Scan by Schlaflos
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Scan by Schlaflos
Buch Einer der beiden Schöpfer der erfolgreichen Sten-Chroniken kehrt mit einer neuen atemberaubenden SF-Serie zurück! Es sind unruhige Zeiten für das Imperium der Konföderation: Von den meisten Menschen vergessen, patrouilliert ein Teil der Streitkräfte an den äußersten Ausläufern der Zivilisation. Und als die brüchige Konföderation plötzlich in sich zusammenfällt, gibt es für die Menschheit nur noch eine Hoffnung: die mutigen Männer und Frauen der verlorenen Legion... Njangu Yoshitaro und Garvin Jaansma beginnen ihren Militärdienst als Rekruten der legendären Legion Schnelle Lanze. Ihre Aufgabe ist es, auf einer Grenzwelt des weit entfernten Cumbre-Systems den Frieden zwischen der herrschenden menschlichen Klasse und den Ureinwohnern des Systems zu sichern. Doch dann bricht - völlig unerwartet - jeder Kontakt zur Konföderation ab, und eine Gruppe von außerirdischen Terroristen nützt das folgende Chaos skrupellos aus: Im Cumbre-System brechen sofort blutige Revolutionswirren aus. Und plötzlich wird ein unbekannter Planet am Rande des Nichts zum Schauplatz, auf dem die Zukunft des gesamten Imperiums entschieden wird... Autor Chris Bunch verfasste gemeinsam mit Allan Cole die erfolgreichen Sten-Chroniken sowie die Fantasy-Saga um die Fernen Königreiche, die zu internationalen Bestsellern wurden. Chris Bunch lebt im US-Bundesstaat Washington. Bereits erschienen: DIE DRACHENKRIEGER: 1. Herrscher der Lüfte. Roman (24197), 2. Dunkle Schwingen. Roman (24198) DIE VERLORENE LEGION: 1. Die Rekruten. Roman (24331) Weitere Bände in Vorbereitung.
Chris Bunch
Die Rekruten Die verlorene Legion 1 Roman Aus dem Englischen von Bernhard Kempen BLANVALET Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Last Legion« bei ROC, Penguin Putnam Inc., New York. Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. Der Blanvalet Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Random House. 1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung Juli 2005 Copyright © der Originalausgabe 1999 by Chris Bunch c/o Baror International, Inc., Armonk, New York, U.S.A. Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2005 by Verlagsgruppe Random House GmbH, München Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: Luserke/Gutierrez Satz: Uhl + Massopust, Aalen Druck: GGP Media GmbH, Pößneck Verlagsnummer: 24331 Redaktion: Gerd Rottenecker UH • Herstellung: Heidrun Nawrot Printed in Germany ISBN 3-442-24331-9 www.blanvalet-verlag.de Für Don und Carol McQuinn, Megan Zusne und Gary Lothian, Jim Fiscus, nicht zu vergessen den einzig wahren Ben Dilley und den einzig wahren Jordan Brooks 1 Ross 248/Waughtals Planet/Primeport
Der Polizeigleiter schwebte am Eingang der Gasse vorbei. Unter den Helmen starrten weiße Gesichter desinteressiert geradeaus. Baka, dachte Njangu Yoshitaro. Er blickte ihnen nach und sah, wie der rot gestreifte Gravgleiter über die Kuppel flog, vor der die Straße abbog. Trottel. Njangu trug eine dunkelbraune Hose, ein Hemd in der gleichen Farbe und eine Rollmaske. Er zog sie sich übers Gesicht, rückte die Augenlöcher zurecht und trat aus dem Straßeneingang. Der breite Boulevard lag verlassen unter den zischenden Laternen. Manche Schaufenster waren dunkel, in anderen posierten ausgeleuchtete Puppen oder waren Möbel oder tronische Ausrüstung ausgestellt. Dinge, die für die Bewohner von Dockside, Yoshitaros Viertel, nur durch Diebstahl erreichbar waren. Njangu huschte über die Straße zur Tür, die mit einem Stahlgitter verriegelt war. Das Schloss war vom Typ Ryart Mod 06. Mittlerer Schwierigkeitsgrad. Vier Zifferntasten. Er hatte drei Chancen, bevor das Schloss entweder Alarm gab oder den Zugang sperrte, je nachdem, wie groß die Paranoia und das Budget des Ladenbesitzers waren. Geh möglichst einfach an die Sache ran. Die Werks7 einstellung war 4783. Er probierte sie aus, aber nichts tat sich. Der Besitzer hält sich für clever. Aber manchmal müssen seine Verkäufer den Laden aufmachen. Vielleicht... Die Hausnummer des Ladens ist 213. Eine Null am Anfang? Oder am Ende. Wahrscheinlich am Anfang. Er tippte die Zahlen ein, und die Tür ging klickend auf. Doch nicht so clever. Im Geschäftsraum standen ein Dutzend offene Kisten auf den dicken Teppichen. Die halbintelligenten Edelsteine, die sich darin befanden, fingen das Licht der Straßenbeleuchtung ein und warfen es in funkelnder, kaleidoskopischer Pracht zurück, während sie sich wie Juwelenschlangen bewegten. Njangu nahm einen Kom aus seiner Tasche, drückte auf den Sendeknopf, ließ ihn los, nachdem er bis drei gezählt hatte, drückte ihn noch einmal für die Dauer eines Herzschlags und schließlich wieder drei Herzschläge lang. Mehrere Schatten näherten sich lautlos der offenen Tür des Ladens. Yoshitaro ging hinaus, ohne sich noch einmal umzusehen. Er würde die anderen später wieder treffen und seinen Anteil erhalten. Er lief drei Blocks weiter, dann bog er in eine dunkle Seitenstraße ab. Hier zog er Maske und Handschuhe aus und stopfte sie in seine Gürteltasche. Mit zügigen Schritten setzte er seinen Weg fort. Nun war er nur noch ein großer, schlanker junger Mann, ordentlich gekleidet, etwas spät unterwegs, aber darauf erpicht, schnell nach Hause und ins Bett zu kommen. Hinter ihm hallte dumpf der erste Schuss über den Boulevard, dann ein zweiter und ein dritter. Jemand 8 schrie, jemand rief etwas. Eine metallische Stimme brüllte Befehle, unverständlich, aber autoritär. Scheiße! Njangu löste die Tasche vom Gürtel und nahm ein in Leder gebundenes Buch heraus. Er verschloss den Beutel mit seinem Einbrecherwerkzeug, schob ihn unter einen geparkten Gravgleiter und schlenderte wie ein Spaziergänger weiter, während er darauf achtete, dass sein Tao-te-king deutlich zu sehen war. Der Tempel hat geschlossen, was? - Vor einer Stunde, nein, schon vor anderthalb Stunden. - Und Sie haben die letzte Trans verpasst? - Ja, und ich habe mir unterwegs an einem Stand etwas zu essen geholt. Sehen Sie, ich habe sogar noch die Verpackung in der Tasche. - Gut. Das will ich hoffen. Er ging noch zehn Ecken weiter, bis der Scheinwerfer ihn beim Überqueren der Straße erwischte. Die Kanonen des Gleiters spuckten Schlangenseile aus. Ein Strang wickelte sich um seine Hüfte, der zweite fesselte seine Arme, dann ging er zu Boden. Er sah Beine, die auf ihn zukamen, und den Umriss eines Blasters. »Keine Bewegung«, sagte die Stimme hart, metallisch, roboterhaft. »Sie sind von einem Mitglied der Gemeinwohl-Polizei festgenommen, als Tatverdächtiger und mögliche Gefahr für Menschenleben und die öffentliche Sicherheit. Jede Bewegung wird als Bedrohung der Staatsgewalt angesehen.« Er gehorchte. »Gut. Wagen Sie nicht einmal zu atmen.« Die Stimme klang nun beinahe menschlich. »He, Fran! Wir haben ihn.« Zwei weitere schwarze Beine kamen aus dem Polizeigleiter. 9 Ein Stiefel drehte Njangu auf den Rücken, ein Lichtstrahl strich über sein braunes Gesicht. Ein Polizist zog den drahtigen jungen Mann an den Fesseln auf die Beine. Yoshitaro war größer als die beiden Männer. »Ich schätze, Sie haben nicht das Geringste mit einem kleinen Einbruchsdiebstahl drüben in der Giesebrechtstraße zu tun, wie? Vor etwa zehn Minuten?« »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, sagte Njangu. »Klar. Dann kennen Sie wahrscheinlich auch niemanden namens Lo Chen, Peredur oder Huda, was? Um nur ein paar Ihrer Freunde zu nennen, die wir festgenommen haben.«
Yoshitaro runzelte die Stirn, tat, als würde er nachdenken, und schüttelte den Kopf. »Na, dann wollen wir mal sehen, ob das fliegende Auge, das wir auf Sie angesetzt haben, Sie erwischt hat«, sagte ein Polizist hämisch. »Nicht dass es noch eine Rolle spielen würde. Schließlich haben wir das hier bei Ihnen gefunden.« Er zog einen Taschenblaster aus seinem Stiefel. »Was hatten Sie damit vor?« »Ich habe diese Waffe noch nie gesehen«, platzte es aus Njangu heraus. Er verfluchte sich stumm, dass er sich von ihnen hatte hereinlegen lassen. »Jetzt haben Sie sie gesehen«, sagte der zweite Polizist. »Sie ist Ihnen aus dem Hosenbund gefallen, als wir Sie dingfest gemacht haben. Das sind schwere Vorwürfe, Yoshitaro. Verletzung der Ausgangssperre, Aufenthalt außerhalb Ihres Viertels, Waffenbesitz... und mir ist noch nicht ganz klar, ob Sie versucht haben, die Waffe gegen uns einzusetzen.« 10 »So war es«, sagte die andere Stimme. »Ich habe es genau gesehen.« »Also versuchter Mord. Schätze, das ist mehr als genug, was?« Njangus Gesicht war ruhig und leidenschaftslos. Der Polizist rammte eine Faust in Yoshitaros Magen, ohne dass seine Augen den vergnüglichen Ausdruck verloren. Njangu klappte zusammen, ließ sich nach vorn fallen und drehte sich, um den Sturz mit der Schulter abzufangen. Gleichzeitig holte er mit den Beinen aus und schlang sie um die Waden des Polizisten. Der Mann schrie vor Schmerz und Überraschung auf und stürzte. Seine Lampe rollte davon und zeichnete einen huschenden Lichtfinger auf die dunklen Gebäude entlang der Straße. Yoshitaro erhob sich auf die Knie und hatte gerade einen Fuß auf den Boden gestellt, als der andere Polizist herankam. Njangu sah deutlich, wie die Faust auf ihn zuraste. Dann war nichts mehr. »Wie mir scheint«, sagte die Frau mit der ernsten Miene, »hätte es wenig Sinn, wenn ich empfehle, dass diese Angelegenheit vor Gericht gebracht wird.« Wieder sah sie auf die drei Bildschirme, die außerhalb von Yoshitaros Blickwinkel lagen. »Sämtliche Beweise scheinen in Ordnung zu sein, und Ihr Pflichtverteidiger hat mitgeteilt, dass er nichts zu Ihrer Entlastung vorzubringen hat.« Njangus verschorftes Gesicht war eine steinerne Maske. »Für jemanden, der erst achtzehn ist, haben Sie eine beachtliche Karriere hinter sich«, fuhr die Frau fort. »Ich glaube, es war ein Segen für das Gemeinwohl, dass 11 Sie es nicht geschafft haben, rechtzeitig diese Pistole zu erreichen.« Sie hielt kurz inne. »Haben Sie selbst etwas zu Ihrer Verteidigung vorzubringen, Stef Yoshitaro?« »Ich erkenne diesen Namen nicht mehr an.« »Das ist mir bekannt. Also Njangu Yoshitaro.« »Ich schätze, es hat sowieso keinen Sinn, irgendetwas zu sagen, oder?« »Etwas mehr Respekt, bitte!«, grollte der schwergewichtige Gerichtsdiener. Die Richterin berührte ein paar Sensoren. »Eine lange und nicht gerade vorteilhafte Karriere«, sagte sie nachdenklich. »Sie hat begonnen, als Sie gerade dreizehn waren. Was ist mit Ihnen geschehen, Njangu? In den Akten über Ihre Familie findet sich kein Grund, warum Sie so geworden sind.« Kein Wunder. Mutter hat sich immer erst dann wieder rausgetraut, wenn ihre Verletzungen verheilt waren, und Vater hat seinen Synth mal da und mal dort gekauft oder selbst hergestellt. Und Marita würde niemals etwas von den nächtlichen Besuchen unseres Vaters erzählen. Nein, es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund, warum ich bin, wie ich bin. »Wie Sie meinen. Haben Sie noch irgendetwas zu sagen? Können Sie mildernde Umstände anführen? Das hier sind sehr schwerwiegende Anklagen, selbst wenn wir den versuchten Raubüberfall auf Van Cleef außer Acht lassen würden, den Sie gemeinsam mit diesen Unruhestiftern - Ihrer so genannten Clique - begangen haben.« Nichts, was Sie akzeptieren würden. »In Anbetracht Ihres Alters«, sagte die Frau in offi12 ziellem Tonfall, »biete ich Ihnen zwei Möglichkeiten an. Die erste wäre natürlich die Konditionierung.« Eine Kondi? Eine Stimme im Kopf, mit der man bis zum Tod leben muss, die einem ständig sagt, was man tun soll? Nicht auf den Bürgersteig spucken, Yoshitaro. Kein Alk. Keine Drogen. Arbeite fleißig, Yoshitaro, und übe keine Kritik am Gemeinwohl. Antworte wahrheitsgemäß, wenn ein Polizist dich etwas fragt. Ein garantierter Arbeitsplatz, an dem du mit stumpfen Augen die Credits anderer Leute verwaltest, ohne eine Sekunde lang daran zu denken, eine Hand voll in die eigene Tasche wandern zu lassen, aus Furcht vor jener verborgenen Stimme. Eher nicht. »Die zweite wäre die lebenslange Verbannung.«
Auf dem Gefängnisplanetoiden konnte es kaum schlimmer sein als hier in Primeport. »Sie erhalten eine halbe Stunde Bedenkzeit«, sagte die Frau und wandte sich an den Gerichtsdiener. »Führen Sie diesen Mann in die Verwahrungszelle.« Der Gerichtsdiener kam auf Njangu zu, aber er war bereits aufgestanden. »Ich kenne den Weg.« »Warten Sie!« Die Richterin konsultierte einen anderen Bildschirm. »Es gibt noch eine weitere Alternative, Yoshitaro«, sagte sie. »Wir haben vor ein paar Tagen ein Mandat erhalten. Obwohl ich bezweifle, dass Sie diese Möglichkeit auch nur einen Moment lang in Betracht ziehen werden.« 13 2 Capella/Centrum Alban Corfi, Leiter der Beschaffungsabteilung Unterentwickelte Welten, Elis-Sektor, war ein sehr vorsichtiger Mann. Er las sich die Genehmigung zweimal durch, bevor er aufblickte und seinem Vorgesetzten Pandur Meghavarna, dem Präsidenten der Beschaffungsabteilung, zunickte. »Sehr ungewöhnlich, Sir«, stimmte er ihm zu. »Das ist schon mindestens der... der dreißigste Antrag auf personelle und logistische Verstärkung, den diese Streitmacht Schnelle Lanze - ein ziemlich hochtrabender Name - da draußen am Rand des Nirgendwo in diesem E-Jahr gestellt hat.« »Der vierunddreißigste, um genau zu sein«, stellte Meghavarna richtig. »Sie müssen es ja wissen, Sir. Alle anderen wurden abgelehnt, entweder mangels Priorität, wegen Nichtverfügbarkeit des Materials oder wegen formaler Fehler bei der Antragsstellung. Warum wurde diesem hier nicht nur stattgegeben, sondern sogar eine Beta-Priorität zugewiesen?« »Eine ausgezeichnete Frage, Corfi, auf die ich ebenfalls gerne eine Antwort hätte. Doch ich habe keine erhalten. Vielleicht möchten die Herren der Konföderation ihre Launenhaftigkeit unter Beweis stellen.« »Nun gut, Sir.« Corfi klappte die Akte wieder auf. »Was genau glauben diese edlen Frontkämpfer also ach so dringend zu benötigen? Welche Dinge, die zu verteilen die Konföderation zwar willig, aber nicht in der 14 Lage ist? Als wären wir nicht längst weit über unsere Kapazitätsgrenzen hinaus beansprucht! Hmm, sechs P-Schiffe der Nirwana-Klasse mit Versorgungszug. Sie werden schneller lernen, mit den Ohren zu pfeifen, als jemals so etwas zu bekommen. Alle Einheiten auf dem Montageband sind längst für die Interne Friedenstruppe reserviert, Priorität Alpha. Dann fünfunddreißig schwere Transporter, die mindestens zehn Kilotonnen über mindestens tausend Kilometer befördern können... Ich erinnere mich dunkel, dass es da ein paar generalüberholte Einheiten gibt, die wir ihnen überlassen könnten. Diverse Kampftransporter, bewaffnete Schiffe und so weiter. Unmöglich, aber da der Antrag unverständlicherweise Beta-Priorität erhalten hat, wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihnen zu geben, was sie haben wollen. Verschiedene andere kleine Fahrzeuge, Waffen, kein Problem, kein Problem... Zwanzig Kampfschiffe der Nana-Klasse? Wie kann jemand, der so weitab vom Schuss ist, auch nur davon gehört haben? Sie sind noch nicht einmal offiziell von der Flotte in Dienst gestellt worden! Beta-Priorität, dass ich nicht lache! Ich glaube kaum, dass wir uns Sorgen machen müssen, wie...« »Sehen Sie sich diesen Posten noch einmal genauer an«, sagte sein Vorgesetzter. Corfi gehorchte und zog die Augenbrauen einen Tick hoch. Dieser Posten war in kleinen grünen Buchstaben abgezeichnet. Genehmigt, R. E. Corfi räusperte sich, beschämt über seine vorübergehende Unaufmerksamkeit. »Dann habe ich mich wohl getäuscht. Wenn Er die Sache genehmigt hat, dann obliegt es Ihm, das gegenüber seinen Vorgesetzten zu 15 rechtfertigen.« Schniefend distanzierte er sich von jeglicher Verantwortung. »Siebenhundertfünfzig ausgebildete Männer. Die Männer können sie haben, davon haben wir weiß Gott genug. Meinetwegen können wir noch ein paar Tausend mehr aus den Slums holen. Aber ausgebildete'! Hat er nicht gehört, dass wir gerade Frieden haben?« Ein Lächeln kam und ging auf Meghavarnas Gesicht. »Wie sieht es mit der Transportmöglichkeit aus?« »Wir sind mit der Überholung der Malvern fast durch«, sagte Corfi. »Eine schreckliche Verschwendung von Treibstoff und Material, aber mit einer Minimalbesatzung... Ja, mit der Malvern. Und wir können den Transport in einem oder vielleicht zwei Zyklen durchführen. Oder sobald diese kostbaren Nanas zur Verfügung stehen.« »Gut«, sagte Meghavarna. »Ich dachte, Sie könnten die Angelegenheit vielleicht ein wenig beschleunigen.« Er stand auf. »Ich hatte mir schon leichte Sorgen gemacht, als Ihr Assistent mir sagte, Sie wären noch gar nicht im Büro, zumal ich weiß, dass Sie draußen in Bosham wohnen.« »Gestern Nacht habe ich gar nicht erst versucht, nach Hause zu kommen«, sagte Corfi. »Ich bin im Club geblieben, um nichts mit dem Ärger zu tun zu haben.« »Was fordern die Leute diesmal?«, fragte Meghavarna. »Ich bin nicht ganz auf dem Laufenden, was zivile Angelegenheiten betrifft.« »Brot, kein Brot, zu viel Brot, die falsche Sorte Brot, irgendwas in der Art«, sagte Corfi gleichgültig. »Spielt das
eine Rolle?« »Eigentlich nicht.« Corfi salutierte flüchtig und verließ Meghavarnas 16 Büro. Er fuhr zum Hauptgeschoss hinunter, wo seine Leibwächter auf ihn warteten, und legte dann den knappen Kilometer bis zu seinem Büro auf dem Rollweg zurück. Er beschloss, die Besatzung der Malvern persönlich auszuwählen, mit Hilfe seines Mannes im Personalbüro. So konnte nichts auf ihn zurückfallen, ganz gleich, was geschah. Niemand, der noch bei Sinnen war, würde sich darum kümmern, wer in der Transportabteilung wohin versetzt wurde. Eine nette, gehorsame Besatzung... dann würde er die Malvern ein- oder zweimal in verschiedene »Richtungen« anschubsen, bevor er sie über Larix/Kura zum endgültigen Bestimmungsort springen ließ. Auf diese Weise blieben seine Finger sauber. Corfi erreichte sein Büro und sagte seinen Leibwächtern, dass sie Pause machen konnten. Er würde sie während der nächsten Stunde oder so nicht benötigen. Corfi hängte seinen schusssicheren Mantel an einer altertümlichen Wandgarderobe auf, öffnete den Safe und holte den Spürer heraus. Er suchte das Büro ab, entdeckte aber nur die zwei üblichen Wanzen, die aufgezeichnete Belanglosigkeiten an die Sicherheit übertrugen. Dann stellte er über Vid eine Verbindung zu seinem Assistenten her. Corfi gab dem Mann ein paar bedeutungslose Befehle, während er die Verbindung mit dem Spürer überprüfte. Immer noch sauber. Er berührte ein paar Sensoren. Die Bildschirmansicht wechselte und zeigte nun einen kleinen Garten. Auf dem synthetischen Moos räkelte sich eine junge Frau, die fast noch ein Kind war. Sie war nackt, und ihr aschblondes Haar war natürlich. »Hallo, Schatz!«, hauchte sie. 17 Corfi grinste. »Was wäre, wenn der Hausmeister angerufen hätte?« »Er hat meinen Kode nicht«, erwiderte sie. »Ich hatte damit gerechnet, dass du dich erst morgen meldest. Ich dachte, du würdest dich heute mit Frauchen treffen.« »Das hatte ich vor«, sagte Corfi. »Aber wenn ich dich so sehe... ich schätze, wegen dieser verfluchten Unruhen muss ich schon wieder länger im Büro bleiben.« »Du Ärmster«, sagte die Frau. »Ich werde dich erwarten.« »Und wie du mich erwarten kannst!«, sagte Corfi. »Erinnerst du dich an den Armreif, den du dir neulich angesehen hast?« »Oooh!« »Plötzlich können wir uns dieses gute Stück leisten.« Das Mädchen quiekte entzückt. »Ich wusste, dass ich dich damit glücklich machen kann«, sagte Corfi. »Aber ja, mein Schatz! Beeil dich, damit ich dir zeigen kann, wie glücklich ich bin.« Sie öffnete leicht die Schenkel und strich mit den Händen über ihren Körper. »Ich muss jetzt gehen«, sagte Corfi, während ihm bewusst wurde, dass ihm plötzlich das Atmen schwerer fiel. »Ich muss noch ein paar Dinge erledigen.« Das Mädchen lächelte, und der Bildschirm wurde leer. Corfi wartete, bis er sich wieder beruhigt hatte, dann berührte er verschiedene Sensoren. Der Bildschirm verschwamm und zeigte eine grüne Fläche. Erneut tippte er Zahlen ein, und der Vorgang wiederholte sich. Beim dritten Mal gab er Buchstaben und Zahlen ein, die er sich vor mehreren Jahren eingeprägt hatte, dann drückte er auf die Sendetaste. Die Übertragung würde min18 destens ein Dutzend Mal umgeleitet werden, bevor sie Larix erreichte. Sobald er mit der letzten Gruppe fertig war, unterbrach er die Verbindung und überprüfte sie erneut auf Wanzen. Immer noch nichts. Alban Corfi, der in Kürze etwas reicher sein würde, war in der Tat ein sehr vorsichtiger Mann. 3 Altair/Klesura/Happy Vale Tweg Mik Karle blickte niedergeschlagen in die Vollkommenheit. Ein tadelloser blauer Himmel. Auch wenn er einen leichten Stich ins Rötliche hatte und von ein paar Wölkchen geziert wurde. Eine Frühlingsbrise drang durch die offene Tür herein, und Karle nahm den Duft von Blumen, frischem Heu und von irgendwo das Parfüm einer Frau wahr. Er hörte ihr glockenhelles Lachen und knurrte. Überall nur Vollkommenheit, und er sollte Rekruten für die Armee der Konföderation anwerben. Warum sollte sich hier irgendjemand einziehen lassen und auf einem Hinterwäldlerplaneten durch den Matsch kriechen, wo andere Leute gezielt versuchen würden, ihn zu töten? Warum sollte jemand eine Welt verlassen, auf der jeder seinen Platz zu kennen schien, was obendrein allen zu gefallen schien? Eine Welt, auf der alle Frauen wunderbar und glücklich und die Männer treu und gut gelaunt waren. Wie zum Beispiel dieser Flegel, der durch das Fenster 19
Karies sorgfältig ausgebreitete Ausstellungsstücke betrachtete. Hier führte eine winzige uniformierte Tweg ihre zwanzig Soldaten durch einen faszinierenden Hindernisparcours, dort empfing ein Cent einen Orden von seinem Caud, während seine Hundertschaft hinter ihm stramm stand, und in der Mitte waren drei Gefreite mit irgendwelchen elektronischen Geräten beschäftigt. Der Typ würde die winzigen Figuren eine Weile begaffen, in schallendes Gelächter ausbrechen und fortgehen, um seine Rüben zu ernten - oder was immer er erntete. Karle stöhnte, während er den Bauerntrampel beobachtete. Er war sehr groß, fast zwei Meter, gut gebaut, kräftige Muskeln, blond. Menschlich bis zur n-ten Klassifikation. Attraktiv, die Sorte Mann, dem man überallhin folgen würde, wenn man ihn noch ein paar Jahre reifen ließ. Wie für ein Rekrutierungsposter gemacht. Lauf nicht weg, Junge. Tritt durch diese Tür und hilf einem armen, erschöpften Tweg, seine Quote zu erfüllen. Karle riss die Augen auf. Der Trampel trat durch die Tür. Der Werber sprang mit einem strahlenden Lächeln auf, warf seine gut einstudierte Kumpelhaftigkeit in die Waagschale, während sein Hinterkopf ihm sagte, dass der junge Mann zweifellos aus dem nächsten Heim für geistig desorientierte Fälle ausgebrochen war. »Guten Tag, mein Freund!« »Tag«, sagte der junge Mann. »Ich wäre daran interessiert, mich einziehen zu lassen.« »Dann sind Sie hier zweifellos richtig«, sagte Karle. »Und ich kann Ihnen versichern, dass Sie es niemals bereuen werden. Die Konföderation braucht gute Männer, und Sie werden stolz darauf sein, Ihrer Regierung zu dienen.« 20 »Was mich eigentlich interessiert, ist das Reisen.« »Dann ist die Konföderation Ihr Flugticket. Ich habe schon zwanzig, dreißig Welten gesehen, und ich bin erst zehn Jahre dabei. Nach vier Jahren war ich Tweg, und wenn die nächste Beförderungsliste rauskommt, dürfte ich zum Senior-Tweg vorgeschlagen werden. Nicht dass Sie sich für so lange verpflichten müssten. Die Standarddienstzeit beträgt nur vier Erdenjahre.« »Klingt vernünftig«, sagte Garvin Jaansma. »So hat jeder die Chance, sich davon zu überzeugen, ob es sein Ding ist.« »Sind Sie an einer bestimmten Tätigkeit interessiert? Besitzen Sie bestimmte Fähigkeiten?« »Ich halte nicht viel von Büroarbeit. Ich bin lieber draußen, so oft ich kann. Wie wäre es damit?« Der junge Mann zeigte auf das winzige Modell eines Kampfgleiters. Karle hob ihn auf. »Das ist ein Grierson. Wird in der Schweren Infanterie benutzt. Der Grierson ist das Standardfahrzeug für Kampfaktionen, ein so genanntes Luftkampfgefährt, ein LKG. Kann zwei Angriffstrupps an Bord nehmen. Maschinengewehre hier und hier. Raketenmagazin hier. Es gibt jede Menge unterschiedlicher Konfigurationen. Ultrazuverlässig. Doppelte Antigraveinheiten hier unten, mit denen er sich bis zu tausend Meter über dem Boden bewegen kann. Wir benutzen die Maschine für Patrouillen- oder Angriffsflüge. Bei einem Kampfeinsatz erhält der Grierson Rückendeckung von schweren Transportern, Kampfschiffen wie dem Zhukov da drüben, und natürlich geht er zusammen mit weiteren Kampfgleitern in den Einsatz. Man kann ihn sogar modifizieren und als interplanetares Raumschiff benutzen. Sie könnten innerhalb eines Jahres eine solche Maschine kom21 mandieren, vielleicht sogar früher. Fünf Millionen Credits, die die Konföderation Ihnen anvertrauen würde. Und das Leben von zwanzig Männern, was ein viel höherer Wert ist. Es gibt nicht viele Jobs, in denen jemand in Ihrem Alter eine so große Verantwortung übernehmen darf.« Karle redete mit beeindruckender Überzeugungskraft. »Klingt interessant«, sagte Jaansma. »Zuerst ein paar Formalitäten«, sagte Karle und krümmte die Zehen in den spiegelblanken Stiefeln, während er sich auf eine mögliche Enttäuschung gefasst machte. »Haben Sie mit Ihrer Familie darüber geredet?« »Sie haben nichts dagegen«, sagte Jaansma. »Sie werden mich unterstützen, was immer ich auch für richtig halte. Aber ich bin sowieso schon achtzehn, also kann ich es doch allein entscheiden, oder?« »Es ist die erste große Entscheidung, die Sie selbst treffen dürfen«, stimmte Karle ihm zu. »Nächste Frage: Hatten Sie schon einmal Ärger mit den Gesetzeshütern?« »Nein.« Er antwortete ohne jegliches Zögern. »Sicher? Nicht einmal während einer ausgelassenen Spritztour? Vielleicht ein oder zwei Schlägereien? Wurden Sie nie mit Alk oder Snort erwischt? Wenn es sich um ein geringfügiges Vergehen handelt, können wir das normalerweise regeln.« »Nein, wirklich nichts.« Das Lächeln des jungen Mannes war offen und ehrlich. 22 4 Capella/Centrum Die Malvern wölbte sich hoch über der Reihe winziger Männer, die zur Gangway trotteten. Garvin Jaansma legte staunend den Kopf in den Nacken. »Beweg dich, Landeü«, bellte ein Aufseher. »Die Konföderation hat nichts davon, wenn du dir den Hals brichst, noch bevor deine Ausbildung angefangen hat.«
»Ein guter Rat, Finf«, gab eine raue Stimme zurück. »Zumal er von einem altgedienten Sternenfahrer kommt. Ich bin voller Bewunderung für deine zahlreichen Orden!« Der noch recht junge Unteroffizier errötete. Die Brust seiner Uniform war so glatt wie sein kahl geschorener Kopf. »Sei still, Mann!« Der Mann, der zu ihm gesprochen hatte, starrte ihn mit strengem Blick an, und der Finf zuckte zurück, als hätte er einen Schlag erhalten. »Bleibt in Bewegung«, murmelte der Finf und hastete davon. Der Mann war in jeder Hinsicht groß geraten. Nicht fett, aber schwergewichtig, kräftig gebaut. Unter den gelichteten, nach vorn gekämmten schwarzen Haaren war sein Gesicht zu einer ständigen mürrischen Miene erstarrt. Eine Narbe zog sich über eine Wange und verlor sich irgendwo an seinem dicken Hals. Er schien Anfang dreißig zu sein. Er trug nicht polierte Halbstiefel, eine schwere Latzhose aus schwarzem Leinen und ein grünes Hemd, das viel Geld gekostet haben musste, als es noch neu gewesen war. Zu seinen Füßen stand eine be23 reits etwas lädierte Tasche mit dem militärisch wirkenden Schriftzug KIPCHAK, PETR. Er musterte Jaansma und den Rekruten neben ihm, schnaufte und wandte sich ab. »Ich würde gerne lernen, wie man das macht«, sagte der andere Rekrut leise. »Wie man was macht?« »Leute mit einem Blick im Boden versinken lassen, wie es dieser Typ getan hat. Ist billiger als ein Blaster und völlig legal.« Garvin streckte ihm eine Hand hin, und der andere erwiderte die Begrüßung. »Garvin Jaansma.« »Njangu Yoshitaro.« Garvin sah sich den jungen Mann genauer an, der etwa sein Alter und seine Größe hatte. Er war dunkelhäutig, hatte asiatische Züge und kurz geschnittenes schwarzes Haar und war mit einer schwarzgrauen Hose und einem blassgrünen Hemd bekleidet. Die Sachen passten ihm nicht richtig und wirkten billig. Über seiner Schulter lag eine kragenlose Windjacke. Yoshitaro erinnerte Jaansma an einen wachsamen Fuchs oder Hoonsmeer. »Hat jemand gesagt, wohin die Reise geht?«, fragte er. »Natürlich nicht«, antwortete Njangu. »Die Rekruten auf den billigen Plätzen erfahren gar nichts. Frühestens, wenn sie es wissen müssen. Und das dürfte erst dann geschehen, wenn wir unser Ziel erreicht haben.« »Was ist mit der Ausbildung?«, fragte Jaansma. »Ich habe mich für die gepanzerte Kampftruppe gemeldet, aber bisher nur Toiletten geputzt.« Der ältere Mann drehte sich wieder zu ihnen um. »Und mehr wirst du auch nicht machen, bis du deine 24 Einheit erreicht hast. Die Konföderation fährt eine neue Strategie. Sie bringt deinen jungen Arsch zu deinem Regiment, und erst dort wird man einen Soldaten aus dir machen.« »In den Holos läuft es aber ganz anders ab«, sagte Njangu. »In der Wirklichkeit läuft vieles ganz anders ab«, sagte der Mann. »Weil die Konföderation zerfällt. Weil man weder die Zeit noch das Geld hat, um sich wie früher um die kleinen Dinge des Lebens zu kümmern.« »Die Konföderation zerfällt?«, fragte Garvin ungläubig. »So ein Blödsinn!« Garvin hatte unterwegs einige Schwierigkeiten miterlebt, aber dass die Konföderation selbst in Schwierigkeiten war, konnte er sich nicht vorstellen. Das war, als würde jemand behaupten, dass die Sterne morgen ausgebrannt sein würden oder dass auf den Tag keine Nacht mehr folgte. Die Konföderation existierte seit über tausend Jahren und würde zweifellos noch die nächsten zehntausend Jahre überdauern. »Ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt«, sagte Kipchak. »Sie zerfällt. Es gibt einen einleuchtenden Grund, warum ihr nichts davon mitbekommt. Weil ihr nämlich genau im Zentrum sitzt. Glaubt ihr, eine Ameise würde etwas bemerken, wenn jemand kommt und kochendes Wasser auf das Nest schütten will? Oder ein Wygor würde jemals begreifen, was der Abdecker mit ihm vorhat?« Keiner der jungen Männer konnte etwas mit diesen Vergleichen anfangen. »Was glaubt ihr, worum es bei all den Unruhen geht?«, fuhr er fort. »Was für Unruhen?« 25 »Ihr habt euch keine Nachrichtensendungen angesehen, während ihr in den Rekrutenbaracken herumgefurzt habt?« »Äh... nein«, sagte Yoshitaro. »Nachrichten interessieren mich nicht besonders.« »Dann solltest du langsam damit anfangen. Wenn du dir einen guten Holo-Beitrag ansiehst, erhältst du einen ungefähren Eindruck davon, wie tief die Scheiße ist, in die man dich werfen wird. Vielleicht hast du dann noch genug Zeit, dir Hüftstiefel mitzunehmen. Die Menschen werden rebellisch und machen Sachen kaputt, weil sie nicht mehr genug Sachen bekommen. Auf Centrum bündeln sich hochrangige Verwaltungsbehörden, und niemand kümmert sich darum, irgendetwas anzubauen oder zu produzieren. Das bedeutet, dass alles von Keksen bis Klopapier von außen geliefert werden muss. Und da sich immer mehr Risse im System zeigen, passiert es
manchmal, dass die Lieferungen nicht mehr rechtzeitig zum Abendessen eintreffen. Es ist nur schwer zu glauben, dass man auf dem großartigsten Planeten des Universums lebt, wie es in den Holos heißt, wenn man sich nicht mal Bohnen mit Speck leisten kann.« »Wie kommt es, dass du so viel darüber weißt?«, fragte Njangu mit einer Spur von Streitlust. Diesmal war er das Ziel des bösen Blicks. Aber er ließ sich davon nicht einschüchtern. Kurz darauf stellte Kipchak das Feuer ein. »Weil ich die Augen offen halte«, sagte er. »Und das solltet auch ihr euch ganz schnell angewöhnen. Ich könnte euch zum Beispiel sagen, wohin wir gebracht werden, welcher Einheit wir zugeteilt sind. Sogar, wie der dortige politische und technische Entwicklungsstand aussieht. Wenn mir danach wäre. Aber das kann 26 ich nicht von mir behaupten.« Vielleicht wollte er noch mehr sagen, aber in diesem Moment hatten sie die Gangway des Schiffes erreicht. »Name und Heimatplanet?«, tönte eine Synthstimme. »Petr Kipchak«, brummte er. »Centrum, wenn mir danach ist.« »Registriert«, sagte der Roboter. »Gemeinschaftskabine sechzehn. Sie dürfen sich eine freie Koje aussuchen. Nächster.« Dann wurden sie von der gewaltigen Malvern verschluckt. Der hintere Teil der Gemeinschaftskabine verlor sich ebenso im Halbdunkel wie die endlosen Reihen aus vierstöckigen Betten mit den kleinen Schränken unter der untersten Koje. Und genauso wie überall im Schiff war es hier tadellos sauber, und es roch nach frischer Farbe. Nach frischer Farbe und nach Staub, als wäre die Malvern gleichzeitig nagelneu und uralt. Die Rekruten erhielten von einem gestresst wirkenden Besatzungsmitglied die Anweisung, sich in den Kojen anzuschnallen und auf den Start zu warten. Die Malvern erwachte, und ein tiefes Summen ließ sämtliche Decks vibrieren. Der Lautsprecher verkündete: »Achtung!« Das Summen wurde noch tiefer, bis man es in den Knochen spürte, dann wurde das Schiff von einem Beben geschüttelt. »Sind wir im Weltraum?«, fragte Njangu. »Ich glaube schon, aber...« Der Lautsprecher schnitt Garvin das Wort ab. »Bereitmachen für den Sprung.« Kurz darauf folgte das leichte Schwindelgefühl, die Desorientierung, und dann war der Sternenantrieb aktiviert. Sie warteten ab, was als 27 Nächstes geschah, aber es geschah genau das, was für einen Raumflug charakteristisch war - nämlich nichts. »Lass uns nachsehen, ob es hier was zu sehen gibt«, sagte Garvin und schnallte sich los. »Ich dachte, wir würden in Nullschwerkraft fliegen«, beklagte sich Njangu. »Sei froh, dass es nicht so ist«, sagte Garvin. »Darüber wären die Mägen vieler Leute sehr unglücklich, und ich würde es nicht unbedingt toll finden, wenn überall Kotze durch die Luft treiben würde.« »Aha?«, sagte Njangu. »Du warst schon mal draußen?« Es fühlte sich gut an, die Redewendung zu benutzen, die ständig in den Holos zu hören war. Garvin lächelte, zuckte mit den Schultern und verließ als Erster die Kabine. Es gab nicht viel zu sehen. Weitere Unterkünfte, leere Versammlungsräume, lange Korridore, die genauso aussahen wie der, den sie gerade verlassen hatten. Es gab keine Sichtluken, nicht einmal auf den äußeren Decks, und weder Njangu noch Garvin fanden heraus, wie die Bildschirme zu bedienen waren, auf die sie gelegentlich stießen. Njangu blieb vor einem Schott stehen, neben dem sich ein Schild mit der Aufschrift BIBLIOTHEK befand. »Dann wollen wir uns mal ein bisschen sachkundig machen, wie es der alte Trottel uns empfohlen hat.« An den Wänden waren niedrige Tische aufgereiht, auf denen in regelmäßigen Abständen Bildschirme und Tastaturen standen. Njangu nahm vor einem Terminal Platz und drückte eine Taste. Der Bildschirm erwachte zum Leben. BITTE ANFRAGE EINGEBEN. »Was nun?« 28 »Versuch es mal mit... Flugziel«, schlug Jaansma vor. Yoshitaro tippte das Wort ein. UNZULÄSSIGE EINGABE, VERSUCHEN SIE ES NOCH EINMAL. »Dann tun wir einfach, was Narbengesicht vorgeschlagen hat, und sehen nach, was wir aus den Holos über diese Unruhen erfahren.« »Gut.« Eine Textzeile erschien auf dem Bildschirm: UNR-STIFT INAKZPT, KONFÖD EXPT URT. »Hä?« Dann noch eine Zeile: BOSHAM RAZZ 4 BETB. Und eine dritte: LOK BLAUE ZRCKSCHLG AUFSTD, 32 GESACKT, 170VERLZT. »Ich habe plötzlich das Gefühl, als würde ich kein Konföd mehr verstehen«, sagte Njangu.
»Wahrscheinlich so etwas wie Journalistensteno.« Eine recht üppig gebaute junge Frau lächelte sie an. Sie hatte überhaupt nichts an. Wieder eine Textzeile: PROCKY SAGT: NULL PROB, IMMER SPORTIG. »Was die gute Procky nicht alles sagt«, bemerkte Garvin. »Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, mit ihr sportig zu werden.« »Ob es so was wie sie auch da gibt, wo wir hinfliegen?«, fragte Yoshitaro. »Wenn, dann bestimmt nur für die Offiziere«, sagte Garvin. »Ach, zur Hölle damit, lass uns das Bildungsprogramm auf später verschieben.« Ein Besatzungsmitglied kam durch den Korridor auf sie zu. »He, ihr zwei!« Sie blieben stehen. »Was macht ihr außerhalb eurer Kabine?« 29 »Niemand hat gesagt, dass wir sie nicht verlassen dürfen«, sagte Jaansma. »Aber es hat euch auch niemand erlaubt«, gab der Raumfahrer zurück. »Und zufällig brauche ich gerade zwei Servierer in der Messe. Mitkommen!« Ohne auf eine Antwort zu warten, machte er kehrt und lief den Korridor zurück. Offensichtlich erwartete er, dass sie ihm folgten. Njangu und Garvin tauschten einen kurzen Blick aus, dann gehorchten sie. »Was soll das?«, fragte Jaansma. »Alles, was nicht befohlen wird, ist verboten?« »Ich glaube, so langsam verstehen wir, wie der Laden läuft«, sagte Njangu, ohne eine Miene zu verziehen. Am dritten Flugtag erhielten sie die Anweisung, ihre Zivilkleidung einzupacken und graue Hemden und Hosen anzuziehen, dazu Stiefel mit weichen Sohlen, die an den Knöcheln zugeschnallt wurden. Die Sachen hatten keine Aufnäher, keine Beschriftung, nicht einmal Namensschilder. »Wir sehen wie Häftlinge aus«, sagte Garvin. »Nein«, widersprach Njangu. »Häftlinge tragen rote Kleidung.« »Vielen Dank für die sachkundige Information, Sir.« »Stets zu Diensten.« »Übrigens«, sagte Garvin vorsichtig, »die Sachen, die du vorher getragen hast...« »Was ist damit?« »Du, äh, siehst eigentlich nicht so aus, als würdest du normalerweise so etwas tragen.« »Wie meinst du das?« »Du siehst aus, als hättest du sonst einen erleseneren modischen Geschmack.« 30 »Mag sein. Aber man hat mir keine Wahl gelassen. Jemand hat mir die Sachen gekauft, bevor ich zur Truppe geschickt wurde.« Njangus Gesichtsausdruck ermutigte Garvin nicht dazu, weitere Fragen zu stellen. Der Zeitplan an Bord war einfach: zum Essen anstellen, trainieren, wieder zum Essen anstellen, jemanden finden, mit dem man reden oder spielen kann, zum Essen anstellen, schlafen... Tag für Tag das Gleiche. Petr Kipchaks Koje lag am Ende der Gemeinschaftskabine, aber er war nicht daran interessiert, Freundschaften zu schließen. Er hielt sich entweder in einem Trainingsbereich auf und stemmte stundenlang Gewichte an den Maschinen oder lag in seiner Koje, las eine Disk und war nicht ansprechbar. »Ich weiß nicht, ob mir dieses Unisex-Gemeinschaftsbad gefällt«, murmelte Njangu. »Warum nicht?« »Da müssen einige von uns doch zwangsläufig auf dumme Ideen kommen.« »Nein«, sagte Garvin. »Sie tun uns irgendwas ins Essen, damit das nicht passiert.« »Mann«, sagte Yoshitaro, »du hast Recht! Seit wir an Bord gegangen sind, hatte ich keinen Ständer mehr!« »Siehst du? Gib einfach nur Acht, was Onkel Garvin sagt, dann wird dir mit der Zeit alles klar.« »Allah mit 'nem Jojo!«, keuchte eine Rekrutin namens Maev. »Ihr werdet es nicht glauben!« »Was?« Garvin und Njangu wälzten sich aus ihren Kojen. »Kommt mit. Das müsst ihr euch ansehen.« Maev 31 führte sie zu den sanitären Räumen, die voller Männer und Frauen waren, die sich für die dritte Tagesmahlzeit frisch machten. Sie zeigte auf eine Duschkabine, in der Platz für ein Dutzend Leute war. Aber sie war nur von einer Person besetzt - Petr Kipchak, der nichts von ihrer Anwesenheit zu bemerken schien. Garvin wollte schon fragen, was so ungewöhnlich daran war, als er es selbst sah. Kipchak war dabei, sich die Genitalien mit einer der harten Nylonbürsten zu waschen, mit denen sie normalerweise die Wände schrubbten. Dazu sang er laut und falsch. »Bei allen verrückt gewordenen Göttern!«, platzte es aus Garvin heraus, und die drei zogen sich zurück, als Kipchak den Kopf hob. »Was zum Teufel...? Der Kerl ist völlig durchgeknallt!«, sagte Maev. Njangu wollte ihr bereits zustimmen, doch dann wurde ihm klar, dass er im letzten Moment etwas gesehen hatteein Lächeln im Gesicht des kräftigen Mannes. Auch eine Möglichkeit, sich etwas Privatsphäre zu verschaffen,
dachte er und bemühte sich, den anderen nicht zu zeigen, wie sehr er sich amüsierte. Garvin wurde von einer Serie von Klingeltönen geweckt. Er hatte gelernt, dass es Zeitsignale für die Besatzung der Malvern waren. Sie befanden sich mitten im Schlafzyklus, und in der Gemeinschaftskabine war vielstimmiges Geschnarche zu hören - von leise bis kräftig- Es war dunkel bis auf die schwachen roten Bereitschaftslampen an den Wänden und einen weißen Licht32 schein, der am Ende des Raumes aus dem Sanitärbereich drang. Garvin stellte fest, dass er Durst hatte, und tappte schläfrig ins Bad. In dem Raum hielten sich vier Männer und zwei Frauen auf. Eine Frau passte an der Tür auf, die anderen fünf saßen oder hockten um zwei Decken herum, die auf dem Kunststoffboden ausgebreitet waren. Es handelte sich ausschließlich um ältere Rekruten. Einer von ihnen war Petr Kipchak. Auf den Decken lagen Geld und Karten. Kipchak hatte nur noch ein paar Scheine und Münzen, während sich vor dem Geber ein großer Haufen aus Währungen von den unterschiedlichsten Welten auftürmte. Alle fünf sahen Garvin an. Doch er zeigte kein besonderes Interesse und ging zum Urinal. In seiner Miene regte sich etwas, als er das Spiel aus dem Augenwinkel beobachtete, doch dann zeigte sein Gesicht wieder Unschuld und Gleichgültigkeit. Als er fertig war, trank er etwas Wasser aus dem Hahn und kehrte zur, Spielerrunde zurück. Der Geber, ein schwergewichtiger, kahlköpfiger Mann, blickte auf. »Geh wieder zu Bett, Junge. Das hier ist viel zu hoch für dich.« »Ihr nehmt kein Kindergeld, wie?«, fragte Garvin. Der Geber wollte etwas erwidern, doch dann lächelte er. Eigentlich war es eher ein recht unangenehmes Grinsen. Er musterte Jaansma, während er geistesabwesend einen großen Silberring an seiner linken Hand vor und zurück drehte. Schließlich sagte er: »Wenn du dir die Finger verbrennen willst, ist das deine Sache. Ich habe keine Einwände. Sonst jemand?« Kipchak schien etwas sagen zu wollen, doch dann schüttelte er den Kopf. Die anderen reagierten genauso oder mit einem Schulterzucken. »Unbegrenzter Einsatz, also machst du dich am besten auf einen harten Ritt gefasst, Grünschnabel, und kein Geflenne, wenn wir dich ausnehmen«, sagte der Geber. »Und jetzt hol dein Geld.« Garvin ging zu seiner Koje, stellte das Zahlenschloss an seiner kleinen Tasche ein und holte ein paar Socken heraus. In ihnen befand sich ein dickes Bündel Geldscheine. Er zog sich schnell an und achtete darauf, dass seine Stiefel ordentlich zugeschnallt waren. Njangu hatte die Augen offen. »Was ist los?« »Im Bad läuft ein Spiel. Ich will mitmachen.« »Wusste gar nicht, dass du ein Spieler bist.« »Bin ich auch nicht.« Jaansma zögerte. »Genauso wenig wie der Typ mit den Karten. Er manipuliert.« Njangu setzte sich auf. »Was hast du vor?« »Mir ein bisschen was dazuverdienen.« »Sei vorsichtig.« »Das bin ich doch immer...« Jaansma dachte einen Moment lang nach. »Willst du auch einsteigen?« »Ich kenne mich mit Kartenspielen nicht aus.« »Musst du auch gar nicht. Hör zu, ich habe da eine Idee, wie wir alle eine Menge Spaß haben können.« Garvin sprach leise und schnell. Njangu runzelte zunächst die Stirn, doch schließlich grinste er. »Nur noch eine Frage«, sagte er. »Warum machen wir das? Das könnte Ärger geben.« »Hast du die Frage nicht soeben selbst beantwortet?« »Vielleicht«, sagte Yoshitaro. »Klar. So könnte es funktionieren.« Jaasma zog ein paar Scheine aus dem Bündel. »Da. Gib mir, sagen wir, fünfzehn Minuten.« 34 Garvin hielt die fünf Karten und sah sie sich an. Nicht allzu gut, aber auch nicht allzu schlecht. Dies war sein viertes Blatt. Zweimal war er ausgestiegen, einmal hatte er gepokert und verloren. »Ich setze zehn«, sagte die Frau und warf einen Schein in die Mitte der Decke. Garvin erhöhte den Einsatz um zwei Münzen, dann folgten weitere Scheine. Drei Spieler, einschließlich Kipchak, blieben drin. »Na los, Junge«, sagte der Geber. »Gleich bist du raus.« »Ich nehme eine«, sagte Jaansma, legte eine Karte ab und nahm sich eine neue von den fünf auf der Decke. Der Geber ersetzte sie durch eine aus dem Talon in seiner Hand. »Das macht's auch nicht besser«, sagte Garvin seufzend und warf sein Blatt ab. Es folgten noch zwei Setzrunden, dann gewann Kipchak den kleinen Pott. Der Geber mischte, als Yoshitaro hereinschlüpfte. »He, Kipchak«, sagte Njangu. »Ich habe das Geld, das ich dir schulde. Hab's gestern beim Würfeln gewonnen.« Petr blinzelte, starrte Njangu an und schien etwas sagen zu wollen. Yoshitaro bewegte den Kopf ganz leicht auf und ab. »Oh. Ja, klar. Ich setze eine Runde aus.« Kipchak erhob sich. »Ich habe es in meiner Tasche«, sagte Njangu, dann gingen die beiden hinaus. Die nächste Runde wurde ausgeteilt, und der Geber gewann. Petr und Njangu kehrten zurück. Kipchaks Miene war finster und aufgewühlt, doch er wurde schnell ruhiger. Er setzte sich, und Njangu lehnte sich gegen eine Wand, 35
nicht weit von der Aufpasserin entfernt. Er wirkte wie jemand, der nicht schlafen konnte und gelangweilt kiebitzte. Das Spiel ging noch eine Stunde lang weiter. Garvin bemerkte, dass sich ein Mann mit der Zunge über die Lippen fuhr, wenn er bluffte, dass die Frau geistesabwesend an einer Haarsträhne zupfte, wenn sie ein gutes Blatt hatte, und so weiter. Am aufmerksamsten beobachtete er allerdings den Geber. Das Glück neigte sich mal auf diese, mal auf jene Seite, doch die Credits flössen langsam, aber sicher in Richtung des schwergewichtigen Mannes mit dem Ring. Schließlich streckte Garvin die Beine aus und stieß dabei mit dem Zeh gegen Petr. »Tschuldigung«, sagte er. Kipchak reagierte nicht. »Schade, dass wir nichts zum Saufen haben«, brummte ein Mann. »Es ist leichter, andauernd zu verlieren, wenn man nicht nüchtern ist.« Der Geber nahm die Karten auf und mischte sie mit schnellen Bewegungen. »Was dagegen, wenn ich abhebe?«, sagte Jaansma. »Nein«, sagte der Geber knapp. »Das ist dein Recht.« Er legte den Kartenstapel auf die Decke. Garvin nahm den Stapel in eine Hand und teilte ihn sorgfältig. Der Geber beobachtete ihn aufmerksam, nahm den Talon wieder entgegen, dann flogen die Karten über die Decke. Es war still im Bad, abgesehen vom leisen Summen der Lüftung, sodass das Schnippen der ausgeteilten Karten lauter als unter normalen Umständen klang. Die Lippen des Gebers verzogen sich spöttisch, als er sein Blatt aufnahm. »Das wird eine teure Runde«, gab er bekannt und bediente sich von seinem Geldhaufen. 36 »Einhundert, wenn ihr auch nur sehen wollt, ob ich prahle.« »Ich gehe mit«, sagte Kipchak und legte den größten Teil seines geschrumpften Vermögens in die Mitte. »Ich auch«, sagte Garvin. Zwei weitere zogen mit, zwei andere gaben auf. »Ich nehme zwei Karten«, sagte Jaansma. Seine Hand bewegte sich über die auf der Decke liegenden Karten, als er ablegte. Seiner Miene war nichts anzumerken, als er sich die neuen Karten nahm. »Geber nimmt eine.« »Ich halte«, sagte Kipchak und blieb drin. Die Frau nahm zwei Karten, der letzte Mann drei. »Noch mal hundert«, sagte der Geber. Die Frau stieg aus, der letzte Mann erhöhte. »Ich glaube, ich habe eine Glückssträhne«, sagte Jaansma. »Zweihundert.« »Und noch mal hundert«, sagte Petr. »Wie ich schon gesagt habe, das wird teuer«, sagte der Geber. »Außerdem wird es langsam spät. Ich will mir nicht den Teint verderben, indem ich mir die Nächte um die Ohren schlage.« Er zählte nach. »Fünfhundert... erhöhe auf sechshundert.« »Der kleine Junge kann es einfach nicht lassen«, sagte Garvin und legte weitere Scheine in die Mitte. »Ich überbiete um zweihundert.« »Ich bin blank«, sagte Petr. »Kein Problem«, sagte Njangu. Er löste sich von der Wand und zog sein Geld aus der Tasche. »Du bist kreditwürdig.« »Danke.« Der Geber lachte auf widerliche Weise. »Ich glaube, ich werde heute Nacht sehr, sehr gut schlafen.« Er warf 37 sein Blatt auf den Tisch. Alle fünf Karten hatten dieselbe Farbe. »Schätze, damit ist das Spiel gelaufen«, sagte er und griff nach dem Geld. »Eine Serie bis zum Protektor.« »Nicht ganz.« Nun breitete Petr langsam seine Karten auf der Decke aus. »Herrscher... Herrscher... Herrscher ... Herrscher... und als Nummer fünf das Alien.« Der Geber riss die Augen auf. »Das kann nicht...« Gleichzeitig fuhr seine Hand nach hinten zur Hosentasche. »Lackel!«, zischte Garvin und kam auf die Beine. Ein Glitzern - ein winziger Stahlpfeil flog quer über die Decke und grub sich in den Unterarm des Gebers. Er schrie auf; Blut spritzte. Die Aufpasserin näherte sich und hatte bereits ein kurzes Rohrstück in der Hand. Njangu schnitt ihr den Weg ab und versetzte ihr einen Handkantenschlag gegen die Schläfe. Sie brach über einem Spieler zusammen und rührte sich nicht mehr. Ein weiterer Mann erhob sich. Garvin rammte ihm eine Faust in den Solarplexus und verpasste ihm mit der anderen Hand einen Rückhandschlag gegen den Schädel. Der Mann ging zu Boden. Der Geber starrte auf seinen blutenden Arm. Der winzige Pfeil steckte immer noch knapp unter dem Ellbogen im Fleisch. Petr zog ihn heraus, und wieder schrie der Mann. Die anderen Spieler hatten reglos die Arme gehoben und alle Finger gespreizt. Yoshitaro warf einen Blick in den Schlafraum. »Niemand hat etwas gehört«, meldete er.
Petr wischte den Pfeil sauber und ließ ihn wieder verschwinden. »Ich mag keine Betrüger«, sagte er. »Viel38 leicht sollte ich dir die Sehnen durchtrennen. Du kannst in der Hölle weiterspielen.« Der Geber stöhnte und schüttelte flehend den Kopf. »Ihr seid doch sicher alle früh schlafen gegangen und habt während der Nacht nichts Ungewöhnliches bemerkt, oder?«, fragte Kipchak. Überall wurde eifrig genickt. Die Aufpasserin rappelte sich auf, hustete und musste sich übergeben. Sie wankte zu einer Toilette. Der Mann, den Garvin ausgeschaltet hatte, lag bewegungslos da. »Hast du ihn getötet?«, fragte Petr ohne eine Spur von Besorgnis. »Nein«, sagte Jaansma. »Er wird in einer Stunde aufwachen, und ihm wird genauso übel sein wie ihr, aber es ist nichts Dauerhaftes.« »Gut. Schließlich wollen wir nicht vor Gericht gezerrt werden«, sagte Petr. »So, Leute, meint ihr nicht, es wäre an der Zeit, schlafen zu gehen?« Die Spieler beeilten sich, das Bad zu verlassen. Petr zog den Geber auf die Beine. »Du lässt dich krankschreiben und behauptest steif und fest, dass du ausgerutscht und gegen ein Schott gefallen bist. Kapiert? Wenn du irgendetwas anderes erzählst, werden sich zwei Zeugen melden, die dich der Lüge bezichtigen, wenn wir D-Cumbre erreicht haben. Und anschließend solltest du zusehen, dass dir Augen im Hinterkopf wachsen. Ich habe gehört, dass einen das nach einiger Zeit verdammt nervös machen kann.« »Es ist nichts passiert«, plapperte der Geber. »Es war genauso, wie du gesagt hast. Ich schwöre, ich schwöre.« »Gut. Hier. Nimm das Handtuch und such einen Sanitäter. « »Einen Moment noch«, sagte Garvin. »Denn wir müs39 sen noch darüber sprechen, welche Lektion wir gelernt haben, bevor wir die Absolution erteilen können.« Er sprach in gesetztem, fast liturgischem Tonfall. »Dieser Mann ist noch in Unkenntnis darüber, wie wir seine Niederträchtigkeit entdeckt haben, und vielleicht kann er fortan von dieser Information profitieren.« »Erzähl es dem Mistkerl lieber nicht«, sagte Kipchak. »Sonst wird er sich beim nächsten Mal mehr Mühe geben, wenn er andere Dumme gefunden hat, die er übers Ohr hauen kann.« »Keine Sorge«, sagte Jaansma lässig. »Schurken wie er kommen ohnehin erst dann zur Einsicht, wenn sie ihre allerletzte Lektion gelernt haben. Zuerst wurde ich wegen des Geräusches auf diesen Mann aufmerksam. Wie, wegen eines Geräusches?, werdet ihr euch verwundert fragen. Ja, wegen eines Geräusches«, fuhr er in pedantischer Manier fort. »Denn wenn jemand die Zweite gibt, also die zweite Karte statt der obersten vom Stapel, dann lässt sich das durch eine verräterische akustische Abweichung vernehmen.« Er nahm die verstreuten Karten auf und schob den Stapel wieder zusammen. »Hört genau zu, dann wird auch euch die Erkenntnis zuteil. Seht, wie ich diese Karten halte, und schaut genau hin, wie ich die oberste Karte mit dem Daumen meiner linken Hand fixiere, während ich die zweite mit dem Zeigefinger und Daumen meiner rechten austeile. Habt ihr das Geräusch vernommen? Und nun zum zweiten Hinweis, dem geschmacklosen Silberring, den der Prasser trägt.« Er griff nach der linken Hand des Gebers und zog ihm den Ring vom Finger. »Seht ihr, dass er nicht einmal richtig passt? Das deu40 tet darauf hin, dass er ihn von einer ähnlich hinterlistigen Person erworben hat, bevor wir gestartet sind. Mir ist aufgefallen, dass er ihn nicht nur ständig am Finger drehte, sondern obendrein unablässig polierte. Wenn er also den Stapel in der rechten Hand hielt und ihn ein wenig schwenkte, etwa so, konnte er die oberste Karte ein wenig vorschieben und anhand des Spiegelbildes beurteilen, ob sie für ihn von Interesse war. Wenn er sie sich für sein eigenes Blatt wünschte, konnte er sie zurückhalten und immer nur die zweite Karte geben. Die Aufpasserin war zweifellos eingeweiht, und der Spieler, den ich aus dem Rennen nahm, möglicherweise ebenfalls. Oder auch nicht«, schloss Jaansma gleichgültig»Vielleicht sollten wir dem Kerl die Daumen brechen«, sagte Njangu. »Das könnten wir natürlich tun«, sagte Jaansma, und wieder stöhnte der Geber auf. »Er ist wahrlich ein widerlicher Wicht, den Missmut zur Mogelei motivierte. Aber es könnte ihn genauso tief erschüttern, wenn ich ihm etwas zeige. Schau her, Schurke! Du glaubst, du bist ein Hai oder ein ähnlich räuberisches Geschöpf? Aber du solltest dir merken, dass in jedem Ozean noch größere Haie herumschwimmen, als du einer bist. Sieh, wie ich den Stapel nehme und einmal mische. Du hast nichts gehört, ja? Nichts Ungebührliches, ja? Aber nun schau, wie ich die ersten fünf Karten gebe.« Beim Austeilen jeder Karte war ein leises Schnippen zu hören. »Protektor... Protektor... Protektor... Protektor... Joker. Gar kein so schlechtes Blatt, nicht wahr? Aber nun mische ich noch einmal. Jetzt teile ich hintereinan-
41 der den Gefährten... Gefährten... Gefährten... Gefährten und eine Zehn aus. Noch besser, nicht wahr? Wärst du nicht auch geneigt, alles auf ein solches Blatt zu setzen? Du musst mir nicht antworten. Denn hier ist das Blatt, dass ich mir selbst gebe.« Er teilte fünf weitere Karten aus. »Nova... Nova... Nova... Nova... und woher kommt schon wieder das Alien? Ich dachte, es wäre im letzten Blatt gewesen. Siehst du? Aber natürlich hast du gar nichts gesehen.« Jaansma fiel in einen normalen Tonfall zurück. »Er gehört dir, Kipchak.« »Los, verschwinde!«, fauchte Petr, und der Geber verließ eilig den Raum, das blutgetränkte Handtuch um den Arm gewickelt. »Das Glücksspiel wird eines Tages noch mein Tod sein«, sagte Kipchak. »Danke. Ich bin dir was schuldig.« »Kein Problem«, sagte Jaansma. »Warum hast du dich eingemischt?« »Aufgrund meiner tief verwurzelten Liebe zur Wahrheit, zur Gerechtigkeit und zu den Werten der Konföderation«, sagte Garvin. Njangu schnaufte. »Okay«, sagte Kipchak. »Eine andere Frage. Heute Abend wurde ein bisschen Blut vergossen. Das scheint keinen von euch beiden übermäßig beunruhigt zu haben. Die meisten Rekruten, denen ich begegnet bin, hätten ganz anders reagiert.« Die zwei jungen Männer sahen Kipchak an, und beider Mienen trugen den gleichen Ausdruck völliger Unschuld. »Maria auf dem Scheißhaus!«, fluchte Kipchak. »Ihr beide könntet Brüder sein.« 42 »Jetzt bin ich dran«, sagte Yoshitaro. »Wo hast du gelernt, Betrüger wie ihn zu erkennen?« »Ich habe mal in einem Buch was darüber gelesen.« »Und auf dieselbe Weise hast du wohl auch gelernt, wie ein Profi zu geben, was?« »Richtig.« »Was war das mit der Moralpredigt? Du hast dich wie ein gottverdammter Heilsprediger angehört. Oder wie irgendein Typ vom Zirkus.« »Das bin ich ja auch«, sagte Garvin. »Ich habe mich in verdeckter Mission von der Konföderation einziehen lassen, um Sünder auf den rechten Weg des Gottes Picksny zu geleiten.« »Nie von ihm gehört.« »Deswegen bin ich sein Missionar geworden. Unsere Sekte war bislang nicht sehr erfolgreich.« »Kannst du jemals eine vernünftige Antwort auf eine Frage geben?«, erkundigte sich Yoshitaro angewidert. »Wer war zum Beispiel dieser Lackel, den du gerufen hast, als die Prügelei losging?« Kurz darauf hörte er die Antwort - ein tiefes, aufrichtiges Schnarchen. Petr fing die beiden am nächsten »Morgen« ab. »Ich wollte mich bei euch zwei Komikern bedanken«, sagte er. »Ich hätte meinen letzten Credit in dieses Loch versenkt, wenn ihr euch nicht eingeklinkt hättet.« »Vergiss es«, sagte Jaansma. »Ich konnte sowieso nicht schlafen.« »Klar«, sagte Kipchak. »Auf jeden Fall bin ich dir was schuldig.« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern schob sich durch die Menge davon. 43 »Nun hat Narbengesicht uns gegenüber also eine Ehrenschuld«, sagte Garvin. »Juhu!« »Beschwör es nicht«, sagte Njangu. »Vielleicht brauchen wir eines Tages einen Retter in der Not.« Die Malvern kam aus dem N-Raum, und der Navcomputer überprüfte die Position. Das Schiff war auf Kurs. Wenige Minuten später flimmerte es und verschwand, ging in den vorletzten Sprung vor dem Cumbre-System. »Gut«, sagte Petr. »Unser Ziel ist D-Cumbre. Das ist eine Welt der Konföderation mit einer planetaren Regierung— einem Generalgouverneur und so etwas wie einem Kuratorium, das ihm beratend zur Seite steht. Wahrscheinlich all die Gauner mit viel Geld.« »Und zu was für einer Einheit kommen wir?« »Sie soll aus etwa zehntausend Leuten bestehen. Nennt sich Streitmacht Schnelle Lanze.« Petr zuckte mit den Schultern. »Offiziere mögen markige Namen. Unser Caud heißt übrigens Williams. Konnte aber nichts über ihn rausfinden. Der Auftrag der Einheit lautet, den Frieden zu wahren.« »Gegen wen?«, fragte Njangu. »Das scheint etwas kompliziert zu sein«, sagte Kipchak. »D-Cumbre macht seinen Profit mit dem Bergbau auf einem anderen Planeten. C-Cumbre, wenn ich mich recht entsinne. Die Hackenschwinger setzen sich hauptsächlich aus Einwanderern zusammen, die 'Rauhm genannt werden.« Er gurgelte den ersten Konsonanten. »Schreibt sich vorne mit einem Apostroph, damit man sofort sieht, dass der Laut nicht so ausgesprochen wird, wie die Leute normalerweise sprechen. Die 'Rauhm sind vor ein paar hundert Jahren nach 44 C-Cumbre gekommen. Haben geglaubt, dass ihnen das Universum gehört. Stattdessen schuppern sie im
Bergwerk, wie man so sagt; aber da gehören Fanatiker auch hin. Auf alle Fälle arbeiten sie jetzt für die Gauner, die schlauer waren und sich zuerst dort breit gemacht haben. Ich schätze, ein paar von denen gefällt nicht, wie der Laden läuft. Also rennen sie in den Hügeln rum, spielen Räuber und schießen auf jeden, der nicht ihrer Meinung ist. Das dürfte eins der Probleme sein, um die wir uns kümmern sollen.« »Wie können wir sie von den Leuten unterscheiden, die wir verteidigen sollen?«, fragte Garvin. »Hoffentlich dadurch, dass sie auf eure jungen Ärsche schießen«, antwortete Kipchak. »Davon abgesehen sollen sie kleiner, stämmiger und dunkler sein. Und wenn man denen glauben kann, die sich für etwas Besseres halten, haben sie all die schlechten Angewohnheiten, die man entwickelt, wenn man im Leben immer die Nieten gezogen hat. Doch das größte Problem sind die Minen, in denen sowohl Menschen als auch Musth arbeiten.« »Was sind denn das für welche?«, fragte Njangu. »Hab mich nie sehr für Aliens interessiert. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich nie einem begegnet bin, dem ich etwas hätte klauen können.« »Ziemlich große Burschen«, sagte Garvin. »Ich habe mal ein Holo über sie gesehen. Sie erinnern an große, magere Katzen, die auf zwei Beinen gehen. Wenn ich mich recht entsinne, haben sie einen langen Hals und bewegen sich ziemlich schnell. Sie machten den Eindruck, dass man ihnen lieber nicht im Dunkeln begegnen möchte.« 45 »Eine treffende Beschreibung«, sagte Petr. »Sie sind angeblich genauso reizbar wie eine Nutte in der letzten Nacht, bevor den Truppen der Sold ausgezahlt wird. Ich hatte noch nie mit ihnen zu tun, aber ein Kumpel von mir, und er meinte, dass ihre Laune sehr schnell in den Keller rutschen kann. Aber viel mehr weiß ich auch nicht.« »Darf ich dich etwas fragen?«, sagte Njangu. »Ich bin dir sowieso noch einen Gefallen schuldig.« »Hast du früher schon mal gedient?« »Ja. Hab mich freiwillig gemeldet, hatte bald die Schnauze voll, bin raus, konnte das Getue der Zivilisten nicht ertragen, hab mich wieder gemeldet... ich schätze, ich sollte mich irgendwann entscheiden.« Kipchak seufzte. »Hab ein- oder zweimal versucht, mich häuslich niederzulassen, aber es hat nicht funktioniert. Vielleicht bleibe ich jetzt einfach dabei.« »In welcher... ich weiß gar nicht, wie man es eigentlich bezeichnet... in welcher Sparte tust du gewöhnlich Dienst?«, fragte Yoshitaro. »Was mich betrifft, kommt nur ein Bereich in Frage. Die Aufklärer. Die Rumschnüffler, wie man unter uns sagt. Da treiben sich wahrscheinlich noch ein paar von meinen alten Kumpels herum. Die Aufklärungstruppe ist eine kleine Welt, weil die meisten Soldaten glauben, wir sind hirnamputierte Selbstmörder. Man operiert allein oder in einem kleinen Team. Wenn man also in einen Hinterhalt tappt, ist man selber schuld, statt als Fußsoldat mit einer Herde von Trotteln mitzustolpern oder mit dem Rest der Streitmacht in einem Einsatzgebiet abgesetzt zu werden. Aber trotzdem keine schlechte Methode, sich töten zu lassen. Wenn ich noch etwas Grips hätte, würde ich 46 wahrscheinlich in der Versorgungstruppe oder der Feldküche arbeiten. Wie mir scheint, hat Mutter Kipchak einen ziemlich starrsinnigen Idioten großgezogen.« »Sag mal, Njangu...« Yoshitaro blickte von der Disk auf, die er gerade las. Es war Maev. »Ja?« »Ich habe ein Problem mit der Aufhängung meiner Koje«, sagte sie. »Das verdammte Ding hat sich verzogen, und ich stoße ständig mit dem Kopf dagegen. Könntest du mal schauen, ob du es gerade biegen könntest oder so?« »Klar.« Njangu stieg aus seiner Koje und folgte der kleinen Rothaarigen. Petr und Garvin hockten im Schneidersitz auf Kipchaks Bett, zwischen ihnen ein magnetisches Miniaturschachbrett. Njangu grinste, als er vorbeiging. »Hmm«, sagte Garvin. »Die weiße Königin schlägt den schwarzen Läufer, wie es scheint.« »Was redest du da?«, erwiderte Kipchak. »Deine Königin kommt nie an meinen Läufer ran.« »Schon gut, vergiss es.« Etwas weckte Njangu. Es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, wo er war. Maev lag neben ihm in der Koje und lächelte im Schlaf. Ihre Hand lag zwischen Yoshitaros Schenkeln. Im Licht der Bereitschaftslampen sah ihr Haar sehr dunkel aus. Sie hatten die dritte Mahlzeit ausfallen lassen und waren schließlich völlig erschöpft eingeschlafen. Njangu spürte, wie er vollständig erwachte, strich mit einem Finger über ihre schlanke Taille und streichelte 47 ihre Beine. Immer noch im Schlaf hob sie ein Bein und rollte sich auf den Rücken. Der Lautsprecher brüllte: »An alle... an alle... begeben Sie sich auf Ihre Notfallpositionen.« Njangu sprang aus der Koje und griff nach seiner Kleidung. Maev blinzelte schläfrig. »Was ist los?«
»Keine Ahnung. Aber wir sollten dem Aufruf lieber folgen.« Sie zog sich eilig an. »An alle ...an alle... Achtung, ein Enterkommando wird an Bord kommen. Achtung, leisten Sie keinen Widerstand. Ich wiederhole, unterlassen Sie jede Art von Gegenwehr.« »Hast du eine Ahnung, was hier vor sich geht?«, fragte Yoshitaro. Garvin schüttelte den Kopf. »Wir sind immer noch auf Sternenantrieb, nicht wahr?« »Ja.« »Wie kann uns dann jemand - ein anderes Schiff -so nahe kommen?«, wunderte sich Yoshitaro. Jaansma schüttelte wieder nur den Kopf. »Sie können es nur schaffen, wenn im N-Raum ein Tracker auf uns gewartet hat«, sagte Kipchak grimmig. »Oder wenn sie unseren genauen Kurs kennen.« »Was heißt das?«, fragte Njangu. »Das heißt, dass es gar nicht gut aussieht«, sagte Kipchak. »Vor allem die Sache mit dem Verzicht auf jeden Widerstand.« Die Malvern schüttelte sich. »Jemand geht längsseits«, sagte Kipchak. »Gar nicht so einfach im N-Raum. Nahe48 zu unmöglich, es sei denn, es gibt jemanden auf der Brücke, der kooperiert.« »Warum sollen wir keinen Widerstand leisten?«, sagte Jaansma. »Sind das Piraten?« »Blödsinn«, sagte Petr. »So was wie Piraten gibt es nicht.« »Und warum hat man uns dann gesagt, dass wir keinen Widerstand leisten sollen? Wir... die Konföderation führt doch gegen niemanden Krieg, oder?« »Soweit ich weiß, nicht.« »Also was...?« »Halt die Klappe«, schnitt Kipchak ihm das Wort ab. »Wenn ich etwas wüsste, würde ich es dir sagen.« Sie warteten fast eine Stunde lang. Dann ging die normale Beleuchtung wieder an. »An alle militärischen Auszubildenden«, ertönte es aus den Lautsprechern. »Machen Sie sich zum Antreten bereit. Sichern Sie Ihren persönlichen Besitz und folgen Sie den Befehlen der Männer, die in Ihre Kabinen kommen werden. Sie haben nichts zu befürchten, wenn Sie sich gehorsam verhalten. Jeglicher Widerstand wird mit drastischen Maßnahmen beantwortet.« Durch den Gemeinschaftsraum hallten viele Fragen und keine Antworten. Dann plötzliche Stille, als sich das Schott am Ende des Raumes öffnete. Zwei Männer kamen herein. Sie trugen Raumanzüge mit offenem Visier und hielten schwere Blaster in den Händen. Sie postierten sich links und rechts neben der Tür und erstarrten. Dann trat ein dritter Mann ein. Er war groß, rasiert und weißblond. Wie die anderen trug er einen dunklen Raumanzug ohne Abzeichen und hatte den Helm abgenommen. Sein Blaster steckte im Holster. 49 »Achtung«, dröhnte seine Stimme, und Garvin zuckte zusammen. Dann bemerkte er, dass der Anzug des Mannes mit einem tragbaren Lautsprecher ausgestattet war. »Dieses Schiff wurde rechtmäßig in unsere Gewalt gebracht. Alle Männer und Frauen an Bord sind unsere Gefangenen. Zu gegebener Zeit werden Sie die Gelegenheit erhalten, sich zu rehabilitieren. Leisten Sie keinen Widerstand, sonst antworten wir mit Waffengewalt. Wenn Sie kooperieren, wird Ihnen nichts geschehen, und am Ende wird es sich für Sie möglicherweise sogar auszahlen. Denken Sie nur daran, dass Sie tun sollten, was wir Ihnen sagen, dann wird es keine Probleme geben. Wer nicht gehorcht, wird sterben. Und jetzt warten Sie auf weitere Anweisungen.« Der Weißblonde verschwand. »Ach du heilige Scheiße«, murmelte Kipchak. »Jetzt stecken wir bis zum Hals drin.« »Warum?«, sagte Yoshitaro. »Was zum Henker ist hier los?« »Wisst ihr noch, was ich gesagt habe? Dass die Aufklärungstruppe eine kleine Welt ist? Ich kenne diesen Dreckskerl. Er heißt Celidon, und er ist ein astreines Arschloch. Er wird euch ohne Zögern töten, wenn ihr's irgendwie vermasselt.« »Das verstehe ich nicht«, sagte Garvin. »Warum sollte die Konföderation eins ihrer eigenen Schiffe kapern?« »Er gehört nicht zur Konföderation«, sagte Petr. »Nicht mehr. Er hat sich selbstständig gemacht. Nachdem sie ihn hochkant rausgeworfen haben. Ich habe gehört, dass er für einen Protektor arbeitet, auf Larnyx... nein, auf Larix. Ein Doppelname. Larix und Kura, das war's.« »Was wird jetzt geschehen?« 50 »Ich glaube«, sagte Kipchak, dessen Stimme immer zuversichtlicher klang, »dass es sich doch um einen Piratenüberfall handelt. Wahrscheinlich ist dieser Protektor scharf auf das Schiff und was sich darin befindet. Obwohl ich nicht verstehe, wie er sich über Truppenbewegungen der Konföderation informieren konnte. Das ist mir völlig unbegreiflich. Aber die Aktion ist gut geplant. Anzüge ohne Abzeichen, niemand in Uniform.
Wahrscheinlich ist auch ihr Schiff völlig sauber, sodass sie tatsächlich eine Chance haben, damit durchzukommen.« »Und was passiert mit uns?«, fragte Garvin. »Wir sind immer noch Rekruten«, sagte Kipchak. »Nur nicht für die Truppen der Konföderation. Und es könnte verdammt lange dauern, bis wir wieder in die Nähe eines Zuhauses kommen, falls das für euch eine Rolle spielt.« »Wunderbar!«, sagte Njangu. »Einfach wunderbar!« Petr hörte ihm gar nicht zu, sondern schnalzte leise mit der Zunge, während er nachdachte. »Nein«, sagte er. »Nicht mit mir, Bruder.« »Was meinst du damit?«, wollte Garvin wissen. »Ich bin nicht bereit, irgendeinem Protektor zu dienen«, sagte er mit Entschlossenheit. »Und erst recht keinem Renegaten. Wenn die Konföderation diesen Kerl zur Schnecke macht, wird jeder, der sein Abzeichen trägt, mit ins Verderben gerissen. Nein, nicht mit mir«, sagte er noch einmal. »Was willst du dagegen tun?«, fragte Njangu. »Macht euch keine Sorgen um mich. Ihr verhaltet euch einfach nur still und seht zu, dass ihr nicht befördert werdet. Mitläufer in den unteren Rängen werden meistens nicht gehängt. Früher oder später wird dieser 51 Laden zusammenbrechen, oder ihr habt schon vorher die Gelegenheit, euch heimlich davonzustehlen. Ihr werdet heil aus der Sache rauskommen.« Petr sah sie gar nicht an, sondern die zwei Wachen vor dem Schott. »Du willst abhauen?« »Geht's vielleicht noch lauter?« »Können wir mitkommen?«, fragte Garvin. »Ich habe jedenfalls keine Lust, Pirat zu werden.« »Sei kein Vollidiot«, gab Kipchak zurück. »Du würdest nur...« Doch dann hielt er inne und musterte Garvin und Njangu kritisch. »Meint ihr es ernst?« »Ja.« Njangu dachte einen Moment nach, dann nickte er. »Ich hab schon einen Fleck auf meiner Weste und kann auf einen zweiten verzichten. Ich komme mit, wenn du uns dabeihaben willst.« »Na ja... ich bin euch noch was schuldig. Und wenn man ganz allein mit einer Rettungskapsel unterwegs ist, kann es zu Problemen kommen, vor allem, wenn man eine lange Reise vor sich hat - und darauf wird's wohl rauslaufen, falls wir es überhaupt so weit schaffen. Okay. Aber ihr könnt nichts mitnehmen. Wir ziehen uns zurück, aber ganz langsam. Wenn die Wachen in eure Richtung schauen, erstarrt ihr zur Salzsäule. Dreht euch nicht um. Und lächelt auf gar keinen Fall! Bald werden sie sich die anderen holen, und dann werden wir die Unruhe nutzen, hintenrum beim Sani-Bereich zu verschwinden. Wir öffnen die Luke am Ende des Raumes und machen zusammen einen Abgang. Wenn wir Glück haben, ist der Verbindungsgang mit Luft gefüllt. Unser Ziel ist eins der Rettungsschiffe, die sich 52 auf dem mittleren Deck befinden dürften. Diese Truppentransporter sind alle recht ähnlich konstruiert. Wenn unsere Glückssträhne anhält, ist es mit Treibstoff und Vorräten ausgestattet. Wenn nicht... war's das. Also los!« Schritt... Schritt... Salzsäule. Ich bin eine Salzsäule. Eben hat eins von den Schweinen rübergeschaut, aber nicht auf mich, nicht auf mich... Schritt... Eine halbe Ewigkeit später kehrte der blonde Offizier namens Celidon zurück. »Achtung!«, knarrte seine verstärkte Stimme. »Holen Sie Ihre Ausrüstung und kommen Sie in einer Reihe zu mir. Wir werden Sie durchsuchen, dann schaffen wir Sie alle in kleinere Kabinen, um Sie davor zu bewahren, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Wenn jemand von Ihnen eine Waffe hat, sollte er sie jetzt fallen lassen. Sonst werden Sie auf der Stelle erschossen. Der Erste vortreten!« Die Rekruten schoben sich langsam nach vorn. Petr Kipchak schlüpfte in einen Seitengang, gefolgt von Garvin und Njangu. Leise zogen sie sich aus dem Hauptraum zurück. Sie kamen an der zerwühlten Koje vorbei, in die Maev Njangu mitgenommen hatte, und ihn durchzuckte ein Gefühl der Wehmut, als er an das dachte, was vielleicht hätte sein können, aber niemals geschehen würde. Kipchak hielt vor einer kleinen Luke an, die doppelt verriegelt war. Er zog an einem Riegel, und Farbe blätterte ab. »Verdammte Werftarbeiter! Wenn es klemmt, wird einfach Farbe drübergepinselt.« Er stemmte sein ganzes Körpergewicht dagegen, dann bewegte sich der Riegel. Er wiederholte die Aktion mit dem zweiten und beweg53 te ihn prüfend hin und her. Er nickte zufrieden. Auf der anderen Seite war Luft. Er öffnete die Luke, und die drei Männer krochen hindurch, um in den Eingeweiden des Schiffes zu verschwinden. 5 N-Raum Garvin erschienen ihre leisen Schritte in den leeren Gängen wie ein hallendes Krachen. Kipchak hatte die
Führung übernommen, dicht gefolgt von Njangu. Beide bewegten sich, als wären sie es gewöhnt, lautlos herumzuschleichen, fiel Jaansma auf, während er selbst sich wie ein betrunkenes Mastodon aufführte. Petr winkte... hier entlang... durch diese Luke... und die beiden folgten ihm. Zweimal forderte er sie mit Gesten zum Rückzug auf, dann duckten sie sich in eine Nische und hörten, wie Füße in Weltraumstiefeln vorbeimarschierten. Vor ihnen wurde gesprochen, und Kipchak wagte sich näher an die nächste Gangbiegung heran. Stimmen waren zu verstehen: »Gut... bleiben Sie in der Reihe, verdammt... hören Sie, ich habe die verdammte Liste nicht... ich sagte, bleiben Sie ruhig!« Das Geräusch eines Schlages, dann ein Schmerzensschrei. Dann Celidons dröhnende Stimme: »Ruhe! Ich sage es nur einmal! Bleiben Sie in der 54 Reihe, die wir Ihnen zugewiesen haben. Wenn Sie den Unteroffizier erreichen, nennen Sie Ihren Namen, Nachnamen zuerst, und warten, bis er Sie abgehakt hat. Sie gehören jetzt den Streitkräften von Larix und Kura an, und Sie sollten sich merken, dass wir niemanden mit Samthandschuhen anfassen und bedingungslosen Gehorsam erwarten. Jetzt befolgen Sie meine Befehle!« Petr nickte weise, als hätte diese Ansprache auch von ihm kommen können, und dirigierte Garvin und Njangu zu einem Schott mit roter Aufschrift. NOTZUGANG ZU DEN RETTUNGSKAPSELN WARNUNG: BEIM ÖFFNEN DIESER LUKE WIRD ALARM AUSGELÖST NUR IM ÄUSSERSTEN NOTFALL UND UNTER ANLEITUNG EINES BERECHTIGTEN OFFIZIERS ÖFFNEN
Petr untersuchte das Schott. Njangu sah sich bereits die Riegel und dann die Scharniere an. Er zeigte auf etwas, das Garvin nicht erkennen konnte, dann öffnete und schloss er die Finger, als würde er sprechen... oder als würde eine Alarmsirene ertönen. Er zog das Warnschild ein Stück von der Luke ab, dann bog er eine Ecke vor und zurück, bis sie abbrach. Yoshitaro drückte das Plastikstück hinter ein Scharnier und blockierte auf diese Weise einen kleinen Kontakt. Dann hielt er grinsend einen Daumen hoch. Petr entriegelte das Schott. Es wurde kein Alarm ausgelöst. Sie drangen in einen gekrümmten Gang ein, der in regelmäßigen Abständen mit kleineren Luken versehen war 55 und direkt unter der Außenhülle des Schiffes verlief. Garvin glaubte die Weltraumkälte zu spüren, wenn er die Wand berührte. Petr zeigte auf eine Luke. Sie öffneten sie, ohne Alarm auszulösen, und traten in eine kleine Luftschleuse. Kipchak machte das innere Schott auf, dann stiegen die drei »hinunter« in einen großen tropfenförmigen Raum. An den Seiten gab es zwei Luken mit der Aufschrift SANITÄRZELLE. Der Raum war vom Boden bis zur Decke gepolstert, und an den Wänden befanden sich hochgeklappte Kojen. Am »Boden« führte eine kurze Leiter zu einer Kommandostation mit drei Bildschirmen, einigen Sensoren, einem Sitz mit Anschnallgurten und - mitten zwischen den Kontrollen - einem quadratischen Knopf unter einer Abdeckung. »Mach die Luke zu«, befahl Kipchak, und Jaansma gehorchte. Nachdem die Luke verriegelt war, überprüfte Petr die Verschlüsse, dann sicherte er das Innenschott. »Wir haben es noch nicht geschafft«, sagte er überflüssigerweise im Flüsterton. »Manchmal haben diese Dinger eine zweite Alarmvorrichtung, die ausgelöst wird, wenn die Systeme aktiviert werden oder wenn man in den Weltraum startet. Ihr zwei solltet euch auf den Kojen anschnallen. Ich weiß nicht, ob wir zu Grav-Manövern gezwungen sein werden, aber es hat keinen Sinn, sich eine blutige Nase zu holen, wenn wir es vermeiden können.« Njangu und Garvin taten wie befohlen. Petr besetzte die Kommandostation und schnallte sich an. »Dieses Schiff ist kinderleicht zu bedienen«, sagte er. »Seht ihr diesen dicken Knopf? Damit wird es aktiviert. Dann haben wir autarke Gravitation, und die Bildschirme zeigen uns Echtzeitprojektionen nach vorn und ach56 tern. Auf dem mittleren gibt es zusätzlich ein Radarbild. Ich hoffe, dass alle drei im N-Raum als Standard-NavMonitore arbeiten. Übrigens rede ich nur deshalb so viel, weil ich Angst habe, irgendeinen Alarm auszulösen.« Er biss die Zähne zusammen, öffnete die Abdeckung über dem großen roten Knopf und drückte ihn. Das Schwerkraftzentrum wanderte von der Nase des Tropfens zum Boden des Rettungsschiffes, und die Bildschirme wurden hell. Njangu spürte durch die Polsterung ein leichtes Summen. »Wir sind aktiviert«, sagte Petr. »Wollen doch mal sehen, ob wir jetzt einfach mit diesem Ding abhauen können... so... und so... und los geht's!« Garvin spürte Bewegung, als sich eine Luke in der Außenhülle öffnete, die Davits das Rettungsschiff in den Weltraum schoben und es dann einfach treiben ließen. Er starrte auf die Schirme des Kommandodecks. Mit den
Darstellungen des mittleren konnte er nichts anfangen, aber die anderen zeigten den Rumpf der Malvern. Daneben hing die schlanke Nadel eines Kriegsschiffes. »Jetzt wird Alarm gegeben«, sagte Petr und tippte einige Tasten. Aber nichts geschah. »Ich fasse es nicht«, sagte er. »Ich habe nicht unbedingt ein anständiges Leben geführt, aber das Schicksal scheint es gut mit uns zu meinen. Es geht los!« Er drückte einen Knopf, dann den Hauptknopf. Die Welt zitterte leicht, dann zeigten die Bildschirme den verschwommenen Hintergrund des N-Raumes. »Eins... zwei... drei... vier...« Kipchak berührte einen anderen Sensor. Nun zeigten die Bildschirme den normalen Weltraum. Wieder drückte Petr den Hauptknopf, und sie sprangen erneut. 57 »Zwei blinde Sprünge«, erklärte er. »Nur falls sie ihre Sensoren auf Empfang gestellt haben. Hier müsste es irgendwo einen Knopf für panische Flucht geben.« Sie kehrten in den Normalraum zurück. In ihrer Umgebung gab es nichts, keine Sterne, keine Planeten, keine Malvern, keine Piraten. »Mit etwas Glück«, sagte er, »wovon wir jede Menge an Bord zu haben scheinen - was verdammt viel für jemanden ohne meine fortgeschrittene Ausbildung ist -, sind wir vorhin jedes Mal eine halbe Lichtminute weit gesprungen. Das ist weit genug, dass uns die Schweine nicht mehr wieder finden können, aber nicht so weit, dass wir die Basiskoordinaten des Computers verlieren.« »Was würde dann passieren?«, fragte Garvin. »Dann wären wir gearscht und geliefert«, sagte Petr. »Dieses Schiff sollte - ich betone, sollte - drei Zieloptionen haben, erstens unser eigentliches Flugziel, zweitens die Rückkehr nach Centrum und drittens ein Sprung zur nächsten besiedelten Welt, die in der Datenbank verzeichnet ist.« Wieder huschten seine Finger über die Sensoren. Njangu sah ihm aufmerksam zu. Petr blickte auf und grinste. »Hast nicht gedacht, dass ein Infanterist sich mit so was auskennt, was? Je mehr man weiß, desto länger bleibt man am Leben. Das müsst ihr noch lernen. Heutzutage gibt es keinen Infanteristen mehr, der nicht mindestens die Grundlagen externer Ballistik beherrscht, während er wie der Teufel rumspringt und nach seiner Mama schreit. Und er muss lernen, mit allem umzugehen, was er zur Verfügung hat - von dem, womit die Piraten bewaffnet sind... bis zur Malvern.« »Du hättest auch das Schiff fliegen können?« 58 »Ich hätte es vom Boden in den Weltraum bringen können«, sagte Kipchak, »zusammen mit ein paar Typen, die auf die Knöpfe drücken, an die ich nicht rankomme. Und was die Vorbereitung des Sprungs betrifft... nun, dafür sind Computer da. Jetzt haltet mal die Klappe. Hier kommen unsere Optionen.« Er betrachtete die Bildschirme. »Hmmm«, sagte er nach einer Weile. »Die erste Möglichkeit, die Rückkehr nach Centrum, ist ein bisschen heikel. Das wären sieben, vielleicht auch acht Sprünge, da diese Schnecke nicht mal annähernd die Reichweite eines richtigen Schiffes hat, und bis dahin dürften die Lebenserhaltungssysteme aus dem letzten Loch pfeifen. Dann hätten wir da noch das nächste von Menschen besiedelte System. Und das ist zufällig Larix. Welch seltsame Fügung. Ich glaube nicht, dass wir uns dort wohl fühlen würden, oder?« Die anderen beiden schüttelten die Köpfe. »Also müssen wir uns ans ursprüngliche Ziel halten, D-Cumbre. Noch zwei, wahrscheinlich drei Sprünge. Schätzungsweise eine Schiffswoche. Kein Vergnügungsflug, aber schließlich sind wir ergebene Diener der Konföderation. Ich wette, da geht voll die Post ab, wenn dort wir drei statt der fetten Malvern aufkreuzen.« Jaansma und Yoshitaro sahen sich an und sprachen das Offenkundige nicht aus. Wenn... oder falls. »Also bereite ich jetzt alles für den Sprung vor, und dann zischen wir ab«, sagte Petr mit absurd guter Laune. Erneut wirbelte der N-Raum. Garvin und Njangu starrten immer wieder gebannt auf die kaleidoskopischen Muster, während Kipchak überhaupt nicht darauf achtete. 59 »Jetzt passt mal gut auf«, sagte er. »Jetzt kommt der Grund, warum ich gesagt habe, dass sich diese Aktion besser mit mehr als einem Arsch durchziehen lässt. Die Konstrukteure dieser Schiffe haben sich gedacht, dass die Insassen unter Schock stehen könnten und nicht wissen, wo bei diesem Ding oben oder unten ist. Also haben sie die Kontrollen so einfach wie möglich gemacht. Man sucht sich ein Programm aus, drückt den Startknopf, und dann kann man nur noch auf den Fingernägeln kauen. Das einzige Instrument, das man im Hyperraum beachten muss, ist diese Nadel hier. Sie sollte zwischen diesen beiden schwarzen Strichen stehen. Das macht man mit diesem Schieberegler und diesem Timer. Alle zwei Bordstunden stellt man das Ding zurück. Wenn man es vergisst, wird das Schiff in den Normalraum zurückgestoßen. Ich schätze, damit soll verhindert werden, dass die Überlebenden zu weit vom Schuss abkommen. Meines Wissens hat bisher noch niemand eine Möglichkeit gefunden, diese Sicherung zu umgehen. Also halten wir abwechselnd Wache.« »Gut zu wissen, dass wir gebraucht werden«, sagte Garvin. »Das wirst du, Junge, das wirst du wirklich. Nicht nur hier, sondern noch auf viel bedeutsamere Weise. Alles, was du verzehrst, wird wiederverwertet, und du wirst es immer wieder atmen, trinken oder frühstücken.« Petr grinste gemein und wartete, dass die Gesichter der beiden Abscheu zeigten, aber er wurde enttäuscht.
»Der Recycler arbeitet keinesfalls mit hundert Prozent. Wenn er nur aus einer Quelle gespeist wird, nur einem Passagier, wird er ziemlich bald... etwas träge, 60 um es mal auf die schonendste Art auszudrücken. Je mehr Manövriermasse er hat, desto besser sind wir alle dran.« »Es muss doch noch weitere Vorräte geben«, sagte Garvin. »Wenn wir nur das essen, was wir absondern, werden wir in ein paar Tagen von Yoshitaros strammen Schinken träumen. Weil nach jedem Zyklus weniger übrig bleibt und so.« »Richtig«, sagte Petr. »Da drüben müsste es Vorräte geben. Das Überlebensnotwendige und ein paar Luxusartikel. Man hat erkannt, dass jeder, der diese Kiste benutzen muss, sich gern ein wenig verwöhnen lässt, während er auf seine Rettung wartet.« Njangu ging zum betreffenden Schrank, löste die Verriegelung und öffnete ihn. »H'rang-dao!«, murmelte er. »Ratet mal, was passiert ist, Jungs! Jemand hat sich auf unsere Kosten bereichert. « Kipchak kam zu ihm. »Prima«, sagte er mit kalter Stimme. »Ganz prima. Jemand hat sich von den Leckereien bedient - vielleicht jemand in der Werft, als die Malvern überholt wurde, vielleicht auch jemand aus der Besatzung. Als kleiner Extrasnack oder zum Verkaufen.« »Was ist noch da?«, fragte Garvin. »Wir werden schon nicht verhungern«, sagte Petr. »Aber wir werden Sojariegel nicht mehr ausstehen können, wenn wir Cumbre erreicht haben.« Andere Schränke waren ebenfalls geplündert worden, einschließlich des Faches mit der Aufschrift UNTERHALTUNG. Petr ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen. »Das gibt euch die Gelegenheit, noch etwas anderes zu lernen«, sagte er. »Es gibt zwei Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben, wenn man dienstfrei hat und irgendwo festsitzt, wo man sich keinen hinter die Binde kippen oder keine Nummer schieben kann, was während des größten Teils eurer militärischen Karriere der Fall sein wird. Ob ihr es glaubt oder nicht, man kann auch zu viel schlafen. Diese Möglichkeiten sind Lügen oder Lernen. Lügen ist die am weitesten verbreitete -jeder hängt rum und erzählt seine Lebensgeschichte, das Interessanteste, was einem je passiert ist, oder das Langweiligste und so weiter.« »Wie es alle in der Malvern gemacht haben«, sagte Garvin. »Nicht alle«, sagte Petr. »Es waren in erster Linie die Neulinge. Sie haben nicht darüber nachgedacht, was passiert, wenn ihnen die Lügen ausgehen. Was passiert, wenn man über einen anderen schon alles weiß, was es zu wissen gibt. Man fängt an, ihn aus tiefster Seele zu hassen. Es ist immer besser, sich zuerst auf die eigenen Ressourcen zu besinnen. Lest eine Disk, wenn ihr eine dabeihabt. Oder wenn nicht, sucht euch jemanden, der sich mit etwas auskennt, und bringt ihn dazu, es euch beizubringen. So habt ihr etwas zum Nachdenken, und wenn ihr von ihm die Schnauze voll habt oder er von euch, könnt ihr wieder getrennte Wege gehen, ohne dass die Sache persönlich wird.« »Gut. Und was machen wir jetzt?«, fragte Garvin. »Njangu muss noch zwei Bordstunden lang Wache schieben, bevor ich ihn ablöse.« »Als du diesem Spieler die Leviten gelesen hast, ist mir aufgefallen, dass du gut mit Worten umgehen kannst«, sagte Kipchak. 62 »Richtig.« »Das ist ein gutes Hobby. Also setz dich da drüben hin. Und hör zu.« Garvin gehorchte. »Prolog, Auftritt des Chors«, begann Petr. »O eine Feuermuse, die hinan Den hellsten Himmel der Erfindung stiege! Ein Reich zur Bühne, Prinzen drauf zu spielen, Monarchen, um der Szene Pomp zu schaun...« Garvin und Njangu sahen sich verdutzt an. Ein paar Bordstunden und Schichten später endete ein schon etwas heiserer Petr: »Was oft auf unsrer Bühne vorgegangen! Und wollet drum auch dies geneigt empfangen!« Er stand auf und verbeugte sich. »Und darauf«, sagte er, »bin ich verdammt stolz.« »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Garvin zögernd. »Ist das so etwas wie ein Drama?« »Ja.« »Wie viele kennst du noch?« »Ach, vielleicht zwölf oder dreizehn.« »Alle von dem gleichen Typen?« »Die meisten. Und ein paar andere. Moliere, Robicheux, Van Maxdem, Anouilh.« »Und du hast sie alle auswendig gelernt?« »So wird einem beim Wacheschieben nicht langweilig.« »Macht jeder in der Truppe irgend so einen Blödsinn?«, wollte Yoshitaro wissen. 63 »Nein. Nur ein paar.« Petr ging zur Sanitärzelle und trank etwas Wasser.
»Jetzt seid ihr an der Reihe, mich zu unterhalten.« Ein halbes Leben später kehrten sie in den normalen Weltraum zurück, mitten in einem Planetensystem. Petr zog das Kommikro aus der Halterung und drückte einen Sensor. In der Konsole gingen Lichter an. »Wir senden auf einer Standard-Notruffrequenz«, sagte er und berührte eine weitere Taste. »D-Cumbre, D-Cumbre, hier ist ein Rettungsschiff des Konföderationstransporters Malvern. Bitte antworten Sie auf dieser Frequenz. DCumbre, hier ist ein...« 6 D-Cumbre Der große Mann mit dem silbernen Haar öffnete die Tür. Er trug die Abzeichen eines Caud und war der Befehlshaber der Streitmacht Schnelle Lanze. Petr sprang sofort auf und nahm Haltung an. Njangu und Garvin folgten unbeholfen seinem Beispiel. Alle drei trugen nagelneue Uniformen, Njangu und Kipchak die grün gesprenkelten der Infanterie, Garvin einen schwarzen Overall der gepanzerten Kampftruppe. »Kommen Sie herein«, sagte Caud Williams mit eiskalter Stimme. Sie folgten ihm ins Büro des Generalgouverneurs Wilth Haemer. Der Vorsitzende der Planetaren Regierung des Cumbre-Systems, der direkte Repräsentant der 64 Konföderation, sah aus wie der ideale Großvater, den sich jeder wünschte. Doch im Moment verteilte er keine Süßigkeiten, sondern blickte sie ziemlich wütend an. Die Tür schloss sich mit einem lauten Klicken. »Das sind die drei Männer, Gouverneur«, sagte Caud Williams. Haemer trat hinter seinen riesigen Schreibtisch aus edlem Holz, der bis auf einen altertümlich und teuer aussehenden Füllfederhalter und eine Komtaste leer war. Er starrte sie an, als wären sie Krebszellen. »Ich sehe«, sagte er. »Alle drei sind Rekruten.« »Zwei, Sir«, sagte Williams. »Der Mann ganz links hat sich ein zweites Mal dienstverpflichtet.« »Hmpf«, machte Haemer. »Hat es da draußen nicht geschafft, was?« Kipchaks Genick rötete sich, aber er sagte nichts. »Ich sollte Sie beglückwünschen«, sagte Haemer, »dass Sie eine so... ungewöhnliche Erfahrung überlebt haben. Aber leider bin ich dazu nicht in der Lage, da mindestens einer von Ihnen - kaum, dass Sie dem Rettungsschiff entstiegen waren - nichts Besseres zu tun hatte, als den Journalisten sofort brühwarm zu erzählen, was Sie sich zusammenfantasiert haben.« »Nein, das...«, setzte Garvin an. »Still!«, bellte Caud Williams. »Reden Sie weiter«, sagte Haemer. »Das waren wir nicht, Sir«, sagte Jaansma. »Wer war es dann?« »Ich weiß es nicht, Sir.« »Es kann auf gar keinen Fall jemand von den Leuten gewesen sein, die ich beauftragt habe, Ihr Rettungsschiff zu bergen«, sagte Haemer. »Das ist eine unverrückbare Tatsache!« 65 Garvin sah endlich ein, dass es besser war, die Klappe zu halten. »Die Geschichte, die Sie im Eifer des Gefechts erzählt haben... ich würde sie nicht als Lüge bezeichnen, weil ich vermute, dass Sie selbst an diesen Unsinn glauben ... auf jeden Fall hätte sie zu Problemen mit Larix und Kura führen können, insbesondere mit dem Protektor Alena Redruth«, sagte Haemer. »Glücklicherweise war ich in der Lage, unverzüglich eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Eigentlich besteht überhaupt kein Grund, dass ich vor jemandem in Ihrer Stellung Erklärungen abgebe, aber ich tue es trotzdem, weil ich der Ansicht bin, dass mein Personal geschlossen auftreten sollte. Wir befinden uns hier am äußersten Rand der Konföderation. Zu Ihrer Information: Unsere Verbindung führt über Larix und verläuft nicht weit entfernt vom Kura-System. Das Wohlwollen der Bevölkerung dieser Welten und ihres Protektors ist für die Stabilität von Cumbre von größter Bedeutung. Ihre böse Geschichte könnte eine außergewöhnlich enge Beziehung destabilisieren. Mir ist bewusst, dass Sie nichts davon wissen können, aber vor kurzem hat Protektor Redruth höchstpersönlich das Cumbre-System besucht. Es ist doch noch gar nicht so lange her, oder, Caud Williams?« »Richtig, Sir. Vor dreiundzwanzig E-Monaten, um genau zu sein.« »Es war ein recht erfolgreicher Aufenthalt«, fuhr Haemer fort. »Er hat unsere Minen und Städte besucht und sich sogar die Zeit genommen, Ihre Streitmacht zu inspizieren, nicht wahr?« »Ja, Sir«, sagte Williams. »Und nun ist unsere Freundschaft — die Freundschaft 66 dreier großer von Menschen besiedelter Systeme — durch die unbedachten Worte dreier Hitzköpfe in Gefahr geraten«, sagte Haemer. »Wir werden nicht zulassen, dass sich die Situation weiter verschlechtert. Ich sage Ihnen jetzt, was wirklich geschehen ist. Irgendwelche Renegaten haben zwei Schiffe des Protektors in ihre Gewalt gebracht. Möglicherweise waren diese Kriminellen sogar Deserteure seiner eigenen Truppen und trugen
die Uniformen des Protektors als Tarnung für ihr niederträchtiges Verbrechen. Das ist der Grund, warum Sie einiges missverstanden haben. Es ist zu einem Irrtum gekommen, aber ich habe ihn korrigiert. Sie drei haben vor den Holos bereits Richtigstellungen abgegeben, nachdem ich Ihnen persönlich den Zugang zu den Datenbanken unseres Geheimdienstes gewährt habe, und sich entschuldigt. Möchten Sie noch etwas sagen, junger Mann?« Yoshitaro riss die Augen auf. »Nein, Sir«, sagte er. »Nein, nichts, Sir.« »Nichts anderes habe ich erwartet.« »Caud Williams«, fuhr Haemer fort, »ich weiß nicht, was ich jetzt mit diesen drei Männern machen soll. Wenn wir uns in erreichbarer Nähe der Zivilisation befinden würden, hätte ich Ihnen befohlen, sie sofort aus dem Dienst zu entlassen. Aber ich bezweifle, dass auch nur einer von ihnen Fähigkeiten besitzt, die ihm eine Anstellung auf D-Cumbre einbringen würde, und wir wollen schließlich nicht, dass sie womöglich die zivilen Versorgungssysteme belasten. Trotzdem lege ich Wert darauf, dass ihnen mein Missvergnügen bewusst ist. Ich werde ihnen zwar erlauben, ihre Dienstzeit in vollem Umfang abzuleisten, aber ich möchte von nun an weder etwas von ihnen hören noch ihre Gesichter wiederse67 hen. Es versteht sich von selbst, dass ich keine Beförderung oder Auszeichnung irgendeiner Art für sie wünsche, bis ich es mir anders überlege. Ist das klar?« »Sir, ich kann nicht zulassen...« »Caud, das ist ein Befehl!« »Ja, Sir.« Njangu und Garvin folgten Petr betreten, etwa zwei Meter hinter dem Caud, die Marmorstufen vor dem Amtssitz des Generalgouverneurs hinunter. Sie erreichten Williams' offenen Gravgleiter - einen Cooke, wie er für alles Mögliche von Ambulanzeinsätzen bis zu Dienstflügen des Kommandostabs eingesetzt wurde. Die Pilotenkanzel war hochgeklappt, und der Pilot murmelte leise etwas vor sich hin und kramte in seiner Werkzeugtasche. »Was ist diesmal das Problem, Rennender Bär?« »Das Ding will einfach nicht starten, Sir. Aber ich glaube, ich kriege es wieder in die Gänge.« »Nun gut«, sagte der Caud. »Sie drei, gehen Sie rüber auf die andere Straßenseite und in den Park da drüben.« Die Rekruten gehorchten. »Reihe bilden, Haltung annehmen!«, befahl er. »Sie haben gehört, was der Generalgouverneur am liebsten mit Ihnen gemacht hätte. Dazu wird es nicht kommen... es sei denn, Sie geraten noch einmal in seine Schusslinie, bevor er Ihre Namen vergessen hat. Und was mich betrifft - ich kann Ihnen versichern, dass Sie nicht auf meiner schwarzen Liste stehen. Ich bestrafe keinen Soldaten, der aus ehrenwerten Motiven einen Fehler begeht. Ich betrachte Sie auch nicht als ungeeignet für künftige Beförderungen oder Auszeichnungen, wenn Sie sich eine verdient haben. Sie haben gemeldet, was Sie ge68 sehen haben oder was sie gesehen zu haben glaubten, und sich geweigert, von Ihrem Standpunkt abzurücken. Ich bewundere Soldaten mit Rückgrat. Aber übertreiben Sie es nicht. Lernen Sie, über das nachzudenken, was Sie gesehen zu haben glauben, und bilden Sie sich eventuell ein neues Urteil. Eins sollten Sie nie vergessen. Die Streitmacht Schnelle Lanze ist, wie der Generalgouverneur sagte, weit entfernt vom Kern der Konföderation stationiert. Wir brauchen die Ausrüstung und die Männer - alles, was sich an Bord dieses Schiffes befunden hat - dringend. Seit den letzten Lieferungen ist viel zu viel Zeit vergangen, sodass unsere Einheit notorisch unterbesetzt ist. Manche Leute, die wir respektieren müssen, konnten mit übertriebener Besorgnis auf die schlechte Nachricht von der Kaperung reagiert haben. Habe ich mich einigermaßen verständlich ausgedrückt?« »Ja, Sir«, brummte Petr, und die anderen beiden nickten stumm. »Nun gut«, sagte Williams. »Also vergessen wir jetzt diesen Zwischenfall. Willkommen in der Streitmacht Schnelle Lanze. Sie beide als neue Rekruten werden sofort mit Ihrer Grundausbildung beginnen, die bedauerlicherweise nicht ganz den offiziellen Standards entsprechen wird. Wir müssen Sie, Jaansma, direkt in eine Division versetzen, in der Sie dann Ihre praktische Ausbildung bekommen werden. Und für Sie, Yoshitaro, gilt das Gleiche, je nachdem, wo die Personalabteilung Sie einsetzen will. Und Sie, Kipchak, Sie wurden bereits von Senior-Tweg Reb Gonzales von der Aufklärungskompanie angefordert. Er sagt, er kennt Sie von früher.« »Ja, Sir. Tweg Gonzales und ich haben gemeinsam auf Deneb-Nakkar gedient. Ein guter Mann, Sir.« 69 »Melden Sie sich bei ihm, sobald wir zur Truppe zurückgekehrt sind. Das wäre dann alles, meine Herren. Abschließend möchte ich noch einmal meinen Ratschlag wiederholen. Verhalten Sie sich unauffällig und vermeiden Sie es, Ihre Vorgesetzten oder gar mich auf die Sünden Ihrer Vergangenheit aufmerksam zu machen. Und zwar sehr, sehr lange!« Er blickte sich zur Straße um. »Finf Rennender Bär scheint den Cooke wieder in die Gänge gebracht zu haben. Also lassen Sie uns einsteigen und zum Lager zurückkehren.« Caud Williams marschierte zum Gravgleiter zurück. »Er scheint ganz in Ordnung zu sein«, sagte Jaansma. »Ach ja? Er glaubt uns genauso wenig wie dieses andere Arschloch«, sagte Yoshitaro. »Er drückt sich nur höflicher aus.«
Kipchak nickte. »Du lernst dazu, Junge. Aber vielleicht solltest du ihm - oder auch beiden - etwas mehr Verständnis entgegenbringen. Wie würdet ihr mit dem kleinen Problem umgehen, dass zwischen euch und der Oberfläche ein Hai schwimmt, der noch dazu die Rettungsleine umkreist?« »Ein berechtigter Einwand«, sagte Garvin. »Einen überzeugten Raubfisch kann man auch mit dem tollsten Gemüse nicht zum Vegetarier bekehren.« Der Cooke entfernte sich schnell von der Regierungsbastion. Es ging einen gewundenen Boulevard entlang durch die Stadt Leggett zum Golf, an den sich die Insel Dharma schmiegte. Genau in der Mitte der großen Bucht, zwanzig Kilometer entfernt und im Hitzedunst kaum zu erkennen, lag die Glücksinsel, die Basis der Streitmacht Schnelle Lanze. 70 Rennender Bär beschleunigte und ließ den Cooke auf eintausend Meter aufsteigen. Williams drehte sich auf seinem Sitz herum und versuchte das Rauschen des Fahrtwindes zu übertönen. »Haben Sie Ihren Eid schon auf Centrum geleistet?« Die Rekruten sahen sich gegenseitig an. »Nein, Sir«, sagte Kipchak. »Irgendwie sind sie diesmal nicht dazu gekommen.« Njangu und Garvin schüttelten ebenfalls die Köpfe. Williams reagierte entsetzt. »Sie meinen... wie lange haben Sie gedient...?« »Ich zweieinhalb E-Monate«, sagte Petr. »Yoshitaro und Jaansma sechs Monate, weil sie von ihren Heimatwelten nach Centrum geschafft werden mussten.« »Sechs Monate, und Sie sind noch nicht einmal... bei den Göttern, was denken sich die Leute heutzutage? Der Eid... ist doch der wichtigste Teil der... Ich kann nicht fassen, dass jemand... dass irgendwer...« Williams kam ins Stottern. Seine Lippen bildeten einen dünnen Strich. »Ich muss mich im Namen der Konföderation bei Ihnen entschuldigen, meine Herren. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Absolut nicht tolerierbar!« »Oh-oh«, murmelte Njangu. »Hab noch nie in meinem ganzen verdammten Leben so viele Soldaten gesehen«, murmelte Yoshitaro. »Gibt es einen besonderen Anlass?« »Still jetzt«, sagte Petr. »Das hier ist eine ernste Geschichte.« Die drei Männer trugen Galauniformen - eine dunkle, fast mitternachtsblaue Hose und eine hüftlange gegürtete Jacke, dazu gelbe Paspeln an den Hosenbeinen und der Dienstmütze und Schulterstücke. Die Hosen steck71 ten in langen schwarzen Stiefeln. Petrs linke Brust wurde von drei Reihen mit Auszeichnungen geziert, die rechte von zwei geflügelten Emblemen. Die zwei jüngeren Männer hatten nichts dergleichen vorzuweisen. Alle drei trugen breite schwarze Ledergürtel mit leerer Messerscheide. Sie befanden sich mitten auf dem riesigen Exerzierplatz von Camp Mahan. Er hatte eine Seitenlänge von knapp drei Kilometern und war mit Soldaten in Galauniform voll gepackt - den fast achttausend Männern und Frauen der Streitmacht Schnelle Lanze. Von der Vorderseite des Feldes näherte sich Caud Williams. Hinter ihm marschierte eine Wache aus drei Fahnenträgern mit den Flaggen der Konföderation, von Cumbre und der Streitmacht, dann folgte Williams' Kommandostab und als Nachhut die Truppenkapelle, die mit aller Kraft schmetterte. Williams' Stiefelabsätze kamen im Abstand von etwa fünfzehn Metern knallend zum Stehen. Die Kapelle spielte noch vier Takte, dann legte sich Stille über den Platz. In der sanften Meeresbrise roch Garvin Blumenduft, seine neue Uniform und seinen eigenen Schweiß. »Soldaten der Schnellen Lanze«, dröhnte Williams' Stimme aus seiner Kehle und achttausend Gürtellautsprechern. »Wir sind zusammengekommen, um drei Männer zu ehren, die gewillt sind, sich uns anzuschließen. Garvin Jaansma, Petr Kipchak und Njangu Yoshitaro, fünf Schritte vortreten! Fahnen!« Zwei Fahnenträger marschierten los, der eine mit der Flagge der Konföderation, der andere mit der Truppenstandarte; Letzterer senkte ohne weiteren Befehl die Fahne, bis sie den Boden berührte. »Hände an die Fahne legen!« 72 Sie gehorchten. »Wiederholen Sie. Ich, Caud Jochim Williams, schwöre bei allem, was mir heilig ist, sei es bei Gott, den Göttern oder meiner eigenen Ehre, dass ich die rechtmäßigen Befehle, die meine Vorgesetzten mir erteilen, befolgen werde, und ich schwöre, dass ich die Konföderation, alle Lebensformen, die ihr angehören, und ihre Werte bis zum Tod verteidigen werde oder bis ich von diesem Schwur entbunden werde.« Als die drei den Eid wiederholt hatten, schmetterte die Kapelle die »Galaktische Hymne« der Konföderation. »Ob es hier Taschendiebe gibt, die durch die Reihen schleichen?«, flüsterte Njangu. »Vielleicht könnten wir ein bisschen mitmachen.« »Klappe!«, flüsterte Garvin mit Nachdruck. Yoshitaro warf ihm einen Seitenblick zu und sah, dass sich der Adamsapfel seines Freundes ruckend auf und ab bewegte. Und über eine Wange schien tatsächlich so etwas wie eine Träne zu laufen. Garvin bemerkte Yoshitaros Überraschung. »Das alles hier erinnert mich an eine Manege, und er ist wirklich ein guter Zirkusdirektor«, brachte er verlegen heraus.
