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Liebe SF-Freunde! Die Februarnummer des Informationsblattes für die Mitglieder der utopischen Buchgemeinschaft TRANSGALAXIS enthält eine ganze Anzahl von interessanten Rezensionen über die Neuerscheinungen in der SF-Reihe des Heyne-Verlages. Wir möchten all denen unter Ihnen, die neben der Moewig-SF auch die SF-Publikationen des Heyne-Verlages lesen, diese Rezensionen zugänglich machen. So sagen dieTRANSGALAXIS-Kritiker zur HEYNE-Anthologie Nr.8 (8 SF-Stories, Herausgeber M. Greenberg): „Dies ist die mit Abstand beste Kurzgeschichtensammlung im Heyne-Verlag — und die bisher erschienenen waren gewiß nicht schlecht Fredric Brown bringt die Geschichte eines Überlebenden, der sich Gedanken über Vergangenheit und Zukunft der Menschheit macht. Theodore Sturgeon philosophiert über einen Feind aus dem Weltraum, der die Menschheit vereinen könnte. In der Story ZUSAMMENBRUCH schildert Jack Williamson den Zerfall einer Diktatur. Etwas enttäuschend ist John D. McDonald's FERNE SAAT, die weder in Stil noch Idee zu überzeugen vermag. Ausgezeichnet dagegen ist Isaac Asimov's MUTTER ERDE, die wieder einmal sein Geschick zeigt, große Probleme zu überblicken und in einem kleinen Rahmen darzulegen. Die wohl beste Story stammt von C.L. Moore: KEIN LICHT AM HORIZONT. Die Autorin versteht es meisterhaft, die Stimmung auf einer anderen Welt zu schildern. Dagegen nimmt sich Fritz Leiber mit seiner Geschichte TABU doch etwas kläglich aus. Am Ende des Bandes finden wir Eric Frank Russell mit METAMORPHOSE. Eine der besten Stories von Russell, burschikos, spannend und ideenreich geschrieben. Bliebe noch die Übersetzung von H. W. Mommers und Hubert Straßl zu erwähnen, die zwar ausgezeichnet ist, aber für meine Begriffe allzuoft den exponierten Stand der beiden SF-Fachleute andeutet. HGWV" Zu HEYNE-TB 3035 (ROBOTER AUF DEM KRIEGSPFAD) bemerken sie: „Der zweite von Walter Ernsting übersetzte Auswahlband bringt diesmal recht gute Kurzgeschichten. Selbst die Fantasy-Stories können gefallen, da sie augenscheinlich um ihrer selbst willen geschrieben wurden. Enttäuschend ist lediglich Robert Sheckley mit der Story NUGENT MILLER UND DIE MÄDCHEN, die auch unter Hinzuziehung psychologischer Überlegungen schwach bleibt. Die vielleicht beste Story stammt von Arthur Porges: GESCHENK FÜR EINE KÖNIGIN. Bleibt zu hoffen, daß W. E. in der Auswahl dieser Geschichten die Linie dieses Bandes beibehält — es wäre ein Plus für die Auswahlbände von F & SF. HGWV" HTB 3036 (BRÜDER UNTER FREMDER SONNE) wird folgendermaßen beurteilt: „Im Sirius-System werden humanoide Lebewesen entdeckt. Monte Stewart, ein Anthropologe, wird mit einer Gruppe von Wissenschaftlern zwecks Kontaktaufnahme zu den Eingeborenen entsandt. Mit diesem Band wird das hohe Niveau der HTB's erfolgreich fortgesetzt. Sehr empfehlenswert. A. Ph."
Und abschließend noch das ausnehmend gute Urteil über HTB 3038 (DIE GRÜNEN TEUFEL VOM MARS): „Ein einmaliger Roman. — Stellen Sie sich vor, kleine grüne Lebewesen, für die es keine Hindernisse gibt, die überall dabei sein können (und auch sind), die unantastbar sind; sie sagen immer die Wahrheit und glossieren jegliche menschliche Tätigkeit. — Ein satirischer Roman, den man unbedingt gelesen haben muß. Sehr empfehlenswert. A. Ph." Beim nächstenmal sollen wieder unsere Leser zu Wort kommen. Freundliche Grüße bis dahin!
Die SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
Als nächster TERRA-Band (Nr. 393) erscheint:
Der Doppelgänger und andere Stories von William Voltz
5 Geschichten von den Sternen und der Welt von morgen. Die zweite Story-Kollektion des Verfassers von TERRA-Band 316 (QUARANTÄNE) und vieler PERRY-RHODAN-Romane! Schon in wenigen Tagen erhalten Sie TERRA-Band Nr. 393 überall im Zeitschriftenhandel. Preis 70 Pfennig. Der Moewig-Verlag in München ist Mitglied der Selbstkontrolle deutscher Romanheft-Verlage „TERRA" Utopische Romane, Science Fiction, erscheint wöchentlich im Moewig-Verlag, München 2, Türkenstraße 24, Postscheckkonto München 139 68. — Erhältlich bei allen Zeitschriftenhandlungen. Preis je Heft 70 Pfennig. — Gesamtherstellung: Buchdruckerei Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Anzeigenverwaltung: München 2, Theresienstraße 110, Telefon 52 91 44. — Für die Herausgabe und Auslieferung in Österreich verantwortlich: Farago & Co., Baden bei Wien — Printed in Germany. — Zur Zeit ist Anzeigenpreisliste Nr. 10 gültig. Dieses Heft darf nicht in Leihbüchereien und Lesezirkeln geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden.
Die Saat der Ewigkeit von HANS KNEIFEL
1. Die Finger bewegten sich suchend über die Tischplatte. Obwohl es noch nicht ganz Abend war, herrschte tiefe Dunkelheit in dem stillen Raum. Die schlanke Hand hatte jetzt das Kästchen erreicht, klappte den Deckel auf und nahm eine Zigarette heraus. Der Lichtkreis der Feuerzeugflamme beleuchtete einen kleinen Ausschnitt oberhalb des Schreibtisches: Die Handflächen, die sich schützend um die Flamme gelegt hatten, den Stapel Photokopien auf der Tischplatte und das bronzene Gesicht des Mannes. Ein tiefer Atemzug war zu hören. Für den Bruchteil einer Sekunde schien draußen das Firmament zerreißen zu wollen. Lautlos spaltete ein Blitz die Dunkelheit der Gewitterwolken; kurz darauf krachte der Donner und erstarb grollend als Echo zwischen Strand und Bergen. Frederick Carrad zog den Rauch tief in die Lungen und sah aus dem Fenster, das rings um die Wände des Raumes lief. Wieder blitzte es, und ganz kurz schälten sich die vertrauten Bilder aus der Finsternis. Der geschwungene Strand von Saburi Beach, die Wellen des aufgewühlten Meeres und die sturmzerzausten Palmen. Frederick lächelte spöttisch. Noch halte der Mensch nicht die Kontrolle über die Natur und deren Willkür übernommen, noch stürmte und gewitterte es. Vor zwanzig Minuten war der Besucher gegangen. Pieter Don Vessac, Carrads ältester und bester Freund, Raketenpilot und Raumschiffer, Flugzeugkonstrukteur . . . er hatte sich in rund einem Dutzend verschiedener Berufe versucht. Jetzt flog er die Kuriermaschine von Terra Historischer Forschung. Was hatte er gesagt? „Das ist nun alles, was du in einundvierzig Jahren deines Lebens erreicht hast, Frederick Carrad. Leiter von Terra Historischer Forschung und Besitzer eines Sportwagens mit Kunststoffkarosserie. Ist das alles?“ Und Carrad hatte antworten müssen: „Das ist alles, Pieter. Ich bin offensichtlich nicht dazu geboren worden, ein unruhiges Leben zu führen. Träume — ja. Aber keine Taten. Ich fülle hier ruhig meinen Posten aus und versuche, zusammen mit SIGMAVAC, die Geschichte Terras zu entschleiern und die Ergebnisse zu ordnen.“ Don Vessac saß da, die Beine bequem übereinandergeschlagen, eine unangezündete Zigarette in den Fingern, balancierte ein Whiskyglas auf dem Knie und grinste. Er sah verwegen aus in seiner weißen Kleidung aus synthetischem
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Leder, den Stulpenstiefeln und dem flachen Strahler am Gürtel. Er grinste ausgesprochen impertinent. „Dein häßliches Grinsen geht mir auf die Nerven, Pieter“, sagte Carrad. „Wenn du schon deinen Schnaps nicht ohne Kommentar trinken kannst, versuche wenigstens konstruktive Kritik.“ Pieter Don Vessac lachte. „Das, mein Freund, wird sich als nicht nötig herausgestellt haben, sobald du das hier durchgearbeitet hast. Ich bin deswegen vor fünf Minuten auf eurem Miniaturraumhafen gelandet. Ich komme direkt aus Europa, der Wiege der Kultur — und manch anderer Dinge. Fredericks Gesicht blieb starr und unbewegt wie immer. „Deine bodenlose Überheblichkeit wird nur noch von der Gabe übertroffen, in Rätseln zu sprechen. Worum geht es hier?“ „Lies selbst“, sagte Vessac. „Ich habe so den leisen Verdacht, daß du die längste Zeit einen ruhigen Posten in Saburi Beach innegehabt hast.“ Er trank sein Glas leer und schnippte elegant die Zigarettenasche in den Becher. „Entweder du redest jetzt vernünftig oder du fliegst raus“, sagte Frederick. Pieter wurde ernst und beugte sich vor. „Das, was ich dir jetzt in groben Umrissen erzählen werde“, sagte Pieter Don Vessac leise und akzentuiert, „ist geheim. Es ist so geheim, daß meine Kurierrakete von zwei Robotjägern begleitet wurde, vom Start bis zur Landung. Sie hatten den Befehl, jede Maschine, die sich bis auf einen halben Kilometer nähert, anzugreifen. Ist das genug?“ Frederick blickte aufmerksam auf Vessac. „Du findest augenblicklich keinen aufmerksameren Zuhörer“, sagte er. „Bitte weiter.“ „Wenn das, was ich hier auf deinen Schreibtisch gelegt habe, den Vermutungen entspricht, die man allerorts hegt, dann leitet es nichts weniger als eine neue Phase der menschlichen Entwicklung ein.“ „Der menschlichen Entwicklung?“ fragte Frederick. Er verlor etwas von seiner Selbstbeherrschung. „Ja.“ Beide schwiegen etwa eine Minute, dann sprach Vessac weiter. „Die Menschheit wird erfahren, daß sie weder durch einen göttlichen Schöpfungsakt noch durch gewisse Gesetzmäßigkeiten der Natur entstanden ist.“ „Sondern?“ fragte Frederick gedehnt. „Durch Aussaat!“ sagte Pieter Don Vessac hart. Die Möglichkeit, daß diese These richtig sein könnte, warf ein sechstausend Jahre altes Weltbild um, das scheinbar durch zahllose Fakten erhärtet und bewiesen worden war. „Die Vorgeschichte . . .“, verlangte Frederick zu wissen. Bedächtig drückte Vessac seine Zigarette aus und sah aus dem Fenster, hinter dem der Himmel langsam dunkler und düsterer wurde. „Als ich heute nachmittag startete, um hierher ins Zentrum zu fliegen, hatte dies eine ziemlich symbolische Bedeutung. Einer unserer Agenten war anwesend, als man in Europa ein verschollen geglaubtes Klosterarchiv öffnete.“ „Du sagtest: Klosterarchiv?“ fragte Frederick. „Du hast richtig gehört. Eine Riesensammlung alter Folianten, in lateinischer Sprache abgefaßt. Teilweise werden die Blätter, wenn du erst einmal die Originale hier hast, durch Spezialverfahren leserlich gemacht werden müssen. Teilweise wirst du sie noch entziffern können. Ich habe alles kopiert und hierhergeflogen. Alles liegt vor dir auf dem Schreibtisch.“ Pieters Zeigefinger wies auf den Haufen von Kopien, die vor Frederick
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lagen; ein Stoß von rund fünfzehn Zentimetern Höhe. „Es sind eine Menge von Abrechnungen über die wirtschaftliche Leitung des Klosters, einige liturgische Werke, einige abgeschriebene und kommentierte Klassiker und die Klosterchronik. Die Chronik selbst ist am besten erhalten. Du wirst es gleich selbst sehen“, fuhr Don Vessac fort. „Wir kopierten jedes einzelne Blatt. Es wird für euch Historiker und für SIGMAVAC eine helle Freude sein, in den Aufzeichnungen zu lesen. Die damaligen Schreiber arbeiteten mit einer geradezu wissenschaftlichen Akribie.“ Ruhig beobachtete Frederick Carrad die Veränderung, die mit Pieter vor sich ging. Die Freunde kannten sich schon seit fünfzehn Jahren, und jedesmal staunte Frederick wieder, wie sehr sich Pieter für eine Sache einsetzen konnte. Aus dem eleganten, lässigen Piloten wurde ein Fanatiker der Sache, der mit knappen Gesten seine Ausführungen unterstrich und jede Ironie fallengelassen hatte. „In dieser Chronik stand zu lesen, daß ein ketzerischer Mitbruder von einem plötzlichen Kugelblitz erschlagen worden ist. Einer der Mönche, der mit wissenschaftlicher Arbeit beschäftigt war, wurde mitten im Refektorium getötet.“ „Das ist alles noch ziemlich dunkel“, sagte Frederick, und kein Muskel rührte sich in seinem Gesicht. „Vermutlich wird meine Geschichtsabteilung Arbeit bekommen.“ „Kaum“, sagte Pieter knapp. „Das wirst du ganz allein bearbeiten, zusammen mit SIGMAVAC — und einem Kode, den außer dir niemand kennt. Wir sind einer Sache auf der Spur, die wie eine Bombe einschlagen würde. Nichts darf aus diesen Mauern herausgetragen werden.“ „Gut“, sagte Frederick. „Ich werde sehen.“ „Zunächst werdet ihr die Übersetzung aus dem Kirchenlatein machen müssen“, sagte Pieter weiter. Er sprach jetzt schneller, eindringlicher. „Dieser Klosterschreiber war seiner Zeit um genau viertausend Jahre voraus. Er und seine Ideen hätten heute leben können. Er stellte eine Theorie auf, die alles in den Schatten stellt, was du oder ich je über Schöpfungsgeschichte gehört haben.“ Frederick schob das Kästchen mit den Zigaretten über den Tisch, und Pieter bediente sich. „Dieser Mönch wäre mit Schimpf aus der Bruderschaft verstoßen worden, wenn das, was er schrieb, vor seinem gewaltsamen Tod bekanntgeworden wäre. Der Abt hätte ihn ausgestoßen und verdammt. Der Chronist aber hat gewissenhaft berichtet, welche Gedanken schriftlich niedergelegt wurden. Hier folgt ein Auszug aus der ketzerischen Schrift. Darin erklärte der bewußte Bruder folgendes: Er habe erfahren, daß die Rasse der Menschen nicht göttlichen Ursprungs sei. Ein anderes Volk sei in großen Booten auf der Erde gelandet und habe die Menschheit ausgesät. Der einzige Zweck war aber, Sklaven zu züchten.“ „Bis jetzt sind die Gedanken nicht neu“, warf Frederick ein. „Nein“, erwiderte Pieter Don Vessac, „aber jetzt kommt das Wesentliche. Die andere Rasse sei viel älter als alles, was man sich vorstellen könne, schrieb der getötete Mönch. Sie sei nicht nur auf der Erde gelandet, sondern auch auf drei anderen Welten. Der Mönch wußte sogar, welche Sternbilder dafür in Frage kamen. Er zeichnete einige Konstellationen auf, und der Chronist zeichnete sie exakt ab, wie er ausdrücklich selbst dazu bemerkte.“ „Das klingt allerdings unglaublich“, sagte Frederick nachdenklich. „Und das
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alles stammt aus dem europäischen Mittelalter?“ „Die letzte Jahreszahl ist mit Anno Domini elfhunderteinundfünfzig angegeben.“ „Also das Jahr“, warf Frederick ein, „in dem eine Hildegard von Bingen Liber Scivias schrieb!“ „Was ist das?“ „Eine Mischung aus apokalyptischen Visionen, Bußpredigten und prophetischen Gesichten“, führte Frederick aus. „Seltsam!“ Schweigend nickte Pieter. „Der Chronist fährt fort“, sagte er. „Nachdem sein Bruder die Plätze genannt hatte, nannte er auch drei Namen — diejenigen der anderen Welten. Kelaher . . . Dodoyna . . . Norcai. . . Die vier Rassen sollten aufwachsen, sich gegen Umwelt und Naturgewalten durchsetzen und sich eines Tages treffen. Das sei die Zeit der Reife und der Ernte. Dann werden sie gemeinsam entdecken, daß ein Gebiet der himmlischen Sphären von Fremden besetzt ist. Diese Fremden sollen vertrieben werden, wie es der Wille jener uralten Säer sei. Dann haben die vier Rassen ihren Daseinszweck erfüllt und werden belohnt. Das und nichts anderes steht in jenen Blättern der Chronik, die mir auffielen, als ich die Berichte las.“ Frederick schwieg und blickte seinem Freund ins Gesicht. „Und was sagst du als normaler Sterblicher dazu?“ „Noch nichts. Ich werde natürlich die Analysen abwarten müssen. Ich gehöre zu dem Kreis der Eingeweihten, der jetzt sieben Personen umfaßt. Mehr dürfen es nicht werden. Es kann eine reine Phantasie sein, aber es kann auch hundertprozentig stimmen. Mich würden — wie vermutlich jeden von uns — die Quellen interessieren, aus denen der Mönch sein Wissen bezog.“ „Mich auch“, sagte Frederick. „Ich werde heute, morgen oder in den nächsten Tagen diese Quellen entdecken. Und es wird sich herausstellen, ob dieser Mann phantasiert oder die reine Wahrheit gesagt hat. Sollte es die Wahrheit sein ...“ „Woran ich persönlich stark glaube“, warf Pieter ein und stand auf. „. . . dann wird SIGMAVAC eine Analyse machen. Diese Analyse ist entscheidend. Wenn das alles stimmen sollte, dann hat Terra seine gesamte extra-planetare Kolonisation mitten im Lager der Feinde betrieben. Das ist Sprengstoff für unsere Welt.“ Pieter lachte grimmig. „Besonders für die Welt im Stadium der augenblicklichen Desinteressiertheit. Und du stehst an der Spitze einer Gruppe, die dieses Wissen mit sich herumtragen wird. Es scheint, wie ich eingangs bereits erwähnte, mit deinem ruhigen Forscherleben zu Ende zu gehen.“ „Es scheint“, sagte Frederick gelassen. „Noch ist nichts entschieden. Du willst gehen?“ „Ich muß“, sagte Pieter und zog sich den linken Handschuh an. Der weiße Pilotenhelm saß bereits auf dem fast kahlen Kopf des Kuriers. „Ich muß, weil ich sonst mitten in das Gewitter hinein starte. Und das ist nicht sehr angenehm.“ „Gut“, sagte Frederick. „Du meldest dich wieder?“ „Davon kannst du überzeugt sein“, sagte Pieter, drückte Frederick die Hand und verließ den Raum. „Bis bald“, rief er von der Tür her. Drei Minuten später brüllten die Triebwerke der Kurierrakete los, und Pieter Don Vessac startete und befand sich Sekunden später über der schwarzen, niedrigen Gewitterwolke . . . Seit diesem Zeitpunkt saß Frederick Carrad lautlos an seinem Schreibtisch und wartete darauf, daß der Blitz eine
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der schwankenden Palmen spalten würde. Jetzt tobte das Gewitter — schwarz, geräuschvoll und einzigartig in seiner Gewalt — direkt über Terra Historischer Forschung am Strand von Saburi. Blitze zuckten rings um die Glaskuppel, unter der sich niemand außer dem Wachroboter aufhielt. Der Donner krachte, und der Regen schlug fast waagrecht gegen die Scheiben, riß den sorgfältig gefegten Sand auf, tränkte die Erde der Beete und verwandelte den Dschungel, der nicht ganz zweihundert Meter hinter den Forschungsgebäuden begann, in eine triefende Wildnis. Frederick Carrad überlegte. Die Zigarette verglühte qualmend am Rand des schweren Aschenbechers. Der Raum war immer noch dunkel, aber unmerklich wanderte die Gewitterwolke ostwärts. Der dichte Regen ergoß sich über die Berghänge, und die aufgeregten Wogen glätteten sich wieder. Kanus waren von der Brandung weit über den Strand hinaufgeworfen worden und lagen jetzt da wie schwarze, halbe Kokosnüsse. Zwischen der Kimm und der Wolke bildete sich ein breiter, strahlender Streifen. Die Sonne kam wieder hervor. Gleichzeitig entstand im Osten ein vollkommener Regenbogen. Er leuchtete in den Spektralfarben und schien dem Gestirn die letzte Kraft zu rauben. Wie eine riesige Orange senkte sich die Sonnenscheibe hinter den Horizont, Natürlich hatte Pieter Don Vessac recht gehabt — wie fast immer. Das Problem, mit dem sich Frederick Carrad herumschlug, war rund zwanzig Jahre alt. Frederick hatte bisher ein Leben gelebt, das erfolgreich war, aber ohne Abwechslung. Er war Leiter von Terra Historischer Forschung, nicht weniger und nicht mehr. Er hatte viele Dinge dieses Lebens kennengelernt, aber nur kurz. Und er hatte jedes Mal festgestellt, daß andere Männer für dieses Gebiet besser geeignet waren. Frederick war kein Abenteurer, aber er besaß das Blut eines solchen. Die Gelegenheiten, die er ergreifen konnte, waren nicht die ihm gemäßen. Es schien, als habe sich eine gewaltige Aufgabe versteckt und wartete darauf, daß Frederick Carrad sie in die Hände nahm. Die Sterne . . . Seit zwanzig Jahren träumte Frederick davon. Aber die Historiker, die Anthropologen und die Ethnologen, sie waren Abenteurer. Und so war Frederick eine Leiter des sozialen Erfolges heraufgestiegen bis zu dieser Stellung. Jetzt saß er hier und dachte nach. Und sah zu, wie sich der Himmel wieder klärte. Ein Knopfdruck bewirkte zweierlei Dinge. Zuerst gingen die Fenster auf und ließen die frische, kühle Luft des afrikanischen Strandes in das Büro, das gleichzeitig Labor war. Dann verwandelte sich die Scheibe des Pultmonitors in einen Spiegel. Frederick sah hinein, schweigend und mit unbewegtem Gesicht. Ein Mann von einundvierzig Jahren blickte zurück; ein schmales, bronzenes Gesicht mit einem Helm kurzer, weißer Haare. Dunkle Augen sahen kühl und abwägend drein, und eine feine Narbe verlief fast vom Ohr bis zum Kinn entlang des Randes des Unterkiefers. Frederick begann zu lachen. Es war ein offenes, ehrliches Lachen, das etwas von der Ausgeglichenheit seiner Persönlichkeit zeigte. Die Finger bewegten sich um einige Zentimeter und drückten einen anderen Knopf, ließen diesen wieder los. Das Gesicht eines Roboters bildete sich auf dem Schirm aus. Die grünen Augen der Maschine sahen Frederick an. „Ich brauche eine Kanne Kaffee, eine Schachtel Zigaretten und Ruhe. Heute und morgen bin ich für niemanden zu
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sprechen — ausgenommen Kerstin Randel. Verstanden?“ „Selbstverständlich. Einen Moment, bitte!“ Es dauerte vier Minuten, bis die Maschine durch die unsichtbare Tür kam und das Gewünschte auf die Tischplatte stellte. Frederick nickte und sagte: „Die nächsten beiden Tage ist SIGMAVAC für jeden anderen Auftrag gesperrt. Ich brauche die Maschine für mich allein.“ „Entsprechende Direktiven werden morgen früh ergehen“, antwortete der Robot. „Gut“, sagte Frederick, „du kannst gehen.“ „Sehr wohl, Herr.“ Das Büro war gleichzeitig Labor und Endstück von SIGMAVAC. Hier standen die Bildtische, auf denen die Maschine lesen konnte. Hier waren der Kartensprecher, die Korrespondenzlautsprecher und die Mikrophone, die Schreibapparatur und die farbigen Schnellkopiergeräte. Die Maschine konnte hier empfangen und senden — und das auf die umfangreiche und komplizierte Art. Es gab nur acht andere Typen dieser Größe; eine davon stand in der Raumüberwachung, die andere befehligte das Kommunikationsnetz des Schiffsfunks und die anderen standen auf fremden Planeten. Frederick schüttete sich eine Tasse voll, rührte Zucker und Milch hinein und zündete sich noch eine Zigarette an. Dann schaltete er die Lampen ein; eine über dem Schreibtisch und eine andere vor der Maschine. Er legte die Füße auf den Tisch und nahm sich die Klosterchronik auf den Schoß. Er begann zu lesen. Einhalb elf Uhr nachts . . . Frederick Carrad saß zwischen den Aufnahmetischen von SIGMAVAC und schwitzte leicht. Zuerst hatte er die Maschine gebeten, diejenigen Zellen zu aktivieren, die europäisches Mittelalter gespeichert hatten. Dann wurde die Übersetzungsabteilung eingeschaltet. Frederick Hatte seit zwei Stunden nichts anderes getan, als Blatt für Blatt die Kopien der handgeschriebenen Klosterchronik vorgelegt. SIGMAVAC absorbierte den Inhalt wie ein Staubsauger — ein gigantischer Staubsauger, dessen halbmechanische Teile sich vierhundert Quadratmeter unter dem Zentralgebäude verbargen, siebzehn Meter tief eingebettet waren und von einem Mesonenkonverter gespeist und geheizt wurden. SIGMAVAC nahm den Inhalt der Blätter auf, übersetzte den Text, der vor viereinhalbtausend Jahren geschrieben worden war und druckte ihn auf Bögen, die sich an einer anderen Stelle stapelten. Dann begann Frederick die Unterhaltung. „Du hast den Inhalt dieser Klosterchronik aufgenommen und übersetzt. Ist die Analysemechanik eingeblendet?“ „Sie läuft bereits“, sagte SIGMAVAC lebhaft. Seine Stimme besaß große Modulationsfähigkeiten. „Vergleichend mit den gemachten vieler vorangegangener Analysen — ist dieser Text gefälscht oder zu der angegebenen Zeit geschrieben worden?“ „Der Text der Chronik ist authentisch. Er wurde im Jahre elfhundertfünfzig geschrieben. Die Handschrift ist die des Schreibers, der dieses Amt zehn Jahre lang innehatte.“ Frederick wartete etwas, dann fragte er: „Es ist die Rede von einem Kugelblitz, der einen Mönch tötete. Was ist davon zu halten?“ „Mit hoher Wahrscheinlichkeit“, sagte die Maschine, machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „ist es kein Blitz gewesen. Die Wahrscheinlichkeit
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beträgt achtundneunzig Prozent für einen Schuß aus einer damals unbekannten Waffe. Etwa ein Strahler oder ein Detonator!“ „Wie fandest du diesen Fakt heraus?“ fragte Frederick atemlos. „Durch Analyse. Die fehlende Erwähnung eines Gewitters und die Unmöglichkeit, durch die Gewölbe durchzudringen. Ein Blitz hätte, wenn er explodiert wäre, Schäden angerichtet. Der Schuß zertrümmerte jedoch nur eine der winzigen Scheiben — das wurde erwähnt.“ „Analyse!“ verlangte Frederick Carrad. „Die Chronik ist echt. Papieranalyse unmöglich, da nur Kopien zur Verfügung. Sicher ist ferner, daß der Mönch von einer unbekannten Macht oder deren Vertreter beseitigt worden ist, weil seine Vermutungen richtig waren. Wahrscheinlichkeit für diesen gesamten Komplex ist achtundneunzigkommafünf.“ „Danke“, sagte Frederick. „Nun weiter.. . Die Konstellationen sind bekannt. Berechne bitte, unter Berücksichtigung der verflossenen Zeitabstände die heutige Stellung der Sternbilder, gib, soweit dies bekannt ist, die Daten der betreffenden Sonnen an. Versuche, die Möglichkeit herauszufinden, ob diese Sonnen Planeten haben, wenn ja, wie viele. Rechne!“ Eine Viertelstunde lang war nichts anderes zu hören als dieses wispernde Geräusch, das anzeigte, daß SIGMAVAC auf Hochtouren arbeitete. Frederick trank eine weitere Tasse Kaffee, lockerte sein Halstuch und sah zu, wie die Kontrollen des kleinen Pultes aufleuchteten und wieder erloschen. Dann hörte das Wispern auf, um einer Stille Platz zu machen. „Fertig?“ fragte der Mann. „Jawohl“, gab die Maschine zur Antwort. „Nördlicher Sternhimmel. Sternbilder sind: Dreieck oder Triangulum, Perseus und Draco, der Drache. Die eingezeichneten und hervorgehobenen Sonnen sind alle innerhalb der Galaxis, der auch unsere Sonne angehört. Der erste Stern ist die Sonne Heintz VII Trianguli. Der zweite ist Perseus Tuson II, und der dritte Colemans Sonne im Drachen. Noch keine dieser Sonnen ist von terranischen Kolonisatoren angeflogen worden. Von Heintz und Tuson kennt man je drei Planeten. Die Daten des dritten Systems sind unbekannt. Die Koordinaten aller drei Sonnen befinden sich in den entsprechenden Handbüchern der Raumfahrt. Soll ich eine Internverbindung mit SIGMATRON II Spacecontrol herstellen und die Daten erfragen?“ „Ist nicht nötig. Die Namen der Planeten . . .“, flüsterte Frederick aufgeregt. Auf seiner Stirn standen die Schweißtropfen, und seine Finger zitterten leicht. Ungeheure Perspektiven taten sich durch diese Auskünfte auf. Unabsehbare Konsequenzen erwuchsen . : . „Kelaher. Mit rund achtzigprozentiger Sicherheit stammt dieses Wort aus dem Sprachschatz der Völker, die in der Richtung des Triangels entdeckt worden sind. Ebensolche Sicherheit ist vorhanden bei Norcai. Dieses Wort dürfte den Stamm Nor haben, Norday, Norbay und Norcay, das sind Begriffe aus der Mythologie der Perseiden. Dodoyna — kenne ich nicht. Ich bin für vergangene Geschichte programmiert worden, nicht für extraterrestrische. Vermutlich ist dies ein Begriff aus einer Welt, die in der Richtung des Drachen liegt, vorausgesetzt eine gewisse Ausbreitung der betreffenden Rassen.“ „Das heißt also . . .“, begann Frederick. „Nein — fasse zusammen!“
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Wieder fing SIGMAVAC an zu wispern und zu arbeiten. Milliarden einzelner Zellen korrespondierten miteinander, verglichen ihre Informationen, stimmten die winzigen Steinchen eines gigantischen Mosaiks aufeinander ab und kamen dann zu einem Entschluß. Das Mosaik war fertig. „Schreibe bitte die Ergebnisse auf. Nicht länger als eine Seite der Normbögen!“ verlangte Frederick Carrad. Er schob seinen Stuhl dort hinüber, wo die Lichtschreibanlage zu ticken begann. Die einzelnen Buchstabenblocks, bereits zu Wörtern zusammengestellt, preßten sich auf den Spezialkunststoff. Die Maschine benötigte hundertfünfzig Sekunden, um ein Blatt vollzuschreiben. Die Kontrollfarben erloschen. „Fertig!“ verkündete die Stimme SIGMAVACS. Frederick Carrad nahm das Blatt aus der Halterung und begann zu lesen: „Vorbehaltlich einer bestätigenden Analyse bei Verwendung des authentischen Originalmaterials kann SIGMAVAC folgende Behauptungen aufstellen und auch beweisen: Die Handschrift ist echt. Personen und Daten von Chronist und Confrater sind richtig und nachweisbar. Diktion und Verwendung der entsprechenden Vokabeln, Wendungen und Charakteristika der lateinischen Sprache im Kulturkreis des europäischen Mittelalters sind richtig und nachweisbar. Zur Sache: Der Mönch hatte keine Visionen, sondern bezog seine Vermutungen aus aufgefundenen Resten eines Raumschiffs, aus Fragmenten oder der persönlichen Begegnung mit einer Kontrollperson dieser fremden Rasse. Seine eigenen Motivationen sind ziemlich dürftig, aber die Kühnheit der Gedanken — gemessen am Weltbild der damaligen Zeit — läßt den Schluß zu, daß er anhand von authentischem Material arbeitete und Thesen aufstellte. Ich vermute schriftliche Aufzeichnungen oder Bilder, die überdauert haben — oder zu früh aufgefunden worden sind. Der Mönch wurde beseitigt, weil die Zeit für dieses Wissen noch nicht reif war. Heute ist sie gegeben, da mindestens die Erde das Prinzip des Sternenflugs kennt. Kugelblitz oder natürliche Einwirkungen scheiden aus. Die Wahrscheinlichkeit, daß suchende Raumschiffe auf nachstehend aufgeführten Planeten Leben finden, ist sechsundachtzig zu vierzehn. Hier folgten die Daten der drei Planeten und ihrer Sonnen. Alle Koordinaten sind in den entsprechenden Handbüchern festgelegt. Kelaher, Dodoyna und Norcai sind Idiome aus Sprachen, die teilweise aufgenommen und analysiert wurden. Vermutlich trafen die Schiffe auf Planeten, die abgesprengt wurden und die Raumfahrt nicht mehr beherrschten. Über die Folgen für den irdischen Kulturkreis ergehen gesonderte Prognosen.“ „Das befürchte ich“, sagte Frederick. Es war zwei Uhr nachts. Die Augen des Mannes tränten leicht, und die Zigaretten waren fast aufgebraucht. Er wandte sich zum Mikrophon. „SIGMAVAC - über das eben geführte Gespräch ergeht Kode Rot Eins. Niemand außer mir darf sich mit dir über alle diese Fakten unterhalten, Auskünfte verlangen, Analysen machen oder Fakten verlangen. Sollte ich verunglücken, darfst du dein Wissen weitergeben, aber nur dann, wenn der Kurier Pieter Don Vessac anwesend ist. Auch über seine Identifikation wird Kode Rot Eins verhängt. Verstanden?“ „Vollständig!“ antwortete SIGMAVAC. „Wiederhole bitte“, sagte Frederick. Das Gehirn tat es und schwieg dann.
