Nr. 400
Die Schwarze Galaxis von H. G. Francis
Nach dem Aufbruch aus dem Korsallophur-Stau kommt Atlantis-Pthor, der ...
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Nr. 400
Die Schwarze Galaxis von H. G. Francis
Nach dem Aufbruch aus dem Korsallophur-Stau kommt Atlantis-Pthor, der »Dimensionsfahrstuhl«, auf seiner vorprogrammierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher. Und es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr König, tun könnten, um den fliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, je nen Ort zu erreichen, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf der Zeit über ungezählte Sternenvölker brachte. Wohl aber existiert die Möglichkeit, noch vor Erreichen des Zieles die gegenwärti ge Situation in der Schwarzen Galaxis, die allen Pthorern unbekanntes Terrain ist, zu erkunden – und Atlan zögert nicht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ihm geht es darum, Informationen über den Gegner zu erhalten, mit dem sich die Pthorer bald werden messen müssen. Als Pthor jedoch die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht, geschieht etwas Unerwartetes. Der fliegende Kontinent kommt abrupt zum Stillstand. Atlan ist nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zukommen werden. Er ergreift die Flucht nach vorn – direkt in DIE SCHWAR ZE GALAXIS …
Die Schwarze Galaxis
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide ergreift die Flucht nach vorn.
Thalia - Atlans Begleiterin.
Fälser - Anführer einer Gruppe von Dellos.
Fleuvv - Ein Schleierwesen.
Solka - Herrscher im Auftrag der Zentrale von Enderleins Tiegel.
1. Atlan blickte Kennon-Axton an. Der Ter raner hatte ihn noch einmal wegen der Kämpfe angesprochen, die zwischen ihm und Grizzard stattgefunden hatten. »Pthor bewegt sich auf die Schwarze Ga laxis zu«, sagte der König von Atlantis. »Es scheint, als könnten wir nichts daran ändern. Unter diesen Umständen kannst du nicht er warten, daß wir dein Problem vorrangig …« Eine unsichtbare Gewalt riß ihm und Ken non den Boden unter den Füßen weg. Pthor bremste ab. Atlan flog aus dem Zugor, in dem er gesessen hatte. Er wirbelte etwa zwanzig Meter weit durch die Luft und stürzte in das Dickicht einiger Büsche. Kennon, der neben der Maschine gestan den hatte, rutschte einige Meter weit über den Kies. Er prallte mit der Schulter gegen einen Baum und fiel über das flache Ufer hinweg in einen See. Atlan hatte das Gefühl, daß Pthor barst. Der Boden erzitterte unter ihm. An einigen Stellen bildeten sich breite Risse. Die FE STUNG schwankte. Zugors kippten um. Ei nige Bäume stürzten zu Boden. Atlan sah, daß einige von ihnen Arkoniden unter sich begruben. Die GRIET, die in der Nähe der FE STUNG stand, neigte sich bedenklich weit zur Seite, während Pthor stärker und stärker verzögerte. Die Katastrophe schien unaus weichlich, als der Kontinent plötzlich zur Ruhe kam. Atlan löste sich aus dem Gewirr der Zweige. Einige Meter von ihm entfernt kroch Kennon aus dem Wasser. Er hielt sich die verletzte Schulter. Die Augen des Arko niden tränten so stark, daß er kaum etwas se
hen konnte. Zahllose Dellos flohen schrei end aus der FESTUNG ins Freie. »Was ist passiert?« fragte Kennon mit ge preßter Stimme. Atlan legte den Arm um ihn und führte ihn zum Zugor, wo er seine Schulter behandeln wollte. »Irgend etwas hat Pthor angehalten«, sag te er und blickte zum Wölbmantel hoch, oh ne erkennen zu können, was Pthor in die Flugbahn geraten war. »Aber es sieht nicht so aus, als seien wir schon wieder mit einem Hindernis zusammengestoßen.« »Offensichtlich nicht. Es muß etwas ande res sein.« Pthor kam zur Ruhe. Die Dellos merkten, daß die größte Gefahr vorbei war. Sie kauer ten sich unter Bäumen und Büschen zusam men und warteten darauf, daß ihnen jemand sagte, was sie tun sollten. Atlan versuchte, das Fach mit dem Ver bandsmaterial zu öffnen. Es gelang ihm nicht. »Geh in die FESTUNG«, sagte er. »Ich kann nichts für dich tun.« »Und du?« »Ich fliege nach draußen und sehe mir an, was los ist.« Sigurd kam aus der FESTUNG. Er blutete aus einer Stirnwunde, schien jedoch nicht ernsthaft verletzt zu sein. »Wir müssen nach draußen«, rief er Atlan zu, nachdem er gesehen hatte, welche Ver wüstungen durch das erzwungene Bremsma növer eingetreten waren. »Schnell. Wir star ten mit der GOL'DHOR.« »Genau das hatte ich vor«, erwiderte der Arkonide. »Komm.« Während Kennon in die FESTUNG ging und dabei einige Dellos zurücktrieb, die aus ihr flüchten wollten, eilten Atlan und Sigurd zum Raumschiff. Als sie die Zentrale er
4 reicht hatten, streifte der Arkonide sich das Goldene Vlies über, das er hier abgelegt hat te. Er startete das Raumschiff und lenkte es durch den Wölbmantel nach draußen. Als sie den Wölbmantel durchstoßen hat ten, sahen sie die Schwarze Galaxis. Atlan hielt den Atem an. Schlagartig wur de ihm klar, warum diese Galaxis die Schwarze genannt wurde. Die Sterne der geheimnisvollen Galaxis, die Pthor bis vor wenigen Minuten angeflo gen hatte, waren leuchtschwach. »Seltsam«, sagte Sigurd mit belegter Stimme. »Es sieht aus, als ob die Sonnen in ihrem Zentrum schwarz wären.« »Kein Wunder, daß wir diese Galaxis erst jetzt sehen«, bemerkte der Arkonide. Auch seine Stimme verriet, daß er die Ausstrah lung der Schwarzen Galaxis verspürte. Nicht allein der optische Eindruck war entscheidend, so düster dieser auch war. Den beiden Männern kam es vor, als dränge sich ihnen ein Bild der Dunkelheit in ihre Seelen. Die riesige Sterneninsel, die weit vor Pthor lag, wirkte bedrohlich und unheimlich, als hätte sie eine schwarze Aura. Von ihr aus schienen unsichtbare Hände nach den Her zen der beiden Männer zu greifen. Atlan wehrte sich gegen die erdrückende Ausstrahlung der Schwarzen Galaxis und gegen die in ihm aufkommende Furcht. Er fühlte, daß sie ihm die innere Freiheit zu nehmen drohte. Er sah sich um. Überrascht stellte er fest, daß sich nichts in der Nähe von Pthor befand, was die Insel hätte aufhalten können. Nirgendwo war ein Hindernis zu sehen, auf das sie gestoßen sein konnte. Der Weltraum in der Umge bung von Atlantis war absolut leer. »Das verstehe ich nicht«, sagte Sigurd, der sich allmählich aus dem Bann der Schwarzen Galaxis löste. »Irgend etwas muß Pthor doch angehalten haben. Hier muß doch etwas sein.« »Da ist aber nichts«, erwiderte der Arko nide, der die Instrumente des goldenen Raumschiffs überprüfte. »Kein Hindernis,
H. G. Francis kein Raumschiff, keine Raumstation, keine Sonde – und auch kein Energiefeld. Nichts.« »Aber das ist unmöglich«, erklärte Sigurd erregt. Er erhob sich und blickte durch die transparenten Schichten der GOL'DHOR hinaus. »Da muß etwas sein.« Er konnte auf diese Weise noch weniger erkennen als mit Hilfe der Beobachtungsge räte. »Es gibt nur eine Erklärung«, entgegnete Atlan. »Ich vermute, daß für den zurückkeh renden Dimensionskomplex Pthor ein un sichtbares Anmeßsystem vorhanden ist. Kommt Pthor von einer Reise zurück, und ist alles in Ordnung, dann kann der Konti nent seinen Flug bis an das eigentliche Ziel fortsetzen, wo auch immer in der Schwarzen Galaxis das liegen mag.« »Wenn alles in Ordnung ist!« Sigurd lä chelte flüchtig. »Davon kann dieses Mal wohl keine Rede sein.« »Eben. Die Verhältnisse auf Atlantis sind ganz und gar nicht so, wie sie von den Mächten der Schwarzen Galaxis erwartet werden. Daher glaube ich, daß es auf Pthor ein Warnsystem gibt, das dafür sorgt, daß wir an einer noch unbekannten Barriere oder an einem für uns nicht anmeßbaren Energie vorhang scheitern.« »Laß uns zurückfliegen«, bat Sigurd. »Hier draußen erreichen wir nichts, und die anderen warten darauf, daß wir sie informie ren.« »Einverstanden«, sagte Atlan und lenkte das goldene Raumschiff nach Pthor. Etwa eine Stunde später versammelten sich die Freunde Atlans um ihn, um die La ge mit ihm zu besprechen. Sie trafen sich in dem Saal, in dem ehedem die Herren der FESTUNG in ihren transparenten Behältern gelebt und geherrscht hatten. Der König von Atlantis schilderte die Si tuation, in der sich Pthor befand. Sein Be richt löste Bestürzung aus. »Und was ist jetzt?« fragte Thalia. »Wir sind verloren«, erklärte der düstere Heimdall. »Wenn wir von der Voraussetzung ausge
Die Schwarze Galaxis hen, daß es eine Warnanlage gibt, die regi striert hat, daß auf Pthor etwas nicht in Ord nung ist, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Kontrolleure hier auftauchen«, stellte Atlan fest. »Sie werden untersuchen, warum Pthor gestoppt worden ist.« »Wer werden die Kontrolleure sein?« fragte Thalia. »Wie sehen sie aus? Was wer den sie tun?« »Auf diese Fragen kann ich keine Ant wort geben«, entgegnete Atlan. »Niemand kann sagen, ob die Kontrollen von einzelnen Raumschiffen oder einer ganzen Flotte, von fremdartigen Lebewesen oder von Robotern durchgeführt werden. Vielleicht kennt man hier ganz andere Formen der Nachforschun gen.« »Wir müssen uns vorbereiten«, sagte Si gurd. »Das ist richtig«, bestätigte Atlan. »Die Zeit, in der sich der König von At lantis einigermaßen sicher fühlen konnte, ist vorbei«, bemerkte Heimdall. »Es sieht so aus, als ob mit dem plötzlichen Stop der Kampf gegen die Mächte der Schwarzen Galaxis bereits begonnen hat. Ich habe vor einer derartigen Entwicklung und vor allzu großer Leichtfertigkeit gewarnt.« Thalia schüttelte den Kopf. »Niemand ist leichtfertig gewesen«, widersprach sie. »Und Atlan einen Vorwurf zu machen, für das, was er getan hat, ist Unsinn. Er hat sich um Pthor bemüht und mußte etwas riskieren. Niemand sollte ihm die alleinige Schuld zu schieben. Die anderen, die aus Feigheit nichts getan haben, sind in weit größerem Maße schuldig.« Heimdall richtete sich zornig auf. Er blickte Thalia an, als wolle er sich auf sie stürzen, um sie für diese Worte zu strafen, doch dann lehnte er sich wieder in seinem Sessel zurück und schwieg. »Es wird ein erbarmungsloser Kampf werden«, erklärte Sigurd. »Die Kontrolleure kennen keine Gnade.« »Woher weißt du das?« fragte Thalia. »Vielleicht kann man mit ihnen verhandeln. Vielleicht kann man darlegen, daß wir ein
5 greifen mußten, weil die ehemaligen Herren der FESTUNG erkrankt sind und Pthor in der bisherigen Form nicht mehr führen konnten.« Heimdall lachte zornig auf. »Verhandeln! Das ist grotesk. Wie sollten wir mit Män nern verhandeln, die nicht davor zurück schrecken, intelligente Geschöpfe als Gali onsfiguren für ihre Raumschiffe zu verwen den? Nein – wir alle sollten wissen, daß es keine Verhandlungen, sondern Kampf auf Leben und Tod geben wird.« Während die anderen sich zurückhielten, bemerkte Sigurd mit einem ironischen Un terton: »Fraglos wird dem König von Atlan tis einfallen, wie er sein Königreich gegen die schwarzen Mächte verteidigen kann. Auf seinem Weg über Pthor hat er viel zerstört. Vielleicht bringt er es fertig, nun ganz Pthor in den Untergang zu führen?« Diese Worte erregten den Unmut der an deren, doch Atlan hob die Hand und gab da mit zu verstehen, daß es nicht nötig war, auf diese ungerechtfertigten Vorwürfe einzuge hen. Sigurd merkte, daß er übers Ziel hin ausgeschossen war, fügte seinen Worten je doch nichts mehr hinzu. Auch Atlan schwieg. Er stand vor einer außerordentlich schweren Entscheidung. Er war überzeugt davon, daß Pthor nicht zu verteidigen war. Wenn die Kontrolleure kamen, dann führ ten sie Machtinstrumente mit sich, denen er nichts entgegenzusetzen hatte. Daher war Pthor die Niederlage sicher. Das bedeutete, daß alles zusammenbrechen würde, was in den letzten Wochen und Monaten mühsam aufgebaut worden war. »Warum sagst du nichts?« fragte Heimdall. »Wie soll es wei tergehen? Welche Vorbereitungen sollen wir für den Angriff der Kontrolleure treffen?« »Gar keine«, antwortete der Arkonide zö gernd. Überrascht blickten ihn die Freunde an. Sie verstanden ihn nicht, da diese Hal tung, wie sie meinten, nicht zu ihm paßte. »Es wäre falsch, sich auf einen Kampf einzulassen, den wir nicht gewinnen kön nen«, erklärte Atlan.
6 »Du willst nicht kämpfen?« fragte Thalia. Sie blickte den Arkoniden zweifelnd an. »Ich muß mich verhört haben.« »Du hast dich nicht verhört«, erwiderte Atlan. »Hier geht es nicht um den Sieg in ei ner Schlacht, sondern um den Sieg in der ge samten Auseinandersetzung mit den Mäch ten der Schwarzen Galaxis. Was hätten wir schon davon, wenn wir die Kontrolleure mühsam und unter großen Verlusten besieg ten und dann den nachrückenden Kräften um so deutlicher unterlägen? Wir müssen in größeren Zeiträumen denken. Nur die näch sten Tage im Auge zu behalten, genügt nicht. Wir müssen uns überlegen, was in ei nem Jahr oder in zehn Jahren sein wird.« »Willst du Pthor aufgeben?« fragte Heim dall. »Nein, das will ich nicht. Das werde ich niemals tun«, erklärte Atlan. »Ich weiß je doch, daß ich nichts für Pthor tun kann, wenn ich hier bleibe und in die Hände jener falle, die hier zwangsläufig auftauchen müs sen.« Heimdall sprang auf. Anklagend streckte er den Arm aus und zeigte auf Atlan. »Habe ich recht verstanden?« rief er. »Hast du gesagt, daß du Pthor verlassen willst?« »Ich habe es noch nicht gesagt«, erwider te Atlan ruhig, »aber ich werde es tun.« »Verräter!« Sinclair Marout Kennon erhob sich. »Warum bemühst du dich nicht, Atlan zu verstehen?« fragte er. »Es steht dir nicht zu, ihn zu beschimpfen. Und wenn du es tun willst, so solltest du zumindest vorher nach denken.« »Sollte ich das?« entgegnete Heimdall. »Angesichts eines solchen Verrats ist das wohl nicht mehr notwendig.« »Du kennst Atlan nicht«, sagte Kennon, »aber ich kenne ihn. Ich weiß, daß er kein Verräter und kein Feigling ist, sondern ein Mann, der stets die Flucht nach vorn er greift, wenn er schon fliehen muß.« »Du solltest schweigen«, empfahl ihm Heimdall verächtlich. »Ein Mann, der ein
H. G. Francis Verbrechen begangen hat wie du, sollte sei ne Stimme nicht erheben.« »Den Kontrolleuren wird es recht sein, wenn wir uns gegenseitig beschimpfen und dabei so zerstreiten, daß wir ihnen die Arbeit schließlich abnehmen«, bemerkte Atlan. Heimdall fuhr herum. Zornig blickte er den Arkoniden an. »König von Atlantis«, sagte er mit hallender Stimme, »muß ich dich erst darauf auf merksam machen, daß du nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hast?« »Ich fühle mich für alle verantwortlich«, antwortete Atlan. »Für meine Freunde, für die Robotbürger von Wolterhaven, für die Bewohner von Moondrag, die Geschöpfe in der Senke der Verlorenen Seelen, für meine Feinde – eben für alle, die auf Pthor leben. Ich kann nicht verhindern, daß sie in die Hände der Mächtigen der Schwarzen Gala xis fallen. Das heißt jedoch nicht, daß ich sie verloren gebe. Hier auf Pthor kann ich nicht für sie kämpfen. Deshalb werde ich Pthor verlassen und erst dann zurückkehren, wenn ich weiß, daß ich der Sieger im Kampf um Pthor bin.« »Wie sollte das möglich sein?« fragte Heimdall. »Jetzt hast du alles, was du brauchst. Du hast Freunde, Waffen und eine ganze Armee. Du könntest hier an Ort und Stelle kämpfen.« Atlan schüttelte den Kopf. »Ich warne davor, den offenen Kampf ge gen die Kontrolleure aufzunehmen«, erwi derte er. »Sie könnten mit einer einzigen Salve aus ihren Bordkanonen Pthor zu Staub verwandeln. Ergebt euch und schiebt alle Schuld auf mich, den König von Atlantis. Stellt mich als den großen Verräter hin und spielt selbst die Unschuldigen. Nur so könnt ihr eine Strafaktion verhindern. Es kommt darauf an, die ersten Stunden gut zu überste hen und die Boten der Mächte aus der Schwarzen Galaxis zu besänftigen. Haben sie sich erst beruhigt, dann könnt ihr mit eu rem heimlichen Kampf beginnen.« »Und du?« fragte Sigurd. »Ich werde in der Schwarzen Galaxis untertauchen und
Die Schwarze Galaxis lernen. Ich will so viel wie möglich über die Fähigkeiten und die Waffen meiner Gegner herausfinden, so daß ich eines Tages zurück kehren und Pthor befreien kann.« »Ein kühner Plan«, sagte Thalia. »Zu verwegen«, wandte Sigurd ein. »Er kann nicht gelingen.« »Er wird gelingen«, entgegnete Atlan. »Es ist der einzig gangbare Weg für mich. Ich werde ihn gehen.« »Mit welchem Schiff wirst du starten? Doch nicht mit der GOL'DHOR?« fragte Thalia. »Natürlich nicht. Ich nehme die GRIET«, antwortete der Aktivatorträger. »Wir haben die GRIET untersucht und weitgehend repa riert. Sie ist einsatzbereit. Ganzelpohn wird mir helfen.« »Eine gute Idee«, sagte Sigurd lobend. »Dieser Schiffstyp ist in der Schwarzen Ga laxis bekannt.« »Ich bin bereit, euch mitzunehmen«, er klärte der Arkonide. »Niemand soll glauben, daß er hier bleiben muß.« »Verräter«, sagte Heimdall zornig. »Genügt es nicht, wenn du allein fliehst? Mußt du Pthor auch noch die besten Kämp fer nehmen?« Der Vorwurf schmerzte Atlan. Doch er ließ sich nichts anmerken. Er hatte damit ge rechnet, daß nicht alle Freunde ihn verstehen würden. Für einige von ihnen mochte es tat sächlich richtig erscheinen, auf Pthor zu bleiben und gegen die Mächtigen der Schwarzen Galaxis zu kämpfen. Für einen Mann wie Atlan, der zahllose Schlachten durch überlegene Taktik gewonnen hatte, je doch nicht. »Niemand soll sagen, daß ich ihm nicht die Gelegenheit gegeben habe, sich mir an zuschließen und mit mir zusammen auf mei ne Art zu kämpfen«, sagte er und blickte von einem zum anderen. Bis auf Thalia wi chen alle seinen Blicken aus. Sie erhob sich und kam zu ihm. »Ich bin dabei«, erklärte sie und sah ihre Brüder herausfordernd an. »Ich begleite At lan.«
7 »Ich werde euch beweisen, daß ich kein Verräter bin«, sagte der Arkonide. »Aber nicht jetzt, sondern später, wenn ich zurück kehre.« »Vielleicht will es dann niemand von uns mehr wissen«, erwiderte Heimdall abwei send.
2. Atlans Finger glitten über die Tastaturen in der Kommandozentrale der GRIET. Das Raumschiff gehorchte seinen Befehlen. »Wir können zufrieden sein«, sagte Tha lia, die neben ihm saß. Atlan steuerte das Raumschiff selbst, wo bei er von Ganzelpohn unterstützt wurde. Der Bite war sofort einverstanden gewesen, dem Arkoniden zu helfen, als dieser ihm sei nen Plan eröffnet hatte. Dabei hatte Atlan ihm allerdings nicht alles gesagt. Alle Hunods hatten das Schiff verlassen. Atlan hatte seine eigene Besatzung mitge bracht. Sie bestand aus dreißig männlichen Dellos. Als Kommandanten der AndroidenGruppe hatte er Fälser eingesetzt, als seine drei Stellvertreter Wurdihl, Branor und Gär go. Pthor fiel rasch hinter der GRIET zurück. Atlan legte einen Kurs an, der das Organ schiff an den Rand der Schwarzen Galaxis führte. Er wollte zunächst nicht ins Zentrum der Galaxis vorstoßen, sondern sich erst an die Außenwelten herantasten. Als er sich davon überzeugt hatte, daß al les nach Plan verlief, erhob er sich und gab Fälser zu verstehen, daß er nun das Kom mando übernehmen sollte. In diesem Moment ging ein Ruck durch das Schiff. Er war nicht so stark, daß Atlan stürzte, aber doch so heftig, daß der Arkoni de Halt suchend nach der Sessellehne griff. Erschreckt blickte er auf die Instrumente. Sie zeigten an, daß die GRIET ihren Kurs änderte. Thalia versuchte, das Schiff auf Kurs zu halten. Es gelang ihr nicht. Die GRIET ge horchte ihren Befehlen nicht.
8 Atlan setzte sich wieder in den Sessel. »Was ist mit Ganzelpohn los?« fragte sie erregt. »Warum macht er das?« Der Arkonide bemühte sich jetzt eben falls, das Raumschiff wieder auf den alten Kurs zu bringen, aber auch er hatte keinen Erfolg dabei. »Vielleicht hat er etwas entdeckt, was ihn dazu zwingt«, bemerkte er, doch er glaubte selbst nicht daran, daß es so war. Er nahm Funkverbindung mit dem Biten auf. »Ganzelpohn«, sagte er. »Was ist pas siert? Warum änderst du den Kurs?« Der Bite antwortete nicht, obwohl Atlan ihn wieder und wieder ansprach. »Ob er uns nicht hört?« fragte Thalia. Sie blickte Atlan unsicher an. Sie hatte ihre Kör permaske abgelegt, da sie ihr lästig gewor den war. Jetzt trug sie einen Raumanzug. »Er hört uns«, antwortete der Arkonide, wobei er sich erneut bemühte, das Schiff un ter Kontrolle zu bringen. »Das ist sicher.« »Warum reagiert er dann nicht? Glaubst du, daß er uns verraten will? Das wäre doch widersinnig. Ganzelpohn ist alles andere als ein Freund jener, die ihn mit dem Organ schiff verbunden und zu einer Galionsfigur gemacht haben.« »Vielleicht kann er nicht anders«, entgeg nete Atlan. Er ließ die Hände sinken, da er einsah, daß er von der Hauptleitzentrale aus nichts tun konnte. »Ich glaube, daß einige Galionsfiguren außerhalb der Schwarzen Galaxis so etwas wie Gedankenfreiheit er langen. Zu ihnen gehört Ganzelpohn. Inner halb der Schwarzen Galaxis aber müssen al le Galionsfiguren tun, was die Mächtigen dieser Galaxis wollen.« »Wenn es so ist, sind wir verloren.« Atlan beugte sich vor. Er sprach über Funk auf den Biten ein. Er drohte ihm. Er machte ihm Versprechungen und erreichte doch nichts. Ganzelpohn schwieg. »Wir hätten auch auf Pthor bleiben kön nen«, sagte Thalia resignierend. »Noch gebe ich nicht auf«, erwiderte At lan.
