Seewölfe 327 1
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Seewölfe 327 1
Roy Palmer 1.
Abo war unter dicken schwarzen Rauchwolken begraben, die sich fett und träge über den Hafen an der Südwestküste von Finnland wälzten. Der Feuerteufel hatte gewütet und unermeßlichen Schaden angerichtet. Ein großer Teil der aus Holz errichteten Bauten war den Flammen zum Opfer gefallen, die Bewohner waren daraus geflohen und hatten sich in die am Ufer des Aura-Flusses stehende Burg gerettet. Durch rasches Handeln war die „Isabella IX.“, die an einer Pier des Hafens vertäut gewesen war, von dem Brand verschont geblieben. Sie ankerte jetzt auf der Reede. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte sie gerade noch rechtzeitig genug von den Besatzungen der Beiboote wegschleppen lassen. Es war der Vormittag des 14. März 1593. Abo bot einen Anblick, als habe hier eine schwere Schlacht stattgefunden. Der Schuldige für das Feuerattentat war bereits gestellt: Er hieß Paavo Korsumäki und war der Stammeshäuptling der auf den der Küste vorgelagerten Inseln lebenden Menschen. Auf einem dieser Inselchen, keine halbe Meile von dem Hafen entfernt, hatte sich eben der entscheidende Kampf abgespielt. Korsumäki war der Gefangene der Seewölfe und des Stadtkommandanten Eino Pekkanen. Seine restlichen Kumpane hatten sich ebenfalls ergeben müssen. Von den anderen waren einige gefallen, ein paar hatten sich noch rechtzeitig vor dem Erreichen des Schlupfwinkels auf der Insel in einem Boot nach Westen abgesetzt. „Ihr Hunde!“ brüllte Korsumäki, als die Männer wieder in die Boote stiegen und die Insel verließen. Er traf Anstalten, sich auf seine sechs Spießgesellen zu stürzen. „Ihr habt mich verraten! Das werdet ihr mir büßen! Ich bringe euch um!“ Tatsächlich hatten sich die Männer im Augenblick höchster Gefahr gegen ihn gewandt. Sie hatten nicht in der Blockhütte auf der Insel verbrennen wollen und ihren Anführer überwältigt, als er nicht bereit
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gewesen war, zu kapitulieren. Somit war Hasards Aktion, bei der sie die Kerle ausgeräuchert hatten, ein voller Erfolg geworden. Pekkanens Gendarmen hielten Korsumäki fest, dann fesselten sie ihn. Er stieß weiterhin die wildesten Verwünschungen aus, doch als der Kommandant ihm damit drohte, ihm auch einen Knebel anzulegen, schwieg er endlich. Stenmark, der Schwede, der die finnische Sprache beherrschte, fungierte wieder als Dolmetscher und übersetzte den Seewölfen alles, was gesprochen wurde. Umgekehrt übertrug er auch vom Englischen ins Finnische, was Hasard Pekkanen zu sagen hatte. Hasard durfte aufatmen. Er hatte vom Stadtkommandanten erfahren, daß bei dem nächtlichen Brand in Abo nur zwei Männer der Stadtgarde leicht verletzt worden waren. Alle Zivilisten waren unversehrt, es hatte keine Toten gegeben. Der Seewolf plagte sich auch so schon mit Selbstvorwürfen, denn der eigentliche Angriff hatte ja der „Isabella“ gegolten, doch alles wäre noch viel schlimmer gewesen, wenn unschuldige, unbeteiligte Dritte von der Rache des Paavo Korsumäki getroffen worden wären. Den Sachschaden konnte man ersetzen, die niedergebrannten Häuser von Abo würden neu aufgebaut werden. Hasard hatte sich bereits vorgenommen, dabei mitzuhelfen. Er hatte in dieser Stadt Freunde gewonnen, Heikki Lahtinen beispielsweise, den Handelsherrn, mit dem er geschäftliche Beziehungen angeknüpft hatte - oder Eino Pekkanen, der sich mehrfach bei ihm bedankte. Allein ihnen war er es schuldig, daß die „Isabella“ den Hafen nicht verließ, bevor nicht die gröbsten Aufräumungsarbeiten vollzogen waren. Handelsbeziehungen anknüpfen -dies war übrigens der geheime Auftrag, den die Seewölfe mit ihrer neuen „Isabella“ im Gebiet der Ostsee ausführten. Die Order hatten sie von der englischen Königin erhalten. Lord Gerald Cliveden, der Sonderbeauftragte Elizabeths, hatte ihnen die versiegelte Mappe im Hafen von
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Plymouth überreicht. Das war Ende Dezember 1592 gewesen, und so waren es nun bald drei Monate, in denen die Männer mit wechselnden Schwierigkeiten in der Ostsee unterwegs waren. Carberry und alle anderen, von denen die Ostsee anfangs eine „Pißrinne für Reiher“ und einen „Ententümpel“ genannt worden war, hatten inzwischen einsehen müssen, daß dies ein Irrtum war. Auch dieses Meer hatte es in sich, die Abenteuer und haarsträubendsten Ereignisse wollten nicht abreißen. Die Boote waren wieder voll bemannt und kehrten in den Hafen von Abo zurück. Hasard hatte wieder mit seiner zehnköpfigen Crew die große, achtriemige Jolle der „Isabella“ übernommen. Seine Begleiter waren Big Old Shane, Stenmark, Smoky, Dan O'Flynn, Mac Pellew, Ferris Tucker, Matt Davies, Gary Andrews, Bob Grey und Bill. Carberry hingegen, der Profos der „Isabella“, saß auf der achteren Ducht der kleinen Jolle, bediente die Ruderpinne und trieb seine Rudergasten Pete Ballie, Roger Brighton, Jack Finnegan, Paddy Rogers, Batuti und Blacky mit den üblichen saftigen Flüchen zum schnelleren Pullen an. Die Jagd auf die Übeltäter war beendet, alles schien doch noch einen guten Abschluß zu finden. Doch plötzlich herrschte in den Booten des Stadtkommandanten Aufregung, die Gendarmen deuteten zum westlichen Ufer der Insel. Erst jetzt stellte Hasard zu seiner Überraschung fest, daß eins der ursprünglich sechs Boote des Stadtkommandanten noch fehlte. Es kehrte soeben von der Umrundung der Insel zurück, und die Insassen riefen und gestikulierten. Pekkanen lachte mit einemmal grimmig, dann versuchte er, Hasard durch Gebärden etwas mitzuteilen. Immer wieder deutete er auf das nahende Boot. „Was, zum Teufel, ist da los?“ schrie Carberry und richtete sich von der achteren Ducht seiner Jolle auf. „Gibt es neuen Ärger? Bei allen triefäugigen
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Seejungfrauen, hört diese Schweinerei denn überhaupt nicht mehr auf?“ „Ed“, sagte Hasard. „Ich empfehle dir, wenigstens für einen Augenblick die Luft anzuhalten und das Schott zu schließen. Sten versucht gerade zu übersetzen, aber bei deinem Gebrüll kann ich kein Wort verstehen.“ Dan O'Flynn hatte den Kieker zur Hand genommen, zog ihn auseinander und spähte hindurch. „Ich werd' verrückt“, sagte er. „Die Gardisten in dem Boot haben Zuwachs erhalten.“ „Sie haben das Boot gejagt, mit dem Korsumäkis Kumpane geflohen sind“, erklärte Stenmark. „Während wir auf der Insel gekämpft haben, ist es ihnen gelungen, die Kerle zu stellen. Nach einem kurzen Kampf ist es ihnen geglückt, das Boot zu versenken. Zwei Kerle haben sie geschnappt, die anderen sind doch noch entwischt, und zwar schwimmend.“ „Eine gelungene Überraschung“, sagte der Seewolf. „Somit sind es also sieben Gefangene, mit denen wir nach Abo zurückkehren.“ „Und sieben Mann, die bald am Galgen baumeln“, fügte Shane hinzu. „Pekkanen hat ja gesagt, daß es für sie keine Gnade gibt. Recht so. Ich finde auch, daß da ein Exempel statuiert werden muß.“ Das Boot stieß zu dem Verband und ordnete sich ein. Hasard und seine Männer vermochten deutlich zu erkennen, daß die beiden Gefangenen, die gefesselt zwischen den Gendarmen auf den Duchten hockten, Schürfwunden aus dem Kampf davongetragen hatten. Sie ließen die Köpfe hängen, über ihr weiteres Schicksal schienen sie keine Illusionen zu haben. Der komplette Bootsverband nahm nach diesem kurzen Aufenthalt nunmehr direkten Kurs auf den Hafen. Hasard begann, Ben Brighton und den anderen Männern, die an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben waren, Zeichen zu geben. Nach der Explosion auf der kleinen Insel, mit der das Blockhaus in die Luft geflogen war, mußten sich die Kameraden mit den größten Sorgen geplagt haben. Jetzt aber
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begriffen sie, daß es weder bei Hasards noch bei Carberrys Trupp Tote oder Verwundete gegeben hatte, und auch sie hatten allen Grund zum Aufatmen. * Old Donegal Daniel O'Flynn stand neben Ben Brighton auf dem Achterdeck der „Isabella“ und beobachtete das Einlaufen der acht Boote. Die Männer auf dem Hauptdeck stimmten Jubelrufe an und schrien „Arwenack“, der alte Kampfruf der Seewölfe dröhnte über die Reede und wurde vom Südwestwind bis zu den Kaianlagen getragen. Philip junior und Hasard junior, die Söhne des Seewolfes. hatten mit Plymmie, der jungen Wolfshündin, die Back geentert und winkten den Männern in den beiden Jollen begeistert zu. Plymmie bellte dreimal kurz, dann ließ sie sich schwanzwedelnd und mit einem zufriedenen Brummeln auf ihren Hinterläufen nieder. Auch sie schien verstanden zu haben, daß der ganze Aufruhr nun sein Ende gefunden hatte. Old O'Flynn grinste plötzlich. „Ich hab's ja gesagt - der dreizehnte März ist zu Ende, und schon wird alles wieder gut. Habe ich nicht recht gehabt, Ben?“ „Fang nicht wieder mit diesem blödsinnigen Aberglauben an“, sagte Ben. „Und laß uns nicht zu früh lachen.“ Er blickte durch sein Spektiv zu den Jollen und dann zu den sechs Booten des Stadtkommandanten, in denen sich je acht Soldaten und die neun Gefangenen befanden. Anschließend richtete er die Optik auf die Kaianlagen, wo sich eine beachtliche Menschenmenge versammelt hatte. „Ich weiß schon, was du sagen willst“, brummte der Alte. Nicht nur die Trümmer der Stadt rauchen. Die Leute da sind ganz hübsch geladen und würden sicher gern mit dem Korsumäki-Gesindel abrechnen. Aber was haben wir damit zu tun?“ „Im Grunde genommen gar nichts“, erwiderte Ben. „Doch ich kenne Hasard.“
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„Ich vielleicht nicht? Aber diesmal siehst du viel zu schwarz. Mister Brighton, und das paßt mir überhaupt nicht. Wenn hier jemand den Teufel ans Schott malen darf, dann bin ich es.“ „Dieses Monopol will dir auch keiner nehmen“, sagte Ben. Old O'Flynn stapfte mit seinem neuen Holzbein, das Ferris Tucker angefertigt hatte, auf, als wolle er die Festigkeit der Eichenholzplanken prüfen. „Wenn du jetzt mit Fremdwörtern um dich schmeißt, räume ich das Achterdeck. Schlaues Daherreden geht mir gegen den Strich, ich bin für klare Verhältnisse.“ „Ich auch“, sagte Ben und konnte ein Seufzen nur mit Mühe unterdrücken. „Und überflüssiges Gerede kann ich erst recht nicht leiden.“ Die Männer auf dem Hauptdeck, die den kurzen Dialog mitverfolgt hatten, stießen sich untereinander an und grinsten. „Ich glaube, Donegal täte Ben sogar einen Gefallen, wenn er das Achterdeck räumen würde“, sagte der Kutscher leise. „So ist es“, sagte Al Conroy. „Wenn der Alte so richtig in Fahrt gerät, ist er verdammt redselig. Vorhin hat er mir was von Rußdämonen erzählt, die zwischen den Trümmern von Abo herumkriechen.“ „Und du glaubst daran?“ fragte Jeff Bowie. „Nicht die Bohne“, antwortete Al. „Ich bin ein nüchtern denkender Mensch, kapiert? Und überhaupt nicht abergläubisch.“ Sam Roskill lachte. „Aber sicher doch. Keiner von uns gibt sich mit Geistern und dem ganzen Kram ab, oder? Aber ich weiß aus sicherer Quelle, daß es sogenannte Irrwische gibt. Das sind Feuerdämonen, die sich beim Hellwerden verflüchtigen.“ Plötzlich blickte er zum Kai, hob die Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger über das Schanzkleid und stieß hervor: „Da! Da fliegt ja so ein Wesen!“ Alle hatten es gehört, fuhren herum und spähten zum Kai hinüber. Ihre Mienen drückten Verblüffung und Entsetzen aus. Nur Sam drehte sich langsam zu ihnen um, stemmte beide Fäuste in die Seiten und grinste verächtlich.
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„Nicht abergläubisch, was?“ höhnte er. „Das ist ja der beste Beweis.“ „Weißt du, was du mich kannst, Mister Roskill?“ sagte Al Conroy drohend. Natürlich wußte Sam es, aber sie hatten keine Gelegenheit dazu, ihr Gespräch weiterzuführen. Die beiden Jollen der „Isabella“ und die Boote des Stadtkommandanten hatten die auf der Reede ankernde Galeone inzwischen erreicht, und Hasard richtete sich von seinem Platz auf der Heckducht der großen Jolle auf. „Alles klar bei euch, Ben?“ rief er. „Hier an Bord ist alles in Ordnung!“ schrie Ben zurück. „Wie sieht es bei euch aus?“ Der Bootsverband glitt am Bug des Schiffes, der nach Nordwesten gerichtet war, vorbei, und der Seewolf winkte grüßend zu seinen Söhnen hoch, die nach wie vor auf der Back standen. Er blickte auch zu seinen Männern und registrierte, daß sie vollzählig an Deck versammelt waren. Außer Ben, Old O'Flynn, dem Kutscher, Al, Jeff und Sam waren da also Luke Morgan, Will Thorne, Nils Larsen, Jan Ranse und Piet Straaten. Dreißig Mann stark war die Crew der „Isabella“ jetzt, größer als früher, aber auch das Schiff hatte ja ganz andere Maße als die alte „Isabella VIII.“, die sie in Ägypten im versandeten Kanal der Pharaonen hatten zurücklassen müssen. Fünfhundertundfünfzig Tonnen groß war die „Lady“, über fünfzig Yards lang und zehn Yards breit. Ihre Kiellänge betrug zweiundvierzig Yards. Bestückt war sie mit sechsundzwanzig Kanonen, vierzehn davon waren 25pfünder und zwölf 17pfünder. Dazu kamen je zwei Drehbassen auf der Back und dem Achterdeck – insgesamt also eine Armierung von dreißig Kanonen. Ja, die Seewölfe konnten stolz auf dieses Schiff sein, das wieder von dem genialen Hesekiel Ramsgate erdacht und gebaut worden war. Die ersten Härteproben hatte es ohne Schaden überstanden, nur einen Ruderbruch hatten die Männer hinnehmen müssen. Schnell und wendig war die „Lady“, sehr seetüchtig und höchst
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manövrierfähig - ein Dreimaster, der die besten Voraussetzungen für eine Weltumsegelung bot. Hasard wäre denn auch längst wieder auf der Schlangeninsel gewesen, hätte die Küsten der Neuen Welt angelaufen und vielleicht sogar das Kap der Stürme gerundet, wenn der geheime Auftrag der Königin nicht gewesen wäre. So aber hatte es ihn zunächst in die Ostsee verschlagen. Die Mission, die es zu erfüllen galt, verlangte ihm mehr Zeit ab, als er ursprünglich angenommen hatte, doch er hatte sich fest vorgenommen, den Auftrag zur Zufriedenheit aller Beteiligten abzuschließen. Dies ging ihm durch den Kopf, als er jetzt zu Ben und Old O'Flynn hochschaute. Die Welt war groß, und es gab noch viele unerforschte Winkel für sie. Wer hätte jemals gedacht, daß sie eines Tages in Abo landen würden? „Keine Verluste, keine Verwundeten!“ entgegnete er mit lauter, fester Stimme. „Auch bei der Garde des Stadtkommandanten keine Verletzten! Wir haben die Korsumäki-Bande ausgeräuchert und gefangengenommen!“ „Meinen Glückwunsch!“ rief Ben. „Arwenack!“ schrie die Crew, und Old O'Flynn schwenkte triumphierend eine seiner Krücken. „Ben“, sagte der Seewolf und gab seinen Männern im Boot das Zeichen zum Weiterpullen. „Wir kehren noch nicht an Bord zurück und sind Pekkanen noch dabei behilflich, die Gefangenen ins Stadtgefängnis zu bringen. Anschließend versuche ich, mit Heikki Lahtinen Kontakt aufzunehmen.“ „Aye, aye, Sir!“ rief Ben. Er hatte sich bereits gedacht, daß die Jollen den Kai anlaufen würden. Im Grunde war Hasards Vorgehen auch logisch: Einmal hatte Paavo Korsumäki bereits fliehen können, als nämlich die Garde des Stadtkommandanten ihn und seine Kumpane auf Hasards Bitte hin abgeholt hatte. Korsumäki hatte in der Menschenmenge, die sich am Hafen versammelt hatte, Anhänger gefunden, es
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hatte eine Schlägerei gegeben - und plötzlich war der „finnische Hurensohn“, wie die Männer der „Isabella“ ihn nannten, mitsamt seinen Gefährten verschwunden gewesen. Diese Flucht hatte verhängnisvolle Folgen gehabt. Diese Folgen waren bis zu dieser Stunde keineswegs beseitigt. Ja, es flackerten da und dort sogar noch kleine Brände auf, wie Hasard feststellte. Das Feuer schien immer wieder Nahrung zu finden. Abo bot einen verheerenden Anblick. Das nächtliche Feuer, von Korsumäki und dessen Kumpanen gelegt, hatte fürchterlich gewütet. Wie gigantische Zahnstummel ragten die schwärzlichen Überreste der Holzhäuser im Südwestviertel in den Morgenhimmel auf. Zwischen den Brandruinen schien sich kein Leben mehr zu regen. Der Rauch breitete sich immer noch nach allen Seiten aus. der Wind schien ihn nicht wegkehren zu können. Ein infernalischer Gestank stieg den Männern in den Booten in die Nasen. Ein paar Gendarmen begannen zu husten. Carberry ließ einen seiner übelsten Flüche los. Keinen von ihnen verlangte es danach, zwischen die verkohlten, schwelenden Trümmer zurückzukehren. Der Pesthauch des Todes schien über der Stadt zu liegen. Noch war der Umfang der Schäden nicht abzusehen. Hasard vermutete, daß mehr als die Hälfte der Häuser vernichtet worden war. Er war sicher, sich darin nicht zu täuschen. 2. Heikki Lahtinen, der Besitzer des Handelshauses an der Linnan Katu, hatte sich in den Hafen begeben, um sich davon zu überzeugen, daß seinen Freunden von der „Isabella“ nichts zugestoßen war. Die Nacht über hatte er zu retten versucht, was von seinem Anwesen noch zu retten war. Viel war es nicht - der größte Teil der Lagerschuppen war ein Opfer der Flammen geworden. Das Kontor war nur zum Teil erhalten geblieben.
