringen und dieses vermutlich in den nächsten Jahrzehnten auch nicht mehr verlassen.
„Da sind sie!“ rief jetzt einer von den Statisten. Ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder liefen los und warfen mit Reis. „Herzlichen Glückwunsch! Alles Gute! Wir wünschen euch viele Kinder!“ Erst zwei Schüsse, die Sheila in die Luft abfeuerte, vertrieben die Statisten. Sie ergriffen die Flucht. Jo lugte aus dem Seitenausgang, fand jedoch keine Gelegenheit, Sheila mit einem gezielten Schuss zu entwaffnen. Sie zerrte Sonny zum Hochzeitscadillac mit dem Schild hinten dran „Just married“. Konservendosen hingen an dem Cadillac. Der Chauffeur saß hinter dem Steuer. Sheila stieß Sonny zu ihm und zwang ihm zum Einsteigen. Sie hielt den Chauffeur in Schach. Sonny fand das Ganze ungeheuer lustig. High wie er war, erfasste er die Gefahr nicht. „Fahr los!“ befahl sie Braut mit Kranz und Schleier dem schwarzen, livrierten Chauffeur. „Raus aus Reno! Schnell!“ Der Chauffeur gehorchte. Die Konservendosen an der langen Schnur klapperten hinter dem Caddy her auf der Straße. Passanten drehten sich um. Sheilas Pistole und Messer waren nicht ohne weiteres zu sehen. Zuschauer winkten dem Brautpaar zu. „Was für ein schönes Paar!“ Schon zwei Straßen weiter war Sheilas Flucht zu Ende. Jo Walker fuhr mit dem Mitsubishi Pajero, den er sich hinten herum laufend schleunigst vom Parkplatz bei Millers Kanzlei geholt hatte, dem Cadillac in die Flanke. Es krachte. Sheila wurde zur Seite geschleudert. Der Chauffeur packte zu. Jo entwaffnete die Mörderin. Dann hatte er alle Hände voll zu tun, um die tobende Braut zu bändigen. Sheila hatte Schaum vor dem Mund. „Ich kratze dir die Augen aus, du Halunke!“ schrie sie Jo an. Fast hätte er noch Schwierigkeiten mit Passanten gekriegt, die hinzueilten und Partei gegen ihn ergriffen, weil er ein
* Duff Miller legte ein volles Geständnis ab. Sheila hieß in Wirklichkeit Rina Roebuck und hatte zuletzt als Croupier in Las Vegas gearbeitet. Nebenher war sie noch als Callgirl tätig gewesen. Sie hatte den Anwalt im Casino kennen gelernt. Hauptsächlich von ihr stammte der Plan, dass Miller sie auf reiche Scheidungsklienten ansetzen sollte, die sie dann ausnehmen wollte. Als Vorwand, Stuart Webster und Dave Rutledge Geld aus der Tasche zu ziehen, hatten angebliche Schulden Rinas gedient. Sie hatte herzzerreißende Geschichten erzählt, Kreditwucherer würden ihr sonst von ihren Executors Arme und Beine brechen lassen, und dergleichen. Außerdem hatte sie noch Casinoanteile angeboten. Das alles war mit Raffinesse ins Werk gesetzt und durchgeführt worden. Duff Miller hatte dabei mitgewirkt. Sheila war es gewesen, die in der Jagdhütte in der Sierra Nevada, in die sich Stuart Trenton zurückzog, eine Todesfalle für ihn baute. Er löste den Schuss aus, als er die Tür öffnete. Die Mörderin hatte mit Millers Hilfe alles so arrangiert, dass es wie ein Unfall beim Gewehrreinigen aussah. Dass sie jeweils mit strikter Geheimhaltung, falschen Papieren und mal als Brünette, Blondine und dann als Schwarzhaarige auftrat, gehörte mit zu dem Plan. Zuletzt war Kommissar X doch schlauer gewesen. Die schwarze Witwe, wie die Medien sie tauften, war mit ihrer Karriere am Ende, Wie sie Trenton und besonders den sexuell übersättigten Multimillionär
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kiffte weiter. Benebelt, wie er war, sorgte er dafür, dass Rina für ihren Prozess einen erstklassigen Anwalt kriegte. Eine Weile wollte der irre Sonny Rina immer noch heiraten. Doch das überlegte er sich dann noch. Leider. Mit einer Frau im Zuchthaus, die er nur an den Besuchstagen mal sah, wäre er noch am ehesten ausgekommen.
Rutledge becircte, war ein Kapitel für sich. Im Bett musste Sheila jedenfalls eine echte Wucht gewesen sein und im Umgang mit ihren Opfern über enorme schauspielerische Qualitäten verfügt haben. Sonny Trenton blieb am Leben und war geschieden. Auch wenn sein Anwalt ein Verbrecher war, änderte das nichts an der rechtskräftigen Scheidung. Sonny soff und
ENDE
Im Februar erscheint Kommissar X-Edition Nummer 3: „Nacht der langen Messer“ von Earl Warren
Kommissar X erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D-32469 Petershagen. © Copyright 2004 ‚Kommissar X’ by VPM Pabel-Moewig Verlag KG. © Copyright 2004 aller Beiträge bei Earl Warren und vph. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Thomas Knip Der vorliegende Roman erschien 1992 als Kommissar X Band 1739. Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
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