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Die Menschenforscher Ihre Herren sind die Friedensfahrer - drei seltsame Wesen beobachten Perry Rhodan und Kantiran von Robert Feldhoff Perry Rhodan - Extra - Nr. 1 erschienen 24.09.2004
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Sie sind Beobachter, geheimnisvolle Wesen aus den Tiefen des Univer sums. Der Auftrag der drei seltsamen Wesen ist eindeutig: Für die Frie densfahrer sollen sie die Terraner beobachten, sollen Menschen erfor schen. Vor allem aber zwei ganz besondere Menschen: Perry Rhodan, jenen Mann, der die Menschheit vor fast dreitausend Jahren auf den Weg zu den Sternen geführt hat. Und Kantiran, einen jungen Mann, der als Waise auf einem Dschungelplaneten aufwächst, ohne zu wissen, wer seine Eltern ge nau sind. Er weiß nur, dass seine Mutter eine Frau vom Planeten Arkon war und sein Vater ein Terraner von der Erde. Das macht ihn zum Misch ling – und das in einer Zeit, in der sich die Sternenreiche der Arkoniden und Terraner argwöhnisch belauern. In dieser Zeit zu Beginn des 14. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeit rechnung – das entspricht dem Ende des fünften Jahrtausends »unserer Zeit« – stehen die bewohnten Planeten der Milchstraße vor großen Umwäl zungen. Perry Rhodan, der die Menschheit im 21. Jahrhundert ins All ge führt hat, will die Unabhängigkeit der Liga Freier Terraner verteidigen. Und Bostich I., der Imperator von Arkon, will seine Macht immer mehr auswei ten. Die drei Beobachter verfolgen das Geschehen in diesen Tagen und Jah ren. Sie sind Gesandte eines Friedensfahrer, und sie sind DIE MEN SCHENFORSCHER …
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1.
Der Androide betrachtete mit liebenswürdiger Miene seine zwei Schick salsgefährten, die mit einer Wahrscheinlichkeit von etwas über neunzig Prozent ihr Leben verlieren würden. So wie er selbst. »Mein Name ist Fir mian Oreche«, sprach er zu seiner Mannschaft wider Willen. »Wir werden soeben an Bord einer OREON-Kapsel in einer Galaxis ausgesetzt, die wir als ›Milchstraße‹ bezeichnen.« Die Umgebung, vorher ein gestaltloser Nebel, verfestigte sich vor sei nen Augen. In Wahrheit wurde ihm nun gestattet, mehr zu sehen, und der posthypnotische Sinnesfilter verlor endlich seine Kraft. Die Wände der Zentrale waren aus einem Material gefertigt, das aussah wie hellgrünes Glas. Jeder Quadratzentimeter schien von Millionen hauch feinen Rissen durchzogen. Er wusste, dass die Kapsel in etwa tropfenförmig konstruiert war. Fir mian Oreche kannte aus der Hypnoschulung jeden einzelnen Raum. Die zwei Wesen vor ihm – die gelbe Telepathin hockte in der Ecke der Zentrale, der Geist schwebte körperlos – überschütteten ihn sofort mit Be schimpfungen, als er nur für eine Sekunde innehielt. Oreche störte das kein bisschen: »Die Milchstraße ist unter anderem die Heimat eines Volkes, dessen Angehörige sich selbst als ›Terraner‹ be zeichnen. Sie gelten allgemein als eine Art bevorzugtes Volk. Die Frie densfahrer haben sich ihnen nie zu erkennen gegeben, haben immer nur beobachtet. Und exakt diese Beobachtung setzen wir drei ab heute fort.« Mit einem Mal erwachte das Interesse der kleinen Humanoiden. Geydana Gu war die Distanz-Telepathin: eine kleinwüchsige, gelbhäuti ge Frau, besser gesagt eine Xhan-Zwergin, deren Spezialität darin lag, über extreme Entfernungen Informationen zu sammeln. Gu schien zu be greifen, dass sie in der OREON-Kapsel nicht massakriert werden sollte, jedenfalls nicht sofort und ganz gewiss nicht von Oreche. »Immer nur be obachtet? Nie ein Kontakt? Wieso das?« Ihre Augen waren riesengroß. Wenn es etwas an ihr gab, was besonders aussah, waren es die Xhan-Au gen. Firmian Oreche hob dozierend ein Fingerpaar. »Die Gründe sind kos mologisch …« »Aha!« »… der Kosmos ist aufgeteilt in die Kosmokraten, die für die Ordnung stehen, und die Chaotarchen, die für das Chaos stehen. Aber es gibt eine Menge Grauzonen dazwischen. Diese Bereiche nennen wir schlicht ›das Leben‹. Das Leben nimmt, universell betrachtet, mehr Eingriffe in kosmi sche Abläufe vor, als es die Kosmokraten oder Chaotarchen mit ihren Hel
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fern und Helfershelfern könnten. Wegen seiner Allgegenwart … Die Ter raner haben erst vor kurzem begriffen, dass auch sie zum Leben an sich gehören. Nicht zu den Ordnungs- oder Chaosmächten. Seitdem werden sie für die Friedensfahrer interessant.« In Oreches Kopf erklang mit einem Mal eine mentale Stimme. Eine Art stimmloses Brummen. »Und was haben wir damit zu tun?« Es war Phasodes Stimme. Das Wesen besaß keinen Mund und keinen Körper. Ein leuchtendes Feld, geformt wie ein großer Totenkopf, war das Zeichen seiner Gegen wart. Phasode war ein Streicher aus dem Volk der A'agorthi. Die Anwe senheit eines Geistes galt als großer Vorteil: Man konnte nicht oft welche finden, und noch seltener gelang es, sich ihrer Hilfe zu bedienen. Firmian Oreche konnte sich denken, dass es in beiden Fällen nicht ganz freiwillig geschehen war. Aber was auch hinter Gus und Phasodes Mitar beit steckte, er wollte es gar nicht wissen. »Was haben wir damit zu …« »Ja, ja«, unterbrach Oreche die Frage. »Ich habe dich gehört!« »Dann antworte mir jetzt, Leiblicher.« »Unser Dienstherr«, sagte er schnell, »ist der Friedensfahrer Chyndor. Chyndor will, dass wir mit der OREON-Kapsel so viel Informationen sammeln wie nur möglich. Die Friedensfahrer glauben, dass in einer Nachbargalaxis der Milchstraße eine Negasphäre entstehen wird. Der Na me der betroffenen Galaxis lautet Hangay. Kosmologisch gesehen kommt das einer Katastrophe gleich: Wenn es wirklich geschieht, werden sämtli che Galaxien im Umfeld zu einer Domäne des Chaos. Dazu zählt – un glücklicherweise – auch die Milchstraße.« Geydana Gu und Phasode lachten fast zugleich. »Wieso Katastrophe?«, fragte Gu. »Lass uns hier verschwinden, und wir bekommen es nicht einmal mit!« »Das«, sagte Firmian Oreche mit äußerstem Bedauern, »ist leider nicht möglich.« Die gelbe Gu beschwerte sich: »Bah! Wieso?« »Der Friedensfahrer Chyndor, den ich erwähnte, wünscht vollständige Aufklärung über die Ereignisse in der Milchstraße. Normalerweise wirkt in dieser Galaxis die Superintelligenz ES. Wir wissen aber, dass ES derzeit mit unbekanntem Ziel verschwunden ist. Möglicherweise wegen der Ne gasphäre. Man nimmt als sicher an, dass die Chaosmächte sich eine Nega sphäre nicht entgehen lassen. Sie werden rings um Hangay tätig werden, und dazu gehört die Milchstraße. Aber das ist nicht mal das Schlimmste …« »Sondern?«, brummte Phasode unhörbar. »Das Schlimmste ist, dass die Milchstraße in kurzer Zeit in den Bann
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der erhöhten Hyperimpedanz geraten wird.« Geydana Gu hob die Hand, Aufmerksamkeit heischend, mit einem schnellen Blick zu Phasodes Spektral-Abdruck. »Hyperimpedanz?« Der Androide spottete freundlich: »Ich hätte mir denken können, Gu, dass du keine Ahnung hast.« Sie verzog ihr gelbhäutiges Gesicht in einer Weise, die Firmian Oreche Angst machte, sie könnte den Verstand verlieren. Allerdings hatte er keine Wahl, als auf Geydana Gu zu bauen. Chyndor war ein Friedensfahrer mit einer moralischen Mission; und sie waren gar nichts gegen ihn. Wenn Chyndor sagte, er brauche Informationen, war das auch so. »Hör zu, Gu: Du wirst alles über die Hyperimpedanz erfahren, was dich interessiert. Aber nicht von mir.« »Sondern?« »Im Rahmen deiner ersten Mission. Die Recherchen im Vorfeld legen nahe, dass ein Individuum mit Namen ›Kantiran‹ die Zukunft in einem er heblichen Maß mitbestimmen wird.« »Kantiran.« Geydana Gu verzog missbilligend das Gesicht. »Das hat keinen Klang. Hat keinen Stil, das sagt mir gar nichts. Eigentlich interes siert's mich nicht einmal. Wer ist das?« Firmian Oreche feixte, als er den glimmenden Funken in Gus riesen großen Augen sah. Er hatte sie. »Ich sage ja: eine wichtige Persönlichkeit, auch wenn das momentan noch keiner wissen kann. Du, Geydana Gu, wirst dich ab sofort in deine telepathische Trance begeben und Kantiran observieren. Ich garantiere, deine Protokolle werden Bit für Bit dem Friedensfahrer Chyndor zugelei tet. Als Tätigkeitsnachweis.« Gu und Phasode waren nicht aus freien Stücken hier, sondern durch ei ne Art von Zwang oder Handel. Vielleicht waren sie beide Verbrecher. Wahrscheinlich sogar. Wenn sie aber ihre Arbeit taten, sollte Chyndor es erfahren, das war wichtig. »Wie stehen eigentlich unsere Aussichten, das Ganze hier zu überle ben?« Oreche richtete seinen Blick auf Phasode, den Geist, den Spektral-Ab druck. »Nicht sonderlich gut«, räumte er ein. »Erstens wird die Hyperimpe danz steigen, und Chyndor glaubt, dass im Zuge dessen eine Katastrophe passiert. Welche das ist, weiß ich nicht. Wir protokollieren sie jedoch, wenn wir so lange durchhalten. Zweitens erwartet Chyndor, dass die Cha osmächte rings um Hangay tätig werden. Das könnte auch uns betreffen.« »Du meinst, sie jagen uns?«, fragte Gu.
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»Wenn sie uns finden«, schränkte Oreche ein. »Natürlich finden sie uns.« Firmian Oreche holte tief Atem. Was sollte er darauf sagen? Er straffte sich und widmete seinen Gefährten einen strengen Blick – statt noch mehr zu reden. »Geydana Gu, mach dich bereit. Ich erwarte in Bezug auf Kantiran den ersten Bericht.« Oreche führte die Zwergin in die Heck-Sektion der OREON-Kapsel, in die Kammer des Schlafs, die bis zum letzten Polster auf Geydana Gu und ihre Bedürfnisse optimiert war. Gu legte sich nieder, warf Oreche einen letzten anklagenden Blick zu – und verdrehte die Augen. Der Körper lag still. Oreche begriff, dass ihr Geist den Leib verlassen hatte, in Sachen Kantiran. Er selbst blickte auf das Hologramm der Milchstraße. Seine Aufgabe lag darin, Gus Arbeit maschinell zu unterstützen. Eine Kleinigkeit, wenn man die Möglichkeiten einer OREON-Kapsel zur Verfügung hatte. Firmi an Oreche ließ Gu in ihrer Kammer liegen und wandte sich Richtung Zen trale. »Und was tue ich?« »Du?« Oreche schrak auf, als der spektrale Abdruck neben ihm sichtbar wurde, mitten im grünen Korridor. »Du übst dich in Geduld. Deine Stunde kommt noch.«
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2. Spätsommer 1322 NGZ
Planet Creiff
»Wie viele Sterne gibt's eigentlich?« Mein Pflegevater neigte den haarlosen Kopf; Weigel mochte neugierige Jungs. »Unendlich viele, Kantiran!« »Mehr als zehntausend?« »Viel mehr. Man kann am Himmel aber nur ein paar tausend sehen, we gen der Atmosphäre.« Ich versuchte, mir eine grenzenlose Zahl vorzustellen, nickte und gaffte trotzdem ratlos zu den Sternen hoch. »Arkon und sein Reich«, schwärmte Weigel, das furchige Gesicht zum Himmel gekehrt. »Das ist alles unsere Heimat. Das Kristallimperium, Mil lionen Raumschiffe, Milliarden Raumfahrer. Ach, was sag ich, Junge …« Er legte mir eine Hand schwer auf die Schulter. »Du sollst mal alle Chan cen haben. Eines Tages verlässt du den ganzen Mist hier und lernst die Schulen des Imperators kennen.« »Ich geh nirgendwo hin! Bestimmt nicht nach Arkon.« Creiff war kein »ganzer Mist«, sondern mein Universum. Die Urwälder und die Farm, meine Freunde und die Schule in der Stadt. »Junger Mann«, sagte Weigel streng, »du bist ein Arkonide. Wenn das Imperium ruft, wirst du dem Ruf Folge leisten.« Ich duckte mich. Weil ich wusste, was gleich kommen würde. »Ich bin kein Arkonide. Ich bin ein Bastard.« Weigel zuckte mit der Hand. »Ein was? Woher hast du das Wort?« »Aus der Schule. Weil ich halb Arkonide, halb Terraner bin.« »Terranisches Blut ist kein Makel«, belehrte er mich aufgebracht. »Denk dran, es kommt auf die Treue zum Imperium und zum Imperator an. Du bist …. Ach, ich will das Wort nie wieder hören!« »Ja, Weigel.« Ich zählte noch mal die Sterne. Ihr Glitzern tauchte den Hügel, der hin ter unserem Farmhaus stand, in ein ungewisses frühabendliches Zwielicht. Bei hundert verlor ich den Faden. Aus dem Lichtergleißen löste sich ein Fleck, der mit unglaublichem Tempo über den Himmel düste. »Sieh mal, Kantiran! Ein Komet.« »Terraner dürfen sich dann was wünschen.« »Was hast du mit deinen Terranern immer?« »Wir behandeln das derzeit in der Schule.« Ich streckte eine Hand aus und griff spielerisch nach dem Sternenlicht.
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Es rutschte mir zwischen den Fingern durch. »Sind meine Eltern auch da oben?« »Klar.« »Arachya sagt, ich bin schon zu groß, um daran zu glauben.« »Du bist neun Jahre alt. Was du glaubst oder nicht, schreibt dir niemand vor. Ich sage, sie leben nicht mehr, aber sie sind immer bei uns.« »Wenn ihr mir wenigstens sagen könntet, wer sie waren.« »Hör endlich auf damit! Ich will nicht ständig … Wir haben sie doch selbst kaum gekannt.« »Warum wurde ich dann an euch gegeben?« »Weil niemand anders da war. Und weil Arachya kein eigenes Kind be kommen konnte.« In meinem Kopf gab es keine Erinnerung an ganz früher. Ich stellte mir meine Mutter als überirdisch schöne Erscheinung vor. Oben im Zimmer stand ein unscharfes Holo, das sie mit meinem Vater zeigte, einem Pro spektor von Terra. Mehr besaß ich nicht. Und natürlich das Geld aus Ver sicherung und Erbe. »Kant! Weigel!« Die Stimme meiner Pflegemutter quietschte durch die Hintertür am Schuppen. »Was treibt ihr da draußen? Der Junge braucht seinen Schlaf!« Mit Arachya war nicht zu spaßen. »Kantiran! Um sieben kommt der Gleiterbus zur Schule! Und bring mir meinen nutzlosen Ehemann mit.« »Ohoh!« Weigel fasste meine Hand und grinste wie ein Verschwörer. »Junge, jetzt wird's ernst!« Arachya trug kaum Kleidung, als ich in mein Zimmer hochging. Sie war sehr dick. Aus dem Bett wühlte ich mich durch die Holo-Clips vom Unterricht: Filme über Imperator Bostich und Perry Rhodan, die mächtigsten Männer der Galaxis. Durch mein geöffnetes Fenster drang der Duft von den Fel dern. Der Sommer roch in der Gegend süß und schwer, in den Wochen vor der Ernte, wenn das Creiffgetreide Blüten trieb. Ich hörte Weigels Stöhnen und spitze kurze Laute von Arachya, als sie unten im Ehebett anfingen zu kämpfen, kurz bevor meine Augen zufielen und ich wieder die Sterne sah.
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3. Herbst 1325 NGZ Creiff gehörte zum Agrargürtel des Kristallimperiums, als Kornlieferant für Arkons Flotte. Im Westen standen gigantische Getreidesilos. Schleppraumer bugsierten krachvolle Container Richtung Orbit, zu den Frachterflotten des Imperiums, oder senkten sie ausgeleert in Füllgerüste. Manche Chargen wurden von Springern oder freien Händlern gekauft. Ich betrachtete ihre seltsamen Raumschiffe gern aus dem Gleiterbus. Kühl und erfahren lümmelte ich im Sitz, die Knie an die Lehne des Vor dermanns gepresst; während die Neun- und Zehnjährigen sich an den Scheiben die Nasen platt drückten. »Seht mal, Springer!« – »Die da kommen von Zalit!« – »Dahinten am Transmitter … Sind das Blues?« – »Haha, Tellerköpfe!« – Und so weiter. Die Schule lag weiter im Zentrum. Es war eine Schule für Hochbegabte. Talent und Fleiß waren gewöhnlich mitzubringen. Die zweite Möglichkeit bestand aus Reichtum oder Adelstitel. »He, Bastard!« Einer der Jungs winkte abfällig: Valizon da Taumhol aus edelstem Ge blüt. Er betrachtete mich als eine Art Lieblingsfeind. Valizon war wie ich zwölf Jahre alt, strohdumm – und leider einen Kopf größer. In mir kochte es, als ich aus dem Bus stieg und scheinbar taub, ohne ein Wort zu verlieren, an Valizon vorbei ins Gebäude eilte. »Bastard, ich sprech mit dir!« Nicht mein Problem. Ich war der Einzige im Klassenraum und blieb es bis Unterrichtsbeginn. Bis Valizon mit seinem großmäuligen Auftritt die Klasse ins Zimmer führ te. Er sicherte sich den Platz direkt hinter mir. »Wieder mal der Erste?«, stichelte er. »Halt dein Maul, Val«, erwiderte ich kühl nach hinten. Das ganze Klassenzimmer war ein Meer aus albinotisch roten Augen und weißem Haar, eben arkonidisch. Dazwischen saß ich. Aus der terrani schen Linie hatte ich das dunkle, kräftige Haar, die wasserblauen Augen. Von der arkonidischen Seite stammte die stabile Brustplatte, an Stelle ter ranischer Rippen. Ich hatte sogar Haare zwischen den Beinen, früher als die anderen; was insbesondere Valizon nicht wenig wurmte. Lehrerin Teggira stürmte den Klassenraum. Mit einem strengen Blick sorgte sie für Ruhe. »Wir sehen heute ein Holo über Terra, das gestern über die Trividsender kam. Wer hat gestern schon eingeschaltet?« Sie prüfte vergeblich die Run
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de. Kein gehobener Arm, auch nicht meiner. »Wir lernen eine Menge dar aus, also aufgepasst! – Besonders da vorn, Valizon!« Die Sendung begann mit dem blauen Planeten, den alle Welt als »Terra« kannte. Jener Planet, der ohne Arkoniden nie die Raumfahrt be sessen hätte. Die Welt, von der mein Vater stammte. Im Mittelpunkt der Hauptstadt hing eine majestätische, stählerne Blume in der Luft: die Solare Residenz, Regierungssitz der Terraner. Das Holo zoomte auf eine einsame Gestalt auf einem Balkon. Ich er blickte die dunkelblonden Haare eines Terraners, eine hoch aufgerichtete Gestalt in einem blauen Raumanzug; einen ernsten, in die Ferne des Him mels gekehrten Blick. Der Terraner war Perry Rhodan. Die Kamera folgte seiner Blickrichtung … … und fokussierte auf eine hantelförmige, golden schimmernde Silhou ette, die sich aus dem Abendhimmel zur Stadt herabsenkte. Von hinten kam Gewisper auf. Valizons Stimme mit unterdrücktem Ki chern. »Wer kennt dieses Raumschiff?«, fragte Teggira schneidend scharf. Das Kichern verstummte. Ich hob den Arm. »Das ist die SOL! Ein Spezialschiff von Terra.« Teggira bedachte mich mit einem strafenden Blick. Sie hätte lieber den reichen Valizon gehört. »Richtig, Kantiran. Es heißt, ungenannte Schwierigkeiten haben die Rückkehr von einem Sternhaufen namens Thoregon verzögert. – Was schließen wir daraus … Valizon?« »Dass arkonidische Imperiumstechnik überlegen ist! Terras Schiffe sind Schrott und gestohlen. Die bleiben liegen, wenn's ernst wird.« Lehrerin Teggira lächelte beifällig. »So ungefähr«, lobte sie ihren Lieb ling, dessen Vater die Schule kaufen konnte. Traumhaft! Val sonderte Blödsinn ab, und Teggira lobte ihn. Ein Gleiter der SOL sank über den Balkon, an Bord Expeditionsleiter Atlan und ein Pelzwesen mit einem Nagezahn: Gucky, der Mausbiber. »Jetzt fassen sie gegenseitig ihre Hände an«, wisperte Valizon. »Die Wilden machen das.« Valizon hatte Recht. Rhodan und Atlan schüttelten sich die Hände, vor laufenden Kameras. Atlan war ein Arkonide. Einst war er ein berühmter Imperator gewesen. Heute betrachteten wir ihn als Verräter und Erzfeind des Imperiums. Dann brach die Reportage ab, mit Blick auf den polierten Nagezahn, der Gucky, dem Mausbiber, gehörte. »He, Bastard!«, stichelte Valizon hinter mir. »Du bist doch selbst halb Terraner. Vielleicht machen sie über dich auch mal so 'nen Verräter
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Film.« Was er sonst sagte, rauschte an mir vorbei. Ich drehte mich um, sam melte alle Kraft für einen einzigen Schlag – und donnerte ihm die Faust auf die Nase. Was für ein Anblick! Blut und Knochensplitter, ein völlig verdattertes Gesicht mit zerstörtem Nasenbein, bevor sie mich nach draußen zerrten. Weigel tobte stundenlang, Arachya strafte mich mit kalter Verachtung. Aber Valizon da Taumhol merkte sich, dass ich ein Gegner war. Als hätte ich eine Art Aufnahmeprüfung bestanden, als hätte er genau das ge braucht, einen Schlag auf die Nase. Er vergaß hochherzig die ganze Affä re, und er begann sich mit mir anzufreunden, als seine Nase wieder heil war. Acht Wochen später stand er mit seinem Gleiter in den Hügeln hinter dem Farmhaus. Seine Maschine glitzerte wie Gold und Howalgonium. Hinten im Fond lümmelten zwei dreizehnjährige Freunde. »Spring rein, Kant! Das da sind Kachod und Tam, mach schon!« »Wohin geht's denn?« »Kleiner Abstecher«, meinte Valizon tückisch. »Tam ist seine PlophosKatze weggelaufen. So ein blaupelziges Vieh. Er glaubt, sie versteckt sich im Urwald.« Dem Kerl namens Tam war anzusehen, dass ihn gar nichts kümmerte, erst recht nicht eine Katze. »Moment mal, Val«, wehrte ich ab, »meint ihr den Isolierten Wald?« »Kennst du noch 'nen andern?« »Mein Pflegevater sagt, da drin gibt's Crochen.« »Pff! Dein Pflegevater ist Farmer. Die haben vorm eigenen Schatten Angst. Wenn du dich allerdings nicht traust …« Meine Beine bewegten sich von allein, während der Kopf noch versuch te, Vernunft zu üben. Tams Katze war überall, bloß nicht im Urwald, das war mir klar. Ein wütender Laut, ein Satz, dann saß ich im Gleiter. Vali zon gab Energie, bis die Kiste auf hundert Meter war, und düste Richtung Norden. Tief unten zog eine Staffel Ernteautomaten konzentrische Kreise. Mit tendrin in einer alten Steuereinheit saß Weigel; Valizon hielt direkt auf ihn zu. »Lass das bleiben! Wenn er was spitzkriegt …« Valizon deckte schnell seine Nase ab. Er lachte und drehte bei, über die nahe Stadt und den Hafen, über den Fluss Richtung Waldgebiete. Der Flug dauerte nicht lange. Was wir als Isolierten Wald kannten, be gann dreihundert Kilometer westlich der Stadt, jenseits einer Serie von Bä chen und Wasserfällen. Valizon ließ die Maschine kreisen. Neugierig starrten wir auf schildartig verschlossene, nie berührte Wipfel.
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In der Mitte ragte eine Art Monolith ins Freie. Der Felsen schimmerte weiß und war zum Landen ideal. »Val!« »Längst gesehen! Hältst du mich für blöd?« Eine Melange aus Tierlauten, bittersüßen Düften und schwülwarmer Luft fing uns ein. Es roch nicht mehr nach Farm, es roch wild. Ein schmie riger Film aus Pollen und Schweiß setzte sich aufs Gesicht; meine Achseln nässten unangenehm. Ein Wesen, das die Kraft eines Dozers besitzen mus ste, brach in Hörweite durch feuchtes Unterholz. Kachod und Tam trampelten unbekümmert vom Monolithen in Rich tung Baumgrenze. »Scheikha, Scheikha!«, brüllte Tam in den Wald. »Scheikha ist seine Katze«, informierte mich Valizon flüchtig. Er brach te einen Bund Niederfrequenz-Schockersticks zum Vorschein. »Die dürfen nur Polizisten haben!« »Mein Vater erhält immer welche. Er braucht sie beim Ausreiten. Vor sicht, fass nicht vorn an die Spitze.« »Dein Vater quält Tiere mit so Zeugs?« »Na ja … er reitet sie.« Mit spitzen Fingern fasste ich den Stick an. Kachod und Tam zwängten sich durch eine Mauer aus Ästen ins Unter holz. Valizon folgte dick und polternd. Was blieb mir übrig? Ein Blick zu rück zum Monolithen, einer nach vorn auf die grüne geheimnisvolle Wand. Ich bog die Äste weg und schob mich nach vorn in ein schwitziges Mikroklima, das mir den Atem nahm. »Hier hinten wird's lichter, Kant!« »Was ist mit Scheikha?« »Was wohl? Wahrscheinlich ist sie längst Futter!« Ich blickte mich besorgt um. Valizon schlug mit dem Schockerstick nach einem Vogel, der vorüber huschte. In einem Baumstumpf siedelte ein Schwarm Flügelkäfer. Sie tru gen durch das Einflugloch Pollen in den Stumpf. Tam lachte, grub mit den Fingern im feuchten Boden und klatschte mit einem Batzen Lehm ihr Loch zu. »Du Idiot, was soll das?«, fuhr ich ihn an. »Was wohl?«, blaffte er zurück. Ich suchte mir im Unterholz einen abgebrochenen Ast. Mit der Spitze kratzte ich den Lehm aus dem Loch, während die Käfer wie Funkenregen den Stock umschwirrten. Sorgfältig legte ich ihren Zugang frei. Im selben Moment erfüllte ein fauchender, sich aufschaukelnder, allge genwärtiger Laut den Wald. Das Geräusch schien aus einem Dutzend Richtungen zu kommen.
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Dann eine Art ersticktes Wimmern, die Stimme Tams, und ein schwa ches Zischen, das von Valizon stammte: »Kant!« Kaum hörbar im Fau chen des Waldes. Ich richtete mich vorsichtig auf. Den Stock noch in der Linken, rechts den Schockerstick, bog ich die Äste beiseite. Valizon, Kachod und Tam standen nebeneinander auf einer Lichtung. Alle drei glotzten in dieselbe Richtung. Aus der Blätterwand glimmerten schlitzförmige rote Augen – in drei Metern Höhe! Die zugehörigen Körper offenbarten sich schattenhaft. Dunkle ungewisse Flächen hinter Blattwerk. Für einen Moment drehte der Wind. Mit der Nase sog ich einen schar fen Geruch ein. Dann kamen sie raus, lautlos, ohne das trippelnde Geräusch von Tatzen oder Läufen, denn sie schwebten. Es waren Crochen. Ihre Körper besaßen die Masse von Naats, ihre braun geschuppten Häute hatten die Festigkeit von Lederpanzern. Die Mäuler erinnerten an Reptilien. Die lang gestreck ten Schwänze dienten als biologische Abstoßvorrichtung. Crochen schwebten mit Hilfe eines geheimnisvollen Levitationsorgans. Ihre Fänge besaßen eine gewaltige Kraft. Valizon brachte seinen Schockerstick in Anschlag. »Stopp!«, zischte ich ihn an. »Mach sie nicht wütend!« »Ich hab nicht …«, stammelte Valizon, »ich dachte … dachte, die gibt's gar nicht!« »Sei still!« Nach allem, was ich wusste, waren wir praktisch tot. Die glühenden Augen machten mich fertig. In meiner Nase hing ein Geruch wie Blut und Aas. Ich fasste mir ein Herz, in einem für mich selbst unbegreiflichen Im puls, trat offen aus der Deckung – und ging den Crochen entgegen. Mit trancehaften Bewegungen schob ich mich nach vorn. Schrittweise auf das Leittier zu, ich glaubte, ihre Aura wie eine geheimnisvolle Elektri zität zu spüren. Etwas war falsch. Crochen waren Tiere, Killer, und der Geifer tropfte nicht zum Spaß von ihren Fängen. Es gab keine Aura. Trotzdem reagierte ich, ich saugte die Frequenzen ein, erkannte hinter glühend roten Augen etwas, das nicht Raubtier war, sondern mich ver stand. Winzige vorsichtige Schritte. Der Herde entgegen. »Nicht, Kant!« Das Leittier fixierte mich endlos lange. Ich neigte vor ihm den Kopf, ordnete mich unter – und vernahm erleichtert das dunkle enttäuschte Knurren, mit dem es mir das Leben schenkte. Die Crochen schwebten zurück in den Wald. Nur ein sehr junges Exem
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plar blieb da. Der Kleine war so groß wie ich. Aus seinem Rachen drang ein weiches leises Geräusch, das klang wie ein gedämpftes Torm. Ein guter Name, dachte ich plötzlich … Torm. Noch mal der tiefe dumpfe Knurrlaut, den ich diesmal als Befehl identi fizierte, und Torm schwebte lautlos rückwärts. Hinter ihm schloss sich die Wand der Blätter. Ich atmete auf und lachte erleichtert. Mit dem Handrücken wischte ich mir die Wangen trocken. Drei rote tränende Augenpaare starrten mich an wie einen Sternengott. Die drei Jungs weinten nicht, denn die Tränen waren eine Eigenheit der Arkoniden. Starke Erregung stimulierte unsere Tränendrüsen; selbst bei mir als Mischling. »Wie hast du das gemacht, Kantiran?«, fragte Valizon entgeistert. »Was denn?« »Hast du mit den Viechern geredet oder was?« »Ach was, wie kommt ihr …?« Ich verstummte plötzlich. Valizon war ohne Zweifel ein Idiot, aber er hatte Recht. Wie hatte ich das gemacht? Kachod verkündete: »Den nehmen wir nie wieder mit!« »Mein Vater kennt den Tato«, fügte Tam hinzu. »Wieso sind Crochen eigentlich nicht ausgerottet? – Hätten wir nicht die hier gehabt …« Er prä sentierte seinen Schockerstick wie ein Jäger sein Impulsgewehr. Ich konnte es nicht fassen. Reiche dumme Essoya, alle drei! Als wir uns vom weißen Monolithen zurückzogen, wie durch ein Wun der unbeschadet, fest entschlossen, niemals wieder den Isolierten Urwald aufzusuchen, hörte ich ein fernes lockendes Torm. Aus dem Regenhimmel stürzte ein pulsierendes Licht. Keineswegs ein Frachter, stattdessen ein Kreuzer des Imperiums, eine fabrikneue, hochmo derne Kugeleinheit mit molekular polierter Hülle. Die untere Polrundung trug das kistallimperiale Emblem. Aber das Beste war: Der Kreuzer hielt direkt auf Weigels Farm zu. Über einem gemähten Feld kam die hundert Meter messende Kugel zur Ruhe. Die Sturmbö, die mit ihrer Landung ver bunden war, peitschte mir schmerzhaft das Haar in die Augen. »Kantiran!« Arachya eilte mit einem Schrei aus dem Haupthaus. Aus dem Silo kam Weigel gerannt, mit derselben Sorte Panik. Er und Arachya stellten sich vor mich. Es fing intensiv nach Ozon zu riechen an. Eine Polschleuse stand plötz lich offen. An Arachyas dickem Leib vorbei verfolgte ich einen Gleiter, der sich ins Freie senkte und mit der Gewalt einer Kanonenkugel abging. Es gab solche Maschinen auf Creiff nicht. Nicht einmal Valizon hatte eine. Zwei helle wehende Haarschöpfe, ein gewaltiger Mann und eine Frau, da waren sie schon bei uns.
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Ich hatte nie eine so schöne Frau gesehen. Ihre Augen hatten das rein blütige Rot des Hochadels, ihre Haut war braun und makellos wie Mehin da-Samt. Sie besaß die hochgewachsene, herrische Erscheinung einer Her zogin. Als sie aus dem Gleiter stieg, traf Weigel und Arachya ein Blick von bestürzender Kälte. Ich sah meinen Pflegevater beiseite weichen wie ein Knecht. Dann stand ich vor der Frau allein. Ich rammte meine Füße in den Bo den und blieb trotzig stehen, bis sich das Eis in ihrem Blick zu Interesse umformte. Sie war zwanzig Jahre älter als ich. Oder so ähnlich. Sie kam mir be kannt vor, aber ich konnte ihr Gesicht nicht zuordnen. Ihr schulterlanges weißblondes Haar war wunderschön, ihr Gesicht zeigte eine selten erblickte, unwirkliche Perfektion. Ich bewunderte sie von der ersten Sekunde an. Die Arkonidin trug eine weiße Uniform ohne Rangabzeichen. Was wiederum hieß, sie brauchte so was nicht; also mus ste sie von hohem Stand oder Rang sein. In ihrem rechten Beinhalfter be merkte ich eine exotisch aussehende Waffe. »Eine Strega, Modell 2001-KNK«, erläuterte sie mit kühler Stimme. »So eine wirst du hier …«, ihre Geste umfasste abfällig Farm und Planet, »… zweifellos nicht finden. Mein Name ist Ascari. Und du musst Kantiran sein.« »Ja, Zhdopan!« Zhdopan, Erhabene – Ausdruck der Hochachtung und Anrede für alle Adligen. Ich wartete ab, ob sie meine Anrede korrigierte, um daraus Schlüsse über ihren Stand zu ziehen. »Steig in den Gleiter! Ich will sehen, wie du hier lebst.« »Kommt Ihr deswegen mit einem Kreuzer her? Das kann wohl nicht stimmen!« »Doch. In den Gleiter!« »Wozu soll ich denn …« »Ich bin eine alte Bekannte deiner Eltern.« Mit einem Mal wurde es still. »Bitte was?«, flüsterte ich. »Ich bin sicher, du hast mich verstanden.« In dem Moment schob sich Weigel vor. »Das werde ich nicht erlau ben!«, widersprach er lahm. »Der Junge ist noch nicht so weit!« Was meint er? Weigel hatte stets behauptet, über das Leben und den Tod meiner Eltern nicht Bescheid zu wissen. Dass da mehr sein musste, konnte ich mir den ken. Irgendein Geheimnis. Tausendmal hatte ich darüber nachgedacht, im mer ohne Ergebnis. Aber dieses Mal … Seine Worte hörten sich an, als gebe es einen geheimen Plan, von dem ich als Einziger nichts ahnte.