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„Ich werde jetzt gehen und morgen ziemlich spät wiederkommen. Du bleibst eingeschaltet und wartest darauf, daß der Kurier das Originalmaterial bringt. Dann wird die zweite Analyse erfolgen.“ „Jawohl!“ sagte die Maschine, löschte ein Drittel ihrer Kontrollichter und zog sich von den Korrespondenzpulten zurück, indem sie die entsprechenden Verbindungen löste. Frederick schaltete die Lampe über dem Pult aus und fuhr seinen Sessel zur Seite. Dann nahm er alles Material mit Ausnahme des Bogens mit der schriftlichen Analyse und legte es schweigend in ein Fach des gewaltigen Panzerschrankes. Die Kennziffern wurden eingestellt, ein Elektromotor schwang die Stahltür zurück und verriegelte sie, bis Frederick die Öffnungsformel tippen würde. Dann verließ Frederick Carrad das Büro und trat auf den breiten Korridor hinaus. Alles war dunkel, nur wenige Photozellen wachten mit ihren unsichtbaren Strahlen. Sie stellten fest, daß ein Mensch hier entlangging und schalteten automatisch die Beleuchtung ein. Breite Lichtbänder sprangen klickend an und tauchten Korridor und Glaskuppel in helles Licht. Frederick strich mit der rechten Hand leicht über den Kontakt und wartete, bis sich die Stahltür geschlossen hatte. Drei Quadratmeter Stahl, mit dunklem Holz furniert, schoben sich nahezu geräuschlos in die Lager zurück. Müde bewegte sich Carrad quer durch die Glaskuppel. Eine Uhr zeigte drei Uhr nachts an. Die Augen des Wachroboters glühten grün auf; sie erkannten Frederick Carrad, aber nicht an dessen Aussehen. Im Mittelfinger der rechten Hand war eine winzige Sonde einoperiert worden. Sie öffnete sowohl diamagnetische Säume als auch Strahlensperren, Wohnungstüren, Schränke oder Koffer. Jeder Einwohner der Erde hatte sein individuelles Muster. „Sie können passieren, Frederick Carrad“, sagte der Robot höflich und ließ das Strahlengitter zusammenfallen. Carrad durchschritt die tödliche Sperre und gelangte ins Freie. Bleiches Mondlicht beleuchtete Saburi Beach. Eine scheinbar unberührte Landschaft an der Westküste des großen Kontinents. Zwischen dem langen Bogen des Strandes aus fast weißem Sand und dem Dschungel, der sich an den Hängen des flach ansteigenden Bergmassivs ausbreitete, war Terra Historische Forschung gebaut worden. Von der halbkugeligen Glaskuppel gingen in rechten Winkeln die flachen Bungalows weg, die die verschiedenen Büros, Labors und Werkstätten enthielten. Dahinter erhob sich der monolithische Block des Schwarzen Felsens. Carrad ging schnell auf den kleinen Parkplatz zu, der nur zweihundert Meter von dem kombinierten Raum- und Flughafen entfernt war. Nur sein niedriger, weißer Sportwagen stand darauf. Die anderen Angestellten benutzten keine Automobile mehr, es war ein Sport für Individualisten geworden, seitdem es Transportbänder und Flashkabinen gab. Der Motor brummte auf, und dreihundert Pferdestärken zogen den Wagen in die geschwungene Kurve, die auf die breite Uferstraße hinausführte. Frederick bog ein, schaltete den nächsthöheren Gang ein und raste los. Fast jeden Tag versuchte er, seinen eigenen Rekord einzustellen. Eine Uhr tickte am Armaturenbrett, und die vier Scheinwerferstrahlen fraßen sich in das Dunkel oberhalb des hellen Bandes der Straße. Die Räder kreischten in den Kurven. Zwanzig Minuten benötigte Carrad, bis er vor dem Hochhaus stand. Der Wagen wurde geparkt, und Frederick fuhr
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hinauf in seine Wohnung im fünfundachtzigsten Stock. Minuten später schlief Carrad, und seiner Hand entglitt das Blatt mit der niedergeschriebenen Analyse SIGMAVACS. Eine gelbe Lampe brannte bis zum Morgen und spät in den Tag hinein. Fünf Tage später zerbrach ein Weltbild. Es zerbrach lautlos, denn nur sieben Menschen wußten, worum es ging. Aber es zerbrach nachhaltig. Vier Tage lang arbeitete SIGMAVAC auf Hochtouren. Das Gehirn sondierte pausenlos Material, das Pieter Don Vessac herangeflogen hatte. Die verstaubten und stockfleckigen Folianten des Klosters wurden Seite für Seite präpariert und dann dem Gehirn zur Lektüre vorgelegt. Inzwischen war die Gegend des Klosters abgesperrt worden, und dreihundert Archäologierobots siebten jeden Kubikzentimeter des Bodens ab. Und der erstaunliche, unerwartete Zufall trat ein. Man fand es. „Es“ war vermodert und halbverrostet. Aber der Qualitätsstahl, der das Innere geschützt hatte, war mit Kunststoff verstärkt worden. Dieser Kunststoff hatte Feuchtigkeit, Nässe, Bodenbakterien und unzählige Tiere abgehalten. Die Robots stellten ihre Arbeit ein, und die Restauratoren gingen an die Arbeit. Die nahezu unerschöpflich großen Geldmittel, die Terra für Forschung und Wissenschaft ausgab, ließen den einstmals gigantischen Bau des romanischen Klosters wieder auferstehen. Die Rekonstruktion gelang völlig. Vergleichende Synthesen aus noch vorhandenen Relikten — Wandmalereien, Deckenzierat, Schmuck und Bautechnik — mit der Beschreibung der Klosterchronik ließen das Kloster wieder im Urzustand entstehen. Nach zwanzig Monaten Bauzeit würden die Besucher staunend vor dem Meisterwerk stehen und nicht ahnen, daß hier die Geburtsstunde einer neuen Idee geschlagen hatte. Einer Idee, die einige Kilometer wissenschaftlicher Literatur und einige tausend Jahre der Forschung als vergebliche Mühe auswies. Die Menschheit hatte sich nicht entwickelt, sondern sie war durch Aussaat entstanden. Das stand fest. „Es“ war nichts anderes als ein Auftrag, den ein Raumschiff vor einigen tausend mal tausend Jahren erhalten hatte. Niemand konnte mehr feststellen, wie dieser Auftrag in die Hände des Mönches gelangt war, und wer ihn verloren hatte — wo und wann. „Mich friert es, wenn ich daran denke, was hier geschrieben steht. Und ich zittere, wenn ich an die Konsequenzen denke“, sagte Frederick zu der Chefsemantikerin von Terra Historischer Forschung. Kerstin Randel saß neben ihm und Pieter Don Vessac. „Ich kann mir nur denken, daß der Pilot oder Chef des Raumschiffs das vor einer Million Jahre auf Terra landete, dieses Dokument verlor. Vermutlich hat er es nicht vermißt — das bedeutet, daß der Auftrag erledigt war. Die Erde war der letzte Planet, der mit Saatgut versehen worden ist. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ich pflegte nach durchgeführtem Auftrag die Schiffsführung meinem Ersten Offizier anzuvertrauen und mich in stille Betrachtung zu versenken“, sagte Pieter und musterte Kerstin lange und eingehend. Das Mädchen war achtundzwanzig Jahre alt, sehr klug und trug ganz kurz geschnittenes Haar. Sie war blond und schlank. „Sadoveana“, sagte Frederick. „Norcai — Kelaher — Dodoyna“, murmelte Pieter. „Was nun?“ „Schweigen oder alles hinausschreien?“ fragte Kerstin leise.
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„Erst einmal lange überlegen“, sagte Frederick fest und bot Zigaretten an. Die drei Menschen rauchten langsam und schweigend. Auf ihren Schultern lag bis jetzt die Last dieser furchtbaren Erkenntnis. In dem Moment, da die Öffentlichkeit davon erfuhr, waren sie zwar der Verantwortung ledig, aber wahrscheinlich bekam die Raumgarde die Sache in die Kände. Und Militär war hier besser nicht einzuschalten. „Wir erpressen El Safi Ali Ismail!“ schlug Pieter trocken vor. Frederick sah auf und begegnete dem keineswegs spöttischen Blick des Kuriers. Dann hob Don Vessac die Brauen und musterte wieder Kerstin von der Seite. Frederick warf seinem Freund einen bezeichnenden Blick zu. Pieter verstand, grinste verwegen und machte eine gleichgültige Handbewegung. Kerstin hatte nichts davon bemerkt. Frederick lächelte knapp. „Stellen wir uns folgendes vor!“ begann Carrad. „Diese Rasse von Sadoveana hat also die Bevölkerung der drei Planeten und der Erde geschaffen oder mitgeschaffen. Terra, Norcai, Kelaher und Dodoyna. Diese vier rassischen Typen gleichen sich bis auf unbedeutende Einzelheiten. Nach der Planimg — und deine Abteilung hat zusammen mit SIGMAVACS Semantikblöcken hervorragende Dechiffrierarbeit geleistet — sollen sie auch untereinander fortpflanzungsfähig sein!“ Kerstin nickte, und Pieter grinste wieder. „Das eröffnet, sobald es bekannt ist, der Fremdenverkehrsindustrie ungeahnte Perspektiven.“ Frederick winkte ab. „Du hast recht, aber das ist nicht wesentlich“, sagte er. „Das meinst du“, erwiderte Pieter nüchtern. „Trotzdem: Wenn sich diese vier Typen treffen, und das setzt voraus, daß mindestens eine der Rassen den Finalantrieb kennt und beherrscht, werden sie feststellen, daß die Galaxis von Fremden besiedelt wird oder ist. Von Fremden, die allerdings viertausend Jahre oder länger Zeit hatten, ihre Planeten und Kolonien zu befestigen. Diese Fremden sollen vertrieben werden, wobei sich die Frage erhebt: Sollen sie vertrieben werden?“ „Das werden wir an Ort und Stelle feststellen“, sagte Pieter grimmig. „Ich sehe mich bereits als Raumadmiral der Vereinigten Truppen. Imposant!“ „Dir fehlt jeder wissenschaftliche Ernst“, sagte Frederick und lachte, während er sich Pieter als Raumadmiral vorstellte. „Es ist sinnlos, über diese Dinge zu debattieren“, schlug Kerstin vor. „Unterhalten wir uns lieber darüber, wie wir es anstellen, die anderen drei Rassen zu treffen.“ „Ich schlage hier ein Raumschiff vor“, sagte Pieter. „Sie sind sehr originell“, sagte Kerstin lächelnd und wandte sich an den Kurier. „Stimmt“, bestätigte Pieter. „Ich denke, wir gehen zu El Safi und erzählen ihm alles. Dann soll er uns ein Schiff mit Mannschaft und einem guten Kapitän zur Verfügung stellen. Wir gehen auf die allerinteressanteste Reise, die je ein Sternenschiff gemacht hat. Wir treffen auf Norcai, auf die Kelaher und die Dodoynaer. Wir überzeugen sie von der Richtigkeit unserer These — und sie werden vermutlich auch schon Erfahrungen in dieser Richtung gemacht haben. Ein gemeinsames Schiff wird ausgerüstet und fliegt los, in Richtung auf Sadoveana. Dort stellen wir unsere Schöpfer zur Rede. Das ist mein Vorschlag. Weiß jemand einen besseren?“ „Hört sich alles nicht schlecht an. Sollen wir es versuchen?“
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Frederick fragte mehr sich selbst als die anderen. Kerstin hob die Hand und machte einen Einwand. „Ich kenne El Safi flüchtig. Ich glaube, er ist der Mann, der über die Sache lange genug schweigen kann — zumindest so lange, bis sich die Richtigkeit herausgestellt hat. Ich glaube, wir können es versuchen.“ „Ich glaube es auch“, unterstützte der Kurier das Mädchen. „Also — auf zu El Safi Ali Ismail!“ sagte Frederick und stand auf. „Ich werde meine gesamte Autorität einsetzen, eine private Unterhaltung zu bekommen. Du könntest uns mit der Kuriermaschine ins Zentrum fliegen, Pieter?“ „Jederzeit“, versprach der Pilot. Frederick wandte sich seinem Pultmonitor zu. Knopfdruck wechselte mit Schaltung ab, und Sekunden später trat der Robotsekretär ein. Er besaß den schlanken Körper einer silberglänzenden Statue und einen schwarzen Kopf, von einem goldenen Gitter über den Augen unterbrochen. Das Gitter schnellte klickend hoch und gab die starren, grünleuchtenden Augen frei. Die Photozellen richteten sich auf die Gruppe der drei Menschen. „Bitte?“ fragte der Sekretär mit einer angenehmen Stimme. „Ich brauche eine Verbindung zu Präsident El Safi Ali Ismail. Versuche, für morgen nachmittag eine Privatunterhaltung zwischen uns drei und El Safi zu bekommen. Sage deinem Kollegen in dem Vorzimmer des Präsidenten, daß es ungeheuer wichtig sei.“ „Ich werde es versuchen“, versprach der Robot. Frederick beugte sich vor. „Du sollst nicht versuchen, sondern uns eine Unterhaltung verschaffen. Hast du verstanden?“ „Jawohl“, sagte der Sekretär, „aber es ist unwahrscheinlich, daß seine Hoheit El Safi Zeit hat.“ „Ich vertraue deinen Fähigkeiten“, sagte Frederick und wies zur Tür. „Ich bin überzeugt, daß es dir gelingen wird. Der Inhalt dieser Unterhaltung ist für die gesamte Erde wichtig — das kannst du sagen.“ Frederick, Kerstin und Pieter warteten fünfzig Minuten, dann kam die Maschine wieder zurück. Das Gitter hob sich, die Augen glühten grün auf, und der Robot sagte: „Seine Hoheit hat zugesagt, Sie morgen nachmittag im Zentrum zu empfangen. Es wird gebeten, würdig gekleidet und pünktlich zu sein. Die Unterhaltung soll um sechzehn Uhr stattfinden. Ich habe drei Zimmer im Al Khabura Hilton bestellt. Auch Flughafen und Kontrollturm sind benachrichtigt worden. Zufrieden, Herr?“ „Völlig“, sagte Frederick Carrad. „Du bist dein Gewicht in Iridium wert.“ „Danke“, sagte der Robot und ging, nachdem sich das Visier wieder klickend über die Augen geschoben hatte. „Nun laufen die Dinge“, sagte Pieter. „Ich werde jetzt gehen und mir einen Anzug kaufen. Das ist billiger, als nach Europa zu fliegen und die Garderobe dort zu holen. Ich starte . . . wann?“ Frederick überlegte. „Bist du in drei Stunden fertig, Kerstin?“ fragte er. „Ich kann dich heimfahren und wieder abholen. Ich muß auch noch Koffer packen und unser Material sortieren.“ „Das schaffe ich leicht“, sagte Kerstin. „Zwei Stunden genügen!“ „Donnerwetter!“ entfuhr es Pieter. Er ging hinaus und hielt Kerstin die Tür auf; eine symbolische Handlung, denn ein Motor öffnete und schloß die Stahlplatte. Kerstin dankte, und man trennte sich, als Fredericks Wagen in der City hielt. „Ich warte in drei Stunden wieder hier — wir fahren zusammen zurück!“
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schlug Frederick vor. Er ließ Kerstin und Pieter aussteigen und raste zurück in seine Wohnung. Um sechs Uhr startete Pieter Don Vessac die Kuriermaschine, mit Kerstin Randel, Frederick Carrad und acht Koffern an Bord. Die Maschine bewegte sich weit vor dem Schall ihrer Raketenaggregate in siebentausend Metern Höhe über die Ebene Rub al Khali. El Safi Ali Ismail, Präsident der Erdregierung und aller Kolonien, gewählt vor sechs Monaten für die nächsten zwei Jahre, residierte am Golf von Oman. Die langen Schatten des Al Hadjar Gebirgszugs berührten fast das Ufer des Golfs, als Pieter die Rakete hinuntergleiten ließ und den Kontrollturm anfunkte. Die Maschine rollte auf der langen Piste des Raketenhafens aus und wurde sofort von einem Schnellschlepper in einen der unzähligen Hangars gefahren. Dort stiegen die drei Gäste des Präsidenten aus. Eine Röhrenbahn brachte sie innerhalb einer Minute in die Residenzstadt Al Khabura. Hoch über der Stadt glänzten im letzten Abendlicht die Türme des Palastes. Über eine gewaltige Weiche wurde die Kabine in die Kellerräume des Khabura Hilton umgeleitet und bremste in dem kleinen Privatbahnhof. Die drei Freunde aßen auf der Terrasse des Hotels. Es war Nacht, und die Lichter der Schiffe, die durch den Golf fuhren, bewegten sich vor den anderen Lichtern, denen der Uferpromenaden und der Wohnhäuser und Hotels. Hinter dem letzten Tisch hier im siebzigsten Stockwerk stand eine gläserne Mauer, dann war nichts mehr als Luft. Die drei Obergeschosse wurden von einer mächtigen Säule getragen, die in der Mitte der Terrasse stand. Diese Hotelterrasse zählte zu den Sehenswürdigkeiten dieses Ortes. Schon der dritte Präsident hatte in Al Khabura seine Residenz aufgeschlagen, vor El Safi waren es Gray O’Poole und Alan Roux gewesen. „Entwerfen wir unseren Schlachtplan“, schlug Pieter vor. Er sah nichts weniger als blendend aus, fast so gut wie Frederick. Die Männer waren in hochmoderne Abendanzüge gekleidet; enganliegende dunkelrote Hosen und sandfarbene Viertelstiefel aus weichem Kunstleder, darüber schwarze Jacken mit Komturkragen und geschlitzten Wamsärmeln wie die mittelalterlichen Knappen. „Zuerst hältst du einen nüchternen Vortrag über den Fund — oder die Funde. Dann kommt unsere Freundin hier mit einem Bericht über die Übersetzungsarbeiten des Fundes. Dann werde ich mich einschalten, denn ich steuerte früher einmal ein Schiff. Gut so?“ fragte Pieter. „Doch — scheint der richtige Weg zu sein“, sagte Kerstin. Sie trug ein enges Abendkleid mit breitem Gürtel und einem tiefen Rückenausschnitt. „Jetzt kommen mir langsam erst die Gedanken“, begann Pieter nachdenklich und schwenkte die Eiswürfel in seinem Glas herum. „Die gesamte Menschheit — Kant und Kolumbus, Dürer und Rembrandt, Mozart und Bach — alles nur deswegen, weil eine überhebliche Rasse Sklaven züchten wollte und gezüchtet hat. Alles, was wir kennen und lieben, was zum festen Bestandteil der Kultur geworden ist, unsere Ideen, der Raumflug mit seinen Opfern, die Kriege, die Atombombe, Krebs und Polio, alles nur darum, um eines Tages zu den Sternen aufzubrechen und eine andere Rasse zu vertreiben, die früher Fuß gefaßt hat, als wir denken können. Das ist... mir fehlt ein entsprechender Ausdruck.“
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„Du hast völlig recht“, sagte Kerstin und blickte hinaus auf den dunklen Spiegel des Osmangolfs. Ein leiser Wind kräuselte die Wellen fast unmerklich. Die Sichel des Mondes zersplitterte in Ringe und Wellenlinien. „Das waren oder sind mehr einkalkulierte Dinge — einkalkuliert von unseren Schöpfern. Die Kriege waren nichts anderes als gigantische Tests. Die Krankheiten halfen, Unfähige auszusortieren und ein Geschlecht zu züchten, das eines Tages die Sterne erobern sollte. Nun — man kann sagen, was man will: Es ist infam. Eine Vergewaltigung. Bar jeder ethischen Haltung!“ Sie diskutierten noch lange, ehe sie zu ihren Zimmern aufbrachen, die auf der dem Golf abgewandten Seite lagen. Statt der schwarzen Wasserfläche blickten die Fenster jetzt zu den Türmen der Residenz auf. Auch hier spiegelte sich der Mond auf den silberglänzenden Mauerkronen und Türmen. Der Ruf des Muezzins weckte sie. Und am späten Nachmittag saßen sie vor dem mächtigen Schreibtisch in dem Präsidentenpalast. El Safi Ali Ismail stand vor einem der breiten Fenster, hatte die Hände vor der Brust verschränkt und hörte zu, wie Frederick Carrad die Geschichte des Fundes, die Analysen der Maschine und den späteren Fund des Auftrags für den damaligen Chef des Saatschiffes erzählte. Kerstin hatte Gelegenheit, El Safi genau zu mustern. Unter dem Kopfschmuck stach die gebogene Nase aus dem braunen Gesicht mit den Augen, deren Fanatismus durch die Macht des, glänzenden Verstandes kontrolliert wurde. Die harten Lippen und das spitze Kinn, von einem schwarzen Bart eingerahmt, gaben El Safi einen fast grausamen Ausdruck. Dieser Schein trog. El Safi war einer der glänzendsten Verwaltungsmänner, die je in das Amt des Präsidenten gewählt worden waren. Er stützte sich jetzt auf das marmorne Fenstersims und hörte ebenso schweigend zu, wie Kerstin ihre Arbeit erläuterte und die Ergebnisse bekanntgab. Dann brach El Safi sein Schweigen. Höflich, mit seiner charakteristisch seidenweichen Stimme fragte er: „Es besteht also an der Richtigkeit keinerlei Zweifel?“ „Nein, Hoheit“, sagte Frederick bestimmt. „Bei einer Wahrscheinlichkeit von Summa einundneunzig Prozent hat SIGMAVAC in Hunderten von ähnlichen Fällen absolut recht behalten. Wir müssen uns mit dieser Situation abfinden.“ „Das ergibt eine Handvoll von Problemen, gelinde ausgedrückt“, sagte El Safi leise, „die eine ernste Krise auslösen können. Wenn nicht mehr! Das unrichtige Raumschiff im falschen Augenblick — Kontakte, die nicht freundschaftlich sind, eine fremde Rasse, älter als wir und länger im Raum . . . und in unserer Galaxis gibt es Krieg. Wir können uns nichts wünschen, das besser geeignet wäre, uns restlos zu ruinieren und unsere gesamte Raumpolitik zum Tode zu verurteilen. Was schlagen Sie vor, oder was haben Sie für eine Alternative ausgearbeitet?“ Pieter blieb sitzen, als er sprach. Er verbeugte sich kurz und begann zu reden: „Ich habe folgenden Plan: Die Erdregierung stellt uns ein schnelles, nicht zu großes Schiff zur Verfügung, bemannt allerdings mit einer ausgewählten Mannschaft. Wir fliegen die drei Welten an, die ein ähnliches Schicksal haben. Dort muß es zu einer Verständigung kommen — wir brauchen also weitestgehende Vollmachten. Das wird dann nicht mehr länger unsere Sache bleiben. Ich denke, wir werden uns zusammenschließen und nach dem vierten Pla-
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neten forschen, nach Sadoveana. Dort werden wir die Rasse zur Rede stellen, die uns die Möglichkeit gegeben hat, diesen Planeten zu unserer Heimat zu erklären. Alles andere liegt dann in den Händen der vier Regierungen — in diesem Falle in Ihren Händen, Hoheit.“ El Safi setzte sich und überlegte. In dem Zimmer wurde es still. Eine Fliege surrte zwischen dem goldgelben Vorhang und der Fensterscheibe hin und her und stieß gegen das Glas. Ein Stück Papier im Abfallkorb knisterte, als es sich wieder ausdehnte. Pieter räusperte sich. El Safi Ali Ismail sah auf und blickte die drei Personen der Reihe nach an. „Wieviel Menschen außer Ihnen wissen von der Sache?“ fragte er in Gedanken. „Fünf!“ sagte Frederick und zählte sie auf. „Sie sind zuverlässig. Ich habe fast zwanzig Jahre lang Gelegenheit gehabt, das festzustellen.“ „Gut. Ich werde sie veranlassen, um jeden Preis zu schweigen.“ El Safi stellte das Bandgerät ab, das er hatte laufen lassen, als Frederick Namen und Anschriften der Männer aufsagte. „Ich kann Ihnen ein Schiff geben. Auch für die Mannschaft lege ich die Hand ins Feuer“, sagte El Safi in die drückende Stille hinein. „Leider ist das einzige Schiff, über das der Weltpräsident vollkommen verfügen kann, gleichzeitig mein eigenes Flaggschiff. Würde es Ihren Ansprüchen an Reichweite, Ausstattung und Mannschaft in etwa entsprechen?“ „Wir sind überwältigt, Hoheit“, antwortete Frederick. „Das hatten wir nicht zu erreichen gehofft.“ „Ihnen, Frederick Carrad“, führte Ismail mit seiner weichen Stimme weiter aus, „vertraue ich die Leitung dieses Unternehmens an. Wie lange werden Sie vermutlich brauchen?“ „Vorsichtig geschätzt: Zwei Jahre!“ sagte Frederick. „Das ist eine lange Zeit. Werden Sie eine Mannschaft zusammenbekommen, die man mit dieser Mission betrauen kann? Männer und Frauen mit Verhandlungsgeschick, die ihre Macht nicht mißbrauchen, die klug genug sind, mit den drei Rassen vernünftige Abkommen zu schließen, falls sie notwendig werden sollten? Sie können alles verlangen — die Erdregierung steht hinter ihnen. Alles, außer Krieg.“ „Ich habe verstanden, Hoheit“, sagte Frederick. „Hier habe ich zwei Mann der zukünftigen Besatzung. Ich weiß noch zwei andere Personen, die ich mitnehmen würde. Aber — fünf Mann, das ist zu wenig. Ich brauche einen Verwaltungsexperten, einen Raumschiffingenieur, und zwar den besten, über den die Erde verfügt, einige Astrophysiker, einen Völkerkundler, ohne die Marotten, mit denen diese Männer im allgemeinen behaftet sind — und einen Berichterstatter, einen objektiven und leidenschaftslosen Journalisten.“ „Es ist schwierig, andere Rassen überzeugen zu wollen, wenn die Uneinigkeit im eigenen Schiff mitreist“, sagte Kerstin. El Safi lächelte das erstemal. „Das sagen Sie mir, meine Dame?“ „Verzeihen Sie, Hoheit. Sie wissen es besser als ich.“ Kerstin war rot geworden, und Pieter lachte kurz auf. „Im Ernst“, sagte El Safi. „Ich kenne Ihre Nöte. Ich selbst leide mitunter an diesen politischen Streitereien. Aber, ich habe einen Vorschlag. Ohne Ihnen etwas von Ihrer Selbständigkeit nehmen zu wollen, Carrad, werde ich Ihnen einige Männer mitgeben, mit denen ich zusammen studiert habe. Es sind meistens Leute, die nicht mehr jung und daher ziemlich abgeklärt sind. Ich glaube, Sie werden gut zu Ihrer Mannschaft passen.“ „Wann fliegen wir?“ fragte Pieter.
