Atlan - König von Atlantis Nr. 462 Dorkh
Die Negativen von Marianne Sydow
Die Magier von Oth am Wendepunkt ...
16 downloads
344 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - König von Atlantis Nr. 462 Dorkh
Die Negativen von Marianne Sydow
Die Magier von Oth am Wendepunkt
Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Zusammen mit seinen Gefährten Razamon und Grizzard ist der Arkonide auf Veranlassung von Duuhl Larx, dem Herrn des Rghul‐Reviers, nach Dorkh gebracht worden, um dort eine Mission im Sinne des Dunklen Oheims zu erfüllen. Während nun die drei Männer von Pthor alle Gefahren und Schrecken von Dorkh fast bis zur Neige auskosten müssen und dabei wider Erwarten dem Ziel ihrer Mission immer näher kommen, blenden wir wieder um nach Pthor. Hier, auf dem Dimensionsfahrstuhl, erscheint Duuhl Larx erneut auf dem Plan und ermordet als erstes seinen Kollegen und Konkurrenten Chirmor Flog. Das Eingreifen des Duuhl Larx auf Pthor zeitigt jedoch auch positive Resultate. Denn der wahnsinnige Neffe des Dunklen Oheims vermag die Schwarzschock‐Energie an sich zu binden und einige Magier davon zu befreien, so daß diese wieder im positiven Sinn zu wirken in der Lage sind. Für diese wieder positiv gewordenen Magier um Koratzo gibt es natürlich ein vordringliches Problem zu bewältigen. Dieses Problem sind DIE NEGATIVEN …
Die Hauptpersonen des Romans: Duuhl Larx ‐ Der Herr des Rghul‐Reviers »stärkt« sich. Koratzo ‐ Der Stimmenmagier leitet die Wende auf Pthor ein. Querllo, Islar, Kolviss und Opkul ‐ Die ersten aus der Gruppe der »geheilten« Magier. Copasallior ‐ Koratzos Gegenspieler. Hastanoque ‐ Ein Robotdiener.
1. »Was für Narren!« sagte der Neffe Duuhl Larx zu sich selbst, als der Zugor mit den beiden Magiern in westlicher Richtung davonflog. »Sie sind unsterblich, und es heißt, daß sie auch noch sehr viel Macht besitzen, aber was ihren Verstand betrifft, so scheint mir dieser etwas unterentwickelt zu sein!« Er kicherte vor sich hin und schwang sich mit seiner Sphäre in die Luft, um die Flugscheibe der Magier besser im Auge behalten zu können. »Da fliegen sie hin«, murmelte er. »Sie werden mir ihre Artgenossen bringen, einen nach dem anderen, und ich werde immer mehr an Stärke gewinnen. Begreifen diese Dummköpfe nicht, daß nur die SchwarzschockEnergie sie vor der Rache des Dunklen Oheims hätte bewahren können? Sie betrachten sich jetzt als geheilt – dabei sind sie kränker als je zuvor. Aber ich habe den Nutzen davon. Ich werde sie bestimmt nicht auf ihren Fehler aufmerksam machen.« Weit von ihm entfernt, an Bord des Zugors, sahen Koratzo und Querllo sich schweigend an. Der Stimmenmagier hatte Duuhl Larx auf magische Weise belauscht und das Gemurmel des Neffen auch für Querllo hörbar gemacht. »Von seiner Warte aus hat er völlig recht«, sagte Koratzo nachdenklich. »Brauchst du eine zweite Behandlung?« fragte der Lichtmagier
spöttisch. Koratzo zuckte kaum merklich zusammen. »Nein«, sagte er schroff und wandte sich ab. »Entschuldige«, bat Querllo zerknirscht. »Es war nicht so gemeint.« »Das weiß ich«, antwortete der Stimmenmagier leise. »Aber jedesmal, wenn ich mich daran erinnere, was ich als Negativer alles getan habe, möchte ich am liebsten meinem Leben ein Ende setzen.« Querllo schwieg bedrückt, und der Stimmenmagier vollführte eine ärgerliche Handbewegung. »Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir jetzt tun müssen«, sagte er entschlossen. »Als erstes werden wir Islar und Heix zum Neffen bringen.« »Islar hat offenbar nur wenig von dieser negativen Energie in sich aufgenommen.« »Das ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Koratzo nachdenklich. Querllo warf ihm einen Blick zu und setzte zum Sprechen an, brachte die entscheidende Frage dann aber doch nicht über die Lippen. Koratzo ahnte, was den Lichtmagier in diesem Augenblick beschäftigte. »Hast du Angst vor mir?« fragte er bitter. »Nein«, versicherte Querllo hastig. »Aber du wolltest sie immerhin zu deiner Gefährtin machen. Dieser Wunsch ist sicher nicht ohne Grund in dir entstanden.« »Du meinst, ich hätte auch vorher schon daran gedacht? Das stimmt nicht, Querllo. Abgesehen davon – meine Wünsche dürften in diesem Zusammenhang vorerst keine Rolle mehr spielen. Wenn du versuchst, sie für dich zu gewinnen, werde ich dir keine Hindernisse in den Weg legen. Du solltest dir allerdings keine zu großen Hoffnungen machen.« »Warten wir es ab«, murmelte der Lichtmagier erleichtert. »Hoffentlich machen sie und Heix uns jetzt keine Schwierigkeiten. Sie wissen ja nicht, daß wir wieder normal sind.«
»Wir werden es ihnen beweisen müssen«, sagte Koratzo ernst. »Und ich fürchte, Islar wird uns nicht so schnell vertrauen können.« »Und was ist mit Heix?« »Hast du ihn in der letzten Zeit gesehen?« »Nein.« »Ich glaube fast, er ist überhaupt nicht beeinflußt worden.« »Er ist ja auch kein Magier!« »Bist du dir da ganz sicher?« fragte Koratzo nachdenklich. »Nach unserer Auseinandersetzung hätte ich Hilfe brauchen können, und ich flog zu Islar. Sie war nicht da. Dafür traf ich Heix. Er war in eine von Was alten Falten geraten.« »Ich dachte, der Wächter existiert noch.« »Das war auch der Fall. Heix hat ihn fast vernichtet.« Querllo sah den Stimmenmagier ungläubig an. »Das ist noch nicht alles«, fuhr Koratzo grimmig fort. »Ich habe Islar gesucht und auch gefunden. Sie steckte in der Schlucht der gläsernen Felsen, und sie war verletzt. Es war eine schlimme Wunde. Ich brachte sie zu Heix und wollte dich holen, aber der Alterenkel legte seine Hand auf ihre Stirn und heilte sie.« »Das ist unmöglich!« stieß Querllo hervor. »Genau das dachte ich auch. Seit der Lebensmagier nicht mehr bei uns ist, gibt es außer dir niemanden mehr in Oth, der über diese spezielle Form der heilenden Kräfte verfügt. Trotzdem hat Heix es getan.« »Wir werden uns um ihn kümmern müssen.« Sie sahen schweigend über den Rand des Zugors hinweg und hingen ihren Gedanken nach. Nach einigen Minuten ließ Querllo den Zugor sanft dem Boden entgegengleiten. Koratzo hielt Ausschau nach Islar, aber er konnte die junge Halbmagierin nirgends entdecken. Wahrscheinlich hielt sie sich in den Höhlen auf. Sie versuchte schon seit Tagen, eine magische Maschine zu bauen, mit deren Hilfe sich die Auswirkungen des Schwarzschocks beseitigen ließen.
Der Zugor landete vor dem Eingang zur Haupthöhle. Koratzo sandte seine Stimme aus und rief nach Islar. »Was willst du schon wieder von mir?« fragte sie ärgerlich. »Du störst mich.« »Du wirst deine magische Maschine niemals fertigbekommen«, stellte der Stimmenmagier fest. »Wenn du versuchst, mich zu beeinflussen …« »So waren diese Worte nicht gemeint. Ich habe eine gute Nachricht für dich, Islar.« »Ich will sie aber nicht hören«, gab sie giftig zurück. »Du solltest es endlich aufgeben, Koratzo. Warum suchst du dir nicht eine andere Magierin? Estrala wäre über ein Angebot sicher sehr glücklich.« »Ich will weder sie noch dich zu meiner Gefährtin machen«, antwortete Koratzo ruhig. »Es geht jetzt um wichtigere Dinge. Wir müssen verhindern, daß die Magier draußen in Pthor noch mehr Unheil anrichten, als bisher schon geschehen ist.« Für einen Augenblick blieb es still. Dann lachte Islar laut auf. »Ein neuer Trick, Stimmenmagier?« fragte sie spöttisch. »Denke nur nicht, daß ich darauf hereinfallen werde.« »Es ist kein Trick. Der Neffe Duuhl Larx ist in der Barriere. Er hat Chirmor Flog getötet und alles, was noch an SchwarzschockEnergie in seinem Opfer steckte, in sich aufgenommen. Dadurch ist Duuhl Larx gesünder und stärker geworden, und er ist versessen darauf, sich noch mehr von dieser Energie zu verschaffen. Er braucht nur in die Nähe eines Magiers zu schweben, der den Gesetzen des Schwarzschocks gehorcht, dann strömt die negative Energie auf ihn über, und der Magier ist wieder normal.« Islar schwieg. Noch glaubte sie ihm nicht, aber Koratzo spürte, daß sie nachdenklich geworden war. »Es ist eine Lüge«, sagte sie schließlich. »Nein, Islar, das ist es nicht! Hast du nicht gespürt, wie kurz nach Mitternacht eine Welle von Haß durch die Tronx‐Kette gegangen
ist? Das war der Augenblick, in dem Chirmor Flog starb. Ich habe es gespürt, wußte aber noch nicht, was geschehen war. Ich bin zu der Höhle geflogen, um nachzusehen. Dabei lief ich Duuhl Larx über den Weg, und er hat mich vom Schwarzschock geheilt.« »Ein Neffe würde das niemals tun!« »Er wollte es ja auch gar nicht. Er wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß es überhaupt möglich war.« »Bist du alleine?« »Nein. Querllo ist bei mir. Wir hatten einen Kampf miteinander geführt, und es war mir gelungen, ihn zu betäuben. Ich habe ihn zu Duuhl Larx gebracht.« »Und er ist normal geworden?« »Ja. Rede mit ihm, dann wirst du es selbst merken.« »Ich bin nur eine Halbmagierin«, sagte Islar. »Und ich gehöre noch nicht lange zu euch. Aber du solltest mich nicht für so dumm halten, daß ich dir diese Geschichte abnehme. Ihr habt herausbekommen, woran ich arbeite, und ihr fürchtet euch davor, daß ich Erfolg haben könnte. Ihr wollt verhindern, daß ich die Maschine baue.« »Wenn wir in dieser Absicht zu dir gekommen wären, hättest du keine Chance gehabt, Islar. Wir wären längst bei dir in der Höhle.« »Das mag sein. Aber ich bin nicht ganz wehrlos, Koratzo. Hast du die Wunde an deinem Bein schon vergessen?« »Durchaus nicht. Es ist kaum eine Stunde her, daß Querllo mich von den letzten Auswirkungen dieser Verletzung befreit hat.« »Du läßt nichts unversucht, nicht wahr?« rief Islar ärgerlich. »Aber auch wenn Querllo dir geholfen hat – das beweist gar nichts. Ich habe genug von diesem Spiel. Laßt mich in Ruhe, oder kommt her und kämpft.« Sie meinte es ernst, und Koratzo wußte, daß es ihm nicht mehr gelingen würde, sie zu überreden. »Du willst es nicht anders«, sagte er bedauernd. »Es tut mir leid, Islar.« Sie lachte höhnisch auf – und verstummte abrupt, als er die
lähmenden Laute in die Halle schickte. »Komm«, sagte er zu Querllo. »Wir müssen sie uns holen.« Sie drangen in die Höhle ein und sahen Islar, die neben einer halbvollendeten magischen Maschine auf dem Boden lag. Ein paar Schritte von ihr entfernt stand Heix, ein langes Schwert in der Hand. »Ihr bekommt sie nicht!« rief er gehässig. »Dafür werde ich sorgen.« Koratzo sandte erneut seine magischen Laute aus, aber Heix schwankte nicht einmal. »Was ist los?« fragte Querllo beunruhigt. »Keine Ahnung«, murmelte der Stimmenmagier und betrachtete den Alterenkel nachdenklich. »Ich bekomme ihn nicht zu fassen. Versuch du es.« Querllo zuckte die schmalen Schultern und hüllte Heix in eine Lichtblase. »Du bist noch nicht wieder ganz in Form«, sagte er zu Koratzo. »Ich konnte nur die Wunden heilen, alles andere braucht seine Zeit.« Der Stimmenmagier stieß einen erschrockenen Laut aus und riß Querllo zur Seite. Das lange Schwert, das gerade durch die Lichthülle geflogen kam, schlug klirrend auf dem steinernen Boden auf. »Jetzt reicht es!« murmelte Koratzo unwillig. »Dieser Narr hält uns auf – als ob wir nichts anderes zu tun hätten, als uns mit diesem Alterenkel herumzuschlagen!« Mit wenigen Schritten war er bei der Lichtblase, in der Heix gefangen war. Er legte die Hände auf die leuchtende Hülle, aber noch ehe er auf den Alterenkel Einfluß nehmen konnte, warf Heix sich vorwärts, und das Unglaubliche geschah: Die Hände des Dicken fuhren durch die magische Wand hindurch und legten sich um den Hals des Stimmenmagiers. Querllo sah Koratzo verzweifelt gegen den unerbittlichen Griff ankämpfen und erkannte, daß jeder weitere Einsatz von magischen Mitteln nutzlos bleiben mußte. Er hob blitzschnell das Schwert des
Alterenkels auf, ließ die leuchtende Hülle erlöschen und hieb dem Dicken den Griff der Waffe über den Schädel. Heix sackte in sich zusammen, ließ aber Koratzo noch immer nicht los. Der Lichtmagier mußte ihm jeden Finger einzeln aufbiegen, um Koratzo zu befreien. »Danke«, murmelte Koratzo, als er wieder bei Atem war. Nachdenklich blickte er auf den Alterenkel herab. »Verstehst du das? Was ist in den Kerl gefahren?« »Vielleicht liegt es am Schwarzschock«, vermutete Querllo. »Wir sollten ihn so schnell wie möglich zu Duuhl Larx schaffen.« »Und wenn es etwas anderes ist?« Querllo zuckte die Schultern. »Faß mit an«, bat er. »Wir werden diesen Fettkloß fesseln müssen.« * »Wenn es bei allen so schwierig wird«, sagte der Lichtmagier, als sie zu Duuhl Larx zurückflogen, »dann wird es sehr lange dauern, bis wir unsere Aufgabe erfüllt haben.« »Wir können froh sein, wenn es nicht noch schlimmer kommt«, erwiderte Koratzo ernst. »Wir haben trotzdem eine gute Chance. Mit jedem Magier, den Duuhl Larx heilt, gewinnen wir einen neuen Verbündeten.« »Der aber nicht sofort einsatzfähig sein wird«, gab der Lichtmagier zu bedenken. »Es dauert eine Weile, bis man den Schock überwindet, das haben wir beide zu spüren bekommen.« »Was ist los mit dir?« fragte Koratzo unwillig. »Willst du aufgeben?« »Nein«, murmelte Querllo bedrückt. »Aber ich habe Angst, Koratzo. Je mehr Zeit wir brauchen, desto größer wird die Gefahr, daß die Negativen sich gegen uns verbünden. Wenn wir gegen sie kämpfen müssen …«
»Ich erinnere mich nicht gerne daran«, sagte Koratzo, »aber ich habe sogar Copasallior schlagen können.« »Da wart ihr beide negativ und habt eure Waffen voll zum Einsatz gebracht.« »Das stimmt«, flüsterte Koratzo. »Ich war fest entschlossen, ihn zu töten, wenn er mir eine Gelegenheit dazu gab.« Er schüttelte sich. »Du bist immer noch mächtiger als er«, stellte Querllo fest. »Aber nachdem du die negative Phase überwunden hast, ist es dir einfach unmöglich, so brutal zuzuschlagen, wie du es damals getan hast.« Vor ihnen tauchte Chirmor Flogs Höhle auf. Duuhl Larx schwirrte wie ein Glühwürmchen am Hang herum, sichtlich aufgeregt und ungeduldig. »Wir werden auch Copasallior herbringen«, sagte Koratzo leise. »Es wird nicht leicht werden, aber wir müssen es schaffen. Kein einziger Magier darf negativ bleiben, sonst fängt alles von vorne an.« Querllo sah den Stimmenmagier von der Seite her an. Sie waren zu zweit. Auf der Gegenseite standen zweihundertundneunzehn negative Magier. Duuhl Larx schoß auf die Flugschale zu. »Könnt ihr euch nicht ein bißchen beeilen?« rief er ärgerlich. »Ich brauche diese Kraft dringend. Wer sind eure beiden Gefangenen?« »Magier«, behauptete Querllo. »Sie werden dir allerdings nicht viel Energie geben können. Sie sind fast unbeeinflußt geblieben.« »Was soll ich dann mit ihnen anfangen?« schrie der Neffe empört. »Du wirst sie heilen«, sagte Koratzo gelassen. »Wenn sie dir auch nicht viel geben können, so ist das doch immer noch besser als gar nichts. Diese beiden hielten sich in der Barriere auf, darum sind sie zuerst an der Reihe. Die anderen Magier müssen wir mühsam einfangen. Du mußt ein wenig Geduld aufbringen, Duuhl Larx.« »Geduld!« kreischte der Neffe wütend. »Ich sollte selbst losziehen und mir Magier aussuchen, bei denen sich die Mühe lohnt.«
»Du kannst es gerne versuchen«, erwiderte Koratzo freundlich. »Die Ugharten werden begeistert sein, wenn sie dich erwischen. Sie überwachen das ganze Land, auch wenn es den meisten Pthorer so scheinen mag, als würden sie sich nur um die Senke der verlorenen Seelen kümmern.« »Wenn es so ist«, meinte Duuhl Larx, »dann wissen sie auch längst, wo ich zu finden bin.« »Du vergißt, daß du dich in der Großen Barriere von Oth befindest«, bemerkte der Stimmenmagier mit sanftem Tadel. »Es ist unser Land. Hier spionieren auch die Ugharten nichts aus, was wir vor ihnen verbergen wollen.« Der Zugor landete, und Duuhl Larx traf Anstalten, sich den beiden Betäubten zu nähern. »Zurück!« befahl Koratzo scharf. »Was soll das?« fragte der Neffe wütend. »Laß mich zu ihnen. Ich denke, ich soll sie heilen!« »Aber nicht, solange sie in diesem Fahrzeug liegen. Wir wissen nicht, wie die antimagischen Maschinen auf dich reagieren. Wir brauchen den Zugor noch.« Heix wachte auf, als sie ihn über den Rand der Flugschale hoben. Der Dicke zeterte, und sie hatten Mühe, den Alterenkel zu bändigen. Als Heix im Gras lag und Duuhl Larx in seiner leuchtenden Sphäre auf ihn zuglitt, schrie der Alterenkel in solcher Panik, daß Querllo sich unwillkürlich die Ohren zuhielt. Koratzo stand wie erstarrt neben dem Zugor. Duuhl Larx näherte sich langsam, und plötzlich zuckte er zurück. »Er wehrt sich!« kreischte der Neffe. »Das war nicht vereinbart. Betäube ihn, Koratzo!« »Was hast du gespürt?« fragte der Stimmenmagier. »Einen Schlag!« »Du wirst noch mehr davon hinnehmen müssen«, erklärte Koratzo ausdruckslos. »Sie werden es alle versuchen.« Duuhl Larx umkreiste den Alterenkel, als wolle er ihn von allen
Seiten betrachten. »Er hat Angst vor ihm«, stellte Querllo fest. »Sage deinem Freund, daß er vorsichtiger mit seinen Worten umgehen soll!« rief der Neffe zornig. »Warum?« fragte Koratzo nüchtern. »Er hat doch recht.« »Du wirst …«, hob Duuhl Larx an und verstummte dann plötzlich. Koratzo starrte ihn an, als wollte er ihn hypnotisieren. Der Neffe lachte schrill. »Ich bin kein Pthorer, der sich von dir hereinlegen läßt!« rief er triumphierend. »Ich durchschaue dich, Magier. Du willst mich provozieren, nicht wahr? Gib dir keine Mühe, das haben andere auch schon versucht. Soll ich dir verraten, was aus ihnen geworden ist?« »Ja«, sagte Koratzo sanft. »Fang mit Atlan, Razamon und Lebo Axton an.« Der Neffe stieg kichernd auf, bis er mehrere Meter über den beiden Magiern schwebte. »Du wüßtest es längst, wenn du immer noch meine Gedanken auffangen könntest«, stellte Duuhl Larx fest. »Woran liegt es wohl, Magier? Bist du schwächer geworden? Oder hilft mir die Schwarzschock‐Energie, auch gegen magische Einflüsse zu bestehen?« »Es liegt an mir«, behauptete Koratzo gelassen. »Ich bin nicht im Vollbesitz meiner Kräfte.« »Es freut mich, das zu hören!« behauptete Duuhl Larx und sank langsam auf Heix herab. Der Alterenkel schrie wie am Spieß. Einmal zuckte die Sphäre zurück, aber diesmal ließ Duuhl Larx sich nicht aufhalten. Die Schreie brachen ab, und Querllo sah zu Boden. Koratzo dagegen behielt den Alterenkel im Auge, und er sah, wie Heix die Augen weit aufriß und Laute zu formen versuchte, Laute, die der Stimmenmagier nur zu gut kannte. Dann unterschritt Duuhl Larx die kritische Distanz, und der Alterenkel verlor das Bewußtsein.