»Still!«, knurrte Petr. Die Kapelle verstummte, und leichter Jubel tönte über den Platz. »Fahnen... zurück!«, rief jemand, und die zwei Träger machten kehrt und marschierten zur Wache zurück. »Mil Rao!«, rief Williams. »Bewaffnen Sie diese Soldaten!« Prakash Rao, der Erste Offizier der Streitmacht, verließ die Formation. Er hielt drei Lederschatullen in den Händen, die er den drei Männern überreichte, bevor er zurückkehrte. 73 »Erweisen Sie sich dieser Ehre würdig«, sagte Williams. »Arbeiten Sie hart, dienen Sie zuverlässig und werden Sie zu einer Bereicherung der Truppe.« Er trat zurück und salutierte. Die Rekruten erwiderten den Gruß. »Kommandeure der Einheiten... übernehmen Sie Ihre Männer und entlassen Sie die Truppe!« Yoshitaro öffnete seine Schatulle. Darin befand sich ein Mützenemblem und zwei Insignien, die an den Kragen gesteckt wurden - die symbolische Darstellung einer Lanze mit einer Schockwelle, die sich von der Spitze ausbreitete -, und ein Messer. Zu seiner Überraschung war es keine stilisierte Zierwaffe, die nur zu festlichen Gelegenheiten präsentiert wurde, sondern eine tödliche Klinge für den Kampf, etwa 18 Zentimeter lang, mit gekrümmter Spitze und einer Schneide, die etwa sieben Zentimeter weit geschärft war. Der Griff bestand aus Leder und der Knauf aus Silber. Die Waffe passte tadellos in seine leere Gürtelscheide. »Komisch«, sagte er. »Was?«, fragte Petr in angespanntem Tonfall. »Ich will ja niemanden kritisieren«, sagte Yoshitaro eilig. »Aber wir bekommen diese Embleme, die alle funkeln und blitzen, und dann dieses Messer, das einfach nur verdammt praktisch ist.« »Und?« »Was ist denn nun die wahre Streitmacht?« Kipchak sah ihn verständnislos an. »Schon gut«, sagte Njangu. »Dann wollen wir mal lernen, wie man Soldat wird.« 74 7 C-Cumbre Jord'n Brooks ließ den Bohrer auf das Gestein einhämmern, während er sich den Schweiß aus den Augen blinzelte. Staub wirbelte durch die stickige Luft, legte sich auf sein Gesicht, färbte sein Haar grau. Der Stollen, in dem er lag, war nur knapp einen Meter hoch und halb so breit. Genügend Platz für ihn, das endlose Förderband für das Erz und seinen Bohrer. Der heiße, feuchte Felsboden unter ihm zitterte, als jemand in einem anderen Stollen eine Sprengladung zündete. Brooks fühlte sich in der Mine zu Hause, schon seit zwanzig Jahren. Er schob Gestein auf das Förderband, zog den Ärmel seines Isol-Anzugs zurück und sah auf die Uhr. Er schaltete den Bohrer ab, hängte ihn sich um und wand sich rückwärts aus dem Stollen, bis sich der Tunnel erweiterte und er sich halbwegs aufrichten konnte, obwohl sein Rücken immer noch den Fels streifte. Er ging hinunter zur Substation, wo die Decke höher und mit Stahlträgern verstärkt war. Hier war die Luft etwas frischer, da ein Ventilator neben der Instrumententafel rotierte. Seine Schichtleiterin stand neben dem vertikalen Schacht, in dem ein Lift wartete. »Du bist gedeckt«, sagte sie, und Brooks nahm die Atemmaske ab, stellte den Lufttank und den Bohrer auf den Boden, stieg in die Liftkabine und schoss damit nach oben. Der Schacht endete nach knapp einem Kilometer. Dort trat Brooks durch eine Luftschleuse und 75 stieg in einen Wagen um, der ihn zum Hauptschacht des Bergwerks brachte. Er drängte sich zusammen mit zwanzig weiteren Männern und Frauen in einen Frachtlift. Alle kamen von ihrer Schicht und waren verdreckt und in ausgelassener Stimmung. Es ging zur Oberfläche. Grelles Flutlicht ließ ihn blinzeln, als er die oberste Luftschleuse verließ. Aus irgendeinem Grund rechnete Brooks jedes Mal mit Tageslicht, wenn er aus dem Stollen kam, auch wenn die Uhr etwas anderes sagte. Er inhalierte die Luft, die nur staubig, trocken und kalt war statt fest, klebrig und komprimiert. Er zitterte ein wenig, bis sich der Isol-Anzug angepasst hatte. Die anderen Bergwerksarbeiter machten sich auf den Weg zum gesicherten Tor. Brooks duckte sich hinter eine Erzlore, schlüpfte sich immer im Schatten haltend an der Kuppel des Mineneingangs vorbei und stieg über einen hohen Berg aus Abraum. Er benutzte vorübergehend einen automatischen Erztransport, dann ging er zu Fuß weiter. Zweimal blieb er stehen und wartete, bis die planmäßige Patrouille vorbei war, bevor er seinen Weg fortsetzte. Die Nacht war erleuchtet von den Feuern, mit denen an den anderen, nur wenige Kilometer entfernten Schächten Gas abgefackelt wurde. Hinter einem zweiten Mineneingang, den er durch die Nutzung weiterer Mitfahrgelegenheiten in Erzloren überwand, stieß er auf einen halb im Boden eingelassenen, halbrunden Betonbunker. Überall waren Schilder aufgestellt: ACHTUNG, EXPLOSIONSGEFAHR! OHNE GENEHMIGUNG VON MELLUSIN-BERGWERKE BETRETEN VERBOTEN! KEINE ZÜNDFÄHIGEN GERÄTE ERLAUBT! 76
UNBEFUGTES BETRETEN WIRD MIT KÜNDIGUNG DES ARBEITSVERTRAGES UND DER GANZEN HÄRTE DES GESETZES BESTRAFT! Brooks ging zu einem kleineren Zugang des Bunkers. Er zog einen seltsam geformten Schlüssel mit vier unterschiedlichen Barten aus einer versteckten Tasche im Bein seines Isol-Anzugs und steckte ihn vorsichtig in einen Schlitz in der Tür. Den schmalen Halbmond über der Tür, der auf einer Linie mit dem Schloss lag, bemerkte er nicht. Er hörte auch das leise Klicken nicht. Brooks drehte den Schlüssel einmal nach rechts, dann ein kleines Stück nach links und wieder einmal nach rechts. Die Tür öffnete sich. Er hörte das Summen eines Gleiters, zog sich in die Dunkelheit zurück und beobachtete, wie das unbeleuchtete Fahrzeug in fünf Metern Entfernung landete. Zwei Gestalten stiegen aus und kamen auf ihn zu. Beide hielten Waffen in den Händen. »Die Aufgabe«, war eine weibliche Stimme zu hören. »Die Pflicht«, antwortete Brooks. Die Frau steckte die Pistole ein und kam näher. Sie hieß Jo Poynton und hatte früher seiner 'Rauhm-Gemeinde angehört. Sie war schlank, mittelgroß, Mitte zwanzig, mit kleinen Brüsten und überraschend vollen Lippen, die den Eindruck erweckten, als würden sie gerne lächeln, wenn ihre Besitzerin es ihnen nur erlauben würde. »Gab es irgendwelche Probleme, auf den Planeten zu kommen?« »Keine«, sagte Poynton. »Wie lange dauert es, bis man dich vermisst?« »Ich bin bis zum Ende der Schicht gedeckt«, sagte Brooks. 77 »So gut sieht es bei uns nicht aus«, sagte der Mann. »Der Sicherheitstechniker, den wir bestochen haben, kann den Radar höchstens noch eine Stunde lang ausgeschaltet lassen.« Brooks erkannte ihn an der Narbe auf der Wange. Es war Comstock Brien, der die 'Rauhm vor fast fünf Jahren verlassen hatte, einer der Ersten der Bewegung, die sich in die Hügel zurückgezogen hatten. Heute wurde er als ihr dynamischster Kriegsführer betrachtet. Er war nicht besonders groß, eher durchschnittlich für einen 'Rauhm; früher war er untersetzt und schwergewichtig gewesen, doch die Zeit im Dschungel hatte ihn beträchtlich abmagern lassen. »Ist die Tür offen?« Brooks stieß sie ganz auf. Brien nahm eine Lampe vom Gürtel, dann traten sie ein. »Eine Schatzkammer«, sagte Poynton. Brooks stieß einen Laut aus, der entfernt an Gelächter erinnerte. »Hier ist das Telex, da drüben das Blök, und die Primärzünder befinden sich in diesem Raum.« »Holt zuerst die Detonatoren«, sagte Brien. »Damit können wir alles in die Luft jagen.« Brooks und die Frau trugen gepolsterte Kisten mit unterschiedlichen Detonatoren zum Gravtransporter und kehrten zurück, um die nächste Ladung zu holen. Poynton war gerade aus dem Bunker getreten, als Licht aufflammte und eine Stimme sagte: »Eine Bewegung und Sie sterben.« Beide erstarrten. »Mellusin-Werkschutz«, sagte die Stimme. »Stellen Sie die Kisten auf den Boden. Langsam. Zwei Waffen sind auf Sie gerichtet.« 78 Sie gehorchten. »Fünf Schritte zurück«, sagte die Wächterin. »Mit dem Bauch auf den Boden legen, die Arme und Beine ausgestreckt.« Brooks ging in die Knie und legte sich auf das Gesicht. Ein zweiter Lichtstrahl nagelte die zwei am Boden fest. »Sie«, sagte die Frau. »Der Dritte im Bunker. Kommen Sie heraus. Langsam. Ich schätze, Sie haben nicht damit gerechnet, dass unsere eigenen Spione hellhörig werden, wenn sich jemand nach Sprengstoff erkundigt. Oder dass wir Alarmsysteme an den Demos angebracht haben, um ganz sicher zu gehen.« Brien kam heraus, die Hände halbhoch erhoben. »Hände ganz ausstrecken.« Seine Hände bewegten sich... dann sprang er vor und rollte sich über die Schulter ab. Der Wachmann feuerte mit dem Blaster, und der Strahl schlug über Briens Kopf in den Bunker. Flammen zuckten, und Rauch quoll heraus, während eine Alarmsirene die Nacht zerschnitt. Der Wachmann wirbelte herum und zielte erneut auf Brien, als dieser wieder auf die Beine kam. Brooks hatte sich auf Hände und Knie erhoben und rammte auf allen vieren die Beine der Frau, die zu Boden geworfen wurde. Der andere Wachmann richtete seine Lampe auf Brooks, als Poynton ihre Pistole zog und ihn erschoss. Die Frau rollte sich auf den Rücken, beide Hände am Blaster, und versuchte zu zielen, aber Brooks hatte sich bereits auf sie geworfen und die Hände in ihr Gesicht gekrallt. Die Waffe entfiel ihr, und er drückte so lange ihre Kehle zusammen, bis er spürte, wie der Knochen knackte. Ihre Fersen trommelten auf den Boden, und es roch nach Exkrementen, als sie starb. Er wälzte sich von der Leiche und erhob sich. In der 79
Ferne ertönte eine andere Alarmsirene und stimmte in die Feuerwarnung des Bunkers ein. »Lasst uns verschwinden«, sagte Poynton. »Nein«, sagte Brooks entschieden. »Wir haben noch genug Zeit für eine weitere Ladung. Außerdem können wir den Grav der Wachleute mitnehmen.« Seine Stimme war ruhig und emotionslos. Die anderen beiden starrten ihn verdutzt an, dann gehorchten sie. Brooks lief in den rauchenden Bunker zurück, ignorierte die sich ausbreitenden Flammen, warf sich tragbare Sprengstoffpakete über die Schulter, taumelte nach draußen und ließ sie in den Laderaum des Werkschutzgleiters fallen. »Jetzt verschwinden wir.« »Was ist mit dir?«, fragte Brien. »Wie willst du nach diesem Lärm an deinen Arbeitsplatz zurückkehren?« Brooks stieg auf den Pilotensitz des Gleiters und untersuchte die Kontrollen. »Wie es scheint, hat der Eine beschlossen, dass ich nun auf der Flucht bin, genauso wie ihr.« Er zuckte leicht mit den Schultern. »Es lässt sich offenbar nicht ändern. Abflug!« Er startete den Transporter, während die anderen in ihren eigenen Gleiter sprangen. Eine Schockwelle schüttelte die Fahrzeuge durch, als etwas im Bunker explodierte. Sie lösten sich vom Boden, wendeten und beschleunigten, während sie einem verrosteten Förderband auswichen. Dann flüchteten die zwei Gleiter in die Nacht. Brooks' einziger Gedanke war: Hätte ich doch nur Zeit gehabt, mich von meinen Kindern zu verabschieden. Drei Minuten später explodierte der Bunker. Die überirdischen Bergwerksanlagen wurden auf einer Fläche 80 von einem Quadratkilometer zerstört, und fünfundvierzig 'Rauhm wurden getötet, außerdem ein Dutzend Aufseher und fast fünfzig Wächter und Feuerwehrleute, die auf dem Weg zum Bunker gewesen waren. Es dauerte einen Monat, bis die Anlage wieder in Betrieb genommen werden konnte. 8 »Ich suche einen Dec namens Ben Dill«, sagte Garvin zu den Beinen, die aus der Pilotenkanzel des Grierson ragten. »In der Blechdose«, antwortete ihm eine dumpfe Stimme. »Sag ihm, dass er ein mieses Schwein ist.« »Hmmh«, antwortete Garvin und ging zum Heck des Kampffahrzeugs. Dabei drehte sich eine Antenne, verfolgte ihn und wackelte dann hin und her wie ein Spürhund, der die Fährte verloren hatte. Die Rampe ins Truppenabteil war heruntergeklappt; drinnen hielt sich ein Mann auf, der mit großer Kraft einen Besen schwang. Er war möglicherweise der größte Humanoide, den Garvin jemals außerhalb einer Zirkusarena gesehen hatte. »Dec Dill?« »Der bin ich«, sagte der Mann. »Bewaffnet, gefährlich und geschickt im Umgang mit dem hochmodernen Borstenkehrgerät B-Zen.« Er stellte den Besen an eine Wand und verließ das Gefährt. Dill war Mitte zwanzig, neigte bereits zum Haarausfall und hatte ein liebenswertes Grinsen im Gesicht. Garvin kam zu dem Schluss, dass er nicht in der Nähe sein wollte, wenn Dill jemals 81 zu lächeln aufhörte. Wahrscheinlich erwartete er nicht, dass Garvin salutierte, aber Letzterer nahm trotzdem Haltung an. »Rekrut Garvin Jaansma meldet sich zur Stelle.« »Sehr gut«, sagte Dill. »Du bist mein neuer Schütze. Rühren! Ich bin kein Offizier - ich kenne sowohl meine Mutter als auch meinen Vater. Willkommen in der Dritten Einheit, Kompanie A, Zweite Infanterie. Mögen die Götter Gnade mit allem haben, was du ihnen versprochen hast.« Seine Stimme nahm ohne Mühe einen bellenden Tonfall an. »Alle Mann herhören! Raus aus der Kiste!« Die Beine schoben sich aus der Pilotenkanzel und wurden zu einem ölverschmierten stämmigen Mann, der ungefähr in Garvins Alter war. »Stanislaus Gorecki«, stellte Dill vor. »Er ist unser Pilot und Mechaniker, aber hauptsächlich unser Mechaniker.« »Dann ist es also meine Schuld, dass diese Kiste in neun von zehn Fällen nicht fliegt?« »Irgendjemand muss schuld sein«, sagte Dill. »Ich jedenfalls nicht, weil ich den höheren Rang habe, und erst recht nicht die Idioten von der Konföderation, die uns statt brauchbarem Material lieber Griersons der zweiten Wahl schicken, nicht wahr?« »Beklag dich nicht«, sagte Gorecki. »Wir hätten auch bei den Stoppelhopsern landen können.« »Wo er Recht hat, hat er Recht«, sagte Dill. Garvin verstand gar nichts, doch dann erbarmte sich der Fahrzeugkommandant seiner. »Der Plan sieht folgendermaßen aus«, erklärte er. »Auch wenn es Schrottkisten sind - in jeder Kompanie gibt es acht Griersons. Sie nehmen zwei Angriffstrupps 82 auf - das sind zwanzig dreckige Infanteristen -, Stoppelhopser. Ein Grierson pro Einheit. Die anderen vier sind Kommandozentralen für die Kompanie, für schwere Waffen, Wartung und Bergung oder Kommunikation. Wir gehören zur Kompanie A und dieser Grierson zur Dritten Einheit. Aber du siehst sonst niemanden von der
Dritten Einheit hier herumhängen, nicht wahr? Und wenn du in den Hangar schaust, siehst du nicht mehr als fünf Leute, dazu ein paar Idioten wie den Sergeant vom Wartungstrupp und ein paar von seinen Kotzbrocken, die rumlungern und den Eindruck zu erwecken versuchen, sie würden arbeiten. Weißt du, wo der Rest der Einheit steckt? Ich sag's dir. Heute sind sie draußen und bemalen Felsen vor dem Hauptquartier des Regiments. Das gehört ganz klar zur Ausbildung für den Kampfeinsatz.« »Ja, ich kann Ihnen folgen«, sagte Garvin. »Gib dir Mühe, von uns zu lernen«, sagte Gorecki, »sonst wirst vielleicht auch du die Spezialitäten der Donnerbalkenbrigade herumtragen dürfen.« Gorecki fasste Garvin ins Auge. »Bist du der Typ, für den wir gestern aufmarschiert sind?« »Der bin ich«, sagte Garvin zögernd. »Ich bin dir was schuldig. Ich sollte für Mil Fitzgerald in der Messe Bereitschaft schieben, aber dann hat sie mit dem Caud im Hauptquartier gegessen, alles nur deinetwegen.« »Freut mich, dass ich Ihnen zu Diensten sein konnte.« Garvin hörte ein Klappern aus dem Grierson, und eine kleine Frau mit altertümlicher Brille und glattem, schulterlangem Haar, das den Eindruck erweckte, als sei es mit einem Schlachtermesser geschnitten worden, kam heraus. Sie trug die drei Streifen eines Finf. 83 »Äh... hallo«, brachte sie heraus und nickte hektisch. »Das ist Ho Kang, unsere elektronische Abwehrzicke«, sagte Dill. »Garvin Jaansma. Sie hat den Dienstgrad eines Finf, also bin ich hier der Einzige, der sie als Zicke bezeichnen darf.« »Äh... hallo«, sagte sie erneut und wandte sich schnell von Garvin zu Dill. »Ben, ich bekomme immer noch falsche Echos auf der Nahortung. Ich habe versucht, ihn in der Nähe des LKG aufzuspüren und sechs Personen registriert. Tanzende Personen.« »Aha«, sagte Dill geduldig. »Wenn ich das im Logbuch erwähne, kriegen wir einen Vermerk. Könnt ihr euch vorstellen, wie lange es dann dauern wird, bis wir Ersatzteile bekommen?« Er nickte Garvin zu. »Unser Neuzugang war auf dem Schiff, das gekapert wurde und wahrscheinlich all die guten Sachen an Bord hatte, um die wir seit Ewigkeiten gebettelt haben.« »Oh.« Kang nahm Garvins Existenz wieder wahr. »Sie haben alles mitgenommen?« »Das Schiff mitsamt Inhalt.« »Wer waren siel«, wollte sie wissen. »Äh... man hat mir gesagt, ich soll sagen, es wären Piraten gewesen.« »Und wer waren sie wirklich?« »Ich habe schon genug Ärger gehabt«, sagte Jaansma. »ich werde bei den Piraten bleiben.« »Ich wollte, es wären Piraten«, sagte Ho wehmütig. »Das klingt viel aufregender als die idiotischen Banditen, die sich als Bewegung bezeichnen, oder die Musth, die nichts außer Posen zuwege bringen. Verdammt, ich wünsche mir... ich brauche... endlich einen richtigen Kampf!« 84 »Wir füllen ihn später mit Bier ab und kitzeln die wahre Geschichte aus ihm raus«, sagte Gorecki. »Bis dahin sollten wir uns überlegen, wie wir die Nahortung reparieren. Ich hätte gerne eine Vorwarnung, wenn sich jemand mit einer Granate in der Tasche anschleicht.« Kang blickte sich um und vergewisserte sich, dass niemand mithörte. »Ich könnte es machen, wenn es nicht illegal wäre. Ich könnte das Problem überbrücken, wenn ich bei meinem nächsten Besuch in Leggett was mitnehme. Aber wer bezahlt es mir?« Dill kramte in den Taschen seines Overalls und zog ein paar Scheine heraus. »Hier. Wenn es teurer wird, komme ich dafür auf.« Das Geld verschwand in Kangs Tasche. »Siehst du, wozu manche Leute bereit sind, um es zum Tweg zu bringen?«, fragte Gorecki. »Sie geben ihr letztes Geld aus, um einen guten Eindruck zu machen.« »Einen verdammt guten Eindruck«, sagte Dill. »Wenn diese Rostlaube noch einmal zusammenbricht, wird sie zur Hangarkönigin, und wir alle werden auf Dauer zu den Lösungsmittelbottichen versetzt. Ich tue das alles nur zu eurem Besten.« Garvin hatte wieder einmal nichts verstanden. »Siehst du«, erklärte Dill, »das ist das Problem mit dieser Armee. Oberflächlich betrachtet sehen wir richtig gut aus... verdammt, man könnte dieses Stück Scheiße als Rasierspiegel benutzen!« Er klopfte gegen den Grierson. »Aber zu erwarten, dass er länger als einen Kilometer durchhält, ist etwas ganz anderes.« »Im Ersatzteillager gibt es nur Schrott statt Ausrüstung«, fügte Gorecki hinzu, »aber die Götter helfen jedem, der etwas mit einem nicht genehmigten Bauteil repariert. Wenn er uns also zusammenbricht, bleibt er 85 am Boden, und das Arschloch von Tweg sucht für uns eine neue Aufgabe. Zum Beispiel Scheiße schaufeln.« »Was ein weiteres Problem aufwirft«, sagte Dill. »Wie gut bist du ausgebildet?« »Gar nicht«, antwortete Garvin ehrlich. »Man hat mir gesagt, ich würde in meiner Einheit eine Ausbildung bekommen. «
»Toll!«, sagte Dill. »Dann können wir auch gleich Raketen und Munition zu Ausbildungszwecken auf die Liste der Dinge setzen, die wir sowieso nie bekommen. Und alles andere außer Treibstoff.« »Wir haben Simulatoren«, sagte Kang. »Kang glaubt, auf einem gemütlichen warmen Sessel zu sitzen und auf Dinge zu schießen, die gar nicht richtig zurückschießen, wäre eine gute Methode, jemanden zum Helden zu machen«, sagte Dill. »Bei ihr scheint irgendein Schaltkreis durchgebrannt zu sein.« »Es wäre besser als gar nichts«, widersprach die Frau. »Besser als gar nichts ist immer noch sehr wenig«, sagte Dill. »Willkommen in der Wirklichkeit, Jaansma! Willkommen in der Streitmacht Schlappschwanz!« Tak Jon Hedley saß auf seinem Schreibtisch - oder, genauer gesagt, er hatte es sich darauf bequem gemacht. Sein Büro wäre recht geräumig gewesen, wenn es nicht mit Kartenständern, mehreren Sichtgeräten, Computern und dem Kartentisch voll gestellt gewesen wäre. »Willkommen bei der Aufklärungstruppe«, sagte er und streckte eine Hand aus. Njangu wunderte sich über diese zwanglose Begrüßung, ging aber nicht weiter darauf ein. »Da wir hier nach unseren eigenen Methoden arbeiten, haben wir uns gedacht, dass wir auch ein dazu pas86 sendes Ausbildungsprogramm zusammenstellen sollten. Erst vor zwei Wochen hat der letzte Kurs mit vier Einheimischen angefangen, die laut >Hier!< geschrien haben. Da müsstest du direkt einsteigen können.« Er warf einen Blick zu dem stämmigen, etwas aus dem Leim gegangenen Senior-Tweg, der hinter Njangu stand. »Reb, könntest du mir einen Gefallen tun und Monique anklingeln und sie fragen, ob sie kurz hier reinschneien könnte, falls sie in Reichweite ist?« »Geht klar, Boss.« Njangu zog die Augenbrauen hoch, was Hedley nicht entging. »Dies ist eine gute Umgebung, um sich ziemlich schnell zu orientieren«, sagte er. »Wir haben ein paar Regeln. Erstens sind wir alle Freiwillige. Wer Mist baut, kehrt ganz schnell freiwillig in eins der Regimenter zurück, wo er sich wieder in der dummen Herde tummeln kann. Zweitens hält sich hier niemand für etwas Besseres. Wir sind ganz normale Soldaten, die zufällig in kleinen Gruppen arbeiten. Was wir tun, tun wir schneller, besser und schmutziger als alle anderen. Also prahlt niemand damit herum, wie hart und böse wir sind, und niemand von uns schubst Zivilisten oder Leute aus der Herde herum, wenn wir uns außerhalb des Stützpunkts befinden. Eine Prügelei wäre ein weiterer Grund für einen sofortigen Rauswurf. Vor allem, wenn wir nicht gewinnen. Ich habe gesagt, wir sind schmutzig, aber wenn wir es nicht sind, sind wir die saubersten Menschen, die es gibt. Wir enthaaren uns, wir baden, wir putzen unsere Stiefel, bis sie glänzen, und tragen blitzsaubere Uniformen. Jeder Idiot kann wie ein Schwein herumlaufen. Wir sind keine Idioten. 87 Der dritte Punkt ist der, dass wir unsere eigenen Methoden haben, aber die gehen niemanden außer uns etwas an. Ich habe gesehen, dass du ein erstauntes Gesicht gemacht hast, als ich Tweg Gonzales mit Vornamen angeredet habe und er mich Boss nannte. Aber wenn Leute von außen dabei gewesen wären, hätte ich ihn mit Dienstgrad und Nachnamen angeredet, und er hätte mich Sir genannt. Du kannst die Leute hier anreden, wie du willst, beziehungsweise wie sie von dir angeredet werden möchten. Senior-Tweg Gonzales beispielsweise hat zufällig etwa sieben Feldzüge und zwei größere Kriege hinter sich. Wenn du ihn also mit Reb anreden würdest, wenn er zurückkommt, würde er dich wahrscheinlich zu einem Brei weich klopfen, den man als Tapetenkleister benutzen könnte. Spar dir das auf, bis du deine Ausbildung hinter dir hast und ihr in einem Team arbeitet. Oder noch besser, nachdem du ein oder zwei Schussverletzungen überlebt hast. Und wie ich bereits sagte, was hier passiert, geht niemanden außer uns etwas an. Halte dich daran, und du wirst den Aufklärern alle Ehre machen. Petr Kipchak - den ich eben zum Finf befördert habe, weil bei uns niemand ein gewöhnlicher Gefreiter bleibt, wenn er gut ist, es sei denn, er möchte einer bleiben -hat dich empfohlen, und Reb hält ihn für einen guten Mann. Das war der Grund, warum ich bei der Personalabteilung angefragt habe, ob du an einem freiwilligen Einsatz bei uns interessiert wärst. Reiß dich am Riemen und sorge dafür, dass Petr und ich am Ende nicht als Lügner dastehen.« »Verstanden, Sir«, sagte Yoshitaro und entspannte sich, als er Hedleys freundliches Lächeln sah. 88 Die Tür öffnete sich, und Senior-Tweg Gonzales trat ein, begleitet von einer der hübschesten Frauen, die Njangu jemals gesehen hatte. Sie hatte kurz geschnittenes blondes Haar und einen sportlichen Körper. Und ihr Gesicht... Njangu erinnerte sich an ein Lied, das er immer gehasst hatte, in dem von »Lippen, die von Bienen geküsst werden« die Rede war, und er fragte sich, was Bienen sein mochten. Er wusste es nicht, aber er fand trotzdem, dass ihre Lippen schön waren. »Du wolltest mich sprechen, Boss?« »Ja«, sagte Hedley. »Dieses Stück Frischfleisch gehört dir. Njangu Yoshitaro, das ist Dec Monique Lir, unser
Ausbildungsunteroffizier und die Leiterin des Gamma-Teams der Ersten Truppe. Du wirst feststellen, dass die meisten von uns zwei Mützen tragen. Ich bin der befehlshabende Offizier der Einheit, was normalerweise der Dienstgrad eines Cent wäre, und der Anführer der Zweiten Truppe. Reb ist der Erste Sergeant der Kompanie, was der Stellung des Ersten Tweg entspricht, und so weiter. Das Einsatzkommando sagt, wir sollten vier Offiziere haben. Wir haben mich und Aspirant Vauxhall, der Erster Offizier und Führer der Ersten Truppe ist. Wenn du dich für die Aufklärungskompanie qualifizierst, wirst auch du irgendwann mehrere Aufgaben übernehmen. Das war's dann. Monique, sorge dafür, dass ich den Anblick dieses widerlichen weichen ehemaligen Zivilisten nicht länger ertragen muss, bis du ihn in einen akzeptablen Menschen verwandelt hast.« Hedleys Stimme war immer noch genauso freundlich wie eine Minute zuvor. »Okay, Boss«, sagte die Frau. »Also raus!« 89 Njangu salutierte. Hedley rutschte vom Tisch herunter, erwiderte den Gruß und lächelte milde. »Ich wünsche dir eine Menge Spaß.« Garvin wachte mit Kopfschmerzen auf. »Das war's«, sagte Dill. »Und was war es?« »Du hast die Holos gesehen, in denen die Frischlinge die ganze Zeit hin und her marschieren und von Twegs angebrüllt werden und so weiter.« »Klar«, sagte Jaansma. »Kann ich jetzt aufstehen?« »Bitte.« Garvin erhob sich vom Kontursitz und rieb sich den Arm, wo Dill ihm vor drei Stunden die Injektion verpasst hatte. »Nun zum Drill«, sagte Dill. »Gruppe zehn, stillgestanden!« Ohne bewusstes Dazutun nahm Garvin Haltung an. Die Hände lagen am Körper, die Finger waren leicht gekrümmt, die Füße zusammen und das Kinn waagerecht. »Achtung... kehrt marsch!« Garvin hob den rechten Fuß, stellte die Spitze hinter die linke Ferse und drehte sich um 180 Grad. »Ich könnte dich vor und zurück und hin und her marschieren lassen«, sagte der Dec. »Sämtliche Exerzierübungen, das ganze Programm, als hättest du zehn Jahre auf dem Exerzierplatz verbracht. Tadellos und fehlerfrei. Eine Hypno-Konditionierung und drei Stunden auf dem Stuhl, und du hast es intus, ohne eine einzige Schweißperle oder Blase an den Füßen.« Garvin spürte, wie er eine Gänsehaut bekam. »Diese Konditionierung könnte mich also in die Lage versetzen, jeden beliebigen Befehl auszuführen?« 90 »Ja«, sagte Dill. »Deshalb darf die Injektion nur durch einen Offizier verabreicht werden, und während der Anwendung muss ein kompetentes Med-Team zugegen sein.« Er lachte. »Siehst du, wie sorgfältig die Armee darauf bedacht ist, deine bürgerlichen Rechte zu respektieren?« Dills Gelächter erstarb, als er Garvins Gesichtsausdruck sah. »Tschuldigung. Ich kann mir vorstellen, dass man es beim ersten Mal überhaupt nicht witzig findet. Die ehrliche Antwort lautet: Nein, diese Art der Konditionierung, mit einer einzigen Behandlung, funktioniert nur, weil du dich ihr nicht widersetzt. Wenn ich dich zum Beispiel darauf programmieren wollte, deine Mutter umzubringen, würde das viel mehr Zeit beanspruchen. Vielleicht ein Jahr. Deshalb dauert eine richtige Konditionierung so lange.« »Was ist eine richtige Konditionierung?« »Du scheinst von einem recht anständigen Planeten zu kommen«, sagte Dill. »Auf vielen Welten der Konföderation wird sie als letzter Ausweg benutzt, um Schurken hinzubiegen. Drei Behandlungen, und du hast eine kleine Stimme im Kopf, die dir sagt, was du tun und nicht tun sollst. Ziemlich üble Sache.« »Wo ich herkomme«, sagte Garvin, »hat man so etwas nach der Rekrutierung nicht gebraucht. Wer sich daneben benommen hat, wurde einfach erschossen.« »Wie humanitär«, sagte Dill. »Und jetzt setz endlich deinen trägen Arsch in Bewegung. Wir haben noch ein paar echte militärische Aufgaben zu erfüllen und müssen dem Rasen des Caud einen neuen Haarschnitt verpassen.« 91 »Rekrut Yoshitaro«, brüllte Monique Lir, etwa zwei Zentimeter von Njangus Ohr entfernt, »dieser Baumstamm ist doch nicht etwa schwer, oder?« »NEIN, DEC!« »Er ist dein liebstes Spielzeug, nicht wahr, Rekrut Yoshitaro?« »JA, DEC!« »Hab ich's mir doch gedacht. Achtung... bei drei auf die andere Schulter wechseln... eins, zwei, DREI!« Gleichzeitig hoben die fünf Auszubildenden den zweieinhalb Meter langen Baumstamm von der linken auf die rechte Schulter. »Schlampig, viel zu schlampig!«, brüllte Lir. »Bei drei legt ihr den Stamm ab... eins, zwei, DREI!«
Der Baumstamm schlug auf dem Boden auf. »Einheit... stillgestanden! Drei tiefe Atemzüge, im Gleichtakt...« Yoshitaro schnappte nach Luft und versuchte den Schweiß aus den Augen zu blinzeln. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie so intensive Schmerzen empfunden, weder bei einem der unzähligen Male, die er von seinem Vater verprügelt worden war, noch bei sämtlichen Misshandlungen durch die Polizei. Warum er Lir nicht einfach sagte, dass sie sich die verdammte Ausbildung sonstwohin schieben sollte, war ihm ein Rätsel. Vielleicht, dachte er, aus nackter Angst vor dem, was die Ausbilderin mir antun würde, wenn ich auch nur ans Aufhören denken würde. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er ihre Schönheit bewundert, doch nun hatte sich Lir in einen geifernden Dämon aus den übelsten Abgründen der Hölle verwandelt, an die er bis vor kurzem nicht einmal geglaubt hatte. Und was die Lippen betraf, die angeblich von Bie92 nen geküsst werden sollten, hoffte er, dass die Biene so groß wie ein Grierson war und der Frau möglichst bald als Racheengel begegnete. »Sind wir glücklich, Einheit?«, bellte Lir. »JA, DEC!« Njangu fragte sich, wie die anderen vier Mitglieder des Teams die ersten zwei Wochen dieser Tortur überlebt hatten. Die Bewohner von D-Cumbre schienen zäher zu sein, als sie aussahen. Nach drei Tagen dieser entwürdigenden Prozedur wusste er von ihnen kaum mehr als ihre Namen und früheren Berufe. Wenn Lir ihnen erlaubte, in die Schlafzelte zu kriechen, die gegenüber den Baracken lagen, die Njangu nun wie Paläste vorkamen, nobler als jedes Luxushotel, in das er jemals eingebrochen war, verspürten sie nur wenig Neigung zu müßigem Geplauder. Hank Faull war ein ehemaliger 'Rauhm, einer der Bergwerksarbeiter und Sektierer, von denen Petr erzählt hatte, vor siebzehn- oder achtzehnhundert Jahren auf der Malvern, als ihm noch nicht ständig alles wehgetan hatte. Doch bislang hatte Faull noch nicht versucht, jemanden zu bekehren. Er hatte überhaupt kaum etwas gesagt, außer dienstlichen Angelegenheiten, als er Yoshitaro erklärt hatte, wie er sein Zelt aufschlagen musste. Und er hatte ihn damit beruhigt, dass Lir sie alle in den nächsten Tagen zu Tode schinden würde, sodass sie sich ausruhen konnten, wenn ihnen die letzte Ehre erwiesen wurde. Keine der zermürbenden Übungen, die Lir ihnen auferlegte, von der Gymnastik vor Sonnenaufgang bis zu den Querfeldeinläufen in der Nacht, schienen ihm etwas auszumachen. Erik Penwyth musste übergewichtig gewesen sein, bevor Lir ihn in die Finger bekommen hatte, denn am 93 Bauch hing seine Haut in schlaffen Lappen herab. Nun war er genauso mager wie alle anderen. Er sprach mit einem schleppenden, affektierten Akzent, und Njangu hatte aufgeschnappt, dass er aus einer der reichen Familien von D-Cumbre stammte. Njangu dachte, dass Penwyth ein missratener Sprössling dieser Familie sein musste. Warum sonst war er gezwungen, hier in Camp Mahan Staub zu fressen, statt sich mit den Reichtümern zu vergnügen, mit denen sich die Reichen von D-Cumbre vergnügten? Angie Rada war klein und flachbrüstig, und als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte Njangu sofort an schwarze Seidenfesseln, Duftkerzen und Sex denken müssen - Sex, der wilder als alles war, was er sich erträumen konnte. Er überlegte sogar, was Lir tun würde, wenn nachts nicht alle in ihre eigenen Zelte schlüpfen würden, doch dann erkannte er, dass diese Überlegungen völlig unrealistisch waren, da er sich viel zu erschöpft fühlte, um auch nur die Gesichtsmuskeln zu einem Lächeln anzuspannen. Der Letzte war Ton Milot. Er war ebenfalls klein, aber sehr stabil gebaut. Und er lachte ständig. Wie Faull schien er niemals müde zu sein oder Schmerzen zu haben, und er hatte zu Njangu gesagt, dass Lir eine Seifenblase war. Sie konnte ihnen nichts antun, das schlimmer als die Arbeit auf einem Fischkutter war. »Und«, sagte er, »sie hat noch nicht rausgekriegt, wie sie uns ertränken kann.« »Noch nicht«, warf Penwyth ein. Die fünf standen neben dem Baumstamm, etwa fünfzig Meter von der Messe der Kompanie entfernt. Die Sonne brannte im Zenit, und Soldaten strömten in das Gebäude. 94 »Habt ihr Hunger?« »JA, DEC!« »Nein, ihr habt keinen Hunger. Stimmt's?« »JA, DEC!« »Wir wollen nicht essen, wir wollen laufen, richtig?« »JA, DEC!« Njangu hatte das Gefühl, dass sein Magen gerade damit begann, seine Lunge zu verdauen. »Das war noch nicht laut genug! Achtung...! Vorwärts, marsch! Im Laufschritt... MARSCH! Direkt zum Strand, Leute! Wollen wir doch mal sehen, ob wir die ganze Strecke bis zum Sumpf im Dauerlauf zurücklegen können, bevor irgendwer zusammenklappt! Wenn nicht, können wir uns erholen, indem wir ein paar hundert Meter durch den Matsch kriechen!« Garvin überprüfte noch einmal die Einstellung des Schraubenschlüssels, verstärkte die Hebelkraft ein wenig, dann brach die Mutter durch.
»Miststück«, brummte er und erinnerte sich an das, was Dill über das Schicksal jener gesagt hatte, die den Anforderungen nicht gerecht wurden. Würde das Luftkampfgefährt dadurch den Bereitschaftsstatus verlieren? Er drückte vorsichtig gegen die Abdeckung des Ansaugstutzens. Es war nicht zu übersehen, dass sie locker war. Irgendwer würde das Schraubengewinde bemerken, das aus dem Dach des Grierson ragte, und dann würde er zu den Lösungsmittelbottichen abkommandiert werden, den riesigen, in der Mitte aufgeschnittenen Fässern, die mit Ätzschlamm gefüllt waren, in dem Waffen und technische Bauteile gereinigt wurden. Jaansma stieg vom Dach des LKG und verließ den Hangar, um sich auf den langen Weg zum Ersatzteillager zu machen. 95 Eine halbe Stunde später kehrte er niedergeschlagen zurück. Nichts dergleichen vorhanden, hatte der Lagerverwalter ihn abgefertigt. Längst bestellt und nie geliefert. Wie es aussah, war Garvin geliefert, hatte er voller Gehässigkeit gesagt. Man konnte immer gute Rekruten gebrauchen, die den Dreck von den Zahnrädern putzten, und vielleicht würde der Rest seiner Gruppe ihm dabei zur Hand gehen. Dumm gelaufen. Garvin blieb plötzlich stehen. Waren all die Schrauben an der Schiebetür des Hangars wirklich notwendig? Auf jeden Fall schienen sie genau die richtige Größe zu haben. Er zog den Schraubenschlüssel aus der Tasche und löste eine Mutter. Er beglückwünschte sich zur perfekten Lösung, warf die Mutter in die Luft und fing sie wieder auf. »Was zur Hölle machen Sie da?« Garvin sprang etwa einen Meter in die Luft, fuhr herum und sah den Ersten Tweg Malagash, dessen gerötetes Gesicht sich zu einer finsteren Miene verzogen hatte. »Äh... nichts. Hab mir nur kurz die Beine vertreten und wollte mich wieder an die...« »Und was haben Sie da in der Hand?« »Äh... nichts. Nur eine Mutter.« »Mit der Sie was tun wollten?« Garvin bemühte sich, möglichst unschuldig dreinzublicken. »Haben Sie jemals den Begriff Militärstandard gehört, junger Soldat?«, knurrte Malagash. »Diese Mutter, die Sie soeben von der Hangartür abgeschraubt haben, ist nie im Leben für die Verwendung an einem Grierson zugelassen.« »Nein, Sir, aber...« »WOLLEN SIE MIR WIDERSPRECHEN?« 96 »Nein, Sir, Erster Tweg, Sir.« »Vielleicht möchten Sie Ihre Ausbildung in der Motivierungseinheit fortsetzen?« Garvin erschauderte. Die Aufgaben dieser Einheit waren recht simpel — am ersten Tag ein Loch graben, am zweiten Tag das Loch zuschütten, am dritten Tag ein neues Loch graben und so weiter. Und zwischen den Grabungsarbeiten wurden immer wieder schweißtreibende Übungen eingeschoben. »Nein, Sir, Erster Tweg, Sir.« Malagash starrte ihn eine Weile an und schien sich ein wenig zu entspannen. »Gehen Sie zu Ihrem Fahrzeugkommandanten, junger Soldat. Wir müssen uns über das unterhalten, was Sie getan haben... und ob er Sie angemessen beaufsichtigt hat. Dann melden Sie sich in der Messe und sagen dem Sergeant, dass die Schmutzfilter in der Küche dringend gereinigt werden müssen.« »Das hier ist das Herzstück eurer Ausrüstung«, sagte Lir. Njangu musterte den eloxierten Kasten mit den abgerundeten Ecken, den er in der Hand hielt. Er war etwa 18 Zentimeter lang, 8 Zentimeter breit und 13 Zentimeter hoch. Äußerlich war nichts Besonderes zu entdecken, abgesehen von zwei Verschlussclips auf der Oberseite, einem Anschluss mit gesichertem Auslösemechanismus und einen Sicherheitsschalter auf der Unterseite. Und das Ding war erstaunlich schwer - etwa anderthalb Kilo. »Der Blaster-Betriebsmechanismus Typ XXI«, fuhr Lir fort. »Er ist das Herz von fast allem, was ihr mit euch herumtragen werdet. Schaut her.« Sie hielt einen identischen Kasten hoch. Hinter ihr in der Ausrüstungs97 kammer waren mehrere Waffen aufgebaut. Eine war nur so lang wie Yoshitaros Arm von der Schulter bis zum Handgelenk, eine andere sah fast genauso aus, maß aber etwa einen Meter und hatte einen schwereren Kolben, einen längeren Lauf und war mit einer besseren Zielvorrichtung ausgestattet. Eine dritte Waffe, die noch größer war, stand auf einem zweibeinigen Stativ, und eine vierte auf einem dreibeinigen. Lir hob die kurze Waffe auf, drehte sie um, setzte den Kasten ein und ließ die Verschlüsse einrasten. »Damit wäre euer Standardkarabiner vollständig. Nehmt das Herzstück heraus« - was sie tat - »und setzt es hier ein, und schon habt ihr ein Scharfschützengewehr. Hier haben wir ein leichtes Maschinengewehr und dort auf dem Stativ ein schweres Maschinengewehr. Alle funktionieren mit dem gleichen Mechanismus, und die Munition wird von unten zugeführt. Manchmal befindet sie sich in Magazinen wie diesem, manchmal in einem Gurt oder auch einer Trommel. Damit sind wir gewöhnlich auf Patrouille ausgerüstet, da die Philosophie der Aufklärungstruppe darin besteht, kräftig zuzuschlagen und schnell den Rückzug anzutreten. Mit einem solchen Magazin habt ihr dreißig Gelegenheiten, jemanden zu töten, mit der Trommel einhundert, und in den Gurten stecken zweihundertfünfzig oder fünfhundert Schuss. Und so sieht die Munition aus.« Sie hob einen abgerundeten Zylinder auf, der etwa so dick und lang wie ihr kleiner Finger war.
»Sauber und wirksam. Sämtliche Energie geht durch den Lauf und verbrennt dabei die Patrone. Also müsst ihr euch keine Sorgen machen, dass ihr einen Haufen leerer Hülsen zurücklasst, den die Kobolde finden könnten.« 98 Kobolde, merkte sich Yoshitaro. Petr hatte dasselbe Wort benutzt. Offenbar ein Begriff, den die Aufklärer für die bösen Jungs benutzten. »Wir werden uns jetzt für den Rest des Vormittags damit beschäftigen, wie man diese Dinger lädt und sauber hält. Den ganzen Nachmittag werden wir dann laufen und Gewichte heben. Morgen früh fangen wir mit dem Trockenübungsschießen an, was ungefähr so viel Spaß macht wie Schraubenziehen. Das werden wir etwa fünf Tage lang machen, und danach gehen wir auf den Schießplatz und schauen uns an, was dabei rauskommt. « »Schütze!«, warnte Dill. »Achtung! Ziel erfassen!« Jaansmas Kontrollkonsole gab ein Alarmsignal von sich. »Feind geortet«, war Kangs Stimme zu hören. »Ich habe ihren Zielradar abgelenkt. Sie sind blind.« »Wir gehen runter«, befahl Dill. »Auf einen halben Meter über dem Boden.« »Wird gemacht, Käpt'n«, sagte Gorecki. »Schütze! Voraus suchen!« Garvin gehorchte unbeholfen und bewegte seinen Helm vor und zurück, während er die Anzeige auf der Innenseite seines Visiers absuchte. Zuerst sah er nur eine Felsformation mit einer Ansammlung von Hütten auf einer Seite. »Schütze!« Garvin sah etwas genauer hin, und nun bewegte sich eine der Hütten. »Ziel erfasst, Dec... ich meine, Käpt'n«, sagte er. »Feind aufgespürt... nein, es sind insgesamt zwei.« »Bei Bereitschaft feuern.« 99 »Feure erstes Geschoss ab«, sagte Jaansma und drückte den weichen Knüppel in seiner Hand. Der Grierson bockte, und eine Rauchspur zog sich durch sein Gesichtsfeld, als die Rakete die Abschussröhre verließ. Jaansma drückte den linken Knüppel und wurde zur Rakete. Er bewegte den Regler vor und zurück, und das Ziel mit dem ausgerichteten Geschütz wurde größer, dann war nichts mehr. »Treffer!«, sagte Dill. »Keine Flammen, aber er ist tot!« »Feure zweites Geschoss ab«, sagte Garvin, unterdrückte den Drang zum Jubeln und wurde zur zweiten Rakete. Das Ziel im Zentrum seines Gesichtsfeldes spuckte Feuer, und Garvin wurde kräftig durchgeschüttelt. Dann schlug die Rakete in die Hütte neben dem Panzer. »Kein Treffer... mache drittes Geschoss bereit.« Eine weitere Rakete verließ den Grierson, durchstieß die Druckwelle eines Kanonenschusses und explodierte vor dem Ziel. Garvin kehrte gerade noch rechtzeitig zur Hauptkontrolle zurück, um zu sehen, wie der Geschützturm des Panzers zurückklappte. Die Panzerung riss wie Papier auf, und Flammen zuckten in die Höhe. »Gelände gesichert«, sagte Dill. »Abheben...« »Negativ«, rief Jaansma, als er eine Bewegung wahrnahm. »Es sind immer noch welche da...« »Still, Schütze«, sagte Dill. »Ich habe sie. Feindliche Infanterie auf offenem Gelände, Entfernung dreihundert Meter.« »Beeilt euch«, warf Kang ein. »Sie haben Raketen und versuchen uns zu erfassen. Es sieht brenzlig aus.« Jaansma drückte mit dem Kinn die Auswahltaste, um 100 auf das Maschinengewehr zu schalten. Ein Fadenkreuz legte sich über die Landschaft. Er spürte die Infanteristen auf und richtete die Zielerfassung auf sie aus. Mit der Rechten umfasste er einen Hebel, zog den Zeigefinger an, und das Maschinengewehr des Grierson brüllte los. Eine rote Explosion löschte das Zentrum der Formation aus, und Jaansma schwenkte die Waffe seitlich hin und her. »Ziele vernichtet«, meldete er. Die Landschaft verblasste, und er nahm den Helm ab. »Nicht schlecht«, antwortete Dill mit widerwilliger Anerkennung über Interkom. »Jetzt probieren wir einen Luftkampf. Das ist ein ganz anderes Szenario.« Garvin wischte sich den Schweiß von der Stirn und setzte den Helm wieder auf. Er - und der Grierson - befanden sich im tiefen Orbit um einen Asteroiden. Unter ihm eröffneten Raketenwerfer an der Oberfläche das Feuer auf einen anderen Grierson, der zu landen versuchte, während schwere Kampfschiffe - Zhukovs - selbstlenkende Geschosse nach unten regnen ließen. »Zielerfassung«, sagte Dill. »Feindliches Sternenschiff startet.« Jaansma blickte sich um, ohne etwas zu sehen, doch dann geriet das Schiff in sein Gesichtsfeld. Er hatte keine Ahnung, was für ein Typ es war. Es stieg hinter einer Felswand auf. »Ziel erfasst, Käp...« Er hörte ein dumpfes Poltern und sah unter dem Rand seines Visiers, dass eine zylindrische Granate neben seinem Stuhl auf dem Boden des Simulators gelandet war- die einen Augenblick später explodierte. Weißer, erstickender Rauch breitete sich aus, hüllte Jaansma ein 101
und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er keuchte, schnappte nach Luft, rang verzweifelt nach Atem. »Na los, Schütze!«, war Dills amüsierte Stimme zu hören. »Wo ist das verdammte Sternenschiff? Was ist, Mann? Wie ich bereits sagte: Jeder kann es schaffen, wenn es keine Schwierigkeiten gibt!« Njangu Yoshitaro lag in perfekter Haltung im Matsch und blickte über ein mit Gestrüpp bewachsenes Feld, auf dem es hier und dort Schlammpfützen gab. Er hatte die Beine gespreizt, seine Füße lagen im Winkel von fünfundvierzig Grad zu seinem Körper flach am Boden. Er stützte sich auf die Ellbogen und hatte den Blaster fest gegen die rechte Schulter gedrückt. Lir kauerte sich neben ihn, rechts von ihm, sehr nahe. Sie hielt einen kleinen Sender in der Hand. »Bereit?« »Bereit, Dec.« »Eine Salve laden und sichern.« Sie reichte ihm eine Patrone. Er schob sie in den Blaster und lud durch. »Das erste Mal, dass du mit einer richtigen Waffe schießt?« »Ja«, log Njangu. »Entsichern.« Er drückte den Hebel. »Zielgebiet beobachten. Bereithalten.« Er gehorchte, beide Augen geöffnet, und blickte durch das kleine Zielteleskop. Lir drückte mit den Daumen auf den Sender. Bewegung! Der Oberkörper und Kopf eines Mannes tauchten aus dem Nichts auf. Njangu verschob den Punkt in der Mitte der Zieleinrichtung und berührte den Auslöser. 102 Ein Peitschenknall war zu hören, der Kolben des Blasters tippte leicht gegen seine Schulter, und Flammen züngelten im Ziel. »Volltreffer«, sagte Lir und reichte ihm eine weitere Patrone. Er lud nach. »Beobachten. Bereithalten.« Zehn Schüsse später hatte er zehn Ziele getroffen. »Bist du dir sicher, dass du noch nie geschossen hast?« »Warum sollte ich lügen?« Lir musste grinsen und klopfte ihm auf die Schulter. »Nicht schlecht, Soldat. Du könntest es schaffen.« Sie erhob sich mit gelenkigen Bewegungen und ging zu Rada hinüber. Yoshitaro schnupperte, roch ionisierte Luft und noch etwas anderes. Ein sanfter Duft, wie von Blumen, ein bisschen wie Veilchen, ein bisschen wie Jasmin. Njangu kam zu dem Schluss, dass seine Ausbilderin zwar nichts Menschliches an sich hatte, aber dafür einen guten Geschmack, wenn es um Parfüm ging. 9 »Es ist leicht, davon zu träumen, was geschehen wird, wenn Cumbre uns gehört und wir endlich die Gelegenheit haben, die Verhältnisse zu ändern, damit alle die Lebensweise der 'Rauhm praktizieren können«, sagte Comstock Brien zu den sieben Männern und Frauen auf der Dschungellichtung. »Damit alle die Wahrheit erkennen, alle der Wahrheit gehorchen und Kraft aus der Wahrheit gewinnen. Doch nur herumzusitzen und zu 103 träumen schadet letztlich der Sache, weil echte Spione für die Planetenregierung arbeiten, weil ihre Soldaten echte Patronen haben und der Tod eine wirksame Widerlegung jeder Rhetorik ist. Zuerst werden wir kämpfen, dann werden wir debattieren.« Er erlaubte sich ein Lächeln, und sechs der sieben Zuhörer lachten. Brien bemerkte, dass Jord'n Brooks' Gesicht unbewegt blieb. »Du bist anderer Meinung?« »Natürlich bin ich deiner Meinung«, sagte Brooks. »Aber über unsere Pflicht sollte man keine Witze machen. Und wir müssen stets darauf achten, dass wir dem richtigen Weg folgen, sonst laufen wir Gefahr, in die gleichen Fallen zu tappen wie die Soh, unsere Ältesten, die gelehrt haben, dass die Erkenntnis des Weges mit der Zeit zu jedem kommt - bis sie von den Schweinen in der Oberstadt zertreten wurden.« »Natürlich, Bruder. Aber wir dürfen über dem Ernst des Kampfes niemals die menschlichen Werte der Liebe, des Lachens und der Freundlichkeit vergessen.« »Menschlich können wir sein«, sagte Brooks kategorisch, »nachdem wir die Oberstadt erobert und die Unterdrückung beendet haben.« Briens Gesicht wurde verbittert, dann entspannte er sich. »Gut, Bruder. Wir können heute Abend über dieses Thema diskutieren. Jetzt ist die Zeit zum Lernen und Handeln.« Er öffnete ein zusammengerolltes Leinentuch und nahm sieben kleine Waffen heraus. »Wenn ihr Kinder habt, werdet ihr so etwas wahrscheinlich schon einmal gesehen haben. Es sind zwar keine Spielzeugwaffen, aber damit lernen die jungen Jäger. Bis auf etwa zwanzig Meter sind sie recht zielge104 nau, was ungefähr die Distanz ist, auf der die meisten Kämpfe in diesen Hügeln ausgefochten werden. Die Waffe arbeitet mit Luftdruck, wird mit der Hand gespannt und verschießt kleine Kupferkugeln. Sie können einen Vogel oder ein Feimet töten... oder einen Menschen erblinden lassen. Wir können uns keine Schießplätze leisten, wie
sie die Konföderation besitzt, und wir besitzen auch nicht genügend Übungsmunition. Aber hiermit könnt ihr lernen, wie man schießt... und trifft.« Er verteilte sechs Waffen und eine Hand voll Kupfermunition. Brooks war der Einzige, dem er keine Waffe gab. »Als Erstes üben wir, wie man jemanden aufspürt. Einer von uns ist ein Flüchtender, die anderen sind die Patrouille, die versucht, ihn zu finden. Wenn ihr ihn findet, denkt bitte daran, nicht auf sein Gesicht zu zielen. Wir können es uns nicht leisten, eine Waffe zu verlieren, aber noch weniger können wir es uns leisten, einen Mann zu verlieren. Bruder Ybarre, du wirst den Trupp kommandieren. Bruder Brooks«, fuhr Brien mit einem gebrochenen Lächeln fort, »da du mit jeder Faser die Theorie der Revolution atmest und lebst, bin ich überzeugt, dass du bereit bist, die Rolle des flüchtigen Revolutionärs zu spielen.« Brooks stand auf. »Wir werden bis zwanzig zählen«, sagte Brien. »Dann nehmen wir die Verfolgung...« Jord'n Brooks rannte los und verschwand im Unterholz. Brien blickte ihm überrascht nach, zuckte mit den Schultern und begann zu zählen. Bei fünfzehn hörte er auf. »Im Krieg gibt es keine Fairness«, sagte er. »Holt ihn euch.« 105 Die sechs Männer und Frauen gehorchten. Manche bewegten sich langsam und unbeholfen, andere schienen mit der Wildnis vertraut zu sein. Brien hörte, wie sie sich lärmend entfernten, schüttelte den Kopf und erinnerte sich dann, dass er sich einst ähnlich ungeschickt angestellt hatte. Er ging zum Rand der Lichtung und blickte über den Dschungel, der bis zum fernen Ozean abfiel. Im Osten konnte er gerade noch die Randbereiche von Leggett erkennen. Eines Tages, dachte Brien, eines Tages. Er hörte ein Geräusch, drehte sich um und wollte denjenigen tadeln, der die Übung vorzeitig abgebrochen hatte - und sah sich Brooks gegenüber, der geduckt näher kam und dabei das übrig gebliebene Luftgewehr auf Briens Brust richtete. »Bruder, dies ist...« Es gab einen leisen Knall, und eine Kugel schlug in Briens Bauch. Es schmerzte. Brien sprang zurück. »Ich sagte...« »Sei so gut und leg dich hin, als wärst du getötet worden«, sagte Brooks. »Andernfalls wäre ich gezwungen, noch einmal auf dich zu schießen.« Brien starrte ihn entgeistert an, dann gehorchte er. »Du hattest Recht«, sagte Brooks. »Im Krieg gibt es keine Fairness.« Er kauerte sich hinter einen Baum und wartete im Hinterhalt auf die anderen. 106 10 »Und vorher hat es keine Schwierigkeiten gegeben?«, fragte Wilth Haemer, der Generalgouverneur, mit besorgter Stimme. »Nein, Sir«, sagte der Kommunikationstechniker. »Ich wollte den regelmäßigen Kom-Check mit meinem Kollegen auf Capella Neun machen, und dabei habe ich festgestellt, dass der Kanal tot war. Laut Autolog war die Verbindung schon seit dreiundsiebzig E-Minuten unterbrochen, um genau zu sein.« »Haben Sie versucht, die Kommunikation mit der Konföderation wiederherzustellen?« »Unverzüglich, Sir. Ich habe in den vergangenen drei Stunden nichts anderes getan, jedoch ohne Ergebnis.« »Sie haben gar nichts reinbekommen?«, fragte Haemer. »Nicht einmal statisches Rauschen oder wie Sie das nennen?« »Ich habe noch nie von Problemen mit einer Subraumverbindung gehört, Sir«, sagte der Techniker. »Und erst recht nicht bei einem ständig geöffneten Kanal, wie in diesem Fall.« Haemer wurde wütend. »Sie sind der leitende Techniker, nicht wahr? Oder gibt es in der Station jemanden mit mehr Erfahrung?« »Ich bin der ranghöchste Kommunikationsoffizier, Sir«, sagte der Mann. »Auf Centrum ausgebildet, sieben Jahre Praxis, sämtliche Bewertungen A-A-Plus.« »Sie müssen nicht den Beleidigten spielen«, sagte Haemer. »Ich wollte nur Gewissheit haben.« Der Techniker schwieg. Haemer kaute an seiner Ober107 lippe. »Nun gut. Notieren Sie: Nachricht im Q-Kode, persönlich an Alena Redruth, Protektor von Larix und Kura. Text der Nachricht: Wir haben den Kontakt zu Capella verloren. Ist Ihre Verbindung noch offen?« »Mit Ihrer Nachricht dürfte es ein Problem geben«, sagte der Techniker. »Ich habe bereits versucht, eine Anfrage an Larix und Kura zu senden - an die dortige Kommunikationsabteilung, vor etwa einer Stunde, aber ich habe keine Antwort erhalten, Sir.« »Versuchen Sie es noch einmal. Redruth wird mir antworten.« »Ja, Sir.« Haemer wandte sich an seine Assistentin. »Kontaktieren Sie alle Mitglieder des Kuratoriums und Caud Williams. Ich will sie in einer Stunde im Regierungsgebäude sehen.« »Verstanden, Gouverneur«, sagte die Frau. Haemer machte sich auf den Weg zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Techniker, Sie sind sich der
Ernsthaftigkeit, ich korrigiere mich, der potenziellen Ernsthaftigkeit der Lage bewusst?« »Ja, Sir.« »Sprechen Sie mit niemandem über diesen Vorfall, und das heißt mit niemandem.« »Meine Vorgesetzte ist bereits informiert.« »Um sie werde ich mich persönlich kümmern«, sagte Haemer. »Und Sie halten den Mund. Das ist ein direkter Befehl!« »Ja...« Der Generalgouverneur hatte den Raum verlassen, bevor der Techniker »Sir« sagen konnte. Er pfiff tonlos vor sich hin, berührte einen Sensor, und ein Mikro senkte sich herab. »Verschlüsselung IX-N-8.« Ein Lautsprecher krächzte, dann stand die Verbindung. 108 »Ybar, Quel, 23. Balar, Balar, hier ist Zentrale D-Cumbre, Ende.« »Zentrale D-Cumbre, hier ist Balar, Ende«, antwortete eine Stimme vom einzigen Mond des Planeten CCumbre. »Keren?« »Höchstpersönlich.« »Die Fäzes sind in der Zentrifuge«, sagte der Techniker, »und diesmal sind sie echt am Dampfen.« 11 Njangu war der Laufbursche der Kompanie. Es war kein anstrengender Dienst. Er musste im Außenbüro der Kompanie sitzen, den Kom bewachen und besorgen, was der Quartiermeister oder irgendein Unteroffizier von ihm verlangte. Auf diesem Posten hatten die Rekruten die Gelegenheit, ihre Ausrüstung zu putzen und sich ein wenig zu entspannen. Doch an diesem Abend war alles anders. Dec Alyce Quant, die Quartiermeisterin, teilte Yoshitaro mit, dass Tak Hedley immer noch in seinem Büro saß und seit drei Stunden Anrufe über den sicheren Kommunikationskanal tätigte. Er war nicht in die Messe gekommen, sondern hatte sich das Abendessen bringen lassen. Etwas war im Busch, und Njangu entschied, dass jetzt nicht unbedingt der günstigste Zeitpunkt zum Stiefelputzen war. Also hielt er sich im Hintergrund bereit. Aspirant Vauxhall und Senior-Tweg Gonzales begaben sich in Hedleys Büro, gefolgt von drei Offizieren vom Kommandostab des Regiments. Alle blickten be109 sorgt drein. Njangu fragte sich, was los war. Seit seiner Vereidigung hatte er nicht mehr so viele Offiziere auf einem Haufen gesehen. Hedley öffnete die Tür. »Dec Quant, suchen Sie Finf Kipchak. Er soll sich bei mir melden.« Njangu bemerkte den offiziellen Tonfall. Diese Sache war ernst. »Ja, Sir.« Die Tür schloss sich wieder. »Rekrut, Sie haben gehört, was er gesagt hat«, wandte sich Quant an Yoshitaro. »Kipchak befindet sich...«, sie überflog den Einsatzplan der Kompanie, »...beim Gamma-Team. Erste Truppe. Beeilung!« Njangu fand Petr im Aufenthaltsraum des Gamma-Teams. Er hatte eine Kampfweste an einem Gestell aufgehängt und untersuchte sie gewissenhaft. Er löste ein Holster direkt unter der rechten Schulter und befestigte es etwas tiefer an einer unauffälligeren Stelle. Dann runzelte er die Stirn, schüttelte den Kopf und setzte es wieder zurück. »Der Alte will dich sehen«, sagte Yoshitaro. »Aha? Weswegen?« »Keine Ahnung. Er hat nur gesagt, dass ich dich holen soll.« »So so«, sagte Petr, setzte seine Mütze auf, überprüfte den Sitz seiner Uniform und ging nach draußen. Njangu musste sich beeilen, um nicht den Anschluss zu verlieren. »Wie geht's dir?«, fragte Kipchak. »Ich habe dich seit dem großen Aufmarsch auf dem Exerzierplatz nicht mehr gesehen.« »Ich war ziemlich beschäftigt«, sagte Yoshitaro. »Ich habe gehört, dass Lir darin sehr gut sein soll. Kannst du den Kopfüber Wasser halten?« 110 »Weiß nicht«, sagte Njangu. »Wahrscheinlich nicht mehr lange. Ich glaube, ich würde lieber ertrinken.« »Wer würde das nicht?« Sie fuhren mit dem Lift in den ersten Stock und hasteten zum Büro der Kompanie. »Gehen Sie hinein«, sagte Quant, und Kipchak gehorchte. »Ich hole Kaffee«, sagte Quant. »Sie wollen bestimmt etwas zu trinken. Ich weiß, wie unsere Offiziere ticken.« Sie ging. Njangu überlegte, dann ging er zum Schreibtisch des Ersten Tweg und schaltete die Sprechverbindung zum Büro des Kompaniekommandanten ein. »...nein, Sir«, war Kipchaks Stimme zu hören. »Ich habe noch nichts davon gehört. Wir waren den ganzen Tag auf dem Schießplatz.« »Unseres Wissens sind Sie der Einzige, der sich im Laufe des vergangenen Jahres im Kernbereich der Konföderation oder auf Centrum aufgehalten hat«, sagte eine zweite Stimme. »Tweg Gonzales glaubt, Sie könnten uns vielleicht Genaueres mitteilen.«
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich etwas dazu sagen kann«, erwiderte Petr zögernd. »Ich bin kein Experte. Außerdem wäre es wahrscheinlich das Beste für mich, wenn ich den Mund halte.« »Warum?« Das war Hedleys Stimme. »Weil... weil ich mir vorstellen könnte, dass es nicht sehr angenehm klingt, was ich möglicherweise zu sagen hätte.« »Versuchen Sie es einfach«, sagte eine andere Stimme. »Reden Sie, Petr«, sagte Hedley. »Meine Kollegen sind mehr an Fakten interessiert als an der Frage, ob etwas angenehm ist oder nicht.« »Okay, Sir«, sagte Kipchak, dann wurde seine Stimme 111 kalt. »Ich glaube, dass die Konföderation zerbricht. Vielleicht ist genau das jetzt geschehen. Ich habe ein Jahr als Zivilist verbracht, nachdem ich das letzte Mal entlassen wurde. Und ich habe mitbekommen, dass vieles falsch läuft. Ich weiß, dass Möchtegernkarrieristen wie ich angeblich immer glauben, dass die Welt den Bach runtergeht, aber diesmal war es anders. Ich habe nie den mir zustehenden Ausmusterungsbonus bekommen. Ich habe immer wieder nachgefragt, die Anträge lagen vor, aber der Papierkram wurde nie erledigt. Jedes Mal, wenn ich in die Nähe der Behörden kam, standen mehr Leute in der Schlange, Leute, die etwas brauchten und denen niemand helfen konnte. Oder es gab irgendeinen Bürohengst, der einfach Nein sagte. Mir fiel auf, was alles falsch lief, Sachen, an die ich mich erinnerte, um die sich aber niemand mehr kümmerte, zumindest niemand, der etwas zu sagen hatte. Die U-Bahn fuhr nicht mehr nach Plan... manchmal fuhr sie auch gar nicht. Die Rollwege waren kaputt oder aufgerissen, und die Leute zuckten nur mit den Schultern. Die Verbrechen nahmen zu und wurden extremer. Die Menschen töteten sich gegenseitig, nur um des Tötens willen, nicht um andere auszurauben oder sich sonst irgendeinen Vorteil zu verschaffen. Jeden Tag gab es neue Vorwürfe gegen irgendwelche Politiker, und die Leute sagten mit einem Schulterzucken, dass sie nichts anderes erwarteten. Vielleicht habe ich zu viel in alles hineininterpretiert, aber es machte den Eindruck, dass die Reichen dieses Mal besonders reich waren und die Armen besonders tief unten. Man hat nicht viel von den Reichen gesehen, weil sie sich in ihre eigenen Bezirke, ihre Enklaven zurückgezogen haben. Wenn sie sich nach draußen wagten, dann nur mit Leibwächtern, und sofort 112 flog ein Ziegelstein durch die Windschutzscheibe. Alle anderen fanden so etwas unglaublich witzig. Es kam zu Unruhen. In den letzten Jahren flackerten sie immer wieder auf. Wie jene, bei deren Niederschlagung Tweg Gonzales und ich mitgeholfen haben, als wir gemeinsam dienten. Aber diese Aufstände waren anders, zumindest auf Centrum. Diese Aufständischen waren nicht nur der Abschaum aus den Slums und die ganz Armen, die aus reiner Lust am Zerstören wüteten oder weil die letzte Lebensmittellieferung ausgeblieben war. Dieses Mal schien es, dass jeder irgendeinen Groll hegte, den niemand beschwichtigen konnte. Eine Zeit lang war in den Holos davon die Rede, dass das Gleiche auf anderen Welten passierte, doch dann verstummten diese Meldungen, als hätte die Regierung jede ehrliche Berichterstattung untersagt. Es gab viele Gerüchte - über Systeme, zu denen der Kontakt abbrach, über Sektoren, die unabhängig werden und die Konföderation verlassen wollten. Ich habe Geschichten gehört, dass es im Parlament der Konföderation zu Schießereien gekommen sein soll, aber ich habe nicht daran geglaubt. Vielleicht hätte ich es doch tun sollen. Ich weiß es nicht genau, Sir. Vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Ich habe viel gelesen, und was ich gesehen habe, hat mich an das erinnert, was ich über den Zerfall anderer Imperien gelesen hatte. Rom, England, der Zweite Mars, Capella. Dass der Kontakt abgebrochen ist, überrascht mich eigentlich nicht. Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt, Sir, und ich habe Ihnen gesagt, was ich denke.« »Vielen Dank, Petr«, sagte Hedley. »Sie können gehen. Vielen Dank.« »Ich danke Ihnen, Sir.« 113 Njangu schaffte es gerade noch rechtzeitig, den Interkom auszuschalten, bevor Kipchak das Büro verließ. Er wirkte ein wenig blass. »Verdammt«, murmelte er. »Ich mag es nicht, vor Offizieren zu reden. Vor allem, wenn es mehr als zwei auf einmal sind.« Er eilte nach draußen und Yoshitaro kehrte sofort zum Interkom zurück. »...recht überzeugend«, sagte eine Stimme. »Aber dass sie nach so langer Zeit zusammenbrechen soll? Ich meine, seit wann gibt es die Konföderation?« »Seit mehr als tausend Jahren.« »Aber wenn etwas zerfällt«, sagte Hedley, »dann zerfällt es meistens sehr schnell.« »Insbesondere«, sagte Gonzales, »wenn die ganze Sache schon seit Jahren nur noch Fassade war und alle hauptsächlich damit beschäftigt waren, frische Farbe über jeden Riss zu tünchen, der sich zeigte. Der Gesamtorganismus kann schon längst tot sein, und man würde es erst bemerken, nachdem...« Seine Stimme verklang. »Die eigentliche Frage lautet«, sagte eine andere Stimme, »was das für uns bedeutet. Wenn es ein Problem mit der Konföderation gibt, wenn die Versorgung und die Kommunikation unterbrochen sind, was wird dann aus uns?« »Definieren Sie uns«, sagte Hedley. »Die Streitmacht? Das Cumbre-System? Die Menschheit?« »Ich scheiße auf die Menschheit«, sagte die andere Stimme. »Konzentrieren wir uns auf die Streitmacht.«
»Wir sind unstrittig die stärkste Macht in Cumbre«, sagte ein anderer Offizier. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gefahr durch die 'Rauhm in den Hügeln größer werden könnte.« »Ich schon«, sagte Hedley. »Wenn sie erst mal mitbe114 kommen haben, dass die Konföderation nicht mehr hinter der Planetaren Regierung steht, wird es für sie viel einfacher, auf ihre Dissidenten zu hören und den Zinsern und der Regierung den Stinkefinger zu zeigen. Und wen würden Sie ernster nehmen, wenn Sie ein gottverdammter armer 'Rauhm-Bergarbeiter wären?« »Ich glaube, dass wir darüber nicht zu diskutieren brauchen, weil es offensichtlich ist«, sagte jemand. »Und passt der Verlust der Malvern irgendwie ins Bild?« »Piraten!«, sagte eine andere Stimme abfällig. »Glaubt Caud Williams wirklich an diesen Scheiß?« »Er muss daran glauben«, sagte Hedley. »Andernfalls müsste er sich fragen, was Redruth im Schilde führen könnte.« »Die Richtung dieses Gesprächs gefällt mir nicht«, sagte ein Offizier. »Es zeichnet sich ein ernsthafter Dissens ab, also sollten wir es lieber beenden. Aber eine Frage kann ich mir nicht verkneifen. Könnte Redruth von den Problemen der Konföderation gewusst und entschieden haben, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen? Was bedeuten würde, dass dieser Kipchak kein verrückter Marktschreier ist, der das Ende der Welt verkündet. « »Das ist eine andere Frage, die wir lieber nicht beantworten sollten«, sagte Hedley. »Und was mich betrifft, müssen wir es auch gar nicht. Also sollten wir tatsächlich das Thema wechseln. Angara, Sie sind mit einer Einheimischen verheiratet. Wenn sich herumspricht, dass es keine Große Mutter mehr gibt, werden die Leute dann durchdrehen? Offenbar tun sie es schon auf Centrum, wenn Petr Recht hat.« »Ich glaube nicht, dass mein Liebesleben mich zum Experten macht«, kam die trockene Erwiderung. »Aber 115 wenn ich ins Blaue spekuliere, würde ich sagen, eher nicht. Cumbre hat schon immer weitab vom Schuss gelegen, sodass es ohnehin keinen engen Kontakt zur Konföderation gegeben hat. Die Zinser haben sich ihr eigenes kleines Imperium zurechtgeschnitzt, also gehen ihnen die Heimatwelten ziemlich weit sonst wo vorbei. Und die 'Rauhm tragen ihr eigenes Nirwana mit sich herum. Vielleicht gibt es Ärger, wenn Dinge, die wir hier nicht produzieren können, knapp werden. Aber das meiste sind sowieso Luxusgüter, und niemand wird auf die Barrikaden steigen, nur weil es keinen weganischen Champagner mehr gibt.« »Was ist mit den Musth?«, fragte Hedley. »Was passiert, wenn sie herausfinden, dass die Menschen keinen großen Knüppel mehr in der Hand haben, falls es ungemütlich wird?« Njangu hörte Schritte, schaltete schnell den Interkom ab und half Dec Quant mit dem Tablett voller Getränke und Häppchen. Als er damit fertig war, fragte er, ob er nach draußen gehen durfte, um etwas frische Luft zu schnappen. Er blickte nach oben, wo zwei der drei Monde dieser Welt zu sehen waren. Einer hing am Himmel, der andere zog zwischen den Sternen seine schnelle Bahn. Dann sah sich Njangu die Sterne an, die kalt glitzernden Sterne hier am Rand des Imperiums. Was würde geschehen, wenn die Konföderation nicht mehr existierte? Wenn er für den Rest seines Lebens im Nichts gestrandet war? Njangu Yoshitaro verspürte zum ersten Mal seit seiner Kindheit echte Furcht - vor etwas, das er nicht sehen konnte, gegen das er sich nicht wehren konnte, vor dem er nicht weglaufen konnte. 116 12 Jord'n Brooks lauschte auf den Lärm der Menge innerhalb der riesigen Arena. Gut. Die Schweine haben sich am Trog versammelt und sehen zu, wie ihre Brüder sich gegenseitig fertig machen. Er nickte den anderen zwei zu, dann verließ er den Gleiter, den sie am Vortag gestohlen hatten, und machte sich auf den Weg zum Eingang des Auditoriums. Alle drei trugen knielange Mäntel, um sich vor dem Nieselregen zu schützen, der von der Bucht herangeweht wurde. Die beiden privaten Wachmänner am Eingang bemerkten die Gruppe und unterbrachen ihr Gespräch. »Tut mir Leid, Jungs«, sagte einer. »Der Wettkampf hat längst begonnen, und das Tor ist geschlossen.« »Von wegen Jungs«, sagte der andere. »Es sind verdammte 'Rauhm, und...« Brooks schlug den Regenmantel zurück, zog seinen Blaster und schoss dem Wachmann zuerst in den Bauch und dann in den Kopf, als er zusammenklappte. Dem zweiten Wachmann blieb ein Sekundenbruchteil, um dem Tod ins Auge zu blicken, bevor auch er zum Opfer eines Blasterschusses wurde. Niemand aus der Menge innerhalb der Arena bemerkte etwas von diesem Vorfall. Die drei 'Rauhm schleiften die Leichen zur Seite und versteckten sie hinter ein paar Farnwedeln. Dann zogen sie das Haupttor auf, gingen ohne Eile hinein, am belagerten Spirituosenstand vorbei und eine Treppe hinauf, die zu einer Tür mit der Aufschrift NUR FÜR ANGESTELLTE führte. Ein 'Rauhm öffnete das Schloss mit einem Schuss. 117 Brooks stieß die Tür mit einem Fußtritt auf, und die drei stürmten hinein. Drinnen pressten sie sich sofort links und rechts der Tür flach an die Wand. Im Büro hielten sich vier Personen auf, zwei Männer und zwei Frauen, zwischen ihnen Stapel von Credits, mit
denen sie eine Zählmaschine fütterten, die auf der anderen Seite alles ordentlich gebündelt und etikettiert wieder ausspuckte. Eine Frau blickte auf, sah die Waffe und öffnete den Mund zu einem Schrei. »Keinen Ton!«, sagte Brooks, und sie klappte den Mund wieder zu. »Die Credits«, sagte er. »In diesen Beutel. Und zwar schnell.« Ein Mann musterte die Eindringlinge mit besorgter Miene. »Wir werden es tun«, sagte er hastig. »Regen Sie sich bitte nicht auf. Es lohnt sich nicht, für Geld zu sterben. Lassen Sie uns einfach am Leben.« Brooks nickte, und die vier füllten eilig die Scheine in die Beutel. Die anderen beiden 'Rauhm schulterten die Säcke, als sie voll waren. »So«, sagte der Mann. »Wir versprechen, dass wir niemanden rufen werden, bis Sie weit genug weg sind.« »Ja«, sagte eine Frau. »Lassen Sie uns am Leben. Wir haben niemandem etwas getan, und wir können uns an keine Gesichter erinnern.« Brooks gab den beiden 'Rauhm ein Zeichen, dass sie zur Tür gehen sollten und folgte ihnen. »Danke«, sagte die andere Frau. »Danke, dass Sie uns nicht töten.« Mit ausdrucksloser Miene hob Brooks seinen Blaster und drückte auf den Auslöser. 118 »Dieser Brooks ist ziemlich erfolgreich«, stellte Comstock Brien fest. »Schon vier Aneigungen in diesem Zyklus, ohne dass er einen einzigen Mann verloren hätte. Beim letzten Fischzug ist ihm eine knappe Viertelmillion ins Netz gegangen.« »Wir hätten ihn schon vor Jahren in den aktiven Status versetzen sollen«, stimmte Jo Poynton zu. »Zum ersten Mal muss ich mir keine Sorgen mehr machen, wie ich meine Agenten bezahlen soll. Aber müsste er in Leggett nicht allmählich das Ende der Fahnenstange erreicht haben? Sollten wir nicht überlegen, ob wir ihn rausholen? Es könnte doch sein, dass unser Bruder Brooks noch viel größere Talente als nur zum Räuber hat?« »Vielleicht«, sagte Brien. »Unsere Planungsgruppe ist nach dem Tod von T'arg und Miram unterbesetzt«, sagte sie. »Ich weiß.« Poynton sah Brien eindringlich an. »Du magst ihn nicht.« »So ist es«, sagte Brien. »Warum nicht?« »Er... brennt für meinen Geschmack etwas zu hell.« »Können wir uns den Luxus erlauben, irgendeinen Geschmack zu haben?«, fragte Poynton. Brien kaute auf der Unterlippe. »Nein«, sagte er widerstrebend. »Das können wir nicht. Und vielleicht brauchen wir ein noch viel helleres Feuer, und vielleicht können wir diesen Kampf noch zu unseren Lebzeiten gewinnen.« »Vielleicht brauchen wir jemanden wie Brooks.« »Hol ihn aus Leggett raus«, sagte Brien. »Wir werden sehen, was geschieht, wenn er in tieferes Wasser geworfen wird.« 119 13 »Übernehmen Sie, Mister Jaansma.« »Vielen Dank, das werde ich tun, Mister Dill.« Garvins Lächeln schien leicht zu erstarren, als er auf dem Kommandantensessel des Luftkampfgefährts Platz nahm. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie angeschnallt sind, Mister Dill.« »Das werde ich tun, Mister Jaansma.« Der Interkom knisterte. »Pilot an Elektronische Abwehr... haben die beiden einen Verdummungsstrahl oder etwas in der Art abbekommen?« »Hier EA. Ja, ihre geistige Kapazität ist eindeutig beeinträchtigt.« »Ruhe im Fahrzeug!«, sagte Garvin, und es wurde tatsächlich still. Er atmete tief durch. »Pilot, fünfundzwanzig Prozent Energie.« »Fünfundzwanzig Prozent, Kommandant.« »Starten Sie, Mister Gorecki.« Der Grierson erhob sich vom Boden und schwebte aus dem Hangar, so leichtfüßig wie ein Dinosaurier in Ballettschuhen. Garvin geriet leicht in Panik, als sein Kopf ihm sagte: Du bist nicht mehr im Sim, das hier ist die Wirklichkeit! Doch er verdrängte den Gedanken sofort wieder. Er drückte mit dem Kinn die Auswahltaste. »Flugzentrale, hier ist Zwei-Alpha-Drei, startbereit.« »Hier Flugzentrale«, sagte eine Stimme. »Registrierter Verkehr... zwei Zhukovs am östlichen Rand des Landeplatzes, drei Cookes auf Übungsflügen über der Grasfläche ... Starterlaubnis nach Ermessen des Kommandanten erteilt.« 120 »Zwei-Alpha-Drei, gehen auf eintausend, Kurs West zur Manöverzone Tiger. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der
Fahrzeugkommandant ein Rekrut ist.« »Verstanden, Zwei-Alpha-Drei. Wir halten Besen und Wischlappen bereit.« »Aufsteigen«, befahl Garvin. »Fünfzig Prozent Energie.« »Wir steigen, Kommandant«, sagte Gorecki, und auf dem Bildschirm fiel der Boden zurück. Jaansma berührte einen Sensor, und auf einem anderen Bildschirm erschien eine Karte. »Benötigen Sie Anweisungen?« »Negativ«, sagte Gorecki. »Das beherrsche ich im Schlaf.« »Einspruch«, sagte Dill. »Jaansma ist noch in der Ausbildung. Fliegen Sie nach seinen Anweisungen.« »Okay, Kommandant... ich meine, Schütze.« »Verlassen Sie sich nicht auf mich, Jaansma«, sagte Dill. »Entschuldigung.« Garvin studierte die Karte. »Höhe halten, Geschwindigkeit auf neunzig erhöhen. Kurs zweidrei-zwei Grad.« »Höhe eintausend, Beschleunigung auf neun-null. Wir sind jetzt über Wasser.« Der Grierson flog nach Südsüdwest auf die Landzunge zu, die den Golf umschloss. Dort befand sich das Übungsgebiet mit der Bezeichnung Tiger. »Auf Autopilot gehen«, befahl Dill. »Sie werden Folgendes machen, wenn wir Tiger erreicht haben. Bringen Sie die Kiste auf etwa zweihundert Meter runter - diesmal nehme ich es noch nicht so genau, aber beim nächsten Mal - und fliegen Sie über den Strand, über die Hügel und dann direkt ins Zielgebiet. Verstanden?« 121 »Ich glaube, ja.« »Sie sollen nicht glauben, verdammt!«, sagte Dill. »Verstanden oder nicht verstanden?« »Verstanden, Käpt'n.« »Gut.« Dill schaltete auf einen anderen Kanal. »An Tiger-Manöverkontrolle, hier ist Grierson Zwei-Alpha-Drei, wir nähern uns Ihrem Gebiet.« »An Zwei-Alpha-Drei«, kam die Antwort. »Wir haben Sie auf dem Bildschirm. Wonach ist Ihnen heute?« »Gehen Sie auf Programm... äh... Sieben-Drei-Weiß.« »Sieben-Drei-Weiß, verstanden.« »Wir planen einen Angriff im Tiefflug auf eine feindliche Basis«, sagte Dill und schaltete wieder auf den Interkom. »Wir gehören zu einer Angriffstruppe in Regimentsstärke, die von... äh... fünf Zhukovs gedeckt wird, wenn ich mich richtig erinnere. Der Feind besitzt eine starke Luft-Luft-Abwehr. EA, bereithalten.« Kang schaltete die Lüftung in ihrer winzigen Nische ein. »EA bereit, Käpt'n.« »Schütze bereit«, meldete Dill von der Station, die sonst Garvin bemannte. »Übernehmen Sie, Boss.« Erneut verspürte Jaansma für einen kurzen Moment Angst, gefolgt von einem Schwall Selbstbewusstsein. »Pilot... auf drei-fünf-null beschleunigen. Bereitmachen zum Kontakt.« Direkt vor ihnen lag die »feindliche« Küste. Njangu Yoshitaro entschied, dass er genug hatte. Genug vom Geschrei seiner geschundenen Muskeln, genug von der Verzweiflung seiner Lungen, die nicht mehr die Kraft hatten, ausreichend Luft zu holen, genug von Lirs erbarmungslosem Gebrüll, genug von der Aufklärungskompanie, und insbesondere hatte er genug von der ver122 dämmten Felswand, die er erst zur Hälfte erklettert hatte. »Ich steige aus«, murmelte er. »Da oben wird nicht gequatscht!«, brüllte Lir. »Ich sagte, ich steige aus«, wiederholte Njangu etwas lauter. »Noch ein Wort - und egal, wer da irgendwelchen Unsinn faselt, kann sich auf die Küchendreckfilter gefasst machen!« Ich kann noch nicht einmal aus diesem beschissenen Leben aussteigen, dachte Yoshitaro und tat sich selbst unendlich Leid. »Njangu«, flüsterte Angie Rada. Yoshitaro drückte seine Hand in einen engen Felsspalt und hoffte, dass der Halt, den er für seine Fußspitze gefunden hatte, fester war, als es sich anfühlte. Dann wagte er es, zu ihr hinüberzublicken. »Schau mich an«, flüsterte sie. Angie hockte auf einem Felsvorsprung, der Njangu so riesig wie ein Exerzierplatz vorkam, obwohl er nur zehn Zentimeter breit war. »Sehe ich nicht hinreißend aus?« Sie legte eine Hand hinter den Kopf und reckte die Brüste vor. »Du kannst mich mal«, stieß er hervor. »He, vielleicht tue ich dir sogar den Gefallen, wenn du mich wirklich nett darum bittest«, sagte sie. »Aber zu den Liebesgeschichten kommen wir später. Rate mal, worauf ich stehe?« »Das sehe ich.« »Nein, du siehst es nicht«, erwiderte sie süffisant. »Dieser Felsvorsprung wird hinter mir breiter. Breit wie ein Prachtboulevard, und er führt einmal um den Felsen herum, bis ganz nach oben zur Straße. Komm rauf. Das ist wahres Freiklettern.« 123 »Was sollte mir das nützen?«
»Leberlippe Lir hat nur gesagt, dass wir nach oben sollen, stimmt's?«, sagte Rada. »Kein Wort darüber, wie wir es machen sollen. Die Aufklärungskompanie ermutigt ihre Leute zum Improvisieren.« Njangu keuchte Zustimmung und fand die nötige Kraft, nach einem neuen Halt zu suchen und sich ein Stück höher hinaufzuziehen, dann noch etwas höher, und schließlich ein Stück zur Seite, bis er den Sims erreichte, auf dem Angie stand. »Folgen Sie mir, wie sich die Offiziere auszudrücken pflegen«, sagte sie, und Yoshitaro gehorchte. Er schob sich den Vorsprung entlang und blickte nicht an der hundert Meter in die Tiefe abfallenden, steilen Felswand hinunter, bis sich das Band tatsächlich zu einem begehbaren Pfad erweitert hatte, der sich nach oben wand. »Freust du dich nicht, dass ich dich sexy finde?«, fragte sie. Njangu keuchte nur und brachte mit Mühe ein Nicken zustande. »Im Gegensatz zu Faull, dem alten, starken und schweigsamen 'Rauhm aus der Arbeiterklasse«, sagte sie. »Ihn hätte ich in der Wand verrecken lassen.« Sie warf ihm einen verschmitzten Blick zu. »Oder ich hätte dafür gesorgt, dass Lir hört, dass er aufgeben will.« »Ist mir egal«, sagte Njangu. »Ob leicht oder schwer, ich steige auf jeden Fall aus.« »Ach, komm!«, sagte Angie. »Wir haben nur noch ungefähr zweimal lebenslänglich, dann stecken sie uns in ein Kampfteam. Willst du nicht auch endlich ein richtiger Soldat werden?« »Juhu.« Njangu ging in die Knie und schnappte nach 124 Luft. »Ich bin raus aus dem Spiel. Ich werde bis zum Ende meiner Dienstzeit glücklich damit sein, den Rasen zu mähen und die Mülltonnen zu leeren.« »Und was dann?« »Dann suche ich mir irgendwo einen Job.« »Du könntest für meinen Vater arbeiten«, schlug sie vor. »Was macht er? Bei meinem Glück schätze ich, dass er Bergführer ist.« »Nein«, sagte die Frau. »Er hat sechs Supermärkte. Also solltest du sehr nett zu mir sein.« »Wenn er so reich ist, warum bist du dann bei der Armee?« »Ich dachte, das wäre was ganz Tolles«, sagte sie. Leiser Trotz schlich sich in ihren Tonfall, dann wandte sie den Blick ab. »Außerdem kommen mein Vater und ich nicht besonders gut miteinander klar.« »Dummes Mädchen«, sagte Njangu. »Sei still«, zischte Rada. »Wir müssen den Gipfel erreichen und für Monstertitten-Monique angemessen erschöpft aussehen.« »Nein, das müsst ihr nicht«, war eine Stimme zu hören. »Gebt euch keine unnötige Mühe.« Die zwei Auszubildenden erstarrten und drehten sich langsam um. Genau hinter ihnen stand Dec Monique Lir auf dem Felssims. »Wie konnten Sie...?«, brachte Angie heraus. »Schneller als ihr sein? Weil ich kräftig und gesund und euer verdammter Gott bin«, knurrte Lir. »Und jetzt geht's im Laufschritt an den Rest des Weges.« Lange bevor sie den Gipfel erreichten, spürte Njangu wieder überall Schmerzen. Die anderen drei Rekruten warteten bereits auf sie und waren dankbar für alles, 125 was sie nicht selbst zur Zielscheibe von Lirs Sadismus werden ließ. »Sie hatten Recht, Rekrutin Rada«, sagte Lir, die kein bisschen außer Atem zu sein schien. »Ich habe wirklich nichts darüber gesagt, wie Sie auf den Gipfel gelangen sollen, und die Aufklärungstruppe ermutigt ihre Leute in der Tat zu kreativen Lösungen. Ich bin stolz auf Sie beide.« »Aha?«, keuchte Yoshitaro leise. »So stolz, dass Sie den anderen ein leuchtendes Beispiel sein werden. Sie klettern die Wand hinunter, während der Rest gemütlich nach unten wandert und sich eine lange Ruhepause gönnt. Sie beide nehmen den senkrechten Weg, verstanden?« »Ja, Dec«, antworteten sie im Chor. »Viel zu unharmonisch«, sagte Lir. »Runter und Liegestütze machen! Sagen wir, fünfundzwanzig.« Sie wartete, bis sie damit fertig waren. »Jetzt wollen wir ein paar nette Abstiegstechniken sehen«, befahl sie. »Keine Ausrutscher, keine Todesstürze und keine Schreie, wenn ich bitten darf. Sie zuerst, Rada.« Angie warf Lir einen hasserfüllten Blick zu und schob sich vorsichtig über die Felskante nach unten. Lir sah es sich genau an. »Sie sollten sich wirklich alle Mühe geben, nicht abzustürzen«, riet sie ihr. »Jetzt Sie, Yoshitaro.« Njangu gehorchte. »Ach, übrigens«, sagte die Dec. »Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie mir etwas mitzuteilen haben?« Njangu wollte ihr bereits seine Verzweiflung ins Gesicht schreien, doch plötzlich kam ihm alles nur noch lächerlich vor. Offenbar hatte er gerade eine innere Bar126 riere durchbrochen; zwar würde es auch weiterhin schwierig sein, aber er würde es einfach tun. Er hätte die
Felswand im Entengang hinunterspazieren können, wenn Lir es von ihm verlangt hätte. Yoshitaro lachte. Lir musterte ihn aufmerksam. »War das alles?« Njangu nickte. »Dann schaffen Sie Ihren Arsch nach unten. Es ist ein langer Weg, und ich möchte vor dem Zapfenstreich zu Hause sein.« Der Grierson setzte im gleichen Moment auf wie das andere Luftkampfgefährt und die zwei Zhukovs, sodass sie zusammen die Eckpunkte eines perfekten Quadrates bildeten. Unmittelbar darauf landete ein Kurierschiff in der Mitte der Formation. Die Nase war in den Farben der Konföderation - weiß und dunkelblau - und mit einem Ring aus Sternen bemalt. Unter der Pilotenkanzel prangte auf beiden Seiten die grün-weiß-braune Flagge von Cumbre. Nachdem die Rampe des Kampfgefährts sich gesenkt hatte, bezog die Besatzung vor ihrem Fahrzeug Aufstellung. Alle trugen Galauniformen. Die Luke des Kurierschiffes öffnete sich, eine Gangway schob sich nach unten, und Generalgouverneur Haemer trat heraus, flankiert von Caud Williams und mehreren Adjutanten. »Verdammt! Warum klebt kein dicker Popel an der Nase des Grierson?«, flüsterte Garvin aus dem Mundwinkel. »Dann wäre meine eigene Nase vielleicht nicht so auffällig.« »Still, Schütze«, sagte Dill. »Es gibt nichts, weswegen du dir Sorgen machen müsstest.« 127 »Du hast gut reden«, sagte Jaansma. »Du warst es auch nicht, zu dem Seine Heiligkeit gesagt hat, dass er mir die Hölle heiß machen wird, wenn ich ihm noch einmal unter die Augen trete.« »Keine Sorge«, sagte Kang. »Er ist nicht daran interessiert, uns zu inspizieren. Zu windig und zu kalt.« So war es nämlich auf der Hochebene von Dharma, wo ein feuchter Nebel an den geisterhaften Bäumen vorbeistrich. Haemer und die anderen marschierten zügig und versuchten gleichzeitig den Eindruck zu vermeiden, dass sie sich beeilten, während sie sich der Formation der Musth näherten. Die Aliens warteten vor ihrem Hauptquartier, einer Reihe von hohen, vieleckigen Gebäuden, die scheinbar aus durchsichtigem Glas mit Verschalungen aus Onyx bestanden. Die Musth hatten eine Formation eingenommen, die Menschen fremdartig vorkam. Ein Dutzend von ihnen, vermutlich untere Ränge, bildeten ein weites V, und zwei weitere standen hintereinander in der Öffnung des imaginären Buchstabens. Garvin vermutete, dass es sich beim ersten um Aesc handelte, den Befehlshaber der Musth im Cumbre-System. Jaansma klammerte den Generalgouverneur aus seinen Gedanken aus und starrte auf die Musth. Er hatte die Aliens bisher nur in Holos gesehen und fand sie recht Ehrfurcht gebietend. Sie waren groß, fast drei Meter hoch, und hatten lange, gewundene Hälse. Sie waren mit Fell bedeckt, und ihre einzige Bekleidung war ein breiter Gürtel, von dem kreuzförmig geflochtene Riemen zu einem Halsring führten, und ein Beutel, der wie ein übergroßer schottischer Sporran auf der Vorderseite getragen wurde. Links und rechts am Gürtel steckten Waffen in Scheiden. Garvin bemühte sich, 128 etwas zu erkennen, aber er konnte nur in Erfahrung bringen, dass die eine Waffe wie eine Pistole mit übermäßig langem Lauf aussah und die zweite ein unscheinbarer Kasten mit einem Riemen war. Ihr Fell war struppig und in hellen bis rötlichen Brauntönen gestreift. An den Tatzen und am Schwanz ging es in Schwarz über, während ein Fleck, der von der Kehle bis zum Bauch reichte, ins Orange-Gelbliche spielte. Die Beine waren groß und erinnerten an die eines Kängurus, obwohl sie für den aufrechten Gang gemacht waren. Die Arme waren kleiner und endeten in Tatzen mit doppeltem Daumen und einziehbaren Krallen, die sie im Kampf wie Messer einsetzen konnten. Mit den kurzen Schwänzen hielten sie das Gleichgewicht. Das Zeremoniell der Musth schien keine starre Haltung wie bei den Menschen zu verlangen. Garvin bemerkte, dass sie ständig die Köpfe bewegten und hierhin und dorthin blickten. Dills Grierson war zusammen mit drei weiteren Kampffahrzeugen als Eskorte für den monatlichen Besuch des Generalgouverneurs in der Musth-Basis auf dem Hochland von Dharma ausgewählt worden. Haemer verbeugte sich vor dem vordersten Musth. In einer Mischung aus Pfeif- und Zischlauten sagte er etwas in der Sprache der Aliens. »Und ich grüssse Sssie, Generalgouverneur«, erwiderte das Alien. »Es issst gut, Ihnen wieder zu begegnen.« Er drehte sich um. »Ich möchte mit Ihnen die Kenntnisss meinesss Sssoldatenführersss Wlencing teilen.« Der Musth hinter Aesc bewegte den Kopf auf und ab. 129 »Esss ist interesssant, Ihr Gesssicht zu sssehen«, sagte er. »Sssollen wir insss Gebäude gehen?«, fragte Aesc. »Wie ich sssehe, fühlen Sssie sssich kalt.« »Wenn Sssie keine Einwände haben«, sagte Wlencing, »würde ich mir gerne Ihre Sssoldaten ansssehen. Ich bin nur ssselten Menschen begegnet und nicht sssehr gut in Diplomatie.« »Kein Problem«, sagte Caud Williams. »Ich begleite Sie gerne.« »Dazu besssteht keine Notwendigkeit«, sagte Wlencing. »Sssie haben Wichtigeresss mit Aesssc zu bess-
sprechen, und ich werde meine eigenen Beobachtungen anssstellen.« Williams runzelte die Stirn, dann nickte er widerstrebend. »Wie Sie meinen. Ich bin mir sicher, dass Sie beeindruckt sein werden.« »Desssen bin auch ich mir sssicher«, sagte Wlencing und näherte sich Dills Grierson. »Soll ich ihm salutieren?«, flüsterte Dill verunsichert. »Besser wäre es«, sagte Gorecki. »Noch kämpfen wir nicht gegen sie.« Ben schlug seine Hand gegen die Stirn und blieb in dieser Haltung. Wlencings Hals streckte sich vor Überraschung ruckhaft weitere dreißig Zentimeter in die Länge und bewegte sich wie bei einer Schlange hin und her. »Issst dasss ein Zeichen der Anerkennung?«, fragte er. »Nein, Sir«, sagte Dill. »Ein Zeichen des Respekts gegenüber einem Vorgesetzten.« »Ich verssstehe.« Dann hob Wlencing einen Arm, senkte den Kopf und verharrte reglos. »Ich vermute, dasss sssie auf die gleiche Weissse erwidert wird — ssso.« 130 Beide Lebewesen ließen die Arme sinken. »Sssie haben sssehr grossse Menschen in diessser Besssatzung«, sagte Wlencing. Dill war sich nicht sicher, was er darauf antworten sollte, also sagte er: »Ja, Sir. Reiner Zufall.« »Wer issst der Schütze?« »Ich«, sagte Jaansma. Wlencing ging zu Garvin. »Sssind Sssie gut?« »Ich bin noch in der Ausbildung«, sagte Garvin. »Aber man hat Sssie und Ihre Besssatzung ausssgewählt, um Ihren Höchsssten zu schützen? Dasss issst ungewöhnlich«, sagte Wlencing. »Ich möchte Sssie et-wasss fragen, Schütze. Wenn Sssie üben, benutzen Sssie dann Maschinen?« »Ja, Sir«, sagte Garvin und fühlte sich plötzlich viel entspannter. »Wir bezeichnen sie als Simulatoren.« »Sssimulatoren«, sagte Wlencing und kostete den Geschmack des unvertrauten Wortes. »Wer sssind Ihre Feinde in diesssen Sssimulatoren?« »Andere Maschinen«, sagte Jaansma. »Raumschiffe. Gepanzerte Bodenfahrzeuge. Soldaten.« »Sssind diessse Sssoldaten Musssth?« »Nein, Sir«, sagte Garvin. »Menschen. Sie tragen andere Uniformen, je nachdem, welche Situation wir üben.« »Mir wurde etwasss anderesss gesssagt«, erwiderte Wlencing. Garvin wollte ihm widersprechen, doch er hielt den Mund. Der Musth musterte ihn. »Aber natürlich wurden Sssie angewiesssen, zu lügen und nichtsss Peinlichesss zu offenbaren.« Er ging zu Kang. »Ihre Pflichten sssind?« »Elektronische Abwehr, Sir.« 131 Wlencing zischte. »Sssind Sssie gut?« »Ich bin die Beste!«, sagte Kang mit Entschiedenheit. Der Musth schnaufte, und Garvin war sich nicht sicher, ob der Laut Anerkennung oder Verachtung ausdrücken sollte. »Ssso ssspricht ein wahrer Krieger«, sagte er. »Jeder von unsss ist der Bessste, nicht wahr?« »Aber ich bin es wirklich«, beteuerte Kang. »Schade, dasss esss keine Möglichkeit gibt, Ihre Prahlerei auf die Probe zu ssstellen«, sagte Wlencing. »Wir sssolten Kriegssspiele zwischen unssseren Ssspeziesss abhalten. Esss wäre gut für Sssie und gut für unsss.« Er wandte sich ab, dann schlängelte sein Kopf noch einmal in ihre Richtung. »Dazu müsssen wir einen anderen Zeitpunkt abwarten«, sagte er. »Wenn der Krieg gekommen issst.« Wlencing salutierte erneut, dann lief er zu einem der Zhukovs hinüber. Garvin warf Dill einen Seitenblick zu und stellte fest, dass der Mann ihn ansah. »Ich hoffe, dass er unsere Sprache noch nicht richtig beherrscht und nicht das gemeint hat, was er gesagt hat.« »Wetten, dass du dich irrst?« »Nie im Leben.« »Darf ich etwas fragen«, sagte Njangu, »ohne dass du dich allzu sehr auf den Schlips getreten fühlst?« »Du kannst es versuchen«, antwortete Hank Faull freundlich. Sie saßen auf Faulls Bettschrank und putzten ihre Ausrüstung. »Du bist doch ein 'Rauhm, nicht wahr?« »Ein Ex-'Rauhm«, entgegnete Faull trocken. »Jedenfalls würde mein Soh mich so bezeichnen. Oder als 132 Abtrünnigen, als Verräter, als Ungläubigen... du weißt schon, die üblichen Eigenschaften, die einen guten Soldaten ausmachen.« »Dein Sohl« »Ein Ältester«, sagte Faull. »Ein Diakon. Ein Vermittler zwischen uns und dem Einen, der für uns die Aufgabe interpretiert.« »Der Eine ist so etwas wie Gott, nicht wahr?«, fragte Njangu. »Aber die Aufgabe? So, wie du das Wort aussprichst, scheint es eine tiefere Bedeutung zu haben.«
»Die Aufgabe ist unsere Mission... für jeden von uns... hier auf D-Cumbre.« »Welches Ziel verfolgt die Gruppe?« »Ganz Cumbre«, formulierte Faull sehr genau, »sollte uns gehören. Genauso wie das ganze All.« »Ein nettes, bescheidenes Ideal«, sagte Yoshitaro. »Und was soll dann aus uns werden?« »Ihr könnt euch uns anschließen oder...« Faull zog den Daumen quer über die Kehle. »Ich bin begeistert«, sagte Njangu. »Aber mit welchem Recht beansprucht ihr, Entschuldigung, beanspruchen die gläubigen 'Rauhm so etwas?« »Unsere Sohs erzählen uns, dass wir die Ersten Menschen sind, sowohl im Hinblick auf die Schöpfung als auch auf Cumbre. Wir sind mehrere hunderttausend Jahre vor den Zinsern und ihren Kumpanen hierher gekommen, auch wenn die Archäologen zu der Ansicht neigen, dass wir etwa einhundert Jahre nach den ersten Nicht-'Rauhm auf der Bildfläche erschienen sind. Aber in den Legenden heißt es, dass die Menschen, die zu den Zinsern wurden, die Waffen hatten, sodass wir gezwungen waren, zu tun, was sie von uns verlangten. In den Bergwerken, wo die meisten von uns bis heute arbeiten.« 133 »Wie seid ihr hierher gekommen? Und von wo?« »Das«, sagte Faull, »ist einer der Punkte, in dem wir etwas vage sind. Unsere heilige Schrift heißt Die Überquerung und hüllt sich diesbezüglich in mystische Unbestimmtheit. Unsere Heimatwelt wird nie mit Namen genannt, aber natürlich als Paradies beschrieben. Manche sagen, wir kamen vor der Erfindung des Sternenantriebs hierher.« »Wie? In einem jener altertümlichen Kähne, die sich mit Hilfe von Raketentriebwerken und Gebeten fortbewegten?« »In der Überquerung heißt es, wir kamen mit einem Segel hierher, angetrieben von einem Wind, den uns der Eine schenkte.« »Ein Sonnensegel?«, fragte Njangu. »Ich weiß es nicht«, sagte Faull. »Unsere Sohs sehen es nicht besonders gerne, wenn wir selbst in der Überquerung lesen. Es ist besser, wenn sie uns daraus vorlesen und uns erklären, was alles zu bedeuten hat. Hauptsächlich besteht das Buch aus einem Haufen Predigten, die jemand vor einer Gemeinde gehalten hat. Der Name des Predigers - vielleicht ist es auch eine Frau - wird nie genannt. Für mich hat der ganze Ärger damit angefangen, dass ich mir ein eigenes Exemplar des Buches besorgt und es gelesen habe und plötzlich eine ganze Menge Fragen hatte, die die Sohs nicht so recht beantworten konnten. Mein Vater hat mich gelehrt, mir aus den Fakten, die mir zugänglich waren, eine eigene Meinung zu bilden. Das mag richtig oder falsch sein, auf jeden Fall habe ich es so gelernt, und deswegen bin ich irgendwann in Schwierigkeiten geraten.« »Gut«, sagte Njangu langsam. »Ich verstehe, wie die Programmierung abläuft. Aber sagen die Sohs den 134 'Rauhm, dass sie unabhängig leben sollen? Ich habe zumindest diesen Eindruck.« »Wenn du ein 'Rauhm bist«, sagte Faull mit leichter Verbitterung in der Stimme, »kennt dich jeder. Jeder weiß deinen Namen, deine Adresse, wo du zur Schule gegangen bist.« »Es gibt kein Entkommen?« »Vielleicht nur über die Armee.« »Und diesen Ausweg hast du gewählt.« »Ich versuche, auf diesem Weg zu entkommen«, sagte Faull. »Wenigstens sind Fremden wie dir solche Angelegenheiten ziemlich egal.« »Wenn du ein 'Rauhm geblieben wärst«, fragte Njangu, »wärst du dann Bergarbeiter geworden?« »Es gibt eine ganze Menge von uns, die niemals eine Hacke in die Hand nehmen«, sagte Faull. »Wir sind Händler, Verkäufer... viele von uns sind Fischer oder leben außerhalb der Städte auf kleinen Bauernhöfen.« »Irgendwas fehlt noch«, sagte Njangu. »Wenn du all diese Möglichkeiten hattest, warum bist du dann Soldat geworden?« »Diese Möglichkeiten sind Scheiße«, sagte Faull energisch. »Handel kann man... nur mit anderen 'Rauhm treiben. Als Bauer... wird man es nie zu etwas bringen. Und wenn man einen Laden eröffnet... sollte man lieber nicht versuchen, mit den Alteingesessenen zu konkurrieren. « »Das«, sagte Njangu, »klingt wirklich nicht sehr aussichtsreich.« Faull nickte und widmete sich wieder seiner Ausrüstung. »Und das ist das System, das die Armee verteidigt?« Wieder nickte Faull. 135 »Noch eine andere Frage. Jeder bezeichnet die Reichen als Zinser. Was bedeutet das? War es der Name ihres Schiffes oder was?« »Das war eine Sache, über die ich selbst nachgeforscht habe«, sagte Faull. »Das ist ein alter Begriff von der Erde, für Leute, die dadurch immer reicher werden, indem sie die anderen dazu bringen, um ihre Geldstapel herumzutanzen.« »Oh Mann! So viel zum Thema Wahrheit, Gerechtigkeit und die Lebensweise der Konföderation«, sagte Njangu. »Hier ist es genauso wie anderswo auch. Bei uns heißt es Goldener Schnitt - wer das Gold hat, macht immer
einen guten Schnitt.« Gorecki brachte Jaansma bei, wie man einen Cooke flog. »Im Prinzip ist es kinderleicht«, schloss er seine Erklärungen. »Jetzt können wir zu einem Übungsflug starten. « »Gut«, sagte Jaansma. »Wohin soll es gehen?« »Raus aus dem Stützpunkt, vielleicht einmal um die Insel herum«, sagte der Pilot. »Noch besser«, sagte Garvin und stieg auf den Pilotensitz. Das Triebwerk lief bereits. Jaansma legte die Sicherheitsgurte an, während Stanislaus in den Cooke kletterte. Er betrachtete den unbesetzten Waffenleitstand. »Wenn wir Munition dabeihätten, würde ich ja einen kleinen Querfeldeinflug riskieren«, sagte er. »Aber ich schätze...« »He!«, rief jemand, und Garvin sah, wie Ben Dill zu ihnen gelaufen kam. Über der Schulter trug er einen Gürtel, in dem die größte Handwaffe steckte, die Jaansma jemals gesehen hatte. »Bildet ihr zwei Clowns euch ein, ihr könntet ohne mich abfliegen?« 136 »Nie im Leben, Dec.« »Gut«, sagte Dill und sprang ins Passagierabteil. »Dann lasst uns verschwinden, bevor jemand eine sinnvolle Beschäftigung für uns findet.« »Ich wollte mit ihm einen Rundflug machen«, sagte Gorecki. »Klingt gut«, sagte Dill. »Also machen wir eine Strandpatrouille. Zischen Sie ab, Mister Jaansma.« »Unverzüglich, Mister Dill.« Garvin trat das Pedal durch und zog den wie ein umgekehrtes U geformten Steuerknüppel heran. Der Cooke bekam einen Schluckauf, dann raste er davon. »Das Geräusch hat mir gar nicht gefallen«, sagte Dill. »Wer technischen Problemen aus dem Weg gehen will«, sagte Gorecki, »sollte niemals einen Cooke besteigen. « »Sehr witzig«, sagte Dill. »Ich lache mich tot. Flieg niedrig und schnell, Garvin. Ich möchte ein bisschen Gischt abbekommen.« »Gerne, Boss«, sagte Garvin und steuerte zur Wasseroberfläche hinunter. »Kommt jetzt, Kinder!«, rief Lir. »Sonst verspäten wir uns zum Morgengebet.« Njangu wollte fluchen, aber dazu reichte sein Atem nicht mehr. Er glaubte, gehört zu haben, wie Erik etwas Obszönes keuchte, aber das war möglicherweise nur Wunschdenken. Lir schien wild entschlossen zu sein, dafür zu sorgen, dass keiner von ihnen die Ausbildung überlebte, und nahm die Rekruten nun täglich zu ZweiKilometer-Läufen mit an den Strand. Und damit es nicht langweilig wurde, gab es jeden dritten Tag einen FünfKilometer-Lauf. 137 »Ein guter Schütze hat die wichtigsten Muskeln in den Beinen«, stellte sie fröhlich fest, während sie mühelos an der Brandungslinie entlanglief. »Falsch«, stieß Angie Rada hervor. »Wichtig ist nur, was sich dazwischen befindet.« »Wenn du noch genug Luft zum Quatschen hast, kannst du auch ein Lied singen«, rief Lir. »Ach du Scheiße«, stöhnte Rada. Aber sie gehorchte: Ach, einst war ich glücklich und nun völlig down, Ich flieg in Maschinen, denen wir nicht mehr traun. Wir wagen dem Tode ins Auge zu schaun. Und der Sold ist genauso erbärmlich ärmlich. Der Sold ist genauso ärmlich. Wir flitzen herum in der fliegenden Kiste, Die kaum sich erhebt von der holprigen Piste, Bis alles uns schmerzt, auch Gelenke und Riste. Und der Sold ist genauso... Sie verstummte, als sie das Heulen eines sich nähernden Fahrzeugs hörte. »Haltung, ihr lahmen Säcke!«, brüllte Lir. »Es könnte schließlich eure Mutter sein!« Die fünf Rekruten stellten sich hastig auf, dann tauchte hinter der Landzunge vor ihnen ein Cooke auf. Njangu fragte sich, wer sich so weit von Camp Mahan entfernte. Wahrscheinlich irgendein Offizier mit seiner Süßen, dachte er wehmütig und versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal mit einem ganzen Menschen statt nur mit seiner Hand eine sexuelle Beziehung gehabt hatte. Und er fragte sich, warum er niemals herauszufinden versuchte, ob Angie es ernst meinte. 138 Er schaute blinzelnd zum Cooke und erkannte darin drei Personen. Ganz hinten stand ein Mann, und Yoshitaro staunte darüber, wie groß der Kerl war. Er trug die vier Streifen eines Dec. Er salutierte gekonnt und rief: »Hopp-hopp, da unten, tapfre Soldaten! Ein Hoch auf die Armee!« Lir: »Stürzt ab, ihr Scheißkerle!« Yoshitaro: »Verpisst euch!« Milot: »Ich hoffe, der Fahrtwind reißt dir den Schwanz ab!« Penwyth: »Ich habe deine Schwester gevögelt!« Rada: »Deine Mutter macht's umsonst!« Nur Faull sagte nichts. »Das ist genau der Kampfgeist, den ich von euch erwarte!«, rief der Dec im gleichen Moment, da Njangu seinen Freund Garvin an den Kontrollen des Kampfgefährts entdeckte. Er hob matt die Hand, um ihm zuzuwinken, glaubte, dass Garvin ihn erkannt hatte, dann raste das Fahrzeug vorbei. Scheißkerl, Scheißkerl, Scheißkerl, dachte er. Ich wusste, dass ich zur falschen Truppe gegangen bin.
