Dirk Barnevelt, alias General Snyol, hat im kühnen Handstreich die Prinzessin Zei aus der Gewalt der berüchtigten Sunqa...
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Dirk Barnevelt, alias General Snyol, hat im kühnen Handstreich die Prinzessin Zei aus der Gewalt der berüchtigten Sunqaruma befreit. Doch in Sicherheit sind beide noch lange nicht. Während die Piraten mit zwei Galeeren die Verfolgung aufnehmen, muß sich Dirk Barnevelt auf dem eigenen Schiff mit Meuterern und Verschwörern herumschlagen. Als sie vor der verrufenen Insel Fossanderen ankern, um frisches Wasser an Bord zu nehmen, werden Dirk, Prinzessin Zei und der treue Maat Chask schändlich verraten und im Stich gelassen. Und während Chask den kan nibalistischen Inselbewohnern zum Opfer fällt, bege ben sich Dirk und Zei auf eine abenteuerliche Flucht ... DIE RETTUNG VON ZEI schließt unmittelbar an die Ereignisse an, die mit dem RAUB VON ZEI (UB 2977) begonnen haben.
Ferner liegen vor
in der Reihe der
Ullstein Bücher:
Science-Fiction-Stories
Band 1 bis Band 30
Ullstein Buch Nr. 3000 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE HAND OF ZEI Übersetzung von Ingrid Rothmann
Science-Fiction-Romane:
Jeff Sutton:
Die tausend Augen des Krado 1 (2812)
Sprungbrett ins Weltall (2865)
Samuel R. Delaney:
Sklaven der Flamme (2828)
Cyril Judd:
Die Rebellion des Schützen Cade (2839)
Eric Frank Russell:
Planet der Verbannten (2849)
Gedanken-Vampire (2906)
Larry Maddock:
Gefangener in Raum und Zeit (2857)
Bart Somers:
Zeitbombe Galaxis (2872)
Welten am Abgrund (2893)
Manly W. Wellman:
Insel der Tyrannen (2876)
Invasion von der Eiswelt (2898)
Robert Moore Williams:
Zukunft in falschen Händen (2882)
H. Beam Piper:
NULL-ABC (2888)
Murray Leinster:
Die Irrfahrten der »Spindrift« (2917)
Fredric Brown:
Sternfieber (2925)
L. Sprague de Camp:
Vorgriff auf die Vergangenheit (2931)
Der Raub von Zei (2977)
Der Turm von Zanid (2952)
Umschlagillustration: Frazetta/ACE Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1963 by L. Sprague de Camp Übersetzung © 1973 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1973 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3-548-03000-9
L. Sprague de Camp
Die Rettung
von Zei
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
An einem schönen klaren Morgen ging über der Banjao-See die Sonne auf. Die drei Monde des Planeten Krishna, die – auf diesem Planeten eine sehr seltene Konstellation – gleichzeitig in Opposition zur Sonne standen, verschwanden nacheinander hinter dem westlichen Horizont. Die aufgehende Sonne, von den Krishni Roqir und von den Erdenmenschen Tau Ceti genannt, warf ihre rötlichen Strahlen schräg über das riesige Sumpfge biet. Nahe dem Nordrand dieses Meeresmorastes fie len die Strahlen auf etwas, das sich bewegte. Entlang des stark gegliederten Sumpfrandes, wo der treiben de Kontinent aus Terpahla-Seegewächsen sich in Streifen und kleine Inseln auflöste, segelte langsam ein Schiff auf Ostkurs. An dem einzigen Mast hing ein dreieckiges Segel, das sich im schwachen Morgenwind kaum blähte. Um das kleine Schiff schneller voranzubringen, saßen je sieben breitschultrige Krishni zu beiden Seiten des Decks in einer Reihe, jeder an einem Ruder. Am Heck hielt ein untersetzter knorriger alter Krishni das Steu er. Er sah aus wie ein muschelgeschmücktes Seeun geheuer. Auf den Bug war ein starres Augenpaar ge malt. Auf dem Querholz des Hecks stand in haken förmigen Lettern der Name des Schiffes: Shambor. Von ihrem Segel und den vierzehn Rudern voran getrieben, bewegte sich die Shambor in den Sonnen
aufgang hinein, wobei sie hin und wieder den Kurs ändern mußte, um schwimmenden Inseln aus Ter pahla auszuweichen. Nach jeder kleinen Kursände rung aber steuerte der Mann das Schiff wieder auf ei nen Gegenstand zu, ein primitives Floß, dessen zer fetztes Segel matt im schwachen Wind flatterte. Die ses gestrandete Floß trieb einige Bogenschüsse ent fernt vor ihnen. Auf den modernden Planken lagen zwei Personen und spähten zu dem sich nähernden Schiff hinüber. Auf den ersten Blick sahen sie wie zwei Krishni aus – Mann und Frau. Ihre Haut wies eine schwach olivgrüne Tönung auf, und die Haare der Frau waren eindeutig grün. Der Schädel des Mannes jedoch war kahlrasiert. Al lerdings zeigten sich bereits struppige braune Stop peln auf seinem Skalp. Die Ohren waren größer als bei Erdenmenschen, lang und spitz, was die beiden koboldhaft aussehen ließ. Auf der Stirn, genau über den inneren Enden der Augenbrauen, wuchs ein Paar gefiederter Antennen. Sie dienten den Krishni als Riechorgane. Die Frau war jung, groß, herrlich proportioniert. Sie hatte dunkle Augen und eine edle Nase. Bekleidet war sie mit den dürftigen Resten eines durchsichtigen Gewandes. Der rechte Schulterträger war gerissen und enthüllte von der Schönheit des Mädchens mehr,
als viele Erdenmenschen noch als züchtig erachtet hätten. Die bloßen Füße waren an mehreren Stellen aufgeschürft. Der Mann war groß und muskulös. Schön konnte man den grobknochigen Körper mit den knotigen Ge lenken, den übergroßen Händen und Füßen aller dings nicht nennen. Er trug einen fleckigen hellblau en Anzug: kurze Reithose und eine Jacke mit Silberknöpfen. Die Lederstiefel reichten bis zu den Waden. Neben ihm auf dem Deck lag ein verbeulter, mit Or namenten verzierter Helm aus dünnem Silber, aus dem ein Paar fledermausartige Silberschwingen her vorragten. Der Anzug war die Uniform der Mejrou Qurarde na, was so viel bedeutete wie Sicherheits-ExpreßGesellschaft. In dieser Verkleidung hatte der Mann den Versuch unternommen, in den Sunqar – den trei benden Sumpf – einzudringen, und zwei Personen zu entführen, die von den Piraten, den Bewohnern des tristen Ortes, gefangengehalten wurden. Erfolg hatte er nur bei einer dieser Personen, dem Mädchen, ge habt. Auf den Planken des Floßes lagen außerdem vier Bretter, knapp über zwei Meter lang, zu rohen Skiern zurechtgeschnitten, mit Seilen, die als Bindungen ge dient hatten; dazu Ruder, die die Flüchtenden als Ba lancierstangen benutzt hatten. Auf diesen Skiern wa
ren die beiden letzte Nacht aus der Niederlassung der Morya Sunqaruma – der Freibeuter des Sunqar – ge flohen. In all den vielen Jahrhunderten der KrishniGeschichte war niemandem zuvor der Gedanke ge kommen, diese Fortbewegungsmethode zur Über windung des sonst unüberwindlichen TerpahlaGerankes zu verwenden. Das Floß wurde von Terpahla umschlossen: ein Gewirr brauner Meerespflanzen, von Purpurbläschen in traubenartigen Zusammenballungen gehalten. Wenn man über den Rand lugte, konnte man manchmal einen Schimmer der blitzartig schnellen Bewegung der Fondaqa erhaschen, der großen gifti gen Aale des Sunqar, die auf Beute aus waren. Der Mann jedoch gab sich nicht dem Studium des Meereslebens hin. Mit gerunzelter Stirn sah er dem näherkommenden Schiff entgegen, das sich als klei nes helles Segeldreieck über der sumpfigen Fläche erhob. Hin und wieder warf er einen Blick südwärts hin zum Hauptkörper des treibenden TerpahlaLandes. In dieser Richtung wurde die Linie des Hori zontes von einer Vielzahl gestrandeter Schiffe unter brochen. Hier verrotteten im unbarmherzigen Griff der Ranken die Schnabelgaleeren von Dur und die dickbäuchigen Rundschiffe aus Jazmurian. Selbst die gewaltigen Stürme der Subtropenregen auf Krishna kräuselten die Oberfläche des Sunqar nur
unmerklich. Von Zeit zu Zeit aber hob sich der Sumpf, und die gräßlichen Meerestiere des Planeten ließen die See brodeln. Ihr gefürchtetster Vertreter war der Guam oder Harpunenfisch. Zur Zeit durchbrach kein Ungeheuer die glatte Oberfläche. Unter der aufgehenden Sonne herrschte Schweigen und Dunst und der Gestank der fauligen Ranken. Hier aber wuchs auch Menschenwerk empor. Die Morya Sunqaruma hatten aus Wracks eine schwim mende Stadt gebaut. Vom Rande des Rankengebietes bis zu ihrer Ansiedlung hielten sie einen Zugang frei. Mit ihren aus geborgenen Wracks gebauten Schiffen fuhren sie aus und zwangen den Völkerschaften der Drei Meere ihren Willen auf. Als der Mann auf dem Floß zu der Niederlassung hinübersah, erhoben sich schwache blaue Rauch schwaden aus der zusammengewürfelten Anhäufung improvisierter Hausboote. Im Verein mit ihren häus lichen Verrichtungen machten sich die Morya an die Janru-Produktion – die Herstellung jener erstaunli chen Droge, die – gewonnen aus Terpahla und mit Duftwässern versetzt – jeder Frau, sei sie Erdenfrau oder Krishni – alle Macht über jeden Mann verlieh. Auf dunklen Wegen wurde die Droge aus dem Sun qar zur Erde geschmuggelt, wo er große Unruhe aus löste.
Als der Mann auf dem Floß sich umdrehte und der sich nähernden Shambor entgegensah, murmelte er: »Ja, es ist unser Schiff, aber ...« »Aber, was, o Snyol?« fragte das Mädchen. »Zei, mein Schatz, sie hätten nicht dieses Segel set zen dürfen. Von der Niederlassung aus könnte man es mit einem Teleskop sichten. Entweder haben mei ne Leute den Verstand verloren, oder es sind nicht meine Leute.« Der Mann hatte in Gozashtandou, der Umgangs sprache der Westküsten der Drei Meere gesprochen. Er sprach es mit einem starken Akzent, angeblich der Klangfarbe von Nyamadze, jenes antarktischen Lan des, von dem er behauptete, es wäre seine Heimat. Ein in solchen Dingen Erfahrener hätte den Akzent jedoch sofort als irdischen Ursprungs erkannt. Denn der Mann war weder Snyol von Pleshch, ein ehemaliger Offizier und Abenteurer aus dem kalten Nyamadze, noch der Expreßbote Gozzan. Er war vielmehr Dirk Cornelius Barnevelt, gebürtig aus dem Staate New York. Spitzohren, Antennen und grünli cher Teint waren künstlich und der Geschicklichkeit des Friseurs von Novorecife auf Krishna zu verdan ken. Außerdem war Barnevelt Angestellter der Firma Igor Shtain Limited. Tatsächlich war er der Public Relations-Mann dieser Firma. Mehrheitsaktionär der
Gesellschaft waren der Forscher Shtain selbst, der ferne Orte bereiste und Tatsachenberichte schrieb, sodann Barnevelt, der Artikel und Vorträge über die se Reisen verfaßte, dazu ein als Shtain-Double auftre tender geschminkter Schauspieler, der diese Vorträge hielt. Im Zeitalter der Spezialisierung hielt sich die Firma auch einen Xenologen, der dem Publikum klarmachte, was von den Fakten und Daten zu halten war, die der unerschrockene Shtain gesammelt hatte. Zei sagte: »Gestern abend, als der Wirbel auf dem Schiff losging, wolltet Ihr den Erdenmenschen, der unter den Sunqaruma lebte, mitnehmen. Ihr habt ver sucht, ihn in die Schatztruhe zu stecken und wegzu tragen. Ihr erinnert Euch an den Mann – einen klei nen Wicht, mit runzeligem rotem Gesicht, blauen Augen und widerspenstigem grauem Haar, das so wohl auf seiner Oberlippe als auch auf dem Schädel wuchs?« »Ja.« »Nun, damals habt Ihr gesagt, Ihr würdet mir den Grund für Eure Schrulle verraten. Ich glaube, jetzt ist die Zeit für ein volles Geständnis gekommen. Ant wortet daher: Warum diese Laune?« Barnevelt ließ sich mit der Antwort so lange Zeit, daß sie fragte: »Nun, hoher Herr?« »Dieser Mann«, sagte Barnevelt mit Bedacht, »ist Igor Shtain, ein Terraner, der aus dem Gesichtskreis
seiner Leute verschwunden ist. Ich habe den Erden menschen in Novorecife versprochen – gegen Hono rar natürlich – zu versuchen, ihn zu finden und zu retten. Nun, Ihr habt gesehen, daß er nicht gerettet werden wollte. Offenbar hat dieser Dinosaurier Shea fase, der die Piraten befehligt, diesen Shtain mit sei ner Osirischen Hexenkunst so in der Gewalt, daß die ser nicht mehr weiß, wer er ist und sich für einen Freibeuter des Sunqar hält. Als ich mich zu seiner Rettung verpflichtete, wußte ich natürlich nicht, daß man mich auch zu Eurer Rettung aufrufen würde.« »Wie traurig, daß mein armseliges Ich Euer Unter nehmen gebremst hat!« »Ach, rede keinen Unsinn, Schatz. Ich rette lieber eine von deinem Schlage als Dutzende von Shtains. Küß mich!« Wieder gab Barnevelt ein Beispiel jener irdischen Sitte, die er Zei während der Wartezeit auf dem Floß gelehrt hatte. Abgesehen von dem natürlichen Ver gnügen, mit diesem herrlichen Wesen der Liebe zu huldigen, hoffte er außerdem, sie dadurch von weite ren Fragen abzuhalten. Überdies war er mehr als nur halb in sie verliebt und vermutete, daß sie – soweit man das im Umgang mit einer fremden Gattung sagen konnte – ihm ge genüber dieselben Gefühle hegte. Sie waren während der Zeit, die er und George Tangaloa der Xenologe, in
Ghulinde, der Hauptstadt Qiribs, verbracht hatten, gute Freunde geworden. Obwohl Zei die einzige Tochter von Königin Alvandi war, hatte eine Ver knüpfung von Umständen dazu geführt, daß Barne velt und Tangaloa während ihres Aufenthaltes in Ghulinde als geehrte und willkommene Gäste im Pa last empfangen wurden. Sie waren beschäftigt gewe sen, eine Expedition auszurüsten, die angeblich nach Gvam-Steinen suchen sollte, in Wirklichkeit aber eine Suchexpedition nach dem vermißten Shtain war. In der Folge hatten die Piraten des Sunqar Ghulinde überfallen und Zei entführt. Während der Kämpfe war Tangaloa verwundet worden. Die wütende alte Köni gin Alvandi hatte den geborenen Samoaner als Geisel genommen und Barnevelt, noch immer unter seinem Decknamen Snyol, gezwungen, zur Rettung ihrer Tochter auszuziehen. Obwohl er im Hinblick auf Zei Erfolg gehabt hatte, so waren doch zwei Rettungsak tionen auf einmal zuviel gewesen. Shtain, der sich für einen Sunqaruma hielt, hatte aus diesem Grund in der Niederlassung der Piraten bleiben müssen. Die kühne Rettung und die brillante Idee, mit Hilfe improvisierter Skier den ansonsten nicht begehbaren Rankenteppich zu überqueren, hatten das Ansehen Barnevelts in den Augen der Prinzessin natürlich un gemein gehoben. Tatsächlich waren sie vor einer Stunde, als sie ihre nassen Sachen ausgezogen und
zum Trocknen an den Mast gehängt hatten, gefähr lich nahe daran gewesen, ihrem beiderseitigen Ver langen nachzugeben. In Barnevelt hatten zwei Naturen erbittert mitein ander gekämpft. Die eine war das gesunde junge Tier, die andere der vorsichtige, berechnende Mann von Welt. Die zweite Natur hatte Barnevelt gewarnt, daß Intimitäten mit der Prinzessin ihm den Kopf kosten könnten. Denn Qirib war ein Matriarchat, in dem die Köni gin sich jedes Jahr einen Prinzgemahl erwählte. Zu Jahresende wurde der alte König hingerichtet und unter Abhaltung eines feierlichen religiösen Aktes und bei großem Zeremoniell verspeist. Dieses Fest, das Kashyo, war durch den Überfall der Piraten un terbrochen worden. Im Kampfgetümmel hatte der al te König Kaj sein Leben verloren. Er war niederge streckt worden, als er das Henkerbeil gegen die Ein dringlinge schwang. Damit hatte er in letzter Minute seine Männlichkeit wiedergewonnen. Barnevelt wußte, daß Königin Alvandi zugunsten ihrer Tochter abdanken wollte. Er sah ein Jahr des Glückes für sich voraus – gefolgt von Henkerblock und Bratspieß. Während seine Impulse miteinander im Kampfe begriffen waren, hatte sich beim Anblick der Shambor die Waagschale zugunsten vorsichtiger Selbstbeherrschung geneigt.
Zei küßte ihn flüchtig, ohne mit ihren Fragen auf zuhören. Trotz ihres milden und freundlichen We sens war sie schließlich eine Prinzessin und daher gewohnt, mit allen Menschen, außer ihrer Mutter, nach Belieben umzuspringen. »Also«, sagte sie, »war das Märchen von der Suche nach Gvam-Steinen nur dazu erfunden, um uns zu täuschen?« »Nicht ganz. Ich hoffte, auf ein paar Steine zu sto ßen für den Fall, daß es mit Shtain nicht klappen soll te.« (Immer ausreichend Wahrheit mit den Lügen mi schen und umgekehrt, damit es um so schwerer fiel, Wahres von Falschem zu trennen, sagte er sich.) »Dann ist keiner von uns beiden ganz das, was er zu sein scheint.« Sie sah sich nach der Shambor um, die im langsamen Zickzackkurs auf sie zuhielt. »Kommen die denn nie näher, damit endlich unsere Zweifel besänftigt werden?« »Der Zickzackkurs ist nötig, um dem Geranke aus zuweichen.« Sie warf einen Blick zur Siedlung hinüber, die jetzt im heller werdenden Licht deutlich sichtbar war. »Gibt es keine Möglichkeit, vom Schicksal des jungen Zakkomir zu erfahren?« »Ich fürchte nein. Er ist ganz auf sich gestellt und allein.« Zakkomir, ein junger Qiribu, war ein Mündel der Krone, der aus Bewunderung für die Heldentaten
des angeblichen General Snyol von Pleshch an der Expedition Barnevelts teilgenommen hatte. Während der Kämpfe auf dem Schiff waren sie getrennt wor den. Zakkomir war in die eine Richtung, Zei und Barnevelt in die andere geflohen. Barnevelt spähte abermals zur Shambor hinüber. »Bei Bakh, da ist doch Chask, mein Maat, am Ruder!« Er stand auf, winkte und rief: »He, Chask! Schiff ahoi! Hierher!« Und dann, zu Zei gewandt: »Die brauchen noch eine ganze Weile. Hoffentlich sehen uns die Sunqaruma nicht.« »Ein Wunder, daß sie Shambor zu unserer Rettung gekommen ist. Schließlich war sie schon außer Ge fahr. Snyol von Pleshch kann von seinen Leuten Treue bis zum letzten erwarten.« »Das auch wieder nicht, mein Schatz. Tatsächlich ist Chask der einzige, dem ich wirklich vertraue. Ich wage zu behaupten, daß es in der Hauptsache ihm zu verdanken ist, wenn das Schiff kommt.« Als der Bug der Shambor sich wenige Meter vom Floß durch die Ranken bohrte, fiel Barnevelt eine sei ner Pflichten ein. Er stand auf und deutete mit der Faust auf das Schiff, wobei er die Hand langsam vor und zurückschwenkte. Der große Ring an seinem Finger war in Wirklichkeit eine Hayashi-Filmkamera. Er filmte die Ankunft der Shambor. Die Firma Igor Shtain hatte mit den Cosmic Fea
tures einen Vertrag für fünfzigtausend Meter Film über den Sunqar abgeschlossen. Eine der Aufgaben Barnevelts und Tangaloas war es, möglichst viel zu filmen, um die Firma vor dem Bankrott zu bewahren. Obgleich die Bestimmungen des Interplanetarischen Rates jede Einfuhr von hier noch unbekannten Erfin dungen nach Krishna untersagten, hatte man im Falle der Hayashi-Kamera eine Ausnahme gemacht, weil das Ding so klein und unauffällig war, daß es das Kulturgefüge auf Krishna kaum stören würde. Über dies sorgte eine Vernichtungsfeder dafür, daß die Kamera in einen Regen aus winzigen Rädchen und Linsen zerstob, falls ein Laie sie zu öffnen versuchte. »Was soll das?« fragte Zei. »Schleuderst du einen Zauberbann?« »So ähnlich. Zieh deine Sandalen an. Wir gehen.« Er hob Zei über die Reling und kletterte selbst an Bord.
1
Als Barnevelt und Zei über die Reling kletterten, rief Chask einen anderen ans Steuer. Er kam ihnen entge gen und rief: »Prinzessin Zei persönlich! Die Götter des Meeres haben unser Unternehmen begünstigt!« Er kniete vor der Prinzessin, während er nach dem Daumen Barnevelts faßte. Dabei wirkte er selbst wie ein knorriger alter Meeresgott. Barnevelt winkte der Mannschaft zu und rief: »Seid gegrüßt, Männer!« Die Seeleute, die auf ihre Ruder gestützt ausruhten, sahen ihn schweigend an. Ein oder zwei versuchten ein schwaches Lächeln. Die übrigen blieben düster. Mit einem Schauer des Zweifels dachte Barnevelt, daß sich seine Beziehungen zur Besatzung nicht ge bessert hatten, seit er ihrem Verlangen, die Expediti on abzubrechen, nicht nachgegeben hatte. Chask sagte: »Gefällt es Euch, daß wir auf die Pa lindos Straße zu halten und das so schnell wie mög lich, Käptn?« »Sicher.« »Ay, ay, Sir! Rudert zurück!« Und als sie die Ran ken hinter sich hatten: »Steuerbord voraus! Und jetzt alle gemeinsam! Rudert um euer nichtsnutziges Le ben, ehe die Galeeren der Sunqaruma uns finden. Ay,
geht auf Kurs Nordost mit vollen Segeln.« Er wandte sich wieder an Barnevelt. »Wie ist es Euch ergangen, Herr, und wo ist der junge Fant, der Euch begleitet hat?« »Komm mit uns in die Kabine«, sagte Barnevelt. Während Barnevelt Zeis Füße mit Beständen aus dem Arzneischrank salbte und bandagierte, bereitete Chask ihnen einen Imbiß. »Wollt Ihr mir jetzt nicht sagen, was Euch wider fahren ist?« Barnevelt berichtete so viel von seiner Geschichte, wie er für richtig hielt. »Während wir uns in der Ka bine über die Bedingungen stritten, warf ich eine Rauchbombe. In dem Wirbel haben Zakkomir und ich zwei Piraten getötet. Den osirischen Anführer konn ten wir in die Enge treiben und dazu bringen, daß er mit uns ging – mit der Schwertspitze an den Rippen. Die Prinzessin nahmen wir mit. Doch wie das Schick sal so spielt, stießen wir mit einem Mann zusammen, den ich früher einmal getroffen hatte, und der jetzt Pirat ist. Er kannte mich, wußte, daß ich kein Expreß bote bin und schlug Alarm. Da mußten wir die Beine in die Hand nehmen. Zakkomir hat die Verfolger ab gelenkt und es mir und Zei ermöglicht, in die andere Richtung zu entkommen. Wir haben es dann ge schafft, indem wir mit Brettern, die wir an die Füße banden, über das Rankengeflecht flohen.«
»Der junge Geck hat mehr Mumm in den Knochen, als ich gedacht hätte. Was ist schließlich aus ihm ge worden?« »Ich weiß nicht. Jetzt sag mir eines: warum machen die Männer so finstere Gesichter? Man möchte mei nen, sie müßten froh sein, uns zu sehen.« »Was das betrifft, so gibt es dafür zwei Gründe: er stens, verzeiht meine Offenheit, mißfällt ihnen diese Reise, weil sie bereits vier Tote gefordert hat – fünf, wenn Ihr den jungen Zakkomir dazuzählt. Ihr wißt, Herr, manch ein Mann ist im Heimathafen mutig wie ein Yeki, wenn er gefährliche Fahrten plant. Sobald ihm die Gefahr ins Gesicht sieht, ist alles anders. Ob gleich die größten Gefahren hinter uns liegen dürften, so fürchten sie dennoch die schwere Hand des Sun qar auf den Schultern, ehe sie in Sicherheit sind. Und zweitens: Da ist der junge Zanzir, der Euch töd lich haßt, weil Ihr ihn vor seinen Kameraden erniedrigt habt, nachdem er sich seiner Vertrautheit mit Euch ge rühmt hatte. Dazu kommt, daß er in Katai-Jhogarai ge lebt hat, wo es weder König noch Adel gibt. Dort hat er sich verderbliche Gedanken von der Gleichheit aller Menschen zueigen gemacht. Er ist der Meinung, daß das Leben meiner Herrin Zei – mit Respekt gesagt, edle Herrin – auf der Waage der Götter nicht mehr wiegt als das Leben eines gemeinen Seemanns, und dieses eine Leben gegen vier oder fünf ihrer Leben einzuhandeln,
wäre Mord und Unterdrückung. Und so hat er die Mannschaft aufgewiegelt ...« »Was!« rief Zei mit vollem Munde. »Denkt nicht schlecht von mir, gnädigste Herrin!« Sie schluckte und sagte: »Euch laste ich keine Schuld an, guter Chask, mich setzen nur die von Euch geäußerten Gedanken in Erstaunen. Es sind entweder die Eingebungen eines Genies oder die Tollheiten ei nes Irren.« »Man sagt, daß es Gesetz in Katai-Jhogorai wäre ...« »Warum hast du nichts gegen diesen Kerl unter nommen?« fragte Barnevelt und unterbrach damit das Gespräch, das sich zu einem Seminar über Regie rungsformen auszuwachsen drohte. »Jedermann weiß, daß man auf einem Schiff auf hoher See nicht Demokratie praktizieren kann.« Insgeheim mußte Barnevelt sich eingestehen, daß er nicht aufrichtig war. Er war von der Annahme ausgegangen, daß es tatsächlich möglich wäre, und er glaubte immer noch, daß man Gründe zugunsten von Zanzirs Standpunkt anführen könnte. Doch würde nichts Gutes daraus erwachsen, wenn er diese Über legungen preisgab. Die Toten konnte man damit nicht wieder zum Leben erwecken. Außerdem waren die Männer freiwillig mitge kommen, und man hatte ihnen die Gefahren nicht verheimlicht.
Chask sagte: »Ich nehme mir die Freiheit heraus, Euch Eure eigenen ausdrücklichen Befehle zu Beginn dieser Expedition ins Gedächtnis zu rufen. Keine Bru talität, habt Ihr gesagt. Die Gelegenheit für einen ra schen Dolchstoß in der Finsternis ist vorbei. Er hätte uns von diesem Ärgernis befreit. Jetzt ist Zanzir na türlich darauf bedacht, immer in der Nähe seiner fa natischsten Parteigänger zu bleiben.« »Ihr Herren!« rief ein Seemann, der den Kopf zur Kabinentür hereinsteckte. »Eine Galeere hat die Ver folgung aufgenommen!«
2
Sie liefen an Deck. Zwischen ihnen und dem ent schwindenden Sunqar fiel die Morgensonne auf ein Segel am Horizont. Barnevelt kletterte auf den Mast. Von der Mastspitze konnte er den Schiffskörper unter dem Segel ausmachen und die Ruderbänke auf bei den Seiten. Von seinem günstigen Beobachtungs punkt aus konnte er außerdem ein zweites, noch wei ter entferntes Segel ausmachen. Er kletterte wieder hinunter und sah sich auf Deck um. Der junge Zanzir, der gerade am Backbordruder saß, erwiderte seinen Blick, als wolle er ihm verbie ten, etwas zu sagen. Barnevelt rief den Maat und Zei in die Kabine, schloß den Waffenschrank auf und entnahm ihm De gen für Chask und sich und einen langen Dolch für Zei. »Ich könnte mir denken, daß unser junger Idealist über uns herfällt, sobald die Schiffe der Sunqaruma nähergekommen sind, und uns als Gegenleistung für seine Freiheit ausliefert.« »Das könnte durchaus so sein«, entgegnete Chask, »obwohl ein ehrlicher Seemann die Sunqaruma wie die Pest fürchtet und sie gar nicht für Menschen hält, sondern für Automaten, zum Leben erweckt durch
den teuflischen Zauber des Ungeheuers, das über den Morast gebietet.« »Nun, sollte jemand eine falsche Bewegung tun, so töte ihn und wirf ihn über Bord«, sagte Barnevelt. »Jetzt soll in Sachen der Disziplin dein Urteil gelten.« Chask bedachte Barnevelt mit der Andeutung eines Lächelns und vermied es dabei peinlich, seine Zähne zu blecken. »Und jetzt«, sagte Barnevelt, »will ich einen Plan aushecken, falls du mir dabei hilfst.« Er wandte sich an Zei. »Ihr legt jetzt wohl lieber seetüchtigere Klei dung an. Dieses Fähnchen fällt ja in Stücke.« Er schloß den Kleiderschrank auf und holte einige Kleidungsstücke heraus. Sodann breitete er seine Kar ten auf dem Tisch aus und ging an die Arbeit. Dü nung aus Nord ließ die Shambor tanzen und machte die Positionsbestimmung reichlich mühsam. Als Bar nevelt fertig war, sagte Chask: »Wenn wir uns nicht beeilen, werden die Sunqaruma uns sehr bald von der Straße von Palindos abschneiden.« »Dann müssen wir eben den Kurs ändern«, sagte Barnevelt. Er wollte keinen Sonnenbrand auf der Glatze haben und setzte seinen verbeulten Silberhelm auf, als er wieder an Deck ging. Der Nordwind hatte aufgefrischt und trieb vom Bug her das Wasser in einem Sprühregen schräg übers Deck. Hin und wieder drang auch Wasser
durch die Ruderöffnungen herein. Bei derart rauher See konnten die Ruderer keinen gleichmäßigen Rhythmus beibehalten. Sie mußten zwischen den ein zelnen Ruderschlägen mit den Rudern in der Luft in nehalten, bis der Steuermann in einem günstigen Au genblick rief »Rudert!« Barnevelt erklomm erneut den Mast und klammer te sich dabei an die Rungen, um nicht durch ein plötzliches Gleiten des Schiffes ins Wellental abge schüttelt zu werden. Der Wind pfiff durch die Take lung, die Seile ächzten, das Segel war aufs äußerste gestrafft. Achteraus hatte die verfolgende Galeere, obgleich schon näher, mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen. Manchmal sah Barnevelt das Aufsprit zen des Wassers, wenn sich ihr Bug in einen Wellen berg bohrte. Da es sich um ein viel größeres Schiff als die Shambor handelte, die wie ein Korken auf dem Wasser tanzte, tauchte es auch viel tiefer ein. Er konn te jetzt sehen, daß die Galeere ein Zweimaster war, mit einem großen Hauptsegel vorn und einem kleine ren Besamsegel achtern. Als Barnevelt wieder unten angekommen war, rief Chask: »Alles fertig!« Der Bootsmann mußte etliche Ruder einziehen, weil er die Leute bei dieser Wind stärke zur Handhabung des Segels brauchte. »Steuer hart leewärts! Gei fieren! Löst die Stütztaue!!« Während er das komplizierte Manöver beobachte
te, hegte Barnevelt die Befürchtung, daß ein plötzli cher Windstoß das Segel zerfetzen könnte, das nun vor dem Schiff flatterte und sich wie eine riesige drei eckige Flagge blähte. Oder daß der Mast umgerissen werden könnte. In jedem Falle wäre es um sie ge schehen gewesen. Sie trieben bei nicht geringer Ge schwindigkeit vor dem Wind, obgleich die restlichen Ruderleute sich abmühten, dem entgegenzuwirken. Das Deck erbebte unter den Füßen der Besatzung, die umherlief und mit dem Segel kämpfte. Schließlich hatten sie die Rahe in vertikale Lage und durch kom pliziertes Herumhantieren auf die andere Seite des Mastes gebracht, und das alles unter viel Geschrei, Ächzen und Zerren an den Seilen. »Steuer los! Segelleinen einholen! Scharf beim Wind!« Die Rahe nahm jetzt ihre normale schräge Stellung ein, allerdings auf der anderen Seite des Mastes. Die Masthalterungen wurden wieder angebracht, und das Segel blähte sich und ächzte, als der Wind es auf dem neuen Kurs füllte. Die Leute nahmen ihre Plätze an den Rudern wieder ein. Wie viel einfacher, dachte Barnevelt, ging es doch mit einem schlichten Stagsegel, bei dem man bloß das Steuerruder scharf herumreißen und sich ducken mußte, wenn der Baum übers Deck schwang. Überdies konnte man härter am Wind segeln. Er bezweifelte, ob sie mehr
als sechseinhalb Knoten machten. Sogar ein irdischer Rahsegler – falls es einen solchen noch gab – würde eben so gute, wenn nicht bessere Fahrt machen. Zei, die an seiner Seite stand, sagte: »Oh, Snyol, warum dieses Manöver? Wird das Schiff nicht unse ren Weg kreuzen?« »Es müßte umtakeln wie wir, und bei so rauher See nützen ihm die Ruder allein nicht viel.« Stirnrunzelnd beobachtete er Himmel, See und die eigene Takelung. »Wenn wir in einen echten Sturm geraten, dann muß die Galeere zusehen, daß sie den Heimathafen er reicht. Uns wird es nicht besser ergehen. Mit dieser Takelung läßt sich ein Schiff im Sturm schwer manö vrieren. Wir müßten vor Wind segeln und würden wieder im Sunqar landen.« »Und wenn sich der Wind völlig legt?« »Auch dann haben sie uns. Sie haben über hundert Mann an den Rudern – im Gegensatz zu unseren vierzehn.« Er fragt sich eines: Falls sie ihren Vorsprung vor der Galeere bis Einbruch der Nacht halten konnten – würde es ihnen glücken, in der Dunkelheit zu entkommen? Nicht unter den drei gleichzeitig scheinenden Monden. Bei Regen oder Nebel wäre es anders gewesen, doch das gegenwärtige Wetter ließ nicht auf einen Erfolg schließen. Und vom Mast der Shambor aus konnte man den Mast der verfolgenden Galeere noch sehen.
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Zei, »aber ich fühle mich schlecht und muß mich zurückziehen ... Wuuuppp!« »Geht an die Reling!« rief Barnevelt und half ihr dabei. Als Zei unter Deck gegangen war, um sich hinzu legen, kam Chask herauf und sagte: »Kapitän, da ist noch ein Punkt, den ich zu bedenken bitte. Wir haben im Sunqar kein Trinkwasser an Bord genommen. Die Vorräte werden knapp. Die Leute schwitzen ihr Was ser bei dieser Ruderarbeit schneller als normal aus.« »Dann rationiere es«, sagte Barnevelt und ließ da bei die Galeere nicht aus den Augen, deren Richtung sich rasch änderte, als die Shambor ihren Kurs kreuz te. Jetzt kletterten auf der Galeere die Männer gleich kleinen braunen Ameisen auf einem Strohhalm die Masten hinauf und machten die Segel mit Seisingen fest. Obwohl er mit der Affenarbeit des Segelhandha bens Erfahrung hatte, war Barnevelt froh, daß er nicht da oben hängen mußte, die schwankende Rahe zwi schen den Knien. Allmählich sanken Zoll um Zoll die Segel der Ga leere, bis sie sich um die Rahe bauschten. Und dann sanken die Rahen auf Deck. Die Galeere kreuzte das Kielwasser der Shambor und blieb weiter auf Nord kurs.