Koratzo atmete erleichtert auf. »Hilf mir mit Islar!« bat er Querllo, und sie hoben die junge Magierin aus dem Zugor und legten sie, mehrere Meter von Heix entfernt, ins Gras. Koratzo war sehr froh darüber, daß Islar noch immer betäubt war und sich nicht gegen den Neffen wehren konnte. »Das war wirklich ein kläglicher Happen«, kommentierte Duuhl Larx, als er sich von Islar entfernte. »Wann bringt ihr mir den nächsten?« »Es kann nicht lange dauern, Duuhl Larx. Warte auf uns und entferne dich nicht zu weit von der Höhle.« Duuhl Larx schwebte unschlüssig hin und her. »Versucht nicht, mich zu betrügen«, sagte er schließlich. »Du brauchst uns nicht zu drohen«, erwiderte Koratzo gelassen. »Wir sind sehr daran interessiert, daß die Magier vom Schwarzschock geheilt werden.« »Das will ich hoffen!« murmelte der Neffe gehässig und schwirrte davon. »Konntest du seine Gedanken wirklich nicht hörbar machen?« fragte Querllo. »Nein«, erwiderte Koratzo knapp. »Du solltest dich ein wenig ausruhen, bevor du nach Pthor hinaus gehst«, meinte der Lichtmagier besorgt. »Wenn du in dieser Verfassung einem der Mächtigen über den Weg läufst, bist du erledigt.« »Es liegt nicht an mir«, erklärte Koratzo düster. »Ich habe nur versucht, den Neffen auf eine falsche Fährte zu locken. Er ist stärker geworden, und es ist nicht nötig, daß er jetzt schon alles erfährt.« »Wie kann er stärker werden, ohne daß wir ihm einen Magier gebracht haben?« fragte Querllo bestürzt. Koratzo verzog das Gesicht. »Es ist ein Teil der Schwarzschockenergie übriggeblieben. Sie dürfte hauptsächlich in den Tieren stecken, die in der Barriere leben, und Duuhl Larx, der eine größere Affinität zu der dunklen Kraft hat
als irgendeiner von uns, zieht sie an sich.« »Woher weißt du das?« erkundigte Querllo sich mißtrauisch. »Ich dachte jedenfalls, daß die gesamte Energie auf uns Magier übergegangen ist.« Koratzo sah den Lichtmagier nachdenklich an. Er wußte, daß Querllo früher oder später dahinterkommen würde. Dennoch entschloß er sich dazu, die Frage ausweichend zu beantworten, denn es war nicht der geeignete Zeitpunkt, um über solche Dinge zu diskutieren. »Ich hatte etwas mehr Gelegenheit, darüber nachzudenken«, sagte er. Querllo, der ja erst nach Koratzo mit Duuhl Larx in Kontakt gekommen war, nahm an, daß der Stimmenmagier sich auf diesen Unterschied bezog und gab sich zufrieden. Vielleicht hätte er trotzdem noch Fragen gestellt, aber Heix kam allmählich zu sich. Nimm dich vor ihm in acht, teilte Koratzo ihm über den lautlosen Weg der Gedanken mit. »Was ist eigentlich mit dem Dicken los?« fragte Querllo leise. »Ich weiß es noch nicht genau, aber ich fürchte, wir werden noch viel Ärger seinetwegen haben.« Islar war wieder völlig normal. Allerdings wich sie dem Stimmenmagier aus und vermied es auch, ihn anzusehen. Koratzo widerstand der Versuchung, in ihren Gedanken nach dem Grund für dieses Verhalten zu forschen. Wahrscheinlich konnte sie nicht vergessen, wie er sich während der negativen Phase ihr gegenüber verhalten hatte. Heix war auffallend still. Er jammerte nicht einmal, als der Stimmenmagier ihm die Fesseln abnahm. Keine Klagen, keine Beschwerden wegen der groben Behandlung, die ihm widerfahren war – es war direkt beunruhigend, wie still und sittsam der seltsame Verwandte des Bodenmagiers Gofruun sich plötzlich gab. Koratzo beobachtete den Dicken scharf, aber er fand nichts, was außergewöhnlich gewesen wäre. Es gelang ihm mühelos, die
Gedanken des Alterenkels für sich hörbar zu machen, und sie enthielten keinen Hinweis auf das, was Heix kurz vor dem Kontakt zu Duuhl Larx getan hatte. Das änderte sich nicht einmal dann, als der Stimmenmagier Heix vorsichtig beeinflußte. Es gab nicht den leisesten Hinweis darauf, daß Heix fähig war, sich gegen derartige Einflüsse zur Wehr zu setzen. Er gab es schließlich auf, wenn er auch noch längst nicht beruhigt war. Er gab Querllo einen Wink, und der Lichtmagier nickte ihm zu und ging mit Islar zum Zugor. Koratzo und Heix folgten ihm. Augenblicke später waren sie unterwegs zur Wohnhalle des Stimmenmagiers. 2. Howath gehörte zu jenen Magiern, die einst in den Dunklen Tälern gehaust hatten. Allerdings hatte er sich schon lange vor dem Kampf am Skatha‐Hir von Karsjanor losgesagt und war in die Tronx‐Kette geflohen. Das lag so weit zurück, daß kaum ein Magier sich noch an das erinnerte, was Howath in seiner negativen Vergangenheit getrieben hatte. Zu Howaths Leidwesen stellte es sich jedoch heraus, daß Koratzo ein überaus gutes Gedächtnis besaß. Die Bewohner der Dunklen Täler hatten den Mächtigen von Oth so manchen bösen Streich gespielt, aber einer davon, der dem Weltenmagier Copasallior gegolten hatte, war besonders schlimm ausgefallen. Copasallior war zwar mit dem Leben davongekommen, aber seine damalige Gefährtin Dendera hatte es nicht überstanden. Es war eine böse Intrige gewesen, die Karsjanor, Jarsynthia und Wortz gesponnen hatten – neben einer Anzahl von Magiern waren auch die Robotbürger von Wolterhaven darin verwickelt gewesen. Die einzigen Spuren, die Copasallior nach Denderas Tod fand, wiesen in die Stadt der Maschinen. Der Weltenmagier wußte
natürlich, daß mehr dahinterstecken mußte, aber da er die wahren Schuldigen nicht fand, begnügte er sich damit, die Robotbürger unter Druck zu setzen. Die Robotbürger, die ein schlechtes Gewissen hatten, obwohl sie gar nicht wissen konnten, wie es zu alldem hatte kommen können, boten Copasallior so etwas wie einen Tausch an. Seitdem besaß der Weltenmagier das eiserne Yassel Saisja. Denderas Sohn Koratzo hatte bei der Spurensuche mehr Glück als der Weltenmagier. Er stieß auf Howath, der geholfen hatte, die Falle zu bauen, und Howath hatte gegen den Stimmenmagier keine Chance. Er verriet die ganze üble Geschichte. Wenig später standen Karsjanor und Koratzo sich zum erstenmal in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüber. Koratzo siegte über den Kristallmagier – und dann tat er etwas, was Howath damals nicht hatte verstehen können und auch jetzt wieder, unter dem Einfluß des Schwarzschocks, für total verrückt hielt: Koratzo schenkte seinem Gegner das Leben. Es war die schlimmste Schmach, die er dem stolzen Kristallmagier hatte antun können. Ein anderer als Karsjanor hätte vielleicht erkannt, welche Überwindung es den Sohn der toten Dendera kostete, um seiner Ideale willen sogar auf die Rache am Mörder seiner Mutter zu verzichten. Karsjanor dagegen glaubte, daß Koratzo ihn nur aus Verachtung laufen ließ. Er verfolgte den Stimmenmagier mit unversöhnlichem Haß, und daran änderte sich nichts, bis Karsjanor am Skatha‐Hir vom Strahl der Verbannung erfaßt wurde. Nun, nach so unendlich langer Zeit, hatte Koratzo sich dieser Vorgänge entsonnen und den Feuermagier Howath unter Druck gesetzt, indem er drohte, Copasallior über diese fast schon vergessenen Vorgänge genauestens zu informieren. Howath kannte den Weltenmagier zu gut, um Koratzos Drohung auf die leichte Schulter zu nehmen: Copasallior hatte Denderas Tod niemals ganz überwunden. Er hätte Howath sofort getötet. Unter diesen Umständen hatte Howath keine andere Wahl, als
sich Koratzos Forderungen zu beugen: Er wurde zum Statthalter des Stimmenmagiers. Koratzo hatte beschlossen, für den Anfang die Stadt Orxeya, den Blutdschungel einschließlich der am nördlichen Rand gelegenen Feste Grool und den Dämmersee unter seine Kontrolle zu bringen. Das war ein sehr großes Gebiet, und hinzu kam, daß die Bewohner des Blutdschungels schwer kontrollierbar und die der Stadt Orxeya aufsässig und rebellisch waren. Um die selbstgestellte Aufgabe lösen und trotzdem seinen ehrgeizigen sonstigen Plänen nachgehen zu können, hatte der Stimmenmagier kurzerhand einige Magier in seine Dienste gepreßt. Den meisten ging es wie Howath: Sie konnten es sich nicht leisten, Koratzos »Angebot« auszuschlagen, denn damit hätten sie sich in akute Lebensgefahr gebracht. Einige andere waren zu Koratzos Vasallen geworden, nachdem der Stimmenmagier sie hatte spüren lassen, was er mit ihnen im Fall einer Weigerung alles anstellen konnte. Man hätte aus all dem schließen können, daß Koratzo nur sehr geringe Chancen hatte, länger als einige Tage über das von ihm beanspruchte Revier in Pthor zu herrschen. Die Magier waren seit jeher sehr freiheitsliebende Leute gewesen, die es konsequent ablehnten, sich irgendwelchen Befehlen zu beugen. Unglücklicherweise beherrschte Koratzo jedoch die schwierige Kunst, andere Wesen so total zu beeinflussen, daß sie ihre eigenen Ziele völlig vergaßen. In der traurigen Schar derer, die unter Koratzos Kommando die bedauernswerten Pthorer unterdrückten und quälten, war Howath der einzige, der noch seine eigenen Gedanken zu denken vermochte, was ihm jedoch nicht viel half. Koratzo hatte sich den Feuermagier ganz besonders aufs Korn genommen, und er bestrafte Howath erbarmungslos für jeden noch so kleinen Fehler. So wurde der Feuermagier zum Schrecken von Orxeya: Ständig den Schikanen Koratzos ausgesetzt, sah er nur eine Möglichkeit, sich Luft zu verschaffen – er ließ seinen Zorn an seinen
»Untertanen« aus. Die Orxeyaner vom Tongmäer bis zum Ost‐Tor wußten nicht, warum »ihr« Magier so besonders bösartig war. Sie fragten auch gar nicht erst lange danach, sondern versuchten, sich in andere, von gnädigeren Herrschern besetzte Teile der Stadt zu flüchten. Howath, der in den ersten Tagen eine mittlere Völkerwanderung beobachtete, ergriff voller Grimm Gegenmaßnahmen. Um die totale Entvölkerung seines Reviers zu verhindern, zog er eines Nachts aus und legte eine Grenze um das Gebiet. Es war eine Absperrung, die einiges über den, der sie erzeugt hatte, verriet. Natürlich war sie unsichtbar, wie alle magischen Grenzen. Ein Pthorer, der aus Howaths Revier hinauswollte, mußte entweder den vom Feuermagier überwachten, besonders gekennzeichneten Ausgang benutzen, oder es ging ihm schlecht. Sobald man nämlich einen Fuß in die kritische Zone setzte, schossen magische Flammen aus dem Boden hervor, um den unvorsichtigen Orxeyaner herum. Da stand der Pechvogel dann, eingehüllt in eine undurchdringliche Flammenwand, die er nicht durchspringen konnte. Eine Eigenart der Flammen bestand darin, daß sie die in ihnen wohnende Hitze für sich behielten. Man konnte sich ihnen bis auf wenige Millimeter nähern, ohne auch nur einen Hauch von Wärme zu spüren. Howaths Opfer konnten also ganz beruhigt stehenbleiben, und es geschah ihnen nichts – falls sie nicht irgendwann die Nerven verloren, um sich schlugen und zu toben begannen und dabei mit den Flammen in Berührung kamen. Was in sie hineingeriet, das zerfiel auf der Stelle zu Asche, und die Zahl der Orxeyaner, die mit heilen Gliedern aus den Feuerfallen zum Vorschein kamen, war gering. Übrigens öffneten die Fallen sich ausschließlich auf Befehl des Feuermagiers, und Howath ließ sich Zeit, wenn es galt, seine Untertanen zu befreien. Als eines Morgens die Stadt erwachte und die Händler zum Tongmäer, dem Gebrauchsmarkt von Orxeya, zogen, sahen sie
voller Staunen einige Dutzend Feuersäulen in den Gassen rund um den Platz, und aus den Säulen drangen Schreie und Flüche hervor. Die Orxeyaner hatten die Erfahrung gemacht, daß es am sichersten war, sich nicht um das zu kümmern, was die Magier mit ihren Nachbarn anstellten, und so gingen sie weiter, über die magische Grenze hinweg, und es geschah ihnen nichts. Wenig später kamen ein paar Kinder daher. Sie waren mit Schaufeln und Besen bewaffnet, und ihre Aufgabe bestand darin, die Gassen sauberzuhalten. Sie entledigten sich dieser Pflicht gewissenhaft – bis sie einer Gasse folgten, die aus Howaths Revier hinausführte. Die magischen Flammen waren sofort zur Stelle und schlossen auch die Kinder ein. Die Zahl der Feuersäulen wuchs, und bald kam es soweit, daß Händler, Yasselführer und Orxeyanerinnen, die auf dem Tongmäer die Zutaten für das Mittagsmahl besorgen wollten, nach Art von Slalomläufern zwischen den leuchtenden Gebilden hindurchkurven mußten. Das gefiel ihnen nicht sonderlich, aber sie schwiegen immer noch. Sie wickelten ihre Geschäfte ab und begaben sich auf den Rückweg – um gleich den Kindern und den schon am frühen Morgen gefangenen Händlern in magischen Flammenkäfigen zu landen. Als der Abend kam, hatte Howath mit seiner Grenze den gesamten Marktbetrieb lahmgelegt. Nachdem er die armen Orxeyaner befreit hatte, verkündete er ihnen, daß sie von nun an durch das Ost‐Tor gehen mußten, wenn sie aus seinem Revier zu ihren Häusern zurückkehren wollten, sofern sie nicht innerhalb der Grenzen wohnten. Für pthorische Verhältnisse war Orxeya eine große Stadt. Vor dem Tage Ragnarök hatten rund achttausend Personen im Schutz der Stadtmauer gelebt. Krolocs, Scuddamoren und Trugen, aber auch Katastrophen wie die große Flut und der durch den VONTHARA verursachte Dauerschlaf hatten die Bevölkerung von Orxeya dezimiert, trotzdem war Orxeya noch immer eine lebendige Stadt, und an ihrer Ausdehnung hatte sich ohnehin nichts geändert. Vom
Tongmäer bis zum Ost‐Tor war es zwar kein übermäßig weiter Weg, aber anschließend mußten fast zwei Drittel der Stadt umrundet werden, bis man das nächste Tor erreichte, das nicht unter Howaths Kontrolle stand. Der Zorn der Orxeyaner auf den Feuermagier wuchs beinahe stündlich. Als Howath seine Grenze errichtete, da hatte er keine Rücksicht auf die Tatsache genommen, daß in benachbarten Häusern mitunter Menschen wohnten, die miteinander verwandt oder befreundet oder aus tausend anderen Gründen verbunden waren. Liebespaare sahen sich von einem Augenblick zum anderen durch eine gute Stunde Fußmarsch getrennt, obwohl sie Tür an Tür wohnten. Händler entdeckten plötzlich, daß ihre Wirtschaftsgebäude sich auf der falschen Seite der Grenze befanden – um ihre Lagerbestände zu kontrollieren, brauchten sie nur über einen Hof zu gehen, wollten sie dann aber ein kräftiges Mal einnehmen, so mußten sie sich entweder in eine Gaststätte begeben oder um die halbe Stadt marschieren. All das und viele kleine Unannehmlichkeiten mehr schufen in der ganzen Stadt eine schier unerträgliche Atmosphäre. Nur der Feuermagier triumphierte, denn sein Revier füllte sich mit Menschen. Die einen, die ohnehin dort wohnten, gingen nur noch hinaus, wenn es unbedingt nötig war. Kamen sie an das Tor, dann unterzog Howath den einen oder anderen peinlichen Verhören nach Sinn und Zweck des Ausflugs, und das gefiel den selbstbewußten Orxeyanern nicht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den komplizierten Wegverhältnissen in ihrer plötzlich geteilten Stadt stieg die Zahl derer, die es vorzogen, im Revier zu bleiben, weil sie den Tongmäer brauchten, obwohl der Markt mittlerweile ein trauriges Bild bot: Die Kundschaft aus den anderen Stadtteilen blieb aus, und bei der Beschaffung frischer Waren traten Engpässe auf. »So geht es nicht weiter«, sagte schließlich Unrai, der Wassermagier, der den südlichen Teil Orxeyas kontrollierte, zu sich selbst.
Er zog seine magischen Sperren eng um sich, verbarg sein Gesicht unter einer eisernen Maske und begab sich zu Forinthale, der den Norden der Stadt für Koratzo bewachte. »Es muß etwas geschehen!« sagte Unrai. »Wenn Howath so weitermacht, richtet er die Stadt zugrunde, und Koratzo wird uns allen dreien die Schuld daran geben.« »Du hast recht«, erwiderte der Gefühlsmagier Forinthale bedächtig. »Howath nimmt sich zu viel heraus. Aber wir müssen vorsichtig sein, denn wenn der Feuermagier etwas merkt, geht es uns schlecht.« »Das gilt vielleicht für dich«, meinte Unrai spöttisch. »Aber ich bin ein Wassermagier und kann mich gegen Howaths Feuerfalle schützen.« »Bist du nur hergekommen, um Streit mit mir anzufangen?« fragte Forinthale ärgerlich. Unrai setzte zu einer bissigen Antwort an, beherrschte sich dann aber doch. Alleine konnte er gegen Howath nichts ausrichten. Auch mit Forinthales Hilfe würde es noch schwer genug werden. »Hast du eine Idee, was wir tun können?« fragte er. »Ich dachte, du wärest mit einem festen Plan zu mir gekommen«, antwortete Forinthale vorsichtig. »Wenn du mich fragst – wir sollten uns an Koratzo wenden. Es ist schließlich seine Stadt.« »Der Stimmenmagier war seit zwei Tagen nicht bei Howath.« »Woher weißt du das?« Unrai kicherte. »Der Brunnen in meinem Haus steht mit dem in Verbindung, aus dem Howath zu trinken pflegt«, erklärte er. »Der Feuermagier scheint alt zu werden, denn er hat sich nicht gegen das Wasser abgesichert. Ich weiß alles, was in Howaths Haus geschieht.« »Wenn er so lange nicht bei ihm war«, murmelte Forinthale nachdenklich, »dann kann er beinahe in jedem Augenblick auftauchen. Er hat Howath noch nie länger als zwei Tage in Ruhe gelassen.«
»Wir müssen ihm eine Nachricht zusenden.« »Aber wie?« »Wir rufen nach ihm, wie wir es immer getan haben.« »Ich habe ihn schon viermal gebeten, mir gegen Howath zu helfen«, sagte Forinthale düster. »Er hat sich aber nur einmal gemeldet, und seine Antwort bestand aus ein paar magischen Lauten, die mich innerlich fast zerrissen hätten. Ich werde ihn nicht noch einmal belästigen.« Unrai sah ihn betroffen an. »Mit dir macht er es also auch so«, flüsterte er ängstlich und sah sich nach allen Seiten um, als erwarte er, daß Koratzo aus den Wänden hervortrat, um ihn zu bestrafen. »Ich hatte gehofft, daß du ihn erreichen kannst.« »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen«, stellte der Gefühlsmagier nüchtern fest. »Wie wäre es, wenn du seinen Brunnen vergiften würdest?« »Damit er sofort weiß, woher ihm Gefahr droht?« fragte Unrai empört. »Wenn das Gift wirkt, kann er merken, was er will«, meinte Forinthale spöttisch. »Er wird dir nichts mehr tun können.« Unrai zögerte mit der Antwort. Wenn er zugab, daß er seine Chancen als gering einstufte, gestand er gleichzeitig auch ein, daß er samt seiner Wassermagie dem alten Howath gegenüber ziemlich hilflos war. »Es könnte gehen«, murmelte er schließlich. »Aber du weißt, wie stark Howaths Sperren sind – außerdem ist der Feuermagier so gerissen, daß er die Falle mit Sicherheit bemerken wird. Vergiß nicht, daß er aus den Dunklen Tälern kam und einmal Karsjanors Kampfgefährte war. Außerdem wäre Koratzo sicher sehr wütend, wenn er Howath als Leiche vorfände.« »Du sollst ihn doch nicht gleich umbringen!« wehrte Forinthale flink ab. »Betäube ihn!« »Und was steuerst du zu unserem Unternehmen bei?« fragte
Unrai, in der Hoffnung, seinerseits Forinthale in die Enge treiben zu können. »Howath ist zwar Feuermagier, aber er liebt die Wärme nicht«, erklärte der Gefühlsmagier zu Unrais Schrecken ganz gelassen. »In der Tronx‐Kette hat er sein Quartier an der Schlucht der Seelenlosen aufgeschlagen, direkt an der Brücke, wo die kalten Nebel aufsteigen. In Orxeya ist es heiß, und wenn ich noch ein bißchen nachhelfe, wird er schon bald unerträglichen Durst verspüren. Das dürfte ihn unvorsichtig machen, und er wird aus dem Brunnen trinken, ehe er das Gift bemerken kann.« »Du bist kein Luftmagier!« rief Unrai. »Wie willst du ihm einheizen?« »Ich werde sein Gefühl für Temperaturen durcheinanderbringen!« verkündete Forinthale. Der Wassermagier war stumm vor Staunen. Er kannte Forinthale nicht besonders gut, denn in der Barriere von Oth hatten sie sich höchstens zwei oder dreimal gesehen. Unrais Revier – das magische in der Barriere von Oth – lag südlich vom Hang der Töpferschnecke. Er gehörte zu denen, die man allgemein die »kleinen, dunklen Männer vom Rand« nannte, unter denen es, nebenbei bemerkt, auch einige Magier weiblichen Geschlechts gab und die durchaus nicht alle dunkel gefärbt waren. Unrai zum Beispiel hatte eine ockerfarbene Haut. Forinthale dagegen hatte bis vor kurzem weit im Westen der Barriere gelebt, in einem Revier, das fast bis an den Fuß des Lichterfangs heranreichte. Unrai wagte es nicht, Forinthale danach zu fragen, wie er den Feuermagier, dessen Sperren zu den stärksten zählten, die es überhaupt gab, zu beeinflussen gedachte. Unrai selbst war sich der Tatsache bewußt, daß er alles andere als mächtig war, und bisweilen fragte er sich, warum Koratzo ausgerechnet ihn nach Orxeya geholt hatte. »Wann wirst du es tun?« fragte er schüchtern.
»Ich muß Howath sehen können«, meinte Forinthale. »Gegen Abend pflegt er die, die sich in seine Grenze verirrt haben, zu befreien. Ich werde in der Nähe sein.« »Wenn er dich sieht, ist er gewarnt!« »Ich kann mich leicht als Orxeyaner verkleiden«, wehrte der Gefühlsmagier ab. »Er wird mich nicht erkennen.« Unrai, der Zeit seines Lebens ein ausgemachter Feigling gewesen war, kam zu dem Schluß, daß Forinthale nicht mehr klar im Kopf war. Zwar sah der Gefühlsmagier einem Orxeyaner in der Tat recht ähnlich, aber er war ein Magier, und gewisse Merkmale ließen sich nicht hinter einer Maske verstecken. Er überlegte, ob es nicht ratsam wäre, Forinthale zurückzuhalten, ehe ein Unglück geschah. Aber dann fiel ihm etwas ein. Wenn der Gefühlsmagier sich von Howath erwischen ließ, dann hatte Unrai eine Chance, auch den nördlichen Teil von Orxeya zu übernehmen. Zur Zeit herrschte Howath über den Osten der Stadt, das Zentrum mit dem Markt der Schlächter und gut die Hälfte des südlichen Teils von Orxeya. Unrais Revier war auf ein paar Straßenzüge zusammengeschmolzen. Forinthale hatte dagegen erst etwa ein Drittel seines Reviers an den Feuermagier verloren. »Gut«, sagte er. »Du beeinflußt ihn, und ich vergifte die Quelle, sobald er von der Grenze zu seinem Haus zurückkehrt.« »Du wirst mich begleiten«, erklärte Forinthale. »Das wäre zu gefährlich«, gab Unrai zu bedenken. »Mich wird er sofort erkennen. Ich bin zu klein, um mich als Orxeyaner zu verkleiden.« Forinthale schien den Einwand gar nicht gehört zu haben. »Warte hier auf mich!« befahl er und eilte davon. Unrai überlegte, ob er sich heimlich davonstehlen sollte, aber als er sich vorsichtig erhob, drang aus einer Ecke des Raumes ein unheimliches Fauchen. Der Wassermagier erstarrte zur Salzsäule. Erst nach mehreren Minuten wagte er es, sich vorsichtig umzusehen.