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Ascari achtete kaum auf Weigel. Ein kleiner, fast unmerklicher Wink nach hinten – und der gewaltige Mann mit dem dünnen, vom Niesel feuch ten Haar schob sich zwischen mich und Weigel. Seine Geheimratsecken ragten wie tiefe Buchten zum Hinterkopf. Die Wangenknochen standen brutal hervor. Seine buschigen weißen Brauen wuchsen über der Nasen wurzel zusammen, die Haut wirkte beinahe grau. Wirklich verstörend aber waren die vollkommen weißen Augäpfel des Mannes. Seine Wimpern be wegten sich nicht ein einziges Mal. Als wäre er ein Roboter. »Das ist Shallowain. Ich erwarte von dir, Weigel, dass du deine Bewer tungen für dich behältst. Shallowain wird andernfalls dafür sorgen, dass du nicht meine Zeit verschwendest.« Ascari streckte eine Hand aus, deutete auf den Gleiter – und fixierte mich durchdringend. Weigel rückte mit gesenktem Haupt beiseite. Ich suchte Blickkontakt, aber er starrte nur den Boden an. Mit einem für mich selbst fremden Gehorsam setzte ich mich in Bewe gung. Nervös stieg ich hinten in den Gleiter, Ascari setzte sich neben mich. Der Riese mit den weißen Augen übernahm den Pilotensitz. »Cel'Orbton«, kommandierte sie, »zur Hauptstadt!« Und dann ging der wilde Ritt ab. Eine Sekunde, und die Farm lag win zig klein unter uns. Eine zweite, und Shallowain schnitt mit einer halsbre cherischen Kurve die obere Kuppel des Imperiumskreuzers. Ich vergaß alles, was ich vorher sagen wollte. »Hoo! Wahnsinn!« Ascari weigerte sich, ein einziges Wort über meine Eltern preiszugeben. Ich drängelte mehr als einmal, unter bösen Blicken Shallowains. Mit dem Gefühl, als wäre sie meine große Chance und als ließe ich die Chance ver streichen, nur weil ich die Lippen nicht auseinander bekam. Aber sie gab nicht ein einziges Detail preis. Aus einem nicht erfindlichen Grund prüfte sie lediglich die Umstände meines Lebens. Meine Schule und die Lehrer; das Trainingszentrum, in dem mich Weigel zum Piloten schulen ließ. »Seid Ihr hier«, fragte ich schließlich, »um mich nach Arkon mitzuneh men, Erhabene?« Die große Frau lachte. »Was solltest du wohl mit dreizehn Jahren auf der Welt des Imperators?« Sie weiß mein Alter! »Es ist nur … Mein Pflegevater Weigel redet oft so was. Ich will sowieso nicht weg.« Sie fixierte mich mit einem intensiven Blick. Mit einer Geste lenkte sie meine Aufmerksamkeit auf das Land draußen. »Du nennst das hier dein Zuhause?« »Klar.«
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»Sieh noch mal hinaus!« Shallowain steuerte über eine von Felsbrocken durchzogene Hügellandschaft. Die ärmliche Behausung eines Farmers zog vorbei. Dann kam lange nichts, bis die verwaisten Reserveflächen am Ha fenrand das Grün und Grau verdrängten. »Ich bin hier, um darüber nachzudenken, Kantiran. Wann du nach Ar kon kommen sollst.« Wir verbrachten miteinander den Tag. Immer wieder ließ ich kleine Be merkungen los, die mit meinen Eltern in Verbindung standen. Doch es ge lang mir nicht, die Besucher aus der Reserve zu locken. Ascaris strahlende Erscheinung ließ alle anderen Arkoniden schäbig erscheinen. Der gewalti ge Shallowain folgte wie ein Schatten. Sein schwarzer Mantel, das ge schuppte Leder, seine Füße in den schweren schwarzen Stiefeln, das alles wirkte auf mich wie eine Rüstung. Verstohlene Blicke folgten uns, wohin wir kamen. Einmal glaubte ich bei den Prallfeldbussen Valizon zu sehen, doch sein Gesicht verschwand schneller als ein Lichtstrahl. Am Ende des Tages setzten Ascari und Shallowain mich an Weigels Farm ab. Ascari öffnete eine Klappe neben ihrem Sitz und entnahm dem Seiten fach ein Etui. Sie brachte ein seltsames Utensil zum Vorschein. »Was ist das denn?« »Sollte ich dich überschätzt haben?«, gab sie mit amüsiertem Sarkas mus zurück. »Das ist mein Geschenk an dich.« Verblüfft nahm ich das Ding, das sich als eine Art Sonnenbrille entpuppte. Ich probierte sie im Gleiter auf. Die Brille war zu groß. »In ein paar Tagen passt sie dir«, behauptete Ascari. Sie reichte mir das Etui. »Eine Manufaktur am Sha'shuluk-Binnenmeer produziert sie als Ein zelstücke. Der Imperator lässt ebenfalls dort arbeiten.« Ich hielt die Brille unschlüssig in der Hand – und dachte dennoch nur an Arkon und an meine Eltern. »Wann?«, fragte ich sie noch mal. »Wenn du vierzehn bist«, bestimmte sie. »Vierzehn ist Paragetha-Al ter.« »Paragetha …?« In meinem Kopf überschlug sich alles. »Aber vierzehn, Erhabene, das ist schon sehr …« »Verschwinde jetzt! Wir sehen uns auf Arkon wieder.« »Können wir nicht …?« Shallowain kam aus seinem Sitz hoch. Meine Augen, weit geöffnet und vor Aufregung nass, wollten Ascari nicht mehr loslassen. Das Tränensekret der Erregung, diese arkonidische Eigenart. Ich tupfte meine Wangen trocken. Die Gleitertür neben mir stand plötzlich offen, und Shallowain mit den weißen Augen schob mich ohne sichtbare Kraftanstrengung hinaus. »Ich will das nicht!«
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Der Gleiter raste in die Höhe. »Ich will nicht!« Bis der Sog des startenden Imperiumskeuzers mir den Atem nahm. Ich setzte schnell die Brille auf und verfolgte durch das Blau der Gläser, wie die Kugel ein gewaltiges Loch in die Wolken riss. Die Bügel enthielten links und rechts einen optischen Sensor, eingefasst in blauen Kristall. Per Fingerdruck am Rahmen fingen Mikrokameras das Geschehen außerhalb meines Blickwinkels ein. Jede Seite verfügte über einen separaten Speicher, für eine halbe Stunde Aufzeichnung. Mit einem zweiten Fingerdruck, links oder rechts, spielte die Brille das aufgezeichnete Geschehen an die Innenseite der Gläser ab. Niemand außer mir konnte das sehen. Der Rahmen bestand aus einem semiflexiblen, intelligenten Werkstoff. Nach ein paar Tagen passte die Brille wie Maßarbeit. Ich trug sie in der Schule, während Terranischer Geschichte. Die Füße ausgestreckt, die Brille auf der Nase, verfolgte ich den Unterricht. Eine Rakete namens STARDUST flog zum Mond von Larsaf III, dem Erdmond Luna. An Bord der spätere Unsterbliche Perry Rhodan. Fast dreitausend Jahre war das her. Auf dem Mond erfolgte die Begegnung mit den Arkoniden, Rhodans Diebstahl unserer Technologie aus einem notgelandeten Kreuzer. Mit der bekannten Folge: Die Parasitenplage Mensch breitete sich über Tausende Welten aus. »He, Bastard!«, hörte ich Valizon sticheln. »Saubere Leute sind das, deine Verwandten.« Ich hob die Brille und fxierte ihn kühl unter den Gläsern durch. »Willst du auf die Nase, Val?« »Haha! Nicht unbedingt.« Rhodan war ein faszinierender Kerl. Klar kam er in Lehrerin Teggiras Unterricht grottenschlecht weg; dennoch hatte er was, das ich nicht erklä ren konnte. Wie sollte ein Mensch auf der einen Seite verräterisch veran lagt sein, unfähig und schwach – und auf der anderen Seite ein Volk mit nichts als ein bisschen Beutetechnik in den Weltraum führen? Valizon hatte nach der Stunde Tam und Kachod dabei. »Keine Zeit heute!«, log ich. »Ich helf Weigel bei der Ernte!« Val und seine Essoya-Kumpels verschwanden. Den Nachmittag über hockte ich mich aufs Sonnendeck am Raumhafen. Ich sah mir auf der Innenseite der Gläser Filme an: links und rechts hinter mir die Schüler, wie sie mir Blicke zuwarfen, wie sie ihren Bastard heim lich fixierten, Kantiran den Halbterraner. »Was ist das für eine hässliche Brille?«, meckerte Arachya, als ich abends in die Farm kam.
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»Setz das ab, Junge!«, befahl Weigel drakonisch. Aber ich hörte nicht. »Du hast ein Problem mit Autorität«, stellte Weigel sachlich fest. »Du wirst damit noch schwer zu kämpfen haben.« Sie ließen mich gewähren, es war meine Brille. Und ein klarer Befehl war die beste Möglichkeit, mich zum Gegenteil zu drängen. Tags darauf war Pilotenschule. Im Hangar der Übungsgleiter stand ein Messgerät, mit dem wir Gläser und Gestell untersuchten. Die Einlagen in den Bügeln stellten sich als Mivelum heraus, als kostbarer Hyperkristall für den Raumschiffsbau. Ab sofort gehörte ich ebenfalls zu den Schülern, die die Schule oder Weigels Farm kaufen konnten. Ascari sei Dank. »Du hast doch mal auf Arkon gewohnt«, fragte ich den Fluglehrer bei läufig. »Kennst du einen Ausdruck namens Paragetha? Oder so ähnlich.« Der Lehrer überlegte kurz. »Paragetha … so heißt die Kadettenschule am Thek-Laktran. Am Hügel der Weisen, für die superreichen Großmäu ler. Unsereins hat da keinen Zutritt. Wieso fragst du?« Ich trug die Brille auf der Nase, oder ich trug sie ins unarkonidisch dunkle Haar gesteckt. In der Schule oder im Isolierten Urwald. Ich hatte geschworen, ihn nie wieder zu betreten, und er wurde in jenen Monaten vor meinem vierzehn ten Geburtstag zu einer Art zweitem Zuhause. Ich wusste, dass ich zu den Crochen sprechen konnte. Die Magie des Augenblicks verließ mich keine Sekunde. Fünfmal, zehnmal dieselbe Tour, Dutzende Male unterwegs mit dem Übungsschweber der Piloten schule, bis ich hörte, wonach ich mich zu hören sehnte. Torm. Der kleine Croche schlängelte sich schwerelos aus dem Unter holz nahe dem weißen Monolithen. »Torm«, machte er leise. Aus seinem Maul drang ein beißender Geruch. Seine braun geschuppte Haut war an den Unterkiefern von Blutfäden be netzt. Ein kleiner Killer wuchs heran. »Hallo …«, hörte ich mich flüstern. Diesmal ohne den Druck der Furcht, sondern in behutsamer Neugier; dafür mit zugehaltener Nase. »Ich bin Kantiran. Schön dich, zu sehen, Kleiner.« »Torm.« Die Familie war ganz nahe. Sie erkannten mich alle wieder, sonst hätte das Leittier nicht ihr Kind mit mir allein gelassen. Ich hörte sie nicht, aber ich sog etwas ein, was wie sacht schwingende Elektrizität schmeckte. Ich fühlte mich nicht imstande, den Vorgang zu erklären. Es fühlte sich wie Zauberei an. Von da an traf ich Torm und Familie jeden zweiten Tag. Wir wurden Freunde. Im Isolierten Wald, in jenem letzten Winter, bevor ich Creiff ver ließ.
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Am 2. Februar 1327 NGZ, ich war eben 14 geworden, landete erneut ein Schiff vom fernen Arkon. In der Kanzel des Gleiters, der auf Weigels Farm zuhielt, erkannte ich Shallowain. Ausgerechnet. Der Furcht erregen de Fremde aus Ascaris Geleit. Der Bug des Gleiters rasierte mir fast die Füße weg. Shallowain streckte den Kopf raus und rief: »Du hast eine halbe Stunde, Kantiran!« Das war alles. Der Satz kam wie ein Urteil über mich. Torm, die Schule, der Handels hafen. Valizon, sogar Tam und Vachod, ich würde alle nicht mehr wieder sehen. Weigel und Arachya! Dass der Satz mein altes Leben abschloss und dass mit dem Punkt ein neues, unbekanntes begann, war Shallowain egal. Ich stierte auf den Keuzer und auf den Mann in Schwarz. Panisch warf ich mich herum und stürmte ins Hauptgebäude. Weigel und Arachya huschten atemlos aus dem Schlafzimmer, beide kaum bekleidet. Aus geröteten Gesichtern starrten sie mich an. Weigel klappte seinen Mund auf und zu, sprach aber kein Wort. Bis Arachya bitter zu weinen anfing. Die Hälfte der halben Stunde, die ich hatte, verbrachte ich in ihren Armen. Dann sauste ich die Treppe hoch. Ich suchte Dinge, auf die ich nicht verzichten konnte, fand aber nichts außer Ascaris Sonnenbrille und dem Holo, das meine Eltern zeigte.
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4. Planet Arkon I 1327 NGZ
Shallowain sperrte mich wie einen Idioten in eine Kabine, ließ mich erst raus, als wir nach knapp vier Stunden Flug das Arkon-System erreichten. Die Demütigung trieb mich zur Weißglut. Immerhin erlebte ich in der Zentrale unsere Ankunft mit. »Stell dich da hin und sei still!« Shallowains Befehle besaßen den Cha rakter absoluter Gültigkeit. Ich blieb neben einer Orter-Spezialistin stehen, schwieg … und vergaß meinen Zorn. »Whow …!« Im freien Weltraum schwebte eine weißblau strahlende Kugel, so groß wie ein Sonnensystem. Der Anblick war eine Legende. Arkon! Der Kristallschirm verwandelte das System in eine Festung. Tausende Raumschiffe warteten an den Struk turschleusen, den einzigen Wegen ins Innere. Shallowains Einheit wurde vor allen anderen durchgeschleust. Die Ster ne ringsum waren von dem Moment an nicht mehr sichtbar. Stattdessen erfüllte ein Meer von Reflexen die Orterholos. Zehntausende Raumschiffe, vielleicht hunderttausend, allein an diesem Ort im Zentrum des Imperi ums. Die weiße Sonne Arkon wurde von 26 Planeten begleitet. Arkon I, II und III kreisten mit identischen Geschwindigkeiten auf derselben Umlauf bahn, als Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks. Arkon I war der Wohnplanet der Arkoniden, die Kristallwelt Gos'Ranton. Arkon II galt als die Welt von Wirtschaft und Handel. Arkon III blieb Schwerindustrie und Raumschiffbau vorbehalten, ich kannte ihn aus der Schule als Kriegsplaneten. Kantiran Namenlos, Bastard vom Agrarplaneten Creiff, erreicht durch widrige Umstände das Zentrum aller Kultur. Und freut sich nicht mal drü ber. In rasender Geschwindigkeit senkte sich der Kreuzer auf einen der Pla neten: ausgerechnet Arkon I! Unter mir tauchte aus dem Ozean eine Land masse auf, mit einem charakteristisch gebogenen Riesensee in der Mitte. »Das ist Laktranor, der Äquatorialkontinent«, informierte mich die Or ter-Spezialistin. »Das Sichelbinnenmeer Sha'shuluk, östlich der Hügel der Weisen, der Kristallpalast des Imperators … Du siehst dir das alles bei Ge legenheit am besten selbst …« Ein finsterer Blick von Shallowain ver schloss ihr den Mund. Irgendwie kippte der Horizont, ich blickte über eine Melange aus Welt
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raum und dem plötzlichen Grünblau einer endlosen Parklandschaft. Und dann stand der Kreuzer still. »Darf ich mich jetzt bewegen, Shallowain?« Arkon I war ein Planet ohne Städte, ausgenommen an den Raumhäfen. Trichterkelche und Paläste passten sich in eine endlose, sorgsam konstru ierte Parklandschaft ein. Shallowain hielt vom Hafen Shuluk auf das Zentrum von Laktranor zu. Ich wischte meine Wangen trocken, und ich hasste den Gedanken, mich durch sichtbare Erregung als Junge aus der Sternprovinz zu outen. Mir rutschte das Herz in die Hose, je näher wir dem Kristallpalast ka men. Das Hochplateau von Thek-Laktran, dem Hügel der Weisen, diente als Regierungszentrum des Imperators. Ich erblickte ein zehn Kilometer durchmessendes Landefeld, das voller Raumschiffe stand. Kurz vorher, praktisch einen Strahlerschuss entfernt, drückte Shallo wain den Gleiter auf Landekurs. In die Hügellandschaft schmiegten sich lang gestreckte, mehrstöckige Gebäude, die aussahen wie Kasernen. Shal lowain ging in einer Art Innenhof nieder. »Steig hier aus!« »Aber ich …« Er fixierte mich mit seinen weißen Augäpfeln schweigend, wie eine Leiche oder ein Roboter. Ohne weiteren Kommentar stieg ich aus dem Gleiter. Shallowain zog den Gleiter hoch und verschwand. Ich war allein. Eine Robot-Ordonnanz löste sich aus dem Schatten eines Arkaden gangs. »Kadett Kantiran. Ihr werdet erwartet. Folgt mir, Gebieter!« Roboter sprachen auf Arkon einen Arkoniden mit Gebieter an. In den Arkaden erkannte ich ein Dutzend Augenpaare; Jungs und Mäd chen in meinem Alter, einige bis achtzehn oder zwanzig, die allesamt prächtige Gewänder trugen. Ich hörte bis hier das Rümpfen ihrer Nasen. »Ist dies die Paragetha?« »Jawohl, Gebieter«, schnarrte der Roboter. »Die oberirdischen Wohn trakte für Kadetten. Die unterirdischen Schulungsfelder erstrecken sich selbstverständlich sehr viel weiter.« Die vermeintliche Kaserne erwies sich von innen als lichtdurchflutet, als halb transparenter Prachtbau. Ich hatte ähnlichen Luxus nie gesehen. In Silber gefasste Treppengeländer, Fresken von Traversan und Zalit … alles wirkte wie ein Palast, nicht wie eine Schule. Der Rob führte mich in eine in Stein gekleidete Räumlichkeit. In dem Saal schwebte ein einziger Schreibtisch. Dahinter saß in einem Schwebesessel ein ausgemergelter Arkonide. Sein Gesicht war scharf ge schnitten. Er trug eine blütenweiße Uniform mit den Rangabzeichen eines Athors, eines Kommandeurs. Welche Stufe Kommandeur, konnte ich nicht
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sagen; ich kannte mich nicht mit arkonidischen Rangabzeichen aus, hatte mich mehr mit terranischem denn mit arkonidischem Militär beschäftigt. Aber das Problem war mir ohnehin egal – in dem Moment, als ich in der stehenden Gestalt neben ihm Ascari erkannte. In der Luft lag eine Spur Albon-Parfüm: Ascaris Duft. Sie trug die glei che blütenweiße Uniform wie der Kommandeur. »Mein Name ist Keiphos da Quertamagin«, sagte der Athor mit dünner Stimme. »Has'athor Keiphos, um präzise zu sein.« Ich spürte, wie ich bleich wurde. Ein Has'athor entsprach einem Einson nenträger, einem Admiral. Und die Quertamagins gehörten zu den edelsten Familien. »Mein Leben für Arkon, Erhabener!« Ich schlug mir die Faust vor die Brust. Der dürre Mann erhob sich und umkreiste mich, während ich versuchte, nach Möglichkeit Atmung und Herzschlag einzustellen. »Von dir, Kadett, wird in der Paragetha Gehorsam erwartet. Gehorsam und maximaler Einsatz. Denn die Kadetten der Paragetha leben für den Imperator. Wir sind keine aus dem Volk. Wir sind mehr. Du solltest das nicht vergessen. Falls wir es dir nicht zunächst einmal beibringen müs sen.« »Jawohl, Erhabener!«, stieß ich atemlos hervor. »Was jawohl?« »Ich meine … ich …« Admiral Keiphos durchsiebte mich mit einem Blick. Ich verstummte. »Die Kadetten der Paragetha sprechen vorzugsweise ganze, durchdachte Sätze. Sie stammeln nicht. – Die Ordonnanz wird dir eine Kammer anwei sen. Ein Unterrichtsplan wird dir zugestellt. Du kannst dich nun zurückzie hen, Kadett.« Ich warf Ascari einen fragenden Blick zu, wagte aber nicht, ein einziges Wort zu sprechen. Der Rob führte mich hinaus. Ich folgte ihm so langsam wie möglich. »… kann nur beten, es zerbricht ihn nicht, Erhabene. Er ist nicht vorbe reitet.« »Du wirst sehen, in dem Jungen steckt mehr, als du denkst, Admiral.« Das war das Letzte, was ich hörte. Der Athor nannte Ascari »Erhabene«. Das bedeutete, sie stand in der Rangordnung noch über ihm. Über einem Einsonnenträger. Welche Leute hatten meine Eltern gekannt, bevor sie starben? Die Ordonnanz führte mich zur letzten Tür im entlegensten Haus. Ich öffnete die Tür, die Tasche mit meinen Habseligkeiten in der Hand, und blickte in das feiste Gesicht eines Jungen in meinem Alter. Er hatte langes weißes Haar, albinotisch rote Augen, samtbraune Haut. Das Süßgebäck, das er sich in den Mund bröselte, verriet immerhin die Herkunft seines
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Bauches. Hinter mir klappte die Tür zu. Ich war mit dem Mondgesicht allein. »Tu nicht so blöd! Du siehst schon ganz richtig, wir haben hier Zwei bettzimmer.« Der Junge zeigte auf ein leeres Bett auf der anderen Seite des Zimmers, das breit genug und lang genug für zwei Haluter war. Ich warf meinen Beutel auf das Bett. »Mein Name ist übrigens Thartem. Wenn du mit mir auskommen willst, hältst du am besten den Mund. Es sei denn, du wirst gefragt.« »Ich bin Kantiran. Und nur zur Information: Deine blöde Nase wäre nicht die erste, die ich breche.« Thartem lachte. »Guter Konter. Aus welcher Familie stammst du?« »Meine was?« »Mit vollem Namen heiß ich Thartem da Ariga. Aus der Familie der Arigas, du weißt schon.« »Wie die frühere Imperiatrice?«, fragte ich entgeistert. Thartem antwortete nicht ohne Stolz: »Dieselbe Familie! Wäre sie bloß damals nicht ermordet worden.« »Na ja. So was ist bei mir nicht. Ich bin Waise. Halb Arkonide, halb Terraner.« »Ein Halbblut?« Er nickte. »Ach, deshalb die Haare.« »Normalerweise heißt es immer Bastard.« »Was macht so einer an der Paragetha?« Thartem da Ariga lachte. »Na, du wirst jedenfalls mit den andern 'ne Menge Spaß haben.« »Wieso?« »Schlaf jetzt lieber. Morgen ist unser erster Tag. Mein Vater war auch auf der Paragetha, und er sagt, am ersten Tag brechen sie einem immer die Knochen.« Das erste Morgenlicht: Automatisch standen die Läden der Fenster of fen, ein Schwall kühle Luft presste mir die Decke weg. Eine Art Alarm gellte durch den Korridor, als wir im Trupp einer Ordonnanz folgten, die viel zu schnell Richtung Zentralgebäude düste. Ein Antigravschacht von zwei Dutzend Metern Querschnitt zog uns ab wärts … bis wir eine Aula erreichten, in der achtzig Stühle standen. Wir nahmen alle Platz. Keiner sagte ein Wort. Ich hatte achtzig Jungs und Mädchen nie so still erlebt. Die kostbaren Gewänder der Mitschüler fielen mir auf: kaum einer, der nicht seidige Stoffe mit gestickten Applika tionen trug, gewagte Ausschnitte sah ich schon bei jungen Mädchen, Hy perkristalle wie an meiner Brille waren Standard. Mein eigenes Gewand stach durch Schlichtheit hervor. Positiv, wie ich fand, auf die anderen wirkte ich wahrscheinlich wie ein terranischer Hun gerleider.
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Hinten flog eine Tür auf, und herein schnurrte in einem schwerelosen Sessel Keiphos da Quertamagin. Der Fokus seiner Augen ruhte eine Se kunde voll Abscheu auf mir. »Kadetten!« Seine dünne Stimme schnitt durch Mark und Bein; er be nutzte einen Verstärker. »Ihr werdet von heute an dem laschen Leben ent sagen, das ihr bei euren Ammen und euren Leibrobotern geführt habt. Dies sieht nicht aus wie eine Kaserne. Aber verlasst euch darauf, es ist eine.« Keiphos lächelte dünn und mit einem seltsamen Ausdruck. »Manche sagen, ihr seid zu jung, um euch zu demütigen und zu bre chen. Wir sagen, man beginnt am besten früh. Alles, was euch fehlt, sind Härte, Intelligenz, Ausbildung sowie die Fähigkeit, Schmerz zu bewälti gen. Gewiss kann man diese Dinge lehren. Sie zu lernen verlangt Hinga be.« Keiphos da Quertamagin, der Has'athor, genoss die entsetzten Blicke der Kadetten. Eingeschlossen meinen. »Wir benutzen den heutigen Tag nicht, um euch zu unterrichten. Heute ermitteln wir lediglich euren körperlichen Zustand. Die Prüfer vergeben nach einem erprobten System bis zu hundert Punkte. Wer mindestens vier zig erreicht, startet mit einer guten Voraussetzung.« Keiphos musterte uns mit hochgezogenen Brauen. »Worauf wartet ihr, Kadetten? Auf eure Die nerschaft?« Wir sprangen auf, verließen geordnet die Reihen der Stühle und folgten den Robotern aus der Aula. Ich versuchte mit Thartem Blicke zu tauschen. Doch das Mondgesicht schaute weg und tat, als kenne es mich gar nicht. Die Prüfung fand einige Stockwerke tiefer im Untergrund statt. In einer Trainingshalle standen hundert Simulator-Tanks. Wir kletterten ins Innere der Boliden, ließen Arme, Beine und Schädel fixieren und fingen an, ge gen die regelbaren Widerstände anzukämpfen. Vor meinen Augen tanzten nach einer halben Stunde Flecken. Mein Atem brannte wie Drachenfeuer. Wir tranken nicht, wir aßen nicht. Nach drei Stunden bliesen die Prüfer ein Gas in die Sim-Tanks, das auf biochemischem Weg Todesfurcht verursachte. Ich wollte in meinem Tank kein Glied mehr rühren. Ich konnte nicht. Doch ich rannte in der Maschine um mein Leben, bis mein Kreislauf zu sammenbrach. Im selben Moment pressten Hochdruckspritzen Medikamente in meine Blutbahn. Die Furcht verebbte. Die Schmerzen ebenfalls. Von einem Medoroboter unterstützt, kletterte ich aus dem Tank ins eis kalte Freie. »Das ist … einfach widerlich!«, stammelte ich hasserfüllt. Un ter Tränen, die nicht aus Erregung strömten, wie sonst bei Arkoniden üb lich, sondern vor Erniedrigung und Schmerz.
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Niemand hörte mir zu. Sie schafften uns auf Schwebepritschen in einen Erholungsraum, in dem die Medorobots Infusionen gaben. Medosensoren maßen die Körperwerte der Kadetten. Ich brauchte eine Stunde, bis ich bei Kräften war. Dennoch klang meine Stimme heiser, meine Gelenke und meine Muskeln schmerzten, so als ha be ich sie zuvor nie benutzt. Auf Namenskarten erhielten wir die Resultate mitgeteilt. »29 von 100«, stammelte ich fassungslos. »Ich Narr dachte noch, ich wäre gut!« Wütend feuerte ich die Karte weg und starrte zu Thartem, dessen Karte ungelesen neben ihm lag. »Wie viel hast du?« Thartem gab keine Antwort. Ich nahm die Karte und las die Zahl. Es war eine 8. Der Tag endete offiziell in der Halle, in der er begonnen hatte. »Dieses Ergebnis ist ein Desaster.« Keiphos hob eine bedruckte Folie gerade so hoch, dass jeder sie sehen konnte. »Kein Kadett hat die dreißig Punkte überschritten. Ich selbst erreiche achtzig, obwohl ich ein alter Mann bin. Es gibt Kralasenen, die auf über 95 kommen!« Kralasenen. Die Bluthunde des Imperators. Einige Gesichter wurden bleich, als der Ausdruck fiel. »Jedes Haustier hätte die vierzig geschafft«, sprach Keiphos mit ätzen dem Spott weiter. »Die Jugend befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Es wird sich kaum vermeiden lassen, dass wir die Unterrichtsplä ne modifizieren. Ich verschaffe euch allen hundert Tage Zeit. Knapp drei Perioden. Bis dahin erreicht ihr entweder die vierzig, ohne die eine Ausbil dung nicht möglich ist. Oder ihr verlasst die Paragetha. Ich muss nicht er wähnen, welche Schande dies euren Familien brächte.« Wir traten wie in Trance den Rückweg in unsere Kammern an. In hun dert Tagen auf mindestens vierzig zu kommen, gemessen in einem für mich unbekannten System, klang für meine Begriffe unmöglich. Thartem und ich hatten den längsten Weg von allen. Mondgesicht warf sich auf sein Bett und öffnete mit zitternden Fingern die Dose mit dem Feingebäck. Ich sprang auf, obwohl ich eigentlich so et was wie Kraft nicht mehr besaß, riss ihm die Dose weg und stopfte sie in den Konverter. »Dummer Essoya!«, brüllte ich ihn nieder. »Keiphos gibt uns drei Peri oden. Wie willst du es schaffen, wenn du das da frisst?« Die Paragetha war kurz nach Inthronisierung der Imperatrice Theta da Ariga I. gegründet worden. Indirekt verdankten wir unsere bittere Lage al so Thartems Verwandtschaft. Die Schule war kein Flottenlager für die Masse, sondern dem Hof Bo
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stichs I. direkt angegliedert, unterstand also dem Imperator direkt. Die Ka dettenschaft bestand aus dem Nachwuchs adliger Höflinge, den Sprösslin gen der Admirale und hoch gestellten Offiziere. Fragte sich nur, was ich dann hier verloren hatte! Der zweite Tag dauerte eine Ewigkeit. Die Prozedur nannte sich menta ler Leistungstest: Erinnerungsvermögen, Vorbildung, verschiedenste Para meter von Intelligenz. Die besten Werte erzielte ich in Wissen über den Feind, also Terranerkunde. Am Ende schnallten sie uns noch mal in die Tanks, bliesen Todesgas hinein und stellten bis zum Kollaps Fragen. Die Nacht dagegen war kurz. Am dritten Tag, ich fühlte mich wie eine Woche ohne Schlaf, stand die Generaluntersuchung der Mediker an. Kaltluft brauste die Decken weg. Es war ein abscheuliches Gefühl. Thartem erwachte mit einem Wimmern. Viel besser fühlte ich mich selbst nicht. Unter den Augen der Älteren passierten wir die Arkaden zu einem Ge bäude, das abseits der Schule lag. Es handelte sich um ein Hospital. Thartem verkündete in mattem, beiläufigem Ton: »Ich hab schon ein Kilo weg, Kant. Nicht schlecht für die ersten zwei Tage.« »Hirnmasse?« »Nein«, meinte er sehr ernsthaft. »An der Hüfte, weißt du. Ich hoffe, sie merken das bei der Untersuchung. Ich könnte meinen Eltern das Daten blatt nach Ariga funken.« Zum ersten Mal in der Paragetha ergab sich eine Wartezeit; die ich da mit verbrachte, an zu Hause zu denken. An Arachyas Wärme, an Weigels berechenbaren Ehrgeiz, an Torm und den simplen Valizon. Und an das Geheimnis meiner Eltern. Daran, dass meine Anwesenheit auf eine unbe kannte, dunkle Weise mit ihrem Tod in Zusammenhang stand. Dann war Thartem durch. »Kant! Ein ganzes Kilo!«, freute er sich. Dann riefen sie mich herein. Eine komplette Stunde lang maßen sie meinen Körper. Die Vielfalt der Methoden, die an der Paragetha scheinbar standardmäßig angewandt wur den, überraschte mich. Mein Körper war allerdings nicht das Problem – sondern ausgerechnet der Geist. Die Hirnforschung erbrachte ein Resultat, das für einigen Aufruhr sorg te. Meine Psi-Werte bewegten sich in der Region eines schwachen Mutan ten. Allerdings nur in der Theorie, denn der Praxistest, eine PsiReflexmessung, brachte keine ungewöhnlichen Werte. Was ich den Medi zinern auch gleich gesagt hätte, hätten sie mich danach gefragt. Ein Spezialist, ein Mediker mit einer wichtigen Amtskette aus Cholitt, checkte die Messgeräte und grübelte hin und her. Am Ende entschied er:
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»Wir rufen den Has'athor.« Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich wollte alles Mögliche, nur keine Begegnung mit Keiphos. »Ich glaube nicht, dass das …« Der Mediker zog ein Mikro vor seinen Mund. »… notwendig sein wird!«, vollendete ich den Satz. Leider zu spät. Eine viertel Tonta später flog der Leiter der Paragetha in seinem Schwe besessel in das Zimmer. »Erhabener«, begann der Mediker, während ich stumm daneben lag, »die Psi-Werte dieses Kadetten sind gegen die Norm um das Siebzigfache überhöht. Wir können nicht allein entscheiden, was mit ihm geschieht.« »Mutantentest?« »Verlauf negativ.« Keiphos fragte unterschwellig drohend: »Wie erklären sich die Fachleu te solche Werte?« »Wir glauben, es steht mit seiner Mischlingsherkunft in Zusammen hang. Aber damit beginnen die Probleme erst.« Keiphos hob die Augenbrauen. »Angenommen«, begann der Mediker fahrig, in der Hand seine Amts kette, »der Kadett besteht die Ausbildung der Schule. Seine Intelligenzstu fe gemäß Epetran-Skala liegt bei 82,04 Lerc. Das sollte reichen, es ist in der Paragetha der höchste gemessene Wert seit drei Jahren. Angenommen, er besteht die Prüfung. Dann wird man seinen Extrasinn aktivieren, damit er mit dem zusätzlichen Hirnteil seine Aufgaben besser erfüllen kann. Es scheint uns jedoch beinahe unmöglich, dass er die Aktivierungsprozedur überstehen kann.« »Weshalb?« »Er ist ein Mischling. Und er hat diese Psi-Werte.« »Was wollt ihr mir sagen?« »Wir empfehlen, ihn von der Schule zu nehmen. Die Aktivierung seines Extrasinns wäre lebensgefährlich.« Keiphos lachte leise und sarkastisch. »Diese Dinge zu entscheiden liegt nicht in unserer Hand. Es liegt eine höhere Weisung vor.« Am Morgen des sechsten Tages, ich vermochte kein Glied mehr zu re gen, starteten sie die Dagor-Schule. Dagor war die waffenlose Kampfkunst der Arkoniden, entwickelt vom legendären Heroen Tran-Atlan – was mir ungefähr so wichtig vorkam wie ein Regenguss in Andromeda. Mein Kör per verwandelte sich danach in eine Art biologisches Trümmerfeld. Man stopfte unsere Schädel voll mit Lektionen und mit Hypnoschulung. Ein allgegenwärtiger Geruch von Schweiß und Angst, von übersäuerten Muskeln und Tränensekret erfüllte die Korridore der Paragetha. Das Schlimmste aber waren nicht die Lehrer, nicht die Lektionen. Es
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waren die Schüler. Die Nachkommen der Adelsschar erkoren mich zum Freiwild. Mehr noch als auf Creiff, wo Valizon nach einem Schlag auf die Nase immerhin seine Ansicht geändert hatte. In der Paragetha war dergleichen auszu schließen. Hier war und blieb ich Dreck. Ich selbst galt als Mischling unbestimmter Herkunft – während die an deren die Abende damit zubrachten, ihre Stammbäume zu vergleichen. »In meiner Heimat bewertet man auf diese Weise Zuchtvieh«, raunte ich abfällig zu Thartem. »Wie heißt der Planet noch mal?« »Creiff.« »In der Paragetha weiß keiner, wo Creiff liegt. Aber sie kennen alle die großen Familien. Das ist der Unterschied.« In gewisser Weise waren die anderen jedoch schlechter dran als ich. Ich hatte täglich das lebendige Beispiel vor Augen, Mondgesicht Thartem, der morgens wimmernd erwachte und abends keuchend einschlief. Sie waren alle in fabelhaftem Luxus aufgewachsen, als wahre Prinzen und Prinzes sinnen. Ich dagegen kannte den Alltag in einer Farm, und ich kannte den Druck, mich als Außenseiter zu behaupten. Im Grunde war ich ihnen über. Auf Angriffe reagierte ich fortan kom promisslos. Nasen wurden so was wie meine Spezialität; insbesondere, nachdem ich Dagor weitaus schneller lernte als die anderen. »Verfluchter Bastard!«, brüllte mich ein Sechzehnjähriger mit Blut be sudeltem Gesicht an. »Was hat einer wie du an der Paragetha verloren? Was für eine seltsame Protektion ist das?« Sie hatten Recht. Ich fragte mich das selbst. Aber die meiste Zeit war ich zu kaputt, um richtig nachdenken zu können. Schlagfertig war ich im merhin noch. »Klasse Stammbaum«, lobte ich ihn kühl. »Aber schlechte Reflexe.« Ich stieg am zehnten Tag auf das Dach der Schule und gaffte staunend zur Inneren Sicherungszone des Thek-Laktran. Der Hügel der Weisen war in Wahrheit ein Hochplateau und wurde von mehreren Gipfeln überragt. Kolossale Gebäudekomplexe, in arkonidischer Bauweise auf stielförmige Fundamente gebaut, reckten sich wie Kelche in den diesigen Himmel. Im Zentrum der Ministerien und Verwaltungszen tren stand der Kristallpalast. Die Perle Arkons, Symbol der Macht des Im periums, ragte auf bis in eine niedrig hängende Wolkenschicht. Milliarden und Abermilliarden Arkoniden bevölkerten Thantur-Lok, den Kugelsternhaufen M 13. Den wenigsten war der Anblick in natura vergönnt. Galaktische Geschichte entstand in Sichtweite der Paragetha, am Nabel der bewohnten Welt. Nicht, dass ich daran mitzuschreiben hätte; als Ba
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stard musste ich froh sein, dass mein Fuß auf Arkon stand. Aber ich war nahe dran. Ich spürte förmlich das Netz der Macht, das Faserwerk einer glorreichen Geschichte. Am zwanzigsten Tag hatte Thartem drei Kilo weg. Er wimmerte nicht mehr, wenn er aufwachte, und sein Atem pfiff nicht mehr, wenn wir den Ausbildungstrakt erreichten. Mondgesicht platzte fast vor Stolz. Auch wenn seine Fortschritte im Dagor bescheiden waren, hatte er mehr erreicht als je zuvor. »Vielleicht ist es hier doch nicht so übel«, sprach er mit einem Glitzern in den Augen. »Vater hat immer von der guten alten Zeit geschwärmt. Je denfalls weiß ich jetzt, wieso.« Zu Beginn einer Lektion 5-D-Mathe, Vertiefung der Hypnoschulung vom Tag davor, surrte ein Ordonnanzrobot in den Raum. Anfangs hörte ich nur das Geräusch, dann drängte sich der mattierte, kegelförmige Leib in meine Hologramme. Die Maschine verhielt schwebend an meinem Platz. »Syntron«, murmelte ich. »Übung einfrieren!« Das Holo, das den größten Teil meines Sichtfeldes halb transparent ein nahm, erlosch. Ich löste die Verkabelung an meiner Schläfe. »Ja?« »Gebieter Kantiran«, schnarrte der Robot, »folgt mir.« Ich erhob mich, unter misstrauischen Seitenblicken einiger Schüler ohne Holo, und verließ den Raum. Der Rob steuerte die Aula mit den steinernen Wänden an. Ausgerechnet der Has'athor. Hinter Keiphos' fliegendem Schreibtisch schwebte ein Roboter, der mit einem Fesselfeld einen mannsgroßen Spie gel hielt. »Ich nehme zur Kenntnis, Kadett, dass du dich an meiner Schule durch setzt«, lobte Keiphos. »Mir gefällt, dass du offensichtlich ein Gewinner bist. Du hast im Verlauf von zwanzig Pragos vier Nasenbeine und einen Arm gebrochen.« Er musterte mich abwägend. »Deine Überlebenswerte dürften mittlerweile bei … mindestens 45 liegen. Ein guter Sprung in kur zer Zeit.« Ich starrte erst Keiphos an, dann nervös den Roboter mit dem Spiegel. »Aber ich habe ein Problem, Kantiran. Was bedeutet, wir haben dieses Problem. In den letzten Tagen haben nicht weniger als ein Dutzend ver diente Absolventen der Paragetha mein Büro beehrt. Ich wurde von Admi rälen und Adeligen ersucht, dich aus dem Unterricht zu nehmen. Besorgte Eltern.« Keiphos erhob sich aus seinem Schwebesessel, in einer fließend elegan ten Bewegung. »Normalerweise wäre das dein Ende hier. Wir sorgen nicht nur dafür, dass ihr eine brauchbare Ausbildung erhaltet. Sondern wir sor gen ebenso dafür, dass ihr Kadetten euch integriert. Du aber integrierst
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dich nicht.« »Das ist nicht wahr!«, rief ich dazwischen. Keiphos starrte mich ver blüfft an; Widerspruch war er nicht gewohnt. »Ich hab Freunde wie jeder andere!« »Wer?« »Mein Zimmergenosse Thartem.« »Nenne einen zweiten Namen.« Ich öffnete den Mund, holte Atem – und blieb stumm. Keiphos starrte mich mit seinen Raubvogelaugen böse an, dann schnippte er mit den Fingern. Der Robot mit dem Spiegel bewegte sich vor und verhielt direkt vor meiner Nase. Ich blickte in die spiegelnde Fläche. Für einen Vierzehnjäh rigen war ich zu schmal. Doch ich verfügte über Körperkräfte, die man mir nicht ansah. Keiphos kommentierte abwertend: »Du bist ein Bastard, und man kann es sehen. Wozu trägst du dieses schwarze Haar? Warum sind deine Augen blau? Dieses Haar im Gesicht, soll das ein Bart werden? Du bist ein Ka dett und kein Greis.« »Meine Leistungen sind gut!«, versetzte ich störrisch. Keiphos wischte den Einwurf mit einer Geste weg. »Leistungen, gewiss … sehr, sehr wichtig. Doch warum müssen die Schüler in der Paragetha permanent einen Terraner vor Augen haben?« Ich klappte den Mund zu. »Du, Kadett, bist auf höchste Weisung der Mascantin Ascari da Vivo hier. Ich darf dich nicht von der Schule weisen. Dich bringt nur das plötz liche Eintreten deines Todes von hier fort. Oder die erfolgreiche Beendi gung deiner Ausbildung, wobei wiederum ein wenig Anpassung höchst hilfreich wäre. Zumindest angenehmer als ein plötzlicher Todesfall; die gibt es hier jedes Jahr. Ich erwähnte bereits, dass ich Gewinner mag. Dein Potential bleibt mir nicht verborgen, also rechne dir aus, wie ich dich gern sehen würde. Verstehen wir uns?« Ich starrte wortlos ins Leere, am Has'athor vorbei auf die kahle Wand. Mit kühler Drohung sagte er: »Ich fragte, ob wir uns verstehen.« »Aber gewiss«, stieß ich hervor. »Mein Leben für Arkon, Erhabener!« »Ich empfehle dir, nicht in einem ironischen Ton zu mir zu reden.« Keiphos' Ansprache hinterließ gewaltigen Einduck. Nicht wegen seiner Forderung – sondern auf Grund einer einzigen, scheinbar achtlos fallen ge lassenen Information: Ascari, die geheimnisvolle Fremde, war eine Mascantin! Eine Flotten führerin des Imperiums. Kein Wunder, dass Has'athor Keiphos von ihr Be fehle entgegennahm. Der Paragetha-Rechner hielt über »Ascari da Vivo« zahlreiche Daten
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vor. Sie stand eine Stufe unter dem Imperator, im höchsten Admiralsrang. In der Galaxis Tradom hatte sie den Sieg gegen die Inquisition der Ver nunft herbeigeführt; unbedeutend unterstützt von Perry Rhodan. Der Aus bau des Sternenarchipels von Hayok, als Bastion gegen die Terraner, ging maßgeblich auf ihr Konto. Seit mehr als zehn Jahren mied Ascari die Berichterstatter. Für die Öf fentlichkeit war sie abgetaucht. Aus diesem Grund hatte ich zwar ihr Ge sicht aus geschichtlichen Dokumenten gekannt, es aber nicht bewusst zu ordnen können. Fragte sich nur, wie eine solche Heldin in Verbindung zu meinen ver storbenen Eltern stand. Was hatten zwei tote Prospektoren mit einer Mas cantin des Kristallimperiums zu tun? Ich witterte das Geheimnis; musste aber einkalkulieren, dass ich mir das alles nur einbildete. Vielleicht war ich nur einer von Millionen Jungen, die sich wünschten, etwas Besonderes zu sein. Mit einem Mal erlosch die Datenmaske: Ein Rundruf unterbrach meine Recherche. Die Stimme eines Lehrers beorderte sämtliche Kadetten auf die Dächer. »Alarmübung! Alarmübung! Alarm …« Ich fuhr die Recherche runter und raste aus den Kellern nach oben. Dreihundertfünfzig Schüler kamen zusammen. Thartem war sogar noch vor mir. Ich zog meine Sonnenbrille aus der Tasche, setzte sie auf und aktivierte die Aufzeichnung. Mondgesicht blickte mich irritiert an. Er hasste die blauen Gläser. »Kannst du mal die Brille abnehmen?« »Nein, kann ich nicht.« Ein Kadett namens Latista, ein grobknochiger Spaßvogel mit praktisch kahl rasiertem Schädel, tat sich mit mächtig spaßigen Bemerkungen her vor. Aber keiner hatte Zeit, Latista für seine Blödheit aufs Kreuz zu legen. Mein Blick richtete sich wie magnetisiert zum Himmel. Das war keine Alarmübung – sie wollten uns etwas zeigen. Aus dem Abendgelb, vom Kristallschirm illuminiert, sank ein Verband Raumschiffe. Die vorderste Einheit war eine 1500 Meter messende, glit zernde Kugel. Das zweite Raumschiff ließ sich treffend als fliegende Platt form beschreiben; es handelte sich um eine ellipsenförmige Scheibe von zwei Kilometern Länge. Acht weitere Kugelraumer, Schwere Schlachtkeu zer des Kristallimperiums, umgaben das Gespann am Abendhimmel. »Oh Khasurn …«, murmelte Thartem fassungslos. »Das ist die Thron flotte ARK'IMPERION!« Mein Kehle war zu trocken zum Sprechen. Die fliegende Residenz des Imperators ging über dem Hügel der Weisen in Stellung. Ein Beiboot sank herab und verschwand über dem Kristallpalast. Gaumarol da Bostich I.