H. G. Francis »Was hast du vor?« fragte sie. »Ich werde versuchen, das Lebenserhal tungssystem Ganzelpohns zu verstellen«, er klärte er und erhob sich. »Mal sehen, ob er dann reagiert.« »Willst du ihn umbringen?« »Natürlich nicht. Das würde ich keines falls tun, obwohl es unter den gegebenen Umständen vielleicht die einzige Alternative für uns wäre.« Atlan ging auf das Ausgangsschott zu, als es vernehmlich klickte. Das Schott öffnete sich nicht. Er konnte die Zentrale nicht ver lassen. »Na schön«, sagte er, »dann wird eben ei ner der Dellos für mich tun, was getan wer den muß.« Er kehrte zum Schaltpult zurück und drückte eine Taste für den Interkom. Ein flackerndes Licht zeigte ihm an, daß der Interkom nicht funktionierte. Erneut wandte er sich an den Biten. »Du kannst uns nicht völlig einschließen«, sagte er beschwörend. »Wir werden Mittel und Wege finden, uns aus der Zentrale zu befrei en.« Ein seltsamer Laut ertönte. Atlan ver stummte. »Es hört sich an, als ob Ganzelpohn etwas sagen will«, bemerkte Thalia. »Als ob er um Hilfe rufen will.« Abermals ging ein Ruck durch das Raum schiff. Aus den Lautsprechern kam eine Reihe von Geräuschen, die Atlan und Thalia nicht identifizieren konnten, und die vom Transla tor der Zentrale nicht als Sprachinformatio nen aufgenommen wurden. »Er hat das Schiff nicht mehr unter Kon trolle«, sagte Atlan. Erneut wandte er sich an den Biten. Er rief: »Ganzelpohn – laß dir helfen. Du brauchst unsere Hilfe. Allein schaffst du es nicht.« Deutlich hörte der Arkonide die Atemge räusche des Biten, die nur hin und wieder von unbestimmbaren Lauten unterbrochen wurden. Er sprach weiter und redete auf den Biten ein. Er beschwor ihn, vernünftig zu
Die Schwarze Galaxis sein und das Hilfsangebot anzunehmen. Doch Ganzelpohn antwortete nicht. »Es geht mit ihm zu Ende«, sagte Thalia bedrückt. Der Arkonide flehte den Biten an, die Schotte zu öffnen. »Du bist verloren, wenn wir nicht eingrei fen«, rief er ihm zu. »Antworte endlich.« Ganzelpohn ging nicht auf die Worte des Arkoniden ein. In den Lautsprechern knack te es, und dann waren auch die Atemge räusche nicht mehr zu hören. »Da«, rief Thalia und zeigte auf eines der Instrumente, an dem eine violette Lichtkette aufleuchtete. »Was hat das zu bedeuten?« »Er setzt einen Funkspruch ab«, antworte te Atlan. »Er ruft um Hilfe.« Das Instrument zeigte eindeutig an, daß der Bite das Überlichtfunkgerät benutzte, verriet aber nichts über den Inhalt des Funk spruchs. Atlan zweifelte jedoch nicht daran, daß Ganzelpohn tat, was ihm seine Herren befohlen hatten. Er rief sie zu Hilfe, anstatt sich an jene zu wenden, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden. Bis zu diesem Augenblick hatte Atlan ge hofft, die GRIET doch noch auf den ge wünschten Kurs bringen zu können. Jetzt wußte er, daß das Organschiff ihn direkt in die Fänge seiner Feinde fliegen würde. »Machen wir uns nichts vor«, sagte er. »Wir haben verloren.« »Du gibst auf?« fragte sie. »Ich gebe auf. Meinen ursprünglichen Plan kann ich unter diesen Umständen nicht mehr verfolgen. Ich muß mir etwas Neues einfallen lassen.« »Ich glaube nicht, daß es noch etwas gibt, was du dir einfallen lassen kannst. Laß uns lieber überlegen, wie wir unsere Anwesen heit an Bord und das Verschwinden der ur sprünglichen Mannschaft erklären. Das wird schwer genug sein.« Atlan blickte auf die Bild und Ortungs schirme. Ein Objekt zeichnete sich darauf ab, das sich ihnen schnell näherte. Die GRIET verzögerte. Abermals schaltete er das Funkgerät ein,
9 um Verbindung mit Ganzelpohn aufzuneh men. »Dies ist deine und unsere letzte Chance«, sagte er eindringlich. »Ganzelpohn, du weißt, was aus dir wird, wenn du in die Hän de jener fällst, die dich bisher versklavt ha ben. Lehne dich gegen sie auf. Gib nicht nach. Du bist nicht nur der Lotse. Du bist mehr. Du bist das Schiff. Die GRIET ist eine Einheit, und du bist ihr Herr. Laß dir die Be fehlsgewalt über dich selbst nicht nehmen.« Ein Schrei hallte aus den Lautsprechern. Nach einer kurzen Pause folgte eine Reihe von unartikulierten Lauten, in denen sich die ganze Verzweiflung des Biten spiegelte. Er schüttert senkte Atlan den Kopf. Ganzel pohn war fest davon überzeugt gewesen, daß er selbst einen Flug ins Zentrum der Schwarzen Galaxis wagen konnte, ohne er neut versklavt zu werden. Offenbar war die Macht, die hier herrschte, jedoch weitaus stärker, als er sich vorgestellt hatte, oder ein technischer Schaden im Schiff war nun für die erneute Niederlage des Biten verantwort lich. Der Raumer begann zu torkeln und zu be ben. Immer deutlicher wurde, daß die Bord systeme nicht einwandfrei arbeiteten. Es ge lang Ganzelpohn nicht mehr, sie richtig zu koordinieren. Seine negativen Emotionen griffen auf das gesamte Schiff über. Das Triebwerk lief unregelmäßig. Die Bild und Ortungssysteme versagten in im mer kürzeren Abständen. Immerhin erkannte Atlan, daß sich ihnen ein Bergungsschiff nä herte. Es war eine metallene Plattform, die etwa vier Kilometer lang, und zwei Kilome ter breit war. An Bug und Heck befanden sich je ein Organschiff. Diese beiden Einhei ten waren mit der Plattform verkoppelt und lieferten die Triebwerke. Auf der Plattform standen drei Raumschiffe. Es waren Organ raumer wie die GRIET. Sie waren jedoch nicht birnenförmig. Eines glich einer Sichel, eines war oval, und das dritte war so bizarr geformt wie ein Posbi-Raumer. Eine klare Form war bei ihm nicht zu erkennen. Alle drei Raumschiffe wiesen äußerliche
10 Beschädigungen auf. Sie waren havariert. Bei dem sichelförmigen Schiff waren die beiden transparenten Kuppeln geplatzt, in denen sich die lebenden Galionsfiguren be funden hatten. Die beiden anderen Raum schiffe hatten nur eine Kuppel. In ihnen la gen fremdartige Gestalten. Einzelheiten konnte Atlan wegen der immer wieder aus fallenden Bildgeräte und wegen der Entfer nung nicht erkennen. Er wartete darauf, daß Ganzelpohn sich in letzter Sekunde doch noch gegen die Herr scher der Schwarzen Galaxis behaupten würde, das war jedoch nicht der Fall. Ob wohl der Bite schließlich völlig darauf ver zichtete, die GRIET zu lenken, so wie es sei ne Pflicht war,wurde er nicht frei. »Wir kommen nicht weg«, sagte der Ar konide. »Was tun wir, wenn wir auf der Plattform sind?« fragte Thalia. »Öffne das Schott, Ganzelpohn«, rief Atlan. »Öffne. Wir wollen die Zentrale verlassen, sobald wir gelandet sind.« Er hörte, wie es klickte. Das Schott glitt zur Seite. »Danke«, sagte er. »Das werde ich dir nievergessen.« »Was hast du vor?« fragte Thalia. »Wir werden aussteigen und sofort ver schwinden«, erwiderte der Arkonide. »Ich rechne mit einem Angriff der Plattformbe satzung. Vielleicht haben sie Kampfroboter, die sie uns auf den Hals schicken, oder sonst irgendeine Teufelei, mit der sie uns aus schalten, wenn wir abwarten.« Kleine Lotsenraumschiffe kamen unter der Plattform hervor und kreisten die GRIET ein. Atlan hörte, wie eine Sonde gegen das Organschiff schlug. Das Triebwerk ver stummte. Krächzende Laute kamen aus dem Laut sprecher. Ganzelpohn konzentrierte sich nun ganz darauf, Atlan etwas mitzuteilen. Der Arkonide legte den Finger an die Lippen, als Thalia etwas sagen wollte. »Ich … kann … nichts … tun. Helft … mir!« rief der Bite ihnen zu, wobei er die größte Mühe hatte, die Worte zu formulie ren. »Wir werden tun, was in unserer Macht
H. G. Francis steht«, versprach Atlan. »Du kannst dich auf uns verlassen. Auch wenn wir gleich von Bord gehen, bist du nicht vergessen, und un ser Kampf für dich geht weiter. Ich werde versuchen, die Plattform in meine Gewalt zu bringen. Wenn mir das gelingt, kann ich dir helfen.« Thalia blickte ihn an, als habe er den Ver stand verloren. Sie schwieg jedoch, weil sie nicht wollte, daß der Bite ihre Ansicht zu diesem Plan hörte. Sie hätte ihn nur entmuti gen können. Zusammen mit Atlan und einigen Dellos verließ sie die Hauptleitzentrale. Der Arko nide blieb am Schott stehen und sah zu den Bildgeräten hinüber. Deutlich war zu erken nen, wie sich die GRIET auf die Plattform senkte. »Beeilt euch«, rief er den Androiden zu. »Alle sollen zur Hauptschleuse kommen. Wir bleiben zusammen.« Einige Dellos liefen davon, um die ande ren zu holen. Atlan verzichtete bewußt dar auf, sie über Funk zu rufen, weil er befürch tete, daß die Besatzung der Lotsenschiffe mithörte. Wenige Minuten später war es soweit. Das Schiff kam zur Ruhe. Alle Dellos befan den sich in der Nähe der Schleuse. Alle tru gen Raumanzüge. »Helme schließen«, befahl der Arkonide. Sie gehorchten und stülpten die Falthelme nach vorn. Atlan überprüfte die Schutzanzü ge einiger Dellos, um sich davon zu über zeugen, daß sie keinen Fehler gemacht hat ten. Dann öffnete er das Innenschott der Schleuse. Diese war groß genug, Thalia, alle Dellos und ihn aufzunehmen. Atlan stand auf der Außenseite der Schleuse, Thalia kam zu ihm. Sie öffnete das Außenschott, nachdem sie mit einem Faustschlag die Schleusenbeleuchtung zer stört hatte. Die Plattform des Bergungsschiffs war leer. Der befürchtete Angriff blieb aus. Atlan lief los. Er stürmte auf einen Auf bau zu, der etwa fünfzig Meter von ihm ent fernt war. Die künstliche Schwerkraft auf
Die Schwarze Galaxis der Plattform war nur etwas höher als die auf Pthor, so daß er und seine Begleiter sich mühelos bewegen konnten. Als er den turmförmigen Aufbau erreicht hatte, drehte der Arkonide sich um und war tete, bis Thalia und alle Dellos bei ihm wa ren. Er deutete auf eine Tür. Niemand sprach. Atlan zögerte. Er fragte sich, wie der Hilferuf des Biten gelautet hatte. War darin auch die Rede von der Besatzung des Schiffs? Oder hatte Gan zelpohn nur technische Schwierigkeiten ge meldet? Verzichtete die Besatzung des Ber gungsschiffs auf einen Angriff, weil der Bite mittlerweile angezeigt hatte, daß die Besat zung die GRIET verlassen hatte? Atlan war sich dessen bewußt, daß er ins offene Feuer laufen konnte, als er die Tür öffnete. Licht flutete ihm entgegen. Er blick te in einen leeren Vorraum, der als Schleuse diente. Die Dellos drängten sich an ihm vorbei. Er betrat die Schleuse. Thalia schloß das Außenschott, Sie blickte den Arkoniden an. Beide wußten, daß sie in einer Falle saßen, aus der es kein Entkommen mehr gab, falls die Besatzung des Bergungsschiffs sie beob achtet hatte. Atlan öffnete das Innenschott und atmete auf. Vor ihm lag ein langer Gang, von dem zahlreiche Türen abzweigten. Jetzt endlich war klar, daß der Ausbruch aus der GRIET unbemerkt erfolgt war. Atlan blickte auf ein Analysegerät, das er aus der GRIET mitge nommen hatte. Es zeigte ihm an, daß im Schiff eine atembare Sauerstoffatmosphäre ohne giftige Beimengungen herrschte. Er öffnete den Raumhelm und atmete vorsich tig durch die Nase ein. Dann gab er den an deren das Zeichen, daß sie ihren Helm eben falls öffnen konnten. »Ich habe unterhalb der Plattform waben förmige Ausbuchtungen gesehen«, sagte Thalia und zeigte nach unten. »Ich vermute, daß dort unten die Quartiere für die Besat zung und die Mannschaften der geborgenen Schiffe sind. Hier oben sind wahrscheinlich
11 die Reparatureinrichtungen. Oder?« Sie blickte Atlan fragend an, da sie wußte, daß er von diesen Dingen erheblich mehr verstand als sie. Er nickte. »Wenn wir so etwas wie einen Lift fin den, fahren wir nach unten«, antwortete er. »Zunächst aber achten wir darauf, daß wir nicht getrennt werden.« Er betrat den Gang und bemerkte nach et wa zwanzig Metern, daß er einer optischen Täuschung erlegen war. Der Gang war viel kürzer, als er geglaubt hatte. Er weitete sich zu einem kreisförmigen Raum aus. Da Atlan keine Tür sah, wollte er sich umdrehen und in den Gang zurückkehren. Doch plötzlich spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen erzitterte. »Schnell«, sagte er. »Ich glaube, dies ist ein Lift.« Thalia und die Dellos kamen zu ihm, und plötzlich senkte sich der Boden ab. Atlan schätzte, daß die Plattform etwa zweihundert Meter hoch war. Wenn die Ver mutung Thalias richtig war, mußte der Schacht entsprechend tief sein. Die Dellos wurden unruhig, als die Bo denplatte etwa fünf Meter weit nach unten geglitten war. Sie blickten nach oben. Der Schacht schien sich über ihnen zu verengen. »Es geht noch weiter«, sagte Atlan. Thalia hielt erschrocken den Atem an, als sich plötzlich über ihnen eine Platte in den Schacht schob und ihn verschloß. Sie klam merte sich an den Arkonide. »Was hat das zu bedeuten?« fragte sie. »Keine Sorge«, erwiderte er. »Das ist eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, daß die Plattform oben irgendwo aufgerissen wird. Damit verhindert man, daß Luft entweicht. Außerdem verbessert man die statischen Be dingungen dadurch, daß man den Schacht verriegelt. Das wird noch einige Male ge schehen.« Er behielt recht. Die Platte sank etwa zweihundert Meter in die Tiefe, und der Schacht wurde noch zweimal durch eine Platte verschlossen. Dann endlich endete die Fahrt. Eine Tür öff
12 nete sich. Atlan blickte in einen wabenför migen Raum. Etwa fünfzig Meter von ihm entfernt kauerte ein spinnenförmiges Wesen auf einer Art Diwan. Gurte, die sich um eini ge der Beine spannten, und ein helmähnli ches Gebilde über den zwölf Facettenaugen zeigten an, daß man es nicht mit einem Tier, sondern mit einem intelligenten Wesen zu tun hatte. Es richtete sich ein wenig auf, als Atlan eintrat, sank aber sogleich wieder auf die Liege, als habe es jegliches Interesse an den Ankömmlingen verloren. Atlan ging zu dem Spinnenwesen. Grü ßend hob er eine Hand. Er wollte etwas sagen, doch sein Gegen über erhob sich, gab einige Zischlaute von sich, drehte sich um und eilte davon. »Das war deutlich«, sagte Thalia. »Man legt keinen Wert auf Unterhaltung.« Atlan wandte sich um. Etwas fiel auf ihn herab. Er spürte, daß sich ihm etwas in den Hinterkopf bohrte. Dann wurde es dunkel um ihn. Er stürzte zu Boden. Im Fallen sah er, daß auch Thalia und die Dellos zusam menbrachen, und er glaubte, ein schrilles Gelächter zu hören. Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als er wieder zu sich kam. Im Raum schien sich nichts verändert zu haben. Seine Hand glitt zur Hüfte. Sie stieß ins Leere. Die Waffe war nicht mehr da. Beunruhigt richte te er sich auf. Jemand hüstelte hinter ihm. Er fuhr herum. Thalia hockte auf dem Boden. Sie hatte die Arme um die angezogenen Beine gelegt. Ihre Augen waren klar. Offen sichtlich war sie bereits seit längerer Zeit bei vollem Bewußtsein. Die Dellos begannen erst jetzt, sich zu regen. »Man hat uns alles abgenommen, was als Waffe eingesetzt werden kann. Zum Glück nicht auch die Raumanzüge und dir nicht das Goldene Vlies.« Atlan strich sich mit dem Handrücken über die Lippen. »Und wir haben uns eingebildet, daß wir unbeobachtet sind«, sagte er. »Wir wurden die ganze Zeit überwacht. Man hat uns dort hin geführt, wo man uns haben wollte, und dann ging der Vorhang runter.«
H. G. Francis »Was machen wir jetzt? Warten wir ab, was geschieht?« Sie lächelte. »Oder willst du das Schiff nach wie vor erobern?« Auch Atlan lächelte. Er war nicht so skep tisch wie sie. »Ich gebe nicht auf«, erklärte er. »Warum wartest du nicht einfach ab, bis wir am Ziel sind?« »Weil es dann zu spät sein könnte.« Er blickte ihr forschend in die Augen. »Oder willst du so lange warten, bis man dich zu einer Galionsfigur macht? Möchtest du so werden wie Ganzelpohn?« Sie wurde blaß. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, entgegnete sie. »Glaubst du wirklich, daß man so etwas mit uns machen könnte?« »Warum nicht? Uns unterscheidet nichts von anderen Intelligenzen. Bis jetzt kann niemand sagen, wie die Herrscher der Schwarzen Galaxis aussehen. Du meinst, wir könnten ihnen nicht exotisch genug sein? Und was ist, wenn sie so fremdartig sind, daß wir sie kaum als Lebewesen erken nen? Dann müssen wir ihnen fraglos noch fremdartiger erscheinen.« Sie senkte den Kopf. Atlan sah, daß ihre Unterlippe zitterte. Er erkannte, daß sie sich bis zu diesem Moment tatsächlich nicht hat te vorstellen können, daß man sie zu einer Galionsfigur mißbrauchen könnte. »Du hast recht«, sagte sie, nachdem sie einige Zeit nachgedacht hatte. »Wir müssen kämpfen.« »Die Schiffsbesatzung hat uns entwaff net«, stellte der Arkonide fest. »Daher kön nen wir davon ausgehen, daß man uns jetzt als ungefährlich einstuft. Wahrscheinlich be obachtet man uns gar nicht mehr. Darin liegt unsere Chance.« »Ich glaube nicht, daß wir die einzigen Schiffbrüchigen sind«, bemerkte die Tochter Odins. »Irgendwo müssen die Besatzungen der anderen Schiffe sein. Vielleicht können wir mit ihnen Verbindung aufnehmen und gemeinsam gegen die Besatzung des Ten ders vorgehen.« »Die anderen Besatzungen haben keinen
Die Schwarze Galaxis Grund, sich aufzulehnen. Man hilft ihnen, so wie sie es verlangt haben. Sie werden nichts für uns tun, sondern uns vermutlich in den Rücken fallen.« Er erhob sich und sah sich im Raum um. Sie befanden sich in einem Teil des Schif fes, der offenbar der Unterhaltung und der Verpflegung der Besatzungen diente. Die Tische, Sitzgelegenheiten, Schränke und Bildschirme ließen darauf schließen. Der Raum war in mehrere Wohninseln aufge teilt, die auf die körperlichen Besonderhei ten fremdartiger Lebewesen ausgerichtet waren. Sie waren allein. Atlan deutete auf die Tür, durch die das Spinnenwesen verschwunden war. »Wir gehen dort entlang«, entschied er. Als er die Tür öffnete, blickte er in einen Raum, von dessen Boden sich zahlreiche Kuppeln erhoben. Sie waren transparent und gerade so groß, daß ein Spinnenwesen darin Platz hatte. Atlan schätzte, daß etwa vierzig Kuppeln vorhanden waren. Bis auf einige wenige waren alle besetzt. »Sie schlafen«, sagte Thalia. »Aber nicht alle.« Im Hintergrund des Raumes hielten sich fünf Spinnenwesen auf. Sie standen dicht beieinander. Ihre Fühler bewegten sich hef tig. »Sie reden miteinander«, vermutete Tha lia. Plötzlich fuhren die Spinnenwesen herum. Sie rannten einige Meter weit auf Atlan zu, verharrten dann aber auf der Stelle. Dabei gaben sie ein drohendes Zischen von sich. Der Arkonide hob beschwichtigend eine Hand. »Wir lassen euch sofort in Ruhe«, sagte er. »Sobald wir ein paar Auskünfte haben, verschwinden wir.« Die Spinnen verstanden ihn nicht. Sie griffen an. Erschrocken wich Atlan zurück. Die Del los hinter ihm schrien entsetzt auf. Keiner von ihnen war darauf vorbereitet, mit derart monströsen Wesen zu kämpfen. Atlan sah, daß sich unter dem dichten Haarkleid der
13 Spinnen Greifzangen hervorschoben. Sie machten einen gefährlichen Eindruck. Thalia griff nach einem Stuhl, der in der Nähe stand, wirbelte ihn um den Kopf und schleuderte ihn auf ein Spinnenwesen. Die ses versuchte vergeblich, ihm auszuweichen. Ein Stuhlbein zerschmetterte den dünnen Chitinpanzer und drang tief in den Körper ein. Das Spinnenwesen brach zusammen. Zuckend streckte es die sechs Beine von sich. Die anderen ließen sich nicht ab schrecken. Ihre Wut steigerte sich noch. Atlan, der nicht weiter zurückweichen konnte, weil die Dellos ihm den Weg ver sperrten, riß einen Tisch hoch und hielt die Tischplatte schützend vor sich. Krachend prallte ein Spinnenwesen dagegen. Die Greifzangen packten den Tisch und preßten ihn zusammen. Das Kunststoffmaterial ver bog sich und zersplitterte. Der Mittelfuß des Tisches fiel auf den Boden. Atlan nahm ihn gedankenschnell auf und hieb mit ihm auf das Spinnenwesen ein. Dabei versuchte er, den Schlag so zu dosieren, daß er es betäub te, nicht aber verletzte. Doch er verschätzte sich. Sein Gegner war zu empfindlich. Er brach sterbend zusammen. Thalia und die Dellos hatten mittlerweile die anderen drei Angreifer zurückgeschla gen, indem sie mit Stühlen gegen die Beine der Spinnen schlugen. Diese reagierten dar auf mit panikartiger Flucht. Doch jetzt hoben sich die Kuppeln über den schlafenden anderen. Ein schriller Pfiff ertönte. Überall krochen Spinnenwesen aus den Schlafkabinen. »Zurück«, rief Atlan. »Hier kommen wir nicht weiter.« Er drängte Thalia und die Dellos in den Unterhaltungsraum zurück und schloß die Tür hinter sich. Er bemerkte ein elektroni sches Schaltelement neben der Tür, zer schlug es mit einem Stuhlbein und blockier te die Tür damit. Er eilte zu einem anderen Schott und öff nete es. Vor ihm schwebte ein weißes, durchschei
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nendes Wesen. Es war etwa zwei Meter hoch und schien aus einem unendlich feinen Stoff zu bestehen, der so leicht war, daß er vom leisesten Luftzug bewegt wurde. Das Wesen glich einem aufrecht schwebenden Schlauch, der einen Durchmesser von etwa fünfzig Zentimetern hatte. Gliedmaßen schi en es nicht zu haben, doch bildeten sich hier und da Schleier an der Außenseite, mit de nen es träge wedelte. Atlan vermutete, daß es auf diese Weise den schwebenden Körper stabilisierte. Das schlauchartige Wesen endete oben in einem gewölbten Kopf, in dem der Arkonide ein kompliziertes Gespinst zu erkennen glaubte. Zwei schwarze Gebilde schienen die Wahrnehmungsorgane in sich zu bergen. »Ich habe euren Kampf beobachtet«, er klärte das Wesen in einwandfreiem Pthora. »Er hat mir gefallen.«
3. Atlan war wie elektrisiert. Auf eine derar tige Begegnung hatte er gewartet. Er brauch te die Hilfe eines Wesens, das sich an Bord auskannte, und mit dem er sich verständigen konnte. Er war keineswegs überrascht, daß das Schleierwesen Pthora sprach. Pthor war aus der Schwarzen Galaxis gekommen. Pthora war also eine Sprache, die ihren Ur sprung in dieser Galaxis hatte. Daher hatte er damit gerechnet, früher oder später je manden zu treffen, der diese Sprache be herrschte. Da Atlan nicht wußte, wie er den Frem den einstufen sollte, wartete er ab. »Ich habe lange darauf, gewartet, daß je mand kommen würde, der den Kampf auf nimmt«, fuhr das seltsame Wesen fort. Es schwebte leise zischend näher. Atlan sah, daß sich in dem feinen Körpergespinst zahl reiche Öffnungen befanden. Durch diese sog der Fremde Luft an, die er an der Unterseite wieder ausströmen ließ. Auf diese Weise schwebte er. »Ich bin Fleuvv«, stellte sich das Gespinst vor. »Werdet ihr mir helfen?«
Atlan blickte zur Tür, hinter der er die Spinnenwesen wußte. Er befürchtete, von dort aus angegriffen zu werden. Doch die Tür öffnete sich nicht. Der Arkonide fühlte sich dadurch keineswegs beruhigt. Er schloß nicht aus, daß die Spinnen, die sich an Bord besser auskannten als er, aus einer anderen Richtung über sie herfallen würden. Er nannte seinen Namen und den seiner Begleiterin. »Gehörst du zur Schiffsbesatzung?« frag te er dann. »Oder bist du ein Schiffbrüchi ger?« »Weder noch«, antwortete Fleuvv. Die dunklen Gebilde in seinem oberen Körper teil drängten sich nach vorn. Es schien, als wolle das Wesen Atlan genau betrachten. »Bis jetzt weiß niemand außer euch, daß ich an Bord bin. Ich bin auf der Suche nach dem Zweierwesen, das man zu den Verlorenen zählt, weil ich nicht bereit bin, es aufzuge ben.« Thalia und Atlan blickten sich flüchtig an. Sie wußten mit diesen Worten nichts anzu fangen. Immerhin begriffen sie, daß sie es mit einem Verbündeten zu tun hatten. »Was ist das Zweierwesen?« fragte der Arkonide. Fleuvv verfärbte sich. Das Gespinst nahm einen grünlichen Ton an, der sich jedoch rasch wieder verflüchtigte. »Es ziemt sich nicht, darüber zu spre chen«, erwiderte er. »Verzeih«, bat Atlan. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Wir helfen dir. Kennst du dich an Bord aus? Kannst du uns zur Zentra le führen?« »Das hatte ich vor. Ich selbst wäre längst dorthin geflogen, wenn das sinnvoll gewe sen wäre. Erst durch euch habe ich Aussicht auf Erfolg.« »Was wird durch uns anders?« fragte Thalia. »Bist du in Gefahr? Man weiß nicht, daß du an Bord bist. Du kannst dich lautlos bewegen und dadurch viel erreichen, was uns unmöglich ist.« »Ich bin schwach«, antwortete Fleuvv mit schwankender Stimme. »Dies ist ein Raum
Die Schwarze Galaxis schiff der Barbaren. Alles ist auf sie ausge richtet. Ich schaffe es gerade noch, eine Tür zu öffnen, weil es dafür genügt, den Sensor zu berühren. In der Zentrale kann ich jedoch nichts tun. Ich wäre nicht in der Lage, auch nur einen Hebel zu bewegen oder eine Taste zu drücken. Die dafür notwendige Kraft fehlt mir. Ihr habt sie.« »Dann willst du den Kurs des Schiffes verändern«, stellte Atlan fest. »Das setzt voraus, daß du weißt, wohin wir fliegen. Willst du es uns nicht sagen?« »Das Ziel ist der Planet der verlorenen Hoffnung«, erwiderte Fleuvv zögernd. »Ich kann nicht verhindern, daß das Bergungs schiff dorthin fliegt, aber ich kann vielleicht erreichen, daß es dort landet, wo das Zwei erwesen ist.« »Planet der verlorenen Hoffnung«, sagte Atlan nachdenklich. »Du kennst diese Welt?« »Ich habe von ihr gehört. Auf ihr schließt sich der Kreis. Er ist das Ende. Er ist der Anfang.« »Das verstehe ich nicht«, entgegnete der Arkonide verwirrt. »Kannst du dich nicht ein wenig deutlicher ausdrücken? Was ist los mit diesem Planeten? Wieso ist er zu gleich das Ende und der Anfang?« »Es ziemt sich nicht, darüber zu sprechen. Ich habe schon viel zu viel gesagt.« Wieder um verfärbte sich Fleuvv, und die beiden Wahrnehmungsorgane zogen sich tief in das Körpergespinst zurück. »Entschuldige«, sagte Atlan. »Immerhin bist du es gewesen, der zuerst über die Welt gesprochen hat. Bei uns gilt es als unhöflich, seinem Gesprächspartner einige unverständ liche Informationen zu geben und ihn dann damit allein zu lassen.« Fleuvv schwebte einige Meter weit von Atlan weg. »Das unterscheidet uns eben voneinan der«, flüsterte er, so daß der Arkonide ihn kaum noch verstehen konnte. »Ich vermute, wir werden rechtzeitig er kennen, um was es geht«, versetzte Atlan, der befürchtete, daß Fleuvv sich ganz zu
15 rückziehen würde. »Sprechen wir also nicht mehr vom Planeten der verlorenen Hoff nung. Warten wir ab, bis wir dort sind. Du meinst also, daß wir den Kurs dieses Schif fes nicht grundlegend ändern können?« »Das ist unmöglich«, erwiderte das Ge spinst. »Dieses Schiff hat noch niemals ein anderes Ziel gehabt. Seine Aufgabe ist es, Raumschiffe aufzunehmen, die in Not gera ten sind, und zum Planeten der verlorenen Hoffnung zu bringen.« »Dann ist das Zweierwesen also in Raum not gewesen«, stellte Thalia fest. Fleuvv ver färbte sich. »Es ziemt sich nicht, über Offen sichtliches zu sprechen«, erwiderte er ver stört. »Wir sollten nicht noch mehr Zeit ver lieren«, bemerkte Atlan. Er fühlte, daß Tha lia sich über Fleuvv ärgerte, und er wollte einer schroffen Antwort zuvorkommen. »Ich schlage vor, daß du uns zeigst, wie wir zur Zentrale kommen. Wo finden wir Waffen? Wie groß ist die Besatzung dieses Schiffes? Wo sind die Besatzungen der geborgenen Schiffe? Müssen wir damit rechnen, daß sie eingreifen?« »Sie befinden sich in den Wohnwaben. Von ihnen geht keine Gefahr aus, wenn ihr nicht direkt mit ihnen zusammenprallt, so wie eben mit den Spinnenwesen, braucht ihr sie nicht zu fürchten.« Fleuvv bildete Schleier, die er seitlich ab spreizte. Es sah aus, als ob er die Arme aus breitete. Er schwebte davon, ohne sich um zudrehen. Er schien nach allen Seiten gleichmäßig gut sehen zu können. Atlan, Thalia und die Dellos folgten ihm. »Hoffentlich kennt er sich wirklich gut aus«, raunte Thalia dem Arkoniden zu. »Wir sind schon einmal überrumpelt worden.« Ihre Befürchtungen erwiesen sich als nicht berechtigt. Fleuvv führte sie durch das Schiff, ohne daß es zu einem Zwischenfall kam. Es schien, als sei der Raumer unbe setzt. Atlan und seine Begleiter eilten durch endlos erscheinende Gänge, durchquerten einen Hangar, in dem bizarr geformte Robo ter an einem kleinen Organschiff arbeiteten, dessen Bugkanzel ohne Galionsfigur war,
16 und schwebten in einem Schacht nach oben, durch den Reparaturteile in den Raumer ge bracht wurden, sobald er auf dem Werftge lände gelandet war. Fleuvv gefiel sich darin, Atlan hin und wieder einige Schiffseinrich tungen zu erklären. Der Arkonide ließ ihn gewähren. Er verzichtete auf Fragen zur Technik des Schiffes, nachdem das Gespinst ihm eröffnet hatte, so etwas sei »unziemlich«. Schließlich verharrte Fleuvv an einem ro ten Schott. »Wir müssen nach oben«, erläuterte er. »Es ist nicht weit. Danach müssen wir nach draußen. Nur so ist die Zentrale zu errei chen.« Atlan öffnete das Schott. Dahinter lag ei ne runde Liftkabine, die groß genug für sie alle war. In ihr glitten sie etwa zwanzig Me ter weit nach oben. Der Fahrstuhl verharrte vor einem Schott, das mit einem Hebel ver sehen war. »Das ist das Problem«, erklärte Fleuvv. »Ich kann den Hebel nicht bewegen.« Er bildete einen Schleier und drückte ihn gegen den Hebel, um seine Machtlosigkeit zu demonstrieren. Atlan legte seine Hand an den Hebel. »Raumhelme schließen«, befahl er. »Unser Freund hat gesagt, daß wir nach draußen müssen.« »Das ist richtig«, bestätigte Fleuvv. Thalia und die Dellos stülpten die Helme über den Kopf. Atlan öffnete das Schott. Lautlos glitt es zur Seite und gab den Weg in eine Schleuse frei. »Ich kann nicht mehr sprechen«, erläuter te Fleuvv, »wenn wir draußen sind. Folgt mir. Ihr werdet dann wissen, was ihr zu tun habt.« Damit gab er zu verstehen, daß er sich oh ne Schutzanzug im freien Raum aufhalten konnte. Atlan schloß die Schleuse und ent riegelte das Außenschott. Fleuvv drängte sich an ihn, um von der entweichenden Luft nicht fortgerissen zu werden. Als die Weltraumkälte ihn erreichte, ver wandelte er sich. Er stürzte in sich zusam-
H. G. Francis men. Sein Körper kristallisierte, und er sah aus wie ein faustgroßer Schneeball. Er schimmerte und glitzerte, als berge er zahl lose Diamanten in sich. Lautlos rollte er aus der Schleuse. Atlan folgte ihm. Vor ihm lag eine freie Fläche, die einen Durchmesser von etwa neunzig Metern hat te. Sie endete an der Schiffseinheit, die am vorderen Ende der Bergungsplattform saß, und von der aus das Raumschiff gelenkt wurde. Einige Leuchtplatten auf dem Boden der Platte und an den aufsteigenden Wänden der Einheit bildeten ausreichende Orientie rungspunkte. Sterne waren nicht zu sehen. Atlan hatte das Gefühl, durch einen absolut dunklen Raum zu fliegen. Dabei verriet ihm lediglich ein leichtes Vibrieren des Schiffes, daß die ses sich überhaupt bewegte. Er trat auf die Plattform hinaus, auf der eine Gravitation von etwas mehr als 1 g herrschte. Jetzt entdeckte er einige schwachleuch tende Sterne. Die Schwarze Galaxis konnte er nicht sehen. Er vermutete, daß sie direkt vor dem Bergungsschiff lag und durch die Führungseinheit verdeckt wurde. Als er eini ge Schritte weit gegangen war, sah er einen rot leuchtenden Planeten, der in überra schend geringer Entfernung vorbeizog. Er erkannte, daß sich das Bergungsschiff mit außerordentlich hoher Geschwindigkeit be wegte. Das ungewöhnliche Manöver des Raum schiffs überzeugte ihn davon, daß sie sich bereits im Zielsystem befanden. Er be schleunigte seine Schritte. Als er die Füh rungseinheit erreichte, hatte er Fleuvv einge holt. Dieser verharrte an einem Schleusen schott, und wiederum wurde deutlich, wa rum er allein nichts hatte tun können. Der Öffnungskontakt lag in einer Höhe von etwa anderthalb Metern. Fleuvv konnte ihn un möglich erreichen. Atlan wartete, bis Thalia und alle Dellos bei ihm waren: Mit einem Handzeichen gab er ihnen zu verstehen, daß sie weiterhin schweigen sollten. Dann öffnete er die
Die Schwarze Galaxis Schleuse. Sie war so klein, daß sie nur etwa die Hälfte der Gruppe aufnehmen konnte. Atlan entschied sich dafür, sich mit fünfzehn Del los und Fleuvv einzuschleusen, und Thalia die zweite Gruppe zu überlassen. So gut ihm der Dello Fälser bisher gefallen hatte, wagte er es doch nicht, ihm die Verantwortung zu überlassen. Thalia gab ihm zu verstehen, daß sie ein verstanden war. Atlan betrat die Schleuse zusammen mit den Dellos und dem Schleierwesen und schloß sie hinter sich. Fleuvv schien sich in Dampf aufzulösen, als sich die Schleusen kammer erwärmte und frische Luft ein strömte. Aus dem schneeballähnlichen Ge bilde stieg ein Nebelschleier auf, aus dem sich das Gespinst formte, aus dem Fleuvv vorher bestanden hatte. »Es ist alles in Ordnung«, verkündete das Schleierwesen. »Wir werden gewinnen. So weit bin ich noch nie gekommen. Jetzt wer de ich mein Ziel erreichen. Bald landen wir auf Enderleins Tiegel.« Er schwebte aus der Schleusenkammer. Atlan folgte ihm. »Moment mal«, sagte er verblüfft. »Ich denke, wir fliegen zum Planeten der verlore nen Hoffnung. Wieso sprichst du jetzt von Enderleins Tiegel?« »Verzeih«, bat Fleuvv, während Atlan das innere Schleusenschott schloß, so daß Thalia mit der zweiten Gruppe folgen konnte. »Ich habe versäumt, dich darauf aufmerksam zu machen, daß die Bezeichnung Planet der verlorenen Hoffnung eine Wortschöpfung meines Volkes ist, während man sonst nur von Enderleins Tiegel spricht. Diese Be zeichnung ist uns zu unmoralisch.« »Das mußt du schon etwas näher erklä ren.« »Tut mir leid. Das ziemt sich nicht.« Atlan preßte die Lippen zusammen. Seine Augen begannen vor Erregung zu tränen. Wieder einmal weckte Fleuvv mit Andeu tungen sein Interesse, weigerte sich dann je doch, weitere Informationen zu geben.