Der lange Krishni-Tag zog sich in die Länge. Bar nevelt ging in die Kabine, schlief ein wenig und ra sierte sich sodann, damit Haar und Bart nicht seine Herkunft verrieten. Die Männer murrten wegen der Wasserknappheit, verstummten aber jäh, als Barne velt mit der Hand am Degengriff vorbeischritt und dazu eine harte Miene zur Schau trug. Einmal kam eines der fliegenden Wesen des Plane ten an Bord. Es war offenbar von seinem Kurs abge kommen und klammerte sich an die Takelung. Ir gendwie sah es aus wie ein kleines haarloses nacktes Äffchen mit Fledermausflügeln. Barnevelt schlug die Zeit tot, indem er es von der Stange lockte. Abends fraß es ihm bereits aus der Hand. Der grünliche Abendhimmel blieb klar. Im Westen ging Roqir hinter der Galeere, die nun schon heran gekommen war, unter. Die wieder aufgezogenen Se gel hoben sich als schwarze Silhouetten ab. Die Sterne gingen auf und funkelten in einem spröden Glanz, der in diesen dunstigen Breiten ungewöhnlich war. Barnevelt erkannte Sol an dem für ihn fremden Himmel. Auf dem Himmelskartenabschnitt acht, in dem die Cetischen Planeten lagen, lag Sol beinahe in einer Linie mit Arcturus. Das Dreigestirn der Monde ging auf. Karrim der große, Golnaz der mittlere und Sheb der kleine. Der Wind flaute etwas ab. Als er nach Norden sah,
konnte sich Barnevelt ein Bild von dem großen Hoch druckgebiet machen, das über der Sadabao-See lag und eine Schicht kühler Luft in den Sunqar schickte. »Wie lange dauert gewöhnlich dieser Wind?« frag te er Chask. Der Maat winkte mit der Hand, was auf Krishna ein Achselzucken bedeutete. »Vielleicht einen Tag, vielleicht auch vier oder fünf. Ganz plötzlich wird er sich legen, und eine Woche lang wird es hier in dieser stinkenden See eine Flaute geben. Ich werde mich richtig freuen, wenn wir wieder in die Zone der be ständigen Westwinde kommen.« Die Leute waren müde, obwohl auf der Shambor in zwei Schichten gerudert wurde. Die Galeere aber hat te den Abstand nicht verringern können. Ihre Ruder leute mußten also ebenso erschöpft sein. »Außerdem«, erklärte Chask, »ist es unwahrschein lich, daß sie vorhaben, uns in der Dunkelheit einzuho len. Ein kleines Schiff wie unseres kann zu leicht wen den und ausweichen. Und das Abschießen von Kata pulten und Armbrüsten bei Nacht – auch bei Monden schein – ist eine Vergeudung von Geschossen.« Die ganze Nacht über sahen sie die Galeere als schwarzen Fleck, der sich durch das Phosphoreszie ren des Kielwassers und durch Ruderspritzer abhob. Keines der zwei Schiffe hatte Lichter gesetzt. Gegen Ende seiner zweiten Wache, als die lange
Nacht sich dem Ende zuneigte, weckte Barnevelt Chask und sagte: »Ich habe mir überlegt, daß wir mit einer geänderten Takelung diesen Gaunern davonse geln könnten.« »Was soll das, Käptn? Ein Trick aus den Polarre gionen, aus denen Ihr gekommen seid? Mitten im Rennen die Takelung zu wechseln, ist in meinen Au gen heller Wahnsinn, wenn Ihr Offenheit entschuldi gen wollt. Bis die neue Takelung hängt ...« »Ich weiß. Aber sieh mal.« Barnevelt wies auf die Segel der Galeere, die in der aufgehenden Sonne rosig schimmerten. »Sie kommt näher. Meiner Berechnung nach werden wir die Straße von Palindos nicht vor Mittag erreichen. Bei diesem Tempo werden sie uns sicher vorher einholen.« »Seid Ihr sicher, Herr?« »Ja. Tatsächlich sind wir schon zu weit westlich und müssen vor dem Wind drehen, was uns prak tisch bis auf Reichweite vor ihren Bug bringt.« »Unsere Lage ist wirklich ernst. Was sollen wir tun?« »Das werde ich dir zeigen. Wenn wir das Umtakeln sorgfältig planen und uns alle gemeinsam daranma chen, ist die neue Takelung vielleicht fertig, ehe sie uns einholen. Wenn wir es jetzt tun, bevor Wind auf kommt und die Burschen uns noch näher auf den Pelz rücken, ist die Möglichkeit günstiger.« »Verzweifelte Bedingungen verlangen nach ver
zweifelten Maßnahmen, wie Nehavand sagt. Was soll also geschehen?« »Such zwei Leute aus, denen man trauen kann, und bring sie in die Kabine.« Eine halbe Stunde darauf wurde Barnevelts Plan ausgeführt. Er selbst war seiner Sache bei weitem nicht so sicher, wie es geklungen hatte, aber alles war besser, als tatenlos zuzusehen, wie die Galeere un ausweichlich aufholte. Sein Plan bestand in nichts geringerem, als das ge genwärtige Lateinsegel in ein Marconi – oder Bermu dasegel zu verwandeln. Als erstes ging einer der Männer am Unterliek des Segels entlang und schnitt in regelmäßigen Abständen Löcher hinein, während ein anderer ein Tau in kurze Stücke schnitt, die nun lose um die Rahe geschlungen wurden, die bei der neuen Anordnung als Mast diente. Chask übernahm das Steuer und manövrierte den Bug der Shambor in das windstille Zentrum des Sturmes. Die Segel erschlafften, und die Ruderer, die wußten, daß sie jetzt keine zusätzliche Hilfe mehr hatten, tauchten die Ruderblätter kräftig ein. Die Galeere hatte das Manöver beobachtet und machte es ebenso und ließ ihre Segel hängen. Mit sin kendem Mut machte Barnevelt sich klar, daß die Ga leere nun die Hypothenuse eines rechtwinkligen Dreiecks entlangfahren und sich ihnen in den Weg
stellen konnte, da keines der beiden Schiffe jetzt vom Wind abhängig war. »Segel einholen!« schrie Chask, und die große Rahe kam herunter, und erstreckte sich über die volle Län ge der Shambor. Die Besatzung warf Barnevelt düstere Blicke zu. Er ertappte einen dabei, wie er sich bezeichnend an die Stirn tippte. Doch der Maat ließ ihnen zum Murren keine Zeit. Ein Schwall von Befehlen teilte ein paar Mann zum Entfernen der Halterungen und Keile ein, die den Mast hielten. Chask stellte Leute am Bug, am Heck und an den Seiten auf, die Geitaue hielten. An dere hievten den Mast aus der Mastspur und setzten das untere Ende auf Deck neben die Fischung. Das Segel drehte sich im Kreis und quietschte. Inzwischen schnitt der Matrose, der Löcher in das Unterliek des Segels geschnitten hatte, auch Löcher in das Liek, die stehende Kante des Segels, während ein anderer die Riemen durchschnitt, die Segel und Rah verbanden. Dann waren alle bis auf die Ruderer da mit beschäftigt, die Rahe an Stelle des Mastes zu set zen. Indem sie das Fall anzogen, hoben sie die blanke Stange hinauf zum Topp, der nun als Spill diente, und bewegten das untere Ende in die Fischung. Der hohe Mast schwankte gefährlich, die Männer an den Geitauen schrien auf, doch schließlich fuhr der Mast mit einem Aufprall, der das ganze Schiff erschütterte,
in die Halterung und wurde an seinen Platz gedrückt. Dann senkten sie den vorherigen Mast aufs Deck, in dem sie die Geitaue an die Rahe verlegten und das al te Fall lockerten. Die Galeere war ihnen gefolgt. Barnevelt hörte, wie mit dem Wind schwache Rufe herüberdrangen. Nachdem der neue und höhere Mast an Ort und Stelle stand, heißten sie die Schmalseite des Segels an den ehemaligen Mast, zogen ein dünnes Tau durch die Löcher im Segel und wanden es um die Spiere. Dann heißten sie die mittelgroße Segelseite an die ehemaligen Rahe, die jetzt Mast war, indem sie kurze Taulängen durch die Löcher an dieser Seite und um die Spiere wanden. Sie machten sie mit Reff-Knoten fest und bildeten so Ringe. Nachdem diese Ringe fer tig waren, wurde das Segel hochgezogen. »Beeilt euch, ihr Schurken!« rief Chask. »Hurtig, hurtig!« Von der Galeere drangen lautere Rufe herüber. Der letzte Arbeitsgang bestand im Befestigen des Kreuz kopfes, der früher den ehemaligen Mast gekrönt hat te, an der ehemaligen Rahe. Das mußte genügend lo se sein, so daß der ehemalige Mast beweglich blieb. Auf der Galeere donnerte ein Katapult. Ein schwarzer Punkt schwoll zu einer Bleikugel an, die in einem Bogen übers Wasser flog und einige Ruderlän gen von der Shambor entfernt hineinplumpste.
Barnevelt sagte zu Zei: »Geht in die Kabine, Prin zessin.« »Ich bin keine Memme. Mein Platz ist ...« »In die Kabine, verdammt!« Als er sah, daß sie sich fügte, wandte er sich an Chask. »Glaubst du, daß die Vertäuung halten wird?« »Sie muß wohl, Käptn!« Ein scharfes Zischen, wie von einer Peitsche, ließ Barnevelt zusammenzucken. Er sah, daß ein Mann am Bug der Galeere eine schwere Armbrust hob. Ein zweiter Bolzen pfiff vorüber. Die endlos scheinende Arbeit an der neuen Take lung war nun doch geschafft. Das Segel war aufgezo gen. Chask rief: »Falleinen festmachen!« Das Segel hing schlaff und schlug leise im Wind. In der nächsten Minute würden sie wissen, ob Barne velts Plan sich als brauchbar erwies. Ihm gefiel der Anblick des biegsamen neuen Mastes gar nicht, doch für Reue war es jetzt zu spät. Er sprang die Stufen zur Achterhütte hinauf und nahm dem Steuermann das Ruder aus der Hand. Wieder dröhnte das Katapult. Das Geschoß flog an Barnevelt vorbei, streifte das Deck und nahm mit splitterndem Krachen ein Stück Portreling mit. Die Ruderer wichen aus und gerieten aus dem Takt. Der mit Leuten dicht besetzte Bug der Galeere war be drohlich nahe.
Barnevelt drückte den langen Steuerarm nach steu erbord. Die Shambor reagierte sofort, ihre Nase schwang nach backbord. Der Wind glättete die Falten des Segels und füllte es. Die Shambor legte sich auf die Seite. Dabei drang Wasser in die Ruderlöcher an der Leeseite und störte den Rhythmus der Ruderer. Als Barnevelt seine Wendung korrigierte, gewannen sie den Takt wieder. Das Zischen der Armbrustbolzen wurde von schar fen trommelartigen Geräuschen unterstrichen, als die Bolzen durch das gespannte Segel fuhren. Barnevelt konnte von seinem Standpunkt aus die zwei kleinen Löcher sehen. Hoffen wir, daß sie nicht zu reißen be ginnen, dachte er bei sich. Das Segel ist mit den vielen ungeösten Löchern eine reichlich unsichere Sache. Chask, der die Mannschaft wieder zur Raison ge bracht hatte, stellte sich neben ihn. Er sagte: »Mir scheint, wir gewinnen Vorsprung, Sir.« Barnevelt wandte den Blick vom Segel ab und sah sich nach der Galeere um. Ja, sie sah nun eine Spur kleiner aus ... oder war es nur Wunschdenken? Wieder ertönte das Geräusch des Katapultes. Bar nevelt erhaschte einen Blick auf die hinter ihm vor beifliegende Kugel. Sie flog direkt auf den Mast zu. Es fehlte nur, daß sie durch einen Volltreffer um ihren Mast gebracht wurden! Immer mehr näherte sich das Geschoß dem Mast ...
und verfehlte ihn um Haaresbreite. Es streifte das Kabinendeck mit lautem Krach, prallte ab und fiel ins Wasser. Gefolgt wurde es vom Zischen anderer Arm brustbolzen. Einer davon traf das Holz daneben und fiel steil hinunter. »Die schießen aufs Geratewohl. Zum Zielen sind sie zu weit entfernt«, sagte Chask. »Im nächsten Mo ment sind wir völlig außer Reichweite.« Das nächste Katapultgeschoß fiel bereits achteraus ins Wasser. Allmählich konnten sie den Vorsprung vergrößern. Barnevelt, der noch immer gespannt wie eine Sprungfeder war, warf einen Blick zurück. Die Galeere kam mit den Rudern allein nicht mehr schnell genug voran und nahm die Segel zur Hilfe. Mit dem Verstreichen der Minuten wurde es klar, daß die Shambor – auf der Barnevelt den Blick nicht vom Mast wendete und die Hand nicht vom Ruder nahm und so aus der neuen Takelung alles heraus holte – jetzt mindestens einen Kompaßstrich näher am Wind segeln konnte als ihre Verfolgerin. Von jetzt an lagen die Schiffe auf verschiedenem Kurs. Die Ga leere, die auch ganz gute Fahrt machte, war auf der Höhe der Shambor, aber zu weit mit dem Wind, um eine Gefahr darzustellen. Barnevelt wartete ab, bis er die Galeere völlig im Pro fil sah und riß dann das Steuer scharf herum. Ohne zu zögern, luvte das Schiff, legte sich auf die Seite und ging
auf anderen Kurs. Die Galeere schrumpfte rasch zu sammen, da die zwei Schiffe jetzt voneinander wegse gelten. Barnevelt sah hektische Betriebsamkeit auf dem Galeerendeck. Doch bis die Lateinsegel umgesetzt worden waren, lag die Galeere schon zu weit zurück, als daß man Einzelheiten hätte ausmachen können. Als die Sonne den Meridian erkletterte, war die Ga leere so weit zurückgefallen, daß die Ruder von der Wasserwölbung verborgen wurden. Falls jemand er wartet hatte, die Verfolger würden sich in verblüff tem Zorn zurückziehen, wurde er enttäuscht. Die Shambor machte so gute Fahrt, daß Barnevelt Befehl gab, die Rudermannschaft auf acht Mann zu reduzieren, damit die übrigen sich ausruhen konnten. Er glaubte auch zu bemerken, daß sich die Haltung der Leute ihm gegenüber gebessert hatte. Sodann fiel ihm ein, daß er Hunger hatte. In den letzten angespannten achtundvierzig Stunden hatte er kaum etwas gegessen, und das Tier in ihm begann zu protestieren. Er überließ Chask das Ruder und ging zur Vorderkabine, in der Hoffnung, bei Zei et was Eßbares zu finden. »Auf ein Wort, Käptn«, sagte eine Stimme. Da stan den drei Seeleute, unter ihnen der streitbare Zanzir. »Ja?« »Wann werden wir Wasser bekommen?« sagte Zanzir. »Wir sterben vor Durst.«
»Ihr bekommt die nächste Ration zu Mittag.« »Wir erbitten es jetzt, Kapitän. Ohne Wasser können wir nicht rudern. Ihr werdet uns doch nicht hinhalten?« »Ich habe gesagt«, erwiderte Barnevelt und hob die Stimme, »ihr bekommt zu Mittag das Wasser. Und wenn Ihr mich nächstes Mal sprechen wollt, dann holt gefälligst erst bei Chask Erlaubnis ein.« »Aber Käptn.« »Das reicht!« brüllte Barnevelt, dessen Wut noch durch das Bewußtsein gesteigert wurde, daß die schlechte Disziplin der Besatzung zum Teil seine ei gene Schuld war. Er ging vor zum Deckhaus und hör te hinter sich ein Gemurmel, von dem er nur die Wor te erhaschte: »... ein großer Herr, hm ...« »Was bedrückt meinen Kapitän?« fragte Zei. »Ihr seht so sauer aus wie Qarar, nachdem ihn der König von Ishk betrogen hatte.« »Mir geht's tadellos«, sagte Barnevelt und ließ sich auf eine Bank fallen. »Wie wär's mit einem Happen zur Stärkung, Mädchen?« Er war zu müde, um zu merken, daß dies nicht die übliche Anrede für eine Prinzessin war. »Das heißt, falls Ihr wißt, wie man was Eßbares zubereitet.« »Warum sollte ich nicht?« sagte sie und machte sich an den Regalen zu schaffen. »Aaah«, gähnte er. »Da du Kronprinzessin bist und dergleichen Unsinn ...«
»Könnt Ihr ein königliches Geheimnis bewahren?« »Hm.« »Meine Frau Mutter hat mich, eingedenk der Revo lutionen, die bedauernswerterweise die alte Ordnung in Zamba und anderswo gestürzt haben, bewogen, die schlichten Künste der Hauswirtschaft zu erlernen, so daß ich, komme was da wolle, nie in Verlegenheit gerate, falls ich mich selbst kleiden oder nähren müß te. Wollt Ihr einige dieser getrockneten Früchte? Mich dünkt, die Würmer haben sie noch nicht zur Heim statt erkoren.« »Fein. Dazu den Laib Badr und das Messer.« »Oh, Ihr Götter!« rief sie aus, als sie sah, welche Mengen er zu verzehren gedachte. »Mir scheint, Hel dentaten gehen mit einem Heldenappetit Hand in Hand. Mein Leben lang habe ich Legenden von Qara und seinesgleichen gelesen. Da ich aber nur unsere zarten einheimischen Gecken kannte, war ich, ehe ich Euch begegnete, zu der Meinung gelangt, daß harte Männer außer in Heldengesängen und Geschichten nicht existierten.« Barnevelt warf Zei einen mißmutigen Blick zu. Obwohl er sie von allen Krishni am liebsten mochte, glaubte er doch den Entschluß gefaßt zu haben, sich nicht in ernsthafte Beziehungen mit der Dame einzu lassen. Er sagte: »Ihr freut Euch also nicht darauf, eine Kö
nigin zu werden, die jedes Jahr eine neuen Qiribu als Gatten bekommt?« »Ich sicher nicht. Aber obwohl es mir ausgesprochen mißfällt, so fehlt es mir doch an Stärke oder Raffinesse, die Ereignisse aus ihrem vorherbestimmten Kurs zu werfen. Leicht ist es, groß zu reden, wie man um der Liebe willen alle Bequemlichkeiten und Vorrechte des hohen Standes aufgibt. Es wirklich zu tun, ist etwas ganz anderes. Doch beneide ich manchmal gewöhnli che Weiber in barbarischen Ländern, mit großen Tieren wie Euch vermählt, die sie beherrschen, wie meine Mutter ihre Gatten beherrscht. Obgleich in Qirib Wei berherrschaft Gesetz und Sitte ist, fürchte ich, daß ich von Natur aus keine Herrscherin bin.« Barnevelt dachte flüchtig an eine Revolution in Qi rib, doch war er zu müde, um die Sache weiter zu verfolgen. »He!« sagte er. »Meinen gerechten Wasseranteil!« »Aber Ihr seid Kapitän!« »Nur meinen gerechten Anteil ...« »Diese Skrupel! Man möchte meinen, auch Ihr habt unter den Republikanern von Katai-Jhogorai gelebt.« »Das nicht, obwohl ich mit ihren Ideen sympathi siere.« Er versteckte ein Gähnen hinter der Hand und streckte sich auf der Bank aus, während Zei den Tisch abräumte.
3
Als nächstes merkte er, daß Chask ihn wachrüttelte. »Herr«, sagte der Maat, »der Wind legt sich, und die Galeere kommt immer näher!« Barnevelt setzte sich blinzelnd auf. Jetzt erst spürte er es: das Schiff schwankte nicht mehr, und die Ge räusche von Wind und Wellen schienen leiser. Er ging hinaus. Obwohl es von Norden her noch Dünung gab, war sie doch ganz schwach. Die Brise reichte eben noch aus, das Segel zu füllen. Chask hat te eine volle Schicht an die Ruder setzen müssen. Hinter ihnen dräute die Galeere in der gleichen Ent fernung wie zu dem Zeitpunkt, als Barnevelt in die Ka bine gegangen war. Zweifellos hatte die Shambor zu nächst schnellere Fahrt gemacht, nachdem er unter Deck gegangen war, und hatte dann mit dem Einsetzen der Flaute ihren Vorsprung wieder eingebüßt. Über dies war die zweite Galeere, die er am vorhergehenden Tag noch gesichtet hatte, jetzt wieder in Sicht. Zwar sah man bloß die Masten, und das auch nur, wenn eine gro ße Welle die Shambor in die Höhe hob. Ohne Wind würden die Galeeren sie bald eingeholt haben. Vor ihnen zeigte sich noch immer kein Streifen der Nordküsten der Banjao-See. Doch stand die Son ne schon hoch; es mußte um Mittag sein.
»Sag ihnen, sie sollen sich ordentlich reinlegen«, sagte Barnevelt. Chask erwiderte: »Sie tun, was sie können, doch der Wassermangel beraubt ihre Muskeln der ge wohnten Kraft.« Die Berechnung zeigte an, daß die Palindos-Straße, obgleich noch nicht zu sehen, doch nicht mehr weit unter dem Horizont liegen mußte. An Hand sorgfäl tiger Berechnungen sah er, daß sie knapp vor dem verfolgenden Schiff durch die Meerenge schlüpfen konnten. Chask sagte: »Was wird es uns nützen, wenn wir in der Sadabao-See sind? Diese Halsabschneider werden uns sogar in den Hafen von Damovang folgen.« »Sicher«, sagte Barnevelt, der mit gerunzelter Stirn über seinen Karten saß. »Wie wär's, wenn wir an Land gehen und uns in die Wälder schlagen?« »Dann gehen die auch an Land und hetzen uns zu Tode – da sie zu Hunderten nach uns suchen können, besteht am Ausgang dieser Jagd kein Zweifel. Was hättet Ihr ansonsten im Sinn?« »Wir könnten eine der Landzungen der Meerenge umfahren und uns in einer Bucht verbergen, sobald wir außer Sicht sind.« »Sehen wir uns das mal genauer an.« Chask deute te mit seinem klobigen Finger auf die Karte. »Hier; die östliche Küste der Sadabao-See ist felsig. Dort ge
langt man schwer in Küstennähe, ohne auf Grund zu laufen. Die Westküste ist stellenweise felsig, hat aber viel flachen Strand und einige Versteckplätze. Fos sanderan hätte vielleicht an der Nordflanke solche Buchten, doch werdet Ihr einen schlichten Seemann nie dazu überreden können, auf dieser verhexten In sel an Land zu gehen.« »Ach Unsinn! Fürchten sich die etwa vor den sa genhaften Tiermenschen?« »Das ist keine Sage. Ich selbst habe Geräusche ge hört, die von den Trommeln dieser Dämonen stam men sollen. Ob Sage oder nicht, die Leute werden je denfalls nicht gehorchen.« Barnevelt ging wieder an Deck und wurde dort von einem Chor heiserer Stimmen empfangen. »Was ser! Wasser, Käptn! Wir bitten um Wasser! Wir wol len Wasser!« Die Galeere holte auf. Der Wind hatte sich bis auf einen gelegentlichen leichten Windstoß völlig gelegt. Das Segel hing schlaff am Mast und rief Barnevelt Chasks Prophezeiung von einer eine Woche dauern den Flaute ins Gedächtnis. Er gab Befehl, den Leuten ihre Mittagsration an Wasser zu geben, was sie, wie er hoffte, beruhigen würde. Statt dessen murrten sie wegen der geringen Menge um so mehr. Nun war die Galeere klar sichtbar. Ihre Ruder ho
ben und senkten sich mit mechanischer Präzision, da die See jetzt verhältnismäßig ruhig war. Auch die zweite Galeere hatte aufgeholt. Ein Seemann rief vom Bug her: »Land voraus!« In der Tat, da war es: eine Vielzahl bewaldeter Kuppen: die Hügel von Fossanderan. Auch Barne velts kleiner geflügelter Freund sah sie und flog nach Norden. Barnevelt ging zurück in die Kabine, um seine Be rechnungen zu korrigieren und den Kurs für den öst lichen Kanal festzulegen. Wortlos, mit großen dunk len Augen, sah Zei ihm zu. Er überflog seine Berechnungen. Diesmal sah es aus, als würde die Galeere sie im Hals des Ostteils der Meerenge überholen. Warum also überhaupt den Versuch wagen? Das übliche Hoffen auf ein Wunder. Die Galeere konnte sich vielleicht ein Leck holen, oder in letzter Minute würde eine Meuterei ausbre chen ... Zu schade, daß der westliche Kanal für die Shambor nicht genügend tief war. So hätte er die Galeere in ei ne Untiefe locken können. Aber war der Kanal wirklich zu seicht? Bei der herrschenden Konstellation von drei Vollmonden zu gleich mußte es auf Krishna eine Rekordflut geben. Während die Gezeiten hier gewöhnlich nicht allzu stark ins Gewicht fielen wegen der begrenzten Größe
des Meeres und dem komplizierten Gezeitenrhyth mus, der von Roqir und den drei Monden bewirkt wurde, würden bei dieser einen Gelegenheit die Flu ten gleichzeitig auftreten und eine Flut von irdischer Größenordnung verursachen. Barnevelt holte das in Novorecife erworbene Handbuch hervor. Dabei wurde er an Vizqash badMurani erinnert, den Krishni, der ihm das Buch ver kauft hatte. Später hatte Vizqash getrachtet, ihn einer Bande zu Entführern oder Mördern bei einem Pick nick in die Hände zu spielen; später hatte er, als mas kierter Edelmann verkleidet, in der Taverne zu Jaz murian eine Schlägerei begonnen; und schließlich hatte er sich als Pirat des Sunqar entpuppt, der Bar nevelts reibungsloses Entkommen mit Shtain und Zei verhindert hatte. Jetzt hatte Barnevelt keinen Zweifel mehr, daß alle diese Ereignisse miteinander zusammenhingen. Er war sicher, daß die Morya Sunqaruma ihn schon im Auge gehabt hatten, als die Amazonas ihn nach Novo recife gebracht hatte. Er grinste bei dem Gedanken, daß ausgerechnet jenes Buch, das Vizqash ihm ange dreht hatte, das Mittel sein konnte, die ruchlosen Ma chenschaften dieses Bösewichts zu durchkreuzen. Das Buch war so wie die übrige Ausrüstung Bar nevelts naß geworden, als der Erdenmensch auf der Flucht durch ein Loch im Terpahla gefallen war. Er
entdeckte, daß er die Seiten – eigentlich ein langer Papierstreifen zickzackförmig gefaltet – vorsichtig auseinanderbrechen und dabei achtgeben mußte, sie nicht zu zerreißen. Als er es geöffnet hatte, entdeckte er, daß das Buch nicht nur die Berechnungstabellen für die Umläufe der Monde enthielt, sondern auch eine Tabelle, die anzeigte, wann die von jedem Mond verursachte Flutwelle an einer bestimmten Stelle auf trat. Majbur, Jazmurian, Sotaspe, Dur ... Da war es: die Straße von Palindos. Barnevelt stieß einen Freudenschrei aus, als er sah, daß die Flut des Karrim eine knappe Krishnastunde nach Mondaufgang eintrat und die Fluten von Golnaz und Sheb in noch knappe rem Zeitabstand dem Mondaufgang folgten. »Chask!« rief er. Obgleich Chask seine Zweifel hatte, mußte er zugeben, daß ihnen nichts übrigblieb, als es mit dem westlichen Kanal zu versuchen, noch dazu, da sie kurz nach Mittag hindurchrudern wollten. Zu diesem Zeitpunkt und kurz nach Mitternacht war Hochflut. Die Shambor hielt jetzt auf den Kanal zu, während die Galeeren ihr folgten. Die bewaldeten Hügel der Halbinsel, die sich von Westen her zur Meerenge senkte, kamen immer näher. Während sie die glaskla re See durchpflügten, wuchs das Land aus dem Was ser, bis es aussah, als wäre die Insel Teil des Festlan
des. Als sie noch näher kamen, öffnete sich vor ihnen die westliche Durchfahrt. Noch immer konnten die Galeeren ihren Abstand verringern. Barnevelt sah sich schaudernd um. Wür den sie einem weiteren Geschoßhagel ausweichen müssen? Einer der Seeleute rief: »Es hat keinen Zweck, Käptn! Wir sind verloren!« Andere stimmten in den Chor der Verzweiflung ein: »Die holen uns ein, lange bevor wir eine Zuflucht gefunden haben ... Ergeben wir uns zu ehrenhaften Bedingungen ...« »Ruhig, ihr alle!« sagte Barnevelt. »Ich habe euch schon einmal gerettet ...« In diesem Augenblick begann ein Seemann – nicht Zanzir, sondern ein älterer und größerer – die Mann schaft aufzuwiegeln. »Diesem eingebildeten Kapitän ist es nicht um euch zu tun, sondern nur um seine königliche Buhle. Werfen wir sie alle den Fischen zum Fraß vor ...« Barnevelt zog seinen Degen und ging auf den Mann zu. Letzterer hörte ihn kommen, drehte sich um und griff nach seinem Messer. Andere unter der Mannschaft taten es ihm gleich. Barnevelt legte die letzten zwei Schritte laufend zu rück und hieb, noch ehe der Meuterer zustechen oder sein Messer werfen konnte, mit der Klinge seitlich auf dessen Kopf. Der Mann taumelte übers Deck und
durch die Lücke in der Reling, die das Katapult der Galeere hinterlassen hatte, und fiel über Bord. Plumps! Barnevelt hatte nicht beabsichtigt, den Mann zu tö ten, er hatte ihn bloß betäuben wollen. Doch er mußte notgedrungen hart bleiben. Sie konnten nicht anhal ten und den Kerl wieder herausfischen. Jetzt würden die Leute endlich merken, daß er es ernst meinte. Da bei bedauerte er nur, daß es nicht Zanzir erwischt hatte, der zweifellos hinter der ganzen Sache steckte. »Sonst noch jemand?« fragte er die Leute. Keine Antwort. Er schritt vor den Ruderern auf und ab. Einem, den er für einen Drückeberger hielt, hieb er mit der flachen Seite des Degens auf den nack ten Rücken. »Legt euch ordentlich 'rein!« Ich und Kapitän Bligh, dachte er bei sich. Sie kamen an einem Felsen vorbei. Barnevelt sagte: »Chask, übernimm das Steuer. Stell zwei Leute an den Bug, die die Tiefe ausloten sollen. Ich gehe inzwi schen hinauf – oho!!« »Was denn?« »Unsere neue Takelung hat keinen Mastkorb. Bringt mir Hammer, lange Nägel und ein Stück Seil.« Sofort begann Barnevelt, den Mast zu erklimmen. Eine unangenehme Sache, da der Mast nicht viel Halt bot. In einer Höhe von zwei Dritteln des Mastes trieb
er zwei Nägel in den Mast und hängte das Seil in ei ner Schlinge daran. Damit war ein primitiver Mast korb geschaffen. Von diesem weder sicheren noch bequemen Sitz aus konnte er wenigstens nach den sich ändernden Grünschattierungen des Wassers die Tiefe beurteilen. Hinter sich hörte er das Aufklat schen und Spritzen sämtlicher Galeerenruder. »Einen Strich backbord«, rief er hinunter. »Jetzt ei ne Spur steuerbord. Ruhig ...« Das Schiff konnte jeden Augenblick auf Grund lau fen und ihn durch den Aufprall aus seinem Ausguck werfen. Er hielt ständig nach dunklen Stellen Aus schau. Eine leichte nördliche Strömung in der Meer enge half der Shambor weiter. Als er eine gute Passage entdeckt hatte, warf er ei nen Blick zurück. Die Galeere hatte wieder aufgeholt und suchte sich ebenfalls einen Durchgang. Zwei Hoda dahinter kam das Schwesterschiff. Die Rufe der Leute, die auf der Galeere die Tiefe ausloteten, dran gen zur Shambor herüber wie ein Echo der Rufe ihrer eigenen Leute am Bug, nur waren die angegebenen Werte andere. Barnevelt konzentrierte sich auf eine üble Stelle, wo hellgrüne Untiefe die Durchfahrt völlig zu blockieren schienen. Ein plötzlicher Schrei drang an seine Ohren: »Sie ist auf Grund! Das Piratenschiff ist auf Grund gelaufen!«
Ha! dachte er bei sich. Sein Plan hatte also ge klappt! Noch wagte er den Blick nicht von der vor ihm liegenden Wasserfläche abzuwenden. Es wäre wirklich zu dumm gewesen, wenn er den Piraten kahn in eine Untiefe gelockt und eine Minute darauf selbst auf Grund gelaufen wäre. Ein Schwanken des Mastes zeigte ihm an, daß auch die Shambor plötzlich Grund berührt hatte. »Legt euch in die Riemen!« rief er. »Eine Spur steuerbord.« Die Ruder wurden ins Wasser gesenkt, und die Shambor kam wieder frei. Vor ihnen lag so viel dun kelgrünes Wasser, wie man sich wünschen konnte. Barnevelt holte tief Luft und warf noch einen Blick zurück. Die Galeere kämpfte verzweifelt. Um sie her um schäumte die von den Ruderblättern aufgewühlte See. Die zweite Galeere dahinter hatte als Antwort auf Flaggensignale nach steuerbord abgedreht und war nun auf Ostkurs im Profil zu sehen. Barnevelt vermutete, daß das zweite Schiff Befehl erhalten hatte, es durch den Ostkanal zu versuchen und die Shambor in der Sadabao-See abzufangen. Da her war es nicht angezeigt, munter nach Qirib zu se geln, als drückten sie keine Sorgen mehr. Sobald die zweite Galeere sie auf offener See gesichtet hätte, würden sie in derselben Klemme wie vorher stecken, ohne seichte Meerenge oder einen Nordwind, der sie retten konnte.
Was die Shambor jetzt brauchte, war ein Versteck, wo sie die Wasservorräte auffüllen konnten. Die Männer übertrieben ihre Erschöpfung nicht. Barne velts Kehle fühlte sich an, als hätte er in einer ägypti schen Grabkammer gelegen. Wenn seine eigenen Leute abergläubische Furcht hatten, auf Fossanderan an Land zu gehen, so würden die Piraten vielleicht durch ähnliche Ängste abgehalten. Zu Chask sagte er: »Hart steuerbord. Sucht an der Nordküste von Fossanderan eine Bucht, die sich viel leicht als Flußmündung entpuppen könnte.« »Aber, Käptn ...« »Das ist unser Ziel!« Kopfschüttelnd ging Chask auf Ostkurs. Als sie in die Sadabao-See einfuhren, wurde die gestrandete Galeere von den Vorgebirgen der Insel Fossanderan verborgen. Die Brise frischte ein wenig auf. Vor dem Wind segelnd, kamen sie entlang der bewaldeten Felsküste gut voran. Als eine Krishnastunde vergangen war, sagte Bar nevelt: »Das hier sieht nach einer hübschen Stelle aus. Ein kleines Tal, durch das eigentlich ein Bach fließen müßte.« »Ihr sollt nicht sagen, daß ich Euch nicht gewarnt hätte«, sagte Chask und steuerte die Shambor auf die Küste zu. Sofort riefen die Männer, die sehr still geworden
waren, seitdem der Meuterer über Bord gegangen war: »Die verwunschene Insel! Unser verrückter Ka pitän bringt uns in die Heimat der Dämonen! Alles ist verloren! Er muß selbst ein Dämon sein! Überallhin, nur nicht auf die Insel! Lieber verzichten wir auf Wasser!« Barnevelt brachte sie durch bloßes Anstarren zum Schweigen. Die Ruderer ließen in ihren Bewegungen nach, bis sie das Wasser mit den Rudern bloß leicht streiften. Das machte jedoch keinen Unterschied aus, da der Wind sie ohnehin auf die Küste zutrieb. »Der erste, der versucht, ohne Befehl zurückzuru dern«, sagte Barnevelt, »bekommt es mit mir zu tun. Zei! Kommt heraus. Wir gehen an Land. Holt die Wasserbehälter.« Die Shambor stieß langsam in die Bucht vor, bis Zweige übers Deck fegten und gegen die Takelung klatschten. Chask befahl, das Segel einzuholen und vor Anker zu gehen. Barnevelt ließ sich vom Bug in knietiefes Wasser fallen und fing die herunterklet ternde Zei auf. Er rief: »Frischwasser!« und wies auf eine Stelle, wo ein plätscherndes Bächlein sich in ein kleines sandi ges Delta ergoß. Die Leute liefen an den Bug und sprangen hinun ter. Sie tranken und füllten die Wasserbehälter für den Wassertank des Schiffes, die sie den anderen an
Deck weiterreichten. Obwohl er ebenso durstig war wie sie, bewirkte ein Anflug von Hochmut, daß Bar nevelt sich vom Trinken zurückhielt, bis alle anderen getrunken hatten. Lächelnd wandte er sich an Zei. »Wir werden dem alten Qvansel sagen, daß seine drei Monde unsere Haut gerettet haben – nicht mit tels okkulter astrologischer Kräfte, sondern mittels der guten alten Schwerkraft.« Schließlich kam auch Chask an Land. Er kam axt schwingend auf Barnevelt zu und sagte: »Mir gefällt das nicht, Kapitän. Wir alle sollten bewaffnet sein für den Fall, daß die Tiermenschen auftauchen. Doch bei der gegenwärtigen Stimmung unter der Besatzung wäre es Tollheit, Waffen an sie auszugeben. Außer dem sind wir knapp an Brennmaterial, und ich dach te mir ...« Barnevelt sagte: »Bis jetzt habe ich keine Schreie von Unholden und Geistern gehört – he, was geht da vor?« In einer konzertierten Bewegung liefen alle Besat zungsmitglieder auf einmal zurück zur Shambor und kletterten an Bord. Ehe Barnevelt und Chask das Schiff erreichen konnten, lichteten sie den Anker und stießen ab. Das Schiff trieb hinaus. Barnevelt und Chask erwischten noch den Anker, bevor er eingezogen war und zogen daran, als könn ten zwei Männer der Kraft von vierzehn mit aller An
strengung geführten Rudern entgegenwirken. Plötz lich ließ die Spannung im Ankerseil nach, und Barne velt und Chask setzten sich unvermittelt hin. Jemand hatte das Seil gekappt. Während Barnevelt recht albern im seichten Wasser saß, entfernte sich die Shambor schnell. Die Seeleute riefen höhnisch: »Lebt wohl, Kapitän! Mögen die Dämonen Euch angenehme Träume bringen!« Und Zanzir, als lautester von allen: »Wir danken Euch für das schöne Schiff, Kapitän. Wir werden unser Glück damit machen!« Es hatte keinen Sinn, der Shambor nachzuschwim men. Sie reversierte hinaus ins offene Meer, setzte das Segel und ging auf Kurs Nordost. Bald war sie außer Sicht und ließ Barnevelt, Zei und Chask an der ge fahrvollen Küste der Insel Fossanderan zurück.
