WILFRIED WESTPHAL
DIE MAYA Volk im Schatten seiner Väter
GONDROM VERLAG
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WILFRIED WESTPHAL
DIE MAYA Volk im Schatten seiner Väter
GONDROM VERLAG
Bildnachweis: Fotos: Aufnahmen des Autors. Karten: Adolf Böhm, nach Vorlagen des Autors.
Scanned by Doc Gonzo
Lizenzausgabe für Gondrom Verlag GmbH + Co. KG, Bindlach 1991 © 1990 by Wilfried Westphal Covergestaltung: Grafik Design Studio L. Mielau, Wiesbaden Titelbild: II-A-Bilderteam, München - Taufkirchen Gesamtherstellung: Leipziger Verlags- und Druckereigesesellschaf t mbH ISBN 3-8112-0869-1
»Es genügt, daß sie uns zeigen, was wir aus ihnen gemacht haben, um zu erkennen, was wir aus uns gemacht haben.« Jean-Paul Sartre
INHALT
EINFÜHRUNG 11
DAS LAND DES TRUTHAHNS UND DES HIRSCHES 13
Der Feuerkreis des Todes 15 • Unterirdische Flüsse 18 Huracan, der Herr der Winde 22 • Symbol der Freiheit 24
ERSTES BUCH PRIESTER UND ASTRONOMEN 29
I. PRÄKLASSIK 30
Mammutjäger 34 • Zea mays 36 • Die ersten Maya 40 Kurzköpfig und gedrungen 41 • Das Rätsel von Olman 42 Ägypter oder Chinesen? 47 • Kaminaljuyu, das Tal des Todes 51 Die Besiedlung des Peten 56 • Ein schlafender Buddha 58 Diener im Jenseits 60 • Kalender und Inschriften 63 Erleuchtung in Izapa? 65 • Die Geburt einer Stadt 66
II. KLASSIK 71 Milpas für das täglich' Brot 78 • Pyramiden und Paläste 82 Bonampak 90 • Sonne, Mond und Sterne 92 • Pacal, der Herr von Palenque 99 • Eroberer aus dem Norden 104 Götterdämmerung 109
III. POSTKLASSIK 114 Inselfesten 115 • Die Putunes, kühne Seefahrer und Händler 119 Dreimal erbaut 121 • Mexikanisches Zwischenspiel 128 Kukulcan,die gefiederte Schlange 133 • Das Banner der Maya 140 Verrat 145 • Mani, es ist alles vorbei 147 • Die Wanderung der Quiches 148 • Azteken vor den Toren 153
ZWEITES BUCH HEIDEN UND SKLAVEN 155
IV. CONQUISTA 156 Die Landung der Weißen Götter 1 57 • Blutbad in der Huasteca 166 • Tonatiuh erobert Guatemala 169 • Gewaltmarsch nach Honduras 175 • Die Dzulob in Yukatan 181
V. ENCOMIENDA 189 Stimme des Gewissens 190 • Ich bin der Blitz! 195 Schreckensherrschaft 200 • Ein gerechtes Ende 206 Gouverneure und Vizekönige 209 Tayasal, das letzte Bollwerk 211 Gold und Menschenhandel 216 • Hühner und Honig 218 Mandamiento 225 • Damit die Sonne nicht untergeht 228
VI. AKKULTURAT1ON 230 Sterben wie die Fliegen 230 • Mestizaje 234 Fußmatte der Gesellschaft 239 • Verräter ihres Volkes 241 Sendboten des Glaubens 245 • Verapaz, das Land des Friedens 247 • Ein Herz für die Sonne 248 Bischöfe und Diözesen 251 • Das heilige Amt 252 Die große Bescherung 254 • Gottes Gnade 258
DRITTES BUCH PROLETARIER UND GUERRILLEROS 261
VII. »UNABHÄNGIGKEIT« 262 Im Zeichen der Jungfrau 263 • Ganek, die schwarze Schlange 266 Ironie der Geschichte 269 • Der Rebell von San Juan 270 Auftakt in Mexiko 271 • Der letzte König der Quiches 274 Schreckliche Folgen 276 • Kaiser und Diktatoren 278 Geteiltes Vaterland 280 • Im Namen des Fortschritts 282 Carrera, die verpaßte Chance 284
VIII.PEONAJE 292 Ruinen am Weg 296 • Die Hacienda von Uxmal 297 Wolken am Horizont 302 • Der Sieg 307 • Die Niederlage 309 Ein Kreuz, das spricht 311- Das Reich des großen Vaters 314 Das Ende 317- La Reforma 319- Ein Stein fällt vom Himmel 323
IX. NEOKOLONIALISMUS 328 Piraten und Holzfäller 329 • Henequen 331 Blauäugige Maya 333 • Abgeschnittene Ohren 338 • El Pulpo 344 Tierra y Libertad! 346 • Archäologen und Agenten 351 Mayab 355
ANHANG 359 Verzeichnis der Zitate 360 • Glossar 363 • Zeittafel 370 Verzeichnis der Karten und Pläne 383 • Ausgewählte Literatur 384
EINFÜHRUNG Von den 4 Milliarden Menschen, die heute die Erde bevölkern, entfallen rund drei Viertel auf die Entwicklungsländer. 3 Milliarden, eine Zahl - das ist so ziemlich alles, was wir über die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas wissen. Allenfalls, daß wir uns an die heiligen Kühe in Indien erinnern, an die Pyramiden in Ägypten oder an die Kopfjäger am Amazonas. Klischees, zu denen sich nur noch Namen gesellen - Indira Gandhi, Sadat, Peron - und Sensationsmeldungen über Hungerkatastrophen, Kriege oder Staatsstreiche. Die Menschen, um die es geht, bleiben anonym. In Amerika gibt es heute noch rund 25 Millionen Ureinwohner. Nur 1,5 Millionen davon leben in den Reservaten der USA und Kanadas, alle anderen in Lateinamerika. Die meisten Indianer leben heute in Peru, rund 7 Millionen. Es folgen Mexiko mit 6 Millionen, Guatemala mit 3,5 Millionen, Bolivien mit 3 Millionen und Ekuador mit 2,5 Millionen. Auf den Westindischen Inseln, wo Kolumbus die Ureinwohner auf ihren irrtümlichen Namen taufte, gibt es heute keinen Indianer mehr. Nach den Quechuas im Andengebiet bilden die Maya in Mittelamerika die zweitgrößte indianische Sprachgruppe. Sie zählen rund 5 Millionen und sind Nachfahren der bedeutendsten Kulturschöpfer Altamerikas. Der letzteren Tatsache ist es zu verdanken, daß wir heute mehr über die Vergangenheit der Maya wissen als über ihre Gegenwart. Und dies, obwohl die weltbekannten Romane von Traven das heutige Leben dieser Indianer in Mexiko dokumentieren und der Guatemalteke Miguel Angel Asturias für sein literarisches Werk über die Maya 1967 den Nobelpreis erhielt. Wir haben als Fiktion angesehen, was Realität ist! Diese Realität zu verändern, ist letztlich das Ziel dieser Arbeit. Es soll versucht werden, die kollektive Anonymität der Dritten Welt, die eigentlich die erste ist, zu durchbrechen, indem die 11
Entwicklung eines ihrer repräsentativen Völker von seiner ursprünglichen Autarkie bis hin zur Rebellion gegen seine Versklavung aufgezeigt wird. Beabsichtigt ist also nicht ein Appendix zur Geschichte Europas und der USA, sondern eine Geschichte der Maya aus ihrer Sicht. Eine Geschichte, die diese Forderung erfüllt, müßte eigentlich von den Maya selbst geschrieben werden. Aufgrund ihrer Unmündigkeit sind sie hierzu bislang jedoch nicht in der Lage gewesen. So kann die vorliegende Arbeit nur eine Interpretation dessen sein, was ein Maya über seine Geschichte zu berichten hätte. Der Autor wagt sich damit auf Neuland. Nicht nur, daß der Blickwinkel von den Betroffenen her ein neuer Ansatz ist. Es gibt bisher überhaupt keine Gesamtschau der Maya, die alle Zeitphasen und Sprachgruppen berücksichtigt. Der Schwerpunkt populärwissenschaftlicher Literatur lag bislang auf der spektakulären klassischen Zivilisation der Maya. Es wird sich zeigen, daß das, was danach kam, nicht weniger spektakulär ist. Dennoch wendet sich dieses Buch nicht nur an den Laien, den erbauliche Kulturgeschichten im herkömmlichen Stil allmählich ermüden, sondern auch an jene Fachleute, für die Wissenschaft noch immer ein Selbstzweck ist. Schließlich mag es auch für den Entwicklungsexperten interessant sein zu erfahren, mit wem er es eigentlich zu tun hat. Von ihnen allen, der öffentlichen Meinung, dem Wissenschaftler und dem Experten, hängt es ab, ob der Indianer seine Freiheit zurückgewinnt und seine Identität bewahren kann oder ob er, das Opfer vermeintlichen Fortschritts, für immer vom Antlitz dieser Erde verschwindet. Bonn, Frühjahr 1977
W.W.
DAS LAND DES TRUTHAHNS UND DES HIRSCHES
Das Verbreitungsgebiet der Maya erstreckt sich im wesentlichen auf den Teil der mittelamerikanischen Festlandbrücke, der durch die Halbinsel Yukatan gekennzeichnet ist. In den Grenzen maximaler Ausdehnung zwischen dem Rio Grijaha im Westen und dem Rio Uluam im Osten, dem Golf von Mexiko im Norden und dem Pazifischen Ozean im Süden umfaßt das Hauptgebiet der Maya eine Fläche von rund 400000 qkm. Das entspricht nicht ganz der Größe Schwedens, des drittgrößten Landes Europas. Von diesen 400000 qkm entfällt etwas mehr als die Hälfte, rund 225 000 qkm, auf das Staatsgebiet des heutigen Mexiko, etwa ein Viertel, 108889 qkm, auf Guatemala, und der Rest auf Belize (22965 qkm), Honduras (etwa 22000 qkm) und El Salvador (etwa i6oooqkm). Während das Gesamtterritorium Guatemalas und Belizes zum Maya-Gebiet gehört, nimmt es in Mexiko nur die südlichen Bundesstaaten Chiapas, Campeche, Yukatan, Quintana Roo und die Hälfte des Staates Tabasco ein. In Honduras und El Salvador sind nur die westlichen Teile - etwa ein Fünftel beziehungsweise drei Viertel der Gesamtfläche dieser Länder - zum Maya-Gebiet zu rechnen. Getrennt von diesem Hauptverbreitungsgebiet der Maya findet sich zu beiden Seiten des Rio Panuco, in der Gegend, wo die heutigen mexikanischen Bundesstaaten Veracruz, San Luis Potost und Tamaulipas zusammentreffen, eine Enklave, die als das Ursprungsland der Maya angesehen werden kann: die Huasteca. Die topographischen Gegebenheiten dieser Enklave bestehen im wesentlichen aus einer von Hügeln und Flußläufen unterbrochenen Ebene, die im Osten von der Golfküste und im Westen von den Hängen der Sierra Madre Oriental begrenzt wird. Der Hauptzweig der Maya wanderte bereits in vorklassischer Zeit aus diesem Gebiet ab, so daß das Restvolk, die Huasteken, keinen direkten Anteil an der Blüte der Maya-Kultur im Süden hatte. 14
Der Feuerkreis des Todes Mittelamerika ist erdgeschichtlich ein sehr junges Land: seine heutige Bodengestalt erlangte es im Tertiär und Quartär. Während der zentrale Teil des Golfes von Mexiko seit der mittleren Kreidezeit auf eine Tiefe von mehr als 7000 m absank, warfen sich in den westlichen und südlichen Randländern Gebirgszüge auf und tauchte als Barriere zwischen dem Golf von Mexiko und der Karibischen See die Halbinsel Yukatan aus dem Meer. Im Tertiär bildete der gesamte circuskaribische Raum eine geologische Einheit, das sogenannte Antillische Gebirgssystem. Das Rückgrat dieses Systems, ein Kettengebirge, das sich von Niederkalifornien bis zum nördlichen Südamerika erstreckte, verlief in west-östlicher Richtung transversal zur Achse der Kordilleren in Nord- und Südamerika, als deren verbindendes Glied es vielfach fälschlicherweise angesehen wird. Gegen Ende des Tertiärs, im Pliozän, brach das Antillische System auseinander und wurde durch die Straße von Yukatan in die Inselwelt Westindien und das festländische Zentralamerika getrennt. In der folgenden Zeit, im Pleistozän, brach am Westrand des Antillischen Gebirgsmassivs eine Kette von Vulkanen hervor, die, entlang der Pazifikküste, vom Isthmus von Tehuantepec bis nach Costa Rica reicht. Das Gebirge des Antillischen Systems nimmt die ganze südliche Hälfte des eigentlichen Maya-Gebietes ein. Es bedeckt fast den gesamten Staat Chiapas, den südlichen und mittleren Teil von Guatemala sowie die angrenzenden Bereiche von Honduras und El Salvador. Seine Ausläufer reichen bis ins südliche Yukatan, wo sie in Belize die sogenannten Maya Mountains bilden, deren höchster Punkt, der Cockscomb Peak, 1128 m mißt. In Chiapas trennt der Graben des Rio Grijalva die Meseta Central im Nordosten, ein aus Hochtälern gebildetes Plateau, das mit dem Tzontehuitz eine Höhe von 2860 m erreicht, von der Sierra Maare im Südwesten, jener zentralamerikanischen Vulkankette, die das Maya-Gebiet gegen den Pazifik hin abgrenzt. Die Sierra Madre erlangt ihre markanteste Ausprägung in Guatemala: sie umfaßt hier nicht weniger als 33 Vulkane, wobei Hunderte von erloschenen Kratern, in denen sich heute Seen spiegeln, nicht mitgezählt sind. Der größte dieser Vulkane ist der Tajumulco im Westen: mit 4210 m ist er zugleich die höchste Erhebung in Zentralamerika. In südöstlicher Richtung folgen die Vulkane Santa Maria (3768 m), Atitlan (3525 m), Fuego (3918 m), Agua 15
(3752 m) und Pacaya (2544 m). Der Fuego, das »Feuer«, wie die Spanier ihn tauften, ist ständig tätig, ebenso der Santa Maria und Pacaya. Andere Vulkane brechen von Zeit zu Zeit aus. Die zerstörerische Wirkung dieser Vulkane ist um so verheerender, als ihre Ausbrüche gewöhnlich von heftigen Erdbeben begleitet beziehungsweise ausgelöst werden. Die zentralamerikanische Vulkankette gehört nämlich zu jenem Erdbebengürtel, der als »Feuerkranz der Erde« sich entlang der amerikanischen und asiatischen Küste rings um den Pazifik zieht und in dem sich etwa 90% aller Erdbeben ereignen. Die Ursache für diese Erdbebenhäufigkeit liegt im Aufeinanderstoßen gegensätzlich gerichteter Erdkrusten in den Tiefseegräben, die dem pazifischen Küstensaum vorgelagert sind, wodurch dieser angehoben wird. Jährlich werden zwischen 10000 und 20000 Erdbeben im circumpazifischen Gürtel registriert. Die meisten davon sind zum Glück nur kleinere Erdstöße. Doch es droht ständig die Gefahr eines Erdbebens katastrophalen Ausmaßes. So wurde im Jahre 1773 Antigua, die ehemalige Hauptstadt Guatemalas, völlig zerstört. 1902 verwüstete ein Erdbeben weite Teile Westguatemalas und legte Quetzaltenango, die zweitgrößte Stadt des Landes, in Schutt und Asche. Und 1917/18 wurde die heutige Hauptstadt Guatemala City von einer Erdbebenwelle heimgesucht, die sechs Wochen anhielt. Die letzte Erdbebenkatastrophe in Guatemala ereignete sich im Februar 1976: Der erste Stoß kam um3 Uhr 04 morgens. Innerhalb von Minuten wurden ganze Dörfer zerstört, die dichtbevölkerten Slumviertel der Hauptstadt in Schutthaufen verwandelt - und Tausende von Menschen unter Tonnen von Trümmern begraben. Überlebende, von panischer Angst erfüllt, scharrten sich ihren Weg frei zu der scheinbaren Sicherheit der Straßen, ihre Schreie vermischten sich mit dem Heulen der Sirenen und den einstürzenden Gebäuden. »Es war ungeheuer, entsetzlich«,berichtete ein amerikanischer Besucher später. »Es war, als ob die Welt zu Ende ginge.« Für viele war es tatsächlich so. Das Erdbeben, das die zentralamerikanische Republik Guatemala in der vergangenen Woche traf, forderte mindestens 7000 Menschenleben, und von offizieller Seite wurde befürchtet, daß die tatsächliche Zahl der Toten auf 15000 ansteigen könnte.1
1
Die hochgestellten Zahlen verweisen auf ein Verzeichnis der Zitate im Anhang
16
So ein Bericht aus dem amerikanischen Nachrichtenmagazin »Newsweek« m seiner Ausgabe vom 16. Februar 1976. Eine Woche später, als die Erdstöße verebbten, hatte die Katastrophe in Guatemala die schlimmsten Befürchtungen übertroffen: mehr als 20000 Tote, über 75000Verletzte und eine Million Obdachlose. Über 300 Städte und Dörfer wurden zerstört, so etwa das von Cakchiquel - Maya bewohnte San Pedro Sacatepequez, wo allein mindestens 1500 Menschen ums Leben kamen, oder das Quiche-Dorf Joyabaj, das völlig in Trümmern versank. Die zentralamerikanische Vulkankette fällt im Südwesten steil zum Pazifik ab. Nur ein schmaler Küstenstreifen, der in Guatemala eine maximale Breite von 40 km erreicht und aus fruchtbarem Schwemmland besteht, trennt sie vom Meer. Nach Nordosten hingegen geht die Sierra Madre in Guatemala allmählich in die ältere Gebirgsformation über, die in einem weiten Bogen von der Meseta Central in Chiapas bis zu den Maya Mountains in Belize reicht. Dazwischen liegen in Guatemala die Sierra de los Cuchumatanes im Westen, die mit dem Zumal eine Höhe von 3796 m erreicht, und ein doppelter allmählich nach Osten abfallender Höhenzug, der im Norden aus der Sierra de Chamal und der Sierra de Santa Cruz und im Süden aus der Sierra de Chuacus und der Sierra de las Minas besteht. Wie in Chiapas ist auch in Guatemala das zentrale Gebirgsmassiv stark zerklüftet, mit fruchtbaren Hochtälern, in denen sich Vulkanasche sammelte, und tiefen Erosionstälern, den sogenannten Barrancas. Im Gegensatz zu Edel- und anderen Metallen, deren Vorkommen unbedeutend ist, ist dieses Gebiet reich an Mineralien: so findet sich hier nicht nur Obsidian, den die Maya zu Werkzeugen und Waffen verarbeiteten, sondern auch Jade, jenes harte grüne Ge stein, das sie als kostbarsten Schmuck verehrten. Die nördliche Hälfte des Maya-Gebietes ist in ihrer geologischen Struktur wesentlich einheitlicher als der südliche Teil. Sie entspricht im wesentlichen der Halbinsel Yakatan und besteht aus einer flachen Kalktafel, die - in einer Längsausdehnung von rund 500 km - kaum merklich von den nördlichen Ausläufern des Gebirges zum Meer hin abfällt. In Südyukatan, dem sogenannten Peten, der heute zu Guatemala gehört und von quer laufenden parallelen Hügelketten durchzogen wird, liegen die höchsten Erhebungen unter 200 m. Im Norden erreicht nur ein Hügelkamm, den die Maya Puuc nennen und der sich mit einer nördlichen Ausbuchtung von der Küste von Campeche bis ins zentrale Yukatan erstreckt, eine Höhe von 100 m. Der Rest ist 17
niedriger Karst, der sich kaum über das Niveau des Meeres erhebt. In seinen Wellen hat sich eine dünne Humusschicht abgelagert, die auch im Peten nicht wesentlich stärker ist, eine Tatsache, die sich als hemmender Faktor für die Entwicklung des Ackerbaus ausgewirkt hat. Auch das Vorkommen mineralischer Rohstoffe ist begrenzt: neben dem Kalkstein, der auch in kristalliner Form auftritt und ein leicht zu bearbeitendes Baumaterial lieferte, ist lediglich auf Ton und Feuerstein hinzuweisen, die zur Herstellung von Keramik und Klingen dienten.
Unterirdische Flüsse Die besonderen topographischen Gegebenheiten des Maya-Gebietes haben auch die hydrographischen Verhältnisse in eigentümlicher Weise geprägt. Während im Süden die Sierra Madre eine Wasserscheide zwischen dem Pazifik und Atlantik und die Cuchumatanes zwischen dem Golf und der Karibik bilden, ist der nördliche Teil Yukatans bar jeglichen Oberflächenwassers. Auf der Pazifikseite fallen zahlreiche Flüsse die Flanken der Vulkane hinab und durchqueren m kurzem Lauf die Küstenebene. Die meisten dieser Flüsse finden sich in Guatemala, so der Suchtate, der die Grenze zwischen Chiapas und Guatemala bildet, der Nahualate, mit 153 km der längste unter den 18 Pazifikflüssen Guatemalas, und der Rio Paz an der Grenze nach El Salvador. Eine Ausnahme bildet der Rio Lempa: er entspringt in Guatemala am Ostabhang der Sierra Madre, mündet an der Grenze nach El Salvador in den Ginja-See und setzt dann seinen Lauf 180 km nach Osten fort, ehe er schließlich als südöstliche Grenze des Maya-Gebietes zum Pazifik abbiegt. In den Golf von Mexiko fließen die beiden größten Flüsse des Maya-Gebietes: der Grijalva und der Usumacinta. Der Rio Grijalva, von mehreren Quellflüssen im westlichen Guatemala gespeist, durchquert den Staat Chiapas in seiner ganzen Breite, ehe er am westlichsten Punkt des Maya-Gebietes in die Ebene von Tabasco einschwenkt, wo er bei den Ruinen von Comalcalco in den Golf mündet. Der Rio Usumacinta ist als Nil Mittelamerikas bezeichnet worden, denn an seinen Ufern errichteten die Maya einige ihrer bedeutendsten Städte. Dennoch ist der Vergleich nicht ganz zutreffend: der Usumacinta hatte weder die wirtschaftliche noch die politische Bedeutung, die den Nil als Lebensspender und Reichseiniger der Ägypter auszeichnete. Eine 18
besondere Bedeutung kam dem Usumacinta nur als Verkehrsweg zu, da er einerseits mit seinen Quellflüssen Ixcan und Chixoy das Hochland von Guatemala mit dem Tiefland des Peten verband, um ändern mit den Nebenflüssen Jatate und Rio de la Pasion im Westen bis zur Meseta Central von Chiapas und im Osten bis zu den Maya Mountains in Belize reichte. Außerdem erschloß er im Norden mit seinem östlichen Nebenfluß San Pedro den mittleren Teil des Peten. Schließlich mündet ein Hauptarm seines Deltas in die Laguna de Terminos, die in vorspanischer Zeit ein wichtiger Handelsplatz zwischen dem Maya-Gebiet und den mexikanischen Völkern im Westen war. Bis auf Dreiviertel seiner Länge, die 1000 km beträgt und damit um rund 300 km geringer ist als die des Rheins, ist der Usumacinta schiffbar, wenngleich auch zahlreiche Stromschnellen an seinem Mittellauf, der heute die Grenze zwischen Guatemala und Chiapas bildet, ein Vorwärtskommen erschweren. Die übrigen Flüsse, die in den Golf münden, sind - abgesehen vom Rio Candelaria, der das Grenzgebiet zwischen dem Peten und Campeche entwässert - nur von lokaler Bedeutung. Auf der karibischen Seite ist der östlichste Fluß des Maya-Gebietes der Ulua, der den einzigen See von Honduras, den Lago Yojoa, mit dem Golf von Honduras verbindet. Es folgen unter anderem der Rio Motagua, der als teilweise schiffbarer Verkehrsweg zwischen dem Bergland von Guatemala im Westen und der karibischen Küste im Osten eine ähnliche Bedeutung erlangte wie der Usumacinta, ferner der Rio Polochic, der mit dem Lago Izabal, dem größten See Guatemalas, die Bergketten von Chama und Santa Cruz von den Sierras de Chuacus und de las Minas trennt und als Rio Dulce die Wasser des Sees in die Bucht von Amatique entläßt, und schließlich der Belize River, der in den Maya Mountains entspringt, und der Rio Hondo, der mit seinem Quellfluß Uaxactun vorbei an der gleichnamigen Ruinenstadt bis in die Nähe von Tikal reicht und als Grenzfluß zwischen Belize und Quintana Roo in die Bucht von Chetumal mündet. Nördlich dieser Bucht beginnt das Gebiet der Cenotes. Mit diesem aus dem Maya-Wort »dz'onot« abgeleiteten Begriff bezeichnet man jene für das nördliche Yukatan typischen Einbrüche des Bodens, die den Grundwasserspiegel freilegen und den Maya seit alters her als Wasserstellen dienten. Dabei kann es sich sowohl um schachtartige Brunnen als auch um höhlenartige Zugänge zu Flußläufen handeln, die infolge der porösen Kalkschicht des Bodens nicht an der Oberfläche, sondern un19
terirdisch fließen. Wie ein Cenote der letzteren Art aussieht, beschreibt sehr anschaulich der amerikanische Forschungsreisende John Lloyd Stephens, der Mitte des vorigen Jahrhunderts auf den Spuren der Maya durch Yukatan zog und in dem Indianerdorf Telchaquillo auf einen solchen Cenote stieß: Auf dem Marktplatz dieses kleinen Dorfes befand sich ein großer Cenote oder unterirdischer Brunnen, der alle Einwohner mit Wasser versorgte. Aus der Entfernung erschien der Platz eben und unversehrt; aber Frauen, die mit Cantaros oder Wasserkrügen über ihn hinwegschritten, verschwanden plötzlich, und andere schienen sich aus dem Erdboden zu erheben. Als wir näher herangingen, fanden wir eine große Mündung oder Öffnung im felsigen Boden, wie der Eingang zu einer Höhle. Unregelmäßige Stufen, aus dem Felsen gehauen und ausgetreten, führten hinab. Über unseren Köpfen wölbte sich ein gewaltiges Felsendach, und in einer Entfernung von vielleicht 500 Fuß vom Eingang befand sich ein großes Wasserbecken oder Reservoir. Unmittelbar über dem Wasser war das Dach vielleicht 60 Fuß hoch; oben endete es in einer Öffnung, die einen starken Lichtstrahl nach unten warf. Das Wasser hatte keine Strömung, und sein Ursprung war ein Rätsel. Während der Regenzeit steigt es ein wenig an, aber es fällt niemals unter einen bestimmten Punkt, und stets ist es die einzige Versorgungsquelle für die Dorfbewohner. Frauen, mit ihren Wasserkrügen, kamen und gingen ohne Unterlaß; Schwalben schössen durch die Höhle in allen Richtungen, und das Ganze bildete eine wilde, malerische und romantische Szene.2 Ein derartiger Höhlenbrunnen, wie Stephens ihn beschreibt, kann zuweilen das Ausmaß eines Labyrinths annehmen, so daß man erst nach kilometerlanger Wanderung, häufig gebückt oder sogar kriechend, zur Wasserstelle gelangt. So ein Labyrinth findet sich beispielsweise in der Nähe von Chichen Itza, in der sogenannten Grotte von Balankanche, wo man in unterirdischen Kammern dem Regengott geweihte Opfergaben der Maya fand. Chichen Itza seinerseits verdankt seinen Namen und seine Entstehung zwei Schachtbrunnen, von denen der eine als heiliger Opferbrunnen besondere Bedeutung erlangte. Dieser Brunnen, den die Maya Chen Ku, »Brunnen Gottes«, nannten, mißt 60 m im Durchmesser und ist über 30 m tief, wobei sein Wasserstand aber nur eine Höhe von 10 m erreicht. Nach Norden, zum Meer hin, nimmt die Tiefe der Cenotes rasch ab, bis schließlich an der Küste der Grundwasserspiegel keine 5 m mehr unter der Oberfläche liegt. Die Tatsache, daß die Cenotes im nördlichen 20
Yukatan - abgesehen von vereinzelten, meist versumpften oberirdischen Pfannen und napfartigen Vertiefungen, den Aguadas und Sartenejas, die sich in der Regenzeit mit Wasser füllen - die einzige Süßwasserquellewaren, wirkte sich sowohl nachteilig als auch positiv auf die kulturelle Entwicklung der Maya aus, nachteilig deshalb, weil derart begrenzte Wasserstellen nicht nur jegliche Art künstlicher Bewässerung ausschlössen, sondern auch zumal in der Trockenzeit - eine adäquate Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser gefährdeten, und positiv, weil sie die Bildung dörflicher und städtischer Zentren begünstigten. Mehr noch als jeder andere geographische Faktor haben die Cenotes die Geschichte der Maya beeinflußt. Lokale Wasserstellen, die die Größe von Seen erreichen, finden sich erst m den südlichen Bereichen Yukatans. So erstreckt sich in der Nahe von Chetumal der Lago Bacalar über eine Länge von über 50 km, bei einer Breite allerdings von nur 10 km. Den Peten durchzieht eine ganze Seenkette, die von den Lakandonen noch heute als bevorzugte Siedlungsplätze dienenden Seen am Ostabhang der Mesa Central in Chiapas bis zur Laguna Yaxha in der Nähe der Grenze nach Belize reicht. Der größte dieser zentral gelegenen Seen is t der Lago Peten Itza, der mit seiner Insel - in Maya »peten« -, auf der die Itzas als letzte freie Maya ihre Unabhängigkeit vor den Spaniern bis Ende des 17. Jahrhunderts bewahren konnten, dem Peten seinen Namen gab. Die Inselfeste, auf der sich heute Flores, die Hauptstadt des Departements Peten, befindet, wurde inzwischen durch einen Damm mit dem Festland verbunden. Die verbleibende Fläche des Sees beträgt 78 qkm. Der Lago Peten Itza ist von Dschungel umrahmt. Sein Gegenstück, der Lago Atitlan, wird von Vulkanen gekrönt. Dieser Bergsee am Fuße der Vulkane San Pedro und Toliman ist nicht nur der bemerkenswerteste unter den Seen, die sich in Guatemala entlang des Nordrandes der Sierra Madre hinziehen, sondern gilt auch als einer der schönsten Seen der Welt überhaupt. Sein tiefblaues Wasser, das sich über eine Fläche von 400 qkm erstreckt und eine Tiefe von 32 m erreicht, schimmert im goldenen Licht der Morgensonne wie ein Juwel. Doch seine Schönheit ist trügerisch: in der Regenzeit, wenn am Nachmittag der Himmel sich mit dunklen Wolken bedeckt und aufkommende Winde die Spiegelfläche des Wassers zerschlagen, verwandelt sich der Lago Atitlan zuweilen in ein brodelndes Inferno, so daß sich kein Indianer aus den zwölf Dörfern, die seine Ufer säumen, auf den See wagt. 21
Huracan, der Herr der Winde Das Klima des Maya-Gebietes wird durch drei Primärfaktoren bestimmt. Einmal durch seine Lage zwischen dem Äquator und dem nördlichen Wendekreis, das heißt in den tropischen Breiten. Zum ändern durch seine besondere Topographie, die das tropische Klima weitgehend einschränkt. Und schließlich durch den Umstand, daß es überwiegend von Meeren umgeben ist, was immerhin zur Folge hat, daß Yukatan keine Wüste ist. Tropisches Klima herrscht in der Tierra Caliente, dem »heißen Land«, das unter 1000 m liegt und eine mittlere Jahrestemperatur von 25 °C aufweist. Etwa zwei Drittel des gesamten Maya-Gebietes gehören dazu: die Halbinsel Yukatan, Tabasco, der Peten, die Küstenstriche und angrenzenden Flußtäler am Golf von Honduras und entlang des Pazifik und die nordöstlichen beziehungsweise südwestlichen Ausläufer der Gebirgsketten. In den mittleren Lagen der Gebirge, der sogenannten 'Tierra 'Tempiada, deren obere Grenze bei 2000 m liegt, weicht das tropische einem gemäßigten Klima mit einer Durchschnittstemperatur von 20°. Diese Übergangszone reicht zu beiden Seiten der Gebirgsketten von Chiapas bis El Salvador, erstreckt sich aber auch auf das zentrale Hochland von Guatemala, eine Tatsache, der Guatemala seinen Beinamen »Land des ewigen Frühlings« verdankt. Auf die gemäßigte Zone folgt die Tierra Fria, das »kalte Land«, das seinerseits bei Höhen von über 3000 m in die »Eisregion« der Tierra Heiada übergeht. In der Tierra Fria, zu der vornehmlich die Mesa Central von Chiapas gehört, liegt das Jahresmittel bei 15°, Die Tierra Heiada erreicht in den kältesten Monaten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, so daß sich die höchsten Gipfel der Cuchumatanes und einige Vulkane mit Schnee überziehen. Die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen sind äußerst gering: in Yukatan betragen sie im Monatsmittel maximal 6°, im Hochland von Chiapas 3°. Man unterscheidet deshalb die Jahreszeiten weniger nach Sommer und Winter als vielmehr nach Regen - und Trockenzeit, wobei erstere in die wärmere und letztere in die kühlere Periode fällt. Die Dauer der Regenperiode Mai bis Oktober - ist ziemlich einheitlich im gesamten MayaGebiet, nicht jedoch die Regenmenge. Sie variiert entsprechend der vorherrschenden Windrichtung - dem Nordost-Passat- und den unterschiedlichen Bodenverhältnissen beträchtlich. So fallen die geringsten Niederschläge - unter 1000 mm im Jahresmittel22
im Nordwesten Yukatans und im Windschatten der Meseta Central von Chiapas und der Sierra de las Minas in Gu atemala und Honduras. Die höchsten Werte - über 3000 mm - ergeben sich an den Abhängen der Gebirge, vor allem in der Gegend von Palenque und im südlichen Grenzgebiet des Peten, aber auch an der Abdachung zum Pazifik. Dazwischen liegen mittlere Niederschlagsmengen von 1000 bis 2000 mm in den übrigen Teilen Yukatans und der Hochländer von Chiapas und Guatemala und zwischen 2000 und 3000 mm im Peten, in Belize, der Selva Lacandona und an den Küsten von Tabasco und des Pazifik. Guatemala City liegt mit 1300 mm am unteren Ende der Regenskala, dennoch ist dieser Wert doppelt so hoch wie der Londons. Relativ hohe Temperaturen und starke Regengüsse rufen im Tiefland des Maya-Gebietes jene extreme Luftfeuchtigkeit hervor, die als drückende Schwüle empfunden wird. Sie ist erträglicher im Norden als im Süden, weil sie m Yukatan durch eine erfrischende Meeresbrise gemildert wird. Weniger segensreich ist ein anderer Wind, der Norte, ein in der winterlichen Trockenzeit aus Nordamerika wehender Kälteinbruch, der in allen Teilen des Maya-Gebietes zu schwerwiegenden Erkältungskrankheiten führen kann. Noch verheerender sind die Folgen der zum Glück selteneren Hurrikane, jener Wirbelstürme, die im Herbst aus der Karibik über Mittelamerika hereinbrechen und denen die Amerikaner, die ebenfalls unter ihnen zu leiden haben, galanterweise -- oder auch nicht - Mädchennamen verleihen. Besonders Yukatan, das auf der Bahn der meisten Hurrikane Hegt, hat in regelmäßigen Abständen unter ihnen zu leiden. So werden unheilvolle Wirbelstürme, die die Halbinsel heimsuchten, für die Jahre 1464, 1560, 1661 und 1766 überliefen, und 1961 verwüstete Hurricane Hattie nicht nur das Küstengebiet von Belize, sondern auch weite Teile des Peten. Wie es zu dieser offensichtlichen Gesetzmäßigkeit kommt, ist bislang ungeklärt. Die katastrophalen Auswirkungen eines solchen Wirbelsturmes schildert sehr anschaulich der spanische Ordensgeistliche Diego de Landa (i 57.4-1579), dessen indianische Informanten sich noch genau an die schrecklichen Verwüstungen erinnern konnten, die der Hurrikan von 1464 angerichtet hatte: • . . eines Abends, im Winter, kam ein Wind, etwa gegen sechs Uhr, und schwoll an und wurde zu einem Hurrikan, einem vierfachen Wind, und dieser Sturm fällte alle hohen Bäume, was ein großes Blutbad unter jeder Art wilden Getiers anrichtete, und riß die großen Häuser nieder, die, da sie aus Stroh sind und wegen 23
der Kälte Feuer in ihrem Innern hatten, sich entzündeten, so daß ein Großteil der Menschen verbrannte; und wenn einigen die Flucht gelang, wurden sie von den Schlägen der Holzbalken in Stücke gerissen; dieser Hurrikan währte bis zum Mittag des andern Tags, und erst jetzt erkannte man, daß diejenigen, die in kleinen Häusern wohnten, unter ihnen die Jungvermählten, die - so ist es hier Brauch - ihre Hütten vor denen ihrer Eltern oder Schwiegereltern errichtet hatten, wo sie in den ersten Jahren wohnten, dem Unwetter entgangen waren; und so geschah es, daß das Land den Namen verlor, mit dem sie es zu bezeichnen pflegten: Land der Hirsche und der Truthühner . . .3
Symbol der Freiheit Flora und Fauna im Maya-Gebiet sind infolge der unterschiedlichen topographischen und klimatischen Bedingungen außerordentlich artenreich. Die Pflanzenwelt reicht von xerophytischer Vegetation in Yukatan über immergrünen Dschungel im Peten bis zu Laub- und Nadelwäldern in den südlichen Hochländern. Die Xerophyten sind allerdings vorwiegend auf den trockenen Nordwesten Yukatans beschränkt, wo sie in Form einer Kak teensteppe auftreten. Sonst überwiegt in Yukatan ein dichter Buschwald, der infolge der geringen Humusschicht eine Höhe von 10 m nicht überschreitet. Lediglich im niederschlagsreicheren östlichen Teil der Halbinsel erstreckt sich in nordsüdlicher Richtung ein schmaler Streifen höherwüchsigen Waldes, der an der Küste von Palmenhainen gesäumt wird und im Süden allmählich in den tropischen Regenwald übergeht. Dieser zieht sich in einem breiten Gürtel quer durch den südlichen Teil der Halbinsel und klettert an den Nordhängen der Gebirge bis auf Höhen von 1800 m hinauf. Vorherrschend in der Selva, wie man in Mittelamerika den Regenwald nennt, sind Hart- beziehungsweise Edelhölzer wie Mahagoni, Spanische Zeder, Ebenholz und Guanacaste. Diese Bäume erreichen zum Teil gigantische Ausmaße; nicht selten ragen sie 50 m hoch. So ist es nicht verwunderlich, daß einer dieser Baumriesen, die Ceiba, von den Maya, die sie Yaxche, »erster« oder »grüner Baum«, nennen, als Symbol des Lebens und Mittelpunkt der Welt betrachtet wurde: an ihren Wurzeln klettert der Mensch bei seiner Geburt hinauf zur Erde, an ihren Ästen nach seinem Tode zum Himmel empor. Ein anderer Baum, der 24
Chicozapote, liefert mit seinem weißen Saft Chicle, den natürlichen Rohstoff für Kaugummi (das allerdings heute überwiegend aus synthetischen Stoffen hergestellt wird). In vorspanischer Zeit war man jedoch weniger an Kaugummi interessiert als vielmehr an Kautschuk, der ebenfalls im Dschungel des Maya-Gebietes vorkommt und für das zeremonielle Ballspiel gebraucht wurde. Neben den Nutzpflanzen, zu denen auch die Baumarten Copal, aus dem die Maya Weihrauch gewannen, Balche, dessen Rinde zur Herstellung eines berauschenden Getränkes diente, und Ramon gehörten, dessen Früchte eine wichtige Nahrungsquelle bildeten, gibt es in der Selva Mittelamerikas natürlich auch jene Pflanzen, die man gewöhnlich mit dem tropischen Regenwald verbindet wie etwa Schlingpflanzen, die in ihrer Umklammerung ganze Bäume erwürgen können, oder auch Farne und Orchideen, die jedoch keineswegs so häufig sind, wie man gemeinhin annimmt. Die Kronen der Baumriesen lassen kaum Sonnenlicht durch, so daß bei allem Artenreichtum der Selva sie nur dort ein undurchdringliches Dickicht bildet, wo in Talsohlen Sümpfe entstanden sind. Im südlichen Teil des Peten wird die Selva durch eine offene Savanne mit Hartgräsern und vereinzeltem Baumbewuchs abgelöst. Einige Maya-Forscher sind der Ansicht, daß es sich bei dieser Savanne um eine sekundäre Vegetationsform handelt, die auf die den Boden in starkem Maße auslaugende Feldbaumethode der Maya zurückzuführen ist. Diese Frage ist von besonderer Bedeutung, da sie in engem Zusammenhang mit dem bislang ungelösten Problem des Niedergangs der klassischen Maya-Zivilisation steht. Typische Savannenlandschaften gibt es sonst im Maya-Gebiet nur in küstennahen wasserreichen Regionen wie Tabasco, dem nördlichen Belize und an der Pazifikküste. Die Tierra Tempiada an der nördlichen und südlichen Ge birgsabdachung bildet eine Übergangszone zwischen der tropischen Tieflandvegetation und der gemäßigteren Breiten entsprechenden Flora des Hochlandes. Die Tierra Tempiada ist das bevorzugte Anbaugebiet des Kaffees, der insbesondere an den fruchtbaren Hängen der Vulkane vorzüglich gedeiht. In den mittleren Höhenlagen, im Departement Alta Verapaz, ist auch die Heimat einer Orchidee, der die Spanier, da sie an die Haube einer Nonne erinnert, den Namen Monja Bianca, »Weiße Nonne«, gaben. In der Tierra Fria lichtet sich der Waldbewuchs, und nur auf den Höhen wachsen Kiefern- und Eichenwälder, während die Hochtäler weite Grasflächen überziehen, die sich 25
für die Weidewirtschaft eignen. Der Anbau von Mais, der im gesamten Maya- Gebiet die Grundnahrung bildet, endet in Höhen von 3000 m. Die Tierwelt im Maya-Gebiet weist keinerlei spektakuläres Großwild auf. Dafür ist sie, wie gesagt, um so vielfältiger. Allein in Guatemala wurden 10000 verschiedene Schmetterlingsarten, 900 Vogelarten und 87 Schlangenarten, darunter 42 Giftschlangen, von denen 22 lebensgefährlich sind, registriert. Der größte Artenreichtum findet sich wiederum in der Regenwaldzone. Der König der Tiere ist hier der Jaguar, jene goldfarbene Raubkatze, die an den Leoparden erinnert und das gefährlichste Raubtier der Neuen Welt ist. Obwohl er den Menschen nur selten anfällt, muß er einen Indianer, der nur mit Pfeil und Bogen bewaffnet war, in panische Angst versetzt haben. Er ist deshalb bei den Maya von alters her als göttliches Wesen angesehen worden, was sie dennoch nicht hinderte, sollte es ihnen einmal gelingen, ihn zu erlegen, sich mit seinem kostbaren Fell zu schmücken. Eine andere Raubkatze, die auch im Hochland vorkommt, ist der Puma, der besonders als Räuber von Haustieren gefürchtet ist. Dem Jaguar ähnlich, doch nicht größer als ein Luchs ist eine dritte Raubkatze, der Ozelot. Sein bevorzugtes Jagdrevier ist die Vogelwelt, aber auch Hühnerställe. Als Hochwild sind zwei Hirscharten verbreitet, einmal eine kleinere Art von rotbrauner Färbung und mit einspitzigem Geweih (Odocoileus truei), die den eigentlichen Regenwald, daneben aber auch die Savannen bewohnt, zum ändern eine größere graubraune Hirschart mit verästelten! Ge weih (Odocoileus toltecus), die vor allem in Yukatan anzutreffen ist und zusammen mit dem wilden Truthahn dem Wohngebiet der Yukateken seinen ursprünglichen Namen gab. Weitere Säugetiere, die in der Selva und zum Teil auch in anderen Regionen des Maya-Gebietes vorkommen, sind Tapir, Pekari und Aguti, ferner Waschbär, Gürteltier und Opossum sowie Fledermäuse und Brüll- und Klammeraffen. Unter den Reptilien sind in erster Linie die Schlangen zu erwähnen. Hier sind es vor allem die für den amerikanischen Kontinent typischen Grubenottern, die mit ihren aufrichtbaren Giftzähnen eine ständige Bedrohung für Mensch und Tier sind. Sie leiten ihren Namen übrigens nicht von einem möglicherweise bevorzugten Aufenthaltsort, einer Vertiefung im Boden, her, sondern von je einer Grube zwischen Nasenloch und Auge, die mit einer von Nervenzellen durchsetzten Membran bespannt ist. Diese Nervenzellen - bei der Klapperschlange beispielsweise 150000 in einem einzigen 26
Grübchen - sind äußerst wärmeempfindlich und haben die Aufgabe, der Schlange bei der nächtlichen Nahrungssuche das Auffinden von Beutetieren zu erleichtern. Berüchtigter noch als die Klapperschlange ist im Maya-Gebiet eine andere Grubenotter, die Fer-de-lance oder Lanzenschlange, die in Mexiko Nauyaca und in Guatemala Barba Amarilla genannt wird. Trifft ihr Giftzahn eine Vene, ist man m einer Minute tot. Da ist es wenig tröstlich, wenn man auch noch erfährt, daß ein Weibchen bis zu 70 lebende Junge zur Welt bringt. Die Maya suchten sich durch Ge bete und Opfergaben vor der Nauyaca zu schützen. Im übrigen erhoben sie wie den Jaguar auch die Schlange zum Gott. Harmloser als die Giftschlangen ist trotz ihres beunruhigenden Namens die Riesenschlange, zumindest die Art, die im Dschungel Mittelamerikas anzutreffen ist. Es ist die Abgottschlange (Boa constrictor), die nicht länger als 4,5 m wird und sich von kleineren Vierfüßlern wie Ratten und Mäusen ernährt. Ein anderes Reptil, das in einigen Teilen der Selva bereits selten geworden ist, da es seines Leders wegen gejagt wird, ist das Krokodil. Schließlich sei noch an die Schildkröten erinnert, aus deren Pari/er die Maya Musikinstrumente fertigten. Am auffälligsten, da allgegenwärtig, ist die Insektenwelt. Sie ist mit ihren typischen Vertretern wie Ameisen und Termiten, Fliegen und Flöhen, Zecken und Blutegeln dem Menschen meist lästig, in einigen Fällen aber auch lebensgefährlich, da das Wahrzeichen der Tropen, der Moskito, im Maya-Gebiet nicht nur Malaria, sondern auch Gelbfieber überträgt. Großen Schaden fügt dem Indianer auch die 'Wanderheuschrecke zu, da sie ganze Ernten vernichtet und dadurch insbesondere in Yukatan wiederholt Hungersnöte verursacht hat. Dagegen ist die für das MayaGebiet charakteristische Atelipona beccheii ein außerordentlich erfreuliches Insekt, denn diese Biene hat keinen Stachel und liefert trotzdem Wachs und Honig. Versöhnend aber ist vor allem die Vogelwelt. Neben den Hühnervögeln wie Rebhuhn, Wachtel und Truthahn, die eine willkommene Bereicherung des Kochtopfes bilden, sind es vor allem Papageien, Kolibris und der seltene Quetzal, die mit ihrer schillernden Farbenpracht das Auge eines jeden Betrachters erfreuen. Unter den Papageien verdient vor allem der Guacamayo Erwähnung, dessen stilisierte Darstellung in der Maya-Kunst lange Zeit Anlaß zu heftigen Diskussionen über den Ursprung der mittelamerikanischen Hochkulturen gab: sie erinnert nämlich an den Rüssel eines Elefanten, eines Tieres, das zur Zeit der 27
Blüte der Maya-Kultur in Amerika bereits ausgestorben war, so daß man darin einen Impuls aus der Alten Welt sah. Zu weniger profanen Gedanken verleiten die Kolibris, jene winzigen Vögel, die wie funkelnde Edelsteine von Blume zu Blume fliegen und schwirrend wie ein Miniaturhelikopter vor den Blüten verweilen, um sich mit langem Schnabel an ihrem Nektar zu laben. Ein wahrhaft unvergeßliches Erlebnis aber wird dem zuteil, der das Glück hat, in den bewaldeten Höhen der Tierra Tempiada dem Quetzal, dem Göttervogel der Maya, zu begegnen. Dieser Vogel zeichnet sich durch i m lange smaragdgrüne Schwanzfedern aus, die beim Flug wie eine Schleppe hinter ihm herziehen und einst bei den Maya als prunkvoller Kopfschmuck begehrt waren. Nicht zuletzt deshalb ist der Quetzal heute so selten geworden, daß er in Guatemala unter Naturschutz steht. Mehr noch, in Guatemala ist der Quetzal, von dem es heißt, daß er seine Freiheit so sehr hebt, daß er stirbt, wenn er in Gefangenschaft gerät, zum Symbol des Landes geworden. So schmückt er nicht nur das Staatswappen Guatemalas, sondern wird auch in der Nationalhymne des Landes als Garant der Freiheit verehrt: Hingestreckt in den majestätischen Anden, von zwei klangvollen Meeren umspült, unter dem Flügel von Cochenille und Gold träumst du vom schönen Quetzal. Indianischer Vogel, der in deinem Wappen lebt, Beschützer, der deine Erde -verteidigt; o daß er doch mit seinem Flug höher steige als der Kondor und der Königsadler! O daß er doch mit seinem Flug höher steige als der Kondor und der Königsadler und auf seinen Flügeln zum Himmel trage Guatemala, deinen unsterblichen Namen! Wie es geschehen konnte, daß der Quetzal zum Freiheitssymbol eines Landes wurde, in dem die Mehrheit seiner Bevölkerung unfrei ist, dieser Frage wollen wir uns nun zuwenden.