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kehrte heim. »Irrsinn, Kant!« Von hinten kam ein ersticker Aufschrei: Ich wirbelte herum und sah ge rade noch Latista in die Knie gehen, das Gesicht hochrot, die Hände in den Magen gepresst. »Blöder Zufall«, kommentierte Thartem. »Er hat einen Ellenbogen ab gekriegt.« Mein neunundzwanzigster Tag in der Paragetha war der erste, an dem ich die Schule für mehr als eine Stunde verließ. Ein öffentlicher Transmitter, am Landefeld des Thek-Laktran, schickte mich über fünfhundert Kilometer in ein Einkaufszentrum am Sichelbin nenmeer Sha'shuluk. Ich wanderte durch Läden, Salons und Galerien. Am Ende hatte ich Kontaktlinsen, Färbemittel und frische Kleidung beisammen. Statt einer Robotkasse wartete am Ausgang eine dicke Arkonidin. Sie war eine so genannte Kassiererin. Ich reichte ihr meinen Creditchip. Bela stet wurde mein Schulkonto, das wiederum durch mein Erbe gedeckt war. Die Dame blickte auf ihr Kassenholo, dann entgeistert auf mich. »Aus der Paragetha?« Sie stierte mich wie eine Geistererscheinung an. »Ja.« »Viel Freude, Erhabener. Ich bin sicher, die Qualität unserer Waren wird Euch Genuss bereiten.« Kurzatmig reichte sie mir den Chip zurück. Per Transmitter zurück in die Schule, in die Unterkünfte. Die Taschen aus dem Einkaufszentrum flogen auf mein überdimensionales Bett. Ich setzte zuerst die roten Linsen ein. Einen Moment kribbelte alles, ich korrigierte den Sitz, bis die molekulare Verbindung zur Netzhaut versie gelt war. Meine Bastardaugen nahmen das arkonidische, albinotische Rot an. Die dunklen Haare, ein terranisches Merkmal, färbten sich unter Ein fluss eines Sprays zu einem edlen, fast authentischen Weiß. Meine Hinter wäldlerkleidung flog in den Konverter – und machte einer eleganten Toga Platz, die der gängigen Mode entsprach. »Sag mal, Kant … was treibst du da eigentlich?« »Befehl vom Has'athor.« »Es ist wegen dem großen Tag morgen, stimmt's?« Keiphos' Raubvogelblick glitt mitleidlos über die achtzig Schüler in der Aula. »Ich habe euch allen die nötige Zeit eingeräumt«, begann er. »Die meisten haben diese Chance genutzt. Einige nicht.« Eine Hand voll Robots teilten die Ergebniskarten aus, die ich noch vom ersten Mal kannte. Mein Herz begann zu klopfen … dann drehte ich die Karte um. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Zahl war eine 62. Ich hatte meinen Wert also mehr als verdoppelt. Ich hörte Thartem neben mir fluchen, ihm war die Karte weggerutscht.
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Mondgesicht suchte zwischen den Stühlen und förderte schließlich sein Ergebnis zu Tage. »Zwanzig von achtzig Schülern erreichen nicht die vorgegebene Mar ke«, tadelte Keiphos mit erhobener Stimme. »Wir werden die Versager, die nicht mindestens vierzig aufweisen, morgen nach Hause schicken. Zu rück zu ihren Leibrobotern, denn zur Ausbildung in der Paragetha sind sie nicht geeignet. Alle anderen verbringen von nun an ihre Zeit bei uns.« In seltsamer Starre fixierte Keiphos mich, mit einem Blick, den ich als beifällig empfand. Ein Wunder, dass er mich wiedererkannte, angesichts der radikal veränderten Optik. Vom Stuhl nebenan hörte ich einen halb erstickten Laut. Ich riss meinen Blick von Keiphos los und sah Thartem totenbleich und zitternd auf sei nem Stuhl. Die Karte hing locker zwischen seinen Fingern. Thartems Zahl war 39. Stumm vor Zorn sah ich Thartem zu, wie er seine Habseligkeiten akku rat in einen Koffer faltete. Seine Gründlichkeit machte mich verrückt. »Meine letzte Nacht in der Paragetha, Kant«, hörte ich ihn reden. »Ich hätte nie geglaubt, dass mir die Schule vielleicht mal fehlt.« »Es ist einfach nur ungerecht!«, explodierte ich. »Dein Ausgangswert war acht, du bist mehr als viereinhalbmal so gut wie zu Anfang! Ein einzi ger Punkt Differenz … Überall im Imperium wäre das Messtoleranz!« »Lass gut sein.« »Sogar der blöde Latista hat bestanden.« Thartem schob den Koffer weg und hockte sich mit angezogenen Knien auf sein Bett, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Durch das Fenster ver folgten wir den Landeanflug einer Fähre zum Kristallpalast. »Weißt du … für mich war das seltsam, dass irgendwas an mir besser werden kann. Und nicht immer nur dicker.« »Was werden deine Eltern sagen?« »Sie nehmen sich vermutlich das Leben. Von der Paragetha geworfen werden, das hat im Khasurn der Familie da Ariga noch keiner geschafft.« »Kannst du schlafen, Thartem?« »Haha! Wie ein Stein.« Ich wälzte mich in meinem Bett von einer Seite auf die andere. Die er ste Hürde war genommen. Fragte sich nur, wie es enden sollte. Angenom men, ich erreichte tatsächlich in einer fernen Zukunft die ARK SUMMIAPrüfung. Was dann? Was wurde mit meinem Gehirn, das angeblich nicht aktivierbar war? Ich empfand eine heilige Sicherheit, dass mein Extrasinn so gut und so sicher funktionieren würde wie jeder andere. Mit dem Ge danken an einen streng logisch denkenden inneren Berater und Gesprächs partner, an eine aktivierte Stimme, die in meinem Kopf für Klarheit sorgen würde, schlief ich ein. Durch meine Träume geisterte Ascari da Vivo, die
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Mascantin, flankiert von einem kichernden Keiphos da Quertamagin. Am Morgen erwachte ich in Schweiß gebadet. Eine Weile lag ich still, bis die Kaltluft meine Decke fortblies. Ich fühlte mich zerschlagen und müde. »Komm hoch, Mondgesicht«, hörte ich mich mit Grabesstimme spre chen. »Du musst dich fertig machen.« Ich schaute zu Thartem rüber, der sich nicht regte. Seltsam. Der zuletzt so agile, fast hyperaktive Thartem. Kein Schnaufen, kein Schnarchen, nichts. Ich sprang auf, warf mich über ihn, schrie ihn an, stierte hilflos auf sein eingefallen wirkendes, vollständig regloses Gesicht. Thartem lag da wie ein Puppe. Ich spürte keinen Atem, von seinem Körper ging keine Wärme aus. Hilfe rufen, dachte ich seltsam dumpf. Holt die Bauchaufschneider! Aber es hatte keinen Sinn. Ich konnte nicht begreifen, was ich sah. Was ich fühlte, wenn ich über die kalten Wangen strich. Unter seinen gefalteten, teils von Starre erfassten Händen lag eine Schachtel mit einem Medikamentenschild. Thartem hatte eine Giftkapsel besessen. Und ich als Freund hatte das nicht gewusst. Was für ein Freund war ich ihm gewesen! Mondgesicht war tot. Hatte sich umgebracht, um den da Arigas seine Schande zu ersparen. »Echodim«, sprach ich leise wie ein arkonidischer Priester am Ende ei nes Gebetes an die Götter.
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5. Kadettenschule Paragetha 1327-1328 NGZ Schluss mit Raufereien, ein für alle Mal, keine Nasen oder Arme mehr, die zu Bruch gingen. Die anderen lernten ebenfalls Dagor, und die Aus sicht, einen Schaden jenseits gebrochener Nasen anzurichten, gebot mir und meinen Gegnern Waffenstillstand. »Du kannst dich zehnmal aufführen wie einer von uns«, zischte ein Mädchen aus dem Jahrgang über mir böse. »Deine ganze Maskerade und all das … Aber einer von uns wirst du deshalb noch lange nicht!« »Lass mich in Ruhe!« »Wollte ich sowieso!« Die roten Linsen, das weiße Haar, die teure Kleidung, das alles erschien mir als Anbiederung, die meinen Stolz untergrub. Aber was sollte ich tun? Es gab Wichtigeres als Kleidung und gefärbtes Haar. Das Rätsel meiner Herkunft ließ mich nicht los. Für eine erkleckliche Summe, von meinem Erbe abgezogen, sondierte eine private Auskunftei zahllose Datenquellen. Hunderte Welten des Kri stallimperiums, Hunderttausende Syntrons und positronische Bestände … Alles umsonst. Es gab keine Spur zu meinen Eltern. Als hätten sie nie exi stiert. Ich stellte ein Audienz-Ersuchen an Ascari da Vivo, höchst offiziell als Paragetha-Schüler – und erhielt keine Antwort. Was auf der einen Seite normal war, denn ich war Kadett und sie eine Mascantin. Auf der anderen Seite hatte sie den Flug nach Creiff auf sich genommen, um mich für einen Tag zu sehen. Was immer hier gespielt wurde, es lief nach ihren Regeln, nicht nach meinen. Weigel und Arachya befanden sich nicht in Reichweite, hatten ohnehin nie viel verraten. So blieb ich ein Kadett ohne Herkunft. Das Leben in der Paragetha änderte sich dramatisch, sobald wir wus sten, was es hieß, Kadett zu sein. Man jagte uns durch sämtliche Transmit ter des Systems, führte uns wochenweise die Welten im Kristallschirm vor. Arkon III war ein Spektakel, der Kriegsplanet, eine Welt voll High Tech-Werften und Flottenhäfen, umkreist von zigtausenden Kugelrau mern. Arkon III zu sehen galt als Privileg; Zivilpersonen war der Zutritt verboten. Arkon II bot die größte Vielfalt fremder Völker. Von Terranern über Blues bis zu Überschweren; von den klobigen Naats bis zur Sichtung eines noch gewaltigeren Haluters. Aber auch Arkon I, insbesondere der Konti
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nent Laktranor, erwies sich als Abenteuer pur. Mit den Tanzvergnügen der Quertamagins, Arigas und Gonozals hatte ich nichts im Sinn. Doch das Karaketta-Rennen des Jahres, ein Ereignis der Gesellschaft, erwies sich als wunderbarer Nervenkitzel. Ich hatte nie so strahlend schöne Göttinnen, so viele in kostbare Körperpanzer verpack te Adlige auf einem Haufen erlebt. Militär präsentierte sich in Gala. Und dann das Rennen! Raketengleiter mit Korpuskularantrieb – die so genannten Karakettas – hetzten durch einen Kurs aus schwerelosen Pylo nen. Schwebende Tribünen umgaben den Parcours. Eine gehörte der Parage tha; ich verfolgte das Rennen mit perfekter Sicht, für die ein anderer zig tausend Chronners zahlte. Zwei Piloten starben, als ihre Gondeln kollidierten. Der Sieger erwarb märchenhaften Reichtum und Präsenz auf sämtlichen Kanälen des TrividNetzwerks. Mein Lieblingsplatz war am Sichelbinnenmeer, in der Stadt Shulukai. Entlang einer Uferpromenade schlängelten sich halb legale Wochenmärk te. Arkoniden ließen sich selten blicken. Die Vorstellung, eigenhändig Nahrung einzukaufen, passte nicht zum Lebensstil der Herrenschicht. Doch Shulukai, als Sammelpunkt der Fremden von Arkon I, bot eine Viel falt von Kultur, die selbst Wochenmärkte zuließ. Springer-Händler und Galaktische Mediziner, Zaliter und Kolonialarkoniden jeglicher Couleur, hier kamen sie zusammen. Ich trug in Shulukai nicht meine Toga, sondern unauffällig schlichte Kleidung. An den Promenaden wollte ich nicht Kadett sein, sondern einer in der Masse. Zwei Springer parkten gegenüber vom Kai einen Schwebekiosk. In der Auslage prangten Ketten mit Einlegeschmuck; aus blauem Mivelum und dem physikalisch ähnlichen gelben Hyperkristall Losol. Daneben legten Wesen, deren Gestalt ich nicht einordnen konnte, mit spitzen Grätenfingern eigenhändig gefangenen Fisch aus. Der Fisch war nicht frisch. Ein ranziger Dunst senkte sich über die Promenade. Bauern präsentierten Gemüse aus den Gewächssilos am Stadtrand; ein gerahmt in teure Albon-Duftblumen, die zur Herstellung exotischer Par füms dienten. Der Duft mischte sich mit Fischgeruch. Vor meinem Sitzplatz am Kai ließ sich ein Schoßtier nieder, ein Posson kal. Ein kleiner, Jahrtausende domestizierter Jäger mit lang gestrecktem Körper; der in dem Moment anfing, sich hektisch mit der Hinterpfote am Kopf zu kratzen. Ich hörte ein leises winselndes Geräusch. »Was hast du, Kleiner?« Ich glitt von meinem Sitzplatz, beugte mich hinab und sah den Posson kal an. Er hörte auf, sich zu kratzen, und winselte wieder.
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»Wenn du mich dranlässt«, raunte ich ihm aufmerksam zu, »seh ich mal nach.« Der Possonkal erstarrte. Ich beugte mich hinunter, nahm vorsichtig das hängende Ohr und untersuchte es. Das Fell war intakt, kein Parasit und keine Schäden. Nicht das Ohr, dachte ich plötzlich. Sondern die Pfote. »Ich bin ganz, ganz vorsichtig, Kleiner …« Zwischen den Zehen des Possonkals steckte ein Splitter Glas. »So, stillhalten und tapfer sein. Das tut jetzt ganz schön weh.« Ich zog den Splitter behutsam raus. Der Possonkal jaulte leise, regte sich aber nicht; bis ich einen blutigen, gezackten Dorn über die Mauer ins Wasser warf. »Das war's, verschwinde!« Der Possonkal hoppelte glücklich davon, durch die Beine der Passanten bis zum Springer-Kiosk. Mein Blick begegnete dem eines Mädchens. Sie stand auf Zehenspitzen, und sie hatte die dunkle Haut einer Kolonialarkonidin. Der Blick ihrer rie sengroßen Augen ruhte eine volle Sekunde auf mir. Unergründlich tiefe Augen. Wie blaue Teiche. Der Possonkal blieb bei ihr stehen, mit sich windendem Hinterkörper, und war außer sich vor Freude. Das Mädchen ging in die Knie und strei chelte ihm über Schulter und Brust. Dezent zog ich meine Sonnenbrille von der Nase, richtete den linken Bügelsensor auf sie und begann das Mädchen abzufilmen. Ich schätzte ihre Größe auf einssechzig, als sie aufstand. Sie lächelte mit einem hinreißend verschmitzten Ausdruck, der mein Herz zum Klopfen brachte. Beiläufig nahm sie von den Springern ein winziges Päckchen, dann spa zierte sie samt Possonkal davon. Ich begegnete ein letztes Mal ihrem Blick, als sie mit voller Absicht über ihre Schulter sah. Verstohlen beugte ich mich nach vorn. Die Göttin hatte einen herzförmigen Po, der sich unter einem schlichten hellbraunen Sommerkleid abzeichnete, und langes weißblondes Haar, das ihr luftig über die Schultern fiel. Du Idiot! Keine Ahnung, was es war, das mich so magisch anzog. Lass sie nicht so einfach weg! Ich riss mich zusammen, fasste mir ein Herz und folgte ihr. Das hintere Marktstück gefiel mir nicht. Schwarzhändler warben für sündhaft teures Eyemalin, das die Sinne schärfte, aber süchtig machte. Ro bot-Stewards kredenzten Nettoruna-Wein aus dem Süden, den ich für ge panscht hielt.
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Dahinten der weißblonde Schopf. Ich fing zu rennen an. Sie nahm eben den Possonkal auf die Arme hoch, bog um eine Ecke … Hinter der Ecke befand sich ein Gleiterstellplatz. Drei Maschinen erho ben sich in die Luft, während ich das Rund erreichte. »Verdammt!« Ich prägte mir Farben und Typen der Gleiter ein. Das Mädchen aber war fort. Ich nahm als sicher an, dass sie in einem der Gleiter saß. Warum sonst hatte sie ihren Possonkal auf den Arm genommen? Mit finsterem Blick marschierte ich den ganzen Weg zurück. Vor dem Springer-Kiosk blieb ich stehen. »Was können wir für Euch tun, Erhabener?«, schleimte der vierschröti ge Riese hinter dem Ladentisch. »Bei uns gibt's die besten …« »Ich will nichts kaufen. Hier war gerade eine Kundin. Eine junge Kolo nialarkonidin in einem braunen Kleid. Kennt ihr sie?« Der Springer grinste tückisch. »Seid Ihr nicht ein wenig jung für einen Angehörigen der Celista-Geheimdienste?« »Ich zahle für die Information.« »Tut mir Leid, Erhaber, aber …« Ich griff in die Auslage der Springer, zwischen die Schmuckstücke, und förderte zwei polierte Wurfsterne zu Tage. Prüfend wog ich die Scheiben in der Hand. »Das sind Tharks«, stellte ich fest. »Waffen für Dagoristas! Der Besitz dieser Waffen ist verboten.« »Legt das bitte weg.« Der Springer lachte unsicher. »Euer freundlicher Hinweis ändert natürlich die Sachlage. Für dreißig Chronners könnten wir …« »Wer ist sie?« »Keine Ahnung. Sie kommt alle paar Perioden zu uns, und sie kauft kostbare kleine Stücke. Muss also verteufelt viel Geld besitzen.« »Sie sieht nicht reich aus.« »Vielleicht eine Schneiderin?«, tippte der Springer gepresst. Er sah aus, als ob er mich erwürgen wollte. »Die kaufen hier oft.« Der Fingerzeig war nicht der dümmste, überlegte ich, während ich dem Kerl meinen Creditchip reichte und die Tharks in eine Tasche meiner Klei dung schob. Keiphos da Quertamagin surrte im Schwebesessel durch die Trainings halle der Paragetha. Mit einem seltsam amüsierten Ausdruck beäugte er die angetretenen Kadetten. »Wir haben heute einen besonderen Gast. Ihr dürft alle glauben, es ist mir eine Freude.« Keiphos hielt vor dem geschlossenen Schott. Ein Licht signal zeigte an, dass jemand hinter der Tür stand. Doch der Has'athor blockierte den Öffnungsmechanismus. »Einige anwesende Kadetten haben in kurzer Zeit eine Menge gelernt. Einige anwesende Kadetten überschät
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zen sich allerdings. Um die gewisse Demut wiederherzustellen, die ich mir wünsche, habe ich zur heutigen Dagor-Lektion einen Trainingsgast be stellt.« Keiphos löste die Verriegelung. Dahinter stand mit verschränkten Ar men ein Arkonide in einem schwarzem Ledermantel. Seine Füße stecken in schweren schwarzen Stiefeln. Mir rutschte fast das Herz in die Hose. Ich kannte den Mann. Er war fast zwei Meter groß und auffallend kräf tig. Sein Gesicht wirkte erschreckend brutal, die völlig weißen Augäpfel waren rätselhaft und verstörend, denn in ihren Blicken lag keine Richtung. Der in Schwarz gekleidete Hüne trat wortlos ein. »Ich darf euch den Cel'athor Shallowain vorstellen. Shallowain den Hund, um genau zu sein. Den Beinamen erhielt er von Terranern, die heu te allesamt nicht mehr leben.« Shallowain trat in die Mitte der Trainingshalle. Er legte seinen Mantel nicht ab. »Unser Trainingsgast ist ein Kralasene …« Von überall ersticktes Rau nen. »Er ist persönlich mit den Mascanten der Flotte bekannt. Admiralin Ascari da Vivo hat die Freundlichkeit besessen, uns Shallowain für einige Belehrungen auszuleihen. Wer verspürt als Erster das Bedürfnis, an Shal lowains Fertigkeit teilzuhaben?« Niemand meldete sich. Ich wich unauffällig aus der ersten Reihe nach hinten, hinter den stämmigen Kahlkopf Latista, der mich praktisch ver deckte. Was wiederum Keiphos kein bisschen störte. »Kantiran«, kommandierte er genüsslich, »vortreten!« In der Falle. »Ich verspüre keineswegs den Wunsch, Erhabener!«, ge traute ich mich zu widersprechen. Ein eisiger Blick des Has'athors traf mich, und ich begriff, dass ich aus der Sache nicht rauskam. Furcht war ein schlechter Berater. Dagoristas agierten auf der Grundlage von Respekt, nicht aber von Angst. Ich rückte vor, Shallowain immer im Blick, und besetzte die Mitte des Raumes. Grundhaltung der Dagoristas. Schwerpunkt verlagern in Körper mitte, absolute Beweglichkeit. Shallowain gab ein überraschendes Stopp-Signal. Er deutete auf meine Brusttasche, aus der ein Bügel meiner Brille ins Freie hing. »Leg das vorher weg, Kadett. Sie macht nicht oft Geschenke. Eine Be schädigung wäre unverzeihlich.« Ich zog die Brille raus und warf sie Latista zu. Shallowain sah eine Menge. Er hatte an die Brille gedacht, ich nicht. Mir fiel der Siegelring am Mittelfinger seiner linken Hand auf; ein kost bares Stück mit einer oben liegenden, gravierten, ovalen Platte aus Silber.
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Die Platte zeigte das Emblem der Celista, einen meergrünen Yilld in gol dener Blitzaureole. »Dann seid Ihr so freundlich«, konterte ich, »Euren Ring abzulegen. Nicht dass es zu Verletzungen kommt.« Shallowain lächelte verblüfft. Er zog den Ring ab und steckte ihn in sei ne Tasche. Immerhin Gleichstand, rechnete ich mir vor, ein Signal im Vorfeld, dass ich nicht die Absicht hatte, kampflos das Feld zu räumen. Wir pressten eine Faust an die Brust. Dann begann das, was man mit gutem Willen als Kampf bezeichnen konnte. Shallowain stand für den Bruchteil einer Sekunde reglos mitten in der Luft. Den Rest nahm ich nicht mehr wahr. Er bewegte sich, ich wusste nicht, wohin. Vor meinen Augen eine Stiefelsohle, ein Strahl Blut, ich fühlte meine Hände nicht mehr. Und ich lag am Boden. In einer völligen Stille, in der ich nur das Blut in meinen Ohren rauschen hörte. »… erhebe dich, Kadett!«, ätzte eine Stimme, die sich anhörte wie Kei phos' Organ. »Schade um den tiefen Schlaf, aber dies ist eine Lehrveran staltung.« Das Gefühl kehrte in meine Hände zurück. Mit ihm ein fürchterlicher Schmerz, der mir das Wasser in die Augen trieb. Die Tränen wuschen das Blut fort. Ich rollte mich auf die Seite, kam auf die Knie, dann auf die Füße. Shal lowain starrte mich mit seinen weißen Augen an. Mit anschwellenden Unterarmen stand ich immerhin aufrecht. Tränen rannen mir wie Sturzbäche über die Wangen, aber ich blieb bei Bewusst sein. »Ausgezeichnet!«, lobte Keiphos vor allen Kadetten. »Sehen wir uns an, welche Fehler Kantiran begangen hat.« In einem mannsgroßen Hologramm lief der unglaubliche Vorgang noch mal ab. Meine Demontage als Kämpfer, ein lichtschnell agierender Titan gegen eine unbewegliche, mit Getreide gefüllte Puppe. So wirbelte ich über die Matte, bis zu dem Augenblick, als ich in Zeitlupe meine Unterar me brechen sah. Mein erster Gedanke, kaum dass ich wiederhergestellt war, galt dem Mädchen vom Markt. Ich lungerte in den Tagen und Wochen danach am Wochenmarkt von Shulukai herum, in Sichtweite der Schmuckstände, wann immer die Para getha freie Zeit gewährte. Die Aufzeichnung, sie mit ihrem Possonkal, zeigte zehn Sekunden lang ein Wunder. Im Dunstkreis der Paläste war der Anblick schöner Frauen nicht ungewöhnlich. Aber das Mädchen hatte etwas Besonderes, gegen die arkonidischen Schönheiten Natürliches, dass ich keine Beschreibung fand.
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Die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch mal auftauchte, lag ungefähr bei null. Arkon war nicht Creiff. Man konnte per Transmitter in Sekunden überall sein. Dennoch bereitete ich mit Sorgfalt meine Chance vor. Sechzig Tage nach dem ersten Mal sah ich sie wieder. Wieder mit dem Possonkal, wieder am Kiosk der Springer. Sie trug ein enges weißes Kleid und hielt die Haare mit einem Stirnreif. Welch eine Erlösung, sie zu sehen, und ich empfand Stolz, dass der erste Teil meines Plans tatsächlich aufging. Ich sammelte Mut, rutschte von der Kaimauer und hielt schwer atmend auf sie zu. In dem Moment, als unsere Blicke sich begegneten, klopfte mein Herz bis zum Hals. »Ich hab auf dich gewartet.« Die Worte klangen nicht souverän, son dern kurzatmig und heiser. »Mein Name ist Kantiran. Wir haben uns vor zwei Perioden hier zum ersten Mal getroffen.« Der Blick ihrer großen Augen ruhte so intensiv auf mir, dass ich kaum Luft bekam. »Das weiß ich«, sprach sie mit heller, weicher Stimme. »Du hast Raffid geholfen.« Raffid war also der Possonkal. »Du bist das schönste Mädchen, das ich je getroffen habe. Ich möchte dich kennen lernen.« »Wie ist dein Name – Kantiran? Du hast dir die Mühe umsonst ge macht, es tut mir Leid. Aber ich finde dich sehr, sehr mutig.« Sie lächelte in einer Mischung aus Scheu und Misstrauen. »Raffid lässt sich sonst nur von mir anfassen. Zu Hause nennen sie ihn Bestie.« Tut mir Leid. Die Worte schepperten mir im Ohr. »Es gibt die Straße runter ein kleines Cafe am Kai, in dem kaum Touri sten sind. Wir könnten da …« »Bitte, du musst das vergessen.« »Hast du eine Ahnung, wie oft ich schon hier war? Das kannst du mir nicht antun!« Ihr Blick irrte schnell nach links und nach rechts, als ich sie unter Druck setzte, als suche sie einen Ausweg. Die Aufregung fleckte ihre Wangen. Sie trat für eine Sekunde nah an mich heran, sie fasste meine Schultern, und ich saugte wie psychogenes Gas ihren Duft ein. In einer hastigen Bewegung nahm sie Raffid auf. Sie barg den Posson kal in den Armen und drehte sich von mir fort. »Bitte warte!« Das Mädchen schaute nicht zurück. Mit schnellen Schritten strebte sie weg von den Ständen am Kai und tauchte in den Massen der Besucher un ter. Ich stand wie vom Donner gerührt. Der Rotbart hinter dem Tresen kommentierte gallig: »Ihr habt sie ver scheucht, Erhabener. Eine gute Kundin, die stets kauft! Eure Bekannt
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schaft verspricht ein teures Vergnügen zu werden.« Ich ignorierte den Springer. In meinen Planspielen hatte ich die Mög lichkeit eines Fehlschlags ins Kalkül gezogen. Ich schlug dieselbe Richtung ein wie sie, verringerte ihren Vorsprung, bog an derselben Ecke ab wie beim ersten Mal. Von dem Gleiterstellplatz erhoben sich zwei Maschinen. Nur dass ich dieses Mal den vorderen der Gleiter wieder erkannte. Die silbergraue Lackierung trug keinerlei auffälliges Merkmal. Nichts, was auf Herkunft oder Besitzer schließen ließ. Ich wartete ein paar Sekunden, dann sprintete ich zu einem Mietgleiter am Rand des Feldes. Der Gleiter gehörte einem Verleih an der Paragetha. Ich nahm immer denselben. Das Modell ließ Handsteuerung zu, sämtliche Leitvorrichtungen waren abschaltbar. Er besaß eine Ortervorrichtung und eignete sich hervorragend, einen anderen Gleiter zu verfolgen. Ich liftete die Kiste mit geringer, unauffälliger Beschleunigung auf zwanzig Meter, lokalisierte die silbergraue Maschine und schlug dieselbe Richtung ein. Meine Göttin folgte einige Kilometer dem Verkehr von Shulukai. Vor der Stadtgrenze bog sie ab und zog Richtung offenes Wasser. Ich ließ ihr einen Kilometer Vorsprung. Über dem Sichelbinnenmeer reichte ein Blick zurück, und sie hatte mich. Stattdessen verfolgte ich per Orter ihren Kurs. Sie wich einem Vogelschwarm aus, der landwärts kreuz te, und sammelte einen Pluspunkt mehr. Andere wären durch den Schwarm gerast, ohne einen Zentimeter abzuweichen, und hätten Dutzen de Vögel abgeschossen. Die Südküste besaß einen traumhaften Schimmer. Dicht vor der Mün dung ins Meer hoben Antigravfelder den Druncen-Fluss zu einer drei Ki lometer hohen, durch den Sonnenhimmel schwingenden Parabel. Drunter erstrahlte in Gold das Trichterpalais der Zoltral-Familie, das Wahrzeichen von Sha'shuluk. »Oh nein …«, murmelte ich. »Bloß nicht der Palast.« Aber ihr Kurs führte am Palais vorbei, über lichte Wälder zu einer Gruppe von Trichterbauten. Das Gelände war von einer Art Hecke umfriedet. Erst als ihre Maschine gelandet war, wagte ich mich näher. Aufmerksam umkreiste ich das Anwesen, in respektablem Abstand, und lugte durch die Lücken im Bewuchs auf die Häuser. Natürlich konnte ich das Mädchen nicht sehen. Aber wo es wohnte, wusste ich nun. Zeit, mir über meine Folgeschritte klar zu werden; ich musste rausfinden, wem Gelände und Gebäude gehörten, wer darin wohn te, und dann einen Vorwand finden, der mich als Besucher ins Innere brachte.