Der Cooke kehrte zurück. Njangu war zu sehr außer Atem, um mehr als eine primitive Geste zustande zu bringen, aber ein paar andere hatten noch genügend Luft in den Lungen für eine obszöne Bemerkung. Der Cooke war etwa hundert Meter weitergeflogen, als Yoshitaro plötzlich nur noch Stille hörte. Der Antigrav des Kampfgefährts war automatisch angesprungen, und der Cooke legte eine sanfte Landung auf dem Strand hin. Die Läufer von der Aufklärungskompanie jubelten, als sie hörten, wie sich der Anlasser mehrmals abmühte. Dann hatten sie das Fahrzeug erreicht. »Habt ihr heute noch irgendwas vor?«, stichelte Lir. 139 Dill verzog das Gesicht. »Hallo, Garvin«, sagte Njangu. »Der Weg zurück ist ein wirklich interessanter Spaziergang. Man kann in Ruhe jede Menge wilder Tiere beobachten.« Jaansma erkannte Yoshitaro und grinste kurz, dann betätigte er erneut den Anlasser. Njangu horchte auf das knirschende Geräusch, während die Rekruten weiterliefen und schließlich nichts mehr hörten. »Es scheint tatsächlich so etwas wie eine göttliche Gerechtigkeit für Klugscheißer zu geben, was?«, stellte Dill fest. »Ich habe nichts gesagt, wenigstens nicht viel«, wandte Gorecki ein. »Die Unschuldigen leiden mit den Schuldigen«, sagte Garvin. »Also muss er uns nach Hause tragen.« »Also gut«, sagte Ben. »Gebt mir den Kom. Ich werde um Hilfe winseln.« Garvin reichte ihm das Mikro und hörte das Knacken. Dann sah er den hellen Streifen, der auf den Rumpf des Cooke gezeichnet wurde, etwa eine Fingerlänge von seinem linken Arm entfernt. Er hörte das Krachen einer Projektilwaffe und dann das Heulen, als die Patrone zurückprallte. Er starrte einen Moment lang auf die Delle, die das Geschoss hinterlassen hatte, dann sprang er aus dem Cooke. Er landete auf Ben Dill, der nach seiner riesigen Handwaffe tastete. »So ein verdammter Drecksack!«, murmelte Dill, dann hockte er sich auf die Knie, spähte in das nicht weit entfernte Unterholz und schwenkte die Pistole hin und her. Schließlich feuerte er die Waffe ab und rannte auf das Gestrüpp zu. Jaansma, dem beinahe die Trom140 melfelle geplatzt wären, überlegte kurz, was er tun sollte, und kam zu dem Schluss, dass er lieber ein tapferer Idiot als ein feiger Vernunftsmensch sein wollte. Also lief er dem Dec hinterher. Stanislaus folgte knapp hinter ihm. Sie brachen durch das Unterholz und stießen auf Ben, der vor einem sorgfältig aufgeschichteten Haufen aus Zweigen hockte. Er hielt eine stumpfe Messingpatronenhülse hoch. »Schaut euch die Antiquität an, mit der dieser Scheißkerl mich umbringen wollte«, sagte er. »Er muss sich hier ein Bett gemacht und einem Opfer aufgelauert haben. Offenbar hatte er nur diese eine Patrone. Oder er hat plötzlich den Mut verloren.« »Ich frage mich, warum er nicht auf die Infanteristen geschossen hat«, sagte Gorecki. »Sie waren viel mehr, viel langsamer und ein leichteres Ziel.« »Ich schätze, er hat uns für wichtiger gehalten«, sagte Dill. Stanislaus und Garvin blickten sich an und schienen sich im gleichen Augenblick des Ernstes der Lage bewusst zu werden. »Jemand hat versucht, uns abzuknallen«, sagte Gorecki mit gedämpfter Stimme. »Das steht außer Frage«, knurrte Dill und ließ seine überragende Erfahrung durchblicken. »Die viel größere Frage ist, wie ein gottverdammter Bandit auf der Glücksinsel sein Unwesen treiben kann.« Die drei schauten instinktiv über den Golf nach Dharma. »Werden wir ihn verfolgen?«, fragte Stanislaus. Dill dachte nach. »Ich bin mir nicht so sicher, ob er wirklich nur eine Kugel hatte. Und was soll ich mit 141 euch Jungs machen? Er würde sich vermutlich von hinten anschleichen und euch abknallen, während ich durchs Gestrüpp poltere.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß noch immer nicht so recht, ob ich es glauben soll.« »Jemand«, sagte Garvin, »wird Fünf-Credits-Stücke scheißen, wenn das hier bekannt wird.« Doch sie alle bekamen von Cent Haughton, dem Kommandanten ihrer Kompanie, und gleich darauf noch einmal von Tak Wu, ihrem Truppführer, zu hören, dass sie viel vorsichtiger sein mussten, wenn sie sich außerhalb des Lagers befanden. »Und was zum Teufel haben Sie da draußen überhaupt gemacht?« Es gab keine weiteren Meldungen über Begegnungen mit einem Heckenschützen. Lir musterte die fünf der Reihe nach. »Das nennt ihr kampfbereit? Eure Ausrüstung sieht aus, als hättet ihr eine Woche lang im Müll gehaust. In fünfzehn Minuten steht ihr hier in voller Montur! Bewegung!« Sie stürmten zurück in die Baracke und fluchten pausenlos vor sich hin, während sie ihre Gewehre abstellten, die Kampfwesten auszogen, nach den guten blauen Uniformen griffen und sich neu anzogen. »Ich werde sie umbringen«, stieß Angie hervor. »Ich werde ihr einen grausamen Tod bereiten, und dann wirst du mir mein letztes Hemd zuknöpfen, nicht wahr, Njangu?«
»Noch zwei Minuten, und wir sind schon fertig«, rief Faul. »Wir werden immer besser.« Sie stürmten nach draußen und erstarrten. Dort warteten Tak Hedley und Senior-Tweg Gonzales in kompletter Galauniform auf sie. 142 »Antreten!«, brüllte Lir. Sie gehorchten, und die Dec machte kehrt und salutierte dem Tak. »Sir, die Truppe ist angetreten.« »Gut«, sagte Hedley und zog einen Zettel aus einer Tasche. »Generalbefehl soundso, wirksam mit Datum vom soundsovielten, persönlich unterzeichnet von Caud Jochim Williams... blabla... folgende Rekruten werden in den Rang eines Gefreiten befördert: Faull, Henry; Milot, Ton; Rada, Angela; Penwyth, Erik; Yoshitaro, Njangu. Herzlichen Glückwunsch. Die Plackerei ist vorbei. Sie haben es geschafft. Alle. Willkommen in der Aufklärungskompanie. « Sie warteten beim Teich in der Nähe des Regiments-Hauptquartiers auf Garvin Jaansma. Dill trat ihm die Beine unter dem Körper weg und hielt ihn fest, während Gorecki und Kang seine Arme packten. Er schlug um sich, aber sie schleppten ihn zum Ufer. »Eins... drei... und hinein!« Jaansma schlug klatschend ins Wasser. »Womit zum Teufel habe ich mir das verdient?«, prustete er, nachdem er wieder aufgetaucht war. »Du bist jetzt kein mieser Rekrut mehr«, sagte Stanislaus. »Jetzt bist du einer von uns, du armer, bedauernswerter Schlucker. Und du wirst jetzt endlich aus diesem stinkenden Stützpunkt herauskommen und Leggett besuchen und ohne uns in Schwierigkeiten geraten können. « Jaansma stand bis zu den Knien im Wasser des Teichs und bemerkte nicht, dass ihm eine Schlingpflanze von der Schulter hing. 143 »Los, Gefreiter Jaansma«, sagte Dill. »Hör auf zu heulen und beweg deinen Arsch zu den Baracken. Der Alte will es dir in einer Stunde hochoffiziell persönlich erzählen.« Garvin saß auf seiner Koje, neben ihm eine blaue Uniformjacke. Erneut streckte er die Hand aus und strich mit dem Finger über den nagelneuen roten Streifen eines Gefreiten. »Er wird sich nicht plötzlich wieder in Luft auflösen«, sagte eine Stimme. Jaansma blickte auf und sah, dass sich Njangu hinter ihm gegen das Gestell der Koje lehnte. Auch er trug nun die Abzeichen eines Gefreiten. »Ich kann es noch gar nicht glauben, dass wir es geschafft haben.« »Ich schon, du Weichei«, sagte Yoshitaro. »Aber ich bin nicht hierher spaziert, wo ihr Eliteschweine euch tummelt, nur um dir zu gratulieren. Wir haben eine Woche Urlaub.« »Ich erinnere mich vage, dass der Cent etwas in dieser Richtung erwähnt hat«, sagte Garvin. »Aber ich war ein klein bisschen... aufgeregt.« Njangu grinste. »Ich auch. Aber auf die wirklich wichtigen Sachen habe ich trotzdem geachtet. Vor allem, weil wir anschließend ins Manöver gehen, und das wird bestimmt ein Riesenspaß. Möchtest du vorher vielleicht ein paar ernsthafte Schwierigkeiten mit ein paar Schurken von der Aufklärungstruppe haben?« »Aber ja doch!«, sagte Garvin. »Ich habe schon gedacht, du fragst mich nie danach... Gefreiter Yoshitaro.« 144 14 Der Höhleneingang war winzig, kaum einen Meter hoch und hinter Gestrüpp versteckt. Nach zehn Metern weitete sich der Gang zu einer großen Kammer im Herzen des Berges. Hier war es kühl, ein angenehmer Kontrast zur tropischen Nacht, die draußen herrschte. Zwanzig Männer und Frauen saßen im Halbkreis auf Decken, drei Laternen warfen Schatten an die hohen Wände. Alle hatten Waffen dabei, die sie ständig griffbereit hielten. Comstock Brien trat in die Mitte der Gruppe. »Sind wir uns sicher, Schwester, dass dieser Bericht korrekt ist?« Jo Poynton zuckte mit den Schultern und breitete die Hände aus. »Mein Agent hat sich noch nie geirrt. Aber ich muss einräumen, dass er auch noch nie etwas von dieser Tragweite gemeldet hat.« »Wenn es also stimmt, dass die Zinser den Kontakt zu ihren Herren in der Konföderation verloren haben«, überlegte Brien laut, »steht die Planungsgruppe nun vor der Aufgabe, zu entscheiden, wie wir diese Situation zu unserem Vorteil ausnutzen können.« Jord'n Brooks stand auf. »Verzeihung«, sagte er höflich. »Mein Name ist Jord'n Brooks. Wie ihr wisst, bin ich das neueste Mitglied der Planungsgruppe, also bitte ich um Entschuldigung, wenn ich mich nicht an die Namen erinnere, die ihr euch gegeben habt, oder wenn ich das Protokoll verletze, falls ich vor dienstälteren Mitgliedern das Wort ergreife. Ich bin der Ansicht, dass diese Gelegenheit unverzüglich genutzt werden muss! Wir müssen mit einem 145 schweren Schlag beginnen, mit einem Angriff, der nachhaltige Wirkung zeigt.« »Zum Beispiel?«, fragte jemand.
»Ich würde einen direkten Angriff auf den Sitz der Planetaren Regierung vorschlagen«, sagte er. »Sucht eine kleine Einheit aus, rüstet sie mit Sprengstoff aus und setzt sie in Marsch. Die Männer und Frauen werden natürlich sterben, aber sie sterben als Märtyrer für die Revolution. Mit entsprechender Planung und etwas Glück werden sie im Bewusstsein sterben, einen beträchtlichen Prozentsatz der Statthalter der Konföderation mit in den Tod gerissen zu haben, einschließlich des widerwärtigen Generalgouverneurs. Sofern wir sorgfältig planen und im richtigen Moment zuschlagen.« »Pah!«, schnaubte Brien. »Das ist pure Abenteuerlust, fast schon konterrevolutionäre Zersetzung! Wir müssen langsam und bedächtig vorgehen.« »Beleidigungen und Schlagworte haben in einer sachlichen Diskussion nichts zu suchen«, sagte Brooks kalt. »Entbehren deine Ideen so sehr jeglichen Nutzens, dass du jeden Beitrag eines anderen unverzüglich abkanzeln musst? Sei vorsichtig, Bruder. Ein solches Verhalten hat den Geruch des Elitären. Wir haben nicht die Absicht, gegen die grausame Willkür der Konföderation und der Zinser zu kämpfen, um einen neuen Diktator aus unseren Kreisen an die Macht zu bringen.« »Bruder Brooks, auch du solltest vorsichtig sein«, sagte Poynton. »Mit deiner Wortwahl kommst du einem oppositionellen Verhalten recht nahe.« »Das tut mir Leid«, sagte Brooks. »Und vielen Dank für den Verweis. Ich erkenne meinen Irrtum an, entschuldige mich bei Bruder Brien und ziehe meine Be146 merkung zurück. Natürlich müssen wir vorsichtig agieren und uns der Möglichkeit des Scheiterns bewusst sein. Wir dürfen nicht alles auf eine Karte setzen. Aber wir müssen auch darauf achten, dass wir nicht zur Reglosigkeit erstarren, die als Feigheit interpretiert werden könnte. Da meine erste Idee Bruder Briens Unmut erregt hat, möchte ich euch eine Alternative unterbreiten. In ein paar Wochen hält die Armee ihr jährliches Manöver ab. Diese Manöver, die hier auf der Hauptinsel stattfinden, sind seit einigen Jahren ein sehr unterhaltsames Ereignis. Und es ist allgemein bekannt, dass sich beim abschließenden Kampfspiel die meisten Mitglieder der Planetaren Regierung und zahlreiche Zinser unter den Zuschauern befinden.« »So ist es«, sagte jemand. »Warum greifen wir diese Schweine also nicht an, während sie im Freien stehen, weit weg von ihren Leibwachen, Sensoren und Festungen? Wie viele Sicherheitskräfte werden sie zu einem festlichen Anlas s aufmarschieren lassen?« »Selbst wenn es nur ein Kriegsspiel ist, müssen wir bedenken, dass sich fast die gesamte Armee in der Nähe aufhält.« »Und womit will sie sich wehren? Mit Platzpatronen? Warum machen wir uns ihretwegen so große Sorgen? Sie ist hoffnungslos unterbesetzt, ihre Ausrüstung ist veraltet, und ihre Moral muss nach der Unterbrechung des Kontakts zur Konföderation auf dem Tiefpunkt sein. Selbst der dümmste, grausamste Soldat in Camp Mahan muss sich zumindest ansatzweise bewusst sein, dass er ein Unterdrücker ist, dass er den 'Rauhm mit seinem Stiefelabsatz Leid zufügt.« »Du traust dem durchschnittlichen Helmträger viel 147 mehr zu als ich«, rief jemand, und Gelächter hallte durch die Höhle. »Das ist in der Tat eine interessante Idee«, sagte Poynton. »Ich vermute, du hast bereits eine Strategie ausgearbeitet. « »Das habe ich«, sagte Brooks aufgeregt. »Sofort zuschlagen, hart zuschlagen, immer wieder zuschlagen. Aber wir müssen nicht nur der Regierung und den Zinsern Schaden zufügen, sondern auch dem widerlichen MusthUngeziefer, ob in Leggett oder auf den Hochebenen, wo sie unser Verderben planen.« »Was sollte uns das einbringen?«, fragte eine Frau. »Ihr Imperium scheint nicht vom Zerfall bedroht zu sein. Was ist, wenn sie zurückschlagen? Nicht nur mit den Soldaten, die sie im Cumbre-System stationiert haben, sondern mit einer Streitmacht von ihren Heimatwelten?« »Gut«, sagte Brooks. »Wenn sie das tun, treffen sie alle Menschen, nicht nur uns. Das wird alle Menschen mobilisieren, und sie werden sich zusammentun. Da wir die Einzigen sind, die einen Plan haben, wird uns Cumbre auf dem Servierteller präsentiert werden, und dann können wir gemeinsam die Musth vernichten.« »Du glaubst, wir könnten die Musth besiegen?« »Natürlich«, sagte Brooks voller Verachtung. »Wir sind 'Rauhm. Gibt es hier irgend]emanden, der glaubt, dass der Eine, der uns zum Herrschen geschaffen hat, zulassen würde, dass die Musth den Sieg erringen? Warum sollte der Eine seiner klaren Botschaft widersprechen und uns diese Welten vorenthalten - die Welten des Universums, die Er uns versprochen hat?« Einen Moment lang war es still, dann ertönten Rufe: »Nein!« - »Natürlich nicht!« Es folgte süffisantes, zu148 friedenes Gelächter. Brooks setzte ein Lächeln auf und fuhr kurz darauf fort. »Also können wir diese Möglichkeit ausschließen. Wir gehen gegen die Musth vor, treiben sie in ihre Enklaven zurück, und dann verjagen wir sie von D-Cumbre. Von dieser Position aus können wir ihre Basis auf E-Cumbre angreifen und sie ganz aus dem System vertreiben. Wenn die Reichtümer von C-Cumbre uns gehören, können wir die Grundlagen für die Fortsetzung unserer triumphalen Expansion schaffen.«
»Ich muss dich noch einmal auf deine Bereitschaft hinweisen, nicht nur ein Imperium in den Wolken zu errichten, sondern es tatsächlich zu beziehen«, sagte Brien. »Kehren wir vorläufig auf diese Welt zurück. Sag mir, was nach dem Angriff während des Manövers geschehen wird. Ganz gleich, wie hart wir zuschlagen, von der Armee wird immer noch genug übrig bleiben, um uns bis in diese Hügel zu verfolgen. Es wird einen brutalen Feldzug geben, obwohl ich ihn willkommen heißen würde, weil er hervorragend in unsere bereits beschlossene Strategie passt.« »In meinem Plan dringt die Armee nach unserem Sieg in die Hügel vor«, sagte Brooks. »Aber wir werden gar nicht mehr da sein. Diese Revolution sollte... muss sich im Herzen der Menschen verankern. Wir können natürlich im Dschungel bleiben und zu Bauern und Jägern predigen. Auch so würden wir unsere Reihen verstärken, aber nur quälend langsam. Und für jeden Bekehrten verlieren wir zwei durch Krankheit und einen durch Vergeltungsschläge der Armee. Eine solche Entwicklung würde mir nicht gefallen. Andere Soldaten hier in der Wildnis sind Menschen wie ich, Menschen, die in der Stadt ihr Bestes gegeben 149 haben und gezwungen waren, aus Angst um ihr Leben zu flüchten. Ich will offen sein. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dem Kampf meine ganze Kraft widme. Ich glaube nicht, dass meine Fähigkeiten hier draußen im Nirgendwo sinnvoll eingesetzt werden. Ich wurde in Leggett geboren und bin dort aufgewachsen. Ich habe in vielen Berufen gearbeitet, bevor ich gezwungen war, in die Bergwerke zu gehen, worauf ich mich der Bewegung angeschlossen habe. Ich kenne die Städte, und sie sind viel undurchdringlichere Dschungel als diese Hügel. Dort sollten wir gegen die Unterdrücker kämpfen, uns Ziele aussuchen, die nahe und leicht auszukundschaften sind. Wenn wir zuschlagen, tun wir es aus unmittelbarer Nähe, sodass der Feind seine Kampfschiffe, seine Raketen und seine Artillerie nicht einsetzen kann. Wenn wir uns für diesen Weg entscheiden, wird der Druck ständig größer werden. Wenn die Leute hören, dass hier auf dem Hochland eine Patrouille beschossen wurde, gähnen sie nur. Aber wenn ein wesentlicher Teil der Armee im Herzen von Leggett in einen Hinterhalt gerät und ausgelöscht wird, werden die Menschen unsere Macht erkennen... und dann rückt der Sieg viel näher.« Brien wollte etwas sagen, doch Brooks kam ihm zuvor. »Wenn wir über ein wenig Macht verfügen, wird die Regierung härter vorgehen. Kontrollpunkte, verbotene Zonen, Grausamkeiten, das gesamte kriminelle Verhalten eines wankenden Regimes... und die Menschen werden unmittelbar erleben, was wir ihnen über die Wirklichkeit auf diesem Planeten erzählt haben. Sie werden sich uns scharenweise anschließen, und die Armee 150 wird in Panik geraten und noch härtere Maßnahmen ergreifen. Dadurch entsteht ein Rückkopplungsprozess, meine Brüder und Schwestern. Aus einer Hand voll fiebernder, matter, ausgemergelter, fast vergessener Dschungelkämpfer, die einen erbitterten Krieg führen, wird eine Bewegung, der sich die gesamte Bevölkerung voller Wut und Verzweiflung anschließt. Und wenn die Menschen das tun, werden sie alle zu unseren Brüdern und Schwestern. Dann ist der Tag des wahren, endgültigen Sieges gekommen!« Brooks verstummte abrupt. In der Höhle herrschte völlige Stille, und er spürte, wie die Macht wuchs, spürte den starken Willen der zwanzig Personen in seinem Innern. Dann applaudierte jemand. Brien war aufgesprungen. »Bruder Brooks ist einer unserer inspiriertesten Agitatoren«, sagte er. »Ich glaube, wir sollten die Kraft seiner Rhetorik bewundern. Allerdings...« »Verzeihe, dass ich dich unterbreche, Bruder«, sagte Poynton. »Ich glaube nicht, dass wir jetzt, nachdem unsere Leidenschaft erwacht ist, über dieses Thema diskutieren sollten. Ich schlage vor, wir verschieben die Diskussion der Großen Strategie auf etwas später, wenn wir alle die Gelegenheit hatten, in Ruhe darüber nachzudenken und mit unseren Genossen darüber zu reden- mit einer Ausnahme«, setzte sie hinzu. Brien schürzte die Lippen. »Mir gefällt, was Bruder Brooks vorgeschlagen hat -das Manöver der Armee zu nutzen, um einen Schlag gegen das System zu führen«, fuhr Poynton fort. »Wir haben in der Tat nach einer spektakulären Gelegenheit gesucht, unsere Stärke zu demonstrieren. Was ist das 151 Problem mit Bruder Brooks' Idee? Wir würden nur wenige unserer Kämpfer in Gefahr bringen, wir würden weit weg von unserem Zuhause und unseren Geheimstützpunkten zuschlagen, und wir hätten die einzigartige Chance, unseren Unterdrückern erheblichen Schaden zuzufügen.« Für eine Weile war es still, und die Mitglieder der Gruppe warfen sich nachdenkliche Blicke zu. Dann stand ein Mann auf. »Ich bin einverstanden. Wir wollen jetzt zuschlagen, wir wollen nachhaltig zuschlagen, und dann sehen wir, wie wir von dort aus weitermachen!« Zwei weitere erklärten ihr Einverständnis. »Ich verstehe«, sagte Brien kühl. »Bruder Brooks hat eine sehr populäre Idee vorgetragen. Ich muss zugeben, dass ich Bedenken habe, aber es könnte tatsächlich an der Zeit sein, dass wir den Krieg in die Städte des Feindes tragen. Wie viele unterstützen diesen Plan?« Mehrere Hände wurden gehoben.
»Das ist eindeutig die Mehrheit«, sagte Brien. »Ich muss mich Bruder Brooks' Eloquenz in Einmütigkeit beugen. Wir werden sofort mit der Ausarbeitung der Einzelheiten beginnen.« Er blickte in die Runde. »Es ist spät geworden, und ich schlage vor, dass wir diese Besprechung beenden. Manche von uns haben einen langen Weg vor sich und müssen vor Anbruch der Dunkelheit heimkehren.« Als die zwanzig Menschen ihre Sachen packten, kam Poynton zu Brooks. »Manche könnten meinen, dass diese kleine Aktion dir eine solide Grundlage verschaffen könnte«, sagte sie leise. »Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Brooks in gleichgültigem Tonfall. »Aber das interessiert mich nicht. 152 Mich interessiert nur, dass es in unserem Kampf keine Kompromisse geben darf. Weder jetzt noch zum Zeitpunkt unseres endgültigen Sieges.« 15 »Ach du Scheiße!«, brummte Erik Penwyth, als er auf das Freizeitzentrum blickte. »Genauso wie die Baracken, nur etwas bunter angestrichen.« »Und der Geruch geht mir jetzt schon auf den Sack«, fügte Njangu hinzu. »Das Einzige, was hier näher liegt, ist die Kläranlage.« Das Freizeitzentrum der Armee sah in der Tat wie die Baracken aus, in denen sie bislang gewohnt hatten. Die Gebäude klammerten sich an einen Abhang, der über Leggetts größter Schmiermitteldeponie lag. Die fünf Gefreiten trugen einfache Khaki-Uniformen, kurzärmelige Hemden und kurze Hosen mit passenden Kniestrümpfen und schwarzen Ledersandalen. »Wenn es mir auf den Sack gehen würde, sagte die Königin, wäre ich König«, bemerkte Angie etwas zusammenhanglos. »Auf den Sack kommt es nicht an, sagte der Herzog«, setzte Garvin hinzu. »Ich habe einen und bin kein König.« »Ha! Ein umwerfender Witz!«, sagte Njangu. »Ich wünsche euch jede Menge Spaß«, sagte Faull. »Wir sehen uns in einer Woche.« Er lief den Abhang hinunter und ging durch die eher flüchtige Sicherheitskontrolle am Tor des Freizeitzentrums. »Setzt uns hier ab und macht sich davon«, sagte Ton 153 Milot. »Was führt er im Schilde?« Er pfiff, als er eine recht hübsche, offensichtlich hochschwangere Frau sah, die den ehemaligen 'Rauhm umarmte. Neben ihr stand ein Junge, der zwei oder drei Jahre alt sein mochte. »Frage beantwortet. Der elende Kerl ist ein Glückspilz.« »Und wer ist sie?«, fragte sich Erik. »Ist er verheiratet? Oder lebt er in eheähnlicher Gemeinschaft?« »Es verstößt auf jeden Fall gegen die Vorschriften«, stellte Milot fest. »Aber hallo«, sagte Angie. »Sollen wir ihn verpetzen?« Njangus Miene wurde ernst. »Warum willst du ihm eins auswischen, Rada?« »Weiß nicht«, sagte Angie und sah ihn unsicher an. »Er ist ein 'Rauhm.« »Er ist einer von uns«, sagte Yoshitaro. »Und Leute, die jemanden verpfeifen, gehören nicht zu uns.« »Es war nur ein Scherz«, sagte sie. »Toller Scherz«, sagte Njangu. »He, du kannst mich...« Die Frau verstummte. »Schon gut. Okay?« Njangu fühlte sich nicht beschwichtigt, aber er war klug genug, um zu nicken. »Wenn ihr fertig seid«, sagte Garvin fröhlich, »würde ich gerne wissen, ob es hier irgendjemanden gibt, der wirklich in diesem netten Etablissement bleiben möchte, das für seine fetten Kakerlaken berühmt ist.« »Die Auswahl ist ja riesig«, sagte Milot. »Oder kriegt hier jemand mehr Sold als die anderen?« »Ich habe tatsächlich zweihundert von zu Hause mitbekommen, damit etwas aus mir wird«, sagte Penwyth. »Das würde ich in den Topf werfen, aber ich glaube nicht, dass wir zu fünft weit damit kommen.« 154 »Also ist das Ganze nur eine Geldfrage!«, sagte Jaansma. »Soll ich mal schauen, ob sich in dieser Hinsicht was machen lässt?« »Brauchst du Spielgeld?«, fragte Njangu. »Das glaube ich nicht.« Garvin breitete die Arme aus. »Hört mich an, meine Brüder und Schwestern, und stärkt mich mit euren Gebeten, denn ich werde nun zu den ungewaschenen Heiden gehen, in der Hoffnung, unsere Herzen zu beglücken und unsere Lebenserfahrung zu bereichern. Bruder Penwyth, wähle du einen Ort, an dem wir wieder zusammenkommen werden und der meinem bald erworbenen Reichtum angemessen ist.« »Das Shelbourne ist ein piekfeiner Laden«, sagte Erik. »Es liegt gleich unten am Strand.« »Dann treffen wir uns dort. Vielleicht bei Anbruch der Nacht.« Ohne auf eine Antwort zu warten, machte sich Garvin auf den Weg zum Tor. »Ich kann nicht behaupten, dass ich das verstanden habe«, sagte Erik. »Unser Freund tut etwas«, erklärte Njangu, »das er, wie ich glaube, als sein Glück versuchen bezeichnen würde. Er sucht nach einem armen Schwein mit Credits, um etwas zu tun, das er vermutlich als finanziellen Ausgleich bezeichnen würde.« »Für einen Gefreiten kann dein Freund recht hübsch reden.« »Dein Freund ist überhaupt recht hübsch, ob für einen Gefreiten oder nicht«, sagte Angie verträumt.
»Ja«, sagte Yoshitaro. »Und er hat eine tiefe Abneigung gegen eine bestimmte Art von Singvogel.« Sie kam ein Stück näher. »He, es tut mir Leid, dass ich was Falsches gesagt habe.« »Schon gut«, sagte Njangu. »Lasst uns unsere Geld155 börsen auf den Kopf stellen und erkunden, was Leggett zu bieten hat.« Das Zentrum von Leggett war ein großer Park mit gewundenen Pfaden und üppigen Gärten. »Es ist Nacht«, stellte Milot fest. »Die leichten Mädchen dürften da drüben stehen.« »Ach ja?«, sagte Yoshitaro interessiert. »Irgendwelche Vertrauensmänner zu sehen?« »Hä?« »Kerle, die sich im Gebüsch verstecken«, erklärte Njangu. »Wenn die Hure jemanden an der Angel hat, zieht ihr Typ ihm eins über den Schädel und erleichtert ihn um seine Ersparnisse.« »Um Himmels willen!«, sagte Milot schockiert. »Hältst du Leggett für eine so elende Jauchegrube?« »Ganz so elend scheint sie noch nicht zu sein«, sagte Njangu. »Man könnte hier gutes Geld machen, wenn man den Vertrauensmännern ein bisschen auf die Finger klopfen würde. Aber ich schätze, Ehrenmänner wie wir sollten nicht so denken. Lasst uns weiterziehen.« Die Straßen in der Innenstadt waren eng und verwinkelt. Die vier Soldaten drückten sich dicht an einen kleinen Gravgleiter, der auf dem schmalen Pflaster parkte, als sich ein Transporter vorbeischob. »Das hier ist wohl der teurere Teil der Welt, wie?«, fragte Njangu an Penwyth gewandt, während er ein Fenster voller Schmuck und Edelsteine betrachtete. »So ist es«, sagte Erik. »Und wer was hat, zeigt es auch.« »Schaut euch das an!«, hauchte Angie ehrfürchtig. Sie deutete auf ein Schaufenster, in dem eine einzelne 156 Schultertasche stand. Das Stück schimmerte golden. »Ist das nicht extrem vorzeigbar?« »Ja«, sagte Erik. »Kostet auch nur... sechshundert-achtundsiebzig Credits. Zwei Monatsgehälter. Es würde gut zu deiner Galauniform passen, Angie.« »Vielleicht sollten wir lieber in den Park zurückgehen, wenn ihr euch mit solchen Gedanken quält«, schlug Milot vor. »Njangu könnte für dich den Zuhälter machen, da mir zu Ohren gekommen ist, dass ihm die Welt des Verbrechens nicht ganz unbekannt ist. Oder ich betätige mich als... wie hast du es genannt?... Vertrauensmann. Auf jeden Fall hat kein Soldat des Universums je genug Geld für so etwas gehabt.« »Es muss eine Möglichkeit geben«, sagte Rada. »Es gibt immer eine Möglichkeit.« »Dann kann ich meinen Heiratsantrag wohl vergessen«, sagte Njangu. »Ich werde es niemals schaffen, dich angemessen auszustatten.« Angie lachte und legte einen Arm um Yoshitaro. »Du hast mir verziehen?« »Wofür?« »Danke«, sagte sie. »Erik!«, rief jemand, und alle vier drehten sich um. Auf der anderen Straßenseite winkte eine Frau. »Jasith!«, rief Erik zurück und flitzte zwischen zwei Gleitern hindurch. Die anderen folgten ihm durch den dichten, langsamen Verkehr. Njangu entschied, dass die Frau es wert war, den Tod durch einen Gleiterunfall zu riskieren. Sie war superschlank, hatte ein ovales Gesicht, das von langem, schwarzem Haar umgeben war, und mochte etwa achtzehn sein. Ihre Lippen waren sehr voll, und ihre dunklen Augen versprachen unendliches Entzücken. Die 157 Brustwarzen ihres kleinen Busens lugten fast schon über den Rand ihres Tops, das aus einem lässig um den Oberkörper geschlungenen, an der Seite verknoteten bunten Seidentuch bestand. Dazu trug sie passende Shorts und gelbe, hochhackige Schnürsandalen. Njangu beobachtete neidisch, wie sie in Eriks Armen dahin schmolz, bemerkte aber mit leiser Hoffnung, dass sie ihn mit geschlossenem Mund küsste, bevor sie sich zurückzog. »Ich wusste gar nicht, dass ein Soldat so sexy sein kann!«, sagte das Mädchen mit kehliger Stimme, die fast ein Flüstern war. »Ich bin nicht nur als Soldat sexy«, erwiderte Erik. »Ich habe gehört, dass du heute arbeitest. Harte Zeiten für die Mellusin-Bergwerke?« »Ach, du weißt ja, hier ist es ziemlich tot, und es passiert überhaupt nichts. Ich dachte, vielleicht eröffne ich irgendwann einen kleinen Laden, also wollte Daddy mir zeigen, wie das so ist. Seeehr laaangweilig. Ich dachte, es wäre interessant, Unterwäsche zu verkaufen, aber es ist genauso wie die Arbeit in einem Fleischergeschäft. Obwohl ich nichts gegen fünfundzwanzig Prozent Discount auf Rippchen hätte. Vielleicht sollte ich stattdessen heiraten.« Sie blickte sich um. »Wer sind deine Freunde?« Penwyth stellte sie vor. »Und das ist Jasith Mellusin. Eine alte Freundin der Familie.« Jasith gab den Soldaten die Hand. Mit Angie tauschte sie einen hasserfüllten Blick aus. »Also hat man euch aus dem Käfig gelassen?«, fragte Jasith. »Es ist ihnen nichts anderes übrig geblieben«, erklärte Erik. »Ich war einfach so gut, dass sie es gar nicht glauben wollten. Vor dir steht der Supersoldat.« 158 »Das ist selbst für mich schwer zu glauben«, sagte Jasith lachend. »Aber wenn ihr Urlaub oder Ausgang habt
oder wie immer das bei eurer Truppe heißt, vermute ich, dass ihr morgen Abend zu Bampurs Party geht.« »Nein«, sagte Erik. »Niemand hat mich eingeladen, nachdem ich nun zu den uniformierten Ungewaschenen gehöre.« »Oh, es wäre eine Tragödie, wenn du nicht kommen würdest«, sagte Jasith. »Du musst kommen. Ich habe dich soeben eingeladen. Dich und deine Freunde. Allah weiß, wie sehr wir neue Gesichter brauchen.« Njangu verbeugte sich. »Und wenn es auf dieser Party Gesichter wie deines gibt, dann weiß Allah auch, wie sehr wir euch brauchen«, sagte er. Angie zog eine finstere Miene, und Njangu tat, als würde er es nicht bemerken. Jasith kicherte. »Mein Freund hier kommt von Centrum«, sagte Erik. »Er war in dem Schiff, das von Piraten überfallen wurde.« »Tatsächlich?«, sagte Jasith. »Wie bist du ihnen entkommen?« »Das ist eine lange und blutige Geschichte«, sagte Njangu. »Nicht geeignet für die Ohren von Jungfrauen, Kindern und Menschen mit schwachem Herzen.« »Ich gehöre jedenfalls nicht zu dieser Gruppe«, sagte Jasith. »Ach was!«, murmelte Angie, doch Jasith überhörte die Bemerkung. »Morgen Abend«, sagte sie zu Erik. »Aber seid bloß nicht pünktlich und kreuzt auf keinen Fall vor Mitternacht auf!« »Früher öffne ich niemals die Augen«, sagte Pen159 wyth. »Wir werden da sein... darauf kannst du Gift nehmen.« »Was gibt es da eigentlich?«, fragte Yoshitaro und blickte auf eine Reihe offener Tore. »Nichts, wo wir hingehen werden«, sagte Angie. »Warum nicht?«, wollte Njangu wissen. »Es sieht so schön bunt aus. Und wir sind zu viert, allesamt für den Kampf trainiert und so weiter.« »Das ist das Eckmuhl, das Viertel der 'Rauhm«, erklärte Penwyth. »Wir betreten ihr Gelände nicht, und sie bleiben, wo sie sind.« »Ein nettes gesellschaftliches Arrangement«, stellte Yoshitaro fest. »Aber es funktioniert«, warf Angie ein. Milot schnaufte. Njangu wartete auf seinen Kommentar, aber es kam keiner. Kurz hinter den Toren standen sieben Männer, die etwa in Njangus Alter waren. Sie waren farbenfroh gekleidet und lehnten sich ultralässig gegen die Steinmauer. »Das sind sieben gute Gründe, die 'Rauhm nicht zu besuchen«, sagte Erik. »Einheimische von schlechtem Ruf, die sich für die genauen Ausmaße unserer Geldbörsen interessieren.« Yoshitaro unterdrückte ein Grinsen, denn die harten Jungs machten genau denselben Eindruck wie er und seine Freunde auf Waughtals Planet. »Danke für die Warnung«, sagte er in ernstem Tonfall. »Wie weit reicht das Viertel der 'Rauhm?« »Drei, vielleicht vier Kilometer«, sagte Erik. »Es endet genau am unteren Ende der Oberstadt.« »Und wie viele Menschen leben da?« 160 Penwyth zuckte mit den Schultern. »Eine Million? Oder etwas mehr? Die Statistiker wagen sich nicht hinein, genauso wenig wie alle anderen.« »Was passiert, wenn es Schwierigkeiten gibt?« »Die 'Rauhm kümmern sich selbst darum«, sagte Angie. »Die Bullen fliegen zweimal täglich mit einem halben Dutzend Gleiter durch das Viertel, um Leichen einzusammeln. Allzu viel haben sie nicht zu tun.« »Der zweite Maat meines Bootes hat sich einmal hineingewagt«, sagte Milot. »Niemand weiß, warum. Er hat sich immer für wesentlich härter als alle anderen gehalten. Vielleicht hatte er ein Auge auf ein Mädchen geworfen. Die Polizei fand am nächsten Morgen seinen Kopf am Tor. Sonst haben wir nichts mehr von ihm gehört. « »Hinterlistige Drecksäcke, diese 'Rauhm, nicht wahr?«, sagte Njangu. »Was ist mit Hank? Wird er nicht irgendwann in der Scheiße landen, wenn er als 'Rauhm in der Armee dient?« »Wer weiß?«, sagte Angie. »Die einzigen Menschen, die wie 'Rauhm denken, sind 'Rauhm.« »Wahrscheinlich ist die Truppe deswegen so erfolgreich gegen die Banditen«, murmelte Yoshitaro für sich. »Nanu!«, rief Njangu. »Sind das da nicht deine Leute?« Auf dem Schild stand: RADA HAT ALLES. Es nahm etwa einen halben Häuserblock ein, und die zugestellten Fenster machten in der Tat den Eindruck, als würde hier alles verkauft. Und das zu Sonderpreisen, denn überall hingen weitere Schilder: WAS WIR NICHT HABEN, BRAUCHEN SIE AUCH NICHT. WIR UNTERBIETEN JEDEN PREIS. PROBLEMLOSE BEZAHLUNG. KEINE GEMEINDE UNWILLKOMMEN. 161 Angie nickte widerstrebend. »Ja.« »Warum schneien wir nicht mal rein?«, schlug Milot vor. »Vielleicht könntest du dir einen Jahresvorschuss auf dein Taschengeld geben lassen. Damit wir flüssig genug für die Party sind.« »Nein«, antwortete Angie kurz angebunden. »Kann ich nicht machen.« »Warum nicht?«, fragte Erik unschuldig. »Hier kommt ihr einziges innig geliebtes Kind, soeben von der
härtesten Schule graduiert, die es in der Armee gibt und so weiter. Warum sollten sie dir nicht einen kleinen Liebesdienst erweisen?« »Liebe?« Angie lachte verbittert. »Was ist los?«, fragte Milot. »Kommst du mit deinen Leuten nicht klar?« »Lass es einfach auf sich beruhen, okay?«, sagte Angie energisch. »Sprich nicht mehr drüber.« »Entschuldigung, dass ich irgendwann mal lesen gelernt habe«, erwiderte Milot. »Betrachte die Angelegenheit als erledigt.« Njangu ließ die anderen weitergehen und sah Angie an. »Darf ich dich etwas fragen?« »Nur, wenn es nicht um meine Familie geht«, sagte sie. »Mit diesem Thema will ich mich im Augenblick nicht auseinander setzen.« »Nein«, sagte Yoshitaro. »Höchstens indirekt. Was bedeutet dieses Schild - keine Gemeinde unwillkommen?« »Die Geschäfte meiner Familie stehen jedem offen«, sagte Angie. »Aber die meisten Kunden sind 'Rauhm.« »Das verstehe ich nicht«, sagte Njangu. »Wenn ihr an ihnen Geld verdient... warum bist du dann so schlecht auf sie zu sprechen?« 162 »Sie sind schmutzig, sie vermehren sich wie Ratten, sie wollen jeden auslöschen, der kein 'Rauhm ist, und sie sollten von Cumbre verschwinden«, sagte Rada verbittert. »Wenn die Menschen einen Funken Verstand hätten, würden sie sie raus werfen und ihre eigenen Leute in den verdammten Minen arbeiten lassen. Aber das werden sie nicht tun. Die Menschen suchen sich immer andere, die ihre Scheiße wegmachen. Und irgendwann werden sie es bitter bereuen.« Njangu sah sie an und kam zu dem Schluss, dass er nicht mehr nachhaken sollte. »He!«, sagte er leise. »Was?«, gab sie zurück. Er nahm ihr Kinn in die Hände und küsste sie. Sie riss überrascht die Augen auf, dann öffnete sie den Mund, und ihre Zunge schlang sich um seine, während sie die Arme um ihn legte. »Hallo!«, rief Penwyth. »Kommt her, ihr beiden. Keine Verbrüderung innerhalb der Ränge!« Sie blickte zu Njangu auf. »Ich hoffe, du verteilst keine Tickets, die du gar nicht einlösen willst«, sagte sie etwas außer Atem. »Ich dachte schon, du wärst wegen der reichen Schlampe vorhin völlig aus dem Häuschen.« Njangu wackelte mit den Augenbrauen. Angie lachte, und Yoshitaro dachte, dass es ein sehr angenehmer Laut war. »So viel zum Thema wilde, draufgängerische Soldaten, die beim Ausgang was erleben wollen«, sagte Angie verächtlich schnaufend. »Da dürfen wir endlich mal los, und was machen wir? Spazieren wie blöde Touristen am blöden Hafen entlang und sehen uns blöde Boote an. 163 Wir haben schon fast den ganzen Tag lang frei, und bisher hatten wir zwei Bier, eine geschmacklose Mahlzeit und einen blöden Spaziergang.« »Wo ist das Problem?«, fragte Milot. »Sich am Meer aufzuhalten ist sehr entspannend.« »Wenn ich mich hätte entspannen wollen, hätte ich im Freizeitzentrum ein Nickerchen machen können«, sagte die Frau. »Mir steht eher der Sinn nach so etwas wie Action. Du weißt schon... Kerle, Drogen und Raufereien!« »Such dir irgendeine Bar aus«, sagte Erik. »Alle sehen danach aus, dass wir dort in eine hässliche Schlägerei geraten könnten.« Njangu blickte die Hafenpromenade entlang. »Würde sich unsere Angie wirklich mit einer guten einfachen Schlägerei zufrieden geben? Müsste es nicht Tote geben? Und was zum Henker ist da drüben los?« Sechs Männer schubsten einen jungen, heruntergekommen aussehenden Straßenhändler herum. Yoshitaro hörte Rufe - »Verdammter 'Rauhm!«, »Wirf ihn in die Bucht!«, »Verpass ihm einen Tritt, Sayid!« Die Waren des Jungen - hauptsächlich Schnickschnack - lagen verstreut auf der Straße. Sayid wollte gerade gehorchen, als eine leise Stimme ihn innehalten ließ. »Eigentlich willst du das doch gar nicht tun.« Er wirbelte herum und sah Njangu. »Halt dich da raus, Soldatenjunge!« »Klar«, sagte Yoshitaro ruhig. Er drehte sich halb herum, dann riss er den Fuß hoch, schrammte damit an Sayids Schienbein hinunter und zertrümmerte ihm den Spann. Sayid heulte auf und klappte zusammen. Njangu schlug dem Mann eine Faust gegen das Kinn 164 und fällte ihn schließlich mit einem beidhändigen Hieb ins Genick. Ein anderer Mann packte Njangu am Kragen, der sich zu ihm herumdrehte und sein Knie in den Bauch des Mannes rammte. Der Angreifer stürzte zu Boden und übergab sich, während Njangu sich erneut umdrehte. Ein dritter Mann hatte ein Messer aus einer Gürtelscheide gezogen, doch Milot hatte bereits seinen Arm mit beiden Händen gepackt und schlug ihn auf sein hoch erhobenes Knie, worauf der Knochen brach. Ton konnte knapp einem Schlag ausweichen, während Angie dem vierten Mann ihre Hand in die Magengrube rammte. Er würgte und brach zusammen. Njangu trat dem ersten Mann zweimal gegen den Kopf, sehr hart und ohne den Fuß zu senken. Der Mann winselte, taumelte davon und hielt sich mit beiden Händen die blutige Masse, die einmal sein Gesicht gewesen
war. Der Letzte hatte beide Hände erhoben und wich rückwärts gehend zurück, während Erik sich ihm mit einem wilden Grinsen näherte. »Nein... nein, nein... damit habe ich nichts zu tun... nein«, stammelte er hastig. »Dann mach, dass du wegkommst!« Der Mann gehorchte, rannte etwa zehn Meter weit und schrie dann plötzlich: »Polizei! Hilfe! Polizei!« Njangu half dem Jungen auf die Beine. »Du solltest lieber abhauen, kleiner Freund.« Der 'Rauhm blickte ihn finster an, spuckte, dann lief er in eine Seitengasse und war verschwunden. »Wie nett!«, murmelte Njangu sarkastisch und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab. »Der Tugendhafte bekommt in jedem Fall seine Belohnung. Jetzt 165 lasst uns abzischen, bevor uns das Auge des Gesetzes erspäht. « »Ho!«, sagte Njangu, als sie am Eingang eines Hotels vorbeiliefen, das geradezu nach Geld roch. Mehrere Luxusgleiter spuckten mit ihrem Reichtum protzende Passagiere aus, und uniformierte Helfer eilten geschäftig hin und her. »Hier hinein. In einem Edelschuppen wie diesem wird niemand nach vier Soldaten suchen. « »Hier sollen wir uns sowieso mit deinem Freund treffen«, sagte Penwyth. »Wenigstens können wir hier unserer liebsten Angie einen Drink spendieren.« Sie wurden langsamer, bemühten sich, angemessen arrogant zu wirken - was ihnen misslang -, und betraten das Shelbourne. Die Lobby war mit altmodischen wuchtigen Ledersesseln, dunklem Holz und Bildern von Menschen in roten Jacken, die vierbeinige Tiere im Sprung über Zäune trieben, ausstaffiert. »Und wo könnte jetzt die Bar sein?«, fragte sich Njangu. »Das ist ganz und gar nicht meine Gesellschaftsschicht«, sagte Ton Milot. »Lasst uns verschwinden. Ich stelle mich lieber den Bullen.« Ein Angestellter rümpfte die Nase, als er ihrer ansichtig wurde, dann änderte sich mit einem Mal sein Gesichtsausdruck. »Mister Penwyth! Ich wusste gar nicht, dass Sie in die Armee eingetreten sind!« »Ich habe es als meine patriotische Pflicht empfunden.« Eriks Antwort kam im hochnäsigsten Tonfall, zu dem er fähig war. »Aber natürlich! Es ist mir ein Vergnügen, Sie wieder166 zusehen. Haben Sie die Absicht, bei uns zu Abend zu essen?« »Meine Absichten«, sagte Erik, »sind derzeit bestenfalls nebulös. Eigentlich wollten wir uns hier mit einem Freund treffen. Einem gewissen Mister Jaansma.« »Natürlich, Sir«, sagte der Angestellte. »Er hat vor etwa einer Stunde eingecheckt. Ach, Sie müssen die Gesellschaft sein, die er erwartet. Ihre Zimmer warten schon auf Sie. Sechs Suiten mit Meerblick - es ist mir gelungen, Sie alle im neunten Stock unterzubringen -, ich wünschte, Mister Jaansma hätte mir gesagt, dass Sie zu seiner Gesellschaft gehören, Mister Penwyth. Wenn Sie sich vielleicht hier eintragen würden... und wie geht es Ihren Eltern?« »Sie verbringen die meiste Zeit draußen auf den Inseln«, sagte Erik. »Sie haben das Haupthaus in der Oberstadt geschlossen.« »Ach«, sagte der Angestellte und schob ein altertümliches Gästebuch zu ihnen hinüber. »Das erklärt, warum ich sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Es ist uns ein Vergnügen, Sie alle im Shelbourne willkommen zu heißen.« »Ich habe eure Sachen vom Freizeitzentrum herbringen lassen«, sagte Garvin, der es sich auf dem Bett gemütlich gemacht hatte. »Das verringert den Verschleiß.« »Du scheinst jemanden gefunden zu haben, der wirklich reich war«, sagte Angie. »Und dumm«, fügte Ton Milot hinzu. »Beides kann ich bestätigen«, sagte Garvin. »Jetzt geht und putzt euch die Zähne. In einer halben Stunde treffen wir uns in der Bar.« Njangu zögerte einen Moment. 167 »Du hast dir große Mühe gegeben, bei diesen Leuten Eindruck zu machen.« »Njangu, mein Freund, ich habe mir große Mühe gegeben, mich selbst zu beeindrucken, obwohl ich die Karten in der Hand hatte. Diese Idioten waren ganz wild darauf, mir das Geld bündelweise zu überlassen, fast so, als hätten sie gedacht, es wäre ein ehrliches Spiel. Nun ja, jetzt sollten wir einen angemessenen Urlaub verbringen können.« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Und ich habe eins gelernt. Ganz gleich, ob du arm oder reich bist, es ist immer nett, eine Menge Credits zu haben.« Njangu ging mit unbewegtem Gesicht durch sein Zimmer, während seine Gedanken in der Vergangenheit weilten. Er berührte die Vorhänge aus Rohseide, spielte mit den Sensoren der Komanlage, betrachtete die Anordnung der Flaschen in einer Vitrine, blickte aus dem Fenster auf das Meer, das ruhig in der Dämmerung lag. So etwas habe ich noch nie erlebt, dachte er. Ich hätte niemals gedacht, dass ich...
Ein leises Klopfen - kaum mehr als das Tippen von Fingernägeln - an der Tür. Njangu öffnete. Es war Angie mit ihrer kleinen Handtasche. »Bist du fertig? Können wir nach unten gehen?«, fragte sie. »Hmm«, sagte Njangu gleichmütig. »Ich habe Garvin gesagt, dass wir vielleicht etwas später kommen.« »Hmm-hmm?« »Ich weiß nicht, wie es dir geht«, sagte sie, »aber meine Lust ist größer als mein Durst.« »Hmm-hmm.« 168 »Wärst du daran interessiert, etwas dagegen zu unternehmen?« Sie stand in lässiger Haltung neben dem Bett, fuhr langsam mit dem Daumen über den Verschluss ihres Oberteils und ließ es zu Boden fallen. Darunter trug sie einen schwarzen Spitzen-BH, der nicht zur militärischen Standardausrüstung gehörte. Ihre Brustwarzen waren hart. Njangu zog sich aus, beobachtete, wie sie sich ihrer Schuhe, ihrer Hose, ihrer Socken und ihres Slips entledigte. Sie legte sich rücklings aufs Bett, stellte eine Ferse auf die Matratze und ließ das andere Bein herabhängen. »Kommst du?«, murmelte sie. Njangu ging zu ihr und beugte sich über sie. »Das ging ja schnell«, sagte sie ein paar Minuten später. »Tschuldigung«, sagte Yoshitaro. »Ist schon eine ganze Weile her.« »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, flüsterte sie. »Du bist immer noch bereit.« »Ich gebe mir Mühe«, sagte Njangu. »Warum legst du nicht einfach deine Beine um meinen Rücken? Dann schauen wir mal, was passiert.« Angie gehorchte, ihr feuchter Mund öffnete sich und suchte nach seinem. An diesem Abend schafften sie es nicht mehr in die Bar. »Du siehst ein wenig zerzaust aus«, sagte Erik gut gelaunt, als er am nächsten Morgen Kaffee einschenkte. Njangu gähnte, machte eine unanständige Geste, und Angie schürzte die Lippen. »Er dagegen«, fuhr Penwyth fort und zeigte auf Garvin, »sieht aus wie rohe Rattenscheiße.« 169 »Wenn du glaubst, dass ich äußerlich einen schlechten Eindruck mache, hast du keine Ahnung, wie es in mir aussieht«, sagte Garvin stöhnend. Ton Milot gluckste. »Wir haben an der Bar gesessen und gewartet...« »... und getrunken«, sagte Erik. »... und getrunken«, fuhr Ton fort, »und plötzlich war alles ausgetrunken.« »Ich habe mich einigermaßen am Riemen gerissen«, warf Garvin ein. »Zumindest eine Zeit lang.« »Das stimmt sogar«, bestätigte Erik. Njangu musterte Jaansma. »Was ist dann passiert? Bist du auf ein Rhinozeros getreten oder so?« »Da war eine Band«, versuchte Garvin den Sachverhalt zu erklären. »Mit einer Sängerin.« »Die auf blonde Kerle steht«, sagte Erik. »Marya ist berüchtigt für das, was sie mit Männern anstellt. Jene von uns, die zu den einfachen Sterblichen gehören, müssen mit dem vorlieb nehmen, was im Publikum verfügbar ist. Dem Himmel sei Dank.« »Was für mich verfügbar war, hat sich als nicht besonders nett erwiesen«, beklagte sich Milot. Garvin stöhnte. »Armer Junge«, sagte Angie und tätschelte seine Hand. »Mein Schw... mein Dings fühlt sich an, als wäre er in eine dieser altertümlichen Wäschemangeln geraten«, sagte Garvin. »Diese Frau hat ziemlich eigenartige Vorstellungen, was alles Spaß machen soll... Jungs, wir dürfen diese Bar nie wieder betreten! Sie hat damit gedroht, dass wir uns wieder sehen könnten! Noch eine derartige Nacht, und ich bin erledigt!« »Ts«, machte Penwyth. »Vergiss nicht die Party heute Nacht. Da müssen sich scharenweise hübsche junge De170 bütantinnen herumtreiben, die es gar nicht abwarten können, die Bekanntschaft eines gut bestückten Fremden mit Geld in der Tasche zu machen.« »Was für eine Party?«, erkundigte sich Garvin. »Richtig, wir haben bei all der Aufregung völlig vergessen, es ihm zu sagen. Eine ganz große Sache. Bei Bampur. Er ist nur unwesentlich reicher als der Schöpfer. Das wird auf jeden Fall spannend, denn entweder ist die Familie da, was bedeutet, dass alte Knacker versuchen werden, sich nackt mit jungen Talenten bekannt zu machen, oder die Bampurs haben sich auf ihre Insel zurückgezogen, was bedeutet, dass die Tochter einen draufmacht und jeder versuchen wird, sich nackt mit jedem bekannt zu machen.« Er schlug Garvin auf die Schulter. »Also schnall dich gut an, alter Junge. Das Beste kommt erst noch.« »Was soll ich tun?« Wieder stöhnte Garvin. »Du könntest etwas Wassersport treiben«, schlug Njangu vor. »Das hat Marya letzte Nacht auch gesagt«, erwiderte Jaansma. »Und ich habe es nicht getan. O Gott, wie sehr ich es nicht getan habe!«
»Hebt eure toten Ärsche und stellt euch auf die halbtoten Beine«, sagte Njangu. »Ihr braucht nur ein bisschen Bewegung, dann geht es wieder.« Garvin musste sich widerstrebend eingestehen, dass er vielleicht weiterleben würde, nachdem er sich eine Stunde lang von den hohen Wellen hatte herumschleudern lassen, die auf den manikürten Sand des Hotelstrandes schwappten. Er verließ die Brandung und ging zu den anderen, die im Sand lagen. 171 »Es reicht«, verkündete er. »Zeit für ein Bier... und dann für eine Runde Einkaufen.« »Wer hat dich eigentlich zum Chef dieser hämischen Truppe befördert?«, wollte Angie wissen. »Ich zahle«, erklärte er, »also zieht ihr alle mit.« »Und was willst du kaufen?«, fragte Milot. »Kleidung, die nicht nach Uniform aussieht«, sagte Garvin. »Was hast du gegen Uniformen?«, fragte Milot. »Darin sieht man wie ein Soldat aus«, erklärte Jaansma. »Und was hast du dagegen, wie ein Soldat auszusehen?« »Junge, Junge!«, sagte Njangu. »Allmählich verstehe ich, warum er gerne als Fischer arbeitet. Weil er die intellektuelle Herausforderung mag, die Wasserlebewesen so bieten. Los jetzt!« Ton Milot trank Bier und warf einen Blick zu Njangu und Garvin. »Ich hätte da eine Frage an euch beide.« »Nur zu«, sagte Garvin. »Klar. Wir sind bessere Lügner als alle anderen«, sagte Njangu. »Da ihr von anderen Planeten stammt und es aussieht, als würde in nächster Zeit niemand in die Konföderation zurückkehren können... werdet ihr bei der Armee bleiben und Karriere machen?« »Besorg's dir selber!« »Die Frage war ernst gemeint«, sagte Milot. »Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, was mit dem Rest von uns geschehen wird. Erik wird wieder in sein Leben als Reicher zurückkehren und ein paar Stunden pro 172 Woche in der Handelsgesellschaft seines Vaters arbeiten. Angie... nun, bevor sie mir gestern den Arsch aufgerissen hat, dachte ich, sie würde ihren Dienst ableisten, den Hut nehmen und vielleicht einen der Läden ihrer Familie übernehmen.« »Ton«, sagte Angie. »Tut mir Leid. Es war nicht richtig von mir...« »Mach dir nichts draus«, sagte Milot. »Ich weiß, dass ich dazu neige, in Fettnäpfchen zu treten. Ich jedenfalls werde den Dienst quittieren, mich fragen, warum ich mich jemals freiwillig gemeldet habe, auf einem Boot anheuern und hoffentlich genug verdienen, um mir irgendwann ein eigenes leisten zu können. Aber was ist mit euch beiden? Von dir, Njangu, hatte ich den Eindruck, du würdest deine Zeit absitzen und dann dorthin zurückgehen, woher du gekommen bist...« »Falsch«, sagte Yoshitaro. »Wenn ich zurückgehe, wartet ein Richter auf mich, der sich gerne mit mir aussprechen würde. Mein Exil ist lebenslänglich.« »Okay.« Milot ließ nicht locker. »Was wirst du also tun?« »Keine Ahnung«, sagte Njangu und starrte in sein Bier. »Aussteigen, das steht fest. Was immer uns von der Konföderation abgeschnitten hat, wird nicht ewig dauern. Vielleicht gehe ich irgendwohin, wo es so etwas wie eine Zivilisation gibt. Vielleicht gefällt es mir ja sogar auf Centrum.« »Da fällt mir doch glatt auch eine Frage ein«, sagte Penwyth. »Gestern, als wir Ärger mit den Neandertalern hatten, die dem 'Rauhm an den Kragen wollten, ist mir aufgefallen, dass du auf sehr professionelle Weise reagiert hast.« »Ich habe immer gut aufgepasst, wenn es darum ging, 173 wie man sich in Konfliktsituationen verhalten sollte«, sagte Njangu. »Das würde ich mal als absoluten Quatsch bezeichnen«, sagte Erik. »Mir hat niemand beigebracht, wie man jemandem einen Fußtritt gegen den Kopf versetzt, ganz zu schweigen von zwei Tritten unmittelbar nacheinander. Mir scheint, dass du sehr viel praktische Erfahrung damit hast, wie man anderen möglichst wirksam Schaden zufügt.« »Ich doch nicht!«, sagte Njangu. »Ich bin ein kleines friedliches Lamm.« Er wechselte gezielt das Thema. »Ist es nicht interessant, dass wir hier rumsitzen und von der nährenden Mutterbrust des Imperiums abgeschnitten sind, und niemand scheint auf die Idee zu kommen, in blinde Panik auszubrechen? So läuft es jedenfalls in den Holos - da würden jetzt alle kreischend durcheinander rennen und .Katastrophe, Katastrophe!' schreien.« »Große Ereignisse brauchen einige Zeit, bis sie sich überall bemerkbar machen«, sagte Garvin. »Früher oder später werden wir es zu spüren bekommen, wenn wir keinen Pfeffer von der Erde mehr bekommen oder Großmutters Weihnachtsgeld nicht mehr eintrifft. Gott sei Dank wird auf Cumbre eigenes Bier gebraut.« Er trank sein Glas etwa zur Hälfte aus und bestellte ein neues. »Wenn ich so darüber nachdenke... was passiert eigentlich, wenn wir auf anderen Welten Probleme lösen müssen? Zum Beispiel in den Minen von C-Cumbre, die meines Wissens sogar zu unserem Terrain gehören. Als
bewährter Schütze eines Grierson würde ich sagen, dass es ein langer und beengter Flug werden dürfte, wenn wir mit mehreren Angriffsteams anrücken.« »Die Armee hat bereits zivile Frachtschiffe für solche 174 Zwecke gechartert«, sagte Erik. »Mein Vater scheffelt eimerweise Geld damit, dass er für die Regierung mehrere Schiffe bereithält.« Damit wollte Garvin sich noch nicht zufrieden geben. »Gut, das gilt für relativ einfache Einsätze. Aber was ist, wenn es um interstellare Aktionen geht? Wenn jemand wie Caud Williams oder Generalgouverneur Dickkopf T Haemer beschließt, dass wir uns auf die Suche nach diesen Weltraumpiraten machen sollen, die sich zufällig auf Larix und Kura häuslich eingerichtet haben? Wo ist die Rückendeckung der Konföderation, die uns hinschafft und uns bei der Landung Feuerschutz gibt?« Er blickte sich am Tisch um. Nur Njangu schien am Thema interessiert zu sein. Angie gähnte ostentativ. »Du bist hinreißend, Garvin. Trink noch ein Bier.« »Irgendwer wird sich zweifellos etwas ausdenken, wenn das passiert«, sagte Erik unbestimmt. »Außerdem sind wir nur Kanonenfutter. Es ist nicht unser Job, uns Gedanken zu machen.« »Aber... ach, was soll's!«, sagte Garvin und befolgte Angies Ratschlag. »Kommen wir noch einmal auf meine erste Frage zurück«, sagte Ton. »Was ist mit dir, Garvin? Was machst du, wenn du deine Entlassungsurkunde bekommst?« »Mein Schicksal lässt sich leicht vorhersagen«, sagte Jaansma und nahm eine stolze Pose ein. »Ich werde zurückkehren und meine rechtmäßige Stellung als Thronerbe des Kontinents Frankreich auf der Erde in Anspruch nehmen, wo ich die Frauen reihenweise flachlegen werde!« »Klar doch!«, sagte Milot. »Aber ich habe es ernst gemeint. « 175 »Ich auch«, sagte Garvin. »Aber mir will ja niemand glauben. Wie wäre es also damit: Ich suche mir einen heruntergewirtschafteten Zirkus, kaufe ihn, und bringe den Laden wieder in Schwung. Dann präsentiere ich den Leuten auf den Hinterwäldlerplaneten die größte Show, die sie jemals gesehen haben.« Njangu wollte losprusten, doch dann bemerkte er Garvins Gesichtsausdruck. »Zirkus?«, sagte er, bevor irgendjemand einen dummen Spruch ablassen konnte. »Klingt so verrückt, dass es schon wieder gut ist.« »Richtig«, sagte Jaansma, der es offenbar wirklich ernst meinte. »Genug von diesem Unsinn«, sagte Njangu, stand auf und kramte in der Tasche nach Geld. »Lasst uns losziehen und uns ein bisschen ausstaffieren.« Keiner der fünf, die albernd und lachend die Strandpromenade entlang schlenderten, bemerkte den Mann, der ihnen unauffällig folgte. »Nun?«, sagte Angie. »Nun«, erwiderte Ton Milot skeptisch. »Ich sehe nicht wie ein Fischer aus... aber auch nicht wie ein Soldat!« »Genau das, was wir wollten«, sagte Garvin. »Du trittst als reicher Müßiggänger auf - vorausgesetzt, Erik hat uns gut beraten, was die Mode in der Hauptstadt betrifft.« Alle fünf trugen Zivilistensandalen. Angie ging in einem kurzen bunten Kleid aus einem seidenartigen Material, das in Hellrot, Orange und Pink irisierte. Die Männer trugen weite graue Hosen und hell gefärbte Hemden in unterschiedlichen Stilen. Garvin hatte sich für einen gewagten Schlapphut entschieden. 176 »Und was jetzt?« Njangu sah auf die Uhr. »Kurz vor drei... vielleicht sollten wir zurück zum Strand, dann essen wir etwas und machen ein Nickerchen, bis die Party beginnt, wo wir nicht vor Mitternacht aufkreuzen sollen.« »Ich habe noch mal darüber nachgedacht«, sagte Milot. »Nimm's mir nicht übel, Erik, aber ich möchte dort nicht über meine eigenen Füße stolpern.« »Keine Sorge«, sagte Penwyth. »Da treffen sich nur ein paar Leute, die relaxen wollen. Es ist kein grausam formelles Bankett.« »Aber es sind nur reiche Leute da«, sagte Milot. »Nicht nur. Einige sind einfach nur hübsch und willig,« »Das ist nicht mein Ding«, sagte Ton. »Wenn es euch nicht stört, würde ich lieber aussteigen.« Er sah sich verlegen um. »Ich würde mir lieber anschauen, was meine Familie so treibt.« »Ich sehe es genauso wie du«, sagte Angie. »Ich würde wahrscheinlich etwas total Blödes machen. Wenn irgendein Arschloch eine Bemerkung loslässt, würde ich ihm eine scheuern. Möchtest du Gesellschaft, Ton?« Milot wirkte überrascht, doch dann nickte er. »Es ist ein kleines Dorf auf der anderen Seite der Halbinsel.« »Issus?« »Ja«, sagte Milot. »Du kennst es?« »Meine Mutter hat mich als Kind einmal dorthin mitgenommen«, sagte Angie in wehmütigem Tonfall. »Ich glaube, es waren drei Tage. Sie hatte irgendwelchen Ärger mit meinem Vater. Ich erinnere mich noch, wie wir in dieser kleinen Hütte gewohnt haben. Wir haben viel Fisch gegessen, und niemand hat uns gestört. Es hat mir Spaß gemacht. Ich dachte, es war genauso, wie es in den 177
alten Zeiten gewesen sein muss, bevor... nun, bevor alles aus dem Ruder gelaufen ist.« »Dort hat sich gar nicht viel verändert«, sagte Milot. »Komm mit. Du bist herzlich eingeladen.« Angie warf Njangu einen Blick zu. »Tut mir Leid, Kleiner.« »Weswegen? Weil du mich nicht eingeladen hast?« »Ich dachte...« »Siehst du?«, sagte Yoshitaro. »Das Denken ist dein Problem. Du bist nur Gefreite, und du versuchst Gedanken der Version 2.0 mit einem Gehirn der Version 1.0 zu denken. Ich liebe das Landleben, und da Milot das Taktgefühl einer Kröte besitzt, lade ich mich selbst zum Angeln ein, okay?« Garvin sah Penwyth mit gerümpfter Nase an. »Was soll der Scheiß? Plötzlich lässt mich mein bester Kamerad im Stich?« »Das stört mich nicht im Geringsten«, sagte Erik. »Niemand sollte etwas tun, wozu er keine Neigung verspürt. « Garvin kramte in seinen Taschen. »Hier sind zweihundert... dreihundert für jeden, Kinder. Gebt nicht alles auf einmal aus.« »Danke, Papa«, sagte Njangu. »Mir musst du nicht danken«, sagte Garvin frömmlerisch. »Es ist nur zu eurem Besten — und zu meinem — wenn ich nicht zu viele Leute um mich habe, die mir einen stilvollen Auftritt verderben würden.« Der unauffällige Mann folgte ihnen, als sie zum Hotel zurückgingen. Dann drückte er sich in eine Nische und zog ein kleines Kom hervor. Er tippte Zahlen ein. Es klickte, und eine Frauenstimme sagte: »Bericht!« 178 Der Mann tippte weitere Zahlen ein, um die Nachricht zu verschlüsseln. »Sie tragen jetzt Zivilkleidung«, sagte er und beschrieb das Aussehen der fünf. »Ich habe keinen Versuch unternommen, mit ihnen zu kommunizieren. In der Bar habe ich versucht, in ihre Nähe zu gelangen, aber ich konnte nur verstehen, dass sie über die Armee sprachen. Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber sie haben sich über militärische Angelegenheiten unterhalten, von denen ein durchschnittlicher Soldat meiner Ansicht nach nichts wissen dürfte.« »Hat es irgendeinen Hinweis gegeben, was sie mit der sorgsam geplanten Rettung unseres Kindes bezwecken wollten?«, fragte die Frauenstimme. »Negativ«, sagte der Mann. »Setz die Beschattung fort, aber unterlasse jede andere Maßnahme«, ordnete die Stimme aus dem Kom an. »Verstanden.« Ton Milot hatte hartnäckig darauf bestanden, wieder seine Uniform anzuziehen, bevor sie die Bahn über die Berge nahmen. »Zwanzig Prozent Rabatt für jeden in Uniform«, sagte er. »Und die Bande wird schwer enttäuscht sein, wenn ich nicht schick aussehe.« »Wenn sie auf perfektes Aussehen Wert legen«, sagte Angie, »sollten wir dich vorher noch zu einem Schönheitschirurgen schleppen.« Aber sie und Njangu waren seinem Beispiel gefolgt. »Wir haben noch eine halbe Stunde, bevor die Kapsel geht«, sagte Milot. »Ich habe meine Familie angerufen und uns angekündigt.« 179 »Gut«, sagte Njangu geistesabwesend, während er ein Schaufenster betrachtete. »Von seinem eigenen Spiegelbild fasziniert«, sagte Angie. »Das geht in Ordnung, weil er wirklich gut aussieht. « Sie drückte seinen Arm. »Nicht umdrehen«, sagte Njangu, »aber seht euch mal unser Spiegelbild im übernächsten Fenster an.« »Ich sehe drei ausgesprochen hübsche Exemplare der Gattung Mensch«, sagte Milot. »Die von einem weiteren Exemplar derselben beschattet werden«, sagte Njangu. »Seht ihr den kleinen Kerl da drüben... nein, nicht umdrehen, verdammt!« »Wirkt völlig unscheinbar«, sagte Milot. »Das tun alle guten Beschatter«, sagte Njangu. »Du bist paranoid.« »Er ist uns um die letzten zwei Ecken gefolgt. Ja, ich bin paranoid.« »Warum sollten wir uns Sorgen machen? Wir haben nichts zu verbergen«, sagte Milot. »Ich schon. Immer«, sagte Njangu. »Was machen wir? Ihm eine Abreibung verpassen?«, fragte Angie. »Wenn er ein Bulle ist, kriegen wir ziemlichen Ärger.« »Nein. Wir biegen hier rechts ab und gehen weiter.« Sie gehorchten ihm. »Dann betreten wir den Laden da drüben und verlassen ihn durch den Hintereingang. Los jetzt! Lauft!« Die drei flitzten um die nächste Ecke. Kurz darauf tauchte der unauffällige Mann auf, blickte sich um, brummte etwas, trat in einen Hauseingang und wählte eine Ziffernfolge auf seinem Kom. Als die Verbindung hergestellt wurde, sagte er: »Drei-eins-eins-fünf.« »Ich höre«, sagte die Frauenstimme. 180 »Ich weiß immer noch nicht, was sie vorhaben«, meldete der Mann. »Aber sie haben mich sehr geschickt
abgeschüttelt.« »Sind es Profis?« »Scheint so.« »Geh zum Hotel zurück«, wies die Stimme an. »Da sind immer noch zwei. Tu dich mit Lompa zusammen, und diesmal lasst ihr euch nicht abschütteln!« »Es wird keine weiteren Überraschungen geben«, sagte der Mann grimmig. 16 Die silbernen Gleise der Einschienenbahn wanden sich durch die Stadt, ausgehend von einem hangarähnlichen Steingebäude, das das Zentrum des Spinnennetzes bildete. Die Kapsel nach Issus glitt aus dem Dach der Station und folgte der aufsteigenden Schiene. Njangu sah die weiten Rasenflächen rund um den Sitz der Planetaren Regierung, dann Eckmuhl, das abgeschirmte Viertel der 'Rauhm mit den heruntergekommenen hohen Wohnhäusern, die sich aneinander drängten, als würden sie gleich in die schmalen, verwinkelten Straßen stürzen. Die Bahn stieg auf vernickelten Pylonen zur Oberstadt auf und passierte die Enklave der Reichen am Fuß der Klippen. Angie plapperte schwärmend von den großen Anwesen und wunderschönen Gärten. Njangu fragte sich in einem stillen Moment, warum sie nicht zur Party gehen wollte, die irgendwo da unten stattfand, wenn sie so sehr von diesem Luxus fasziniert war. 181 Dann kehrten seine Gedanken zu ihrem Verfolger zurück. Wer ist er? Ein Freund der Idioten, denen wir es heimgezahlt haben? Unwahrscheinlich. Wenn sie herausfinden konnten, wo sich Njangu und Co. einquartiert haben, hätten sie zwanzig weitere Schläger organisieren und uns in einer Gasse auflauern können. Aber warum beschatten sie uns nur? Sind sie von der Polizei? Warum sollten sie an uns interessiert sein, nur weil wir ein paar Hafentrotteln die Körperstruktur zurechtgebogen haben? Militärischer Geheimdienst? Njangu wusste es nicht, aber er ging davon aus, dass die Armee Spione beschäftigte. Doch er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, zumindest nicht auf dieser Welt. Vielleicht die anderen? Ton Milot? Weil er ohne Lizenz gefischt hat? Angie Rada? Weil sie einen übermäßig ausgeprägten Sexualtrieb hat? Blödsinn! Wer käme sonst noch in Frage? Eigentlich... niemand. Zumindest fällt mir nichts mehr ein. Njangu ließ die Frage noch einmal durch seine Gehirnwindungen rauschen, dann hakte er die Angelegenheit ab und blickte auf üppige Dschungel hinunter. Er überlegte, was sich unter dem Blätterdach verbergen mochte, erkannte, dass er es bestimmt schon bald erfahren würde, entweder bei einem Manöver, oder wenn die Aufklärer tatsächlich Patrouillen losschickten, um dem Treiben der Banditen auf die Spur zu kommen. Njangu lehnte sich zurück, und Angie legte den Kopf auf seine Schulter. Das brachte ihn auf eine weitere Frage. Warum waren sie nicht einfach in ihrem Hotelzimmer geblieben, wenn sie nicht zur Party von Eriks Freund gehen wollten? Angie war als Zeitvertreib zweifellos interessant genug. Das wäre eine dritte Option ge182 wesen. Warum hatte sie nichts dergleichen vorgeschlagen? Dachte sie vielleicht, Njangu wäre nicht interessiert? Warum hatte er keinen entsprechenden Vorschlag gemacht? Sex war auf alle Fälle besser als Angeln. Ach ja, dachte er. Niemand ist dümmer als ein Soldat. Ganz gleich welchen Geschlechts. »Große Götter!«, rief Njangu und trat näher an Ton Milot heran. »Hast du ihnen gesagt, du wärst zum Kommandanten der Flotte oder etwas Ähnlichem befördert worden?« »Wir sind hier ziemlich patriotisch«, rief Milot zurück, während die Kapelle einen weiteren leicht dissonanten, aber mit Begeisterung vorgetragenen Marsch anstimmte. Ein sehr hübsches Mädchen mit brauner Lockenmähne, etwa zwei Jahre jünger als Milot, klammerte sich wie eine Napfschnecke an die Taille des Soldaten. Sie war ihnen als Lupul vorgestellt worden. »Ist das nicht schon wieder die Nationalhymne?«, fragte Angie. »Ich glaube ja«, sagte Njangu. »Also sollten wir lieber aufstehen.« Sie taten es und schwankten nur ganz leicht. Issus lag an einer fast völlig eingeschlossenen Bucht, oberhalb einer niedrigen Steilküste, die sich etwa zwanzig Meter über dem Wasser und dem Hafen erhob. Die Häuser waren keineswegs die »Hütten«, an die Angie sich erinnerte, sondern einfache Holzbauten mit spitzen Dächern. Das Stadtzentrum war ein Rasenplatz, an den Geschäfte, der Bahnhof und das Rathaus angrenzten. Njangu vermutete, dass es typisch für D-Cumbre war, im Stadtzentrum einen Park anzulegen, und fand es eine nette Idee. 183 Es schien, als hätten sich sämtliche gut zweitausend Dorfbewohner auf dem Platz versammelt, um ihren erfolgreichen Sohn zu bejubeln. »Ja«, stimmte Njangu zu. »Patriotisch. Reich den Krug rüber.« »Lieber nicht«, warnte Ton. »Warum nicht? Hier sind alle viel betrunkener als wir.« »Das schon«, sagte Ton. »Aber sie gehen nicht fischen. Im Gegensatz zu uns.« »Was soll dieser Mr-Mist?«, fragte Angie und schnappte sich eine herumgereichte Flasche. Sie schnupperte genüsslich am klaren, leicht ölig schmeckenden einheimischen Destillat. »Hast du einen kleinen Mann im Ohr?« »Du musst nicht mitkommen«, sagte Milot. »Falls du die alte Ausrede bringen willst, dass Frauen zu schwach und hilflos für sowas sind.«
»Aha«, sagte Angie. »Ich bin nicht blöd. Wasser ist gut, wenn man es in eine Badewanne laufen lässt, aber da draußen gibt es für meinen Geschmack viel zu viel davon. Ihr großen tapferen Männer könnt euch gerne allein auf das raue Meer hinauswagen.« Sie zwinkerte. »Ich werde hier bleiben und mich vor Sorge um euch besaufen.« »Könnte ich mich vielleicht mit derselben Ausrede ausklinken?«, versuchte es Njangu. »Keine Chance«, erwiderte Milot. »Ich muss beweisen, dass ich meine Wurzeln nicht vergessen habe, und ihr müsst beweisen, dass ihr der Ehre würdig seid, mit der Issus euch überschüttet. Zuerst gehen wir fischen, dann kommen wir zurück, und dann gibt es eine große Feier.« 184 »Wie würdest du das hier bezeichnen?«, fragte Njangu und zeigte auf die Menge. »Als Aufwärmphase«, sagte Milot. »Was wollen wir überhaupt fischen? Es wird schon dunkel.« »Wir haben es auf Barracos abgesehen«, sagte Milot. »Große, gemeine Biester. Die Räuber wiegen... achtzig Kilo oder so. Wir werden sie harpunieren.« »Sind sie essbar?« »Sie sind das Beste, was das Meer zu bieten hat.« »Was denken sie über uns?« »Dass wir das Beste sind, was das Land zu bieten hat.« »Warum suchen wir uns nicht etwas Kleineres... und vielleicht Ungefährlicheres?«, schlug Njangu vor. »Keine Angst«, sagte Milot. »Ich werde derjenige mit der Harpune sein.« »Was soll ich dabei machen? Deinen Hut festhalten?« »Nein. Du wirst der Köder sein.« Milot hatte es ernst gemeint. Njangu Yoshitaro hing unsicher über der Reling und bewegte vorsichtig eine Laterne hin und her, während der Gleiter langsam über dem stillen, phosphoreszierenden Meer schwebte. Ton Milot stand neben ihm und hielt einen langen, mit Widerhaken versehenen Speer, der über ein Seil mit Schwimmkörpern verbunden war, in der Hand. Alei, Milots Bruder, hatte die Kontrollen des Gleiters übernommen. Keiner der Soldaten trug seine Uniform, sondern nur ein Trikot und lädierte Shorts. In der Umgebung waren zwölf weitere Fischerboote unterwegs. Ihre Laternen warfen glitzernde Linien auf 185 das Wasser. Hinter ihnen waren die Lichter von Issus zu erkennen. »Mehr Bewegung«, warnte Ton. »Du musst dich verhalten, als wärst du ein verängstigter Vogel, der mit einer Lampe am Hintern in der Gegend rumfliegt.« »Warum?«, fragte Njangu. »Ich bin völlig damit zufrieden, wenn der Fisch da unten bleibt.« »Willst du heute kein Abendessen?« »Klar doch«, sagte Yoshitaro. »Eine nette, saftige Frucht würde mir völlig...« Er zuckte zusammen, als ein schlanker silberner Pfeil mit schimmernden Zähnen aus dem Wasser auf ihn zuschoss. »Scheiße!«, schrie Njangu, während Milot den Speer ins Maul des Monstrums rammte. Er wurde aus dem Gleichgewicht gebracht, versuchte sich an der Reling festzuhalten und ging über Bord. Als er ins Wasser schlug, landete etwas auf ihm, das sich kalt, glatt und lebensgefährlich anfühlte. Er strampelte hektisch, und der Barraco traf ihn mit der Schwanzflosse. Dann war er verschwunden. Njangu tauchte mit kräftigen Schwimmzügen unter, bis ihm die Luft knapp wurde und er sich zurück zur Oberfläche bewegte. Der Gleiter war etwa fünf Meter entfernt, und zwischen Njangu und dem Fahrzeug wand sich der Barraco im Todeskampf. Milot und sein Bruder hielten sich am Sicherheitskäfig des Gleiters fest und lachten schallend. »Könntet ihr zwei Idioten mich hier endlich rausholen?«, rief Njangu. »Vielleicht hat dieser Hurensohn eine große Mutter.« »Klar doch, klar doch«, rief Alei. »Vielleicht hat er sogar einen großen Bruder. Dann sollten wir dich im Was186 ser lassen, bis der auch kommt! Du bist der beste Köder, den wir jemals hatten.« »Ich werde irgendwen umbringen«, versprach Njangu. Er trat Wasser und wagte es nicht, in die dunkle Tiefe zu blicken, die sich unter ihm erstreckte. »Und es ist mir ziemlich egal, wen ich in die Finger kriege!« »Verdammt!«, sagte Garvin und musterte die lange Reihe schlanker Fahrzeuge. »Ich wusste gar nicht, dass es im ganzen Cumbre-System so viel Geld gibt.« »Mich wundert es nicht«, sagte Erik. »Bergwerke sind pures Gold, auch wenn darin kein pures Gold abgebaut wird.« »Da wäre noch etwas, über das wir bisher noch gar nicht gesprochen haben«, sagte Garvin, während sie auf das Tor des Anwesens zuschlenderten. »Wenn wir von der Konföderation abgeschnitten sind, wer wird dann die Mineralien kaufen? Bewegt sich dieses ganze Reichtum-und-Wohlstand-Getue nicht auf ziemlich dünnem Eis?« »Cumbre nutzt sehr viel von dem, was gefördert wird, selbst«, sagte Erik. »Und die Musth kaufen alles, was aus den Minen kommt, um es zu ihren Welten zu schaffen. Es ist ihnen schnurz, ob es von ihren eigenen Leuten oder den 'Rauhm geschürft wurde. Es ist eine sichere Quelle des Reichtums, mein Freund. Wir werden schon
zurechtkommen.« »Guten Abend, Mister Penwyth«, sagte eine junge Frau in der Uniform eines privaten Sicherheitsdiensts. Erik nickte, und sie stiegen die breiten Stufen hinauf. »Die Bampurs haben wirklich Geld«, stimmte Garvin zu. »Keine stinkenden Wachroboter. Und es ist nett, mit jemandem zu kommen, den man hier kennt.« 187 »Wie, Automation?« Erik tat entsetzt. »Solange es immer einen asozialen Verlierer oder einen 'Rauhm gibt, den man einstellen kann? Wenn wir von der Elite anfangen würden, Roboter zu benutzen, wer könnte uns dann bestehlen oder erpressen, wenn man uns im Bett mit jemandem erwischt, mit dem wir nicht ins Bett gehen sollten?« »Vorsichtig, Gefreiter«, sagte Garvin. »Du klingst wie ein Revolutionär.« Sie gingen durch die Säulenhalle des Herrenhauses der Bampurs. Garvin dachte, er wäre immer noch draußen und die Säulen links und rechts von ihm würden frei stehen, doch dann erkannte er, dass sie ein langes, gewölbtes Dach stützten, das exakt den Farbton des Himmels wiedergab. »Sehr clever«, sagte Erik. »Bei Tageslicht sieht es wie am Tag aus, und in der Nacht... nun, das siehst du ja selbst.« »Warum haben die Bampur sich diese Mühe gemacht?« »Schätze, sie mögen keinen Regen«, vermutete Erik. »Außerdem sind die Zinser - die ganz Reichen - ganz anders als du und ich, falls es dir gerade entfallen sein sollte.« »Ich dachte, du bist reich.« »Nicht so reich.« »Und inwiefern sind sie anders?«, fragte Garvin. »Ich hatte bisher nur selten Gelegenheit, mich unter ganz Reichen aufzuhalten.« Erik beugte sich näher an ihn heran und flüsterte: »Sie denken sich immer idiotischere Möglichkeiten aus, ihre Credits loszuwerden.« Der Säulengang führte einen leichten Abhang hinun188 ter zu einem See mit einer Insel, auf der das Herrenhaus stand. Ein überdachter Damm führte zum Haus. Ein Mann kam ihnen mit kraulenden Armbewegungen entgegen. »Ich bin ein Fisch«, erklärte er. »Und ich kraule... hicks... stromaufwärts.« »Sind wir vielleicht etwas zu spät gekommen?«, fragte Garvin. »Nein. Wenn wir zu spät dran wären, würde sich der gute alte Raenssler gar nicht mehr bewegen können.« »Ich verstehe. Hübsches Grundstück.« »Wenn die Bampurs sich Abgeschiedenheit wünschen«, sagte Erik, »rollen sie den Teppich zusammen, und dann musst du ein Boot rufen, um übersetzen zu können.« »Ebenfalls sehr clever, schätze ich.« »Finde ich auch. Ah!«, rief Erik. »Ich wusste, dass Jasith uns nicht in die Irre führen würde. Hör zu. Die Band klingt schon recht betrunken, also scheint die Party allmählich in die Gänge zu kommen.« Garvin horchte und nickte. »Niemand könnte nüchtern so spielen.« Sie betraten den zentralen Raum des Anwesens. Er war riesig, auf allen Seiten offen und mit einer zwanzig Meter hohen Kuppel überdacht. Es gab große Sturmvorhänge, die hochgezogen waren, aber bei schlechtem Wetter heruntergelassen werden konnten. Korridore zweigten hier und dort ab und führten zu anderen Teilen des Hauses. Die Party war ein Durcheinander aus Menschen, von denen einige tanzten, einige tranken und einige beides taten, sowohl gut als auch schlecht. Hier saß ein Mann, der bitterlich schluchzend auf ein Holo mit Balletttän189 zerinnen starrte, dort lehnte sich ein anderer gegen die lebensgroße Bronzestatue einer Meerjungfrau und flüsterte ihr seine Lebensgeschichte ins mitfühlende Ohr. Garvin bemühte sich, den Eindruck eines Kosmopoliten zu machen, was sich jedoch als schwierig erwies. Im Raum waren nicht nur vier Bars verteilt, sondern jede war zudem mit vier Barkeepern besetzt. Menschlichen Barkeepern. Noch exotischer waren die menschlichen Servierer in den weißen Jacken, von denen es hier über zwanzig gab. Die Bampurs hatten wirklich sehr viel Geld! Er fragte sich wehmütig, ob es eine Möglichkeit gab, einen Teil davon in die Finger zu kriegen, doch als er die dunkeläugige zierliche Frau sah, die auf Erik zugeschossen kam, vergaß er diesen Gedanken wieder. Jasith Mellusin war recht... außergewöhnlich gekleidet - in ein schwarzes, maßgeschneidertes, bodenlanges, asymmetrisches Gewand, das durch das Fehlen jeglicher Seitenteile noch unanständiger wirkte. Das Kleid wurde von silbernen, fünf Zentimeter großen Clips zwischen Schenkel und Achselhöhle gehalten. Darunter trug sie offensichtlich nichts. »Du hast mich nicht vergessen!« Erik küsste sie. »Wie könnte ich, Jasith? Und ich bin pünktlich gekommen, wie du es mir gesagt hast. Habe ich irgendetwas verpasst?« »Zwei oder drei Schlägereien... einige Leute sind schwimmen gegangen... außerdem hat es einen Heiratsantrag
gegeben... und drei aufgelöste Verlobungen. Bisher war nicht viel los.« »Was könnten wir tun, um ein bisschen Leben in die Bude zu bringen?«, fragte Erik. »Ach, übrigens, das hier ist mein Mitstreiter für die Freiheit. Jasith Mellusin, Garvin Jaansma.« 190 Jasith musterte den großen blonden jungen Mann. »Bist du in Begleitung?« »Ich bin mit ihm gekommen«, sagte Garvin und zeigte auf Erik. »Aber er ist nicht besonders witzig. Er ist der Anführer.« »Erik, ich glaube, du hast mir bereits den Abend verschönert«, sagte Jasith in ihrem kehligen Fast-Flüster-ton. Sie hakte sich bei Garvin ein. »Tanzt du?« »Wie ein Engel«, versicherte Garvin ihr. »Was ist ein Engel?« Garvin grinste unverschämt. »Ich glaube, wir beide werden sehr, sehr gut miteinander auskommen.« Er verbeugte sich vor Erik. »Danke für die Einführung, Kumpel. Ich glaube, wir werden uns ein wenig umsehen.« Er führte Jasith zur Mitte der Tanzfläche, breitete die Arme aus, als die zwei Bands in außergewöhnlich schräger Unstimmigkeit ein neues Stück begannen. »Oh«, sagte Jasith enttäuscht. »Das ist dieser neue Tanz... andererseits dürfte er für dich alles andere als neu sein; schließlich ist er vor ein paar Jahren von Centrum gekommen und dürfte dort längst ein alter Hut sein. Auf jeden Fall kenne ich die Schritte noch nicht.« Garvin überlegte, ob er Jasith die Wahrheit über seinen umfassenden Einblick in den Unterhaltungsgeschmack der Hauptwelt verraten sollte, wo er drei Wochen im Rekrutenlager hauptsächlich mit dem Reinigen von Badezimmern verbracht hatte. Doch dann beschloss er, dass er dieser Frau nicht ihre tiefsten Glaubensgrundsätze rauben wollte. Er wollte sie bereits fragen, ob er ihr etwas zu trinken holen sollte, als er endlich den Grundrhythmus des Stückes erkannte. »Ach so!«, sagte er. »Ist doch ganz einfach. Ich zeige es dir.« Er zog sie auf die Tanzfläche zurück. »Ganz lo191 cker bleiben«, erklärte er. »Lass etwa fünf oder sechs Zentimeter Platz zwischen uns, halt die Hand hoch, ungefähr so, ich lege eine Hand um deine Taille, dann einen Schritt zur Seite, zur Seite, zurück, zurück, zur Seite, zur Seite, und so weiter. Jeden zehnten Takt drücke ich gegen deine Hüfte, und dann drehst du dich, nimmst meine Hand als Angelpunkt... so ist es richtig. Dann drehst du dich zurück... na bitte, du hast es schon verstanden!« Jasith konzentrierte sich eine Weile auf ihre Bewegungen, die rosa Zunge zwischen die Zähne geklemmt, dann blickte sie zu Garvin auf. »Du bist ein sehr guter Tänzer. Wo hast du das gelernt?« Garvin lächelte ironisch, als er sich an einen attraktiven Mann und eine atemberaubende Frau erinnerte, die sich altmodisch-förmlich gekleidet im Scheinwerferlicht in einer Arena drehten, während ihnen Hunderte von Menschen zujubelten. »Im Zirkus«, sagte er. Dann kam eine andere Erinnerung - ein altertümliches geteertes Zelt, das in Flammen stand, dazu Schreie, das Sirenengeheul von Feuerwehrgleitern und ein kleiner Junge, der in der Asche hockte und um die Welt weinte, die soeben um ihn herum gestorben war. Er verdrängte den Gedanken. Jasith lachte. »Klar, im Zirkus. Und du warst der - wie sagt man? -der Zirkuspräsident?« »Zirkusdirektor. Aber das war viel später.« »Ach, hör auf!«, sagte sie. »So blöd bin ich nicht! Du bist gar nicht alt genug, um so etwas gemacht haben zu können.« »Wenn du es sagst«, erwiderte Garvin. »Ich sehe we192 sentlich älter aus, wenn ich mir das Haar schwarz färbe, mir einen Schnurrbart anmale und einen Zylinder aufsetze.« »Schluss jetzt! Du weißt, dass ich dir das niemals abkaufen werde. Also, was ist der neueste Tanz auf Centrum?« »Er ist sehr interessant«, sagte Garvin. »Zuerst werden einem die Arme an den Handgelenken zusammengebunden, sowohl den Männern als auch den Frauen. Dann legt man die Arme um den Hals des oder der anderen.« »Das klingt romantisch«, schwärmte Jasith. »O ja, das ist es tatsächlich«, pflichtete Garvin ihr bei. »Wenn die Musik beginnt, hüpft man vor und zurück, jeweils vier Schritte, und ruft >Ha! Hu!< am Ende jeder Sequenz. Und dabei sind alle nackt.« »Jetzt hast du es übertrieben«, sagte sie. »Ich hätte dir fast geglaubt.« »Das ist die Tragik meines Lebens«, sagte Garvin, während die Musik kurz aufhörte und dann eine schmalzige Ballade begann. »Ich könnte dir noch einen anderen neuen Stil zeigen«, sagte er und nahm sie fest in die Arme. »Der gefällt mir sehr«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Genauso wie du mir«, sagte Garvin und fühlte sich ein wenig angetrunken, ohne dass er ein einziges Getränk zu sich genommen hatte. Ihr schlanker Körper lag warm und willig in seinen Armen. »Dein Haar duftet wie eine tropische Nacht, durch die flüsternd der Wind fährt.«