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ERSTES BUCH PRIESTER UND ASTRONOMEN
I. KAPITEL PRÄKLASSIK Jetzt nun tauchte der Gedanke an Menschen auf und die Frage, was in das Fleisch des Menschen eingehen solle. Und es sprachen die Gebärerin und der Söhnezeuger, die Erbauerin und der Schöpfer, die Mächtige und Cucumatz, wie ihre Namen lauten: »Die Zeit des Hellwerdens ist herangerückt, der Weltbau ist gut gelungen, und es erschienen (vor unserem Geist) Die, die (uns) betreuen und bedienen sollen, Kinder des Lichts, Söhne des Lichts: Angekündigt hat sich der Mensch, das Menschengeschlecht auf der Erde!" sagten sie. Und sie kamen zusammen, fanden sich ein und gingen daran, nachzudenken m Dunkelheit und Nacht. Da suchten sie nun und wählen Gedanken, beratschlagten hier und ließen es sich durch den Kopf gehen. Auf diese Weise kam bündig die Einsicht der erleuchteten Herren zutage: Sie suchten und sie fanden Das heraus, was dann m das Fleisch des Menschen einging. Nur wenig fehlte außerdem, daß Sonne, Mond und Sterne über den Scheiteln der Erbauerin und des Schöpfers erschienen. Pan-Paxil und Pan-Cayala sind die Namen (der Länder), aus denen die gelben Maiskolben und die weißen Maisk olben herkamen. Die Namen der Tiere aber, die diese Nahrung herbeibrachten, sind: Fuchs, Heulwolf, Papagei und Rahe; die vier Tiere gaben Kunde von gelben Maiskolben und weißen Maiskolben. Ja, sie kamen aus Pan-Paxil, und der Zugangsweg nach Paxil wurde (den Schöpfern der Menschen) gezeigt. Diese Nahrung nun, die sie fanden, die ging ein in das Fleisch des Menschen, den sie gestalteten, des Menschen, den sie schufen. Das war also sein Blutsaft, der Blutsaft des Menschen wurde das: Diese Maiskolben gingen ein in ihn nach dem Willen der Gebärerin und des Söhnezeugers. So freuten sie sich denn, daß ein so herrliches Land entdeckt worden war, so voll von Massen leckerer gelber Maiskolben und weißer Maiskolben, dazu voll lieblicher Pataste- und Kakao30
bäume. Nicht zu zählen waren die Zapote-, Anona-, Jocote-, Nance- und Matazano-Bäume und die Mengen von Honig. Gefüllt mit lieblicher Nahrung waren die Städte Pan-Paxil und Pan-Cayala mit Namen: Da gab es Fruchtbringer jeglicher Art, kleine Nährfrucht und große Nährfrucht, kleine Anpflanzungen und große Anpflanzungen, zu denen der Weg durch die Tiere gewiesen wurde. Ah nun die gelben Maiskolben und die weißen Maiskolben gemahlen worden waren, stellte Xmucane neun Tränke her; Die gingen ah Nahrung ein, und aus dem Mais bildete sich die Kraft, Fett und Fülle der Menschen bildete sich. Das vollbrachten die Gebärerin und der Söhnezeuger, die Mächtige und Cucumatz, wie sie heißen. Und dann bestimmten sie durch Machtspruch das Auf sprießen und das Werden unserer ersten Mütter und Väter: Nur gelbe Maiskolben und weiße Maiskolben wurden ihr Fleisch, nur sie der Nährstoff von Beinen und Armen des Menschen. Das nun waren unsere ersten Ahnen, jene vier Menschengestalten, in deren Fleisch nichts anderes als Nährstoff einging. Dies sind die Namen der ersten Menschen, die erbaut, die erschaffen wurden: Der erste Mensch, das war Balamquitze, der zweite dann Balamacab, der dritte dann Mahucutah, der vierte endlich Iquibalam, das also sind die Namen unserer ersten Ahnen. Nur »Gebautes«, nur »Geschöpf« wurden sie genannt: Sie haben keine Mutter, haben keinen Vater, nur »Edle« können wir sie nennen. Keine Weiber haben sie geboren, und sie wurden auch nicht ah Söhne gezeugt von der Meisterin des Bauens und vom Meister des Erschaffens, von der Gebärerin und dem Söhnezeuger. Sondern ein Wunder war es, daß sie erbaut wurden, daß sie erschaffen wurden, ein Zauber, gewirkt von der Erbauerin und dem Schöpfer, von der Gebärerin und dem Söhnezeuger, von der Mächtigen und von Cucumatz. Indem sie menschliches Aussehen annahmen, wurden sie Menschen: Sie sprachen und formten Worte, sie sahen gut und sie hörten, sie gingen einher und griffen mit Händen; wohlgeratene, schöne Menschen waren sie, edel war ihre Erscheinung. Sie hatten Gedanken, sie nahmen wahr, und sofort erreichte ihr Blick sein Ziel. Schließlich sahen, schließlich kannten sie die ganze Welt. Wenn sie Umschau hielten, konnten sie sogleich von der Höhe zur Tiefe das Himmelsgewölbe und das Innere der Erde erblicken u nd überschauen. 31
Und läge auch Etwas noch so tief im Schatten, sie würden es doch vollständig gesehen haben; sie brauchten nicht etwa erst zu wandern, wollten sie die Welt betrachten, sondern an Ort und Stelle blieben sie, wenn sie Umschau hielten. Umfassend war ihr Wissen: Ihr Blickfeld reichte über Baum und Fels, über See und Meer, über Berg und Ebene. Wahrlich hochwertige Menschen waren Balamquitze, Balamacab, Mahucutah und Iquibalam! Da wurden sie nun von der Meisterin des Erbauens und vom Meister des Erschaffens gefragt. »Wie denkt Ihr über Euer Dasein? Seht Ihr nicht? Hört Ihr nicht? Sind Eure Sprechwerkzeuge nicht gut und auch Eure Gehwerkzeuge? Schaut also aus, betrachtet, was unter dem Himmel ist: Sind nicht Berge und Ebenen zu erkennen? Versucht es also, sie zu schauen!« wurde ihnen geheißen. Und alsbald erblickten sie vollständig die ganze Welt. Darauf statteten sie der Erbauerin und dem Schöpfer ihren Dank ab: »Wahrlich, habt zweimal Dank, dreimal Dank! Wir sind ja Menschen geworden und wir haben Mund und Gesicht bekommen! Wir sprechen, wir hören, wir denken, wir bewegen uns. Gut sind wir uns dessen bewußt, was wir in Ferne und Nähe kennengelernt und was wir Großes und Kleines im Himmel und auf Erden gesehen haben. Also Dank Euch, daß wir Menschen geworden, daß wir erbaut und erschaffen worden sind! Ja, wir sind es geworden, Du unsere Ahnin, Du unser Ahn!« So sprachen sie, indem sie für ihre Gestaltung, ihre Erschaffung dankten. Am Ende wußten sie über Alles Bescheid, was sie an den Ecken des Himmels, an den Winkeln des Himmels, im Himmelsgewölbe und im Innern der Erde geschaut hatten. Aber die Meisterin des Erbauens und der Meister des Erschaffens hörten Das nicht gern: » Vom Übel ist, was unsere Geschöpfe da sprachen: Über alles Große und Kleine, sagen sie, wußten sie Bescheid.« So nahmen nun die Gebärerin und der Söhnezeuger ihre Überlegungen wieder auf: »Wie sollen wir nunmehr mit ihnen verfahren?: Nur noch in die Nähe soll ihre Sicht reichen! Nur noch ein klein Wenig sollen sie von der Erdoberfläche sehen! Was sie da reden, ist vom Übel: Verdienen sie nicht bloß Kreaturen, bloß Geschöpfe genannt zu werden? Ja, aber darüber hinaus werden sie Götter! Und wie, wenn sie sich (gleich Göttern) nicht fortpflanzten noch ausbreiteten, wann gesät werden soll, wann es hell wird, wenn ihrer nicht Viele würden (uns anzubeten)? Wenn das ein32
träte? Tun wir (ihrer Vollkommenheit) ein wenig Abbruch, daß es doch Etwas gäbe, das ihnen gebricht; denn übel ist, was wir wahrnehmen: Werden sie mit ihren Taten nicht Uns gleichgesetzt werden, Uns, deren Wissen fernhin reicht, die wir Alles sehen?« So sprachen zueinander das Herz des Himmels, Huracan, der Däumlingsblitz und der Grüne Blitz, die Mächtige und Cucumatz, die Gebärerin und der Söhnezeuger, Xpiyacoc und Xmucane, die Erbauerin und der Schöpfer, wie sie genannt werden. Dann machten sie sich noch einmal mit dem Wesen ihrer Geschöpfe zu schaffen: Nur angeatmet wurden ihre Augen vom Himmelsherzen. Da trübten sie sich, wie wenn eine Spiegelfläche angehaucht wird, so trübten sich über und über ihre Augen. Nur das in der Nähe sahen sie noch, nur das allein war, was ihnen sichtbar blieb. Auf diese Art ging ihr Wissen verloren und mit ihm die Geisteskraft der vier Menschen, die Wurzel und Ursprung (unseres Geschlechtes) sind. So also wurden unsere ersten Ahnherren und Väter erbaut und erschaffen vom Herzen des Himmels, vom Herzen der Erde. Nun traten auch ihre Ehefrauen ins Dasein, und ihre Weiber entstanden. Nochmals faßte bloß den Gedanken die Gottheit: Und ganz wie im Schlaf bekamen (die Urväter) sie. Fürwahr, schön waren die Weiber, die mit Balamquitze, Balamacab, Mahucutah und Iquibalam lebten. Ihre Weiber waren da, gerade als sie erwachten; alsobald freuten sie sich von Herzen über ihre Ehefrauen. Dies nun sind die Namen ihrer Weiber: Cahapaluna hieß das Weib von Balamquitze, Chomiha hieß das Weib von Balamacab, Tzununiha hieß das Weib von Mahucutah, Caquixaha hieß das Weib von Iquibalam. Das also sind die Namen ihrer Weiber, und sie waren Fürstinnen. Sie brachten die Menschenmassen der kleinen Volksstämme und der großen Volksstämme hervor, sie sind die Wurzel von uns selbst, von uns Quiche-Leuten: Zahlreich waren die Herren der Gottesfurcht und Kasteiung (Priesterfürsten); es waren ihrer nicht nur vier, aber nur vier waren der Ursprung von uns Quiche-Leuten.4
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Mammutjäger Im mythischen Denken der Maya war die Erschaffung des Menschen, wie sie im Popol Vuh, dem heiligen Buch der Quiches, überliefert wird, das Werk der Götter. Daran gab es keinen Zweifel, und damit begnügte man sich. Bis zur Aufklärung war man auch in Europa mit der Genesis, wie sie in der Bibel steht, zufrieden. Seitdem beherrscht unser Denken der Rationalismus, und an die Stelle der Religion ist die Wissenschaft getreten. Der Mensch wurde nicht aus Mais oder Ton geformt - er stieg herab von den Bäumen. Vor 10 Millionen Jahren. Damals war Amerika noch gar kein Gedanke, zumindest nicht beim Ramapithecus, dem ältesten Vorfahren des Menschen. Er hinterließ seine Spuren nur in der Alten Welt. In der Neuen Welt trat der Mensch erstmals auf, als er sich bereits zum Homo sapiens entwickelt hatte. In mehreren Wellen überquerte er gegen Ende des Pleistozäns, als infolge der Eiszeit eine Landverbindung zwischen Asien und Amerika bestand, das Gebiet der heutigen Bering-Straße und breitete sich allmählich über den ganzen amerikanischen Doppelkontinent aus. Den neuesten Entdeckungen zufolge erreichte er Südamerika vor 20000 Jahren. Im Maya-Gebiet sind bislang keine menschlichen Spuren bekannt geworden, die mit Sicherheit aus dieser frühen Zeit datieren. Lediglich im Tiefland wurden zwei Funde gemacht, die möglicherweise ein vergleichbares Alter aufweisen. Im einen Fall handelt es sich um grobe Steinartefakte, die man m La Concepdon, Campeche, entdeckte und die zur sogenannten vorprojektilen Phase gehören, der frühesten Kulturstufe in Amerika, in der der Mensch noch vorwiegend Sammler war und keine Wurfgeschosse verwendete. Diese Periode wird auf die Zeit vor 10000 v. Chr. datiert. Der zweite Fund stammt aus dem Gebiet des Rio de la. Pasiön im Peten: hier fand man unter fossilen Knochen einer pleistozänen Fauna ein Knochenfragment, das offensichtlich von einem Faultier stammt und drei V-förmige Einkerbungen aufweist. Diese Ritzungen scheinen unmittelbar nach dem Tode des Faultieres entstanden zu sein. Ob sie jedoch von Menschenhand als Schmuck oder Symbol ausgeführt wurden, läßt sich mit letzter Gewißheit nicht sagen. Immerhin, es bleibt festzuhalten, daß die Besiedlung des Maya-Gebietes vor mindestens 20000 Jahren begann, denn auf ihrer Nord-Südwanderung müssen die ersten Amerikaner die mittelamerikanische Landbrücke eher betreten haben als Südamerika. 34
Die frühesten zeitlich genauer fixierbaren Spuren des Menschen im Maya-Gebiet wurden in San Rafael, einem kleinen Ort 12 km westlich von Guatemala City, gefunden. Spielende Kinder fanden hier in einer Schlucht eine 6 cm lange Obsidianspitze, die mit einer charakteristischen riefenförmigen Vertiefung auf der einen Seite an einen Geschoßtyp erinnert, der nach seinem ursprünglichen Fundort im Südwesten der USA Clovis genannt wird und in die Zeit zwischen 15 000und 9000 v. Chr. zu datieren ist. Die Clovis -Spitze gehört einer Kulturphase an, in der der amerikanische Mensch sich auf die Jagd von Großwild spezialisiert hatte. Hauptbeute war das Mammut, jene Altform des Elefanten, die gigantische Ausmaße erreichte. Um ein solches Tier zu erlegen, war der Mensch auf die Hilfe seines Artgenossen angewiesen, und so kam es zur Bildung von größeren Gruppen, die über den engen Kreis der Familie hinausgingen. In gemeinschaftlichen Treibjagden kreiste man die Wildherden ein und trieb sie mit Hilfe einer der ersten Entdeckungen des Menschen, dem Feuer, m Sümpfe und Schluchten, wo man sie mit der neuesten Errungenschaft, der Speerschleuder, leicht erlegen konnte. Direkte Indizien für eine solche Lebensweise des amerikanischen Großwildjägers gibt es in San Rafael zwar nicht, da die Obsidianspitze in keinerlei Verbindung mit anderen menschlichen oder tierischen Spuren gefunden wurde, doch stieß man in anderen Teilen der Neuen Welt nicht nur auf Geschoßspitzen vergleichbarer Art, die zwischen den Rippen fossiler Mammute steckten, sondern auch auf Reste des Menschen, der sie dort hineingeschossen hat. Den sensationellsten Fund dieser Art machte man im zentralen Hochland von Mexiko in Tepexpan. Hier stieß man in der gleichen geologischen Schicht, die - wenn auch an anderer Stelle Mammutknochen und Artefakte enthielt, auf das Skelett eines Menschen, der vor etwa 11 000 Jahren im Uferschlamm eines Sees ertrank und, nach dem Zustand des Skeletts zu urteilen, offensichtlich diluvialen Raubtieren als Nahrung diente. Der »Mensch von Tepexpan« war 1,68 m groß und mesocephal, das heißt, relativ langköpfig, und gehörte wahrscheinlich der Blutgruppe A an. In all diesen Merkmalen unterscheidet sich dieser bisher älteste Vertreter des Menschen in Mittelamerika von der heutigen indianischen Bevölkerung in diesem Gebiet, so daß man ihn zwar kulturell, aber nicht rassisch als Vorläufer der Maya bezeichnen kann.
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Zea mays Das Ende der letzten Eiszeit führte - wie in der Alten - so auch in der Neuen Welt zu einem tiefgreifenden Wandel in der Lebensweise des Menschen. Waren seine Nahrungsquellen bislang unbegrenzt gewesen, so sah er sich nun - da infolge der allmählichen Erwärmung und zunehmender Trockenheit, die Wüsten entstehen ließ, wo sich einst fruchtbare Savannen erstreckten, das Großwild in weiten Teilen der Welt ausstarb - gezwungen, seine extensive Wirtschaftsform eines nomadischen Jägers zugunsten einer intensiven Nutzung von Wildpflanzen aufzugeben. Im Gegensatz zu den niederen Sammlern der Frühzeit beschränkte sich der postpleistozäne Mensch schon bald nicht mehr auf eine alleinige Aneignung dessen, was die Natur ihm bot, sondern ging aufgrund einer genaueren Beobachtung ihrer Gesetzmäßigkeiten allmählich zur Züchtung von Pflanzen und Tieren und damit zur Produktion seiner Nahrung über. Von hier aus war es kein weiter Schritt mehr zur Überwindung einer Wirtschaft, die nur für den kommenden Tag reichte, und wenn die ersten Ackerbauern und Viehzüchter auch noch weit entfernt von einer Überflußgesellschaft waren, so fanden sie doch sehr schnell heraus, daß bei entsprechendem Einsatz nicht nur Zeit zu gewinnen, sondern auch ein Überschuß zu erzielen war. Die Zeit nutzten sie für den Bau fester Häuser und die Anlage erster Dörfer, den Überschuß zur beruflichen Spezialisierung und sozialen Differenzierung, was im einen Fall zur Erfindung der Keramik und zum Gebrauch der Schrift führte, im ändern zur Entstehung von Klassen. Damit hatte der Mensch das Stadium der Zivilisation erreicht, ein Segen, auf den im Laufe der Zeit die Mehrheit der Menschheit, wäre sie gefragt worden, wohl lieber verzichtet hätte. In Mittelamerika fand dieser Prozeß des Übergangs vom Jägernomadentum zum seßhaften Ackerbau in der Zeit zwischen 7000 und 1500 v. Chr. statt. Mangels geeigneter Tiere erlangte die Viehzucht in diesem Gebiet, vor Ankunft der Europäer, keine größere Bedeutung. Die Grundlage der Ernährung des Menschen in Mittelamerika wurde jene Pflanze, die auch das Popol Vuh als Urstoff des Menschen bezeichnet: der Mais. Entgegen früheren Annahmen lag das Primärzentrum der Domestikation dieser Pflanze anscheinend jedoch nicht im Maya-Gebiet, obwohl wir hier heute die größte Zahl von Variationsformen des Maises - 150 Sorten allein im Departement Huehuetenango in Guatemala! - finden. Als domestizierte Pflanze taucht der Mais 36
erstmals in Zentralmexiko auf, im Tal von Tehuacän, in einer Fundschicht, die aufgrund von Radiokarbon-Messungen in die Zeit zwischen 5000 und 4000 v.Chr. datiert wird. Mitte des 1. nachchristlichen Jahrtausends hatte sich der Mais als Kulturpflanze über den ganzen amerikanischen Kontinent ausgebreitet, von Kanada im Norden bis Argentinien im Süden. Das MayaGebiet erreichte er vor mindestens 4000 Jahren: aus dieser Zeit stammen Maisreste, die man mit Hilfe einer Sonde im Gebiet des Sees von Petenxil im zentralen Peten fand. Eine andere frühe Spur des Maisanbaus im Maya-Gebiet wurde unter einem Fels überhang im westlichen Bergland von Chiapas entdeckt. Hier, in der sogenannten Höhle von Santa Marta, stieß man auf eine Schichtenfolge, die - wie die Fundstellen in Tehuacän - den allmählichen Übergang vom Jäger- zum Pflanzertum erkennen läßt: in der unteren Hälfte von insgesamt zehn Schichten, die einen Zeitraum von 8000 Jahren - von 7000 v. bis 1000 n. Chr. umfassen, fand man neben Geschoßspitzen, wie sie von den späten Jägern verwendet wurden, bereits Metates und Manos, Reibsteine zum Zermahlen von Samen und Körnerfrüchten, die noch heute bei der indianischen Bevölkerung Mittelamerikas das wichtigste Küchengerät sind; von der sechsten Schicht ab, die in die Zeit um 1300 v. Chr. und damit bereits in die eigentliche präklassiscbe Periode fällt, taucht nicht nur der Mais als Anbaupflanze, sondern auch die Keramik auf. Mais war zwar die wichtigste, aber keineswegs die einzige Nahrungspflanze, die von den postpleistozänen Sammlern in Mexiko kultiviert wurde. Eine kaum geringere Bedeutung erlangte die Bohne, da sie das Proteindefizit, das durch das Aussterben der pleistozänen Fauna in Mittelamerika entstanden war, ausglich. Auch der Chile-Pfeffer wurde zu einem unentbehrlichen Nahrungsmittel, da er - vor allem in den heißen Regionen - einen recht eintönigen Speisezettel genießbar machte. Obwohl im Laufe der Zeit noch eine Unmenge anderer Nahrungspflanzen - vom Kürbis bis zum Tabak - und - neben dem Hund - auch der Truthahn domestiziert wurden, blieben in Mittelamerika Mais, Bohne und Chile bis auf den heutigen Tag die Grundnahrung des Volkes.
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Die ersten Maya Die Scherbenfunde in der obersten Schicht von Santa Marta gehören einem Keramikstil an, der um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. über ein weites Gebiet Mittelamerikas - vom Mündungsgebiet des Rio Panuco im Norden bis zur guatemaltekischen Pazifikküste im Süden - verbreitet war. Für die Verbreitung dieses Keramikstils, die offensichtlich in nordsüdlicher Richtung erfolgte, da die ältesten Keramikfunde in Mittelamerika - sie werden in die Zeit um 2300 v. Chr. datiert - aus Tehuacan stammen, ist ein Volk verantwortlich, das wir erstmals mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als Maya bezeichnen können. Darauf deuten sowohl linguistische als auch physisch-anthropologische Indizien hin. Nicht, daß Skelettmaterial oder sprachliche Aufzeichnungen aus dieser frühen Zeit erhalten sind. Vielmehr läßt sich anhand der lexikstatistischen Glottobronologie, einer linguistischen Datierungsmethode, und eines Vergleiches rezenter Rassenmerkmale eine Verwandtschaft nicht nur zwischen den heutigen Maya in Yukatan, Chiapas und Guatemala und den Huasteken an der Golfküste nachweisen, sondern auch zwischen diesen Maya-Gruppen einerseits und den nordamerikanischen Penuti-Stämmen andererseits. Mehr noch, mit Hilfe der Glottochronologie ist es auch möglich, den Zeitpunkt der Trennung der einzelnen Sprachgruppen voneinander zu bestimmen. Danach lösten sich die Proto-Mayaim 5. Jahrtausend v.Chr. von den Penuti-Stämmen im Gebiet des heutigen Oregon und Kalifornien und wanderten - als Jäger und Sammler - nach Südosten, bis sie - nachdem sie sich möglicherweise im Bergland von Tamaulipas, wo man wie in Tehuacan Spuren des Übergangs vom Jäger- zum Pflanzertum entdeckte, an der Domestizierung von Nahrungspflanzen beteiligt hatten - an die Golfküste gelangten, wo sie sich schließlich im fruchtbaren Schwemmlandgebiet des Rio Pänuco als Huasteken niederließen. Diese Urgemeinde der Maya in Mittelamerika begann sich in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v.Chr. entlang der Golfküste nach Süden auszubreiten, überquerte den Isthmus von Tehuantepec und dehnte sich allmählich an der Pazifikküste bis nach El Salvador aus. Die Ankunft dieser Splittergruppe der Maya, der sogenannten Mames, um 1500 v. Chr. in Chiapas und Guatemala leitete die präklassische Periode, die in Zentralmexiko bereits ein halbes Jahrtausend zuvor begonnen hatte, auch in dem Gebiet ein, das sich zum eigentlichen Zentrum der Maya-Kultur entwickeln sollte. 40
Kurzköpfig und gedrungen Die präklassische Periode umfaßt jenen Zeitraum, in dem sich im nördlichen Teil Mittelamerikas jene kulturelle Tradition herausbildete, die als mesoamerikanisch bezeichnet wird und sich von allen anderen indianischen Traditionen unterscheidet. Ihre Grundlage war der Ackerbau, ihr Stimulator wahrscheinlich die Tatsache, daß das Zusammentreffen verschiedener Völker und Kulturströmungen am Isthmus von Tehuantepec zu einer gegenseitigen Befruchtung und damit zur Entstehung von Zivilisationen führte, die sich durchaus mit den klassischen Hochkulturen der Alten Welt messen konnten. Nicht ausgeschlossen ist allerdings die Möglichkeit, daß von eben diesen altweltlichen Kulturen doch ein zivilisatorischer Impuls in die Neue Welt gelangte, was zwar der scheinbaren Ingeniosität der Indianer, doch kaum ihrer kulturellen Leistung insgesamt einen Abbruch täte. Doch davon später. Zunächst einmal ist festzuhalten, daß die Maya zu Beginn der präklassischen Periode die wohl mächtigste indianische Sprachgruppe in Mesoamerika waren: ihr Siedlungsgebiet erstreckte sich diagonal vom äußersten Nordosten bis zum äußersten Südwesten durch Mesoamerika. Damit nahmen sie eine Schlüsselstellung ein, die - über das spätere Kerngebiet der Maya hinaus - möglicherweise auch für die zukünftige Entwicklung des übrigen Mesoamerika von entscheidender Bedeutung war. In der Frühphase des Präklassikums unterschied sich die Lebensweise der Maya noch kaum von der anderer Völker Mesoamerikas: sie lebten in kleinen dörflichen Gemeinschaften an den Ufern von Flüssen und Seen, wo sie die einstweilen noch mageren Früchte ihres Feldbaus durch Fischfang und das Sammeln von Austern und Krabben ergänzen konnten. Spuren dieser frühen Maya-Siedlungen fand man in Panuco am Unterlauf des gleichnamigen Flusses, in Santa Marta und Chiapa de Corzo im westlichen Chiapas und in La Victoria an der Pazifikküste Guatemalas. Mit Ausnahme der Höhle von Santa Marta, deren Schichtenfolge bis in die Zeit der Jägernomaden zurückreicht, handelt es sich bei den übrigen Fundplätzen offensichtlich um Neugründungen, da die ältesten Schichten - Pavon in Panuco, Chiapa I in Chiapa de Corzo und Ocos in La Victoria - bereits Keramik enthalten und nicht vor 1500 v.Chr. anzusetzen sind. Diese Keramik tritt m zwei charakteristischen Formen auf: einrnal als kugelförmiges Gefäß, das zuweilen auf drei Füßen steht 41
und als Tecomate bezeichnet wird, zum ändern als flache Schale, deren Rand leicht nach außen gewölbt ist. Die Verzierung dieser Keramik besteht aus zickzackförmigen Muscheleiridrücken und mono- oder bichromer Bemalung mit häufig geometrischen Mustern. Zusammen mit den Keramikscherben wurden Fragmente von tönernen Masken und Statuetten gefunden, die zuweilen an Porträts erinnern und uns somit das Aussehen der ersten Maya verraten. Sie waren wie ihre entfernten Verwandten in Nordamerika und ihre heutigen Nachfahren anscheinend stark kurzköpfig und hatten einen gedrungenen Körperbau. Als typischen Schmuck und möglicherweise einziges Kleidungsstück trugen sie eine turbanartige Kopfbedeckung. Zahlreicher jedoch als diese Porträtdarstellungen sind stilisierte Figürchen meist weiblichen Ge schlechts, die- zuweilen schwanger oder ein Kleinkind nährend offensichtlich mit dem Fruchtbarkeitskult in Verbindung standen. Diese Fruchtbarkeitssymbole sind die einzigen greifbaren Hinweise für die religiösen Vorstellungen dieser frühen Maya. Inwieweit damit eine Vorrangstellung der Frau, die durch die Umstellung vom Jäger- zum Pflanzertum ohne Zweifel eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren hatte, einherging, läßt sich nicht genauer feststellen. Sicher ist nur, daß sie ihre religiöse Bedeutung schnell einbüßte, denn mit dem Ende des frühen Präklassikums taucht eine neue Gottheit auf, die als Inbegriff männlicher Stärke gilt: der Jaguar.
Das Rätsel von Olman Das Volk, das diesen neuen Kult in Mesoamerika einführte, wird heute nach einem geographischen Begriff - »Olman«, das heißt »Land des Kautschuks« -, mit dem die Azteken das Gebiet der südlichen Golfküste umschrieben, als Olmeken bezeichnet. Zur Zeit der Conquista lebte hier ein buntes Völkergemisch aus Nahua-, Popoloca- und Maya-Stämmen. Wer jedoch gegen Ende des frühen Präklassikums, um 1000 v. Chr., in diesem Gebiet siedelte, ist ungewiß. Wahrscheinlich waren es Nachkommen jener Maya, die sich seit dem Beginn des 2. vorchristlichen Jahrtausends über die südlichen Küstenländer Mesoamerikas ausgebreitet hatten. Mit letzter Sicherheit läßt sich dies jedoch nicht nachweisen. Wer auch immer diese präklassischen Olmeken waren, sie begründeten nicht nur die erste Hochkultur Mesoamerikas, 42
sondern legten auch den Grundstein für alle späteren Zivilisationen in diesem Teil der Neuen Welt. Mit ihren Wurzeln in die Frühphase des Präklassikums reichend, erlangte die Olmeken-Kultur ihre Blüte in jener Periode, die die Archäologen als mittleres Präklassikum bezeichnen und die in die Zeit zwischen 1000 und 300 v. Chr. fällt. In dieser Periode tauchen zum ersten Mal Pyramiden und Monumentalplastiken auf, kulturelle Merkmale, die auf eine staatliche Organisationsform und eine fortgeschrittene handwerkliche Spezialisierung schließen lassen. Zeugnisse dieser Entwicklung finden sich im Kernland der Olmeken vor allem in San Lorenzo und La Venta. San Lorenzo, am Unterlauf des Rio Coatzacoalcos im südlichen Veracruz gelegen, besteht aus einem künstlichen Hügel, der zunächst - in der sogenannten San Lorenzo-Phase, die aufgrund von Radiokarbon-Daten auf die Zeit zwischen 1200 und 900 v. Chr. angesetzt wird und aus der sowohl Haus-Mounds als auch monumentale Steinplastiken, aber keine nennenswerten Sakralbauten stammen - noch als kombinierte Wohn- und Kultstätte diente. In späterer Zeit, in der Palangana-Phase, die von 600 bis 400 v. Chr. dauerte und in der auf dem Mittelpunkt des Hügels ein Komplex aus parallelen Erdwällen, Höfen und einer krönenden Pyramide errichtet wurde, hatte er offensichtlich nur noch die Funktion eines Zeremonialzentrums für eine Bevölkerung, die zu seinen Füßen wohnte und ihn wohl nur noch zu Arbeitsdiensten, Tributleistungen und religiösen Feiern betreten durfte. Ähnlich wie in San Lorenzo vollzog sich wahrscheinlich auch in La Venta der Wandel von einer offenen Dorfgemeinschaft zu einem exklusiven Kultzentrum, nur daß hier der Sprung zur Zivilisation etwas später erfolgte, dafür aber ein Höhepunkt m der Entfaltung der Olmeken-Kultur erreicht wurde. La Venta liegt auf einer von Sümpfen umgebenen Insel am Unterlauf des Rio Tonalä im westlichen Tabasco. Beherrscht wird dieser Ort von einer 30 m hohen Pyramide, die zu einem in nord-südlicher Richtung ausgelegten Sakralbezirk gehört und - abgesehen von dem künstlichen Hügel in San Lorenzo - der älteste Pyramidenbau in Mesoamerika ist. Sie stammt wie die übrigen Bauten des Sakralbezirkes, der nicht nur in seiner Ausrichtung nach den Kardmalpunkten, sondern auch in seinem Grundplan - Pyramide, parallele Erdwälle und Innenhof mit Stelen, Altären und figürlichen Plastiken - das Urbild aller Zeremonialzentren in Mesoanienka darstellt, aus der Zeit zwischen 800 und 400 v.Chr. 43
Plan des Zentralbezirks von La Venta (nach P.Drucker u. a., Excavations at La Venta, Tabasco, 1955. Washington 1959)
So beachtlich auch der Arbeitsaufwand und der architektonische Sachverstand gewesen sein mögen, um die mächtigen Erdwerke aufzuführen, gewaltiger noch müssen die Anstrengungen und künstlerischen Fähigkeiten der Olmeken gewesen sein, um die zahllosen steinernen Denkmäler zu schaffen, die bis zu 50 t wiegen und wie einst das gemeine Volk auch den heutigen Betrachter noch in ehrfurchtsvolles Erstaunen versetzen. Allein in La Venta wurden über 50 dieser Monumentalplastiken gefunden. Zweifellos am eindrucksvollsten sind jene Riesenhäupter, die man - nicht ganz zu Unrecht - mit den helmbewehrten Spielern des amerikanischen Football verglichen hat. Mit ihrem breiten Gesicht, einer flachen Nase und aufgeworfenen Lippen zeigen diese gigantischen Köpfe, die eine Höhe von 3 m erreichen, auffallend negroide Rassenmerkmale. Ihre Bedeutung ist nicht eindeutig geklärt; es scheint jedoch, daß sie mit dem rituellen Ballspiel, dessen Begründer die Olmeken gleichfalls waren und das in seiner Analogie mit dem Lauf der Gestirne zur Deutung kosmischer Vorgänge diente, in Verbindung standen, worauf sowohl der helmartige Kopfschutz als auch die Tatsache hinweist, daß es Brauch war, dem Anführer der Verliererpartei den Kopf abzuschlagen, damit sein Blut die Erde tränke. Die Darstellung einer solchen Opferung findet sich auf einem Relief des Ballspielplatzes von Chichen Itza, jener Maya-Stadt in Yukatan, die anderthalb Jahrtausende später als La Venta ihre Blüte erlangen sollte. Daß Menschenopfer offensichtlich zum religiösen Brauchtum der Olmeken gehörten, darauf weisen auch häufige Skulpturen von Priestern hin, die in ihren Armen Kinder halten und - da sie sich stets in einer Art Nische, die in die sogenannten Altäre eingehauen sind, befinden - an den aus späterer Zeit überlieferten Kult des Regengottes erinnern, dem zu Ehren man auf Bergeshöhen und an Quellen Kleinkinder opferte. Diese Verbindung zwischen Regengott und Kleinkind kommt auch in dem für die Kleinplastik so typischen Kunststil der Olmeken zum Ausdruck, wo sich die charakteristischen Gesichtszüge des Jaguars, der als Symbol des Regengottes und der Fruchtbarkeit galt, mit denen eines weinenden Kleinkindes verbinden, so daß sich hierfür die Bezeichnung »Baby Face« eingebürgert hat. Bemerkenswert bei diesen Kleinplastiken, die meist aus grüner oder weißer Jade sind, ist auch eine birnenartige Form des Kopfes, was als künstliche Schädeldeformation zu deuten ist, eine Sitte, die sich gleichfalls bei den Maya bis in postklassische Zeit erhalten hat. 45
Eine andere Gottheit, die in späterer Zeit eine überragende Bedeutung erlangte, taucht in der plastischen Kunst der frühen Olmeken nur vereinzelt auf. Es ist die »Gefiederte Schlange«, Quetzalcoatl bei den Azteken und Kukulcan bei den Maya, die zur Zeit der Conquista in ganz Mesoamerika als Gott der Weis heit und des Windes verehrt wurde. Sie galt außerdem als Symbol der Herrscherschicht, eine Assoziation, die möglicherweise wiederum auf die präklassischen Olmeken zurückgeht, denn in San Lorenzo fand man die Skulptur eines sitzenden Mannes, der einen capeartigen Umhang trägt und in den Händen den Kopf einer Nauyaca hält, jener Furcht einflößenden Giftschlange, deren Biß tödlich ist. Die Weisheit, die die »Götter« den Herrschern verliehen hatten, äußerte sich bei den Olmeken in der Einführung der Schrift und des Kalenders. Obwohl sich diese beiden krönenden Errungenschaften der frühen Hochkulturen nicht eindeutig für die Blütezeit der Olmeken-Kultur nachweisen lassen, muß ihre Entwicklung bereits im mittleren Präklassikum eingesetzt haben, denn die ältesten bekannten Kalenderinschriften, die aus spätpräklassischer Zeit stammen, sind bereits soweit ausgebildet, daß ihnen eine längere Entwicklung vorauf gegangen sein muß. Ein bedeutsames geistiges Zentrum war offenbar die Region zwischen dem Rio Papaloapan und dem See von Catemaco an der Westgrenze des eigentlichen Kerngebietes der Olmeken-Kultur. Hier fand man nicht nur in dem Ruinenort Tres Zapotes, der nach dem Niedergang von La Ve nta die Olmeken-Tradition fortsetzte, auf einer Stele das älteste Kalenderdatum, das bisher im Stammland der Olmeken registriert worden ist, hier tauchte auch in der Nähe des heutigen Ortes San Andres Tuxtla eine vogelköpfige Statuette auf, die die erste datierte nichtkalendarische Hieroglyphenaufzeichnung im Stil der Maya-Schrift aufweist. Die Dateninschrift auf der Stele von Tres Zapotes - offensichtlich im gleichen System wie die späteren sogenannten Lang Count Daten der Maya entspricht dem Jahr 31 v. Chr., das im gleichen System aufgezeichnete Datum auf der Statuette von Tuxtla, deren übrige Schriftzeichen man nicht entziffern kann, dem Jahre 162 n. Chr. In dieser spätpräklassischen Periode war die Olmeken-Kultur nur noch ein schwacher Abglanz ihrer einstigen Größe. Die meisten Kultzentren waren verlassen, ihre Denkmäler verunstaltet und zerstört. Aus welchem Grunde und durch wen? Die Antwort ist wahrscheinlich die gleiche wie 1000 Jahre später bei den Maya: fremde Eroberer und interne Rebellion. 46
Ägypter oder Chinesen? Die historische Bedeutung der Olmeken kann kaum überschätzt werden. Pyramiden, Monumentalplastik, handwerkliche Spezialisierung, soziale Schichtung, eine differenzierte Religion, Kalenderwissenschaft und Schrift - diese charakteristischen Merkmale einer Zivilisation tauchen erstmals bei den Olmeken auf und setzen sich in der kulturellen Entwicklung Mesoamerikas bis zur Ankunft der Spanier fort. Man bezeichnet deshalb die Olmeken auch als »Mutterkultur Mesoamerikas«. Wer jedoch der Vater gewesen ist, darüber gehen die Meinungen der Gelehrten - und mehr noch die der Laien - auseinander. Letztere sind zumeist - wenn auch unbewußt - überzeugte Anhänger des Diffusionismus, jener Lehre, die gleiche oder ähnliche Kulturerscheinungen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführt. Danach stammen alle Pyramiden aus Ägypten, und zwar in erster Linie deshalb, weil Ägypten nun einmal als das klassische Land der Pyramiden gilt, weniger - was einleuchtender wäre - weil die Pyramiden in Ägypten die ersten Bauwerke dieser Art sind, die der Mensch errichtet hat. Weit geringer - zumindest bei den Laien - ist die Zahl derer, die auf die Konvergenztheorie schwören, derzufolge vergleichbare Kulturerscheinungen an verschiedenen Orten aus einer allen Menschen gemeinsamen psychischen Grundstruktur resultieren. Zu den »Konvergenzlern« gehören vor allem jene, die - und hierbei handelt es sich nicht nur um Laien, sondern auch um angebliche Wissenschaftler - es als einen Affront gegen ihre Ehre auffassen, wenn man ihr nationales Erbe auch nur mit der Möglichkeit eines fremden Ursprungs in Verbindung bringt. Ge meint sind jene Indigenisten in Mexiko und anderswo, die sich mit einer indianischen Vergangenheit brüsten, die sie - beziehungsweise ihre Vorfahren - zerstört haben. Was die Wissenschaft, speziell die Amerikanisten, insgesamt betrifft, so ist das Verhältnis zwischen Diffusionisten und Konvergenzlern genau umgekehrt wie bei den Laien. Die Mehrzahl der Wissenschaftler - nicht zuletzt als Folge einer Überspezialisierung und einseitigen Abkapselung - sind Isolationisten, das heißt, sie vertreten die Ansicht, daß die Kulturen des indianischen Amerika autochthon, ohne nennenswerten Einfluß von außen, entstanden sind. Die Tatsache jedoch, daß die OlmekenKultur einen derart großen Sprung in der Entwicklung Mesoamerikas darstellt, daß man geradezu von einer kulturellen Ex47
plosion sprechen könnte, zwingt zu einer Auseinandersetzung mit jener tabuisierten Lehrmeinung, die den Ursprung der amerikanischen Kulturen auf Impulse aus der Alten Welt zurückführt. Für die Zeit, die uns hier betrifft - die Nacheiszeit -, bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten der kulturellen Fremdbeeinflussung Amerikas: einmal über den Atlantik, zum ändern über den Pazifik. Daß eine Fahrt über den Atlantik mit den damaligen Methoden der Schiffsbautechnik möglich war, hat der Norweger Thor Heyerdahl, dem 1970 mit einem nach altägyptischem Vorbild erbauten Papyrus-Boot eine Überquerung des Atlantischen Ozeans gelang, bewiesen. Dazu muß allerdings angemerkt werden, daß die Ägypter - zumal des Neuen Reiches, das zeitlichdem Aufstieg der Olmeken-Kultur entspricht - sich nicht mit Papyrus-Booten aufs Meer wagten, sondern längere Schiffsexpeditionen, wie sie sie nachweislich nach dem geheimnisvollen Land Punt an der ostafrikanischen Küste unternahmen, nur in seetüchtigen Plankenschiffen wagten, deren Holz sie aus den Zedernhainen des Libanon bezogen und die eine Länge von 60 m erreichen konnten. Die Darstellung eines Bootes, das in auffallender Weise an ägyptische Schiffstypen erinnert, findet sich auf einem Relief aus La Venta: es zeigt eine menschliche Gestalt, die halb sitzend, halb liegend auf dem aufgebäumten Körper einer Schlange ruht und von einem Gebilde beschirmt wird, das offensichtlich ein auf den Kopf gestelltes, mit einem für die ägyptischen Boote typischen hochgezogenen Steven und kastenförmigen Aufbau versehenes Schiff darstellt. Die Diffusionisten deuten dieses umgekehrte Schiff als die Barke, mit der der Sonnengott Re in der Vorstellung der Ägypter täglich über den Himmel fuhr. Denkbar ist auch, daß das Relief von La Venta eine Szene aus dem Jenseitsglauben der Ägypter wiedergibt: der verstorbene Pharao in seiner Inkarnation als Sonnengott hat seine lange Tagesfahrt im Westen beendet und wechselt nun sein göttliches Gefährt, um auf dem Rücken der Schlange - seine nächtliche Reise durch die Unterwelt anzutreten. So kann man anhand eines einzigen Fundobjektes am Diffusionismus beliebig weiterspinnen, bis man sich schließlich auf bedenkliche Weise jener phantastischen Theorie nähert, die Pioniere der Maya-Forschung im vorigen Jahrhundert aufstellten und derzufolge nicht die ägyptische Kultur die der Maya, sondern diese jene begründet hat. Immerhin, es gibt auffallende Parallelen gerade zwischen der 48
Portrait eines Herrschers auf der Stele C in Copan (Westseite, 8.Jh. n. Chr.)
Oben: Der Kernbezirk von Tikal mit Tempel I (L), der Zentralen Akropolis (m.) und Tempel V (überwuchert, r.) Unten: Inschriftentempel (1.) und Palast (r.) in Palenque
ägyptischen und der Olmeken-Kultur. Sie reichen von der Ausrichtung der Pyramiden nach den Kardinalpunkten bis zu einer Tendenz zur geometrischen Abstraktion in der darstellenden Kunst. Manche Funde, die man im Gebiet der Olmeken gemacht hat - wie etwa die Skulptur eines Mannes im Schneidersitz, der auf seinem Schoß eine Art Rolle hält und an die klassische Pose eines ägyptischen Schreibers erinnert -, sind so verblüffend, daß man meinen könnte, sie seien direkt aus Ägypten importiert worden. Wie auch immer man diese Ähnlichkeiten interpretiert, es ist zumindest wahrscheinlicher, daß Ägypter - und möglicherweise auch Seefahrer anderer Völker des Mittelmeerraumes - nach Mittelamerika gelangten als ihre Gegenkandidaten die Chinesen. Im Gegensatz zum Atlantik sind im Pazifik die geographischen Voraussetzungen für einen transozeanischen Kontakt sehr viel ungünstiger. Nicht nur, daß die Entfernung zwischen Asien und Mittelamerika mehr als doppelt so groß ist wie die Strecke zwischen Afrika und Mittelamerika. Auch die Meeresströmungen und Windverhältnisse begünstigen - zumal im Bereich des Äquators - eher eine Ost-West- als eine West-Ost-Fahrt. Im Pazifik käme praktisch nur eine nördliche Route in Frage: die Kuroschio-Trift, die - im Verein mit Winden aus westlicher Richtung - China mit Nordamerika verbindet. Doch selbst wenn ein glücklicher Zufall eine chinesische Dschunke weiter nach Süden, an die Küsten Mexikos, verschlagen hätte, wäre immer noch der Isthmus von Tehuantepec zu überqueren gewesen, ehe man das Stammland der Olmeken erreichte. Dennoch - möglich wäre auch ein transpazifischer Kontakt in vorchristlicher Zeit gewesen. In China vollzog sich der Wandel vom bäuerlichen Neolithikum zur städtischen Zivilisation in ähnlicher Weise wie in Mexiko - nur etwa ein halbes Jahrtausend früher. Auch hier taucht, zu Beginn der Shang-Dynastie, scheinbar unvermittelt eine Siedlungsform auf, die durch eine Zweiteilung zwischen zeremoniellem und administrativem Zentrum mit Monumentalbauten einerseits und umliegenden Handwerkerquartieren und Bauerngemeinden andererseits gekennzeichnet ist. Diese besondere Siedlungsstruktur, die auf eine extreme Form der sozialen Schichtung hinweist, ist die auffallendste Parallele zwischen den Chinesen der Shang-Zeit und den Olmeken, die sie als Hauptmerkmal der mesoamerikanischen Tradition allen nachfolgenden Kulturen in diesem Raum vererbten. Weniger bedeutsam, doch dafür um so verblüffender, da spezifischer, sind solche Überein49
Stimmungen wie die Ausrichtung von Zeremonialzentren und Bauwerken nach einer Nord-Süd-Achse, die Verehrung des Tigers als einer Hauptgottheit, seine Darstellung in geometrischer Form, die Bevorzugung von Jade als Schmuckstein und eine Ähnlichkeit gewisser Schriftzeichen. Alle diese zivilisatorischen Merkmale tauchen, wie gesagt, auch in China ohne erkennbare unmittelbare Vorläufer auf, so daß man eine kulturelle Beeinflussung aus dem Vorderen Orient, wo der Übergang zur Zivilisation bereits um 4000 v. Chr. einsetzte, nicht ausschließt. Dies aber würde bedeuten, daß - vorausgesetzt, chinesische Seefahrer wären tatsächlich nach Mittelamerika gelangt - die olmekische Kultur letztlich ihren Ursprung im gleichen Gebiet hat, aus dem die Diffusionisten auch die ägyptische Zivilisation ableiten: Mesopotamien. Im Grunde also eine müßige Frage, ob Ost oder West. Nicht Ägypter, auch keine Chinesen: Sumerer waren die geistigen Väter der Olmeken! Spätestens hier melden sich die Konvergenzler zu Wort, da sie sonst befürchten müßten, daß ihre Gegner auch noch Adam und Eva bemühen, deren paradiesischer Garten ja angeblich zwischen Euphrat und Tigris gelegen haben soll. Die Bibel ist zwar eine gewichtige Autorität, aber auch die Konvergenzler können so manches schlagende Argument ins Feld führen. An erster Stelle wäre die These eines organischen Wachstums von der einfachen Bauerngememde zur differenzierten Stadtzivilisation zu nennen: die Sicherung der Ernährung durch die Einführung des Ackerbaus führt zu einem Anwachsen der Bevölkerung, diese »Bevölkerungsexplosion« zu einer Abspaltung sekundärer Siedlungen von den ursprünglichen Dorf gemeinschaften und die Beziehung zwischen den alten und den neuen Siedlungen zu einer allmählichen Ersetzung verwandtschaftlicher durch wirtschaftliche und politische Bindungen, wobei die alten Siedlungen die Funktion eines zeremoniellen und administrativen Zentrums übernehmen, während den neuen die Aufgabe der Landwirtschaft und des Handwerks zufällt. Alle weiteren Kennzeichen der Zivilisation wie monumentale Architektur, Schrift und Kalender sind nichts weiter als natürliche Folgeerscheinungen dieser gesellschaftlilichen Differenzierung, die den einen alle körperliche Arbeit auferlegt und den anderen Muße zur geistigen Spekulation läßt. Einen solchen tiefgreifenden gesellschaftlichen und kulturellen Transformationsprozeß hätte unmöglich die Besatzung eines einzelnen Schiffes, auch nicht einer Flotte bewirken können. Ägyptische oder chinesische Seefahrer hätten wohl vereinzelte 50
Gebrauchs- und Kultgegenstände mitbringen und gewisse technische Anregungen geben können, eine ganze Gesellschaftsordnung zu verändern, dazu wären sie unter keinen Umständen in der Lage gewesen. Und selbst solche architektonischen Neuerungen wie der Bau von Pyramiden scheinen eher lokalen als fremden Ursprungs zu sein: neuere Untersuchungen in La Venta zeigten, daß die Pyramide dort, obzwar mit rechteckigem Grundriß, die Form eines Kegelstumpfes hat, der in auffallender Weise an die Vulkane der Tuxtla-Berge im Westen des Stammlandes der Olmeken erinnert. Hier, im Krater des San Martin Pajapan-Vulkans, fand man die Statue eines knienden Mannes, wahrscheinlich eine Opfergabe an den Gott der Unterwelt, der - wie noch der Ausbruch eines anderen Vulkans der TuxtlaBerge im Jahre 1787 beweist - nicht nur Feuer speien, sondern auch die Erde erbeben lassen konnte. Was lag näher, als dieser allmächtigen Gottheit auch dort eine seinem natürlichen Wohnsitz entsprechende Kultstätte zu weihen, wo es - wie in La Venta - keine Berge gab, dennoch aber die Auswirkungen verheerender Vulkanausbrüche zu spüren waren? Wägt man die Argumente der Diffusionisten und Konvergenzler sorgsam gegeneinander ab, so kommt man zu dem Schluß, daß der Ursprung der mesoamerikanischen Zivilisation, das heißt, die Entwicklung von einer dörflichen Stammes- zu einer städtischen Klassengesellschaft, als autochthon anzusehen ist, während es nicht ausgeschlossen is t, daß bestimmte Erscheinungsformen dieser Zivilisation, die - wie besondere geistige und religiöse Vorstellungen oder künstlerische Äußerungen nicht zwingend eine Folge dieses gesellschaftlichen Wandels sind, auf Fremdeinflüsse von außen, sei es über den Atlantik oder den Pazifik, zurückgehen. In jedem Falle können diese wie auch möglicherweise spätere transozeanische Kontakte, vor allem aus Indien, den Lauf der Geschichte in Mesoamerika nur am Rande beeinflußt haben.
Kaminaljuyu, das Tal des Todes Ihren Höhepunkt erlangte die Olmeken-Kultur an der südlichen Golfküste, die Ausstrahlungen ihrer zivilisatorischen Entwicklung aber reichten im Norden bis nach Tlatilco in Zentralmexiko und im Süden bis nach Chalchuapa in El Salvador. Inwieweit diese kulturellen Einflüsse die Folge einer politischen Expansion
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waren, ist ungewiß. Mit Sicherheit läßt sich nur sagen, daß die Olmeken ein Handelsnetz unterhielten, das sich - wie das mineralische Verarbeitungsmaterial, das man in San Lorenzo und La Venta fand, bezeugt - über das gesamte Gebiet Mesoamerikas erstreckte. Möglicherweise sicherten die Olmeken ihre weitverstreuten Rohstoffquellen durch von militärischen Garnisonen bewachte Handelsmissionen, die auf die umwohnende Lokalbevölkerung nicht nur wirtschaftlichen Druck ausübten, sondern diese auch kulturell beeinflußten. Im südlichen Teil Mesoamerikas mag diese Vormachtstellung der Olmeken leichter zu behaupten gewesen sein als im Norden, denn hier trafen sie wahrscheinlich auf sprachverwandte Völker - die Maya. Seit ihrer ursprünglichen Einwanderung aus dem Stammsitz der Huasteken Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends hatten sie gegen Ende des frühen Präklassikums ihr Siedlungsgebiet von den fruchtbaren Flußtälern an der Pazifikküste allmählich auf das Hochland von Guatemala ausgedehnt. Diese Expansion, die zweifellos durch ein zunehmendes Mißverhältnis zwischen wachsender Bevölkerung und bebaubarem Boden ausgelöst wurde, verstärkte sich während des mittleren Präklassikums. So kam es in dieser Periode - in der ersten Hälfte des i. vorchristlichen Jahrtausends - im Gebiet des heutigen Guatemala City zur Gründung des ersten urbanen Zeremomalzentrums, das mit Sicherheit von Maya errichtet wurde: Kaminaljuyu. Der Name dieser Stadt ist wie bei den meisten Ruinenstädten der Maya, die folgen werden, nicht die Bezeichnung ihrer ursprünglichen Bewohner, sondern eine sich meist auf ein charakteristisches Merkmal beziehende Bezeichnung aus neuerer Zeit. Kaminaljuyü, das »Tal der Toten«, verdankt seinen Namen den Gräbern, die man in seinen zahlreichen Pyramiden-Mounds fand. Der Beginn der Zeremonialarchitektur reicht in Kaminaljuyü bis in frühpräklassische Zeit, die hier Arevalo-Phase genannt wird, zurück. In dieser frühen Periode, deren Keramik der des übrigen Verbreitungsgebietes der Maya im frühen Präklassikum entspricht, waren die Mounds noch recht bescheidene Hügel, die aus aufgeworfener Erde und einer Lehmverkleidung bestanden und möglicherweise als Plattformen für die Residenz lokaler Würdenträger dienten. Mit zunehmender Bedeutung dieser sowohl weltlichen als auch geistlichen Würdenträger, sei es durch ein Anwachsen der Bevölkerung und der daraus resultierenden Aufsplitterung von Mutter- in Tochtersiedlungen, sei es durch eine Ausweitung der Herrschaft auf benachbarte Gruppen, ver52
wandelte sich auch das äußere Zeichen ihrer Macht, die Residenz der Würdenträger im Diesseits wie - da die Maya ihre Toten unter der Wohnstätte zu begraben pflegten - im Jenseits, allmählich in eine Pyramide, auf der die ursprüngliche Wohnhütte durch einen Tempel zur Ahnen- und Götterverehrung ersetzt wurde. Eine Alternative der autochthonen Entwicklung der Pyramide in Amerika, die noch wahrscheinlicher ist als ihre Ableitung aus Bergen oder Vulkanen, möglicherweise aber auch mit dieser konvergierte. Im mittleren Präklassikum, das in Kaminaljuyu durch eine dreifache Keramiksequenz - Las Charcas, Majadas und Providencia - gekennzeichnet ist, erreichen die Pyramiden-Mounds hier noch immer eine Höhe von kaum mehr als 2 m. Dafür aber gibt es Anzeichen, daß zumindest einige von ihnen bereits die Funktion einer Tempelbasis erfüllten, da sie keine Haushaltsreste aufweisen. Statt dessen fand man in einem der künstlichen Hügel, dem sogenannten Mounds C-III-6, eine Grube, die von Basaltsäulen umsäumt war und Jadeschmuck enthielt. Form und Inhalt dieser Grube, die offensichtlich die Bedeutung eines Opierdepots hatte, erinnern an ähnliche Funde, die man im Stammland der Olmeken gemacht hat. In bemerkenswertem Gegensatz zum olmekischen Kunststil steht jedoch ein Relief, das einen der Basaltblöcke auszeichnet: es handelt sich um die Darstellung eines Menschen schlanker Gestalt und mit nach rückwärts gewandtem Gesicht, der an seinem Mund ein Gebilde hält, das wahrscheinlich eine Muscheltrompete ist. Das Abbild eines Priesters, der die Götter anruft und ihnen die Opfergabe weiht? Spuren des weltlichen Lebens zur Zeit des mittleren Präklassikums finden sich in Kaminaljuyu vorwiegend in einer anderen Art von Gruben, den sogenannten Chultunes. Es sind dies künstliche Ausschachtungen im Boden, die - offensichtlich in unterschiedlicher Funktion - sich über das ganze zukünftige Maya-Gebiet ausbreiten sollten. In Kaminaljuyu tauchen sie einmal in Form einfacher Schächte auf, die zunächst wohl als Quelle von Bau- und Keramikmaterial und dann als Abfallgruben dienten, zum ändern in Form flaschenartiger Aushöhlungen, die zum Teil mit Deckplatten versiegelt waren und einst wohl als Nahrungsmitteldepots und sicher auch als Trinkwasserspeicher verwendet wurden. Die Funde, die man in diesen Gruben machte, reichen von Keramikscherben einer auffallend verfeinerten Stilform bis zu Abdrücken von Maiskörnern und Textilien. 53
Kaminaljuyu war zwar ein bedeutender, aber keineswegs der einzige Ort, an dem die Maya den Schritt zur Zivilisation vollzogen. Unter dem Einfluß der Olmeken entstanden im Laufe des mittleren Präklassikums überall in ihrem weitgespannten Siedlungsgebiet monumentale Zeremonialbauten und Steinplastiken: in der Huasteca, ihrem ursprünglichen Stammland, am Mittellauf des Rio Grijalva in Chiapas und entlang der Pazifikküste bis nach El Salvador. Nur in dem Gebiet, wo die klassische Zivilisation der Maya ihren Höhepunkt erlangen sollte, im Peten und in Yukatan, waren zu dieser Zeit noch keine Anzeichen künftiger Größe zu erkennen.
Die Besiedlung des Peten Das Tieflandgebiet zwischen Tabasco und Belize, das mit seiner Dschungel- und Buschwildnis für eine Ackerbau treibende Bevölkerung wenig einladend war, wurde als letztes von den Maya in Besitz genommen. Diese dritte Expansionswelle der Maya scheint zu Beginn des mittleren Präklassikums in zwei Richtungen erfolgt zu sein: aus dem Westen und aus dem Süden. Eine westliche Einwanderung wird durch Keramikfunde belegt, die eine Verwandtschaft zwischen mittleren Schichten in La Venta und Chiapa de Corzo einerseits und den untersten Schichten einiger Siedlungen im Usumacinta-Gebiet und im nordwestlichen Yukatan andererseits erkennen lassen. Bei diesen Neugründungen handelt es sich um Trinidad am Mittel- und Altar de Sacrificios am Oberlauf des Usumacinta und um Dzibilchaltun in Yukatan. Weitere Indizien für eine Besiedlung aus dem Westen finden sich in Seibai am Rio de la Pasion, wo in der untersten Schicht die gleiche Keramik wie in Altar de Sacrificios, die sogenannte Xe-Keramik, auftauchte, und in der Chenes-Region in Campeche, wo neben mittelpräklassischer Keramik eine olmekische Jaguarstatuette entdeckt wurde. Wer diese westlichen Einwanderer waren, läßt sich mit Hilfe der Linguistik ziemlich eindeutig bestimmen: für die Zeit, die dem Erscheinen der Xe-Keramik - um 900 v. Chr. - unmittelbar vorausging, postuliert die lexikostatistische Glottochronologie die Abspaltung einer zweiten Maya-Gruppe vom huastekischen Urstamm, der Yukateken. Da der Beginn ihrer Eigenständigkeit mit dem Aufstieg der Olmeken-Kultur zusammenfällt, sind sie die wahrscheinlichsten Kandidaten für die Gründer und Träger der Mut56
terkultur Mesoamerikas. Ihre Ausbreitung nach Osten könnte eine Erklärung sein für das sukzessive Erblühen von San Lorenzo, La Venta und schließlich der Maya-Zivilisation. Die Einwanderer aus dem Süden waren wahrscheinlich Chontalanen, später auch Tzeltalanen. Nach glottochronologischer Rekonstruktion lösten sich die einen um 900 und die anderen um 750 v.Chr. von den Mames, die seit dem frühen Präklassikum sich über die südlichen Küstenregionen und Hochländer ausgebreitet hatten. Die Chontalanen hatten offensichtlich in Chalchuapa, einem Siedlungszentrum im westlichen El Salvador, dessen Anfänge bis in frühpräklassische Zeit zurückreichen und das unter starkem olmekischen Einfluß stand, ihren Ursprung. Über den nördlichen Zufluß des Rio Lempa breiteten sich die Chontalanen zunächst bis zum Rio Copän aus, wo sie wahrscheinlich den Grundstein für Copän, eine der großen Metropolen der Maya, legten. Spuren einer frühen Besiedlung von Copän fanden sich in nahe gelegenen Höhlen, die Keramikscherben aus dem mittleren Präklassikum enthielten. Den Rio Copän abwärts ziehend erreichten die Chontalanen das Tal des Rio Motagua, dem sie bis zur Mündung folgten, um sich dann entlang der Küstenebene am Golf von Honduras bis nach Belize auszudehnen. Hier, in Barton Ramie, einem Ort am mittleren Belize River, hinterließen sie in der ältesten Fundschicht eine Keramik, die der frühen Keramik von Chalchuapa zum Verwechseln ähnelt. Die Tzeltalanen, deren Nachfahren heute als Tzeltales und Tzotziles im Hochland von Chiapas leben, nahmen offensichtlich eine nördlichere Route: sie gelangten wahrscheinlich über den Rio Chixoy und den Rio Ixcan-Lacantün in das Usumacinta-Gebiet, von wo ihre Einflüsse sich möglicherweise bis nach Yukatan ausdehnten. Mit ihrer Wanderung fällt zeitlich das Erscheinen eines neuen Keramikstils im Tiefland, die sogenannte Mamom-Keramik, zusammen. Sie weist eine deutliche Verwandtschaft zur Las Charcas-Keramik von Kaminaljuyu auf und findet sich nicht nur im Peten, wo sie den frühesten Keramikhonzont darstellt, sondern auch in Dzibilchaltun. Um eine Frühform dieser Keramik, die noch engere Beziehungen zum Las Charcas-Stil zeigt, mag es sich bei der Keramik handeln, die man im Cenote von Mani im mittleren Yukatan entdeckte. Im Peten taucht die Mamom-Keramik in den untersten Schichten von Uaxactun und Tikal auf. Der Beginn dieses Keramikhorizontes und damit die Gründung dieser beiden Orte, von denen einer, Tikal, sich zum bedeutendsten Zentrum der klassi57
sehen Maya-Zivilisation entwickeln sollte, wird auf die Zeit um 600 v. Chr. angesetzt. Von ihren Vorläufern am Rande des Peten - Trinidad, Altar de Sacrificios, Seibai und Barton Ramie - unterscheiden sich Tikal und Uaxactun durch die Tatsache, daß sie nicht mehr an Flußläufen liegen, sondern in einem Gebiet, das keine natürlichen Wasserquellen aufweist. Dieser Umstand, der zweifellos durch den zunehmenden Bevölkerungsdruck ausgelöst wurde, führte - wie zuvor bereits im Hochland - zu zwei wesentlichen Neuerungen: einmal mußte sich der Maya-Bauer auf einen halbnomadischen Feldbau, umstellen, da der Boden nicht mehr durch die jahreszeitlichen Überschwemmungen der Flüsse mit Nährstoffen angereichert wurde, noch ein wirksames Düngemittel zur Verfügung stand, zum anderen mußte er künstliche Trinkwasserstellen anlegen, die anfangs wohl die Form von Chultunes hatten, später, als sich urbane Zentren mit einer größeren Bevölkerungskonzentration entwickelten, auch die Form von großen staudammartigen Wasserbecken annahmen. Beides, die extensive Form des Feldbaus wie auch das Problem der Trinkwasserversorgung, sollte für die weitere Entwicklung der Maya von entscheidender Bedeutung sein.
