GORDON BLACK Band 7
Die Schatten mit den Würgerhänden von Bryan Danger
Der Raum war unbeleuchtet. Nur der Kristall st...
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GORDON BLACK Band 7
Die Schatten mit den Würgerhänden von Bryan Danger
Der Raum war unbeleuchtet. Nur der Kristall strahlte von Innen heraus. Er schickte sein Farbenspiel zur Zimmerdecke hinauf, wo es in Kreisen und Schlingen unentwirrbar verschwamm. Eila Parker starrte unverwandt auf die Konturen im Salz. Sie veränderten sich ständig. Doch die Frau ließ sich nicht täuschen. Sie begriff die Symbolik. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Als wollten sie Worte formen, die aus dem Kristall herausklangen…
Hanako gefror das Blut in den Adern. Sie nahm die leichte Strickjacke fester um ihre Schultern. Eben noch wollte sie das Kleidungsstück wegen der lauen Nacht ausziehen, jetzt peitschte eisige Kälte durch das Maschengewirk. Die junge Halbjapanerin schluckte krampfhaft. Es gelang ihr nicht, das Würgen im Hals zu beseitigen. Es war, als würde eine stählerne Faust ihre Kehle langsam, aber um so sicherer zuschnüren. Sie konnte für gewöhnlich schon einen tüchtigen Schock vertragen. Das brachte ihr Job so mit sich. Schließlich arbeitete
sie erfolgreich mit Gordon Black, dem Dämonenjäger, zusammen. Doch hier und jetzt hätte sie niemals mit einer derartigen Begegnung gerechnet, wollte sie doch lediglich mit Gordon ein paar unbeschwerte Tage bei ihrem gemeinsamen Freund Sam Lake verbringen. Hanako Kamara schloß sekundenlang die Augen. Als sie sie wieder öffnete, erfüllte sich ihre heimliche Hoffnung nicht. Die Erscheinung war nicht verschwunden. Sie hatte sich nicht getäuscht. Nur ungefähr zwanzig Schritte von ihr entfernt stand eine Kreatur, in deren Augenhöhlen nicht nur bildlich, sondern tatsächlich kleine Flammen loderten. Der Kopf war wie eine liegende Pflaume geformt. Er war unbehaart und eigentümlich gelb. Der Mund wurde durch einen senkrecht stehenden Spalt gebildet. Ohren waren keine zu erkennen. Die Nase ging nach innen. Die ganze Erscheinung besaß ungefähr die Größe eines Menschen. Das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Instinktiv wußte Hanako, daß sie an einem Scheideweg ihres Lebens stand. Wenn sie eine falsche Entscheidung traf, war sie verloren. Das Wesen, aus welcher aller bekannten und unbekannten Welten es auch stammen mochte, sah nicht so aus, als würde es Spaß verstehen, wenn es momentan auch keine ausgesprochen feindliche Haltung einnahm. Die Frau zwang sich, logisch zu denken. Allmählich wurde sie ruhiger. Sie kam darauf, daß es wohl das klügste war, sich millimeterweise nach hinten zu orientieren. Es würde wahrscheinlich Stunden dauern, bis sie aus dem Wäldchen heraus war und das erste Haus, das der alten Parker, erreicht hatte. Doch in dieser Taktik sah sie ihre einzige Chance. Gerade begann sie, ihren linken Fuß unmerklich zurückzuschieben, als das Wesen mit einer eigenartig krächzenden, aber überraschenderweise verständlichen Stimme zu sprechen anfing: »Bleib stehen, Hanako! Der Tod ist nahe.
Du mußt…« Die weiteren Worte hörte die Frau nicht mehr. Alle Vorsätze schwanden schlagartig dahin. Sie tat das, was vielleicht nicht logisch oder klug, dafür aber um so begreiflicher war. Sie drehte sich blitzschnell um und rannte davon. Als sie sich umdrehte, bestätigten sich ihre Befürchtungen: das Monster war hinter ihr. *** Gordon Black hustete und vertrieb mit der zusammengefalteten Zeitung die dicken Rauchschwaden, die ihn zu umhüllen drohten. »Wie kann ich dir nur diese gräßlichen Zigarren abgewöhnen, Sam?« klagte er. »Du hättest ein Schornstein werden sollen, aber kein Mensch.« Sam Lake, ein Bursche von nicht viel mehr als fünfeinhalb Fuß Größe, lachte gut gelaunt. »Was hältst du von dem Vorschlag, mir bessere Zigarren zu spendieren?« »Nichts.« »Das dachte ich mir, du alter Geizkragen. Also wirst du dich mit meinen himmlischen Düften abfinden müssen.« Gordon Black erhob sich und ging zum geöffneten Fenster. Er pumpte die Lungen voll frischer Luft und blieb dort stehen. »Ich denke ja weniger an mich«, sagte er verdrossen, »aber was du Hanako zumutest, ist schlichtweg eine Unverfrorenheit.« »Das soll sie mir erst mal selbst sagen«, brummte der Kleinere. »Frauen lieben diesen männlichen Duft.« »Männlicher Duft? Ich fürchte, dich hat das Werbefernsehen infiziert. Ich nenne das den miesesten Gestank. Früher wärst du dafür auf den Scheiterhaufen gekommen.« »Nörgle nur immer an mir herum«, meinte Sam Lake und paffte eine neue Wolke in Richtung seines Freundes, »aber mach endlich das Fenster zu! Man holt sich ja den Tod.«
»Denkst du, daß ich ersticken will? Hanako haut es glatt auf ihren hübschen Po, wenn sie hier reinkommt.« »Ihr hübscher Po interessiert dich wohl mächtig, wie?« Der Kleine grinste anzüglich. »Jedenfalls mehr als dein Gestank. Wo sie nur so lange bleibt? Sie wollte doch höchstens eine Stunde wegbleiben.« Sam Lakes Grinsen verstärkte sich. »Vielleicht hat sie jemanden getroffen, der sich noch intensiver für ihre Anatomie interessiert«, feixte er. »Idiot! Ich mache mir echte Sorgen. Schließlich muß sie ein ganzes Stück durch den Wald gehen. In solchen lauen Nächten treibt sich dort allerhand Gesindel herum.« »Na, höre mal! Damit wird das Mädchen doch spielend fertig. Das freut sich höchstens, wenn es seine Karatekünste zeigen kann.« »Trotzdem.« »Was, trotzdem?« »Ich gehe sie suchen.« Sam Lake nahm zum erstenmal die Zigarre aus dem Mund. »Du willst sie suchen, Gordon? Wozu? Hanako braucht doch kein Kindermädchen.« »Darum geht es nicht. Ich habe einfach ein ungutes Gefühl, und deshalb gehe ich ihr entgegen.« »Warum nimmst du nicht den Wagen?« »Himmel! Wo hast du dein Gedächtnis? Wahrscheinlich mit dem Qualm in die Luft gepafft. Der Wagen ist in der Werkstatt, und außerdem sind die holprigen Waldwege für den Schlitten kaum geeignet.« »Kauf dir ein Pferd. Darauf ist mehr Verlaß.« Sam Lake erhob sich nun ebenfalls und folgte dem Freund zur Tür. »Willst du etwa mit?« wunderte sich der Größere. »Dachtest du, ich lasse dich mit der Kleinen allein im Wald? Dann braucht sie bestimmt einen Schutz, und ich bin entschlossen, ihn ihr in schöner Uneigennützigkeit zu bieten.«
Gordon Black verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Arme Hanako!« murmelte er. »Wenn du keine andere Hilfe bekommen kannst, sieht es schlecht für dich aus.« Sie verließen das Haus und gingen in die Richtung, aus der sie Gordons Assistentin erwarteten. Selbst wenn die Straßenlaternen nicht gebrannt hätten, wäre es hell genug gewesen. Der Mond meinte es sehr gut. Deshalb war zu erwarten, daß sie auch im Wald ihre Taschenlampen nicht brauchen würden. Sie ließen die letzten Häuser hinter sich. »Wir könnten Miß Parker fragen, ob sie sie gesehen hat«, schlug Gordon Black vor. Sam Lake wehrte entrüstet ab. »Die alte Hexe?« »Hexe?« Sam gluckerte. »Das ist mal wieder typisch für dich. Bei dir muß man jedes Wort auf die Goldwaage legen. Auf Hexen und Vampire sprichst du sofort an. Tut mir leid. Damit können wir hier in Georgia leider nicht dienen. Aber die Parker ist ein altes Klatschmaul. Die macht wieder die größte Sensation daraus. Außerdem kann sie mich nicht ausstehen und gibt mir bestimmt eine falsche Auskunft.« Sie tauchten in den Wald ein. Wie erwartet, konnten sie sich leicht orientieren. Gordon Black sah das Mädchen als erster. »Verdammt!« stieß er hervor. Er fing zu laufen an, und Sam Lake kam mit seinen kürzeren Beinen kaum nach. Gordon beugte sich über die am Boden Liegende. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Kleidung war in Unordnung, das bleiche Gesicht schmutzig und verschrammt. Blut war keins zu sehen. Trotzdem war dem Mann klar, daß Hanako nicht vor plötzlicher Schwäche zusammengebrochen war. Etwas Furchtbares mußte geschehen sein.
*** Eila Parker kniff die Augen zusammen. Sie stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und stemmte ihre gestreckten Finger gegen die Schläfen, bis der Druck jenen Schmerz auslöste, den sie benötigte, um die verschwommenen Konturen in dem Salzbrocken zu deuten. Es war ein unregelmäßiger Klumpen, der vor ihr auf dem Tisch lag. Kantig und schroff. Ungefähr so groß wie ein gewöhnlicher Ziegelstein, nur eben völlig außer Form geraten. Es handelte sich um reines Salz mit geringfügigen Verunreinigungen. Gerade jene schwarzen Einschlüsse waren es, an denen die überraschenden Bilder keimten. Sie waren wie der Samen, aus dem eine unbegreifliche Fähigkeit der Frau mit dem faltigen Gesicht sproß. Eila Parker war eine Magierin. Es gelang nicht immer, aber diesmal war es wieder soweit. Der trübe Salzbrocken wurde allmählich durchsichtig und glasklar. Die wenigen schwarzen Punkte schwammen wie hilflose Käfer darin. Eila Parker konzentrierte sich so stark, daß sie zu zittern begann. Aus den schwarzen Punkten flossen nun Farben. Aus jedem Punkt eine andere. Sechs Punkte, sechs Farben. Die Skala des Regenbogens. Die Farben flossen zu einem bunten Wirbel zusammen. Es sah nur hübsch aus, weiter nichts. Doch schon bald ordneten sie sich wieder. Sie nahmen Gestalt an, bildeten Konturen. Zwar verschwommen nur, aber für eine wie Eila Parker, die gelernt hatte, auch undeutliche Zeichen zu lesen und zu begreifen, bildeten sie Nachrichten aus einer geheimnisvollen Welt. Einer Welt, die den meisten Menschen ihr ganzes Leben lang verschlossen blieb, ja, von der sie nicht mal etwas hörten. Eila Parker fühlte sich in dieser Welt zu Hause. Sie liebte das scheinbar Unwirkliche, Rätselhafte. Sie genoß ihre
Fähigkeit, ohne Kapital aus ihr zu schlagen. Als professionelle Wahrsagerin für Geld irgendwelchen Leuten die Zukunft vorherzusagen, erschien ihr viel zu erbärmlich. Sie wollte Höheres. Sie wollte es nur für sich. Der Kristall und ihre Fähigkeit des Sehens mußten ihr dazu verhelfen. Der Raum, in dem die Frau saß, war unbeleuchtet. Nur der Kristall strahlte von innen heraus. Er schickte sein Farbenspiel zur Zimmerdecke empor, wo es in Kreisen und Schlingen unentwirrbar verschwamm. Eila Parker starrte unverwandt auf die Konturen in dem Salz. Sie veränderten sich ständig, doch die Frau ließ sich nicht täuschen. Sie begriff die Symbolik. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Es war, als wollten sie Worte formen, die aus dem Kristall herausklangen. Die ausgemergelte Frau empfing eine Botschaft. Sie war selbst für sie so ungeheuerlich, daß sie sich dagegen wehrte, sie zu glauben. Es schien ihr unmöglich zu sein, daß ihre kühnsten Hoffnungen in dieser Weise erfüllt werden sollten. Wieder und wieder transponierte sie die Signale in eine für Menschen verständliche Logik. Stets kam sie zu dem gleichen Ergebnis. Sie wurde gebraucht. Die Schemen des Schattenreiches riefen sie. Sie sollte deren Werkzeug sein. Wofür, das mußte sich erst noch herausstellen, aber sicher war es keine unbedeutende Aufgabe, wenn sich die Schattenwesen herabließen, sich eines unbedeutenden Menschen zu bedienen. Die Frau stellte fest, daß die Farbkonturen nun undeutlicher wurden. Die Botschaft brach ab. Jetzt wurde von ihr eine Entscheidung erwartet. Sie zögerte nicht. Es war nicht die Furcht vor Strafe im Falle einer Weigerung, sondern ihr ehrlicher Wunsch, den Schemen dienen zu dürfen, die sie die Worte ehrerbietig sprechen ließ: »Ich bin bereit für eure Befehle!« Im gleichen Augenblick barst mit einem ohrenbetäubenden Krachen der Salzbrocken mitten auseinander. Er zerfiel in zwei
Hälften, und Eila Parker legte ihre rechte Hand so dazwischen, daß es aussah, als hätte sie mit einem gewaltigen Hieb den Kristall zertrümmert. Kaum hatte sie das getan, als sich ihr erwartungsvolles Gesicht unter Schmerzen verzog. Als würden tausend Dämonen daran reißen, verschob es sich zu einer fürchterlichen, gequälten Fratze, und fast bereute sie ihren Entschluß, mit dem sie sich völlig in die Gewalt der Schatten begab. Doch nun war es zu spät. Sie konnte nicht mehr zurück. Schon fühlte sie den unheimlichen Sog, der sie in den Kristall zwang. Eine unsichtbare Gewalt übte ihre Kraft auf sie aus. Sie überwand die Schmerzen und fühlte plötzlich gar nichts mehr. Kein Entsetzen, kein Grauen. Aber auch weder Genugtuung noch Stolz. Eine jämmerliche Leere war in ihr, eine Gleichgültigkeit, die sie alles unwichtig, nebensächlich erscheinen ließ. Sie war Salz inmitten von Salz. Ohne Willen, ohne Leben. Der Brocken nahm sie nun in sich auf. Die Frau verschwand wie ein Nebelschwaden in dem schartigen Klumpen, und als von Eila Parker nichts mehr zu sehen war, schloß sich der Kristall wieder. Nichts verriet das soeben Geschehene. Alles war wie vorher, nur daß die Frau mit den wäßrigen Augen verschwunden war. *** »Ist sie tot?« Sam Lake kam zögernd heran. Gordon Black antwortete nicht. Er nahm den schlaffen Arm des Mädchens und fühlte den Puls. Dann hob er ein Augenlid in die Höhe und ließ schließlich fassungslos die Schultern hängen. »Wenn ich Arzt wäre, könnte ich es dir sagen! Jedenfalls habe ich sie schon lebendiger gesehen.« »Wir müssen einen Doc heranschaffen.«
»Willst du sie hier liegenlassen?« empörte sich der Größere. »Ich trage sie in die Stadt.« »Und ihr Mörder? Willst du ihn etwa entkommen lassen?« Gordon Black sah seinen Freund wütend an. »Mörder? Mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand! Ich sehe keine Verletzung, und ich kann nicht glauben, daß sie tot ist. Wenn sie es aber ist und ein Unbekannter ist schuld an ihrem Tod, dann, das schwöre ich dir und ihr, werde ich sie rächen.« Sam Lake nickte düster. Er konnte sich denken, wie sehr seinem Freund die Sache an die Nieren ging. Gordon war schon mit den unglaublichsten Gegnern fertig geworden. Mit Dämonen und Hexen, mit riesigen Ungeheuern und unsichtbaren Geisterwesen. Und dann machte er ein paar Tage Urlaub, und schon wurde ihm seine Assistentin vor die Füße gelegt. Er half dem Freund, das Mädchen hochzuheben und ihm über die Schulter zulegen. »Wir wechseln uns ab«, schlug er vor. Gordon Black wehrte ab. »Laß gut sein, Sam. Das schaffe ich schon allein.« Sie gingen schweigend den Weg zurück. Niemand begegnete ihnen. Auch nicht, als sie aus dem Wald heraustraten. »Die Parker besitzt kein Telefon«, murmelte Sam Lake. »Sonst könnten wir von ihr aus den Doc anrufen.« Sie gingen an dem einsamen Haus vorbei, hinter dessen Fenstern kein Licht zu sehen war. Jetzt war es eine halbe Meile bis zum Stadtrand. Eine ganz schöne Strecke, wenn man eine zwar schlanke Frau zu tragen hatte, denn auch ein schlanker Zentner wog hundert Pfund. Aber Gordon Black war kräftig. Deshalb wunderte sich Sam Lake auch, als er seinen Freund plötzlich zusammenbrechen sah. »He! Ich habe ja gleich gesagt, daß wir uns abwechseln
wollen«, erinnerte er. Der andere kam zu keiner Antwort. Er sah sich auf einmal einem wütenden Hagel von Schlägen und Püffen gegenüber, und hatte seine liebe Not, wenigstens einen Teil davon abzuwehren. Hanako Kamara lag auf ihm. Es konnte keine Rede mehr davon sein, daß sie tot war. Sie zeigte im Gegenteil eine außergewöhnliche Lebendigkeit, denn sie drosch ihre kleinen Fäuste immer genau in die Stellen, die er nicht deckte. Er besaß ja nur zwei Arme, das grazile Mädchen aber anscheinend mindestens acht oder zehn. Dazu nahm sie noch ihre Füße zu Hilfe, an denen spitze, hochhackige Schuhe steckten. Seine Schienbeine machten Bekanntschaft mit diesen Erzeugnissen italienischer Schuhmacherkunst, bis es Gordon Black endlich gelang, sich vor dem Trommelwirbel in Sicherheit zu bringen und etwas Abstand zwischen sich und der Rasenden zu legen. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, Hanako?« schimpfte er. »Wir überlegen uns schon, welcher Sarg für eine so hübsche Leiche wie dich angemessen ist, und du führst dich auf, als wenn du der Satan persönlich wärst.« Die Frau, die sich gerade wieder auf den Sprecher stürzen wollte, hielt jäh inne. »Gordon? Du bist es?« »Ich bin noch nie ein anderer gewesen. Und das dort ist unser kleiner Sam. Der Zigarrengestank, der ihn umweht, macht ihn unverwechselbar.« Aufseufzend sank Hanako Kamara zusammen. Gordon Black kam gerade noch zurecht, um sie aufzufangen. »Ich kann es noch immer nicht glauben«, murmelte sie. »Ich dachte, daß du jemand anderes wärst. Als ich spürte, daß mich jemand forttrug, meinte ich, daß es mit mir zu Ende gehen würde.« »Ich habe dir ja immer gesagt, daß du nicht der Typ bist, auf den die Frauen fliegen«, flachste Sam Lake.
»Wer, hast du denn geglaubt, daß ich sei?« erkundigte sich Gordon Black gespannt. »Eine… Erscheinung.« Sam Lake platzte schallend heraus. »Jetzt hast du es, Gordon. Sogar Hanako bezweifelt, daß du ein Mann bist, und Sie muß es wissen, denn sie kennt dich lange genug. Eine Erscheinung? Junge, das muß dich hart treffen.« »Dir wird das Lachen auch noch vergehen, Napoleon«, sagte die junge Frau unwillig. »Sag nicht Napoleon zu mir!« fauchte der Kleine. »Du weißt, daß ich das nicht leiden kann.« »Und ich kann nicht leiden, wenn man mich nicht ernst nimmt. Hör doch erst mal zu, was ich erlebt habe. Dann könnt ihr immer noch eure dummen Witze darüber reißen. Ich fürchte allerdings, daß euch dann nicht mehr danach zumute ist.« Die beiden Männer wurden ernst. »Was war los, Hanako?« fragte Gordon Black. »Wurdest du überfallen?« »So kann man es nicht direkt nennen, Gordon. Das Wesen griff mich erst gar nicht an. Es stand nur plötzlich da und starrte mich an. Aber schon das war gräßlich. Es hatte keine richtigen Augen, sondern kleine züngelnde Flammen.« »Flammen?« wiederholte Gordon. »Du meinst, sie funkelten oder glühten.« »Nein, sie brannten richtig. Wie das Feuer in einem offenen Kamin. Nur viel kleiner natürlich.« »Das muß aber ein eigenartiger Mensch gewesen sein«, stellte Sam Lake fest. »Es war kein Mensch. Das sage ich doch schon die ganze Zeit.« »Ein Tier also.« »Auch kein Tier. Wölfe gibt es hier nicht, und vor einem Hund habe ich keine Angst.« »Ich wußte bis heute nicht, daß du überhaupt vor etwas
Angst haben kannst«, staunte Gordon Black. »Das wußte ich auch nicht. Doch alles kam so plötzlich und unerwartet.« Dann berichtete die Halbjapanerin von ihrem Erlebnis und ließ sich durch keine Zwischenbemerkung unterbrechen. Als sie geendet hatte, sah sie die Männer herausfordernd an. »Nun?« Gordon Black räusperte sich. »Was willst du hören, Hanako? Du weißt, daß es nichts Unwahrscheinliches gibt, was ich nicht dennoch für möglich halte. Die Vergangenheit hat das immer wieder gelehrt. Doch die Geister gehen normalerweise nicht im Wald spazieren. Wenn sich hier in Georgia so ein Dämon herumtriebe, wären wir sicher längst informiert und auf ihn angesetzt worden.« »Bei uns treibt sich so etwas nicht herum«, versicherte Sam Lake, der trotz aller Beweise nicht begreifen konnte, daß Gordon Black sich fast täglich mit den finstersten Mächten herumschlug. »Dann sind wohl der Mond und die Schatten, hinter mir hergelaufen?« fauchte die Frau ärgerlich. »Dann haben wohl die Bäume meinen Namen genannt und mir befohlen, nicht vor dem nahen Tod davonzulaufen?« Der Dämonenjäger sah sie ernst an. »Beruhige dich! Es kann mir nicht einfallen, gerade dir Hirngespinste unterzuschieben. Du weißt genau, wovon du redest, denn du kennst unsere Gegner aus eigener Anschauung. Es sieht also ganz so aus, als hätten wir es mit einem Dämon zu tun, den wir noch nicht kennen, und der es auf dich abgesehen hat. Aber wieso hat er dich verschont?« »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht habt ihr ihn durch euer Auftauchen vertrieben. Ich muß das Bewußtsein verloren haben. Ich weiß nicht, wie lange ich hier gelegen habe, bevor ihr kamt. Jedenfalls stand für mich fest, daß mein letztes Stündchen geschlagen hatte.«
Gordon Black machte sich seine Gedanken. Die Überzeugung wuchs, daß mit der Erholungspause wieder mal nichts sein würde. Aber noch war manches für ihn unerklärlich. Wer war der Unbekannte, und was hatte er vor? Oder war Hanako doch nur ein Opfer ihrer Einbildung und des Lichterspiels im Wald geworden? Sam Lake weigerte sich, das Gehörte ernst zu nehmen. Geister stellte er sich anders vor. Die schlugen erbarmungslos zu und ließen sich nicht sang- und klanglos verjagen. Sie gingen zu dritt auf die Häuser zu und diskutierten das Thema noch leidenschaftlich. Gordon Black war gewarnt. Er fürchtete, daß er auch hier seine Dämonenwaffen in Zukunft am besten immer bei sich trug. Wahrscheinlich würde er sie schon bald benötigen. Sie erreichten das Haus, in dem Sam Lake wohnte, und in dem auch Hanako und Gordon für ein paar Tage Logis genommen hatten. Es war nur ein einfaches Gebäude, das Sam vor acht Jahren von seinem Großvater geerbt hatte, aber den Ansprüchen des jungen Mannes genügte es vollkommen. Er schloß die Haustür auf und schaltete die Flurbeleuchtung ein. »Es stinkt immer noch nach deinen Zigarren«, fand Gordon Black und sog die Luft ein. Es war nicht nur der Qualm, den er registrierte. Da existierte noch ein fremder Duft, den er nicht identifizieren konnte. »Ist was?« fragte Sam argwöhnisch. Gordon hob die Schultern. »Ich glaube nicht.« Er überlegte, ob es nicht besser war, sich aus seinem Zimmer, das sich im oberen Stockwerk befand, die Dämonenpeitsche zu holen, aber Hanako drängte ihn bereits vorwärts. »Sam, ich verlange von dir einen Whisky«, erklärte sie. »So gefällst du mir wieder«, stellte der Kleine fest. »Frauen, mit denen man nicht hin und wieder mal einen heben kann, sind mir unheimlicher als jedes Gespenst.«
Hanako lachte dunkel. Sam Lake stieß die Tür zum Wohnzimmer auf. Als die Deckenbeleuchtung aufflammte, sahen sie die Gestalt auf dem Sessel. Sie wandte ihnen den Rücken zu. Nach Hanakos Schrei wandte sie langsam den Kopf, und da erstarrten auch die Männer. *** Eila Parker hatte das Gefühl, als müßte ihr Körper zerreißen. Sie wußte nicht, wo sie sich befand, und dieser Zustand dauerte bereits eine Ewigkeit. Ihre Erinnerung war schlagartig abgebrochen. Ihre Identität war ihr ein Rätsel. Sie hatte keine Ahnung, wer sie war, was sie wollte und was sie bis zu diesem Zeitpunkt getrieben hatte. Um sie her war Leere. Sie war so ausschließlich, als gäbe es nichts anderes. Und doch ahnte die Frau, daß eine Veränderung mit ihr vorgegangen sein mußte, lediglich welcher Art sie sein mochte, konnte sie sich nicht denken. Sie fiel. Ja, sie fiel in einen bodenlosen Schlund. Es war kein freier Fall, der ihre Geschwindigkeit immer mörderischer erhöhte, bis der unausweichliche Aufprall ihren Körper zerschmettern mußte. Es war, als würde sie schweben. Eila Parker wollte sich zwingen, ihre Gedanken zu ordnen. Es mußte doch möglich sein, eine Schlußfolgerung zu ziehen. Doch es war nicht möglich, und diese Ohnmacht, die Unfähigkeit, aus eigenem Willen irgend etwas zu tun oder zu denken, machte die Frau ganz elend. Als eine Stimme an ihr Ohr drang, gelang es ihr lange nicht, die Richtung festzustellen, aus der jemand zu ihr sprach. »Eila Parker! Willkommen im Schattenreich! Den Weg, den du zurückgelegt hast, ist vor dir noch kein anderer Mensch gegangen.« Es wurde hell um die Frau. Sie fühlte sich plötzlich
beruhigt. Man kannte sie hier. Sie wurde freundlich empfangen. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Jetzt sah sie die Gestalten. Sie sahen fast so aus wie die verschwommenen Konturen in ihrem Salzkristall. Ja, jetzt kehrte die Erinnerung wieder zurück. Sie wußte, wer sie war und wodurch sie hierhergekommen war. Die Schatten! Sie hatten zu ihr gesprochen, und sie war ihrem Ruf gefolgt. »Ich bin bereit zu tun, was ihr von mir verlangt«, sagte sie. Ihre Stimme klang ihr fremd, aber sie hatte den Mund bewegt, also konnte nur sie es sein, die gesprochen hatte. Alles war nur sehr undeutlich zu erkennen. Sie kam sich wie eine stark Kurzsichtige vor, die ihre Brille verlegt hatte. »Du bist nicht hier, um Befehle von uns entgegenzunehmen«, erläuterte die fremde Stimme. »Nicht?« »Du sollst ganz zu uns gehören. Was du tust, tust du aus freiem Willen und aus tiefster Überzeugung.« »Ich verstehe.« »Nein! Du verstehst es noch nicht, und das erwarten wir auch nicht von dir. Doch schon bald wirst du alles begreifen. Du wirst deine Feinde erkennen, und du wirst sie töten.« »Töten?« Eila Parker zuckte zusammen. Sie war keine Mörderin. Sie wollte auch keine werden. Soweit ging ihre Sympathie für die Bewohner des Schattenreiches nicht. Irgendwo war eine Grenze. Wenn sie bereit war, alles für die Verehrten zu tun, dann meinte sie damit nicht eine Bluttat. Die Wesen, die sie umringten, veränderten laufend ihre Form und Größe. Wie Nebel wichen sie zurück, um gleich darauf wieder emporzuwallen. Waren das die Mächtigen, mit denen sie so oft Zwiesprache gehalten hatte? »Was habt ihr vor?« fragte sie unsicher. »Nichts, was dich beunruhigen müßte, Eila Parker. Du hast den ersten Schritt getan, alles Weitere ist nicht mehr schwer. Tritt zu uns!« Eila Parker war wie benommen. Es war kein
fester Boden, auf dem sie stand. Alles war unwirklich, gespenstisch. Nur die Stimmen paßten nicht ganz zu dem Gesamteindruck. Sie bildete sich ein, aus eigenem Willen der Aufforderung zu folgen, doch in Wirklichkeit besaß sie schon längst keinen Willen mehr. Seit dem Zeitpunkt, als sie die Hand zwischen die beiden Hälften des Kristalls gelegt hatte, hatte sie sich mit Leib und Seele den Schemen verschworen. Es mochte sein, daß es nur aus Neugier geschah, doch es war eine tödliche Neugier. Die Schattenwesen umschlossen sie nun enger. Sie drohten sie zu erwürgen. Eila Parker rang nach Luft. Ihre Augen traten aus den Höhlen. Angst war in ihr. Aber auch Trotz. Unmerklich für sie selbst wandelten sich ihre Empfindungen. Ihr Fühlen änderte sich. Sie dachte und empfand nicht mehr als Mensch, sondern als Schemen des Schattenreiches. Haß loderte urplötzlich in ihr auf. Er war von solcher Gewalt, wie sie nie zuvor ein Gefühl bei sich beobachtet hatte. Sie fragte sich unwillkürlich, gegen wen dieser Haß gerichtet war, und es erstaunte sie nicht, als sie begriff, daß er den Menschen galt. Eila Parkers Augen waren glasig, ihr Körper befand sich in absoluter Starre. Doch davon merkte sie nichts. Ihre Gedanken übten dafür eine besonders emsige Tätigkeit aus. Sie konzentrierten sich auf die neue Aufgabe. Was von ihr erwartet wurde, erschien der Frau nun nicht mehr abwegig und unzumutbar. Es war das Selbstverständlichste von der Welt, daß sie ausgesandt wurde, um zu morden… *** Die beiden Männer warfen sich hastige Blicke zu. Sie wußten, daß sie jetzt nicht die Nerven verlieren durften.