17 Der Arkonide beherrschte sich nur müh sam. Angesichts der Situation, in der er sich fand, konnte er sich keine Auseinanderset zung mit Fleuvv leisten. Sie standen in einem Beiboothangar, in dem ein eiförmiges Raumschiff parkte. Es war etwa zwanzig Meter lang und acht Me ter hoch. An seiner Seite klaffte ein fast fünf Meter langes Loch. »Ich habe gehört, daß eines der Spinnen wesen erwähnte, Waffen seien eingesam melt und an Bord dieses Schiffes gebracht worden«, erklärte Fleuvv. »Du solltest dich darin umsehen.« »Das werde ich tun«, erwiderte Atlan. Er ging zu dem Beiboot. Mühelos öffnete er die Mannschleuse. Dazu brauchte er nur einen Hebel zu entsichern und umzulegen. Das Innenschott war offen. Das Raumschiff war für Wesen gebaut, die kleiner waren als er. Daher mußte er sich bücken, um sich im Schiff bewegen zu kön nen. Er fand sich leicht zurecht. Ein kurzer Gang führte in die Zentrale. Hinter dieser befand sich ein Lagerraum, in dem mehrere Kisten standen. Als Atlan sie öffnete, sah er stabförmige Waffen. Eine davon nahm er auf und um spannte den Griff. Er war etwas zu klein für seine Hand, jedoch groß genug, so daß er die Waffe halten konnte. Er zog eine Kiste hin ter sich her bis zur Schleuse. »Bedient euch«, sagte er zu den Dellos. »Damit können wir vermutlich etwas anfan gen.« Er richtete die Waffe auf den Hinter grund des Hangars, feuerte sie jedoch nicht ab. »Wo ist Thalia?« fragte er. »Sie ist noch nicht gekommen«, antworte te Fleuvv. Atlan erschrak. Thalia hätte längst im Hangar sein müssen. Er war mehrere Mi nuten lang im Beiboot gewesen. Er eilte zur Schleuse und öffnete sie. Ungeduldig warte te er darauf, daß sich das Innenschott schloß, damit er das Außenschott zurückfahren konnte. Als es endlich zur Seite glitt, hob er die Waffe. Doch vor der Schleuse befand sich nie mand, der ihn bedrohte. Auch Thalia und die
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fünfzehn Dellos waren nicht da. Die Platt form lag leer und dunkel vor ihm, als habe sich nie jemand auf ihr aufgehalten. Er verließ die Schleuse in der Hoffnung, dann etwas von Thalia zu sehen, doch er wurde enttäuscht. Er überlegte kurz und kehrte in die Schleuse zurück.
* Die Dellos schwiegen bestürzt, als er be richtet hatte, was geschehen war. »Was wirst du tun?« fragte Fleuvv. »Nichts«, erwiderte der Arkonide. »Du willst den anderen nicht helfen? Du willst sie im Stich lassen?« »Ich werde ihnen helfen. Auf meine Wei se.« »Du mußt nach ihnen suchen.« »Das werde ich nicht tun. Wir gehen wei ter. Wie kommen wir zur Zentrale?« »Das ist ein unziemliches Verhalten«, protestierte Fleuvv. Er verfärbte sich vor Er regung dunkelgrün. »Vermutlich wartet man nur darauf, daß wir hinter Thalia und den anderen herlaufen. Wenn wir das tun, sitzen wir in der Falle, bevor wir recht wissen, was geschieht. Wir gehen weiter zur Zentrale. Haben wir sie in der Hand, ist es leicht, die anderen zu befrei en.« »Unziemlich ist es trotzdem, wenngleich es klüger zu sein scheint.« »Verzeih mir, aber dann bin ich lieber un ziemlich.« »Ich muß es akzeptieren, obgleich es mir nicht gefällt.« Fleuvv drehte sich einmal um sich selbst und glitt zischend davon. Atlan wandte sich ab und löste die Waffe aus, um sie kennen zulernen. Ein nadelfeiner, blauer Energie strahl schoß aus dem Projektor, schlug ge gen die Bordwand des Beiboots und riß ein faustgroßes Loch in die Wandung. »Damit können wir tatsächlich etwas an fangen«, sagte der Arkonide zufrieden und folgte dem Schleierwesen, das mittlerweile
eine Tür erreicht hatte. Hier wartete es zu sammen mit den Dellos. Diese hatten sich mittlerweile bewaffnet. »Wir schießen nur, wenn es gar nicht mehr anders geht«, sagte Atlan. Die Tür glitt auf. Atlan blickte in einen etwa zwei Meter breiten Gang. Einige Meter von ihm entfernt stand ein Vogelwesen. Es war kleiner als er, hatte ein dichtes, blaues Gefieder, gelbe Beine und einen leuchtend roten Hautkamm. Das Wesen ging aufrecht. Es wirkte schlank und zerbrechlich. Aus dem Gefieder ragten dünne, gelbe Arme hervor, die in feingliedri gen Händen mit vielen Fingern ausliefen. Aus großen Augen musterte das Wesen Atlan, während es vor ihm zurückwich. Er betrat den Gang. »Komm, Fleuvv«, befahl er. »Wenn du mit ihm reden kannst, dann tu das.« »Und was soll ich ihm sagen?« »Zum Beispiel, daß es uns zur Zentrale führen soll, und daß wir das Schiff überneh men.« Das Vogelwesen fuhr kreischend herum und flüchtete. »Haltet es auf«, rief Atlan den Dellos zu. Diese eilten hinter dem Fliehenden her, erreichten ihn jedoch nicht, weil plötzlich ein Schott den Gang verschloß. »Zurück«, rief der Arkonide. Er wartete ungeduldig, bis die Androiden bei ihm wa ren, dann feuerte er seine Waffe auf das Schott ab. Der blaue Energiestrahl bohrte sich in das Metall, und jetzt sah Atlan, daß er eine Implosion bewirkte. Das Material des Schottes stürzte in sich zusammen, so daß nur noch Staub blieb. Ein faustgroßes Loch bildete sich in der Tür. Der Arkonide löste die Waffe noch dreimal aus. Dann riß er das Schott zur Seite, bis sich ein genü gend großer Spalt bildete. Er schlüpfte hin durch und erreichte nach wenigen Schritten einen quadratischen Raum. Ein mehrere Me ter breites Schott öffnete sich, und Atlan sah sich zwölf Vogelwesen gegenüber, die alle Waffen in den Händen hielten. Sie zielten auf ihn, während er auf sie zielte.
Die Schwarze Galaxis Die Dellos, die sich zu ihm gesellten, richteten ihre Waffen ebenfalls auf sie. Fleuvv schwebte zischend an Atlan vor bei. Er bildete Seitenschleier, mit denen er kräftig wedelte. »Jetzt könnt ihr euch gegenseitig töten«, verkündete er. »Beide Seiten haben die glei chen Vor- und Nachteile. Keiner kann ge winnen, beide können nur verlieren. Eine unziemliche Situation für Intelligenzwesen.« Eines der Vogelwesen antwortete ihm in einer Sprache, die Atlan nicht verstand. Der Arkonide ließ die Waffe sinken und ging auf die vogelähnlichen Wesen zu. Er war über zeugt davon, daß sie nicht schießen würden. Doch dann blitzte es in der Hand eines der Wesen auf. Ein blaßblauer Energiestrahl ra ste auf ihn zu.
* Thalia zuckte zusammen, als sich ihr eine Hand auf die Schulter legte. Sie fuhr herum und blickte einem Dello in die geweiteten Augen. Sie sah, was ihn so erschreckt hatte. Eine unübersehbare Zahl von Spinnenwe sen kam aus verborgenen Aufgängen und Türen hervor. Sie drängten aus Schleusen, die so versteckt angelegt waren, daß Thalia sie nicht bemerkt hatte, obwohl sie unmittel bar daran vorbeigegangen war. Sie preßte ihre Hand gegen die Kontakt scheibe der Schleuse und versuchte, das Schott zu öffnen. Es gelang ihr nicht, weil Atlan mit seiner Gruppe die Druckkammer noch nicht verlassen hatte. »Also gut«, sagte sie. »Dann sollen sie den Kampf haben.« Sie vergaß, daß keiner der Dellos sie hö ren konnte, weil sie das Helmfunkgerät nicht eingeschaltet hatte. Sie stürmte auf die Spin nenwesen zu, die unförmige Raumanzüge trugen, in denen sie sich kaum bewegen konnten. Sie war davon überzeugt, daß sie gegen die zahlenmäßig überlegenen Gegner einen Sieg davontragen würde. Sie warf sich auf das erste Spinnenwesen,
19 wobei sie geschickt einem zustoßenden Bein aus dem Wege ging. Sie sprang auf den Spinnenkörper und versuchte, das Atemge rät zu erreichen. Sie wollte es abschalten oder zerstören. Es gelang ihr nicht. Ein zweites Spinnenwesen kam hinzu und griff sie an. Es stieß sie von ihrem Gegner herunter. Sie stürzte zu Boden. Mehrere Spinnenbeine umschlangen sie, bevor sie sich aufrichten konnte. Zornig schlug sie um sich, und es gelang ihr, sich zu befreien. Dabei sah sie, daß die Dellos ebenfalls kämpften. Die meisten von ihnen unterlagen jedoch schon beim ersten Ansturm. Die Spinnen entwickelten eine verblüffende Kampftechnik. Sie richteten sich auf den Hinterbeinen auf und ließen sich von den Angreifern unterlaufen. Sobald sie sie unter sich hatten, umschlangen sie sie mit allen Beinen und hielten sie fest. Das ge nügte. Thalia kämpfte mit wilder Entschlossen heit. Sie erkannte, daß sie unterliegen wür de, wollte jedoch nicht freiwillig aufgeben. Sie schlug auf ihren Gegner ein, schmet terte eines der Beine zur Seite, und sprang dann erneut auf den Rücken des Spinnenwe sens. Dieses Mal gelang es ihr, das Atemge rät aus seiner Verankerung zu reißen. Sie schleuderte es zur Seite. Mehrere Spinnen griffen sie gleichzeitig an und zerrten sie von ihrem besiegten Geg ner weg. Im gleichen Moment begriff sie, daß sie einen schweren Fehler begangen hat te. Sie ließ sich widerstandslos abtranspor tieren, zumal sie sah, daß alle Dellos unter legen waren. Der Kampf war sinnlos gewe sen, da sie zu keiner Zeit eine echte Chance gehabt hatte, ihn zu gewinnen.
4. Atlan wollte dem Energiestrahl auswei chen, doch dafür war er viel zu langsam. Nicht einmal ein Teleporter hätte schnell ge nug fliehen können. Der Energiestrahl schlug direkt über dem
20 Magen ein. Atlan erwartete den tödlichen Schock. Er hatte das Gefühl, zerrissen zu werden. Doch er täuschte sich. Die Energie floß nach allen Seiten auseinander und hüllte ihn ein. Sie durchdrang das Goldene Vlies nicht. Das Vogelwesen fuhr schreiend zurück. Die Waffe fiel ihm aus der Hand. Ihm war anzusehen, daß es noch niemals etwas Der artiges erlebt hatte. Atlan ging auf die fremdartigen Intelli genzen zu. Sie wichen vor ihm zurück, ob wohl er die Waffe nicht gegen sie erhob. Die Tatsache, daß er sich als unverletzbar erwie sen hatte, war beeindruckender für sie, als es ein Schuß aus der Waffe gewesen wäre. Die Dellos folgten ihm. Fleuvv verharrte auf der Stelle. Ein Teil der Energie war auf ihn übergeschlagen und schwebte in Form eines kleinen Balles über seinem Kopf. At lan vernahm die erregten Rufe der Dellos, die es bemerkten, drehte sich jedoch nicht um, weil er die Vogelwesen nicht aus sei nem Bann entlassen wollte. Sie wichen vor ihm bis in die Hauptleitzentrale zurück. Mit einem Handzeichen gab er ihnen zu verstehen, daß sie die Waffen ablegen soll ten. Sie gehorchten widerspruchslos. Dann erst drehte er sich nach Fleuvv um. Die Energie hatte sich verflüchtigt. Fleuvv tat, als sei nichts geschehen. »Was war los?« fragte Atlan den Dello Fälser, der neben ihm stand. »Eine blaue Energiekugel schwebte über ihm«, erwiderte der Androide. »Erst sah es so aus, als wolle er davor weglaufen, dann hat er sie in sich aufgenommen. Sieh doch. Er ist größer geworden.« Die Vogelwesen wurden unruhig, so daß Atlan sich ihnen wieder zuwandte. Er wollte den Vorteil, den er errungen hatte, nicht wieder aus der Hand geben. Mit Fleuvv konnte er sich später auch noch befassen. Außerdem erschien ihm die Tatsache, daß das Schleierwesen Energie in sich aufge nommen hatte, nicht so wichtig. Sie beunru higte ihn nicht. Die Vogelwesen zogen sich bis in den äu-
H. G. Francis ßersten Winkel der Zentrale zurück, als At lan sich ihnen einige Schritte näherte. Furchtsam blickten sie ihn an, sagten jedoch nichts. Der Arkonide war überzeugt davon, daß von ihnen keine Gefahr mehr ausging. Er wandte sich den Kontrollen des Schiffes zu. Die Zentrale war etwa dreißig Meter breit, zwanzig Meter tief und fünf Meter hoch. An der Frontseite befanden sich drei große Fen ster, die eine direkte Sicht auf den Planeten ermöglichten, dem sich das Bergungsschiff näherte. Es war ein wolkenverhangener Pla net, der einen unfreundlichen und düsteren Eindruck machte. Von der Oberfläche war so gut wie nichts zu sehen. Stürme formten die Wolken über weiten Gebieten des Plane ten. Aus dem Bild, das sich ihm bot, schloß Atlan, daß sie auf einer stark verschmutzten Sauerstoffwelt landen würden. Sie waren noch etwa dreihunderttausend Kilometer von dem Planeten entfernt, näher ten sich ihm jedoch schnell. Der Arkonide glaubte, erkennen zu können, daß die not wendigen Landemanöver vorbereitet worden waren. Er untersuchte die Kontrollgeräte und In strumente in der Hoffnung, einige davon identifizieren zu können, doch das gelang ihm nicht. Er war nicht in der Lage, das Raumschiff zu fliegen. »Fleuvv«, sagte er. »Kennst du dich damit aus? Kannst du mir helfen?« Das Schleierwesen glitt zu ihm heran und schwebte zum Kontrollpult hoch. »Ich kann dir sagen, was du tun mußt«, erwiderte es. »Mehr nicht.« »Nun gut. Dann zeige mir, wie ich Thalia und die Dellos finde.« Fleuvv bildete einige Schleier und schwebte flatternd hin und her. Schließlich verharrte er vor einem Schaltpult, über dem sich einige Monitorschirme befanden. Er versuchte, eine Taste zu drücken, doch dazu reichte seine Kraft nicht aus. Fälser tat es für ihn. Die Bildschirme erhellten sich. Atlan befahl dem Androiden, die Schaltungen im
Die Schwarze Galaxis mer wieder zu verändern. Er gehorchte. In rascher Folge wechselten die Bilder auf den Schirmen. Atlan sah Maschinenanlagen, ei ne Ortungszentrale, Roboter, Hangare und Triebwerksbereiche, aber keine Mann schaftsunterkünfte. Eines der Vogelwesen näherte sich ihm in unterwürfiger Haltung. Es sprach mit schriller Stimme auf ihn ein. »Was will der Fremde?« fragte der Arkonide Fleuvv. »Er will dir helfen. Er bewundert dich, weil du immun gegen das blaue Feuer bist.« »Er will helfen? Seltsam. Dazu hat er kei nen Grund. Warum sollte er es tun? Wir sind nicht gerade in freundschaftlicher Manier hereingekommen.« Fleuvv wedelte heftig mit den Schleiern. »Es ziemt sich nicht, so tief in seine Seele einzudringen.« »Ich will es aber trotzdem wissen.« Fleuvv sank in sich zusammen. Er stülpte einige Schleier über seinen Kopf, so daß die dunklen Wahrnehmungsorgane nicht mehr zu sehen waren. In dieser Stellung verharrte er mehrere Minuten. Atlan ließ ihn in Ruhe und beobachtete währenddessen die Moni torschirme. Schließlich richtete sich Fleuvv auf und fragte das Vogelwesen. Dieses ant wortete sofort. Es schien nicht irritiert zu sein. »Es ist einfach«, erklärte Fleuvv. »Spart, dieses Vogelwesen, glaubt nicht daran, daß ihr auf Enderleins Tiegel überleben werdet. Er glaubt, daß man euch töten wird, sobald wir dort gelandet sind. Dann aber will er nichts mit euch zu tun haben. Er will euch so schnell wie möglich loswerden, damit man ihm selbst nichts vorwerfen kann.« »Nicht schlecht«, sagte der Arkonide. »Aber noch weiß man auf Enderleins Tiegel nicht, daß wir an Bord sind und daß wir ge wisse Schwierigkeiten gemacht haben. Er kann sich darauf verlassen, daß wir ver schwinden, sobald wir gelandet sind.« »Ich sage es ihm.« Spart reagierte erleichtert auf die Nach richt. Atlan beobachtete ihn. Ihm war klar, daß das Vogelwesen sich vor jenen fürchte
21 te, die auf Enderleins Tiegel die Befehlsge walt hatten. Offenbar setzten sie ihren Wil len mit gnadenloser Härte durch und schreckten auch vor brutalsten Strafmaßnah men nicht zurück. Atlan fragte sich, warum Spart und die anderen Vogelwesen nicht längst das Weite gesucht hatten. Zu erklären war das Verhal ten dieser Intelligenzen nur dadurch, daß sie unfähig waren, die Initiative zu ergreifen, oder daß die Herren der Schwarzen Galaxis über eine unbegrenzte Macht verfügten, so daß eine Flucht von vornherein aussichtslos war. Spart eilte zu der Tastatur und schaltete. Jetzt wechselten die Bilder noch schneller, doch da das Vogelwesen wußte, worum es ging, erschienen Schiffsbereiche auf den Schirmen, die für die Suche interessant wa ren. Nur wenige Minuten verstrichen, dann hatte Spart es geschafft. Auf einem großen Bildschirm erschien das Bild mehrerer Spin nenwesen, die Thalia und fünfzehn Dellos umringten. Atlan blickte durch die Fenster. Das Ber gungsraumschiff glitt in eine Umlaufbahn um Enderleins Tiegel. Dabei verringerte es seine Geschwindigkeit erheblich. »Wie können wir uns mit ihnen verständi gen?« fragte er. »Spricht Spart die Sprache der Spinnen?« Fleuvv fragte das Vogelwesen. Dieses streckte die Arme weit von sich. »Niemand versteht die Spinnen«, antwor tete das Schleierwesen. »Wie verständigt sich Spart mit ihnen, wenn er ihnen etwas mitteilen will?« »Überhaupt nicht. Es ziemt sich nicht, mit ihnen zu reden. Sie werden von allen ver achtet.« Ratlos blickte Atlan auf den Bildschirm. Er war überzeugt gewesen, daß es ihm mü helos gelingen würde, Thalia zur Zentrale zu holen, wenn er selbst erst einmal hier war. Doch jetzt sah es nicht danach aus, daß das möglich war. »Na schön«, sagte er. »Wenn eine andere Lösung nicht möglich ist, dann hole ich sie
22 eben mit Gewalt heraus. Fälser, du sorgst dafür, daß wir die Herren dieses Schiffes bleiben. Ich bin gleich zurück.« Er wandte sich an Fleuvv. »Spart soll mich begleiten. Er soll mich zu ihnen führen.« Fleuvv übersetzte, und das Vogelwesen war sofort einverstanden. Es gab Atlan ein Zeichen und eilte aus der Schleuse. Der Ar konide folgte ihm zu einem Lift, mit dem sie nach unten fuhren. Jetzt zeigte sich, daß es doch möglich war, das Führungsschiff zu verlassen und zur Bergungsplattform über zuwechseln, ohne in den freien Raum zu ge hen. Atlan behielt Spart ständig im Auge. Er traute ihm nicht und war darauf gefaßt, daß er versuchte, ihn in eine Falle zu locken. Doch das Vogelwesen führte den Arkoniden durch das Schiff bis zu der Wohnwabe, in der sich die Spinnen befanden. Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, gestikulierte Spart heftig, um Atlan zu warnen. Er zeigte auf ein Schott und trat zur Seite. Die Absicht war klar. Er erwartete einen Kampf und wollte nicht darin verwickelt werden. Atlan lächelte. Selten war er Wesen begegnet, die in der artiger Offenheit Schwierigkeiten aus dem Wege gingen und sich dabei selbst in andere brachten. Für ihn war absehbar, daß Spart nach der Landung auf Enderleins Tiegel in eine Auseinandersetzung geraten würde, die er sich bei einer etwas mutigeren Haltung hätte ersparen können. Er öffnete die Tür und blickte in einen Raum, in dem sich etwa dreißig Spinnenwe sen, Thalia und die Dellos aufhielten. Mit erhobener Waffe trat er ein, ging eini ge Schritte zur Seite und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Thalia begriff. Sie schnellte sich über ein Spinnenwesen hinweg und versuchte, zu Atlan zu kommen. Zwei Spinnen warfen sich auf sie, doch sie schlug mit den Fäusten auf sie ein und ver letzte sie. Dann war der Weg frei. Sie lief zu dem Arkoniden und stellte sich neben ihn, bevor noch alle Spinnenwesen begriffen hat-
H. G. Francis ten, was geschah. Die Dellos reagierten noch immer nicht. Sie standen mit hängenden Armen hilflos zwischen den Spinnenwesen, die ihre Raum anzüge inzwischen abgelegt hatten. Atlan gestikulierte. Er versuchte, den In sektoiden klar zu machen, daß sie die An droiden freigeben sollten. Sie wichen nicht zur Seite. »Bleibe hier«, sagte er zu Thalia. »Ich will dich bei der Tür wissen, damit wir schnell verschwinden können.« »Du kannst dich auf mich verlassen«, be teuerte sie. Atlan ging auf die Spinnenwesen zu. Sie duckten sich angriffsbereit und wichen nicht zur Seite. Er richtete die Waffe gegen die Decke und feuerte sie ab. Der Energiestrahl erhellte den Raum. Er fuhr in die Deckenplatten und löste eine hef tige Implosion aus, doch auch damit erreich te der Arkonide nichts. Die Spinnenwesen gaben die Dellos nicht frei. »Kämpft euch durch«, rief Atlan ihnen zu. Er wollte keines der Spinnenwesen töten oder auch nur verletzen. Doch die Zeit drängte. Die Landung stand kurz bevor, und damit kamen Gefahren auf sie zu, die un übersehbar waren. Die Dellos gehorchten. Sie griffen an und versuchten, an den Insektoiden vorbeizu kommen. Jetzt aber reagierten diese mit überraschender Härte. Atlan sah, daß eines der Wesen Branor mit den Zangen packte und am Arm verletzte. Der Dello schrie gel lend auf und versuchte, sich aus der Um klammerung zu befreien, doch der Arm saß so fest in den Zangen, daß er sich kaum be wegen konnte. Auch die anderen Spinnen versuchten jetzt, den Kampf dadurch zu ent scheiden, daß sie die Dellos töteten. Atlan feuerte auf das Wesen, das Branor hielt. Der Energiestrahl schlug in den Spinnen leib und löste darin eine krachende Implosi on aus. Die Folgewirkung war weitaus größer, als Atlan vermutet hatte. Die anderen Insektoi
Die Schwarze Galaxis den wandten sich schlagartig zur Flucht. Sie gaben die Dellos frei und rannten durch eine Tür auf der anderen Seite des Raumes hin aus. Dabei drängten sie sich in wilder Panik übereinander, weil der Durchgang zu klein war, alle auf einmal durchzulassen. »Hierher«, rief Atlan den Dellos zu. Sie gehorchten. Er sah, daß wenigstens zehn von ihnen verletzt waren. Einige konnten sich kaum noch auf den Beinen halten. »Kommt mit«, befahl er. »Wir müssen zur Zentrale. Dort werden wir euch versorgen.« »Ich kann nicht mehr«, sagte Caahan stöhnend. Er hatte eine klaffende Wunde am Oberschenkel. Atlan legte den Arm um seine Schultern und stützte ihn. »Das Schiff landet gleich«, erklärte er. »Wenn wir dann nicht in der Zentrale sind, ist es aus mit uns. Nur von dort aus haben wirden nötigen Überblick.« Der Dello nick te. »Ich schaffe es«, sagte er. Spart wartete vor der Tür. Er schien nicht überrascht zu sein, daß es Atlan gelungen war, Thalia und die Dellos zu befreien. Von ihm schien er ei ne derartige Leistung erwartet zu haben. Kommentarlos drehte er sich um und führte Atlan und seine Begleiter zurück zur Zentra le. Thalia berichtete, was geschehen war. »Ich glaube, sie wollten sich rächen«, sag te sie. »Sie haben nicht einmal versucht, sich mit uns zu verständigen. Sie haben uns ver schleppt. Dann haben sie die Raumanzüge abgelegt, uns umringt und uns angestarrt. Sie haben auf irgend etwas gewartet.« »Bestimmt nicht darauf, daß wir kom men«, bemerkte er. »Sie hätten uns töten können. Ich weiß nicht, warum sie es nicht getan haben.« »Ich vermute, daß sie uns nicht einordnen können. Sie wissen, daß wir mit einem Or ganschiff gekommen sind. Daraus schließen sie, daß wir den Herren der Schwarzen Gala xis ebenso dienen wie sie selbst auch. Wel chen Rang wir jedoch einnehmen, ist ihnen unbekannt. Vielleicht hatten sie vor, das nach der Landung zu klären und ihre Rache