In der Ecke befand sich nichts weiter als eine schwere Truhe mit geschnitztem Deckel. Für einen Augenblick glaubte Unrai über der Truhe die Umrisse einer riesigen Katze erkennen zu können. Er blinzelte und starrte wieder hin, und nun kam es ihm so vor, als habe er sich von ein paar verirrten Sonnenstrahlen narren lassen. Über der Truhe flimmerte die Luft ein wenig, und durch ein winziges Fenster im Dach fiel ein Lichtstrahl, in dem winzige Staubkörnchen tanzten. Er hörte Schritte an der Tür, fuhr herum und deutete in die Ecke. »Was hast du dir dabei gedacht?« rief er anklagend. »Wie kannst du es wagen, mich mit solchen Tricks zu belästigen?« Forinthale blickte erstaunt auf den empörten Wassermagier hinab. »Ich hab keine Ahnung, wovon du redest«, brummte er. »Von dieser Truhe.« »Was ist damit?« »Sie hat gefaucht!« schrie Unrai wütend. Forinthale war einen Augenblick lang verdutzt, dann warf er den Kopf zurück und lachte schallend. »Das ist ein toller Witz!« brachte er schließlich keuchend hervor. »Wirklich, Unrai, ich hätte nicht gedacht, daß ihr aus den Revieren am Rand so viel Humor habt!« »Ich mache keine Witze«, sagte der Wassermagier beleidigt. »Das Ding hat gefaucht, und du kannst mir nicht einreden, daß ich mich geirrt habe. Was ist in der Truhe?« Forinthale sah ihn ernüchtert an. »Das geht dich nichts an«, murmelte er. »Ich soll dir vertrauen und dich begleiten, und du bist trotzdem nicht bereit, mir zu erklären, wie es zu dem Fauchen kam. Ich denke, unter diesen Umständen sollten wir es bleiben lassen.« Er drehte sich um und marschierte zur Tür. Dabei war er darauf gefaßt, daß er auf Schwierigkeiten stoßen würde. Zu seinem Erstaunen geschah nichts. »Warte«, sagte Forinthale, als Unrai die Tür öffnete. »Das, was wir
vorhaben, ist zu wichtig. Du solltest es nicht wegen dieser Truhe aufs Spiel setzen.« »Der Meinung bin ich auch«, antwortete Unrai giftig. »Also – zeige mir den Inhalt!« Forinthale zögerte immer noch. Erst als der Wassermagier erneut Miene machte, hinauszugehen, gab er nach. »Sieh hinein!« brummte er verächtlich. »Das könnte dir so passen!« fauchte Unrai. »Öffne den Deckel!« Er blieb hinter dem Gefühlsmagier und spähte aus sicherer Entfernung über den Rand der Truhe hinweg. »Nun?« fragte Forinthale spöttisch. »Quorks!« flüsterte Unrai fassungslos. »Hunderte von Quorks! Was willst du damit?« »Nichts«, erwiderte der Gefühlsmagier nüchtern. »Sie gehören mir nicht.« Unrai sah ihn mißtrauisch an. Er trat näher an die Truhe heran und berührte die Quorks zögernd. »Sie sind echt«, stellte er fest. »Natürlich sind sie das.« Unrai nahm einen Quork aus der Truhe und betrachtete den etwa fingerlangen, gelben Knochen, der mit unzähligen feinen Gravuren bedeckt war. Es war ein ungewöhnlich wertvolles Stück, ein Vermögen wert. »Hast du sie gezählt?« fragte er leise. »Sind sie alle so?« »Ja.« »Wo hast du sie gefunden?« »Du wirst es nicht glauben«, murmelte Forinthale. »Aber sie waren schon vor mir hier. Das Haus stand leer, und als ich es durchsuchte, stand diese Truhe mit den Quorks genau in dieser Ecke.« »Merkwürdig!« »Das finde ich nicht. Sie müssen dem letzten Besitzer dieses Gebäudes gehört haben. Die Nachbarn behaupten, er sei sehr reich
gewesen. Aber er hatte offenbar auf der anderen Seite nichts als Pech. Seine Frau und seine Kinder liefen ihm davon, und er selbst scheint nach und nach den Verstand verloren zu haben. Eines Nachts hörte man laute Geräusche aus dem Haus, und am nächsten Morgen lag der Orxeyaner tot auf der Straße. Er hat sich umgebracht.« »Aber daß seine Erben die Quorks nicht holten …« »Du kennst doch diese Orxeyaner! Sie sind schrecklich abergläubisch in solchen Dingen. Die Geräusche, die sich niemand erklären konnte …« »Was für Geräusche?« »Kreischen, Heulen, Fauchen …« »Fauchen!« Forinthale streckte den Arm aus und stieß den Deckel der Truhe an. Der Behälter schloß sich mit Donnergetöse. Unrai hatte den Eindruck, daß das ganze Haus erbebte. »Das Haus wurde versiegelt«, knurrte der Gefühlsmagier böse. »Niemand hat es seither betreten. Meinetwegen kannst du die Truhe samt den Quorks mitnehmen, denn ich halte nichts von dieser Art von Reichtum.« »Mir geht es nur um das Fauchen«, versicherte Unrai hastig. »Dann bleib dort stehen und denke darüber nach, oder untersuche meinetwegen das ganze Zeug.« Der Wassermagier sah Forinthale mißtrauisch an. »Nein«, murmelte er unsicher. »Ich begleite dich.« Forinthale zuckte mit den breiten Schultern und warf Unrai ein Kleiderbündel hin. Mißmutig faltete der Wassermagier einen schäbigen Fellumhang auseinander. Darunter lagen Sandalen, ein mit dickem Pelz verbrämtes Tuch und ein mit bunten Schnüren umwundener Gürtel. »So etwas tragen kleine Mädchen!« rief er empört. »Hab dich nicht so«, murmelte der Gefühlsmagier und warf sich einen Pelzumhang, wie die reicheren Händler ihn trugen, um die
Schultern. Er stülpte sich eine Perücke über den Schädel und befestigte einen künstlichen Bart an seinem ausladenden Kinn. Unrai stellte neidisch fest, daß Forinthale tatsächlich nicht die geringste Mühe hatte, sich in einen Orxeyaner zu verwandeln. Seufzend hüllte er sich in den für ihn bestimmten Umhang. Als er sich schließlich das Tuch über den Kopf zog, war er bereits in Schweiß gebadet. Sie schlichen sich aus dem Haus und trafen erst eine Straße weiter auf einige Händler, die die beiden Magier jedoch nicht beachteten. »Sie halten uns für Orxeyaner«, stellte Forinthale zufrieden fest. »He, paß auf, das Tuch rutscht dir herunter!« Unrai zerrte an dem Pelzrand, bis er ihm tief in die Stirn hing. Auch wenn ihm noch so heiß war – niemand hatte je ein kahlköpfiges orxeyanisches Kind gesehen. Ohne das Tuch war seine Verkleidung sinnlos. »Warum hast du mir keine Perücke besorgt?« fragte er wütend. »Seht!« machte Forinthale scharf. Direkt vor den beiden Magiern öffnete sich krachend eine Tür, und ein total betrunkener Städter taumelte auf die Straße hinaus, wankte von einer Seite auf die andere und wechselte dabei unberechenbar den Kurs. Unrai entkam einem unsanften Zusammenstoß nur durch einen verwegenen Sprung und landete mitten in einer riesigen Pfütze, die vom letzten Wolkenbruch übriggeblieben war. Der betrunkene Orxeyaner lehnte an einer Hauswand, deutete mit ausgestrecktem Arm auf die kleine, triefende Gestalt, die aus der Pfütze gestapft kam, und bog sich vor Lachen. »Tu etwas, bevor ich ihn ersäufe!« zischte Unrai zornig. »Schon gut«, meinte Forinthale kichernd. »Reg dich nicht auf.« Augenblicke später hörte der Orxeyaner auf zu lachen, sah sich, von plötzlicher Furcht erfüllt, nach allen Seiten um und stolperte schließlich in höchster Eile davon. Unrai starrte ihm nach und strich mit beiden Händen über sein Gewand. Das Wasser schien von
seinen Fingern zu fliehen, und ehe der Händler noch um die nächste Ecke bog, war der Wassermagier wieder trocken. »Koratzo hatte recht, als er für Orxeya drei Magier auswählte, die den Kromyat nicht genießen können«, stellte er fest, denn er gehörte zu jenen Magiern, die keinen Alkohol vertrugen. »Zweifellos«, murmelte der Gefühlsmagier und deutete auf eine Stelle, an der zwei der kleinen Häuser eng aneinanderstießen. »Dort ist die Grenze.« Unrai wäre vor Schrecken fast schon wieder in die Pfütze gefallen. »So nahe!« flüsterte er. Forinthale warf ihm einen scharfen Blick zu. »Es war nicht so gemeint«, versicherte der Wassermagier eilig. »Das will ich auch gehofft haben!« knurrte Forinthale. »Von meinem Revier ist entschieden mehr übriggeblieben als von deinem.« Sie tasteten sich durch die schmale, finstere Gasse, die zwischen den beiden Häusern hindurch führte. Der Gefühlsmagier hielt seinen Begleiter zurück und spähte vorsichtig um die Ecke. »Keine einzige Feuersäule in Sicht«, stellte er fest. »Führe einen Orxeyaner in die Grenze hinein!« forderte Unrai aufgeregt. »Unsinn. Wenn ich das tue, können wir bis morgen früh warten. Howath läßt Dummköpfe immer mindestens einen halben Tag in den Fallen sitzen. Wir müssen näher an die Tongmäer heran.« Der Wassermagier wünschte sich, er hätte niemals Koratzos Aufmerksamkeit erregt, aber der Gedanke verschwand wie üblich spurlos aus seinem Gehirn. Trotzdem hatte er Angst, als er neben Forinthale an der Grenze entlangschritt. Er wünschte sich weit weg in sein Revier im Süden von Oth. Dort war es hell und kühl, auch wenn Mittags die Sonne heiß auf die Felsen herabbrannte, denn vom Rand her wehte ein kalter Wind herauf. »Paß auf, wohin du trittst!« fuhr Forinthale ihn an. Unrai schrak aus seinen Träumen hoch und stellte fest, daß er
kaum mehr als einen halben Meter von der Grenze entfernt war. Hastig wich er zurück. Dann entdeckte er die Feuerfalle. »Dort ist einer«, sagte er. »Hm«, machte Forinthale skeptisch. »Hoffentlich steckt der Orxeyaner schon lange genug drin!« »Es scheint so!« flüsterte Unrai entsetzt. »Da drüben kommt Howath!« Der Gefühlsmagier verlor keine Zeit. Er nahm Unrai am Arm und zog ihn mit sich in Richtung auf das schützende Dunkel zwischen zwei Häusern. Von weitem, dachte der Wassermagier, mochte es wirklich so aussehen, als zerre ein Händler seinen ungehorsamen Sprößling hinter sich her. Wut überfiel ihn. Hatte er es nötig, sich wie ein Kind behandeln zu lassen? Er riß sich los. Keinen Augenblick lang dachte er darüber nach, wie ein orxeyanisches Kind sich wohl in einer solchen Situation verhalten mochte, sondern er war lediglich bestrebt, seine Würde zu wahren. Forinthale war so überrascht, daß er den Wassermagier freigab, und Unrai, der seinerseits mit heftiger Gegenwehr gerechnet und dementsprechend all seine Kräfte eingesetzt hatte, stürzte rücklings zu Boden. Das Tuch rutschte ihm vom Kopf. Forinthale war mit einem Satz bei ihm. »Halt still!« zischte er, packte Unrai am Kragen, warf ihm das Tuch über den Schädel und schleppte ihn mit sich. Der Wassermagier schrie vor Empörung laut auf. »Wenn du nicht endlich still bist, drehe ich dir den Hals um!« drohte Forinthale wütend. »Laß mich los!« forderte Unrai. »Ja!« sagte der Gefühlsmagier nach einer kurzen Pause des Schweigens tonlos. »Das dürfte in der Tat das einzige sein, was ich noch tun kann.« Er schleuderte Unrai von sich und wich gleichzeitig mit einem gewaltigen Satz in den Schatten zurück. Der Wassermagier erhob sich benommen. Sein Kopf schmerzte von einer gewaltigen Beule,
die ihm auf der Stirn wuchs, und die Häuser schienen vor seinen Augen auf und ab zu schwanken. Er drehte sich im Kreis, tappte unsicher auf eine Stelle zu, die ihm Schutz verhieß, und fand sich unversehens mitten in einem Höllenfeuer. Er hörte auf zu denken. Was er von diesem Augenblick an tat, das entsprang keiner vernünftigen Überlegung, sondern dem Instinkt. Und dieser Instinkt befahl ihm, sich gegen das Feuer zu wehren. Er rief das Wasser. Etwas behinderte ihn, und er erkannte, daß magische Kräfte ihn umgaben. Die Panik erfaßte ihn, und die Angst um sein Leben verlieh ihm Kräfte, die niemand ihm zugetraut hätte. In einer gewaltigen Anstrengung riß er die flammende Wand auf. Mit unglaublicher Geschwindigkeit wirbelte er die Arme durch die Luft, und Wasserstrahlen schossen aus seinen Fingerspitzen. Die Orxeyaner hatten selbstverständlich auch versucht, das eine oder andere Opfer zu befreien, aber normales Wasser konnte diese magischen Flammen nicht löschen. Jeder Tropfen aus Unrais Fingern dagegen riß eine Lücke in die heißen Wände, und durch diese Lücken gellte der Befehl des Wassermagiers durch die benachbarten Gassen. Forinthale hockte zitternd in einem Versteck und glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Da stand dieser Wassermagier, den er für einen unverbesserlichen Feigling gehalten hatte, und löschte die Falle einfach aus. Aber damit war es noch längst nicht vorüber. Wasser strömte herbei, immer mehr Wasser, das durch die Gassen gurgelte und für Sekunden einen scheinbar himmelhohen Wall um Unrai bildete. Dann sackte der Wall in sich zusammen, und die Fluten ergossen sich über Howath, der starr das Geschehen beobachtet hatte. Die Flutwelle, die dem Feuermagier entgegenschwappte, war so gewaltig, daß sie alles niederwalzte, was ihr im Weg war. Häuser stürzten in sich zusammen, ein Karren wurde weggeschwemmt. Als das Wasser stieg, flüchtete Forinthale sich auf das Dach eines einstöckigen Hauses, und von dort oben sah er den grellen Feuerball
inmitten des strudelnden Wassers. Er wußte, was dieser grelle Lichtfleck bedeutete: Howath stand dort und wehrte sich mit seinen magischen Künsten gegen die Fluten, die auf ihn eindrangen. Forinthale ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, durch das Wasser und die Feuerhülle hindurchzugreifen, mit seinen magischen Sinnen den Magier zu erfassen, der dort drinnen stand. Aber er bekam Howath nicht zu fassen. Statt dessen sah er, daß das Wasser sich immer höher um Howath staute. Aber der Feuermagier stand vorerst noch unter einer Glocke aus Flammen, und Unrai konnte unmöglich dieses viele Wasser so stark mit seinen magischen Kräften aufladen, daß es das Versteck des Feuermagiers zu zerstören vermochte. Als Howath seinerseits begann, seine Waffen einzusetzen, begann Forinthale zu ahnen, daß eine mittlere Katastrophe sich anbahnte. Der Feuermagier schickte Feuerkugeln in die ihn umgebenden Fluten. Gewaltige Luftblasen bildeten sich und zerplatzten mit explosionsartigem Knallen. Dampf stieg von der Kampfstätte auf und erschwerte die Sicht. Natürlich würde Howath als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen, aber es war zu bezweifeln, daß er viel Freude an seinem Sieg hatte, denn schon jetzt ließ sich absehen, daß Dutzende von Häusern dem Wasser, den Feuerkugeln und den Gasblasen zum Opfer fallen würden. Forinthale hoffte, daß wenigstens die Orxeyaner selbst sich noch in Sicherheit bringen konnten. Er hoffte es nicht, weil er etwa Mitleid mit diesen Menschen gehabt hätte, sondern weil er nur zu gut wußte, daß andernfalls ein furchtbares Strafgericht über die drei Magier von Orxeya hereinbrechen würde. Koratzo hatte sich in dieser Beziehung sehr klar ausgedrückt: Er wollte eine Stadt, in der Leben herrschte. Die Bewohner einer Stadt zu töten, das war kein Beweis für die Macht, die die Magier verkörperten. Die Orxeyaner jedoch am Leben zu erhalten und sie zu quälen, zu demütigen und zu versklaven – das war es, womit
man dem Dunklen Oheim imponieren konnte. Forinthale entdeckte einen weiteren Strom von Wasser, der durch eine Seitengasse herangegurgelt kam, und er beeilte sich, von dem moosüberwucherten Schilfdach hinunterzukommen. Es war höchste Zeit, daß er sich aus dem Staub machte. 3. Sie hatten sich nach einer kurzen Beratung getrennt. Querllo und Islar flogen mit dem Zugor nach Nordwesten, der FESTUNG entgegen. Dort sollte der Lichtmagier für Islar ebenfalls ein Fahrzeug besorgen. Die Entfernungen in Pthor waren entschieden zu groß, als daß man zu Fuß auf die Jagd nach Magiern hätte gehen können. Islar hatte eine Reihe von kleinen Dingen eingesteckt, von denen sie meinte, daß sie ihr bei der Jagd nützlich werden konnten. Abgesehen davon hatte Querllo sie dazu überredet, eine Waggu mitzunehmen – obwohl man mit einer solchen Waffe kaum die individuellen Sperren der Magier durchbrechen konnte, mochte sie für die junge Magierin noch von großem Nutzen sein. Wenn es Islar nämlich wirklich gelang, einen der Negativen zu überrumpeln, so bestand immer noch das Problem, den betreffenden Magier in die Barriere von Oth zu schaffen, ehe der Negative den Spieß umdrehen konnte. Islar war noch längst nicht soweit, daß sie sich auf ein langes Kräftemessen hätte einlassen dürfen. Auch Querllo trug eine Waggu bei sich und war bereit, sie einzusetzen. Heix hatte sich mit unbekanntem Ziel davongemacht. Koratzo hatte trotz seiner Abneigung gegen die magisch beeinflußbare Kristallscheibe auf dieses Transportmittel zurückgreifen müssen. Erstens wäre es purer Unsinn gewesen, auf dieses schnelle Reisemittel zu verzichten, und zweitens würde er sofort Verdacht erregen, wenn er sich ohne die Scheibe blicken ließ. Sie war binnen weniger Tage zu einer Art Wahrzeichen für den
negativen Stimmenmagier geworden. Er nahm Kurs auf die Stadt Orxeya. Er hoffte, mit den von ihm beeinflußten Magiern leicht und schnell fertig zu werden. Einige von ihnen hatten Fähigkeiten, die man bei der Jagd auf die anderen Negativen gut gebrauchen konnte. Koratzo dachte in diesem Zusammenhang besonders an Howath, den Feuermagier, und an Taldzane, der mit seinen magischen Schwertern in früheren Zeiten so manchen Kampf für die Tronx‐Kette entschieden hatte. Er stieß gerade über den Rand der Barriere vor, da wurde ihm bewußt, daß er über all der Aufregung um Duuhl Larx ganz vergessen hatte, was ihn ursprünglich in die Tronx‐Kette geführt hatte. Es war seine Absicht gewesen, den Traummagier Kolviss in eine Falle zu locken und diesen gefährlichen Konkurrenten unschädlich zu machen, indem er ihn in die Verliese am Skatha‐Hir sperrte. Kolviss mochte mittlerweile längst in seinem Revier am Ko‐ Fomath angelangt sein, aber ebensogut war es möglich, daß er gerade erst dorthin unterwegs war. Er war mit Sicherheit nicht ohne Begleitung auf die Reise gegangen, denn das hätte bedeutet, daß er aus eigener Kraft bis in die Große Barriere hätte fliegen können. Kolviss schätzte solche Anstrengungen nicht. Auch wenn Koratzo darauf brannte, sobald wie möglich einen der Mächtigen von Oth zu Duuhl Larx zu bringen, so war ihm doch bewußt, daß er dabei sehr vorsichtig zu Werke gehen mußte. Gerade Kolviss war ein gefährlicher Gegner, und in seinem negativen Zustand würde der Traummagier mit aller Härte zuschlagen. Umgeben von anderen Magiern, die völlig in seinem Bann gefangen waren, hatte Kolviss in einem Kampf mit dem Stimmenmagier gute Chancen – jedenfalls jetzt, nachdem Koratzo nicht mehr fähig war, brutal all seine Fähigkeiten für negative Zwecke einzusetzen. Der Stimmenmagier überlegte gerade, ob er einen Umweg machen und parallel zum Rand südlich der Barriere zunächst nach Wolterhaven und dann erst nach Orxeya fliegen sollte, um so der
Gefahr einer Konfrontation mit Kolviss aus dem Weg zu gehen, da vernahm er ein seltsames Krächzen. Gleich darauf entdeckte er unter sich zwei sehr große schwarze Raben, die mit schnellen Flügelschlägen auf ihn zustrebten. »Hugin und Munin!« sagte er überrascht. »Ich habe euch seit langem nicht mehr gesehen. Kommt her zu mir und erzählt mir, was es an Neuigkeiten gibt.« Hugin schoß über den Rand der Kristallscheibe direkt auf den Stimmenmagier zu. Koratzo wich lachend aus und spürte, wie die Flügel des Raben ihn streiften. »Hör auf mit diesem Unfug!« befahl er amüsiert. »Man sollte meinen, du wärst alt genug, um dich endlich wie ein weiser alter Rabe zu benehmen.« Hugin landete elegant auf der Kristallscheibe und stolzierte gravitätisch an deren Rand entlang, während Munin in einigen Metern Abstand um den Magier kreiste. Koratzo setzte sich hin und lauschte auf die leisen, seltsamen Laute, die Hugin von sich gab. Es waren Wörter in einer Sprache, von der Odin und seine Kinder stets geglaubt hatten, daß niemand außer ihnen sie erlernen und verstehen könne. »Ein kurzes Stück nach Norden«, teilte Hugin dem Magier mit, »ist ein Zugor heruntergekommen.« »Hat es Tote gegeben?« fragte Koratzo leise. »Nein. Aber der Zugor wird nie mehr fliegen. Es waren zwei Menschen und ein blaues Wesen darin.« Kolviss und zwei Magier, nahm Koratzo an. Er ließ sich nicht dadurch irritieren, daß der Rabe von »Menschen« sprach, denn Hugin bezeichnete alle Wesen so, die zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf besaßen und sich aufrecht durch die Welt bewegten. »Der eine Mensch ist eine Frau«, fuhr Hugin fort. »Ein Mädchen!« fuhr Munin krächzend dazwischen und produzierte ein schnarrendes Rabenlachen. »Sehr jung und schön – für Menschenaugen!«
»Sie hat große Kraft«, fuhr Hugin ungerührt fort. »Sie versuchte, den Zugor wieder zum Fliegen zu bringen. Sie zeigte mit den Fingern auf die Flugschale, und sie hob sich hoch in die Luft.« »Und dann?« fragte Koratzo unruhig, denn Hugin legte eine Pause ein und stocherte mit seinem mächtigen Schnabel eine lose sitzende Feder aus dem Brustgefieder. »Nichts«, sagte Hugin und hielt den Kopf schräg. Er sah der kleinen Feder nach, die in die Tiefe taumelte und vom Wind davongerissen wurde. »Der Zugor fiel wieder herunter und hätte beinahe das blaue Wesen erschlagen. Es war sehr wütend auf die Frau.« »Auf das Mädchen«, korrigierte Munin und schnalzte wie ein Dalazaare, der seiner Liebsten den Hof machte. »Halt den Schnabel!« befahl Hugin und wandte sich wieder an den Stimmenmagier. »Er wollte vor zwei Tagen auskundschaften, wie es bei den Berserkern im Taamberg aussieht. Aber sie feierten ein Fest und verbrannten Traumkraut. Seitdem ist er ein bißchen verwirrt.« »Das kommt davon«, sagte Koratzo lächelnd. »Komm nur nicht auf den Geschmack, Munin!« »Ich werde auf ihn aufpassen«, versicherte Hugin ernsthaft. Munin ließ sich ein Stück von der Kristallscheibe hinwegtreiben und schoß mit ungeheurer Geschwindigkeit in die Tiefe. Sein spöttisches Krächzen hallte zu Koratzo und dem anderen Raben herauf. »Ich muß hinter ihm her!« rief Hugin und schwang sich in die Luft. »Warte!« befahl Koratzo mit seiner magischen Stimme. »Was wurde aus dem Zugor?« »Das blaue Wesen flog alleine davon!« rief Hugin etliche Meter unter ihm. »Es ist kaum zu glauben, was sich alles durch die Luft zu bewegen vermag.«
»Und die Menschen?« »Gingen in Richtung Zbahn davon. Ich muß mich um Munin kümmern. Ein andermal rede ich gerne länger mit dir!« »Danke«, sagte Koratzo. »Und viel Glück!« Der Rabe antwortete nicht mehr. Koratzo ließ die Kristallscheibe auf den fernen Skolion zujagen, den östlichsten Berg der Barriere von Oth. Als er sicher war, daß er sich außerhalb der Reichweite des Traummagiers befand, bog er nach Norden ab und flog langsamer. Er starrte auf das unter ihm vorbeigleitende Land hinab und ließ seine magischen Sinne arbeiten. Nach zwei Stunden hatte er die beiden einsamen Wanderer entdeckt. Nach Hugins Bericht hatte er sich in etwa zusammenreimen können, zu welchem Entschluß Kolviss sich nach der Bruchlandung durchgerungen hatte: Der Traummagier wollte den letzten Rest des Weges aus eigener Kraft zurücklegen, um keinen weiteren Zeitverlust in Kauf nehmen zu müssen. Die beiden anderen dagegen sollten in Zbahn einen neuen Zugor besorgen und dann zum Ko‐ Fomath fliegen. Koratzo wußte auch, daß Hugins Beschreibung dessen, was mit dem Zugor geschehen war, nur auf eine Magierin zutreffen konnte, und die Aussicht, gerade Ontra schon jetzt von der SchwarzschockEnergie befreien zu können, war sehr erfreulich. Als er aber erkannte, wer sich bei Ontra befand, hätte er am liebsten einen Freudenschrei ausgestoßen. Opkul, der Augenmagier, der in jeden Winkel von Pthor zu sehen vermochte, würde bei der Jagd auf die Negativen von ungeheurem Nutzen sein. Und Ontra, die eigentlich in Moondrag hätte sein sollen, weil sie mit dem Knotenmagier Glyndiszorn ein Bündnis geschlossen hatte, war zwar klein und zierlich, konnte aber mit Hilfe ihrer Magie Gegenstände bis zur Größe eines Luftschiffs bewegen und aus dem Griff der Schwerkraft befreien. Wenn sie es wollte, dann rasten kleine Steine mit der Geschwindigkeit von Skerzaalbolzen durch die Luft.