Vor ihnen saß jenes Scheusal, von dem Hanako gesprochen hatte, und nun mußte auch Sam Lake zugeben, daß ein Irrtum ausgeschlossen war. Hier in der Wohnung verbreitete kein Mond ein irritierendes Licht. Die drei Sechzig-Watt-Lampen spendeten ausreichende Helligkeit. Die Tatsachen waren nicht zu leugnen. Gordon Black reagierte am schnellsten. Er stieß die Frau unsanft in den Flur zurück und hechtete mit einem gewaltigen Satz vor. Mit beiden Armen erreichte er gerade noch die Sessellehne, packte sie und warf das Möbelstück um. Die Gestalt sprang augenblicklich auf die Füße, falls sie überhaupt welche besaß. Unter den bodenlangen Schleiern waren sie nicht zu entdecken. Sie wirbelte herum, und die Flammen schlugen aus ihren Augenhöhlen. Betroffen prallte Black zurück. Sein erster Schwung war verpufft. Er hatte sich das Ganze einfacher vorgestellt und ärgerte sich, daß er nicht seine Dämonenwaffen in der Nähe hatte. Sam Lake kam ihm zu Hilfe. Er hatte sich mit dem Schirmständer vom Flur bewaffnet und schwang ihn wie eine Streitkeule, ohne allerdings schon dadurch das Monster beeindrucken zu kennen. Also mußte er Fraktur reden. Er stieß einen spitzen Schrei aus, fiel dem Unbekannten in die Seite und schlug, ohne zu zögern, auf ihn ein. Der Schwung riß ihn quer durch das Zimmer. Er war auf keinen Widerstand gestoßen, obwohl er damit gerechnet hatte, daß er mit dem schmiedeeisernen Gerät bei seinem Gegner eine beträchtliche Beule hinterlassen würde. Doch der schien überhaupt nicht zu existieren, obwohl er deutlich sichtbar mitten im Raum stand. Er war wie Luft. Der Schirmständer war regelrecht durch ihn hindurchgesaust. »Das ist doch nicht möglich«, keuchte Sam »Napoleon« Lake. »Ich bin doch nicht betrunken.«
Er fand sich neben dem Fernsehapparat wieder und war rasch erneut auf den Beinen, denn natürlich würde der andere nun über ihn herfallen. Nichts dergleichen geschah. Auch als Gordon Black einen Angriff startete, dessen Erfolglosigkeit ihn als erfahrenen Feind aller Dämonen nicht wunderte, traf das Wesen keine Anstalten, sich zu verteidigen. Nur seine flammenden Blicke ließen nichts Gutes ahnen. Im Flur stöhnte Hanako voller Wut. Sie wollte sich trotz allen Grauens in das Kampfgeschehen stürzen, doch Gordon Black hielt sie mit einem Zuruf zurück. Er war sich noch nicht über die tatsächliche Gefährlichkeit seines Gegners im klaren und wollte Hanako nicht unnötig gefährden. »Beide gleichzeitig!« zischte er seinem ratlosen Freund zu. Dieser nickte grimmig. Er kam sich ziemlich blöd vor, denn im Gegensatz zu Gordon und Hanako hatte er etwas Vergleichbares noch nie erlebt. Sie griffen von beiden Seiten an. Gordon Black zielte mit den Händen nach der Stelle, wo er unter dem pflaumenförmigen Kopf einen Hals vermutete. Sam Lake sichelte mit dem Schirmständer in Magenhöhe nach dem Eindringling. Zwei gurgelnde Schreie ertönten fast gleichzeitig. »Laß los, verdammt noch mal!« tobte der Kleine und meinte damit die seinen Hals umklammernden Hände des Freundes. Dieser folgte automatisch der Bitte. Nicht, weil er es so wollte, sondern weil sein ganzer Körper schlaff auf den Teppich rutschte. Der massive Schirmständer hatte ihn voll getroffen und die Luft abgedrosselt. Gordon Black verlor nicht das Bewußtsein. Dafür war er zu hart im Nehmen. Er rollte sich blitzschnell aus der Gefahrenzone, hütete sich aber, erneut wild anzugreifen. Er kapierte, daß es so nicht ging, wie sie es probierten.
»Wir sperren ihn ein, und ich hole meine Dämonenpeitsche«, zischte er. Sam Lake verstand sofort Er hatte schon Wunderdinge über diese geheimnisvolle Waffe gehört. Er drängte ebenfalls zur Tür, wo er vor lauter Übereifer seinen Freund behinderte. Aber auch sonst wäre es ihnen kaum gelungen, unangefochten das Zimmer zu verlassen, denn jetzt endlich wurde das Wesen aktiv. Es packte mit zwei Fäusten zu, und der Griff hatte etwas unerfreulich Reales. Sie wurden in die Höhe gehoben und krachten mit den Köpfen zusammen. Einmal, ein zweites Mal. Dann war der Kampf entschieden. Hanako Kamara sprang auf. Trotz ihres Entsetzens wollte sie den Freunden zu Hilfe eilen. Vor Grauen gelang es ihr kaum, auf den Füßen zu stehen. Sie war auch noch immer etwas benommen. Als sie die beiden reglosen Männer am Boden liegen sah, prallte sie zurück. »Du hast sie erschlagen«, schrie sie voller Schmerz. »Du bist der Satan selbst.« »Ich bin nicht der Satan«, sagte das Wesen. Auch seine Stimme klang erregt. »Ich bin ein Abkömmling des Schattenreiches.« »Ein sichtbarer Schatten. Davon habe ich noch nie gehört.« »Ihr Menschen wißt vieles noch nicht. Zum Beispiel ahnt ihr noch nicht, daß eine große Anzahl von euch bald sterben wird.« Die Worte klangen hohl und düster. »Sterben? Willst du uns alle umbringen?« Das Wesen schüttelte heftig seinen Pflaumenkopf. Der spaltförmige Mund zog sich in die Breite. Er wurde zu einem gräßlichen Schlund, der alles zu verschlingen drohte. Das ganze Benehmen der zornigen Frau gegenüber war allerdings eher sanft und behutsam. Ganz anders, als das Schattenwesen die Männer behandelt hatte.
»Ich wollte deine Freunde nicht schlagen«, erklärte er. »Sie haben mich gezwungen.« Hanako Kamara keuchte. Ihre Brust hob und senkte sich heftig. Sie überlegte, was sie tun konnte. Die Tatsache, daß sie noch lebte, beruhigte sie keineswegs. Natürlich hatte das Ungeheuer etwas Entsetzliches mit ihr vor. Wäre es sonst im Wald hinter ihr hergelaufen? Hätte es sich sonst unberechtigt in diesem Haus Zutritt verschafft? »Geh fort!« stieß sie hervor. »Nein!« »Was willst du?« Sie überlegte fieberhaft, aber ihr fiel nicht ein, wie sie diesem Scheusal beikommen konnte. Mit Gewalt jedenfalls nicht. Das bewiesen die gescheiterten Versuche von Gordon und Sam. »Deine Freunde sind nicht tot«, behauptete der Schatten, »und ich will auch leben.« »Niemand hindert dich daran.« Die Flammen in den Augen drohten zu verlöschen. »Du weißt nicht, in welch großer Gefahr ich schwebe. Du mußt mir helfen, Hanako Kamara.« »Helfen? Ich dir? Und woher kennst du überhaupt meinen Namen?« »Ich weiß alles von dir und auch von deinen Freunden. Gordon Black ist ein gefürchteter Dämonenfänger, doch seine ganzen Erfolge zählen nicht mehr. Die Bewohner des Schattenreiches sind stärker als er, und natürlich wollen sie besonders ihn vernichten.« »Also bist du doch hier, um ihn zu töten.« »Nein! Ich brauche Freunde, Hanako. Die Schatten sind hinter mir her und wollen mich beseitigen.« »Aber du sagtest doch, daß du selbst dazugehörst, was auch immer diese Wesen sein mögen.« »Das ist wahr, doch ich habe mich mit den anderen entzweit. Ich kann ihre Ziele nicht billigen.«
»Das Töten von Menschen?« fragte die Halbjapanerin atemlos. »Du begreifst sehr schnell. Wirst du mir helfen?« Hanako glaubte zu träumen. Das gab es doch nicht. Ein Dämon bat sie um Hilfe? Da steckte jedenfalls eine Teufelei dahinter. »Laß mich endlich in Ruhe!« forderte sie. »Ich habe dich nicht gerufen und will mit deinen Problemen nichts zu tun haben.« »Du bist doch nicht so klug, wie ich dachte. Meine Probleme sind morgen schon die deinen. Hast du vergessen, was ich dir sagte? Die Schatten wollen ihre Feinde ausschalten. Auch du gehörst dazu.« Hanako antwortete nicht. Sie dachte daran, daß ihnen nicht zum ersten Mal die Vernichtung angedroht wurde. Immer wieder war es ihnen gelungen, ihre gespenstischen Gegner zu besiegen. Warum sollte das diesmal anders sein. Wichtig war nur, daß Gordon und Sam noch am Leben waren. Der Schemen straffte sich. »Wie töricht du bist«, erklärte er. »Ihr seid wehrlos. Sieh das endlich ein! Soll ich es dir an deinen besten Freunden vorführen?« fragte er bitter. »Selbst gegen mich können sie nichts ausrichten, obwohl Gordon über einige Dinge verfügt, die ihn stärker machen als gewöhnliche Sterbliche. Trotzdem vernichte ich ihn mit einem einzigen Blick.« Er richtete seine Augen auf eines der Fenster. Zwei grelle Stichflammen schossen daraus hervor, und im Nu stand das hölzerne Fensterkreuz in Flammen. Hanako schluckte. Ihre Kehle war trocken. Die Demonstration überzeugte sie von der Gefährlichkeit des anderen. Dafür machte sie ihr seine Furcht um so unverständlicher. Das Schattenwesen las ihre Gedanken. »Den Menschen bin ich weit überlegen«, versicherte er, »doch gegen die
Gemeinschaft der Schatten, die durch meine Flucht außer sich vor Wut sind, kann ich ohne Hilfe nichts ausrichten. Früher oder später werden sie mich finden und unauslöschlich bestrafen.« »Dann sollen sie dich eben bestrafen«, fauchte die Frau wütend. »Auf diese Weise sind wir wenigstens schon einen von euch unüberwindlichen Scheusalen los. Vielleicht vernichten sich die restlichen auch noch gegenseitig.« »Du bist eine Närrin. Selbst wenn es so wäre, wie du sagst, selbst wenn nur ein einziger Schatten übrigbliebe, so würde er doch genügen, die Rache anzutreten.« Hanako war nicht zu überzeugen. »Ihr könnt unmöglich alle Menschen umbringen«, meinte sie. »Das haben die Schatten auch nicht vor. Doch sie beanspruchen einen Platz in der Welt der Lebenden. Jeden, der ihnen dabei im Wege ist, werden sie vernichten. Das ist beschlossene Sache.« »Na schön, es ist also beschlossen, ob du dich nun retten kannst oder nicht. Ich sehe also keinen Grund, dir behilflich zu sein. Das hieße, wie man bei uns sagt, den Bock zum Gärtner zu machen.« »Ihr habt zum Teil sehr hübsche Sprüche, wenn man sie richtig anwendet.« »Du bist unser Gegner und willst uns hereinlegen. Ich traue dir nicht. Du kannst…« »Laß ihn doch erst mal seinen Vorschlag machen.« Gordon Black war wieder zu sich gekommen und hatte die letzten Sätze mitangehört. Auch in seinem Kopf ging es wüst durcheinander. Schließlich hatte er am eigenen Leibe spüren müssen, aus welchem Holz dieser Unbekannte geschnitzt war. »Du lebst tatsächlich!« jubelte die schwarzhaarige Frau. Sie wirbelte auf den schlanken Mann zu, der noch immer auf dem Fußboden lag, und das Wesen hinderte sie nicht daran. »Ich wundere mich selbst darüber«, gab Gordon grinsend
zu. »Du kannst ganz nett zuschlagen.« »Bedanke dich bei deinem Freund, Gordon«, meinte das Monster. »Es lag an seinem harten Schädel.« »Deiner ist aber auch nicht von Pappe«, meldete sich nun auch der Kleinere ächzend und richtete sich auf. Er hatte sich die ganze Zeit tot gestellt, weil er abwarten wollte, wie sich die Lage entwickeln würde. Jetzt sah er keinen Grund mehr, noch länger die Leiche zu spielen. Die beiden Männer hielten sich in respektvollem Abstand zu dem Schatten, und Gordon sorgte zusätzlich dafür, daß Hanako außer dessen Reichweite blieb. Trotz dieser verrückten Situation blieb er absolut ruhig. Immerhin passierte es auch ihm nicht alle Tage, daß eine übersinnliche Erscheinung um Unterstützung bat. »Wenn ich mit meinem dröhnenden Schädel alles richtig verstanden habe«, meinte er mit verzogenem Gesicht, »bist du ein sogenannter Deserteur und mußt nun mit einer empfindlichen Strafe rechnen.« »Die Strafe ist endgültig«, erwiderte das Monster ebenso gefaßt. »Man wird mich auslöschen. Aber das sind nicht meine entscheidenden Beweggründe, Gordon. Viel wichtiger ist mir, daß ich das Ziel der Schatten verhindere.« »Das ist doch nur ein mieser Trick!« fauchte Sam Lake und schoß in die Höhe. »Damit will er uns hereinlegen. Wenn er zu diesen merkwürdigen Angehörigen des Schattenreiches gehört, bedeutet er für die Menschen die gleiche Gefahr wie seine Artgenossen.« Er griff nach dem Telefon, das neben ihm auf einem niedrigen Tischchen stand, und hob den Hörer ab. »Was hast du vor«, fragte der Kerl mit dem Ovalkopf mißtrauisch. »Ich informiere unsere Polizei«, gab der Kleine entschlossen zurück. »Die werden sich notfalls mit der Armee in Verbindung setzen. Dann kannst du eure Chancen realistisch
beurteilen. Das heißt, wenn du noch dazu kommst.« Das Monster war wie ein Blitz bei ihm und hob ein wenig seine Schleier. Ein Arm schob sich vor. Eine Hand legte sich auf die Hand Sam Lakes. Die Hand hatte sechs Finger. Der Kleine schrie gequält auf und sprang wie ein Känguruh in dem Zimmer hin und her. Seine Hand klemmte er dabei zwischen die Knie. »Verdammter Satan! Auf der einen Seite bestehst du aus Feuer und auf der anderen aus Eis. Demnach kannst du nicht aus der Hölle kommen.« »Das Schattenreich ist eine Welt, die für euch unvorstellbar ist. Man kann sie nicht nach Koordinaten berechnen. Unser Geschlecht ist schon viel älter als das der Menschen. Sei froh, Sam! Ich hätte deine Hand auch zerstören können, so wie ich es mit diesem lächerlichen Apparat tue.« Er legte seine sechsfingrige Hand auf das Telefon, das sich augenblicklich in einen glitzernden Eisklumpen verwandelte. »Es tut mir leid. Ich habe nicht die Absicht, euch zu schaden, doch ich muß euch vor eurer eigenen Dummheit, schützen. Wenn ihr eure Polizei oder andere Organisationen auf den Plan ruft, veranlaßt ihr die Schatten zum sofortigen Angriff. Das aber hätte für euch verheerende Folgen.« Hanako Kamara warf ihre schwarzen Haare trotzig zurück. In Gordon Blacks Nähe fühlte sie sich sicher, obwohl auch er momentan kaum etwas tun konnte. »Du redest und redest«, sagte sie ärgerlich, »aber ich erkenne nicht, wie wir dich schützen und uns gleichzeitig retten können. Anscheinend steht doch der Plan der Schatten unumstößlich fest.« Das Wesen nickte. »Das tut er tatsächlich. Allerdings benötigen die Schatten hierfür einen Mittelsmann, besser noch mehrere. Dieser Mittelsmann muß menschliches Blut in den Adern haben. Er ist ihr Werkzeug, mit dem sie sich einen Platz auf der Erde erkämpfen können.« »Ein ganz normaler Mensch?« wunderte sich Gordon Black.