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El Safi sah ihn an und lächelte wieder. „Ich bedaure“, sagte er, „nicht mitfliegen zu können. Aber mein Platz ist hier in diesem Palast, für die nächsten achtzehn Monate. Ich werde von hier aus alles vorbereiten und Ihnen das Schiff schicken. Wie sind Sie am schnellsten zu erreichen?“ „Zwischen SIGMATRON II Spacecontrol und meiner Maschine besteht eine Direktleitung. Sie garantiert ein Höchstmaß an Sicherheit. Wie lange werden Sie brauchen, Hoheit?“ stellte Frederick die gleiche Frage. „Das Schiff, es ist die Allahi, wird in einer Woche, von morgen früh an gerechnet, in Saburi Beach starten können. Vorher bitte ich aber noch zu einer Zusammenkunft, an der der Kapitän, der Erste Offizier und alle Mitglieder der wissenschaftlichen Mannschaft teilnehmen werden __ und ich.“ „Hoheit“, sagte Frederick und stand auf. „Wir hatten gehofft, einen verständnisvollen Präsidenten anzutreffen. „Ich muß gestehen, Sie haben unsere Vorstellungen weit übertroffen. Lassen Sie mich Ihnen danken.“ „Es geht um die Erde und ihren Besitz im Kosmos“, sagte El Safi und schüttelte Fredericks Hand, dann wandte er sich an Kerstin und Pieter. „Und darum, dieser Rasse arroganter Schöpfer zu zeigen, daß wir nicht willig sind, Sklavendienste zu leisten. Das ist meine Meinung“, sagte Pieter Don Vessac und schüttelte die Hand des Präsidenten. El Safi verbeugte sich vor der Semantikerin und brachte die Gruppe zur Tür. „Sie werden benachrichtigt, Frederick“, versprach er. „Sobald ich die anderen versammelt habe.“ „Ich werde darauf warten“, sagte Frederick und nickte. Hinter ihnen schloß sich die dickgepolsterte Tür des Privatzimmers von El Safi Ali Ismail. Pieter stieß Frederick an und lachte. Er breitete die Arme aus, in einer eindeutigen Geste. „Ja, ich weiß, es war deine glorreiche Idee, direkt zum Präsidenten zu gehen. Bist du nun zufrieden?“ fragte Frederick. „Völlig“, sagte Pieter.
2. Das Sternenschiff Allahi stand aufgerichtet in der Mitte des kleinen Hafens nahe Saburi Beach. Das Schiff war wie ein spitzwinkliges Dreieck geformt, auf dessen Unterseite die vier Antriebsaggregate in separaten Aufhängungen angebracht waren. Die langgestreckten Spindeln beherbergten den Strahlenantrieb und die Finalmaschinen, die modernsten, die es gab. Hundert Meter ragte das Schiff senkrecht in den blauen afrikanischen Himmel, und die winzigen Linsen, die vollwertige Sichtscheiben und Luken ersetzten, glänzten in der Sonne. Der Rumpf, ausgenommen die Endstücke der Aggregate, glänzte in einem stumpfen, glanzlosen Silber. In Farben, die nicht aufgespritzt, sondern durch eine besondere Legierung der betreffenden Metallteile bewirkt wurden, zeigte die Oberseite der riesigen Tragfläche einmal das Symbol Terras, auf der anderen Seite in fetter Antiquaschrift den Namen des Schiffes. Terras Symbol war eine blaue Kugel — der blaue Planet. Davor die silberne Silhouette einer einfachen Rakete, der ersten, die den Mond angeflogen hatte. Rechts hinter dem Planeten strahlte in reinem Platinglanz ein Stern. Neuntausend Sternenschiffe trugen dieses Symbol. Sie operierten in fast allen Teilen der Galaxis, allerdings dem Zentrum näher als den Randbezirken. Siebzig verschie-
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dene Planeten waren bereits kolonisiert worden. Frederick Carrad stand neben Pieter Don Vessar unter der Tür der Glaskuppel von Terra Historischer Forschung und sah zu, wie Kisten und andere Gepäckstücke von einem mächtigen Gabelstapler in die Höhe der offenen Heckluke gebracht und dort abgeladen wurden. Noch drei Stunden bis zum Start . . . „Toller Anblick, Chef?“ fragte eine bekannte Stimme aus dem Hintergrund. Der Kapitän des Schiffes kam mit dem Raumschiffsingenieur aus der Halle und blieb neben Frederick und Pieter stehen. Frederick nickte. „Alles klar, Alexandre?“ fragte er, etwas beklommen. Alexandre Calgary war der berühmteste Schiffsführer Terras, vermutlich auch der fähigste. Nur er flog die Präsidentenschiffe, seit sieben Jahren. Und Eric Astley-Bell, der neben ihm stand, hatte auch dieses Schiff mitkonstruiert. Diese vier Männer, die jetzt in der Mittagssonne im Schatten des Vordaches verharrten, hatten sich ziemlich schnell zusammengefunden. Sie waren alle ungefähr gleichalt, und ihre Weltanschauungen glichen sich. „Alles klar. Wir sind insgesamt siebenunddreißig Menschen auf dem Schiff. Fünfunddreißig Männer und zwei Mädchen.“ „Kerstin Randel, die Semantikerin und Patricia Pogontcheff, die Journalistin. Wie alt ist sie eigentlich? Mir erschien sie fast zu jung!“ fragte Pieter. „Fünfundzwanzig“, sagte Astley-Bell ruhig mit seiner heiseren Baßstimme. Er war ein riesiger Engländer, ruhig, trocken und unter Umständen voll galligen Humors. „Ich heiße die Wahl des Regierungspresseamtes gut. Was ist für uns alte Männer besser als der Anblick eines hübschen jungen Mädchens?“ „Entschuldigt mich bitte“, sagte Calgary, „ich muß hinauf und die Startvorbereitungen einleiten. Wir wollen keine Zeit verlieren!“ Alexandre lief langsam die dreihundert Meter bis zum Schiff, enterte die lange Metalleiter hinauf und verschwand in einer kleinen Luke. Das Metallviereck im Rumpf schloß sich hinter ihm. „So also sieht es aus, wenn die Menschheit zum erstenmal bewußt startet, um Leidensgenossen im All zu finden“, brummte Eric Astley-Bell. „So sieht es aus. Fünfundzwanzig Mann Besatzung und zwölf Passagiere, versehen mit dem Segen des Propheten. Glückliche Reise“, sagte Pieter und ging dem Kapitän nach. „Ich werde mein Gepäck verstauen!“ „Ich gehe auch“, sagte Eric, „treibe deine anderen Schäflein zusammen.“ Frederick Carrad blieb allein zurück. Er überdachte kurz die Ereignisse der letzten Tage und kam zu dem Schluß, daß hier sein persönliches großes Abenteuer lag. Hier stand die Verkörperung dessen, wovon er seit zwanzig Jahren geträumt hatte. Ein schnelles Raumschiff . . . Flug zu den Sternen . . . eine Mission, die zum Schwersten zählte, was die Menschheit je in Angriff genommen hatte. . . gute Besatzung und Freunde, mit denen er sich verstand. Es konnte beginnen. Frederick sah zu, wie der letzte Rest des Gepäcks in der Luke verschwand, die sich schloß und verriegelt wurde. Eine Stunde vor dem Start befanden sich alle zwölf Passagiere in der geräumigen Steuerkanzel und sahen zu, wie Kapitän Calgary den Kurs ausrechnete. „Der erste Planet wird Norcai sein“, sagte der Erste Offizier zu Pieter Don Vessac. „Es ist ein Planet von Tuson II, eine Sonne, die in der Richtung auf die Perseiden liegt. Ist der Entdecker des Sterns mit Ihnen verwandt, Tuson?
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Dash Tuson, der Völkerkundler, drehte den Kopf herum. „Einer meiner Brüder“, sagte er wie nebenbei. Pieter pfiff durch die Zähne. „Ein prominentes Team“, sagte er. „Wirklich“, bestätigte Patricia und machte sich Notizen. Sie kam von der „Space“, einer Zeitung, die auf allen besiedelten Planeten meist als einziges Blatt vertrieben wurde. Seit einem Jahr hatte Patricia Pogontcheff die Redaktion für Tatsachenberichte aus dem Koloniebereich geleitet. Wie fähig sie war, merkten die Männer der Suchgruppe später. Die Zeit bis zum Start lief schnell ab. Die Männer saßen in den tiefen Andrucksesseln der Allahi, rauchten und warteten nervös. Eine Art Fieber hatte sie ergriffen — sie schienen bereits auf die erste Landung zu warten. Dann, um sechzehn Uhr, begannen die Maschinen anzulaufen. Dumpfes Dröhnen erfüllte den mächtigen Schiffskörper. Fauchend entwich erhitzte Luft aus den Aggregaten. „Startautomatic läuft. . .“ ertönte eine Stimme. Qualm verdunkelte das Bild, das die Rückwärtslinsen zeigten. Die zwanzig Meter langen Flammen schossen aus den Düsen und leckten über den Boden aus Spezialbeton. Sie hoben das Schiff langsam hoch und beschleunigten es. Ohne jede Feierlichkeit brach die Expedition auf. Die lange Reise begann. „Wir sind im freien Raum“, sagte Kapitän Calgary und legte einen Schalter um. Die Finalmaschinen übernahmen jetzt den Antrieb und steigerten die Geschwindigkeit des Sternenschiffes unaufhörlich, immer näher der Lichtgeschwindigkeit und dem ersten Hyperraumsprung. Seit dem Jahre 3000 kannten die Menschen das wahre Bild der Galaxis. Das Milchstraßensystem hatte die groben Umrisse eines Diskus. Die Maße werden in zwei Werten angegeben; einmal achzigtausend Lichtjahre. Diese Distanz ist der Querschnitt, gemessen von den Randsonnen der äußeren Spiralarme zu denen der gegenüberliegenden Seite. Die gigantische Linse ist sechzehntausend Lichtjahre tief — und die Sonne der Erde vom galaktischen Zentrum nicht weniger als siebenundzwanzigtausend Lichtjahre entfernt. Die drei bekannten Ziele der Allahi befanden sich weit jenseits des Zentrums. Auf rund einhundertfünfzigtausend Lichtjahre hatte man vor Antritt der Fahrt die Strecke geschätzt. Die terranische Kolonisation hatte verständlicherweise ein Gebiet erfaßt, das nicht allzu weit von der eigenen Sonne entfernt war. Die siebzig Kolonien bildeten, wenn man ihre Positionen in einem dreidimensionalen Schaubild betrachtete, einen Kubus von ungefähr neuntausend Lichtjahren Kantenlänge, in dessen Mittelpunkt Sol lag. Binnen eines einzigen Tages befand sich die Allahi weit außerhalb dieses Würfels. Jetzt war eine Notlandung oder eine Rückzugsmöglichkeit nicht mehr gegeben. Zwei Tage waren vergangen. Sieben Transitionssprünge lagen hinter Kapitän Calgary und der Mannschaft. Der Kapitän und der wissenschaftliche Leiter saßen in der dunklen Steuerkabine. Das Dunkel wurde erhellt durch die unzähligen Sterne, die sich auf den Schirmen befanden und durch die Lampen, die hinter Paneelen, Uhren und Skalen glühten. Frederick saß gegenüber von Alexandre und hatte ein halbvolles Glas in der Hand. Während sie sich unterhielten, rasten zweihundertneunundfünfzig Tonnen Stahl, Glas und Kunststoff durch die Schwärze des Alls. Aus den vier Aggregaten des Finalantriebs zogen vier fahle, dünne Partikelströme und hinterließen eine fast unsichtbare Spur.
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„Wie lange wird das Schiff benötigen, Alexandre?“ fragte Frederick und sah nach außen. Zwanzig Linsenpaare übertrugen die Bilder auf die Rundumschirme. „Ich schätze, es werden noch vier bis fünf Tage vergehen, bis wir Tuson II erreichen. Dann beginnt die Suche nach den Planeten. Tuson hat derer sieben. Welcher ist Norcai?“ „Niemand weiß es. Nichts steht in den Handbüchern“, erwiderte Frederick. „Wie beurteilst du die Chancen dieses Fluges, Alexandre?“ Der Kapitän zuckte die Schultern. „Ehrlich gestanden — ich weiß es nicht. Sollten die anderen Rassen ähnlich geartet sein wie wir . . .“ „ ... was nach dem Bericht und der Analyse als erwiesen gilt“, warf Frederick ein. Sein Freund nickte schweigend und sagte: „Dann müßten wir uns schnell und gut verständigen können. Es ist allerdings auch möglich, daß hier zwei oder mehrere Weltanschauungen aufeinanderprallen. Dann wird Jan Berdion seine Geschicklichkeit beweisen müssen.“ Berdion war der Regierungsvertreter. Er war Verwaltungsfachmann und hatte einige Jahre koloniale Politik betrieben, bis er in einer Parteikrise geopfert wurde. Nicht zuletzt mit der Aussicht, sich hier wieder bewähren zu können, war er dem Ruf El Safi Ali Ismails gefolgt und an Bord gegangen. „Und wie sollen wir Sadoveana finden?“ Alexandre breitete beide Hände in einer ratlosen Geste aus. „Ich weiß es nicht. Wenn die anderen Rassen keine näheren Anhaltspunkte haben — wir haben nichts außer der Vermutung, daß sich Sadoveana im Zentrum der Milchstraße befindet. Das ist alles, was ich weiß!“ „Wir beginnen diesen Flug mit dem Eingeständnis eines alten Griechen, der sagte, er wisse, daß er nichts weiß. Wer weiß eigentlich etwas?“ „Ich nicht!“ lachte Alexandre. „Was hältst du von unserer wissenschaftlichen Mannschaft. Meinst du, daß wir schaffen werden, was wir uns vorgenommen haben?“ Alexandre Calgary hörte zu lachen auf. „Die zwölf sind große Klasse. Du bist nicht schlecht, und Eric ist ein unwahrscheinlich guter Mann — ich hätte ihn kennen mögen, als er um die vierzig war. Dieser Don Vessac . . . ich hätte gern von dir über ihn etwas gehört!“ „Don ist mein bester Freund“, sagte Frederick. „Er ist das, was man einen verwegenen Kerl nennt. Seine Vorliebe für Gefahr hat ihn zeit seines Lebens getrieben. Jetzt scheint er nutzlos oder deplaziert zu sein. Warte auf eine Gelegenheit, und du wirst sehen, wie blitzschnell er reagiert und wie ungewohnt er sich in andere Dinge oder Prinzipien hineindenken kann. Das gleiche gilt von meiner Freundin Kerstin. Sie ist mehr wert, als es den Anschein hat.“ „Ich bin beruhigt, Frederick. Wenn du es sagst, dann wird es stimmen!“ antwortete Alexandre. „Das jedenfalls sind meine Feststellungen!“ „Gut. Das Schriftstellermädchen scheint auch nicht schlecht zu sein. Auch sie ist im Moment — wie ihr fast alle — zur Passivität verurteilt. Ross und Reynolds halten meine Astrogationsabteilung seit dem Start in Atem. Von ihnen kann man behaupten, daß sie uns helfen werden, wenn es notwendig wird.“: „Wer ist Boris Udema?“ fragte Frederick, „Udema ist einer der fähigsten Biologen, die wir im Augenblick besitzen. Erinnerst du dich nicht mehr an die Aufregungen, die um das Virus herrschten, das vor drei Jahren von einem zu-
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rückkehrenden Raumschiff eingeschleppt wurde?“ „Richtig. Boris gelang es binnen vierundzwanzig Stunden, ein Gegenmittel zu finden. Ich erinnere mich. Hoffentlich wird er etwas gesprächiger ___ er scheint ein sehr ruhiger Typ zu sein.“ „Warte ab. Ich kenne ihn aus wissenschaftlichen Diskussionen auf Kolonistenschiffen. Du wirst ihn nicht mehr wiedererkennen!“ „Berdion ist gerissen, ohne unethisch zu sein, das weiß ich.“ Frederick füllte beide Gläser neu und ging die einzelnen Namen der Besatzungsmitglieder durch. „Tuson wird erwachen, wenn wir einmal gelandet sind, und Ivan Faridi scheint der gleiche Typ zu sein. Für Psychologen bieten wir anscheinend nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten. Bleibt noch Tazelaar. Er machte mir auf der letzten Konferenz einen sehr guten Eindruck. Wird er als Kontakter einschlagen?“ Alexandre nickte. „Ich habe ihn zweimal erlebt. Er ist ganz große Klasse. Er schlug auf Vixon III einen Aufstand nur durch sein Erscheinen und durch drei gesprochene Sätze nieder. Warte ab.“ Frederick schwang den Sessel einmal im Kreis herum und legte dann die Füße in den leichten Stiefeln auf das Pult. „Weißt du, wie ich mich fühle?“ fragte er den Kapitän. „Ich ahne es“, sagte Alexandre. „Wie ein kleiner Junge, der von seinem Vater zum erstenmal auf eine weite Reise mitgenommen wird, von der der Vater schon lange erzählt hat. Aufgeregt, gespannt, erwartungsvoll . . .“ „Ich kenne das“, lachte der Kapitän. „Es war dasselbe Gefühl, als ich mein erstes Kommando bekam und ein Kolonistenschiff durch die Gaswolken bringen mußte.“ „Sehr gut“, sagte Frederick und trank aus. „Wenigstens einer an Bord, der mich versteht.“ Plötzlich wurde Alexandre ernst. „Ich weiß“, sagte er nachdrücklich, „das war nur eine Bemerkung, einfach so hingesagt. Aber du kannst beruhigt sein. Ich kenne meine Mannschaft, und ich habe schon oft Gruppen von Wissenschaftlern geflogen. Hier im Schiff ist nicht einer, der deine Autorität anzweifelt oder dich ablehnt. Gerade weil du zeigst, daß du nicht über der Sache stehst, wirst du akzeptiert.“ „Ich bin gerührt“, sagte Frederick. „Ehrlich?“ „Ganz ehrlich, Historiker!“ „Darauf“, sagte Carrad langsam und voller Gedanken, „sollte man eigentlich einen trinken.“ Auf den Schirmen standen weiß und unbeweglich die Sterne. Irgendwo dort vorn war das erste Ziel. Die Sonne Tuson II Persei. . .
* Einhundertvierundvierzig Stunden später ertönte der Summer und holte Mannschaft und Wissenschaftler aus dem Schlaf. Das erste Ziel war aufgetaucht, nachdem das Schiff den Hyperraum verlassen hatte. Die Sonne Tuson II lag strahlend und majestätisch vor dem Schiff. Die Mannschaften wußten, was sie zu tun hatten; die Wissenschaftler versammelten sich in der Steuerkanzel. Vierzehn Personen standen und saßen hinter und neben Kapitän Calgary. „Unsere erste Sonne ist vor uns“, sagte er. „Und ich bitte die Herren Ross und Reynolds, wieder in die Astrogatorenbude zu gehen und zusammen mit meinen Männern zu versuchen, den bewohnten Planeten Norcai ausfindig zu machen.“ Michael Ross, ein zerbrechlich wirkender Neuseeländer, und Neill Rey-
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nolds aus Schottland nickten Alexandre Calgary zu, warfen noch einen abschließenden Blick auf die kalkweiße Scheibe der Sonne und verließen die Steuerkanzel. Die beiden Männer nahmen zwischen den drei Astrogatoren und den niedrigen Bänken der Laserempfänger Platz. Die Allahi flog weiter, direkt auf die gleißende Sonne Tuson II zu. Menschen und Maschinen, und eine große Vielzahl von empfindlichen Hilfsgeräten arbeiteten vorbildlich zusammen, um die Planeten auszumachen, ihre Oberfläche nach Anzeichen von intelligentem Leben abzutasten und die aufgefangenen Impulse in Fakten zu verwandeln. Das Analysegerät verglich jene Fakten und fällte ein Urteil. „Wir haben Planet I“, sagte eine Stimme aus dem Lautsprecher über dem Steuerpult. Die Stimme gehörte Reynolds. „Er ist unbewohnt, eine vorläufige Analyse ergab, daß wir ungefähr dieselben Verhältnisse wie auf Merkur, dem ersten Planeten unseres Sonnensystems, voraussetzen dürfen. Oberflächentemperatur für Sauerstoffatmer nicht geeignet, nur schwerste Gase festgestellt. Wir suchen weiter.“ Zwischen Frederick Carrad und Pieter stand Patricia Pogontcheff an die Wand gelehnt und machte sich auf einem Block Notizen. Ihre Finger hielten einen Spezialschreiber und rasten über das Papier. Sie stenographierte blind; die braunen Augen waren auf den Kapitän gerichtet. Alexandre stellte die Ekliptikebene fest und zog das Schiff in einer weiten Schleife rechts an der Sonne vorbei. Mit ungeheurer Geschwindigkeit ließ die Allahi Tuson links neben sich und drang weiter in das System ein. Eine Stunde verging langsam. „Holt mich, wenn wir landen!“ sagte Eric Astley-Bell trocken und ging wieder in seine kleine Kabine zurück. Andere folgten. Zwanzig Minuten später saßen nur noch Tazelaar, Frederick und Patricia neben Calgar. Es waren genau achtundfünfzig Minuten vergangen, da . . . „Der zweite Planet“, sagte wieder die harte Stimme. Eine gewisse Erregung schwang mit ihr durch den Lautsprecher. „Es scheint — nein, es ist sicher: Wir haben Norcai!“ „Daten!“ verlangte Alexandre kurz und beugte sich vor. Drei schwere Sessel schoben sich in den Laufschienen nach vorn, vor die Vorwärtsschirme. „Eine Serie von Koordinaten kommt — Achtung!“ sagte eine andere Stimme. „Danke, Mathew!“ sagte der Kapitän. Auf einigen Bändern rasten Ziffern vorbei und blieben schließlich stehen. Alexandre stimmte den Kurs ab und flog eine weitere Kurve. Sie war fast eine astronomische Einheit weit und mündete in den Ort, an dem sich der Planet befand. Eine winzige, goldene Kugel tauchte auf und wurde zusehends größer. „Das ist Norcai!“ flüsterte Frederick. „Unser erstes Ziel.“ „Und unsere Begrüßung . . .“, antwortete Alexandre. „Seht!“ Er wies auf einen Radarschirm, dessen Zellen von einem Laserstrahl mit einer halben Million einzelner Kanäle gespeist wurden. Dort war Norcai als eine etwa handtellergroße Scheibe zu sehen, vor der sich drei Punkte entfernten. „Raumschiffe ...“ Die Allahi bremste ab, als der Planet so groß wie Terra war, von der Raumstation gesehen. Noch konnten die Männer die vollkommene Kugelgestalt des goldenen Planeten feststellen. Vor dem Schiff, etwa fünftausend Kilometer
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entfernt, schwebten die drei fremden Schiffe. „Funkkontakte?“ fragte Alexandre in ein Mikrophon. „Wir versuchen es pausenlos“, sagte eine Stimme. Bisher war die Mannschaft fast anonym geblieben, von verschiedenen persönlichen Kontakten abgesehen. Frederick ging aus der Kanzel und kehrte drei Minuten später mit Kerstin Randel zurück. Sie setzte sich neben Alexandre und befestigte einen Funksprechhelm an der Rückenlehne des Sitzes. Dann schob sie den Kopf zwischen die Mikrophone und die kleinen Lautsprecher. Sie schaltete sich in die Versuche ein, die Staffel der anderen Raumschiffe zu erreichen. „Verwendet bitte die Wasserstoffwelle“, sagte sie in die Funkbude durch. Waren die Fremden Sauerstoffatmer, hatten sie zweifellos auch entdeckt, daß jene Welle interplanetarische Geltung haben konnte. Die Reaktion der fremden Schiffe bewies, daß Kerstin recht gehabt hatte. Ein unverständliches Stimmengewirr ertönte aus den Kopfhörern. Binnen einiger Minuten hatte Kerstin, zusammen mit den beiden Funkern, erreicht, daß nur eines der anderen drei Schiffe sendete. Sie analysierte blitzschnell die Sprache und stellte fest, wie sie kurz erklärte, daß die Norcais eine Art Galactic sprachen, das auch als Kontaktsprache mit den Eingeborenen terranischer Kolonien zur Verwendung kam. Jetzt sagte sie laut und langsam, so daß jeder in der Kanzel verstand: „Wir sind Besucher aus einem anderen Teil des Milchstraßensystems. Die Botschaft, die wir euch bringen, ist für euch und für uns von allergrößter Wichtigkeit. Bitte, fliegt uns zum größten Raumhafen voraus. Wir müssen die Herrscher eurer Welt sprechen.“ Kerstin Randel hatte ein leicht abgewandeltes Galactic gesprochen, und — sie wurde verstanden. Der fremde Kapitän antwortete: „Hier spricht der Kapitän des Gardeschiffs Goran. Wir haben gut verstanden. Fliegt bitte mit uns, wir bringen euch in die Hauptstadt dieser Welt.“ Kerstin drehte sich um und lachte. Sie bückte sich und zog den Kopf langsam aus der Funkhaube heraus. „Alles, was jetzt folgt“, sagte das Mädchen, „ist ganz allein deine Sache, Gazelaar!“ Der riesige Neger ging ruhelos in der Kanzel hin und her. „Ich denke bereits die ganze Zeit über einen Weg nach“, antwortete er brummend. Dann blieb er stehen. „Wartet nur“, sagte er mit seinem Baß, „ich habe einen Weg gefunden. Wie lange soll ich verhandeln?“ Er blickte Frederick an. „So lange, wie du es für richtig hältst. Zumindest, bis wir uns gut verständigen können.“ „Gut!“ sagte Tazelaar und lachte. Die drei Schiffe eskortierten den Besucher die letzte Strecke des Weges, fünfzehntausend Kilometer. Der Planet Norcai, dessen viele Meere und Seen auf eine rätselhafte Art den weißen Glanz der Sonne Tuson reflektierten, wurde größer und wölbte sich dem Schiff entgegen. Alles schimmerte golden; Flußläufe und Ebenen, Wälder und Küsten. Die einzelnen Landschaftsteile unterschieden sich immer besser. Endlich tauchte der große Raumhafen auf. „Wir finden hier vollständig die Luftverhältnisse Terras wieder“, sagte Reynolds aus der Astrogatorenkammer, „auch die Schwere und die übrigen Charakteristika sind nahezu identisch.“ „Danke!“ sagte Alexandre. Die vier Schiffe flogen niedriger, und der Kapitän stimmte die Bewegungen der Allahi auf die der Norcaischiffe ab. Wie eine glänzend eingespielte Staf-
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fel sanken die vier Schiffe dem Boden entgegen, zogen dann steil hoch, richteten sich auf und sanken auf den Polstern aus Flammen und Rauch nieder. In einer Reihe ausgerichtet blieben sie stehen. Der Lärm verklang. Die Flammen erloschen, und der Qualm hatte sich verzogen. In den Leibern der stählernen Giganten öffneten sich Schotts und Schleusentüren. Die beiden Zivilisationen machten sich auf den Weg, sich gegenüberzutreten. Innerhalb von einigen Minuten geschahen zwei Dinge. Zuerst bemannten sich sämtliche Ausguckmöglichkeiten auf der Allahi, und jeder der siebenunddreißig Leute sah zu, was sich unten abspielte. Hinter den schweren Lasern saßen die Waffenmeister und suchten die Gegend um den Hafen nach verdächtigen Bewegungen ab. Unten bildete sich ein Ring aus Menschen dieses Planeten, aus Fahrzeugen und kleinen Karren um die vier Schiffe. Plötzlich richteten sich die Augen nach oben. Die Spannung im Schiff griff nach den einzelnen Menschen. Jetzt betrat der Kontakter die Bühne. Was würde geschehen? Wie würde das erste Treffen zweier Kulturen ausgehen. Im Rumpf des terranischen Schiffes öffnete sich eine mannsgroße Luke. Tazelaars mächtige Gestalt erschien und füllte die Luke aus. Der Kontakter trug die Uniform der terranischen Raumgarde — grau und silber. Unter ihm schob sich eine kleine Plattform aus der Schiffswand. Tazelaar stellte sich darauf, und ein Mann der Besatzung steuerte die Hydraulik nach unten. Dreißig Zentimeter über dem Boden hielt die Plattform an. Tazelaar stieg herunter und sah sich langsam um. Neben einer Tragfläche des Norcaischiffes standen zwei Männer und sahen Tazelaar abwartend an. Blitzschnell identifizierte sie der Neger als die Partner der Funkkontakte. Es waren ein Kapitän und offensichtlich sein Erster Offizier. Sie waren menschlich, Brüder der Erdbevölkerung . . . Der Neger senkte den Kopf und ging langsam, die Hände an beiden Seiten des Körpers herunterhängend, auf den Kapitän zu. Einen Meter vor den Männern blieb er stehen und sah auf. Seine Augen begegneten dem abwartenden Blick der beiden Norcais. Tazelaar sagte: „Wir haben mit euch gesprochen?“ Er wartete regungslos auf die Antwort. Jede Zelle seines Hirns war bereit, zu improvisieren. Die Antwort kam zögernd, aber verständlich: „Meine Schiffe brachten euch hierher. Woher kommt ihr?“ „Von Terra. Ein Planet auf der anderen Seite der Galaxis. Wir haben eine Botschaft für euch.“ „Welche Botschaft?“ Tazelaar lächelte unsicher. Jede seiner Bewegungen und Gesten war genau vorgestimmt und auf optimale Wirkung berechnet. Die Norcais sahen ihn interessiert an. „Eine Botschaft, die derartig wichtig ist, daß wir es nicht gewagt haben, sie unseren Brüdern mitzuteilen. Kann ich dir vertrauen?“ Die Norcais wechselten einen blitzschnellen Blick. „Ich denke, ja“, sagte der Ältere. „Weder unsere Rasse noch diejenige, die den goldenen Planeten bevölkert, sind hier auf ihrer Heimat aus der Natur hervorgegangen. Wir alle sind von einer dritten Rasse gezüchtet worden, um eines Tages als Sklaven verwendet zu werden.“ „Und das ist die Botschaft?“ fragte der Kapitän. „Das ist sie. Denke darüber nach, ehe du weitersprichst.“ Man sah, wie der
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Norcai und sein Begleiter die Folgerungen ableiteten. Dann erbleichten sie unter ihrer bronzenen Haut. „Warum bist du allein gekommen?“ fragte der Kapitän. „Ich war nicht sicher, wie ihr meine Kameraden aufgenommen hättet.“ „Wenn wir ihnen feindlich gegenübergestanden wären . . .“ „Das Schiff ist startbereit. Man hätte mich geopfert, auf meinen Vorschlag hin. So ernst ist es uns. Glaubst du mir?“ „Ja. Ihr hättet sonst den langen Flug nicht angetreten“, sagte der Norcai. Taze-laar streckte langsam und deutlich seine rechte Hand aus, so daß es jeder in der Allahi und fast alle, die um die Schiffe herumstanden, sehen konnten. Der Norcai ergriff die Hand und schüttelte sie. Dann reichte Tazelaar lächelnd die Hand dem anderen. Das war der Anfang.