Ein schlafender Buddha In der bisherigen kulturellen Entwicklung der Maya gab es - abgesehen von ihrer Sprache - nichts, was sie von anderen Völkern Mesoamerikas unterschied. Erst im späten Präklassikum - in der Zeit zwischen 300 v. und 300 n.Chr. - bildeten sich auf der Grundlage der olmekischen Tradition jene Merkmale heraus, die der klassischen Maya-Zivilisation ein besonderes Gepräge geben sollten. Die wichtigsten dieser unterscheidenden Merkmale sind ein im höchsten Maße ornamentaler Kunststil, ein differenziertes Kalender- und Schriftsystem und eine Monumentalarchitektur, die auf dem Prinzip des Kragsteingewölbes basierte. Zumindest was die Perfektionierung von Kalender und Schrift anbetrifft, aber auch mit einigen Werken in Kunst und Architektur vollbrachten die Maya kulturelle Leistungen, die im präkolombischen Amerika unübertroffen und in vielen Teilen der damaligen Alten Welt unerreicht blieben. Ihre Blüte erlangte die Maya-Kultur im zentralen Tieflandgebiet des Peten. Doch was hier zu höchster Vollendung reifte, hatte seine Wurzeln außerhalb dieses Gebietes. Nicht ausge58
schlössen ist, daß ein Teil der zivilisatorischen Impulse direkt aus dem Stammland der Olmeken an der Golfküste - möglicherweise sogar, wie bereits angedeutet, in Form einer nach dem Niedergang von La Venta erfolgten Versetzung der OlmekenKultur in den Peten - in das Tiefland im Osten gelangte und dort die bäuerliche Mamom-Kultur befruchtete. Wahrscheinlicher nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung - ist jedoch ein indirekter Weg über das südliche Küsten- und Hochlandgebiet, wo sich seit dem Ende des mittleren Präklassikums bestimmte Kulturformen abzuzeichnen begannen, die als unmittelbare Vorläufer der klassischen Maya-Zivilisation des Tieflandes bezeichnet werden können. Die frühesten Prototypen der Maya-Kultur finden sich in einem Komplex monumentaler Steinplastiken, der sich von der Pazifikküste Guatemalas über Kaminaljuyu bis nach Copan erstreckt und in die Übergangsperiode zwischen mittlerem und spätem Präklassikum datiert wird. Besonders deutlich ist dieser Kunststil in Monte Alto ausgeprägt, einem Fundort an der mittleren Pazifikküste Guatemalas. Hier entdeckte man sechs monumentale Steinplastiken, die zu einer größeren Gruppe von Mond-Pyramiden gehören. Zwei dieser Monumentalplastiken stellen gigantische Köpfe dar, die in ihrer Art an die Kolossalskulpturen der Olmeken erinnern, sich aber im Stil deutlich von diesen unterscheiden. Das Auffallendste ist, daß die Augen dieser Köpfe im Gegensatz zu den olmekischen Skulpturen geschlossen sind, so daß sie - im Verein mit einer leichten Schrägstellung der Augen und einem kahlgeschorenen Schädel - das Profil eines meditierenden Buddha beziehungsweise eines buddhistischen Mönches ergeben. Letzterer mag tatsächlich aus seiner indischen Heimat nach Mittelamerika gelangt sein, denn mit seinem missionarischen Eifer breitete sich der Buddhismus bereits in vorchristlicher Zeit über ein Gebiet aus, das von Ceylon bis nach China reichte, so daß es durchaus möglich ist, daß vereinzelte Bekehrungsversuche auch in die Neue Welt unternommen wurden. Ein derartiger Kontakt würde so manche auffallende Gemeinsamkeit geistlicher und künstlerischer Art gerade zwischen der Maya-Kultur und der buddhistisch-hinduistischen Tradition Indiens erklären. Wir werden auf diese Frage noch zurückkommen. Was die beiden Kolossalköpfe von Monte Alto anbelangt, die in jedem Falle mit der Olmeken-Kultur an der Golfküste in Verbindung stehen, so kann es sich hierbei natürlich auch um die 59
Köpfe schlafender oder gestorbener Würdenträger handeln, vielleicht auch um die geopferter Gefangener. Drei weitere Monumentalplastiken in Monte Alto stellen menschliche Formen dar, die - mit aufgedunsenem Gesicht und rundem Leib - wie ein aufgeblasener Ballon wirken. Arme und Beine sind nur andeutungsweise aus dem Steinblock herausgearbeitet, ebenso der Kopf, dessen Gesichtszüge den beiden Kolossalköpfen ähneln. Der Körper ist nackt, zeigt aber keinerlei Ge schlechtsmerkmale, so daß es sich sowohl um einen Mann - ein Priesterfürst? - als auch um eine Frau - eine Schwangere? - handeln kann. Vielleicht aber auch war es ein Abbild jenes sogenannten Feisten Gottes, der - ohne bestimmbare Funktion - in klassischer Zeit bei den Maya in Yukatan auftaucht. Zeigen die anthropomorphen Skulpturen in Monte Alto stark archaische Züge, so zeichnet sich das sechste Bildwerk durch eine auffallende Kunstfertigkeit aus. Es ist weniger eine Rundplastik als vielmehr ein Relief, das - im geometrischen Stil der Olmeken-die Maske eines Jaguars darstellt. Sie erscheint in fast identischer Form am Ende des Präklassikums in Uaxactun, wo sie als Stuckmaske die Treppenaufgänge zu einer Pyramidenplattform flankiert. Mit Sicherheit haben wir es hier mit einer frühen Darstellung des Regengottes zu tun, die schließlich im Yukatan der Postklassik in den berühmten Chac-Masken gipfeln sollte, hinter deren anscheinend rüsselartigen Nasen sich nichts anderes verbirgt als die gespreizte Oberlippe eines Jaguars, wie sie sich bereits auf dem Relief von Monte Alto findet.
Diener im Jenseits Die Tradition der monumentalen Steinskulptur fand ihre Fortsetzung in einem Stelenkult, der - in enger Verknüpfung mit der Entwicklung von Kalender und Schrift - im Laufe des späten Präklassikums im südlichen Teil des Maya-Gebietes voll ausreifte. Hier sind es vor allem zwei Orte - Kaminaljuyu und Izapa -, wo dieser Stelenkult eine besondere Bedeutung erlangte. In Kaminaljuyu taucht in einer Frühphase des späten Präklassikums, die die Archäologen Miraflores nennen, eine Stele auf, die die früheste Kalender- und Textinschrift der Maya enthält. Diese sogenannte Stele 10 ist leider stark zerstört, so daß sie weder genauer zu datieren ist noch die Bedeutung ihrer bildlichen Darstellung im einzelnen bestimmt werden kann. Dennoch gibt es 60
keinen Zweifel, daß diese Stele in Kunst und Schrift in die Reihe der Text - und Bildmonumente einzuordnen ist, die - mit einer zeitlichen Verzögerung von einem halben Jahrtausend - zum Wahrzeichen der klassischen Maya-Zivilisation wurden. Auf den Fragmenten der Stele 10 von Kammarjuyü sind drei figürliche Darstellungen zu unterscheiden, von denen zwei - die eine in Form eines anthropomorphen Jaguars, die andere eine federgeschmückte menschliche Gestalt - offensichtlich Götter sind, während die dritte wahrscheinlich einen Priester oder Fürsten zeigt, der mit erhobenen Armen den beiden Göttern, die über ihm schweben, ein Opfer darreicht. Obwohl gerade diese letztere Gestalt stark beschädigt ist, so ist doch an ihrem Schmuck und ihren Insignien zu erkennen, daß sie einen hohen Würdenträger darstellt. Nicht nur, daß sie kostbaren Jadeschmuck trägt; sie zeichnet besonders eine Maske aus, die auf den Rücken gebunden ist und als Abbild eines Drachens zu deuten ist, jenes furchteinflößenden Wesens, das bereits bei den Olmeken - in Form einer Schlange — mit dem Herrschertum in Verbindung stand. Welche hohe soziale Stellung ein solcher Würdenträger, wie er auf der Stele 10 abgebildet ist, zur Zeit der Miraflores-Phase in Kaminaljuyü genoß, wird besonders deutlich durch zwei Grabfunde, die man in Mound E-III-3, der größten Pyramide in Kaminaljuyü, gemacht hat. Diese Pyramide erreicht eine Höhe von 20 m und besteht aus sieben mantelartig übereinandergebauten Plattformen, eine architektonische Neuerung, die anscheinend aus dem Totenkult erwuchs, möglicherweise aber auch mit dem Kalender in Beziehung stand und in der Folgezeit ein charakteristisches Merkmal der Maya-Architektur bleiben sollte. Die beiden Gräber in Mound E-III-3 wurden jeweils von der Höhe einer Plattform terrassenförmig ausgehoben, mit pfostengetragenen Balken überdeckt und mit Füllmaterial und einer abschließenden Tonschicht abgedeckt. Sie enthielten beide reiche Grabbeigaben, besonders Grab II: hier war der Verstorbene - wie 1000 Jahre später in Palenque - offensichtlich mit einer mosaikartigen Jademaske beigesetzt worden. Auch hatten ihn wie in Palenque einige Auserwählte seines Gefolges mit ins Jenseits begleitet: neben den Gebeinen des Würdenträgers, den man ursprünglich auf eine hölzerne Bahre gelegt und mit roter Farbe - dem Symbol des Sonnenaufgangs und der Wiedergeburt - bedeckt hatte, fanden sich drei weitere Skelette, von denen eines das eines Kindes war. Welchen gewaltsamen Todes diese frühen Menschenopfer der 61
Maya starben, läßt ein Grabfund in einer anderen Pyramide in Kammarjuyü erkennen, wo zwischen den Halswirbeln des Skeletts eines Gefolgsmannes noch ein Obsidianmesser steckte. Aus dem Reichtum der beiden Gräber in Mound E-III-3 und dem Ausmaß dieses Bauwerkes läßt sich schließen, daß diese Pyramide im späten Präklassikum der Mittelpunkt des religiösen und sicher auch politischen Lebens in Kaminaljuyu gewesen sein muß. Zu dieser Zeit war Kaminaljuyu auf .200 Tempelpyramiden und - wie man aus der großen Zahl von Keramikscherben, die man darin fand, errechnen kann - auf eine Bevölkerung von 25000 bis 50000 angewachsen. Diese für damalige Verhältnisse außerordentlich große Bevölkerungszahl war allerdings nicht auf ein geschlossenes Gemeinwesen konzentriert, sondern verteilte sich auf mehrere dörfliche Siedlungen, die sich um Gruppen kleinerer Mounds gebildet hatten. Diese aber wiederum, das heißt, die lokalen Würdenträger, die sie verwalteten, waren das Bindeglied zwischen den Dörfern und einer Zentralgewalt, wie sie die Pyramide E-III-3 symbolisierte. Zur Glorifizierung der zu dieser frühen Zeit sicher noch theokratischen Herrscher wurden jene Bildwerke errichtet, die wir als Stelen bezeichnen. Die erwähnte Stele 10 ist nur ein, wenn auch hervorragendes Beispiel für diesen Herrscherkult, der in Kaminaljuyü bis ins mittlere Präklassikum zurückreicht. Ursprünglich waren diese Monumente wohl nur mit bildlichen Darstellungen versehen, in der Art wie jene reliefverzierte Basaltsäule, die in einem mittelpräklassischen Opferdepot entdeckt wurde. Im späten Präklassikum werden die bildlichen Darstellungen durch schriftliche Aufzeichnungen, die auf der Stele 10 bereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht haben, ergänzt. Und spätestens im 1. vorchristlichen Jahrhundert tauchen die ersten vollständigen Kalenderinschriften auf, die wahrscheinlich besondere Daten im Leben der abgebildeten Herrscher festhalten. Allerdings sind in Kaminaljuyu keine dieser späten datierten Stelen erhalten geblieben. Sie finden sich vielmehr am Westrand des Maya-Gebietes zwischen Tres Zapotes im Stammland der Olmeken und El Baul an der Pazifikabdachung in Guatemala. Etwa auf halbem Wege zwischen diesen beiden Orten, in Chiapa de Corzo, das sich seit seinen bescheidenen Anfängen im frühen Präklassikum in ähnlicher Weise wie Kaminaljuyu zu einem bedeutenden Zeremonialzentrum entwickelt hatte, fand man das bisher älteste Datum im Maya-Gebiet: auf der Stele 2 von Chiapa de Corzo steht im Long Count-System, wie es von den Maya des 62
Tieflandgebietes zu Beginn der klassischen Periode übernommen werden sollte, ein zwar teilweise zerstörtes, doch rekonierbares Datum, das dem Jahre 36 v. Chr. entspricht.
Kalender und Inschriften Das Lang Count-System stellt die höchste Stufe in der Entwicklung des mesoamerikanischen Kalenders dar. Es basiert auf einer zyklischen Zeiteinteilung, deren Ausgangsbasis einmal ein 260tägiger Ritualkalender, von den Maya Tzolkin genannt, war, zum ändern ein säkulares Jahr von 365 Tagen, das Haab. Der Ursprung des Tzolkin, der auf einer Kombination der Zahlen i bis 13 mit 20 Tagesnamen beruhte, ist unbekannt. Das Haab, das in 18 »Monate« zu 20 Tagen plus 5 abschließende unglückverheißende Tage unterteilt wurde, gründet sich offensichtlich auf einer genauen Beobachtung der Umlaufzeit der Sonne. Durch eine Kombination des Tzolkin mit dem Haab erreichte man einen Zyklus von 52 Jahren, die sogenannte Kalenderrunde, im Verlaufe derer ein bestimmtes aus den beiden parallellaufenden Tageszählungen gebildetes kombiniertes Datum - etwa 1 Ik (i. Tag im Tzolkin) i Pop (i. Tag im Haab) - nur einmal vorkommt, das heißt, das Kalenderrundendatum 1 Ik 1 Pop würde erst nach Ablauf von 52 Jahren wiederkehren. Den meisten Völkern Mesoamerikas genügte diese Zeitspanne, die sicher eine obere Grenze der Lebenserwartung darstellte. Die Maya beziehungsweise ihre Vorläufer, die Olmeken, gingen jedoch einen entscheidenden Schritt weiter: sie führten mit Hilfe des (auf der Zahl 20 beruhenden) Vigesimalsystems eine Langzeitrechnung ein, die ihnen die unverwechselbare Bestimmung eines Datums beliebigen Alters ermöglichte. Dabei gingen sie folgendermaßen vor: 20 Kin = 1 Uinal 18 Uinal = 1 Tun 20 Tun = 1 Katun 20 Katun = 1 Baktun 20 Baktun = 1 Pictun usw. Kin ist die Bezeichnung für Tag, Uinal für Monat, Tun für das Kalenderjahr (das im Unterschied zum Haab nur 360 Tage hatte) und Katun, Baktun und Pictun sind jeweils das Zwanzigfache des 63
Vorhergehenden. Da ein Baktun rund 400 Jahre (genauer etwa 394 Jahre) hat, war diese in ihrer Bedeutung unserem Jahrhundert entsprechende Periode gewöhnlich die höchste Zeiteinheit, die auf den Monumenten der Maya aufgezeichnet wurde. So findet sich beispielsweise auf der Stele 2 in Chiapa de Corzo folgendes zum Teil rekonstruierte Langzeitdatum: (7.16.) 3.2.13., was als 7 Baktun, 16 Katun, 3 Tun, 2 Uinal und 13 Kin zu lesen ist und einer Anzahl von 1124333 Tagen beziehungsweise 3077 Jahren, die seit einem bestimmten Nulldatum verflossen sind, entspricht. Dieses Nulldatum, das die Maya mit einem Kalenderrundendatum als 4 Ahau 8 Cumhu bezeichneten, wird nach der vorherrschenden Goodman-Martinez-Thompson-Korrelation auf das Jahr 3113 v. Chr. datiert. Warum die Maya, beziehungsweise die Olmeken, den Beginn ihrer Zeitrechnung auf ein so frühes Datum festlegten, wo, wie wir gesehen haben, es in Mittelamerika weder eine Zivilisation, geschweige denn einen Kalender gab, ist eines der Rätsel in der Maya-Archäologie, das bislang noch nicht befriedigend gelöst ist. Der Hinweis, daß es sich hierbei um ein mythisches Datum der Geburt der Götter oder der Erschaffung der Welt handelt, genügt wohl nicht ganz. Vielleicht sollten sich einmal die Diffusionisten dieser Frage annehmen, denn nicht nur findet sich der für Mesoamerika so charakteristische zyklische Zeitbegriff auch im frühen hinduistischen Indien, hier auch begann das letzte, gegenwärtige Zeitalter in einem Jahr, das dem Nulldatum der Maya auffallend nahe kommt: am Freitag, dem 18. Februar 3102 v.Chr.! An diesem Freitag hatten zwar auch die Inder noch keinen Kalender, aber dort, woher sie offensichtlich ihre ersten zivilisatorischen Impulse erhielten, in Mesopotamien, war um 3000 v. Chr. die städtische Kultur der Sumerer bereits auf ihrem Höhepunkt angelangt. Und da wir schon wieder bei den transozeanischen Kontakten sind, wollen wir nicht verschweigen, daß die von den Maya-Archäologen vielgerühmte Entdeckung der Null, die mehr impliziert als einfach nur »nichts«, da ohne sie eine Anwendung des mathematischen Prinzips des Stellenwertes nicht möglich wäre, auch den Indern gelang und es deshalb nicht ausgeschlossen ist, daß diese immerhin nicht alltägliche geistige Errungenschaft die Maya-wie letztlich auch wir - von den Indern übernommen haben. Doch kehren wir von diffusionistischen Spekulationen, die uns gleich noch einmal beschäftigen werden, zurück auf den Bö64
den der Realität, um das Problem des Maya-Kalenders einstweilen zum Abschluß zu bringen. Ein wichtiger Punkt bleibt noch nachzutragen, und zwar die Tatsache, daß die Maya in ihren Dateninschriften nicht nur die Anzahl der Tage aufzählten, die seit dem Nulldatum vergangen waren, sondern am Schluß des eigentlichen Langzeitdatums auch die entsprechende Konstellation in der Kalenderrunde festhielten, wodurch sich die Möglichkeit einer Kontrolle ergab, denn der Name des genannten Tages mußte mit der Position übereinstimmen, die sich ergab, wenn man die Kalenderrunde über die Gesamtzahl der seit 4 Ahau 8 Cumhu akkumulierten Tage abrollen ließ. In den frühen Inschriften, die wie das Datum auf der Stele 2 in Chiapa de Corzo alle aus der Zeit des siebten Baktun stammen, wird das jeweilige Kalenderrundendatum nur unvollständig wiedergegeben; man begnügt sich mit der Tzolkin-Angabe - 6 Ben im Falle von Chiapa de Corzo. Das Zweitälteste Datum, auf der Stele C in Tres Zapotes, lautet (7). 16. 6. 16. 18 6Eznab,ist also fünf Jahre jünger als das Datum in Chiapa de Corzo. Das dritte lesbare frühe Datum findet sich auf der Stele in i in El Baiil: hier steht das Tzolkin-Datum, 12 Eb, ausnahmsweise am Anfang; es folgen in der üblichen vertikalen Schreibweise die Koeffizienten 7. 19. 15. 7. 12, was dem Jahre 36 n. Chr. entspricht. Ebenfalls ein Baktun 7-Datum trägt eine Stele in Abaj Takalik an der westlichen Pazifikabdachung Guatemalas. Dieses Datum ist jedoch nicht näher bestimmbar, da es außer dem Baktun-Koeffizienten zerstört ist. Dafür weist es bereits eine Einführungsglyphe auf, wie sie gewöhnlich am Anfang der Maya-Inschriften aus klassischer Zeit steht.
Erleuchtung in Izapa? Auf der datierten Stele von Abaj Takalik findet sich eine szenische Darstellung - zwei federgeschmückte Würdenträger, die einander gegenüberstehen und von einer Himmelsgottheit beschirmt werden -, die in Form und Inhalt an jenen Ort erinnert, der sich im Laufe des späten Präklassikums neben Kaminaljuyu zu einem zweiten bedeutsamen Zentrum des Stelenkultes entwickelte : Izapa. Dieser Ort am Fuße der Sierra Madre in Chiapas dicht an der heutigen Grenze nach Guatemala, dessen Anfänge bis in frühpräklassische Zeit zurückreichen, erlangte gegen Ende des Präklassikums eine kulturelle Blüte, die Auswirkungen bis 65
in das Tieflandgebiet jenseits der Berge hatte. Vor allem in künstlerischer, aber auch in religiöser Hinsicht strahlten bemerkenswerte Impulse von diesem Ort am Rande des Maya-Gebietes aus. So hatte beispielsweise die Vorstellung eines vom Himmel herabschwebenden Gottes, dem zu Ehren die Maya noch in postklassischer Zeit in Tulum an der Ostküste Yukatans einen Tempel errichteten, offensichtlich seinen Ursprung in Izapa, wo diese Gottheit seit dem mittleren Präklassikum ein bevorzugtes Thema der Stelenkunst ist. Noch bedeutsamer ist, daß in Izapa erstmals bestimmte Motive und Stilformen in der bildlichen Darstellung auftauchen, die zu festen Bestandteilen der klassischen Maya-Kunst werden und in auffallender Weise an indische, insbesondere buddhistische Kunstwerke erinnern. Ein besonders augenfälliges Beispiel ist das Relief auf der Stele 5 in Izapa. Es zeigt in der Mitte einen Baum, unter dem zu beiden Seiten Menschen sitzen, die eine turbanartige Kopfbedeckung tragen beziehungsweise durch einen Schirm beschützt werden. Im Hintergrund stehen menschliche Gestalten, die in der bisher üblichen Form indianischer Würdenträger gekleidet sind und sich darin ganz erheblich von der sitzenden Gruppe im Vordergrund unterscheiden. Der BodhiBaum, unter dem Buddha seine Erleuchtung fand? Indische Gesandte oder Missionare, die mit einer Abordnung indianischer Würdenträger zusammentreffen? Unwahrscheinlich, doch nicht ausgeschlossen, denn wenn tatsächlich kulturelle Einflüsse aus Indien ins Maya-Gebiet gelangten, wäre Izapa, als westlicher Vorposten unweit der Pazifikküste gelegen, wohl am ehesten ein Einfallstor für indisches Gedankengut gewesen.
Die Geburt einer Stadt Lagen die Zentren der Zivilisation in präklassischer Zeit auch außerhalb des Tieflandes im Norden, gegen Ende dieser Periode vollzieht sich auch im Peten und in Yukatan ein Wandel von der bäuerlichen zur urbanen Kultur. Sicher von den fortgeschrittenen Zentren in den Randgebieten, insbesondere von Kaminaljuyü, stimuliert, nimmt der zivilisatorische Aufschwung im Tiefland doch schon seit seinen ersten Anfängen eine spezifische Form an, die darauf hinweist, daß die Bewohner dieses Gebietes fremde Anregungen nicht nur einfach übernommen, sondern sie den besonderen Gegebenheiten ihrer Umwelt und ihren speziel66
len Bedürfnissen angepaßt und - was entscheidender ist - weiterentwickelt haben. Warum gerade den Tiefland-Maya gelang, wozu ihre südlichen Nachbarn weit günstigere Startbedingungen hatten, nämlich die Maya-Kultur auf ihren Höhepunkt zu führen, ist wohl in erster Linie daraus zu erklären, daß das Hochland von Guatemala seit dem frühen Klassikum wiederholten Invasionen aus Zentralmexiko ausgesetzt war, während im Tiefland, durch einen Wall tropischer Vegetation geschützt, die Fremdeinflüsse zwar auch spürbar waren, sich im großen und ganzen aber - zumindest in klassischer Zeit - die Maya-Kultur ungestört entfalten konnte. Daß darüber hinaus die feindliche Umwelt einen besonderen Anreiz zu schöpferischer Leistung bot - eine These, wie sie vor allem der britische Historiker Arnold Toynbee vertrat -, mag eine Rolle gespielt haben, dürfte aber wohl kaum als alleinige Erklärung für das Aufkommen einer Zivilisation anzusehen sein, denn dann hätte genauso gut am Amazonas eine Hochkultur entstehen können. Der befruchtende Anstoß kam zweifellos von außen, doch hatte er einmal Wurzeln geschlagen, so wuchs er auf eigenem Boden. Obwohl keineswegs die einzige größere Siedlung im Tiefland zur Zeit des späten Präklassikums, so läßt sich doch am Beispiel Tikals, der späteren Metropole, die Genesis der Maya-Zivilisation in diesem Gebiet besonders deutlich verfolgen. Von bäuerlichen Einwanderern um die Mitte des i. vorchristlichen Jahrtausends im nördlichen Peten gegründet, an einem Ort, der sich sowohl durch seine bevorzugte Lage - ein von Sümpfen umgebener Hügel - als auch durch reiche Feuersteinvorkommen auszeichnete, wurde Tikal seit dem 2. Jahrhundert v.Chr. in einer Bausequenz, die über 1000 Jahre währen sollte, zu einem Zeremonialzentrum ausgebaut, das im Laufe der Zeit alle anderen in den Schatten stellte. Detailliertere Kenntnis über diesen Wachstumsprozeß beschränkt sich auf die sogenannte Nördliche Akropolis, den Nordteil des Kernbezirks von Tikal. Hier stehen die ältesten Zeugnisse einer Bautätigkeit mit einem Keramiktypus in Verbindung, der Chuen genannt und in die Zeit zwischen 200 und 50 v. Chr. datiert wird. In dieser Chuen-Phase wurde zunächst ein Chultun angelegt, eine unterirdische Kammer, die einen Durchmesser von rast 3 m hatte und wahrscheinlich als Begräbnisplatz diente. Wenig später errichtete man über dieser Grabkammer nacheinander drei Plattformen aus Mauerwerk, die nach Süden blickten. Die 67
oberste der drei Plattformen enthielt drei Gräber. Auch diese Plattform wurde bald darauf von einer neuen überbaut, die jetzt bereits 2,30 m hoch war und in ihrer Ost-West-Ausdehnung 28 m und der nord-südlichen 23m maß. Auf dieser Plattform, zu der von Süden her vier Treppen hinaufführten, standen zwei Ge bäude aus vergänglichem Material, eines davon erhöht auf einer weiteren Plattform. Auch mit dieser Bauphase, die um 100 v. Chr. erfolgte, steht ein Grab in Verbindung. Die Bautätigkeit in der Chuen-Phase schließt mit einem fünften Überbau, der jetzt bereits eine Höhe von 3,5m und eine Länge, diesmal in nord-südlicher Richtung, von 35,5 m und eine Breite von 23 m erreichte. In diesem Überbau fand man ein Fragment aus Kalkstein, das eine nicht näher definierbare Zeichnung enthielt und möglicherweise zu einer Stele gehörte. Dieses Fragment - mit einem zweiten, das dazu gehört und an anderer Stelle auftauchte - stellt die älteste Steinskulptur dar, die bislang im Tiefland entdeckt worden ist. In der folgenden Phase, die nach einem neuen Keramiktypus Cauac genannt wird und auf die Zeit zwischen 50 v. und 150 n. Chr. angesetzt wird, nimmt sowohl die Bautätigkeit als auch die künstlerische Entwicklung in Tikal einen merklichen Aufschwung. Es tauchen bedeutende Neuerungen auf: Tempelbau-
Querschnitt durch die Nördliche Akropolis von Tikal 68
ten aus Mauerwerk, deren Fassaden mit Stuckmasken in der Form des Jaguars oder einer Schlange sowie mit Malereien versehen sind; das für die zukünftige Maya-Architektur so typische Kragstein-Gewölbe, das - in der Form eines umgekehrten V aus treppenartig vorspringenden Steinlagen besteht und nicht in einem Schlüssel-, sondern in einem Deckstein endet; polychrome Fresko-Malerei, die die Außenwände von Tempeln schmückt, und stilisierte Zeichnungen in schwarzer Farbe auf rotem Grund, die die Wände von Gräbern bedecken; Keramik vielseitiger und vollendeter Formgebung, die ersten Kleinplastiken - eine anthropomorphe Figur und eine Totenmaske aus weichem grünem Stein - und sogar eine deutlich lesbare Glyphe, das Zeichen für den Tag Akbal im Ritualkalender. Das plötzliche Auftauchen all dieser Merkmale, die - insbesondere was die Kunst anbelangt - deutliche Parallelen zum südlichen Hochland- und Küstengebiet aufweisen, ist sicher in Zusammenhang mit der Abspaltung der Kekchian-Gruppe zu sehen, die sich nach dem Befund der lexikostatischen Glottochronologie um 100 v. Chr. von den übrigen Hochland-Maya löste und nach Norden in das Grenzgebiet zum Peten abwanderte. Es war dies die letzte Expansion der Maya in das Tiefland. Die letzte Phase des Präklassikums zwischen 150 und 300
zeigt tausendjährige Bausequenz 69
n. Chr., die auch als Proto-Klassik bezeichnet wird und der in Tikal die sogenannte Cimi-Keramik entspricht, brachte die Ausweitung des Prinzips des Kragsteingewölbes von den Grabkammern, auf die es bislang beschränkt gewesen war, auf Tempel und Palastbauten, führte zu einer allgemeinen Verbreitung der polychromen Keramik, die anscheinend von Osten über Belize in das Tiefland gelangte und deren Ursprung wahrscheinlich in Zentralamerika zu suchen ist, und leitete schließlich mit der Festigung des Stelenkultes die klassische Periode ein, deren Beginn nach der frühesten datierten Stele im Tiefland - Stele 29 in Tikalauf das Jahr 292 n. Chr. angesetzt wird. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Nördliche Akropolis durch unzählige Überbauungen eine Bodenhöhe von 8 m über dem Felsengrund erreicht, so daß sie zumindest jetzt schon ihren heutigen Namen verdient hätte. Sie war zum religiösen und administrativen Zentrum einer Bevölkerung angewachsen, die sich sicher im gleichen Maße wie die Akropolis vergrößert hatte und als Bauern und Handwerker in kleinen Weilern rings um den heiligen Bezirk wohnte. Ähnlich wie in Tikal bahnte sich auch in anderen Teilen des Tieflandes der Beginn einer klassischen Blüte an. Von Altar de Sacrificios im Süden bis Dzibilchaltun im Norden und von Piedras Negras am Rio Usumacinta im Westen bis Barton Ramie am Belize River im Osten, in Uaxactun und Holmul im Peten und in Yaxuna, Chichen Itza und Mayapan in Yukatan errichtete man in spätpräklassischer Zeit Pyramiden-Mounds und Tempel, mo dellierte man Tiermasken in Stuck und stellte man die ersten Stelen auf. In über einem Dutzend größerer und unzähligen kleineren Siedlungen war der Grundstein für eine Zivilisation gelegt, die das Vermächtnis der Olmeken zum Gipfel indianischer Kulturschöpfung führen sollte.
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II. KAPITEL KLASSIK Zu der Zeit, als Rom dem Ansturm der Germanen erlag, der Islam sich über ein Gebiet ausbreitete, das von Spanien bis nach Indien reichte, und Karl der Große sich als Herr des Abendlandes zum Kaiser krönen ließ, erlangte die Maya-Kultur in Mittelamerika ihre höchste Entfaltung. Die Zeit der klassischen Blüte im Maya-Gebiet dauerte von 100 bis 900 n. Chr. In dieser Periode verlagerte sich der Schwerpunkt der Maya-Zivilisation zunächst vom südlichen Hochland- und Pazifikgebiet in das zentrale Tiefland des Peten und später, gegen Ende des Klassikums, vom Zentralgebiet nach Yukatan. Im Bereich der Golfküste brach der Kontakt zum Ursprungsland der Maya am Rio Panuco endgültig ab, so daß die Entwicklung in der Huasteca fortan unabhängig vom Hauptstrom der Maya-Kultur verlief. Die klassische Periode wird im Maya-Gebiet gewöhnlich in eine frühe - 300 bis 600 n. Chr. - und eine späte Phase - 600 bis 900 n. Chr. - unterteilt. Diese Unterteilung trifft jedoch weniger auf das zentrale Tiefland, das eigentliche Kerngebiet der klassischen M aya-Kultur, zu als vielmehr auf die südliche und die nördliche Region, wo markante Unterschiede zwischen dem frühen und dem späten Klassikum bestehen. In der Zentralregion zwischen Tabasco und Belize verläuft die historische Entwicklung in dieser Zeit einheitlicher. Zwar lassen sich auch hier zwei voneinander abweichende Keramikstile, ein früherer, Tzakol, und ein späterer, Tepeu genannt, unterscheiden, doch ist die Kulmination der Maya-Zivilisation, wie sie in der Spätklassik im Zentralgebiet erreicht wird, nur die Fortsetzung einer Entwicklung, die bereits in der Frühphase der Klassik eingesetzt hat. Demgegenüber zeigt sich in der Nordregion, in Yukatan, im späten Klassikum eine deutliche Abweichung von der für das gesamte Tiefland charakteristis chen Kulturform der Frühklassik. Während in der Zentralregion bereits die ersten Anzeichen des Verfalls auftauchen, gelangen in Yukatan drei verwandte Lokalkulturen zur Blüte, die nach ihrer geographischen Lage als Rio 71
Bec, Chenes und Puuc bezeichnet werden und sich zumindest in ihrem Architektur- und Kunststil von der allgemeinen Tieflandtradition der Maya unterscheiden. Die Südregion der Hochländer und Pazifikküste von Chiapas und Guatemala hat an der klassischen Entwicklung im Tiefland nur wenig Anteil. Sie gerät unter den Einfluß aus Zentralmexiko eindringender Völkerstämme: im frühen Klassikum einer Eroberungswelle aus Teotihuacdn, einer seit dem ausgehenden Präklassikum erstarkenden Metropole im zentralen Hochland von Mexiko, deren Impulse - wenn auch geringer und wahrscheinlich friedlicher Art - auch in die Zentralregion ausstrahlten, und im späten Klassikum der Pipiles, einer Vorhut jener Nahua-Stämme, deren berühmtere Vertreter, die Tolteken und Azteken, in postklassischer Zeit den Pipiles folgen sollten. Die Datierung der klassischen Periode im Maya-Gebiet beruht - im Gegensatz zum Präklassikum, wo man zur zeitlichen Bestimmung auf die Radiokarbon-Methode angewiesen ist - auf datierten Inschriften. Die meisten dieser Inschriften fanden sich auf jenen Stelen genannten Monumenten, die bereits in vorklassischer Zeit zur Verehrung und Glorifizierung von Göttern und Priestern in den südlichen Hochländern und Küstenregionen errichtet wurden. Daneben tauchen klassische Dateninschriften auch an Treppen und Tafeln von Bauwerken auf sowie auf kleinen Schmuckgegenständen aus Knochen und Jade. Die frühesten bekannten Dateninschriften im Tiefland stammen aus dem Ge biet des nordöstlichen Peten: neben der bereits erwähnten Stele 29 in Tikal, die nach der Goodman-Martinez-Thompson-Korrelation in das Jahr 292 n. Chr. datiert wird, ist besonders auf die sogenannte Leydener Platte hinzuweisen, ein Relief geschmücktes Jadeplättchen mit einem Datumsäquivalent von 320 n. Chr., das zwar außerhalb des Peten gefunden wurde, aber in Stil und Thematik-das Relief zeigt einen federgeschmückten Würdenträger, der auf einem bäuchlings hingestreckten Gefangenen steht - an ähnliche Darstellungen in Tikal erinnert, sowie auf die Stele 9 in Uaxactun, die gleichfalls eine stehende Figur aufweist und eine Dateninschrift, die als 328 n.Chr. gedeutet wurde. Weitere Steleninschriften mit Baktun 8-Daten fanden sich nur noch in Balakbal, einem Ort mittlerer Größe etwa 50 km nördlich von Uaxactün, und in Uolantun, einem kleineren Ort in der Nähe von Tikal. Im folgenden Baktun 9, der in die Zeit zwischen 435 und 830 n. Chr. fällt und damit den Hauptteil der klassischen Periode umfaßt, weitet sich der Stelenkult auf über 10 Siedlungs- bezie72
hungsweise Zeremonialzentren aus: nach Ablauf von nur zwei Katun des neuen Baktun (475 n.Chr.) errichtete man datierte Stelen bereits in so entfernten Orten wie Copän in Honduras, Altar de Sacrificios im Quellgebiet des Usumacinta und Oxkintok im Nordwesten Yukatans. Kaum hundert Jahre später, 564 n.Chr., hatte man die Grenzen des Stelenkultes im Westen bis nach Tonina und im Nordosten bis nach Tulum ausgedehnt. Zur gleichen Zeit setzte allerdings aus bisher nicht eindeutig geklärten Gründen eine kulturelle Stagnation im Kerngebiet der Maya ein, die sich vor allem in einer Unterbrechung des Stelenkultes äußerte. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts blühte dieser Kult erneut auf, erreichte gegen Ende des 8. Jahrhunderts seinen Höhepunkt und begann dann im 9. Jahrhundert endgültig zu verlöschen. Die letzten Stelen mit Daten im Long Count-System wurden im Jahre 889 n. Chr. in den Orten Uaxactun, Xultun und Xamantun errichtet, in der gleichen Gegend, von der aus der Stelenkult im Tiefland seinen Ausgang genommen hatte. Die Mehrzahl dieser Stelen wurde jeweils am Ende bestimmter Zeitperioden errichtet: zunächst nach Ablauf von 20 Jahren (katun), dann auch von 10 Jahren (lahantun) und schließlich, in spätklassischer Zeit, vereinzelt auch von 5 Jahren (hotun). Man hat deshalb die Stelenmonumente der Maya auch »Meilensteine der Zeit« genannt. Doch worauf die figürlichen Darstellungen, die gewöhnlich den Hauptteil der Stelenskulptur ausmachen, bereits hätten hinweisen können, scheint durch die neueren Ergebnisse der ikonographisch-epigraphischen Forschung bestätigt: die »Kalendersteine« der Maya standen offensichtlich ebenso im Dienst eines profanen Herrschertums wie eines Kultes, der einer vergöttlichten Zeit gewidmet war. Das Vorkommen der Stelen ist auf Orte beschränkt, die Monumentalbauten aufweisen. Damit waren zwei wesentliche Voraussetzungen zur Bildung einer urbanen Zivilisation erfüllt. Doch ein drittes Kriterium, die Ansammlung einer größeren Bevölkerung auf begrenztem Raum, läßt sich, zumindest für die klassische Zeit, im Tieflandgebiet der Maya nicht nachweisen. Die vorherrschende Siedlungsstruktur bestand hier aus weitgehend autonomen Komplexen von jeweils einem Zentrum zeremonieller und administrativer Funktion und umliegenden Weilern, die das Zentrum mit Nahrungsmitteln und Dienstleistungen zu versorgen hatten. So residierte in den »Städten« nur eine kleine Zahl von Fürsten, Priestern, Verwaltungsbeamten, Kaufleuten und Handwerkern, während die Masse der Bevölkerung, 73
die Bauern, in ländlicher Provinz lebte und nur zur Abgabe der Tribute, zu öffentlichen Arbeiten und zu religiösen Festen die städtischen Zentren betreten durfte. Eine Siedlungsstruktur, deren Dualismus, ähnlich wie im Europa des Mittelalters, kaum einen Zweifel daran läßt, daß die klassische Zivilisation der Maya eine Klassengesellschaft war. Wenn die Siedlungsstruktur der Maya einen derart bedeutsamen Aussagewert hat, ist es sicher nicht uninteressant zu erfahren, wie man zur Rekonstruktion dieser Siedlungsstruktur, über die ja keine schriftlichen, zumindest keine entzifferbaren Dokumente vorliegen, gelangt ist. Was die »städtischen« Zentren anbetrifft, so ist ihre Identifizierung aufgrund einer Häufung überwiegend monumentaler Ruinen, die offensichtlich sowohl als Tempel wie auch als Paläste dienten, relativ einfach. Schwieriger ist es, einen Nachweis für die Siedlungsreste der breiten Masse des Volkes zu führen, da diese nicht in Häusern aus Stein und Stuck wohnte, sondern in bescheidenen Hütten aus vergänglichem Material. Zum Glück errichteten die Maya-Bauern der klassischen Zeit ihre Hütten, wohl zum Schutz gegen Überschwemmungen während der Regenzeit, vielleicht aber auch in Anlehnung an die Bestattungsriten ihrer Herrscher, auf niedrigen künstlichen Erdhügeln, die sie gegen Erosion mit Steinlagen abdeckten. Diese sogenannten House Mounds finden sich gewöhnlich stark zerstreut im Umkreis um ein städtisches Zentrum. Erst mit einem sprunghaften Anwachsen der Bevölkerung in spätklassischer Zeit tauchen House Mounds in größerer Zahl auch in den Zentren selbst auf. Ein solcher Urbanisationsprozeß in spätklassischer Zeit läßt sich zumindest für Tikal und Dzibilchaltun, die beiden größten Tieflandsiedlungen der Maya während der klassischen Periode, nachweisen. In Tikal wurden auf einer Fläche von 16 qkm, die nur den Kernbezirk dieser Stadt ausmacht, über 3000 Ruinen registriert, darunter nicht weniger als 1800 House Mounds mittlerer und kleinerer Größe. Die Mehrzahl dieser Mounds, rund 80%, stammt aus der Zeit zwischen 700 und 830 n.Chr., wobei diese Mounds sich nicht etwa über mehrere Generationen verteilen, sondern - generationsweise vererbt und jeweils nur ausgebessert beziehungsweise erneuert - mehr oder weniger gleichzeitig bewohnt wurden. Noch bemerkenswerter sind die Zahlen für Dzibilchaltun im äußersten Norden Yukatans: hier stieß man auf einer Fläche von 19 qkm auf rund 8400 Gebäudereste, die fast alle residenziellen Charakter haben. 90% dieser Bauten waren 76
während des späten Klassikums in Gebrauch. In beiden Fällen zeigt ein Vergleich mit der Frühphase der klassischen Periode einen explosionsartigen Bevölkerungszuwachs, der - ähnlich dem Ballungs- und Verelendungsprozeß in den Städten der heutigen Entwicklungsländer- sicher nicht unwesentlich zum Niedergang der klassischen Maya-Zivilisation beigetragen hat. Wie hoch die Bevölkerung einer Stadt wie Tikal gewesen ist, läßt sich aus einer Kombination der Anzahl gleichaltriger House Mounds und der aus kolonialzeitlichen Quellen und ethnographischen Untersuchungen gewonnenen Kopfzahl einer Familie, wie sie jeweils einen House Mound beziehungsweise die darauf errichtete Hütte bewohnte, errechnen. Bei einem mittleren Durchschnittswert von fünf Personen pro Familie ergibt sich für den Kernbezirk von Tikal eine spätklassische Bevölkerung von etwa 7000, wobei die Oberschicht, die wahrscheinlich die palastartigen Bauten bewohnte, nicht mitgerechnet ist. Da der Einzugsbereich Tikals aber weit über das eigentliche Zentrum hinausging- er wird auf 123 qkm angesetzt -, wobei allerdings die Dichte der House Mounds zur Peripherie hin allmählich abnahm, belief sich die Gesamtzahl der Bevölkerung Tikals in spätklassischer Zeit auf etwa 40000. Diese Zahl, die sich mit den Bevölkerungsdaten für Dzibilchaltun, dessen Einflußbereich infolge eines weniger ausgeprägten Zeremonialzentrums offensichtlich geringer war, deckt, dürfte die obere Grenze der Bevölkerung einer Maya-Siedlung während der klassischen Periode sein. Sie liegt erheblich unter den Werten, die man für die Städte Zentralmexikos ermittelt hat, wo Teotihuacan zur Zeit seiner Blüte etwa 100000 Einwohner zählte und damit selbst Tenochtitlän, die Hauptstadt der Azteken, um ein Viertel übertraf. Noch vager als die Bevölkerungsangaben für einzelne Orte sind Schätzungen über die Gesamtbevölkerung der Maya in klassischer Zeit. Geht man von der Anzahl (etwa 100) und Größe (zwischen 40000 Einwohner für die wenigen Zentren erster Ordnung und etwa 5000 Einwohner für die am häufigsten vorkommenden Zentren vierter Ordnung) der im Tiefland registrierten Ruinenorte aus, so kommt man auf etwas mehr als 1 Million. Zieht man andererseits eine mittlere Bevölkerungsdichte von 20 Einwohnern pro qkm in Betracht, wie sie heute im Maya-Gebiet anzutreffen ist, so erreicht man bei einer Tieflandnäche von 250 000qkm einen Wert von 5 Millionen, was der Ge samtzahl der heutigen Maya entsprechen würde. Wie gesagt, sowohl der untere wie der obere Wert sind grobe Schätzungen, 77
doch wird man sicher nicht fehlgehen in der Annahme, daß die Maya-Bevölkerung des Tieflandes im späten Klassikum sich zwischen diesen beiden Grenzwerten bewegte. Die Tiefland-Maya der klassischen Periode gehörten drei Sprachgruppen an: im Norden waren sie mit Sicherheit Yukateken, im südlichen Peten und im Gebiet des Rio Usumacinta Nachfahren der um 900 v. Chr. aus dem Hochland eingewanderten Chontalan-Gruppe, die sich gegen Ende des Klassikums, zwischen 700 und 900 n.Chr., in die heutigen Sprachgruppen Chontal in Tabasco, Chol im östlichen Chiapas und Chorti im Grenzgebiet zwischen Guatemala und Honduras aufspaltete, und schließlich im Gebiet der Selva Lacandona zwischen dem Usumacinta und dem Hochland von Chiapas Nachkommen der um 750 v. Chr. eingewanderten Tzeltalan-Gruppe, die bereits im mittleren Klassikum, zwischen 500 und 750 n. Chr., sich über die Mesa Central von Chiapas ausdehnte, wo aus ihr in postklassischer Zeit, um 1200 n. Chr., die Tzeltales und Tzotziles hervorgingen. Nach dieser auf der lexikostatistischen Glottochronologie beruhenden Rekonstruktion der Maya-Sprachgruppen im Tiefland waren die Schöpfer und Träger der klassischen MayaZivilisation hauptsächlich die Yukateken und die ChontalanGruppe, während der Einfluß der Tzeltalanen offenbar nur auf das westliche Randgebiet beschränkt blieb. Eine genauere Identifizierung und Lokalisierung der einzelnen Sprachgruppen würde die Entzifferung der Maya-Schrift und damit unser Verständnis der gesellschaftlichen Bedingungen und kulturellen Leistungen der Maya in klassischer Zeit einen wesentlichen Schritt weiterbringen.
Milpas für das täglich' Brot Die Grundlage des Gesellschaftssystems der Maya in klassischer Zeit bildete der Bauer. Er machte den weitaus größten Prozentsatz der Bevölkerung aus und schuf mit seinen Tribut- und Dienstleistungen die Voraussetzungen für die Entstehung und Ausweitung urbaner Zentren und Eliten. Da er - abgesehen von den Tempel- und Palastbauten in den Städten, die sicher mit seiner Hilfe errichtet wurden, und den erwähnten House Mounds - keine nennenswerten Spuren hinterlassen hat, sind wir zur Rekonstruktion seines Lebens auf Beobachtungen unter den heutigen Maya angewiesen. Kaum ein anderer Maya-Stamm könnte 78
uns hier mehr Aufschlüsse liefern als die mit den Yukateken verwandten Lakandonen, deren traditionelle Lebensweise wohl der des Maya-Bauern in klassischer Zeit am nächsten kommt. Die Hauptbeschäftigung des Lakandonen ist der Feldbau. Hierfür wendet er etwa ein Drittel seiner Zeit auf. Der Arbeitsaufwand ist also relativ gering, dafür ist die Bodenfläche, die er benötigt, um so größer, denn die Anbaumethode, die er anwendet, ist das auch von den übrigen Maya-Stämmen praktizierte Milpa-System. Dieses System beruht auf einem periodischen Felderwechsel, der durch eine rasche Auslaugung des Bodens in folge ungenügender Düngung, des vorherrschenden Anbaus einer Nahrungspflanze, Mais, und der schädlichen Einwirkungen des tropischen Klimas bedingt ist. Die Feldarbeit beginnt während der Trockenzeit mit der Rodung eines etwa 1 ha großen Feldes. Je nach Waldbestand und verfügbarer Arbeitskraft benötigt man dazu ein bis zwei Monate. In früherer Zeit, als anstatt metallener nur steinerne Werkzeuge zur Verfügung standen, wird man für die Rodungsarbeiten entsprechend länger gebrauchthaben, zumal wenn es Baumriesen, die bis zu einer Höhe von 50 m wachsen, zu fällen galt. Die gerodeten Bäume und Büsche läßt man eine Zeitlang trocknen, ehe sie verbrannt werden, wodurch man nicht nur eine weitgehende Säuberung des Feldes, sondern gleichzeitig auch eine chemische Düngung des Bodens erzielt. Kurz vor Einsetzen der Regenzeit erfolgt die Aussaat. Mit Hilfe eines einfachen am unteren Ende zugespitzten Grabstockes werden zwischen den verkohlten Stuken und Baumstämmen Löcher in den Boden gestoßen und darin jeweils 5 bis 10 Maiskörner hineingeworfen. Bis zur Ernte, die ein halbes Jahr nach der Aussaat erfolgt, ist regelmäßiges Unkrautjäten erforderlich, eine Arbeit, die früher gleichfalls aufwendiger war als heute, dafür aber den Vorteil hatte, daß durch das Herausreißen des Unkrauts - im Gegensatz zum einfachen Abschneiden mit der Machete - einer Versteppung des Bodens entgegengewirkt wurde. Bei der Ernte werden die Maiskolben zunächst nur abgeknickt, damit sie an der Pflanze trocknen, ehe sie dann in Vorratsspeichern auf dem Felde oder am Wohnplatz gelagert werden. Meist folgt auf die Ernte am Ende der Regenzeit gleich wieder eine Aussaat, die sogenannte Tornamil. Sie wirft jedoch infolge unzureichender Feuchtigkeit nur einen Bruchteil der sommerlichen Haupternte ab. Auch die folgende Aussaat im Frühling ist, da dem Boden keine neuen Nährstoffe zugeführt werden, nicht mehr so ergiebig wie die im Jahr zuvor. So sind die Lakandonen 79
gezwungen, jedes Jahr ein neues Feld zu roden und ein altes spätestens nach der dritten Ernte aufzugeben. Da für eine Regeneration des Bodens drei bis vier Jahre erforderlich sind, benötigt eine fünfköpfige Familie zur Deckung ihrer Grundnahrung eine Fläche von 5 ha. In Yukatan, wo die Bodenverhältnisse sehr viel ungünstiger sind, erhöht sich diese Fläche auf das Dreifache. Nimmt man einen mittleren Wert von 10 ha pro Familie, so hätte bereits die Hälfte der Tieflandfläche von 250000 qkm ausreichen müssen, um selbst 5 Millionen, die obere Grenze der Bevölkerung in klassischer Zeit, zu ernähren. Daß dennoch offensichtlich ein großer Teil der Bevölkerung an Unterernährung litt, war wahrscheinlich vor allem eine Folge zunehmender Siedlungskonzentration, die ein extensives Milpa-System unmöglich machte. Hinzu kommt, daß die Herrscher und Priester in den urbanen Zentren zwar nicht selber die Früchte anbauten, die sie verzehrten, sicher aber einen höheren Prokopfkonsum als ein Bauer hatten, wodurch sich die erforderliche Anbaufläche noch erhöhte. In der Abgabe von Produktionsüberschüssen wie auch im regelmäßigen Arbeitsdienst in den Städten liegt der entscheidende Unterschied zwischen dem Maya-Bauern der klassischen Zeit und dem Lakandonen heute. Im Gegensatz zu diesem wendete jener wahrscheinlich zwei Drittel seiner Zeit für die Nahrungsproduktion, von der sicher die Hälfte in die Städte abgeführt werden mußte, auf, während er wohl für ein Drittel des Jahres zum Arbeitsdienst in den Städten herangezogen wurde. Ob dem Maya-Bauern der klassischen Zeit neben dem Milpa-System auch andere Anbaumethoden, die einen höheren Ertrag abwarfen und seine Arbeitszeit womöglich verkürzten, zur Verfügung standen, ist nicht eindeutig nachzuweisen. Es scheint jedoch, daß zumindest der zur Feigenfamilie zählende Ramon-Baum in alter Zeit eine wichtige Rolle bei der Nahrungsversorgung spielte. Die Früchte dieses Baumes, der besonders häufig in der Umgebung der Ruinenstädte auftritt, enthalten eßbare Samen, die - im Geschmack der Kastanie nicht unähnlich - einen hohen Nährwert haben und noch heute von den Lakandonen in der gleichen Weise wie Mais zu Mehl verarbeitet werden, aus dem man Pozol, ein grützeartiges Getränk, und Tortillas, Brotfladen, herstellt. Mit einem jährlichen Ertrag von über 1000 kg/ha ist wildwachsender Ramon fast ebenso ergiebig wie angebauter Mais. In Kultur genommen, könnte der Ramon eine Ernte von 2000 bis 3000 kg/ha, also gut das Doppelte wie der Mais, erbringen. Trotz seiner offensichtlichen Vorteile, die sowohl in geringerem Arbeitsauf80
Aufmarsch der Würdenträger (Ausschnitt aus einer Kopie der Fresken von Bonampak im Nationalmuseum für Anthropologie in Mexico City)
Oben: Uxmal mit dem sog. Nonnenkloster (l.) und der Pyramide des Wahrsagers (r.) Unten: Das »Observatorium« und El Castillo (l. im Hintergrund) in Chichen Itza
wand als auch in höheren Erträgen liegen, nutzen die Lakandoen den Ramon nur in Notzeiten. Im späten Klassikum, wo einero explosionsartig angewachsenen Bevölkerung traditionelle Nahrungsgüter wie Mais und Wildbret nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung standen, mag man im Ramon-Baum sehr wohl einen letzten Ausweg gesehen haben. Eine andere Möglichkeit, höhere Erträge zu erzielen, bestand grundsätzlich in der Anwendung intensiver Methoden des Feldbaus. Unter den zahlreichen Verfahren, die in der Tieflandregion des Maya-Gebietes praktikabel gewesen wären, scheinen zumindest drei - Bewässerung, Fruchtwechsel und Gartenbau bekannt gewesen zu sein. Natürliche Bewässerung in Form periodischer Überschwemmungen wurde mit Sicherheit an den Ufern der Flüsse und Seen, von wo die Praxis des Feldbaus im Tiefland wahrscheinlich überhaupt ihren Ausgang nahm, genutzt. Inwieweit dabei der Mensch durch das Aufschütten kammartiger Felder, sogenannter Ridged Fields, oder das Ausheben von Gräben und Kanälen das Wirken der Natur unterstützte, ist ungewiß. Die Anwendung des Ridged Field-Systems in Vergangenheit und Gegenwart ist bislang nur für das Randgebiet der Maya - Campeche, die Usumacinta-Region und Belize - belegt. Fruchtwechsel und Gartenbau werden zum Teil von den Lakandonen praktiziert, im einen Falle, indem sie abwechselnd Mais und Tabak anbauen, im anderen dadurch, daß sie in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnhütten ein Stück Land intensiv zum Anbau von Gemüse und Gewürzen nutzen. Zweifellos wurden beide Verfahren auch in alter Zeit angewandt, wo nicht nur der Gebrauch von Tabak üblich war, sondern sicher auch mit Küchenabfällen gedüngte Gärten die nötigen Gewürzpflanzen lieferten. Jede Phase des Feldbaus - Rodung, Aussaat und Ernte - wird bei den Lakandonen von religiösen Zeremonien begleitet. Ge wöhnlich finden diese in einer Tempelhütte statt, die am Ostrand jeder Lakandonen-Siedlung - in ihrer traditionellen Form nicht mehr als ein Weiler, in der eine Großfamilie, ein Vater mit seinen verheirateten Töchtern, siedelt - steht. Nur bei besonderen Anlässen unternehmen die Lakandonen Pilgerzüge zu den Ruinenstädten, die sie als Sitz der Götter verehren. Nicht anders werden die religiösen Vorstellungen und Praktiken des Maya-Bauern in klassischer Zeit gewesen sein, der - das zeigen Mound-Spuren seine Tempelhütte ebenfalls am Ostrand eines gewöhnlich vier Hütten umfassenden Wohnkomplexes errichtete und - abgese81
hen von seinen Tribut- und Dienstleistungen - nur zu bestimmten Festlichkeiten die städtischen Tempelbezirke aufsuchte. Was er dort dann sah, war ihm sicher fast ebenso fremd wie heute einem Touristen. Nicht nur, daß er die Inschriften auf den Stelenmonumenten nicht lesen konnte, denn er war ja Analphabet, auch die Opferhandlungen auf den Höhen der Pyramiden müssen ihm wie das geheimnisvolle Walten und Schalten der Götter selbst erschienen sein.