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So weit, so gut – bis aus dem Wäldchen vier Objekte in die Höhe sto ben. Es waren Kampfgleiter. Ich zwinkerte die Tränen weg, die von einer Sekunde zur anderen mei nen Blick vernebelten. Kampfgleiter! Warum? Etwas lief unerwartet schief. Die erste Reaktion war Paragetha-Schulung. Stets den eigenen Vorteil suchen. Panik vermeiden. Ich nahm Fahrt weg, steuerte die engste Kurve, die die Bauart zuließ, und drückte meine Maschine abwärts zwischen die Kronen der Bäume. Sie hatten das Tempo, ich hatte die Wendigkeit. Die Kampfgleiter rauschten mit hohem Fahrtüberschuss vorbei. Nochmals eine Etage runter, unter die Kronen, wo es lichten Raum gab. Mein Herz hämmerte. Ich fühlte mich wie beim Karaketta, als ich zwi schen den Stämmen Richtung Palast der Zoltrals raste. Die Flucht führte nicht weit. Eine Wand von Bäumen ging in meinem Kurs in Flammen auf. Die Kampfgleiter hatten Thermokanonen, und sie feuerten damit. Mir blieb die Wahl zwischen Kampf, Tod und Aufgabe, ohne eine Ah nung zu haben, was die Fremden von mir wollten. Ich bremste die Maschine ab und landete im Wald. Dort stieg ich aus und wartete ab. Einer der Gleiter löschte mit Druckluft den Brand, die anderen umkrei sten mich und gingen nieder. »Schon gut!«, brüllte ich mit gereckten Armen, die Hände geöffnet. »Ich gebe auf!« Mit angeschlagenen Waffen stellten sie mich, drei Männer und eine Frau. Ihre Waffen waren Celista-Modelle. Sie trugen keine Kampfausrü stung, zumindest das nicht, doch ich erkannte im Sonnenlicht den silbrigen Schimmer, der ihre Körper umspielte. Es handelte sich um Schutzfelder. Keiner der vier zeigte überflüssige Aufregung. Sie agierten professio nell. Jedenfalls mehr als ich selbst, erkannte ich beschämt. »Wer bist du?« »Mein Name ist Kantiran. Ich bin ein Kadett der Paragetha. Mein Rek tor ist Has'athor Keiphos da Quertamagin.« Sie nahmen die Auskunft ohne Regung hin. Die Erwähnung der Parage tha, mein Trumpf, stach nicht. »Dies ist verbotenes Gebiet. Was suchst du hier?« »Ich wusste nicht, dass der Anflug verboten ist. Es gab keine …« »Was suchst du hier?« Ich überschlug im Kopf drei Dutzend Lügenmärchen – und entschied mich kurz entschlossen für die Wahrheit. »Eine Verfolgungsaktion«, ge stand ich. »Ich hab auf einem Markt am Meer ein Mädchen angesprochen. Da ich sie kennen lernen wollte, habe ich sie verfolgt. Sie flog mit einem
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silbergrauen Gleiter zu diesem Anwesen. Es liegen also persönliche Grün de vor.« Die Frau schnauzte mit vorgehaltenem Strahler: »Warum die Verfol gung, wenn du sie bereits angesprochen hattest?« »Sie wollte nicht mit mir reden. Sie muss aber.« Die vier blickten sich an. Schließlich lachte der Anführer. »So dumm wär' keiner von der USO. Wir fragen Thereme nach ihm.« Die Göttin, die anscheinend Thereme hieß, richtete einen entgeisterten Blick auf mich. »Das ist er tatsächlich, Cel'arbtan. Und … er hat was ge tan?« »Dich verfolgt. Er hat die Grenzen des Anwesens verletzt und anschei nend observiert. Sein Gleiter war auf Handsteuerung. Wir haben das über prüft. Er hatte alle automatischen Warnsysteme abgeschaltet.« »Aber wieso …?« Der Anführer rollte die Augen hoch, feixte mit Blick auf ihr weißes Kleid und meinte: »Warum wohl? In Ordnung, wir schaffen diesen Kadet ten zur Polizeibehörde und zeigen ihn an. Mögen seine Lehrer von der Pa ragetha ihn holen kommen.« »Nein … nein!«, sagte sie schnell. »Lasst ihn mir hier. Ich will nicht, dass er der Polizei angezeigt wird.« »Übernimmst du die Verantwortung?« Das Mädchen blickte mich an, in einem magischen Augenblick zwi schen Hoffen und Bangen … »Ich übernehme sie.« Die vier Bewaffneten ließen mich ohne ein weiteres Wort bei dem Mäd chen zurück. Sie führte mich zwischen Trichterbauten auf ein abseits gelegenes Haus zu, mit hölzern steifem Rücken, ohne einen Blick. Ich beäugte verstohlen die Gebäude. Luxus war überall sichtbar, stand aber im Hintergrund. Eine Kolonne Naats bog um die Ecke; schwerfällig wirkende Wesen von den Monden des fünften Arkon-Planeten. Sie waren drei Meter groß, besaßen stämmige Säulenbeine und Kugelköpfe mit drei Augen. Außer dem trugen sie Desintegratoren, deren Kaliber Bootsgeschützen entsprach. Ich wagte kein Wort zu sprechen. Bis wir ins Innere einer Kammer traten: ein Durcheinander, wie ich es selten erlebt hatte, in dem ein feiner Duft nach Chiwan-Parfüm und natür lich nach ihr lag. Von hängenden Rollen faserten Stoffbahnen, die aussa hen wie Mehinda-Seide. Arkonoid geformte, mannsgroße Figuren aus Pla stik standen im Weg und an der Wand, zum Teil bekleidet. In einer Schachtel glitzerten Halbedelsteine, die ich für blauen Bmerasath hielt. In einer anderen verstaubten kostbare Ketten, so wie die vom Wochenmarkt in Shulukai. Ich vernahm ein kläffendes Geräusch. Auf einem riesigen Tisch in der
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Mitte des Raums türmte sich zerschnittenes Material, das aussah wie dun kelbraunes Leder. Daneben lag eine Art Energie-Schneidewerkzeug – und unter der Platte knurrte der Possonkal. Ich bückte mich, brummte in einem freundlichen Ton zurück und ließ die Bestie an meinen Händen schnüffeln. Raffid schnurrte. Das Mädchen hob die Brauen und blickte zu uns runter. »Dein treuher ziger Blick ist bühnenreif. Ich heiße Thereme, und ich bin die Leibschnei derin des Erhabenen Khilur da Ragnaari.« Sie tat, als erkläre das alles. »Du brauchst dich also nicht zu wundern, wenn du hier rumfliegst und heimlich tust.« Ich kraulte Raffid mit kreisenden Bewegungen. Der Possonkal wälzte sich auf den Rücken und bot mir seinen Bauch. »Wer ist dieser Khilur?« Thereme sah mich misstrauisch an. »Du bist wohl noch nicht lange hier. Khilur ist der Cel'Mascant des arkonidischen Geheimdienstes. Vorher Ce lista-Chef vom Gerichtsplaneten Celkar.« »Na Klasse«, machte ich schwach. »Ich spioniere also am Heim des Ge heimdienstchefs.« »Ungefähr das.« »Thereme, du hast den schönsten Namen der Welt. Mir tut nicht Leid, was ich getan hab, ich war in Not. Mir tut nicht Leid, dass ich nicht hinge nommen habe, was du sagst. Weil ich glaube, du bist es wert. Ich danke dir, dass du mir die Polizei ersparst. Das ist für mich sehr wichtig. Aber noch wichtiger ist, dass ich mit dir sprechen kann.« »Was willst du denn wohl sagen?« »Weiß ich noch nicht. Vielleicht nur Unsinn, weil ich so nervös bin, Hauptsache, ich kann's dir sagen.« »Phh.« »Oder zuhören. Zuhören kann ich auch gut.« Sie presste die Lippen zusammen, und ich stellte mir in einem Déjà vu noch mal vor, wie ein imaginärer Würfel fiel. Etwas blitzte in ihren Augen auf. Sie blickte nieder und ließ mich nicht sehen, was es war. Wortlos räumte sie eine Couch frei. Unter der kostbaren Mehinda-Seide kam ein zerschlissenes Möbelstück zum Vorschein. »Dann setz dich da hin und bring nichts durcheinander.« Eine Order, über die sie im Chaos selbst lachte. »Es gibt einen Jagdanzug, den ich für Khilur fertig nähen muss. Das ist schwere Arbeit. Du kannst dich hinsetzen und mir zusehen, wenn du so viel Zeit hast.« Ich fiel mit einem Gefühl unendlicher Erleichterung in die Couch. Raf fid setzte zum Sprung an und landete in meinem Schoß; während Thereme anfing, mit dem energetischen Werkzeug das Leder auf dem Tisch zu be
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arbeiten. Das Material sah abgeschabt aus. Eingeflochtener Draht aus haarfeinem Ynkenit verstärkte die Struktur. »Wirkt wie ein Panzer«, stöhnte Thereme, »kostet so viel wie ein Raumschiff und ist genauso schwer zu schneiden! Man sollte das in die Werkstätten von Arkon III geben.« »Darf ich helfen?« »Ja«, sie zeigte wieder den hinreißend verschmitzten Ausdruck, mit dem sie mich beim ersten Mal umgehauen hatte, »halt mir Raffid weg.« Meine freie Zeit gehörte von dem Tag an Thereme. Die Stunden aber, die zwischen den Lektionen anfielen, verbrachte ich im Cathlon, dem un terirdischen Bibliothekentrakt der Paragetha. Nach wie vor waren es zwei Männer, die mich faszinierten. Imperator Bostich I. – und Perry Rhodan. Je tiefer in der Materie, desto mehr unter schied sich das Bild, das ich gewann, vom offiziellen Kristall der Ge schichte. Der Resident von Terra hatte demnach eine größere Rolle gespielt als auf Arkon bekannt. Historische Quellen zeigten, dass Rhodan Anteil an galaktischen, ja kosmischen Ereignissen besaß. Er hatte in Andromeda die Meister der Insel gestürzt, die gefürchteten Dolans und die Bestien von M 87 besiegt. Die Milchstraße verdankte ihm den Abzug des Schwarms. Das Konzil der Sieben … und weiter hinaus ins Universum. Perry Rhodan löste das Rätsel der Kosmokraten und stand am Berg der Schöpfung. Die Dritte Ultimate Frage allerdings, deren Antwort er um ein Haar gefunden hätte, blieb bis heute offen. Denn Perry Rhodan besann sich auf sein Menschsein und wies die Antwort, die seinen Geist gesprengt hätte, in Demut zurück. Die Gänger des Netzes, die Ewigen Krieger, das Reich Tradom. War es wirklich die Admiralin Ascari allein, die den Sieg errungen hat te? Oder bestand Rhodans »unwesentlicher Beitrag« doch aus etwas mehr? Mittlerweile stand uns allen die nächste Krise bevor, wollte man Rho dan Glauben schenken. Gegenstand ungestümer Dispute in der Paragetha war eine Warnung von Cairol, dem Boten der Kosmokraten, die Perry Rhodan im Sternhaufen Thoregon erhalten haben wollte. Demnach stand dem Universum eine Modifikation des Hyperphysikali schen Widerstands bevor. Eine Modifikation, so Rhodan, die von den Kos mokraten zur Einbremsung des Lebens an sich vorgenommen wurde. Der Gedanke klang wie Irrsinn. Wie ein Scherz oder ein gigantischer, seltsamer Irrtum. Nicht in einem Sternhaufen, nicht in einer Galaxis. Sondern gleich im Universum. Im Kosmos hatte sich das Leben derart ausgebreitet, dass den Hohen Mächten langsam, aber sicher die Kontrolle verloren ging. Das Universum
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war demnach eine Art Körper, und die Lebewesen, die in diesem Körper steckten, wurden mit einer unkontrolliert sich vermehrenden Virenseuche gleichgesetzt. Der veränderte Widerstand sollte ein Medikament sein. Um der Seuche Leben Herr zu werden. Um das Leben auf ein gesundes Maß zu reduzie ren. Ich persönlich zweifelte den Wert der Warnung an. Das fünfdimensio nale Spektrum war umfangreich, der größte Teil von Arkoniden kaum er forscht. Was also beschrieb der so genannte Hyperphysikalische Wider stand konkret? Ungezählte Geräte nutzten das Hyperspektrum, über un zählige Wellenlängen. Rhodan sprach als Prophet des Untergangs. Manchen bereitete er Furcht, andere verlachten ihn. Der Resident sandte Boten in die Magellanschen Wolken, nach Andro meda, Hangay, nach DaGlausch, Plantagoo und zu weiteren Galaxien. Das Bild, das er öffentlich malte, war ein Szenario des Horrors. Eine Milchstraße ohne Raumschiffe und ohne Energie. Abgeschnittene Plane ten. Raumstationen ohne Gravitrafs und ohne Syntrons. Rhodan leitete im Machtbereich Terras eine Strukturreform ein, die enorme Mittel verschlang. Die Planeten der LFT entwickelten sich zu Selbstversorgern, soweit es möglich war. Klassische Industrieplaneten opferten Profit, um statt Industriegütern Nahrungsmittel herzustellen. Klassische Versorgerplaneten verloren Ein kommen, denn ihre Abnehmer produzierten plötzlich selbst – zu deutlich höheren, staatlich subventionierten Preisen. Frachterlinien der Liga trieben an den Rand der Pleite. Opfer der veränderten Versorgungslage. Und wur den mit Staatsgeldern am Leben gehalten, da man sie im Ernstfall brau chen würde. Das Wirtschaftswachstum der LFT legte sich in Sinkflug. Das sorgte für den typischen, extremen Gegenwind einer Demokratie: Warum sollten Planeten Vorräte anlegen, die ein Jahr lang reichten – im Zeitalter der Transmitterstraßen? Weshalb wurden Neubauten der LigaFlotte mit unnütz wirkenden Low-Level-Technologien ausgestattet? Wa rum wurde die eigentlich überholte, nur militärisch genutzte Positronikin dustrie mit Billionenbeträgen hochgerüstet? Oppositionsgruppen schürten gezielt den Zweifel. Sollten Generationen eben erwachsen werdender LFT-Bürger mit vermindertem Wohlstand aus kommen, weil in einer 500 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis Perry Rhodan einen »Tipp« bekam? Rhodan riskierte für eine Prophezeiung, die vielleicht in zehn, vielleicht in tausend Jahren, vielleicht auch niemals eintrat, die Zukunft der Terra ner.
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Für die Kadetten der Paragetha ein schwer nachzuvollziehendes Szena rio – das wir aber verstehen mussten, um den Gegner zu berechnen. »Kann es nicht sein«, fragte ich Keiphos im Ernst, »dass die Prophezei ung wirklich eintritt?« »Denkbar ist alles«, lautete Keiphos' Antwort. »Im Kristallimperium laufen Planspiele. Arkon III und die Experimentierwelt Urengoll stecken Unsummen in Forschung und Entwicklung.« »Ich bemerke nichts davon.« Keiphos lächelte genervt. »Du wirst mir verzeihen, wenn ich persönlich den Unsinn nicht eine Sekunde glaube.« »Und wenn der Imperator …« »Du verschwendest meine Zeit, Kadett«, fiel er mir schroff ins Wort. »Gebrauche deinen Verstand! Nimm an, du hast einen Gegner. Ob er nun Perry Rhodan heißt oder sonst wie. Nimm an, dieser Gegner hebt die Waf fe und schickt sich an, damit in den eigenen Kopf zu schießen. Wirst du ihn daran hindern?«
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6. Kontinent Laktranor 1328-1329 NGZ Ich entwickelte mich zum gefürchteten Außenseiter an der Paragetha. Mein auf Arkonidisch getrimmtes Erscheinungsbild änderte nichts daran. Der Letzte, der noch Späße trieb, war unser Jahrgangsnarr Latista. Aber Latista verfolgte keine böse Absicht. Seine Späße waren eine Form von Anerkennung. Das bedeutete, dass Latista Narrenfreiheit genoss, auch bei mir. Die Lücke zum Verfolgerfeld der anderen klaffte wie eine Schere. So weit, dass Keiphos da Quertamagin zwei weitere Male Shallowain als Lehrer in die Paragetha bat. Danach brauchte ich jeweils Tage, um wieder auf die Beine zu kom men; Phasen, die ich mehr oder weniger stöhnend bei Thereme verbrachte. Aber immerhin ohne Aufenthalt in der Medostation. So gesehen waren die Verletzungen hilfreich. Sie dienten mir als will kommener Vorwand, der Tretmühle der Schule zu entkommen. An einem Ort zu sein, an dem ich sein wollte, und statt der Schülerschaft eine junge Frau zu sehen, die ich tagelang hätte betrachten können. Im Winter des Jahres 1328 NGZ gab die Paragetha ihren Kadetten eine ganze Woche frei. Die anderen flogen in ihre Elternhäuser aus, oft über Tausende Lichtjahre. Ich dagegen vergrub mich bei Thereme. Es war die schönste Zeit mei nes Lebens. Die Tage verbrachte ich mit Studien, in einem Nebenzimmer der Schneiderstube, von den Leibwächtern des Khilur da Ragnaari still schweigend geduldet. Sie hatten mir die Möglichkeit eingeräumt, jederzeit zu Thereme zu fliegen. Die Abende und die Nächte verlebte ich mit dem schönsten Mädchen, das es in meiner Vorstellung gab. Ich erzählte ihr alles von meiner Jugend auf Creiff, von meinen toten Eltern und davon, wie sehr das Geheimnis meine nächtlichen Träume dominierte. In dieser Woche schliefen wir zum ersten Mal miteinander. Meine Herkunft und mein Status, die Ziellosigkeit in meinem Innersten, das alles verlor an Gewicht, weil Thereme die Bürde von mir nahm. Am siebten Tag fühlte ich mich, als habe sie etwas in mir, was lange zerbrochen war, aufgerichtet und repariert. Ich erklärte ihr die Sache mit der ARK SUMMIA und dem Mischlings hirn. Dass ich allein dank Keiphos noch auf der Paragetha war. Sie verstand nicht, was mich trotzdem zu der Leistung trieb, die ich brachte, die am Ende meinen Tod bedeuten konnte. Sie wusste nicht, was
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mit dem Wort Mischling verbunden war. Und wieso ich dran glauben musste, dass ich so gut war wie alle ändern. Aber das alles war Lichtjahre weg. Eine ferne, ungewisse Zukunft. Sie kuschelte sich in meinen Arm und blickte mit mir zum Fenster raus, auf das ferne Glitzern einer Raumschiffskette, die über den Himmel zog. »Du wirst bestimmt mal ein großer Admiral«, flüsterte sie. »Mit Extrasinn und Logiksektor und allem. Dann sitze ich immer noch hier unten an mei nem Schneidertisch und schau zu dir hoch.« »Vergiss nicht, ich bin ein Bastard. Dir ist das zum Glück gleich, aber so einer wird nicht Admiral. Außerdem verlasse ich dich nie.« Thereme rutschte zu mir nach oben und drückte mir einen kuss auf die Nase. »Sternenbastard«, sagte sie zu mir. »Sternenbastard? Wieso das?« »Weil ich in deinen Augen Sterne sehe.« Sie lächelte schelmisch. »Das war ein Kompliment, Dummkopf! Allerdings sollte man auch gewisse körperliche Vorzüge nicht zu gering schätzen.« »Was denn für …« Sie tastete über meinen Rücken nach unten, bis zum Po, und fasste mich in einer Weise an, die mich zum Verstummen brachte. »Gewisse Körperteile werden von der Damenwelt als höchst wohlge formt empfunden. Wenn du weißt, was ich grade im Sinn habe.« »Haha! Ich hab keine Ahnung.« Im Morgengrauen brach ich auf. In meinen Gliedern steckte eine bleier ne Schwere. Meine »Ausflüge« Richtung Binnenmeer zogen einen Mangel an Schlaf nach sich, der kaum zu kompensieren war. Thereme, die noch eine Stunde zu schlafen hatte, zog müde protestierend ihr warmes Bett vor. Mir blieb eine Stunde, in der Stadt Shulukai Zwischenstation zu machen und in dem Einkaufszentrum, das ich schon kannte, einige Besorgungen zu erledigen. Zurück in die Paragetha, ich stellte den Gleiter ab und eilte aufs Zim mer. Behutsam löste ich die Linsen, die meine Augen arkonidisch färbten. Drunter kam das helle Augenblau eines Terraners zum Vorschein. Das Färbemittel beseitigte die weißblonde Tönung meiner Haare und stellte die Originalfarbe künstlich her. In die Nasszelle, durch den Trockenraum – mein von Natur aus dunkles, praktisch schwarzes Haar hing struppig ins Gesicht. Mein Gesicht wirkte nicht mehr glatt, sondern scharfkantig und beinahe hager. Ich stopfte die Togen in den Konverter und trug zu Lektionsbeginn eine enge schwarze Hose mit Rippenhemd. Keiphos da Quertamagin traf fast der Schlag, als er mich sah. Der Has'athor gab keinen Kommentar ab, doch ich spürte, wie sehr ihn der Wechsel erzürnte. Meine Vorbereitung erwies sich als lückenlos. Ich be stand mit Auszeichnung die Tests. Dennoch strich das Rektorat mir sämtli
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che Freizeit, eine ganze Periode lang. Ich fühlte mich unverletzbar. Thereme gab mir die Kraft, mich nicht zu verbiegen, auf meine Kraft zu vertrauen und ein Außenseiter, aber ich selbst zu sein. Zu Beginn der zweiten Periode gab Keiphos stillschweigend auf. Ich kehrte in die normale Zeiteinteilung der Paragetha zurück – und saß mit der ersten sich bietenden Chance im Gleiter Richtung Sha'shuluk. Thereme wartete auf mich. Sie öffnete das Türschott nur einen Spalt weit und lugte hindurch. »Wer seid Ihr denn, Fremder?«, krähte sie mit entsetzlich verstellter Stimme. Raffid winselte, huschte zwischen ihren Beinen durch und quetschte sich durch den Spalt. Ich kniete nieder und kraulte den Nacken der Bestie. Dann blickte ich auf. »In der Paragetha gab's eine Menge Schwierigkei ten … Glaubst du, du magst mich auch in Dunkel?« Thereme öffnete das Schott mit einem strahlenden, wunderschönen Lä cheln, das ich 36 Tage so dringend entbehrt hatte wie Atemluft. Sie hüpfte wie losgelassen auf mich zu, reckte sich auf die Zehenspitzen, mit gera dem Rücken, und küsste mich. »Ich bin stolz auf dich, Kant.« »Stolz?« »Weil du du selbst bist. Du kannst kämpfen, weil in dir eine Kraft wohnt. Du bist was Besonderes. – Außerdem …« Sie fuhr mir mit den Fingern durch die Haare, über das unrasierte Kinn. »Man darf so was gar nicht sagen, wenn man in Khilurs Haus lebt. Aber ich mag Jungs dunkelhaarig. Wenn sie sich anfühlen wie Männer.« In der Wüste Khoukar, östlich vom Hügel der Weisen, tagte das Galak tikum, das Parlament der Milchstraße. Keiphos da Quertamagin führte per sönlich unseren Paragetha-Jahrgang zur Sitzung. Im Zentrum des Areals, der Palaststadt Mirkandol, fügten sich syntheti sche Kristalle zu einem gewaltigen Blumenkelch. Dort fand die Sitzung statt. Die Gleiterflotte der Paragetha landete auf einem reservierten Platz, den Rest der Strecke gingen wir in brütender Glut zu Fuß. Die Diplomaten der Milchstraße kamen in Plattformtaxis. An den Haupteingängen wurden sie in Empfang genommen, die Taxis kehrten leer zurück. Wir dagegen sam melten uns am Hintereingang. Keiphos mahnte mit erhobener Stimme: »Ich erwarte von jedem Kadet ten Diskretion. Wir reden nicht, wir lauschen. Wir repräsentieren in gewis ser Weise das Imperium, deshalb warne ich jeden von euch: Erregt keine Aufmerksamkeit.« Eine mit Brokaten ausgeschlagene Rampe führte ins Innere, ins so ge nannte Amphitheater. Unsere Plätze lagen unter dem Dach. Teleskopfelder holten die Geschehnisse so nah heran, als säßen wir in der ersten Reihe.
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Die Ränge füllten sich mit Akonen, Arkoniden, Gataser-Blues, Springern, Topsidern. Hinzu kamen Vertreter der in Thantur-Lok ansässigen Völker, wie Zaliter, Seltener, Scüs oder Naats. Neben mir flegelte sich Latista, der Narr. Er blickte schnell nieder, doch mir entging keineswegs das Glitzern in seinem Blick. »Latista …«, erwähnte ich beiläufig, »wenn du mir auch nur den Schim mer von Ärger fabrizierst, zerquetsch ich dir die Hoden.« »Du willst was? Bist du noch ganz …« »Ich meine das völlig ernst. Mach Schwierigkeiten, und du kriegst Im plantate.« »Verdrehter Bastard!«, schimpfte Latista. Im nächsten Moment wurde alles still. Ein hoch aufgerichteter, dunkel blonder Terraner trat aus der ersten Reihe ans Rednerpult. Er trug weder Uniform noch Umhang oder Körperpanzer wie der Arkon-Adel, sondern schlichte Freizeitkleidung. Ich erkannte schockiert, dass der Terraner Perry Rhodan war. Jener Mann, den ich hundertmal und öfter, studiert hatte. Der dreitausend Terrajahre alt war und der persönlich am Berg der Schöpfung gestanden hatte. Latista holte neben mir zappelig Atem. Mein Hals wurde trocken wie Staub. Ich spürte Tränen der Erregung. Rhodan trug einen Brief der Liga Freier Terraner vor: Die Milchstraße möge eine Entschließung zur Zusam menarbeit fassen, gegen die Folgen eines erhöhten Hyperphysikalischen Widerstands. Insgesamt dauerte die Rede eine halbe Stunde, und ich sog gierig das Flair in mich auf, das der berühmte Terraner vermittelte. Vertreter diverser Völker sprachen zum selben Thema, simultan über setzt aus Dutzenden Sprachen. Bis zu dem Augenblick, als ein Herold des Kristallimperiums ans Pult trat: »Geehrtes Auditorium!«, schleuderte der Ausrufer in die Runde. »Es spricht Seine millionenäugige, allessehende, alleswissende Erhabenheit, Herrscher über Arkon und die Welten der Öden Insel! Seine Imperiale Glorifizienz, Heroe aus dem Geschlecht der Weltältesten …« In dem ge waltigen Raum kehrte eine Stille ein, in der Atemzüge hörbar wurden. Erst Rhodan und jetzt das. Der Imperator würde sprechen. Keiphos musste es gewusst haben. Der Has'athor behielt uns alle im Auge und weidete sich an unserer Be stürzung. Ein strahlendes Licht erfüllte das Galaktikum. Bostich I., zum ersten Mal im Leben in natura. Der Imperator war ein kantiger, hochgewachsener Arkonide in Paradeuniform, der in perfekter Haltung das Rednerpult be setzte – und Perry Rhodans Rede in der Luft zerriss. Keiphos grinste mit leuchtenden Augen in die Runde. Am nächsten Tag war frei, zum ersten Mal seit langer Zeit, und ich er
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wachte in Theremes Bett. Der Morgen war ein Streifen Grau durch ein schmales Fenster. Zu Mittag stand eine Übungseinheit gegen Shallowain den Hund an. Ein Kampf, der mich seit Tagen mit kitzliger Nervosität er füllte; ich hatte gewisse Tricks des Kralasenen durchschaut, und ich brann te auf den praktischen Beweis. Dennoch war es nicht die Unruhe, die mich weckte, sondern etwas anderes. Aus der Ecke des Schlafverschlags kam ein winselndes Geräusch, das von Raffid stammte. »Thereme!« Ich rüttelte sie wach, machte mit einer Geste Licht und kniete bei dem Possonkal nieder. Äußerlich war Raffid nichts anzumerken. Kaum eine Regung, als ich in seine Schnauze fasste und die Kiefer auseinander zwang. Er gab ein schwaches, halb bewusstloses Jaulen von sich. Thereme kam in einer Art Halbschlaf neben mich, das weißblonde Haar wirr über Gesicht und Schultern verteilt. »Was machst du denn, Kant?« Ich legte meine Hände auf den Leib des Possonkals, und die Gesamtheit des Haustiers lag wie eine Art Matrix vor mir. So wie damals im Isolierten Urwald, als ich Torm kennen lernte. Der seltsame Tunnelblick reduzierte alle Farben zu Grau und alle Ge räusche zu Summen. Nur nicht die Kreatur in der Matrix. »Ich glaube«, hörte ich mich flüstern, »Raffid stirbt.« »Was?« Ich ließ Raffid los und fuhr mir mit den Handflächen über die Augen. »Er hat vielleicht was Schlechtes gefressen. Wir müssen ihn zu einem Tierarzt …« »Nein!«, entschied Thereme schnell. »Wir bringen ihn zu Mal Detair.« Ich prügelte den Gleiter auf Höchstgeschwindigkeit, Richtung Stadtrand von Shulukai. »Wer zum Teufel ist dieser Detair?«, fragte ich sie aus. »Ein Wunderdoktor?« »Kein Arzt. Er nennt sich Heiler.« Thereme hielt Raffid im Schoß, selbst nur mit einem Umhang bekleidet, und kraulte hektisch den Nacken des scheinbar leblosen Tiers. »Khilur bringt seine Jagdkahtodos zu ihm, wenn sie verwundet sind. Kahtodos sind Mörder. Die zerreißen einen Mann in drei Sekunden. Aber bei Detair werden sie zahm und lassen sich behandeln.« Vor einer Reihe von Schuppen, die sich äußerlich von den Gewächshäu sern der Bauern nicht unterschieden, brachte ich die Maschine zum Still stand. »Das soll ein Hospital sein?« »Ja. Beeil dich!« Ich sprang ins Freie, in die kühle feuchte Luft der Dämmerung, und schlug am vordersten Schuppen auf den Summer. Als Thereme mit Raffid im Arm herankam, hörte ich ein Poltern von drinnen. »Was denn, verdammt!« Die Tür fuhr nicht beiseite, sondern wurde mit
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Schwung aufgerissen. Vor mir baute sich ein zotteliges Ungetüm mit kupferrotem Haar auf. Der Hüne hatte grobe Gesichtszüge und sah aus wie ein Springer, nur ohne den Bart. Sein fransiger, erkennbar selbst geflochtener Zopf hing ihm zwi schen die Schulterblätter. Die tiefen Ränder um seine Augen zeigten, dass er deutlich länger als einen Tag auf den Beinen war. »Ich hab einen kniffligen Patienten auf dem Tisch!«, polterte der Kauz kurz los. »Kommt morgen wieder!« »Bitte, Mal Detair! Das geht nicht!« Thereme hielt ihm mit Tränen in den Augen Raffid hin, und ich sah im Blick des Zottelriesen einen weichen, gutmütigen Zug erscheinen, der mich überraschte. »Du bist Thereme aus Khilurs Haushalt, nicht wahr? Wirklich, es ist im Augenblick …« »Mein Freund sagt, Raffid stirbt.« Der Kerl namens Detair musterte erst den reglosen Possonkal, dann richtete er einen vernichtenden Blick auf mich. »Woher will dein Freund das wohl wissen? – Nun denn, bringt den Patienten rein.« Thereme eilte hinter Detair her. Ich folgte den beiden und schloss hinter mir die Tür. »Er soll das Schloss zudrehen!«, röhrte der Koloss zu Thereme. »Manche von den Viechern hier sind verflixt schlau!« Ich blickte auf den Knauf, der anscheinend ein Verschlussmechanismus war, und kurbelte nach rechts, bis ich ein schnappendes Geräusch ver nahm. Dann erst folgte ich Thereme und Detair. In der muffigen Luft lagen tausend Gerüche, viele schneidend scharf, manche wie Sumpfgas. Das Grollen eines Raubtiers, tief und angriffslu stig, brachte die schnatternde Unterhaltung eines Vogelschwarms jäh zum Verstummen. Hinter den Türen, die vom Korridor abzweigten, erstreckten sich anscheinend Gehege. Ich verkürzte eilig den Rückstand. Der so genannte Heiler führte uns in die angrenzende Baracke. Ein Geruch wie Blut und Eiter verpestete die Luft. In der Mitte eines schummrig erhellten Raums standen zwei ausgediente Medo-Tische. Ein Teil des Zubehörs erinnerte an High-Tech-Besteck, wie das von Medikern. Der andere, weniger vertraute Teil sah aus wie Kochgeschirr. Thereme bettete ihren Possonkal auf den freien Tisch. Raffid blieb reg los liegen. Mal Detair überzeugte sich, dass der Possonkal noch lebte, aktivierte ei ne wärmende rote Lampe, muffelte ein kurzes »Gleich« und drehte sich zum Nebentisch. Der »knifflige Patient« war ein Riesenvieh: Gewicht an die dreihundert
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Kilo, braun geschuppte Haut, löchrig wie von Brenneisen, ein eingefallen wirkender Leib und ein kräftiger, lang gestreckter Schwanz, der halb vom Tisch hing. Besonders eindrucksvoll war das Reptilienmaul mit den ge waltigen Backenmuskeln. »Thereme! Sag deinem Freund, er soll den Mund zumachen. Zu essen gibt's hier nur für Tiere.« Thereme nahm meinen Arm und wollte mich wegzerren. Ich bewegte mich keinen Millimeter. »Dieses Tier ist ein Croche«, sagte ich. Mal Detair blickte überrascht von seinem Patienten auf. »Bitte was?« »Ein Croche. Nach wie vor.« »Nichts gefunden über die Sorte«, brummelte Detair. »Woher kommen die?« »Vom Planeten Creiff. Das liegt bei dem Sternenarchipel Hayok, unge fähr 24.000 Lichtjahre. Sie sind fast ausgestorben. Was ist denn mit ihm passiert?« »Irgendein Edler hielt den Kleinen zum Spaß. Als er seiner überdrüssig wurde, hat er ihn ausgesetzt. Passiert oft bei unseren hohen Herren in den Villenvierteln.« Die Augen des Crochen standen halb offen. Doch das Licht in ihnen war kein Glühen mehr, höchstens ein Schimmer. »Es gibt Würgemale. Von einer Elektrofalle. Seine Zähne sind abgeschliffen, die Kiefermuskeln wurden bis auf wenige Fasern durchtrennt. Er kann schlucken, aber nicht beißen. Das Seltsamste aber …« Detair aktivierte einen Körpertaster. Ein Holo in zerfranster Herzform zeichnete sich ab. »Das da. Ein Organ, das gezielt abgeödet wurde. Es ist über ungewöhnliche Nervenstränge mit dem Hirn verbunden. Die Menge der Nervenzellen ist größer als im Hirn. Auf der anderen Seite gibt's kei nerlei Stoffwechselfunktion, die ich …« »Das Levitationsorgan«, fiel mir ein. »Ich könnte wetten, dass … Cro chen laufen nicht oft. Sie schweben, eine Art Psi-Fähigkeit. Der Schwanz dient zum Abstoßen im Unterholz. So jagen sie. Was meinst du, kannst du ihn retten?« »Weiß nicht. Ich glaub, er will gar nicht leben. Manche Kreaturen be schließen zu sterben, und dann sterben sie. Hat auch was mit Würde zu tun.« Mal Detair schob dem Crochen einen Schlauch zwischen die Kiefer, schüttelte wie ein Terraner den Kopf, dann pumpte er ihm Brei in die Speiseröhre. »Das hat jedenfalls keine Würde.« Er richtete sich auf, zurück zum ersten Tisch, strich mit seinen Pranken über das braune Fell des Possonkals und streifte aufmunternd mit einem Blick Thereme. »So, wollen mal sehn. Mal was anderes als die Kahtodos deines Herrn
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Khilur. Ist wohl deiner, was?« »Ja.« »Hatte er besonderes Futter?« »Nicht dass ich …« Detair hob behutsam die Lider des Possonkals und inspizierte erst links, dann rechts die bläulich angelaufenen Bindehäute. Er schnüffelte misstrau isch am After und verzog das Gesicht. »Gibt's in den Gärten deines Herrn Albon-Sträuche?« »Ja, aber …« »Er hat Albon gekaut. Duftet gut, bricht Männerherzen, ist aber giftig für Possonkals. Und riecht ganz abscheulich, wenn's verdaut ist.« Er mu sterte Thereme mit einem strengen Blick. »Sie machen das bloß, wenn sie Langeweile haben. Du vernachlässigst ihn, Thereme. So viel ist mal si cher.« »Das stimmt nicht!«, rief sie empört – und verstummte kleinlaut, mit ei nem recht vorwurfsvollen Seitenblick auf mich. Detair öffnete eine Art Tresor, in dem sich Flaschen, Fässchen und Che mikalienröhren türmten. Mit einer kryptisch beschrifteten Ampulle kehrte er zurück, hob Raffids Kopf und träufelte eine Spur auf die Zunge des Possonkals. »Das war's. Wenn er heute Abend noch lebt, wird er wieder der Alte.« Kurz vor Sonnenuntergang humpelte ich in Detairs Hospital zurück; im Grunde stolz auf mich, denn ich hatte Shallowains Tricks perfekt gekon tert. Unglücklicherweise hatte er ein paar neue gekannt. Ich grinste schief, als Thereme auf mich zueilte und mir um den Hals fiel. Am liebsten hätte ich mich auf den nächsten Medo-Tisch gelegt und um die Notschlachtung gebeten. Mein Blick fiel auf Raffid, der in einer Ecke auf Decken friedlich schlummerte, und auf Mal Detair, der mich und Thereme im Auge behielt. Er musste geschlafen haben, denn sein Blick wirkte klarer als am Morgen. »Wie geht's dem Crochen?«, fragte ich den Heiler. »Gestorben.« So einfach. Die Auskunft schockierte mich. Ich hatte an Torm gedacht, an Weigel und Arachya, sogar an Valizon und seine Schockersticks, und nun war der Croche tot. Stattdessen lag ein neuer Patient auf dem Medo-Tisch: ein pelziges Tier, das alle paar Sekunden zuckte und geruchloses Erbrochenes aus dem Maul würgte. »Ein Quatus«, erklärte Detair beiläufig. »Gesunde Tiere haben Wolle, mit der man Mehinda-Seide streckt. Ein Bauer hat es ausgesetzt.« »Was ist mit ihm?« »Keine Ahnung. Ich versuch's rauszufinden.«
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In einem seltsam tranceartigen Zustand schob ich mich vor das Quatus. Ich berührte das Tier an der Schnauze. In der Luft lag ein seltsamer Ma gnetismus. »Es hat Schmerzen«, hörte ich mich sprechen, wie ein Medium in einem Zaubertrick. »Es kann nicht atmen. Es kriegt keine Luft.« Mal Detair fasste meine Schultern und rüttelte mich kräftig durch. »Was plapperst du da? Woher weißt du das?« »Ich … weiß es gar nicht.« Der Heiler fixierte mich in einer Mischung aus Unglauben und Miss trauen. Er checkte mit Instrumentenhilfe die Lunge durch, am Ende prä sentierte er bleich ein Hologramm. »Siehst du die mickrigen dunklen Flecken? Das sind Parasitenlarven. Fressen ihm die Nervenstränge weg, die die Atmung regeln.« »Und was jetzt?« Die Operation entpuppte sich als blutige Angelegenheit, die die halbe Nacht in Anspruch nahm. Thereme schlief in eine Decke gehüllt bei Raf fid und bekam den schmutzigen Teil nicht mit. Ich assistierte Detair, so gut ich konnte. Danach transportierten wir das Quatus in eine Box im hin tersten Haus. Detairs Hospital war eine Mischung aus Exo-Klinik und Großgehege. Kein Betrieb, mit dem Geld verdient wurde, sondern eine Liebhaberei, die alle Grenzen sprengte. »So. Erst essen wir einen Happen, dann nehmen wir 'ne Mütze Schlaf. So wie deine Kleine.« Er führte mich in eine vor Dreck starrende Küche, die einen Haushalts roboter dringend nötig hatte. Detair stellte einen Napf Körnerpaste auf den Tisch und plumpste in einen Stuhl. Die Lehne knarzte, aber sie hielt. »Der Betrieb hier ist nichts als ein verdammter Zufall«, erzählte er mit vollem Mund. »Ich war mal Orbton der Landetruppen, Kampfausbildung, Waffenschulung, bisschen Dagor.« Er holte zu einer wegwerfenden Geste aus. »Später war ich zwölf Jahre im Dschungel von Paschan. Sachen sind da passiert, die würde selbst der Imperator …« Detair lachte schmutzig. »Jedenfalls wollte ich hinterher Tiermediker werden, bloß weg von den Menschen. Das war in der Zeit auf Arkon II.« »Eine Akademie für Tiermedizin?« »Klar, eine der besten! Aber für mich war das nichts. Ich ging noch mal weg und kam hierher. Nicht als Arzt, sondern als Tierheiler. Meine Klien ten haben mit dem Hochadel zu tun. Seit Jahren Leute aus dem Dunstkreis der Paläste. So wie Khilur und seine Jagdkahtodos. Was sich die Edlen so als Spielzeug halten und dann wegwerfen.« »Was ist mit Fremden?«, quetschte ich ihn aus. »Blues und Unither und so.« Detair zog zweifelnd die breiten Nasenflügel hoch. »Da macht man
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schlechte Bekanntschaften. Ich bin mehr der Typ für Tiere. Tiere versteh ich, wenn du weißt, was ich meine.« »Klar«, sagte ich abwartend. »Man könnte sagen, Tiere sind mein Talent. So jemand wie du aber … So was hab ich noch nicht erlebt. Das ist wie Gedankenlesen. Ich könnte dich als Helfer brauchen.« »Vergiss es.« Ich kehrte tags darauf zu einem Abstecher zurück, auf dem Weg zu Thereme, und in der Woche darauf zweimal. Detair wurde mein Freund. Der einzige, den ich neben Thereme hatte. Meistens sprang nur eine halbe Stunde raus, aber schon das war ein Wunder angesichts des Paragetha-Irrsinns. Meine Ausbildung gehörte in der Zeit zum Härtesten, was die Schule zu bieten hatte. Physik, Hyperphy sik, Nahkampftraining. Dazwischen Internierung in der Galaktonautischen Akademie von Iprasa, verharmlost als »Praxiswochen«. Tageweise Hyp noschulung, Soldatendrill in Kreuzern des Imperiums. Auf der ältesten ARK SUMMIA-Prüfungswelt herrschten Kontaktsper re und Dauerschliff. Statt Thereme im Arm zu halten, verbrachte ich mei ne Dämmerstunden mit dem Studium des Feindes. Im Zentrum stand Perry Rhodan. Ganz besonders, als er im Juni 1329 für einen Monat von der Bildfläche verschwand: geradezu ein Lehrstück, wollte man verstehen, was die Ver bindung zwischen Terra und Rhodan prägte. Die Suche nach Rhodan wurde mediales Titelthema. Die halbe Galaxis wurde Zeuge, wie Tifflor und die Unsterblichen das System durchkämm ten. Auf der Suche nach Rhodan, Reginald Bull und einem Reisebus Tou risten, der anlässlich einer Werbetour zur Wiederbesiedlung des Planeten Mars verloren gegangen war. Jeden Tag dasselbe, Spannung auf Iprasa. Der abendliche Griff zum Tri vid, solange die Affäre dauerte. Und welch eine Erlösung, als Rhodan die Rückkehr gelang! Reginald Bull, Rhodans Freund, brachte von der so genannten MarsOdyssee eine neue Freundin mit, auf die sich die Presse stürzte. Die Frau an sich, eine rothaarige Göttin namens Fran Imith, war Klasse. Aber allein der Gedanke, ein arkonidischer Mascant würde wie Bull der Öffentlichkeit vorgeführt … undenkbar! Derart konzentriert wie auf Iprasa, Arkon VI, lernte ich zum ersten Mal. Das Ende meiner Ausbildung rückte in greifbare Nähe, und ich war darauf angewiesen, in kurzer Zeit einen möglichst großen Sprung zu tun. Das Ende der Rhodan-Odyssee markierte in etwa auch das Ende der Praxiswochen. Ich kehrte in die Paragetha zurück und damit zu meinen Freunden.