»Vielleicht hast du doch im Zirkus gearbeitet«, sagte Jasith. »Auf jeden Fall kannst du mit Worten umgehen.« »Ach, Mylady, wenn man arm und in jemanden ver193 liebt ist, die unerreichbar ist, kommt man nur mit Worten weiter«, sagte Garvin. »Nur damit?« »Nun... zumindest ist es das Einzige, was man auf der Tanzfläche sprechen lassen kann.« »Ich werde nicht fragen«, sagte Jasith. »Weil ich wahrscheinlich eine sehr obszöne Antwort bekommen würde.« »Doch nicht von mir!«, empörte sich Garvin. »Ich bin so rein wie... wie... wie was?« »Wie Blütenblätter?« »Wie Blütenblätter«, bestätigte er. »Und ich würde dich gerne in die Arme nehmen, dich auf einen Teppich aus Blütenblättern betten und mich neben dich legen.« »Vorsicht!«, warnte Jasith ihn. »Ich glaube, ich weiß, was als Nächstes kommt.« »Ich stecke meine Zunge neun Meter tief in dein Ohr und bohre nach Uran?« Jasith kicherte. »Es reicht jetzt, Kindskopf!« »Das war doch nur der Anfang«, sagte Garvin, als die Musik aufhörte. »Jetzt haben wir beide uns einen Drink verdient.« Sie verließen die Tanzfläche. Garvin blieb stehen, um einen Springbrunnen zu bewundern. Er bestand aus Messingschalen in verschiedenen Größen und Formen. Das Wasser floss von einer in die nächste, mit einem leisen Klingeln wie von fernen Glöckchen. Mehrere Leute, hauptsächlich Männer, hatten sich hier versammelt, um einem gut aussehenden dunkelhaarigen Mann zuzuhören, der ein paar Jahre älter als Garvin sein mochte und auf dem Bänkchen saß, das sich rund um den Springbrunnen zog. »Natürlich gibt es ein höheres Wesen, Jermy.« 194 Jermy, der offenbar unter frühzeitigem Haarausfall litt, schüttelte energisch den Kopf, aber mit einem Lächeln auf den Lippen. »Beweise es, Loy.« »Kein Problem«, sagte der andere. »Wenn es keinen Gott gäbe, ganz gleich wie man ihn sich vorstellt, wäre alles nur Chaos.« »Nicht zwangsläufig«, sagte Jermy. »Es gibt eine natürliche Ordnung. Evolution und so weiter.« »Gerede«, sagte Loy. »Nichts geschieht zufällig oder natürlich. Zeig mir ein Beispiel natürlicher Ordnung... aber du kannst dir die Mühe sparen, weil es keins gibt.« »Da du derjenige bist, der etwas beweisen will«, erwiderte Jermy, »solltest du ein Beispiel für die Existenz deines von Gott diktierten Systems bringen, das beweist, dass tatsächlich stets alles so ist, wie es sein sollte.« »Ganz einfach. Schau dich um. Wir dürften darin übereinstimmen, dass die 'Rauhm eine ausgesprochen niedere gesellschaftliche Klasse sind und, wie ich glaube, auch eine Rasse von minderem Wert. Richtig?« Garvin bekam eine Gänsehaut, als er das zustimmende Gemurmel hörte. »Deshalb müssen sie niedere Arbeiten verrichten. Glaubst du, es wäre ein Zufall, dass unsere Servierer 'Rauhm sind, die sich problemlos in ihre untergeordnete Tätigkeit fügen? Du würdest wohl kaum erwarten, dass einer von ihnen die Tanzfläche betritt oder sich zu unserer Runde gesellt, nicht wahr? Wir sind ihnen selbstverständlich überlegen, also sind sie mit ihrer Stellung zufrieden, mit ihrer ihnen von Gott zugewiesenen Rolle als Diener, ob sie nun in den Bergwerken arbeiten oder...« - Loy hob sein Glas in Richtung eines in 195 Weiß gekleideten Mannes, der in der Nähe stand — »... mir einen neuen Drink holen.« Der Mann, der alt genug war, um Loys Vater sein zu können, verbeugte sich und nahm ihm mit ausdrucksloser Miene das Glas ab. Als er sich abwandte, konnte Garvin ihm in die Augen sehen - und bemerkte in ihnen ein eiskaltes Glitzern. »Ein anderes Beispiel...« Der attraktive junge Mann schrie überrascht auf, als ihm Wasser auf den Rücken spritzte. Er fuhr herum und sah Garvin, der sich um einen bestürzten Gesichtsausdruck bemühte, während er eine der Messingschalen verschob, bis sie wieder ihren vorherigen Platz in der Kaskade innehatte. »Ich muss mich entschuldigen«, sagte Garvin. »Meine Hand scheint die natürliche Ordnung gestört zu haben.« Der Mann sprang auf und schäumte vor Wut. Jaansma lächelte, aber es war ein angespanntes, unangenehmes Lächeln. Er hob die Hände, schob den linken Fuß vor, brachte sich ins Gleichgewicht und ging leicht in die Hocke. Loy zögerte. Jasith zischte: »Männer!« Dann stolzierte sie davon. Garvin wartete, aber Loy rührte sich nicht. Garvin verabschiedete sich mit einem Nicken, dann folgte er Jasith. Er fand sie außerhalb des großen Raumes, am Seeufer, wo sie in die Nacht hinausstarrte. »Jasith!« Sie bewegte sich nicht. »Hallo, meine Schöne!«, versuchte er es erneut. Sie wirbelte herum. »Warum müsst ihr Männer ständig so etwas tun? Ihr und euer verdammtes Testosteron!« »Der Idiot hat so viel Blödsinn von sich gegeben, da 196
war eine kleine Pause dringend notwendig«, sagte Garvin. »Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei einem Fanatiker selbst die besten Argumente nichts bewirken. Das hat nichts mit Testosteron zu tun.« »Wieso Fanatiker? Loy Kouro ist bestens erzogen und ein guter Freund von mir! Sein Vater ist der Verleger des Matin, und er wird das Holo in ein paar Jahren übernehmen. Er ist sehr intelligent.« »Also gut«, sagte Garvin gleichmütig. »Er ist ein sehr intelligentes Arschloch. Aber muss ich ihn mögen, um die Genehmigung zu haben, dich wunderbar zu finden?« Jasith zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Aber... aber du darfst dich nicht so aufführen.« »Was weiß ich schon von so etwas?«, fragte Garvin. »Ich bin nur ein einfacher Soldat mit einfachen Bedürfnissen.« Jasith sah ihn skeptisch an. »Und manchmal überwältigen sie mich«, sagte er. »Wenn du zum Beispiel vom Mondlicht umschmeichelt vor mir stehst - so wie jetzt -, habe ich das überwältigende Bedürfnis, dich zu küssen.« »Du kannst nicht einfach...« Ihr Protest wurde von seinen Lippen erstickt. Der Kuss dauerte recht lang. Schließlich zog sie sich zurück. »O Gott!«, sagte sie. »Ich kann mich nicht erinnern, schon einmal so geküsst worden zu sein.« »Bist du dir sicher?«, fragte Garvin. »Nein. Vielleicht solltest du es noch einmal machen.« Er tat es. »Großer Gott!«, sagte sie leise und schmolz in seinen Armen dahin. Garvin schob eine Hand in den Schlitz ihres Kleides, strich über ihre Hüften und dann ihren nackten Po. Er ließ einen Finger in die Spalte gleiten 197 und streichelte sie. Jasith schnurrte wortlos, und ihr Atem ging schneller, während sich ihre Zunge in Gar-vins Mund schlängelte. »Sollten wir uns vielleicht ein nettes, weiches Bett aus Blumen suchen?«, flüsterte er. »Das können wir nicht«, sagte sie traurig. »Warum nicht?« »Die Bampurs haben überall Alarmanlagen installiert, und ich möchte keinen Skandal provozieren, wenn die Leute herbeilaufen und uns beim... bei dem, was wir tun würden, überraschen.« »Dann müssen wir uns etwas anderes überlegen«, sagte Garvin. »Wie bist du hergekommen?« »Mit meinem Gleiter.« »Und?« »Es ist ein kleiner Zweisitzer. Darin wäre es nicht... nicht sehr bequem.« »Dann lass uns irgendwohin fliegen«, flüsterte Garvin. »Zufällig wohne ich in einem netten Luxushotel... mit einem weichen Bett... und niemand kümmert sich dort um das Kommen und Gehen der Gäste.« »Kommen?«, flüsterte sie. »Wo immer du willst«, versprach er, und sie küssten sich erneut. Er hob eine Hand, berührte ihre Brüste und spürte ihre harten Brustwarzen. »He!«, ertönte eine Stimme. »Sie Mistkerl!« Jasith quiekte überrascht und zuckte zurück. Garvin drehte sich um - sehr schnell. Loy Kouro stand vor ihm, mit wütender Miene und geballten Fäusten. Jaansma bemühte sich, Jasith aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. »Das war ziemlich beschissen, was Sie mit mir gemacht haben«, sagte Kouro. 198 »Und Sie haben ein paar ziemlich beschissene Dinge gesagt«, erwiderte Garvin ruhig. »Insbesondere in Anwesenheit bestimmter Menschen.« »Menschen? Meinen Sie etwa 'Rauhm?«, gab Kouro verächtlich zurück. »Würden Sie auch Verleger als Menschen bezeichnen?«, sagte Garvin in ähnlich geringschätzigem Tonfall. »Wie ich gehört habe, kann sich diese Spezies nur mit den eigenen Geschwistern fortpflanzen. Stimmt das?« Jasith keuchte, und Kouro wurde kreidebleich. Garvin hatte nur einen Sekundenbruchteil Zeit zu erkennen, dass er den Finger auf einen wunden Punkt gelegt hatte, dann versuchte der Mann, ihm einen Tritt zu verpassen. Garvin sprang zurück, und der Tritt streifte nur seine Jacke. »Tun Sie das lieber nicht«, sagte er ruhig. Kouro stolperte, fand das Gleichgewicht wieder, und Garvin wurde klar, dass der Mann deutlich betrunkener war, als es den Anschein hatte. Kouro setzte zu einem Schwinger an, doch Garvin fing seine Hand ab, zog, und der Mann stolperte ein paar Schritte vorwärts. Er landete auf allen vieren. »Gehen Sie wieder hinein und holen Sie sich noch einen Drink«, schlug Garvin vor. »Sie treiben es zu weit.« Kouro erhob sich gebückt und stürmte mit gesenktem Kopflos. Er rammte Garvins Brustkorb. Dieser wäre beinahe gestürzt, konnte sich aber im letzten Moment abfangen. »Es reicht«, sagte er, immer noch im gleichen sanften Tonfall, während er Kouro zwei gerade Faustschläge verpasste, den ersten gegen das Auge, den zweiten in die Magengrube. Kouro keuchte, würgte, taumelte zurück und stand wankend am Seeufer. Garvin versetzte 199 ihm einen kleinen Stoß, der Mann schrie überrascht auf, ruderte mit den Armen und fiel rückwärts ins Wasser -
mit einem wunderbar lauten Klatschen. Garvin Jaansma drehte sich um, ohne sich zu vergewissern, ob Kouro wieder an die Oberfläche kam, sah, dass Jasith verschwunden war, und fluchte. Er suchte sie im großen Raum, auf dem Damm und im Eingangsbereich des Anwesens. Als er die Stufen hinabstieg, sah er noch den kleinen roten Gleiter, der soeben davonbrauste. »Ich hätte ihn umbringen sollen«, sagte Garvin und kehrte zurück, um nach Erik zu suchen. Er konnte ihn nirgendwo finden. Dann betrachtete er die Menge der Fremden. »Keine Freunde, keine Taxis«, murmelte er. »Ich glaube, es wird ein langer Fußmarsch nach Hause.« »Seltsam«, sinnierte Jo Poynton. »Höchst seltsam.« Die Stimme erklang erneut. »Deine Anweisungen?« Poynton schaltete ihr Mikro wieder ein. »Warte.« Sie fasste noch einmal ihre Analyse zusammen: Eine Gruppe von Soldaten bewahrt eins unserer Kinder davor, verprügelt zu werden. Merkwürdig. Außerdem haben sie plötzlich genug Geld, um sich Zimmer in einem von Leggetts teuersten Hotels leisten und sich aufwendig einkleiden zu können. Noch merkwürdiger. Drei von ihnen entwischen einem meiner erfahrensten Agenten und verschwinden spurlos. Die anderen beiden besuchen eine sehr exklusive Party in der Oberstadt, im Haus eines der größten Anti-'Rauhm-Schweine. Einer wird von einem unserer Agenten, der dort als Kellner arbeitet, als Erik Penwyth identifiziert. Seine Familie gehört zwar nicht zu den schlimmsten Giptels, aber sie ist 200 auch nicht gerade für die Unterstützung unserer Sache bekannt. Er selbst hat sich vor kurzer Zeit aus völlig unbekannten Gründen den Unterdrückungsstreitkräften der Konföderation angeschlossen. Und dann zettelt sein Begleiter - Name unbekannt - wegen einer geringfügigen Beleidigung, die der Giptel Kouro über die 'Rauhm von sich gegeben hat, auch noch eine Schlägerei an. Anschließend verlässt er die Party und läuft zu Fuß nach Leggett. All das ist sehr ungewöhnlich, und derartige ungewöhnliche Vorfälle können wir nicht gebrauchen, während wir so kurz vor der Dämmerung des Zorns stehen. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie leise und blickte sich im Zimmer um, das sich irgendwo tief in Eckmuhl befand. Bis auf drei Sende- und Empfangsgeräte war es leer und gab ihr keine Antwort. Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, Comstock Brien zu erreichen. Oder Jord'n Brooks, weil er unbefangener an Fragen und Probleme heranging. Aber dazu blieb ihr keine Zeit, und außerdem wusste sie selbst vermutlich besser, worum es ging, als die Männer in den fernen Hügeln. Sie öffnete den Kanal. »Gibt es Verkehr in deiner Nähe?« »Fast keinen.« »Du und Lompa - könntet ihr ihn gefangen nehmen? Aber nur lebend! Andernfalls werdet ihr es gar nicht erst versuchen.« »Einen Augenblick.« Stille, dann: »Bestätigung. Lompa hat eine Betäubungswaffe.« »Dann greift euch den Mann, bevor er die Oberstadt verlässt«, befahl Poynton. »Bringt ihn in einen abgeschirmten Bereich, dann schicke ich euch auf euer Signal ein Transportfahrzeug.« 201 »Verstanden«, sagte die Stimme. »Wir melden uns.« Poynton wandte sich an einen anderen Kom. »Hier ist die Überwachung«, sagte sie. »Weckt das Alarmteam für einen Einsatz.« »Ich verzeihe diesem Barraco«, sagte Njangu in großmütigem Tonfall und bemühte sich, genauso wie Garvin Jaansma zu klingen, wenn er seine Show abzog, »dass er versucht hat, mich zum Abendessen zu verspeisen, denn ich finde den Burschen verdammt köstlich.« Ihm wurde bewusst, dass er leicht betrunken war, gerade genügend angeheitert, um jeden Blödsinn für eine hervorragende Idee zu halten. Njangu nahm ein weiteres Stück gegrillten Barraco vom feuergewärmten Stein und legte ihn auf eine Scheibe ungesäuertes Fladenbrot. Er kippte etwas scharfe grüne Soße darüber, klappte das Brot zusammen und nahm einen großen Bissen. »Wie viele von denen hast du vor zu essen?«, fragte Angie ihn. Sie hatte bereits die sorgfältige Aussprache der etwas stärker Angetrunkenen. »Warum fragst du? Ich werde mir schon nicht meine mädchenhafte Figur ruinieren«, sagte Njangu. »Ich möchte nicht, dass du umkippst und nicht mehr in der Lage bist... andere Dinge zu bewerkstelligen.« »Der Tag, an dem das geschieht«, versprach Njangu, »wird der Tag sein, an dem der Himmel einstürzt.« »Aber sicher!«, sagte Angie. »Was für ein Ego!« Sie lagen zu fünft auf Matten rund um das kleine Feuer - Ton Milot, seine Freundin Lupul, Njangu, Angie, die den Kopf auf Njangus Fußknöchel gebettet hatte, und Deira, ein schlankes, etwa sechzehn Jahre altes Mädchen mit großen Brüsten. Deira hatte tiefrotes, mit einem Band zurückgebundenes Haar, ein Zeitlupenlä202 cheln und Lippen, bei denen Njangu gar nicht daran denken wollte, wie es wäre, sie zu küssen. Sie trug nur ein Wickeltuch, das sie über den Brüsten zusammengeknotet hatte, und zeigte Yoshitaro viel zu viel von ihrem Oberschenkel. »Alle Männer sind so, nicht wahr?«, sagte Lupul. »Alle außer mir«, erwiderte Ton Milot. »Ich bin vollkommen.« Er rülpste laut. »Willst du mal sehen?« »Jetzt ist es wieder so weit«, sagte Lupul und erhob sich. Sie wankte ein wenig. »Hoppla, es scheint Erdbebensaison zu sein.« Ton Milot rappelte sich ebenfalls auf und stand dümmlich grinsend da. Er blickte den Strand entlang, auf dem
zwei oder drei Dutzend Feuer brannten. Um sie herum waren Schatten; manche saßen und unterhielten sich, andere tanzten langsam zu ihrer persönlichen Musik, einige lagen im Sand und bewegten sich eng umschlungen, wieder andere rührten sich nicht, ob zu zweit oder allein. »Allmählich reduziert sich die Sache auf den harten Kern«, sagte er. »Ich schätze, wir sehen uns irgendwann nach Sonnenaufgang.« »Wie wäre es, wenn wir den Sonnenaufgang gemeinsam erleben«, sagte Lupul. »Deine Freunde siehst du jeden Tag - mich nicht.« »Komme schon, Schatz.« Er folgte ihr in die Dunkelheit. »Jetzt sind wir also nur noch zu zweit«, sagte Njangu. Er beugte sich vor und küsste Angie. »Nicht ganz«, sagte sie. »Da ist noch Deira. Sie ist geladen, entsichert und bereit.« Das Mädchen kicherte. »Wozu bereit?«, fragte Njangu. »Zeig es ihm«, sagte Angie. 203 Deira stand auf, löste das Band, schüttelte den Kopf und ließ ihr rotes Haar herabfließen, das ihr fast bis zur Hüfte reichte. Sie ging langsam um das Feuer herum, bis sie über Njangu stand, den Knoten am Wickeltuch aufzog und es fallen ließ. Sie war am ganzen Körper rasiert. »Gefallen dir diese abwechslungsreichen örtlichen Gebräuche nicht?«, fragte Angie. »Hhh-hhh«, stieß Njangu hervor. »Sie ist vorbeigekommen«, sagte Angie ruhig, »während ihr fischen wart. Sie erzählte Lupul, dass sie dich sehr nett findet, und wollte wissen, wie unsere Sitten aussehen, da sie dachte, dass ich mit dir gehe. Sie erzählte Lupul, dass sie auch mich sehr hübsch findet, und wollte wissen, was ich von ihr halte. Ich sagte, dass ich sie mag und nichts dagegen hätte, wenn sie mich küssen will. Also küssten wir uns. Sie küsst wirklich sehr gut. Und sie... macht auch andere Sachen sehr gut. Wir mieteten uns eine der Hütten, während wir auf dich gewartet haben.« Njangu bemerkte, dass sein Mund völlig ausgetrocknet war. »Sie ist ausgesprochen hübsch, nicht wahr?«, sagte Angie sachlich. »Ähh... ja.« »Darf ich ihn küssen?«, fragte Deira. »Klar«, sagte Angie und lachte. Deira kniete sich hin und drängte Njangu behutsam zurück, bis er auf dem Rücken lag. Sie beugte sich über ihn und öffnete den Mund. Njangu spürte, wie ihre Brüste sich an seinen nackten Oberkörper pressten. Ein paar Äonen später hob Deira den Kopf. »Ich mag ihn wirklich«, sagte sie verträumt. »Ich auch«, sagte Angie. 204 »Jetzt möchte ich dich noch etwas mehr küssen«, sagte Deira. »Kein Problem«, sagte Angie, Sie knöpfte ihre Uniformbluse auf und zog sie aus. Dann entledigte sie sich auch ihrer Shorts und ihrer Unterwäsche. Njangu hatte sich auf die Seite gedreht und beobachtete sie. »Du machst nicht den Eindruck, als wärst du schockiert«, sagte Angie. Njangu lächelte, neigte den Kopf und sagte nichts. Die Mädchen in seiner Clique hatten alles getan, von dem sie erwarteten, dass es die braven Bürger schockieren würde, ob miteinander oder mit den Jungs. »Du hast noch viel zu viel an«, sagte sie, und Njangu schlüpfte gehorsam aus seinen Shorts. Angie rollte ihre Kleidung zusammen und legte sie unter eine Matte, die etwa einen Meter von ihr entfernt lag. »Komm zu mir, Deira«, flüsterte sie. »Neben mich. Leg deine Hüften auf meine Sachen.« Das Mädchen schmolz in Angies Armen dahin. Nach einer Weile drückte Angie ihren Kopf nach unten, und Deira küsste Angies Hals, ihre Brüste, ihren Bauch. Angie erhob sich ein Stück, spreizte die Beine und keuchte auf, als Deiras Finger sie fanden. »Oh, ja, das ist gut!«, seufzte sie. »Njangu, komm zu mir. Ich möchte, dass du mir in die Brüste und den Bauch beißt. Dann mach es mit Deira, während sie mich liebt. Ich habe ihr versprochen, dass sie die Erste sein wird.« Garvin vermutete, dass es nur noch etwa fünfzehn Minuten bis zum Hotel waren. Auf dem abschüssigen Weg kam er gut voran. Er sang leise: 205 Ach, kennt ihr vielleicht schon Den Trottel Garvin, Der niemals ein Fettnäpfchen Auszulassen schien? Sein Mundwerk ist schrecklich Und kennt kein Pardon, Kaum sagt er was Dummes Trägt Beulen er davon. Er ging auf 'ne Party Und wollte nur Spaß. Die Frauen war'n willig, So heiß wie sonst was. Die Schönste hieß Jasith... Er stockte und suchte nach einem Reim auf Jasith, jedoch ohne Erfolg. »Sie war auf jeden Fall reizend«, jammerte er. »Nett und freundlich und voller Wärme und...« Er hörte ein Scharren und sprang zur Seite. Der Schlag des ersten Mannes verfehlte ihn knapp, brachte ihn aber etwas aus dem Gleichgewicht. Der Zweite hatte eine Waffe. Er richtete sie auf Garvin, der sich sofort duckte. Die Waffe zischte, und etwas schoss in sehr geringer Entfernung an ihm vorbei. Neben der Straße gab es einen hohen Strauch mit geraden Schösslingen. Garvin riss einen Ast ab und hielt ihn
wie einen Degen vor die Brust. »Ach, ihr armen Schweine«, sagte er. »Ihr armen, bedauernswerten Schweine. Habt ihr schon mal jemanden auf dem völlig falschen Fuß erwischt?« Der zweite Mann hob erneut die Waffe. Garvin sprang 206 zur Seite und zog ihm das Ende des Astes über das Gesicht. Der Mann schrie auf und taumelte zurück. Ohne innezuhalten, schlug Garvin ihm das andere Ende des Stockes über das Handgelenk, worauf die Waffe in hohem Bogen davonflog. Garvin riss das Knie hoch und brach den Ast durch. Nun hatte er zwei Knüppel, die etwa zehn Zentimeter stark und fünfzig lang waren. »Wenn ihr spielen wollt - ich bin dabei!«, sagte er. Der zweite Mann griff in eine Tasche. Garvin versetzte ihm einen Schlag auf den Unterarm und mit dem anderen Knüppel einen auf den Nasenrücken. Der Mann schrie und hielt sich beide Hände vors Gesicht. Garvin rammte ihm einen Knüppel wie ein Schwert in die Magengrube und versetzte ihm einen Fußtritt gegen die Schläfe, während er zu Boden ging. »Nun zu deinem jungen Arsch«, sagte er grimmig. Der erste Mann hatte eine Hand gehoben und winselte flehend. Garvin schlug ihm mit dem linken Knüppel gegen den Ellbogen. Der Mann heulte auf und hielt sich den Unterarm. Dann landete der rechte Knüppel in seinem Gesicht, und das Knacken von Zähnen war zu hören. Er trat dem Mann in den Bauch, als wollte er einen Ball ins Tor schießen, worauf sein Gegner zusammenklappte und sich nicht mehr rührte. Garvin stand noch einen Moment über den beiden, atmete schwer und wartete ab, ob sich einer bewegte. Aber alles blieb ruhig. »Dummköpfe«, sagte er. »Einen Soldaten ausrauben zu wollen, der sowieso kein Geld in der Tasche hat!« Er blickte sich um. Auf der Straße war kein Fahrzeug zu sehen. Er entdeckte die Waffe und untersuchte^ sie. Eine Art Betäubungswaffe, dachte er. Ein hübsches, nagelneues Modell. Normalerweise laufen Strauchdiebe nicht mit so etwas herum. 207 Er zog einen der beiden Männer an den Haaren hoch, ohne auf sein verletztes Gesicht Rücksicht zu nehmen. Er schnupperte. Kein Alkohol. Beim anderen dasselbe Ergebnis. Das ist ebenfalls recht ungewöhnlich. Dann durchsuchte er ihre Taschen, fand zwei ID-Karten, die er einsteckte, und suchte weiter. Beide hatten etwas Geld dabei und - was besonders interessant war-identische Koms, die mit Kodierern ausgestattet waren und sehr teuer aussahen. »Hmm. Schade, dass ich kein Detektiv bin. Dann könnte ich vielleicht etwas Licht in diese Sache bringen«, murmelte er. Er überlegte, ob er die Polizei rufen sollte, und musste unwillkürlich grinsen. Njangu würde mich windelweich prügeln, wenn er wüsste, dass ich auch nur daran gedacht habe. Außerdem würde man ihn nur den Rest der Nacht mit blöden Fragen wach halten, auf die er keine Antworten hatte. Er steckte auch die Koms und das Geld ein und marschierte weiter Richtung Legge«. Eine halbe Stunde später sah er die Lichter des Shelbourne. Eine Frau trat aus dem Schatten am Straßenrand. »Guten Morgen, Schwester«, begrüßte er sie. »So spät noch auf?« »Ich hätte Lust auf ein bisschen Spaß«, sagte sie. »Wärst du interessiert? Zum halben Preis, und du kannst bleiben, bis du wieder aufwachst.« »Nein, danke.« »Gehörst du zu den Männern, denen Jungs lieber sind?«, fragte die Hure, ohne dass es beleidigend klang. »Nein«, sagte Garvin Jaansma und dachte an Jasith 208 Mellusin und ihre köstlichen Lippen. »Ich gehöre nur zu den Männern, die zu dumm für diese Welt sind.« 17 »Soldaten!«, wandte Tak Hedley sich an die Truppe. »Löst die Formation auf, versammelt euch um diese supergeheime Karte und vernehmt die frohe Botschaft.« Die Männer und Frauen von der Aufklärungskompanie gehorchten. »Als Erstes«, fuhr Hedley fort, »wollen wir die neuen Idioten begrüßen. Monique hat ihnen so schwer zugesetzt, dass sie tatsächlich freiwillig zu uns gekommen sind!« Njangu erhaschte Penwyths Blick und grinste. Sie hatten es geschafft, in Petr Kipchaks Gamma-Team, Erste Truppe, aufgenommen zu werden. Ton Milot war nun im Alpha-Team, Erste Truppe, Hank Faull im Vic-Team, Zweite Truppe, und Angie im Eta-Team, Zweite Truppe. Njangu war nicht unglücklich darüber, dass Rada nicht seinem Team angehörte. Den Rest ihres Urlaubs hatten sie hauptsächlich mit Deira in Issus verbracht. Njangu hatte Ton beiseite genommen und ihm erzählt, was geschehen war. Und er hatte ihn gefragt, ob er mit irgendjemandem im Dorf Schwierigkeiten bekommen könnte. Milot hatte nur gelacht. »Hier nicht, mein Freund. Wir sehen es so, dass die Menschen das tun, was sie tun. Und jeder weiß, dass Deira einfach nicht zu bändigen ist.« Sein Blick wurde wehmütig. »Ich hatte ein paar nette Begegnungen mit ihr, bevor ich zur Armee gegangen bin, und ich habe Lupul gefragt, ob sie etwas dage209 gen hätte, wenn Deira zu uns kommt. Lupul sagte, sie würde mir den Schwanz abschneiden, weil ich dann nicht mehr genug Kraft zum Fischen hätte. Also mach dir keine Sorgen, und genieß es einfach.« Und tatsächlich hatten die drei es genossen... zumindest hatte Njangu das gedacht. Er fragte sich bereits, ob die
wirklich interessanten Dinge tatsächlich nur in den großen Städten geschahen. Doch am Ende des Urlaubs hatte Angie mit ihm gesprochen. »Hör mal«, sagte sie. »Wenn wir zurückkommen... schlafe ich allein. Zwischen uns ist nichts.« »Ich weiß«, entgegnete Njangu. »Sex und Arbeit passen nicht gut zusammen.« »Gut«, sagte Angie. Sie benahm sich, als sei sie wütend. »Und kein Wort zu irgendwem.« »Worüber?« »Zum Beispiel über das, was mit Deira passiert ist.« »Aber Ton Milot weiß...«, sagte Njangu verwirrt. Dann hielt er inne, als er sah, wie Angie die Lippen zusammenpresste. »Gut. Ich bin sowieso nicht der Typ, der Familiengeheimnisse ausplaudert.« »Sehr gut«, sagte sie und packte weiter ihre Sachen. Damit schien das Thema erledigt zu sein. Njangu hatte sich bemüht, es zu vergessen. »Also«, sagte Hedley. »In vier Tagen beginnt das Kriegsspiel. Und alles, was damit zusammenhängt, bleibt geheim, klar?« Jemand kicherte. »Lasst euch nicht einfallen, meine Anweisungen nicht ernst zu nehmen«, warnte er. »Das könnte dazu führen, dass ihr einen Sack mit Steinen quer über das Truppengelände schleppen dürft. Es geht darum, dass wir die Aggressoren sein werden, wie immer. Außerdem hat man diesmal die Erste und Zweite Kompanie, Drittes Regiment, dazu abkom210 mandiert, zusammen mit uns die Bösen zu spielen. Wir kriegen ein paar Zhukovs und ein halbes Dutzend Griersons. Im Augenblick wird nach Freiwilligen für die Besatzungen gesucht. Muss ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Informationen, die ihr von mir bekommt, streng vertraulich behandelt werden müssen? Außerhalb der Kompanie darf niemand davon erfahren, weil wir eigentlich gar nichts darüber wissen dürfen.« Er zog die Abdeckung von der Karte. Njangu erkannte, dass sie das bergige Zentrum der Insel Dharma zeigte und am äußersten linken Rand die Ausläufer von Leggett zu erkennen waren. An verschiedenen Stellen waren Pfeile eingezeichnet. Eine Frau mit den Abzeichen eines Tweg stöhnte. »Du hast es wieder erkannt?«, fragte Hedley amüsiert. »Ja, Sir«, sagte die Frau. »Das gleiche Gelände wie vor... drei Jahren, nicht wahr?« »Richtig«, sagte Hedley zufrieden. »Und das gleiche verdammte Szenario.« Er berührte den ersten Pfeil. »Die Strategie sieht so aus, dass die Streitmacht hier - etwa dreißig Kilometer östlich von Leggett — landen wird, wo sich der Feind verbarrikadiert hat... nämlich wir. Sie werden uns nach Norden treiben, diese durchgedrehten Killer, bis zum Fuß des Berges Najim, wo wir uns neu formieren. Dann wird die Streitmacht Schnelle Lanze zum letzten Ansturm auf unsere Stellungen ansetzen, und wir werden uns nicht weiter nach Osten zurückziehen, wie es vernünftige Leute tun würden, sondern zulassen, dass wir etwa hier zusammengetrieben werden, nicht weit vom Gipfel des Najim. Dort verteidigen wir todesmutig unsere letzte Bastion, bis wir ausgelöscht oder gefangen genommen werden. Schließlich wird die Einsatztruppe, 211 das heißt, Caud Williams und sein Stab, ein Bankett zu Ehren der Regierung und der Zinser veranstalten, sodass all die fetten Katzen die Gelegenheit erhalten, unsere tödliche Schönheit zu preisen.« Monique Lir hob eine Hand. »Was gibt es, Monique?« »Nichts für ungut, Boss, aber wäre es nicht sinnvoller, wenn sich die Streitmacht gegen einen Angriff von außen verteidigen müsste? Zum Beispiel gegen die Musth? Oder gegen diese Piraten, die uns die dringend benötigte Ausrüstung unter der Nase weggeschnappt haben?« »Du verstehst die größeren Zusammenhänge nicht«, sagte Hedley ruhig. »Ein Angriff ist wesentlich romantischer, als in einem Loch im Boden zu hocken.« »Scheiße«, sagte Lir. Hedley zuckte mit den Schultern. »Wir wurden genauso wenig gefragt wie sonst auch. Es läuft so ab, dass die zwei Kompanien sich um das Löchergraben kümmern und alles dem Ablauf folgt, den sich der Kommandostab ausgedacht hat. Die Aufklärungstruppe wird die Rolle der fiesen Guerillas hinter der Front spielen und versuchen, behutsam für Unruhe zu sorgen. Aber es gibt da eine Sache, die uns ein wenig zugute kommt... die Meteorologen haben vorhergesagt, dass die verfluchte Regenzeit dieses Jahr etwas früher beginnen wird. Morgen oder übermorgen. Also haben wir schön übles Wetter, in dem wir uns verstecken können.« Es wurde gelacht, und Njangu sah Gesichter, in denen sich gehässige Vorfreude zeigte. »Seht euch die Karte genau an«, sagte Hedley. »Und überlegt euch, wie wir unseren heldenhaften Brüdern und Schwestern einen Strich durch die Rechnung machen können. Natürlich werden die Herrscher nicht 212 zulassen, dass wir gewinnen. Aber ich möchte gerne, dass die weißen Mützen spüren, dass es uns gibt. Noch etwas, und ich werde jeden, der auch nur ein Wort darüber verliert, persönlich kreuzigen. Da draußen haben wir es mit einem echten Dschungel zu tun, und es gibt ein paar Leute, die Soldatenmädchen nicht ausstehen können. Jeder wird ein Magazin mit echten Patronen im Rucksack dabeihaben, für den Fall der Fälle. Wenn ihr diese echte Munition zufällig mit den Platzpatronen verwechselt, die ihr erhalten werdet, dann mögen die Götter eurem Arsch gnädig sein, denn ich werde es nicht sein. Und wenn irgendwer getroffen wird, wird der Verantwortliche des Mordes angeklagt, und ich werde abstreiten, dass irgendwer von unserer Truppe jemals eine
echte Patrone in den Fingern hatte -außer auf dem Schießplatz. Das wäre alles. Ihr könnt jetzt wieder auf eure Posten gehen.« Hedley machte sich auf den Weg zum Dienstzimmer. »Sir?«, rief Kipchak ihm nach. »Was willst du, Petr?« »Nur ein paar Minuten allein mit Ihnen, Sir«, sagte Kipchak. »Gefreiter Yoshitaro hatte mit einer Sache zu tun, die Sie interessieren dürfte.« »Dann kommt mit - beide.« »Njangu«, sagte Petr. »Hol das Zeug.« Das »Zeug« waren die zwei Korns, die Betäubungswaffe und die ID-Karten, die Garvin seinen Angreifern abgenommen hatte. Garvin hatte Njangu erzählt, was geschehen war, und ihn nach seiner Meinung gefragt. Sollte er die Polizei verständigen? Für diesen Vorschlag hatte Njangu - wie erwartet - nichts als Verachtung übrig gehabt. Sollte er seinem vorgesetzten Offizier Be213 richt erstatten? Njangu hatte Jaansma gefragt, was er von der Frau hielt. Garvin hatte bislang nicht viel mit Cent Haughton zu tun gehabt, aber wenn man nach Malagash, dem Anführer der Kompanie, ging, konnte man nicht allzu viel erwarten. Njangu sagte, er selbst könnte sich an Hedley, seinen Vorgesetzten, wenden, der etwas mehr Durchblick zu haben schien. »Gut«, sagte Garvin. »Aber versuch mich da rauszuhalten.« »Warum stellst du dich so an? Du bist doch nur ein attraktiver junger Kerl, der an einer wilden Party in der Oberstadt teilgenommen und sich dann davongestohlen hat.« »Caud Williams hat gesagt, er will mein attraktives Gesicht nie mehr wieder sehen«, erwiderte Garvin. »Ich halte mich nur an seine Befehle.« »Du machst dir viel zu viele Sorgen«, sagte Njangu. »Gut. Ich werde Hedley wahrscheinlich verraten müssen, wer der arme Schweinehund war, dem so übel mitgespielt wurde, aber ich werde ihn darum bitten, die Sache diskret zu behandeln.« Hedley untersuchte eines der beiden Komgeräte. »Hübsch, neu... und die perfekte Ergänzung zum zweiten Exemplar«, sagte er. »Warum sollte ein durchschnittlicher Dieb so etwas dabeihaben? Und warum muss es mit einer Kodiervorrichtung ausgestattet sein? Normalerweise würde er es sofort an einen Hehler verscherbeln. Und dazu eine Betäubungswaffe... Die Freunde deines Freundes hatten keine mörderischen Absichten. Oder sie brauchten einen lebenden Körper.« »All das habe ich mich auch schon gefragt, Sir«, sagte Yoshitaro. 214 »Diese ID-Karten«, sagte Hedley, »gehören zwei 'Rauhm.« »Woher wissen Sie das, Sir?«, fragte Kipchak. »Vor etwa sieben Jahren haben die Zinser ein Gesetz durchgedrückt — erst im Kuratorium und dann auch bei der Planetaren Regierung -, dass alle 'Rauhm eine ID-Nummer erhalten, die mit einem Y beginnt. Jeglicher Verdacht, dass diese Damen und Herren ein wenig bigott sein könnten, ist natürlich völlig aus der Luft gegriffen!«, erklärte Hedley. »Aber warum sollten die 'Rauhm, selbst die übelsten Schurken unter ihnen, einen einfachen Gefreiten gefangen nehmen? Ich glaube, du solltest mir etwas mehr über deinen Freund erzählen.« Njangu tat es. »Warum hat er nicht die Polizei gerufen? Die meisten Soldaten, die überfallen werden, schreien sofort um Hilfe.« »In dieser Hinsicht denkt er ähnlich wie ich, Sir«, antwortete Njangu ehrlich. »Die meiste Zeit unseres Lebens waren Polizisten nicht gerade unsere Freunde und Helfer.« »Hmmm«, machte Hedley nachdenklich. »Und jetzt möchte er sauber bleiben. Gut, ich werde sehen, was ich tun kann. Ich werde mit dieser Geschichte zu einigen Leuten in der Sektion II gehen, denen ich vertraue, und zu ein paar anderen beim Nachrichtendienst der Planetaren Polizei. Diese Leute sind fast halb so gut, wie sie sich selbst einschätzen. Was eigentlich kein Wunder ist, weil sie immerhin zweihundert Jahre Zeit hatten, sich zu organisieren. Ihr beide könnt wieder an die Arbeit gehen. Danke, dass ihr diesen Vorfall gemeldet habt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass ihr deswegen keinen Ärger bekommt.« 215 »Noch eine Bitte, Sir«, sagte Njangu. »Ich würde meinem Freund gerne erzählen, was Sie gesagt haben. Und Sie sagten etwas davon, dass Sie Freiwillige für die LKGs brauchen,« »Dein Freund gehört zur Besatzung eines Grierson?« »Richtig. Dritte Einheit, A-Kompanie, Zweite Infanterie. Ein Schütze, Sir.« Der schlaksige Tak zögerte. »Sein Kommandant ist ein großer Drecksack namens Ben Dill«, sagte Petr. »Den kenne ich... zumindest habe ich von ihm gehört«, sagte Hedley. »Schlechte Arbeitsmoral. Von der gewalttätigen Sorte. Ungefähr so groß wie ein Zhukov. Wenn er keine Vorurteile gegen das Zu-Fuß-Gehen hätte, würde er einen großartigen Unteroffizier in der Aufklärungskompanie abgeben. Gut. Schauen wir mal, was Dill auf dem Kerbholz hat. Ein Arschloch wie ihn können wir vielleicht gebrauchen.«
Gefreiter Garvin Jaansma stürmte in das Dienstzimmer der A-Kompanie, nahm seine Arbeitsmütze ab und Haltung an, wobei etwas Getriebeöl auf den Boden tropfte. Im Raum hielt sich nur der Kompaniesekretär auf, ein rotznäsiger kleiner Finf namens Calmahoy. »Der befehlshabende Offizier möchte Sie sehen«, sagte er. »Genau das hat Tweg Ric zu mir gesagt«, erwiderte Garvin. »Sie ist in ihrem Büro. Klopfen Sie an.« Garvin marschierte durch das Zimmer, zählte seine Sünden und klopfte selbstbewusst an. »Herein!« Es stimmte nicht, dass Cent Dian Haughton jeden Abend militärisch korrekte Falten in ihren BH bügelte, 216 aber es hätte niemanden gewundert, wenn es so gewesen wäre. Auf jeden Fall trat sie militärisch korrekt auf, vom kurz geschnittenen Haar bis zum perfekten Sitz ihrer tadellosen Uniform. Niemand wusste, wie gut oder schlecht sie als Offizier war, denn in den drei Monaten, die sie für die A-Kompanie verantwortlich war, hatte sie alles von Malagash erledigen lassen, ihrem effizienten Ersten Tweg. Garvin salutierte gekonnt und stand stramm, während ihm plötzlich einfiel, dass ein Mikrozirkel und ein Stromprüfer aus der Tasche seines Overalls ragten. »Stehen Sie bequem«, sagte Haughton. »Sie wissen, welche Einstellung in der Kompanie hinsichtlich privater Kommunikation während der Arbeitszeit herrscht?« »Ja, Sir«, sagte Garvin. »Es ist unerwünscht.« »Und auch von Ihren Freunden wird erwartet, dass sie nicht anrufen.« »Richtig, Madam«, stimmte er zu. Sie reichte ihm zwei rosafarbene Nachrichtenausdrucke. »Lesen Sie.« Garvin überlegte, wer ihm eine Mitteilung... und dann wanderten seine Augenbrauen in Richtung Decke. Die erste stammte von einer »Jaseeth Mellusin«, die zweite von einem Loy Kouro. »Ihre Privatangelegenheiten gehen mich nichts an«, sagte Haughton. »Aber wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen trotzdem gerne ein paar Fragen stellen.« »Ja, Sir.« »Ist diese Jaseeth Mellusin mit der Familie verwandt, die die Bergwerke betreibt?« »Ja, Sir.« »Hmm. Und steht dieser Loy Kouro in irgendeiner Verbindung zum Holo-Magazin Maün?« 217 »So ist es.« »Sind es Freunde von Ihnen?« »In einem Fall... hoffe ich es«, sagte Garvin. »Im anderen dürfte es sich eher um einen Feind handeln.« »Für einen frisch gebackenen Gefreiten«, sagte Haughton, »bewegen Sie sich in interessanten Kreisen.« »Finden Sie, Madam?« Garvins Stimme klang neutral, seine Miene war ausdruckslos. Haughton wartete, bis sie erkannte, dass Jaansma keine weiteren Erklärungen dazu abgeben wollte. Sie brummte. »Nun gut. Ich erteile Ihnen die Erlaubnis, die Anrufe zu beantworten. Wenden Sie sich an meinen Sekretär. Der blaue Kom geht direkt nach draußen, sodass Ihnen dieser Kanal eine gewisse Privatsphäre ermöglicht. « »Vielen Dank, Madam.« Haughton musterte ihn von oben bis unten. »Und ich wäre sehr an Ihren Fortschritten interessiert, Gefreiter. Wegtreten.« »Hier ist Jasith«, kam ein kehliges Flüstern. »Und hier ist Garvin Jaansma. Ich bin der...« »Soldat«, unterbrach sie ihn. »Ich hatte kaum etwas zum Schnupfen oder Trinken, also erinnere ich mich an alles.« »Ich schätze, ich muss mich bei dir entschuldigen«, begann Garvin. »Nein«, sagte Jasith. »Ich habe dich angerufen, um dir zu sagen, dass es mir Leid tut. Bevor ich zur Party gekommen bin, hatte ich eine Auseinandersetzung mit Vater. Es ging darum, dass ich faul sei und keine Lust zu arbeiten hätte, dass ich nicht würdig sei, den Namen Mellusin zu tragen. Ich hatte ziemlich schlechte Laune 218 und habe versucht, es nicht zu zeigen. Als du und Loy dann aneinander geraten seid, hat es mich auf dem falschen Fuß erwischt, und ich habe mich wie eine Idiotin benommen. Es tut mir Leid, Garvin.« »Nein«, sagte Garvin. »Mir tut es Leid. Ich hätte inzwischen lernen müssen, mich ein bisschen besser zu beherrschen und nicht dauernd mein großes Schandmaul aufzureißen.« »Dabei hatte sich alles... so nett entwickelt«, flüsterte Jasith. »Ich erinnere mich noch genau an deine Küsse.« »Ich erinnere mich noch an viele andere Sachen.« »Zum Beispiel ein Bett aus Blütenblättern?« Garvin stellte fest, dass sein Atem plötzlich schwerer ging. »Etwas in der Art.« »Wenn du mir die Möglichkeit gibst... wenn du noch willst... könnte es vielleicht irgendwann ein nächstes Mal geben.« »Das würde mir gefallen«, sagte Garvin. »Ich weiß, dass du in vier Tagen an diesem blöden Kriegsspiel teilnehmen sollst«, sagte Jasith. »Vater und alle anderen werden oben auf dem Berg Najim das Ende verfolgen. Wirst du anschließend Urlaub bekommen?«
»Wahrscheinlich.« »Du hast meine Nummer«, sagte sie. »Ich werde meinen Kom immer dabeihaben. Ruf mich an.« »Versprochen.« Er hörte so etwas wie ein Schmatzen - war es ein Kuss? -, dann wurde die Verbindung unterbrochen. »Da soll mich doch der...«, murmelte Garvin mit einigem Erstaunen, dann wählte er die zweite Nummer. »Matin, Büro des Verlegers«, schnurrte eine weibliche Stimme. »Wie kann ich Ihnen helfen?« »Hier spricht Gefreiter Garvin Jaansma, A-Kompanie, 219 Zweites Infanterieregiment, Streitmacht Schnelle Lanze. Loy Kouro hatte mich um einen Rückruf gebeten.« »Einen Moment.« Kurz darauf: »Loy Kouro hier. Ich hatte angerufen, um mich dafür zu entschuldigen, dass ich Sie neulich auf der Party der Bampurs in eine Schlägerei verwickelt habe.« Da sollen mich doch alle gleichzeitig holen!, dachte Garvin. »Schon gut«, sagte er freundlich. »Es war ja gar keine richtige Schlägerei.« Die Stimme wurde einige Grade kälter. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht verletzt.« »Nein«, sagte Garvin. »Sie haben daneben geschlagen, dann kamen Sie auf die Idee, lieber baden zu gehen.« »Wenn wir uns das nächste Mal treffen«, sagte Kouro nach einer Weile, »erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen einen Drink zu spendieren.« »Das kann ich leider nicht annehmen«, sagte Garvin freundlich. »Ich trinke nur mit meinesgleichen.« Ein wütendes Zischen war zu hören, dann war die Verbindung unterbrochen. Garvin schaltete den Kom ab und ging hinaus. Cent Haughton stand vor Calmahoys Schreibtisch und tat, als würde sie in diversen Unterlagen lesen. »Vielen Dank, Madam«, sagte Garvin. »Sie haben mir einen großen Gefallen erwiesen.« Haughton sah ihn aufmerksam an. Jaansma hatte sie fast wie eine Vertraute angesprochen. Sie stutzte einen kurzen Moment, bis ihr wieder einfiel, wer Jaansma war. Er ging zur Tür, setzte seine Mütze auf und ging. Haughton blickte ihm nach, dann entdeckte sie etwas. »Calmahoy, sehen Sie sich diese Ölflecken an! Das hier ist ein Dienstzimmer, kein Schweinestall! Holen Sie einen Lappen und wischen Sie das auf!« 220 »Mein Ruf ist mir also schon weit vorausgeeilt«, sagte Ben Dill. »Ein Arschloch, sagst du?« »Das hat Tak Hedley mir aufgetragen, dir zu sagen«, erwiderte Njangu und sah sich verstohlen nach etwas Großem und Schwerem um, das er gegen Dill einsetzen konnte, falls er explodierte. Doch das einzig Verfügbare war der Grierson, neben dem der Dec stand. Yoshitaro entschied sich für Flucht als Notfallstrategie. Doch der große Mann lachte nur schallend. »Arschloch Ben, wie? Na gut, so soll es sein.« Er schlug mit der Faust gegen die Panzerung des Grierson. »Macht die Sardinenbüchse bereit, Leute. Wir werden eine kleine Diskussion über freiwillige Einsätze führen, bevor wir etwas Dummes tun und uns für einen freiwilligen Einsatz melden.« »Eine Frage«, sagte Garvin zu Dill, während sie sorgfältig eins der Maschinengewehre des Grierson wieder zusammenbauten. »Frage und dir wird eine Antwort zuteil«, sagte Ben. »Die Aufklärer führen Erkundungen am Boden durch, nicht wahr? Und die Mobile Erkundungstruppe tut genau dasselbe, nur mit Fahrzeugen, oder?« »Im Prinzip ja.« »Wie kommt es dann, dass die Aufklärer zu den bösen Jungs gehören und die MET mit der Haupttruppe loszieht? Wäre es nicht realistischer — außer für den Kampf gegen Banditen —, wenn wir auch aus der Luft erkunden würden?« »Sehr gute Frage«, sagte Dill. »Erstens sollten die Jungs, die in einem Manöver die Bösen spielen, nicht allzu gut sein. Ansonsten könnte es passieren, dass sie den Oberkommandierenden ganz schön alt aussehen 221 lassen, und stell dir mal vor, was das für die nächste Beförderungswelle bedeuten würde. Tak Hedley von den Aufklärern interessiert es nicht die Bohne, durch Arschkriecherei nach oben zu kommen, also ist es für ihn ein Riesenspaß, zu den Bösen zu gehören. Für Cent Liskeart von den Mobilen ist es dagegen sehr wichtig... und wie dir aufgefallen sein dürfte, hat er einen höheren Rang als Hedley, obwohl beide Posten eigentlich mit einem Cent besetzt sein müssten. Außerdem dürfte dir aufgefallen sein, dass niemand über reale Kampfeinsätze spricht, zum Beispiel über die Jagd auf die 'Rauhm, weil niemand außer Hedley und ein paar anderen blutdürstigen Leuten sich die Hände schmutzig machen wollen, wenn sie auf Frauen, Kinder und Kleinkriminelle schießen, die genauso wie alle anderen aussehen. Kluge Leute - das heißt jene, die im braunen Korridor Karriere machen wollen - glauben nicht daran, dass es etwas bringt, den Aggressor zu spielen. Deshalb wurden die zwei Kompanien, die den Aufklärern helfen, per Befehl und nicht freiwillig eingesetzt. Du glaubst doch nicht, dass ihre gerissenen Befehlshaber aus freien Stücken die Pfote in den Müllhäcksler stecken würden! Siehst du, warum du niemals ein Ozzifier und Grantelmann sein möchtest, junger Garvin?« 18 Zwanzig Männer und Frauen hatten sich auf der Lichtung versammelt. Jord'n Brooks stand vor der Formation,
flankiert von Jo Poynton und Comstock Brien. »Ich grüße euch, Brüder und Schwestern«, sagte er, »ich grüße 222 euch, Krieger. Ich bin stolz auf euch, weil ihr euch freiwillig für diese bedeutende Mission gemeldet habt, die durchzuführen mich die Planungsgruppe beauftragt hat. Eines Tages, wenn die 'Rauhm D-Cumbre erobert haben und nach dem ganzen System und den Sternen greifen, werden die Menschen zurückblicken und sagen: >Dies war der Moment, da alles begann. Hier versammelten sich die Helden, die den Freiheitskampf unseres Volkes, unserer Kultur einleiteten.<« Er hob die Stimme. »Dies ist der Anfang des Endes für unsere Feinde, die Zinser, und für all jene im Universum, die an unserer Wahrheit zweifeln. Nehmt die Taschen mit Ausrüstung und Waffen an euch, die vor euch stehen. Darin findet ihr Anweisungen. Lest sie, prägt sie euch ein, und dann werden wir den Ablauf der Aktion trainieren. Unsere Aufgabe wird eine strahlende Fackel in den Augen der Männer und Frauen sein, eine Fackel der Freiheit und Unabhängigkeit.« Die zwanzig jubelten. Brooks stand kerzengerade da und lauschte mit halb geschlossenen Augen. 19 Die Glücksinsel bebte, als die Schnelle Lanze von der Basis startete und zur Mündung der Bucht davonbrauste. Fünf Kilometer über dem Ozean bildete die Streitmacht eine dichte, wirbelnde Formation, die aus Hunderten von Zhukovs, Griersons, Cookes und fast siebentausend Soldaten bestand. Es kam zu Fehlern - es gab ein Dutzend Beinahezusammenstöße und ein halbes 223 Dutzend echter Kollisionen. Doch die Zahl der Opfer war gering, und die meisten der angeschlagenen LKGs konnten aus eigener Kraft oder per Notantigrav landen. Eine Hand voll Besatzungsmitglieder stiegen mit Individualpacks aus. Drei davon versagten, und zwei andere Soldaten, die es geschafft hatten, dem obligatorischen Schwimmtraining fernzubleiben, ertranken in der Bucht. Dann kehrte die Armee auf Meereshöhe zurück und beschleunigte auf sichere 200 Stundenkilometer für den Angriffsflug. Simulierte Luft-Luft-Raketen schalteten zweiunddreißig LKGs aus, als sich die Truppe dem Land näherte, dann wehrten die gleichermaßen simulierten Abwehrraketen der Zhukovs und der Griersons die Luft-Luft-Raketen ab. Daraufhin rückte die Streitmacht Schnelle Lanze unaufhaltsam auf die Landezone zu, während zur gleichen Zeit der Monsun über Dharma hinwegrollte. Der Angriff wurde von Caud Williams als sehr erfolgreich betrachtet, ungeachtet der Verluste, die er für unbedeutend hielt und die lediglich durch die langsame Geschwindigkeit bedingt waren, die von den Umständen diktiert wurde. Er ging auch nicht weiter auf die neun Prozent der Fahrzeuge ein, die entweder schon in Camp Mahan oder unmittelbar nach dem Start aufgegeben werden mussten. Das Gleiche galt für die fast eintausend Männer und Frauen der Streitmacht, die aufgrund »anderer Pflichten« den Übungen fernbleiben mussten. Die Aggressoren, die etwas fantasielos als Blaue Truppe bezeichnet wurden, waren bereits vierundzwanzig Stunden früher aufgebrochen. Die beiden Kompanien des Dritten Regiments rechneten mit dem Schlimmsten und 224 hatten sich darauf vorbereitet, den ganzen Tag lang Stellungen zu graben oder in den Boden zu sprengen. Doch die Gräben und Bunker des Manövers vor vier Jahren waren noch recht gut in Schuss. Es war kaum mehr nötig, als ein paar Stellen mit Sandsäcken auszubessern und die Tier- und Pflanzenwelt auszuräuchern, die die Anlagen besiedelt hatte. »Ich komme mir vor wie damals als kleiner Junge im Zeltlager«, schwärmte ein Soldat. »Mag sein«, sagte eine Soldatin und hob ihre Waffe. »Aber damals hatte ich wenigstens eine Zwille, mit der ich zurückschießen konnte. Eine echte Waffe! Die Waffe einer Frau! Nicht diese alberne Mark 21!« »Halt die Klappe und lad deine Platzpatronen«, sagte ihr Kamerad. Die Batterie Raubwürger schwebte über einem Feldweg, in der Hoffnung, dass ihr Vormarsch im Schutz der hohen Bäume unbemerkt bleiben würde. Der Kommandant überprüfte immer wieder seine Satellitenpositionsdaten, die ihm sagten, dass knapp hinter seiner gegenwärtigen Stellung eine Kurve kam, an der er nach Norden abbiegen konnte, worauf er eine freie Wiese erreichen würde und seine Raketen zur Unterstützung des Angriffs der Schnellen Lanze »abfeuern« konnte. Die Sat-Box des Cent hatte diese Biegung nun schon seit zwei Kilometern angekündigt. Die Straße war schlammig und wurde immer schlechter, während der Regen auf die Griersons einprasselte und die Kolonne auf beiden Seiten von den dicht stehenden Bäumen eingefasst wurde. Der Kommandant wusste, dass er nicht weit von den Stellungen der Blauen entfernt war, aber ohne Rückendeckung durch Zhu225 11 kovs wagte er es nicht, die Nase über die Baumkronen zu strecken und sich mit eigenen Augen einen Überblick über die »wirkliche Welt« zu verschaffen. Er brummte erleichtert, als der Weg eine Kurve machte und sie die angekündigte Gabelung sahen. Noch besser war, dass hier ein gelandeter Cooke mit den Streifen der Militärpolizei stand. Daneben wartete ein adrett uniformierter Dec.
»Gehen Sie runter«, befahl er, »wir müssen uns orientieren.« Sein Pilot gehorchte. Der Cent ließ die Luke aufgleiten, und der Dec salutierte. »Ich glaube, wir haben uns ein wenig verlaufen«, gestand der Cent. »Deswegen hat man mich hierher geschickt«, sagte der Dec. »Die Karten sind falsch. Sie müssen hier nach links abbiegen.« »Gut«, sagte der Cent erleichtert. »Meine Box hat mir etwas ganz anderes gesagt.« »Deswegen sind wir hier«, sagte der Dec. Der Cent schloss die Luke, froh, nicht mehr im Regen stehen zu müssen, und gab neue Befehle. Die Batterie hob ab und schob sich langsam den schmaler werdenden Weg entlang. Dec Monique Lir grinste durchtrieben und sprang in den Cooke. »Nichts wie weg hier«, befahl sie und aktivierte ihren Kom. »Vara Sieben, hier ist Prophet Beta. Feuermission.« »Hier ist Vara. Sprechen Sie.« »Hier ist Beta. Batterie Raubwürger von Zielpunkt Marder eins hoch, zwei links, Ziel bewegt sich Richtung Norden, Geschwindigkeit schätzungsweise vier ka-em-ha.« »Hier ist Vara. Wir haben genügend Indikatoren zum Feuern. Sollen wir starten?« 226 »Hier ist Beta. Negativ. In etwa... äh... fünfzehn Minuten werden sie das Ende der Straße erreicht haben und genau vor euch auftauchen. Dann könnt ihr sie auf Sicht zerschießen. Übergebe Feuerkontrolle an euch. Viel Spaß. Beta Ende.« Sie wandte sich an ihren Piloten. »Suchen wir uns einen Hügel, von wo aus wir das Feuerwerk beobachten können.« Fünfzehn Minuten später versiegte der Feldweg zwischen den Bäumen, und der fluchende Cent befahl seinen Fahrzeugen, über die Baumkronen aufzusteigen. Sie würden auf einen neuen Kurs gehen, nachdem sie sich orientiert hatten. »Feuer«, sagte der Tak, der für die fünf Kilometer entfernte Raketenstaffel der Blauen verantwortlich war, und wandte sich an einen Schiedsrichter. »Ich beanspruche vier tote Griersons der Raubwürger.« »Einverstanden«, sagte die Frau. »Sie haben sie eindeutig erledigt.« Sie aktivierte ihren Kom. »An Manöverkontrolle, ich habe Verluste der Schnellen Lanze zu melden.« Die Griersons erreichten die Landezone in offener V-Formation, während die Zhukovs ihnen simulierten Feuerschutz gaben. Rampen wurden ausgeklappt, und Infanteristen strömten hinaus und rückten in Angriffsformation gegen die Linien der Blauen vor. Planmäßig wurde der »Feind« aus seinen vorbereiteten Stellungen vertrieben und musste sich in die Hügel am Berg Najim zurückziehen. »Wissen Sie«, erklärte ein Finf einem neuen Gefreiten, »wenn Sie einfach nur >Peng< schreien und Ihre Platzpatronen schonen, ist Ihre Waffe leichter zu reinigen, wenn das hier vorbei ist.« 227 Im strömenden Regen rückte die Schlange der Hungrigen langsam gegen die Reihen der Köche vor. »Was gibt's?«, fragte ein Gefreiter. »Was Gutes«, sagte ein Finf begeistert. »Echte Rühreier, irgendeine Wurst - zumindest sieht es nach Wurst aus -, getoastetes Brot, Obst, Tee.« »Ist irgendwas davon noch warm?« »Das meiste«, sagte der Finf. »Das heißt, zumindest etwas. Auf jeden Fall lauwarm, was immerhin besser ist als der übliche Rattenfraß, nicht wahr?« »Mjamjam, klingt verdammt gut, genau, was ich jetzt brauche«, sagte der Gefreite. »Damit werde ich bestimmt zu einem Supersoldaten, der den bösen Blauen die Geweihe abbeißen wird!« »Bist du auf eine Beförderung scharf oder was?«, fragte ein anderer Gefreiter misstrauisch. »Ich doch nicht! Ich platze nur vor Tatendrang.« »Wärst du lieber in den Baracken geblieben, um Scheiße zu polieren?« »Hmm«, sagte der erste Gefreite. »Kann nicht behaupten, dass ich so etwas schon mal poliert habe... ist aber so ungefähr das Einzige, was ich noch nicht gemacht habe. Aber du hast Recht, es ist wirklich nett, an der frischen Luft zu sein, reines Wasser zu atmen und schmutzige Füße und Abgase zu riechen. Ich bin zum Töten bereit!« »Wen?« »Keine Ahnung«, sagte der Gefreite. »Ist auch egal. Dreh diese Killermaschine in die richtige Richtung und tritt zurück, wenn du keine Blutspritzer abbekommen willst.« Die Kapuze des Anoraks über den Helm gezogen war Erik Penwyth ein anonymer Soldat in der Menge. Er 228 nahm seinen gefüllten Teller in die linke Hand und tauchte seinen Becher in den Kessel mit kochendem Tee. Der halb dösende Koch in der Nähe bemerkte nicht, dass Penwyths Becher bereits mit kleinen rötlichen Kristallen gefüllt war. Er kippte sie in den Kessel und tat, als würde er ihn mit Tee füllen. Dann schlenderte er davon und suchte nach einem unbesetzten Baumstamm oder einer Motorhaube, die er als Tisch benutzen konnte. Sobald er außer Sicht war, betrachtete er den Klumpen auf seinem Teller, verzog das Gesicht, warf ihn weg und entfernte sich in Richtung der getarnten Stellung des Gamma-Teams. Die Kaliumpermanganatkristalle würden eine interessante Wirkung entfalten. In ein paar Stunden, je nach Fassungsvermögen der Blase, würde jeder, der Tee zum Frühstück hatte, einen netten, intensiv roten Strahl urinieren, der dann eine wundersame Wirkung auf die allgemeine Moral haben würde.
Caud Williams löste geschickt seine rechte Flanke aus dem Kampfgeschehen, führte sie zu einer versteckten Landezone zurück, wo mehrere Griersons warteten, dann schickte er sie und sein Reserveregiment zur linken Flanke und verbaute damit der Blauen Truppe jede Möglichkeit, nach Westen in die Hügel jenseits der Oberstadt von Leggett auszuweichen. Nun konnten sie sich nur noch auf den Berg Najim zurückziehen. »Verdammt clever«, sagte Hedley zynisch. »Wenn ich Kommandant der Streitmacht wäre und diesen Laden schmeißen müsste und wirklich Krieg wäre, würde ich den Feind in die netten, idyllischen Hügel treiben, wo er ein perfektes Ziel für die Artillerie und die Luft229 73 Streitkräfte abgeben würde. Dann könnte ich ihm richtig schön die Hölle heiß machen. Aber was weiß ich schon vom Krieg? Ich bin nur ein beschissener Tak, und ich habe das Drehbuch nicht geschrieben. Aber wir wollen doch mal sehen, ob wir diese Party nicht dazu nutzen können, etwas Spaß zu haben.« Zwischen der Hauptlinie der Schnellen Lanze und ihrer vorrückenden linken Flanke glitten vier Teams der Aufklärungstruppe mit Cookes nach Südwesten in die Dämmerung. Bei einem Cooke versagte der Antrieb, doch die anderen drei stießen erfolgreich bis weit hinter die »feindliche« Front vor. Etwa zweihundert Meter von der Straße entfernt, die von der Küste zur Front führte, setzten sie im dichten Unterholz auf. »Also«, befahl Petr Kipchak. »Ich werde zuerst Gamma übernehmen, dann Alpha, dann Delta. Monique, könntest du meine Flanke mit Beta decken?« »Warum gehst du als Erster?«, fragte Lir. »Ich habe den höheren Rang.« »Aus dem gleichen Grund, warum ich die Patrouille anführe. Weil es meine Idee war.« »Die Angelegenheit wird bestimmt interessant«, brummte Dec Nectan, der Anführer des Alpha-Teams. »Ist euch klar, dass noch keiner von uns mit einem anderen Team zusammengearbeitet hat? Das wird eine nette Übung unter Einsatzbedingungen.« »Na und?«, fragte Petr in sachlichem Tonfall. »Wir machen doch nur ein paar Fußsoldaten fertig. Es sind schließlich keine 'Rauhm, die das Gelände kennen und echte Waffen mit sich herumschleppen.« »Wohl wahr.« »Aber du hast einen berechtigten Einwand vorge230 bracht. Informiert eure Teams. Wenn wir in die Hundescheiße treten, zieht euch über diesen Fluss zurück, auf den wir gleich stoßen werden, und versetzt ihnen einen harten Schlag, und dann tretet sofort den Rückzug an. Wir treffen uns fünfzig Meter hinter diesem Fahrzeugpark hier. Wir zeigen ihnen die Cookes, was sie mächtig überraschen wird, dann weichen wir weitere dreihundert Meter zurück, wobei wir jeden in den Hinterhalt locken, der uns noch auf den Fersen sein sollte. Wir bauen eine Verteidigungslinie auf, und im letzten Licht der Dämmerung machen wir uns auf den Heimweg. Aber nur, wenn wir die Sache abblasen müssen. Lasst uns jemanden suchen, dem wir den Tag versauen können. « Er blickte sich um. »Njangu... du übernimmst die Erkundung.« Yoshitaro verbarg seine Überraschung — er fühlte sich alles andere als bereit. Er wollte gerade protestieren, doch dann sah er im Zwielicht Petrs Gesichtsausdruck. »Bin schon unterwegs, Boss.« Er marschierte los und erinnerte sich daran, wie er durch die Straßen der Stadt gestreift war, wie jeder Nerv und jede Faser seines Körpers nach unbekannten oder feindseligen Schwingungen Ausschau gehalten hatte. Ein Spiel, klar, dachte er. Aber beim nächsten Mal werden es bestimmt 'Rauhm sein. Eine gute Übung, wie man so sagt. Er rückte zum Fluss vor und spähte aus der Deckung eines Strauches hinüber, sah aber keine Feinde. Er winkte ein paar Soldaten, die Flankendeckung zu übernehmen, und wartete, bis sich ein bewaffneter Trupp in Position gebracht hatte. Njangu benutzte die Gesten, die er gelernt hatte. Ich zuerst... dann ihr beide... dann folgt der Rest von euch auf einen Schlag. Die Flankendeckung hält weiten Abstand zur Hauptkolonne. Plötz231 lieh wurde ihm klar, dass für einen kurzen Moment der unerfahrenste Soldat der Streitmacht die Verantwortung für das Leben von dreißig Menschen übernommen hatte - und er genoss es, genauso wie er sich daran berauscht hatte, seine Gang zu kriminellen Aktionen anzustiften. Das Wasser war kalt und knapp hüfttief. Er durchquerte den etwa zehn Meter breiten Fluss und kroch hastig ans andere Ufer. In Sicherheit. Nun konnte der Aufklärungstrupp folgen. Auf Njangus Seite formierten sie sich wieder und stießen zur Straße vor. Njangu kauerte sich ins Unterholz und hielt seine Waffe bereit. Petr und Monique näherten sich ihm und gaben ihm zu verstehen, dass er die Südseite bewachen sollte. Sie gingen auf der Straße weiter, knieten sich hin und hielten so etwas wie eine Konferenz ab, wobei sie immer wieder den sich auflösenden Straßenbelag untersuchten. Njangu hatte keine Ahnung, worum es ging. Monique machte eine Handbewegung, als würde sie eine Münze werfen, und Petr klopfte sich auf den Hintern. Sie schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf und winkte ihm, nach Süden zu gehen. Kipchak kehrte zurück. »Die Süd-Patrouille soll auf dieser Straßenseite bleiben«, flüsterte er. »Ich werde zwei MGs genau hinter euch in Stellung bringen. Wenn ihr sie seht, bevor sie euch sehen, weicht ihr seitlich aus, werft ihnen ein paar Granaten in den Schoß, und dann greifen wir an. Wenn sie euch zuerst sehen...« Er zuckte mit den Schultern. »... dann versucht, >anständig< zu sterben.« Sie rückten etwa zwei Kilometer weit vor, und es war bereits sehr dunkel, als sie das Summen von Fahrzeugen
hörten und das Aufblitzen von Scheinwerfern sa232 hen, die eindeutig gegen die Manövervorschriften verstießen. »Gut«, sagte Petr, und Njangu zuckte zusammen, denn es kam ihm wie ein lauter Schrei vor; doch schnell wurde ihm klar, dass Kipchak in normaler Lautstärke gesprochen hatte. »Alpha, Beta, auf die rechte Straßenseite, ein MG hierher, der Rest übernimmt die hinteren Flanken. Beta, Gamma, mischt euch langsam unter die beiden Gruppen. Dorwith, stell dein MG hier auf, direkt hinter Njangu. Monique, bau die Waffe deiner Einheit hinter ihnen auf, wenn sie in Position sind, und wenn ich schreie, feuert ihr eine Salve ab.« »Verstanden, Boss«, sagte Dorwith. »Okay, Finf Kipchak«, sagte Monique. »Ich werde den Blaster persönlich bedienen. Dieses Recht nehme ich mir heraus.« Sie verschwand hinter einer Kurve der Straße. »Njangu, nimm dein Armband ab, das dich als Aggressor kennzeichnet.« Njangu gehorchte. Kipchak tat dasselbe und lehnte seinen Blaster gegen einen Baum. Er öffnete seine Kampfweste, rollte einen Ärmel hoch und ließ seinen Helm zu Boden fallen. »Wenn sie gewinnen, dürfen sie uns als Spione erschießen«, sagte Petr. »Jetzt legst du dich hierher, an den Straßenrand, uiid ich werde einen verzweifelten Eindruck machen. Du bist plötzlich aus den Latschen gekippt, und wir brauchen dringend Hilfe. Da kommen sie.« . Die sechs Griersons waren als Frachttransporter konfiguriert. Die Ladedecks hinter der Luke zur Pilotenkabine waren zu einem versiegelbaren Abteil umgebaut worden. Die einzige Bewaffnung bestand aus Geschütz233 türmen mit jeweils einem schweren Blaster, die jedoch nicht besetzt waren und in den Himmel zeigten. Sie bewegten sich etwa drei Meter über dem Boden, wie es die Manövervorschriften in unmittelbarer Nähe der Front verlangten, damit sie unter dem Horizont des Radars blieben. Der Kommandant im führenden Grierson sah einen mitgenommen wirkenden Finf, der hektisch winkte und um Hilfe rief, sowie einen Mann, der am Straßenrand lag. »Geh runter, Sy«, ordnete er an, und der Pilot gehorchte. Der Fahrzeugkommandant, ein Offiziersanwärter, stieg durch die Luke auf das Dach des Grierson, bevor das Fahrzeug den Boden berührte. »Was ist passiert?«, rief er. »Sir... wir sind von unserer Einheit getrennt worden, als wir uns über die Baumwipfel hinauswagten«, sagte Kipchak keuchend. »Ich glaube, mein Aspirant ist tot... er rührt sich nicht mehr...« Der Kommandant kletterte schnell an der Karosserie hinunter und näherte sich dem verzweifelten Soldaten. »Immer mit der Ruhe... verdammt!« Dieser Ausruf wurde durch einen nicht ganz dem Standardmodell entsprechenden kurzläufigen Blaster ausgelöst, der ihm plötzlich ans Gesicht gehalten wurde. »Feuer!«, schrie Kipchak, und Lir entließ eine Salve aus der mobilen Waffe ihrer Einheit. Die Leute von der Aufklärungstruppe verließen ihre Deckung mit schussbereiten Waffen. »Sie sind nun Gefangene der Blauen Truppe. Ein Schluckauf und Sie kommen in die Schublade!« »Das dürfen Sie nicht tun! Sie tragen keine feindliche Uniform«, stammelte der Offiziersanwärter. 234 »Richtig«, stimmte Kipchak ihm zu. »Ist alles höllisch unerlaubt. Und wahrscheinlich auch höchst unmoralisch. Zwei Soldaten zu jedem Fahrzeug. Wer sich bewegt, wird entsprechend ruhig gestellt.« Männer und Frauen besetzten die Griersons. Njangu hörte von einem Gefährt einen Ruf, auf den ein heiserer Schrei folgte. Nectans grinsendes Gesicht erschien in der Luke eines Fahrzeugs. »Gesichert. Ein blaues Auge.« »Das verstößt gegen die Spielregeln«, warf der Offiziersanwärter ein. »Ich schäme mich auch ganz schrecklich«, sagte Kipchak. »Und was transportieren Sie?« Der Offiziersanwärter presste die Lippen zusammen. »Hören Sie mir zu, mein Freund«, sagte Petr in nachsichtigem Tonfall. »Ich muss nur die Augen aufmachen. Sie haben sich nicht die Mühe gemacht, die Fahrzeugmarkierungen unkenntlich zu machen. Also weiß ich, dass Sie zum Versorgungszug des Vierten Regiments gehören. Sagen Sie mir einfach, was sich hinten auf der Ladefläche befindet, sonst werde ich mich wie ein echter Guerilla verhalten und Sie standrechtlich erschießen lassen. Was unter Manöverbedingungen bedeutet, dass ich Sie in den Fluss werfen, irgendwo an einen Baum binden und ein oder zwei Tage lang niemandem erzählen werde, wo Sie sind.« Der Offiziersanwärter starrte Petr an, bis er zu der Erkenntnis gelangte, dass er es offenbar mit einem Wahnsinnigen zu tun hatte. Er hatte gehört, dass alle Unteroffiziere bei den Aufklärern so waren und genau das tun würden, was er angekündigt hatte. »Die ersten beiden Griersons sind mit Zelten und Schlafsäcken beladen, der nächste mit Rationen für eine warme Mahlzeit und 235 der letzte mit Vorräten für die Offiziersmesse des Regiments.« Die Kriegsgefangenen der Schnellen Lanze waren am Straßenrand zusammengetrieben worden. Monique stieß gerade noch rechtzeitig dazu, um die letzte Meldung des Offiziersanwärters zu hören. »Wie bedauerlich«, sagte sie und log mit jeder Silbe. »Einige Leute werden heute eine sehr nasse, kalte und hungrige Nacht verbringen. Ich wette, das wird das Vierte Regiment morgen früh zu verdammt harten Kämpfern machen. Wie ich gehört habe, soll der Monsun jetzt richtig heftig werden.«
»Das dürfen Sie nicht tun«, versuchte es der Offiziersanwärter erneut. »Aber wir haben es gerade gemacht«, sagte Kipchak. »Haben Sie einen Schiedsrichter dabei?« »Nein.« »Hmm. Das ist ein Problem. Wir könnten die Griersons tatsächlich ausschlachten und sie verbrennen, um der Authentizität Genüge zu tun, aber ich glaube, das würde den alten Williams sehr ungehalten machen. Lir, weißt du, wie man einen Grierson für nicht allzu lange Zeit außer Gefecht setzt?« »Klar.« »Dann tu es.« Kipchak wandte sich wieder an den Offiziersanwärter. »Guerillas können sich keine Gefangenen erlauben. Ich könnte Sie auf Ehrenwort laufen lassen, aber Sie sehen wie einer dieser gemeinen Typen aus, die einfach alles abstreiten würden. Mit Feinden wie Ihnen gehen wir normalerweise so um, dass wir Sie zum Beispiel an die Bäume da drüben stellen und ein Kriegsverbrechen begehen. Als Beweis nehmen wir Ihnen allen die ID-Karten ab. Das müsste die Schiris 236 überzeugen, dass wir Sie überwältigt haben und Sie offiziell tot sind. Außerdem werden wir Ihre Hosen mitnehmen. Als großzügige, freiheitsliebende Schläger werden wir Ihnen nur in der Hinsicht Schaden zufügen, dass wir Sie freilassen. Weiter die Straße entlang sind es etwa sechs Kilometer bis zur nächsten Stellung der Schnellen Lanze. Etwa genauso weit dürfte der Rückweg zu Ihren Freunden sein. Viel Spaß bei einem wunderbaren Abendspaziergang!« Der Angriff der Schnellen Lanze ging weiter. Holo-Teams schwebten über der Front und berichteten über die Tapferkeit »unserer kämpfenden Männer und Frauen«, damit Zuschauer im ganzen Cumbre-System es verfolgen konnten. In Bezug auf die Nachrichtenlage war es eine recht langweilige Woche. Die Blaue Truppe wich immer weiter zu vorbereiteten Stellungen zurück, die vom letzten Manöver übrig geblieben waren, und sammelte sich um den Gipfel des Berges Najim. Überglücklich, dass sie nicht allzu viele Gräben ausheben mussten, bereiteten sie sich auf die Entscheidungsschlacht vor, auf die der Empfang durch Caud Williams und seinen Stab für die Zinser von D-Cumbre folgen würde. Die Männer und Frauen auf beiden Seiten hofften, dass für sie ein paar Krümel vom Tisch fallen würden. »Damit werden wir uns nicht gerade beliebt machen«, sagte Aspirant Vauxhall, nachdem er über Hedleys Vorschlag nachgedacht hatte. »Wahrscheinlich nicht«, sagte Hedley. »Na und?« »Aber es dürfte zweifellos einige Unruhe auslösen«, sagte Senior-Tweg Gonzales gedankenverloren. 237 »Was man von den Aufklärern aber auch erwartet, oder?« »Ich nehme es an.« Gonzales musterte seinen Vorgesetzten. »Jon, lass mich raten, warum du diese Idee ausgebrütet hast. Du erhoffst dir, dass wir dadurch die Arschkarte kriegen, und das Schlimmste, was Williams uns antun... oder für uns tun könnte, wäre, uns aufs Hochland zu treiben, wo wir unseren Lebensunterhalt als Jäger und Banditen bestreiten müssten.« »Bruder Hase, du bist fürwahr ein scharfsinniger Hundesohn«, bemerkte Hedley. »Tiefer«, befahl Caud Williams. »Ich möchte mir diesen Hügel genauer ansehen.« »Verstanden«, antwortete Finf Rennender Bär und ließ den Cooke auf etwa dreißig Meter Höhe absinken. »Wir geraten in simuliertes Feuer, Sir.« »Ignorieren«, sagte Williams ungeduldig. »Das hier hat nichts mit unserem Kriegsspiel zu tun.« Er musterte das Gelände und verglich es mit einer projizierten Karte. »Das dürfte genügen«, entschied er. »Leichter Zugang von der Straße aus. Von hier aus können unsere Gäste das gesamte Manöver überblicken, und es gibt mehr als genug Platz für die Zelte, falls es morgen regnen sollte.« Sein Kom summte. Er schaltete das Mikro ein. »Lanze Sechs... gut, Mil Rao, ich gehe auf Chiffrierung.« Während er zuhörte, wurden seine Augen immer größer. »Ach, du meine Güte!« Williams bemühte sich, nicht die Fassung zu verlieren. »Nachricht empfangen und verstanden. Werde bei Ihnen eintreffen in... einsfünf. Mein Stab soll sich bereitmachen, über die Angelegenheit zu diskutieren. Ende.« Er schob den Kom in 238 den Schlitz zurück. »Wir kehren um. Zum Feldhauptquartier. « »Ja, Sir.« »Das dürfte einiges durcheinander bringen«, sagte Williams. Rennender Bär wahrte ein interessiertes Schweigen. »Es ist streng geheim«, sagte Williams. »Aber die Regierung hat soeben einen interstellaren Funkspruch empfangen.« »Von der Konföderation?«, platzte es aus Rennender Bär heraus. »Negativ«, antwortete Williams. »Unterbrechen Sie mich nicht, Soldat. Von Alena Redruth, dem Protektor von Larix und Kura. Er wird in einer E-Woche zu einer Konferenz mit Generalgouverneur Haemer im System eintreffen.« Rennender Bär wartete einen angemessenen Zeitraum ab, dann fragte er: »Um was geht es?« »Das wissen wir nicht«, sagte Williams. »Aber er will, dass die Konferenz nicht hier, sondern auf C-Cumbre stattfindet. Generalgouverneur Haemer möchte, dass wir eine standesgemäße Eskorte zur Verfügung stellen.« Er dachte einen Moment lang nach. »Ich glaube, wir können das Manöver trotzdem zu einem zufrieden stellenden
Abschluss bringen... auch wenn zur Vorbereitung der Feierlichkeiten einige Einheiten abgezogen werden müssen.« »Sie sind was?«, regte sich Hedley auf. »Weg, Sir«, sagte Ben Dill. »Wir zischen ab. Alle Ihre Griersons werden aus dem Spiel genommen und sollen nach Mahan zurückkehren.« »Warum?« 239 »Keine Erklärung. Kein Wort, nicht einmal ein Gerücht. Aber wir sollen uns auf einen Weltraumeinsatz vorbereiten.« »Kein Schwein hält es für nötig, mir irgendetwas zu sagen«, schnaufte Hedley. »Also stehe ich ohne Transportmöglichkeit da. Ich habe nur noch die klapprigen Cookes, was mir einen ziemlichen Strich durch meine gottverdammten Pläne machen wird. Oder soll das ganze verdammte Manöver abgeblasen werden?« Dill schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Sir.« »Natürlich nicht«, sagte Hedley. »Setzen Sie die Mission fort und so weiter... ohne jede Unterstützung.« »Ich verstehe es nicht«, sagte Vauxhall. »Warum nehmen sie unsere Einheiten und nicht die der allgemeinen Reserve?« »Aus einem ganz einfachen Grund. Halten Sie sich mal kurz die Ohren zu, Dill, sonst glauben Sie noch, Sie wären etwas Besonderes oder fangen an, schlecht von Ihren Vorgesetzten zu denken.« »Verstanden«, sagte der große Mann und rührte sich nicht. »Die Aggressoren verlieren immer, also ist es einfacher, wenn wir mit knappen Mitteln auskommen müssen. Vergessen Sie nicht, auf welcher Seite wir stehen.« »Oh«, sagte der Aspirant. »Was werden wir also tun?« »Was wir immer tun«, sagte Hedley. »Improvisieren und auf Plan B ausweichen.« 240 20 Die Blaue Truppe hielt eine halbkreisförmige Frontlinie etwa einen Kilometer unter dem Gipfelplateau des Najim. Einen halben Kilometer tiefer lag der Hügel, den Caud Williams für den Empfang ausgesucht hatte und der sofort die inoffizielle Bezeichnung »Pickel« erhalten hatte, zumindest bei allen unterhalb des Ranges eines Mil. Williams schlug sein Hauptquartier, das aus verschiedenen Fertigkuppeln bestand, hinter dem Pickel auf, wo es vor feindlichem Feuer geschützt war. Allerdings wäre kein vernünftiger Offizier auf die Idee gekommen, eine Rakete in diese Gegend abzufeuern. Es war auch so schon schwer genug, innerhalb der Streitmacht befördert zu werden. Oben auf der Hügelkuppe wurden überdachte Tribünen errichtet, und seitlich davon stand ein großes, bunt gestreiftes Zelt, das zum Bankett angemietet worden war. Caud Williams war für die große Siegesfeier bereit. Generalgouverneur Wilth Haemer traf mit einer Schar Adjutanten und gehetztem Gesichtsausdruck ein. Caud Williams salutierte, und Haemer zog sich mit ihm zu einem Gespräch unter vier Augen zurück. »Es erstaunt mich, dass Sie sich gar keine Sorgen machen«, sagte er. »Ich wüsste nicht, worüber ich mir Sorgen machen sollte«, sagte Williams. »Das Manöver verläuft ganz wie erwartet.« »Das meine ich nicht«, sagte Haemer ungehalten. »Ich meine...« — er blickte sich um — »... Redruths Besuch. « »Im Verlauf meines Lebens habe ich gelernt«, sagte 241 Williams mit etwas mehr als nur einer Spur Arroganz, »mir niemals mehr als eine Sorge auf einmal zu machen. Ich bin überzeugt, dass Protektor Redruth lediglich über das derzeitige Problem mit der Konföderation sprechen möchte. Vielleicht hat er gute Neuigkeiten für uns oder einen Plan, wie wir unsere Probleme gemeinsam lösen könnten. Sein letzter Besuch war immerhin sehr freundlich, nicht wahr?« »Ja, sicher«, sagte Haemer. »Aber trotzdem...« »Alles wird gut.« »Ich hoffe sehr, dass Sie Recht behalten.« Sie trennten sich, und jeder von ihnen hoffte, dass der andere in nächster Zeit in ein stinkendes Sumpfloch fiel. Etwa einen Kilometer vom Pickel entfernt hatten sich einundzwanzig Männer und Frauen in Uniformen der Konföderation versteckt. Sie hatten einen Trick benutzt, der von den ersten Siedlern auf D-Cumbre stammte, und sich einen Kwelf-Hain als Deckung gesucht. Kwelf-Pflanzen bildeten Ausläufer, die Wurzeln schlugen und zu einem Kreis aus Bäumen heranwuchsen, bis sie von außen den Eindruck einer dichten, geschlossenen Hecke machten. Doch im Innern blieb ein Hohlraum frei, der oben zugewachsen war und einen Durchmesser von zehn bis dreißig Metern hatte - ein perfektes Versteck. Zugang verschaffte man sich, indem man einen Baum heraustrennte und dann wieder in die Lücke einsetzte. Jord'n Brooks sah auf seine Uhr. »In dreißig Minuten werden sie mit ihrer idiotischen Entscheidungsschlacht beginnen. Gehen wir. Möge der Eine uns bei der Erfüllung unserer Aufgabe helfen.« Ohne ein weiteres Wort nahmen die zwanzig Männer 242 und Frauen ihre Waffen und machten sich bereit, den Hain zu verlassen.
»Das nehme ich dir übel, Vater«, sagte Jasith Mellusin. »Ich wollte hier sein, weil... nun ja, weil du dir gewünscht hast, dass ich mich stärker an den Familiengeschäften beteilige. Wir machen doch Geschäfte mit den Soldaten, nicht wahr?« Godrevy Mellusin zog eine Augenbraue hoch. »Jasith, halte mich bitte nicht für einen Volltrottel, nur weil ich dein Vater bin. Nein, wir machen keine Geschäfte mit den Streitkräften der Konföderation, es sei denn, du kannst ihnen etwas aus dem Sortiment deines Dessousladens verkaufen, zu dem du mich überredet hast und der nur Miese macht. Und ich glaube auch nicht, dass du dich bei Regen nach draußen gewagt hast, nur um mir Gesellschaft zu leisten und zuzusehen, wie ein Haufen dreckiger Soldaten hin und her rennt. Wer ist er? Ich hoffe, dass sein Dienstgrad hoch genug ist, um mich daran zu hindern, mit den Zähnen zu knirschen.« Jasith riss unschuldig die Augen auf. »Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest.« Sie kicherte, und ihr Vater lächelte gequält, während einer seiner Assistenten sie zu ihren reservierten Plätzen auf der Tribüne führte. »Was ist hier los?«, wollte Loy Kouro verärgert von dem Soldaten wissen. »Tut mir Leid, Sir, Befehl von Caud Williams«, sagte Reb Gonzales. »Wir sollen dieses Fahrzeug für die Dauer des Manövers beschlagnahmen.« »Wie bitte? Das können Sie nicht machen! Das ist ein Dienstfahrzeug des Matin Sie kennen doch sicher das Holo-Magazin.« 243 »Ja, Sir. Aber ich habe meine Befehle. Bitte verlassen Sie das Fahrzeug.« »Aber wir berichten über Ihr Manöver, verdammt! Wenn Sie diesen Gleiter konfiszieren, müssen wir die Berichterstattung einstellen!« »Ja, Sir«, sagte Gonzales. »Das ist außerordentlich bedauerlich, Sir. Wenn Sie jetzt bitte aus dem Fahrzeug kommen würden, Sir...« »Ich werde den Teufel tun!«, sagte Kouro. »Pilot, sofort starten!« Als die Hand des Piloten die Kontrollen berührte, riss Gonzales die Tür auf und zerrte den Mann nach draußen. »Sie verdammter...« Der Pilot hob die Fäuste, und Gonzales versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube und unmittelbar darauf einen weiteren ins Genick. »Das habe ich gesehen!«, rief Kouro. »Sie haben gesehen, wie Ihr Pilot ausgerutscht und hingefallen ist?«, entgegnete Gonzales. »Er ist mit dem Kopf gegen einen Stein gestoßen. Mehrere Leute haben dasselbe gesehen und werden bereitwillig eine Zeugenaussage machen, falls Sie auf die Idee kommen sollten, Anzeige zu erstatten. Wenn Sie sich jetzt bitte aus dem Gleiter bewegen würden... Sir... dann behindern Sie uns nicht weiter bei der Arbeit.« Kouro stieg aus, und zwei Gefreite hielten ihn an den Ellbogen fest. »Bringt ihn zu den anderen«, ordnete Gonzales an. »Und tragt auch diesen armen, gestürzten Kerl hinüber und seht nach, ob er ärztlich versorgt werden muss.« Sieben weitere zivile Gleiter - zum Teil mit Privatleuten, zum Teil mit Holo- oder Vidteams besetzt — wurden auf der Hauptstraße angehalten. Ein halbes Dut244 zend Soldaten der Aufklärungstruppe bewachte die Piloten und Passagiere. Tak Hedley kam aus dem Unterholz. »Das wird einigen Staub aufwirbeln«, stellte Gonzales fest. »Wahrscheinlich«, sagte Hedley. »Aber wenn wir ihn durchgelassen hätten, wäre von ihm trotzdem eine Beschwerde oder etwas anderes gekommen, und die Schnelle Lanze ist nicht völlig hirnamputiert. Nur schade wegen des Journalisten. Erinnern Sie sich, wie sehr sich der Matin dafür einsetzt, dass der Sold für einen Tak erhöht wird?« »Keine Ahnung, Sir. Ich lese nur den Economist«, sagte Gonzales. »Ich wusste, dass Sie in höheren Kreisen verkehren.« Hedley trommelte nachdenklich mit den Fingern auf der Karosserie des Gleiters herum. »Andererseits könnte die Sache dadurch etwas kompliziert werden... Drei, nein, vier Freiwillige von... wer ist diese Woche dran? Gamma.« Er hob die Stimme. »Holt mir Kipchak, Dorwith mit einer Kanone, Heckmyer und diesen Neuling Yoshitaro.« Die vier Männer kamen aus dem Gebüsch. »Bewegt eure Ärsche in diesen Nachrichtengleiter und haltet euch bereit. Wir werden etwas ziemlich Schmutziges, Illegales, Unsauberes und Unmoralisches tun.« Simulierte Raketen wurden abgefeuert, als die erste Staffel Griersons durch treibende Regenwolken von Osten anrückte. Die Fahrzeuge landeten auf einer Seite der Hügelkuppe. Es war ein spektakulärer Anblick, als die Sprengladungen zur Schadenssimulation losgingen, Rauchbomben durch die Luft flogen und der Angriff 245 mit Übungsmunition von den Griersons und Zhukovs unterstützt wurde. Falls jemand bemerkte, dass die Griersons eine verhältnismäßig sanfte Landung vollführten, um echte Schäden zu vermeiden, verlor keiner darüber ein Wort, und es fragte auch niemand nach, warum Williams einen frontalen Vorstoß mit zu erwartenden hohen Verlusten befahl, statt sich für einen Angriff von der Flanke zu entscheiden. Die Soldaten der Schnellen Lanze brüllten aggressiv, gemäß ihren Anweisungen, während sie gegen die Stellungen der Blauen vorrückten. Dann traf die zweite Welle aus westlicher Richtung ein und landete in größerer Nähe zur Front der Blauen. Die Zuschauer waren fasziniert, als überall die Schlacht entbrannte.