»Genau genommen ein halber Mensch und ein halber Schatten«, schränkte das Wesen aus dem Schattenreich ein. »Zum Beispiel ich.« »Du?« »Ich bin das Resultat einer Liebesbeziehung zwischen einem Schatten und einer Frau. Die Frau wurde zu diesem Zweck vorher willenlos gemacht. Später tötete man sie und schnitt mich aus ihrem Leib. Ich war als Werkzeug ausersehen.« »Das habe ich mir doch gleich gedacht, daß sie dich als Spion zu uns geschickt haben«, wütete Sam Lake, unternahm aber weiter nichts, weil ihn seine Hand noch immer schmerzte. Die Flammen in den Augen des Monsters loderten auf. Sie wurden grellrot. »Du irrst dich. Wahrscheinlich ist es das menschliche Blut in mir, das mir die Flucht aus dem Schattenreich befahl. Ich will euch helfen, versteht ihr endlich? Das kann ich aber nur, wenn auch mir keine Gefahr droht.« »Hilfe auf Gegenseitigkeit also«, stellte Gordon Black fest. »So kannst du es nennen. Nur, daß eure Aufgabe wesentlich leichter ist als meine.« Sam Lake war nicht so leicht zu überzeugen. Das Ganze war ihm zu phantastisch, obwohl er schon einige Beweise für die übermenschliche Kraft des Halbschattens erhalten hatte. »Du widersprichst dir laufend, du Halunke«, grollte er. »Wenn du als geplantes Werkzeug wirklich nicht mitspielen willst, können nach deinen Worten deine Freunde auch nichts gegen uns ausrichten. Ich will dir mal was sagen. Du sitzt offenbar in der Klemme und brauchst unsere Unterstützung. Wenn wir dich dann aus dem Dreck rausgezogen haben, werden wir deine Dankbarkeit auf eine Weise kennenlernen, die uns gar nicht recht sein wird.« »Du bist ein Narr! Natürlich schaffen sich die Schatten ein neues Werkzeug. Sie können viele Wege gehen. Zum Beispiel haben sie die Möglichkeit, irgendeinen Menschen zu einem
Schatten umzufunktionieren. Ihr würdet ihn dann nicht mal äußerlich erkennen können. Er lebt unter euch und tötet euch, bevor ihr begreift, was mit euch geschieht.« »Du meinst, jeder könnte diese Rolle übernehmen?« fragte die Frau überrascht. »Auch ich?« »Auch du, Hanako. Du würdest selbst die Veränderung, die in dir vorgegangen ist, nicht mal merken. Du könntest deine Freunde nicht warnen, sondern würdest sie mit voller Absicht ins Verderben stürzen.« »Entsetzlich!« Auch Sam Lake wurde nun schweigsam. Es stellten sich ihm zwar noch immer tausend Fragen, aber die Spontaneität, mit der der Halbschatten alle seine Einwände widerlegte, ließ ihn die erdrückende Gefahr ahnen. »Es ist durchaus denkbar, daß das neue Werkzeug bereits existiert«, fuhr die gespenstische, widerwärtige Erscheinung mahnend fort. »Ich bin eine Gefahr für die Schatten, denn ich kenne ihre Pläne und verfüge über die gleichen Fähigkeiten wie sie selbst. Sie müssen mich unbedingt ausschalten.« »Und wie sollen wir das verhindern?« fragte Gordon Black. »Es ist für euch ganz leicht. Auf der Erde existieren verschiedene magische Kristalle. Wenn ihr mir einen davon bringt, reduziert ihr die Gefahr, die mir von den Schatten droht, auf ein Minimum.« »Alles gut und schön! Aber woher sollen wir wissen, wo es diese Kristalle gibt?« »Von mir natürlich!« »Von dir? Warum holst du das Ding dann nicht einfach selbst?« »Weil die Kristalle logischerweise von den Schatten gehütet werden. Würde ich selbst erscheinen, könnten sie mich mühelos vernichten. Darauf warten sie ja nur. Ihr aber als Menschen könnt es schaffen. Ihr habt ja lediglich den Halbschatten zu fürchten, von dem ich sprach und den es
vielleicht noch gar nicht gibt. Deshalb ist es wichtig, daß ihr euch sehr schnell entscheidet. Je länger ihr zögert, um so größer wird die Gefahr auch für euch.« Die Freunde sahen sich unschlüssig an. Gordon Black hatte sich längst abgewöhnt, einem Dämon auch nur ein Wort zu glauben. Mehrfach war er schon auf ihre Niedertracht hereingefallen. Aber das Ganze war nicht so leicht, wie es sich darbot. Er konnte nicht einfach seine Dämonenpeitsche holen, um den Halbschemen damit zur Strecke zu bringen. Offenbar ging es hier um eine viel größere Gefahr. Hanako und Sam blickten ihn an. Sie erwarteten von ihm eine Entscheidung. Die Verantwortung ruhte auf seinen Schultern. »Wo finden wir den bewußten Kristall?« fragte er. Das Ungeheuer zog seinen abscheulichen Mund erneut in die Breite. Seine nach innen gekehrte Nase wurde noch tiefer. Die Flammen in den Augenhöhlen glühten hell. »Nicht weit von hier steht ein Haus«, sagte er krächzend. »Es gehört einer gewissen Eila Parker. Diese Frau benutzt einen solchen Kristall für magische Beschwörungen. Ihr könnt ihn noch heute holen.« »Die Parker?« Sam Lake schüttelte sich. »Ich habe mir doch gleich gedacht, daß das Weibsbild nicht ganz richtig im Kopf ist. Magische Beschwörungen! Na, so was! Aber freiwillig wird sie uns den Kristall kaum überlassen, und wofür wir ihn brauchen, können wir ihr nicht klarmachen.« »Sie muß es gar nicht erfahren. Ich brauche den Stein nur kurze Zeit. Danach bringt ihr ihn wieder zurück.« »Wir sollen also einbrechen und stehlen«, stellte Gordon Black fest. »Leihen«, korrigierte das Monster. »Und wenn sie uns dabei erwischt?« »Das wäre schlimm. Für uns alle.«
*** Eila Parker lag wach auf ihrem Bett. Sie versuchte, sich zu erinnern. Etwas war in den letzten Stunden geschehen, doch es gelang ihr nicht, sich die Ereignisse ins Gedächtnis zurückzuholen. Sie fühlte sich gestärkt, als käme sie gerade von einer mehrwöchigen Kur. Lediglich ihre Erinnerungslücke beunruhigte sie. Sie stand auf und ging in die Küche. Dort holte, sie eine Tüte Milch aus dem Kühlschrank und nahm einen langen Schluck. Das erfrischte, doch ihre Probleme änderten sich dadurch nicht. Voller Unruhe ging sie von einem Raum in den anderen. Sie suchte etwas, woran sich ihre Erinnerung anhängen konnte, fand jedoch nichts. Auch in dem düsteren Zimmer, das sie für ihre Beschwörungen benutzte, fühlte sie sich diesmal nicht wohl. Sie wanderte an den Regalen und Schränken entlang, nahm hier und dort einen Gegenstand gedankenverloren in die Hand und legte ihn enttäuscht wieder zur Seite. Nichts zündete den Funken in ihr. Nicht der grinsende Totenschädel, nicht die vielen geheimnisvollen Bücher oder ihre eigenen, nur ihr selbst verständlichen Aufzeichnungen, nicht die flache Schale, in der eine fremdartige duftende Flüssigkeit mit kaum sichtbarer bläulicher Flamme verbrannte. Seufzend setzte sie sich an den Tisch und stützte ihren Kopf auf die Hände. Vor ihr glitzerte der Salzkristall. Das Glitzern hatte etwas Beruhigendes und doch Verheißungsvolles, wenn es ihr auch nicht ihre brennende Frage beantwortete: was war mit ihr geschehen? Allmählich versetzte sie ihre totale Unwissenheit in Wut. Sie ballte die Fäuste und donnerte sie auf die Tischplatte, daß
der Kristall mit einem Klirren antwortete. Ein diabolisches Lächeln stahl sich in ihr Gesicht. Heftig biß sie die Zähne zusammen und zog gleichzeitig die Lippen zurück. In ihr wurden Wünsche wach, die ihr gefielen. Bilder stiegen vor ihr auf. Bilder von Frauen und Männern, die sie kannte. Früher waren ihr die Menschen gleichgültig gewesen, wenn sie auch anfangs gehofft hatte, einem Mann den Kopf verdrehen zu können. Aber als sie einsehen mußte, daß sie nichts Verführerisches an sich hatte, hatte sie sich zurückgezogen. Dieses Pack! Wie sie es haßte! Dieses Gefühl schien ihr nicht neu zu sein. Sie hatte wohl nur nie gewagt, einen atemberaubenden Gedanken zu Ende zu führen. Jetzt wagte sie es. Ihr Lächeln wurde stärker. Sie sprang auf und warf den Stuhl hinter sich krachend zu Boden. Ihre Augen glühten vor Haß. War da nicht dieser Jeff Moran? Ein arroganter Typ, der sich damals den Spaß gemacht hatte, Illusionen in ihr zu wecken. Ha! Dieser Lump war ihr noch etwas schuldig. Die Rechnung stand schon lange offen. Jetzt wollte sie sie präsentieren. Jetzt gleich. Eila Parker fragte sich, woher sie eigentlich wußte, daß sich Jeff Moran in dieser Nacht auf einem Ball vergnügte. Sie sah ihn direkt vor sich, wie er mit seinem abgefeimten Lachen den Mädchen den Kopf verdrehte und natürlich wieder Hahn im Korb war. Dein Charme wird nicht mehr lange dauern, dachte sie zynisch. Auch dein Kopf wird bald verdreht sein, aber auf eine andere Weise, als du dir träumen läßt. Die Rachsüchtige warf sich einen weiten Umhang über die Schultern und stürzte aus dem Haus. Sie eilte durch die Nacht. Ihr dünner Überwurf flatterte
hinter ihr her. Unterwegs zögerte sie keine Sekunde. Aus unerklärlichen Gründen wußte sie, wo sie den Gesuchten finden würde. Bei den Wishmans. Das war eine angesehene Familie, die zu den oberen dreihundert der Stadt gehörte. In diesem Milieu fühlte Jeff sich wohl. Schon von weitem hörte Eila Parker die grelle Musik. Sie stachelte ihren Haß nur noch mehr auf. Sie beschleunigte ihre Schritte und kam endlich vor dem flachen, langgestreckten Bungalow an. Die breiten Glastüren zur Veranda waren zurückgeschoben. Auch hier wurde getanzt, geflirtet und dem Alkohol zugesprochen. Eila Parker wurde von keinem aufgehalten. Zu dieser Stunde fragte keiner mehr, ob man eingeladen war. Es ging schon auf Mitternacht zu. Das Vergnügen befand sich auf dem Höhepunkt. Die Frau betrat den hellerleuchteten Saal. In ihrem wallenden Umhang sah sie fast wie ein Geist aus. Doch niemand beachtete sie. Lediglich ein appetitliches Girl bot ihr auf einem Tablett eine Auswahl Getränke an. Sie blickte kurz auf und sah in zwei strahlende Rehaugen und in ein erhitztes Gesicht. Sie nahm, ohne hinzusehen, ein Glas vom Tablett, und erst, als die Kleine sie erstaunt musterte, merkte sie, daß sie ein leeres Glas erwischt hatte. Sie warf dem Mädchen einen wütenden Blick zu, richtete ihre Augen auf das Glas in ihrer Hand und forderte: »Gib noch einen Eiswürfel hinein!« Die Rehäugige wollte lachen, ließ es aber, als sie staunend feststellte, daß die Fremde ein bis zur Hälfte gefülltes Whiskyglas hielt. Kopfschüttelnd ließ sie einen Eiswürfel über den Glasrand gleiten und entfernte sich eilig. Wie war das zugegangen? Ein
Taschenspielertrick. Richtig unheimlich hatte die Alte ausgesehen. Wer die wohl eingeladen haben mochte! Sie behielt ihre Beobachtung für sich, ließ die Gespenstische von nun an aber nicht mehr aus den Augen. Sie sah, wie sie das Glas achtlos abstellte, ohne daraus getrunken zu haben. Dann blickte sie sich suchend um, war mit dem Ergebnis aber offensichtlich unzufrieden, denn ihre Augen blickten nun noch finsterer. Erst als ein markiges Lachen von der Veranda her ertönte, ging ein Ruck durch ihren Körper, und sie folgte der Stimme. Eila Parker blieb stehen und sah den blonden Mann an, der sich in einem Kreis junger Mädchen sichtlich wohl fühlte. Sie machte sich durch nichts bemerkbar, und doch wandte Jeff Moran sofort seinen Kopf nach ihr hin. Sein Lachen erstarb. Energisch bahnte er sich einen Weg durch seine Verehrerinnen, die heftig dagegen protestierten, so unerwartet alleingelassen zu werden. Im nächsten Augenblick stand er vor der Unheimlichen und blitzte sie zornig an. »Was fällt dir ein, Eila? Was willst du hier? Mir eine Szene machen?« »Durchaus nicht. Ich will mich nur amüsieren. Genau wie du.« »Was ist das für ein Vergleich? Du bist eine alte Schrulle, Eila, ich aber bin jung und habe das Leben noch vor mir.« »Du bist nicht jung, Jeff«, bestritt die Alte ruhig. »Du bist alt. So alt, wie ein Mensch eine Minute vor seinem Tod ist.« Er sah sie entgeistert an. »Du mußt verrückt sein, Eila. Willst du mir etwa drohen? Ich brauche nur einen Wink zu geben, und man wirft dich hinaus.« »Das mag sein, Jeff. Allerdings wirst du es nicht tun.« »Und warum nicht?« »Versuche es!« Jeff Moran wollte den Arm heben, doch er schien an seiner Hüfte festgewachsen zu sein.
»Versuche es!« Wiederholte die Frau höhnisch. »Winke und schrei! Schrei um dein erbärmliches Leben!« »Ich… ich kann nicht«, murmelte er mit Grauen in der Stimme. »Das ist aber traurig für dich, Jeff. Wer soll dir nun in deiner Bedrängnis helfen?« »Was hast du mit mir vor, Eila?« Panische Angst schwang in seiner sonst so selbstherrlichen Stimme. »Ich will mit dir tanzen. Weißt du noch das Lied, nach dem wir damals getanzt haben?« »Spring of my heart.« »Richtig. Frühling meines Herzens. Interessiert sich dein Herz gar nicht für den Winter? Er kann kalt sein. So eiskalt wie du, Jeff.« »Geh mir aus dem Weg! Was sollen die Leute denken?« »Daß du sehr früh sterben mußtest. Tanze mit mir, Jeff!« Mit einer Disharmonie brach die Fünfmannband ihren Bossa Nova ab. Sekunden später erklang ein einschmeichelnder Walzer. Der Mann zuckte zusammen. »Wie hast du das gemacht?« keuchte er. Eila Parker verzog das Gesicht zu einer spöttischen Fratze. »Unser Lied«, sagte sie, »und unser Tanz.« Apathisch hob Jeff Moran die Arme und begann mit der wesentlich Älteren zu tanzen. Es war eine warme Nacht. Trotzdem spürte er eine unerklärliche Kälte in sich aufsteigen. »Mir ist kalt«, murrte er. »Ich möchte ins Haus gehen.« »Man wird dich gleich hineintragen«, versprach Eila Parker. »Was du in dir spürst, ist ein Eisklumpen, der in dir wächst und dich töten wird. Ich werde einige Minuten erschüttert neben deinem Leichnam stehen, bevor ich mich verabschiede. Zu deiner Beerdigung komme ich allerdings nicht. Du bist mir nicht mehr wichtig genug. Außerdem werde ich sehr beschäftigt sein.«
Jeff Moran unternahm den Versuch, sich aus den Armen, die ihn nur ganz leicht hielten, loszureißen, doch er war mit dieser unheimlichen Frau wie verschweißt. Währenddessen wurde die Kälte in ihm immer unerträglicher. »Du Scheusal!« hauchte er. »Du bist ein Monster.« Dann glitt er aus ihren Armen und vernahm die entsetzten Schreie um sich her nicht mehr. Eila Parker mimte die fassungslos Überraschte. Unter den Gästen befanden sich zwei Ärzte. Sie bestätigten übereinstimmend den Tod des Mannes und schlossen nach eingehender Untersuchung Fremdverschulden aus. Danach verabschiedete sich Eila Parker. Sie dachte schon nicht mehr an Jeff Moran. Längst beschäftigten sich ihre Gedanken mit ihrem nächsten Opfer. *** »Wer von uns geht?« fragte Sam Lake. »Einer von uns muß hier bleiben. Schließlich können wir Hanako nicht allein mit diesem Mon… diesem Schemen lassen.« »Das fehlt mir noch«, empörte sich die Halbjapanerin. »Selbstverständlich gehen wir alle drei.« »Kommt nicht in Frage«, widersprach das Wesen. »Hanako bleibt bei mir. Ich brauche ein Pfand, damit ihr nicht auf die Idee verfallt, mich zu betrügen.« »Seine Gedanken sind richtig menschlich«, raunte Sam Lake. »Mißtrauen ist anscheinend international. Sogar jenseits der menschlichen Grenzen.« »Ich bin ebenfalls mißtrauisch«, flüsterte Gordon Black zurück. »Der Kerl ist mir nicht geheuer, aber ich kann ihm momentan nichts anhaben.« »Hoffentlich hilft dir dein Mißtrauen auch, wenn es gilt, deine wirklichen Feinde zu entlarven«, meinte der
Nichtmenschliche und zog seinen Mundschlitz in die Breite, was wohl ein Lächeln bedeuten sollte. »Bis du hier aufgetaucht bist, habe ich keine Feinde gehabt«, erklärte der Dämonenbezwinger, was zweifellos nicht richtig war, denn Gordon Blacks Feinde waren überaus zahlreich. »Besitzt du eigentlich einen Namen? Wir können dich doch nicht einfach Schemen oder Monster nennen.« »Bei euch Menschen muß jedes Ding einen Namen haben, nicht wahr? Sonst existiert es nicht. Nennt mich, wie ihr wollt, aber beeilt euch endlich. Die Zeit drängt mehr, als ihr ahnt.« »Wir nennen ihn Plum«, schlug Hanako Kamara vor. Die schrecklichen Erlebnisse lagen weit genug zurück, daß sie schon wieder zu ihrem Humor zurückfand. Außerdem machte dieser Name, der auf dem pfläumenförmigen Kopf anspielte, die ganze grauenhafte Erscheinung des Halbschattens etwas harmloser. Die Männer waren einverstanden, nur darüber, wer den Kristall holen sollte, konnten sie sich nicht einigen. Gordon Black hätte das natürlich am liebsten selbst erledigt. Auf der anderen Seite wollte er Hanako nicht diesem Monster ausliefern, zumal er immer noch auf einen günstigen Augenblick lauerte, daß er an seine Dämonenwaffen herankam. »Ich gehe«, entschied Sam Lake. »Ich kann die Parker sowieso nicht leiden, und wenn sie wirklich aufwacht, jage ich ihr einen gehörigen Schreck ein.« Gordon Black war einverstanden, weil er nicht an beiden Stellen gleichzeitig sein konnte. Im übrigen sah er für seinen Freund keine Gefahr, außer, daß die Parker nach der Polizei schrie, falls sie ihn überraschte. Der Halbschemen war mit Sicherheit gefährlicher als die Alte, denn diese verfügte über keine übersinnlichen Fähigkeiten. Daß er sich mit dieser Annahme gehörig auf dem Holzweg befand und daß sie durch diesen Irrtum noch in die größten
Schwierigkeiten geraten sollten, konnte er unmöglich ahnen. *** Sam Lake begleiteten die besten Wünsche Hanakos und Gordons. Er hatte sich mit einer besonders kleinen Taschenlampe und einer besonders großen Portion Energie eingedeckt und rechnete damit, daß diese Ausrüstung seinem Unternehmen zum Erfolg verhelfen würde. Er kannte das Parkersche Haus von innen nicht, glaubte aber, daß die Raumaufteilung ähnlich wie bei seinem eigenen sein würde. Diese alten Häuser glichen sich doch alle, und die Parker war zwar ein bißchen verrückt, aber kaum verrückt genug, um in ihrem Heim Wände einreißen oder neue errichten zu lassen. Der kleine Mann mit den glatten braunen Haaren war froh, sich nicht mehr in der Nähe des Schattenwesens aufhalten zu müssen, und er beneidete die Freunde nicht. Er mißtraute dem Burschen. Seine Story klang ganz einfach zu unglaubwürdig. Selbst dann, wenn man in Betracht zog, daß seine Erscheinung und seine Fähigkeiten selbst durchaus nicht zur Norm gehörten. Wenn er durch den Einbruch dazu beitragen konnte, den rätselhaften Halunken wieder loszuwerden, wollte er zufrieden sein. Hoffentlich überstanden Hanako und Gordon die kommende Stunde unversehrt! Er beeilte sich. Je eher er den Kristall fand und damit wieder zurück war, um so schneller löste sich ihr Problem, von dem sie vor zwei Stunden noch nichts ahnten. Das fragliche Haus hatte keine Nachbarn. Das kam seinem Plan entgegen. Niemand würde ihn beobachten, wenn er sich gewaltsam Einlaß verschaffte. Er mußte nur darauf achten, daß ihn die Hausherrin nicht störte.
Der Garten, der das Haus umgab, war nur klein, aber trotzdem total verwildert. Seine Besitzerin empfand für die körperlichen Arbeiten in frischer Luft offensichtlich kein Vergnügen. Magische Beschwörungen, dachte er verächtlich. Das sieht der alten Hexe ähnlich. Ich wette, daß sie in Ohnmacht fallen würde, wenn sie durch meinen nächtlichen Spuk aufwachte. Er ging um das Haus herum und stellte fest, daß nirgends ein Licht brannte. Das hatte er um diese Zeit auch nicht anders erwartet. Normalerweise schlief man gegen Mitternacht am festesten. Blieb zu hoffen, daß die Parker wenigstens in dieser Beziehung zu den Normalen gehörte. Der Kleine drehte seine zweite Runde. Diesmal schlich er dicht an der Hausmauer entlang und prüfte die beiden Türen und jedes Fenster bezüglich der Einstiegmöglichkeit. Wenn es irgendwie ging, sollte die Bestohlene nichts von dem Besuch merken. Er würde den Kristall später wieder zurückbringen. Also konnte er nicht einfach eine Fensterscheibe einschlagen und auf diese Weise einsteigen. Das mußte er schon eleganter drehen. Eila Parker machte es Einbrechern nicht leicht. Beide Türen waren verschlossen, und keines der Fenster im unteren Stockwerk stand auch nur einen schmalen Spalt offen. In der oberen Etage entdeckte er ein geöffnetes Fenster, doch es war nicht ganz unproblematisch, da hinaufzugelangen. Er wollte erst mal sein Glück bei den Türen probieren. Wenn nicht besonders komplizierte Schlösser eingebaut waren, konnte er sie vielleicht mit ein paar zurechtgebogenen Haken knacken. Bei der vorderen Pforte gab er es gleich auf. Ein Sicherheitsschloß. Dafür reichten seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet nicht aus. Er ging ums Haus herum und verharrte vor der schmalen
Tür, die direkt in den Garten führte. Er grinste breit. Hier sah es günstiger aus. Der Mond schien noch immer. Sam Lake suchte seine primitiven Werkzeuge heraus und entschied sich für einen stabilen Haken, der sich jedoch als zu groß herausstellte. Der nächste Dietrich war zu schwach und verbog sich gleich. Erst mit dem dritten Einbruchsschlüssel hatte er Glück. Er paßte, aber es dauerte immerhin volle zehn Minuten, bis das rostige Schloß endlich nachgab. Sam Lake war eben kein Profi. Unendlich behutsam stieß er die Tür auf, die zu allem Unglück auch noch in den Angeln quietschte. Sie wurde wohl nur selten benutzt. Erschrocken hielt der Mann inne und lauschte. Nichts regte sich. Nach ein paar Minuten zwängte sich Sam Lake durch den Spalt und ließ die Tür offen, um ein nochmaliges Quietschen zu vermeiden. Das Mondlicht fiel ein wenig in die Finsternis. Das war gut so, denn da Sam Lake vorläufig auf seine Taschenlampe verzichtete, wäre er ahnungslos gegen eine Leiter und allerlei Gerümpel gelaufen und hätte es zweifellos umgerissen. So aber umging er geschickt das Hindernis und tastete sich mit beiden Händen vorsichtig weiter. Schon auf dem Weg hierher hatte er sich überlegt, wo man wohl einen Kristall für magische Beschwörungen aufbewahrte. Er kannte sich in diesen Praktiken nicht aus, nahm aber an, daß jemand, der etwas von diesem Humbug hielt, einen derartigen Stein wie einen Schatz hüten würde. Vielleicht nahm die Parker ihn sogar mit ins Schlafzimmer und steckte ihn unter ihr Kopfkissen, während sie schlief. Trotzdem wollte er erst die unteren Räume untersuchen, bei denen die Gefahr einer Entdeckung nicht so groß, eine eventuelle Fluchtmöglichkeit dafür um so günstiger war. Er wandte sich der ersten Tür zu und fand sich in der Küche. Zweifelnd sah er sich um, während er seine winzige Lampe
aufblitzen ließ. Eine Küche schien ihm nicht der passende Ort, um einen magischen Kristall aufzubewahren. Der nächste Raum ließ ihn schon eher hoffen, fündig zu werden. Alles sah so aus, als würde die Parker hier ihre magischen Beschwörungen betreiben. Auf einem Schreibtisch brannte ein kaum wahrnehmbares Licht. Eine bläuliche Flamme spielte in einer flachen Schale. Darin befand sich eine Flüssigkeit, die außer intensiven Duftstoffen hauptsächlich Öl enthielt. Der Kleine rümpfte die Nase. Das stank ja fürchterlich. Das sollte Gordon mal riechen, dann würde er sich nicht mehr über seine angenehm duftenden Zigarren beschweren. Der Schreibtisch ließ seinen Blick nicht los. Der grinsende hohläugige Totenschädel, den sich das Weib bestimmt eigenhändig vom Friedhof geholt hatte, paßte zu einer Geistertante. Noch mehr aber als der Kopf faszinierte Sam Lake der glitzernde Stein, der gleich daneben lag. Das mußte der Kristall sein. Er glitzerte wie ein Eisklumpen und war größer, als Sam Lake ihn sich vorgestellt hatte. Rasch trat er an den Tisch heran und legte beide Hände auf den Kristall. Seltsam! Er empfand bei der Berührung nichts Besonderes. Hier brauchte man wahrscheinlich eine blühende Phantasie, um eine Wunderwirkung in dem Klumpen zu erkennen. Immerhin hatte er es geschafft. Der Rest war nun ein Kinderspiel. Eila Parker schlief oben ahnungslos, und bis sie am Morgen aufwachte, war der Kristall schon längst wieder da. Sam Lake grinste hinterhältig, während er sich die Bestohlene vorstellte, die vielleicht doch vorher etwas merkte. Zweifellos würde sie an die Einwirkung finsterer Mächte glauben. Er fingerte einen Beutel mittlerer Größe aus seiner Jackentasche, um die Beute darin unterzubringen, als plötzlich die Deckenbeleuchtung aufflammte.