23 nach dem Ergebnis zu dosieren.« In der Hauptleitzentrale hatte sich nichts verändert. Die Vogelwesen verhielten sich nach wie vor passiv. Fälser meldete, daß es keinerlei Zwischenfälle gegeben hätte. Fleuvv schwebte noch immer über den Kontrollen. Er machte einen unruhigen Ein druck. Atlan glaubte zu erkennen, daß er durch die Fenster blickte. Das Bergungs schiff flog in einer Höhe von kaum mehr als fünftausend Metern. Unter ihm erstreckte sich eine endlose Wolkendecke, die keiner lei Sicht nach unten erlaubte. »Ich habe den Kurs geändert«, eröffnete ihm Fleuvv. »Damit sind die Vogelwesen nicht einverstanden, aber ich habe es trotz dem getan. Bald werde ich wissen, wo das Zweierwesen ist.« Die Dellos versorgten ihre Wunden, wo bei sie von Thalia unterstützt wurden. Spart gab einige schrille Laute von sich. Er eilte zum Kontrollpult, doch Fleuvv stellt sich ihm entgegen. Scheu wich das Vogel wesen vor ihm zurück, wobei es ununterbro chen sprach. »Was sagt er?« fragte der Arkonide. »Er sagt, daß wir auf dem Nordtiegel lan den werden. Er warnt uns davor, weil dort ein gewisser Solka die Macht hat. Offen sichtlich fürchtet er sich selbst auch vor die sem Solka, der überaus grausam sein soll.« Atlan konnte Spart ansehen, daß dieser sich in einem panikartigem Zustand befand. Er tänzelte nervös auf der Stelle und gesti kulierte heftig. Dabei redete er ununterbro chen auf Fleuvv ein, der ihn jedoch kaum beachtete. »Die Gefahr ist für mich nebensächlich, wenn ich zu dem Zweierwesen kommen kann«, erklärte Fleuvv. »Spart soll ruhig sein.« Spart griff plötzlich an. Er warf sich nach vorn und pickte mit dem Schnabel nach dem Schleierwesen. Fleuvv fuhr aufschreiend zu rück – und versank im Kontrollpult. Atlan sah, wie er durch die Materie glitt und im Pult verschwand. Spart stand re gungslos neben Atlan. Er wußte nicht, was
24 er tun sollte. Als der letzte Zipfel des Schleierwesens im Pult war, glaubte der Arkonide, ein leises Kichern zu vernehmen. Spart überwand den Schock, den er erlit ten hatte. Er stürzte sich auf das Schaltpult und versuchte, die Kursänderung rückgängig zu machen, während das Raumschiff durch die Wolkenbänke raste. Vergeblich bemühte er sich, Tasten zu drücken, Rädchen zu dre hen und Hebel zu bewegen. Es schien, als sei das Kontroll und Steuerpult in der gegen wärtigen Stellung eingefroren. Atlan versuchte, einen Hebel zu betätigen, konnte ihn aber ebensowenig umlegen, wie Spart es konnte. Fleuvv blockierte das gesamte Pult. Spart sank wimmernd auf den Boden. Er schob den Kopf unter den rechten Arm und spreizte die Federn ab. Er tat Atlan leid. Der Arkonide versuchte nun, Fleuvv aus dem Kontrollpult zu locken, erzielte aber keine Reaktion. Schließlich untersuchte er das Pult und stellte fest, daß es sich öffnen ließ. Er klappte es auf und blickte in ein Ge wirr von positronischen Schaltungen, das von spinnennetzartigen Geweben eingehüllt war. Es fiel ihm schwer, darin Fleuvv zu se hen. »Komm heraus«, bat er, doch das Ge spinst antwortete nicht. Atlan sah ein, daß es sinnlos war, sich noch weiter um Fleuvv zu bemühen. Wichtiger war, sich auf die Lan dung zu konzentrieren. Noch immer glitt das Raumschiff durch die Wolken, so daß nichts von der Landschaft zu erkennen war. Dann aber durchstieß es die Wolken. Atlan sah ein mit Schrott bis zum Horizont bedecktes Land unter sich. Aus den Metallbergen rag ten hin und wieder Türme hervor, an denen farbige Lichter blickten. Weitere Einzelhei ten machte der Arkonide nicht aus. Das Raumschiff flog zu schnell. Dann weitete sich auch schon ein Raum hafen vor ihm, und der Bergungsraumer senkte sich darauf herab. Vier Türme erho ben sich zu beiden Seiten des Feldes. »Atlan«, rief Thalia. »Dort.«
H. G. Francis Sie zeigte auf die Monitorschirme. Auf ihnen waren Spinnenwesen zu sehen, die ein junges Spinnenwesen und ein erwachsenes, aber etwas kleineres Exemplar aus einer Schleuse warfen. Das Junge wehrte sich hef tig, aber das half ihm nichts. Es stürzte in die Tiefe. Spart und die anderen Vogelwesen schri en entsetzt auf. Sie wandten sich von den Bildschirmen ab. »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr«, sagte Thalia. »Warum tun sie das?« »Ich weiß es nicht«, antwortete Atlan nachdenklich. Aus dem Kontrollpult stieg ein faust großes Gespinst hervor. »Ein Zweierwesen war an Bord. Das ist die Erklärung«, sagte Fleuvv und ver schwand wieder. Das Raumschiff berührte den Boden. »Kommt«, rief Atlan. »Wir verlassen das Schiff. Schnell. Was hier passiert, geht uns nichts mehr an.« Er führte Thalia und die Dellos zu dem Lift, den er zuvor mit Spart benutzt hatte. Damit fuhr er in die Tiefe. Während er be reits überlegte, wohin sie sich wenden soll ten, sobald sie draußen waren, beschäftigte Thalia sich noch immer mit den Spinnenwe sen. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie aber mals. »Wieso haben sie das Junge und die Frau hinausgeworfen?« Atlan glaubte, die Zusammenhänge zu er fassen. »Aber ich begreife allmählich«, entgegne te er. »Die Spinnenwesen haben gegen ein Gebot ihrer Herren verstoßen. Wenn wir Fleuvv glauben dürfen, ist es verboten, Frauen an Bord zu nehmen. Sie haben sich über das Verbot hinweggesetzt und sogar noch ein Junges gezeugt. Dann kamen wir, und sie sahen eine Chance, die Herren, vor de nen sie sich so fürchten, durch uns abzulen ken. Deshalb haben sie dir auch nichts ge tan. Sie wollten dich den Herren übergeben, wer auch immer das sein mag.« »Alle fürchten sich vor ihnen«, sagte Tha
Die Schwarze Galaxis lia. »Nur Fleuvv scheint egal zu sein, was aus ihm wird.« »Vielleicht können sie ihm nichts tun«, erwiderte Atlan. Sie hatten die Hauptschleuse erreicht. Der Arkonide öffnete sie, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß die Dellos ihre Raum helme geschlossen hatten. Dichter Regen prasselte auf das Landefeld herab. Er be schränkte die Sicht bis auf knapp fünfzig Meter. Schemenhaft erhoben sich die Kon trolltürme. Die Lichter blinkten. »Weg vom Schiff«, befahl Atlan. Auf sein Zeichen rannten Thalia und die Dellos los. Er wartete, bis alle an ihm vorbei waren. Dann lief er hinterher. Dies war der gefährlichste Teil ihrer Flucht. Atlan blickte über die Schulter zu rück. Er fürchtete, daß die Vogelwesen in ihrer Angst und Verzweiflung mit Bordwaf fen feuerten, um so den Herren ihre Loyali tät zu beweisen. Das tödliche Energiefeuer blieb aus. Atlan erreichte den Rand des Landefelds. Eine Mauer aus Schrott wuchs vor ihm auf. Er trieb die Dellos in eine Gasse, die sich im grauen Regendunst verlor. Dabei sah er, daß ausschließlich die nichtorganischen Teile der Raumschiffe verschrottet worden waren. Zwischen lose aufgeschichteten Bruch stücken lagerten zu Blöcken zusammenge preßte Teile. Seine Füße versanken in grünlichem Schlamm. Er hatte Mühe, sich auf den Bei nen zu halten. Einige Dellos stürzten. Atlan sah, daß der Regen den Schrott auswusch. Die Lösungen flossen auf den Boden und vergifteten ihn. Thalia blieb stehen. Ratlos blickte sie ihn an, doch er trieb sie weiter. »Man hat uns vor dieser Gegend ge warnt«, rief er ihr zu. »Recht deutlich sogar. Deshalb ist es besser, wenn wir uns zunächst so weit wie möglich vom Raumhafen entfer nen.« »Wohin denn?« fragte sie. Er konnte es ihr nicht sagen. Er hoffte, daß der Regen ir gendwann nachlassen würde, so daß er auf einen Schrottberg steigen und sich umsehen
25 konnte. »Bestimmt liegen nicht überall nur Schrott und Abfälle«, sagte er. »Irgendwo muß es freies Land geben. Wenn wir wissen, wo das ist, sehen wir weiter.« Als sie etwa zehn Minuten lang gelaufen waren, wurden sie durch ein heftiges Poltern und Dröhnen aufgeschreckt. Sie blieben ste hen und lauschten. Zu erkennen war nichts. Der Regen fiel noch dichter als zuvor, so daß die Sicht kaum zwanzig Meter weit reichte. »Verdammter Regen«, sagte Thalia. Sie fuhr sich mit der Hand über den Helm, um die Tropfen abzuwischen, doch damit er reichte sie nur, daß der Helm noch mehr ver schmutzte. »Sei froh, daß es regnet«, erwiderte Atlan. »Wir können zwar kaum etwas sehen, aber Solkas Leute auch nicht. Und das ist gut so.« »Was ist das?« fragte Thalia. Sie beugte sich vor und horchte. »Irgend etwas kommt auf uns zu. Hörst du es?« Die Dellos drückten sich ängstlich in eini ge Lücken in der Schrottwand, die sich ne ben ihnen erhob. Sie hofften, sich vor dem Unbekannten verstecken zu können, das sich ihnen näherte. Thalia hob ihre Waffe und blickte Atlan an. Ihr Gesicht verzerrte sich. »Er soll nur kommen«, rief sie. »Was es auch ist, diese Waffe ist stärker.« Er legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm und drückte ihn herunter. »Noch ist es nicht soweit«, erwiderte er. »Wir schießen erst, wenn es gar nicht mehr anders geht. Wir müssen Solkas Leute nicht unbedingt auf uns aufmerksam machen.« Schrott verrutschte unter dem Gewicht des Unbekannten, der auf sie zurückte. Eini ge Meter von Atlan entfernt stürzte ein Triebwerksteil aus einer Höhe von fast zwanzig Metern in die Tiefe. Es grub sich tief in den Boden ein. Thalia schrie erschreckt auf. Sie wich zu rück und blickte nach oben. Dies war eine völlig fremde Welt für sie. Sie barg neue und unbekannte Gefahren, die sich der Vor stellungswelt der Tochter Odins entzogen.
26 Thalia hatte bisher auf Pthor gelebt. Den Be dingungen dieser bizarren Welt war sie ge wachsen. Jetzt hatte sie Pthor verlassen, und es gelang ihr noch nicht, sich zu orientieren. Immer wieder blickte sie den Arkoniden an. Seine Ruhe gab ihr einen gewissen Halt. Sie glaubte zu fühlen, wie der Boden un ter ihren Füßen erzitterte. Die Schrottmassen verrutschten, als sei ein gigantisches Wesen in ihnen erwacht, das sich nun zu befreien suchte. Für Thalia wurde körperlich spürbar, daß sich ihnen etwas näherte, was so groß war, daß es allein dadurch ihre Waffe zum Spielzeug degradierte. »Laß uns laufen«, sagte sie zu Atlan. »Laß uns flüchten, solange wir noch kön nen.« »Wir bleiben«, antwortete er und legte einen Arm um ihre Schultern. »Das ist der Todesbote«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Und wir können nichts gegen ihn tun.« Die Gasse verdunkelte sich. Kreischend und dröhnend schob sich etwas über sie hin weg. Atlan blickte nach oben. Er sah einen Schatten, und für einige Sekunden schirmte sie etwas gegen den Regen ab. »Es hat uns noch nicht entdeckt«, be merkte er leise. »Hör doch. Der Hauptkörper ist nicht über uns, sondern dort. Weit von uns entfernt.« Tatsächlich entfaltete das monströse Et was in einer Entfernung von etwa einhundert Metern den größten Lärm. Atlan glaubte, das Arbeitsgeräusch von Maschinen identifi zieren zu können, war sich dessen jedoch nicht sicher. Plötzlich wurde es dunkel, und gleichzei tig verminderte sich der ohrenbetäubende Lärm. Atlan blickte nach oben. Irgend etwas verschloß die Gasse, so daß kaum noch Licht nach unten fiel. Einige Dellos wimmerten vor Angst und Entsetzen. Einer von ihnen wollte flüchten, doch Atlan hielt ihn fest. »Ruhig«, flüsterte er ihm zu. »Nicht be wegen.« Fast fünf Minuten verstrichen. Dann endlich bewegte sich der Gigant über
H. G. Francis ihnen weiter. Es wurde heller. Regenbäche stürzten in die Schrottgasse, und wieder dröhnte und kreischte Metall. Als Atlan be reits glaubte, die Gefahr sei vorbei, wurde es abermals dunkler. Doch schon nach Sekun den hellte sich die Gasse wieder auf, nach dem etwas Großes über sie hinweggezogen war. Der Lärm entfernte sich, und nach einigen Minuten war Atlan sicher, daß die Gefahr überstanden war. »Weiter«, befahl er.
5. Die Gestalt tauchte völlig überraschend vor ihnen auf. Sie erschien plötzlich im Re gendunst und war bei ihnen, bevor sie sich verstecken konnten. Sie prallte mit Atlan zusammen und stürz te zu Boden. Entsetzt schrie sie auf und ver hüllte den Kopf mit den Armen. Der Arkonide beugte sich über den Frem den. Er hatte ein bärtiges Geschöpf vor sich. Es war humanoid. Nase, Mund, Stirn und Kinn waren wie bei einem Menschen ge formt. In den Augenhöhlen aber saßen faust große Facettenaugen, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Auch der Körper war humanoid. Der Mann hatte zwei Arme, fünf Finger an den Händen und einen stark aufgewölbten Rücken. Der Kopf saß so tief auf der Brust, daß Schultern und Nacken ihn fast überrag ten. Der Fremde kleidete sich mit grob ge wirkten Sachen, die nur unzureichend gegen die Witterung schützten. Die Ätzspuren auf seiner Haut und an seinen schwarzen Haaren waren unübersehbar. In einem Ledergurt, der seine Hüften umspannte, steckten allerlei Gegenstände. Der Mann zitterte am ganzen Körper. Er schien damit zu rechnen, getötet zu werden. »Wer bist du?« fragte Atlan in der Hoff nung, daß der andere Pthora sprach. Der Fremde ließ die Arme sinken. Er rich tete sich auf. »Sklave«, antwortete er. Atlan erriet die ses Wort mehr, als daß er es verstand, weil
Die Schwarze Galaxis der Fremde es allzu sehr verfälschte. Er wie derholte es, und der Fremde bestätigte ihm durch eine Geste, daß er ihn richtig verstan den hatte. »Wie ist dein Name?« Damit hatte er bereits zuviel gefragt. Er begriff nicht, was der Arkonide meinte. Im merhin erfaßte er, daß er sich nicht mehr in tödlicher Gefahr befand. Er erhob sich. »Warum fürchtest du dich?« fragte Atlan. »Solka.« Sklave deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. Atlan versuchte nun, weitere Informationen von ihm zu be kommen, scheiterte jedoch an Sprach schwierigkeiten. Schließlich gab der Arkonide Sklave mit Gesten zu verstehen, daß sie in die Richtung gehen wollten, aus der er gekommen war. Er zeigte auf seine Waffe und glaubte, damit genug getan zu haben. Sklave aber sträubte sich. »Du darfst ihn nicht laufenlassen«, sagte Thalia. »Er muß bei uns bleiben.« »Er scheint nicht die Absicht zu haben, das zu tun.« Atlan befahl den Dellos, auf den Fremden zu achten. Die Androiden um ringten Sklave und drängten ihn mit sanfter Gewalt voran, so daß diesem nichts anderes übrigblieb, als mitzugehen. »Warum muß es unbedingt diese Rich tung sein?« fragte Thalia. »Warum gehen wir nicht in eine andere, in der es weniger gefährlich ist?« »Weil ich wissen muß, was passiert ist«, antwortete der Arkonide. »Außerdem müs sen wir uns darüber klar sein, daß wir nicht ewig weglaufen können. Sklave ist unbe waffnet. Er kann sich nicht wehren. Wir sind besser dran als er.« Plötzlich versuchte der Fremde, in eine sich seitlich öffnende Gasse zu entkommen, doch Atlan hielt ihn fest und zog ihn mit sich. Sklave wimmerte vor Angst. Thalia be obachtete ihn. Sie ging langsamer als zuvor und blieb hinter Atlan zurück. Die Schrottwände zu beiden Seiten wur den steiler. Atlan hatte das Gefühl, daß sie auch höher waren als zuvor.
27 Sklave blieb stehen. Der Arkonide ver suchte, ihn mitzuziehen, aber jetzt sträubte er sich mit aller Kraft. Atlan beschloß, allein weiterzugehen. Als er etwa zehn Meter weit gekommen war, sah er, daß er sich in einer Sackgasse befand. Sie endete an der offenen Schleuse eines Raumschiffswracks, die schwach beleuchtet war. Der Arkonide nahm den Energiestrahler in die Hand und betrat die Schleuse. In dem Raum dahinter lag eine Gestalt auf dem Boden. Sie hatte blutige Wunden auf dem Rücken. Atlan ging zu ihr hin und drehte sie her um, so daß er ihr ins Gesicht sehen konnte. Das Wesen glich Sklave bis auf einige klei ne Abweichungen. Es war tot. Der Arkonide erhob sich und ging weiter. Er folgte einem Gang, der nach wenigen Schritten rechtwinklig auf einen anderen stieß. Dieser war auf der rechten Seite durch Schrotteile verschlossen, auf der linken wei tete er sich zu einem Raum, der etwa fünf zehn Meter lang und fünf Meter breit war. Hier lagen drei weitere Tote auf dem Boden. Sie waren mit Stichwaffen getötet worden. Keiner von ihnen trug Waffen. Atlan zwei felte nicht daran, daß sie ermordet worden waren. Jetzt verstand er, weshalb Sklave sich so fürchtete. Er war offenbar als einziger dem Blutbad entkommen. Der Arkonide verließ den Raum und kehr te zu Thalia und den Dellos zurück. Der Fremde kauerte zitternd auf dem Boden. Mit wenigen Worten schilderte Atlan, was er ge sehen hatte. »Wer war das?« fragte er den Mann mit den Facettenaugen. »Solka.« Das genügte dem Arkoniden nicht. Er wollte mehr wissen. Daher kniete er sich ne ben Sklave auf den Boden und sprach mit ihm. Es gelang ihm, den Fremden allmählich aus seiner Angst und der Verkrampfung zu lösen. Nach etwa einer Stunde harter Arbeit hatte er einige Informationen, die ihn ahnen ließen, wer Solka war. »Wenn ich ihn richtig verstanden habe«,
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H. G. Francis
sagte Atlan zu Thalia, »dann sind die Toten da drinnen die Brüder von Solka. Er hat sie ermorden lassen, um auf diese Weise zu ver hindern, daß sie ihm die Macht streitig ma chen.« Thalia schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß je mand so etwas tut.« »Es ist schwer, das zu akzeptieren, aber es ist so.« Er blickte den Fremden an, der noch immer auf dem Boden hockte. »Jedenfalls ist mir jetzt klar, daß wir es mit einem Geg ner zu tun haben, der vor nichts zurück schreckt.« »Wir können nicht hier bleiben«, sagte sie. »Wohin wenden wir uns?« »Das werden wir hoffentlich bald wis sen.« Atlan setzte sich wieder zu dem Facet tenäugigen auf den Boden. Es hörte auf zu regnen. Wind kam auf, und die Wolken decke lichtete sich. Der Arkonide bemühte sich, weitere Informationen über Enderleins Tiegel zu bekommen, doch Sklave wußte kaum etwas. Immerhin erfuhr der Aktivator träger, daß sich nördlich von ihnen eine technische Anlage befand, deren Nähe Solka mied. »Wir legen keinen Wert darauf, mit ihm zusammenzutreffen«, sagte Atlan. »Also dürfte es richtig sein, nach Norden zu ge hen.« Thalia erhob keinen Einspruch. Sie war froh, den Platz hinter sich lassen zu können, an dem Solka gewütet hatte.
* Zwei Tage später erreichten Atlan, Thalia, der Facettenäugige und die Dellos die tech nische Anlage. Zwei Tage lang hatten sie sich durch endlos erscheinende Schrottberge vorangekämpft. Nur in der Nähe des Raum hafens gab es Schneisen im Schrott. Je wei ter sie sich vom Raumhafen entfernten, de sto schwieriger wurde es, weiterzukommen. Niemand klagte. Alle waren davon über zeugt, daß sie in diesem schwierigen Gebiet vor Solka sicher waren. Der Facettenäugige
bestätigte es ihnen immer wieder. Atlan fiel jedoch auf, daß der Fremde hin und wieder besonders hohe Wrackteile erklomm und sich von der Höhe aus umsah. Die Verständigung mit ihm verbesserte sich nicht. Immer deutlicher wurde, daß das nicht nur an den mangelnden Sprachkennt nissen Sklaves, sondern vor allem an seiner geringen Intelligenz lag. Das Wetter besserte sich ständig. Nur noch selten regnete es, so daß Thalia und die Dellos die Raumhelme öffnen konnten. Nachts schlief die Gruppe in Raumschiffs körpern, wo sie sich völlig sicher fühlte. Als es am zweiten Tag zu dämmern begann, ver nahm Atlan ein Kreischen und Dröhnen in der Ferne, das ihm bekannt vorkam. Er klet terte an der von Einschüssen entstellten Wand eines Wracks hoch, bis er über die Schrottberge sehen konnte. Thalia folgte ihm. Sie wollte endlich wissen, was kurz nach ihrer Ankunft auf Enderleins Tiegel über sie hinweggezogen war. Atlan wartete, bis sie bei ihm war. Er reichte ihr die Hand, um ihr auf eine Ge schützkuppel zu helfen. »Da hinten ist es«, sagte er dann. Er zeigte nach Nordwesten. In einer Ent fernung von etwa zwei Kilometern kroch ein riesiges Gebilde über die Schrottberge. Es glich einer sechsbeinigen Spinne. Atlan schätzte, daß der kugelförmige Rumpf einen Durchmesser von etwa hundert Metern hat te. Die Beine waren annähernd hundertfünf zig Meter lang. Sie waren teleskopartig, und es schien, daß sie sogar noch verlängert wer den konnten. Von der Oberseite des Kugel rumpfs erhoben sich mehrere Kräne und Transportanlagen. »Ein riesiger Roboter«, sagte der Arkoni de. »Ein Arbeitsgerät, das den Dimensionen dieses Schrottplatzes angemessen ist.« »Es hat uns also gar nicht gesucht«, ent gegnete sie. »Es kam nur zufällig vorbei.« Der spinnenförmige Roboter schleppte einen graubraunen Ballen zu einem ausge dehnten Gelände, aus dem die Gerüste einer Raumschiffswerft aufstiegen.