* Die schwere Handkamera surrte leise. Wie ein Insektenauge drehte sich der Linsensatz und filmte das Bild des großen Platzes. Patricia nahm die Kamera von Pieters Schulter herunter. Wie ein gigantischer Wald aus schlanken, hohen Steinpyramiden umgaben die Gebäude den Platz mit den Baumreihen und dem dunkelgrünen Grasteppich. „Danke, Pieter — ich werde dich in meinen Berichten lobend erwähnen“, sagte das Mädchen und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Die Kanten der Bauten glänzten golden auf. „Wenn möglich mit Bild“, sagte Pieter, und sie nahmen ihren Gang durch Norcai Center wieder auf. „Das ging allgemein schneller, als wir alle erwartet hatten“, sagte Patricia und ließ zu, daß Pieter ihr die Kamera abnahm. „Passe auf die Linsen auf!“ „Natürlich“, antwortete Pieter. „Unsere Botschaft löste eine planetenweite Welle der Entrüstung aus. Noch dazu kamen die Beweise, die Frederick vorlegen konnte. Das sind tolle Leute, die Norcais!“ „Vor allem sind ihre Bauten ziemlich fotogen“, erwiderte Patricia und blieb stehen. Direkt vor ihnen, durch Baumquadrate und einen sprudelnden Brunnen etwas verdeckt, stand das große Ratsgebäude. Ein schwarzer Würfel auf Stelzen, durch ein breites Bildband verziert, das sich rund um das Bauwerk zog. „Hier haben wir mit den Leuten der Regierung drei Tage lang diskutiert und einen Plan ausgearbeitet. Du kennst ihn“, sagte Pieter. Während das geschehen war, wurden die Mannschaftsmitglieder und die Journalistin rund um Norcai geflogen, um den Planeten besichtigen zu können. „Wir werden nachher in die Werft fahren und zusehen, wie die letzten Handgriffe an dem neuen Schiff getan werden“, schlug Patricia vor. „In Ordnung — wunderbar, wie einfach ein neues Schlachtschiff zweckentfremdet wurde, um die beiden Gruppen aufzunehmen.“ „Hoffentlich streiten sich die Kapitäne nicht“, wandte das Mädchen ein. „So wie ich Alexandre kennen, wird er sich den Funktechnikerinnen widmen und zusehen, wie Asa den Koloß steuert. Es scheint ein gutes Schiff zu sein!“ Pieter drehte sich um und sah zu, wie einer der räderlosen Wagen vor der Treppe des Ratsgebäudes hielt, Frederick und Agonta, einer der persönlichen Berater des Präsidenten Norcais ausstiegen und im Inneren des Gebäudes verschwanden. Als die Kabine der Tunnelbahn vor dem Eingangsgebäude der Werft hielt, half Pieter der Journalistin aus dem Sitz. Sie kamen, ohne aufgehalten zu
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werden, bis hinunter an den Rand der wassergefüllten Grube, in der das Schiff lag. Die letzten Gerüste wurden gerade abgebaut, so daß man den langen, schlanken Rumpf ganz erkennen konnte. „Imposant“, sagte Pieter leise. Scharen von Arbeitern und von kleinen Robotmaschinen, die sich wieselgleich zwischen den Norcais bewegten, strömten durch die offenen Eingänge. Kleine Wagen mit seltsam aussehenden Werkzeugen verließen das Schiff durch die Schleuse. „In einer Woche — also in zehn Tagen nach der hier herrschenden Rechnung — soll die Terra Norcai starten. Einen Tag Probeflug, dann Einsatz. Etwas größer, und wir könnten die Allahi mitnehmen, im Laderaum!“ „Du hast recht“, sagte Pieter und wandte sich an einen Raumschiffingenieur, der an seinem Funkhelm zu erkennen war. „Weißt du“, fragte Pieter in Galactic, „ob sich Eric Astley-Bell hier aufhält? Du kennst ihn, einen riesigen, schweigsamen Mann?“ „Ich glaube, er ist oben in der Kanzel“, sagte der Norcai und wies hinauf, wo sich eine fast durchsichtige Glaskuppel über dem vergüteten Stahl befand. „Sollen wir ihn besuchen?“ fragte Pieter, ohne sich zu rühren. Das Mädchen hatte schon wieder die schwere Kamera auf seine Schulter gelegt und filmte das Schiff und Teile der riesigen, lärmerfüllten Werftanlagen. „Lassen wir's“, sagte sie. „Ich bin hungrig und müde. Schließlich sind wir schon seit acht Stunden unterwegs.“ Für die Raumschiffsbesatzung waren vier Stockwerke eines der besten Hotels geräumt worden. Nachdem die ersten Kontaktschwierigkeiten vorüber waren, hatte man erkannt, daß sich hier tatsächlich zwei Bruderrassen getroffen hatten. Ebenfalls wie Terra hatte Norcai kolonisiert — wenn auch nur rund fünfzig Planeten im Umkreis der Sonne Tuson. Der goldene Planet war nach der Göttin des Lichts benannt worden. Diese Göttin einer alten Mythologie hieß Norcai. SIGMAVAC hatte recht gehabt. Die goldene Färbung aller sonnenbeschienenen Flächen kam von Edelgasen, die sich in der Lufthülle befanden. Pieter Don Vessac und Patricia Pogontcheff kehrten in das Hotel zurück. So ähnlich wie sie vertrieben sich, außer Frederick Carrad, Dash Tuson und Jan Berdion, die anderen Menschen der Allahi die Wartezeit bis zum Start des neuen Schiffes. Carrad und seine Assistenten hatten genügend zu tun. Sie entwarfen zusammen mit dem Präsidenten verschiedene Abkommen. Ein riesiger Handelsraumer war bereits mit zwei Mitgliedern der Allahi und Ivan Fardidi als Boten unterwegs zur Erde. Er hatte eine Botschaft des Präsidenten an Bord, unterschrieben von Berdion und Carrad, die nichts anderes bezweckte, als den kulturellen Austausch mit Terra und Norcai einzuleiten. Und — falls es zum Krieg kommen sollte, hatten sich bereits zwei der vier Brudervölker zusammengeschlossen. Da war niemand, der daran zweifelte, auch Kelaher und Dodoyna zu entdecken und zu Freunden zu gewinnen.
* Vierzig Tage, nachdem die Terraner gelandet waren, starteten sie wieder, aber nicht allein. Die Allahi blieb zurück, sorgfältig in einem Hangar verstaut. Die Terra Norcai startete, vom Präsidenten des goldenen Planeten feierlich verabschiedet. Eine zweihundert Mann starke Musikkapelle spielte zuerst die Hymne Terras, dann die Nor-
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cais. Die letzten Takte wurden von den tobenden Düsen verschlungen. Das lange Schiff schoß wie ein Pfeil hinauf in den goldenen Himmel Norcais. Einige Sekunden später hallte nur noch der Lärm der Triebwerke zwischen den Gebäuden und den anderen Schiffen wider, dann war alles vorbei. Die Terra Norcai befand sich im Raum. Die Steuerkabine war anders als die des terranischen Schiffes. Ein Abschnitt des obersten Teiles des Schiffsrumpfes bestand aus einem durchgehenden gläsernen Ring — einem gigantischen Fenster. Der Raum war kreisrund, und die Steuerkontrollen befanden sich außerhalb der Mitte. Zwei wuchtige Pilotensessel und die Schaltpulte. Man betrat die Kabine über eine Treppe. Die Geräte tickten und summten, und der Kurs lag bereits fest. Ein gewaltiger Sprung, der das Schiff fünfundzwanzigtausend Lichtjahre weit schleudern sollte, war einprogrammiert worden. Neben dem Kapitän Asa saß Frederick, in anderen Sesseln Pieter und Astley-Bell. Der Norcai hatte beide Hände auf dem Pult liegen und blickte Frederick ruhig an, während der Expeditionsleiter sprach. „Es ist merkwürdig“, antwortete Asa, „daß wir nichts fanden. Du hast recht; überaus merkwürdig. Vor einigen Jahrzehnten führten wir auf globaler Ebene eine Art Denkmalschutz ein — sämtliche historisch wichtigen Bauten wurden abgesucht, aufgebaut oder wieder instand gesetzt. Aber wir fanden weder ein entsprechendes Dokument noch etwas anderes.“ Draußen verschoben sich unbekannte Sternbilder zu noch rätselhafteren Konstellationen. Der schlanke Gigant raste weiter, wieder zurück in das Zentrum der Galaxis, etwas seitlich davon. Dort lag die Sonne des Terraners Coleman — von der Erde aus betrachtet im Sternbild des Drachen. „Vielleicht fanden die Leute von Dodoyna etwas“, warf Eric ein und zog an seiner Pfeife. Asa nickte. „Das könnte möglich sein. Ich fühle mich jetzt so, wie ihr euch gefühlt haben müßt, ehe ihr auf dem goldenen Planeten landetet!“ „Begreiflich!“ lachte Frederick. Die Norcais waren eine Rasse; ihre Völkerstämme hatten keine unterschiedlichen Merkmale wie Hautfarbe, Konstitutionstypen oder Größe entwickelt. Allen Bewohnern war die bronzene Körperfarbe eigen und die dunkelgrauen Augen. „Wenn der Sprung gelingt, sind wir in zweihundert irdischen Stunden in der Nähe des Zieles“, sagte Asa. „Wer wird dieses Mal die ersten Verhandlungen durchführen?“ „Du und Tazelaar“, sagte Pieter trocken. „Oh — sehr ungewohnt für mich.“ Asa schüttelte sich. „Man gewöhnt sich mit der Zeit daran“, sagte Frederick. „Ich bin nur Expeditionsleiter.“ Asa war Pilot, Kapitän und Leiter der Norcai-Delegation in einer Person. „Es hatte zuerst niemand glauben können, was ihr sagtet“, erinnerte sich Asa. Seine grauen Augen blickten über die Terraner in den Raum hinaus. „Es ist seltsam — viele Sonnen sind von uns und von euch angeflogen und analysiert worden, unabhängig. Jede Rasse hat sich ausgebreitet und hat kolonisiert. Aber es sind zwei Inseln im All, an zwei entgegengesetzten Seiten.“ „Vermutlich werden wir auch bei den anderen beiden Rassen keine nennenswerten Unterschiede finden. Denke daran, daß wir vier Menschentypen gleichzeitig entwickelt und ausgesetzt wurden. Vermutlich hat man unser Verhalten und Denken mehr beeinflußt und ge-
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steuert, als wir ahnen“, sagte Frederick. Der Norcai nickte nachdenklich. „Stellt euch vor, eines Tages hätten wir uns getroffen, nicht durch diese Gelegenheit. Hätten wir uns auch so schnell zusammengetan?“ „Kaum“, sagte Eric grob, „wir hätten ja keinen Anlaß zur Freundschaft gehabt. Wir hätten miteinander konkurrieren können. Der vermutete gemeinsame Gegner — und die gemeinsame Erbitterung über diesen hinterhältigen Streich — haben uns beeinflußt.“ „Du magst recht haben“, warf Pieter ein. „Im allgemeinen bin ich für ironische Formulierungen, aber hier sehe ich etwas weniger schwarz. Ich glaube, nach anfänglichem Zögern wären wir gute Freunde geworden, auch ohne Krieg. Unsere Heimatsonnen sind zu weit voneinander entfernt!“ „Mich interessiert brennend etwas ganz anderes“, lenkte Frederick die Unterhaltung auf ein anderes Gleis. „Wie finden wir Sadoveana?“ Asa und Eric schüttelten die Köpfe. Auch diese Geste hatten beide Rassen gemeinsam. „Ich weiß es nicht. Wir können nur hoffen, daß Kelaher oder Dodoyna etwas Genaueres darüber wissen. Sonst werden wir jeden Planeten im Zentrum der Galaxis untersuchen müssen.“ Frederick stöhnte auf. „Das ist eine Arbeit, die Jahrzehnte dauern kann, selbst wenn vier Rassen einen Teil ihrer Schiffe einsetzen. Jeden Planeten im Zentrum!“ „Weißt du eine bessere Möglichkeit?“ fragte Asa vorsichtig. „Nein — aber es muß eine geben!“ „Hoffentlich fällt sie uns ein. Spätestens dann, wenn wir von Kelaher starten, sollten wir das letzte Ziel kennen . . .“ Zehn Stunden später befand sich das Schiff im Hyperraum. Auch diese wissenschaftliche Erkenntnis hatten die mächtigen Wesen in die Wiege beider Rassen gelegt, die sie erschaffen hatten, um ihre eigene Macht auszudehnen oder zu festigen. „Was tun wir aber“, fragte Eric, der überaus praktisch dachte, „wenn wir auf unseren weiten Flügen ein Schiff unserer potentiellen Gegner entdecken, oder eines dieser Schiffe uns?“ „Nur eines“, sagte Frederick schnell, „Flucht!“ „Flucht!“ schnappte Asa. Er schien entrüstet. Frederick lächelte. „Nicht deshalb, weil die Terra Norcai schlecht bewaffnet ist. Ich weiß, sie ist ein schnelleres Schiff als vieles, das hier durch das All fliegt. Der Feind darf aber nicht wissen, daß es uns gibt, das ist es.“ „Du meinst, wir sollen warten, bis wir für jede Auseinandersetzung gerüstet sind?“ „Genau das“, entgegnete Frederick Asa. Der Kapitän nickte schwer. „Ich verstehe!“ sagte er. Asa betätigte einen Rufknopf, und binnen einiger Sekunden tauchte auf dem Schirm der Kopf Alexandre Calgarys auf. Asa hob bittend die Hand. „Würdest du bitte einen Moment zu uns heraufkommen?“ „Gern!“ sagte Alexandre und schaltete ab. Asa sah noch im Hintergrund die Köpfe zweier Funktechnikerinnen, mit denen sich Alexandre unterhalten hatte. Der Kapitän erschien. Er hatte sein Kommando nicht ungern abgegeben, obwohl die Männer der Allahi im allgemeinen die Prioritätsrechte zugestanden bekommen hatten. „Was ist los?“ fragte er. „Müde vom Steuern?“ Asa lächelte matt. „Kaum“, sagte er. „Ich habe eine Bitte an dich.“ „Sprich sie aus. Schon erfüllt“, antwortete Alexandre und setzte sich vor
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Asa auf das Schaltpult, vorsichtig bemüht, keinen Knopf zu berühren. „Es ist immerhin möglich“, sagte Asa langsam, „daß wir auf unseren Fahrten auf ein Schiff unserer Feinde stoßen, oder sie auf unser Schiff. Ich halte es für angebracht, die Suchgitter bereits jetzt einzuschalten, zumal wir sie auch im Hyperraum benutzen können. Ich weiß, daß du zuverlässig bist. Würdest du die Operationen überwachen?“ „Wenn du mir sagen kannst, wie ich ein feindliches Schiff von einem anderen unterscheiden kann ... ich höre!“ sagte Alexandre nicht ohne Ironie. „Gleichgültig“, antwortete Asa. „Ich würde sagen, wir nehmen uns vor jedem fremden Schiff in acht und weichen aus, sobald wir es geortet haben. Erst, wenn wir in der Nähe Dodoynas sind, können wir hoffen, die Schiffe jener Rasse zu treffen.“ „In Ordnung“, sagte Alexandre. „Ich gehe nun in die Suchabteilung hinunter. Sollte jemand an der Kombüse vorbeikommen; ich hätte gern einen Krug von jenem Getränk mit dem unaussprechbaren Namen, das noch besser ist als terranischer Kaffee!“ „Er meint Gexangnayani“, sagte Pieter blitzschnell und lachte laut auf, als Alexandre eine wütende Grimasse zog und die Treppe hinunterging. „Jetzt können wir nur eines tun“, sagte Asa und drehte seinen Sessel herum. „Warten und hoffen, daß das Schiff gut am Ziel ankommt, daß wir keinem feindlichen Schiff vor den Bug fliegen, und daß die Dodoynier die Raumfahrt beherrschen.“
* Zwanzig Mann der Besatzung der Allahi, elf terranische Wissenschaftler, dreißig Besatzungsmitglieder des Norcaischiffes und fünf wissenschaftliche Berater; sechsundsechzig Männer und Frauen lebten in dem Rumpf der Terra Norcai. Das Schiff raste schnell wie ein Gedanke über die gewaltige Entfernung, schoß an unzählbaren Sonnen vorbei und näherte sich dem Ziel. Langsam vergingen die Stunden, während der Finalantrieb des goldenen Planeten den Stahlkoloß vorwärtstrieb. Neil Reynolds saß neben der norcaischen Technikerin an dem Suchgerät. Ein Kegel unsichtbarer Strahlung breitete sich weit vor dem Schiff in den Raum hinaus, und jeder Planet war darauf zu sehen. Bisher war das Gerät nicht bemannt gewesen; die anderen Maschinen hatten nach fremden Schiffen gesucht. Navi drehte an einem glänzenden Knopf, und der Testschirm erhellte sich. Drei Minuten später flackerten die Lichter kurz auf, erloschen für eine Zehntelsekunde und brannten dann wieder gleichmäßig. Das Schiff war in den normalen Raum zurückgekehrt. „Mein Gott“, murmelte Reynolds und wies auf den Schirm. „Sieh dir das hier an. Ein Planetengewimmel.“ Das Mädchen und der Physiker zählten achtzehn Planeten. „Hier Ortung II“, sagte Reynolds in ein Mikrophon. „Astrogation, bitte antworten. Frage: Ist diese Sonne Colemans Stern?“ „Verstanden, Ortung II. Das ist unsere Zielsonne. Colemans Sonne.“ Die beiden Planetensucher sahen sich an. Dann lachten sie. „Fangen wir an“, murmelte Neil. Das Schiff ging näher an die neunzehn Körper heran. Und die Sucher wurden schlagartig der Suche enthoben. Von einem der Planeten — dem achten von der Sonne aus gezählt — erhob sich ein Schwarm von Raumschiffen. Winzige Punkte nur, aber sie wurden zusehends größer. Die Geschwindigkeit des Schiffes verringerte sich geringfügig.
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„Hier Ortung II“, sagte Neil. „Steuerkabine bitte melden. Der Planet Nummer acht dürfte Dodoyna sein. Bemerken Siedie Raumschiffe?“ „Danke, Neil und Navi, wir sehen sie. Die Dodoynier sind vermutlich eine aggressivere Rasse als die Norcai.“ „Scheint so“, sagte Neil und schaltete ab. „Sehen wir also zu, wie sich die Dinge anlassen, während unsere Maschinen automatisch den Planeten analysieren.“ Die Raumschiffe der Dodoynas bildeten eine ungewohnte Formation; einen Ring. Die Mitte der Öffnung zielte genau auf das anfliegende Schiff, als die Feuerstrahlen aus den Düsen der Dodoynaschiffe brachen und den Ring voranschoben. Das Analysegerät, eine Neukonstruktion nach terranischen Prinzipien unter Verwendung von Norcaischaltungen, die den irdischen überlegen waren, tickte, summte und spie lange Papierstreifen aus. Neil legte sie in das Übermittlungsgerät ein, und kurz darauf verkündete eine Stimme in der Steuerkanzel, daß auch hier die Daten fast identisch mit jenen Terras und Norcais waren. Eine Minute später umgab der Ring das einsame Schiff vollkommen. Wieder setzte sich die Semantikerin an das Funkgerät, während die Technikerinnen verzweifelt versuchten, Kontakte herzustellen. Auch hier half auf der Einundzwanzigzentimeterwelle die Frequenz von vierzehnhundert Megahertz; die Wasserstoffwelle. „Hier Flaggschiff Conboy“, donnerte eine Stimme in den Lautsprechern. Asa sprang auf und schien in den Vergrößerungsschirm hineinsehen zu wollen, „Hier Flaggschiff Conboy — sofortige Identifikation des fremden Schiffes. Unsere Waffen sind auf euch gerichtet!“ Die barsche Stimme schrie eine gerade noch verständliche Abart von Galactic, aber man konnte mehr ahnen als sagen, was hier verlangt wurde. Der unglaublich flexible Verstand der Semantikerin brachte auch hier das Unmögliche zustande. „Hier Schiff Terra Norcai. Wir sind eine Delegation zweier Rassen, die eine dringende Botschaft für euch haben. Sie ist für euch wie für uns von lebensnotwendiger Bedeutung. Bitte, eskortiert uns auf euren größten Raumhafen. Wir müssen mit eurer Regierung verhandeln.“ „Verstanden, Terra Norcai ___ folgt uns. Keine sinnlosen Manöver!“ Die Schiffe bewegten sich in einem engen Kreis, und wieder mußte der Kapitän, um nicht aus der Formation auszuscheren, das Schiff virtuos im Mittelpunkt des Ringes halten. Pieter und Kerstin sahen sich an und begannen zu lachen. Asa fuhr herum und sah sie an. „Was ist daran so lustig?“ fragte er aufgeregt. „Ein waffenstarrender Planet, energisch gebrüllte Anordnungen, Kriegsschiffe zur Begrüßung und die Aussicht auf Schwierigkeiten ...“ „Nimm's leicht“, sagte Kerstin und legte Asa den Arm um die Schultern. „Noch haben sie nur gebrüllt. Warte ab, was du und Tazelaar erreichen werdet. Jede Rasse wird die Notwendigkeit einer Föderation einsehen müssen.“ „Der Gedanke daran ist das einzige“, antwortete Asa düster, „was mich davon abhält, die Finalmaschinen vorzuwerfen und zu fliehen!“ Der Planet Dodoyna war wie Norcai erdgroß. Die Luft war atembar, und die Schwerkraft normal. Alles paßte in den teuflischen Plan der Rasse, die man nicht kannte. Vier Brüder . . . jeder in einer anderen Welt aufgewachsen, unter anderen Umweltsbedingungen. Jede Rasse konnte den Lebensraum der anderen benutzen, dieselben Speisen essen und die gleiche Luft atmen, die näm-
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lichen Schiffe benutzen. Alle verwendeten sie die gleichen Denkschemata. „Verdammt!“ sagte Asa und setzte sich wieder, um das Schiff zu landen. Dodoyna bot weder das Bild Terras — ein blauer Planet mit weißen Wolken, noch das Norcais — der goldene Planet mit seinen unzähligen Seen. Dodoyna war weiß und dunkelgrau. Weiß, schimmernd wie flüssiges Blei, waren die Wasserflächen, und ein dunkles Grau zeigte die Oberfläche des Landes. Auch hier waren andere Edelgasbestandteile der Grund für die Farbenspiele. In einem weiten Ring standen die Schlachtschiffe um die schlanke Nadel der Terra Norcai herum. Die Geschützluken waren geöffnet, und Projektoren starrten in den Mittelpunkt des Kreises. Blau und majestätisch stand das einzelne Schiff da. Und der Vorgang der ersten Kontakte wiederholte sich. Mit anderen Vorzeichen . . . Zwischen den Tragflächen und Hydraulikstützen der Schiffe bezogen Panzer und Geschütze Stellung, als sich der Aufzug mit den beiden Männern auf den weißen Beton niedersenkte. Tazelaar und Asa standen darauf, sprangen herunter, als die Plattform anhielt. Sie schoß wieder in der Leitschiene hinauf; die Luke verriegelte sich. Ein niedriger Wagen näherte sich mit rasselnden Gleisketten und blieb vor den beiden Männern stehen. Asa trug die weiße Norcai-Uniform, Tazelaar war in Grau und Silber gekleidet. Beide waren sie waffenlos. Aus dem rückwärtigen Gang des Fahrzeugs sprangen Infanteristen und bildeten einen dritten Kreis um die beiden Kontakter. Waffen richteten sich auf Asa und Tazelaar. Beide Männer begannen zu lächeln. Ein kleiner Offizier sprang elastisch aus dem Wagen und blieb vor Asa stehen. „Wer seid ihr, was wollt ihr, warum kamt ihr her?“ Asa lächelte ihn breit an. Tazelaar begann zu sprechen. Auch jetzt und hier waren jedes Wort und jede Geste genau überlegt und berechnet. Nur — hier galten andere Maßstäbe. „Einmal wagte sich eine kleine, unschuldige Maus in den Palast des Herrschers“, sagte Tazelaar und lächelte. Der kühle, scharfe Blick des Mannes vor ihm wurde etwas unsicher. Tazelaar sprach die abgewandelte Form des Galactic, wie sie der Sprecher des Flaggschiffs benutzt hatte. „Der Herrscher kannte die Maus nicht; er wußte nicht, daß es Mäuse gab. Er fürchtete sich vor der Maus, obgleich er tausendmal stärker und klüger war als sie. Er rief seinen Soldaten, daß sie die Maus töteten. Die Soldaten begannen zu schießen. Sie schossen viel und lange. Und als sich der Rauch verzogen hatte, lagen viele Soldaten tot da, und auch der Herrscher war schwer verwundet. Die Maus aber hatte niemand getroffen. Die Maus war nämlich gekommen, um den Herrscher zu warnen. Ein fürchterliches Hochwasser kam und verschlang den Palast und weite Teile des Landes. Diese Maus — das sind wir!“ Dann schwieg Tazelaar und lächelte nur noch. Der Offizier vor ihm war verwirrt, und er zeigte dies auch. Die Sicherheit des kleinen Mannes schmolz dahin, als er vor sich die beiden großen Menschen stehen sah. Asa in seiner strahlenden Uniform, mit bronzenem Gesicht und weißen Zähnen lächelnd, die grauen Augen voll Arroganz auf sein Gegenüber gerichtet. Vor Tazelaars gleichbleibender, schweigender Freundlichkeit kapitulierte er schließlich. „Darf ich fragen, weshalb ihr Dodoyna angeflogen habt?“ fragte er leise.