Es riß ihn herum. Vor ihm stand Eila Parker, die vor Wut kochte. *** Plum, der Halbschatten wurde immer unruhiger. »Er müßte längst zurück sein«, krächzte er. »Wenn er einen Trick versucht und vielleicht doch zur Polizei rennt, ist das euer eigener Schaden. Ich kann euch dann nicht mehr helfen.« Auch Hanako Kamara und Gordon Black machten sich Sorgen um den Freund. Er war tatsächlich schon länger weg, als sie gerechnet hatten. Gordon fing an, sich Vorwürfe zu machen, daß er Sam hatte gehen lassen. Das Haus der Parker war nur zehn, höchstens fünfzehn Gehminuten entfernt. Wenn er den Kristall gleich gefunden hatte, mußte er also schon wieder zurück sein. »So ein Haus ist groß«, versuchte die Frau sich selbst zu beruhigen, »und die Alte wird ihren Schatz nicht gerade offen liegenlassen.« Gordon gab keine Antwort. Noch immer suchte er nach einem Weg, Plum zu überlisten, ohne dabei die von dem Schemen angekündigte Gefahr außer acht zu lassen. Er brauchte seine Dämonenwaffen, das war klar. Doch Plum hatte jeden Versuch, zu den oberen Räumen zu gelangen, im Keim erstickt. Es war offensichtlich, daß das Wesen genau den Grund für sein Interesse kannte. Nicht mal sein Hexenmesser trug er bei sich. Wie hätte er auch ahnen können, daß er hier in Georgia, knapp vor der Atlantikküste, einem übersinnlichen Gegner begegnen würde. Die Fahrt hatte ein Kurzurlaub werden sollen, doch die Geister machten offensichtlich nie Urlaub. »Wir müssen uns um Sam kümmern«, schlug er endlich vor. Damit verfolgte er eine ganz bestimmte Absicht, und er bemühte sich, einen möglichst harmlosen Eindruck zu
erwecken. Hanako nickte. Sie gingen zur Tür, doch der Halbschatten vertrat ihnen den Weg. »Einer von euch bleibt hier«, befahl er. »Was soll das heißen?« wollte Gordon Black wütend wissen. »Sind wir etwa deine Gefangenen?« Er hatte gute Lust, sich mit geballten Fäusten auf den Frechling zu stürzen, doch er sah ein, daß das nicht den geringsten Erfolg bringen würde. An Körperkraft war ihm Plum haushoch überlegen, und außerdem verfügte er noch über ein paar Tricks, die der Gesundheit nicht zuträglich waren. »Ihr seid mein Sicherheitspfand. Ich traue euch soviel oder sowenig, wie ihr mir traut.« »Also gar nicht«, stellte die Schwarzhaarige lakonisch fest. »Aber so kommen wir nicht weiter, Plum.« »Gordon soll alleine gehen«, entschied der Schemen. Der Dämonenjäger lachte frostig auf. »Das könnte dir so passen. Ich kann das Mädchen unmöglich bei dir lassen. Das wirst du hoffentlich kapieren.« »Warum nicht? Hanako gefällt mir.« Die Halbjapanerin schüttelte sich entsetzt. Das fehlte ihr noch. Sie dachte daran, wie Plum angeblich entstanden war. Ein Schattenwesen hatte eine Frau zur Liebe gezwungen. Daß ihr das gleiche passieren könnte, überzog sie mit einer Gänsehaut. Da würden auch ihre ganzen Karatekenntnisse und die übrigen Tricks nichts nützen. Wenn sie sich auch allmählich etwas an den gräßlichen Anblick des Monsters gewöhnt hatte, Sympathien konnte sie deshalb trotzdem nicht für es empfinden. Andererseits dachte sie an Sam, und daß er vielleicht Hilfe brauchte. Das gab den Ausschlag. »Ich bleibe hier«, erklärte sie und gab ihrer Stimme einen festen Klang. »Sieh du nach, Gordon, wo Sam bleibt. Wenn ihr
aber beide nicht zurückkommt, kündige ich euch meine Freundschaft.« »Das kannst du mir ja kalt ins Gesicht sagen«, meinte Gordon grinsend. »Schließlich hast du Plum als Trost.« Er sah das Mädchen prüfend an und bewunderte den Mut seiner Mitarbeiterin. Was hatte sie vor? Glaubte sie, mit ihrem Charme Plum überlisten zu können. Das konnte sich als gefährlicher Irrtum herausstellen. Nein! Diese Sache mußte sie ihm überlassen. Wenn es vorläufig auch nicht danach aussah, daß er demnächst Oberwasser bekommen würde, so konnte sich das schlagartig ändern, wenn er erst seine Dämonenpeitsche in der Faust hielt. Dann würde man ja sehen, wie Plum reagierte. »Versuche, ihn zu beschäftigen«, flüsterte er Hanako zu. »Vielleicht liebt er Musik. Oder erzähle ihm eine tragische Geschichte aus deiner Kindheit. Vor allem mußt du alles vermeiden, was ihn reizen könnte.« »Das weiß ich selbst«, zischte die Frau zurück. »Hau schon ab! Und laß mich nicht solange mit diesem Ungeheuer allein!« »Tue nichts auf eigene Faust!« warnte Gordon. »Wenn ich jetzt gehe, mußt du ihn unter allen Umständen ablenken.« »Was hast du vor, Gordon?« »Das sage ich nicht. Plum kann Gedanken lesen. Aber jedenfalls muß es klappen. Sonst sieht es schlecht aus für uns.« »Wenn du ihr was tust«, sagte er laut zu Plum, »hetze ich dir die Schatten persönlich auf den Hals.« Er verließ das Haus, und ihm war gar nicht wohl dabei. Nach dreißig Schritten blickte er sich um und vergewisserte sich, daß die beiden Zurückgebliebenen ihm nicht nachsahen. Er duckte sich und schlug einen Bogen. Dabei bewegte er sich völlig lautlos, denn was er jetzt plante, mußte absolut leise geschehen. Auf einem Umweg kehrte er zum Haus zurück und befand sich nun an dessen Rückseite. Längst hatte er sich alles bis in
die letzten Einzelheiten ausgemalt. Viel Zeit hatte er nicht, denn er mußte auch an Sam denken, der, wenn er Glück hatte, nur von der Polizei bei seinem Einstieg erwischt worden war. Gordon Black zögerte nicht. Er entschied sich für das Fallrohr der Regenrinne, denn das war die einzige Klettermöglichkeit, die bis zum oberen Stockwerk führte. Er hörte Musik und dazwischen ärgerliche Stimmen. Eine von ihnen gehörte Hanako. Sie führte seine Anweisung glänzend aus. Er konnte sich, wie immer, auf sie verlassen. Von dort bestand also vorläufig keine Gefahr. Er umklammerte das Rohr und zog sich behutsam in die Höhe. Dabei ging er sehr vorsichtig zu Werke, denn zweifellos war Plum mißtrauisch und würde bei dem geringsten Geräusch Verdacht schöpfen. Gordon Black war ein ausgezeichneter Kletterer. Er hatte schon viele halsbrecherische Touren hinter sich. Diese war dagegen eher simpel. Dennoch nahm er sie keineswegs auf die leichte Schulter, denn es hing unendlich viel von ihrem Erfolg ab. Er war kritisch sich selbst gegenüber, doch er durfte zufrieden sein. Mit sicheren Griffen gelangte er absolut lautlos nach oben und erreichte von dort ein offenstehendes Fenster. Es gehörte zu Hanakos Zimmer, das direkt neben seinem lag. Ihn trennten also nur noch wenige Schritte von seinen dämonenbezwingenden Waffen. Hanako und Plum befanden sich nicht unter ihm, sondern auf der anderen Seite des Hauses. Dennoch bewegte er sich leise, um nicht noch alles zu verderben. Er drückte vorsichtig die Klinke herunter und stand nun in dem dunklen Gang. Er benötigte kein Licht, denn die Tür zu seinem Zimmer war leicht zu finden. Er mußte nur vier Schritte nach links gehen. Nun stand er davor und suchte die Klinke. Doch er fand sie nicht.
Dafür tappte er auf etwas Weiches, und plötzlich züngelten direkt vor seinen Augen ein paar orangerote Flammen. Plum! Blitzschnell zuckte Gordon Black zurück, doch der Halbschemen reagierte wesentlich schneller. Er hatte ihn ja offenbar erwartet. Gordon fühlte sich von einer Faust gepackt und bis zum Ende des Ganges geschleudert. Er krachte gegen das Treppengeländer und sprang im nächsten Moment wieder auf die Füße. Jetzt ging es ums Ganze. Plum würde ihn nicht schonen, denn er fühlte sich hintergangen. Der Detektiv dachte an Hanako. Hoffentlich gelang wenigstens ihr die Flucht. »Hanako kann sich nicht bewegen«, höhnte der Halbschemen aus dem Dunkel heraus und brachte damit Gordon Blacks Hoffnungen zum Einsturz. »Hast du immer noch nicht begriffen, daß du mich nicht betrügen kannst, du Narr?« Gordon Black konnte seinen Gegner ahnen, denn er sah seine zuckenden Augenfeuer. Er stieß seine Fäuste hinein, doch es erging ihm nicht besser als vor einiger Zeit Sam Lake. Auch er schlug ins Leere, verlor dadurch das Gleichgewicht und polterte die Treppe hinunter. »Bring mir den Kristall!« befahl Plum eisig. Gordon Black erhielt einen weiteren Stoß, der ihn durch die Haustür beförderte und ihn sich draußen ein paarmal überschlagen ließ. Benommen schüttelte er sich. Seinem ersten Impuls folgend, wollte er ins Haus zurückstürmen, doch dann sah er ein, daß das töricht und für Hanako unter Umständen sogar tödlich sein würde. Ihm blieb vorerst nichts anderes übrig, als dem Befehl des Halbschattens zu folgen. Er hetzte vorwärts. Seine einzige Hoffnung war, daß Sam Lake mehr Glück gehabt hatte als er.
*** Sam sah die Alte entgeistert an. Er merkte sofort, daß sie nicht geschlafen hatte, denn sie trug einen weiten, faltigen Überwurf und kam bestimmt gerade von draußen. Ihre weißen Haare fielen ihr in wirren Strähnen übers Gesicht. Ihre hellen Augen funkelten tückisch. Sie sieht wirklich wie eine Hexe aus, dachte der Mann mit beträchtlichem Unbehagen. Er ärgerte sich, daß seine Aufmerksamkeit für einen Augenblick nachgelassen hatte, als er den Kristall fand, sonst hätte er sich nicht erwischen lassen. »Was hast du hier herumzuschnüffeln?« kreischte die Hausherrin. Sam Lake reagierte blitzschnell. Er durfte nicht seine tatsächlichen Absichten preisgeben. Die Parker sollte nicht ahnen, daß er hinter dem Kristall her war. »Ich interessiere mich für den Totenschädel«, log er. »Ich finde, er hat Ähnlichkeit mit meinem Großvater, und behaupte, daß du ihn aus seinem Grab gestohlen hast.« Eila Parkers Augen wurden klein. »Er gefällt dir wohl, der Schädel? Du hast verdammtes Glück, Lake. Dein eigener Kopf wird nämlich bald genauso aussehen.« »Das ist aber ein makabrer Scherz. Das bringt mich ja auf den Gedanken, daß du den Schädel nicht nur gestohlen, sondern meinen Großvater sogar ermordet hast.« Das war natürlich Unsinn. Der alte Herr war eindeutig einer Lungenentzündung zum Opfer gefallen und außerdem nicht hier, sondern in Brunswick beerdigt. Er konnte Eila Parker auch keine Sekunde aus der Fassung bringen. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und sah ihn drohend an. »Galgenhumor nennt man so etwas wohl«, sagte sie gehässig. »Mit einem Galgen kann ich leider nicht dienen,
obwohl es mir großen Spaß machen würde, dich Galgenvogel baumeln zu sehen.« »Nun reg dich mal langsam ab!« schlug Sam Lake vor. »Was ist denn schon geschehen? Ich wollte mir mal diesen Schädel genauer ansehen. Weiter nichts. Gestohlen habe ich nichts und auch nichts beschädigt. Gute Nacht!« »Was wolltest du wirklich bei mir, du Schuft?« Die Parker wollte das Märchen nicht schlucken. »Woher wußtest du überhaupt, daß ich nicht zu Hause bin?« Junge, wenn ich das gewußt hätte, dachte Sam Lake zerknirscht, wäre alles viel schneller gegangen, und du hättest mich bestimmt nicht geschnappt. »Ich hatte dich im Verdacht«, sagte er laut, »daß du schon wieder eine neue Leiche ausbuddeln würdest, als ich dich weggehen sah. Aber dafür siehst du mir zu sauber aus. Kleines Rendezvous gehabt, wie?« Er grinste anzüglich, wurde aber schlagartig ernst, als er ihr teuflisches Gesicht sah. »Ein Rendezvous mit dem Tod«, bestätigte Eila Parker mit hohler Stimme. »Der Knochenmann hat mir eingeflüstert, daß ich dich hier finden werde.« Sie näherte sich einen weiteren Schritt, und Sam Lake wich unwillkürlich die gleiche Strecke zurück. »Komm mir nicht zu nahe!« warnte er. »Du bist zwar eine Frau, aber anfassen lasse ich mich von dir noch lange nicht.« Eila Parker lachte wild auf. Sie stieß ihre spinnenlangen Finger vor und kreischte: »Du willst mir drohen? Du Narr! Ich bringe dich um. Jetzt auf der Stelle.« Sam Lake erschrak zutiefst. Das Gesicht der Alten bestätigte ihre absurde Drohung. Was war mit ihr los? Warum, in aller Welt, trachtete sie ihm nach dem Leben? Das war doch lächerlich. Er versuchte, die Frau mit einer energischen Handbewegung zurückzudrängen, dabei spürte er einen würgenden Schmerz. Er sah Eila Parkers diabolisches Grinsen und mit einem Mal
wußte er, daß er gegen sie keine Chance hatte. Ihm wurde klar, daß er keinem Menschen gegenüberstand. Das Grauen kroch in ihm hoch. Was für eine Nacht! Erst fanden sie Hanako und glaubten, sie sei tot. Dann tauchte der Schemen Plum mit seinen verrückten Behauptungen auf. Und nun noch Eila Parker, die noch immer stocksteif dastand, weil sie sich ihres Sieges sicher war. Plums Worte kamen ihm in den Sinn. Die Schatten würden sich ein neues Werkzeug schaffen, einen Halbschatten, mit dessen Hilfe sie sich einen Platz zwischen den Lebenden erzwingen konnten. Es gab keinen Zweifel mehr: Eila Parker war dieser Halbschatten. Sie hütete nicht nur ihren Kristall, sie war auch dabei, jeden geringsten Vorwand für ihre eigenen Bluttaten zu suchen, die ihr von den Überwesen diktiert wurden. Hatte Plum das alles gewußt? Hatte er ihn mit voller Absicht ausgerechnet hierher geschickt. »Warum willst du mich töten?« fragte er lahm. »Weil ich dich hasse.« »Ausgerechnet mich?« »Ich hasse alle Menschen.« Mit diesen Worten stieß die Alte beide Hände, die wie Krallen geöffnet waren, vor. Sam Lake taumelte zurück. Eine derartige Kraft hätte er der Frau niemals zugetraut. Er tastete hinter sich und fühlte eine kühle Glasscheibe. Ein verzweifelter Gedanke erfaßte ihn. Er schlug seine rechte Faust zurück und zertrümmerte das Glas. Den größten Scherben, den er fassen konnte, packte er und stürzte sich damit auf seine Gegnerin. Endlich besaß er eine Waffe, die ihn allerdings schon selbst erheblich verletzt hatte. Eila Parker setzte sich nicht zur Wehr, und das raubte Sam Lake fast den Verstand. Er stach ständig ins Leere, und die Alte erlitt nicht die geringste Schramme. »Jetzt ist es genug«, sagte der Halbschatten leise, aber
unheimlich drohend. Als Sam Lake wieder zustach, fühlte er sich am Hals gepackt und nicht mehr losgelassen. Der Kleine fühlte, wie eisige Kälte in ihm aufstieg. Sein Pulsschlag verlangsamte sich. Er gefror zu einem klirrenden Eisklumpen. Während seine Sinne noch einige Augenblicke wach blieben, wurde sein Körper so steif wie der Stamm einer hundertjährigen Eiche. Er sah noch, wie die Parker höhnisch lachte. Sie holte mit der linken Hand aus und verpaßte ihm eine fürchterliche Ohrfeige. Dann flog er quer durch den ganzen Raum, krachte gegen eine der Wände und polterte endlich auf den Fußboden. In diesem Augenblick erstarben auch seine Sinne… *** Ohne das geringste Anzeichen einer Gefühlsregung betrachtete Eila Parker ihr Opfer. Sie beschäftigte lediglich eine Frage: Was hatte der Kerl bei ihr gewollt? Die Bewohner des Schattenreiches wußten sicher eine Antwort. Sollte sie sie fragen? Sie wandte sich von dem Leblosen ab und näherte sich dem Schreibtisch, auf dem neben dem Todenschädel der magische Kristall funkelte. Ächzend ließ sie sich auf dem Stuhl nieder und richtete ihre brennenden Augen auf den Klumpen. Sie war ganz ruhig. Der kurze Kampf hatte sie nicht aus der Fassung gebracht. Man mußte die Menschen töten. Es gab zu viele. Sie nahmen den Schatten den Platz weg. Die Ruhe fiel urplötzlich von Eila Parker ab. Haß malte sich auf ihrem Gesicht. Sie stieß den Stuhl wütend zurück und stand auf. Die Antwort auf ihre Frage war im Augenblick nicht wichtig. Wichtiger war, daß sie ihre Aufgabe erfüllte. Es gab noch soviel zu tun.
Die Nacht war noch nicht vorbei. Sie brauchte keine Ruhe. Wenn sie töten konnte, war sie zufrieden. Ihre Augen richteten sich starr auf einen imaginären Punkt in der Ferne. Bilder stiegen vor ihr auf. Erst undeutlich, schon bald aber klar erkennbar. Dieses blonde Luder, das sie bei den Wishmans kennengelernt hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Es war jung, und junge Frauen waren verdorben. Man mußte sie beseitigen. Außerdem hatte das Mädchen sie genau beobachtet. Es hatte womöglich Verdacht geschöpft. Es mußte sterben. Eila Parker ließ den Besiegten achtlos liegen. Den konnte sie später immer noch wegschaffen. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Sie stieg über Sam Lake hinweg, verließ das Zimmer und kurze Zeit später auch das Haus. Auf ihren Lippen spielte ein böses Lächeln. Sie fühlte sich wohl. Ihre starken Partner vermittelten ihr das Bewußtsein der Stärke und Unbesiegbarkeit. Sie schritt durch die Nacht. Ihre Schritte hallten laut. Sie gab sich keine Mühe, dieses Geräusch zu vermeiden. Dort drüben befand sich der Bungalow der Wishmans. Eine Gestalt huschte gerade über die Straße. Sie war blond. Es war die Kleine, die sie suchte. Wie war sie erschrocken, als ihr leeres Glas plötzlich voller Whisky war! Eila Parker kicherte amüsiert in sich hinein. Wie wird sie erst erschrecken, wenn ich vor ihr stehe, um sie in den Abgrund des Todes zu stoßen, dachte sie mit teuflischem Grinsen. *** Hanako Kamara war hundemüde, doch sie wagte nicht, die Augen auch nur für einen kurzen Moment zu schließen. Neben der Tür hatte Plum Posten bezogen. Er kam ihr nicht
zu nahe, doch was würde ihm einfallen, wenn sie einschlief? Nein, schlafen konnte sie jetzt unmöglich. Da war das Grauen vor dem Schemen, da war die Sorge um Gordon und Sam. Plum war anscheinend nicht zu überlisten. Er hatte Gordon sofort durchschaut, aber ohne seine Dämonenwaffen konnte der nichts gegen den Halbschemen ausrichten. Wenigstens konnte sie sich jetzt wieder bewegen. Plum hatte die Starre von ihr genommen, aber er hüllte sich in Schweigen. Er schien ebenfalls besorgt zu sein. Jedenfalls machte er einen nervösen Eindruck. Ein nervöser Schatten war zweifellos noch gefährlicher als ein ruhiger. Das war wie bei den Menschen. Ein Verbrecher, der sich bedroht fühlte, ließ sich leicht zu einer Kurzschlußhandlung hinreißen. Und sie war allein mit diesem Monster! Jetzt rührte sich der Unheimliche. Er sprang auf, und seine Augenflammen wurden grellgelb, beinahe weiß. »Sie kommen!« krächzte er. Hanako war erleichtert. »Gordon und Sam?« vergewisserte sie sich. »Nein! Die Würger des Schattenreiches. Sie wollen mich holen.« Alle Hoffnung brach in der Frau zusammen. Was mußten das für fürchterliche Wesen sein, vor denen sogar Plum zitterte? »Ich höre nichts«, wandte sie irritiert ein. »Niemand kann sie hören«, belehrte das Monstrum sie. »Ihr Menschen könnt sie auch nicht fühlen so wie ich. Ihr erkennt sie nur an ihrer Wirkung, denn sie zeigen sich normalerweise nicht. Doch diesmal wirst du sie sehen, wenn es uns nicht gelingt zu fliehen.« »Fliehen?« Sie sah die Erscheinung fassungslos an. »Soll das heißen, du willst mich von hier verschleppen?«
»Uns bleibt keine andere Wahl. Deine Freunde haben mich im Stich gelassen. Ich bin verloren, wenn die Schatten mich hier finden, und du bist es auch.« Sie blitzte ihn haßerfüllt an. »Ich wußte, daß du eine Gemeinheit im Schilde führst«, schrie sie. »Du hast Gordon und Sam in eine Falle geschickt, um mich allein in deine Gewalt zu bringen. Alles, was du sagst, ist Lüge.« »Schweig!« donnerte der Halbschatten. »Wir dürfen nicht länger zögern. Wenn sie zu nahe sind, entgehen wir ihrer Bannwirkung nicht mehr.« »Wo sollen wir hin?« Sie fragte nicht, weil sie es wirklich wissen wollte, sondern um Zeit zu gewinnen. Vielleicht kamen die Männer endlich zurück. Dann würde Plum von ihr ablassen. »Die vier Elemente können uns für kurze Zeit retten«, erwiderte der andere. »Feuer, Wasser, Luft und Erde. Wir müssen eine Stelle finden, an der sie vereint sind.« Welch wahnsinniger Gedanke! Wie konnten sich Feuer und Wasser vereinen. Schon daraus war ersichtlich, daß der Schemen aus lauter Lüge bestand. Hanako versuchte, nicht an Flucht zu denken, denn inzwischen hatte sie begriffen, daß das Monster Gedanken lesen konnte. Sie wollte aber ihre Absicht nicht verraten. »Darf ich Gordon eine Nachricht hinterlassen?« bat sie. »Dafür ist keine Zeit. Außerdem wissen wir noch nicht, wohin wir gehen werden. Komm jetzt!« Er streckte die Hand mit den sechs Fingern nach ihr aus. Jetzt durfte sie nicht mehr zögern. Die Tür war durch den Schemen versperrt, also blieb nur das Fenster. Sie drehte sich um, nahm einen Anlauf und sprang, mit vorgestreckten Armen, durch die geschlossene Scheibe, die klirrend zerbarst. Hinter sich hörte sie den wütenden Krächzton. Ihr war klar, daß nun wieder ein Wettlauf wie vor wenigen Stunden
beginnen würde. Doch diesmal wollte sie nicht schlappmachen. Es mußte ihr gelingen, in die Nähe von anderen Menschen zu kommen. Doch es war nicht viel Zuversicht in ihr. Als erstes riß sie sich die Schuhe von den Füßen, um besser laufen zu können. Vor allem vermied sie dadurch auch die verräterischen Geräusche, die den Verfolger auf ihre Spur bringen würden. Ohne zu überlegen, wählte sie irgendeine Richtung. Erst viel zu spät erkannte sie, daß sie sich immer weiter von dem bewohnten Gebiet entfernte und geradewegs auf das Moor zulief. Das konnte kein Zufall sein. Sie war nicht mehr Herr über ihren eigenen Willen. Plum steuerte sie nach seinem Belieben. Er dirigierte sie in die Falle. Wenn sie jetzt noch die Richtung änderte, lief sie ihm direkt in die Arme. Trotzdem mußte sie es versuchen. Ihr blieb keine andere Wahl, wollte sie nicht im Sumpf versinken. Sie schwenkte nach rechts ab, sah aber gleichzeitig, daß sie verloren war. Plum war ihr dichtauf. Ihre Überrumpelungsaktion hatte ihn nicht lange außer Fassung gebracht. Vor überstürzter Hast kam sie ins Straucheln. Sie mußte höllisch aufpassen, daß sie nicht hinfiel. Dann war alles aus. Sie taumelte vorwärts. Vor ihr brach der Morgen an. Ein Lichtschimmer schwebte über dem Boden. Unbewußt fragte sich die Halbjapanerin, wieso die Sonne an diesem Tag im Norden aufging. Dann begriff sie, daß das Licht nicht von der Sonne herrührte und daß es dafür auch noch zu früh war. Das Leuchten war bunt. Es strahlte in sämtlichen Farben des Regenbogens. Es wurde stärker und bewegte sich auf sie zu. Schon glaubte sie an Irrlichter. So etwas sollte es in Moornähe geben. Da erkannte sie, daß es sich um regelrechte Gestalten handelte. Ihre Konturen waren zwar verschwommen. Sie wirkten wie Geisterbilder, wie Rauch, aus dessen Form man
irgendwelche Figuren las. Oder wie Wolken. Sie veränderten ständig ihre Struktur, wuchsen zu erstaunlicher Größe, um gleich darauf wieder fast im Erdboden zu verschwinden. Auch die schillernden Farben wechselten. Was blieb, war das Grauen, das Hanako packte. Ihr war plötzlich klar, was sie da vor sich hatte. Sie sah fratzenähnliche Visagen mit teuflischen Augen, Hände, die sie zu würgen suchten und plötzlich vom Körper wie ein Stoffetzen abgerissen und vom Wind davongetragen wurden. Da waren drohende Gebärden und grollende, feindliche Laute, aus denen sie zwar keine verständlichen Worte heraushörte, deren Klang aber ausreichte, um ihr die Absichten dieser Erscheinungen klarzumachen. Vor ihr befanden sich die Schemen des Schattenreiches, von denen Plum mit soviel Respekt gesprochen hatte. Sie kamen unbeirrt auf sie zu. Nur ein paar Augenblicke noch, dann würden die Schatten mit den Würgerhänden über sie herfallen. Hinter ihr raste Plum heran. Vielleicht war er ein Spion, vielleicht befand er sich tatsächlich in Gefahr und würde nun alles versuchen, die Schemen zu besänftigen. Das konnte er am leichtesten, indem er ihnen ein Opfer brachte. Das Opfer war sie. Links befand sich der mörderische Sumpf, rechts hörte sie die Brandung des Atlantiks. Sie war hier besonders wild. Wohin sie sich auch wandte, überall stieß sie auf den Tod. Voller Grauen warf sie sich herum und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Aber da war Plum. Die Schleier umwehten seinen Körper. Auch er sah grauenhaft aus, und seine mörderischen Fähigkeiten hatte er bereits unter Beweis gestellt. Zum letztenmal änderte Hanako Kamara ihren Plan. Bevor sie den Abscheulichen in die Hände fiel, wollte sie sich lieber in den Sumpf stürzen. Sie konnte nur hoffen, daß der Tod sie dort schnell und ohne Qualen erreichte.
Schon gluckste es unter ihren Füßen. Bei jedem hastigen Schritt gab der Boden unter ihr nach. Die Schemen waberten heran. Sie zischten und kreischten, brüllten und fauchten. Es war ein Höllenspektakel, der ihr bis ins innerste Mark drang. Hanako warf sich entschlossen vor. Ihre Füße blieben im Morast stecken. Sie fiel vornüber. Ihre Hände griffen in den zähen Schlamm. Es war aus! Hier kam sie nicht mehr heraus. Das Moor forderte seinen Tribut. Niemand würde je erfahren, wo sie geblieben war, und die Schemen, die es wußten, würden darüber schweigen. Sie krallte sich in einen Brei aus Pflanzenteilen, Erde und Holzstückchen. Er stank bestialisch, was wohl an den Gasen lag, die dem Boden entwichen. Hanako reckte ihren Kopf nach oben. Einem natürlichen Instinkt folgend, versuchte sie, möglichst lange atmen zu können. In einiger Entfernung sah sie die grauenhaften Schemen des Schattenreiches. Sie bewegten sich noch immer auf sie zu. Auch Plum hatte nicht die Absicht, von ihr abzulassen, bevor sie endgültig erledigt war. Er erreichte den Rand des Moores und stieß wie beschwörend seine Arme unter den Schleiern vor. Die Frau sah, daß das Feuer in seinen Augenhöhlen wild aufflackerte. Dann raste ein greller Blitz auf sie zu, der augenblicklich das Sumpfgas entzündete, so daß sie zu allem Überfluß nun auch noch zu verbrennen drohte. Eine feurige Barriere loderte um sie her. Die gefräßigen Flammen besaßen ähnliche Formen wie die Schemen, nur waren keine Gesichter zu erkennen. Doch sie griffen wie mit abstrakten Armen nach ihr, um sie zu verschlingen. Sie rief nach Gordon Black, doch das war aussichtslos. Niemand hörte sie.