Die Schwarze Galaxis »Das sind keine Metallteile«, bemerkte Thalia. »Es ist schwer zu erkennen«, erwiderte der Arkonide, »aber ich glaube, daß es orga nische Materie ist. Es muß so sein. Irgendwo muß die organische Materie bleiben. Bisher haben wir nur Metall und Kunststoff gese hen, aber keine lebende Materie.« »Sie trennen die beiden Komponenten der Wracks voneinander.« Sie blickte Atlan un sicher an. »Könnte es sein, daß es irgendwo auf Enderleins Tiegel so etwas wie einen Schrottplatz für lebende Materie gibt?« »Vermutlich.« »Aber was wird aus den Galionsfiguren? Was machen sie mit Ganzelpohn?« »Ich wollte, ich wüßte es.« Atlan sprach seine Befürchtungen nicht aus. Er wollte Thalia nicht noch mehr beunruhigen. Daher gab er sich gelassen. »Wir werden uns auf die Werft konzentrieren. Bestimmt starten von hier aus auch Raumschiffe in Richtung galaktisches Zentrum. Wir werden versu chen, an Bord eines solchen Schiffes zu kommen.« Die Dellos schrien auf. Atlan und Thalia mußten einige Meter weit nach unten klet tern, bevor sie sehen konnten, was sie erreg te. Das facettenäugige Wesen flüchtete in das Gewirr eines ausgebrannten Raum schiffs. Es hatte bereits einen so großen Vor sprung, daß die Dellos es kaum noch einho len konnten. Atlan schaltete sein Funkgerät ein und be fahl den Dellos, den Fremden in Ruhe zu lassen. »Wenn er nicht bei uns bleiben will, dann werden wir ihn nicht länger zwingen«, sagte er. »Seltsam, daß er nicht schon vorher weg gelaufen ist«, bemerkte Thalia, während sie vom Schrottberg kletterten. »Er hätte mehr als einmal dazu Gelegenheit gehabt.« »Einer von uns beiden war immer in sei ner Nähe«, wandte der Arkonide ein. »Zudem waren wir bisher weitab von Anla gen solcher Art, wie sie jetzt vor uns liegen. Wohin hätte er sich wenden sollen? Viel
29 leicht gibt es hier Siedlungen oder so etwas Ähnliches, in die er sich retten will.« Entschlossen arbeitete Atlan sich weiter in Richtung Werft voran. Doch der Weg bis dahin war noch weit. Erst nach fast zwanzig Stunden erreichten sie einen Einschnitt in den Schrottmassen, der wie eine Straße zur Werft führte. Vorsichtig folgten sie ihm, und dann erkannten sie, daß sie sich geirrt hat ten. Auf der Werft wurden keine neue Schif fe gebaut. Sie hatte die Aufgabe, die organi sche von der metallenen Komponente der Raumschiffe zu trennen. Aus einem Versteck heraus beobachteten Thalia und Atlan, wie die Protoplasmamas sen einer Umwandlungsanlage zugeführt wurden. »Sieh doch«, rief die Tochter Odins, als die lebende Masse in einen Trichter gepreßt wurde. »Der Lotse ist dabei.« In einer Falte, die sich gebildet hatte, tob te ein achtbeiniges Wesen, das Atlan an einen Haluter erinnerte. Er hatte einen ähnli chen Körperbau, war jedoch leuchtend rot. Es versuchte, wild um sich schlagend, aus den Organmassen herauszukommen. Dabei entwickelte es gewaltige Kräfte. Es riß riesi ge Protoplasmafetzen aus der Masse heraus, als es sich bemühte, den Rand des Trichters zu erreichen. Dabei behinderten es jedoch schlauchartige Verbindungen mit der Organ masse. »Er schafft es nicht«, sagte Thalia. »Die Pumpe reißt ihn in den Trichter.« Sie blickte zur Seite. Atlan beobachtete das Ende. Es war un vermeidlich, da die lebende Galionsfigur un trennbar mit der Organmasse verbunden war. Sie glitt tiefer in den Trichter, und die Falte schloß sich über ihr. Sie schoß noch einmal für Bruchteile von Sekunden daraus hervor, dann war es vorbei. »Das ist scheußlich«, sagte Thalia. »Sie könnten die lebenden Galionsfiguren wenig stens freigeben, wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben. Warum töten sie sie?« »Das ist einfacher«, erwiderte der Arkoni de, den der Anblick des sterbenden Intelli
30 genzwesens nicht weniger erschüttert hatte als sie. »Sie müßten die organischen Verbin dungen trennen. Wir haben bei Ganzelpohn gesehen, daß so etwas fast unmöglich ist. Sie können es vielleicht, aber sie halten den Aufwand für überflüssig. Pthor kehrt mit über 200.000 Fremdwesen in der Senke der verlorenen Seelen zurück, die als neue Gali onsfiguren vorgesehen sind. Es ist also ge nügend Nachschub vorhanden. Angesichts dieser Tatsache denken die Herrscher der Schwarzen Galaxis offensichtlich nicht dar an, Gnade walten zu lassen. Sie vernichten, was ausgedient hat. Mir ist jetzt klar, warum Fleuvv vom Planeten der verlorenen Hoff nung gesprochen hat. Wahrscheinlich hoffen alle, die als Galionsfigur gedient haben, daß sie hier von ihrem Leiden erlöst werden. Sie alle werden auf grausame Weise ent täuscht.« »Fleuvv wird das Zweierwesen nicht mehr vorfinden«, stellte sie fest. »Es ist längst den Weg aller Galionsfiguren gegan gen.« »Ich wünschte, wir könnten ihnen hel fen.« »Ganzelpohn«, rief sie. »Wir dürfen doch nicht zulassen, daß man so etwas mit ihm macht. Wir hätten ihn nicht allein lassen dürfen. Wir müssen zu ihm zurück.« »Unmöglich«, erwiderte Atlan. »Wir kön nen ihn nicht retten.« Sie drehte sich um und lief zu den Dellos zurück. Er folgte ihr, ohne sich zu beeilen. Er wußte, daß sie zur Vernunft kommen würde. »Wohin gehen wir?« fragte sie mühsam gefaßt, als er sie und die Dellos erreichte. »Wir folgen der organischen Masse«, ant wortete er. »Ich glaube, daß sie zu einer Werft gebracht wird, auf der neue Schiffe entstehen. Nur dort kommen wir weiter.« »Also gut«, sagte sie, »aber mir wäre es lieber gewesen, wenn wir wenigstens ver sucht hätten, Ganzelpohn zu helfen.« »Dann hätten wir bei dem Bergungsschiff bleiben müssen. Jetzt ist es zu spät. Wir kön nen nicht zurückkehren. Gestern und heute
H. G. Francis haben wir genießbares Wasser gefunden. Wir haben nichts gegessen. Die Dellos hal ten nicht mehr lange durch. Wir müssen uns bemühen, zu irgend jemandem Kontakt zu bekommen oder ein Depot zu finden, aus dem wir uns versorgen können. Auf dem Weg zum Bergungsschiff brechen uns die Dellos zusammen.« Sie nickte. Sie sah ein, daß sie nur den von Atlan vorgeschlagenen Weg gehen konnten. Sie wollte sich abwenden, doch plötzlich erstarrte sie. Ihre Augen weiteten sich. Atlan drehte sich um, weil er sehen woll te, was sie so erschreckt hatte. Etwa zwanzig Meter von ihm entfernt standen zwei facettenäugige Männer. Sie hielten Energiestrahler in den Armbeugen. Einige Meter weiter stieg ein anderer aus dem Schrott empor. Ihm folgten weitere. Sie bildeten einen weiten Kessel, in dem Atlan und seine Begleiter gefangen waren. Schweigend blickten sie auf die Gruppe her ab. Einige Minuten verstrichen, ohne daß et was geschah. »Vorsicht«, sagte der Arkonide. »Keine unbedachte Bewegung. Sie warten nur dar auf.« »Warum tun sie nichts?« wisperte Thalia. »Warum schweigen sie?« Atlan zuckte mit den Schultern. Er wußte keine Antwort auf diese Fragen. Etwa zehn Minuten verstrichen. Dann wurden einige der Fremden unruhig. Sie blickten sich um. Metall klirrte. Ein facettenäugiger Mann, der die anderen um fast einen halben Meter überragte, stieg aus dem Schrott empor. Er war weißhaarig und trug einen wallenden Bart. Er kleidete sich in grünem Lederzeug, über das er einen weiten Mantel geworfen hatte. In seinem Gürtel steckte eine goldene Energiestrahlwaffe, deren Griff mit funkelnden Steinen besetzt war. »Solka?« fragte Thalia leise. »Vermutlich«, erwiderte der Arkonide. »Sei vorsichtig«, warnte sie. »Keine Angst. Ich bin nicht lebensmüde.«
Die Schwarze Galaxis »Du hast mich nicht verstanden. Wenn das Solka ist, dann ist niemand mehr gefähr det als du.« »Wie meinst du das?« »Du bist eine Führerpersönlichkeit. Daher könnte Solka dich fürchten.« »Dazu hat er keinen Grund.« »Denke daran, was er mit seinen Brüdern gemacht hat. Vermutlich hatte er bei ihnen auch keinen Grund. Das hat ihn jedoch nicht gehindert, sie ermorden zu lassen. Halte dich zurück. Vielleicht ist es gut, unterwürfig zu sein.« Er schüttelte den Kopf. Er war nicht be reit, alle kosmopsychologischen Erfahrun gen über Bord zu werfen. Geduldig wartete er ab. Wiederum verstri chen fast zehn Minuten, bis der Mann mit der goldenen Waffe sich erneut bewegte. Er schritt auf den Arkoniden zu. Etwa einen Meter von ihm entfernt blieb er stehen. At lan wich seinen Blicken nicht aus. Er hörte, daß Thalia unruhig wurde, als Minute um Minute verging, ohne daß etwas geschah. Dann plötzlich fuhr der Goldene herum und hob einen Arm. Er entfernte sich von Atlan, blieb nach einigen Schritten noch einmal stehen, blickte zurück und ging dann endgültig. Die anderen Männer näherten sich Atlan und seinen Begleitern. »Du hättest ihn nicht ansehen dürfen«, sagte Thalia. »Du hättest den Kopf senken müssen.« Sie war davon überzeugt, daß die Facet tenäugigen sie töten würden. »Ruhig«, flüsterte Atlan ihr zu. »Sie wer den uns nichts tun.« Er sah, daß sie nach ihrer Waffe griff. Er stellte sich vor sie und drückte ihre Hand zur Seite. »Sie hätten uns längst umgebracht, wenn sie das vorgehabt hätten«, bemerkte er. Die Fremden streckten Atlan und Thalia die Hände entgegen. Der Arkonide legte sei ne Waffe hinein. Auch sie ließ sich den Strahler abnehmen. Die Dellos schienen nur darauf gewartet zu haben, ihre Waffen abge
31 ben zu können. Fälser und Ügnos sammelten einige Waffen ein und legten sie auf den Bo den. Einer der Facettenäugigen trat an Atlan heran, streckte befehlend den Arm aus und zeigte nach Norden. Er sagte etwas, aber der Arkonide verstand ihn nicht. »Wir gehen mit«, entschied Atlan. »Niemand leistet Widerstand.« Einige der Fremden gingen voran. Sie führten Atlan und seine Begleiter durch die Schrottberge, in denen sie sich gut auskann ten. Als sie etwa zweihundert Meter weit ge gangen waren, sah Atlan den Facettenäugi gen, der sich Sklave genannt hatte, unter ei nem Stahlträger liegen. Ein Stück Eisen rag te aus seinem Rücken. Er war tot. Die ande ren gingen an ihm vorbei, als sei er nicht vorhanden. »Solka«, sagte Thalia. »Er ist unerbittlich. Er tötet jeden, der sich gegen ihn stellt und der ihm irgendwann einmal gefährlich sein könnte. Vergiß das nicht, Atlan.« »Du machst dir zu viele Sorgen.« »Durchaus nicht.« Sie schüttelte den Kopf und blickte ihn warnend an. »Du fällst auf. In jeder Hinsicht. Die Dellos und ich tragen Raumanzüge. Das ist nichts Besonderes. Du aber hast das Goldene Vlies. Glaubst du, das hat er nicht gesehen?« »Er weiß nicht, wer ich bin.« »Und er wird versuchen, es herauszufin den. Es könnte schon genügen, wenn einer der Dellos verrät, daß wir von Pthor kom men.« »Das setzt voraus, daß er weiß, was Pthor ist.« »Er weiß es. Das ist sicher. Pthor bringt neue Galionsfiguren. Hier auf Enderleins Tiegel könnten sie eingesetzt werden. Wenn es so ist, würde es bedeuten, daß wir ruhig auf Pthor hätten bleiben können. Wir wären auch so hierhergekommen.« Atlan antwortete nicht. Die Facettenäugi gen führten sie durch eine Schrottgasse auf einen weiteren Platz. Auf diesem ruhte einer jener krebsähnlichen Giganten, der kurz
32 nach ihrer Ankunft auf Enderleins Tiegel über sie hinweggegangen waren. Der kugel förmige Rumpf lag auf dem Boden. Die Beine waren halb ausgestreckt und ragten mit den Kniegelenken fast vierzig Meter in die Höhe. Die Männer Solkas führten Atlan und seine Begleiter über eine Rampe in den Rumpf der Transportmaschine. Sie wiesen sie in einen Raum ein, der etwa zehn Meter lang und vier Meter breit war. Er enthielt nur einige Sitzbänke. Durch zwei große, quadratische Fenster konnten die Gefange nen nach draußen sehen. Kaum hatte sich die Tür hinter Atlan ge schlossen, als die Maschinen des Transport geräts anliefen. Zahlreiche Geräusche zeig ten den bevorstehenden Aufbruch an. »Wir werden endlich etwas sehen«, sagte Atlan, der sofort zu einem der Fenster ging. »Hoffentlich ist es etwas mehr als nur Schrott.« »Was hilft das schon?« fragte Thalia. »Wir sind Gefangene.« »Davon bin ich noch nicht ganz über zeugt«, erwiderte er. Sie blickte ihn verblüfft an. »Du zweifelst daran? Sie haben uns die Waffen abgenommen und uns bedroht. Ich dachte, sie würden uns alle töten. Und jetzt sind wir in diesem Monstrum. Die Tür ist verriegelt. Genügt dir das nicht?« »Das sind Sicherheitsmaßnahmen. Man ist vorsichtig, weil man uns nicht einordnen kann. Das ist alles.« Die Antriebsaggregate arbeiteten mit vol ler Kapazität. Das Transportgerät schüttelte sich, und der Rumpfkörper stieg langsam auf. Atlan, Thalia und die meisten Dellos standen am Fenster und blickten hinaus. Sie sahen Schrottberge, die bis an den Horizont reichten. Dazwischen aber erhoben sich zahlreiche Gerüste von Werftanlagen, wobei nicht zu erkennen war, ob sie dem Bau neuer Raumschiffe oder dem Abwracken alter dienten. Atlan sah, daß die Beine sich hoben. Gleichzeitig bewegte sich der Rumpfkörper. Er schwankte und bebte so stark, daß Atlan,
H. G. Francis Thalia und die Dellos Mühe hatten, sich auf den Beinen zu halten. »Wie willst du diesen Riesen besiegen?« fragte die Tochter Odins erbleichend. »Sieh dir die Beine an. Wie lang sie sind. Unter den Füßen wird Metall zerquetscht, als sei es faules Obst.« »Auf keinen Fall mit dem Schwert«, ant wortete er. »Dies ist nur eine Maschine. Weiter nichts. Was sie leistet, hängt davon ab, wer sie lenkt. Außerdem habe ich nicht vor, gegen sie zu kämpfen. Mein Gegner ist Solka. Niemand sonst.« Die Maschine entwickelte eine überra schend hohe Geschwindigkeit. Atlan schätz te, daß sie sich mit fast hundert km/h voran bewegte. Etwa eine halbe Stunde nach ihrem Aufbruch erreichte sie ein Gelände, in dem nur vereinzelt Schrott lag. Dazwischen be haupteten sich Grünflächen. Bäume erhoben sich, die aussahen wie ins Gigantische ver größerte Nelken. Die Transportmaschine wich ihnen nicht aus. Atlan beobachtete, daß einige Bäume von den Stahlbeinen zerfetzt wurden. Das Gelände stieg immer mehr an. Schließlich überwand das spinnenförmige Transportgerät einen Bergrücken. Dahinter weitete sich ein langgestrecktes Tal, in dem die Natur noch weitgehend intakt zu sein schien. Atlan sah einen Fluß, der sich durch das Tal schlängelte. Zu beiden Seiten er streckten sich Wälder und grüne Flächen, auf denen zahlreiche Tiere ästen. Sie flüch teten vor dem monströsen Gebilde. Atlan erwartete, daß man sie irgendwo in diesem Gebiet absetzen würde, doch er sah sich getäuscht. Das Transportgerät eilte quer durch das Tal und gelangte durch eine Schlucht auf eine Ebene, auf der Hunderte von Behältern standen, wie der Arkonide sie bereits bei der Abwrackwerft gesehen hatte. Er vermutete, daß sich Organmassen von ausgedienten Raumschiffen ihnen befanden. Daneben erhoben sich die Gerüste von Werften. Aber nicht sie waren das Ziel der Maschine, sondern ein von einem Energie zaun umgebenes Lager, das sich über eine
Die Schwarze Galaxis Fläche von mehreren Quadratkilometern er streckte.
6. Als Atlan, Thalia und die Dellos den spin nenförmigen Transporter verließen, sahen sie, daß das Lager in zahlreiche Bezirke auf geteilt war. Sie wurden in einen Abschnitt eingewiesen, der direkt am etwa zehn Meter hohen Energiezaun lag. Er enthielt nur ein Giebelzelt, das groß genug für alle war. Es enthielt eine ausreichend große Zahl von Schlafstätten und eine Servosäule, an der sie Verpflegung anfordern konnten. Abgegrenzt wurde der Bereich durch einen anderthalb Meter hohen Energiezaun. Atlan sah, daß sie sich in der Nachbarschaft von anderen humanoiden Wesen befanden. Deren Kleidung verriet, daß sie ebenfalls Raumfahrer waren. Es konnten nur die Be satzungen von Raumschiffen sein, die auf Enderleins Tiegel abgewrackt wurden. Ein etwa zwei Meter breiter Gang führte vom Zelt weg in Richtung Lagermitte. Auf ihm bewegten sich einige bewaffnete Facet tenäugige. Die Unterkünfte waren nicht ab geschlossen, sondern hatten einen Ausgang zu dem breiten Gang hin. Dennoch zweifelte Thalia nicht daran, daß sie und die anderen Raumfahrer Gefangene waren. »Das kann nicht sein«, widersprach der Arkonide. »Es mag vielleicht für uns zutref fen, nicht aber für die anderen. Es sind Raumfahrer, die im Dienst der Mächte der Schwarzen Galaxis stehen. Keine Macht des Universums aber kann seine Raumschiffe nur mit Gefangenen besetzen. Das würde früher oder später zu einer Katastrophe füh ren.« »In der Schwarzen Galaxis ist vielleicht alles anders als anderswo.« »Mag sein«, räumte Atlan ein, »aber ge wisse Grundsätze sind auch hier gültig.« Er trat an eine der seitlichen Begrenzun gen heran und blickte zu den Raumfahrern in dem benachbarten Bereich hinüber. Es waren dunkelhäutige, gedrungene Gestalten.
33 Sie hatten grobgeschnittene Gesichter mit breiten Wangenknochen, tiefliegenden Au gen, fliehender Stirn und flacher Nase mit dichtbehaarten Nasenflügeln. Filigranartige Fühler zierten die Kinnladen und einen Teil des Kopfes. An den Seiten des Schädels und am Hinterkopf wurden sie von rötlichen Haarbüscheln überwuchert. Sie trugen schwarze Raumanzüge, deren Helme zu beiden Seiten zu den Schultern hin aufgeklappt und zusammengefaltet wur den. Als Atlan sich dem Zaun näherte, wurden sie sofort aufmerksam. Sie diskutierten leb haft miteinander, und dann erhob sich einer von ihnen und kam zu dem Arkoniden. Er entblößte zwei Siebplatten, die die Stelle der Zähne einnahmen. Grüßend streckte er Atlan beide Hände entgegen, wobei er ihm die Innenflächen zeigte. Der Arkonide begriff, daß er ihm da mit Friedfertigkeit anzeigen wollte. Er ahm te die Geste nach. Der andere sprach in einer unbekannten Sprache auf ihn ein. Atlan antwortete in Pthora, doch der Fremde verstand ihn nicht. Er gab jedoch nicht auf, sondern bemühte sich, die Sprache des Arkoniden zu erlernen. Dabei zeigte sich, daß er über ein erstaunli ches Sprachgedächtnis verfügte, das dem Atlans überlegen war. Der Arkonide war beeindruckt. Derartiges hatte er noch nicht erlebt und auch nicht für möglich gehalten. Fünfzehnvierzehn, wie sich sein Gegenüber nannte, war ein Sprach genie, das Aufbau und Methodik von Pthora augenblicklich erfaßte und daraus Worte und Begriffe ableiten konnte, die Atlan noch gar nicht erwähnt hatte. Fünfzehnvierzehn war ein Peroppaner. Seine Heimatwelt lag im Randgebiet der Schwarzen Galaxis. Bereitwillig informierte er Atlan über al les, was er wußte, nachdem sie einige Stun den beieinander gesessen, Sprachübungen gemacht und sich über allgemeine Dinge un terhalten hatten. »Ich werde nicht mehr lange hier blei
34 ben«, erläuterte der Peroppaner, der Atlan immer besser gefiel. »Ich bin bereits seit vier Wochen hier. Morgen werden wir abge holt.« »Wohin wird man euch bringen?« »Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich zu einer Werft im Süden. Wir werden ein neues Schiff bekommen und Enderleins Tiegel da mit verlassen.« »Das hat man euch schon gesagt?« Fünf zehnvierzehn lächelte. »So ist es schon immer gewesen«, erwi derte er. »Wenn ein Raumschiff havariert, wird es von einem Tender zu einer Welt wie dieser geholt. Es wird repariert, wenn der Aufwand dafür nicht zu groß ist, oder abge wrackt. Dann bekommt die Besatzung ein neues Schiff, mit dem es …« Er zuckte zusammen, erhob sich und eilte grußlos davon. Atlan drehte sich überrascht um. Er sah, daß zwei fast drei Meter große Roboter an der Öffnung zum Gang standen. Sie bestanden aus einem schwarzen Kunst stoff. Die Gelenke lagen frei. Sie waren aus Stahl gefertigt. Die humanoiden Gestalten hatten acht Arme, von denen vier mit be drohlich aussehenden Strahlern bestückt wa ren. Die Waffen waren auf Atlan gerichtet. Die flimmernden Abstrahlfelder vor den Projektoren sprachen eine deutliche Spra che. Langsam richtete der Arkonide sich auf. Er hob die Hände, um anzuzeigen, daß er keinen Widerstand leisten würde. Er spürte, wie sich ihm der Magen ver krampfte. Er mußte an die Warnungen den ken, die Thalia ausgesprochen hatte, und erst jetzt wurde er sich dessen bewußt, wie sehr er sie mißachtet hatte. In aller Offenheit hatte er sich an den Energiezaun gestellt und mit einem der La gerinsassen gesprochen, kaum daß er hier gewesen war. Damit hatte er sich deutlich von allen anderen abgesetzt, die sich davor hüteten, aufzufallen. Einer der Roboter schritt auf ihn zu. Der Boden erzitterte unter seinen Füßen.
H. G. Francis Thalia kam aus dem Zelt. Entsetzt blieb sie stehen, als sie sah, was geschah. Ihr Ge sicht straffte sich. Atlan, der sie genau kann te, wußte, daß sie fieberhaft überlegte, wie sie ihm helfen konnte. »Du kannst nichts tun«, sagte er laut. »Mir passiert nichts, solange ich mich nicht wehre.« Er ahnte, was der Roboter von ihm wollte. Wenn Solka ihn mit dem Auftrag geschickt hätte, ihn zu töten, dann hätte er es längst getan. Während die Energiestrahler auf ihn ge richtet blieben, griffen die Kunststoffhände nach den Verschlüssen des Goldenen Vlie ses. Sie rissen sie auf. Atlan wehrte sich nicht. Er wußte, daß der Roboter sofort schießen würde, wenn er es tat. Die Maschine zerrte das Goldene Vlies herunter und riß es an sich. Sie warf es sich über die Schulter, drehte sich um und ent fernte sich. Atlan ging zu Thalia. »Ruhig«, sagte er warnend. »Vorläufig können wir nichts machen.« »Du Narr«, entgegnete sie. »Es ist für dich verloren. Glaube nur nicht, daß du es jemals zurückbekommst. Was Solka einmal hat, gibt er nicht zurück. Sei froh, daß die Roboter dich nicht getötet haben.« »Ich bin es«, antwortete der Arkonide. »Ehrlich gesagt, hat mich überrascht, daß sie es nicht getan haben. Es paßt nicht zu der Mentalität Solkas, mich leben zu lassen.« »Eben. Er beseitigt diejenigen, die ihm et was streitig machen könnten – sei es die Macht, oder sei es etwas anderes.« Ihre Augen verdunkelten sich. »Wir sind ein zu hohes Risiko eingegangen«, stellte sie fest. »Jetzt bleibt uns keine andere Wahl. Wir müssen von hier verschwinden. Wir müssen das Lager verlassen, je früher, desto besser.« »Und wohin willst du dich wenden?« Sie zuckte mit den Schultern. Darauf hatte sie keine Antwort. »Glaubst du, daß Solka und seine Männer alles regeln, was auf dieser Welt geschieht?«
Die Schwarze Galaxis fragte er. »Eigentlich nicht«, erwiderte sie und schüttelte den Kopf. »Ich kann es mir nicht vorstellen.« »Solka und seine Leute sind vermutlich so etwas wie eine Hilfspolizei, die auf ihre Weise für Ordnung sorgt. Die Werften aber müssen von irgend jemandem gelenkt wer den.« »Du glaubst, daß es irgendwo einen Steu ermann gibt?« »Ich glaube, daß es eine Zentrale gibt. In ihr wird gespeichert, von wo die Notrufe der havarierten Raumschiffe kommen, welche Raumschiffe geborgen werden und wohin die neuen Raumschiffe fliegen. Von der Zentrale aus werden die Werften gesteuert und wahrscheinlich auch die spinnenförmi gen Transportgeräte überwacht. Du hast recht. Wir müssen das Lager verlassen und die Zentrale suchen. Ich werde noch einmal mit Fünfzehnvierzehn reden. Vielleicht hat er etwas von einer Zentrale gehört. Wenn wir wissen, wo sie ist, finden wir sie auch.« Er bemerkte, daß keine Roboter mehr in der Nähe waren, und kehrte zum Energie zaun zurück, an dem er mit dem Peroppaner gesprochen hatte. Nachdem er einige Minu ten gewartet hatte, kam Fünfzehnvierzehn zu ihm. Er erkannte ihn an der Art, wie er sich bewegte, wieder. »Ich habe gewußt, daß sie dir das Ding abnehmen würden«, erklärte er. »Es war zu auffällig. Ich wollte dich warnen, fand die richtigen Worte jedoch nicht.« »Nicht so schlimm.« »Du kennst Solka noch nicht. Es ist noch nicht zu Ende.« Atlan erschrak. Wiederum wurde er sich bewußt, daß er einen schweren Fehler ge macht hatte. Er wollte den Peroppaner fra gen, wie er sich die weiteren Schritte Solkas vorstellte, hielt es aber dann für wichtiger, sich nach den machtpolitischen Gegebenhei ten zu erkundigen. »Woher bekommt ihr eure Befehle?« fragte er. »Das weiß ich nicht. Niemand weiß es.
35 Ich glaube, daß sie vom Zentrum der Gala xis kommen, aber ich weiß es nicht.« Fünf zehnvierzehn wurde plötzlich nervös. Er suchte nach Worten. Atlan hatte den Ein druck, daß er sich für sein geringes Wissen entschuldigen wollte. »Es gibt gewisse Ge rüchte. Sie besagen, daß wir am Rand eines gewaltigen Sternenreiches leben, dessen Machtzentrum sich im Mittelpunkt der Schwarzen Galaxis befindet.« »Bist du niemals dort gewesen?« Der Peroppaner lachte. »Fragen stellst du! Du solltest doch wis sen, daß niemand von uns dorthin gelangt. Wir operieren hier am Rand der Galaxis. Tust du es nicht auch?« »Nein. Ich stamme aus einer anderen Ga laxis. Ich weiß so gut wie nichts über die Schwarze Galaxis und ihre Herren.« Dieses Geständnis überraschte Fünfzehn vierzehn derart, daß er einige Minuten lang keine klaren Gedanken fassen konnte. Er stand Atlan gegenüber und suchte nach Worten. Einige Male gab er einige Laute in einer dem Arkoniden unbekannten Sprache von sich. Er schien sich nicht vorstellen zu können, daß jemand den Abgrund zwischen den Galaxien überwinden konnte. »Wenn es so ist«, erklärte er endlich, »kannst du nicht wissen, wie die Verhältnis se bei uns sind.« Es schien, als habe er Mit leid mit dem Arkoniden, doch das konnte dieser nicht klar erkennen, da es nach so kurzer Zeit schwer für ihn war, Tonfall und Körpersprache richtig zu deuten. »Wo bist du eingesetzt gewesen?« fragte er. »Dort, wo die anderen auch gewesen sind. Stets nur in der Peripherie der Schwarzen Galaxis.« »Und was waren deine Aufgaben?« »Strafexpeditionen, Überfälle und Ver nichtungsfeldzüge. Wir sind überall gefürch tet. Wo wir erscheinen, bricht das Chaos aus.« Fünfzehnvierzehn sprach langsam und stockend. Er war sich dessen bewußt, daß er nicht von Ruhmestaten sprach. Atlan spürte,
36 daß sein Volk ebenso wie andere in Notwehr handelten. Es gehorchte den Befehlen, die aus dem Nichts kamen, weil es keine andere Wahl hatte. Wer sich den Befehlen wider setzte oder sie ignorierte, wurde selbst das Opfer von Vernichtungsfeldzügen. Unter solchen Umständen zogen Fünfzehnvierzehn und sein Volk es vor, die übertragenen Auf gaben zu erfüllen. Atlan merkte, daß die Bereitschaft des Pe roppaners nachließ, Fragen zu beantworten. Bisher hatte Fünfzehnvierzehn das Bedürf nis gehabt, mit einem Fremden zu reden. Jetzt hatte er allzu viel über sich selbst ver raten. Er begann sich zurückzuziehen, doch noch gab Atlan ihn nicht frei. »Sicherlich gibt es eine Zentrale der Macht auf diesem Planeten«, sagte er. »Weißt du, wo sie ist?« »Im Süden.« Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über die Au gen. »Wenn du glaubst, daß du sie erobern kannst, dann irrst du dich. Erstens kommst du nicht an Solka vorbei, und zweitens ist die Zentrale eine Festung. Ich habe sie ein mal von einem Raumschiff aus gesehen. Sie ist uneinnehmbar.« Er erhob sich. »Wir haben genug miteinander geredet«, fügte er hinzu. »Berichte dem Dunklen Bru der, daß ich mich bemüht habe, deine Ein samkeit erträglicher zu machen.« Verwirrt blickte Atlan ihn an. »Ich verstehe dich nicht«, erwiderte er. »Wer ist der Dunkle Bruder?« »Du wirst ihm noch in dieser Stunde be gegnen.« Auch damit wußte der Arkonide nichts anzufangen. »Geh noch nicht«, bat er. »Ich möchte wissen, warum du Fünfzehnvierzehn heißt.« »Das ist kein Geheimnis«, antwortete der Peroppaner. »Ich stamme von dem Großen Begründer ab. Ich bin der tausendfünfhun dertvierzehnte Nachfahre.« Er drehte sich um und ging ohne ein wei teres Wort davon. Atlan blickte ihm lange nach. Er bedauerte, daß Fünfzehnvierzehn
H. G. Francis das Gespräch abgebrochen hatte, und er hoffte, daß er es zu einem späteren Zeit punkt fortführen würde. Als er sich umwandte, weil er zum Zelt gehen wollte, begriff er. Einige Meter von ihm entfernt stand ein facettenäugiger Mann. Er hielt ein rotes Flammenschwert in den Fäusten. Auf dem Gang näherten sich zehn weitere Männer. Ihnen folgte Solka, der nun das Goldene Vlies trug. Atlan erkannte ihn an der goldenen Waffe, die in einer Öse an sei ner Hüfte hing. Zwei schwarzgekleidete, maskierte Ge stalten schritten hinter ihm her. Sie trugen ein mit Gold und Edelsteinen verziertes Holzgestell, in dem zwei lange und zwei kurze Schwerter steckten. Schweigend betraten die Facettenäugigen den umzäunten Bereich, den sie zuvor Atlan und seinen Begleitern zugewiesen hatten. Thalia eilte zu dem Arkoniden. »Was hat das zu bedeuten?« fragte sie. »Solka will einen Zweikampf«, antworte te Atlan. »Du hattest recht. Es ist seine Art, jeden auszuschalten, der ihm gefährlich wer den könnte, bevor er ihm tatsächlich gefähr lich wird. Jetzt bin ich dran.« Ihre Augen verengten sich. Sie blickte ihn durchdringend an. »Du wirst ihn vernichten«, sagte sie hef tig. »Du wirst diesen Mörder beseitigen.« Er lächelte. »Ich werde mir Mühe geben«, erwiderte er. »Du weißt, wo das Goldene Vlies schwa che Stellen hat«, sagte sie. »Nutze sie. Und denke nicht daran, was geschieht, wenn Sol ka stirbt.« »Das wird sich nicht vermeiden lassen«, bemerkte er leichthin. »Du könntest dich in zwischen danach umsehen, wie wir von hier verschwinden.« Er war sich darüber klar, daß er sich in ei ner fast aussichtslosen Lage befand. Er kannte die Regeln nicht, nach denen das Du ell verlaufen sollte. Das aber schien eine große Rolle zu spielen, da Solka mit einem
Die Schwarze Galaxis derartigen Aufwand zu ihm kam, anstatt ihm einen Mörder zu schicken, der ihn aus dem Hinterhalt beseitigte. Dabei glaubte Atlan nicht, daß Solka ein Risiko einging. Er war davon überzeugt, daß Solka sich gegen ein tödliches Ende abgesichert hatte. Und er vermutete, daß irgendeiner seiner Helfer mit angeschlagener Energiewaffe den Kampf beobachten würde, um Solka zu beschützen. Doch auch wenn es ihm gelang, Solka zu besiegen, war nichts gewonnen. Er war von hohen Energiewänden umgeben, die er nicht überwinden konnte. Ging er als Gewinner aus dem Duell hervor, konnte er nicht flie hen. Dann mußte er damit rechnen, daß die anderen Facettenäugigen über ihn herfielen. Ihm blieb jedoch keine Wahl. Er mußte kämpfen. Er nickte Thalia lächelnd zu, um ihr Mut zu machen, und ging auf Solka zu. Dieser hob den rechten Arm und ballte die Hand zur Faust. Atlan antwortete mit der gleichen Geste. Einer der schwarzgekleideten Männer reichte Atlan ein kurzes und ein langes Schwert. Er nahm die Waffen und legte sie grüßend an die Stirn. Solka kreuzte seine Schwerter vor der Brust und verneigte sich vor ihm. Atlan wollte auch diese Geste erwidern, als der Facettenäugige plötzlich angriff. Im letzten Moment konnte der Arkonide einem tödlichen Stoß ausweichen. Die Klinge des kurzen Schwertes fuhr ihm unter dem Arm, hindurch und verletzte ihn leicht. Er at tackierte Solka mit einer Reihe von Kombi nationen, die den Facettenäugigen offen sichtlich überraschten. Doch Solka über stand den Angriff und trieb Atlan zurück. Plötzlich unterbrach er den Kampf. Er sank auf die Knie und kreuzte die Klingen über dem Kopf. Der Arkonide erkannte, daß diese Pause zum Ritus des Kampfes gehörte, wur de von seinem eigenen Schwung jedoch nach vorn getragen und konnte nicht mehr verhindern, daß sich seine Schwertspitze in die Schulter Solkas bohrte. Das Goldene Vlies verhinderte, daß er ihn verletzte.