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„Wir sind weder Bettler noch Angreifer. In diesen Fällen hätten wir uns anders eingeführt. Wir sind gleichberechtigte Partner, wie ihr sehen werdet, wenn wir miteinander reden!" Asa hatte gesprochen. Er drehte sich langsam einmal im Kreise und musterte die Waffen, die binnen einer halben Minute das Schiff in ein weißglühendes Wrack verwandeln konnten. „Reden wir also", schlug der Offizier vor. „Wir sind Partner, keine Angreifer", wiederholte Asa beharrlich. „Partner bedroht man nicht mit Waffen. Man streckt ihnen freundlich die Hände entgegen." Innerlich krümmte sich der Offizier, aber er beherrschte sich vorbildlich. Er warf Asa einen langen Blick zu, drehte sich schweigend um und verschwand in der Kabine seines Panzers. Dort blieb er eine kleine Zeitspanne, und noch während er herauskletterte, schlossen sich die Stückpforten der Raumschiffe. Donnernd sprangen schwere Maschinen an, und die Panzer und die Geschütze wurden abgezogen, wendeten und kehrten rasselnd in unsichtbare Stellungen zurück. Sämtliche Eingänge der Bauten waren mit Barrikaden von Sandsäcken versehen, hinter denen sich Rohre und Raketenwerfer in die Luft reckten. Geduldig warteten die Kontakter, immer noch lächelnd, bis nur noch einige Soldaten auf dem Platz herumstanden und die Fremden neugierig musterten. „Erwartet ihr einen Angriff aus dem Raum?" erkundigte sieh Asa. Der Offizier nickte heftig. „Wir greifen nicht an", erklärte Asa. „Wir kommen aus verschiedenen Gegenden der Milchstraße. Die Rasse meines Freundes hier", er deutete auf Tazelaar, „landete eines Tages auf unserer Welt und erklärte, sie habe eine Botschaft für uns. Ich erkenne jetzt, daß auch die letzten Zweifel unbegründet sind. Die Terraner, die Rasse Tazelaars, und wir, die Bewohner des goldenen Planeten Norcai, und ihr Dodoynier sind Brüder. Wir sind nicht aus der Natur unserer Heimatplaneten hervorgegangen, sondern wurden von einer uns noch unbekannten Rasse geplant, erschaffen und ausgesetzt. Wir wurden dazu verurteilt, Sklaven zu werden ..." „Geschafft!" Krachend schlug Pieter Don Vessac Frederick auf die Schulter. Die beiden Männer saßen nebeneinander in der Kanzel des Schiffes und hatten vor sich einen transportablen Schirm aufgestellt. Eine Teleskoplinse vergrößerte die drei Gestalten unten zwischen den Schiffen. Der Mikrodetektor an Tazelaars Handgelenk übertrug jedes Wort, das einer der drei Männer sprach. „Beim ewigen Raum", stöhnte Frederick, „jetzt beginnen die Verhandlungen. Berdion — hierher!" schrie er laut. Sie sahen zu, wie sich die drei Männer unten vor dem Schiff die Hände schüttelten.
* Über der Landschaft wölbte sich der samtschwarze Himmel Dodoynas. Die sieben Monde, weiß und bleich wie Kreidefelsen, drehten sich in merkwürdigen Bahnen umeinander und um den Planeten. Wie das Ticken einer antiken Uhr klangen die Schritte der Doppelwache, die unter dem gewaltigen Rumpf des Schiffes marschierte. Die Spitzen der Feldprojektoren glitzerten, wenn die Männer ins Mondlicht traten. Weit entfernt bellte ein unbekanntes Tier. „Cyo — was hättet ihr getan, wenn wir nicht zufällig gelandet wären?" Frederick saß bequem in dem Lederstuhl und rauchte seine Zigarette. Der kleine Major zuckte mit den Schultern.
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„Dann hätten die achtzehn Planeten jetzt einen Bürgerkrieg und Militärdiktaturen“, antwortete Kerstin anstelle des Majors. Der Dodoynier sah auf. „Es ist ein Zug, den wir bisher nicht ausrotten konnten. Durch nichts. Stets werden die Menschen unseres mühsam kolonisierten Planetensystems ihre persönliche Freiheit der Notwendigkeit von Gesetzen und Richtlinien überordnen. Jeder will Macht, und wenn er nur einen Spaten und ein Stück Land besitzt.“ Die Welle der Empörung und ein Schrei nach Rache waren wie die Blitze durch das System gegangen. Jeder einzelne Bürger der achtzehn Planeten schrie danach, die Rasse zu suchen, zu finden und zu bestrafen. Plötzlich war Einigkeit. Schiffe wurden abgezogen, und alles wurde getan, um die Möglichkeit eines erneuten Aufstandes zu unterbinden. Dodoyna selbst beherbergte jetzt die gesamte Kriegsflotte des Systems. „Wir fliegen in drei Tagen“, sagte Cyo. „Herrlich ist es für mich zu sehen, daß unser schwerstes Schlachtschiff auf eine solche Reise geht. Bisher hat es nur Landetruppen von einem Planeten zum anderen transportiert. Hoffentlich bleibt ihr Jahrzehnte weg!“ „Du hast originelle Forderungen“, sagte Frederick langsam. „Wir sind froh, wenn wir Kelaher bald erreichen. Und jetzt zu der Sage von Sadoveana!“ Ein alter Mann, der den Delegierten als Geschichtswissenschaftler vorgestellt worden war, begann zu erzählen. Seine Stimme stand in krassem Gegensatz zu seinem Körper. Obwohl er ein Riese war, wisperte er fast unhörbar. „Vor vielen Jahren — es muß vor der Zeit der großen Stürme gewesen sein — näherte sich aus dem Gestirn der Spiralschlange ein Licht. Es wurde immer größer und größer und kam langsam herunter auf unsere Welt. Es blieb dort hinten in den Bergen liegen. Kleine Lichter lösten sich von der Feuerkugel und flogen nach allen Richtungen davon, flogen über unsere Welt und kehrten wieder zurück. Alles das geschah in einer einzigen Nacht. Dann erhob sich die Kugel wieder und flog davon, wieder in die Spiralschlange hinein. Die Götter besuchten die Erde“, schloß der Greis. „Wann waren die großen Stürme?“ fragte Frederick gespannt. „Vor zweitausendachthundertfünfzig Jahren genau“, antwortete Cyo. „Das ist es.“ Frederick lehnte sich zurück. „Was?'' fragte der Major. Cyo war Staatspräsident der planetaren Regierung; aber in dem erwarteten Bürgerkrieg hatte er die Uniform angezogen. „Nachdem die Umlaufzeiten der beiden Planeten Dodoyna und Terra gleichlang sind, geschah es um dieselbe Zeit, daß der Mönch, dem wir diese entscheidende Entdeckung verdanken, getötet wurde. Genau zu dieser Zeit schickten unsere Schöpfer, wenn dieser Ausdruck keine Blasphemie sein sollte, eine Kontrolle. Sie wollten sehen, was aus uns geworden war.“ Unter dem riesigen, dreieckigen Sonnensegel wurde es still, der alte Gelehrte erhob sich und verabschiedete sich von den Besuchern. Die Schritte der Posten kamen näher, klangen auf den Betonplatten auf und entfernten sich wieder. Die still brennenden Lichter erhellten die Gesichter. „Es steht also fest“, sagte Neil Reynolds und blickte Cyo an, „daß die Rasse, die wir suchen, aus dem Zentrum der Galaxis kommt. Wenn wir die Linie von hier über die Spiralschlange“, er deutete auf das aus dreiundzwanzig Sonnen bestehende Sternbild, „verlängern, zielt sie recht genau auf einen Teil des Zentrums. Ich habe bereits einige Berechnungen durchgeführt, um das Gebiet abzugrenzen.“
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„Und unser Kapitän besitzt die Daten für den langen Weg nach Kelaher.“ Cyo lehnte sich zufrieden zurück und blickte seine Gäste an. Frederick sagte: „Das ist eine Art Lawine — zuerst wir, dann wir zusammen mit den Norcais, und jetzt alle drei Rassen. Dieses Mal mit zwei Schiffen!“ „Außerdem. . .“, sagte Cyo und lachte auf. „Euer Erscheinen hat noch mehr zur Entspannung beigetragen, als es schien. Wir können nun mit zwei anderen Rassen Kultur und Erfahrungen austauschen. Zwei Schiffe sind schon unterwegs. Eines nach Norcai“, Cyo verbeugte sich vor Asa, der bisher schweigend zugehört hatte, „und eines nach Terra!“ Beide Schiffe hatten Botschaften an die jeweiligen Präsidenten an Bord, und je zwei Mitglieder der früheren Mannschaften. El Safi Ali Ismail und Camys von Norcai würden erfahren, daß ihre Kapitäne bisher Erfolg hatten. „Die Maschen eines Netzes werden geknüpft. Einmal siebzig kolonisierte Planeten von Terra, einmal fünfzig von Norcai, achtzehn von Dodoyna . . .“ „Irgendwie geht alles zu glatt und zu schön“, sagte Pieter. „Ich möchte keinesfalls den Schwarzseher spielen, aber ich kann in weiter Ferne noch Schwierigkeiten erkennen. Entweder stoßen wir mit den legendären Fremden zusammen oder wir suchen Jahre nach Sadoveana.“ „Du kannst natürlich recht haben“, sagte Cyo. „Aber wir wollen abwarten.“ „Etwas anderes können wir auch nicht tun!“ sagte Frederick und stand auf. „Ich werde mich zurückziehen, ich bin müde. Schließlich haben wir den ganzen Tag lang verhandelt und Kompetenzen abgesteckt.“ Er ging hinüber zu dem mächtigen Leib des dodoynischen Kreuzers, der für die Dauer des Aufenthaltes in ein Hotel umgewandelt worden war. Er lag direkt neben dem bauchigen Körper des Schlachtschiffes Cyo Dacoi und dem schlanken Rumpf der Terra Norcai. Der Posten rief Frederick Carrad an, und Frederick antwortete. Dann verstummten die Geräusche wieder, und die Ruhe senkte sich über diesen Teil des Raumhafens. Das breite Band der Milchstraße, mit der mächtigen Ansammlung von Sonnen im letzten Drittel, spannte sich über den schwarzen Himmel des grauen Planeten. Nur noch vier Monde bewegten sich vor den Sternen, und einige Nachtwolken zogen auf.
* Fünfzig Kilometer trennten die Schiffe. Das Schlachtschiff Cyo Dacoi und die Terra Norcai bewegten sich rasend schnell dem Zentrum der Milchstraße zu. Hinter den Schiffen blieb Dodoyna zurück. Drei Rassen waren aufgebrochen, um nach dem vierten Bruderplaneten zu suchen. Man hatte zwei konkave Schirme montiert. Während der Dauer des Fluges konnte man in jeder Steuerkabine beobachten, was in der anderen vor sich ging. Automatische Regler sorgten dafür, daß Sender und Empfänger stets genauestens arbeiteten. In dem Schiff, wo Terraner und Norcais zusammen flogen, nahm der Schirm einen Teil der Steuerkanzel ein und versperrte teilweise die Sicht auf die Sterne; auf der Brücke des Schlachtschiffs stand er vor einer Sesselgruppe neben den Fernortungsgeräten. Wieder bewachte Alexandre Calgary die Fernorter, zusammen mit drei Funktechnikerinnen von Norcai. Asa saß vor der Steuerung seines Schiffes, und Kapitän Tziuma lenkte
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das schwarze Schlachtschiff der Dodoynier. Die Finalmaschinen, alle drei Fabrikate nach denselben Prinzipien funktionierend, trieben die beiden Schiffe dem Halo der Galaxis zu. Immer schneller wurden die Kolosse, immer dünner die Partikelstrahlen, die aus den Endstücken der Aggregate strömten. Das terranische Schiff war zunächst von seinem Startplatz, etwa in der Mitte zwischen Rand und Zentrum der Milchstraße gestartet. Es hatte den Kern der Galaxis im Hyperraumflug durchstoßen und war bis fast an den gegenüberliegenden Randbezirk vorgestoßen. Dort lag Norcai. Dann hatte die Terra Norcai einen gewaltigen Sprung unternommen. Sie hatte den Kreis, den man als provisorische Berechnung der spiraligen Galaxis schlagen mußte, in Viertel geteilt, wobei je eine der Linien auf Norcai und eine auf Dodoyna lag. Dann zog man eine Verbindung zwischen den letztgenannten Planeten; auch Dodoyna lag fast im Randbezirk und — sprang durch den Hyperraum. Man erreichte Dodoyna. Natürlich war alles viel komplizierter, als man es schildern konnte. Diese Sprünge gingen über zwanzigtausend Lichtjahre oder das Doppelte. Jetzt sprangen die Schiffe zu einem anderen Punkt. Drei Linien, gezogen vom galaktischen Zentrum nach Norcai, nach Dodoyna und von Norcai nach Dodoyna, ergaben ein fast gleichschenkeliges Dreieck. Genau in gleicher Entfernung von den drei Winkeln, also in relativer mathematischer Mitte, lag Kelaher — nach den Informationen der terranischen Handbücher für die Raumfahrt. Dort wartete der vierte Planet, ohne es zu wissen, auf seine drei Bruderrassen. Vom mathematischen Mittelpunkt der Galaxis war das System Heintz VII — Trianguli ceta rund fünfundzwanzigtausend Lichtjahre entfernt. Fast gleichzeitig verschwanden die beiden Schiffe im Hyperraum. Die Sterne verschmolzen und wurden mit dem Schwarz des ewigen Dunkels zu einem Grau, das scheinbar pulverige Konsistenz hatte. Das war der optische Eindruck. Er dauerte nicht lange an, nur etwa zehn Sekunden, bis die Geräte umgeschaltet hatten. Dann zeigten sich die dichten Sternhaufen und Schleier aus Sonnen, die immer zahlreicher wurden, je mehr sich die Schiffe dem galaktischen Zentrum näherten. Die Zeit verging .. . Es war Nacht; Bordzeit. In den Korridoren und an den einzelnen Maschinen brannten die blauen Lichter. Die Freiwachen standen oder saßen vor ihren Geräten. Eine Abteilung auf jedem Schiff war dauernd besetzt; die Fernortung. Hier auf den Schirmen zeigten sich die Sonnen und deren Planeten als kleine und kleinste Scheiben. Dazwischen rotierten winzige Punkte; die Monde und Satelliten. Noch hatte man kein einziges Schiff gesichtet. Der potentielle Gegner schien einen anderen Bezirk der Galaxis zu besitzen. Kapitän Tziuma drückte wie ein Klavierspieler mehrere Tasten an seinem umfangreichen Steuerpult nieder und drehte dann seinen Sessel herum. In den Steuerkabinen war es dunkel; die Gestalten auf den beiden Schirmen boten einen Anblick, als säßen sie sich tatsächlich gegenüber. ,,Noch siebzig Stunden nach unserer Normzeit“, sagte Tziuma mit seiner scharfen Stimme. Selbst jetzt, nach fast fünfzehn Stunden Wachdienst hatte der hagere Mann nichts von seiner Spannkraft verloren. Er war nicht schmächtig, aber groß, fünfzig Jahre alt.
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Asa fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Was wird uns dort erwarten?“ fragte er sich. „Mehr oder weniger das gleiche, das wir schon zweimal mitgemacht haben“, sagte Frederick. „Kein feindliches Schiff entdeckt — überhaupt keines!“ sagte Tziuma und gähnte verstohlen. „Abwarten“, sagte Frederick, „nicht daran denken, daß etwas passieren kann. Wir sind ungeheuer schnell, wenn es darauf ankommt.“ „Noch sechs Schichten“, sagte Asa. „Ich werde langsam müde und alt. Zuviel Maschinen, die das Steuern erleichtern. Als ich mein erstes Kommando erhielt, waren die Schiffe noch so konstruiert, daß der Kapitän, gleichzeitig Pilot, alles selbst rechnen mußte, die Steuerung bediente und halb soviel schlief wie seine Männer. Das waren noch Tage, in denen man beweisen mußte, was man taugte. Alles war anders . . .“ Asa begann, eine Geschichte zu erzählen, in der sein erstes Schiff die Hauptrolle spielte. Die anderen beiden Männer hörten zu und nickten bekräftigend. Jeder Kapitän konnte solche Erlebnisse berichten, wenn er lange genug unterwegs gewesen war.
* „So ist es immer“, sagte Asa und konzentrierte sich auf das, was auf den Voraus schirmen zu sehen war. „Zuerst denkt man, die Zeit würde niemals vergehen. Sie scheint plötzlich stillzustehen, und man kommt sich vor, als wäre das Schiff in einem zähen Brei steckengeblieben. Und dann überschlagen sich die Minuten. Es scheint, als wären wir gestern abend gestartet.“ Asa saß frisch rasiert und ausgeschlafen vor der Steuerung. Vor einigen Sekunden waren die beiden Schiffe aus dem Hyperraum herausgekommen und befanden sich jetzt eine volle astronomische Einheit vom Ziel entfernt. Mannschaften und wissenschaftliche Mitarbeiter saßen gespannt an Geräten, Schirmen oder Okularen und warteten, bis die Schiffe nahe genug an das System Heintz VII herangekommen waren. Während die Automatik bereits den Spektraltyp der Sonne festgestellt und durchgegeben hatte, suchten die verbesserten Laserstrahlen noch nach den Planeten — und besonders nach Kelaher. Bisher hatte die Verständigung stattfinden können. Um mit planetaren Eingeborenen oder in der gekürzten Funksprache sprechen zu können, hatten alle drei Rassen ein Galactic entwickelt, das sich sehr glich. Wortschatz und Grammatik waren ähnlich gewesen; wieder ein Beweis für die sorgfältige Planung der unbekannten Rasse des unbekannten Planeten. Wie würde es hier aussehen? Nachdem die Schiffe ihre Fahrt soweit gedrosselt hatten, daß die Stahlkörper beinahe stillstanden, befanden sie sich förmlich in einem Hagelschauer von Planeten. Heintz VII war eine Riesensonne. Aber daß eine Riesensonne eine derartige Menge von Welten an sich binden und damit ein stabiles System bilden konnte, schien unfaßbar. Die Rechenmaschinen arbeiteten exakt. Sie zählten neunundvierzig Welten. Abgesehen von Monden und Meteoriten, die noch dazukamen. Neunundvierzig Planeten. Verteilt auf einen Raum, der nicht größer war als siebzehn astronomische Einheiten, also siebzehnmal die Entfernung Terras von Sol. „Ich kann nicht glauben, daß es so etwas gibt“, sagte Neil Reynolds zu Navi und löschte die erste Analyse. Seine Finger drückten einen anderen Kontakt, und die Daten des ersten Plane-
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ten, des sonnennächsten, wurden in die einzelnen Räume des Schiffes durchgesagt. Planet I war erdgleich. In jeder Einzelheit. Völlig identisch. Es hätte eine zweite Erde sein können. „Planet II“, sagte Navi und deutete auf das farbige Band, das sich aus dem Paneel des Rechengerätes ringelte. Dann trennte die Schneidevorrichtung den Streifen ab. Navi nahm ihn auf und las ab; die Techniker konnten in den Diagrammen und Farbstreifen lesen wie in einem Buchstabentext. „Erdgleich!“ Neil stieß ein Kichern aus. „Ich vermute das Schlimmste!“ Die Männer, die in den Räumen des Schiffes warteten, waren ziemlich abgebrühte Burschen. Das jedenfalls behaupteten sie pausenlos von sich selbst. Sie dachten noch, als die Daten für Planet III durchkamen, die Dinge wären Zufälligkeiten, die innerhalb der gigantischen Ordnung des Weltalls vorkommen konnten. Planet IV war erdgleich. V ebenso. Auch VI, VII und die folgenden. Alle neunundvierzig Planeten des Systems Heintz VII waren Duplikate der Erde, oder Norcais oder Dodoynas, ganz wie man es ausdrücken wollte. Asa, Alexandre und Tziuma sahen sich schweigend an. Fredericks Kopfhaut juckte vor Nervosität. Kerstin Randel kam in die Kabine und blickte ebenso verwundert. Asa schaltete die Kommunikatoren aus. „Ich bin ratlos“, sagte er einfach und lehnte sich zurück. „Du bringst genau das zum Ausdruck“, sagte Taziuma leicht gereizt, „was wir alle denken.“ „Wir versuchen es mit Breitbandfunk auf der Wasserstoffwelle!“ beendete Kerstin die Diskussion. „Ich würde mich auch jetzt nicht wundern, wenn wir wenigstens einen bescheidenen Erfolg hätten.“ Die Kommunikatoren klickten und waren wieder in Betrieb. „Die Cyo Dacoi hat die stärkeren Geräte“, sagte Kerstin und rief die Funkbude des Schlachtschiffes. „Versuchen wir's also!“ „Hier Funker. Wir strahlen bereits die Wasserstoffwelle aus. Bitte, sprechen Sie!“ Klar, langsam und in Galactic sagte Kerstin Randel: „Achtung. Hier in der Nähe des siebenten Planeten stehen zwei Schiffe im Raum. Sie suchen nach Leben, sie suchen denjenigen Planeten, auf dem die Leitung oder die Verwaltung des Riesensystems sich befindet. Wir warten auf Antwort!“ Ein Band war mitgeschnitten worden, und pausenlos strahlte der mächtige Schiffssender die Botschaft ab. Alles wartete. Minutenlang. Eine halbe Stunde . . . vergebens. „Funkstille“, sagte irgend jemand. Eine volle Stunde lang wurden die sechsunddreißig Worte in den Raum gesendet. Die ausgefahrene Schalenantenne der Cyo Dacoi drehte sich ständig und strahlte je zweimal die Botschaft auf einen Planeten ab. Geräte von der Größe eines Transistorradios mußten die Impulse empfangen. Kein einziges Raumschiff stieg aus den Tiefen der Welten auf, kein einziges Echo wurde aufgenommen. „Sind die Welten ausgestorben?“ fragte Tziuma in die gespannte Stille hinein. Frederick Carrad zuckte fragend und verzweifelt mit den Schultern. „Vielleicht kennen sie den Funk nicht?“ fragte Kerstin und fuhr sich durchs Haar. „Das erscheint mir unmöglich. Ich schlage vor, daß die Terra Norcai auf einen oder zwei der Planeten hinunterfliegt und sich etwas umsieht. Die Cyo
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Dacoi kann hier warten und absichern. Einverstanden?“ fragte Frederick und blickte zuerst auf Asa, dann auf Tziuma. Beide nickten. Asa gab eine Serie von Befehlen durch. Nachdem man die Sterne und die beleuchteten Scheiben einiger anderer Planeten sehen konnte, erkannte man, daß das schlanke Schiff auf der Stelle wendete und die Spitze auf den nächsten Planeten — es war Nummer VII — richtete. Die Düsentriebwerke zündeten, und das Schiff beschleunigte. Mitten in die Steuermanöver hinein rief eine Stimme: „Halt!“ „Was ist los?“ fuhr Asa herum und griff nach dem Mikrophon. „Hier Kapitän Asa. Wer hat gerufen?“ Die Antwort kam augenblicklich. „Asa, hier spricht Alexandre, Fernortung. Ich habe etwas auf dem Schirm, das wie ein Schiff aussieht, wie ein sehr seltsames Schiff. Benutze die Telelinsen!“ Asa hielt das Schiff wieder an. Seine Finger bewegten sich über die Bedienungsknöpfe des Armaturenschrankes und stellten das Bild her. Von einer Linse, die in der Fernortung das aufsteigende Objekt verfolgte, gelangte ein stark vergrößertes Bild bis auf einen Farbschirm in der Steuerkanzel. Frederick und Kerstin traten hinter Asa. Auf dem viereckigen Schirm war der Ausschnitt einer Planetenoberfläche zu sehen. Die Farben waren gelb und blau. Ein flacher Diskus schob sich langsam in den Vordergrund; die Wirkung des Teleobjektivs ließ ihn größer werden. Es war eine weißglänzende Scheibe, von der aus vier dunkle Linien auf den Planeten zurückdeuteten. Es waren schwarze Abgase von Düsen. „Begrüßungsschiff“, sagte Tziuma lakonisch und lächelte. „Diesmal muß Tazelaar im Raumanzug nach draußen. Der Beruf des Kontakters ist schwer.“ Tziuma fand die einzige Lösung, die es gab. Einer seiner Leute stieg von innen in eine Luke und signalisierte das fremde Schiff mit einem starken Handscheinwerfer an. Der Diskus stellte seine Düsen ab, schwebte haarscharf über das Leitwerk des Norcaischiffes hinweg und schwang dann durch Anwerfen einer Richtungsdüse seinen Körper herum. Dann bremste er ab, indem er die Düsen als Bremsen benutzte — ein Verfahren, das auch die ersten Raketen Terras benutzt hatten. Langsam und vorsichtig manövrierte der fremde Pilot den Diskus in den weit geöffneten Laderaum der Cyo Dacoi hinein und wurde dort von magnetischen Tauen festgehalten und befestigt. Dann schloß sich das große Stahlschott. Die Techniker der Dacoi stellten neue Verbindungen zusammen, und auf dem Konkavschirm in der Kanzel des Norcaischiffes zeichnete sich ab, was im Laderaum des anderen Schiffes vor sich ging. Die Lichtflut ungezählter Scheinwerfer strahlte herunter und tauchte die dunkle Halle in strahlenden Glanz. Nachdem die Dodoynier ohne Schutzanzüge den Laderaum betraten, konnte man annehmen, daß bereits normale Luft eingepumpt worden war. An der Seite des Diskus öffnete sich eine triangelförmige Tür. Drei Gestalten sprangen heraus und gingen auf die Gruppe der wartenden Mannschaftsmitglieder zu. Es waren Menschen. Sie trugen Raumpanzer, die aus unzähligen Schuppen zusammengesetzt schienen. Die Panzer schimmerten und leuchteten in allen Spektralfarben. Worte ertönten über die Lautsprecher. Asa, Frederick, Kerstin und Pieter, der dazugekommen war, saßen und stan-
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den da und blickten fasziniert auf den Schirm. „Wir sahen euch kommen“, sagte einer der Männer, ein blonder Hüne mit durchdringenden Augen. „Hörtet ihr die Funksprüche nicht?“ fragte ein Techniker gespannt. „Das ist nutzlos. Alle unsere Welten haben einen derartig dicken Mantel aus Magnetfeldern und Höhenstrahlen, daß jeder Versuch mit Funk sinnlos ist. Alles, was wir tun konnten, geschah durch unsere Observatorien. Unter den Hüllen können wir natürlich Funkverkehr benutzen.“ „Dann natürlich“, atmete Frederick auf, „kann das Schiff seine Speicher leermachen, ohne daß etwas gehört wird. Aber ...“ „Erwartet ihr uns etwa?“ fragte ein anderes Mannschaftsmitglied. „Natürlich!“ „Wie?“ Der Blonde lachte und deutete auf seinen Kameraden. „Wir fanden vor kurzer Zeit ein Dokument, aus dem hervorging, daß wir drei Bruderrassen in dieser Milchstraße haben. Nachdem unsere Schiffe nicht dazu in der Lage sind, mehr als vier oder fünf Lichtjahre ins All vorzustoßen, mußten wir auf euch warten.“ „Das ist logisch. Weshalb diese Einschränkungen?“ fragte jemand. „Uns fehlen einige Metalle und einige Elemente, um die entsprechenden Maschinen bauen zu können. Wir rechneten aus, daß es sie gibt, aber sie fehlen uns völlig.“ „Kupfer, Kadmium, Beryllium“, murmelte Asa vor sich her. „Das sind die Dinge, die man für einen Finalmotor benötigt. Aber — es wird Zeit, daß wir die Schiffe wechseln. Oder die Szene!“ „Tziuma!“ rief Frederick laut. Der andere Kapitän blickte herüber. „Wir fühlen uns ausgeschaltet und vereinsamt. Sehen wir zu, daß wir auf einen der Planeten hinunterkommen.“ „Gut, ich werde mich darum kümmern!“ Tziuma stand auf und verließ die Brücke seines Schiffes. Der Erste Offizier übernahm die Steuerung. Tziuma fuhr mit einem Lift hinunter und betrat den Laderaum. Er ging auf die drei Besucher zu, drückte ihre Hände und sprach mit ihnen. Eine Viertelstunde später saßen sie auf der Brücke und unterhielten sich mit den Männern der Terra Norcai. Die beiden Schiffe waren bereits in Fahrt und durchstießen gerade die Lufthülle des Planeten VII. Kelaher empfing die Schiffe mit einer schier unübersehbaren Menschenmenge, die sich um den Raumhafen der Zentralsiedlung angesammelt hatte. Die Luken und Schleusen öffneten sich. Der Raumhafen war eine viereckige Fläche aus molekular verdichtetem Sand, ein Viereck inmitten von Wiesen und Wäldern. Auch hier diente ein moduliertes Galactic als Verständigungsbasis. Die flachen Gebäude rund um den Hafen strahlten im hellen Licht der Riesensonne. Die Terraner, Norcais und Dodoynier wurden feierlich von dem amtierenden Präsidenten empfangen und begrüßt. „Wir werden ihnen die Terra Norcai überlassen, damit sie unsere drei Zentralplaneten besuchen können. Dort wird man ihnen auch einige Zehntausend Tonnen Kupfer und ähnliche Sachen überlassen. Das, glaube ich, sind wir ihnen schuldig“, sagte Pieter zu Frederick, als sie sich mitten in dem Trubel der Begrüßung trafen. Frederick nickte. „Der erste Akt dieses kosmischen Schauspiels wäre fertig“, meinte er ernst. „Jetzt bleibt nur noch der Schluß übrig.“ „Alles wird sich geben“, sagte Pieter.