Nur Plum. Er brach plötzlich durch das Feuer. Seine schreckliche Gestalt erhob sich hoch über dem Sumpf. Mit einem Krächzen riß er sie an sich. Seine Kälte, die er verströmte, war ein Schock nach der sie umgebenden Flammenhitze. »Geschafft!« zischte er wie eine Schlange. Er preßte sie so fest an sich, daß sie vor Schmerzen fast schrie. Ja, er hatte es geschafft. Nun konnte sie ihm nicht mal mehr durch ein Wunder entkommen. *** Gordon Blacks Schritte wurden immer schneller, je näher er Eila Parkers Haus kam. Von Sam hatte er keine Spur entdeckt. Er mußte sich also noch immer in dem Gebäude befinden. Das war nicht normal. Offenbar waren unvorhergesehene Schwierigkeiten aufgetreten. Der Mann hetzte weiter. Jetzt sah er hinter dem Hügel das Haus. Es lag im Dunkel. Diese Tatsache irritierte Gordon erst recht. Wenn Sams Eindringen bemerkt worden wäre, hätte irgendwo ein Licht brennen müssen. Eila Parker hätte bestimmt die Polizei informiert. Dann fiel ihm ein, daß die Alte kein Telefon besaß und aus diesem Grund die Polizei nicht anrufen konnte. Er konnte sich aber nicht vorstellen, daß es der Frau gelungen war, Sam dazu zu bringen, mit ihr auf das nächste Revier zu gehen. Mißtrauisch näherte sich Gordon Black dem Haus. Er fand es verschlossen! Nirgends sah er eine eingeschlagene Fensterscheibe. Entweder hatte Sam sein geplantes Ziel nie erreicht, oder es war ihm gelungen, hier ohne Gewalt einzudringen. Gordon Black versuchte es an der Hintertür und fand diese offen. »Aha!« murmelte er. »Hier waren Sams Drahthaken am
Werk.« Es gelang ihm, durch den Spalt zu schlüpfen, ohne die Tür noch weiter öffnen zu müssen. Drinnen war es finster. Gordon brauchte ein paar Sekunden, bis er sich leidlich an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnte. Er lauschte. Es rührte sich nichts. Alles war wie ausgestorben. Auf gut Glück öffnete er die erste Tür – und prallte zurück. Der Mond schien durch das Fenster. Sein Licht fiel genau auf das bleiche, starre Gesicht Sam Lakes. »O mein Gott!« stöhnte Gordon Black. »Das darf doch nicht wahr sein.« Er beugte sich über den Freund und stellte fest, daß er steif und eiskalt war. Tot! Aber wie war das geschehen? Niemand war in der Nähe! Eila Parker schien von ihrem ungebetenen Besuch überhaupt noch nichts bemerkt zu haben. Entschlossen betätigte Gordon Black den Lichtschalter. Sofort begriff er, daß hier Gewalt im Spiel gewesen war. Das Zimmer sah aus wie ein Schlachtfeld. Der Stuhl hinter dem Schreibtisch war zu Boden gestoßen worden. Das Glas eines Bücherschranks war zertrümmert. Überall lagen die Scherben herum. Sams rechte Hand war voller Blut. Er mußte sich an den scharfen Splittern verletzt haben. Dort, wo er lag, war ein Regal zusammengebrochen. Bücher und Zeitschriften lagen weit verstreut. Ein totales Chaos. Hier mußte ein Kampf stattgefunden haben. Der Unterlegene war zurückgeblieben, der Sieger hatte sich davongemacht. Sollte es wirklich Eila Parker gewesen sein? Eine gebrechliche Frau? Das war doch undenkbar. Immerhin war es möglich, daß die Parker den Einbrecher überraschte. Es entwickelte sich ein Handgemenge, bei dem Sam so unglücklich stürzte, daß er sich das Genick brach. Die
Alte war darauf vor Entsetzen davongelaufen. Gordon Black kämpfte gegen ein Gefühl ohnmächtigen Zorns. Das war Plums Schuld. Er bückte sich, um den steifen Körper aufzuheben. Dabei glitt sein Blick an dem Schreibtisch vorbei und blieb an dem tückisch glitzernden Salzkristall hängen. Das mußte er sein. Dieser Teufelsstein, den Sam holen wollte und dem er zum Opfer gefallen war. Gordon Black konnte seinen wilden Haß gegen den Halbschemen kaum noch unterdrücken. Gleichzeitig erfaßte ihn entsetzliche Sorge, als er an Hanako dachte, die er allein mit diesem Monster zurückgelassen hatte. Er legte sich den Freund vorsichtig über die Schulter, ergriff den schartigen Brocken und verließ hastig das Haus. Den Rückweg legte er im Laufschritt zurück, ohne ein einziges Mal zu verschnaufen. Als er sich Sam Lakes Haus näherte, sah er sofort, daß auch hier etwas Furchtbares vorgefallen war. Die zersplitterte Fensterscheibe ließ ihn das Schlimmste befürchten. Seine Befürchtungen bestätigten sich, als er im ganzen Haus weder Hanako noch den Schemen fand. Was sich genau ereignet hatte, wußte er nicht, nur eins war ihm klar: das Mädchen war keinesfalls freiwillig mit dem Ungeheuer gegangen. *** »Wir haben es geschafft!« schrie Plum erneut und rüttelte Hanako so heftig, daß sie aufwimmerte. »Das sind die vier Elemente. Wasser, Erde, Luft und Feuer. Solange wir uns in diesem Kreis befinden, können uns die Schatten nichts anhaben.« »Die Schatten nicht«, erwiderte die Frau matt. »Dafür werden wir im Sumpf ertrinken, wenn uns die Flammen nicht
vorher verbrennen.« »Du mußt Vertrauen haben, Hanako.« »Vertrauen?« Sie lachte auf. »Warum begreifst du nicht endlich, daß ich euch helfen will. Deine Freunde haben mich im Stich gelassen. Trotzdem lasse ich nicht zu, daß dir etwas geschieht. Du darfst nur nicht wieder vor mir davonlaufen. Dann kann ich natürlich nichts für dich tun.« Hanako Kamara versuchte erst gar nicht, das Ganze zu begreifen. Sie wurde von Plum festgehalten und versank nicht weiter im Moor. Auch die Hitze schien ihr erträglich, obwohl die Flammen sie schon fast berührten. »Die Schemen, deine Feinde, lauern dort draußen am Sumpf«, sagte sie. »Wie lange können wir uns hier halten, ohne daß sie uns angreifen?« »Das hängt von vielen Faktoren ab. Wenn wir Glück haben, ist genügend Gas vorhanden und das Feuer hält sich einige Stunden. Bis dahin ist es hell, und die Schatten werden sich zurückziehen.« »Ich fürchte, daß heute nicht gerade mein Glückstag ist«, meinte die Frau. »Was ist, wenn wir Pech haben?« »Wenn das Feuer erlischt, solange die Schemen noch hier sind, gibt es weder für dich noch für mich eine Rettung.« »Und der Kristall, von dem du gesprochen hast?« »Sam hat ihn mir nicht gebracht. Mit ihm wäre alles leichter.« Hanako schwieg lange Zeit. Sie starrte gebannt in die zuckenden Flammen, die die Rettung oder den Tod bedeuten konnten. Sie brachte es nicht fertig, Plum ins Gesicht zu sehen. Die Fratze war zu abstoßend. Selbst wenn der Schemen es wirklich ehrlich meinte, was ihr allmählich immer glaubwürdiger erschien, war schon sein bloßer Anblick eine Höllenqual. »Beurteilst du auch deinesgleichen nach ihrem Äußeren?«
wollte der Schemen wissen, der wieder mal ihre Gedanken gelesen hatte. »Das hat nichts damit zu tun, Plum. Es gibt eben Kreaturen, die mir Entsetzen einflößen. Dazu gehören zum Beispiel die Schlangen. Oder auch Ratten. Seit dieser Nacht gehören auch die Schemen dazu. Ich kann nichts daran ändern. Mir hat noch nie eine Ratte etwas getan. Schlangen können sogar nützlich sein. Aber ein Schemen?« »Ich kann dir dein Vorurteil nicht verdenken. Ich hoffe nur, daß ich Gelegenheit habe, deine Meinung zu korrigieren.« »Das hoffe ich mindestens genauso sehr. Sag, Plum, du kannst doch Gedanken lesen und siehst Dinge, die wir Menschen nicht erkennen.« »Das ist richtig.« »Kannst du nicht sehen, was mit Gordon und Sam geschehen ist? Sie hatten fest vor, den Kristall zu beschaffen. Sie wollten dich nicht hintergehen. Schon meinetwegen nicht.« »Ich sehe nichts. Die Schemen stehen dazwischen und verwehren mir den Blick.« »Wenn sie nun zurückkehren und uns nicht antreffen, werden sie Schlimmes befürchten.« »Womit sie nicht unrecht haben.« »Sie werden uns vermutlich suchen, schon von weitem das Feuer sehen und hierherkommen. Wie werden die Schemen reagieren?« »Darüber solltest du lieber nicht nachdenken, Hanako. Es ist besser.« Klarer konnte die Antwort kaum sein. Was auch immer geschah, die Gefahr riß einfach nicht ab. Es war zum Verzweifeln. *** Gordon Black brauchte nicht lange zu überlegen. Der Fall war
klar. Hanako hatte versucht, vor Plum zu fliehen. Ob es ihr gelungen war? Das war mehr als fraglich. Auf jeden Fall brauchte sie Hilfe, falls sie nicht schon zu spät kam. Ein neuer Schreck durchzuckte ihn. Die Dämonenwaffen! Sicher hatte der Halbschemen sie an sich genommen oder aber vernichtet. Sie stellten immerhin eine beachtliche Gefahr für ihn dar, wenn ihre Wirkung auch bei den einzelnen Dämonen unterschiedlich war. Er legte Sam Lake auf das Sofa und bedeckte ihn mit einer Decke. Danach stürmte er die Treppe hoch und riß die Tür zu seinem Zimmer auf. Ohne Schwierigkeiten fand er, wonach er suchte, und war einigermaßen überrascht. Da war das Hexenmesser, dort die Statuette der magischen Göttin Aradia, dann die anderen Kultgegenstände, die ihm sein Vater, der zu Lebzeiten einer Vereinigung Weißer Magier als Logenmeister vorgestanden hatte, hinterlassen hatte, und auch die Dämonenpeitsche fand sich dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Es fehlte nichts. Aber warum hatte sich Plum nicht daran vergriffen? Das konnte doch nur bedeuten, daß er die Macht der Waffen nicht zu fürchten brauchte, daß sie ihm nichts anhaben konnten. Dann mußte er noch mächtiger sein, als er befürchtet hatte. Dennoch! Er mußte den Kampf wagen. Nicht zuletzt ging es um Hanakos Leben und um die Existenz weiterer Menschen, die von den Schemen bedroht wurden. Gordon Black steckte seine Dämonenwaffen zu sich und hastete wieder hinunter. Sein Blick fiel auf den Kristall, den er achtlos hatte fallen lassen. Lag dem Schemen wirklich soviel daran? Dann würde er alles versuchen, um ihn zu bekommen. Notfalls würde er auch von seinem Opfer ablassen. Man mußte es nur geschickt anstellen.
Er packte den Kristall und verließ mit ihm das Haus. Draußen mußte er sich für eine Richtung entscheiden. Zum Wald war Hanako mit Sicherheit nicht gelaufen. Da hätten sie sich treffen müssen. Weiter in die Stadt hinein? Er stellte sich vor, daß Plum vermutlich alles versucht hatte, um ihr den Weg in bewohnte Gegenden abzuschneiden. Blieben nur noch der Ozean und der Sumpf. Beides waren natürliche Hindernisse für eine Flucht. Hanako war zwar eine hervorragende Schwimmerin, doch die Strudel zwischen den der Küste vorgelagerten Klippen mußten auch ihr zum Verhängnis werden. Dagegen bot das Moor wenigstens eine geringe Hoffnung, obwohl auch diese trügerisch war, denn Sam hatte ihnen erst gestern erzählt, daß im vergangenen Jahr ein zehnjähriger Junge im mörderischen Schlamm verschollen war. Trotzdem wollte er sich nach Westen wenden, weil er in der aussichtslosen Lage, in der sich Hanako befand, wahrscheinlich ebenfalls den Sumpf vorgezogen hätte, als er im Osten einen Schatten wahrnahm. Er bewegte sich hastig, als ob er sich auf der Flucht befände. Die Distanz war noch zu groß, um Einzelheiten zu erkennen. Für Gordon Black stand jedoch fest, daß es um diese Zeit nicht sehr viele Menschen geben konnte, die auf den tobenden Atlantik zurasten. Es mußte sich um Hanako handeln. Also änderte er seine ursprüngliche Absicht und jagte auf die wüsten Klippen zu. In seiner Faust hielt er das Hexenmesser. Das wollte er schon aus größerer Entfernung auf den Schemen werfen, bevor er seine Dämonenpeitsche zum Einsatz brachte. Er wußte nicht, daß er doch in die falsche Richtung lief. *** Das Mädchen, das bei den Wishmans auf der Party bedient
hatte, ahnte nichts Böses. Die Party war mit einem Mißklang zu Ende gegangen. Niemand konnte den plötzlichen Tod Jeff Morans begreifen. Die Polizei war sogar noch dagewesen, aber es hatte nichts Verdächtiges festgestellt werden können. Allerdings kam sie deshalb erst jetzt nach Hause. Die Verhöre hatten sich in die Länge gezogen. Nun wollte sie sich aber beeilen, daß sie endlich ins Bett kam. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Sie überlegte, wer das sein konnte. Jetzt, um diese Zeit. Jemand, der mit ihr anbandeln wollte? Dazu hatte sie keine Lust. Sie war müde. Außerdem saß ihr noch der Schock in allen Gliedern. Die Schritte kamen näher. Sie hielt es für an der Zeit, sich umzudrehen und ein abweisendes Gesicht aufzusetzen. Sie blieb stehen und drehte sich um. Ihr anhänglicher Verehrer hastete gerade an einer Laterne vorbei. Dem Mädchen stockte der Atem, als sie die unheimliche Alte von der Party erkannte. Die Frau mit dem Whisky. Sie war ziemlich spät gekommen, hatte sich ihren Schnaps selbst gezaubert und danach mit Jeff Moran getanzt. Ein ungleiches Paar. Wenige Augenblicke später war der Ärmste tot gewesen. Das Girl konnte sich nicht erinnern, ob die Alte bis zum Eintreffen der Polizei geblieben war. Sie glaubte aber nicht. Jedenfalls war sie jetzt hier, und sie blickte genauso finster und abstoßend wie vor einigen Stunden. Die Rehäugige zögerte nicht. Mit dieser Hexe wollte sie nichts zu tun haben. Bei der kam ihr einiges merkwürdig, wenn nicht gespenstisch vor. Wie sie schon angezogen war! Wie ein Geist sah sie in ihrem langen, wallenden Gewand aus. Und dieses Gesicht! Direkt furchterregend. Vielleicht war es nicht verkehrt, wenn sie morgen den Inspektor auf die Fremde aufmerksam machte. Und wenn es kein Morgen mehr für sie gab?
Das Mädchen bekam plötzlich butterweiche Knie. Es wollte laufen und konnte doch nicht. In quälenden Träumen hatte es das schon mehrfach durchgemacht, doch dies hier war Wirklichkeit. Hier ging es tatsächlich um das nackte Leben. Als ihr das bewußt wurde, schrie sie gellend auf. Ihr eigener Schrei löste die Erstarrung. Nun konnte sie wieder laufen. Sie tat es, und dabei schrie sie, als hätte die Hexe sie bereits in den würgebereiten Klauen. Denn daß die keine freundlichen Absichten hegte, wurde schnell klar. Sie fiel ebenfalls in Laufschritt und schrie wütend hinter ihr her: »Bleib stehen, du kleine Kanaille! Hast mich wohl erst für einen Kerl gehalten, wie? Bildetest dir ein, daß ich zärtlich zu dir sein würde. Du wirst dich wundern, wie zart ich mit dir umgehen kann. Du wirst es kaum spüren.« Sie kicherte gräßlich. Die Drohung war eindeutig. Die Alte wollte sie ermorden. So, wie sie wahrscheinlich auch Jeff Moran umgebracht hatte. Was sollte sie nur tun? Niemand hörte sie, und verstecken konnte sie sich auch nirgends, denn die Türen der Häuser waren alle verschlossen. Die Küste! Sie mußte versuchen, das Ufer zu erreichen. Dort gab es eine Menge Felsen, hinter denen sie sich eher verbergen konnte. Vor allem kamen die Fischer schon sehr früh. Sie würde nur ein paar Stunden aushalten müssen. Aber konnte sie es bis dorthin schaffen? Sie schrie und rannte, und hinter ihr war die Mörderin. Je länger die Flucht dauerte, um so stärker wuchs ihre Angst. Entkommen würde sie dem Ungeheuer kaum. Es war schneller als sie. Sogar der Mond verzog sich hinter den Wolken, als wollte er nicht Zeuge dieses blutigen Schauspiels sein. Nahezu völlige Finsternis umgab sie nun. Sie kam bei den ersten Felsen an, doch es gelang ihr nicht, ihren Vorsprung zu vergrößern. Es konnte nur noch Sekunden
dauern. Kaum wurde ihr diese Tatsache bewußt, als sie auch schon brutal herumgerissen wurde. Sie hämmerte zwar in wilder Verzweiflung mit ihren kleinen Fäusten gegen die Brust der anderen, doch die Hexe ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Sie zerrte ihr die Arme auf den Rücken, klemmte sie sich einfach unter den Arm, wo sie wie in einem Schraubstock festsaß, und schleppte sie hinter einen gewaltigen Felsbrocken. Dann legte sie eine große Hand auf ihren Mund und erstickte jeden weiteren Schrei. *** Je kleiner die Flammen auf dem Moor wurden, um so größer wurden Hanakos Augen. Groß vor Entsetzen, denn sie wußte, was das Erlöschen des Feuers bedeutete. Der Tagesanbruch war zwar nicht mehr fern, aber es war ja nicht mal sicher, ob die Schemen bei Tageslicht ihre Belagerung abbrechen würden. Aus Plums Gesichtsausdruck konnte sie nichts lesen. Was bedeutete es schon, wenn sich die Flammen in seinen Augen verfärbten, wenn die nach innen gerichtete Nase flacher, der senkrechte Mundspalt breiter wurde. Diese Physiognomie hatte sie nicht zu deuten gelernt. Der Schemen war ebenfalls schweigsam geworden. Zweifellos beschäftigte auch er sich mit der bedrohlichen Lage. Nicht mal auf Hilfe durfte sie hoffen, weil die Schattenwesen für jeden, der sich dem Moor näherte, eine tödliche Gefahr bedeuteten. »Wie lange noch, Plum?« flüsterte sie. Der Gedanke, daß sie sozusagen in dem gleichen leckgeschlagenen Boot saßen, kam ihr längst nicht mehr so absurd vor wie noch vor einer halben Stunde.
»Es wird nicht reichen«, krächzte der Halbschatten ebenso leise. »Wir müssen uns etwas einfallen lassen.« »Darauf hoffe ich schon die ganze Zeit, aber mein Gehirn ist für solche Gedankenakrobatik nicht gebaut. Was werden die Monster eigentlich mit uns tun?« »Welches Ende sie sich für dich ausgedacht haben, weiß ich nicht. Mich werden sie unter großen Qualen auflösen. Es wird mich einfach nicht mehr geben. Ich habe dadurch keine Möglichkeit, wiederzuerstehen und mich zu rächen.« Rache? Was für ein Wort! An wem sollte sie sich rächen? Sie konnte wählen zwischen einem jammervollen Ende im Morast, dem Feuertod, der Willkür Plums oder den Würgerhänden der Schatten. Vielleicht gab es noch eine fünfte Möglichkeit, doch die war jedenfalls auch nicht hoffnungsvoller. »Mit dir haben unsere ganzen Schwierigkeiten angefangen«, sagte sie böse. Plum verneinte. »Du irrst, Hanako. Doch reden wir nicht mehr darüber. Ich kann dich erst Überzeugen, wenn wir den Schatten entkommen sind. Ich habe mir etwas ausgedacht, was deinen ganzen Mut erfordert. Wenn du es jedoch nicht tust, wirst du unweigerlich sterben.« Hanako Kamara fror schon jetzt bei der Vorstellung, was nun wieder auf sie zukommen würde. »Was ist es?« fragte sie schaudernd. »Wir müssen die Sperre der Schemen durchbrechen.« »Dann töten sie uns.« »Nicht, solange wir noch unter dem Schutz der vier Elemente stehen.« »Was muß ich tun?« »Du mußt das brennende Moor in deine Hände nehmen und damit durch die Schatten hindurchschreiten. Du darfst dabei keine Angst zeigen und mußt ihren sämtlichen Angriffsversuchen widerstehen. Du hast dafür nicht viel Zeit,
denn das Feuer brennt nicht mehr lange.« Hanako schloß sekundenlang die Augen. Wie sollte sie das durchstehen? Was Plum von ihr verlangte, war Wahnsinn. »Und was wirst du tun?« fragte sie. »Wirst du mich begleiten?« »Kümmere dich nicht um mich! Sieh nach vorn und laß dich durch nichts beirren. Nur so kannst du es schaffen.« »Kann ich das wirklich?« »Die Macht der Schatten ist um diese Zeit längst nicht mehr so stark wie mitten in der Nacht. Nur deshalb kannst du überhaupt den Weg wagen. Doch du darfst nicht zweifeln. Damit schwächst du dich selbst. Du brauchst aber deine ganze Kraft, deinen ganzen Willen. Wirst du es tun?« Hanako blickte in den lodernden Feuerkreis. Die Flammen waren schon bedenklich niedrig. Eine halbe Stunde höchstens noch, dann hatte die Barriere, die sie vor den Schattenwesen schützte, sich selbst verzehrt. Sie sah plötzlich Gordon Black und Sam Lake vor sich und begriff, daß sie nicht nur an sich allein denken durfte. Sie mußte auch das Schicksal der Freunde klären. »Ich werde es tun«, sagte sie fest. Sie richtete sich auf und stellte sich auf die Füße. Es klappte, ohne daß sie gleich bis zu den Knien einsank. Sie machte ein paar Schritte, wollte sich nach Plum umdrehen, erinnerte sich aber seiner Mahnung, dies auf jeden Fall zu unterlassen. Nun stand sie vor dem Feuer. Glühende Hitze wehte ihr ins Gesicht. Schlimmer konnte es auch in der Hölle nicht sein. Hanako zögerte. Sie erinnerte sich, wie schmerzhaft Brandwunden waren. Dann griff sie entschlossen in die zuckenden Flammen. ***
Das Mädchen wehrte sich verzweifelt, doch es nützte nichts. Die Hexe war wesentlich stärker und machte von ihrer Überlegenheit rücksichtslos Gebrauch. Sie schleppte sie dicht ans Ufer, wo zwischen den Felsen die Brandung kochte. Was sie dort erwartete, konnte sie sich lebhaft vorstellen. »Bleiben Sie doch ruhig, Miß!« zischte eine Stimme. »Oder wollen Sie etwa, daß er uns entdeckt?« »W… wer?« Sie hatte nur die unheimliche Frau gesehen. »Der Kerl im weiten Umhang.« Jetzt endlich schlug sie die Augen auf, die sie vor Angst geschlossen hatte. Überrascht stellte sie fest, daß sich nicht die Hexe mordlüstern über sie beugte, sondern ein durchaus sympathisch wirkender Mann. »Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben«, versicherte er leise. »Wer sind Sie?« »Mein Name ist Gordon Black. Eigentlich habe ich Sie nur verwechselt, aber ich glaube, daß ich trotzdem im richtigen Moment gekommen bin. Der Lump wollte Sie anscheinend überfallen.« Die Blondine brauchte eine Weile, ehe sie sich leidlich beruhigt hatte. »Das war kein Mann«, stöhnte sie, »sondern eine Frau. Eine richtige Hexe. Ist sie wirklich fort?« Gordon hob die Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls höre ich keine Schritte mehr, und zu sehen ist sie auch weit und breit nicht. Natürlich kann sie sich auch versteckt haben. Doch wenn sie gesehen hat, daß Sie Hilfe bekommen haben, wird sie bestimmt ihr Vorhaben aufgeben. Eine Frau? Daß so etwas möglich ist. Haben Sie sich auch nicht geirrt?« »Ganz bestimmt nicht, Mister Black. Ich habe sie heute schon einmal gesehen. Ganz aus der Nähe. Neben ihr starb ein Mann. Es war grauenvoll. Ich bin sicher, daß sie ihn umgebracht hat, und nun fürchtet sie wohl, ich könnte gegen
sie aussagen, und will mich ebenfalls töten.« Das kam Gordon Black reichlich verworren vor. Er jedenfalls hatte die Gestalt in dem weiten Umhang für einen Mann gehalten. Allerdings hatte er sie auch nur flüchtig von der Seite gesehen. Nun, diese Gefahr war gebannt. Hanako dagegen schwebte nach wie vor in höchsten Nöten. Er hatte sich durch die Schatten am Meer täuschen lassen. Nun aber mußte er schleunigst die Suche nach seiner Mitarbeiterin und Vertrauten fortsetzen, bevor es zu spät war. »Haben Sie zufällig eine Frau mit schwarzen Haaren gesehen«, fragte er, »die von einem… von einer seltsamen Erscheinung verfolgt wurde?« »Eine seltsame Erscheinung? Hören Sie, Mister Black, Sie kommen mir selbst ziemlich seltsam vor.« »Das glaube ich Ihnen gern, Miß…« »Buford. Lissy Buford.« »Also, Miß Buford. Wenn ich Ihnen meine ganze Story erzähle, werden Sie sie noch viel seltsamer finden. Doch dafür ist jetzt keine Zeit. Dies scheint eine Nacht voller Merkwürdigkeiten und Gefahren zu sein. Ich bitte Sie, mir zu vertrauen. Haben Sie die Frau also gesehen?« »Nein.« »Sie schwebt in großer Gefahr. Ich muß ihr helfen.« »Sie wollen mich also wieder alleinlassen?« »Ich bringe Sie natürlich nach Hause, wenn Sie es erlauben, Miß Buford. Doch zuvor müssen wir Hanako suchen.« »Aha! Hanako heißt sie. Ist sie so hübsch wie ihr Name?« »Vor allem ist sie gefährdet.« »Und wo wollen Sie sie suchen?« »Beim Moor.« Lissy Buford fuhr zusammen. »Beim Moor? Jetzt in der Nacht? Da bringen mich keine zehn Pferde hin. Dort spukt es, das weiß doch jedes Kind.«
»Diesmal mögen Sie sogar recht haben. Ich kann Sie nicht zwingen mitzukommen, denn es wird wahrscheinlich gefährlich. Allerdings darf ich keine Zeit mehr verlieren. Vielleicht komme ich ohnehin schon zu spät.« »Die Nacht ist voller Verrückter«, murmelte Lissy Buford. »Also gehen wir! Ich befinde mich sowieso in Ihrer Gewalt.« Gordon Black atmete auf. Jetzt galt es, Hanako zu finden und anschließend Sams Tod zu klären. Aufgaben, die alles andere als leicht waren. Bei dem Gedanken an Sam Lake stieg ihm ein Würgen in die Kehle. Bis jetzt war er noch gar nicht richtig zum Denken gekommen. Morgen erst würde er die ganze Tragik des Verlustes begreifen. Er nahm Lissy Buford beim Arm und führte sie den Weg zurück. Immer nach Westen, wo er jetzt einen hellen Feuerschein gewahrte. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er sich diesmal auf dem richtigen Weg befand. Sie verriet ihm leider nicht, daß vor den züngelnden Flammen die Wesen des Schattenreiches bereits auf ihn warteten. Er bückte sich und hob einen schweren Gegenstand auf. Das Mädchen wunderte sich und erkundigte sich: »Was ist denn das für ein Ding?« Gordon Black wuchtete den Kristall in die Höhe. »Entweder ein ganz normaler Stein«, sagte er, »oder der Schlüssel zu manchem Rätsel.« *** Eila Parker spürte ohnmächtige Wut in sich. Das Mädchen war ihr entwischt. Diese Niederlage empfand sie wie einen Schlag ins Gesicht. Dieser Halunke war ihr in die Parade gefahren, und sie hatte ihn nicht überwältigen können, denn er hatte ein Hexenmesser bei sich getragen. Davor verspürte sie einen Höllenrespekt.