»Ihr Idioten!«, schrie der Dec. »Woher kommt ihr denn her, zum Henker? Die Schlacht ist längst vorbei, ihr...« Jord'n Brooks erschoss ihn, und die Frau an seiner Seite mähte die Unteroffiziere neben dem Mann nieder. Ein vierter Soldat starrte fassungslos auf das Gemetzel und hörte gelähmt das Todesröcheln seiner Kameraden. Brooks erschoss ihn, bevor er sich von dem Schock erholen konnte. »Beeilt euch«, befahl er. »Wir sind hinter der Angriffslinie der Truppen.« Die 'Rauhm schoben sich zwischen den Bäumen hindurch und achteten nicht auf die Kampfschreie zu ihrer Rechten, als die zweite Welle auf den Berg Najim zustürmte. Ihr Ziel lag direkt vor ihnen- der Hügel mit dem bunten Zelt und den Zuschauertribünen. 246 »Das dritte Element soll landen«, befahl Caud Williams, und sein Erster Offizier Mil Rao sprach in den Kom. Fünf Angriffswellen aus Griersons - das Erste Regiment der Streitmacht - starteten aus ihren Verstecken und flogen auf den Najim zu, während der Regen aufhörte und die Sonne perfekt abgestimmt durch die Wolken blitzte. Caud Williams sah sich in seiner Kommandozentrale um, bemerkte die reibungslose Effektivität seines Stabes, hörte das Röhren der LKGs und dachte voller Stolz: Das alles ist mein Werk. Ich habe diese Einheit aus dem Nichts aufgebaut. Das Erste Regiment würde diesen Hügel überfliegen und knapp hinter den Linien der Blauen landen. Dann wäre der Krieg - nein, das Kriegsspiel, korrigierte er sich - vorbei und triumphal gewonnen. Williams sah einen kleinen Nachrichtengleiter mit dem Matin-Logo, der über das Schlachtfeld raste, genau vor den anrückenden Griersons. Wenn dieser Idiot meinen Leuten in die Quere kommt und mit einem unserer Fahrzeuge kollidiert... Dann entspannte er sich, als er sah, wie der Pilot den Gleiter tief unter die Staffel der Griersons sinken ließ. Das muss dieser junge Hitzkopf Kouro sein. Sein Vater sagte mir, er würde für sein Holo über das Manöver berichten. Er muss gute Aufnahmen bekommen, damit die Cumbrianer gebannt zuschauen und jedem wahren Bürger der Konföderation das Herz schneller schlägt. Ich muss daran denken, mir eine Kopie der Sendung zu besorgen. Williams verdrängte dieses Thema aus seinen Gedanken und beschäftigte sich wieder mit dem Feldzug. Der Gleiter drehte ab und steuerte genau auf Williams' Kommandozentrale zu. Aus dem Dschungel stießen von Osten sieben weitere Gleiter dazu. 247 Jasith Mellusin blickte sich um und versuchte zu erkennen, wo ihr... nun, eigentlich war er gar nicht ihrer, jedenfalls noch nicht... wo Garvin sein könnte. Sie wünschte sich, sie hätte ihn gefragt, was für eine Art von Arbeit er machte, weil sie gar nicht wusste, wo sie nach ihm suchen sollte. Garvin Jaansma richtete gelangweilt die Sprühdose auf einen Kratzer an seinem blitzsauberen Grierson. Er überlegte, ob er sich davonstehlen sollte, um Jasiths Komnummer zu wählen, entschied dann jedoch, dass es keine gute Idee war. Ben Dill hatte ihm diesen Job zugewiesen und nicht Senior-Tweg Ric oder irgendein anderer, mit dem es keine Schwierigkeiten geben würde, wenn er einem Befehl zuwiderhandelte. Er machte sich wieder an die Arbeit und fragte sich, ob die Geheimmission, für die er aus dem Manöver abgezogen worden war, interessant sein würde, und ob sie ihn davon abhalten würde, Ausgang zu bekommen und nach Leggett zu gehen. Ein Militärpolizist in eleganter Galauniform hob eine Hand. »Halt, Soldaten. Das hier ist ein VIP-Bereich. Sie können nicht...« Einer von Brooks' Leuten schoss ihm in den Kopf, und er brach zuckend zusammen. Brooks hörte beunruhigte Schreie, achtete aber nicht weiter darauf. Die Tribüne mit den Feinden seines Volkes war nur noch zweihundert Meter entfernt. Er war bereit, seine Aufgabe zu erfüllen. Der Gleiter des Matin landete vor der Kommandozentrale, und zwei von Williams' Sicherheitsleuten liefen 248 darauf zu, als sich die Luke öffnete. Fünf bärtige und schmutzige Männer mit Armbinden der Blauen stolperten nach draußen. Dorwith feuerte eine Salve Platzpatronen ab, und Njangu rief: »Ihr seid tot!« Dann stürmten die fünf in die Kommandozentrale. »Hedley!«, stammelte Caud Williams. »Was zum...« Hedley entsicherte eine blaue Rauchgranate und warf sie in Williams' Richtung. »Wir sind tapfere Idioten auf einer Selbstmordmission«, sagte er. »Ich fürchte, Sie sind tot, Sir.« » Sie können nicht einfach...« »Aber ich habe es getan, Sir.« Dann wurde die Kommandozentrale zu einem Chaos aus prasselnden Platzpatronen, verschiedenfarbigen Rauchgranaten und schreienden Stabsoffizieren. Von draußen war das Heulen zu hören, mit dem die anderen beschlagnahmten Gleiter landeten, und die Rufe der Kompanie, als sie ausschwärmte und damit begann, den Kommandostab der Streitmacht Schnelle Lanze »abzuschlachten«. Durch den Lärm tönte Caud Williams' Befehlston. »Sie sind erledigt, Hedley, Sie Dreckskerl! Ich bringe Sie vor Gericht! Ihre Karriere...« Dann hörte Njangu das Rattern echter Schüsse. Drei 'Rauhm gingen in die Knie, deckten die Tribünen mit Feuer ein, und dann wurden die Schüsse von den Schreien übertönt. Gonzales bellte: »Los, ihr blöden Arschlöcher! Weg mit den verdammten Platzpatronen! Jetzt wird's ernst!« Jasith Mellusin erhob sich und versuchte zu erkennen, was los war. Dann sah sie, wie in nur zwei Metern Ent249
fernung auf der Tribüne plötzlich ein Mann ohne Kopf umkippte. Überall war Blut. Sie riss den Mund auf, um zu schreien, doch schon im nächsten Moment hatte ihr Vater sie umgerissen und sich auf sie geworfen. Ein Mann in Zivilkleidung mit einer Pistole in der Hand duckte sich hinter einen Gleiter, schoss auf Brooks und verfehlte ihn. Bevor Brooks reagieren konnte, erschoss der Mann die Frau an Brooks' Seite, dann feuerte Brooks zurück, worauf der Mann zu Boden ging. Brooks bleckte die Zähne zu einem stummen Knurren, während er zur Tribüne weiterlief. Ein 'Rauhm neben ihm betätigte den Abzug seines Blasters, der auf Automatikfeuer eingestellt war. Die Patronen entluden sich ins Nichts, dann verstummte der Blaster. Er stand da und starrte begriffsstutzig die leere Waffe an. Sein Finger drückte noch einmal auf den Abzug, dann war er nicht mehr da. Brooks hatte nicht gesehen, wer ihn getötet hatte. Njangu rannte aus der Kommandozentrale, während er das Magazin mit den Platzpatronen ausrasten ließ, mit der linken Hand in seine Kampfjacke griff, das schwere Magazin mit den echten Patronen herausholte und es in seinen Blaster steckte. Mit einer unbewussten Bewegung drückte er noch einmal gegen das Magazin, um sich zu vergewissern, dass es eingerastet war, dann stürmte er weiter und hörte zum ersten Mal in seinem Leben das Rattern von Blasterschüssen. »Hierher«, rief Hedley und lief zu einer Fertigbaukuppel, und Njangu, Dorwith und ein paar andere Soldaten vom Aufklärungstrupp folgten ihm. Sie rannten an einem völlig fassungslosen Offizier im Dienstrang 250 eines Aut vorbei, der abwechselnd den Mund auf und zu klappte, wie ein gestrandeter Fisch. Njangu kam ins Freie und geriet mitten in den Wahnsinn. Soldaten der Konföderation beschossen systematisch die VIP-Tribünen. Was zum Teufel war hier...? »Tötet sie!«, rief Hedley. »Die sind nicht echt! Tötet sie alle!« Gehorsam ging Njangu in die Knie, legte seinen Blaster an die Schulter, richtete das Zielkreuz direkt auf einen der Schützen und drückte ab. Er bemerkte weder die Stichflamme noch spürte er den Rückstoß, doch er sah, wie sich der Mann verkrampfte und seine Waffe durch die Luft flog. Dann brach er zusammen. Yoshitaro bewegte das Zielkreuz auf eine Frau, die ihren Blaster nachlud, und feuerte erneut. Dorwiths MG ratterte, und die Salve strich über den Boden und die Killer, dann schlug eine Kugel in seine Schulter, und er kippte stöhnend zur Seite. Njangu erinnerte sich an seine Ausbildung, hob die Waffe auf und stürmte vorwärts, während er hörte, wie rund um ihn herum Schüsse einschlugen. Er kauerte sich hinter einen mit Rädern ausgestatteten Allzwecktransporter. Nachdem er sich eine winzige Pause gegönnt hatte, bestrich er drei Angreifer und sah, wie sie zusammenbrachen. Jemand schrie ihn an und zerrte an ihm. Dann drangen die Worte zu ihm durch: »Hör auf, verdammt! Du tötest unsere Männer!« In diesem Moment wurde der Idiot von einer Kugel erwischt; Njangu entdeckte den Schützen und erledigte ihn unverzüglich. Eine Frau in schwarzem Anzug wankte auf Jord'n Brooks zu. Sie hielt sich die blutigen Hände vor das Ge251 sieht. Als sie sie wegnahm, war nur zerfetztes Fleisch zu erkennen. Er schoss ihr zweimal in die Brust, dann suchte er nach einem neuen Ziel. Neben ihm gingen zwei 'Rauhm zu Boden. Er drehte sich zur Seite, riss die Waffe herum und feuerte. Der Schuss traf Dec Alyce Quant in den Brustkorb. Njangu sah, wie ein Mann einen zylinderförmigen Gegenstand aus seinem Rucksack zerrte, sich auf die Knie aufrichtete und zum Wurf ausholte. Njangu tötete ihn. Der Sprengkörper fiel neben der Leiche zu Boden, und ein anderer Angreifer wälzte sich schreiend zur Seite. Die Granate explodierte in einer Wolke aus rotem Feuer, schwarzem Rauch, spritzendem Schlamm und zischenden Splittern, und Körper wurden davonge-schleudert. Brooks sah, wie sein Grenadier starb und die Explosion mindestens ein halbes Dutzend 'Rauhm tötete. Von seinem Team waren nur noch drei am Leben. »Weg!«, rief er. »Weg!« Im Zickzack hastete er zum fernen Dschungel. »Das war's«, hörte Njangu. »Es ist vorbei. Alle sind erledigt. Feuer einstellen!« Mit einiger Überraschung erkannte er, dass er selbst es war, der gerufen hatte. Das Feuer hörte im nächsten Moment auf, dann nahm er schwache Schreie und Stöhnen von den VIP-Tribünen wahr, sah Männer und Frauen mit Kreuzen auf den Ärmeln zu ihnen laufen. Vor ihm lag ein Haufen aus uniformierten, zerrissenen Leichen. Er sah eine Bewegung, jemand schoss, der Körper verkrampfte sich und rührte sich nicht mehr. 252 Im MG-Gurt befand sich noch ein Dutzend Patronen. Mit der Waffe im Anschlag ging er zu den toten Wahnsinnigen und richtete den Lauf auf sie. Petr Kipchak stand kopfschüttelnd neben ihm. Seine Augen funkelten vor Wut und Fassungslosigkeit. »Eine verdammt beschissene Art, einen Krieg zu führen.« 21 Die Truppe begrub ihre Toten unter einem grauen, erdrückenden Himmel. Die sieben Soldaten, die bei Manöverunfällen ums Leben gekommen waren, wurden genauso feierlich bestattet wie die fünf Männer und Frauen der Aufklärungstruppe und die vier anderen Soldaten, die während des Angriffs der 'Rauhm getötet worden waren. Niemand von den Aufklärern erhob Einwände. Außerdem hatte es neunzehn zivile Todesopfer gegeben und noch einmal doppelt so viele Verwundete. Sechs
unschuldige 'Rauhm waren von Lynchmobs ermordet worden, und über Eckmuhl hatte man eine Ausgangssperre von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang verhängt, »zum Schutz der Bewohner«, wie es Generalgouverneur Haemer formuliert hatte. Die Zinser schlugen vor, Strafmaßnahmen gegen die Gemeinschaft der 'Rauhm zu ergreifen, aber Haemer weigerte sich, eine entsprechende Anordnung zu treffen. Die Stimmung auf Cumbre drohte umzukippen - man war der Ansicht, dass wegen dieses Vorfalls irgendetwas unternommen werden musste. 253 »Das war eine ziemlich idiotische Nummer«, sagte Caud Williams zu Tak Hedley, der schweigend Haltung angenommen hatte. Er ging davon aus, dass Williams weder Zustimmung noch Widerspruch erwartete. »Aber Sie - und Ihre Leute - müssen für die Schnelligkeit gelobt werden, mit der Sie auf den mörderischen Angriff dieser Verräter reagiert haben«, fuhr er fort. »Vielen Dank, Sir.« »Dazu hätte ich eine Frage«, sagte Williams. »Wie es scheint, waren alle Ihre Leute mit scharfer Munition ausgestattet, was, wie Ihnen sicherlich bekannt ist, gegen die Vorschriften verstößt.« Wieder antwortete Hedley nicht. »Wenn ich ein Narr wäre, könnte ich Sie fragen, warum Sie das zugelassen haben und woher Ihre Männer die Patronen erhalten haben, obwohl unsere Munition streng rationiert wird. Möchten Sie mich über diesen Sachverhalt informieren?« Er wartete nur eine Sekunde. »Ich habe mir schon gedacht, dass Sie nicht dazu bereit sind. Unter normalen Umständen hätten sich Ihre Leute durch diese Heldentaten entsprechende Orden und Beförderungen verdient. Aber in diesem Fall stehen Ihre Missetaten dagegen, die mit Strafen geahndet werden müssten. Meiner Ansicht nach hebt sich beides gegenseitig auf. Wie lautet Ihre Meinung?« »Soll ich offen sprechen, Sir?« »Ich bezweifle, dass Sie mir auf andere Weise antworten können.« »Wie Sie meinen, Sir. Was mit mir geschieht, ist mir egal. Aber ich bin der Ansicht, ein solches Verhalten wäre gegenüber den Männern und Frauen meiner Einheit ziemlich niederträchtig. Schließlich haben sie nur meine Befehle befolgt.« 254 Williams' Ohren röteten sich. Er atmete tief durch, hielt den Atem an und stieß ihn wieder aus. »Ich habe Sie nach Ihrer Meinung gefragt... und sie bekommen. Ich werde nicht von meinem Standpunkt abrücken. Nun zu einer anderen Angelegenheit. Ich und einige Angehörige der Streitmacht werden in zwei Tagen an einer Spezialmission von überragender Bedeutung teilnehmen. Auf C-Cumbre. Die Sache dürfte kaum länger als einen Tag beanspruchen. Wenn ich zurückkehre, werden wir endlich diese Banditen in den Hügeln ausräuchern. Dazu werden sämtliche verfügbaren Mittel eingesetzt, und ich verlange vollen Einsatz von allen Beteiligten. Und ich erwarte, dass die Aufklärungstruppe an vorderster Front steht. Sie werden Unterstützung durch die Kapelle und die Ehrenwache erhalten - die Sicherheitsabteilung des Hauptquartiers -, sobald Letztere von C-Cumbre zurückgekehrt ist. Außerdem wird Ihnen ein Zug Schwerer Kampfgefährte und die Mobile Erkundungstruppe zugeteilt. Wenn Sie weitere Transportmittel benötigen, wird Mil Rao entweder Freiwillige zur Verfügung stellen oder zusätzliche Truppenteile abkommandieren.« »Ja, Sir«, sagte Hedley, salutierte und ging, während er sich fragte, was seine Schlammkriecher davon halten würden, dass sie mit Xylophonkitzlern und Messingpolierern zusammenarbeiten sollten. 255 22 C-Cumbre Wind fuhr über die vernarbte Oberfläche des Planeten und ließ Staubteufel in die Leere empor wirbeln. Die heiße, trockene Atmosphäre war atembar, aber unangenehm, weil jeder Atemzug nach unsichtbaren Rasierklingen schmeckte. Das planetare Hauptquartier der Menschen war eine Reihe von kalt und provisorisch wirkenden Gebäuden, die von einer niedrigen Kuppel überdacht wurden, als befänden sie sich auf einem luftlosen Mond. Auf der anderen Seite des Planeten lag das Zentrum der Musth, zwei vierstöckige Bauten mit Dächern in Form eines liegenden C. Große zerklüftete Gruben, die wie umgekehrte Stufenpyramiden aussahen, waren in die Landschaft gestanzt. Maschinen, von denen einige robotisch und andere ferngesteuert waren und nur die wenigsten im Handbetrieb liefen, wühlten sich durch den Boden. Die zwei Transportplattformen, mit denen die Griersons der Streitmacht herbeigeschafft worden waren, und zwei Zhukovs schwebten mehrere Meter über der Oberfläche. Die seitlichen Rampen waren ausgefahren und entließen einen Strom von Kampfgefährten, die sofort ihre Antennen ausfuhren. Garvin und Kang hatten ihre Stationen verlassen und hingen an Ben Dills Sitz, um sich die trostlose Szene durch die gewölbte Sichtscheibe anzusehen. »Ich weiß, dass diese Wühlerei den allgemeinen Wohl256 stand sichert«, sagte Kang. »Aber muss es deswegen so hässlich aussehen?« »Still!«, befahl Dill. »Stanislaus versucht seine üblichen Zaubertricks, und es wäre mir lieber, wenn er keinen
von diesen Frachtkähnen rammt, während er eurem geistreichen Wortwechsel lauscht.« Die beiden schwiegen, während Gorecki den Grierson vom Raumschiff zur Reihe der LKGs manövrierte, die vor dem Planetaren Hauptquartier standen, wo ein Führer wartete. Er winkte sie vor, zurück und zur Seite, bis das Fahrzeug exakt ausgerichtet war. Dann senkte er die Unterarme vor der Brust, als würde er etwas zerhacken. Gehorsam setzte Gorecki auf. »Wir sind gelandet, Ben«, meldete er. »Die Maschinen bleiben betriebsbereit«, ordnete Dill an. »Aber du kannst die Kontrollen blockieren.« »Wird gemacht.« Gorecki verließ seinen Posten in der Nase des Grierson. »Was jetzt?« »Wir tun genau das, wozu wir gründlich ausgebildet wurden«, sagte Ben. »Warten.« »Hast du schon irgendeine Idee, worauf wir warten?« »Nein«, sagte Dill. »Wir sind Champignons. Wir werden im Dunkeln gehalten und müssen von Scheiße leben. « Caud Williams hatte angeordnet, dass die Kampffahrzeuge, die zum Besuch des Protektors abkommandiert waren, auf Alarmstufe Gelb blieben - mitsamt allen Raketen, Granaten und Geschossen in den Waffenschränken und Geschützen. Garvin erinnerte sich an die Mal-vern und Redruths kaltäugigen Schläger Celidon und entschied, dass er an Williams' Stelle mehr Artillerie aufgefahren und Alarmstufe Rot angeordnet hätte. Und er hätte die Streitmacht in der Luft gehalten und nicht 257 am Boden, wo sie nur wenig Chancen gegen einen Überraschungsangriff hätte. Einen halben E-Tag später kam über Kom der Befehl: »Sämtliches Personal aussteigen.« »Mit oder ohne Handfeuerwaffen?«, fragte Garvin. »Mit«, sagte Dill. »Im Zweifelsfall immer mit.« Zehn Minuten nachdem sie vor der Nase des Grierson Aufstellung bezogen hatten, senkte sich ein Sternenschiff auf Sekundärtriebwerken aus dem gelbbraunen Zwielicht zu ihnen herab. »Gütige Götter, was ist das?«, fragte Garvin. »Ah... ich glaube, das ist ein Zerstörer der Remora-Klasse«, sagte Kang. »So was dürfte früher das Flaggschiff einer Flotte aus kleineren Zerstörern der Konföderation gewesen sein. Als Kind habe ich mal ein Modell davon gebaut. Aber meins hatte nicht all diese zusätzlichen Beulen und Waffenstationen.« »Das ist hier in der Randzone normal«, sagte Dill. »Die Konföderation verteilt irgendwann ein Bonbon und meint, dass es für ein oder zwei Generationen reichen muss. Und wer es bekommt, muss es immer wieder modifizieren, bis ihm die Augen bluten.« »Das ergibt Sinn«, sagte Gorecki. »Aber womit haben sie die Modifikationen angebracht? Mit einem Vorschlaghammer? Und was zum Henker ist das da?« Das waren vier sehr schlanke und sehr moderne pfeilförmige Patrouillenschiffe, die den Zerstörer in enger Formation begleiteten. »Verdammt!«, sagte Dill. »Den großen Kasten könnte glatt schon mein Großvater kommandiert haben, und flankiert wird er von Superspielzeug, das aussieht, als wäre es letzte Woche von Centrum geliefert worden.« 258 »Ach du große Scheiße!«, rief Garvin, der sich an etwas erinnerte. »Wisst ihr, als wir abgezischt sind, hat man uns gesagt, die Malvern hätte ein paar echt schnittige Jäger hinten im Frachtraum. Ob der alte Redruth sie den Piraten abgekauft hat? Oder...« »Klappe!«, sagte Dill. »Pass auf, dass du dich nicht in Schwierigkeiten bringst.« Der Zerstörer landete, aber die Patrouillenschiffe blieben im Orbit um das Kampfschiff. Auf der Nase des Zerstörers prangte ein Emblem, aber Garvin konnte es nicht identifizieren. Der Name des Schiffes lautete Corfe. Es klickte in ihren Kopfhörern, dann ertönte Caud Williams' Stimme. »An alle Truppenteile der Streitmacht Schnelle Lanze... halten Sie sich bereit, Alena Redruth, dem Protektor von Larix und Kura, die volle Ehre zu erweisen.« Generalgouverneur Haemer kam in Begleitung von Caud Williams, Mil Rao sowie einer Horde Stabsoffiziere, einem Bannerträger und ein paar Musikanten aus der Kuppel und begab sich zur Corfe. Eine Luke öffnete sich, eine Rampe wurde ausgefahren, und vier Männer verließen das Schiff. Die Flagge von Cumbre wurde ge-dippt, und die Musiker spielten. »Und jetzt lass sie einfach auf direktem Wege weiterspazieren, Gott, hörst du?«, sagte Gorecki. »Ich bin nicht daran interessiert, für irgendwelche Besucher Männchen zu machen.« Doch die Besucher schienen gewillt zu sein, an den Truppen vorbeizudefilieren. »Haltung, Leute!«, sagte Dill, und seine Besatzung gehorchte. Ihre periphere Wahrnehmung war auf Alarmstufe Rot. Garvin wollte unbedingt Alena Redruth leibhaftig sehen, da er noch nie zuvor einem Vertreter die259 ser aussterbenden Spezies - einem unumschränkten Diktator - so nahe gewesen war. Redruth war überhaupt nicht beeindruckend, sondern eher klein, Ende dreißig und mit hoher Stirn. Er wirkte wie ein Bürokrat aus den mittleren Rängen und gar nicht wie ein absoluter Herrscher. Er trug eine einfache dunkelbraune Jacke und eine ebensolche Hose und nur einen einzigen Orden um den Hals. Links und rechts flankierten ihn zwei Männer, die offensichtlich Leibwächter waren. Garvins Aufmerksamkeit wurde von dem Mann gefesselt, der unmittelbar hinter Redruth ging. Er war groß, muskulös und zeichnete sich durch eine schlecht verheilte Narbe auf der Stirn aus. Sein Gesichtsausdruck war
eine Mischung aus kalter Belustigung und leichter Abscheu. Er trug eine dunkelgrüne Galauniform mit Auszeichnungen, schwarze Kniestiefel und einen schwarzen Ledergürtel mit einem Dolch auf der einen und einer Pistole auf der anderen Seite. Garvin erinnerte sich noch gut an ihn, aus dem Truppenabteil der Malvern. Es war Celidon, der Anführer der »Piraten«. Ich bin unsichtbar, dachte Garvin, als die Gruppe vor dem Grierson vorbeimarschierte. Völlig uninteressant. Einfach nur irgendein anonymer Gefreiter. Natürlich blieb Celidon genau vor ihnen stehen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er zu Williams, »würde ich Ihren Männern gerne ein oder zwei Fragen stellen.« »Nur zu«, sagte Williams mit einer Spur Nervosität. Celidon trat zu Dill und betrachtete seine Auszeichnungen, die in einer Reihe Platz hatten. »Sie... dienen bereits zum zweiten Mal?« »Ja, Sir«, sagte Ben. 260 »Haben Sie vor, in der Armee Karriere zu machen?« »Habe mich noch nicht entschieden, Sir.« Celidon nickte, dann fiel sein Blick wie ein niederstoßender Falke auf Garvin. »Sie, Gefreiter. Was ist Ihre Aufgabe?« »Schütze, Sir.« »Wie hoch ist die maximale Reichweite Ihrer Raubwürger?« »Diese Information ist geheim, Sir.« »Sie können es mir sagen, Soldat«, bellte Celidon. »Larix und Kura sind Ihre Verbündeten, und ich habe lange als Offizier der Konföderation gedient.« Garvin antwortete nicht. »Sprechen Sie, Gefreiter«, sagte Caud Williams. »Theoretisch neunzig Kilometer, wenn das Ziel eindeutig erfasst wurde«, sagte Jaansma auswendig auf. »Tatsächlich dürfte das Maximum bei fünfzig oder sechzig Kilometern liegen, aber nur unter extrem günstigen Bedingungen.« »Nahe dran«, sagte Celidon. »Verlassen Sie sich im Gefecht lieber auf vierzig. Haben Sie schon einen abgefeuert?« »Nein, Sir.« »Glauben Sie, dass Sie unter Ernstfall-Bedingungen etwas treffen könnten?« »Davon bin ich überzeugt, Sir.« Celidon lächelte kurz. »Möge Ihre Zuversicht belohnt werden. Wie sieht es mit Ihren Maschinengewehren aus?« »Viertausend Meter effektive Reichweite, am besten auf Sicht - sowohl natürlich als auch künstlich verstärkt einzusetzen.« »Wie lange dauert das Nachladen?« 261 »Etwa drei Minuten, Sir.« »Ich würde meinen, Sie könnten es in kürzerer Zeit schaffen«, sagte Celidon. »Sie sind ein prima Bursche. Meinen Glückwunsch! Sie scheinen sich mit Ihrem Werkzeug auszukennen. Ich möchte Ihnen noch eine Frage stellen. Bereitet es Ihnen Sorge, dass Ihre Streitmacht keine Kapazitäten für interstellare Flüge besitzt, dass keine Einheiten der Konföderationsflotte im Cumbre-System stationiert sind?« »Nein, Sir, das bereitet mir keine Sorge. Um solche Angelegenheiten kümmert sich Caud Williams.« »Was ist mit den Musth?« »Was soll mit den Musth sein? Sir.« »Bereiten sie Ihnen Sorge?« »Nein, Sir. Wir haben Frieden. Sollten sie denn?« Celidon nickte, als wäre er mit der Antwort zufrieden. »Noch eine letzte Frage: Wie lange dienen Sie schon in der Schnellen Lanze?« »Seit acht Monaten, Sir. Ich bin mit der Malvern gekommen.« Celidon zuckte leicht zusammen und versuchte seine Reaktion zu überspielen. »Dieses Schiff ist mir nicht bekannt«, sagte er. »Danke.« Dann entfernte er sich. Die Würdenträger marschierten weiter. Caud Williams blieb neben Jaansma stehen. »Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie sich mit dem täuschen, was Sie mir vor einiger Zeit erzählt haben«, stellte er fest. »Ja, Sir«, sagte Garvin. »Ich bin kein Volltrottel. Celidons Reaktion ist mir nicht entgangen. Und ich bin durchaus in der Lage, meine Ansichten zu ändern, wenn es notwendig ist. Ich vermute, Sie haben Ihre Theorie über die Malvern nicht vor allen und jedem ausgeplaudert.« 262 »Nein, Sir«, sagte Garvin wahrheitsgemäß. »Sie haben mir befohlen, es nicht zu tun.« »Gut.« Williams blickte Redruth nach. »Ja, es könnte angebracht sein, einige Dinge einer Neueinschätzung zu unterziehen. Sagen Sie dem Vorgesetzten Ihrer Kompanie, dass ich Ihnen erlaubt habe, sich einen weiteren Streifen anzustecken, Finf Jaansma. Das haben Sie gut gemacht.«
»Ja, Sir«, sagte Garvin. »Danke, Sir.« Haemer führte die Besucher in den gut ausgestatteten, wenn auch selten benutzten Konferenzraum von CCumbre, wo Adjutanten Erfrischungen anboten. Eine Zeit lang verlegte er sich auf leichte Konversation, an der Redruth zeitlich unbegrenzten Gefallen zu finden schien. Doch irgendwann konnte sich der Generalgouverneur nicht mehr zurückhalten. »Protektor Redruth, was haben Sie in letzter Zeit von der Konföderation gehört?« Redruth lächelte ironisch. »Nichts. Ich wollte Ihnen dieselbe Frage stellen, aber Sie haben sie mir soeben beantwortet. Nicht das Geringste. Keine Kommunikation, keine Besucher, keine Kriegsschiffe, keine Transportschiffe, und die paar unabhängigen Händler, die meine Welt besucht haben, waren ebenfalls aus den Randzonen. Sie wissen genauso wenig wie wir. Vor fast zwei Monaten habe ich eine Korvette nach Centrum geschickt. Sie ist spurlos verschwunden... das heißt, wir haben nichts mehr von ihr gehört, und die Besatzung hat auf keinen meiner Anrufe reagiert.« Haemer und Williams beobachteten den Protektor sehr genau und suchten nach Hinweisen, dass er log. Aber seine unverbindliche Miene zeigte lediglich leichte Besorgnis. 263 »Und das ist natürlich auch der Grund für meinen Besuch.« Haemer versteifte sich. »Aha?« »Ich muss meine ökonomischen und strategischen Entscheidungen so treffen, als wäre ein möglicherweise längere Zeit andauerndes Interregnum eingetreten«, sagte Redruth. »Ich weiß nicht, was mit der Konföderation geschehen ist... auf jeden Fall hat es Berichte über zivile Unruhen gegeben, und einige Systeme sollen sich sogar politisch isoliert haben, bevor diese merkwürdige Stille angefangen hat. Aber ich bin ein Mann der Tat. Also sind meine Pläne simpel. Ich stehe ganz allein da und muss Frieden und Sicherheit für mein Volk gewährleisten. Ich habe ein umfangreiches Programm zum Bau von Raumschiffen initiiert, und dazu benötige ich Rohstoffe, die ich mir im Cumbre-System beschaffen... die ich hier zu erwerben gedenke.« Haemer entspannte sich ein wenig. »Gut«, sagte er, »Offenkundig hat sich die Unterbrechung aller Kontakte zur Konföderation negativ auf unseren Metallhandel ausgewirkt. Es freut mich, dass Sie beschlossen haben, den Ausstoß Ihrer Werften zu steigern; unsere Bergbaugesellschaften dürften keine Schwierigkeiten haben, Ihren Bedarf zu decken.« »Ich habe auch nicht mit Problemen gerechnet«, sagte Redruth. »Allerdings mache ich mir Sorgen wegen der Musth.« »In welcher Hinsicht?« »Ihre Ambitionen sind mir bekannt«, sagte Redruth. »Sie trachten danach, über das Universum zu herrschen, ihren Einfluss Schritt für Schritt auszubauen. Was wird wohl geschehen, wenn sie erfahren, dass die Konföderation nicht mehr hinter uns steht? Meine Be264 fürchtungen gehen dahin, dass... wie soll ich sagen... dass es ihren Ambitionen Auftrieb geben könnte.« »Meine Sorgen gehen in dieselbe Richtung«, sagte Haemer. »Doch bis jetzt sind unsere Beziehungen freundschaftlicher Natur.« »Vielleicht könnten wir für die Stärkung der Sicherheit des Cumbre-Systems sorgen«, sagte Celidon. »Schließlich verfügen Sie nicht über die Flottenkapazitäten, die wir besitzen. Es wäre denkbar, dass wir ein halbes Dutzend unserer Schiffe auf D-Cumbre stationieren. Ich bin davon überzeugt, dass die Ressourcen des Systems ausreichen, sie zu finanzieren, und die Bewohner wären dankbar für diesen Schutz.« Haemer schluckte und überlegte sich genau, wie er darauf antworten wollte. »Vielen Dank für das Angebot«, sagte Caud Williams diplomatisch, bevor Haemer etwas erwidern konnte. »Die Hilfsbereitschaft, die darin zum Ausdruck kommt, hat etwas sehr Beruhigendes für uns. Doch Ihre Präsenz könnte genau die Reaktion auslösen, die wir zu vermeiden versuchen.« Seinen Worten war nicht die leiseste Spur von Sarkasmus anzuhören. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen«, erwiderte Celidon. Redruth jedoch nickte nachdenklich. »Ganz einfach«, fuhr Williams fort. »Wie Sie gesagt haben, hegen die Musth große Ambitionen. Sie halten ihre Anwesenheit im Cumbre-System für gerechtfertigt und wären sicherlich bereit, sie auszubauen. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie nach der völligen Herrschaft zumindest über diesen Planeten und seine Ressourcen streben. Wenn Larix und Kura plötzlich die militärische Präsenz im Cumbre-System verstärken, könnte dadurch das Gleichgewicht kippen, was aggres265 sivere Fraktionen der Musth als Ansporn nehmen könnten, die Lage zu verschärfen.« »Ja und?«, gab Celidon verächtlich zurück. »Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass diese Aliens den Menschen überlegen sein könnten, oder? Wir sind noch nie vor einer Herausforderung zurückgeschreckt, und in unserer derzeitigen Situation dürfen wir es auf gar keinen Fall tun. Jedes Tier kennt die Furcht, die es zum Angriff motiviert.« »Die Musth sind alles andere als Tiere«, erwiderte Williams. Celidon zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Sie sind nicht menschlich... eine genauere Spezifikation ist überflüssig.«
Haemer unterbrach das betretene Schweigen. »Mein führender Offizier hat ein stichhaltiges Argument vorgebracht«, sagte er. »Jeder Zwischenfall hier am Rand der menschlichen Einflusssphäre könnte sehr leicht einen Krieg entfachen, und ohne Unterstützung durch die Konföderation könnte sich so etwas zu einem Desaster entwickeln. Wobei ich Larix und Kura in dieses Szenario einschließe.« Celidon schnaufte ungläubig. Redruth nickte. »Ein berechtigter Einwand«, sagte er. »Dann wollen wir jetzt über die Einzelheiten unseres neuen Handelsabkommens sprechen. Das dürfte uns genügend Gesprächsstoffbieten. Zumindest vorläufig.« 266 23 »Mary ist in den Dornbusch gefallen!«, rief Njangu Yoshitaro. »Was sagt man dazu?« »Sieht adrett aus, nicht wahr?«, sagte Garvin, der selbstgefällig die zwei Streifen eines Finf an seinem Ärmel bewunderte. »Schön, dass die Häuptlinge der Streitmacht endlich erkennen, wer ihre besten Leute sind.« »Sprich zu mir, kleiner weißer Bruder«, grummelte Njangu. »Oder ich prügle dich windelweich.« Njangu pfiff anerkennend, als Garvin ihm von Celidon erzählte. Er unterbrach den Redefluss seines Freundes, holte Petr, und dann musste Garvin noch einmal von vorn anfangen. »Oh-oh«, sagte Kipchak. »Also hat Redruth seine gierigen Augen auf Cumbre geworfen, wie? Wir stehen noch nicht im Gewitter, aber es nieselt schon. Vor uns die Musth, links von uns die 'Rauhm, rechts Redruths Hitzköpfe - und keine Sau, die uns den empfindlichen Rücken deckt. Oh-oh, oh-oh, da sollten wir uns aber verdammt warm anziehen!« »Ich hätte da eine Frage, Garvin«, sagte Njangu. »Alle reißen sich den Arsch auf, um gegen die wilden 'Rauhm ins Feld zu ziehen, und du findest die Zeit, deine neuen Streifen rumzuzeigen. Auf den Punkt gebracht: Wie kommt's?« »Sechs Stunden frei, als Belohnung von Tak Wu, meinem liebenswürdigen und niemals angemessen gewürdigten Vorgesetzten. Mit der Erlaubnis, während dieser sechs Stunden der Menschheit die frohe Botschaft zu verkünden!« 267 »Aber du musstest den ganzen weiten Weg zu den Aufklärern rübermarschieren, um es deinem besten Exfreund unter die Nase zu reiben, wie?« Garvins Lächeln verschwand. Er warf Petr einen viel sagenden Blick zu, der verständnisvoll den Kopf neigte. »Private Angelegenheiten? Danke, dass du vorbeigekommen bist und es mir erzählt hast, Garvin. Ich kann immer etwas Neues gebrauchen, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.« Petr kehrte in seinen Hangar zurück. »Also«, sagte Yoshitaro. »Was liegt an?« »Ich wollte dich nach unseren Möglichkeiten fragen.« »Was für welchen?« »Denen, die wir nicht zu haben scheinen, Njangu. Ich bin zur Armee gegangen, weil... weil gerade alles ein bisschen kompliziert wurde. Ich dachte mir, ich versuche die Sache durchzuziehen, scheide aus, wenn meine Dienstzeit abgelaufen ist, und gewisse Probleme sind eine halbe Galaxis weit von mir entfernt.« »Und ich bin zur Armee gegangen, weil ein Richter mir andernfalls die Hölle heiß gemacht hätte. Wie kommt es, dass du so wenig von dem erzählst, was vor deiner Dienstzeit passiert ist?« »Das spielt im Augenblick keine Rolle... und du solltest nicht abschweifen, verdammt. Egal. Ich hatte mir niemals vorgestellt, am Arsch des Universums zu landen, und ich hatte auf gar keinen Fall geplant, dass sich die beschissene Konföderation sang- und klanglos von mir verabschiedet.« »Mir geht's genauso«, gab Njangu zu. »Ich hatte irgendwie gehofft, einen schönen, bequemen Posten in der Nähe von Centrum zu bekommen, um genau im richtigen Moment die Szene zu wechseln und mit dem 268 weiterzumachen, was ich davor gemacht habe. Nur dass ich mich dieses Mal nicht erwischen lassen wollte. Und wenn mir das nicht gelingen sollte, hätte ich - genau wie du - nach Ende der Dienstzeit einen netten Pluspunkt, den ich bei künftigen Schwierigkeiten ins Spiel bringen könnte.« Er überlegte kurz. »Aber jetzt, wo du es angesprochen hast, sieht es danach aus, dass wir beide ein wenig die Kontrolle über das verloren haben, was als Nächstes kommt. Falls du das mit den Möglichkeiten gemeint hast.« »Richtig«, sagte Garvin. »Hast du irgendwelche brillanten Ideen anzubieten?« »Hmmm«, machte Yoshitaro. »Wir hängen hier fest, und irgendwann wird irgendwer dafür sorgen, dass unsere nicht sehr hellen Köpfe als Matsch durch die Gegend fliegen.« »Genau.« »Es sieht wirklich nicht danach aus, dass die Lage in nächster Zeit friedlicher wird«, fügte er hinzu. »Davon bin ich ebenfalls überzeugt.« »Damit bleiben uns drei Möglichkeiten«, sagte Njangu. »Wir könnten uns freikaufen.« »Kennst du jemanden, der Geld hat?«, fragte Garvin. »Nein. Damit fällt das weg. Es sei denn, du findest unter deinen neuen Kumpels in der Oberstadt einen wahren Freund. Möglichkeit zwei: Wir desertieren.« »Wohin?« »Scheiße, keine Ahnung. Ich habe nur laut nachgedacht. Es dürfte ziemlich schwierig sein, in Leggett
unterzutauchen, obwohl ich nicht glaube, dass die Armee allzu intensiv nach uns suchen würde. Aber zumindest von außen betrachtet - scheint es hier keine gute kriminelle Szene zu geben, in die jemand wie ich ein269 steigen könnte. Du könntest dich jederzeit mit deinem Spielerglück über Wasser halten. Vielleicht sollte ich bei dir als Leibwächter anheuern.« »Glücksspiel rechnet sich nicht«, sagte Garvin. »Jedenfalls nicht auf lange Sicht. Früher oder später merkt irgendein Arschloch, dass du besser bist als er und immer die Asse in der Hand hältst. Also bricht er dir aus allgemeiner Unzufriedenheit die Daumen. Und mit kaputten Fingerknochen ist es schwierig, Karten auszuteilen.« »Klingt, als würdest du dich damit auskennen«, sagte Njangu beiläufig. »Hör auf zu bohren«, warnte Garvin ihn. »Eines Tages werde ich es dir erzählen. Aber nicht nur die Begleitumstände des Glücksspiels können gefährlich werden. Jeder, den ich kannte und der den kullernden Dingern mit den Punkten drauf verfallen war, fing früher oder später damit an, auf andere Sachen zu wetten, von denen er keine Ahnung hatte, und hat so seine letzte Unterhose verloren.« »Also klingt es nicht allzu verlockend, in die Welt des Verbrechens zu desertieren«, sagte Njangu. »Wir könnten uns zu einer anderen Insel durchschlagen und vielleicht tatsächlich für unseren Lebensunterhalt arbeiten.« Njangu erschauderte leicht. »Ich kenne ein Dorf, in dem wir als Fischer anfangen könnten.« »Damit erweckst du eine heimliche Sehnsucht in meinem tiefsten Innern«, erwiderte Garvin sarkastisch. »Abgesehen von einem gewissen sehr jungen Mädchen ist das bei mir nicht der Fall«, sagte Njangu. »Was ist mit dir? Du hast dich mit den Reichen verbrüdert. Wäre da nichts zu machen?« »Noch nicht«, sagte Garvin. »Aber ich breche in we270 nigen Minuten nach Leggett auf. Vielleicht entwickelt sich etwas. Allerdings ist das nur ein sehr vages Vielleicht.« Er dachte kurz nach. »Wir können immer noch schauen, ob die Banditen einen Ausbildungskader gebrauchen könnten.« »Keine sehr brillante Idee«, sagte Njangu. »Im Augenblick mögen wir noch ein Haufen Dummköpfe sein, aber früher oder später wird es zur Sache gehen. Und wenn es so weit ist, würde ich gerne von der richtigen Seite durch die Zieloptik blicken.« »Stimmt.« Garvin seufzte. »Also, was machen wir? Weiter Soldat bleiben?« »Das ist das Beste, was mir derzeit einfällt«, sagte Njangu leicht niedergeschlagen. »Weißt du, ich habe immer gedacht, ich wäre ein Typ mit einem guten Blick für große Chancen; so betrachtet, hast du mich eben mächtig deprimiert.« »Das habe ich bereits mit mir selbst gemacht«, sagte Garvin. »Ich schätze, wir werden einfach weiter nachdenken müssen.« »Scheint so«, sagte Njangu. »Es muss eine Möglichkeit geben. Und danke fürs Vorbeischauen, Finf Jaansma.« »Keine Ursache, Gefreiter Yoshitaro.« Garvin ging unruhig vor dem Bahnhof von Leggett auf und ab und hielt nach Jasiths kleinem rotem Gleiter Ausschau. Er achtete kaum auf die lange schwarze Antigravlimousine, die am Bordstein hielt. Bestenfalls warf er ihr einen leicht neidischen Blick zu - bis die Seitentür aufging und sich Jasith herausbeugte. »Garvin!«, rief sie. »Hier bin ich.« Sie klang nicht gerade glücklich. Garvin, der plötzlich an all die interessanten Mög271 lichkeiten denken musste, die Rücksitze bieten konnten, eilte hinüber. Er beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen, und wurde mit einem Kopfschütteln und einem knappen Händedruck begrüßt. »Garvin, ich möchte dir meinen Vater vorstellen«, sagte sie. Der große, selbstbewusste Mann, der neben ihr auf dem Rücksitz saß, streckte ihm eine Hand entgegen. »Godrevy Mellusin«, sagte er. »Jasith meinte, Sie hätten Kurzurlaub bekommen, den Sie in der Stadt verbringen wollten, und dass Sie keine speziellen Pläne gemacht hätten. Also dachte ich mir, dass ich euch beide zum Essen einlade.« Garvin war sehr zufrieden mit sich selbst, weil er nicht die Arme gen Himmel erhob und rief: »Warum verarschst du mich die ganze Zeit, Gott? Ich wollte doch nur Blütenblätter!« Stattdessen schüttelte er Mellusin mit festem, männlichem Druck die Hand. »Das ist das Mindeste, was ich für jemanden tun kann, der uns vor zwei Wochen das Leben gerettet hat«, sagte Mellusin. »Außerdem wollte ich unbedingt den Verehrer meiner Tochter kennen lernen. Ich weiß noch, wie es war, als ich jung war, als ich großen Appetit hatte, aber nichts, womit ich ihn stillen konnte. Also dachte ich mir, dass ich vielleicht ein wenig behilflich sein kann.« Garvin wusste nicht genau, ob er ein bösartig amüsiertes Funkeln in Mellusins Augen sah. »Springen Sie rein, Junge«, sagte er. »Ich habe schon alles im Club arrangieren lassen.« »Tut mir Leid«, flüsterte Jasith, als er einstieg. »Ich bin ihm in die Falle getappt.« Garvin hatte während seiner Reisen schon in zwei exklusiven Clubs gespeist und erschauderte bei dem Ge272 danken, dass er nun einen dritten kennen lernen würde. Er müsste nicht nur auf einen romantischen Abend
verzichten, sondern ihm würde zudem ein Essen vorgesetzt werden, das ein wenig schlimmer sein würde als die Kantinenmahlzeiten, die er im Camp Mahan erleiden musste. Doch er aß die Consomme und die Pastete mit Leber und Nüssen, den Braten mit Obstfüllung und Senfsoße, ein rotes, streng schmeckendes Gemüse, einen warmen Salat mit heißem Speck und einem süßlichen BrandyDressing. Und als Nachtisch gab es ein Schokoladensouffle mit Vanillesoße. Davor hatte Mellusin einen Kellner gerufen und gefragt, ob noch etwas von dem Taittinger von der Erde übrig war. Der Mann gab widerwillig zu, dass noch ein paar Kisten da waren. Nachdem der Kellner gegangen war, schüttelte Mellusin den Kopf. »Die meisten Sommeliers glauben, dass ihnen der Weinkeller gehört oder dass sie nach seiner Größe bezahlt werden und nicht nach ihrer Leistung. Wirklich traurig.« »Champagner von der Erde?«, sagte Garvin. »Ich bin mir nicht sicher, ob das für so eine Beförderung angemessen ist.« »Jeder Anlass ist einen Champagner wert, Garvin«, sagte Godrevy. »In meinem Alter reicht es bereits, eine weitere Nacht überlebt zu haben. Trotzdem schätze ich, dass wir in Anbetracht der gegenwärtigen Situation noch einmal darüber nachdenken müssen. Der einheimische Traubensaft eignet sich bestenfalls zum Schuhe putzen.« Dann wurde er wieder ernst. »Was halten Sie davon, dass wir den Kontakt zur Konföderation verloren haben?« »Dazu kann ich nichts sagen«, antwortete Garvin. »Nur, dass es mir gar nicht gefällt.« 273 »Wem gefällt es schon?«, sagte Jasith. »Keine neue Mode, kein Klatsch, kein Tratsch, keine Musik, keine Holos... es ist, als würden wir plötzlich im Vakuum leben.« »Das tun wir, meine Liebe«, sagte ihr Vater. »Du weißt genau, was ich meine«, sagte Jasith. »Manchmal glaube ich, dass meine Tochter mir einreden möchte, dass sie nichts im Kopf hat«, sagte Mellusin. »Damit würde sie mich verletzbarer machen.« Jasith lachte. »Endlich hast du mich durchschaut.« Der Champagner kam, wurde entkorkt, gekostet, für annehmbar befunden und eingegossen. Dann folgte das Essen. »Da Sie meiner Frage ausgewichen sind, Garvin«, sagte Mellusin, »möchte ich Ihnen eine andere stellen. Was halten Sie vom Besuch des Protektors Redruth? Machen Sie kein so überraschtes Gesicht! Normalerweise weiß ich über die meisten Dinge, die sich in diesem System ereignen, ein paar Sekunden danach Bescheid. Schließlich gehören die Mellusins zu den Zinsern.« »Ich weiß nicht so recht, ob ich dazu etwas sagen sollte, Sir«, erwiderte Garvin. »Ich weiß nur, dass fast alles, was in letzter Zeit geschehen ist, als streng geheim eingestuft wurde.« »Sie sind sehr vorsichtig. Ich habe bemerkt, dass Sie nicht einmal zugegeben haben, dass Redruth hier war.« »Ja, Sir.« »Die meisten Leute in Ihrem Alter können es gar nicht abwarten, jedem auf die Nase zu binden, dass sie über ein Geheimnis Bescheid wissen.« »Ich habe vor einiger Zeit eine lehrreiche Erfahrung gemacht.« 274 Mellusin wartete, aber Garvin gab keine weiteren Erklärungen ab. »Wie dem auch sei«, sagte der Mann, »jedenfalls bereitet es mir großes Unbehagen. Er kreuzt auf C-Cumbre auf, trifft sich einen halben Planetentag lang mit Haemer und seinem Stab und kehrt wieder nach Larix und Kura zurück. Kein Bankett, kein Staatsbesuch auf D-Cumbre, keinerlei Kontakt zu den Leuten, mit denen er sich bei seinem letzten Besuch getroffen hat. Zu denen zum Beispiel ich gehöre. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Da er auf C-Cumbre war, muss sein Besuch etwas mit der dortigen Rohstoffgewinnung zu tun haben. Doch er hat mich nicht kontaktiert, obwohl mir eine der größeren Bergbaugesellschaften gehört... woran auch der Sabotageakt vor ein paar Monaten nichts geändert hat. Das finde ich Besorgnis erregend. Würde es Ihnen an meiner Stelle nicht genauso gehen?« »Das ist sehr gut möglich, Sir«, sagte Garvin. »Der Braten schmeckt wirklich köstlich, nicht wahr?« »Gut, ich gebe es auf, Finf Schweiger«, sagte Mellusin. »Dein Freund scheint die Diskretion in Person zu sein.« Jasith lächelte amüsiert und dachte an die Lektion im Schwimmen, die Loy Kouro erhalten hatte. »Was ist daran so lustig?« »Nichts, Vater.« »Nun gut... ich werde mich um ein möglichst neutrales Gesprächsthema bemühen. Da Sie nicht von hier sind, Garvin, wie finden Sie D-Cumbre?« »Interessant.« »Von welchem Planeten kommen Sie?« »Von verschiedenen, Sir. Meine Familie war viel unterwegs.« »In welchem Gewerbe?« 275 95688201 »Im veranstaltenden Gewerbe, Sir. Familienunterhaltung.« »Sehr interessant. Und Sie wollten diese Tradition nicht fortführen?«
»Ich habe es eine Zeit lang getan, Sir«, sagte Garvin. »Aber dann haben sich die Umstände geändert, und ich beschloss, mich zum Dienst in der Armee zu melden.« »Keine schlechte Idee«, sagte Mellusin. »Ich habe mich oft gefragt, was geschehen wäre, wenn ich mich für eine militärische statt einer geschäftlichen Karriere entschieden hätte. Und so sind Sie hier gelandet, am Rand des Nirgendwo.« »Bislang«, sagte Garvin, »gefällt mir Cumbre.« Er warf Jasith einen bedeutungsvollen Blick zu und wurde belohnt, indem sie - verborgen unter dem langen Tischtuch - einen Schuh auszog und mit dem Fuß an der Innenseite seines Oberschenkels entlangfuhr. »Gut«, lobte Mellusin. »Für junge Menschen mit Ambitionen gibt es in den Grenzgebieten immer einen Platz.« »Zufällig«, sagte Garvin, »habe ich mich heute mit einem guten Freund über das gleiche Thema unterhalten. Wenn ich mich nach dem Ende meiner Dienstzeit nicht weiter verpflichten würde - welche Möglichkeiten hätte ich dann hier auf D-Cumbre?« Jasith legte ihren nackten Fuß in Garvins Schoß und bewegte die Zehen. »Ich habe gesehen, dass Sie wissen, welche Gabel man wozu benutzt, und ich habe Ihre Diskretion bereits anerkennend gewürdigt«, sagte Mellusin. »Damit kämen Sie ganz klar als Angestellter einer Rentierfirma in Frage. Die Mellusin-Bergwerke zum Beispiel können immer gute Sicherheitsleute gebrauchen.« 276 Garvin nickte. »Ich denke, wenn meine Zeit bei der Armee vorüber ist, wird mein Bedürfnis, als Zielscheibe für mutwillige Schützen zu dienen, der Vergangenheit angehören.« Mellusin lächelte. »Ehrgeiz wird auf D-Cumbre gut belohnt«, sagte er. »Und Ihnen ist bestimmt schon aufgefallen, dass hier ein eigenes Klassensystem herrscht.« »Es ist mir nicht entgangen«, sagte Garvin tonlos. »Manche sagen, es entspräche der natürlichen Ordnung der Dinge«, sagte Mellusin. »Auch das ist mir nicht entgangen.« »Garvin war derjenige, der sich... der eine Begegnung mit Loy Kouro hatte«, sagte Jasith. Dann blickte sie die beiden Männer fragend an und schien sich unsicher zu sein, ob sie etwas hätte sagen sollen. »Sie waren derjenige, der den jungen Narren in den Lilienteich geschubst hat?« »So ist es, Sir. Aber diesem Vorfall war eine Provokation vorausgegangen.« »Das ist häufig der Fall, wenn ein Kouro involviert ist. Dasselbe gilt für seinen Vater. Beide Kouros sind Idioten. Ich vermute, er hat irgendetwas über die natürliche Unterlegenheit der 'Rauhm gefaselt.« »So war es, Sir. Während ein 'Rauhm neben ihm stand. Meiner Ansicht nach war es ein Zeichen von sehr schlechtem Geschmack.« »Das«, sagte Mellusin, »ist der Grund, warum manchen Leuten in dunklen Gassen aufgelauert wird. Ich habe ihn gewarnt. Er soll seine privaten Ansichten für sich behalten oder sie zumindest nur vor den richtigen Personen äußern — oder sie sich für die Meinungsspalte des Matin aufheben. Aber er will nicht auf mich hören. Man kann nur hoffen, dass er die Kunst der Diskretion 277 erlernt, bevor jemand sie ihm beibringt, und zwar auf wesentlich schmerzhaftere Weise, als Sie es getan haben.« Garvin nickte schweigend. »Ich habe davon gesprochen«, fuhr Mellusin fort, »dass es auf D-Cumbre ein Klassensystem gibt, und zwar seit der Zeit kurz nach dem Eintreffen der ersten Siedler, als die Minen eröffnet wurden und die wenig später aufgetauchten 'Rauhm angefangen haben, für uns zu arbeiten. Die meisten Leute, von ganz oben bis ganz unten, mögen es so, wie es ist — eine klar geordnete Gesellschaft. Die Menschen werden unruhig, wenn sie sich ihrer Zukunft nicht mehr sicher sind, und es ist die natürliche Aufgabe der Herrschenden, diese Ordnung behutsam zu steuern. Ist Ihnen nicht gut, Garvin?« Jaansma schwitzte leicht, denn Jasiths Zehen bewegten sich intensiv zwischen seinen Beinen, und sie hatte Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen. »Nichts, Sir. Hier ist es nur recht warm.« Mellusin winkte einem Kellner und trug ihm auf, die Geschwindigkeit des Deckenventilators zu erhöhen. Während er abgelenkt war, kniff Garvin in Jasiths großen Zeh. Sie unterdrückte einen Schmerzensschrei und zog ihren Fuß zurück. »So«, sagte Mellusin. »Wo waren wir stehen geblieben?« »Sie wollten gerade erklären, warum die Zinser die rechtmäßigen Herrscher des Cumbre-Systems sind.« Mellusin sah Garvin streng an, der ihm mit einem offenen, interessierten Blick antwortete. »Komm jetzt, Garvin«, sagte Jasith. »Sie haben dein Shuttle aufgerufen.« 278 »Schon unterwegs«, sagte er und stieg vorsichtig aus der Limousine, weil ihm bewusst war, dass er leicht angetrunken war. »Vielen Dank für das Abendessen und ein... sehr interessantes Gespräch, Sir.« »Ich danke Ihnen«, sagte Mellusin. »Es war mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, und mir geht es ähnlich wie meiner Tochter - ich bin beeindruckt. Ich freue mich bereits auf ein Wiedersehen mit Ihnen, Garvin Jaansma.« »Danke, Sir. Wir werden uns bestimmt wieder sehen.« »Nun komm endlich!«, rief Jasith, und Garvin trottete zu ihr hinüber. Er stierte auf die Anzeigetafel mit den
Abflugzeiten. »Hast du nicht gesagt, dass das Shuttle gleich abfliegt? Ich habe immer noch fünfzehn Minuten.« »Und ich wollte die Zeit nutzen, um dich zu küssen, Idiot. Das dürfte mindestens fünfzehn Minuten beanspruchen. Oder willst du lieber zu meinem Vater zurückgehen und noch eine Weile rumsülzen?« »Nein. Wir sollten uns einen abgeschiedenen Winkel suchen. Weißt du, was ich jetzt eigentlich tun möchte?« Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. »Garvin Jaansma! Solche Ausdrücke hätte ich von dir nicht erwartet!« »Ich wollte nur dafür sorgen, dass es keine Missverständnisse gibt, was wir tun könnten, wenn wir uns das nächste Mal sehen.« »Damit hast du in der Tat jegliche Missverständnisse aus dem Weg geräumt«, sagte Jasith und bemühte sich, so zu tun, als wäre sie schockiert. »Jetzt sage ich dir, was ich gerne tun würde.« Nun flüsterte sie ihm ins Ohr. »Gütiger Himmel!«, sagte Garvin. »Ich wusste gar nicht, dass reiche Mädchen so reden können!« 279 »Aber sicher können wir das«, sagte sie mit kehliger Stimme. »Und du solltest erleben, was wir mit unserem Mund tun können, wenn wir nicht reden. Das ist noch viel schockierender!« 24 Tak Jav Hofzeiger war den Tränen nahe. Niemand... weder sein verehrter Vater, der auf Mauren VI den Rang eines Aut innegehabt hatte, noch seine Ausbilder am Militärinstitut auf Centrum oder seine Offizierskollegen hatten ihm gesagt, dass es im Kampf so zugehen würde. Ihre Blaster waren schussbereit, die Zhukovs und Griersons im hohen Orbit waren mit echten Raketen und scharfer Munition geladen, und seine Befehle lauteten, jeden bewaffneten Menschen zu töten, der sich auf Zuruf nicht ergab. Doch bislang hatte er noch niemanden gesehen, auf den er hätte schießen müssen, ganz zu schweigen, dass jemand auf ihn geschossen hätte. Nur unwissende Hügelbewohner, die völlig perplex auf seine Fragen reagierten, die nicht einmal zu wissen schienen, wo ihre dreckigen kleinen Dörfer auf der Landkarte zu finden waren. Aus drei Koms prasselten Fragen und Anweisungen auf ihn ein. Die Geräte wurden von drei schwitzenden Soldaten getragen, die vor dieser Patrouille als Schützen gedient hatten. »Assegai Delta Zwei«, quäkte ein Kom, »hier ist Assegai Delta... geben Sie Ihre derzeitige Position an...« Assegai Delta war der befehlshabende Offizier des Vier280 ten Infanterieregiments, Mil Fran Whitley, ein rauer, aber herzlicher Mann, den Hofzeiger immer respektiert hatte, bevor dieser Alptraum begonnen hatte. Hofzeiger war Assegai Delta Zwei - Vierte Infanterie, Delta-Kompanie, Zweite Einheit — und hatte siebzehn weitere Infanteristen unter sich. »Assegai Delta Zwei«, kam es aus einem anderen Kom, »hier ist Delta Sechs... na los, Hofzeiger. Ich habe Ihr Bravo-Element auf dem Sichtschirm, und es hat sich von Ihrer Marschrichtung getrennt. Schlage vor, dass Sie einen Verteidigungsring bilden, bis Sie zur Haupttruppe stoßen, Ende.« Delta Sechs war Cent Theresa Rivers, die Kommandantin der Delta-Kompanie. Sie zumindest klang nur nervös. Hofzeiger hielt sie für einen verdammt guten Offizier, auch wenn sie ein wenig zu ehrgeizig war. Dann wurde ihm bewusst, dass seine Leute dasselbe über ihn sagen würden, zumindest, was den Ehrgeiz betraf. »Assegai Delta Zwei, hier ist Lanze Sechs. Warum bewegen Sie sich so langsam? Sie müssen unbedingt Ihr befohlenes Tagespensum schaffen... Sie liegen mindestens vier Kilometer hinter dem Marschplan zurück... Geben Sie Ihre gegenwärtige Position durch, Ende.« Lanze Sechs war Gott, Caud Jochim Williams, der genau über ihnen in seinem Cooke schwebte. Rivers war an Bord eines Grierson und der Kommandant des Regiments in einem anderen Cooke. Drei Kommandoebenen schwebten dicht über den Köpfen seiner Patrouille, die das Gebiet von Dharmas Küstenebene bis zum unheimlichen, unbewohnten und nebelverhangenen Hochland durchkämmen sollte. Sektion II - der Geheimdienst der Streitmacht - behauptete, dass sich die 'Rauhm in diesen Hügeln versteckten, 281 die Bauern unterdrückten und sie mit vorgehaltener Waffe zwangen, ihnen Nahrung, Unterkunft und neue Rekruten zur Verfügung zu stellen. Doch bis jetzt waren sie keinem einzigen Banditen begegnet. Hofzeiger hatte nur das endlose Gejammer seiner Offiziere gehört, seit sie vor Sonnenaufgang seinem Grierson entstiegen waren. Er hätte am liebsten alle drei Mikros auf einmal genommen und hinein geschrien, dass sie die Klappe halten sollten, damit er einen Moment lang nachdenken konnte, damit er wenigstens feststellen konnte, wo auf der völlig unzuverlässigen Karte - von der er sich nicht einmal sicher war, dass sie die Insel Dharma darstellte, auch wenn die Legende es behauptete - er sich gerade befand. Damit er einen Moment Zeit hatte, seiner Einheit eine Ruhepause zu gönnen und sie neu zu formieren. Verdammt, er war kein schlechter Offizier... vielleicht nicht der beste des Regiments, aber er hatte immer wieder die Einstufung »überragend« erhalten. Und nun gab man ihm keine Chance, sich zu beweisen. Ein Komträger warf Hofzeiger einen mitfühlenden Blick zu. Der Tak war kein schlechter Kerl, und diese Holzköpfe oben am Himmel hatten keine Ahnung, was es hieß, hier unten durch den Matsch zu kriechen, einen
fünfundvierzig Grad geneigten Hang aus klebrigem, feuchtem Lehm hinauf, und dabei ständig aufpassen zu müssen, dass man nicht abrutschte und wieder unten am Meer landete, wo ihr Aufstieg begonnen hatte, und das gelegentlich verheißungsvoll in der Ferne zu erkennen war. Sie wurden vom Regen durchnässt, die Gepäckriemen schnitten in Schultern und Rücken, der Blaster wog mit jedem Schritt ein halbes Kilo mehr, die 282 verdammten Ranken zerrten an den Füßen, dornige Zweige peitschten einem ins Gesicht, und unheimliche Geräusche im Unterholz jagten einem ständig neue Schrecken ein. Von alldem hatten die da oben keine Ahnung. »In Deckung gehen«, flüsterte der Mann vor einem der Komträger. Niemand verstand, warum es wichtig sein sollte, Stille zu wahren, während oben die Triebwerke röhrten und die Koms lärmten. »In Deckung gehen«, gab der Komträger gehorsam an Hofzeiger weiter. Der nickte stumm und erinnerte sich dann an seine eigenen Befehle. Er gab die Anweisung an die Kolonne weiter, wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff nach dem Kom, über den Williams Kontakt hielt, weil er sich dachte, dass er am wichtigsten war. »Lanze Sechs, hier ist Assegai Delta Zwei, Position unbestimmbar, Karte nicht korrekt... Gelände nahezu unpassierbar... wir hauen uns den Weg frei... Ende.« »Delta Zwei, hier ist Lanze. Ich habe nicht nach Ausreden gefragt, Soldat! Befolgen Sie meine Befehle, sonst werde ich jemanden nach unten schicken, der es tut!« Hofzeiger wollte fluchen, aber er ließ lediglich das Mikro zweimal klicken - Nachricht empfangen. Von vorn kam die geflüsterte Meldung: »Dorf voraus. Bewohnt. Sechs Mann nach vorn.« »Verdammt!«, murmelte Hofzeiger. »Wieder eins, das nicht auf der Karte eingezeichnet ist.« Er schaltete das Mikro ein. »Lanze, hier ist Delta Zwei. Wir müssen ein Dorf erkunden.« Er sprach dieselbe Nachricht in die anderen beiden Koms. »Sechs Mann nach vorn«, flüsterte er nach hinten und kämpfte sich den Pfad voran, den die anderen durch das Unterholz geschlagen hatten. Seine Komträger folgten ihm, 283 doch dann hatte Hofzeiger eine geniale Idee. »Ihr drei bleibt auf Position. Ich nehme eine persönliche Erkundung vor.« Der erste Mann grinste — nicht schlecht. Wenn Hofzeiger nicht in der Nähe war, konnte er auch nicht angebrüllt werden, nicht wahr? Hofzeigers Sergeant, Tweg Adeon, wartete am Rand eines mit Unkraut durchwachsenen Getreidefeldes. Vor ihnen lag das Dorf - eine Ansammlung von Hütten rund um einen Platz, auf dem ein einziger öffentlicher, von einem Holzdach geschützter Komanschluss stand, außerdem ein Fertigbau aus einer Halbkuppel mit abblätternder Farbe - laut Aufschrift das »Kaufhaus« -und ein langer Schuppen, der auf einer Seite offen war und als Gemeinschaftszentrum des Dorfes, als Kneipe und als Versammlungshaus diente. »Sehen Sie irgendwelche Anzeichen von Feindseligkeit?«, fragte Hofzeiger. Adeon schüttelte den Kopf. »Zwei Kinder, eine abgemagerte Frau, die aussieht, als wäre sie seit sechsunddreißig Monaten schwanger, zwei Gipfels. Keine Kobolde. Dieses gottverdammte Dorf macht nicht den Eindruck, als könnte es mehr als einen Banditen am Leben erhalten, und wenn, dann muss er seine Beute in Strohkörben davon schaffen.« Gipfels waren größtenteils domestizierte Geschöpfe, die auf D-Cumbre heimisch waren und den Bauern in den Hügeln als Wach- und Haustier und als Nahrung dienten. Ihr weißes, an Schweinefleisch erinnerndes Fleisch war häufig das einzige Protein, das diese bedauernswerten Menschen, abgesehen von Wildtieren, zu sich nehmen konnten. Die ersten Siedler hatten Hühner importiert, doch sie waren sofort zur Lieblings284 speise der Stobors geworden, kleiner zweibeiniger Räuber mit schlangenähnlichem Körper. Hofzeiger sah, dass ein Mann aus einer Hütte blickte und sofort wieder den Kopf einzog. »Sie wissen, dass wir hier sind«, sagte er. »Die Patrouille soll nachkommen, Kampfformation einnehmen und das Dorf durchkämmen. Adeon, Sie und ich sehen nach, ob dieser Typ da drüben etwas weiß.« »Und ob er bereit ist, es uns zu sagen«, murmelte Adeon. Fünfzehn Minuten später hatte die Einheit das Dorf durchsucht und nichts gefunden — außer sechsundzwanzig verängstigten Bewohnern, ausschließlich Kinder, Frauen und Alte. Das hätte einen erfahrenen Soldaten sofort misstrauisch machen müssen, aber Hofzeiger dachte an andere Dinge. Alle drei Koms überschlugen sich mit Anfragen von den hohen Tieren, die wissen wollten, was los war, ob die Patrouille etwas entdeckt hatte, wie dieser oder jener Tatbestand zu interpretieren war. Hofzeiger ignorierte das Gequassel und fragte einen Dorfbewohner, den er wahllos herausgriff, nach seinem Namen. »Eichere«, sagte der Mann zögernd. »Und wie lautet der Name dieses Dorfes?« »Es hat keinen«, sagte Eichere. »Wir nennen es nur unser Dorf.« »Lauter Kosmopoliten hier«, sagte einer der Komträger. »Still«, befahl Hofzeiger. »Gibt es in dieser Gegend Banditen?« »Banditen? Ich weiß nicht, was Sie meinen.« »Männer mit Waffen. Männer, die sich weigern, die Gesetze der Regierung zu achten«, erklärte Adeon ungeduldig.
285 »Die einzigen Männer mit Waffen, die ich gesehen habe, sind Sie«, sagte Eichere. »Ich weiß nicht, ob Sie die Gesetze achten oder nicht.« »Versetzt dem Kerl ein paar kräftige Tritte in den Hintern«, sagte ein Finf. »Wir sind nicht gekommen, um uns Witze erzählen zu lassen.« Hofzeiger warf dem Unteroffizier einen tadelnden Blick zu und wandte sich wieder an Eichere. Ein halbes Dutzend Dorfbewohner näherte sich vorsichtig, um zuzuschauen und zuzuhören. »Sind Sie sich ganz sicher, dass es hier keine Banditen gibt?« Eichere presste die Lippen zusammen, blickte weg und nickte. »Er lügt«, sagte eine Frau. Sie war Anfang dreißig und wirkte nicht ganz so verlebt wie die anderen. Auch ihre Lumpen waren etwas sauberer und gepflegter. »Wer sind Sie?« »Mein Name ist Balcha.« »Haben Sie Banditen gesehen?« »Natürlich«, sagte sie. »Wir alle haben sie gesehen. Aber er... und die anderen... haben viel zu viel Angst, etwas zu sagen.« »Warum? Wir beschützen Sie vor ihnen.« »Auch nachts?«, gab Eichere zynisch zurück. »Werden Sie aus Ihrer Stadt zurückkommen, um dafür zu sorgen, dass sie meine Hütte nicht niederbrennen? Während ich mich darin befinde?« »Du bist ein Feigling, Eichere«, sagte Balcha verächtlich. »Wir müssen der Regierung vertrauen.« Eichere schnaufte nur. »Wohin sind die Banditen gegangen?«, wollte Hofzeiger wissen. 286 »Sie benutzen den Pfad, der von da drüben...« - sie deutete auf die andere Seite des Dorfes - »...bis ins Hochland führt. Zumindest habe ich das gehört. Ihr Lager ist nicht weit von hier entfernt.« »Ein Lager?« »Ja, Sir«, sagte sie. »Könnten Sie uns hinführen?« Balcha zögerte. »Ich bezahle Sie dafür«, sagte Hofzeiger. »Nein«, erwiderte sie. »Ich nehme kein Geld. Aber wenn ich Sie zu ihnen bringe, werden Sie dann alle töten? Damit wir in Sicherheit leben können?« »Wir werden nur diejenigen töten, die uns Widerstand leisten«, sagte Hofzeiger. »Die anderen werden verhaftet und in der Stadt vor Gericht gestellt; dort werden sie dann ihre gerechte Strafe erhalten.« »Und sie werden nie wieder zu unserem Dorf zurückkehren?« »Nein«, sagte Hofzeiger entschlossen. »Dann folgen Sie mir. Es sind nur... zwei, vielleicht drei Stunden von hier.« Sie drehte sich um und marschierte los. »Warten Sie, Balcha«, sagte Hofzeiger. »Zuerst muss ich meinen Vorgesetzten Bericht erstatten.« Zwanzig Minuten später zögerte Balcha, die in der Kolonne an zweiter Stelle ging, an einer Weggabelung. »Hier entlang«, sagte sie, doch sie schien sich nicht ganz sicher zu sein. »Großartig«, flüsterte ein Gefreiter. »Noch so ein weit gereister Führer. Verläuft sich schon einen halben Kilometer von zu Hause entfernt.« Ein paar Minuten später hielt sie neben einem zwei 287 Meter hohen Hügel aus Lehm an, der von den emsigen Insekten errichtet worden war, die die Cumbrianer als Ameisen bezeichneten. Sie grübelte eine Weile, dann wandte sie sich an Tak Hofzeiger, der zusammen mit Tweg Adeon und den drei Komträgern hinter ihr ging. »Ich glaube, wir gehen in die falsche Richtung. Ich würde gerne zur Gabelung zurückgehen und sie mir noch einmal genauer ansehen. Könnten Sie mir zur Sicherheit einen Mann mitgeben?« Hofzeiger brummte leise und erhaschte den Blick eines Gefreiten, der nicht schnell genug weggeschaut hatte. »Habr. Gehen Sie mit ihr zurück.« Er streckte eine Hand aus, und ein Funker reichte ihm ein Mikro. »Der Boss wird begeistert sein«, murmelte er. »Delta Sechs, hier ist Assegai Delta Zwei...« Balcha wartete, bis sie und Habr hinter einer Biegung des Pfades verschwunden waren, dann stolperte sie und fiel auf die Knie. Habr bückte sich, um ihr aufzuhelfen, stöhnte und starrte entsetzt auf den Messergriff, der aus seinem Solarplexus ragte, knapp unterhalb seiner Kampfweste. Sein Gesicht verzerrte sich, dann wurde sein Blick leer, und er brach zusammen. Die Frau, die sich Balcha genannt hatte, legte zwei Finger an die Lippen und pfiff. Ein Stück weiter hörte Comstock Brien, der sich etwa fünf Meter neben dem Pfad im Unterholz versteckt hatte, den Pfiff und nickte dem Mann zu, der einen kleinen Plastikkasten mit einem einzigen Knopf hielt. Der Mann entriegelte den Kasten und drückte den Knopf. 288
Der verlassene Ameisenhügel war hastig auf der Rückseite geöffnet worden, als die Späher gesehen hatten, wie die Patrouille der Vierten aus dem Grierson gestiegen war. Zerbrochene Flaschen, rostige Nägel und andere Trümmer aus der Abfallgrube des Dorfes waren innen im Hügel aufgehäuft und zweihundert Kilo Sprengstoff hinzugefügt worden. Ein Teil davon stammte aus dem Überfall auf C-Cumbre einige Monate zuvor. Schließlich waren noch zwei ferngesteuerte Zünder dazugekommen und dann war das Loch mit feuchtem Lehm versiegelt worden. Die Explosion atomisierte Tak Hofzeiger, seine Komträger, den Rest der Kommandogruppe und sechs der anderen zwölf Männer und Frauen. Die Hälfte der Überlebenden lag schreiend und vor Schmerzen stöhnend am Boden, andere waren wie betäubt und starrten die von Blutspritzern übersäten Leichen an. Brien rief einen Befehl, und dreißig Männer und Frauen brachen aus ihren Verstecken hervor. Es folgte ein chaotischer Schusshagel aus Sportgewehren und Karabinern. Dann waren nur noch zwei Soldaten übrig, die Laute von sich gaben — sie wimmerten wie verwundete Kätzchen, während sie sich in Qualen wanden. Brien erschoss einen mit einer Pistole, und eine Frau tötete den anderen. »Schnell«, befahl er. »Nehmt die Waffen, die Stiefel, alles.« Eine Frau drehte eine junge Soldatin auf den Rücken, sah, wie sich ihre Brust hob und senkte, und richtete ihr archaisches Gewehr auf sie. »Nein«, flüsterte die Soldatin. »Bitte!« Ein Schuss aus dem Gewehr, und sie rührte sich nicht mehr. Eine Kom-Einheit hatte grotesker weise die Explosion überlebt. 289 »Delta Zwei, Delta Zwei, hier ist Delta Sechs. Was zum Teufel ist da unten los? Delta Zwei, melden Sie sich unverzüglich!« »Den nehmen wir auch mit«, sagte Brien. »Unsere Aufgabe ist leichter zu erfüllen, wenn wir ihre Gespräche mithören können.« Balcha kam zurück. »Sehr gut«, lobte Brien die Frau. Sie bedankte sich mit einem Nicken, beugte sich über eine Leiche und nahm die Kampfausrüstung an sich. »Gibt es irgendjemanden im Dorf, der versucht hat, mit den Giptels zu kollaborieren?«, fragte er. »Nein«, erwiderte sie. »Die Leute sind gut geschult. Wir müssen niemanden bestrafen.« Vier Minuten später waren auf dem Pfad nur noch zwölf nackte Leichen übrig. Caud Williams stieg aus seinem Cooke und ging langsam über die Lichtung, die am Schauplatz des Hinterhalts hastig aus dem Dschungel geschlagen worden war. Soeben wurden die letzten Leichen in schwarzen Säcken verstaut. Cent Rivers, der befehlshabende Offizier von Delta, saß auf einem umgestürzten Baumstamm und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Cent Angara ging zu Williams und salutierte. »Lassen Sie das«, sagte der Caud. »Wir befinden uns in einer Kampfzone!« »Tut mir Leid, Sir«, sagte Angara. »Ich hatte... an andere Dinge gedacht.« Williams nickte und blickte den Pfad entlang. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Feinde diese tapferen Soldaten erledigen konnten, bevor sie überwältigt wurden?« »Keine, Sir. Es gibt keine Blutspuren.« »Dann müssen sie aufgeräumt haben, bevor sie geflo290 hen sind, diese Mistkerle«, sagte Williams. »Nun gut, dann müssen wir eben eine Schätzung abgeben.« »Sir?« »Was glauben Sie, wie viele Banditen sie mit in den Tod reißen konnten?« »Sir, es gibt keinerlei Hinweise, dass die Feinde Verluste erlitten haben«, sagte Angara. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Soldaten, die ich ausgebildet habe, nicht in der Lage waren, sich zu wehren«, sagte Williams mit Nachdruck. »Können Sie sich vorstellen, welchen Einfluss es auf die Moral hätte, wenn wir den Männern und Frauen der Streitmacht sagen müssten, dass ihre Kameraden ohne Chance auf Gegenwehr abgeschlachtet wurden?« Angara sagte nichts. »Nun gut«, sagte Williams. »Achtzehn unserer Leute sind ums Leben gekommen... wahrscheinlich konnte jeder mindestens einen Feind mitnehmen. Im Tagebuch der Einheit werden die Verluste der Gegenseite als vermutlich einundzwanzig Tote und fünfzehn Verletzte angegeben.« Angara schwieg immer noch. »Kann ich davon ausgehen, dass Sie mich verstanden haben, Cent?« »Ja, Sir«, sagte Angara. »Vermutlich einundzwanzig Tote und fünfzehn Verletzte. Sir.« Williams starrte ins Leere, und Angara wandte den Blick ab. »Was ist mit dem Dorf?« »Ich habe ein Verhörteam hingeschickt. Bislang konnte niemand Genaueres in Erfahrung bringen. Die Frau, die ihre Hilfe angeboten hat, kam ins Dorf, kurz nachdem die Dorfbewohner gehört hatten, wie unsere Leute gelandet waren. Sie sagte, man sollte sie wie eine 291 von ihnen behandeln, sonst würden die anderen es bitter bereuen, und man sollte allem zustimmen, was sie sagte. Die meisten der jungen Männer aus dem Dorf haben sich bereits den Banditen angeschlossen. Die Bewohner sagten, sie wären dazu gezwungen worden. Ich bin mir nicht sicher, ob das der Wahrheit entspricht. Sie haben
keine Ahnung, woher die Banditen kamen, wohin sie gingen, wie viele es waren. Nichts.« »Gut«, sagte Williams. »Abtreten.« Er atmete tief durch, ging zu Rivers hinüber und setzte sich neben sie. Die Frau hob den Kopf, und Williams sah die Tränenspuren. »Sie haben sie zu Soldaten gemacht ... und nun haben Sie sie verloren«, sagte er leise. »So ist es schon immer gewesen. Beim ersten Mal ist es immer am schlimmsten.« »Jav... Tak Hofzeiger war einer meiner besten Leute«, sagte sie. »Ich hatte ihn zur Beförderung zum Cent vorgeschlagen. Und nun...« Sie blinzelte und schluckte. »Sie haben meine komplette Einheit abgeschlachtet, Caud. Sie haben Finf Zelen ins Gesicht geschossen... sie hätte überleben können, wenn wir sie rechtzeitig hätten evakuieren können. Aber...« Sie sagte nichts mehr. »Kommen Sie, Theresa«, sagte Williams. »Es sind immer noch fast einhundertsechzig Leute am Leben, die auf Ihre Führung vertrauen.« »Ich weiß. Ich hoffe nur, dass wir eine Möglichkeit finden, es ihnen heimzuzahlen.« »Das verspreche ich Ihnen«, sagte Williams entschlossen. Rivers blickte auf einen dunklen, bereits angetrockneten Fleck. Sie presste die Lippen zusammen. »Ja, Sir. Jemand wird dafür bezahlen! Und zwar sehr bald.« 292 Zwei Nächte später landete ein Grierson im letzten Tageslicht etwa einen halben Kilometer vom Dorf entfernt. Fünfundzwanzig Männer und Frauen in dunklen Kampfanzügen und mit geschwärzten Gesichtern und Händen stiegen aus. Alles Freiwillige. Sie hatten Pistolen und Dolche dabei. Da nur die zwei kleineren Monde Kailas und Bodwin am Himmel standen, war es verhältnismäßig dunkel. Die Freiwilligen versammelten sich um Cent Rivers. Sie zog ihr Messer und hielt es hoch. »Ich will, dass jeder auf D-Cumbre weiß, dass die Streitmacht niemals vergisst... und dass wir jeden Mörder bestrafen. Jeder im Dorf hat sich schuldig gemacht. Ich übernehme die Führung.« Sie steckte ihr Messer wieder ein, und die fünfundzwanzig Männer und Frauen rückten vor, durch den Dschungel auf das Dorf zu. »Hast du schon davon gehört?«, fragte Garvin. »Habe ich«, sagte Njangu bedrückt. »Welche Version?« »Beide. Der Matin behauptet, die gesetzlosen 'Rauhm hätten es getan, weil einer der Dorfbewohner sie an uns verpfiffen hat. Das ist die offizielle Fassung.« »Und du weißt, dass das Quatsch ist.« »Klar.« »Scheiße, aber das wird ihnen eine Lehre sein«, ereiferte sich Garvin. »Wer den Stier reizt, bekommt es mit den Hörnern zu tun. Wie viele haben sie getötet?« »Etwa vierzig«, sagte Njangu. »Hauptsächlich Frauen und Kinder.« »Ich habe gehört, Cent Rivers hat den Überfall persönlich angeführt.« 293 »Habe ich auch«, sagte Njangu. »Und weswegen bist du so deprimiert? Das dürfte all den illegalen Siedlungen da draußen einen Riegel vorschieben. Die Leute werden begreifen, dass sie nicht auf beiden Seiten spielen können.« »Garvin«, sagte Njangu müde, »denk endlich nach, Mann!« »Worüber? So läuft es nun mal im Leben. Sie töten einen von uns, wir töten ein Dutzend von ihnen. Das wird ihnen eine Lehre sein, damit aufzuhören, die Gesetzlosen zu unterstützen.« »Es wird ihnen in der Tat eine Lehre sein«, sagte Njangu. »Sie werden daraus lernen, zu den Guerillas überzulaufen.« Garvin starrte seinen Freund an. »Wie kommst du darauf?« »Ganz einfach«, sagte Njangu. »Betrachte die Sache mal aus der Perspektive der Dorfbewohner. Wir schauen bei ihnen vorbei und ziehen uns nach einer halben Stunde wieder auf unsere Insel zurück. Die 'Rauhm wohnen gleich nebenan. Die Dorfbewohner können nun eine halbe E-Stunde für uns gegen sechsundzwanzigeinhalb für die Rebellen gegeneinander aufrechnen.« »Klar.« Garvin nickte. »Wenn du nun in so einem Dorf leben und gerne am Leben bleiben würdest, zu wem wärst du netter?« »Ich schätze, zu den 'Rauhm«, sagte Garvin widerstrebend. »Jetzt schicken wir Patrouillen in die Hügel. Wir bringen Gesetz, Ordnung und Gerechtigkeit. Und nachdem eine unserer Patrouillen in einen Hinterhalt geraten ist, fällt uns nichts Besseres ein, als einen Todestrupp zusammenzustellen und das Dorf auszuradieren. Eine über294 zeugende Form von Gerechtigkeit und bestimmt genau das Richtige, um die Menschen dazu zu bringen, uns heiß und innig zu lieben.« »Wer sagt, dass wir geliebt werden wollen? Deshalb hat man uns Waffen in die Hand gedrückt.« »Streng deinen Grips an, mein Freund«, sagte Yoshitaro. »Nachdem die blöde Kuh ihr Gemetzel angerichtet hat,
dürften alle Dreckfresser, die sich Gedanken gemacht haben, keine Schwierigkeiten mehr haben, eins und eins zusammenzuzählen. Auf welche Seite würdest du dich schlagen, wenn du da draußen leben würdest?« »Scheiße«, sagte Garvin und sackte auf Njangus Koje in sich zusammen. »Ich habe wirklich nicht nachgedacht.« »Wie es scheint, hat das niemand von uns getan«, sagte Njangu. »Und ich wette, dass jetzt auch niemand damit anfängt. Williams kann Rivers nicht vor Gericht stellen, selbst wenn er es wollte. Womit ein netter Präzedenzfall für den nächsten Idioten geschaffen wird, der wütend zur Waffe greift, weil man seinem Kumpel den Schädel weggeschossen hat.« »Ich schätze, du hast Recht.« »Ich weiß, dass ich Recht habe«, sagte Njangu. »Wie kommt es, dass du so verdammt schlau bist?«, fragte Garvin. »Ich bin nicht schlau, nur gerissen«, erklärte Njangu. »Polizisten machen alle möglichen Fehler. Ganoven nur einen einzigen.« »Also sollte ich das Denken von nun an lieber dir überlassen?«, sagte Garvin. »Könnte sicherer sein. Und ich werde noch eine Voraussage machen. Nach diesem Rachefeldzug wird sich 295 absolut nichts verbessern. Es wird zu weiteren Überfällen auf Patrouillen kommen, und schon bald werden wir uns nur noch in Kompaniestärke in die Hügel wagen. Dann werden sie Heckenschützen gegen uns einsetzen, während wir durch den Dschungel stapfen, und uns einen nach dem anderen erledigen.« »Ich habe deinen Optimismus schon immer bewundert«, sagte Jaansma. »So bin ich eben«, sagte Njangu. Er legte das Visier ab, das er sorgfältig geputzt hatte, und nahm seine Mütze vom Kopfende der Koje. »Komm jetzt. Ich erlaube dir, mir ein Bier auszugeben. Vielleicht werde ich dann wieder zum lachenden Idioten, genauso wie der Rest dieser mörderischen, gottverdammten Streitmacht.« Drei Tage später wurde ein Angriffstrupp ausgelöscht, und vier Tage danach wäre die Ehrengarde des Hauptquartiers fast in einen Hinterhalt geraten, als sie fünf Kilometer jenseits der Oberstadt das Gelände durchkämmte. Unter den 'Rauhm gab es ein halbes Dutzend bestätigte Todesopfer, obwohl behauptet wurde, dass es über neunzig waren. Nur sieben waren gefangen genommen worden. Sechs Dörfer waren als mutmaßliche Hochburgen der Banditen gesäubert und ein weiteres Dutzend dem Erdboden gleichgemacht worden, nachdem man Waffen oder anderes verbotenes Material gefunden hatte. Caud Williams kündigte eine Änderung der Taktik an. Von nun an wurden Patrouillen nur noch in Kompaniestärke durchgeführt. Sie blieben bis zu fünf Tage im Dschungel und wurden aus der Luft versorgt, während kleinere Einheiten zu Erkundungen der näheren Umgebung aufbrachen. »Wenn diese kleinen Patrouillen Ban296 diten lokalisiert haben«, sagte er, »wird es ein Leichtes sein, sie entweder aus der Luft anzugreifen oder mit der Hauptstreitmacht gegen sie vorzurücken. Unser großer Vorteil, den ich in vollem Umfang auszunutzen gedenke, ist die Kontrolle über den Luftraum. Die Banditen werden wie Feldmäuse sein, die ständig nach dem Falken am Himmel Ausschau halten. Sie werden sich niemals in Sicherheit wiegen können. Dieser Feldzug dürfte nicht länger als ein oder zwei Monate dauern. Dann haben wir die Hügel befriedet.« »Mir ist klar geworden«, sagte Garvin bedrückt, »dass Gott... oder die Götter... mich hassen.« »Warum?«, fragte Jasith. »Und warum ist die Verbindung so schlecht?« »Weil ich über die öffentliche Leitung außerhalb des Dienstzimmers anrufe«, erklärte Jaansma. »Und weil zigtausend Wanzen an der Leitung hängen, die darauf achten, dass ich keine Geheimnisse ausplaudere. Ich glaube, es gibt sogar eine leichte Verzögerung in der Übertragung. Nicht dass ich irgendetwas sagen würde, das ich nicht sagen sollte. Verdammt, ich besitze gar keine streng vertraulichen Informationen.« »Und warum glaubst du, dass die Götter dich hassen? Immerhin hast du die Gelegenheit bekommen, mich anzurufen, nicht wahr?«, sagte Jasith. »Das dürfte auch schon alles gewesen sein, wozu ich Gelegenheit bekomme«, sagte Garvin. »Weil...« Die Verbindung war für einen Moment gestört und wurde wieder klar, als er sagte: »...verstehst du jetzt vielleicht, warum ich das gesagt habe.« »Nein«, erwiderte Jasith. »Deine Stimme war für ein paar Sekunden weg.« 297 »Wie es scheint, weiß ich doch etwas, das geheim ist«, sagte Garvin. »Gut, dann lass mich überlegen, wie ich es anders formuliere.« »Ah, ging es dabei irgendwie um uns?« »Ja.« »Vielleicht etwas in der Art, dass es einige Zeit dauern könnte, bis wir uns wieder sehen?« Wieder war eine Störung in der Leitung, aber Garvin hatte genickt, während er sprach. »Das habe ich mir bereits gedacht«, sagte Jasith. »Vater hat mir etwas erzählt, das... er von sehr wichtigen Leuten erfahren hat.« »Das passt«, sagte Garvin. »Jeder da draußen, wahrscheinlich einschließlich der 'Rauhm, weiß mehr über meine Zukunft als ich.« »Kann ich vorbeikommen und dich sehen?«
»Ich glaube nicht«, sagte Garvin. »Alle unsere zivilen Angestellten wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben, und sie haben die...« Wieder verschwand seine Stimme. »Es tut mir Leid, Jasith«, fügte er hinzu und klang so bemitleidenswert, wie es nur einem im erzwungenen Zölibat lebenden Einundzwanzigjährigen möglich war. »Ich hatte wirklich gehofft, dass...« Wieder eine Störung. »Vielleicht ein andermal... ach, zum Teufel!« Die beiden sahen sich eine Weile schweigend an. »Ich muss jetzt auflegen«, sagte er schließlich. »Da sind noch zwei oder drei andere, die darauf warten, diesen Kom benutzen zu können.« »Garvin«, sagte Jasith sanft. »Willst du mich immer noch... wieder sehen?« »Natürlich. Das weißt du doch.« »Dann möchte ich dir etwas geben, das dich an mich erinnert, wenn du im Einsatz bist.« Sie knöpfte schnell ihre Bluse auf und öffnete sie. Da298 runter trug sie nichts. Ihre festen Brüste reckten sich ihm entgegen. Sie fuhr mit einem Fingernagel um eine Brustwarze, die sich sofort aufrichtete. »Ich wünschte, du wärst hier und könntest genau das mit mir tun«, flüsterte sie. »Ich auch«, gab Garvin mit etwas heiserer Stimme zurück. »Ich würde dir gerne noch mehr zeigen... dir noch mehr geben... aber irgendwo nebenan ist eine Haushälterin. Ich vermisse dich, Garvin. Und ich werde da sein, wenn du mich willst.« Sie fuhr langsam mit der Zunge über ihre Lippen, dann unterbrach sie die Verbindung. Garvin starrte auf den grauen Bildschirm. Jemand hämmerte an die Tür der Komkabine. »Beeil dich! Auch andere Leute haben Freundinnen.« »Aber keine wie meine«, sagte Garvin. »Keine wie meine.« Zwei Monate später gab es etwa zwanzig bestätigte Todesopfer unter den 'Rauhm, sechsundfünfzig Gefangene und achtzehn, die sich ergeben hatten. Achtunddreißig Männer und Frauen der Streitmacht waren tot und etwa anderthalbmal so viele verwundet. Dreiundsiebzig Zivilisten waren durch die eine oder andere Seite ums Leben gekommen. Sechsundvierzig »illegale« Siedlungen waren von Patrouillen der Streitmacht oder zivilen Bürgerwehren niedergebrannt worden. Und kein Angehöriger der Armee, weder Finf Garvin Jaansma noch sonst irgendjemand, hatte Ausgang oder Urlaub erhalten. »Ihr seht«, sagte Comstock Brien, »dass dies der Weg zum Sieg ist. Zugegeben, er ist langwierig, aber wir schwä299 chen die Feinde Zug um Zug, und zwar ohne aufwendige, abenteuerlustige Aktionen, wie du sie vertrittst.« Jord'n Brooks lächelte dünn. »Dann lass uns hoffen, Bruder, dass sich dein Weg als erfolgreich erweist.« »Das wird er«, sagte Brien selbstgefällig. »Und nun ist ein guter Zeitpunkt, um zu beweisen, wie groß unsere Macht geworden ist.« Fünf Tage später erschienen schätzungsweise zweihundert 'Rauhm aus dem Nichts und besetzten eine Vorstadt von Leggett. Sie konnten die Holo-Station lange genug halten, um eine planetenweite Sendung zu verbreiten, in der sie verkündeten, dass im Cumbre-System Gleichheit und Gerechtigkeit für die 'Rauhm herrschen mussten. Ansonsten würde sich ein Strom aus Blut über die Welten ergießen. Sie veranstalteten ein Standgericht in der lokalen Polizeiwache und hängten die Würdenträger des Stadtbezirks und sieben Mitglieder der Polizeitruppe. Die anderen waren entweder geflohen oder bei dem Angriff ums Leben gekommen. Weitere neununddreißig Zivilisten, denen die 'Rauhm Verrat an der Menschheit vorwarfen, wurden erschossen, bevor das Kommando genauso lautlos verschwand, wie es gekommen war - eine halbe Stunde bevor die Verstärkung der Polizei eintraf und fünfundvierzig Minuten bevor die ersten Einheiten der Streitmacht in Marsch gesetzt wurden. 300 25 Sie stürmten mit schussbereiten Blastem aus den Griersons. Über ihnen, im Nebel unsichtbar, zogen drei Zhukovs röhrend ihre Kreise um die Gebäude, die sich grau in der grauen Dämmerung erhoben. Doch sie fanden nichts außer Leichen. Leichen und Musth. Es waren dreiunddreißig Aliens, eine ganze Einheit. Sie trugen Kampfrüstungen, an denen sie als Soldaten zu erkennen waren, und sie bewegten sich paarweise, von einer menschlichen Leiche zur nächsten, um sich methodisch zu vergewissern, dass wirklich alle tot waren. Njangu und der Rest des Gamma-Teams umstellten hastig das Hauptquartier der Musth. Keine zwei Meter von Yoshitaro entfernt lag ein Toter, der den einfachen Overall eines Bauern trug, aber eine Kampfweste der Konföderation übergestreift hatte und mit einem Blaster bewaffnet war. In seiner Brust war ein faustgroßes Loch. Njangu starrte auf die Leiche, wandte den Blick ab und sah wieder hin, weil sich etwas im Loch bewegt hatte. Blassgraue Würmer wanden sich und gruben sich wieder ins Fleisch. Njangu musste schlucken. »Das ist eine ihrer Waffen«, sagte Kipchak ruhig. Er kauerte hinter dem Team am Boden, den Blaster erhoben. »Eine Projektilwaffe, die mit einer Kapsel ein verdammt großes Loch reißt. Die Kapsel zerbricht, und die Würmer fressen einen zu Tode, bevor man Zeit hat, mehr als ein- oder zweimal zu schreien. Angeblich sollen die Viecher kurz danach absterben.« »Als ob das noch eine Rolle spielen würde«, sagte Penwyth.
301 »Still da drüben!«, zischte Gonzales. »Ihre Männer müsssen sssich nicht schmutzig machen«, sagte ein Musth zu Tak Hedley. »Diessse Geschöpfe sssind jenssseitsss gegangen und ssstellen kein Argernisss mehr dar. Mehr von ihnen gibt esss nicht, sssonst hätten wir sssie mit unssseren Detektoren regissstriert.« »So sieht es aus«, sagte Hedley und blickte sich zu Caud Williams und seinem Stab um, die soeben einem Grierson der Kommandostaffel entstiegen. »Aber ich habe meine Befehle.« »Dann fahren Sssie fort, Ihre Zeit zu vergeuden«, sagte der Musth. »Dasss sssoll nicht meine Ssssorge sssein.« Hedley nickte und verschaffte sich gemeinsam mit dem Aufklärungstrupp einen Überblick über die Lage. Die 'Rauhm mussten aus der Schlucht da gekommen sein, vermutete er, als er sah, dass sich die Leichen auf dem Boden von dort bis fast zu den Hauptgebäuden verteilten. Die ersten Toten waren von konventionellen Blastem getroffen worden, ihre Überreste wirkten nicht sonderlich widerwärtig. Doch je näher die Angreifer den Musth gekommen waren, desto unappetitlicher waren sie gestorben. Hier befand sich ein Klumpen aus Körpern, die von etwas zerfetzt worden waren, dort... »Interesssiert esss Sssie, wasss geschehen issst?«, fragte der Musth. »Ja.« »Ich führe den Namen Wlencing«, sagte der Musth. »Ich habe die Leitung über die Sssoldaten, die diessse Ssstümper vernichtet haben. Ssso lautet doch der Begriff?« »Wieso Stümper?«, fragte Hedley. »Mein Name ist übrigens Jon Hedley.« 302 »Einen Angriff durchzuführen und vollssständig ausssgelöscht zu werden, ohne der Gegenssseite irgendwelche Verlussste zuzufügen, issst für mich kein Zeichen für einen fähigen Krieger. Oder unterliege ich einer Fehleinschätzung?« »Nein«, sagte Hedley. »Zumindest nicht in Anbetracht des Resultats.« »Sssind diesss diessselben, die ich in Ihren Holosss gesssehen habe? Ich glaube, Sssie bezeichnen sssie alsss Banditen.« »Ja. Renegaten der 'Rauhm.« »Ich kenne die 'Rauhm«, sagte Wlencing. »Würmer, die auf Befehl ihrer Autoritäten graben. Angesssichtsss dess-sen hätte ich gedacht, sssie würden ihren Platz kennen und nicht plötzlich annehmen, sssie wären Kämpfer.« »Sie haben sich nicht gut geschlagen«, stimmte Hedley zu. »Dasss bringt mich zum Nachdenken über verschiedene... Dinge«, sagte Wlencing. »Etwa darüber, wie gut Ihre Kämpfer wohl wirklich sssind.« »Ich bin nicht mit Ihren Waffen vertraut«, sagte Hedley. »Die Männer und Frauen da drüben wurden durch Blaster getötet. Aber was ist mit dieser Gruppe?« »Eine sssehr geheime Waffe«, sagte Wlencing. Er öffnete einen Beutel und holte einen Kasten mit abgerundeten Kanten hervor. »Ich berühre diesssen Knopf, dann werfe ich die Vorrichtung. Wenn sssie trifft, explodiert sssie und sssetzt kleine Geschöpfe frei. Sssie besssitzen... Bissse? Issst dasss dasss richtige Wort?« »Stachel?« »Ja, Ssstachel. Schnell, aber nicht angenehm.« »Sie haben gesagt, es wäre eine Geheimwaffe. Warum erzählen Sie mir davon?« 303 »Warum nicht? Ich glaube nicht, dasss an diesssem Gerät etwasss Besssonderesss issst. Beschleunigungssswerte von Raumschiffen, Ssstrategien, Raketen, ja, allesss geheim. Aber ein einfachesss Tötungsssgerät? Dasss wäre lächerlich. Außerdem führe ich dasss Kommando über unsssere Krieger, sssodasss niemand in Frage ssstellen wird, wasss ich tue. Oder nicht tue.« »Ich verstehe«, sagte Hedley. »Sssind jene, die desss Kampfesss nicht mächtig sssind und glauben, sssie hätten dasss Recht, Regeln für alle aufzussstellen, nicht ein Argernisss für Sssie?« »Das können Sie laut sagen«, erwiderte Hedley. Er betrachtete eine andere Leiche. »Wie ist sie gestorben?« »Durch eine Handwaffe wie diessse«, sagte Wlencing und holte etwas aus seinem Beutel. Das Ding hatte einen kurzen Lauf, und der »Griff« bestand aus einer doppelten Schlaufe. Wlencing nahm es in die obere Tatze, um die sich die Riemen schlangen, während er es mit beiden Daumen festhielt. »Eine sssehr, sssehr ag-gresssive Sssäure, die mit Ultrahochdruck versssprüht wird. Ssso schnell wie Ihre Blassster, wenn auch mit geringerer Reichweite.« Er steckte die Waffe weg und blickte sich wieder zur Kommandogruppe um. Ein Musth war zu Caud Williams getreten. »Dasss issst Aesc«, sagte er. »Unssser Sssyssstemkommandant. Er berichtet ihrem Anführer, wasss geschehen issst, und warnt ihn.« »Er warnt ihn?«, sagte Hedley. »Kein Musth issst heute durch die Hand diessser Wilden gessstorben«, sagte Wlencing. »Dasss issst gut. Ssso musss esss weitergehen. Wenn ein Musth... nur ein einziger... von diesssen Rebellen getötet wird, diesssen Banditen, werden alle Menschen, die sssich im Cumbre304
Sssyssstem aufhalten, ob schuldig oder unschuldig, entweder sssterben oder zu unssseren Grabwürmern werden. Dann werden diessse Welten ein Teil desss Musth-Imperiumsss sssein.« 26 Die Nachricht vom Hochland-Massaker verbreitete sich in den Bergwerkskolonien der 'Rauhm auf C-Cumbre, ihren Siedlungen auf D-Cumbre und vor allen in Eck-muhl, dem Ghetto in Leggett. Die 'Rauhm reagierten mit blindem Zorn und Hass. In Leggett gab es keine Musth, aber die verhasste Polizei und die Zinser, die die Sekte ausbeuteten. Polizeigleiter wurden umgeworfen und verbrannt, und die Polizisten in den Fahrzeugen wurden verprügelt - wenn sie Glück hatten. Einsatzkommandos wurden zurückgetrieben, und Polizeiwachen verwandelten sich in belagerte Festungen. Geschäfte wurden geplündert, darunter auch zwei Supermärkte, die Angie Radas Familie gehörten. Banden aus 'Rauhm wüteten in den Straßen, und jeder, der nicht bewaffnet und nicht in Gesellschaft unterwegs war, schwebte in großer Gefahr. Die Streitmacht wurde aus den Hügeln abgezogen, um für Ordnung zu sorgen. Die Soldaten streiften durch die Straßen und errichteten Blockaden. Da sie nicht mit zivilen Unruhen vertraut waren, verhielten sich die Soldaten, als wären die 'Rauhm - alle 'Rauhm - ihre Feinde. Sie trieben die Unruhestifter nach Eckmuhl zurück, verhafteten jeden 'Rauhm, der nicht unverzüglich eine Erklärung abgeben konnte, wer er oder sie war und was 305 er oder sie tat - oder einfach nur, weil sein oder ihr Name nach 'Rauhm klang. Manchmal wehrten sich die 'Rauhm, und manchmal landeten sie anschließend im Krankenhaus. Andere, die nicht so viel »Glück« hatten, endeten im Leichenschauhaus. In den Straßen war es wieder ruhig. Die Holos, vor allem der Mahn, bejubelten die Armee als Retter von Cumbre. Die Soldaten sonnten sich in dem Lob, das sie nur selten erhielten. Zumindest einige. Tak Hedley, Finf Kipchak, Finf Jaansma, Gefreiter Yoshitaro, Cent Angara und andere machten sich ihr eigenes Bild von den Dingen. »Jetzt«, sagte Jord'n Brooks leise zu Jo Poynton, als sich die Gruppe zu einer neuen Versammlung traf, diesmal in einem ausgebrannten Dorf, »siehst du vielleicht ein, dass meine Idee, in der Stadt gegen die Unterdrücker vorzugehen, durchaus ihren Wert hatte.« »Unser Volk wurde besiegt«, sagte sie. Brooks zuckte mit den Schultern. »Es war ein Aufstand, kein Krieg. Und ihre Seelen, ihre Herzen, ihr Geist wurde nicht besiegt. Gibt es noch einen einzigen 'Rauhm, der nicht erkannt hat, wer der Feind ist und dass nur wir oder sie überleben können?« »Dem kann ich nicht widersprechen«, sagte Poynton vorsichtig. »Aber Briens Interpretation der Aufgabe war wesentlich erfolgreicher als deine, zumindest, was die äußeren Resultate betrifft. Und Erfolg spielt für diese Gruppe die entscheidende Rolle.« »Stimmt«, musste Brooks widerwillig eingestehen. »Aber wie lange wird dieser Erfolg anhalten? Die Armee kämpft bislang nur mit halber Kraft gegen uns, da ihr sozusagen eine Hand auf den Rücken gebunden ist. Sofern 306 sie nicht von totalen Idioten geführt wird, lernt sie eines Tages, auf unsere Weise zurückzuschlagen. Was wird dann sein?« Jo Poynton nickte knapp und wandte sich von Brooks ab, als Comstock Brien das Wort ergriff. 27 »Du bist frei!«, jubelte Jasith. »Zumindest einigermaßen«, sagte Garvin. »Da wir so große Helden sind, hat man uns ein bisschen Auslauf gewährt.« Jasith schien seinen Sarkasmus nicht zu bemerken. »Besteht irgendeine Möglichkeit, dass wir zusammenkommen? « Jasiths Stimme wurde kehlig. »Sag mir nur, wo.« Garvin dachte an die Bar im Shelbourne, erinnerte sich an Marya und verwarf diese Idee. »Ich bin nicht von hier, wie du vielleicht noch weißt«, sagte er. »Such du etwas aus.« »Bist du immer noch in der Basis?« »Ja. Das nächste Shuttle nach Leggett geht in... zehn Minuten.« »Warte einfach dort«, ordnete Jasith an. »Konzentrier dich ganz darauf, toll auszusehen. Ich hole dich ab.« Garvin blickte sich suchend in dem Gewimmel aus Shuttles, Taxis und Privatgleitern um und entdeckte einen vertrauten Anblick, eine lange schwarze Limousine, die genau auf ihn zusteuerte. »Ach, du Scheiße«, stöhnte er. »Jetzt muss ich mir noch mehr Gelaber anhören, wie die beschissene Armee die beschissene Zivi307 lisation rettet. Verdammt noch mal, Jasith! Was war faul an unserer Kommunikation?« Der Gleiter landete, die Pilotentür schwang nach oben, und Jasith steckte den Kopf nach draußen. »Überrascht?« »Vater im Himmel - und wie!«, sagte Garvin inbrünstig»Dann steig ein«, forderte sie ihn auf. »Vorn, an meine Seite.« Garvin warf einen Blick auf die Rücksitze. Kein Vater. Jasith hatte ihr Haar zurückgebunden und trug ein rotes schulterfreies Oberteil und weite Krepphosen. Sie war barfuss. Wortlos näherten sich die beiden und küssten sich. Wenig später hupte ein Fahrzeug, und sie lösten sich voneinander. »Nimm mich«, sagte Garvin. »Ich gehöre dir.«
Jasith berührte die Kontrollen, und die Limousine hob ab und schwebte über die Rampe auf das Meer zu. »Vater hat zwei Leibwächter eingestellt, die für meine Sicherheit sorgen sollen«, sagte sie. »Wo hast du sie versteckt? Im Kofferraum?« »Ich konnte ihn überzeugen, dass ich völlig sicher bin, wenn ich mich hier draußen mit dir treffe. Er hat gesagt, dass wir gar nicht in Schwierigkeiten geraten können, wenn überall um uns herum Soldaten sind.« »Um uns herum sind überhaupt keine Soldaten«, sagte Garvin. »Ist dir das auch schon aufgefallen?« »Wohin fliegen wir?« »Nirgendwohin.« Jasith berührte ein paar Sensoren, dann wendete der Gleiter, bis die Nase auf Dunkelheit gerichtet war. »Auf diesem Kurs erreichen wir...« - sie drückte einen weiteren Sensor, und der SatPos-Monitor 308 erhellte sich - »... die Insel Lanbay. Und zwar gegen Sonnenaufgang, wenn wir diese Geschwindigkeit beibehalten. « »Was gibt es dort zu sehen?« »Nichts. Nur Felsen, Bäume, Wellen. Aber ich habe gar nicht vor, dorthin zu fliegen.« »Und was hast du vor?« »Zuerst habe ich vor, den Gleiter auf Autopilot zu stellen... so«, sagte Jasith. »Dann aktiviere ich den Kollisionsalarm. Und wenn ich diesen Sensor betätigt habe...« - das dunkle Dach der Limousine wurde durchsichtig, und sie konnten zu den Sturmwolken hinaufblicken, die über ihnen dahin zogen -, »... wechseln wir auf die Rücksitze - so.« Die Sitze drehten sich, und Jasith verschwand nach hinten. »Kommst du mit?« Garvin entdeckte die Kontrollen für die Sitze und drückte einen Knopf. Die Rückenlehne klappte herunter. »Nicht der Knopf, Dummkopf«, sagte Jasith. »Der andere. Aber stell zuerst die Rückenlehne wieder auf.« Garvin gehorchte. »Und was jetzt?« »Ich hatte unseren Chefkoch gebeten, einen Picknickkorb vorzubereiten«, sagte sie. »Ich habe ihn ins Fach hinter diesem Sitz gestellt. Darin befinden sich alle möglichen guten Sachen - Rogen, Pastete, kaltes Rinderfilet mit Sauerrahmdressing, Endiviensalat und ein Fruchteis, dazu ein paar Flaschen Taittinger, den du so gierig weggeschlürft hast, als Vater und ich dich zum Essen mitgenommen haben. Wir könnten also etwas essen. Oder...« »Oder was?« »Oder du könntest immerhin diesen Knopf da drüben unter dem Fenster drücken.« 309 Garvin tat es, worauf die Lehne der Rücksitzbank herunterklappte und sich auf beiden Seiten Kissen aufblähten. Jasith hob die Beine, bis sie ausgestreckt auf dem Rücksitz lag. »Ich habe mich immer gewundert, warum Vater die Limousine mit dieser Ausstattung bestellt hat«, sagte sie. »Sie wurde immerhin von Centrum geliefert. Er behauptet, es wäre ein Missverständnis gewesen. Ich glaube ihm nicht. Glaubst du, dass er meiner Stiefmutter von Zeit zu Zeit untreu wird?« Garvin antwortete nicht. Er starrte wie hypnotisiert auf Jasith. Sie setzte sich auf, löste ihr Haar, ließ es herabfallen, dann berührte sie den Knopf des Oberteils zwischen ihren Brüsten. »Lass mich das machen«, sagte Garvin. »Gut.« Jasith ließ sich wieder auf den Rücken fallen. Garvin hatte das Gefühl, plötzlich zwei linke Hände zu haben, aber irgendwie schaffte er es, das Oberteil zu öffnen. Er beugte sich über sie und küsste ihre Brustwarzen. Sie seufzte und strich über sein kurz geschorenes Haar. Er legte beide Hände an den Bund ihrer Hose und zog sie herunter. Darunter trug sie nichts. »Zieh dich für mich aus«, flüsterte sie. Er tat es, während Jasith ihn beobachtete. »Du siehst ziemlich gut aus«, murmelte sie. »Und du erst.« »Und jetzt«, sagte sie, während sie ein Bein hob, den Fuß auf die Türleiste stellte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte, »komm zu mir. Halt meine Handgelenke fest, damit ich mich nicht bewegen kann. Ja, genau so, Garvin. Oh, bitte, ja!« 310 Eine halbe Ewigkeit später stieß der Gleiter sanft gegen etwas. Jasith setzte sich auf und blickte nach draußen. »Ach, du liebes bisschen«, sagte sie. »Was ist los?«, fragte Garvin. »Wir scheinen uns verflogen zu haben. Auf dem Meer gibt es keine Gebäude.« Die Limousine war sacht gegen einen niedrigen Schuppen geprallt, und trieb jetzt rückwärts davon. Garvin sah ein Schild: SCHIESSSTAND SIEBEN. LAGERSCHUPPEN. »Wir haben uns in der Tat verirrt«, sagte er. »Und wir sind in Schwierigkeiten. Wir befinden uns wieder auf der Glücksinsel, auf einem Schießstand auf der Ostseite der Insel. Man wird uns kräftig den Hintern versohlen, wenn wir erwischt werden.« »Wie sind wir hierher gekommen?«, fragte Jasith. Garvin blickte über die versenkten Vordersitze zur Kontrollkonsole, auf der Lämpchen blinkten. »Wie es scheint, haben wir unabsichtlich irgendwelche Sensoren berührt«, sagte er. »Angefangen bei denen für den
Kollisionsalarm und dann auch noch alle möglichen anderen. Wir sollten uns eine gute Ausrede ausdenken. Ich sehe Scheinwerfer, die auf uns zukommen.« Jasith schob sich an ihm vorbei auf den Pilotensitz und tippte verschiedene Sensoren an. Die Limousine stieg zwei Meter höher, beschleunigte und flog über den Schießplatz hinweg zu einem felsigen Strand und aufs Meer hinaus. »Werden sie auf uns schießen?« »Ich weiß es nicht«, sagte Garvin. »Vielleicht hilft es, wenn du etwas tiefer gehst und ich ein Gebet spreche.« Sie gehorchte. Kleine Wellen schwappten knapp einen Meter unter dem Gleiter. »Und was jetzt?« 311 »Jetzt warten wir, bis wir das Militärgelände und die Gefahrenzone verlassen haben«, sagte Garvin. »Fliegen wir jetzt wieder Richtung Lanbay?« »Mehr oder weniger«, sagte Jasith. »Ich sehe keine Leuchtspuren von Raketen«, meldete Garvin, der durch die Heckscheibe blickte. »Also scheint man uns für unbedenklich zu halten. Oder zumindest nicht für gefährlich. Könntest du etwas mit der Geschwindigkeit runtergehen?« »Und dann?« »Und dann kommst du wieder hierher, wo du hingehörst.« »Einverstanden«, sagte Jasith. »Und dann?« »Lässt sich das Dach eigentlich öffnen?« »Klar.« Es glitt zurück, und ein warmer tropischer Regen nieselte herein. »Und was jetzt?«, fragte Jasith. »Du bleibst so, wie du gerade auf den Knien hockst«, sagte Garvin und erhob sich vorsichtig. »Dann lässt du dich von mir überraschen.« Wenig später stöhnte Jasith: »O Gott! Ja! Ganz tief hinein. O Garvin... Garvin...« Als die Männer und Frauen der Streitmacht bei Tagesanbruch zum Weckruf aus ihren Baracken wankten, senkte sich ein schwarzer Luxusgleiter auf den riesigen Exerzierplatz. Er landete, eine Tür öffnete sich, ein leicht zerzaust wirkender Garvin Jaansma stieg aus und ging zur Fahrerseite herum. »Hat Vater nicht Recht behalten?«, sagte Jasith sanft. »War ich nicht völlig sicher und geborgen?« Er küsste sie. »Ruf mich an, Soldat, wenn dir danach ist.« Das Fens312 ter schloss sich, das Fahrzeug hob ab und raste davon, über die Bucht auf Leggett zu. Garvin Jaansma nahm einen tiefen Atemzug und machte sich auf den Weg über den Exerzierplatz, auf dem Pfiffe und Kommandos ertönten. 28 »Noch einmal... Sie wissen wirklich nichts über den Mord an Mister Scryfa und seiner Familie?«, fragte Technikerin Warbeck und ließ unabsichtlich eine Spur von Ungläubigkeit in ihre Stimme einfließen. »Nichts«, sagte der 'Rauhm ruhig. »Aber Sie waren ihr Hausmeister«, setzte Warbeck das Verhör fort. »Richtig.« »Und Sie waren im Haus, als die Mörder eingedrungen sind.« »So sieht es aus.« »Aber Sie haben nichts gehört? Kein Geräusch, das Sie geweckt hat?« »Ich habe einen sehr festen Schlaf«, beteuerte der Mann. »Wärter!« Die Tür öffnete sich, und ein Wachmann trat ein. »Er kann freigelassen werden«, sagte Warbeck. »Aber Sie werden sich zu unserer Verfügung halten, falls wir weitere Fragen an Sie haben.« Der Mann stand auf, und der Ansatz eines Lächelns spielte um seine Lippen, als er hinausging. Der Wärter zögerte. »Warum haben Sie ihn nicht in die Mangel ge313 nommen? Der Dreckskerl war am Tatort... das steht fest... wir haben sogar eine Blutspur gefunden, die von Scryfas Schlafzimmer zu seinem Quartier führt.« »Sehen Sie sich die Analyse an«, sagte die Frau und hob die Abdeckung von der Maschine, hinter der sie saß. »Kein einziger Ausschlag, keine Übereinstimmung, nicht das Geringste, null. Das bedeutet, dass der verdammte Scan seine Unschuld beweist, immer wieder nur seine Unschuld, und das ist das Einzige, was den Richter interessieren wird.« »Das kann doch nicht sein«, sagte der Wachmann. »Aber gewiss kann es das«, sagte Warbeck erschöpft. »So lange für sie eine Lüge uns gegenüber keine Lüge ist... werden sie jedes Mal damit durchkommen.« »So weit ist es schon gekommen?«, fragte der Wärter. »Jemand kann einen Zinser ermorden... und seine ganze Familie... und wird freigesprochen?«
»So weit ist es gekommen.« Ein Cooke schwebte den Dschungelpfad entlang, hielt gelegentlich inne, und dann wurde aus einem Zylinder an der Außenseite ein kleiner weißer Dorn in den Boden geschossen. Keine Stunde später folgten drei Frauen und zwei Männer dem Pfad. Der Anführer hatte einen kleinen selbst gebastelten Kasten dabei. Von Zeit zu Zeit gab der Kasten ein Summen von sich, und die fünf suchten sorgfältig das Unterholz ab, bis sie wieder einen Dorn gefunden hatten. Jedes Mal holte eine Frau einen dunklen Metallkegel hervor und bedeckte damit den Dorn. Das machten sie mit allen Personenspürsensoren - bis auf einen. Neben diesen legten sie eine sehr dreckige, alte Hose, und ein Mann urinierte im Kreis um den Dorn herum. Dann zogen sie sich schnell zu ihrem Lager zurück. 314 Drei Stunden später rasten drei Zhukovs auf den Sensor zu. Drei Lenkflugkörper wurden abgefeuert und explodierten im Dschungel. Ein Grierson senkte sich durch den wirbelnden Rauch herab, und ein Aufklärerteam sprang aus dem Gefährt. »An Kursk, hier ist Prophet Beta«, meldete die Gruppe. »Negativkontakt.« Der Tak, der das Kommando über die Zhukov-Staffel hatte, vergaß die Kommunikationsetikette. »Waaas? Wir hatten eine positive Indikation!« »Hier ist Prophet Beta«, hörte er aus dem Kom. »Ich wiederhole... Negativkontakt. Keine Todesopfer gefunden, keine Spuren gefunden. Ihr High-Tech-Spielzeug taugt nichts. Ende.« Zwei Cookes umkreisten das Dorf. »Kein Lebenszeichen«, meldete ein Gefährt. »Suchen Sie weiter«, befahl der Kommandant des Bataillons, der sich weiter oben in einem Grierson befand. »Der Geheimdienst hat eindeutige Erkenntnisse über dieses Dorf gewonnen.« Ein Cooke ging runter, dicht gefolgt vom zweiten. »Vielleicht ist etwas in der Schlucht da drüben«, sagte der Kommandant des ersten Cooke über den internen Kanal. »Ich folge euch«, meldete der zweite. Das erste Gefährt drang in die Schlucht ein und nahm eine Biegung. Plötzlich erhoben sich vor und hinter ihm dichte, handgeflochtene Netze. Der Schütze des ersten Fahrzeugs löste seine Automatikkanone aus, und die Patronen flogen durch die Löcher im Netz, ohne Schaden anzurichten. Der zweite Cooke wurde auf die gleiche Weise gefangen gesetzt. Noch während der Kommandant des LKG eine Warnung rief, sprangen sechs 315 'Rauhm, jeder mit einem erbeuteten Maschinengewehr in den Händen, aus Löchern im Boden und deckten die Erkundungsfahrzeuge mit einem Geschosshagel ein. »Entspann dich«, sagte Comstock Brien leise. »Kommen sie nicht immer auf diesem Weg?« »So ist es«, sagte der junge Mann. »Aber bei meinem Glück...« »Sprich nicht von Glück«, sagte Brien. »Je fester du entschlossen bist, je härter du arbeitest, desto mehr wird das Glück auf deiner Seite stehen.« Der junge Mann schniefte skeptisch. Der dritte Mann, der sich gegen einen einfach gezimmerten Holzrahmen lehnte, sagte nichts. Wenige Minuten später erstarrte der erste Mann. »Ich höre sie.« Kurz darauf war das Heulen des Antriebs auch für Briens ältere Ohren wahrnehmbar, und hundert Meter weiter unten kam ein Zhukov in Sicht, der dem gewundenen, überwachsenen Pfad vor der Felswand folgte. Der junge Mann und sein Partner rissen die Tarnung aus Zweigen herunter und schoben den Holzrahmen, auf dem ein Raubwürger festgezurrt war, zum Rand der Felswand. Die Rakete war während eines Luftangriffs vor zwei Wochen verloren gegangen und von den 'Rauhm geborgen worden. Der Treibstoff war nur zur Hälfte aufgebraucht. Die Steuerung war durch einen einfachen Kontaktzünder ersetzt und die Rakete eine weite Strecke quer über die Insel transportiert worden. Der zweite Mann trat von der Lafette zurück und beobachtete, wie sich der Zhukov einem auffälligen Baum näherte, den die drei Männer auf der Anhöhe als Zielmarke ausgewählt hatten, während der dritte einige 316 Meter zurücklief und einen kleinen Schalter aufhob, der über einen Draht mit dem Ende der Rakete verbunden war. »Warten... warten... warten... JETZT!«, befahl der zweite Mann, und der dritte drückte den Schalter. Der Raubwürger zischte, und ein Hitzeschwall drang aus dem Triebwerk. Der Rahmen bäumte sich auf, die Rakete startete und flog fast geradlinig auf den Zhukov zu. Sie traf das Kampfschiff unmittelbar hinter dem Hauptgeschützturm. Die Primärladung des Raubwürgers zündete, und ein Strahl aus glühendem Gas fraß sich durch die Panzerung. Dann detonierte die Hauptladung und riss die Hülle des Zhukov auf. Das Schiff explodierte und stürzte trudelnd in den Dschungel, wobei es sich wie ein sterbendes Tier hin und her warf. Die drei Männer gönnten sich einen kurzen Moment des Jubels, dann entfernten sie sich vom Schauplatz. »Wie zum Henker ist es diesen Schweinehunden gelungen, einen Zhukov abzuschießen!«, tobte Caud Williams. »Von oben, wie ich bereits sagte«, antwortete Mil Rao. »Dort ist die Panzerung ein paar Zentimeter dünner. Und niemand rechnet damit, auf der Oberseite einen Treffer zu erhalten, wenn man sich nicht im Weltraum befindet.« »Was hat dieser verdammte Kommandant überhaupt da unten gemacht?« »Seine Befehle befolgt, Sir. Er hat den alten Pfad inspiziert, der zum Hochland führt, und nach Anzeichen von feindlichen Aktivitäten Ausschau gehalten.« »Nun gut«, sagte William. »Nun gut. Wir müssen von jetzt an...« Er verstummte.