4
Barnevelt sagte: »Ich hätte diesen jungen Dachs schon beim erstenmal, als er frech wurde, erledigen sollen.« Er fragte sich, was wohl mit der Shambor und ihrer neuen Takelung geschehen würde. Er hatte nämlich die Absicht gehabt, wieder auf die alte Manier umzu takeln, ehe sie Damovang anliefen, um Ärger mit den Behörden wegen der Einführung einer Neuerung auf Krishna zu verhindern. »Auch hätten wir nie gemeinsam an Land gehen dürfen«, sagte Chask. »Dieser Unsinn geht auf mein Konto.« »Statt in Selbstbezichtigungen zu verfallen«, sagte Zei, »wäre es doch nützlicher, unseren nächsten Schritt zu planen.« Chask sagte: »Die Prinzessin ist ein Born der Weis heit. Je eher wir von dieser verfluchten Insel weg kommen, desto schneller sind wir zu Hause. Dank ei ner göttlichen glücklichen Fügung haben wir diese Axt und ein Stück Ankerseil. Ich schlage vor, wir bauen ein Floß, indem wir Baumstämme mit diesem Seil zusammenbinden. Dann können wir zum westli chen Festland paddeln und uns von dort weiter zur Straße von Shaf-Malayer durchschlagen, die nicht weit von der Küste verläuft.«
»Das Seil reicht bloß für zwei Stämme«, sagte Bar nevelt. »Wir werden rittlings darauf sitzen, als ritten wir ein Aya.« Chask entdeckte einen geeigneten Baum und fällte ihn. Er war noch damit beschäftigt, die blanken Äste abzuschneiden, als sich aus den umliegenden Wäl dern ein gräßlicher Lärm erhob. Eine Horde von Lebewesen stürzte aus der Dek kung und lief auf den Baum zu. Es waren Wesen von annähernd menschlicher Größe und Gestalt, mit Schwänzen ausgestattet. Die Schädel erinnerten ent fernt an die Schädel irdischer Paviane. Sie waren un bekleidet, behaart und mit steinzeitlichen Keulen und Speeren bewaffnet. »Lauft!« kreischte Chask entsetzt. Die drei liefen auf die Flußmündung zu und wand ten sich entlang der Küste westwärts. Die Küste ver lief hier mondsichelförmig in einer Biegung, der Strand endete in einem vorragenden Felsband. Bar nevelt und Zei, die Chask an Körpergröße überrag ten, überholte den Maat bei diesem Lauf entlang des Strandes. Hinter ihnen hörten sie das Geheul der Tiermenschen. Barnevelt merkte, daß sie aufholten. Das plötzliche Verstummen des Lärms ließ Barne velt einen Blick nach hinten werfen. Was er sah, er füllte ihn mit Entsetzen. Chask war über einen Stein gestolpert und hingefallen. Ehe er sich wieder auf
rappeln konnte, hatten die Wilden ihn erreicht und schlugen auf ihn ein. Barnevelt tat vorsichtig einen Schritt und griff nach seinem Degen, als ihm einfiel, daß Chask unter dem Hagel von Hieben und Stößen sein Leben gewiß schon ausgehaucht hatte. Mit einem Einschreiten hätte er sinnlos sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt. Sie liefen weiter. Auf dem Felsband sprangen er und Zei von Fels zu Fels, bis sich vor ihnen wieder flacher Strand erstreckte. »Ao, Zei!« sagte er. »Hier hinein!« Am Anfang dieses Strandbogens hatten die Wellen das Ufer unter einem riesigen alten Baum unterhöhlt, dessen Wurzeln nun kahl vom Überhang herabhingen. Der Stamm neigte sich in gefährlichem Winkel zum Wasser hin. Ein einziger kräftiger Sturm würde den ganzen Baum krachend ins Meer fallen lassen, doch bis dahin bildete der Raum darunter eine kleine Höhle. Die Flüchtlinge gruben sich durch die Wurzeln hindurch, lösten damit einen Hagel loser Erde auf ih re Köpfe aus und störten vielfüßige Kriechtiere. Eines dieser Biester geriet unter Barnevelts Jacke und kroch dort herum, während Barnevelt sich drehte und wand. In seinem Todeskampf biß es ihm ein winziges Stück Fleisch aus der Brust. Barnevelt hielt die Luft an, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Als sie so tief als möglich hineingekrochen waren,
merkten sie, daß sie den Strand gar nicht mehr sahen, weil die Wurzeln einen dichten Vorhang bildeten und von der Wölbung ihres Versteckes herabhingen wie die Barthaare vom Gaumen eines Wales. Gut, dachte Barnevelt, wenn ich nicht hinaussehen kann, können die Wilden auch nicht hereinsehen. Wie steht es aber mit den Fußspuren? Zwischen dem nas sen Sand und dem Ufer, von dem der Baum einen Teil bildete, lag ein Streifen trockenen Sandes, knapp einen Meter breit. Sie konnten bloß hoffen, daß er sie nicht verraten würde. Die zwei kauerten in ihrem Loch und wagten kaum zu atmen, in dem Bemühen, stiller zu sein als absolute Stille. Die Geräusche, die das Abschlachten von Chask begleiteten, erstarben. Bloße Füße trotteten vorüber, tapp-tapp, über den nassen Sand. Tiermenschen rie fen einander in ihrer Sprache zu. Barnevelt fürchtete, daß sie einen Angriff auf die Höhle planten. Jede Mi nute erwartete er, auf Tierschädel einhauen zu müs sen, falls die Wesen in ihr Versteck gekrochen kamen. Das konnte eine ordentliche Keilerei geben. Dann erstarben alle Geräusche bis auf das Rau schen der Brandung und das Seufzen des Windes. Trotzdem kauerten die Flüchtigen noch stundenlang in der Höhle. Barnevelt flüsterte: »Es würde ihnen ähnlich sehen, draußen zu warten und uns zu begrüßen.«
Als das schwächer werdende Licht anzeigte, daß der Nachmittag schon weit fortgeschritten war, murmelte Barnevelt: »Ihr bleibt da. Ich krieche hinaus und sehe mich um.« »Aber vorsichtig!« »Darauf könnt Ihr Euch verlassen! Sollte ich bis morgen früh nicht zurück sein, dann versucht, ans Festland zu schwimmen.« Er schob sich Zentimeter um Zentimeter hinaus, wie eine ängstliche Molluske, die aus ihrer Muschel kriecht. Von den Feinden war keine Spur zu sehen und auch nichts zu hören. Die Flut, die den Höhleneingang umspült hatte, als sie dort Zuflucht gesucht hatten, war nun viele Meter zurückgewichen. Barnevelt schlich sich bis an die Stelle zurück, wo Chask getötet worden war. Der Sand war aufgewühlt und mit braunem Krishniblut befleckt, das in einem breiten Band zum Wasser hi nunterlief. Tote waren nicht zu sehen. Barnevelt folgte den zahlreichen Fußabdrucken zu rück zu der Mündung des Bächleins. Einige Meter stromaufwärts, wo der Baum lag, den der Maat ge fällt hatte, stieß er auf die Axt, die Chask dazu be nutzt hatte. Sie lag im Bachbett, das Wasser kräuselte sich darüber. Er hob die Axt auf. Barnevelt drang flußaufwärts weiter vor und such te nach Spuren der Tiermenschen. Er stieß auf gebro
chene Zweige und Blutspuren von ihrer Last, doch der Waldboden hatte keine klaren Fußspuren aufge nommen. Zu schade, dachte er bei sich, daß er kein geübter Fährtensucher war. Während er ratlos Überlegungen anstellte, drang ein Geräusch an sein Ohr. Es war ein rhythmisches Trommeln, zu akzentuiert und zu hoch für eine Trommel konventionellen Typs, mit zuviel Resonanz, um von einfachem Klopfen auf einem Baumstamm herzurühren. Zuerst schien ihm, als käme es aus allen Richtungen. Nachdem er eine Zeitlang seinen Kopf wie eine Radarantenne einmal da und dann dorthin gewandt hatte, glaubte er die Richtung festgestellt zu haben und lief hügelan gegen Südosten. Eine Stunde darauf wußte er, daß er sich dem Ur sprung des Geräusches näherte. Er zog seinen Degen. Nachdem er vorsichtig über die Wölbung einer Hü gelkuppe gekrochen war, blickte er auf die Szene nieder, die er gesucht hatte. Auf einer ebenen Stelle, einer Lichtung, umtanzten die Tiermenschen ein Feuer, während einer auf eine aus einem hohlen Baumstamm verfertigte Trommel einschlug. Barnevelt sah jetzt erst, was er für Tier menschen gehalten hatte. Sie entpuppten sich näm lich als normale geschwänzte Krishni, Krishnanthro pus koloftus, die jenen der Koloft-Sümpfe und von der Insel Za glichen. Bei ihrem Überfall hatten sie ge
schnitzte Tiermasken getragen. Diese hatten sie nun abgelegt und sie auf Äste am Rand der Lichtung ge hängt. Während die geschwänzten Menschen von Za halbzivilisiert und jene von Koloft zumindest von den Behörden Mikardands unterworfen waren, so setzten dagegen diese Exemplare der Gattung ihre urtümli chen Traditionen mit unverminderter Wildheit fort. Barnevelt war betrübt, wenn auch nicht allzu über rascht, als er sah, daß Teile seines verblichenen Maa tes über dem Feuer gebraten wurden. Während Bar nevelt sich über die Identität einiger Organe nicht im klaren war – die Krishni sind im Körperinneren we niger menschlich als außen – so gab es doch keinen Zweifel über das ihnen zugedachte Schicksal. Barnevelt würgte den Klumpen in seiner Kehle hinunter und machte sich auf den Rückweg. Wieder in seinem Versteck angelangt, sagte Barne velt: »Ich habe ihn tatsächlich gefunden. Sie verspei sen ihn eben.« »Wie schrecklich!« meinte Zei. »Dabei war er ein so tüchtiger Bursche! Welch bestialischer und gräßlicher Brauch!« »Ja, es ist schrecklich, doch ich sehe keinen Unter schied zu euren Sitten.« »Wie könnt Ihr eine solche Blasphemie äußern! Während es sich bei uns um eine feierliche Zeremonie handelt, um die göttlichen Mächte milde zu stimmen,
so ist das hier bloß die tierische Befriedigung der Freßlust.« »So kann man es auch sehen. Aber streiten wir nicht – machen wir, daß wir hier rauskommen. Wir müssen weit schwimmen und wollen unsere Kleider und Waffen nicht zurücklassen ...« »Warum beenden wir nicht den Bau des Floßes, den unser abgeschlachteter Freund und Helfer be gonnen hat?« »Weil sie beim Geräusch der Axt sofort zu laufen anfangen würden.« Er schnupperte. »Der Wind hat auf Nordwest gedreht, und wir befinden uns an der Nordwestküste der Insel. Die Wälder sehen stroh trocken aus, und mein Feuerzeug müßte eigentlich funktionieren.« »Ihr wollt die Waldungen in Brand setzen, um die Geschwänzten von unserem Vorhaben abzulenken?« »Ich habe die Absicht, den tollsten Waldbrand zu entfachen, den Ihr je gesehen habt. Geh mir an die Hand, Mädel!« Eine Stunde lang liefen sie den Strand auf und ab, häuften Hölzer und trockene Zweige auf, wo es ihnen am nützlichsten schien, bis sie eine Linie von Reisig haufen gebildet hatten, einen Hoda lang, die sich die Küste entlangzog und bei der Flußmündung land einwärts bog, um ihnen genügend Platz für das Ferti gen des Floßes zu lassen.
Als sie damit fertig waren, begann Barnevelt am Ostende der Linie und entzündete das erste Freuden feuer mit seinem Feuerzeug. Als der Reisighaufen aufflammte, hielten er und Zei eine Reisigfackel hin ein und liefen die Reihe entlang, wobei sie einen Stoß nach dem anderen in Brand setzten. Als sie fertig wa ren, war der ganze Hang eine brüllende Flammenhöl le. Das Feuer sprang von Baum zu Baum über. Barnevelt schwitzte mit hochrotem Gesicht über seinem Floß. Mehr konnte er nicht tun als zwei Stük ke von dem gefällten Stamm abzuschneiden. Er schob sie ins Wasser und band sie mit einem Stück Anker seil zusammen. Dann fällte er ein junges Bäumchen und schnitt das weiche Holz des Stammes zu zwei rohen Paddeln zurecht – viel zu schmal am Blatt, um brauchbar zu sein, aber nicht einmal der lange Krish natag ließ ihm Zeit, bessere Arbeit zu leisten. »Los geht's!« überbrüllte er das Knattern des Feu ers und hieb die Axtklinge in einen der Stämme. Zei setzte sich vorn rittlings auf die Stämme. Die Fußbe kleidung um den Hals gehängt, so paddelten sie weg vom Ufer, wobei ihnen die Hitze des lodernden Ab hanges fast den Rücken verbrannte. Ganz Fossande ran erschien feuerrot oder rauchschwarz. Die Griffe der Paddel waren sehr unhandlich. Bar nevelt fragte sich, ob die bloßen Hände zur Weiter bewegung nicht gereicht hätten. Jede Welle schwapp
te bis zur Brust herauf, während sie eilig von der Kü ste wegzukommen trachteten. Als sie weit genug draußen waren, um in westlicher Richtung auf das Festland zuzusteuern, wurde die Dünung so stark, daß ihr Floß gefährlich zu schwanken begann. Jeden Augenblick erwartete Barnevelt, das Floß würde um kippen und sie abwerfen. Meter für Meter kämpften sie sich in westlicher Richtung vor, während die Sonne langsam unterging. Die ersten Sterne standen am Himmel, als sie den Westkanal der Straße von Palindos erreichten. Gut so, dachte sich Barnevelt, weil die gestrandete Galeere von der Stelle aus, wo sie die Meerenge kreuzten, ganz gut sichtbar war. Die Galeere saß fest und hatte Lichter gesetzt. Die Ebbe hatte den Schiffskörper bis zur Bilge entblößt. Da das ganze Gewicht nun auf dem Kiel ruhte, lag sie schief, in einem sehr würdelos wirkenden Winkel da. Dahinter lag als dunkelroter Hintergrund, von den Feuern von Fossanderan beleuchtet, das Schwester schiff der Galeere. Zwischen den zwei Schiffen hin gen in anmutigen Bögen die Trosse. Die Ruder beider Schiffer ruhten untätig auf dem Wasser. Offenbar, dachte sich Barnevelt, hatte die zweite Galeere einen Vorstoß in die Sadabao-See gemacht, hatte die Shambor entweder erwischt oder die Suche aufgegeben und war dann zurückgekommen, um die
gestrandete Schwester wieder flottzumachen. Doch das Eintreten der Ebbe hatte diesen Plan vereitelt, und jetzt warteten sie auf die Mitternacht und die Flut, um einen erneuten Versuch zu wagen. In aller Ruhe paddelten Barnevelt und seine Ge fährtin über den Kanal. Als die drei Monde aufgingen – weiter voneinander entfernt als in der vorigen Nacht – liefen die Flüchtenden sanft auf der Sand bank auf, die dem Festland vorgelagert war und der brennenden Insel gegenüber lag. Barnevelt stieg steif vom Floß und half Zei herunter. Er zog seine Stiefel an, zerrte das Floß den Strand hinauf und kämpfte mit den Knoten der Verbin dungsseile. »Was tut Ihr da, mein Held?« sagte Zei. »Ich möchte diese Seile lösen.« »Warum gelüstet es Euch nach zwei Stücken alten Seils?« »Weil wir, meine teure Zei, in unserer mißlichen Lage jedes Stück Ausrüstung brauchen, das uns in die Hände fällt. Und es gibt wenige einfache Dinge, die einem in der Wildnis nützlicher sein können als ein Stück Seil.« Indem er die Dolchspitze in die Knoten trieb, be kam Barnevelt sie schließlich los. Jetzt hatte er zwei Stück Seil, jedes daumendick und zwei Meter lang.
Andere Ausrüstungsgegenstände waren Degen und Dolch, die Axt, ein Taschenmesser und sein Taschen feuerzeug. Die Hayashi-Ring-Kamera zählte er nicht dazu, da sie für das Überleben in der Wildnis wertlos war. Für einen Kompaß oder auch nur für eine primitive Krishniuhr mit einem einzigen Zeiger, die bei Bedarf auch als Kompaß verwendet werden konnte, hätte er viel gegeben. Er hatte seine Fahrt mit einer solchen Uhr begonnen, doch der Sturz ins Wasser, der ihm während der Flucht über das Terpahala widerfahren war, hatte sie ruiniert. Barnevelt band sich eines der Seile um seine Mitte, das andere um Zei. »Wenn ich Chask richtig verstan den habe«, sagte er, nach Westen weisend, »stoßen wir auf die Straße von Shaf nach Malayer, wenn wir in diese Richtung laufen.« »Dann gehen wir eben los – obwohl ich nicht weiß, wie wir diesen furchteinflößenden Wald überwinden werden, da es hier weder Straße noch Pfad gibt.« »Nun, wir können einige Hoda weit der Küste der Halbinsel folgen, ehe wir ins Landesinnere vordrin gen.« Es erwies sich, daß dies leichter gesagt als getan war. Die Küste selbst war felsig und hatte nur an we nigen Stellen flachen Strand, der jetzt überdies von der steigenden Flut bedeckt war. Die aufgetürmten
Felsmassen, die die einzelnen Strandabschnitte von einander trennten, ließen sich so schwer überklettern, daß die zwei bald den Versuch aufgaben und sich landeinwärts wandten. Dort fanden sie kaum bessere Bedingungen vor. Die Bäume wuchsen am Rand der Hochwassermarke so dicht, daß es eines Bishtar bedurft hätte, um sich den Weg durch das Dickicht zu bahnen. Weiter drin nen wurde das Laubwerk schütterer, und man kam leichter voran. Doch war das Laubdach zu ihren Häupten so dicht, daß das Licht der drei Monde nicht durchdrang und die zwei Wanderer in der Dunkel heit dahintaumelten und dauernd über umgestürzte Bäume stolperten oder in Löcher fielen. Überall um sie herum zirpten, quietschten, raschel ten und scharrten die Geschöpfe der Nacht. Hin und wieder spürte Barnevelt, daß kleine Schwingen sein Gesicht streiften. In der Entfernung bahnte sich grö ßeres Getier lautstark seinen Weg durch das Dickicht und blieb ungesehen. Nach einer Stunde des Weiterkämpfens hörte Bar nevelt ein Rauschen. Sofort sagte er keuchend: »Das ist ein Fluß. Wie – wie wär's, wenn wir hier lagern?« »Ich – ich habe mich schon gefragt, wann Ihr end lich haltmachen würdet. Ich bin so ermattet, daß ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen kann.« »Tapferes Mädchen!«
Sie tranken gierig. Dann sanken sie zerkratzt, auf geschürft, wund und völlig erschöpft am Fuße eines großen Baumes nieder. Als Zeis Kopf auf seine Schul ter sank, wollte Barnevelt etwas sagen. Da merkte er, daß Zei bereits eingeschlafen war.
5
Gegen Morgen erwachte Barnevelt verkrampft, steif und zitternd. Eine frische Brise raschelte im Laub werk über ihm. Die drei Monde standen tief im We sten, so daß ihre schrägen Strahlen das Blätterdach noch weniger durchdrangen als zuvor. Zei begann sich zu regen. Sie murmelte: »Ich friere!« »Das regle ich schon«, sagt Barnevelt. »Suchen wir uns einen besseren Platz, wo ich Feuer machen kann.« »Werden die Sunqaruma das Feuer nicht sehen?« »Das glaube ich nicht. Die Halbinsel beschreibt ei nen Bogen, so daß sie diesen Teil der Küste von ihrem Standort aus nicht einsehen können. Also los!« Indem er dem Bach zu dem Dickicht entlang der Küste folgte, kam er an eine Stelle, wo ein Waldriese im Fallen einige kleinere Bäume mitgerissen und da durch eine Lichtung geschaffen hatte. Es gab hier ge nügend Licht, so daß seine an die Dunkelheit ge wöhnten Augen sehen konnten, was er tat. Er sam melte Äste, brach sie in brauchbare Längen, häufte sie auf und hielt sein Feuerzeug daran. Das Feuerzeug war einem irdischen Feuerzeug nicht unähnlich, nur größer und unhandlicher und auf vorindustrielle Weise hergestellt. Er drehte das kleine Daumenrädchen und erzeugte damit einen
Funkenregen. Das Reisig fing Feuer, das sofort wie der erstarb. Barnevelt versuchte es immer wieder, doch es glückte ihm keine richtige Flamme. »Teufel!« sagte er. »Entweder ist es schon leer oder während unserer Floßfahrt naß geworden. Wir müs sen versuchen, mit den Funken allein ein Feuer zu machen.« Nach mehreren Versuchen gab er es auf und legte das Feuerzeug weg. Er saß da, das Kinn in die Hand gestützt, und überlegte. Schließlich stand er auf und begann die stehenden und umgefallenen Bäume um sie herum abzutasten und abzuklopfen. »Was tut Ihr da, edler Herr?« sagte Zei. »Ich versuche etwas, das vielleicht nicht klappen wird. Gebt mir einen Riemen Eurer Sandalen.« Die Zeit verrann, während Barnevelt schnitt und schnippelte und bastelte. Schließlich hatte er einen hölzernen Bogenbohrer gefertigt, dazu ein Brett, das er aus einem der umgestürzten Bäume geschnitzt hat te. Es wies an einem Ende eine Kerbe auf. »Und jetzt sucht mir Zunder – richtig trockenes Zeug.« Sofort begann er mit seinem Bohrer zu arbeiten. Das obere Ende hielt er mit einem hölzernen Griff, in den er den Bohrer gesteckt hatte. Er schabte und schabte. Nichts tat sich.
»Was ...« setzte Zei an. »Der Zauber«, keuchte Barnevelt, »wirkt nicht, wenn eine Frau in einem Umkreis von zehn Hoda ein Wort verlauten läßt.« Er schabte weiter. Im Osten wurde der Himmel licht. Als schließlich die Sterne einer nach dem anderen verblaßten, begann der Bohrer zu rauchen. Ein rötlicher Schein wurde an einem unteren Ende sichtbar. Behut sam schob Barnevelt Zunder an diese Stelle, blies vor sichtig und schabte weiter. Mit einem leisen Zischen erwachte eine einzige Flamme zum Leben und tanzte elfengleich über das Häufchen Waldbodenzunder. Barnevelt nährte die Flamme, zog vorsichtig seinen Apparat weg und hatte bald ein ordentliches Feuer entfacht. Er atmete auf und sagte: »Den Göttern sei Dank, daß ich früher bei den Pfadfindern war!« »Ihr wart wo?« »Ach, einerlei. Verdammt, ich habe mich an der Hand verbrannt. Ich – was ist denn das?« Aus den dunklen Tiefen des Waldes drang ein langgezogener Tierlaut, als hätte ein Ungeübter über die Saiten eines Cellos gestrichen. Zei suchte Schutz bei ihm. »Ein Yeki auf der Jagd!« »Ihr meint, eines dieser langen braunen Dinger ...« Barnevelt lockerte seinen Degen und versuchte die dunklen Tiefen des Waldes mit Blicken zu durch dringen. »Mehr Feuer«, sagte er und legte nach.
Das Feuer loderte empor. Obwohl sie erwartungs voll und gespannt lauschten, wurde die Stille von keinem weiteren Geräusch gebrochen. Nur Wellen geplätscher und Blättergeraschel war zu hören. »Wo sind wir eigentlich?« fragte er. Zei überlegte. »Ich versuche mir die Geographie, die ich als Kind gelernt habe, ins Gedächtnis zu rufen. Mich dünkt, dieses Land ist die Halbinsel Rakh.« »Wie steht es mit der hiesigen Fauna? Ist es mög lich, daß wir einem wilden Bishtar begegnen?« »Nein, das glaube ich nicht. In den Ländern, die den zivilisierten Westküsten der Drei Meere ferner liegen – sagen wir Zhamanak im Süden oder Aurus im Osten – streifen die großen Herden dieser Riesen tiere umher. Trotzdem bergen die Wälder von Rakh gräßliche Bewohner, so wie dasjenige, das sich uns eben jetzt genähert hat.« Sie schauderte. »Hoffen wir, daß Eure Kühnheit mich vor jenem Schicksal be wahrt, das ich am meisten fürchte – nämlich von ei nem Yeki verschlungen zu werden.« »Aber, aber«, Barnevelt umarmte, tätschelte und küßte sie. »Das Biest scheint sich entfernt zu haben. Lord Dunsany hat einst gesagt: ›Es steht Abenteurern nicht an zu überlegen, wer einst ihre Knochen fressen wird.‹« »Wer ist denn Lord Danseni? Ein Barde aus Nya madze?«
»Wie – ach ja, natürlich, er war der größte Dichter von Nyamadze.« Barnevelt sah sich um. »Gibt es in diesem verdammten Wald denn nichts Eßbares? Ich könnte ein Aya samt Kutscher verdrücken.« »Mir geht es ebenso.« »Seht mich nicht mit diesem Blick an! Das erinnert mich an den Blick Eurer Mutter, als sie den armen al ten Kaj ansah, da er zerstückelt und dem versammel ten Hof serviert werden sollte. Da, nehmt meinen De gen für den Fall, daß ein Tierchen vorbeikommen sollte. Ich gehe mal an den Strand und sehe nach, was uns die Sadabao-See zu bieten hat.« Er arbeitete sich durch das Uferdickicht hindurch, watete ins seichte Wasser und begann zwischen Sand und Felsen herumzuwühlen. Bald hatte er zwei Hand voll Spiralmuscheln gesammelt, die denen einer irdi schen Schnecke glichen. Die Lebewesen in den Mu scheln bewegten sich auf vielen kurzen Füßchen fort, statt auf dem Bauch zu gleiten wie irdische Schnecken. »Wie nennt man das hier?« fragte er. »Wir nennen sie Safqa. Ich habe gehört, daß man sie in Suruskand ißt. Wir in Qirib schätzen sie nicht.« »Hm. Nun, wie lautet die Regel Nummer eins, wenn man etwas Unbekanntes ißt? Zuerst ein kleines Stückchen und dann abwarten, was passiert.« »Wenn man sie in Suruskand verzehrt, dann müs sen sie genießbar sein.«
»Nur nichts übereilen. Es könnte sich um eine an dere Gattung handeln, oder aber sie sind nur in Mo naten, die mit Kh beginnen, genießbar.« Mit dem Dolchgriff brach er eine Muschel auf, schnitt ein Stückchen der gummiartigen Kreatur dar in ab und röstete es an einem zugespitzten Stock. Schließlich steckte er das braune, blasenwerfende Ding in den Mund. »Nicht übel, wenn es einem nichts ausmacht, auf einem Stück alten Leders zu kauen.« »Was soll an einem Stück alten Leder gut sein, ed ler Herr?« »Ach, ein Scherz aus meiner Heimat, den ein Fremder nicht verstehen kann.« »Wann bekomme ich meinen Anteil? Der Geruch des Bratens hat meinen Hunger ins Ungeheure ge steigert.« »Ihr werdet noch eine Weile ungeheuer hungrig bleiben müssen, bis wir sehen, wie sich das Ding bei mir auswirkt. Falls ich mich mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden wälze, mich bläulich färbe und rosa Punkte bekomme, dann wißt ihr, daß mir die hiesige Spielart des Safqa nicht bekommen ist.« »Dann wünsche ich, daß Ihr mich, um die Zeit zu vertreiben, mit Erzählungen Eurer Abenteuer ergötzt. Wie Ihr zum Beispiel die Streitkräfte von Olnega ge schlagen habt.«
Der er von den Kriegen zwischen Nyamadze und Olnega keine Ahnung hatte, sagte Barnevelt: »Ach, das ist eine lange und komplizierte Geschichte. Eine Unmenge Menschen, die im Schnee umherliefen, auf einander einschlugen und zu dumm waren, um ein zusehen, daß sie weiter nichts taten, als die Eitelkeit ihrer Führer zu nähren. Meinen Besuch in Novorecife und die Reise von dort nach Qirib habe ich viel inter essanter gefunden.« »Habt Ihr die Erdenmenschen von Angesicht zu Angesicht gesehen?« »Gewiß. Mit Castanhoso, dem Obersten der Terra nerpolizei, bin ich sogar ziemlich vertraut geworden. Auf diese Art bin ich an den Vogel geraten, den ich Eurer Mutter verehrt habe.« Barnevelt meinte damit Philo, den Papagei, den er als Geschenk für Königin Alvandi nach Ghulinde gebracht hatte. »Wie kommt es, daß dieses Tier in Novorecife, so fern von seinem Heimatplaneten, gelebt hat?« »Es gibt einen Kosmotheistischen Missionar na mens Mirza Fateh, der zwischen den Cetischen Plane ten unterwegs war und seinen Kult verbreitet hat – Ihr seid doch nicht etwa auch Kosmotheistin?« »Gute Varzai, nein! Die Anbetung der Muttergöttin reicht für eine Person meines Standes aus. Wie hieß dieser Terraner doch gleich?« »Mirza Fateh? Ihr kennt ihn?«
»Der Name zerrt an den Saiten meines Gedächtnis ses – aber nein, ich kenne ihn nicht. Bitte, fahrt fort.« »Zweifellos ist Mirza ein Schwindler, doch hatte er großes Ungemach zu erdulden. Frau und Kind wur den bei einem Zugüberfall zwischen Majbur und Jazmurian getötet. Nun, er ist kürzlich mit diesem zänkischen Vogel angekommen. Die Gesundheitsbe hörde in Novorecife hat ihm nicht erlaubt, das Tier einzuführen. Er mußte es auf der Station zurücklas sen. Man wollte es eine Zeitlang beobachten, um si cherzugehen, daß es kein Krankheitsträger war. Da er in Eile war, übergab Mirza das Tier einem der Terra ner dort, und Castanhoso überließ ihn mir.« »Dann seid Ihr also nicht der Meinung, daß alle Erdenmenschen grausame, verlogene, arrogante, fal sche und feige Schurken sind?« Barnevelt zog die Augenbrauen und die daran an geklebten Antennen hoch. »Nicht alle. Erdenmen schen sind wie Krishni. Es gibt unter ihnen Gute, Bö se, Gleichgültige, und die meisten sind ein Gemisch aus allen drei Typen. Herrscht denn in Qirib diese schlechte Meinung vor?« »Unter den meisten. Obwohl nur wenige es wagen würden, die Hand gegen einen echten Erdenmen schen zu erheben, aus Furcht vor den tödlichen Kräf ten dieser Wesen aus den Tiefen des Raumes, so wer den sie doch verachtet und gefürchtet. In Chulinde
als ›Erdenliebchen‹ bekannt zu sein, bedeutet, daß ei nem die Kinder auf der Straße Steine nachwerfen. Obwohl ich keinen Erdenmenschen näher kenne und höchstens auf Grußfuß mit ihnen gestanden bin, so habe ich keine Vorurteile und halte eher Eure Mei nung für die richtige. Doch ich halte bloß die Räder Eurer Erzählung auf. Wohlan – nehmen wir wieder die Zügel Eures Berichtes auf. Lassen wir unsere Ge danken ayagleich davongaloppieren.« Barnevelt berichtete von seiner und Tangaloas – alias Tagde von Vyutrs – Fahrt, den Pichide flußab wärts, ins betriebsame Majbur, dann mit dem BishtarZug in den liederlichen Hafen Jazmurian. Von dort war es per Postkutsche weiter nach Ghulinde gegan gen. Er berichtete von dem Zwischenfall in der Schenke zu Jazmurian, als sein geheimnisvoller Feind Vizqash, derselbe, der ihm in Novorecife einen Hin terhalt gelegt hatte, mit Barnevelts Zimmergefährten Streit begonnen hatte. Dieser Zimmergefährte war ein reptilienähnlicher Eingeborener des Planeten Osiris gewesen und, soweit Barnevelt es beurteilen konnte, ein harmloser Tourist. Er berichtete auch von dem Versuch, ihm auf der Straße nach Ghulinde einen Hinterhalt zu legen. Da bei redete er langsam, damit er nicht ungewollt eine Einzelheit verriet, die ihn als Dirk Barnevelt und nicht als Snyol von Pleshch auswies. Natürlich sagte
er nichts von seinem Leben auf der Erde oder seiner irdischen Laufbahn als Englischlehrer an einer höhe ren Schule, ehe er in die Firma Igor Shtain eingetreten war. »Keine Magenschmerzen«, verkündete er schließ lich. »Man darf also annehmen, daß diese Tiere ge nießbar sind. Da ist Euer Spieß.« Durch diese Mahlzeit aus nicht sehr nahrhaften Meerestieren kaum gestärkt, kämpften sie sich den ganzen Tag über in westlicher Richtung weiter. Bar nevelt hielt die Augen nach Eßbarem offen, doch schien der Wald von Rakh nicht viel zu bieten. Ob wohl er probeweise ein paar Beeren kostete, brachte er doch nicht so viel Mut auf, ein paar ekelhaft ausse hende, aber vielleicht eßbare pilzartige Gewächse zu versuchen. Eine verlockend aussehende Orangen frucht enthielt nur Samen und kein Fruchtfleisch. Ihre harte trockene Schale jedoch lieferte zwei nützliche Trinkgefäße. Am Abend zeigt es sich, daß die Küstenlinie von Rakh sich so betont nach Norden wandte, daß Barne velt sagte: »Ich schätze, wir müssen morgen landein wärts, wenn wir die Straße von Shaf-Malayer errei chen wollen.« »Wie werdet Ihr die Richtung bestimmen, wenn wir erst unseren Wegweiser, die Küste, verlassen ha ben? Denn wir verfügen über keine Seemannsnadel.«
»Wir richten uns nach der Sonne. Morgen müssen wir sie im Rücken haben und nachmittags vor uns.« »Und zu Mittag, wenn der lebensspendende Roqir genau über unseren Häuptern steht?« »Diese Zeit müssen wir mit Rast und Nahrungssu che verbringen. Ich hatte nie gedacht, welch harte Arbeit es ist, ein Wilder zu sein, der sich seine Nah rung mühsam suchen muß.« »Wie wahr, teurer Gesprächspartner. Wären wir al lerdings Eingeborene der Urwälder, würden wir viel Eßbares erkennen, das wir in unserer städtischen Un kenntnis übersehen.« »So wie das da«, sagte Barnevelt und wies auf ein vielfüßiges Wesen, das sich unter einem flachen Stein verkroch. Er hatte nach einem Fluß gesucht. Plötzlich stießen sie auf ein Gewässer, das sich wenige Meter vor der Basis einer kleinen sandigen Halbinsel in die Sadabao-See ergoß. »Rasten wir da draußen«, sagte er. »Dort können wir nicht völlig überraschend überfallen werden.« Sie nahmen wieder ein karges Mahl zu sich. Zu Be ginn ihres Marsches durch Rakh hatte sich Barnevelt geschworen, die Finger von Zei zu lassen. Falls sie sich auf dem weichen Waldboden der Liebe hingä ben, würde das Ergebnis so sein wie bei Atalanta und Meilanion; obwohl Barnevelt zwar nicht erwartete,
von einer beleidigten Gottheit in einen Löwen ver wandelt zu werden, so konnte sich das Ergebnis auf lange Sicht als ebenso fatal erweisen. Er war einiger maßen erleichtert zu entdecken, daß seine selbstauferlegte Zurückhaltung – zwischen Erschöpfung und bohrendem Hunger – leichter zu ertragen war, als er befürchtet hatte. Barnevelt entdeckte einen abgestorbenen Baum, fällte ihn, schnitt sich einige Längen Brennholz ab und ließ seinen Bohrer in der Kerbe schnurren. Die Technik des Feuermachens fiel ihm durch die Übung immer leichter. Er hoffte das Wetter würde trocken bleiben, bis sie die Straße erreichten. So naturverbun den fühlte er sich nämlich nicht, daß er sich zugetraut hätte, durch Aneinanderreihen nasser Hölzer ein Feuer zu machen. »Es ist besser, wenn wir abwechselnd schlafen und wachen«, sagte er. »Wir waren verdammte Narren, daß wir es nicht in der vorigen Nacht schon so gehal ten haben.« Am Ende seiner ersten Schlafperiode wurde Bar nevelt von Hunger und Kälte geweckt. Er sah, daß Zei an einen Felsen geschmiegt eingeschlafen war. Taktvoll unterließ er eine Bemerkung. Er legte Holz aufs Feuer und nahm seine Wache auf. Dabei verfiel er ins Nachdenken über ein Problem der Logik. Es handelte sich um folgendes: Wenn sie
ausreichend Zeit auf Nahrungssuche verwandten, um sich ausreichende Nahrung zu verschaffen, dann blieb ihnen keine Zeit zum Weitermarschieren. Wenn sie sich andererseits mit den kargen Beeren und Safqa zufriedengaben, die man in einigen Stunden der Nahrungssuche sammeln konnte, würden sie mit je dem Tag schwächer werden. Daher würden sie sich der Straße immer langsamer nähern, bis die Erschöp fung sie in den Wäldern zugrundegehen lassen wür de – vielleicht nur einen Bogenschuß von ihrem Ziel entfernt. Wenn es ihnen gelänge, ein größeres Wild zu erle gen, dann konnten sie genügend Fleisch auf Vorrat mitnehmen, um sich bei Kräften zu erhalten. Aber wie? Während ihres Marsches hatten sie von Zeit zu Zeit kleinere Pflanzenfresser aufgestört. Diese Tiere waren immer geflüchtet, auch wenn sie gehörnt oder mit Fangzähnen bewehrt waren. Barnevelt bezweifel te, ob er sich je so weit würde nähern können, um seinen Degen zu benutzen. Auch wenn er sich einen Speer bastelte, indem er seinen Dolch an einen Stock band, würde es keine Verbesserung bedeuten. Und was das Bogenschießen betraf, so wußte Barnevelt nicht einmal, von welcher Seite des Bogens der Pfeil abgeschlossen werden mußte. Die Stunden vergingen. Über ihm zogen die Sterne in glitzernden Schwärmen ihre Runde. Die drei Mon
de, die jetzt weiter als je zuvor voneinander entfernt waren, versanken im Wald von Rakh. Als das erste Morgenlicht den östlichen Himmel fahl färbte, er wachte Zei. »Ihr Treuloser, warum habt Ihr mich nicht zur Er füllung meiner Pflicht geweckt!« sagte sie gähnend. »Ich muß wohl während meiner Wache ins Land der Träume geraten sein – diese verwerfliche Erholungs pause müßt Ihr mich durch angemessene Strafe ent gelten lassen. Was wollt Ihr von mir?« »Wenn Ihr ...« Er wollte mit seinem heimlichen Wunsch herausplatzen, überlegte es sich dann aber. »Ein Küßchen, und wir sind quitt.« Sie küßte ihn, während er die Hände faltete und sie dabei so verkrampfte, daß die Knöchel weiß hervor traten, nur um Zei nicht an sich zu reißen. Da bewirk te ein Geräusch, daß sie sich umdrehte. Zei schrie auf: »Ein Yeki!«
6
Barnevelt sprang auf und stieß dabei Zei beinahe ins Feuer. Am Fuße der kleinen Halbinsel, auf der sie la gerten, kauerte ein großes Tier. Obgleich das Licht zu schwach war, als daß man hätte Einzelheiten aus nehmen können, wußte Barnevelt, wie ein Yeki aus sah, weil er einen im Zoo von Majbur gesehen hatte. Man stelle sich einen Fleischfresser von der Größe und Kraft eines irdischen Tigers vor, jedoch einein halbmal so lang, mit sechs relativ kurzen Beinen. Schädel und Pranken hätte man mit jenen eines irdi schen Bären oder auf anderer Größenebene mit einem Nerz vergleichen können. Schimmerndes, kurzhaari ges, braunes Fell bedeckte das Tier. Der Yeki, dessen sechs kurze Beine so gebogen wa ren, daß er mit dem Bauch fast den Boden berührte, schlich vorwärts wie eine Katze auf Vogeljagd. Barne velt packte ein brennendes Holzscheit und schleuderte es dem Tier entgegen. Er verfehlte den Yeki. Das Tier sprang beiseite, schnappte nervös und knurrte, als das glühende Geschoß an ihm vorüberflog. Dann fuhr es in seinem Anschleichen fort. Barnevelts Gedanken über stürzten sich, als er die zweite Fackel schleuderte. »Klettern die Tiere auf Bäume?« fragte er keu chend.