Pyramiden und Paläste Des Lesens und Schreibens kundig waren - neben den eigentlichen Schriftgelehrten, Priestern und Herrschern - nur jene Handwerker und Künstler, die die Hieroglyphen-Schrift der Maya in Stein und Holz meißelten und schnitzten und auf Stuck und Keramik malten. In der Gesellschaftshierarchie der Maya in klassis cher Zeit nahmen diese schriftkundigen Handwerker und Künstler sicher eine gehobene Stellung ein, der sonst wohl nur noch Architekten und Kaufleute zugerechnet wurden. Zwischen dieser gehobenen Mittelschicht und der breiten Masse der Bauern standen die einfachen Handwerker wie Steinmetzen, Maurer, Kalkbrenner, Töpfer und Steinschneider, die ihren Unterhalt nicht mehr auf dem Felde, sondern als handwerkliche Spezialisten in ihren Werkstätten beziehungsweise in den Städten verdienten. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, daß diese Handwerker in Gilden organisiert waren. Spuren ihrer Werkstätten finden sich ohne erkennbare Konzentration in weitem Umkreis um Tikal verstreut. Und selbst an den Siedlungsplätzen, wo Feuersteinabschläge und Keramikscherben auf eine einstige Werkstatt hindeuten, waren offensichtlich nicht alle Familienmitglieder als Handwerker, sondern zumindest einige von ihnen weiterhin als Bauern tätig. Bei dem hohen künstlerischen und intellektuellen Niveau der klassischen Maya-Zivilisation überrascht es, daß die Maya auf technischem Gebiet kaum nennenswerte Leistungen vollbrachten. Sie kannten weder das Rad noch die Töpferscheibe, und dem Prinzip des Bogens näherten sie sich nur durch die Erfindung des Kragsteingewölbes. Auch die Verarbeitung von Metall blieb ihnen unbekannt. Nicht einmal einen Pflug ersannen sie, selbst dann nicht, als sie bereits verhungerten. Aber wahrscheinlich verhungerten nur die, die zu spekulativem Denken gar keine Zeit 82
hatten, und die, die von ihren Ideen beziehungsweise dem Prestige, das diese ihnen verliehen, lebten, ergingen sich in geistigen Höhenflügen, die in einer Kalenderwissenschaft gipfelten, die jede Beziehung zur Realität verloren hatte. Allerdings wären Pflug und Wagen ohnehin nur von begrenztem Nutzen gewesen, denn im vorspanischen Mesoamerika gab es keine Zugtiere. Immerhin errichteten die Maya das höchste noch stehende Bauwerk des indianischen Amerika, und ihre städtische Architektur konnte sich durchaus mit der des zeitgenössischen Europa messen. Nicht nur daß die Maya der klassischen Zeit Pyramiden und Paläste errichteten, sie schufen auch Observatorien, Staudämme und Prozessionsstraßen. Letztere erreichten eine Länge von 100 km und bestanden aus dammartigen Aufschüttungen, die an den Seiten durch Steinsetzungen befestigt und an der Oberfläche mit einer Kalkschicht zementiert wurden. Die Staudämme, künstliche Wasserbecken, die mittels Drainagesysternen gespeist wurden, dienten in Gegenden, die wie der Peten ausreichender natürlicher Wasserquellen entbehrten, der Trinkwasserversorgung. Observatorien wurden sowohl als Beobachtungstürme wie auch als ein Komplex von Pyramiden und Tempeln erbaut, deren sorgfältig ausgerichtete Lage zueinander eine genaue Messung des Laufs der Himmelskörper ermöglichte. In dem Maße jedoch, wie im Laufe des späten Klassikums durch das Anwachsen der Bevölkerung eine staatliche Organisationsform entstand, wurden die Sakralbauten, die vorher überwogen hatten, durch palastartige Bauten verdrängt, deren Funktion nur als Residenz weltlicher Herrscher und Sitz der öffentlichen Verwaltung gedeutet werden kann. Dennoch, so zahlreich und ausgedehnt die Paläste in spätklassischer Zeit auch waren, das Symbol der Herrschermacht blieben weiterhin Tempelpyramiden, die - entsprechend des erweiterten Einflußbereiches der städtischen Zentren- nun wahrhaft gigantische Ausmaße annahmen. Wie sah nun eine Maya-Stadt zur Zeit ihrer Blüte aus? Dank der Forschungs- und Restaurierungsarbeiten der Archäologen können wir uns heute ein recht genaues Bild der drei bedeutendsten Metropolen der Maya in klassischer Zeit- Tikal, Copän und Palenque - machen. Tikal war zweifellos - nicht nur aufgrund seiner Ausdehnung, sondern auch der Monumentalität seiner Bauten - die größte aller Maya-Städte. Auf einer Fläche von 16 qkm, die - wie gesagt - den Kernbezirk der Stadt ausmachte, wurden nicht weniger als 1000 Bauwerke - Tempel, Paläste, ßallspielplätze, Prozessionsstraßen und Plazas - sowie über 200 83
Stelen und Altäre registriert. Den Mittelpunkt der Stadt bildete eine große Plaza, die im Osten und Westen von zwei hohen Tempelpyramiden und im Norden und Süden von je einer Akropolis begrenzt wurde und offensichtlich als Versammlungsort für die Bevölkerung der Stadt und ihrer Umgebung diente. Die Pyramide am Ostrand der Plaza, der sogenannte Tempel I, mißt zwar in seiner Gesamthöhe, das heißt Pyramidenunterbau und Tempelaufsatz, nur 45m, doch überragt er da-
Plan des Zentralbezirks von Tikal (nach S. G. Morley, The Ancient Maya, Stanford 1956)
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mit noch immer selbst die höchsten Wipfel der Bäume. Der Pyramidenstumpf besteht aus neun stufenartigen Absätzen, eine architektonische Konzeption, die sicher mit dem Totenkult in Verbindung stand, denn nicht nur war in den kosmologischen Vorstellungen der Maya die Unterwelt in neun über- beziehungsweise untereinanderliegende Schichten gegliedert, auch zwei Gräber, von denen das bedeutendere unterhalb der Pyramidenbasis entdeckt wurde und möglicherweise überhaupt Anlaß zur Errichtung der Pyramide gab, während das zweite, offensichtlich spätere Grab in einer Grube unterhalb des Tempelbodens gefunden wurde, weisen auf diese Assoziation hin. Der eigentliche Tempelbau, den man über eine steile Treppe erreicht, besteht aus drei schmalen Kammern, die hintereinander angeordnet sind und deren hölzerne Türbalken zum Teil figürliche Darstellungen aufweisen. Während diese dem Volk, das sich aus feierlichem Anlaß auf dem großen Platz vor der Pyramide versammelt hatte, verborgen blieben, mußte es wohl vor Ehrfurcht erschauern, wenn es zu dem kammartigen Dachaufsatz des Tempels emporschaute, der - mit grellen Farben bemalt - die sitzende Statue dessen zeigte, der nach seinem Tod göttliche Gestalt angenommen hatte. Tempel II, die Zwillingspyramide am Westrand der Plaza, ist etwas kleiner als sein Gegenüber, weist sonst aber ähnliche Merkmale auf. Das eigentliche religiöse Zentrum Tikals war offensichtlich die Nördliche Akropolis. Zu der Zeit, um 700 n. Chr., als die beiden Tempelpyramiden errichtet wurden, hatte sie sich aus ihren bescheidenen Anfängen von vor über 1000 Jahren in einen wahren Götterberg verwandelt, der aus einer 10 m hohen Plattform, den Trümmern früherer Tempel, bestand, auf der unzählige Haupt- und Nebentempel thronten. Ähnlich verwirrend war der Gebäudekomplex am Südrand der Plaza, die Zentrale Akropolis. Sie war jedoch anscheinend nicht religiöser Funktion, denn bei den um Höfe angeordneten langgestreckten Bauten dieser Anlage handelt es sich wohl um jene Paläste und Amtsstuben, m denen die Herrscher residierten und ihre Beamten die Verwaltungsgeschäfte führten. Im Süden grenzt die Zentrale Akropolis an einen Graben, das sogenannte Palast-Reservoir, das, an seinem östlichen Ende von einem Deich begrenzt, offensichtlich eines jener Staubecken war, die die Stadt mit Trinkwasser versorgten. Vom zentralen Plaza-Komplex aus führten einst strahlenförmig breite Prozessionsstraßen zu umliegenden sekundären lernpel- und Palastanlagen, deren bedeutendste die tempelge85
krönte Südliche Akropolis jenseits des Palast-Reservoirs war sowie eine Pyramide, Tempel IV, die mit einem Aufwand von 250000 cbm Baumaterial und einer Höhe von 65 m nicht nur das größte Bauwerk Tikals war, sondern - neben der Sonnenpyramide in Teotihuacan - auch das größte Bauwerk, das je von Indianern errichtet wurde. War Tikal die mächtigste aller Maya-Städte, so zeichneten sich Copän und Palenque durch überragende künstlerische Leistungen aus. Sie waren außerdem bedeutende Zentren der Wissenschaft, wo mit besonderem Eifer Astronomie und Kalenderforschung betrieben wurde. Das Tal von Copän, vom gleichnamigen Fluß durchzogen, bot weit günstigere Voraussetzungen für eine städtische Entwicklung als das wasserarme Tikal im Dschungel des Peten. Seit vorkeramischer Zeit besiedelt, umfaßte Copän bei seiner Blüte im späten Klassikum mehr als ein Dutzend Tempelund Palastkomplexe. Die Hauptgruppe am Westufer des Rio Copän erstreckt sich über eine Fläche von 30 ha. Sie besteht aus einer großen Plaza im Norden und einer Akropolis im Süden. Die Plaza, mit Stelen und Altären bestanden, wird auf drei Seiten von terrassenartigen Treppen gesäumt, auf denen einst bis zu 50000 Zuschauer Platz fanden. Nach Süden öffnet sie sich zu einem weiten Zwischenhof, der zur Akropolis überleitet. Dieser vorgelagert ist ein Ballspielplatz, der die Form einer römischen I hat und an den Längsseiten von zwei Schrägen eingerahmt wird, die zu einer Plattform aufsteigen, auf der sich jeweils ein Tempel erhob. Die Länge des Spielfeldes, das zwei frühere überlagert, beträgt rund 28 m, seine Breite 7 m. Am oberen Rand der Schrägen befinden sich an den Enden und in der Mitte je drei skulptierte Steinblöcke, die den Kopf eines Guacamayo darstellen und wahrscheinlich als Marksteine dienten, die die Spieler mit ihrem schweren Kautschukball treffen mußten. Den eigentlichen Sakralbezirk, die Akropolis, erreichte man über eine breite Freitreppe, die zum größten Gebäude dieser Gruppe, Tempeln, hinaufführte. Obwohl diesen Tempel nicht nur Hieroglypheninschriften, die auf großen Tafeln jeweils zu beiden Seiten der vier nach den Kardinalpunkten ausgerichteten Eingänge angebracht waren, schmückten, sondern auch lebensgroße Skulpturen von Menschen und Tieren, die zu den eindrucksvollsten Kunstwerken in Copan gehören, war das Hauptheiligtum dieser Stadt offenbar Tempel 26. Nach seinem Grundplan zu urteilen (der Rest des Gebäudes besteht nicht mehr), war dieser Tempel zwar nur ein vergleichsweise kleiner 86
Plan des Zentralbezirks von Copan (nach S. G. Morley, The Ancient Maya, Stanford 1956)
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Schrein, dafür aber wies er in seinem Innern einen Fries aus Hieroglyphen in Menschengestalt, eine außerordentliche Seltenheit, auf und stellte darüber hinaus die Krönung einer Zeremo nialtreppe dar, die den pyramidengetragenen Tempel mit dem Vorhof des Ballspielplatzes verband und in ihrer ganzen Länge mit Hieroglyphen bedeckt war. Diese sogenannte Hieroglyphentreppe trug einst rund 2500 Hieroglyphen, die längste Inschrift, die man im Maya-Gebiet gefunden hat. Verglichen mit Copän und Tikal, den beiden größten Städten der Maya m klassischer Zeit, war Palenque nur ein Zentrum zweiter Kategorie. Der Kernbezirk dieser Stadt, der - auf einer Terrasse am Nordabhang des Gebirgsmassivs von Chiapas - wie ein Schloß über der Ebene von Tabasco thront, umfaßt nicht mehr als 15 ha, auf denen sich - zu beiden Seiten eines Baches, des Arroyo Otolum - etwa zwei Dutzend Bauwerke zusammendrängen. Bei diesen Bauten handelt es sich überwiegend um Tempel, deren bedeutendster, der sogenannte Inschriftentempel, eine Krypta barg, die in ihrer architektonischen Anlage und künstlerischen Ausstattung im Maya-Gebiet bislang ohne Beispiel blieb. Dem Inschriftentempel gegenüber erhebt sich auf einer künstlichen Plattform von 80 beziehungsweise 100 m Seitenlänge und 10 m Höhe das größte Bauwerk Palenques, der sogenannte Palast. Mit annähernd quadratischem Grundriß wird dieses Bauwerk durch vier Innenhöfe bestimmt, die jeweils eine doppelte Galerie umschloß. Pfeiler, Fries und Dachkamm waren einst mit bemalten Stuckfiguren verziert, die Herrscher und Untergebene bei zeremoniellen und administrativen Handlungen zeigten. So eindrucksvoll diese von Inschriften begleiteten Stuckreliefs auch gewesen sein mögen, seine besondere Bedeutung erlangte der Palast durch einen Turm, der vierstöckig aus dem südwestlichen Hof emporragt und an das erinnert, was er wahrscheinlich auch einmal gewesen ist: eine Sternwarte. Sie stammt wie alle Bauten in Palenque aus spätklassischer Zeit und erfüllte gegen Ende dieser Periode, als Invasionen und Revolten die Maya-Städte bedrohten, sicher zugleich auch die Funktion eines Wachtturms. Doch offensichtlich ohne Erfolg.
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Plan des Zentralbezirks von Palenque (nach A Ruz Lhuillier, Palenque, INAH, Mexico City 1959)
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Bonampak Mehr noch als Siedlungsspuren und städtische Architektur geben die künstlerischen Hinterlassenschaften der Maya Aufschluß über ihre Kultur und Gesellschaft in klassischer Zeit. Aus plastischen und bildlichen Darstellungen ersehen wir, wie sie aussahen, wie sie sich kleideten, wie sie ihren Geschäften nachgingen. Dabei wird allerdings deutlich, was auch für andere frühe - und spätere - Zivilisationen zutrifft: die Maya-Kunst der klassischen Zeit war eine Kunst der Elite. Nicht nur, daß allein diese Zugang zu kostbaren Rohmaterialien wie Jade, Türkis, Perlen, Muscheln, Edelhölzern, Fellen und Federn hatte, auch die Thematik der Kunstwerke, die aus diesen, aber auch alltäglicheren Werkstoffen wie Kalkstein, Stuck und Ton geschaffen wurden, behandelt fast ausschließlich die materielle und geistige Welt der Oberschicht. Stand diese in frühklassischer Zeit noch primär im Zeichen der Religion, so trat an deren Stelle im späten Klassikum ein zunehmender Säkularismus. Diese allgemeine kulturelle Entwicklung hatte nicht nur Auswirkungen auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Kunst. So zeichnete sich beispiels weise die frühklassische Tzakol-Keramik durch einen strengen geometrisch-abstrakten Dekorationsstil aus, der die religiöse Thematik nur symbolhaft andeutet, während bei der spätklassischen Tepeu-Keramik eine naturalistische szenische Darstellungsweise vorherrscht, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. In der Stelenkunst blieb, trotz ihrer figürlichen Darstellung, der starre Formalismus der Frühzeit bis in das späte Klassikum bestehen. In der Groß- beziehungsweise Vollplastik jedoch, wie sie sich in den spätklassischen Porträtköpfen von Copan und Palenque äußert, erlangte die Maya-Kunst ihre höchste Vollendung. Im Rahmen dieser Entwicklungstendenz der klassischen Maya-Kunst bildeten sich zahlreiche Lokalstile heraus, die auf eine weitgehende Autonomie der einzelnen städtischen Zentren hindeuten. Unter den Lokalstilen des zentralen Tieflandes verdienen wiederum Tikal, Copan und Palenque besondere Erwähnung, nicht zuletzt deshalb, weil hier aufgrund der extremen Entfernung zueinander individuelle Stilformen besonders deutlich hervortreten. Tikal war offenbar die traditionellste dieser drei Städte, denn hier entfernte sich die plastische Kunst am wenigsten vom dogmatischen Kanon der Frühzeit. Nicht nur daß diese, sieht man von der Kleinplastik einmal ab, im wesentlichen auf Flachreliefs beschränkt blieb, ihre figürlichen Darstellungen 90
wirken auch kalt und leblos. Ganz anders die barocke Kunst Copäns. Sie scheint geradezu ein Abbild der üppig sprießenden Ve getation der Tropen. Hier grenzen selbst die Stelenreliefs an vollplastische Skulpturen, und die starre Haltung der Würdenträger, die sie darstellen, wird durch einen Kranz puttenartiger Wesen aufgelockert. Einige von ihnen erinnern an indische Mahouts, die auf dem rüsselbewehrten Kopf eines Elefanten hokken. Sie sind nur eines der Merkmale, die in der Kunst Copans, aber auch Palenques und später sogar Yukatans auffallende Parallelen zu der buddhistisch - hinduistischen Kunst Indiens und Südostasiens aufweisen. Diese Ähnlichkeiten, die auch stilistischer Art sind, reichen von drachenartigen Wesen, aus deren weitgeöffneten Rachen der Kopf eines Menschen hervorkommt, bis zur Darstellung lotusartiger Pflanzen. In Palenque mag selbst das kreuzartige Gebilde auf dem Sarkophag in der Krypta des Inschriftentempels, das andere als Rakete, mit der die Maya Besuch aus dem Weltall bekamen, gedeutet haben, nichts anderes als eine Wiedergabe des für Südasien typischen Himmelsbaums sein, zumal das Kreuz in Palenque an den Seiten in jeweils eines jener aufgesperrten Drachenmäuler mit den Menschenköpfen endet. Vorsichtigere Interpreten sehen im Kreuz von Palenque, das in ähnlicher Form auch in anderen Tempeln dieser Stadt auftaucht, allerdings eher das Symbol der nahrungsspendenden Maispflanze. Die menschliche Gestalt auf der Sarkophagplatte, aus der das Kreuz beziehungsweise die Maispflanze herauszuwachsen scheint, ist in ihrer natürlichen Anmut und Bewegung ein hervorragendes Beispiel für den unter allen Maya-Städten wohl in Palenque am deutlichsten ausgeprägten naturalistischen Kunststil der Spätzeit. Die beiden in Stuck modellierten Köpfe, die man zu Füßen des Sarkophages fand und die einst als Bestandteil monumentaler Statuen irgendeinen Tempel geschmückt haben, gehören zu den eindrucksvollsten Kunstwerken, die die Maya geschaffen haben. So überragend das künstlerische Schaffen der Palenkaner auch war, eine weit größere Berühmtheit erlangten die Fresken von Bonampak. Zweifellos sind diese spätklassischen Malereien, die die Wände dreier Räume eines Tempels auf der Akropolis von Bonampak bedecken, ein außergewöhnliches Meisterwerk der Maya-Kunst, doch liegt ihre besondere Bedeutung weniger in ihrer künstlerischen Gestaltung - weder in der Form noch in der Bewegung reichen sie an die Darstellung jenes Tänzers heran, der, umrißhaft mit kühnem und elegantem Pinselstrich, eine 91
Schale aus einem spätklassischen Grab in Uaxactun schmückt als vielmehr in der Tatsache, daß die Fresken von Bonampak wie kein anderes Kunstwerk der Maya, das erhalten blieb - uns einen unmittelbaren Einblick in das Leben der Maya zur Zeit der höchsten Blüte ihrer Kultur gewähren. Mit geradezu magischer Kraft scheint vor unseren Augen eine Welt, die vor 1000 Jahren versank, wiederzuerstehen: der Empfang von Würdenträgern, begleitet vom Klang eines Orchesters; die Szene einer Schlacht und die Aburteilung der Gefangenen; der Siegestanz, der mit der Opferung eines Menschen endet. Die Herrscher gekleidet in Jaguarfellen, geschmückt mit Armbändern, Halsketten und Ohrpflöcken aus Jade und, wie mit einem Heiligenschein, umrahmt von einem Kopfschmuck aus smaragdgrünen Quetzalfedern. Die Musikanten mit Trompeten, Rasseln und einer Fellpauke, dazwischen Tänzer und Schauspieler in dämonischer Verkleidung, mit der Maske eines Krokodils und den Zangen eines Krebses. Die Schlacht ein ungleicher Kampf, ein Überfall, die einen nackt und wehrlos, die anderen in prächtigen Tunikas und Kopfputz und mit Speeren und Schilden bewaffnet. Am Ende der Schlacht der Aufmarsch der Sieger, zu ihren Füßen die Gefangenen, aus Wunden blutend und um Gnade flehend. Und schließlich das Dankesopfer: umrahmt von Tänzern, die in ihrem kostbaren Federschmuck Paradiesvögeln gleichen, das wehrlose Opfer auf die Stufen einer Treppe hingestreckt, zwei Gehilfen, die seine Arme und Beine fesseln, und über ihm der Priester, in der Hand das Opfermesser. Die Gottheit, der das Dankesopfer gilt, eine groteske Maske, die am Himmel schwebt, mit großen leuchtenden Augen - die Sonne. Ein Spiegelbild der klassischen Maya, das trotz allem Prunk und Glanz einen Schatten auf ihr Vermächtnis wirft.
Sonne, Mond und Sterne Bis zur Entdeckung der Fresken von Bonampak galten die klassischen Maya als ein friedfertiges Volk, das ganz im Zeichen der Religion und Wissenschaft stand. Wenngleich sich dieses Bild, wie wir im einzelnen noch sehen werden, inzwischen entschieden gewandelt hat, so bleibt dennoch die Tatsache bestehen, daß die Religion auch bei den Maya der klassischen Zeit noch eine zentrale Rolle, die jeden Bereich ihres Lebens berührte, einnahm und daß ihre wissenschaftlichen Leistungen, zumindest im alten Amerika, unübertroffen blieben. Dem heutigen Menschen mag 92
es paradox erscheinen, daß sowohl die Religion als auch die Wis senschaft eine derart entscheidende Bedeutung im Leben der Maya hatten, denn nach unserem Verständnis bilden Religion und Wissenschaft ein Gegensatzpaar, das einander ausschließt. Für die Maya bestand dieser Gegensatz nicht, denn bei ihnen blieb die Wissenschaft letztlich der Religion untergeordnet, sie war ein Teil der Religion. Die Maya bedienten sich zwar exakter wissenschaftlicher Methoden wie Beobachtung, Messung und Experiment, doch die Gesetzmäßigkeiten der Natur, die sie auf diese Weise erkannten, blieben ihnen in ihrer Ursache und Wirkung verborgen, so daß die Religion als eigentliches Erklärungsmodell und oberste Orientierungsinstanz niemals in Frage gestellt wurde. Lediglich in spätklassischer Zeit scheint die Religion infolge eines allgemeinen Säkularisierungsprozesses ihre Vormachtstellung eingebüßt zu haben, doch war die treibende Kraft dieser Entwicklung weniger die Wissenschaft als vielmehr eine allmähliche Trennung zwischen geistlichen und weltlichen Würdenträgern. Die Masse der Bevölkerung wurde durch diesen Säkularisierungsprozeß wahrscheinlich nur wenig betroffen. Unsere wichtigste Quelle zur Interpretation von Religion und Wissenschaft der Maya in klassischer Zeit sind ihre künstlerischen Hinterlassenschaften. In zunehmendem Maße werden diese bildlichen Zeugnisse durch die Deutung schriftlicher Aufzeichnungen vor allem nichtkalendarischen Inhalts ergänzt. Schließlich sind wir wiederum, vor allem was die religiösen Vorstellungen und Praktiken des breiten Volkes anbetrifft, auf Beobachtungen bei den heutigen Maya angewiesen. Aus all diesen Quellen ergibt sich ein zwar noch recht lückenhaftes, doch in seinen Konturen bereits erkennbares Bild der geistigen Welt der Maya in klassischer Zeit. Ihre kosmologischen Vorstellungen wurden offensichtlich durch ein zyklisches Weltbild bestimmt, das in deutlichem Gegensatz zu unserer linearen Geschichtsauffassung stand. Der Lauf der Zeit bewegte sich nicht von einmaligem Anfang bis zu einem unbestimmten Ende, sondern wurde, gleich dem Umlauf der Planeten, als eine ständige Wiederkehr von Geburt und Tod, Werden und Vergehen, Schöpfung und Zerstörung gesehen. So hatte es vor dem gegenwärtigen Zeitalter bereits drei voraufgegangene Welten gegeben, und auch dieses konnte jederzeit, vor allem am Ende einer Kalenderrunde, mit einem Weltuntergang enden. War diese Vorstellung von einem periodischen Zerrinnen der Zeit, das die Welt immer wieder an den Rand des Abgrundes brachte, schon nicht dazu angetan, den 93
Menschen optimistisch zu stimmen, so mußte es mit seinem Seelenfrieden gänzlich vorbei sein, wenn er sich vergegenwärtigte, daß die Welt ja eigentlich auf dem Rücken eines Krokodils ruhte, das in einem großen Teich schwamm. Das Krokodil brauchte sich nur zu bewegen, dann gab es Erdbeben, Vulkanausbrüche und Überschwemmungen. Da halfen auch die 13 Himmel nicht, die - einer über dem anderen - über der Erde sich wölbten und allein für die Götter und einige Auserwählte unter den Menschen vorbehalten waren, und noch viel weniger die 9 Unterwelten, in die man gewöhnlich nach dem Tode zurückkehrte. Aus der Vereinigung von Himmel und Unterwelt, ersterer als Quelle des Lichts und Symbol des Mannes, letztere als dunkel und weiblich gedacht, ging das Leben auf Erden hervor. Und ein unabwendbares Schicksal der Frau: infolge ihrer Assoziation mit der Unterwelt, dem Reich der Finsternis und des Bösen, einem strahlenden Manne, der nur Gutes tut, auf ewig Untertan zu sein. Auf die auffallende Ähnlichkeit, die auch in der Kosmologie zwischen Mesoamerika und dem alten Indien besteht, wurde, soweit es den zyklischen Zeitbegriff betrifft, bereits bei der Behandlung des Kalenders im vorigen Kapitel hingewiesen. Es überrascht in der Tat, wenn man erfährt, daß es im binduistischbuddhistischen Indien ebenfalls die Vorstellung von vier Weltzeitaltern gab und daß man sich auch hier wie bei den Maya in der Spekulation von Zeiteinheiten, die Millionen von Jahren umfassen, erging. Aber nicht nur, was das Verständnis der Zeit anbetrifft, auch die Vorstellungen vom Aufbau der Welt zeigen Parallelen: so schwimmt der Kontinent des Rosenapfelbaumes, wie die Inder ihr Land in alter Zeit nannten, nicht nur auf einem Ringmeer, sondern über und unter der Erde erstrecken sich auch mehrere Himmel und Höllen. Letztere werden in 8 heiße und 8 kalte Höllen unterteilt. Bei den Lakandonen findet sich die Vorstellung, daß die sündige Seele eines Toten in der Unterwelt abwechselnd in Feuer und Eiswasser gesteckt wird. Könnte es sich hier um ein Glaubensrelikt handeln, das letztlich seinen Ursprung im Land des Rosenapfels hat? Oder war hier nur die Natur des Menschen am Werk, für den heiß und kalt universelle Begriffsprinzipien sind? Mögen einige der Übereinstimmungen in der Kosmologie auch zu speziell erscheinen, um allein durch Konvergenz erklärt zu werden, für die Religion im engeren Sinne trifft dies mit Sicherheit nicht zu. Polytheismus, wie er für die Maya der klassischen Zeit nachweisbar und auch heute noch bei den Lakandonen 94
anzutreffen ist, ist eine allgemeinverbreitete Religionsform, die auf der Vergöttlichung bestimmter Phänomene der Natur und Lebensbereiche des Menschen beruht und für alle frühen Hochkulturen charakteristisch ist. So verehrten die Maya als Gottheit die Sonne, den Mond und den Planeten Venus, einen Windgott und einen Regengott, eine Erdgottheit, einen Maisgott, den Jaguar, die Gefiederte Schlange - ein drachenartiges Wesen, das das Symbol der Erde mit dem des Himmels verband - und einen Gott des Krieges. Daneben gab es unzählige andere Gottheiten, die von einem entrückten Hochgott, der in das Leben der Menschen nicht unmittelbar eingriff, sondern ihre Geschicke mit Hilfe der einzelnen Ressortgötter lenkte, bis zu kleineren Lokalgöttern reichten, die einen See, einen Berg oder einen Baum verkörperten. Die meisten dieser Gottheiten wurden als Vierheiten gedacht, das heißt, sie traten jeweils als vierfache Wesen auf, die den vier Kardinalpunkten und vier diesen entsprechenden Farben zugeordnet waren. Gewöhnlich stellte man sie in gegenständlicher Form dar, wobei sich anthropomorphe mit tierischen und pflanzlichen Zügen verbanden. Waren sie grundsätzlich für einen besonderen Funktionsbereich zuständig, so konnte es durchaus geschehen, daß sich ihr Einfluß auch auf andere Bereiche, die mit ihrem Wesen in Beziehung standen, auswirkte. So galt beispielsweise die Sonne zwar vorrangig als Tagesgestirn, infolge ihrer nächtlichen Wanderung durch die Unterwelt nahm sie zugleich aber auch die Attribute einer Nachtgottheit an. Um die Vielzahl dieser Götter dem Menschen wohlgesonnen zu stimmen, bedurfte es regelmäßiger Kulthandlungen, die sowohl Gebete als auch Opfer umfaßten. Man erbat das Wohlwollen des Maisgottes für das Gelingen einer guten Ernte, man rief den Jaguar oder die Schlange an, daß sie den Wanderer im Dschungel oder den Bauer auf dem Feld verschonen möchten, und der Feldherr versprach dem Kriegsgott ein reiches Opfer, wenn er ihn den Feind besiegen ließ. Als Opfergaben brachte man Weihrauch, Feldfrüchte und Menschenblut. Menschenopfer nahmen zwar bei den Maya, zumal in der klassischen Zeit, nicht die ungeheuren Ausmaße an wie bei den Azteken, doch waren sie, wie die Fresken von Bonampak und andere bildliche Darstellungen zeigen, auch hier ein wesentlicher Bestandteil des Oplerzeremoniells. Vorherrschend, wenn auch sicher nicht die einzige Form des Menschenopfers in klassis cher Zeit, war das Herzopfer, bei dem dem Opfer bei lebendigem Leibe das Herz herausgerissen und als höchstes Gut, das der Mensch zu geben 95
vermochte, den Göttern zur Nahrung dargereicht wurde. Weit häufiger als diese extreme Form des Menschenopfers scheinen allerdings Kasteiungen gewesen zu sein. Zahlreich sind die Darstellungen auf Stelen und Keramik, wo sich ein Bußfertiger eine dornenbesetzte Schnur durch die Zunge zieht oder mit einem Messer den Penis ritzt. Opferblut aus den Geschlechtsorganen wurde zweifellos als wirksamstes Mittel angesehen, die Fruchtbarkeit der Felder zu sichern. Wo derartige Vorstellungen und Praktiken bestehen, so sollte man meinen, kann es mit der Wissenschaft nicht weit her sein. Und dennoch, obwohl die Wissenschaft bei den Maya im Dienst der Religion stand, vollbrachten sie zu einer Zeit, da in Europa finsteres Mittelalter herrschte, intellektuelle Leistungen, die zumindest was die Astronomie anbelangt - erst in unserer Zeit wieder erreicht werden sollten. Unter den Wissenschaften der Maya in klassischer Zeit, von denen wir Kenntnis haben, sind neben der Astronomie vor allem die Mathematik und das Kalenderwesen, aber auch die Entwicklung der Schrift zu erwähnen. Die Maya-Schrift erreichte eine höhere Stufe als alle anderen Schriftsysteme des indianischen Amerika. Wenngleich sie noch immer nicht vollständig entziffert ist, so scheint es aufgrund der Zahl der einzelnen Schriftzeichen doch ziemlich sicher, daß sie - ähnlich der ägyptischen Schrift - auf einer Verbindung von ideographischen und phonetischen Zeichen beruht, also über das Stadium einer Bilderschrift, wie sie die Azteken verwendeten, weit hinausgelangt war. Die Erfindung beziehungsweise Entwicklung der Schrift, mit der die Maya sowohl gegenständliche als auch abstrakte Begriffe in Wort-, Silben- und möglicherweise auch in Buchstabenzeichen ausdrücken konnten, ermöglichte ihnen nicht nur die Aufzeichnung historischer Ereignisse, sondern bildete auch die Grundlage aller weiteren wissenschaftlichen Betätigung. Ohne eine schriftlich fixierte Überlieferung wissenschaftlicher Beobachtungen und Erkenntnisse über Raum und Zeit hinweg wäre die Akkumulation des Wissens nicht möglich gewesen, die zur Perfektion eines Kalenders führte, der genauer war als alle anderen der damaligen Zeit. Um diesen vielgerühmten Kalender zu entwickeln, bedurfte es freilich auch eines brauchbaren mathematischen Instrumentariums. Wie wir gesehen haben, wurde bereits in präklassischer Zeit von den Olmeken das Stellenwertsystem auf der Grundlage der Vigesimalrechnung und unter Verwendung des mathematischen Prinzips der Null eingeführt. Die Maya der klassischen 96
Zeit bauten dieses System weiter aus, indem sie die Skala der gebräuchlichen Zahlen bis auf die siebte Potenz der Basis 20, also auf einen Wert von über 1 Milliarde, ausdehnten und auch für die höheren Potenzzahlen, mit denen sie regelmäßig operierten, besondere Bezeichnungen verwendeten. Uns, die wir in einem Zeitalter, das durch die Technik geprägt ist, leben und an Zahlen astronomischer Größe gewöhnt sind, mag die Zahlenakrobatik der Maya nicht sonderlich beeindrucken. Für ein Volk aber, das zu einer Zeit lebte, da Karl der Große noch Analphabet war und die meisten Menschen auf der Erde nur soweit zählen konnten, wie sie Finger und Zehen hatten (darauf geht das Vigesimalsystem in Mesoamerika zurück), waren die mathematischen Kenntnisse der Maya eine bemerkenswerte Leistung, zumal wenn man berücksichtigt, daß die Mathematik bei den Maya im Gegensatz zu anderen frühen Hochkulturvölkern wie den Sumerern oder den Ägyptern offenbar nicht primär wirtschaftlichen Zwecken diente, sondern fast schon einem intellektuellen Exerzitium gleichkam, wäre nicht ihre enge Verflechtung zum Kalender gewesen. Was hat es nun mit diesem Kalender auf sich? Die Maya der klassischen Zeit behielten die Grundform des im Präklassikum entwickelten Kalendersystems, das auf dem Zusammenspiel verschiedener Tages- und Jahreszyklen und deren Einordnung in ein absolutes Bezugssystem, den sogenannten Long Count, beruhte, bei. Um jedoch eine größtmögliche Genauigkeit zu erzielen, führten sie zwei wesentliche Neuerungen ein. Sie ergänzten einmal die zyklische Komponente um zwei weitere Zeitperioden, die Umläufe von Mond und Venus, so daß zusammen mit dem 100 tägigen Tzolkin, dem 36jtägigen Haab und der 5ijährigen Kalenderrunde schließlich fünf Zyklen nebeneinander liefen, woraus sich eine noch exaktere Fixierung beziehungsweise Kontrolle der Datenaufzeichnungen ergab. Zum anderen erkannten die Maya, daß zwischen ihrem 305 tägigen Jahr und dem tatsächlichen Umlauf der Sonne (sie hatten ein geozentrisches Weltbild, womit sie - was noch Galilei 1000 Jahre später auf empfindliche Weise erfahren sollte - nicht allein dastanden) eine Diskrepanz bestand, und um diese zeitliche Differenz zwischen dem Kalender- und dem Sonnenjahr auszugleichen, nahmen sie durch die Einführung der sogenannten Secondary Series in den Eong Count - Inschriften eine Korrektur vor, die - im Gegensatz zu unseren Schalttagen - nicht aus einer periodischen Einschaltung eines zusätzlichen Tages bestand, sondern aus einer Registrie97
rung akkumulierter »Schalttage«, die jeweils zur Initial Series, dem Hauptdatum, hinzugezählt werden mußten. Dies ist im Prinzip noch keine übermäßig geniale Leistung. Worauf es ankommt, ist, die genaue Länge des Sonnenjahres zu erkennen. Und hier kamen die Maya tatsächlich zu einem erstaunlichen Ergebnis: sie bestimmten die Länge eines Sonnenjahres auf 365,2420 Tage (da sie die Bruchrechnung nicht kannten, drückten sie dies in einer entsprechend größeren Zeiteinheit aus), ein Wert, der nur um 2/10000 unter dem liegt, den die moderne Astronomie errechnet hat! Der Julianische Kalender, der bis 1582 in Europa in Gebrauch blieb, basierte auf einer Jahreseinschätzung von 365,2500 Tagen, und selbst unser heutiger Gregorianischer Kalender ist mit einer Länge von 365,2425 Tagen noch dem der Maya unterlegen. Um die wahre Bedeutung dieser wissenschaftlichen Leistung
Rekonstruktion einer astronomischen Tempelanlage (Gruppe E) in Uaxactun zur Bestimmung der Sonnenwenden und Äquinoktien (nach S. G. Morley, The Ancient Maya, Stanford 1956)
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der Maya zu ermessen, muß man sich vergegenwärtigen, unter welchen Bedingungen sie zu ihren Erkenntnissen gelangten. Nicht nur waren die topographischen und klimatischen Voraussetzungen im zentralen Maya-Gebiet, das durch dichten Dschungel und starke Wolkenbildung gekennzeichnet ist, für eine Beobachtung der Himmelskörper denkbar ungünstig, auch die technischen Mittel, die den Maya-Astronomen zur Verfügung standen, waren äußerst begrenzt. Abgesehen von dem Observatorium in Palenque, das zumindest in der klassischen Periode eine Ausnahme gewesen zu sein scheint, bediente man sich im wesentlichen einer bestimmten Anordnung von Stelenmonumenten und Tempelbauten, mit deren Hilfe man den Lauf der Gestirne messen konnte. So findet sich in Uaxactun beispiels weise eine Anlage, die sogenannte Gruppe E, die aus einer Pyramide und drei auf einer gemeinsamen Plattform errichteten Tempeln besteht, die derart angeordnet sind, daß man von einem Beobachtungspunkt auf den Stufen der gegenüberliegenden Pyramide jeweils den Aufgang der Sonne am längsten und kürzesten Tag des Jahres sowie zur Zeit der Tagundnachtgleiche fixieren konnte. Mit dieser und ähnlichen Anlagen gelang es den Maya, nicht nur die genauen Umlaufzeiten der Planeten zu bestimmen, sondern auch das Eintreten einer Sonnenfinsternis vorauszusagen, womit die Maya-Astronomen zweifellos ein besonderes Prestige unter der unwissenden bäuerlichen Bevölkerung erlangten, die dieses Phänomen als ein Zeichen drohenden Unheils ansah.
Pacal, der Herr von Palenque Das Ansehen, das die Priestergelehrten aufgrund ihrer Deutung beziehungsweise scheinbaren Manipulation als göttlich empfundener Naturerscheinungen gewannen, verhalf ihnen zu einer Machtstellung, die sie in frühklassischer Zeit wahrscheinlich zu einem theokratischen Herrschaftssystem ausbauten. Auf eine solche Entwicklung weist vor allem das Vorherrschen religiöser Bauten und Kunstwerke in den städtischen Zentren dieser Zeit hin, während im späten Klassikum Paläste und Bildwerke offensichtlich säkularer Thematik in den Vordergrund treten, woraus zu schließen ist, daß die Priesterfürsten allmählich durch weltliche Herrscher abgelöst wurden. Worauf dieser Säkularisierungsprozeß zurückzuführen ist, ist 99
bislang nicht näher untersucht worden. Mit Sicherheit spielten demographische Faktoren eine Rolle, denn der Einfluß religiöser Autoritäten war sicher lokal begrenzt und reichte kaum aus, eine in spätklassischer Zeit stark angewachsene Bevölkerung, die ein weites Hinterland im Umkreis um die Städte bewohnte und wahrscheinlich auch schon weitgehend wirtschaftlich und gesellschaftlich differenziert war, zu lenken. Um die ländliche Bevölkerung an die städtischen Zentren zu binden, ohne die diese nicht lebensfähig gewesen wären, bedurfte es einer staatlichen Ordnungsmacht, die nötigenfalls auch mit militärischer Gewalt die Botmäßigkeit der Bauern und Handwerker zu erzwingen imstande war. Eine solche Ordnungsmacht konnte sich nicht nur auf die Ausübung der Regierungsgewalt beschränken, sie umfaßte auch einen ausgedehnten Verwaltungsapparat, dem die Eintreibung der Tribute und die Aushebung der Arbeitskontingente oblag. Auch waren mit zunehmender Siedlungskonzentration Landstreitigkeiten kaum zu vermeiden, so daß die Zentralgewalt schließlich auch eine richterliche Funktion übernahm. Ein anderer Faktor, der den Säkularisierungsprozeß ausgelöst beziehungsweise beschleunigt haben könnte, war möglicherweise eine ähnliche Entwicklung, wie sie auch in unserer Gesellschaft zu beobachten ist und eine allgemeine evolutionäre Ge setzmäßigkeit zu sein scheint: je mehr der Mensch seine Umwelt erkennt und beherrscht, desto weniger ist er auf irrationale Vorstellungen und Praktiken angewiesen. Da nur der kleine Kreis derer, die in den städtischen Zentren wohnten, Zugang zu wis senschaftlichen Erkenntnissen hatte, weil allein hier die dazu nötigen Voraussetzungen wie technische Einrichtungen und Muße zu spekulativem Denken und formaler Bildung bestanden, konnte sich eine weltlich orientierte Elite herausbilden, die durch eine Monopolisierung des Wissens sich die in Aberglauben gehaltene breite Masse des Volkes gefügig machte. Die Entwicklung staatlicher Organisationsform erreichte bei den Maya der klassischen Zeit offenbar nicht das Stadium einer überregionalen politischen Einheit. Es scheint vielmehr, daß die einzelnen Städte - ähnlich wie im antiken Griechenland - eine Art Stadtstaat bildeten, der sich aus dem eigentlichen urbanen Zentrum und einem mehr oder weniger ausgedehnten Hinterland zusammensetzte. Diese besondere Staatsform ging zweifellos auf das extensive Milpa-System zurück, das mit seiner zentrifugalen Wirkung der Errichtung einer Zentralgewalt im Wege stand. Sie wurde aber auch durch die kommunikationsfeindliche 100
Umweltbedingt und war sicher auch eine Folge der sprachlichen Zersplitterung der Maya, die, was das Tiefland in klassischer Zeit betrifft, ja aus mehreren Sprachgruppen, den Yukateken im Norden, den Chontalanen in der Zentralregion und den Tzeltalanen im Südwesten, bestanden. Nur in Ausnahmefällen scheint es zu einer Föderation mehrerer Stadtstaaten gekommen zu sein. Bildeten die Tiefland-Maya in klassischer Zeit auch keine politische und ethnische Einheit, so wiesen sie dennoch einen hohen Grad kultureller Homogenität auf. Nicht nur daß das Milpa-System die wohl am weitesten verbreitete Form des Ackerbaus war, das Prinzip des Kragsteingewölbes allgemein Anwendung fand und überall die gleichen Götter verehrt wurden, die Übereinstimmungen erstrecken sich auch auf so spezielle Bereiche wiedie Schrift und den Kalender. Wie diese erstaunliche kulturelle Einheitlichkeit zustande kam, verrät eine Darstellung auf dem sogenannten Altar Q in Copan: die Seiten dieses quadratischen Altars, der aus dem Jahre 776 n. Chr. datiert, zeigen die Reliefs von je vier Würdenträgern, die, auf Kissen sitzend und zwei zentralen Gestalten zugewandt, offensichtlich eine Art Konferenz abhalten. Genauere Untersuchungen haben ergeben, daß es sich bei dieser Konferenz um eine Versammlung von Astronomen aus verschiedenen Gegenden des Maya-Gebietes handelt, die nach Copän gekommen waren, um eine Korrektur des Kalenders vorzunehmen. Das Ergebnis war jene Bestimmung der Länge des Sonnenjahres, die den Maya-Kalender zum genauesten seiner Zeit machte. Wenig später wurde diese Kalenderkorrektur in allen anderen Städten des Maya-Gebietes eingeführt. Es gab also einen regen zwischenstaatlichen Gedankenaustausch, der sich zweifellos nicht nur auf die Astronomie beschränkte, sondern sich auch auf andere kulturelle Bereiche, insbesondere die Religion, erstreckte. Hinzu kam, daß natürlich auch Handelsbeziehungen zwischen den einzelnen Stadtstaaten bestanden, die einen Kulturaustausch förderten. Dennoch war die Einheitlichkeit der klassischen Maya-Kultur nicht so groß, daß nicht auch erhebliche regionale Unterschiede, vor allem in Kunst und Architektur, bestanden hätten, so daß es nicht abwegig ist, von Kulturprovinzen zu sprechen, die in der Regel mit den Grenzen eines Stadtstaates identisch sind. Die territoriale Ausdehnung eines Stadtstaates wurde durch die Größe seines Zentrums bestimmt. Städte wie Tikal, Copän und Palenque stützten sich zweifellos auf ein ausgedehntes Hinterland, das weit über die Grenze dessen hinausreichte, was zur 101
unmittelbaren Bedarfsdeckung im Zentrum erforderlich war. Durch sogenannte Emblemglyphen, Hieroglyphen, die jeweils aus einem variablen Haupt- und zwei konstanten Nebenzeichen bestehen und offensichtlich den Namen eines städtischen beziehungsweise zeremoniellen Zentrums wiedergeben, wissen wir, daß beispielsweise der Einflußbereich Palenques sich von der Meseta Central in Chiapas bis zum Mündungsgebiet des Usumacinta erstreckte, da die Emblemglyphe dieser Stadt in so entfernten Orten wie Simojovel und Jonuta auftaucht. Tikal hatte seinen Machtbereich der Verbreitung seiner Emblemglyphe zufolge über das gesamte Gebiet zwischen dem See von Flores und der Grenze nach Belize ausgedehnt, während der Einfluß von Copän bis nach Quirigua im Tal des Rio Motagua reichte. Auch Städte mittlerer Größe erlangten offenbar eine Hegemonialstellung über kleinere Orte, so etwa Yaxchildin über Bonampak und Seibal über Aguateca, Tamarindito und Dos Pilas. Den kleineren Zeremonialzentren wiederum werden verstreute Weiler unterstanden haben, so daß ein Stadtstaat ein System voneinander abhängiger Siedlungszentren unterschiedlicher Größe und Funktion bildete. Die neuere Hieroglyphenforschung hat uns nicht nur eine genauere Vorstellung von der Größenordnung verschiedener Stadtstaaten ermöglicht, ihr verdanken wir auch erste Einblicke in die dynastischen Verhältnisse einiger dieser Staaten. So konnten anhand von Stelen und anderen Monumenten, auf denen in Bild und Text die wichtigsten Ereignisse im Leben eines Herrschers wie Geburt, Thronbesteigung, Kriegszüge, diplomatische Missionen, Eheschließungen und Tod festgehalten wurden, bereits mehrere Herrscherlisten aufgestellt werden, darunter für Piedras Negras, Palenque und Quiriguä. In Piedras Negras, das den Mittellauf des Usumacinta kontrollierte, bestieg der erste überlieferte Herrscher im Jahre 603 n. Chr. den Thron (dieser Ausdruck ist durchaus zutreffend, wie die zahlreichen Thronbänke, die man gerade in Piedras Negras fand, beweisen). Nach etwa 3 5jähriger Regierungszeit folgte ihm ein zweiter Herrscher, der zur Zeit seines Regierungsantritts noch keine 13 Jahre alt war, dafür aber länger als alle anderen, nämlich 47 Jahre, regierte. Auch der dritte Herrscher, der mit 22 Jahren die Regierungsgeschäfte übernahm, blieb außergewöhnlich lange im Amt, 42 Jahre. Dieser Periode offensichtlicher Stabilität, in der Piedras Negras seinen größten Aufschwung erlebte, folgte anscheinend eine Zeit politischer Wirren, denn die drei nachfolgenden Herr102
scher regierten zusammen kaum länger als ihr Vorgänger- 28, 5 und 17 Jahre. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang die Darstellung auf einem Türsturz in Piedras Negras, die eine Versammlung zeigt, bei der ein fremder Würdenträger den Vorsitz führt, der möglicherweise mit Vogel-Jaguar, seit 752 Herrscher des Nachbarstaates Yaxchildin, identisch ist und vermutlich in das Staatsgeschehen in Piedras Negras eingegriffen hat. Vom siebten Herrscher, dem letzten, den die Stelenaufzeichnungen in Piedras Negras erwähnen, wissen wir nur, daß er sein Amt 777 im Alter von 31 Jahren antrat. Seine Regierungszeit wird kaum sehr glücklich gewesen sein, denn Piedras Negras näherte sich rasch seinem Ende: die letzte Dateninschrift dieser Stadt stammt aus dem Jahre 810. Wie in Piedras Negras, so fällt auch in Palenque die Periode größter Entfaltung in die Zeit, aus der genaue Aufzeichnungen über eine Folge von Herrschern überliefert sind. Sie finden sich jedoch nicht wie in Piedras Negras in einer fortlaufenden Reihe von Stelenmonumenten, sondern sind vorwiegend auf Wandtafeln im Palast und in den Tempeln angebracht, zumindest im letzteren Fall ein Indiz dafür, daß der Säkularisierungsprozeß in Palenque offenbar noch nicht so weit vorangeschritten war wie in Piedras Negras. Die Reihe der Herrscher in Palenque beginnt mit Pacal (6oi,-68i,), in der Sprache der Chol-Maya, die zu dieser Zeit sich bereits weitgehend von der übrigen Chontalan-Gruppe getrennt hatten und wahrscheinlich - wie ihre heutigen Nachfahren - das Gebiet von Palenque bewohnten, die Bezeichnung für das Hauptzeichen seiner Namensglyphe: einen Schild. Während einer fast 7ojährigen Regierungszeit - bereits mit 12 Jahren kam er zur Macht - verwandelte Pacal das in frühklassischer Zeit unbedeutende Palenque in eine blühende Metropole. Es überrascht deshalb nicht, daß er sich mit der größten Tempelpyramide der Stadt ein Grabmal schuf, das einmal an Berühmtheit dem Grab des Tutenchamun kaum nachstehen sollte: Pacal war kein anderer als jener Priesterfürst, dessen Skelett, bedeckt mit Jadeschmuck, Perlen und Zinnober, man in der Krypta des Inschriftentempels fand! So groß war sein Ruhm, daß all seine Nachfolger - Chan-Bahlum (635-702), Hok (144 - ca. 720), Chaac (678 – ca. 722), Chac-Zutz' (671 - ca. 731) und Kuk (? - ca. 783) ihn voll Ehrfurcht in ihren Inschriften erwähnen. Mit dem Tode Kuks (»Quetzal«) endete der Glanz Palenques: die letzte Inschrift datiert aus dem Jahre 785. Zu der Zeit, als Piedras Negras und Palenque bereits in voller 103
Blüte standen, eroberte Schwarze Fledermaus, der Herrscher von Copän, dessen Bildnis als Stele A und B auf dem großen Zeremonialhof dieser Stadt steht, das benachbarte Quiriguä und gründete dort eine Dynastie, indem er seinen Sohn Zweibeiniger Himmel 723-ca. 785), der zur Zeit der Eroberung 15 Jahre alt war, mit einer einheimischen Prinzessin verheiratete und ihn als Vasall auf den Thron von Quirigua setzte. Obwohl in Abhängigkeit von Copän, entwickelte sich Quirigua unter der Herrschaft von Zweibeiniger Himmel zu einem bedeutenden Zeremonialzentrum, dessen bemerkenswerteste Leistung die Errichtung von Stelenmonumenten war, die mit fortschreitendem Alter Zweibeinigen Himmels immer größere Ausmaße annahmen. 771, auf der Höhe seines Lebens, ließ Zweibeiniger Himmel Stele E errichten: mit seinem bärtigen Abbild geschmückt stellt diese Stele das größte freistehende Denkmal zu Ehren eines Herrschers dar, das von den Maya errichtet wurde. Die Stele mißt in ihrer Länge nicht weniger als 10 m und wiegt die Kleinigkeit von 60 t. Dagegen mußte alles verblassen, was die vier Nachfolger Zweibeinigen Himmels schufen, die sich in die 20 Jahre, die der Stadt noch verblieben, teilten. Mit der letzten Inschrift aus dem Jahre 810 war auch für Quirigua die Stunde gekommen.