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„Sicher. Wir werden in die Dacoi übersiedeln und etwas zusammenrücken müssen. Und dann . . .“ „. . . die Suche nach Sadoveana“, schloß Pieter Don Vessac. So war es. Die vier verschiedenen Rassen verstanden sich prächtig. Es war, als ob vier Brüder in ein gemeinsames Elternhaus zurückgekehrt waren. Und doch stimmte dieser Vergleich nicht ganz. Es waren die „Eltern“, um die es ging. Die Sadoveaner. Eine Rasse, von der man nichts anderes wußte, als daß sie vier Menschentypen geschaffen und ausgesetzt hatte. Mit raffinierter, genauester Überlegung und einem ungeheuer großen Können waren die Typen hergestellt und ausgesetzt worden. Ausgesetzt auf Welten, die ihnen maximale Überlebenschancen boten und die Möglichkeit, sich eines Tages zu treffen. Das war jetzt und hier geschehen. Die Kaltblütigkeit, mit der man allen vier Rassen die gleichen Grundlagen mitgegeben hatte . . . die Sprachen . . . die technische Entwicklung . . . den Lebensraum und die gleichartige Entwicklung der Umwelt . . . die Gedanken und die gleiche Ethik. Alles war perfekt. „Wir sind noch lange nicht fertig“, sagte Asa und sah nachdenklich in den gelben Himmel hinauf. „Nein.“ Frederick bestätigte es. „Wir haben noch soviel zu besprechen und zu planen, ehe wir aufbrechen können, unsere Erzeuger zu suchen. Vielleicht finden wir hier genauere Daten?“ Es dauerte zwei volle Tage, ehe die vier Rassen um einen gemeinsamen Tisch saßen und ihr Wissen und ihre Vorschläge voreinander ausbreiten konnten. Und dann konnte man erkennen, daß sich erstaunliche Zusammenhänge ergaben. Die Steinchen des gewaltigen Mosaiks waren gesammelt. Jetzt schälte sich langsam das Bild des Meisterplans der Sadoveaner heraus. Es war wirklich ein meisterhafter Plan — und grauenhaft logisch . . .
3. Frederick Carrad von Terra. Sehnig, braungebrannt mit weiß gewordenem Haar, bestimmt und schweigsam, vertrat zusammen mit Jan Berdion seinen Planeten. Berdion, der Meister der Taktik in politischen Verhandlungen, war etwas kleiner, fast kahlköpfig und sehr lebhaft. Seine Gestik war überzeugend und präzise; sie unterstrich auf eine sehr wirkungsvolle Weise die Sätze, die er sprach. Asa. Das bronzene Gesicht mit den hellen Augen und den schwarzen buschigen Brauen, dem weißen Haar. Der Mann selbst: kühl und trotzdem wortreich, mit knappen Handbewegungen und wohlüberlegten Sätzen. Kapitän Tziuma und Keilo, sein Adjutant, saßen gegenüber von Frederick und Berdion. Tziuma war hünenhaft und breitschultrig, ebenfalls braungebrannt und mit einem grobflächigen Gesicht, das überlegene Stärke ausdrückte. Tziuma schwieg oft und lange, aber wenn er sprach, lauschte sogar Asa aufmerksam. Zuletzt der Gastgeber dieser Runde: Kilchan Li. Er war der blonde Hüne, der als erster aus dem Diskus herausgesprungen war und die Männer des Schiffes begrüßt hatte. Er zeigte sich lebhaft, übersprudelnd und war gleichzeitig der an Jahren Jüngste der Runde. Trotzdem sprach er mit Autorität. „Nachdem nun alle Dinge zur Sprache gekommen sind“, sagte er und blickte schnell von einem zum anderen, „die uns verbinden oder unsere geringfügigen Verschiedenheiten beleuchten, können wir uns den Zielen der nächsten Zeit zuwenden.“
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„Es gilt also zuerst, den genauen Standort des Systems auszumachen, dem Sadoveana angehört. Dann starten wir mit der Cyo Dacoi — das andere Schiff ist bereits unterwegs zu Terra, Norcai und Dodoyna. Wir werden dort auf Sadoveana vermutlich auf die Rasse treffen, die uns in die Welt gebracht hat. Wir werden sie zur Rede stellen.“ Tziuma legte den Stift, mit dem sich seine großen Hände beschäftigt hatten, wieder auf die Unterlage zurück. „Wir konnten uns bisher nicht weit in den Kosmos vorwagen“, sagte Kilchan Li bedächtig, „deshalb waren wir gezwungen, unser eigenes System auszubauen und restlos zu kolonisieren. Das ging ziemlich glatt, und dann blieb uns nichts mehr zu tun. Wir gingen also daran, das Weltall um uns herum auszumessen. Wir flogen mit den Laboratoriumsschiffen einige Lichtjahre weit hinaus und machten Aufnahmen, Spektralanalysen und Schweretests. Wir kennzeichneten jede Sonne, die wir auffinden konnten. Unsere Kataloge sind ziemlich umfangreich. Von vielen Sonnen konnten wir feststellen, daß sie Planeten gebunden hatten. Wir nahmen unser Zentralfeuer als Maßstab und gingen von diesen Schwankungsdaten aus. Mittlerweile haben unsere elektronischen Archive über zwei Millionen bewohnbare Planeten aufgenommen!“ „Sagtest du — bewohnbare?“ fragte Berdion schnell. Kilchan nickte. „Zwei Millionen bewohnbare, bei einem Prozentsatz von eins zu zehn. Ihr habt zwanzig Millionen Planeten untersucht?“ fragte Asa fassungslos. Frederick entging das feine Lächeln Kilchans nicht. „Wir haben.“ Kilchan bestätigte es ruhig. „Dann brauchen wir also nur aus diesen zwei Millionen Planeten Sadoveana herauszusuchen“, meinte Berdion lakonisch und griff nach seinem Glas. „Das können uns die Elektroniken abnehmen“, antwortete Kilchan, „aber sie müssen die einzelnen Gesichtspunkte einprogrammiert erhalten. Wie sollten sie sonst die Auswahl treffen? Was wißt ihr über Sadoveana?“ wandte sich Kilchan an seine neuen Freunde. Tziuma, Asa und Carrad sagten wie aus einem Mund: „Nichts!“ Sie lachten bitter. „Das ist verteufelt wenig“, erwiderte Kilchan, „wenn man daran denkt, was davon abhängt.“ „Zählen wir die Merkmale auf, die wir durchdacht haben“, schlug Keilo vor. „Erdähnlich!“ „Ziemlich alt — das heißt, älter als alle unsere eigenen Welten, mindestens eine halbe Milliarde Jahre.“ Vor rund zweitausend Jahren starteten noch Raumschiffe!“ „Also vor dieser Zeit noch bewohnbar gewesen!“ „Auch die Rasse könnte ähnlich wie wir aussehen.“ „Muß aber nicht sein.“ Kilchan machte sich Notizen und reichte sie weiter, nachdem keine Vorschläge mehr eingingen. „Immerhin dürfte es genügen, um eine gewisse Auswahl zu treffen. Von diesen zwei Millionen Planeten können viele zu alt, viele zu jung sein, nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung fallen viele aus, die einer strengeren Untersuchung nach noch zu findenden Maßstäben nicht standhalten . . .“ Frederick schwieg wieder. Es waren noch zu viele Unsicherheiten. „Wir können auch eine lokale Abgrenzung vornehmen. Nehmen wir an, unsere Kenntnisse vom Finalantrieb sind ebenfalls vererbt. Nun wird sich ein Schiff mit diesen Maschinen stets in geradester Linie fortbewegen. Wenn wir die Berechnungen meiner Landsleute
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nehmen, können wir ein Gebiet bestimmen, innerhalb dessen Sadoveana liegen muß.“ „Das ist sehr gut, Tziuma“, sagte Asa. „Daran dachte niemand.“ „Das ist ein zusätzlicher Punkt, der uns weiterhelfen wird. Wir klammern dadurch eine Riesenmenge überflüssiger Planeten aus.“ Die Sitzung wurde abgebrochen, da man den Technikern neue Direktiven erteilen wollte. Irgendwie legten alle eine deutlich spürbare Eile an den Tag. Es ging ihnen nicht schnell genug. Während sie in die Stadt fuhren, sah Frederick aus dem Fenster des dahinrasenden Wagens. Kelaher war ein fast reiner Agrarplanet, und nur Felder, auf denen große Maschinen ernteten, Wälder, durch die sich die Straße schlängelte und Wiesen, auf denen Herdenvieh stand, waren zu sehen. Man hatte die Gäste an verschiedenen Punkten des Planeten untergebracht, während das Schiff in der größten Werft stand. Nur die Leiter der einzelnen Vertretungen wohnten zusammen. Sie lebten in einem kleinen Gästehaus der planetaren Regierung weit vor der Stadt in einem riesigen Park. Die Techniker des Rechenzentrums bekamen Arbeit . . . Zuerst wurden sämtliche Identitätskarten einmal durch die Anlage gejagt. Das Elektronenhirn suchte alle diejenigen Planeten heraus, die in dem Abschnitt lagen, der von Dodoyna festgestellt worden war. Dann kam der zweite Durchgang. Erdähnlich. Eine genaue Überprüfung, sehr enge Grenzen. Übrig blieben rund zehntausend Planeten. Der Tanz ging weiter und die Kreise wurden enger. Vor zweitausend Jahren noch bewohnbar. Jetzt blieben nur noch sechstausend übrig. Planeten mit Metallvorkommen, die den Finalantrieb und die Konstruktion von Raumschiffen ermöglichen konnten. Wieder rasten die Blätter durch die Maschinen. Das Ergebnis war bedeutend geringer. Viertausenddreihundert. Zu junge Planeten, solche, die noch in der Jurazeit oder in der Kreidezeit waren. Wieder siebte die Anlage aus. Es blieben zweitausend übrig. Asa stand mit Frederick auf der Beobachterbühne über den wuchtigen Schränken der Maschinen. „Jetzt sind es noch zweitausend Planeten. Immer noch zu viele, um überhaupt mit der Suche zu beginnen!“ sagte Asa. „Wir könnten immerhin drei Flotten zur Hilfe rufen“, erwähnte Carrad leise. „Aber irgendwie mag ich das nicht. Ich möchte die Sache, die ich angefangen habe, auch allein zu einem guten Ende führen. Ich möchte nicht mit einem halben Erfolg zurückkommen.“ Asa blickte Frederick an, sah dann hinunter auf die summenden Maschinen und meinte: „Das ist bei mir und Tziuma das gleiche. Auch wir wollen vermeiden, daß die Flotten bei der Suche eingesetzt werden. Eher lösen wir uns gegenseitig ab, bis zum Umfallen.“ „So werden wir es auch schaffen!“ Frederick und Asa sahen zu, wie die zweitausend Planeten immer weniger wurden. Die zu alten Planeten wurden herausgesucht. Eintausendvierhundert. „Und jetzt noch diejenigen, die offen zugänglich sind, also nicht hinter Nebeln oder Sternenhaufen liegen, hinter Filamenten oder bei Doppelsonnen. Das ist der letzte Durchgang.“ Die Maschinen ratterten wieder los, nachdem die Techniker das neue Programm aufgestellt hatten. Dann warfen die Maschinen noch dreihundertsiebzig aus. Dreihundertsiebzig ... Frederick, Asa, Kilchan und Tziuma gingen hinaus an die frische Luft des
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Abends. Frederick trug eine Mappe, auf der nur ein Schriftzug stand: Sadoveana. In dieser Mappe waren die genauen Kursangaben für die dreihundertsiebzig Planeten, die Daten der betreffenden Sonnen und die Entfernungen. „Hier sind die Dinge, die uns ununterbrochene Arbeit geben werden, sobald das Schiff einmal im Raum ist", sagte Frederick. Seine Hand schlug auf das Leder der Umhüllung. „Bis jetzt haben wir überraschendes Glück gehabt", stellte Asa fest. „Jetzt wird unsere Fahrt nicht mehr so günstig verlaufen." „Du meinst also", sagte Tziuma brummend, „daß genau der dreihundertundsiebzigste Planet Sadoveana ist?" „So ähnlich." „Wenn wir Glück haben, ist es schon der zehnte", warf Kilchan ein. „Oder der dreihundertsechzigste!" sagte Asa wütend. „Beruhige dich", meinte Frederick und schlug ihm leicht auf den Oberarm, „wenn es jemand in dieser Galaxis gibt, der Sadoveana findet, dann sind es wir und niemand sonst." „Deinen unbedingten Glauben an unsere Tüchtigkeit möchte ich besitzen", knurrte Asa. Frederick wurde wieder ernst. „Besäße ich ihn nicht, wäre ich nicht nach Norcai geflogen." „Ihr streitet euch bereits", warf Kilchan schlichtend ein, „ehe wir gestartet sind. Wartet doch!" „Geht nicht!" grinste Tziuma. „An Bord vertragen wir uns ausgezeichnet. Streiten tun wir uns nur auf festem Boden." „Naja", sagte Frederick. Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen. Sowohl von den verschiedenen Mannschaften, als auch von den Vertretungen der Planeten blieben Männer und Frauen vorläufig auf Kelaher zurück. Die Cyo Dacoi würde rund vierzig Mann Besatzung haben, eingeschlossen die Wissenschaftler. Gerade wurde das Schiff unter Eric Astley-Bells Leitung überholt und mit verbesserten Düsensätzen ausgerüstet. Die Düsen für planetare Landungen würden in der nächsten Zeit vermutlich dauernd belastet werden. Es wurden nicht nur Ersatzteile an Bord gebracht, sondern auch eine kleine Werkstatt, in der die Düsen ausgebessert werden konnten. „Schlafen wir uns tüchtig aus", schlug Asa vor, „ich fürchte, wir werden uns pausenlos ablösen müssen. Schließlich wollen wir bald damit fertig sein, wenn ich euch recht verstanden habe." „Du hast recht", sagte Kilchan Li. „Genau das werden wir tun."
* Die Cyo Dacoi verschwand an der Spitze einer Pyramide aus schwarzem Rauch im Himmel Kelahers. Genau einundvierzig Mann waren an Bord. Frederick hatte persönlich die Auswahl getroffen. Von jeder Rasse waren zehn Mann an Bord, von Terra elf. Zehn Terraner — zwei Mädchen und acht Männer, und der Leiter der Expedition. Frederick Carrad. Der letzte Teil seines großen persönlichen Abenteuers wurde eingeleitet. Das Schiff beschleunigte, und vier Kapitäne lösten sich am Steuer ab. Jeder von ihnen war ein Spitzenkönner, und jeder leistete sein Bestes. Nachdem die Maschinen mehr Arbeit leisteten als je zuvor, konnten sich die Techniker und die Bedienungsmannschaften der Ortungsgeräte ohne jeden Druck der Arbeit widmen. Das Schiff sprang mit einem einzigen Satz dreiundzwanzigtausend Lichtjahre weit. Dann konnte die Suche beginnen. Auf dem Kartentisch der Brücke lagen die engbedruckten Listen mit den
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endlosen Zahlenkolonnen hinter einem Entdeckernamen. Es waren dreihundertsiebzig Reihen. Die Techniker hatten einen genauen Kurs ausgearbeitet. Ihm folgend, brauchte das Schiff nur eine große Spirale zu fliegen, eine unregelmäßige Spirale natürlich. „In einer Stunde erfolgt der erste Test“, sagte Asa, der augenblicklich das Steuer übernommen hatte. Innerhalb von dreißig Stunden hatte er die komplizierte Lenkung des Schlachtschiffes begriffen. Die Fernorter stellten die Sonne fest und meistens auch den Planeten. Dann traten die unvergleichlich exakt arbeitenden Geräte Kelahers in Tätigkeit, die den Planeten erfaßten und jede Beobachtung sofort weitergaben. Das geringste Zeichen, daß Leben auf einem der Planeten herrschte, löste den Alarm aus. Einzelne Komponenten übernahmen den Identifikationsvorgang. Sie suchten nach Funksprüchen, nach künstlich erzeugten Wellen und nach Straßen und Brücken und Ortschaften. Bereits einer der vielen Fakten löste den Alarm aus. Die Schirme waren jetzt umgestellt worden. Die Technik des Kelaher hatte die Farbschirme entwickelt, nachdem die Männer sich spezialisieren mußten. Die Sterne waren ihnen verwehrt worden, also hatten sie sich auf die Verbesserung aller Geräte und Dinge des täglichen Lebens konzentriert. Die Bilder, die sich auf den Panoramaschirmen zeigten, waren von verblüffender und atemberaubender Schönheit. Das Zentrum der Milchstraße schien ein Universum für sich zu sein, mehr noch, mehrere Universen, die sich umeinander drehten und bewegten, in einem unglaublich komplizierten Reigen. Die Sterne standen so nahe aneinander, daß sie zu Glutkernen verschmolzen, zu breiten Bändern vielfarbiger Helligkeit. Diese Illusionen wurden durch die Entfernung hervorgerufen, aber das hinderte niemanden daran, den Anblick staunend zu genießen. Besonders die linguistische Abteilung, die im Augenblick nichts zu tun hatte, widmete sich der stillen Betrachtung. Die elektronischen und atomaren Stürme, die hier zwischen den Sternen tobten, zeichneten sich als farbige Schleier ab. Die Geräte mußten unempfindlicher geschaltet werden, sonst brannten sie durch. Dreitausend Lichtjahre maß der Kubus an den Kanten — hier mußte sich Sadoveana verbergen. Der erste Planet war eine Enttäuschung. Nichts. Diese Welt war gerade in der Mitte zwischen Urzeit und Eiszeiten, noch im Aufbau begriffen. Zu jung, um die Rasse zu beherbergen, die man suchte. Eine Zahlenkolonne wurde durchgestrichen; Asa nahm diesen Akt fast feierlich vor und lachte dann Frederick an. „Nur noch dreihundertneunundsechzig!“ sagte er ironisch. Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden fanden die Techniker insgesamt zwanzig Planeten. Sadoveana war nicht darunter. Die durchgestrichenen Ziffernkolonnen mehrten sich. Jetzt steuerte Kilchan Li. Jeder der Kapitäne schlief zwölf Stunden und übernahm für sechs Stunden das Schiff. Man hatte sich auf die sechzig Minuten einer Stunde geeinigt, weil die Mehrzahl der Rassen eine Umlaufzeit von dreihundertfünfundsechzig Tagen kannte — und auch die terranische Zeiteinteilung hatte. Auch hier war wieder der Meisterplan ... Natürlich würde man eines Tages Sadoveana finden. Aber wann . . .?
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Am Anfang des Artikels war ein Farbfoto gedruckt worden. Es zeigte Kapitän Asa von Norcai bei der Durchführung eines schwierigen Steuermanövers. Die Brücke der Cyo Dacoi war zu sehen und die Panoramaschirme, die ein Bild aus dem galaktischen Zentrum vermittelten. 20. März 4012. (Eigener Bericht. Foto: po.)
* Der Leser wird sich nur wenig Begriffe von der Schwierigkeit machen können, die eine Suche nach einem bestimmten Planeten verursachen kann. Besonders dann, wenn sich der Planet in einem Bereich von siebenundzwanzigtausend Kubiklichtjahren verbirgt. Elektronische Geräte und die Wissenschaftler Kelahers rechneten die Wahrscheinlichkeit für dreihundertsiebzig Planeten aus, von denen jeder einzelne der gesuchte sein konnte. Das Schiff war sechs Monate unterwegs. Es gab Tage — gerechnet zu vierundzwanzig Stunden, an denen zwanzig Planeten gefunden und als untauglich klassifiziert wurden, und es gab Wochen, in denen wir nicht einen einzigen Planeten fanden. Es war die berühmte Nadel im Heuhaufen, die wir suchten. Aber, während man bei dieser Nadel noch Magneten zu Hilfe nehmen könnte, schien hier nur systematische Arbeit am Platz. Das Schiff flog einen Kursalptraum, Zickzack in drei Dimensionen. Wir schliefen, arbeiteten, aßen schnell und arbeiteten weiter. Jeder Teilnehmer an dieser einmaligen Expedition gab, was er konnte. Sechs Monate, einhundertachtzig Tage nichts anderes als Sonnen in allen Farben, allen Größenklassen und allen Spektraltypen. Nichts anderes. Der dreihundertfünfte Planet, den wir untersuchten, schien Sadoveana zu sein. Aber die Signale, die unsere Geräte auffingen, waren sehr, sehr schwach.
* Am Ende des Artikels befand sich wieder ein Farbfoto. Es zeigte eine hellgraue Welt, die unter dem dunkelroten Licht einer Zwergsonne lag. Dieses Licht allein war nicht die einzige Beleuchtung; die breiten Sternbänder und Lichtbrücken ineinander verschmolzener Sterne trugen bei, die Oberfläche des Planeten in ein gelbweißgrünlichrotes Licht zu tauchen. Zeitschrift: Space. Dünndruckausgabe für terranische Kolonien. Jubiläumsausgabe vom 20. März 4012. Verfaßt von der Sonderkorrespondentin Patricia Pogontcheff.
4. Sadoveana wurde gefunden, als Kapitän Tziuma die Wache an Asa abgab. Der Alarmsummer gellte durch sämtliche Räume des Schiffes. Die Menschen erstarrten, wo sie sich gerade aufhielten, nicht wenige unter ihnen hatten bereits mit einem totalen Mißerfolg dieser Suche gerechnet. Frederick raste hinauf zur Brücke. Hinter ihm polterte Pieter die Treppe hinauf. Dann sahen sie den Planeten. „Dieser da?“ flüsterte Asa ungläubig. „Versuchen wir's. Wer übernimmt das Schiff?“ Jeder der beiden Kapitäne wollte diese Landung haben. Frederick sah kurz Pieter an, und dieser griff in die Tasche. „Die älteste Lotterie der Geschichte“, sagte er und hielt eine terranische Münze mit dem Bild El Safi Ali Ismails in die Luft. „Schriftzug oder Planet?“ fragte er. „Planet“, sagte Tziuma schnell. Pieter warf die Münze in die Luft, so daß
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sie sich mehrmals überschlug. Die Münze klingelte auf den Boden der Brücke. Der Planet lag oben. „Kapitän Tziuma bitte ans Steuer“, sagte Frederick. Die Maschinen liefen wieder an, und das gigantische Schiff bewegte sich langsam vorwärts, der Krümmung des Planeten entgegen. Der rote Ball der Zwergsonne verschwand hinter dem Rund des Horizontes. „Bringe das Schiff zunächst einmal in eine Umlaufbahn, so niedrig wie es geht.“ Inzwischen meldete sich die Planetenortung. Neil Reynolds sprach über die Bordanlage mit der Brücke. „Unsere Geräte entdeckten Artefakte und Wellen. Wir konnten Städte feststellen, Straßen und Brücken. Die Wellen selbst waren sehr schwach; ich vermute, es ist Personenfunkverkehr — nicht mehr. Während sich Straßen und Städte über den gesamten Planeten verstreut finden, habe ich nur eine Stelle, an der gefunkt wurde. Ich gebe die Daten sofort durch.“ „Danke, Neil“, sagte Tziuma. Das Schiff senkte sich dem Boden des Planeten zu. Die Tragflächen begannen, die aufzischende Luft zu zerschneiden, und das Metall der äußeren Hülle wurde warm und wärmer. Die Analyse ergab, als das Schiff bis auf dreihundert Meter über dem Boden heruntergekommen war, atembare Luft. Sehr wenig Staubpartikel, fast steril. Die ferne Sonne stand jetzt wieder am Himmel. Über, neben und hinter ihr schimmerten die glühenden Lichtbänder der ineinander überfließenden Helligkeiten. Der graue Boden des Planeten war ausgetrocknet, ohne Pflanzenwuchs, den man von hier erkennen würde. „Ein verlassener, ausgezehrter Planet“, sagte Frederick zu sich selbst. Er saß vor dem Schirm, den die Techniker auf Voraussicht geschaltet hatten. Der Schirm zeigte das Bild einer Landschaft, die mit dreihundert Stundenkilometern unter dem Betrachter nach hinten zog. Die Schatten waren violett und purpurn, und die nackten Felsen waren weiß, verwittert und seit Jahrtausenden von strömenden Regenfällen verwaschen. Eine Straße schob sich ins Bild, lief einige zwanzig Kilometer neben dem Schiffsschatten her und bog dann wieder ab. Hier spannte sich eine ungeheure Brücke über ein ausgetrocknetes Flußbett. „Keine Bewegung — soll das hier Sadoveana sein?“ fragte Tziuma. Er bekam keine Antwort. Stunde um Stunde raste das Schlachtschiff über den Planeten dahin. Städte wurden überflogen; ungeheure Ruinenfelder aus Stein und Stahl. „Es ist sehr kalt draußen“, sagte eine Stimme. „Die Luft hat nicht mehr Temperatur als minus zehn Grad. Terranisches Maß.“ „Ich habe die Funksignale hier in der Nähe aufgefangen“, meldete sich wieder Neil. „Sucht euch einen Landeplatz aus!“ Tziuma bückte Frederick fragend an, Frederick nickte. Das Schlachtschiff verlangsamte die Fahrt und nutzte die kinetische Energie aus, um eine weite Kurve einzuleiten. Hier, mitten in einer graubleichen Ebene, ragte ein weißer Felsen auf, zerrissen und unglaublich verwittert. Das Schiff umrundete den Felsblock zweimal, und alle Ausguckposten waren besetzt. Nichts war zu sehen. Die Teleskope stellten eine Art Eingang fest, auf der Seite des Felsens. Fünfhundert Meter davor wollte Tziuma landen. Jeden einzelnen Menschen im ganzen Schiff bewegte nur eine Frage: Ist dieser verlassene, verödete Planet Sadoveana? Die Strahlenpolster ließen das Schiff langsam niedersinken wie einen riesigen
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Lift. Die Stützbalken wurden ausgefahren und bohrten sich knirschend in den steinigen Untergrund. Der Bauch des Schiffes berührte den Boden, so tief drückten sich die Stützen ein. Dann wurden die Steuerbordgeschütze bemannt und die Scheinwerfer im Laderaum angeschaltet. Minuten später schob sich lautlos die Schrägplatte herunter und hielt nicht eher an, bis sie den Boden des Planeten erreicht hatte. Gestalten in den Kelaheranzügen liefen durch den Raum und kletterten in ein schweres Fahrzeug. Die Männer waren bewaffnet. Pieter Don Vessac steuerte das Fahrzeug. Hinter ihm saß Kerstin Randel, die Semantikerin. Daneben Kapitän Tziuma, neben ihm Asa, dann kam Alexandre Calgary. Den Schluß bildeten Frederick Carrad und Kilchan Li. Die kleinere Schleuse öffnete sich zischend. Die Scheinwerfer der Halle erloschen, während die des Wagens angeschaltet wurden. Der Weg des Wagens wurde von den Schiffsgeschützen bewacht, während eine automatische Kamera das filmte, was sich vor und neben dem Fahrzeug abspielte. Eine Richtantenne übertrug die Bilder ins Schiff. Der Wagen war ein Fahrzeug des Planeten Dodoyna, schwer, flink und mit riesigen Antriebswalzen. Pieter legte den Gang ein und rollte vorsichtig die Schrägplatte hinunter. Der Wagen federte schwer und fuhr dann auf die Ebene hinaus. Dort, wo er fuhr, blieben tiefe und breite Spuren zurück, und eine Staubfahne erhob sich. Sie wurde von einem schneidenden Wind zur Seite gefegt, kaum, daß sie entstanden war.