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»Wir werden irgendwann das alles beenden«, raunte ich zu Thereme, die fast schon im Halbschlaf lag. »Wir verlassen Arkon und fangen ein neues Leben an. Vielleicht mit einer Familie. Vielleicht haben wir ein Kind. Wenn deine Zeit in Khilurs Dienst vorbei ist und wenn ich an einen Außenposten der Flotte versetzt werde.« Sie drehte sich unter der Decke von mir weg. »Sag so was nicht, Kant«, murmelte sie bitter. »Welche Zukunft sollen wir haben? Ich bin gar nichts, eine Schneiderin. Und du bist Kadett der Paragetha.« »Ein Bastard.« »… der immerhin die Protektion höchster Stellen genießt!« »Was soll das heißen, Protektion?« Ihr Rücken spannte sich mit einem Mal gefährlich, und ich spürte, dass ihr etwas völlig gegen den Strich lief. Sie hatte vielleicht sogar Recht. Die großen Träume arbeiteten in mir; der Ehrgeiz, einmal zu sein wie der be rühmte Mascant Kraschyn oder meinetwegen Shallowain. In mir steckte ein Widerspruch, und zwar ein gewaltiger. »Wir kriegen das schon hin, Kleine.« Ich versuchte ihren Nacken zu küssen. Aber sie keilte mit dem Ellenbogen nach hinten aus. »Blabla«, versetzte sie zickig. »Was ist denn mit dieser Ascari, von der du in einem Rutsch er zählst?« »Bist du etwa eifersüchtig?« »Phh! Auf eine alte Frau? – Und was ist mit deinem Has'athor? Wenn er wirklich gegen dich wäre, warum hat er's nicht längst geschafft, dich um zubringen oder von der Schule zu werfen?« »Das hab ich dir erklärt.« »Und Shallowain. Wenn er wirklich ein Kralasene ist, wenn er dein Feind sein soll, warum hat er dir nicht längst den Hals gebrochen?« »Was bei allen Sternengöttern willst du mir eigentlich sagen?«, fuhr ich sie zornig an. »Und hör du mal auf, mir den Rücken zuzudrehen! Streite ich mit einem Roboter oder was?« Thereme stieß ein zorniges Schnauben aus, wälzte sich schlagartig her um und zischte mir ins Gesicht: »Diese Leute haben was Bestimmtes mit dir vor. Die verfolgen Pläne.«
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7. Arkon 1330/1331 NGZ
Zum siebzehnten Geburtstag erreichte mich ein Raumfrachtpäckchen von Creiff, Speicherkristalle mit Holos von Arachya, Weigel und der Farm. Das alles schien mir weit weg und erschreckend provinziell. Thereme dachte ebenfalls daran. Sie hatte ihre Kammern aufgeräumt, als ich nach 48 Stunden Dauertraining in der Paragetha eintraf, und eigen händig ein Menü gekocht. »Mach die Augen zu, Kant!«, befahl sie mir übermütig, kaum dass ge gessen war. Sie huschte kurz nach draußen, dann rief sie: »Innigen Glück wunsch, Liebster!« Ich starrte verblüfft auf das Kleidungsstück, das sie mir vor die Nase hielt. Es war eine Jacke aus dunkelbraunem, abgeschabtem Leder. Die ein zige Konzession an arkonidische Mode bestand aus breiten Schulter stücken. Das Material selbst sah alles andere als prächtig aus, sondern mächtig mitgenommen. »Ich hab dir die Maße genommen, während du schliefst!«, bekundete sie stolz. »Das Leder stammt aus zwei abgelegten Jagdanzügen von Khi lur. Du erinnerst dich vielleicht, von innen mit Fäden aus Ynkenit. Khilur merkt gar nicht, dass die Anzüge fehlen.« »Whow!« Ich nahm ihr vorsichtig die Jacke aus den Händen. Sie war federleicht. Und sie war ein Traum. »Probier sie an!« Thereme zerrte mich aufgeregt vor den großen Spie gel. Ich streifte die Jacke über und betrachtete überrascht mich selbst. Es war, als hätte zu einem kompletten Image gerade das noch gefehlt. Rau und ungeschliffen, unarkonidisch dunkler Bartwuchs, Koteletten tief nach unten gezogen – und nun eine Jacke aus gebrauchtem Jagdleder. Das per fekte Halbblut. Wie ein Herzog von einem fremden wilden Planeten, ein rotes Tuch für Keiphos und Shallowain. »Du machst mich sprachlos, Kleine. So was Tolles hab ich noch nie …« »Krieg ich eine Belohnung?« Ich testete meine neue Jacke ausgiebig. Das Leder erwies sich als unver wüstlich. Unter mechanischer Last verhielt es sich wie ein Körperpanzer. Während der Dagor-Lektionen wurde die Jacke nicht zugelassen, weil sie als Defensiv-Waffe galt, in Mal Detairs Tierklinik jedoch leistete sie mir nützliche Dienste. »Thereme hat den Geburtstag erwähnt«, keuchte Detair, als wir ein ton nenschweres Raubtier zu seiner Box bugsierten. »Erinner mich dran, dass
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ich auch noch eine Kleinigkeit für dich hab.« Ein Hieb mit der Tatze traf mich an der Schulter. Die Wucht riss mich beinahe um, doch die Krallen glitten wirkungslos am Leder ab. »Was für 'ne Kleinigkeit denn?« Detair versetzte dem Vieh einen Klaps aufs Hinterteil und schlug die Tür zu. Schnaubend lehnte er dagegen und grinste. »Ein Tarox-Marder.« »Bitte was?« »Du hörst schon richtig. Komm mal mit!« Mal Detair führte mich durch die halbe Anlage zu einer Baracke nah am Eingang. Durch ein Luk blickte ich auf ein kleines braunes Bündel Pelz, so lang und so dick wie ein arkonoider Unterarm. Der Marder wusste ge nau, dass er beobachtet wurde. Tatsächlich ein Tarox. Die Spezies war nicht sehr bekannt; ich aber wusste um die Gefahr, die das unscheinbare Tier darstellte. »Das ist Kehmi. Er war halb tot, als man ihn fand. Schwer misshandelt, wahrscheinlich aus einem Wettbüro.« »Arenakämpfe?« »Möglich. Ich hab ihn zwar aufgepäppelt, aber jetzt … Ich weiß nie mand außer dir, der mit einem neurotischen Tarox klarkommt. Entweder du nimmst ihn, oder …« Detair ließ den Rest offen. Ich stellte mich vor das Luk und betrachtete den unscheinbaren, mörde rischen Tarox. Winzig kleine Augen, eine Sekunde lang gebleckte Zähne, die blitzten wie Klingen. Ich saugte mich an den Augen des Marders fest, und ich stieß Geräusche aus, die ich an mir selbst nicht kannte. Als der Magnetismus einsetzte, öffnete ich die Tür. Mal Detair sog scharf die Luft ein. Ich kniete vorn an der Schwelle und sah den Burschen ruhig an. Ich bin dein Freund. Es war bloß ein Gedanke, doch ich war sicher, dass er mich auf geheimnisvolle Weise verstand. Ich bin dein Meister und sorge für dich. Du wirst nie mehr Hunger leiden. Der Tarox näherte sich mit ge spanntem Rückgrat. Aber er sprang nicht. Er schnupperte an Fingern und Stiefeln, und ich wusste, dass er meine Kennung aufnahm. Vorsichtig kam ich hoch, um ihm meine Größe zu zeigen. Über die Schwelle wich ich in den Gang zurück, schloss die Tür und atmete auf. Detair meinte trocken: »Bei dir ist das wohl Telepathie.« Kehmis Haltung war nur möglich, weil ich ein Einzelzimmer bewohnte. Als künstliche Höhle kam ein Korb zum Einsatz, auf Thartems altem Bett in der Paragetha. Unter dem Holo meiner Eltern, das sich wie ein Fenster in die Wand fügte. Der Kern des Korbs war mit natürlicher Wolle gepol stert. Alle paar Tage, wenn ich nachts bei Thereme war, streunte Kehmi über Khilurs Anwesen. Die Tage verschlief er. Anfangs plagten mich Ge wissensbisse, und ich dachte daran, ihn Detair zurückzugeben. Doch der
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Rhythmus entsprach in etwa den natürlichen Gewohnheiten eines Tarox. Ich brachte ihm bei, still über meiner Schulter zu liegen. Wie ein dicker Schal oder ein Kragen aus Pelz. Kehmi störte nicht die Abläufe in der Pa ragetha, und darauf kam es an. Den weitaus größten Part meines Lebens beanspruchte die Schule. Über die gegnerischen Schiffstypen wussten wir so gut Bescheid wie über die eigenen. Galaktopolitik rückte mehr und mehr ins Zentrum. Das Reich Tradom war Geschichte; das Kristallimperium gedieh; Arkon hatte seit tausend Jahren nicht diese Macht besessen, während Terra sich selbst schwächte. »Der Imperator wird wieder in den Krieg ziehen«, sagte Keiphos pro phetisch voraus, vor der großen Runde in der Aula. »Bostich ist ein Mann, der Chancen zu nutzen weiß. Ihr werdet alle zu Siegern ausgebildet, die neue Generation Offiziere. Nutzt eure Zeit in der Paragetha! Wissen wird mal eure Lebensversicherung sein.« Ich hob mit einem fragenden Zeichen die Hand. Keiphos neigte mir genervt sein Vogelgesicht zu. »Kantiran?« »Man hat uns einen Ausflug zum Mascanten Kraschyn angekündigt. Steht der Termin bereits?« »Ihr erhaltet rechtzeitig Bescheid. Diese Fragen sind sinnlos, Kadett.« Keiphos entließ uns zu den Lektionen. Draußen im Korridor schob sich Latista, die Glatze, an meine Seite. »Ich hörte, du gehörst sowieso zum auserlesenen Kreis«, schnappte er. »Eingeladen beim höchsten Admiral des Imperiums. Eine tolle Auszeich nung, mich nehmen sie da jedenfalls nicht mit.« »Weil du Kraschyn höchstwahrscheinlich mit einer Wasserpistole be spritzen würdest.« »Ich hab gehört, dein Name wurde von allerhöchster Stelle auf die Liste gesetzt.« »Haha«, machte ich böse. »Sieh dir meinen Wertungsschnitt an. Wenn du an Nummer eins im Jahrgang stehst, bist du eben dabei.« »Erzähl keinen Quatsch! Wenn man aussieht wie du, ist man normaler weise nach einer Periode raus aus der Paragetha.« Das Treffen bei Kraschyn fand im Flottenzentralkommando Ark'Thektran statt. Arkon III, Kriegsplanet des Imperiums, erweckte im Anflug einen Anschein insektenhafter Geschäftigkeit. Ich zählte mehr als tausend GWALON-Kelche, die größten Raumschiffe des Imperiums. Vor boten eines Krieges. Keiphos hatte Recht. Insgeheim hielt ich nach Ascari Ausschau, während man uns durch die Bauten schleuste. Wenn sie anwesend war, so ließ sie sich nicht blicken. Warum auch? Ascari zählte zu den höchsten Würdenträgern, ich dagegen hatte nicht mal die Paragetha durch.
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Kraschyn erwies sich als hochgewachsener, charismatischer Komman deur, der uns in die Verwaltung schickte. »Has'athor Keiphos wird euch die paar Pragos entbehren«, sprach er kühl in die Runde. »Ihr müsst lernen, dass in der Flotte nicht allein Schiffe und Kaliber zählen, sondern auch der Apparat, der alles am Laufen hält!« Als ich in die Paragetha zurückkehrte, volle sieben Tage später, fand ich Kehmi halb verhungert vor. Einen Fremden hätte er zerfleischt und aufge fressen. Ich dagegen hatte gerade Zeit, ihm Futter zu öffnen, Wasser zu geben; bevor er sich voll schlug und zwei Tage beleidigt in seinen Korb verschwand. Dennoch wurde er zu meinem wichtigsten Helfer außerhalb des Lehr plans. Mein Verhältnis zu Tieren überschritt tatsächlich die Grenzen des Erklärlichen, und Kehmi war es, der mir half, die Gabe zu erschließen. Er wurde mein Trainingspartner. Was ich an Kehmi probte, wandte ich in Detairs Hospital an. Tiere konnten nicht reden. Ich aber hörte ihre Sprache. Ich half mehrfach Dia gnosen stellen, die ansonsten zu spät gekommen wären. »Wenn dieses Fenster aufgeht«, versuchte ich Detair zu beschreiben, »ist das wie Kommunikation, nur ohne Reden. Ich krieg's nicht immer hin, aber oft genug.« Der Tierheiler deutete auf einen klobigen, beinahe mannsgroßen Kör per, der auf dem Operationstisch lag. »So? Dann rede mal mit dem Vieh da.« Das Wesen hatte bergeweise Muskeln, fürchterliche Reihen Zähne, und es war halb tot. »Ein Jagdkahtodo des Erhabenen Khilur da Ragnaari«, sagte Mal. »Gefunden auf Khilurs Anwesen. Sie haben ihn heute Mittag gebracht. Thereme war auch dabei.« Ich erschauerte, als ich die Wunden untersuchte. Hunderte kleiner Bissmale übersäten den Leib. Der Hals war praktisch zerfetzt. »Wird er sterben?« »Klar. Woher nimmt man Blutplasma für Kahtodos? Aber sieh dir mal die Wunden an. Fällt dir auf, dass sein Gegner ein Gebiss mit kleinem Querschnitt hatte? Ich hab's gemessen, dreieinhalb Zentimeter maximal. Jetzt überleg mal, wer so kleine Kiefer hat und trotzdem einen Kahtodo zerlegt.« »Muss ich nicht. Ich kann's dir nicht sagen.« »Weil du mit deinem Kopf schon bei der ARK SUMMIA bist. – Wo war denn wohl Kehmi heute Nacht?« »Natürlich bei …« Ich stockte plötzlich, schüttelte störrisch den Kopf, blickte ungläubig auf den Körper des Kahtodos. »Wir waren bei There me«, gab ich zu. »Ich kann ihn ja nicht immer einsperren. Du meinst, Keh mi gegen den Koloss hier?«
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»Sieh zu, dass es nicht wieder passiert.« »Ich werde mit ihm reden.« »Klingt wie Satire, Kant. Aber tu das, rede mit dem Kerlchen.« Am 4. April 1330 NGZ fand im Galaktikum von Mirkandol eine Sit zung statt, bei der Perry Rhodan persönlich zugegen war. In seiner Beglei tung reiste Außenminister Tifflor an. Beide Terraner sprachen zum Hyper physikalischen Widerstand, beschworen noch mal das Chaos herauf, das möglicherweise der Galaxis bevorstand. Und stießen wiederum auf eine Front politischer Ablehnung. Die Hoffnung, Terra möge sich im Allein gang selbst ausschalten, überlagerte alles. An dem Tag nahm Ascari seit langem wieder Einfluss auf meinen Wer degang. Im Anschluss an die Sitzung fand eine Art Rahmenprogramm statt, eine arkonidisch-terranische Begegnung, die zum guten Verhältnis beider Blöcke beitragen sollte. Wer gesehen hatte, was auf Arkon III abging, konnte nur darüber la chen. In dem Fall aber war ich Ascari dankbar. Denn die Mascantin sorgte dafür, dass ich gemeinsam mit anderen Kadetten einer Delegation von Terra vorgestellt wurde; und zwar nicht irgendwem, sondern Perry Rho dan. Kantiran Namenlos, Sternenbastard. In Kadettenuniform, der Zehnte in der Reihe, kämpft er um trockene Wangen. Ich wusste alles über den Terraner. Hatte ihn als Gänger des Netzes ge sehen, als Kämpfer gegen Monos, als Ehemann für Thora und Mory Abro. Als Großadministrator und Ersten Terraner. Wir waren zwanzig, die Besten aus Paragetha und Galaktonautischer Akademie. Jeder hatte nur ein paar Sekunden. Dennoch meinte ich, dass Rhodans Blick einen Tick länger auf mir ruhte, als es hätte sein müssen. Ich blieb reglos vor ihm stehen. Statt militärisch zu grüßen, mit geball ter Faust, statt den einen Satz zu sprechen, »Es ist mir eine Ehre«, streckte ich die Hand aus. »Ich grüße Euch, Erhabener«, sprach ich fest, obwohl er kein Arkonide war. Er gab, ohne zu zögern, den Händedruck zurück. »Ich grüße dich eben falls, Kadett. Wie lautet dein Name?« »Kantiran. Prüfungsjahrgang der Paragetha.« Rhodan erweckte einen übermenschlichen Eindruck. Er verstrahlte eine Präsenz, die den Saal beherrschte, mit der sich höchstens Bostich I. selbst messen konnte. Von hinten traf mich ein Stoß in den Rücken. Ich ließ Rhodans Hand los und stolperte nach vorn. Eine Sekunde folgte mir sein irritierter Blick, dann war alles vorbei. Am Ausgang wartete Keiphos. »Kadett«, empfing er mich mit schnei
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dend scharfer Stimme, »du wirst zwei Perioden lang die Paragetha nicht verlassen. Es wird das letzte Mal gewesen sein, dass du Gelegenheit er hältst, dem Imperator Schande zu machen.« Die Schulgebäude standen Anfang 1331 praktisch leer. Unerbittlich rückte der Zeitpunkt näher, den ich erwartete und fürchtete: die Prüfungs prozedur ARK SUMMIA, bei Erfolg verbunden mit der Aktivierung des Extrasinns. Jener Aktivierung, die mit meinem Tod enden konnte und die ich unter allen Umständen vornehmen lassen würde. Ich brauchte den Be weis, dass ich so gut war wie die anderen. Dass ein Halbblut so vollwertig sein konnte wie jeder andere. Auch wenn ich nicht das Geheimnis meiner Herkunft kannte, wenn ich nicht wusste, woher ich gekommen war und wie eine Mutter sich in Wirklichkeit anfühlte. Sieben Tage vor dem Abflug zur Prüfungswelt Iprasa verlor ich die Nerven. »Verdammt!« Ich sprang von meinem Bett auf, wischte durch das Holo mit Struktur formeln der Hyperkristalle, riss den Projektor hoch und knallte ihn gegen die Wand. Kehmi huschte wie der Blitz in seinen Korb. Ich hörte ihn ein geschüchtert zischen, und ich spürte mit meiner Gabe den Schrecken, den ich ihm zufügte. »Tut mir Leid, Kleiner …«, murmelte ich elend. »Das gilt nicht dir.« Ich sammelte die Projektorteile ein, drückte herausgesprungene Module zusammen und nahm das Gerät wieder in Betrieb. Zum hundertsten Mal die Hyperkristalle. Alles sinnlos. Der Tag fühlte sich an wie ein Bestandteil einer Endlos schleife. Immer wieder dasselbe tun, jedes Mal gleich. Ich aktivierte mein Armbandfunkgerät und rief über den Server der Paragetha bei Thereme an. Es war besser, wenn sie in der Nähe war; wenn ich ihre Stimme und ihre Flüche beim Schneidern hörte. Einzige Bedingung, es durfte nicht im Bett enden, jedenfalls nicht gemeinsam. Eine Minute. Zwei. Thereme gab keine Antwort. Ich aktivierte den Geräteruf. Ihr Armband war auf Empfang, sie trug es am Körper. Das Rufsignal war angeschaltet. Entweder sie wollte nicht, oder aber sie konnte nicht. »Okay«, murmelte ich zu mir selbst. »Geduld, Kantiran.« Fünf Minuten. Ein zweiter Ruf, mit demselben Effekt wie eben. Dass sie keine Antwort gab, erlebte ich zum ersten Mal. Der letzte Streit lag eine Woche zurück. Außerdem hatte ihr Armband den Warten-Sensor, für den ein Fingerdruck reichte. Etwas stimmte nicht. Mein Herz fing zu hämmern an, unter einer Vor ahnung, gegen die ich mich nicht wehren konnte. Ich warf mir die Jacke über und zog die Stiefel an. »Kehmi!«, komman dierte ich schnell. »Rauskommen!«
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Ich schickte einen Impuls hinterher, einen heftigen Gedanken, der ihm keine Wahl ließ. Der Tarox glitt ins Freie, fegte mit zwei, drei Sätzen zu meiner Schulter hoch und legte sich um den Jackenkragen. Ich eilte aus der Paragetha ins Freie, zum Gleiterverleih, und sprang in die erste Maschine, die frei war. In Handsteuerung drosch ich die Kiste hoch, auf Expressebene in achtzig Metern Höhe, und beschleunigte auf halbe Schallgeschwindigkeit. Der Weg dauerte eine Ewigkeit. Ich versuchte mehrfach, Thereme anzu funken. Sie gab keine Antwort. Über die Küstenlinie des Binnenmeers, vorbei am Khasurn-Sitz der Zol trals, zum Anwesen des Khilur da Ragnaari. Über den Kronen der Bäume hingen Wachgleiter. Ich verfluchte mich selbst, presste meinen ID-Chip an den Gleitersyntron und strahlte die Iden tifikation ab. Sie gaben mir den Weg frei. Mit viel zu hohem Tempo zog ich runter, verzögerte, ließ den Rumpf über die Wiese schlittern. Vor dem Gebäude mit Theremes Wohnung brachte ich die Maschine zum Stillstand. »Festhalten, Kehmi!« Der Marder krallte sich in den Jackenkragen. Ich schlüpfte in neuroti scher Panik raus, rannte und knallte um ein Haar gegen die Tür. Der Öffnungsmechanismus war auf meinen Daumendruck frei geschal tet. Vor mir glitt die Tür beiseite. Völlige Stille empfing mich. Ich blieb stehen und horchte. »Thereme?« Keine Antwort. »Kleine, ich bin's, Kant!« Sie war nicht da. Ich betrat unschlüssig das Schneiderzimmer mit dem unergründlichen Durcheinander, dem Hauch von Chiwan und den zerfa serten Stoffbahnen auf jedem Tisch. Nichts. Dann ein winselndes Geräusch von Raffid. Aus der Schlafkammer. Ich schob mit trommelndem Herzschlag die Tür zur Seite. Im selben Moment hing der Possonkal an meinem Hosenbein. Aber ich war nicht in der Lage, Raffid zu … Ich war zu gar nichts in der Lage. Thereme lag auf dem Bett. Es roch nicht nach Chiwan, ihrem Parfüm, sondern nach etwas anderem. Sie bewegte sich nicht. Ich machte mir weis, dass sie nur schlief. Über ihrem Gesicht, dem wunderschönsten von allen, lag eine wächserne Bläs se, das unvergleichliche Braun ihrer Haut wirkte wie mit Mehl bestäubt. Ich hatte Thereme nie so gesehen. Mit einer unbewussten Bewegung wischte ich meine Augen frei, ein Sturzbach von Tränen, während ich das Beben der Erde und den krei schenden Lärm meiner Ohren unter Kontrolle brachte. Der Augenblick dauerte ewig. Solange ein Sternenbastard die Luft an
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halten konnte, ohne den Verstand zu verlieren, ohne unter einem irrsinnig machenden Druck zu explodieren. Sie hatte keinen Puls. Ihr Körper war kühl. Mit den Daumen strich ich über ihr ebenmäßiges Gesicht, ich zog in ei nem Versuch, ihre Würde zu wahren, das hautenge Kleid über die Knie runter. Das Funkgerät an ihrem Handgelenk vibrierte in regelmäßigen Ab ständen. Kantiran, las ich auf dem Display. Zahl der Anrufe 21. Ich stellte das Vibrieren ab. Raffid winselte. Immer weiter. »Mal«, hörte ich eine erstickte, fremd klingende Stimme ins Mikrofon meines Armbandes flüstern, »du musst kommen. Thereme ist tot.«
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8. Arkon 30. Januar 1331 NGZ »Warum sind hier keine Mediker?«, fuhr Detair mich an. Der Tonfall brachte mich zur Besinnung. Ich wusste keine Antwort. Warum nicht? Detair hockte sich ans Bett und untersuchte sie. Nachdenklich starrte er auf den knappen Schnitt ihres Kleides. »Sie hatte noch Zeit, sich anzuklei den. Anscheinend wollte sie Eindruck machen.« »Ein Termin bei Khilur«, murmelte ich. »Jedenfalls scheidet Selbstmord aus, sie hatte ja Pläne. Sieht aus wie Herzstillstand. Kurz nach dem Aufwachen, schätze ich.« Ich verfolgte seine ekelhaften, geschäftsmäßig wirkenden Handgriffe aus einer Ecke, die Hände in den Hosentaschen geballt. Meine Stimme wollte schreien. Mein Herz wollte aufhören zu schlagen und ihr dorthin folgen, wo sie war. »Kant. Riechst du das auch?« »Was denn?« »Riechst du's oder nicht?« »Ich … Was denn?« Kein Wort mehr. Ich blickte Detair mit offen stehendem Mund an und folgte ohne Verstand seinem schnüffelnden Kreuzen durch den Raum. »Ein ganz typischer Geruch. Ich hatte das schon mal. Riecht wie Trevi pern.« »Was?« »Na, Trevipern. Ziemlich exotische Stechinsektenart. Extrem selten, ex trem kostspielig. Treviperngift ist praktisch nicht nachweisbar und führt zum Herztod. Adlige benutzen das manchmal, wenn sie einen Konkurren ten beseitigen. Ich hatte mal ein paar Exemplare in Pflege.« »Das meinst du jetzt nicht ernst, Mal!« »Jemand hat sie ermordet«, beharrte Detair. »Wer dafür verantwortlich ist, kann nicht arm gewesen sein.« »Khilur?« »Natürlich nicht. Der hätte andere Möglichkeiten.« Von draußen hörte ich zischende Gleitertüren, aufgeregte Stimmen. Me diker traten ein, mit professioneller Ruhe, stellten aber nur den Stillstand ihres Herzens fest. Ihnen folgten die Celistas. Die Kammern wurden abgesperrt, ich kam nicht mehr an Thereme ran. Erst vernahmen sie mich, dann Detair. Das Diensthaus gehörte zum Anwesen, folglich bedrohte ein Tod, den es ei
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gentlich nicht geben durfte, auch den Hausherrn. Detairs Behauptung, er habe Trevipern gerochen, erwies sich als einzi ger, nicht sonderlich tragfähiger Hinweis. Ein rothaariger Riesenzottel war nicht der Typ, den ein Geheimdienstler ernst nahm. Die Agenten fanden keine Spur, keine Motive – und legten schließlich die Ermittlungen ad acta. Tausendmal spielte ich mir den kurzen Film vor, den ich mit Ascaris Brille einst aufgenommen hatte. Aber sie wurde nicht lebendig. Ich erhielt am kommenden Tag in Detairs Begleitung Zutritt. Thereme war in ihrer Kammer aufgebahrt. Wo sie sich tausendmal an mich geku schelt hatte. Sie war ein perfekter, schimmernder Körper, in dem lediglich das Leben fehlte. Ein Priester hielt die Totenwache; er sicherte ihre Reise ins Totenreich. Der Mann sprach kein Wort zu uns und erfüllte still seine Pflicht. Ich wollte sie ein letztes Mal in den Arm nehmen, aber Detair packte mich roh an der Schulter. »Nicht, Kant.« Ich hielt inne und regte mich nicht mehr. »Was soll ich jetzt bloß ma chen?«, flüsterte ich. »Mal, ich fühle mich fürchterlich armselig. Wär' ich nur die Nacht bei ihr gewesen.« »Dann wärst du jetzt ebenfalls tot. Ich verstehe deine Trauer, aber sie hilft dir nicht. Khilur wird dir heute noch erlauben, bei ihr zu sein. Danach gehst du in die Paragetha zurück.« »Bist du irre?« »Du wirst machen, was ich dir sage, Junge.« »Vergiss es! Ich hab noch meine Erbschaft. Streng genommen bin ich sogar reich. Vielleicht kann ich zu dir ins Hospital. Und in ein paar Jahren … Wer weiß. Vielleicht kauf ich mir ein kleines Raumschiff.« »Ich versteh dich«, sagte Detair schwer, »und ich hätte vielleicht nichts anders gemacht. Aber ich bin nur ein fetter rothaariger Sack, und du bist der größte Haufen Talent, den ich kenne. Du musst nach Iprasa zur ARK SUMMIA. Raffid bleibt so lange bei mir. Kehmi ebenfalls.« »Nett gemeint, Mal. Aber ich kann nicht mehr so weiter.« »Ach? Was bildest du dir ein? Glaubst du, Thereme hatte es leicht mit dir und deiner Paragetha? Sie hat über lange Zeit mitgeholfen, dass du vor ankommst. Wenn du jetzt aufgibst, ist das in meinen Augen Verrat!« Mir schoss das Blut in den Kopf, als ich ihn so daherreden hörte. Eine heftige Antwort lag mir auf der Zunge; doch ich hielt mühsam den Mund, überlegte jedes Wort einzeln – und sprach am Ende keines aus. Stattdessen starrte ich mit dem nicht ertragbaren Gefühl von Hilflosigkeit auf There me. Hätte sie ein letztes Mal sprechen können, was hätte sie gesagt? Das selbe wie Mal Detair? »Also gut«, murmelte ich. »Aber es sind noch zwei Tage bis zum Ab
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flug!« »Stoff rekapitulieren …« »Du hast von Trevipern gesprochen. Du hast gesagt, dass sie selten sind. Von wem hattest du damals deine?« Ich steuerte in hereinbrechender Dunkelheit ein einzeln stehendes, schä biges Trichterhaus an. Von einem Dutzend Fenstern waren zwei erleuch tet. In mittlerem Abstand umkreiste ich den Bau, wählte dann einen Stell platz, der nicht im Fokus öffentlicher Kameras lag. Ich überzeugte mich, dass die Funkkennung des Fahrzeugs ausgeschaltet war. Detair steckte seinen Thermostrahler ein. Ich brauchte keinen; ich kann te ein Dutzend Möglichkeiten, einen Arkoniden mit der Hand zu töten. Stattdessen stopfte ich die Taschen meiner Jacke mit Ausrüstung aus der Paragetha voll. Detair und ich näherten uns lautlos dem Haus. Ich analysierte den Kode der Eingangsfront. Vor uns schwang die Tür auf. In dem Korridor, der vor uns lag, war kein Licht. Wir setzten Infrarotlinsen ein. »Die einzige Adresse, Mal?«, wisperte ich. »Die einzige.« Ich blockierte den automatischen Sensor, um das Aufflammen von Be leuchtung zu verhindern. Die untere Etage war leer. Eine Wohnung ohne Kennzeichen. »Hier hin ten ist eine Treppe!« Ich ging voraus. Oben verband ein heller Ringkorri dor die Räume. Detair folgte mit gezücktem Strahler. Sämtliche Türen standen offen, sämtliche Zimmer erwiesen sich als leer und waren dunkel. Jene Fenster, die ich als erleuchtet in Erinnerung hatte, kamen ganz zuletzt. Mit Absicht, denn ein Kadett der Paragetha lernte früh, sich den Rücken freizuhalten. Das erste helle Zimmer erwies sich als Lager. Regale bis zur Decke, voll gestopft mit Reagenzgläsern, Töpfen, Gerätschaften und Kartons. Der Anblick ähnelte Detairs »Giftkammer« im Hospital. In Zimmer Nummer zwei stand endlich ein verkrümmt wirkender Zwerg. Er hantierte an Käfigen und Volieren aus Draht und drehte uns den Rücken zu. Detair ging breitbeinig in Stellung, den Strahler nach vorn gerichtet, und stieß ein zischendes Geräusch aus. Er wirkte professionell mit dem Strahler. Der kleine Mann zuckte heftig zusammen. Dann stand er in seinem Kit tel wie erstarrt. »Farmeoll, dreh dich langsam um«, wies Detair den Mann an. »Und tu uns den Gefallen, erspar uns ein Blutbad. Mit deinem Blut, versteht sich.« Der Zwerg Farmeoll folgte haargenau der Anweisung. Seine tränenden Augen weiteten sich, als er den rothaarigen Hünen erkannte. »Detair!«
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»Wir sind nicht hier, um dich zu töten oder dich zu bestehlen, sondern um dich zu befragen.« Farmeoll verbeugte sich andeutungsweise. »Du weißt, was Geschäftsge heimnisse angeht …« »Gestern Morgen«, fiel ich ihm eisig ins Wort, »starb nahe bei Shulukai ein Mädchen.« Der Klang meiner Stimme ließ Farmeoll bleich werden. »Es wurde von Trevipern getötet. Ich habe dieses Mädchen geliebt. Mir ist daher völlig gleich, ob ich dich für eine Antwort töte oder foltere. Du wirst mir sagen, wer die Trevipern gekauft hat. Oder gemietet, wie auch immer das bei dir läuft.« Farmeoll starrte mich an wie ein Gespenst. Aber er sagte kein Wort. Ich schob ihn beiseite, musterte die Volieren und gewahrte rings um ein hängendes Nest summende Insekten. Sie besaßen die doppelte Größe von Creiff-Stechmücken. Ihre Voliere war mit transparentem Mehinda-Samt bespannt. Ich sog mit geblähten Nasenflügeln die Luft ein. Diesmal merk te ich selbst, was Detair meinte. Ein feiner Duft, nicht unangenehm. Ich rief mir den Augenblick in Erinnerung, als ich Thereme gefunden hatte. Vollzog jede einzelne Sekunde nach, ihr wächsern blasses Gesicht, der reglose Körper … und der Geruch. Mit einer Bewegung, die für Farmeoll aus dem Nichts kam, wirbelte mein Bein herum. Die Stiefelspitzen touchierten flüchtig seine Knieschei ben. Shallowains Lehre … Der Mann brach mit einem winselnden Laut zusammen. Er wälzte sich über den Boden und röchelte sekundenlang. »Ich will es wirklich wissen«, sagte ich ernsthaft, als er still lag. »Wer hat deine Trevipern gekauft? Eine oder mehrere Personen? An welchem Tag?« »Wenn ich das verrate, bin ich tot.« »Es kann sein, dass ich dich heute hinrichte. Vielleicht hast du aber eine Chance. Das liegt an dir.« »Ich hab niemand was getan! Ich züchte Tiere!« Ich dachte einen Moment drüber nach, meine Drohung wahr zu machen. Farmeoll hatte Thereme zwar nicht getötet. Aber seine Profession war es, anderen Leuten Mordwerkzeuge zur Verfügung zu stellen. Reichte das für ein Todesurteil? Auf der anderen Seite, wollte ich jeden Waffenkonstruk teur Arkons exekutieren, ich hätte eine Menge zu tun und würde Thereme nicht wieder lebendig machen. Mit einem Impuls schickte ich Kehmi los. Der Marder löste sich von meinem Kragen, huschte wie ein Blitz auf den halb liegenden Zwerg zu und fuhr ihm an den Hals. Dort verhielt er. »Das ist Kehmi«, sagte ich freundlich. »Ein Tarox-Marder, falls du dich so weit auskennst. Du als Fachmann. Und ich weiß nicht, wie lange ich
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ihn noch …« Die Augen des Züchters bohrten sich unnatürlich geweitet in die des Marders. Er wagte nicht, seine Hände zu regen. »Nimm den Tarox weg!« »Nichts lieber als das. Dein Tod würde nur den eigentlichen Killer war nen. Ich hab also ein Motiv, dich am Leben zu lassen. Du kennst den Preis.« »Ich spreche!«, presste Farmeoll hervor. »Nimm bloß das verfluchte Vieh weg!« Eine Mikrokamera hatte den Geschäftsabschluss mit unbekannt, getätigt zwei Tage vor dem Mord, aufgezeichnet. Farmeoll übergab mir den Spei cherkristall. Seine Mitarbeit rettete ihm den Hals. Die Paragetha besaß ein Dutzend spezielle Analyseplätze. Sie waren al le besetzt; doch es gelang mir, ausgerechnet Latista, den Narren, zum Tausch zu überreden. Er war der nervigste Kerl der ganzen Schule, aber manchmal ein Riesenkumpel. Wieder und wieder scannte ich durch zwei Minuten Film. Ein künstlich verzerrter Schatten trat ins Sensorfeld der Kamera. Der Schatten legte einen Chip mit einem Bargeldguthaben vor die Samtvoliere. Mit der lin ken Hand nahm er von Farmeoll einen transparenten Behälter. Ich zoomte an das Glas. Drinnen schwirrten zwei Trevipern. Per Aus schnittvergrößerung folgte ich dem verzerrten Schatten … bis zu dem Mo ment, als Glas und Schattenfinger sich berührten. Das optische Verzer rerfeld im Handbereich flackerte in extremer Verlangsamung. Für den Bruchteil einer Sekunde erblickte ich Haut. Der Wirkbereich des Verzerrerfeldes wurde automatisch neu justiert – bis der Verzerrer auch den Behälter der Trevipern in das Feld mit einschloss. Das war alles, was nach einem halben Tag Arbeit übrig blieb. Eine hun dertstel Sekunde vom Finger eines Unbekannten. Was für ein erbärmliches Resultat! Ich isolierte den Schnipsel Film und zog den Ausschnitt hoch. Am Mittelfinger einer rechten Hand, der Hand des Mörders, saß ein Ring! Ein schwarzer Siegelring mit einer oben liegenden, gravierten, ova len Platte aus Silber. Ich hatte am Ende mehr Glück als Verstand. Die Platte zeigte ein Relief, das ich als Emblem der Celista kannte. Rin ge dieser Art wurden ausschließlich von Mitarbeitern der Geheimdienste getragen. Und zwar von hoch gestellten Mitgliedern. Unmöglich. Eine halbe Stunde hockte ich wie blockiert vor meinen Instrumenten. Der Mord an Thereme ging demnach auf das Konto einer offiziellen Stel le. Es war nicht das erste Mal, dass ich einen solchen Ring zu Gesicht be kam. Ich presste die Handballen vor die Augen. »Hör auf mit dem
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Quatsch, Kant!«, schrie ich mich selbst an. »Das ist Schwachsinn! Zeitver schwendung!« Aber ich kam nicht dagegen an. Ich sicherte mein Ergebnis, setzte eine Verschlüsselung, schloss sämtliche Dateien und wechselte in mein persön liches Paragetha-Verzeichnis. Unter dem Stichwort »Dagor« waren ein Dutzend Lektionen abgelegt. Entscheidende Kämpfe, Fortschritte vom Eintritt in die Paragetha bis heu te. Beeindruckendes Material, wie es jeder Kadett besaß. Der erste Film zeigte mich mit Shallowain. Der Augenblick, als unter einem Schlag des Kralasenen meine Unterarme brachen … als seine Fäu ste mich prügelten wie einen Sack Getreide. Ich sprang zurück, zum Beginn des Kampfes, bevor ich ihn aufforderte, seinen Ring abzulegen. Aus der Totalen isolierte ich die Hände. Setzte nochmals Slowmotion ein, vergrößerte die Finger und hatte den Siegel ring. Es war derselbe wie an der Hand des Mörders. Dasselbe Celista-Em blem. Natürlich konnte es mehrere Ringe geben wie diesen. Ich zeichnete Bio metrie und Hautmuster des Ringfingers auf, speicherte beides in eine Datei – und griff auf die Daten von Farmeolls Film zurück. Nicht nur der Ring war identisch, sondern auch der Finger. Jede Hautfalte stimmte überein. Theremes Mörder war mit hoher Wahrscheinlichkeit Shallowain der Hund. Exakt der Kralasene, der des Öfteren für Ascari da Vivo als Leib wächter tätig war. Theremes Worte fielen mir ein. Diese Leute planen etwas. Und ich habe keinen Platz darin. Shallowain der Hund war in Theremes Tod mindestens verwickelt. Und möglicherweise auch Ascari selbst.