Eroberer aus dem Norden Bevor wir nun die Gründe für den plötzlichen Niedergang der klassischen Maya-Kultur untersuchen, wollen wir noch einen kurzen Blick auf die Entwicklung in den peripheren Regionen des Maya-Gebietes in klassischer Zeit, die Halbinsel Yukatan und die südlichen Hochländer, werfen. Diese Gebiete hatten an der kulturellen Blüte der Zentralregion nur geringen Anteil, wiewohl sie offenbar in reger Handelsbeziehung zu ihr standen, denn die Zentralregion war auf den Import von Salz, Baumwolle und Honig aus Yukatan und von Reibsteinen (Metates), Obsidian und Quetzalfedern aus den südlichen Hochländern angewiesen. Für die Lieferung dieser Rohstoffe erwarben die Randgebiete Luxusartikel, Kultgegenstände und nicht zuletzt auch technische und wissenschaftliche Kenntnisse, so. daß es durchaus möglich ist, daß zwischen der Zentralregion und den peripheren Gebieten ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis bestand wie heute zwischen den Industrienationen, den sogenannten Metropolen, und den Entwicklungsländern, den Satelliten - ein Mo104
dell, das, wie wir noch sehen werden, in entscheidendem Maße zur Klärung der Frage des Niedergangs der klassischen MayaZivilisation beitragen könnte. In Yukatan war es im frühen Klassikum zu einer ähnlichen Entwicklung gekommen wie in der Zentralregion, nur daß im Norden ein deutlich geringeres Kulturniveau vorherrschte als im Süden, was sich vor allem in einem weniger ausgeprägten Stelenkult mit entsprechend geringerer Kenntnis der Schrift und des Kalenderwesens äußerte. Erst zu Beginn der Spätklassik, als auch in der Zentralregion lokale Architektur- und Kunststile entstanden, kam in Yukatan eine eigenständige kulturelle Tradition auf, die seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert in zunehmendem Maße unter den Einfluß kultureller Impulse aus Zentralmexiko gerät und damit bereits in die postklassische Periode überleitet. Ihren Ausgang nahm diese neue yukatekische Tradition offenbar im Grenzgebiet zwischen Zentral- und Nordregion, das mit der Ubergangszone zwischen dem Dschungel des Peten und dem Buschland Yukatans identisch ist und wahrscheinlich auch eine sprachliche Grenze zwischen den Chontalan- beziehungsweise Chol-sprechenden Maya des Peten und den Yukateken der Halbinsel bildete. In diesem Gebiet findet sich in der Gegend, wo heute die mexikanischen Bundesstaaten Campeche und Quintana Roo zusammentreffen, ein Architektur- und Kunststil verbreitet, der nach einem repräsentativen Fundort als Rio Bec bezeichnet wird und als älteste Form der spät- und postklassischen yukatekischen Tradition angesehen werden kann. Im Ge gensatz zu den urbanen Zentren in der Zentralregion entbehren die Städte des Rio Bec- wie auch ihre Nachfolger - einer sorgfältigen Anordnung der Bauten um einen Zeremonialhof. Auch fehlt die für die Zentralregion so typische Akropolis. Selbst Tempelpyramiden sind selten. Statt dessen schmückte man in den Rio Bec-Städten palastartige Gebäude mit turmähnlichen Anbauten, die die Form einer Pyramide haben und von tempelartigen Aufsätzen gekrönt sind. Beides, Pyramide wie Tempel, sind nur Attrappen: die Treppe der Pyramide ist zu steil, als daß man sie benutzen könnte, und der Tempel auf ihrer Plattform weist nur einen simulierten Eingang auf - er enthält keinerlei Schrein. Das Vorbild war zweifellos Tikal, doch anstatt 70 m hohe Tempelberge zu errichten, begnügte man sich mit einer modellhaften Nachbildung. Vielleicht wollte man sogar gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem man Kultbau und Residenz zu einem Mehrzweckgebäude zusammenfaßte. Dem 105
widerspräche allerdings die Tatsache, daß die Eingänge zu den ebenerdigen Räumen die Form eines aufgesperrten drachenartigen Rachens haben. In der Vorstellung der Maya scheint die Welt von einer Art Haus umschlossen worden zu sein, das durch die Leiber von vier riesigen Leguanen gebildet wurde beziehungsweise, da sich hinter der Vierheit eigentlich ja nur eine Gottheit verbarg, aus dem höhlenartigen Innern einer Drachenechse bestand. So waren die pyramidenverzierten Bauten des Rio Bec offenbar Itzamnd geweiht, dessen Name nichts anderes als »Leguanhaus« bedeutet. Der Rio Bec-Stil, der in das 7. und 8. Jahrhundert datiert wird, wurde durch den Chenes-Stil abgelöst, der - nach dem häufigen Vorkommen natürlicher Brunnen (im yukatekischen Maya: »chen«) im Dreistaateneck Campeche, Yukatan und Quintana Roo benannt - geographisch wie kulturell eine Zwischenstellung zwischen dem Rio Bec und dem PUHC einnimmt. Obwohl mit Pyramidenattrappen und Türmasken ersterem enger verbunden als letzterem, weist der Chenes-Stil in seiner Fassadendekoration bereits eine entscheidende Neuerung auf, die für den Puuc-Stil charakteristisch ist und wahrscheinlich aus dem zentralen Mexiko entlehnt wurde: die Verwendung feinbehauener Steinblöcke anstatt Stuck, wie er für die klassische Maya-Tradition typisch war. Auch tauchen bereits an den Ecken der Chenes-Gebäude jene rüsselbewehrten Masken auf, die an Elefanten erinnern, wohl aber den Regengott Cbac darstellen, der im wasserarmen Puuc-Gebiet eine besondere Verehrung genoß. Der eigentliche Puuc-Stil, der um 800 n.Chr. einsetzt und bis ins n. Jahrhundert andauert, steht bereits unter so starkem zentralmexikanischen Einfluß, daß er der Maya-Tradition der klassischen Periode nicht mehr zugerechnet werden kann. Dies trifft eigentlich auch für das Hochland von Guatemala zu, das bereits in frühklassischer Zeit seine kulturelle Eigenständigkeit verliert. Nach dem Niedergang Kaminaljuyus gegen Ende des Präklassikums gelangt diese Stadt im frühen Klassikum, in der sogenannten Esperanza-Phase, unter dem Einfluß Teotihuacans zu neuer Blüte. Da der Fremdeinfluß sich nicht nur auf mögliche Importwaren wie Keramik oder Kunstgegenstände beschränkt, sondern sich auch auf die Architektur auswirkt, und zwar derart, daß man geradezu von einer Nachbildung Teotihuacäns sprechen könnte, scheint es, daß Kaminaljuyu von Invasoren aus Zentralmexiko erobert wurde. Im frühen Klassikum, als Teotihuacan seinen Höhepunkt erreichte und mit einer Bevölkerung von 100000 mehr als doppelt soviel Einwohner hatte 106
als Tikal in spätklassischer Zeit, war diese Metropole, unweit des heutigen Mexico City gelegen, das größte urbane Zentrum in Amerika und eine der größten Städte der damaligen Zeit überhaupt. Es ist deshalb zwar erstaunlich, aber keineswegs unwahrscheinlich, daß Teotihuacän seinen Machtbereich bis nach Guatemala - über eine Entfernung von mehr als 1000 km ausdehnte. Die Eroberer bauten Kaminaljuyu zum mächtigsten Stützpunkt Teotihuacans im Maya-Gebiet aus und errichteten eine theokratische Herrschaft über die eingesessenen Hochland-Maya, die - abgesehen von Tribut- und Dienstleistungen, die sie an die neuen Herren zu entrichten hatten - in ihrer angestammten Lebensweise offenbar kaum beeinträchtigt wurden. So zeigte sich im Hochland von Guatemala und in geringerem Maße auch in den angrenzenden Gebieten der Südregion in frühklassischer Zeit das Bild einer hybriden Kultur, in der eine fremde Elite in städtischen Zentren residierte, wo sie sich Tempelpyramiden im Stil ihrer Heimat - die Seiten des teotihuakanischen Pyramidentyps bestehen aus einem Wechsel von Schräge (talud) und tafelartig eingerahmter Vertikale (tablero) - erbauen ließ und die für Teotihuacän charakteristische Keramik in Form eines zylindrischen dreibeinigen Gefäßes mit Stuckmalerei und Deckel oder des Florero, eines Gefäßes, das an eine Blumenvase erinnert, herstellte, während die einheimische MayaBevölkerung auf das Niveau einer bäuerlichen Kultur zurücksank, womit das ruhmreiche Erbe der südlichen Maya, die Monumentalplastik und Kalenderwissenschaft, die sie in präklassischer Zeit begründet hatten, für immer aus der Südregion verschwand. Während das Hochland von Guatemala unter der Herrschaft Teotihuacans stand, begann eine Maya-Gruppe, die sich ursprünglich im Gebiet der Selva Lacandona niedergelassen hatte, die Tzeltalanen, ihr Siedlungsgebiet auf das Hochland von Chiapas auszuweiten. Abgesehen von den Tojolabales, die sich in präklassischer Zeit, um 400 v.Chr., vom Grundstock der Maya in Guatemala abgespalten hatten und nach Nordwesten in die Ebene von Comitan eingewandert waren, war die Meseta Central von Chiapas bis zur Expansion der Tzeltalanen, die in der Zeit zwischen 500 und 750 n.Chr. erfolgte, praktisch unbesiedelt. Die Neueinwanderer ließen sich auf dem zentralen Hochplateau in der Gegend des heutigen San Cristobal Las Casas nieder. Ihre Siedlungsreste - sie bestehen anfangs im wesentlichen aus Keramik, später treten auch größere Zeremonialbauten hinzu - finden sich vorwiegend auf Hügeln und Bergkuppen, 107
was auf strategische Erwägungen bei der Auswahl von Siedlungsplätzen schließen läßt. Wahrscheinlich suchten die Tzeltalanen sich vor den Angriffen der Teotihuakaner und ihrer Nachfolger, der Pipiles, deren beider Invasionsroute nach Guatemala ja am Westrand der Meseta Central, im Tal des Rio Grijalva, lag, zu schützen. Sie hatten offensichtlich mehr Erfolg als ihre südlichen Nachbarn, denn die Tzeltalanen - wie auch ihre postklassischen Nachfahren, die Tzeltales und Tzotziles, die ihre Siedlungen auf offenem Gelände in den Hochtälern errichteten scheinen niemals von fremden Eroberern unterworfen worden zu sein. Mit dem Einfall der Pipiles seit etwa 700 n. Chr. beginnt eine Zeit blutiger Wirren im Maya-Gebiet, die nicht nur zur endgültigen Aufgabe von Kaminaljuyu führt, sondern wohl auch den Niedergang der klassischen Maya-Zivilisation im Peten ausgelöst hat. Wer waren diese Pipiles? Ihr Name - er bedeutet soviel wie »Kinder« (das heißt Abkömmlinge des Hauptvolkes im Norden) oder auch »Adlige« beziehungsweise »Fürsten« - verrät, daß sie jener großen mittelamerikanischen Sprachfamilie angehören, die als Nahua bezeichnet wird und in mehreren Einwanderungswellen kriegerischer Nomaden die klassische Blüte Mesoamerikas ausgelöscht und die postklassischen Militärstaaten der Tolteken und Azteken begründet hat. Die erste Welle dieser Nahua-Stämme waren die Pipiles, deren archaische Sprache - im Unterschied zum aztekischen Nahuatl - Nahuat genannt wird, da die Pipiles nur ein t sprachen, wo die Azteken ein tl setzten, und ihr erstes Opfer war Teotihuacän, das um 650 n. Chr. in Flammen aufging. Vom zentralmexikanischen Hochland zogen die Pipiles an die Golfküste, wo sie im mittleren Veracruz anscheinend maßgeblich an der Entwicklung der TajinKultur beteiligt waren. An seßhafte Lebensweise nicht gewöhnt, trieb es sie weiter nach Süden, wo sie sich schließlich am Isthmus von Tehuantepec teilten: eine Gruppe überquerte den Isthmus und breitete sich entlang der Pazifikküste bis nach Panama aus; eine zweite Gruppe wanderte das Tal des Rio Grijalva aufwärts und drang in das Hochland von Guatemala ein; und eine dritte Gruppe stieß nach Tabasco vor und gab damit offenbar den Anstoß zur Desintegration der Stadtstaaten der Maya im südlichen Tiefland. Doch während im Tiefland die klassische Maya-Zivilisation erlosch, kam es im Hochland von Guatemala nach dem Sturz von Teotihuacän und seiner Satelliten zu einer Renaissance präklassischer Kulturformen, die jedoch nur noch ein schwacher 108
Abglanz einstiger Größe war. Kaminaljuyu wurde unter dem Ansturm der Pipiles endgültig aufgegeben, und die lokale Bevölkerung zog sich - wie in Chiapas - auf leicht zu verteidigende Höhenrücken zurück.
Götterdämmerung Aus rätselhaften Gründen verließen die Mayas vor etwa 1000 Jahren ihre Städte im südamerikanischen Tiefland und zogen in die Berge. Jetzt gibt es Indizien dafür, daß die Wikinger sie vertrieben. Bisher wurde angenommen, daß die Wikinger sich nur kurz in Südamerika aufgehalten haben. Der französische SüdamerikaForscher Prof. Jacques de Mathieu aber glaubt aus anthropologischen und archäologischen Studien schließen zu können, daß sie jahrzehntelange Streifzüge unternommen haben, bei denen sie auch auf die Mayas trafen. Die Frage ist, ob sie in der Lage waren, die Maya-Völker aus ihren Siedlungen zu verdrängen. Die Antwort gibt der amerikanische Mediziner Prof. Frank P. Saul von der Universität Ohio. Er hat 90 Maya-Skelette, die in Nordguatemala entdeckt wurden und die bis zu 1200 Jahren alt sind, untersucht. Dabei wurde deutlich, daß die Mayas durchaus nicht das lebensstarke Volk waren, das man bislang in ihnen sah. Viele der von Prof. Saul untersuchten Skelette zeigten eindeutige Zeichen von Mangelkrankheiten. Vor allem Vitamin- und Eisenmangel hatten zu Skorbut und Eisenmangelanämie geführt. Wahrscheinlich sind die aus dem Wald gerodeten Ackerböden der Mayas ausgelaugt gewesen. Ein gesundheitlich so geschwächtes Volk dürfte nach Meinung des amerikanischen Wissenschaftlers kaum den kampflustigen Wikingern widerstanden haben.* Soweit ein Zeitungsartikel, der 1974 unter der Überschrift »Wikinger trieben die Mayas in die Berge« erschien. Damit scheint eines der großen Rätsel der Archäologie, der Niedergang der klassischen Maya-Kultur, gelöst. So sollte man meinen. Doch wer diesen Artikel etwas genauer liest, selbst wenn er Laie ist, dem müssen Zweifel kommen. Sieht man einmal von der Geographie ab - mit den Ländern der Dritten Welt pflegt man es nicht so genau zu nehmen -, so ergibt sich zumindest eine grobe Ungereimtheit, über die auch die Nennung illustrer Professoren 109
nicht hinwegtäuschen kann: die Maya hatten ihre Städte bereits längst verlassen, als die Wikinger nach Amerika kamen! Es erübrigt sich also die Frage - zumindest, soweit es den Untergang der Maya-Städte betrifft -, ob die Wikinger, die nachweislich um 1000 n. Chr. nach Neufundland gelangten, ihren Weg auch nach Mittelamerika fanden. Die Wikinger können wir also getrost vergessen. Anders verhält es sich mit den Skeletten, die Prof. Saul untersucht hat. Sie weisen tatsächlich deutliche Spuren von Krankheiten auf, die auf Mangelernährung zurückzuführen sind. Doch war eine defiziente Nahrungsversorgung offenbar nur ein Faktor unter vielen, die zum Niedergang der klassischen Maya-Kultur führten. So aufschlußreich die Skelettfunde aus klassischer Zeit auch sind, sie allein geben noch keinen Hinweis, daß ein Niedergang überhaupt stattfand. Hierfür gibt es jedoch zahlreiche andere eindeutige Indizien. Das wichtigste wurde bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt: es sind die Datumsschriften, die - in regelmäßigen Abständen vornehmlich auf Stelen aufgezeichnet - einen gesicherten chronologischen Rahmen für die klassische Periode abgeben. Nach einem Höhepunkt des Stelenkultes im Jahre 790 n.Chr., als nicht weniger als 19 Maya-Städte datierte Stelen errichteten, setzte ein plötzlicher Bruch ein: 810 waren es nur noch zwölf, 830 gar nur noch drei Städte, die Stelen diesem Datum weihten, und 889 ist das letzte Jahr, aus dem Steleninschriften im Long Count-System datieren. Die letzte Dateninschrift in diesem System findet sich auf einem Jadeamulett aus Tzibanche in Quintana Roo. Es trägt das Maya-Datum 10.4.0.0.0, das dem Jahre 909 n.Chr. entspricht. 100 Jahre nach ihrer größten Verbreitung war die bedeutendste intellektuelle Leis tung der Maya, die Kalenderwissenschaft, vergessen. In gleichem Maße wie die Kalenderinschriften versiegten, hörte auch die Monumentalarchitektur auf. Schuf man um 741 n. Chr. noch in Tikal mit Tempel IV eines der größten Bauwerke des indianischen Amerika, so wurde hier 100 Jahre später nicht ein einziges Gebäude mehr errichtet. Nicht einmal die umliegenden House Mounds waren zu dieser Zeit noch bewohnt. Die geringe Bevölkerung, die übriggeblieben war, hauste anscheinend führerlos, wie eine Horde Barbaren, in den Tempeln und Palästen, wiewohl sie offenbar bestrebt war, mutwillige Zerstörung zu vermeiden. Ähnliche Anzeichen des Verfalls wie in Tikal sind auch in den anderen Städten des Tieflandes zu beobachten. Die einen gingen früher, die anderen später zugrunde. Um 900 110
n Chr. war im südlichen Tiefland die klassische Maya - Zivilisation erloschen. Als Erklärung für dieses beispiellose Phänomen hat man eine Vielzahl mehr oder weniger plausibler Theorien entwickelt. Sie reichen von Naturkatastrophen bis zum Einfall fremder Eroberer. Was erstere betrifft, so wären vor allem Erdbeben und Hurrikane zu erwähnen. Beide treten zwar im Tiefland auf - Spuren der Zerstörung, die offenbar von einem Erdbeben herrühren, wurden in Xunantunich, einem Ruinenort aus klassischer Zeit an der Grenze zwischen Belize und dem Peten, registriert, und verheerende Auswirkungen von Wirbelstürmen aus jüngster Zeit sind bis in den Peten nachweisbar -, doch könnte es sich in beiden Fällen nur um örtliche Zerstörungen gehandelt haben, die auf den südlichen und östlichen Teil des Tieflandes begrenzt waren und keinesfalls den Untergang aller Maya-Städte verursacht haben können. Weitreichendere Auswirkungen hätte ein plötzlicher Umschwung des Klimas gehabt, aber hierfür gibt es keinerlei Anzeichen. Wenig überzeugend ist auch die Theorie, daß der Ausbruch einer Epidemie oder endemische Krankheiten zur Entvölkerung des Tieflandes führten. Von den Krankheiten, die aus der Kolonialzeit für dieses Gebiet überliefert sind - Gelbfieber, Malaria, Pocken -, konnte keine mit Sicherheit für die vorspanische Zeit nachgewiesen werden. Unheilvoller waren offenbar die Folgen einer Fehl- oder Mangelernährung, die - das zeigen nicht nur Knochenfunde, sondern auch charakteristische Erkrankungen der Zähne - im späten Klassikum ein akutes Stadium erreichte. Eine größere Häufigkeit von Zahnstein bei Skeletten aus dem späten gegenüber solchen aus dem frühen Klassikum weist auf einen Proteinmangel hin. Und die Tatsache, daß die Skelette der Herrscher, die man in den Pyramidengräbern fand, merklich größer und robuster sind als die, die in den House Mounds der umliegenden Weiler zutage kamen, läßt darauf schließen, daß die einen zumindest mehr und wohl auch besser als die anderen zu essen hatten. Damit wären wir bei der Wirtschaft - und Politik - angelangt. Hier sind zwei Faktoren zu unterscheiden, ein interner und ein externer. Der eine betrifft das Problem der Landwirtschaft. Sie beruhte, wie wir gesehen haben, im wesentlichen auf dem Milpa-System, das eine extensive Form der Bodenbewirtschaftung ist, die so lange funktioniert, wie genügend bebaubares Land zur Verfügung steht. Genau dies aber scheint im späten 111
Klassikum, als die Bevölkerung sich explosionsartig vermehrt hatte, nicht mehr der Fall gewesen zu sein. Die Folge waren Hungersnöte und Landstreitigkeiten, aber auch - zieht man eine zunehmende Konzentration von House Mounds in den Zeremonialzentren in Betracht - eine Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte und, da es hier zwar Arbeit, aber kein Brot gab, die Bildung eines städtischen Proletariats. Die Zeitbombe tickte. Um sie auszulösen, bedurfte es - wie das bei Revolutionen nicht selten der Fall ist - eines Impulses von außen. Diesen Impuls gaben die Pipiles und die Putunes, die einen, indem sie mit ihren Kriegszügen in das Hochland von Guatemala den Fernbandel zwischen diesem Gebiet und dem Tiefland unterbrachen, wodurch letzteres von seinen wichtigsten Rohstoffquellen abgeschnitten wurde, und die anderen, naturvisierte Chontales, eine westliche Splittergruppe der Chontalan-Maya, indem sie vor dem Ansturm der Pipiles aus ihrem Stammland in Tabasco nach Osten auswichen, was zwangsläufig zu einem Zusammenstoß mit den eigentlichen Trägern der klassischen Maya-Kultur, den Choles und Yukateken, führte. Der Weg, den die Putunes nahmen, läßt sich anhand archäologischer Zeugnisse deutlich nachweisen: während der Hauptteil sich im Mündungsgebiet des Usumacinta niederließ, stießen zwei kleinere Gruppen ins Herz des Maya-Gebietes vor, eine südliche Gruppe den Usumacinta aufwärts in den Peten und eine nördliche Gruppe über Campeche nach Yukatan. Indes, Verderben bringen die Putunes nur im Süden. Im Norden geben sie den Anstoß zur Entfaltung der postklassischen Puuc-Kultur. Spuren einer Fremdokkupation im Süden fand man in Jonuta im Delta-Gebiet des Usumacinta, in Palenque, Yaxchilan und Altar de Sacrificios, in Seibai am Rio de la Pasion und in Uzanal jenseits der Wasserscheide im Quellgebiet des Belize River. Sie reichen von einer Keramik aus feinkörnigem Ton, wie er nur in Tabasco vorkommt, bis zu einem Stelenrelief, das die Namensglyphe der Herrscherdynastie der Putunes im Usumacinta-Delta trägt: es ist das nahuatische Tageszeichen Cipacti, »Krokodil«. Dieses Namenszeichen taucht auf Stele 3 in Seibai auf, zu einer Zeit, Mitte des 9. Jahrhunderts, als die übrigen Städte im Usumacinta-Gebiet bereits verlassen waren. Und so wie die Reihenfolge der letzten Dateninschriften im Usumacinta-Gebiet dem Vorstoß der Putunes nach Süden entspricht, so setzt sich auch das Versiegen der Daten am Ostrand des Peten in der gleichen Weise 112
fort, wie die Putunes von Ucanal den Belize abwärts nach Norden gezogen sein müssen, bis sie an die Tore Tikals stießen, das g£o seine letzte Stele errichtete, und schließlich Xamantün an der Grenze nach Yukatan erreichten, wo 889 der Stelenkult der klassischen Zeit sein Ende fand. Dem Ansturm der Putunes waren die Priester und Fürsten in den Stadtstaaten nicht gewachsen. Ihre Herrschaft, die durch Wirtschaftskrise und wachsende soziale Spannungen ohnehin geschwächt war, brach unter dem Schwert der Eroberer endgültig zusammen. Da diese aber in ihrer fernen Heimat nur geringen Anteil an der klassischen Maya-Kultur gehabt hatten, also im Vergleich zur lokalen Herrscherelite Barbaren waren, gelang es ihnen nicht, nachdem diese einmal eliminiert war, das klassische Erbe zu bewahren. Die Putunes sanken auf das Niveau einfacher Dorfhäuptlinge hinab und waren zur Zeit der Conquista von ihren Untertanen kaum noch zu unterscheiden.
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III. KAPITEL POSTKLASSIK Die postklassische Periode ist, wie ihr Name schon andeutet, eine Zeit, in der die Maya-Kultur ihren Höhepunkt bereits überschritten hat und allmählich auf die Stufe einer bäuerlichen Stammesgesellschaft hinabsinkt, die eine leichte Beute der spanischen Eroberer wird. Der Brennpunkt der kulturellen Entwicklung verlagert sich weiter nach Norden, nach Yukatan, das - trotz starker Fremdeinflüsse - das Erbe der klassischen Maya weitgehend bewahren kann. In der Zentralregion, im Peten, entsteht nach dem Niedergang der klassischen Kultur ein Vakuum, wenngleich dieses Gebiet auch nicht - wie man früher annahmvöllig entvölkert wurde, und die südlichen Hochländer - noch stärker als der Norden Einflüssen aus Zentralmexiko ausgesetzt werden erneut ihrer traditionellen Kultur entfremdet. Wie das Klassikum, so wird auch die postklassische Periode in eine frühe - von 900 bis 1200 n.Chr. - und eine späte Phase - 1200 n.Chr. bis zur Conquista - unterteilt, wobei die eine durch eine neue Einwanderungswelle aus Zentralmexiko, die der Tolteken, gekennzeichnet ist, während in der anderen zwar mexikanisierte, doch einheimische Dynastien zur Macht gelangen, die gegen Ende der Postklassik in zunehmendem Maße Bürgerkriegen und Stammesfehden zum Opfer fallen. Belegt sind die Ereignisse der Postklassik - abgesehen von den archäologischen Zeugnissen - durch Stammeschroniken, vor allem die sogenannten Chilam Balam-Bücher, eine Textsammlung aus Yukatan, und das Popol Vuh, sowie durch Aufzeichnungen der spanischen Missionare, insbesondere den ethnographischen Bericht, den der Franziskaner Diego de Landa aufzeichnete. Beide Quellengruppen haben allerdings einen wesentlichen Nachteil: die indianischen Chroniken, die, obzwar in der Kolonialzeit aufgezeichnet, auf mündlichen Überlieferungen aus der vorspanischen Zeit basieren, entbehren — im Gegensatz zu den klassischen Inschriften - einer genauen zeitlichen Fixierung historischer Ereignisse, da 114
in postklassischer Zeit nur noch eine verkürzte Form der Kalenderrechnung bestand, die, soweit es Yukatan betrifft, u kahlay katttnob, das heißt »Zählung der Katun«, genannt wurde und anstatt mit dem Long Count-System nur noch mit einem Zyklus von 13 Katun = rund 256 Jahre arbeitete, so daß eine absolute Datumsbestimmung nicht möglich ist; und die spanischen Berichte werden in ihrem Aussagewert nicht nur durch die Vorurteile der Ordensgeistlichen, sondern auch durch das Mißtrauen ihrer indianischen Informanten erheblich eingeschränkt. Dennoch, indem indianische Chroniken und spanische Berichte einander ergänzen, erhalten wir für die postklassische Zeit ein sehr viel detaillierteres Bild, als es uns allein die archäologis chen Zeugnisse für die voraufgegangenen Perioden ermöglichten.
Inselfesten Die Zentralregion zwischen Tabasco und Belize trat seit dem Niedergang der klassischen Maya-Zivilisation in den Schatten der Geschichte. Lediglich das Küstengebiet von Tabasco und Campeche, das Stammland der Putunes, erlangte während der Postklassik eine besondere Bedeutung, einmal als Ausgangspunkt eines weitverzweigten Handelsnetzes, zum ändern als Vermittler mexikanischer Impulse nach Yukatan. Der Rest dieser Region verfiel allmählich in einen Dornröschenschlaf, aus dem er erst in unseren Tagen wiedererweckt werden sollte. So bedeutungslos der überwiegende Teil der Zentralregion auch für den weiteren Verlauf der Ereignisse bleiben sollte, völlig verlassen wurde er selbst nach der Aufgabe der Tempelstädte nicht. Im Gegenteil, in der späten Postklassik wurden zwei neue städtische Zentren im Peten gegründet. Sie waren jedoch offenbar eine Ausnahme und standen unter starkem yukatekischen Einfluß. Zu Beginn der Postklassik war noch ein Großteil der klassischen Städte bewohnt, von einer Bevölkerung, die an das sophistizierte Leben ihrer einstigen Herrscher nicht gewöhnt war, die dennoch aber der klassischen Tradition derart verhaftet war, daß sie sie auch ohne geistige Führung aufrechtzuerhalten versuchte. So wollte man beispielsweise den Stelenkult beibehalten, doch da man die Mühe scheute, neue Stelen anzufertigen vielleicht gab es auch keinen mehr, der die Steinmetzkunst verstand und die Hieroglyphenschrift beherrschte -, bediente man sich einfach der alten Stelenmonumente, entfernte sie von ihrem 115
geweihten Ort und stellte sie - manchmal auf dem Kopf - an einem anderen auf. Zuweilen begnügte man sich auch mit einem Fragment der schweren Monolithen, so daß man nur den oberen Teil einer Stele entfernte und den Rest als Stumpf stehen ließ. In Tikal sind auf diese Weise allein im Zentralbezirk fast die Hälfte aller Stelen und der dazugehörigen Altäre in postklassischer Zeit umgestellt worden. Hier auch fand man im hinteren Raum des pyramidengetragenen Tempels I einen Schacht, der zuunterst ein Grab aus spätklassischer Zeit enthielt, darüber aber Keramikreste, Copal und die Knochen eines Menschen, der um die Mitte des Postklassikums beigesetzt worden war. Zu dieser Zeit war Tikal - wie auch Palenque und Copän, wo man ebenfalls Spuren einer postklassischen Bevölkerung fand - längst aufgegeben und wurde nur noch als Wallfahrtsort verehrt, zu dem man gelegentlich Pilgerzüge unternahm, ein Brauch, der sich bis in die jüngste Vergangenheit bei den Lakandonen erhalten hat. Während mit dem Verlassen der Tempelstädte im 10. Jahrhundert die klassische Tradition endgültig ausläuft, beginnt im Seengebiet des östlichen Peten und im angrenzenden Tal des Belize River eine neue, die eigentliche postklassische Tradition des Zentralgebietes. Sie wird durch eine dreiteilige Keramiksequenz gekennzeichnet, deren erste Gruppe, die sogenannte Augustine-Keramik, sowohl in der Gegend des Lago Peten Itza als auch in Barton Ramie am Belize River vorkommt, während die beiden folgenden - in das mittlere und späte Postklassikum zu datierenden - Keramikgruppen, Paxcaman und Topoxte, auf das Gebiet zwischen dem Lago Peten Itza und dem See von Yaxhä beschränkt sind. Daraus läßt sich ein weiterer Rückgang der Bevölkerung ableiten, ein Prozeß, der mit dem Niedergang der klassischen Stadtstaaten begann und bis in die Kolonialzeit andauerte, wo er wahrhaft katastrophale Ausmaße annahm. Bereits bis zum Beginn der Augustine-Phase hatte sich die Bevölkerung in der Zentralregion um schätzungsweise 1 Million verringert, und so ist die geringe Zahl von Fundstellen aus spätpostklassischer Zeit - sie umfassen neben dem Lago Peten Itza nur noch die beiden Ruinenorte Macanche und Topoxte nicht verwunderlich. Allerdings unterscheiden sich die spätpostklassischen Fundorte - zumindest Topoxte und Tayasalzm Lago Peten Itza - von denen des frühen Postklassikums durch einen wiedererstarkenden urbanen Charakter, der jedoch als Bestandteil der yukatekischen Tradition gesehen werden muß. Topoxte und Tayasal wurden beide auf Inseln erbaut, das eine 118
- aus vier Inseln bestehend - im westlichen Teil des Sees von Yaxha das andere am Südrand des Lago Peten Itza, an der Stelle, wo heute Flores liegt. Topoxte wurde anscheinend zu Beginn des späten Postklassikums von den gleichen Maya gegründet, die zweieinhalb Jahrhunderte später auch den Grundstein zu Tayasal legten. Es waren dies die Itzas, ein nördlicher Zweig der Putunes, die um 1200 n.Chr. aus ihrem Stammsitz Chakanputun - wahrscheinlich identisch mit dem heutigen Champotön im mittleren Küstenabschnitt von Campeche - vertrieben wurden und dem Chilam Balam von Chumayel zufolge nach Süden zogen, den Peten durchquerten und schließlich im Osten nach Yu katan abbogen, wo sie - in Wiederholung einer früheren Wanderung - eine Fremdherrschaft über die Yukateken errichteten, die erst Mitte des 15. Jahrhunderts mit ihrer endgültigen Vertreibung endete, worauf sie sich erneut in den Peten zurückzogen und an dem nach ihnen benannten See die Inselfeste Tayasal gründeten. Wie alle Putunes ein höchst unternehmungs- und wanderlustiges Volk, das - ähnlich wie in Tayasal, wo die Itzas sich nicht nur gegen die lokale Bevölkerung, sondern auch gegen die Spanier länger als alle anderen Maya behaupten konnten wahrscheinlich auch während seines ersten Durchzuges durch den Peten im See von Yaxha, der auf seiner Route lag, eine Inselfeste gründete, in der ein Teil der Itzas zurückblieb, während der andere weiter nach Yukatan zog, den Kontakt mit der Kolonie im Süden aber nicht abbrechen ließ. Jedenfalls weisen die Zeremomalbauten in Topoxte wie auch eine besondere Form der Keramik, figürliche Weihrauchgefäße, deutliche Parallelen zu Mayapän auf, das die Itzas zu ihrer Hauptstadt in Yukatan machten. Während Tayasal erst Ende des 17. Jahrhunderts von den Spaniern erobert wurde, war Topoxte bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts so dicht von Dschungel überwuchert, daß spanische Missionare, die bei einem Versuch, die Itzas von Tayasal zu bekehren, den See von Yaxha überquerten, nicht eine einzige Ruine entdeckten.
Die Putunes, kühne Seefahrer und Händler Hatte das Kerngebiet der Zentralregion in postklassischer Zeit nur noch passiven Anteil am kulturellen und politischen Geschehen im Maya-Gebiet, so fiel den Küstenländern von Tabasco und Campeche eine Schlüsselrolle für die Ereignisse dieser Periode 119
zu. Das von zahllosen Flußläufen, Sümpfen und Seen beherrschte Gebiet zwischen dem Rio Grijalva im Westen und dem Rio Champoton im Norden, das zudem in der Regenzeit über weite Teile hin überschwemmt ist, ist zwar äußerst fruchtbar, doch ohne aufwendige Maßnahmen zur Wasserregulierung landwirtschaftlich nur von geringem Nutzen. So spezialisierten sich die Bewohner dieses Gebietes, die Chontal - Maya - nicht nur die besonderen topographischen Gegebenheiten, sondern auch die günstige geographische Lage ihres Siedlungsgebietes zwischen Zentralmexiko im Westen und dem eigentlichen MayaGebiet im Osten nutzend - auf den Fernhandel. Da sie bereits in der zweiten Hälfte des Klassikums unter die Herrschaft militanter Nahuat-sprachiger Dynastien gerieten, gingen sie - nunmehr Putunes - allmählich dazu über, den Fernhandel mit Kriegszügen zu verbinden, was - wie wir gesehen haben - wohl den Anstoß zum Niedergang der klassischen Stadtstaaten der Maya gab. Den offenbar erfolgreichen Brauch, Handel mit Eroberung zu verbinden, setzten nun die Putunes im Postklassikum verstärkt fort. Während eine südliche Putun - Gruppe, die im Deltagebiet des Usumacinta ihren Stammsitz hatte, gegen Ende des Klassikums in den Peten vorstieß, drangen die Itzas, die nördliche Vorhut der Putunes, von Campeche aus in das Putte-Gebiet ein, wo sie den Anstoß zur Entwicklung der ersten postklassischen Kultur Yukatans gaben. Wenig später, um 900 n. Chr., errichteten die Itzas am anderen Ende der Halbinsel, auf der Insel Cozumel, einen Stützpunkt, von dem aus sie auf das Festland übersetzten und mehrere Orte eroberten, darunter auch jenen, der fortan ihren Namen tragen sollte: Chichen Itza. Diese erste Expansion der Itzas in Yukatan endete mit dem Auftauchen der Tolteken gegen Ende des 10. Jahrhunderts, und die Itzas zogen sich zum Ausgangspunkt ihrer Eroberungszüge nach Chakanputun zurück. 200 Jahre später unternahmen sie - wie wir bereits angedeutet haben - einen zweiten Vorstoß nach Yukatan. Wir werden darüber im einzelnen noch berichten. Während die Itzas ihre Aufmerksamkeit auf Yukatan konzentrierten, weitete eine dritte Putun-Gruppe, die ihren Sitz in Itzamkanac am Mittellauf des Rio Candelana hatte und die Laguna de Terminos als Umschlagplatz für den Handel zwischen Zentralmexiko und dem Maya-Gebiet beherrschte, die Kette der Stützpunkte und Faktoreien an der Ostküste Yukatans allmählich bis zur Küstenebene von Honduras aus. Zwischenstationen 120
waren unter anderem Chetumal im Grenzgebiet des heutigen Quintana Roo und Belize und Nito an der Mündung des Rio Duke in Guatemala. Als Cortes auf seinem legendären Zug vom Stammland der Putunes nach Honduras 1525 nach Nito gelangte, fand er dort den Bruder des Herrschers von Itzamkanac als Ge sandten für das östliche Grenzgebiet der Maya, das von einer den Putunes sprachlich eng verwandten Maya-Gruppe, den Chorus, bewohnt wurde. Im Nordwesten grenzte das Siedlungsgebiet der Chortis an eine Gegend, die in den frühen spanischen Berichten als Acalän bezeichnet wird. Acalan bedeutet in der Nahua-Sprache »Kanu-Land« und findet sich in den gleichen Quellen auch als Bezeichnung des Stammlandes der Putunes an der Golfküste, wo es offensichtlich seinen Ursprung hatte. Die Bewohner des südlichen Acalan, das sich zwischen dem Rio Chixoy und dem Rio de la Pasion, den Quellflüssen des Usumacinta, erstreckte, sprachen zwar Chol-Maya, doch ihre Herrscher, einfache Dorfhäuptlinge, führten - wie die Putunes an der Golfküste, mit denen sie Handel trieben - Namen im archaischen Nahuat-Dialekt, so daß kaum ein Zweifel besteht, daß sie Nachfahren jener Putunes waren, die im 9. Jahrhundert Altar de Sacrificios und Seibai erobert hatten. Damit hatten die Putunes am Vorabend der Conquista praktisch die gesamte Halbinsel Yukatan eingekreist. Sie hätten die Schlinge nur zuzuziehen brauchen, und sie wären die Herren der ganzen Halbinsel gewesen. Die Spanier kamen ihnen zuvor, was ihr Glück war, denn ein geeintes Maya-Reich, das von Tabasco bis Honduras und vom Rio Chixoy bis zum Kap Catoche reichte, hätte ihnen einen weit größeren Widerstand entgegensetzen können, als es zersplitterte und einander verfeindete Maya-Gruppen vermochten.
Dreimal erbaut Der nördliche Teil der Halbinsel Yukatan, also das Gebiet der heutigen mexikanischen Bundesstaaten Campeche, Yukatan und Quintana Roo, der in der klassischen Periode nur von marginaler Bedeutung gewesen war, wurde in postklassischer Zeit das Zentrum der kulturellen Entwicklung im Maya-Gebiet. Im Gegensatz zur klassischen Zivilisation im Peten ist die postklassische Kultur in Yukatan - ähnlich der Entwicklung im Hochland von Guatemala seit dem frühen Klassikum - nur noch zum Teil von 121
den Maya selbst geprägt worden. Vielmehr dürfte die Mehrzahl der archäologischen Funde in diesem Gebiet auf fremde, das heißt zentralmexikanische Einflüsse zurückgehen, wobei diese sowohl direkt als auch indirekt übertragen wurden. Im einen Fall waren es die Tolteken, die als Nahua-sprachige Flüchtlinge aus Zentralmexiko sich in Yukatan niederließen und in Chichen Itza ein getreues Abbild ihrer fernen Heimatstadt Tula errichteten. Im ändern Fall waren es die Itzas, wie alle Putunes mehr Händler und Krieger als Baumeister und Künstler, die auf ihren Eroberungszügen fremdes Kulturgut, das seit den Wanderungen der Pipiles in ihr Gebiet gelangte, an die einheimische Maya-BevÖlkerung in Yukatan weitergaben, die es dann ihrer eigenen Tradition anpaßte. Auf diese Weise scheint der sogenannte Putte-Stil entstanden zu sein, die erste und zugleich bedeutendste Kultur der Postklassik in Yukatan. Die Puuc-Kultur leitet ihren Namen von jenem niedrigen Höhenzug her, der sich als einzige Erhebung Yukatans bogenförmig vom Rio Champoton in Campeche bis in den Südteil des Bundesstaates Yukatan erstreckt. In diesem Gebiet, das unmittelbar an das Stammland der Itzas angrenzt, findet sich in zahlreichen größeren Ruinenstädten ein Kunst- und Architekturstil, der offenbar aus einer Verbindung des benachbarten Cbenes-Stils mit kulturellen Impulsen aus dem Tajin-Gebiet an der mittleren Küste von Veracruz hervorgegangen ist. Wenngleich der Puuc-Stil seine höchste Vollendung auch im Grenzgebiet zwischen Campeche und Yukatan erlangte, so lassen sich Ausstrahlungen dieser Kultur bis nach Chichen Itza im Osten und Dzibilchaltiin im Norden nachweisen. Daß im Chenes-Stil ein einheimisches Substrat der Puuc-Kultur zu sehen ist, beweist die Tatsache, daß man in Uxmal, der bedeutendsten Ruinenstadt im Puuc-Gebiet, nicht nur in der Terrasse, auf der der sogenannte Gouverneurspalast errichtet wurde, einen älteren Bau mit einem Fassadenschmuck in der Form des aufgesperrten Itzamna-Rachens, wie er für den Chenes-Stil typisch ist, fand, sondern das gleiche monsterartige Portal auch an der Fassade des zu einer frühen Bauphase gehörenden Tempels IV der sogenannten Pyramide des Wahrsagers. Die gleiche Fassadendekoration taucht auch in dem als »Die Nonnen« bekannten Gebäudekomplex im älteren Teil von Chichen Itza auf. Auf das Chenes-Substrat traf seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert ein differenzierender Stimulus, der zwar allgemein als 122
»mexikanisch« bezeichnet, bislang aber nicht näher bestimmt worden ist. Unter den zahlreichen Lokalkulturen, die sich im Laufe des Klassikums im zentralen Mexiko herausgebildet hatten, kommt meines Erachtens nur die Tajin-Kultur in Veracruz, deren Einflüsse auch an der Pazifikküste Guatemalas nachweis bar sind, für eine Befruchtung der Chenes- zur Puuc-Kultur in Frage. Diese These stützt sich auf eine Reihe markanter Parallelen zwischen der Tajin- und Puuc-Kultur, von denen hier nur die wichtigsten genannt seien: eine hochentwickelte Steinmetztechnik; geometrischer Fassadenschmuck aus mosaikartig aufgesetzten Steinblöcken; mehrstöckige Gebäude; Gewölbeportale; reliefgeschmückte Säulen und Pfeiler; und formgepreßte figürliche Keramik, die als Musikinstrument diente. Daß daneben auch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Puuc und Kambodscha besteht, vor allem, was die Verwendung gedrechselter Säulen als Fassadenschmuck anbetrifft, soll zwar nicht unerwähnt bleiben, dürfte aber, selbst wenn ein asiatischer Ursprung vereinzelter Stilelemente nachgewiesen werden sollte, von nur nebensächlicher Bedeutung sein. Die Mehrzahl der für die Puuc-Kultur typischen Kulturelemente, die außerhalb der Maya-Tradition stehen, wurden offensichtlich von den Pipiles an die Westgrenze des Maya-Gebietes gebracht, wo sie von den Putunes übernommen und nach Yukatan weitergeleitet wurden. Für einen solchen Weg der Diffusion sprechen nicht nur steinerne Jochbögen und Vo tiväxte, ein Charakteristikum der Tajin-Kultur, die man in den oberen Schichten von Palenque fand, sondern auch das Vorkommen jener feinkörnigen Keramik im Puuc-Gebiet, die gegen Ende des Klassikums auch im Quellgebiet des Usumacinta auftaucht und die in Tabasco ihren Ursprung hat. Schließlich läßt sich für die Verbreitung der figürlichen Keramik, wie sie im Puuc-Gebiet besonders auf der Insel Jaina vorkommt, eine Zwischenstation im Deltagebiet des Usumacinta nachweisen. Der Puuc-Stil ist jedoch keine bloße Nachahmung fremder Vorbilder, sondern deren Weiterentwicklung zu einer Vollkommenheit, wie sie zumindest in der Architektur im vorspanischen Amerika unübertroffen blieb. Am deutlichsten wird dies in Uxmal, der imposantesten aller Puuc-Städte. Ihr heutiger Name ist eine Hispanisierung des Maya-Wortes »Oxmal«, was soviel wie »dreimal erbaut« bedeutet. Damit spielt dieser ursprüngliche Name - einer der wenigen für die Ruinen im Maya-Gebiet - auf die historische Entwicklung dieser Stadt an, denn es lassen sich tatsächlich drei deutlich voneinander abweichende Bauphasen, 123
Plan des Zentralbezirks von Uxmal (nach S. G. Morley, The Ancient Maya, Stanford 1956)
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die Ausdruck verschiedener Kulturen sind, in Uxmal unterscheiden. Die älteste reicht bis in das 6. nachchristliche Jahrhundert zurück und dürfte im wesentlichen mit der Chenes-Kultur identisch sein. Ihr folgt die Puuc-Periode, in der Uxmal seine eigentliche Blüte erlangte. Sie wird in die Zeit zwischen 800 und 1000 n Chr. datiert. Die dritte Phase, die zeitlich mit der Herrschaft der Tolteken in Yukatan zusammenfällt, ist nur noch durch eine geringe Bautätigkeit belegt. Die bedeutenderen Bauwerke Uxmals konzentrieren sich auf eine Fläche von 1 km nord-südlicher und 600 m ost-westlicher Ausdehnung. Ein koordinierter Gesamtplan bestand offensichtlich nicht, denn die einzelnen Gebäudekomplexe, die zwar in sich einer systematischen Anordnung folgen, verteilen sich ziemlich wahllos über den Zentralbezirk. Er weist im Gegensatz zu den meisten anderen Ruinenstädten in Yukatan keine natürlichen Brunnen auf, da Uxmal ja auf dem Kamm eines Höhenrückens liegt. Dieser besondere Umstand zwang die Bewohner Uxmals - ähnlich wie in Tikal -, das Regenwasser in natürlichen Sammelbecken, den Aguadas, die man mit einer Kalkschicht undurchlässig machte, aufzuspeichern. Auch fing man das Wasser in unterirdischen Zisternen, den Chultunes, auf, was den Vorteil hatte, daß es weniger schnell verdampfte und außerdem kühl blieb. Um sich einer ausreichenden Versorgung mit dem lebensspendenden Naß zu versichern, tat man im übrigen noch ein Weiteres: man schmückte die Fassaden der Tempel und Paläste mit der rüsselbewehrten Maske des Regengottes Chac, zuweilen auch mit aquatischen Symbolen wie Schildkröten oder Fische. Drei Bauwerke in Uxmal verdienen eine besondere Erwähnung: es sind die »Pyramide des Wahrsagers«, das »Nonnenviereck« und der »Gouverneurspalast«. Die Pyramide des Wahrsagers verdankt ihren Namen einer Legende, derzufolge eine alte Zauberin aus einem Ei einen bereits erwachsenen Mann, der jedoch ein Zwerg war, entspringen ließ. Sie trug dem Zwerg auf, den König von Uxmal herauszufordern, und aus einer Reihe von Prüfungen ging der Zwerg als Sieger hervor. Daraufhin forderte der König den Zwerg auf, daß er in einer Nacht einen großen Palast errichte, und drohte ihm mit dem Tode, wenn er dies nicht schaffte. Doch mit Hilfe der Zauberin gelang dem Zwerg auch diese Prüfung, und so verlangte der König eine letzte Probe: an ihren Köpfen die harten Nüsse des Cocoyote zu zerschlagen. Der Zwerg sollte beginnen; aber auch diesmal kam ihm seine Adoptivmutter zu Hilfe, und, mit einer magischen Platte seinen 125
Kopf schützend, überstand er die Probe. Das Haupt des Königs aber zerbrach unter dem Schlag der Nuß. Da wurde der Zwerg zum Priester und schließlich zum Herrscher von Uxmal ausgerufen. Die Zauberin verließ die Stadt und ließ sich am Brunnen von Mani nieder, wo sie noch heute mit einer Schlange in einer Höhle lebt und dem Durstenden Wasser nur gegen ein Kinderopfer gewährt, mit dem sie die Schlange füttert. So phantastisch diese Legende auch klingt, sie mag sehr wohl einen historischen Kern enthalten, den wir jedoch in Ermangelung zeitgenössischer textlicher Überlieferungen kaum jemals erfahren werden. Es gibt zwar eine Reihe von Stelen in Uxmal, aber sowohl ihre bildlichen Darstellungen als auch ihre Hieroglypheninschriften sind so stark verwittert, daß von ihnen wohl kaum ein näherer Einblick in die Geschichte Uxmals zu erwarten ist. Was in kolonialzeitlichen Quellen über diese Stadt berichtet wird, betrifft nur noch die Zeit ihres Niedergangs nach der Toltekeninvasion. Die Pyramide des Wahrsagers besteht, wie dies für die sakrale Architektur Mesoamerikas typisch ist, aus mehreren Uberbauungen, die sich über einen ursprünglichen Tempel, dessen Reste am Fuße der Westseite der Pyramide sichtbar sind, erheben. Dieser ursprüngliche Tempelbau, der zusammen mit drei weiteren Bauten einen kleinen Zeremonialhof umschloß, wurde einem Radiokarbondatum zufolge in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts n. Chr. erbaut und dürfte damit eines der ältesten Gebäude Uxmals sein. Der Fassadenschmuck des Tempels weist eine Vielzahl unterschiedlicher Elemente auf, unter denen die Maske des Regengottes Chac dominiert. Bemerkenswert ist eine Steinskulptur, die einst zapfenförmig über dem mittleren Eingang des Tempels angebracht war und sich heute - allgemein als Königin von Uxmal bekannt - im Museum für Anthropologie in Mexico City befindet. Weit davon entfernt, das Abbild einer anmutigen Königin zu sein - zumindest wenn man an die Büste der Nofretete denkt -, stellt diese Skulptur den Kopf eines tätowierten Menschen dar, der aus dem Rachen einer Schlange ragt. Die eigentliche Pyramide, die den ursprünglichen Tempel überdeckte, ist eine Besonderheit in der Maya-Architektur. Sie hat nicht nur einen elliptischen Grundriß - bei den übrigen Pyramiden ist er quadratisch bzw. rechteckig -, sie umfaßt in ihrer endgültigen Form auch nur zwei anstatt mehrere Absätze. Zunächst bestand sie sogar nur aus einem Absatz, auf dem nacheinander drei Tempel errichtet wurden, deren letzter, Tempel IV, 126
dessen Eingang die Form eines Chenes-Rachens hat, auf halber Höhe sichtbar blieb, während die beiden anderen unter der zweiten Pyramidenstufe begraben wurden, auf der sich - 26 m über dem Erdboden - der letzte, im Puuc-Stil erbaute Tempel erhebt. Seine Fassade weist wie die des Chenes-Tempels nach Westen, doch führt eine Treppe sowohl auf der West- als auch auf der Ostseite zum oberen Tempel empor. Zu Füßen der Pyramide des Wahrsagers breitet sich das sogenannte Nonnenviereck aus, ein Komplex aus vier langgestreckten Gebäuden, die - den Kardinalpunkten entsprechend - um einen Innenhof angeordnet sind, in dessen Mitte sich einst auf einer Plattform eine Jaguarskulptur erhob. Die zellenartigen Räume und die besondere Anordnung dieses Gebäudekomplexes erinnern an ein Kloster, weshalb die Spanier, die von einer weiblichen Priesterschaft unter den Maya gehört hatten, ihm die romantische Bezeichnung »Nonnenkloster« gaben. Ob dieses »Kloster« jedoch jemals eine Nonne gesehen hat, ist zweifelhaft. Es scheint sich hierbei vielmehr um eine jener palastartigen Anlagen zu handeln, die auch aus der Zentralregion bekannt sind und wahrscheinlich die Residenz weltlicher Herrscher waren. Wie Radiokarbonmessungen ergeben haben, ist der nördliche Bau offenbar das älteste Gebäude des Gevierts: er stammt aus der Mitte des 7. Jahrhunderts n.Chr. Mit einer Länge von über 80 m, 24 Räumen, von denen je 11 nach außen wie auf den Innenhof münden, während zwei weitere Räume am West- und Ostende den Eingang auf der Schmalseite haben, und mit einer 7 m hohen, von zwei seitlichen Tempeln flankierten Zeremomaltreppe ist dieses Gebäude zugleich das bedeutendste Bauwerk der Anlage. Als es durch die drei übrigen in die Puuc-Periode zu datierenden Bauten gegen die Stadt hin abgegrenzt wurde, blieb der Zugang von Süden her, wo sich ein Ballspielplatz anschließt, gewahrt, indem man das südliche Gebäude, das gleichfalls 80 m mißt, in seiner Mitte durch einen Torbogen aus sorgfältig behauenen Kragsteinen unterbrach. Jenseits des Ballspielplatzes, von dem nicht viel mehr als zwei parallele Schutthügel übriggeblieben ist, erhebt sich auf einer Terrasse, die eine Fläche von 181 X 153 qm umfaßt, das majestätischste Bauwerk Uxmals, der Gouverneurspalast. Von zwei kleineren Terrassen getragen, besteht dieser im vollendeten l Uuc-Stil erbaute Palast aus einem Mittelbau und zwei Seitentrakten, die zusammen eine Länge von nicht ganz 100 m ergeben. Der Hauptbau gliedert sich in zwei hintereinandergelegene lang127
gestreckte Räume und je vier seitliche kleinere Kammern. Über dem Haupteingang auf der Ostseite des Palastes gipfelt der sich aus Mäandern und einem Gittermuster zusammensetzende Fries in der Skulptur eines federgeschmückten Würdenträgers, der auf einem Thron sitzt und den offensichtlich weltlichen Charakter dieses Gebäudes unterstreicht. Die beiden Seitentrakte, die je fünf zellenartige Räume umfassen, waren ursprünglich durch ein hohes Kraggewölbe, das einen Durchgang von der einen zur anderen Seite des Palastes gewährte, vom Hauptteil getrennt. Später wurden diese beiden Durchgänge durch eine Mittelwand unterbrochen und in vier weitere Räume umgewandelt. Obwohl diese nachträgliche Änderung die harmonische Konzeption dieses Bauwerkes beeinträchtigt, gilt der Gouverneurspalast in Uxmal aufgrund der Symmetrie und Eleganz seiner Komposition, der Sorgfalt seiner Ausführung und des hohen künstlerischen Niveaus seines Dekors nicht zu Unrecht als das eindrucksvollste Zeugnis indianischer Architektur nicht nur im Puuc- und Maya-Gebiet, sondern des gesamten präkolumbischen Amerika.
Mexikanisches Zwischenspiel Während in Yukatan die Puuc-Kultur ihrem Höhepunkt entgegenging, trug sich im fernen Mexiko ein folgenschweres Ereignis zu: 1 Rohr; so beißt es, erzählt man, in diesem (Jahre) ward geboren Quetzalcohuatl, der genannt wird: »Topiltzin, der Priester, 1 Rohr, Federschlange.« Und man erzählt, seine Mutter war (eine Frau) namens Chimalman. Und so ward es erzählt: in der Weise setzte sich Quetzalcohuatl in den Leib seiner Mutter, (indem) diese einen grünen Edelstein verschluckte.6 Der »grüne Edelstein« war Mixcoatl (»Wolkenschlange«), der Gründer des Toltekenreiches. Noch ehe aber das Kind zur Welt kam, wurde er von seinem Bruder, der ihm den Thron streitig machte, ermordet, und so floh Chimalman (»Ruhender Schild«) zu ihren Eltern, wo sie einen Sohn gebar. Als Topiltzin (»Unser Prinz«) das Knabenalter erreichte, schickte man ihn auf eine Priesterschule nach Xochicalco, einer Bergfeste im südlichen Morelos, das ein bedeutendes Zentrum des Quetzalcoatl-Kultes 128
war. Und hier reifte Topiltzin zu einem Manne heran, der als eine der bemerkenswertesten Herrschergestalten des alten Mexiko in die Geschichte eingehen sollte. Nachdem er sich in Xochicalco durch besondere Frömmigkeit hervorgetan hatte und zum Priester des Quetzalcoatl geweiht worden war, weshalb er fortan den Namen dieses Gottes trug, machte sich Topiltzin Quetzalcoatl auf nach Culhuacän, der Hauptstadt der Tolteken im Hochtal von Mexiko, um sein Erbe anzutreten. Er tötete Ihuitimal, den Mörder seines Vaters, und verlegte die Hauptstadt zunächst nach Tulancingo im Gebiet des heutigen mexikanischen Bundesstaates Hidalgo, ehe er im Jahre 968 n. Chr. gleichfalls in Hidalgo eine neue Hauptstadt gründete: Tula. Sie entfaltete sich zu einer Metropole, die seit dem Untergang Teotihuacans nicht mehr ihresgleichen gehabt hatte. Prächtige Tempel und Paläste entstanden, das Kunsthandwerk erblühte von neuem, Tribute flössen in die Stadt, und Macht und Ansehen der Tolteken wuchsen. Dennoch - der Versuch des Priesterkönigs, Quetzalcoatl nicht nur zum höchsten, sondern gar zum alleinigen Gott zu erheben, schuf Unzufriedenheit, vor allem unter den Priestern Tezcatlipocas (»Rauchender Spiegel«), des ursprünglichen Stammesgottes der Tolteken, der als Herr der Dunkelheit, des Krieges und des Blutopfers verehrt wurde. Der Gott Quetzalcoatl, die »Gefiederte Schlange«, die erstmals bei den Olmeken auftaucht, verkörpert das Gegenprinzip Tezcatlipocas. Quetzalcoatl ist der Gott des Lichts und des Windes, des Lebens und der Fruchtbarkeit, der Künste und Wissenschaft. Er brachte den Menschen die Maispflanze und die Kenntnis des Kalenders. Als Opfergaben sind ihm nur Blumen und Schmetterlinge genehm; Menschenblut ist ihm verhaßt. Unter dem Zeichen seines mildtätigen Gottes war Topiltzin Quetzalcoatl mehr Priester als König, und je mehr er sich mit fortschreitendem Alter in die Abgeschiedenheit seines Tempels zurückzog, um so größer wurde der Unwillen seines kriegerischen Volkes. Bis eines Tages seine Gegner zur Tat schreiten: ... da beratschlagten sich die Dämonen; die hießen: Tezcatlipoca und Ihuimecatl (und) Toltecatl. Sie sprachen: »Es ist nötig, daß er doch seinen Wohnsitz (seine Stadt) verläßt. Dort werden wir leben.« Sie sagten: »Laßt uns Pulque (Agavewein) bereiten! Wir werden ihm (davon) zu trinken gehen, damit wir ihn verwirren, damit er nicht mehr (dem Gott) diene.« Und darauf sprach Tezcatlipoca: »Ich sage es, ich (was zu tun 129
ist): Laßt uns (ihm) sein Fleisch (seinen Körper) geben, wie wird er sich dazu äußern?« Sie verabredeten es miteinander, es so zu tun. Da ging zuerst Tezcatlipoca (der Spiegeljüngling). Er nahm einen Spiegel, beiderseits einen halben Fuß breit; den wickelte er ein. Und nachdem er angelangt war, wo Quetzalcoatl weilt sagte er zu dessen Herolden, die ihn behüteten: »Meldet es dem Priester!: gekommen ist Telpochtli (der Jüngling), er kam, dir zu geben und dich sehen zu lassen deinen Körper.« Es gingen hinein (ins Innere des Gebäudes) die Herolde (und) benachrichtigten den Quetzalcoatl; der sprach zu ihnen: »Was ist denn jenes, (o) Onkel Herold, was ist mein Leib, den er gebracht hat? Seht es euch an! Erst dann soll er hierher in das Gebäude kommen.« (Aber) er wollte es nicht ihnen zeigen, er sprach zu ihnen: »Ich selbst werde es dem Priester zeigen, saget es ihm!« Sie gingen es ihm (Quetzalcoatl) ausrichten: »Er will nicht; durchaus will er es (selbst) vorweisen.« Sprach der Quetzalcoatl: »Er möge kommen, (o) Oheim!« Sie gingen den Tezcatlipoca herbeirufen. Er trat herein, begrüßte ihn und sagte: »Mein Fürst, der Priester, i Rohr, Quetzalcoatl, ich grüße dich und ich bin gekommen, dich den Körper Euer Gnaden sehen zu lassen.« Quetzalcoatl sagte: »Du hast Mühsalen erduldet, (o) Oheim; von wannen bist du gekommen? Welches ist mein Körper? Ich möchte ihn sehen.« Er sprach zu ihm: »Mein Fürst, der Priester! Ich, dein Vasall, bin hergekommen vom Fuße des Nonohualca - Berges. Geruhe doch deinen Leib zu sehen!« Da reichte er ihm den Spiegel dar (und) sagte zu ihm: »Erkenne dich mit eigenen Augen, sieh dich, mein Prinz! Denn dort in dem Spiegel wirst du sichtbar werden.« Und da sah sich Quetzalcoatl (im Spiegel). Sehr fürchtete er sich, er sagte: »Wenn mich (so wie ich im Spiegel bin) meine Untertanen erblicken, werden sie nicht etwa davonlaufen?« Denn die Augenlider sind sehr dick geschwollen, die Augenhöhlen tief eingesunken, überall ganz sackartig gedunsen (ist) sein Gesicht, nicht wie das eines Gesunden. Nachdem er den Spiegel gesehen hatte, sagte er: »Niemals soll mein Untertan mich erblicken; nur hier werde ich weilen (zurückgezogen im Gebäude).« Da entfernte sich, verließ ihn Tezcatlipoca. 130
Und sie beratschlagten sich mit Ihuimecatl, ob der ihm nicht einen Streich spielen könnte. Es sagte der Ihuimecatl: »Es möge nunmehr er, der Coyotlinahual, der Federmosaikkünstler, gehen!« Sie benachrichtigten ihn davon, daß er gehen sollte. Coyotlinahual, der Federwerkkünstler, sagte: »Schon gut, wohlan, ich gebe, wohlan, ich sehe (besuche) Quetzalcoatl!« Da ging er (Coyotlinahual). Er sagte zu Quetzalcoatl: »Mein Prinz! leb empfehle es dir, komm' heraus, es mögen dich sehen die Untertanen! Wohlan, ich möchte dich herausputzen, daß sie dich sehen (können).« Er sagte zu ihm: »Tue das! Ich will es sehen, mein Onkel.« Und da fertigte der Federmosaikkünstler, der Coyotlinahual. Zuerst fertigte er den Federschmuck Quetzalcoatls nach Art der Küstenbewohner von Tabasco. Darauf machte er ihm seine Türkisschlangenmaske. Er nahm rote Farbe, damit rötete er ihm Lippen (und Kinn). Er nahm gelbe Farbe, damit machte er ihm im Gesicht eine stabgitterige Bemalung (nach Art eines Käfigs); sodann versah er ihn mit Schlangenzähnen. Ferner machte er ihm seinen Kinnbart, mit Türkisvogel- (und) roten Löffelreiher(federn) bedeckte er ihn hinten. Nachdem er (Coyotlinahual) es vollendet hatte, so wie es der Trachtschmuck Quetzalcoatls war, da reichte er ihm den Spiegel. Als er (Quetzalcoatl) sich (darin) erblickte, fand er sich sehr schön aussehend. Nunmehr erst ging Quetzalcoatl heraus aus der Stätte, wo er behütet war (von seinen Herolden). Und daraufging der Coyotlinahual, der Federmosaikkünstler, dem Ihuimecatl sagen: »Ich habe den Quetzalcoatl zum Herausgehengebracht; nunmehr gehe du!« Der sagte: »Es ist schon gut.« Da befreundete er (Ihuimecatl) sich mit einem namens Toltecatl. Zusammen gingen sie beide, einen Gang zu tun. Da kamen sie nach Xonacapacoyan. Sie ließen sich (dort) nieder bei dem Bearbeiter des betreffenden Stückes Ackerlandes, dem Maxtlaton, der auf dem Tolteken-Berge Wärter war. Da f-uch machten sie die Gemüse, die Tomaten, die Pfefferschoten, die jungen Maiskolben, die grünen Bohnen. Und zwar in wenigen Tagen geschah dies. Und außerdem gab es dort Agaven, die sie von Maxtla (Maxtlaton) erbaten. Nur vier Tage lang setzten sie den Agavensaft an, dann sammelten sie ihn; sie erfanden die kleinen Honigkrüge, in denen sie den Pulque sammelten. 131
Alsdann gingen sie zum Hause Quetzalcoatls, nach Tollan. Sie trugen alle ihre Gemüse, ihre Pfefferschoten usw. nebst dem Pulque. Sie kamen an, gerieten in Streit; nicht wollten die, welche Quetzalcoatl hüteten, daß sie den Palast beträten. "Zweimal dreimal wies man sie zurück, nicht wurden sie gastlich vorgelassen. Endlich wurden sie gefragt, wo sie zu Haus (wären). Sie antworteten (und) sprachen: »Dort auf dem Priesterberge, dem Tolteken-Berge.« Wie das Quetzalcoatl hörte, sagte er: »Sie mögen hereinkommen!« Sie gingen hinein (in das Gebäude) und be'grüßten ihn, bereits gaben sie ihm die grünen Gemüse usw. Und nachdem er sie gegessen hatte, baten sie ihn wiederum (und) gaben ihm den Pulque. Und er sprach zu ihnen: »Nicht werde ich es trinken, ich enthalte mich (dessen); vielleicht macht es einen berauscht, oder tötet es jemanden.« Sie sprachen zu ihm: »Koste (nur) mit deinem Finger, es ist angenehm, es ist prickelnd.« Quetzalcoatl kostete es mit dem Finger. Als es ihm gut schmeckte, sagte er: » Wohlan, ich möchte davon trinken, Onkel!« Nachdem er eine (Schale) getrunken hatte, sagten die Dämonen zu ihm: »Vier (Schalen) sollst du trinken.« So gaben sie ihm (auch noch) die fünfte (Schale), (und) sagten zu ihm: »Es ist dein Ausguß.« Und nachdem er es getrunken, da gaben sie (den Pulque) allen seinen Herolden. Alle tranken sie je fünf (Schalen). Nachdem sie sie ganz trunken gemacht hatten, (da) wiederum sprachen die Dämonen zu Quetzalcoatl: »Mein Sohn, wohlan, singe (ein Lied)!Das ist dein Gesang, den du anstimmen wirst.« Da hüb Ihuimecatl für ihn (Quetzalcoatl) an: »Grüne, grüne Federn (sind) mein Haus hier, Gelbe Trupialfedern (sind) mein Haus hier, Rote Muschelschalen (sind) mein Haus hier, ich soll's nun verlassen . . .« Und fröhlich sagte Quetzalcoatl: »Holt meine ältere Schwester Quetzalpetlatl! Wohlan, wir beide wollen zusammen zechen.« Es gingen seine Herolde dorthin, wo sie frommen Übungen oblag, nach dem Nonohualca-Berge; sie sprachen zu ihr: »Meine Tochter, Prinzessin Quetzalpetlatl, die du fastest! Wir kamen dich holen: dich erwartet der Priester, der Quetzalcoatl, bei ihm zu weilen geh!« 132
Sie sagte: »Schon gut; laßt uns gehen, Onkel Herold!« Und nachdem sie angekommen war, setzte sie sich nieder zur Seite bei Quetzalcoatl. Da gaben sie ihr den Pulque, vier Schalen (und) noch eine, ihre überschüssige als fünfte. Und als Ihuimecatl und Toltecatl die Leute trunken gemacht hatten, da gaben sie auch für Quetzalcoatls ältere Schwester einen Gesang zum Besten. (So) hüben sie für sie an: »Meine Schwester! Wo ist deines Bleibens! Du, Quetzalpetlatl! Jetzt laßt uns zechen, Heißa, Juchheißa, ja!« Nachdem sie trunken geworden, nicht mehr sagten sie: »Laßt uns fromm gewesen sein!« Und da stiegen sie nicht mehr hinab zum Wasser. Nicht mehr legten sie für sich die Agavedornen nieder, nichts mehr taten sie. In der Morgendämmerung und als das Morgenrot erschien, waren sie sehr traurig, war ihnen allen kläglich zu Mut. Da sprach dort Quetzalcoatl: »Oh! über mich Übeltäter, der ich gewesen bin!« Da singt er den Klagegesang, indem er ein Lied darauf machte, daß er fortziehen wird.7 So geschah es, daß Topiltzin Quetzalcoatl der Versuchung Tezcatlipocas erlag. Von seinem Volke verachtet, doch mit der Verheißung, dereinst wiederzukehren, um sein Volk zu erlösen, verließ er im Jahre 987 n. Chr. Tula und wanderte mit seinen Getreuen gen Osten in Richtung Tlillan Tlapallan. Dieses Tlillan Tlapallan, das »Land der schwarzen und roten Farbe«, aber war kein anderes Land als das der Maya.