Sie konnte froh sein, daß es ihr gelungen war, so rasch zu verschwinden. Die Schatten hatten sie mit erstaunlichen Fähigkeiten ausgestattet. Nun stand sie jenseits des Ufers mitten in der Brandung und schickte ihre Flüche und Verwünschungen zu dem Mann hinüber, der sich nun mit dem Mädchen entfernte. Er ahnte nicht, daß sie hinter ihm war und ihn mit Leichtigkeit hätte töten können, wenn nicht das verfluchte Messer in seinem Besitz gewesen wäre. Er ahnte überhaupt nichts von der Rolle, die sie spielte. Gordon Black hieß der Bursche, und der Gedanke stimmte sie nachdenklich. Black und Lake waren befreundet. Beide kreuzten in der gleichen Nacht ihren Weg. Beide machten ihr Schwierigkeiten. Das sah nicht nach einem Zufall aus. Dahinter steckte ein gemeiner Plan. Sie mußte die Wahrheit herausfinden, und das würde für sie nicht schwer sein. Nicht ohne Grund hatte sie Lake lediglich gelähmt und nicht gleich getötet. Er mußte mit der Sprache herausrücken. Die Story mit dem Totenschädel nahm sie ihm nicht ab. Der Kopf fehlte nämlich in einem Sarg, in dem eine Frauenleiche ruhte. Sie hatte die Lähmung gut dosiert. Sie würde tagelang anhalten, wenn sie sie nicht selbst vorher löste. Und genau das hatte sie jetzt vor. Aber Gordon Black war gefährlich. Vielleicht erfuhr er von der Buford, wer sie war, obwohl sie ihr Äußeres sehr verändert hatte. Dann würde der Halunke bei ihr auftauchen, und es gab Ärger. Nein, besser war es, wenn sie ihm zuvorkam. Sie würde ihm auflauern. Im Hause Sam Lakes, in dem er momentan wohnte. Sie würde von ihm verlangen, daß er sich von dem Hexenmesser trennte, falls er nicht wolle, daß sein Freund stirbt. Ihm blieb dann nichts anderes übrig, als sich selbst zu
entwaffnen. Danach war er wehrlos und würde sterben. Er und Sam Lake und natürlich auch die kleine Buford, die sich ruhig inzwischen einbilden sollte, daß sie ihr entkommen sei. Der Halbschemen lachte niederträchtig in sich hinein. Er wartete, bis Gordon Black und das Mädchen längst verschwunden waren. Dann wuchs er riesig aus dem Wasser heraus und verwehte wie ein Nebelschwaden. Unsichtbar legte er die Strecke bis zu seinem Ziel zurück und materialisierte sich erst vor Sam Lakes Haus wieder. Eila Parker drang mit einer Selbstverständlichkeit durch die Ziegelmauer, als hätte sie nie zuvor ein Haus auf andere Weise betreten. Sie selbst wunderte sich nicht darüber. Sie machte sich keine Gedanken, was mit ihr geschehen war. Alles kam ihr ganz natürlich und logisch vor. Die Union mit den Schemen befriedigte sie außerordentlich. Nun allerdings verzerrte sich ihr Gesicht. Sie empfing Signale aus einem Nebenraum. Das gab es doch nicht! Diese Frechheit war unerhört. Sie stampfte mit dem Fuß auf und trat durch die Wand in den Nebenraum. Tatsächlich! Da lag er. Sam Lake konnte unmöglich aus eigener Kraft hierher gelaufen sein. Er befand sich noch immer in einer totalen Lähmung, die er nicht abschütteln konnte. Es mußte ihn jemand hergeschleppt haben. Wer anders als Gordon Black? Was wußte dieser Bursche? Wie ernst zu nehmen war die Gefahr, die von ihm ausging? Eila Parker mußte es wissen. Sie richtete ihren Blick auf ihr Opfer, und dieses begann, sich zu rühren. Zuerst zitterten seine Augenlider, dann zuckten die Mundwinkel, und schließlich entrang sich ein Stöhnen seiner Brust. Nachdem sich seine steifen Finger gestreckt hatten, schlug Sam Lake die Augen auf, und das erste, was er sah, war seine Überwinderin.
Die Zeit der Starre hatte keine Gedächtnislücke in ihm verursacht. Im Nu war das Geschehene gegenwärtig. Er schoß in die Höhe und blickte sich suchend nach einer Waffe um. Außer einer Stehlampe befand sich nichts Geeignetes in der Nähe. Der Kleine packte sie und schleuderte sie gegen Eila Parker. Die Frau wich nicht aus. Lächelnd nahm sie das Wurfgeschoß in Empfang und stieß es danach achtlos weg. »Dein Freund wird behaupten, daß ich für den Schaden verantwortlich sei«, sagte sie hämisch, »dabei demolierst du deine eigene Einrichtung.« »Gordon? Wo ist er? Hast du ihn…?« »Getötet? Nein! Noch nicht! Aber natürlich werde ich es tun. Sobald er hier auftaucht. Er will sich unbedingt mit mir anlegen. Das kann er haben. Es wird mir eine Freude sein, ihn dahin zu schicken, wohin er gehört.« Sam Lake kombinierte fieberhaft. Er sah sich vielen offenen Fragen gegenüber. Eila Parker verfügte über unerklärliche Kräfte. Kräfte, die sie zweifellos von den Monstern des Schattenreiches erhalten hatte. Sie war unbesiegbar. Aber auch für sie gab es anscheinend Fragen, die sie sich nicht beantworten konnte. Das war die einzige Schwäche, von der er, Sam Lake, zu profitieren versuchen mußte. »Du hast mich von deiner Unüberwindlichkeit überzeugt«, sagte er zähneknirschend. »Aber wozu das Ganze? Was hast du gegen Gordon und mich?« »Ihr seid mir im Weg.« »Dir? Sind wir dir im Weg?« Eila Parker schien in sich hineinzulauschen. Die letzte Frage konnte sie offenbar nicht beantworten. Sam Lake wurde den Verdacht nicht los, daß die Frau überhaupt nicht ahnte, daß sie nur ein willenloses Werkzeug war. Sie glaubte, aus eigenem Antrieb zu handeln, und wußte nicht, daß sie von einem fremden Willen gesteuert wurde.
Die Alte überging die Frage und wollte ihrerseits wissen: »Was wolltest du in meinem Haus? Wieso interessiert sich Gordon Black für mich?« Der Kleine sah seine Chance. Eila Parker hatte anscheinend noch immer nicht kapiert, daß er den Kristall hatte holen wollen. Ob der Stein für sie wertvoll war, konnte er nicht sagen. Doch das ließ sich leicht feststellen. Wenn sie so reagierte, wie er hoffte, dann würde sie sich schleunigst um ihren Besitz kümmern und darüber vielleicht vergessen, daß sie ihn töten wollte. »Es ging uns um deinen Kristall«, sagte er lauernd. »Nicht nur du weißt seine Vorzüge zu schätzen.« Der Erfolg dieser Worte war kolossal. Eila Parker sprang ihn vor Wut fast an. »Der Kristall?« kreischte sie. »Ihr wollt mir den Kristall stehlen? Dafür habt ihr den Tod nicht nur einmal, sondern tausendfach verdient. Diesen Stein gebe ich nicht her. Niemals!« Dann wurde sie plötzlich still und nachdenklich. Sie wußte, daß es Sam Lake nicht gelungen war, den Diebstahl auszuführen. Sie erinnerte sich aber auch, daß Gordon Black ebenfalls in ihrem Haus gewesen war. Wenn er nun nicht nur den Scheintoten, sondern auch den Kristall geholt hatte? Nicht auszudenken! Damit riß ihre Verbindung zu den Schemen des Schattenreiches ab. Sie besaß keine andere Möglichkeit, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Der Stein mußte sich hier im Haus befinden. Black war kaum so töricht, ihn unnötig mit sich herumzuschleppen. Sie mußte ihn finden. Es war ihr unbekannt, ob Gordon Black durch den Besitz des Kristalls womöglich ebenfalls überirdische Kräfte erhalten hatte. Ausgeschlossen war es jedenfalls nicht. Dann stand sie vor einem Kampf, der mit gleichen Waffen ausgetragen werden mußte, und es nützte überhaupt nichts,
wenn sie Black das Hexenmesser abnahm. Rasend vor Zorn führte sie sich wie ein Berserker auf, ließ kein Möbelstück an seinem Platz, zerfetzte die Polster, zerschlug in der angrenzenden Küche sämtliches Geschirr und schrie, als wollte sie tausend Teufel in die Flucht jagen. Das Gesuchte fand sie allerdings nicht, und ihre Wut wurde immer gewaltiger. Sie richtete ein heilloses Chaos an, wie es schlimmer nicht hätte sein können. Als sie erkennen mußte, daß sich der Kristall wider Erwarten nicht in dem Haus befand, mußte sie sich zur Ruhe zwingen. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatte Gordon Black ihn doch mitgenommen, was sie für unwahrscheinlich hielt. Oder der Stein lag noch unberührt bei ihr zu Hause, weil Black lediglich seinen Freund fortgeschleppt hatte. Dann war es aber an der Zeit, daß sie ihn an einen sicheren Ort brachte, von dem ihn nicht jeder dahergelaufene Lump einfach fortnehmen konnte. Sie stürmte zur Haustür, stockte aber und kehrte um. Ein grausames Lächeln lag auf ihrem Mund, als sie plötzlich vor Sam Lake stand, der gerade im Begriff stand, Eila Parkers Verwirrung, die er absichtlich heraufbeschworen hatte, zur Flucht zu benutzen. »Das hast du dir fein ausgedacht«, zischte sie spöttisch. »Hast wohl geglaubt, ich würde dich vor lauter Aufregung völlig vergessen. Irrtum, mein Lieber! Soviel Zeit muß sein, um dich noch vorher umzubringen. Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte. In Zukunft werde ich besser auf meinen Kristall aufpassen. Du aber hättest besser auf dich aufpassen müssen. Jetzt ist es dafür zu spät, denn wer sich einmal in meiner Gewalt befindet, den gebe ich nicht mehr frei.« Sam Lake wußte Bescheid. Diesmal kam er nicht mit einer Lähmung davon. Eila Parker hatte erkannt, daß es gefährlich war, ihn am Leben zu lassen.
Während er trotzdem noch fieberhaft nach einem Ausweg suchte, öffnete der Halbschemen vor seinen Augen seine beiden Hände, in denen ein langes, schmales Stilett lag. Er packte den Griff mit der Rechten und, schneller als Sam Lake denken konnte, stieß er die todbringende Klinge vor… *** Bereits jetzt war das Entsetzen so groß, daß Hanako Kamara am liebsten von ihrem wahnwitzigen Vorhaben abgelassen hätte. Es konnte unmöglich gutgehen. Ihre Hände wühlten in der Glut und ergriffen soviel von dem lodernden Morast, wie sie tragen konnte. Die Hitze war unerträglich. Der Schmerz brachte sie nahezu um den Verstand. Viel war davon ohnehin nicht übriggeblieben. Die letzten Erlebnisse wären dazu angetan gewesen, auch einen unerschrockenen Mann außer Fassung zu bringen. Daß Hanako einem Mann an Mut nicht nachstand, stellte sie nun unter Beweis. Sie biß die Zähne so fest zusammen, daß auch sie schmerzten, und starrte unverwandt in die Glut. Ein einziger Gedanke bewegte sie: »Ich muß es schaffen!« Diese Worte murmelte sie unaufhörlich vor sich hin. Damit lenkte sie sich von dem Grauen ab und hoffte, es leichter ertragen zu können. Sie war nun eine lebende Fackel und mußte als nächstes den brennenden Ring durchschreiten, den Plum zur vorläufigen Sicherung um sie gelegt hatte. Die Flammen loderten zwar längst nicht mehr so hoch wie am Anfang, doch sie war zu entkräftet und der Boden unter ihren Füßen war zu weich, als daß sie hätte hinüberspringen können. Sie mußte hindurchgehen und sah doch vor sich kein rettendes Ufer, sondern die ungewissen, ständig ihre Form wechselnden Schemen, die auf ihr Opfer lauerten. Hanako riß sich mit aller Gewalt zusammen. Sie dachte an
Gordon Black, der ihr schon oft in aussichtslosen Situationen vorexerziert hatte, daß man mit einem eisernen Willen Unmögliches vollbringen konnte. An ihr sollte es nicht liegen, wenn die Sache schiefging. Zu verlieren hatte sie nichts mehr. Die Flammen leckten gierig nach ihr. Sie spürte, wie jeder Fetzen an ihr loderte. Sogar die Haare brannten lichterloh. Sie mußte ein schauriges, gespenstiges Bild abgeben. Hanako marschierte weiter. Das brennende Moor in ihren Händen, den beißenden Qualm im Gesicht und die gierigen, grinsenden Schattenwesen vor sich setzte sie Schritt um Schritt. Es mußte schnell gehen. Die Glut durfte nicht verlöschen, bevor sie den Kreis der Schatten durchbrach. Die Flammen knisterten um sie her, dann war sie hindurch. Hinter ihr krachte es ohrenbetäubend. Es hörte sich an, als würde der ganze Sumpf explodieren. Nun trennten sie nur noch wenige Schritte von den Monstern. Zwar tauchte im Osten bereits der erste rötliche Schimmer am Himmel auf, der den anbrechenden neuen Tag ankündigte, doch die Geistererscheinungen harrten noch immer aus. Sie ließen sich durch das Licht nicht vertreiben. »Du mußt es schaffen!« murmelte Hanako Kamara unaufhörlich. Das Feuer in ihren Händen hielt sie möglichst weit von ihrem Gesicht fort, damit die Flammen sie nicht blendeten. Nun konnte sie die Schemen deutlich erkennen. Ihre Zahl war ungewiß, denn sie verwoben sich ständig ineinander. Ihre Konturen waren nicht zu trennen. Sie schwebten am Rand des Moores. Die Halbjapanerin hatte keine Möglichkeit, ihnen auszuweichen. Sie mußte mitten durch sie hindurch. Ihre Fratzen, die in grellen Farben zuckten, waren das Abscheulichste, was Hanako je zu Gesicht bekommen hatte. Das Entnervendste aber war, daß sie nicht körperlich waren.
Der Spuk wirkte wie ein einziger Hohn. Wie ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab. Sie war noch fünf oder sechs Schritte von ihnen entfernt, als die Schemen bereits anfingen, mit ihren durchsichtigen Händen nach ihr zu greifen. Alle zielten sie mit ihren Fingern nach ihrem Hals. Dazu stießen sie entsetzlich kreischende, triumphierende Laute aus. Dann formierten sich neue Bilder. Es waren keine Schatten. Es waren Darstellungen von Menschen, die sich in tödlicher Gefahr befanden. Gordon zum Beispiel, und auch Sam. Ein paar Freundinnen, ihre Eltern. Lebende und Tote mischten sich zu einem Reigen des Entsetzens. Sie schrien und wanden sich vor Schmerzen. Ihre Leiber bäumten sich auf. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten sie anklagend an, als wollten sie sagen: »Du hast uns nicht gerettet. Jetzt sind wir verdammt.« Hanako konnte die Bilder kaum noch ertragen. Sie taumelte, stürzte, raffte sich wieder auf und wankte weiter. Dann brach sie erneut zusammen. Die Monster waren nun überall. Sie umringten sie und führten einen Höllenspektakel auf. Überall war Blut. Sie roch es, sie schmeckte es. Sam fiel auf sie. Aus seinem aufgerissenen Mund wich stinkender Zigarrenqualm. Sein Leib öffnete sich, und nun drang auch aus ihm brechreizerregender Gestank. Offenbar verweste er bereits. Sein Schädel verwandelte sich. Die Wangenknochen traten scharf hervor. Sie sprengten die Haut. Auch das Kinn wurde bleich, hart und knochig. Binnen Sekunden blieb nur noch ein grinsender Totenkopf übrig. Hanako wimmerte vor Grauen. »Gordon!« stöhnte sie. Die grausamen Monster spiegelten ihr prompt das Bild dieses Mannes vor. Sein Gesicht war dicht über dem ihren. Seine Hände griffen nach ihr. Es waren Hände mit langen
Spinnenfingern, die überall hineinkrochen und ihren Ekel erregten. Sie schlug nach ihm, wehrte ihn ab, doch er ließ nicht locker. Seine Finger waren mit Krallen bewehrt. Sie krochen auf sie zu und hinterließen auf ihrem ganzen Körper schmerzende Spuren. Als er wieder nach ihr fassen wollte, gellte ihr Schrei: »Nein!!!« »Warte, ich hole dich!« hechelte der Mann krächzend. Er schob ihr einen bleichen Knochen hin. »Pack an!« lockte er. Sie wehrte ihn verzweifelt ab, doch er war stärker. Er überwältigte sie und zerrte an ihr, während an ihren Beinen ein anderer klammerte und sie in die entgegengesetzte Richtung zog. Lange konnte das nicht gutgehen. Sie würden sie auseinanderreißen. »Plum!« schrie sie unter Qualen. »Plum, hilf mir!« Als Echo gellte nur ein hämisches Lachen an ihre Ohren. Da wußte sie, daß es keinen Sinn mehr hatte. Ihr Einsatz hatte sich nicht gelohnt. Die Schattenwesen waren Sieger geblieben. *** Gordon Black sah die junge Frau schon von weitem. Sie steckte bis zu den Hüften im Morast und sackte immer weiter ab. Wenn er nicht augenblicklich eingriff, war sie nicht mehr zu retten. Lissy Buford, die er die ganze Zeit hinter sich hergezerrt hatte, gab er nun frei und deutete mit dem ausgestreckten Arm dorthin, wo er Hanako Kamara erspäht hatte. »Bleiben Sie hier!« rief er und rannte bereits weiter. »Ich kümmere mich gleich wieder um Sie.« Ohne sich davon zu überzeugen, ob das Mädchen seiner
Anweisung Folge leistete, hetzte er weiter. Er sah nur Hanako. Von dem Halbschemen war keine Spur zu entdecken. Das Feuer auf dem Moor, das ihm den Weg gewiesen hatte, war in der Zwischenzeit erloschen. Mit gewaltigen Sätzen jagte er auf die Reglose zu. Ihn quälten tausend Sorgen. Erst Sam, jetzt Hanako? In welchen Strudel des Grauens waren sie geraten? Die schwarzhaarige Halbjapanerin war derart voller Schmutz, daß er sie kaum erkennen konnte. Doch es war klar, daß es sich um Hanako handelte. Jetzt war er bei ihr und streckte ihr seinen Arm entgegen. Doch statt ihn zu ergreifen und sich daran festzuklammern, stieß sie einen spitzen Entsetzensschrei aus und schlug nach ihm. Sie machte ihm seine Bestrebungen, sie aus dem Sumpf zu holen, nicht gerade leicht. Aber zum Glück war sie noch nicht ganz tot. Sie lebte. Sie erkannte ihn sogar, denn sie wimmerte seinen Namen. Um so unbegreiflicher, daß sie sich gegen ihn mit aller Kraft wehrte. Gordon Black ließ nicht locker. Voller Grauen stellte er fest, daß sie langsam immer tiefer sank. Nur ihr Oberkörper ragte noch aus dem Moor. Er suchte einen festen Halt, um nicht ebenfalls auf dem schlüpfrigen Grund auszugleiten und ihr in den gurgelnden Tod zu folgen. Mit beiden Fäusten umschlang er ihre Handgelenke. Er erwischte nur eins. Das zweite entwand sie ihm und schlug mit noch erstaunlicher Kraft zu. »N e i n !!!« schrie sie in wilder Raserei. Er versuchte, sie zu beruhigen. Ihm war klar, daß die Nähe des Todes sie restlos durcheinanderwirbelte, daß sie sogar seine Rettungsversuche als Angriffe auf ihr Leben wertete. Sie, die schon in manchen heißen Situationen ihren kühlen Kopf bewahrt hatte, mußte Schreckliches erlebt und erlitten haben. Anders war Hanakos Zusammenbruch nicht zu erklären.
»Warte, ich hole dich!« ächzte Gordon Black. Schweiß rann ihm in Strömen über das Gesicht. Er entdeckte neben sich einen abgebrochenen Ast, den er ihr hinschob, damit sie sich daran festhielt. »Pack an!« bat er. Nein! Es war sinnlos. Sie begriff nicht, daß sie sich durch ihr Sträuben selbst den Tod gab. Allein konnte er es nicht schaffen. Hilfeflehend blickte er sich nach Lissy Buford um, doch das Mädchen war selbst so schwach, daß es sich kaum auf den Beinen halten konnte. Sekundenlang wurde Gordon Black schwarz vor Augen. Die Anstrengung war zu gewaltig. Und sie war aussichtslos. Das Mädchen steckte schon zu tief im Morast, der sie wie ein Ungeheuer in die Tiefe zerrte. Wäre er ein paar Minuten früher gekommen, hätte er es wahrscheinlich geschafft. Jetzt war es unmöglich. Trotzdem ließ er nicht locker. Er schob sich noch ein Stück weiter vor, merkte aber sofort, daß der Sumpf glucksend sein gefräßiges Maul nach ihm aufriß. Er mußte wieder zurück. Mit zusammengebissenen Zähnen zerrte er an Hanakos Handgelenk. Er wußte, daß er ihr fürchterliche Schmerzen bereitete, doch eine andere Möglichkeit hatte er nicht. »Plum!« brüllte die Frau nun unter Qualen. »Plum, hilf mir!« Schauriges Gelächter ließ Gordon Black herumfahren. Er traute seinen Augen nicht… *** Lissy Buford brach erschöpft zusammen. Sie blieb einfach liegen. Es hätte der Aufforderung von diesem Black nicht bedurft, auf ihn zu warten. Sie war überhaupt nicht fähig, noch einen Schritt zu gehen.