»Nein – die kleinen vielleicht, aber sicher nicht die ausgewachsenen. Was ...?« »Hört nicht auf, Brände zu werfen, und legt mehr Holz aufs Feuer.« Barnevelt hob die Spitze des Bäum chens, das er am vorhergehenden Abend gefällt hatte. Der Hauptstamm war um eine Spur größer als er. »... wir müßten zum Angriff übergehen, o Snyol«, sagte Zei. »Hört nicht auf zu werfen.« Barnevelt, der die Baumspitze mit der linken Hand hielt, begann die Äste etwa einen halben Meter vom Stamm abzuhak ken. In wenigen Sekunden hatte er einen geraden Stamm, der in einem geweihartigen Ästegewirr ende te. Jeder Ast endete ein oder zwei Fuß vom Stamm entfernt in einer Spitze. »Seht Ihr den hohen Baum, dessen Äste knapp über dem Boden beginnen?« sagte er. »Ja.« »Den werden wir erklimmen.« »Und wenn das gräßliche Tier sich uns in den Weg stellt?« »Ihr werdet schon sehen. Nehmt die Axt und haltet Euch dicht hinter mir.« In der Linken die flammende Fackel, in der Rech ten den zurechtgeschnittenen Wipfel, so schritt er auf den Yeki zu. Das wilde Tier hatte nicht erwartet, daß
die Beute sich gegen ihn wenden würde. Es wich ei nen Schritt zurück und stellte fauchend und knur rend jenen Teil seines Körpers auf, der vor dem Mit telbeinpaar lag. Der wie ein Bogen angespannte Barnevelt stieß dem Tier den Wipfel ins Gesicht und schwenkte seine Fackel. Es brüllte, schäumte und hieb mit einer der Vorderpranken auf die Äste ein. »Weg da! Troll dich!« rief Barnevelt und stieß abermals zu. Das Tier bewegte sich seitwärts wie eine Krabbe und versuchte den Spitzen auszuweichen. Barnevelt ließ nicht locker und schwenkte die Fackel. Unter gräßlichem Gebrüll setzte der Yeki zu einem Sprung an. Doch Barnevelt kam ihm zuvor und führte einen Hieb gegen die Augen. Es wich zurück. Sein heiseres Brüllen ließ die Wälder widerhallen. Zoll für Zoll arbeitete er sich um das Tier herum. Jedesmal, wenn es zum Sprung ansetzte, ging er zum Angriff über und trieb das Tier zurück. Schließlich stand er zwischen Yeki und Baum, Zei stand zwi schen dem Baum und ihm selbst. Er ließ ab, den Yeki anzubrüllen, und rief statt dessen dem Mädchen zu: »Hinauf auf den Baum! Rasch!« Sie gehorchte. Er folgte ihr, warf aber vorher den brennenden Stock dem Yeki an den Schädel. Der Brand traf das Tier an der Schnauze und bewirkte,
daß es wild sprang und schnappte und die Luft mit den Vorderpfoten schlug. Barnevelt kletterte mit ei ner Hand hinauf. In der anderen hielt er noch immer den zurechtgestutzten Wipfel. Als er die ersten Äste erreicht hatte, ließ er seine hölzerne Waffe fallen und kletterte mit beiden Händen hinauf. Mit schrecklichem Aufbrüllen sprang der Yeki zwi schen die Zweige und richtete sich zu voller Größe auf. Barnevelt gelang es noch, seine Füße hochzuzie hen, als die Kiefer wenige Zoll von seinen Zehen ent fernt zuschnappten. »Hu!« sagte er, als er sicher auf einem Ast neben Zei saß. »Noch nie im Leben hatte ich solche Angst!« »Mein Held!« rief Zei und erstickte ihn fast mit Küssen. »Wie kann jemand, dessen Kühnheit sich immer wieder erweist, von Furcht sprechen?« »Ihr würdet höchst erstaunt sein, wenn Ihr wüßtet, was in Helden vorgeht, auch wenn sie schöne Jung frauen vor gräßlichen Ungeheuern retten. Wie lange wird unser Freund da unten auf uns warten?« Er wies auf den Yeki, der am Fuße des Baumes hockte und mit hoffnungsvoller Miene zu ihnen emporstarrte. »Bis wir vor Hunger und Durst schwach werden oder einschlafen und in seinen gierigen Rachen fallen.« »Wir werden ihn an der Nase herumführen. Bindet Euch mit diesem Seil an einen der Äste fest. Ich sagte schon, daß die Seile sehr nützlich sein würden.«
Sie sicherten sich mit den Seilen ab und machten sich darauf gefaßt, den Fleischfresser zu belagern. Der Yeki schien keine Eile zu haben. Zei sagte: »Woher hattet Ihr die Eingebung, das Baumstück zu einer Lanze zurechtzuschneiden, mit der Ihr das wütende Tier abwehren konntet?« Barnevelt kicherte. »In meinem Land werden wilde Tiere dazu abgerichtet, vor dem Publikum Kunst stücke zu machen. Wenn ein solcher Yeki-Zähmer sich in einem Käfig mit seinem Tier befindet, dann hält er einen leichten Stuhl bereit, mit dem er das Tier abwehrt, falls es vergessen sollte, wer der Herr ist, und ihn angreift. An den Stuhlbeinen kommen sie nicht vorbei, und um ihm den Stuhl wegzunehmen, haben sie zu wenig Verstand. Als nun dieser Bursche auf uns zukam, war mein einziger Gedanke, wie komme ich zu einem Stuhl? Da ich keine Küchenstüh le herumliegen sah, mußte ich eben das nächstbeste Ding dazu umfunktionieren.« Zei seufzte: »Die Geschichten, die man sich über die Fähigkeiten des General Snyol erzählt, übertrei ben nicht. Sagt, habt Ihr einen Harem üppiger Frau enzimmer zu Hause in Nyamadze, wie es angeblich die meisten Männer von Rang haben?« »Unsinn, ich habe keine einzige. Dazu bin ich zu viel und zu rasch unterwegs.« Barnevelt warf der Prinzessin einen scharfen Blick
zu. Wieder entstand das alte Bild vor seinen Augen: ein Jahr der paradiesischen Leidenschaft, gefolgt von den Diensten des Mannes unter der mit Augenschlit zen versehenen Kapuze, der eine Axt mit übergroßer Klinge schwingt. Sie zog die Brauen und Antennen hoch. »Soviel ich gesehen habe, findet Ihr die weibliche Abart der Gat tung nicht unattraktiv.« »Das hängt von dem weiblichen Wesen ab. Wenn die Frauen in Nyamadze so wären wie Ihr, dann hätte ich einen Harem wie einst Salomon.« »Wer?« »Ein König vor uralten Zeiten. – Einerlei.« Er sah hinunter auf den Yeki, der keine Anstalten machte, seinen Posten aufzugeben. »Ich frage mich, ob ich aus meinem Dolch und einem Stock einen Speer verferti gen und ihn vielleicht von oben aufspießen könnte ... Nein, ich fürchte, das würde mich bloß meinen Speer kosten und das Tier nur noch wütender machen.« Stundenlang saßen sie auf dem Ast und starrten müde auf den Yeki hinunter, der ihr Starren erwider te. Barnevelt döste, erwachte, döste wieder und träumte von Steaks. Dann kitzelte ein neuer Geruch seine Nüstern. »Damit könnte das Ungeheuer vielleicht in die Flucht geschlagen werden«, sagte Zei und deutete hinunter.
»Oh!« sagte Barnevelt, der ihrer Bewegung mit den Blicken folgte. Eine der Fackeln, die sie dem Yeki entgegenge schleudert hatten, hatte im Unterholz einen kleinen Brand entfacht. Eine blaue Rauchwolke erhob sich, und kleine Flämmchen tanzten mit schwachem Kni stern. »Es treibt ihn vielleicht in die Flucht, wird uns aber rösten«, sagte Barnevelt. Auch der Yeki hatte das Feuer bemerkt. Der große braune Schädel drehte sich von dem Paar auf dem Baum zu dem Brand und wieder zurück. Das Tier bewegte sich unbehaglich und richtete sich einmal am Stamm auf, als wollte es sich vergewissern, daß seine Opfer noch immer außer Reichweite wären. Das Feuer breitete sich aus. Ein Strauch hatte Feuer gefangen und ging mit einem plötzlichen Aufflackern in Flammen auf. Brennendes Laub wirbelte auf und fiel wieder auf den Waldboden. Der Yeki umkreiste den Baum, blieb hin und wie der stehen, um sich das Feuer anzusehen, wobei seine Nüstern bei dem gefürchteten Geruch bebten. Schließlich trottete er mit mißmutigem Knurren wie der in den Wald. »Warten wir lieber eine Weile«, sagte Barnevelt und löste das Seil, mit dem er sich festgebunden hat te.
»Aber das Feuer ...« »Ich weiß, meine Liebe. Aber wir möchten doch nicht, daß Oskar wiederkommt und uns schnappt, wenn wir am Boden ankommen.« Er spähte durch den Blättervorhang. Alles war ru hig, bis auf das Seufzen der Brandung und das an schwellende Geräusch des Feuers. »Gut, wir spielen jetzt Feuerwehr. Ihr holt Wasser in diesen Schalen, während ich das Feuer bekämpfe.« »Warum wollt Ihr dieses muntere Feuerchen er sticken? Ich halte es für sehr nützlich, um andere un freundliche Tiere, die hier lauern könnten, in die Flucht zu schlagen.« »Weil man so mit einem Waldbrand umspringt – man löscht ihn.« »Aber auf Fossanderan –« »Um der Götter willen, hört auf zu reden und holt Wasser! Ich werde Euch später alles erklären. Wenn Ostwind aufkommt, werden wir gebraten.« Er schlug mit einem dicken Stock auf das Feuer ein und stampfte es aus. Die Wassermenge, die Zei auf jedem Gang von der wenige Meter entfernten See bringen konnte, schien absurd klein. Aber Schritt für Schritt gewann Barnevelt die Oberhand. Nach einer Stunde hatte Barnevelt, schmutzig und geschwärzt, den Brand gelöscht. Nach einem Bad in der Sadabao-See und einem Muschelfrühstück wand
ten sie sich wieder westwärts, ließen die Küste hinter sich und richteten sich nach der Sonne.
7
Drei Tage darauf kamen Barnevelt und Zei am frühen Nachmittag neben der Straße von Shaf-Malayer aus dem Wald von Rakh. Beide waren abgemagert, schmutzig, zerlumpt und erschöpft. Zei trug einen Speer, den Barnevelt gemacht hatte, indem er seinen Dolch an einen Stock gebunden hatte, für den Fall, daß sie wieder einem Yeki begegneten. Doch sie hat ten keine Gelegenheit gehabt, die Waffe anzuwenden. Barnevelt seufzte: »Ich nehme an, wir sollen uns sogleich auf den Weg nach Norden machen, aber ich schlage vor, wir setzen uns eine Weile hin. Vielleicht nimmt uns jemand mit.« Er warf die Axt zu Boden, setzte sich und lehnte sich dabei mit dem Rücken an einen Baum. Zei sank neben ihm nieder und legte den Kopf an seine Schul ter. Er sagte: »Jetzt könnten wir den Rest der Beeren essen.« Sie reichte ihm die Seemannsmütze, die sie als Ta sche benutzt hatte. Barnevelt holte Beeren heraus, die er abwechselnd ihr und sich in den Mund steckte. Eine Beere sah er genauer an und warf sie weg. »Das ist die Sorte, von der wir Magenschmerzen bekommen haben. Könnt Ihr Euch die Festmähler ausmalen, die es geben wird, sobald wir die Stadt erreichen?«
»Und wie! Ein gebratenes Unha, mit Tabids gar niert und mit einem Tunest im Maul. Das Ganze in Betune-Sauce schwimmend.« »Und ein paar von diesen gelben Wie-heißen-die doch als Nachtisch, dazu einen großen Krug FalatWein ...« »Nicht den Falat aus Mishdakh, der bloß ein dün nes Gesöff ist, sondern den aus Hojur, besonders aus dem Jahr des Yeki ...« »Redet nicht von Yekis! Davon habe ich mehr als genug gesehen. Wir essen dazu auch eine Scheibe Badr, die wir in die Soße tunken ...« Sie sah auf. »Seltsam! Hier sitzt Ihr nun, mit einer königlichen Jungfrau im Arm, und denkt nur an Eu ren tierischen Bauch!« »Das kommt Euch zugute.« »Wie meint Ihr das?« »Es gibt keinen besseren Tugendwächter als den Hunger. Wenn ich bei normaler Kraft wäre, dann wä ret Ihr nicht mehr lange Jungfrau.« »Angeber! Eure Gedanken würden doch nur ums Essen kreisen. Ich habe gesehen, was Ihr an Bord der Shambor vertilgt habt. Da wußte ich, daß die Freß sucht, die man Eurem Volke nachsagt, nur ein schwa cher Abglanz dieser Tatsache ist!« »Es ist ein kaltes Land«, sagte er. »Aber jetzt friert Ihr nicht!«
»Und wir nehmen normale bekömmliche Speisen zu uns und nicht unsere Ehepartner.« »Das Kashyo ist kein Gelage, Tölpel, sondern eine feierliche Zeremonie ...« »Das habe ich schon einmal gehört, und trotzdem bin ich der Meinung, daß Ihr Euch damit auf eine Stu fe mit den geschwänzten Menschen auf Fossanderan stellt.« »Frecher Nörgler!« rief sie und schlug ihm ins Ge sicht – leicht, nur um zu zeigen, daß es im Scherz ge schah. »Und«, fuhr er fort, »außerdem verstehe ich nicht, wie Euer königliches Geschlecht sich fortpflanzen kann. Wenn die Königin den Prinzgemahl ansieht, fragt er sich doch jedesmal, ob in ihren Augen das Licht der Liebe schimmert oder ob sie sich schon ein gutes Stück an ihm zum Festmahl aussucht. Das muß auf die Dauer jeden entmannen.« »Vielleicht sind unsere Männer weniger leicht zu entmannen als die in Eurer kalten Heimat. Ein Qiri bun bleibt auch angesichts des Todes galant und ganz Mann. Wenn man hingegen einen Mann aus Nya madze drei Tage lang auf eine Diät aus Beeren und Muscheln setzt ...« »Vier Tage!« »Also vier Tage, dann ist er allem, außer Nahrung gegenüber, blind und empfindungslos.«
»Unsinn! Ihr habt ebenso in Träumen von einem Festmahl geschwelgt wie ich.« »Ich doch nicht! Das Essen in Eurer Phantasie hat meines überragt wie der Zogha den Sabushi über ragt.« »Wie wollt Ihr das beweisen?« »Eine königliche Prinzessin hat es nicht nötig, et was zu beweisen. Ihr Wort allein genügt.« »Ja? Dann wird es höchste Zeit, daß Ihr neue Sitten kennenlernt.« »So wie die Küsse genannte irdische Sitte, in der Ihr mich unterwiesen habt? Ich glaube, ich brauche dabei noch mehr Übung ...« Nach einer Weile sagte Barnevelt: »Ich fürchte, ich bin dem Hungertod doch nicht so nahe, wie ich ge fürchtet habe.« »Ach? Versucht ja nicht, die uralten Sitten Qiribs zu verletzen oder Ihr sollt die rauhen Methoden kennen lernen, die man uns bei der weiblichen Truppe bei bringt ... Tragt Ihr zufällig einen Gvam-Stein in der Tasche?« Barnevelt veränderte seine Lage. »Nein, ich verlas se mich gänzlich auf meinen angeborenen Charme. Ich bezweifle übrigens sehr, daß dieser Stein einem Mann Macht über Frauen verleiht, wie es der Janru umgekehrt tut. Das klingt zu sehr nach Wunschden ken.«
»Und doch leistet Ihr diesem Aberglauben Vor schub, indem Ihr das Seeungeheuer wegen seiner Steine jagt?« »Wer bin ich denn, daß ich gegen uralten Glauben ankämpfen soll? Ich hatte genug Ärger in Naymadze, als ich damals versuchte, die Leute über ein paar nüchterne und einleuchtende Tatsachen aufzuklären. Aber da wir von Euren weiblichen Kriegern sprechen – hoffentlich hat Euer Abenteuer Euch davon über zeugt, daß es unpraktisch ist, eine Armee aus Frauen aufzustellen.« »Und warum?« fragte sie. »Weil Männer größer sind. Wenn wir auf dem Pla neten wären, auf dem Frauen zehnmal größer sind als Männer, dann wäre es etwas anderes.« »Es war von Varzai höchst ungerecht, diese Un gleichheit einzuführen.« »Sicher, wenn man den Göttern die Schuld geben will.« »Wenn nicht den Göttern, wem dann?« »Das hängt davon ab, was Ihr von solchen Dingen haltet.« »Nehmt Ihr die Götter nicht ernst?« »Nein. Ich glaube, die Dinge geschehen einfach.« »Kein Wunder, daß die Kanganditen Euch wegen Häresie verfolgt haben!« »Überhaupt kein Wunder. Trotzdem ist es ein
Wunder, daß Qirib noch nicht von einem mächtigen Nachbarn verschlungen wurde.« »Unsere Herrscherinnen haben die Kriege durch ausgeklügelte Diplomatie verhindern können, indem sie unseren Reichtum an Mineralien dazu benutzten, einen Feind gegen den anderen auszuspielen.« »Sehr gut, aber einmal wird ein harter Bursche sa gen, ›Kämpft oder ergebt Euch!‹ und Ihr werdet keine andere Wahl haben.« »Stellt Ihr mich vor diese düstere Alternative, o spottender Nihilist, so fürchtet nicht, daß ich kämp fen werde.« »Aber nein. Ich würde eher die ausgeklügelte Di plomatie anwenden, um mein Ziel zu erreichen. So zum Beispiel ...« »Übeltäter!« sagte sie, als sie wieder zum Sprechen kam. »Könnt Ihr nicht in Ghulinde bleiben und dieses erfreuliche Spiel immer mit mir spielen?« »Hm, das hängt davon ab ...« »Wovon? Ich befehle, noch einmal ...« »Wenn Eure Mutter abdankt, würde es Eurem Ge mahl nicht gefallen, wenn ich bliebe.« »Er hat nichts zu sagen. Mein Wort ist Gesetz.« »Trotzdem könnte das Spiel als zu große Vertrau lichkeit aufgefaßt werden«, sagte er. »Könnt Ihr es dem Kerl nicht beibringen? Oder noch besser, wollt Ihr nicht mein erster Gemahl werden?«
»Gute Götter, nein! Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich auf Eurem Opferstein enden möchte?« Sie machte ein erstauntes und ein wenig gekränktes Gesicht. »Es ist eine Ehre, um die Euch viele beneiden würden. Habt Ihr Angst?« »Und wie! Ich mag Euch gern, aber doch nicht so sehr.« »So? Ihr aus Nyamadze seid rüde, aber ehrliche Leute.« »Jedenfalls komme ich nicht in Frage.« »Es ließe sich einrichten.« »Und ich dachte, Eure Gatten werden durch das Los ausgewählt?« »Auch das wäre kein unüberwindliches Hindernis. Beim Ziehen der Lose ist manches anders, als es aus sieht.« »Das habe ich gehört. Doch ich habe nicht die Ab sicht, ein Jahr als Schoß-Eshun einer Dame zu verbringen und dann getötet zu werden. Könnt Ihr Euch vorstellen, daß Euer Held Qarar dergleichen tä te?« »Nein, aber ...« »Das erinnert mich zu sehr an ein Insekt in meiner Heimat, das Gottesanbeterin genannt wird. Das Weibchen frißt das Männchen nach der Vereinigung auf.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ihr habt ge
sagt, daß ich Euch gefalle und wir von derselben Art wären, Ihr und ich, trotz unseres scheinbar verschie denen Äußeren.« »Das stimmt auch.« Er hielt in dem neuen Spiel in ne. »Ich bin wahnsinnig verliebt in dich. Aber ...« »Auch ich liebe dich.« »Als Mann oder als Steak? Au!« Sie hatte ihm einen kräftigen Rippenstoß versetzt. »Als Mann, du Narr«, sagte sie. »Wenigstens als angeblichen Mann, denn der definitive Beweis steht noch aus.« »Nun, das läßt sich hören. Mach keine Witze über meine selbstauferlegte Zurückhaltung, oder ich bin imstande ...« »Halt – vielleicht gibt es einen Ausweg. Kennst du die Bestrebungen der Reformpartei, die die Exekution in eine symbolische Handlung verwandeln will? Nun, da ich ein wenig von der Welt gesehen und die respektlosen Reden von dir und anderen gehört habe, bin ich nicht mehr so sicher wie früher, daß die göttli che Mutter tatsächlich dieses Opfer verlangt.« »Du willst das Programm der Reformisten anneh men, sobald du an die Macht gelangst?« »Warum nicht? Dann hättest du kein trauriges Schicksal zu befürchten.« »Nein«, sagte Barnevelt mit Bestimmtheit. »Hör zu,
mein Schatz. Erstens wird deine Mutter, wie du selbst gesagt hast, auch nach ihrer Abdankung die Zügel nicht aus der Hand geben. Ich kann mir nicht vorstel len, daß sie gutheißen wird, wenn alte Sitten so lax gehandhabt werden.« »Aber ...« Er hielt ihr den Mund mit der Hand zu. »Zweitens möchte ich ein Mädchen, das ich liebe, für immer haben und nicht nur leihweise auf ein Jahr. Der Gedanke, zu zusehen, wie eine Parade von Nachfolgern – au! Kleine Teufelin, schnappst du dir schon einen Bissen als Kost probe, um zu probieren, wie ich schmecke?« »Nein, du Sehnen- und Knochenhaufen! Ich habe doch nur leise daran erinnern wollen, daß ich, um zu leben, atmen muß und es mit deiner Hand auf mei nem Antlitz nicht tun kann. Und was deine Theorien über Liebe und Leben angeht, so sind das außerge wöhnliche Ansichten für einen rastlosen Abenteurer. Wie ich gehört habe, ziehen die meisten eine kurze heiße Liebe samt schnellem Abschied vor.« »Ich bin eben anders. Drittens habe ich die Absicht, der Boss zu sein und nicht bloß einer eurer Haus männer. Und damit wäre euer gesamtes Ehesystem über den Haufen geworfen.« »Wenn bei den barbarischen Völkern die Frauen Hausfrauen sind, warum können dann bei uns die Männer nicht Hausmänner sein?«
»Aus keinem vernünftigen Grund, mein Schatz. Wenn sie sich damit abfinden, dann ist das ihre Sa che. Ich aber will es nicht. Auch möchte ich nicht mit dieser Janru-Droge gedopt werden.« »Ich schwöre bei den sechs Brüsten der Varzai, sie nie bei dir anzuwenden.« »Wie könnte ich dessen sicher sein? Nein, meine Liebe, ich fürchte ...« Barnevelt seufzte unglücklich, denn er sah jetzt, wohin es ihn gebracht hatte, daß er Zei seine Zunei gung offenbart hatte. Der wahre Grund für seine star re Ablehnung war die Tatsache, daß sie verschiede ner Art waren. Da Tangaloa als Geisel festsaß, Shtain nicht gerettet und der Vertrag mit der Cosmic nicht erfüllt war, wagte er noch nicht, seine irdische Ab stammung einzugestehen, da er die engstirnigen Vorurteile vieler Krishni kannte. Und doch – Zeis Nähe erfüllte ihn mit Sehnsucht. »Was dann?« fragte sie mit gefährlichem Augenfunkeln. »Bis zu welchem Ausmaß muß sich ein Mädchen meiner stolzen Herkunft vor dir erniedri gen?« »Du mußt mir Zeit zum Überlegen lassen«, bremste er sie. »Du aalglatter doppelzüngiger Kerl!« Sie sprang auf und versetzte ihm einen Tritt gegen den Schenkel. »Wie dumm ich war, mich von dir prellen zu lassen!
Hier, mein Herr, trennen sich unsere Wege! Ich ma che mich allein auf den Weg nach Ghulinde.« Und sie schritt kräftig auf der Straße fürbaß in Richtung Norden. Barnevelt sah mit gemischten Gefühlen, wie sie sich immer mehr entfernte. Einerseits hätte er froh sein müssen, daß sie dieses gefährliche und unnütze Spiel abgebrochen hatte. Andererseits aber war er entsetzt zu hören, daß sein weicheres Ich rief: »Komm zurück, mein Schatz! Wir wollen nicht mehr streiten. Wie willst du es denn ohne Geld schaffen?« Sie lief weiter. In wenigen Augenblicken würde sie um die nächste Biegung und außer Sicht sein. In letzter Minute hielt er die hohlen Hände vor den Mund und ahmte das Knurren eines jagenden Yeki nach. In Wahrheit hatte er nicht gehofft, daß es klap pen würde und war um so mehr erstaunt, als Zei mit einem Schreckensschrei einen Luftsprung tat, zu ihm zurückstürmte und sich in seine Arme warf. »Aber, aber«, sagte er. »Du brauchst doch keine Angst zu haben, wenn ich in der Nähe bin. Setzen wir uns wieder.« »Was unsere zukünftige Verbindung betrifft, mein Geliebter ...«, setzte sie an. Barnevelt legte ihr einen Finger auf die Lippen und sagte: »Ich habe gesagt, ich brauche Zeit zum Überle gen, und das habe ich ernst gemeint.«
»Ich bestehe darauf ...« »Schätzchen, du mußt dich im Umgang mit Män nern, die nicht aus Qirib stammen, daran gewöhnen, daß keiner sich damit abfinden wird, wenn du auf etwas beharrst. Ich habe den Entschluß gefaßt, daß wir dieses Thema eine Zeitlang nicht berühren.« »Oh!« sagte sie ganz leise. »Außerdem ist jetzt nicht der Zeitpunkt für le benswichtige Entscheidungen, da wir praktisch halb verhungert sind.« »Wieder das Essen!« rief sie aus. Sie hatte ihren Humor wiedergefunden. »Habe ich nicht gesagt, daß alle aus Nyamadze Vielfraße sind? Und jetzt wieder zu unserem Spiel ...« Verhungert oder nicht, dachte Barnevelt, um der al ten Sitten Qiribs willen war es ihm nur recht, daß ei nige Minuten später ein von einem Shaihan gezoge ner Wagen, der nach Norden fuhr, die Straße ent langknirschte. Sofort sprangen er und Zei auf und reckten die Daumen. Der Kutscher spuckte aus und zügelte sein Tier. »Steigt ein, Herrschaften«, sagte er. »Es ist schon lange her, seitdem die Mejrou Qurardena mein arm seliges langsames Gefährt mit einem Auftrag beehrt hat, doch Eure Uniform ist mir Garantie genug.« Fast hatte Barnevelt vergessen, daß er noch immer das Gewand des Expreßboten trug. Zweifellos würde
der Eigner des Wagens der Gesellschaft die Rechnung präsentieren, worauf sich lautes Geschrei erheben würde; doch das war momentan die geringste Sorge Dirk Barnevelts.
8
Die Postkutsche, in die sie in Alvid umgestiegen wa ren, hielt an der Grenze zwischen Suruskand im Sü den und Qirib im Norden. Auf der Seite Qiribs stand der übliche Amazonenposten. Es gab die übliche Durchsuchung und die übliche Warnung, daß man Barnevelts Degen gemäß den Gesetzen Qiribs plom bieren müsse. »Und jetzt«, sagte der weibliche Zollbeamte, wäh rend ein Posten den Plombierdraht holte, »Eure Na men!« Barnevelt hatte die Frage der Identifizierung bis jetzt nicht bedacht. Deswegen gab er einfach zurück: »Ich bin Snyol von Pleshch und diese junge Dame ist Zei bab-Alvandi ...« »Was?« rief die Inspektorin, wobei ihre Stimme ei ne Oktave höher sprang. »Sie ist es wirklich! Euer Hoheit!« Die Inspektorin kniete nieder. »Wir haben Befehl, nach Euch Ausschau zu halten.« Barnevelt wollte schon sagen: »Nur kein Aufsehen ...« »Mädchen, hört her! Die Prinzessin ist gerettet! Entzündet ein Feuer im Rauchbehälter und signali siert eine Botschaft in die Hauptstadt. Aber Euer Hochwohlgeboren können die Reise nicht in einer
gewöhnlichen ekelhaften Kutsche fortsetzen! Unser Reisewagen steht zu Eurer Verfügung, ich selbst werde Euch eskortieren. Steigt aus, ich bitte Euch! Gepäck? Keines? Was müßt Ihr ausgestanden haben! Mädchen, macht die Kutsche bereit. Sattelt, sagen wir – fünf Ayas. Vaznui, du befehligst hier bis zu meiner Rückkehr. Jag die zweite Wache von ihren Lotterbet ten hoch. Sie sollen Paradeuniform anlegen, dazu Stiefel und Lanzen für den Eskortendienst ...« Eine halbe Stunde später saß Barnevelt auf der Fahrt nach Shaf auf dem Rücksitz des amtlichen Rei sewagens. Das Verdeck war geschlossen. Zei saß ne ben ihm, und die Zollinspektorin saß ihnen so knapp gegenüber, daß sich ihre Knie berührten. Das Gefährt war schwarzlackiert und trug das königliche Wappen in Gold auf den Türen. Ein gewöhnliches männliches Wesen lenkte die zwei übergroßen Ayas, während die fünf Zollposten, prächtig in Purpur und vergolde tem Blech vor und hinter ihnen dahergaloppierten. Sobald sie sich einer Ansiedlung näherten, stieß die eine von ihnen in ihre kleine Silbertrompete, um die Straße freizumachen. Obwohl es jetzt schneller und weniger übelrie chend weiterging als in dem öffentlichen Verkehrs mittel, das sie eben verlassen hatten, war Barnevelt über den Wechsel nicht uneingeschränkt erfreut, denn nun war es mit der Vertraulichkeit zwischen
ihm und Zei vorbei. Außerdem klapperte die Ausrü stung der Eskorte so laut, daß man schreien mußte, um sich verständlich zu machen. Überdies mußte man auf den trockenen Wegstrecken den von den Hufen aufgewirbelten Staub einatmen. Und schließ lich und endlich konnte Barnevelt dem Geschnatter des Inspektors, einer sehr überspannten Dame, nicht entgehen. Sie schwatzte von der Trauer, die beim Verschwinden Zeis über das Reich gekommen wäre, und die grenzenlose Freude, die nun herrschen wür de ... In Shaf jedoch mußte Barnevelt bemerken, daß die meisten Menschen sich nicht von ihren Geschäften abhalten ließen, als wären diese weitaus interessanter, als die Nähe königlichen Geblütes. Durch häufigen Wechsel der Zugtiere konnten sie ihr Tempo beibehalten, außer am Nachmittag, als ein Regen sie ein wenig aufhielt. Am zweiten Tag nach ihrem Grenzübertritt hatten sie die Straße erreicht, die sich an der Nordküste der Halbinsel Qirib entlang wand, dieselbe Straße, auf der Mittelsmänner der Morya Sunqaruma Barnevelt und Tangalao auf ihrem ersten Versuch, nach Ghulinde zu kommen, einen Hinterhalt gelegt hatten. Diesmal jedoch kam es zu keinem Zwischenfall. Zu ihrer Linken brandeten die smaragdenen Fluten der Bajjai-Bucht; zur Rechten er hoben sich die schroffen Gipfel des Zogha-Gebirges.
Roqir ging in ihrem Rücken unter, als sie der Hauptstadt Qirib ansichtig wurden. Barnevelt hatte Ghulinde von diesem Blickwinkel aus noch nicht ge sehen. Von hier aus nämlich sah man das gewaltige Standbild des Gottes Qunjar im Profil. Er kniete über der vieltürmigen Stadt und hielt sie auf dem Schoß wie ein überfütterter Buddha einen Geburtstagsku chen. Links davon und tiefer lag der Hafen von Damo vang. Beim Näherkommen sah Barnevelt, daß es im Ha fen von Schiffen wimmelte. Dazu kam, daß die mei sten Schiffe Galeeren waren. Es war eine viel größere Flotte als die bescheidene Flotte, die Qirib seines Wis sens besaß. »Was soll das?« fragte er die Zollinspektorin. »Ja, wißt Ihr denn nicht? Natürlich, woher auch. Es sind die vereinigten Flotten der Mächte der SadabaoSee, die unsere ruhmreiche Monarchin zu einer festen Allianz verschmelzen will. Diese soll sodann jene Schurken vernichten, die uns so schweren Schimpf angetan. Sie wartet nur ab, bis die Gewißheit über das Schicksal unserer gnädigen Prinzessin hat, ehe sie ih ren Kriegsapparat in Bewegung setzt. Da hinten lie gen die Kriegsschiffe von Majbur, von Zamba, von Darya und der anderen Mächte der westlichen Sada bao. Niemals, seit Dezful der Goldene in Ulvana
übermütig und zügellos herrschte, hat die See unter so viel Kriegsschiffen gestöhnt.« »Was für ein Schiff ist das?« fragte Barnevelt und wies mit ausgestrecktem Arm hin. »Die Galeere mit dem Dach.« Das fragliche Schiff sah in der Tat wie eine riesige, mit einem Flachdach gedeckte Galeere aus. Die Inspektorin kicherte und sagte: »Das ist eines der Schiffe von Fürst Ferrian von Sotaspe, der die Welt immer mit Neuerungen blendet. Einer seiner Untertanen hat einen neuartigen Gleitflieger konstru iert, der mittels pyrotechnischer Maschinerien ange trieben wird. Die Galeere trägt zwanzig solcher Glei ter auf dem Dach. Man sagt, er hoffe damit, die Pira ten in ihrem Sumpfversteck zu überfallen, indem er sie überfliegt und mit Geschossen bombardiert.« Barnevelt fielen Bilder irdischer Schiffstypen ein, nämlich der Flugzeugträger, die die Seekriegsfüh rung im zwanzigsten Jahrhundert zwischen dem Niedergang der kanonenbestückten Panzerdampf schiffe und dem Aufstieg der atomkraftgetriebenen mit ferngelenkten Raketen ausgerüsteten Schiffen maßgeblich beeinflußt hatten. Eine Flugzeugträgerga leere jedoch war eine Kombination, bei der einem die Phantasie stockte. »Doch halt«, sagte die Inspektorin. »Wir müssen Vorkehrungen für Eure Ankunft treffen.«
Sie rief die eine der Begleitpersonen zu sich und gab ihr Anweisungen, zum Palast zu galoppieren, während die Kutsche langsamer fuhr, um der Köni gin Zeit für Vorbereitungen zu geben. Als daher die Kutsche vor dem Palast vorfuhr, wa ren sämtliche Elemente eines königlichen Empfanges gegeben; Amazonen, die Lanzen präsentierten; Trompeter, die Fanfarenstöße produzierten; dazu die königliche Familie von Qirib und deren Nachbarn in schimmernder Anordnung auf der Treppe. Als Barnevelt an seiner Vogelscheuchengewandung hinuntersah, erwachte seine alte Schüchternheit und ließ, dessen war er sicher, seine Knie sichtbar zittern. Vor den goldglitzernden Hoheiten auf der Treppe würde er kaum eine gute Figur machen. Lächelnd dachte er sich, daß es so vielleicht ganz gut wäre. In seiner wettergegerbten Expreßbotenuniform und dem verbeulten und geschwärzten Silberhelm konnte ihn wenigstens niemand übersehen. Er riß sich zu sammen, half Zei beim Aussteigen und führte sie die Treppe hinauf. Trara! ertönten die Trompeten. Fast hätte Barnevelt sich verstohlen umgesehen, ob nicht eine Filmkamera hinter ihm lauerte, so filmgerecht war die Szene. Da fiel ihm die Kamera an seinem Finger ein. Er drückte den Auslöser, während er auf die Königin zuschritt.
Einige Schritte von Königin Alvandi entfernt stand George Tangaloa in der ersten Reihe und blinzelte ihm zu. Dabei machte er mit der Faust eine Bewe gung, aus der Barnevelt ersah, daß er ebenfalls am Filmen war. Barnevelt kniete vor der Königin, während letztere ihre Tochter umarmte. Beim Klang von Alvandis Stentorstimme erhob er sich. »... da unser Staat auf Grund seiner göttlich gege benen Einrichtungen nicht den Rang der Ritterschaft kennt, kann ich ihn Euch nicht als Zeichen der Gunst und Hochschätzung verleihen, die ich für Euch hege, General Snyol. Jedoch verleihe ich Euch hiermit die Ehrenbürgerschaft der Monarchie Qirib samt allen Rechten, nicht bloß der männlichen, sondern auch der weiblichen – zusammen mit einer Zuwendung aus unserem Schatz in der Höhe von fünfzigtausend Karda. Und jetzt gestattet mir, Euch die hier versammelten Herren und Fürsten vorzustellen. Ferrian badArjanaq, Prinzregent von Sotaspe. König Rostamb von Ulvanagh. Präsident Kangavir von Suruskand, Sofkar bad-Herg, Dasht von Darya. Großmeister Ju vain vom Orden der Ritter des Qarar von Mikardand. König Penjird der Zweite von Zamba ...« Nachdem er die Gutschrift in die Tasche gesteckt hatte, versuchte Barnevelt sich die lange Reihe der
Namen und Gesichter einzuprägen. Der erste Krishni, dessen Daumen er ergriff, der berühmte Fürst Ferri an, entpuppte sich als jungwirkender Kerl von mittle rer Größe, schlank, dunkel, mit eindringlichem Blick. Er trug einen Küraß aus schuppenartig angeordneten Platten aus schwarz oxydiertem Stahl, mit Gold da masziert. Als nächster kam Rostamb von Ulvanagh, groß, kräftig. Er trug die wildwuchernde Karikatur eines Bartes und sah Barnevelt mit finsterer Eindring lichkeit an. Nach ihm allerdings verschwammen die fremden Namen und Gesichter in seiner Erinnerung zu einem großen Gewirr. Die Königin ergriff abermals das Wort: »Wo ist Zakkomir, Meister Snyol?« »Ich weiß es nicht, Euer Hoheit, doch fürchte ich das Schlimmste. Wir wurden getrennt, während man uns im Sunqar verfolgte.« »Welch beklagenswerter Verlust! Trotzdem wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Gehen wir hinein, damit Ihr Eure Kleidung wechseln könnt, ehe das Bankett beginnt.« Bankett? Barnevelt befürchtete langatmige Reden. Nach seinem knappen Entrinnen vor dem Tode wür den ihm hohle Floskeln als Form höchster Langeweile vorkommen. Sie betraten den Palast und bekamen Becher mit gewürztem Kvad in die Hand gedrückt. Barnevelt
wurde der Daumen von seinen Bewunderern fast ausgerissen. An Zei, die noch immer in ihrer Seefah rergewandung steckte, kam er nicht heran. Sie war von der Jeunesse d'orée des Landes in Viererreihen umringt. Der Präsident von Suruskand, ein untersetzter kleiner Kerl mit Hornbrille und einer zinnoberroten Toga, setzte Barnevelt in Erstaunen, indem er einen kleinen Notizblock und Schreibzeug aus den Falten seines Gewandes zog und sagte: »General Snyol, seit meiner Ernennung hat mein Ältester mich bearbeitet, meine Stellung auszunützen und ihm Autogramme der Großen dieser Welt zu bringen. Wenn Ihr daher so gut sein wollt und Eure Unterschrift hier ...« Mühsam kritzelte Barnevelt eine Reihe von ver schnörkelten Lettern in Gozashtandou auf das ihm vorgehaltene Blatt. Präsident Kangavir besah sich das Resultat. »Ob wohl ich zögere, Euch weiter zu behelligen – würdet Ihr so großzügig sein und Eure Unterschrift in Eurer Muttersprache hinzufügen?« Barnevelt schluckte, denn er konnte kein Nyami schreiben. Nachdem er einige lange Sekunden vor sich hingestarrt hatte, kritzelte er »Snyol von Pleshch« in gewöhnlicher englischer Langschrift. Glücklicherweise schien der kleine Präsident nichts übelzunehmen.