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Lahtinens Gesicht war rußgeschwärzt, seine Kleidung war versengt und zerfetzt. Er hatte die Schüsse gehört, das Grollen der Kanonen, und es war ihm auch berichtet worden, wie energisch die Engländer in den Kampf gegen Korsumäki eingegriffen hätten. Doch die letzten Nachrichten darüber, wie die Verfolgung ausgegangen war, fehlten. So wollte sich der alte Mann mit den weißen Haaren nun selbst ein Bild von der Lage verschaffen. Er hatte Philip Hasard Killigrew und dessen Kameraden ja selbst vor Korsumäki gewarnt. Der Kerl war eine Mischung aus Räuberhauptmann, Aufrührer, Schnapphahn und Rebell, der sich niemandem beugte und noch in der Welt seiner heidnischen Vorstellungen lebte. Er verfluchte den Gott der Christen und haßte alle Fremden. Doch seine Aktion hatte sich nicht nur gegen die Männer der „Isabella“ gewandt. Lahtinen war fest davon überzeugt, daß der Seewolf dies annahm. Doch darin irrte er sich. Korsumäki plante sicherlich schon seit einiger Zeit, Abo niederzubrennen und zu besetzen, und er schien zumindest auf der einen Insel vor dem Hafen einen geheimen Stützpunkt gehabt zu haben. Er wollte nicht nur der Herr der Inseln sein, er wollte auch Abo in seine Gewalt bringen. Dies wollte Lahtinen dem Seewolf mitteilen. Er hatte es sich fest vorgenommen. Lahtinen war ein distinguierter, feinsinniger Mann, der sich in die Gedanken seines Handelspartners sehr gut hineinversetzen konnte. Gewiß quälte sich der Seewolf wegen der Vorfälle der Nacht mit Vorwürfen herum. Vielleicht gab er sich selbst sogar die Schuld an allem. Diese Gedanken waren unsinnig, Lahtinen hatte sich vorgenommen, mit ihm darüber zu sprechen. Mit besorgter Miene trat Heikki Lahtinen jetzt jedoch an den Kai. Eine große Menschenmenge hatte sich versammelt. Viele Bürger hatten sich während der Nacht aus ihren lichterloh brennenden Häusern in die Burg am Hafen gerettet. Die Burg hatte den Brand unbeschadet überstanden. Pekkanen und dessen
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Gendarmen hatten es auch verstanden, sie gegen die Angriffe der Korsumäki-Meute zu verteidigen. Allerdings war es ihnen nur dank der Unterstützung der Seewölfe gelungen, sich auf Dauer zu halten. Am frühen Morgen hatten die ersten Zivilisten dann gewagt, die Burg zu verlassen und mit den Aufräumungsarbeiten zu beginnen. Auch die Frauen, die gräßliche Angst vor einem neuen Überfall der Korsumäki-Bande gehabt hatten und Pekkanen sogar an einem Ausrücken hatten hindern wollen, hatten sich mittlerweile beruhigt. So schufteten die Bürger zwischen den Trümmern, zäh und verbissen. Jetzt aber hatten sie die Werkzeuge aus der Hand gelegt und waren zum Hafen gelaufen, um die Ankunft der acht Boote abzuwarten. Das Leben geht weiter, dachte Heikki Lahtinen, aber für Korsumäki und dessen Kumpane könnte es doch sehr schnell zu Ende sein, nämlich dann, wenn sie diesen Menschen in die Hände fallen. Auch von Bord der „Isabella“ aus beobachteten Ben Brighton und die Crew das Zusammenrücken der Menschen am Kai mit gemischten Gefühlen. „Es konnte ja nicht ausbleiben, daß die Boote gesichtet werden“, sagte Ben. „Aber ich hoffe, daß Pekkanen nicht ausgerechnet am Kai landet.“ „So klug wird er wohl sein“; meinte Old O'Flynn. „Hast du eine Ahnung, wo sich das Stadtgefängnis befindet?“ „Nein. Hoffentlich nicht direkt am Hafen.“ Der Alte grinste. „Sollte das der Fall sein, so kann von dem Bau nicht viel übriggeblieben sein. Dann muß der Kommandant erst einen neuen Kerker errichten lassen.“ „Möglich wäre, daß in der Burg ein Verlies eingerichtet ist“, sagte Ben. „Aber auch das wäre schlecht, denn die Menge würde sich sofort an der Wehrmauer zusammenrotten.“ „Die Gendarmen werden ja wohl mit ihnen fertig werden.“ „Das ist noch die Frage, Donegal.“ „Zur Hölle mit diesem verfluchten Abo!“ stieß der Alte hervor. „Ich bin, froh, wenn
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wir endlich wieder auslaufen.“ Er spuckte ins Wasser und blickte wieder zum Hafen, wo die acht Boote inzwischen die verkohlten Stege fast erreicht hatten. Die Menge stimmte ein Murren und Fluchen an. Fäuste wurden gegen Korsumäki und die sechs anderen Gefangenen geschüttelt. Ein Mann rief: „Auf was warten wir? Holen wir uns diese Feuerteufel! Diese Bande von Meuchelmördern und Galgenstricken verdient nichts anderes, als auf der Stelle totgeschlagen zu werden!“ Heikki Lahtinen trat auf diesen Mann zu, den er gut kannte. Er hieß Kaarlo Tanner und war der Schneider von Abo. Lahtinen ließ sich bei ihm seine Anzüge anfertigen. „Sei vernünftig, Kaarlo Tanner“, sagte er. „Pekkanen wird entscheiden, was mit den Gefangenen geschieht.“ Tanners leicht flackernder Blick richtete sich auf Lahtinens Gesicht. „Es wäre gut, wenn du dich aus der Sache heraushalten würdest-, sagte er. „Das ist mein Rat, Heikki Lahtinen. Für einen Mann wie dich ist das, was hier gleich geschieht, ohnehin nichts.“ „Willst du dich mit Korsumäki auf eine Stufe stellen?“ fragte der Handelsherr unbeirrt. „Hältst du das für richtig? Ich richte einen Appell an dein Gewissen. Tu nichts. was den Kommandanten verärgern könnte.“ Tanners Miene wirkte verzerrt. „Ich bin obdachlos“, sagte er seltsam abgehackt. „Meine Frau und meine Kinder wären in meinem Haus verbrannt, wenn ich sie nicht gerade noch rechtzeitig genug geweckt und hinausgezerrt hätte. Zählt das oder zählt das nicht. Heikki Lahtinen? Muß ich erst einen Richterspruch abwarten, um den Teufel Korsumäki an einem Ast baumeln zu sehen?“ „Ja, das mußt du. Wir sind zivilisierte Menschen.“ „Aber wer mich schlägt, den schlage auch ich.“ „Kaarlo Tanner, du gehst jeden Sonntag in die Kirche und schwörst bei Gott, daß du die zehn Gebote achten und befolgen
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wirst“, sagte Lahtinen. „Hast du vergessen, wie das fünfte lautet?“ „Nein. Aber ,Auge um Auge und Zahn um Zahn' - auch das steht in der Bibel.“ „Ich will mich mit dir nicht streiten“, sagte Lahtinen ruhig. „Aber ich habe dich vor überstürzten, falschen Hoffnungen gewarnt.“ „Und ich empfehle dir, in dein Kontor zurückzukehren!“ zischte Tanner aufgebracht. Die Boote folgten dem Verlauf des Ufers in östlicher Richtung und bogen in die Mündung des Aura ein. Die Mannschaften pullten den Fluß hinauf, der Verband glitt auf die Brücke zu, die während der Nacht eingezogen worden war, so daß Korsumäki und seine Anhänger den Fluß mit Booten hatten überqueren müssen. Dabei waren sie von den Männern der „Isabella“ gestört worden. 17-Pfünder- und 25-PfünderKugeln waren geflogen und hatten ihr Ziel gefunden. Die Brand- und Pulverpfeile von Big Old Shane und Batuti hatten die mittelalterlichen Steinkatapulte zerstört, mit denen die Aufwiegler die „Isabella“ beschossen hatten. Das Stadtgefängnis befand sich an der linken Flußseite, von See her gesehen, im Westen also, und zwar etwa zweieinhalb Meilen vom Hafen entfernt. Diese Entfernung mußte noch zurückgelegt werden. Eino Pekkanen, Hasard, Carberry und alle anderen Männer an Bord der Boote schwiegen, doch sie beobachteten mit wachsender Besorgnis, wie sich die große Gruppe von Menschen, die sich am Kai zusammengeschart hatte, jetzt an das Ufer des Flusses verlagerte. Gruppenweise rotteten sich die Bürger zusammen und begleiteten die Boote im Laufschritt. Ihre Zahl wuchs ständig, ganz Abo schien auf den Beinen zu sein. Die meisten Männer hatten rauchgeschwärzte Gesichter, ihre Kleidung war angesengt. Auch Frauen erblickte der Seewolf, und sogar ein paar Halbwüchsige schlossen sich der Versammlung an. „Da sitzt der Schweinehund!“ rief jemand. „Stoßt ihn ins Wasser!“ schrie eine Frau. „Na los! Ersäuft ihn!“
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Stenmark wurde wieder seiner Pflicht als Dolmetscher gerecht. Was er übersetzte, steigerte Hasards innere Unruhe. Big Old Shane warf einen langen Blick auf die Leute, die neben den Booten herliefen, und sagte: „Die sind außer sich vor Wut. Denen genügt nicht, daß wir die Kerle geschnappt haben.“ „Da braut sich was zusammen“, sagte nun auch Ferris Tucker. „Ja“, pflichtete Smoky ihm bei. „Alles deutet darauf hin, daß die Leute nicht übel Lust haben, Korsumäki und die sechs Halunken eigenhändig am nächsten Baum aufzuhängen.“ „Natürlich wollen sie Selbstjustiz üben“, sagte Hasard. „Ich kann ihre Reaktion sogar verstehen. Aber Pekkanen scheint mir nicht der Mann zu sein, der vor irgendwelchen Bedrohungen kapituliert. Niemals würde er die Gefangenen den Bürgern zum Fraß vorwerfen.“ „Ganz bestimmt nicht“, meinte Dan O'Flynn. Er sah zu dem Boot des Stadtkommandanten hinüber. Pekkanens Miene war hart geworden, sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Er hielt eisern daran fest, daß alles seine Richtigkeit haben mußte. Mit anderen Worten: Paavo Korsumäki und die sechs Mitgefangenen sollten vor ein ordentliches Gericht gestellt werden, das dann darüber befinden würde, wie die Kerle zu bestrafen waren. Daß es die Todesstrafe sein würde, war ohnehin sicher. Aber es mußte Recht gesprochen werden. Kein Weg führte daran vorbei, und Eino Pekkanen war trotz des Verständnisses, das auch er für den seelischen Zustand seiner Landsleute aufbrachte, fest entschlossen, die neun Delinquenten in den Kerker zu sperren. Natürlich hatte auch Paavo Korsumäki ganz genau verfolgt, was sich an Land abspielte. Er war wieder voll Herr seiner Sinne. Das Bewußtsein hatte er ja bereits am Ufer der Insel wiedererlangt, und die Kopfschmerzen, die er verspürt hatte, nachdem seine Kumpane ihn niedergeschlagen hatten, waren auch fast völlig verflogen. Was er jetzt empfand,
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war Haß. Abgrundtiefer Haß -gegen seine Gefährten, die ihn im Stich gelassen hatten, gegen die Männer der „Isabella“, gegen die Gendarmen und gegen die Bevölkerung. Alles, was er begonnen hatte, war fehlgeschlagen. Er hatte die Fremden töten wollen und mit ihnen die Bürger von Abo, die sich auf Geschäfte mit diesen „Christenhunden“ eingelassen hatten. Ausrotten hatte er sie wollen, und danach wäre er zum unumschränkten Herrscher der Küstenregion aufgestiegen, der sich gegen jeden Versuch der Schweden, Abo zurückzuerobern, erfolgreich zu wehren gewußt hätte. Die Schweden verwalteten Finnland, auch sie waren Paavo Korsumäkis Todfeinde. Zwar hatte das Feuer verheerend gewütet, aber die Bürger von Abo und vor allem die verfluchten Engländer lebten noch. Ja, eigentlich verdankte er, Korsumäki, seine Niederlage diesen Fremden. Daß ihm jetzt die Hölle auf Erden bevorstand - die er in der Nacht den Bürgern bereitet hatte konnte er sich an den fünf Fingern abzählen. Er mußte ihrer Rache entgehen. Plötzlich stand sein Plan fest. Er würde sich von ihnen nicht hängen und tottrampeln, steinigen oder niederknüppeln lassen. Dieser Schmach würde er entgehen. Plötzlich fuhr er trotz seiner auf den Rücken gefesselten Hände von der Ducht hoch, ehe auch nur einer der Gendarmen ihn daran hindern konnte, und sprang vom Boot in den Fluß. Pekkanen zuckte zu ihm herum und stieß einen wütenden Laut aus. Einer der Gendarmen griff mit der Hand nach Korsumäkis Fußknöchel, doch sein Handeln erfolgte zu spät. Schon schlugen die Fluten mit einem Klatschen über Paavo Korsumäki zusammen. Er tauchte unter. Zunächst sah es so aus, als müsse er unweigerlich ertrinken, weil er sich mit den gefesselten Händen nicht fortbewegen konnte. Doch das war eine Täuschung. Korsumäkis einziger Gedanke lautete Flucht, und trotz seiner scheinbar ausweglosen Lage war er mit der ihm eigenen Wildheit und
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Verbissenheit darum bemüht, den Plan in die Tat umzusetzen. * Hasard hatte so etwas bereits geahnt und unausgesetzt Paavo Korsumäki beobachtet. Jetzt erhob er sich von seinem Platz im Heck der großen Jolle. „Shane, übernimm du die Pinne!“ rief er. Pekkanens Soldaten fluchten und schrien, an Land grölten die Männer von Abo, und die Frauen stießen schrille Rufe aus. Wuhling herrschte plötzlich, doch der Seewolf ließ sich dadurch nicht in seinem Vorhaben beirren. Noch bevor irgendein anderer Mann reagierte, hechtete er außenbords und nahm die Verfolgung Korsumäkis auf. Er streckte die Arme vor, tauchte unter und begann sofort zu schwimmen. Gewandt bewegte er sich dicht unter der Wasseroberfläche dahin. Die Männer in den Booten konnten seine Gestalt noch ziemlich deutlich erkennen und sahen, in welche Richtung er sich wandte. „Flußabwärts!“ schrie Dan O'Flynn. „Los, ihm nach! Vielleicht braucht er unsere Hilfe!“ Shane hatte die Ruderpinne übernommen. Die Crew begann wieder zu pullen, und auch Carberrys Boot nahm erneut Fahrt auf. „Ruckst, daß euch die Schwarte kracht!“ brüllte der Profos. „Laßt diesen finnischen Oberbastard nicht entwischen!“ In den Booten Pekkanens herrschte immer noch Zustand, denn auch Korsumäkis sechs Kumpane waren von den Duchten aufgesprungen und versuchten zu fliehen. Aber diesmal waren die Gendarmen und Soldaten auf der Hut. Sie hielten die Kerle an Armen und Beinen fest und zwangen sie auf ihre Plätze zurück. Nur einem der Gefangenen gelang es, sich loszureißen und sich über die Bordwand zu stürzen. Doch kaum hatte das Wasser des Aura ihn aufgenommen, beugten sich die Männer des Stadtkommandanten aus den Booten, packten ihn und zerrten ihn wieder heraus.
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Die anderen Kerle, die sich immer noch aufsässig zeigten, wurden mit ein paar Hieben zur Vernunft gebracht. Eino Pekkanens scharfe Befehle trieben die Gendarmen zum Handeln an, und im Nu war die Ordnung in allen Booten wiederhergestellt. Shane und Carberry hatten die Jollen der „Isabella“ unterdessen gewendet, indem sie die Pinnen hart herumgedrückt hatten. Die Boote schoben sich vom Westufer zum Ostufer des Flusses, wurden von der Strömung erfaßt und glitten, noch in der Drehung befindlich, mit rascher Fahrt in Richtung auf den Hafen zurück. Wieder korrigierten der graubärtige Riese und der Profos den Kurs, so daß sie zum westlichen Ufer zurückkehrten, wo die Gestalt des Seewolfes ihnen unter der Wasseroberfläche allmählich wieder näher rückte. Aber auch die Bürger von Abo hatten sich umgedreht und rannten den Jollen nach. „Korsumäki will abhauen!“ schrie Kaarlo Tanner außer sich vor Wut. „Haltet ihn!“ rief eine Frau, die mit wehenden Röcken neben ihm hereilte. „Er darf nicht fliehen! Faßt ihn! Reißt ihn nieder, schlagt ihn tot!“ Paavo Korsumäki war in der Zwischenzeit eine beachtliche Strecke weit getaucht. Als er aber nach Luft schnappen mußte und den Kopf aus dem Wasser hob, griffen die Männer und Frauen an Land Steine auf und warfen sie nach ihm. Korsumäki stieß eine Verwünschung aus und tauchte wieder weg. Jetzt aber zeigte der Seewolf seinen Kopf, denn auch ihm war die Luft knapp geworden. „Aufpassen, Sir!“ schrie Carberry. „Da fliegen Steine!“ Seine Warnung erfolgte jedoch zu spät. Unglücklicherweise wurde Hasard von einem verirrten Stein am Hinterkopf getroffen. Er duckte sich noch instinktiv im Wasser, doch das nutzte ihm nichts mehr. Dröhnend pflanzte sich der Schlag durch seinen Schädel fort, und der stechende Schmerz raubte ihm die Sinne. Mit einem kaum hörbaren Stöhnen sank er unter Wasser und drohte zu ertrinken.
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Heikki Lahtinen hatte Tanners Rat, sich zu entfernen, nicht befolgt. Er hielt sich weiterhin in der Nähe auf und hatte alles beobachtet. „Mein Gott!“ stieß er hervor. „Das darf nicht sein! Hört mit diesem Wahnsinn auf!“ Doch die Menge achtete nicht 'auf ihn, wieder wurden Steine nach Korsumäki geworfen, der sich immer weiter entfernte. Das Gebrüll der Bürger begleitete die klatschenden Geräusche, mit denen die Steine im Wasser landeten, und es mischte sich mit den Wutschreien der Seewölfe und dem Fluchen von Eino Pekkanen und dessen Soldaten. Plötzlich war wieder der Teufel los. 3. Dan O'Flynn war schneller als Shane, Stenmark, Smoky und die anderen Männer an Bord der großen Jolle. Er hechtete ins Wasser, tauchte sofort und versuchte, Hasard festzuhalten, ehe dieser zu weit nach unten abglitt. „Ed!“ schrie Shane dem Profos zu. „Sieh du zu, daß du den verfluchten Hurensohn zu fassen kriegst!“ Schon schoß Carberrys Jolle vorbei und nahm die Verfolgung von Paavo Korsumäki auf. Dieser zeigte sich immer nur kurz, wenn er nach Luft schnappen mußte. Er war jetzt bestrebt, die andere Flußseite zu erreichen. Dan hatte inzwischen Hasards rechten Arm packen können, doch dessen Körpergewicht war größer, als er einkalkuliert hatte. Der Arm entglitt Dan wieder - Hasard sank tiefer. Verzweiflung stieg in Dan auf. Er wußte, daß es nur noch wenige Augenblicke dauern würde, bis sich die Lungen des Seewolfes mit Wasser füllten und jede Hilfe für ihn zu spät war. Es bedurfte keiner Minute, um einen Menschen ertrinken zu lassen, das Unglück trat sehr viel schneller ein. Dan drehte sich im Wasser, bewegte die Arme und Beine und schoß tiefer hinab. Wieder griff er zu, diesmal energischer. Er schob seine Hände unter Hasards Achseln,
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zerrte ihn zu sich heran und trachtete danach, so schnell wie möglich wieder an die Oberfläche zurückzukehren. In der großen Jolle beugten sich die Männer über das Dollbord und versuchten, etwas von dem zu erkennen, was unter ihnen im Wasser vorging. „Zur Hölle!“ stieß Big Old Shane hervor. „Warum dauert das so lange?“ „Vielleicht braucht Dan Unterstützung!“ rief Ferris Tucker. „Ich springe ihm nach!“ „Da sind sie!“ schrie jetzt jedoch Matt Davies. Und tatsächlich - die Köpfe von Hasard und Dan wurden unter ihnen sichtbar, dann zeichneten sich auch die Konturen der beiden Männer in den leicht trüben Fluten ab. Entsetzt registrierten die Männer, daß der Seewolf aus einer Wunde am Kopf blutete. Auch Dan hatte dies längst bemerkt, und er verdoppelte seine Anstrengungen, Hasard zum Boot hinaufzubefördern. Das Wasser war eiskalt. Dan biß die Zähne zusammen, aber er konnte nichts dagegen tun, daß seine Knochen schnell steif wurden. Der Griff seiner Hände drohte sich erneut zu lösen, er hatte große Mühe, Hasard zu halten. Aber dann schaffte er es doch. Genau neben der Bordwand der Jolle tauchten sie aus dem Wasser auf, und sofort packten die Männer zu und zerrten die beiden an Bord. „Kümmert euch um Hasard!“ stieß Dan aus. „Ich schaffe das auch allein!“ Aber seine Finger waren klamm und rutschten vom Dollbord ab. Er brachte es aus eigener Kraft nicht fertig, sich in das Boot zu ziehen, deshalb bemühten sich Bob Grey und Bill um ihn und hievten ihn an Bord. Stenmark und Smoky hatten Hasard inzwischen geborgen und betteten ihn zwischen zwei Duchten. Mac Pellew war zur Stelle. Er untersuchte sofort Hasards Blessur. „Das ist eine wüste Platzwunde“, sagte er mit besorgter Miene. „Hölle und Teufel, seht euch an, wie die blutet.“ „Du kannst dir gleich unser Boot von unten besehen, wenn du nicht was unternimmst!“
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fuhr Ferris Tucker ihn an. „Tu was, Mister Pellew, du Rübenschwein, oder ich mach dir Feuer unterm Arsch!“ Mac Pellew begann, den Seewolf zu verarzten. Die erforderlichen Utensilien seines Feldscher-Metiers hatte er von Bord der „Isabella“ mitgenommen. Allerdings konnte er die Platzwunde, die sich über Hasards rechte Kopfseite zog, nicht nähen, das ließ sich nur in dem Krankenraum bewerkstelligen, der im Vordeck der Galeone eingerichtet war. Er säuberte die Wunde jedoch und behandelte sie mit einem KampferPräparat. So gelang es ihm, wenigstens die Blutung zum Stillstand zu bringen. Hasard erlangte das Bewußtsein jedoch nicht wieder, er lag völlig reglos da. Auch Ferris Tucker beugte sich über ihn, preßte sein Ohr an die Brust und lauschte dem Herzschlag. „Da hämmert es noch ganz ordentlich“, sagte er. „Aber wir müssen was tun, damit er das Wasser ausspuckt, das er geschluckt hat.“ „Es ist besser, wenn wir das an Land tun“, sagte Mac Pellew. Mehr äußerte er vorerst nicht, aber er hörte nicht auf, Hasards Gesicht zu betrachten, das eine talgige Farbe angenommen hatte. Mac wollte dies gar nicht gefallen, er wurde jetzt sehr unruhig. Paavo Korsumäki hatte indes das Ufer des Flusses erreicht, kroch an Land, richtete sich auf und begann zu laufen. Er wandte sich nach Osten. Nicht weit entfernt von ihm erhoben sich die verkohlten Stämme des Gehölzes, das die Seewölfe während der Nacht in Brand geschossen hatten. So hatten sie den Einsatz der Steinschleudern vereitelt, die die „Isabella“ hatten leckschlagen sollen. Neuer Haß erfüllte Korsumäki bei dem Gedanken an die Geschehnisse, er beschloß, sich bitter zu rächen, wenn ihm die Flucht gelang. Doch Carberrys Jolle landete kurz nach ihm. Batuti sprang als erster ans Ufer und jagte hinter dem Finnen her, dann verließen auch der Profos, Pete Ballie, Roger Brighton, Jack Finnegan, Paddy
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Rogers und Blacky das Boot und setzten ihrem Gegner nach. Der schwarze Herkules aus Gambia lief schneller, als Korsumäki erwartet hatte. Geduckt raste Batuti dem Kerl nach, seine Füße schienen den Erdboden kaum noch zu berühren. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, seine Miene war verzerrt, das Weiße in seinen Augen trat weit hervor. So sah Korsumäki den schwarzen Mann hinter sich, als er einen Blick über die Schulter zurückwarf. Ein glühender Schreck durchzuckte ihn. Die Distanz zwischen ihnen schrumpfte zusammen, Batuti holte zusehends auf. Korsumäki rannte, so schnell er konnte. Sein Atem ging heftig, er begann Seitenstiche zu spüren. Gleichzeitig wurde er von Panik ergriffen. Der schwarze Satan, dachte er, er steht mit der Hölle im Bund! Schon auf der Insel des Runensteins hatten sich Korsumäkis Männer vor dem dunkelhäutigen Riesen erschrocken. Nie zuvor hatten sie einen Afrikaner gesehen, sie waren nie einem Fremden begegnet, der von einem anderen Kontinent stammte. Die unterschwellige Angst vor allem Unbekannten, Unergründlichen packte nun auch Paavo Korsumäki. Wer war der Schwarze? Ging es mit rechten Dingen zu, daß er derart schnell lief? Oder hing es mit den Mächten der Finsternis zusammen, daß er auch jetzt wieder aufholte? Korsumäkis Kräfte ließen nach, Batuti aber schien unter dem Einfluß des unbändigen Zornes, der ihn vorantrieb, gleichsam aufzuleben. Erstaunlich leichtfüßig jagte er dem Finnen nach und hängte selbst Carberry und die anderen Kameraden ab, die ihm nachstürmten. „Hau ab!“ brüllte Korsumäki. Dann stolperte er. Dabei griff er jedoch noch einem Stein, der ihm im Weg lag, hob ihn auf und schleuderte ihn mit einem Fluch nach dem Gambia-Mann. Batuti wich geschickt aus. Der Stein flog an ihm vorbei. Weiter ging es, Korsumäki begann zu taumeln, strauchelte erneut, fing sich noch einmal, hatte aber keine Chance mehr, seinem Verfolger zu entkommen. Er
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verlegte sich auf eine andere Taktik. Plötzlich ließ er sich absichtlich fallen, überrollte sich und riß mit der einen Hand Erde hoch, die er dem Gambia-Mann ins Gesicht zu schleudern versuchte. Batuti stoppte ab, glitt nach rechts und entging der Ladung Erde, die ihm die Sicht nehmen sollte. „Kämpfe wie ein Mann“, sagte er grollend zu dem Finnen. „Jetzt rechnen wir miteinander ab, du Hund.“ „Verschwinde!“ schrie Korsumäki ihn an. Er tastete wild um sich, ergriff einen zweiten Stein und hob ihn gegen Batuti, der sich in diesem Moment auf ihn zuwarf. Doch ehe er damit zuschlagen konnte, hatte Batuti ihm den Stein aus der Hand gerissen und zur Seite geschleudert. Sie hieben gegenseitig mit den Fäusten aufeinander ein, wälzten sich auf dem Untergrund und fauchten wie zwei Raubkatzen. Korsumäki wollte Batutis Hals packen und ihm die Luft abdrücken, aber wieder war dieser auf der Hut und schlug die beiden Hände, die schon zu seiner Gurgel hochschossen, seitwärts weg. Dann hatte Korsumäki nichts mehr zu melden. Batuti hatte ihn unter sich und ließ einen wahren Hagel von Fausthieben auf ihn niederprasseln. Erbarmungslos fand Schlag um Schlag das Ziel, mal das Kinn, mal die Brust, mal die Schultern. „Recht so!“ brüllte Carberry, der mit der Crew eintraf. „Nimm ihn erst mal kräftig in die Mangel, Batuti, dann sehen wir weiter!“ Unter anderen Voraussetzungen hätte Batuti zweifellos aufgehört, den Kerl zu bearbeiten, denn das Prinzip der Fairneß war ihm wie jedem anderen Mann der „Isabella“-Crew heilig. Aber hier lagen die Dinge anders. Korsumäkis Schuldkonto war zu groß, der Kerl verdiente eine kräftige Abreibung. Was er sich seit dem Abenteuer um den Runenstein geleistet hatte, überstieg das Maß des Erträglichen. Nicht genug damit, daß er die „Isabella“ verfolgt hatte, um sie zu versenken - er hatte auch gewagt, Hasard junior zu entführen. Immer wieder hatte er ihnen zugesetzt, und alles hatte
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seinen Gipfelpunkt in dem Brand von Abo gefunden. Jetzt rettete ihn nichts mehr vor der Bestrafung, die aus einer kräftigen Tracht Prügel bestand, soweit es die Seewölfe betraf. „Verdammter Hund!“ fluchte Batuti und hieb noch ein paarmal zu. „Das geht alles auf keine Kuhhaut nich' mehr!“ Er war so erregt, daß er sein ausgezeichnetes Englisch vergaß und wieder in jenes Kauderwelsch verfiel, das er früher einmal gesprochen hatte. Carberry stand da und verfolgte die Züchtigung des Schlagetots Paavo Korsumäki mit grimmiger Genugtuung. Auch Pete Ballie und die vier anderen Männer sahen keinen Grund zum Eingreifen. „Weiter so!“ feuerte Blacky den GambiaMann sogar an. „Wir haben keinen Grund, diesen Strolch auch noch mit Samthandschuhen anzufassen.“ Korsumäki sank ohnmächtig zusammen und regte sich nicht mehr. Batuti hörte mit dem Zuschlagen auf, vergewisserte sich aber eingehend, daß es kein Trick war, ehe er sich erhob. Korsumäki war wirklich bewußtlos und würde vorläufig nicht mehr daran denken, neue Fluchtpläne zu schmieden. So bückte sich der Gambia-Mann nach ihm, hob ihn vom Boden auf und lud ihn sich auf die rechte Schulter. Mit fragender Miene blickte er zu Carberry. „In Ordnung“, sagte dieser. „Wir bringen ihn zurück zum Stadtkommandanten. Der weiß schon, was er mit ihm zu tun hat.“ Die sieben Männer kehrten mit ihrem Gefangenen zur Jolle zurück. Hatten sie aber gedacht, daß nun alles erledigt sei und die Gefangenen ohne weiteren Aufenthalt zum Stadtgefängnis gebracht werden konnten, so hatten sie sich gründlich getäuscht. Der Tanz ging erst richtig los. * Was jetzt seinen Lauf nahm, gab den Seewölfen einen kleinen Vorgeschmack auf das, was man im allgemeinen mit „kochender Volksseele“ bezeichnet.