Der Stimmenmagier war erstaunt darüber, daß gerade diese beiden Magier Kolviss begleitet hatten. Ontra hatte sich gewiß nicht freiwillig von Glyndiszorn getrennt, denn in Moondrag hatte sie schalten und walten können, wie es ihr gerade gefiel. Opkul dagegen war eigene Wege gegangen und hatte dem Weltenmagier ein Revier am Ufer des Flusses Xamyhr abgetrotzt. Koratzo ließ die Kristallscheibe dem Boden entgegensinken. Um ganz sicherzugehen, wartete er, bis er die beiden Wanderer sehen konnte. Bei Kolviss konnte man nie wissen, und erst in dem Augenblick, als er Ontra und Opkul sah, wußte Koratzo mit Bestimmtheit, daß er nicht auf ein Trugbild hereingefallen war. Er formte die betäubenden Laute, und die beiden Magier sanken in sich zusammen. * Der große Nachteil der Kristallscheibe bestand darin, daß sie zu klein war, um darauf beide Magier zugleich zu transportieren. Koratzo war gezwungen, seine Gefangenen in kleinen Etappen zur Tronx‐Kette zu schaffen, und die Sonne hatte ihren höchsten Stand bereits überschritten, als er dem Neffen Duuhl Larx endlich zuerst Ontra und dann Opkul präsentieren konnte. Koratzo sorgte dafür, daß seine Schützlinge vorerst nicht erwachen würden, und brachte sie in seiner Wohnhalle unter, die inzwischen von Querllo selbst von allen Fallen befreit worden war. In der Wohnhalle waren Ontra und der Augenmagier sicher vor Tieren wie auch vor anderen Magiern, die aus diesem oder jenem Grunde der Tronx‐Kette einen Besuch abstatten mochten. Als das erledigt war, schwang Koratzo sich erneut auf die Flugscheibe und raste nach Westen, dem Ko‐Fomath entgegen. Kolviss war allein – er durfte diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Die Flugschale glitt in rasendem Flug über die
Schlucht der Seelenlosen, am Karsion vorbei, hinüber zu den Dunklen Tälern, am Fuß des gewaltigen Gnorden und des Crallion entlang und endlich hinein in das enge, gewundene Tal, das zum Ko‐Fomath führte. Als er den Berg sah, hielt Koratzo die Kristallscheibe entsetzt an. Der Ko‐Fomath war grausam verstümmelt. Koratzo entsann sich einer Äußerung des Knotenmagiers – als nach dem ersten Schwarzschock die negativ gewordenen Magier versuchten, die ORSAPAYA zu erobern, um den Großen Knoten zu lösen und die Barriere verlassen zu können, da hatte es Einbrüche in diesem gigantischen magischen Schutzschirm gegeben. Koratzo hatte den Skatha‐Hir gesehen, und der bloße Anblick hatte ihm weh getan. Der Berg konnte nichts für den Ruf, in dem er stand. Trotz der schrecklichen Erinnerungen, die sich mit seinem Namen verbanden, war der Zwillingsgipfel ein prächtiges Gebilde. Der Ko‐Fomath hatte ihm früher in mancher Weise ähnlich gesehen. Damit war es nun vorbei. Die höhere der beiden Felszinnen, die den Gipfel gebildet hatten, war fast vollständig verschwunden, die Wälder die früher die steilen Flanken bedeckten, waren bis auf geringe Reste niedergebrannt, und tiefe Schluchten zogen sich tief in das Massiv hinein. Die größte dieser Schluchten begann an jeder Stelle, an der Kolvissʹ Nebelheim gestanden hatte. Die Schlucht wurde nach Süden hin breiter und schien am Lichterfang vorbei bis zum Rand zu reichen. Als Koratzo in den tiefschwarzen Schlund hinabstarrte, hatte er den Eindruck, als würde diese Schlucht bis an die Unterseite von Pthor reichen. Der Gedanke, daß es ebensogut den Skatha‐Hir so schwer hätte treffen können, bereitete ihm Übelkeit. Erst nach geraumer Zeit wurde ihm klar, daß ihm durch die Zerstörungen noch ganz andere Probleme entstanden. Das Nebelheim existierte nicht mehr, und er hatte keine Ahnung, wo Kolviss sich aufhalten mochte. Er schwebte unschlüssig über der Schlucht und war beinahe schon
entschlossen, Kolviss für diesmal noch entkommen zu lassen, da spürte er, wie etwas Unsichtbares auf ihn eindrang. Für Sekunden hatte er den Eindruck, von Felswänden umgeben zu sein, die immer näher rückten. Er saß in der Falle und würde zwischen den Felsen zerquetscht werden – der Gedanke versetzte ihn in Zorn, und gleichzeitig erkannte er die Felswände als Trugbilder. Er brauchte nicht mehr nach Kolviss zu suchen. Der Traummagier hatte ihn bereits gefunden. Als er die Falle erst einmal erkannt hatte, bereitete es ihm keine Mühe mehr, die Illusion zu zerstören. Er brach den Bann, aber er wußte, daß er das Spiel noch lange nicht gewonnen hatte. Ganz im Gegenteil: Schon bei der nächsten Illusion konnte es böse für den Stimmenmagier ausgehen. Als die imaginären Felswände verschwanden, sah Koratzo die westliche Wand der neuen Schlucht auf sich zukommen. Unwillkürlich fragte er sich, ob auch das ein Trugbild war. Er brachte die Kristallscheibe zum Stillstand und sondierte seine Umgebung. Die Wand der Schlucht war echt. Er drehte sich um und sah die östliche Kante in der Sonne leuchten. Er versuchte die Entfernung abzuschätzen und kam zu dem Schluß, daß sie der tatsächlichen Breite des Abgrunds entsprach. Vorsichtig steuerte er darauf zu und ließ die Kristallscheibe steigen. Als er noch etwa zehn Meter von seinem Ziel entfernt war, spürte er schon wieder den Einfluß des Traummagiers um sich herum. Sofort hielt er wieder an. Und die Kristallscheibe trieb trotzdem weiter. Er hatte noch nicht genug Höhe gewonnen, sondern würde samt seinem magischen Fahrzeug gut fünfzehn Meter unterhalb der Kante gegen die Felsen stoßen. Der Aufprall konnte nicht besonders hart ausfallen, denn die Geschwindigkeit der Scheibe war sehr niedrig, aber die Wände waren so glatt, als hätte ein Riese mit einem gigantischen Messer ein Stück aus der Barriere herausgeschnitten. Der Fels glänzte wie glasiert. Es gab weder Vorsprünge, an denen er
hinaufsteigen, noch Höhlen, durch die er zur Oberfläche zurückkehren konnte. Es gab nicht einmal Kristalle, die er zu beeinflussen vermochte. Die Scheibe stieß gegen die Wand, stellte sich schräg und begann zu zerbrechen. Koratzo verlor den Halt. Er griff nach einem Kristallstück, versuchte es zu beeinflussen, um sich in die Höhe ziehen zu lassen. Im selben Augenblick erkannte er, daß er drauf und dran war, einen Fehler mit tödlichen Folgen zu begehen. Hastig ließ er das Bruchstück fahren und zerstörte mit zornigen Gesten und magischen Lauten das Netz der Illusionen, in dem Kolviss ihn gefangen hatte. Die Kristallscheibe war noch immer intakt, und sie war auch nicht an die Wand der Schlucht gestoßen, sondern hing zehn Meter davon entfernt in der Luft, an genau der Stelle, an der Koratzo sie angehalten hatte. Der Stimmenmagier stellte fest, daß er bis an die Kante der Scheibe zurückgewichen war. Er hing bereits mit einem Bein über dem Abgrund. Das Kristallstück, daß er losgelassen hatte, erwies sich als eine der vier Ecken seines seltsamen Gefährts und war in Wirklichkeit noch fest mit diesem verbunden. Wenn er es dazu veranlaßt hätte, sich nach oben zu bewegen, wäre unweigerlich die ganze Scheibe umgekippt, und er wäre abgestürzt. Er war wütend auf sich selbst, weil er sich fast hätte übertölpeln lassen. Hastig kehrte er zum Mittelpunkt der Kristallscheibe zurück. Unterdessen tauchte am Rand der Schlucht eine kleine Herde Yassels auf. Die Tiere hatten keine Angst vor dem Abgrund. Völlig furchtlos weideten sie direkt neben der Kante. Der Stimmenmagier ignorierte die Tiere, denn er war sicher, daß auch sie nur Teil einer Illusion waren. Wahrscheinlich gab es weder die Yassels, noch den sicheren Boden, auf dem sie standen. Kolviss wollte ihn lediglich dazu verführen, den Abgrund zu verlassen, bei den Tieren zu landen und von der Kristallscheibe herunterzukommen, um sofort wie ein Stein in die Tiefe zu stürzen.
Am sichersten wäre es gewesen, sich überhaupt nicht vom Fleck zu rühren. Sobald er die Kristallscheibe in Bewegung setzte, mußte er damit rechnen, auf allerlei Hindernisse zu stoßen – echte und unechte, und wenn er nur ein einzigesmal nicht durchschaute, was davon in die Reihe der Trugbilder gehörte, war er verloren. Aber diesen sicheren Weg konnte er nicht gehen, denn Kolviss würde schon bald die Geduld verlieren und andere Mittel gegen ihn einsetzen. Abgesehen davon war Koratzo nicht zum Ko‐Fomath gekommen, um dem Traummagier eine Gelegenheit zu geben, sein Können zu demonstrieren. Wenn er Kolviss besiegen wollte, mußte er in seine Nähe kommen, oder doch wenigstens herausfinden, wo das Quallenwesen sich verborgen hielt. Jeden anderen Gegner hätte er längst lokalisiert, und unter normalen Umständen wäre auch Kolvissʹ Standort nicht lange vor ihm verborgen geblieben. Aber der Traummagier hatte seit dem Schwarzschock noch an Macht und Kraft gewonnen, indem er – ohne es zu wollen und zu wissen – die aus Chirmor Flogs Körper entwichene dunkle Energie auch weiterhin in sich aufsog. Auch Koratzo hatte auf diese Weise seine Fähigkeiten steigern können, aber die zusätzliche Kraft war ihm in dem Augenblick verlorengegangen, als Duuhl Larx ihm die Schwarzschock‐Energie entzogen hatte. In plötzlichem Schrecken fragte Koratzo sich, ob er sich gründlich verrechnet hatte und in Wirklichkeit gar keine Chance mehr besaß, gegen den negativen Kolviss zu bestehen. Er schob diesen Gedanken von sich, denn der Traummagier machte sich erneut bemerkbar – wenigstens hoffte Koratzo, daß es Kolviss war und nicht etwa der Wettermagier Breckonzorpf, der die dunkle Wolke erzeugte, die sich unvermittelt über den Himmel schob. Denn wenn Breckonzorpf in den Kampf eingriff, dann hatte Koratzo es von nun an mit zwei Mächtigen zu tun. Die Wolke war rasend schnell heran. Dunkelheit senkte sich herab, und dann begann es zu gießen. Eiskaltes Wasser strömte auf den Stimmenmagier herab und durchnäßte ihn innerhalb einer Sekunde
bis auf die Haut. Koratzo sah durch die Regenschleier hindurch, wie die Yassels eilig die Flucht ergriffen. Er verstärkte seine magischen Sperren. Als kein Regentropfen ihn mehr erreichte, stellte er fest, daß seine Kleider wieder völlig trocken waren, und er lächelte schwach. Nein, bei diesem Wolkenbruch hatte ganz sicher nicht Breckonzorpf die Finger im Spiel. Er gab der Kristallscheibe den Befehl, in langsamem Tempo senkrecht in die Höhe zu steigen. Er schloß die Augen und konzentrierte sich auf die Laute, die er vernehmen konnte. Jedes Geräusch verriet ihm etwas über seine Umgebung, und da Kolviss bisher nur Trugbilder erzeugte, nicht aber auch Illusionen, die die speziellen Sinne des Stimmenmagiers irritieren konnten, gewann er endlich ein zuverlässiges Bild davon, wie es um ihn herum aussah. Er orientierte sich an den Geräuschen und steuerte den Rand der Schlucht an. Als er einmal kurz die Augen aufschlug, stellte er fest, daß es in der Illusionswelt, die der Traummagier für ihn geschaffen hatte, genau umgekehrt aussah – er entfernte sich von den Felsen und flog in die Schlucht hinaus. Hastig schloß er die Augen wieder. Die Kristallscheibe setzte auf. Koratzo hielt die Augen immer noch geschlossen. Er schob sich vorsichtig an den Rand seines Gefährts und streckte die Hand aus. Er berührte kühles Gestein, aus dem ihm frische Kräfte zuströmten. Er hörte über die Geräusche hinweg, die seine reale Umwelt erzeugte, das, was zu den Trugbildern gehörte: Ein Sturm erhob sich brausend, Hagel prasselte auf den Boden, und Donner rollte dumpf. Dazwischen schob sich das Stampfen vieler Füße näher. Kolviss bemühte sich, ihn glauben zu machen, daß eine ganze Horde von panikerfüllten Tieren auf ihn zugerast käme. Obwohl er die Augen geschlossen hielt, wurde die Illusion so stark, daß Koratzo all seine Beherrschung aufbieten mußte, um nicht aufzuspringen und davonzulaufen – in die Richtung, in der die Schlucht lag, denn nur so konnte er sich scheinbar vor den Tieren in Sicherheit bringen.
Das Donnern von Hufen ging über ihn hinweg. Der Sturm schien an ihm zu zerren, und die geisterhaften Hufe trafen ihn, zerschmetterten ihm die Knochen und stampften die Reste seines Körpers nieder. Aber sein magisches Gehör zeigte ihm, daß es all das gar nicht gab, und die Berührung mit dem von heilsamen Strömen durchzogenen Boden gab ihm genug Kraft, um der Illusion jenes Quantum Widerstand entgegenzusetzen, das er brauchte, um sein Leben zu retten. Die Trugbilder des Traummagiers waren niemals materiell vorhanden, aber sie konnten durchaus tödlich wirken. Als der Angriff vorbei war, fühlte der Stimmenmagier sich wie gerädert, und es schien an seinem ganzen Körper keinen einzigen Fleck zu geben, der noch heil war – dabei hatte er nicht einmal einen blauen Fleck davongetragen. Hätte die Illusion nur ein klein wenig deutlicher zu ihm durchdringen können, dann hätte der Schock ihn umgebracht. Er wußte, daß Kolviss eine kurze Pause einlegen mußte, um die nächste Illusion aufzubauen. Vielleicht glaubte der Traummagier sogar, seinen Gegner bereits erwischt zu haben, und vergewisserte sich zuerst, ob überhaupt noch ein Angriff nötig war. Koratzo preßte die Hände gegen den Fels, um so viel Energie wie möglich in sich aufnehmen zu können, und dabei verzichtete er vorübergehend darauf, sich auf seine Umgebung zu konzentrieren, sondern fahndete mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nach dem Traummagier. Die Illusionswelt rückte wieder näher an ihn heran, und mitunter war es, als wollte der Fels sich unter seinen Händen auflösen und er müßte abstürzen. Aber es lohnte sich, dieses Risiko einzugehen, denn plötzlich entdeckte er den Traummagier. Kolviss verbarg sich in einem Höhleneingang auf halber Höhe des Ko‐Fomath. Dort hockte er in einem schützenden Nebelschleier, der seinen empfindlichen Körper vor der Austrocknung bewahren
sollte. Koratzo atmete tief durch, hob langsam die Hände und sprang dann auf. Seine Kräfte hatten sich regeneriert, und mit einem einzigen Schlag löste er den Bann des Traummagiers. Dunkelheit, Sturm und Hagelschlag verschwanden. Er sah den Ko‐Fomath vor sich und sandte seine Stimme aus. Er wußte, daß Kolviss diesem ersten Angriff widerstehen würde, aber wenigstens hatte der Traummagier jetzt anderes zu tun, als seine Trugbilder zu errichten. Die Kristallscheibe löste sich vom Boden und schoß mit wahnwitziger Geschwindigkeit auf die Höhle zu. Koratzo nahm deutlich wahr, daß Kolviss sich unter dem Ansturm magischer Laute krümmte, aber noch bestanden die starken Sperren des Traummagiers. Je näher Koratzo der Höhle kam, desto dünner wurde jedoch diese unsichtbare Schutzschicht, die das Medusenwesen umgab. Kolviss unternahm verzweifelte Abwehrversuche. Trugbilder tauchten auf, aber der Traummagier verlor mehr und mehr die Übersicht, und in seiner Furcht griff er zu Mitteln, die leicht durchschaubar waren: Steine, die vom Boden herangeschossen kamen oder aus der Luft herabfielen, Ungeheuer, die es niemals in der Barriere von Oth gegeben hatte, Hindernisse, die mitten in der Luft hingen. Koratzo kümmerte sich kaum noch um diese Illusionen, denn sie konnten ihm nicht gefährlich werden. Der Eingang der Höhle tauchte vor Koratzo auf, er ließ die Kristallscheibe scharf bremsen und sprang in das Geröll hinab. Ein Schwarm von alptraumhaften Vögeln schoß auf ihn zu, prallte jedoch an seinen nun wieder starken magischen Sperren ab und löste sich auf. Koratzo schritt unbeirrbar vorwärts, und als er an die magischen Sperren des Traummagiers geriet, riß er sie nieder. Erst als er mit dem betäubten Medusenwesen unterwegs zu Duuhl Larx war, begriff er, daß er seinen Sieg nur der Tatsache zu verdanken hatte, daß Kolviss vor Angst um sein Leben halb ohnmächtig gewesen war.
4. Nachdem er den Traummagier von der Schwarzschock‐Energie befreit wußte, lud Koratzo das vorerst noch besinnungslose Medusenwesen erneut auf seine Kristallscheibe und flog mit ihm zu seiner Wohnhalle. Der Traummagier kam schon nach wenigen Minuten zu sich, und genau wie Koratzo und Querllo reagierte er äußerst heftig auf die Erkenntnis dessen, was er geraume Zeit hindurch getrieben hatte. Nachdem er sich jedoch gefangen hatte, brannte er förmlich darauf, seinen Teil zur Befreiung der Magier beizutragen. Wenig später ließ Koratzo auch Ontra und Opkul erwachen, und nachdem sich deren Aufregung gelegt hatte, machte er sich endlich auf den Weg nach Orxeya. Kolviss und die beiden anderen sahen nur ungern ein, daß es besser war, wenn sie in der Wohnhalle blieben und warteten, bis entweder Querllo oder Islar – vielleicht auch Koratzo – mit einem Zugor zurückkehrten. Die Kristallscheibe war so klein, daß selbst der Transport eines bewußtlosen Wesens von normaler Größe problematisch wurde. In der Abenddämmerung näherte sich der Stimmenmagier der Stadt der Händler, und er spürte sofort, daß etwas dort nicht in Ordnung war. In geringer Entfernung zum Tongmäer gab es mehrere leuchtende Punkte, heller als alles, was die Orxeyaner zur Beleuchtung ihrer Stadt aufzubieten hatten. Koratzo ließ die Kristallscheibe ein paarmal über der Stadt kreisen. Als er endlich die drei Magier ausmachte, die er in seiner negativen Phase zu Herrschern über Orxeya gemacht hatte, erschrak er zutiefst. Alles deutete darauf hin, daß es in der Stadt zu Auseinandersetzungen kommen würde, die mit magischen Waffen geführt wurden.
Unglücklicherweise begann der Kampf zwischen Howath und Unrai gerade in dem Augenblick, in dem Koratzo gerade erst die Pläne der Magier durchschaute. Als er die Kristallscheibe in die Tiefe sausen ließ, entstand unter ihm bereits die Flutwelle, von der der Feuermagier eingeschlossen wurde, und als Koratzo Einzelheiten in den Straßen der Stadt zu erkennen vermochte, war Forinthale schon auf dem Rückweg zu seinem Haus, um dort die Vorbereitungen für seine Flucht zu treffen. Koratzo erwischte den Gefühlsmagier etwa auf der Mitte der Entfernung zwischen der Kampfstätte und dem Gemäuer, in dem die Kiste mit den Quorks stand. Mühelos betäubte er Forinthale, der nicht im entferntesten mit einem Angriff rechnete. Sobald der Gefühlsmagier ausgeschaltet war, schuf Koratzo ein Stimmenzentrum über der Stadt. »Flieht, so schnell ihr könnt!« rief er den Orxeyanern zu. »Verlaßt die Stadt. Zwei Magier kämpfen um die Macht über euch, und einer von ihnen ist im Begriff, eine Flutwelle auszulösen. Bringt euch in Sicherheit.« Er wußte, daß die Orxeyaner der Warnung nicht freiwillig trauen würden, denn daß sie von einem der verhaßten Magier kam, war mühelos zu erkennen. Aber er verlieh seiner Stimme magische Kraft, und die Sterblichen konnten unter diesen Umständen nicht widerstehen. Während Koratzo, den bewußtlosen Gefühlsmagier zu seinen Füßen, auf die Kampfstätte zuraste, vernahm er bereits aufgeregte Rufe, das Trappeln von Yasselhufen und das Geschrei von Kindern. Dann stand er hochaufgerichtet auf seinem seltsamen Gefährt und blickte fassungslos auf das Chaos, das schräg unter ihm herrschte. Die Lage war verzwickt. Howath war der mächtigere Magier, aber Unrai gebot über ein Element, das man nur geringfügig zu beeinflussen brauchte, um damit eine zerstörerische Wirkung zu erreichen. Koratzo hatte damals – es erschien ihm unendlich lange her – vorgeschwebt, daß Unrai mit seiner simplen Fähigkeit, Wasser
zum Fließen in jede beliebige Richtung zu bringen, hervorragend dazu geeignet war, die Orxeyaner in jeder Situation erpressen zu können. Die Bewohner der Stadt waren von insgesamt vier großen, unterpthorischen Quellen abhängig. Unrai hätte diese Quellen mit Leichtigkeit sperren können. Statt dessen hatte er das Gegenteil getan. Mittlerweile waren alle Brunnen in der Stadt am Überlaufen. Wasser sammelte sich in den Straßen und Gassen. Der Tongmäer war überflutet. Am bedrohlichsten aber war die Wassersäule, die sich mittlerweile fast zehn Meter hoch über Howath auftürmte. Noch beschränkte sich der Feuermagier darauf, seine Waffen in die Wassermassen hineinzuschleudern, ohne dabei auf ein bestimmtes Ziel zu achten. Entweder wußte er nicht genau, wo Unrai sich befand, oder der Druck, der auf ihm lastete, war so groß, daß er sich in erster Linie Erleichterung verschaffen mußte. Koratzo tastete mit seinen magischen Sinnen nach Howath. Im Gegensatz zu dem Traummagier, der im Augenblick höchster Gefahr fast vollständig die Kontrolle über seine gewaltigen Kräfte verloren hatte, war Howath jetzt stärker als je zuvor. Dennoch hätte Koratzo ihn innerhalb seiner Sperren erreichen können, allerdings nur mit Hilfe von magischen Lauten von beinahe schon tödlicher Wirkung. Howath war zäh und würde diesen Angriff überstehen, aber seine Sperren und die flammende Hülle, die ihn vor dem Wasser schützten, würden zusammenbrechen. Das wäre das Ende des Feuermagiers gewesen. Andererseits konnte Koratzo es auch nicht wagen, Unrai auszuschalten und damit den Nachstrom von Wasser zu unterbinden, denn sobald Howath einen Augenblick Zeit zum Nachdenken fand, würde er den Wassermagier mit den Feuerkugeln bombardieren und dabei nicht nur Unrai, sondern auch seine ganze Umgebung gefährden. Es war fast unmöglich, eine Lösung zu finden, die beiden Magiern eine Chance zum Überleben gab.