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9. Prüfungswelt Iprasa
Frühjahr 1331 NGZ
Am 6. Februar 1331 NGZ begab ich mich mit zwanzig Kadetten an Bord des schuleigenen Ultraleichtkreuzers PAR-02. Wir trugen Zivil. Kei phos geleitete uns als Eskorte, der Erfolg seiner Kadetten war auch sein ei gener. Quer durch das Arkon-System transportierte die PAR-02 uns zur Prü fungswelt Iprasa. Üblicherweise hätte ein Transmitter uns direkt ans Prü fungsgelände befördert. Doch ganz Thantur-Lok zitterte Anfang des Jahres unter der Gewalt ei nes Hypersturms. Unerklärliche Transmitterunfälle bestimmten das Bild; die öffentlichen Transmitter-Netze lagen brach. Im Normalfall hätte Arkons Kristallschirm sämtliche Effekte abge wehrt. Aber nicht in diesen Wochen. Erfüllte sich Rhodans Prophezeiung? War der Hyperphysikalische Widerstand für die Stürme verantwortlich? »Kantiran!«, zischte Keiphos mich an. »Wo hast du deine Gedanken!« Der Has'athor deutete auf die Schirme. Iprasa, sechster Planet des Systems, zeigte sich im Landeanflug. Bruch zonen der Planetenkruste, angefüllt von Magma, wechselten ab mit Glet schern, Sandwüsten und kargen Tundren. Seichte Binnenmeere, von Al genteppichen überwuchert, formten einen Gürtel zu beiden Seiten des Äquators. Dort lag Ikharsa, die Hauptstadt. Der ausgedehnte Komplex des FaehrlInstituts befand sich am Stadtrand, direkt benachbart die Paraphysische Aktivierungsklinik. Die PAR-02 landete auf einem Raumhafen, der zum Gelände zählte. Wild entschlossen, alle Prüfungen zu meistern, nahm ich meinen Ruck sack und streifte Theremes Jacke über. Keiphos musterte das abgewetzte Kleidungsstück mit einem angewiderten Blick. Doch ich hätte eher die Prüfung sausen lassen, als mich von Theremes Jacke zu trennen. Gemein sam mit den anderen bezog ich Quartier. Zur ersten Examensstufe meldeten dreißigtausend Anwärter. Drei Vier tel waren Wiederholer, da das Faehrl-Institut bis zu fünf Versuche zuließ. Angesichts der enormen Durchfallquote war das nachvollziehbar. Wir ka men in Kasernen unter, die fünfzigtausend Personen fassten. Für die Para getha-Kadetten stand ein separater Flügel zur Verfügung. Der Reihe nach befahlen sie uns zum Medocheck. Mein körperlicher Zustand wurde auf 93 von 100 taxiert. Die restlichen Werte gingen zur Eingangsdiagnose an eine Kommission.
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Ich unternahm einen Spaziergang durch die Stadt, während wir zu war ten hatten. Iprasa war die älteste Prüfungswelt der ARK SUMMIA, außer dem Standort der Galaktonautischen Akademie, die ich bereits kannte. Die Flottenoffiziersakademie Bark-N'or lag am anderen Ende von Ikharsa und war mit bloßem Auge nicht erkennbar. Jenseits des Stadtrands leuchteten Energiekuppeln am Horizont. Unter jeder Kuppel befand sich eine andere Landschaft; typische Prüfungsbezirke zur Erringung der dritten ARK SUMMIA-Stufe. Die Sim-Kuppeln bildeten auf begrenztem Raum jede Sorte Extrem-Umgebung ab, die man auf Arkon kannte. Am Ende des zweiten Tages auf Iprasa hatten fast alle ihr Ergebnis. Nur ich nicht. Als sie mich zur Verkündung baten, erwartete mich keineswegs ein ein zelner Mediker, sondern ein kompletter Stab. »Warte hier, Kadett. Wir haben eine weitere Person hinzugebeten.« Sie wiesen mir einen Stuhl an, der für eine Person von 1,50 Metern Grö ße genormt war. Ich kam mir vor wie ein Zwerg. Der Stuhl war eine Zu mutung. Nach einer halben Stunde schwebte Keiphos in seinem Sessel in den Raum, in der blütenweißen Uniform eines Admirals. Der Has'athor mu sterte die Mediker mit einem kühl drohenden Blick. Ich kannte Keiphos. Er war gern Herr der Lage. »Also?«, zischte der Rektor der Paragetha. »Ihr habt nach mir ver langt!« »Has'athor«, wand sich einer der Mediker, »wir haben gewisse Proble me festgestellt. Im Zusammenhang mit dem Kadetten Kantiran, der Eurer Obhut untersteht. Der Kadett besitzt nach unseren Checks zwar die Hirn partie, die zu einer Extrasinn-Funktion aktiviert werden kann. Trotz seiner … äh … Herkunft übrigens in bestens ausgebildetem Zustand. Wir glau ben jedoch, dass die Aktivierung des Extrasinns mit einer großen persönli chen Gefahr verbunden ist.« »Was soll das heißen?« »Wir schicken ihn zurück. Mischlingshirne eignen sich nicht zur Akti vierung des Extrasinns.« Der Mediker duckte sich, von der eigenen Kühnheit überrascht. Ich hob den Arm und machte auf mich aufmerksam. »Es wurde seit Jahrtausenden nicht mehr versucht«, konstatierte ich bissig. Die Mediker schauten perplex auf mich. »Die Vorschrift hat meines Erachtens rassisti sche Hintergründe.« Die Mediker gaben sich Mühe, mir keine Beachtung zu schenken. Es war vermutlich das erste Mal, dass sie dergleichen zu Gehör bekamen. Keiphos zuckte nicht einmal. Er kannte mich besser. »Wie dem auch sei.« Der Admiral lächelte freundlich in die Runde. »Es
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ist der persönliche Wille Seiner Erhabenheit, des Imperators, dass dieser Kadett seine Chance erhält. Vergessen wir also die Bedenken. Noch Fra gen?« Die Mediker blickten betreten weg. Stattdessen hob ich die Hand. »Ich hätte welche, erhabener Has'athor.« Keiphos sah mich nicht an. »Schreib sie auf und reich sie mit dem Dienstweg ein!« Von diesem Tag an war ich an ein Hertaso. Ein Prüfling der ARK SUMMIA. Nach den Worten der Mediker war ich so gut wie tot, da mein Gehirn die Aktivierungsprozedur nicht überstehen konnte. Ich interessierte mich für den Unsinn nicht, und Angst empfand ich keine mehr, seit Thereme weg war. Nach Keiphos' Worten hatte Bostich persönlich meine Teilnahme ver fügt. Der mächtigste Mann der Galaxis verfolgte den Werdegang eines Ba stards von Creiff. Blablabla. Thereme war tot. Ich schloss alle anderen Gedanken aus und funktionierte. Die Prüfungs grade Eins und Zwei bestanden aus Theorie; sie entsprachen nach dem ar konidischen System einem Meister oder einem Großmeister. Einem Lak troten oder einem Tai-Laktroten. Jeder Grad erforderte ein Bündel Einzel tests. Lücken waren in begrenztem Maß auszugleichen. Grunddisziplinen jedoch, wie Mathematik, Hyperphysik oder Raumfahrttechnik, erforderten achtzig Prozent und mehr. Den ersten Grad überstand von dreißigtausend Startern die Hälfte. Ich lag unter den besten zehn. Latista, der Narr, scheiterte wie ein Teil meiner Begleiter aus der Paragetha. Den zweiten Grad schafften von fünfzehntausend Arkoniden achthun dert. Um ein Haar hätte ich nicht dazugehört; Strukturformeln der Hyper kristalle waren mein altes Problem. Ich schloss als Jahrgangsbester; durfte mich bereits jetzt als TaiLaktroten bezeichnen. Thereme wäre stolz gewesen. Eine Karriere war mir damit sicher. Der dritte Grad galt als der schwierigste. Achthundert junge Frauen und Männer versammelten sich im Faehrl-Institut. Vor uns lag der Parcours durch die Sim-Kuppeln am Rand der Stadt. »Zehn von der Paragetha«, rechnete Keiphos zufrieden. »Das ist weit über Durchschnitt. Die Auswahl der Lehrer hat sich bezahlt gemacht.« »So wie Shallowain«, murmelte ich tonlos. Er kniff die Augen zusammen und musterte mich voll Misstrauen. »Warum erwähnst du ihn … Tai-Laktrote?« Ich wandte mich von ihm ab und gab vor, um Konzentration zu ringen.
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»Es werden insgesamt nicht mehr als hundert durchkommen, Kantiran. Wahrscheinlich eher fünfzig. Ich wünsche dir Glück.« Zum Auftakt schickten sie mich in die Wüste, von der Absturzstelle ei nes Beibootes zu einer Oase am Wüstenrand. Im Wrack fand sich kein Wasser, kein Funkgerät, kein Antigrav. Der Trick bestand darin, aus den Resten eines Labors Instrumente zu basteln, die eine Suche nach Feuchtigkeit erlaubten. – Aufgabe Nummer zwei er forderte Computerwissen; in einem durchgehenden Gravitrafspeicher wa ren Syntron und Steuertechnik zu reparieren und zu koppeln. Der Härtegrad der Aufgaben weckte mein Misstrauen. Ich verglich mit anderen Hertasos, und ich glaubte Anhaltspunkte zu entdecken, dass mei ne Prüfung manipuliert war. Entweder jemand wollte mich aus dem Ren nen sehen. Oder jemand wollte testen, wie weit ich gehen konnte. Nummer drei simulierte einen Raumflug mit einem uralten Kugelschiff; die erste Kameradin kam dabei ums Leben. Zwei andere gelang es mir zu retten. Der Härtegrad, der mir zugedacht war, traf die ganze Gruppe. Ich betete zu den Sternengöttern, dass das Opfer zur Simulation gehörte. Aber die Hoffnung trog. Eine junge Arkonidin, neunzehn Jahre alt, erhielt auf Iprasa ihre Totenwacht. Stufe vier, Flug durch ein Hindernisgebiet, fast wie Karaketta. Nummer fünf, die Bergung einer abgeschnittenen Besatzung von einer Hochschwer kraftwelt. Dann war es vorbei. Admiral Keiphos erwartete mich, das graue Vogel gesicht glühend vor Stolz. Er stand aus seinem Sessel auf und drückte mich trotz Jacke an sich. »Einer von sechzig. Der härteste Jahrgang, seit Bostich Imperator ist.« »Ihr meint …«
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10. Iprasa 8. April 1331 NGZ Zwei Tage Zeit bis zur Verkündung der Ergebnisse. Eineinhalb Tage verbrachte ich mehr oder minder betäubt vor dem Trivid. Ein Kaleidoskop von Nachrichten zog vorbei, aus einer Galaxis, die vor Hyperstürmen nicht zur Ruhe kam. In der sich Zigtausende Transmitterunfälle ereigne ten, allesamt entweder mit Todesfolge oder mit dem Verlust wertvoller Güter. Rhodans Prophezeiung wurde möglicherweise wahr. Drei Stunden vor Beginn der Zeremonie tönte ein summendes Signal von meiner Tür. Ich erhob mich matt und öffnete. Vor mir schwebte ein kegelförmiger Robot. Er trug die Faehrl-Insignien. »Ihr werdet zu einem Gespräch erwartet, Gebieter.« »Mit wem?« »Ich bin nicht befugt, diese Auskunft zu erteilen.« Ich fuhr in der Hygienezelle mit Wasser durch meine Haare, um die Liegespuren zu vertuschen, schlüpfte in Theremes Jacke und eilte draußen der Ordonnanz hinterher. Der Robot führte mich zur Paraphysikalischen Aktivierungsklinik, in ei ne Art Aussichtsturm am Rand des Geländes. »Ihr werdet in der Suite er wartet.« »Wo ist die?« »Etage 90, Gebieter.« Ich schob die Sonnenbrille, die ich von Ascari hatte, in meine obere Jackentasche, hängte einen Bügel raus und schaltete die Aufnahme ein. Ein außen liegender Antigravlift katapultierte mich vierhundert Meter hoch. Die Suite lag in der Spitze des Turms. Panoramafenster boten den prächtigsten Ausblick über Ikhara, der sich denken ließ. Bildnisse alter Imperatoren, geformt aus schimmerndem Bmerasath, rahmten die Fenster ein; auf dem Tisch in der Mitte stand ein Garrabo-Spiel aus massivem Mi velum. In der Luft lag ein Duft nach erlesenem Albon, den ich kannte. Und ein seltsamer Geruch nach Katze. »Beeindruckend, nicht wahr?«, vernahm ich eine kalte Stimme. »Bostich weilt hin und wieder hier.« Gegen das Sonnenlicht zeichnete sich die Gestalt einer herausragend proportionierten Frau ab. Es war Ascari da Vivo. Mein Puls jagte hoch beim Gedanken an Shallowain, den Ring und die Trevipern. Und an Thereme. Ascaris Blick wirkte forschend.
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Ich bemerkte einen silbrigen Schimmer, der ihr Haar umspielte. Nicht nur ihr Haar, sondern den gesamten Körper. Es handelte sich um ein Schutzfeld. Ein energetischer Kokon, der Materie passieren ließ und damit alltagstauglich war; der sie dennoch gegen jede Form von Strahlenangriff schützte. Von einer Stelle unterhalb der Sitzmöbel erklang ein maunzender Laut. Ein blau bepelztes Wesen schnellte sich vor mir auf die Lehnen. Es war ei ne goldäugige Plophos-Katze, anscheinend ein Männchen. Plophos-Kat zen kamen in Mode. Ascari nahm den Kater mit beiden Händen auf. »Das ist Aymoto. Ein Geschenk der terranischen Regierung. Vom Residenz-Minister Reginald Bull.« Ich zwang mich, ruhig zu stehen, mit übermenschlicher Beherrschung, während die Mascantin jeden Quadratzentimeter meiner Erscheinung mu sterte. »Ich mag deine Jacke nicht. Ich mag die Farbe deiner Haare nicht.« Sie bewegte sich aus der Sonne und nahm in einer fließenden, unglaublich eleganten Bewegung in einer schwerelosen Sesselgruppe Platz. Ascari trug eine dunkelrote Kombination, mit dem Symbol des Kristallimperiums über dem Herzen. Ihr ebenmäßiges Gesicht verriet keine Emotion. »Dennoch verdienst du eine Gratulation, Tai-Laktrote. Ich habe die Prüfungen der ARK SUMMIA mit Interesse verfolgt. Dein Ergebnis nötigt mir Hochach tung ab.« Shallowain. Thereme. Die Trevipern. »Vielen Dank, Erhabene«, wehrte ich gepresst ab. »Aber die Kommissi on hat die Ergebnisse noch nicht bekannt gegeben.« Ascari wischte herrisch den Einwand weg. Der Kater erschrak und huschte fort. »Deine Punktzahl ist mir bereits bekannt. Sechzig Hertasos liegen über dem Minimum von zehntausend. Du kommst auf 11.800. Die Hertasonin, die dir am nächsten steht, hat knapp die 11.000 überschritten.« »Was war damals Eure Punktzahl, Mascantin?« Ascari lachte mit einem Mal. »In der Tat, ich war ebenfalls auf Iprasa. Aber fragen wir uns lieber, wie deine weiteren Ziele aussehen, Kantiran. Eine Entscheidung von beträchtlicher Tragweite.« »Nun … ich werde wohl in die Flotte eintreten. Ein ARK SUMMIAAbsolvent startet mit einem hohen Athoren-Rang. Vielleicht gelingt es mir, nach Hayok versetzt zu werden. Je abenteuerlicher, desto besser. Und ich weiß eine Menge über Terraner.« Ascari musterte mich abwägend. »Du startest gegebenenfalls höher, als du glaubst. Sobald dein Extrasinn aktiviert ist, dürfte es an der Zeit sein, dich mit Seiner Erhabenheit bekannt zu machen. Mit dem Imperator.« Wissenschaftler in Iso-Kleidung spannten meinen Kopf in eine Haube
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aus Metall, die sich nach oben konisch verjüngte. Über eine spiegelnde Fläche verfolgte ich den Vorgang. Die Aktivierungsglocke, wie sie nach Jahrtausenden noch immer hieß, bestrahlte mit fünfdimensionalen Impul sen die brachliegenden Sektoren eines arkonidischen Gehirns. Ein bislang ungenutzter Sektor wurde zum Erwachen angeregt. Der so genannte Extrasinn – manche sagten Logiksektor – kümmerte sich um die logische Erfassung von Gegebenheiten aller Art. Ein aktivier ter Extrasinn galt als riesengroßer Vorteil, für Wissenschaftler oder Kom mandeure, im Labor, in der Schlacht oder bei einer Partie Garrabo. Dass all das nur für Arkoniden von reinem Blut gelten sollte, war un denkbar. Ich war ein Bastard, aber ich besaß dieselben Qualitäten, davon war ich überzeugt. Die Möglichkeit eines Fehlschlags erschien mir fern und unwirklich. Es musste klappen. Musste einfach. Die Aktivierungsprozedur begann. Besorgtes Wispern tönte von überall, und der Schmerz kam wie eine Flut. Es scheint uns beinahe unmöglich, dass er die Aktivierungsprozedur überstehen kann. – Er ist ein Mischling. Ich wehrte mich mit allem, was ich hatte. Vor meinem inneren Auge sah ich die Aktivierungsglocke. Die Aktivierung seines Extrasinns wäre le bensgefährlich. Ich versuchte das Metall auseinander zu reißen, aber ich schaffte es nicht. Ein heulender Lärm legte sich über meinen Geist, mein Hirn fetzte aus einander … … und Stille.
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11. Arkon
August 1331 NGZ
Als Erstes spürte ich den Unterschied in der Gravitation. Dies war nicht mehr Iprasa. Das Bett, in dem ich lag, roch verdächtig aseptisch. Ge dämpft durch eine verschlossene Tür hörte ich Stimmen, aus der Gegen richtung flüsterte Wellenschlag, vermutlich durch ein Fenster. Mühsam öffnete ich die Augen. Wie Puzzlestücke fügten sich Klötze aus Rot, Dunkelbraun und Weiß zum Bild eines zotteligen, rothaarigen Hünen. »Das wird auch Zeit, Kant!« Am Bett hockte mit einem erleichterten Grinsen Mal Detair. »Du hast drei Monate ohne Bewusstsein gefaulenzt.« Ich dachte eine Weile darüber nach. »Ein Vierteljahr?«, fragte ich matt. Zu kraftlos, um den Schock an mich ranzulassen. »Zuerst in einer Klinik auf Iprasa. Dann diese Spezialistenpraxis hier. Wir sind übrigens in Shulukai, direkt am Binnenmeer. Mächtig exklusive Lage, wird alles von der Paragetha bezahlt. Sie meinten, ich könnte dich heute mitnehmen.« Ich horchte in mein Inneres. Keine Stimme, nichts, es gab keinerlei Wandel festzustellen. Egal wie sich ein Logiksektor anfühlte; ich besaß keinen. Die Mediker von Iprasa hatten Recht gehabt. »Ach ja, übrigens, das mit deinem Extrasinn ist schief gegangen.« »Schon gemerkt.« Der Fehlschlag war eine persönliche Niederlage, aber bedeutungslos ge gen die Tragödie, die sich mit Theremes Tod verband. Ich hatte alles gege ben, und ich hatte auf einer Ebene verloren, auf die ich keinen Einfluss be saß. Meine Niederlage schien mir an der Oberfläche verzeihlich; tief drin nen aber … »Du hast Genesungswünsche von Arachya und Weigel. Sie bieten dir an, auf die Farm zurückzukommen. – Was war noch? Deine Punktzahl in der Prüfung ist anscheinend durchgesickert. In deinem Postspeicher liegen zweihundert Angebote aus der arkonidischen Industrie.« »Wie geht's Raffid und Kehmi?« »Kehmi wartet auf dich. Raffid hab ich an ein kleines Mädchen in der Stadt gegeben. Zehn Jahre alt, Raffid war kaum von ihr wegzubringen. Ist dir hoffentlich recht so.« Eine halbe Stunde später holten sie mich zum Körperscan. Meine Knie fühlten sich wie Pudding an, infolge der langen Liegezeit. Ein Assistent reichte mir die Hand; ein Medorobot schwebte nebenher. Den finalen Check führte eine einzelne Frau durch, eine Zaliterin mit
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kupferrotem Haar. Sie schob in Millimeterarbeit einen Scanner über mei nen Schädel. »Der Zustand dieses Gehirns«, konstatierte sie nüchtern, »ist vollständig in Ordnung. Die Mikro-Traumata sind abgeheilt. Sehr schön.« Ich blickte sie voll Misstrauen an. »Aber?« Die Zaliterin starrte auf den Block, den sie in der Hand hielt, dann zu rück zu mir. »Es sind Eure Psi-Werte, Tai-Laktrote. Die fehlgeschlagene Aktivierung hat eine Art Sprung bewirkt. Ihr liegt nun knapp innerhalb der Mutantenskala.« »Ich bin Mutant?«, fragte ich entgeistert. »Wir verschieben den Psi-Reflextest noch etwas«, wich sie aus. »Um nicht erneut das Hirn zu belasten. Das hat alles Zeit bis zur vollständigen Genesung. Rechnet nochmals drei Monate, dann klären wir den Rest.« In Detairs Obhut verließ ich am selben Tag die Klinik. Der Extrasinn war nicht aktiviert. Ich würde niemals ein Mascant sein, auch kein Admiral wie Keiphos. Ohne Extrasinn befanden sich Positionen dieser Art für einen Arkoniden außer Reichweite, erst recht für einen Ba stard mit Terraneroptik. Die Tatsache, dass ich weniger wert war als ein Arkonide, war nun für den Rest meines Lebens festgeschrieben. Blieben die Angebote aus der In dustrie, vielleicht eine niedere Flottenlaufbahn. Oder das eigene Raum schiff, ein Nomadendasein in der Milchstraße. Aber das alles interessierte mich derzeit nur am Rande. Das zentrale Ziel meines Lebens war ein völlig anderes. Ich war fest entschlossen, das Komplott um Theremes Tod aufzudecken, und hatte mit Shallowain einen Gegner vor mir, der mehr oder weniger nicht zu überleben war. Detair fädelte in den Gleiterverkehr der Stadt ein. Shulukai am frühen Abend, ein exotisches Bild voll Zauber, das ich gern mit Thereme genos sen hätte. »Da wären wir, Junge!«, rief er übertrieben schwungvoll, als er die Ma schine vor dem Hospital zu Boden setzte. Ich gab ihm keine Antwort. »Ist was?« Voll Entsetzen horchte ich in meinen Kopf. Von wegen keine Verände rung. Mir war mit einem Mal, als flammten Hunderte unsichtbare Lichter auf. Das vermeintliche Lichtermeer war mit dem Hospital identisch. Jedes Licht entsprach einem Gedanken oder einem denkenden Hirn. Detair führte mich misstrauisch vom Gleiter zur Tür. »Kant, ist was? Warte, ich hab ein Bett vorbereitet, warte nur noch …« Er öffnete die Tür. Ein Wald von primitiven Gedanken, Befindlichkeiten und Sinnesein drücken stürmte auf mich ein. Unter mir schwankte der Boden. »Wo ist dieses Bett?« Mit geschlossenen Augen, ohne ein Glied zu regen, pirschte ich durch den Gedankenwald. Schmerz und Schwäche herrschten vor. Logisch, denn
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was sollte ein gesundes Tier in Detairs Hospital. Die Entdeckung schien mir beängstigend intensiv. Der rätselhafte Zugang zu Tieren war mir nicht neu; nun aber potenzierte sich das alles. Ich fühlte mich wie Gott. Wie ein Gott der niederen Geschöpfe. Die Erweckung des Extrasinns war keines wegs vollständig fehlgeschlagen, sondern die Aktivierungsglocke hatte dies in mir bewirkt. Detair trat in mein Zimmer, während ich noch mit geschlossenen Augen dalag. »Rate mal, wen ich hier hab!« Ich fühlte das Instinktbild von Kehmi. Vor meinem inneren Auge Git terstäbe. Nicht der alte Korb, sondern ein kalter Käfig. Und ein Geruch, der mein eigener sein musste, wahrgenommen durch die Nase des Mar ders. Sein Schwanz raschelte über Draht. »Du kannst ihn aus dem Käfig rauslassen, Mal.« Einen Moment herrschte Stille. »Woher weißt du das? Ich … musste einen Käfig nehmen, weil er seinen Korb zweimal zerfetzt hat.« »Mach ihm die Tür auf!« Komm!, sandte ich Kehmi. »Vorsicht, Mal, er springt jetzt.« Ich hörte einen erstickten Laut von Detair. Der Kleine landete neben mir auf dem Bett, sein lang gestreckter Körper wand sich ein paar Sekun den, zwängte sich zwischen meinen Kopf und das Kissen, dort blieb er vor Freude zitternd liegen. »Ich kann seine Gedanken jetzt sehen«, flüsterte ich. »Erinnerst du dich, was du immer gesagt hast? Das ist wie Telepathie.« »Du meinst …« Aus dem Wust der Impressionen stach ein Blitz heraus. Ich horchte aufmerksam in den Äther. »Du hast ein Muttertier in der Baracke am Eingang stehen, Mal. Du solltest dich beeilen. Es hat sich eben hingelegt und wirft jetzt.« Ich war ein Gedankenleser. Nicht für die Gedanken von Menschen, son dern ausschließlich für die von Tieren. Wir bezeichneten die Fähigkeit, die in mir erwachte, als Instinkt-Telepathie. Das Ganze beschränkte sich auf Wesen mit einem geringen geistigen Niveau. Eben auf Tiere. Detairs Hospital erwies sich als ideale Spielwiese. Anfangs reichte mei ne Konzentration nur für Minuten. Nach einer Woche schaffte ich es stun denlang. Ich lernte, Tieren wirklich Befehle zu übermitteln; das, was ich früher als Impuls bezeichnet hatte. Insbesondere Kehmi ließ sich präzise lenken. Solange ich ihn sehen konnte, hatte ich ihn im Griff. Außer Sicht bedeutete jedoch außer Kon trolle. »Früher oder später lernst du auch das«, sagte Detair voraus.
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»Ja. Aber ich hab einiges über die terranischen Mutanten nachgelesen. Die hatten alle echtes Psi-Training über lange Zeit.« Detair ließ mich insbesondere die schwierigen Patienten checken. War das Futter gut? Wo lagen ihre Schmerzen? Je konkreter die Frage, desto schwerer fiel es mir, Detair zu antworten. Tiere agierten und reagierten in stinktgesteuert. Ihre Gedanken zu erfassen bedeutete, ihr Denken zu ver stehen – und das wiederum erwies sich als kaum überwindliche Hürde. Wer war imstande, sich in ein Insekt hineinzudenken? In einen blinden Fisch? In einen fliegenden Vogel? Ich begann nach Shallowain dem Hund zu forschen, kaum dass ich wie der auf den Beinen war. Wiederum zapfte ich mein Erbe an, wiederum für die Dienste einer Auskunftei. Wie im Fall meiner Eltern ohne Ergebnis; Männer wie Shallo wain hinterließen keine Spuren. Blieb noch die Nummer zwei auf meiner Liste. In dem Fall kam der Zufall mir zu Hilfe: Nach Ablauf der ersten Peri ode im Krankenstand erreichte mich eine handschriftliche Einladung. Sie stammte von Ascari da Vivo. »Die Mascantin wünscht mich zu sprechen …«, murmelte ich verblüfft zu Detair. »In ihrer Stadtwohnung in Shulu kai.« Ich steuerte meinen Gleiter über die in Dämmerung erleuchtete Stadt. Ascaris Besitz lag im Süden. Hier wohnten hoch gestellte Würdenträger; die Gegend war nicht dicht besiedelt, sondern ging in die typische Park landschaft Arkons über. Ihre Kelchvilla erwies sich als schmucklos und nüchtern, umgeben von einem halben Kilometer Grün. Ich strahlte meine Kennimpulse ab und wurde in Fernsteuerung genommen. Irgendwo in der Dunkelheit verbargen sich Leibwächter. Doch ich war angemeldet und ge laden. Ich stieg aus dem Gleiter. Kehmi!, kommandierte ich lautlos. Auf! Der Tarox eilte gedankenschnell auf meine Schulter und wand sich um den Jackenkragen. Ein Schweberobot nahm mich in Empfang. Wir trieben durch den Anti gravschacht in die oberste Etage der Sechzig-Meter-Villa. Die Türhälften fuhren beiseite – und mein Blick fiel als Erstes auf den Plophos-Kater Aymoto, den ich vom letzten Treffen kannte. »Tritt ein, Kantiran!« Der Kater krümmte aggressiv den türkisblauen Rücken, als ich über die Schwelle trat. Seine schneeweißen Barthaare sträubten sich wie Draht. Eine Sekunde blickte ich durch seine Augen; ich spürte einen Schub Gedanken, die Spur einer bedrohlichen Witterung. Aymoto wich vor mir zurück. Er witterte den Tarox. Kehmi. Ruhig. »Euer Kater ist ein sensibles Tier, Erhabene«, sprach ich zu Ascari. Sie wartete in einer Art Bibliothek. Rings um einen Arbeitstisch grup
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pierten sich Folianten, Speicherkristalle, Instrumente zur Kommunikation, ein Syntron und ein kostbarer, vermutlich uralter Holoprojektor. Auf einem Tisch abseits lag ihre Strega, im abgeschnallten Beinhalfter. Das silbrige Schutzfeld, das ich schon kannte, umspielte ihren Körper. Ascari trug blütenweiße Uniform, gab sich jedoch leger. »Nimm Platz, Kantiran!« »Vielen Dank, Erhabene«, presste ich hervor. Eine Welle von Hass machte mich beinahe stumm. Ihre Schuld war nicht erwiesen, hämmerte ich mir ein, nicht mehr als eine bloße Idee. Bis lang bestand ihr Vergehen darin, dass sie einen Mann kannte, der Trevi pern erworben hatte. Ascari musterte mich mit einem prüfenden Blick. Sie legte einen Spei cherkristall, an dessen Inhalt sie offenbar gearbeitet hatte, auf das Ar beitspult hinter ihr. Ich erfasste instinktiv, dass der Kristall mit meinem Schicksal in Ver bindung stand. Eine Mascantin war viel beschäftigt. Sie konnte nicht jedes Detail zu meiner Person im Kopf behalten. Der Kristall diente mit hoher Wahr scheinlichkeit als Gedächtnisstütze. Auf meiner Zunge lagen tausend Fragen, und wenn ich eine Antwort wollte, brauchte ich vielleicht nichts als den Kristall. Eine Minute nur, wünschte ich mir, um den Inhalt zu durchforsten. Doch Ascari verfolgte jede Bewegung, die ich tat, mit gastfreundlicher Aufmerksamkeit. »Die Aktivierung deines Extrasinns ist also fehlgeschlagen«, stellte sie fest. »Das ist bedauerlich. Aber wir haben einkalkuliert, dass es geschehen könnte.« »Wir?« »Seine Erhabenheit und ich«, antwortete sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Wieder hatte ich das Gefühl von bebendem Erdboden und bren nender Luft. Was immer sie bezweckte, es war eine Nummer zu groß. Ich fragte zum ersten Mal geradeheraus: »Bei allem Respekt, welches Interesse sollte Seine Erhabenheit wohl an einem Halbblut haben? Wel ches Interesse hegt Ihr an mir?« Ascari da Vivo lächelte fein – und überging die Fragen. »Der fehlende Logiksektor stellt selbstverständlich ein ernstes Problem dar. Dennoch soll dir deine Laufbahn nicht verbaut werden. Schließlich war es nicht die mangelnde Leistung des Hertasos, die zum Fehlschlag ge führt hat. Auch nicht ein genetischer Defekt, sondern schlicht die Biolo gie.« Ich verfolgte aus den Augenwinkeln die Schleichwege des Katers. Aymoto schnellte auf die Arbeitsplatte in Ascaris Rücken. Dort blieb
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der Kater sitzen und behielt mich im Auge. Und besonders den Tarox auf meiner Schulter. Kehmi. Still! Ascari nahm eine Fernbedienung, richtete sie auf den alten Holoprojek tor und aktivierte eine Slideshow. Dokumente und Screenshots zogen vor bei. Ich erblickte jedes Mal den Namen Kantiran. »Ich habe eine Reihe von Zugriffskonten für dich einrichten lassen. Die Rechner im Kristallpalast, im Flottenzentralkommando Ark'Thektran und so weiter. Sobald du endgültig genesen bist, startet deine Karriere in der Praxis. Dann werden die Konten frei geschaltet.« »Mit welchem Recht?«, fragte ich fassungslos. »Auf Grund deiner Leistungen.« Ich starrte blicklos den Kater an. Tauchte ein in den Geist der Kreatur. Der Speicherkristall. Ich sah das Glitzern durch Katzenaugen. Dreh dich um! Aymoto drehte sich. »… Imperator Bostich hat sehr wohl deine außergewöhnlichen Ergeb nisse in den Reifeprüfungen zur Kenntnis genommen …« Lauf zu dem Glitzernden. Der Kater bewegte sich lautlos. Er folgte jedem Gedanken, den ich ver ständlich für seinen Geist in Bilder fasste. »… insbesondere das Resultat aus den Sim-Kuppeln«, sagte Ascari. »Der Schwierigkeitsgrad wurde auf meine Weisung hin heraufgesetzt, aber du, Tai-Laktrote, warst nicht zu stoppen!« Ihre Eröffnung warf mich um ein Haar aus der Konzentration. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst. Der Härtegrad, der eine Hertasonin das Leben gekostet hatte, entsprach nicht dem Standard. Ascari war schuld. Und sie schien nicht einmal zu merken, was sie mir da eigentlich sagte. Das kleine Glitzernde. Am Rand der Fläche. Aymotos Barthaare streif ten über den Kristall. Es hat keinen Geruch. Es schmeckt nicht. Ver schlucke es. Der Kater richtete sich protestierend auf. »Dir werden dieselben Türen offen stehen, Kantiran, wie jedem Mit glied der arkonidischen Führungsschicht. Der Imperator hat bereits dein künftiges Einsatzgebiet im Auge. Wir werden dich in den HayokSternenarchipel schicken.« »Ich soll nach Hayok?«, fragte ich fahrig zurück. Ascari musterte mich mit verengten Augen. »Du hattest selbst den Wunsch geäußert. Der Imperator wird dich als Orbton im Rang eines Dor'athors in den Dienst schicken. Als Raumschiffskommandant Vierter Klasse.« Friss! Aymoto schluckte den Kristall mit Ekel, aber er schluckte. Auf den Boden. Er sprang von der Platte runter, ohne einen hörbaren Laut.