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Tanner und die anderen aufgebrachten Bürger der Stadt waren inzwischen nicht untätig gewesen. Sie hatten ein Boot entdeckt, das am westlichen Ufer des Aura lag, schoben es in diesem Augenblick ins Wasser und kletterten hinein. Carberry glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als dieses Boot unter dem Gebrüll seiner Insassen den Fluß überquerte und genau auf die kleine Jolle zuhielt. Ob es sich bei dem Boot um eins der Fahrzeuge handelte, dessen sich die KorsumäkiBande bei dem nächtlichen Gefecht um die Burg bedient hatte, oder aber um eins, das erst am Morgen dieses Tages an dieser Stelle gelandet war, ließ sich nicht feststellen. Es hatte auch weiter keine Bedeutung, ausschlaggebend war nur die Tatsache, daß das Boot in eindeutiger Absicht auf die Jolle zuschoß. „Seht euch das an!“ rief Roger Brighton. „Der Kahn ist voll besetzt mit wildgewordenen Bürgern!“ „Dreimal dürft ihr raten. was die vorhaben“, sagte der Profos grimmig. „Sie wollen uns Korsumäki abjagen. Aber ich beiße mir lieber selber in den Achtersteven, als daß ich mir das gefallen lasse.“ Er nahm auf der achteren Ducht der Jolle Platz und wartete die Entwicklung des Geschehens ab. Als das Boot der Jolle sehr nahe war, begann Kaarlo Tanner zu schreien: „Wir wollen Korsumäki! Übergebt ihn uns ohne Kampf! Es hat keinen Zweck, daß ihr ihn festzuhalten versucht! Wir sind in der Übermacht!“ Carberry blickte in einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Hohn zu ihm hinüber, dann brüllte er zurück: „Von eurem Gequake kapiere ich kein Wort, ihr Frösche! Ihr hättet einen Dolmetscher mitbringen sollen! Streicht die Flagge und verholt euch, wir können euch hier nicht gebrauchen!“ „Ed“, sagte Pete Ballie warnend. _Die machen wirklich Ernst. Ich glaube, sie wissen nicht mehr richtig, was sie tun.“ „Egal”, brummte der Profos. „Wir bringen ihnen schon die Flötentöne bei, wenn sie
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was gegen uns unternehmen. Los, alle Mann an die Riemen. Wir wollen an diesem dämlichen Flußufer nicht alt werden.“ Die Seewölfe verstauten Korsumäkis immer noch regungslose Gestalt zwischen den Duchten und griffen zu den Riemen. Sie hatten sie aber kaum in die Rundseln gelegt, da war das Boot der Finnen heran. Tanner hatte das Kommando ganz einfach an sich gerissen und erteilte seinen Begleitern barsche Befehle. Nachdem er ihnen erklärt hatte, wie sie sich zu verhalten hatten, hob er einen Peekhaken auf und richtete ihn drohend auf Carberry. Natürlich hatte auch Tanner nicht verstehen können, was der Profos ihm zugerufen hatte, aber daß es keine freundliche Einladung gewesen war, konnte auch er sich ausrechnen. Trotzdem dachte er nicht daran, seine Mitstreiter zur Umkehr zu bewegen. Das Unternehmen war begonnen und mußte zu Ende geführt werden. „Korsumäki!“ schrie Tanner mit fanatischem Glanz in den Augen. „Wir wollen Korsumäki! Er gehört uns!“ Carberry hatte die Jolle halb gewendet, der Abstand zum Ufer wurde rasch größer. Dafür verringerte sich die Distanz zu dem Boot. der Finnen. Starr blickte der Profos auf den Peekhaken, der, von Tanner gehalten, auf ihn zurückte und genau auf seine mächtige Brust zielte. Später erklärte Carberry seinen Kameraden von der „Isabella“, in diesem Augenblick sei „so etwas wie eine Höllenflasche“ in ihm explodiert. Ohne jeglichen Grund angegriffen zu werden, das war etwas, was er absolut nicht leiden konnte. Da verschlug es ihm glatt die Sprache, und er verwandelte sich in eine wutschnaubende Kampfmaschine. In diesem Zustand war er an Bord seines Schiffes fähig, den Großmast aus dem Kielschwein zu rupfen und sich mit dem Großsegel die Nase zu putzen, seine Gegner als Holy Stone zu benutzen und mit ihnen die Planken zu schrubben. Nichts hatte man mehr zu fürchten als einen solchen Ausbruch Carberrys. Wenn er brüllte, war er noch
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ganz gesund, wie die Crew zu sagen pflegte, aber wehe, er schwieg - wie jetzt! Plötzlich fuhr er hoch. Im Nu hatte er den Peekhaken mit beiden Fäusten gepackt und riß ihn mit einem Ruck zu sich heran. Der Spitze wußte er dabei geschickt auszuweichen. Kaarlo Tanner war auf den jähen Angriff nicht vorbereitet gewesen, er stieß nur einen Laut der Verwunderung aus, dachte aber im ersten Entsetzen nicht daran, seine Waffe loszulassen. So flog er aus dem Boot und landete im Wasser. Damit nicht genug: Ehe er untertauchte, beugte sich der Profos noch flink über ihn und verpaßte ihm eine Ohrfeige, die dem Mann glatt den Kopf von den Schultern zu reißen drohte. So jedenfalls wirkte es, und Tanner ging unter, ohne auch nur einen weiteren Laut von sich zu geben. Die anderen Finnen in dem Boot quittierten Carberrys Aktion mit wütendem Gebrüll. Noch vertrauten sie auf ihre Übermacht. Sie waren gut fünfzehn Mann und hatten Peekhaken, Riemen und lange Dolche, mit denen sie jetzt aufgebracht fuchtelten. Aber sie wußten nicht, auf was sie sich eingelassen hatten. Sie hatten gewissermaßen sieben Tigern in den Schwanz gezwickt. Pete, Roger, Jack, Paddy, Batuti und Blacky waren genauso zornig wie Carberry, Und der Profos bräuchte ihnen jetzt hur noch einen Wink zu geben, da legten auch sie los. Die Haken und Riemen der Finnen droschen auf die kleine Jolle ein, aber schon flogen auch hier die Waffen hoch, und der Ausfall prallte auf einen massiven Widerstand. Verblüfft und erschrocken zugleich schrien die Bürger von Abo auf. Pete, Roger und Batuti packten zu Und kriegten ein paar Riemen und Peekhaken zu fassen, und so flogen gleich vier oder fünf der Angreifer zu Kaarlo Tanner ins Wasser. Der war inzwischen wieder aufgetaucht. Der Köpf dröhnte ihm zwar von Carberrys gewaltiger Maulschelle, aber er hatte die Besinnung nicht verloren: Unter Flüchen Versuchte er, zu seinen Männern
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zurückzukehren, aber Blacky hatte ihn bereits gesichtet, beugte sich aus der Jolle und stieß ihn zurück. Carberry, Jack Finnegan und Paddy Rogers stiegen einfach in das Boot der Finnen hinüber und begannen, sich mit den Männern zu schlagen. Zwar befanden sich die Angreifer nach wie vor in der Überzahl, doch so etwas hatte die Seewölfe noch nie sonderlich beeindruckt. Sie hatten sich gegenganze Heerscharen von Feinden behauptet, zur See wie an Land, und wer mit ihnen zu tun gehabt hatte, der konnte etwas über ihre Verwegenheit erzählen. Hinzu kam, daß die Männer wegen des Steinwurfs, der Hasard getroffen hatte, ganz besonders gereizt waren. Carberry wußte am allerbesten; wie schmerzhaft eine solche Verletzung sein konnte, denn er hatte ja aus dem Kampf an der Insel des Runensteines einen Kopfstreifeschuß davongetragen. Jetzt aber war er wieder „voll auf dem Damm“. Er trug zwar immer noch einen Kopfverband, hatte aber keine Beschwerden mehr. Er sah mit seinem Verband nur noch wüster und gefährlicher aus als sonst, was bei den Finnen einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Wieder waren ein paar Gegner aus dem Boot „abgeräumt“, und dann flogen den zehn bis zwölf Angreifern, die noch blieben, die Musketenkolben der Seewölfe um die Ohren. „Ihr mistigen Bilgenratten!“ brüllte der Profos nun wieder, denn etwas von seiner Wut war verdampft. „Ihr Kakerlaken, ihr verlausten Vorpiekwanzen! Räumt das Deck. oder wir hauen euch die Rüben platt!“ Stöhnend sanken sie über den Duchten zusammen oder kippten ins Wasser des Aura. Kaarlo Tanner war unterdessen wieder aufgetaucht und schrie sinnlose Befehle - keiner hörte mehr darauf. Der Kampf war verloren. Wer noch schwimmen konnte, der suchte sein Heil in der Flucht. Wer bewußtlos im Boot lag, war schlimmer dran. Denn plötzlich entdeckte Edwin Carberry unter einer der vorderen Duchten etwas, was sein Interesse erregte.
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„Jack, Paddy“, sagte er. „Seht mal. Da liegt eine Axt.“ 4.
Schon hätte Carberry sich gebückt Und die Axt aufgehoben. Er stieß einen der Finnen, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte und erneut auf ihn werfen wollte, zur Seite. Der Mann kippte rücklings über das Dollbord Und landete mit einem Klatscher im kalten Wasser. Er tauchte unter, schoß wieder hoch Und hob die eine Hand, als wolle er gegen die Behandlung protestieren. Dann aber ging er erneut unter. Carberry prüfte die Schärfe der Axt mit dem Daumen, dann spuckte er in die Hände und begann mit ihr, um sich zu schlagen. Das Werkzeug krachte in die Planken, es gab Lecks, das Boot füllte sich mit Wasser. „So, jetzt kriegen diese verlausten Elchbullen die Gelegenheit, sich ihre Affenärsche wieder abzukühlen!“ brüllte er. „Jack und Paddy, zurück in die Jolle, der Kahn hier säuft gleich ab!“ Jack und Paddy kehrten zu Pete, Roger, Batuti und Blacky zurück, der Profos folgte ihnen, nachdem er die Axt noch ein paarmal auf die Duchten und Planken des Bootes hatte niedersausen lassen. Durch die zertrümmerten Planken schoß das Wasser mit gurgelnden Lauten in das Boot der Finnen, und mitsamt seinen letzten Insassen ging es auf Tiefe. Rasch schnitt die Oberkante der Bordwände unter, und die „verlausten Elchbullen“ gingen baden. Die ganze Meute planschte im Wasser herum und versuchte, irgendwo Halt zu finden. „Wer versucht, in die Jolle einzusteigen, der kriegt was auf die Finger!“ rief Carberry. „Laßt die Kerle nicht an Bord!“ Inzwischen hatten sich auch die Boote Eino Pekkanens wieder flußabwärts in Bewegung gesetzt. Der Kommandant hatte verfolgt, was geschehen war, wie auch Shane, Smoky und den anderen Seewölfen in der großen Jolle nicht entgangen war, was sich nach Korsumäkis neuerlicher
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Flucht und Niederlage abgespielt hatte. Pekkanen hatte den Befehl gegeben, der Carberry -Crew Beistand zu leisten, und so glitten die Boote unter schnellem Ruderschlag heran. „Dazwischengehen!“ rief Pekkanen. „Treibt die Leute zurück!“ Tanner und die anderen Männer, die allesamt im Fluß gelandet waren, hatten inzwischen aber selbst eingesehen, daß es keinen Zweck mehr hatte, sich gegen die Männer in der Jolle zu wenden. Die Bewußtlosen, die eben wieder zu sich kamen, wurden abgeschleppt, und so schwamm die komplette Meute zum Westufer zurück, wo sie keuchend an Land stieg. Eino Pekkanen warf den Kerlen drohende Blicke zu, doch er vermied es, ihnen nachzufahren und sie wegen ihres eigenmächtigen, unverantwortlichen Handelns zur Rechenschaft zu ziehen. Schon eilten wieder die Bürger von Abo heran und scharten sich um ihre „Helden“ zusammen. Es hatte keinen Sinn, den Zorn des Volkes noch mehr zu schüren. Das einzig Richtige in dieser Situation war ein rasches Abliefern der Gefangenen im Stadtgefängnis. Pekkanen nickte dem Profos aufmunternd zu. Carberry grinste. Die Jolle stemmte sich unter den Anstrengungen der sechs Seewölfe gegen die Strömung, und weiter ging es. Eskortiert von den Booten Pekkanens, näherte sich die Jolle wieder dem großen Beiboot der „Isabella“, in dem sich die Männer nach wie vor um den Seewolf kümmerten. „Was ist mit Hasard los?“ brüllte der Profos zu ihnen herüber. „Er hat eine Platzwunde rechts am Kopf!“ schrie Shane zurück. „Er hat ein bißchen Wasser geschluckt und ist bewußtlos!“ „Das Wasser muß raus!“ rief Carberry. „Das wissen wir auch“, sagte der graubärtige Riese. „Aber, beim Henker, er will es einfach nicht ausspucken.“ „Versuchen wir, so schnell wie möglich die Landestelle zu erreichen“, sagte Carberry.
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Wenig später war es die große Jolle, die als erstes Boot an der Landestelle in unmittelbarer Nähe des Stadtgefängnisses eintraf. Hasard wurde von Shane und Ferris an Land getragen und sofort auf den Rücken gelegt. Dann bemühten sie sich darum, das Wasser aus ihm herauszupressen. Natürlich waren die Bürger von Abo dem Bootsverband erneut gefolgt. Sie versammelten sich jetzt um die Seewölfe, doch diese beachteten sie nicht. Heikki Lahtinen versuchte, sich zu seinen Handelspartnern durchzudrängeln, doch es gelang ihm nicht. Er stand zwischen vier, fünf Männern eingekeilt und konnte sich nicht mehr rühren, als die Menschentraube immer dichter wurde. Die Menge stand da wie eine Mauer, finster und drohend. Einer dieser Menschen mußte der Unglücksschütze gewesen sein - aber wer? Carberry, der eben mit seiner Jolle landete, musterte die Männer und Frauen der Reihe nach und erkannte Tanner und die anderen Angreifer wieder, die sich mit dazugesellt hatten und mit tropfnasser Kleidung und zornigen Gesichtern das Eintreffen der Boote beobachteten. Anders hatten sich die Seewölfe ihren Kontakt mit der Bevölkerung vorgestellt. Alles hätte friedlich ausgehen können, es bestand vor allem kein Grund dazu, daß sich die Bürger gegen Pekkanen, dessen Soldaten und die Seewölfe wandten. Unsinnig und absurd war dieses Verhalten. Auch der Verlust ihrer Häuser rechtfertigte nicht das gewaltsame Vorgehen der Obdachlosen. Sie mußten wenigstens einsehen, daß sie sowohl Pekkanen als auch der Seewolf vor Schlimmerem bewahrt hatten. Doch von der Vernunft schienen diese Menschen weit entfernt zu sein. Sie murrten und scharrten mit den Füßen, und wieder wurden Flüche laut, mit denen sie Paavo Korsumäki und dessen Kumpane beschimpften. Hasard erbrach einen Schwall Wasser. Shane und Ferris atmeten auf, denn jetzt
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nahm sein Gesicht auch wieder Farbe an. Doch er blieb weiterhin bewußtlos. Mac Pellew, der ebenfalls an Land war und den Seewolf noch einmal untersuchte, sagte jedoch: „Das hängt mit dem Blutverlust zusammen. Dagegen kann man vorerst nichts unternehmen. Es geht ihm jetzt aber besser. Bald wird er wieder bei Bewußtsein sein.“ „Wenn nicht, biege ich dir die Gräten ein wenig zurecht, Mac“, drohte Ferris Tucker. Aber natürlich meinte er es nicht so, wie er es sagte. Er wußte ja selbst gut genug, daß Mac Pellew alles getan hatte, was in seinen Kräften stand, um Hasard vor weiteren Folgen seines Unfalls zu bewahren. Die anderen Boote legten an, die Männer stiegen aus. Paavo Korsumäki war immer noch bewußtlos. Seine acht Kumpane wurden von den Soldaten vorgeführt. Aus ihren Gesichtern war jegliche Farbe gewichen. Sie hatten Angst, das sah man ihnen an. Und die Angst war begründet. Wieder rückten die Bürger von Abo näher heran, ein Ring drohte sich am Ufer des Aurajoki zu schließen, der die Bootsmannschaften am Betreten des Gefängnisses, einem hohen, wuchtigen Steinbau, hinderte. „Jetzt wird's dramatisch“, sagte Dan O'Flynn. „Die Leute haben ihre Lektion bezogen, aber sie haben nichts daraus gelernt.“ „Am besten kümmern wir uns nicht um sie“, sagte Shane. „Aber wenn sie wieder aufmüpfig werden, kriegen sie es auch mit uns zu tun. Hölle und Teufel, bildet das Völkchen sich vielleicht ein, es könne uns vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben?“ Die Menge begann zu grollen, fordernde Rufe wurden laut. Ein Mann, der rechts neben Kaarlo Tanner stand, schrie: „Gebt die Gefangenen heraus! Wir wissen, was wir mit ihnen zu tun haben! Sie werden gesteinigt und gevierteilt!“ „Nein, es ist besser, sie am Halse langzuziehen und zu ersäufen!“ brüllte Tanner. „Was anderes haben sie nicht
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verdient! Eino Pekkanen, warum stellst du dich gegen uns?“ Pekkanen fuhr zu ihm herum. „Weil es ein Gesetz gibt und ich dieses Gesetz befolge“, sagte er scharf. „Ich weise dich darauf hin, daß ich mir diesen Aufstand nicht länger bieten lasse, Kaarlo Tanner. Wenn es dir nicht gelingt, deine Leute im Zaum zu halten, lasse ich hart durchgreifen.“ „Sieh mal an“, sagte der Schneider höhnisch. „Jetzt nimmst du die Meuchelmörder und Feuerteufel also sogar schon in Schutz.“ „Vorsicht“, warnte Pekkanen, „das Maß ist voll.“ „Er droht uns!“ schrie Tanner. „Hört euch das an! Das klingt, als ob wir die Schuldigen wären! Wir sind die Verbrecher, wir haben Abo angezündet!“ „Da hört sich doch alles auf!“ rief eine Frau. „Brecht den Halunken die Hälse!“ brüllte ein alter Mann. Er hob seinen Stock und schwenkte ihn. „Zerrt sie ins Wasser, laßt sie langsam verrecken!“ „Herr Kommandant“, sagte einer der Gefangenen flehend. „Lassen Sie das nicht zu. Ich gehöre zu denen, die Korsumäki überwältigt haben, als er die Hütte auf der Insel nicht verlassen wollte. Bitte, liefern Sie uns diesen Verrückten nicht aus. Ich selbst habe ja eingesehen, was für ein Unrecht wir getan haben.“ „Die Einsicht kommt spät, sie nutzt dir nichts mehr“, sagte Eino Pekkanen. „Ich kenne dich auch, du hast zu den größten Raufbolden in der Stadt gehört. Welcher Teufel hat dich nur geritten, dich Korsumäki anzuschließen?“ „Er und seine Kumpane haben mich beschwatzt“, jammerte der Gefangene. „Sie haben mir Gold und Silber versprochen für den Fall, daß Abo in unsere Hand gerät, und ich Narr habe gedacht, es wäre die Wahrheit.“ „Gold und Silber gibt es in Abo nicht.“ Pekkanens Augen verengten sich. „Wohl aber solides Eisen, aus denen die Ketten geschmiedet sind, die man euch gleich anlegen wird. Ich weiß, was meine Pflicht
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ist, und ich denke nicht daran, diese Pflicht zu verletzen.“ Er fackelte nicht mehr lange. Da die Menge nicht weichen wollte, ließ er seine Soldaten antreten und Front gegen die aufgebrachte Versammlung machen. Die Musketen wurden angeschlagen, die Mündungen richteten sich auf die Bürger von Abo, die nun doch alle einen oder zwei Schritte zurücktraten. Carberry stieg aus der kleinen Jolle und wuchtete sich den immer noch bewußtlosen Korsumäki über die linke Schulter. In der rechten Faust hielt er jetzt eine doppelläufige Pistole. In ihm gärte die Wut. „Ihr Mistkerle“, sagte er zu den Bürgern.' „Mit Steinen habt ihr geworfen. Unseren Kapitän habt ihr getroffen. Wißt ihr das eigentlich, ihr Bastarde? So was reicht für mich, um einen eigenen Krieg anzuzetteln, gleichgültig, gegen wen.“ Er blickte zu Stenmark und fügte hinzu: „Sten, das kannst du diesen Drecksäcken ruhig übersetzen. Wir hätten gut Freund mit allen werden können, aber sie wollen es nicht. Na gut. Aber sie sollen die Finger von uns lassen, denn so einen Tanz wie eben lassen wir uns nicht noch mal bieten.“ Stenmark dolmetschte - und plötzlich verstummte die murrende Menge. Alle Blicke richteten sich auf den großen Mann mit dem narbigen Gesicht und dem Rammkinn. Für kurze Zeit waren sie verunsichert, denn es hatte den Anschein, als würde Carberry seine Drohungen im nächsten Augenblick in die Tat umsetzen. * Aber noch stand er da und wartete die weitere Entwicklung ab. Furcht verspürte er nicht, nicht einmal Respekt vor der Versammlung, die er auf gut zweihundert Menschen schätzte. Er würde sogar eine tausendköpfige Menge mit den blanken Fäusten angreifen, falls es erforderlich wurde. Seine Treue zu seinem Kapitän war bedingungslos. Carberry war aber andererseits nicht der Mann, der ohne eine Herausforderung zum
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Kampf überging. Da mußten schon Steine fliegen, mußte sich jemand auf ihn stürzen oder jemand das Messer zücken. Er war fast sicher, daß dies geschehen würde. Dies hier war so eine Situation, in der ein Funke genügte, um eine Explosion herbeizuführen. Dann würde es zweifellos ein Massaker geben, denn sämtliche Gendarmen und Soldaten waren bewaffnet und standen hinter ihrem Stadtkommandanten Eino Pekkanen. Das waren keine feigen Kerle, auch wenn sie inzwischen eine fast dreifache Anzahl von empörten Bürgern gegen sich stehen hatten. Die Menge rührte sich nicht mehr vom Fleck. Wieder wurden die Stimmen laut, die nach einer sofortigen Hinrichtung der sieben Gefangenen schrien. Man wollte ein eigenes Gericht zusammentreten lassen. es sollte darüber entscheiden, wie Korsumäki und die acht anderen Brandstifter getötet wurden. Ständig erhielt die Menge Zulauf, die Luft schien vor Spannung zu knistern. Nur ganz wenige Bürger waren es, die sich wie Heikki Lahtinen neutral verhielten. Alle anderen schrien laut nach Gerechtigkeit. „Dieser Korsumäki wollte schon seit langem Abo in seine Gewalt bringen!“ brüllte einer der empörten Bürger. „Deshalb hat er das Feuer gelegt! Wir müssen uns an ihm rächen! Er wollte uns alle unterwerfen!“ Shane hatte den Kopf gewandt und blickte zu Carberry. „Hör mal zu, Ed!“ rief er. „Ich bin der Meinung, daß die Meute total übergeschnappt ist! Von diesen Leuten können wir nicht erwarten, daß sie sich beruhigen!“ „Die stacheln sich gegenseitig an“, sagte der Profos. „Ich hätte große Lust, ihnen einem nach dem anderen den Hintern zu versohlen.“ „Was tun wir jetzt?“ „Frag mich nicht, Shane. Es hängt von dem Verhalten dieser Narren ab“, antwortete Carberry. Natürlich konnten die Seewölfe auch mit dem verletzten Hasard in ihre beiden Jollen
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zurücksteigen, dem Stadtkommandanten einen guten Tag wünschen und sich empfehlen, indem sie zur „Isabella“ zurückpullten. Kein Mensch würde sie daran hindern, im Gegenteil, Kaarlo Tanner und alle anderen Bürger, die Korsumäki gern am nächsten Baum hätten hängen sehen, hätten dies nur begrüßt. Und Eino Pekkanen? Nun, er hätte den Seewölfen deswegen wirklich keinen Vorwurf machen können. Aber Shane, Carberry und die fünfzehn anderen Männer der „Isabella“ dachten nicht daran, etwas Derartiges zu tun. Korsumäki war seit dem Zwischenfall mit dem Runenstein, der eine Art Heiligtum der heidnischen Inselbewohner darstellte, ihr ganz persönlicher Feind. Jetzt war er ihr Gefangener, den sie der finnischen Polizeibehörde zu übergeben fest entschlossen waren - be- ziehungsweise den schwedischen Behörden, unter deren Verwaltung Finnland ja stand. Diese Aufgabe endete erst dort, wo Korsumäki und seine Kumpane hinter Schloß und Riegel landen, also im Stadtgefängnis. Was danach passierte, war nicht mehr ihre Sache. Der Weg bis zum Gefängnis betrug knapp hundert Yards, wie Big Old Shane schätzte. Eine Strecke also, die schnell zurückgelegt werden konnte. Doch zwischen den Seewölfen und dem hoch aufragenden Bau standen die Bürger von Abo, die auch jetzt nicht die Bereitschaft zeigten, von ihren Racheplänen abzulassen. „Hört her“, sagte Carberry. „Ich schlage folgendes vor: Shane und ich tragen Hasard und diesen Korsumäki-Bastard zum Gefängnis. Ihr anderen gebt uns die nötige Deckung. Einverstanden, Shane? Ferris, Smoky, Dan?“ „Aye, aye, erwiderten die Männer. Keiner hatte Einwände. „Von mir aus kann's gleich losgehen“, sagte Shane, dann bückte er sich Und hob mit Ferris' Hilfe den immer Poch ohnmächtigen Seewolf vom Boden auf. „Wir haben hier sowieso schon viel zu lange rumgestanden“, brummte er noch.