317 Rao wartete. »Ja, Sir?«, sagte er nach einer Weile. »Einen Moment noch«, sagte Williams. »Ich muss überlegen, was wir jetzt tun werden.« Es waren fünf Cookes, die schnell nach Westen flogen, etwa hundert Meter über dem Dschungel. Die Steilwand am Rand des Hochlandes lag links von ihnen. Dreimal tauchte einer der Kampfgleiter in eine Lichtung ab, sah sich dort eine Weile um und kehrte dann in die Formation zurück. Beim vierten Mal war es fast genauso wie zuvor, nur dass der Cooke so lange unten blieb, dass elf Männer hinausspringen konnten, um sich im dichten Unterholz rund um die Lichtung zu verteilen und in Deckung zu gehen. Es war das Gamma-Team, Erste Truppe, Aufklärungs-kompanie, ergänzt um Tak Jon Hedley. Sie trugen dunkelgrün und schwarz gefleckte Tarnanzüge, die sie im Dschungel unsichtbar machten, hatten die Hände und Gesichter geschwärzt und schwere Rucksäcke geschultert. Sie warteten mit einsatzbereiten Waffen, fünf Minuten lang. Im Dschungel war es still, abgesehen vom leise tröpfelnden Regen. Wind kam auf. In der Ferne ertönte ein Heulen. Dann ein Schuss, vom Unterholz gedämpft. Wenig später war ein weiterer Schuss zu hören, aus etwas größerer Entfernung, schließlich ein dritter und vierter, die sich immer weiter entfernten. »Scheiße«, sagte Petr und stand auf. »Sie haben uns durchschaut.« Das Team blieb in Deckung, mit Ausnahme von Hedley, der zum Anführer hinüberhuschte. »Was geschieht jetzt?« »Wir ziehen uns zurück«, sagte Petr. »Sonst werden sie mit dreißig oder mehr Mann über uns herfallen. 318 Selbst ein abgesetztes Team kann heutzutage eine Überraschung erleben.« »Jedes Mal?« »So in etwa«, sagte Petr. »Sie scheinen genau zu merken, ob wirklich ein Trupp abgesetzt wurde. Entweder haben die Mistkerle sämtliche Lichtungen verwanzt -auch wenn wir bislang keine Hinweise darauf gefunden haben - oder sie lassen sie beobachten. Das ist in dieser Woche schon meine vierte verpatzte Patrouille.« Erging zu dem Mann hinüber, der den Kom der Truppe betreute, und nahm das Mikro. »Prophet Eins, hier ist Prophet Eins Gamma. Das war's. Wir sind aufgeflogen und wollen rausgeflogen werden. Ende.« »Hier ist Prophet Eins«, kam die Antwort. »Ein netter Kurzbesuch. Halten Sie sich bereit. Sie werden abgeholt.« »Verstehen Sie, was ich meine?«, sagte Petr. »Ich verstehe«, sagte Hedley. »Ich weiß, dass Sie gut sind, und ich weiß, dass auch die anderen Teams gut sind. Das verdammte Problem scheint verdammt einfach zu sein. Die verdammten Schurken gewinnen diesen verdammten Kampf.« 29 Caud Williams brütete in seinem Quartier über einem Glas Sherry - aus seiner letzten Kiste von Centrum, was seine Stimmung nur umso mehr trübte -, als jemand anklopfte. »Herein.« Jon Hedley öffnete die Tür. »Auf ein Wort, Sir?« »Kommen Sie herein, Tak.« 319 Hedley trat ein. »Möchten Sie auch einen Drink?«, fragte Williams. »Hinter den falschen Bücherregalen finden Sie fast alles, was Ihr Herz begehrt.« »Nein, Sir«, sagte Hedley. »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.« »Petr, Monique«, sagte Hedley freundlich. »Holt euch einen Becher und schnappt euch einen Stuhl. Ich brauche Freiwillige.« »Boss«, sagte Kipchak, »ich will ehrlich sein. Ich bin bei allem dabei, was besser ist als das idiotische Rummgestolpere, mit dem wir bisher unsere Zeit vergeudet haben.« »Ich bin auch dabei«, sagte Lir. »Ich brauche mehr als nur einzelne Freiwillige«, sagte Hedley. »Ich brauche zwei verdammte Teams, eins für die Hauptaktion, eins für die Rückendeckung.« »Gamma ist dabei«, sagte Kipchak. »Beta auch«, sagte Lir. »Ihr wollt gar nicht nachfragen?« »Überflüssig«, sagte Monique. »Ich spreche für alle meine Leute. Und wenn nicht... können sie geschlossen zur Schlammkriechertruppe zurückkehren.« Kipchak nickte nur. »Ich hatte ein kleines Zwiegespräch mit Gott«, sagte Hedley. »Caud Williams hat mir zugehört und gesagt, dass es einen Versuch wert wäre. Er wirkte ziemlich mitgenommen von den jüngsten Ereignissen.« »Nichts gegen Ozzifiere und so«, sagte Kipchak, »aber das kann ich ihm wirklich nicht verdenken. Die Operation Säuberungskommando ist ein gottverdammter Witz.« 320 »Mit etwas Glück wird die Sache jetzt ernst«, sagte Hedley. »Der Plan sieht folgendermaßen aus: Wir werden eine Patrouille auf eine heiße Spur schicken - ich habe mir eine Möglichkeit ausgedacht, wie wir uns absetzen lassen können, ohne bemerkt zu werden — und dann werden wir so lange da draußen bleiben, bis wir ihnen die
Hölle heiß gemacht haben.« »Wie lange?« »Falls nötig«, sagte Hedley, »so lange, bis alle tot, im Ruhestand oder aus dem Dienst entlassen sind.« »Was ist mit der Versorgung?« »Ihr werdet Ultrakonzentrate futtern, bis ihr verhungert«, sagte Hedley. »Dann können wir getarnte Pakete aus der Luft abwerfen.« »Wie steht's mit der Kommunikation?«, wollte Lir wissen. »Ich stelle es mir wahnsinnig effektiv vor, ein Geheimkommando in den Dschungel zu schicken, während ein halbes Dutzend befehlshabende Holzköpfe zehn Meter über den Leuten kreist.« »Das ist eine der Bedingungen, die Williams zu akzeptieren bereit war«, sagte Hedley. »Ich kontrolliere das Unternehmen vor Ort, bis es ernst wird und wir Unterstützung anfordern. Niemand sitzt uns im Nacken.« »Noch mal zurück zum Thema Hölle heiß machen«, sagte Petr. »Wie soll das funktionieren?« »Das abgesetzte Team bleibt den Banditen auf den Fersen«, erklärte Hedley, »und folgt ihnen bis zu ihrem Lager. Dann greift die Patrouille an und löscht sie aus oder zwingt sie zur Kapitulation. Wenn die Sache zu groß wird, habe ich die Genehmigung, jede mögliche Art von Unterstützung anzufordern.« »Wie weit geht jede mögliche Art?« 321 »Notfalls die ganze verdammte Streitmacht, wenn es sein muss«, sagte Hedley. Lir pfiff tonlos. »Was hast du gemacht? Hast du Williams mit einer toten Frau oder einem lebenden Kind im Bett erwischt?« »O ihr Kleingläubigen! Er hat sich einfach nur von meiner überragenden Weisheit überzeugen lassen und seinen Segen gegeben.« »Klar«, sagte Lir. »Was noch?« »Macht eure Teams bereit«, sagte Hedley. »Ich muss noch ein paar Anrufe tätigen... und ein paar Dinge klarstellen, bevor ihr durch den Dreck stapfen könnt.« »Arschloch Ben sucht schon wieder Freiwillige«, sagte Dill. »Und wieder bei den Aufklärern - nur dass es diesmal wirklich zur Sache geht. Sie wollen irgendetwas Neues ausprobieren, das streng geheim ist.« »Warum nicht?«, sagte Kang. Dill sah die anderen beiden an, die ihm zunickten. »Ich bin mir nicht sicher, was daran anders sein soll, aber wir sollen an der Einsatzbesprechung teilnehmen. Und Garvin... wir werden deinem Kumpel Yoshitaro mit dem Gamma-Team Rückendeckung geben.« »Dann scheint es wirklich und wahrhaftig zur Sache zu gehen«, sagte Garvin. »Ich hoffe es«, sagte Kang wehmütig. »Ich möchte endlich mal jemanden töten, der keine Computersimulation ist, bevor ich zu alt geworden bin, um Schadenfreude zu empfinden.« Caud Williams beobachtete, wie die verdreckten Soldaten in den Hangar stapften und sich auf den Boden setzten. Er wartete, bis die Sicherheitsspezialisten die Türen 322 geschlossen hatten. »Guten Tag«, sagte er. »Ich werde mich kurz fassen. Diese Operation wird von Tak Jon Hedley aus der Aufklärungskompanie geleitet, und er führt Regie bei dieser Show. Ich kann dazu nur sagen, dass sich die Streitmacht immer als Team betrachtet hat. Sie - ein halbes Hundert unserer Leute - werden beweisen, dass wir es sind. Viel Erfolg.« Hedley salutierte, Williams erwiderte den Gruß, und dann setzte er sich zur Überraschung aller im Schneidersitz auf den Betonboden, als wäre er nicht mehr als irgendein Gefreiter. »Ein Team«, begann Hedley. »Das ist eine gute Vorgabe. Von nun an möchte ich, dass Sie nicht mehr daran denken, wer besser ist, ob Sie mit Erkundung, Waffen oder Kommunikation zu tun haben. Wir alle haben den gleichen Job: die Dissidenten der 'Rauhm töten oder gefangen nehmen. Das ist unser klar umrissener Auftrag. Wir werden kein Territorium erobern, uns nicht mit Dorfbewohnern anfreunden und keinen guten Eindruck für die Holos machen. Und wir werden auch niemanden töten, der nicht versucht, uns zu töten. Niemand wird einen Angriffsbefehl geben, weil er denkt, es könnte sich um Kobolde handeln, oder weil er denkt, in einem Dorf könnten sich 'Rauhm verstecken. Solche Fehler haben wir schon zu oft gemacht. Wir wollen nur die Kobolde, ausschließlich die Kobolde, entweder tot oder als Gefangene, damit sie wie kleine Vögelchen von ihren Freunden singen können. Wenn wir sie festgenagelt haben, werden zwei Dinge passieren: Zuerst werden sich die Dschungeljungs fragen, ob sie auf der richtigen Seite stehen, und die größeren Jungs werden sich überlegen, ob sie nicht lieber 323 in die Bergwerke zurückkehren sollten, oder was auch immer sie getan haben, bevor sie damit angefangen haben, sich mit den falschen Leuten anzulegen. Und für uns wird es keine Ruhe geben, bis wir damit fertig sind.« Es war ein bisschen wie in der Grundausbildung, dachte Njangu, aber wirklich nur ein bisschen. Petr war der Ausbilder für das gesamte Team. »Unsere erste und wichtigste Regel ist die Kontaktreaktion«, sagte er. »Wir werden sie üben, bis sie zu einem Muskelreflex geworden ist und euer Gehirn immer noch Tralala singt, wenn schon alles passiert ist.«
Kontaktreaktion hieß: Wenn sie beschossen wurden, sprangen alle zur Seite, der erste Mann nach links, der zweite nach rechts und so weiter. Sie drehten sich in Richtung des Feuers, der erste Mann ließ eine Salve aus zehn Kugeln los, lief zurück, der zweite Mann tat das Gleiche und so weiter, bis sich die Patrouille weit genug zurückgezogen hatte, um den Kontakt abzubrechen oder eine bessere Kampfposition einzunehmen. Immer wieder gingen sie die Prozedur durch, marschierten durch die verhältnismäßig sicheren Dschungel der Glücksinsel und waren stets mit scharfer Munition ausgerüstet. Fehler wurden nicht bestraft, nur durch Petrs enttäuschten Blick und ein langsames Kopfschütteln. Doch in gewisser Weise - vermutlich, weil die Sache in den nächsten Tagen sehr ernst werden würde -, war das eine schlimmere Strafe als alles, was Lir sich hätte ausdenken können. Monique machte mit ihrem Team genau dasselbe, immer und immer wieder. Langsames Vorrücken, Schritt für Schritt, in absoluter Stille, erst die Zehen, dann die Ferse aufsetzen, dann innehalten, dann der nächste 324 Schritt. Genau wissen, wo jeder seine Sachen hatte — Ersatzmunition in den unteren Taschen der Weste, persönliche Medikamente in der oberen linken Hemdtasche, Snacks in der oberen rechten Tasche, der ErsteHilfe-Pack an der rechten Hüfte und so weiter und so fort. Jedes Teammitglied konnte alles finden, was er oder sie im Notfall benötigte, ob bei Tag oder bei Nacht, ob der andere bei Bewusstsein war oder im Todeskampf lag. »Nun gut«, verkündete Petr einige Tage später, »wir sind zwar noch nicht bereit, aber ich glaube, dass wir nichts gewinnen, wenn wir weiter hier rumfurzen. Ich glaube es ist Zeit, jetzt ein wenig im Dschungel zu spielen. « »Hast du einen Moment für mich Zeit?« »Klar«, sagte Njangu. Er musterte Erik Penwyth aufmerksam und fragte sich, was jetzt wohl kommen würde. Penwyths Zögern deutete darauf hin, dass er eine große Sünde beichten wollte, und Yoshitaro war gerade nicht in der Stimmung, den Beichtvater zu spielen. »Äh... hast du irgendwas von Angie gehört?« »Nein. War zu sehr damit beschäftigt, mir zu überlegen, was ich in den Einsatz mitnehme.« »Sie ist raus.« »Was?« »Ja. Hat sich vor zwei Tagen freigekauft.« »Woher hat sie die Credits?«, wunderte sich Njangu. »Sie hätte nur noch zwei oder bestenfalls drei Jahre absitzen müssen. Der Obolus für einen fristlosen Abgang liegt derzeit bei tausend pro Jahr, und ich könnte mir vorstellen, dass bei den Aufklärern noch was draufgelegt werden muss. Schätzungsweise fünfhundert? Das ist ein ziemlicher Batzen Geld für einen Gefreiten.« 325 »Ihre Familie hat Geld«, sagte Erik. »Ich dachte, sie wäre nicht besonders gut auf sie zu sprechen.« »Hast du gehört, dass ein paar von ihren Geschäften in Schutt und Asche gelegt wurden?« »Hab's in den Holos gesehen. Ich wollte sie schon danach fragen. Aber auch wir sind derzeit nicht gut aufeinander zu sprechen.« Erik kehrte nicht zu seiner Koje zurück. Njangu setzte eine nüchterne, abwartende Miene auf. »Äh... da wäre noch etwas. Sie und ich... nun, wir hatten vor ein paar Wochen was miteinander. Als wir das letzte Mal Ausgang hatten.« »Aha? Sie hat mir vor zwei Monaten gesagt, dass ich meinen Arsch in Salz legen und an einem Seil aufhängen sollte«, erwiderte Njangu. »Dabei war nicht mal Liebe im Spiel. Ich werde ihretwegen nicht mein Kopfkissen vollheulen... zumindest habe ich es nicht vor.« »Auch wir haben nicht von Liebe gesprochen«, sagte Erik. »Aber dann ist etwas Seltsames passiert... vielleicht kannst du mir sagen, was es zu bedeuten hat.« »Das glaube ich kaum. Ich weiß nur, dass ich über Angie vieles nicht weiß.« »Wir waren im Haus meiner Familie«, sagte Erik. »Wir sind sozusagen übers Wochenende abgetaucht. Ich habe dort meine eigene Wohnung mit eigenem Eingang und so weiter. Ich habe sie gefragt, ob sie meine Eltern kennen lernen möchte, vielleicht zu einer Party gehen will oder so. Da sie es faustdick hinter den Ohren hat, dachte ich mir, sie würde ganz gut mit einigen meiner wilderen Freunde klarkommen. Sie sagte, sie würde gerne ausgehen... aber dann überlegte sie es sich anders. Sie klang leicht wütend, als sie das sagte. Also lief es da326 rauf hinaus, dass wir die ganze Zeit, nun ja, einfach nur zusammen waren.« »Bei mir war Angie genauso«, sagte Njangu. »Es war - wie soll ich es ausdrücken? — etwas exotisch«, sagte Erik. »Bitte denk jetzt nicht, dass ich prahlen will oder so was, ich versuche nur, es dir zu erklären. Und dann, am Abend, als wir zurück ins Lager mussten, hat sie zu mir gesagt, dass ich mich verpissen soll. Und wenn ich irgendwem erzähle, was wir getrieben hatten, würde sie mir die Ohren abreißen.« »Mir ist fast genau das Gleiche passiert«, sagte Njangu. »Was habe ich falsch gemacht?«, fragte Erik. »Ich meine, wir waren nicht ineinander verliebt oder so. Aber sie hat mir gefallen, und ich dachte, wir würden ganz gut miteinander klarkommen. Und dann, plötzlich... hat sie mich knallhart abserviert.«
Njangu schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, mein Freund. Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« »Seltsam«, sagte Erik. »Einfach nur seltsam.« Vier Tage später zog ein weiterer Trupp los, zwei Kompanien aus dem Zweiten Regiment. Ergänzt um zehn zusätzliche Leute, die - abgesehen von ihren übergroßen Rucksäcken für die Maschinengewehre - nicht anders als die anderen aussahen. Doch es gab Unterschiede, auch wenn sie nicht offensichtlich waren. Sie hatten in Chemikalien gebadet, von denen die Sektion IV der Streitmacht, die Logistik, behauptete, dass sie ihren Körpergeruch für tierische oder technische Nasen unaufspürbar machten. Und ihre Uniformen waren beschichtet, um ihre Körperwärme abzuschirmen. Die zwei Kompanien durchkämmten mühsam das Tiefland unterhalb der Felswand, filzten dann ein Dorf, 327 das angeblich von den 'Rauhm kontrolliert wurde. Sie überprüften ID-Karten, forderten zur Kooperation mit der Regierung auf, versprachen allen große Belohnungen, die sich stellten oder Hinweise zur Ergreifung von 'Rauhm gaben, und zogen ohne Kontakt oder irgendwelche Ergebnisse wieder ab. Bei Anbruch der Nacht wurden sie mit Griersons zur Glücksinsel zurückgebracht. Niemand hatte die zehn Männer und Frauen vom Gamma-Team bemerkt, die sich einen Kilometer vor dem Dorf ins dichte Unterholz geschlagen hatten. Das Aufklärerteam bildete einen Verteidigungsring, holte Flüsterkoms aus den Rucksäcken und legte sie an, worauf Kipchak einen Funktionstest durchführen ließ. Eine Stunde nachdem die Kompanien weitermarschiert waren und es still geworden war, kamen drei Frauen vorbei, die auffällig laut nach einem entlaufenen Giptel riefen. Kipchak warf Njangu einen Blick zu und grinste. Niemand sprach - die Korns des Teams waren auf eine Frequenz zwischen den üblichen militärischen Kanälen eingestellt, aber es wäre ein Fehler gewesen, jetzt nachlässig zu werden. Die drei Scouts der 'Rauhm hatten sie nicht bemerkt. Die Hälfte der Gruppe aß, während die übrigen Wache hielten. Ihre Rationen bestanden aus hochkonzentrierten Proteinriegeln, viertausend Kalorien pro Mahlzeit, und jeder Soldat führte zwei Dutzend Päckchen mit sich. Damit konnten sie sehr lange durchhalten. Das einzige Problem war die berüchtigte Nebenwirkung, dass die Riegel die Gedärme dauerhaft versiegelten. »Das hat immerhin den Vorteil«, hatte Kipchak dazu gesagt, »dass wir nicht allzu oft unsere Rückendeckung schwächen müssen.« 328 Bei Sonnenuntergang regnete es. Sie waren froh darüber, denn der Nieselregen — eine der letzten Nachwehen der Regenzeit - würde jedes Geräusch verschlucken, das sie bei ihrem Vormarsch erzeugten. Eine Stunde später gab Kipchak ein Zeichen. Sie krochen zum Pfad und kehrten zum Dorf zurück. In den Gebäuden brannte Licht, und das Gemeinschaftshaus war voll besetzt. Petr hob eine Hand, und das Team ging in Deckung. Er schnallte seinen Rucksack ab, zeigte auf Heckmyer, und dann robbten die beiden zusammen los. Kipchak zog ein Nachtsichtgerät aus einer Tasche seiner Kampfweste und beobachtete das Dorf und die Menschen vor dem Gemeinschaftshaus. Na so was!, dachte er. Wo kommen denn plötzlich all die kräftig gebauten jungen Burschen her? Als die Truppe das Dorf besucht hat, war von ihnen nichts zu sehen. Und alle tragen Waffen. Sieh mal einer an! Vielleicht liegt ihnen gar nichts daran, ehrenhaften Soldaten mit Freundlichkeit und Respekt zu begegnen! Eine Versammlung wurde abgehalten, aber Kipchak war zu weit entfernt, um verstehen zu können, was gesprochen wurde. Er überlegte, ob er sich von jemandem aus dem Team ein Richtmikro besorgen sollte, aber dann entschied er sich dagegen. Es spielte keine Rolle, was die Rebellen sprachen. Er schaltete sein Flüsterkom ein. »Hol die anderen«, wies er Heckmyer an. Der Mann kroch zurück und kam mit den übrigen Mitgliedern des Teams wieder. Erneut drückte Petr die Sprechtaste seines Korns. »'Rauhm im Dorf«, sagte er und wartete, bis sich seine Leute einen Überblick über die Situation verschafft hatten. »Ich zähle siebzehn.« »Wir könnten sie jetzt mit einem Schlag erledigen«, schlug Penwyth vor. 329 »Negativ«, entschied Petr. »Das würde zu viele zivile Opfer geben. Wir machen einen großen Bogen um das Dorf und lauern ihnen auf dem Pfad nach Süden auf. Ich glaube, sie werden diesen Weg nehmen, um irgendwann heute Nacht oder morgen zu ihrem Stützpunkt zurückzukehren. Wir gehen das Risiko ein, sie unterwegs zu verlieren. Aber ich würde lieber eine komplette Horde Kobolde auf einmal erwischen, als sie einen nach dem anderen zu erledigen.« »Was ist mit dem Gegenschlagsteam?«, fragte Finf Newent. »Ich sehe keine Möglichkeit, es hier abzusetzen, ohne dass sämtliche Alarmsirenen losgehen. Arme Monique.« Kurz vor Anbruch der Dämmerung hörte die Gefreite Deb Irthing Geräusche aus dem Dorf. Sie stieß Stef Bassas an, ihren Wachkollegen, der zurückkroch und dem in Seestern-Formation schlafenden Gamma-Team an die Stiefel tippte. Petr Kipchak kam an ihre Seite gerobbt, hörte ihr zu und schaltete seinen Kom auf die Hauptfrequenz, die der Aufklärungskompanie zugewiesen war. »Gamma setzt sich in Bewegung.« Dann wechselte er wieder auf den Kanal des Teams. Fünf Minuten später näherten sich dunkle Gestalten auf dem Pfad. Petr zählte sechzehn. Er rührte sich nicht, bis die letzten 'Rauhm vorbei waren. Nicht gut genug oder nicht gerissen genug, dachte er. So werdet ihr Mrs. Kipchaks Lieblingssohn niemals in die Falle locken. Er zählte bis fünfzig, dann sagte er: »Los!« Er kam aus der Deckung, und Gamma folgte den 'Rauhm.
Sie bewegten sich sehr langsam, achteten darauf, kein Geräusch zu verursachen, atmeten möglichst flach und wussten, dass die 'Rauhm schneller gingen, weil sie sich 330 auf vertrautem Terrain befanden und überzeugt waren, dass ihnen niemand auf den Fersen war. Einmal pro Stunde berührte Petr einen winzigen Sender an seiner Kampfweste, dann blinkte ein rotes Lämpchen im Planungsraum der Aufklärungstruppe in Camp Mahan auf. Dort hatten sich zahlreiche Offiziere versammelt, hauptsächlich Mitglieder der Sektion II, und Mil Rao, der Erste Offizier der Streitmacht. Sie sprachen kaum ein Wort miteinander. Wenn gelegentlich ein Kaffeebecher abgestellt oder unterdrückt gehustet wurde, klang es unverhältnismäßig laut. Es war ein klarer, warmer Tag ohne Wolken, und der Schlammpfad wurde allmählich wieder trocken. Kipchak wechselte die Männer an der Spitze stündlich aus, ließ aber nicht zu, dass irgendwer in seiner Aufmerksamkeit nachließ - und schon gar nicht die Soldaten unmittelbar hinter der Spitze. Er ging regelmäßig in die Knie und untersuchte die Spuren, die die 'Rauhm hinterlassen hatten. Wenn die Fußabdrücke mit Wasser gefüllt waren, ließ er den Trupp weitermarschieren, aber wenn sich der Matsch noch bewegte, was zweimal der Fall war, ließ er das Team anhalten, damit die 'Rauhm wieder einen größeren Vorsprung gewannen. Trotz aller Vorsicht hätte er die Patrouille kurz vor Mittag fast in ihre Arme geführt. Die 'Rauhm hatten abseits des Pfades Halt gemacht, um etwas zu essen, und Bassas hatte es nur dem Zufall zu verdanken, dass er im Gebüsch das matte Schimmern einer Waffe sah. Er erstarrte, gab ein knappes Zeichen, und sehr langsam und sehr vorsichtig zog sich das Gamma-Team fünfundzwanzig Meter zurück. Sie warteten, bis sie nach einer Weile Geräusche hörten. Erst danach setzten sie ihren Vormarsch fort. 331 Es war bereits später Nachmittag, als sie das Heulen eines Gleiters hörten. Gamma zog sich vom Pfad zurück, und niemand blickte nach oben, obwohl ihre Gesichter geschwärzt waren. Der Gleiter schwebte über sie hinweg. Petr Kipchak spürte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte. Gottverdammte, verfluchte Dreckskerle! Dabei haben sie versprochen, keine Erkundungsflüge zu unternehmen. Wahrscheinlich konnte der verdammte Williams es einfach nicht aushalten und musste seine Hände nach der Kirschtorte ausstrecken... Der Gleiter kehrte zurück, und Kipchak riskierte schließlich doch einen Blick nach oben, sah das Gefährt und erkannte flüchtig ein Logo - das des Matin. Erneut fluchte er, aber in einer ganz anderen Tonlage. Also gibt es irgendwo ein Leck. Jemand muss der Journaille gesteckt haben, dass hier etwas im Busch ist, und jetzt sucht die Bande nach der Story. Auch Njangu hatte das Logo gesehen. Das muss ich Garvin sagen, dachte er. Beim nächsten Mal soll er der Schweinebacke Kouro den Fuß auf den Hals stellen und dafür sorgen, dass ersieh nicht nur nassmacht, sondern absäuft. Der Gleiter flog ein weiteres Mal über den ruhigen Dschungel, dann entfernte sich das Triebwerksgeräusch. Die Patrouille zog weiter. Eine Stunde vor Sonnenuntergang roch es nach Rauch, und das Jappen von Giptels war zu hören. Das machte dem Gamma-Team klar, dass ein weiteres Dorf in der Nähe war. Es war etwas größer als das erste, und es gab drei Pfade, die hinein- und hinausführten. Dann waren Gelächter und Fröhlichkeit zu hören, und es roch nach Gebratenem. Ein äußerst köstlicher Duft. Sie vermieden 332 es, die Konzentratriegel anzusehen, während sie mechanisch kauten. »Ich brauche zwei Männer«, sprach Kipchak ins Flüstermikro. »Nehmt das Kochgeschirr des Teams mit und geht einen Viertelkilometer bis zum Bach zurück. Njangu«, fuhr er fort. »Ich glaube, sie werden morgen den oberen Pfad nehmen. Aber verwanzt auch den unteren, für alle Fälle. Nimm Irthing als Rückendeckung mit.« Njangu zog zwei winzige Geräte hervor, die wie Nägel mit vergrößerten Köpfen aussahen, schnallte seinen Rucksack ab und bewegte sich mit schussbereitem Blaster auf das Dorf zu, während es dunkel wurde. Er wünschte sich, er hätte eine Pistole, die aber nicht zur Standardausrüstung gehörte, sondern privat gekauft werden musste. Nur Petr Kipchak besaß eine. Einmal hörte oder witterte ihn ein Giptel und kläffte, aber niemand achtete darauf, weil die Leute zu sehr mit ihrer Feier beschäftigt waren. Njangu fand den Pfad, schaltete die Sensoren ein und vergrub sie links und rechts im Gebüsch. Er war nur noch drei Meter von der Rückseite einer Hütte entfernt, als er einen keuchenden Mann und eine stöhnende Frau hörte. Die Frau stieß einen Schrei aus, und der Mann grunzte mehrere Male. Ich befinde mich am falschen Ende dieser Angelegenheit, dachte er. Dann dachte er gar nichts mehr, als der Mann aus der Hütte kam, eine undeutliche, nackte Gestalt. Njangu hob langsam sein MG und fragte sich, warum der Gedanke, jemanden zu töten, der nackt war, ihm den Magen umdrehte. Der Mann starrte ins Zwielicht, und Njangus Finger spannte sich um den Abzug, dann lachte der Mann lauthals und urinierte. Njangu spürte, wie ihm Feuchtigkeit 333 ins Gesicht spritzte und Säure in seiner Kehle brannte. Schließlich war der Mann fertig, kratzte sich und kehrte in die Hütte zurück. Wieder war Gelächter zu hören. Yoshitaro schluckte und blickte sich zur Patrouille um. Irthing hockte in der Nähe neben einem Baum. Ihre Schultern zuckten. So wird man also zu einer Legende in der Streitmacht, dachte Njangu.
Petr führte sie eine Anhöhe hinauf, von der man einen guten Blick auf das Dorf hatte, und versammelte die Patrouille um sich. Er schloss das Flüstermikro und sprach leise zu seinen Leuten. »Hier ist es sicherer«, sagte er. »Wir können sehen, welchen Pfad sie nehmen, und sie werden auf niemanden drauftreten. Oder pissen.« Er zwinkerte mit den Augen. »Etwa zwanzig Meter weiter gibt es einen großen Teich, Njangu. Dort kannst du ein Bad nehmen, und wir versuchen, daran zu denken, nicht auf dich zu schießen, wenn du zurückkommst.« Sie hielten zu dritt Wache, Kipchak, Jil Mahim und Njangu. Die Feier im Dorf ging allmählich zu Ende; es brannten nur noch zwei oder drei Lichter. Ihr Standort lag hoch genug, um auf die Bucht hinausblicken zu können. Zu ihrer Rechten, im Westen, erkannten sie die schwachen Lichter von Leggett, und mitten in der Bucht lag die Glücksinsel, ihr Zuhause, wo es Wärme und trockene Kleidung und richtiges Essen gab. Die Insel funkelte wie ein kostbares Juwel. Petr hatte gesagt, dass sie sich unterhalten konnten, solange es leise geschah, aber weder Mahim noch Njangu hatten etwas zu sagen, während um sie herum nichts als Nacht, Dschungel und 'Rauhm waren. Der Himmel war klar, und die Sterne schienen mit 334 harter Schönheit. Njangu fragte sich, ob er wohl die Sonne sehen könnte, um die Waughtals Planet kreiste, wenn er wüsste, wo sie zu finden war. Er hoffte nicht. Er zuckte leicht zusammen, als Petr leise zu reden begann, fast, als würde er laut denken. »Als ich ein kleiner Junge war«, sagte er, »habe ich mal ein Holo gesehen. Ein ziemlich altes Ding, bei dem die Farben schon etwas verblasst waren. Es ging um einen Planeten namens Rom und um die Entstehung eines Imperiums. Die Soldaten hießen Legionäre und sicherten die Grenzen des Imperiums. Vielleicht war das der Zeitpunkt, an dem ich mich entschieden habe, Soldat zu werden. Es ist keine schlechte Lebensaufgabe, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen. Jedenfalls gab es Barbaren, die immer wieder gegen das Imperium anstürmten. Es schrumpfte Stück für Stück, immer mehr Provinzen gingen verloren, und schließlich war Rom ganz verschwunden. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht - und wie es wohl gewesen sein muss, ein solcher Legionär zu sein, am Ende des Niemandslandes, wo man zu den Sternen hinaufblickt und weiß, dass sie feindlich sind. Wo man weiß, dass nichts hinter einem liegt und man von allem abgeschnitten ist, dass es keine Versorgung mehr gibt, dass man nach niemandem rufen kann, wenn die Barbaren kommen. Ich habe mich gefragt, wie es wäre, zu einer solchen letzten Legion zu gehören. Ich hätte niemals gedacht, dass ich es eines Tages selbst erleben würde.« Er verstummte, und außer dem leisen Flüstern des Windes war nichts mehr zu hören. »Der Geheimdienst sagt, dass Gamma ihnen immer noch auf den Fersen ist«, sagte Dill. »Die 'Rauhm haben 335 sich für die Nacht in einem anderen Dorf verkrochen, und Gamma hat sich auf einem Hügel positioniert, um abzuwarten. Bisher haben sich die 'Rauhm wie fette, zufriedene Dummköpfe verhalten.« »Was wird der Anführer des Teams tun?«, wollte Gorecki wissen. »Nach Auskunft von Cent Angara - eigentlich dürfen wir gar nichts von diesen Dingen wissen, da wir ja nur dumme Fußsoldaten in der hintersten Reihe sind - will er ihnen folgen, bis sie ihn zu einem lohnenderen Ziel geführt haben. Oder sie erledigen, wenn sie bemerken, dass sie verfolgt werden.« »Ich hoffe, er findet ein großes, feuchtes, sahniges Ziel«, sagte Kang. »Etwas wie ein Hauptquartier, das ihnen auf dem Präsentierteller vor die Nase gehalten wird. Hmm!« »Reiß dich zusammen, Ho«, sagte Garvin. »Es kommt schon alles zu seiner Zeit.« »Ich rede nicht vom Kommen, verdammt! Ich rede vom Töten!« »So, wie du redest, hättest du Schütze werden sollen.« »Nein«, sagte Kang. »Jeder Idiot kann einen Abzug betätigen. Aber man braucht Köpfchen, um mit Elektronik umzugehen.« »Ich werde deine Weltanschauung zertrümmern«, sagte Jaansma. »Ich wette, wenn wir sie finden, werden sie nichts Besseres gegen uns ins Feld führen können als das, was sie uns gestohlen haben.« »Dann werde ich darum bitten, zu den Schützen versetzt zu werden.« »Wie du meinst.« Garvin wandte sich an Ben. »O großer und erleuchteter Fahrzeugführer, ich habe nachgedacht!« 336 »Na so was!«, sagte Ben. »Dabei ist einem das Denken erst erlaubt, wenn man es zum Dec gebracht hat. Aber es kann nicht schaden, schon vorher ein wenig zu üben.« »Ich habe über diese 'Rauhm nachgedacht«, sagte Garvin. »Die meisten von ihnen leben in den Städten, und die größte Population befindet sich in Leggett, nicht wahr?« »Abgesehen von den Minen auf C-Cumbre«, sagte Dill. »Aber es dürfte noch eine Kilotonne von ihnen in der Wildnis, in den ganzen kleinen Dörfern verstreut sein.« »Wenn sie verstreut sind, kann ich nicht behaupten, dass mich das sonderlich beeindruckt.« »Ich weiß immer noch nicht, worauf du hinaus willst.« »Früher oder später werden wir sie drankriegen«, fuhr Garvin fort. »Wir können nicht ewig lieb und nett zu ihnen sein, oder?« »Bei Caud Williams ist alles möglich.« »Wenn wir ihnen richtig wehtun«, sagte Garvin, »wird es schwer für sie werden, in den Dörfern Unterstützung
zu finden, nicht wahr?« »Natürlich«, sagte Kang. »Vor allem, wenn wir richtig intelligente Sachen machen, zum Beispiel die Supermärkte überwachen und die in der Stadt gekauften Vorräte weiterverfolgen, um herauszufinden, in welchen Dörfern sich die Mistkerle einquartieren.« »Nicht schlecht«, musste Garvin anerkennen. »Diese Frau sollte befördert werden. Wenn wir ihnen also richtig wehtun, werden wir sie bis zur Erschöpfung hetzen, nicht wahr?« »Richtig«, stimmte Dill zu. »Schließlich sind wir gnadenlose Jäger.« »Diesen Satz bitte nicht vergessen«, sagte Garvin, 337 »während wir einem anderen Gedanken folgen. Wenn sie jemanden in der Wildnis kaltmachen, hinterlässt das keinen sehr nachhaltigen Eindruck in den Holos. Was würde aber geschehen, wenn sie hier in Leggett Leute umbringen? Wäre dem Mahn die dritte Leiche egal, die blutig vor den Stufen ihres Redaktionsgebäudes liegt?« »Bestimmt nicht«, sagte Dill. »Überlegt mal, wie aufgeregt alle waren, als vergangenen Monat dieser Zinser ich glaube, er hieß Scryfa - zusammen mit seiner Familie abgeschlachtet wurde. Die 'Rauhm könnten so etwas regelmäßig tun und vielleicht sogar hier und dort eine Bombe deponieren, damit das Leben nicht zu langweilig wird. Auf D-Cumbre würde sich ein mächtiges Geschrei erheben. Wäre zumindest logisch.« »Also sollten sie lieber in die Städte gehen und die Sache forcieren, um die Regierung zum Nachgeben zu bewegen, damit sie zu den Veränderungen bereit ist, für die die 'Rauhm kämpfen.« Dill sah Garvin aufmerksam an. »Weißt du, Soldat, ich bin irgendwie froh, dass du auf unserer Seite bist. Denn das, was du gesagt hast, klingt viel zu vernünftig.« Njangu wachte vor Sonnenaufgang auf, mit schmerzendem Kopf und Eingeweiden, die sich zu einem festen Knoten verschlungen hatten. Er versuchte sich zu übergeben, schaffte es aber nicht. Jil Mahim, die Teamärztin, kam zu ihm herübergekrochen. »Was hast du für ein Problem?«, flüsterte sie. »Darmkrämpfe«, stieß er hervor. »Wahrscheinlich, weil man mich angepisst hat.« »Das kann von so was kommen«, sagte sie und kramte in ihrer Tasche. »Hier. Etwas gegen die Schmerzen und die Verstopfung.« 338 Njangu schraubte seine Wasserflasche auf und schluckte die Tabletten mit einem Schluck Flüssigkeit. Sekunden später kam ihm alles hoch. »Kuso!«, stöhnte er. Kipchak kam zu ihnen und informierte sich über das Problem. »Kannst du laufen?« »Ja, verdammt«, sagte Njangu gequält. »Das ist besser als jede Alternative.« Petr nickte. Ansonsten blieb ihnen nur die Möglichkeit, Njangu zurückzulassen. Wenn die 'Rauhm und die Patrouille die Gegend verlassen hatten, konnte die Streitmacht ihn evakuieren. Vorausgesetzt, es war noch etwas vorhanden, das sich evakuieren ließ. »Dann sattel auf.« Njangu schnallte sich mühsam den Rucksack um und nahm seinen Blaster. Penwyth und Mahim halfen ihm beim Aufstehen. »Dadurch wird es nicht leichter«, stöhnte er. Sie begaben sich zum Pfad und warteten darauf, dass die 'Rauhm weiterzogen. Der Tag war heiß, trocken und dunstig. Njangu kam sich vor, als würde sein Inneres brennen, und er hatte Schmerzen in jedem Gelenk. Er wäre am liebsten ins Gebüsch gekrochen, um sich hinzulegen und zu hoffen, dass er einschlief. Oder starb. Aber er tat es nicht. Er marschierte weiter. Das Universum konzentrierte sich auf eine Hand, die seinen Blaster trug, das zermürbende Gewicht des Rucksacks und einen Fuß, der sich vor den anderen setzte, immer und immer wieder. Jedes Mal, wenn er gegen einen Zweig oder einen Stein stieß, fühlte es sich an, als würde das Feuer noch stärker auflodern. Einmal stellte er fest, dass ihm Tränen übers Gesicht liefen. Er wischte sie schnell ab, zusammen mit einem 339 Teil seiner Tarnfarbe, die an einem dreckigen Ärmel kleben blieb. Niemand hatte Njangu Yoshitaro jemals weinen sehen, und es würde auch jetzt nicht passieren. Niemand, seit... seit er sich erinnern konnte. Er verfluchte sich selbst und alle anderen. Kipchak, weil er so ein gnadenloses Tempo vorgab, den Mann an der Spitze, der sich immer den steilsten und steinigsten Weg aussuchte, den Mistkerl hinter ihm, der einfach nicht auf die Idee kam, ihm den Rucksack abzunehmen. Er war nur von Mistkerlen umgeben. Stumpf schluckte er die Brühe, mit der Mahim ihn gegen Mittag fütterte, und hatte sie wenige Minuten später wieder von sich gegeben. Die Ärztin hielt ihm einen Injektor an den Arm, und er nahm entfernt ein zischendes Geräusch wahr. Jemand stellte ihn auf die Beine, und er spürte wieder, dass er Füße hatte. Er stolperte, und der Rucksack hätte ihn beinahe zu Boden gerissen, aber dann fand er das Gleichgewicht wieder. »Vorwärts marsch!«, stieß er mühsam hervor, dann setzte er sich wieder in Bewegung. Der Tag war eine endlose Qual, die Monate und Jahre dauerte, und als die Tränen wiederkamen, machte er sich nicht mehr die Mühe, sie abzuwischen. Er konnte links und rechts nichts mehr sehen, und es war ihm gleichgültig geworden, ob die verdammten 'Rauhm sie vielleicht in einen Hinterhalt lockten. Wenigstens musste er dann nicht mehr weitermarschieren. Die 'Rauhm würden ihm die Gelegenheit geben, sich auszuruhen, und wenn sie auf ihn schössen, konnte ihm das keine größeren Schmerzen bereiten, als er ohnehin hatte. Endlich hielten sie an, und jemand führte ihn zu einem Baum, nahm ihm den Rucksack ab und sagte ihm,
340 dass er sich setzen sollte. Jemand anderer fütterte ihn wieder mit Brühe, und diesmal behielt er sie bei sich. Mahim verabreichte ihm eine weitere Injektion, nach der er sofort das Bewusstsein verlor. Er wachte im Grau der Dämmerung auf und fühlte sich wunderbar. Er konnte es nicht fassen und betastete vorsichtig seine Arme und Beine. Er war nicht tot, es sei denn, man fand sich auch als Toter in einem Dschungel wieder. Er konnte seinen Körper riechen, der immer noch krank roch. Aber er war am Leben. Er erinnerte sich, wie er am Tag zuvor geweint hatte, und seltsamerweise schämte er sich kein bisschen dafür. Langsam schob sich ein Gedanke in den Vordergrund: Du hast gerade eine Grenze überwunden, mein Freund. Genauso wie auf den Klippen. Das hat dich etwas gelehrt, nicht wahr? Er verdrängte den Gedanken als hoffnungslos romantisch und bereitete sich auf den bevorstehenden Tagesmarsch vor. Sie folgten den 'Rauhm weitere zwei Tage. Die Dörfer wurden kleiner und lagen weiter auseinander, je mehr sie sich dem Hochland näherten. Die 'Rauhm schlugen ihr Lager in Kwelf-Hainen auf. Gamma konnte sich diesen Luxus nicht erlauben und schlief im Freien. Aber wenigstens hatte der Regen aufgehört und die Trockenzeit begonnen. Njangu hatte die Spitze übernommen. Er fühlte sich unglaublich lebendig, seine Nerven vibrierten, und jeder Windhauch, der sein Gesicht streifte, war wie eine Ohrfeige. Die Luft war klar und sauber, und jeder Baum und jede Blume hatten einen eigenen Duft. Sein Atem ging langsam und regelmäßig und kam aus dem Zwerchfell, 341 wie er es vor langer Zeit auf Waughtals Planet von seinem Sensei gelernt hatte. Er konnte den Feind spüren, zwei- oder dreihundert Meter voraus, und er spürte die sorglose, selbstbewusste Weise, auf die sich die 'Rauhm bewegten. Er zuckte zusammen, als Petr ihm auf die Schulter tippte und ihn zurück in die Kolonne schickte. Er wurde fast wütend, doch dann gehorchte er. Jetzt war jemand anderer an der Reihe, da niemand über längere Zeit vollkommen aufmerksam sein konnte. Finf Newent schob sich an ihm vorbei, zeigte ein gepresstes, bedeutungsloses Grinsen, das fast ein Zähneblecken war. Njangu folgte ihm träge und in angemessener Entfernung. Dann explodierte genau vor ihm der Dschungel. Newent taumelte rückwärts, mit ausgebreiteten Armen und davonwirbelndem MG, und stürzte gegen ihn. Yo-shitaro hörte das Knattern von Schüssen, und Newent verkrampfte sich, stöhnte und erschlaffte. »Angriff!«, rief jemand, und Njangu erkannte, dass es Kipchak war. Er schob Newents Leiche zur Seite, feuerte vier Patronen aus der Hüfte ab, widerstand dem Drang, sich flach auf den Boden zu werfen, nahm eine Granate vom Gürtel, entsicherte sie und warf sie. Dann ging er in die Hocke und feuerte noch eine Salve ab. Andere Blaster antworteten, und das Feuer der 'Rauhm wurde schwächer. Er warf eine weitere Granate, rollte sich zur Seite, und der Baum hinter ihm explodierte in einer Wolke aus Holzsplittern. Er stemmte sich hoch, bis er auf den Knien war, hob das schwere MG und deckte den leeren grünen Dschungel mit Feuer ein. Einen Moment lang herrschte Stille, dann rief Kipchak: »Zurück!« Er gehorchte, zog sich wankend aus 342 dem Hinterhalt zurück. Eine Kugel streifte einen Zweig genau über seinem Kopf, und er wäre beinahe gestürzt. Ein Stück voraus kam eine Felsgruppe in Sicht, hinter der die Patrouille in Deckung gegangen war. »Komm schon«, rief Kipchak. »Nach hinten... du bist der Letzte!« Dann war die Patrouille wieder auf den Beinen und bewegte sich trottend weiter. Njangu erkannte, dass er der Letzte in der Kolonne war, dem Feind am nächsten, und kämpfte gegen seine Panik an. Kipchak tauchte auf und schoss an ihm vorbei. »Zurück zur Weggabelung«, befahl er, »dort werden wir sie in die Zange nehmen.« Njangu gehorchte und hörte, wie die Luft rasselnd durch seine Lungen strömte. Gamma verteilte sich an der Gabelung, und Njangu entdeckte ein dichtes Gebüsch. »Jil«, ordnete er an. »Du und Stef, ihr lauft noch weiter zurück. Macht kräftig Lärm. Nach etwa fünfzig Metern haltet ihr an und schlagt euch ins Unterholz. Schießt auf alles, was den Weg entlangkommt. Wir rufen euch zurück, wenn wir euch brauchen. Alle anderen kommen hier herüber und machen sich bereit, ihnen einen angemessenen Empfang zu bereiten, wenn sie kommen.« Er stellte sich für einen kurzen Moment die Frage, wie er darauf kam, Befehle zu erteilen, aber Gamma gehorchte ihm, und Petr kam zurück. Er sah, was Njangu angeordnet hatte, und nickte. Wenige Sekunden später erkannten sie Bewegung auf dem Pfad - fünf 'Rauhm kamen auf sie zu. »Nein... nein...«, flüsterte Petr, »nein... JETZT!« Dann spuckten fünf Maschinengewehre Feuer. Schreie, schwankende Körper, und Njangu feuerte eine weitere Salve ab. »Nach vorn, nach vorn!«, befahl Kipchak und rief 343 nach Mahim und Bassas. »Jetzt haben wir sie in der Mangel... lasst nicht locker!« Sie kehrten den Weg zurück, den sie gekommen waren, an vier Leichen und einem schluchzenden Jungen vorbei. Kipchaks Pistole bellte einmal, und der Junge verstummte. Fünf erledigt, dachte Yoshitaro. Noch zwölf. Njangu sah Newents leere, starrende Augen in einer Maske aus Blut und wandte den Blick ab. Mahim hielt kurz inne, um einen Sensor an die Leiche zu heften, damit sie später geborgen werden konnte. Den ganzen Tag lang folgte die Patrouille den 'Rauhm. Geplapper drang aus dem Kom, und Petr nahm das
Mikro: »Hier ist Gamma. Alle anderen Einheiten verschwinden aus dieser Frequenz, sonst schalte ich den Kom ab. Ende.« Von jemandem kam aufgeregter Protest, doch dann verstummte das Gerät. »Wir bleiben ihnen auf der Spur«, erklärte Petr während eines kurzen Halts. »Aber wir sind ihnen zu nahe. Hier, sie hinterlassen eine Blutspur. Wir geben ihnen ein paar Minuten Vorsprung, dann gehen wir weiter.« »Was passiert als Nächstes?«, fragte Penwyth. »Wir müssen es den Scheißkerlen heimzahlen, dass sie Newent erledigt haben.« »Sie werden versuchen, uns in eine Falle zu locken«, sagte Kipchak. »Und wenn sie uns nicht erwischen können, werden sie versuchen, uns abzuhängen, was wir natürlich nicht zulassen. Keine Sorge. Wir kriegen sie schon.« Die 'Rauhm versuchten dreimal, sie in einen Hinterhalt zu locken, doch jedes Mal wurde die hastig vorbereitete Falle entdeckt, bevor sie zuschnappen konnte. Danach bewegten sich die 'Rauhm langsamer, genau wie Kipchak es vorhergesagt hatte; sie drangen in dich344 teres Unterholz vor, benutzten fast ausgetrocknete Bachbetten und steinigen Untergrund. Aber immer konnte Gamma ihnen auf der Spur bleiben. Sie kamen um eine Biegung und sahen zwei 'Rauhm, die am Boden lagen und sich nur noch leicht bewegten. »Sie sind in Schwierigkeiten«, sagte Petr. »Sie lassen ihre Verletzten zurück.« Mahim setzte sich in Bewegung. »Nein!«, schrie Petr. Er pumpte eine Salve in die beiden Körper. Der eine wurde zur Seite geschleudert, und Njangu sah den scharfen Sprengsatz, der im nächsten Moment explodierte und die Leiche der Frau zerriss. »Netter Versuch, aber nicht besonders genial«, sagte Petr. Dann setzten sie die Verfolgung fort. Als es dunkel geworden war, befanden sie sich hoch auf den Klippen, und der Nebel aus dem Hochland wälzte sich zu ihnen herunter. Njangu hatte das Gefühl, er würde Feuer atmen. Seine Lungen brannten. Auch die anderen keuchten hörbar. »Kom«, befahl Petr, und Irthing, die das Gerät trug, reichte ihm das Mikro. »Hier ist Prophet Gamma. Kodierung.« Er berührte ein paar Knöpfe am Kom. Durch die Kodierung wurde nicht nur mehr Energie verbraucht, sie schränkte außerdem die Reichweite des Senders ein. »Haben Sie mich in der Peilung?« »Prophet Gamma, hier ist Prophet Eins«, kam es flüsternd aus dem Kom. Kipchak erkannte Hedleys Stimme. Er gab einen knappen Lagebericht. »Ich glaube, sie verschanzen sich für die Nacht. Jedenfalls sollten sie es tun, wenn sie noch einigermaßen bei Verstand sind. Können Sie mir einen fliegenden Schnüffler schicken?« »Bestätigt.« »Kein Angriff«, sagte Kipchak. »Ich wiederhole, 345 unternehmen Sie keine Angriffsaktionen. Informieren Sie mich, wenn die Gruppe sich vor Tagesanbruch in Bewegung setzt. Wir sind ihnen auf der Spur, und ich glaube, sie nähern sich einem lohnenden Ziel.« »Hier ist Prophet Eins«, sagte Hedley. »Verstanden. Werden Anweisungen ausführen. Aber Vorsicht. Sie könnten eine Überraschung planen.« »Hier ist Gamma. Verstanden. Das ist der Grund, warum ich einen Schnüffler brauche. Ich will vorgewarnt sein, wenn sie die Hunde loslassen.« »Verstanden.« »Geben Sie mir die Chance, ihr Hauptlager zu finden. Dann haben Sie Ihr lohnendes Ziel. Gamma Ende.« Irgendwann tappte jeder, selbst ein Revolutionär, in die Routinefalle. Genauso war es mit den 'Rauhm. Trotz ihres Dogmas, sich nie zweimal im selben Haus oder Dorf oder in derselben Nacht zu treffen, hatte sich die große Höhle am Rand des Hochlands zu einem permanenten Hauptquartier entwickelt. Der winzige Eingang wurde immer noch gut bewacht, aber nun führten mehrere Trampelpfade darauf zu. Außerdem gab es Unmengen von Korns, sowie Computer und Dokumente der Bewegung, sodass es nötig geworden war, in der Umgebung der Höhle Einsatzkräfte zu stationieren. Andere Einheiten der 'Rauhm zogen sich nach einer Aktion hierher zurück, um Bericht zu erstatten und neue Anweisungen zu erhalten. Da sie hier in Sicherheit waren, blieben sie meistens einen oder zwei Tage und nutzten die Gelegenheit, sich zu entspannen, nicht mehr zu flüstern, sondern sich mit normaler Stimme zu unterhalten und zu lachen, ohne sich ständig umblicken zu müssen. 346 In der großen Kaverne hielten sich die zwanzig Männer und Frauen der Planungsgruppe sowie fünfzehn der bewährtesten Kämpfer und Anführer auf. Comstock Brien stand vor einer Staffelei, an der eine Karte befestigt war, wie sie auch von den Truppen der Konföderation benutzt wurde. »Dies ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, den Zinsern und ihren Kampfhunden einen schweren Schlag zu versetzen«, sagte er. »Die Patrouille ist offensichtlich nur ein Vortrupp. Sie verfolgt unsere Einheit seit mehreren Tagen, ohne aktiv einen Kontakt herbeizuführen. Die Streitmacht will eine größere Auseinandersetzung, und ich denke, sie sollte sie bekommen.« Jo Poynton stand auf. »Bruder, wie kommst du auf die Idee, dass wir den Soldaten der Konföderation überlegen sein könnten?« »Bisher haben wir immer wieder unsere Überlegenheit bewiesen«, antwortete er. »Und die Reaktionszeit ihrer Unterstützungstruppen ist extrem hoch. Ich habe mich in die Gedanken ihres Kommandanten versetzt. Er will Teile unserer Kräfte ins Freie locken. Er glaubt, dass wir hundert oder vielleicht hundertfünfzig Kämpfer schicken, und hält zwei- oder dreihundert bereit, um darauf zu reagieren. Aus seiner Perspektive ein sehr
günstiges Kräfteverhältnis. Aber wie stehen die Chancen, dass die unzuverlässigen Luftfahrzeuge der Streitmacht tatsächlich dreihundert Mann in die Berge schaffen können? Ich würde sagen, nicht besonders gut. Und die Fahrzeuge, die tatsächlich starten, lassen sich durch die Luftabwehrraketen abfangen, die wir beschlagnahmt haben. Also dürften sie mit großer Vorsicht operieren. Mein Plan ist sehr einfach: Ich habe einen Trupp von 347 dreihundert Kämpfern zusammengestellt, die außerhalb der Höhle warten. Unser Einsatzteam ist weniger als drei Stunden entfernt. Bis Sonnenaufgang können wir zu ihnen gestoßen sein und zunächst die Patrouille ausradieren, sagen wir, mit hundert Mann, wobei wir der Patrouille genügend Zeit geben, unsere Truppenstärke zu melden. Dann wird der Feind Verstärkung schicken. Und wenn sie eintrifft, schlagen wir mit ganzer Kraft zu. Ich werde unverzüglich weitere zweihundert Kämpfer aus den Einheiten der Umgebung anfordern, womit wir eindeutig in der Überzahl wären. Wenn die Armee der Konföderation erkennt, dass wir mit ihrem Überraschungsangriff gerechnet haben, werden die Soldaten am Boden und hoffentlich auch ein großer Teil ihrer Einsatzfahrzeuge vernichtet sein. Sie werden natürlich in Panik geraten und einen Gegenangriff starten, für den sie jeden Soldaten und jedes noch vorhandene Fahrzeug aus Camp Mahan abziehen werden. Aber dann werden wir längst verschwunden sein. Wir werden weitere Waffen und vielleicht sogar einige ihrer Fahrzeuge erbeutet haben, wenn sich die Gelegenheit bietet. Ich habe mitten im Hochland - wo die Giptels niemals danach suchen werden - bereits einen Sammelpunkt für erbeutete Luftgefährte eingerichtet.« Anerkennendes Raunen war zu hören. Jord'n Brooks stand auf. »Nein«, sagte er laut, worauf schlagartig Stille eintrat. »Das wäre die schlimmste und gefährlichste Art von Abenteuerlust. Denn du - nicht wir, sondern du hängst den langjährigen Kampf und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft an eine einzige Aktion. Wenn wir gewinnen, wäre das wunderbar. Aber was ist, wenn wir verlieren, Bruder? Was ist dann?« Brien zog eine finstere Miene. »Wir werden nicht ver348 lieren, Bruder. Das weiß ich genau. Aber lass es nicht so klingen, als wäre es einzig und allein meine Entscheidung oder dass ich irgendwie versuche, mich an die Spitze unserer Bewegung zu setzen. Sagt mir, Brüder und Schwestern: Was sollen wir tun?« Brooks hörte sich die Rufe an: »Kämpfen!«, »Macht sie fertig!«, »Ja!«, »Angreifen!« Sein Gesicht blieb völlig ruhig. »Nun gut, Bruder Brien«, sagte er. »Wir werden angreifen. Aber ich hoffe, dass dieser Kampf uns nicht ins Verderben führt.« »Bei meiner lieben Tante Fanny, die auf Buddhas beschissener rechter Hand hockt«, sagte Cent Angara. »Heben Sie Ihren traurigen Arsch von der Koje, Hedley, und werfen Sie einen Blick ins Nirwana.« Hedley war sofort am großen Bildschirm, der Daten von dem Grierson übertrug, der einen Kilometer über den 'Rauhm schwebte. »Bei meinem Gold spuckenden Arsch!«, rief er. »Sehen Sie sich all die kleinen roten Punkte an, die plötzlich ausschwärmen! Wir haben sie tatsächlich aufgescheucht.« »Kein Zweifel«, stimmte Angara zu. »Wachoffizier!« »Sir?« »Wecken Sie den Alten und mobilisieren Sie die Truppen. Höchste Alarmstufe, Startbereitschaft in drei Minuten. Caud Williams wird den Angriffsbefehl geben.« Hedley war bereits an einem anderen Kom. »Setzen Sie das Abholkommando in Bewegung«, sagte er. »Holen Sie meine Leute da raus.« Er wechselte den Kanal. »Golan-Staffel, ich brauche einen Ihrer Zhucks für einen schnellen, schmutzigen Einsatz. Ja, verdammt, sofort! Wenn ich ihn in zehn Minuten brauchen würde, 349 würde ich in zehn Minuten anrufen. Mit direkter Befugnis vom Oberkommando Lanze.« »Aufgeht's!«, rief Dill. »Gamma ist bereit, sich rausholen zu lassen. Da oben wird die Luft immer wärmer.« Im Hangar wurde es schlagartig taghell, und Dills Team sprang aus den Kojen, die sie neben ihren Fahrzeugen aufgestellt hatten. Gorecki hatte seine Stiefel halb angezogen und humpelte zum Cockpit des Grierson. Das Hangartor schwang auf, und Camp Mahan entwickelte hektische Betriebsamkeit, während der Antrieb des Gefährts heulend zum Leben erwachte. »Prophet Gamma, Prophet Gamma«, sendete Hedley. »Hier ist Prophet Eins. Wecken Sie Ihre Leute. Sie werden rausgeholt. Die Vögelchen haben das Nest verlassen.« »Hier ist Gamma«, erwiderte Kipchak, der niemals zu schlafen schien. »Was ist mit den Jungs, die ich verfolgt habe?« »Wir erledigen die Schweinerei aus der Luft«, sagte Hedley. »Sie gehören mir, verdammt!« »Nicht mehr, Petr. Jetzt gehören sie dem Fleischwolf.« Zehn Minuten später stürzte ein Zhukov auf die 'Rauhm herab, die einen halben Kilometer vom Gamma-Team entfernt waren. Die Waffensysteme waren an den Grierson gekoppelt, der das Gelände elektronisch überwachte, und eine Salve von Fury-Raketen wurde abgefeuert. Sie explodierten, und das kleine Lager verwandelte sich in eine Flammenhölle. Der Zhukov drehte ab und kehrte zum Schauplatz der Vernichtung zurück. 350 Das 35-mm-Maschinengewehr wütete, und die drehbare 25-mm-Kanone des Fahrzeugkommandanten spuckte
Feuer. Alle zehn Mitglieder der 'Rauhm-Patrouille starben, ohne vorher noch einmal aufzuwachen. Der Grierson krachte durch Zweige und kleine Bäume und landete auf der winzigen Lichtung. Die hintere Rampe wurde ausgeklappt, und gelbes Licht, warmes, von Menschen erzeugtes Licht, flammte in der Nacht auf. »Einsteigen!«, befahl Kipchak, und die erschöpften Überlebenden des Gamma-Teams taumelten in das Fahrzeug. Kang und Dill teilten kochend heißen Kaffee und erwärmte Essenspakete aus. Es gab frische Brötchen, die mit gebratenem Giptelfleisch, Senf und einem Spiegelei gefüllt waren. Garvin half Njangu, sich auf eine Bank zu setzen, auf der er in sich zusammensackte, ohne zu bemerken, dass er noch seinen Rucksack trug. Die Rampe wurde eingefahren, dann herrschte wohltuende Stille, als sich der Grierson über den Dschungel erhob. »Ihr habt es geschafft«, begeisterte sich Garvin. »Ihr habt sie ins Freie gelockt.« »Kein Scheiß?«, sagte Njangu. »Kein Scheiß. Die gesamte Streitmacht wurde in Marsch gesetzt. Du bekommst wahrscheinlich einen Orden, nachdem wir sie erledigt haben.« »Wahrscheinlich«, sagte Njangu zwischen zwei gierigen Bissen. »Und wenn ich richtig gut bin, habe ich mir vielleicht sogar ein Bad verdient oder werde wenigstens mit einem Feuerwehrschlauch sauber gespritzt, oder?« Garvin schnupperte. »Gütiger Gott. Jetzt, wo du es erwähnst, fällt mir auf, dass ihr ein bisschen streng riecht.« 351 Deb Irthing lachte leise. »Vielleicht so, als hätte uns jemand angepisst?« »Nicht ganz so schlimm. Aber nahe dran.« »Sehr nahe dran«, sagte Njangu und nahm einen weiteren Bissen. »Wirklich sehr gut!«, sagte Caud Williams zu seinem Kommandostab, während er auf den Bildschirm blickte. »Wir setzen das Erste Regiment von links gegen diese Truppen ein... das Zweite vervollständigt von rechts die Zangenbewegung, dann greift das Dritte direkt ihren Stützpunkt an, wo immer er sich befinden mag. Das Vierte hält sich als Reserve zurück.« Hedley wandte sich von der Fotomontage ab, die er gerade studierte, und nahm die 3-D-Brille ab. »Sir?« »Was gibt es, Tak?« »Ich glaube, ich habe ihren Stützpunkt ausfindig gemacht«, sagte er. »Er dürfte genau in diesem Bereich liegen. Die Pfade führen zu dieser Felswand und verschwinden dann. Ich glaube, unsere Kobolde benutzen eine Höhle als Versteck.« »Und was wollen Sie mir damit sagen?« »Es kann sehr schwierig sein, eine Höhle zu stürmen. « »Tak«, sagte Williams mit fester Stimme, »Ihre Leute haben hervorragende Arbeit geleistet, um den Feind ausfindig zu machen. Ich werde mich darum kümmern, dass er erledigt wird.« Hedley neigte den Kopf, antwortete aber nicht. Fast sämtliche Griersons der Streitmacht mussten eingesetzt werden, um das Erste und Zweite Regiment zu transportieren, und in den Truppenabteilen herrschte 352 beklemmende Enge. Die Luft war von einem Stakkato aus Kommandos erfüllt, während die Griersons in drei Schüben über Leggett nach Westen flogen. Das Summen ihrer Triebwerke verband sich zu einer Lärmwelle, die über den Dschungel schwappte und Raubtiere hastig in Deckung gehen ließ. Die Führung der 'Rauhm bemerkte die Fahrzeuge und alarmierte die Luftabwehr. Die Männer und Frauen, die sich noch nicht vollständig mit den konfiszierten Waffen vertraut gemacht hatten, mühten sich mit den Kontrollen ab, während der Lärm anschwoll und die erste Angriffswelle in Form schwarzer Punkte am Morgenhimmel sichtbar wurde. Ein Grierson wurde von Ben Dill befehligt. Sie hatten kaum genügend Zeit gehabt, das Gamma-Team abzusetzen, und waren unmittelbar darauf zum Exerzierplatz abkommandiert worden, um Soldaten des Ersten Regiments an Bord zu nehmen. »Jemand hält Ausschau nach uns«, gab Finf Kang mit ruhiger Stimme von ihrem »Turm« aus bekannt. »Er sucht... und sucht... jetzt hat er uns geortet.« »Gorecki... Ausweichmanöver nach Kangs Anweisungen«, befahl Dill. »Sag an, Ho!«, meldete sich Stanislaus. »Ortung... Ortung... Rakete abgefeuert! Tiefer gehen!« Der Grierson sackte ab, und Garvin bemühte sich, den Protest seines Magens zu ignorieren, während er hinter seinen Kontrollen wartete. »Schütze«, sagte Kang, die immer noch die Ruhe in Person war. »Ich überspiele meine Ortungsdaten... jetzt habe ich die Abschussposition...« Garvin richtete sein Zielsystem nach Kangs Daten aus. »Ziel erfasst«, sagte er. 353 »Was ist mit der verdammten Rakete?«, sagte Gorecki. »Sie kommt immer näher... habe sie in der Ortung... Garvin, feuer irgendwas auf die Abschussposition ab«, ordnete Kang an. »Pilot... scharf nach links abdrehen, auf neun Uhr... Rakete nähert sich von drei Uhr... kommt näher... jetzt steil nach oben ziehen!« Der Grierson heulte auf, als Gorecki vollen Schub gab. »Aha, das kleine Miststück ist vorbeigesaust und völlig verwirrt«, sagte Kang. »Es sucht uns... ich sende Störsignale... erwischt! Die Rakete ist in den Dschungel gestürzt, Käpt'n... Garvin, wie lange willst du mit dem Schießen noch warten?
Übrigens bist du mir eine Runde schuldig, weil du gesagt hast, dass sie keine Spielereien auf Lager haben, die mir Schwierigkeiten machen könnten.« »Ziel erfasst«, sagte Garvin, als sein Kopf gegen das Sichtgerät stieß und ihm Tränen in die Augen schössen. »Feuerbereitschaft...« »Feuern Sie, wenn Sie bereit sind, Mister Lahmarsch«, sagte Ben Dill. »Nummer eins abgefeuert, Nummer zwei, Nummer drei... Ziel verloren... zieh die Kiste weiter nach links, verdammt!« Stanislaus führte seine Anweisung aus. »Ziel neu erfasst... Nummer vier abgefeuert... Ach du große Scheiße!«, rief Jaansma, als sich der Dschungel in seiner Zieloptik in ein Flammenmeer verwandelte, dann schwarz und schließlich braun wurde. Rauch, Ausrüstungsteile und Menschen wirbelten durcheinander. »Ziel zerstört.« »Mister Jaansma!«, sagte Dill. »Halten Sie sich an die Kom-Etikette!« »Tschuldigung, Ben. Suche... suche...« 354 »Noch drei Minuten bis zum Landeplatz«, sagte Gorecki. »Die Fußsoldaten können sich bereitmachen.« »Suche...«, nahm Kang Garvins Litanei auf. »Suche ...« Die erste Angriffswelle brandete als Feuerwalze von hinten gegen die Griersons. Sie gingen zu Boden, und ein paar blieben liegen. Die MGs und Blaster erwiderten das Feuer der 'Rauhm, zunächst stotternd, dann als kontinuierliches Geprassel. Unteroffiziere bellten Befehle. »Bewegung, Bewegung, ihr lahmen Ärsche, raus aus den Griersons und rein in den Kampf... bleibt hier und sterbt, ihr Idioten ...na los, Bewegung...« Soldaten sprangen auf, rückten im Zickzack vor, der Feuerschutz konzentrierte sich auf sichtbare Ziele oder bestrich die ganze Umgebung. Die Streitmacht überrannte die vordersten Stellungen der 'Rauhm, Blaster und Raketenwerfer brachten Tod und Verderben. »Wo sind unsere restlichen Kämpfer?«, fragte Brien. »Mindestens zwanzig Minuten entfernt«, antwortete die Frau, die seinen Kom trug. »Zu weit weg. Sag ihnen, dass sie alles bis auf Waffen und Munition fallen lassen und sich beeilen sollen, sonst sind wir verloren.« Die Frau nickte und schaltete das Mikro ein. Das Zweite Regiment traf auf eine ungeschützte Flanke, und die 'Rauhm wichen zurück, formierten sich neu. Ein paar ihrer Kämpfer gaben auf und flohen, bis sie niedergemäht wurden. Die anderen machten umso entschlossener weiter. Auf diesem Schlachtfeld würde keine Seite Gnade zeigen. 355 »Ach, ihr Blödärsche!«, höhnte die Frau mit dem tragbaren Raketenwerfer. »Wer hat euch gesagt, dass ihr euch zu einem Haufen zusammenrotten sollt?« Sie drückte den Abzug, und eine Rakete zischte aus der Röhre und explodierte mitten zwischen den 'Rauhm. Kurz darauf entdeckte ein Scharfschütze ihre Waffe, nahm sie ins Visier und feuerte. Die Kugel erwischte ihre Wade, sie heulte auf, ließ die Waffe fallen und wälzte sich vor Schmerzen am Boden. Ihr gelegentlicher Liebhaber, ein Schütze, zögerte kurz, dann folgte er seinen Befehlen und nahm ihre schwerere Waffe und ihre Munitionsweste an sich. Er wechselte die Stellung, hoffte, dass die Frau es schaffte, sich mit ihrem Erste-Hilfe-Pack selbst zu versorgen, oder dass ein Sanitäter vorbeikam, bevor sie verblutete. Dann schaltete er diesen Teil seiner Gedanken ab und suchte nach einem Ziel. Dills Grierson hatte soeben das Land hinter sich gelassen, um eine neue Ladung Soldaten abzuholen, als das Gefährt ruckte und in der Luft seitlich wegkippte. Garvin hörte, wie das Triebwerk aussetzte, wieder ansprang und noch einmal aussetzte. »Haltet euch fest, Leute«, sagte Stan. »Ich versuche neu zu starten.« »Macht euch auf eine Bruchlandung gefasst«, sagte Ben. »Ho, Garvin, raus aus euren Türmen.« Die beiden gehorchten und schnallten sich auf einer Sitzbank für die Truppen fest. »Vierundsiebzig Meter über dem Wasser«, meldete Dill. »Ich werde versuchen, es nicht zu heftig krachen zu lassen.« Der Antrieb setzte wieder ein, verschluckte sich kurz, fing sich noch einmal, aber mit einem schrillen Heulen, 356 wie ein Motor bei hoher Umdrehung mit Sand im Getriebe. »Er läuft wieder mit sechzig Prozent«, meldete Gorecki. »Aber keine Ahnung, wie lange das noch gut geht.« »Vergesst nicht, dass ein Grierson ohne Energie genauso elegant wie ein Ziegelstein dahingleitet«, sagte Dill. »Also bleibt angeschnallt. Ich versuche, die Kiste über ein Gelände zu bringen, das ein bisschen fester ist als das, was sich unter uns befindet.« Garvin horchte auf das Heulen des Antriebs, das immer wieder unterbrochen wurde, und stellte fest, dass sich seine Lippen bewegten. Nein, dachte er. Du betest nicht. Du glaubst an nichts außer an Garvin Jaansma. Also hör auf mit der blöden Beterei. Aus der Lüftung drang Rauch, als der Grierson über den Strand hüpfte und mit fünfundsiebzig Knoten in den Exerzierplatz einschlug, ein Stück weiterrutschte und sich dabei heftig schüttelte. Schließlich hörte das Schlingern und Rucken auf. Garvin öffnete die Augen, blickte zu Kang auf und erkannte, dass die Situation ungewöhnlich war, weil sie ihm genau gegenüber gesessen hatte, als er die Augen geschlossen hatte. Dill kam vom Kommandostand ins Truppenabteil runtergeklettert, riss an der manuellen
Lukenentriegelung, und die hintere Rampe klappte auf. »Los, raus!«, rief er. »Griersons brennen nicht, aber der hier tut es vielleicht doch. Raus, raus, raus!« Garvin stieß Kang vorwärts, sprang nach draußen und lief zum vorderen Ende des Grierson, wo er Gorecki durch die Notluke aus seinem Cockpit zerrte. Ohne sich umzublicken, rannten die vier geduckt los und warfen sich zu Boden. Schließlich erkannten sie, dass es keine 357 Explosion und auch kein Feuer geben würde. Dann hoben sie die Köpfe, als sie sich nähernde Sirenen hörten. »Werden sie nicht ziemlich sauer sein«, sagte Garvin, »wenn es niemanden mehr gibt, der für sie blutet?« »Aber es gibt doch jemanden«, sagte Dill. »Seht ihr? Ich habe mir einen Kratzer am kleinen Finger geholt. Wo bleibt der Orden? Ich will sofort meinen Orden!« Vier Cookes schössen mit röhrenden Automatikkanonen über den rauchenden Dschungel, und ein Gegenangriff der 'Rauhm kam ins Stocken und wurde aufgehalten. Sie drehten bei, deckten das Gelände noch einmal mit Feuer ein und erwischten zwei Luftabwehrraketen im Flug. »An Cambrai-Staffel, hier ist noch ein ganzer Haufen von ihnen«, meldete ein Überwachungsgefährt. »Sie hetzen, als würden sie zu irgendwas zu spät kommen. Übermittle Ihnen die Zielkoordinaten.« »Danke, Großes Auge. Schätze, sie haben Angst, zu spät auf der Tanzfläche zu erscheinen.« Der Kommandant des Zhukov wechselte den Kanal. »An alle Cambrai-Truppenteile... wir haben hier ein großes Ziel. Männer im Freien... sieht nach Verstärkungseinheiten aus. Wir werden die Hauptartillerie benutzen und ihnen mit den Maschinengewehren den Rest geben. Wir wollen ein paar Köpfe als Trophäen sammeln.« Die vier Zhukovs stießen auf die 'Rauhm herab, und der Kollisionsalarm schrillte. Die Piloten zogen die Steuerknüppel in den Schoß, und die Schiffe schüttelten sich, bis sie fast bewegungslos in der Luft hingen, während fünf Alien-Schiffe aus der Wolkendecke über dem Hochland auftauchten. Sie waren sichelförmig und 358 maßen etwa fünfundzwanzig Meter von Spitze zu Spitze. Oben und unten an den Schiffen waren Kapseln angekoppelt, in denen sich jeweils ein liegender Musth aufhielt. Die Musth bezeichneten sie als Aksai, nach einem schlangenähnlichen Tier auf ihren Heimatwelten, das für seine todbringende Angriffslust berüchtigt war. Über die Standardwachfrequenz kam eine Nachricht herein: »Esss wurde wahrgenommen, dasss Sssie unssseren gemeinsssamen Feind isssoliert haben. Vielleicht könnten wir Unterssstützung anbieten.« Ohne auf eine Antwort zu warten, warfen sich die Musth-Schiffe in den Kampf. An den Hörnern der Aksai wurde die Luft ionisiert, dann schoss ein Flammenstrahl heraus. Die Schiffe ließen Feuer auf die Formation der 'Rauhm regnen und setzten zu einem weiteren Angriffsflug an. Die Piloten der Zhukovs sammelten sich und kehrten zurück. Aber für ihre 150-mm-Automatikkanonen gab es kaum noch Ziele, weil alles nur noch ein tosendes Flammenmeer war, in dem Bäume, Sträucher, Männer, Frauen und, wie es schien, sogar der Boden verbrannte. »Esss issst gut, die Würmer brennen zu sssehen, nicht wahr?« »Verdammt!«, sagte ein Schütze. »Ich sehe nichts mehr, worauf ich schießen könnte.« »Stimmt«, sagte sein Kamerad. »Ich schätze, wir...« »Da ist noch einer«, unterbrach ihn der andere. Ein 'Rauhm kletterte aus einem Bombenkrater und taumelte auf sie zu. Er drückte sich etwas an die Brust und schrie zusammenhanglose Worte. Beide Infanteristen feuerten, und der Körper wurde zur Seite geschleudert, wo er reg359 los liegen blieb. »Ob er etwas dabeihatte, das sich als Souvenir mitzunehmen lohnt?«, fragte der Erste. »Lass uns nachsehen...« Der Sprengsatz, den der 'Rauhm am Körper getragen hatte, explodierte, und die zwei Soldaten warfen sich zu Boden. Erde regnete herab, und die beiden starrten sich an. »Dieser Kerl«, sagte der erste Soldat nachdenklich, »scheint die Sache ziemlich ernst genommen zu haben.« Comstock Brien rappelte sich auf und wischte sich das Blut aus den Augen. Nur noch fünfzehn oder zwanzig von seinen Kämpfern bewegten sich, und alle waren verwundet. Seine Komträgerin war bewusstlos; Blut spritzte ihr aus einer durchtrennten Arterie. Er nahm ihr das Mikro ab. »An Basis, hier ist Brien.« Ein Prasseln war zu hören, dann: »Hier ist die Basis. Was ist los? Ich habe zweimal versucht, dich zu erreichen, aber ohne Erfolg.« »Hier ist Brien. Keine Ahnung. Wir wurden von einer Granate getroffen.« Brien wischte sich erneut über das Gesicht. »Wir sind umzingelt. Wo sind die Verstärkungstruppen? Gibt es noch irgendwo Verstärkungstruppen?« Jord'n Brooks blickte sich in der Höhle um, in der sich dreißig Männer und Frauen befanden, und berührte den Sensor des Korns. »Es gibt keine Verstärkungstruppen mehr. Könnt ihr euch freikämpfen?« Stille, dann: »Nein, wir stecken fest.« Wieder eine Pause. »Brooks... hier ist Brien. Du hattest Recht.« Brooks warf Poynton einen kurzen Blick zu und verzog das Gesicht. »Ich wünschte mir, es wäre nicht so.« 360 »Dies ist ein Ende, aber auch ein Anfang«, sagte Briens Stimme. »Jetzt liegt es an dir, die Aufgabe zu Ende zu führen. Trauere nicht um uns, Jord'n Brooks. Sorge dafür, dass wir nicht umsonst gestorben sind.« Der Kom verstummte. »Ihr habt gehört, was er gesagt hat«, sagte Brooks. »Ich brauche dich... dich... dich...« Er zeigte auf zehn Leute.
»Ihr habt die Aufgabe, die Wachen vor der Höhle zu unterstützen und den Feind aufzuhalten, der in wenigen Minuten angreifen wird. Kämpft bis zum letzten Mann und hindert sie daran, uns zu folgen. Alle Übrigen... ihr nehmt so viele Aufzeichnungen und Datenträger an euch, wie ihr tragen könnt. Macht euch bereit, dass wir in fünf...« Ein Bombeneinschlag außerhalb der Höhle ließ den Boden zittern, »...nein, in drei Minuten aufbrechen können. Nehmt alles Wichtige mit. Denn wir sind jetzt das Herz der 'Rauhm, das Herz der Bewegung, das Herz der Revolution, und wir dürfen nicht scheitern.« Die Streitmacht durchkämmte das Schlachtfeld und fand nur noch eine Hand voll Verwundete, die gefangen genommen wurde. Ein paar von ihnen begingen Selbstmord oder brachten die Soldaten dazu, sie zu töten. Einer von ihnen war möglicherweise Comstock Brien, denn ein Soldat berichtete, dass sich ein Verwundeter mit einer charakteristischen Narbe im Gesicht tot gestellt hatte. Er hatte drei Gegner erschossen, bevor er getötet werden konnte. Doch als die Sektion II erkannte, wer dieser hartnäckige Kämpfer möglicherweise gewesen war, und die betreffende Stelle aufsuchte, war die Leiche spurlos verschwunden. Die Verluste der Streitmacht waren verhältnismäßig 361 gering - knapp fünfundsiebzig Tote und doppelt so viele Verwundete. Auf der Gegenseite gab es fast fünfhundert tote 'Rauhm. »Jetzt erobern wir ihren Stützpunkt«, ordnete Williams an. Das Dritte Regiment, verstärkt durch die Aufklärungstruppe, rückte vor. Sie traten etwas großspurig auf, überzeugt davon, dass der Kampf vorbei war und sie nichts zu befürchten hatten. Vier Offiziere fielen dem ersten feindlichen Feuer zum Opfer, dann noch einmal ein halbes Dutzend Unteroffiziere. Das Dritte zog sich zurück, formierte sich neu, griff erneut an -und wieder trieben die 'Rauhm sie zurück. »Nun gut«, sagte Caud Williams. »Wenn sie es unbedingt auf die harte Tour wollen... Mil Rao, wir setzen Zhukovs ein, um den Stützpunkt aus der Luft anzugreifen.« »Sir, wenn wir Gefangene machen könnten, wäre das...« »Tak Hedley, Sie können sich gerne als Leichenfledderer betätigen, wenn sich der Rauch verzogen hat«, sagte Williams wütend. »Ich bin nicht gewillt, noch mehr von meinen Leuten sinnlos zu opfern. Und ich rate Ihnen, Ihre Zunge im Zaum zu halten, denn das Wohlwollen, das Sie sich durch die Entdeckung des 'RauhmStützpunkts verdient haben, schrumpft zusehends.« Hedley wollte etwas sagen, doch dann drehte er sich um und verließ Williams' Kommandogefährt. »Monique!«, rief ein Finf des Beta-Teams. »Der Boss hat keine Märchen erzählt. Es ist wirklich eine Höhle.« »Vorstoß«, befahl Lir. »Zwei Freiwillige, zusammen mit mir. Der Rest bläst allem das Licht aus, was sich be362 wegt.« Mit schussbereitem Blaster trat sie ins Zwielicht der Höhle. Rauch wehte vorbei, sie hustete und zog sich wieder zurück. »Hat jemand eine Lampe?« Jemand warf ihr eine zu, und Lir zog sich ihre Gasmaske über, bevor sie es noch einmal versuchte. Der Lichtkegel strich über die Felsen. Mehrere Leichen lagen herum, allesamt durch die Druckwelle der Explosion getötet. Sie schienen keine größere Verletzungen aufzuweisen; es gab nur kleine Rinnsale aus Blut, das ihnen aus Mund und Ohren gelaufen war. »Kommt nach«, rief sie. »Wir haben alle erwischt. Verdammte Scheiße, Kipchak hat uns nichts übrig gelassen.« Sie sah sich etwas genauer in der Höhle um und richtete den Lichtschein auf Papierstapel, Datenträger und zerstörte Computer. »Aber ich glaube, wir haben hier mindestens eine Tonne Material, das wir ausmisten können«, sagte sie im Selbstgespräch. »Die Sektion II wird sich vor Begeisterung in die Hose machen.« Die fünf Musth-Schiffe landete neben dem Grierson, der Caud Williams als Kommandozentrale diente. Eine angeflanschte Kapsel öffnete sich, und Wlencing stieg aus. Zwei bewaffnete Musth eskortierten ihn, während er durch die Trümmer zu Williams stapfte. Der Caud salutierte, und Wlencing antwortete ihm mit einer erhobenen Klaue. »Endlich, haben Sssie diessse Unwürdigen bess-siegt«, sagte er ohne Einleitung. »Wenn die Zeit gekommen issst und wir gegeneinander Krieg führen, verhalten Sssie sssich vielleicht nicht mehr wie ein hilflosssesss Jungesss.« Caud Williams wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. 363 »Werden Sssie nun in der Lage sssein«, fuhr Wlen-cing fort, »die Ressste aussszulöschen?« »Ich hoffe es«, sagte Williams. »Ich glaube daran, dass wir es schaffen.« »Gut«, sagte Wlencing anerkennend. »Esss issst nicht gut, wenn sssich die Erwachsssenen von ihren Jungen irritieren lasssen.« In dieser Nacht fanden die überlebenden 'Rauhm Zuflucht in einem Dorf. Die nervösen Bauern gaben ihnen nur widerwillig zu essen. »Keine Sorge«, sagte Jord'n Brooks. »Wir werden nicht bleiben, sondern in Kürze weiterziehen.« Zwei Tage später würden sie Eckmuhl erreicht haben und im 'Rauhm-Ghetto von Leggett untergetaucht sein. Dann konnte der Krieg weitergehen, wenn auch an einer anderen Front. Njangu Yoshitaro, Petr Kipchak, Erik Penwyth und die anderen Mitglieder des Gamma-Teams verschliefen den Rest dieses blutigen Tages, und falls sie von Tod und Gemetzel träumten, konnte sich keiner von ihnen mehr daran erinnern, als sie spät am folgenden Tag aufwachten.
30 »Soll ich dir verraten, was ich unter diesem Overall trage?«, flüsterte Jasith. »Lieber nicht - außer du willst, dass ich mich über die Windschutzscheibe ergieße«, sagte Garvin mit etwas heiserer Stimme. 364 »Das will meine Windschutzscheibe ganz und gar nicht«, sagte sie. »Also konzentriere dich auf die Landschaft. Jedenfalls für den Moment. Siehst du... da drüben ist mein Haus.« Garvin zwang sich, seinen Blick — und seine Aufmerksamkeit - nach draußen zu richten. Er sah einen hohen, offenbar ausgehöhlten Felsbuckel fast mitten in der Oberstadt. Er war von großen Glasfenstern und Baikonen durchbrochen. »Welches ist deins?« »Alle, du Dummkopf. Alle Räume sind miteinander verbunden, und es gibt noch ein paar, die vollständig... nun ja, nicht unterirdisch, aber im Fels liegen. Aber meine Privatwohnung gehört nicht dazu. Die liegt da drüben.« Sie reduzierte die Geschwindigkeit und ließ den Gleiter langsam sinken. Sie überflogen ein großes, verlassenes Bergwerk, das nun mit Blumen und Pflanzen überwachsen war, die in paradiesischen Farben schillerten. Mittendrin stand ein verhältnismäßig kleines Haus, das ganz aus dunklem Holz gebaut war, neben einem Teich mit einem Springbrunnen. »Früher war das ein Steinbruch«, erklärte sie. »Eines der ersten Dinge, die meinem Urururgroßvater gehörten. Hier wurde ein mehrfarbig geädertes Gestein gewonnen, das ein bisschen an Granit erinnert und sehr beliebt war, als die ersten Zinser ihre Anwesen errichteten. Ich schätze, die Mellusins waren schon immer im Bergbau tätig, sogar schon auf Corwin VIII, woher wir ursprünglich stammen. Der Steinbruch machte meinen Urururgroßvater noch viel reicher, und dann hat er sich große Claims auf C-Cumbre sowie noch ein paar andere Dinge gekauft. Aber sein Haus hat er dort gebaut, wo für ihn alles angefangen hat. Dann war die Gesteinsader erschöpft, und der Steinbruch lag brach, bis meine Mutter 365 meinen Vater heiratete. Sie war eine Kemper, und ihr Geld stammt aus einer Holdinggesellschaft, sodass sie sich immer für etwas Besseres als mein Vater gehalten hat. Zumindest habe ich das gehört, obwohl Vater niemals etwas Abfälliges über sie sagt. Sie starb vor etwa zehn Jahren.« »Das tut mir Leid«, sagte Garvin. »Das muss es nicht«, erwiderte Jasith. »Ich glaube, sie hat mich nie sonderlich geliebt, und ich schätze, ich habe es ihr heimgezahlt, indem ich eine ziemlich unerträgliche Göre war. Jetzt lebt sie nicht mehr, also spielt es auch keine Rolle mehr. Als sie und Vater aus den Flitterwochen zurückgekehrt sind, hat sie einen Blick auf den alten Steinbruch geworfen und wollte das Gelände in einen Garten verwandeln. Mit etwa dreihundert 'Rauhm, die Vater für sie einstellen musste. Sie hat ein kleines Haus am Seeufer bauen lassen, das angeblich der Nachbau eines Teehauses auf der Erde ist, und die meiste Zeit dort verbracht. Zumindest, wenn sie nicht gerade irgendwelche Sachen gekauft hat. Als Kind habe ich sie nur selten gesehen. Sie war oft auf Larix. Ich weiß nicht, ob sie dort einen Geliebten hatte oder ob es in den Läden von Larix besseres Spielzeug gegeben hat. Ich vermute, meine Eltern haben keine besonders gute Ehe geführt. Nachdem sie gestorben war, habe ich gefragt, ob ich das Haus haben konnte, und Vater hat es mir zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt. Und den Garten dazu. Ich beschäftige immer noch etwa fünfundsiebzig Gärtner, die auf dem Gelände für mich arbeiten. Was ist los, Garvin?« »Nichts, gar nichts«, sagte Garvin. »Wahrscheinlich hast du nur gemerkt, dass mir eben die Luft weggeblieben ist. Und du wohnst hier wirklich ganz allein? Und 366 dein Vater hat keine Überwachungskamera an deiner Haustür installiert oder etwas in der Art? Oder die Diener als Spione angeheuert?« »Ich weiß nichts von Überwachungskameras«, sagte Jasith. »So etwas gibt es doch sowieso nur in Liebesdramen. « »Darauf würde ich nicht wetten«, sagte Garvin. »Natürlich hat er meine Diener bestochen. Aber ich habe meinen eigenen Fonds, sodass ich sie noch mehr bestechen kann.« »Die sehr Reichen sind auf keinen Fall Menschen wie du und ich«, murmelte Garvin. »Nur gerissener. Dürfte ich einen Vorschlag machen?« »Natürlich.« »Du solltest möglichst schnell mit dieser Kiste landen, sonst rammen wir wieder irgendwelche Lagerschuppen. Ich spüre, wie sich gewisse Bedürfnisse ankündigen. « »Was immer du willst, Garvin. Ich tue alles, was du willst.« »Ach du liebes bisschen«, sagte Jasith. »Ich fürchte, mein Obergärtner wird mir morgen gehörig den Kopf waschen. Und ich wette, mein Rücken sieht genauso schmutzig aus wie deine Knie.« »Du warst diejenige, die mir unbedingt statt des Schlafzimmers den Garten zeigen wollte«, sagte Garvin. »Ich habe ja nicht gewusst, dass du so ungeduldig bist.« »Jetzt weißt du es. Um genau zu sein, bin ich es noch immer.« Garvin bewegte die Hüften, und Jasith keuchte. »Bist du schon wieder so weit?«, fragte sie.
»Ich habe nie aufgehört, so weit zu sein«, flüsterte er 367 ihr ins Ohr. »Jetzt heb deine Beine... schön langsam. Verschränk die Füße hinter meinen Rücken.« »Etwa... so?... Oh... oh... nicht so fest, Garvin... bitte... langsamer... ja, jetzt... o Gott, o Gott...« Für das Restaurant, das tief im Herzen von Eckmuhl lag, sprachen nur zwei Vorzüge: Es besaß Ausgänge zu vier Straßen, und wer dort Schmiere stand, hatte - was in Eckmuhl eine Seltenheit war - einen exzellenten Ausblick auf diese Straßen. An jeder Tür standen zwei Aufpasser, die mit Blastem aus militärischer Produktion ausgestattet waren. Eine Polizeistreife - die aus drei Gleitern bestand, was in Eckmuhl keine Seltenheit war - sah die bewaffneten Männer und ließ die Angelegenheit klugerweise auf sich beruhen. In dem Restaurant hatten sich siebzehn Männer und Frauen versammelt, die allesamt bewaffnet waren. Jord'n Brooks und Jo Poynton saßen vor ihnen an einem Tisch. »Wir werden uns kurz fassen, meine Brüder und Schwestern«, begann er. »Dieses Lokal können wir nur für wenige Minuten als sicher betrachten. Ihr seid die am meisten respektierten Kämpfer und Agenten, die die katastrophale und unkluge Aktion im Dschungel überlebt haben. Ich möchte eine neue Planungsgruppe zusammenstellen, in der ihr zu den Sohs der Bewegung werden könnt, wenn ihr wollt. Ein paar von euch haben schon der früheren Gruppe angehört, und ich ersuche euch, ihr weiterhin zu Diensten zu stehen.« Ein 'Rauhm stand auf. »Ja, Bruder Ybarre?« »Das ist eine sehr ungewöhnliche Vorgehensweise, Bruder. Gemäß der Tradition sollte die Planungsgruppe 368 von den Kämpfern gewählt werden, nach gründlichen Überlegungen, Gebeten und Diskussionen.« »In normalen Zeiten ist das zweifellos richtig«, stimmte Brooks zu. »Aber wir leben nicht in normalen Zeiten. Ich kann es nicht oft genug betonen. Wir haben schwere Verluste erlitten, sowohl im Wald als auch während unseres Umzugs in die Städte. Wie hoch liegt deine Schätzung, Schwester Poynton?« »Etwa vierzig Prozent«, sagte die Frau. »Das ist zwar nur grob geschätzt, dürfte der Wahrheit aber recht nahe kommen.« Ein bestürztes Raunen ging durch den Saal. Brooks nickte. »Genau. Ich möchte nicht, dass diese Zahl allgemein bekannt wird, damit die Moral nicht noch tiefer sinkt. Die Hunde der Zinser haben uns einen schweren Schlag versetzt. Das wollen wir niemals vergessen, und wir wollen auch niemals den Fehler begehen, unsere Aufgabe als erfüllt zu betrachten, bevor wir den endgültigen Sieg vor Augen haben. Unser Kampf wird und muss im Herzen des Feindes fortgesetzt werden. Wir werden ihm schmerzhafte Schläge zufügen, und wir werden jedes Ziel angreifen, dals sich uns bietet. Aber diese Aktionen dürfen für uns keinerlei Risiko bergen. Wenn wir noch einmal so schwer getroffen werden wie im Dschungel, besteht die Gefahr, dass wir die Aufgabe in dieser Generation nicht mehr erfüllen können. Dann werden wir warten müssen, bis eine neue Generation von Kriegern der Bewegung wieder Stärke verleiht. Ich werde nicht zulassen, dass es dazu kommt. Wir müssen uns in Geduld und List üben, und wir müssen sehr beweglich bleiben. Die Zeit spielt eine entscheidende Rolle. Ich werde euch unsere neue große Strate369 gie vorstellen: Ich schlage vor, dass die Große Erhebung bald stattfindet. Sehr bald. Innerhalb der nächsten sechs Monate, um genau zu sein.« Die Zuhörer reagierten mit schockierten und überraschten Rufen. »Ja, meine Brüder und Schwestern. Der Tag, an dem wir die Macht erringen, ist nicht mehr fern. Diesmal werden wir nicht scheitern. Bevor dieses Jahr zu Ende gegangen ist, wird Cumbre uns gehören.« »Du bist eine 'Rauhm, nicht wahr?«, fragte Njangu. »Wie kommst du darauf?«, fragte das Mädchen zurück. »Das sagt mir mein kritischer Verstand«, antwortete er. »Nun?« »Und was wäre, wenn?« »Dann würde ich dich fragen, warum du dich so sehr für einen stinkenden Soldaten wie mich interessierst.« »Warum sollte ich das nicht tun?« »Ich weiß nicht... es könnte etwas mit lauten Detonationen und verletzten Menschen und ähnlichen unwichtigen Dingen zu tun haben«, sagte Yoshitaro. »Oder hast du das letzte Jahr in einer Zeitschleife verbracht?« »Ich interessiere mich nicht für Politik«, gab das Mädchen schmollend zurück. »Na gut«, sagte Njangu. »Also zu meiner nächsten Frage... da du eher, sagen wir mal, der jüngeren Generation angehörst, würde ich dich gerne fragen, ob du schon ein geschäftsfähiges Alter erreicht hast.« »Tun alle Soldaten nichts anderes als reden?« »Keineswegs«, sagte Njangu, beugte sich vor und flüsterte dem Mädchen etwas ins Ohr. Ihre Augen wurden immer größer. »Das war ziemlich unanständig! Aber was ist ein Häschen?« 370 »Egal. Möchtest du noch ein bisschen tanzen?« »Ach, äh«, sagte das Mädchen. »Gehen wir spazieren. Ich heiße übrigens Limnea.« »Und ich bin Njangu, der angemessen Ausgestattete.« Er stand auf, warf ein paar Münzen auf den Tisch und setzte seine Dienstmütze auf. »Wohin spazieren wir?«
»Vielleicht runter zum Strand?« »Das hört sich nach einem guten Plätzchen für einen kleinen Überfall an«, sagte er. Die brüllende Musik verstummte abrupt, als die gut isolierte Tür hinter ihnen zufiel. Es war eine helle Nachtalle drei Monde standen am Himmel. Aus der Bucht wehte eine frische Brise heran und ließ Njangu erschaudern. Das Mädchen, das eine grüne Hose aus einem seidenähnlichen Stoff trug, die an den Beinen weit ausgestellt war und von Hosenträgern gehalten wurde, die gleichzeitig die Brustwarzen ihrer festen, recht großen Brüste verdeckten, schien überhaupt nicht zu frösteln. Sie hatte kurz geschnittenes rotes Haar, und ihre Augenlider, Lippen, Fingernägel und Ohrläppchen waren blau eingefärbt. Njangu betrachtete sie von der Seite; dann bewunderte er die romantische Küste, sah das farbenfrohe Fischerboot, auf das sie zugingen, und wünschte sich, er hätte eine Pistole dabei. »Und was machst du so bei der Armee?«, fragte Limnea. »Nicht viel«, sagte Njangu. »Akten hin und her schieben. Dafür sorgen, dass die Leute pünktlich ihren Sold bekommen.« »Oh.« Limnea klang enttäuscht. »Ich dachte, du wärst einer von den Helden, die ich in den Holos gesehen habe. Du weißt schon, die mit einem Gewehr rumlaufen und so.« 371 »Ich nicht«, sagte Njangu. »Ich bin zu schreckhaft für Geschützlärm.« Sie erreichten das Boot, und Njangu lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Limnea machte es sich an seiner Seite bequem. »Du darfst es als Kompliment auffassen, wenn du möchtest«, sagte er. »Du erinnerst mich an einige der Mädchen in meiner früheren Clique.« »Was heißt das?« »Nicht viel«, sagte er. »Vielleicht täusche ich mich auch. Jedenfalls würde ich es gern.« Er legte die Hände an Limneas Hüften und zog sie an sich heran, sodass sie mit dem Rücken gegen ihn lehnte. »Ist es nicht hübsch hier?«, sagte sie. »Hrnm-hmm«, machte er und bewegte seine Hände über ihren Unterleib. »Das fühlt sich gut an«, sagte sie leise. Er schob die Hände höher, legte sie auf ihren Busen und drückte mit den Fingern die Brustwarzen. Sie seufzte, drehte sich um und umarmte ihn. Ihre Zunge drang in seinen Mund. Als Limneas offene Augen flackerten, stieß Njangu sie gegen den Mann, der mit einem Messer in der Hand auf ihn zukam. Sie schrie auf und fiel in den Sand. Der Mann holte aus, und Njangu duckte sich weg. Der Mann setzte zu einem weiteren Hieb an, und diesmal packte Yoshitaro sein Handgelenk, riss ihn nach unten und rammte ihm ein Knie in den Brustkorb. Das Geräusch brechender Rippen war zu hören, und der Mann stürzte röchelnd zu Boden. Njangu versetzte ihm einen Tritt ins Gesicht und hob das Messer auf, als sich der zweite Mann näherte. Er stach zu, und der Mann schrie auf, während er seinen blutenden Arm zurückzog. Die beiden belauerten sich eine Weile, dann drehte 372 Njangu das Messer in seiner Hand, sprang zur Seite und schlug seinem Gegner eine Faust ins Genick. Er riss die Hand zurück, stach mit der Klinge zu und schlitzte dem Mann das Gesicht auf. Der Mann taumelte und fuchtelte wild mit seinem Messer herum, um Njangu abzuwehren. Njangu ließ sein Messer aufblitzen, und als der Mann seinen Blick auf die Waffe richtete, versetzte er ihm einen Fußtritt gegen seine empfindlichsten Körperteile. Der Mann stöhnte auf und wollte sich auf Njangu stürzen, der jedoch zur Seite auswich und seinem Gegner das Handgelenk aufschlitzte. Blut spritzte, und der Mann hielt sich keuchend die sprudelnde Wunde. Dann trat Njangu ihm kräftig in den Solarplexus. Sein Angreifer würgte, klappte zusammen und blieb am Boden liegen. »Ich hasse es, wenn ich immer wieder Recht behalte«, sagte er. Limnea flüchtete über den Strand. Er rannte hinter ihr her, holte sie nach einigen Metern ein und warf sie zu Boden. Sie rollte sich auf den Rücken und blickte zu ihm auf. Er hielt immer noch das Messer in der Hand. »Woher hast du es gewusst?« »Dass du nicht nur an meinem atemberaubenden Adoniskörper interessiert bist? Ganz einfach«, sagte Njangu. »Wenn ein Soldat in eine Bar spaziert und sich ihm das hübscheste Mädchen an den Hals wirft, kann es sich nur um eine Szene aus einem Holo handeln. Meistens müssen wir dafür bezahlen oder uns mit der hässlichsten Schreckschraube begnügen oder selbst Hand anlegen, nachdem wir unser ganzes Geld sinnlos für HonigChampagner-Cocktails ausgegeben haben. Und außerdem warst du eine Spur zu direkt.« »Töte mich nicht«, sagte sie. »Bitte.« 373 »Warum? Du hättest kein Problem damit gehabt, mich von deinen Gorillas umbringen zu lassen«, erwiderte Yoshitaro sachlich. »Jetzt beantworte meine Frage. Bist du eine 'Rauhm?« Limnea nickte eilig. »Du und deine Freunde, wart ihr nur auf einen Raubüberfall aus? Oder wolltet ihr einen Soldaten kaltmachen?« Limnea antwortete nicht. »Ich vermute mal Letzteres, meine betörende Revolutionärin. Damit ergibt sich die Frage, was ich jetzt mit dir anstelle. Sollte ich laut in C-Dur nach der Polizei rufen?« Limnea riss furchtsam die Augen auf. »Ich habe gehört, dass die noblen Verhörbeamten der Polizei ein paar interessante Befragungstechniken auf Lager haben,
die sie gerne bei verdächtigen 'Rauhm einsetzen. Vor allem bei weiblichen.« »Bitte!«, hauchte Limnea. »Wende dich damit lieber an meine Eier«, sagte Njangu. »Du hättest mir gegenüber auch keine Gnade gezeigt, oder?« »Vielleicht hätten sie dich nicht getötet«, sagte sie. »Aber klar doch, und ich bin die Königin von Saba.« Er sah sich um. »Steh auf.« Sie gehorchte, den Blick auf ihn und das Messer gerichtet. »Siehst du die Felsen da drüben? Dort gehen wir jetzt hin.« Sie gehorchte. »Sehr gut«, sagte er. »Jetzt können wir mit den Verhandlungen beginnen. Entweder die Polizei oder... du erinnerst dich doch daran, dass eine gute Revolutionärin auch auf den Knien denken können muss.« 374 Sehr langsam streifte sie die Hosenträger von den Schultern. Dann öffnete sie einen Verschluss, worauf die Hose nur noch ein Häufchen zu ihren Füßen war. Dann zog sie ihren Slip herunter und war nun völlig nackt. »Ein ausgezeichneter Anfang. Jetzt komm her.« Sie kam auf ihn zu. Ihr Atem ging immer schneller, und sie hatte die Lippen leicht geöffnet. »Als wir so unsanft unterbrochen wurden, hast du gerade etwas mit deiner Zunge gemacht«, sagte er. Limnea küsste ihn, während ihre Finger an seinem Gürtel und seinem Hosenverschluss nestelten. Ihr Mund zog sich von ihm zurück. »Bei uns gibt es ein Sprichwort«, sagte sie. »Wer seine Aufgabe erfüllt, wird belohnt.« »Oder dem Sieger steht die Beute zu«, sagte Njangu. Er betrachtete das Messer in seiner Hand, dann warf er es fort. Es flog silbern glitzernd durch die Luft und fiel ins Wasser. Dann öffnete er sein Hemd. »Nein«, sagte sie. »Wenn du es mit mir machst, will ich deine Orden spüren. Sie sollen sich in meine Haut drücken. Aber zuerst muss ich niederknien, wie du es mir befohlen hast.« Die 'Rauhm überfielen Postämter in einem halben Dutzend Städten auf D-Cumbre, darunter auch zwei in Leggett. Die Kämpfer wussten genau, was sie wollten, sie sprengten Safes, um sich die Credits zu verschaffen, und nahmen sämtliche offizielle Post mit, um an Geheiminformationen zu gelangen. Es gab nur zwei Leichtverwundete bei den 'Rauhm, die aber von den anderen Kämpfern mitgenommen werden konnten, bevor die Polizei am Tatort eintraf. 375 Die Regierung hob im Gegenzug das Recht auf Haftprüfung auf, und nun konnten Verdächtige ohne Gerichtsverhandlung bis zu zwei Monate festgehalten werden. Auf abgelegenen Inseln wurden spezielle Internierungslager eingerichtet, die nach kurzer Zeit gefüllt waren. Generalgouverneur Haemer kündigte an, dass alle 'Rauhm eine neue Identitätskarte erhalten würden. Nach Ablauf einer bestimmten Frist konnte jeder, der keine Karte oder nur einen alten Ausweis besaß, sofort festgenommen werden. Damit sollten die Männer und Frauen der Bewegung aus ihren Verstecken getrieben werden. Zumindest erhoffte man sich dieses Resultat. Das Kuratorium der Zinser fasste den Entschluss, der Gemeinschaft der 'Rauhm eine Strafe von zwei Millionen Credits aufzuerlegen, weil sie Kriminelle und Dissidenten deckte und der rechtmäßigen Regierung ihre Unterstützung verweigerte, doch Gouverneur Haemer legte sein Veto gegen diesen Beschluss ein. Die Männer und Frauen in der Oberstadt grollten. Die Konföderation - oder das, was noch davon übrig war handelte viel zu nachgiebig und ohne Rückgrat. Es mussten unverzüglich strengere Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Polizisten gingen mindestens zu zweit und immer häufiger auf Streife, sie trugen Kampfwesten und kugelsichere Schutzkleidung, und viele wurden mit militärischen Blastern ausgerüstet. Drei Personen standen vor der Tür zu dem heruntergekommenen Apartment im zehnten Stock. Ein schwerer Geruch nach Essen, vielen Körpern, Schweiß und Dreck hing in der Luft. Zwei von den drei 'Rauhm störten sich 376 nicht daran, weil sie in den Städten aufgewachsen und den Gestank gewohnt waren. Der dritte, den die Bewegung von einer Farm abkommandiert hatte, musste gegen seine Übelkeit ankämpfen. Die Frau, die die Tür öffnete, trug ein Baby auf der Hüfte, und hinter ihr lärmten zwei kleine Mädchen, die erschrocken flüchteten, als sie die Waffen sahen. »Schwester, wir kommen von der Bewegung«, sagte der Mann. »Du hast nichts zu befürchten. Wir wollen deine ID-Karte und die der anderen Mitglieder deines Haushalts einsammeln.« »Aber... was sollen wir ohne die Karten machen?« »Dir wird nichts geschehen«, sagte der Mann. »Es wurde jedem 'Rauhm befohlen.« »Ach so«, sagte die Frau. »Wenn also niemand eine Karte hat...« »Genau«, sagte der Mann. »Wir stehen gemeinsam füreinander ein... oder sterben gemeinsam füreinander. Du verstehst unseren Kampf besser als viele andere.« »Ich hole sie«, sagte die Frau. »An der nächsten Tür müsst ihr sehr laut klopfen. Die alte Frau, die dort lebt, ist fast taub.« »Auf unssseren Heimatwelten geht grossse Sssorge um«, sagte Systemkommandant Aesc zu Gouverneur Haemer. »Sssorge hinsssichtlich Ihrer Fähigkeit, den Frieden in diesssem Sssyssstem zu wahren, nachdem der
Kontakt zu Ihrer Konföderation abgerisssen issst.« »Sie wissen davon?«, sagte Haemer völlig undiplomatisch. Das Holo-Bild von Aesc und Wlencing flackerte leicht und stabilisierte sich wieder, nachdem der Sendestrahl neu ausgerichtet war. »Natürlich«, sagte Aesc. »Sssie sssollten sssich be377 wussst sssein, dasss esss verschiedene Fraktionen - ich glaube, ssso heissst dasss Wort - in unssserem Imperium gibt, und ihre erwünschten politischen Interess-sen entsssprechen nicht immer denen, die gegenwärtig vertreten werden.« »Der Sssyssstemkommandant meint damit«, meldete sich Kriegsführer Wlencing zu Wort, »dasss esss auf den Heimatwelten jene gibt, die gerne im Cumbre-Sssyssstem intervenieren und Sssie in den Ssstand einer geschäftsssführenden Regierung versssetzen würden. Zumindessst ssso lange, bisss Ihre Konföderation zurückkehrt, worauf die entsssprechende Dankbarkeit ausssgedrückt werden kann.« Haemer konnte seinen Gesprächspartnern keine menschliche Emotion wie Boshaftigkeit oder Ironie anmerken. Er bemerkte nur, dass Aesc seinem Kriegsführer einen knappen Blick zuwarf. »Es tut mir Leid«, sagte er, »aber ich empfange widersprüchliche Signale. Teilen die Musth keinen gemeinsamen Standpunkt?« Wlencing schien etwas sagen zu wollen, doch Aesc kam ihm zuvor. »Wir sssind Ihnen gar nicht ssso unähnlich«, sagte er. »Wir herrschen nach dem Konsssensss aller.« »Aber manchmal«, warf Wlencing ein, »ändert sssich der gemeinsssame Konsssensss, wenn eine neue Realität eintritt.« »Und das geschieht in diesem Moment?« Wlencing und Aesc tauschten einen weiteren Blick aus, antworteten aber nicht. »Großer Gott, welch ein Chaos!«, rief Loy Kouro. »So ist es«, stimmte Major Gothian von der Polizei ihm zu. »Wir schätzen, dass es sich um mindestens eine 378 Million ID-Karten handelt, die zu einem großen Klumpen verschmolzen sind. Wahrscheinlich sind es noch viel mehr. Ich vermute, jedem gottverdammten 'Rauhm auf D-Cumbre wurde eine Pistole an den Kopf gesetzt, und die Ermittler auf C-Cumbre sagen, dass die Minenarbeiter genau dasselbe getan haben.« Kouro ging einmal um den Haufen aus geschmolzenem Plastik herum, der vor der Polizeiwache lag. »Niemand hat gesehen, wie das hier abgeladen wurde?« »Es hat noch niemand zugegeben«, sagte Gothian. »Wir sind damit beschäftigt, die Nachtschicht und die Nachbarn zu befragen.« »Warum tun sie so etwas Absurdes?« Gothian wollte schon lospoltern, riss sich aber zusammen. Der Sohn eines Verlegers sollte auf jeden Fall höflich behandelt werden. »Wenn kein einziger 'Rauhm mehr über eine ID-Karte verfügt«, erklärte er, »werden unsere Identitätsüberprüfungen sinnlos.« »Oh«, sagte Kouro. »Teuflisch. Wahrhaft teuflisch. Wie werden Ihre Gegenmaßnahmen aussehen?« Gothian zögerte, weil er nicht zugeben wollte, dass sich noch niemand Gedanken darüber gemacht hatte. »Mein Ermittlungsteam ist gegenwärtig noch mit der Untersuchung der Angelegenheit beschäftigt, aber in Kürze wird eine Entscheidung fallen.« »Gut. Sehr gut. Wir müssen diese Banditen kräftig in die Knospe kneifen«, sagte Kouro unpassenderweise. »Sie können beruhigt sein, dass nichts von dieser Sache im Matin erwähnt wird.« »Das ist genau der Grund, warum ich Sie gebeten habe, vorbeizukommen und es sich anzusehen«, sagte Gothian. »Der zweite Grund ist, dass ich Sie fragen wollte, ob ich Sie zum Essen einladen darf.« »Einem solchen Angebot bin ich niemals abgeneigt«, sagte Kouro. »Aber ich denke, es wäre angebrachter, wenn eine derartige Einladung von meiner Seite ausgesprochen würde. Sie stehen schließlich an vorderster Front dieses Kampfes, und das sollte nach besten Kräften honoriert werden.« Gothian blinzelte, weil er nicht glauben wollte, dass jemand tatsächlich solche Reden schwang, dann lächelte er dankbar. »He, Yoshitaro! Holen Sie eigentlich nie Ihre verdammte Post ab?«, fragte der Zivilangestellte der Aufklärungskompanie. Njangu bremste verdutzt ab. »Nein«, sagte er. »Weil mir nie jemand schreibt. Ich bin gaaanz allein auf der Welt.« »Man soll nie nie sagen. Jemand hat Ihnen ein Paket geschickt.« »Aha? Von wo?« »Habe ich vielleicht Zeit, die Absender jedes Poststücks zu lesen?«, fragte der Angestellte. »Natürlich nicht... nur diejenigen, die mit einem netten Duft oder zweideutigen Bemerkungen auf dem Umschlag der Disk versehen sind. Kommen Sie schon, Soldat! Holen Sie sich Ihre Trophäe.« »Gut«, sagte Njangu. »Kennen Sie jemanden aus der Sektion II, der einen Röntgenapparat besitzt?« »Tunk mich in Schokolade und nenn mich Weihnachtsmann!«, sagte Kipchak, während er sich die Pistole sehr sorgfältig ansah. Es war eine Tötungsmaschine, ein Blaster aus kalter grauer Legierung. »Wer ist dein unbekannter Bewunderer?« 380
»Keine Ahnung«, sagte Njangu. »Sonst war nichts in dem Paket, nur ein Zettel mit einer Komnummer.« Kipchak untersuchte die Pistole noch genauer. »Ich glaube, ich hätte einen Ratschlag für dich«, sagte er. »Schon angenommen«, sagte Njangu. »Nachdem die Sektion II das Paket geröntgt und nichts Explosives gefunden hat, habe ich das Ding vom Waffenmeister auseinander nehmen lassen, um nachzusehen, ob irgendwelche Gemeinheiten darin versteckt sind. Ohne Ergebnis. Er sagte, es wäre eine ganz normale, handelsübliche Marley. Kostet etwa vierhundert Credits auf dem freien Markt. Dann sind wir damit zum Schießstand gegangen, haben sie in einen Schraubstock geklemmt und den Auslöser mit einer Schnur betätigt. Sie schießt wie ein junger Gott.« Kipchak betrachtete die Waffe von allen Seiten. »Hast du schon die Komnummer probiert?« »Noch nicht. Aber ich neige stark dazu. Vielleicht ist das eine neue Möglichkeit, endlich hier rauszukommen.« Die Tür zu Njangus Zimmer flog auf, und Garvin stürmte herein. »Schaut mal, was mir jemand geschickt hat!« Er hielt eine Pistole hoch, die mit Njangus identisch war. Im Laufe der folgenden Woche erhielten etwa fünfzig Soldaten der Streitmacht Pakete in unterschiedlichen Formen. Alle enthielten identische Pistolen und die gleiche Komnummer. Einige Empfänger gehörten der Aufklärungskompanie an, so auch Petr Kipchak. 381 »Gut«, sagte Hedley. »Was steckt also hinter diesen vermaledeiten Schießeisen? Sie sind hier der große geheimdienstliche Analytiker.« »Zunächst möchte ich Sie darin bestätigen, dass Ihre Einschätzung, in mir einen potenziellen Messias zu sehen, korrekt ist«, sagte Cent Angara. »Ich habe in der Tat eine Erklärung. Sie sind Köder.« »Was soll das heißen?« »Die Leute, die sie bekommen haben«, sagte Angara, »sind entweder erst vor kurzem rekrutiert worden oder haben leichte Schwierigkeiten, sich an das Leben beim Militär zu gewöhnen. Manche waren in der Motivationseinheit, zwei oder drei wegen verschiedener Vergehen sogar im Bunker. Darunter auch etliche von Ihren Aufklärern. Aber allesamt gute Soldaten, die sich im Einsatz bewährt haben.« »Was geschieht«, fragte Hedley, »wenn sie diese verdammte Komnummer wählen?« »Ich weiß es nicht«, sagte Angara. »Jemand hat eine E-Überwachung eingerichtet, und zwar eine ziemlich gute, denn ich habe bisher keine andere Reaktion erhalten als eine synthetische Stimme, die >Sprechen Sie, ich höre< sagt. Anscheinend sage ich nicht das Richtige, genauso wie alle anderen, die ich beauftragt habe, die Nummer anzurufen. Ich habe die Verbindung behutsam durch die Planetare Polizei checken lassen, aber die verdammte Leitung geht um etwa sechs Ecken, also kann niemand sagen, wo sich die Basisstation befindet. Und wenn wir tiefer graben, könnte eine Selbstvernichtungsschaltung ausgelöst werden. Aber ich kann Ihnen sagen, was geschieht, wenn jemand das sagt, was die Überwachung hören will. Von den Personen, die Pistolen bekommen haben, sind acht desertiert.« 382 »Desertiert? Sie sind nicht nur auf eine Spritztour gegangen?«, fragte Hedley. »Nein, sie sind spurlos verschwunden. Die Militärpolizei konnte zweien von ihnen bis zum Bahnhof folgen. Ein Ticketverkäufer hat gesagt, er hätte eine gut aussehende Soldatin gesehen, die ein Schließfach geöffnet und ein Paket herausgenommen hat. Dann ist sie in die Damentoilette gegangen und in Zivilkleidung wieder herausgekommen.« »Nicht zu fassen!« »Aber so ist es«, sagte Angara. »Der Angestellte konnte sich erinnern, in welcher Reihe sich das Schließfach befand, also haben wir ein paar Leute von der Polizei geholt und in einer nicht ganz legalen Aktion sämtliche Schließfächer aufgemacht. In einem befand sich eine zusammengelegte Uniform, die an die Gefreite Mol Trengue ausgegeben wurde, die gegenwärtig als abwesend gemeldet ist. Ich habe mir ihr Holo im Dienstplan angesehen. Sehr hübsch. Ist bei den Scharfschützen.« »Wenn jemand seine Uniform zurücklässt«, sagte Hedley, »ist das ein recht deutliches Zeichen, dass er oder sie nicht vorhat, in absehbarer Zeit zurückzukommen. Also scheint hier jemand Deserteure zu sammeln, wie?« »Sieht so aus.« »Wer?« »Keine Ahnung.« »Warum?« »Auch keine Ahnung.« Die vier älteren Frauen hatten seit Jahren zusammengearbeitet und im Wirtschaftsviertel von Leggett Büros ge383 putzt. Sie hatten sich gegenseitig zu ihren Hochzeiten, Geburtsfeiern, Initiationen und Segnungen eingeladen und auf die Kinder und Enkelkinder der anderen aufgepasst. Sie wohnten höchstens eine Straßenecke voneinander entfernt in Eckmuhl und gingen jeden Tag gemeinsam die drei Kilometer bis zu ihrer Arbeitsstelle. Ihr Gespräch stockte für einen Moment, als ein Polizeigleiter vorbeiflog. Genauso wie die anderen 'Rauhm in ihrem Viertel hatten sie gehorsam ihre ID-Karten abgegeben, als die Bewegung es von ihnen verlangt hatte. Der Gleiter schwebte weiter, und sie setzten das Gespräch fort, in dem es um dieses und jenes ging.