»Verzeiht mir, Euer Gnaden«, sagte Barnevelt und riß sich los. Da Zei verschwunden war, ging er hin über zu Tangaloa, der ruhig sein Getränk schlürfte und abwartete. Der große braune Mann war so behäbig und gutge launt wie immer. Während er Barnevelts Hand fast zerdrückte, sagte der Xenologe: »Meine Güte, du siehst aber aus!« »Du würdest genauso aussehen, wenn du bei uns gewesen wärst. Wann hat sie dich denn aus dem Knast gelassen?« »Sobald sie durch den Rauchtelegrafen erfahren hat, daß du und ihr Gör in Sicherheit seid.« »Wie geht es deinem Arm?« »So gut wie neu. Aber du bist derjenige, der etwas zu erzählen hat. Schieß los.« Barnevelt gab eine Zusammenfassung seiner Aben teuer. »... daher können wir es als erwiesen annehmen, daß dieser Osirier-Sheafase das Haupt der Freibeuter ist. Außerdem hat er Igor unter Pseudohypnose gestellt, so daß der Stolz Moskaus nicht mehr weiß, wer er ist. Un seren Silberhelmen ist es zu verdanken, daß Zakkomir und ich nicht dasselbe Schicksal erlitten haben.« Tangaloa gluckste. »Das erschwert unsere Bemü hungen, ihn zu retten, aber ich wage zu behaupten, daß es uns doch glücken wird. Weiter.«
Als Barnevelt davon berichtete, wie er auf Fossan deren einen Brand gelegt hatte, erstaunte es ihn zu sehen, daß Tangaloas gutgelauntes Gesicht höchste Mißbilligung ausdrückte. »Was ist denn?« fragte Barnevelt. »Das war sehr unbedacht! Denk doch an das gute Bauholz, das du vernichtet hast! Auf der Erde müssen wir jedes Stückchen behüten. Und was ist mit den ge schwänzten Menschen passiert?« »Woher soll ich das wissen? Vielleicht sind sie ge röstet worden. Vielleicht sind sie auf der anderen Sei te ans Festland geschwommen. Was soll das?« »Es handelt sich dabei um eine Kulturgemein schaft, die noch nie untersucht wurde. Es klingt so, als wäre es dieselbe Gattung wie die in Koloft und Za, doch die Kultur könnte anders sein. Diese Grup pen sind Reste der geschwänzten Gattung, die übrig blieben, als die schwanzlosen Krishni vor tausenden Jahren das Land überrannten. Vielleicht haben unsere Gastgeber hier den Kannibalismus von den ge schwänzten Ureinwohnern, die sie verdrängten, übernommen. Ach, da gibt es eine Vielzahl von Mög lichkeiten – es gab sie vielmehr, ehe du die Beweise verbrannt hast. Wie hast du das bloß tun können, Dirk?« »Hab dich nicht so!« rief Barnevelt. »Was hast du denn erwartet? Hätte ich zulassen sollen, daß diese
blutrünstigen Wilden mich auffressen, damit du dann später mit deinem Notizbuch daherkommen und sie studieren kannst?« »Nein, aber ...« »Es hieß wir oder sie. Und was die Bäume betrifft, so hat Krishna nur einen kleinen Bruchteil der Erdbe völkerung und drei bis viermal so viel Land. Deshalb brauchen wir uns wegen der natürlichen Rohstoffe keine Sorgen machen. Geschwänzte Menschen, pah!« »Du begreifst die Urmenschen nicht!« sagte Tanga loa in seinem besten Vortragston. »Gewöhnlich ist ih re Wildheit, wie die Menschen es zu bezeichnen pfle gen, nur eine Schutzreaktion gegen die Behandlung, die sie von den sogenannten Zivilisierten erfahren haben. So war es vor vierhundert Jahren bei meinem eigenen Volk im Pazifik. Eine Schiffsladung Europäer kam an Land, raubte, mordete und entführte, und die nächste Schiffsbesatzung wunderte sich, daß sie, so bald sie an Land kam, aufgespießt und gefressen wurde. Wahrscheinlich wurden die Fossanderaner von Sklavenjägern überfallen ...« »Na und? Was hätte ich sonst tun sollen?« »Du hättest ihnen sagen können ...« »Ich spreche ihre Sprache nicht und selbst wenn, dann hätten sie mir zuerst eins über die Birne gege ben und dann erst Fragen gestellt. Dasselbe haben sie mit dem armen alten Chask gemacht.«
»Wenn ich aber an die wissenschaftlichen Daten denke, die vernichtet ...« »Wenn von den Wilden etwas übriggeblieben ist, kannst du nach Beendigung unserer Aufgabe nach Fossanderan gehen und in höchst aufgeklärtem an thropologischem Stil interviewen, während sie dich in ihrem Kessel sieden.« »Ein sehr verbreiteter Aberglaube. Wenn ein Stamm einmal genügend fortgeschritten ist, um Kes sel zu fertigen, dann huldigt er nicht mehr dem Kan nibalismus. Was ist als nächstes geschehen?« Barnevelt berichtete von ihren Abenteuern im Wald von Rakh. »Gerettet wurden wir dadurch, daß wir auf ein Gelege von Eiern stießen. Vier große Eier. Keine Ahnung, welches der dort heimischen Biester sie gelegt hat. Na, jedenfalls war Mami nicht im Nest. Wir haben uns die Eier geschnappt und sie uns schmecken lassen.« »Wie habt ihr sie gekocht?« »Sie neben dem Feuer auf den Boden gelegt und al le paar Sekunden gewendet. Sie waren ganz gut – of fenbar frisch gelegt. Andernfalls hätten die Yeki im dunklen Forst von Rakh unsere Knochen abgenagt.« »Ach, Unsinn, alter Freund, übertreib bloß nicht so! Zwei gesunde junge Leute wie die Prinzessin und du hätten wochenlang ohne Nahrung laufen können, ohne zusammenzubrechen. So wie wir auf dem Pla
neten Thor, als alle glaubten, wir hätten den heiligen Kuchen gestohlen, und wir uns den Weg freischießen mußten. Wir hatten nicht mal Muscheln und Beeren, ganz zu schweigen von Eiern.« Tangaloa sah an seinem Wanst herunter. »Am En de unserer Irrfahrt war ich tatsächlich schlank und rank. Ach, übrigens, wieviel hast du filmen können?« »Nicht genug. Im Sunqar selbst waren wir nur über Nacht, und nach unserer Flucht habe ich bis jetzt kei nen Gedanken an die Hayashi verschwendet. Außer dem war es im Wald ohnehin meist zu dunkel. Ich habe ein paar belichtete Rollen in der Tasche, falls nicht das Wasser in die Kapseln eingedrungen ist. Aber was unternehmen wir wegen Igor? Wir werden ihn gewaltsam herausholen müssen.« »Das wird sich ganz zwanglos von selbst ergeben«, sagte Tangaloa und grinste. »Wie meinst du das?« fragte Barnevelt unbehag lich. »Die Königin erhebt dich zum Oberkommandie renden der Expedition gegen die Piraten.« »Mich? Warum mich?« »Weil du, falls du es vergessen haben solltest, ein be rühmter General bist. Da du aus einem fernen Land stammst, glaubt sie, die verschiedenen Temperamente würden mit dir einverstanden sein, wenn sie sich schon nicht auf einen ihrer Unterführer einigen können. Pen
jird ist eifersüchtig auf Ferrian, Ferrian ist eifersüchtig auf Rostamb, und Rostamb ist auf alle eifersüchtig.« »Ich bin doch kein Admiral! Ich war nicht mal im stande, der Mannschaft eines Vierzehn-RuderSchmugglerschiffes Herr zu werden.« »Das wird man hier nie erfahren, wenn du es nicht selbst hinausposaunst. Hier hat man sich das Hirn zermartert, um sich einen Weg auszudenken, wie man durch das Rankenwerk kommen könnte, und du hast das Problem gelöst.« »Du meinst meine Skier? Vielleicht ...« Barnevelt zögerte. Einerseits würde die Expedition ihm eine gute Ausrede bieten, von Qirib wegzukom men, ehe er sich so sehr in Zei verliebte, daß seine Willenskraft ihm nicht länger helfen konnte. Außer dem mußte wegen Igor Shtain und den Cosmic Fea tures etwas unternommen werden. Andererseits jagte ihm seine alte Schüchternheit Angst ein, vor Horden von Fremden stehen und große Verantwortung tra gen zu müssen, der er sich nicht gewachsen fühlte. »Natürlich ist das alles Unsinn«, sagte Tangaloa. »Wenn Castanhoso mir den Namen gegeben hätte, den er dir gab, hätte man mich zum Admiralissimo gewählt. Da ich aber keinerlei kriegerische Ambitio nen habe, werde ich überglücklich Filme drehen, während du dich mit Problemen der Kriegsführung herumschlägst.«
Das Aufblitzen von Juwelen im Gaslicht fesselte Barnevelts Blick. Zei kam einhergeschritten, frisch ge schrubbt und zurechtgemacht, im durchsichtigen Gewand, mit schimmernder Tiara. Sie bahnte sich ih ren Weg durch eine Schar angemalter Jünglinge zu ihm und George. Barnevelt gab seiner Bewunderung durch einen Pfiff Ausdruck und zitierte: »Laß nie eine Jungfer, und sei sie noch so hold, Glauben, sie sei nicht holder in neuem Gewand als im alten.« »Was war das, edler Herr?« fragte sie, und er über setzte es ihr. Dann wandte sie sich an Tangaloa. »Be richtet er von unseren Abenteuern, Meister Tagde? Eine Erzählung kann der Wirklichkeit nicht im ent ferntesten gerecht werden, denn verglichen mit unse ren Kämpfen wären die neun Aufgaben des Qarar ein Nichts. Hat er Euch berichtet, wie wir von einem Yeki bedrängt wurden, nachdem wir das Festland erreicht hatten? Oder wie er durch Reiben von Stäben Feuer gemacht hat, als sein Feuerzeug versagte?« »Nein – hast du das wirklich?« fragte Tangaloa. »Ja. Die Handbücher für Pfadfinder haben recht. Man kann es schaffen, wenn man trockenes Holz zur Verfügung und eine Engelsgeduld hat. Aber ich emp fehle nicht ...«
»Was ist ein Abuk für Fadfina?« fragte Zei. »Ein Handbuch für Pfadfinder«, sagte Tangaloa. »Die nationale Enzyklopädie von Nymadze. Snyol, hast du Pfeil und Bogen gebastelt?« »Nein. Wahrscheinlich hätte ich es nach einem Mo nat zuwegegebracht. Dann hätte ich weitere zwei Monate damit zubringen müssen, schießen zu lernen. Wir hätten Hungers sterben müssen. Auf dieser ver dammten Halbinsel gibt es nichts Eßbares außer Bee ren, Nüssen und den Kriechtieren, die wir entlang der Küste unter Steinen gefunden haben.« Barnevelt schüttelte es bei dieser Erinnerung. »Dabei durften wir zunächst immer nur eine kleine Kostprobe neh men, um zu sehen, was giftig war.« Er warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. »Ich muß mich wa schen und umziehen. Der Vogel Zeit fliegt einen kurzen Weg Und hat sich schon erhoben in die Lüfte.«
9
Als Ehrengast hatte Barnevelt seinen Platz zur Rech ten der Königin, während Zei, die wie eine griechi sche Göttin aussah, zu ihrer Linken saß. Die übrige Gesellschaft saß in einem Halbkreis angeordnet. Ju welen schimmerten im Gaslicht. Es wurden Reden gehalten, wie Barnevelt befürch tet hatte. Ein Würdenträger nach dem anderen erhob sich und sagte – oft in einem Dialekt, den Barnevelt kaum verstehen konnte – nichts, und das mit aller ihm zu Gebote stehenden Beredtheit und Eleganz. Als Admiral Sowieso von Gozashtand sich in seine Rede stürzte, sagte die Königin zu Barnevelt in einem Flüsterton, der sicher noch in den entferntesten Win keln zu hören war. »Ich werde dem Geschwätz bald ein Ende machen, so daß wir mit der Ratssitzung beginnen können. Wißt Ihr, daß Ihr heute abend den Marschallstab er halten sollt?« Barnevelt gab ein höfliches, aber undeutliches Ge murmel von sich und sagte: »Soll ich Euch jetzt an die Hand gehen?« »Haltet bloß Euren Mund und überlaßt mir die Angelegenheit«, erwiderte die Königin anmutig. Nachdem man die Bankettgäste entlassen hatte,
versammelte sich der Rat in einem kleineren Gemach des Palastes. Ungefähr ein Dutzend Personen war anwesend: alle führenden Männer und hohen Mili tärs der Nachbarstaaten. Als erstes erklärte der Admiral von Gozashtand in einer langen blumigen Rede, warum sein Herr, König Eqrar, sich der Allianz nicht anschließen könne. Er wäre dabei, einen Vertrag mit Dur auszuhandeln, und – hm – jedermann wisse, was das bedeute. »Das bedeutet, daß Euer königlicher Knauserer lie ber Piraterie und Räubereien duldet, als einen ge schäftlichen Vorteil zu opfern«, sagte die Königin. »Könnte er nur über seine eigene Nase hinaussehen, so würde er merken, daß er durch unkontrollierte Ge setzlosigkeit zehnmal mehr verliert. Neben seiner Feigheit ist es noch die Furcht, daß Dur ihn angreift, weil er seinen gierigen Freunden die Klauen be schneidet.« »Madame«, sagte der Admiral, »ich kann nicht zu lassen, daß diese frechen Bemerkungen über meinen Herrn ungerächt ...« »Setzt Euch und haltet die Klappe oder macht Euch auf den Rückweg zu Eurem König, diesem Mem men!« schrie Alvandi. »Das hier ist eine Versamm lung von Kriegern und nicht von ohnmächtigen Feig lingen. Während wir dem Feind mit dem, was uns zu Gebote steht, unverzagt entgegentreten, sitzt er auf
seinem fetten Hintern in Hershild, und dabei hat er mehr Streitkräfte zur Verfügung als wir alle zusam mengenommen. Trotzdem zittert er, daß ein kühner Zug ihn einen halben Kard kosten könnte.« Der Admiral raffte seine Unterlagen zusammen, verbeugte sich steif und ging wortlos hinaus. Als er draußen war, sah Fürst Ferrian die Königin mit sar donischem Lächeln an. »Ihr habt es dem alten Renegaten ordentlich ge zeigt!« sagte er. »Kein Wunder, daß in Qirib die Frau en herrschen. Natürlich – hätten wir gemeinsame Grenzen mit Dur wie Eqrar von Gozashtand, dann würden wir vielleicht ein weniger kühnes Lied an stimmen. Wie dem auch sei, gehen wir ans Werk!« »Recht habt Ihr«, sagte Alvandi. »Hier zu meiner Rechten sitzt der, von dem ich Euch berichtet habe – der Held, der in das Herz des Sunqar eingedrungen ist, das Abenteuer überlebt hat und seine Heldentaten selbst erzählen kann. General Snyol, berichtet diesen Herren ganz kurz, wie Ihr meine Tochter gerettet habt.« Barnevelt lieferte einen komprimierten Bericht bis zu dem Zeitpunkt, als er die improvisierten Skier er wähnte, und fragte: »Wißt Ihr, was Skier sind?« Bis auf Ferrian sahen alle verständnislos drein. Fer rian sagte: »Ich weiß es. Letztes Jahr hatten wir einen Nyamer auf unserer Insel, der uns zeigte, wie man
Bretter zurechtschneidet, um sich mit ihnen auf wei chem Untergrund fortzubewegen. Da wir im sonni gen Sotaspe diesen merkwürdigen, Schnee genann ten, gefrorenen Regen nicht haben, haben wir einen Hügel mit feinem feuchten Klee belegt und sind dar auf heruntergerutscht. Das hat mir ein blaues Auge und einen verrenkten Knöchel eingebracht, so daß ich eine Woche lang auf Krücken gehen mußte, obwohl der Sport dieses Opfer wert war. Seid Ihr auf diese Art entkommen? Indem Ihr auf diesen Vorrichtungen über das Terpahla geglitten seid?« »Ja. Ich habe Bretter genommen und sie zurecht gemacht ...« »Ich verstehe vollkommen. Wir werden unsere ge samte Streitmacht mit Skiern ausrüsten und sie über das Rankenwerk schicken, während die dummen Sunqaruma erstaunt schauen, weil sie sich in ihrem Meeressumpf für uneinnehmbar gehalten haben. Ich werde Ausbildung und Oberbefehl über diese Trup pen übernehmen und morgen alle Schreiner in Ghu linde anweisen, Skier anzufertigen.« »Nein!« rief König Penjird. »Obwohl wir dich als einen Mann von Energie und Geist kennen, Ferrian, so sollst du doch nie meine Krieger befehligen!« »Und meine auch nicht«, sagte Rostamb von Ulva nagh. »Wer ist dieser junge Heißsporn, der die er probten und bewährten Regeln der Kriegsführung
über den Haufen werfen will? Ich habe schon Trup pen befehligt, ehe er seine Eierschalen durchbrochen hat ...« »Ruhe, meine Herren«, sagte Königin Alvandi. »Aus genau diesem Grund habe ich diesen häßlichen Kerl aus fernen phantastischen Ländern voll Kälte und Eis geholt. Sein Wert hat sich bereits erwiesen durch seine kühnen Taten und seinen kürzlichen Überfall im Alleingang ...« »Das kümmert mich nicht«, sagte Penjird von Zamba. »Und wenn er Qarar persönlich wäre, der auf den Planeten der Sterblichen herabgestiegen ist, so soll er meine Truppen nicht befehligen. Es sind meine Leute, von mir ausgehoben, ausgebildet und bezahlt. Sie würden niemandem außer mir vertrauen. Ich bin der, der ich bin!« »Ich erbitte Eure Entschuldigung, hohe Herren«, sagte der Chefsyndikus von Majbur, dessen schlichtes braunes Gewand sich von dem ihn umgebenden Prunk abhob. Ruhig fuhr er fort: »Die meisten hier leiten ihre Au torität durch Erbrecht oder Amtsgewalt auf Lebens zeit ab. Es ist daher nicht Eure Gewohnheit, sich den Interessen und Wünschen anderer anzupassen. Doch ohne führenden Kopf ist eine Expedition wie die un sere zum Scheitern verurteilt, wie man den Lehren der Kriegsführung entnehmen kann. Wenn wir daher
unseren Pfeil ins Auge des Shaihan senken wollen, müssen wir alle in bezug auf unsere Unabhängigkeit einen Kompromiß schließen, so wie wir, die wir in Staaten mit gewählter Führung leben, es gewohnt sind. Und wer wäre zur Führung besser geeignet als dieser eine: ein Mann von Kraft und Geschick aus fernen Landen, dessen Unabhängigkeit durch keine Bindungen befleckt wird?« »Sehr richtig, Ihr alten Geldsäcke!« sagte Ferrian. »Während ich lieber einen Zahn einbüße, als meine Autorität herabzumindern, so beuge ich mich doch der überwältigenden Kraft Eurer Logik. Werdet Ihr mir dabei zur Seite stehen, Penjird, mein Freund?« »Ich weiß nicht. Das ist ohne ...« »Ich nicht!« brüllte Rostamb von Ulvanagh. »Wo her wissen wir, daß Snyol von Pleshch seinen Ruhm auch wirklich verdient hat? Ruhmestaten werden beim Erzählen meist vergrößert, und wir kennen ihn nur kraft seines Ruhmes, der um den halben Globus gewandert ist. Woher wissen wir, daß er unparteiisch bleiben wird, wie unser Freund aus Majbur behaup tet? Er hat den Hof von Qirib geraume Zeit frequen tiert. Woher wollen wir wissen, welch geheime An gebote oder Bindungen ihn an die Interessen der Douri ketten?« Rostamb sah Zei bedeutungsvoll an. »Und woher wollen wir wissen, ob er der echte Snyol von Pleshch
ist? Ich hätte General Snyol für älter gehalten.« Königin Alvandi flüsterte Barnevelt hinter vorge haltener Hand zu: »Sagt dem alten Fastuk, Ihr habt Eure Papiere in Nyamadze zurückgelassen. Fordert ihn wegen Ehrenbeleidigung!« »Was? Aber ich ...« »Tut, was ich befehle! Fordert ihn!« Barnevelt war nicht allzu glücklich, als er merkte, daß derjenige, der den Tiger reitet, nicht absitzen kann. Er erhob sich und sagte: »Die Mittel, mich zu identifizieren, mußte ich in meiner Heimat zurücklas sen, als ich floh. Wenn man mich aber wegen einer Lüge anklagen will, werde ich nur zu froh sein, die Frage privat zu regeln, wie es unter Herren üblich ist.« Mit diesen Worten hieb er mit dem Degen auf den Konferenztisch und ließ die Aschenbecher tanzen. Rostamb griff brummend nach seinem Schwert. »Wachen!« kreischte die Königin. Sofort stürzten Amazonen in den Raum. »Entwaffnet die zwei. Kennt Ihr zwei trunkenen Widerspenstigen nicht das Ge setz? Nur aus Achtung vor Eurem Rang haben wir Euch bewaffnet in unsere Umgebung gelassen. Sollte es weiterhin zu ungehörigen männlichen Zwisten kommen, so wird als Ergebnis die Stadtmauer mit Köpfen geschmückt werden, auch wenn es königliche sein sollten. Setzt Euch. Mein Herr Ferrian, mir
scheint, Ihr seid hier der kühlste Kopf. Fahrt fort in Eurer Beweisführung ...« Stundenlang bewegten sie sich so im Kreise. Zuerst waren nur die Königin, Fürst Ferrian und der Chef syndikus für Barnevelt. Dann gewannen sie den Prä sidenten von Suruskand, sodann Penjird von Zamba und allmählich auch die anderen, bis nur mehr Ro stamb von Ulvanagh übrigblieb. Verächtlich sagte Rostamb: »Ihr seid alle behext von dem Duftwasser, das die Weiber von Qirib be nutzen, um ihre elenden Männer zu knechten. Als ich hierherkam, dachte ich, es würde ein faires und offe nes Unternehmen zwischen Kameraden und Gleich gestellten. Statt dessen finde ich einen schändlichen Schwindel vor, mittels dessen Alvandi sich erhofft, nicht nur den Sunqar in die Gewalt zu bekommen, wie sie ja offen zugibt, sondern Euch alle, um Euren unglücklichen Ländern ihre eigenen frevelhaften Träume von der Weiberherrschaft aufzuzwingen. Zum Hishkak mit ihr! Ehe ich dazu meine Einwilli gung gebe, sehe ich lieber die blutige Fahne der Sun qaruma über dem goldenen Ulvanagh flattern. Ihr werdet sehen, daß ich recht habe, meine Herren. In zwischen wünsche ich allseits gute Nacht.« Damit ging er hinaus, das borstige Kinn hoch in die Luft gereckt. Sein eindrucksvoller Abgang wurde durch die Tatsache beeinträchtigt, daß er, da er nicht
achtgab, wohin er trat, über eine Falte im Teppich stolperte und aufs Gesicht fiel. Als Ergebnis der Verzögerungen, die jede großange legte Operation heimsucht, verging mehr als eine Zehnnacht, ehe die Skier hergestellt, die Männer in ihrem Gebrauch unterwiesen, die organisatorischen Runzeln geglättet waren und die Expedition gegen die Morya Sunqaruma aufbrechen konnte. Barnevelt, der die Belohnung der Königin beim Bankhaus Ta'lun & Fosq hinterlegt hatte, machte sich Sorgen, da die Zeit der Wirbelstürme in der Banjao-See nahte. Er sah jedoch, daß er wenig tun konnte, um zu helfen oder hinderlich zu sein. Die ihm unterstehenden Kom mandanten erfüllten rücksichtslos ihre Aufgaben. Er war nur eine Gallionsfigur, eine sehr nötige zwar, um die anderen daran zu hindern, einander herumzukommandieren und miteinander zu streiten. Sogar die Aufgabe der Streitschlichtung konnte ein anderer besser erledigen. Er übertrug sie George Tangaloa, den er zu seinem Adjudanten machte. Denn George mit seiner sprachlichen Gewandtheit und der nicht zu erschütternden guten Laune erwies sich als idealer Balsam auf verwundete Gefühle und als Vereiniger widerstreitender Meinungen. Eines Tages sagte Tangaloa: »Dirk, ich glaube zwar, daß wir die Sunqaruma erledigen können. Aber, wie
zum Henker, werden wir unsere Truppen davon ab halten, mit Igor Shtain so zu verfahren wie mit den übrigen?« Barnevelt überlegte: »Ich glaube, ich weiß eine Lö sung. Wir werden die Piraten überlisten. Hast du noch die Fotografie Igors, die ich dir gab, als ich mich auf die Suche nach Zei machte?« »Ja.« Sodann ging Barnevelt zur Königin und sagte: »Eu er Hoheit, in Jazmurian lebt ein alter Fotograf ...« »Den kenn ich. Die Künstlergilde hat ihn vor Ge richt gebracht, weil er angeblich zwei Gauner enga giert hat, die die Maler in den Straßen angreifen soll ten, um ihre Konkurrenz auszuschalten. Doch als der Fall aufflog, stellte sich heraus, daß die Desperados nur zwei Reisende namens Snyol von Pleshch und Tagde von Vyutr waren – Namen mit vertrautem Klang – die sich den unverschämten Forderungen der Künstlergilde widersetzt haben. Der Richter hat da her den Fall mit einer Warnung an diese Farbenkleck ser abgeschlossen. Was ist mit dem Fotografen?« »Er ist ein Spion der Sunqaruma, und ich möchte, daß Ihr ihn festnehmen laßt ...« »Festnehmen, fürwahr! Ich werde den Lump sie den lassen, bis sich das Fleisch von den Knochen löst! Soll das seine Dankbarkeit für unsere Gerechtigkeit sein? Ich werde seinen Kopf mit einer Goldschmied
säge abschneiden lassen, eine Haaresbreite bei jedem Zug ... Ich werde ...« »Bitte, Königin! Ich habe etwas anderes mit ihm vor.« »Und?« »Im Sunqar lebt ein Erdenmensch, den ich aus be sonderen Gründen lebend brauche ...« »Warum?« »Ach, er hat mir einmal übel mitgespielt, und ich möchte ihn mir schrittweise vorknöpfen – jahrelang. Daher möchte ich nicht, daß einer unserer Soldaten ihm einen schnellen Tod bereitet. Ich möchte, daß der alte Fotograf seinen Kopf behält und straffrei ausgeht als Gegenleistung für eine Arbeit: er soll ein Bild die ses Erdenmenschen reproduzieren. Er soll jegliche Hilfe und alles Material bekommen, das er braucht, bis er vor unserem Auslaufen dreitausend Abzüge liefert. Ich will sie unter den Angriffstruppen vertei len und die Parole ausgeben: Wer mir diesen Erden menschen lebend bringt, bekommt fünftausend Karda; bei dessen Tod aber nichts.« »Ihr habt seltsame Ideen, Meister Snyol, aber es soll geschehen, wie Ihr es wünscht.« Am festgesetzten Tag führte Barnevelt die ihn Verab schiedenden an Deck der Junsar aus Majbur, die er zum Flaggschiff bestimmt hatte. (Die Königin war
über seine Wahl erstaunt und enttäuscht gewesen, weil sie erwartet hatte, er würde die ihr gehörende Douri Dejanai wählen. Er jedoch bestand auf seiner Wahl, um den Anschein der Parteinahme zu vermei den. Außerdem war die Junsar größer.) Alle kamen an Bord und tranken und schwatzten wie bei einer harmlosen Segelpartie. Barnevelt wünschte sich einen intimen Abschied von Zei, mit der er seit ihrer Rückkehr nach Ghulinde kaum ein privates Wort gewechselt hatte. Eine ganze Weile waren sowohl er als auch sie in politische Ge spräche mit anderen verwickelt. Zuletzt packte er den Shaihan an den Hörnern, entschuldigte sich und sag te: »Wollt Ihr einen Augenblick hereinkommen, Prin zessin?« Er führte sie in seine eigene Kabine und bückte sich, um nicht mit dem Kopf an den Deckenbalken anzustoßen. »Leb wohl, Liebling«, sagte er und nahm sie in die Arme. Als er sie losließ, sagte sie: »Du mußt wiederkeh ren, mein teuerster Geliebter. Sonst fehlt meinem Le ben die Würze. Sicher können wir zu einer Vereinba rung gelangen, die unsere Vorstellungen auf einen Nenner bringt. Warum sollte ich dich nicht zu mei nem Geliebten auf Dauer machen, wenn ich erst Kö nigin bin, zu einem Geliebten, der für immer Herr
meiner Gefühle ist, während meine Gatten kommen und gehen?« »Das wird nicht gehen. Sag es nicht weiter, aber ich bin ein höchst moralischer Mensch.« »Sollte diese Vereinbarung dir nicht zusagen, so ist die brennende Leidenschaft in meiner Leber so groß, daß ich meine königliche Stellung aufgebe und mit dir um die Welt fahre oder mich in die gräßlichen Tiefen des Raumes stürze, aus dem die exotischen Terraner kommen. Denn es ist immer meine geheime Hoffnung gewesen, von einem Mann voll Macht und Mut, so wie du einer bist, bezwungen zu werden.« »Ach, laß doch, so toll bin ich gar nicht ...« »Dir kommt keiner gleich! In der Tat, lebte Qarar und wäre er kein Produkt dichterischer Phantasie, er wäre kein kühner Held. Doch sag das Wort ...« »Na, na, hör zu weinen auf. Das regeln wir, sobald wir uns wiedersehen.« Dabei unterließ er es, zu er wähnen, daß dieses nächste Mal nie kommen würde, wenn seine Pläne klappen sollten. Ihr Lob war ihm peinlich, denn ihn verfolgte ein gewisses Schuldgefühl. Viel Unglück, der Tod Chasks miteingeschlossen, wäre vermeidbar gewesen, hätte er die Besatzung der Shambor geschickter behandelt. Obwohl er Zei liebte (verdammt noch mal!) hielt er seine Pläne doch für die bessere Lösung. Er hoffte, wenn Shtain erst gerettet und der Film gedreht wäre,
stillschweigend vom Planeten Krishna zu verschwin den und zur Erde zurückzukehren. Er küßte sie mit einer Glut, die einem großen Büh nenhelden alle Ehre gemacht hätte, trocknete ihre Tränen und führte sie zurück an Deck. Die Gesell schaft begann sich aufzulösen. Diejenigen, die wie Fürst Ferrian mitsegelten, gingen an Bord ihrer eige nen Schiffe, die anderen, die – wie König Penjird von Zamba – nicht mithielten, gingen an Land. Mit flat ternden Wimpeln, schmetternder Musik, zischendem Feuerwerk und Tausenden, die von den Docks von Damovang aus winkten, mit polternden Rudern, zu Häupten einen von Ferrians Raketengleitern, so stach die vereinigte Armada in die smaragdgrüne See.
10
Wieder rückten die Hügel von Fossanderan ins Blick feld. Diesmal waren sie mit verkohlten Stümpfen be deckt wie ein unrasiertes Kinn unter dem Mikroskop. Nur nach links hin, gegen das Ostende der Inseln, waren die Grün- und Brauntöne, die Lila- und Pur purschattierungen der für Krishna typischen Vegeta tionen erhalten geblieben. Barnevelt, der sich an die Vorderreling der Junsar lehnte, sagte: »George, gib Order, daß wir in die Bucht am Nordufer von Fossanderan einlaufen, um die Wasservorräte aufzufüllen. Ich möchte nicht, daß das Wasser wieder knapp wird.« »Und wenn sie wegen der Dämonen Stunk ma chen?« »Ach, Unsinn! Dann ruf ihnen ins Gedächtnis, daß ich derjenige bin, der die Dämonen mit der linken Hand erledigt hat. Natürlich müssen die Wasserholer bewacht werden.« Die Flotte gruppierte sich entlang der Nordküste der Insel und nahm Wasser an Bord, während Hun derte von Ruderern an Land gingen, um ein paar Stunden auf festem Grund ausschlafen zu können, da sie sich seit dem Verlassen von Damovang mit dem Liegen auf harten Bänken hatte begnügen müssen.