37 Ein Schrei der Empörung ging durch die Zuschauer. Er wich von Solka zurück, der in der de mütigen Stellung verharrte, während die an deren Facettenäugigen sich Atlan drohend näherten. Dieser wurde unsicher. Der Kampf nahm einen ganz anderen Verlauf als erwar tet. Solka sprang ebenso überraschend auf, wie er in die Knie gegangen war. Er stellte sich seinen Helfern in den Weg und trieb sie zurück. Dann fuhr er herum und richtete die beiden Schwerter auf Atlan. »Erwarte nicht von mir, daß ich deine Spielregeln akzeptiere«, sagte der Arkonide. »Ich kenne sie nicht, und ich werde sie auch nicht während des Kampfes lernen.« Solka blickte ihn an. Er hatte ihn nicht verstanden. Mit seltsamen, tänzerischen Bewegungen begann er, den Arkoniden zu umkreisen. Dieser begriff, daß Solka damit erneut ei nem vorgeschriebenen Ritual folgte. Er ver suchte nicht, es nachzuahmen. Er beobachte te den Facettenäugigen und war ständig dar auf gefaßt, daß dieser angriff. Doch Minute um Minute verging, ohne daß Solka den Kampf fortsetzte. Die Zahl der Zuschauer wuchs. Von allen Seiten rückten Facettenäugige und Lagerin sassen heran. Atlan sah, daß die niedrigen Energiezäune erloschen. Die Facettenäugigen schwatzten erregt miteinander. Sie genossen das Schauspiel, das Solka ihnen bot. Atlan nutzte die Kampfpause. Mehrmals war er versucht, sei nen Gegner anzugreifen, doch er verzichtete darauf, um die Zuschauer nicht gegen sich aufzubringen. Dabei kam es ihm nicht auf die Facettenäugigen an, sondern auf die an deren, von denen er sich eine Hilfe für den Fall erhoffte, daß er gewann. Plötzlich entdeckte der Arkonide einen Helfer Solkas. Er stand zwischen mehreren Peroppanern. Unter einem Umhang verbarg er eine Strahlwaffe. Atlan bemerkte sie, als der Umhang von einem Windstoß geöffnet wurde.
38 Er änderte seine Taktik. Er ließ Solka nicht mehr herumtänzeln wie bisher, son dern schnitt ihm den Weg ab, sobald er ver suchte, ihn zu umkreisen. So gelang es dem Facettenäugigen nicht mehr, Atlan in eine Position zu bringen, in dem ihm sein Helfer in den Rücken schießen konnte. Solka erkannte, daß Atlan den Schützen bemerkt hatte. Er wurde nervös. Seine tänze rischen Bewegungen waren nicht mehr so exakt wie zuvor. Die Zuschauer reagierten. Sie wurden ruhig. Atlan hatte den Eindruck, daß sie nicht mehr mit Solka einverstanden waren. Dieser wurde noch unsicherer. Atlan sah, daß er sich in die Lippen biß. Er lächelte und verhöhnte Solka, indem er einige Tanzschritte nachahmte. Die Zu schauer lachten laut auf. Solkas Gesicht verzerrte sich. Er griff At lan wütend an und versuchte, ihn zu töten. Doch der Arkonide hatte mit einer Attacke gerechnet. Er wehrte sie ab und brachte Sol ka mit einem Tritt gegen die Beine zu Fall. Als der Facettenäugige in den Sand stürz te, wurde sich der Arkonide bewußt, daß er einen Fehler gemacht hatte. Er blickte zu dem Mann hinüber, der Solka mit der Waffe absichern sollte. Er sah, daß sich der Ener giestrahler auf ihn richtete. Er sprang zur Seite. Solka schnellte sich hoch und griff er neut an. Atlan parierte, während er gleich zeitig beobachtete, daß sich der Energie strahler senkte. Er ließ sich für den Bruchteil einer Sekunde ablenken. Die Spitze eines Schwertes fuhr gegen seine Brust. Er wich gedankenschnell zurück und verhinderte, daß der Stahl in seinen Körper eindrang. Solka folgte ihm. Er glaubte, daß er eine Chance hatte, Atlan zu erledigen. Der Arkonide schlug die Schwerter zur Seite und stieß zu. Er traf, doch der Stahl durchdrang das Goldene Vlies nicht. Solka lachte. Seine Unsicherheit verflog. Jetzt wußte er, daß er den Kampf gar nicht verlieren konnte. Er entfernte sich einige Schritte von Atlan und vollführte einige Tanzschritte, mit denen er seine Überlegenheit ausdrücken
H. G. Francis wollte. Die Zuschauer honorierten seine Ein lage mit lautem Gelächter. Atlan sah, daß Solkas Helfer die Waffe wieder unter dem Umhang verschwinden ließ, den Kopf schüttelte und sich entfernte. Er schien zu glauben, daß Solka ihm einen überflüssigen Befehl erteilt hatte. Er brauch te nicht einzugreifen. »Gib mir ein Schwert«, sagte Thalia, die einige Schritte hinter Atlan stand. »Wir wer den beide gegen ihn kämpfen. Ich werde nicht zusehen, daß er dich umbringt.« Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe«, rief er ihr zu. »Wozu sich Gedanken über eine Flucht machen?« fragte sie resignierend. »Unser Weg ist hier zu Ende.« »Ich verlasse mich auf dich«, fuhr er sie an. »Hoffentlich vergißt du das nicht.« Sie zuckte zusammen. Ihre Wangen röte ten sich. »Verzeih«, bat sie. »Ich sollte dir Mut machen, nicht aber …« Sie verstummte, als Solka mit ungestümer Kraft auf Atlan eindrang. Die Schwerter schlugen klirrend gegeneinander. Beide Männer hieben wuchtig aufeinander ein und wehrten sich gegen die Attacken des ande ren, indem sie die Schwerter den Waffen des anderen entgegenstemmten. Solka war weitaus geübter im Schwert kampf als Atlan, der ein solches Duell schon lange nicht mehr ausgetragen hatte. Doch der Arkonide hatte den Vorteil des Zellakti vators, der dafür sorgte, daß seine Kräfte nicht erlahmten. Atlan merkte bald, daß die Angriffe des Facettenäugigen nicht mehr so kraftvoll vorgetragen wurden wie zuvor. Solka wollte erneut eine rituelle Pause einle gen, doch das ließ der Arkonide nicht zu. Er wollte ihm keine Erholung gönnen. Die Zuschauer schrien wütend auf, doch Atlan ließ sich nicht aufhalten. Er griff wei terhin an, und endlich gelang es ihm, Solka das lange Schwert aus der Hand zu schlagen. Er warf sich auf ihn und umklammerte ihn mit dem linken Arm. Er ließ sein langes
Die Schwarze Galaxis Schwert fallen, hielt Solkas Arm fest, so daß dieser ihn nicht verletzen konnte, öffnete blitzschnell die Verschlüsse vom Goldenen Vlies, riß Solka herum und bohrte diesem das kurze Schwert in die Brust. Er über raschte Solka, so daß dieser nicht mehr dazu kam, ihn abzuwehren. Der Herrscher von Enderleins Tiegel starb. Atlan riß ihm das Goldene Vlies vom Leib. Thalia schrie ihm etwas zu. Er blickte zu ihr hinüber. Sie zeigte auf den Energiezaun, in dem eine Lücke klaffte. Er erfaßte, daß sie eine Chance hatten. Zusammen mit Tha lia und den Dellos flüchtete er aus dem La ger. Ihn überraschte, daß niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Einige Male blickte er zu rück. Die Zuschauer standen wie erstarrt. Es schien, als hätten sie noch gar nicht erfaßt, daß Solka tot war. Etwa hundert Meter vom Energiezaun entfernt, ruhte das spinnenförmige Trans portgerät auf dem Boden. Atlan rannte dar auf zu. Er stürmte die Rampe hinauf in die Schleuse und schloß das Schott hinter sich, als Thalia und die Dellos im Rumpfkörper waren.
7. Atlan streifte sich das Goldene Vlies über, das er in den Händen getragen hatte. Dann erst wandte er sich an Thalia, die atemlos neben ihm stand. »Wie war das möglich?« fragte er. »Wieso klaffte plötzlich eine Lücke im Energiezaun? Und warum hat uns niemand angegriffen, als Solka tot war?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte sie. »Ich weiß nur, daß wir etwas tun müssen.« Sie zeigte zu einem Fenster hinaus, das sich neben dem Schott befand. Atlan ging zu ihr. Er sah, daß die Facettenäugigen aus ih rer Starre erwacht waren. Aus allen Richtun gen rannten sie auf den spinnenförmigen Transporter zu. »Zur Zentrale«, befahl der Arkonide.
39 Er eilte den anderen voran. Der Gang en dete nach etwa zehn Metern. Dann führte ei ne Wendeltreppe nach oben. Er stürmte sie hinauf und prallte auf halber Höhe mit ei nem facettenäugigen Fremden zusammen. Der Mann war mit einem Messer bewaffnet. Damit versuchte er, den Arkoniden zu töten, doch dieser streckte ihn mit einem Schlag gegen den Kopf nieder. Er stieg über ihn hinweg und überließ es den Dellos, ihn zu fesseln. Die Wendeltreppe endete in der Zentrale. Durch eine breite Fensterfront konnte der Arkonide nach draußen sehen. Hunderte von Facettenäugigen näherten sich der Maschi ne. Einige waren nur noch wenige Meter vom Hauptschott entfernt. Plötzlich stieg di rekt vor dem Arkoniden ein zartes, schleier artiges Geschöpf aus dem Kontrollpult auf. »Fleuvv«, rief der Arkonide überrascht. »Wo kommst du her?« Das Schleierwesen streckte sich zur Seite und deutete auf einen Hebel. »Den Hebel dort«, sagte es leise. Die Stimme, klang traurig und unendlich müde. Atlan drückte den Hebel nach vorn. Irgendwo hinter ihm liefen schwere Maschinen an. Die Kabine schüttelte sich, und dann stieg sie senkrecht in die Höhe. Die Facettenäugi gen blieben unter ihr zurück. »Das war Hilfe in letzter Sekunde«, sagte Thalia. »Wir danken dir, Fleuvv. Hast du für die Lücke im Zaun gesorgt?« »Das habe ich getan«, antwortete das Schleierwesen. »Ich habe den Rest meiner Energie geopfert, um die Barbaren aufzuhal ten, als sie euch folgen wollten. Mehr kann ich für euch nicht tun.« Fleuvv schwebte auf eines der Fenster zu. »Warte«, rief Atlan. »Bleibe bei uns. Wir werden dir helfen, das Zweierwesen zu su chen.« Fleuvv verharrte am Fenster. »Ihr werdet es nicht mehr finden«, erwi derte er. »Es hat die schönste aller denkba ren Existenzebenen verlassen und ist den Weg aller Galionsfiguren gegangen. Ich ha be es gesehen, als ich Ganzelpohn folgte.« »Was weißt du von Ganzelpohn?« fragte
40 Thalia erschüttert. »Ganzelpohn ist den gleichen Weg gegan gen. Ich konnte es nicht verhindern. Nie mand hätte es verhindern können.« Der Rumpfkörper des spinnenförmigen Roboters befand sich in einer Höhe von et wa hundert Metern. Hier verharrte er. Die Maschinen liefen. Atlan beobachtete, daß zahlreiche Facettenäugige an den Beinen des Transporters in die Höhe kletterten, um den Rumpf auf diesem Weg zu erreichen. »Was wirst du tun?« fragte er Fleuvv. »Was ich tun muß«, antwortete dieser. »Ich habe meine Lebensenergien verbraucht. Ich werde dem Zweierwesen folgen.« »Nein, das darfst du nicht tun«, rief Tha lia. »Bitte, nicht.« »Es ziemt sich nicht, sich dem Unver meidlichen entgegenzustellen«, antwortete Fleuvv traurig. »Wir werden dich mit neuen Energien versorgen. Du wirst dich erholen«, sagte Thalia. »Die Energien, die ich benötige, gibt es nicht auf dieser Existenzebene«, erwiderte das Schleierwesen, glitt durch das. Glas der Scheibe und schwebte davon. Atlan und Thalia konnten es noch einige Minuten lang sehen, dann verschwand es hinter der Run dung des Rumpfkörpers. »Du mußt etwas tun«, sagte sie und zeigte auf einige Facettenäugige, die sich über die Beine des Transporters heranarbeiteten. Atlan wandte sich den Kontrollen zu. Die Steuerung der riesigen Maschine war denkbar einfach. Er brauchte nur vier Hebel für die verschiedenen Richtungen zu bewe gen. Alles weitere wurde automatisch erle digt. Atlan drückte einen der Hebel nach vorn, und die Maschine bewegte sich voran. Die riesigen Beine schoben sich langsam und schwerfällig vor. Die Facettenäugigen, die versuchten, über die Beine an den Zen tralkörper zu kommen stürzten in die Tiefe. Atlan drückte den Hebel weiter vor, und die Maschine beschleunigte. Danach pro bierte er die anderen Hebel aus und stellte fest, daß sich der Transporter leicht lenken
H. G. Francis ließ. Er entfernte sich etwa einen Kilometer vom Lager und zog die Maschine dabei langsam herum, bis sie nach Süden lief. »Übernimm das Steuer«, sagte Atlan zu dem Dello Fälser, der sich als der intelligen teste und geschickteste der Androiden er wiesen hatte. »Wir werden uns ein wenig umsehen. Schließlich müssen wir wissen, ob wir allein an Bord sind, oder ob noch mehr Facettenäugige hier sind.« Er sah, daß einige Dellos die Treppe her auf kamen. An ihrer Spitze ging Pagir. Fäl ser deutete auf ihn. »Das haben sie bereits erledigt«, sagte er. »Es war nur ein Mann an Bord«, berichte te Pagir. »Wir haben ihn gefesselt. Die mei sten Räume sind leer. In einigen lagern Le bensmittel und Maschinenteile.« »Habt ihr Waffen gefunden?« fragte Tha lia. »Leider nicht«, antworte Pagir. Atlan überließ Fälser das Steuer und ging zu ei nem Fenster. Er blickte hinaus. Die Maschi ne bewegte sich mit erheblicher Geschwin digkeit voran. Der Arkonide schätzte, daß sie etwa sechzig Kilometer in der Stunde zu rücklegten. Sie näherten sich der Küste eines Meeres. Auch hier lagerten riesige Mengen Schrott. Im Westen erhoben sich die Gerüste einer Werft, die sich über ein Gelände von mehre ren Quadratkilometern erstreckte. In Metall schmelzen wurde das Material für den Bau neuer Schiffe aufbereitet. Fälser lenkte die Maschine nach Osten und folgte der Küste. Thalia, die die Zentrale für einige Minu ten verlassen hatte, kehrte sichtlich erregt zurück. »Atlan – sie folgen uns«, rief sie. Der Arkonide eilte zu ihr. »Komm. Ich zeige es dir«, sagte sie und lief die Treppe hinunter. Sie führte den Ar koniden in einen Raum im hinteren Bereich des kugelförmigen Rumpfes. Durch große Fenster fiel das Licht der im Westen unter gehenden Sonne herein. Thalia streckte wortlos den Arm aus. Sie zeigte in die Ge
Die Schwarze Galaxis gend, aus der sie gekommen waren. Von dorther kam ein anderer Transporter. Er war etwas kleiner als jener, in dem Atlan und Thalia sich befanden, erreichte jedoch eine höhere Geschwindigkeit. »Sie werden uns eingeholt haben, bevor die Sonne untergeht«, sagte sie. »Sie können besser damit umgehen, und sie sind schnel ler als wir.« »Das habe ich befürchtet«, bemerkte der Arkonide. »Ich hatte jedoch gehofft, daß wir im Schutz der Dunkelheit entkommen wür den. Nun bleibt uns nur noch, ins Wasser zu gehen. Wahrscheinlich können sie uns nicht folgen.« Er blickte nachdenklich zu dem anderen Transporter hinüber. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Wir laufen nicht vor ihnen weg. Wir greifen an. Wir sind stärker. Mag sein, daß die anderen besser mit dem Transporter umgehen können, aber das hilft ihnen nichts, wenn wir sie rammen. Komm.« Zusammen mit Thalia kehrte er in die Zentrale zurück. Fälser blickte ihn fragend an, als er das Steuer wieder übernahm. »Wir müssen kämpfen«, erklärte er. »Hoffentlich haben die anderen keine Waf fen, sonst erwischen sie uns.« Vorsichtig lenkte er den Transporter her um, bis er durch die Fenster der Zentrale nach Norden sehen konnte. Die andere Ma schine war noch etwa zwei Kilometer von ihnen entfernt, kam jedoch rasch näher. Atlan sah, daß mehrere humanoide Ge stalten auf der oberen Rundung des Zentral körpers zwischen einigen Kränen standen. »Sie haben den Verstand verloren«, sagte er. »Sie wollen sich mit den Kränen zu uns übersetzen lassen, aber das wird ihnen nicht gelingen. Sobald wir mit ihnen zusammen prallen, stürzen sie von der Kugel. Und wenn sie es doch schaffen, erreichen sie nichts gegen uns.« Er rief einige der Dellos zu sich und be fahl sie nach oben. »Verlaßt die Kugel nicht«, sagte er.
41 »Bleibt an Bord, aber sichert die Zugänge, so daß niemand von außen hereinkommen kann.« Atlan beschleunigte. Dabei ließ er die Transportmaschine probeweise mal zur einen, mal zur anderen Seite ausweichen. Er wollte sie so gut wie möglich kennenlernen, um ihre Möglichkeiten ausschöpfen zu kön nen. Als die beiden Maschinen noch etwa fünfhundert Meter voneinander entfernt wa ren, sah Atlan, daß die anderen die telesko partigen Beine ihres Transporters weiter ausfuhren, bis sie eine Länge von fast hun dert Metern erreichten. Dadurch hoben sie den Kugelleib so hoch, daß er den Rumpf körper von Atlans Maschine überragte. »Was haben sie vor?« fragte Thalia. »Wollen sie über uns hinwegklettern?« Die gegnerische Maschine drehte sich leicht zur Seite, so daß eines der Beine di rekt auf sie wies. Atlan verzögerte. Die mächtigen Stahlbeine bewegten sich langsa mer voran. »Was ist los?« fragte Thalia, die einen technischen Kampf dieser Art nie erlebt hat te. »Sie waren darauf, daß wir sie rammen«, erklärte der Arkonide. »Sie glauben, daß wir mit Höchstgeschwindigkeit gegen sie anstür men. Wenn wir das tun, strecken sie das vor dere Bein wie einen Spieß aus und durch bohren uns damit.« Sie erbleichte. Jetzt er kannte sie die Falle auch, die die anderen ih nen gestellt hatten. Atlan hielt die Maschine an. Jetzt waren sie noch etwa dreihundert Meter von dem anderen Transporter entfernt. Der Arkonide wartete einige Minuten ab. Als dann noch kein Angriff erfolgte, lenkte er den Trans porter vorsichtig zur Seite und um den ande ren herum, bis sich beide Maschinen frontal gegenüberstanden. Wieder wartete er. Jetzt konnte er die humanoiden Gestalten auf der Oberseite der anderen Kugel deutlich erkennen. Er sah, daß die meisten von ihnen sich mit Seilen abgesichert hatten. Als die Facettenäugigen nach mehreren
42 Minuten noch immer abwarteten, rückte At lan einige Meter weit vor. Die anderen rea gierten augenblicklich und wichen entspre chend weit zurück. Dabei drehten sie sich abermals ein wenig zur Seite. Die Absicht war klar erkennbar. Die Facettenäugigen hatten ihren ursprünglichen Plan noch nicht aufgegeben. Nach wie vor wollten sie Atlans Maschine aufspießen. Der Arkonide bewegte seinen Transporter nun erneut vorsichtig um den anderen her um, bis sich beide wieder mit ihren Vorder seiten gegenüberstanden. Dann wich er etwa vierzig Meter weit zurück. Dabei lockte er den anderen hinter sich her. Dann griff er überraschend an. Die riesige Transportma schine raste auf ihren spinnenförmigen Geg ner zu. Innerhalb weniger Sekunden schmolz der Abstand zwischen den beiden Kontrahenten zusammen. »Paß auf. Sie wenden«, schrie Thalia. Die Facettenäugigen drehten ihre Maschi ne zur Seite. Ein Bein schoß vor und streck te sich aus wie ein Spieß. Doch die Männer des besiegten Solka waren nicht schnell ge nug. Atlan war heran, bevor das Bein seine volle Wirkung entfalten konnte. Die mit scharfen Krallen und Dornen versehene Spitze des Beines stieß gegen die Stahlku gel, rutschte jedoch an ihrer Seite ab. Ein ohrenbetäubendes Lärmen und Kra chen erfüllte die Zentrale. Der Boden schien zu bersten. Atlan und Thalia klammerten sich an die Instrumente. Einige Dellos flo gen schreiend durch die Zentrale. Dann prallten die beiden Rumpfkörper gegenein ander. Die kleine Kugel traf die Maschine Atlans weit über der Zentrale und zertrüm merte die Stahlplatten der Kugelhülle. Atlan verlor den Boden unter den Füßen. Er konn te sich nicht mehr halten. Er stürzte und rutschte quer durch die Zentrale. Erst an der Sicherheitsbegrenzung der Wendeltreppe konnte er sich abfangen. Er blickte zum Instrumentenpult, das sich nun nicht mehr vor ihm, sondern schräg über ihm befand. In der Transportkugel polterte und rumorte es. Die Antriebsaggregate ar-
H. G. Francis beiteten mit Vollast. Kreischend und dröh nend bewegten sich die Beine der Maschine, doch es schien, als rühre sich diese nicht von der Stelle. Atlan richtete sich auf. Er stieß sich ab und stürmte die Schräge zum Instrumenten pult hinauf. Es gelang ihm, einen der Hebel zu packen und herumzureißen. Der gegneri sche Transporter rutschte an der Maschine Atlans herunter, bis der Arkonide in die nur wenige Meter entfernte Zentrale der Facet tenäugigen sehen konnte. Diese hatten ähnli che Schwierigkeiten wie er. Sie versuchten, ihren Transporter von seinem zu lösen. Nur mit Mühe hielten sie sich auf den Beinen, weil ihre Kugel zu stark erschüttert wurde. Atlan riß zwei Hebel zu sich hin. Krachend bohrten sich zwei Stahlbeine in den Kugelleib des anderen Transporters und schleuderten ihn etwa siebzig Meter weit zu rück. Atlan sah, daß die Männer, die sich oben auf der Kugel aufgehalten hatten, ab gestürzt waren. Sie hingen an den Sicher heitsleinen und pendelten hilflos an der Ku gelhülle hin und her. Der Rumpf der anderen Maschine war stark beschädigt. Über und unter der Zentrale klafften riesige Löcher. Atlan zweifelte nicht daran, daß seine Maschine ähnlich oder gar noch schlimmer aussah. Der kleinere Rumpf war mit verhee render Wucht eingeschlagen und mußte da bei beträchtliche Zerstörungen angerichtet haben. Der Boden der Zentrale senkte sich. Thalia und die Dellos eilten zum Instrumen tenpult zurück. Atlan wollte erneut angrei fen, als er bemerkte, daß eines der Beine nicht mehr funktionierte. Er beugte sich vor und blickte zum Fenster hinaus. Er sah, daß er an der linken Seite der Maschine ein Bein am Kniegelenk abgebrochen war. Unglück licherweise hatte es sich jedoch nicht ganz abgelöst, sondern hing noch mit einigen Drahtseilen am Stumpf. Jetzt hatten die Fa cettenäugigen einen klaren Vorteil. Das Laufwerk ihrer Maschine war in Ordnung. »Du mußt angreifen«, sagte Thalia. »Du kannst sie packen. Sie müssen erst die Män ner an den Seilen bergen.«
Die Schwarze Galaxis »Ich warte, bis sie es getan haben«, ant wortete Atlan. »Es kommt mir nicht darauf an, sie zu töten. Ich will ihre Maschine zer stören.« »Glaubst du, daß sie uns schonen?« fragte sie erregt. »Sie werden uns kaltblütig erledi gen, wenn sie uns erwischen.« »Das wird nicht der Fall sein.« »Was soll diese Rücksichtnahme? Die da drüben sind kaltblütige Mörder, die den gan zen Planeten tyrannisieren. Ohne sie könn ten die Herrscher der Schwarzen Galaxis die anderen Völker nicht versklaven.« Sie griff nach seinem Arm. »Ich habe nie so entsetz lich kalte Augen gesehen wie bei ihnen. Du darfst kein Risiko eingehen.« »Ich kämpfe auf meine Weise«, erklärte der Arkonide ruhig. »Und das nicht nur hier, sondern immer und überall, ganz gleich, mit wem ich es zu tun habe. Du bist nicht anders als ich, Thalia.« Sie ließ seinen Arm los, wandte sich ab und blickte zu den anderen hinüber. In ihrem Gesicht arbeitete es. Sie kannte derartige Kämpfe nicht. Sie war es gewohnt, ihren Feinden direkt zu begegnen und dabei nur das Schwert, die Vars-Kugel oder ihre Fäu ste einzusetzen. »Vielleicht hast du recht«, sagte sie nach einiger Zeit. Atlan bemerkte, daß einige der Instrumen te andere Werte anzeigten als zuvor. Er wußte nicht, welches Instrument für welche Funktionen verantwortlich war, doch war ihm klar, daß abfallende Werte eine sinken de Leistung signalisierten. Irgend etwas in der Transportmaschine war so stark beschä digt worden, daß er mit einem völligen Aus fall rechnen mußte. »Wir müssen den Kampf schnell been den«, erklärte er. »So wie wir es eben ver sucht haben, geht es nicht. Dabei ziehen wir den kürzeren. Also machen wir es jetzt ein wenig anders.« »Was hast du vor?« »Wir müssen dem Ding da drüben die Beine brechen«, erläuterte er. »Wenn es nicht mehr laufen kann, haben wir es ge
43 schafft.« Er sah, daß die Facettenäugigen alle ge borgen hatten, die an den Seilen gehangen hatten. Der Zeitpunkt für einen erneuten An griff war gekommen. »Haltet euch fest«, sagte er. Dann schob er einen der Hebel nach vorn. Die Transportmaschine rannte los. Dieses Mal überraschte der Arkonide die anderen. Sie reagierten um einige Sekunden zu spät. Sie konnten ihre Maschine nicht mehr recht zeitig so drehen, daß sie ein Bein als Spieß benutzen konnten. Die beiden Zentralen näherten sich, bis Atlan die Gesichter der Facettenäugigen se hen konnte. Einige der Männer hielten Ener giestrahler in den Händen. »Vorsicht. Sie schießen«, rief der Aktiva torträger. »Werft euch auf den Boden.« Thalia und die Dellos gehorchten. Sie warfen sich hin. Die Facettenäugigen zer trümmerten die Scheiben ihrer Zentrale mit den Waffen. Atlan riß den rechten Seitwärts hebel herum. Die Maschine drehte sich. Die Facettenäugigen schossen. Mehrere Energie strahlen schlugen in die Fenster vor Atlan und zerfetzten sie. Glassplitter wirbelten durch die Zentrale. Ein Energiestrahl traf den Arkoniden an der Schulter, doch das Goldene Vlies ließ ihn wirkungslos davon abgleiten. Dann hatte Atlan den Rumpfkörper auch schon so weit zur Seite gedreht, daß er die andere Zentrale nicht mehr sehen konnte. Er lächelte, als die Facettenäugigen dennoch weiterschossen. Die Energiestrahlen bohrten sich in die Stahlplatten vor und neben der Zentrale. Glutflüssiges Material spritzte ex plosionsartig davon, schlug jedoch nicht bis in die Zentrale durch. Plötzlich ertönte ein lautes Kreischen, als sich Metall gegen Me tall drückte. Atlan stemmte sich in den Seit wärtshebel. »Jetzt haben wir sie«, rief er Thalia zu, die zu ihm zurückkehrte. »Die Beine haben sich ineinander verhakt. Wenn ich recht ha be, dann haben wir nicht nur die größere Kugel, sondern auch die stärkeren Maschi
44 nen. Sie müßten ausreichen, den anderen die Beine auszureißen.« Das Kreischen steigerte sich zu einem un erträglichen Geräuschinferno. Thalia und die Dellos hielten sich die Ohren zu. Die Zentra le bebte und schwankte, als würde die Transportkugel von haushohen Wellen hin und her geworfen. Dann plötzlich schien etwas zu explodie ren, und die andere Kugel sackte schlagartig nach unten. »Du hast es geschafft!« jubelte Thalia. Atlan riß den Rückwärtshebel an sich. Die Maschine gehorchte. Sie wich vor der ande ren zurück, und abermals kreischte und dröhnte Metall. Die Bewegung der Trans portmaschine verlangsamte sich, so daß At lan bereits fürchtete, festzusitzen. Dann aber löste sich das Gerät von der anderen Ma schine. Ruckartig schnellte sie zurück. At lan, Thalia und die Dellos stürzten über das Instrumentenpult. Für einen kurzen Moment schien es, als sei alles verloren, dann aber eilte die Maschine mit ruhigen und gleich mäßigen Bewegungen weiter. Atlan blickte zum Gegner hinüber. Er lä chelte. Drei der Metallbeine der anderen Maschi ne waren gebrochen. Die Kugel war auf den Boden gestürzt. Die noch intakten Beine ru derten wirkungslos durch die Luft. Aber auch die Transportmaschine des Ar koniden war nicht unbeschädigt geblieben. Eines ihrer Beine blieb auf dem Kampfplatz zurück. Die restlichen vier Beine reichten je doch aus. Auf ihnen konnte sich der Trans porter noch sicher genug bewegen. »Das wollte ich erreichen«, sagte Atlan zufrieden. »Wir haben hoffentlich keine Toten zu beklagen. Bei den anderen haben die meisten, wenn nicht gar alle überlebt, aber sie können uns dennoch nicht aufhalten.« »Bis die nächste Maschine angreift«, sag te Thalia. »Das wird hoffentlich nicht der Fall sein.« Atlan drehte den Transporter um. Dabei zeigte sich, daß er nicht mehr so leicht zu steuern war wie zuvor. Die vier Beine funk-
H. G. Francis tionierten doch nicht ganz störungsfrei. Die Maschine lief rückwärts schneller und bes ser als vorwärts. Dennoch entschied der Ar konide sich dafür, sie vorwärts laufen zu las sen, weil er dann besser sehen konnte. Die Nacht brach herein. Die geschlagenen Facettenäugigen blie ben in der Dunkelheit zurück.