Kukulcan, die gefiederte Schlange Wo die legendäre Geschichte Quetzalcoatls in den mexikanischen Quellen endet, beginnt sie in den Überlieferungen der Maya. Landa schreibt in seinem Bericht über Yukatan: Es besteht die Vorstellung bei den Indianern, daß mit den Yzaes, die Chicheniza bevölkerten, ein großer Herrscher mit Namen Cuculcun regierte; daß dies der Wahrheit entspricht, beweist das größte Bauwerk dieser Stadt, das Cuculcan genannt wird. Sie sagen, daß er von Westen her in das Land kam, aber sie sind sich nicht ganz einig, ob er vor oder nach den Yzaes oder mit ihnen gekommen ist. Sie berichten ferner, daß er wohlgesinnt 133
war und daß er weder Frau noch Kinder hatte, und daß er, nach seiner Rückkehr, in Mexiko als einer ihrer Götter angesehen •wurde, den sie Cezalcuati nannten, und daß sie ihn auch in Yu katan als Gott verehrten, da er ein großer Staatsmann war; dies sah man daran, daß er in Yukatan nach dem Tode der Herrscher wieder Ordnung herstellte, indem er die Zwietracht, die ihr Tod im Lande verursacht hatte, beseitigte? Die yukatekischen Quellen nennen auch den Zeitpunkt der Ankunft Quetzalcoatls, dessen Bezeichnung in Yukatan - Kukulcdn (»Federschlange«) - eine wörtliche Übersetzung seines ursprünglichen Namens ist. So heißt es in einer sogenannten Katun-Prophezeiung, in der die Wiederholung eines an einem bestimmt en Datum in der Vergangenheit eingetretenen Ereignisses für die Wiederkehr dieses Datums vorausgesagt wird: Katun 4 Ahau ist der elfte Katun in der "Zahlung. Der Katun wird in Chichen Itza errichtet. Die Niederlassung der Itzds wird dort stattfinden. Der Quetzal wird kommen, der grüne Vogel wird kommen. Ah Kantenal wird kommen. Krankheit wird kommen. Kukulcän wird mit ihnen zum zweiten Mal kommen. Das Wort Gottes. Die Itzas werden kommen.9 Nach der vorherrschenden Goodman-Martinez-ThompsonKorrelation entspricht das ursprüngliche, dem tatsächlichen Ereignis entsprechende Short Count - Datum »Katun 4 Ahau« der Jahresspanne 967-987 n.Chr. Eine Bestätigung findet diese chronologische Übereinstimmung mit den mexikanischen Quellen durch eine Angabe im Chilam Balam von Mani, die lautet: »Im Katun 2 Ahau besetzte Ah Suytok Tutul Xiu Uxmal.« Der Katun z Ahau schließt sich unmittelbar an den vorgenannten Katun an, umfaßt also die Jahre 987-1007 n. Chr., und die Xius, die in diesem Zeitraum die Puuc-Metropole erobern, müssen ihrem Namen nach eine mexikanische Fürstenfamilie gewesen sein, die im Gefolge Quetzalcoatl-Kukulcäns nach Yukatan kam. Warum der vertriebene Toltekenherrscher sich in das MayaGebiet begab, ist ungewiß. Möglich, daß das Ziel seiner Wanderung durch seinen Aufenthalt in Xochicalco, das eine auffallende Ähnlichkeit zur Maya-Kultur aufweist, bedingt wurde. Auf jeden Fall wird die Tatsache, daß die Putunes an der Golfküste bereits mexikanisiert waren, seinen Einfall in Yukatan erleichtert haben. Welche Rolle die Itzds dabei spielten, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor. Diese nördliche Vorhut der Putunes war, wie wir gesehen haben, offenbar maßgeblich an der Entwicklung der Puuc-Kultur beteiligt. Nicht nur, daß die Itzas von 134
ihrem Stammsitz im nördlichen Campeche in das benachbarte Puuc-Gebiet eindrangen, sie besetzten zu Beginn des 10. Jahrhunderts - von ihrem Stützpunkt in Cozumel aus - auch Chichen Itza, wo wahrscheinlich unter ihrer Herrschaft der im Puuc-Stil erbaute ältere Teil der Stadt, das sogenannte Chichen Viejo, entstand. Als lasterhafte Barbaren, denen die eher prüden Yukateken nachsagten, daß »sie mit dem Nacken zucken, den Mund verzerren, die Augen schließen und am Munde sabbern«, und die obendrein auch noch, da sie ohne Familie ihre Kriegszüge unternahmen, die Frauen und Töchter des Landes raubten, waren die Itzas der einheimischen Bevölkerung verhaßt und ständig der Gefahr ausgesetzt, vertrieben zu werden. Das Auftauchen der Tolteken, die den Itzas kulturell nahestanden, mag den bedrängten Herrschern von Chichen Itza deshalb als willkommene Stütze ihrer Macht erschienen sein. Doch sie gerieten vom Regen in die Traufe. Quetzalcoatl alias Kukulcan sah eine Chance, ein zweites Tula zu gründen. Er verbündete sich mit den Einheimischen, und so blieb den Itzas nichts anderes übrig, als die Herrschaft über die Stadt, der sie ihren Namen gegeben hatten, an die Neuankömmlinge abzutreten. Unter dem Zepter der Tolteken blühte Chichen Itza zu einer prachtvollen Metropole auf, die für zwei Jahrhunderte - vom Ende des 10. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts - das Schicksal Yukatans bestimmte. Historischer Überlieferung zufolge im 5. Jahrhundert n. Chr. gegründet, reichen die Anfänge dieser Stadt - Keramikfunden nach zu schließen - bis in präklassische Zeit zurück. Doch obwohl sie mit zwei Cenotes gesegnet ist, die eine günstige Voraussetzung für ihre Besiedlung boten, erlangte Chichen Itza, der »Mund des Brunnens der Itza«, erst mit dem Einfall der Itzas eine größere Bedeutung. Ihre Rivalin Uxmal aber überflügelte sie erst unter der Herrschaft der Tolteken. Das Ruinenfeld von Chichen Itza erstreckt sich über eine Fläche von 3 km in nord-südlicher und 2 km in ost-westlicher Richtung. Von den Hunderten von Ruinen, die auf diesem Areal registriert wurden, ist nur ein Bruchteil näher erforscht und zum Teil restauriert worden. Der Rest liegt - kaum mehr als unscheinbare Hügel - unter einer dichten Decke aus Gestrüpp und Buschwerk begraben. Der Kern der Stadt konzentriert sich um einen der beiden Cenotes, der - Xtoloc (»Eidechse«) genannt offenbar der Trinkwasserversorgung diente, während der zweite Cenote, der sogenannte Heilige Brunnen, dem Kult des Regengottes vorbehalten war und etwas abseits liegt. Der südliche Teil 135
Plan des Zentralbezirks von Chichen Itza (nach S. G. Morley, The Ancient Maya, Stanford 1956)
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der Stadt umfaßt jenes Chichen Viejo, das die Itzas im Puuc-Stil erbauten. Der nördliche Teil hingegen, das »Neue Chichen«, stellt die eigentliche Toltekenstadt dar. Sie war von einer Mauer umgeben und muß zu ihrer Blütezeit ihrem Vorbild, dem fernen Tula, zum Verwechseln ähnlich gesehen haben. Zweifellos das bedeutendste Bauwerk des toltekischen Chichen Itza war eine Tempelpyramide, die die Spanier wegen ihrer Größe und beherrschenden Lage im Mittelpunkt der Stadt Castillo (»Burg«) nannten. Sie umfaßt wiederum mehrere, zumindest zwei Bauphasen, die jedoch beide - ihrem architektonischen Dekor nach zu schließen - in die toltekische Periode zu datieren sind. Der innere Bau - eine neunstufige Pyramide, über der sich ein an seiner Fassade mit Schlangen und Jaguaren geschmückter Tempel erhob - erlangte besondere Berühmtheit dadurch, daß man in seinen beiden Tempelkammern zwei außergewöhnliche Skulpturen entdeckte: in der Vorhalle fand man eine sogenannte Chac Mool-Figur, eine Steinskulptur in der Form eines mit aufgerichtetem Oberkörper und angezogenen Beinen auf dem Rükken liegenden Mannes, der auf seinem Bauch eine Opferschale hält; im eigentlichen Heiligtum dahinter stand ein Thron, der rotbemalt und mit Jadeplättchen geschmückt - einen Jaguar darstellte. Zu Beginn der Toltekenherrschaft in Chichen Itza errichtet, mag der ältere Castillo-Tempel sehr wohl die neue Residenz Quetzalcoatl-Kukulcäns gewesen sein, wo er - auf dem Jaguarthron sitzend - Opfergaben entgegennahm und seine in Tula unterbrochenen Meditationen wiederaufnehmen konnte. Unter den Nachfolgern Kukulcans wurde über der alten eine neue Tempelpyramide errichtet, deren Unterbau gleichfalls neun Absätze hatte, im Gegensatz zur früheren Pyramide aber an allen vier Seiten Treppenaufgänge erhielt. Die Seitenlänge dieser - inzwischen restaurierten - Pyramide beträgt 60 m, ihre Höhe 24 m. Wie die Pyramide, so hat auch der Tempel einen quadratischen Grundriß: er besteht aus einem zentralen Sanktuarium, das von einer Galerie umgeben wird. Der Haupteingang, der dem Norden zugewandt ist, wird von zwei Pfeilern flankiert, die die Form aufgerichteter Schlangenleiber haben. Zwei aufgesperrte Schlangenrachen schmücken auch die Balustrade der Treppe, die zum Hauptportal emporführt. Das Vorherrschen der Schlange, Symbol des Gottes Quetzalcoatl, scheint darauf hinzudeuten, daß auch der zweite Castillo-Tempel dieser Gottheit geweiht , eine Vermutung, die durch die Aussage Landas, derzufolge Hauptbauwerk Chichen Itzas Kukulcan genannt wurde, be137
stätigt wird. Auch deuten gewisse Parallelen zwischen der Pyramidenform und dem Kalender darauf hin, daß dieser Bau mit der Federschlange, die als Gott der Weisheit und Wissenschaft verehrtwurde, in Verbindung stand. So entsprechen die Stufen aller vier Treppen, wenn man die obere Plattform hinzurechnet, genau den 365 Tagen eines Jahres, und jede Seite der Pyramide weist in ihrem Fassadenschmuck 52 Tabueros auf, eine Zahl, die in den Jahren einer Kalenderrunde ihre Entsprechung findet. Mochte dem Gott Quetzalcoatl - Kukulcan auch der größte Tempel in Chichen Itza geweiht sein, eine kaum geringere Bedeutung kam offensichtlich einem Tempelbau zu, der die vom Castillo beherrschte Plaza im Osten begrenzt. Es ist der sogenannte Kriegertempel, dem auf seiner Vorderseite eine Säulenhalle vorgelagert ist, eine Besonderheit, die er mit dem Haupttempel in Tula gemein hat. Auch die Reliefs auf den Säulen, die federgeschmückte Krieger darstellen und dem Tempel in Chichen Itza seinen Namen gaben, haben sowohl in Stil als auch Thematik in Tula ihr Pendant. Der eigentliche Tempel - wiederum über einer früheren Phase erbaut - erhebt sich auf einer niedrigen, vierstufigen Pyramide, deren Absätze mit skulptierten Tafeln bedeckt sind, die Jaguare und Adler zeigen, die Herzen verzehren, Jaguar und Adler waren die Schutztiere der toltekischen Kriegerorden, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehörte, auf ihren Kriegszügen Gefangene zu machen, damit die Götter mit Menschenherzen versorgt waren. Der Tempel, dessen Dach - wie das der Säulenhalle - heute zerstört ist, besteht aus Vorhalle und Sanktuarium, erstere mit einem Säulenportal in Form zweier aufgerichteter Schlangen, deren Kopf mit weit aufgesperrtem Rachen am Boden liegt, während der Schwanz - in den Rasseln einer Klapperschlange auslaufend - einst das Dach trug, letzteres mit einem Altartisch, der von mehreren Reihen zwerghafter Atlanten getragen wird. Die Fassade des Tempels mit den Symbolen des Regengottes Chac, der rüsselbewehrten Maske, und Quetzalcoatls, in Form eines Mischwesens aus Vo gel, Schlange und Mensch, geschmückt - zeigt eine Verschmelzung einheimischer und toltekischer Motive. Auf der dem Kriegertempel gegenüberliegenden Seite, im Westen der Plaza, erstreckt sich ein Ballspielplatz, der mit einer Länge von 150 m und einer Breite von 35m der größte seiner Art im Maya-Gebiet ist. Er hat die übliche Form eines römischen I und wird an seinen Längsseiten von einer 8 m hohen Mauer begrenzt, in deren Mitte jeweils am oberen Rand ein steinerner 138
Ring angebracht ist. Durch diesen Ring galt es, einen schweren Kautschukball zu stoßen, wobei die Spieler weder Hände noch Füße, sondern nur den Ellbogen, die Hüfte oder das Knie gebrauchen durften. Es war deshalb nicht leicht, ein »Tor« zu schießen. Gelang dies aber einer der beiden Parteien, die jeweils aus sieben Spielern bestand, so erwartete sie eine besondere Belohnung: sie durfte den Zuschauern, die auf den Tribünen rings um das Spielfeld versammelt waren, Schmuck und Kleider rauben. Die unterlegene Partei hingegen traf ein hartes Los: sie wurde den Göttern geopfert. Wie dies geschah, zeigt ein Relief auf der Einfassung der östlichen Mauer: zu beiden Seiten eines kreisförmigen Gebildes, das mit einem Totenkopf, aus dessen Mund volutenartig das Tageszeichen Tezcatlipocas hervorkommt, geschmückt ist, sind die Anführer der beiden Mannschaften dargestellt, der eine hält m der Hand einen menschlichen Kopf, dem anderen ragen aus hauptlosem Rumpf sieben Schlangen heraus, deren mittlere in einer Blüten und Früchte tragenden Pflanze ausläuft. Dieses Relief bestätigt die Überlieferung, daß das Ballspiel weniger sportliche als vielmehr kultische Bedeutung hatte: aus dem Flug des Kautschukballs, der dem Lauf der Ge stirne glich, versuchte man das Schicksal zu deuten, und die Menschenopfer, die man den mit den Gestirnen assoziierten Göttern darbrachte, sollten die Fruchtbarkeit der Erde sichern. Die Mauer auf der Ostseite des Ballspielplatzes wird von einem Tempel gekrönt, der nach einem Friesband, das schreitende Jaguare zeigt, Jaguartempel genannt wird. Sein Portal flankieren zwei gigantische Schlangenleiber. Die Innenwände des doppelräumigen Tempels waren einst mit farbigen Malereien bedeckt, von denen nur wenige mutwilliger Zerstörung entgangen sind. Sie stellen offenbar Szenen aus der Eroberung Chichen Itzas durch die Tolteken dar. Im Süden der Plaza führt eine einstige Prozessionsstraße in südwestliche Richtung zu einer kleinen Tempelpyramide, die ein genaues Abbild des Castillo ist. Ihr Name, das Grab des Hohenpriesters, leitet sich von einer außergewöhnlichen Entdeckung her: im Schrein des Tempels, von dem nur die Pfeiler und Grundmauern übriggeblieben sind, fand man am Boden die Öffnung eines Schachtes, der - 10 m tief - durch das Innere der Pyramide zu einer Höhle führte, die weitere 12 m in den gewachsenen reis hineinragte und auf ihrem Grunde einen Schutthaufen aus halbverbrannten Menschenknochen und Grabbeigaben enthielt, wie in Palenque wurde die Pyramide über dieser Höhle offen139
sichtlich als Grabmal errichtet, das - wie weitere Skelettfunde und Opfergaben im Schacht zeigten - auch in späterer Zeit als Begräbnisstätte hoher Würdenträger diente. Vom Hohenpriestergrab führt eine Verlängerung der Prozessionsstraße weiter nach Süden zu einem Bauwerk, das seiner Form nach sich von allen übrigen Bauten im Maya-Gebiet unterscheidet. Es ist das sogenannte Caracol, die »Schnecke«, wie die Spanier dieses Bauwerk tauften, das aus einem runden Turm besteht, der sich auf einer zweistufigen rechteckigen Plattform erhebt und in seinem Innern eine Wendeltreppe aufweist, die zu einer kleinen Kammer im Obergeschoß hinaufführt. Die Höhe des Turms betrug ursprünglich - die obere Plattform ist, wie ein ringförmiger Anbau in ihrem Innern, eine spätere Ergänzung 16 m, sein Durchmesser beträgt um. Der Überlieferung nach stand auch dieses Bauwerk mit dem Kult Quetzalcoatl- Kultulcans in Verbindung, was durch vergleichbare Funde im zentralen Mexiko, die Quetzalcoatl in seiner Eigenschaft als Windgott geweiht waren, bestätigt wird. Schießschartenartige Öffnungen in der Kammer des Obergeschosses, die nach den Himmelsrichtungen und anderen astronomischen Fixpunkten ausgerichtet sind, weisen aber auch darauf hin, daß dieser Turm als Observatorium verwendet wurde. Indem man beispielsweise durch die westliche Öffnung vom linken Innen- über den rechten Außenrand oder umgekehrt zum Horizont peilte, konnte man den genauen Zeitpunkt der Sommersonnenwende und der beiden Äquinoktien bestimmen. Mit dem Caracol feierte die Maya-Astronomie in toltekischem Gewände ihren letzten Triumph.
Das Banner der Maya In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann der Stern der Tolteken zu sinken. Erst wurde ihre Hauptstadt Tula von einfallenden Nomadenstämmen aus dem Norden Mexikos zerstört, dann, möglicherweise als Folge davon, denn - wie im Falle Teotihuacans im Klassikum - werden die toltekischen Auswanderer weiterhin mit ihrem Stammland in Verbindung gestanden haben, verloren die Tolteken ihre Herrschaft über Yukatan. Als die Itzas zu Beginn des 13. Jahrhunderts erneut in Chichen Itza auftauchen, ergeht es den Tolteken wie einst den Itzas: sie werden von den Neuankömmlingen verdrängt. Die Itzas hatten sich nach dem Einfall der Tolteken in Yukatan
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nach ihrem Stammsitz Chakanputun in Campeche zurückgezogen. Sie blieben dort, bis sie in einem Katun 8 Ahau, das mit den Jahren 1185-1204 gleichzusetzen ist - wahrscheinlich infolge der Ausdehnung des Herrschaftsbereiches der Putunes von Itzamkanac -, aus Chakanputun vertrieben wurden und jenen legendären Marsch unternahmen, der sie durch den Peten und Quintana Roo nach Yukatan führte. Auf diese Wanderung der Itzas mag nicht nur- wie wir gesehen haben - die Gründung Topoxtes im See von Yaxha, eine der wenigen Siedlungen im Peten in spätpostklassischer Zeit, zurückgehen, es ist auch möglich, daß sie die Vermittler eines Kunststils waren, der offenbar bei den Mixteken, einem nach dem Niedergang der Tolteken erstarkenden Volk in Zentralmexiko, seinen Ursprung hatte und im späten Postklassikums in Form einer bilderschriftartigen Freskomalerei an der Ostküste Yukatans, in Santa Rita Corozal, Belize, und Tulum, Quintana Roo, auftaucht und schließlich seinen Niederschlag in den berühmten, aus Yukatan stammenden Codices der Maya findet. Bedeutsamer allerdings als diese neuerlichen kulturellen Einflüsse aus dem zentralen Mexiko war eine andere Tradition, die die Itzas nach Yukatan mitbrachten. Sie gab der späten MayaKultur in diesem Gebiet ihr eigentliches Gepräge und war nichts anderes als eine provinzielle Form der klassischen Zivilisation der Maya, die sich im Osten der Halbinsel, vornehmlich in Quintana Roo, wohin die früheren Fremdeinflüsse aus Mexiko nicht gelangt waren, bis in postklassische Zeit erhalten hatte. So kam es im späten Postklassikum in Yukatan zu einer Renaissance der traditionellen Maya-Kultur, die sich sowohl in der Architektur und Keramik, wo man von der furnierartigen Fassadendekoration zur älteren Stuckornamentik und von einer schiefer- zur früheren lackartigen Keramik zurückkehrte, als auch in der Wiedereinführung der Hieroglyphenschrift äußerte, die seit dem Ende des Klassikums kaum noch in Gebrauch gewesen war. Trotz dieser Hinwendung zur eigenen Tradition blieben die Fremdeinflüsse, vor allem das Erbe der Tolteken, auch in der Spätzeit ein bestimmender Faktor. An keinem Ort zeigt sich dies deutlicher als in Mayapan, der letzten Metropole der Maya in Yukatan. Die Itzas, die nach ihrer langen Wanderung Chichen Itza zurückerobert hatten, dehnten ihren Machtbereich allmählich nach Westen aus, bis sich ein Hauptzweig von ihnen schließlich in einem Katun 13 Ahau (1263-1283 n.Chr.) in Mayapan niederließ. 141
Dieser Ort war bereits in der vorangegangenen, toltekischen Periode besiedelt gewesen. Doch sind aus dieser Zeit keine Ruinen sondern nur Keramikreste erhalten geblieben. Die Itzas, zur Legitimation ihres Herrschaftsanspruchs sich als Jünger des legendären Toltekenherrschers Quetzalcoatl - Kukulcan ausgebend zerstörten die alten Gebäude und errichteten auf ihren Trümmern eine neue Stadt, die nicht nur das politische und kulturelle Zentrum im Yukatan der Spätzeit werden sollte, sondern auch die einzige Siedlung in der Geschichte der Maya gewesen ist, die mit Sicherheit die Bezeichnung Stadt zu Recht verdiente. Mayapän ist zugleich auch der erste Maya-Ort, über dessen Aussehen und Funktion wir durch Aufzeichnungen aus der Kolonialzeit genauer informiert sind: Cuculcan kehrte zurück, um eine weitere Stadt zu gründen, und er trat in Verhandlung mit den einheimischen Fürsten, damit sie zusammen mit ihm in die Stadt zögen und dort alle Güter und Geschäfte zusammenliefen. Für diese Stadt wählten sie einen geeigneten Platz aus, der von dem Ort, wo sich heute Merida befindet, 8 Leguas ins Innere des Landes und vom Meer 15 oder 16 Leguas entfernt ist. An diesem Ort errichteten sie eine sehr breite Mauer aus Steinblöcken, die etwa ein Achtel Legua lang war, zwei enge Tore hatte und nicht sehr hoch war. Inmitten dieser Einzäunung erbauten sie ihre Tempel. Den größten von diesen, der wie jener in Chicheniza ist, nannten sie »Cuculcan«. Sie bauten auch einen runden Tempel, mit vier Eingängen, der sich von den übrigen unterscheidet, die es in diesem Lande gibt, und weitere mehr, einer nahe dem anderen. Auch errichteten sie innerhalb dieser Umzäunung Häuser für die Fürsten, unter denen allein sie das Land aufteilten, wobei ein jeder nach dem Alter seiner Linie und der Art seiner Person Dörfer zugeteilt bekam. Cuculcdn gab der Stadt einen Namen, nicht den seinen, wie es die Ahizaes in Chichenizd, was »Brunnen der Aizaes« bedeutet, taten, sondern er nannte sie Mayapan, was »Banner des MayaLandes« heißt, da sie die Sprache des Landes »Maya« nennen. Die Indianer nennen die Stadt Ychpa, was »In den Mauern« bedeutet.10 Die Itzas sicherten ihre Herrschaft über Yukatan, indem sie die Fürsten des Landes in Mayapan zusammenzogen, wo sie ihnen zugleich als Berater und Geiseln dienten. Auf diese Weise kam eine zentralisierte Staatsform zustande, wie es sie bislang im Maya-Gebiet nicht gegeben hatte. Sie war das Verdienst der Itza - Dynastie der Cocomes:
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Und als Cuculcan gegangen war, kamen die Fürsten überein, daß, damit der Staat von Dauer sei, die Oberhoheit das Haus der Cocomes übernehmen sollte, da es das älteste und reichste war und zudem von einem Mann regiert wurde, der alle anderen an Tapferkeit und Tugend übertraf. Als dies geregelt war, ordneten sie an, daß, da es im eingegrenzten Bezirk nur Tempel und Häuser für die Fürsten und den Hohenpriester gab, man außerhalb der Begrenzung Häuser baue, wo ein jeder von ihnen seine Bediensteten unterbringen konnte und die Leute seiner Dörfer Zugang hätten, wenn sie mit Geschäften in die Stadt kämen. In diesen Häusern brachte jeder Fürst seinen Hausverwalter unter, der als Zeichen seines Amtes einen dicken und kurzen Stab trug und den man Caluac nannte. Dieser Hausverwalter beaufsichtigte die Dörfer und jene, die sie regierten, und sorgte dafür, daß die Dorfvorsteher den Haushalt des Fürsten mit allem Notwendigen wie Vögeln, Mais, Honig, Salz, Fisch, Wildbret, Kleidern und anderen Dingen versorgten. Der Caluac ging regelmäßig zum Plans des Fürsten und sah nach, was fehlte, und beschaffte es dann, denn sein Haus war wie das Büro seines Herrn. Sie pflegten in den Dörfern die Verstümmelten und Blinden zu suchen und gaben ihnen das Notwendige. Die Fürsten stellten den Dörfern Gouverneure voran, und, wenn sie ihnen ergeben waren, übertrugen sie das Amt auf ihre Söhne. Sie erwarteten von ihnen, daß sie das einfache Volk gut behandelten, für Frieden im Dorf sorgten und die Leute zur Arbeit anhielten, damit sie selbst und die Fürsten ihren Unterhalt hatten. Alle Fürsten hatten die Pflicht, Cocom zu respektieren, zu besuchen und zu erfreuen, ihn zu begleiten und zu feiern und mit schwierigen Problemen zu ihm zu kommen. Sie lebten untereinander sehr friedlich und mit viel Muße, die sie in Tänzen, Banketts und auf der Jagd verbrachten. Die Yukateken waren ebenso sorgfältig in den Dingen der Religion wie in denen der Regierung. Sie hatten einen Hohenpriester, den sie ah kin may und mit Namen Ahau Can May nannten, was der »Hohe Priester May« bedeutet, und der von den Fürsten sehr verehrt wurde. Ihm waren Indianer zugeteilt, und außer den Opfergaben beschenkten ihn auch die Fürsten. Alle Priester der Dörfer trugen zu seinem Unterhalt bei. Ihm folgten in seinem Amt seine Söhne oder nächsten Verwandten. Darin lag der Schlüssel zu ihren Wissenschaften, mit denen sie sich am meisten beschäftigten. Sie berieten die Fürsten und beantworteten ihre 143
Fragen. Mit den Dingen des Opfers befaßten sie sich nur wenig es sei denn, daß man wichtige Feste feierte oder bedeutsame Geschäfte tätigte. Sie sorgten für Priester in den Dörfern, wenn sie dort fehlten, prüften sie in ihren Wissenschaften und Zeremonien betrauten sie mit den Dingen ihres Amtes und der Pflicht, dem Dorf ein gutes Vorbild zu sein, und versorgten sie mit Büchern Sie wohnten auch dem Gottesdienst in den Tempeln bei und lehrten sie ihre Wissenschaften und Bücher darüber zu schreiben. Sie unterrichteten die Söhne der anderen Priester und die zweiten Söhne der Fürsten, die man hierzu seit dem Kindesalter zu ihnen brachte, wenn man sah, daß sie zu diesem Amt neigten. Die Wissenschaften, die sie lehrten, waren die Zählung der Jahre, Monate und Tage, die Feste und Zeremonien, die Handhabung ihrer Sakramente, die unglücksverheißenden Tage und Zeiten, ihre Formen der Weissagung, Heilmittel gegen Krankheiten, die Altertumskunde und Lesen und Schreiben mit ihren Buchstaben und Zeichen, die sie in Form von Figuren schrieben, die ihre Schrift darstellten. Sie schrieben ihre Bücher auf ein langes Blatt, das derart gefaltet wurde, daß es von zwei Tafeln, die sie sehr hübsch gestalteten, verschlossen wurde. Sie schrieben auf der einen und der anderen Seite in Kolumnen, so wie die Faltungen waren. Dieses Papier stellten sie aus den Wurzeln eines Baumes her und gaben ihm einen weißen Glanz, auf dem man gut schreiben konnte. Einige hohe Fürsten beschäftigten sich mit diesen Wissenschaften aus Interesse. Sie gewannen dadurch ein höheres Ansehen, obwohl sie von ihrem Wissen in der Öffentlichkeit keinen Gebrauch machten.11 Landas Bericht über Mayapan ist im wesentlichen durch die archäologische Forschung bestätigt worden. Die Stadt hatte tatsächlich einen Kern, der aus einem Tempelbezirk, den eine dem Castillo in Chichen Itza nachgebildete Tempelpyramide beherrschte, und säulengetragenen palastartigen Gebäuden, die den Tempelbezirk umgaben, bestand. Allerdings konnten die Archäologen keinerlei Spuren jener Mauer finden, die den Kernbezirk angeblich gegen den Rest der Stadt hin abgrenzte. Dafür war der äußere Rand der Stadt von einer Mauer umgeben, die eine Gesamtfläche von 3,5 x 2,5 qkm einschloß. Zwischen dieser Mauer und dem Kernbezirk, der kaum mehr als 2 50 qm umfaßte, drängten sich nicht weniger als 3500 Häuser, so daß Mayapan 15000 bis 20000 Einwohner gehabt haben dürfte. So eindrucksvoll die Größe Mayapans auch gewesen sein muß, 144
Fragment einer Stuckskulptur aus dem Grab im Inschriftentempel in Palenque
Oben: Fassadenschmuck mit den Masken des Regengottes am nördlichen Gebäude des Nonnenklosters in Uxmal Unten: Schlangenportal des Jaguartempels am Ballspielplatz m Chichen Itza
ihre Bauten und Kunstwerke waren nur noch ein schwacher Abglanz vergangener Zeiten, in dem sich toltekische Elemente mit wiederbelebter einheimischer Tradition mischten, bis er schließlich unter dem Einfluß mexikanischer Söldner, die die Cocomes gegen Ende ihrer Herrschaft in den Handelsmissionen der Mexikaner an der Golfküste angeworben und als Garnison in Mayapan stationiert hatten, gänzlich verblaßte. Charakteristisch für diese letzte Phase Mayapans sind unförmige figürliche Weihrauchgefäße mit greller polychromer Bemalung, die Götter aus einem synkretistischen Pantheon darstellen, das inzwischen auf über hundert Gottheiten angewachsen war. Einher mit diesem künstlerischen Niedergang ging eine zunehmende Militarisierung, die sich nicht nur in der Übernahme mexikanischer Waffen wie Pfeil und Bogen, die es zuvor im Maya-Gebiet nicht gegeben hatte, äußerte, sondern auch in einem Ausbruch bürgerkriegsähnlicher Wirren, die erst mit dem Einbruch der Spanier enden sollten.
Verrat Den Auftakt zu diesen Unruhen bildete eine Episode, die der Menschheit seit dem Trojanischen Krieg vertraut ist. Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein gewisser Hunac Ceel, eine zwielichtige Gestalt, die in den indianischen Quellen zugleich als Held und Verräter bezeichnet wird. Wir hören erstmals von ihm im Zusammenhang mit dem heiligen Opferbrunnen in Chichen Itza. Dieser Brunnen, 60 m im Durchmesser, 30 m tief und am Südrand von einem kleinen Tempel gekrönt, hatte sich in postklassischer Zeit zum bedeutendsten Wallfahrtsort der Maya entwickelt, zu dem man selbst aus so entfernten Gegenden wie Mexiko und Guatemala regelmäßige Pilgerzüge unternahm, um dem Regengott mit Gold, Edelsteinen und Menschenleben zu opfern und aus dem Munde derer, die den Sturz in die Tiefe überstanden, den Lauf des Schicksals zu erfahren. Als Gesandter des Herrschers von Mayapan nahm Hunac Ceel an einer dieser Opferzeremonien am Cenote von Chichen Itza teil: Dann kamen jene, die hineingeworfen werden sollten, und sie begannen, sie in den Brunnen zu werfen, damit ihre Prophezeiung von ihren Herrschern gehört werden könne. Ihre Prophezeizung kam nicht. Es war Cauich, Hunac Ceel, Cauich war der des Mannes dort, der seinen Kopf hinausstreckte an der 145
Öffnung des Brunnens am südlichen Rand. Dann ging er sie holen. Dann kam er heraus, um die Prophezeiung kundzutun. Dann begann das Einholen der Prophezeiung. Dann begann seine Prophezeiung. Dann begannen sie, ihn zum Herrscher 2« erklären. Dann wurde er von ihnen auf den Thron der Herrscher gesetzt. Dann begannen sie, ihn zum Oberhaupt zu erklären.12 So verdient seine Berufung zum Herrscher Yukatans auch war - sich freiwillig in den Abgrund des Cenote zu werfen, der gerade alle voraufgegangenen Opfer verschlungen hatte, erforderte einen außergewöhnlichen Mut -, so wenig erwies sich Hunac Ceel offenbar seiner neuen Ehre würdig. Denn kaum hatte er sein neues Amt angetreten, da begann er, Zwietracht zwischen seinen Verbündeten - den Herrschern von Chichen Itza und Izamal, einem Ort im nördlichen Yukatan, der gleichfalls von einer Itza-Dynastie beherrscht wurde - zu säen, der mit der Vertreibung der Itzas aus Chichen Itza endete: Im Katun 8 Ahau wurde der halach-uinic oder Herrscher von Chichen Itza durch den Verrat Hunac Ceels vertrieben; und dies geschah Chac-xib-chac von Chichen Itza infolge des Verrats Hunac Ceels, des Herrschers von Mayapän, der Festung. Achtzig Jahre und zehn Jahre; es war im Tun 10 des Katun 8 Ahau. Das war das Jahr, als Chichen Itza durch Ah Zinteyut Chan, Tzuntecum, Taxcal, Panternit, Xucheueut, Itzcuat und Kakaltecat entvölkert wurde. Es war in diesem selben Katun 8 Ahau, daß sie kamen, um Ah Ulmd, den Herrscher, wegen des Banketts mit Ulil, dem Herrscher von Itzmal, zu vertreiben. Dreizehnmal hatten sich die Katun wiederholt, als sie von Hunac Ceel wegen der Prüfung vertrieben wurden. Das Bankett, worauf hier angespielt wird, war offenbar das Schlüsselereignis, denn dem Bericht eines spanischen Missionars zufolge, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts am Lago Peten Itza auf Nachkommen der aus Yukatan vertriebenen Itzas stieß, wiederholte sich in Yukatan, was zweieinhalb Jahrtausende zuvor König Menelaos von Sparta zugestoßen war: auf Anstiften Hunac Ceels raubte Chac Xib Chac, der Herrscher von Chichen Itza, Ulil, dem Herrscher von Izamal, während der Hochzeitsfeier die Braut, was Hunac Ceel zum Vorwand nahm, mit Hilfe mexikanischer Söldner Chichen Itza zu erobern. Die Flüchtlinge aus Chichen Itza zogen sich nach Süden in den Peten zurück, wo sie im See, der ihren Namen trägt, die Inselfeste Tayasal gründeten, die den Spaniern noch Widerstand leistete, als alle anderen Maya-Städte längst vergessen waren. So wandelte 146
sich der »Verrat« Hunac Ceels zu ihrem Vorteil, während er diesen ins Verderben stürzte. Denn dem Bürgerkrieg, den er entfacht hatte, fiel er am Ende selbst zum Opfer.
Mani, es ist alles vorbei Noch im gleichen Katun 8 Ahau, das in die Zeit zwischen 1441 und 1461 fiel, brach in Mayapan eine Revolte gegen die CocomDynastie aus, in der die Tutul Xius, die Fürsten von Uxmal, eine führende Rolle spielten: Unter den Nachfolgern des Hauses der Cocom gab es einen, der sehr stolz und ein Nachahmer Cocoms war. Dieser schloß ein neues Bündnis mit denen von Tabasco und stationierte weitere Mexikaner in der Stadt. Und er begann mit einer Tyrannenherrschaft und versklavte das Volk. Deshalb verbanden sich die Fürsten mit der Partei des Tutul Xiu, der wie seine Vorfahren ein großer Staatsmann war, und sie beschlossen, Cocom zu töten. Und so taten sie es; sie töteten all seine Söhne bis auf einen, der abwesend war. Und sie plünderten seine Häuser und besetzten seine Güter, die er mit Kakao und anderen Früchten bepflanzt hatte und mit denen, so sagten sie, zurückgezahlt wurde, was er ihnen geraubt hatte.14 Mayapan wurde zerstört und verlassen, und »ein jeder ging in sein Land«. So zerbrach mit dem Untergang Mayapans der einzige größere Staatenverband der Maya, von dem wir Kunde haben. In der Folgezeit zersplitterten die Yukateken in zahlreiche Einzelstaaten und kehrten damit zur alten Tradition der Maya zurück. Bei der Ankunft der Spanier zu Beginn des 16. Jahrhunderts war die yukatekische Halbinsel in 16 Provinzen aufgeteilt, die zumeist einer zentralen Autorität in der Gestalt eines Halach Uinic, eines »Wahren Menschen«, das heißt Fürsten, unterstanden, der jeweils im größten Ort einer Provinz residierte und zur Verwaltung der kleineren Gemeinden einen sogenannten batab einsetzte, der mit Hilfe eines vierköpfigen Gemeinderates und eines besonderen Kriegsführers, des nacom, für die Bereitstellung von Tributen und Truppenkontingenten zu sorgen hatte. Die Ämter des Halach Uinic und Batab waren erblich, die Ratsmitglieder und der Nacom wurden gewählt. Die bedeutendsten dieser Kleinstaaten waren die Provinzen von Mantund Sotuta. Erstere, eine der größten Provinzen, die 147
sich zu beiden Seiten der heutigen Grenze zwischen Yukatan und Campeche von den Puuc-Hügeln bis zur Lagune von Chichankanab erstreckte, unterstand den Tutul Xius, die nach dem Fall von Mayapan ihren Herrschersitz an einem Ort aufgeschlagen hatten, dem sie den Namen Mani gaben, was soviel wie »es ist vorbei« heißt. Die Provinz von Sotuta, die - weit kleiner als die von Mani - sich im Nordosten an diese anschloß, wurde von den Nachfahren jenes Cocom-Erben regiert, der dem Massaker in Mayapan entgangen war. Die Feindschaft zwischen diesen beiden Herrscherhäusern dauerte unverändert an und trug, wie wir noch sehen werden, wesentlich dazu bei, daß den Spaniern nach anfänglichen Mißerfolgen schließlich doch die Eroberung Yukatans gelang.
Die Wanderung der Quiches Ähnlich wie in Yukatan verlief in postklassischer Zeit die Entwicklung in den südlichen Hochländern. Auch hier gelangten im frühen Postklassikum mit den Tolteken fremde Eroberer zur Macht, deren Einfluß - verstärkt durch kriegerische Einfalle der Azteken - bis zur Conquista bestimmend blieb. Im Gegensatz zum Norden aber kam es in der südlichen Region, die an der klassischen Maya-Zivilisation nur geringen Anteil hatte, zu keiner Renaissance der Maya-Kultur mehr. Expliziter noch als in den yukatekischen Quellen wird in den indianischen Berichten Guatemalas die Wanderung der Flüchtlinge aus Tula geschildert, die sich in Tabasco am Rande des Maya-Gebietes in einen nördlichen - den yukatekischen - und einen südlichen Zweig, der sich im Hochland von Guatemala niederlassen sollte, teilten. So läßt sich anhand des Popol Vuh, des heiligen Buches der Quiches, und der sogenannten Annalen der Cakchiqueles die Wanderroute rekonstruieren, die diese beiden Maya-Stämme beziehungsweise die toltekischen Auswanderer, auf die sie ihre Herrscherdynastien zurückführten, nahmen: die einen zogen - auf den Spuren der Putunes - den Usumacinta aufwärts und gelangten über dessen Quellfluß, den Rio Chixoy, in das Gebiet der östlichen Cuchumatanes, wo siewahrscheinlich an der Stelle, wo die Ruinen von Chipal liegenauf dem Berg Hacavitz ihre erste Siedlung im Hochland, den Ort Hacavitz Chipal, gründeten. Die anderen folgten ihren Vorgängern, den Pipiles, das Tal des Rio Grijalva aufwärts und 148
drangen in der Gegend des heutigen Departement Huehuetenango in Guatemala ein. Eine dritte Gruppe schließlich, die später mit den Tzutuhiles identifiziert wurde, stieß vermutlich von Norden her über den Rio Jatate und seinen Nebenfluß Ixcan in das Hochland vor. Die Verschmelzung der toltekischen Einwanderer mit den Ahnherren der Quiches, Cakchiqueles und Tzutuhiles, die im frühen Postklassikum, als die Einwanderung der Tolteken erfolgte, noch eine sprachliche Einheit bildeten, die sich um 200 v. Chr. von den Mames gelöst hatte, erfolgte offenbar im Grenzgebiet zwischen Chiapas und Guatemala. Von hier aus breiteten sich diese toltekisierten Maya — allmählich in drei divergierende Sprachgruppen zersplitternd und alteingesessene Maya-Stämme wie die Mames, Kekchis und deren Verwandte, die Pokomchis und Pokomames, nach Westen und Osten verdrängend - über das zentrale Hochland aus, wo sie schließlich jene befestigten Herrschersitze errichteten, die aus der Zeit der Conquista überliefert sind. Wie die Ausbreitung der Quiches, bei Ankunft der Spanier die mächtigste Maya-Gruppe in Guatemala, von ihrem ersten Stützpunkt auf dem Berg Hacavitz aus erfolgte, schilderte sehr eindrucksvoll das Popol Vuh: Da nun kamen sie und verließen für immer ihren Wohnsitz, einen anderen Wohnsitz suchten sie, dort sich niederzulassen: Nicht zu zahlen sind die Orte, wo sie sich niederließen, die Ruf und Namen gewannen, weil (dort) unsere ersten Ahnmütter, unsere ersten Ahnväter zusammenströmten und -drängten. Viele Menschen früherer Zeiten sagten aus, daß sie sich besprochen und dann für immer ihre erste, Hacavitz genannte Stadt geräumt hätten, daß sie dann hierher gekommen seien und wieder eine Stadt, Chiquix mit Namen, gegründet hätten. Lange trieben sie es hier in der Tochterstadt, zeugten Töchter und zeugten Söhne, in Mengen waren sie dort; alle diese vier Hügel hatten gemeinsam den Namen ihrer Stadt. Sie verheirateten ihre Töchter und ihre Söhne, sie pflegten sie nur so hinzusehenden; und nur nach Zuneigung, nur nach bewundernder Wertung Gemäßen Die, die Töchter freiten, den Kaufpreis, - gar löblich war ihr Tun und Treiben. Sie durchschritten alle Bezirke der Stadt hier oben, die da heipen: Chiquix, Chichac, Humetaha, Culba, Cavinal, das sind die Namen der Örtlichkeiten, die sie bewohnten. Und sie durchsuchten das Land und ihre Stadt, suchten nach Stätten der Unterzunft, denn gar Viele waren sie Alle zusammengenommen. schon waren Die gestorben, die im Osten die Herrscherwür149
den in Empfang genommen hatten. Hochbetagt waren sie dort hinauf in jedwede Stadt gekommen, aber sie hatten sich nicht eingewöhnt, waren durch alle nur hindurchgegangen. Mühen und Qualen hatten sie zu überstehen gehabt; denn wahrlich fernab lag die Stadt, die die Ahnherren und Urväter endlich fanden; und so heißt die Stadt, in die sie gelangten: Chiizmachi ist der Name des Ortes, der Stadt, wo sie nunmehr wieder verweilten und für die Dauer blieben. Hier erprobten sie ihr Können: Ihr Kalk und ihre weiße Putz-Erde wurden gepulvert (d. h. Steinbauten errichtet) in der nunmehr vierten Herrschergeneration. Das Wort hatten Conache, desgleichen Neun-Hirsch und mit ihm der Calel Ahau geführt. Dann aber wurden Cotuha und mit ihm Iztayul, wie sie heißen, Könige als Ahpop und AhpopCamha. Sie kamen zur Regierung hier in Chiizmachi; es war eine schöne Stadt, die sie da erbauten. Nur die drei Großgeschlechter waren dort in Chiizmachi; es gab noch nicht jene vierundzwanzig Großgeschlechter, sondern nur ihre (der Quiche) drei Königsgeschlechter: nämlich ein Königs ge schlecht der Cavec, dann ein Königsgeschlecht an der Spitze der Nihaib, endlich noch eines der Ahau - Quiche. Nur zwei, mit Schlangen gezierte (Großbauten gab es), die von zwei Gruppen von Sippen. Die so in Chiizmachi wohnten, waren einmütigen Herzens, es gab bei ihnen kein Mißtrauen und gab keinen Ärger. Die Machtausübung ruhte: Es gab keinen Streit, kein Durcheinander, sondern Glück und Eintracht war in ihren Herzen, kein Übelwollen gab es und keinen Neid bei dem', was sie taten. Ganz klein war ihre Macht noch, sie hatten noch nichts Übermäßiges zustande gebracht, noch waren sie nicht richtig groß geworden. Da versuchten sie es damit, daß sie hier in Chiizmachi »den Schild zum Vorrang erhoben«, als ein kleines Sinnbild ihrer Vorherrschaft, und machten das zum kleinen Wahrzeichen ihrer Herrlichkeit und zum Zeichen ihrer Größe. Als das die Hoc sahen, da fingen sie Krieg an; sie wollten kommen und diesen König Cotuha töten: Nur einen einzigen König, einen aus ihrer Mitte wollten sie; und jenen König Ztayul wollten sie züchtigen, gezüchtigt sollte er von den Hoc werden, bis man ihn zu Tode gebracht habe. Aber ihr übles Vorhaben hinter dem Rücken des Königs Cotuha glückte nicht, sondern Der fiel über sie her, - kein Gedanke, daß der König durch die Hand der Hoc umgekommen wäre. 150
Auf diese Weise also begann es mit dem Aufstand und dem Krieg der Eifersucht: Sie drangen zuerst in die Stadt ein, machten sich auf, zu morden. Das wünschten sie ja, die Quiche möchten von der Bildfläche verschwinden, und sie selbst wären allein zur Herrschaft gelangt, danach stand ihr Sinn. Aber gerade sie selbst kamen zu Tode, sie wurden gefangengenommen, wurden zu Beutesklaven gemacht; es waren ihrer nicht Viele, die sich retteten. Da bürgerte es sich ein, daß man opferte, geopfert wurden die Hoc vor dem Götterbild; das war für ihre Schuld die Strafe auf Geheiß des Königs Cotuha. Viele gingen also in die Sklaverei, wurden zu Kriegssklaven gemacht, wurden zu Knechten gemacht. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als in ihre Niederlage sich zu ergeben - das war die Folge ihres Verschwörungskrieges gegen den König und gegen die Schluchten-Feste. Ausgerottet werden, aufgerieben werden sollte, was von der Herrschaft der Quiche zu sehen war, das war ihres Herzens Begehr, aber das verwirklichte sich eben nicht. So kam es, daß nun die Leute vor dem Götterbild geopfert wurden. Daß man den Schild-Krieg führte, war Ursprung und Anfang, daß die Stadt Chiizmachi befestigt wurde. Von daher leitet sich der Anfang ihrer Herrlichkeit her, denn wahrlich groß war der Herrschaftsbereich der Quiche-Könige. Lauter wunderkräftige Fürsten waren sie. Niemals geschah es, daß sie sich gedemütigt hätten; nie daß es Jemand gegeben hätte, der in ihre Rechte eingreifen wollte. Nur für die Größe des Reichs waren sie tätig, nachdem sie hier in Chiizmachi den Grund gelegt hatten. Hier wurde die ehrfürchtige Scheu vor dem Götterbild immer größer. Ja man mußte Furcht vor ihm haben, und jeglicher Stamm, kleine Stämme und große Stämme, fürchteten sich, wenn sie die Gefangenen hereingehen sahen, die Jene opferten, die sie töteten kraft der Herrlichkeit und Macht des Königs Cotuha und des Königs Ztayul, gepaart mit der der Nihaib und der AhauQuiche. Nur diese drei Gruppen von Sippen wohnten hier in Chiizmachi, wie die Stadt hieß. Hier führten sie nunmehr Schmausereien und Trinkereien ein zu Ehren ihrer Töchter, wenn sie sie verheirateten: Das waren die Zusammenkünfte der drei Großgeschlechter, wie sie sich selbst nannten; hier also pflegten sie ihren Trunk zu tun und hier ihre Maisfladen zu verzehren, die der Kaufpreis für ihre Schwestern, der Kaufpreis für ihre Töchter waren. Eitel Seligkeit war in ihren Herzen, wenn sie das taten, wenn sie in ihren Großbauten tafelten und aus feinen Schalen tranken. 151
»Das ist nur die Abstattung unseres Dankes, ist nur unsere Erkenntlichkeit dafür, daß wir Nachkommen haben werden, ist das Wahrzeichen unserer Absprache über Weib und Mann!« sagten sie. Ebendaselbst wurden Namen gegeben, daselbst verabredeten sie, in Sippschaften (weiter) sich einzuteilen, sich zu sieben-teilen, in Großgeschlechter sich (weiter) zu gliedern: »Verständigen wir uns, wir Cavec, wir Nihaib und wir Ahau - Quiche!« sprachen die drei Sippschaften und die drei Großgeschlechter. Lange Zeit wirkten sie hier in Chiizmachi. Alsbald suchten sie wieder und sahen sich nach einer anderen Stadt um, und dann verließen sie Chiizmachi. Als sie sich dann erhoben und aufgemacht hatten, kamen sie dort zur Stadt mit Namen Cumarcaah, wie sie von den Quiche genannt wird. Und auch die Könige kamen, Cotuha zusammen mit Cucumatz und mit sämtlichen Fürsten. Schon drängte sich herzu, schon trat in der fünften Generation der Mensch auf seit dem Uranfang des Lichts, seit dem Uranfang des Volks, seit dem Uranfang des Lebens und der Menschheit.1 Nach einer Wanderung, die etwa zwei Jahrhunderte währte, gründeten die Quiches im 13. Jahrhundert mit Cumarcaah eine Stadt, die sich im Laufe des späten Postklassikums zum bedeutendsten Machtzentrum in Zentralamerika entfalten sollte. Der Name dieser Stadt - er bedeutet soviel wie »verfaulte Hütten« - weist allerdings eher auf ihre bescheidenen Anfänge als auf ihre spätere Größe hin. Als die Spanier zu Beginn des 16. Jahrhunderts Utatlan (»Ort der Schilffelder«), wie ihre mexikanischen Hilfstruppen die Stadt nannten und wie sie seitdem allgemein bezeichnet wird, erblickten, waren aus den anfänglichen Strohhütten steinerne Tempel und Paläste erwachsen, die gleich einer Burg auf einer von Schluchten umgebenen Bergkuppe thronten. Ähnlich wie die Quiches, die ihren Machtbereich schließlich im Gebiet zwischen dem See von Atitlan und der Grenze nach Chiapas bis zur Pazifikküste ausdehnten, errichteten auch die Cakchiqueles, die sich über das Hochland östlich des AtitlanSees ausbreiteten, ihren Herrschersitz auf einem leicht zu verteidigenden Bergrücken. Sie gaben der Stadt nach einer lokalen Bezeichnung des Ramon-Baumes den Namen Iximche. Die dritte Gruppe schließlich, die Tzutuhiles, ließ sich an den Ufern des Atitlan-Sees nieder, wo sie am Fuße des Vulkans San Pedro die Stadt Tziquinaha gründete, die heute als die Ruinen von Cbui Tinamit bekannt ist. 152
Azteken vor den Toren Diese Herrschersitze wie auch jene der beiden anderen großen Maya-Stämme im Hochland von Guatemala, der Mames im Westen und der Pokomames im Osten, die in Zaculeu beziehungsweise Mixco Viejo ihre Hauptstadt errichteten, waren die Zentren einer Kultur, die kaum noch Spuren der ursprünglichen Maya-Tradition aufwies. In Architektur, Kunst und Religion dominierte der mexikanische Einfluß, wobei sich frühere, toltekische mit späteren, aztekischen Kulturelementen vermischten. Das Bild der Städte, die wiederum weniger urbanen als vielmehr zeremoniell-administrativen Charakter hatten, beherrschten Tempel und Palastbauten, die sich plazaförmig über eine oder mehrere terrassierte Bergkuppen verteilten. Den Mittelpunkt des Kultes bildete offenbar in spätpostklassischer Zeit ein Doppeltempel, der auf einer Pyramidenbasis errichtet war und an
Rekonstruktion des Zentralbezirks (Gruppe B) von Mixco Viejo (nach S. F. Borhegyi, Settlement Patterns of the Guatemalan Highlands. Handbook of Middle American Indians, Bd. 2, Austin 1965)
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jenen Zwillingstempel in Tenochtitlan, der Hauptstadt der Azteken, erinnert, der dem Kriegsgott Huitzilopochtli und dem Regengott Tlaloc geweiht war. Ersterer, der Stammesgott der Azteken, wird in dieser Form in Guatemala, das dem Herrschaftsbereich der Azteken nicht mehr einverleibt wurde, kaum verehrt worden sein, obwohl im Postklassikum auch hier ein zunehmender Militarismus aufkam, der sicher auch in einer entsprechenden Gottheit seinen Niederschlag fand. Die Hauptgötter bei den Hochlandstämmen Guatemalas in postklassischer Zeit waren indessen Cucumatz (»Federschlange«), auch Tohil genannt, hinter dem sich kein anderer verbirgt als der Toltekengott Quetzalcoatl, ferner sein weibliches Pendant Tepeu und sein Zwillingsbruder Xolotl, der Sonnengott Tlalchitonatiuh und die Regengötter Tlaloc und Huracan. Um das Wohlwollen der Götter zu sichern, ging man immer mehr dazu über, Menschen zu opfern. Menschenopfer hatte es, wie wir gesehen haben, auch in früherer Zeit gegeben. Doch unter dem Einfluß der Tolteken, die die Lehren ihres Priesterfürsten bald vergaßen, nahm diese Form des Opfers allmählich erschreckende Ausmaße an. Allerdings waren es vornehmlich Kriegsgefangene, die geopfert wurden. Die Tolteken, die den Anstoß zur Ausbreitung der Quiches, Cakchiqueles und Tzutuhiles gaben, brachten auch jene kriegerische Komponente nach Guatemala, die zu einer allgemeinen Militarisierung der Gesellschaft führte. Die Folge war eine nicht abreißende Kette von Stammesfehden und Eroberungskriegen, die ~ ähnlich wie im Yukatan der Spätzeit - die Hochland-Maya in Guatemala in rivalisierende Kleinstaaten zersplitterten. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, daß die Azteken, die in kaum 200 Jahren das mächtigste Imperium des vorspanischen Mexiko schufen und unter ihrem König Ahuizotl in den Jahren I499/ 1500 einen ersten Vorstoß ins Maya-Gebiet unternahmen, der zur Errichtung der Kolonie Soconusco an der Pazifikküste von Chiapas führte, ihren Machtbereich auch auf das angrenzende Guatemala ausgedehnt hätten. Doch die Weißen Götter kamen ihnen zuvor.