Von den Geschwänzten war nichts zu sehen, und die Mär von Barnevelts Heldentat schien den Leuten ihre Furcht vor dieser Insel genommen zu haben. Als sich die Kommandeure an Bord der Junsar zu einer Konferenz versammelten, fragte der Dasht von Darya: »Was ist, wenn diese Schurken Bedingungen stellen?« »Dann wirf die Abgesandten einfach ins Meer!« sagte Königin Alvandi. »Das steht im Widerspruch zur Praxis zivilisierter Völker ...« begann der Admiral von Majbur. »Wen kümmert das? Wer nennt diese blutrünstigen Räuber zivilisiert?« »Einen Augenblick, Gnädigste«, sagte Fürst Ferri an. »Ein anständiger moralischer Ton steht einem Un ternehmen wie unserem wohl an, um so mehr, als er uns nichts kostet. Bietet den Piraten Bedingungen, die sie ablehnen werden. Zum Beispiel – das nackte Le ben.« Und so wurde entschieden. Als man die Wasservorräte nachgefüllt und die schlafenden Ruderknechte geweckt hatte, setzte die Flotte ihre Fahrt fort. Hinter der führenden Junsar pflügte die groteske Form von Ferrians rudergetrie benem Flugzeugträger, die Kumanisht, das Wasser. Das Katapult am Bug krachte, als ein Raketengleiter auf einem Übungsflug in die Lüfte ging, über der
Flotte kreiste und vom Heck her auf das Flugdeck zukam, um von der Bedienungsmannschaft einge fangen zu werden. Als sie das Ostende Fossanderans umfuhren und in den breiteren Kanal der Palindos-Straße kamen, be rührte Barnevelt Tangaloas Arm und wies an Land. Eine kleine Schar geschwänzter Menschen fischte im seichten Wasser mit Speeren. Als sie die Junsar be merkten, liefen sie augenblicklich ans Ufer und ver schwanden zwischen den Bäumen. Tangaloa sagte: »Hör mal, könnten wir nicht kurz haltmachen, damit ich sie mir ansehen kann. Ich nehme eine Wache mit ...« »Nein! Falls wir den Kampf gewinnen, können wir vielleicht auf dem Rückweg hier Station machen ... Ja?« Ein Offizier näherte sich und meldete, daß Kapitän Sowieso ein Leck hätte und um Erlaubnis bitte, kehrt zumachen. »Zeus!« sagte Barnevelt. »Das ist bereits der vierte oder fünfte. Wir haben zwar mit ausreichender Trup penstärke angefangen, doch sind viele Drückeberger darunter. Wenn das so weitergeht, wird der Feind bald die größere Flotte haben.« »Wir haben in Damovang alle Schiffe inspiziert«, sagte Tangaloa. »Sicher. Ich habe den Verdacht, daß von jenen, die
sich aus dem Kampf heraushalten wollen, Sabotage verübt wurde. Ich werde mir das Leck einmal anse hen.« Barnevelt machte seinen Inspektionsgang und riet dem Kapitän, das Leck mit Segeltuch abzudichten. Dann kehrte er auf die Junsar zurück. Als sie aus der Meerenge in die Banjao-See hinausfuhren, schickte er zwei leere Frachtschiffe los, die direkt Majbur anlau fen, Wasser- und Lebensmittelvorräte an Bord neh men und die Hauptflotte am Sunqar treffen sollten. Sodann nahm er seine vorige Stellung wieder ein – Ellbogen auf der Reling. Er starrte düster hinaus über die See. »Warum bist du so trübsinnig?« fragte Tangaloa. »So hast du nicht einmal ausgesehen, als du letztes Mal ausgelaufen bist, obwohl das Risiko damals viel größer war.« »Ach? Der Kampf ist es nicht.« »Was dann?« »Hohl, hohl alle Freuden.« »Ich glaube, du bist verliebt!« »Hm«, brummte Barnevelt zustimmend. »Na, warum muß man deswegen Trübsal blasen? Ich habe diesen Zustand immer sehr amüsant gefun den.« »Ich habe ihr für immer Lebwohl gesagt.« »Warum?«
»Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, ich würde einen guten Prinzgemahl abgeben. Und dann ...« Barnevelt hieb sich mit der Handkante auf den Nacken. »Diesen Aspekt hatte ich ganz vergessen. Das hätte sich aber doch einrichten lassen.« »Es war eingerichtet. Deswegen war ich dagegen.« »Nein, nein. Ich meine, wenn du deine Trümpfe rich tig ausspielst, so könntest du das Matriarchat stürzen und dem schrecklichen Brauch ein Ende bereiten. Das System in Qirib ist kein sehr festes und altes.« »Weil die Männer größer als die Frauen sind wie bei uns?« »Nicht ganz, obwohl das natürlich auch ein Grund ist. Hm. Ich wollte damit sagen, daß diese von Frauen beherrschte Gesellschaft nicht natürlich gewachsen ist. Es wurde vielmehr einem anderen Kulturschema als Folge verschiedener historischer Ereignisse aufge zwungen. Die Grundhaltung der Leute gleicht jener der umliegenden Krishnistaaten, in denen höchste Gleichberechtigung herrscht.« »Ich verstehe. Der kleine Riß in der Laute wird die Musik allmählich verstummen lassen.« »Genau. Soviel ich weiß, ist andererseits in Nya madze ...« »Hat sich die Grundhaltung der Menschen nicht geändert, seitdem Königin Dejanai das Matriarchat eingeführt hat?«
»Nein. Das würde noch Jahrhunderte brauchen. Die meisten Menschen bekommen ihre kulturelle Grundhaltung, ehe sie ins Schulalter kommen, und ändern sie nachher nie mehr. Das ist der Grund, war um es auf der Erde stellenweise noch immer Spuren rassischer Feindseligkeiten und Diskriminierung gibt, und das nach all der aufwendigen Good-willPropaganda und den gesetzlichen Maßnahmen der letzten Jahrhunderte. Offenbar werden Kultursche mata auf Krishna ähnlich weitergegeben. Wenn du also dieses Muster einer basilophagen Gynekratie zerbrechen willst, ehe es sich verhärtet ...« »Was?« sagte Barnevelt. »Entschuldige, Freund, ich habe vergessen, daß wir hier nicht einen Kongreß der Anthropologischen Ge sellschaft haben. Dieses Muster der männerfressen den Unterrockherrschaft hätte ich sagen sollen, kann von einem entschlossenen Mann gestürzt werden, und du hättest sämtliche Vorteile auf deiner Seite – eine zentrale Position, das Ansehen als Held ...« Barnevelt schüttelte den Kopf. »Ich bin ein stiller Mensch und mache mir nichts aus dem grellen Licht, das auf den Thron fällt und jeden Makel aufdeckt.« »Ach, Unsinn, Dirk. Du liebst die Führerrolle. Ich habe dich beobachtet.« »Jedenfalls habe ich nicht die Absicht, meinen Kopf in diese spezielle Schlinge zu stecken, solange die Kö
nigin das Parfüm Marke ›Wilde Lust‹ anwendet, um die Männer an der Kandare zu halten. Außerdem sind da noch meine Verpflichtungen der Firma gegenüber.« »Sicher; ich habe die Igor Shtain Limited ganz ver gessen. Könntest du die Kleine nicht dazu überreden, ihren Job als Prinzessin sausen zu lassen? Dann müß test du nicht Prinzgemahl spielen.« »Tatsächlich hat sie mir den Vorschlag gemacht. Sie wäre mit mir auf die Erde gegangen.« »Um Gottes willen, warum hast du sie nicht beim Wort genommen?« fragte Tangaloa. »Sie ist ein rei zendes kleines Ding. Ich hätte selbst nichts dagegen, mit ihr zu knutschen.« »Verdammt noch mal, sie ist Krishni.« »Na und? Trotzdem wäre eine Verbindung mög lich – oder gibt es in den Büchern Mosis ein entspre chendes Verbot?« »Das nicht. Aber wir können unsere Rassen nicht kreuzen.« »Um so besser. Da braucht man sich keine Sorgen machen ...« »Aber das ist es nicht, was ich möchte!« »Du möchtest also eine Riesenschar kleiner Dirks? Als ob einer nicht reichen würde?« »Ja«, sagte Barnevelt. »Das sentimentale Verlangen nach stellvertretender Unsterblichkeit?«
»Ganz und gar nicht. Ich ziehe eben ein solides Familienleben vor, und der armselige alte Sex kann es einem nicht verschaffen.« »Haha«, sagte Tangaloa. »Was hast du da bei Ca stanhoso dahergeredet – die strahlende Schande ihrer Liebe? Du steckst voller irrationaler Hemmungen, mein Junge. Wir Polynesier haben entdeckt ...« »Ich weiß. Euer System der progressiven Polyga mie mag ja für euch richtig sein, aber ich bin eben nicht so geschaffen. Deswegen kann ich mit einer ei erlegenden Prinzessin nichts anfangen.« »Eine engstirnige, rassistische Ansicht.« »Mir egal. Es ist jedenfalls meine Ansicht. Gut, daß dieses Unternehmen dazwischenkam und wir ge trennt wurden, ansonsten hätte ich nie die Willens kraft aufgebracht, sie zu verlassen.« »Na schön, es ist schließlich dein Leben.« Tangaloa strich sich über die Stirn. »Hier ist es ja heißer als in Australien im Januar.« »Südwind«, sagte Barnevelt. »Der erschwert uns die Sache, den ganzen Weg lang bis zum Sunqar.«
11
Schließlich tauchte wieder der Sunqar am dunstigen Horizont auf. Barnevelt, der langsam das Gefühl be kam, daß er diese Gewässer sehr gut kannte, gab Or der, auf die Nordwestküste der treibenden Insel zu zuhalten, wo der Eingang zur Piratensiedlung lag. Ein Gleitflieger kehrte auf die Kumanisht zurück. Mittels Flaggensignalen wurde an die Junsar weiter gegeben, daß ein Schiff herauskäme und sich ihnen näherte. Das Schiff selbst folgte dieser Nachricht auf dem Fuß – im Näherkommen machte es die Segel fest und hielt direkt auf die Junsar zu. Beide verlangsam ten das Tempo, bis sie schließlich bewegungslos Bug an Bug lagen. Die grüne Waffenstillstandsflagge flat terte am Hauptmast des Piratenschiffes. »Wer seid Ihr und was habt Ihr hier zu schaffen?« kam eine krächzende Stimme im Qiribo-Dialekt vom Bug des Sunqaruma-Schiffes. Barnevelt wandte sich an den mit einem Megaphon neben ihm stehenden Herold: »Sag ihm, wir wären die vereinigten Flotten der Sadabao-See, gekommen, den Sunqar zu säubern.« »Zu säubern!« kam der Ruf vom anderen Schiff. »Wir werden Euch lehren ...« Der Sprecher der Morya Sunqaruma hielt sich mit fast hörbarer Anstrengung
zurück. »Habt Ihr uns Bedingungen vorzulegen, ehe das Spiel beginnt?« »Wenn Ihr Euch ergebt, garantieren wir für Euer Leben, aber für mehr nicht – weder Freiheit noch Be sitz.« »Sehr freundlich, ha! Ich werde Euer großzügiges Angebot unseren Führern vortragen.« Die Galeere ruderte zurück, bis sie einige Längen entfernt war. Dann erst wendete sie. Ihr Kapitän woll te offenbar ihre verwundbare Seite nicht einem feind lichen Rammstoß aussetzen. Dann polterten die Ru der der Piraten und wühlten das Wasser auf, als das Schiff dem Eingang im Rankenwerk zueilte. Die Junsar folgte in einem gewissen Abstand, um den Sunqaruma eine echte Chance zu geben, sich das Ultimatum zu überlegen. Da hörte Barnevelt schnel les Rudergeräusch zur Linken, wo die Douri Dejanai in Verfolgung der Piraten vorüberschäumte. »He dort!« rief Barnevelt übers Wasser. »Bleibt hin ten in der Formation!« Das heisere Schreien der Königin kam zurück: »Der Sprecher war Gizil, der ehemalige Sattler! Ich werde sein Schiff versenken und dann ...« »Wer ist Gizil der Sattler?« »Ein nichtsnutziger Renegat aus Qirib und ein no torischer Schürer von Unzufriedenheit unter unseren Männern! Wir hätten den Gauner hängen sollen, doch
er floh, als er hörte, es läge ein Haftbefehl gegen ihn vor. Diesmal soll er uns nicht entkommen!« »Zurück an Euren Platz!« »Aber Gizil wird wieder entkommen!« »Laßt ihn doch!« »Das werde ich nicht! Wofür haltet Ihr Euch, daß Ihr der Königin von Qirib Befehle erteilt?« »Ich bin Euer oberster Befehlshaber. Jetzt bleibt Ihr, wo Ihr seid, oder ich werde Euch versenken!« »Das wagt Ihr niemals! Schneller, Jungs!« »Nein?« Barnevelt wandte sich an Tangaloa: »Gib Befehl: Volle Kraft voraus – das vordere Katapult la den – schußbereit!« Obgleich die Douri Dejanai während dieses Austau sches von Unfreundlichkeiten überholt hatte, so konnte das größere Schiff das kleinere doch rasch wieder einholen. Barnevelt sagte: »Einen Schuß aufs Hinterdeck. Gebt acht, daß Ihr nicht trefft!« Bumm! machte das Katapult. Der manngroße Bol zen zischte durch den schmalen Zwischenraum zwi schen den zwei Schiffen. Barnevelt hatte beabsichtigt, an der Königin vorbeizuschießen, und das nicht zu knapp. Lag es daran, daß die Zielscheibe zu verlok kend war oder daran, daß das Schlingern des Schiffes die Zielsicherheit der Mannschaft beeinträchtigte, die Spitze des Geschosses streifte jedenfalls Alvandis
Mantel, riß ihn von ihren Schultern und trug ihn flat ternd weit hinaus in die See, wo Geschoß und Mantel in einem Aufspritzen verschwanden. Die Königin ge riet ins Taumeln und fiel aufs Deck. Eine ihrer Ama zonen lief zu ihrer Hilfe herbei. Alvandi gebot ihren Ruderern Einhalt und schüttel te drohend eine Faust gegen die Junsar. Barnevelt sah Grinsen auf allen Gesichtern, denn Königin Alvandis hochfahrende Art war berüchtigt, auch in einer Flotte, zu deren Führern so ungehemmte Individualisten wie Fürst Ferrian von Sotaspe gehörten. Nach diesem Zwischenfall gab es Barnevelts Befehlen gegenüber keinen Ungehorsam mehr. Ich und Napoleon! dachte er bei sich. Wenn die hier wüßten, wer er in Wirklichkeit war ... Als sie sich dem Sunqar näherten, wurden die Ter pahlastücke immer zahlreicher, bis ein Ruder daran zerbrach. Durch ein langes Krishniteleskop sah Bar nevelt, daß das Schiff, das ihnen entgegengekommen war, dasjenige war, das vor dem Eingang Wache hielt. Dieses Schiff hatte seine vorherige Position wieder eingenommen und zog ein einzelnes Treib stück Terpahla wieder vor die Mündung der Einfahrt. Inzwischen ruderte ein Langboot die Fahrrinne ent lang. Die Sunqaruma befanden sich in der Defensive. Barnevelt ließ durchgeben: »Plan zwei tritt in Kraft.«
Mit viel Signalen und Trompetenstößen änderte die Flotte ihre Schlachtformation. Zwei Gruppen von Schiffen, die man aus gewöhnlichen Galeeren in Truppentransporter verwandelt hatte, indem man die Rudereinrichtungen vermindert hatte, sonderte sich an den Flanken ab, während Barnevelt auf der Junsar das Geschwader aus Majbur direkt auf den Verschluß zusteuerte, der den Kanal in den Sunqar blockierte. Die Piratengaleere hielt noch immer Wache im Ka nal. Sie war durch ein Seilgewirr mit dem TerpahlaTreibstück wie mit einem Stöpsel verbunden. Hinter ihr bewegten sich weitere Schiffe im Kanal. Barnevelt fragte sich, ob die Sunqaruma erneut auf Verhandlungen dringen würden. Da zeigte der Kapi tän der Junsar auf die braune Kriegsflagge, die am Hauptmast des Wachschiffes flatterte. »Das ist die Antwort, Herr«, sagte er. Im nächsten Moment dröhnte ein Katapult. Bleiku geln und gefiederte Speere flogen im Bogen über das Wasser. Dann folgten Pfeile und Armbrustbolzen. Den Anweisungen des Kapitäns folgend, errichteten die Männer der Besatzung ein Bollwerk aus Schilden um den Bug, so daß Barnevelt und die anderen dort gesichert waren und beobachten konnten. »Sollen wir schießen?« fragte der Kapitän. »So lange nicht, als sie so freundlich sind und uns das Schätzen der Entfernung abnehmen.«
Er schwang sein Teleskop herum und versuchte auszumachen, ob das Geschwader den Plan ausführ te. Doch der warme Wind hatte Dunst gebracht und Barnevelt hätte mit bloßem Auge ebensoviel oder wenig sehen können. Zwischen der Junsar und ihrer Nachbarin steuer bords, plumpste ein Geschoß ins Wasser. »Schießen!« befahl jetzt Barnevelt, und die Katapulte am Bug der Geschwaderschiffe traten in Aktion. Barnevelt kannte das frustrierende Gefühl, das die obersten Befehlshaber überkommt, wenn sie zu Be ginn eines Kampfes den letzten Befehl gegeben ha ben. Immer noch will man in letzter Minute alles bes ser machen. Doch es ist zu spät, und der Ausgang muß größtenteils den einfachen Kampftruppen über lassen werden. Das Schilderbollwerk erdröhnte unter dem Auf prall der Geschosse. Achtern kündeten ein Krachen und Schreie, daß das Feuer der Verteidiger ins Ziel getroffen hatte. Barnevelt spähte über die Brustwehr und mußte entdecken, daß ihn nur der Rankenstöpsel und einige Meter freien Wassers von der Wachgaleere trennten. Diese Galeere feuerte rasend schnell. Die Geschosse sausten mit dauerndem Pfeifen und Brummen über ihn hinweg. Vier Majbur-Galeeren hatten vor dem Stöpsel Aufstellung bezogen und schossen zurück,
obwohl sie nur ihre Vorwärts-Katapulte einsetzen konnten und es auf den Vorderaufbauten keinen Platz für Bogenschützen gab. Männer kletterten am Bug der Angreifer hinunter. Sie waren mit Haken und Rechen bewaffnet und gru ben diese in die Terpahlamasse und zogen Streifen des goldbraunen schleimigen Zeugs herauf. Damit sollte das Verschlußstück gelockert werden. Vor Bar nevelt wurde ein Mann, der die Wassergewächse be arbeitete, von einem Speer getroffen und fiel ins Was ser. Ein anderer nahm seine Stelle ein. Ein überlanges Zischen von oben ließ Barnevelt aufblicken. Es war einer von Ferrians Gleitern, der über dem Feind eine Runde drehte. Die Raketen hin terließen eine Spur gelben Rauches von YasuverStaub. Als das Ding über dem Wachschiff kreiste, ließ es etwas Regenähnliches fallen. Barnevelt wußte, daß es sich um eine Handvoll Stahlstacheln handelte, von denen Fürst Ferrian eine große Menge für seine Flie ger hatte herstellen lassen. Ein zweiter Gleiter flog zur Ansiedlung weiter, wo er etwas fallenließ. Es gab Rauch und das Geräusch einer Explosion, Barnevelt konnte aber nicht sehen, ob diese pyrotechnischen Mittel wirklichen Schaden angerichtet hatten. Bäng! Ein von einem feindlichen Katapult abge schossenes Bleigeschoß krachte durch das Bollwerk,
zwei Schilde von Barnevelt entfernt, und rollte wie eine Kegelkugel über das Vorderdeck. Ein paar Män ner mühten sich ab, die gebrochenen Schilde zu er setzen. Andere Schilde lagen unten im Wasser. Bar nevelt sah einen Schild, der sich auf merkwürdige Weise auf und ab bewegte und erhaschte ein Aufblit zen gefleckter Haut. Vom Blut angezogen, hatten sich die Fondaqa, die Giftaale versammelt. »Herr Snyol!« rief der Kapitän der Junsar. »Da kommt Fürst Ferrian!« Barnevelt lief nach achtern. Ferrian, schlank und dunkel, kam eben an Bord. Die Sonne ließ seinen ver zierten Panzer schimmern. Unter dem Heck ruhte sich die Besatzung des Langbootes, die ihn von der Kumanisht herübergerudert hatte, auf ihren Rudern aus. Ferrian brauchte einige Augenblicke, bis er wieder ruhiger atmen konnte. Dann sagte er: »Eine seltsame Flotte nähert sich von Norden her. Einer meiner Flie ger hat sie von der Höhe aus erspäht.« »Welche Flotte?« »Das wissen wir noch nicht. Ich habe einen zweiten Flieger ausgesandt, der die Schiffe beobachten soll.« »Wer könnte das wohl sein? König Rostamb, der sich plötzlich schämt und uns zu Hilfe kommen will?« »Alles ist möglich, aber wahrscheinlicher ist es die
Flotte von Dur, die gekommen ist, ihre Piratenfreun de zu retten.« Dur! An diese Möglichkeit hatte Barnevelt nicht gedacht. Inzwischen ging das Gefecht mit den Sunqa ruma weiter. Er sagte: »Ich werde mit Euch auf die Kumanisht zurückkehren, um mich darum zu kümmern. Mach hier weiter«, sagte er zu Tangaloa. »Gib Signal, daß die Ski-Truppen die Transporter bis auf weiteres nicht verlassen.« Es wäre eine Katastrophe, dachte er, als er die Strickleiter ins Langboot hinunterkletterte, wenn sie inmitten einer höchst heiklen Operation von der See seite her angegriffen würden. An Bord des Flugzeugträgers lief er unruhig auf das Startdeck und duckte sich während der Gleitermanö ver. Schließlich kehrte jener Gleiter, der nach Norden zur Aufklärung geschickt worden war, zurück und ließ sich mit schmetterlingshafter Anmut hereintreiben, bis ihn die Deckmannschaft zu fassen bekam. Der Pilot kletterte heraus und sagte: »Meine Her ren, die in Annäherung begriffene Flotte ist tatsäch lich die von Dur, wie man aus der Form ihrer Segel ersehen kann.« »Wie viele Schiffe?« fragte Ferrian. »Ich habe vierzehn große gezählt, dazu die gleiche Anzahl kleinerer.«
Barnevelt rechnete nach. »Wenn wir erreichen, daß die Sunqaruma eingeschlossen bleiben, haben wir genügend Zeit, uns Dur zu stellen.« »Ihr kennt die Riesenschiffe von Dur nicht«, erwi derte Ferrian. »Die größten Galeeren sind mit fast tausend Mann besetzt. Eine einzige davon könnte ei nes unserer Geschwader vernichten, wie man einen Käfer zertritt. Daher möchten wir mit gehörigem Re spekt, mein Herr, eine Demonstration Eurer außer gewöhnlichen Hilfsmittel sehen, von denen Alvandi uns berichtet hat, damit die untergehende Sonne nicht auf ein unerfreuliches Schauspiel fällt, nämlich wie Ihr, ich und alle unsere tapferen Leute für die Fondaqa das Abendbrot abgeben. Was befehlt Ihr al so, Herr?«
12
Abendbrot für die Fondaqa? sann Barnevelt, das lan ge Kinn auf die Hand stützend. Vielleicht wäre es möglich, bei diesem Spiel jemand anders mitmachen zu lassen. »Sagt mir eines«, meinte er. »Fast eine Stunde lang haben Eure Gleiter Geschosse auf die Sunqaruma herabregnen lassen – ohne Wirkung ...« Aufgebracht erwiderte Ferrian: »Meine Gleiter sind die größte militärische Erfindung, seit Qarar die Da men von Varzeni-Ganderan mit seinem magischen Stab geschlagen hat! Wir werden im Krieg ebenso ge fürchtet wie die verdammten Erdenmenschen! Aber wie Ihr sagt« – er hatte sich wieder beruhigt – »sind sie noch nicht vervollkommnet. Was würdet Ihr tun?« »Wieviel Ladung können sie tragen?« »Für einen kurzen Flug das Äquivalent eines Man nes außer dem Piloten. Was habt Ihr vor?« »In den Versorgungsschiffen haben wir eine Menge Wasserkrüge. Wenn wir die Hälfte oder zwei Drittel des Wassers ausleeren, wiegen sie etwa soviel wie ein Mensch – wenigstens ein kleiner ...« »Wozu aber ein Bombardement mit Wasserkrügen? Damit man einem oder zwei Feinden den Schädel einschlägt ...?«
»Wenn aber die Krüge voller Fondaqa wären?« »Ho, jetzt sprecht Ihr vernünftig!« rief Ferrian. »Wir werden die Leichen der Gefallenen als Köder zerkleinern und dann jene Haken verwenden, die Eu re strammen Majburuma zum Auflockern der Seege wächse gebraucht haben ... Kapitän Zair, mehr Boote! Unser Admiral hat einen Befehl für die Flotte! Hurtig, hurtig!« »Meine Herren!« rief Kapitän Zair mit erschrocke ner Miene. »Die Leute fürchten diese Tiere, und das aus gutem Grund!« Barnevelt gab sich einen Ruck. »Ach, Unsinn! Ich fürchte sie nicht. Gebt mir eine dicke Lederjacke und ein Paar Handschuhe. Ich werde es Euch zeigen.« Wie gewöhnlich war Fürst Ferrian, sobald er sich für etwas erwärmt hatte, nicht eher zu bremsen. Er raste umher, er bestürmte jeden, Angelschnüre zu bringen, Speerspitzen zu Angelhaken zu biegen und diesen Befehl an die übrige Flotte weiterzugeben. Das alles brauchte Zeit. Zuerst mußte Barnevelt demonstrieren, wie man einen Fondaq behandelt, ohne von ihm gebissen zu werden. Dabei dankte er den Göttern für seine Erfahrung mit irdischen Haien und Aalen. Als die Besatzungen der Schiffe entlang des Rankenrandes fischten und die sich windenden schnappenden Ungeheuer aufspießten und sie in Wasserkrüge warfen, kehrte ein Gleitflugzeug zurück
und meldete, daß die Flotte von Dur bald in Sicht sein würde. Barnevelt sah zur Sonne auf. »Bei diesem Süd wind«, sagte er zu Ferrian, »brauchen wir noch eine Stunde, um uns zu formieren. Ich werde die Flotte teilen und jenen Teil unter Euer Kommando stellen, der gegen die Duruma segelt.« Als er sah, daß Ferrians Antennen sich spöttisch hoben, fügte er hinzu: »Unsere Hauptwaffe sollen die Gleiter sein, von denen Ihr mehr als jeder andere ver steht. Ich gebe zurück auf die Junsar, weil ich glaube, daß die Piraten einen Ausfall versuchen werden, wenn sie sehen, daß der Großteil der Flotte sich zu rückzieht.« Er wandte sich an den Kapitän der Kuma nisht. »Kapitän Zair, gebt allen Admiralen Signal, sie sollen kommen.« Ein Langboot, mit Krügen beladen, legte unter dem Heck der Kumanisht an. Der Bootsmaat rief: »Fische zu verkaufen! Schöne frische Fische! Ein Biß und man ist mausetot!« Die Matrosen verluden die Krüge auf die Gleiter. Ei nes der kleineren Schiffe kam mit einer zweiten Ladung Amphoren. Die Reihe der Krüge an Deck wuchs. Die Kommandanten kamen nacheinander an Bord. Barnevelt erläuterte seine Pläne und ließ Argumente erst gar nicht laut werden. »Das ist alles – macht Euch ans Werk.«
Als er ins Langboot umstieg, kamen Rufe von den Mastspitzen der alliierten Flotte: »Segel ho! Segel ho!« Man hatte die Flotte aus Dur gesichtet. Auf der Junsar ging die Schießerei weiter. Alle Schiffe wirkten leicht angeschlagen, wo die Katapult geschosse Teile der Reling weggerissen oder die Deckaufbauten eingedrückt hatten. Ein Schiff aus Majbur hatte seinen Besanmast eingebüßt, ein ande res sein Vorderkatapult, während die Decks des Feindes mit Trümmern übersät schienen. Vom Achterdeck der Junsar beobachteten Barnevelt und Tangaloa, wie die Hauptflotte davonsegelte, die große Kumanisht in der Mitte, die anderen in mondsi chelförmiger Anordnung, die Sichelenden nach vorn gerichtet. Am Horizont tauchten kleine helle Recht ecke auf, die Segel von Dur. Nach zwei Stunden hatten die Männer des MajburGeschwaders etwa die Hälfte der Seetangbarriere zer rissen. Dadurch waren sie jetzt dem SunqarWachschiff näher, und der Kampf wurde heißer. Der Admiral aus Majbur sagte: »Herr Snyol, mich dünkt, die Piraten machen einen Ausfall, wie Ihr vor ausgesagt habt.« Hinter dem Wachschiff kamen die Galeeren des Sunqar in Doppelreihen den Kanal entlang. Barnevelt konnte sie nicht zählen, weil die Schiffskörper des er sten Paares die folgenden verdeckten, doch er wußte,
daß seine Streitmacht jetzt in der Minderzahl war. Tangaloa unterbrach seine Filmerei und sagte: »Diese Esel werden drauf aus sein, längsseits zu ge hen und uns zu entern.« »Ich weiß. Ich wünschte, ich könnte dich dazu überreden, einen Panzer zu tragen.« »Und wenn ich ins Wasser falle?« Düster beobachtete Barnevelt das Näherkommen der Sunqaruma. Wenn ihm bloß eine gute Idee ge kommen wäre! ... Falls es den Piraten gelang, die Blockade zu durchbrechen, würden sie dann die alli ierte Flotte von hinten angreifen oder lieber fliehen? Der Lärm vorn erstarb. Die Besatzung des Wach schiffes hatte mit der Schießerei aufgehört und be mühte sich, das Schiff zu drehen, damit es den ande ren nicht den Weg versperrte. Die Ruder der näher kommenden Schiffe bewegten sich nur langsam, was Barnevelt zu der Vermutung Anlaß gab, daß die mei sten nicht die volle Ruderbesatzung eingesetzt hatten. Barnevelt sagte zu dem Admiral aus Majbur: »Schluß mit der Schießerei! Man soll die Trümmer wegräumen, ein Bollwerk bauen und Munition sam meln. Wie steht es?« »Ganz gut, trotz der vielen Bolzen und Pfeile, die in meinem Schiff stecken wie die Stacheln eines gereiz ten Evashq.« »Vertäut unsere sechs Schiffe Seite an Seite und
rückt gegen die Terpahlabarriere vor. Und erinnert die Leute an den Mann, den wir lebend fangen wol len.« Die Schiffe aus Majbur beeilten sich mit dem Ver täuen. Sämtliche Ruderer bis auf jene auf den Außen bänken der beiden äußersten Schiffe zogen die Ruder ein. Die Ruderer an den beiden äußeren Seiten be wegten dieses Super-Floß vorwärts und schoben die Seetangbarriere samt Wachschiff den Kanal hinauf. Bald aber stießen die zwei ersten Piratenschiffe mit dem Rammbug gegen das Rankengewirr und began nen zurückzudrücken. Da sie mehr Ruder einsetzen konnten, hielten sie die Bewegung des Verschluß stückes auf und schoben es zurück, auf die offene See zu. Barnevelt fragte: »Was machst du da, George?« »Nur so eine Idee«, meinte Tangaloa. Er hielt einen gebrochenen Katapultpfeil von einem Meter Länge in der Hand, an dessen Ende er ein mehrere Meter lan ges dünnes Seil befestigte. »Da kommen sie«, sagte Barnevelt. Die zwei ersten Sunqar-Galeeren hatten die Barrie re und die sechs Majbur-Schiffe weit genug zurück gedrängt, so daß eines der kleineren folgenden Pira tenschiffe vorbeifahren konnte, bis sein Bug den des äußersten Schiffes auf der rechten Seite des MajburGeschwaders berührte.
Barnevelt und Tangaloa waren auf das Außenschiff gelaufen, auf dem es von Leuten wimmelte, die man vom Ruderdienst freigestellt hatte. Trompeten er klangen, und Entermannschaften liefen über die Planken. Mit Getöse trafen sie in der Mitte aufeinan der. Männer gerieten ins Handgemenge und taumel ten von den Planken. Sie prallten gegen die darunter liegende Ramme oder plumpsten ins pflanzendurchsetzte Wasser. Andere drängten nach, während auf den Vorderaufbauten beider Schiffe Bogenschützen und Armbrustmänner Geschosse in das Gewirr der gegnerischen Kämpfer sandten. Tangaloa drängte sich mittels Ellbogentechnik durch das Getümmel am Bug. An der Reling entrollte er seine improvisierte Peitsche und ließ sie über den Zwischenraum hinweg schlängeln. Krach! Das Ende schlang sich um den Nacken eines Sunqaru, und ein Zerren riß den Mann über die eigene Reling. Platsch! Er holte das Seil wieder ein und ließ es erneut vor schnellen. Krach! Plumps! Barnevelt hatte sich in einen Zustand höchster Kampfeslust hineingesteigert, doch das Getümmel am Bug blockierte ihm den Weg. Unter der überlege nen Feuerkraft der Majburuma und der Wirkung von Tangaloas Peitsche begannen die Sunqaruma auf den Laufplanken zurückzuweichen, bis die Majburuma auf das Mitteldeck der Piratengaleere strömten und
Barnevelt von dem Strom mitgerissen wurde. Er stol perte über Leiber, sah nichts wegen des Getümmels, hörte nichts wegen des Schlachtenlärms. Druck und Lärm wuchsen, als eine zweite Streit macht der Piraten übers Heck dieses Schiffes von ei nem anderen Sunqaro-Schiff her eindrang. Wie Tan galoa vorausgesagt hatte, liefen die Piraten von Schiff zu Schiff und brachten ihre volle Streitmacht zum Einsatz. Barnevelt wurde gegen den Bug des Sunqa ro-Schiffes zurückgedrängt, bis die Reling ihm in den Rücken schnitt. Jetzt konnte er wenigstens etwas se hen, obwohl er jeden Augenblick Gefahr lief, durch einen plötzlichen Stoß das Gleichgewicht zu verlie ren. Der Heckteil des Schiffes war voller Sunqaruma, die sich ihren Weg nach vorn freikämpften. Da es ihm unmöglich war, die von Menschen wimmelnden Laufplanken zu erreichen, steckte Bar nevelt seinen Degen ein, kletterte über die Reling des Sunqaro-Schiffes hinunter auf die Ramme, kletterte über einen Leichnam, sprang hinüber auf die Ramme des Majbur-Schiffes und kletterte wieder hinauf. Das Vorderdeck war noch immer bevölkert. Der Admiral, gepanzert wie ein Hummer, schrie inmitten des Ge tümmels Befehle. Tangaloa lehnte rauchend an der Reling. Er sagte: »Dirk, das hättest du nicht tun sollen. Der Oberkom mandierende soll sich im Hintergrund halten, wo er
zuoberst kommandieren kann. Er darf sich nicht aufs vulgäre Kämpfen einlassen.« Ein Keil der Sunqaruma hatte sich durch die Gegner einen Weg gebahnt und die Planken erreicht. Die Maj buruma auf den Planken wurden niedergehauen, hi nuntergeworfen oder auf ihr eigenes Schiff zurückge drängt. Sodann waren die Piraten hinter ihnen her und kämpften mit brutaler Wildheit. An ihrer Spitze stürm te ein untersetzter stämmiger Erdenmensch, dessen ro tes Gesicht von vielen Fältchen durchzogen war. »Igor!« rief Barnevelt, der hinter dem Nasenschutz des Helmes seinen Chef erkannte. Igor Shtain bemerkte Barnevelt und stürzte mit ge krümmter Klinge auf ihn zu. Barnevelt parierte Hieb um Hieb und hin und wieder einen Stoß, doch kamen die Bewegungen so schnell, daß er nicht mehr tun konnte, als sich verteidigen. Schritt für Schritt trieb Shtain ihn zurück, auf das Heck des Majbur-Schiffes zu. Barnevelts Helm dröhn te von einem Hieb, der gesessen hatte. Ein- oder zweimal gab Shtain sich eine Blöße und Gelegenheit zu einem Gegenstoß, doch Barnevelt brachte sich durch sein Zögern um die Chance. Wenn es ihm bloß gelänge, dem Kerl eins mit der Flachseite der Klinge über den Kopf zu geben ... Undeutlich merkte Barnevelt, daß sich der Kampf auf alle Majbur-Schiffe ausgebreitet hatte. Er sah sich
hin und wieder um, damit ihn nicht ein Dolchstoß von hinten überraschte. Dabei erhaschte er einen Blick auf Tangaloa, der mit seiner Keule einem Pira ten den Schädel einschlug. Shtain fuhr mit dämonischer Kraft fort, ihn zurück zudrängen. Barnevelt fragte sich, wo zum Teufel ein Mann in Shtains Alter diese physische Ausdauer her nahm. Obwohl er viel jünger und ein besserer Fechter war, begann Barnevelt zu keuchen. Seine schmerzen den Finger waren kaum mehr imstande, den schweiß nassen Degengriff zu halten, doch Shtain ließ nicht locker. Das Achterdeck dieses Schiffes war ein wenig er höht. Barnevelt spürte die Stufen hinter sich und er klomm sie, Schritt für Schritt, während er Shtains Hiebe gegen seine Beine parierte. Es war höchst un fair gegen einen Mann kämpfen zu müssen, der einen töten wollte, während man selbst unbedingt vermei den wollte, den Gegner tödlich zu treffen. Sie bewegten sich übers Achterdeck. Barnevelt schoß es durch den Kopf, daß Shtain ihn töten würde, falls es ihm nicht bald gelang, ihn kampfunfähig zu machen. Er begann auf Shtains Arm und Knie zu zielen. Einmal spürte er, wie seine Klingenspitze etwas traf. Die Reling drückte gegen Barnevelts Rücken. Jetzt blieb ihm nur die Wahl zwischen der verdammten Klinge vor ihm und der Banjao-See im Rücken. Hinter
Shtain tauchte die massige Gestalt Tangaloas auf, doch aus irgendeinem Grund blieb George einfach auf dem Achterdeck stehen. Shtain hielt inne, starrte und packte seinen Säbel fester. Dann warf er sich erneut gegen Barnevelt. Noch immer stand Tangaloa müßig da. Jetzt hieß es: Shtain oder Barnevelt ... Trompetenstöße erklangen. Gleichzeitig schnellte etwas vor, klatschte und ringelte sich um Shtains lin ken Knöchel. Das Seil spannte sich ruckartig, riß Shtains Fuß weg und schleuderte den Alten ausge streckt aufs Deck. Bevor er wieder aufstehen konnte, landete die riesige braune Gestalt Tangaloas auf ihm und drückte ihm die Luft aus den Lungenflügeln wie aus einem Akkordeon. Barnevelt sprang vor, trat auf die Faust, die den Säbel hielt, und entwand Shtains Hand die Waffe. Er riß ihm den Helm herunter und hieb ihm geschickt mit der Flachseite der Klinge ins Gesicht. Shtain war erledigt. Überall auf den Majbur-Schiffen liefen die Sunqa ruma auf die Verbindungsplanken zu, die zu ihren eigenen Schiffen führten. Noch immer flackerten da und dort kleinere Gefechte auf, doch größtenteils wa ren die Majburuma, die ein Viertel ihrer Mann schaftsstärke eingebüßt hatten, froh, die Feinde un behelligt ziehen zu lassen. Die Schiffe waren übersät mit Schwertern, Piken, Äxten, Helmen, Schilden und
anderen Ausrüstungsgegenständen. Dazu kamen die Leichen von Freund und Feind. Während Tangaloa Shtains Hände hinter dessen Rücken fesselte, fragte Barnevelt: »Wo hast du deine Geschicklichkeit im Umgang mit der Peitsche erwor ben, George?« »Das habe ich in Australien gelernt. Scheußliche Sache, das Kämpfen. Ein Wissenschaftler wie ich soll te sich damit nicht abgeben.« »Warum bist du dagestanden wie eine Schießbu denfigur? Der Kerl hätte mich beinahe geschafft!« »Ich habe gefilmt.« »Ja, ich habe eine herrliche Szenenfolge geschossen – du und Shtain im Kampfe begriffen. Das wird unse rem Film das Glanzlicht aufsetzen.« »Heiliger Bimbam!« rief Barnevelt. »Das höre ich gern! Ich kämpfe um mein Leben, und du denkst bloß an den Film! Ich nehme an ...« »Na, na«, sagte Tangaloa besänftigend. »Ich wußte doch, daß ein Meisterfechter wie du nicht in ernster Gefahr war. Und es ist doch gut ausgegangen, oder?« Barnevelt wußte nicht, ob er wütend, belustigt oder geschmeichelt sein sollte. Schließlich entschied er sich, das Thema fallenzulassen, da George ja doch unverbesserlich blieb. Er fragte: »Warum laufen die Sunqaruma davon? Ich dachte, sie hätten gewonnen?«
»Sieh dich mal um!« Barnevelt sah sich um, und da kam die gesamte al liierte Flotte! Gongs gaben den Ruderern den Takt an. In der Mitte prangte der Träger Kumanisht, der eine riesige rahsegelbestückte Galeere mit großen Achtoder Zehn-Mann-Rudern im Schlepptau hatte. Die Piraten, die wieder auf ihren eigenen Schiffen waren, stießen die Laufplanken ins Wasser und leg ten mit Stangen, Piken und Rudern von den MajburGaleeren ab. Gleich darauf ruderten sie wieder den Kanal hinauf zur Hauptstreitmacht der Piratenschiffe. Zum erstenmal seit Stunden bemerkte Barnevelt die Sonne, die nun tief im Westen stand. Der Kampf hatte den größten Teil des Nachmittags verschlungen. Die Sonne war untergegangen. Shtain war im Verlies der Junsar sicher untergebracht. Barnevelts Wunden – ein paar oberflächliche Schnitte waren versorgt. Bar nevelt führte nun bei einem Treffen seiner Admirale in der großen Kabine der Junsar den Vorsitz. »Ist es wahr, Admiral Snyol?« rief Fürst Ferrian. »Die Männer behaupten, Ihr hättet die Entermann schaften angeführt, die die Schiffe der Sunqaruma betraten, sodann hättet Ihr drei Piratenköpfe mit ei nem Hieb abgeschlagen und überhaupt den Kampf mit der linken Hand gewonnen. Stimmt das?« »Das ist eine Übertreibung, obwohl Tagde und ich
den Erdenmenschen, nach dem wir gesucht haben, persönlich gefangengenommen haben.« »Gestattet Ihr mir, ihn in Öl zu sieden?« fragte Kö nigin Alvandi. »Die Piraten unserer eigenen Welt sind schon arg genug, aber ...« »Ich habe da andere Pläne, Hoheit. Fürst Ferrian, berichtet, was bei Euch passiert ist.« »Keine große Sache – eher eine Komödie, würdig des Genies, eines Harian. Ihr wißt, daß in Dur an den Rudern Sklaven eingesetzt werden, denn nicht einmal der unrechtmäßig erworbene Reichtum würde aus reichen, so viele Tausende freier Ruderleute anzu werben. Die Füße dieser Ruderknechte werden mit tels einer Kette an die Bank gefesselt. Die Schiffe aus Dur stürzten sich uns wie wilde Bishtars entgegen. Da sie aber bloß unsere Masten am Horizont wie einen Staketenzaun sahen, glaubten sie, noch reichlich Zeit für ihre Vorbereitungen zu haben, als der erste meiner Kühnen in einem Gleiter sich auf sie stürzte, und den Krug über dem Flaggschiff ent leerte. Der Inhalt fiel genau zwischen die Ruderbän ke, ehe die Sklaventreiber noch die Ruderer fertig an gekettet hatten, und verursachte höchste Verwirrung. Die Fondaqa ringelten sich und schnappten, die Skla ven schrien und wanden sich in Todesqualen, die Sklaventreiber liefen mit ihren Peitschen umher, und alles war in Aufruhr.