Koratzo war schon fast entschlossen, allen Skrupeln zum Trotz das Leben des Feuermagiers aufs Spiel zu setzen, ehe dessen Feuerkugeln halb Orxeya in Schutt und Asche zu legen vermochten, da vernahm er plötzlich die Gedankenstimme des Traummagiers. »Warte noch, Koratzo!« »Kolviss!« sagte er überrascht. »Was ist geschehen? Warum meldest du dich?« In seinem Kopf entstand ein leises Lachen. »Um dir zu helfen«, verkündete Kolviss. »Opkul hat eben entdeckt, in welchen Schwierigkeiten du steckst, und Querllo, der mit drei bewußtlosen Magiern zurückkehrte, hat uns allen den Kopf zurechtgesetzt. Halte dich bereit, gleich geht es los!« »Was, beim Skatha‐Hir, geht bei euch vor?« schrie Koratzo mit seiner magischen Stimme, die in diesem Augenblick zwar nicht in Orxeya, wohl aber in der Wohnhalle in der Tronx‐Kette überdeutlich zu hören war. »Opkul, Querllo – antwortet endlich!« Er lauschte und fing endlich die Stimme des Lichtmagiers auf. »Sie haben einen Verbund gebildet«, erklärte Querllo hastig. »Paß auf, Koratzo: Über Opkul kann Ontra sehen, was bei dir geschieht. Sie versucht, Howath in dem Augenblick, in dem du ihn erwischst, aus dem Wasser herauszuholen.« »Sie kann keine organische Materie beeinflussen«, sagte Koratzo sanft. »Ihr habt es gut gemeint, aber das hat keinen Sinn. Ich habe eine bessere Idee. Kolviss, du mußt eine Illusion um mich herum errichten.« »Welche?« fragte der Traummagier eifrig. »Laß mich für Howaths Augen unsichtbar werden.« Während der Traummagier arbeitete, dachte Koratzo bereits darüber nach, wie er die drei Magier von Orxeya zu Duuhl Larx schaffen sollte. Sie per Yassel zu transportieren, hätte zu viel Zeit gekostet, aber mit der winzigen Kristallscheibe erreichte er ebenfalls erst viel zu spät sein Ziel. »Du wirst für Howath buchstäblich Luft sein«, sagte Kolviss
schließlich. »Was können wir noch tun?« »Nichts«, murmelte Koratzo. »Das heißt – hat Querllo ein zweites Fahrzeug mitgebracht?« »Einen Zugor, ja.« Kolviss produzierte ein geisterhaftes Kichern in den Gedanken des Stimmenmagiers. »Er hat ihn ausgerechnet aus Opkuls Revier geholt. Niemand wird etwas bemerken.« »Gut. Einer von euch muß so schnell wie möglich herkommen und unsere drei Freunde abholen. Du und Opkul, ihr solltet am besten in der Tronx‐Kette bleiben. Über dich ist jederzeit eine Verbindung fast durch ganz Pthor möglich, und Opkul kann uns über dich mit Informationen versorgen. Wir müssen so schnell wie möglich wenigstens die Hälfte aller Magier nach Oth holen, ehe die Negativen Verdacht schöpfen. Aber jetzt muß ich mich um Howath und Unrai kümmern.« Er ließ die Flugscheibe kurz über einem Dach anhalten und brachte Forinthale dort unter. Dann raste er auf den Wassermagier zu. Der kleine Mann stand hochaufgerichtet da, wedelte mit den Armen in der Luft herum und schrie seine magischen Formeln, um immer mehr Wasser anzulocken. Das Wasser strömte um ihn herum, berührte ihn jedoch nicht, sondern ließ eine Art Insel für ihn frei. Koratzo war bis auf drei Schritt Entfernung heran, als Unrai endlich merkte, was da auf ihn zukam. Koratzo hatte mit voller Absicht den Traummagier nicht darum gebeten, ihn auch für den Wassermagier unsichtbar zu machen, und seine Rechnung ging auf – als Unrai ihn sah, war er vor Schreck wie erstarrt. Es war für den Stimmenmagier erschreckend, wie sehr der kleine Mann sich vor ihm fürchtete. Er riß Unrais gesamte, kümmerliche Abwehr nieder, betäubte den Wassermagier, packte ihn am Kragen und zog ihn auf die Kristallscheibe, ehe das Wasser, das nun nicht mehr magisch geleitet wurde, über die zwergenhafte Gestalt hereinbrechen konnte. Er ließ die Flugscheibe ein kurzes Stück steigen und beobachtete
aufmerksam, wie das Wasser zu seinem naturgegebenen Verhalten zurückkehrte. Howath hatte noch nichts gemerkt – er schoß weiterhin mit Feuerkugeln um sich. Das Wasser stürzte davon und ergoß sich gurgelnd in die Gassen von Orxeya. Koratzo schlug zu. Der Feuermagier stieß einen schrecklichen Schrei aus, als er die gewaltige Magie spürte, die nach ihm griff, und seine schützenden Sperren, die er für nahezu unüberwindbar gehalten hatte, fielen in sich zusammen. Durch das Brausen des Wassers hindurch vernahm er einen seltsamen Laut. Koratzo! dachte er voller Haß, dann verlor er das Bewußtsein, und das Wasser riß ihn davon. Der Stimmenmagier war wie betäubt von dem brennenden Haß, den er für einen Augenblick in voller Stärke gespürt hatte. Aber er riß sich zusammen und rief in Gedanken nach Kolviss. »Ich habe die Illusion schon aufgelöst«, sagte die Gedankenstimme des Traummagiers mitten in Koratzos Kopf. »Opkul behält den Feuermagier im Auge.« Das Wasser verlief sich schnell. Koratzo wagte nicht daran zu denken, welchen Schaden diese Überflutung in der Stadt der Händler anrichten mußte. Er hoffte inständig, daß es keine Toten gegeben hatte. Als er Unrai auf demselben Dach, auf dem auch schon Forinthale lag, in Sicherheit gebracht hatte, meldete Kolviss sich wieder. Er beschrieb die Stelle, an der Howath zu finden war, und Koratzo raste los und holte auch den Feuermagier. Von weit her vernahm er mit seinen magischen Sinnen ein drohendes Murmeln. Er stand wie erstarrt auf dem Dach und blickte über die Stadt hinweg. Die Orxeyaner waren noch zu weit entfernt, als daß er sie hätte sehen können, aber er hörte nur allzu deutlich, was sie sagten. Als Pthorer waren sie an ein unterdrücktes Dasein gewöhnt, aber diesmal hatte man sie über das Maß des Erträglichen hinaus gepeinigt. Sie glaubten, man hätte sie endgültig aus ihrer Stadt vertrieben, und sie waren nicht bereit, sich damit abzufinden.
Koratzo sah auf Howath hinab. Die Feuerfallen entlang der Grenze existierten immer noch, die flammenden Säulen, in denen einige Orxeyaner gefangen waren, bewiesen es. Die Händler würden, wenn sie sich von ihrem Haß nicht ganz und gar den Verstand vernebeln ließen, erkennen, daß sie sich noch immer nicht frei in ihrer Stadt bewegen konnten. Aber wenn nun doch einige von ihnen in die Grenze hineinliefen? Und was sollte aus den unglücklichen Gefangenen werden? Koratzo zog Howath auf die Kristallscheibe zurück und schwebte auf die ihm an nächsten befindliche Falle zu. Er setzte unmittelbar daneben auf und ließ den Feuermagier erwachen. »Du mußt die Grenze vernichten«, sagte er leise. »Nimm zuerst diese Falle hier. Los, fang an!« Howath starrte den Stimmenmagier haßerfüllt an. »Warum hast du das getan?« fragte er wütend. »Warum hast du in den Kampf eingegriffen? Du hast mir befohlen, für Ordnung in dieser Stadt zu sorgen …« »Vergiß diesen Befehl«, befahl Koratzo mit steinerner Miene. »Lösche die Grenze aus – sofort!« »Warum?« »Die Orxeyaner werden bald hier sein. Sie sind bis obenhin angefüllt mit Rachegedanken.« »Dann treibe sie zurück!« forderte Howath höhnisch. »Du bist doch so mächtig!« Koratzo wußte, daß er ganz anders mit Howath hätte reden müssen. Es wäre leicht gewesen, den Feuermagier dazu zu zwingen, den Befehl auszuführen – er hätte sich nur so benehmen müssen, wie er es in seiner negativen Zeit getan hatte. Aber er brachte es nicht fertig, sich in dieser Weise zu verstellen. Unglücklicherweise war Howath auch nicht so leicht zu beeinflussen. Der Feuermagier warf plötzlich den Kopf zurück und lachte schallend. »Jetzt weiß ich, was mit dir los ist!« stieß er hervor. »Du
verdammter Narr bist wieder einmal auf das Märchen von der positiven Magie hereingefallen!« Koratzo zuckte zusammen. Er hatte gehofft, daß Howath viel mehr Zeit brauchen würde, um ihn zu durchschauen. Gleichzeitig begriff er, daß er nun keine andere Wahl mehr hatte. Fast wäre sein Entschluß zu spät gekommen. Howath hob die Hände, und Feuerbälle schossen aus seinen gekrümmten Fingern hervor. Koratzo konnte die gefährlichen Gebilde im letzten Augenblick auflösen. Nur eines entkam ihm, schlug irgendwo in der Stadt ein und erzeugte sofort einen lodernden Feuerschein. Zum zweitenmal kurz hintereinander riß Koratzo die Sperren des Feuermagiers auf, und Howath schwankte unter dem Schock, den er dabei erlitt. Ehe er erneut seine Magie anzuwenden versuchte, trafen ihn magische Laute und lähmten seinen Willen. Howath löste die Grenze auf, und die Feuersäulen fielen in sich zusammen. Koratzo zog ihn auf die Kristallscheibe. In seinem derzeitigen Zustand war der Feuermagier nicht fähig, irgendeinen störenden Einfluß auszuüben. Sie rasten auf die Stelle zu, an der mittlerweile ein halbes Dutzend von ineinander verschachtelten Gebäuden in hellen Flammen standen. Die Strohdächer boten dem Feuer reichlich Nahrung. »Lösche es aus!« befahl Koratzo leise. Und Howath gehorchte notgedrungen. Die Flammen beugten sich seinen Befehlen und fielen in sich zusammen. Als der letzte Funke erlosch, fing Koratzo ein Geräusch auf, das nicht nach Pthor gehörte und ihm dennoch nur zu vertraut war. Ein Kommando von Ugharten näherte sich der Stadt. Es waren vier Gleiter, und sie waren höchstens noch zehn Minuten von Orxeya entfernt. Er brachte Howath aus der Stadt hinaus und setzte ihn südlich von Orxeya mitten in der Steppe ab. Der Feuermagier stand völlig unter Koratzos Einfluß. Er nahm den Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren, teilnahmslos zur Kenntnis. Koratzo flog so schnell wie
möglich zurück, und er konnte auch Forinthale in Sicherheit bringen. Als er Unrai holen wollte, war das ausladende Strohdach leer. Ratlos sah der Stimmenmagier sich um. Er lauschte mit seinen magischen Sinnen, aber er fand keine Spur von Unrai, dem Wassermagier. Es war schier unmöglich, daß der kleine Mann sich aus eigener Kraft von Koratzos Bann befreit hatte. Der Stimmenmagier umschwebte das Haus, aber Unrai war auch nicht etwa vom Dach gefallen – er war einfach verschwunden. Das bereitete ihm einige Sorgen. * Er kehrte in die Steppe zurück und fand seine beiden anderen Schützlinge unversehrt vor. Forinthale war immer noch betäubt, und Howath nahm Koratzos Befehl, sich und den Gefühlsmagier gegen angreifende Tiere und ähnliche Gefahren zu verteidigen, ohne jede Gemütsregung zur Kenntnis. Dennoch traute der Stimmenmagier dem Frieden nicht. Er rief nach Kolviss, und der Traummagier veranlaßte Opkul, sich auf das Gebiet zwischen Orxeya und der Tronx‐Kette zu konzentrieren. Koratzo erfuhr, daß es noch zwei bis drei Stunden dauern würde, bis Ontra bei ihm eintraf. So lange wollte er nicht zu untätigem Warten verurteilt sein. Opkul übermittelte ihm mit Kolvissʹ Hilfe die Beschreibung eines markanten Findlings, der auf dem mittleren von drei sehr auffälligen, runden Hügeln lag. Koratzo vergewisserte sich, daß Ontra darüber informiert war, wo die beiden gefangenen Magier zu finden waren, dann transportierte er zuerst Forinthale zu dem Felsen, kehrte zurück und holte Howath. Sicherheitshalber betäubte er auch den Feuermagier. Oben auf dem Felsen konnte den beiden nichts Gefährliches zustoßen, zumal Koratzo eine magische
Schutzzone errichtete. In höchster Eile flog er nach Orxeya. Was er sah, entsetzte ihn. Die Orxeyaner waren in die Stadt zurückgekehrt, und sie fanden heraus, wie groß der Schaden war. In ihrer Wut und Verzweiflung waren sie nicht wählerisch, wenn es galt, einen Gegner zu finden, den man für alles verantwortlich machen konnte. Tollkühn wie Berserker hatten sie sich auf die Ugharten gestürzt. Diese schwarzbehaarten Wesen waren Untertanen des Neffen Thamum Gha. Sie waren das zweifellos nicht freiwillig geworden. Koratzo erinnerte sich daran, wie er den Neffen aufgesucht hatte, um sich selbst die Herrschaft über Pthor zu sichern. In seinem damaligen Zustand hatte er den Ugharten keine besondere Bedeutung beigemessen. Im Nachhinein jedoch erkannte er, daß sie eines mit den Scuddamoren und den Trugen gemein hatten: Wenn man ihre Gedanken kannte, all das zu lesen vermochte, was sie nicht laut aussprechen konnten oder durften, dann erschienen sie einem als ganz normale Lebewesen. Sie waren von Gut und Böse so weit entfernt wie die Bewohner jener fremden Welten, auf denen Pthor materialisiert war. Die Scuddamoren mochten auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als seien sie abgrundtief böse, aber wenn man tiefer nachforschte, dann fand man heraus, daß sie voller Sehnsucht nach jenen Gedanken und Gefühlen suchten, die man ihnen genommen hatte. Sie selbst wurden sich dieser Suche wahrscheinlich gar nicht bewußt, aber eine gewisse Hilflosigkeit, die ihnen anhaftete, konnte einem aufmerksamen Beobachter nicht verborgen bleiben. Dieselbe Hilflosigkeit hatte Koratzo bei den Trugen und den Ugharten gefunden. Sie besaßen keinen eigenen Willen mehr, von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen. Sie erfüllten Befehle, und das war ihnen zum Lebensinhalt geworden. Selbst wenn die Orxeyaner sich jemals eingehend den Kopf über die Rolle der Ugharten zerbrochen hätten, wären sie wohl kaum imstande gewesen, angesichts der Zerstörungen ihren Zorn zu zügeln. All ihre Wut und Verzweiflung fanden ein Ventil in einem
wilden Ausbruch von Haß. Die Ugharten fühlten sich in dem von den Magiern beherrschten Land recht sicher. Nur wenige von ihnen hatten Waffen getragen, und diese wenigen hatten die Orxeyaner sich zuerst vorgenommen. Die Händler hatten noch bis vor kurzer Zeit ständig Krieg mit den Stämmen des Blutdschungels geführt. Sie konnten mit ihren Waffen, den armbrustähnlichen Skerzaals, ausgezeichnet umgehen. Insgesamt zwanzig Ugharten waren nach Orxeya gekommen – nur zwei hatten die Schlacht überlebt, und die Orxeyaner würden auch sie nicht mehr lange am Leben lassen. Den Stimmenmagier schwindelte es bei dem Gedanken, welche Folgen dieses Massaker haben mußte. Zwar hatten auch einige Orxeyaner den Tod gefunden, aber Thamum Gha würde – wenn er von der ganzen Geschichte erfuhr – dies nicht als angemessenen Ausgleich für den Verlust einer Ugharten‐Mannschaft ansehen. Koratzo kannte den Neffen recht gut, um zu ahnen, daß Thamum Gha die ganze Stadt von Orxeyanern würde räumen lassen. Die Händler würden denselben Weg gehen wie die Wesen aus der Senke der verlorenen Seelen – niemand wußte, was mit ihnen geschah, wenn sie in die Schwarze Galaxis hinausgebracht wurden. Und das ist alles allein durch meine Schuld geschehen! dachte Koratzo verzweifelt. Ich war zu voreilig. Ich hätte genauer darüber nachdenken müssen, wie die Orxeyaner auf ihre neugewonnene Freiheit reagieren würden. Er übersah, daß ihm zum Nachdenken reichlich wenig Zeit geblieben war und er außerdem noch immer in einer seelischen Krise steckte. In seiner Entschlossenheit, seine negativen Taten auszugleichen und die alten Verhältnisse in Pthor wieder herzustellen, schlug er mitunter über das Ziel hinaus, und den anderen geheilten Magiern ging es nicht anders. Er mußte die Orxeyaner retten, und er sah nur eine Möglichkeit, es zu tun. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, aber es würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als noch einmal die Rolle eines Negativen zu
übernehmen. Die Ugharten, die wenig über die Magier wußten, würden ihn hoffentlich nicht so schnell durchschauen, wie es bei Howath der Fall gewesen war. Koratzo lenkte die Kristallscheibe über den Mittelpunkt der Stadt. Von dort aus schickte er seine magischen Laute hinunter, in jede noch so enge Gasse hinein, und alle Orxeyaner, ob jung oder alt, fielen innerhalb weniger Minuten in einen tiefen Schlaf. Auch die beiden Ugharten wurden von diesen Lauten betäubt. Koratzo landete neben ihnen und betrachtete sie voller Trauer. Er wußte, daß die Schwarzbepelzten im Auftrag ihres Herrn Untaten begangen hatten, neben denen die Tat der Orxeyaner als absolut unbedeutend erschien, aber das beruhigte ihn wenig. Die Ugharten waren schlimm zugerichtet worden. Man hatte sie auf dem Platz der Schlächter an eines jener Podeste gefesselt, auf denen früher die Ungeheuer aus den Horden der Nacht zur Schau gestellt worden waren. Neben einem anderen Podest lagen tote Orxeyaner. Oben auf dem Podest war man gerade dabei gewesen, einen riesigen Scheiterhaufen zu errichten. Koratzo schritt vorsichtig zwischen betäubten Orxeyanern dahin und sah sich die Toten näher an. Er wußte nicht, wie genau die Ugharten über Orxeya informiert waren, aber er vertraute darauf, daß sie diese für sie fremdartigen Wesen nicht besonders gut voneinander unterscheiden konnten. Außerdem gab es unter den Magiern die unterschiedlichsten Gestalten, denn sie waren kein Volk im üblichen Sinn. Er fand zwei Händler, die fast keine äußerlichen Verletzungen aufzuweisen hatten. Aber es war ihm klar, daß diese beiden sich auch in anderer Hinsicht von den »normalen« Orxeyanern unterscheiden mußten, wenn sie die von Koratzo angestrebte Wirkung auf die Ugharten ausüben sollten. So nahm er einem der Betäubten ein scharfes Messer ab und schnitt das lange Haupthaar der beiden Leichen dicht über der Kopfhaut ab. Die Bärte hätte er ihnen am liebsten ganz abgenommen, aber ihm blieb zu wenig Zeit,
um halb Orxeya nach jenem Rasiermesser abzusuchen, das der Schrecken aller Übeltäter in dieser Stadt war. Kein anständiger Orxeyaner lief mit nacktem Kinn herum, und es gab für einen betrügerischen Händler keine schlimmere Strafe, als rasiert und kahlgeschoren zu werden. Koratzo beschränkte sich darauf, die Bärte zu kürzen und in eine höchst merkwürdige, phantasievolle Form zu bringen. Er zog den Toten die dicken Pelzjacken und Umhänge aus und rieb ihre Gesichter mit Kromyat ein, den er in einer Schänke am Platz der Händler fand. Der Wein gab ihnen eine seltsame Hautfarbe, und er fand, daß sie nun fremdartig genug aussahen. Er schleppte die Leichen zu einer Stelle, an der die Ugharten sie deutlich sehen konnten, ihnen aber auch nicht zu nahe waren, um die Spuren der hastigen Verwandlung zu entdecken. Dann weckte er die Schwarzbehaarten auf und gab sich den Anschein, seit geraumer Zeit fieberhaft um sie bemüht gewesen zu sein. Der eine war kaum fähig, ein Wort zu sagen, aber der andere sprang trotz seiner teilweise noch immer blutenden Wunden sofort zornig auf die Füße, als Koratzo die Fesseln gelöst hatte. »Dafür werden diese Narren zu büßen haben!« stieß er hervor. Dann erst sah er die regungslos am Boden liegenden Orxeyaner. Er drehte sich langsam zu Koratzo um. »Hast du sie getötet?« fragte er beeindruckt. »Nein«, antwortete Koratzo ruhig. »Sie sind nur betäubt. Ich werde sie aufwecken, sobald ihr die Stadt verlassen habt.« »Ich verlange von dir, daß du sie bestrafst!« fuhr der Ugharte auf. »Wer sind die Schuldigen in diesem Vorfall? Ich muß sie mitnehmen.« »Dem steht nichts im Wege«, behauptete Koratzo mit erzwungenem Spott. Er bemühte sich, herrisch und arrogant zu wirken, was ihm allem Anschein nach auch recht gut gelang, denn der Schwarzbehaarte wurde allmählich unsicher. »Wo sind sie?« fragte er vorsichtig. »Führe mich zu ihnen.«
»Das ist nicht nötig. Du brauchst nur zu jenen zurückzukehren, die euch befohlen haben, euch in unsere Angelegenheiten einzumischen.« »Das ist …« »Ich mag kein Wort mehr darüber hören!« sagte Koratzo scharf. »Es gibt Vereinbarungen, die zwischen Thamum Gha und uns Magiern gelten. Der Neffe hatte uns zugesichert, daß ihr uns nicht bei unserer Arbeit stören würdet. Ihr habt das Abkommen gebrochen.« »Es schien uns, als würde es schon seit Tagen in dieser Stadt brennen«, wandte der Ugharte schüchtern ein. »Wir dachten, ihr könntet Hilfe brauchen.« »Das war völlig falsch. In Orxeya fand ein sehr wichtiger Versuch statt. Durch euer Erscheinen habt ihr alles zerstört. Dort liegen die beiden Magier, die das Experiment leiten sollten. Sie sind tot, und daran seid nur ihr Ugharten schuld. Wir werden dem Neffen diesen Vorfall melden müssen.« Der Schwarzbehaarte zuckte zusammen. »Wie heißt du?« fragte Koratzo. »HʹUsur‐Thul«, stotterte der Ugharte. »Ihr seid mit Gleitern hergekommen. Wo stehen die Fahrzeuge?« HʹUsur‐Thul beschrieb es ihm. »Nicht weit von hier also«, meinte Koratzo leichthin. »Geh und hole einen der Gleiter her.« »Darf ich mir diese Magier näher ansehen?« fragte der Ugharte. »Ich möchte wissen, woran sie gestorben sind.« »Das geht dich nichts an. Abgesehen davon können wir es Wesen wie euch grundsätzlich nicht gestatten, daß sie auch nur an der Leiche eines Magiers Untersuchungen anstellen.« »Warum nicht?« »Es ist zu gefährlich für euch.« Er stieß den Ugharten zurück, der sich ihm widersetzen und die angeblichen Magier in Augenschein nehmen wollte. Der verletzte
Schwarzbehaarte taumelte. Ehe er sich gefangen hatte, formte Koratzo die Laute der Vernichtung. Er sorgte dafür, daß der Ugharte sie nicht wahrnehmen konnte, und ließ die beiden Leichen in einer blauen Lichterscheinung vergehen. Er fühlte sich elend dabei, aber er sagte sich, daß diese beiden nichts mehr davon spürten, was mit ihnen geschah – wichtig war es jetzt einzig und allein, die Überlebenden von Orxeya vor einem grausigen Schicksal zu bewahren. Der Ugharte starrte erschrocken auf die blaue Lichtkugel, die in sich zusammenfiel. Er verstand zu wenig von dem, was die Magier taten, und konnte daher das Verschwinden der Leichen nicht auf Anhieb mit der Anwesenheit Koratzos in Verbindung bringen. »Jetzt weißt du, warum dieses Verbot bestehen bleiben muß«, bemerkte der Stimmenmagier kühl. »Geh und hole den Gleiter.« Er kümmerte sich um den anderen Ugharten, der tatsächlich dem Tode nahe war, das gefährliche Abenteuer jedoch überleben würde, wenn er nur schnell genug zur Senke der verlorenen Seelen gebracht wurde. Als HʹUsur‐Thul mit dem Gleiter zurückkehrte, half Koratzo ihm, den Verletzten in das Fahrzeug zu schaffen. »Ich bringe die restlichen Fahrzeuge und eure Toten aus der Stadt«, erklärte der Stimmenmagier. »Ihr könnt sie in der Steppe abholen, wenn euch etwas daran liegt. Laßt euch nie wieder in Orxeya blicken.« Der Gleiter raste davon, und Koratzo begab sich zu den verlassenen Gleitern. Er fand sehr schnell heraus, wie diese antimagischen Fahrzeuge funktionierten. Es war eine harte und wenig angenehme Arbeit, die erschlagenen Ugharten einzusammeln, und als er es endlich geschafft hatte und die Gleiter in der öden Steppe von Kalmlech verließ, fühlte er sich müde und zerschlagen. Es war gerade erst vierundzwanzig Stunden her, seit er einen Kampf auf Leben und Tod mit Querllo geführt hatte, und er hätte sich Ruhe gönnen müssen, damit sein Körper sich regenerieren und frische Kräfte entwickeln konnte. Aber er wagte es nicht, auch