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Zur anderen Platte. Spring hoch. Aymoto kam neben einem losen Hau fen auf, in dem mehrere Speicherkristalle lagen. Nimm einen ins Maul. Einen. Nicht schlucken. – Lob! – Spring herunter, zurück auf die Platte vorher. Ascari da Vivo drehte sich plötzlich um. »Was beobachtest du da die ganze Zeit?« Maul zu. Ein Impuls von beinahe brutaler Härte, der die Flanke des Ka ters zum Zittern brachte. Keinen Laut. Mein Kreislauf raste hoch. Ascari nahm den Kater auf, kraulte gedan kenverloren das seidenweiche, lange Fell im Brustbereich, dann setzte sie ihn auf die Platte zurück. »Nun? Was sagst du, Tai-Laktrote? Erfüllen sich damit nicht all deine Wünsche?« Leg das Kleine ohne Geschmack da hin. Der Kater legte praktisch lautlos den Ersatz-Kristall ab. Alles sah aus wie vorher; Ascari würde eine Weile brauchen, bis sie die Verwechslung bemerkte. Ich entließ Aymoto aus meiner Gewalt. Erleichtert huschte er vor die Füße der Mascantin, rieb sich und schlüpfte zur Tür hinaus. Ich fixierte die Mascantin mit staubtrockenem Mund. »Das sind rätsel hafte Nachrichten, Erhabene. Zweifellos ein Anlass zu großer Freude. Doch ich wünschte, Ihr würdet mich über die Hintergründe Eurer Ent scheidung ins Vertrauen ziehen.« »Mal, ich benötige von dir einen Futterfisch. Einen möglichst alten, stinkenden.« »Ist das alles?« »Keineswegs. Du hast doch in deinem Giftschrank bestimmt ein Brech mittel und ein Mittel zur Darmentleerung?« »Junge, hast du was Falsches gegessen?« »Ich brauch es nicht für mich.« In der Nacht kehrte ich in den Süden von Shulukai zurück. Einen Kilo meter von Ascaris Anwesen setzte ich die Maschine auf; weit entfernt vom Sicherheitsring, den die Celistas überwachten. In unmittelbarer Nähe stand kein weiteres Haus. Das allgegenwärtige Leuchten des Kristallschirms spendete so viel Licht wie ein Mond. Ich wickelte den Fisch aus. Übel riechender Dunst quoll mir entgegen. »Bääh …« Ich warf das halb verweste Fleisch auf den Boden, so dass ich es sehen konnte, und hockte mich vor den Gleiter. Die Witterung wurde Richtung Villa getragen. Nach wenigen Minuten tauchten die ersten Vögel auf. Ich sprang auf und scheuchte sie fort. Verschiedenste Tiere folgten im Lauf der nächsten Stunde. Ich verscheuchte sie allesamt, die hartnäckigen Exemplare mit ei
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nem Suggestiv-Impuls. Gegen Mitternacht spürte ich Aymoto. Ich hörte ihn nicht, aber er war da. Komm! Der Kater tauchte aus den Büschen auf. Beim Fisch ging ich in die Knie. Seine Barthaare zitterten vor Erregung, die Augen glänzten wie Goldmonde. Ich öffnete meine Hand und präsentierte ihm das Brechmittel. Friss! Aymoto hasste mich, der Fischduft machte ihn wahnsinnig. Trotzdem fraß er die Pille. Als der Kater sich übergab, kam der Kristall zum Vorschein. »Sei froh, Kleiner«, murmelte ich. »Das erspart dir die Abführpille.« Ich entließ Aymoto aus meinem Bann. Der Kater stürzte sich auf den Fisch, packte die halb verweste Leiche und schleppte seine Beute in die Büsche. Mit einer Pinzette nahm ich den Speicherkristall auf. »Na also.« Zurück in die Maschine, ich ging auf Höhe und überquerte bei Nacht das Binnenmeer Richtung Paragetha. Mein altes Zimmer war längst neu besetzt. Meine Zugangsberechtigung allerdings galt lebenslänglich. Verstohlen passierte ich die Treppenschäch te, gelangte zu den Studierkabinen, die so früh in der Saison kaum Nutzer fanden. Den Inhalt zu entziffern erwies sich als unerwartet schwer. Ascari hatte mit einem Diebstahl nicht gerechnet, dennoch hatte sie ein Kodewort ge setzt. Ich schickte eine Aufzeichnung ihrer Stimme durch den Rechner. Die Frequenzkurve diente als Basis für den Syntron, der Millionen Kombi nationen generierte. Es dauerte fünf Minuten, für einen syntronisch gesteuerten Kode knacker erstaunlich lange. Vor mir lag geschriebener Klartext. Ich stand auf, trat vor die Kabinentür und stellte mit einem Rundgang sicher, dass niemand die Kabine nebenan benutzte. Dass kein Ausbilder in der Gegend war und keine Überwachung lief. Der Kristall enthielt eine Art Personalakte. Meine Akte. Eine wortglei che Kopie lag gemäß Aktenkopf dem Imperator vor. Ich wischte mir die Augen trocken und las mit einer seltsamen Vorahnung dumpf und wie ver nagelt die Zeilen. Kantiran Körpergröße aktuell: 1,89 Meter Körpergewicht aktuell: 84 Kilogramm Intelligenzstufe gemäß Epetran-Skala: 82,04 Lerc Aktivierung des Extrasinns misslungen; Folgen noch unbekannt Mutter: Ascari da Vivo, Arkonidin Vater: Perry Rhodan, Terraner (Vaterschaft ist ihm unbekannt) Zeugung in der Calditischen Sphäre der Galaxis Tradom, 1312 NGZ
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Fötus dem Mutterleib entnommen und in vitro zur Geburtsreife gezüch tet
Geboren 33. Prago der Coroma 21.430 da Ark (entsprechend 22. Janu ar 1313 NGZ); kristallimperiale Araith-Klinik des Thek-Laktran Pflegefamilie auf Planet Creiff ab 6. Woche; galaktonautische Position Creiff ( … ); Distanz zu Arkon: 23.964 LJ, zu Hayok: 3207 LJ, zu Terra: 12.202 LJ »Alles Lüge …«, murmelte ich wehrlos zu mir selbst. »Nur ein böser Traum, Kantiran.« Doch mein Verstand ließ sich nicht betrügen, so hartnäckig ich versuch te, genau das zu tun. Das Memo erklärte alles. Von meiner Kindheit bis zu Ascaris erstem Besuch, von meiner Erziehung bis zur ARK SUMMIA. Ich erhob mich steif wie eine von Theremes Kleiderpuppen. In einer sinnlosen Reaktion trat ich den Stuhl um, brüllte gegen die Wand, schmet terte die Eingabetafel des Syntrons zu Boden. Meine Eltern waren mitnichten tot. Die Prospektoren und ihr angebli cher Unfall nur pure Fiktion. Meine Mutter hieß Ascari da Vivo. Sie hatte nicht Bodenschätze ge schürft, sondern war Mascantin des Kristallimperiums. Mein Vater war der Terranische Resident Perry Rhodan, der größte Feind des arkonidi schen Imperiums. Falls alles der Wahrheit entsprach, was in der gestohle nen Akte stand … Die Realität übertraf bei weitem jede Verrücktheit, die ich mir hätte ausdenken können. Mein wirklicher Name lautete demnach Kantiran da Vivo-Rhodan. Genau das sagte die Akte. Ich wurde von Ascari und Bostich als Marionette herangezüchtet. Kein Wunder, dass ein Bastard an die Paragetha gelangte; kein Wunder, dass mir ohne Logiksektor eine Laufbahn offen stand. Rhodans Sohn – als Waffe in Arkons Hand, im Krisensektor Hayok. Wenn Arkon gegen Terra stand, kämpfte Perry Rhodan gegen den eigenen Sohn. Man würde mich zum Flottenführer machen und im Augenblick der Entscheidung Rhodan die Wahrheit offenbaren. Nach meinem Willen fragte keiner. Ein Bastard von Creiff durchkreuzte nicht die Pläne des Imperators. Mein Leben für Arkon, tausendmal gesagt, ernst gemeint, im festen Glauben an das Impe rium. Nun schien es, als würde ich beim Wort genommen. Ich packte meine Sachen und den Kristall. Die Studierkabine blieb auf geräumt und ohne Spuren zurück. Am Ende des Korridors befand sich eine Hygienezelle. Ich lehnte vor dem Wasserspender, die Knie wacklig, den Spiegel vor Augen, fuhr mit den Fingerspitzen über das eigene Gesicht, suchte nach Ähnlichkeit. Ascari war weißblond, Perry Rhodan dunkelblond. Die Färbung meiner Haare war ein dominantes Merkmal von Rhodans Seite; terranische Kin
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der hatten alle möglichen Haarfarben. Rhodans Mund, dachte ich mit Gänsehaut. Ascaris Augen. Nicht so kalt, aber dieselbe mandelförmige Kontur. Es war nicht mehr das Gesicht eines Jungen. Sondern das Gesicht eines Mannes, eher wie gereifte, ausgelaugte fünfundzwanzig statt der achtzehn Normjahre, wie es der Wahrheit entsprach. Ich schlich zurück an die Oberfläche, zu meinem Gleiter, und verließ die Paragetha. Detair schob Nachtschicht, als ich ins Hospital stolperte. »Was ist mit dir, Kant? Probleme mit dem Fisch? Du siehst aus wie 'ne Leiche.« Er schlug sich erschrocken auf den Mund. »Tut mir Leid, ich wollte nicht …« »Lass mich in Ruhe!«, kanzelte ich ihn heiser ab. »Geh zu deiner Ge burt zurück!« Mit steifen Schritten eilte ich in mein Zimmer. Alles, woran ich ge glaubt hatte, war fortgewischt. Meine Realität zerstört, meine Geschichte genommen. Ich schaltete das Holo meiner Eltern aus, das mich ein Leben lang begleitet hatte, und feuerte den Projektor in den Müll. Die Personen, die das Holo zeigte, waren syntronisch generierte Miniaturen. Abbilder ei ner Lüge, eine gefälschte Erinnerung. Es hatte niemals eine Arkonidin und einen Terraner gegeben, die aussahen wie sie. Jeglicher Gedanke, Kontakt zu Arachya und Weigel aufzunehmen, schien mir abwegig. Sie waren Ma rionetten wie ich. Teile des Spiels. »Mein Leben für Arkon. Was für ein Dreck!« In meinen Ohren rauschte es, über Stunden, und ich wurde immer auf geregter, statt mich abzukühlen. Kehmi verzog sich in seinen Korb, wäh rend ich vom Fenster zur Tür wanderte, wieder zurück und das Ganze von vorn. Ich erinnerte mich an einen Satz von Weigel, meinem Pflegevater. Du hast ein Problem mit Autorität, Kantiran. Du wirst damit noch schwer zu kämpfen haben. Was er damals gesehen hatte, entsprach der Wahrheit. Die Bereitschaft, mein Leben für Arkon zu geben, schwand mit jeder Minute. Eine Stunde vor Sonnenaufgang aktivierte ich den Interkom. Die Num mer von Ascaris Villa war mir bekannt. Früher hätte ich nicht zu hoffen gewagt, dass ich durchgestellt würde. Nun wusste ich es besser. Ein verschlafenes Gesicht blinzelte mir entgegen. Das Haar war über ih rem Nacken hochgebunden. »Ich muss Euch sprechen, Erhabene«, presste ich mit seltsamer, unge wollter Betonung hervor. »Sofort.« Kehmi ringelte sich um den Kragen meiner Jacke, verängstigt und ver wirrt, weil er den Zustand nicht kannte, in dem ich mich befand. Mit ei nem Impuls stellte ich ihn ruhig. Das Anwesen der Mascantin lag in tiefer Dunkelheit. Die Celistas lie
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ßen mich passieren. Ich war gemeldet. Ascari empfing mich im selben Zimmer wie beim ersten Mal. Das Licht war gedimmt, der Silberschimmer ihres Schutzfeldes hob sich gegen die dunklen Möbel ab. In der Hand hielt sie einen Krug K'amana, ein Heißgetränk, das dem ter ranischen Kaffee ähnelte. Sie trug nicht mehr als einen Morgenmantel, ei ne beeindruckend elegante Erscheinung trotz der Zeit, und war nach mei ner Einschätzung geistig hellwach. »Sprich, Tai-Laktrote«, empfing sie mich kühl. »Du hast hoffentlich einen sehr, sehr guten Grund.« »Ihr könnt Euch darauf verlassen, Mutter. Der Grund ist gut.« Sie brauchte eine Sekunde. Zuerst drehte sie ab – dann verhielt sie mit ten in der Bewegung, machte in Zeitlupe kehrt und richtete einen brennen den Blick auf mich. »Du wirst mich nie wieder so nennen.« »Ich werde nie wieder auf Eure Befehle hören.« Schweigen. Ich fixierte sie mit einem Gefühl von brennendem Hass. Ih rem Leib entstammte ich, und die Bauchaufschneider hatten mich als Fö tus aus ihr herausgetrennt. Vermutlich, um ihr die Plage einer Mutterschaft zu ersparen. Ascari hielt dem Blick ohne Mühe stand. »Woher weißt du es?« »Nach der ganzen Zeit ist es meine Sache, Fragen zu stellen.« Ascari zuckte die Achseln; in einer Geste, die sie von Terranern gelernt haben musste. Vielleicht von Rhodan. »Dann frag!« Ich holte tief Luft, mit Tränen in den Augen. Es war mir egal. »Was hat Euch bewogen, das eigene Kind wegzugeben?« »Treue zum Imperium und zum Imperator. Es sind meine Natur und meine Erziehung.« »Aber …« Ich starrte sie fassungslos an. »Kann Treue wirklich so groß sein? Bedeutet Liebe etwas für Euch?« »Stelle mir Fragen, die ich beantworten kann. Deine emotionalen Hül sen sind mir lästig.« Ich ballte die Hände. Von Thereme hatte ich gelernt, was Liebe hieß. Mehr, als meine Mutter je wissen würde. »Habt ihr euch … geliebt?« Ascari zischte ungläubig. »Ich und dein Vater, dieser Rhodan, wir wa ren in einer fernen Galaxis einen Tag lang in einem Raumschiff einge schlossen. Wir haben es getan, und du bist das Ergebnis. So einfach. Er spare mir deine Gefühlsduselei, wenn du kannst. – Als ich zurückkehrte, war ich eine schwangere Mascantin. Der Imperator gab Befehle. Bostich wollte keinen bei Hof verdorbenen Weichling, sondern einen Soldaten ge gen Terra. Jemanden, der auch das Leben kennt. Du kamst nach Creiff und später in die Paragetha.« »Das heißt, Perry Rhodan weiß wirklich bis heute nichts?«
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»Er wird es erfahren, wenn es Arkon nützt.« Ich dachte daran, wie es gewesen wäre, ein Kind mit Thereme zu haben. Alles, was ich besaß, hätte ich bedenkenlos dem Traum geopfert. Ascari verstand nicht mal, was sie angerichtet hatte. »Ich hatte eine Freundin, Mutter …« »Thereme? Hieß sie nicht so?« »Ja. Sie starb anscheinend an einer Herzschwäche. Ich weiß jedoch, dass sie getötet wurde. Ich weiß außerdem, dass der Mordanschlag ver mutlich von Eurem Vertrauten Shallowain …« »Shallowain ist nicht mein Vertrauter«, schnarrte sie dazwischen. »… ausgeführt wurde. Ich vermute eine Verbindung. Warum musste Thereme sterben?« Jetzt war es heraus. Das, was die ganze Zeit auf mir gelastet hatte. Asca ris Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde, überrascht, dass ich es tatsächlich wagte. »Aus Gründen der politischen Räson«, bekundete sie nach einer Weile. »Ein romantischer Trottel namens Kantiran hätte dem Imperium nicht genützt. Der Imperator wollte einen Mann, dessen höchstes Gut die Treue ist. Und nicht die Liebe zu dieser … Unterprivilegierten.« »Wer gab den Befehl, Mutter?« Sie antwortete nicht. »Wer gab den Be fehl?« Ich sah den Ekel. Sah ihn genau. Er erkannte, dass Ascari keine Frau neben sich dulden würde. Sosehr sie vorgab, keine Gefühle zu besitzen, sie hatte Thereme töten lassen, aus Eifersucht und Missgunst. »Nein …«, flüsterte ich. »Nein …« Etwas in mir knallte durch. Wie ein Schalter, der in meinem Schädel umgelegt wurde. Ascaris Todesurteil fiel in dem Moment – und sie spürte es, als sie in meine Augen blickte. Meine Hand fuhr zur Hüfte. Aber umsonst, ich trug keine Waffe bei mir. Wozu auch, gegen das schimmernde Feld, das sie umgab, hätte ich die Artillerie eines Naats gebraucht. »Was denn, Tai-Laktrote?«, sprach sie mit einem maliziösen Lächeln. Im sicheren Wissen, dass ich sie nicht gefährden konnte. »Du wirst mich doch nicht angreifen wollen?« Ich fasste in meine Jackentasche – und brachte statt eines Strahlers die Sonnenbrille zum Vorschein, die sie mir einst geschenkt hatte. Die Mascantin, meine Mutter, lachte schallend. Exakt die Sekunde Ab lenkung, die ich brauchte. Kehmi! Der Marder schlüpfte gedankenschnell von meiner Schulter. Ascaris Schutzschirm blockte jeden Strahlenangriff ab. Doch er war durchlässig für gewöhnliche Materie. Spring!
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Kehmi schnellte sich nach vorn, auf den silbrigen Schimmer zu. Es flimmerte nicht einmal, als der Körper durch die Sperre drang. Die Mas cantin bekam gerade mal halb die Hände hoch. Töte! Sie versuchte den Marder fortzuschlagen, aber sie traf ihn nicht. Etwas fiel zu Boden. Es war ein Finger. Über Ascaris Arm lief Blut. Kehmi brachte ein Dutzend Bisse an, er zerfetzte ihren Morgenmantel und arbei tete sich in rasender Geschwindigkeit nach oben. Ascari war schnell, nicht weniger als Shallowain. Aber nicht ansatzwei se schnell genug für einen Tarox. »Hol es weg!«, kreischte sie mit entstellter Stimme. »Hol es weg!« Kehmi erreichte ihr Gesicht. Das Schreien verstummte. Die Admiralin brach vor meinen Augen zusammen. Ich presste die Hände geballt gegen meine Ohren. Hatte sie Thereme le ben lassen? Als Kehmi ihre Augen erreichte, verlor ich die Nerven. Aus! Lass sie, lass-lass-lass. Kehmi ließ von ihr ab, hinkte mit besudeltem Fell zu mir und kletterte an den Beinen hoch. Ein romantischer Trottel, Ascari hatte Recht gehabt. Sie war eine Be stie, aber trotzdem meine Mutter. Die Frau, die ich in meinen Träumen im mer vergöttert hatte. Das blutige, zerstörte Bündel lag reglos am Boden, und ich wusste nicht, ob noch Leben in ihr war oder nicht. Die rote Lache rings um Ascari da Vivo wurde schnell größer. Ich holte die Brille heraus und schleuderte sie auf den reglosen Körper. »Die könnt Ihr wiederhaben, Mutter!« Mit einem Gefühl innerer Narkose taumelte ich aus der Villa ins Freie. Ich ließ mich in den Gleiter fallen, die Augen nass, die Hände zitternd. Mir kam zum Bewusstsein, was ich getan hatte. Ich hatte meine Mutter schwer verletzt oder ermordet. Dem Anblick nach eher Letzteres. Das alles mit einer Grausamkeit, die ich mir nie im Leben zugetraut hätte. Nicht, dass ich Mitleid mit der Mörderin Theremes empfand; die Tat an sich schien mir völlig berechtigt. Doch in dem Moment, da die Leiche ge funden wurde, stand der Täter fest. Die Celistas brauchten schätzungsweise eine Stunde, egal wo ich mich verbarg. Sobald der Apparat lief, halfen meine Paragetha-Tricks nicht wei ter. Nicht auf Arkon, im Zentrum des Imperiums. Bostich I. würde mobili sieren, was er hatte. Khilur da Ragnaari würde als Geheimdienstchef die Kralasenen in Marsch setzen. Auf mich wartete die Todesstrafe. Hinter den Wäldern erwachte das erste Grau des Tages. Kehmi gab ein winselndes Geräusch von sich. Ich versetzte mich in den Kleinen hinein – und erschrak heftig.
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Mit einem Griff hatte ich den Leib im Arm. Der Tarox-Marder war blut verschmiert. Es handelte sich keineswegs nur um Ascaris Blut, sondern es musste ihr gelungen sein, selbst den Tarox zu verletzen. Kehmis Regun gen wurden schwächer. »Durchhalten, Kleiner!« Ich brachte meine Maschine in die Luft, kurvte an den Celistas vorbei Richtung Shulukai und schaltete die Kennung des Gleiters aus, als ich den Stadtrand erreichte. Fehler hatte ich genug gemacht; ich musste nicht einen weiteren hinzufügen, indem ich mit Gewalt meinen Aufenthalt ver riet. Ich raste in Expresshöhe Richtung Hospital, mit allem, was die Maschi ne hergab, und alarmierte per Funk Detair. Vor der Pforte brachte ich den Gleiter knapp zum Stillstand. Ich schnappte den Marder und fegte durch die Korridore in den Medosaal, wo sich Detair zur Notoperation bereit hielt. »Bin eben mit der Geburt fertig. Ein Quatus. Was zum Henker ist pas siert?« Als Detair sein Besteck auspackte, spürte ich Kehmi schon nicht mehr. Der Heiler versuchte, das Herz wieder in Gang zu bringen. Doch es hat te keinen Sinn. »Am Blutverlust lag's nicht, ich meine … Ich tippe auf Vergiftung. Und dieses ganze Blut, Kant … Das ist Arkonidenblut!« Im Grunde, machte ich mir klar, zählte jede Sekunde, wollte ich am Le ben bleiben und irgendwie Celkar entgehen. Detair stand dafür, dass er mir geholfen hatte, selbst der Tod bevor. Ich fasste den Entschluss, von Arkon zu fliehen. Mein Erbe und die Versicherung, beides beruhte auf einem Schwindel; dennoch existierte bei des bis heute höchst real. Mir standen sämtliche Chronners der Welt zur Verfügung. »Mal …«, sagte ich schwer, »wie schnell kannst du jemand finden, der dir das Hospital abnimmt?«
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12. Arkon 28. August 1331 NGZ Wir erreichten den Transmitterknoten am Raumhafen Shuluk, der Ar kon I mit Arkon II verband. Detairs Laune war so explosiv wie Knallgas. Das Hospital lag nun in Farmeolls Händen. Er trug die beiden Rucksäcke. Ich hatte Theremes Jacke an, in einer Brusttasche meine Ausweispapiere und die Creditchips, und erledigte die Formalitäten. Der Transport erfolgte auf eigene Gefahr. Die Wahrscheinlichkeit von Transmitterunfällen wuchs jede Stunde, im Hypersturm von Thantur-Lok. Mit einem mulmigen Gefühl traten wir durch den grünen Transmitter bogen und kamen wohlbehalten heraus. Von Planet zu Planet, im Bruch teil einer Sekunde. Eine Stunde höchstens, bis sie Ascari entdeckten. Falls dies nicht längst geschehen war. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Arkon II, Handelswelt des Imperiums, galt als Drehscheibe des inter stellaren Warenumschlags. Zu jeder Tages- und Nachtzeit löschten Tau sende Frachter ihre Ladung. Knapp die Hälfte war nichtarkonidischer Bau art. In der einen Stunde galt es ein Frachtschiff aufzustöbern, das einigerma ßen intakt aussah – und die Absicht hatte, das System auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Meine Wahl fiel auf die GELTAN XIII. Die Springerwalze trug Fracht für das 12.002 Lichtjahre entfernte Traversan-System. »Nicht, dass ich deine Sachkenntnis anzweifeln wollte«, ätzte Detair. »Aber wenn ich je eine runtergekommene Dose Blech gesehen hab, dann die da.« Bostich I. blickte in oder Langeweile über die Bittsteller ferner Syste me. Er hatte keins der Gesichter je gesehen. »Seine millionenäugige, alles wissende Erhabenheit, Heroe aus dem Geschlecht der Weltältesten …« Arkon war groß. Zigtausende Sonnen und Planeten, deren Namen er nur zu einem Bruchteil kannte. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Tumult und hektische Gebärden. »Eure Erhabenheit!« Khilur da Ragnaari, sein Geheimdienstchef, eilte auf ihn zu. »Verzeiht …« Bostich scheuchte seine Lakaien mit einer Handbewegung fort. Khilur kniete hastig nieder. »Mein Leben für Arkon, Imperator!« Er legte die Fingerspitzen über die Augen. »Es gab einen Mordanschlag auf die Mascantin Ascari da Vivo. Der Anschlag wurde von einem Protege
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Eurer Erhabenheit verübt. Einem Paragetha-Absolventen namens Kanti ran.« Bostich starrte verblüfft auf Khilur. Er war Aktivatorträger, er hatte als Imperator vieles erlebt. Dennoch überraschte ihn die Nachricht. Kantiran, seine geheime Waffe. Er hatte viele Jahre gewartet, und nun stand alles in Frage, was der Kantiran-Plan vorsah. Nicht zu vergessen Ascari, die er schätzte wie keine andere. »Ist sie …« »Nein, Eure Erhabenheit. Sie hat überlebt, befindet sich aber noch in Lebensgefahr. Es ist nicht sicher, ob die Bauchaufschneider sie durchbrin gen. Und wie sie hinterher aussehen wird.« »Kantiran?« »Ist vorerst flüchtig.« In Khilurs Geleit rückte ein düsterer Arkonide vor, Shallowain der Hund. Er hob die Hand. »Kantiran hat eben Arkon verlassen. Er befindet sich an Bord eines Springerfrachters. Seit wenigen Minuten außerhalb des Kristallschirms.« Seine weißen Augäpfel wirkten wie die Augen eines To ten. Bostich maß erst Khilur, dann den Cel'athor mit unsichtbar beherrsch tem Zorn. »Das sind schlechte Nachrichten. Shallowain … bring mir Kan tiran! Und bring ihn mir lebendig.« »Jawohl, Eure Erhabenheit!« Der Kralasene machte auf dem Absatz kehrt und strebte davon; offenbar in der Absicht, keine Sekunde unnötig zu verlieren. Bostich blickte ihm nachdenklich hinterher. An den Händen des Mantelträgers klebte mehr Blut als an den Impulsgewehren einer Armee. »Er ist unser bester Mann«, beteuerte Khilur. »Er findet ihn.« »Das ist nicht meine Sorge.«
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Geydana Gu, die Distanz-Telepathin, kehrte mit dem vorläufigen Ende der Geschichte des Mischlings zurück, der »Kantiran« genannt wurde. Die ersten Akte der steigenden Hyperimpedanz waren Bestandteil der Chronik. Firmian Oreche ließ alles zu den Akten speichern. »Hör mal, Gu …«, sagte er zu der Telepathin, »ich gebe zu, du machst mir Sorgen. Mir scheint, du nimmst die Sache mit Kantiran zu ernst. Be trachte den Jungen als Studienobjekt. Nicht als einen Freund oder so.« Geydana Gu sah ihn mit riesengroßen blitzenden Augen an. »Wer war die ganze Zeit dabei, du oder ich? In diesem Bengel steckt etwas Besonde res. Er weiß es selbst noch nicht, aber er wird mal ein Großer. Wetten? Vielleicht ein Friedensfahrer.« Gu musste selbst lachen. »Außerdem ist er ein mächtig hübscher Bursche, vielleicht ein bisschen groß, aber sonst … Was meinst du, Oreche, nehmen die Friedensfahrer Bastarde auf?« Firmian Oreche lachte nicht über den Spruch. Stattdessen schenkte er der Zwergin mit der gelben Haut seinen freund lichsten Blick. »Und wenn es so ist, Gu, erfährst du es als Erste. Du wirst dich nämlich unverzüglich bereitmachen, und du wirst dir sehr genau an sehen, was unser Bastard weiter treibt.« »Ist das ein Auftrag?« »Ein Befehl.« Kantiran und sein Freund Mal Detair legten eine Zwischenstation auf einer Handelswelt der Arkoniden ein. Es kam zum ersten echten Duell mit Shallowain dem Hund; und Gu nahm mit Befriedigung zur Kenntnis, dass Kantiran nicht nur überlebte, sondern sich besser schlug als erwartet. Mit einer »gewissen Bravour«, wie die Zwergin es nannte. So stolz, als sei Kantiran so etwas wie ihr Freund. Dabei hatte sie ihn nie in seinem Le ben wirklich gesehen, immer nur ausgeforscht. Der junge Sternenbastard und sein Freund erreichten endlich Terra, nach langer Flucht. Es kam zur Begegnung mit dem Vater – Perry Rho dan! –, die jedoch keineswegs in der großen Einigkeit endete, die Gu sich insgeheim erhoffte. Stattdessen entzweiten Vater und Sohn sich, kaum dass sie einander ge funden hatten. Im Nachhinein logisch: Kantiran war nicht der Typ, der sei nen Weg gerade ging; aber hinterher wusste es jeder besser, auch die Zwergin. Die Spur des Mischlings führte geradewegs ins Krisenzentrum der Ga laxis. Zum Sternenarchipel Hayok, wo Arkon und Terra aufeinander prall ten. Kantiran bewies einen geradezu überirdischen Spürsinn für Schwierig
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keiten. Exakt bei Hayok zeitigte die steigende Hyperimpedanz ihre erste kata strophale Folge: Aus dem 5-D-Kontinuum löste sich ein Hyperkokon, ein kompletter Sternhaufen, der einst zu Hayok gehört hatte. Niemand hatte geahnt, dass ein solcher Kokon in der Milchstraße verborgen war. Die be sten Wissenschaftler nicht … so wenig, wie die ältesten Sternkataloge einen Hinweis lieferten. Und nun das, im Krisengebiet Nummer eins … Der Rücksturz des Kokons, 220.000 Sonnenmassen, ging jedoch nicht in einem Rutsch vonstatten, sondern nahm Monate in Anspruch. Im Vordergrund stand zunächst die wissenschaftliche Sensation. Nie mand hatte geahnt, dass Sternhaufen sich im Hyperraum verbergen konn ten. Dann aber tauchte Lotho Keraete auf, der geheimnisvolle Bote der Su perintelligenz ES. Nicht im Auftrag – denn ES war nach wie vor ver schwunden! –, sondern der Bote handelte auf eigene Faust. Mit sich brach te er eine geheimnisvolle »Silberkugel«, das einzige Raumschiff der Gala xis, mit dem es möglich war, ins Innere des Kokons vorzudringen. Keraete glaubte, das Auftauchen des Sternhaufens stehe in Zusammen hang mit dem Erwachen einer existentiellen Gefahr. Welche das war, darüber sollte eine Expedition Aufschluss geben. Kantirans Vater, Perry Rhodan, verschwand mit Keraete und dem Arko niden Atlan im Innern des Hyperkokons. Auf Entdeckungsreise. In eine Zone des Universums, die Sternenozean von Jamondi genannt wurde … Und Kantiran blieb allein zurück. Firmian Oreche weilte in der Kammer des Schlafs, als die gelbe Zwer gin endlich erwachte. Mit einem Mal wirkte sie ausgemergelt und schwach, als habe der Schlaf sie alle Energie gekostet. »Gib mir noch dein Protokoll«, sprach er leise zu ihr, »danach hast du deine Ruhe.« Die Fülle an Details, alles im Zusammenhang mit Kantiran und Mal De tair, hätte eine normale Telepathin kaum im Kopf behalten. Doch Gus Ge dächtnis funktionierte fotografisch. Er ließ sie das Protokoll verfassen, dann legte er sie schweren Herzens noch einmal schlafen, zumindest ein paar Tage. Oreche wusste, das er sei ne Zwergin noch brauchen würde. Der nächste Schritt, beschloss der Androide, war eine Mission für einen Geist. »Phasode«, flüsterte er ziellos in die Luft. Der Spektral-Abdruck, ein nebliges Leuchten wie ein Totenschädel, schwebte in derselben Sekunde direkt neben ihm. »Was kann ich für dich tun?«, brummte die Stimme des A'agorthi wie
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Interferenz in seinem Kopf. »Die Handlung spielt jetzt an einem anderen Ort. An einem Ort, den die Zwergin beim besten Willen nicht erreichen kann. Der sich leider auch meiner Ortung entzieht.« Der Streicher aus dem Volk der A'agorthi lachte schauerlich. »Du willst mich also in den Hyperkokon senden«, sagte er zu Oreche. »Selbstverständlich. Wozu gibt uns Chyndor einen Geist mit auf die Reise.« »Ist dir klar, dass der Kokon derzeit noch zur Hälfte im Hyperraum festhängt?« »Ja.« »Vielleicht … tötet mich der Transfer.« »Ein Risiko, das ich leider eingehen muss. Der Friedensfahrer Chyndor schickt uns nicht zum Spaß. Wenn es einen Brennpunkt gibt – dann sind wir dabei.« Phasode gab sich mit einem seltsam zirpenden Geräusch geschlagen. »Was soll ich tun?« »Du folgst der Spur von Perry Rhodan und Atlan. Lass sie nicht aus den Augen. Hefte dich an sie, dann lernst du den Sternenozean Jamondi von Grund auf kennen.« Rhodan, Atlan und Keraete brachen durch die Grenze, die den Kokon vom Normalraum trennte. Phasode die ganze Zeit bei der Silberkugel, um ein Haar zu dicht: Der Transfer zerstörte die Kapsel, und die entstehende Wellenfront hätte um eine Haar den A'agorthi ausgelöscht. Das Letzte, was die energetische Struktur der Silberkugel noch hergab, war ein Notmanöver. Im ewigen Eis eines Planeten namens Baikhal Cain ging die Kapsel nie der – wobei der Bote von ES, Keraete, verunglückte und unter dem Eis be graben wurde. Rhodan und Atlan waren damit abgeschnitten. Ohne Informationen, oh ne Ausrüstung, ohne ein Schiff. Mit dem Wissen, dass irgendwo im Ster nenozean von Jamondi eine furchtbare Gefahr existierte; aber ohne eine Ahnung, welche das war, wann sie akut wurde und wie sie zu beseitigen war. Wichtige Bewohner auf Baikhal Cain waren die Motana. Es handelte sich um menschenähnliche Geschöpfe – sogar auffallend menschenähn lich, in Phasodes Augen. Die naturverbundenen Wesen lebten im Matriarchat, ihre Führerinnen nannten sich Majestäten. Doch die Motana herrschten nicht über Baikhal Cain. Im Gegenteil, sie waren Unterdrückte. Als eigentliche Herren traten die Kybb-Cranar auf: grausame Wesen
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mit kybernetischen Prothesen, die sich Motana als Sklaven hielten. Und als Zwangsarbeiter, denn Baikhal Cain barg ein Phänomen, das selbst der A'agorthi auf Anhieb nicht zu enträtseln vermochte: Das Rätsel war … ein Berg! In der Mine im Heiligen Berg wurde der Schaumopal ge schürft, ein Mineral mit psionischen Eigenschaften. Die Ausbeutung er wies sich als schwierig, denn schon geringste Kraftanwendung zerstörte den Opal. Als Bergarbeiter kamen daher Motana zum Einsatz. Motana waren psi fühlig. Sie allein vermochten den rohen Schaumopal von Gestein zu unter scheiden. In der nahen Hauptstadt des Planeten, Baikhalis, wurde der Schaumopal gesammelt und mit den Schiffen der Kybb-Cranar in den Raum verschifft. Rhodan und Atlan hatten keine Wahl: Wollten sie Baikhal Cain verlas sen, den Rätseln auf der Spur, blieb ihnen außer Baikhalis keine Möglich keit. Doch die Ähnlichkeit zum Volk der Motana erwies sich als Verhängnis. Die Aktivatorträger wurden eingefangen, von Sklavenjägern der KybbCranar, und in die Mine verfrachtet. Draußen in der Stadt Baikhalis wurde derweil die Lage bedrohlich. Nicht für Motana, denn die besaßen keine Technik – sondern bedrohlich für das Volk der Kybb-Cranar! Die erhöhte Hyperimpedanz brach auch über den Sternenozean mit Macht herein. Jeden Tag taten die Raumschiffe schlechter ihren Dienst, je de Stunde stellten mehr Kraftwerke, Syntroniken und Funkgeräte ihre Funktion ein. Den Aktivatorträgern gelang derweil die Flucht: Ihr Weg führte sie in die Wälder von Pardahn, ins Hauptquartier der freien Motana. Atlan lernte dort Zephyda kennen, die Enkelin der Planeta ren Majestät. Eine stolze, fähige Frau, die der Arkonide bald lieben lernte. Der Keim des Untergangs war dabei längst gelegt – und Phasode war vielleicht der Einzige, der die gesamte Entwicklung überschaute. Im selben Maß, wie die Technik versagte, stieg die Quote an Schaumo pal, die das geheimnisvolle Oberkommando der Kybb aus der Mine forder te. In der Mine wuchs der Bedarf an Bergleuten täglich; je mehr die KybbCranar versuchten, ihre Quote zu erfüllen, und je mehr Motana dem men schenfeindlichen Alltag im Berg zum Opfer fielen. Die Kybb-Cranar griffen schließlich dort zu, wo die meisten Motana zu fangen waren: im Wald von Pardahn. Rettung schien es nicht zu geben. Auch nicht für Rhodan und Atlan; der Ring, den die Sklavenjäger zogen, wies keine Lücke auf. Die Aktivatorträger jedoch hatten längst die Aufmerksamkeit von Fremden erregt.
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Rorkhete, ein seltsames Hochschwerkraftwesen, hielt sie lange schon unter Beobachtung. Er war der Letzte eines Soldatengeschlechts, ein Sho zide. Hinzu kam nun eine Familie Ozeanische Orakel, unter der Führung des Patriarchen Keg Dellogun. Ozeanische Orakel galten als geheimnisvolle Wanderer; mit noch geheimnisvolleren Fähigkeiten. Über dem Wald hingen die Raumschiffe der Kybb-Cranar, längst auf Sklavenjagd erfolgreich, die Kybb-Soldaten entfachten eine Treibjagd oh negleichen – und auf einer Lichtung fanden die Ozeanischen Orakel zu ei nem Kreis zusammen. Zu einer Runde, die wie ein Transmitter wirkte! Rhodan, Atlan und Ze phyda sowie der Shozide Rorkhete traten durch den Kreis und wurden ent materialisiert – kurz bevor die Reihen der Kybb-Soldaten sich schließen konnten. »Und dann?«, bellte Firmian Oreche, gegen seinen Willen heftig. »Dann habe ich ihre Spur verloren«, bekannte Phasode lakonisch. »Und was gedenkst du in der Angelegenheit zu unternehmen? Du weißt, der Friedensfahrer Chyndor wird …« »… wird seine Informationen bekommen. Ich finde sie wieder.« Firmian Oreche hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Doch im selben Moment gellte ein Alarm durch die OREON-Kapsel. Er rannte zum Antigravschacht, warf sich in die Röhre, Phasode wie ei ne flatternde optische Störung immer neben sich, und katapultierte sich zur Zentrale hoch. Ein Hologramm der Milchstraße erfüllte den kreisrunden Raum. Oreche starrte auf die verkleinerte Galaxis, untersuchte sorgfältig den Hayok-Sek tor, in dem die Kapsel gegenwärtig kreuzte – und entdeckte gar nichts. Einen Grund musste es allerdings geben. Es hätte sonst nicht Alarm ge läutet. »Was siehst du eigentlich in diesem Holo?«, interferierte der Geist, der A'agorthi. »In dieser Menge Details könnte ich nicht mal …« »Still!«, befahl Firmian Oreche. »Ich kann das.« Da. Er hatte es. Durch den Sektor Rumal bewegte sich ein blinder Fleck, ein Objekt wie aus Dunkelheit geschaffen. Der Androide war sich darüber klar, dass seine Begrifflichkeiten zur Beschreibung des Objektes nicht ausreichten. Firmian Oreche zoomte den Bereich. Im selben Moment hatte es auch Phasode. »Was ist das?« »Ich weiß nicht. Aber der Friedensfahrer Chyndor hat es angekündigt. Wir sind höchstwahrscheinlich nicht die einzigen Beobachter.« Im selben Moment tat das Objekt im Sektor Rumal einen Sprung. Eine
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ansatzlos beschleunigte Bewegung jenseits physikalischer Gesetze. Oreche musterte fieberhaft die Ausschnitte durch. Als er den blinden Fleck wieder entdeckte, hatte dieser sich auf gerader Strecke zwischen dem Sektor Rumal und dem Standort der Kapsel fortbe wegt. Und zwar über neunhundert Lichtjahre: Oreche wurde klar, dass das Objekt sich auf direktem Weg zu ihnen befand. »Wir sind entdeckt, Phasode.« Firmian Oreche nahm die OREON-Kapsel in Mentalsteuerung, setzte katapultartig die Kraft der Triebwerke frei und löste in dem Moment, als sie dreißig Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht hatten, den Sprung aus. Keine Sekunde zu früh. Mit dem Bruchteil der letzten Sekunde fasste ein fürchterlicher Einfluss nach seinem Geist. Ein Gefühl wie Sterben. Und dann war es zu Ende. Sie waren durch, die Kapsel raste durch den Hyperraum. Ihre Überlebenschance lag bei nicht mehr als zehn Prozent, Chyndor hatte es prophezeit; und jetzt wusste er auch, wieso. »Sie werden uns ab sofort jagen, Phasode«, verkündete Oreche düster. »Wer sind ›sie‹ eigentlich?« »Das weiß ich nicht.« »Halt mich nicht zum Narren, Oreche!«, tönte die unhörbare Stimme. »Du glaubst, es hat mit Hangay zu tun! Mit der Negasphäre!« »Das sind reine Mutmaßungen, Phasode. Wenn die Chaotarchen einen Kundschafter senden, besitzen wir nicht die Mittel, ihn zu entdecken.« Firmian Oreche passte einen Tag ab, an dem sowohl die gelbe Zwergin Gu als auch Phasode auf Reisen waren. Der Androide programmierte eine Notfallschaltung – und benannte sie als KODE DEVOLTER. Er musste nur die beiden Worte sprechen, mit lauter Stimme, und sämtliche Ergebnisse, die sie gesammelt hatten, verlie ßen als ultrakurzer Rafferimpuls automatisch die Kapsel. Devolter II, die Empfänger-Station, war ein Bahnhof der Friedensfahrer. Der Bahnhof lag mitten in der Milchstraße, auf einem praktisch vergessenen Planeten. Besser, Gu und Phasode ahnten vorerst nichts davon.
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»Geydana Gu, bist du wirklich schon wieder so weit?«, war das Letzte, was die gelbe Zwergin hörte, bevor sie wieder ihre Arbeit aufnahm. Im Sektor Hayok hatte sich derweil nichts Entscheidendes ereignet – was sich jedoch in dem Moment änderte, als sie wieder vor Ort weilte. Kantiran und Mal Detair gerieten in Gefangenschaft der Arkoniden. Ausgerechnet! Shallowain der Hund behielt am Ende also die Oberhand, verdient oder nicht, und Gu verfolgte mit Entsetzen den Abtransport. Die Terraner entdeckten etwa zur selben Zeit Spendersonnen, zu denen Hayok selbst gehörte, mit deren Hilfe der Hyperkokon über Millionen Jah re in seiner Isolation gehalten worden war. Das Phänomen erwies sich als künstlich herbeigeführt. Es sah ganz so aus, als habe vor Millionen Jahren die Superintelligenz ES selbst den Ster nenozean in den Hyperraum verbannt. Aber nicht den Sternenozean allein – sondern eine Reihe weiterer Sternhaufen, bei Sol, bei Arkon, in der East side, in der Großen Magellanschen Wolke … In dieser Verbannung wären die Sternhaufen zweifellos verblieben. Doch die Hyperimpedanz stieg im gesamten Universum – also auch für die Energieversorgung der Kokons. Bei den Terranern hieß es, ES habe damals eine schreckliche Gefahr, der die SI nicht Herr werden konnte, auf unkonventionelle Art isoliert und verbannt. Welche Gefahr das war, darauf fand nicht einmal Geydana Gu einen Hinweis. Gewiss keine Kleinigkeit. Eine Wesenheit wie ES wurde nicht ohne großen Anlass tätig. Gu hatte ein ungutes Gefühl dabei. Vielleicht brauchte es gar nicht die Gefahr der Negasphäre, um die Milchstraße zu verwüsten. Vielleicht reichten schon die Hyperkokons. Früher oder später waren sie im Normal raum angelangt. Sie würden sich dann öffnen und freigeben, was im Inne ren steckte. Und was dann? Aber was interessierte es Gu. Die wahren Abenteuer spielten an anderer Stelle. Kantiran und Detair wurden befreit – endlich, endlich! –, und am Ende, kurz bevor die erhöhte Hyperimpedanz den finalen Schlag führte, erreichte PRAETORIA den Sektor Hayok. PRAETORIA erwies sich als Schachzug von bestechender Brillanz. 116 gewaltige Würfelraumschiffe, prägte sich die Telepathin ein. Kolosse mit je drei Kilometern Kantenlänge, die sich zu einer gigantischen Station zu sammenfügten; deren Technik schon jetzt auf eine gesteigerte Hyperimpe danz ausgelegt war. Nicht schlecht.