Dann kamen zwei weitere dieser Liebesgaben. Da verloren die Sklaven vollends den Verstand und meuterten. Die noch nicht Gefesselten befreiten die übrigen, während andere die Sklaventreiber und See leute mit bloßen Händen anfielen. Der Admiral rette te seine Haut, indem er seinen Küraß abwarf und ins Wasser sprang, wo ihn ein Boot aufnahm. Inzwischen hatten andere Flieger ihre Krüge ge leert. Während einige ins Wasser fielen, trafen die anderen ihr Ziel und erzielten bewundernswerte Er gebnisse. Wenn auch die Sklaven auf anderen Schif fen angekettet waren, so zerstörte doch das Auftau chen dieser ekelhaften Seeungeheuer jegliche Ord nung und machte weitere Manöver unmöglich. Kurz gesagt, die Neuheit dieses Angriffs hat den Feind so demoralisiert, daß einige Schiffe schon die Flucht er griffen, ehe wir sie gestellt hatten. Andere, die das Blutbad auf dem Flaggschiff noch immer wüten sahen und nicht wußten, daß der Ad miral sich hatte retten können – denn er hatte seine persönlichen Flaggen an Bord gelassen – zögerten. Als die Saqqand aus Suruskand eines der großen Schiffe rammte und letzteres nichts tat, um dem schmerzhaften Stoß zu entgehen und als Folge davon in zwei Teile brach, da flüchteten auch die restlichen Schiffe. Wir enterten das Flaggschiff, auf dem noch immer Anarchie herrschte, warfen die zwei kämp
fenden Parteien nieder und nahmen es ins Schlepp tau. Als einzigen Verlust müssen wir einen meiner Flieger beklagen, der beim Landen nicht richtig auf setzte und ertrunken ist – armer Kerl.«
13
Als am nächsten Morgen Roqir die Grenzen des Dunsthorizontes sprengte, bliesen die Fanfaren der alliierten Flotte zum Angriff. Das MajburGeschwader ruderte kanalaufwärts, wobei die ange schlagene Junsar die Führung übernommen hatte. Inzwischen ließen sich entlang des Randes der fe sten Terpahlamasse zu beiden Seiten des Kanals, in einem weitgezogenen sichelförmigen Bogen, Truppen mit Skiern an den Füßen von Bord ihrer Schiffe auf das Rankengewirr herab. Sie schwankten und rutsch ten auf der nassen unsicheren Unterlage. Etliche fie len hin und mußten sich auf die Beine helfen lassen. Doch nach einer Weile begannen sie sich vorwärts zu bewegen, Hunderte in drei Linien: die erste Reihe trug schwere geflochtene Schilde, um sich und die Leute dahinter vor Geschossen zu schützen, die zwei te Linie war mit Piken, die dritten mit Bogen ausge rüstet. Aus der Verschanzung der Piraten drang keinerlei Geräusch hervor. Über Nacht hatten die Sunqaruma den Großteil ihrer Schiffe zu einer Art Zitadelle zu sammengezogen, die größten Galeeren in der Mitte, um sie herum einen Ring kleinerer Schiffe und um diese wiederum eine Reihe von Floßen und Flachboo
ten. Diese Anordnung würde es den Angreifern ver wehren, die Piratenschiffe zu rammen. Sie mußten zuerst die leichteren Boote am Rand aus dem Weg drängen. Immer näher kam die Junsar. Noch immer ominöse Stille. In Katapultreichweite ließ die Junsar die Saq qand an sich vorbeiziehen, dasselbe Schiff, das am vorhergehenden Tag die dreimal größere Galeere aus Dur so kühn gerammt hatte. Von dem Außenring von Hausbooten am Rande der Siedlung her drang das dumpfe Geräusch der Armbrust. Die Bolzen bestrichen die Reihen der sich nähernden Skitruppen. Barnevelt sah jetzt, daß nicht alle Piraten sich in die Festung zurückgezogen hatten, sondern am Rande ihrer Ansiedlung die feindlichen Truppen binden und aufhalten wollten. Die Bogen schützen unter den Skitruppen gaben über die Köpfe ihrer eigenen Leute hinweg Schüsse ab. In der Zitadelle ging ein Katapult los. Ein Riesen pfeil segelte den Kanal entlang und tauchte neben der Saqqand ins Wasser. Und dann setzte wieder das Kra chen und Dröhnen der Katapulte und das Surren der Bogensaiten ein. Die Saqqand hielt auf das nächstgelegene der Floße um die Zitadelle zu. Die Junsar machte mit dem Bug am Steuerborddeck des kleineren Schiffes fest, wäh rend Königin Alvandis Douri Dejanai an dessen Heck
anlegte. Andere Schiffe stießen hinter ihnen vor wie eine Elefantenparade. Die Mannschaften warfen Laufplanken von Reling zu Reling, so daß die Kampf truppen in gewünschter Stärke gegen die Festung vordringen konnten. Barnevelt, am Bug der Junsar, hörte Geschrei und Kampfgetümmel von den entfernten Rändern der Niederlassung, als die Skitruppen die ersten Schiffe erreicht hatten und sich dort einen Brückenkopf er kämpfen wollten. Sehen konnte er nur wenig. Hinter ihm nahmen seine Leute Aufstellung, um sich auf das Deck der Saqqand abzuseilen, und dann über deren Reling hinweg auf das feindliche Floß zu klettern. Dann aber ergoß sich aus der Festung der gewal tigste Geschoßhagel, den Barnevelt je gesehen hatte: Katapultgeschosse, Bolzen, Pfeile und Wurfgeschos se. Das Pfeifen der Geschosse verschmolz zu einem nicht endenwollenden Geheul. Der Todesregen fegte über das Floß und das Deck der Saqqand und streckte überall die Leute nieder. Die Überlebenden drängten vor und schlossen auf, um ihrerseits niedergemäht zu werden. Die Glücklicheren stürzten übers Floß, um die Reling der kleinen Galeere auf der anderen Seite zu erklimmen. Barnevelt ertappte sich, daß er rief: »Weiter! Wei ter!« Jetzt machte sich ein neues Kampf-Element bemerk
bar: Von der Schiffsfestung her kam eine große Rakete mit Speerschaft den Kanal entlang geglitten, dahinter eine dicke Rauchspur. Sie ging daneben, so wie die nächste, doch dann traf eine das Deck der Junsar und zerbarst mit einem Knall. Sie überschüttete das Schiff mit Funken. Die auf den Befehl zum Angriff wartenden Krieger stoben auseinander, und die Mannschaft der Junsar hatte alle Hände voll zu tun, ein Dutzend kleiner Brände zu löschen. Eine andere dieser Raketen traf den Bug der Douri Dejanai. Rauch und Flammen unterbra chen das Deckungsfeuer der Schiffe. Schließlich brach der Angriff zusammen. Die Truppen fluteten zurück. Dutzende humpelten mit Pfeilen im Leib einher, während weitere Dutzende auf der Saqqand und dem Floß liegenblieben, tot oder zu schwer verwundet, um fliehen zu können. Wegen des von der Festung ausgehenden Bombar dements dauerte es Stunden, bis der nächste Angriff organisiert werden konnte. Barnevelt sah jetzt, daß die Männer der Sturmtruppe mit größeren Schilden ausgerüstet waren als die Skitruppen. Letzteren war es geglückt, da und dort um die Ansiedlung einen Stützpunkt zu schaffen. Mehr konnte Barnevelt nicht in Erfahrung bringen, da die Verbindung zwischen ihnen und den Schiffen, von denen sie gekommen waren, nur durch einen Läufer aufrechterhalten wur de, der ebenfalls auf Skiern über das Terpahla eilte.
Kurz nach Mittag setzte der zweite Angriff ein. Die Männer mit den Riesenschilden drangen in die kleine Galeere auf der anderen Seite des Floßes ein und trie ben die Piraten hinaus, ehe ein Gegenangriff sie selbst in die Flucht schlagen konnte. Der lange Krishnatag zog sich hin. Barnevelt ließ sämtliche Ruderboote der Flotte Aufstellung nehmen und befahl eine gemeinsame Attacke. Langboote soll ten die Zitadelle umrudern und ihre Leute an ver schiedenen Stellen absetzen. Diesmal sicherten sich die Angreifer einen Stütz punkt auf der kleinen Galeere nächst dem Kanal, den sie auch noch behaupten konnten, als die Sonne un terging und jene Langboote, die noch unterwegs wa ren, den Kanal entlang zurückruderten. Doch dann trieb ein erneuter Gegenangriff im schwindenden Ta geslicht die Truppen der Verbündeten aus dem Schiff, das sie gehalten hatten, und die Lage war so wie vorher. Bei der Abendkonferenz berichtete der Asht von Darya, daß die Skitruppen den Großteil der Außen schiffe eingenommen hätten. Königin Alvandi sagte: »O Ferrian, warum laßt Ihr nicht Eure kühnen Flieger mit ihren Drachen inmitten der Festung landen, da mit sie unsere Feinde an der einzigen schwachen Stel le, die sie uns zeigen, packen?« »Das würde nichts Gutes bringen. Da sie einzeln
landen müßten, dabei vielleicht ihr Flugschiff einbü ßen und nur langsam vom Wrack wegkriechen könn ten, würde man sie abschlachten wie Unhas bei ei nem ländlichen Fest.« »Oder fürchten sie etwa den direkten Kampf und ziehen es vor, aus sicherer Entfernung zu kämpfen? Eine große Zahl meiner tapferen Mädchen liegt tot da draußen, weil Eure zartbesaiteten Helden nur kämp fen, wenn sie dem Feind etwas auf den Kopf werfen können ...« »Genug, du Hexe!« rief Ferrian. »Wer hat die Flotte von Dur in die Flucht geschlagen? Ich werde meine Flieger gegen Eure Pseudokrieger antreten lassen ...« »Ihr seid kein Krieger, sondern ein betrügerischer, berechnender ...« Barnevelt stellte die Ordnung wieder her, indem er auf den Tisch schlug und brüllte. Trotzdem stritten die Admirale über ihre Fehler, setzten einander und Barnevelt herab, ohne damit etwas zu erreichen. Bar nevelt mußte einsehen, daß die Idee mit den Skitrup pen, obgleich sie sehr gut war, doch nicht gut genug war, um die starken Befestigungen mit einem einzi gen Vorstoß zu durchdringen, wenigstens nicht mit der ihm zur Verfügung stehenden Truppenstärke. Er erhob sich mit der Miene eines Menschen, der schon genug Langmut bewiesen hat. »Morgen wer den wir wieder angreifen und alle Mittel gleichzeitig
einsetzen. Fürst Ferrian, bestückt Eure Gleiter mit Speeren und Feuerwerkskörpern, verschafft Euch weitere Wasserkrüge mit Fondaqa. Edler Dasht, Eure Skitruppen sollen von ihren gegenwärtigen Positio nen aus weiter vorstoßen, und wenn Ihr sie dazu in den Hintern treten müßt. Stellt an den Innenrändern des Terpahla Ski-Bogenschützen auf, die die Festung mit Deckungsfeuer belegen sollen. Königin Alvandi ...« Nachdem die Admiräle auf ihre Schiffe zurückge kehrt waren, schlenderte Barnevelt hinauf aufs Deck der Saqqand. Er sah hinauf zu den fahlen Sternen und mußte an Zei denken. Die wenigen Tage seit ihrem letzten Zusammensein hatten nicht dazu beigetragen, das Feuer in ihm zu dämpfen, im Gegenteil. Phanta stische Gedanken gingen ihm durch den Kopf – er wollte mit ein paar verläßlichen Gefolgsleuten Ghu linde überfallen, Zei schnappen und sie auf die Erde entführen. Albern natürlich ... Geräusche aus der Dunkelheit zeigten an, daß die Toten und Verwundeten auf der Saqqand und dem angrenzenden Floß geborgen wurden. Man würde die Lebenden versorgen und die Toten ihrer brauch baren Ausrüstung entledigen, bevor man sie den Fondaqa überließ. Aus der Schiffszitadelle der Piraten drangen Geräusche von Zimmermannsarbeiten.
14
Am darauffolgenden Tag fesselte dichte Bewölkung, Nebel, der kaum die Mastspitzen freigab, Ferrians Flieger an ihre Schiffe und minderte die Wirkung des Langstreckengeschoßfeuers. Im bleiernen Licht sah man, daß die Belagerten Bollwerke aus Bauholz er richtet hatten, mit Schlitzen für die Bogenschützen im äußeren Schiffsring. Sie hatten Enternetze aufgezogen und zahlreiche Piken mit den Spitzen nach außen be festigt, um es den Angreifern so schwer als möglich zu machen. Nach den üblichen Verzögerungen erklangen die Fanfaren. Wieder rückten die Männer vor. Bogen surrten, Katapulte dröhnten, Schwerter klirrten und Verwundete schrien. Am Abend hatten die Verbündeten die Sunqaruma aus allen Außenpositionen vertrieben und in der Fe stung selbst einen Stützpunkt gewonnen. Doch der Preis dafür war sehr hoch gewesen, und die Sunqa ruma konnte man keinesfalls als geschlagen betrach ten. Die Admirale, von denen einige ihre Verwundun gen pflegten, versammelten sich zur Lagebespre chung, in schlechterer Laune als je zuvor und hackten aufeinander los wie ein Eimer voll Krabben.
Barnevelt versuchte ohne viel Erfolg die Ordnung wieder herzustellen, als eine Wache ankündete: »Ein Boot der Sunqaruma, Ihr Herren, das um Verhand lungen ersucht.« »Schickt sie herein«, sagte Barnevelt, froh über die Unterbrechung. Wenn der Feind so mürbe war, daß er um Bedingungen einkam, dann würde der Kampf bald vorüber sein. Draußen erklangen Schritte. Die Wache meldete: »Gizil bad-Bashti, Admiral der Morya Sunqaruma!« »Gizil der Sattler!« quiekte Königin Alvandi. »Elender Verräter! Warte nur, bis ich ...« »Vizqash!« sagte Barnevelt, denn der kleine nar bengesichtige Kerl in der Tür war der Krishni, den er als Vizqash bad-Murani kennengelernt hatte. Der Mann, der das Gebaren eines hohen Herrn zur Schau trug, nahm den Helm ab und machte eine spöt tische Verbeugung. »Gizil bad-Bashti, oder Gizil der Sattler, oder Vizqash der Herrenausstatter, zu Euren Diensten«, schnarrte er. »Ich begrüße meine alten Be kannten Snyol von Pleshch oder Gozzan den Expreß kurier oder ...« Er ließ den Rest ungesagt und bedachte Barnevelt, der ihn der Runde vorstellte, mit einem wissenden Lächeln. »Seit wann seid Ihr Anführer der Sunqaru ma?« fragte Barnevelt. »Seit der heutigen vierten Stunde, als unser frühe
rer Anführer, Sheafase der Osirier, an einer gestern erhaltenen Pfeilwunde sein Leben aushauchte.« »Sheafase tot!« sagte Barnevelt und wechselte einen konsternierten Blick mit Tangaloa. Wenn der Osirier nicht mehr am Leben war und Shtain nicht von sei nem Leiden heilen konnte, mußten sie ihre Pläne ra dikal ändern. »Ja«, fuhr Gizil-Vizqash fort. »Die Beförderung ist sehr schnell gekommen, denn unter unseren Kom mandanten hatten wir viele Verluste zu beklagen. Gavao ist bei unserem Überfall auf Ghulinde ums Le ben gekommen. Qorf und Urgan wurden vom mäch tigen Snyol erschlagen, als er die Prinzessin aus unse ren Händen befreite. Und sogar der Erdenmensch, Igor Shtain, der seit seinem kürzlichen Beitritt sehr rasch Karriere gemacht hat, wird seit dem ersten Kampftag vermißt. Da bin ich also erster Admiral. Da wir vom Überfall Snyols auf unsere Festung sprechen: Als wir eines unserer Versorgungsschiffe als Vorbereitung für die Belagerung kontrollierten, fanden wir einen Jüngling schlafend auf einem Sack Tunesta. Er steckte in der Kluft eines Expreßboten. Nach Befragung stellte es sich heraus, daß er der Ge fährte des General Snyol war. Nachdem er von seinen Kameraden getrennt worden war, hatte er sich in je nem Schiff versteckt und von unseren Vorräten er nährt. Er sagt, er wäre Zakkomir bad-Gurshmani, ein
Mündel des Thrones von Qirib. Ist das die Wahrheit, Königin Alvandi?« »Möglich. Was habt Ihr mit dem Jungen gemacht?« »Bis jetzt noch nichts. Seine Sicherheit garantiert die meine, falls Ihr zu der Meinung gelangen solltet, Ihr brauchtet in unserem Fall nicht Euer Wort zu hal ten.« Trocken meinte Barnevelt: »Interessant, aber des wegen seid Ihr sicher nicht gekommen. Wollt Ihr Euch ergeben?« »Ergeben?« Gizils Antenne hob sich. »Ein gräßli ches Wort. Ich würde eher von ehrenhaften Bedin gungen sprechen, nach denen dieser blutige Konflikt beendet werden könnte.« »Zum Henker mit diesem Feilschen!« rief der Ad miral aus Suruskand. »Machen wir dem Handeln mit dem Strick ein Ende und setzen wir die Attacke mit erbarmungsloser Wildheit fort. Sie müssen knapp an Leuten und Ausrüstung sein, da sie um Gnade win seln.« »Wartet«, sagte Königin Alvandi. »Ihr vergeßt, daß sie mein teures Mündel Zakkomir gefangenhalten.« »Was, Ihr werdet plötzlich weich?« rief Ferrian. »Ihr sprecht von Mäßigung und Vernunft, alte Harke, die Ihr seid?« Barnevelt unterbrach sie. »Sagt, was Ihr zu sagen habt, Meister Gizil.«
»Überdenken wir unsere Positionen«, fuhr der Pi raten-Admiral ungerührt fort. »Durch die Gnade Da' vis ist es Euch geglückt, die Flotte unserer Retter aus Dur in die Flucht zu schlagen. Doch ist es nicht sicher, daß sie die ganze Strecke in ihre stürmische Heimat zurücklegen wird. Viel wahrscheinlicher ist es, daß ihr Admiral sich die Degradierung oder Enthauptung vor Augen hält, die ihn zu Hause erwartet, und zu einem zweiten Schlag kehrtmacht. Nun, man braucht kein Hellseher zu sein, um zu wissen, daß Ihr in den vergangenen drei Tagen des Kampfes große Verluste erlitten habt, vielleicht ein Viertel der gesamten Truppenstärke ist gefallen oder kampfunfähig. Wenn Ihr sofort die Heimkehr antre tet, könnte ich mir denken, daß Ihr viele Eurer Ruder schiffe nur teilweise bemannt finden würdet. Noch ein Tag in diesem Krieg, und Ihr sitzt wirklich in ei ner schrecklichen Misere. Jetzt zu unserer Lage: Es stimmt, daß wir umzingelt sind und im Falle, daß Dur nicht zurückkehrt, von un seren Vorräten leben müssen, während Ihr Nachschub holen könnt. Es stimmt auch, daß wir Leute und Waffen eingebüßt haben. Es stimmt sogar, daß wir durch die großartige Idee, Männer mit Brettern an den Füßen über die Ranken zu senden, von unseren Außenposten vertrieben wurden. Wer sich das ausgedacht hat, muß der wiedergeborene Qarar persönlich sein.
Doch haben wir, indem wir unsere Deckung ge schickt genutzt haben, unsere Verluste gering halten können. Was Waffen und Geschosse betrifft, so haben wir unsere schwimmende Festung gut damit ausge rüstet, dazu mit ausreichend Nahrung und Wasser. Nehmen wir den für Euch günstigen Fall an, daß Ihr es schafft, uns auf lange Sicht zu besiegen, was dann? Denkt daran, daß Eure Truppen auf verzwei felte Männer stoßen, die nichts zu verlieren haben und daher bis zum Tode kämpfen werden – während Eure, mögen sie auch tapfer sein – nicht im Geiste der Verzweiflung beseelt sind. Das, in Verbindung mit dem Vorteil einer starken Verteidigungsposition, be deutet, daß Ihr zwei oder drei für jeden, den ihr von den unseren tötet, verlieren werdet. Ihr könnt von Glück reden, wenn es zusätzlich zum Verlust, den Eure Reiche an den kühnsten Kriegern erleiden wer den, nicht zu Ungehorsam und offener Meuterei un ter den Truppen kommt, ehe die Belagerung beendet ist. Und was sucht Ihr hier eigentlich? Königin Alvandi – so nehmen wir an – strebt nach dem Sunqar und nach ihrem unversehrten Mündel. Ihr anderen wollt unsere Schätze und die Flotte und wollt Euch zusätz lich der Plage unserer zügellosen Seeräuber entledi gen. Spreche ich nicht die Wahrheit? Wenn ihr daher ins Auge des Shaihans treffen könntet, ohne weiter
Blut zu lassen, wäre es nicht reine Verdrehtheit und Wahnsinn, abzulehnen?« »Wie lauten Eure Bedingungen?« fragte Barnevelt. »Daß alle überlebenden Morya Sunqaruma auf dem Festland unversehrt abgesetzt werden, daß je dem erlaubt wird, Familie und persönliche Habe mit zuführen, Waffen miteingeschlossen.« Gizil sah Barnevelt eindringlich an und wählte sei ne Worte mit Bedacht. »Snyol von Pleshch ist weithin bekannt als Mann von übertriebenem Ehrgefühl, eine Eigenschaft, die in unserer verkommenen Zeit sehr selten ist. Aus diesem Grund allein schlagen wir vor, uns in Eure Gnade zu begeben, denn wenn der eh renwerte Snyol versichert, daß er uns schützen wird, dann wissen wir, daß er sein Wort hält.« Wieder dieser wissende Blick. Barnevelt wußte, was Gizil damit sagen wollte: Halte deinen Teil des Handels ein, wie es der echte Snyol tun würde, und ich werde nichts davon verlauten lassen, daß ich dich in Novorecife als Erdenmenschen kennengelernt ha be. Schlauer Fuchs, dieser Gizil alias Vizqash! »Laßt uns allein!« sagte Barnevelt. »Wir möchten über Euer Angebot beraten.« Nachdem Gizil sich zurückgezogen hatte, legten die Admirale los: »Eine Schande wäre es, sich den Preis entgehen zu lassen, wenn man ihn fast in der Hand hat« ... »Nein, der Kerl ist vernünftig. Die Be
dingung, das persönliche Vermögen betreffend, wird nicht hingehen. Was wird sie daran hindern, den ge samten Schatz untereinander aufzuteilen, sobald Gi zil zurückkommt?« »Dasselbe mit den Waffen ...« »Die müssen fast am Ende sein. Ein einziger or dentlicher Vorstoß ...« »Wir sollten wenigstens die Köpfe der Anführer fordern ...« Nach einstündiger Diskussion verlangte Barnevelt eine Abstimmung. Sie endete mit Stimmengleichheit. Da die Sunqaruma Zakkomir in ihrer Gewalt hatten, war Königin Alvandi nun für den Frieden. »Ich sage Frieden«, meinte Barnevelt. »Und was die Einzelheiten betrifft ...« Als man Gizil wieder hereinließ, sagte ihm Barne velt, man würde die Bedingungen mit zwei Ausnah men annehmen: Die Moryoa Sunqaruma dürften Geld und Waffen nicht mitnehmen, und die aus Qirib Stammenden sollten so weit als möglich von diesem Land entfernt abgesetzt werden, etwa an der Südost küste der Banjao-See. Letzteres war Alvandis Wunsch, da sie nicht wollte, daß die Abtrünnigen wieder in Qirib eindrangen und Unruhe stifteten. Gizil grinste. »Ihre Hoheit scheint zu glauben, daß wir unbedingt unter ihr Joch zurückkehren möchten, nachdem wir ihm entfliehen konnten ... Wie auch
immer, ich werde Euer Angebot meinem Rat unter breiten. Sollen wir den Waffenstillstand verlängern, bis die Sache entschieden ist?« So wurde es beschlossen, und Gizil ging.
15
Am nächsten Tag lagen die gegnerischen Streitkräfte einander in unbehaglicher Ruhe gegenüber. Beide waren beschäftigt, Schäden zu beheben und ihre Posi tionen auszubauen. Kurz nach Mittag kam Gizil wie der, und ein Geflatter von gehißten Flaggen rief die Admiräle an Bord der Junsar. Gizil sagte: »Meine Herren, Eure Bedingungen sind hart – zu hart, um von kriegsgewohnten Männern mit Waffen in der Faust angenommen zu werden. Daher unterbreite ich Euch einen geänderten Vorschlag: un seren Männern soll gestattet werden, pro Kopf einen Gold-Kard mitzunehmen, damit sie nicht verhun gern, während sie sich ehrlich Arbeit suchen, und Waffen im Ausmaß von Messer oder Dolch für jeden, damit sie nicht völlig schutzlos sind. Auch sollen nur unversehrte Ex-Qiribuma wie ich in jene fernen Län der geschickt werden, von denen Alvandi spricht. Verwundete sollen näher der Heimat in zivilisierten Gebieten abgesetzt werden.« »Vorschlag angenommen«, sagte Barnevelt rasch, ehe die Admirale den Mund aufmachen konnten. Ei nige sahen ihn finster an, insbesondere die Königin, die das Aussehen einer zuschnappenden Schildkröte annahm. Doch da der Frieden so knapp in Reichweite
war, wollte er ihn nicht entschlüpfen lassen. Wenn er ihnen nicht paßte, gut – George und er würden bald weg sein, und ihm war es egal, ob künftige Ge schichtsbücher auf Krishna ihn schmähten. »Gebt Ihr Euer feierliches Versprechen, Snyol von Pleshch?« sagte Gizil. »Ihr habt mein Wort.« »Werdet Ihr mit mir an Bord meines Schiffes kom men und meinen Unterführern Euer Versprechen ge ben?« »Gewiß.« »Oho!« sagte Fürst Ferrian. »Steckt Ihr dabei nicht den Kopf in den Rachen des Yeki? Traut Ihr den Schurken so weit?« »Ich glaube, ja. Er weiß, was ihnen blüht, wenn sie in diesem Stadium faulen Zauber versuchen. Sollte ich nicht wiederkehren, dann übernehmt Ihr die Füh rung.« Barnevelt ging mit Gizil in die Festung. Er durch kletterte die äußeren Befestigungen zu der großen Galeere, die den Kern dieser schwimmenden Zitadel le bildeten. Er sah überall Anzeichen großer Schäden, dazu tote und verwundete Piraten. Trotzdem waren genügend am Leben geblieben. Gizil hatte die Wahr heit nicht strapaziert. Nachdem er einer Runde von Offizieren vorgestellt worden war, wiederholte er seine Versprechungen.
»Natürlich müssen sich Eure Leute eine Durchsu chung gefallen lassen«, sagte er. Sie setzten einen Vertrag auf, der die Kapitulati onsbedingungen enthielt, unterschrieben ihn und brachten das Dokument zurück, damit auch die Ad miräle unterzeichnen konnten. Das alles war eine er müdende und zeitraubende Sache. Der wie immer sehr selbstbewußte Zakkomir, aus dessen Gesicht aber die katzenhafte Weichheit ge schwunden war, wurde freigelassen. Barnevelt nahm ihn beiseite und sagte: »Wollt Ihr mir einen Gefallen tun?« »Mein Leben steht Euch zur Verfügung, Snyol.« »Dann vergeßt, daß die Piraten daran interessiert waren, mich und Tagde festzunehmen. Verstanden?« Die Durchsuchung der Morya Sunqaruma, um si cherzugehen, daß sie nicht mehr als die erlaubte Geldsumme und Waffenmenge mit sich führten, und das Verladen in die verschiedenen alliierten Schiffe, nahm den Rest des Tages in Anspruch. Weil die Pira ten aus Qirib – die fast die Hälfte stellten – an einen eigenen Bestimmungsort gebracht werden sollten, lieh sich Barnevelt vom Admiral aus Suruskan einen Truppentransporter, die Yars aus. Königin Alvandi bestand darauf, ihn mit ihren ei genen Leuten zu bemannen: Zum Rudern Männer, zur Bewachung der Passagiere Amazonen. Sie sagte:
»Ich werde keine Ruhe haben, ehe ich nicht von mei nen eigenen Mädchen höre, daß diese Schurken an einem Ort abgesetzt wurden, von dem sie zur Rück kehr nach Qirib Jahre brauchen.« Im roten Abendlicht des Roqir gingen die nicht verwundeten Ex-Piraten in der Nähe der Kanalmün dung an Bord der Yars. Es waren 397 Männer, 123 Frauen und 86 Kinder. Barnevelt nahm das Essen allein ein, da Tangaloa draußen filmte. Nach dem Essen ließ sich Barnevelt mit der Junsar kanalabwärts zu Alvandis Douri Deja nai rudern. Noch nie zuvor hatte er die Privatkabine der Königin betreten. Der Raum war jetzt von einem Brand geschwärzt, den eine der Sunqaro-Raketen verursacht hatte. Wie überrascht war er, von einem heiseren Schrei begrüßt zu werden: »Baghan! Ghuvoi zu!« Philo, der Papagei, war an eine Stange angekettet. Er sah Barnevelt zuerst mit einem Auge an, dann mit dem anderen, und schien ihn schließlich zu erkennen. Dann ließ er sich die Federn kraulen. Königin Alvandi trat ein und sagte: »Ihr und ich, wir sind die einzigen, die mit diesem Ungeheuer um gehen können. Ihr habt seltsame Macht über solche Wesen, und mich fürchtet er. Da, gießt Euch einen Becher erstklassigen Falatwein ein – aus der Karaffe dort. Ich nehme an, Ihr werdet heute abend bei der
Sitzung den Vorsitz führen, um die Beute zu vertei len?« »Ja, und ich habe Angst davor. Alle werden zu gleich danach greifen wollen. Tröstlich dabei ist nur der Gedanke, daß dies meine letzte Handlung als Oberkommandierender sein wird.« »Ach, es wird zu keinen Zwistigkeiten kommen. Verkündet Euren Beschluß und belaßt es dabei. Ich verlange nur meinen angemessenen Anteil – den ganzen Sunqar, dazu meinen Anteil an Schiffen und Schätzen.« »Das habe ich befürchtet.« Sie machte eine wegwerfende Gebärde. »Wenn Ihr nicht ein Viertel davon als Privatanteil verlangt, wird alles glatt gehen.« »Tatsächlich wollte ich gar nichts verlangen.« »Was? Seid Ihr verrückt? Oder ist das eine heim tückische Methode, einen von uns um den Thron zu bringen? Wollt Ihr den Gecken von Sotaspe stürzen?« »Daran hab ich nie gedacht! Mir gefällt dieser Fer rian.« »Was haben Vorlieben mit hoher Politik zu tun? Zweifellos bringt Ferrian Euch ebenfalls Sympathien entgegen, was ihn nicht davon abhalten würde, Euch die Kehle durchzuschneiden, wenn es um das Wohl von Sotaspe ginge. Aber das spielt auch keine Rolle, denn ich habe mit Euch andere Pläne!«
»Was denn?« fragte Barnevelt widerstrebend. Wenn es um ihre Pläne ging, fürchtete Alvandi weder Tod noch Teufel. »Meinetwegen lehnt Euren Anteil ab, wenn Ihr un bedingt den Edelmütigen spielen wollt. Aber sorgt dafür, daß Euer Anteil an mich übergeht. Es bleibt dann in der Familie.« Barnevelt, der das Gefühl hatte, als griffe ihm eine kalte Hand an die Kehle, sprang auf und verschüttete dabei seinen Wein. »Was sollte das heißen – es bleibt in der Familie?« »Ihr habt es also geahnt? Es ist klar wie die Gipfel des Darya, daß meine Tochter Zei in Euch verliebt ist. Daher erwähle ich Euch als ihren ersten Gemahl, als welcher Ihr gemäß unserer alten und unwandelbaren Sitte dienen werdet, bis Eure Aufgabe erfüllt ist. Die Auslosung ist natürlich nur Theater. Hoffentlich werdet Ihr am Ende Eures Dienstes ein besserer Bra ten sein, als es der unbeweinte Kaj gewesen wäre!«
16
Barnevelt stand schweratmend da. Schließlich brachte er heraus: »Ihr vergeßt wohl, daß ich kein Qiribu bin und hier nicht Qirib ist. Ihr habt also gegen mich kei ne rechtliche Handhabe.« »Und Ihr vergeßt wahrhaftig, daß ich Euch zum Bürger von Qirib gemacht habe, als Ihr mit Zei nach Ghulinde zurückgekehrt seid! Da Ihr damals nicht abgelehnt habt, habt Ihr Euch den diesem Status ent sprechenden Verpflichtungen unterworfen, wie Euch jeder Magister der Rechte erklären könnte. Lassen wir also diese Debatte.« »Vergebt, aber ich werde sie nicht lassen. Ich werde Eure Tochter nicht heiraten, und ich werde nicht zu lassen, daß Ihr die Qiribuma, die sich ergeben haben, massakrieren laßt.« »So? Ich werde es Euch zeigen, Ihr Verräter!« Ihre Stimme erhob sich zu einem Kreischen. Sie lief durch die Kabine und kramte in einer Lade. Barnevelt ahnte sofort, daß sie einen Behälter mit dem Janru-Parfüm suchte – eine Flasche etwa oder eine Spritzpistole – um ihn zu besprühen. Ein Zi schen, und er wäre ihrem Willen unterworfen, als stünde er unter osirischer Pseudohypnose. Im Au genblick war sie der Tür näher als er. Was also tun?
»Vergebt«, sagte er und zog seinen Degen. »Keine Widerrede, sonst ist Zei sofort Königin, ohne daß Ihr abdanken müßt.« Nachdem er ihr einen kräftigen Stoß ins Zwerchfell gegeben hatte, ging sie endlich, wobei sie Verwün schungen ausstieß wie eine Zigeunerin, die nach ei nem Taschendiebstahl ertappt und ins Kittchen ver frachtet wird. Im königlichen Schlafgemach suchte er sich Laken zusammen und zerriß sie zu Streifen: »... meine besten Laken, noch von der Großmutter selig!« jammerte Alvandi. Bald wurden ihre Klagen durch einen festen Kne bel erstickt. Nach einer weiteren Viertelstunde hatte er sie verschnürt, zusammengepackt, gefesselt in ih ren eigenen Kleiderschrank gesperrt und die Tür ver schlossen. Der Wache vor der Kabinentür sagte er: »Ihre Ho heit fühlt sich nicht wohl und läßt ausrichten, daß sie unter keinen Umständen gestört werden möchte. Bit te – ich brauche ein Boot.« Er kehrte auf sein eigenes Schiff zurück und fühlte dabei, trotz der Gefahr, in der er schwebte, ein selt sam prickelndes Gefühl. Auf Deck der Junsar traf er Tangaloa an, der sagte: »Ich habe nach dir Ausschau gehalten ...« »Und ich nach dir. Wir müssen hier weg. Avandi möchte die aus Qirib stammenden Sunqaruma mas
sakrieren lassen und mich zu ihrem Schwiegersohn machen, alles inklusive – samt Henkerblock.« »Mein Gott, was sollen wir machen? Wo ist die alte Fledermaus?« »Sie hockt in ihrem Schrank. Laden wir Igor in ein Boot und – warte mal – die Yars liegt jetzt an der Ka nalmündung. Wir rudern hin. Du lenkst die Kriegerinnen der Alvandi ab, während ich mit Vizqash – ich meine mit Gizil – vereinbaren werde, die Yars zu übernehmen und zurück nach Novorecife zu segeln.« »Mit Ex-Piraten als Mannschaft?« »Warum nicht? Es sind Heimatlose, die vielleicht heilfroh sind, wenn sie uns als Führer bekommen. Sie werden mir Glauben schenken, wenn ich ihnen sage, daß ich lieber auf ihre Seite übergelaufen bin, als zu zulassen, daß man sie tötet, weil es genau der Art des wirklichen Snyol entspricht, so verdammt verrückt zu handeln.« »Gut!« sagte der Xenologe. Sie liefen hinunter. »Bringt mir ein Paar Handschellen«, sagte Barne velt dem diensthabenden Wachsoldaten. Damit betrat er das Schiffsverlies, in dem Shtain apathisch auf sei ner Pritsche hockte. »Strecken Sie die Hände aus«, sagte Barnevelt und ließ die Handschellen um Shtains Gelenke zuschnap pen. »Und jetzt kommen Sie mit!« Shtain, der in Lethargie versunken war, schlurfte
mit ihnen an Deck und ging mit an Bord des Lang bootes. »Rudert kanalabwärts zur Yars«, befahl Barnevelt seinen Ruderern. »Leise!« Zwei Zehn-Nächte darauf lief die Yars das geschäfti ge Majbur an. Das Schiff war durch einen Ausläufer des ersten Wirbelsturmes der Saison vom Kurs abge kommen und hatte zweimal vor unidentifizierten Flotten am Horizont die Flucht ergreifen müssen. Barnevelt und Tangaloa gingen an Land. Sie schleppten Shtain mit sich und überließen Gizil die Aufsicht über das Schiff. Barnevelt hatte vor dem ExPiraten Achtung bekommen, trotz der herablassen den Art des Krishni, seiner räuberischen Vergangen heit und der mehrmaligen Versuche, ihn zu ermor den. Sie gingen zum Büro Gorbovasts, des offiziellen Geschäftsträgers König Eqrars von Gozashtand und inoffiziellen Geschäftsträgers der ViagensInterplanetarier. »Bei allen Göttern!« rief der aus seiner gewohnten Gemütsruhe aufgeschreckte Gorbovast. »Die Flotte der Freistadt ist vor zwei Tagen eingelaufen und hat die wilde und wundersame Mär gebracht, wie ihr beide die alliierte Flotte zum Sieg über den Sunqar geführt habt und dann wegen eines unerklärlichen
Streites mit der alten Alvandi, diese, wie ein Uaha auf dem Weg zum Markt, gefesselt habt, weiters ein Schiff aus Suruskand gestohlen, mit gefangenen Pira ten bemannt und Euch in Luft aufgelöst habt. Und jetzt seid Ihr hier! Was verleitet einen Menschen von erprobter Rechtschaffenheit dazu, seinen Mantel in so erstaunlicher Weise nach dem Winde zu drehen?« Barnevelt berichtete dem Geschäftsträger von dem Plan der Königin, die Sunqaruma zu töten. »Ach ja«, sagte Gorbovast. »Man sagt, daß Ihr ein großer Idealist seid. Wer ist dieser schmutzige Kerl in Fesseln? Die Freie Stadt verbietet die ungesetzliche Festnahme freier Menschen, auch wenn es Erden menschen sind ...« »Dies«, sagte Barnevelt, »ist jener Shtain, dem wir nachgejagt sind.« »Igor Shtain?« »Derselbe. Der Janru-Ring hat ihn gefangenge nommen und die osirischen Mitglieder des Ringes haben ihn zum Piraten gemacht, indem sie ihre Psy cho-Kräfte spielen ließen. Deswegen kennt er jetzt seine alten Freunde nicht mehr. Sheafase ist tot, aber wir kennen einen anderen Osirier, einen gewissen Sishen in Jazmurian. Den haben wir vor einigen Zehn-Nächten kennengelernt. Ich glaube, er war auf dem Weg nach Majbur. Wißt Ihr, ob er hier ist?« »Nein. Aber wir können es in Erfahrung bringen.