nur die kürzeste Rast einzulegen. Er rief nach Kolviss und erfuhr, daß Ontra fast am Ziel war. Inzwischen hatte Duuhl Larx jene Magier vom Schwarzschock geheilt, die Querllo in die Barriere gebracht hatte. Islar war zurückgekehrt und hatte sowohl einen zweiten Zugor als auch vier weitere Magier mitgebracht. Alle, die nach dem Kontakt mit dem Neffen erwachten, waren voller Eifer, bei der Befreiung Pthors mitzuhelfen. Leider beherrschten sie jedoch nur Arten der Magie, die sich kaum für dieses Vorhaben eigneten. Man hätte sie mühelos alle mit Waggus versehen können, denn es gab genug solche Waffen in Oth. Aber sie hätten sich zu Fuß auf den Weg zu den Negativen begeben müssen, und der Transport der Besiegten in die Barriere hätte sie vor fast unlösbare Probleme gestellt. Es war unmöglich, innerhalb einer vernünftigen Zeitspanne eine ausreichende Anzahl von Flugschalen zu beschaffen. Keiner von denen, die bisher geheilt worden waren, war imstande, sich mit Hilfe magischer Techniken in ganz Pthor zu bewegen. Koratzo verzweifelte fast angesichts dieser Tatsachen. Glyndiszorn und Copasallior – wenn es ihm gelang, einen dieser beiden zu erwischen, wären diese Schwierigkeiten behoben gewesen. Aber er fühlte sich völlig außerstande, zu diesem Zeitpunkt gegen einen dieser beiden mächtigen Magier anzutreten. »Du solltest dich ein wenig ausruhen«, befahl die Gedankenstimme des Traummagiers sanft. »Mit deiner Kristallscheibe kannst du binnen einer halben Stunde am Ko‐ Fomath sein. Laß die Kräfte der Barriere auf dich einwirken, und du wirst sehen, daß deine Fähigkeiten bis zum Morgen zurückkehren.« Koratzo wehrte sich gegen die ungeheure Müdigkeit, die beim bloßen Gedanken an einige Stunden Schlaf in ihm aufstieg. Schließlich aber mußte er einsehen, daß es keinen Sinn hatte, sich noch länger den Forderungen seines Körpers gegenüber taub zu stellen. Er löste den Bann, der die Orxeyaner betäubte. Sie würden noch
eine Weile schlafen, und wenn sie erwachten und in ihrer Stadt weder Magier noch Ugharten vorfanden, schon bald ihr normales Leben wieder aufnehmen. Mit Höchstgeschwindigkeit flog er zum Ko‐Fomath, und als er die von heilenden Kräften durchzogenen Felsen am Rand der neuen Schlucht erreichte, war er so erschöpft, daß er wie leblos zu Boden sank. Kolviss baute aus der Entfernung heraus eine schützende Illusion um den Stimmenmagier herum auf, damit die Tiere ihn nicht stören konnten. Alles andere mußte man den Bergen von Oth überlassen. 5. Am nächsten Morgen erhob sich Koratzo und fühlte sich wie neugeboren. Er fror ein wenig, und seine Glieder waren steif und schmerzten, aber das verging, als er sich erst einmal in Bewegung befand. Die furchtbare Schwäche war verschwunden, und in seinem Gehirn herrschte nicht mehr nur diese dunkle Verzweiflung. Lächelnd ließ er die schützende Illusion erlöschen. »Komm in die Tronx‐Kette!« sagte Kolviss mit seiner Gedankenstimme sofort. »Es gibt Neuigkeiten.« Während des Fluges lauschte er mit seinen magischen Sinnen, aber er fand nicht heraus, was sich im Reich der Sieben Gipfel tat. Es schien ihm dort etwas zu still zu sein, denn immerhin mußten sich dort jetzt mindestens zehn Magier aufhalten. »Warte es ab«, empfahl Kolviss belustigt. Er erreichte schließlich die Wohnhalle, und während er sich an der Quelle wusch und ein kräftiges Frühstück zu sich nahm, berichtete Opkul, der gemeinsam mit dem Traummagier auf Koratzo gewartet hatte, wie Querllo gegen Morgen zurückgekehrt war und sofort begonnen hatte, die geheilten Magier in drei Gruppen aufzuteilen. Opkul hatte inzwischen eine Anzahl von Negativen ausfindig gemacht. Vollbesetzt flogen die Zugors aus der Barriere hinaus. Drei
Magier, deren Fähigkeiten so gering waren, daß sie bei einem Kampf höchstens selbst in Gefahr geraten wären, übernahmen es, die anderen an günstigen Stellen abzusetzen. Kolviss sorgte dafür, daß sie alle untereinander in Verbindung blieben, und Opkul suchte nach weiteren Opfern. Die betäubten Negativen wurden von den Zugors eingesammelt. Gerade in diesen Augenblicken war Forinthale mit einer achtköpfigen Gruppe zurückgekehrt, und die anderen beiden Zugors waren ebenfalls unterwegs zu Duuhl Larx. »Nur die Magier, die wir inzwischen einfangen, bereiten uns Sorgen«, sagte Opkul ernst. »Kolviss hilft denen da draußen, indem er Illusionen für sie aufbaut. Unsere negativen Freunde ahnen noch gar nicht, was ihnen droht. Sie lassen sich vorläufig noch sehr leicht überraschen.« »Ja«, murmelte Koratzo nachdenklich. »Das ist mir klar. Es würde auch nicht viel helfen, noch mehr Zugors zu beschaffen. Copasallior und die anderen Mächtigen werden sehr bald merken, daß etwas nicht stimmt, wenn ständiger Flugverkehr zwischen der Tronx‐Kette und allen Teilen von Pthor besteht. Es hilft alles nichts – es wird Zeit, daß wir Glyndiszorn oder den Weltenmagier zu uns holen.« »Copasallior hält sich fast ausschließlich in der FESTUNG auf. Er kann von dort aus das Revier bis nach Aghmonth hinunter fast mühelos kontrollieren. Auch Breckonzorpf und Parlzassel bleiben in der Nähe der Pyramiden. Sie sind mißtrauisch, wie es scheint. Copasallior hat seine alten Pläne noch immer nicht aufgegeben. Jeder rechnet mit einem Trick, mit dessen Hilfe er ganz Pthor an sich reißt.« »Und was ist mit Glyndiszorn?« »Der ist ständig unterwegs.« »War er auch schon in Moondrag?« »Noch nicht.« »Dann weiß er auch nicht, daß Ontra ihn im Stich gelassen hat. Ich nehme an, sie ist mit den anderen draußen unterwegs.« »Sie jagt Magier«, bestätigte Opkul lächelnd. »Soll ich sie für dich
suchen?« Koratzo nickte und beobachtete Opkul, dessen seltsame, violett schillernde Augen sich in unerreichbare Fernen richteten. »Ich habe sie«, sagte Opkul nach einigen Minuten. »Sie belauert am Taamberg den Bodenmagier Gofruun.« »Zeigst du sie mir?« fragte Koratzo leise. Opkul zuckte leicht zusammen und zögerte sekundenlang, ehe er seine Abschirmung fallenließ. Ihrer beider Fähigkeiten verbanden sich miteinander. Koratzo sah Ontra mit den magischen Sinnen Opkuls, und der Augenmagier konnte mit Ontra sprechen, wenn ihm daran lag. Nur sehr wenige Magier waren bereit, auf diese Weise mit anderen zusammenzuarbeiten, und als der Schwarzschock über sie hereinbrach, da hatte es sich gezeigt, daß ihre Bedenken berechtigt waren. Es ließ sich nicht vermeiden, daß bei einem solchen Kontakt Geheimnisse aufgedeckt wurden, und mit solchem Wissen ausgerüstet, hatten die betreffenden Magier sich später gefährliche Fallen stellen können. Opkul hatte besonders mit dem Stimmenmagier sehr schlechte Erfahrungen in dieser Beziehung gemacht, und Koratzo bemühte sich, das Gespräch mit Ontra möglichst schnell zu beenden. Danach waren sie nicht viel klüger als vorher. Glyndiszorn hatte für Ontra einen magischen Tunnel errichtet, der direkt von Moondrag zum Fuß des Gnorden führte. Sie war damit imstande, mit einem einzigen Schritt zwischen den beiden Revieren hin und her zu wechseln. Aber sie erklärte, daß sie niemanden auf diesem Weg mitnehmen konnte. Die Tatsache, daß Ontra und der Knotenmagier ein bestimmtes Zeichen vereinbart hatten, das Glyndiszorn binnen Sekunden nach Moondrag rufen würde, nutzte ihnen unter diesen Umständen nichts. »Dann muß es eben doch der Weltenmagier sein«, meinte Koratzo schulterzuckend. »Er spricht gerade mit den Söhnen Odins«, sagte Opkul leise. »Und jetzt – oh, verdammt!«
»Was ist los?« fragte Koratzo beunruhigt. »Gehörte Unrai nicht zu denen, die Orxeya für dich kontrollieren sollten?« Koratzo hatte den Wassermagier über all den Aufregungen fast vergessen. Er legte die rechte Hand auf Opkuls Schulter, und die Verbindung zwischen ihnen entstand erneut. Sie konnten Copasallior, die drei Söhne Odins und Unrai in der FESTUNG sehen und hören. »Ich muß mit dir sprechen«, sagte Unrai, und für einen mit keiner besonderen Macht ausgestatteten Wassermagier benahm er sich Copasallior gegenüber bemerkenswert selbstbewußt. »Diese drei Narren«, antwortete der Weltenmagier mit einer verächtlichen Handbewegung zu Heimdall, Balduur und Sigurd hin, »werden uns nicht stören. Sprich!« »Du weißt, daß ich in Orxeya ein Revier für den Stimmenmagier verwaltete«, begann Unrai vorsichtig. »Es ist etwas geschehen, was wichtig für dich sein könnte. Koratzo übt keine Kontrolle mehr über die Stadt der Händler aus.« Der Stimmenmagier glaubte fast, unter einen eiskalten Wasserfall geraten zu sein. Unrai war zwar verschwunden, aber Koratzo hatte keine Sekunde lang damit gerechnet, daß der Wassermagier dem Bann der Beeinflussung inzwischen entronnen sein könnte. Er sollte noch immer unfähig sein, in irgendeiner Weise gegen Koratzos Interesse zu handeln. Aber offensichtlich hatte sich allerhand verändert. »Drück dich deutlicher aus«, forderte Copasallior unwillig. »Hat Koratzo dich und die beiden anderen aus der Stadt der Händler entfernt?« »Nein«, murmelte Unrai. »Oder doch – man kann es verschieden sehen.« Er sah Copasalliors ärgerliche Geste und winkte eilig ab. »Ich werde dir alles genau berichten«, versicherte er. »Paß auf.« Und dann erzählte er haarklein, was sich am vergangenen Abend
und in der Nacht zugetragen hatte – soweit er es miterlebt hatte. Koratzo erfuhr auf diese Weise, daß Unrai bereits wach gewesen war, als der Stimmenmagier kam, um Forinthale zu holen. Es war rätselhaft, warum er hatte aufwachen können und wie er den Bann von sich abgestreift hatte. Die einzig mögliche Erklärung lautete, daß der kurze Kontakt zu dem nun wieder positiven Stimmenmagier diese Veränderung provoziert hatte. Unrai hatte aus einem sicheren Versteck heraus beobachtet, was in Orxeya geschah, und da er nicht dumm war, zog er sogleich die richtigen Schlüsse. »Er ist wieder zum Rebellen geworden«, sagte Unrai zu Copasallior. »Ich weiß es, denn ich habe gesehen, wieviel Mühe er sich gegeben hat, um die Bewohner von Orxeya vor der Rache der Ugharten zu bewahren.« »Deine Argumente sind nicht immer ganz logisch«, murmelte Copasallior nachdenklich. »Aber ich muß gestehen, daß die Angelegenheit verdächtig ist. Warum bist du damit zu mir gekommen? Wie hast du überhaupt den Weg von der Stadt der Händler zu mir so schnell zurücklegen können?« Unrai lachte triumphierend. »Ganz Pthor ist von wassergefüllten Höhlengängen durchzogen«, erklärte er. »Sie stehen miteinander in Verbindung, und in einigen gibt es starke Strömungen. Auf diese Weise bin ich hergekommen.« Copasallior warf dem Wassermagier einen mißtrauischen Blick zu. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Ich will dir glauben.« »Du mußt Koratzo sofort zum Kampf stellen!« drängte Unrai. »Er ist jetzt verletzlich. Er wird es nicht wagen, mit tödlichen Waffen zu kämpfen.« »Mir ist es gleichgültig, welche Waffen Koratzo wählt«, antwortete Copasallior mit erzwungenem Gleichmut. »Aber ich werde mich um ihn kümmern. Kehre nach Orxeya zurück und übernimm die Stadt.« Darauf hatte Unrai nur gewartet. Er zog sich strahlend zurück. Copasallior sah sich nach den Söhnen Odins um, die mit stumpfen
Augen vor sich hinstarrten. »Ihr werdet vergessen, was ihr eben gehört habt«, befahl der Weltenmagier, hob alle sechs Arme und war verschwunden. »Du mußt ihn wiederfinden«, flüsterte Koratzo. Opkul war bereits auf der Suche. Wenn es galt, einen bestimmten Sterblichen auszumachen, über dessen genauen Aufenthaltsort nichts bekannt war, dann gab es mitunter Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte. Suchte er dagegen nach einem Magier, dann vergingen selten mehr als einige Minuten, bis er Erfolg hatte. Er fand Copasallior in Moondrag, und Glyndiszorn war bei ihm. Dem Gespräch der beiden Mächtigen war zu entnehmen, daß Glyndiszorn Ontra hatte kontrollieren wollen und sehr beunruhigt war, als er sie weder in der Ruinenstadt noch in seinem Revier am Gnorden ausmachen konnte. Copasallior berichtete ihm, was er von Unrai erfahren hatte, und die beiden sahen sich vielsagend an. »Das bricht ihm den Hals«, bemerkte Glyndiszorn. »Hast du die anderen schon benachrichtigt?« »Meinst du, daß wir sie nötig haben, wenn wir Koratzo ausschalten wollen?« fragte Copasallior spöttisch. »Wenn der Stimmenmagier wieder dieser Illusion von der positiven Magie verfallen ist …« »Wir sollten trotzdem vorsichtig sein«, fiel Glyndiszorn ihm ins Wort. »Da du aber gerade von Illusionen redest – hast du etwas Neues von Kolviss gehört?« »Nein«, murmelte der Weltenmagier mißmutig. »Ich wollte Opkul dazu bringen, daß er ihn für mich sucht, aber der Augenmagier war nicht in seinem Revier.« »Zuerst verließen Koratzo, Querllo und Kolviss die FESTUNG«, sagte Glyndiszorn nachdenklich. »Wenn Unrai dich nicht belogen hat, sind Howath und Forinthale von Koratzo aus Orxeya weggeholt worden. Nun sind Ontra und Opkul verschwunden – findest du nicht, daß das ein bißchen weit geht?« »Du hast recht«, sagte Copasallior verblüfft.
»Sie werden herkommen und nachsehen!« flüsterte Opkul in der Tronx‐Kette. »Koratzo – du mußt den Neffen hierher holen. Wenn diese beiden jetzt bei uns auftauchen, haben wir nur mit Hilfe von Duuhl Larx noch eine hauchdünne Chance!« Der Stimmenmagier rief bereits nach dem Wesen in der Flammenaura. Er war überzeugt davon, daß Duuhl Larx ihn hörte, aber so angestrengt er auch mit seinen magischen Sinnen lauschte – es kam keine Antwort. Dafür meldete sich Kolviss. »Keine Angst«, sagte er mit seiner Gedankenstimme. »Ich bin auch noch da. Wir sind drei gegen zwei.« »Aber diese zwei sind negativ«, gab Koratzo zu bedenken und lauschte gleichzeitig auf das, was er durch Opkul auffangen konnte. »Erinnerst du dich an Islars Maschine?« fragte Copasallior. »Sie stand in der Tronx‐Kette, in der Höhle, in der der Neffe Chirmor Flog lag. Ursprünglich war sie nur dazu bestimmt, den Neffen am Leben zu erhalten. Kolphyr, der Bera, hatte sie gebaut, und Islar veränderte sie, um den ersten Schwarzschock rückgängig zu machen. Das ist ihr auch gelungen, allerdings entschieden zu gründlich, denn wir gerieten in die Phase der Sanftmut.« »Ich weiß«, murmelte Glyndiszorn. »Ich darf gar nicht daran denken. Aber ich weiß, daß der Bera an der Maschine herumgespielt hat, und danach kam die Macht über uns. Warum ist dieses Ding eigentlich nicht vernichtet worden?« »Ich fürchte, wir hatten anderes im Kopf«, meinte Copasallior spöttisch. »Jedenfalls ist Islar in Oth geblieben, und ich hatte den Eindruck, daß sie während unserer Beratung im Tal der Schneeblume sehr merkwürdig reagierte.« »Worauf warten wir dann noch?« fragte Glyndiszorn grimmig. »Sie kommen nicht zu uns«, stellte Opkul aufatmend fest und unterbrach den Kontakt nach Moondrag. »Wenigstens nicht jetzt gleich. Sie werden dem Neffen in die Arme laufen. Wenn wir Glück haben …« »Wo sind die Zugors?« fiel Koratzo ihm ins Wort.
Opkul schwieg einen Augenblick. »Forinthale ist eben gelandet«, sagte er dann tonlos. »Duuhl Larx macht sich über die ersten Magier her und – da sind Copasallior und Glyndiszorn.« »Jetzt sind sie gewarnt«, murmelte Koratzo bedrückt. »Sie werden das Spiel sofort durchschauen.« »Sie können Duuhl Larx nichts anhaben«, meinte Opkul zögernd. »Nein«, sagte Koratzo bitter. »Aber uns werden sie zu schaffen machen.« »Sie sind wieder fort«, bemerkte der Augenmagier. »Offenbar haben sie nicht die Absicht, sich in die Nähe deiner Wohnhalle zu begeben, denn sonst könnten wir sie längst dort draußen sehen.« »Du und Kolviss«, sagte Koratzo, »ihr müßt alle warnen, die zu uns gehören.« Er ging auf die Kristallscheibe zu. »Wo willst du hin?« fragte Opkul. »Zur FESTUNG«, erklärte Koratzo. »Ich hoffe, daß Copasallior sich dort verschanzen wird. Wenn er sich mit den anderen in die Pyramiden zurückzieht, müssen wir in der Wahl unserer Waffen vorsichtig sein, denn wir können es uns nicht leisten, noch mehr Zerstörungen anzurichten.« »Der Weltenmagier dagegen kann so hart zuschlagen, wie es ihm beliebt«, stellte Opkul bestürzt fest. »Er und die anderen – sie werden siegen, Koratzo!« »Das ist noch nicht sicher«, sagte der Stimmenmagier und lächelte schwach. »Noch haben wir verschiedene Vorteile auf unserer Seite. Niemand, auch Copasallior nicht, kann die Veränderungen rückgängig machen, die Duuhl Larx verursacht hat. Das bedeutet, daß die Negativen jeden einzelnen von uns besiegen müssen. Wir dagegen brauchen nur einen von ihnen zu schlagen, und wir werden uns von jetzt an auf Copasallior konzentrieren. Wenn wir ihn haben und zu Duuhl Larx schaffen können, dann ist das Spiel für uns fast schon gewonnen.«
»Aber erst müssen wir den Weltenmagier haben.« Koratzo zögerte. »Copasallior ist keineswegs unverwundbar«, sagte er schließlich. »Sorge dafür, daß Howath auf dem schnellsten Weg zur FESTUNG kommt. Ich brauche ihn dort. Die anderen sollen so viele Magier wie möglich nach Oth bringen, ehe die Mächtigen uns diese Möglichkeit nehmen.« 6. Aus einigen hundert Metern Höhe sah Pthor still und friedlich aus. Aber der Schein trog. Während er zur FESTUNG flog, erfuhr Koratzo durch Kolviss, daß es erneut Ärger mit den Ugharten gab. Diese Wesen beanspruchten die Senke der verlorenen Seelen als ihr Gebiet. Niemand hatte dort etwas zu suchen, auch die Magier nicht. Zwischen dem Regenfluß und der Senke hatten sich einige Magier niedergelassen. Sie standen unter dem Schutz des Tiermagiers, und da Parlzassel sich noch immer in der FESTUNG aufhielt, glaubten Koratzos Verbündete, mit den Negativen ein leichtes Spiel zu haben. Irgendwie hatten die Ugharten bemerkt, daß mehr Magier als sonst sich an der Grenze der Senke aufhielten, und sie rückten mit mehreren Gleitern an, um sich die Sache aus der Nähe zu besehen. Die Negativen, die ihre anrückenden Kollegen noch gar nicht bemerkt hatten, werteten die Neugier der Ugharten als eine feindliche Aktion und griffen unverzüglich an. Die Ugharten nahmen die Herausforderung an und trafen Anstalten, den Kampf mit tödlichen Waffen zu führen. Jene Magier, die dank der Gier des Neffen Duuhl Larx von der vom Dunklen Oheim stammenden Schwarzschock‐Energie befreit worden waren, brachten es nicht fertig, in ihren noch negativen Kollegen Feinde zu sehen. Sie erinnerten sich zu genau ihrer eigenen
Taten und sahen den Schwarzschock als eine Krankheit – was ja auch den Tatsachen entsprach. Als sie die von diesem Leiden Befallenen so plötzlich in tödlicher Bedrängnis sahen, ergriffen sie spontan für sie Partei und kämpften mit ihnen gegen die Schwarzbehaarten. Die Negativen hatten dagegen zunächst nichts einzuwenden. Erst als einige Ugharten in eine Falle gerieten und prompt von einem der Ankömmlinge freigelassen wurden, schöpften Parlzassels Schützlinge Verdacht. Schon bald hatten sie Gewißheit darüber, wes Geistes Kind ihre Helfer waren. Auf die Negativen wirkte die Anwesenheit positiver Magier wie ein rotes Tuch. Die negativen Magier griffen ihre positiven Kollegen an, ohne die Ugharten dabei zu vernachlässigen. Die Schwarzbehaarten machten keinen Unterschied zwischen diesen beiden Parteien, und den Verbündeten des Stimmenmagiers blieb nichts anderes übrig, als sich nach beiden Seiten hin zu verteidigen. Aber es kam noch schlimmer, denn eine Horde Flußpiraten wurde vom Kampfeslärm angelockt. Man konnte ihren Lebenswandel beim besten Willen nicht als gesetzestreu und moralisch einwandfrei bezeichnen, aber sie waren Pthorer, und als solche hatten sie in der letzten Zeit genug unter allerlei Fremdlingen und nicht zuletzt unter den Magiern zu leiden gehabt. Die Piraten warfen sich mit Begeisterung in die Schlacht, und die Verhältnisse am Regenfluß wurden chaotisch. Kolviss bemühte sich nach besten Kräften, mit Hilfe von Trugbildern den positiven Magiern zu helfen, aber auch die Kapazität des Traummagiers war nicht unerschöpflich. Schnelle Hilfe tat not, denn die Ugharten hatten in jedem Fall den längeren Atem. Querllo, der nicht allzu weit von der Kampfstätte entfernt war, nahm Zuflucht zu jener kräftezehrenden Art der Fortbewegung, vor der er sonst aus guten Gründen zurückschreckte: Er hüllte sich in einen Wirbel aus Licht und stob dem Regenfluß entgegen. Er bereinigte die Situation, aber es würde Stunden dauern, bis er sich halbwegs von der Anstrengung erholt
hatte. Unterdessen drohte Orxeya zum Zankapfel zwischen Copasallior und Glyndiszorn zu werden. Dem Weltenmagier war ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen, als er den Knotenmagier wissen ließ, daß Koratzo die Stadt der Händler aufgegeben hatte. Glyndiszorn verlor keine Zeit. Als er sich nach dem Besuch in der Tronx‐Kette von Copasallior trennte, ging er direkt nach Orxeya und tauchte ausgerechnet auf dem Platz der Schlächter auf. Dort war eine Feier im Gange. Man trauerte um die Toten und berauschte sich gleichzeitig an der neugewonnenen Freiheit. Das Erscheinen eines Magiers brachte die Orxeyaner im Nu auf die Beine und erzeugte in denen, die ehrlichen Herzens Grund zum Trauern hatten, eine wahre Flutwelle von Haß und Wut. Glyndiszorn, der Tunnel durch Zeit und Raum errichten und mit einem Schritt durch unsichtbare Falten kreuz und quer durch Pthor wandeln konnte, war hilfloser als viele andere Magier, wenn es galt, die Sterblichen von Pthor zu beeindrucken. Da er die Grenzen seiner Fähigkeiten kannte, zog er sich weise zurück, schwor aber den Orxeyanern blutige Rache. Als kaum eine halbe Stunde später Copasallior fast am selben Platz erschien, da war er völlig verblüfft angesichts der Tatsache, daß die Orxeyaner gar nicht daran dachten, sich vor ihm zu fürchten. Er hatte sie vor dem Eintritt Pthors in das Lamur‐System gelehrt, ihm mit Respekt zu begegnen, aber sie hatten diese Lektion allem Anschein nach bereits vergessen. Er schleuderte zwei von ihnen in die Welt jenseits der Wirklichkeit, erreichte damit jedoch das genaue Gegenteil dessen, was er beabsichtigt hatte. Anstatt furchtsam eine demütige Haltung anzunehmen, warfen sich die Orxeyaner mit doppelter Wut auf den Weltenmagier. Sie konnten Copasallior nichts anhaben – noch nicht. Er war sicher unter seinen magischen Sperren, von denen ihre Waffen abprallten. Aber wenn die Zahl seiner Gegner noch weiter wuchs, würde es doch recht ungemütlich für ihn werden.