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Dann nickte er Carberry zu und gab ihm zu verstehen, daß der Marsch beginnen könne. Die Männer aus beiden Jollen - allen voran Ferris, Smoky, Stenmark und Dan formierten sich als geschlossene Gruppe um ihren Profos und um den graubärtigen Riesen. Sie legten die Hände an die Kolben ihrer Musketen und Pistolen. „Es wird nur im äußersten Fall feuert“, sagte Big Old Shane. „Ja“, sagte Ferris grimmig. „Aber ich bedaure, daß ich keine Flaschenbombe mehr dabeihabe. Damit hätte ich diesen Kerlen nämlich sehr schnell demonstriert, daß wir nicht mit uns spaßen lassen.“ Pekkanen hatte längst begriffen, was die Seewölfe vorhatten, Stenmark brauchte es ihm nicht zu übersetzen. Er gab seinen Gendarmen und Soldaten den Befehl, einen Schutzring um die Gruppe der Seewölfe zu bilden. „Eino Pekkanen!“ schrie Kaarlo Tanner. „Ist das eine Kriegserklärung?“ „Geht nach Hause!“ rief der Kommandant. „Ich habe euch gewarnt! Tretet zur Seite und laßt uns durch, dann passiert auch nichts!“ „Ja!“ stieß Tanner voll Verachtung hervor. „Und es dauert Tage, bis die Gefangenen abgeurteilt sind - vielleicht sogar Wochen! In dieser Zeit haben die Hunde dann wieder Gelegenheit, aus dem Kerker zu entwischen! Sie sind ja schon einmal abgehauen, nicht wahr?“ „Zurück!“ brüllte Pekkanen, aber die Menge rührte sich nicht. Er wandte sich seinen Soldaten zu und tief : „Ein paar Schüsse über die Köpfe dieser Narren hinweg abgeben und sofort nachladen!“ Zwanzig Musketen flogen hoch, die Soldaten krümmten die Finger um den Abzug. Es krachte, und die Bürger von Abo zogen die Köpfe ein. Wolken von Pulverqualm stoben hoch, die Kugeln sirrten über sie hinweg und flogen bis zum Stadtgefängnis, wo sie gegen die Mauer prallten. 5.
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Pekkanen wollte mit diesen Schüssen der aufgehetzten Menge demonstrieren, daß er sich nicht einschüchtern ließ. Tatsächlich verfehlte die Salve ihre Wirkung nicht, zumindest nicht bei den Leuten, die ganz vorn standen. Sie prallten zurück. Kaarlo Tanner stolperte und fiel, er stieß eine Reihe von lästerlichen Verwünschungen aus. Von hinten wurde nachgedrängt, Männer und Frauen schrien auf, einige verloren jede Beherrschung. Im Nu herrschte die größte Wuhling. Carberrys Miene war grimmig, er nutzte die Chance und stieß in die Menge vor. Ein Mann wollte ihn anspringen, doch er hob die Pistole und zog ihm deren Knauf über den Schädel. Der Mann sank mit einem Stöhnen zusammen. Pete Ballie und Batuti deckten den Profos seitlich und gingen sogleich in die vollen. Wo sie hinlangten, kippte einer der Gegner um und rührte sich vorläufig nicht mehr. Der schwarze Riese aus Gambia verbreitete mit seinen wildrollenden Augen und seinem Raubtiergebiß obendrein Schrecken. In Korsumäki war die Angst aufgestiegen, als Batuti ihn verfolgt hatte, und so verspürten jetzt auch diejenigen Bürger, die in der Reichweite des zornigen Schwarzen standen, Panik und Entsetzen. Pekkanens Männer hatten inzwischen ihre Musketen nachgeladen. Die ganze Gruppe der Seewölfe und der Soldaten stieß wie ein Keil vor und trieb die schreiende und fluchende Versammlung auseinander. „O Heiland!“ schrie Pete Ballie plötzlich. „Aufpassen, Ed, da schlägt die Hexe von Abo zu!“ Carberry hielt dies zunächst für einen unangebrachten Scherz, dann aber sah auch er das hutzlige alte Weiblein, das von links nahte und einen Besen gegen ihn schwang. „Du Satan!“ schrie sie. ..Mit dir werde ich noch ganz allein fertig!“ Schon hatte sie es geschafft, sich an Batuti vorbeizudrängen und drosch mit ihrem Besen auf den Profos ein. Der ließ vor Schreck Paavo Korsumäki fallen. Trotz des Ernstes der Lage mußten
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die Seewölfe nun doch lachen. Wieder sauste der Besen auf Carberry nieder, der trotz seiner Wut natürlich nicht daran dachte, sich gegen eine alte Frau zur Wehr zu setzen. Gottlob war es aber Batuti. der den Profos unterstützte, indem er sich vor der Alten aufbaute. Er stieß ein paar wüste BuhLaute aus. rollte mit den Augen und fletschte die Zähne. Sie ließ den Besen los, stöhnte entsetzt auf und fiel in Ohnmacht. Nun setzte wieder ein gewaltiges Durcheinander ein. Kaarlo Tanner versuchte, an den nach wie vor bewußtlosen Korsumäki heranzugelangen, doch er wurde von Pete Ballie gestoppt, der ihn mit einem Fußtritt zur Seite beförderte. Carberry bückte sich und hob Korsumäki rasch auf, dann hetzte er weiter, gefolgt von Shane, der den ohnmächtigen Seewolf auf seinen Armen trug. Wieder gelang es den Seewölfen, die allgemeine Wuhling auszunutzen. Die Bürger prügelten sich mit einigen Soldaten, die Soldaten wehrten sich mit den Kolben ihrer Musketen. Eino Pekkanen drängte Tanner und zwei andere Kerle fort, die dem Profos erneut zu Leibe rücken wollten. Stenmark, Smoky, Dan, Pete Ballie, Batuti und die anderen Männer der „Isabella“ boxten sich den Weg frei, und nun gelang der weitere Durchbruch das Stadtgefängnis erhob sich mit seiner dunklen Steinmauer vor ihnen. Prügelnd und um sich schlagend kämpften sie sich durch die Menge. Shane stieß einen Ruf aus, er bemerkte als erster die Unterstützung, die ihnen aus dem Tor des Gefängnisses entgegenstürmte: Ein Trupp Wachsoldaten hatte es geöffnet. Diese Männer gingen nun gegen diejenigen Bürger vor, die einen Bogen geschlagen hatten und den Ring erneut zu schließen versuchten. Die Soldaten räumten von hinten eine Gasse für die Seewölfe mit ihren Gefangenen frei, und auch Pekkanen und die Garde vermochten ihre Gegner abzuschütteln. Im Sturmlauf erreichten alle
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das Tor und brachten sich im Inneren des Gebäudes in Sicherheit. Sofort wurde das Tor hinter dem letzten Mann geschlossen, dann verbarrikadierten die Wachsoldaten es in aller Eile von innen. Draußen tobte die Menge vor Wut und Enttäuschung. Kaarlo Tanner und seine Leute rüttelten wie besessen an dem Tor. Steine flogen über die Ummauerung des Hofes. „Den Hof räumen!“ schrie Eino Pekkanen. „Wir ziehen uns in den Gefängnisbau zurück und riegeln dort alles ab!“ Stenmark übersetzte dies für seine Kameraden, und die Seewölfe eilten mit der Garde in das eigentliche Hauptgebäude. Ein Stein erwischte Big Old Shane dabei an der Schulter, er geriet ins Wanken. Doch er fing sich sofort wieder, schützte Hasard mit seinem Oberkörper und lief durch die offene Tür in das Haus, das wie ein großer grauer Klotz vor ihnen aufragte. Eino Pekkanen schlüpfte als letzter ins Innere und warf die Tür hinter sich zu. Sie wurde ebenfalls verrammelt, und jetzt befand sich der Trupp in Sicherheit. Carberry lud Korsumäki von seiner Schulter, Shane ließ Hasard vorsichtig auf die unteren Stufen einer Steintreppe sinken. Paavo Korsumäki kam in diesem Augenblick zu sich. Sofort begann er zu fluchen und rappelte sich vom Fußboden auf. Carberry packte ihn jedoch am Hals und drückte ihn gegen die Mauer des dunklen Flures, in dem sie standen. „Noch ein Wort, du Rattenschwanz, und dein Strohkopf fliegt wieder weg!“ drohte er. Korsumäki war eingeschüchtert und schwieg. Aber seine Augen huschten hin und her, und er verfolgte alles, was um ihn herum geschah. Er hörte auch das Rufen der draußen versammelten Menschenmenge und konnte sich zusammenreimen, was passiert war. Pekkanen gab seinen Soldaten einen Wink. „Die Gefangenen abführen!“ befahl er. „Sie werden sofort in die Zellen gesperrt und umschichtig von fünf Männern
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bewacht!“ Die Gendarmen dirigierten die sieben Gefangenen auf eine Tür zu, öffneten sie und stiegen mit ihnen eine Treppe hinunter, die in den Keller des Gebäudes führte. Carberry, Shane und die anderen Männer der „Isabella“ vernahmen deutlich, wie mit Schlüsseln hantiert und Eisentüren geöffnet wurden, die in ihren Angeln quietschten. Jetzt durften sie aufatmen, denn sie hatten ihre Aufgabe erfüllt. * Big Old Shane trat zu Eino Pekkanen und schüttelte ihm die Hand. „Ohne Beulen und Platzwunden ist die Sache zwar nicht abgegangen“, sagte er grinsend. „Wir sehen alle ganz hübsch ramponiert aus. Aber wenigstens haben wir die Gefangenen auf Nummer Sicher.“ Stenmark betätigte sich als Dolmetscher, und Eino Pekkanen nickte. „Ja“, sagte er. „Nur hat die Angelegenheit leider ein Nachspiel, wie ich befürchte. Die Menge ist außer sich vor Zorn und Rachegelüsten. Wir müssen uns auf eine Belagerung des Gefängnisses vorbereiten. Sie bahnt sich bereits an.“ „Das soll uns nicht weiter stören“, meinte Shane. „Vorwürfe hätten wir uns gemacht, wenn die Leute auch nur einen der Gefangenen zu fassen gekriegt hätten.“ „Aber sie hängen mit drin in dieser üblen Geschichte“, gab der Stadtkommandant zu bedenken. „Das läßt sich nicht ändern“, sagte Carberry. „Hören Sie, gibt es hier einen Raum, in dem wir unserem Kapitän ein provisorisches Lager einrichten können?“ „Selbstverständlich“, erwiderte Pekkanen mit einem besorgten Blick auf den besinnungslosen Seewolf. „Entschuldigen Sie, daß ich nicht gleich daran gedacht habe. Bitte, kommen Sie.“ Er übernahm die Führung und geleitete sie in ein rechteckiges Zimmer, das offenbar die Schreibund Amtsstube der Gefängnisverwaltung darstellte. Hier gab es neben wenigen Einrichtungsgegenständen, die
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ausschließlich aus Eiche gezimmert waren, auch eine Liege, und Shane und Ferris Tucker betteten den Seewolf darauf. Mac Pellew war zur Stelle und kümmerte sich um Hasard. Er reinigte die Kopfwunde noch einmal, dann legte er ihm einen neuen Verband an. Danach versorgte er die anderen Blessierten, zunächst seine eigenen Kameraden, dann die Soldaten, die einer nach dem anderen auf Pekkanens Geheiß hin eintreten durften. Big Old Shane trat zu Carberry und den anderen und hielt Bilanz: „Wir sind achtzehn Mann, und mit uns befinden sich nach meiner Rechnung rund sechzig Soldaten im Gefängnis. Wir sind also eine recht stattliche Anzahl von Verteidigern.“ „Stimmt“, sagte Carberry grinsend. „Und ich hab mir schon immer gewünscht, mal wieder in einem anständigen Kerker zu sitzen. Oder hat einer was gegen diesen schönen Bau?“ „Keiner“, entgegnete Dan O'Flynn. „Schade, daß wir keinen Aquavit und spanischen Rotwein bei uns haben. Der würde uns mächtig fröhlich stimmen.“ „Ja, reißt ihr nur eure Witze“, sagte Ferris Tucker. „Mir ist aber nicht zum Lachen zumute. Wir sind hier tatsächlich festgenagelt. Und noch was: Was geschieht, wenn die Höllenbande da draußen wirklich zum großen Angriff auf uns bläst?“ „Dann stauchen wir sie wieder ein bißchen zusammen“, erwiderte Smoky. „Das ist doch klar. Wir müssen auch weiterhin die Aufpasser für diesen Korsumäki und seine anderen Genossen spielen, sonst holen die Bürger sie womöglich aus dem Bau hier heraus.“ „Ja“, sagte nun auch Roger Brighton. „Es obliegt uns sozusagen, sie am Leben zu erhalten, wobei ihnen das Todesurteil sowieso sicher ist.“ „Eine absurde Situation“, stellte Shane fest. „Für Pekkanen, aber auch für uns wie sollen wir uns da wieder herauswinden?“ Eino Pekkanen ließ sich alles Gesagte von Stenmark übersetzen, dann entgegnete er: „Ich kann Ihnen gar nicht oft genug sagen,
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wie sehr ich bedaure, daß Sie in diese Affäre hineingezogen wurden. Zu unserer ohnehin schon schwierigen Lage kommt auch noch ein anderer Umstand hinzu: Wenn die Bürger von Abo das Gefängnis zu stürmen versuchen, steht für uns fest, daß wir nicht mit voller Härte zurückschlagen können, das heißt, ohne Rücksicht auf ihr Leben zu nehmen.“ Big Old Shane zerdrückte einen Fluch. „Auch das ist natürlich richtig. Die Leute sind zur Zeit zwar bar jeder Vernunft, aber das berechtigt uns noch lange nicht zum gezielten Schuß - es sei denn, wir werden gezwungen, um unser eigenes Leben zu kämpfen.“ „Ganz meine Meinung“, pflichtete Ferris Tucker ihm bei. Pekkanen blickte zunächst ihn, dann den graubärtigen Riesen und den Profos an. „Es freut mich, daß Sie meine Ansicht teilen. Ich kann nur hoffen, daß die Menge von allein zur Besinnung gelangt, bevor Schlimmeres passiert. Andererseits aber muß ich mich als Stadtkommandant auch durchsetzen und kann und darf nicht zulassen, daß Recht und Gesetz in Abo auf den Kopf gestellt werden. Aus diesem Grund werde ich eine Ansprache an die Leute richten und an ihr Gewissen appellieren.“ „Wir begleiten Sie“, sagte Carberry. Pekkanen bedankte sich für das Angebot, dachte aber nicht daran, die Hilfe anzunehmen. Er verzichtete auch auf die Begleitung seiner Gendarmen, als er kurze Zeit später über den Hof zum Tor zurückkehrte und ins Freie trat. Ungeachtet der drohenden Haltung der Menge stellte er sich allein vor sie hin und rief: „Ich fordere euch alle auf, euch zu zerstreuen und eure Arbeit wieder aufzunehmen! Es gibt viel zu tun in Abo! Die Trümmer müssen fortgeräumt werden, es gilt, die Häuser so schnell wie möglich wieder aufzubauen! Vor allem die Frauen und Kinder können nicht länger als zwei, drei Tage in der Burg zubringen! In den Festungsräumen ist es zu kalt, sie holen sich dort den Tod!“
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„Er will uns nur ablenken!“ schrie jemand aus der Masse. „Laßt euch nicht ins Bockshorn jagen!“ Pekkanen achtete nicht darauf. Sein Blick wanderte über die verzerrten Gesichter. Er versuchte, Kaarlo Tanner zu entdecken, der seiner Meinung nach zu den schlimmsten Scharfmachern gehörte. Doch Tanner schien untergetaucht zu sein. „Geht an die Arbeit!“ schrie Pekkanen noch einmal. „Es gibt in Abo jetzt Wichtigeres zu tun, als Korsumäki und seine Halunken aufzuknüpfen! Überlaßt dies dem Gericht! Es wird bald zusammentreten und darüber entscheiden, was mit ihnen geschehen soll!“ „Hängen sollen sie!“ brüllte eine Männerstimme. Pekkanen glaubte, sich nicht zu täuschen: Sie gehörte Kaarlo Tanner. Doch nach wie vor blieb der Mann unsichtbar, er schien sich im Zentrum der Versammlung versteckt zu haben. Unbeirrt fuhr der Kommandant fort: „Vergeßt auch nicht, daß wir es den Engländern zu verdanken haben, wenn die Schurken jetzt endlich hinter Schloß und Riegel sitzen. Aber ausgerechnet den Kapitän Killigrew, den tapfersten dieser Männer, hat ein Steinwurf am Kopf verletzt. Das ist eine Schande für jeden anständigen Bürger von Abo.“ „Ganz recht!“ rief plötzlich Heikki Lahtinen und trat einen Schritt vor. „Ich finde auch, wir sollten uns hier nicht als Richter und Henker auf-, spielen. Schämt sich denn keiner von euch?“ Er drehte sich zu den Männern und Frauen um. „Was ist aus euch geworden? Habt ihr keine Spur von Anstand mehr im Leib?“ „Geh du nach Hause, Lahtinen!“ schrie eine Stimme, die wieder der von Kaarlo Tanner auffallend ähnlich klang. „Gib du doch ein gutes Beispiel! Zieh dich in dein Kontor zurück und zähle die Taler nach, die du von den Engländern für dein Holz gekriegt hast!“ „Heikki Lahtinen bleibt hier!“ rief Eino Pekkanen. Endlich hatte er Unterstützung gefunden, darauf hatte er nur gewartet. Er mußte dies ausnutzen. Vielleicht konnte er
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nach und nach zumindest einen Teil der Menge davon überzeugen, daß es vernünftiger war, die Belagerung aufzugeben. „Wir können uns einigen!“ rief er. „Ihr könnt auch ein schriftliches Gesuch hinterlassen, in dem ihr eure Forderungen stellt, ich übergebe es sofort dem Gericht!“ „Ja, ja“, sagte jemand mit vor Hohn triefender Stimme. „Aber der Wisch verschwindet dann einfach irgendwo, das kennt man ja schon.“ „Die Gefangenen her, dann verziehen wir uns!“ brüllte ein anderer Mann. „Richtig - wir wollen ja gar nichts anderes von dir, Eino Pekkanen!“ schrie ein dritter. „Rück nur mit den neun Schweinehunden heraus, und du hast deine Ruhe!“ Lahtinen wurde zurückgedrängt, es gelang ihm nicht, wieder das Wort zu ergreifen. Pekkanen begriff, daß er auf verlorenem Posten kämpfte, er konnte stundenlang reden, und doch würde die Menge nicht aufgeben, ihn zu bedrängen. Es waren vor allem zwei oder drei Männer in der ständig wachsenden Versammlung, die den Haß schürten. Sie wollten unbedingt Blut sehen und waren zu keinem Kompromiß bereit. Der Schlimmste von allen war zweifellos Kaarlo Tanner. „Tanner!“ schrie Eino Pekkanen deshalb. „Tritt vor! Versteck dich nicht! Ich will ein offenes Wort mit dir reden!“ „Kaarlo Tanner ist fortgegangen!“ rief jemand zurück. „Er hat die Nase vollgehabt!“ „Lüge!“ schrie der Stadtkommandant. Doch so energisch er auch auftrat, er erreichte gar nichts. Tanner, der Aufwiegler und Anstifter, deckte sich mit der Anonymität der Masse, und auch seine Mitstreiter aus dem Boot, das die CarberryCrew angegriffen hatte, hielten sich zurück. Sie hatten sich eine neue Taktik zurechtgelegt und wollten später nicht vom Gericht für ihre Hetzerei bestraft werden. Aus diesem Grund trat keiner von ihnen vor Pekkanen hin. Auch Heikki Lahtinen konnte dagegen nichts unternehmen, er wurde immer weiter abgedrängt.