* Die Maschine bezog ihre Energie von einem Generator, der vor dreitausend irdischen Jahren zum letztenmal überholt worden war. Der Generator gab nicht mehr viel Energie ab; sie genügte aber, um die Sinne des Wächters in Betrieb zu halten. Seit dreieinhalbtausend Jahren wartete der Wächter. „Wächter“, hatten sie gesagt, und ihre Rede war eindringlich gewesen, sehr eindringlich. „Es wird jetzt viel Zeit vergehen. Viele Jahrhunderte. Wir sind alt und müde, und wir warten mit dir auf unsere Söhne. Eines Tages werden sie uns finden. Sie werden wahrscheinlich mit vielen Schiffen kommen. Die Schiffe können so“, und man hatte ihm Bilder vorgelegt, „oder so aussehen. Die Söhne selbst werden aussehen wie wir, nur kleiner. Erwarte sie und erhalte uns.“ Und der Wächter hatte seit mehr als dreißig Jahrhunderten nichts anderes getan als gewartet und die umfangreichen Apparaturen kontrolliert, die seinen Herren das Leben ermöglichten. Eines der vielen Augen sah etwas. Es bemerkte zuerst einen Schatten, der über dem Dom der Ewigkeit schwebte. Zusätzliche Augen wurden eingeschaltet und übermittelten der Maschine ein genaues Bild. Es war ein gigantisches Raumschiff. Die Maschine verglich das Raumschiff mit den Typen, von denen ihr vor dreißig Jahrhunderten Bilder gezeigt worden waren. Es war eines der Schiffe, aber ungleich größer. Der Schatten schwebte lautlos über den Dom hinweg, flog eine weitausholende Kurve und landete dann ebenso lautlos eine gewisse Strecke vor dem Felsen. Dann geschah dreißig Minuten lang nichts. Die Maschine wartete geduldig, bis sich auf der Unterseite des Schiffes eine Tür öffnete und gleißendes Licht entließ. Das Licht erlosch, und eine andere Maschine rollte heraus. Die drei Lichter auf der Stirnseite des Fahrzeugs wurden größer und größer, als es auf das Auge zurollte, seitwärts an ihm vor-
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beifuhr und von einem anderen Auge beobachtet wurde. Die Maschine stellte sieben Insassen fest. Vier davon gehörten zu einer Rasse, je einer zu einer anderen. Vier Rassen. In einer versteckten Erinnerung wurde sich der Wächter bewußt, von vier Aussaatplänen gehört zu haben. Waren das hier Feinde oder die Söhne der Herren? Die Maschine beschloß, noch zu warten. Die zahlreichen Fallen waren bereit. Der Wächter wartete geduldig, bis der Wagen an der ersten Falle anhielt. Der Fahrer schien ein außergewöhnlich kluger Mensch zu sein; er erkannte den Flugsand, bevor die vorderen Walzen einsanken. Hier in der endlosen Ebene ausgeglühten und verwaschenen Kiesgerölls fiel die leichte Mulde auf. Ein Motor heulte auf. Don Vessac steuerte den Wagen in einem weiten Bogen von der angedeuteten Piste herunter, um die Mulde herum und wieder auf festen Grund. Die Scheinwerfer beleuchteten die Szene; ein versteinerter Baum reckte seine schwarzen Äste in den schneidenden Sturm hinein. Dahinter begann wieder das schmutzigweiße Band der Straße. Pieter fuhr langsam neben der Straße dahin, und seine Augen schienen das Zwielicht durchbohren zu wollen. Es ging eine leichte Anhöhe hinauf. Wieder schien der Wagen zu stocken, dann bewegte er sich wieder. Langsam und vorsichtig, Meter um Meter. Die Lichtbalken stachen in die Luft und beschienen den flachen Grat der Anhöhe. Was lag dahinter? Mit einem Hebeldruck schaltete Pieter das Schutzfeld ein, das wie eine irisierende Kugel das Fahrzeug umgab. Der Hügelkamm war erreicht, und der Wagen hielt wieder an. Er drehte sich auf der Stelle und schwenkte nach rechts. Pieter hörte die schweren Atemzüge der Menschen, die hinter ihm saßen. „Warum fährst du nicht schneller?“ fragte Asa. Pieter schüttelte den Kopf. „Ich riskiere nichts. Eine Falle habe ich gerade rechtzeitig gesehen, eine Mulde voller Flugsand. Wir wären darin versunken. Ich wittere weitere Überraschungen.“ „Die Wesen, die uns erschaffen haben, werden sich gegen unbefugte Eindringlinge gesichert haben“, sagte Frederick. Tziuma bestätigte: „Das denke ich auch!“ Der Wagen fuhr in einem weiten Bogen den Hügelkamm entlang und lenkte dann wieder in die Ebene ein. Auf diese Weise war Pieter der zweiten Falle entgangen. Sie bestand darin, daß die geringfügigste Last die Decke des Hügels hätte einbrechen lassen, sobald eine Grenze überschritten worden wäre. Der Felsen kam immer näher. Seine Flanke, nur von einem runden Tor unterbrochen, ragte vor dem Wagen auf, so daß die Insassen die Köpfe heben mußten, um die Spitze zu erkennen. Wieder fuhr Pieter einen weiten Bogen. Dieses Mal hatte er erkannt, was auf ihn wartete. Zwei Projektoren, kenntlich nur dadurch, daß Wind, Sand und Regen die Schutzschicht von den Metallteilen abgewaschen und die Streben förmlich poliert hatten, waren rechts und links der Straße aufgestellt. „Das scheint hier eine Art Intelligenztest zu sein“, stellte Pieter brummend fest. „Ein Test für Steinzeitmenschen“, dachte er laut weiter. „Hier irrst du, glaube ich“, wandte Frederick ein. „Sie dachten vermutlich, daß eine Rasse, die in Sternenschiffen hier ankommt, diese Dinge nicht mehr sehen würde. Sähe sie die Gefahren, so wird das als Leistung gewertet. Das glaube ich.“ „Du kannst recht haben“, sagte Pieter und hielt den Wagen an. Das Scheinwerferlicht wurde von dem schwarzen, rostigen Tor geschluckt.
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„Was jetzt?“ fragte Asa in die gespannte Stille hinein. „Aussteigen und versuchen einzudringen“, sagte Pieter. Er schaltete den Schutzschirm aus, klappte die Tür auf und verließ das Fahrzeug. Er hielt einen schweren Strahler in beiden Händen. Hinter ihm stieg Asa aus, einen Handscheinwerfer aufblendend. Der grelle Lichtkegel fuhr die Ränder des Tores entlang, als suche er eine Klinke, einen Öffnungsmechanisrnus. Die Stille der Ewigkeit überfiel die Menschen. Seit Jahrhunderten war hier jedes organische Leben ausgestorben, kein Gras wuchs und keine Pflanzen, nur eisiger Wind heulte in unregelmäßigen Schauern um die Ecken des Felsens. In den Menschen stieg Beklemmung auf; sie begannen sich zu fürchten. Kerstin hielt sich an Frederick fest, während Asa und Pieter die Tür absuchten. Schließlich verlor Pieter die Geduld. Er riß die Arme hoch und donnerte einige Male mit dem Kolben der Waffe an den Stahl. Es schallte dumpf und laut; die Außenmikrophone übertrugen die Wellen. Stille . . . Bewegungslosigkeit. Dann erklang ein Geräusch. Es hörte sich an, als ob verrostete Teile übereinander bewegt wurden, sich aneinander rieben. „Es bewegt sich!“ rief Kerstin laut. Das Tor begann sich zu drehen. Wie eine riesige Schraube bewegte sich die runde Stahlplatte langsam und kreischend in unsichtbaren Lagern. Minuten schienen zu vergehen. Die Menschen waren in den Schutz der Zone hinter den Scheinwerfern zurückgewichen und starrten auf die Metallscheibe. Dann hielt sie an. Der untere Rand entfernte sich millimeterweise von dem Rahmen und wurde nach innen gezogen. Es dauerte endlos lange, bis die Platte waagrecht stand, sich immer noch hob und schließlich irgendwo oben in der Finsternis verschwand. Unerträgliche Spannung bemächtigte sich der sieben Expeditionsteilnehmer. Die Dunkelheit, die Stille, die trostlose Verlassenheit der Ebene und die Finsternis der Höhlung vor ihnen — und die Gefahren, die dort auf sie lauern konnten. Ein kreischender Windstoß fuhr um den Felsen. Pieter ging einen Schritt nach vorn, nahm Asa den Scheinwerfer aus der Hand und folgte der geringen Helligkeit, die von den Lichtern des Wagens in die Halle gestrahlt wurde. Der Lichtkegel des Handscheinwerfers huschte umher. Er glitt über seltsame Maschinen, bewegte sich über den glattgeschlagenen Felsen des Domes und blieb dann auf einem Halbkreis von gläsernen Röhren haften. Dann ging Pieter endgültig in den Felsen hinein. „Bleibt draußen“, sagte er scharf. Er richtete den Lauf seiner Waffe nach oben und drückte zweimal ab. Zwei donnernde Detonationen brachen sich und schlugen als Echo zurück. Die Augen des Kuriers sahen zur Decke, verengten sich etwas und folgten der Spur des Lichtkreises. Dann sprang Pieter mit einem riesigen Satz wieder nach außen. „Deckung!“ schrie er. Sie warfen sich neben und hinter dem Wagen zu Boden. Langsam, fast in Zeitlupe, lösten sich zwei gewaltige Teile der bearbeiteten Felsendecke und fielen senkrecht hinunter. Sie zerbarsten auf dem Metallboden. Eine Staubwolke begann sich auszubreiten. Der Sturm fegte in den Dom und wehte den Staub innerhalb einiger Minuten weg. „Ich dachte mir, daß die Decke brüchig sein würde. Der Schall der Detonationen hat alles ausgelöst“, sagte Pieter ruhig und stand wieder auf. „Jetzt können wir hinein.“ Nebeneinander, die Waffen entsichert in den Händen, gingen die sieben Men-
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schen hinein. Sie bahnten sich einen Weg durch die Felsbrocken und das Geröll und wichen den aufgebogenen Bodenplatten aus. Dann, als sie etwa vierzig Schritte in den Dom hineingegangen waren, erleuchtete sich das Innere. Schlagartig gingen Hunderte von Lichtquellen an. Sie leuchteten die letzten Winkel des Domes aus. Die Besucher mußten eine Schwelle übertreten haben. Der Dom war fast kuppelförmig, nur im Hintergrund stieg eine flache Bühne auf. Rechts und links dieser Bühne standen mächtige Maschinen. Kupferne Teile, schwere Kabelbündel und Isolatoren waren zu sehen, durchsichtige Röhren und schwarze Metallstreben. In der Mitte zwischen den Giganten befand sich ein dachartiger Vorsprung, anscheinend unsichtbar mit dem Fels verbunden. Die Besucher gingen zögernd näher, als fürchteten sie sich. Unter diesem Vorsprung waren zwölf Glasröhren auf seltsamen Sockeln befestigt. Auch hier wuchsen Kabel und Röhren aus dem Boden und verschwanden in jenen Zylindern. Bläuliches Licht brach sich an den Glaswandungen und spiegelte sich in den Scheiben der Raumhelme. Pieter ging die wenigen Stufen hinauf, winkte den anderen und blieb stehen. Sie hörten in ihren Helmen, wie der Mann ein erschrockenes Stöhnen ausstieß und dann murmelte: „Das ist unmöglich!“ Sie kamen näher und sahen jetzt, worauf Pieter starrte, ohne einen Muskel zu rühren. Endlich unterbrach Tziumas Baß die Stille. Er sagte leise und ehrfurchtsvoll: „Wir kamen um einige hundert Jahre zu spät. Das hier ist ein Grabmal.“ Er hatte recht. Die gläsernen Zylinder waren fast drei Meter lang und maßen etwa einen Meter im Durchmesser. Eine schwarze, glatte Unterlage trennte jeden Zylinder horizontal in zwei Kammern ab, eine obere, die etwa zwei Drittel des Innenraumes einnahm und eine untere, in die Drähte, Röhren und Kontakte verschwanden. Auf diesen schwarzen Platten lagen Wesen — Menschen. Sie waren drei Meter groß. Kahle, mächtige Schädel mit vergrößertem Hirnraum, geschlossene Augen und bleiche Gesichtshaut. Die Menschen waren in halbdurchsichtige Gewänder gekleidet, vermutlich ein Kunststoffprodukt. Die Arme lagen glatt an den Seiten, und die Finger hatten sich leicht zusammengekrümmt. „Sie sind tot, aber nicht mumifiziert“, sagte Kerstin schaudernd. „Und sie sehen aus wie wir, nur größer und schlanker“, schloß Asa. Frederick ging langsam von einer der Röhren zur anderen. Er sah in die weißen Gesichter der statuenhaft Daliegenden. „Diese Maschinen sorgen dafür, daß sie nicht verwesen. Ich denke, daß die Körper stark unterkühlt sind.“ Frederick beendete seine Runde und sah seine Freunde an. Er zuckte ratlos mit den Achseln. „Zum drittenmal muß ich fragen: Was sollen wir tun?“ Niemand wußte eine Antwort. Pieter richtete den starken Kegel der Handlampe auf eine der Röhren und kniete sich dann hin, um das Glas genau anzusehen. Ohne sich umzublicken, winkte er nach hinten. Asa stellte sich neben ihn und bückte sich. „Was siehst du?“ fragte er. Ohne zu antworten, deutete Pieter auf die Wand des Zylinders. „Siehst du das?“ fragte er. Asa blickte schärfer hin, dann sah er, was Pieter meinte. Das Glas begann sich mit winzigen Perlen zu überziehen. Es waren kondensierte Wassertropfen. Und es wurden immer mehr. Jetzt begann einer der Zylinder bereits undurchsichtig zu werden, und der Niederschlag sammelte
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sich und tropfte an der Innenseite herunter. „Hier geschieht etwas“, sagte Pieter, „Ich denke mir, daß diese Wesen in einer Art Kälteschlaf verharrten, bis wir irgendwo eine Kontaktschwelle überschritten. Jetzt versucht ein automatisches Gerät, sie aufzutauen.“ Ein Ereignis enthob sie aller Vermutungen. Durch die Stille der Felsenhalle dröhnte eine Stimme. Laut, deutlich und in einem klaren Galactic. Es schien die Stimme eines Roboters zu sein. „Diese zwölf Wesen sind die letzten ihrer Rasse. Sie schliefen und warteten, bis die Ruhe ihrer Körper gestört würde. Wenn ihr die vier Rassen seid, die sich auf die Suche nach ihren Erzeugern gemacht haben, so wartet. Die Ewigen werden erwachen und zu euch reden, bevor sie endgültig sterben. Seid ihr fremde Wesen, und versteht ihr den Text der Botschaft, so verlaßt bitte diesen Dom der Ewigkeit. Hier ist nichts zu rauben, nichts zu erfahren als die Geschichte einer sterbenden Welt. Entweiht nicht die Ruhe des Schlafes.“ Die Stimme schwieg. Fast flüsternd übersetzte Kerstin zwei Stellen, die nicht verstanden worden waren. Sie übersetzte für Pieter in Terranisch und für Asa in Norcai. Die Menschen blickten sich an, am Ende ihrer Fassungskraft. Sie hatten mit einer zornigen Auseinandersetzung gerechnet, mit allen anderen Dingen, aber nicht mit Wesen, die schon seit Jahrhunderten tot waren und ihretwegen zum Leben gebracht wurden. Die Zylinder waren jetzt vollkommen beschlagen und undurchsichtig. Der kondensierte Wasserdampf rann in langen Bahnen nach unten und verschwand zwischen der schwarzen Platte und der Innenwand der Zylinder. In die Maschinen rechts und links des Halbkreises kam Leben und Bewegung. Lichter leuchteten auf, und irgendwo begann ein hohes, feines Summen. Immer mehr Lichter leuchteten auf, und dann schoben sich Trennwände aus dem Boden. Einzelne Platten fuhren hoch, bis sie den Rand des dachartigen Vorsprungs erreichten. Dort, wo sie sich berührten, begannen sie an den Rändern Blasen zu werfen und zu schäumen, und auf diese Weise verbanden sie sich vermutlich luftdicht miteinander. Immer mehr Platten schoben sich hoch und verschmolzen miteinander und mit der Decke. Dann war ein kleiner Raum geschaffen, der die sieben Mitglieder der vier Rassen und die schlafenden Wesen einschloß. Wieder schallte die Stimme durch den Raum. „Meine automatischen Augen vermitteln mir euer Bild. Ihr seid also die Söhne dieser Wesen. Für euch und die Ewigen ist dieser Raum geschaffen worden. Legt die Helme ab und wartet darauf, bis die Ewigen erwacht sind. Wartet!“ Pieter nahm als erster den Raumhelm ab und behielt ihn unter dem Arm. Er fühlte, wie warme Luft, sauerstoffreich und frisch, in den Raum geblasen wurde. Im Boden waren unzählige Düsen untergebracht, aus denen die Luft strömte. Die Helligkeit nahm etwas ab. Kerstin, die eine Kamera umhängen hatte, nestelte den Verschluß auf und machte verschiedene Aufnahmen. Patricia hatte sie darum gebeten. Ein Seufzen von dekomprimierter Luft klang auf. „Was . . .?“ Pieter fuhr herum. Einer der Zylinder zeigte lange Risse und Sprünge. Die einzelnen Stücke lösten sich voneinander und fielen zu Boden. Dort lösten sie sich in Nichts auf. Der zweite Zylinder zerbrach und begann zu verschwinden. Die Geräusche hörten nicht auf, ehe nicht der letzte der zwölf schützenden Glassärge verschwunden war. Nur die schwarzen Platten mit ihrer reglosen Last blieben übrig. Man hörte das Pochen kleinster Maschi-
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nen und Ventile, das Surren winziger Motoren. Schweigend und reglos? Wieder klammerte sich Kerstin an Fredericks Arm und verbarg das Gesicht an den Schuppen seines Raumpanzers. Sie konnte es nicht sehen. Es sah aus, als ob ein Totgeglaubter plötzlich zögernd zum Leben erwachte — und das, nichts anderes, war es auch. Das Wesen, das ganz rechts lag, bewegte sich. Zuerst öffneten sich die Augen, blinzelten mehrere Male und schlossen sich dann wieder. Dann wanderten die Hände über die Oberschenkel hoch, trafen sich, verschränkten sich ineinander. Die Augen öffneten sich wieder. Pieter bemerkte, daß die Pupillen riesengroß waren und langsam kleiner wurden. Jetzt endlich richtete sich das Wesen auf. Der Blick der durchdringenden schwarzen Augen heftete sich auf Pieter, dann auf Asa, der wie versteinert dastand, glitten dann hinauf zu Tziumas grobflächigem Gesicht, hinüber zu Frederick und dem Mädchen, zu Alexandre Calgary und zu Kilchan, der bisher kein einziges Wort gesagt hatte. Dann schweifte der Blick kurz in die Ferne und kehrte zurück. Die dunklen Augen sahen zu, wie sich eine Gestalt nach der anderen erhob. Dann standen die Wesen auf, sichtlich mit großer Anstrengung. Die Stille, die den runden, warmen Raum erfüllte, war unheimlich. Die starren Blicke, die absolute Lautlosigkeit der Vorgänge, tropfendes Wasser, der Schweiß, der auf den Gesichtern der sieben Menschen lag — alles das machte die Vorgänge furchterregend und traumhaft. Jetzt standen die zwölf Ewigen vor den Menschen. Die dunklen Augen sahen von drei Metern Höhe auf die sieben Menschen hinab. Die mächtigen Schädel der Ewigen schimmerten in dem hellen Licht. Kerstin drückte den Auslöser der Kamera. Es klickte. „Du brauchst keine Fotografien zu machen, Tochter“, sagte derjenige der Ewigen, der direkt vor Kerstin stand, „diese geschichtlichen Vorgänge werden gefilmt. Der Film wird euch ausgehändigt.“ Niemand rührte sich. „Machen wir den Anfang“, sagte ein anderer, „wer unter euch ist der Leiter eurer Expedition?“ Frederick hob die Hand. „Ich“, sagte er, nachdem er sich geräuspert hatte. Das Wesen vor ihm lächelte kaum wahrnehmbar. „Du bist von der Erde, von Terra, Gaia — oder wie nennt ihr den blauen Planeten?“ „Ich bin von Terra. Historiker. Das hier ist unsere Sprachwissenschaftlerin Kerstin, das hier Kapitän Calgary, der uns zu unseren Brüdern auf Norcai gebracht hat.“ Fredericks Stimme war wieder fester geworden. Er deutete auf Asa. „Du bist von Norcai, dem goldenen Planeten?“ fragte das Wesen. „Kapitän Asa.“ Die Ewigen sprachen ein Galactic, das von allen verstanden wurde. Das war nicht verwunderlich, denn auch die Sprache stammte von ihnen. „Und ich brachte Frederick und uns alle nach Dodoyna“, schloß Asa laut und fest. „Dodoyna — der Planet der Krieger und der Schiffe. Wie ist dein Name?“ „Kapitän Tziuma. Vertreter der Planeten und Kolonien“, sagte der riesenhafte Raumschiffer. „Ich flog mit nach Kelaher, zu der Riesensonne mit den vielen Planeten.“ „Kelaher ist meine Heimat“, sagte Kilchan Li fest. „Ich komme von dort und suchte euch, wie alle hier. Wir werden euch jetzt anklagen, ungeachtet der Stunde und der merkwürdigen Umstände. Was habt ihr zu sagen?“
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Starr und unbewegt sahen die Ewigen auf die sieben Menschen vor ihnen. Dann sagte einer von ihnen: „Wir alle wissen, daß euch der Zorn über die Erkenntnis hierhergetrieben hat. Ohne diese Gedanken wären die Schiffe nie zu den anderen Planeten gestartet. Wer übrigens gab den Anstoß?“ Wieder hob Frederick Carrad den Arm. „Ich“, sagte er. ,,Ich erfuhr von einem Dokument, das auf eure Existenz hinwies. Dann fanden wir auch den Auftrag, den der Schiffskommandant von euch erhielt. Wir zogen Schlüsse, und wir suchten nach unseren Brüdern.“ „Ein Teil des meisterlichen Planes“, sagte ein Ewiger. „Nur ein mikroskopisch kleiner Teil.“ „Und eben das ist es, was uns zornig macht.“ Es war Wut in der Stimme Kilchans, die jetzt mitsprach. „Wir — meine Brüder und ich und Milliarden ihrer Rassegenossen — sind nur entstanden, weil ihr es wolltet. Ihr brauchtet Sklaven, die für euch Arbeiten ausführten. Arbeiten, die zu den schmutzigsten gehören, die die Geschichte kennt — Soldaten, Menschen, die zum Kampf geboren werden. Für einen Kampf, der nicht ihr Kampf ist oder sein wird, sondern euer Kampf.“ Kilchan beugte sich vor, und seine Arme sanken wieder kraftlos herab. Er fuhr mit leiser, beschwörender Stimme fort, jedes Wort einzeln betonend und eindringlich, fast wütend, von kaltem Zorn erfüllt. „Ihr schuft uns. Wir ahnten es nicht. Wir wuchsen auf, kämpften gegeneinander, um zu trainieren. Krankheiten suchten uns heim, dezimierten uns und brachten Not und Elend über Teile unserer Welten. Unermeßliches Leid geschah in eurem Namen, mit eurem Wissen, entstand aus den Teilen eures Planes. Wofür? Ich werde es euch sagen — natürlich wißt ihr es schon. Denn ihr wußtet ja alles. Alles, was mit uns geschah. Die Sprachen, die wir entwickelten, waren von euch geschaffen und in unsere Hirne verpflanzt worden, die Technik, die Künste, die Malerei und die Tonkunst. Und nur dafür, daß wir nicht zu einer Rasse von Barbaren wurden, die sich selbst umbrachten, ehe sie reif genug waren, euren Kampf zu beginnen. Euren Kampf. . . Wofür kämpft ihr? Für einen Planeten, der bereits in der Agonie lebt, für eine Zwergsonne, die in dreihunderttausend Jahren verschwunden ist, für eine Ebene voller Kies, Staub und verkohlter Bäume?“ „Kilchan . . .“, sagte Frederick. „Laß!“ fuhr ihn Kilchan an. „Das ist meine Rede, die Rede meiner Rasse, Kelahers Worte . . . Ihr seid alt, und ihr seid klug, Ewige. Ihr seid so klug, daß es euch leichtfiel, vier derartig gute Rassen zu planen, zu schaffen und groß werden zu lassen. Ihr brauchtet Spielzeug für die letzten Jahre des Lebens eurer Rasse. Und deshalb schuft ihr uns. Wir können euch und diesen Dom der Ewigkeit in Asche zerstrahlen. Draußen steht ein Schlachtschiff der Dodoynier. Seine Geschütze warten. Was wolltet ihr bezwecken, daß ihr uns in diese Galaxis setztet?“ Kilchan atmete aus und trat einen Schritt zurück. Dann wischte er sich über die Stirn. „Ich war aufgeregt, aber jedes Wort ist nicht nur meine Überzeugung. Es brachte die Gedanken meiner großen Rasse zum Ausdruck. Nun — wir alle warten auf die Erklärungen.“ Frederick breitete beide Hände aus. Sein Helm fiel polternd zu Boden, und Kerstin bückte sich. „Ich bin nicht damit einverstanden, wie Kilchan es sagte. Aber damit, was er sagte, sind wir alle einverstanden.“ Einer der Ewigen tastete nach der Schulter seines Nachbarn und setzte sich.