Die Orxeyaner feierten jubelnd den Tag, an dem sie nicht nur ihre Freiheit zurückgewonnen, sondern auch gleich zwei weitere Magier in die Flucht geschlagen hatten. Sie ahnten nicht, daß sie ihre Freiheit möglicherweise gerade durch den scheinbaren Sieg über Copasallior in Gefahr gebracht hatten. Denn nur infolge dessen, was ihm in Orxeya widerfahren war, erinnerte sich Copasallior daran, daß es in kritischen Lagen besser war, das festzuhalten, was man besaß, anstatt nach neuen Dingen zu greifen. Er eilte zu Glyndiszorn und schloß mit ihm einen Waffenstillstand. Anschließend begannen die beiden mächtigsten Magier unter den Negativen, ihre potentiellen Verbündeten einzusammeln. Sie hatten es leichter als Koratzo und seine Verbündeten, denn sie brauchten keine Zugors oder Yassels, und sie gelangten ohne jeden Zeitverlust selbst in den entferntesten Winkel von Pthor. Sie waren auch nicht mit den in ihren Augen überflüssigen Skrupeln der positiven Denkweise belastet. Wo ein Magier ihrem Ruf nicht freiwillig folgte, da wandten sie ohne Zögern Gewalt an. Die betroffenen Magier nahmen ihnen das nicht lange übel, denn sobald sie erfuhren, vor welchem Schicksal Copasallior und Glyndiszorn sie bewahrt hatten, wären sie bereit gewesen, ihnen noch weit Schlimmeres zu verzeihen. Die Aussicht, ihrer negativen Fähigkeiten beraubt zu werden, erfüllte sie mit purem Entsetzen. Als Koratzo am Nachmittag die FESTUNG vor sich sah, warteten dort rund achtzig negative Magier auf ihn und seine Verbündeten. Außer ihnen gab es in der FESTUNG Scharen von Technos und Dellos, die zwar nicht wußten, worum es eigentlich ging, sich aber auf Befehl der Magier zum Kampf rüsteten, denn sie hatten gelernt, daß es gut für sie war, zu gehorchen und keine Fragen zu stellen. In Zelten und anderen provisorischen Unterkünften warteten Hunderte von Besuchern aus allen Teilen Pthors auf eine Audienz bei den Söhnen Odins. Als die drei Herrscher vor sie hintraten und ihnen verkündete, daß es einen Kampf um die FESTUNG geben
werde, da standen sie schweigend auf und griffen nach ihren Waffen. Es hatte keinen Sinn, sich den Göttersöhnen zu widersetzen – hinter ihnen standen die Magier. Mittlerweile waren dreißig Magier von Duuhl Larx vom Schwarzschock befreit worden, weitere sechsundzwanzig wurden gerade in die Tronx‐Kette gebracht. Rund vierzig negative Magier waren bereits gebannt und aus dem Verkehr gezogen, aber es würden noch Stunden vergehen, bis man sie mit den Zugors abholen konnte. Man hatte zwei Flugschalen dazuerobert, mit denen man jene positiven Magier zur FESTUNG transportierte, die bei den bevorstehenden Auseinandersetzungen von Nutzen sein konnten. Das waren nicht mehr als zwanzig, von denen noch dazu die meisten nach der Behandlung durch Duuhl Larx oder die kräftezehrende Jagd auf die negativen Magier geschwächt waren. Es konnte einem angst und bange werden, wenn man sich vorzustellen versuchte, daß diese kleine Gruppe gegen die gewaltige Übermacht in der FESTUNG antreten wollte. * An der westlichen Grenze zum FESTUNGs‐Gebiet gab es eine Stelle, an der sich verschieden hohe Felsblöcke zu kleinen Hügeln türmten. Die kantigen Säulen waren zu regelmäßig geformt, als daß sie natürlichen Ursprungs hätten sein können. Die Gordys von Donkmoon erzählten sich, daß es sich um die Überreste eines gewaltigen Palasts, vielleicht sogar einer Stadt handelte, und damit hatten sie nicht einmal unrecht. Allerdings war dieser Palast schon uralt und verlassen gewesen, als die Magier gerade erst nach Pthor gekommen waren. Damals hatte man noch erkennen können, daß die gigantischen Hallen, die das vielstöckige Hauptgebäude umgaben, einst prächtig ausgestattet gewesen waren. Einige kleine Pavillons, die außerhalb der zentralen Anlage standen, hatten sich
noch bis vor einigen hundert Jahren halten können, und in einem von ihnen hatte einst Karsjanor seine Falle gebaut. Nach Denderas Tod hatte Copasallior, außer sich vor Schmerz und Zorn, diesen Pavillon Stück für Stück in die Welt jenseits der Wirklichkeit geschleudert und die anderen noch erhaltenen Gebäudereste endgültig zerstört. Da, wo Dendera gestorben war, gab es bis auf den heutigen Tag einen freien Platz, der mit niedrigem, bläulichem Gras bewachsen war. Diesen Platz hatte Koratzo zum Treffpunkt bestimmt, und er sah Howath schon von weitem. Der Feuermagier stand auf einer geborstenen Säule am Rande des Platzes. Als er den Stimmenmagier erblickte, der auf der fast unsichtbaren Kristallscheibe herangerast kam, winkte er ihm zu und deutete auf einen großen, halb im Boden versunkenen Quader, an den die Säule heranreichte. »Warum mußten wir uns ausgerechnet hier treffen?« fragte er ärgerlich, als Koratzo gelandet war. »Kannst du die Vergangenheit nicht endlich ruhenlassen?« »Ich wollte dich nicht verletzen«, versicherte Koratzo leise. »Du hattest lange Zeit ständigen Kontakt zu Karsjanor und kennst seine Tricks besser als jeder andere von uns. Er mußte damals etwas zurücklassen, was er irgendwo hier in der Nähe versteckt hatte.« »Du meinst den Fallenkristall, mit dem er Copasallior am Transmittersprung hinderte? Koratzo, seitdem ist so viel Zeit vergangen, und Karsjanor hatte unendlich viele Gelegenheiten, den Kristall zurückzuholen …« »Nein«, fiel der Stimmenmagier ihm ins Wort. »Er durfte sich nicht an diesen Ort wagen, denn Copasallior hatte ebenfalls eine Falle aufgebaut. Er wußte, daß Denderas Mörder etwas nicht hatte mitnehmen können und daß er zurückkommen würde, aber Jarsynthia kam dahinter und warnte Karsjanor. Nach der Schlacht am Skatha‐Hir habe ich dem Weltenmagier die ganze Geschichte erzählt. Nur deinen Namen habe ich ihm nicht genannt, denn er hatte gerade Malvenia verloren, und dadurch waren die alten
Wunden wieder aufgebrochen. Aber er begab sich damals hierher und beseitigte die Falle. Er hatte sie die ganze Zeit hindurch aufrechterhalten. Der Fallenkristall muß sich also noch an diesem Ort befinden. Denke genau nach, Howath. Vielleicht fällt dir ein, wo Karsjanor ihn versteckt haben mag.« Howath starrte ihn entgeistert an. »Du hast es ihm gesagt?« fragte er. »Warum hast du Karsjanor nicht damals schon verraten? Daß du ihn nicht töten wolltest – nun, ich kenne die Gründe. Aber ein Wort zu Copasallior hätte genügt.« »Du weißt nicht, was Copasallior mit dem armen Burschen vorhatte«, murmelte Koratzo unwillig. »Komm schon, versuche es mal. Sieh dir diese Trümmerhaufen an. Wo kann das Versteck liegen?« Howath konzentrierte sich seufzend auf die Umgebung. Nach kurzer Zeit zuckte er zusammen. »Hast du ihn gefunden?« fragte Koratzo drängend. »Nein«, flüsterte Howath. »Aber ich habe etwas anderes entdeckt. Dort drüben gibt es einen blinden Fleck.« Der Stimmenmagier war mit einem Satz auf seiner Kristallscheibe und jagte senkrecht in den Himmel hinauf. Schon im nächsten Augenblick sah er das, was Howath mit seinen magischen Sinnen nicht hatte fassen können. Er versuchte es selbst und scheiterte. Das glänzende Ding, daß sich hinter einigen hohen Blöcken verborgen gehalten hatte, schickte ihm einen Strahl reiner Energie entgegen. Koratzo flog instinktiv ein Ausweichmanöver, aber er wußte nur zu gut, daß er viel zu langsam war. Zum Glück prallte der tödliche Schuß von den magischen Sperren ab. Der Stimmenmagier atmete auf. Zielsicher schoß er mit hoher Geschwindigkeit auf den angeblichen »blinden Fleck« los. Der Gegner setzte zur Flucht an, erkannte dann jedoch, daß er nicht schnell genug war. Koratzo landete vorsichtig außerhalb der Reichweite der metallenen Tentakel. »Nenne mir deinen Rang!« bat er.
»Ich bin der würdige Arbeiter Hastanoque.« »Welchem Herrn dienst du?« »Dem Herrn Soltzamen«, sagte der Roboter, und Koratzo hatte inzwischen genug Einzelheiten an dem metallenen Körper ausmachen können, die eines zur Gewißheit werden ließen. Er hatte wirklich einen Robotdiener aus Wolterhaven vor sich. Es war schwer, das zu glauben, denn diese Maschinen waren sonst magisch sehr leicht zu erfassen. »Was tust du hier?« fragte er vorsichtig. Hastanoque drehte sich um eine Längsachse und traf Anstalten, davonzuschweben. »Bitte, antworte mir!« rief der Stimmenmagier ungeduldig. Der Roboter setzte sich in Bewegung, und Koratzo zwang sich zur Ruhe. Er konnte diese Maschine in keiner Weise beeinflussen. Sie besaß etwas, was sie in magischer Hinsicht unangreifbar machte, und ihm kam der Gedanke, daß eine solche Abschirmung ihm im Augenblick nützlicher hätte sein können, als wenn es ihm tatsächlich gelang, Karsjanors uralten Fallenkristall zu finden. Er schwebte auf der Kristallscheibe neben der Maschine her. »Gib es auf!« empfahl der Robotdiener. »Du kannst mir nichts anhaben.« »Wer hat die rote Zahl auf deinen Körper gemalt?« fragte Koratzo unbeeindruckt. Hastanoque schwieg einige Zeit, dann hielt er abrupt an. »Der Herr Soltzamen machte mich eben auf etwas aufmerksam«, sagte er mit seiner seltsamen, blechernen Stimme. »Mir scheint, ich habe etwas übersehen. Du benimmst dich nicht, wie ein Magier es normalerweise in dieser Zeit tut.« Er verstummte ebenso plötzlich, wie er zu sprechen begonnen hatte, bewegte sich blitzschnell auf Koratzo zu und packte den Stimmenmagier mit mehreren Tentakeln zugleich. Koratzo war erschrocken, aber da der Roboter ihn lediglich festhielt, versuchte er nicht, sich zu wehren.
Sekundenlang hing er in den harten Klauen fest, dann setzte Hastanoque ihn behutsam ab.
»Du bist einer von denen, die sich verändert haben«, stellte er fest. »Du weißt darüber Bescheid!« »Nein, aber der Herr Soltzamen erklärte es mir. Es sind einige seltsame Dinge in Pthor geschehen, und in der FESTUNG rüstet man sich zum Kampf. Wir sind erst vor kurzer Zeit vom Wachen Auge aus aufgebrochen und haben aus Sicherheitsgründen darauf verzichtet, ständig Verbindung mit Wolterhaven zu halten. Wir spürten starke magische Aktivitäten aus verschiedenen Richtungen auf. Am stärksten waren sie im Bereich der FESTUNG. Darum flog ich voraus.« Koratzo war erstaunt über das völlig veränderte Verhalten des Robotdieners, aber er begann bereits, die Zusammenhänge zu begreifen. »Wer sind deine Begleiter?« fragte er. »Ebenfalls Robotdiener?« »Einige sind von meiner Art. Die anderen kennst du vielleicht. Kolphyr aus dem Volk der Bera und Koy der Trommler berichteten, daß sie sich lange Zeit in der Barriere von Oth aufgehalten haben.« »Sie leben!« stieß Koratzo erleichtert hervor. »Ist Fenrir bei ihnen?« »Ja, auch er ist da«, bestätigte Hastanoque. »Dazu kommen Sator Synk aus Orxeya, Leenia von den Höheren Welten und Bördo, Sigurds Sohn.« »Wo halten sie sich auf?« »Ein kurzes Stück weiter nördlich von hier.« Koratzo hätte gerne noch mehr Fragen gestellt, aber in diesem Augenblick rief Howath nach ihm. »Was tust du dort so lange?« wollte er wissen. »Was ist mit dem blinden Fleck?« »Es ist ein würdiger Arbeiter aus Wolterhaven«, antwortete Koratzo mit seiner magischen Stimme. »Wir kommen zu dir.« »Ich habe eine Frage an den Herrn Soltzamen«, wandte er sich an Hastanoque. »Ich weiß, daß die Robotbürger es ablehnen, für oder gegen die jeweiligen Herrscher von Pthor Partei zu ergreifen, aber wir befinden uns in einer ungewöhnlichen Situation. Ich nehme an,
daß auch die anderen würdigen Arbeiter, die sich bei Sator Synk und den anderen befinden, diese Abschirmung gegen magische Aktivitäten besitzen?« »Ja«, antwortete Hastanoque. »Frage den Herrn Soltzamen, ob er es erlaubt, daß seine würdigen Arbeiter uns helfen, die vom Schwarzschock betroffenen Magier zu heilen und damit Pthor von ihrer Herrschaft zu befreien.« Er machte sich auf eine lange Wartezeit gefaßt, aber offenbar war diese Angelegenheit in Wolterhaven bereits von den Robotbürgern ausgiebig beredet worden, denn Hastanoques Antwort kam schon nach wenigen Sekunden. »Wir werden dir helfen.« Koratzo atmete auf. »Komm mit«, sagte er. »Ich nehme an, du hast deine Freunde bereits über alles unterrichtet?« »Sie sind hierher unterwegs.« »Wir brauchen nur vier oder fünf von euch würdigen Arbeitern«, sagte Koratzo leise. »Sorge bitte dafür, daß deine organischen Freunde weit genug von der FESTUNG entfernt bleiben. Sie dürfen auf gar keinen Fall in Gefahr geraten.« »Sator Synk wird nicht sehr erfreut sein, wenn er das hört!« bemerkte Hastanoque. »Ich weiß«, murmelte der Stimmenmagier lächelnd. »Er ist ein Heißsporn. Ihr habt es sicher nicht leicht mit ihm. Aber er ist ein guter, tapferer Mann.« Sie hatten Howath erreicht, und Koratzo erklärte ihm und Hastanoque, wie er die perfekte Abschirmung der Robotdiener gegen magische Einflüsse zu benutzen gedachte. »Ich sehe nur eine Schwierigkeit«, sagte Howath nachdenklich. »Wie bekommen wir Copasallior in die Falle?« »Ich werde ihn anlügen müssen«, murmelte Koratzo bedrückt. »Ich werde ihm sagen, daß ich es war, der Malvenia damals auf die Idee gebracht hat, eine Statue von einem Herrn der FESTUNG
anzufertigen.« Howath sah ihn entsetzt an. Mit dieser Statue hatte alles angefangen. Das Gesetz der FESTUNG war hart und unerbittlich gewesen – wer einen der Herren in irgendeiner Weise abbildete oder beschrieb, der war des Todes. Malvenia hatte dieses Gesetz gebrochen, und Copasallior hätte alles getan, um sie zu retten. Als Koratzo ihm vorschlug, Glyndiszorn zu bitten, daß er seinen großen Knoten ausdehnte, bis er die ganze Barriere als undurchdringlicher Schutzschirm umgab, da hatte Copasallior sofort zugegriffen. Die FESTUNG fiel, die Herren wurden getötet, der Arkonide Atlan avancierte zum König von Pthor, ein Hauch von Freiheit ging durch das Land. Die negativen Magier verloren die Schlacht am Skatha‐ Hir und wurden verbannt – Ereignisse, die dem Weltenmagier in seinem negativen Zustand als das Schlimmste erscheinen mußten, was die Magier jemals getan hatten. Immerhin – den daraus entstehenden Haß würde er vergessen, sobald Duuhl Larx ihn von der Dunklen Energie befreit hatte. Aber parallel zu diesen Geschehnissen hatte Copasallior auch die Kunstmagierin Malvenie verloren. »Er wird es dir nie verzeihen«, sagte Howath beschwörend. »Und er wird dir vor allem niemals glauben, daß es nur eine Notlüge war. Er wird dich bei der nächstbesten Gelegenheit umbringen!« »Damit ist zu rechnen«, bestätigte Koratzo gelassen. »Aber mir fällt nichts ein, womit wir ihn sonst in einen Hinterhalt locken könnten.« »Es sind Magier vor der FESTUNG aufgetaucht!« meldete Hastanoque, der immer noch mit dem Herrn Soltzamen in Verbindung stand. »Das sind unsere Freunde«, murmelte Howath. »Sie waren sehr schnell. Hoffentlich haben sie nicht die Zugors zuschanden geflogen.« »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an«, versicherte Koratzo und wandte sich an den Robotdiener. »Kannst du Howath tragen?
Wir kommen sonst zu langsam voran.« »Es ist mir ein Vergnügen«, antwortete Hastanoque, legte seine metallenen Tentakel um den dürren Feuermagier und schwebte mit ihm voran. Sie fanden die anderen positiven Magier neben dem Weg, der von Donkmoon in das Gebiet der FESTUNG hineinführte. Früher hatte das ganze Gelände unter einem leuchtenden Energieschirm verborgen gelegen, in dem es nur wenige Tore gab. Eines davon wies nach Donkmoon, und aus ihm kamen die Technos, wenn sie nach ihrer mysteriösen Entstehung ins Leben hinaustraten. Sie taten das auch jetzt noch, wie Koratzo wußte. Es tauchten in unregelmäßigen Abständen einige von ihnen auf, und niemand wußte, woher sie kamen. Vielleicht hätten sie sich längst einmal um diese Angelegenheit kümmern sollen. Es war schließlich eines der ganz großen Geheimnisse, die Pthor zu bieten hatte, und nicht einmal die Magier hatten etwas darüber herausfinden können, solange der Schutzschirm über der FESTUNG lag. Die Magier saßen neben den Zugors auf niedrigen Steinen und dürrem Gras. Sie schienen vor sich hin zu träumen, aber Koratzo wußte, daß jeder von ihnen sich völlig auf die von dieser Stelle aus nicht sichtbare Hauptpyramide konzentrierte. Als der Stimmenmagier für einen Augenblick in die entsprechende Richtung lauschte, spürte er deutlich die gewaltige Ballung negativer Kräfte. Unter Copasalliors Gefolgsleuten befanden sich einige der mächtigsten Magier von Oth, und auch die anderen verfügten über gefährliche Kräfte. Der Weltenmagier hatte sich nicht damit aufgehalten, auch schwache Vertreter der magischen Wissenschaften zu sich zu holen. »Mein Herr Soltzamen«, sagte Hastanoque plötzlich, »bewundert euch wegen eures Mutes.« »Danke«, murmelte Howath sarkastisch. Im selben Augenblick glitt ein helles Summen über sie hinweg. Sie sahen nach oben und erblickten die Gleiter. Dutzende von
ughartischen Flugmaschinen strebten dem Kern der FESTUNG zu, und in jedem einzelnen Gleiter saßen mindestens fünf Ugharten. Diesmal waren sie bewaffnet, und als Koratzo ihre Gedanken für sich hörbar machte, stellte er fest, daß sie mittlerweile Bescheid wußten. Natürlich ergriffen sie für Copasallior Partei. »Ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte der Stimmenmagier leise. Er sah sich die kleine Schar seiner Verbündeten an. Opkul und Kolviss waren gekommen, obwohl der Traummagier am Rand der Erschöpfung angelangt war. Dasselbe galt für Querllo. Islar wirkte noch erstaunlich frisch. Ontra hatte Ringe unter den Augen, aber sie wirkte grimmig und entschlossen. »Mit uns sind es sieben, die daran gewöhnt sind, im Verbund zu arbeiten«, stellte Koratzo fest. Er wandte sich an die anderen. »Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, dann müßt ihr es riskieren. Überlegt nicht zu lange, mit wem ihr euch zusammenschließen wollt. Wenn wir nämlich unterliegen, dann wird es keine Rolle mehr spielen, ob einige eurer Geheimnisse von einem anderen durchschaut wurden oder nicht.« Sie sahen ihn betroffen an, dann sprang Islar auf und ging auf Jobath zu, den Griffemagier, der ähnlich wie Ontra Gegenstände zu bewegen vermochte, ohne sie zu berühren. »Mich ärgern die Ugharten«, sagte sie zu ihm. »Aber ohne ihre Gleiter sind die Schwarzpelze nur noch halb so gefährlich. Laß es uns versuchen.« »Wie stellst du dir das vor?« fragte Jobath beklommen. »Gib mir deine Hand«, bat Islar sanft. »Und laß deine Sperren fallen. Komm, ich zeige dir, welche Teile du bewegen mußt.« Es dauerte keine zehn Sekunden und der erste Gleiter sackte plötzlich durch, fing sich mühsam und setzte dann krachend zwischen hohen Bäumen auf, kaum einen Kilometer von den Magiern entfernt. Dieses Ereignis gab den Ausschlag. Sie schlossen sich zu kleinen
Gruppen zusammen, und es war keinen Augenblick zu früh, denn nur wenige Minuten später erfolgte der erste Angriff. 7. Es war typisch für die negative Gesinnung derer, die in der FESTUNG saßen, daß sie zunächst eine Schar von Sterblichen auf ihre Gegner hetzten. Das Manöver war leicht zu durchschauen: Wenn die positiven Magier sich ablenken ließen, konnte man sie um so leichter besiegen. Die erste Welle setzte sich ausschließlich aus Technos und Dellos zusammen, zuverlässigen Befehlsempfängern, die den Tod nicht fürchteten. Sie kamen in Zugors und in bodengebundenen Fahrzeugen und waren bis an die Zähne mit Waggus, Strahlern, Schwertern, Keulen, Messern und ähnlichen Spielzeugen bewaffnet. Islar und Jobath hielten mit Opkuls Unterstützung Dutzende von Fahrzeugen und Flugschalen auf. Andere Magier wollten sich auf ähnliche Weise betätigen, aber Koratzo sah die drohende Gefahr und bat sie, sich zurückzuhalten und statt dessen mit dem Aufbau von Sperren zu beginnen, die die ganze Gruppe umschlossen. »Keine Toten!« warnte er Islar und Jobath. Die beiden sahen ihn vorwurfsvoll an. Er lächelte und ging zu Forinthale, der einsam und bedrückt auf der Bordwand eines Zugors hockte. »Ich brauche deine Hilfe«, sagte der Stimmenmagier. Forinthale sah ihn verwundert an. »Ich habe keine Zeit, es dir lange zu erklären«, murmelte Koratzo. »Gib mir deine Hand. Komm schon, du hast nichts zu befürchten. Als Gefühlsmagier bist du besser als ich. Ich kann zu diesen Leuten sprechen, aber wenn ich sie alle beeinflussen will, brauche ich mindestens zwei Minuten, ehe sich eine Wirkung zeigt.« Forinthale war immer noch mißtrauisch, aber als er aufhörte, sich gegen die Verbindung der magischen Fähigkeiten und Künste zu
wehren, da war er plötzlich imstande, Koratzos Gedanken zu »hören«, und er sah, bei welchem Unternehmen er mithelfen sollte. Er lachte und tat, was der Stimmenmagier von ihm erwartete. Sekunden später hörten die Technos und Dellos eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien. »Ihr seid belogen worden«, sagte Koratzo zu ihnen. »Wir wollen nicht die FESTUNG erobern und an die Stelle derer treten, die jetzt über Pthor herrschen. Wir wollen lediglich die negativen Magier in die Barriere von Oth zurückholen, damit sie dort geheilt werden können, denn sie sind krank. Der Dunkle Oheim verwandelte Chirmor Flog in eine lebende Waffe und schickte ihn nach Pthor. Wir Magier holten den Neffen zu uns, um ihm zu helfen und von ihm Informationen zu bekommen, mit denen wir diesem Land hätten helfen können. Aber Chirmor Flog war Träger einer dunklen Energie, die sich über die ganze Barriere verbreitete und uns allen den Wahnsinn brachte. Wir vergaßen den Bund, den wir mit dem König von Pthor geschlossen haben und an den wir, die wir inzwischen geheilt wurden, uns noch immer gebunden fühlen. Wir können das, was geschehen ist, nicht rückgängig machen, aber wir können verhindern, daß unsere kranken Freunde noch mehr Unglück über dieses Land bringen. Bevor wir ihnen helfen können, wird es voraussichtlich zum Kampf zwischen ihnen und uns kommen. Wir können nicht von euch verlangen, daß ihr euch auf unsere Seite stellt, denn wir gehörten zu denen, die euch gequält und unterdrückt haben. Aber wir bitten euch, nicht gerade jetzt an Rache zu denken. Kehrt in die FESTUNG zurück oder geht nach Hause. Berichtet allen Pthorern, die euch begegnen, von dem, was ihr hier gesehen, gehört und erlebt habt.« Die verschiedenartigen Fahrzeuge hatten angehalten. Die Technos und Dellos lauschten erstaunt und gebannt, denn mit Koratzos Stimme keimte etwas in ihren Herzen und Hirnen, was sie schon einmal schwach gespürt, aber inzwischen fast vergessen hatten. Es war die Sehnsucht nach der Freiheit, nach einem Leben ohne stetige