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„Der Platz vor dem Gefängnis muß innerhalb einer halben Stunde geräumt sein!“ schrie Pekkanen. „Dies ist mein Ultimatum!“ Er erntete aber nur Hohngelächter - und schon flogen wieder die Steine. Eino Pekkanen mußte sich zurückziehen, er konnte sich gerade noch durch das Tor in den Innenhof des Gefängnisses retten und es hinter sich zurammen. Die Wachsoldaten waren sofort wieder zur Stelle und verbarrikadierten das Tor von neuem. Pekkanen war erschüttert. Alles hatte sich zum Schlechten gewendet, er erkannte die Bürger von Abo, die einst so friedlich gewesen waren, kaum noch wieder. Der Brand hatte ihren Vergeltungs- und Vernichtungstrieb freigesetzt, sie waren wie von Sinnen. Solange Korsumäki und die acht anderen Gefangenen noch am Leben waren, war die fluchende und johlende Menge nicht zu besänftigen. Steine polterten gegen das Tor, flogen über die Mauer und prasselten auf die Katzenköpfe des Hofes nieder. Pekkanen lief zum Hauptgebäude, blieb unter dem Türpfosten stehen und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Was sollte jetzt werden? Sollte er Korsumäki und dessen Kumpane standrechtlich erschießen lassen, um die Ordnung wiederherzustellen? 6. Vorsichtig öffnete der Seewolf die Augen. Es kostete ihn einige Mühe, voll ins Bewußtsein zurückzukehren und zu begreifen, wo er war. „Shane“, sagte er mit schwacher, heiserer Stimme. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist das hier das Stadtgefängnis.“ Der graubärtige Riese fuhr zu ihm herum und gab den anderen, die sich auf dem Flur vor der offenen Tür des Wachlokals herumdrückten, ein Zeichen. Sofort traten sie alle wieder ein. Als sie sahen, daß der Seewolf die Besinnung wiedererlangt hatte, zeichnete sich auf ihren Mienen ein Ausdruck der grenzenlosen Erleichterung ab.
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„Ja, Sir“, sagte Big Old Shane. „Wir sitzen hier im Kerker von Abo - aber glücklicherweise nur als Gäste.“ Die anderen lachten. Batuti zeigte seine weißen Zähne und sagte: „Wißt ihr noch, damals in Galway? Da waren wir schlechter dran und mußten erst die ganze Stadtfeste kaputthauen, um freizukommen.“ „Hör bloß mit Irland auf“, brummte Matt Davies. „Davon hab ich noch heute die Schnauze voll. Und dieses verdammte Finnland stinkt mir genauso.“ „Nur weiter so, Matt“, sagte Pete Ballie. „Du kannst einem so richtig zum Frohsinn verhelfen. He, Mac, willst du auch noch deinen Senf dazugeben?“ „Das versuche mal, Mister Pellew“, sagte der Profos drohend. „Deine Zuversicht und deine Fröhlichkeit sind ja ausreichend bekannt, du Trauerkloß.“ „Eins verstehe ich nicht“, sagte Mac Pellew mit gallebitterer Miene. „Wieso müssen immer alle auf mir herumhacken?“ Hasard mußte unwillkürlich lachen, obwohl ihm wegen seiner Kopfschmerzen eigentlich nicht danach zumute war. „Großartig, Leute“, sagte er. „Ich sehe, ihr seid immer noch der alte Haufen. Es hat sich nichts geändert.“ „Nein“, bestätigte Ferris Tucker. „Du warst ganz hübsch lange weggetreten, aber du hast nichts versäumt.“ Der Seewolf versuchte, sich aufzurichten. „Wie wäre es, wenn ihr mir der Reihe nach erzählen würdet, was vorgefallen ist?“ fragte er. „Shane, fang an.“ „Aye, aye, Sir.“ Big Old Shane holte zu einem ausführlichen Bericht über die Ereignisse aus. Er begann mit Hasards Sprung in den Fluß und endete mit Pekkanens mißlungenem Versuch, die Menschenmenge zu vertreiben. Stenmark hatte alles mit angehört und es der Crew übersetzt. „Die hauen auch in einer halben Stunde nicht ab“, zog Shane seine Schlußfolgerung. „Es wird noch heiß zugehen.“ Hasard hatte sich wieder zurücksinken lassen. Jetzt aber hob er wieder vorsichtig
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den Kopf und schob die Beine von dem provisorischen Lager. Er wollte aufstehen. Mac Pellew trat vor und hob protestierend die Hand, Carberry und Ferris Tucker wollten“ auch schon gegen das Verhalten ihres Kapitäns aufbegehren, aber da sank Hasard auch schon wieder zurück. Ihm war schwindlig geworden, der ganze Raum schien um ihn herum zu tanzen. Mac Pellew war mit zwei Schritten an der Liege und beugte sich über den Seewolf. Er schnitt eine Grimasse, als wäre er gerade aus einem Faß voll saurer Gurken gestiegen. „Es dreht sich alles, was?“ fragte er. „Mac, wir wollen die Sache doch nicht so dramatisch betrachten“, sagte der Seewolf. „Hilf mir gefälligst auf. Ich fühle mich schon wieder ganz gut, beim zweiten Anlauf klappt es bestimmt.“ „Irrtum, Sir“, sagte Mac tieftraurig. „Diese Schwindelgefühle halte ich gar nicht für gut. Tut mir leid, aber ich muß dir weitere Bettruhe verordnen.“ „Verdammt noch mal!“ Hasard begann aufzubrausen. „Wer spricht denn von Schwindelgefühlen? Rede mir nichts ein, Mac. Los jetzt, ich will aufstehen. Jemand muß diese Narren da draußen zur Räson bringen. Mac, das ist ein dienstlicher Befehl, verstanden?“ „Mac kann den Befehl nicht befolgen“, sagte Big Old Shane. Er trat neben Mac Pellew und blickte ernst auf den Seewolf hinunter. „Du mußt dich beugen, Sir, auch wenn es dir nicht paßt. Hast du schon mal was von einer Gehirnerschütterung gehört?“ „Natürlich, aber ich habe keine. Soviel kann der Stein, der mich getroffen hat, nun doch nicht verursacht haben. Sei doch vernünftig, Shane. Ich will keinen Dauerlauf um das Stadtgefängnis unternehmen, ich will nur wieder auf die Beine.“ „Ausgeschlossen“, widersprach der Riese. „Sei vernünftig. Du hast eben geschwankt wie ein Großmast im Orkan, das ist ein untrügliches Zeichen für einen harten Schädelbums. Denk mal an Donegal. Der mußte nach seiner Rutschpartie übers Deck
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auch liegen, da half kein Fluchen und kein Toben. Du hättest ihm eigenhändig Fesseln angelegt, wenn er nicht gehorcht hätte. Denn die Folgen der Gehirnerschütterung kennt man ja, oder soll ich den Kutscher holen, damit er es dir noch mal erklärt?“ „Du bläst mir ja ganz schön den Marsch“, sagte Hasard mit dem Anflug eines Lächelns. „Glaubst du wirklich, ich breche zusammen? Na, du hast vielleicht eine Meinung von deinem Kapitän.“ „Es kann sich auch temporärer Gedächtnisschwund einstellen“, erklärte Ferris Tucker. „Fang nicht wieder damit an“, sagte Dan O'Flynn. „Die Geschichte kennen wir. Sir, es ist aber wirklich nötig, daß du liegen bleibst und dich möglichst nicht rührst.“ „Würdet ihr mich fesseln, wenn ich mich weigere?“ fragte der Seewolf. Big Old Shane setzte eine grimmige Miene auf. „Zwing uns nicht dazu. Wir wollen doch nur dein Bestes, siehst du das nicht ein?“ „Doch“, erwiderte Hasard. „Aber mit siebzehn Krankenpflegern eures Kalibers kann mir ja nicht viel passieren.“ Es blieb ihm wirklich nichts anderes übrig - er mußte sich fügen. Unterdessen waren draußen wieder Rufe laut geworden. Die Menge schrie im Chor und verlangte die Freigabe der sieben Gefangenen. Als weder Pekkanen noch die Soldaten darauf reagierten, flogen wieder Steine gegen die Gefängnismauern. Wo Fenster waren, zerbrachen klirrend die Scheiben, und die Scherben prasselten zu Boden. Auch in das Fenster des Wachlokals schlug ein dicker Stein. Die Bleiglasscheiben zerbarsten. Es hagelte Scherben, und der Stein landete krachend mitten auf dem Fußboden -nicht weit von Hasards Liege entfernt. . Shane, Ferris und Carberry, die den Seewolf in einer gedankenschnellen Reaktion mit ihren Körpern abgedeckt hatten, fluchten nicht schlecht. Verwünschungen stießen auch Dan, Smoky und die anderen aus, und Batuti und Blacky eilten sofort mit ihren Waffen an das kaputte Fenster.
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„Diese Teufelsbande!“ stieß Ferris zornig aus. „Wie lange lassen wir uns diese Sauerei von denen noch bieten?“ „Schießt nicht“, sagte der Seewolf. „Es hat keinen Zweck. Versucht, Pekkanen zu holen, ich will mit ihm sprechen.“ „Pekkanen ist im Obergeschoß!“ rief Stenmark. „Er hat den Soldaten befohlen, sämtliche Fenster zu besetzen, aber noch scheint auch er die Musketen nicht einsetzen zu wollen!“ „Das Gefängnis ist ein zweistöckiger Bau, wenn ich mich nicht irre“, sagte Hasard. „Pekkanen dürfte es mit seinem Aufgebot an Gendarmen und Soldaten nicht schwerfallen, die Stellung zu halten.“ „Die Anlage ist solide“, fügte Shane hinzu. „Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Menge auch nur das Tor aufkriegt.“ Er blickte zu Ferris und dem Profos. „Faßt mal mit an, wir schieben das Bett auf den Flur, damit Hasard nicht von weiteren Steinwürfen gefährdet wird.“ Wieder wollte der Seewolf aufbegehren, aber gegen Shane hatte er keine Chance er mußte nachgeben. Die Männer bugsierten das Lager samt ihrem Kapitän auf den Flur. Stenmark lief an ihnen vorbei zur Treppe, um das Obergeschoß aufzusuchen und Eino Pekkanen zu holen. In diesem Moment traf ein Schlag von unerwarteter Wucht das Gefängnis, die Mauer wackelte unter dem Aufprall. Irgendwo ertönte ein heiserer Schrei, Putz und Mörtel fielen von den Decken und Wänden, und der schwere schmiedeeiserne Leuchter, der in der Wachstube hing, schwankte heftig hin und her. * Hasard blickte zu Shane, Ferris und Carberry auf. „Der solide Bau hat sein erstes Ding verpaßt erhalten“, sagte er nicht ohne Sarkasmus. „Ihr könnt euch sicher auch schon denken, welcher Waffe sich die Leute bedient haben, oder?“ „Sie müssen eine der Steinschleudern gefunden haben, die Korsumäkis Meute heute nacht benutzt hat“, erwiderte Carberry. „Aber, beim Henker, ich dachte,
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wir hätten die verfluchten Apparate allesamt zerstört?“ „Es passiert schon mal, daß man etwas übersieht“, sagte der Seewolf. „Aber in der Hand der Bürger wird das Katapult natürlich zu einem gefährlichen Druckmittel. Wenn sie richtig damit umzugehen verstehen, können sie uns schwer zusetzen. So dick die Mauern auch sind, mit solchen Ladungen wie der von eben kann man sie zum Einsturz bringen.“ Blacky hatte sich trotz der Gefahr, von einem Stein getroffen zu werden, aus dem Fenster der Wachstube gelehnt. „Steinschleuder im Anrücken!“ rief er jetzt. „Ich glaube, sie haben eins der Räder repariert, mehr schien an dem Ding nicht kaputt zu sein! Der Teufel mag wissen, wo sie es aufgestöbert haben!“ „Vielleicht in dem Dickicht nördlich der Burg“, sagte Dan O'Flynn. „Da haben wir ja nicht mehr richtig nachgesehen. Korsumäki und seine Kumpane mußten vor uns fliehen, sie ließen das vorsintflutliche Gerät zurück. Einer der Bürger, die heute nacht in der Burg waren, muß sich daran erinnert haben.“ „Und jetzt haben wir den Salat“, sagte der Profos wütend. „Wir können doch nicht zulassen, daß diese Lurche Löcher in die Mauern hauen, hereinkriechen und uns was über den Schädel geben!“ Stenmark hatte inzwischen Pekkanen davon unterrichtet, daß der Seewolf bei Bewußtsein war. Pekkanen kehrte mit dem Schweden zurück, beugte sich über Hasard und sagte mit besorgter Miene: „Vielleicht habe ich alles falsch angepackt. Jedenfalls hat sich meine Hoffnung, daß sich die Leute doch noch beruhigen würden, als Trugschluß herausgestellt. Was geschieht, ist ungeheuerlich, aber ich bin machtlos dagegen.“ Wieder donnerte ein Stein, von der Schleuder abgeschossen, gegen die Mauer des Gefängnisses, wieder begann alles zu wackeln, und auch die von Eichenbalken getragenen Fußböden zitterten. „Versuchen wir, die Ruhe zu bewahren“, sagte Hasard. „Ich kann Ihnen nachempfinden, was Sie fühlen, auch ich
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neige in gewissen Situationen zu Selbstvorwürfen. Aber es ist nicht Ihre Schuld, daß die Menge ihr Opfer haben will.“ „Sie nimmt keine Rücksicht, weder auf uns noch auf Sie und Ihre Männer, Kapitän Killigrew. Es tut mir leid, daß ausgerechnet Abo Ihnen ein solches Beispiel von Dummheit und Niedertracht liefern muß.“ „Auf Recht und Gesetz wird gepfiffen“, sagte Hasard. „Aber das kann überall passieren. Auch in England.“ Er wollte weitersprechen, aber plötzlich stieß Blacky einen warnenden Laut aus. Er stand immer noch neben Batuti am Fenster des Wachlokals und konnte nahezu alles beobachten, was draußen vorging. „Sie haben sich Waffen besorgt!“ schrie er. „Der Himmel mag wissen, woher! Achtung, sie schießen!“ Die Männer zogen die Köpfe ein. Keinen Augenblick zu spät - Schüsse krachten, Musketenkugeln pfiffen heran. Einige sirrten durch die zerschlagenen Fenster herein und bohrten sich in die gegenüberliegenden Wände. „Allmächtiger!“ stieß Eino Pekkanen hervor. „Sie müssen das Zeughaus aufgebrochen und sich dort bewaffnet haben. Anders kann es nicht sein. Kein Mensch in Abo verfügt über Musketen, der private Waffenbesitz ist untersagt.“ „Dann holen die Kerle jetzt wohl nach, was sie sonst nicht tun dürfen“, sagte Big Old Shane. „Sie toben sich so richtig aus. Hört euch das an.“ Die Schüsse knallten im Stakkato, die Kugeln prasselten gegen die Mauern und flogen wieder durch die Fenster ins Innere des Gefängnisses. Unter dem Johlen und Brüllen der Menge krachte auch wieder ein schwerer Stein gegen die Nordmauer, der von dem mittelalterlichen Katapult abgeschossen worden war. Jegliche Farbe war aus Eino Pekkanens Gesicht gewichen, der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn. „Das ist offener Aufruhr“, sagte er bestürzt. „Wissen Sie, was das bedeutet, Kapitän Killigrew?“
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„Ja. Daß auch Sie jetzt Ihre Waffen einsetzen dürfen“, erwiderte Hasard grimmig. „Alles was Sie tun, ist von jetzt an voll gerechtfertigt.“ Pekkanen eilte zur Treppe, stürmte sie halb hoch, blieb wieder stehen und schrie: „Zurückfeuern! Gezielt schießen, aber nach Möglichkeit keinen Menschen töten! Haltet auf die Arme und die Beine!“ Die Gendarmen und Soldaten schoben die Läufe ihrer Musketen, Arkebusen und Tromblons zu den Fenstern hinaus. Dann krachten auch im Gefängnis die Schüsse, und das Echo hallte von allen Wänden wider. Die Tromblons wurden nur zur Abschreckung benutzt, man konnte mit ihnen nicht gezielt schießen, weil sie trichterförmige Mündungen hatten, die gehacktes Eisen und Blei ausspuckten. Mit ihnen hielten die Soldaten so hoch, daß die Ladungen über die Köpfe der Aufsässigen hinweggingen. Die Musketen- und Arkebusenkugeln aber fanden ihr Ziel. Schon ertönten Wehlaute, und die ersten Männer vor dem Gebäude brachen schreiend zusammen. Manche hielten sich die Beine, andere die Arme und Schultern. Doch dann krachte wieder ein schwerer Felsbrocken gegen die nördliche Außenmauer. Das Gefängnis schien in den Fundamenten zu erbeben. Kalkstaub zog durch nahezu alle Räume. Die Soldaten fluchten, einige von ihnen schienen jetzt doch nervös zu werden. „Das war der dritte Brocken“, stellte Shane fest. „Noch ein paar dieser Dinger, und der Bau hat sein erstes Loch weg.“ „Läßt sich nicht feststellen, wo die Schleuder steht?“ rief Hasard. „Doch, Sir!“ rief Blacky vom Fenster des Wachlokals zurück. „Sie haben das Ungetüm jetzt in eine Gasse bugsiert, etwa hundert Yards von uns entfernt! An die zehn Leute hantieren da herum und wälzten schwere Steine heran!“ „Auf die Männer an dem Katapult schießen!“ rief der Kommandant seinen Männern zu. Wieder krachten die Schüsse, und Pulverrauch geisterte in Schwaden durch
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die Räume. Einige Männer begannen zu husten. Überall, an sämtlichen Fenstern, herrschte rege Betriebsamkeit. In rasender Eile wurden die Musketen, Arkebusen und Tromblons nachgeladen, dann knallten wieder die Salven. „Weiter so!“ schrie Blacky. „Vier Männer an der Schleuder sind getroffen! Die anderen scheinen die Hosen voll zu haben, sie gehen in Deckung! Drei von ihnen ziehen sich sogar zurück!“ Draußen belferten auch wieder die Schüsse. Eine Kugel pfiff heran und schlug dicht unter dem Sims des Wachlokalfensters in die Außenmauer. Blacky fluchte und wich zurück. „Sir, können wir auch zurückfeuern?“ rief er. „Noch nicht“, antwortete der Seewolf von seinem Lager aus. „Wir tun das nur im äußersten Notfall - und der ist noch nicht eingetreten.“ „Schießt auf die Schützen, die sich da und dort postiert haben!“ befahl Pekkanen seinen Leuten. „Zwei Mann aufs Dach, von dort aus haben sie den besseren Überblick!“ Schritte trappelten im Obergeschoß, zwei der Soldaten liefen zur Leiter, die auf das Dach des Hauptgebäudes führte, begleitet von einem dritten, der ihnen die leergeschossenen Musketen abnehmen, sie nachladen und ihnen wieder zureichen sollte. Kurz darauf krachten also auch von oben die Schüsse, und Pekkanens Entscheidung stellte sich als richtig heraus. Das Blatt wendete sich, das Abwehrfeuer aus dem Gefängnis schaffte Luft. Mit einem so energischen Durchgreifen des Stadtkommandanten schienen nicht einmal Tanner und dessen Verbündete gerechnet zu haben, auch sie zogen sich schleunigst zurück. Im Nu war der Platz vor dem Stadtgefängnis geräumt. Doch weder Eino Pekkanen noch der Seewolf gaben sich Illusionen hin : Der Kampf war noch nicht zu Ende. Zu groß war die Wut der Bürger, sie legten nur eine Pause ein, schmiedeten aber gewiß bereits neue Rachepläne.