Der Kerl mußte von allen guten Geistern verlassen sein. Er war mit ihr bis zum Moor gerannt, als wären sämtliche Höllengesellen hinter ihm her. Sie spürte ihren Arm kaum noch. So sehr hatte er daran gezogen, weil sie sein Tempo nicht hatte mithalten können. Jetzt war sie ihn los, aber wenn er nicht in dem unheimlichen Morast unterging, würde er zurückkommen. Sie war sich nicht klar, ob sie einen Verrückten vor sich hatte, wenn er sie auch ohne Frage vorläufig vor der unheimlichen Alten gerettet hatte. Das Mädchen mit den Rehaugen fühlte furchtbare Angst in sich. Es sah die junge Fremde im Moor stecken und fürchtete, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Lissy Buford atmete schwer. Diese eine Nacht hatte sie das Grauen eines ganzen Menschenlebens durchleiden lassen. Der glitzernde Stein, den Black neben ihr zurückgelassen hatte, war auch so ein Tick. Wer schleppte sich schon mit so einem Klumpen herum, der zu nichts zu verwenden war? Er war weder besonders schön und wertvoll wohl auch kaum. Black aber hatte sich aufgeführt, als würde sein eigenes Leben und das anderer Menschen davon abhängen. Während sie den Kristall kopfschüttelnd betrachtete, legte sich eine Hand darauf. Zuerst glaubte sie, daß es sich um Gordon Black handelte, doch dann erkannte sie sechs Finger an dieser Hand. Eine derartige Anomalie gehörte nicht zu dem merkwürdigen Burschen. Es durchfuhr sie eisig. Sie hatte den Fremden nicht kommen hören. Rasch hob sie den Kopf und blieb starr vor Entsetzen in dieser Stellung. Was ihr hautnah gegenüberstand, war weder Gordon Black noch sonst irgendein Mensch. Es war… sie sträubte sich, dieses Wort auch nur zu denken, es war ein Monster! Der glatte gelbliche Kopf war ekelerregend. Da er nichts
besaß, was Ähnlichkeit mit einem Gesicht aufwies, peitschte das Grauen durch ihren Körper. Der Kopf schwebte dicht über ihr. Sie sah die zuckenden Flammen in den Höhlen seiner Augen. Sie wirkten wie zwei kleine Kamine, nur nicht anheimelnd, sondern unbeschreiblich gräßlich. Jetzt sah sie, daß sich auch an der anderen Hand, die das Monster unter den Schleiern, die es trug, hervorreckte, sechs Finger befanden. Lissy Buford wollte aufschreien, doch der lähmende Blick des Ungeheuers ließ sie verstummen. Während sie deutlich hörte, wie Gordon Black mit dem Mädchen im Moor kämpfte, war sie hier diesem Scheusal hilflos ausgeliefert. Sie konnte sich nicht mal bemerkbar machen, weil sie wie abgestorben war. Zum Glück beschäftigte sich das Monster zunächst lediglich mit dem Stein und nicht mit ihr. Es packte den Kristall mit beiden Händen und ließ ein paar krächzende Laute hören, die triumphierend klangen. Es hob den Brocken und hielt ihn dicht vor den senkrechten Spalt in seinem Kopf. Der Spalt fuhr auseinander und bildete nun ein gähnendes schwarzes Viereck. Darüber loderten die beiden Feuer. Das Monstrum schob den Kristall in diese Öffnung und schloß den Spalt danach. Augenblicklich ging eine gespenstische Veränderung mit dem Ungeheuer vor. Es wurde hin und her gerissen, als säße es auf einem elektrischen Stuhl und kämpfte gegen die mörderischen Volt. Die Schleier wurden durchsichtig und gaben den Blick auf einen dürren Körper frei, der nur einem bereits Toten gehören konnte. Zum erstenmal sah Lissy Buford, daß die Erscheinung auch so etwas Ähnliches wie Beine besaß. Nur waren sie verkrüppelt und zum Gehen kaum zu gebrauchen.
Der ovale Kopf verfärbte sich. Er durchlief sämtliche Schattierungen des Spektrums, bis sie sich vermischten und dadurch zu einem reinen Weiß wurden. Während der Kopf nun auch seine Form änderte, wuchsen ihm Haare. Rötliche Haare, die schon bald eine Länge erreichten, um die manche Frau das Monster beneidet hätte. Aber war es überhaupt noch ein Ungeheuer? Trug es nicht unverkennbar menschliche Züge? Da war plötzlich ein Gesicht, das Lissy beim besten Willen nicht mehr als abstoßend bezeichnen konnte. Es wirkte männlich entschlossen und fast etwas spitzbübisch, als hätte sich der ganze Mann einen riesigen Scherz erlaubt. Lissy Buford war nicht zum Lachen zumute. Sie bangte um ihr Leben, denn Monster oder Mann, der Kerl war nicht von dieser Welt. Das hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Niemand würde ihr dieses Erlebnis glauben. Unwillkürlich wich sie zurück, als die Umwandlung vollzogen war und der Rothaarige nun Zeit für sie hattet Seine Augen blitzten. Es funkelte noch immer ein Feuer darin, doch es waren keine zuckenden Flammen mehr. »Tut mir leid, Lissy«, sagte er hastig, »wenn ich dich erschreckt habe.« Damit wandte er sich ab und lief auf das Moor zu. Erschreckt! Sollte sie über diesen Witz lachen? Sie war fast gestorben, und dieser Bursche tat das mit einem Achselzucken ab. Nur weg von hier, bevor es endgültig zu spät war! Der Stein, der nun wieder neben ihr glitzerte, erschien ihr wie das Symbol des Satans. Angstvoll kroch sie rückwärts, um diesem Teufelsklumpen zu entgehen, wenn sie auch kein Auge von ihm lassen konnte. Vom Moor erklang ein gequälter Aufschrei. Ihm folgte widerliches Gelächter. Lissy Buford blieb fast das Herz stehen. Ihr war klar: in
diesem Augenblick trieb der unbarmherzige Hexentanz mit der fremden Frau im Sumpf seinem Höhepunkt entgegen. *** »Wer sind Sie?« stieß Gordon Black hervor. Er war restlos ausgelaugt. »Das klären wir später, Gordon«, gab der Fremde mit den rötlichen Haaren zurück »Pack lieber mit an, damit wir sie herausbringen.« Gordon Black wandte sich ab und zog an Hanakos Arm. Auf der anderen Seite quälte sich der Unbekannte, ab, der ihm doch seltsam bekannt vorkam. Die Stimme mußte er schon irgendwo gehört haben. Diese kratzende Stimme. Hanako wehrte sich nicht mehr. Ihre Handgelenke steckten wie in zwei Schraubstöcken, während ihre untere Hälfte von zähem Schlamm umgeben war. Kein Wunder, daß sie das Gefühl hatte, in der Mitte auseinandergerissen zu werden. Als die Männer unter ihre Achseln greifen konnten, wurde es leichter. Die Schmerzen ebbten ab. Auch der Sog nach unten ließ nach. Allmählich vermochte sie wieder klarer zu sehen. »Gordon!« flüsterte sie ungläubig. »Du bist es wirklich.« »Natürlich ist er es, Hanako«, entgegnete der Fremde lächelnd. Sie sah den Rothaarigen fragend an. Sie kannte ihn nicht, obwohl er ihren Vornamen wußte. Sie ließ sich vollends aus dem Morast ziehen, und Gordon Black legte sie auf festen Boden, wo er begann, sie von dem gröbsten Schmutz zu befreien. »Danke!« sagte er,und sah dabei den anderen Mann an. »Ohne Ihre Hilfe hätte ich es nicht geschafft.« »Das war ich euch schuldig«, meinte der Fremde ruhig. »Schließlich habe ich euch in diese Lage gebracht.« »Sie?«
Hanako Kamara stöhnte verhalten. Sie öffnete die Lippen und hauchte: »Wo sind sie? Sind sie fort? Gordon, was ist geschehen? Lebe ich, oder sind wir beide tot?« »Ich denke doch, daß wir am Leben sind, Hanako.« »Es war so gräßlich. Diese Ungeheuer. Sie wollten mich in Stücke reißen. Ich habe sie gesehen. Die Monster aus dem Schattenreich. Sie kommen bestimmt zurück. Sie wollen uns erwürgen.« »Es sind keine Ungeheuer da«, beruhigte er Hanako Kamara. »Du hast es geschafft. Du bist Plum entkommen.« »Plum?« Hanako lächelte. »Ich glaube, er wollte uns tatsächlich helfen. Ich befand mich dreimal in seiner Gewalt, aber er hat mir keinen Schaden zugefügt. Was mich in das Moor trieb, war meine eigene Unüberlegtheit. Nun ist er darin umgekommen. Die Monster haben an ihm Rache genommen.« »Soweit ist es zum Glück noch nicht«, erklärte der Rothaarige. »Das habe ich dir zu verdanken, Gordon. Du hast mir den magischen Kristall gebracht.« Hanako Kamara und Gordon Black sahen den Sprecher fassungslos an. »Sie sind Plum, der Halbschatten?« fragte der Dämonenjäger ungläubig. »Ich hoffe doch sehr, daß ihr nun einen hübscheren Namen für mich findet. Plum ist ja ganz ulkig, aber wer nimmt mich denn damit ernst?« »Kann man das glauben?« murmelte Hanako. »Das kann doch nicht nur eine Maske gewesen sein. Der abscheuliche Kopf, die Flammen in den Augen und die fürchterliche Kraft.« Der Rothaarige nickte. »Du hast recht, Hanako. So stark ist kein Mensch. Nicht mal Gordon. Ich werde auch einiges von meinen Fähigkeiten durch die Umwandlung verloren haben. Hoffentlich nicht zuviel. Sonst müßte ich im Kampf gegen die Schatten unterliegen. Ich schätze, sie werden mir nicht viel Zeit lassen. Übrigens, falls ihr noch eine zusätzliche Bestätigung für
meine Identität braucht, so fragt die Kleine mit den hübschen Augen. Sie wurde Zeugin meiner Veränderung. Du hast übrigens keinen schlechten Geschmack, Gordon. Das Mädchen könnte mir fast so gefährlich werden wie die Wesen aus dem Schattenreich.« »Das hört sich ziemlich menschlich an«, stellte Gordon Black fest und betrachtete den Rothaarigen kopfschüttelnd, aber die einzige Ähnlichkeit mit dem rätselhaften Halbschemen blieben die sechs Finger an jeder Hand und die etwas kratzige, metallene Stimme. Erst jetzt stellte Hanako fest, daß sie, bis auf ein paar Schrammen, unverletzt war. Der Halbschemen gab dafür eine Erklärung, bevor sie noch die entsprechende Frage stellte: »Das Feuer hat dich nicht berührt. Es sollte dich nur daran hindern, das zu tun, was du schließlich doch vollbracht hast. Die Schemen konnten dich nicht selbst töten. Doch durch ihre Schreckensvisionen wäre es ihnen beinahe gelungen, dich im Sumpf versinken zu lassen. Du hast ungeheuren Mut bewiesen, Hanako. Ich bin sehr froh, daß ich mich ausgerechnet euch anvertraut habe.« »Sam ist tot«, sagte Gordon Black plötzlich tonlos. »Ich habe ihn im Haus von Eila Parker gefunden. Er war schon ganz steif.« Hanako schluchzte auf. Plum hob beschwichtigend die Hand. »Laßt euch nicht täuschen«, sagte er. »Es kann auch lediglich eine Lähmung sein. Wir müssen zu ihm. Wenn ich recht habe, gelingt es mir vielleicht, die Starre von ihm zu nehmen.« Gordon Black schöpfte neue Hoffnung. Zwar bildete er sich ein, einen Toten von einem Bewußtlosen unterscheiden zu können, doch er wußte auch, daß es solche Starren, wie Plum sie ansprach, gab. Er war ihnen im Kampf gegen Dämonen und Magier schon mehrfach begegnet. Aber Eila Parker? Konnte sie mit ihren magischen Beschwörungen tatsächlich einen
gewissen Einfluß ausüben? In dem Dämonenjäger keimte ein Verdacht, der ihn keineswegs beruhigte. Spielte die Parker eine wichtigere Rolle, als er bisher vermutet hatte? Auf eine Frau hatte er sich nicht konzentriert. Doch auch Lissy Buford hatte von einer alten Hexe gesprochen, die sie verfolgt und, nach ihrer Auffassung, sogar einen Mann auf geheimnisvolle Weise getötet hatte. Lissy lag noch immer auf dem gleichen Fleck. Sie zitterte, als die drei auf sie zukamen. Die Tatsache, daß der verrückte Black und dieses Monster sich augenscheinlich prächtig verstanden, bestärkte sie in dem Verdacht, daß es ihr nun an den Kragen gehen würde. Selbst die Tatsache, daß sie die exotisch wirkende Frau nicht getötet hatten, brachte sie nicht von ihrer vorgefaßten Meinung ab. Hanako sprach beruhigend auf sie ein: »Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Diese Männer sind goldrichtig. Sie tun Ihnen jedenfalls nichts, was Sie nicht wollen«, fügte sie lächelnd hinzu. »Sie kennen diese Männer?« fragte Lissy Buford ängstlich. »Einen jedenfalls sehr gut. Auf ihn kann man sich hundertprozentig verlassen.« »Und der andere?« Hanako Kamara hob die Schultern. Was sollte sie sagen? Der Halbschatten war auch ihr noch ein Rätsel, wenn es auch längst nicht mehr so voller Grauen war wie noch vor kurzem. Auch Gordon Black wurde aus dem Rothaarigen nicht so recht klug. Die Tatsache, daß offensichtlich menschliches und Schattenwesenblut in seinen Adern floß, ließ ihn zu einer Zeitbombe werden, die jederzeit explodieren konnte, je nachdem, ob der Schatten in ihm plötzlich das Übergewicht erhielt. Er rechnete ihm allerdings hoch an, daß er geholfen hatte, Hanako aus dem Morast zu ziehen. Alles, was vorher war, trat
dahinter zurück. Durch die gespenstische Umwandlung Plums erhielten seine früheren Behauptungen zudem ein besonderes Gewicht. Das schien doch nicht alles erfunden zu sein. Der Kristall, der Eila Parker gehörte, mußte eine erstaunliche Macht besitzen. »Es ist wohl besser, wenn wir ihn mitnehmen«, meinte Gordon und bückte sich nach dem Gesteinsbrocken. Plum gab ihm recht. »Auf alle Fälle. Wenn er in falsche Hände gerät, kann ein großes Unglück passieren. Er ist nicht nur für positive Aktionen geeignet.« Dann deutete Plum auf das Hexenmesser, das Gordon Black in seinem Gürtel stecken hatte. »Ich sehe, du hast dich inzwischen bewaffnet«, sagte er. »Ich muß dich bitten, mir mit deinen Instrumenten nicht zu nahe zu kommen. Sie könnten mich vernichten.« »Obwohl du ein halber Mensch bist?« »Ich möchte es nicht auf einen Versuch ankommen lassen. Ich weiß, daß du damit schon viel Verwirrung im Dämonenreich gestiftet hast.« Gordon Black lächelte böse. »Das stimmt, und ich mußte wieder einmal die Lehre ziehen, daß das Dämonenreich einem immer und überall begegnen kann. Auch dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Man muß stets gerüstet sein.« »Wer ist das Mädchen?« fragte Hanako Kamara leise und meinte damit die rehäugige Lissy, die Gordon Black auf der linken Seite stützte, während er rechts die Halbjapanerin eingehakt hatte. Er erklärte es ihr in dürftigen Worten, und Lissy bestätigte heftig, daß die Alte sie ganz bestimmt umbringen wollte. »Und Sie wissen nicht, wer es ist?« »Ihren Namen kenne ich nicht, doch ihr abscheuliches Gesicht erkenne ich unter Tausenden wieder, selbst wenn es stockdunkel ist.« Gordon Black wurde immer überzeugter, daß es sich nur um
Eila Parker handeln konnte. Dann mußte sie es auch gewesen sein, die Sam überwältigt hatte. Gemeinsam strebten sie dem Lakeschen Haus zu. Lissy Buford versuchte erst gar nicht, Protest einzulegen. Jetzt war sie ja mit dem Unheimlichen nicht mehr allein. Diese Hanako Kamara machte jedenfalls einen ganz normalen Eindruck auf sie. Sie hatte kaum weniger durchgemacht als sie selbst. Sie waren sozusagen Leidensgenossinnen. Außerdem gab es da angeblich noch diesen Sam Lake, von dem Black behauptete, daß er tot in seinem Bett läge, das verwandelte Monstrum dagegen die Ansicht vertrat, es könne sich nur um eine Erstarrung handeln, die erst zum Tode führte, wenn der Mann nicht rechtzeitig daraus erweckt würde. Sie sah ein, daß dieser Lake Hilfe brauchte. Wenn sie es sich genau überlegte, war ihr auch nicht recht wohl bei dem Gedanken, sich allein in ihrer Wohnung aufhalten zu müssen. »Was ist denn in dem Haus los?« wunderte sich Gordon Black, als sie Sam Lakes Behausung bis auf Hörweite erreicht hatten. Ein entsetzlicher Lärm drang aus der Richtung. Es klirrte und schepperte. Dazwischen war ein Toben, das nur von einer vielköpfigen Horde entfesselter Furien stammen konnte. »Sam ist das nicht«, meinte Hanako besorgt. »Er hat ein paar Besucher bei sich«, vermutete Plum krächzend. »Die Wesen aus dem Schattenreich?« Gordon Black packte den Griff seines Hexenmessers und zog es halb aus dem Gürtel. »Das glaube ich nicht«, widersprach der Rothaarige. »Die Schatten sind unauffälliger und deshalb sehr viel gefährlicher.« Gordon Black hatte nicht die Absicht, noch länger Rätsel zu raten. Er machte sich von den beiden Frauen frei und stürmte vorwärts. Kaum, daß der Halbschemen in ihm die Hoffnung genährt hatte, Sam könnte noch am Leben sein, ahnte er schon
wieder Fürchterliches. *** Sam Lake ahnte den tödlichen Stahl mehr, als er ihn sah. Er atmete schlagartig ein, wodurch sein Bauch zurückwich. Gleichzeitig drehte er sich um seine eigene Achse und vollführte einen Schlag mit der Handkante. Alles klappte. Er entging dem Todesstoß, seine Handkante landete im Ziel, nur eins funktionierte nicht richtig: seine Gegnerin fiel nicht um. Eila Parker taumelte nicht mal. Sie lachte nur höhnisch und stieß erneut mit dem Stilett zu. Dabei richtete sie ihren Blick mitleidlos auf den tapferen Mann, dessen Körper sich augenblicklich versteifte. Er wurde wie ein Brett und begann zu schweben. Wie eine Feder trieb es ihn aufwärts, bis er in den wartenden Klauen der Abscheulichen landete. Die Hexe packte ihn und schleuderte ihn gegen die Wand, wo sein Körper wieder biegsam wurde, sein Geist allerdings jeden Widerstand aufgab. Er krachte auf den Boden, verdrehte die Augen und verzog haßerfüllt seinen Mund, als der Halbschemen sich ihm nun mit fanatischem Blick näherte, um ihm den Rest zu geben. *** Der Lärm im Haus ließ nicht nach. Gordon Black glaubte, je näher er kam, auch Sam Lakes Stimme zu unterscheiden. Sam lebte! Das war die Hauptsache. Plums Vermutung schien sich zu bestätigen. So wie alles, was der Halbschatten bisher behauptet hatte. Wer waren die Gegner, die sich gegen Sam stellten und das Haus offenbar abbruchreif gemacht hatten? Die letzten Yards legte der Dämonenbezwinger in rasendem
Tempo zurück. Er stürmte durch die Haustür und richtete sich nach den erregten Stimmen und den übrigen unüberhörbaren Geräuschen. Sie befanden sich im Schlafzimmer. Die Tür stand halb offen. Gordon Black sah nur einen Rücken, der sich gerade bückte. Der Rücken gehörte nicht zu Sam. Demnach mußte es sich um einen seiner Angreifer handeln. Gordon Black zögerte keine Sekunde. Zwar fühlte er sich von den Strapazen im Moor immer noch wie gerädert, doch da er seinen Freund in Gefahr sah, fiel alle Schwäche von ihm ab. Mit einem mächtigen Satz warf er sich durch die Türöffnung und rauschte durch den Unbekannten hindruch, als ob er gar nicht vorhanden wäre, Dabei verlor er das Hexenmesser, das er in der Faust gehalten hatte. Es rutschte unter den Schrank, vorläufig unerreichbar für ihn. Er wirbelte herum und starrte in das verzerrte Gesicht. »Eila Parker!« Gordon Black war weniger überrascht, diese Frau hier zu treffen, als über die Tatsache, daß sie offensichtlich der einzige Angreifer war. Er begriff, daß diese Hexe durch menschliche Kraft nicht zu besiegen war. Bevor er die Dämonenpeitsche herausreißen konnte, war Eila Parker heran. Ihr Stilett blitzte grausam in ihrer Hand. »Stoß nur zu!« zischte Gordon Black provozierend und sprang zurück. »Inzwischen amüsieren sich andere mit deinem Kristall.« »Du bluffst mich nicht, du mieser Wurm«, fauchte Eila Parker. »Da du ihn nicht hast, wird auch kein anderer wagen, sich an meinem Kristall zu vergreifen. Ihm würde es genauso ergehen wie dir. Er müßte sterben. Oder zweifelst du an meiner Macht?« Gordon Black zweifelte nicht, aber er hütete sich, es zuzugeben. »Mag sein, daß du ein paar Tricks kennst«, sagte er
geringschätzig, obwohl er sich denken konnte, von wem diese Tricks stammten. »Aber damit kannst du allenfalls auf dem Jahrmarkt auftreten. Du bist nichts weiter als eine alberne Schießbudenfigur.« Eila Parkers Augen quollen aus den Höhlen. »Eine Schießbudenfigur? Das wagst du, mir an den Kopf zu werfen? Ich werde dich zermalmen.« Sie ließ die Klinge wieder vorschnellen, doch Gordon Black ließ sie keine Sekunde aus den Augen und parierte im gleichen Augenblick. »Wenn du tatsächlich etwas Außergewöhnliches leisten könntest«, stichelte er, »wäre ich bereit, vor dir den Hut zu ziehen. Aber es müßte schon etwas ganz Besonderes sein.« »Was verstehst du darunter«, fragte die Hexe lauernd. »Etwas, was ein gewöhnlicher Sterblicher nicht zuwege bringt. Mit einem Messer töten kann jeder. Was würdest du anfangen, wenn du statt der Waffe lediglich eine Zeitung in der Hand hieltest? Könntest du mich damit ebenfalls überwinden?« Der Halbschemen lachte höhnisch auf. »Du hältst dich wohl für sehr gerissen, wie? Du willst, daß ich mich selbst schwäche, und bildest dir ein, mir dann leichter entgehen zu können. Sieh her!« Sie nahm das Stilett in die rechte Faust, und zwar so, daß Ihr normalerweise die scharfe Klinge die Hand hätte zerschneiden müssen. Sie blieb aber unverletzt. Sie hielt Gordon Black die Waffe dicht unter die Nase, und dieser wurde Zeuge, wie der Stahl verschwand und zu billigem Papier wurde. Bedrucktes Papier. Eila Parker hielt, tatsächlich eine normale Zeitung in der Hand. Mit dieser Demonstration gab sie sich jedoch noch nicht zufrieden. Ihr Ehrgeiz war angestachelt. Gordon Black hatte vorerst sein Ziel erreicht. Die Magierin richtete ihren starren Blick auf die Zeitung, und im Nu stand sie in hellen Flammen. Mit dem brennenden Papier strich sie sich langsam übers Gesicht und knetete es mit
beiden Händen. »Bist du nun überzeugt?« höhnte sie. »Welcher normale Sterbliche hat Macht über das Feuer?« »Über diese Art von Feuer vermutlich jeder«, meinte Gordon Black unbeeindruckt. Er hütete sich allerdings, nach den Flammen zu greifen, denn er war davon überzeugt, daß er sich daran höllisch die Finger verbrannt hätte. Er hoffte, die Hexe ausreichend abgelenkt zu haben und tauchte blitzschnell nach seinem Messer, das sich noch immer unter dem Schrank befand. Ein Zischen warnte ihn. Er warf sich herum, und im selben Moment raste das brennende Stilett in das Holz des Schrankes und blieb vibrierend dicht neben seinem Kopf stecken. Der Halbschemen lachte triumphierend. »Na, du Großmaul? Hast du endlich genug?« »Ja, ich habe genug von dir, Eila Parker. Du tust mir unendlich leid.« »Leid? Wieso tue ich dir leid?« »Weil du dich verkauft hast. Was mußtest du den Würgern des Schattenreiches geben, damit sie dich mit solcher Macht ausstatteten.« Die andere zuckte unwillkürlich zusammen. »Was weißt du Halunke von dem Schattenreich?« »Das, was alle wissen. Daß die Schatten in dir ein biegsames Werkzeug ohne eigenen Willen gesucht und gefunden haben. Daß du eine erbärmliche Marionette bist, die hilflos wird, sobald sie dich fallenlassen. Der Haß, der in dir lodert, ist ihr Haß. Du bildest dir ein, Macht zu besitzen, doch du bist der kläglichste Untertan, den ich kenne, denn du weißt es nicht mal. Die Schatten konnten keine Dümmere, Einfältigere als dich finden.« »Das ist nicht wahr«, kreischte Eila Parker wild. »Du willst mich nur gegen sie aufhetzen, doch das gelingt dir nicht.« »Natürlich gelingt mir das nicht, denn du bist außerstande,
die Dinge logisch zu sehen. Du siehst mit den Augen der Schatten, du sprichst mit ihrem Mund, du tötest mit ihrem Arm. Du bist nicht mehr du selbst. Heute noch fühlst du dich stark, doch wenn du ausgedient hast, wird das heulende Elend über dich hereinbrechen. Dann möchte ich nicht in deiner unverletzlichen Haut stecken. Du wirst wahrscheinlich länger leben als ich und vielleicht sogar als die meisten anderen Menschen, doch du wirst unausweichlich ihr letztes Opfer sein.« »Du lügst! Du willst nur deine Haut retten.« »Frage sie doch und versuche, aus ihren Lügen die Wahrheit herauszuhören!« Eila Parker stampfte mit dem Fuß auf. »Ja, ich werde sie fragen. Ich werde durch das Tor des magischen Kristalls zu ihnen gehen, sobald ich mit dir fertig bin. Du wirst ihre Antwort, die ich jetzt schon kenne, nicht mehr erfahren, denn bis dahin bist du längst tot.« Sie zerdrückte die Flammen zwischen ihren Händen, und Wasser tropfte unten heraus. Es rann auf den Fußboden und bildete dort eine dünne Eisschicht. Gordon Black, der den Moment für einen neuerlichen Angriff günstig sah, riß sein Hexenmesser vom Boden und sprang auf die Alte zu. Er hatte Pech, denn auf der spiegelglatten Fläche glitt er aus und stürzte rücklings nieder. Mit dem Messer hieb er wirkungslos durch die Luft. Eila Parker lachte glucksend. »Du bist ein Narr. Alles willst du besser wissen. Dabei tappst du in die billigsten Fallen, die ich dir stelle.« Sie riß eine der Türen aus dem Kleiderschrank heraus und wehrte damit das Hexenmesser ab, das Gordon Black aus dem Liegen heraus nach ihr geworfen hatte. Dann ließ sie die Tür wie eine Streitaxt niedersausen und hätte dem Dämonenjäger zweifellos den Kopf zertrümmert, hätte er sich nicht im letzten
Augenblick in Sicherheit gebracht. Gordon Black gab nicht auf. Er wußte, daß er sich gegen den Halbschatten hoffnungslos im Nachteil befand, zumal er seine stärkste Waffe, die Dämonenpeitsche für den äußersten Notfall aufsparen wollte. Er hatte nicht vergessen, daß Eila Parker im Vergleich zu den Schattenwesen ein Nichts war. Auch mit ihnen mußte er noch rechnen. Er durfte die Magierin nicht zur Ruhe kommen lassen. Außerdem mußte er sie genau beobachten. Vielleicht erkannte er doch noch eine Schwäche bei ihr, die er ausnutzen konnte. Doch Eila Parker besaß keine Schwächen. Die Monster des Schattenreiches hatten sie mit unvorstellbaren Fähigkeiten ausgestattet. Die Schranktür war zersplittert. Das Hexenmesser lag inmitten der Trümmer. Gordon Black griff danach. Doch da empfing er einen solch mordsmäßigen Haken, daß er sich fragte, ob sein Hals in der Lage war, seinen Kopf auf den Schultern zu halten. Er flog in eine Ecke und mußte noch froh sein, daß er sich nicht das Genick brach. Verdammt! Er selbst war auch nicht gerade zimperlich im Zuschlagen, aber einen derartigen Hieb hatte er noch nie losgelassen. Er schüttelte gewaltsam die momentane Benommenheit ab und sprang wieder auf die Füße. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, daß nun auch Sam Lake wieder in die Höhe kam. Eila Parker wandte sich nach dem Kleineren um. Gordon Black war sofort bei ihr und bohrte das Hexenmesser in sie hinein. Die Magierin stand sekundenlang stocksteif. Gordon Black glaubte bereits an seinen Sieg, doch da sah er sich getäuscht. Die Hexe war viel stärker und widerstandsfähiger, als er befürchtet hatte. Mit einem einzigen Stich war sie nicht zu erledigen.