Ein ramponierter Frachtgleiter, dessen Ladefläche mit einer Plane abgedeckt war, schob sich aus einer engen Gasse und folgte den Frauen. Eine bemerkte das Fahrzeug, das sich im Schritttempo bewegte, und wollte etwas sagen, als die Plane zurückgeworfen wurde. Zwei Männer und eine Frau standen auf der Ladefläche. Sie trugen dunkle Kleidung und Kapuzen und hielten Maschinengewehre aus Militärbeständen mit Trommelmagazinen in den Händen. Die Frau wollte schreien, aber es war schon zu spät. Der Lärm der Blaster erschütterte die morgendliche Stille. Körper wurden gegen die nächste Hauswand geschleudert, und Blut spritzte in grotesken Mustern. Gegen alle Verkehrsvorschriften stieg der Gleiter fast senkrecht auf und verschwand über einem Hausdach. Er ließ eine Wolke aus Flugblättern zurück, die alle mit demselben Text bedruckt waren: 'RAUHM! Das Volk von Cumbre hat genug erlitten! 384 Ihr habt die Schlangen lange genug an eurer Brust genährt. Die Zeit der Veränderung ist gekommen! Wehrt euch gegen ihre Tyrannei! Helft uns, sie zu vernichten, sonst werden wir euch vernichten! Das Friedenskomitee Elf weitere 'Rauhm, die in keiner bekannten Verbindung zur Bewegung standen, wurden an diesem Tag ermordet, und neben ihren Leichen fanden sich die gleichen Flugblätter. Die Bewohner von Leggett, die für ihren schwarzen Humor bekannt waren, bezeichneten die Killer des Komitees als »Barte«. Als sie gefragt wurden, was diese Bezeichnung zu bedeuten hatte, nannten sie als Grund, dass die Killer anscheinend keine Barte trugen. Es war der beste - und der einzige - Witz, der während der Trockenzeit kursierte, in der die Hinrichtungen weitergingen. Einige 'Rauhm kündigten ihre Jobs und verkrochen sich in Eckmuhl oder anderen Ghettos überall auf dem Planeten. Auch andere Menschen erschienen nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz, weil kein Bürger von D-Cumbre ins Kreuzfeuer geraten wollte, wenn »seine« 'RauhmKollegen an der Reihe waren. Die Polizei schien nicht in der Lage zu sein, die »Barte« festzunehmen oder irgendeine Spur zu den Anführern der mysteriösen Organisation zu finden. Jetzt kam es in allen Städten von D-Cumbre zu Gewalttaten. Nicht nur in Leggett, sondern auch in Aire, Seya, Taman City, Launceston und Kerrier kam es zu Überfäl385 len, Attentaten und Einschüchterungen von Amtsinhabern. Caud Williams teilte die Pechvögel vom Vierten Regiment in unabhängige Kompanien auf, schickte jede in eine Stadt, wo sie in den Gebäuden der Polizei einquartiert wurden. Aber es gab nirgendwo genug Soldaten. Die notorisch unterbesetzte Streitmacht musste ihre Kräfte weiter aufsplittern. Williams gab es nicht laut zu, aber diese Situation gefiel ihm ganz und gar nicht. Die fünf Männer stürmten mit erhobenen Waffen durch die Tür. Jasiths Geschäftsführerin schrie und fiel in Ohnmacht. »Keine Bewegung!«, sagte der Anführer. Jasith hob die Hände, und die anderen drei Angestellten folgten ihrem Beispiel. Als sie langsam einen Schritt zur Seite ging, waren plötzlich zwei Waffen auf sie gerichtet. »Denken Sie nicht einmal daran, den Alarm auszulösen«, warnte der erste Mann. »Ich meine den Knopf, der sich etwa zwei Schritte links von Ihnen befindet.« Jasith erstarrte. »Wir kennen alle sechs Alarmknöpfe, die es hier gibt«, fuhr er fort. »Wenn Sie auch nur einen berühren, werden Sie sterben. Wir wollen nur die Kasse... und wer von Ihnen ist Jasith Mellusin?« Jasith befeuchtete ihre plötzlich trocken gewordenen Lippen. »Ich... ich bin es«, sagte sie zögernd. »Sie werden uns eine Weile begleiten«, sagte der Mann. »Sie werden der Bewegung behilflich sein. Ihr Vater wird...« Ohne Vorwarnung explodierte sein Kopf. Er wirbelte herum und im Fallen verkrampfte sich sein Finger um den Auslöser. Geschosse zerschmetterten Schaufensterpuppen und Ankleidespiegel. Jasiths Leibwächter, der im Durchgang zum Pausenraum stand, richtete seine 386 Pistole auf einen anderen 'Rauhm und wurde erschossen. Sein Kollege schob sich über die Leiche und wurde getötet, bevor er seine Waffe heben konnte. Jasith warf sich zu Boden. Sie hörte Schreie und weitere Schüsse. Etwa einen Zentimeter vor ihrer Nase bemerkte sie einen Ohrring, den sie vor einer Woche verloren hatte. »Rückzug!«, hörte sie jemanden rufen. »Weg von hier!« Ein Polizeigleiter, der auf dem Boulevard Streife flog, hörte die Schießerei, und die zwei Polizisten sprangen aus ihrem Fahrzeug. Einer schickte einen automatischen Notruf ab. Die vier 'Rauhm rannten aus dem Dessousgeschäft. Einer der Polizisten eröffnete das Feuer und wurde niedergeschossen. Der zweite ging in die Knie und schoss zurück. Die 'Rauhm flüchteten über die Straße und feuerten wahllos auf alles, was sich bewegte. Ein 'Rauhm-Junge von etwa zehn Jahren, ein Fensterputzer, kam aus einem Hauseingang und wurde getötet.
Ein zweiter Polizeigleiter kam um die Ecke gerast, und drei Polizisten mit Blastern verließen das Fahrzeug. Die 'Rauhm schlugen sich in eine Gasse und kamen auf einer anderen Straße wieder heraus. Ein Stück weiter befand sich ein altes Steingebäude, eine ehemalige Turnhalle. »Wir haben es mit schätzungsweise vier Tätern zu tun«, meldete der Polizei-Kom monoton. »Sie haben sich in der alten Silbernen Sporthalle verschanzt. Ein Kollege wurde erschossen. Benötigen dringend Verstärkung.« »Schon unterwegs. Die Streitmacht wurde ebenfalls benachrichtigt.« 387 Der schwarze Grierson war gepanzert und mit der Aufschrift POLIZEI-NOTEINSATZTEAM versehen. Ein Schütze saß in der offenen Luke hinter einer 25-mm-Auto-matikkanone, mit der er nach Zielen suchte. Die hintere Rampe des Gefährts wurde ausgeklappt, und zwei Spezialeinheiten der Polizei in klobigen Rüstungen, Kampfwesten und mit Militärhelmen stürmten Blaster schwingend heraus. Befehle wurden geschrien, und die Männer gingen rund um die Turnhalle in Stellung. »Werden wir beschossen?«, fragte ein Einsatzleiter. »Bis jetzt nicht.« »Gut, dann haben wir sie umzingelt«, sagte der andere. »Zweite Einheit... wir stürmen den Haupteingang.« Als die zehn Polizisten aus der Deckung kamen, zerbarst ein Fenster der Turnhalle, und der Lauf eines MG wurde sichtbar. Blasterschüsse hallten. Polizisten duckten sich oder schrien und stürzten zu Boden. Eine schlanke Röhre mit einem dickeren Objekt am Ende schob sich durch einen Eingang, und der 'Rauhm, der die Waffe hielt, zielte sorgfältig und drückte den Feuerknopf. Die Rakete schlug unmittelbar vor dem Grierson aufs Pflaster, überschlug sich und explodierte unter der Pilotenkanzel. Das LKG hob vom Boden ab, während der Pilot es unter Kontrolle zu bekommen versuchte, kippte zur Seite weg und zerquetschte den Schützen. Der Antrieb zischte, dann bäumte sich der Grierson auf, während Flammen aus den offenen Luken schlugen. Ein zweites MG eröffnete das Feuer, und die Geschosse schlugen in die Unterseite des Grierson, schwirrten als Querschläger davon. »Eine Falle!«, schrie jemand. »Die Mistkerle haben Verstärkung! Holt endlich die verdammte Armee!« 388 Alarmsirenen hallten über den Exerzierplatz von Camp Mahan, und eine Abwehreinheit lief zu den wartenden LKGs. Dill stand mit seiner Mannschaft hilflos neben ihrem Grierson, der immer noch nicht repariert war. »Verdammt, verdammt, verdammt!«, fluchte Ben monoton. »Der Spaß geht los, und wir sind nicht dabei.« Der Erste Tweg Malagash kam um eine Ecke geflitzt. »Ich brauche einen Freiwilligen... Sie, Jaansma. An die Waffenstation des Cooke da drüben. Den armen Polizisten geht die Munition aus.« Garvin kam sich vor wie ein nacktes Waisenkind. Er kannte niemanden von der Besatzung des Cooke. Er gehörte nicht zu ihnen, wusste nicht, ob die Leute etwas taugten. Wenn er sich in Gefahr begab, wollte er Dill, Gorecki und Kang um sich haben und nicht diese Fremden. Immerhin, dachte er, sollen wir nur Munition transportieren und sie nicht benutzen. Trotzdem war es ein verdammt beruhigendes Gefühl, eine Pistole am Gürtel zu tragen. Es knackte in seinen Kopfhörern. »Wollt ihr euch das ansehen?«, fragte der Pilot. Garvin sah Rauch, der aus dem Stadtzentrum aufstieg. Ich hoffe, Jasith hat einen guten Blick auf das spektakuläre Geschehen und macht sich keine Sorgen, dachte er. Wenn ich nur bei ihr sein könnte, um sie an meinen starken Schultern zu beruhigen. »Okay, Leute«, sagte der Pilot. »Da drüben scheint die Post abzugehen. Ich habe Kontakt mit dem Einsatzleiter. Wir werden in großer Höhe ranfliegen, uns einen Überblick verschaffen und dann schnell nach unten gehen. Wir laden aus und hauen so schnell wie möglich wieder ab. Ich werde versuchen, euch beim Rückflug die Gele389 genheit für ein paar touristische Schnappschüsse zu geben.« Sie flogen weiter, und Garvin blickte auf die hohen, sehr alten Mauern von Eckmuhl hinunter. Dann schössen ein Blitz und ein dünner Rauchfaden auf sie zu. »Sturzflug!«, rief er. »Jemand schießt auf uns!« Der Pilot drehte sich verblüfft zu Garvin um - und im gleichen Moment schlug die Rakete in die Nase des Cooke und explodierte. Das Gefährt trudelte, und zwei Soldaten wurden nach draußen geschleudert. Sie stürzten schreiend hundert Meter in die Tiefe, den schmalen Straßen von Eckmuhl entgegen. »Festhalten!«, rief der Pilot. »Das wird ein verdammt harter Höllenritt.« So war es. 31 »Setzen Sie sich, Yoshitaro«, sagte Tak Hedley. Es war eher ein Befehl als eine Einladung. Der Kommandant der Aufklärungskompanie saß hinter einem Tisch, an seiner Seite Cent Angara, ein Tak, den Njangu nicht kannte, und Ben Dill, der eine finstere Miene zog. Njangu gehorchte und hoffte, dass man ihn ins Hauptquartier der Kompanie bestellt hatte, weil es Neuigkeiten von Garvin gab, der nun schon seit zwei Tagen vermisst wurde. »Wir haben Informationen über Ihren Freund Finf Garvin Jaansma«, sagte Cent Angara. Er ist tot, dachte Njangu. Warum tun sie sonst so förmlich und bedrückt? 390 »Finf Jaansma könnte noch am Leben sein«, fuhr Angara fort. »Wir haben heute früh das Wrack des Cooke gesichert.« Njangu atmete erleichtert aus, dann riss er sich zusammen. Gute Neuigkeiten und ernste Gesichter? Vorsicht!
»Wir hätten ein paar Fragen in Bezug auf Ihren Freund«, sagte Angara. »Zum Beispiel«, warf der unbekannte Offizier ein, »ob er jemals irgendwelche Sympathien für die 'Rauhm zum Ausdruck gebracht hat. Ich bin Tak Wu, der Leiter von Jaansmas Einheit.« »Nein, Sir«, sagte Njangu, und plötzlich konnte er die Situation viel besser einordnen. Er kam sich vor wie bei einem Polizeiverhör. Damit konnte er umgehen. »Sie wissen, dass er einer der Soldaten war, denen vor kurzem von einer unbekannten Person oder unbekannten Personen eine Pistole zugestellt wurde?« »Ja, Sir.« Und? Ich habe auch eine bekommen. Und hör endlich auf, dich wie ein Bulle aufzuführen, Wu. Das steht dir nicht. »An Bord jenes Cooke befanden sich fünf weitere Soldaten«, fuhr der Tak fort. »Im Wrack haben wir drei Leichen gefunden. Zwei kamen offensichtlich durch den Absturz ums Leben. Der Pilot scheint inneren Verletzungen erlegen zu sein, die keine äußerlich sichtbaren Spuren hinterließen. Doch sein Rücken weist mehrere Einschusslöcher auf... die Einschusslöcher einer Pistole vom gleichen Kaliber wie jene, die auf mysteriöse Weise in den Besitz mehrerer Mitglieder der Streitmacht gelangt sind.« Njangus Gesicht zeigte keine Überraschung, und er sagte nichts. 391 »Noch einmal«, sagte der Tak. »Jaansma hat durch nichts erkennen lassen, dass er beabsichtigte, sich den 'Rauhm anzuschließen?« »Nein.« Yoshitaro wartete zwei Herzschläge ab, bis er hinzufügte: »Sir.« »Beruhigen Sie sich, Gefreiter«, sagte Hedley. »Niemand will Jaansma irgendetwas vorwerfen.« Das merkt man, dachte Njangu. »Von ihm gibt es keine Spur«, sagte Wu. »Auch kein Blut. Und zwei weitere Mitglieder der Besatzung werden ebenfalls vermisst. Einer war vor kurzem in den Rang eines Gefreiten zurückgestuft worden und hat sich laut über die Ungerechtigkeit des Lebens beschwert. Könnten diese drei Personen die Gelegenheit genutzt haben, um sozusagen zu desertieren?« Njangu wartete unbeeindruckt. »Es tut mir Leid, dass Sie nicht in der Lage zu sein scheinen, diesem etwas improvisierten Untersuchungsausschuss zu helfen«, sagte Angara. »Wenn Sie glauben, es könnte irgendetwas geben, das vielleicht hilfreich für uns wäre, wenden Sie sich bitte sofort an Tak Hedley.« Klar doch. Sobald ich einen Giptel tanzen sehe! »Ist das alles, Sir?« »Ja«, sagte Hedley. Wu warf Njangu einen zornigen Blick zu, sagte aber nichts. »Sie können gehen.« »Dürfte ich mich ebenfalls entschuldigen, Sir?«, fragte Dill. »Wie Sie meinen.« Beide Männer salutierten und verließen den Raum. Njangu kehrte mit schnellen Schritten zu seinem Quartier zurück. Dill beeilte sich, ihn einzuholen. »Yoshitaro, warten Sie.« Njangu blieb stehen. »Der Tonfall da drin392 nen war etwas kühl«, sagte Dill. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass ich Garvin nicht für einen Verräter halte.« »Wie könnte er zum Verräter werden?«, gab Njangu zurück. »Ihn verbindet genauso wenig mit diesem Planeten wie Sie... oder mich.« »Tut mir Leid. Hab mich falsch ausgedrückt. Ich wollte sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass er uns im Stich lässt. Aber haben Sie irgendeine Ahnung, warum der Pilot erschossen worden sein könnte?« »Wenn ich eine Ahnung hätte, Finf Dill, würde ich sie Ihnen auf gar keinen Fall verraten«, sagte Njangu. Dill wurde rot im Gesicht und trat mit geballten Fäusten einen Schritt zurück. Njangu hatte plötzlich eine leicht geduckte Haltung angenommen und die Finger gekrümmt. Die beiden blickten sich eine Weile an, dann entspannte Dill seine Hände. »Tut mir Leid«, sagte er. »Ich hatte an einen bestimmten Soldaten gedacht, den ich gut kenne. Wahrscheinlich genauso wie Sie.« Er entfernte sich mit schnellen Schritten. Njangu wartete, bis nichts mehr von ihm zu sehen war, dann ging er zu den Korns hinüber, die direkt mit dem öffentlichen Netz verbunden waren. Doch bevor er sie erreicht hatte, überlegte er es sich anders und machte sich auf den Weg zum Hauptquartier der Streitmacht, wo es außerhalb der Depots weitere Korns gab, von denen er hoffte, dass sie nicht überwacht wurden. Und wenn doch? Auch egal. Der Cooke hatte mit einem heftigen Ruck aufgesetzt, aber in flachem Winkel. Er drehte sich zweimal im Kreis, während er über die schmale Straße schlitterte, und kam zum Stehen, nachdem er sich zur Hälfte in eine niedrige Ziegelmauer gebohrt hatte. 393 Garvin Jaansma setzte sich auf, spuckte Blut, und die um ihn herum rotierende Welt beruhigte sich allmählich. Er lag auf der Leiche des zweiten Schützen, der ihm beim Aufprall als Polster gedient hatte und dabei ums Leben gekommen war. Der vierte Munitionsexperte war mit dem Schädel gegen eine Kiste mit Blasterpatronen geknallt. Der Pilot lag quer über seinen Kontrollen, und seine erschlaffte Körperhaltung verriet Garvin alles, was er wissen musste. Er hörte Rufe und schaute blinzelnd auf die Straße hinaus. Zwischen den Trümmern und verstreuten
Frachtstücken sah er mindestens fünfzig 'Rauhm, die in seine Richtung gerannt kamen. Einige schwangen Knüppel, andere Messer, und wieder andere warfen Steine. Garvin hatte seine Pistole gezogen und wollte das Feuer eröffnen, doch dann setzte sein Verstand rechtzeitig wieder ein. Ganz bewusst setzte er die Waffe an den Rücken des toten Piloten und drückte viermal ab. »Nimm das, du Scheißkerl!«, rief er und drehte sich wieder um. An der Spitze des Mobs lief laut schreiend eine Frau in den Dreißigern mit einer langen Schere in der Hand. Sie hatte den Cooke fast erreicht. »Hierher, Schwester!«, rief Garvin. »Es lebe die Bewegung!« Er warf ihr die Waffe zu. Die Frau riss erstaunt die Augen auf, aber sie ließ die Schere fallen und fing die Pistole mit beiden Händen auf. Sie drehte sie herum und zielte - zwar etwas unbeholfen, aber eindeutig - auf Garvins Brust. »Ich bin gerettet!«, rief Jaansma und wünschte sich gleichzeitig, ihm wäre etwas Besseres eingefallen. Die Frau sah ihn verdutzt an, doch dann senkte sie die Pistole. Drei Männer hielten neben ihr an. »Er hat geru394 fen, dass er einer von uns ist«, stieß sie hervor. »Und er hat mir das hier gegeben.« »Nein«, stellte Jaansma richtig. »Ich bin kein Bruder, jedenfalls noch nicht. Aber wenn ihr es mir erlaubt, wäre es mir eine Ehre, euch bei der großen Aufgabe der Erringung der Freiheit behilflich zu sein. Deshalb bin ich aus der Armee desertiert.« Njangu drückte auf verschiedene Sensoren und wartete. Der Kom summte zweimal, klickte dreimal, als die Verbindung zu anderen Relais geschaltet wurde, dann sagte eine Synthstimme: »Sprechen Sie, ich höre.« »Jemand hat mir vor ein paar Wochen eine Pistole geschickt... nein, vor etwa einem Monat, und im Paket war ein Zettel mit dieser Komnummer.« »Sprechen Sie, ich höre.« »Ich wollte mich nur bedanken, wer auch immer am anderen Ende dieser Leitung sein mag. Ich bin Njangu Yosh...« »Warten Sie.« Wieder klickte es ein paar Mal, dann war eine menschliche Stimme zu hören. »Warum hat es so lange gedauert, bis du zu Potte gekommen bist?« »Ich kenne dich«, sagte er. »Das will ich meinen«, sagte Angie. »Was willst du?« »Ich will Leute, denen es nicht gefällt, wie der Hase läuft. Und die bereit sind, etwas dagegen zu tun, angefangen mit einer Menge toter 'Rauhm.« »Was wäre, wenn ich interessiert wäre?«, fragte Njangu. Kurzes Schweigen. »Du erinnerst dich an ein bestimmtes Dorf?« 395 »Klar.« »Geh hin. Jemand wird dich dort abholen. Keine Tricks, keine Beschatter.« »Und wenn ich mir noch nicht ganz sicher wäre? Wie steht es mit Garantien? Kriege ich Ärger, wenn ich bei euch mitmache? 'Rauhm zu töten ist schön und gut, aber was kommt am Ende dabei raus?« Wieder Schweigen. »Willst du mich verarschen?« »Negativ«, sagte Njangu. »Das will ich hoffen«, sagte Angie. »Wir haben keine Zeit, den Unentschlossenen Predigten zu halten. Wenn du bereit bist... ruf noch einmal diese Nummer an. Aber warte nicht zu lange. Mit Quatschköpfen können wir nichts anfangen.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Jene 'Rauhm, die mutig — oder bedürftig — genug waren, ihre Jobs außerhalb von Eckmuhl nicht aufzugeben, erhielten Polizeischutz. Sie wurden mit Gefangenentransportern befördert. An Bord des Gleiters befanden sich bereits neunzehn 'Rauhm, und ein zwanzigster kam herbeigerannt. Die anderen zogen ihn damit auf, dass er bestimmt zurückbleiben und lieber eine Party mit den Barten feiern wollte, als die Bombe explodierte, die in einem kleinen Gleiter versteckt war, der direkt an der Haltestelle parkte. Zwei Polizisten starben zusammen mit den neunzehn 'Rauhm. Der einzige Überlebende war der Zuspät gekommene, und während er auf dem Pflaster lag und spürte, wie etwas auf ihn niederprasselte, von dem er wusste, dass es kein Regen war, schwor er sich, in der restlichen Lebensspanne, die der Eine ihm gewähren würde, nie wieder pünktlich zu sein. 396 »Es gab nur sehr wenige Männer und Frauen aus der Streitmacht, die sich uns anschließen wollten«, stellte die schlanke und nicht unattraktive Frau fest. »Und die meisten von ihnen waren 'Rauhm, die vom rechten Weg abgekommen waren, die eine Zeit lang ihre Aufgabe aus den Augen verloren und sich den Hunden der Zinser angeschlossen hatten und die irgendwann ihren schrecklichen Fehler erkannt haben. Zwei von ihnen sind ganz weit abgedriftet und haben sich eingebildet, sie könnten Doppelagenten spielen.« Die Frau hielt kurz inne. »Sie hatten keinen leichten Tod. Aber sie starben, ohne irgendetwas erreicht zu haben.« »Geschieht ihnen recht«, sagte Garvin. Er versuchte, ein bisschen Zustimmung, ein bisschen Enthusiasmus und ein bisschen Furcht zu vermitteln. Nur Letzteres gelang ihm mühelos. »Garvin Jaansma... wegen besonderer Verdienste zum Finf befördert... Fremdweltler, was ein Pluspunkt sein
könnte... Schütze an Bord eines Luftkampfgefährts... Dritte Einheit, Kompanie A, Zweites Regiment... Du bist überrascht? Ja, wir haben unsere Leute in Camp Mahan. Warst du in Schwierigkeiten, Jaansma?« »Nein, Madam.« »Warum möchtest du dich uns anschließen?« Garvin nahm einen etwas theatralisch wirkenden Atemzug. »Ich habe mich der Armee der Konföderation angeschlossen, um ein Kämpfer, ein Krieger zu werden. Ich habe es nicht getan, um als Polizist zu arbeiten, und schon gar nicht, um das Volk zu unterdrücken und die Macht der Fettärsche zu sichern.« »Aber ist das nicht die Aufgabe jedes Soldaten?« »Das mag sein«, sagte Garvin. »Vielleicht habe ich vorher nicht gründlich genug darüber nachgedacht.« 397 »Möglich«, sagte die Frau. Sie kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Was hast du vor deiner Dienstzeit gemacht?« »Ich war Verkäufer«, log Garvin. »Aber kein besonders guter.« »Wenn wir - die Bewegung - nicht so sehr unter Zeitdruck stünden, hätte ich dich in eine abgelegene Region gebracht und dich auf deine Aufgabe vorbereitet. Wenn du ein Spion wärst, könntest du diese Rolle unmöglich über einen längeren Zeitraum spielen. Aber wir haben nur sehr wenig Zeit, und du bist ein ausgebildeter Soldat, was nur auf wenige von uns zutrifft. Die militärischen Fähigkeiten und die Disziplin, über die wir verfügen, mussten wir durch Versuch und Irrtum erlernen und mit dem Tod vieler Brüder und Schwestern bezahlen. Du könntest für uns von unschätzbarem Wert sein. Aber wir sind keineswegs leichtsinnig. Also müssen wir uns einen geeigneten Test ausdenken - etwas, das dich unwiderruflich an uns bindet, auch wenn du beabsichtigen solltest, einen doppelten Verrat zu begehen.« »Ich werde mich jeder Prüfung stellen, die ihr mir auferlegen wollt«, sagte Garvin voller Inbrunst, während sich ihm der Magen umdrehte. »Der Alte zerbeißt Credits«, sagte Cent Angara, »und scheißt Viertelcreditmünzen. Die Deserteure sind schlimm genug, aber jetzt haben wir einen, der eine neue Karriere als Scharfschütze für die 'Rauhm startet.« »Scheint so«, stimmte Hedley zu. »Einfach wunderbar! Lassen Sie das Band noch mal laufen. Aber ohne Ton. Ich habe für heute genug von Scheißereien und Schießereien gehört.« Angara drückte auf einen Sensor, und die Bühne vor 398 ihnen erwachte zum Leben. Sie waren die einzigen Anwesenden im Vorführraum der Sektion II. Eine Straße von Leggett war zu sehen. Die Kamera zeigte ein wuchtiges Steingebäude, das fast den kompletten Häuserblock einnahm. Am Gebäude befand sich ein bescheidenes Schild: MELLUSIN-BERGWERKE. Davor standen drei gepanzerte Frachtgleiter, neben denen vier bewaffnete Wachmänner auf und ab gingen. »Das arme Schwein«, murmelte Hedley. »Zuerst versuchen sie, seine Tochter zu entführen, und dann klauen Sie sein verdammtes Gold.« »Fragt sich nur, was ihm mehr wehtut«, sagte Angara. »Das mit der Tochter«, sagte Hedley. »Er ist ganz vernarrt in sie, und sie ist ein Einzelkind. Die Credits, auf die es die 'Rauhm abgesehen haben, kommen ganz knapp dahinter. Aber er hat noch einen anderen Grund, sich schlecht zu fühlen... ich habe soeben etwas reinbekommen, von den Leuten, die Jaansmas Einheit befragt haben... einer sagte, der Junge hätte etwas mit der Tochter von Mellusin gehabt.« Das Bild erlosch, und Angara starrte den jüngeren Offizier überrascht an. »Das ist so ein zufälliger Zufall, dass es kein Zufall mehr sein kann.« »Genau das habe ich mir auch gedacht«, sagte Hedley ruhig. »Auf jeden Fall ist es verdammt interessant. Lassen Sie uns die Aufzeichnung noch einmal ansehen. Vielleicht ist uns ja etwas entgangen.« Angara berührte wieder den Sensor, und die Bilder der Sicherheitskamera liefen weiter. Sechs Männer kamen aus dem Gebäude, und jeder transportierte auf einer Karre einen Safe, der einen halben Meter hoch war. Die Seitentür des mittleren Gleiters schwang auf. Bis jetzt war es eine ganz normale Aktion, der regelmäßige Transport 399 der Löhne für die Mellusin-Bergwerke auf C-Cumbre. Die 'Rauhm-Arbeiter bestanden darauf, keine elektronischen Überweisungen, sondern harte Credits von den Firmenbossen zu erhalten, denen sie ohnehin kaum über den Weg trauten. Dann kam es zu einer Störung der Routine, als zwei Frachtgleiter aus einer Gasse schössen und den vorderen und den hinteren Transporter rammten. 'Rauhm sprangen aus den Fahrzeugen und eröffneten das Feuer. Die Wachleute schössen zurück, versuchten irgendwo Deckung zu finden und gingen getroffen zu Boden. Zwei weitere Frachtgleiter kamen die Straße entlang, Hecktüren wurden aufgerissen und Rampen ausgefahren. 'Rauhm verluden die Safes in ihre Gleiter. Alle trugen Kapuzen und Gesichtsmasken. Alle bis auf einen. »Zoomen Sie unseren Jungen heran«, verlangte Hedley, und Angara gehorchte. Garvin Jaansma, mit einem Blaster in der Hand, füllte den gesamten Bildschirm aus. »Sehr gut. Und jetzt zurück an die Stelle, wenn er als Erster aus dem verdammten Gleiter springt.« Das 3-D-Hologramm lief rückwärts, und nun war Garvin einer der 'Rauhm, die mit einsatzbereiter Waffe aus dem Gleiter sprangen. Er zielte, drückte den Abzug, zielte erneut...
»Wieder ein kleines Stück zurück«, sagte Hedley. »Und genau in dem Moment anhalten, wenn er schießt. Gut. Der Blaster hat nicht viel Rückstoß, meinen Sie nicht auch?« »Ein Blaster hat sowieso nicht viel Rückstoß.« »Erweitern Sie den Ausschnitt«, sagte Hedley. »Und dann sagen Sie mir, auf wen er schießt.« Angara ließ die Aufzeichnung ein paar Mal vor und zurück laufen. »Auf niemanden«, sagte er. »Ist er ein schlechter Schütze?« 400 »Er hat sich als hervorragender Schütze qualifiziert«, sagte Hedley. »Oder vertraut man ihm noch nicht genug, um ihm scharfe Munition in die Hand zu drücken?« »Das ist nicht erwiesen. Aber wir können uns darauf einigen, dass das hier eine Art Prüfung ist«, räumte Angara widerwillig ein. »Sie müssen gewusst haben, dass vor der Mellusin-Firmenzentrale überall Kameras angebracht sind, und da er der Einzige mit unmaskiertem Gesicht ist... ich schätze, sie wollten sich davon überzeugen, dass er mit vollem Einsatz bei der Sache ist. Selbst wenn sie ihm keine scharfen Patronen gegeben haben, steht fest, dass wir ihm die Hölle heiß machen werden, falls wir ihn erwischen. Nur weil er an dieser Aktion teilgenommen hat.« »Mag sein«, sagte Hedley. »Weiter. Okay, er tut so, als würde er schießen... und nun sehen Sie sich die Frau an, die hinter ihm steht. Die mit der abgesägten Jagdflinte. Fällt Ihnen auf, dass sie ausschließlich auf unseren Finf Jaansma zielt? Sie trauen ihm wirklich nicht über den Weg.« Hedley hielt kurz inne. »Lassen Sie die Szene weiterlaufen. Nachdem er getan hat, was ihm aufgetragen wurde, steht er einfach nur herum und wartet, bis sie ihm befehlen, beim Verladen des Goldes behilflich zu sein. Wie ein vorbildlicher Rebell springt er in den Gleiter, dann brausen sie alle mit Mellusins Geld davon. Ende der Geschichte, Anfang einer Legende. Jetzt haben wir es mit Jaansma dem Verdammten Rebellen zu tun. Richtig?« »Richtig«, stimmte Angara zu. »Aber wenn wir seinen verdammten Arsch erwischen, wird die Legende schnell zu Ende sein.« »Falsch«, sagte Hedley. »Gehen Sie noch einmal zu401 rück zu der Stelle, als er seinen Blaster sinken lässt. Zoom aufsein Gesicht. Schauen Sie sich das an.« »Er hat Angst«, sagte Angara. »Sein Augenlid zuckt. Meins würde auch zucken, wenn ich alles verraten und verkauft hätte, was mir bisher etwas bedeutet hat.« »Ein verdammt ungleichmäßiges Zucken«, sagte Hedley. »Ich glaube, da geht etwas Seltsames vor.« Dann forderte er den zunehmend gereizten Angara auf, die Szene noch zweimal zu wiederholen, und nahm sich einen Stift und einen Notizblock. »Wie gut sind Sie in Koni-Basic?« »Es geht so«, sagte Angara. »Aber es ist schon sehr lange her, seit wir mit Rauchzeichen kommuniziert haben.« »Habe ich mir fast gedacht. Jetzt noch einmal. Ganz langsam.« Hedley kritzelte etwas auf den Block, während die Szene in Zeitlupe ablief. »Jetzt brauche ich den Kom.« Er drückte Sensoren, forderte eine Information an und bedankte sich herzlich, bevor er die Verbindung trennte. »So so«, sagte er. »Die Sache ist ein klein wenig komplexer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Ich habe mir noch einmal Finf Jaansmas Akte angesehen. Der Junge war in fast allen Bereichen richtig gut, was wir bereits wissen. Einschließlich Kommunikationstraining, sowohl programmiert als auch bewusst. Das ist verdammt interessant, wenn man bedenkt, dass mir das Lidzucken unseres Rebellen verdammt militärisch vorkommt. In den Kom-Basic-Kode übertragen heißt sein Zucken: W, E, N, N, D, R, I, N, K, O, M, B, A, S, I, C.« Angara versuchte, die Buchstaben zusammenzusetzen. »Reißen Sie sich zusammen, Hedley. Niemand kann so gerissen sein.« 402 »Aha? Und wie kommt es, dass er noch die Zeit für ein weiteres W, E, N, N hat, bevor sie ihn in den Gleiter drängen?« »Ach du grüne Scheiße«, brummte Angara. »Das macht die Sache tatsächlich etwas undurchschaubar, nicht wahr?« »Ja«, stimmte Hedley zu. »Wollen wir ihm glauben? Und wenn ja, wie können wir mit ihm in Kontakt treten? Kommen Sie, großer Messias, machen Sie einen genialen Vorschlag.« »Keine Ahnung«, sagte Angara. »Ich stecke immer noch an der ersten Frage fest.« »Njangu«, sagte Tak Hedley zögernd. »Ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.« Jetzt ist es schon Njangu! Vorsicht, kleiner roter Bruder! »Ja, Sir«, sagte Yoshitaro und sah ihn mit offenem Interesse an. »Diese Angelegenheit ist streng geheim«, sagte Cent Angara. »Bitte setzen Sie sich.« Bitte? Junge, jetzt wird es wirklich interessant! »Wir haben Ihrem Freund Garvin Jaansma unrecht getan«, sagte Hedley. »Mittlerweile gehen wir von der Annahme aus, dass er unschuldig ist und nur sehr schnell geschaltet hat.« Angara erzählte von dem Raubüberfall, der Njangu bereits aus der Gerüchteküche bekannt war, und vom kodierten Blinzeln. Njangu hätte fast genickt - sein Freund war in der Tat verdammt geistesgegenwärtig. Wahrscheinlich haben all die 'Bauhm, die ihn in Stücke reißen wollten, sein Gehirn zur Höchstleistung angestachelt. Auf gar keinen Fall hätte er sich ohne zwingenden
403 Grund so etwas Heikles ausgedacht. Und er sollte verdammt vorsichtig sein, wenn sie ihn in ihr Rattenloch mitnehmen. Sonst fängt er noch an zu denken, er würde denken, worauf er übermütig werden und man ihn in kleine Häppchen zerlegen würde. Heikle Angelegenheiten sind meine Spezialität. »Sehr interessant«, sagte Yoshitaro, als Angara mit seinen Ausführungen fertig war. »Und es überrascht mich kein Stück. Aber warum erzählen Sie mir das alles?« »Wir möchten, dass Sie reingehen und ihn rausholen.« »Äh... Cent«, sagte Njangu mit einem schiefen Grinsen. »Ich bin nicht Gefreiter Dumpfbacke. Ich habe kein Gebiss aus Stahl und keine Atomraketen im Hintern. Vielleicht ist der Ruf, der mir vorauseilt, ein wenig übertrieben. « Angara warf Hedley einen Seitenblick zu. »Ihre Jungs aus der Aufklärungstruppe sind genauso große Klugscheißer wie ihr Vorgesetzter.« »Das hoffe ich sehr«, sagte Hedley. »Andernfalls wäre die ganze Ausbildung für'n Arsch gewesen.« »Wir würden Sie mit Mini-Koms der Planetaren Polizei ausstatten. Und mit einer guten Geschichte.« »Zum Beispiel?« »Zum Beispiel, dass Sie desertieren.« »Warum sollte ich so etwas tun?«, fragte Njangu. »Jaansma mag ein guter Freund von mir sein, aber wir sind nicht unsterblich ineinander verliebt. Wir müssten uns schon was Besseres ausdenken.« »Wie wäre es«, versuchte es Angara, »wenn wir glauben, Sie hätten etwas mit seiner Desertion zu tun?« » Unglaubwürdig.« 404 »Auch nicht, wenn wir Sie vor Gericht stellen wollen?« Njangu wollte etwas sagen, doch dann riss er sich zusammen. »Sprechen Sie«, sagte Hedley. »Lieber nicht, Sir. Ich habe mir schon genug Feinde gemacht.« Angara zog eine Augenbraue hoch. »Ich bin nicht nachtragend. Reden Sie ganz offen.« »Nun gut... Sir. Das ist genau der Quatsch, den man ständig in Holos sieht. In Ungnade aus dem Regiment entlassen, die Abzeichen heruntergerissen, die Orden in den Dreck getreten, triste Trommelschläge... Alles sehr dramatisch... Sir... aber nichts als Giptelpisse, wenn Sie mich fragen.« Hedley sah grinsend Angara an, dessen Gesicht rot angelaufen war. »Warum?« »Weil die Wirklichkeit - zumindest, wenn es um Schurkereien geht - alles andere als dramatisch ist«, sagte Njangu. »Sie scheinen Experte auf diesem Gebiet zu sein, wie?«, sagte Angara. Njangu sah ihn nur schweigend an. »Tschuldigung. Ich wollte Sie nicht unterbrechen.« »Betrachten Sie es aus dem Blickwinkel der 'Rauhm. Ich kreuze auf, und ein paar aufgebrachte Bullen sind mir dicht auf den Fersen, was alles sehr dramatisch aussieht. Also werden sie als Erstes versuchen, mich auf Herz und Nieren zu überprüfen.« »Wir glauben nicht, dass sie Scanner besitzen.« »Ich scheiße auf Scanner«, sagte Njangu. »Wenn ich will, kann ich sie fast immer austricksen.« Hedley blinzelte. »Wie? Entschuldigung... aber irgend405 wann müssen Sie mir ein paar von Ihren Tricks verraten. Reden Sie weiter.« »Was mir Sorgen macht, sind die Akten. Anklageschriften, Gerichtstermine, all der Kram, bis hin zu den Vertretungen für die Offiziere, die angeblich vor Gericht ausgesagt haben. Und andere Dinge, zum Beispiel die Beweise, die Sie auf die Idee gebracht haben, ich könnte zu den 'Rauhm übergelaufen sein.« »Sie leiden unter Paranoia.« »Wirklich? Selbst Paranoiker haben Feinde, Sir.« »Solange wir die Angelegenheit innerhalb der Streitmacht regeln und alles auf höchster Ebene stattfindet, dürfte es keine Schwierigkeiten geben«, beharrte Angara hartnäckig auf seinem Standpunkt. »Innerhalb der Streitmacht, Sir? Als ich das letzte Mal im Hauptquartier war, habe ich dort ein Dutzend 'RauhmAngestellte gesehen. Versuchen Sie nicht, mir einzureden, Caud Williams und Mil Rao würden sich persönlich um ihre Aktenhaltung kümmern.« »Nur weil einer unserer Angestellten aus der Kultur der 'Rauhm stammt...« »Heißt das, er ist ein potenzieller Feind. Und ich glaube einfach nicht daran, dass niemand aus der Sektion II gegenüber seinen Kumpels von der Polizei kein Sterbenswörtchen über ein Topgeheimnis verlieren wird. Und natürlich glaube ich auch nicht daran, dass die 'Rauhm auf gar keinen Fall ein oder zwei Agenten in die Reihen unserer Gesetzeshüter eingeschleust haben. Sehr schnell wird jeder wissen, dass der gute alte Njangu in irgendein doppeltes Spiel verwickelt ist, bei dem es um die 'Rauhm geht. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als die Sache aus einem klaren, pessimistischen Blickwinkel zu betrachten, Sir. Schließlich 406 geht es bei diesem verdammten Scheißspiel um meinen Arsch. Sagen wir einfach, dass ich einige Erfahrung
damit habe, dass alles, was schief gehen kann, meistens tatsächlich schief geht. Und dann bin ich erledigt. « »Gut«, sagte Hedley. »Dann vergessen wir's. Wir werden uns eine andere Methode ausdenken, wie Jaansma mit der Sektion II Kontakt aufnehmen kann. Aber wir möchten, dass Sie uns bei der Planung helfen, ganz gleich, wie wir es letztlich machen, weil Sie ihn besser als jeder andere kennen.« »Vergessen Sie's«, sagte Njangu. »Ich werde es selbst machen. Und wir werden es so machen, wie ich es für richtig halte - oder gar nicht.« Als Njangu zu den Baracken zurückstapfte, war seine Miene finster, und in ihm tobte offensichtlich rasender Zorn. »Was ist los?«, fragte Kipchak. »Verdammte Mistkerle!«, fluchte Njangu. »Sie hören einfach nicht damit auf, dass Garvin ein Verräter ist und dass ich vielleicht etwas weiß und vielleicht dies und vielleicht das.« »Vergiss es, Njangu«, sagte Petr. »Sie wissen es nicht besser.« »Stimmt«, sagte Yoshitaro. »Sie haben wirklich keine Ahnung. Ich sage euch, was sie tun werden... sie hängen Garvins Bild überall als Poster auf, und irgendein Schwachkopf von Bulle wird ihn abknallen. Dann stellen sie fest, dass sie sich geirrt haben, und dann heißt es: >Oh, Entschuldigung, wir haben da wohl einen kleinen Fehler gemachte Was dem guten Garvin dann überhaupt nichts mehr nützt. Dummköpfe, die sich alle Mühe ge407 ben, zu Schwachsinnigen befördert zu werden, die ganze Bande!« »Vielleicht hilft es, wenn ich mal mit Hedley rede«, sagte Penwyth. »Auch ich habe einige Zeit mit Garvin verbracht.« »Du kannst es gerne versuchen. Aber ich habe genug davon, mit Idioten zu reden, die sich die Finger in die Ohren gesteckt haben.« »Du solltest dir eine Mütze Schlaf gönnen und aufhören, dich aufzuregen«, sagte Kipchak ruhig. »Du bist heute Nacht für die dritte Wache eingeteilt.« »Wenn es hart kommt, dann kommt es richtig hart, wie? Also gut. Dann werde ich eben auf den unwahrscheinlichen Fall hoffen, dass man vergisst, mich aufzurufen. Ich habe wirklich genug von dieser Scheiße.« Still und leise gab die Planetare Regierung bekannt, dass der normale Verkehr zur fernen Inselstadt Kerrier und zu drei weiteren Inseln wegen nicht genauer benannter »Unruhen« unterbrochen worden war und so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden sollte. Caud Williams hatte Garvin Jaansma und Njangu Yoshitaro befohlen, sich unauffällig zu verhalten. Wahrscheinlich wurde kein anderer seiner Befehle jemals so ausgiebig missachtet. Zuerst war Garvin desertiert, dann hatte Njangu Yoshitaro ihn - zumindest in den Augen der Streitmacht - weit übertroffen. Laut Anklageschrift war beobachtet worden, dass der Gefreite Yoshitaro sich während seiner Wachschicht im Zustand extremer Trunkenheit befunden und ungewöhnlich laut verhalten hatte. Der Wachkommandant hatte versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, worauf er von Yoshitaro bewusst408 los geschlagen worden war. Weiterhin hatte der Gefreite dem Tweg der Wache den linken Arm gebrochen, als dieser ihn beruhigen wollte, andere Mitglieder der Wache mit einer Pistole bedroht und ihnen befohlen, ins Wachhaus zu gehen, wenn sie nicht sterben wollten. Dann hatte er alle in Zellen eingesperrt und den Schlüssel in die Bucht geworfen. Daraufhin hatte er sich zum Depot von Camp Mahan begeben, das soeben geschlossen werden sollte. Er brach durch die Hintertür ein, terrorisierte mehrere Zivilangestellte mit vorgehaltener Waffe und stahl die Tageseinnahmen. Er verließ das Gebäude durch den Vordereingang, zerschoss die Außenbeleuchtung und riss sich den Gleiter einer Patrouille der Militärpolizei unter den Nagel, wobei er einen der Polizisten verletzte, als dieser versuchte, den durchgedrehten Gefreiten zur Vernunft zu bringen. Die zivilen Behörden waren nicht in der Lage, rechtzeitig zu reagieren. Schließlich wurde der Gleiter der Militärpolizei verlassen vor einem der Tore von Eckmuhl vorgefunden. Njangu Yoshitaro und Garvin Jaansma wurden von der Planetaren Polizei auf die Liste der am dringendsten gesuchten Verdächtigen gesetzt, und die Polizei wie auch die Armee erhielten die Information, dass beide als bewaffnet und extrem gefährlich eingestuft wurden und ohne Vorwarnung erschossen werden durften. »Das«, erklärte Garvin, »ist Jo Poynton. Innerhalb der Bewegung entspricht sie dem Leiter der Sektion IL Sie hat mir eine Chance gegeben, als ich beschlossen habe, mich den 'Rauhm anzuschließen.« Er klang beeindruckt, und Njangu bemühte sich um eine respektvolle Miene. »Ihr könnt gehen«, sagte Poynton zu den anderen, 409 und Njangus Wachen entfernten sich. Sie holte eine Pistole aus ihrem Schreibtisch und legte sie vor sich ab. »Ihr beide seid sehr interessant«, sagte sie. »Was ihr getan habt, deutet darauf hin, dass ihr ziemlich gefährliche Desperados seid.« Njangu zuckte mit den Schultern. »Manchmal sind mir Leute in den Weg gekommen.« »Das mag sein«, sagte sie. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich kaum glauben kann, die Streitmacht würde zulassen, dass jemand ein solches Chaos anrichtet, nur um einen nachvollziehbaren Hintergrund für eine falsche Desertion zu schaffen. Und wir sind für den Beitrag zur Kasse der Bewegung sehr dankbar. Es sind etwas über
siebenundneunzigtausend Credits.« Njangu lächelte verschmitzt. »Seit du vor vier Tagen in Eckmuhl eingetroffen bist«, fuhr Poynton fort, »habe ich durch die Bewegung einige Erkundigungen über dich einziehen lassen. Du, Garvin, weißt bereits, wie viel uns die persönliche Dokumentation aller unserer Mitglieder bedeutet. Wir verlangen sogar von allen Brüdern und Schwestern, jeden Kontakt mit Soldaten zu melden. Aber das ist für dich vielleicht neu, Yoshitaro.« Njangu versuchte nicht weiter auf die Enge zu achten, die er plötzlich in der Kehle empfand, als er sich an seinen »Kontakt« mit der Frau namens Limnea erinnerte. »Die erste Notiz in unseren Unterlagen bezieht sich auf einen Vorfall, als du ohne ersichtlichen Grund einem 'Rauhm-Jungen geholfen hast, der von Betrunkenen misshandelt wurde. Warum hast du das getan?« »Ich hatte einen schlechten Tag gehabt und musste irgendwie meine innere Anspannung abbauen.« Poynton blinzelte. »Das ist eine ungewöhnliche Ant410 wort. Wie dem auch sei, dieser Vorfall war der Grund, warum ich dich und deine Gruppe beobachten ließ. Dir, Yoshitaro, ist es gelungen, meinem keineswegs unerfahrenen Agenten zu entwischen. Im Verlauf der Nacht beschloss ich, stattdessen dich, Garvin, zur Befragung ergreifen zu lassen. Ich habe dir zwei Männer hinterhergeschickt, beide fähige Kämpfer. Den einen hast du verstümmelt, der andere brauchte lange Zeit, um sich von seinen Verletzungen zu erholen, und ist immer noch nicht wieder in vollem Umfang einsatzbereit.« »Das tut mir Leid«, sagte Garvin und bemühte sich, beschämt zu klingen. »Ich dachte, es wäre ein Raubüberfall.« »Dann«, fuhr Poynton fort, »seid ihr kurz nacheinander desertiert, habt euch nach Eckmuhl durchgeschlagen und euren Willen bekundet, euch der Bewegung anzuschließen. Findet ihr diese Folge von Ereignissen nicht auch ein wenig verdächtig?« »Vielleicht«, sagte Njangu. »Aber ich finde, dass das ganze Leben höchst verdächtig ist.« Überraschenderweise stahl sich ein Lächeln auf Poyntons Gesicht, und ihre zusammengepressten Lippen wirkten für einen Moment sympathisch. »Ich habe über mein Problem und die weitere Vorgehensweise mit dem Mann diskutiert, der jetzt die Planungsgruppe der Bewegung leitet. Einerseits möchte ich eure wertvollen Fähigkeiten nicht verlieren. Ihr habt uns bereits unschätzbare Informationen über die Kodes und Zeitpläne eurer Einheiten verschafft, obwohl die Streitmacht inzwischen ihr Prozedere umgestellt hat, sodass alles, was ihr uns erzählt habt, eher theoretischen als praktischen Wert für uns hat. Ihr beide werdet uns in Zukunft sehr nützlich sein, wenn ihr neue Kämpfer trainiert und 411 30 selbst als Krieger in den Einsatz geht. Also fand ich die erste vorgeschlagene Option nicht sehr angenehm.« »Ich vermute«, sagte Njangu, »dass der Anführer vorgeschlagen hat, uns zu erschießen.« »Korrekt.« »Das erscheint mir in der Tat als Vergeudung«, sagte Garvin. Wieder lächelte Poynton. »Manchmal vergesse ich, wie verbittert wir alle geworden sind«, sagte sie. »Ich hoffe, ihr beide könnt euren Humor am Leben erhalten.« »Kein Problem, solange wir am Leben bleiben«, sagte Njangu. »Was mich zur zweiten Option bringt«, sagte Poynton. »Euch ist bestimmt bekannt, dass die Zinser ihre eigene Terrorgruppe aufgebaut haben - jene Leute, die als >Bärte< bekannt sind.« Beide nickten. »Wir haben zuverlässige Informationen, dass sie nicht nur von den Zinsern und anderen rückständigen Interessengruppen finanziert werden, sondern dass die meisten ihrer Agenten, zumindest die effektivsten Mörder, aus den Reihen der Streitmacht rekrutiert wurden. Manche von uns glauben, dass sie faktisch weiterhin Mitglieder der Armee sind, jedoch getarnt in den Einsatz gehen, um ungezwungener metzeln zu können. Welche Meinung habt ihr dazu?« »Ich glaube das nicht«, sagte Njangu. »Ich war bei der Aufklärungstruppe, und wir haben eng mit der Sektion II zusammengearbeitet, dem Geheimdienst der Armee. Ich denke, wir hätten zumindest ein paar Gerüchte gehört, wenn wir Todesschwadronen in den Einsatz geschickt hätten.« 412 »Vielleicht... vielleicht auch nicht«, sagte Poynton. »Ich darf die Intelligenz meiner Widersacher nicht unterschätzen und muss die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sie das eine oder andere Geheimnis wahren können. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, dass ihr beiden Doppelagenten seid, woraus sich ergeben würde, dass ihr lügt. Aber das spielt letztlich keine Rolle, denn der Leiter unserer Planungsgruppe und ich haben für euch eine Mission konzipiert, einen neuen Test. Ich werde euer Team überwachen, und ihr erhaltet Zugang zu allen Ressourcen, die den 'Rauhm zur Verfügung stehen. Euer Auftrag lautet, diese Todesschwadronen ausfindig zu machen und auszuschalten. Wenn ihr versagt, könnte das darauf hindeuten, dass ihr weiterhin für die Armee arbeitet, aber dann werden die Barte das Problem für uns lösen. Wenn ihr Erfolg habt... dann habt ihr jedem auf D-Cumbre einen großen Gefallen erwiesen.«
32 »Ich hasse Lauscher«, brummte Njangu. »Selbst wenn sie auf derselben Seite stehen wie ich.« »Das sehe ich«, sagte Garvin ruhig. Er saß auf einem der zwei kleinen Betten in der Wohnung und hatte die Füße auf einen Tisch gelegt. Das Zimmer war ein totales Chaos - herausgerissene Kabel hingen von der Decke und den Wänden und schlängelten sich über Tische, auf die Putz gerieselt war. Weiterhin gab es drei Nadelmikrofone, die mit dem Stiefelabsatz getestet und für mangelhaft befunden worden waren; ein zertrümmertes Git413 termikro, das als miserables Panoramaposter der Bucht getarnt gewesen war, die man niemals zu Gesicht bekam, solange man sich innerhalb der hohen Mauern von Eckmuhl befand; außerdem ein archaisches Standardmikrofon, das den Eindruck machte, als wäre es von einem der ersten Siedler auf D-Cumbre installiert worden. »Hast du alle erwischt?«, fragte er. »Jedes verdammte«, sagte Njangu kopfschüttelnd, während er einen Finger hob und auf eine Deckenlampe zeigte. Er schrieb auf einen Notizblock: An dem habe ich rumgepfuscht, sodass es nur noch eine Reichweite von einem Meter hat. Sie sollen glauben, dass sie immer noch etwas hören, damit sie sich keine Sorgen machen. Lass uns die wichtigen Sachen aufschreiben. »Gut«, sagte Garvin. »Wann hast du übrigens diese beeindruckenden technischen Fähigkeiten erworben?« »Darf ein Mädchen nicht einfach ein paar Geheimnisse haben?« »Warum nicht? Was machen wir also mit deinem bärtigen Schätzchen?« Njangu ließ sich auf eine andere Koje sinken. »Sie ist eine Wichtigtuerin, meinst du nicht auch?« »Eigentlich lautet die erste Frage, ob wir überhaupt etwas gegen die gute alte Angie unternehmen können.« »Es wäre besser«, sagte Njangu. »Sonst wird die Bewegung uns ziemliche Schwierigkeiten machen.« »Sieht ganz danach aus«, stimmte Garvin zu. »Welche Möglichkeiten haben wir?« »Die einfachste wäre, sie bei den Bullen zu verpfeifen«, sagte Njangu. »Was unseren neuen Herren und Meistern gar nicht gefallen dürfte, weil sich niemand vorstellen kann, dass sie und ihre Leute mit angemesse414 ner Härte bestraft werden, zumal ich und ein paar andere Leute den nagenden Verdacht hegen, dass sie auf der Gehaltsliste der Zinser stehen. Außerdem bin ich schlecht im Verpfeifen.« »Also willst du sie dir persönlich vorknöpfen?«, fragte Garvin. »Eigentlich nicht«, sagte Njangu aufrichtig. »So knallhart bin ich nicht. Aber wir müssen dafür sorgen, dass sie und die übrigen Barte - aus dem Verkehr gezogen werden. Dauerhaft. Es sei denn, wir möchten genauso behandelt werden.« »Das läuft irgendwie immer wieder auf Umbringen hinaus«, sagte Garvin und verzog das Gesicht. »Nicht wahr?« »Aber eins nach dem anderen. Ich weiß, dass wir unglaublich begabt, intelligent, von schneller Auffassungsgabe und gut abgehangen sind, aber wie wollen wir Angie finden? Wie ich gehört habe, suchen schon ein paar andere Leute nach ihr.« »Ich glaube, ich könnte an Rada rankommen«, sagte Njangu. »Sie hat mir ihre Komnummer gegeben und einen Treffpunkt vorgeschlagen. Ich glaube, wir sollten den Kontakt herstellen, sehen, was sich ergibt, und dann aus der Situation heraus improvisieren.« »Dann fang schon mal an, die Knöpfe zu drücken, mein Freund.« »Nicht hier«, sagte Njangu. »Wir holen unsere Zitat Eskorte Zitat Ende und suchen uns einen neutralen Komanschluss. Nein. Ich habe eine noch bessere Idee. Wir sagen Poynton, was wir versuchen wollen.« Njangu wartete, bis der Triebwagen fast leer war, dann nahm er seine lädierte Tasche und stieg aus. Er ver415 suchte, genauso zu denken, wie er aussah - ein junger, nicht sehr erfolgreicher Vertreter, der einen schlechten Tag gehabt hatte und nun hoffte, dass er in dem kleinen Fischerdorf Issus mehr Glück hatte. Er verließ den Bahnhof, lief durch den Park und suchte die Geschäfte am Platz nach potenziellen Kunden ab. Seine Blicke wanderten nach links und rechts. Da ist einer... er trägt sogar noch seine alten Dienststiefel... gute Tarnung, Angie... ein anderer, der so tut, als würde er das Holoprogramm studieren... und da ist eine von uns... Scheiße, man sollte ihr die Daumen brechen, damit sie aufhört, die Spionin zu spielen... sie sieht aus, als würde sie einen Schleier tragen und einen Notizblock in der Hand halten... eine Schande, dass die verdammte Bewegung Amateure rekrutieren muss... Er bückte sich, korrigierte den Sitz eines Stiefelverschlusses und blickte sich beiläufig um. Da hinten ist noch einer... Angies Pistole, die er hinten im Gürtel trug, gab ihm ein tröstliches Gefühl. Ein Mann kam auf ihn zu - ein vertrautes Gesicht -, stieß gegen ihn und war vorbei. Erst danach bemerkte Njangu, dass er auf äußerst geschickte Weise um seine Waffe erleichtert worden war. Bevor er überlegen konnte, was er als Nächstes tun sollte, kam Angie Rada aus dem Eingang zu einem Netzflickerladen, trat neben ihn und packte mit ihrer Linken seinen rechten Arm. Sie war wie eine Tagestouristin aus der Hauptstadt gekleidet, aber sie behielt die rechte Hand in der Tasche ihrer Windjacke. »Lächle, als hättest du gute Laune«, flüsterte sie. »Wir sind zwei alte Freunde, die sich gerade zufällig wieder gesehen haben.«
»Sind wir das nicht?« »Warum bist du abgehauen?«, fragte Angie. 416 »Im guten alten Camp Marschwahn geht es etwas drunter und drüber. Also habe ich beschlossen, nach neuen Horizonten Ausschau zu halten.« »Warum hat es so lange gedauert, bis du zurückgerufen hast?« »Ich dachte, ich schaue mir zuerst die anderen Möglichkeiten an«, sagte Njangu. »Ich kann mir gut vorstellen, dass man leicht zu Tode kommt, wenn man für dich arbeitet... sodass man letztlich nur sehr wenig davon hat.« Angies Griff wurde fester, und sie drehte die Hand in der Jackentasche, bis sie genau auf Njangu zeigte. »Welche anderen Möglichkeiten? Die 'Rauhm?« »Jesus, Maria und die Freude an menschlichen Begierden, Angie! Nur weil du jetzt die Anführerin einer Todesschwadron bist, musst du nicht gleich das bisschen Humor ins Jenseits schicken, das du mal hattest!« »Vorsicht, Yoshitaro!«, warnte Angie ihn. »Was ich hier mache, ist kein Spaß.« »Ja, aber ich habe gelernt, dass es eine gute Idee ist, stets ein Lächeln auf den Lippen und ein fröhliches Lied im Herzen zu haben, wenn man eine Regierung stürzen will.« »Das ist nicht unser Ziel«, sagte Rada. »Wir wollen sie eher unterstützen, die Arbeit tun, an die sich die Offiziellen nicht rantrauen, damit sie wieder so stark wird, wie sie sein sollte.« Sie warf Njangu einen kritischen Blick zu. »Weißt du, dass ich dich niemals verstehen werde?« »Da gibt es nichts zu verstehen«, sagte Njangu leichthin. »Ich bin nur ein charmanter Bursche mit einem Auge für gute Gelegenheiten. Ich habe mich beim einheimischen Mob umgehört, aber diese Leute wagen sich 417 zurzeit kaum aus ihren Löchern und sind auch nicht daran interessiert, Gastarbeiter einzustellen.« »Du solltest dir eins klar machen. Wenn du in meine Sache... in unsere Sache einsteigst, kommst du erst wieder raus, wenn alles vorbei ist.« »Und wann wird das sein?« »Wenn die verdammten 'Rauhm endlich kapiert haben, was ihnen zusteht.« »Und das wäre?« »Die Scheißkerle, die Frauen, Kinder und Polizisten getötet haben, gehören ins Gefängnis oder erschossen. Ob das Todesurteil vom Gericht gesprochen oder von uns ausgeführt wird, spielt letztlich keine Rolle.« »Und was ist mit den anderen? Nicht alle 'Rauhm sind Rebellen.« »Stimmt«, sagte Rada verbittert. »Die anderen decken die Mörder, und das ist genauso schlimm, als würden sie selbst die Waffe heben oder die Bombe zünden. Also müssen auch sie bezahlen. Wir sollten sie alle auslöschen, aber ich kenne meine Cumbrianer. Sie glauben, dass sie sich zu schade dafür sind, diese freundliche Welt zu verlassen und selbst in den Minen zu arbeiten. Daher befürchte ich, dass wir die 'Rauhm auch weiterhin brauchen werden. Aber wir können sie von Dharma fern halten, von den anderen größeren Inseln und aus den Städten. Vielleicht werden wir sie auf irgendwelchen Inseln isolieren und dort Raumhäfen errichten, von denen aus sie zu den Bergwerken von C-Cumbre transportiert werden können. Und für jene, die in den Städten die Drecksarbeit erledigen müssen, können wir provisorische Lager einrichten. Ich weiß es nicht. Das sollen die Politiker klären, nachdem wir ihnen die Regierungsgewalt zurückgegeben haben.« 418 »Wir?«, fragte Njangu. »Du glaubst doch nicht, dass ich diese Sache allein durchziehe! Zu deiner Information: Killer sind Werkzeuge mit hohem Wartungsaufwand. Meine Familie hat erkannt, auf welcher Seite sie steht, nachdem ihre Läden abgefackelt wurden, und das hat uns geholfen. Aber es gibt noch ein paar andere - richtig große Namen, Leute, von denen du es niemals erwartet hättest —, die uns unterstützen. Mit Credits, Fahrzeugen, Hinweisen ... alles, was wir gebrauchen können. Bist du dabei?« »Als ob ich die Wahl hätte.« »Gut«, sagte Angie. »Jetzt kümmern wir uns darum, dass du nach Leggett zurückkommst. Wir werden uns davon überzeugen, dass du keine Freunde mitgebracht hast, und dann beginnen wir mit deiner Ausbildung.« »Noch mehr Ausbildung?«, jammerte Njangu, doch er empfand unendliche Erleichterung. Es schien, dass er es geschafft hatte, dass er durch die Tür getreten war, sobald sie sich geöffnet hatte. Hoch lebe Njangu Yoshitaro, der Meister-Doppelagent! Und dann fiel plötzlich alles auseinander. Eine Stimme rief entzückt: »Hallo! N'anju! Angie!« Njangu fuhr herum - Scheiße, verdammte! - und sah eine lächelnde, langhaarige Schönheit. Deira, die er zuletzt vor Monaten gesehen hatte. Er sackte erleichtert in sich zusammen und hob eine Hand zum Gruß. Dann fiel sein Blick auf Angies Gesicht, das kalte Wut zeigte, und im selben Moment sah er, wie sie die Hand aus der Jackentasche zog - eine Hand, in der sie eine schwere Pistole hielt. Sie ging in die Hocke und richtete die Waffe auf Deira, schien irgendwie komplett wahnsinnig geworden zu sein. Njangu reagierte, ohne nachzudenken, und ließ die Pistole mit einem Fußtritt in den Park da419 vonfliegen. Angie wirbelte herum, versuchte sie zurückzuholen, knurrte unzusammenhängend, dann bellte hinter Njangu eine Waffe los und sprengte ein Loch in einen geparkten Gleiter.
Njangu rollte sich ab und griff mit einer Hand nach seinem Stiefelabsatz, was keineswegs eine sinnlose Aktion war. Eine Ferse war von Handwerkern der 'Rauhm modifiziert worden und enthielt zwei in Metallröhren steckende, altertümliche Schrotpatronen, die mittels Sprungfedern abgefeuert wurden. Er hob die Waffe und sah einen übergewichtigen Mann, den er schon einmal in der Streitmacht gesehen zu haben glaubte. Der Mann war keine fünf Meter entfernt und zielte auf ihn. Njangu löste die erste Feder aus. Der Rückstoß hätte ihm beinahe das Handgelenk gebrochen, und der Mann wurde vom Schrot durchsiebt. Er schrie auf, ließ die Waffe fallen, legte die Hände vors Gesicht und taumelte zurück. Angie hatte wieder ihre Pistole in der Hand, zielte, und Njangu feuerte die zweite Ladung ab. Beide Schüsse gingen daneben. Njangu duckte sich weg, flüchtete ins Gebüsch und hörte, wie Angie schrie: »Tötet ihn! Tötet ihn!« Und zum ersten Mal in seinem Leben kam die Polizei, um ihn zu retten. Sie waren zu dritt, große Männer in Kampfanzügen, und als sie Angie mit der Pistole sahen, zogen sie ihre Waffen. Sie schoss auf einen, traf ihn in den Arm, und rannte dann zum Bahnhof. Njangu folgte ihr; er nahm eine Abkürzung durch den Park, obwohl er gar nicht genau wusste, was er tun würde, wenn er Angie vor dem Bahnhof einholen sollte. Er hoffte, seine Rückendeckung hatte gesehen, was passiert war, und würde ihm zu Hilfe kommen, doch er sah oder hörte niemanden. Da war nichts außer dem ver420 rückten Gedanken in seinem Kopf, der sich immer wieder aufs Neue meldete: Okay, du kleine Hexe, du hast es zu deiner persönlichen Angelegenheit gemacht, und nun ist für dich der Zahltag gekommen. Hinter ihm schössen die Polizisten wieder, und er fragte sich, worauf. Jemand rief: »Halt, stehen bleiben!« Doch er reagierte nur mit einer unanständigen Geste und lief weiter. Hinter einem Baum, der dick genug war, um einen Blasterschuss aufzuhalten, hielt er an. Er blickte zurück und sah, wie Deira auf Händen und Knien hinter einen Gleiter kroch. Er gestattete sich einen Moment der Erleichterung, dann stürmte er weiter. Ein Stück voraus detonierte eine Granate, und dann hatte er den Park verlassen. Vor dem Bahnhof und dem Rathaus stiegen Rauchwolken auf. Der Boden war mit glitzernden Glassplittern übersät, und außerdem lagen da noch zwei Leichen. Angie stieg gerade in Begleitung zweier Männer die Stufen hinauf. Einer blieb stehen, zielte sorgfältig und zerschoss den Kom-Sendeturm auf dem Rathaus. Ein Triebwagen stand mit summender Turbine im Bahnhof. Eine zweite Granate ging hoch, und aus dem Innern waren Schüsse zu hören. Mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend lief Njangu die Stufen zum Rathaus hinauf, benutzte ein zertrümmertes Fenster als Leiter und kletterte auf das Dach des Gebäudes. Gerade als er sich am Gerüst des zerstörten Turmes hochzog, verließ der Triebwagen den Bahnhof - zwei Meter unter ihm und drei Meter entfernt. Ohne lange nachzudenken, sprang er und landete krachend auf dem Dach des Triebwagens. Er rutschte weg und wäre fast hinuntergeschleudert worden, als der 421 Triebwagen beschleunigte. Endlich fand er irgendwo Halt und robbte zu einem rotierenden Positionslicht, an dem er sich festhielt, während ihm der Wind um die Ohren pfiff. Und was jetzt, du verrückter Idiot, was jetzt? Hast du gehofft, sie würden den Aufprall nicht hören? Hast du gehofft, dieses verdammte Ding würde nicht so schnell fahren, dass du abgeworfen wirst? Und hast du vielleicht etwas Wichtiges vergessen - zum Beispiel einen Schlagstock? Er tastete mit den Fingern nach seinem anderen Stiefelabsatz, zog ihn ab und ließ die Antenne ausfahren, die heftig im Fahrtwind flatterte. Er drückte nacheinander den Einschaltknopf und die Sendetaste. »G... hier ist N.« Rauschen drang aus dem Empfänger, und Njangu zuckte zusammen, weil er wusste, welchen Pfusch die verdammten 'Rauhm zusammengebaut hatten. Er fluchte, weil man ihn nie finden würde, er fluchte, weil der Sender einen weiten Bogen um alle Armeefrequenzen machte, weil schon bald eine volle Salve erst den Triebwagen und dann Njangu mit einer Vielzahl neuer, kleidsamer Löcher versehen würde. »Hier G.« Garvins Stimme war ruhig, und Njangu zwang sich dazu, genauso zu klingen. »Stecke in der Scheiße«, sagte er und fasste kurz die letzten Ereignisse zusammen. »Was brauchst du?« »Flügel, du Arsch... aber vielleicht kennt jemand den Fahrplan der Einschienenbahn und wartet mit mindestens tausend Zhukovs an der Endstation auf mich.« »Zhucks wären eine Nummer zu groß«, sagte Garvin. »Aber es werden ein paar Leute da sein. Der Große Mann ist hier und gibt Befehle. Halt dich bereit. Wir hauen dich da raus.« 422 »Das will ich hoffen.« Aber der Triebwagen kam nie im Hauptbahnhof von Leggett an. Als sich das silbrige Gleis durch die Oberstadt schlängelte, näherte sich das Gefährt dem Boden und hielt keine zehn Meter oberhalb eines mit dichtem Gestrüpp bewachsenen Hügels an. Plötzlich waren Blasterschüsse zu hören, dann Schreie, dann weitere Schüsse. Die Turbine heulte noch einmal auf, dann war es plötzlich still. Yoshitaro riskierte einen Blick und sah, wie sich mit knirschend protestierenden Scharnieren ein Notausgang öffnete. Ein Mann sprang aus dem Triebwagen, mit wehendem Mantel und einer Waffe in der Hand, die Arme ausgebreitet. Er landete, dann folgte Angie, und schließlich sprang auch der dritte Passagier. Angie blickte zum
Triebwagen hoch, und Njangu zog schnell den Kopf ein. Das Trio kämpfte sich durch das Unterholz zu einer Straße vor, die in der Nähe verlief. Der unbewaffnete Njangu Yoshitaro machte sich mindestens drei Dutzend Vorwürfe, was für eine idiotische Idee das doch war, sprang mitten in einen dornigen Strauch, rollte sich ab und folgte den drei Barten. »G... hier ist N.« »Schieß los.« »Wie wohl offensichtlich sein dürfte, ist die Bande nicht am Hauptbahnhof ausgestiegen.« »Stimmt, verdammte Scheiße. Was ist passiert?« »Sie sind kurz vor Leggett abgesprungen und gehen zu Fuß weiter.« »Verdammt... Also müssen wir ganz von vorn anfangen?« »Negativ, mein Freund. Ich habe mich an ihre Fersen 423 geheftet. Peil meine Position an und mach dich auf die Socken. Bring ein paar große Jungs mit Knüppeln mit. Diese Leute sind alles andere als nett.« »Schon unterwegs.« Das Lagerhaus befand sich im schmutzigen Industriegebiet des Hafens östlich vom wichtigsten Einkaufsviertel Leggetts. Es gab keinen Hinweis darauf, wem es gehörte. Njangu sah sich die Eingänge an - jeweils einer ging auf eine der drei Straßen hinaus, die am Gebäude vorbeiführten, ein weiterer führte zum Kai auf der Rückseite. Er suchte sich einen Aussichtspunkt in einer Gasse und wartete. Dreimal tauchten Gleiter mit der Aufschrift RADA-MÄRKTE auf und verschwanden nach kurzer Zeit wieder. Geschickt. Njangu schüttelte den Kopf. Ein weiterer Beweis, dass die Polizisten einfach unbestechlich sind. Zweimal gab er Garvin neue Anweisungen und fragte sich, wer die großen Männer mit den Knüppeln sein mochten, die er organisiert hatte. Ein etwas klein geratener Mann mit einem Besen bewegte sich die Straße entlang, hielt am Eingang der Gasse an und zeigte ein zahnloses Grinsen. »Geh einen Block zurück«, sagte er. »Wir warten im ausgebrannten Gebäude da drüben auf dich.« Der Straßenfeger schlenderte weiter. Njangu sah sich nach Beobachtern um und tat wie befohlen. Das Gebäude war früher einmal ein Parkhaus mit einer Werkstatt für Frachtgleiter gewesen. Immer noch standen von der Hitze zerschmolzene Maschinen auf dem Boden, der mit schwarzem Ruß bedeckt war. Njangu blinzelte, als er hineinschlüpfte. Hier hatten sich mindestens fünfzig 'Rauhm versammelt, von denen jedoch keiner mit einem großen Knüppel bewaffnet war. Sie 424 waren in jeder denkbaren Verkleidung gekommen, vom Arbeiter bis zum Soh, zwei Drittel Männer, manche davon noch sehr jung. Aber alle waren mit den unterschiedlichsten Waffen ausgestattet. An den zwei Ausgängen hielten jeweils zwei Männer Wache. Garvin hockte auf einem umgestürzten, ausgebrannten Gleiter. Als er Njangu erkannte, stand er auf. Er hatte eine Pistole in der Hand. »Meine künftigen Brüder und Schwestern«, setzte er an. »Ich bitte um Gehör. Mein Bruder Njangu hat die Feinde des Volkes, die von euch als Barte bezeichnet werden, bis zu ihrem Unterschlupf verfolgt. Wir wissen, dass sie zu dritt hineingegangen sind, aber im Gebäude befinden sich möglicherweise noch mehr. Wir wissen nicht, wie es im Innern aussieht. Wir wissen nicht, über welche Bewaffnung unsere Feinde verfügen. Wir haben nicht genug Zeit, um genauere Nachforschungen anzustellen. Ich hoffe, dass ich euch zur Zentrale dieser Verschwörung geführt habe, der viele eurer Frauen, Kinder und Männer zum Opfer gefallen sind. Ich würde gerne einen von ihnen zur späteren Befragung gefangen nehmen, damit wir wissen, mit wie vielen Barten wir es insgesamt zu tun haben - aber nur, wenn es machbar ist. Wir müssen schnell und unerbittlich zuschlagen, denn die Polizei wird kurz nach Beginn des Kampfes auftauchen. Wenn ihr keine weiteren Ziele mehr seht, verlasst ihr so schnell wie möglich den Schauplatz. Wenn es Verwundete oder Tote gibt, versucht sie mitzunehmen und setzt sie nicht den Grausamkeiten der Polizei aus. Wenn es nicht anders geht, werft eure Waffen weg und versucht in der Menge unterzutauchen, denn jeder von euch ist als Kämpfer viel mehr wert als irgendeine Waffe oder Bombe. Ich werde den Angriff starten, 425 nachdem ich von jeder Gruppe eine Bereitschaftsmeldung erhalten habe. Rechnet mit allem, wenn ihr eindringt. Hier ist das Herz des Feindes. Zeigt keine Gnade und erinnert euch an das Blut, das an den Händen der Barte klebt. Sie sollen für ihre Taten büßen. Gebt euch Mühe, diese große Aufgabe zu erfüllen.« Ein Raunen ging durch die Versammelten, dann verließen sie die Halle. Garvin sprang vom Gleiter und lief zu Njangu herüber. »Alles bereit?« »Ja«, sagte Njangu. »Ich frage dich noch einmal: Wo hast du so reden gelernt?« »Im Zirkus«, antwortete Garvin lakonisch und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Das Lagerhaus wurde nicht nur von den Rada-Märkten genutzt, sondern auch von einem weiteren Dutzend kleinerer assoziierter Geschäfte. Für die neunzehn Deserteure, die Angie Rada rekrutiert hatte, kam es abgesehen davon, dass es keinerlei Gelegenheit für sexuelle Eskapaden bot - dem Paradies sehr nahe. Sie hatten den hinteren Teil des Gebäudes, der dem Hafen am nächsten war, als Wohnquartier abgetrennt und Pritschen und Kochgeräte aus dem gelagerten Campingangebot aufgebaut. Sie unternahmen regelmäßige Streifzüge durch das Lagerhaus, um sich Nahrung, Spirituosen, Holos und anderes zu beschaffen. Doch sie achteten darauf, möglichst wenig mitzunehmen, um keine allzu offensichtlichen Hinweise auf ihre Anwesenheit zu hinterlassen.
Sechzehn Barte hörten Angie Rada zu, die vor einem großen 3-D-Stadtplan von Leggett stand. Ein siebzehnter Mann bewachte den Haupteingang, der von den Glei426 tern benutzt wurde, und zwei weitere hielten sich im Rahmen einer Erkundungsmission in der Stadt auf. Ihre Stimme klang tief und kalt: »Offensichtlich war es eine Falle. Sonst hätte niemand dem Verräter Yoshitaro Rückendeckung gegeben. Ich hatte Glück, dass ich früh genug gespürt habe, dass etwas nicht stimmt. Sonst wäre vielleicht keiner von uns lebend da rausgekommen.« Einer der Männer, die Angie begleitet hatten, überlegte sich kurz, sie zu fragen, warum sie auf das Mädchen geschossen hatte, das nur gegrüßt und nichts Bedrohliches getan hatte. Doch dann erinnerte er sich an drei andere Deserteure, die sie kritisiert hatten und schließlich durch die Hintertür ins Wasser geworfen worden waren - in Schlafsäcken, mit Ketten umwickelt und kleinen Löchern in der Stirn. Er verwarf den Gedanken wieder. »Ich weiß nicht, für wen er arbeitet, ob für die Armee, die Polizei oder die 'Rauhm, aber irgendwann werden wir ihn finden«, versprach sie. »Bis es so weit ist, müssen wir zurückschlagen, und zwar mit aller Härte. Unser nächstes Ziel ist das wichtigste religiöse Zentrum der 'Rauhm, das sich unmittelbar am Eingang zu Eckmuhl befindet. Elt, Wiglaf, ihr habt es ausgekundschaftet, nicht wahr?« »Richtig«, sagte ein Mann. »Ein gutes Zielobjekt. Man kommt einfach und sauber rein und wieder raus.« »Diesmal werden wir eine Bombe einsetzen«, sagte Angie, »und zur Unterstützung Heckenschützen. Nachdem der Sprengsatz hochgegangen ist, schießen wir zwei Magazine leer, dann ziehen wir uns zurück.« Der Erste, der starb, war der Wachtposten. Er drehte sich überrascht um, als sich die kleine Tür neben dem 427 Tor für die Gleiter öffnete. Im nächsten Moment steckte ein Wurfmesser in seiner Kehle. Zwei 'Rauhm fingen ihn auf und ließen seinen Körper lautlos zu Boden gleiten. Garvin, Njangu und die übrigen Mitglieder der ersten Angriffsgruppe schlüpften ins Innere des Gebäudes. Der große Raum war hell erleuchtet; Lampen hingen in mehreren Reihen von der gewölbten Decke. Alles war voller Waren, die zu hohen Stapeln aufgeschichtet oder in Regalen einsortiert waren. Treppen führten nach oben, wo dunkle Büros zu erkennen waren. Njangu stieg hinauf, blickte über die langen Regalreihen unter ihm und hörte Stimmen aus dem hinteren Teil des Gebäudes. Er zeigte den anderen den Weg und kam zurück. Auch an den zwei anderen Straßeneingängen konnten die 'Rauhm eindringen, ohne Alarm auszulösen, doch die letzte Gruppe, die den Barten am nächsten war, verriet sich durch eine knarrende Tür, Angie hatte blitzschnell ihre Waffe in der Hand, und sie schoss auf die ersten beiden 'Rauhm, während ein anderer Deserteur eine Granate in Richtung des Eingangs warf. Die Explosion brachte den Ansturm der Gruppe zum Stocken. Garvin, der sich in einem Gang am anderen Ende des Lagerhauses aufhielt, sah einen Mann mit einem Karabiner, erschoss ihn, ging in die Knie und deckte den Gang mit einem Kugelhagel ein. Einer der Barte feuerte zurück, und als Garvin sich zur Seite rollte, lief ihm plötzlich eine warme, klebrige Flüssigkeit übers Gesicht. Er wischte sich mit einer Hand über die Augen, sah rot, geriet für einen Moment in Panik, erkannte dann aber, dass der Schuss einen Behälter mit einem süßen Getränk auf dem Regal über ihm zertrümmert 428 hatte. Er robbte weiter zum nächsten Gang und feuerte ein halbes Magazin auf die Deserteure ab. Das Lagerhaus war ein Chaos aus Schreien, Rufen, Schüssen und Explosionen. Die zwei Gruppen, die von der Seite kamen, rückten über die offene Verladefläche vor. Fünf Barte, die genau wussten, dass sie von den 'Rauhm keine Gnade zu erwarten hatten, waren hinter einem Stapel Paletten in Deckung gegangen und schalteten systematisch die Angreifer aus. »Überraschung!«, sagte Njangu, als er hinter ihnen aus einem Gang kam, ein Gewehr, das er irgendwo an sich gerissen hatte, im Anschlag. Sie wirbelten herum, aber es war bereits zu spät. Sein Blaster spuckte Feuer, und vier Männer und eine Frau sanken schreiend zusammen. Njangu war vorübergehend vom Lärm des Schusswechsels taub; ein 'Rauhm schüttelte ihn, und dann konnte er die Worte des Mannes halbwegs verstehen: »Sie sind alle tot. Wir haben sie alle erledigt!« Einen Augenblick später zeigte sich, dass diese Aussage nicht ganz richtig war - als Angie nämlich dem 'Rauhm den Kopf wegschoss und um sich ballernd zum hafenseitigen Ausgang stürmte. Sie wechselte das Magazin und sprang über die Türschwelle auf den Kai. Ihr Partner blieb kurz stehen, um noch einmal ins Warenhaus zu feuern, in dem Flammen aufloderten und Rauch von einem Kistenstapel aufstieg. Garvin zielte sorgfältig und schoss ihm die Hälfte des Brustkorbes weg, dann rief er: »Rückzug! Rückzug! Sie sind geflohen!« Langsam erwachten die 'Rauhm aus ihrem Kampfwahn und standen wie betäubt zwischen den verstreuten Leichen. So viel zum Thema Gefangene, dachte er. Doch das 429 überraschte ihn nicht sonderlich. Er schulterte einen verwundeten, leise stöhnenden 'Rauhm, sah einen der Barte, der sich vor Schmerzen wand, schoss ihm in den Kopf und lief dann mit stolpernden Schritten zum östlichen Ausgang — der am weitesten von jenem entfernt war, durch den die Polizei erwartungsgemäß eindringen würde. 'Rauhm folgten ihm, die Anführer riefen Befehle, dass die Verwundeten und Toten mitgenommen werden
sollten. Manche gehorchten, andere flohen einfach, ohne sich um ihre Kameraden zu kümmern. Njangu bildete die Nachhut, die Leiche einer 'Rauhm über der Schulter, und dann hatten sie das Lagerhaus hinter sich gelassen. Das Feuer im Innenraum breitete sich weiter aus, sprang von Regalreihe zu Regalreihe, und Rauch quoll aus den Lüftungsrohren auf dem Dach. Njangu hörte Sirenen, sagte sich, dass er sie nicht groß beachten wollte, und kehrte im Zickzack durch kleine Gassen nach Eckmuhl zurück. Angie Rada schlitterte mit schmerzenden Lungen um eine Ecke, sah den Polizeigleiter, der die schmale Straße blockierte, und dahinter die Einsatzkräfte, die mit Blastern auf sie zielten. »Lassen Sie die Waffe fallen!«, dröhnte es aus dem Lautsprecher des Fahrzeugs. Angie flüchtete geduckt in einen Ladeneingang, feuerte auf den Gleiter und brachte den Lautsprecher zum Verstummen. Sie schoss auf einen Polizisten, sah, wie er sich das Bein hielt und zuckte. »Kommt her, ihr Arschlöcher! Kommt und holt mich!«, schrie sie, und in ihrer Stimme schwang eine wilde Freude mit. In dieser Nacht wurde in Eckmuhl gefeiert, und niemand, weder die Armee noch die Polizei, war so dumm, 430 Patrouillen in den Bereich innerhalb der Mauern zu schicken. Njangu und Garvin saßen zusammen mit Jo Poynton in einem sicheren Unterschlupf. »Sollen wir rausgehen und unseren Erfolg mitfeiern?«, fragte Garvin. »Nicht zu vergessen die Leute aus unserer >Eskorte<.« »Wartet noch«, sagte Poynton. »Ich möchte Njangu jemanden vorstellen.« Wenig später öffnete sich die Tür, und ein mittelgroßer Mann trat ein. Er wirkte unauffällig, abgesehen von seiner breiten Brust und den muskelbepackten Armen - und dann blickte Njangu in seine Augen. Es waren Augen, in denen ein Feuer brannte, das einen fesseln konnte. »Das ist der Große Mann«, sagte Garvin überflüssigerweise. Njangu streckte dem Mann eine Hand entgegen, aber Jord'n Brooks nickte nur, statt die in der Konföderation übliche Begrüßung zu erwidern. »Im Augenblick benutze ich den Namen Tver«, sagte Brooks. »Aber das ändert sich von Zeit zu Zeit. Und es gefällt mir nicht, als Großer Mann bezeichnet zu werden. In der Bewegung ist niemand größer als andere.« Njangu bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. Er war sich nicht sicher, ob Brooks wirklich an das glaubte, was er sagte. »Wie es scheint«, fuhr Brooks fort, »seid ihr beide ein echter Gewinn für unsere Sache.« Garvin neigte dankbar den Kopf. »Meine Betonung liegt auf scheint«, sagte Brooks. »Ihr habt uns geholfen... aber mit dieser Aktion habt ihr gleichzeitig auch den Zinsern geholfen.« »Wie kommen Sie darauf?«, fragte Njangu interessiert. »Weil die Armee sicherlich erleichtert darüber ist, dass diese Wahnsinnigen, die als Barte bezeichnet wur431 den, aus dem Weg geräumt wurden. Ihre eigenen Killer arbeiten wesentlich subtiler. Und die wahren Herrscher dieses Systems, die wirklich Intelligenten, können mit dem Gang der Ereignisse nicht zufrieden gewesen sein, weil sie wissen, dass jede Grausamkeit, die von den Barten begangen wurde, immer mehr unserer Brüder und Schwestern zu aktiven Rebellen werden ließ.« »Deine Gedanken verlaufen in ungewöhnlichen Bahnen«, sagte Garvin mit einer Spur Feindseligkeit in der Stimme. »Deshalb bin ich am Leben geblieben, und deshalb erzielt die Bewegung immer neue Erfolge«, sagte Brooks ruhig. Er stellte eine Tatsache fest, mehr nicht. »Aber ich möchte nicht, dass du missgestimmt auf meine Worte reagierst. Vielleicht - oder sogar wahrscheinlich - ist es nicht wahr, und ihr seid wirklich Bekehrte. Im Laufe der Zeit, wenn ihr weitere Missionen für uns erfüllt habt, werden sich meine Worte vielleicht als falsch und zu sehr vom Hass diktiert erweisen.« »Vielleicht«, sagte Garvin. Brooks nickte und verließ den Raum wieder. Poynton zuckte mit den Schultern. »Man muss ihn nehmen, wie er ist. Und wir alle dienen ihm gern.« »Das mag sein«, murmelte Garvin. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn mögen muss. Ich glaube, ich gehe jetzt nach draußen und suche nach den Massen, die mich voller Dankbarkeit hochleben lassen. Kommst du mit?« »Vielleicht etwas später«, sagte Njangu. »Ich möchte mich zuerst waschen und rasieren. Wo treffen wir uns? Gegen Mitternacht, irgendwo bei dieser großen Kirche?« »Gut«, sagte Garvin. »Wenn ich nicht da bin, habe ich eine bessere Party gefunden.« 432 »Das Gleiche gilt für mich.« Garvin nickte Njangu zu und ging hinaus. »Dein Freund hat keine Angst, offen seine Meinung zu sagen«, stellte Poynton fest. »Stimmt«, sagte Njangu. »Deshalb braucht er mich, damit ich ihn vor Schwierigkeiten bewahre.« »Vielleicht könnte ich unsere Dankbarkeit zumindest teilweise zum Ausdruck bringen«, sagte Poynton. »Zufällig habe ich in meinem Quartier eine Flasche Wein, ein sehr guter Tropfen, auch wenn er nur von DCumbre stammt. Ich habe sie mir für einen besonderen Anlass aufgehoben, zum Beispiel eine Siegesfeier. Aber ich möchte sie nicht allein austrinken.«
»Einverstanden, Furchtlose Führerin und Geheimdienstlicher Guru des Universums«, sagte Njangu. »Aber gib mir noch eine halbe Stunde Zeit. Ich kann mich selbst nicht mehr riechen.« Njangu drehte die altertümliche Dusche ab und musterte gedankenverloren den nachtropfenden, verrosteten Duschkopf. Kein sehr luxuriöses Badezimmer, verglichen mit den verstellbaren Spritzschläuchen in den Baracken der Armee und erst recht mit den Palastbädern, die er in teuren Hotels gesehen hatte, wenn er die Beute eines erfolgreichen Fischzugs verjubelt hatte. Aber es war besser, als von einem Banditen angepisst zu werden, und immer noch eine Spur besser als das Bad in der überfüllten Wohnung, in der er aufgewachsen war. Von draußen hörte er das unverändert laute Getöse der Feier. Er zog den Vorhang ein Stück zur Seite, und eine Hand hielt ihm ein Handtuch hin. »Ich schaue nicht hin«, sagte Jo Poynton. 433 95955 Njangu nahm das Handtuch und trocknete sich ab, während er die Geheimdienstchefin der 'Rauhm nachdenklich musterte. Nur weil er Angst davor hatte, von ihr bloßgestellt zu werden - wenn auch nicht im wörtlichen Sinne -, hieß das noch lange nicht, dass er nicht konnte oder wollte, sofern sie tatsächlich interessiert war. Zumindest hatte sie kein Auge auf jemand Bestimmten geworfen und war keineswegs dumm. Sehr seltsam, dachte er, als er sich das Handtuch um die Hüfte knotete und ein Lächeln aufsetzte. »Und du schaust wirklich nicht?« »Vielleicht... ein bisschen.« Er trat aus der Dusche. Poynton hockte im Schneidersitz auf der hölzernen Truhe, die vor einem Wäscheschacht stand - einem vor Urzeiten eingerichteten System, als in diesem Gebäude wohlhabende Mieter gelebt hatten, bevor es in immer kleinere Wohneinheiten unterteilt worden war. Sie trug einen weiten Overall aus blauem Samt, dessen Oberteil sie um die Taille geschlungen hatte. Sie war barfuss und roch nach exotischen Früchten. Wie sie so dasaß und ganz und gar nicht mehr den Eindruck einer entschlossenen Kriegerin machte, wurde Njangu bewusst, dass sie wahrscheinlich höchstens drei Jahre älter war als er. Er spürte, wie sein Körper auf sie reagierte. Es war schon recht lange her, seit er mit Deira... Er verdrängte diesen Gedanken und bewunderte Poynton. Die Pistole, die sie immer bei sich trug, hatte sie neben sich gelegt, und nun goss sie goldfarbenen Wein aus der Flasche in zwei unterschiedliche Gläser. Sie reichte Njangu eins. »Auf den Sieg!« »Auf den Sieg«, erwiderte Njangu und meinte es ehrlich. 434 Sie nahm die Flasche, verließ das Bad und ging in den Hauptraum der Wohnung. An der Wand waren immer noch die Spuren von Njangus Aufräumaktion zu sehen. »Du hättest meine Gerätschaften nicht so gründlich zerstören müssen«, sagte sie. »Tut mir Leid. Aber ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir nachspioniert.« Poynton verzog das Gesicht. »Wenn wir nicht alles wissen, sind wir verletzlich.« Njangu antwortete nicht, sondern trat ans Fenster und blickte hinaus. Die Straßen waren voller 'Rauhm, die feierten und sangen. Die nur teilweise funktionierende und selten reparierte Beleuchtung wurde durch flackernde Fackeln ergänzt. Aus zwei Richtungen hörte er Musik, die überhaupt nicht zusammenpasste. »So war es früher immer während unserer Feiertage«, sagte Poynton, die hinter ihn getreten war. »Und so wird es wieder sein.« »Das hoffe ich«, sagte sie und trank einen Schluck. »Aber viele von uns sind gestorben.« »Die Menschen können Schmerzen überwinden«, sagte Njangu. »Das ist eine der Fähigkeiten, die uns am Leben erhält.« Poynton musterte ihn nachdenklich. »Das ist eine ziemlich tiefgründige Erkenntnis für jemanden, der so jung ist wie du.« Njangu prostete ihr schweigend zu und trank ebenfalls. »Soll ich«, sagte sie, während sie sich ihm näherte, »dir den Rücken zukehren, während du dich anziehst, damit wir hinausgehen und nachsehen können, welche Art von Freizeitvergnügen wir in den Straßen finden?« »Wenn wir das tun würden«, sagte Njangu, »wäre 435 ständig meine >Eskorte< in der Nähe. Und deine Leibwächter.« »Ja«, sagte Poynton. »Hier drinnen müssten wir keine Rücksicht auf andere Personen nehmen.« »Richtig.« »Ich habe keinen besonders großen Hunger. Und du?« »Ich auch nicht«, sagte sie. »Jedenfalls... nicht nach Essen.« »Und wir haben noch Wein.« »Ja.« Njangu hob eine Hand und strich mit einem Fingernagel von ihrer Kehle bis zu der Vertiefung zwischen den Schlüsselbeinen. Poynton hielt den Atem an. »Das fühlt sich gut an«, sagte sie mit tieferer Stimme. »Vielleicht besser, als gut ist.«
»Gibt es in der Bewegung keine Vorschriften über den Kontakt mit den unteren Rängen?« »Warum sollte es?«, gab Poynton zurück. »Wir 'Rauhm sind sehr sensibel. Zumindest in mancher Beziehung.« Sie reckte sich, hob die Hände über den Kopf. Sie war nur ein paar Zentimeter kleiner als er. Njangu trat dicht an sie heran, sie schloss die Augen und hob die Lippen. Er küsste sie. Ihre Zunge kam ihm sofort entgegen, und sie schlang die Arme um ihn. Ihre Lippen pressten sich fester aufeinander, und das Spiel wurde drängender. Sein Hand fand den Knoten, der ihren Overall zusammenhielt, und er zog ihn auf. Ihre Brustwarzen strichen über seine Brust. Der Kuss endete, und sie flüsterte: »Es war eine sehr lange Zeit draußen im Dschungel - wo einen der eigene Geruch angewidert hat und man nicht wollte, dass irgendwer den Gestank wahrnimmt.« Sie öffnete den 436 Knoten seines Handtuchs und warf es fort. Dann ließ sie den Overall an ihren langen Beinen hinunter gleiten und stieg heraus. Njangu hob sie hoch und stellte fest, dass sie erstaunlich leicht war, als er sie zum Bett trug. Garvin lehnte mit dem Rücken an der steinernen Wand der großen Kirche. Er war froh, allein zu sein, und beobachtete das Treiben der Menge. Er war leicht betrunken und fühlte sich rundum zufrieden. Ich vermute, Njangu hat einen besseren Zeitvertreib gefunden. Ob er mit Poynton...? Nein. Nie im Leben. Die steckt doch viel zu tief in der Revolution drin, um überhaupt nur daran zu denken, dass man mit einem Mann auch Spaß haben könnte. Wirklich schade, denn eigentlich sieht sie gar nicht so schlecht aus. Wenn man sie etwas öfter zum Lächeln bringen könnte... »Hallo?« Vor Garvin stand ein sehr junges rothaariges Mädchen. Ihr Haar war kurz, ihre Lippen, Nägel, Ohrläppchen und Augenlider waren blau gefärbt. Sie trug dunkelrote, weite Hosen und eine dazu passende Bluse mit Wolkenmuster, die sie noch jünger erscheinen ließ. »Halloo!«, sagte er und setzte instinktiv ein laszives Grinsen auf. »Du bist doch einer von den Leuten, die von der Armee zu uns gekommen sind, nicht wahr? Der Mann da drüben sagt, du hast den heutigen Angriff gegen die Barte angeführt.« Garvin folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger und erkannte einen seiner ständigen Begleiter. Ich sollte mal ein ernstes Wörtchen mit diesem Großmaul reden, dachte er. Das Mädchen bemerkte seinen Gesichtsausdruck. 437 »Keine Sorge. Ich gehöre auch zur Bewegung. Ich arbeite draußen, als Lockvogel. Ich habe schon sieben Männer erledigt«, sagte sie voller Stolz. Garvin versuchte sich nichts anmerken zu lassen. »Was kann ich für dich tun?« »Gestern habe ich gesehen, wie du mit einem anderen Mann aus der Armee in eins unserer Häuser gegangen bist.« »Aha?« »Er war groß und dunkelhäutig. Kurzes Haar. Sehr attraktiv.« »Vielleicht kenne ich jemanden, auf den diese Beschreibung passt«, sagte Garvin zögernd. »Er hat mir bei einer anderen Gelegenheit gesagt, dass er Njangu heißt.« »Das könnte mein Freund sein.« »Weißt du, wo er ist? Ich habe ihn flüchtig kennen gelernt ... bevor er beschloss, zu uns zu kommen. Es war... ganz nett mit ihm. Ich wollte ihn fragen, ob er... mich wieder sehen möchte.« »Ich habe keine Ahnung, wo er steckt«, sagte Garvin wahrheitsgemäß. »Nicht den leisesten Schimmer.« »Oh«, sagte das Mädchen enttäuscht, doch dann hellte sich ihre Miene auf. »Bist du mit jemandem zusammen? Ich heiße Limnea.« Garvin schüttelte den Kopf. »Einsam?« »Eigentlich nicht.« »Oh«, sagte das Mädchen. »Dann eben nicht.« Sie wandte sich von ihm ab. »Wie es scheint, bin ich hier die Einzige, die nicht gern allein ist.« Garvin dachte an Jasith, die weit entfernt irgendwo in der Oberstadt war, und betrachtete noch einmal das 438 Mädchen. Es war spät, er war allein, seine Sinne waren hellwach, und sein Geist konnte immer noch nicht fassen, dass er diesen kurzen blutigen Alptraum im Lagerhaus überlebt hatte. »Nein«, sagte er. »Nein, du bist nicht die Einzige.« Das Mädchen drehte sich wieder um, und er sah Hoffnung in ihren Augen schimmern. »Wie könnte sich ein Fremder an den Feiern in Eckmuhl beteiligen?« »Ich werde es dir zeigen«, hauchte Limnea und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich werde es dir zeigen.« Njangu vergewisserte sich, dass Poynton tief und fest schlief, dann stieg er über sie hinweg und aus dem Bett. Er zog sich hastig an, schlüpfte durch die Tür und ließ sie leise hinter sich zufallen. Die Tür zum Zimmer seiner Eskorte war geschlossen. Er lauschte und hörte dahinter jemanden schnarchen. Klar. Warum sollte man wachsam bleiben, wenn die Chefin persönlich auf den Schützling aufpasst? Er nahm die lange, mitgenommene Treppe, die zur Straße führte.