Angst vor unberechenbaren Herrschern. »Es hat gewirkt«, sagte Opkul, der die Angreifer auf seine Weise im Auge behielt. »Ein großer Teil von ihnen kehrt tatsächlich um. Andere bleiben stehen und diskutieren miteinander. Koratzo – einige kommen doch hierher!« »Sie werden uns nichts tun«, versicherte der Stimmenmagier gelassen. »Forinthale hat ganze Arbeit geleistet.« »Ich hätte es alleine niemals geschafft«, murmelte der Gefühlsmagier verlegen. »Ich aber auch nicht«, erwiderte Koratzo lächelnd. »Ich werde dich noch einmal um deine Hilfe bitten müssen.« »Gib mir ein Zeichen«, sagte Forinthale mit leuchtenden Augen. »Mir hat noch keine Arbeit so viel Spaß gemacht.« »Die Ugharten nehmen sich die zurückkehrenden Fahrzeuge aufs Korn!« schrie Opkul entsetzt. Ontra, Islar, Jobath und drei andere waren zur Stelle und der Augenmagier ging fast zu Boden unter dem Ansturm all der magischen Fähigkeiten, die sich mit den seinen verbanden Koratzo griff nach Forinthales Hand, und während die Gruppe um Opkul den Ugharten die Waffen entriß, sie unschädlich machte, ihnen die Blicke trübte und ihnen andere Hindernisse in den Weg legte, schickte Forinthale mit Koratzos Hilfe heillose Furcht in die Gedanken der Schwarzbehaarten. Nach kurzer Zeit ergriffen die Ugharten vor den vergleichsweise wehrlosen Pthorern die Flucht. In überladenen Gleitern rasten sie davon, und wer keinen Platz mehr in den Fahrzeugen fand, der begab sich zu Fuß oder per Yassel auf den Weg zur Senke der verlorenen Seelen. Allmählich begannen die negativen Magier zu begreifen, welches Konzept ihre Gegner verfolgten. Es war gar nicht so einfach für sie. Sie hatten damit gerechnet, daß Koratzo und seine kleine Gruppe es fertigbringen würden, einige der Sterblichen zu beeinflussen. Es erschien ihnen logisch, daß sie diese Beeinflußten fortan als ihre Feinde zu betrachten hatten, daß die Pthorer Amok laufen und
gegen die Pyramide anrennen würden. Für diesen Fall hatten sie ihre Maßnahmen getroffen. Die Pthorer aber dachten gar nicht daran, sich mit den negativen Magiern anzulegen. Sie schlugen einen Bogen um die große Pyramide und tauchten in den diversen Quartieren auf. Dort redeten sie von der Freiheit und von der Krankheit, die die Magier befallen hatte. Die drei Söhne Odins standen dabei und starrten verständnislos auf das Durcheinander, das sich vor ihren Augen zu entwickeln begann. »Geht und haltet diese Narren auf!« befahl Copasallior zähneknirschend. Die starre Front, die den positiven Magiern jeden Durchbruch hätte verwehren können, löste sich auf. »Sie kommen heraus«, sagte Opkul, und obwohl er gewußt hatte, worauf Koratzos Plan abzielte, war er verwundert. »Sie sind tatsächlich darauf hereingefallen.« »Sie haben sich auf die Hilfe der Sterblichen verlassen«, antwortete Koratzo lächelnd. »Sie haben sich einfach zu sicher gefühlt. Hastanoque, wo bleiben deine Freunde?« »Dort kommen sie«, sagte der Robotdiener und wies nach Norden. Fünf dunkle Punkte waren über den Hügeln aufgetaucht und kamen rasch näher. »Wir haben Sator Synk beschworen, der FESTUNG fernzubleiben«, erklärte einer der Robotdiener nach der Landung. »Aber er wird sich nicht daran halten.« »Das läßt sich nicht ändern«, murmelte Koratzo bedauernd. »Kommt mit mir. Forinthale, Querllo – wollt ihr mich begleiten?« »Dachtest du, wir würden dich alleine gehen lassen?« fragte Querllo grimmig zurück. »Wir geben euch ein Zeichen, wenn wir Copasallior haben«, sagte der Stimmenmagier zu den anderen. »Zieht euch zurück, sobald es soweit ist.« Auf seine Bitte hin umgaben die sechs Roboter ihn und seine
beiden Begleiter, und im sicheren Schutz ihrer antimagischen Schirme gelangten sie ungehindert bis in die Nähe der FESTUNGs‐ Pyramiden. Koratzo erklärte unterwegs, was jeder von ihnen zu tun hatte. Bevor Koratzo nach dem Weltenmagier rief, schalteten die Roboter die Schirme aus. Sie wichen ein kleines Stück zurück, und die Falle war bereit. Koratzo sandte seine Stimme aus und rief nach Copasallior. »Was willst du?« fragte der Weltenmagier verächtlich. »Ich biete dir einen Handel an«, sagte Koratzo bedächtig. »Ich liefere dir denjenigen, der Malvenia dazu überredete, eine Statue von einem Herrn der FESTUNG anzufertigen, und du sicherst mir dafür zu, daß du die positiven Magier nach ihrem Rückzug unbehelligt in der Großen Barriere von Oth leben läßt.« »Ist eure Position so schlecht?« fragte Copasallior lauernd. »Nein. Wir könnten siegen, und das weißt du auch ganz genau. Aber wir müßten von jetzt an andere Waffen einsetzen, und es würde Tote geben.« »Das wollt ihr Narren natürlich vermeiden.« »Ich wußte, daß du mich verstehen würdest«, meinte Koratzo ironisch. »Und du weißt sicher, daß ich nicht für die anderen sprechen kann. Was nützt dir mein Wort?« Koratzo durchschaute die Ausrede. Copasallior hatte Angst vor einer neuen Konfrontation mit dem Stimmenmagier. »Du wirst für alle sprechen!« versicherte er. Copasallior stieß einen empörten Schrei aus, aber es war bereits zu spät. Koratzos Stimme war über den ganzen FESTUNGs‐Bereich hin zu hören. »Hört mir zu, ihr Magier!« rief er. »Wir ziehen uns zurück, wenn ihr uns in Frieden in der Barriere arbeiten laßt. Wir werden keine Ansprüche mehr auf die Macht in Pthor erheben. Stimmt ihr dem Handel zu?« Unter normalen Umständen wären sie mißtrauisch geworden. Die
positiven Magier hatten sich bisher wacker geschlagen, es gab für sie keinen Grund, gerade jetzt zu kapitulieren. Aber waren diese Positiven nicht seit jeher Narren gewesen? Koratzo hatte oft genug einen sicheren Sieg verschenkt, weil ihm seine Ideale wichtiger waren als alles andere. »Sie stimmen zu«, stellte der Stimmenmagier lächelnd fest. »Der Handel gilt, Copasallior. Von unserer privaten Abmachung brauchen sie nichts zu wissen.« »Du bist mir allzu freigiebig«, murmelte der Weltenmagier. »Ich habe Zeugen mitgebracht«, sagte Koratzo kalt. »Hör zu, Weltenmagier – du kannst mich nicht töten, wie du weißt. Aber ich muß mit dir über diese Sache reden. Sie muß endlich aus der Welt geschafft werden.« Copasallior glaubte plötzlich, genau zu wissen, was mit Koratzo los war. Er materialisierte in der Nähe der kleinen Gruppe, erblickte die sechs Roboter und lachte laut auf. »Duuhl Larx hat euch zu gründlich kuriert, wie?« fragte er kichernd und tat den nächsten Schritt durch das Nichts. Er erschien mitten im Kreis der Maschinen und deutete auf Koratzo. »Seid ihr schon wieder soweit, daß ihr nur pflanzliche Nahrung zu euch nehmt?« fragte er spottend. »Es würde mich nicht wundern, so wie ihr ausseht.« In diesem Augenblick schalteten Sator Synks Robotguerillas ihre Schirme ein, und die drei Magier schlugen mit ihren seltsamen Waffen zu. Niemand in der FESTUNG bemerkte etwas davon. Unbeobachtet von denen, die ihm hätten helfen können, kämpfte Copasallior verzweifelt gegen seine Gegner an, bis seine magische Sperren dem Druck nicht mehr standhielten. Schutzlos stand er da, und Koratzo und Forinthale hüllten seine Sinne in die Zwangsjacke erzwungener Gleichgültigkeit. Innerhalb weniger Sekunden war die Entscheidung gefallen. Folgsam wie ein neugeborenes Yassel ergriff der Weltenmagier auf Koratzos Befehl die Hände der drei Magier und versetzte sich mit ihnen an jenen Ort, an dem die drei Söhne
Odins in totalem Unverständnis ihre bisher so gehorsamen Pthorer beobachteten. Während Querllo den anderen das versprochene Zeichen gab, wandte Koratzo sich an die drei Männer. »Ihr seid frei«, sagte er bedrückt und löste den Bann, den er selbst um sie gelegt hatte. »Wir haben ein böses Spiel mit euch getrieben. Wacht auf.« Sie starrten ihn entsetzt an. Sie erinnerten sich an alles, was in der Zeit ihrer Beeinflussung geschehen war, aber sie waren noch nicht fähig, entsprechend zu reagieren. Sonst wären sie vermutlich mit ihren Waffen auf den Stimmenmagier losgegangen. »Die FESTUNG wird in wenigen Stunden frei sein«, fuhr Koratzo fort. »Die Magier werden sich zurückziehen und nie wieder versuchen, in dieser Form über Pthor zu herrschen. Wir werden uns bemühen, auch die Ugharten zu vertreiben und die Landung neuer Schiffe zu verhindern. Dieses Land braucht jetzt Ruhe und jemanden, der Ordnung schafft. Bleibt hier und wartet, bis die Magier gegangen sind, und dann tretet euer Erbe an.« Er spürte, daß sie ihn gar nicht richtig verstanden. Der Schock, den sie erlitten hatten, war zu groß. Er hätte sich gerne länger mit ihnen beschäftigt und ihnen geholfen, aber er spürte, wie Copasallior sich aus dem Unterbewußtsein gegen ihn und Forinthale wehrte. Sie mußten den Weltenmagier zu Duuhl Larx bringen, ehe sein Zustand kritisch wurde. Er konnte zwar dem Bann nicht mehr entkommen, aber wenn der innere Widerstand zu stark wurde, mußte Copasallior unweigerlich den Verstand verlieren. Die Söhne Odins sahen die Magier verschwinden. Sie warfen scheue Blicke auf ihre Umgebung, sahen sich an, nahmen ihre Waffen und setzten sich wie auf ein geheimes Kommando in Bewegung. Sie gingen nach Süden davon, in jene Richtung, in der Sigurds Lichthaus stand.
* Mit Copasalliors Befreiung fiel die endgültige Entscheidung. Koratzo nutzte die kurze Zeitspanne, die der Weltenmagier brauchte, um sich von der Behandlung durch den Neffen zu erholen, und schöpfte neue Kraft aus den Reservoiren der Berge von Oth. Danach waren sie gemeinsam kaum eine Stunde lang ununterbrochen damit beschäftigt, einen Magier nach dem anderen seiner Sperren zu berauben und ihn dann nach Oth zu schicken, wo Duuhl Larx bereits auf neue Opfer wartete. Nach Ablauf der ersten Stunde waren nur noch einige wenige Magier frei, und weil ihre Kräfte nachzulassen begannen, holten Copasallior und der Stimmenmagier sich Verstärkung aus der Barriere. Mehr als ein Dutzend Zugors war mittlerweile unterwegs und beförderte weitere Magier in die Tronx‐Kette, und knappe vier Stunden nach der Auseinandersetzung in der FESTUNG war ganz Pthor frei von denen, die nichts als Furcht und Schrecken um sich herum verbreitet hatten. Nur knapp vier Wochen lang hatten die Magier von Oth über Pthor geherrscht. Dennoch würde es lange Zeit dauern, bis die Bewohner des Landes vergessen konnten, was in diesen wenigen Wochen geschehen war. Koratzo und Copasallior wußten das, und sie ahnten, daß es besser war, wenn vorerst kein Magier sich außerhalb der Barriere blicken ließ. Sie mußten versuchen, ihre Schuld zu begleichen, und sie bekamen schon bald Gelegenheit dazu. Die Ugharten schlugen Alarm und meldeten dem Neffen Thamum Gha, daß die Magier plötzlich und unerwartet ihre Meinung geändert hatten. Der Herrscher des Guftuk‐Reviers bewies ein für einen Neffen des Dunklen Oheims bemerkenswert hohes Maß an Selbstbeherrschung. Er tobte nicht erst lange herum, wie Duuhl Larx es getan hätte, sondern schickte einige Organschiffe aus und erteilte den Ugharten den Befehl, in Pthor nach dem Rechten zu sehen. Er
befahl, daß man einige Magier fangen und nach Lamur bringen solle, damit er sich selbst von der Veränderung überzeugen konnte, die mit diesen Leuten geschehen war. Mit einem Organschiff dauerte die Reise von Lamur nach Pthor nur wenige Stunden. Wie dunkle Schatten stießen die Raumer durch den Wölbmantel und senkten sich der FESTUNG entgegen. Das geschah, als Koratzo und Copasallior gerade nach Oth zurückkehrten. Ungefähr in diesem Augenblick erreichten auch Sator Synk und Leenia, Kolphyr, Koy, Bördo und Fenrir die FESTUNG. Sator Synk war schlechter Laune, und sein Zorn wuchs noch, als er feststellte, daß der Kampf der Magier bereits vorüber war. Die Robotguerillas hatten sich strikt geweigert, ihre organischen Gefährten auf ihren metallenen Tentakeln zur Kampfstätte zu befördern. Sie hatten zu Fuß gehen müssen und waren daher zu spät gekommen. »Wenn das die Magier wüßten!« fauchte Synk seine Roboter an. »Sie würden euch die metallenen Eingeweide verbiegen, das schwöre ich euch. Sie ohne meine Unterstützung zu lassen!« »Die Magier wollten es so«, erklärte Diglfonk ungerührt. Er war so etwas wie der Sprecher der Robotguerillas. »Du wärst ihnen nur hinderlich gewesen.« Sator Synk schleuderte einen Stein nach dem Roboter. Diglfonk wich geschickt aus. »Ich sollte diese Bande nach Orxeya zurückschicken!« sagte er zu seinen Begleitern. Leenia seufzte leise, und Bördo lachte. Sator Synk warf dem Jungen einen bösen Blick zu. »Was nun?« fragte er herausfordernd. »Es ist kein Magier mehr zu sehen. Ich möchte wirklich wissen, warum keiner von diesen Kerlen es für nötig gehalten hat, zu uns zu kommen und mit uns zu reden.« »Sie hatten Wichtigeres zu tun!« vermutete Bördo lächelnd. »Ah, meinst du? Aber unsere Roboter haben sie einfach für ihre
Zwecke benutzt – ohne Gegenleistung. Sie müssen doch wissen, was in ihrer Barriere inzwischen geschehen ist. Sicher haben sie das fremde Raumschiff längst untersucht. Sie hätten uns sagen können, wer damit nach Pthor gekommen ist. Wir hätten uns den weiten Weg sparen können …« »Still!« sagte Kolphyr plötzlich mit seiner hellen Stimme. »Hört ihr das nicht?« Ein dünnes Pfeifen drang aus dem Himmel herab. »Organschiffe!« stöhnte Sator Synk auf. »Das hat uns gerade noch gefehlt. Sie kommen zur FESTUNG. Wir sollten verschwinden, solange wir noch Zeit dazu haben.« »Nein«, widersprach Leenia sanft. »Wir werden nachsehen, wo sie landen und wen sie herbringen. Wir müssen es wissen, oder hast du vergessen, welche Aufgabe du dir und deinen Robotguerillas gestellt hast? Wie willst du für die Freiheit von Pthor kämpfen, wenn du kaum weißt, wie der Gegner aussieht? Wir haben noch keinen einzigen Ugharten zu Gesicht bekommen, wir kennen nur den Namen ihres Volkes.« Der Orxeyaner brummte etwas Unverständliches vor sich. Die Organschiffe sanken mit atemberaubender Geschwindigkeit. Es waren sechs, und für einige Sekunden hingen sie wie eine gigantische, häßliche Traube über der FESTUNG. Dann strebten sie auseinander, und fünf von ihnen orgelten wie ein Orkan in verschiedene Richtungen davon. Das sechste setzte zur Landung an. Wenn es seinen Kurs nicht im letzten Augenblick noch änderte, müßte es westlich von den Pyramiden mitten in den mühsam wieder hergerichteten Parkanlagen herunterkommen, in gefährlicher Nähe zu Sator Synks Gruppe. Sie rannten auf die Pyramiden zu, und endlich schienen auch die Roboter zu begreifen, denn sie schossen auf ihre Schützlinge zu, rissen sie vom Boden hoch und rasten mit ihnen davon. Dann war das Organschiff heran und setzte auf. Büsche und Bäume brachen unter seinem Gewicht, Erde und Pflanzenteile
flogen durch die Luft. Dann öffnete sich die Schleuse, und die ersten Ugharten kamen zum Vorschein. Sie waren schwer bewaffnet. Einer von ihnen bemerkte eine schwache Bewegung hinter einem Gebüsch und riß die Waffe hoch. Ein breiter Energiestrahl verwandelte das Gebüsch samt dem Dello, der sich zitternd und bebend dahinter verborgen gehalten hatte, zu Asche. »Diese …«, hob Sator Synk wütend an, denn sie waren noch immer nahe genug, um alles genau beobachten zu können. Der Roboter, der den Orxeyaner trug, hielt seinem Schützling den Mund zu, denn wenn Synk wütend war, pflegte er mit einer Lautstärke zu brüllen, die in diesem Fall mit Gewißheit nicht angebracht war – die Robotguerillas wußten das aus Erfahrung. Es hätte diese Vorsichtsmaßnahme jedoch nicht bedurft, denn es geschah etwas, was selbst dem Rauhbein aus Orxeya für geraume Zeit glatt die Sprache verschlug: Die Ugharten bewegten sich abrupt immer langsamer. Ihre Beine hoben sich mühsam, als müßten sie durch meterdicken Schlamm waten. Sie taten noch zwei oder drei schwerfällige Schritte, dann erstarrten sie völlig. Wie häßliche, schwarze Standbilder umgaben sie die Schleusenrampe des Organschiffs, und da sie mitten in der Bewegung erstarrt waren und in den absonderlichsten Stellungen verharrten, bot sich den Beobachtern ein wirklich seltsames Bild. »Das waren bestimmt die Magier«, flüsterte Koy der Trommler. Er warf einen schnellen Blick auf Fenrir. Der Wolf knurrte leise, und sein Nackenfell war gesträubt. Sator Synk besann sich keine Sekunde lang. »Näher heran!« befahl er den Robotguerillas. Sie schwebten bis vor die Schleuse des Organschiffs. Als sie in den dahinterliegenden Gang spähten, erkannten sie auch dort Dutzende von Ugharten, die sich wie ihre eigenen Standbilder verhielten. »Unheimlich!« murmelte Bördo. »Wie machen sie das?« »Das ist mir egal«, knurrte Synk. »Wir sollten die Gelegenheit nutzen und die Ugharten ein für allemal unschädlich machen.«
»Könntest du das wirklich?« fragte Leenia vorwurfsvoll. »Würdest du es fertigbringen, diese wehrlosen Wesen zu töten?« Sator Synk blickte lange auf die Ugharten nieder. »Natürlich nicht«, seufzte er schließlich. »Verdammt, die Magier können einem wirklich jeden Spaß verderben. Wie soll man jetzt noch gegen diese Kerle kämpfen?« Er sah Leenias Gesicht und winkte ab. »Laßt uns nach ein paar Yassels suchen. Es bleibt uns ja nichts anderes übrig, als eben doch zur Barriere zu reisen, und ich möchte nicht wieder auf den Großmut dieser Blechbüchsen angewiesen sein.« Die Robotguerillas reagierten nicht auf Synks Spott, sondern setzten sich gutmütig wieder in Bewegung. * In der Barriere von Oth hatte der Neffe Duuhl Larx mittlerweile alles, was an Schwarzschock‐Energie verfügbar gewesen war, in sich aufgesogen. Er fühlte sich stark genug, um es mit jedem Gegner aufzunehmen. Er sah Glyndiszorn, der aufgeregt in die Tronx‐Kette kam, in der sich noch immer die meisten Magier aufhielten. Duuhl Larx hörte, was den Knotenmagier bewegte, und er wunderte sich. In Glyndiszorns Höhlen lag ein Wesen namens Lebo Axton, bei dem Geist und Körper aus irgendeinem Grund, den Duuhl Larx nicht kannte, getrennt waren. Der Körper, der schon bei der Trennung schwere Schäden aufgewiesen hatte, zerfiel laut Glyndiszorn zusehends. Der Neffe registrierte, daß der Knotenmagier in dieser Angelegenheit an Copasallior herantrat, und daß der Weltenmagier Koratzo hinzurief. Sie sprachen kurze Zeit miteinander, dann entschieden sie sich dafür, die Organmagierin Resethe und den Gliedermagier Pyghor auf Axton anzusetzen. Wenig später gellte Opkuls Alarmruf vor Koratzos Wohnhalle auf.
Organschiffe befanden sich im Anflug auf Pthor. Duuhl Larx erlebte die ungeheuren Anstrengungen, die die Magier unternahmen, um die Ugharten zu lähmen, ehe sie sich über ganz Pthor zu verteilen vermochten. Wieder waren es Copasallior und der Stimmenmagier, die letzten Endes die Entscheidungen fällten. Dennoch wartete Duuhl Larx noch ab, denn er wußte, daß einige andere mächtigere Magier nach ihrer Rückkehr in die Barriere in tiefen Schlaf gesunken waren. Sie erwachten einer nach dem anderen. Querllo, den Duuhl Larx als überaus gefährlich einschätzte, ließ sich ohne Widerspruch von Koratzo zu einem Mädchen namens Islar schicken – der Neffe erinnerte sich daran, daß Islar zu seinen ersten Opfern gehört hatte. Islar schien beim Kampf gegen die FESTUNG etwas abbekommen zu haben. Querllo kehrte lange Zeit nicht zurück. Resethe und Pyghor meldeten sich vom Gnorden aus und erklärten, daß sie Axtons Körper am Leben erhalten, aber nicht auf den Weg zur Genesung führen könnten. Daraufhin holte Copasallior den Lichtmagier, und Querllo begab sich, obwohl es ihm offensichtlich widerstrebte, zu dem mysteriösen Körper ohne Bewußtsein. Er kehrte wenig später zurück und behauptete, Axtons Körper für die weitere Behandlung durch die beiden anderen Magier präpariert zu haben. Duuhl Larx stellte in dieser Zeit, in der er still und unscheinbar im Schutz seiner Flammenaura beobachtete, eindeutig fest, daß Copasallior und Koratzo die beiden Magier waren, auf die es ankam. Er schwebte zur Wohnhalle hinab. Einige Magier sahen ihn kommen, aber sie beobachteten ihn ohne Argwohn. »Ich muß mit Copasallior und Koratzo sprechen«, sagte Duuhl Larx. »Wir werden sie rufen«, versprach einer der Magier, und Duuhl Larx kicherte – ganz leise allerdings, damit man es außerhalb der Sphäre nicht hören konnte. Wenig später standen ihm seine beiden neuen Opfer gegenüber.
Er betrachtete sie. Sie wirkten müde und mitgenommen, aber er war sicher, daß sie sich binnen kürzester Frist erholen würden. Nichts weckte die Lebensgeister so nachhaltig wie ein kräftiger Schock. Er glitt näher heran, und die dunkle Aura, das nach außen getretene Übermaß an negativer Energie, hüllte die beiden Magier ein. Sie verloren auf der Stelle ihren freien Willen. Duuhl Larx beobachtete die anderen Magier und sah an ihren Reaktionen, daß sie die Veränderung bemerkt hatten. Er lachte schallend, und ein schauriges Echo hallte durch die Berge nahe der Tronx‐Kette. Einige Magier drohten ihn anzugreifen, aber er befahl Copasallior und Koratzo näher zu sich heran, und sie gehorchten wie Marionetten. »Greift mich nicht an!« warnte Duuhl Larx die Magier. »Ihr erreicht nichts damit. Ich kann diese beiden töten, wenn es mir als notwendig erscheint, aber ich hoffe, ihr werdet euch vernünftig verhalten.« Er sah den alten Howath, der sich durch die Reihen der vor Entsetzen starren Magier drängte. »Was willst du von ihnen?« rief Howath herausfordernd. »Gib sie frei!« Duuhl Larx lachte. »Nein«, sagte er sanft. »Noch nicht. Sie werden mir einen Dienst erweisen. Sie werden bald zurückkehren, denke ich – aber erst, nachdem ich Thamum Gha getötet habe.« Howath schnappte nach Luft und versuchte, etwas zu sagen, aber kein Laut drang über seine Lippen. »Du wirst uns zu einem der Organschiffe bringen, die in der Nähe der FESTUNG stehen!« wandte Duuhl Larx sich an Copasallior. Er widerstand der Versuchung, dem Befehl noch eine Drohung hinzuzufügen. Copasallior würde auch so gehorchen müssen, und für die anderen mußte das Schauspiel noch beeindruckender sein, wenn der Neffe auf gewaltlose Weise sein Ziel erreichte.
Sekunden später standen Copasallior und Koratzo an Bord der HERGIEN. Zwischen ihnen schwebte Duuhl Larx. Er wußte, daß er von der Barriere aus beobachtet wurde und drängte auf schnelles Handeln. Kaum fünf Minuten später war der Widerstand der ungefähr fünfzig Ugharten an Bord überwunden, und die HERGIEN startete in Richtung Lamur. ENDE Weiter geht es in Atlan‐Band 463 von König von Atlantis mit: Die Herren von Dorkh von Peter Terrid