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dann wieder auf die schwarze Unterlage zurück. Dann begann er mit hoher, singender Stimme zu sprechen. „Ihr seid zornig, und das ist richtig so. Aber gebt uns Gelegenheit, uns zu verteidigen. Wir sind eine sehr alte Rasse. Ich persönlich bin achttausend der Erdenjahre alt, und meine Partner in diesem Spiel mit dem ewigen Schlaf nicht viel weniger. Jahrhunderte zählen wir wie Jahre. Unsere Rasse kam vor einer Million Jahre in diese Milchstraße. Wir wurden durch einen unvorstellbaren Atomsturm von unseren Heimatplaneten vertrieben und faßten hier Fuß. Wir sind keine Kämpfer, wir sind die Wissenschaftler dieser Galaxis. Wir sahen, wieviel Planeten es hier gab. Planeten, die leblos oder mit Reptilien aller Arten bevölkert waren. Und wir faßten einen Plan.“ „Den meisterlichen Plan“, sagte ein anderer. Der Sprecher nickte. „Dieser Plan besagte nichts anderes, als daß wir unser Wissen weiterleben lassen mußten. Wir schufen also Wesen nach unserem Muster, weil wir erkannten, daß dieses Muster die Norm dieser Galaxis sein würde. Wir schufen sie, um unser wertvolles Erbe nicht vom Sturm der Ewigkeiten verwehen zu lassen. Wir setzten einige Exemplare — genug zum Überleben — auf vier verschiedenen Planeten aus. Jedes dieser Exemplare war einer eurer Ahnen, wie ihr denken könnt. Sämtliches Wissen, jede einzelne geistige Regung, die Voraussetzungen für mathematisches Denken und vieles andere — ihr werdet es selbst wissen — war bereits in dem Hirn des ersten Menschen, Kelahers, Dodoyniers oder Norcais verankert. Jeder Mensch vererbte dieses Wissen an seinen Sohn, und das Unterbewußtsein brachte von Zeit zu Zeit die Ideen und Einsichten ans Licht, die nötig waren für den Bestand der einzelnen Rassen.“ Er machte eine Pause. Erschrocken beobachtete Frederick, daß sich die Lungen dieser Wesen nicht hoben und senkten. Es schien, als liefen die Räder einer Maschine in den Ewigen ab. „Und es ist in euren Hirnen noch Wissen für die nächsten Jahrmillionen übrig. Es gibt noch so viel, was erledigt werden muß, ehe ihr so weise werdet wie wir. Wir kontrollierten natürlich den Aufstieg der Kulturen, und griffen ein, wann immer es notwendig war. Oft war es nicht.“ Der Ewige schwieg und sackte etwas zusammen. Dann richtete er sich wieder auf, um seinem Nachbarn zur Linken zuzuhören. „Der Kampf . . .“, sagte dieser. „Nun . . . Wir lebten hier auf diesem Planeten, der unsere Heimat geworden war und auf einigen anderen, die uns als Erholungsstätten dienten. Das war unser Fehler. Aber wir waren nur wenige und eine alte, unfruchtbare Rasse. Wir konnten wohl neues Leben zeugen, aber unseres nur bedingt erhalten. Es kam der Feind. Er kam, wie wir, auf langen Wegen aus einer anderen Milchstraße. Wir stellten uns ihm entgegen, aber es war nutzlos. Wären wir stärker gewesen, hätten wir ihn beim ersten Ansturm zurückgeworfen. So aber verwüstete er unseren Planeten, zerstörte unsere Ausweichwelten und tötete neun Zehntel unseres kleinen Volkes. Da kam uns der Gedanke an den Kampf. Wir züchteten mit unserem letzten Material einige Wesen, die ausgesetzt wurden, um die vier Menschheiten zu beeinflussen. Diese Milchstraße gehört uns. Ihr seid unsere Erben. Also gehört die Galaxis euch vier Rassen. Ihr sollt es sein, die sich darüber ausbreiten und je-
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den verfügbaren Planeten kolonisieren sollen. Und ihr sollt die Fremden aus eurer eigenen Heimat vertreiben. Das ist nichts, das unethisch oder ungerecht ist. Seine Heimat zu verteidigen ist bereits das natürliche Recht eines Tieres, warum nicht das des höchsten aller Geschöpfe. Eure Rasse ist nicht synthetisch oder unnatürlich entstanden, nicht im Widerspruch des Allmächtigen. Wertvolle, gesunde Menschen aus unseren Reihen stellten sich freiwillig der Aufgabe, euch zu zeugen und zu gebären. Noch davor aber veränderten unsere Biotechniker die Erbmassen und schufen so die acht Prototypen. Die ersten Menschen einer jeden Rasse wuchsen gehegt und sorgfältig erzogen hier auf. Damals, vor einer Million Jahren, war dieser Planet ein Paradies. Edens Garten nannten wir ihn — nach dem Schiffer, der uns hierherbrachte. Erst, als wir genügend Menschen hatten, gingen unsere Schiffe auf die Suche und fanden die Keimplaneten. Terra. Norcai. Dodoyna. Kelaher. Diese Namen sind die Namen der ersten Eltern. Auch dieses Wissen war bereits in den Hirnen der Ausgesetzten. Ihr seht also, daß nichts geschehen ist, was geeignet wäre, euren Stolz zu verletzen. Ihr seid unsere Söhne, wir sind eure Eltern. Nicht wir selbst, sondern wiederum unsere Väter und Mütter. Seid ihr jetzt zufrieden?“ „Frederick“, sagte Asa ruhig, „sprich du für uns!“ Frederick nickte. Er dachte für einen kurzen Augenblick darüber nach, daß jede Bewegung und jede Geste gefilmt und aufgezeichnet wurden. Dann trat er einige Schritte vor und sagte: „Wir haben alles gehört. Ihr, die ihr älter seid als alles, das wir kennen, werdet unseren Zorn verstanden haben. Wir fühlten uns als Spielzeug einer Macht, die so unendlich größer ist als wir. Ihr habt uns die Möglichkeit der Gedanken gegeben, also müßt ihr auch wissen, daß wir derartig denken würden. Das ist richtig. Ihr habt gehört, was euch Kilchan gesagt hat. So dachten wir alle. Alle Menschen unserer Planeten und Kolonien, und jetzt auch unsere Welten, denn als ich abflog, wußten es nicht mehr als acht oder neun Menschen. Ihr habt uns erklärt, wie es zu allem kam. Wir glauben euch natürlich, denn kein Wesen dieser Schöpfung kann so verschlagen und gemein sein, in der Stunde des nahenden Todes noch zu lügen. Ihr, die ihr unsere Väter seid, werdet uns nicht anlügen. Aber jetzt.. . wir haben noch nichts von diesem Feind gehört oder gesehen. Wir trafen kein Schiff, keinen von ihm besetzten Planeten, keinen Stern, der uns den Weg zu ihm wies. Wir wurden nicht angegriffen, nicht gestört und nichts . . . Wer ist dieser Feind?“ „Das ist jetzt unwichtig“, antwortete einer der Ewigen. „Ihr werdet nachher, nach sehr kurzer Zeit, Material ausgehändigt bekommen. Aus diesen Aufzeichnungen geht hervor, was der Feind will und wo er zu finden ist. Er ist kein Wesen, kein menschliches oder menschenähnliches Wesen, und er bewohnt auch keine Planeten. Das ist von sekundärer Wichtigkeit. Etwas anderes: Wir schenkten euch das Leben, so wie jeder Vater und jede Mutter ihrem Kind das Leben schenkt. Dieser Vorgang ist mit einer Regung des Geistes verbunden, die mit Liebe gleichzusetzen ist. Wir pflanzten euch nicht aus Egoismus, sondern aus Liebe. Wir gaben euch eine Umgebung, die so schön ist, daß wir trunken wurden
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allein vom Ansehen. Wir gaben euch Sprachen. Eine Mitteilungsart, die zur Kunst erhoben werden kann. Denkt an die Dramen, an die Geschichten und die Gedichte. Wir gaben euch die Töne und die Farben, um daraus Meisterwerke zu schaffen, an denen sich das Auge, das Ohr und alle Sinne erfreuen können. Wir pflanzten die Möglichkeiten einer technischen Entwicklung in euch ein. Ihr solltet Schiffe bauen, um die Weltmeere besegeln zu können, Maschinen, um den Luftraum zu erobern, Raumschiffe, um die Pracht der Sterne sehen zu können. Das alles sind die Schätze unseres Erbes. Ihr wuchset auf und breitetet euch aus. Und ihr habt gelebt. Eure Sinne erfaßten die Umgebung, und manchmal war es euch eine Lust, zu leben. Das ist auch ein Teil des Erbgutes, das wir weitergegeben haben. Die Freude, leben zu dürfen, die Erkenntnis, daß nur Leben Eindruck vermittelt, Schönheit erkennen läßt und den Rausch des Erfolges gedeihen läßt — das ist der eigentliche Grund, weswegen wir nicht ohne Kinder sterben wollten. Wir sind alt. Wir sprechen wie sentimentale Greise. Aber es ist nun so in unserer aller Gedanken, daß man erst dann betrachten kann, wenn man alt ist. Jetzt, da wir erleben durften, daß ihr uns gefunden habt, sehen wir unsere Ziele als erreicht an. Auf diesen Augenblick haben wir dreitausend Jahre gewartet. Jetzt ist das lange Warten vorbei. Alles andere werden die Maschinen erledigen. Auch sie sind vom Sturm der Ewigkeit angefressen und werden sterben, nachdem sie das erledigt haben, was getan werden muß. Wir haben gesät. Diese Saat, für einen Zeitraum von einer Million Jahren geplant, ist aufgegangen . . . die Saat der Ewigkeit. Lebt wohl. Denkt an das, was wir euch sagten. Für uns ist jetzt die Stunde der endgültigen Ruhe gekommen. Es ist schön, mit der Erkenntnis zu sterben.“ Der Ewige, der dicht vor Kerstin stand, begann sich aufzulösen. Um seine große Gestalt herum geriet die Luft in Bewegung, begann zu flimmern und bewegte sich nach oben. So wenigstens schien es. Auf diesem Weg nahm sie von der Substanz des Ewigen etwas mit, wie ein Sandhaufen, der von einem starken Wind verkleinert wird. Lautlos vergingen die zwölf Gestalten. Ohne jede Dramatik, ohne einen Laut, ohne Geruch oder eine andere Wahrnehmung. Minuten später waren sie verschwunden. Kerstin lag in Fredericks Armen. Das Mädchen wurde von einem lautlosen Weinkrampf geschüttelt. Die Bühne war leer. Das Dröhnen der Maschinen verstummte, und einige Lichter wurden abgeschaltet. Niemand sagte etwas. Alle starrten sie auf die leeren Platten, auf denen noch vor einigen Minuten die Ewigen gelegen hatten. „Schluß“, sagte Tziuma laut. „Der Vorhang nach dem letzten Akt ist gefallen. Unser Platz ist nicht mehr hier. Gehen wir!“ Irgendwo knackte wieder ein Lautsprecher, und die Maschinenstimme in Galactic sagte: „Wartet. In wenigen Sekunden wird euch der Streifen überreicht werden, der die Ereignisse festgehalten hat. Unter dieser Bühne wird sich eine Plattform hinaufschieben, die eine Stahltruhe enthält. In dieser Truhe ist alles Wissen der Ewigen enthalten. Sie geben es an euch weiter, unter einer Bedingung: Ihr müßt euch verpflichten, keine dieser Kenntnisse in einem Krieg zwischen den Brüderrassen zu verwenden. Ihr sollt mit diesem Wissen den Feind aus dieser Milchstraße vertreiben — sonst nichts. Alles andere, das noch damit zu-
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sammenhängt, erfahrt ihr aus dem Material selbst.“ Pieter setzte seinen Raumhelm auf und verschloß die Dichtungen. Die anderen taten das gleiche, und als der letzte wieder unter dem Schutzmantel der eigenen Luftversorgung war, öffneten sich die Platten der Kuppel. Andere Lichter erloschen. In einer der Maschinen öffnete sich eine Klappe. Von innen strahlte ein bläuliches Licht auf die Kassette, die dort zu sehen war. Pieter ging darauf zu und nahm sie an sich. „Der Film!“ erinnerte er sich. Dann schloß sich auch diese Tür für immer. Die Menschen gingen langsam und voller trauriger Gedanken die Stufen hinunter und sahen zu, wie ein Stück des Metallbodens zur Seite glitt und einen schwarzen Schacht enthüllte. Pieter Don Vessac ging an der viereckigen Öffnung vorbei, nach draußen. Dort kletterte er in den Wagen, wendete ihn um einige Grade und fuhr mitten durch das Tor in die Halle hinein. Das Dröhnen des schweren Motors machte die anderen aufmerksam. Sie blickten Pieter entgegen, wie er vorsichtig um die niedergebrochenen Felsenstücke herumfuhr, über einen Haufen Geröll und rückwärts auf die Plattform zusteuerte. Vier Männer hoben die stählerne Truhe nicht ohne Mühe auf die kleine Ladefläche des Spezialfahrzeugs. Dort wurde sie mit den Festhaltevorrichtungen verankert. Die Menschen kletterten auf ihre Sitze zurück. Langsam fuhr Pieter aus dem Dom der Ewigkeit hinaus. Nachdem er das Tor passiert hatte, hielt er den Schlepper an und drehte ihn etwas. ,,Seht“, sagte er heiser, „dort. . .“ Sein Hinweis war unnötig. Alle sahen es. Die gesamte technische Einrichtung des Domes brannte. Sie brannte in einem lautlosen, kristallklaren Feuer. Einige Minuten lang leuchtete und zuckte die irre Helligkeit in der diffusen Schwärze des Domes, dann verging alles in einer weißen Flamme. Nichts mehr blieb zurück. Das Feuer leuchtete mehr als die Sterne. Aus dem Tor, dessen Ring ebenfalls vernichtet wurde, leuchtete eine Lichtzunge, die den Wagen und die Insassen in grelles Feuer tauchte. Die Flammen erloschen. Nicht einmal glühende Gerüste blieben zurück. Diese Zivilisation hatte sich selbst entleibt. Sie war aus dem Geschichtsbuch der Milchstraße verschwunden. Der Wagen fuhr wieder an. Pieter steuerte ihn schweigend und vorsichtig in den alten Spuren zum Schiff zurück. Dort kletterte der Schlepper die schräge Platte hinauf und fuhr mitten in den Laderaum hinein, in die Schienen, die ihn festhielten. Dann öffneten sich die Türen. Die Luft strömte in die riesenhafte Schleuse zurück, die Menschen rissen die Raumhelme herunter. . „Auf welche Weise werden uns die Ewigen ihr Wissen übermittelt haben?“ fragte Asa. Frederick hob die Schultern und antwortete: „Ich denke — Matrizentechnik. Die einzelnen Muster der Neutronenbahnen als Informationen. Ich glaube, die Kelahertechniker haben diese Wissenschaft ziemlich vervollkommnet.“ „Sicher — so wird es sein“, bestätigte Kilchan Li, während sich die Menschen in die oberen Decks hinaufbegaben. Sie warfen noch einen langen Blick auf die trostlose Ebene und den weißen Felsen, dann startete Kapitän Carrad das Schiff. „Wohin jetzt?“ fragte er Frederick. „Mein Vorschlag ist — die Erde. Terra. Ich bin bereit, darüber abstimmen zu lassen. Wir landen dort, besprechen alles gemeinsam und schicken dann Kurierschiffe zu den anderen Planeten. Man soll die zurückgebliebenen Leute
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abholen und ihnen zu einem Heimflug verhelfen. Alle diese Dinge können noch geklärt werden. Stimmen wir ab?“ Auch das war rasch geschehen. Die überwiegende Mehrheit entschied sich für Terra. Die Cyo Dacoi richtete ihren Bug auf den Kern der Galaxis und zündete die Finalmaschinen. Zwei lange Hyperraumsprünge sollten das Schiff zur Erde bringen. Langsam gewann der schwere Rumpf an Geschwindigkeit und raste den Sternhaufen und Helligkeitsschleiern entgegen. Kapitän Carrad saß auf der Brücke und steuerte die Maschinen. Langsam begann sich der Raum wieder zu füllen; die einzelnen Vertreter ihrer Welten kamen und setzten sich in die Sessel. „Unsere Wissenschaftler versuchen eben, die Geheimnisse der Stahltruhe zu entschlüsseln. Es war so, wie du sagtest, Frederick“, meinte Kilchan und blickte gedankenverloren auf die Farbschirme, die nichts anderes als die ungewohnten Sterne wiedergaben. „Es sind Matrizen. Ungefähr einige Quadratkilometer von hauchdünnen Metallplatten, die senkrecht nebeneinander in der Truhe standen. Wir nahmen eine von ihnen heraus und versuchten sie zu analysieren. Es ist leider keines der Spezialmikroskope an Bord. Wir werden die Arbeit verschieben müssen, bis wir wieder auf Kelaher sind.“ „Das heißt, daß wir nicht lange auf Terra bleiben dürfen“, sagte Frederick. „Noch haben wir nicht über alles nachgedacht“, sagte Tziuma. „Uns ist vor zwei Stunden eine Verantwortung aufgebürdet worden, die ihresgleichen sucht. Wir sollen nicht nur den Kampf gegen einen Feind übernehmen, den wir nicht kennen . . .“ „Halt“, sagte Kilchan. „Hier muß ich einschränken. Noch bevor die Physiker an die Matrizen kamen, fiel ihnen etwas in die Hände, das unerwarteten Aufschluß über die Natur des Feindes gab.“ „Tatsächlich?“ fragte Asa. Er beugte sich gespannt vor und sah auf die Notizen, die Kilchan auf den Knien liegen hatte. Es waren dünne Blätter, sehr eng beschrieben. „Noch haben die Männer nicht alles übersetzt, analysiert und wiedergegeben. Aber eines läßt sich bereits feststellen: Es ist kein Wesen organischer oder anorganischer Art, das sich als Störenfried in dieser Galaxis aufhält. Es ist etwas, das wir nur sehr vage erkennen können.“ „Und das wäre?“ fragte Asa. „Intelligentes kosmisches Gas.“ Frederick wiederholte ungläubig die Frage. Kilchan bestätigte es. Er sah auf seine Blätter und sagte dann langsam: „Die Ewigen beobachteten dieses Gas, als es sich als dünner Schleier durch den Bezirk der Randsonnen schlich. Ein Gas, das nicht gesättigt ist. Es sucht Atome oder Partikel, die es sich einverleibt, um einen gewissen Ablauf seines merkwürdigen Stoffwechsels zu gewährleisten. Dabei bedient es sich zur Fortbewegung elektronischer Stürme und Gravitationskräfte. Es ist in der Lage, Planeten und Sonnen zu überfallen und sich dort Nahrung zu holen. Nahrung, die es braucht, um zu leben und zu wachsen.“ „Zu wachsen!“ Tziuma traf diese Feststellung in einem resignierenden Ton. „Könnt ihr euch ausmalen, was das bedeutet? Zu wachsen. Es hat in den vergangenen Jahren, in genau einer Million Jahren, Zeit gehabt, sich auszudehnen und zu wachsen. Und es hat Planeten zurückgelassen, die so aussahen, wie der ausgestorbene Planet Sadoveana.“ „Und wir sollen nun diesen Vorsprung von einer Million Jahren aufholen?“ Pieter stellte die Frage, kühl und scheinbar unbeteiligt wie immer. Der Mann hatte seine blitzschnelle Kombinationsgabe unter Beweis gestellt, als er die
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Menschen in den Dom der Ewigkeit brachte. „Mit dem Wissen, das wir haben werden, sobald die Mikroskope auf Kelaher die Matrizen entschlüsselt haben.“ „Wir werden viele Schiffe bauen müssen.“ Das war Asa, der diesen Einwand brachte. „Die Sonnen, die wir trafen, sind ebenfalls ein Werk dieses Feindes. Die Ewigen nannten ihn: Shosan. In die Sprache Kelahers übersetzt, heißt das ,Das denkende Unsichtbare’. Die Sonnen, einer Katalysatorenkette beraubt, schrumpften zusammen und wurden zu Zwergen. Auch das war Shosan.“ Sonnen, Planeten . . . das Unsichtbare hat vermutlich mehr auf dem Gewissen, als wir jetzt begreifen können. Auf anderen Planeten hat sich Leben entwickelt, anderes Leben als auf den vier Planeten. Silikatwesen, Wasserlebewesen und andere Lebensformen, halbintelligent oder intelligent. Viele werden dem Feind bereits zum Opfer gefallen sein.“ „In wenigen Wochen wird etwas geschehen“, sagte Frederick ernst und blickte vor sich auf den Boden, „was die Reihe der einmaligen Ereignisse der letzten acht Monate krönen wird. Vier Rassen, verschiedenartig und doch Brüder, werden sich zusammenschließen. Sie werden ein dichtes Netz von Kommunikationsmitteln von jedem einzelnen Planeten ihrer Kolonien zu jedem anderen eines anderen, bewohnten Systems entwickeln. Schiffe werden gebaut werden; sie müssen ein Zwischending aus Handelsraumer, Schlachtschiff und Pionierschiff sein. Ihre Aufgabe ist es dann, das Unsichtbare zu suchen und zu vernichten, wo immer sie es antreffen. Wir werden Kapitäne brauchen, Kadetten, Werften, Maschinen und viel Menschen. Jeder dritte Bewohner unserer Welten wird sich in einem Raumschiff befinden. Ein einzigartiger Kampf wird stattfinden. Denken wir nicht daran, daß sich Shosan nicht wehren kann oder wird. Fürchterliche Kämpfe werden zwischen den Sternen und den Planeten toben. Es wird keine riesigen Schiffsansammlungen geben — es wird ein zäher, langer und lautloser Kampf sein. Machen wir uns alle diese Dinge klar . . .“ Pieter nickte. „Als ich vor rund acht Monaten in dem Büro von Terra Historischer Forschung saß und diese Kopien mitbrachte — wer von uns hätte sich das hier vorstellen können?“ Mit einer ausholenden Geste umfaßte er alle die Ereignisse der vergangenen Zeit. Die langen Flüge, die drei anderen Planeten, die Schiffe und die Männer, mit denen man sich befreundet hatte. Und die Ewigen, die nur für eine halbe Stunde erwachten, um sich dann endgültig aufzulösen. „Niemand“, sagte Tziuma ruhig. „Es fängt erst an“, sagte Asa. „Die Ewigen hätten uns nicht mit dieser Verpflichtung belastet, hätten sie nicht auch gewußt, daß wir zu diesem Krieg fähig sind. Schließlich sind wir die zäheste, beste, schnellste und klügste Rasse, die hier in dieser Milchstraße lebt. Nichts, was hier zwischen den Sternen existiert, wird uns widerstehen können. Wir haben den Mut und das Material, diesen Kampf anzufangen. Und starrköpfig, eingebildet und dauerhaft genug, um auch das Ende dieser Schlacht mitzuerleben, sind wir ebenfalls. Wir werden siegen. Wenn nicht wir, dann unsere Enkel oder deren Söhne.“ „Du hast für uns alle gesprochen“, sagte Frederick abschließend. Die Cyo Dacoi raste weiter, jetzt bereits an der Grenze der Lichtgeschwindigkeit. Dieser Vorgang würde sich noch
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einmal wiederholen, dann landete das Schiff in Al Khabura am Golf von Osman. Der gewaltige Stahlkörper barg das Wissen einer ausgestorbenen Rasse, das in den kommenden Kämpfen verwendet werden sollte. Die Männer sahen einer schweren Zukunft entgegen. Nicht nur die Männer, aber auch die Planeten, würden ihre gesamte Kraft einsetzen, um zu siegen. Epilog: Die Shosan Fighter befand sich in voller Fahrt. Das Schiff war nicht mehr neu. Seine äußere Hülle, silberweiß und wie ein großer Diskus geformt, war mit Schrammen und Beulen übersät. Die Maschinen und Projektoren aber waren überholt und durch neue Teile verstärkt worden. Kapitän Carrad stand auf der Brücke. „Juan, wann treffen wir auf die Fighter VI?“ fragte der Erste. Juan Carrad, Fredericks Enkel, deutete auf den Chronographen. Der Zeiger stand auf einer Marke, die klarmachte, daß es noch hundert Minuten waren. Dann stand das Schiff an seiner Position. Hundert Jahre nach dem Großen Treffen und der Unterzeichnung der Verträge von Al Khabura war schon ein Drittel der Galaxis geräumt worden. „Müde?“ fragte der Erste. Juan nickte. „Und es besteht keine Wahrscheinlichkeit, daß es sich während der nächsten dreißig Tage und Nächte ändert.“ Jedes Erdschiff war diese Zeit im Raum und verbrannte die Shosan. Dann wurde es — nach den geltenden Regeln und wenn nichts dazwischengekommen war — von einem Norcaischiff abgelöst. Immer noch lagen Dinge in den Archiven, die nicht gebaut werden konnten, weil die Techniker nicht mit dem Entwerfen neuer Maschinen und Formen nachkamen. Das Matrizenwissen der Ewigen hatte sich als unerschöpflich erwiesen. „Die Frage, auf welche Weise ein unregelmäßiger Kreis mit dem minimalsten Aufwand und dem maximalsten Effekt abgesucht werden kann, ist gelöst. Nicht gelöst ist die Frage, ob die Shosan auch im sternenfreien Raum existieren kann“, sagte Juan und nickte schwer. „Ich beneide die Jungens dort oben nicht, keine Sekunde lang“, fügte er hinzu. „Dort oben“ war der freie Raum oberhalb, der letzten Sterne, von der Ekliptik der Milchstraße aus gesehen. Wie zwei gigantische Rechen kämmten die Schiffe der vier Rassen den Kreis ab. Man hatte einen Mittelpunkt festgelegt, und von diesem Mittelpunkt aus operierten die Kampfschiffe. Sie bewegten sich wie Speichen eines Rades, allerdings sich voneinander entfernend. Auf diese Weise vertrieb man die Shosan langsam, zu langsam, wie es schien. Aber... in hundert Jahren war ein Drittel der Milchstraße geräumt worden. Entwichen die intelligenten Gasschleier in einen sonnenfreien Raum, fielen sie in die Hände der Sonderkommandos. Dort erfüllte sich das Schicksal der Shosan. Sie wurde verbrannt. Verbrannt? Durch einen genial einfachen Vorgang wurde der Stoffwechsel der Shosan umgekehrt. Statt zu wachsen, verfestigte sich das Gas, erhitzte sich bei jenem Vorgang und verbrannte in nordlichtartigen Schleiern. Juan Carrad flog heute seinen siebzigsten Einsatz. Er war nicht mehr jung. Man sah jedem einzelnen Matrosen auf den Kampfschiffen an, daß sie nichts anderes taten, als zwischen Zeiten kurzer Urlaube das Unsichtbare aufzuspüren und zu verbrennen.
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Vier Rassen kämpften gemeinsam und versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen. Die beiden Schiffsansammlungen bewegten sich voneinander weg, zwischen Sonnen, Planeten und Sternenhaufen. Noch zweihundert Jahre lang, wenn nicht die Shosan vorher flüchtete. Es war zu keiner Verständigung gekommen. Als das erste Schiff es wagte, einem dieser intelligenten Gasschleier näherzukommen, leerten sich die Speicher der Finalmaschinen. Und jedes wichtige Neutron des Schiffes wurde absorbiert. Zurück blieb ein zerbröckelnder Stahlrumpf ohne jedes Leben. Seit diesem Tag gab es nur eines: Kampf. „Noch fünfzig Minuten, Juan“, sagte der Erste. „Ich werde jetzt die Projektoren bemannen lassen.“ Juan Carrad schüttelte den Kopf. „Die Mannschaft ist ebenso müde wie du und ich“, sagte er und lächelte knapp. „Es reicht, wenn du noch vierzig Minuten wartest. Das Schiff ist in fünf Minuten gefechtsbereit. Warte noch.“ Schweigend zog der Erste die Hand von dem Kontaktknopf des Verständigungsgerätes. Vor ihnen erschienen die Sterne des Zielgebietes. Die Funkgeräte sprangen an. Der Funker trat ein. „Juan“, sagte er und salutierte lässig, „die Jungens von der Norcai Queen warten schon auf uns. Sie sagen, bei ihnen schliefe nur das Maskottchen seit dreißig Tagen ganz kurze Zeit. Sie freuen sich direkt auf unser Erscheinen.“ „Danke“, erwiderte Juan Carrad. „Funke hinüber, daß wir kommen. Wie immer. Wie noch zweihundert Jahre lang. Ist Asa junior Kapitän?“ „Ja“, sagte der Funker müde. „Einen schönen Gruß von mir“, sagte Juan. „Richte das aus.“ „Jawohl, Kapitän“, sagte der Funker und ging wieder. Der wütende Kampf konnte beginnen. Er, der vor einer Million Jahren begonnen hatte und nie zu Ende ging, wie es schien. Aber das war nur eine Täuschung. Starben die Väter, setzten die Söhne den Kampf fort. Die Saat der Ewigkeit war aufgegangen und gewachsen. Jetzt war Erntezeit.
ENDE
Nächste Woche ist es soweit. Dann erscheint der erste Band der neuen KrimiSerie CAPTAIN MORRIS. Seien Sie gespannt auf Captain Morris von der Mordkommission New York. Er berichtet über seine spannendsten Kriminalfälle.
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