8. Atlan beugte sich vor und blickte mit weit geöffneten Augen in die Dunkelheit. Er konnte kaum noch etwas erkennen. Dröh nend und rumpelnd bewegte sich der Trans porter an der Küste entlang. Eine dichte Wolkendecke verdunkelte den Himmel. Doch dort, wo sich die Wellen am Ufer bra chen, leuchtete das Wasser immer wieder auf. Der Arkonide vermutete, daß Algen oder Kleingetier von der Brandung aufge wirbelt wurde und dabei Licht freisetzte. Doch als der Arkonide den spinnenförmi gen Transporter etwa zwei Stunden lang über das Land geführt hatte, begann es zu regnen. Der Wind trieb die ätzenden Trop fen durch die zerstörten Fenster in die Zen trale, und die Sicht verringerte sich bis auf wenige Meter. »Wir müssen Pause machen«, sagte Atlan und hielt die Maschine an. »Ich kann nichts mehr erkennen.« »Die anderen sind nicht weit hinter uns«, gab Thalia zu bedenken. »Vielleicht finden sie eine andere Maschine, mit der sie uns folgen können.« »Das Risiko müssen wir eingehen.« Atlan schaltete die Antriebsaggregate aus. Der Ku gelkörper sank nach unten, bis die untere Rundung den felsigen Untergrund berührte. »Wir müssen alle Zugänge bewachen, damit sie uns nicht überraschen.« Fälser gab Atlan zu verstehen, daß er es übernehmen wollte, die Wachen einzuteilen. Er verließ die Zentrale. Atlan war froh über seine Hilfe, und er beglückwünschte sich da zu, daß er sich für Fälser als Kommandanten der Dellos entschieden hatte. Jetzt zeigte
Die Schwarze Galaxis sich, daß es gut gewesen war, so viele An droiden mitzunehmen. Nur mit ihrer Unter stützung konnte er sich in einem so großen Gebilde, wie es der Transporter war, be haupten. Atlan ließ den Facettenäugigen ho len, der noch immer an Bord war. Er ver suchte, sich mit ihm zu verständigen, um ihm einige Informationen zu entlocken, scheiterte jedoch, weil der andere nicht zu einem Gespräch bereit war. Enttäuscht schickte der Arkonide ihn wieder weg. »Müssen wir hier unbedingt in der Zentra le bleiben?« fragte Thalia. »Ich bin müde. Ich möchte schlafen. Und du solltest auch ruhen.« »Du hast recht. Gemütlich ist es hier nicht gerade.« Der Wind hatte gedreht. Der Regen peitschte in die Zentrale. Atlan wollte be reits gehen, als ihm auffiel, daß sich das Wasser in wahren Sturzbächen über das Kontrollpult ergoß. Die ätzende Flüssigkeit sickerte in zahllose Fugen und Ritzen. Fälser kehrte in die Zentrale zurück. »Wir müssen die Instrumente absichern«, sagte Atlan. »Das Wasser könnte sämtliche Einrichtungen zerstören. Durchsucht das Schiff nach geeignetem Material und schließt die Fenster, bis es nicht mehr reg net. Beeilt euch.« Fälser rannte davon, und Atlan entschloß sich dazu, einige Stunden zu schlafen. Er war überzeugt davon, daß der Dello die ihm gestellte Aufgabe gut erledigen würde. Er zog sich in einen Raum zurück, der ne ben der Zentrale lag. Hier waren einige Sitz möbel vorhanden, die ein wenig Bequem lichkeit boten. Atlan schlief fast augenblick lich ein. Schon bald darauf weckte Fälser ihn wie der. »Was ist passiert?« fragte Atlan. Eigenar tige Geräusche erfüllten den Transporter. Es knisterte und knackte, als bestünde er zu ei nem großen Teil aus Holz, das sich unter dem Einfluß der Außentemperatur bewegte. »Ich weiß nicht«, antwortete der Dello. »Man kann nichts sehen, aber ich glaube, ir
45 gend etwas macht sich an den Beinen zu schaffen.« Atlan eilte in die Zentrale. Thalia war be reits da. Sie hatte eine der Platten entfernt, mit denen die Fensteröffnungen verschlos sen waren. »Es ist noch zu dunkel«, sagte sie. »Wir müssen warten, bis es hell ist.« »Dann ist es vielleicht schon zu spät«, wandte Fälser unsicher ein. »Wie lange dauert es noch, bis es hell wird?« fragte Atlan. »Etwa zwei Stunden«, erwiderte Thalia. »Es könnte aber auch früher sein.« »Hat jemand durch das Schott hinausge sehen?« »Das wollten wir nicht riskieren«, erklärte Fälser. »Es erschien uns zu gefährlich.« »Es war richtig, auf mich zu warten. Ich gehe zum Schott. Kommt mit.« Am Ende der Wendeltreppe wartete der Dello Donth auf Atlan. Er hatte die Aufga be, den gefangenen Facettenäugigen zu be wachen. »Der Fremde tobt«, sagte er erregt. »Ich glaube, er hat Angst. Er schreit, und er hat versucht, wegzulaufen. Ich habe ihn ange bunden.« »Es ist gut«, erwiderte der Arkonide. »Laß ihn nicht aus den Augen.« Voller Unbehagen ging er weiter. Bis jetzt war er davon überzeugt gewesen, daß sie in der Stahlkugel sicher waren, doch jetzt wuß te er, daß er sich geirrt hatte. Draußen lauer te eine Gefahr, die offenbar übermächtig war. Als er das Hauptschott erreichte, war das Knacken und Dröhnen noch lauter gewor den. »Jetzt hört es sich an, als ob etwas von dem Schiff abplatzt«, bemerkte Thalia. Sie reichte Atlan das Messer, das er dem Facet tenäugigen abgenommen hatte. Er nahm es in die rechte Hand und öffnete das Schott mit der linken. Zischend glitt es zur Seite. Das Licht der Innenbeleuchtung fiel auf einen mit Saugnäpfen versehenen Fangarm, der an einem der Stahlbeine klebte. Er zerrte
46 an dem Metall. Atlan beobachtete, wie die ses sich verfärbte. Er sah, daß zahlreiche Lö cher im Metall gähnten. Krachend löste sich der Fangarm und riß Metallbrocken aus dem Bein. Der Arm verschwand in der Tiefe, während lautes Knacken und Krachen davon zeugte, daß überall andere Fangarme den Transporter angriffen. Ein mit riesigen Saugnäpfen bewehrter Arm fuhr auf Atlan zu. Dieser schloß das Schott. Er hörte, wie der Arm dagegen schlug, er sah, wie das Metall sich verfärbte, und dann platzte ein Drittel des Schottes weg. »Zur Zentrale«, rief der Arkonide. »Wir müssen weg. Wenn wir bleiben, sind wir er ledigt, bevor es hell wird.« »Es ist schon jetzt zu spät«, wandte Thalia ein. »Glaubst du, daß du dieses Ungeheuer abschütteln kannst? Bestimmt nicht.« Sie hastete hinter ihm her bis in die Zen trale. »Doch. Davon bin ich überzeugt«, erwi derte er. »Wir stehen direkt am Wasser. Ich glaube, daß dieses monströse Wesen aus dem Wasser gekommen ist und sich dorthin zurückziehen wird, wenn wir landeinwärts gehen.« Er schaltete die Antriebsaggregate ein. Die Rumpfkugel stieg auf. Thalia entfernte einige Platten, mit denen die Fenster ver schlossen waren. Es regnete nicht mehr, so daß die Platten nicht mehr benötigt wurden. »Es wird bald hell«, sagte sie erregt. »Man kann den Horizont schon erkennen.« Atlan drückte den Fahrthebel zur Seite, und schwerfällig setzte sich der Transporter in Bewegung. Er schob die Beine so lang sam vor, als wären sie mit tonnenschweren Gewichten behängt. »Warum geht es nicht schneller?« fragte Thalia nervös. Ein tentakelartiger Arm er schien vor einem der zerstörten Fenster. Er bewegte sich suchend hin und her. »Wir schaffen es«, entgegnete der Arko nide, der auch jetzt gelassen blieb. »Wahrscheinlich kommen wir gleich schnel ler voran.« Der mit Saugnäpfen besetzte Arm ver-
H. G. Francis schwand in der Tiefe. Irgendwo tief unter der Zentrale ertönte ein Schrei. Er klang so wild und entsetzlich, daß Thalia erschauerte. Plötzlich schnellte sich der Transporter nach vorn. Atlan, Thalia und die Dellos in der Zentrale stürzten. »Wir sind frei«, rief der Arkonide, wäh rend er aufstand. »Jetzt kommen wir schnel ler voran.« Er eilte zum Fenster und beugte sich hin aus. In der Dunkelheit konnte er jedoch nichts erkennen. Immerhin sah er, daß etwas weiß Schimmerndes hinter ihnen zurückb lieb. Vorsichtshalber führte er die Maschine noch einige hundert Meter weiter, dann aber wuchs etwas Dunkles vor ihm auf, und er hielt den Transporter an, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Er wandte sich an Fälser, der einige Meter von ihm entfernt an einem Kontrollpult stand. »Hast du inzwischen ein Funkgerät gefun den?« fragte er. Der Dello schüttelte den Kopf. »Ich habe mir wirklich Mühe gegeben«, beteuerte er, »aber ich habe kein Funkgerät entdeckt.« »Ich kann mir nicht denken, daß es so et was an Bord nicht gibt«, sagte der Arkonide. »Das paßt einfach nicht zu so einer Maschi ne.« Er ließ sich von dem Androiden beschrei ben, welche Bereiche der Rumpfkugel er durchsucht hatte. Dabei zeigte sich, daß Fäl ser tatsächlich alles getan hatte, was in sei ner Macht stand. Er war systematisch und überlegt vorgegangen. »Wir müssen uns einen Trick einfallen lassen«, sagte Atlan. »Jemand, der weiß, wo das Gerät ist, muß uns hinführen.« »Du meinst den Facettenäugigen?« »Genau den. Wir werden ihm ermögli chen, sich zu befreien. Ich vermute, daß er zum Funkgerät laufen wird, um Hilfe anzu fordern.« »Wozu brauchst du ein Funkgerät?« frag te Thalia. »Ich glaube, daß die Zentrale im Süden
Die Schwarze Galaxis von Zeit und Zeit über Funk Befehle aus strahlt. Ich hoffe, daß ich sie auffangen und mich dann auf den Sender einpeilen kann. Wenn entsprechende Geräte an Bord sind, finden wir die Zentrale sehr schnell. Wenn keine da sind, müssen wir unter Umständen wochenlang suchen.« Er setzte Thalia und Fälser seinen Plan in allen Einzelheiten auseinander. Darüber ver ging fast eine Stunde. Allmählich wurde es hell. Atlan blickte hinaus. Er sah, daß sie et wa fünfhundert Meter vor der Küste entfernt waren und vor einer fast senkrecht aufstei genden Felswand standen. Hier wären sie in der Nacht auf keinen Fall weitergekommen. Doch darüber machte sich der Arkonide am wenigsten Gedanken. Entsetzt stellte er fest, daß die unbekannten Angreifer den spinnen förmigen Transporter geradezu in ein Wrack verwandelt hatten. Es erschien wie ein Wun der, daß die Maschine noch nicht zusam mengebrochen war. Von den Laufbeinen waren nur noch dünne Reste vorhanden. Das meiste Metall war verschwunden. Aber auch die Metallvernichter waren nicht ungeschoren davongekommen. Jetzt sah der Arkonide, daß es pilzförmige Wesen waren, die über jeweils einen mit Saugnäp fen besetzten Arm verfügten. Dieser war et wa doppelt so lang wie der Pilzkörper. Bei einigen erreichte der Tentakel eine Länge von etwa zwanzig Metern. »Es müssen Hunderte gewesen sein«, sag te Atlan zu Thalia, die sich neben ihn stellte und ebenfalls hinaussah. »Sie sind aus dem Wasser gekommen, ha ben sich Metall geholt und sind wieder ins Wasser zurückgekehrt. Als wir mit dem Transporter landeinwärts gegangen sind, ha ben viele es nicht mehr bis zum Wasser ge schafft. Sie sind verendet.« An den Füßen der Stahlbeine und im Sand zwischen dem Transporter und dem Meer la gen Dutzende von toten Metallvernichtern. Sie alle hatten sich bemüht, zum Wasser zu kommen, wie die Spuren bewiesen. »Wir können nur hoffen, daß wir nicht noch einmal angegriffen werden«, sagte At
47 lan. Er gab Fälser den Befehl, die Maschine parallel zur Küste zu lenken und sie nach Süden zu führen, sobald sich eine Möglich keit dazu ergab. Dann verließ er die Zentra le, um die Funkanlage aufzuspüren. Wenig später betrat ein Dello den Raum, in dem sich der Gefangene befand. Der Fa cettenäugige saß auf dem Boden. Seine Hän de waren auf den Rücken gefesselt und mit einem zusätzlichen Seil an einem Rohr gesi chert. Der Androide setzte sich vor ihm auf den Boden und begann ein Gespräch. Geduldig versuchte er, eine Verständigungsbasis zu finden, obwohl der Facettenäugige ihn über haupt nicht beachtete. Er zeigte auf sich und auf verschiedene Gegenstände im Raum und nannte die. Bezeichnungen. Eine halbe Stun de lang wiederholte er die Begriffe. Danach sprang er auf und ging einige Mi nuten lang vor dem Gefangenen hin und her, wobei er tat, als überlege er angestrengt. At lan, der ihn aus einem Versteck heraus beob achtete, fand, daß er kein besonders guter Schauspieler war. Aber das spielte keine Rolle, weil der Facettenäugige keine Ver gleiche hatte und sich daher kein Urteil bil den konnte. Schließlich kniete sich der Dello erneut bei dem Gefangenen hin und löste dessen Armfesseln. Sichtlich erleichtert nahm die ser sie nach vorn und massierte sich die ver härteten Armmuskeln. In diesem Moment öffnete Branor die Tür und forderte den Dello auf, mitzukommen. Danach entfernte er sich sogleich wieder. Der Dello zögerte. Wenig später rief Branor ihn erneut. Er erhob sich und ging bis zur Tür, lief dann wieder zu dem Gefangenen und tat, als wolle er ihm erneut Fesseln anle gen, verzichtete dann jedoch darauf und ver ließ den Raum. Der Facettenäugige löste in fieberhafter Eile die Fußfesseln. Er lief zur Tür. In die sem Moment kehrte der Dello zurück. Ein Faustschlag traf ihn am Kinn. Er brach zu sammen und blieb liegen. Der Gefangene stieg über ihn hinweg und blickte sich si
48 chernd um. Er war allein auf einem Gang, von dem zahlreiche Türen abzweigten. Er ahnte nicht, daß überall Beobachter versteckt waren, die ihn nicht aus den Augen ließen. Die Geräusche und die Bewegungen der Rumpfkugel verrieten ihm, daß der Trans porter lief. Die Kugel befand sich daher so hoch über dem Boden, daß er sie nicht ver lassen konnte. Er wußte, daß er es mit mehr als dreißig Gegnern zu tun hatte und daß es sinnlos war, den Kampf gegen sie aufzuneh men. Daher blieb ihm nur eine einzige Mög lichkeit. Darauf hatte Atlan spekuliert. Der Facettenäugige verhielt sich so, wie der Ar konide es erwartete. Er eilte bis in die Nähe der Zentrale. Hier verharrte er mitten auf einem Gang, der zur Zentrale führte. Atlan, Thalia und die Dellos hatten auch hier alles abgesucht, ohne etwas Besonderes zu finden. Der Facettenäugige aber wußte Bescheid. Er entfernte mit einem Griff eine große Platte aus der Wandverklei dung und legte eine Funkanlage frei, die da hinter verborgen war. Bevor er irgend etwas einschalten konnte, öffneten sich die Türen in seiner Nähe. Mehrere Dellos stürzten sich auf ihn und legten ihm Fesseln an. Er kämpfte wild und verzweifelt mit ihnen, weil er begriff, daß er in eine Falle gelaufen war, doch das half ihm nichts. Gegen eine derartige Übermacht konnte er sich nicht be haupten. Als die Dellos den Gefangenen abtrans portiert hatten, sah Atlan sich die Funkanla ge an. Sie war denkbar einfach. In wenigen Minuten wußte der Arkonide, wie sie funk tionierte. Er schaltete sie jedoch noch nicht ein, weil er nicht versehentlich ein verräte risches Signal abstrahlen wollte, sondern wartete, bis er sich seiner Sache völlig sicher war. Thalia beobachtete ihn bei seiner Arbeit. Sie verstand nur wenig von diesen techni schen Dingen. Daher stellte sie auch keine Fragen, sondern wartete ab, bis eine Stimme aus dem Lautsprecher hallte. »Wir sollten den Gefangenen zwingen,
H. G. Francis uns zu helfen«, sagte sie. »Wenn wir ihn hart genug anfassen, wird er sprechen.« »Wir schaffen es auch ohne ihn«, wehrte der Arkonide ab. Er peilte den Empfänger auf den Sender ein. Das war relativ einfach, da die Appara tur über eine bewegliche Antenne verfügte, die er nur auf den Sender auszurichten brauchte. Er schaltete das Gerät ab, als er den besten Empfang erreicht hatte. »Der Sender ist im Süden«, erklärte er. »Mehr wollten wir nicht wissen.« »Wie weit ist er entfernt?« »Das können wir mit diesen einfachen Mitteln nicht herausfinden«, erwiderte er. »Wir ziehen so lange nach Süden, bis wir die Zentrale sehen. Hoffentlich gibt es eine Landverbindung nach Süden.« Er ging in die Zentrale und blickte zum Fenster hinaus. Der Transporter lief noch immer an der Küste entlang nach Osten. Der Unsterbliche sah jedoch, daß sich die Küste in weitem Bogen nach Süden wandte. Fla che, bewaldete Hügel erhoben sich vor ihm. Hier gab es keine technischen Einrichtun gen, und die Landschaft war nicht so stark verschmutzt wie in den Gebieten, aus denen sie gekommen waren. Doch auch hier ragten vereinzelt die Trümmer von Raumschiffen aus dem Grün der Wälder. »Wir halten nicht mehr lange durch«, sag te Fälser, der die Maschine steuerte. »Wir sind schon langsamer geworden, obwohl ich auf volle Kraft gestellt habe.« »Außerdem fürchte ich, daß die Beine bald brechen.« Atlan sah, daß eines der Stahlbeine am unteren Ende eingeknickt war, so daß es die Rumpfkugel nicht mehr ausreichend abstützte. Der spinnenförmige Transporter hinter ließ tiefe Spuren in der Landschaft. Unter seinen Stahlfüßen zersplitterten die Bäume, und meterbreite Furchen blieben im Sand. Große Steine wirbelten wie Spielbälle da von. Sie vermittelten einen Eindruck von der Kraft, die in der Maschine steckte. Thalia war davon überzeugt, daß die Zen trale von Enderleins Tiegel innerhalb der
Die Schwarze Galaxis nächsten Stunden vor ihnen auftauchen wür de. Ungeduldig stand sie am Fenster und blickte nach Süden, während Atlan immer wieder überprüfte, ob sie den richtigen Kurs verfolgten. Als der Tag jedoch verstrich, oh ne daß die Zentrale in Sicht gekommen war, wurde ihr klar, daß noch viel Zeit vergehen konnte, bis sie ihr Ziel erreichten. Tatsächlich marschierte der Transporter fünf Tage lang nach Süden, bis Thalia end lich eine Antenne entdeckte, die weit vor ih nen aus den Felsen einer Bergkette ragte. Bis dahin hatten sie endlos erscheinende Schrottfelder, eine verkarstete Steppenland schaft, Wälder und Sumpfgebiete durch quert, ohne irgend jemandem zu begegnen oder aufgehalten zu werden. Es schien, als seien sie allein auf Enderleins Tiegel. Der Transporter wurde von Stunde zu Stunde langsamer, bewegte sich aber immer noch schneller voran, als sie es zu Fuß getan hät ten. Mit seiner Hilfe überquerten sie mehre re Flüsse und überwanden sie Schluchten, an denen sie sonst gescheitert wären. Thalia holte Atlan aus dem Maschinen raum, wo er versucht hatte, die Leistung des Antriebs zu verbessern. »Es ist eine Antenne«, sagte sie. »Und sie gehört zur Zentrale.« Sie war froh, daß die Tage der Untätigkeit endlich vorbei waren. In ihrem Eifer war sie bereit, alles als Zentrale anzusehen, was auch nur entfernt danach aussah. Als Atlan die Zentrale des Transporters betrat, war die Entfernung bis zu der Anten ne auf etwa zwanzig Kilometer zusammen geschmolzen. »Nun, habe ich recht?« fragte sie. »Ist es die Zentrale?« Atlan sah, daß sie tatsächlich eine Anten ne entdeckt hatte. Sie ragte etwa vierzig Me ter hoch aus den Felsen, war aber das einzi ge Anzeichen für eine technische Anlage. Zwischen ihr und dem Transporter lag ein Dschungelgebiet mit Bäumen, die eine Höhe von mehr als zehn Metern erreichten. Hier kam der Transporter nur noch sehr langsam voran, da die Maschinenleistung nicht mehr
49 ausreichte, die Füße der Stahlbeine über die Bäume hinwegzuheben. So schoben sie sich durch das Gehölz und ließen breite Spuren der Zerstörung hinter sich. Der Wald endete an felsigen Hügeln, die das Vorgelände zu einem steil aufragenden Gebirge bildeten. Die Gipfel der Berge ver schwanden in den Wolken. »Vorläufig ist das nur eine Antenne«, stellte der Arkonide fest. »Sie kann weit von der Zentrale entfernt sein. Warten wir also ab.« Atlan gefiel die Situation nicht. Allzu auf fällig näherten sie sich ihrem Ziel, von dem es hieß, daß es uneinnehmbar war. Er fürch tete, daß die Insassen der Zentrale den Transporter längst entdeckt hatten, zumal er davon ausgehen mußte, daß die Männer des getöteten Solka längst Meldung über den Ausbruch aus dem Lager gemacht hatten. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn er völlig überraschend vor der Zentrale aufgetaucht wäre. Doch von diesen Gedanken sagte er Thalia nichts, zumal sie den Transporter ein setzen mußten, weil sie den Wald ohne ihn nicht hätten durchqueren können. Als sie die felsigen Hügel erreichten, gab er Fälser jedoch den Befehl, den Transporter anzuhalten und die Rumpfkugel abzusenken. Zusammen mit Thalia und zehn Dellos stieg er aus und arbeitete sich über die Felsen bis zur Antenne vor. Als sie diese erreichten, konnten sie die festungsartige Zentrale se hen. Sie lag tief unter ihnen in einer Schlucht. Sie war ein klobiges Stahlgebilde, das ohne erkennenden Plan errichtet worden war. Sie erinnerte Atlan an die Fragmentraumer des Posbis, war jedoch bei weitem nicht so groß. Sie war nur etwa hundert Meter lang, siebzig Meter breit und zwanzig Meter hoch. Eine gut ausgebaute Straße führte von ihr durch die Schlucht. Auf ihr entfernte sich ein gepanzertes Kettenfahrzeug von der Zentrale, die unter einer schimmernden Energieglocke lag. Thalia stieß Atlan mit der Faust an. »Was habe ich gesagt?« rief sie freude
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strahlend. »Wir sind am Ziel.« Atlan nickte erleichtert. Die Spannung fiel von ihm ab. Er wußte, daß die Insassen der Zentrale den Transporter nicht gesehen hat ten. Damit hatten sie nun doch die Chance, sie überraschend anzugreifen. »Es gibt eine Möglichkeit, in die Festung zu kommen«, sagte er. »Wir müssen den Panzer überfallen.«
* In den nächsten Stunden entwickelte At lan eine fieberhafte Aktivität. Er schickte die Dellos zur Erkundung aus, um sich ein Bild von der Lage und von der näheren Umge bung der Zentrale machen zu können. Er er fuhr, daß etwa zwanzig Kilometer von der Zentrale entfernt am Ende der Straße ein La ger mit Raumfahrern lag. Das Panzerfahr zeug hatte es aufgesucht, die Insassen waren jedoch nicht ausgestiegen. Nähere Einzel heiten konnten die Dellos, die dort gewesen waren, nicht berichten. Spuren zeigten an, daß die Straße häufig befahren wurde. Das Lager war umgeben von riesigen Schrottplätzen und metallverarbeitenden Einrichtungen, die vollrobotisch arbeiteten. Auch in den Schluchten der Gebirge schie nen derartige Fabrikationsstätten zu liegen. Als Atlan erfuhr, daß der Panzer zurück kehrte, befand er sich mit Thalia und einigen Dellos unter einer Stahlbrücke, die einen Fluß überquerte. »Der Panzer ist mit vier Fernsehaugen versehen«, berichtete der Dello Branor, der den Erkundungstrupp angeführt hatte. »Die Insassen können ihre Umgebung also in al len Richtungen überwachen.« Damit bestä tigte er Atlan, was dieser bereits gesehen zu haben glaubte. »Wir erwarten den Panzer hier an der Brücke«, erklärte er und zeigte auf einen Stahlträger, der locker im Stützgestänge der Brücke stand. Er hatte ihn in stundenlanger Arbeit herausgelöst. »Schnell … Versteckt euch hinter den Felsen und den Büschen.« Aus der Ferne ertönte bereits das Dröhnen
und Rasseln der Panzerketten. Thalia, Atlan und Fälser versteckten sich unter der Brücke. Die anderen Dellos versteckten sich im Gelände. Der Boden erzitterte unter den Füßen At lans, als der Panzer herankam. Er richtete sich vorsichtig auf und spähte durch ein paar Grashalme, als das Fahrzeug noch etwa zwanzig Meter entfernt war. Aus der Nähe wirkte er noch größer und bedrohlicher als aus der Ferne. Atlan sah, daß der Panzer mit drehbaren Energiestrahlern versehen war. Der Arkonide duckte sich. Plötzlich wurde er unsicher. Er wußte nicht mehr, ob sie es wagen durften, das ge panzerte Fahrzeug anzugreifen. Wenn der Anschlag nicht gelang, war alles verloren. Es kam darauf an, den Panzer anzuhalten und die Insassen zum Aussteigen zu bewe gen. Blieben sie in der Fahrkabine und rie fen sie über Funk Hilfe herbei, gab es kein Entkommen mehr. »Es muß sein«, flüsterte Thalia. Er nickte ihr zu. Der Panzer erreichte die Brücke. Atlan und das Mädchen richteten sich auf. Die Ketten befanden sich direkt neben ihnen. Der Arkonide stieß den Stahlträger um. Er sah, daß er zwischen die Antriebsräder ge riet, und warf sich zu Boden. Thalia ließ sich auf die Knie fallen. Der Stahlträger wirbelte kreischend und dröhnend zwischen Antrie bsrädern und Kette herum. Es schien, als werde er zur Seite geschleudert, doch dann verkeilte er sich zwischen den Rädern und der Kette. Der Panzer blieb ruckartig stehen. Atlan, Thalia und Fälser schoben sich auf die Brücke und schlichen sich an den Panzer heran. Sie krochen auf allen vieren um ihn herum zur anderen Seite. Hier blieben sie liegen und warteten. Nur Sekunden vergingen. Dann öffnete sich an der Oberseite eine Luke. Thalia blickte Atlan an. Sie lächelte. »Wir schaffen es«, wisperte sie. Sie hör ten schwere Schritte. Jemand sprang auf der anderen Seite vom Panzer auf den Boden. Er sprach mit einem anderen Insassen. Dieser
Die Schwarze Galaxis kam ebenfalls aus der Fahrkabine und klet terte herab. Atlan gab das verabredete Zeichen. Er richtete sich auf und schnellte sich auf den Panzer. Mit den Füßen voran sprang er in die offene Luke, während Thalia und der Dello um den Panzer liefen und die fremdar tigen Insassen angriffen. Es waren große, affenähnliche Gestalten, die ein dichtes, zottiges Fell trugen. Atlan sah, daß sie augenblicklich reagierten und sich auf Thalia und den Dello warfen. Er landete auf dem Boden einer kleinen Kabine neben einem dritten Fremden, der in einem Sessel saß und mit beiden Fäusten nach ihm schlug, bevor er überhaupt erkannt haben konnte, was geschah. Er traf Atlans Brust und schleuderte ihn in eine Ecke des Innenraums. Der Arkonide fing sich ab. Er schrocken über die unglaubliche Kraft sei nes Gegners erkannte er, daß er den Kampf nur mit technischen Mitteln gewinnen konn te. Das aber erschien in der engen Kabine so gut wie unmöglich. Dennoch versuchte er es. Der Behaarte stürzte sich auf ihn und schlug abermals mit beiden Fäusten auf ihn ein. Atlan wich zurück, soweit es ihm mög lich war, blockte die Schläge ab und griff dann überraschend an, als der andere bereits glaubte, gewonnen zu haben. Mit einer ge schickten Schlagkombination durchbrach er die Deckung seines Gegners und setzte ihn mit einer Dagor-Serie außer Gefecht. Dabei hämmerten die Handkanten und Ellenbogen auf den Beharrten ein, so daß dieser trotz seiner außerordentlichen Reaktionsfähigkeit überrumpelt wurde. Er stürzte betäubt zu Boden. Atlan riß ein Kabel heraus, das von der Decke herabhing und fesselte ihn damit. Er hörte, daß draußen noch gekämpft wurde. Er sicherte die Luke, so daß sie nicht so ohne weiteres geschlossen werden konn te, und kletterte aus dem Panzer. Fast alle Dellos lagen bewußtlos auf dem Boden. Nur Thalia und Fälser hielten sich noch auf den Beinen, doch war deutlich, daß sie ihren Gegnern unterlegen waren. Die beiden af
51 fenähnlichen Wesen überragten sie um we nigstens fünfzig Zentimeter, und sie verteil ten Schläge von geradezu fürchterlicher Wucht. Atlan sprang den Fremden an, der mit Fälser kämpfte. Er warf ihn zu Boden und betäubte ihn mit einem Handkanten schlag gegen den Hals, bevor er sich wieder aufrichten konnte. Dann kam er Thalia zu Hilfe. Ihr Gegner erkannte die Situation und wollte in den Panzer flüchten. Atlan und Thalia packten ihn jedoch bei den Beinen und zogen ihn wieder zurück. Er warf sich herum, fiel dabei aber direkt in die Faust des Arkoniden, die ihn entscheidend traf. Thalia lehnte sich erschöpft gegen den Panzer. Fälser ließ sich einfach auf den Bo den fallen. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. »Später hättest du nicht kommen dürfen«, sagte sie atemlos. »Ich habe niemals mit Wesen gekämpft, die so stark sind.« Atlan hielt das für eine Übertreibung, schwieg jedoch dazu. Die Dellos kamen wieder zu sich. Sie er hoben sich und fertigten aus ihrer Kleidung geeignetes Material, mit dem sie die Panzer besatzung fesselten. »Sie bleiben vorerst hier draußen. Viel leicht holen wir sie später in die Festung, falls es uns gelingt, sie an uns zu bringen«, erklärte Atlan. »Im Panzer finden höchstens sechs bis sieben von uns Platz. Die anderen bringen die Gefangenen zur Spinne. Kommt. Helft mir. Wir müssen den Panzer wieder flottmachen.« Der Stahlträger hatte sich derart im Fahr werk des Panzers verkeilt, daß Atlan und seine Dellos fast eine Stunde brauchten, bis sie ihn entfernt hatten. Danach beorderte der Arkonide Thalia, Fälser, Wurdihl, Branor, Donth und Trohl in den Panzer. Mehr waren darin nicht unterzubringen. Er selbst steuerte die Maschine. Wie erwartet, war das außer ordentlich einfach. Der Panzer war für We sen gedacht, die bei weitem nicht so intelli gent waren wie Atlan. Daher benötigte er kaum zwei Minuten, bis er ihn fahren konn
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te.
lücke, die gerade so groß war, daß der Pan zer hindurchfahren konnte. Sie schloß sich hinter ihm wieder. Das geschah so schnell, daß niemand hinter dem Panzer hätte ein dringen können. Thalia jubelte erleichtert. »Ich habe schon nicht mehr damit gerech net«, gestand sie lachend. Der Panzer raste mit unverminderter Ge schwindigkeit auf das Stahlgebäude der Zentrale zu. Die Straße führte zu einem ro ten Schott. Dieses öffnete sich automatisch vor der Maschine und schloß sich auch wie der hinter ihr. Atlan stoppte den Panzer in einer Halle, in der sieben weitere Fahrzeuge dieser Art parkten. Daneben standen allerlei Container und unverpackte Materialien herum. Von der Zentralebesatzung war nichts zu sehen. »Also dann«, sagte der Arkonide. »Ich ha be keine Ahnung, wieviel Gegner wir aus schalten müssen. Das wird sich zeigen. Wir können es uns jedenfalls nicht leisten, auch nur einen von ihnen frei herumlaufen zu las sen.« Er blickte Thalia an. Sie lächelte. Sie wa ren sich klar darüber, daß sie einen unerwar tet großen Erfolg errungen hatten. Sie hatten eine als uneinnehmbar geltende Festung im Handstreich gestürmt, ohne daß die Besat zung ihre Anwesenheit bemerkt hatte. »Es sind noch sieben andere Panzer da«, entgegnete Thalia. »Das könnte bedeuten, daß einundzwanzig Männer in der Zentrale sind.« »Das wäre ein wenig zuviel für uns«, be merkte er und befahl, die Luke zu öffnen. Die Dellos kletterten aus dem Panzer. Thalia und Atlan folgten ihnen. »Die Halle hat nur zwei Ausgänge«, stell te sie fest. »Das große Tor, durch das wir gekommen sind, und das kleine dort hinten.« »Wir wollen keine Zeit verlieren«, sagte Atlan.