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Terra eroberte damit die militärische Oberhoheit im Sektor. Und Kanti ran schien vorerst außer Gefahr zu sein. Geydana Gu kehrte für kurze Zeit in die OREON-Kapsel zurück, für einen Zwischenbericht – und wurde unverzüglich von Firmian Oreche um geleitet: »Hayok ist nicht mehr unser Thema, Gu«, sprach der Androide kühl zu der Zwergin, »du gehst ab sofort nach Terra.« »Nach Terra? Wieso?« »Wegen Gon-Orbhon. Und weil es jetzt zum ganz großen Schlag kom men dürfte.« Gu hatte von einem »Gon-Orbhon«, wer immer sich dahinter verbarg, nie gehört. Doch Oreche schien über Insider-Informationen zu verfügen, die vom Friedensfahrer Chyndor stammen mussten. »Eigentlich wollte ich weiter Kantiran im Auge …« »Keine Diskussion, Zwergin! Geh nach Terra!« Gu machte sich wortlos murrend auf den Weg. Die Kugelraumer des Solsystems wurden binnen eines Tages zu Wracks. Syntronisch gestützte Rechner stellten ohne Ausnahme den Be trieb ein. Hyperzapfung wurde unmöglich. Die Zivilisation der Erde fiel in sich zusammen, am Tag des Hyperimpedanz-Schocks. Als habe man aus einem Ballon die Luft gelassen. Keine kostenlose Energie mehr – und das für eine Gesellschaft, die oh ne Energie nicht existieren konnte! Keine Rechenleistung mehr, für ein Volk, dessen Alltag von Syntron-Chips durchdrungen war. Der Hyperphysikalische Widerstand war eine physikalische Größe von universeller Bedeutung. Erhöhte man den eigentlich konstanten Wert, hat te dies Einfluss auf sämtliche Prozesse in einem bestimmten Bereich des Hyperraums. Gu wusste, dass der Anstoß zur Erhöhung von den Kosmokraten kam. Den Kosmokraten wurde das Leben im Kosmos zu viel, da es sich in den zurückliegenden Jahrmilliarden »unkrautartig« verbreitet hatte. Eine Maßnahme der harten Sorte: Erhöhung der Hyperimpedanz. Als wäre das Leben Ungeziefer. Aber noch am selben Tag stand Terra wieder auf, und Geydana Gu be gann das Völkchen aus dem Solsystem für seine Kampfmoral unwillkür lich zu achten. Perry Rhodan, eigentlich Phasodes »Klient«, hatte seine Er de vorbereitet. Statt Hyperzapfern gingen Fusionskraftwerke in Betrieb. Statt Syntrons rechneten die Positroniken, die man vor zweitausend Jahren benutzt hatte. Nach wenigen Wochen startete das erste Raumschiff wieder in den Weltraum: die RICHARD BURTON. Mit Lineartriebwerken statt Meta grav, mit Fusionskraftwerken statt Hypertrops, mit Impulstriebwerken an
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Stelle der alten Gravo-Jets. Ziel der Expedition war die Paukenwolke: das terranische Pendant zum Sternenozean, ebenfalls ein Hyperkokon, in unmittelbarer Nähe zum Sol system. Aber Terra hatte auch Rückschläge zu verkraften, und der wichtigste stand mit dem Begriff Gon-Orbhon in Verbindung. Eine Sekte tauchte auf Terra und den Welten des Solsystems auf, die Jünger der Kirche des Gottes Gon-O. Gon-O predigte den Tod und den Verfall, und seine Jünger gingen scharenweise in den Selbstmord. Warum das alles? Geydana Gu wünschte sich plötzlich, sie hätte Phaso de dabeigehabt, den A'agorthi. Gon-Orbhon und Gon-O; die Hyperimpe danz und die Hyperkokons. Alles stand in einer Beziehung. Und überhaupt … erwies sich alles, was im Solsystem vorging, nur als Auftakt. Eine ungeheuerliche Erscheinung schlug bei den Verantwortlichen ein wie eine Bombe: Aus der Sonne Sol entsprang mit einem Mal ein Psi-Jetstrahl! Eine un sichtbare Pipeline, die direkt auf die ferne Große Magellansche Wolke ge richtet war – eine Nachbargalaxis der Milchstraße! Eine Geistesmacht, deren Sitz sich offenbar in Magellan befand, begann die Sonne geradezu auszusaugen. Geydana Gu hatte von einem solchen Vorgang vorher nie gehört. Und es war auch nicht die Sonne Sol selbst, die den Jetstrahl speiste; sondern in ihrem Inneren befand sich die Leichenmasse einer vor Jahrmil lionen gestorbenen Superintelligenz! Der Name der verstorbenen SI laute te ARCHETIM. An dessen Psi-Korpus hatte sich schon ES zu seiner Wachstumszeit gelabt – und nun, da ES verschwunden war, machte sich ein neuer »Hungerleider« über den verborgenen Korpus her! Die saugende Macht war vermutlich identisch mit dem Gott GonOrbhon. Gu erinnerte sich an den Hyperkokon, der in der GMW aufgetaucht war; ähnlich wie der Sternenozean von Jamondi, ähnlich wie die Pauken wolke bei Sol. Was, wenn Gon-Orbhon in einem solchen Hyperkokon wohnte? War Gon-O die Macht, vor der sich ES damals so gefürchtet hatte? Für die Terraner war die Große Magellansche Wolke derzeit unerreich bar fern. Vielleicht noch jahrhundertelang, schätzte die Telepathin. Mit Li neartriebwerken, deren Etappenweite bei 50 Lichtjahren lag, ließ sich eine Distanz von 170.000 Lichtjahren nicht überbrücken. Wenn alles so blieb, war die Menschheit dem Gott und seinem Zapfstrahl hilflos ausgeliefert. Nicht, dass es Geydana Gu interessierte; sie hätte lieber Kantiran ver folgt.
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Aber sie war nicht die, die in der OREON-Kapsel zu entscheiden hatte. Die gelbe Zwergin ahnte, dass der Gott, der Jetstrahl und die Erde sie noch in Atem halten würden. Phasode, der A'agorthi, bewältigte diesmal den Sprung durch die Barrie re auf eigene Faust. Er hielt das Feld seines Bewusstseins zusammen, auch ohne die Silberkugel, und erreichte den begrenzten Raum des Sternen ozeans von Jamondi. Baikhal Cain, Baikhalis, die Mine im Heiligen Berg – Phasode hielt ge wissenhaft Ausschau, fand aber keine Spur der Aktivatorträger. Doch die Sonnen der Umgebung standen eng beisammen. Eine Tatsa che, die sich schnell als Vorteil erwies; denn Phasode nahm die Witterung der zwei Männer schon im benachbarten Ash-System wieder auf. Rhodan, Atlan und Rorkhete waren wohlauf, auf einer Insel im Meer, auch die Motana-Frau Zephyda. Nur von den Ozeanischen Orakeln fehlte jede Spur. Der Teleporter-Sprung hatte sie in starkem Maß erschöpft; so sehr, dass sie im Meer verschwunden waren. Wie kranke Tiere in der Höh le. In nächster Zeit war mit ihrem Einsatz nicht zu rechnen. Ohne Hilfe der Orakel aber waren sie gestrandet. Auf einem Hinterwäldlerplaneten na mens Ash Irthumo, ohne Schiff, ohne Kenntnis der Umgebung. Ein gewöhnliches Wesen hätte an dem Punkt verzweifelt. Nicht so Rho dan und Atlan. Nach langer Reise erreichten sie den einzigen Raumhafen des Planeten. Was sie jedoch nicht weiterbrachte, denn der Hyperimpedanz-Schock, seit langem angedroht, brach in diesen Tagen mit Macht herein. Phasode hätte um ein Haar Mitleid empfunden. In finsterster Provinz – und das einzige Raumschiff des Planeten wurde zu High-Tech-Schrott! Das Ende der konventionellen Weltraumfahrt bedeutete jedoch die Chance der Motana. Aber im Niedergang der einen lag die Chance der anderen. Vor der Machtübernahme der Kybb – der Kybernetischen Zivilisationen – hatten die Motana ihre eigenen Schiffe mit Psi-Kräften bewegt. Vor der Blut nacht von Barinx. Damals hatte ein fürchterlicher Krieg die alte Ordnung weggefegt. Die Schutzherren von damals waren seitdem Geschichte, und die Motana waren in Primitivität zurückgefallen. Nun jedoch entstand ein Vakuum der Macht: Die Kybb lagen darnieder, ihrer Technik beraubt. – Und in Zephyda, Atlans Gefährtin, entstand der Gedanke an einen Motana-Aufstand. Die Motana erlernten die alten, psionischen Choräle von damals neu. Auf dem Planeten Ash Irthumo fanden erste Probeflüge mit einem ausran gierten Beiboot statt – das nicht von Maschinen, sondern allein von den mentalen Kräften der Motana bewegt wurde.
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Zu Anfang beschied man sich mit Atmosphäreflug. Doch schon bald führte die erste Überlicht-Etappe zum benachbarten Planeten – dem Stand ort der Feste von Shoz, eines verlassenen Stützpunkts der Shoziden. Phasode sah die Entwicklung mit Staunen. Bis dahin hatte er fest ge glaubt, die Reise der Aktivatorträger sei zu Ende. Doch die Feste, verlassen seit der Blutnacht von Barinx, barg das viel leicht wertvollste Artefakt des Sternenozeans. In einem Hangar stand ein Bionischer Kreuzer … eines jener Wunderwerke, mit denen die Motana damals den Weltraum durchflogen hatten! Zephyda und eine Mannschaft von Motana nahmen die herrenlose Ein heit in Besitz. Der Kreuzer erhielt den Namen SCHWERT, und Zephyda erklärte ihn zum Kriegsschiff. Der erste Flug rührte zurück nach Baikhal Cain, wo im ewigen Eis noch immer Lotho Keraetes Körper begraben lag. Der Bote von ES war nicht tot; auch Phasode spürte das. Dennoch gelang es den Aktivatorträgern nicht, ihn aufzuwecken. Die Gefahr, die von Jamondi ausging, blieb wei terhin ein Rätsel; und der Einzige, der das Wissen besaß, lag im Koma. Rhodan, Atlan und Zephyda eröffneten dennoch die Erkundung des Sternenozeans. Die SCHWERT stieß auf den einzigen Planeten im Hyperkokon, auf dem freie Motana lebten – Tom Karthay, am anderen Ende von Jamondi. Die Stadt Kimte wurde zum Hauptquartier der SCHWERT und seiner Besatzung. Von dort begann die weitere Recherche. Der wichtigste Aus flug führte zum Planeten Ham Erelca; zu einer Entdeckung von kaum ab sehbarer Tragweite … Die Aktivatorträger und die Motana stießen auf ein zweites Raumschiffslager: sechzig Biokreuzer wie die SCHWERT! Die Streitmacht der Motana nahm Gestalt an. Allein die eigentliche Gefahr im Inneren des Sternenozeans – sie war noch immer unbekannt. Geydana Gu folgte mit steigender Verblüffung den Abläufen auf der Er de. Wirtschaft, Technik und Verkehr nahmen Schwung auf; keine Stunde, die auf Terra ungenutzt verstrich. Das mächtige ENTDECKER-Raumschiff RICHARD BURTON startete am 12. April 1332 NGZ zu einem ersten »Fernflug«. Von Terra bis Hayok, 9220 Lichtjahre! Geydana Gu hatte keine Order für den Fall: Sollte sie bei Terra bleiben? Oder die Entwicklung verfolgen, die sich von Terra ausgehend Richtung Hayok bewegte? Also dynamisch Richtung Kantiran …? Gu entschied sich innerlich lächelnd für die RICHARD BURTON. Und sie handelte richtig: Denn zum ersten Mal seit Beginn der Ermitt lungen geschah etwas, das die gelbe Zwergin wirklich schockierte.
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Die RICHARD BURTON entdeckte Hinweise, dass sich mitten in der Milchstraße ein Bahnhof der Friedensfahrer befand. Es gab die Bahnhöfe überall entlang der Universellen Schneise, vom Mahlstrom der Sterne, der Galaxis Erranternohre und der Milchstraße bis zur Galaxis Algstogermaht. Also auch in der Milchstraße! Die Distanz-Telepathin löste unverzüglich ihren Rücksturz aus. Firmian Oreche fand seine Zwergin zitternd vor Zorn in der Kammer des Schlafs, im Heck der OREON-Kapsel. Gu schien nicht daran zu denken, für den Rechner den Bericht zu spre chen. Stattdessen blitzte sie Oreche an: »Verfluchter Androide, jetzt rate mal, was ich herausbekommen habe! Es gibt einen Bahnhof in der Milchstraße! Und wir fliegen in dieser Kapsel durch die Gegend und ermitteln Dinge, die sie im Bahnhof sowieso wissen?« Firmian Oreche fühlte seinerseits Zorn erwachen. »Und wenn es so ist, was geht's dich an?« »Chyndor scheint uns sinnlos opfern zu wollen! Das geht mich sehr wohl etwas an!« »Der Friedensfahrer Chyndor opfert niemanden! Du solltest es besser wissen! Es ist vielmehr so, dass wir mit einer Distanz-Telepathie und ei nem Geist sehr wohl bessere Möglichkeiten zur Beobachtung besitzen, als es im Bahnhof der Fall ist. Egal was passiert, wir halten den Bahnhof da raus.« »Und wenn wir Hilfe benötigen?« »Werden wir vom Bahnhof keine kriegen, damit das klar ist! Wir wer den nicht einmal danach fragen.« »Was für ein Schwachsinn!« Oreche seufzte, dann sah er seine kleine Gelbe an und sprach: »Es gibt da etwas, das uns beobachtet, Gu. Das uns sucht. Wenn es uns findet – dann darf es keine Spur von uns zum Bahnhof geben.« Geydana Gu starrte plötzlich an Oreche vorbei; er drehte sich um und folgte ihrem Blick. Hinter ihm schwebte der Spektral-Abdruck des A'agorthi. Phasode hatte alles mitgehört. Schön, wussten es eben beide. Im Solsystem erkannte man schnell, dass Hyperkristall erneut der Roh stoff der Zukunft war, in der Milchstraße und vielleicht im Universum. Ohne Hyperkristalle gab es keine fünfdimensionale Technik. Wer sie be saß, beherrschte die Raumfahrt der Zukunft. Die Kristalle aber verloren ihre Wirkung schnell seit dem Hyperimpe danz-Schock. Terra trug der Tatsache Rechnung, indem ein gewaltiger Plan entworfen wurde: Operation Kristallsturm, die Erschließung der Lagerstätten in der
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galaktischen Eastside. Zigtausend Lichtjahre galten als unüberwindliche Fernflug-Distanz. Die Lunawerften jedoch legten ein Programm von Fernraumschiffen auf, mit deren Hilfe die Eastside in Reichweite rückte. Nicht einmal Geydana Gu erkannte zu Beginn, welcher gewaltige Bluff dahinter steckte. Sämtliche Raumschiffe, die mit »Kristallsturm« in Verbindung standen, wurden in den Sektor Hayok verlegt. Die Telepathin folgte den Schiffen, wiederum eigenmächtig – und erkannte schließlich die Wahrheit: Operati on Kristallsturm diente keineswegs der Erschließung der Milchstraße, son dern es handelte sich um ein Unternehmen, dessen Ziel die Große Magel lansche Wolke war. Gon-Orbhon! Das andere Ende des Psi-Jetstrahls! Unerkannt vom großen Feind, ging als Vorhut das erste Raumschiff auf die Reise, die umgerüstete RICHARD BURTON. Mit einem Passagier, der die besondere Sympathie der Zwergin besaß: Kantiran, der Sternenba stard. Geydana Gu bedauerte nur eins: dass sie nicht mehr in der Lage sein würde, seinen weiteren Weg zu verfolgen. Ich wünsche dir … »… alles Gute, Kantiran!« Die letzten Worte wisperte sie schon wieder in der OREON-Kapsel. Mit Zwergenstimme.
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Phasode machte sich den Transfer in den Sternenozean allmählich zur Gewohnheit. Der A'agorthi erreichte wohlbehalten sein Zielgebiet. Rhodan und Atlan weilten vor Ort auf Tom Karthay; bei ihnen Zephy da, Rorkhete – und mittlerweile auch die Ozeanischen Orakel. Phasode hätte es nicht geglaubt; doch sie hatten ihre Schwäche überwunden und auf Tom Karthay wieder Anschluss hergestellt. Eben rechtzeitig für den Flug zum Planeten Mykronoer – zur Wesenheit Ka Than. Ka Than galt als der Graue Autonom, und es hieß, er habe als Unsterbli cher von Jamondi die Blutnacht von Barinx noch selbst erlebt. Ka Than weigerte sich, auf Seiten der Motana in den Aufstand einzu greifen. Doch der Autonom gab Zephyda eine Prophezeiung auf den Weg: Sie, die junge Frau von Baikhal Cain, sollte die Stellare Majestät der Mo tana werden. Die erste Führerin des ganzen Volkes, die es seit Barinx im Sternenozean gegeben hatte. Rhodan entschied sich, Lotho Keraetes leblosen Körper bei Ka Than zu rückzulassen; in der Hoffnung, der Autonom könnte eine Möglichkeit zu dessen Heilung finden. Zephyda aber holte von Tom Karthay, ihrer Basis, zum ersten wirklich großen Schlag aus. Der Verband der Bionischen Kreuzer nahm Kurs auf Baikhal Cain, schlug die Sektorflotte der Kybb in die Flucht – und nahm Baikhal Cain ein! Ein historischer Sieg gegen die Kybb-Cranar. Zum ersten Mal seit da mals, seit dem Verlust der Macht, gehörte der Planet wieder den Motana. Aber was, fragte sich der A'agorthi, war eigentlich mit der Gegenseite? Phasode machte das Tan-Jamondi-System ausfindig, im Zentrum des Sternhaufens – und traf erstmals auf das Volk der Kybb-Traken. Tan-Jamondi, Zentrum der Macht! Trakische Verheerer und SchlachtTraponder … Hoch effizientes Kriegsgerät … alles außer Gefecht. Doch auf den Planeten erwachte längst wieder das technische Leben. Schiffe wurden in den Raum gebracht. Die Rückeroberung des Weltraums. Low-Level-Technologie ersetzte hoch integrierte, komplexe Baugruppen; Positronik-Rechner, Lineartriebwerke; was immer sich nach dem Schock betreiben ließ. Kybb-Traken galten als die Herren im Hintergrund von Jamondi. Sie waren es, die den Schaumopal von Baikhal Cain schürfen ließen. In ihren Fabriken wurde das Mineral zu einer festen, nicht mehr flüchtigen Form verarbeitet. Zu einem Produkt, das man »Opalziegel« nannte.
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Die Opalziegel wurden ins System Tan-Jamondi geschickt – und von dort durch eine Art Transmitterschlauch, die so genannte DISTANZ SPUR, an einen unbekannten, geheimnisvollen Ort. Jedenfalls theoretisch, denn in der Praxis war die DISTANZSPUR erlo schen, und die Kybb-Traken wandten alle erdenklichen Mittel auf, die SPUR wieder in Betrieb zu setzen. Aber nicht nur dafür: Phasode erlebte, wie die Macht der Traken in geometrischer Geschwin digkeit zu wachsen begann. Eine Schlachtflotte nahm Kurs auf Baikhal Cain, zum Kampf gegen die Kreuzer der Motana. An Bord eine geheimnisvolle Waffe, die sich Kyber-Neutros nannte … Phasode eilte der Flotte voraus, zurück nach Baikhal Cain, zu Rhodan, Atlan und Zephyda. Vor den Schiffen der Kybb-Traken erreichte der A'agorthi das Zielge biet. Eben früh genug: Perry Rhodan hatte im Eis von Baikhal Cain das Ewi ge Asyl einer Schildwache entdeckt, einer Überlebenden aus der Zeit der Schutzherren. Während Rhodan noch versuchte, das Wesen mit dem Namen Lyressea aus der Konservierung aufzuwecken, begann der Angriff. Kybb-Cranar und Kybb-Traken: geballte Technik gegen Biokreuzer. Anfangs mit klaren Vorzeichen, denn Zephydas Streitmacht wütete ver heerend in den Reihen der Kybb. Dann aber griff die Waffe von TanJamondi in die Kämpfe ein. Kyber-Neutros neutralisierten das mentale Feld der Motana, und zwar derart wirkungsvoll, dass der Schlachtverlauf ins Gegenteil kippte. Zephyda verlor ein Drittel ihrer Streitmacht. Bis es Rhodan gelang, Lyressea, die Mediale Schildwache, aufzuwecken, in ein Schiff zu trans portieren und mit ihr die Flucht zu ergreifen. Baikhal Cain fiel an die Kybb zurück. Doch Rhodan, Atlan und Zephy da hatten die Schildwache. Phasode reduzierte den Spektralen Abdruck auf ein einziges, tanzendes Photon, und er registrierte jedes Wort, das Lyressea sprach. Die Geschichte des Sternenozeans. Sieben Millionen Jahre in der Ver gangenheit. Damals wirkte in der Milchstraße und in den Magellanschen Wolken der Schutzherren-Orden. Die Superintelligenz ES besaß damals nicht die Macht von heute; sie war nach einem Krieg geschwächt. Sie war auf die Energien angewiesen, die der Korpus ARCHETIMS ihr lieferte. ES sah keinen Grund, gegen die Schutzherren vorzugehen, denn der Or den brachte Stabilität, Frieden und Prosperität für zentrale Teile seines Machtbereichs.
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Doch ES beschloss, den Herren eine Kontrollinstanz an die Seite zu stellen: Sechs Schildwachen wurden entsandt, zum Dom von Tan-Jamondi II, der Zentrale des Ordens. Die Schildwachen sollten Wächter und loyale Diener sein. Sicherstel len, dass der Orden nicht pervertierte. Allein in Gegenwart der Schildwachen war seitdem die Weihe neuer Schutzherren möglich. Die Schildwachen – und ein geheimnisvolles Arte fakt, das Paragonkreuz. ES wurde damals in schwere Kämpfe mit der konkurrierenden Wesen heit STROWWAN verwickelt. Die Schutzherren griffen schließlich in die Kämpfe ein; die ersten Flotten der Motana, in ihren Bionischen Kreuzern; und zwei Nocturnenstöcke, Antallin und Satrugar. Nocturnenstöcke waren rätselhafte Wesen, so groß wie Berge, mit einer Körpersubstanz aus fünfdimensional strahlendem, flüchtigem Mineral. ES und seine Helfer besiegten STROWWAN mit vereinter Kraft. Doch die Stöcke trugen in der Schlacht schwere Schäden davon. Antallin legte auf einem Planeten eine Bruchlandung hin, der den Na men Baikhal Cain erhielt. Dort starb der Stock – und seine Körpermasse verband sich mit der Materie des Planeten. Seine Körpermasse wurde zu Schaumopal. Jenem Mineral, das spätere Generationen Motana aus der Mine gruben. Für die Kybb-Traken, überlegte Phasode. Für die DISTANZSPUR. Aber warum? Antallins Geist löste sich vom sterbenden Leib. Die mächtige PsiKomponente stabilisierte sich auf der Welt Mykronoer – und wurde zu Ka Than, dem Grauen Autonomen. Der zweite Stock, Satrugar, kam besser aus der Schlacht davon. Satru gar begab sich in die Große Magellansche Wolke, zum Schutzherrn GonOrbhon, um dort Hilfe zu erbitten. Die Schäden, die er davongetragen hatte, waren nicht allein körperli cher, sondern psychosomatischer Natur. Satrugar war lebensfähig, ohne Frage. Allein das Gefüge im Kristall, das seine Seele definierte, war zer rüttet wie von einem Intervallbeschuss. Schließlich opferte der Schutzherr Gon-Orbhon seinen Körper, ging mit dem eigenen Geist in Satrugar ein – und hielt so den Wahnsinn auf, der Satrugar umfangen hatte. Gon-Orbhons Plan schien zu gelingen … … Jahrhunderte im Fluss … Und als die Superintelligenz ES schließlich ihre Tätigkeiten wieder auf nahm, von STROWWAN gezeichnet, ein Schatten ihrer selbst – da fand sie den Orden der Schutzherren gespalten vor. Auf der einen Seite stand der Schutzherr Gon-Orbhon, der sich selbst zum Gott erhoben hatte. Auf der anderen Seite standen Gimgon, Carya
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Andaxi, Tagg Kharzani. Die alten Schutzherren. Beide Seiten begannen für einen verheerenden Krieg zu rüsten, eine ab wärts geneigte Spirale, an deren Ende unsägliches Leid, Destabilisierung und Chaos stehen würden. Die Entscheidung brachte für ES jedoch ein anderer Punkt: Der angebli che Gott Gon-Orbhon schuf einen fünfdimensionalen Jetstrahl – von der Großen Magellanschen Wolke bis zum Solsystem – und begann am Kor pus ARCHETIMS zu saugen! ES entschied sich, die Parteien nicht zu befrieden, nicht zu überrollen – sondern zu isolieren. Sechzehn Hyperraum-Kokons entstanden in der Folge, sechzehn Kern gebiete des ehemaligen Ordens … in den Hyperraum eingelagert und von einander getrennt. Lyressea und die Schildwachen fanden sich im Sternenozean von Ja mondi gefangen, mit den Schutzherren Gimgon und Tagg Kharzani. Aber selbst dort, in der Isolation, brach der Krieg am Ende aus. Tagg Kharzani erwies sich als geheimer Verbündeter Gon-Orbhons. Kharzani übernahm mit der Kriegsmaschinerie der Kybb die Kontrolle – und löschte in der Blutnacht von Barinx die Schutzherren und ihre Trup pen aus. Die Schildwachen zogen sich in Ewige Asyle zurück. Bis zu jenem fernen Tag, an dem neue, mächtige Schutzherren zurück kehrten und Jamondi den Frieden brachten.
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»Neue, mächtige Schutzherren«, wiederholte Firmian Oreche nachdenk lich. »Meinte sie damit Rhodan und Atlan?« »Das denke ich ebenfalls.« »Es gibt einige offene Fragen«, kritisierte er Phasodes Leistung streng. »Was ist mit der DISTANZSPUR? Was befindet sich dahinter? Wo ist das Paragonkreuz? Was ist mit Tagg Kharzani?« »Geschwätz, Androide«, brummte der A'agorthi. »Chyndor bekommt mehr Daten geliefert, als er je erwarten durfte!« »Sehr richtig!«, pflichtete Geydana Gu ihm lautstark bei. »Überhaupt, reden wir doch mal über unser Dienstende! Ich verlange, dass du zu dem Friedensfahrer Kontakt aufnimmst und mit ihm verhandelst!« Firmian Oreche musterte seine Schicksalsgefährten halbwegs erheitert. »Ich bin erstens nicht der Meinung, dass ihr zwei euch bereits übermä ßig angestrengt habt. Zweitens könnte ich zu Chyndor gar keinen Kontakt aufbauen, selbst wenn ich wollte. Das könnte höchstens der Bahnhof. Drit tens nehmen wir ab sofort die Hyperkokons bei Terra und bei Arkon unter die …« Oreche unterbrach sich mitten im Satz. Der Orterverbund gab ein quä kendes Signal von sich. Eine Holokugel stabilisierte sich in der Mitte der Zentrale. Der blinde Fleck. Wie aus Dunkelheit geschaffen! Wieder rückte das Objekt durch den Sektor Rumal auf die OREON-Kapsel zu. »Sie haben uns!«, schrie Geydana Gu. »Ganz ruhig. Das schaffen wir nicht mehr.« Womit Phasode zweifelsohne Recht hatte. Firmian Oreche nahm die OREON-Kapsel in Mentalsteuerung, setzte dennoch die Kraft der Triebwerke frei und gab ziellos Schub. »Oreche! Wir müssen zum Bahnhof!« »Nein!«, donnerte der Androide. »Es ist doch wohl egal, was Chyndor …«, heulte die gelbe Zwergin in einem kaum erträglichen Diskantton. Firmian Oreche wandte sich zum Rechner, und er sprach mit lauter Stimme: »KODE DEVOLTER.« »Was bedeutet das?« Er gab dem Geist keine Antwort. Was Phasode nicht wusste, konnte er im Fall einer Gefangenschaft nicht verraten. Sämtliche Daten wurden in dem Moment abgestrahlt. Die Kapsel konn te untergehen, aber das Wissen, das sie gesammelt hatten, sollte nicht ver loren sein.
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Oreche betete, dass die Datensätze Chyndor noch erreichten. Der Verfolger näherte sich unfasslich schnell. Als besäßen die Gesetze der Physik keine Geltung. Firmian Oreche wollte eben den Sprung auf Überlicht auslösen, gleich in welche Richtung. Zu spät, zu langsam. Der Schatten war da. Der fürchterliche Einfluss, den er kannte, fasste nach seinem Geist, das Gefühl wie Sterben … und diesmal wusste er, es war nicht nur ein Gefühl, sondern der Schatten sog seine Lebensenergie auf wie ein Schwamm. In derselben Sekunde begann die OREON-Kapsel zu rütteln. Eine Art Strahl kroch auf den Nullpunkt im Holo zu, mit zehnfach Überlicht. Die Triebwerke setzten aus. »Oreche, hilf mir …« Gus Stimme war ein Röcheln. »Ich bin bei euch, Freunde …!« »Was zum …« Firmian Oreche wollte sich bewegen, aber er konnte nicht mehr. Seine Hände waren tot. Seine Kehle ohne Gefühl. In dem Moment, als der Strahl die Kapsel traf, sprang das Universum auseinander. Für den Bruchteil einer Sekunde sah der Androide wirbeln des All.
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17. Die Vision
Der Androide wusste nicht, dass Sterben so lange dauerte. Er hatte ge glaubt, Sterben sei die Sache einer Sekunde, aber das entsprach nicht der Wahrheit. In einem nicht enden wollenden Augenblick verloren Zeit und Raum die Gültigkeit, und er war sicher, dass er in dem seltsamen Moment die Zukunft sah. Oreches Geist blickte auf jene Wesen die sie die ganze Zeit beobachtet hatten! Deren Schicksal sein Denken erfüllte, weil er für diesen Zweck ge schaffen worden war. Die Koalition der Moral wird sich im Sternenozean von Jamondi for mieren. Zephyda von Baikhal Cain wird sich einer Wahl stellen, die ihr Schick sal entscheidet. Am Wendepunkt der Zeiten … Einst führten Stellare Maje stäten das Motana-Volk – und eine Majestät der Sterne wird es wieder ge ben! Perry Rhodan wird das Geheimnis der DISTANZSPUR entschlüsseln. Zwei Aktivatorträger bereisen den Arphonie-Haufen, eine Region des Kosmos, die über Millionen Jahre verschollen war … Tagg Kharzani, in seinem Schloss Kherzesch … das schrecklichste We sen, dessen Antlitz je die Sterne erblickt hat … Der Schutzherren-Verräter, der zeit seines Lebens nichts mehr fürchtete als seinen Tod – und der nun unsterblich ist! Die Motoklone und die Kybb-10-Titanen … Carya Andaxi, die Reinste der Schutzherren, in ihrem letzten Refugium auf Graugischt … Die rätsel haften Submarin-Architekten, in ihren Submarinen Sphären … die Schild wachen und die Jagd nach dem Paragon-Schlüssel! Und das Monstrum Carlosch Imberlock, das die Menschen zittern lässt … Gon-Orbhon wird sich erheben, ein Gott und eine Wesenheit, und seine schreckliche Macht wird nach der Erde greifen. Doch Terra besitzt Verbündete, deren Namen die Menschen nie ver nommen haben! Die Koalition der Moral macht sich zur Rettung der Erde auf – UND EIN TERRANER, DER DAS EWIGE LEBEN BESITZT, WIRD ZUR RETTUNG DER MENSCHHEIT SEIN LEBEN OPFERN. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Oreche sehen zu können, wie die Chronik zu Ende ging. Ja bitte! Er wollte alles wissen, unbedingt. Ver langte um jeden Preis den Blick in die Zukunft. In dieser letzten Sekunde seines Lebens! Doch da war eine Stimme, im schlechtesten Augenblick von allen; er
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versuchte die Vision der Zukunft festzuhalten, und die Stimme ließ ihn nicht: »Ach Androide, ich kann dich nicht so einfach sterben lassen.« Als er zu sich kam, besaß er keinen Körper mehr. Firmian Oreche schwebte durch das All, ohne ein Ziel – aber mit Gefährten. Phasode! Und die gelbe Zwergin Gu, die nicht mehr war als ein Spek traler Abdruck; allerdings mit riesengroßen Augen. Sie hatten alle drei keinen Körper. Ein lautloses, seltsam interferierendes Lachen tönte durch sein Bewusst sein. »Hast du wirklich gedacht, Oreche, dass ein Androide keine Seele besitzt?« Stille. Das All. »Ihr seid mir sympathisch, ihr zwei. Habt ihr euch je gefragt, wie ein Geist entsteht? A'agorthi werden nicht geboren wie Kinder. Sondern sie werden erwählt. Wenn ihr Lust habt – ich meine, ihr habt ja die Wahl! –, zeige ich euch, wie die Welt für Geister aussieht!« Oreche fragte mit unhörbarer Stimme zurück: »Wo sind die Angreifer?« Phasode lachte. »Ich kann dir nicht einmal sagen, in welcher Galaxis wir gelandet sind. Das war ein wirklich bemerkenswerter Schlag.« Firmian Oreche kapselte sich gegen das Gerede ab, er blickte in das Universum, und er begriff, dass sein Dienst für die Friedensfahrer hier und jetzt beendet war. So oder so. Kein leichter Gedanke, einfach nur da zu sein, ohne Ziel und ohne Auftrag. Er blickte noch einmal auf die Sterne, und er bewegte sich spielerisch eine Lichtsekunde hierhin, eine zur ande ren Seite. Ob er Lust hatte? Ha! »Verflucht«, hörte er Gu, die Telepathin, begeistert keifen, »wenn's wirklich sein muss …!«
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Liebe Leserinnen und Leser, liebe PERRY RHODAN-Fans, möglicherweise hat der eine oder andere von euch etwas irritiert ge schaut, als er unser PERRY RHODAN-Extra am Verkaufsstand entdeckt hat. In der Tat handelt es sich bei dem hier vorliegenden Heft um eine ganz besondere Publikation – so etwas hat es bei PERRY RHODAN tatsächlich noch nie gegeben. Aber es gibt ja immer für irgendetwas das erste Mal … Als wir vor rund einem Jahr den PERRY RHODAN-Roman 2200 heraus brachten, unter dem Titel »Der Sternenbastard« und mit dem tollen Titel bild von Dirk Schulz, da geschah etwas, mit dem wir wirklich nicht gerech net hatten: Innerhalb kürzester Zeit war der Roman an vielen Verkaufsstel len rasch vergriffen. Käufer, die zu spät kamen, hatten Pech und erhielten den Roman nicht mehr. Auch der Verlag konnte nach einer gewissen Zeit nicht mehr nachliefern. Schon damals kam die Idee auf, den Roman »Der Sternenbastard« ein fach ein weiteres Mal herauszubringen; unter derselben Nummerierung, mit demselben Titelbild und mit exakt demselben Inhalt. Darüber wurde viel diskutiert, bis eine Entscheidung fiel, von der wir uns vorstellen konnten, dass sie den Lesern der PERRY RHODAN-Serie gefällt. Gemeint ist das PERRY RHODAN-Extra, das hier vorliegt. Es präsentiert den Roman »Der Sternenbastard« jetzt neu. Eine ganz neue Rahmenhandlung bettet den »Sternenbastard« und seine Abenteuer sowie die Geschehnisse im Ster nenozean von Jamondi in den kosmischen Rahmen des PERRY RHODAN-Universums ein. Gewissermaßen ganz nebenbei eröffnet der vorliegende Roman »Die Menschenforscher« auch einen Ausblick auf das, was in den nächsten Mo naten und Jahren bei PERRY RHODAN geschehen wird. Die Friedensfah rer sind für die nächsten zweihundert Romane eines der großen Themen, das Autoren und Leser beschäftigen wird, und auch die Negasphäre, die in der Galaxis Hangay entstehen wird, hat ihre Auswirkungen auf die Erde des so genannten Perryversums. Die Themenkreise SOL sowie Alaska Saedelaere finden sich in dem vor liegenden PERRY RHODAN-Extra nicht wieder – in der Serienhandlung werden sie ab dem Jubiläumsband 2300 jeweils eine zentrale Rolle ein nehmen. Bis dieser Band erscheint, wird allerdings noch ein Jahr ins Land ziehen. In dieser Zeit kann sich auch wieder einiges ändern … Besonders stolz bin ich darauf, dass wir in diesem PERRY RHODAN-Extra noch ein ganz ausgefallenes »Special« präsentieren können: einen neuen PERRY RHODAN-Comic. Zwar nur acht Seiten, in denen das Thema nur angeris sen werden kann, aber immerhin. Zeichner der acht Seiten ist Dirk Schulz, den ihr bereits als hervorragenden Titelbildzeichner für die Heftromane der Erstauflage kennt; als Texter tritt Bernd Kronsbein auf, der als freier Autor arbeitet und die PR-Serie seit vielen Jahren engagiert begleitet. Ich bin selbstverständlich sehr gespannt darauf, wie euch dieser Comic gefällt. Schreibt uns Leserbriefe, gebt Kommentare ab. Stilistisch ist er
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durchaus ausgefallen – aber es ist ein ganz anderer Versuch, sich dem Phänomen PERRY RHODAN zeichnerisch zu nähern. Neben einem Auf kleber und einem hübschen Rätsel gehört zu diesem PERRY RHODAN-Ex tra noch ein Hörspiel. Es basiert auf dem Roman »Ich, Rhodans Mörder«, den der viel zu früh verstorbene William Voltz vor Jahrzehnten bereits ge schrieben hat – ein Roman aus der klassischen Zeit des Perryversums al so. Hörspiele erlebten in den letzten Jahren ein absolutes Comeback und er freuen sich derzeit größter Beliebtheit. Umso besser, dass wir mit diesem PERRY RHODAN-Extra ein ganz besonderes Hörspiel präsentieren kön nen. So viel zu diesem PERRY RHODAN-Extra. Ich könnte noch viel schrei ben zu den Themen, die derzeit das Autorenteam beschäftigen. Es geht bei vielen Gesprächen darum, in welche Richtung wir die Handlung der Bände nach dem kleinen Jubiläumsband 2250 entwickeln werden. Der Ro man »Zeuge der Zeit« stellt gewissermaßen einen Wendepunkt im derzeit laufenden Sternenozean-Zyklus dar – und er ebnet den Weg zu den fol genden Geschehnissen. Auch dazu gibt dieses PERRY RHODAN-Extra ei nige Hinweise. Ich wünsche euch viel Vergnügen bei der Lektüre, aber ebenso beim Anhören des Hörspiels. Euer Robert Feldhoff
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