Auch Sam Lake zog die falschen Schlüsse. Triumphierend donnerte er seine Faust wie eine Dampframme in die Diabolische hinein. Eila Parker unternahm nicht den geringsten Versuch, sich gegen den Angriff von beiden Seiten zu wehren. Sams Faust ging glatt durch sie hindurch und fand sich in Gordon Blacks Magengrube wieder. Der Detektiv stieß ein Gurgeln aus und riß sein Messer zurück. Er taumelte einen Schritt nach hinten. Ihm war speiübel. Zum Teil wegen des Schlages, zum Teil durch die Erkenntnis, daß die Hexe noch lange nicht besiegt war. Eila Parker wirbelte herum und streckte beide Arme wie Windmühlenflügel aus. Sie traf Gordon Black und Sam Lake gleichzeitig und amüsierte sich, wie sie, Geschossen gleich, durch das Zimmer sausten. »Habt ihr noch mehr Freunde aufzubieten?« höhnte sie. »Sie sollen nur kommen. Fünf oder zehn oder auch hundert. Ich schlage sie alle kurz und klein.« »Schlägst du mich auch kurz und klein, Eila Parker?« fragte eine kratzende Stimme von der Tür her. Die Angesprochene federte herum. Sie duckte sich wie zum Sprung, stieß sich aber nicht ab. Ihre wäßrigen Augen nahmen einen lauernden Ausdruck an. Plum, der das Zimmer betreten hatte, zeigte keine Furcht vor der Rasenden. Doch er war wachsam. Er spürte wohl, daß er hier einer Gegnerin gegenüberstand, die er nicht unterschätzen durfte. Das bewies allein die Tatsache, daß Gordon Black gerade seine Benommenheit abschüttelte. Diesen Mann schätzte er hoch ein, aber nicht mal ihm war es bisher gelungen, die Hexe unschädlich zu machen. Eila Parker spürte bei ihrem unerwarteten Gegenüber etwas von jener Kraft, die in ihr selbst wohnte und deren Ursprung bei den Wesen des Schattenreiches zu suchen war. »Du Verräter!« zischte sie. »Du stehst auf der falschen
Seite.« »Das wird sich erst noch herausstellen«, meinte Plum lächelnd. »D… das ist sie«, sagte Lissy Buford aufgeregt hinter ihm. »Das ist das Weib, das mich verfolgt hat und von dem ich behaupte, daß es auch Jeff Moran auf dem Gewissen hat.« »Ja!« Eila Parkers Stimme klang grell. »Ich habe den Dreckskerl umgebracht, und ich werde auch dich töten, Lissy. Du entkommst mir nicht, auch wenn du dich mit noch so vielen Beschützern umgibst.« Sie lachte schaurig. Jeder wußte nun, daß Eila Parker ein gefährliches Monster war. Plum drängte Lissy Buford und Hanako Kamara zurück. Er wollte sie keiner Gefahr aussetzen. »Geht in die Küche und kocht uns einen starken Kaffee!« sagte er. »Einen Kaffee?« Die Halbjapanerin sah ihn fassungslos an. »Dieses Ungeheuer hat alles demoliert. Von der Kaffeemaschine ist nicht nicht viel übrig.« Plum ließ seine Gegnerin nicht aus den Augen, während er sagte: »Dann nehmt den größten Topf, den ihr finden könnt, und macht das Wasser darin heiß. Ich werde einen großen Durst haben, wenn alles vorbei ist.« »Wenn alles vorbei ist, wirst du überhaupt nichts mehr haben«, schrie Eila Parker. »Höchstens einen eingeschlagenen Schädel oder ein Herz, das sich in einen Eisklumpen verwandelt hat.« »Du meinst, so einen Klumpen, wie ich ihn hier habe?« fragte Plum harmlos. Er brachte hinter seinem Rücken den Salzkristall hervor und hielt ihn der anderen entgegen. Die Augen der Hexe quollen hervor. »Der Kristall!« ächzte sie. »Woher hast du Schuft ihn? Er gehört mir. Mir ganz allein. Gib ihn her, oder ich werde dich…«
»Wenn du ihn haben willst, wirst du ihn dir holen müssen«, erklärte Plum ungerührt. »Mir gefällt er nämlich auch ganz gut. Ich möchte mich nicht mehr von ihm trennen.« »Das wirst du aber müssen«, kreischte Eila Parker. Sie stieß ihre Hände vor, um nach dem Stein zu greifen, doch Plum war schneller. Er ließ den Kristall einfach fallen und stieß ihn mit dem Fuß ins Zimmer. Die Hexe schrie zornig auf und tauchte unter Plum hinweg. Danach warf sie sich auf den glitzernden Gesteinsbrocken. Sie erwischte ihn nicht, denn Plum ließ es nicht zu. Er riß sie herum und verkeilte sich in ihr. Gordon Black hätte jetzt leicht mit seinem Hexenmesser auf die Magierin einstechen können, doch bei den herumwirbelnden Leibern bestand die große Gefahr, daß er versehentlich Plum traf und diesen damit vernichtete. Das lag jetzt nicht mehr in seiner Absicht. Gebannt beobachteten er und Sam Lake die beiden Kämpfenden. Sie merkten, daß ein Gleichgewicht zwischen ihnen bestand. Keinem gelang es, einen Vorteil herauszuholen. Sie schlugen auch nicht aufeinander ein, sondern bekämpften sich mit geistigen Kräften. Sie versenkten ihre glühenden Blicke ineinander, und wo sie sich trafen, knisterten rote Funken. »Sie ist der Halbschemen, von dem Plum gesprochen hat«, flüsterte Sam Lake seinem Freund zu. »Das Werkzeug der Schatten, mit dessen Hilfe sie sich einen Platz unter den Lebenden erzwingen wollen. Aber wer ist der andere?« Erst jetzt erinnerte sich Gordon Black, daß Sam ja noch nichts von der erstaunlichen Umwandlung Plums wußte. Er berichtete das Nötigste und gab Sam Lake dann einen Wink. »Wir bringen den Kristall an uns und werfen ihn aus dem Fenster«, schlug er vor. »So bringen wir die Parker wahrscheinlich aus dem Haus, und Plum kann inzwischen neue Kräfte sammeln. Er erscheint mir erschöpfter zu sein als die
Hexe.« »Ja«, raunte der Kleinere zurück. »Sieht so aus, als hätte Plum durch seine Umwandlung einiges von seiner früheren Kraft verloren. Die Hexe ist die Stärkere.« »Kein Wunder! Die Monster stehen auf ihrer Seite, während Plum ein Abtrünniger ist und mit ihrem Haß rechnen muß.« Sie schlichen möglichst unauffällig zu dem Kristall, doch Eila Parker riß sich von ihrem Widersacher los und stürzte sich mit dämonischem Geheul auf die Freunde, die augenblicklich von ihrem Vorhaben abließen. Gordon Black stach mit dem Hexenmesser zu und die Magierin konnte im letzten Moment ausweichen. Plum kam den Freunden zu Hilfe. Er streckte seine Arme aus und spreizte die Finger. Aus jedem der Finger schossen nadeldünne Blitze, die sich in die Hexe bohrten. Auch Eila Parker verfügte über diese Waffe. Mit ähnlichen Blitzen setzte sie sich zur Wehr, aber sie besaß nur zehn Finger, Plum dagegen zwölf. Sie war ihm in dieser Beziehung unterlegen. Ihr Gesicht verzerrte sich. Sie mußte sich etwas Neues einfallen lassen. Warum halfen ihr die Schattenwesen nicht? Konnten sie den lästigen Burschen nicht einfach eliminieren? »Deine Freunde lassen dich wohl im Stich?« krächzte Plum, der ihre Gedanken las. »Du bist allein, und allein schaffst du es nicht. Frage sie doch, wo sie bleiben?« Eila Parker schielte nach dem Kristall. Sie brauchte ihn, um mit den Schattenwesen Kontakt aufzunehmen. Nur mit seiner Hilfe war es ihr möglich, die Unterstützung der Mächtigen zu fordern. Sie hechtete wieder nach dem Stein, und diesmal bekam sie ihn zu packen. Gordon Black wollte das verhindern. Er warf sich mit dem Hexenmesser auf sie und stach ein paarmal zu. Entgeistert stellte er fest, daß er nicht die Magierin, sondern
Plum erwischt hatte. Der Halbschemen hatte sich ebenfalls über die Hexe geworfen. Die beiden Männer starrten sich verwirrt an. Gordon Black griff sich an den Kopf. Was hatte er getan? Er hatte Plum vernichtet. Die Verwirrung benutzte Eila Parker, um mit der rechten Hand den Kristall zu teilen. Was nun folgte, war nicht mehr aufzuhalten. Auch Plum, der noch immer aufrecht stand, konnte nicht verhindern, daß die Magierin unter ohrenbetäubendem Krachen in den Kristall hineingezogen wurde, der sich anschließend wieder schloß und keine Spur von ihr zurückließ. *** »Wo bleibt der Kaffee?« schrie Plum in Richtung Küche. Gordon Black sah seinen Freund verdutzt an. Dieser Bursche hatte vielleicht Nerven. Nicht nur, daß er seinem Hexenmesser widerstanden hatte, jetzt machte er es sich auch noch gemütlich. Begriff er nicht, daß die Schlacht noch längst nicht gewonnen war? Wenn Eila Parker zurückkehrte, würde sie unbesiegbar sein. Offenbar hatte Plum die von ihm selbst so eindringlich geschilderte Grausamkeit der Würger aus dem Schattenreich vergessen. Hanako Kamara kam aus der Küche. Auch sie zweifelte an dem Geisteszustand des Rothaarigen. »Du mußt dich noch gedulden. Ohne Kaffemaschine dauert es eben länger.« »Aber das Wasser kocht doch hoffentlich?« »Das allerdings. Wir suchen nur noch Filtertüten. Die Rasende hat alles zerfetzt.« »Her mit dem Wasser!« befahl der Halbschatten. »Gordon und Sam, faßt mit an! Und daß ihr mir ja nichts verschüttet.« Gordon Black jagte in die Küche. Er ahnte etwas. Er schleppte den dampfenden Topf heran! Die Frauen hatten
wirklich das mächtigste Gefäß genommen, das sie hatten finden können. »Hinein mit ihm!« sagte Gordon Black japsend. Plum grinste den Detektiv an und nickte. Dann packten beide den Salzkristall, den, seit die Hexe unter Getöse in ihm verschwunden war, keiner mehr berührt hatte, und warfen ihn in das brodelnde Wasser. Mit einem Sprung brachte sich Gordon Black in Sicherheit und riß auch Plum mit sich fort, der einen sehr schwachen Eindruck auf ihn machte. »Ich fürchte«, stöhnte Plum, »ich habe ausgespielt. Die Umwandlung und der Kampf gegen Eila Parker haben meine sämtlichen Kräfte verzehrt. Daß mir dein Hexenmesser nichts anhaben konnte, ist der Beweis dafür: in mir ist nichts mehr von einem Schatten. Ich bin nur noch ein Mensch.« »Wenn das wahr wäre!« freute sich Lissy Buford. Zur Freude bestand allerdings noch kein Anlaß. Der Salzkristall wurde rebellisch. Die kochende Brühe schoß wie eine Fontäne steil in die Höhe und verbrühte mit ihrem Dampf alles, was sich noch in der Nähe befand. »Der Brocken löst sich auf«, jubelte Hanako. »Damit ist die Parker besiegt.« »Stimmt«, bestätigte Plum. »Sie wird den Weg zu uns zurück nicht mehr finden. Das Tor ist zugeschlagen. Doch für die Schatten bedeutet das kein Hindernis.« Das Wasser gebärdete sich noch immer wie das Innere eines Vulkans. Es wallte in dem Topf, bäumte sich auf und brachte solche Kraft auf, daß es sogar das stabile Gefäß deformierte. »Das hast du von Anfang an geplant«, vermutete Hanako. »Natürlich«, gab Plum zu. »Ich konnte doch nicht wissen, ob euer Kaffee überhaupt genießbar ist.« Die Schwarzhaarige hatte eine scharfe Erwiderung auf den Lippen, doch der ehemalige Halbschatten lächelte sie treuherzig an. Da mußte auch sie lachen.
Eine Explosion durchbrach die heitere Stimmung. Die Dampfschwaden, die aus dem Topf stiegen, füllten allmählich den ganzen Raum. Sie nahmen Gestalt an, und Hanako Kamara schrie entgeistert: »Die Schatten! Sie sind da.« Plum ließ ein Krächzen hören. »Jetzt bist du alleine, Gordon«, keuchte er. »Ich habe keine Macht mehr. Wenn du uns nicht hilfst, sind wir alle verloren.« Das war auch Gordon Black klar, der in der Zwischenzeit nicht geschlafen hatte. Er hielt in der linken Hand noch immer sein Hexenmesser, in der rechten die Dämonenpeitsche, deren fünf magische Schnüre die Fähigkeit besaßen, Dämonen zurückzutreiben, zu verletzen oder unter Umständen auch zu töten. Doch konnte er auch gegen diese Übermacht etwas ausrichten, die in diesem Augenblick auf ihn einstürmte? Sie waren nicht zu zählen. Mit zuckenden Armen griffen sie nach ihm, und Gordon Black spürte um sich einen eisigen Hauch. Sein linker Arm schoß vor und wehrte den ersten tastenden Angriff ab. »Haut ab!« schrie er Hanako und den anderen zu. »Ihr könnt mir jetzt nicht helfen. Bringt euch in Sicherheit.« In Sicherheit? Wo war das? Die Schatten teilten sich und versperrten nicht nur die Tür, sondern auch beide Fenster. Die Falle schnappte zu. Gordon Black hechtete mit riskantem Sprung auf den Schrank und stieß sich von dort aus gleich wieder ab. Er mußte in Bewegung bleiben, damit ihn die Ungeheuer nicht zu fassen bekamen. Aufjaulend zischten die Schnüre der Peitsche durch die Luft und hinterließen ein klagendes Wimmern. Er hatte getroffen, doch das war nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Seine haßerfüllten Gegner ließen deshalb weder von ihm, noch von den anderen ab. Gordon Black sah, wie sich ein paar der ungreifbaren
Scheusale auf Plum stürzten. Dem Abtrünnigen galt ihr besonderer Haß und ihre unversöhnliche Wut. Sie wollten ihn erwürgen. Furchtlos war der Dämonenkiller zwischen ihnen. Mit kräftigen Peitschenhieben schlug er auf sie ein und achtete darauf, daß er Plum nicht traf. Dieses Werkzeug konnte auch Menschen gefährlich werden, wenn es mit der entsprechenden Wucht geführt wurde. Und Gordon Black legte seine ganze Energie in diese Schläge. Ihm war klar, daß er ein schnelles Ende herbeiführen mußte, wollte er überhaupt eine Chance haben. Die Übermacht war erdrückend, und noch zeichnete sich nicht der geringste Erfolg ab. Zwar hinterließen die Peitschenschnüre stinkende Rauchspuren, wohin sie auch trafen, zwar erweckte das wütende Geheul der Schatten den Anschein, als seien ihnen diese Paraden durchaus nicht gleichgültig, aber sie ließen nicht von ihm ab. Zur gleichen Zeit griffen sie nun Hanako Kamara und Lissy Buford an. Gordon Black hätte sich teilen müssen, um allen beizustehen. Er versuchte es mit Schnelligkeit. Zuerst jagte er die Teufel von seiner Assistentin davon, weil sie ihm am nächsten stand. Unmittelbar darauf hechtete er zu der Blonden hinüber und teilte hier seine Schläge aus. Das Schmerzgebrüll der Schattenwesen war unbeschreiblich. Für kurze Zeit wichen sie zurück, und Gordon Black glaubte bereits, daß es ihm gelungen war, sich Respekt zu verschaffen. Doch offenbar handelte es sich nur um ein tückisches Ablenkungsmanöver, denn auf einmal fielen sie von hinten mit unverminderter Wucht über ihn her und brachten ihn zu Fall. Die Peitschenschnüre sausten ins Leere, und nun verwandelten sich die Schmerzensschreie in Triumphgeheul.
Gordons wichtigstes Ziel war, die Schatten von den anderen fortzulocken. Er mußte ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf sich lenken. Er sprang auf die Füße und hieb sich durch. Er benutzte dazu auch das Hexenmesser, das in der Wirkung bei diesen Gegnern allerdings nur gering war. Mit einem gezielten Hieb zerteilte er eines der Monster, das eines der Fenster bewachte. Dann stieß er sich ab und krachte durch die Scheibe und die herabgelassene Jalousie. Draußen schlug er hart auf, obwohl er mit einer geschickten Rolle den Sturz noch gemildert hatte. Sein Abgang war so spektakulär, daß die Würger an eine Flucht glaubten. Sie fielen darauf herein und stürzten ihm nach, wobei sie mit Leichtigkeit die Mauern des Hauses durchdrangen, ohne sich auch nur die geringste Verletzung zuzuziehen. Gordon Black frohlockte, obwohl seine Lage gar nicht rosig aussah. Er hatte geschafft, die anderen aus der Gefahrenzone zu bringen. Nun brauchte er keine Rücksicht mehr zu nehmen. Sie versuchten, ihn zu umringen. Gordon Black sah die Gefahr und sorgte dafür, daß keines der Schattenwesen seinen Hals umfaßte. Weit zuckten die Peitschenschnüre vor, und zum erstenmal hatte er den Eindruck, daß die Monster verletzbar seien. Vielleicht lag es daran, daß der neue Tag inzwischen sein Licht über die Hausdächer schickte. Tageslicht aber schwächte anscheinend seine Widersacher. Schon aus diesem Grund war es gut, daß er sie herausgelockt hatte. Aber noch war er von einem Sieg weit entfernt. Die Ungeheuer griffen nun zu anderen Mitteln. Sie ließen die Erde unmittelbar um ihn bersten. Er drohte zu versinken. Mit einem entschlossenen Sprung rettete er sich, prallte dabei aber gegen einen Obstbaum, der in Sams Garten stand. Verbissen unterdrückte er den aufwallenden Schmerz und
sichelte mit der Linken um sich. Das Hexenmesser fraß sich durch die Schemen, die ihn dafür mit Blitzen bedachten. Das war gefährlich. Wenn ihn nur ein einziger traf, war er erledigt. Schließlich konnte er die geballte Elektrizität nicht mit der bloßen Hand auffangen. Gedankenschnell riß er die Statuette der Göttin Aradia aus der Tasche. Sie war aus reinem Silber, und in ihr wohnte eine geheime Kraft. Er pflanzte sie vor sich auf, und die Blitze fuhren in sie hinein, ohne ihn zu gefährden. Aradia wirkte wie ein magischer Blitzableiter. Die Schatten heulten vor ohnmächtigem Zorn auf. Ihre Angriffe wurden zögernder. Sie brauchten längere Pausen. Eine davon benutzte Gordon Black, um auf den Baum zu klettern, mit dessen Stamm er so schmerzhafte Bekanntschaft geschlossen hatte. Als er oben war, holte er hastig einen winzigen Stein aus seiner Tasche. Er glänzte schwarz und war doch durchsichtig. Es handelte sich um ein Harz, in dessen Innerem ein Haar eingeschlossen war. Das Haar eines Werwolfes, den er vor einiger Zeit besiegt hatte. Die Monster witterten nicht die Gefahr. Sie glaubten ihn endlich in der Falle und schickten sich an, Black auf die Baumkrone zu folgen. Wie züngelnde Flammen hingen sie an dem Stamm, als Gordon Black das Harzstück wie eine Patrone in die Kammer eines Revolvers schob und in das Holz des Baumes feuerte. Sofort stand das Gewächs in grellroten Flammen, und Gordon Black mußte sich schleunigst einen ungefährlicheren Platz suchen. Er sprang, knickte in den Knöcheln ein, fühlte einen stechenden Schmerz und hörte hinter sich ein abgrundtiefes Seufzen. Obwohl er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte,
wandte er sich um und hieb mit der Peitsche in den lodernden Baum hinein, worauf dieser sich von einer Sekunde zur anderen zu Staub verwandelte. Dann brach er zusammen. *** Als Hanako Kamara als erste nach draußen eilte, war auch Gordon Black wieder auf den Beinen. Er fühlte eine grenzenlose Müdigkeit in sich. Die Würger aus dem Schattenreich hatten ihm das Letzte abverlangt. Aber sie waren besiegt. Er hatte doch noch das richtige Mittel gefunden. »Du warst großartig!« sagte seine Assistentin stolz. Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Das brauchst du nicht zu betonen, denn gerade du hast einen großen Anteil an unserem heutigen Erfolg. Wie geht es den anderen?« Hanako kicherte vieldeutig. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll«, sagte sie. Gordon Black sah sie verwundert an. »Was soll das heißen? Sie sind doch hoffentlich okay?« »Nach allem, was man so sieht, ziemlich.« Gordon Black kapierte überhaupt nichts mehr. »Nach allem, was man so sieht?« Er stürmte ins Haus und blieb an der Tür zum Wohnzimmer überrascht stehen. Sam Lake und Plum bemühten sich mit vereinten Kräften um Lissy Buford. Sie klopften ihr den Schmutz ab, führten sie zum Sofa und überschlugen sich fast, ihr einen Wunsch erfüllen zu dürfen. Dabei bedachten sie sich gegenseitig mit Blicken, die zweifellos konkurrierender Natur waren. Die Blondine aber ließ das willig geschehen und genoß das sichtlich. »Hast du dafür Töne?« murmelte Gordon Black. »Das ist wohl der schlüssigste Beweis, daß Plum nur noch ein
stinknormaler Mann ist.« »Und darüber bin ich besonders froh«, flötete Lissy und kicherte. Sam Lake sah sich auf der Verliererstraße. Lissy schien seinen Zigarrenduft auch nicht besonders zu mögen. »Jetzt hätte ich aber wirklich Appetit auf einen Kaffee«, meldete er sich. Auch er hatte ja noch einiges zu verdauen. Lissy Buford bückte sich eilfertig nach dem leeren Topf und wollte damit zur Küche entschwinden. »Ach bitte, nein!« wehrte der Kleine mit einer Grimasse ab. »Wenn dieser Kübel das einzige Gefäß in diesem Haus ist, verzichte ich doch lieber.« Die Blondine sah ihn unsicher an. Dann lachte sie glockenhell, und die anderen stimmten wie erlöst darin ein. ENDE
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