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Eino Pekkanen stellte sofort einen Stoßtrupp zusammen, der den Auftrag hatte, auszurücken und die Steinschleuder zu zerstören. Nachdem er die Männer für dieses Vorhaben ausgewählt hatte, ließ er sie im unteren Flur des Hauptgebäudes zusammentreten und sagte: „Außerdem müssen wir alles daransetzen, die verantwortlichen Rädelsführer zu schnappen. Kaarlo Tanner scheint einer von ihnen zu sein, ihm gilt mein ganz besonderes Augenmerk.“ Stenmark übersetzte seine Worte wieder für die Seewölfe, und Carberry begann, sich die Hände zu reiben. „Was ist los, Ed?“ fragte Hasard. „Jucken dir wieder mal die Finger?“ „Und ob !“ stieß der Profos hervor. Seine Miene drückte Vorfreude aus. „Bei der Sache mischen wir natürlich kräftig mit. Es wird auch wirklich Zeit, daß was geschieht. Das Warten in diesem Gemäuer habe ich nämlich langsam satt.“ Hasard schüttelte den Kopf, der sofort wieder heftig zu schmerzen begann. Aber seine Beschwerden konnten ihn nicht daran hindern, seine Männer zurückzuhalten. „Daraus wird nichts“, sagte er. „Ihr bleibt hier, wir greifen da vorläufig nicht mehr ein.“ „Wie bitte?“ sagte Big Old Shane. „Du vergißt wohl, daß wir mit diesen finnischen Elchbullen noch eine Rechnung zu begleichen haben? Denk doch mal an den Angriff auf unsere Boote, an den Kampf um die kleine Jolle - und an den Stein, den die Hunde dir an den Kopf geschmettert haben.“ „Ich finde auch, wir sollten Pekkanen unterstützen“, sagte Matt Davies und polierte mit den Hemdsärmel demonstrativ an seinem scharfgeschliffenen Eisenhaken herum. Hasard hob die rechte Hand. „Ich glaube, wir haben uns nicht richtig verstanden. Hiermit gebe ich euch den Befehl, das Gefängnis ohne meine ausdrückliche Erlaubnis nicht zu verlassen.“
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Der Stadtkommandant hatte Stenmark in der Zwischenzeit bedeutet, für ihn zu dolmetschen. Jetzt trat er neben Hasards Lager und sagte: „Es ist auch meine Absicht, daß dies einzig und allein eine Angelegenheit der Stadtgarde ist.“ „Es wäre sogar dumm, wenn ich meine Männer offen gegen die Bürger von Abo kämpfen lassen würde“, fügte der Seewolf hinzu. „Dumm und undiplomatisch.“ „Verdammt noch mal!“ entfuhr es Carberry. „Verzeihung, Sir, aber da bin ich anderer Meinung. Diese Musterbeispiele von Edelbürgern haben sich ja auch nicht gescheut, uns was auf die Nuß zu geben. Sie schmeißen wie die Wilden mit Steinen um sich -und auf mich ist sogar eine alte Tante mit einem Besen losgegangen. Da ist das Maß doch wohl voll, was, wie?“ Bei dieser Bemerkung konnten die Männer schon wieder grinsen. Hasard nahm es seinem Profos nicht übel, daß er auf ein rasches, entschlossenes Handeln drängte, aber er hielt hartnäckig an seinem einmal gefaßten Entschluß fest. „Der Stoßtrupp zieht ohne euch los“, sagte er. „Ich wünsche keine weiteren Diskussionen, klar?“ „Klar, Sir“, brummten die Männer. Es blieb ihnen ja nichts anderes übrig. Eino Pekkanen setzte sich an die Spitze seines zwanzig Mann starken Kommandos, im Gleichschritt marschierten sie zur Tür hinaus. Es gab einen hinteren Ausgang aus dem Stadtgefängnis, wie die Seewölfe erst jetzt erfuhren, diesen benutzten die Soldaten jetzt. Der Ausgang führte zum Fluß hinaus, und ohne von den Belagerern bemerkt zu werden, verließ der Trupp die Gebäudeanlage. Mac Pellew war für kurze Zeit verschwunden, er kehrte jetzt zu seinem Kapitän und den Kameraden zurück und meldete: „Ich habe mal die Gefängnisküche ein wenig in Augenschein genommen. Es geht bereits auf den Nachmittag zu, Sir, da dachte ich mir, es wäre nicht schlecht, endlich wieder etwas zwischen die Zähne zu kriegen.“ „Sehr gut, Mac“, sagte der Seewolf.
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„Ganz ausgezeichnet sogar, Mac“, sagte Ferris Tucker und sah den zweiten Koch und Feldscher der „Isabella“ wieder einmal drohend an. „Aber auf die schlaue Idee, gleich einen Topf aufs Feuer zu setzen, bist du noch nicht verfallen, wie?“ Die Welt war ein einziges Jammertal - dies jedenfalls schien Mac Pellews Miene auszudrücken. „Für wie blöde haltet ihr mich eigentlich?“ fragte er. „Ich kann doch mitdenken. Ein Kessel mit Erbsensuppe und Speck steht bereits über dem Feuer. Zufrieden?“ „Das hängt von der Qualität der Suppe ab“, entgegnete Carberry. „Sir, ich bitte um die Erlaubnis, die Küche inspizieren zu dürfen, zwecks Speisekontrolle.“ „Genehmigt“, sagte Hasard. „Aber nur die Küche, nicht den Hinterhof und den hinteren Ausgang, auch nicht das Ufer des Aurajoki, klar?“ Carberry räusperte sich, seine Gestalt straffte sich. „Sir, ich bin doch kein Meuterer“, erklärte er. „Wenn es auf der Lady ‚Isabella' einen Mann gibt, der sich an die Borddisziplin hält, denn bin ich es.“ „Das stimmt. Aber leider sind wir nicht an Bord der ,Isabella`.“ „Sir“, sagte der Profos mit grollender Stimme. „Die Gesetze der Seefahrt gelten für mich zu Wasser und zu Land. Ich werde nur den elenden Suppenkessel in Augenschein nehmen, sonst nichts, so wahr ich Edwin Carberry heiße. Andernfalls will ich auf der Stelle die Haut von meinem Affen ...“ „Das genügt, Ed“, sagte der Seewolf. „Du kannst abrücken. Nimm Smoky und Dan als Kontrolleure mit.“ „Aye, aye, Sir.“ Der Profos setzte sich in Bewegung und ließ sich von Mac Pellew den Weg in die Küche weisen. Smoky und Dan schlossen sich ihnen an, die anderen grinsten. Selbst dieser verzwickten Lage vermochten sie noch etwas abzugewinnen, der alte Humor der Arwenacks blickte wieder einmal durch. Carberry. blieb in der Küchentür stehen und hob den Kopf. Prüfend sog er die Luft ein.
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„Ich rieche nur Erbsen, keinen Speck, Mister Pellew“, sagte er. „Gib's zu, du hast nur ein paar Fettkugeln mit deiner Pistole durch die Suppe geschossen.“ Mac Pellew verdrehte fast die Augen, seine Mundwinkel sanken noch tiefer herab. „Das ist eine gröbliche Unterstellung, Mister Carberry. Schau doch erst mal in den Kessel.“ Genau das tat der Profos, und zwar ausgiebig. Er hob den Deckel des großen Kupferkessels an, in dem es kochte und brodelte, schnupperte noch einmal und wollte gerade wieder herumnörgeln, da blubberte es, und ein paar Erbsen und Speckstücke sprangen ihm ins Gesicht. Mit einem Fluch ließ er den Deckel fallen, dann fuhr er zu Mac Pellew herum. „Du alter Quacksalber!“ brüllte er. „Bist du des Teufels? Hast du Schießpulver in die verdammte Pampe gekippt?“ „Dies ist nicht der Fall, Mister Carberry“, erwiderte Mac würdevoll. „Aber wo gekocht wird, da spritzt es natürlich. Ich hab doch gesagt, daß ich das Feuer tüchtig angeheizt habe, oder nicht?“ Smoky und Dan konnten sich vor Lachen kaum noch halten. Smoky bückte sich nach dem verlorengegangenen Deckel und hob ihn wieder auf. Dan hielt sich am Herdgriff fest und konnte sich ein lautes Losprusten nur mit Mühe verkneifen. Zwei Soldaten erschienen und blickten verdutzt auf die seltsame Versammlung. Sie hatten das Gebrüll natürlich gehört und wollten nach dem Rechten sehen. Carberry schaute zu ihnen hinüber. „Was ist, ihr Hirsche?“ rief er. „Habt ihr noch keine englische Erbsensuppe mit finnischer Speckeinlage gesehen? Nein? Na, dann los! Holt eure Kummen und stellt euch zum Backen und Banken an!“ Die Soldaten tauschten einen verwunderten Blick. Sie verstanden natürlich kein Wort. Dan O'Flynn stieß einen Laut aus, der eine Mischung aus Glucksen und Stöhnen zu sein schien. Mit ärgerlicher Miene fuhr der Profos zu ihm herum. „Mister O'Flynn, was ist in dich gefahren? Mußt du mal raus auf die Galion?“
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„Das nicht“, erwiderte Dan grinsend. „Aber du solltest dir die Erbsen und den Speck lieber aus dem Gesicht wischen, Ed. So was untergräbt glatt deine Autorität.“ Smoky händigte Carberry ein Handtuch aus, und dieser fuhr sich damit grollend durchs Gesicht. Mac Pellew rührte mit einem Holzlöffel in seinem Werk herum und sagte: „Die Suppe ist gar, Mister Carberry.“ „Ja, schon gut. Gibt es hier auch was zu trinken?“ „Da hinten ist eine Wasserpumpe“, sagte Smoky. „Wie wär's, wenn wir die mal ausprobieren würden?“ Er trat in die hinterste Ecke der Küche und betätigte den Pumpenschwengel. Tatsächlich begann klares Wasser zu fließen, das in einen bereitgestellten Eimer plätscherte. „Es wird ja wohl kein Aura-Wasser sein“, brummte Carberry. „Trink mal einen Schluck zur Probe, Smoky, und wenn du einen Frosch im Hals hast, sagst du Bescheid.“ Er verließ die Küche, kehrte in den Flur zurück und sagte zu den Kameraden: „Es geht los. Wir brauchen nicht zu verhungern, und verdursten werden wir auch nicht.“ Stenmark hatte den Soldaten inzwischen auseinandergesetzt, daß sie am Essenfassen teilnehmen sollten. Sie ließen sich das nicht zweimal sagen. Rufe tönten durch das Gebäude, es wurde mit dem Eßgeschirr und Zinkbechern geklappert. Mac Pellew hatte sich mit einer großen Kelle bewaffnet und stand zum Verteilen der Suppe bereit. Natürlich blieben die Fenster des Gefängnisses die ganze Zeit über umschichtig besetzt. So konnten die Seewölfe und ihre finnischen Verbündeten beobachten, was Pekkanen mit seinem Stoßtrupp erreichte. „Haltet euch bereit“, sagte Hasard zu seinen Männern. „Es ist damit zu rechnen, daß wir ihnen Feuerschutz geben müssen, wenn sie zurückkehren.“ Damit sollte er recht behalten. Eino Pekkanens Aktion verlief keineswegs reibungslos - ganz im Gegenteil. *
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Pekkanen war mit seinem Trupp in eine Gasse an der Nordwestseite des Stadtgefängnisses geraten, die urplötzlich von den Bürgern abgeriegelt wurde. Steine und Kugeln flogen, Flüche wurden ausgestoßen, Pekkanen ließ ein paar Warnschüsse in die Luft abfeuern, die von den aufsässigen Gegnern jedoch nur mit einem höhnischen Lachen quittiert wurden. Der Gegenangriff hatte sich formiert, die Rädelsführer hatten die Bürger davon überzeugen können, daß noch nicht alles verloren war. Mit wütendem Eifer drangen die Männer gegen die Garde vor, und jetzt begriff Pekkanen, daß er Tanner und die anderen, die die Stimmung gegen ihn angeheizt hatten, doch unterschätzt hatte. Der zwanzigköpfige Trupp war eingeschlossen, es gab nur noch eine einzige Rettung: Das Skelett eines halbverbrannten Hauses ragte neben ihnen auf, und wenn sie es schaffen wollten, dem Steinhagel und den Schüssen zu entkommen, dann mußten sie durch die Trümmer hindurch. Noch eine Salve wurde abgefeuert, aber wieder ließen die Belagerer sich nicht einschüchtern. „Abrücken!“ schrie Pekkanen. „Durch das Haus hindurch!“ Die Soldaten wichen den Steinen aus und zwängten sich zwischen angekohlten Balken hindurch. In kürzeren Abständen fielen jetzt die Musketenschüsse der Gegner, eine Nachhut schien mit Nachschub aus dem Zeughaus eingetroffen zu sein. Einer von Pekkanens Männern stöhnte auf, er war getroffen. Pekkanen riß eine Muskete an sieh und feuerte zurück, doch er traf keinen der Angreifer, die es verstanden hatten, sich hinter Trümmern zu verbarrikadieren. Wütend schleuderte der Kommandant die leergeschossene Waffe von sich, dann hetzte er seinen Männern nach, stützte den Verletzten und trachtete danach, sich schleunigst mit ihnen in Sicherheit zu bringen. „Es geht schon, Kommandant“, keuchte der verwundete Mann. „Die Kugel hat
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mich an der Schulter erwischt. Aber ich kann noch gut laufen.“ „Ich hätte mehr Männer mitnehmen müssen“, sagte Pekkanen erbittert. „Aber wer konnte ahnen, daß sie uns wieder derart zusetzen?“ „Kommandant!“ schrie einer der Soldaten, der die andere Seite des Hauses bereits erreicht hatte. „Die Aufrührer haben sich in fast allen Straßen und Gassen in der Nähe des Gefängnisses verschanzt! Sie sind zum Teil sogar schon dabei, Karren und Leiterwagen mit Sandsäcken zu spicken!“ „Wir müssen hier weg!“ rief ein anderer Soldat. Eino Pekkanen fühlte sich von ohnmächtiger Wut gepackt. Sein Vorhaben war vereitelt. Er konnte die Wurfmaschine nicht mehr erreichen, es war aussichtslos. Schlimmer noch - wenn er nicht sofort den Rückweg antrat, saß er in einer lebensgefährlichen Falle fest. Er trieb seine Männer zu schnellerem Laufen an. Sie verließen das halbverbrannte Haus, hasteten durch eine Seitengasse und schlugen die Richtung zum Gefängnis ein. Pekkanen ließ den verwundeten Soldaten allein laufen, riß seine Pistole aus dem Gurt und blickte sich nach allen Seiten um, um sofort zu feuern, wenn sich einer der Gegner zeigte. Es war wie verhext - das Feuer der Nacht hatte eine stattliche Anzahl von Karren und Leiterwagen verschont. Diese Fahrzeuge wurden unter dem Geschrei der Aufrührer mit Sandsäcken beladen oder mit dicken Bohlen vernagelt. Die Absicht, die dahintersteckte, war klar: Die Kerle hatten aller Wahrscheinlichkeit nach vor, sich mit den Karren und Wagen an das Gefängnis heranzuschieben. Da fehlen dann nur noch die Leitern und Sturmböcke, dachte Pekkanen entsetzt. Plötzlich wandte er sich nach links und drückte auf einen Mann ab, der sich hinter einer Barrikade erhob und mit einer Muskete auf sie anlegte. Der Pistolenschuß und das Krachen der Muskete erfolgten gleichzeitig. Der Angreifer sank zusammen, aber auch einer von Pekkanens Soldaten war getroffen.
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Eino Pekkanen fing den Mann auf. Er registrierte, daß es eine üble Wunde war, und er schleppte den Mann mit sich. Auch der an der Schulter verletzte Soldat brauchte jetzt Hilfe, er drohte ohnmächtig zu werden. Seine Kameraden nahmen ihn in die Mitte und hielten ihn aufrecht, sie schrien und fluchten und wurden jetzt von Panik ergriffen, denn neue Gegner tauchten auf, die von allen Seiten mit Musketen und Arkebusen auf sie anlegten und schossen. Jetzt aber waren die Männer des Trupps nah genug an das Gefängnis herangelangt aus den Fenstern stachen Mündungsblitze hervor. Pulverqualmwolken flogen hoch, Kugeln sirrten, die Aufwiegler warfen sich brüllend in Sicherheit. Eino Pekkanen sah wieder einen seiner Soldaten zusammenbrechen. Er konnte ihn gerade noch auffangen, sich über die Schulter legen und ihn mitschleppen. Pausenlos knallten die Musketen und Tromblons im Inneren des Gefängnisses. Da wurde nun keine Erbsensuppe mehr ausgeteilt, die Seewölfe und die Soldaten hatten alles stehen und liegen lassen und feuerten, was ihre Waffen hergaben. Hasard half mit, die Musketen nachzuladen, mehr konnte er nicht tun, denn die Kopfverletzung setzte ihm nach wie vor ziemlich zu. Shane und Carberry hatten sich zum Hinterausgang der Gebäudeanlage begeben und öffneten in dem Moment die Tür, in dem Pekkanen und seine Männer nah genug heran waren. Sie flog auf, die Männer taumelten herein. Shane zählte sie ab, dann warf er noch einen Blick ins Freie, doch der Trupp hatte sich komplett wieder eingefunden. Eine Kugel sirrte heran, Shane zog den Kopf ein. Mit einem pochenden Laut blieb die Kugel im Türrahmen stecken. Shane und Carberry fluchten gemeinsam, dann warf der Profos die Tür zu und verrammelte sie. Eino Pekkanen stand bei seinen drei verletzten Soldaten und blickte erschüttert zu Boden.
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„Mein Gott“, sagte er. „Ich bin wieder gescheitert. Wie soll das enden?“ Shane und Carberry verstanden ihn ohne Dolmetscher nicht, aber sie winkten ihm zu, er solle sich beeilen. Schon prasselten Steine gegen die Außenmauer, einige davon wirbelten über die Umrandung und landeten scheppernd auf den Katzenköpfen des Hinterhofes. Der Profos und der graubärtige Riese halfen mit, die Verwundeten in das Hauptgebäude zu transportieren, und nur mit Mühe entgingen sie den Felsbrocken, die unaufhörlich in den Hof flogen. 8. Mac Pellew kümmerte sich sofort um die verletzten Soldaten, doch für einen von ihnen konnte er nichts mehr tun. Er sah es sofort, als er sich über ihn beugte - hier war jede Hilfe zu spät. Die Kugel, die den Mann getroffen hatte, hatte ihm die Brust aufgerissen. Er starb, ehe Mac Pellew ihm auch nur das Hemd aufschneiden konnte. Big Old Shane sah es. Er trat neben den erschütterten Mac, legte dem Toten die Hand aufs Gesicht und drückte ihm die Augen zu. Eino Pekkanen stöhnte auf, sein Gesicht war verzerrt. Er war jetzt fast der Verzweiflung nahe und vermochte nur mit äußerster Gewalt seine Fassung zu wahren. Schweigend wohnten die Soldaten und die Seewölfe Mac Pellews weiteren Bemühungen bei. Den beiden anderen Verletzten konnte Mac helfen. Er säuberte ihre Blessuren, und dem einen holte er die Kugel aus der Schulter, die die Knochen glücklicherweise nicht getroffen hatte. Er verband die Männer so sorgfältig, wie er vorher auch den Seewolf versorgt hatte. Pekkanen hatte sich wieder in der Gewalt. „So weit mußte es kommen“, sagte er. „Jetzt ist bereits einer meiner Männer gefallen, um das sowieso verwirkte Leben der Gefangenen bis zur Vollstreckung des Urteils zu verlängern. Das ist ein Aberwitz!“ Stenmark versah wieder seine Aufgabe als Dolmetscher. Ernst lauschte der Seewolf seinen Worten, dann richtete er sich halb
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von seinem Lager auf und sagte zu dem Stadtkommandanten: „Sie tun auch weiterhin nichts anderes als Ihre Pflicht, Kommandant. Vergessen Sie das nicht.“ „Das Stoßtruppunternehmen ist in allen Punkten gescheitert. Ich fühle mich als Versager.“ „Das ist falsch. Wissen Sie denn, ob auch einer der Gegner gefallen ist?“ „Nein, ich habe nicht darauf geachtet“, erwiderte Pekkanen. „Aber es ist Irrsinn, was sich hier abspielt. Finnen gegen Finnen - und das alles wegen dieser neun Galgenvögel.“ Er wandte den Kopf und sah den Seewolf voll an. „Kapitän Killigrew, eine offene Frage: Was würden Sie an meiner Stelle tun?“ Hasard überlegte nicht lange. „Durchhalten würde ich“, erwiderte er. „Dabei würde ich scharf unterscheiden zwischen Rädelsführern, Aufgeputschten und Mitläufern. Sie verstehen, was ich damit meine?“ „Allerdings. Diejenigen, die den Mund aufreißen und als erste das ,Steinigt ihn' schreien, sind die Verantwortlichen, die wir packen müssen.“ „In der Anonymität der Masse sind diese Kerle stark“, sagte Hasard. „Aber für sich allein sind sie nichts weiter als feige Ratten.“ „So wie Kaarlo Tanner“, sagte Pekkanen. „Der Kerl war zuletzt nicht einmal mehr bereit, sich offen zu zeigen.“ „Ist es der, der mich mit dem Peekhaken aus der Jolle stoßen wollte?“ fragte Carberry. Pekkanen bestätigte dies, und der Profos ließ einen seiner übelsten Flüche vernehmen. Stenmark übersetzte diesen Fluch nicht, denn er wußte ohnehin nicht, wie er die freundliche Ausdrucksweise des Profos ins Finnische übertragen sollte. „Tanner heißt die Ratte also“, sagte der Profos. „Ich hoffe, wir erwischen ihn noch irgendwie. Dann ramme ich ihn unangespitzt als Zaunpfahl in den Boden oder als Poller in die Kaimauer.“ „Könnte man seiner und der anderen Rädelsführer habhaft werden, dann hätte man diesem Aufstand das Kreuz
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gebrochen“, sagte Hasard. „Ich bin davon überzeugt, daß die Rächer von Abo sich dann zurückziehen würden. Das wäre für alle Beteiligten die beste Lösung, es darf keine weiteren Toten geben.“ „Mit anderen Worten, wir gelangen jetzt doch zum Einsatz?“ fragte Carberry hoffnungsvoll. „Sir, ich habe ein so dickes Fell, daß die Kugeln und Steine dieser triefäugigen Hurensöhne glatt an mir abprallen.“ „Langsam, langsam“, sagte der Seewolf. Trotz Big Old Shanes und Mac Pellews Protest setzte er sich nun doch auf. Es klappte recht gut, die Schwindelgefühle kehrten vorläufig nicht wieder. Er blickte zu Eino Pekkanen auf. „Ich habe eine Idee“, erklärte er. „Wie sich die Dinge inzwischen entwickelt haben, wäre es doch besser, wenn ich eine ausgewählte Gruppe meiner Männer einsetzen würde, um Tanner und dessen Kumpane auszuschalten.“ „Na also“, sagte Carberry frohlockend. „Warum denn nicht gleich so?“ Der Seewolf warf ihm einen zurechtweisenden Blick zu. „Ed, es wäre wirklich gut, wenn du dich erst einmal deiner Kommentare enthalten würdest.“ Der Profos schwieg, sah aber wie die anderen Männer der „Isabella“ erwartungsvoll zu Pekkanen. Der schüttelte jedoch den Kopf. „Unmöglich“, sagte er. „Das kann ich nicht verantworten. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn Ihren Männern etwas zustoßen würde.“ „Klopf mal auf Holz“, sagte Bob Grey leise zu Bill. „Wir wollen ja wirklich nicht hoffen, daß die Kerle da draußen uns die Jacke vollhauen.“ „Die Verantwortung übernehme selbstverständlich ich“, sagte der Seewolf zu Pekkanen. „Am besten wäre es, wenn wir das Unternehmen entsprechend tarnen würden. Alles muß heimlich geschehen, ich schlage vor, daß wir meinen Männern mit Ruß die Gesichter schwärzen. Dann werden sie nicht erkannt.“ „Das ist sehr riskant“, widersprach der Kommandant. „Ich zweifle daran, daß sie