Bis Sonnenaufgang waren es nur noch wenige Stunden, und die Feier war schon fast vorbei, obwohl er immer noch den lauten Gesang einiger Betrunkener hörte. Dafür, dass sie stramme Sektierer sind, dachte er, können sich diese 'Rauhm sehr gut gehen lassen. Zwei Blocks weiter gab es einen der wenigen noch funktionierenden öffentlichen Koms. Er machte sich dorthin auf den Weg, schlug aber zweimal einen vollen Bogen, bis er sich sicher war, dass er nicht verfolgt wurde. Schließlich warf er ein paar Münzen in den Schlitz, grinste, als er plötzlich daran denken musste, dass ein Spion sich in große Schwierigkeiten bringen konnte, 439 wenn er kein passendes Kleingeld dabeihatte, und horchte auf den dumpfen Wählton. Eine aufgeregte Stimme meldete sich: »Prophet Eins.« »Wecken Sie Hedley«, ordnete er an. Die Stimme protestierte. »Verdammt, wecken Sie ihn endlich! Hier ist Prophet Schwarz.« Die Stimme entfernte sich. Njangu wartete mit dem Rücken zum Kom. Wenn jetzt jemand kam... Er wünschte sich, er hätte Poyntons Pistole mitgenommen... Dann war Hedley am Apparat. »Ich höre. Aufzeichnung läuft.« Njangu erstattete in knappen Sätzen den Bericht, den er formuliert hatte, als er darauf gewartet hatte, dass Poynton einschlief. Als er fertig war, herrschte einen Moment lang Stille. »Das war ein verdammt kühnes Unternehmen«, sagte Hedley schließlich. »Etwas Besseres ist uns nicht eingefallen.« »Hätten Sie uns nicht irgendwie vorher informieren können? Sie haben sich nicht zurückgemeldet, seit Sie gestern über die Mauer gesprungen sind. Wir haben uns bereits Sorgen gemacht.« »Dann kommen Sie doch selber rüber und spielen hier ein bisschen Räuber und Gendarm mit den Scheißkerlen!« »Tschuldigung«, sagte Hedley. »Hätte nachdenken sollen, bevor ich so etwas sage. Werden Sie diesen Komanschluss jetzt immer benutzen?« »Negativ. Ich suche immer noch nach einem sicheren Kommunikationskanal, und das hier ist keiner.« »Was wird als Nächstes geschehen?« »Noch mehr Schießereien, noch mehr Bombenanschläge«, sagte Njangu. »Jetzt legen sie richtig los.« 440 »Um das zu erkennen, muss man kein Undercoveragent sein«, sagte Hedley. »Können wir irgendetwas für Sie tun?« »Ja«, sagte Njangu. »Halten Sie Garvins Vorgesetzten in Bereitschaft... diesen Dill. Und seine Besatzung. Und den besten Grierson, den die Streitmacht hat. Und ein paar Zhucks. Wenn es losgeht, möchten wir mit Lichtgeschwindigkeit hier rausgeholt werden, weil es dann etwas brenzlig werden könnte.« »Verstanden«, sagte Hedley. »Halten Sie uns auf dem Laufenden.« »Haben wir eine andere Wahl?« »Weißt du, welchen Gefallen du mir jetzt tun könntest?«, fragte Limnea. Sie hatte sich nackt auf dem Bett ausgestreckt. Links und rechts daneben brannten zwei Kerzen. »Welchen?«, sagte Garvin und bemühte sich, nicht zu erschöpft zu klingen. Ich verfluche dich bis in alle Ewigkeit, Njangu! Nur weil du deinen Arsch gerettet hast, indem du dieses kleine Lockvögelchen ins Loch gevögelt hast, bis sie so fix und fertig war, dass sie ihre Leute nicht mehr rufen konnte, muss ich noch lange nicht den Superhengst spielen! Großer Gott, wie gerne würde ich jetzt etwas Angenehmes tun, zum Beispiel schlafen! »Mach mal die Schublade auf«, sagte Limnea. Garvin tat es und entdeckte mehrere lange Schals. »Nimm vier Stück«, sagte Limnea. »Dann fessle meine Hände und Füße an die Bettpfosten.« Garvin tat wie befohlen und betrachtete ihren Po, den sie ihm keck entgegenreckte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht gar nicht so müde war. 441 »Jetzt kann ich mich nicht mehr bewegen«, sagte sie. »Jetzt kannst du mit mir alles machen, was du willst. Du könntest mich auspeitschen, wenn du willst. Oder... mir wehtun.« »Ich, äh, könnte es tun, ja. Aber ich möchte nicht...« »Ich liebe starke Männer«, flüsterte sie. »Ich liebe es, wenn ich einen Mann nicht daran hindern kann, das zu tun, was er tun möchte. Komm näher, dann sage ich dir, was du mit mir tun sollst.« Garvin tat es, und sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er blinzelte leicht schockiert. »Bist du dir sicher?« »O ja, o ja!«, hauchte sie. »Bitte! Oh, bitte, tu es jetzt!« Njangu hatte den Eindruck, dass Poynton sich nicht bewegt hatte, seit er gegangen war. Sie lag immer noch zusammengerollt auf der Seite. Er schlüpfte aus seiner Kleidung und wollte über sie hinwegsteigen. Sie rührte sich. »Wo warst du?«, fragte sie schlaftrunken. »Ich musste mal die sanitären Einrichtungen benutzen.« »Hmmm.« Sie drehte sich auf den Rücken und schob die Decke weg. »Wenn wir beide wach sind, könnten wir genauso gut...«, sagte sie und legte die Beine um seine Taille, um ihn näher heranzuziehen. »Morgen geht der Krieg weiter.«
Die letzten zwei Barte wurden von der Polizei erschossen, als sie zwei Tage später versuchten, einen Lieferwagen zu überfallen. 442 33 Poynton hatte Recht - der Krieg ging weiter. Es war ein grausamer, blutiger Kampf, der in Gassen und bei Nacht oder auf sonnigen Straßen, an Stränden oder stillen Lagunen ausgefochten wurde. »Der Sieg ist in greifbare Nähe gerückt«, sagte Caud Williams zu den versammelten Journalisten. »Es wird höchstens noch ein paar Monate lang Unruhen geben, die allmählich nachlassen werden, und wenn wir alle zusammenhalten, vom Zinser bis zum 'Rauhm, wird Cumbre den Frieden bekommen, den diese Welt verdient hat.« Die Medienvertreter jubelten ihm zu, angestachelt durch den Applaus von Loy Kouro vom Matin. Drei weitere Inseln mussten stillschweigend aufgegeben werden, weil sie unter der Kontrolle der 'Rauhm standen. Alle diesbezüglichen Informationen unterlagen einer Nachrichtensperre, die für sämtliche Medien galt. Njangu und Garvin erhielten besondere Aufträge von Jord'n Brooks. Sie sollten Rekruten im Umgang mit Waffen und in Taktik ausbilden. Sie wurden ständig von ihrer Eskorte begleitet und durften Eckmuhl nie verlassen. Zweimal wurde Njangu von Jo Poynton gefragt, ob er eine weitere Nacht mit ihr verbringen wollte. Ansonsten schien sich in ihrem Verhältnis zueinander nichts geändert zu haben. Wenn sie allein waren, stellte 443 Njangu so viele Fragen, wie er zu stellen wagte - und Poynton schien es zu gefallen, immer wieder die Legenden über Brooks, seine Unverwundbarkeit und seinen schnellen Aufstieg zum Anführer der Bewegung zu erzählen. Weder Yoshitaro noch Jaansma waren in der Lage, sich der ständigen Bewachung zu entziehen, um Kontakt mit der Streitmacht aufzunehmen. Ein Meteorit raste über Dharma hinweg und überstrahlte die Helligkeit aller drei Monde, bevor er in Richtung der unbesiedelten Dschungelinsel Mullion im Westen verschwand. Viele Cumbrianer interpretierten dieses Vorkommnis als ein Zeichen der Veränderung, auch wenn sie sich nicht einigen konnten, worin diese Veränderung bestehen sollte. Die 'Rauhm entschieden, dass es ein Zeichen des Einen war, der sie erschaffen hatte, und dass der Tag ihres Triumphes kurz bevorstand. »Sir!« Finf Hank Faull salutierte. »Nehmen Sie Platz«, sagte Hedley. »Ich habe heute früh eine Anfrage erhalten, die sich an alle in der Kompanie richtet, die Erfahrung mit den 'Rauhm haben. Damit wäre eine Versetzung zur Sektion II und eine Beförderung zum Dec verbunden, vielleicht sogar die Aussicht auf den Rang eines Tweg. Außerdem würde es wärmere Unterkünfte und besseres Essen bedeuten und wäre erheblich sicherer, als bei uns auf Patrouille zu gehen. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, wir erhalten in letzter Zeit kaum noch Informationen, weder von Gefangenen noch durch aufmerksames Lauschen.« »Nein, danke, Sir.« 444 »Sie mussten gar nicht darüber nachdenken?«, fragte Hedley. »Nein, Sir.« »Eigentlich geht es mich ja nichts an... aber warum?« »Ich bin kein Denunziant«, sagte Faull in leicht verärgertem Tonfall. »Das heißt, Sie wollen die Menschen nicht ausspionieren, mit denen Sie einst zusammengelebt haben?« »Richtig, Sir.« »Spionieren ist ehrlos, aber Schießen ist okay?« Faull antwortete nicht. »Ich will mich nicht mit Ihnen streiten«, sagte Hedley. »Verdammt, wenn ich Sie wäre, würde ich wahrscheinlich dasselbe tun. War nicht böse gemeint, okay?« »Kein Problem, Sir.« »Dann verschwinden Sie endlich von hier und machen sich nützlich!« »Ich will Sie nicht anlügen, Sir«, sagte Cent Angara. »Wir haben einfach nur verdammtes Glück gehabt.« Caud Williams und Mil Rao betrachteten mit finsteren Mienen das Holo. Es war die Luftaufnahme eines im Dschungel abgestürzten Raumschiffs. »Zufällig war eins unserer Überwachungsschiffe in der Nähe, das nach potenziellen Bodenzielen für einen Zhukov Ausschau gehalten hat, als dieser >Meteor< in die Atmosphäre eintrat. Einer der Techniker an Bord des Grierson hat ihn gescannt und dabei festgestellt, dass es ein Sternenschiff war. Er hat bei der Raumkontrolle nachgefragt und erfahren, dass keins erwartet wurde. Der Kommandant des Grierson hat versucht, es zu stellen, worauf das Schiff ein Ausweichmanöver flog. Die Zhukovs wurden alarmiert, und der Kommandant 445 der Golan-Staffel, ein gewisser Aut Chaka, hat das Schiff als feindlich eingestuft und den Start einer ShadowRakete angeordnet. Sie landeten einen Treffer, und die Golan-Staffel verfolgte den Eindringling, bis er abstürzte. Wieder hatten wir das Glück auf unserer Seite, weil das Schiff nicht verbrannt ist. Allerdings wurden alle drei Besatzungsmitglieder getötet.«
»Wer waren sie?«, fragte Mil Rao. »Keine Ahnung, wenigstens offiziell, Sir. An ihren Uniformen und ihrer Ausrüstung gab es keine Hoheitszeichen. Aber ich habe mich am Morgen an der Absturzstelle umgesehen und die Vorräte überprüft. Die Speisen und Getränke stammen eindeutig von Larix und Kura. Diese Produkte sind mir vertraut.« Rao warf Caud Williams einen Blick zu. Dessen Gesicht war vor Zorn gerötet, obwohl er sich dazu zwang, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Und der Frachtraum war voll mit dem hier?« Er zeigte auf den offenen Behälter. Das Ding bestand aus Plastik, war innen gepolstert und enthielt fünf sehr einfach konstruierte Projektilgewehre. »Es sind etwa zweitausend Stück, Sir. Und Munition. Alles ohne Herstellersiegel oder Seriennummer«, sagte Angara. »Primitiv«, stellte Rao fest, als er eine Waffe in die Hand nahm und blinzelnd durch das starre Zielfernrohr sah. »Aber völlig ausreichend, um unsere Soldaten zu töten«, entgegnete Williams. »Wo sollte das Schiff ursprünglich landen?« »Wir sind uns nicht sicher, Sir. Ich habe den Griersons befohlen, sämtliche Frequenzen abzuhören, und zwei weitere Schiffe als Verstärkung angefordert. Wir 446 haben ein schwaches Signal aufgefangen, von einem Punkt an der Küste, etwa zehn Kilometer von Leggett entfernt. Aber es ist verstummt, als ich dem Überwachungsschiff befohlen habe, die Stelle anzusteuern.« »Dieser verdammte Hurensohn!«, fluchte Williams. Rao warf ihm einen erstaunten Blick zu, denn der Kommandant der Armee benutzte fast nie Schimpfwörter. »Wir haben also nicht nur Schwierigkeiten mit diesen 'Rauhm, sondern auch noch mit jemandem, der angeblich auf unserer Seite steht, in Wirklichkeit aber versucht, uns in den Rücken zu fallen.« »Das kommt keineswegs völlig überraschend, Sir«, sagte Rao. »Nicht, nachdem Protektor Redruth vor ein paar Monaten so sehr daran interessiert war, uns zu >helfen<.« »Wenn die 'Rauhm gewinnen«, fügte Angara hinzu, »müssen sie jemanden finden, mit dem sie Handel treiben können, und sie hassen die Musth zu sehr, um es mit ihnen zu tun. Wahrscheinlich werden sie die Musth sogar von C-Cumbre vertreiben. Also brauchen sie jemanden, der sie beschützt. Redruth. Und langfristig setzt Redruth zweifellos darauf, dass er die 'Rauhm problemlos niederringen kann. Schließlich hat er Raumschiffe und eine viel größere Streitmacht als wir. Am Ende wird ihm das ganze System in die Hände fallen.« »Aber wie hat er Kontakt mit den 'Rauhm aufgenommen? Besitzt der Geheimdienst Hinweise darauf, dass es auf D-Cumbre einen Verbindungsmann gibt?« »Nein, Sir.« »Was ist mit den Männern, die Sie eingeschleust haben? Haben die irgendetwas gehört?« »Sir«, protestierte Angara, »dieser Ort ist nicht sicher genug für eine solche Diskussion.« 447 »Um Himmels willen! Meine eigene Basis soll nicht sicher sein? Nun gut«, murrte Williams. »Ich möchte mich für meine Gedankenlosigkeit entschuldigen.« Er schüttelte den Kopf. »Extraplanetare Ökonomie, Handelsrouten, Mineralogie... als ich noch Aspirant auf Centrum war, hat mir niemand gesagt, dass ich mich eines Tages mit solchen Dingen würde befassen müssen.« »Mir auch nicht«, sagte Rao. Angara sagte nichts. »Haben Sie den Rest dieser Waffen zerstört?« »Nein, Sir«, sagte Angara. »Die brauchbaren habe ich in einem unserer Depots untergebracht. Für alle Fälle.« »Das war wahrscheinlich eine kluge Entscheidung«, sagte Williams. »Man kann nie zu gut bewaffnet oder ausgerüstet sein. Kommen Sie, Mil. Wir werden jetzt Generalgouverneur Haemer sehr unglücklich machen... und zusehen, ob wir ein oder zwei Raumschiffe modifizieren und am Rand des Systems stationieren können. Als hätten wir nicht schon genug Feinde!« Am Nachmittag dieses Tages begegnete Njangu Jord'n Brooks. Der Mann warf ihm einen strengen Blick zu, stapfte an ihm vorbei und verschwand in Poyntons Büro. Wenn ich mich unsicher fühlen würde, was ich natürlich nicht tue, dachte Njangu, würde ich glauben, dass der Große Mann möglicherweise einen Verdacht gegen mich hegt. Aber dazu besteht kein Anlass. Nicht der Geringste. Es muss etwas schief gegangen sein, das ganz und gar nichts mit mir zu tun hat. Trotzdem schirmte er die Wanze ab, die sich in seiner und Garvins Wohnung befand, und verbrachte zwei bis drei Stunden mit fleißiger Arbeit. 448 »Chef«, sagte Monique Lir besorgt. »Es tut mir sehr Leid, aber keiner dieser Rekruten eignete sich dazu, einem Kerl aus der Aufklärungstruppe den Schweiß von den Eiern zu lecken. Also habe ich sie wieder weggeschickt.« Hedley verzog das Gesicht. »Es reicht offenbar nicht, dass uns die verdammten 'Rauhm ständig den verdammten Arsch versohlen. Jetzt müssen wir uns auch noch damit abfinden, dass wir keine qualifizierten Soldaten finden, die uns in dieser Stunde der Verzweiflung beistehen. Ich werde verdammt froh sein, wenn das alles vorbei ist, Monique. Vorausgesetzt, wir gewinnen, sodass wir anfangen können, nützliche Talente in unsere Truppe aufzunehmen.« »Wen, zum Beispiel?«, fragte Lir. »Glaubst du, dass wir die Verbindung zur Konföderation wieder herstellen können?« »Darauf möchte ich im Moment nicht wetten«, sagte Hedley. »Ich meinte, wenn wir anfangen können, 'Rauhm
zu rekrutieren.« Lir riss die Augen auf. Hedley lachte leise. »Natürlich! Was glaubst du, woher nach einem Krieg die besten Soldaten kommen? Von der Seite, der man zuvor kräftig in den Arsch getreten hat.« »Was bedeutet«, erwiderte Lir nach kurzer Überlegung, »wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, werde ich mich irgendwann bei den Truppen der 'Rauhm bewerben.« »Hmm-mmh. Und wahrscheinlich werde ich unmittelbar hinter dir in der Schlange stehen«, sagte Hedley. In dieser Nacht ging Poynton sehr spät noch einmal zu Brooks, in den Kellerraum, der an diesem Tag das Hauptquartier der Bewegung war. Das Zimmer war fast leer. 449 Brooks erlaubte es nicht einmal seinem Komträger, sich im gleichen Gebäude wie er aufzuhalten, aus Angst, dass die Funkgeräte angepeilt wurden. Es gab nur eine Pritsche, einen Tisch mit einer Landkarte und einer Pistole und Brooks' Tasche, in der sich die wenigen persönlichen Dinge befanden, die er vielleicht brauchte. »Hättest du einen Moment Zeit?« Brooks nickte. »Ich habe heute eine Nachricht von meinem wichtigsten Agenten auf C-Cumbre erhalten«, fuhr Poynton fort. »In persönlichem Kode verschlüsselt. Übermorgen wird ein Frachter das Mellusin-Werk verlassen. Die Besatzung wurde zu unserer Sache bekehrt, also wird sie Sprengstoff und andere Gegenstände für die Bewegung transportieren.« »Ich habe von dieser Lieferung gehört«, sagte Brooks. »Dieser Frachter ist mit einem kleinen Passagierabteil für die Führungskräfte von Mellusin ausgestattet«, berichtete Poynton. »Mir wurde mitgeteilt, dass deine Frau und deine Kinder ohne jede Gefahr an Bord gebracht werden könnten. Wenn das Schiff hier gelandet ist, kann ich sie unbemerkt nach Eckmuhl schaffen lassen.« Hoffnung flackerte in Brooks' Gesicht auf, doch dann schüttelte er schnell den Kopf. »Das Risiko ist sehr gering«, sagte Poynton. »Die Sprengsätze sind binär und völlig...« »Nein!«, sagte er mit Nachdruck. »Verstanden«, erwiderte Poynton. »Einen Moment«, sagte Brooks. »Nicht, dass du mich missverstehst. Ich sage das nicht, weil ich mir übertriebene Sorgen um die Sicherheit meiner Kinder mache... oder um eine Frau, die schon lange von mir getrennt lebt. Als ich C-Cumbre verließ, habe ich geschworen, 450 mein Leben nur noch der Bewegung zu widmen. Wenn ich mir erlaube, meine Kinder in der Nähe zu haben... oder wenn ich erlaube, dass die Bewegung auch nur den winzigsten Teil ihrer Energie darauf verschwendet, sie zu mir zu bringen, ganz gleich, wie sehr ich mir wünschen mag, sie wieder zu sehen, würde ich dadurch meine Kraft beeinträchtigen. Und wenn ich mir selbst eine solche Schwäche zugestehen würde, könnte ich niemanden mehr kritisieren, der einen Teil seiner Zeit nicht der Bewegung, sondern seinen privaten Angelegenheiten widmen möchte. Nicht wahr.« Die letzten beiden Worte waren keine Frage. Poynton blickte in seine glühenden Augen, dann nickte sie und verließ das Zimmer. Sie fühlte sich ein wenig von seinem Fanatismus eingeschüchtert... doch ein Teil von ihr dachte: Das ist der Grund, warum wir dienen und er führt... »Wann werden wir Garvin endlich da rausholen?«, fragte Kang. Ben Dill schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Man hat mir noch nichts gesagt.« »Ob er überhaupt noch am Leben ist?«, fragte Gorecki. »Sie scheinen daran zu glauben«, erwiderte er. »Sonst hätten sie uns längst wieder auf Routinepatrouille geschickt, statt uns hier in diesem blitzblanken Grierson warten zu lassen.« »Weißt du, um wen es mir Leid tut?«, sagte Kang. »Um sein Mädchen. Mellow oder Mellis oder wie auch immer sie heißt. Sie hat sich bestimmt schon sämtliche Fingernägel abgekaut.« »Sie ist reich«, sagte Gorecki. »Zur Hölle mit ihr.« Aber es klang, als würde er es gar nicht so meinen. 451 Ben Dill starrte durch die Luke des Grierson auf das verlassene Landefeld, und nach einiger Zeit machte er damit weiter, die Armaturen des LKG zu putzen, damit sie noch strahlender glänzten. »Meine Brüder Jaansma und Yoshitaro«, sagte Brooks, »mittlerweile habe ich mich entschieden, wie die besondere Mission aussehen wird, die ich euch versprochen habe. Ihr solltet euch bewusst machen, dass die Zeit drängt und wir bereit sind, unsere Unterdrücker in Kürze zum letzten Entscheidungskampf zu zwingen.« Garvin blinzelte, doch Njangu brachte ein »Ja, Sir, wir sind bereit« zustande. »Gut«, sagte Brooks. »Ihr werdet mit der Ausbildung unserer Krieger fortfahren, nur werden es jetzt keine Rekruten mehr sein, sondern erfahrene Kämpfer. Ihr werdet entscheiden, wer von ihnen untergeordnete Führungspositionen unter eurem gemeinsamen Kommando übernehmen kann. Und ihr werdet sehr sorgfältig mit ihnen arbeiten, denn am Großen Tag, wenn euch eure Aufgabe offenbart wird, werden sie eure Einheit sein.« »Und worin wird diese Aufgabe bestehen?«, bohrte Garvin vorsichtig nach. »Es wäre unklug, einem Krieger genau zu erklären, worin seine Aufgabe besteht«, sagte Brooks. »Denn es könnte dazu führen, dass er darüber und über andere spricht, wenn er in Gefangenschaft gerät. Aber eines kann ich euch verraten... es ist eine Aufgabe, für die ihr auf einzigartige Weise qualifiziert seid, und sie wird euch die
größte vorstellbare Erfüllung verschaffen.« Dann entließ er die beiden mit einem Nicken. Njangu wartete, bis sie im Freien waren und sich weit 452 genug entfernt hatten. »Hast du eine Ahnung, was er mit uns vorhaben könnte?« »Nein«, sagte Garvin. »Aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass es eine ziemlich schmutzige Sache ist.« »Ich würde eine große Summe Credits darauf wetten, dass er uns und unsere Knüppelschwinger gegen die Streitmacht einsetzen will«, sagte Njangu. »In seinen Augen wäre das ein genialer Coup.« »Das klingt gar nicht gut... aber ich schätze, du hast Recht.« Garvin schwieg eine Weile. »Weißt du, Njangu, allmählich gefällt mir die Vorstellung, diesem Giptelvögler das Genick zu brechen. Wie kann man so etwas von jemandem verlangen? Hat er überhaupt keinen Respekt mehr?« »Wahrscheinlich nicht. Außer vor seiner verdammten Bewegung. Aber du kannst ihn nur dann kaltmachen, wenn du es tust, bevor ich dazu komme«, sagte Njangu. »Da ist ein Soldat, der Sie sprechen möchte, Miss Jasith«, sagte der Diener. Jasith spürte, wie ihr Herz schneller schlug und dann für einen Moment aussetzte. »Ein Offizier?« Sie erinnerte sich an ein Holo, in dem ein Soldat gefallen war und ein Offizier der Frau des Soldaten die traurige Nachricht überbracht hatte. »Ich glaube nicht«, sagte der Diener. »Offiziere haben irgendwelche Dinge auf den Schultern, und dieser Mann hat nur Streifen am Ärmel.« Jasith ging zur Tür. Einer ihrer allgegenwärtigen Leibwächter kam aus seiner Nische und öffnete sein Pistolenholster. Im weitläufigen Foyer des Hauses stand der größte Mann, den sie jemals gesehen hatte. Doch er hatte ein 453 freundliches Gesicht, sodass sie sich nicht vor ihm fürchtete. »Äh, Miss Mellusin«, sagte er. »Mein Name ist Dill. Ben Dill.« »Ich habe von Ihnen gehört... Sie waren... oder sind Garvins Vorgesetzter, in diesem fliegenden Panzer. Der Mann, der ihm sagt, was er zu tun hat.« Dill nickte. »Was kann ich für Sie tun? Haben Sie etwas von ihm gehört?« Dill sah den Leibwächter an, der den Blick unbeeindruckt erwiderte. »Sagen Sie ihm, dass er gehen soll. Sonst darf ich nicht sprechen.« »Dak?« »Ich habe meine Befehle, Madam.« Jasith wartete, bis der Leibwächter nachgab und widerstrebend den Raum verließ. »Ich kann nur kurz bleiben«, sagte Dill. »Und ich kann Ihnen keine Fragen beantworten. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Garvin lebt.« »Woher wissen Sie das?« Dill schüttelte den Kopf. »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich verstoße bereits gegen die Sicherheitsvorschriften, wenn ich Ihnen sage, was ich gesagt habe. Und Sie dürfen niemandem davon erzählen, nicht einmal Ihrem Vater. Sonst könnte es für Garvin sehr gefährlich werden. Aber wir dachten uns... ich meine, ich dachte... Sie sollten davon wissen... Tschuldigung. Ich muss jetzt gehen.« »Warten Sie. Ich werde Sie fahren, ganz gleich, wohin Sie...« Aber der Mann hatte den Raum schon verlassen. Lautlos schloss sich die Tür hinter ihm. Als Jasith sie wieder geöffnet hatte, war er bereits verschwunden, und nie454 mand, weder die ständigen Patrouillen auf dem Anwesen noch die zwei Wachtposten am Ende der langen Auffahrt, hatte etwas von diesem Besucher gesehen. »Dies ist euer Bereitschaftsbefehl«, sagte Jo Poynton zu Njangu und Garvin. »In den nächsten drei Tagen werdet ihr mit der Durchführung einer bestimmten Aufgabe betraut. Ruht euch aus und macht euch bereit, denn es wird der bedeutendste Tag eures Lebens sein.« Ihr Gesicht strahlte, als hätte man ihr soeben das Nirwana versprochen. »Wir sind schon jetzt bereit«, sagte Garvin und legte Heldenmut in seine Stimme. »Das weiß ich«, sagte Poynton. »Ich weiß, dass ihr es seid.« »Jetzt sitzen wir richtig in der Scheiße«, sagte Garvin. »Und es gibt keine Möglichkeit, uns wieder rauszuziehen.« »Vielleicht«, sagte Njangu, »aber nicht zwangsläufig. Ich habe mich ein wenig in diesem alten Haus umgesehen.« »Und?« »Zwei Stockwerke tiefer hinter der sechsten Tür war früher mal ein Büro oder etwas in der Art. Vielleicht auch eine illegale Spielhölle. Ich habe vier Komverbindungen entdeckt, als ich das Gebäude kurz nach unserem Einzug überprüft habe. Das heißt, dass da kein handelsüblicher Bauerntölpel der 'Rauhm gelebt hat. Und rate mal, was ich außerdem festgestellt habe? Eine Verbindung ist noch aktiv.« »Heilige Scheiße!«, sagte Garvin. »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie angezapft wird?«
455 »Praktisch null«, sagte Njangu. »Deswegen habe ich mir überlegt, dass du unbedingt einen Versuch wagen solltest.« »Und wenn ich entdeckt werde und draufgehe?« »Das wäre immer noch besser, als wenn ich es wäre, oder? Außerdem bist du von uns beiden der große Held. Schon vergessen?« »Leck mich«, sagte Garvin. »Gut«, sagte Njangu. »Ich will nicht unfair sein. Wollen wir eine Münze werfen?« »Nein«, sagte Garvin. »Ich werde gehen. Weil ich nicht nur der Held, sondern auch der Volltrottel bin. Wenn es ruhig geworden ist und alle so tun, als würden sie schlafen.« In dem Gebäude hielt sich ein Mann auf, der selten schlief, und wenn er sich hinauswagte, drehte er den Kopf zur Seite, damit man seine entstellten Gesichtszüge nicht sah. Sein Name war Lompa, und er war einer der beiden Agenten gewesen, denen Poynton befohlen hatte, Garvin Jaansma gefangen zu nehmen - damals, als Letzterer von der Party der Bampurs zurückgelaufen war, wo er Jasith erstmals begegnet war. Seit der Schlägerei litt er immer wieder unter Kopfschmerzen und musste genau darauf achten, was er aß. Er hatte von den Männern aus der Armee gehört, die zu den 'Rauhm desertiert waren, und sein Instinkt hatte sofort gewusst, dass seine Vorgesetzten eine falsche Entscheidung getroffen hatten. Diese Giptels änderten ihre Einstellungen und Gewohnheiten niemals, und als er sah, dass der Deserteur der große Blonde war, der ihm so schwere Verletzungen zugefügt hatte, war er sich seiner Sache völlig sicher. Wegen seines Gesundheitszu456 Standes wurden ihm nur leichte Pflichten auferlegt. Also war es für ihn kein Problem, sich herumzutreiben und dem Großen unauffällig zu folgen. Als er in dieser Nacht beobachtete, wie sich Garvin Jaansma leise davonschlich, verspürte er eine triumphale Gewissheit. Endlich würde er die beiden Verräter entlarven, und er würde nicht nur die Gelegenheit zur Rache erhalten, sondern für seine Klugheit belohnt werden. Er folgte Jaansma durch den Korridor. 34 Lompa beobachtete, wie Garvin sich davonschlich, als wäre er ein Hund - was er in Lompas Augen auch war. Der blonde Giptel nahm die Treppe nach unten, und Lompa zählte bis drei, bevor er ihm folgte. Er machte auf dem Treppenabsatz Halt und wagte einen Blick um die Ecke. Sein Opfer war noch ein Stockwerk weiter hinuntergegangen. Lompa folgte ihm mit leisen Schritten, bis Garvin plötzlich aus einer seitlich gelegenen Nische sprang. Lompa wollte schreien, doch Garvin hatte seine Kehle gepackt und drückte immer fester zu. Die Welt wurde dunkel und schrumpfte zu einem Stecknadelknopf. Dann zuckten Lompas Füße und schlugen gegen die Wand. Der Mann erschlaffte, und gerade als Garvin ihn zu Boden sinken ließ, öffnete sich eine Tür. Einer von Poyntons Wächtern trat hindurch, mit schussbereitem Gewehr. Als sich der Lauf hob, gab es keine andere Möglichkeit mehr. Garvin duckte sich, zog die Pistole aus dem Gürtel und feuerte. 457 Der Schuss hallte durch das Gebäude. Lichter gingen an, und Rufe ertönten. Garvin machte sich auf den Rückweg zu seinem Zimmer, doch dann hörte er Schritte, die sich schnell von oben über die Treppe näherten. Er schoss dreimal in schneller Folge - das universelle Zeichen für eine Notlage - und hoffte, dass Njangu die Botschaft mitbekam. Dann flüchtete er zum Ausgang. Dort hielt eine Frau Wache, die ihren Blaster auf ihn richtete. Garvin erschoss sie, nahm ihre Waffe an sich und riss ihr außerdem den Munitionsgurt ab. Eine Kugel schlug über ihm in die Wand, und automatisch erwiderte er das Feuer. Er rannte zur Hinterseite des Gebäudes, als sich eine Tür öffnete und Njangu Yoshitaro herausschlüpfte. »Wie es scheint, hast du's verpatzt«, begrüßte er ihn. »In Zukunft werde ich dir nicht mehr erlauben, alleine Spaß zu haben.« »Komm jetzt«, sagte Garvin. »In einer Sekunde wird uns ganz Eckmuhl auf den Fersen sein.« »Es klingt, als wäre es längst so weit«, sagte Njangu. Augenblicke später waren sie draußen auf der nächtlichen Straße. Garvin nahm sich die Zeit, einen großen Mülleimer vor die Tür zu schieben, dann rannten sie durch die engen Gassen und bogen immer wieder ab. »Woher bist du gekommen?«, stieß Garvin hervor. »Ich habe gestern... ein paar Umbaumaßnahmen am Wäscheschacht vorgenommen«, brachte Njangu mit Mühe heraus. »Mit Hilfe eines Seils kann man ihn jetzt als Fluchtweg nutzen. Praktisch, dass er in der Nähe des Hinterausgangs endet, nicht wahr?« Garvin schoss auf jemanden, der etwas zu neugierig wurde, und bog in eine schmale Nebenstraße ab, die sich um ein Haus herumzog und nur von einer einzigen 458 matten Straßenlaterne erhellt wurde. Sie erwies sich als Sackgasse. Der einzige Ausweg war eine Tür, die in ein heruntergekommenes Gebäude führte. »Zurück!«, rief er, dann prallte nicht weit von seinen Füßen eine Kugel vom Kopfsteinpflaster ab. Njangu trat die Tür ein und hörte Schreie. »Raus hier! Raus hier«, rief er, und 'Rauhm kamen die Treppe heruntergestürmt. Njangu schob sich an ihnen vorbei ins Haus. Garvin folgte ihm, während ein Dutzend
bewaffneter 'Rauhm um die Ecke kamen. Sie befanden sich in einem der typischen kleinen Lebensmittelgeschäfte von Eckmuhl. Die Regale waren fast leer. Njangu schnappte sich zwei Literflaschen mit Speiseöl, lief die Treppe hinauf und brüllte weiter »Raus hier!« wie ein wahnsinniger Saalordner. Noch mehr Schreie, noch mehr Rufe — und dann kamen ihnen noch mehr Männer, Frauen und Kinder der 'Rauhm entgegen. Sie kämpften sich durch das Gedränge, sahen einen bewaffneten Mann, erschossen ihn, und das Durcheinander wurde noch chaotischer. Njangu blickte durch eine offen stehende Tür und sah Stoffballen und halb fertig gestellte Kleidung. Er feuerte eine Salve in die Nähmaschine, aus der Schmiermittel spritzte. Dann schleuderte er die Kanister mit dem Öl gegen die Wand. Sie zerplatzten, und er schoss mitten in die Flüssigkeit, aber nichts geschah. »Verdammte moderne Waffen«, knurrte er, entdeckte eine Notlaterne mit Zündvorrichtung, lief quer durch den Raum, zündete sie an und warf sie in die Speiseölpfütze. Mit einem lauten Wuuusch fing das Öl Feuer, und Yoshitaro büßte seine Augenbrauen und einen großen Teil seines kurzen Haars ein. Die Schreie wurden lauter, und die 'Rauhm gerieten in Panik. Sie wollten nach draußen, bevor das gesamte 459 Gebäude in Flammen stand. Von unten waren Rufe zu hören, als jemand versuchte, Ordnung in das Chaos zu bringen. »Damit hätten wir die Hintertür gesichert. Und wohin jetzt?«, wollte Garvin wissen. »Haben wir denn eine Wahl?«, fragte Njangu keuchend. »Nach oben. Aufs Dach. Von dort werden wir zum nächsten Haus springen. Diese verdammten Mietskasernen sind alle miteinander verbunden.« Aber diese nicht. Die Nachbargebäude des siebenstöckigen Hauses waren etwas zu weit entfernt, um den Abstand durch einen Sprung überwinden zu können. Garvin legte das Gewehr ab, kramte in dem Müll, der auf dem Dach herumlag, und fand ein langes Brett. »Bete für mich«, sagte er und schleppte es zum Rand des Daches. Es schien genau die richtige Länge zu haben, sodass er es auf das Dach des nächsten Gebäudes fallen ließ, um es als Brücke benutzen zu können. Doch er hatte sich um etwa einen Meter verschätzt. Das Brett stürzte in die Straße hinunter. Sofort wurde mit Blastem nach oben gefeuert. »Man hätte dich sowieso von dem Ding runtergeschossen«, versuchte Njangu ihn zu trösten. »Und was machen wir jetzt?«, fragte Garvin. »Hoffen, dass man auf den Rauch aufmerksam wird«, sagte Njangu. »Und dass die Feuerwehr immer noch Hausbesuche macht. Wann geht die Sonne auf? In einer Stunde oder so?« Garvin betrachtete den Rauch, der aus dem Ausgang des Treppenhauses quoll. »Ich schätze, da wird niemand mehr raufkommen.« »Ich schätze, das brauchen sie auch gar nicht mehr.« Garvin hörte ein Geräusch und sah die Scheinwerfer 460 eines Gleiters, der sich über die Dächer näherte. Er sprang auf und winkte hektisch. »Die Polizei!«, rief er. »Wir sind gerettet!« Der Polizeigleiter raste über sie hinweg, flog eine Kurve und kehrte zurück. Njangu sah, wie Garvin mit der Pistole in der Hand mitten auf dem Dach stand und winkte, dann stürzte er sich auf ihn und riss ihn zur Seite, als die Automatikkanone das Feuer eröffnete und die 25-mm-Geschosse die Teerpappe und den Müll zerfetzten. »Beim nächsten Mal... versuchst du, ohne die verdammte Waffe zu winken«, stieß Njangu hervor. »Bleib ruhig liegen und stell dich tot, um Allahs willen. Vielleicht glauben sie dann, sie hätten uns erledigt.« Der Gleiter flog noch einmal vorbei, so tief, dass Garvin den Fahrtwind spürte. »Siehst du, was passiert«, sagte Njangu, »wenn du dich darauf verlässt, dass die Polizei dir hilft?« »Cent Angara«, sagte die Stimme. »Wachen Sie auf.« Der Offizier der Sektion II rollte sich von seiner Koje und schaute blinzelnd auf die Anzeigen in der Kommandozentrale. Neben ihm stand der Wachoffizier. »Sir, es wurde ein Feuer im Zentrum von Eckmuhl gemeldet, und aus dem Polizeifunk haben wir erfahren, dass zwei Heckenschützen auf dem Dach des brennenden Gebäudes außer Gefecht gesetzt wurden.« Auf den ersten Blick schien es nichts mit ihrer Aktion zu tun zu haben... aber trotzdem. »Die Bereitschaftseinheit soll ausrücken«, befahl er. »Über Eckmuhl soll ein elektronischer Vogel in Stellung gehen. So können wir wenigstens der Feuerwehr helfen. Wecken Sie Mil Rao, aber lassen Sie den Alten schlafen.« Er zögerte. »Wenn sie Heckenschützen einsetzen, ist das Ganze vielleicht 461 nur ein Ablenkungsmanöver, um die Feuerwehr anzulocken. Die Bereitschaftseinheit soll von einem, nein, zwei Zhukovs Rückendeckung erhalten.« »Noch etwas, Sir?« »Ja. Ist noch Kaffee da?« Poynton stürmte in Jord'n Brooks' Hauptquartier, einen beschlagnahmten Schnellimbiss. Ein Dutzend Komgeräte waren überall im Raum verteilt und auf verschiedene Frequenzen der Armee und Regierung justiert. Brooks ging auf und ab, während er mit halb geschlossenen Augen dem Geplapper lauschte. Er öffnete die Augen, als er zu einer Entscheidung gelangt war, und ging zu einem stummen Kom, einem interplanetaren Hochfrequenzsender. Er nahm das Mikro in die Hand und schaltete es ein. »Leviathan, hier ist Tver«, sagte er.
»Hier Leviathan«, antwortete eine Stimme. »Ich höre.« »Die Situation hat sich geändert. Leviathan wird sofort gestartet. Ich wiederhole: sofort!« »Hier Leviathan. Aktion eingeleitet.« »Die Verräter haben versagt«, erklärte Brooks. »Heute ist der Große Tag, an dem die Große Aufgabe erfüllt wird.« »Es tut mir Leid«, begann Poynton, »dass ich mich von den beiden habe täuschen lassen, und ich verspreche ...« »Schwester«, sagte Brooks ohne eine Spur von Zorn, »manchmal verhält sich jeder von uns wie ein Idiot. Wir müssen nur dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt.« »Das wird es nicht«, sagte Poynton. »Bin ich noch vertrauenswürdig genug für die Erfüllung meiner Aufgabe?« »Das hat nichts mit Vertrauen zu tun«, sagte Brooks. 462 »Wir haben keine Zeit, einen Ersatz auszuwählen und auszubilden, selbst wenn ich so entscheiden würde. Vergiss, was geschehen ist, wie ich es dir gesagt habe, und bemühe dich von nun an, deine Arbeit doppelt so gut zu machen.« Sein Lächeln wirkte aufrichtig. Poynton entfernte sich hastig, doch dann erinnerte sie sich, dass Brooks genauso gelächelt hatte, bevor er kaltblütig einen Doppelagenten erschossen hatte. Ben Dill war bereits wach, weil er nicht schlafen konnte, als die Sirenen über den Exerzierplatz von Camp Mahan hallten. »Gilt das uns?«, fragte Kang schläfrig. »Nein. Ich glaube nicht.« Sie setzte sich auf, griff nach ihrer altertümlichen Brille und schaltete das antike 3-D-Vid ein, das ihr einziges Unterhaltungsmedium war, während sie darauf warteten, Garvin und Njangu herauszuhauen. Sie zappte durch die verschiedenen Kanäle, auf denen jedoch nur der übliche morgendliche Blödsinn lief. Dann wurde nacheinander auf allen Sendern zu müde aussehenden Reportern geschaltet. »Irgendetwas ist passiert«, sprach sie das Offensichtliche aus. »Und es passiert in Eckmuhl«, sagte Gorecki, nachdem der Lärm ihn geweckt hatte. »Schon gut, schon gut«, sagte Dill. »Dann lasst uns die Kiste anwärmen. Vielleicht werden wir ja gebraucht.« »Anschließend wirst du ein ernstes Wörtchen mit diesem Idioten Garvin reden müssen«, sagte Gorecki. »Zuerst zieht er los und meldet sich freiwillig, dann treibt 463 er irgendwas mit den 'Rauhm. Der Junge sollte endlich Klarheit in die Sache bringen, Dill, denn ich habe es allmählich satt, jedes Mal ganz schnell seinen Arsch zu retten, wenn er wieder in irgendeine verdammte Falle getappt ist.« Njangu und Garvin lagen reglos auf dem Dach, während immer mehr Rauch aufstieg, der dazu auch noch immer dichter wurde, bis sie kaum noch atmen konnten. Über ihnen schwirrten summende Gleiter - Polizei, Feuerwehr und Vertreter der Medien -, und der Himmel wurde langsam grau. »Hast du irgendeine geniale Idee?« »Wenn wir uns bewegen«, sagte Njangu, »werden sie wieder auf uns schießen.« »Und wenn wir es nicht tun«, sagte Garvin, »sind wir bald nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun.« »Wenn es schon danach aussieht, dass wir es wohl nicht schaffen werden«, sagte Njangu, »könntest du mir endlich verraten, was du gemacht hast, bevor du zur Armee gegangen bist. Und ich erwarte eine ehrliche Antwort.« »Ich habe dir schon immer die Wahrheit gesagt«, erwiderte Garvin. »Ich habe einen Zirkus geleitet.« »Ach ja, richtig.« »Kein Scheiß«, sagte Jaansma. »Ich entstamme einer Familie mit einer langen Zirkustradition. Direktoren, Dompteure, ab und zu ein Hochseilartist, aber das waren eher die schwarzen Schafe in unserer weit verzweigten Familie. Meistens lief es so, dass ein Kind der Jaansmas bei einem Zirkus der Familie anfing... sei es als Clown oder Ausrufer vor den Einkaufszentren. Dann ging es auf Tour, irgendwo in der Provinz, um sich die 464 Sporen zu verdienen, bis die Karriere schließlich in einer der großen Shows von Centrum oder anderswo endete. Aber meine Eltern kamen bei einem Brand ums Leben, sodass ich bei einem Onkel landete, der nichts mit dem Familiengewerbe zu tun hatte. Er bemühte sich nach Kräften, und ich arbeitete eine Weile in der Tretmühle, aber als ich siebzehn war, habe ich mich in den ersten Zirkus geflüchtet, der einen Jaansma - irgendeinen Jaansma haben wollte. Das war im Altair-System, auf einer Welt, die Willis Schicksal hieß, ob du es glaubst oder nicht. Die Show war ein Trick, war von Anfang an Betrug. Viel hinterhältiger als die Gaunereien, von denen du mir erzählt hast. Manipulierte Glücksräder, Mädchen, Jungs, alles, was man sich wünschen kann. So ziemlich das Einzige, das ein bisschen was getaugt hat, waren die Tiernummern. Ich war der Direktor, aber da ich noch ein Junge war, konnte ich mich nicht genug durchsetzen, und die Eigentümer haben nicht auf mich gehört, wenn ich ihnen gesagt habe, dass alles den Bach runterging. Sogar die blödesten Plattfüße - die ganz normalen Bürger, die abgezockt wurden - haben es irgendwann kapiert. Also fing ich irgendwann an, mit den Artisten rumzuhängen und mir nebenbei zu überlegen, was ich als Nächstes tun könnte und wie ich meinen Ausstieg finanzieren wollte. So richtig in die Scheiße geritten haben wir uns, als ich ungefähr vier Monate dabei war. Jemand fing in der
Manege eine Prügelei an... und sie wurde immer heftiger, von Fäusten über Knüppel bis zu Messern und Pistolen. Ich hörte ein Tier schreien und sah, wie irgendein Arschloch versuchte, das Zelt anzuzünden, in dem wir die Grai hielten — das sind Pferde von der Erde. Da bin ich dann leicht durchgedreht.« 465 »Du hast ihn erschossen?«, sagte Njangu, der trotz ihrer brenzligen Lage fasziniert zuhörte. »Nicht ganz«, sagte Garvin. »Ich habe die Käfige der großen Katzen aufgemacht.« »Was hast du gemacht?« »Und den Bärenkäfig«, gestand Garvin. »Hab sie auf das Publikum gehetzt. Dann bin ich abgezischt. Schließlich bin ich auf dem Nachbarplaneten Klesura gelandet. Ich war ziemlich am Ende und hab immer wildere Geschichten gehört, wie viele Tote meine Aktion zur Folge gehabt haben sollte, und plötzlich stand ich vor diesem Rekrutierungsbüro.« »Erinnere mich gelegentlich daran«, sagte Njangu nachdenklich, »dass ich dich niemals ernsthaft verärgern sollte.« C-Cumbre Der 'Rauhm an den Kontrollen des Frachtschiffs war der beste und zuverlässigste Pilot des Bergwerks gewesen, und sein Verschwinden löste beträchtliche Verwirrung aus. Er und ein paar weitere 'Rauhm versteckten sich in einer aufgegebenen Überwachungsstation mitten im Nirgendwo und wurden durch Schiffe versorgt, die mit Sympathisanten bemannt waren und zwischen D-Cumbre und C-Cumbre pendelten. Das seltsame Objekt im Frachtraum hatte bis vor kurzem als Denkmal in einem Park gestanden und an die Zeit der ersten Siedler im Cumbre-System erinnert. Es war auf einem archaischen Gleiter montiert gewesen und hatte Geschosse abgefeuert, mit denen Schneisen in den Dschungel geschlagen worden waren. Man hatte 466 den Apparat aus dem Park gestohlen, gesäubert und wieder instand gesetzt, durch Techniker der 'Rauhm, die ohne Bedienungsanleitung nach alten Holos arbeiten mussten und nur raten konnten, was sie taten. Nach dem Test war er nach C-Cumbre geschmuggelt worden. Der Pilot steuerte den Frachter aus dem »Hangar«, einem planlos angeordneten Haufen Plastikmüll, und flog in knapp zwei Metern Höhe über dem Boden dem Horizont entgegen. »Hier ist Loy Kouro vom Matin«, bellte Loy Kouro ins Mikro, »der Ihnen die Nachrichten bringt, die Sie brauchen, wenn Sie sie brauchen. Unser Gleiter schwebt über dem verdächtigen Feuer, das in Eckmuhl ausgebrochen ist. Die Feuerwehr war bislang nicht in der Lage, in den Bezirk vorzustoßen und den Brand zu bekämpfen, weil sie von Heckenschützen der 'Rauhm-Banditen bedroht wird. Aber das Mafin-Team befindet sich über dem Schauplatz, wie Sie sehen können. Wir versuchen Ihnen mit unseren lichtverstärkenden Hochleistungskameras zwei der Heckenschützen zu zeigen, die den Fehler begangen haben, auf einen Polizeigleiter zu schießen, was sie bitter bereuen mussten. Da... wir gehen noch etwas näher heran... da sind sie... jetzt können Sie sie sehen und... Großer Gott, jetzt erkenne ich, dass zumindest einer der beiden zu den Degenerierten zu gehören scheint, die aus unserer Armee desertiert sind, um sich dem Abschaum anzuschließen, der sich selbst hochtrabend als Bewegung bezeichnet. Ja, es ist der mit dem blonden Haar... so sieht kein 'Rauhm aus! Der Matin beglückwünscht unsere Besten, 467 unsere Polizei, und wenn Sie dranbleiben, zeigen wir Ihnen weitere Bilder von dem Feuer, das immer mehr außer Kontrolle gerät...« »Dieser Hurensohn«, fluchte Gorecki, während er auf den Bildschirm starrte. »Ben, sieh dir das an. Das ist Garvin, der da auf dem verdammten Dach liegt.« »Nein«, sagte Dill. »Doch. Die Schweine haben ihn erwischt... nein, seht nur! Seine Lippen bewegen sich. Er ist noch am Leben... und Yoshitaro auch.« Er atmete tief durch. »Okay, Leute. Ich pfeife auf meine Streifen. Sattelt auf. Wir machen uns auf den Weg.« »Immer noch keine Idee?«, fragte Garvin. »Halt die Klappe. Ich denke nach.« Ein Blasterschuss schlug mit lautem Knall in ein Stück Metall, das höchstens einen Meter entfernt war. »Sie haben überall auf den Dächern Scharfschützen in Stellung gebracht«, sagte Garvin. »Allmählich macht mir die Sache keinen Spaß mehr.« »Wenigstens verringert der Rauch ihre Treffsicherheit«, sagte Njangu. »Sei nicht so pessimistisch.« »Ich bin nur realistisch.« Garvin schob eine Hand zu seiner Pistole. »Ich habe trotzdem nicht die Absicht, mich braten zu lassen.« »Geht mir genauso«, sagte Njangu. »Gib mir noch eine Minute, und wenn mir bis dahin nichts eingefallen ist, kümmern wir uns um die Scharfschützen.« »Das ist ja immerhin schon mal was«, sagte Garvin. Dills Grierson schwebte aus dem Hangar. Ben stand in der offenen Luke und überlegte, welche Lüge er benut468 zen sollte, um die Startgenehmigung zu erhalten, als ein Trupp Aufklärer, angeführt von Tak Hedley, aus den Baracken kam und zu den wartenden Cookes lief. Hedley entdeckte Dill und winkte ihn zurück. »Haben Sie die
Nachrichten gesehen?« »Ja, Sir.« »Und da wollten Sie sich zu einer Rettungsmission aufs Ross schwingen?« »Etwas in der Art.« »Warten Sie. Ich habe Erlaubnis von Mil Rao, etwas Leben in die Sache zu bringen. Der Alte steckt schon wieder in einer verdammten Konferenz mit Haemer. Falls sich wirklich Scharfschützen auf den Dächern versteckt haben, werden wir sie ausschalten, und für den Fall, dass wir schwerere Geschütze auffahren müssen, wird sich eine Zhuck-Staffel bereithalten. Rao lässt gerade den Rest der Truppe aufsatteln. Sie düsen los und hauen die zwei verdammten Idioten raus. Oder bergen ihre Leichen.« »Wir sind schon so gut wie weg«, sagte Dill und berührte sein Kehlkopfmikro. »Startet die Kiste mit Höchstgeschwindigkeit und haltet genau auf den Rauch zu. Kang, du machst jeden platt, der in der Gegend herumballert. Es wird Zeit, die Samthandschuhe auszuziehen.« C-Cumbre Der Frachter verließ das lang gezogene Tal, dessen Verlauf er gefolgt war, und befand sich nun genau vor dem Bergbauzentrum der Musth. Auf dem Landefeld standen zwei Aksai-Kampfschiffe und ein halbes Dutzend 469 Frachtschiffe, die wie aufgeblähte Samenkapseln aussahen. Am gelben, schmutzigen Himmel war nichts zu sehen. Die rund um das Hauptquartier angeordneten Raketenabschussbasen waren unbemannt. »Macht euch bereit«, befahl der Pilot. Zwei weitere 'Rauhm saßen im Hintergrund längst an den Kontrollen der Kanone; sie verzichteten auf jegliche Erwiderung. Ein dritter Mann, der neben dem Piloten saß, brachte mit reiner Muskelkraft ein 20-mm-Geschütz auf einer behelfsmäßigen Lafette in Position. »Feuert zuerst auf die Kampfschiffe der Bestien«, ordnete der Pilot an. Der Schütze eröffnete das Feuer, und Staubfahnen schössen über das Feld und hüllten die Aksai ein. Das eine brach in Flammen aus, das andere kippte zur Seite. »Gut«, lobte der Pilot, dann war er zu beschäftigt, um noch etwas zu sagen, denn sie näherten sich jetzt den Gebäuden. Ein 'Rauhm im Hintergrund legte einen schweren Schalter um, und die Kanone spuckte rhythmisch Feuer. Mit jeder Salve wurden Telex-Sprengladungen verschossen, die beim Aufprall zündeten. Sie verteilten sich über die Dächer, während das Gefährt von Schockwellen geschüttelt wurde, dann stiegen schwarzer Rauch und Flammen auf. Die Angreifer drehten kurz vor den Gebäuden ab und kehrten zu einem zweiten Anflug zurück. Als sie zum dritten Angriff ansetzten, war es zwei Musth gelungen, eine Raketenstellung zu besetzen. Eine Rakete jagte aus dem Abschussrohr und schlug in den Frachter. Er überschlug sich in der Luft, stürzte auf eines der Gebäude und explodierte. Kurz darauf detonierte etwas, das sich in dem Gebäude befand, und ließ eine schwarze Flamme hoch in die trübe Atmosphäre 470 schießen. Von den vierundachtzig Musth, die sich im Bergbauzentrum aufhielten, überlebte nur eine Hand voll. »Hier ist Tver, wir starten Plan Tumbril«, ordnete Jord'n Brooks an. Am Stadtrand von Leggett öffnete sich das Tor eines angemieteten Lagerschuppens, und ein langer Luxusgleiter, der vor sechs Monaten als gestohlen gemeldet worden war, schob sich ins Freie. Dills Grierson hatte den Schwärm der Cookes bald hinter sich gelassen und hielt genau auf die Rauchsäule zu, die aus dem Zentrum von Leggett aufstieg. Auf halber Strecke wurde er von drei Zhukovs überholt, die sich als schwarze Silhouetten vor der aufgehenden Sonne abzeichneten. »Unbekannter Grierson«, hörte Dill eine Stimme in seinem Helm. »Hier ist Cambrai. Fliegen Sie in unsere Richtung?« »Hier ist Rettungsteam Prophet Schwarz. Bestätigt.« »Schön, dass Sie dabei sind. Wir werden versuchen, unseren kleinen Brüdern, die uns folgen, den Weg zu ebnen.« »Tun Sie das«, sagte Dill und erhielt ein zweifaches Klicken als Antwort. »Gehen Sie direkt rein«, befahl Aut Chaka, »und versuchen Sie, nicht zu viele Zivilisten zu treffen.« Die Zhukovs rasten über die Unterstadt auf die Mauern von Eckmuhl zu. »Nicht zu schnell«, warnte Chaka. »Schütze! Belästigen Sie mich nicht mit Anfragen. Feuern Sie auf jedes Ziel, das sich bietet.« Ein Schütze sah Mündungsfeuer von einem Dach links 471 vom brennenden Gebäude, schwang den Hauptturm des Zhukov herum und säuberte das Dach mit dem 35-mmMaschinengewehr. Der zweite Schütze visierte eine Gruppe von 'Rauhm in den Straßen an und schickte einen Raubwürger fast senkrecht zu ihnen hinunter. »Heiliges Kanonenrohr!«, rief Garvin, als die schweren Kampfschiffe über sie hinwegzischten. »Jetzt kannst du aufhören, dir Gedanken zu machen, kleiner Bruder.« Njangu rollte zu einem Blaster. Zwei Dächer weiter sah ein 'Rauhm die Bewegung und feuerte eine Salve herüber, die Yoshitaro nur um Zentimeter verfehlte. Njangu schoss zurück und traf. »Jetzt können wir es schaffen, wenn uns der Rauch nicht umbringt«, sagte er hustend. Garvin beugte sich über die Dachkante und jagte das halbe Magazin seines Blasters auf die Straße. »Ich hoffe
sehr, dass alle guten Jungs und Mädchen jetzt friedlich schlafen«, murmelte er und suchte nach einem speziellen Ziel. Er sah drei 'Rauhm, die sich zwei Blocks weiter aus einem Fenster lehnten und mit einer Waffe aus Militärbeständen zielten. Garvin feuerte. Dann wurde das schrille Heulen der Cookes immer lauter, die wie ein Moskitoschwarm über Eckmuhl herfielen. »Ich möchte«, sagte Lir zu ihrem Piloten, »dass Sie jetzt...« Das Triebwerk des Cooke stotterte und fiel schließlich ganz aus. »Oh, verdammt!«, fluchte sie. »Wenn wir abstürzen, suchen Sie sich wenigstens ein lohnendes Ziel aus.« »Ich habe ihn noch einigermaßen im Griff, Boss«, sagte der Pilot und zerrte an den Kontrollen. »Wie wäre es mit dem kleinen runden Gebäude da drüben?« 472 »Bringen Sie die Kiste einfach nur runter«, ordnete Monique an. »Fliegen macht mich nervös.« Der Cooke landete schlitternd auf dem Dach des Gebäudes, und das Beta-Team sprang nach draußen. »Zuerst kümmern wir uns um alles, was über uns ist«, rief Lir. »Dann machen wir die Ratten unter uns fertig.« Eine Stichflamme schleuderte die Dachluke in die Luft. »Es kommt näher«, schrie Garvin, um den prasselnden Lärm des Feuers zu übertönen. »Zu nahe«, stieß Njangu hervor. Garvin fiel zum ersten Mal auf, dass sein Freund etwas angesengt aussah. »Bist du nicht etwas zu jung für Haarausfall?« »Liegt in meiner Familie«, krächzte Njangu. »Sieh zu, dass...« Eine Kugel prallte vom Dach ab und durchschlug Garvins Schulter. Njangu fuhr herum, entdeckte den Schützen auf einem Dach und erschoss ihn. Garvin ging plötzlich in die Knie. »So ein Schuss tut ganz schön weh«, sagte er nachdenklich. »Blödsinn! Willst du mich jetzt etwa im Stich lassen?« »Weiß nicht«, stieß Garvin mühsam hervor. »Aber ich könnte jetzt gut eine Schmerztablette und einen tröstenden Kuss vertragen.« »Dummerweise ist mir beides gerade ausgegangen. Vielleicht...« Ein langes, scheckiges Monstrum tauchte aus dem Rauch auf und senkte sich aufs Dach. Die Luke öffnete sich, und Ben Dills Kopf wurde sichtbar. Kang war an seiner Seite. »Kommt endlich!«, rief Kang. »Ich will meine Kanone euretwegen nicht zu lange allein lassen!« Njangu und Garvin taumelten zur Rampe hinüber. Ein 473 'Rauhm schoss auf sie, und das Geschoss prallte neben Yoshitaro an der Metallpanzerung ab. Er schaffte es noch, lässig mit zwei Fingern zu salutieren, bevor sich die Rampe schloss und der Grierson mit voller Beschleunigung davonraste. »Sehen Sie sich diese verdammten Rebellen an!«, sagte Hedley. »Und alle haben verdammte Waffen! Trupp Alpha ... landen Sie auf dem offenen Platz da unten, und rücken Sie teamweise vor.« Die Cookes gingen runter, und die Soldaten der Aufklärungskompanie strömten heraus. Die 'Rauhm wichen vor ihrem Feuer zurück und zogen sich tiefer in das verwinkelte Labyrinth von Eckmuhl zurück. Hedley griff nach einem Mikro. »Lanze Sechs, hier ist Prophet Sechs.« Raos Stimme meldete sich. »Prophet Sechs, hier ist Lanze Sechs. Sprechen Sie.« »Ich habe es hier mit jeder Menge Banditen zu tun, und sie wollen sich unbedingt mit uns prügeln. Wir könnten jeden Mann gebrauchen, den Sie noch entbehren können.« »Hier ist Lanze Sechs... das Erste Regiment wurde in Marsch gesetzt. Ihre Leute sollen Sie zu den Zielen führen.« »Alles klar«, sagte Hedley. »Wir helfen gerne aus. Prophet Sechs Ende.« Eckmuhl war nun keine sichere Zuflucht mehr. Ton Milot hatte sich seinen Blaster über die Schulter gehängt und drei tragbare Raketenwerfer unter den Arm geklemmt. Neben ihm stand eine Kiste Munition. Er kauerte hinter einem Denkmal, das zur Unkenntlichkeit 474 zerschossen war, sodass er nicht sagen konnte, an wen oder was es erinnern sollte. Nimm dir einen Augenblick Zeit, um über die Lage nachzudenken. Du möchtest nicht losziehen und etwas Dummes tun und erschossen werden. Die anderen Jungs sind hier drüben... und die 'Rauhm sind da drüben. Also sollte ich lieber meinen Arsch in Bewegung setzen, am besten gestern, und mich von dieser blöden Statue weg und aus der Schusslinie bringen. Er schnappte seine Sachen, sprang ins Freie, rannte weiter und sah, wie um ihn herum die Kugeln in den Straßenbelag schlugen. Doch er erlaubte seinem Verstand nicht, sich der Tragweite der Situation bewusst zu werden. Na los, nur noch fünfundzwanzig Meter. Das schaffst du spielend, genauso wie im Training. Die Kugeln werden dich niemals wirklich treffen, du machst das gut, richtig gut... Etwas traf sein Bein, und er stürzte der Länge nach hin. Er schmeckte Dreck und Blut, roch Rauch und spürte Schmerz, als würde eine glühende Zange an seinem Bein zerren. Er sah Blut, und weitere Kugeln zersiebten in seiner Nähe den Boden. Er spürte einen Stoß, sah, wie Blut seine Uniform tränkte und schwarz werden ließ. Er konnte sich nicht mehr bewegen und kam zu dem Schluss, dass das dann wohl das Ende war, dass er auf diesem gottverdammten, dreckigen, sonnenbeschienenen Platz sterben würde, dass er die Boote oder Lupul nie mehr wieder sehen würde, dass...
Plötzlich packte ihn jemand am Rücken seiner Kampfweste und zerrte ihn mit sich. Schmerzen jagten durch jede Faser seines Körpers, aber er biss sich auf die Lippen. Nein, verdammt, ich werde jetzt nicht schreien! Dann war die Sonne weg, und er war im Schatten, wurde umgedreht, und Hände rissen seine Hosenbeine 475 auf. Verschwommene Gestalten über ihm wurden zu Menschen, und er sah einen der Truppensanitäter und neben ihm Hank Faull. »Wie zum Teufel seid ihr hierher gekommen? «, krächzte Milot. »Ihr gehört zum Vic-Team, nicht wahr?« »Wir haben gesehen, wie du angeschossen wurdest«, sagte Faull. »Da dachten wir uns, dass du vielleicht Hilfe gebrauchen kannst.« »Hank, mein Freund, mein Vater, meine Mutter, mein Bruder«, sagte Milot. »Ich schenke dir alles, was ich besitze. Du kannst dich von nun an auf meine Kosten besaufen, bis die Sonne schwarz wird. Wenn du jemals deine Frau betrügen willst, besorge ich dir ein Mädchen und ein Alibi.« Faull grinste und schien etwas sagen zu wollen, doch dann nahm sein Gesicht einen erstaunten Ausdruck an. Er brach über Ton Milot zusammen, als wären plötzlich alle Knochen in seinem Körper weich geworden. Ein anderer Soldat kam und zerrte ihn weg. Nun sah Ton Milot das faustgroße Loch in Hank Faulls Rücken. »Nein«, stieß Ton Milot hervor. »Das kann nicht sein. Das kann nicht sein!« Dann wurde das Universum um ihn herum schwarz. Der Sanitäter rief: »Ich brauche einen Gleiter, verdammt! Ich hab hier einen Exitus und einen kritischen Fall. Kommt schon, Leute!« »Sie sind in dem Gebäude da drüben, Petr«, sagte Penwyth. »Da kriegen wir sie nur mit einem Luftangriff raus. Diese verdammte Tür besteht aus solidem Stahl oder so, und sie haben die Fenster mit Sandsäcken verbarrikadiert. Abgesehen davon, dass wir ziemlich in der Unterzahl sind.« 476 »Vielleicht«, sagte Kipchak. »Oder auch nicht. Gib mir mal das MG.« Die beiden Männer hockten in einem Ladeneingang schräg gegenüber dem großen Gebäude, in dem sich etwa fünfzig 'Rauhm befanden. Die übrigen Mitglieder des Alpha-Teams hatten entlang der Straße Stellung bezogen. Penwyth leckte sich über die Lippen, lief geduckt zum Nachbargeschäft und kehrte mit dem Maschinengewehr zurück. Er gab sich alle Mühe, den Kugelhagel und die zwei toten Mitglieder der Aufklärungstruppe, die neben dem MG gelegen hatten, zu ignorieren. »Hol mir etwas als Unterlage«, befahl Kipchak. Erik sah sich stirnrunzelnd um, dann entdeckte er ein Bügeleisen und vier Wäschesäcke, die er vor seinem Kameraden auftürmte, sodass Kipchak die Waffe darauf abstützen konnte. »Siehst du das kleine kaputte Fenster?«, fragte Kipchak. »Oh ja. Von dort aus wurde ich gerade beschossen.« »Schieß mich ein.« »Was?«, fragte Erik. »Ich sagte, schieß mich ein. Wie auf dem Schießstand. « »Ach so. Gut.« Kipchak feuerte einen Schuss ab. »Äh... zu hoch. Und mehr nach links.« Kipchak schnaufte, bewegte das Visier ein Stück und schoss ein zweites Mal. »Immer noch zu hoch, aber genau in der Mitte.« Die nächste Kugel. »Die habe ich nicht gesehen. Ich glaube, das war ein Treffer. Ja, du hast ins Fenster geschossen.« 477 »Jetzt fixieren wir das Ding.« Sie legten Gewichte gegen das zweibeinige Stativ des Maschinengewehrs. »Und nun werde ich dir etwas zeigen«, sagte Petr. »Die Wand ist von außen schön kugelsicher, nicht wahr?« »Richtig.« Petr stützte sich auf den Kolben des MG und jagte zwanzig Patronen in das kleine Fenster. Er legte eine kurze Pause ein, dann ließ er zwanzig weitere folgen. Wieder eine Pause, dann der Rest des Gurts. »Mehr Munition«, befahl er, aber in diesem Moment öffnete sich die Tür zur Bank - falls es wirklich eine Bank war -, und verletzte 'Rauhm kamen herausgewankt. Sie wedelten mit weißen Stofffetzen, Taschentüchern und sogar Papierzetteln. »Von außen kugelsicher heißt auch von innen kugelsicher«, sagte Kipchak zufrieden. »Kein Bandit hält es für längere Zeit aus, wenn ihm von allen Seiten die Kugeln und Querschläger um die Ohren fliegen.« Niemand außer ein paar Radartechnikern bemerkte, dass der Luxusgleiter hoch in den Himmel emporstieg. Leggett war nur noch ein kleiner Punkt auf der Oberfläche. Griersons fielen in Eckmuhl ein, und Soldaten stürmten los. Die Aufklärer hielten sich bereit, sie einzuweisen. »Folgen Sie mir einfach«, sagte ein völlig verdreckter Soldat zu einer Gruppe von Offizieren. »Ich bringe Ihre Leute dorthin, wo sie gebraucht werden.« Der befehlshabende Aut sah den Mann, der keine Abzeichen trug, misstrauisch an. »Ihnen folgen? Dürfte ich Sie nach Ihrem Rang fragen?« »Ich bin Cent Radcliffe«, sagte der Gefreite Penwyth.
»Und ich bin persönlich von Mil Rao beauftragt worden.« »Oh. Dann dürfte alles seine Ordnung haben«, sagte der Aut. »Kommt, Soldaten!« Njangu erhob sich überrascht, als Garvin durch den Krankenhauseingang hinausspazierte. Sein Freund trug einen übergroßen Overall, und eine Schulter wirkte dicker als die andere. »Na so was!«, sagte Njangu. »Ich dachte, du würdest in deinem Krankenbett flachliegen, versuchen, die Schwestern in den Hintern zu kneifen, und wärst zu schwach, um Besucher empfangen zu können.« »Dazu wollten sie mich überreden«, sagte Garvin. »Aber ich fand die Idee nicht so gut.« »Warum nicht? Ein paar nette, ruhige Tage nach der Hölle, durch die wir gegangen sind. Sich zurücklehnen, entspannen und endlich mal ausschlafen.« »Hm-hm. Das werde ich machen, sobald ich mir eine Kampfweste und einen Blaster geschnorrt habe.« »Wie bitte?« »Ich habe geschworen, dass ich Tver - der übrigens in Wirklichkeit Brooks heißt - töten werde, sobald ich die Gelegenheit dazu erhalte. Also verschaffe ich mir jetzt die Gelegenheit.« »Mensch, Garvin! Ich hatte kaum genug Zeit, um zu duschen, und du willst schon wieder mitten in die Scheiße springen! Bist du geil auf Orden oder so was?« »Niemand hat gesagt, dass du mitkommen musst.« »Als ob das eine Rolle spielen würde«, brummte Njangu. »Also gut. Besorgen wir uns ein paar Knüppel. Hast du eine Ahnung, wo wir den Burschen finden könnten?« 479 »Ja. Aber ich verrate es dir erst, wenn wir das Zielgebiet erreicht haben. Sonst könntest du dich vergessen und ihn töten, bevor ich dazu komme.« »Ist der Zünder eingestellt, Bruder?« »Ja.« Der Pilot des Luxusgleiters neigte den Kopf und bewegte lautlos die Lippen. »Dann geht es jetzt los. Möge der Eine unserer Aufgabe seinen Segen spenden.« Er drückte den Steuerknüppel nach vorn, und die Nase des Gleiters senkte sich. Er raste immer schneller in die Tiefe und schüttelte sich immer heftiger, bis der Bordcomputer die Bremsklappen ausfuhr und das Schütteln aufhörte. Der Pilot zwang sich, seinen Freund nicht anzusehen, der neben ihm saß. Er wollte auch nicht auf das Blau der Bucht und das Weiß der Häuser von Eckmuhl blicken, das nun vom Rauch getrübt war. Dort kannte und liebte er jede Gasse. Alles, was für ihn noch existierte, war die größer werdende Festung genau unter ihm. Den Wachtposten vor den Toren des Hauptquartiers der Planetaren Regierung blieb nur ein kurzer Moment, auf den Überschallknall zu reagieren, nach oben zu blicken und den verwaschenen schwarzen Gleiter zu sehen, der fast senkrecht herabstürzte - genau auf das Buntglasmosaik der Kuppel über dem Hauptkonferenzraum zu, wo fast alle Angehörigen der Regierung von D-Cumbre soeben eine Besprechung beendeten, die den ganzen Tag gedauert hatte. In der Explosion starben Generalgouverneur Wilth Haemer und die meisten Mitglieder seines Stabes; etwa die Hälfte der Zinser, die dem Kuratorium angehörten, 480 einschließlich Bampur und Loy Kouros Vater, der Verleger des Matin; ebenso Godrevy Mellusin, Jasiths Vater; Major Gothian von der Polizei, der Leiter des Nachrichtendienstes der Planetaren Polizei; weiterhin Caud Jochim Williams und seine Adjutanten sowie die Leiter der Sektion II (Geheimdienst), der Sektion III (Einsatzkommando) und Sektion V (Zivile Koordination). Jord'n Brooks betrachtete das Holo, das das Zentrum von Leggett zeigte, den Kessel der Vernichtung, wo einst die Planetare Regierung residiert hatte. Dann hängte er sich seinen Blaster über die Schulter und verließ die Bar. »Es sind genug Worte gesprochen worden«, sagte er. »Jetzt ist für uns die Zeit gekommen. Die Zeit, sie alle zu töten.« Er lächelte. 35 Die 'Rauhm verließen Eckmuhl in Scharen. Einige von ihnen gehörten zu disziplinierten Kommandotrupps, die die ihnen zugewiesenen Aufgaben erfüllten. Andere suchten nur nach Vergeltung oder Möglichkeiten zum Plündern. Etwa zweihundert ausgebildete Krieger griffen die Ruinen der Regierungsbastion an. Sie hatten den Befehl, keinen Staatsdiener am Leben zu lassen und sämtliche Dokumente zu vernichten, von Polizeiakten bis Landbesitzurkunden. Die Feuerwehrleute und Sanitäter, die in den Trümmern herumschwirrten, sahen die Truppe 481 nicht, die sich über den Boulevard näherte. Nur ein Mann bemerkte sie. Finf Rennender Bär, der Pilot von Caud Williams, lag betäubt in seinem abgestürzten Cooke. Die Explosion hatte das Fahrzeug über den Boulevard geschleudert und Rennender Bär mitgerissen, der sich verzweifelt festgehalten hatte, um nicht hinausgeschleudert und zermalmt zu werden. Der Cooke war mit zertrümmerter Windschutzscheibe gegen einen grasbewachsenen Hügel geworfen worden. Rennender Bär hatte seinen geschundenen und tauben Körper halbwegs aufgerichtet, ein Auge geöffnet und die bewaffneten Männer und
Frauen gesehen, die auf ihn zuliefen und vielleicht noch zweihundert Meter entfernt waren. Er identifizierte sie flüchtig als 'Rauhm und fragte sich, warum sie ausgerechnet ihn angreifen wollten. Er sah sich nach Caud Williams um, aber sonst hielt sich niemand in seiner Nähe auf. Er löste die Automatikkanone aus der Halterung und brachte sie in Stellung. Anschließend öffnete er eine Schachtel mit Munition, legte den Gurt mit den matt schimmernden 20-mm-Patronen ein und ließ den Verschluss zweimal einrasten, wie er es vor langer Zeit in der Ausbildung gelernt hatte. Dann schaltete er den Zielsucher ein, peilte die Gruppe der 'Rauhm an und berührte den Auslöser zwischen dem doppelten Kolben. Die Waffe ratterte los, und er bewegte sie leicht hin und her, um die ganze Formation zu bestreichen. Die handlangen Geschosse, die eigentlich dafür gedacht waren, leichte Panzerungen zu durchschlagen, rasten in die Gruppe. Körper wurden herumgewirbelt und zerfetzt, Blut spritzte. Rennender Bär hörte, wie rund um ihn Blasterkugeln explodierten, doch er achtete nicht weiter darauf. Er 482 schickte eine zweite Salve zu den 'Rauhm hinüber und schließlich noch eine. Etwas - eine Kugel, deren Geschwindigkeit fast völlig aufgezehrt worden war - traf ihn in die Seite, und er sah Blut. Aber auch darum wollte er sich jetzt nicht kümmern. Einige 'Rauhm ergriffen die Flucht, andere, die entweder mutiger oder disziplinierter waren, suchten hinter Trümmern Deckung oder gingen im Freien in Feuerposition. Rennender Bär zielte erneut und feuerte kurze Salven aus jeweils zwei oder drei Schuss ab, mit denen er die Übrigen tötete. Die Waffe verstummte, und Rennender Bär erkannte, dass die zweihundert Schuss des Munitionsgurts aufgebraucht waren. Mit vorsichtigen, langsamen Bewegungen zog er eine zweite Schachtel heran und legte einen neuen Gurt ein. Etwas lief ihm in die Augen. Er wischte es sich mit dem Ärmel ab und sah, dass es Blut war. Doch er spürte keine Schmerzen. Er bemerkte eine Gruppe von 'Rauhm, die aufgesprungen war und angreifen wollte. Er mähte sie nieder, schwang dann den Lauf der Kanone zur anderen Seite und erschoss drei 'Rauhm, die dachten, ein umgestürzter Gleiter würde ihnen als Deckung genügen. Das Gefühl der Taubheit ließ nach, als würde er allmählich aufwachen, und nun spürte er den Kratzer in seiner Kopfhaut, die Wunde in seiner Seite und eine weitere am Oberarm, die er bislang noch gar nicht bemerkt hatte. Aber all das spielte keine Rolle. Er stieß einen lang gezogenen heulenden Ruf aus, wie ihn noch niemand auf DCumbre gehört hatte, der jedoch den Kriegern vertraut gewesen war, die ein Jahrtausend zuvor am Fort Phil Kearney, am Ufer des Rosebud-Flusses, an einer Stelle, die als Little Big Hörn bekannt war, gekämpft hatten. 483 Wieder ging ihm die Munition aus, und wieder lud er nach. Er war sich bewusst, dass hinter ihm weitere Soldaten waren. Er hörte, wie sie ihre Waffen abfeuerten. Er suchte nach weiteren 'Rauhm, fand aber niemanden mehr, den er töten konnte. Ein paar flüchteten über den Boulevard, dann waren auch sie verschwunden. Der Angriff war gestoppt worden, bevor er richtig begonnen hatte. Die Straße war mit Leichen und schreienden oder stöhnenden Verwundeten übersät. Finf Rennender Bär kletterte aus dem Cooke. Jemand kam zu ihm, doch als Rennender Bär ihn ansah, wich er vor ihm zurück. Er brauchte keine Hilfe, er würde sich von niemandem helfen lassen. Langsam und stolz ging er den Boulevard entlang - dorthin, wo ein Grierson mit einem großen roten Kreuz wartete. Loy Kouro starrte Mil Rao mit leerem Blick vom Bildschirm an. »Mein Vater...«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Kam zusammen mit Gouverneur Haemer ums Leben«, sagte Mil Rao geduldig. »Genauso wie Caud Williams und zahlreiche Mitarbeiter der Planetaren Regierung. Ich habe im Namen der Konföderation das Kommando über die Streitmacht und die vorläufige Regierungsgewalt über das Cumbre-System übernommen. Ich möchte, dass meine Erklärung vom Matin -dessen Leitung nun Ihnen obliegt - und allen anderen Holo-Kanälen ausgestrahlt wird.« »Ja«, sagte Kouro. »Das ist gut. Mein Vater hätte es so gewollt. Ja, das werde ich tun.« Mil Rao unterbrach die Verbindung und wandte sich an Cent Angara. »Ich glaube nicht, dass er mich wirklich verstanden hat. Er steht unter Schock.« 484 »So geht es vielen Menschen«, stimmte Angara zu. »Wie lauten Ihre Befehle, Sir?« Rao holte tief Luft und entfernte sich ein Stück von den Kommandofahrzeugen, die nicht weit vom Haupteingang zu Eckmuhl mit heruntergeklappten Rampen im Kreis standen. »Ich werde jetzt laut nachdenken. Sagen Sie es mir, wenn ich etwas vergesse. Ist es legal, wenn ich ohne Rücksprache mit eventuellen Überlebenden der Planetaren Regierung das Kriegsrecht aufrechterhalte?« »Ich denke schon«, sagte Angara. »Außerdem dürfte es im Moment niemanden geben, der eine solche Entscheidung anfechten würde.« »Also wäre dieser Punkt erledigt. Dann ernenne ich Sie zum Ersten Offizier der Streitmacht und Hedley zum Leiter der Sektion II. Das Einsatzkommando... werde ich vorläufig selbst übernehmen und abgeben, wenn sich der Rauch verzogen hat. Die Zivile Koordination ... wir werden später jemanden suchen, der Ausreden und Presseerklärungen vorbringen kann, wenn das Töten aufgehört hat.« Er entdeckte Hedley, der sich mit zwei Soldaten der Kommandogruppe näherte. »Tak Hedley! Hierher!« Die drei kamen zu ihm, und Rao informierte den Tak über seine Beförderung. »Damit sind Sie jetzt ein Cent oder vielleicht auch ein Aut. Ich mache mich
später sachkundig, welchen Rang Sie jetzt bekleiden sollten.« »Ja, Sir.« »Wer sind diese beiden Männer?« »Unsere Agenten, die in Eckmuhl im Einsatz waren. Wir haben sie in letzter Sekunde herausgeholt. Finf Jaansma und Gefreiter Yoshitaro.« »Oh. Richtig. Gut gemacht. Sie beide haben ab sofort 485 den Rang eines Dec.« Rao hakte auch diesen Punkt als erledigt ab. »Lassen Sie mich der Reihe nach überlegen. Zuerst ziehen wir das Erste Regiment aus Eckmuhl zurück. Die 'Rauhm sind bereits an zwei Stellen durchgebrochen und verteilen sich in Leggett. Wir müssen uns nach Camp Mahan zurückziehen, uns neu formieren und...« »Sir! Das dürfen Sie nicht tun!« Rao erstarrte und fixierte Garvin mit eiskaltem Blick. »Kann es sein, dass ich mich verhört habe, Dec?« »Nein, Sir, ich bitte um Verzeihung, Sir, aber das dürfen Sie wirklich nicht tun«, fuhr Jaansma fort. Hedley, der hinter Rao stand, machte hektische Zeichen, dass er die Klappe halten sollte, wenn ihm sein Leben lieb war, und Njangu versuchte so auszusehen, als wäre er ganz woanders. »Sir, wir haben den 'Rauhm namens Brooks kennen gelernt. Er ist so etwas wie der Anführer der Bewegung. Jedenfalls hat er am meisten zu sagen.« »Für so etwas habe ich jetzt keine Zeit, Soldat.« »Es tut mir Leid, Sir, aber das ist wirklich wichtig, Sir. Gefreiter... ich meine, Dec Yoshitaro weiß sehr viel über diesen Mann. Nicht wahr, Njangu? Er weiß, was er als Nächstes tun wird.« »Ich höre«, sagte Rao mit gefährlich kalter Stimme. »Und ich hoffe, dass ich nicht den zwei kurzlebigsten Decs in der Geschichte der Streitmacht zuhöre.« Njangu warf Garvin einen strengen Blick zu, aber jetzt gab es für sie kein Zurück mehr. »Ja, Sir. Sein Geheimdienst wird von einer Frau namens Poynton geleitet, von der ich eine Menge erfahren habe. Seine Problemlösungsstrategie besteht darin, hart zuzuschlagen. Er steht in vorderster Front. Aber wenn etwas schief geht, bricht er den Kontakt sofort ab. Er glaubt, dass die Bewe486 gung wichtiger als alles andere ist und nicht gefährdet werden darf. Wenn er heute verliert, wird es morgen oder nächstes Jahr neue Kämpfer geben. Poynton hat mir erzählt, dass er es war, der die 'Rauhm aus dem Dschungel in die Städte geführt hat, wo es einfacher war, zu kämpfen und sich zu verstecken.« »Was sollte ich also tun?« Raos Stimme klang nicht mehr so kalt. Hedley war plötzlich sehr froh, dass Williams nicht mehr da war, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass dem verstorbenen Caud in dieser Situation etwas anderes eingefallen wäre, als ein Exekutionskommando anzufordern. »Schlagen Sie dort zu, wo die 'Rauhm Eckmuhl verlassen, Sir«, sagte Garvin. »Und schlagen Sie so hart zu, dass sie nicht nur aufgehalten, sondern ausgelöscht werden. Dann erwischen Sie möglicherweise auch Brooks, und das könnte der Bewegung das Rückgrat brechen. Und zeigen Sie keine Gnade gegenüber den Versprengten, wenn der Ansturm nachlässt. Dann wird sich dieses Problem vielleicht endgültig lösen lassen.« Rao nickte. »Vielen Dank, Dec. Wenn Sie und Ihr Kamerad uns jetzt entschuldigen würden...« Garvin salutierte, dann entfernten er und Njangu sich eilig. »Nicht schlecht, Großmaul«, murmelte Njangu. »Du wolltest eine Chance, dich an diesem Scheißkerl zu rächen«, sagte Garvin. »Wenn wir jetzt die Hände in den Schoß legen, wird er sich wieder in den verdammten Dschungel zurückziehen, und wir müssen noch einmal ganz von vorn anfangen und diese verdammten Hügel durchkämmen.« »Vielleicht hast du Recht. Also - was jetzt?« »Jetzt werden wir uns Dill holen«, sagte Garvin ent487 schlössen, »und anschließend Petr suchen und dann auf die Jagd gehen.« »Oh, welche Freude!«, sagte Njangu. »Es gibt nichts Schöneres, als inmitten des allgemeinen Wahnsinns einen kleinen Privatkrieg zu führen.« Mil Rao sah den zwei Soldaten nach. »Was er gesagt hat, klingt vernünftig. Aber woher sollen wir die Leute nehmen?« »So schlecht sieht es gar nicht aus«, sagte Angara. »Wir haben noch das Zweite Regiment als Reserve. Setzen Sie es zusammen mit dem Ersten in Eckmuhl ein. Rufen Sie alle unabhängigen Einsatzkommandos zurück, und damit haben wir das Vierte Regiment als Reserve.« »Was ist mit den anderen Städten? Die 'Rauhm schlagen auf ganz D-Cumbre zu... und die Polizeitruppen der Bergbaugesellschaften auf C-Cumbre können die Stellung auch nicht mehr lange halten.« »Wenn wir Leggett verlieren«, sagte Angara, »haben wir sowieso keine Chance mehr.« »Stimmt«, sagte Rao. »Und ich muss aufhören, so zu denken wie... wie wir bisher mit Problemen umgegangen sind. Sie haben das Dritte Regiment nicht erwähnt.« »Das Dritte heben wir uns für die Drecksarbeit auf«, sagte Angara. »Sammeln Sie die Militärpolizei der Streitmacht und schicken Sie sie mit Lautsprechern in die Straßen. Sie sollen bekannt geben, dass auf jeden, wirklich jeden, der bewaffnet herumläuft, geschossen wird. Das Dritte Regiment stößt dazu und sorgt für die
konsequente Umsetzung des Befehls. Treiben Sie die 'Rauhm nach Eckmuhl zurück und töten Sie alle, die die Zinser als Bürgerwehr losgeschickt haben, genauso wie irgendwelche Plünderer.« 488 »Das dürfte zu einer recht hohen Anzahl von unschuldigen Todesopfern führen.« »Wenn alles vorbei ist, bekunden wir unser tiefstes Bedauern und leisten Entschädigungszahlungen. Das ist kein Problem, wenn niemand mehr schießt. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass dieser verdammte Planet anschließend anders regiert wird. Sonst kehren die Söhne der Bewegung in fünf oder zehn Jahren zurück.« Rao dachte einen Moment lang nach. »Wissen Sie«, sagte er, »wenn man Berichte über große Schlachten und Kriege liest, scheint es immer einen ganz bestimmten Zeitpunkt zu geben, der für die Entwicklung entscheidend war. Ist dies so ein Zeitpunkt? Wenn ja, dann wird mir verdammt unwohl, weil ich vor langer Zeit erkannt habe, dass mir die Stiefel eines Generals eine Nummer zu groß sind.« »Ich weiß es nicht, Sir«, sagte Angara aufrichtig. »Aber was haben wir zu verlieren? Wir sind von der Konföderation abgeschnitten, die Musth werden uns nach dem Angriff auf ihr Bergbauzentrum wahrscheinlich den Arsch aufreißen, und früher oder später wird auch Redruth wieder aufkreuzen. Wenn es dann drunter und drüber geht, wäre es mir lieber, wir müssten uns keine Sorgen darum machen, dass uns jemand in den Rücken fällt.« Rao nickte grimmig. »Sie haben es völlig richtig erkannt. Was haben wir schon zu verlieren?« Der Vorstoß der 'Rauhm in Leggett gliederte sich in drei Teilangriffe. Der erste, der sich gegen die Ruine des Regierungssitzes richtete, wurde von Rennender Bär gestoppt. Der zweite war bewusst als Mischung aus Offensive und Volksaufstand geplant und sollte im Stadtzen489 trum so viel Schaden wie möglich anrichten, die Bürger von Leggett demoralisieren und von den anderen zwei Angriffen ablenken. Der dritte zielte auf die traditionellen Feinde der 'Rauhm, auf die Oberstadt, den Distrikt der Zinser im Südwesten der Stadt. Dec Nectan, der Leiter des Alpha-Teams, duckte sich, als eine Rakete an dem großen Baum explodierte, hinter dem er Deckung gesucht hatte. Der Stamm knirschte und ächzte, aber er hielt stand. Nectan feuerte einen Schuss ab, obwohl er genau wusste, dass er nichts treffen würde. Er blickte sich zu den Soldaten um, von denen einige zu seinen Aufklärern gehörten und andere aus Infanterieeinheiten kamen, die sich ihm irgendwann angeschlossen hatten. Aspirant Vauxhall kroch zu ihm herüber, duckte sich, als ein Geschoss Staub aufwirbelte, und brachte sich schließlich in Sicherheit. »Sie haben uns eingekreist«, sagte Nectan. »Wie sieht Ihr Plan aus?« »Die Sache aussitzen«, sagte Nectan. »Das ist keine gute Idee«, sagte Vauxhall. »Wie es aussieht, wollen sie uns festhalten, während die übrigen Schweine den Ring um unsere Flanken schließen.« »Okay, Boss«, sagte Nectan. »Dann sind Sie jetzt am Zug.« »Lassen Sie uns versuchen, sie aus ihren Löchern zu treiben«, sagte Vauxhall. »Ich schnappe mir einen Cooke und nehme sie unter Beschuss. Anschließend stürmen Sie mit den Truppen vor und schlagen mit aller Härte zu.« »Ich weiß nicht«, sagte Nectan. »Unsere Leute wären völlig ungeschützt, wenn die 'Rauhm über Luftabwehr verfügen.« 490 »Ach was!«, sagte Vauxhall. »Haben Sie schon mal einen 'Rauhm gesehen, der schießen kann?« Nectan überlegte, ob er ihm antworten sollte. Ja, das hatte er, und er hatte schon einige Männer und Frauen beerdigt, die es ebenfalls nicht für möglich gehalten hatten. Aber er entschloss sich, nichts zu sagen. »Geben Sie mir fünf Minuten«, sagte Vauxhall. Er kroch wieder zurück. Nectan schüttelte den Kopf, dann rannte er von Baum zu Baum und erteilte Anweisungen. Fünf Minuten verstrichen. Schließlich hörte Nectan im Kampflärm das Heulen einer Turbine. »Bereitmachen!«, rief er, dann kam ein ramponierter Cooke im Tiefflug um eine Ecke gerast. Den Piloten konnte er nicht identifizieren, aber er sah Vauxhall hinter dem Geschütz. Die Kanone blasterte Löcher in Geschäftsfassaden und ließ Staub rieseln. »Los! Wir greifen an!«, rief Nectan. Er sah den Blitz nicht, aber er hörte den Knall, als eine Rakete in das Cockpit des Cooke schlug und der Gleiter explodierte. »Angriff fortsetzen! Weiter!«, rief er. Die Reihen rückten vor. Die Infanteristen waren angeschlagen, aber sie bewegten sich immer schneller, und ihre Blaster feuerten unablässig. »Die gottverdammten 'Rauhm machen in ihrem Ghetto Hackfleisch aus uns«, sagte Cent Rivers. »Wir brauchen Verstärkung.« »Wir haben niemanden mehr«, sagte Rao mit ruhiger Stimme. »Die unabhängigen Einheiten kehren nur tröpfchenweise zurück... die 'Rauhm setzen ihnen da draußen heftiger zu, als wir erwartet haben. Sie müssen mit dem auskommen, was Sie haben.« Rivers nickte knapp und lief zu ihrem Grierson zurück. 491
»Die Angelegenheit«, sagte Rao sehr leise zu Angara, »bleibt kritisch.« Lir ließ eine lange Salve aus ihrem MG in das Luxuskaufhaus rattern. Feuer brach aus und schloss die Plünderer ein, die sich darin verschanzt hatten. »Das ist wie Fliegen klatschen.« »Vorsicht, Monique«, warnte Senior-Tweg Gonzales. »Wer so denkt, wird nicht lange überleben.« »Das heißt nicht, dass ich nachlässig werde!« »Gut so«, sagte er. »Was glaubst du, wie ich so viele Kriege überlebt habe?« Lir wollte etwas dazu sagen, als sie aus dem Augenwinkel sah, wie etwas auf ihre Stellung zuflog. »Granate!« Sie warf sich zu Boden. Die Granate prallte auf den Boden, rollte ein Stück weiter und blieb neben Gonzales und drei anderen Aufklärern liegen. Im Lärm konnte Lir das leise Summen der Sicherung hören, dann sagte Gonzales leicht verärgert: »Ach, du Scheiße!« und rollte sich auf die Granate. Mit einem dumpfen Knall ging sie hoch und schüttelte seinen Körper durch. »Gottverdammte Hölle!«, sagte Lir, und der Soldat unmittelbar neben ihr war überzeugt, dass er einen kurzen Moment Tränen in ihren Augen gesehen hatte. »Los, ihr Arschlöcher!«, schrie sie. »Lasst uns für Gonzales ein paar Kobolde kaltmachen!« Ihre Stimme klang sehr sicher und selbstbewusst. Es gab 'Rauhm, die einen schnellen Tod hatten. Zu ihnen gehörte Limnea. Ihre Gruppe traf auf eine Patrouille des Zweiten Regiments, und ihr Anführer wurde sofort getötet. Die 'Rauhm zögerten und hätten beinahe kapitu492 liert, doch Limnea schrie ihnen zu, in Deckung zu gehen und das Feuer zu erwidern. Die Soldaten griffen an, und sie befahl der Gruppe, sich auf eine größere Kreuzung zurückzuziehen. Sie besetzten den hüfthohen Betonstand für den Verkehrspolizisten und ließen die Soldaten kommen. Die Truppen der Streitmacht griffen dreimal an und wurden dreimal zurückgeschlagen. Doch jedes Mal wurde das Gegenfeuer der 'Rauhm geringer. Ein Soldat stieg in den dritten Stock eines Gebäudes am Rand der Kreuzung und schickte eine tragbare Rakete in den Kreis aus Beton. Als sich der schmutzige Rauch verzogen hatte, herrschte Stille. Drei Soldaten rückten im Zickzack vor und wagten einen Blick über die Kante. Einer übergab sich, als er das blutige Durcheinander sah. Die anderen beiden, die etwas abgehärteter waren, vergewisserten sich, dass alle 'Rauhm tot waren. »Schaut euch die hier mal an«, sagte einer. »Verdammt hübsch, wenn ihr nicht der größte Teil der Eingeweide fehlen würde. Wie ist die wohl in diesen Wahnsinn reingerutscht?« Limnea öffnete die Augen. »Scheiße, sie lebt noch!« Der Soldat beugte sich über sie, und Limnea spuckte ihm einen Blutstrahl ins Gesicht, bevor sie sich verkrampfte und starb. »Was schlagen Sie vor, Cent Radcliffe?«, fragte der Offizier. »Was sollte ich schon vorschlagen?«, gab Penwyth in schleppendem Tonfall zurück. Er bemühte sich, wie einer der Eliteoffiziere zu klingen, die er aus den Holos 493 kannte. »Eigentlich können wir nichts anderes machen als angreifen.« »Angreifen? Ja, das ist es! Natürlich! Brillante Idee!«, erwiderte der Aut und wandte sich seinem Stab zu, um Befehle zu erteilen. Auf der breiten Küstenpromenade wimmelte es von 'Rauhm und armen Schluckern aus anderen Vierteln. Die Gleiter der Militärpolizei waren zweimal über die Menge hinweggeflogen und hatten sie aufgefordert, die Straße zu räumen, waren jedoch nur ausgebuht worden. Ein Cooke war von einer 'Rauhm-Gruppe abgeschossen worden, und die Besatzung hatte das Ende ihres Fahrzeugs nur wenige Augenblicke überlebt. Eine Frau schlug ein Schaufenster ein, griff sich eine Literflasche Wein, schlug ihr den Hals ab und nahm einen tiefen Schluck, den sie sofort wieder ausspuckte. »Verdammt! Total sauer! Die Reichen wissen nicht mal, was gut ist!« Sie griff nach einer anderen Flasche, die mehr zu versprechen schien, doch dann hielt sie inne, als sie ein seltsames helles Summen hörte. Sie sah, wie sich vom Meer schwere Gleiter näherten, die die Form abgeflachter Zylinder hatten und mit Geschützen und Raketenwerfern besetzt waren. Sie schwebten langsam heran, paarweise und etwa zehn Meter über dem Boden. Eine Staffel Zhukovs, die von Griersons angeführt wurden. Die Frau schrie, flüchtete sich in eine Gasse und entkam. Andere hatten nicht so viel Glück. Zuerst wurden Reizgaspatronen abgefeuert, dann mit scharfer Munition über die Köpfe der Versammelten geschossen. Trotzdem blieben viele Menschen auf der Straße, und manche erwiderten das Feuer. 494 »Eröffnet das Feuer!«, befahl der Cent, der das Kommando über die Staffel führte. Dröhnender Geschützlärm hallte durch das Herz der Stadt. »Eure Aufgabe hat sich geändert«, erklärte Brooks dem verdreckten Zellenführer der 'Rauhm. »Ihr werdet nicht mehr die Universität angreifen; ich habe ein viel besseres Ziel für euch. Die Armee hat ihr Feldhauptquartier unmittelbar vor den Mauern von Eckmuhl errichtet. Das ist der letzte Rest der Regierungsautorität, der den
Zinsern geblieben ist. Schaltet diese Zentrale aus, dann wird der Feind in die Knie gehen, denn diese Leute haben nie gelernt, selbst zu denken.« Poynton sagte nichts. Der Zellenführer nickte eifrig. »Gut«, sagte er. »Aber wir haben Verluste erlitten.« »Das sehe ich«, sagte Brooks. »Ich werde euch bei diesem Angriff begleiten, und jeder 'Rauhm, dem wir begegnen, wird sich uns anschließen. Kommt. Wir müssen uns beeilen, denn der Sieg ist in greifbare Nähe gerückt. Wir dürfen nicht scheitern.« Als die Kolonne sich neu formierte, schickte Brooks seine Komträger weg und ließ sich zurückfallen, bis er neben Poynton ging. »Wenn wir versagen sollten, was ich nicht glaube, erteile ich dir den Befehl, den Kontakt abzubrechen, alle erfahrenen Agenten zu sammeln und in den Dschungel zurückzukehren, um den Kampf von neuem aufzunehmen.« Poynton bemühte sich, keine Reaktion zu zeigen. »Wenn das deine Befehle sind... aber wenn wir scheitern, würde ich lieber an der Seite meiner Brüder und Schwestern bleiben.« »Nein!«, widersprach Brooks heftig. »Die Bewegung muss weiterleben!« 495 »Nun gut«, sagte Poynton widerstrebend. »Aber wo sollen wir uns im Dschungel sammeln?« »An dem einzigen Ort, an dem man nie nach uns suchen wird«, sagte Brooks. »In der Höhle. Dann werden wir an einen Ort umziehen, der uns noch mehr Sicherheit bietet, zur Insel Mullion. Dort werden wir die Bewegung neu aufbauen.« »Immer noch nichts?«, fragte Garvin. »Überall wird gekämpft«, sagte Ben Dill. »Aber nirgendwo sieht es besonders spektakulär aus.« Njangu warf einen Blick über die Schulter ins Truppenabteil, zu Petr Kipchak, dem Rest des Gamma-Teams und weiteren Aufklärern, die sich freiwillig dem Einsatzkommando angeschlossen hatten. »Das ist nicht gut, mein Junge«, sagte Kipchak. »Du solltest uns lieber irgendwo absetzen, damit wir etwas gegen die Kobolde unternehmen können, auch wenn es nicht das ist, wonach dir der Sinn steht.« »Eine Frage«, sagte Kang über den Interkom. »Dieser Brooks, den du dir holen willst... ist er ein richtiger Kommandant oder benutzt er Boten und Brieftauben, wie es früher die Barbaren getan haben?« »Natürlich nicht«, sagte Garvin. »Ich habe hier zufällig ein paar Sendungen aufgefangen, die auf drei bis vier Frequenzen hereinkommen, die nie von uns benutzt werden. Sie sind unkodiert, aber trotzdem schwer zu verstehen. Ich habe einen Lokator drangesetzt. Sie kommen von einer Stelle knapp hinter der Mauer von Eckmuhl, nicht weit entfernt, und sie bewegen sich auf eins der Tore zu. Sie werden fast von den Sendungen unseres Hauptquartiers überdeckt, das sich in unmittelbarer Nähe befindet.« 496 Njangu zögerte und schaute sich erneut zu Petr um. Der lächelte leicht und nickte einmal. »Garvin«, sagte Yoshitaro, »es könnte sein, dass wir den Burschen gefunden haben.« »Oder zumindest jemanden, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken sollten«, fügte Petr hinzu. »Bring uns mitten rein, Ben.« »Wird gemacht«, sagte Dill. »Kein Problem. Drück die Kiste runter, Stanislaus.« Der Grierson stieß auf Eckmuhl hinunter. Brooks' Gruppe bestand aus etwa fünfzig Männern und Frauen, größtenteils erfahrene Kämpfer, die sich schnell an der inneren Krümmung der teilweise ausgehöhlten Mauer von Eckmuhl entlang bewegten. Sie hatten noch keinen einzigen Soldaten der Streitmacht gesehen, obwohl von überall Kampflärm zu ihnen drang. Poynton erlaubte sich einen Moment der Hoffnung. Das Tor war keine dreihundert Meter mehr entfernt und dem Befehlsstand der Streitmacht sehr nahe, wenn Brooks Recht hatte. Vielleicht hatten sie wirklich eine Chance, wenn sie genügend Offiziere töteten, vielleicht würden die Zinser tatsächlich in Panik geraten und kapitulierend Auf gar keinen Fall würden sie den Mumm aufbringen, selbst zu kämpfen. Wenn also all ihre Söldner tot waren... Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als jemand aufschrie und sie den Umriss eines Grierson sah. Sie ließ sich auf ein Knie sinken, hob ihren Blaster, und die Geschütze des LKGs eröffneten das Feuer. Eine Rakete explodierte ganz in der Nähe und schleuderte sie gegen eine Wand, während neben ihr weitere Detonationen zu hören waren. Der Grierson legte eine harte Landung hin, 497 die hintere Rampe klappte herunter, und Soldaten strömten ins Freie. Die 'Rauhm gingen in Deckung, schössen zurück und wurden mit dem Feuer aus den Kanonen des Grierson und den MGs der Aufklärer eingedeckt. Eine Granate landete neben einem von Brooks' Kommunikationsleuten. Er geriet in Panik und kickte sie weg, und die Granate explodierte und tötete alle drei Komträger. Brooks war in die Knie gegangen und schoss auf die Soldaten. Er sah, wie seine Brüder und Schwestern starben, feuerte wieder, sah einen Soldaten zu Boden gehen, erkannte, dass sie keine Chance gegen die Übermacht hatten, lief geduckt los und verschwand durch eine Türöffnung in einem Tunnel in der Mauer. Garvin setzte ihm nach. »Du Idiot!«, schrie Petr und folgte ihm. Von irgendwo kam eine Salve, riss Petr von den Beinen und schleuderte ihn gegen die Mauer. Er rutschte
langsam daran herunter, blickte auf die Schmierspur an der Wand und erkannte, dass sie von seinem eigenen Blut stammte. Plötzlich hielt er ein kleines Messer in der Hand, dann öffneten sich seine Finger, das Messer fiel auf den Boden, und er starb. Njangu sprang mit einem Satz über seine Leiche, feuerte in die Richtung, aus der die Salve gekommen war, die Kipchak getötet hatte; dann trat er in den Tunnel, in dem es ungewohnt still war. Von draußen drang gedämpfter Explosionslärm heran, aber er gehörte nicht mehr zu seiner Welt. Vor sich erkannte er einen verwinkelten Korridor und eine Leiter, die nach oben führte. Er sah Beine und hätte fast darauf geschossen, bis ihm klar wurde, dass sie in einer Uniformhose steckten. Es war Garvin. 498 Njangu schüttelte den Kopf über so viel Dummheit. Brooks würde niemals nach oben flüchten. Also folgte er dem Korridor. Eine Kugel schoss an ihm vorbei, und Brooks tauchte aus dem Nichts auf, den Blaster erhoben, um ihn niederzuschlagen. Yoshitaro wich zur Seite aus, wurde an der rechten Schulter getroffen und stieß einen Schrei aus. Seine Finger öffneten sich, und seine Pistole fiel zu Boden. Brooks stürzte sich auf ihn und versuchte ihn zurückzudrängen, damit er genügend Platz hatte, um mit dem Blaster zielen zu können. Doch Njangu zog ein Knie hoch. Brooks schrie, taumelte zurück, und Njangu schlug ihm die Waffe aus der Hand. Doch schon im nächsten Moment griff Brooks wieder an. Seine kräftigen Bergarbeitermuskeln stießen Njangu zurück, und eine Faust grub sich in seine Eingeweide. Njangu schnappte verzweifelt nach Luft. Brooks versuchte, seinen Hals mit den Fingern zu umklammern, aber Njangu hatte sein Kinn fest gegen die Brust gedrückt. Brooks' Hände schoben sich über sein Gesicht und suchten nach seinen Augen. Njangus freie Hand tastete geschickt über seinen Gürtel und fand den Verschluss der Scheide, die er auf einem weit entfernten Exerzierplatz erhalten hatte. Dann hatte er das Messer in der Hand und trieb seinem Widersacher die Klinge in die Seite. Brooks schrie auf, zog sich zurück und richtete sich schwankend auf, während das Messer immer noch zwischen seinen Rippen steckte. Garvin schoss ihm dreimal in schneller Folge in die Brust. Brooks drehte sich im Kreis wie ein Tänzer, die Hände dem unsichtbaren Himmel entgegengestreckt, dann brach er zusammen. 499 »Nicht dass ich Hilfe benötigt hätte«, stieß Njangu hervor, während er sich an der Wand abstützte. Seine Kehle fühlte sich wie ein Reibeisen an. »Aber trotzdem danke schön.« »Keine Hilfe?«, erwiderte Garvin entrüstet. »Er hätte das Messer raus gezogen und dir in den Arsch gerammt, wenn ich nicht dazugekommen wäre.« »Blödsinn!«, würgte Njangu hervor und wankte zur Tür. Er trat ins Sonnenlicht und sah überall die Toten, die zu Brooks' Angriffskommando gehört hatten. Aber das interessierte ihn jetzt nicht. Er betrachtete Kipchaks Gesicht und suchte darin nach einem letzten Ausdruck -sei es Hass, Wut oder Frieden. Aber da war nichts. »He!«, rief jemand. »Der hier lebt noch!« Die Soldatin hob ihren Blaster. »Nein!«, rief Njangu. »Wir brauchen einen Gefangenen.« Die Soldatin ließ die Waffe zögernd sinken, und Njangu nahm einer Leiche einen Blaster ab, humpelte hinüber und blickte in Poyntons Gesicht. Sie starrte zu ihm hoch. »Jetzt kannst du mich töten«, sagte sie. »Bist du verletzt?« Sie schüttelte den Kopf. »Die Druckwelle hat mich ausgeschaltet.« »Dann steh auf«, sagte er. Sie gehorchte und verzog schmerzhaft das Gesicht, als sie sich bewegte. »Geh voraus«, befahl Njangu. »In den Grierson.« »Hast du Angst, mich vor den Augen deiner Brüder und Schwestern zu erschießen?«, zog sie ihn auf. »Gnädige Frau, im Moment bin ich viel zu erschöpft, 500 um vor irgendetwas Angst zu haben. Und jetzt beweg dich!« Er führte sie zum LKG, und dort gab er ihr ein Zeichen, dass sie sich in eine kleine Gasse schlagen sollte. Mit bleichem Gesicht, die Augen starr auf ihn gerichtet, gehorchte sie. »Na los«, sagte sie. »Ich bin bereit.« »Jo«, sagte Njangu. »Mach, dass du hier wegkommst.« »Willst du mich auf der Flucht erschießen? Ich würde lieber mit dem Gesicht zu dir sterben.« »Ich habe gesagt, du sollst machen, dass du mitsamt deinem geilen Arsch hier wegkommst, verdammt! Und lass dich nie wieder auf ein solches beschissenes Abenteuer ein.« Jo Poynton starrte ihn an, dann wich sie zurück. Als sie etwa zehn Meter von ihm entfernt war, wandte sie sich um und rannte los, verschwand schließlich um eine Ecke. Njangu drehte sich um und sah Garvin, der mit seiner Pistole in der Hand dastand. »Warum hast du so etwas Merkwürdiges getan?« Njangu zuckte mit den Schultern. »Bis eben dachte ich noch, es wäre eine gute Idee.« 36
Zwei Wochen nach Brooks' Tod erhielt Caud Prakash Rao einen Anruf von Aesc. Hinter ihm stand Wlencing. »Wir sssind dabei, Ihr Sssyssstem zu verlasssen.« »Ich höre.« »Wir kehren zu unssseren Welten zurück«, sagte der Musth. »Sssie haben eine Warnung erhalten, wasss ge501 schehen würde, wenn auch nur ein Musssth zu Tode kommt. Jetzt musss ich mich mit meinen Vorgesssetzten beraten. Ich beabsssichtige nicht, Ihnen zu raten, diessse unsssinnige Friedenssspolitik beizubehalten.« Wlencing trat vor. »Wenn wir unsss dasss nächssste Mal begegnen«, sagte er, »werde ich Ihnen höchssstwahrscheinlich mit ausssgefahrenen Krallen gegenübertreten. Wir werden nicht mit Ingenieuren und Bergarbeitern zurückkehren, sssondem mit Kriegern. Dasss wird der Beginn einer interesssanten Zeit sssein.« 37 Tak Garvin Jaansma, der eine blitzblanke dunkelblaue Galauniform mit mehreren Orden an der Brust trug, beugte sich vor und bezahlte den Gleiter. »Möchten Sie, dass ich warte?« »Nein«, sagte Garvin und stieg die Stufen zum Haus hinauf. An den Säulen beiderseits des Einganges waren breite schwarze Bänder angebracht, und an der Tür hing ein schwarzer Kranz. Jaansma verzog das Gesicht und drückte auf den Klingelsensor. Er hörte das Summen und sah, wie ein Spion aktiviert wurde. Längere Zeit geschah nichts, und er wollte schon ein zweites Mal klingeln, als sich die Tür öffnete. Ein großer, gut angezogener Mann, unter dessen Jacke sich ein Holster abzeichnete, stand im Eingang. »Ja, Sir?« »Ich bin Garvin Jaansma, ein Freund von Jasith. Ist sie zu Hause?« »Ja«, antwortete der Leibwächter und zog einen Zet502 tel aus der Tasche. »Und sie hat mir gesagt, was ich Ihnen sagen soll.« Er las vom Zettel ab: »Bitte geh wieder, Garvin, und besuche mich in Zukunfl nicht mehr. Ich habe jetzt sehr viel zu tun, da ich mich um die Firma meines Vaters kümmern muss. Du würdest mich nur an das erinnern, was geschehen ist, und daran, dass du und die anderen Soldaten der Streitmacht nicht verhindern konnten, dass mein Vater ums Leben kam.« Garvin blinzelte. »Das ergibt keinen Sinn.« »Eine Mellusin hat es nicht nötig, etwas zu tun, das Sinn ergibt«, sagte der Leibwächter ruhig. »Dann gibt es wohl keine Möglichkeit... nichts, was ich sagen könnte, damit ich sie doch sehen kann? Wenn ich mit ihr reden könnte, würde sie vielleicht...« Garvin verstummte. Der Leibwächter schüttelte den Kopf. »Es tut mir aufrichtig Leid, Tak. Aber ich kann nichts daran ändern.« Garvin stieg die Stufen wieder hinunter. Er hörte, wie hinter ihm die Tür geschlossen wurde. Er blickte auf die lange, gewundene Straße, die nach Leggett führte. »Wie es scheint, werden Träume meistens eben doch nicht wahr«, sagte er leise und machte sich auf den Weg. 38 »Dann ist es also vorbei?« Garvin drehte die Flasche um, stellte fest, dass sie leer war, und warf sie über das Geländer der Offiziersmesse. Er kramte in der Kühlbox nach einer weiteren und starrte leicht betrunken auf den Kronkorken. Dann zog er sein Kampfmesser und 503 schlug mit der stumpfen Seite der Klinge gegen den Flaschenhals, den er sauber durchtrennte. Er nahm einen Schluck und reichte die Flasche an Njangu weiter. Yoshitaro setzte sie zweimal an. »Ich glaube, du warst mir einen Schluck voraus«, erklärte er. »Ja, es scheint vorbei zu sein. Vorausgesetzt, Caud Rao sorgt dafür, dass es faire Wahlen gibt, und macht den Zinsern ein für alle Mal klar, dass sie die Klappe halten und einfach nur Geld verdienen sollen. Dabei wünsche ich ihm viel Glück -ihm und den verdammten überlebenden 'Rauhm, die sich plötzlich zu den Lieblingen der Gesellschaft gemausert haben. Das hier wird bestimmt noch die beste aller möglichen Welten.« Garvin dachte an Jasith, schluckte, und holte sich die Flasche zurück. »Aber in den Holos läuft es ganz anders ab, wenn man einen Krieg gewonnen hat«, erklärte er, nachdem er getrunken hatte. »Stimmt«, sagte Njangu. »Die Sache war ein bisschen sehr teuer. Williams, Vauxhall, Gonzales...« »Hank Faull.« »Petr.« »Ja. Und Petr.« Njangu bemühte sich, die Bitterkeit aus seinem Tonfall herauszuhalten. »Aber alle anderen haben Orden bekommen, und wir beide sind jetzt Offiziere. Auch wenn du es irgendwie so hingebogen hast, dass ich nur zum blöden Aspiranten befördert wurde.« »Vorsicht, junger Soldat!«, sagte Garvin mit bemühter Fröhlichkeit. »Eine Beförderung erwartet den, der sie sich redlich verdient hat. Du weißt, dass man auch Penwyth vorgeschlagen hat. Bei ihm ging es um die Frage Beförderung oder Disziplinarstrafe, weil er sich als Offizier ausgegeben hat.« 504 »Und wir haben jetzt die Aufklärungskompanie zu unserer alleinigen Verfügung.« »Was keineswegs bedeutet, dass wir nun eine ruhige Kugel schieben können«, sagte Garvin. »Ich hatte heute eine längere Besprechung mit Jon und Angara. Wir werden die Truppe völlig reorganisieren. Liskeard wechselt
zu einem Regiment, und Angara wird die Mobile Erkundungstruppe in die Aufklärer integrieren, sodass wir die Griersons und vielleicht sogar ein paar Zhukovs als eigene Rückendeckung nutzen können. Keine idiotischen Cookes mehr. Ben Dill wird sich nach seiner Beförderung darum kümmern. Monique übernimmt den Laden als Erster Tweg, auch wenn sie noch so sehr zetert und stöhnt. Ich habe versucht, sie zu überreden, die Versetzung anzunehmen, mit der sie ihr vor der Nase rumgewedelt haben, und ich dachte, sie würde mir eine scheuern. Die Sache wird so laufen, dass du und ich als Team zusammenarbeiten. Du bist angeblich das Hirn, und ich soll so tun, als wüsste ich, wovon ich rede, wenn ich vor die Fußsoldaten trete. Dill leitet die Kampfeinsätze, und dann läuft der Laden.« »Also sind die Guten belohnt worden«, sagte Njangu. »Scheint so.« »Und wie kommt es, dass ich mich nicht besser fühle?« »Weil du noch nicht genug getrunken hast.« Garvin reichte ihm die Flasche. »Unser Leben wird sehr interessant werden, wenn die verdammten Musth zurückkehren. Oder wenn Redruth hinter unseren jungen Ärschen her ist.« »Darüber werde ich mir Sorgen machen, wenn es so weit ist«, sagte Njangu. Eine Weile tranken sie schweigend. »Weißt du noch«, sagte Njangu schließlich, »wie wir 505 damals von der Malvern abgehauen sind und Petr uns mit all dem Zeug beeindrucken wollte, das er auswendig gelernt hatte?« »Ja?« »Es war auch ein Gedicht dabei. Kann mich kaum noch daran erinnern, aber an einer Stelle hieß es ungefähr: >Wen ich bekämpfe, hasse ich nicht, wen ich beschütze, liebe ich nicht.<« »Petrs Grabinschrift?« »Oder unsere«, sagte Njangu. »Was für eine beschissene Art, sich den Lebensunterhalt zu verdienen«, sagte er nach einer Weile. Garvin brummte zustimmend und nahm ihm die Flasche ab. »Zu schade, dass es keine anderen Jobs in der Stadt gibt.« Anhang Das Cumbre-System besteht aus einer Sonne der mittleren Hauptreihe mit einem Durchmesser von ungefähr 1,5 Millionen Kilometern. Das System besitzt dreizehn Planeten, die recht phantasielos nach den Buchstaben des Alphabets benannt sind. A- und B-Cumbre sind unbewohnbar, weil sie der Sonne zu nahe sind und keine geeignete Atmosphäre haben. Dort gibt es nur solare und astronomische Beobachtungsstationen. Die rohstoffreiche Welt C-Cumbre ist der Grund, warum Menschen und Musth das System besiedelt haben. Zu den Bodenschätzen gehören Mangan, Wolfram, Vanadium, Niob, Titan, Godarium, natürliches Gamma-Eisen und andere wertvolle Metalle. Die trockene Landschaft ist mit Bergwerken übersät, die von beiden Spezies betrieben werden. Die Umwelt bietet sowohl den Menschen wie auch den Musth keine günstigen Lebensbedingungen. Der Planet hat einen Mond namens Balar. E-Cumbre ist eine kühle Welt, auf der Menschen gerade noch überleben können, während sich die Musth hier recht wohl fühlen. Sie bezeichnen den Planeten als Silitric und betrachten ihn als Hauptwelt des Systems. F-, H- und I-Cumbre sind Gasriesen. G-Cumbre wurde durch einen Asteroiden, der von 507 außerhalb des Systems kam, zerstört. Aufseiner Umlaufbahn kreisen kleinere und größere Brocken. I- und K-Cumbre sind kleine Planetoiden, auf denen sich Beobachtungsstationen befinden. L- und M-Cumbre sind etwas größer als J- und K-Cumbre und stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit eingefangene Asteroiden dar, deren Umlaufbahnen sehr exzentrisch verlaufen. D-Cumbre ist die Hauptwelt der Menschen. Der Planet hat drei kleine Monde: Fowey, Bodwin und Kailas. Nur Fowey, der größte und nächste, beeinflusst die Gezeiten auf D-Cumbre. D-Cumbre hat einen Äquatorialdurchmesser von etwa dreizehntausend Kilometern, und die Achsneigung beträgt vierzehn Grad, was ein noch ausgeglicheneres Klima als auf der Erde zur Folge hat. Im Gegensatz zur Erde gibt es keine größeren Kontinente, sondern sehr viele Inseln, die hauptsächlich in den tropischen und gemäßigten Zonen liegen. Nur an den Polen befinden sich zwei größere Landmassen. Manche der Inseln sind groß und vulkanischen Ursprungs. Die Gipfel sind zu Plateaus erodiert, auf denen ein ganz anderes Klima als im Tiefland herrscht - ebenfalls feucht, aber kühl und neblig, mit farnartiger Vegetation, von winzigen bis hin zu riesigen Arten. Die Musth haben ihren Stützpunkt auf dem größten dieser Plateaus errichtet, dem Hochland der Insel Dharma. Die Menschen siedeln hauptsächlich in den tropischen Küstenregionen von Dharma und drei weiteren kleineren Inseln. Die Hauptstadt Leggett liegt im Nordwesten von Dharma. Auf weiteren Inseln in den gemäßigten und tropischen Zonen gibt es etwa fünfundzwanzig kleinere Siedlungen, von denen manche nur Dörfer sind. Das Klima ist mild mit sehr seltenen Wetterextremen. Nur auf dem offenen Meer weitab von den Inselgruppen
entstehen gelegentlich globale Flutwellen, und während der stürmischen Jahreszeit kann es hin und wieder unangenehm werden. Die Flora und Fauna wird im Allgemeinen als gutartig eingeschätzt, obwohl in den Dschungeln einige noch nicht klassifizierte Raubtierspezies und in den Meeren einige gefährliche Fischarten vorkommen, von großen Seeschlangen bis zu marinen Fleischfressern und Coelenteraten, die als lebensgefährlich eingestuft werden müssen. 508