Gehen wir ins Amt des Chefsyndikus über die Stra ße.« Der Chefsyndikus, den sie zuletzt in Ghulinde ge sehen hatten, begrüßte sie nicht weniger erstaunt als Gorbovast. Als sie ihm die Lage erklärt hatten, ließ er seinen Polizeichef kommen, der seinerseits nach ei nem Untergebenen schickte. Dieser sagte, ja, dieser Sishen wohne im Chunar und könne innerhalb einer Stunde vorgeführt werden. »Erschreckt ihn nicht zu sehr«, sagte Barnevelt. »Er hat eine empfindsame Seele. Sagt ihm, alte Freunde wollten ihn sehen.« »Hm«, sagte der Chefsyndikus. »Obwohl es mir mißfällt, einen so glücklichen Anlaß zu trüben – doch die Pflicht gebietet mir, gewisse Angelegenheiten vorzubringen.« Er kramte in seinem Schreibtisch. »Hier habe ich ein Schreiben des Präsidenten von Su ruskand, der mich um Beistand bei der Wiederauf findung des gestohlenen Schiffes bittet.« Barnevelt tat die Frage der Yars mit einer großarti gen Geste ab. »Er wird sein Schiff zurückbekommen. Inzwischen zahle ich ihm dafür Miete. Habt Ihr ein Scheckformular?« Nachdem er sich über das seltsam bedruckte Ding verwundert hatte, das einem irdischen Scheck so gar nicht glich, schrieb Barnevelt den Scheck aus, zahlbar an die Republik von Suruskand durch das Bankhaus
Ta'lun & Fosq, über fünfhundert Karda. »Schickt ihm dies und sagt ihm, ich werde den Rest später beglei chen.« »Ich bin sicher, er wird Eure – hm – Kavaliersgeste sehr wohlwollend aufnehmen«, sagte der Chefsyndi kus. »Hier habe ich noch ein Schreiben, das Euch be trifft. Es ist erst heute morgen, im diplomatischen Code verschlüsselt, eingelangt – von Zakkomir badGurshmani, einem Mündel Königin Alvandis. Nach der üblichen Einleitung heißt es: ›Seit unserer Rückkehr nach Ghulinde bin ich zu einem schrecklichen Tod verurteilt: durch die gelenk te Auslosung wurde ich zu Prinzessin Zeis erstem Gemahl erwählt und soll sie am Tage ihrer Thronbe steigung, am zehnten Sifta, ehelichen.‹ (Das ist nach ihrem Kalender von heute ab in sechs Tagen.) ›Ihr wißt, Herr Syndikus, das Schicksal erfüllt sich für den, auf den diese Ehre fällt, zu Ende des Jahres. Auch Zei ist nicht glücklich über diese mißliche Situa tion, doch sind wir hilflose Marionetten in der Hand meines königlichen Vormundes, denn sie wird auch nach ihrer formellen Abdankung die Fäden in der Hand haben. Es gibt jedoch einen, der uns retten könnte: den mächtigen Erdenmenschen, der unter dem Pseudonym Snyol von Pleshch reist.‹ Das, neh me ich an, seid Ihr, mein Herr?« »Richtig«, sagte Barnevelt.
Der Chefsyndikus machte eine entschuldigende Geste. »Fürchtet nicht, diese Tatsache in der Zurück gezogenheit unserer Gemächer zuzugeben, denn Gorbovast und ich sind aufgeklärte Menschen, die gegen die den Terranern entgegengebrachten Vorur teile und Abneigung ankämpfen. Einige unserer be sten Freunde sind Erdenmenschen, denn wir sind der Ansicht: Soll die ganze Gattung pauschal verdammt werden, nur weil ein paar dieser Tölpel sich arrogant benehmen und frech die Überlegenheit ihrer eigenen, angsteinflößenden Welt rühmen? Wie dem auch sei – widmen wir uns wieder unse rem Bericht. Ich darf zitieren: ›Ich wußte nicht, daß dieser Held ein Erdenmensch ist, bis Zei es mir nach meiner Rettung aus dem Sunqar sagte, obwohl ich schon vorher Verdacht geschöpft hatte. Und jetzt die Hauptsache: Er ist Terraner, und auch Zei ist Terrane rin – eine Tatsache, die ich lange als Hofgeheimnis gehütet habe. Sie ist nicht das Küken von Königin Al vandi, die unfruchtbar ist wie die Felsen von Har qain, sondern ein elternloses Kind, das ihr von Skla venhändlern besorgt wurde. Sie wurde als Kind der Königin aufgezogen. Von Kindesbeinen an hat man ihr beigebracht, sich als Eingeborene dieses Planeten zu verkleiden. Das Gesetz Qiribs verdammt nämlich nicht nur alljährlich den Prinzgemahl. Es verdammt gleichermaßen eine Königin, der es nicht gelingt, fünf
Jahre nach der Thronbesteigung ein befruchtetes Ei zu legen. Die Prinzessin hat mir gesagt, daß sie die wahre Natur dieses Pseudo-Snyol während ihrer Ret tung erkannt hat. Sie hat angenommen, daß er glei chermaßen auch sie durchschaut hätte. Um so er staunter war sie über sein Verhalten, das er ihr ge genüber zur Schau trug ...‹« Der Syndikus sah auf. »Ich nehme an, Ihr wißt, wor auf er anspielt? Ich fahre fort: ›Da er ein Erdenmensch ist, scheint es mir nur natürlich, daß er nach Novorecife zu seinen Artgenossen fährt. Daher bitten wir Euch dringendst, nach ihm Ausschau zu halten. Sollte er No vorecife erreichen, ohne daß Ihr ihn aufhalten könnt, dann trachtet, ihm eine Botschaft in die Festung der Terraner zukommen zu lassen. Dadurch könnt Ihr viel leicht nicht nur mein eigenes wertloses Leben retten, sondern das Glück meiner gnädigsten Prinzessin. Ich muß hinzufügen, daß Königin Alvandi eben falls die wahre Natur Snyols kennt und daher um so eifriger darauf aus war, ihn als Gemahl für ihre Toch ter zu bekommen – denn ehe sie ihre matriarchali schen Prinzipien aufs Spiel setzt, läßt sie lieber Fremdherrschaft in Qirib zu. Da es ihr nicht glückte, ihn zu halten, hat sie mich als Zweitbesten erkoren – eine Wahl, die mir eigentlich schmeicheln sollte, wäre da nicht das Bild des Beils, das sich immer zwischen meine Gedanken drängt. Da Zei – für die ich nur
verwandtschaftliche Gefühle hege – von einem Mann meiner Gattung nicht befruchtet werden kann, ver mute ich, daß Alvandi wieder ein Findelkind ein schmuggeln will, um die Erbfolge zu sichern.‹« »Das wäre es«, sagte der Syndikus. »Was Ihr jetzt unternehmen wollt, liegt bei Euch. Falls Ihr dieser Welt den Rücken kehrt, so bitte ich Euch, diese Ange legenheiten für Euch zu behalten, da sie sehr dunkle, subversive Möglichkeiten enthalten.« Gorbovast sagte: »Ich habe da so einen Verdacht, wer Zei in Wirklichkeit sein könnte.« »Wer denn?« fragte Barnevelt mit Schärfe. »Kennt Ihr den irdischen Missionar eines über die Maßen unsinnigen Kultes – nämlich Mirza Fateh? Dessen Frau getötet und die Tochter im Jahr des Bish tar von Räubern entführt wurde?« Der Syndikus nickte. »Zei wäre im richtigen Alter und ist auch der richtige Typ, obwohl das Kind laut meinen Informationen in Dur verkauft wurde und dort gestorben ist. Wo ist dieser Mirza Fateh jetzt?« »Er war in Mishe«, sagte Gorbovast. »Es sieht so aus, General Snyol, als gelänge Euch eine rührende Familienzusammenführung.« »Wir werden sehen«, sagte Barnevelt, dessen Hirn wie ein Generator surrte. »Ich bin der Meinung, daß junge Paare besser dran sind, wenn nicht zu viele El tern in der Gegend herumstehen.«
Tangaloa sagte: »Als Probe mußt du zu Zei sagen: Shuma farsi harf mizanid?« »Was heißt das?« »Das heißt ›Sprichst du Persisch?‹ auf Persisch. Ich war einmal im Iran. Aber du wirst dazu kaum Gele genheit haben, weil du die Kleine vor dem Abflug nicht mehr sehen wirst.« Barnevelt übte noch immer den einen Satz, als Sishen eintrat. Der Osirier, der einem mannsgroßen zweifüßigen Dinosaurier glich, sprang nach einem Blick auf Bar nevelt diesen an, so wie er damals Tangaloa im Zim mer der Herberge Angurs angesprungen war. »He!« schrie Barnevelt und versuchte sich der Rep tilienumarmung zu entwinden. »Ach, mein teurer Retter!« zischte der Osirier. »Wie schön, Euch wieder zu sehen! Meine Dankbarkeit hat seit der Zeit, als wir uns in Jazmurian trennten, nicht geschwankt! Ich liebe Euch!« »Zeigen wir das lieber nicht so demonstrativ«, sag te Barnevelt und befreite sich gewaltsam. »Wenn Ihr mir wirklich einen Gefallen tun wollt – da haben wir einen Erdenmenschen, der unter Pseudohypnose steht. Er hat sein Leben auf der Erde vergessen und hält sich für einen Piraten der Morya Sunqaruma. Könnt Ihr ihn heilen?«
»Ich kann es versuchen. Bekommen wir einen Raum für uns allein?« Während das Reptil Shtain hinausgeleitete, erkun digte sich Barnevelt nach der Shambor. Das kleine Schmuggelschiff mit dem Marconi-Segel schien spur los verschwunden zu sein. Barnevelt hegte den Ver dacht, daß die Meuterer den Kahn wahrscheinlich zum Kentern gebracht oder ihn auf andere Weise vernichtet hatten, weil sie mit der Takelung nicht zu rechtgekommen waren. Nach einer halben Stunde kam Shtain aus dem Zim mer, schüttelte den Kopf und rieb sich das stoppelige Haupt. Er renkte Barnevelt und Tangaloa fast die Hände aus. »Guter Gott!« sagte er. »Fein, wenn man wieder normal ist! Verdammtes Kefihl, wenn ein Teil des Chirnes genau weiß, was los ist, aber nichts dagegen tun kann. Ihr Jungs wart wunderbar – einfach wun derbar. Ich selbst hätte es nicht besser machen kön nen. Wann schieben wir hier endlich ab?« Shtains russischer Akzent war stark wie eh und je. »Was ihr beide vorhabt, weiß ich nicht«, sagte Bar nevelt, »aber ich gehe mit meinen Piraten zurück nach Ghulinde.« »Was!« rief Shtain. »Machen Sie sich nicht lächer lich! Sie kommen mit uns zur Erde zurück ...«
»Das werde ich nicht.« »Moment, Moment, ihr beide!« sagte Tangaloa. »Igor – überlassen Sie ihn mir. Hör mal, Freund, du wirst doch die Sache mit Zei und Zakkomir nicht ernst nehmen? Unseren Film haben wir. Unser Aben teuer haben wir auch hinter uns. Und jetzt kannst du zurück auf die Erde und dich auf deinen Lorbeeren ausruhen ...« »Nein«, sagte Barnevelt. »Erstens lebt auf der Erde meine Mutter, und zweitens werde ich Zei retten.« »Im nächsten Moment könntest du ein anderes Mädchen haben!« »Nicht das Mädchen, das ich haben will!« »Wenn du sie rettest – wirst du sie mit dem näch sten Schiff zur Erde bringen?« »Das glaube ich nicht. Ich habe mich entschlossen, mein Glück hier auf Krishna zu machen.« Shtain hatte in unterdrückter Erregung die Fäuste geballt. Jetzt brach es aus ihm hervor: »Sind Sie total übergeschnappt? Was wird die Firma ohne Sie anfan gen? Wo kriege ich wieder einen solchen PR-Mann her? Ich verdopple Ihr Gehalt! Sie können uns doch nicht im Stich lassen!« »Tut mir leid, es hätte Ihnen früher einfallen müs sen, wie kostbar ich Ihnen bin.« Shtain begann auf Russisch zu fluchen. Tangaloa sagte: »Hm, Dirk, du weißt doch, daß
diese irdischen Abenteurer, die sich auf zurückge bliebenen Planeten herumtreiben und die Eingebore nen ausbeuten, minderwertige Typen sind, die mit ihrer eigenen Rasse zu Hause nicht zurechtkommen. Sie machen sich die fortgeschrittenere Kultur der Er de zunutze, zu deren Schaffung sie nichts beigetragen haben ...« »Ach, Unsinn. Diese Sprüche kenne ich. Nenne mich meinetwegen minderwertig, aber hier bin ich ein Kerl und kein schüchterner, schizoider Ödipus komplexbeladener, der sich vor seiner Mammi fürch tet!« »Trotzdem ist es kein Leben für einen Mann, des sen Intellekt ...« »Überleg einmal: Obwohl wir die Bande Sheafases gesprengt haben, ist der Sunqar noch immer in Hän den der Krishni, und wir haben das Janru-Problem nicht gelöst. Da Alvandi eine fanatische ... hm ...« »Gynarchistin?« »Danke – Gynarchistin ist, wird sie auch weiterhin die Droge herstellen und vertreiben. Sie war Sheafase nicht feindlich gesinnt, weil er das Zeug an die inter stellaren Schmuggler verkauft hat, sondern weil er sämtliche Einkünfte daraus für sich beansprucht hat.« »Na und? Wir haben die Informationen. Alles übri ge bleibt der Weltföderation und dem Interplanetari schen Rat überlassen.«
»Überleg doch, wie sehr die Sache vereinfacht würde, wenn ich den Sunqar in der Hand habe!« »Da haben wir's.« Tangaloa wandte sich an Shtain, dessen Lippen noch immer slawische Konsonanten ausspuckten wie ein Maschinengewehr. »Wir können ihn ruhig gehen lassen – ihn leitet die blaue Blume der Romantik. In einigen Jahren hat er vielleicht alles satt und kehrt auf die Erde zurück. Außerdem ist er verliebt.« »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Das ist doch etwas ganz anderes.« Shtain seufzte wie ein Bla sebalg. »In meiner Jugend war ich verliebt – in drei oder vier Mädchen auf einmal! Leben Sie wohl, mein Junge! Ich wünsche Sie zum Teufel, aberr ich liebä Sie wie meinän eigenän Sohn!« »Danke«, sagte Barnevelt. »Sollten Sie in einem Jahr aufkreuzen, breche ich Ihnen zuerst das Genick und gebe Ihnen dann Ihren alten Job wieder. George, wie zum Henkär kommen wir nach Novorecife?«
17
Sechs Tage darauf liefen zwei Schiffe in den Hafen von Damovang ein. Eines war die Yars, das andere ein Frachtschiff voller Ayas, die Barnevelt mit einem Teil von Alvandis Belohnung für seine Privatarmee gekauft hatte. Die Flagge, die von den Masten dieser Schiffe wehte, verursachte bei den Bürgern von Da movang verdutztes Kopfkratzen, denn es war die alte Flagge Qiribs, die vor den Tagen der Königin Dejanai und dem Matriarchat Geltung gehabt hatte. Die Schiffe näherten sich gemächlich der leeren Mole. Ein Tau wurde an Land geworfen und von ei nem der Herumtreiber, die sich auf jedem Pier fin den, aufgefangen und festgemacht. Sodann ergoß sich aus dem ersten Schiff ein Schwarm gepanzerter und bewaffneter Männer. Vor ihren Lanzen flogen die Menschen auf den Docks, schreiend wie ein Schwarm aufgescheuchter Aqebats. »Beeilt euch mit den Ayas!« rief Barnevelt, der von Kopf bis Knie in Stahl gekleidet war. Aus dem zweiten Schiff wurden die Tiere an Land geführt. Als alle ausgeladen waren, saßen die schwerbewaffneten Männer auf oder wurden in den Sattel gehoben. Nach einer langen Debatte zwischen Barnevelt und
Gizil über die Vorteile eines Angriffs zu Fuß, vom Meer aus, und einem Kavallerieangriff von Land aus, hatten sie sich entschieden, beide Arten zu einer Art Amphibien-Kavallerieattacke zu kombinieren. Dabei war Barnevelts schwierigste Aufgabe gewesen, seine Männer zum Tragen von Rüstungen zu bewegen. Da es sich meistenteils um Seeleute handelte, mißtrauten sie dem Zeug, weil sie wußten, es könnte sie erträn ken, falls sie während eines Kampfes auf hoher See über Bord gehen müßten. »Mir nach!« rief Barnevelt. Hinter ihm stieß Gizil in eine Trompete. Die Berittenen klapperten in Doppel reihe die nächste Straße bergan. Hinter ihnen die üb rige Armee zu Fuß. »Was soll das?« schrie eine Stimme. Ein Amazo nentrio stellte sich ihnen in den Weg. »Die Männer Qiribs kommen zurück und fordern ihr Eigentum!« sagte Barnevelt. »Aus dem Weg, Mädchen, wenn euch nichts geschehen soll!« Eine Amazone stieß mit der Pike gegen Barnevelt, der die Speerspitze mit einem flinken Schlag abhieb und dann dem Mädchen mit der Flachseite seiner Klinge auf den Helm hieb. Das Mädchen rollte über die Pflastersteine. Während sein Aya vorwärtsstürm te, versohlte er das zweite Mädchen. Als die dritte davonlaufen wollte, erwischte er sie am Haarschopf, der unter dem Helm hervorwallte.
»Einen Moment, Schönste«, sagte er. »Wo findet die Hochzeit der neuen Königin statt?« »Im Tempel der Muttergöttin in der Oberstadt.« »Gizil! Führe uns! Und beeil dich mit den Flugzet teln!« Einige aus der Schar Barnevelts zogen Fäuste voll Handzetteln aus den Satteltaschen und ließen sie durch die Luft flattern. Darauf stand: MÄNNER QIRIBS! ERHEBT EUCH! Werft Eure Fesseln ab! Der Tag der Freiheit ist gekommen! Heute, nach fünf Generationen weiblicher Tyran nei, ist eine Gruppe Verstoßener nach Qirib zu rückgekehrt, um eine ruhmreiche Revolution für die Gleichberechtigung der Männer zu führen. Be waffnet Euch und folgt uns! Heute werden wir das gräßliche Götzenbild der Vampirgöttin stürzen, de ren erniedrigende Anbetung und obszöne Riten lange als Vorwand für die sündhafte und un gerechte Unterdrückung gedient haben ... Barnevelt zähmte das Verlangen, wie verrückt vo rauszureiten und die Fußtruppen hinter sich zu las sen. Als sich die Kolonne der wimpelgeschmückten Lanzen die Steigung zu der vieltürmigen Stadt im Schoße Qunjars hinaufwand, blickte er sich um und
sah, daß eine ungeordnete Reihe männlicher Bürger seinen Fußtruppen folgte, die Stuhlbeine und andere improvisierte Waffen schwangen. Einige Neugierige liefen weg, als die Krieger näherkamen, während sich andere neugierig herandrängten. Die Männer jubel ten, während die Frauen Fäuste schüttelten und Dro hungen ausstießen. Auf dem Platz vor dem Tempel der Varzai zügelte Barnevelt sein Tier. Auf der anderen Seite des Platzes hatte eine Abteilung Amazonen in einem Halbkreis vor dem Tempeleingang Aufstellung genommen. Ein Offizier rannte hin und her und schubste die Mäd chen in Reih und Glied. Alle hielten ihre Speere mit den Spitzen nach vorn, wie in der Nacht des Piraten überfalls auf Ghulinde. Die letzte Reihe hielt die Lan zen über die Köpfe der ersten knienden Reihe. Barnevelt gab Gizil ein Zeichen, die Männer zu rückzuhalten, während er über den Platz ritt. »Wann soll die Trauung stattfinden?« fragte er den Offizier. »Sie wird eben jetzt gefeiert. Was bedeutet dieses Eindringen?« Barnevelt wandte sich um. Der logische Weg, die Amazonen anzugreifen, wäre der Einsatz der Bogen schützen, unter Zurückhaltung der Kavallerie – für den Fall, daß die Amazonen einen Angriff zu Fuß wagen sollten. Doch seine Lanzenträger und Arkebu
siere strömten erst jetzt auf den Platz, und das Orga nisieren eines Sperrfeuers hätte mehrere Minuten in Anspruch genommen. Er mußte rasch einen Ent schluß fassen. »Auseinander!« rief er. »Wir kommen!« »Niemals! Wir trotzen euch!« Barnevelt machte kehrt und galoppierte zurück. »Bildet ein Karree!« Er lenkte sein Aya rücklings in die Mitte der ersten Reihe und schloß klirrend sein Visier. »Fertig! Los!« Klapp-klapp erklangen die Hufe auf den Pflaster steinen. Schön wäre es gewesen, den Handstreich oh ne Blutvergießen zu einem Ende zu bringen, doch hier war man auf Krishna, wo man noch nicht jene Empfindlichkeit gegenüber gewaltsamem Tod er reicht hatte, auf die man auf der Erde so stolz war. »Trab!« Diese sechsbeinigen Reittiere hatten einen harten, rüttelnden Trab, da der Sattel über dem mitt leren Beinpaar angebracht war. »Leichter Galopp!« Die Speerspitzen vor ihnen sa hen entsetzlich scharf aus. Falls die Mädchen nicht vor ihrem Näherkommen klein beigaben und falls die Ayas nicht vor den Lanzen zurückscheuten, würde es ein paar kritische Momente geben. Hoffentlich wurde er nicht abgeworfen und zertrampelt. »Attacke!« Die Lanzen senkten sich. Der Galopp sechshufiger Ayas glich einem trommelähnlichen
Rollen. Barnevelt verringerte das Tempo, bis er an seinen beiden Seiten die Lanzenspitzen seiner Reiter neben sich sah. Es hatte keinen Sinn, mit Gewalt der erste sein zu wollen. Die Reihe gegenüber kam immer näher. Er würde trachten, das hübsche Mädchen, genau ihm gegen über, nicht zu töten ... Krach! Die hübsche Kriegerin verschwand. Barne velt stieß mit dem linken Arm eine Lanzenspitze bei seite, während eine zweite Spitze von seinem Panzer abprallte. Sein Aya strauchelte und wurde durch ein wildes Zerren an den Zügeln, die am Schnurrbart des Tieres befestigt waren, wieder hochgebracht. Einen Augenblick lang bestand die Welt aus durcheinan derpurzelnden Amazonen und Ex-Piraten. Der Mit telteil der Amazonenreihe war verschwunden, als die Ayas sie überrollt hatten. Die übrigen Mädchen lie ßen die Lanzen fallen und liefen weg. Ein reiterloses Aya lief vorbei. Ein abgeworfener Reiter schlug mit einem abgebrochenen Lanzenschaft auf eine Amazone ein. Ein zweiter Reiter saß wieder auf. Es gab zwei tote Ayas und einige Amazonen, die sich nicht rührten. Barnevelt schob sein Visier hoch und rief Gizil knappe Befehle zu, den Kampf abzubrechen. Er solle den Kampf abblasen, sich um die Verwundeten kümmern und um Tempel und Platz eine Wache po
stieren. Dann ritt er an der Spitze einer Abteilung in den Tempel. Die Anwesenden saßen wie erstarrt da, als die Tie re samt den gepanzerten Reitern den Mittelgang ent langklapperten, dorthin, wo Königin Alvandi, Zei, Zakkomir und einige Priesterinnen der Varzai in ei ner Gruppe beisammenstanden. »Gerettet!« rief Zakkomir. Alvandi sprach: »Wie werdet Ihr dieses wahnwit zige Unternehmen zu Ende führen, elender Erden mensch? Mein Volk wird dich in Stücke reißen!« »So? Dann kommt und seht Euch an, was Euer Volk treibt, meine Liebe.« Er sah grinsend auf sie her ab, wandte dann sein Aya und führte die Gruppe den Mittelgang zurück, wobei sie sich an der Reihe seiner Leute, die ihm gefolgt waren, vorbeidrängten. Vor dem Portal sagte er: »Seht Ihr?« Seine Leute hatten um das Portal in einem Geviert Aufstellung genommen, und der Platz dahinter war mit männlichen Qiribuma vollgestopft. Gizil hetzte sie auf, und nach der Art zu schließen, wie sie brüll ten und ihre Knüppel schwangen, schien es ihren Bei fall zu finden. »Was wollt Ihr eigentlich?« fragte Alvandi. »Gnädigste Königin, ich bewundere Euren Mut, auch wenn ich Eure Prinzipien nicht billigen kann. Erstens seid Ihr selbst Usurpatorin, weil Ihr niemals
ein befruchtetes Ei gelegt habt und daher schon längst hättet hingerichtet werden sollen.« Die Königin erschrak deutlich. »Statt dessen habt Ihr ein entführ tes Erdenmädchen gekauft, ein kleines Kind, und es als eigenes aufgezogen. Zei, würdest du den Beweis antreten? Etwa so?« Er griff an seine Stirn und riß die falschen Anten nen ab. Zei tat es ihm gleich. Er fuhr fort: »Ich werde Euch dem Henker auslie fern, weil Ihr schon längst nach Eurem eigenen dummen Gesetz hättet hingerichtet werden sollen. Da sich die gegenwärtige Ordnung als illegitim und un rechtmäßig entpuppt hat, ist es Zeit, daß sie geändert wird und einer neuen Ordnung Platz macht. Ich wer de dem Volk helfen, eine neue Verfassung auszuar beiten ...« »Mit Euch selbst als Herrscher?« höhnte Alvandi. »Auf keinen Fall! Auf dieses Geschäft kann ich gern verzichten. Ich will nur Ratschläge erteilen. Zum Beispiel, Euch ins Exil zu schicken. Und dann nehme ich Zei, ein paar Schiffe, einige Freiwillige und regiere den Sunqar!« »Laut Vertrag mit den Admiralen ist er mein Eigen tum ...« »Er war Euer Eigentum, meint Ihr wohl! Er ist jetzt Staatseigentum, und meine Gefolgsleute – sowohl Qi ribuma als auch Sunqaruma – sind berechtigt, über
sein Schicksal zu entscheiden – und sie haben ihn mir überlassen.« Die Königin wandte sich an Zei. »Wenigstens du, Tochter, bist doch nicht etwa gewillt, den verderbten Zumutungen dieses maßlosen Phantasten nach zugeben?« »Und warum nicht? Ich bin nicht Eure Tochter, sondern von anderer Gattung. Ihr habt versucht, mich als Marionette zu benutzen, um Eure eigene Macht zu stützen, und habt sogar versucht, mich zu einer ungenetischen Verbindung zu zwingen. Ich zie he meine eigene Gattung vor.« »Und du, Zakkomir?« fragte Alvandi. »Das gleiche gilt für mich.« »Ihr seid alle gegen mich«, sagte die Königin, die den Mut sinken ließ. Mit einem letzten Aufflackern von Widerstand wandte sie sich an Barnevelt. »Was habt Ihr mit meinen Kriegermädchen gemacht, die Ihr weggeschleppt habt? Sie entjungfert und den Fi schen zum Fraß vorgeworfen?« »Keine Spur, Königin. Sie sind alle mit meinen Ex piraten die Ehe eingegangen.«
18
Nachdem er alles Nötige unternommen hatte, um die Ordnung in Ghulinde wieder herzustellen – zum Bei spiel ein paar Männer hängen lassen, die ihre Freiheit durch Ladenplünderungen hatten feiern wollen – stattete Barnevelt Zei einen Besuch in ihren Gemä chern ab. Als sie wieder zum Reden kam, sagte sie: »Herr und Geliebter, wenn du mich wirklich liebst – warum hast du dich zurückgehalten, bis Zakkomirs Schrei ben dich erreichte, obwohl du wußtest, daß ich irdi scher Abstammung bin? Noch einen Augenblick, und die Verbindung mit Zakkomir wäre geschmiedet worden.« »Woher hätte ich wissen sollen, daß du menschli cher Gattung bist? Hast du erwartet, ich würde an deinen Antennen zupfen, um zu sehen, ob sie sich lö sen?« »Ich habe dich doch auch als menschlich erkannt!« »Und wie kommt das? Haben sich meine Spitzoh ren gelöst, oder sonst was?« »Nein. Als wir unsere Kleider auf dem Floß im Sunqar trockneten und dann abermals, als wir den Ruß des Feuers von unseren Körpern wuschen, sah ich, daß du einen Nabel hast.«
Barnevelt schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Natürlich! Da du davon sprichst, fällt mir ein, daß eine in einem Ei ausgebrütete Person keinen Nabel braucht.« »Da ich meinte, daß du wußtest, ich hätte auch ei nen, dachte ich, du wüßtest alles und konnte keinen Grund für deine seltsame Zurückhaltung sehen. Viel leicht, dachte ich, ist er in Nyamadze aufgewachsen, wie ich in Ghulinde, und fühlt sich mehr als Krishni, denn als Terraner. Vielleicht ist er ein kleines Räd chen in irgendeiner großen Sache. Oder vielleicht fin det er mich bloß häßlich.« »Häßlich! Ach, Liebling ...« »Jedenfalls schien es klar wie die Gipfel des Darya, daß du den Anschein aufrechterhalten wolltest, wir seien Krishni, obwohl jeder die wahre Natur des an deren erkannt hatte. Und obzwar mich die Neugier fast verzehrte, wagte ich nur eine kleine Andeutung zu machen. Daher habe ich gesagt, wir wären von derselben Art und keiner wäre genau das, was er schiene.« »Daran kann ich mich erinnern, aber damals hat es bei mir nicht geklingelt. Meine Gedanken waren – woanders.« Sein Blick verschlang sie. Zei errötete. »Nun, als diese Andeutungen wie ein pfeilgetrof fener Aqebat ins Leere fielen, ging ich dazu über, zu erfüllen, was ich für deinen Wunsch hielt. Denn ich
liebte dich so, daß ich – trotz meines heroischen Ent schlusses, meine Keuschheit zu bewahren, wie es ei ner Prinzessin ansteht – auf dein Drängen hin den letzten Gunstbeweis einer Jungfrau geliefert hätte.« Barnevelt holte tief Luft. »Jetzt begreife ich! Stelle es meiner Dummheit in Rechnung – obwohl es viel leicht auf lange Sicht gesehen ein glücklicher Irrtum war. Doch wie hast du beim Schwimmen oder als an gebliche Statue im Park den Nabel versteckt?« »Ich habe ein Stück falscher Haut getragen, doch zum Kashyo-Fest habe ich es weggelassen, weil ich es unter dem feierlichen Gewand nicht für nötig hielt.« »Verstehe. Nun, da wir schon bei Geständnissen sind – es war kein wirklicher Yeki, der auf der Straße nach Shafe brüllte, als du mich verlassen wolltest. Ich habe ihn bloß nachgeahmt.« »Aber das habe ich doch gewußt«, sagte sie. Plötzlich sagte Barnevelt: »Jetzt müssen wir uns ausdenken, wie wir heiraten können – wir heiraten doch, oder etwa nicht?«
19
Ein Krishnajahr später erklärte ein fetter Betrunkener in der Nova Iorque Bar in Novorecife: »Ist doch alles Quatsch, diesen Barbaren freie Hand zu lassen. Man sollte ihnen die Wehrpflicht verpassen und sie zivili sieren. Sie dazu bringen, moderne Installation, De mokratie, Massenproduktion und alles übrige anzu nehmen. Und eine gute, moderne Religion ... sag mal, wer ist denn das?« Er wies auf einen großen, pferdegesichtigen Er denmenschen in Krishnagewandung, mit einer klei nen Kerbe im linken Ohr, der mit Kommandant Ken nedy und Sicherheitsoffizier Castanhoso trank. Der Mann mit dem gekerbten Ohr sagte: »... ich ha be ihn nicht eingeladen! Er hat in der in Mishe er scheinenden Zeitung über uns gelesen und hat sich zwei und zwei zusammengereimt. Das nächste war, daß er mit einem Schiff aus Malayer aufkreuzte und sagte, er wäre mein langvermißter Schwiegervater. Da Zei ganz verrückt nach ihm ist, kann ich ihn nicht vor die Tür setzen. Tatsächlich stört er mich nicht sonderlich. Er war wenigstens imstande, uns ord nungsgemäß zu trauen, und hat damit die Frage be reinigt, ob wir legal verheiratet sind. Doch diese ko mischen Leute, die ihn dauernd besuchen ...«
»Warum lassen Sie ihn nicht arbeiten?« fragte Ca stanhoso. »Das werde ich, sobald ich ...« »Das«, sagte der Begleiter des Dicken, »ist der be rühmte Dirk Barnevelt, Präsident der Sunqar-Gesell schaft. Er hat eben mit dem Interplanetarischen Rat ein Riesengeschäft gemacht. Möchtest du ihn kennen lernen?« »Sicher – ich möchte jeden kennenlernen, der menschlich ist.« »Ach, Senhor Barnevelt – darf ich Ihnen Senhor Elias vorstellen? Ein Neuankömmling.« »Freut mich«, sagte Barnevelt und drückte die fett gepolsterte Hand. »Sie gehören zu denen, die unter den Eingeborenen leben?« »So kann man es auch sagen«, entgegnete Barnevelt knapp und wollte sich wieder umdrehen. »Nichts für ungut! Ich möchte bloß wissen, ob Ihr mehr von ihnen haltet, als von der eigenen Sorte.« »Überhaupt nicht. Manche finden, daß man mit ihnen besser zusammenlebt, als mit Erdenmenschen. Manche wieder gar nicht. Ich halte sie weder für besser noch für schlechter. Das hängt immer vom einzelnen ab.« »Sicher. Aber sind sie nicht schrecklich primitiv? Nationale Souveränität, Kriege, Adel und dergleichen Unsinn?«
»Ehrlich gesagt, mir gefallen sie so.« »Dann gehören Sie wohl zur romantischen Sorte?« »Nein, aber mir gefällt ein Pionierdasein.« »Pionierdasein!« Der Dicke versank in nachdenkli ches Schweigen. Barnevelt, der seine neue Bekannt schaft für einen Lümmel und Langweiler hielt, mach te eine Bewegung des Rückzuges. Doch Elias ließ nicht locker: »Was für ein Geschäft haben Sie ge macht? Wong hat mir davon erzählt.« »So? Kennen Sie den Sunqar?« »Die Riesenmasse Seetang?« »Ja. Früher hat man aus den Terpahla-Ranken Jan ru gewonnen ...« »Hören Sie – Sie kenne ich doch – Sie sind doch der Kerl, der mit einer eingeborenen Prinzessin auf und davon ist. Und sie hat sich schließlich als Terranerin entpuppt. Aber verzeiht – wie war das mit dem Ge schäft?« »Na, ich bin jetzt Oberster Weißichwas des Sunqar und war gewillt, der Janru-Produktion ein Ende zu bereiten und die Namen der Schmuggelringangehö rigen preiszugeben. Ich habe aber eine Gegenleistung verlangt und habe den Interplanetarischen Rat bewo gen, mir technische Hilfe bei der Errichtung einer Sei fenfabrik im Sunqar zu gewähren. Die Ranken liefern uns unbegrenzt Pottasche, und auf Krishna gibt es keine Seife. Also ...«
Wieder wollte sich Barnevelt zurückziehen, doch der Dicke hielt seinen Arm umfaßt. »Ihr werdet also Seifenkönig des Planeten! Wenn Ihr hier fertig seid, sind die Krishni ebenso zivilisiert wie wir, und Sie müssen sich einen anderen Planeten suchen. Sagen Sie, wann haben Sie – diese Dame geheiratet?« »Vor einem Jahr.« »Kinderchen?« »Drei. Würden Sie meinen Arm wohl loslassen?« »Drei. Hm. Drei. Ist das der Planet, auf dem das Jahr doppelt so lang ist wie bei uns? Nein – die Jahre sind kürzer als auf der Erde. Drei? Wie, wie ... wie.« Barnevelts rötliche Farbe verwandelte sich in Vio lett, und er stieß seine knochige Faust in das Gesicht des Dicken. Elias taumelte, warf einen Tisch um und landete auf dem Boden. »Um Gottes willen, Dirk!« rief Kennedy und wollte eingreifen. »Ich lasse meine Frau nicht beleidigen!« grollte Barnevelt. »Aber ich verstehe nicht ganz«, sagte der Begleiter des Dicken. »Sie haben gesagt drei, und das ist ...« Barnevelt wandte sich ihm zu: »Wir haben Drillin ge bekommen. Was ist denn daran so merkwürdig?«