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unerkannt bleiben. Schließlich können sie nicht alle ihre Kleidung wechseln, die sie letztlich ja doch als englische Seeleute ausweist.“ „O nein, das können wir nicht“, sagte Big Old Shane. „Aber wir können einiges daran verändern. Darin sind wir sehr geschickt. Sir, sag dem Kommandanten, daß wir uns schon als Spanier, Portugiesen, Franzosen und Holländer ausgegeben haben. Immer hat es geklappt.“ „Unsereins hat da keine Probleme“, fügte Smoky hinzu. „Wir werden diesem Tanner und seiner Meute von Galgenstricken schon was vorgaukeln, keine Bange.“ Stenmark übersetzte wieder fleißig. Pekkanen lauschte aufmerksam seinen Worten, dann sagte er: „Aber Sie beherrschen die finnische Sprache nicht. Nein, das ist aussichtslos. Ich kann nicht zulassen, daß Sie ein derart großes Wagnis auf sich nehmen.“ „Überlegen Sie sich das genau“, sagte Hasard. „Meine Männer können sich unter die Bürger mischen, beobachten, wo die Rädelsführer sich aufhalten, und dann zuschlagen.“ Seine Züge verhärteten sich, er setzte hinzu: „Besser, diese Kerle gehen über den Jordan, als daß sich eine ganze Stadt ineinander verkrallt und zerfleischt. So wird dieser Aufstand meiner Ansicht nach nämlich enden, wenn nicht etwas Einschneidendes geschieht.“ „Wir könnten bei Dunkelheit losziehen“, schlug Carberry vor. „Lange dauert es sowieso nicht mehr, bis die Dämmerung einsetzt.“ „Ja“, pflichtete der Seewolf ihm bei. „Und das müssen wir auszunutzen verstehen.“ Eino Pekkanen ließ den toten Soldaten forttragen, dann stieg er in das Obergeschoß hinauf, um bei dem Rest seiner Truppe Inspektion zu halten und sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. Die Waffen schwiegen jetzt, doch die Ruhe war trügerisch. Nach wie vor spähten die Soldaten durch die zerstörten Fenster ins Freie und versuchten zu erkennen, was die Bürger unternahmen. Wieder wurde an den Karren und Leiterwagen gehämmert. Auch um die Steinschleuder, die unten in einer
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der Gassen zu erkennen war, hatten sich erneut Männer versammelt. „Bald schlagen sie wieder los“, sagte einer der Gendarmen. „Dann gelingt es ihnen bestimmt, wenigstens eine Seite des Gefängnisses zu stürmen, in den Hof zu gelangen und unsere Posten zu überwältigen.“ „Vielleicht legen sie auch Feuer“, meinte ein anderer. „Das darf nicht geschehen“, sagte Eino Pekkanen. „Sonst ist Abo endgültig dem Untergang geweiht. Wir müssen etwas tun und mit allen Mitteln verhindern, daß der Sturm auf das Gefängnis überhaupt erst beginnt.“ Wieder ließ er sich den Vorschlag des Seewolfes durch den Kopf gehen, dann rang er sich zu einem Entschluß durch. Er kehrte ins Erdgeschoß des Hauptgebäudes zurück, wo Mac Pellew noch einmal die Verbände der beiden verletzten Soldaten überprüfte und die Männer der „Isabella“ sich um das Lager ihres Kapitäns versammelt hatten. „Ich stimme Ihrem Plan zu“, sagte Pekkanen zu Hasard. „Aber nur schweren Herzens, denn eigentlich wollte ich Sie aus dem weiteren Geschehen heraushalten, das wissen Sie.“ Hasard wischte diesen Einwand durch seine nächste Äußerung beiseite. „Schließlich wurde dies alles durch meine Männer und mich ausgelöst“, sagte er. „Ich hätte Korsumäki nicht auf freien Fuß lassen dürfen, nachdem ich ihn als Lotsen nach Abo zwangsverpflichtet hatte. Das war ein grober Fehler.“ „Sie haben die Folgen nicht ahnen können“, erwiderte Pekkanen. „Wer hätte auch nur geahnt, daß der Kerl sich als Brandstifter betätigen würde? Ich am allerwenigsten. Außerdem habe ich ihn ja selber entwischen lassen.“ „Schon gut, aber das entbindet uns nicht der Verantwortung“, erklärte der Seewolf. „Überlassen Sie die Ausführung des Unternehmens ganz mir, ich werde schon dafür sorgen, daß alles klappt.“ *
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Was Hasard bereits erwartet hatte, trat ein: Alle siebzehn Männer der „Isabella“, die ihn bei der Jagd auf Korsumäki begleitet hatten, meldeten sich natürlich freiwillig. Jeder wollte dabei sein, wenn es Tanner und den anderen Aufwieglern von Abo an den Kragen ging. Hasard hätte den Trupp am liebsten selbst angeführt, aber er sah ein, daß dies nicht möglich war. Die Schmerzen, die er jetzt wieder verspürte, zwangen ihn, vorläufig noch sein provisorisches Lager im Flur des Gefängnisses zu hüten. „Nehmt die Hände wieder herunter“, sagte er. „Ich suche die Teilnehmer selbst aus. Shane, du führst die Gruppe an und nimmst Ed und Stenmark mit.“ Er blickte zu seinem Profos. „Allerdings gibst du mir das Versprechen, daß du nicht sofort losschlägst, wenn ihr euch unter die Gegner mischt, Ed.“ „Sehe ich so aus, Sir?“ „Auf der Insel, bei der Jagd auf Korsumäki, warst du kaum noch zu bändigen.“ „Ich werde mich höllisch am Riemen reißen“; sagte Carberry. „Der Teufel soll mich holen, wenn ich mich auch nur einen Atemzug lang vergesse. Aber was ist, wenn wir die Rädelsführer gestellt haben?“ „Dann liefert ihr sie hier im Gefängnis ab“, erwiderte Hasard. „Prügelstrafen finden nicht statt. Es war richtig, daß Korsumäki von Batuti zur Brust genommen wurde, aber das reicht nun auch.“ „Sir“, sagte Stenmark. „Sind drei Mann denn wirklich genug für den Stoßtrupp?“ „Nein. Dan und Matt, ihr geht ebenfalls mit.“ „Aye, Sir“, sagten Dan Und Matt Davies gleichzeitig, und Matt fing sogleich wieder an, mit dem Hemdsärmel seine Eisenhakenprothese zu polieren. „Ist das alles?“ fragte Ferris Tucker verdutzt. „Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß du wenigstens mich noch mit auswählen würdest.“ Hasard warf dem rothaarigen Riesen einen Blick zu und grinste. „Und wer soll als Krankenpfleger auf mich aufpassen, Mister
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Tucker? Du bist dir doch wohl hoffentlich der Verantwortung bewußt, die auch dieser Posten hat?“ „Na klar“, versetzte Ferris grimmig. „Und wie wär's mit noch einem Schlag Erbsensuppe?“ Die anderen lachten. Mac Pellew ging auf Hasards Anweisung hin in die Küche, holte eine Schaufel voll Ofenruß und begann, die Gesichter von Shane, Carberry, Stenmark, Dan und Matt anzuschwärzen. Anschließend wurden die restlichen Vorbereitungen für das Kommandounternehmen getroffen. Natürlich nahmen die Männer ihre Waffen mit, die sie unter ihrer Kleidung versteckten - Pistolen, Messer, Säbel und Degen. Für Musketen und Tromblons war kein Platz, und wieder bedauerte Ferris Tucker, daß er den fünfen nicht eine einzige Flaschenbombe mitgeben konnte. Auch die Waffengurte wurden natürlich verborgen. Die Männer tauschten ihre Hemden gegenseitig aus, zogen die Hosenbeine über die Schäfte ihrer Stiefel und trafen auch sonst noch einige Veränderungen, die sie den Bürgern von Abo gegenüber tarnen sollten. Carberry hatte einen Schlapphut gefunden, den er sich über seinen Kopfverband stülpte. So war auch er kaum wiederzuerkennen. „Großartig“, sagte Hasard. „Wie Strauchdiebe seht ihr aus.“ „Ja“, sagte jetzt auch Eino Pekkanen, der mit einigen von seinen Gendarmen zusammen die Vorkehrungen der Seewölfe verfolgt hatte. „Ich glaube auch, daß es eine brauchbare Maskierung ist. Trotzdem sollten wir ein paar Zeichen vereinbaren, mit denen wir uns im Falle einer Gefahr miteinander verständigen können.“ „Wie können meine Männer das Gefängnis am besten verlassen?“ fragte Hasard. „Der Hinterausgang wird von der Stadt her zur Zeit nicht beobachtet“, antwortete Pekkanen. „Soviel haben wir bisher feststellen können. Außerdem wird es jetzt dunkel - die Finsternis Wird Ihr Verbündeter sein, meine Herren. Am besten benutzen Sie also die Hintertür,
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schleichen ein Stück am Ufer des Aura entlang und wenden sich dann der Stadt zu.“ „Einverstanden“, sagte Shane. „Für die Rückkehr schlage ich ein Klopfzeichen vor, mit dem wir uns an der Hintertür melden - oder von mir aus auch am großen Tor, je nach Lage der Dinge.“ „Ich unterrichte meine Wachtposten entsprechend“, sagte Pekkanen. „Wenn ihr in Bedrängnis geratet, solltet ihr euch nicht scheuen, eure Pistolen abzufeuern“, sagte der Seewolf. „Fünf Schüsse in die Luft, und wir wissen Bescheid.“ „Dann unternehme ich mit meinen Leuten einen Ausfall“, versprach Eino Pekkanen. „Und Sie können sich darauf verlassen, daß ich die erlittene Schlappe wieder ausgleiche.“ Von den Glück- und Segenswünschen ihres Kapitäns und ihrer Kameraden begleitet, verließen die fünf Seewölfe das Hauptgebäude. Wenig später schlüpften sie durch den Hinterausgang ins Freie, und die Dunkelheit schluckte die Umrisse ihrer Gestalten. 9. An Bord der „Isabella“ standen die Männer, die unter Ben Brightons Kommando zurückgeblieben waren, inzwischen natürlich gleichsam auf Stützen. Ben selbst hatte die Hände um die Leiste der Schmuckbalustrade des Quarterdecks verkrampft, sein besorgter Blick wich nicht von der Stadt. Old O'Flynn schritt wie ein gereizter Tiger auf dem Achterdeck auf und ab. Nils Larsen betrat soeben das Quarterdeck und sagte zu Ben: „Da stimmt doch was nicht, Ben. Die Jollenbesatzungen hätten längst zurück sein müssen.“ „Und die Schüsse? Und das Gebrüll? Was hatte das zu bedeuten?“ rief der Kutscher von der Kuhl herauf. „Da hat sich was zusammengebraut, das ist doch klar.“ „Wir alle haben es mitgekriegt“, sagte Jan Ranse. „Aber es wundert mich immer noch, daß Hasard uns kein Zeichen
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gegeben hat. Sollte er selbst in der Klemme stecken, würde er uns doch bestimmt benachrichtigen.“ „Es könnte auch sein, daß ein paar Leute aus Abo Selbstjustiz an Korsumäki und dessen Genossen üben wollten“, sagte Old O'Flynn. „Hasard und Pekkanen haben sie zurückgewiesen und dabei auch ein paar Schüsse in die Luft abfeuern lassen. Oder?“ „Das glaubst du doch selber nicht, Donegal“, sagte Ben Brighton. Der Alte verließ das Achterdeck. „Natürlich nicht. Es ist was oberfaul. Schließlich haben wir ja noch mitgekriegt, wie sich die Gruppen der Leute längs des Flusses zusammengerottet haben, als die sechs Boote und unsere beiden Jollen flußaufwärts gepullt worden sind. Das Stadtgefängnis muß irgendwo weiter im Landesinneren stehen. Und der Fluchtversuch dieses Korsumäki-Bastards? Haben Philip und Hasard junior nicht alles beobachtet?“ „Richtig“, bestätigte Hasard junior vom Hauptdeck aus. „Batuti hat den Kerl wieder eingefangen, und dann hat es Prügel gesetzt. Dad ist ins Wasser gesprungen, aber aus irgendeinem Grund mußte Dan ihm nachsetzen.“ „Dann hat Dan Dad aus dem Fluß gezogen!“ rief Philip junior. „Auch das haben wir vom Hauptmars aus ganz genau verfolgt!“ „Da müssen Steine geflogen sein, und Hasard ist von einem solchen Brocken erwischt worden“, sagte Al Conroy. „Hör auf“, sagte Jeff Bowie. „Das ist doch nur eine Vermutung von dir.“ „Ja, aber damit liege ich der Wahrheit sehr nahe.“ „Alles in allem haben wir Gründe genug, nervös zu sein“, sagte Ben. „Es ist wirklich ungewöhnlich, daß Hasard uns bislang noch keine Nachricht geschickt hat. Wahrscheinlich sitzt er selbst im Gefängnis fest.“ „So wird es sein“, fügte der alte O'Flynn mit verdrießlicher Miene hinzu. „Zur Hölle, wir können doch immerhin zwei und zwei zusammenzählen. Die Leute von
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Abo haben einen mächtigen Zorn auf die Brandstifter, eine Stinkwut sozusagen. Die kochen vor Haß.“ „Folglich hat die Volksseele gegen den Stadtkommandanten aufbegehrt, der die Gefangenen einem ordentlichen Gericht übergeben will“, sagte der Kutscher. „Da ist ganz gefährlich was im Busch, glaube ich.“ „Also forschen wir nach, was geschehen ist“, sagte Ben. „Wenn etwas schiefgelaufen ist, dann kriegen wir es heraus, das versichere ich euch.“ „Aber wir können nicht an Land“, sagte Old O'Flynn. „Wir haben kein Boot. Beide Jollen sind an Land. Sollen wir vielleicht schwimmen?“ „So verrückt es klingt, das ist fast unsere einzige Chance, in die Stadt zu gelangen“, entgegnete Ben. „Ich will nämlich nicht riskieren, die ‚Isabella' wieder an die Pier zu legen. Es könnte ein Überfall auf uns stattfinden, wir könnten beschossen werden, vielleicht geht der Feuerteufel immer noch in Abo um. Wer kann das wissen? Nein, auf der Reede vor Anker liegt unsere Lady am sichersten.“ „Deck!“ rief plötzlich jedoch Piet Straaten, der als Ausguck in den Hauptmars aufgeentert war und die Zwillinge abgelöst hatte. „Es läuft eine Fischerjolle in den Hafen ein!“ Noch war es nicht ganz dunkel, daher konnte er das kleine Fahrzeug, das sich langsam auf die Reede schob, deutlich erkennen. Auch Ben und Old O'Flynn, die sich jetzt der See zuwandten, konnten das Boot sehen. „Nils“, sagte Ben. „Prei die Männer dieser Jolle bitte an, auf finnisch oder von mir aus auch auf schwedisch. Irgendwie wird die Verständigung schon klappen. Frag sie, ob sie so freundlich sind, vier Mann von uns an Land zu setzen.“ „Aye, Sir.“ Nils trat sofort an das Schanzkleid, legte beide Hände als Schalltrichter an den Mund und rief zu der Fischerjolle hinüber: „Hallo! Hier spricht die Mannschaft der ,Isabella'! Wir bitten euch darum, bei uns längsseits zu gehen! Wir brauchen eure Hilfe!“
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Die Fischer verhielten sich zunächst mißtrauisch. Dann aber - Nils wies darauf hin, daß die Seewölfe mit Heikki Lahtinen und dem Stadtkommandanten Eino Pekkanen befreundet wären - ließen sie allen Argwohn fallen und näherten sich der „Isabella“. Etwas später lag die Jolle längsseits, und die Fischer erfuhren von Nils, was sich in Abo abgespielt hatte. Sie waren darüber entsetzt. „Wir waren mehrere Tage draußen zum Fischen“, erklärte einer von ihnen. „Keiner von uns hätte sich etwas Derartiges ausgemalt. O Gott, was ist nur aus unseren Familien geworden?“ „Soweit uns bekannt ist, wurde bei dem Feuer niemand getötet oder auch nur verletzt“, erwiderte Ben und ließ dies von Nils übersetzen. „Wir müssen sofort landen“, sagte ein anderer Fischer. „Und natürlich sind wir dazu bereit, euch mitzunehmen. Korsumäki ist unser aller Feind, er hat auch gelegentlich schon versucht, unsere Netze zu zerstören, weil er behauptete, wir würden ihm sämtliche Fische wegfangen und dadurch den Inselleuten den Lebensunterhalt nehmen. Aber sollte es wirklich einen Aufstand der Bürger von Abo geben, um die neun Delinquenten hinzurichten, dann können wir das nicht gutheißen. Wir haben immer mit Eino Pekkanen in gutem Einvernehmen gelebt. Was er tut, ist gewiß richtig.“ „So scheinen in der Stadt aber nicht alle zu denken“, sagte Nils Larsen. „Ja, es gibt ein paar zwielichtige Typen“, meinte der dritte Fischer in der Jolle. „Die sind zu allem fähig. Ich denke da an Tanner, an Mikkeli oder auch an Ivalo.“ „Tanner ist anständig, ich habe mir bei ihm einen neuen Sonntagsrock nähen lassen“, sagte der erste Fischer. „Ich glaube nicht, daß er irgendwelche Flausen im Kopf hat.“ „Da täuschst du dich aber gewaltig“, widersprach der dritte. „Er ist ein Fanatiker und Aufwiegler, laß dir das von mir gesagt sein.“
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„Was soll das ganze Gerede?“ rief der zweite Mann aufgebracht. „Es bringt uns nicht weiter. Los, beeilen wir uns!“ Nils hatte Ben Brighton und den anderen Männern an Bord der „Isabella“ inzwischen übersetzt, was die Fischer untereinander gesprochen hatten. „Das genügt“, sagte Ben jetzt. „Donegal, übernimm du das Kommando. Nils, Jan und Piet, ihr begleitet mich an Land.“ „In Ordnung“, sagte der alte O'Flynn. „Damit wären wir nur noch sieben Mann an Bord, beziehungsweise acht, wenn man die beiden halben Portionen mitrechnet.“ Er wies auf die Zwillinge. „Was? Wir zählen nur als ein Mann?“ stieß Philip junior hervor. „Wir werden dir beweisen, was in uns steckt. Sollen wir die Kanonen kontrollieren, die Ladungen überprüfen? Die Lady bleibt doch sicher gefechtsbereit, nicht wahr?“ „Das bleibt sie“, erwiderte der Alte. „Nun schiebt schon ab, ich glaube euch ja.“ Er wandte sich an Ben und sagte: „Wir bleiben hier vor Anker liegen. Aber wenn wieder geschossen wird, gehe ich ankerauf und segle den verdammten Fluß hinauf, ob er nun schiffbar ist oder nicht. Mal sehen, ob wir mit unseren 25- und 17-pfündern nicht im Handumdrehen klare Verhältnisse schaffen.“ „Warte damit“, sagte Ben. „Noch wissen wir nicht genau, was los ist. Ich gebe dir schon ein Zeichen, keine Angst.“ „Aye, 'Sir“, brummte der Alte. „Dann mal los, und viel Glück.“ Ben, Nils Larsen, Jan Ranse und Piet Straaten bewaffneten sich ausreichend, dann enterten sie in die Jolle der Fischer ab, die schon ungeduldig auf sie warteten. Die Jolle legte ab, das Segel wurde wieder gesetzt, und sie glitt auf die Piers und den Kai zu, von denen immer noch Rauchschwaden aufstiegen. Mit jedem Yard, den sie sich dem Hafen näherten, nahm der penetrante Brandgeruch zu. Kurze Zeit darauf gingen sie an Land. Ben bedankte sich bei den Fischern, die als erstes zu ihren Häusern eilten. Nur der eine Mann hatte Pech, wie die Seewölfe später erfuhren. Seine Wohnung war ein Opfer
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der Flammen geworden. Die Gebäude der anderen beiden standen noch, sie befanden sich in einem Viertel, das von dem Brand kaum in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Familien der drei Männer waren unversehrt und hatten sich in die Burg zurückgezogen, wo die drei sie auch bald aufsuchten. Ben und seine drei Begleiter sollten mit ihnen nicht mehr zusammentreffen. Doch Ben hatte eine andere Begegnung, die umso bedeutungsvoller war. Mit seiner kleinen Gruppe näherte er sich der eigentlichen Stadt, und Nils hörte sich dabei natürlich pausenlos nach allen Seiten um. Bei zwei Männern. die zwischen den Trümmern an einem Leiterwagen herumhantierten und ihn mit Sandsäcken füllten, blieb er stehen und fragte: „Was wird denn hier vorbereitet?“ „Du bist wohl nicht von hier“, sagte der eine Finne mißtrauisch. Seine Augen verengten sich. Er musterte zunächst Nils, dann Ben, Jan und Piet von oben bis unten, und auch sein Landsmann zeigte dieselbe argwöhnische Miene. „Nein“, entgegnete Nils. „Ich bin Däne.“ „Von dem englischen Schiff, das auf der Reede liegt?“ Vorsichtshalber erwiderte Nils: „Natürlich nicht. Engländer beschäftigen keine Dänen auf ihren Galeonen, das solltet ihr eigentlich wissen.“ Er lachte. „Ich bin eben erst mit meinen drei Kameraden hier eingetroffen, und wir wollten eigentlich Holz in Abo einkaufen.“ Der Finne lachte. „Dafür habt ihr euch aber einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht. Alles, was in Abo aus Holz war, ist in der vergangenen Nacht abgebrannt.“ Nils Larsens Schwindelei schluckte er jedoch, wie auch sein Helfer bedenkenlos hinnahm, was der Däne ihnen aufgebunden hatte. Es stellte sich nun als Vorteil heraus, daß Ben, Nils, Jan und Piet noch nicht in der Stadt gewesen waren, ihre Gesichter waren den Bewohnern nicht bekannt. Nils lachte ebenfalls und deutete auf den Leiterwagen. „Na, eben doch nicht alles.
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Gibt es denn kein Handelshaus, wo man ein Geschäft abschließen könnte?“ „Doch“, antwortete der Finne. „Das von Heikki Lahtinen. Ich beschreibe euch, wie ihr hinfindet. Aber einen guten Rat gebe ich euch: Haltet euch aus dem heraus, was hier geschieht.“ „Wollt ihr die Burg stürmen?“ fragte Nils mit unbefangener Miene. „Das sieht ja wirklich nach dem reinsten Bürgerkrieg aus.“ „Nicht die Burg, sondern das Stadtgefängnis. Da sind neun Dreckskerle eingesperrt, die wir noch heute nacht hinrichten wollen.“ „Ach so“, sagte Nils. „Na, das geht uns wirklich nichts an.“ Er ließ sich noch erklären, wie sie zu Heikki Lahtinen fanden, dann verabschiedete er sich und ging mit Ben und den beiden Holländern zusammen schleunigst weiter. Nur kurze Zeit später trafen sie auf eine alte Frau, die mit wütendem Gesicht an einem Besen herumbastelte. Ben hatte Nils inzwischen den Rat gegeben, lieber vorsichtig zu sein, doch Nils setzte jetzt alles auf eine Karte. „Wir haben gehört, daß mit Korsumäki abgerechnet werden soll“, sagte er zu dem Alten. „Da würden wir gern mitmischen. Wir haben mit Korsumäki nämlich auch noch ein Hühnchen zu rupfen.“ „So?“ sagte sie und musterte ihn mit einem stechenden Blick. „Na, dann geht ihr am besten zum Marktplatz, da haben unsere Anführer eine Versammlung einberufen. Übrigens wollen wir auch den Engländern die Leviten lesen, die mit Pekkanen und dessen Soldaten das Gefängnis bewachen. Die haben es verdient, besonders der wilde Kerl mit den vielen Narben im Gesicht. Ich habe doch glatt meinen Besen auf ihm kaputtgehauen, und dann hat mich fast dieser schwarze Affe angesprungen, den sie bei sich haben.“ Nils bedankte sich und schloß sich wieder Ben, Jan und Piet an, die ein Stück weitergegangen waren. Als er ihnen berichtete, was die Alte ihm erzählt hatte, mußten die beiden Holländer doch grinsen.