Er orientierte sich mit Hilfe der Fernseh kameras. Eine Sichtluke gab es nicht. Das Fahrzeug war uneinnehmbar, wenn die Be satzung sich nicht dazu verleiten ließ, auszu steigen. Für die Besatzung der Zentrale war nicht festzustellen, wer in dem Panzer saß. Atlan glaubte daher daran, daß er in die Zentrale eindringen würde, ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen. »Sorge macht mir lediglich der Zeitver lust«, sagte er. »Wenn die Besatzung nach einem festgelegten Zeitplan gefahren ist, kommen wir nicht durch den Energie schirm.« »Warum sollte sie einen Zeitplan haben?« fragte Thalia. »Zeit spielt hier keine Rolle.« »Es geht um die Disziplin«, erwiderte der Arkonide. Auf dem Bildschirm tauchte die festungsartige Zentrale auf, als der Panzer durch eine Kurve fuhr. Nur noch wenige hundert Meter trennten Atlan und seine Be gleiter von ihr. »Die Herrscher der Schwar zen Galaxis könnten einen Zeitplan für alle Tätigkeiten aufgestellt haben, um ihre Helfer auf diese Weise zur Disziplin zu zwingen.« Mit gleichbleibend hoher Geschwindig keit fuhr der Panzer auf den Energieschirm zu. Als er nur noch etwa zwanzig Meter von ihm entfernt war, fragte Atlan sich verzwei felt, ob er einen Code ausstrahlen mußte, um eine Strukturlücke zu schaffen. Rasend schnell schmolz die Distanz zum Energieschirm zusammen. Atlan nahm den Fuß vom Gashebel. Noch zögerte er, auf die Bremse zu treten. »Festhalten«, brüllte er, als der Panzer nur noch etwa zwei Meter vom Energieschirm entfernt war, und ein Zusammenprall unver meidbar erschien. Der Arkonide stellte beide Füße auf die Bremspedale, trat aber noch nicht zu, weil er immer noch hoffte. Thalia und die Dellos preßten sich an die Wände. Sie warteten auf den Zusammen stoß. Doch dieser kam nicht. Als die vorde ren Panzerplatten des Fahrzeugs den Ener gieschirm berührten, entstand eine Struktur-
9. Erst eine halbe Stunde später trafen sie
Die Schwarze Galaxis auf den ersten Gegner. Es war ein untersetz ter Mann aus dem gleichen Volk wie die Panzerbesatzung. Weißes Haar bedeckte sei nen Kopf. Er war alt und ließ sich ohne Ge genwehr fesseln. Atlan war sich dessen al lerdings nicht ganz sicher, ob das auf sein Alter oder die Überraschung zurückzuführen war. Technische Gerätschaften verschiedenster Art deuteten darauf hin, daß sie sich in un mittelbarer Nähe der eigentlichen Zentrale befanden. Atlan wies Thalia und die Dellos an, leise zu sein. Dann öffnete er ein mit fremdartigen Symbolen beschriftetes Schott. Er blickte in einen Raum, in dem vier Männer an kybernetischen Maschinen arbei teten. Sie sprangen auf. Fassungslos blickten sie den Arkoniden an. Er betrat den Raum. Thalia und die Dellos folgten. Sie eilten zu den Seiten, so daß die Besatzung der Zentra le sich bald umzingelt sah. Einer von ihnen griff Atlan an, doch die ser kannte mittlerweile die Kampfart dieser Wesen. Er wich ihm geschmeidig aus, stellte ihm ein Bein und hebelte ihn danach aus. Der Fremde überschlug sich und prallte mit dem Kopf gegen einen Schrank. Betäubt blieb erliegen. Die anderen hoben die Hände und erga ben sich kampflos. Atlan vermutete, daß sie die Lage falsch einschätzten. Sie glaubten, daß nicht nur diese wenigen in die Zentrale eingedrungen waren, sondern daß der Stahl bau von weit mehr Feinden besetzt worden war. Die Dellos legten ihnen Fesseln an. Danach schickte der Arkonide sie in die Teile des Gebäudes, die sie noch nicht durchsucht hatten. Sie kehrten nach einigen Minuten mit einem weiteren Gefangenen zu rück. Dieser hatte sich kräftig gewehrt. Sei ne Fäuste hatten an den Köpfen der Dellos deutliche Spuren hinterlassen. »Die Zentrale ist in unserer Hand«, stellte Atlan danach fest. Er bat Thalia, mit einem Panzer hinauszufahren und die anderen Del los und die Gefangenen zu holen. »Hier ha ben wir sie unter Kontrolle. Wenn wir die
53 Zentrale wieder verlassen, was hoffentlich bald der Fall sein wird, werden wir dafür sorgen, daß sie sich selbst befreien können.« Thalia blickte ihn erstaunt an. »Du willst nicht hier bleiben?« fragte sie. »Dies ist eine Art Festung. Von hier aus kannst du das Geschehen auf dem ganzen Planeten kontrollieren. Und du bist praktisch unangreifbar. Was willst du mehr? Hier bist du in Sicherheit.« Atlan lächelte. »Du weißt, daß es mir darauf nicht an kommt«, erwiderte er. »Ich will in erster Li nie Informationen. Ich will soviel wie mög lich über die Schwarze Galaxis erfahren, über das System der Gewalt, mit dem die hier lebenden Völker offenbar in den Dienst der Mächtigen gepreßt werden, über die Waffen und die Kampfmethodik- und taktik. Hier in dieser Zentrale habe ich eine Aus gangsbasis gefunden. Von hier aus kann ich weiterarbeiten. Ich kann mich an die Gefah ren herantasten, die wahrscheinlich immer größer werden, je weiter man in Richtung Zentrum der Schwarzen Galaxis vordringt. Ich werde versuchen, alles auszuschöpfen, und dann werden wir Enderleins Tiegel ver lassen.« »Womit?« fragte sie. »Du hast kein Raumschiff, und freiwillig wird man dir keins überlassen.« »Ich glaube, daß irgendwann in den näch sten Tagen oder Wochen irgendein Raum schiff von hier aus in Richtung Galaxiszen trum starten wird. Raumfahrer von abge wrackten Schiffen werden die Mannschaft dieses Schiffes bilden, das jetzt gerade ir gendwo auf diesem Planeten auf einer Werft entsteht. Hier in dieser Zentrale werden die Weichen gestellt, – wenn meine Vermutun gen richtig sind. Wir werden vermutlich als erste erfahren, wo dieses Schiff und zu wel chen Bedingungen es startet. Und vielleicht haben wir die Möglichkeit, die Besatzung so zusammenzustellen, daß wir den Hauptanteil daran haben. Wenn die Zentrale einen Sinn hat, dann diesen.« Thalia setzte sich in einen Sessel. Sie
54 lehnte sich in den Polstern zurück und nickte Atlan zu. »Jetzt glaube ich, daß du wirklich bereit bist, alles für Pthor zu tun, was dir möglich ist.« »Du hast gezweifelt?« fragte er über rascht. »Ausgerechnet du? Warum bist du dann mit mir gekommen?« »Weil ich die Wahrheit wissen wollte. Es wäre viel leichter gewesen, auf Pthor zu bleiben und dich einen Verräter zu nennen.« »Aber jetzt bist du dir deiner Sache si cher?« »Absolut.« »Ich gebe zu, daß ich überrascht bin«, sagte Atlan. »Ich war von Anfang an davon überzeugt, daß du mir glaubst.« Das stimmt nicht! signalisierte der Logik sektor. Du kanntest ihre Zweifel von Anfang an. Hast du dich nicht deshalb immer wieder in den Vordergrund geschoben? Hast du nicht deshalb alle Gefahren auf dich genom men? Hast du dich nicht deshalb stets als er ster jedem Kampf gestellt? Und hast du nicht Solka durch psychologisches Fehlver halten herausgefordert? Du wolltest ihr von Anfang an beweisen, daß du kein Verräter bist. »Wolltest du noch etwas sagen?« fragte sie, da ihr auffiel, wie nachdenklich er ge worden war. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist alles in Ordnung. Laß uns jetzt mit dem Verhör beginnen. Je früher wir uns mit den Fremden verständigen können, desto besser.« Damit begannen erneut mühselige Ver ständigungsversuche, die sich über Tage hinwegzogen, und die doch nur wenig ein brachten. Immerhin erfuhr Atlan, daß die af fenähnlichen Intelligenzen sich Bratuden nannten. Sie bekamen ihre Anweisungen über Hyperfunk von einer Welt, die weniger weit vom Zentrum der Schwarzen Galaxis entfernt war. Von dort wurde ihnen befoh len, wo und wie sie die Besatzungen der neuen Raumschiffe einsetzen sollten. Atlan ließ sich von den Bratuden die jeg-
H. G. Francis lichen Widerstand aufgegeben hatten, alle Unterlagen geben und erklären. Die Bratu den schienen erkannt zu haben, daß er beab sichtigte, Enderleins Tiegel so schnell wie möglich zu verlassen und einer Schiffsbesat zung zugeordnet zu werden. Sie machten keinen Hehl daraus, daß sie nur darauf war teten, daß er weiterzog. Doch nach Durchsicht aller Unterlagen erkannte Atlan, daß kein einziges der vie rundfünfzig Raumschiffe, die in den näch sten Tagen starten sollten, in Richtung Gala xiszentrum fliegen sollte. »Das bedeutet, daß wir hier bleiben und warten müssen«, erklärte er Thalia. »Es wä re sinnlos, in der Peripherie der Galaxis zu bleiben. Hier herrschen Terror und Chaos. Sie werden offenbar bewußt herbeigeführt. Vielleicht will man damit eine Art Schutz ring um die inneren Bereiche der Galaxis le gen. Jedenfalls kann unser Ziel nur im Zen trum der Schwarzen Galaxis oder in seiner Nähe liegen, nicht aber hier draußen. Wir warten.« Die Bratuden zeigten sich enttäuscht, als sie erfuhren, daß der Arkonide noch nicht an Aufbruch dachte. Da sie seine Motive nicht kannten, wußten sie nicht, wie sie ihm die verschiedenen Aufträge schmackhaft ma chen sollten. Sie versuchten es, indem sie ihm reiche Beute und ein bequemes Leben versprachen, und sie verstanden nicht, daß er nicht darauf einging. Immer wieder beteuer ten sie, daß sie keine Möglichkeit hatten, über Hyperfunk eine Warnung an die Welt abzustrahlen, von der sie ihre Befehle beka men. »Ihr braucht also nicht zu befürchten, daß wir euch verraten«, sagte der Bratude, mit dem Atlan verhandelt hatte. Es war der Alte, dem sie als ersten in der Zentrale begegnet waren. Er hatte ebenso wie die anderen Bra tuden auch eine panische Angst davor, daß sie aus der Zentrale vertrieben werden soll ten. Niemand auf Enderleins Tiegel lebte so gut wie die Bratuden, und auf dieses beque me Dasein wollten sie nicht verzichten. Atlan erfuhr, daß Solka als Anführer der
Die Schwarze Galaxis Facettenäugigen der Vollstreckungsgehilfe der Bratuden für die Außenwelt war. Er war der planetenumspannende Arm, mit dem sie jeden ihrer Befehle durchsetzten. Der alte Bratude berichtete Atlan, daß Solka mehrere Male versucht hatte, die Zentrale zu stür men. »Doch diese Versuche liegen schon Jahre zurück«, sagte er. »Solka hat längst eingese hen, daß er uns nicht besiegen kann.« »Solka ist tot«, erwiderte Atlan. Der Alte blickte ihn überrascht an. »Unsinn«, sagte er. »Solka lebt. Ich habe ihn noch einige Stunden vor eurem Überfall gesprochen. Sein Stellvertreter ist tot. Er hat mit einem Fremden gekämpft, der …« Der Alte stutzte, blickte Atlan forschend an und drückte sich stöhnend eine Faust ge gen die Stirn. »Jetzt begreife ich. Du bist der Fremde, der den Stellvertreter getötet hat. Solka ist außer sich vor Zorn.« Thalia betrat den Raum. Sie blieb an der Tür stehen und gab Atlan ein Zeichen. Er begriff, daß sie nicht wollte, daß der Alte sie hörte. Er befahl Fälser, der bei ihm war, den Gefangenen wieder in seine Unterkunft zu bringen. Dann folgte er Thalia zur Zentrale, die von mehreren Dellos besetzt war. »Wir haben Glück«, sagte sie erregt. »Das Raumschiff HORIET wird übermorgen hier in der Nähe landen und fünfzig Raumfahrer aufnehmen. Danach wird es in Richtung Ga laxiszentrum fliegen.« »Das ist die Nachricht, auf die wir gewar tet haben«, stellte er fest. »Es ist also kein neues Schiff.« »Nein. Es geht nur darum, die Mann schaftsbestände zu ergänzen.« »Das hätte nicht besser kommen können«, sagte Atlan. »Wir bereiten alles für den Auf bruch vor. Diese Steuerungsanlage wird hof fentlich noch einige Zeit ohne Zutun der Bratuden funktionieren. Wir sperren sie ein und versehen die Tür mit einem Zeitschloß. Dann sind sie frei, wenn wir schon weit von hier entfernt sind. Weißt du den Namen des Planeten, den die HORIET anfliegen wird?«
55 »Es ist der Planet Xudon. Dort ist ein ver botener Markt entstanden, der aufgelöst wer den soll. Das ist unser Auftrag.« Atlan sah sich die Unterlagen durch. Dar aus erfuhr er, daß Xudon über 120 Lichtjah re von Enderleins Tiegel entfernt war. Zwei Tage später landete die HORIET auf einem Raumhafen in der Nähe der festungs artigen Zentrale. Atlan traf die letzten Vor bereitungen für den Aufbruch. Er beabsich tigte, die Zentrale aus Sicherheitsgründen in den Panzern zu verlassen und damit zum Raumschiff zu fahren. Er beschrieb den Del los noch einmal, was sie zu tun hatten, so bald sie die Zentrale verlassen hatten, als Thalia ihn rufen ließ. Ein Dello kam zu ihm und bat ihn, in die Zentralstation zu kom men. »Was ist passiert?« fragte der Arkonide, während er nach oben eilte. »Wir werden angegriffen«, erklärte der Androide. Atlan glaubte, sich verhört zu haben. Er stellte jedoch keine Fragen. Als er die Zentrale betrat, sah er, was der Dello gemeint hatte. Mehrere spinnenförmi ge Transporter rückten auf die Festung vor. Es waren die größten Maschinen dieser Art, die Atlan bisher gesehen hatte. Ihre Rumpf körper hatten einen Durchmesser von nahe zu hundertfünfzig Metern. Die Länge ihrer Beine schätzte der Unsterbliche auf fast zweihundert Meter. »Wieviel sind es?« fragte er Thalia, die vor einem der Bildschirme saß. »Neunzehn«, antwortete sie bedrückt. Sie schien jede Hoffnung verloren zu haben, daß sie die Zentrale verlassen konnten. »Es ist Solka mit seinen Leuten.« »Hat er sich schon gemeldet?« »Vor einigen Minuten. Er hat uns aufge fordert, die Zentrale zu räumen.« »Du konntest dich mit ihm verständi gen?« »Der Fremde aus dem Lager ist dabei. Ich glaube, es ist Fünfzehnvierzehn, der Perop paner.« Die spinnenförmigen Transporter umzin
56 gelten die Zentrale. Zwei von ihnen sanken auf die Straße und blockierten sie. »Woher weiß Solka, daß wir hier sind?« fragte Atlan. »Die Zentrale gilt als unein nehmbar. Wer hat ihm verraten, daß es uns gelungen ist, einzudringen?« »Ich«, gestand Thalia niedergeschlagen. »Ich war dumm genug zu antworten.« Sie zeigte auf einen der Bildschirme. »Ich habe eingeschaltet, ohne nachzudenken. Und dann war es zu spät.« Er legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter. »Das ist nicht weiter schlimm«, sagte er. »Einen solchen Fehler hätte jeder von uns machen können.« Er tippte eine Taste. Das Bild auf dem Bildschirm wechselte. Ein Rufsignal erschi en. Sekunden später meldeten sich die Fa cettenäugigen. Wiederum diente Fünfzehn vierzehn als Dolmetscher. »Ich sehe, du hast dein Ziel erreicht«, sag te der Peroppaner, »doch weiter läßt Solka dich nicht kommen.« Das Bild wechselte erneut. Auf dem Bild schirm zeichnete sich das Bild Solkas ab. Der Herrscher der Facettenäugigen besaß ei ne bemerkenswerte Ausstrahlung. Er über ragte seine Männer deutlich. Atlan hatte er wartet, eine prunkvolle. Erscheinung zu se hen, die sich in schmucküberladene Gewän der kleidete. Jetzt zeigte sich, daß er sich ge irrt hatte. Solka trug einen schwarzen Anzug mit ei nem weiten Umhang. Eine schwarze Kappe bedeckte seinen Kopf bis an die Augen. In den Händen hielt er ein schwarzes Schwert. Er sagte etwas, was der Arkonide nicht verstand. Doch Fünfzehnvierzehn übersetz te. »Solka fordert Genugtuung«, sagte er. »Du hast mit seinem Stellvertreter und Freund gekämpft, den ich für Solka selbst gehalten habe. Bei diesem Kampf hast du die Regeln der Ehre nicht beachtet und da mit Solka beleidigt.« »Wie hätte ich die Regeln kennen sol len?« entgegnete der Arkonide. »Niemand
H. G. Francis hat mir gesagt, daß es solche Regeln gibt.« »Wer gegen die Regeln der Ehre verstößt, beleidigt das Volk der Teeßen. Solka ver langt, daß du dich einem Duell der Ehre stellst.« »Nein«, rief Thalia. »Das kommt über haupt nicht in Frage. Soll Solka mit seinen Regeln der Ehre zum Teufel gehen. Wer sei ne Brüder ermordet, um die eigene Macht zu sichern, soll nicht von Ehre reden.« »Diese Worte werde ich nicht überset zen«, entgegnete der Peroppaner er schrocken. »Solka würde mich töten.« Er wandte sich an den Facettenäugigen und sprach mit ihm. Dann sagte er: »Solka stellt dich vor die Wahl. Entscheide dich für die Würfel oder für einen Kampf gegen ihn und zwei seiner Freunde.« »Was bedeuten die Würfel?« fragte der Arkonide. »Sie bestimmen über Tod oder Leben. Zwei Würfel werden unter ein Tuch gelegt. Einer ist schwarz, der andere grau. Du mußt unter das Tuch greifen und einen der Würfel wählen. Ist es der schwarze, den du ziehst, mußt du dich selbst töten. Der graue bedeu tet Freiheit.« Thalia lachte zornig. »Solka ist ein Narr«, sagte sie. »Glaubst du, Atlan ist verrückt? Er wird keinen Wür fel wählen und auch nicht gegen drei Gegner auf einmal kämpfen.« »Warte, Thalia«, bat der Arkonide. »Du hast es nicht nötig, gegen ihn zu kämpfen. Ich weiß, daß du weder ein Feig ling, noch ein Verräter bist. Willst du dein Leben aufs Spiel setzen, um einen Mann wie Solka Genugtuung zu geben? Denke an Pthor. Du hast erklärt, daß du alles geben willst, was in deiner Macht steht, um Pthor zu retten. Du darfst dein Leben nicht leicht fertig aufs Spiel setzen, weil du damit Pthor gefährden würdest.« Sie hat recht, stellte der Logiksektor fest. Solka will dich vernichten. Er will sich rä chen. Er gibt dir keine Chance. Wenn du dich ihm zu seinen Bedingungen stellst, bist du verloren.
Die Schwarze Galaxis »Solka soll allein in die Festung kom men«, sagte der Arkonide. »Hier werde ich mit ihm kämpfen.« Der Facettenäugige schaltete ab. »Eine klare Antwort«, stellte der Arkonide fest. »Er will nicht zu meinen Bedingungen kämpfen. Also wird es nicht zum Duell kommen. Wir brechen aus.« Thalia krauste die Stirn. »Ist das möglich?« fragte sie zweifelnd. »Gegen die Panzer kann Solka nur wenig tun.« »Er kann sie mit den Kränen packen, hochheben und aus großer Höhe fallen las sen. Das würde niemand von uns überle ben.« »Soweit wird es gar nicht erst kommen.« Der Arkonide befahl den Aufbruch, nach dem er sich davon überzeugt hatte, daß die Bratuden sich nach Ablauf von vier Stunden befreien konnten. Solka meldete sich noch einmal, Atlan lehnte jedoch jedes weitere Gespräch ab. Zusammen mit Thalia und einigen Dellos ging er zu den Panzern. Er setzte sich an das Steuer des ersten Fahrzeugs und startete, als das Schott der Halle zur Seite glitt. Die gigantischen Trans porter blockierten die Straße. Wie riesige Spinnen kauerten sie vor der Festung. Atlan fuhr bis auf einige Meter an den Energie schirm heran. Dann hielt er und kletterte durch die Luke nach draußen. Die anderen Panzer verließen die Halle und rückten nä her. Thalia fuhr das zweite Fahrzeug. Auch sie stieg aus der Luke. Atlan blickte zu dem Transporter hinauf, der direkt vor ihm auf der Straße lag. Die Greifer eines Baggerarms ruhten griffbereit auf der anderen Seite des Energieschirms. Über ihm befand sich eine Kamera. Mit ih rer Hilfe beobachtete Solka in der Zentrale des Transporters, was geschah. Der Facet tenäugige war entschlossen, sofort zuzu packen, sobald sich eine Strukturlücke im Energieschirm bildete. Atlan stellte fest, daß alle Panzer die Hal le verlassen hatten. Er gab das Zeichen und
57 kehrte ans Steuer zurück. Bei ihm in der Fahrkabine waren die beiden Dellos Donth und Trohl. »Also dann«, sagte der Arkonide. »Solka soll sein blaues Wunder erleben.« Er startete. Eine Strukturlücke öffnete sich vor ihm im Energieschirm. »Feuer!« befahl der Arkonide. Donth stieß einen Hebel auf dem Armatu renbrett nach vorn. Ein blaßblauer Energie strahl schoß aus dem vorderen Turmprojek tor und schlug zwischen die Greifklauen des Baggers. Atlan lenkte den Panzer zur Seite und ra ste mit hoher Beschleunigung an den Resten des Baggers vorbei. Er führte das Fahrzeug an der auf dem Boden ruhenden Rumpfku gel entlang. Solka zog seinen Transporter zurück, nachdem ihm klargeworden war, daß der Ausbruch gelungen war. »Luke auf«, befahl der Arkonide. Trohl stieß die Luke auf. Er blickte zu der schimmernden Riesenkugel hinauf, die vor ihnen zurückwich. Atlan riß den Panzer zur Seite, als er die Absicht des Facettenäugigen erkannte. Solka wollte das Fahrzeug mit ei nem der gigantischen Beine des Transpor ters umstoßen. Der Arkonide lenkte den Panzer an die Flanke eines Hügels, so daß er sich stark zur Seite neigte. Die Fenster der Zentrale kamen in den Erfassungsbereich der Beobachtungs kameras. »Feuer!« befahl der Unsterbliche. Donth stieß den Hebel zur Seite. Aus dem seitlichen Turmstrahler schoß ein Blitz her vor, der mit verheerender Wucht hoch über dem Panzer in der Zentrale des Transporters einschlug. Atlan blickte auf die Bildschirme, auf denen er das Geschehen verfolgte. Er sah, daß in der Zentrale etwas explodierte. Der Transporter Solkas stand still. Atlan beschleunigte mit Höchstwerten. Auf den Bildschirmen sah er, daß die ande ren Panzer ihm folgten. Er zielte auf den nächsten Transporter, der die Straße ver
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H. G. Francis
sperrte. Donth feuerte und traf auch bei die sem Mal die Zentrale. Die Wirkung war ähnlich wie bei dem Transporter Solkas, dessen Maschine in diesen Sekunden zusam menbrach. Donnernd stürzte die Rumpfku gel auf den Boden. »Der ist erledigt«, stellte Donth fest. »Und wenn Solka in der Zentrale war, lebt er nicht mehr.« Der zweite Transporter be wegte sich nicht. Atlan sah, daß Flammen aus den geborstenen Fenstern der Zentrale schlugen. »Die anderen Transporter ziehen sich zu rück«, meldete Trohl, der in der offenen Turmluke stand. »Jetzt hält uns niemand mehr auf.« Wenige Minuten darauf erreichten die Panzer den von hohen Bergen umgebenen Raumhafen. Atlan, Thalia und die dreißig Dellos gingen an Bord der HORIET. Auch dieses Schiff war ein Organschiff. Es war ei förmig, etwa einhundert Meter lang und et wa sechzig Meter dick. In der Schleuse warteten kleine, haarlose Hominiden auf Atlan und seine Begleiter. Während sie den Arkoniden, das Mädchen und die Dellos in das Schiff führten, ver suchte der Unsterbliche, sich mit ihnen zu verständigen. Seine Bemühungen scheiterten an dem mangelnden Interesse der Fremden. Doch dann wurden Atlan, Thalia und die Dellos an seltsame Geräte angeschlossen. Elektroden wurden an ihrem Körper befe-
stigt, und plötzlich vernahmen sie eine be fehlende Stimme, die ihnen mitteilte, wel chen Auftrag sie hatten. Sie bestätigte, was sie bereits wußten. Endlich wurde klar, wie die Aufträge der Herrscher der Schwarzen Galaxis an die vie len verschiedenartigen Wesen ihres Herr schaftsbereichs erteilt wurden, und wie das gegebene Sprachengewirr dabei überwunden wurde. Die Kommunikation fand auf telepa thischmechanischer Basis statt. Obwohl Atlan bereits wußte, welche Auf gabe sie auf dem Planeten Xudon zu erfüllen hatten, konzentrierte er sich ganz auf das, was man ihm mitteilte. Er hoffte, einen Hin weis auf die geheimnisvollen Herrscher der Schwarzen Galaxis zu bekommen. Er blickte zu Thalia hinüber, als es in der Sendung hieß: »Im Namen des Dunklen Oheims befehlen wir …« Wer, so fragte er sich, war dieser Dunkle Oheim? War es eine Einzelperson? Oder handelte es sich bei ihm um eine Gruppe von Personen, die sich diesen Namen verlie hen hatte? Seine Gedanken richteten sich auf das Ziel der HORIET, lösten sich jedoch nicht völlig von Pthor, das irgendwo in der Peri pherie der Schwarzen Galaxis zurückblieb …
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