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ZWEITES BUCH
HEIDEN UND SKLAVEN
IV. KAPITEL CONQUISTA Katun 11 Ahau war der Beginn der Katun-Zählung, der erste Katun. Der Katun wurde in Ichcaanzihoo errichtet, als die Fremden erschienen. Rot waren die Barte der Kinder der Sonne, die Bärtigen aus dem Osten, als sie hier in unser Land kamen. Die Fremden in diesem Land sind weiße Männer, rote Männer . . . ein Beginn fleischlicher Sünde ... O Itza!. . . macht euch bereit. Dort erscheint ein weißer Kreis am Himmel, der hellhäutige Junge des Himmels, die weiße hölzerne Standarte, die vom Himmelherabkommen wird. Eine viertel Legua, eine Legua entfernt nähert sie sich. Ihr werdet die Dämmerung eines neuen Tages sehen, ihr werdet den Mut-Vogel sehen. Oh, wie wird es Fürbitte für uns geben, wenn sie kommen. Es werden viele kommen, die Stein und Holz sammeln, den unwürdigen Pöbel der Stadt. Feuer wird an den Enden ihrer Hände aufflammen. Es wird viel Gift und auch Stricke geben, um die Fürsten zu hängen. O Itza! Eure Gebete sind nutzlos angesichts des wahren Gottes, der herabgekommen ist. Sie sind falsch in Wort und Lehre. Karg ist der Katun, spärlich sein Regen . . .16 Diese »Katun-Prophezeiung«, in der sich indianisches und christliches Gedankengut verbinden, stammt zwar aus der Zeit nach der Conquista, knüpft aber an jene vorspanische Überlieferung an, derzufolge der vergöttlichte Toltekenherrscher Quetzalcoatl-Kukulcan einst aus dem Osten wiederkehren werde, um die Feinde der Finsternis endgültig zu besiegen. Doch wo der Glaube an diese Prophezeiung und ihr Eintreten am vorgezeichneten Datum den Handlungswillen des Aztekenherrschers Moctezuma Xocoyotzin lahmte und den Untergang seines Reiches beschleunigte, waren die Maya, die die bärtigen Kinder der Sonne als erste erblickten und schon bald deren allzu menschliches Wesen erkannten, nicht bereit, sich kampflos den Fremden zu ergeben. Länger als alle anderen indianischen Hochkulturvölker leisteten sie den spanischen Eroberern Widerstand. 156
Die Landung der Weißen Götter Der erste Weiße, mit dem die Maya in Berührung kamen, war kein anderer als Christoph Kolumbus (1451-1506), der »Entdekker« Amerikas. Auf seiner vierten Reise in die Neue Welt stieß er im Sommer des Jahres 1502 vor der Nordküste von Honduras auf ein indianisches Handelsschiff, dessen Insassen offenbar Putunes waren, die im Laufe des Postklassikums ihren Fernhandel bis nach Panama ausgedehnt hatten. Wiewohl Ausmaße und Ausstattung des Bootes, die reiche Fülle seiner Waren - darunter Schellen und Beile aus Kupfer - und die sorgfältige Kleidung seiner Insassen auf einen Zivilisationsgrad hinwiesen, der unter all den Entdeckungen, die Kolumbus bislang in der Neuen Welt gemacht hatte, seinem eigentlichen Ziel, dem Wunderland Indien, am nächsten kam, erkundete Kolumbus nicht das Ursprungsland des indianischen Kauffahrers, sondern bog nach Osten in die bekannten Gewässer der Karibik ab. So blieb dem Maya-Land noch eine Frist von 15 Jahren, ehe Europa auf seine Existenz aufmerksam wurde. In der Zwischenzeit fand allerdings eine zweite Begegnung zwischen den Maya und den Spaniern statt. Sie ereignete sich im Jahre 1511, als die Karavelle eines gewissen Valdivia, der mit einem Bericht über die politischen Intrigen der Conquistadoren in Panama und mit einem Kronschatz von 20000 Dukaten nach Santo Domingo unterwegs war, vor der Küste von Jamaika zerschellte und zwölf Überlebende, darunter Valdivia und zwei Spanier, die später Berühmtheit erlangen sollten - Geronimo de Aguilar und Gonzalo Guerrero -, nach zweiwöchiger Irrfahrt in einem Rettungsboot an der Ostküste Yukatans, wahrscheinlich in der Provinz Ecah, auf Land stießen. Die Tatsache, daß diese ersten Weißen, die das Maya-Gebiet betraten, Schiffbrüchige waren, die nicht wie ihre Nachfolger im göttlichen Glanz schwimmender Häuser und feuerspeiender Stöcke erschienen, besiegelte ihr Schicksal: Diese armen Leute fielen in die Hände eines bösen Kaziken, der Valdivia und vier weitere seinen Göttern opferte und ihr Fleisch seinem Volk als Festschmaus überließ. Aguilar und Guerrero und fünf oder sechs weitere hielt er zurück, um sie zu mästen. Doch sie sprengten ihr Gefängnis und flüchteten in die Wälder. Sie kamen zu einem anderen Herrn, der ein Feind des ersten und barmherziger war. Er machte sie zu Sklaven. Dieser Fürst, der dem ersten folgte, behandelte sie mit Gunst und Gnade, 157
doch Krankheit raffte sie dahin, so daß nur Geronimo de Aguilar und Gonzalo Guerrero übrigblieben. Aguilar war ein guter Christ und hatte ein Gebetbuch, so daß er die Feiertage nicht vergaß . . . Guerrero, der die Landessprache erlernt hatte, ging nach Chectemal. . . Dort nahm ihn ein Fürst namens Nachancan auf, der ihn zu seinem Feldherrn machte. In diesem Amt tat er sich bald hervor: er besiegte viele Male die Feinde seines Herrn und unterrichtete die Indianer in der Kriegführung, wobei er ihnen zeigte, wie man Festungen und Bastionen baut. Hiermit und dadurch, daß er sich wie ein Indianer benahm, gewann er hohes Ansehen, und sie verheirateten ihn mit einer Frau aus fürstlichem Geblüt, mit der er Kinder hatte . . .17 Der Fürst, der die fremden Flüchtlinge als Sklaven in seine Dienste nahm, war der Herrscher von Zama, eines Ortes, der seinem Namen - Zama bedeutet »Morgendämmerung« - und seiner vermeintlichen Lage nach offenbar mit Tulum, der Küstenfeste im Grenzgebiet zwischen den Provinzen Ecab und Uaymil, identisch war. Vermutlich war das Ziel der gestrandeten Spanier gewesen, sich entlang der Ostküste Yukatans zum Ausgangspunkt ihrer Reise, nach Panama, durchzuschlagen. Doch der südlichste Punkt, den sie erreichten, war die Bucht von Chetumal, wo Guerrero die Lebensweise eines Indianers annahm. Von nachhaltiger Wirkung war erst das dritte Zusammentreffen zwischen den Maya und den Spaniern. Dieses folgenschwere Ereignis, das sich im Jahre 1517 zutrug, wird in den indianischen Quellen nur am Rande erwähnt. Im Chilam Balam von Chumayel findet sich kaum mehr als der Hinweis: Es war, so sagt man, im Katun 11 Ahau, daß sie den Hafen von Ecab besetzten. Sie kamen aus dem Osten, als sie erschienen. Man sagt, sie waren die ersten, die die Anona zum Frühstück aßen', dies war der Grund, weshalb man sie die Fremden, die Anonas essen, nannte, Fremde, die Anonas aussaugen, wurden sie genannt. Dies ist der Name des Fürsten, den sie in Ecab ergriffen, Na.com Balam war sein Name.18 Die Landung einer spanischen Flotte in der Gegend des Kap Catoche, wo sich die Hauptstadt der Provinz von Ecab befand, leitete eine neue Phase in der Entdeckungsgeschichte der Neuen Welt ein, die in der Eroberung Mexikos gipfelte. Die Flotte, die unter dem Befehl von Francisco Hernandez de Cordoba1 ° stand, war im Februar 1517 aus dem Hafen von Santiago de Cuba ausgelaufen, mit dem Auftrag, Sklaven für die Arbeit in den Minen der bereits in weiten Teilen entvölkerten Insel zu suchen. 160
Nach dreiwöchiger Fahrt auf westlichem Kurs hatte man schließlich Land gesichtet, von dem man bislang nur eine vage Kunde gehabt hatte. In Ecab, einer Stadt, deren Tempel und Paläste die Spanier derart beeindruckten, daß sie ihr den Namen »Groß-Kairo« gaben, kam es zu einem ersten Gefecht zwischen den Maya und den Spaniern, das - dank der überlegenen Waffen der Spanier - mit einer Niederlage der Indianer endete. Nachdem sie die Stadt geplündert und erste Goldschätze erbeutet hatten, segelten die Spanier weiter nach Westen, bis sie schließlich die Bucht von Campeche erreichten, wo sie erneut an Land gingen und von den umwohnenden Indianern freundlich empfangen wurden. Man berichtete ihnen von einer großen Stadt an der Küste im Süden, die keine andere war als Chakanputun, der legendäre Stammsitz der Itzas: In Campeche erfuhren sie, daß es in der Nähe einen großen Ort namens Champoton gab. Als sie dort ankamen, fanden sie, daß der Fürst Mochcouoh hieß, ein kriegerischer Mann, der seine Leute gegen die Spanier warf, was Francisco Hernandez, der sah, was kommen würde, mit Sorgen erfüllte. Um jedoch nicht den Eindruck von Feigheit zu erwecken, stellte auch er seine Leute in Schlachtordnung auf und ließ die Schiffsgeschütze in Stellung bringen. Obwohl den Indianern der Klang, der Rauch und das Feuer der Geschosse neu war, hörten sie nicht auf, mit großem Geschrei anzugreifen. Die Spanier widerstanden ihnen, fügten ihnen böse Wunden zu und töteten ihrer viele. Aber der Fürst feuerte die Indianer derart an, daß sie die Spanier zurückschlugen und 20 von ihnen töteten, 10 Verletzten und zwei lebend gefangennahmen, die sie später opferten. Francisco Hernandez erlitt Verletzungen, und so kehrte er traurig nach Kuba zu rück . . ." Cordoba erlag seinen Verletzungen. Doch die Kunde von dem neuentdeckten und offenbar an Goldschätzen reichen Land, das die Spanier zunächst in Anlehnung an die indianische Eigenbezeichnung Mayam und später aufgrund eines Mißverständnisses Yukatan (was in der Maya-Sprache soviel wie »Wir verstehen nicht, was ihr sagt!« heißt) nannten, bewog den Gouverneur von Kuba, Diego de Velasquez, eine zweite Expedition auszusenden. Mit der Leitung dieser Expedition betraute Velasquez seinen Neffen Juan de Grijalva (ca. 1489-1527). Auf südlicherem Kurs als sein Vorgänger erreichte Grijalva am 5. Mai 1518 die Insel l, die sich im Laufe des Postklassikums zu einem bedeu161
tenden Wallfahrtsort, der der Mondgöttin Ixcbel geweiht war entwickelt.hatte. Ein Dorf an der Südspitze der Insel fanden die Spanier verlassen, und da seine geflohenen Bewohner nicht zur Rückkehr zu bewegen waren, setzte Grijalva seine Erkundungsfahrt entlang der Ostküste Yukatans in südlicherer Richtung fort, wo er, ohne es zu wagen, an Land zu gehen, drei weitere Orte entdeckte, von denen einer - »so groß, daß uns die Stadt Sevilla nicht mächtiger und schöner erschienen wäre« - offenbar Tulum war, dessen weiße Tempel wie Leuchttürme über der Steilküste Quintana Roos aufragen. Als man schließlich eine Bucht erreichte, der man nach dem Tag ihrer Entdeckung den Namen Ascension (»Himmelfahrt«) gab, entschloß sich Grijalva zur Umkehr und wandte sich der Westküste zu. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Champoton, wo die Spanier erneut schwere Verluste erlitten, diesmal aber die Stadt einnehmen konnten, wagte sich Grijalva weiter in unbekannte Gewässer vor. Ein Ziel seiner Reise war es herauszufinden, ob das neuentdeckte Land, das an den drei Seiten, die man bislang erforscht hatte, vom Meer umspült wurde, eine Insel war oder einen Teil der mitelamerikanischen Landbrücke bildete. Als schließlich erneut eine Bucht auftauchte, die weit größer war als jene an der Ostküste, glaubte man das Rätsel gelöst zu haben: man nannte sie Laguna de Terminos, weil sie offenbar zu einer Meeresstraße gehörte, die zwischen den »Enden« Yukatans und des Festlandes den Golf von Campeche mit dem Karibischen Meer verband. Obwohl diese Annahme schon bald durch die weitere Erforschung der Halbinsel widerlegt wurde, erscheint Yukatan gelegentlich noch im 17. Jahrhundert auf den Karten als Insel. Die nächste Station auf der Erkundungsfahrt Grijalvas war das Mündungsgebiet des später nach ihm benannten Flusses, den er ursprünglich wie die umliegende Provinz und deren Hauptstadt Potonchän nach dem dort residierenden Fürsten Acipac Tabasco getauft hatte. Die Chontal-Maya dieses Gebietes traten den Spaniern friedlich gegenüber, doch sie trauten den Fremden, die das gelbe Metall suchten, nicht, und so schilderten sie ihnen in verlockender Weise den unermeßlichen Reichtum der Mexico., die im Westen jenseits der Berge wohnten. Auf diese Weise erfuhren die Spanier zum ersten Mal von der Existenz des Azteken-Reiches. Als Grijalva, der von Tabasco aus der Golfküste bis zur Mündung des Rio Panuco, dem Siedlungsgebiet der Huasteken, ge162
folgt war, nach fünfmonatiger Reise schließlich wieder in Kuba eintraf, brachte er nicht nur neue Kunde von einem Goldland mit, das weit begehrenswertere Schätze aufwies als Yukatan, sondern auch als Beweis seiner Behauptung kostbare Geschenke aus Gold und Edelsteinen, die ihm Gesandte Montezumas überreicht hatten. Die Geschenke des Azteken-Herrschers bewirkten genau das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hatte: anstatt die Sendboten Quetzalcoatls durch Opfergaben zu besänftigen und zur Umkehr in sein Reich im Osten zu bewegen, wurde die Gier der Weißen Götter nach Gold- und Silberschätzen nur noch mehr angestachelt, und es reifte in Velasquez der Plan, »Neuspanien«, wie Grijalva im Vorgriff auf zukünftige Ereignisse das Land der Mexica genannt hatte, zu erobern. Für diese Aufgabe schien ihm ein Mann geeignet, der sich bereits bei der Eroberung von Kuba ausgezeichnet hatte: Hernan Cortes (1485-1547). Unter jenen Männern, die in der einen Hand das Schwert und in der anderen das Kreuz den Grundstein für das spanische Kolonialreich legten, war Hernan Cortes zweifellos der bedeutendste. 1485 in Medellin in der spanischen Provinz Estremadura als Sohn eines Infanterieoffiziers geboren, war er nach zweijährigem Studium der Rechte an der Universität von Salamanca im Alter von 19 Jahren dem Lockruf der Neuen Welt gefolgt und hatte es hier schon bald - zunächst in Haiti, dann in Kuba - zu einem erfolgreichen Großgrund- und Minenbesitzer gebracht. Doch eigentlich war er, wie die meisten Spanier, die in die Neue Welt auswanderten, weder an Viehzucht noch an Bergbau interessiert. Auch Cortes träumte von El Dorado, dem sagenhaften Goldland, das man mit einem einzigen kühnen Handstreich gewinnen konnte. Als er nun von dem Vo rhaben Velasquez' erfuhr, sah er seine Chance gekommen. Er verpfändete sein ganzes Vermögen und steuerte auf diese Weise zwei Drittel zur Ausrüstung der geplanten Expedition bei. Kaum hatte ihn Velasquez zum Führer des Unternehmens ernannt, da ließ er in aller Eile seine Flotte aus dem Hafen von Santiago auslaufen, noch ehe Velasquez, der der Loyalität seines Teilhabers - nicht zu Unrecht, wie sich bald herausstellen sollte - mißtraute, seine Entscheidung rückgängig machen konnte. Nach Vervollständigung der Ausrüstung verließ Cortes am 18. Februar 1519 mit 10 Schiffen, 400 Soldaten, 14 Feldgeschützen und 16 Pferden Kap San Antonio, die Westspitze Kubas. Unter der sicheren Leitung von Anton de Alaminos, der bereits Kolumbus auf seiner vierten Reise und auch Cordoba und Gri163
jalva als Chefpilot gedient hatte, erreichte Cortes trotz eines schweren Sturmes, der die Flotte auseinanderriß, nach wenigen Tagen Cozumel, wo er sogleich daranging, die Indianer zum christlichen Glauben zu bekehren und ihre Fürsten zu Vasallen der spanischen Krone zu erklären. Während seines Aufenthaltes auf der Insel erfuhr er auch, daß sich auf dem gegenüberliegenden Festland zwei bärtige Fremde in der Gewalt einheimischer Kaziken befänden. Es waren dies offenbar jene zwei Überlebenden der gescheiterten Valdivia-Mission, von denen er bereits auf Kuba gehört hatte, und er war entschlossen, sie aus ihrer Gefangenschaft zu befreien. Doch seine Steuerleute rieten ihm davon ab, sich mit der Flotte in die gefährlichen Küstengewässer zu wagen, und so beauftragte er zwei indianische Kaufleute der Insel, die sich auf dem Festland auskannten, den beiden Männern ein Schreiben zu überbringen, in dem er sie aufforderte, sich im Austausch gegen Geschenke, die er mitschickte, freizukaufen und sich seiner Expedition anzuschließen. Warum nur einer der beiden »Gefangenen« der Aufforderung Cortes' nachkam, schildert in amüsanter Weise Bemal Diaz del Castillo (1492-1581), der maßgeblich an der Eroberung Mexikos beteiligt war und darüber eine bemerkenswerte Chronik geschrieben hat: Dann legten die Boote mit den Briefen und den beiden indianischen Kaufleuten aus Cozumel ab, und in drei Stunden überquerten sie die Wasserstraße und brachten die Boten mit den Briefen und dem Lösegeld an Land. Nach zwei Tagen trafen sie auf einen Spanier, der sich Jeronimo de Aguilar nannte . . . und nachdem er die Briefe gelesen und das Lösegeld in Form von Glasperlen, das wir ihm schickten, empfangen hatte, war er froh und brachte es seinem Herrn, dem Kaziken, damit er ihm die Erlaubnis gäbe, was er schließlich tat, fortzugehen, wohin es ihm beliebe. Und Aguilar ging dorthin, wo sich sein Gefährte, der Gonzalo Guerrero hieß, aufhielt, in einem anderen Dorf 5 Leguas von dem seinen entfernt, und als er ihm die Briefe vorlas, antwortete Gonzalo Guerrero: »Bruder Aguilar: Ich bin verheiratet und habe drei Kinder, und man hat mich zum Kaziken und zum Feldherrn in Kriegszeiten gemacht. Geht mit Gott; ich habe mein Gesicht tätowiert und meine Ohren durchbohrt. Was würden jene Spanier von mir sagen, wenn sie mich in dieser Weise einhergehen sähen! Und sieh diese meine Kinder, wie hübsch sie sind. Um Euer Leben, gebt mir diese grünen Perlen, die Ihr mit Euch tragt, für sie, und ich werde sagen, daß meine Brüder sie mir aus meinem Lande geschickt haben.« Gleichermaßen wandte 164
sich in ihrer Sprache und sehr ärgerlich die indianische Frau Gonzalos an Aguilar und sagte zu ihm: »Sieh, was kommt dieser Sklave daher, um meinen Mann zu holen. Geht und belästigt uns nicht weiter mit Eurem Gerede!« Aguilar wandte sich noch einmal an Gonzalo und sagte ihm, daß er schließlich ein Christ sei, daß er einer Indianerin wegen nicht seine Seele verlieren solle, und wenn er es schon um seiner Frau und seiner Kinder willen tue, dann solle er sie halt mitnehmen, wenn er sie nicht zurücklassen wolle. Aber soviel er ihm auch sagte und riet, er wollte nicht mitkommen. Es scheint, daß jener Gonzalo Guerrero ein Mann des Meeres war, gehören in Palos 20 So kehrte Geronimo de Aguilar allein in die Welt der Spanier zurück, wo er, da er gleichfalls die yukatekische Sprache erlernt hatte, Cortes wertvolle Dienste als Dolmetscher erwies. Guerrero aber blieb seiner neuen Wahlheimat treu und schlug auch ein späteres Angebot, zu seinen Landsleuten zurückzukehren, aus. Nach seiner ersten Station in Cozumel folgte Cortes der Route seiner Vorgänger zunächst bis Tabasco, wo er einen Zwischenaufenthalt einlegte, um für seine Flotte Frischwasser und Proviant zu besorgen. Diesmal traten die Chontales, die wegen ihrer unterwürfigen Haltung Grijalva gegenüber von den benachbarten Maya-Stämmen verspottet worden waren, den Spaniern feindlich entgegen. Nachdem die Indianer bei einem ersten Zusammenstoß aus Potonchän vertrieben worden waren, zogen sie alle Streitkräfte der Umgebung auf der Ebene von Centla im Südwesten der Stadt zusammen und lieferten Cortes die erste große Schlacht seines Eroberungszuges nach Mexiko. Die Chontales waren in hundertfacher Übermacht, und obwohl die Waffen der Spanier denen der Indianer überlegen waren und Cortes seine Kavallerie einsetzte, die die Indianer, die Pferd und Reiter für ein mythisches Fabelwesen hielten, in panischen Schrecken versetzte, war der Sieg der Spanier keineswegs gewiß. In einem Bericht, den Cortes am 10. Juli 1519 über den ersten Abschnitt seiner Expedition an die spanischen Herrscher, Königin ]uana und ihren Sohn, Karl V-, schrieb, gesteht er: Seien Eure Königlichen Hoheiten dessen gewiß, daß wir in dieser Schlacht mehr durch den Willen Gottes als durch unsere Stärke gesiegt haben, denn gegen 40000 Krieger boten wenig Schutz 400, die wir zählten.21 Zur Erinnerung an ihren schwer errungenen Sieg tauften die Spanier Potonchan in Santa Maria de la Victoria um. Die Chon165
tales gelobten, die Oberhoheit der spanischen Könige anzuerkennen und zum christlichen Glauben überzutreten. Als Zeichen ihrer neuerlichen Freundschaft überbrachten sie Cortes zahlreiche Geschenke, darunter Malinche, eine aztekische Fürstentochter, die nach dem Tode ihres Va ters in die Sklaverei verkauft worden war und Cortes fortan als Dolmetscherin und Geliebte auf seinem Zug ins Azteken-Reich begleiten sollte.
Blutbad in der Huasteca Nach der Eroberung des Azteken-Reiches, die mit dem Fall von Tenochtitlan am 13. August 1521 ihren Abschluß fand, ging Cortes sogleich daran, zur Konsolidierung seiner Herrschaft in Neuspanien Expeditionen in die Randgebiete des Azteken-Reiches zu entsenden. Während er zwei seiner Hauptleute, Cristobal de Olid und Gonzalo de Sandoval, zur Unterwerfung der Tarasken und Zapoteken nach Michoacän im Westen und Oaxaca im Süden schickte, brach er selbst nach Nordosten in das Gebiet der Huasteken auf, um einem Rivalen, dem Gouverneur von Jamaika, Francisco de Garay, zuvorzukommen, der bereits 1519 versucht hatte, am Rio Panuco eine Kolonie zu gründen. Wie schon Grijalva auf der ersten Erkundungsfahrt dieses Ge bietes war auch die Expedition Garays von den kriegerischen Huasteken zurückgeschlagen worden. Seit ihrer Trennung von den übrigen Maya-Sprachgruppen um die Zeitenwende hatten die Huasteken im Laufe des Klassikums als nördlicher Ausläufer der mesoamerikanischen Zivilisation eine eigenständige Kultur entwickelt, die zwar nicht die Höhe der klassischen Maya-Kultur im Süden erreichte, dennoch aber vor allem auf dem Gebiet der Architektur und plastischen Kunst bemerkenswerte Leistungen vollbrachte. So stammt das Prinzip des Rundbaus, das die Tolteken in Yukatan einführten, ursprünglich aus der Huasteca. Und die Statue eines tätowierten Jünglings, die man in der Nähe von Tamuin, einem spät- und postklassischen Zentrum der Huasteken-Kultur im heutigen mexikanischen Bundesstaat San Luis Potosi fand, gehört zu den eindrucksvollsten Großplastiken, die aus dem vorspanischen Mexiko erhalten geblieben sind. Bei Ankunft der Spanier erstreckte sich das Siedlungsgebiet der Huasteken zu beiden Seiten des Rio Panuco vom südlichen Tamaulipas und nördlichen Veracruz bis hinauf in die gebirgigen Regionen von San Luis Potosi, Queretaro und Hidalgo. 166
Cortes war an der Huasteca vor allem wegen ihrer besonderen, lagunenreichen Küstenformation interessiert, die die Anlage vor feindlichen Angriffen geschützter Häfen versprach. Als er Ende 1521 zu seinem zweiten Eroberungszug in Neuspanien aufbrach, begleiteten ihn 40000 Azteken, die er als Hilfstruppe in Tenochtitlän rekrutiert hatte: Und so marschierte ich los mit 120 Reitern, mit 30 Fußsoldaten, einigen Geschützen und etwa 40000 indianischen Kriegern ans dieser Stadt und ihrer Umgebung. Als wir an die Grenze des (Huasteken-)Landes kamen, stürzte sich etwa 25 Leguas vom Hafen entfernt in einer großen Ortschaft namens Aintuscotaclan eine Unzahl von Kriegern auf unseren Weg, und es kam zum Kampf, Aber da ich, wie sie sehen konnten, so viele befreundete Soldaten bei mir hatte und da der Ort eben und für die Reiter geeignet war, dauerte die Schlacht nicht lange. Obwohl sie mir einige Pferde und Spanier verletzten und einige unserer Freunde starben, zogen sie den kürzeren, denn es wurden viele von ihnen getötet und in die Flucht geschlagen.22 Innerhalb von drei Wochen hatte Cortes die wichtigsten Ortschaften der Huasteken erobert. Doch obwohl er im Herzen ihres Landes eine spanische Siedlung, Santisteban del Puerto, das spätere Panuco, gründete und die umwohnenden Indianer den Siedlern als Arbeitskräfte zuwies, war der Widerstand der Huasteken keineswegs gebrochen. Als de Garay 1523 einen erneuten Versuch unternimmt, die Huasteca unter seine Gewalt zu bringen, und seine Leute durch Plünderung und Vergewaltigung die Huasteken provozieren, bricht im Jahr darauf ein blutiger Aufstand der Indianer los: Und als sie sahen, wie die Spanier im ganzen Land verstreut waren und welche Untaten sie unter den Einheimischen begingen, indem sie ihnen die Frauen und das Essen raubten und ähnlicher Schandtaten mehr, gab dies Anlaß, daß das ganze Land sich erhob, in dem Glauben, daß unter den Spaniern, wie es der besagte Gouverneur (de Garay) verbreitet hatte, Zwietracht herrsche . . . Und so trug es sich zu: die besagten Indianer waren so schlau, daß sie zuerst Informationen darüber einholten, wo und wie und in welchen Gegenden sich die Spanier aufhielten, und sie dann tags und nachts in allen Dörfern, über die sie verstreut waren, überfielen. Und auf diese Weise, da sie sie unvorbereitet und unbewaffnet in den Dörfern fanden, töteten sie sie in großer Zahl. Ihre Kühnheit wuchs derart, daß sie bis auf den besagten Ort Santisteban del Puerto, den ich im Namen Eurer Ma167
jestät gegründet hatte, herankamen, wo sie einen so heftigen Kampf entfachten, daß sie seine Bewohner in so arge Bedrängnis brachten, daß sie sich verloren wähnten. Und sie wären tatsächlich verloren gewesen, wären sie nicht vorbereitet und vereint gewesen, so daß sie sich stark machen und ihren Widersachern entgegenstellen konnten, sogar soweit, daß sie mehrmals einen Ausfall wagten und ihre Feinde in die Flucht schlugen.23 Als Cortes von dem Aufstand erfuhr, sandte er den Hauptmann Sandoval, der inzwischen von seinem Feldzug nach Oaxaca zurückgekehrt war, »mit viel Pulver und Munition« in das Aufstandsgebiet. Im Eilmarsch erreichte Sandoval die spanische Siedlung, und im Verein mit ihren Verteidigern gelang es ihm nach kurzer Zeit, den Aufstand niederzuschlagen: Mit den Leuten, die der Hauptmann mitbrachte, und mit denen, die der Ortskommandant und der Bürgermeister hatten, und mit denen, die man im Ort fand, kam man auf 80 Reiter. Sie teilten sich in drei Abteilungen, und mit diesen entfesselten sie in jener Provinz einen derartigen Krieg, daß sie unter den Fürsten und Häuptlingen 400 Gefangennahmen, ohne das niedere Volk mitzurechnen, die sie alle, ich meine die Führer, um der Gerechtigkeit willen verbrannten, da sie gestanden hatten, die Urheber jenes ganzen Krieges zu sein . . ,24 400 Häuptlinge verbrennen zu lassen, nur weil sie sich gegen eine Meute plündernder Spanier zur Wehr gesetzt hatten, dieser Akt der Barbarei wirft einen dunklen Schatten auf den Eroberer Mexikos, der sich sonst - im Gegensatz zu den meisten anderen Conquistadoren- eher großmütig gegenüber den Indianern verhielt. Für die Huasteken war die Verbrennung ihrer Fürsten nur der Auftakt zu einer Schreckensherrschaft unter dem Joch der Spanier, die mit der völligen Verwüstung ihres Siedlungsgebietes und einer teilweisen Deportation ihres Volkes endete. Denn kaum war der Aufstand niedergeschlagen, da ernannte Karl V., dem Cortes zu mächtig geworden war, einen Mann zum Gouverneur der Huasteca, der als »Schlächter der Indianer« in die Geschichte eingegangen ist. Es war dies Beltran Nuno de Guzman (ca. 1485-1544), ein Verbündeter von Velasquez und ein Erzfeind des Cortes. Bekannt und berüchtigt wurde Guzman vor allem wegen seiner späteren Ausschreitungen gegen die Tarasken in Michoacan, doch die Verbrechen, die er in den Jahren 1526/27 unter den Huasteken beging, standen jenen nicht nach: 168
Noch größeres Übel erwartete sie (die Huasteken), als sie Nuno de Guzman zum Gouverneur hatten, der von dem Augenblick an wo sie ihm das Gouverneursamt übergaben, sie fast alle zu Sklaven machte und sie zum Verkauf auf die Inseln schickte.25 Gemeint sind die Antillen, wo Krieg, Seuchen und Frondienst die Urbevölkerung bereits derart dezimiert hatten, daß die Spanier Sklaven vom Festland einführen mußten. Mit seinem Huasteken- Geschäft verdiente Guzman ein Vermögen, das ihn zu einem der reichsten Männer Neuspaniens machte. Als im Jahre 1530 der Franziskanerpater Andres de Olmos der Schreckensherrschaft der Spanier in der Huasteca ein Ende setzte, war auch in diesem Gebiet die indianische Bevölkerung bereits auf einen kläglichen Rest zusammengeschrumpft.
Tonatiuh erobert Guatemala Ein ähnliches Schicksal, wie es die Huasteken heimsuchte, erwartete auch die Maya in Guatemala. Denn Pedro de Alvarado (ca. 1486-1541), der dieses Land der spanischen Krone unterwarf, stand Nuno de Guzman an Grausamkeit und Habgier kaum nach. Um 1486 im spanischen Bajadoz geboren, hatte Alvarado nach kurzem Aufenthalt in Santo Domingo an der Eroberung Kubas unter Velasquez teilgenommen, ehe mit der Expedition Grijalvas nach Yukatan, bei der er eines der Expeditionsschiffe befehligte, seine eigentliche Karriere als Conquistador begann. In Begleitung seiner vier Brüder schloß er sich im folgenden Jahr der Cortes-Expedition an und nahm - bei der Landung auf Cozumel - gleich die erste Gelegenheit war, die Indianer gründlich auszuplündern. Obwohl er damit den Unwillen Cortes' erregte, erkannte dieser doch in ihm jene Kühnheit und kämpferische Natur, auf die er - sollte sein Unternehmen gelingen - nun einmal angewiesen war. Wenngleich sich Cortes in dieser Einschätzung Alvarados auch nicht täuschen sollte, so wäre dennoch wegen des hitzigen und rücksichtslosen Vorgehens Alvardos gegen eine Versammlung aztekischer Würdenträger, das zu einem Aufstand der Indianer und zur Ermordung Montezumas führte, die Eroberung Mexikos durch Cortes um ein Haar gescheitert. Dennoch verlor Alvarado auch diesmal nicht die Gunst seines Herrn, und da er bei der Endphase des Kampfes gegen die Azteken erneut Mut und militärisches Geschick bewiesen hatte, ernannte Cortes ihn 169
schließlich zum Befehlshaber einer Expedition, die ein angeblich reiches Land jenseits der südlichen Grenze des Azteken-Reiches erobern sollte. Allerdings versäumte er nicht, Alvarado ausdrücklich darauf hinzuweisen, die Völker dieses Gebietes »in Frieden zu gewinnen, ohne sie in Krieg zu stürzen«. Vielleicht wollte Cortes nur sein Gewissen beruhigen, denn daß Alvarado nicht der Mann war, eine solche Aufforderung zu beherzigen, hätte er eigentlich wissen müssen. Man sah Alvarado seine Unmenschlichkeit nicht an, denn er hatte ein gewinnendes Äußeres. Bernau Diaz del Castillo, der bei der Eroberung Tenochtitlans an seiner Seite kämpfte, schreibt: Er hatte einen wohlgeformten Körper, und sein Gesichtsausdruck war sehr fröhlich und sein Blick sehr freundlich. Und da er so anmutig war, gaben ihm die Mexikaner den Namen Tonatio, was »die Sonne« bedeutet. Er war sehr gewandt und ein guter Reiter, vor allem aber freimütig und angenehm im Umgang. Er kleidete sich sorgfältig, mit kostbaren und auserlesenen Stoffen. Um den Hals trug er eine goldene Kette mit einem Edelstein und an der Hand einen Ring mit einem wertvollen Diamanten.26 Tonatiuh war der Sonnengott der Azteken, dessen Abbild sie anfangs in der tapferen und edlen Erscheinung des zudem auch noch rotblonden Alvarado gesehen hatten. Als er aber am 6. Dezember des Jahres 1523 zu seinem Feldzug nach Guatemala aufbricht, wird es unter den mexikanischen Hilfstruppen, die ihn begleiteten, kaum noch einen gegeben haben, der in ihm ein Wesen des Lichts sah, obwohl im sein göttlicher Name nach Guatemala vorauseilte. Wegen des langen Anmarsches verfügte Alvarado nur über eine verhältnismäßig kleine Streitmacht. Sie setzte sich aus 120 Reitern, 160 Pferden, 300 spanischen Infanteristen, darunter 130 Armbrustschützen und Musketieren, und vier Geschützen sowie 300 indianischen Kriegern, in der Mehrzahl Tlaxcalteken, die die Spanier im Kampf gegen die Azteken unterstützt hatten, zusammen. Der Handelsstraße der Azteken über Oaxaca und Tehuantepec nach Soconusco folgend, wo sich die aztekische Garnison ohne großen Widerstand den Spaniern unterwarf, überschritt Alvarado im Februar 1524 die Grenze nach Quauhtemallan (»Ort zwischen den Holzhaufen«), wie die Mexikaner Guatemala nannten. Nachdem er an der Küste Guatemalas das Fürstentum Xuchiltepec erobert hatte, begann Alvarado mit seiner Streitmacht den beschwerlichen Aufstieg in das Hochland. Er wählte den Lauf 170
des Rio Samala, in dessen Quellgebiet die Stadt Xelajti, ein westlicher Vorposten der Quiches, liegen sollte. In den Schluchten des Flusses am Fuße des Vulkans Santa Maria kam es zu ersten Zusammenstößen mit den Quiches, doch die Indianer konnten den Vormarsch der Fremden nicht aufhalten. Die Einwohner von Xelajü flüchteten in die Berge, und so konnte Alvarado die Stadt kampflos besetzen. Inzwischen aber hatten die Könige der Quiches, Oxib Queh und Beleheb Tzy, die in der Hauptstadt Cumarcaah residierten, ein schlagkräftiges Heer aufgestellt, das sie nun unter dem Kommando von Tecun Uman, dem obersten Feldherrn des Reiches, den Spaniern entgegenschickten. Vor den Toren von Xelaju, auf der Ebene von Pachah, trafen die beiden Heere am 3. März 1524 zur Entscheidungsschlacht aufeinander. Den Verlauf dieser Schlacht schildern in ergreifender Weise die sogenannten Titel des Hauses Ixquin Nehaib, eine Chronik der Quiches aus der Mitte des 16. Jahrhunderts: Und dann begann der Kampf zwischen den Spaniern und den 10000 Indianern, die dieser Feldherr Tecum mitgebracht hatte. Und sie ließen nur v aneinander ab, um sich eine halbe Legua zurückzuziehen, dann trafen sie erneut zusammen. Sie kämpften drei Stunden, und die Spanier töteten viele Indianer. Ohne Zahl waren die, die sie töteten; kein einziger Spanier starb, nur die Indianer, die der Feldherr Tecum herbeigeführt hatte, und es floß viel Blut unter den Indianern, die die Spanier töteten, und dies geschah in Pachah. Da erhob sich der Feldherr Tecum in die Lüfte und kam herbeigeflogen, in einen Adler verwandelt, bedeckt mit Federn, die daselbst hervorwuchsen und nicht künstlich waren. Er trug Flügel, die gleichfalls aus seinem Körper hervorwuchsen, und drei Kronen, eine aus Gold, eine aus Perlen und eine aus Diamanten und Smaragden. Dieser Feldherr Tecum kam in der Absicht, Tunadiü zu töten, der auf einem Pferd herangeritten kam, und er schlug auf das Pferd ein, um den Adelantado zu treffen, und mit einer Lanze schlug er dem Pferd den Kopf ab. Die Lanze war nicht aus Eisen, sondern aus Steinsplittern; durch Zauber vollbrachte der Feldherr diese Tat. Und als er sah, daß nicht der Adelantado getötet worden war, sondern das Pferd, schwang er sich erneut in die Lüfte, um von dort herabzufahren und den Adelantado zu töten. Aber der Adelantado erwartete ihn mit seiner Lanze und durchbohrte ihn in der Mitte, den Feldherrn Tecum. Da liefen zwei Hunde herbei, sie hatten keine Haare, sie wa171
ren haarlos, und diese Hunde packten den Indianer, um ihn in Stücke zu reißen. Und da der Adelantado gesehen hatte, daß dieser Indianer sehr tapfer war und daß er diese drei Kronen aus Gold, Silber, Diamanten und Smaragden und Perlen trug, kam er, um ihn gegen die Hunde zu verteidigen, und betrachtete ihn sehr lange. Er war mit Quetzal und sehr schönen Federn über und über bedeckt, und so erhielt dieser Ort den Namen Quetzaltenango, denn hier war es, wo sich der Tod des Feldherrn Tecum ereignete. Darauf rief der Adelantado all seine Soldaten herbei, damit sie kämen, um die Schönheit des Quetzal-Indianers zu sehen. Und der Adelantado sagte zu seinen Soldaten, daß er nirgendwo einen Indianer gesehen habe, der so tapfer und ein so großer Führer und mit so schönen Quetzalfedern geschmückt gewesen war wie dieser, weder in Mexiko noch in Tlaxcala noch in irgendeinem Teil der Länder, die sie erobert hatten. Und deshalb sagte der Adelantado, daß der Name Quetzaltenango diesem Ort gebühre. Und so erhielt diese Stadt den Namen Quetzaltenango. Und als die übrigen Indianer sahen, daß die Spanier ihren Feldherrn getötet hatten, ergriffen sie die Flucht. Als aber der Adelantado Don Pedro de Alvarado sah, wie die Soldaten dieses Feldherrn Tecum flohen, sagte er, daß auch sie sterben müßten. Und so machten sich die spanischen Soldaten auf die Fersen der Indianer und holten sie ein und töteten sie, ohne daß einer übrigblieb. So viele Indianer waren es, die sie töteten, daß ein Fluß aus Blut entstand, der sich in den Olintepeque ergoß. Deshalb gab man ihm den Namen Quiquel, denn all sein Wasser war in Blut verwandelt, und auch der Tag färbte sich rot wegen des vielen Blutes, das an jenem Tage floß.21 Die indianische Schilderung jener blutigen Schlacht von Xelajü-Quetzaltenango findet ihre Bestätigung in einem Brief, den Alvarado am 11. April 1524 an Cortes schrieb: Sechs Tage nach unserer Ankunft, an einem Donnerstag, erschien gegen Mittag von allen Seiten eine große Anzahl Krieger, die, wie ich von ihnen selbst erfuhr, 12 000 zählten und aus dieser Stadt, den umliegenden Dörfern und wer-weiß-nicht-wieviel anderen Orten herbeigekommen waren. Und als ich sie sah, ließ ich die Soldaten antreten, und ich machte mich auf, ihnen inmitten einer Ebene, die 1 Leguas lang war, eine Schlacht zu liefern, mit 90 Reitern. Ich ließ eine Abteilung zur Bewachung im Lager zurück, von dem wir nicht weiter als einen Armbrustschuß ent172
fernt waren. Und wir stürzten uns auf sie und zerstreuten sie in alle Winde, und ich folgte ihnen 2,5 Leguas, bis sie alle vernichtet waren und keiner mehr zu sehen war. Später rückten wir noch einmal gegen sie vor, und unsere Freunde und die Fußsoldaten richteten in einem Bachbett eine Zerstörung an, die nicht ihresgleichen in der Welt gesehen hat, und sie umzingelten eine flache Hügelkette, wohin sie sich geflüchtet hatten, und folgten ihnen hinauf und nahmen alle, die sich dort oben befanden, gefangen. An diesem Tag wurden ihrer viele getötet und gefangengenommen, darunter viele Hauptleute und Fürsten und andere Würdenträger. Der Tod des indianischen Heerführers, den er bezwang, scheint Alvarado nicht sonderlich beeindruckt zu haben, denn mit keinem Wort erwähnt er Tecun Uman in seinem Bericht. Für die Indianer aber ging Tecun Uman in eine Legende ein, in der er als Held, der sein Vaterland gegen die fremden Eroberer verteidigte, gefeiert wird. Das Standbild, das man ihm zu Ehren in Guatemala City errichtet hat, ist hingegen nur ein Hohn. Als Oxib Queh und Beleheb Tzy, die beiden Herrscher der Quiches, von der Vernichtung ihres Heeres erfuhren, beschlossen sie, die Spanier zu überlisten. Sie sandten Boten an Alvarado und luden ihn ein, nach Cumarcaah, der Hauptstadt des Reiches, zu kommen. Hatten die Spanier erst einmal in der Stadt ihr Lager aufgeschlagen, dann war es ein leichtes, sie zu umzingeln und die Stadt anzuzünden, damit sie in den Flammen umkämen. Alvarado folgte der Einladung der Quiche-Herrscher, doch kaum hatte er in Cumarcaah Quartier bezogen, da erfuhr er von dem Plan der Könige und nahm sie kurzerhand gefangen. Was folgte, war inzwischen zu einer sanktionierten Vergeltungsmaßnahme der Spanier in der Neuen Welt geworden. Alvarado berichtet: Und als ich erkannte, daß sie sich in so schändlicher Weise dem Dienst an Seiner Majestät versagten, und zum Wohl und Frieden dieses Landes verbrannte ich sie und ordnete an, die Stadt bis auf die Fundamente niederzubrennen; denn sie ist so gefährlich und stark, daß sie eher einem Schlupfwinkel für Räuber als einem Wohnsitz gleicht.29 So brach mit dem Tode der Quiche-Könige und der Zerstörung ihrer Residenz das nach dem Fall von Mayapan mächtigste Staatsgebiet der Maya zusammen. Dennoch wurden auch die übrigen Maya-Stämme keine leichte Beute der Spanier. Iximche, die Hauptstadt der Cakchiqueles, ergab sich den Spaniern allerdings ohne Widerstand. Die Cakchiqueles hatten 173
Alvarado bereits bei der Unterwerfung der Quiches, mit denen sie verfeindet waren, geholfen, und so verschonte Alvarado ihre Stadt, obwohl sie Cumarcaah an Pracht und Größe kaum nachstand. Dennoch, wie ihre Überlieferung zeigt, war auch den Cakchiqueles nicht wohl zumute, als die bärtigen Fremden am 12. April 1524 in ihre Stadt einzogen: Am Tage11 Hunahpu kamen die Spanier in die Stadt Yximche; ihr Führer hieß Tunatiuh. Die Könige Beiehe Qat und Cahi Ymox gingen sogleich, um Tunatiuh zu empfangen. Das Herz Tunatiuhs war den Königen wohlgesonnen, als er in die Stadt kam. Es hatte keinen Kampf gegeben, und Tunatiuh war erfreut, als er in Yximche anlangte. So kamen die Kastilianer Vorjahren an, o meine Söhne! In Wahrheit flößten sie Furcht ein, als sie kamen. Ihre Gesichter waren fremd. Die Könige hielten sie für Götter. Wir seihst, euer Vater, gingen sie zu sehen, als sie in Yximche ankamen.30 Die Cakchiqueles wurden in ihren bösen Vorahnungen nicht enttäuscht. Doch einstweilen zogen sie es vor, die Forderung der Spanier nach Gold und Frauen zu befolgen. Auch boten ihnen die Fremden eine willkommene Gelegenheit, mit ihren südlichen Nachbarn, den Tzutuhiles, die gleichfalls ihre Feinde waren, aufzuräumen. So überredeten sie Alvarado zu einem Feldzug gegen Tziquinahd, den Hauptsitz der Tzutuhiles am Atitlan-See. Alvarado ließ sich nicht lange bitten, und nachdem Tepepul, der König der Tzutuhiles, die Forderung, sich der spanischen Krone zu unterwerfen, abgelehnt hatte, machte sich Alvarado zur Eroberung Tziquinahas auf. Als er das Ufer des Sees erreichte, stellten sich ihm die Krieger Tepepuls entgegen, und es entspann sich ein erbitterter Kampf. Da aber die Spanier über die wirksameren Waffen und die Unterstützung der Cakchiqueles verfügten und im übrigen »Gott, unser Herr, nicht duldet, daß diese Ungläubigen über uns den Sieg erringen«, wie Alvarado die gängige Lehrmeinung formulierte, endete der Kampf auch für die Tzutuhiles mit dem Verlust ihrer Autonomie. Damit hatte Alvarado in kaum mehr als einem Monat die drei mächtigsten Maya-Stämme im Hochland von Guatemala bezwungen. Nach Iximche zurückgekehrt, erfuhren die Spanier von der Existenz weiterer Reiche im Süden, vor allem von einer Provinz namens Izcuintldn, deren Bewohner- es handelte sich um Nachfahren jener Pipiles, die gegen Ende der klassischen Periode nach Guatemala eingewandert waren - nicht nur nicht bereit waren, die spanische Oberhoheit anzuerkennen, sondern auch noch die 174
Kühnheit besaßen, Emissären aus Nachbarprovinzen, die Alvarado huldigen wollten, mit dem Hinweis, daß sie verrückt seien, den Durchzug zu versperren. Das war ein starkes Stück, und so begann Alvarado am 7. Mai 1524 einen weiteren Feldzug, der ihn bis in das Gebiet des heutigen El Salvador führen sollte. Izcuintlan, ein Ort (mit dem heutigen Escuintla identisch), der der Pipil-Provinz ihren Namen gab, wurde in einem Überraschungsangriff genommen, da sich die kriegerischen Pipiles höchst unkriegerisch vor strömendem Regen in ihre Hütten verkrochen hatten. Pipiles traf Alvarado auch in El Salvador, wo er über den Ort Acayutla an der Pazifikküste bis in die Provinz Cuscatldn am Mittellauf des Rio Lempa vordrang. Mit den Maya dieses Gebietes - einigen Enklaven der Pokomames in der Gegend von Ahuachapan, Chalchuapa und der heutigen Hauptstadt San Salvador sowie den Chorus nördlich des Rio Lempa- wird er kaum in Berührung gekommen sein. Dennoch hatte Alvarado in Cuscatlän praktisch die Ostgrenze des Maya-Gebietes erreicht. Mehr noch, nach einem Marsch von fast 2000 km, rechnet man den Anmarsch von Tenochtitlan hinzu, hatte er die gesamte Südflanke des Maya-Gebietes erobert. So war es für ihn, den Spanier, wahrhaftig ein krönender Abschluß seines ersten Eroberungszuges in Zentralamerika, als er nach seiner Rückkehr aus El Salvador am 5. Juli 1524 in Iximche die erste spanische Hauptstadt dieses Gebietes, Santiago de los Caballeros de Guatemala, gründete. Für die südlichen Maya aber bedeutete dies die Besiegelung ihres Schicksals.