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„Unser Profos und Batuti haben also schon einen gewaltigen Eindruck hinterlassen“, sagte Piet. „Aber daß hier jetzt selbst alte Frauen mitholzen, schlägt doch wirklich dem Faß den Boden aus. Sind die Leute total übergeschnappt, oder was ist los?“ „Ganz richtig im Kopf können die nicht mehr sein“, sagte Ben. „Der viele Rauch hat irgendwie ihren Geist vernebelt. Los, gehen wir zum Marktplatz, und hören wir uns an, was die Rädelsführer aushecken.“ Sie erreichten den Marktplatz und tauschten untereinander besorgte Blicke, als sie sahen, wie viele Menschen sich hier eingefunden hatten. Es waren bestimmt über hundert. Im Zentrum war eine Art „Gefechtsstand“ eingerichtet worden, und dort führte ein Kerl das große Wort, der von zwei anderen auf einem aus Kisten errichteten Podest flankiert wurde. Nils gelang es, einen Halbwüchsigen zu sich heranzuwinken. Er drückte ihm einen Silberling in die Hand und horchte ihn aus. „Wer sind die drei?“ fragte er ihn. „Kaarlo Tanner, Mikkeli und Ivalo“, erwiderte der Junge. „Sie haben das Zeug zu echten Feldherren, besonders Tanner.“ Jetzt wurde Nils endgültig alles klar. Er stellte weitere Fragen und erfuhr, daß die Bürger von Abo tatsächlich auch weiterhin - aufgehetzt von den drei Rädelsführern das Gefängnis belagern wollten, um es in der Nacht zu stürmen und Paavo Korsumäki und dessen sechs Kumpane herauszuholen. Danach sollten die sieben Gefangenen in eigener Machtvollkommenheit der Aufrührer hingerichtet werden. Auch mit Details, wie den Delinquenten das Leben genommen werden sollte, wußte der Junge aufzuwarten. Nils übersetzte alles seinen drei Kameraden. „Zur Hölle“, sagte Ben. „Das läßt einen ja regelrecht grausen. Diese Leute sind ja wahnsinnig. Einige von ihnen scheinen auch betrunken zu sein.“ „Und damit völlig unberechenbar“, sagte Jan. „Die Hinrichtung der Bande scheint so eine Art Volksfest zu werden.“ „Und bei dem geplanten Sturm auf das Gefängnis geht es natürlich auch Hasard
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und unseren Jollenbesatzungen an den Kragen, das steht fest“, sagte Piet. „Feine Aussichten“, murmelte Nils. „Du bist doch kein richtiger Däne“, sagte der Junge zu ihm. „Was ist denn das für eine Sprache? Lügst du mich an?“ „Nein“, entgegnete Nils ernst. „Das würde ich mir nie einfallen lassen. Ich will ganz ehrlich sein: Wir billigen nicht, was hier geschieht. Kein unbescholtener Bürger darf zum Mörder werden. Verstehst du, was ich meine?“ „Na ja, ich glaube schon. Eigentlich hast du recht.“ „Kannst du ein großes Geheimnis für dich behalten?“ „Sicher“, erwiderte der Junge. „Ich weiß auch schon, was. Ihr seid von dem englischen Schiff, von der ‚Isabella'. Ihr wollt euren Kapitän und eure Kameraden raushauen, was?“ Nils spürte, wie ihm allmählich der Schweiß ausbrach. „Wirst du es an Tanner und die anderen verraten?“ Nachdenklich betrachtete der Junge den Silberling in seiner Hand, dann sagte er gedämpft: „Ach wo. Ich bin doch kein Verräter. Ich kann dichthalten, ganz bestimmt. Und ich kapiere auch, daß ihr euch für eure Freunde einsetzt. Das hätte ich auch getan.“ „Gut so“, sagte Nils. „Das werde ich dir nicht vergessen. Wie heißt du überhaupt?“ „Thor.“ „Paß mal auf, Thor. Vielleicht springt für dich bei der Sache noch ein weiterer Silberling heraus.“ Mit gemischten Gefühlen - mitten unter den aufgebrachten Bürgern -erlebten die vier Seewölfe mit, wie die „Sturmwagen“ ausgestattet wurden. Auf dem einen Karren wurden sogar Pulverfässer gestapelt. Er sollte, mit Lunten versehen, gegen das Gefängnis gerollt werden. Ben, Nils, Jan und Piet sträubten sich bei diesem Gedanken die Nackenhaare. Auf dem Marktplatz, nicht weit vom Gefängnis entfernt, war der beste Ort für Kaarlo Tanner, um sich tüchtig zu produzieren. Er schwang nach wie vor die größten Reden und warf sich stolz in die
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Brust. So, wie er sprach, schien die Eroberung des Gefängnisses überhaupt kein Problem zu sein. Die vier Seewölfe pirschten sich an den „Gefechtsstand“ heran, um Genaueres zu erfahren und vor allen Dingen Tanner, Mikkeli und Ivalo besser in Augenschein nehmen zu können. Fackeln waren entfacht worden, sie verbreiteten ein rötliches, zuckendes Licht. Die Szene hatte etwas Gespenstisches an sich, auf den Gesichtern der Versammelten tanzten Licht und Schatten miteinander. Tanner fühlte sich in seiner Rolle als großer Anführer bestätigt. Er bestimmte in diesem Augenblick Mikkeli und Ivalo zu seinen Unterführern und Adjutanten. Alle drei gaben sich martialisch, hatten sich mit Waffen behängt und plusterten sich mächtig auf. An Kaarlo Tanner fielen Ben Brighton der fanatische Blick, die abgehackte Sprechweise und das herrische Gebaren auf, mit dem er auftrat. Ben war geneigt, ihn für einen typischen Blender und Spinner zu halten, doch er wußte, daß er seine Gefährlichkeit nicht unterschätzen durfte. Tanner zitierte nun auch noch aus der Bibel und hetzte das Volk zum „heiligen Kampf gegen die Ungläubigen“ auf. Das war im Grunde genommen gar nicht einmal ungeschickt, denn Paavo Korsumäki war ja tatsächlich noch nicht zum Christentum bekehrt. Tanner bemühte sich mit Erfolg, der ganzen Aktion zusätzlich einen religiösen Anstrich zu geben und schuf damit eine neue Motivation für einen Überfall auf das Gefängnis. „Nils“, sagte Ben so gedämpft, daß es keiner der Umstehenden vernehmen konnte. „Diesen Kerl müssen wir uns schnappen. Wenn der Leithammel fehlt, läuft die Herde auseinander, nicht wahr?“ „Ja. Aber wie sollen wir das bewerkstelligen?“ „Gib deinem Freund Thor noch einen Silberling - am besten gleich ein Goldstück“, erwiderte Ben. „Dann
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schaffen wir es schon, diesen Tanner zu vereinnahmen.“ Sie grinsten sich zu, Nils hatte begriffen und gab Thor einen Wink. Daß sie auf die gleiche Strategie verfallen waren wie Hasard, ahnten die Männer zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht. 10. Thor erschien auf dem Gefechtsstand und zupfte Kaarlo Tanner am Jackenärmel. „General Tanner“, sagte er aufgeregt. „Der Stadtkommandant hat einen Unterhändler geschickt.“ „Wie war das?“ Tanner fühlte sich durch die Anrede „General“ natürlich geschmeichelt, doch den Rest des Gesagten vermochte er kaum zu verarbeiten. War das denn die Möglichkeit? Pekkanen entsandte einen Parlamentär? Eigentlich paßte das gar nicht so recht in seine Rachepläne. Thor räusperte sich. „Der Unterhändler ist zwecks Kapitulationsverhandlungen erschienen, General“, fuhr er fort. „Und die neun Gefangenen sollen jetzt wohl auch übergeben werden. Eino Pekkanen hat sich aber ausbedungen, die Verhandlungen mit Ihnen heimlich führen zu dürfen, um das Volk nicht noch mehr zu erregen. Ich soll Sie unauffällig zu ihm bringen.“ „Zum Kommandanten?“ fragte Tanner verwirrt. „Nein, zu dem Unterhändler.“ Thor seufzte. So eine große Leuchte, wie er anfangs gedacht hatte, schien der Schneider nun auch wieder nicht zu sein. Alles in allem hatte er, Thor, schon richtig gehandelt, als er die Goldmünze und den Silberling für seine Dienste angenommen hatte. Sein Vater würde staunen, wenn er damit nach Hause kam! Kaarlo Tanner fühlte sich mächtig geehrt. Seine Eitelkeit siegte über seinen gesunden Menschenverstand, zumal Thor ihm noch mehr Schmus auftischte - Redewendungen, die Nils Larsen ihm eingeimpft hatte. Tanner wandte sich an Mikkeli und Ivalo. „Ich habe eine wichtige Besprechung“, sagte er von oben herab. „Für die kurze
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Zeit meiner Abwesenheit erteile ich euch das Kommando. Doch mein Befehl lautet: Unternehmt nichts, bevor ich nicht zurück bin.“ „Jawohl“, sagten die beiden wie aus einem Munde. Tanner verließ den Gefechtsstand und folgte Thor. Sie verschwanden in der Menge, die nicht so richtig verfolgen konnte, was nun seinen Lauf nahm. Thor brachte Kaarlo Tanner zu einer Toreinfahrt. Hier warteten Ben Brighton und Nils Larsen bereits auf ihren „Verhandlungspartner“. Thor erhielt von Nils noch rasch zusätzlich einen Silberling in die Hand gedrückt, dann durfte er sich empfehlen. „Sehr erfreut, Herr General“, sagte Ben auf finnisch, denn diese wenigen Brocken hatte er sich schnell von Nils beibringen lassen. Er streckte die Hand aus, und Tanner ergriff sie, obwohl er zu zweifeln begann, daß diese beiden Männer wirklich zu der Mannschaft des Stadtkommandanten gehörten. Doch es war bereits zu spät. Die Falle schnappte auf und gleich wieder zu - Ben riß den Kerl zu sich heran, rammte ihm die Faust unters Kinn und fing ihn mit beiden Händen auf, als er zusammensank. Nils brauchte schon nicht mehr einzugreifen. Auch Jan und Piet nicht, die Ben als Reserve für alle Fälle in Deckung geschickt hatte. Sie tauchten jetzt auf und halfen mit, den ,General“ zu fesseln und zu knebeln. „Was jetzt?“ zischte Jan Ranse. „Wohin mit dem Kerl?“ „Schleichen wir zum Gefängnis“, erwiderte Ben. „Dort ist er garantiert sicher. Außerdem können wir uns mit Hasard und den anderen darüber abstimmen, was weiter unternommen werden soll.“ Ehe auf dem Marktplatz jemand Verdacht schöpfen konnte, daß mit Kaarlo Tanners Verschwinden etwas nicht stimmte, setzten sie sich in Marsch und pirschten auf das Gefängnis zu, dessen Mauern düster und drohend aus der Dunkelheit aufragten.
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Auf Umwegen gelangten sie an ihr Ziel, aber plötzlich gab Ben das Zeichen zum Stehenbleiben. Fünf Gestalten wuchsen vor ihnen aus der Finsternis hoch. Ben, Nils, Jan und Piet griffen rasch zu den Waffen und rissen sie aus den Gurten hervor, doch dann lachte der größte der fünf Kerle auf. „Da laust mich doch der Affe“, sagte er. „Bist du das, Mister Brighton, oder leide ich an Sinnestäuschungen?“ Ben atmete erleichtert auf. „Keineswegs. Aber ihr seht wirklich fürchterlich aus. Was ist denn mit euch los?“ Stenmark lachte ebenfalls. „Wir haben uns ein bißchen maskiert. Das, was wir vorhaben, ist nämlich nicht gerade ein Spaziergang. He, wen habt ihr denn da mitgebracht?“ Nils Larsen zerrte Tanner am Kragen zu sich hoch und antwortete: „Darf ich vorstellen? Dies ist General Tanner, der Oberbösewicht der Verrückten, die sich in den Kopf gesetzt haben, heute nacht das Gefängnis zu stürmen.“ „Jetzt brat mir doch einer einen Barsch!“ entfuhr es Dan O'Flynn. .,Die sind uns zuvorgekommen.“ „Na gut“, sagte der Profos grollend. _Dann haben wir eben nicht mehr ganz soviel Arbeit. Ben, gratuliere zu eurem Fang. Ihr habt tatsächlich den Haupträdelsführer erwischt.“ „Wir sind doch nicht von gestern“, sagte Jan. „Wir wissen bereits über alles Bescheid.“ „Auch darüber, daß Hasard eine Kopfplatzwunde hat?“ fragte Matt Davies. Jetzt blickten Ben, Nils, Jan und Piet sich doch betroffen an. Carberry beschloß, sie über das, was auf dem Fluß und im Gefängnis vorgefallen war, nicht länger im unklaren zu lassen, und begann zu berichten. * Die nächste Frage, die sich ihnen stellte, lautete, ob sie sich die beiden Unterführer Mikkeli und Ivalo auch noch holen sollten oder nicht.
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Big Old Shane sagte: „Ich bin dafür, daß wir es tun. Sicher ist sicher. Mein Vorschlag: Ben und Nils bleiben bei meiner Gruppe. Matt führt Jan und Piet bis zur Hintertür des Gefängnisses.“ Jan Ranse hatte sich den bewußtlosen Tanner inzwischen auf die Schulter geladen. Ben überlegte kurz, dann nickte er zur Bestätigung. „Ich bin einverstanden, Shane. Verlieren wir also keine Zeit.“ Matt, Jan und Piet trennten sich von den sechs anderen Männern und eilten mit ihrem Gefangenen bis zum hinteren Ausgang der Gebäudeanlage. Auf das verabredete Klopfzeichen hin wurden sie eingelassen. Die Soldaten nahmen Kaarlo Tanner sogleich in Empfang und verfrachteten ihn zu Korsumäki und den anderen sechs Kerlen in eine Zelle des Kerkers. Matt, Jan und Piet liefen zu Hasard und den anderen Seewölfen, um ihnen Bericht zu erstatten. Pekkanen folgte ihnen, und als Matt mit seiner hastigen Schilderung der Ereignisse am Ende angelangt war, fügte er nur noch wenige Worte hinzu: „Tanners Rolle als General ist hiermit ausgespielt. Auch er wird sich vor Gericht verantworten müssen, und das sieht für ihn keineswegs rosig aus. Ich danke Ihnen, meine Freunde, Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen.“ „Hoffen wir, daß auch der Rest des Unternehmens so erfolgreich verläuft“, sagte der Seewolf. Dann erkundigte er sich bei Jan und Piet danach, wie die Lage an Bord der „Isabella“ sei. Indessen erreichten Big Old Shane, Stenmark, Dan, Carberry, Ben und Nils den Marktplatz von Abo. Sie hatten alles miteinander abgesprochen. Der Profos sonderte sich ein wenig von seinen Kameraden ab und trat in eine Ecke, die am Rand des Platzes von zwei Gebäudemauern gebildet wurde. Hier suchte er sich sein „Opfer“ aus, einen großen rotgesichtigen Mann, der immer wieder in seiner Muttersprache rief: „Wir wollen Tanner! Wo ist General Tanner?“ „Schrei nicht so!“ fuhr Carberry ihn an. „Du könntest den toten Soldaten
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aufwecken, der drüben im Gefängnis liegt. Wußtest du, daß es ein Opfer gegeben hat? He? Wußtest du es oder nicht?“ Er tippte ihm mit dem Finger gegen die Brust, was bei seiner Kraft mit einem kräftigen Schubs gleichbedeutend war, der den Mann gegen die Mauer warf. In einer Mischung aus Wut und Verblüffung richtete der Finne seinen Blick auf den Profos. „Was redest du, Kerl?“ schrie er. „Ich versteh dich nicht!“ „Spar dir dein Kauderwelsch, du Kaulquappe“, sagte Carberry. „Ich verstehe sowieso kein Wort.“ „Ein Engländer!“ stieß der Finne hervor. „He, hier ist einer von den Engländern!“ Damit wollte er sich auch schon auf den Profos stürzen, aber der war vorbereitet. Mit einem schauderhaften Grinsen fing er den Mann ab und schüttelte ihn ein wenig durch, was ihm ja besonders gut lag. Eine richtige Wohltat war das für ihn. Damit war der Streit vom Zaun gebrochen. Alle Blicke richteten sich auf die beiden Zankhähne, die sich anbrüllten und mit den Fäusten aufeinander losgingen. Die Menschenmenge verlagerte sich vom Podest zu der Marktplatzecke, Carberry und der Mann mit dem roten Gesicht wurden umringt. Mikkeli und Ivalo aber. die beiden Unterführer Tanners, dachten nicht daran, ihren Gefechtsstand zu verlassen. Sie hatten ja ihre Befehle. „Rühr dich nicht vom Fleck!“ rief Mikkeli seinem Kumpan zu. „Wir müssen mit Tanners Rückkehr rechnen, er kann jeden Augenblick hier sein. Wir müssen zur Verfügung stehen, wenn es wichtige militärische Beschlüsse zu fassen gilt.“ „Ja“, sagte Ivalo, dann schickte er ein paar Männer, die unschlüssig herumstanden, zu der Ecke, um nachsehen zu lassen, was der Krach bedeutete. Darauf hatte Ben Brighton nur gewartet, mit seinem Plan hatte er auf diese Reaktion spekuliert. Kaum waren die Männer weg, raste er mit Shane und Dan auf den Gefechtsstand zu und begann, ihn zu stürmen. „Ausräumen“ nannten sie das -
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das bedeutete, daß jeder, der sich ihnen in den Weg stellte, niedergeschlagen wurde. Mikkeli griff nach seiner Pistole, Ivalo zückte seinen Finnendolch, denn jetzt begriffen sie, daß alles ein abgekartetes Spiel war. Aber ihr Handeln erfolgte zu spät, Ben, Dan und Shane hatten den Stand bereits geentert und hieben um sich. Mikkeli fiel unter Bens Faustschlägen, Ivalo kippte, von Dan zurückgestoßen, Shane in die Arme. Shanes Fäuste wirkten wie Hämmer, auch Ivalo brach zusammen. Unterdessen hatten Nils Larsen und Stenmark in die Prügelei in der Marktplatzecke eingegriffen und unterstützten den Profos. Wer sich hilfreich für den rotgesichtigen Finnen einsetzte, der bereute es - hier ließen die drei Seewölfe ihre ganze aufgestaute Wut ab, und besonders Carberry kannte keinen Pardon. Reihenweise gingen die Gegner zu Boden und schlossen nähere Bekanntschaft mit dem harten Kopfsteinpflaster von Abo. Carberry, Nils und Stenmark stachelten sich gegenseitig durch Zurufe an, und schließlich fiel auch der Mann mit dem roten Gesicht, der sich bislang tapfer gegen den Profos gehalten hatte. Ben, Shane und Dan hatten Mikkeli und Ivalo von dem Gefechtsstandgezerrt und traten die Flucht an. Dan stieß drei schrille Pfiffe aus. Dies war das Zeichen für Carberry, Nils und Stenmark, die Prügelei zu beenden und ebenfalls zu türmen. Bevor die Bürger merkten, was sich eigentlich abgespielt hatte, war der ganze Spuk verschwunden. Betroffenheit und Ratlosigkeit breiteten sich aus - und genau das hatten die Seewölfe erreichen wollen. Keiner der Aufrührer wußte mehr so recht, was er tun sollte. Dein Aufstand fehlte es jetzt an dem nötigen Feuer, die Glut begann zu verglimmen. Da nutzte es auch wenig, daß die alte Frau mit ihrem Besen auf den Platz stürmte und nach Carberry suchte, dem sie „alles heimzahlen“ wollte, was er ihr zugefügt hatte. Ben, Shane, Stenmark, Dan, Carberry und Nils schleppten ihre beiden Gefangenen zum Stadtgefängnis und klopften auf die verabredete Weise an die Hintertür. Auch
Roy Palmer
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ihnen wurde sofort geöffnet. Die Soldaten brachten Mikkeli und Ivalo zu den anderen Gefangenen in den Keller, und wenig später verließen die Soldaten des Stadtkommandanten das Gebäude, schwärmten aus und stellten in der Stadt wieder Ruhe und Ordnung her. Ben, Shane, der Schwede, Dan, der Profos und der Däne begaben sich zu Hasard und ihren Kameraden in den Gefängnisflur. Hasard hatte sich von seinem Lager aufgerichtet, lachte und rief: „Na, das ist vielleicht ein Wiedersehen! Willkommen im Kerker, Freunde! Habt ihr wenigstens einen Aquavit mitgebracht?“ „Hölle und Teufel“, sagte Ben und blieb stehen. „Den haben wir an Bord vergessen.“ „Das macht nichts“, sagte Mac Pellew mit grenzenlos trauriger Miene. „Wir haben Erbsensuppe zur Stärkung hier. Wollt ihr einen Schlag davon haben?“ „Jetzt nicht“, erwiderte Nils grinsend. „Wir haben eben schon tüchtig reingehauen.“ Die Männer lachten, dann schwiegen sie und lauschten den Geräuschen, die von draußen hereindrangen. Sie warteten darauf, daß wieder geschossen wurde, Steine gegen die Gefängnismauer prallten und Karren und Leiterwagen in Bewegung gesetzt wurden. Doch das war nicht der Fall. Der Aufstand war niedergeschlagen, die Mitläufer verdrückten sich nach Hause. Die drei Hetzer fehlten - die Menge zerbröckelte und verteilte sich fast unauffällig im Dunkeln auf die Häuser und die Burg, die den Obdachlosen nach wie vor als Aufenthaltsort diente. Der Kampf gegen die „Rächer von Abo“ war endgültig niedergeschlagen. Da erschien Eino Pekkanen wieder auf dem Flur und brachte ein paar Flaschen Aquavit mit. Sie wurden herumgereicht, es wurde gelacht und getrunken, und Pekkanen schüttelte dem Seewolf und dessen Kameraden die Hände.
Die Rächer von Abo
„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll“, sagte er immer wieder. „Indem Sie Heikki Lahtinen rufen“, entgegnete der Seewolf. „Ich würde mich ganz gern mit ihm unterhalten und festlegen, wie ich ihm am besten helfen kann.“ „Ich bin schon da“, sagte der Handelsherr und trat in den Flur. Er mußte lächeln, als er Hasards verdutzte Miene wahrnahm. „Ich bin eben eingetroffen, und die Soldaten haben mich gleich hereingelassen. Es ' weht jetzt ein besserer Wind in dieser Stadt. Wir dürfen wieder mit Zuversicht in die Zukunft blicken.“ „Sind Ihre Lager und das Kontor abgebrannt?“ fragte der Seewolf. „Fast vollständig, aber es läßt sich Gott sei Dank alles wieder aufbauen. Halten Sie sich damit nicht auf, Kapitän Killigrew. Sie haben Wichtigeres vor sich.“ „So schnell werden Sie uns nicht los“, sagte Hasard. „Wenn wir morgen früh bei Ihnen erscheinen, hätte ich auch gern noch ein paar Tipps von Ihnen. Sie wissen schon - meine Reise ist in Abo noch nicht zu Ende.“ „Ich werde Ihnen alles sagen, was für Sie von Wichtigkeit sein könnte“, erklärte Heikki Lahtinen feierlich. „Aber jetzt muß ich den Kommandanten um einen Schluck Aquavit bitten. Irgendwie ist meine Kehle völlig ausgetrocknet. Das muß an der Hitze liegen, die neuerdings in Abo herrscht.“ „Richtig”, sagte Mac Pellew, nachdem Stenmark wieder alles übersetzt hatte. „Das muß wirklich an der Hitze in dieser Stadt liegen - und das Mitte März.“ Mit grämlicher Miene servierte er Heikki Lahtinen eine Muck voll Aquavit, aber als dieser ihn ob seiner Grämlichkeit verwundert anschaute, mußte auch er grinsen. Schließlich war er ebenfalls froh, daß alles noch ein gutes Ende gefunden hatte...
ENDE