Gewaltmarsch nach Honduras Kaum hatte Alvarado Tenochtitlan verlassen, da rüstete Cortes eine zweite Expedition aus, die Higueras, das Grenzland seines Herrschaftsgebietes am Golf von Honduras, gegen die Spanier, die von Panama aus nach Norden vordrangen, sichern sollte. Mit der Leitung dieses Unternehmens betraute er Cristobal de Olid (ca. 1487-1524), der sich bei der Eroberung des Taraskenlandes verdient gemacht hatte. Im Januar 1524 verließ Olid den Hafen von Veracruz, um zunächst nach Kuba zu segeln, wo er seine Ausrüstung ergänzen sollte. Hier traf er mit Velasquez, dem Gouverneur der Insel, zusammen, der - über Cortes' Aufkündigung seiner Oberhoheit erbittert - Olid auf seine Seite zu bringen versuchte. Olid willigte zwar ein, doch als er wenig später 175
im Mündungsgebiet des Rio Ulua landete und dort eine Siedlung namens Triunfo de la Cruz (»Triumph des Kreuzes«) gründete beschloß er, sich zum Alleinherrscher von Higueras zu machen Cortes und Velasquez waren zwar weit, doch inzwischen war ein anderer Spanier, Gil Gonzalez de Avila, von Santo Domingo kommend in der Bucht von Amatique gelandet und hatte das Gebiet des Rio Duke besetzt. Es kam zum Zusammenstoß zwischen Olid und Avila, der noch andauerte, als ein dritter Kontrahent, Francisco de las Casas, den Cortes, als er von dem Verrat Olids erfuhr, zu dessen Bestrafung ausgesandt hatte, vor der Küste von Higueras erschien. Aber noch ehe Las Casas in den Machtkampf eingreifen konnte, hatte ihm ein Sturm seine Flotte zerstört, und er fiel mit dem Rest seiner Leute in die Hände Olids. Das gleiche Schicksal ereilte schließlich auch Avila, doch Olid, von dem der Chronist Diaz del Castillo sagt: »Wenn er ebenso klug und weise gewesen wäre, wie er mutig und tapfer ... war, dann wäre er ein außergewöhnlicher Mann gewesen«, verspielte seine Chance. Anstatt seine Widersacher aus dem Wege zu räumen, wie es unter Conquistadoren üblich war, zettelten diese eine Verschwörung an, nahmen ihn ihrerseits gefangen und enthaupteten ihn. Während dies geschah, befand sich Cortes bereits selbst auf dem Weg nach Honduras. Ungeduldig ob der Entwicklung in Higueras, hatte er sich schließlich entschlossen, auf dem Landwege in diese Provinz vorzudringen und dort selbst nach dem Gold zu suchen, von dem man ihm berichtet hatte, aber auch nach jener Meeresstraße, die man zwischen dem »Nordmeer«, der Karibischen See, und dem »Südmeer«, dem Pazifischen Ozean, vermutete. Sein legendärer Marsch, der ihn als ersten Weißen durch das Kernland des Maya-Gebietes führte, wurde gemessen an seinem Ziel - ein Mißerfolg. Als militärischer Ge waltmarsch aber verdient er, dem Alpenübergang Hannibals an die Seite gestellt zu werden. Mit 140 spanischen Soldaten, 3000 indianischen Hilfstruppen, 150 Pferden und einer Herde Schweine, ferner einem Feldscher und einem »Chirurgen«, »einem Geistlichen und zwei Franzis kanerpatres, Flamen, großen Theologen, die unterwegs predigten«, sowie drei indianischen Fürsten, darunter Quauhtemoc, den letzten Herrscher der Azteken, die Cortes aus Furcht vor einer Rebellion nicht zurücklassen wollte, war er am 12. Oktober 1524 in Tenochtitlan aufgebrochen. Nach einem Zwischenaufenthalt in Espiritu Santo (»Heiliger Geist«) am Rio Coatzacoal176
Oben: Die Weißen Götter am Werk (Ausschnitt aus einem Wandgemälde des mexikanischen Malers Diego Rivera) Unten: Mestizaje: Conquistador und indianische Mätresse (Ausschnitt aus
einem Wandgemälde des chilenischen Malers Camarena)
Dominikanerkirche in San Cristobal las Casas, Chiapas (16. Jh.)
cos, wo sich einige der Veteranen der Eroberung, unter ihnen auch Diaz del Castillo, der hier seinen Landsitz hatte, der Expedition anschlössen und Cortes sich von den Indianern eine Karte anfertigen ließ, wo die wichtigsten Ortschaften in Tabasco und Campeche eingezeichnet waren, ging es zunächst - nördlich von La Venta - der Küste entlang bis in die Nähe von Comalcalco. Ohne diesen westlichen Vorposten der klassischen Maya-Kultur zu berühren, bog Cortes nach Süden ab, überquerte in der Nähe des heutigen Villahermosa den Rio Grijalva und wandte sich schließlich, als er das Grenzgebiet zwischen Tabasco und Chiapas erreichte, nach Osten. Auf nennenswerten Widerstand der Indianer stießen die Spanier in diesem Gebiet - wie auch später - nicht. Dafür machte ihnen die Beschaffenheit des Terrains um so mehr zu schaffen. Nicht nur daß sie eine Unzahl von Flüssen und Sümpfen zu überqueren hatten, wobei sie oft tagelang mit dem Bau einer Brücke zubrachten. Auch Buschwerk und Dschungel versperrten ihnen den Weg, so daß sie sich mü hsam einen Pfad durch das Dickicht bahnen mußten. Am schlimmsten aber war der Hunger. Obwohl sie durch zahlreiche Ortschaften kamen, reichte der Proviant kaum jemals bis zum nächsten Dorf aus. Schon waren die ersten Opfer zu beklagen, und die Truppe begann zu murren, als man jenseits des Usumacinta schließlich das erste Ziel der Expedition, die Provinz Acalan, erreichte. Gleich im ersten Dorf empfing ein Sohn des Herrschers von Acalan Cortes und überbrachte ihm »Gold und Vögel und bot sich und das Land dem Dienste Eurer Majestät an«. Weniger begeistert zeigte sich der Häuptling des Dorfes, als er sah, daß die Spanier sich häuslich einzurichten begannen und all seine Vorräte aufaßen. Er berichtete Cortes deshalb von einem zweiten Dorf, das ganz in der Nähe läge und den Fremden weit besser gefallen würde als dieses, da es dort nicht nur bequemere Unterkünfte, sondern auch mehr zu essen gäbe. Als die Spanier endlich nach einer Woche weiterzogen, ließen sie ein Dorf zurück, das einem Felde glich, das von einem Heuschreckenschwarm heimgesucht worden ist. So ist es nicht verwunderlich, daß sie im zweiten Dorf wieder Zeit fanden, sich ihrer heiligen Mission zu entsinnen: Dies ist ein sehr schönes Dorf. Es heißt Teutiercas und hat sehr schöne Moscheen, besonders zwei, wo wir unser Quartier bezogen und die Götterbilder hinauswarfen, was jene nicht sonderlich bekümmerte, denn ich hatte schon mit ihnen gesprochen und ih177
nen den Irrtum zu verstehen gegeben, in dem sie sich befänden, und daß es nicht mehr als einen Gott, den Schöpfer aller Dinge, gäbe und dergleichen mehr, was es dazu zu sagen gibt, obgleich ich später dem Fürsten und allen zusammen mehr darüber sagte. Ich erfuhr von ihnen, daß eines dieser beiden Häuser oder Moscheen, das das bedeutendste von allen war, einer Göttin geweiht war, die sie sehr verehrten, und daß sie dieser Gottheit nur Mädchen opferten, die jungfräulich und sehr schön waren, und wenn sie dies nicht waren, die Göttin sehr zornig wurde, und daß sie deshalb immer mit großer Sorgfalt jene aussuchten, damit sie zufriedengestellt sei. Sie erzogen sie, die sie dafür geeignet fanden, von klein auf für diese Aufgabe. Hierzu sagte ich ihnen gleichfalls, was mir geeignet erschien, womit sie anscheinend zufrieden waren.* Die gestrenge Göttin, von der Cortes berichtet, war offenbar die Mondgöttin Ixcbel, eine der Hauptgottheiten der Putunes, nach deren nördlicher Metropole, Itzamkanac, sich nun die Spanier, nachdem sie ihrer christlichen Pflicht Genüge getan hatten, aufmachten. Die Hauptstadt der Putunes am Rio Candelaria scheint Cortes nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Er erwähnt zwar, daß die Stadt »sehr groß ist und viele Moscheen hat«, aber er war offenbar zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um dieser Stadt, die zur Zeit der Conquista eine der größten Siedlungen der Maya im Tiefland gewesen sein muß, nähere Aufmerksamkeit zu schenken. Hier in Itzamkanac ereignete sich nämlich der dramatischste Zwischenfall der Expedition nach Higueras: die angebliche Verschwörung Quauhtemocs. Ein schriftliches Dokument der Putunes aus dem frühen 17. Jahrhundert schildert den Lauf der Ereignisse folgendermaßen: Cuauhtemoc, der Herrscher von Neuspanien, der mit dem Heerführer aus Mexiko gekommen war, befand sich dort. Er sagte zum Herrscher Paxbolonacha . . .: »Herr, es wird eine Zeit kommen, da werden diese Spanier uns große Mühe bereiten und uns viel Schaden zufügen, und sie werden unser Volk töten. Ich bin der Meinung, daß wir sie töten sollten, denn ich habe eine große Streitmacht mitgebracht und Ihr seid viele!« Cuauhtemoc sagte dies zu Paxbolonacha, dem Herrscher der Mactun-Chontales. Ah er diese Rede Cuauhtemocs hörte, antwortete er ihm: »Ich werde darüber nachdenken. Laßt es einen Augenblick ru hen, und wir werden später darüber sprechen.« Und, über die Angelegenheit nachdenkend, sah er, daß die Spanier keinerlei 178
Mißbrauch übten, noch hatten sie irgendeinen Indianer getötet oder geschlagen, und daß sie um nichts weiter baten als Honig, Hühner, Mais und andere Früchte, die man ihnen täglich gab. Er sagte sich, daß er, da sie ihm kein Übel zufügten, ihnen nicht mit zwei Gesichtern begegnen noch zwei Herzen den Spaniern zeigen konnte. Cuauhtemoc, der Herrscher von Mexiko . . ., versuchte fortwährend, ihn auf seine Seite zu bringen, da er gern alle Spanier getötet hätte. Angesichts dieser Zudringlichkeit ging Paxbolonacha, der Herrscher, zum Herrn des Tales und sagte zu ihm: »Mein Gebieter, Herr des Tales, dieser Herrscher Cuauhtemoc, Fürst und Feldherr der Mexikaner, den Ihr mitgebracht habt, seid auf der Hut vor ihm, daß er keinen Verrat gegen Euch verübt, denn drei- oder viermal hat er mir darüber gesprochen, Euch zu töten.« Als der Herr des Tales dies hörte, ergriff er Cuauhtemoc und legte ihn in Ketten. Am dritten Tag seiner Gefangenschaft holten sie ihn heraus und tauften ihn; es ist nicht sicher, ob sie ihm den Namen Don Juan oder Don Fernando gaben. Nachdem er getauft worden war, schlugen sie ihm den Kopf ab und spießten ihn an einer Ceiba auf. . ,32 Es scheint wie eine Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet ein Indianer die letzte Möglichkeit vereitelte, die Spanier aus Mexiko zu vertreiben und die rechtmäßigen Herrscher des Landes wiedereinzusetzen. Doch wie in Europa Könige und Fürsten einander verfeindet waren, so gab es auch in der Neuen Welt Rivalitäten zwischen den verschiedenen Völkern und Stammesgebieten. Und Paxbolon, der Herrscher von Itzamkanac, derQuauhtemoc an Cortes verriet, mochte sehr wohl die Oberhoheit eines Herrn, der jenseits des Meeres wohnte, der Tyrannis eines Fürsten vorziehen, der als potentiell mächtigster Herrscher Mexikos vor ihm stand. Daß ein Vasallentum unter den Azteken leichter zu ertragen gewesen wäre als der Kolonialstatus unter den Spaniern, konnte er nicht ahnen. Von Itzamkanac aus folgte Cortes in südlicher Richtung der Handelsroute, die die Putun-Metropole mit Nito verband, dem Handelszentrum am Rio Duke, wo die Putunes bis vor kurzem eine Niederlassung unterhalten hatten, das jetzt aber von den Spaniern, die Gonzalez de Avila in diesem Gebiet angesiedelt hatte, besetzt war. Zwischen Itzamkanac und Nito lag die Dschungel- und Savannenwildnis des Peten, von dessen Ge heimnis Cortes nichts wußte und merkwürdigerweise während seines weiteren Marsches, der ihn der ganzen Länge nach durch dieses Gebiet führte, auch nichts erfuhr. Außer Tayasal, der In179
seifeste der Itzas im Lago Peten Itza, wo er mit dem Itza-Herrscher Canek zusammentraf und deren »Häuser und Tempel man aus einer Entfernung von mehr als 2 Leguas aufleuchten sah« scheint Cortes keine einzige der unzähligen Tempelstädte dieses Gebietes, die zwar nicht mehr bewohnt waren, dennoch aber zweifellos noch verehrt wurden, gesehen zu haben. Ob es daran lag, daß er - obwohl ein Zeitgenosse der Renaissance - für Archäologie offenbar nichts übrig hatte, oder ob seine indianischen Führer die Fremden, die ihre Götterbilder verdammten, wohlweislich von den heiligen Ruinenstätten fernhielten, seine Schilderung dieses Abschnittes der Expedition beschränkt sich im wesentlichen auf die ungewohnten Strapazen, die die Spanier in dieser grünen Hölle durchzustehen hatten. Zur Überquerung der Maya Mountains, dem letzten großen Hindernis vor ihrem Ziel, benötigten sie zwölf Tage, während der sie allein 68 Pferde verloren. Als sie schließlich Anfang Mai 1525, ein halbes Jahr nachdem sie von Tenochtitlan aufgebrochen waren, in Nito eintrafen, waren Cortes und seine Männer, halbverhungert und von Fieber geschüttelt, kaum mehr als ein Haufen erbärmlicher Abenteurer. Die spanischen Siedler, die Nito erobert hatten, waren in nicht besserer Verfassung als die Neuankömmlinge. Auch sie litten unter Hunger und Krankheit und warteten nur auf eine Gelegenheit, in das fruchtbare und klimatisch günstigere Gebiet am Rio Ulüa überzusiedeln. Cortes, der seine Autorität sogleich geltend machte, beschloß, die Umsiedlung unverzüglich vorzunehmen. Da für dieses Unternehmen jedoch ausreichend Proviant fehlte, rüstete er kurzerhand eine kleine Flotte aus und fuhr den Rio Duke aufwärts, bis er in den See von Izabal gelangte, an dessen Ufer es Indianerdörfer mit reichen Vorräten geben sollte. Doch er mußte sich jenseits des Sees bis weit in das Gebiet der Pokomchi-Maya vorwagen, ehe er in einem größeren Ort namens Chacujal, den er in einem nächtlichen Überfall besetzen konnte, genügend Proviant erbeutete, um die Reise an die Ostküste zu wagen. Zwar gründete er hier in der Küstenebene des Ulüa an der Stelle, wo heute Puerto Cortes liegt, eine Siedlung mit dem Namen Natividad de Nuestra Senora, doch er selbst segelte weiter nach Trujillo, das auf Veranlassung seines Stellvertreters Las Casas, der nach dem Tode Olids die Regierungsgeschäfte in Higueras übernommen hatte, kurz zuvor gegründet worden war. In Trujillo, jenseits des Maya-Gebietes, blieb Cortes ein Jahr. Dann, ohne sein Kolonisierungswerk in Higueras 180
beendet zu haben, kehrte er nach Neuspanien zurück, um - wie es auch das Ziel seiner Expedition nach Higueras gewesen war - den Intrigen seiner Landsleute zuvorzukommen.
Die Dzulob in Yukatan Das Antlitz der Sonne wird von seiner Bahn abgewendet werden, es wird nach unten gekehrt werden während der Herrschaft der vergänglichen Menschen, der vergänglichen Herrscher. Fünf Tage ist die Sonne verdunkelt, und dann wird die Fackel des Katun 13 Ahau zu sehen sein, ein 'Zeichen Gottes, daß der Tod die Herrscher dieses Landes ereilen wird. So wird es geschehen, daß die ersten Herrscher aus ihren Städten vertrieben werden. Dann wird das Christentum in dieses Land gekommen sein. So kommt es, daß Gott, unser Vater, ein Zeichen gibt, wenn sie kommen werden, weil es keinen Einklang gibt. Die Nachkommen der früheren Herrscher sind entehrt und in Elend gestürzt; wir sind zum Christentum bekehrt, und doch behandeln sie uns wie Tiere. Sorge erfüllt das Herz Gottes wegen dieser Fremden. Im Jahre fünfzehnhundertneununddreißig, 1539, war im Osten das Tor des Hauses von Don Juan Montejo, um das Christentum einzuführen in dieses Land Yucalpeten, Yukatan.33 Yukatan, wo die bärtigen Fremden aus dem Osten erstmals das Land der Maya betreten hatten, wurde von ihnen als letztes unterworfen. Als Francisco de Montejo (ca. 1473-1553) am 8, Dezember 1526 per königlichem Dekret ermächtigt wurde, Yukatan zu erobern, waren die übrigen Teile des Maya-Gebietes bereits »befriedet«, das heißt, dem spanischen Kolonialreich einverleibt worden. Lediglich die unzugänglichen und spärlich bevölkerten Dschungelgebiete von Chiapas und des Peten blieben zunächst weitgehend von der Conquista verschont. Yukatan hingegen war ein dichtbevölkertes Land mit prächtigen Städten und wohl auch reichen Schätzen. Es wurde Zeit, daß man sich darum kümmerte. Montejo, im spanischen Salamanca als Sohn eines adligen Ritters geboren, war ursprünglich im Gefolge Pedro Arias de Avilas, des Gouverneurs von Panama, in die Neue Welt gekommen. Später war er nach Kuba übergesiedelt, wo er sich zunächst der Expedition Grijalvas und dann dem Eroberungszug Cortes' nach Mexiko angeschlossen hatte. Von Cortes in offizieller Mission 181
nach Spanien geschickt, noch ehe der Kampf um das AztekenReich begonnen hatte, war er am Hofe Karls V. sieben Jahre hängengeblieben, ehe dieser ihm schließlich mit der Verleihung des Titels eines Adelantado die Erlaubnis erteilte, Yukatan auf eigene Kosten zu erobern und zu kolonisieren. Da seine Mittel begrenzt waren, »trat er in Verhandlungen zwecks Heirat mit einer Frau aus Sevilla, einer reichen Witwe, und konnte so 500 Männer zusammenbringen, die er auf drei Fahrzeugen einschiffte«. Nach einer Zwis chenstation in Santo Domingo zur Ergänzung der Vorräte und Ausrüstung landete Montejo im September 1527 in Cozumel, wo er von dem Herrscher der Insel, Nattm Pat, der sich bereits Cortes unterworfen hatte, friedlich empfangen wurde. Auch als er wenig später in der Gegend von Xelha das Festland betrat und »im Namen Gottes für Gott und den König von Kastilien Besitz von diesem Land« ergriff, stieß er auf keinerlei Widerstand. Doch der erste Eindruck sollte trügen: die Eroberung Yukatans dauerte zwei Jahrzehnte! Die erste größere Schlacht lieferten die Yukateken den fremden Eindringlingen, die sie Dzulob (»Fremde«) nannten, in Ake in der nördlichen Provinz Chikinchel. Die Bewohner dieser Provinz hatten im Gegensatz zu Ecab, der Nachbarprovinz an der Ostküste, wo die Weißen erstmals gelandet waren und deren Kaziken sich bereitwillig Montejo unterworfen hatten, noch keinen Kontakt mit den Spaniern gehabt und kannten deshalb auch nicht die verheerende Wirkung ihrer Waffen und jener furchterregenden Wesen, die halb Mensch, halb Tier wie der Sturmwind daherfegten. Als sie sich nun in großer Überzahl den Spaniern entgegenstellten, schien der Ausgang der Schlacht gewiß. Doch auch diesmal hielten Musketier und Reiter eine furchtbare Ernte: 1200 Maya blieben auf dem Schlachtfeld liegen! Die Verluste der Spanier waren nur leicht, dennoch entschloß sich Montejo, nachdem die umwohnenden Kaziken die Oberhoheit des spanischen Königs anerkannt hatten, zum Ausgangspunkt seines Feldzuges zurückzukehren. Fieber, Hunger und kleinere Scharmützel hatten seine Streitmacht derart dezimiert, daß an eine Ausweitung der Eroberung im Augenblick nicht zu denken war. Als er nach etwa halbjähriger Abwesenheit in Xelha wieder anlangte, erwartete ihn eine böse Überraschung: die Garnison, die er unter dem Kommando von Alonso de Avila, einem kampferprobten Veteranen des Eroberungskrieges gegen die Azteken, hier zurückgelassen hatte, bestand nur noch aus zwölf Mann. Der Rest der ursprünglich 40 Mann starken Besatzung war dem 182
Klima und den Angriffen der Indianer erlegen. Noch schlimmer war es den Spaniern in Pole ergangen, wo Montejo auf seinem Zug nach Norden einen zweiten Stützpunkt errichtet hatte: sie waren bis auf den letzten Mann von den Indianern niedergemacht worden. Erbittert mußte Montejo sich eingestehen, daß sein bisheriger Feldzug gegen die Maya ein Pyrrhussieg war. Doch ähnlich wie jener König von Epirus war auch Montejo nicht bereit ; seinen großmächtigen Plan aufzugeben, und so entschloß er sich, sein Glück im Süden zu versuchen. Er teilte seine Streitmacht, die jetzt kaum noch 100 Mann zählte, und schickte den einen Teil unter der Leitung von Avila in die angrenzende Provinz Uaymil, während er selbst die Küste abwärtssegelte, bis er die Bucht von Chetumal erreichte, wo er vor einer größeren Siedlung, die dieser Bucht ihren Namen gab, vor Anker ging. Von den Bewohnern der Stadt erfuhr er, daß sich ein Weißer in der Umgebung aufhielt, jener Gonzalo Guerrero, der ein Leben unter den Indianern dem der Spanier vorgezogen hatte. Montejo schickte sogleich einen Boten zu Guerrero und forderte ihn abermals auf, zu seinen Landsleuten zurückzukehren. Aber wieder lehnte Guerrero ab. Er tat wahrscheinlich noch ein übriges und unterstützte die Maya von Chetumal bei ihren Bemühungen, die Angriffe der Spanier abzuwehren: weder konnte Montejo die Stadt besetzen, noch gelang es Avila, der bis zur nahe gelegenen Lagune von Bacalar vorgedrungen war, mit seinem Kommandanten zusammenzutreffen. Nach vergeblichem Warten segelte Montejo schließlich in südlicher Richtung weiter und erkundete damit als erster Weißer die Küste von Belize. Als er dann die Nordküste von Higueras erreichte, erwachte in ihm der Plan, dieses angeblich an Gold und Silber reiche Grenzland seinem - bislang eher theoretischen Herrschaftsgebiet in Yukatan anzuschließen. Doch einstweilen begnügte er sich damit, die Küstengewässer dieses Gebietes bis zur Mündung des Ulua zu erkunden. Unverrichteter Dinge kehrte er schließlich nach Yukatan zurück, wo er mit Avila in der Gegend von Pole, wohin dieser den Stützpunkt der Spanier inzwischen verlegt hatte, zusammentraf. Die Truppe war jetzt so weit zusammengeschrumpft, daß Montejo keine andere Wahl blieb, als weiter nach Neuspanien zu segeln, um Verstärkung heranzuholen. Avila als seinen Stellvertreter zurücklassend, brach er gegen Ende des Jahres 1528 nach Mexiko auf. Der erste Versuch, Yukatan zu erobern, war gescheitert. Den zweiten Versuch unternahm Montejo in den Jahren 183
1531-35 Inzwischen war er keineswegs müßig gewesen. In Mexiko hatte er seinen Sohn aus einer unehelichen Verbindung, Francisco de Montejo (1508-1565), genannt El Mozo (»der Jüngere«), getroffen, der Cortes als Page auf dessen Expedition nach Honduras gedient hatte. Voller Begeisterung berichtete der junge Montejo seinem Vater von den reichen Ländern an der Golfküste, die dieser während der Entdeckungsfahrten von Grijalva und Cortes nur flüchtig kennengelernt hatte. Der Adelantado, wie der ältere Montejo allgemein genannt wurde, erkannte jedoch sogleich den strategischen Nutzen, den die Provinzen Tabasco und Acalan für sein Unternehmen in Yukatan bringen könnten, und er wandte sich deshalb unverzüglich an die königliche Audiencia, die oberste Verwaltungsbehörde in Neuspanien, mit der Bitte, sein Gouverneursamt auf diese Gebiete auszudehnen. Nufio de Guzman, der »Indianerschlächter«, der den Vorsitz der Audiencia führte, gab dem Gesuch Montejos statt und ernannte ihn zum Alcalde Mayor, das heißt zum Grenzgouverneur, der südlichen Golfprovinzen, womit sich der Herrschaftsbereich Montejos im Westen praktisch bis an die Grenze des Maya-Gebietes erstreckte. Doch sein Traum von einem Großreich Yukatan, das von Tabasco bis Higueras und von Kap Catoche bis Chiapas reichte, war nur von kurzer Dauer. Kaum hatte er damit begonnen, Tabasco zu einer Ausgangsbasis für die Eroberung des eigentlichen Yukatan auszubauen, da warf ihn der frühere Gouverneur der Provinz, Baltasar de Osorio, ins Ge fängnis. Auch der Versuch, in Acalan Stützpunkte für den gleichen Zweck zu gründen, erwies sich als ein Fehlschlag, als Avila, den Montejo inzwischen aus Yukatan zurückbeordert und zur Erkundung Acalans entsandt hatte, erkennen mußte, daß dieses Gebiet zu weit von den Machtzentren in Yukatan entfernt war. Als Montejo schließlich nach seiner Freilassung Anfang 1531 mit Avila in Champoton zusammentraf, war er seinem eigentlichen Ziel keinen Schritt näher gekommen als drei Jahre zuvor. Von Champoton wechselte Montejo bald nach Campeche über und gründete hier eine spanische Siedlung, der er den Namen seiner Geburtsstadt, Salamanca, gab. Als bald darauf Verstärkung aus Neuspanien eintraf, begann er im Sommer 1531 seine zweite Kampagne gegen die Maya in Yukatan. Zunächst schickte er Avila über Land nach Chetumal, um die Ostflanke der Halbinsel zu sichern. Doch der einzige greifbare Erfolg dieses Feldzuges, der durch die Zentralprovinz Cochuab führte, war die Erbeutung einer Handvoll Gold und Edelsteine, die die Spa184
nier den aus Chetumal geflüchteten Indianern abnahmen. Und auch diese Beute ging schließlich wieder verloren: An diesem Zufluchtsort fanden sie 1000 Pesos de oro (4 kg Gold) in verschiedenen Formen und Schmuckstücken, die jene Leute tragen; und dies war das erste Gold, das diese Christen bis dahin im ganzen Land gefunden hatten; auch fanden sie einige Smaragde und Türkise und Masken aus Gold und Edelsteinen. Und mit dieser Beute kehrten sie nach Chitemal zurück, von wo aus der Leutnant Alonso Davila jenes Gold mit drei Reitern und drei Armbrustschützen an den Gouverneur Montejo schickte; aber in der Provinz Cochua, als sich die Boten sicher fühlten und eines Abends ihre Mahlzeit einnahmen, fielen die Indianer über sie her und töteten sie alle sechs und die Pferde und nahmen ihnen das Gold und alles, was sie bei sich führten.34 Kaum war Avila mit seiner Truppe nach Chetumal aufgebrochen, da rebellierten die Indianer von Campeche und griffen, im Verein mit der Nachbarprovinz Ab Canul, Salamanca an. Nur um ein Haar entging Montejo einem tödlichen Anschlag, doch am Ende trugen die Spanier den Sieg davon, und neben Campeche mußte jetzt auch Ah Canul die Oberhoheit der Fremden anerkennen. Durch den Sieg ermutigt, wagte Montejo nun einen Vorstoß in die beiden mächtigsten Provinzen Yukatans: Mani und Cupul. Während seine Mission m Mani, wo er mit dem Herrscherhaus der Tutul Xius freundschaftliche Kontakte knüpfte, erfolgreich war, erwies sich der Feldzug, den sein Sohn in das Land der Cupules unternahm, als ein Fehlschlag. Von der Küste her durch die Nordprovinzen Cehpech und Ah Kin Chel, die sich mit den Spaniern verbündeten, in das westliche Grenzgebiet der Cupul-Provinz einfallend, war der jüngere Montejo bis nach Chichen Itza, wo Naobon Cupul, ein Mitglied des Herrscherhauses, residierte, vorgedrungen und hatte hier, ohne auf großen Widerstand zu stoßen, im Jahre 1532 eine Ciudad Real, eine »Stadt des Königs«, gegründet, die als Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum der Spanier im nördlichen Yu katan gedacht war: Und so forderte der (Sohn des) Adelantado Arbeiter, um Häuser in Chichenizd zu bauen, und in kurzer Zeit errichtete er eine Stadt, deren Häuser aus Holz und, nach Art der Indianer, mit Palmblättern und langem Stroh bedeckt waren. Und er sah, daß die Indianer ohne Murren ihren Dienst versahen. Da zählte er die Bevölkerung, die zahlreich war, und teilte die Dörfer unter den Spaniern auf. Man sagt, daß ein jeder wenigstens 2000 bis 185
3000 Indianer zugeteilt bekam; und so begann er, den Einheimi schen vorzuschreiben, wie sie jener Stadt zu dienen hätten, was den Indianern nicht sonderlich gefiel, obgleich sie einstweilen ihr Einverständnis vortäuschten.35 Als die Forderungen der Spanier immer drückender wurden versuchte Naobon Cupul den Anführer der Fremden zu töten. Das Attentat mißlang, und statt Montejo fand der Cupul-Fürst den Tod. Dies war der Auftakt zu einer offenen Rebellion. Die Cupules verbündeten sich mit den Herrschern der umliegenden Provinzen Ecab, Cochuab und Sottila und belagerten die spanische Siedlung in Chichen Itza. Und obwohl die befreundeten Provinzen Cehpech, Ah Kin Chel und Mani den bedrängten Spaniern zu Hilfe kamen, blieb Montejo schließlich nichts anderes übrig, als die Siedlung aufzugeben und sich nach Dzilam, einem Küstenort in Ah Kin Chel, zurückzuziehen. Aber auch hier wurde die Situation bald unhaltbar, weniger der Indianer wegen als vielmehr infolge einer Nachricht, die aus dem fernen Peru, wo Pizarro gerade das Goldland der Inka erobert hatte, kam und sich wie ein Lauffeuer unter den Gefolgsleuten Montejos verbreitete, die bislang vergebens nach reichen Minen in Yukatan gesucht hatten. Ein Söldner nach dem anderen desertierte, so daß Montejo im Sommer 15 34 auch Dzilam aufgeben mußte und sich nach Campeche absetzte, wo sein Vater, der inzwischen aus Mani zurückgekehrt war, mit dem gleichen Problem zu kämpfen hatte. Wenngleich das Prestige des Adelantado auch größer als das seines Sohnes war, so gelang es auch ihm nicht, die allmähliche Auflösung seiner Truppe zu verhindern. Als sein Gesuch an die Audiencia in Neuspanien, ihm Hilfe zu gewähren, fruchtlos blieb, gab der Adelantado schließlich auch seinen letzten Stützpunkt in Yukatan auf. Sein zweiter Anlauf war gescheitert. 1536, ein Jahr nach dem Rückzug der Spanier, trat in Yukatan ein Ereignis ein, das weitreichende Folgen haben sollte: Als die Spanier Yukatan verlassen hatten, gab es kein Wasser im Lande, und da man während der Kämpfe gegen die Spanier achtlos allen Mais verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über das Land. So groß war die Not, daß man dazu überging, die Rinde von Bäumen zu essen, besonders eines Baumes namens Cumche, der innen weich und zart ist. Dieser Hunger brachte die Xiues, die Herren von Mani, zu dem Entschluß, ihren Götterbildern ein feierliches Opfer darzubringen und Sklaven und Skla186
vinnen in den Brunnen von Chicheniza zu werfen. Aber da sie auf ihrem Weg an dem Herrschersitz der Cocomes, ihrer größten Feinde, vorbei mußten und sie befürchteten, daß dann die alten Zwistigkeiten wieder ausbrechen würden, schickten sie ihnen Boten, die sie bitten sollten, ihnen die Durchreise durch ihr Land zu gestatten. Die Cocomes täuschten ihr Einverständnis vor und, als sie sie alle in einem großen Haus bewirteten, zündeten sie es an und töteten die, die entfliehen konnten. Und diese Tat führte zu blutigen Kriegen.36 Dem Attentat, das sich in Otzmal, unweit der Residenz der Cocomes, ereignete, fielen Ah Dzun Xiu, der Herrscher von Mani, sein Sohn Ah Ziyah Xiu und 40 weitere Fürsten der Tutul Xius zum Opfer. Seit der Revolte gegen Mayapan, die der Urgroßvater Ah Dzun Xius angezettelt hatte und im Verlauf derer der Cocom-Herrscher dieser Stadt umgekommen war, waren die Tutul Xius und Cocomes verfeindet. Diese Feindschaft war noch verstärkt worden durch die Tatsache, daß die Tutul Xius nicht nur selbst Fremde in Yukatan waren, während die Cocomes sich als rechtmäßige Herrscher des Landes betrachteten, sondern sich auch noch mit den Spaniern gegen diese verbündet hatten. So muß die Not der Tutul Xius schon sehr groß gewesen sein, wenn sie einen Pilgerzug durch das Land ihrer Feinde wagten. Daß sie sich nun ihrerseits für den Mord an ihren Fürsten rächten und damit erneut die Maya in Yukatan in einen Bürgerkrieg stürzten, war eine unausweichliche Folge, deren tragischer Auswirkungen sie sich erst bewußt werden sollten, als es bereits zu spät war. Denn nur die Ohnmacht ihrer Gegner brachte den Spaniern schließlich den Sieg. 1540 kehrte Montejo der Jüngere nach Yukatan zurück. Sein Vater, der inzwischen weit über 60 war und sich in den vergangenen Jahren mit wechselndem Erfolg um das Gouverneursamt von Higueras und Honduras bemüht hatte, hatte ihm in einem offiziellen Dokument, in dem genaue Anweisungen für das weitere Vorgehen festgelegt waren, die Eroberung Yukatans übertragen. Wiederum wurde Campeche, das der jüngere Montejo nach dem Tag seiner Ankunft in San Francisco de Campeche umbenannte, zur Ausgangsbasis der Spanier erwählt. Von hier aus stieß Montejo, nachdem die Tutul Xius erneut ihre Bündnistreue bekräftigt hatten und die Ah Canules durch einen neuerlichen Feldzug besiegt worden waren, in die Provinz Chakan vor, wo er am 6. Januar 1542 in Tiho die spätere Hauptstadt Yukatans, 187
Merida, gründete. Zwei Wochen später empfing er hier den neuen Xiu-Herrscher und ließ auf dessen Wunsch eine Messe zelebrieren, die den Fürsten derart beeindruckte, daß er sich auf den Namen Melchior taufen ließ und den Spaniern das Versprechen gab, Botschafter in die umliegenden Provinzen auszusenden, um deren Herrscher zu überreden, sich friedlich den Fremden zu unterwerfen. So fiel der Westteil Yukatans den Spaniern ohne weiteren Kampf in die Hände. Der Osten hingegen leistete den Spaniern weiterhin erbitterten Widerstand, auch wenn er ihren Vorstößen auf die Dauer nicht gewachsen war. Der Freiheitswillen der Maya dieses Ge bietes feierte einen letzten Triumph, als am Tage Imix, dem Neujahrstag ihres Kalenders (8. November 1546), in Valladolid, dem östlichen Vorposten der Spanier in der einst mächtigen Provinz Cupul, ein blutiger Aufstand losbrach, der in Windeseile den gesamten Osten erfaßte: Verführt durch ihre abartigen Sitten oder die schlechte Behandlung durch die Spanier verschworen sich die Indianer von Valladolid, die Spanier zu töten, als diese sich aufmachten, ihre Tribute einzusammeln; und an einem Tage töteten sie 17 Spanier und 400 Diener derer, die starben und die am Leben blieben; und sie schickten Arme und Beine über das ganze Land als Zeichen dessen, was sie getan hatten, auf daß sie sich erhoben, wozu sie jedoch nicht bereit waren, und so gelang es dem Adelantado, den Spaniern in Valladolid zu Hilfe zu kommen und die Indianer zu bestrafen.37 Anstatt dem Aufruf ihrer Brüder im Osten Folge zu leisten und den Spaniern in den Rücken zu fallen, unterstützten die Maya der Westprovinzen den Adelantado, der zur Übernahme seines Gouverneursamtes im Dezember 1546 nach Merida gekommen war, den Aufstand niederzuschlagen und damit die Eroberung Yukatans zum Abschluß zu bringen. Daß dabei ihrer Hunderte umkamen, während nur zwanzig Spanier fielen, ist die eigentliche Tragik der Conquista - in Yukatan wie in Guatemala, in Mexiko wie in Peru.
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V. KAPITEL ENCOMIENDA
Im Jahre 1526 wurde einem weiteren erbärmlichen Menschen das Gouverneursamt für das Königreich Yukatan verliehen, aufgrund von Lügen und Falschheiten, die er äußerte, und Angeboten, die er dem König machte, so wie es die übrigen Tyrannen bishergetan haben, damit man ihnen Ämter und Würden überträgt, die sie zu Räubereien mißbrauchen. Dieses Königreich Yukatan war von einer unendlich großen Bevölkerung bewohnt, denn das Land hat ein angenehmes Klima und ist sehr reich an Nahrung und Früchten (mehr noch als Mexiko); insbesondere gibt es Honig und Wachs im Überfluß wie in keinem anderen indianischen Land, von dem man bisher Kunde hat. Fast 100 Leguas Umfang mißt dieses Königreich. Die Menschen, die dort lebten, unterschieden sich von allen anderen der indianischen Länder durch ihre Klugheit und Ordnungsliebe und dadurch, daß sie weder Laster noch Sünden kannten, und sie waren bereit und würdig, das Wort Gottes zu empfangen. Auch hätte man dort große Städte für die Spanier anlegen können, und sie hätten dort gelebt wie in einem irdischen Paradies (wenn sie dessen würdig gewesen wären); aber sie waren es nicht, sie waren vielmehr voller Habgier und Gleichgültigkeit und großer Sünden, so wie sie sich auch der anderen indianischen Länder, die Gott ihnen offenbart hat, nicht für würdig erwiesen haben. Dieser Tyrann begann mit 100 Männern, die er mitgebracht hatte, grausame Kriege gegen jene gütigen und unschuldigen Menschen, die friedlich in ihren Hütten waren, zu führen und unzählige von ihnen zu töten und zu vernichten. Und da es in diesem Land kein Gold gibt, denn wenn es etwas gäbe, hätte er die Minen schon längst ausgebeutet, machte er Gold aus den Körpern und Seelen derer, um derentwillen Jesus Christus starb, und versklavte alle, die er nicht tötete, und verfrachtete sie auf Schiffe, die die Aussicht auf Sklaven in großer Zahl herbeilockte, im Austausch für Wein, Öl, Essig und Speck und für Kleider, 189
Pferde und was er und seine Leute sonst noch brauchten, gerade so wie es ihm beliebte. Unter 110 Mädchen, eines hübscher ah das andere, ließ er jeden das auswählen, das ihm gefiel, für ein paar Liter Wein, Öl oder Essig oder für ein Stück Speck, und zum gleichen Preis konnte man sich unter 100 oder 200 wohlgestalteten Jünglingen einen aussuchen. Einen Knaben, der anscheinend der Sohn eines Fürsten war, gab er für einen Käse weg, und 100 andere für ein Pferd. Mit diesem Handwerk war er vom jähre 1526 bis zum jähre 1533 beschäftigt; sieben jähre lang verwüstete und entvölkerte er jenes Land und tötete er ohne Gnade jene Menschen, bis die Nachricht von den Reichtümern in Peru eintraf und ihm seine Leute wegliefen und für ein paar Tage jene Hölle aufhörte. Aber dann kamen die Henkersknechte wieder, um weitere Schandtaten zu begehen, Raubzüge und Sklavenjagden und große Vergehen gegen Gott, und diese Schande dauert bis auf den heutigen Tag an. Jene 300 Leguas, die einst voller Menschen waren, haben sie fast gänzlich entvölkert.36
Stimme des Gewissens Der Mann, der diese Worte schrieb, war kein geringerer als Bartolome de las Casas (1474-1566), jener klerikale Anwalt der Indianer, der mit seinem »Kurzen Bericht über die Zerstörung der indianischen Länder«, aus dem das obige Zitat stammt, zum Begründer der Schwarzen Legende wurde, einer politischen Doktrin, die erstmals Anklage gegen eine europäische Kolonialmacht erhob. Wie sehr gerade auch die Charakterisierung der Eroberung des Maya-Gebietes in dem Bericht von Las Casas zutrifft, beweisen nicht nur bevölkerungsstatistische Untersuchungen, auf die wir später eingehen werden, sondern selbst die Aussagen Landas, der - weit davon entfernt, ein Fürsprecher der Indianer zu sein - dennoch in seinem »Bericht über die Dinge in Yukatan« die Missetaten seiner Landsleute nicht verschweigt. So schreibt er unter anderem: Als die Indianer der Provinzen Cochua und Chectemal sich erhoben, befriedeten sie die Spanier in der Weise, daß diese beiden Provinzen, die vordem die volkreichsten waren, als die erbärmlichsten des ganzen Landes zurückblieben. Sie verübten gegen die Indianer noch nie dagewesene Grausamkeiten, indem sie ihnen Nasen, Arme und Beine abschnitten und den Frauen die 190
Brüste, um sie dann, mit Kürbissen an den Beinen beschwert, in tiefe Lagunen zu werfen; auf die Kinder stachen sie ein, weil sie nicht so schnell wie ihre Mütter marschierten, und wenn sie sie an Halsketten mitschleppten und einige krank wurden und nicht so schnell gingen wie die anderen, hauten ihnen die Spanier die Köpfe ab, um nicht anhalten zu müssen und sie von den Ketten zu befreien. Und es war eine große Anzahl Frauen und Männer, die sie auf diese Weise in ihre Dienste brachten.39 Uns, die wir in einer Zeit des aufgeklärten Kolonialismus leben, klingen diese Art Berichte vertraut, wenngleich wir bislang auch eher an Neger als an Maya dachten, wenn von MenschenJagden und Sklaven die Rede war. Im Zeitalter der Entdeckungen jedoch, als der Europäer erstmals in nähere Berührung mit den Völkern anderer Kontinente kam und den Grundstein für die bis heute andauernde Hegemonialstellung Europas (und seines Ablegers Nordamerika) legte, war es keinesfalls selbstverständlich, das Recht des Weißen Mannes auf die Eroberung der übrigen Welt in Frage zu stellen. Im Gegenteil, die Ausbreitung abendländischer Zivilisation war ein gottgefälliges Werk. Ursprünglich hatte es gar keiner besonderen Rechtfertigung bedurft: das Recht des Erstentdeckers, das sich auf der Vorstellung gründete, daß jedes neuentdeckte Land dem gehörte, der es zuerst betrat, war schließlich so alt wie das Menschengeschlecht. Solange die fernen Inseln und Länder unbewohnt waren, war dagegen auch wenig einzuwenden. Wie aber verhielt es sich, wenn - wie in den meisten Fällen es sich herausstellte, daß den Europäern bereits andere zuvorgekommen waren? Handelte es sich dann auch um ein res nullius, ein »herrenloses Land«? Die Antwort gab eine päpstliche Bulle vom 4. Mai 1493, die sogenannte Inter caetera divinae, in der die Erde unter den beiden größten christlichen Seefahrernationen der damaligen Zeit, Spanien und Portugal, aufgeteilt wurde: alle entdeckten und noch zu entdeckenden überseeischen Länder, die jenseits einer ioo Meilen westlich der Azoren verlaufenden Grenzlinie lagen, wurden der spanischen, jene diesseits dieser Linie der portugiesischen Krone zugesprochen. Dieser Schiedsspruch gründete sich auf dem Anspruch des Papstes, daß er nicht nur kirchliches, sondern auch weltliches Oberhaupt der Menschheit sei und sich damit seine Herrschaft über alle Länder und Völker der Erde erstrecke. Mit der Bulle »Inter caetera divinae« nun hatte der Papst seine weltliche Macht an die iberischen Könige delegiert, wofür 191
diese sich zur Verbreitung des christlichen Glaubens unter ihren neuen heidnischen Untertanen verpflichtet hatten. Auf der Grundlage der päpstlichen Bulle von 1493 schlössen Spanien und Portugal im folgenden Jahr einen Staatsvertrag, in dem man sich auf eine Verschiebung der Demarkationslinie um 270 Meilen nach Westen einigte, wodurch Portugal, noch ehe man von seiner Existenz wußte, Brasilien zufiel. Der Rest der Neuen Welt aber erwies sich als spanisches Hoheitsgebiet. Zumindest solange, bis Franz 1., König von Frankreich, mit dem Ausruf »Zeigt mir Adams Testament!« gegen den päpstlichen Schiedsspruch Einspruch erhob und französische Seefahrer nach Nordamerika schickte, denen bald darauf die Engländer folgen sollten. Neben diesen drei grundlegenden Rechtstiteln, von denen der der Heidenmission am weitesten Anerkennung fand, gab es zahlreiche weitere Argumente, die als Rechtfertigung für die Eroberung fremder Länder dienten. Sie reichten vom sogenannten Ins gentium, das eine wechselseitige Beziehung zwischen den Völkern in Form von Handel und Einwanderung forderte, bis hin zu einem zivilisatorischen Sendungsbewußtsein, das sich aus der antiken Vorstellung herleitete, daß alle Menschen, die jenseits des eigenen Kulturkreises lebten, Barbaren seien. Nicht wenige gab es, die gingen sogar so weit, daß sie den neuentdeckten Völkern ihre Zugehörigkeit zum Menschengeschlecht gänzlich absprachen und sie als vernunftlose Wesen auf eine Stufe mit den Tieren stellten. Daß solche Kreaturen versklavt wurden, entsprach nur einer natürlichen Ordnung. So eifrig man sich auch um eine Rechtsgrundlage bemühte, die das eigene Gewissen beruhigte und die Interessen des Rivalen beziehungsweise Partners befriedigte, es zeigte sich bald, daß man die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatte: die Heiden und Barbaren wollten gar nicht »zivilisiert« werden! Und so tauchte die Frage auf, ob es gerechtfertigt sei, den Widerspenstigen zu seinem Glück zu zwingen. Johannes Major, seines Zeichens Theologieprofessor an der Universität von Paris, bejahte diese Frage, denn - so schrieb er in einem 1510 erschienenen Werk - aufgrund ihres Missionsauftrages haben die christlichen Herrscher das Recht, mit Gewalt gegen jene heidnischen Fürsten vorzugehen, die sich der Ausbreitung des christlichen Glaubens, einem göttlichen Gebot, widersetzen. Im übrigen, so meinte der klerikale Gelehrte, müßten die Mühen und Anstrengungen, die die Bekehrung der Heiden 192
mit sich bringe, durch den Erwerb ihrer Länder ausgeglichen werden. Um einer allzu freizügigen Auslegung der frommen Lehre des Professors vorzubeugen, ließ König Ferdinand von Spanien 1513 ein Dokument, das sogenannte Requerimiento, aufsetzen, das den Entdeckern und Eroberern in der Neuen Welt als Richtschnur ihres Handelns dienen sollte. Dieses Dokument, das mit dem Satz begann: »Gott der Herr übertrug einem Manne, der Sankt Petrus hieß, die Gewalt über alle Völker der Erde, auf daß er Herr und Gebieter sei über alle Menschen der Welt« und die Bewohner der Neuen Welt aufforderte, »die heilige Kirche als Herrin und Gebieterin der ganzen Welt anzuerkennen und dem spanischen König als eurem neuen Herrn zu huldigen«, hatte jeder Conquistador bei sich zu führen und den Indianern bei der ersten Begegnung vorzulesen. Erst wenn sie der Aufforderung, sich freiwillig zu unterwerfen, nicht Folge leisteten, konnte »mit Gottes Hilfe« gewaltsam gegen sie vorgegangen werden. Was dies bedeutete, daran ließ das Dokument keinen Zweifel: »Wir werden euch euer Eigentum nehmen und euch, eure Frauen und eure Kinder zu Sklaven machen. Zugleich erklären wir feierlich, daß nur ihr an dem Blut und dem Unheil schuld seid, das dann über euch kommen wird, nicht aber seine Majestät oder wir oder diese Ritter, die mit uns gekommen sind.« Trotz dieser unverhüllten Drohung zeigten sich die Maya vom Requerimiento wenig beeindruckt. Die Reaktion der Chontales vonTabasco auf die Aufforderung Grijalvas, sich der spanischen Krone zu unterwerfen, dürfte - zumindest am Anfang - typisch gewesen sein. Bernal Diaz berichtet mit naiver Selbstkritik: Dann sagte der Hauptmann zu ihnen, mit Hilfe der Dolmetscher Julianillo und Melchorejo, daß wir von fernen Ländern kämen und daß wir Untertanen eines großen Herrschers seien, der Don Carlos hieße und dem viele große Fürsten und Häuptlinge Untertan seien, und daß jene ihn auch als ihren Herrn anerkennen sollten und daß ihnen das sehr gut bekäme und daß im Tausch für Perlenketten sie uns Nahrung und Hühner geben sollten. Darauf antworteten zwei von ihnen, einer ein Fürst und der andere ein Priester . . ., und sagten, daß sie uns den Proviant geben wollten, den wir wünschten, und daß sie ihre Sachen gegen unsere tauschen würden, und was das übrige beträfe, daß sie bereits einen Herrn hätten und daß wir nun kämen und, ohne sie zu kennen, ihnen gleich einen neuen Herrn geben wollten und daß wir uns vorsehen sollten, mit ihnen keinen Krieg anzufangen 193
wie in Potonchan, denn sie hätten mehr als drei xiquipiles bewaffneter Männer ans allen jenen Provinzen gegen uns bereitgestellt; jeder xiquipil hat 8000 Mann.4 " Die eigene Rechtsauffassung des Indianers war den Conquistadoren, die dadurch der ihnen durch das Requerimiento auferlegten Restriktionen entbunden wurden, ein willkommener Anlaß, ihrem eigentlichen Anliegen - der Ausbeutung des India ners - freien Lauf zu lassen. Anderen jedoch gab diese Konfrontation zwischen christlichem und heidnischem Recht zu denken. Wie Major - und sein bekannterer Parteigänger Juan Gines de Sepulveda (1490-1573) — waren auch sie Theologen und Scholastiker. Aber wo jene ihre Weisheit aus den Schriften des Aristoteles bezogen, stützten diese sich auf die Lehren Platos und des Heiligen Augustinus. Auf diese Weise entstand in Spanien eine Kolonialethik, die - in einer kritischen Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtfertigung der Conquista - die Grundlagen des modernen Völkerrechtes schuf. Als Begründer dieser Wissenschaft verdient der Dominikaner Francisco de Vitoria (1486-1546) Erwähnung, der im Jahre 1539 in zwei besonderen Vorlesungen an der Universität von Salamanca - »De Indis« und »De jure belli« - zur Frage der Eroberung der Neuen Welt und des Krieges gegen die Indianer Stellung nahm und dabei zu folgendem Ergebnis kam: - »Die Heiden sind in keiner Weise Untertanen des Papstes . . . Dieser ist kein Weltherrscher. Mithin ist es durchaus abwegig, die Conquista auf diese Weise rechtfertigen zu wollen.« - »Die Spanier sind berechtigt, in die Länder jenseits des Ozeans zu ziehen . . . Dieses Recht setzt freilich voraus, daß den Eingeborenen durch die Anwesenheit der Spanier kein Schaden erwächst.« - »Die Christen haben das Recht, das Evangelium in den Provinzen der Barbaren zu verkünden.« - »Wenn die Barbaren . . . den Spaniern die freie und unbehinderte Predigt des Evangeliums gestatten, darf man sie nicht mit Krieg überziehen oder ihre Länder besetzen, ob sie den (christlichen) Glauben annehmen oder nicht.« So aufrichtig das Bemühen Vitorias um die Anerkennung des Rechts der indianischen Völker auf Freiheit und Souveränität auch war, sein oberstes Leitmotiv blieb die Heidenmission. Diese forderte auch Las Casas, doch im Gegensatz zu Vitoria war Las Casas nicht bereit, das Recht zur Predigt - nötigenfalls auch durch Krieg- zu erzwingen. Las Casas kannte aus eigener Erfah194
rung die Situation in den spanischen Kolonien und gab sich nicht der Illusion eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Spaniern und Indianern hin. Er selbst hatte aktiv an der Eroberung der Neuen Welt teilgenommen und sich - nicht anders als seine Landsleute - schamlos an den Indianern bereichert. Bis er im Jahre 1514 einen radikalen Gesinnungswandel erfahren hatte, der ihn zum kompromißlosen Verteidiger der Indianer machte. Es gereicht den spanischen Herrschern, die König Ferdinand auf den Thron folgten, zur Ehre, daß sie die leidenschaftliche Kritik, die Las Casas am spanischen Kolonialsystem übte, nicht nur tolerierten, sondern auch seine Vorschläge zur Abschaffung der Mißstände in den Kolonien beherzigten und eine Reihe von Gesetzen zum Schütze der Indianer erließen. So unterzeichnete Karl V, am 20. November 1542 die sogenannten Neuen Gesetze, die maßgeblich auf die Initiative von Las Casas zurückgingen und unter anderem eine Aufhebung der Indianersklaverei und die Einschränkung indianischer Tribut- und Dienstleistungen vorsahen. Und als Sepulveda, den Karl V. zu seinem persönlichen Berater ernannt hatte, 1547 eine Gegenschrift zu dem Bericht von Las Casas unter dem Titel Democrates Alter verfaßte, in der er die Indianer mit Affen verglich und damit ihre kriegerische Unterwerfung und Versklavung rechtfertigte, untersagte der Kaiser die Veröffentlichung des Werkes. Schließlich wurde in einem Erlaß aus dem Jahre 1573 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß fortan das Wort Conquista durch den Begriff Pacificacion (»Befriedung«) ersetzt werden sollte. Da jedoch all diese Gesetze nicht mit dem nötigen Nachdruck vertreten wurden, blieb letztlich auch die Intervention von Las Casas wirkungslos.
Ich bin der Blitz! Während im fernen Europa über Recht und Unrecht der Conquista debattiert wurde, befolgten die Spanier in der Neuen Welt nur ein Gesetz: die Macht des Stärkeren. Und was mit der Suche nach Gold und Sklaven begonnen hatte, endete schließlich mit der Eroberung eines ganzen Kontinents. Doch so spektakulär die Anfangssiege der Spanier auch waren, bis zur Konsolidierung eines festgefügten Kolonialreiches war noch manche Schlacht zu schlagen. Nirgendwo war dies offensichtlicher als im Maya-Gebiet, wo es den Itzas und Lakandonen gelang, ihre Unabhängigkeit bis ins späte 17. Jahrhundert zu behaupten. 195
Aber auch unter den Maya-Stämmen, die die Spanier auf ihren ersten Eroberungszügen unterworfen hatten, gab es nicht wenige, die im Laufe der Kolonialzeit immer wieder versuchten, die Fremdherrschaft abzuschütteln. Den ersten größeren Versuch unternahmen die Cakchiqueles in Guatemala, als sie erkannten, daß Alvarado kein Gott, sondern ein Teufel war: Dann forderte Tunatiuh von den Königen Geld. Er wollte, daß sie ihm Haufen von Gold gaben, ihre Krüge und Kronen. Und als sie ihm das Geforderte nicht sofort brachten, wurde Tunatiuh ärgerlich und sagte zu den Königen: »Warum habt ihr mir nicht das Gold gebracht? Wenn ihr mir nicht alles Geld der Stämme bringt, werde ich euch verbrennen und euch hängen«, sagte er zu den Fürsten. Darauf verlangte Tunatiuh, daß sie ihm 1200 pesos de oro (5 kg Gold) bezahlten. Die Könige baten, den Betrag zu verringern, und sie begannen zu weinen, aber Tunatiuh willigte nicht ein, und er sagte zu ihnen: »Beschafft das Gold und bringt es mir innerhalb von fünf Tagen. Wehe euch, wenn ihr es nicht bringt! Ich kenne mein Herz!« So sprach er zu den Fürsten. Sie hatten schon die Hälfte des Goldes bei Tunatiuh abgeliefert, als ein Mann, ein Zauberer, erschien und zu den Königen sagte: »Ich bin der Blitz. Ich werde die Spanier töten; durch Feuer werden sie umkommen. Wenn ich die Trommel schlage, verlasse ein jeder die Stadt und gehet Ihr Fürsten auf die andere Seite des Flusses. Dies werde ich am Tage 7 Ahmak (26. August 1524) tun.« So sprach jener Zauberer zu den Fürsten. Und wahrlich, die Fürsten glaubten, daß sie den Befehlen jenes Mannes gehorchen sollten. Die Hälfte des Goldes war schon abgeliefert worden, als wir fl üchteten. Am Tage 7 Ahmak führten wir unsere Flucht aus. Da verließen wir die Stadt Yximche wegen des Zauberers. Später folgten auch die Könige. »Tunatiuh wird gewiß bald sterben«, sagten sie. »Jetzt ist kein Krieg im Herzen Tunatiuhs, jetzt ist er zu frieden mit dem Gold, das er bekommen hat.« So kam es, daß wir auf Geheiß des Zauberers unsere Stadt aufgaben am Tage 7 Ahmak, o meine Söhne! Aber Tunatiuh wußte, was die Könige getan hatten. 10 Tage, nachdem wir aus der Stadt geflohen waren, eröffnete Tunatiuh gegen uns den Krieg. Am Tage 4 Camey (5. September 1524) begann unser Leid. Wir verstreuten uns unter den Bäumen, unter den Büschen, o meine Söhne! Alle unsere Stämme vereinigten sich
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im Kampf gegen Tunatiuh. Die Spanier brachen sogleich auf, sie gingen aus der Stadt und ließen sie verlassen zurück. Da begannen die Cakchiqueles mit Feindseligkeiten gegen die Spanier. Sie hoben Löcher und Gruben für die Pferde aus und stellten spitze Pfähle auf, um sie zu töten. Gleichzeitig griff das Volk sie an. Viele Spanier kamen um, und die Pferde starben in den Fallen. Die Quiches und die Zutuhiles starben ebenfalls; auf diese Weise wurden alle Völker von den Cakchiqueles vernichtet. Nur so gaben ihnen die Spanier eine Verschnaufpause, und so auch schlössen alle Stämme einen Waffenstillstand mit ihnen. Im 9. Monat nach unserer Flucht aus Yximche ging das 29. Jahr zu Ende. Am Tage 2 Ah (19. Februar 1525) endete das 29. Jahr nach dem Aufstand (der Tukuches). Im 10. Jahr begann der Krieg mit den Spaniern von ne uem. Die Spanier waren nach Xepau gezogen. Von dort aus führten sie im 1o.Jahr Krieg gegen uns und töteten viele tapfere Männer. Dann verließ Tunatiuh Xepau und begann Feindseligkeiten gegen uns, weil das Volk sich nicht vor ihm beugen wollte. 6 Monate waren vergangen vom 2. Jahr unserer Flucht aus der Stadt, seit wir sie aufgegeben und verlassen hatten, ah Tunatiuh an ihr vorbeizog und sie in Brand steckte. Am Tage 4 Camey (7. Fe bruar 1526) verbrannte er die Stadt; am Ende des 6. Monats im 2. Jahr des Krieges vollbrachte er dies und verließ sie von neuem. Am Tage 12 Ah (26. März 1526) endete das 3 o. Jahr nach dem Aufstand. Während dieses Jahres fanden unsere Herzen etwas Ruhe. So auch unsere Könige Cahi Ymox und Belehe Qat. Wir ergaben uns den Spaniern nicht, und wir lebten in Holom Balam, o meine Söhne! 1 Jahr und 1 Monat waren vergangen, seit Tunatiuh die Stadt zerstört hatte, als die Spanier nach Chij Xot kamen. Am Tage 1 Caok (27. März 1527) begann unser Gemetzel durch die Spanier. Das Volk setzte sich zur Wehr, und es gab einen langen Krieg. Der Tod kam erneut über uns, aber keines der Dörfer zahlte den Tribut. Das 31. Jahr des Aufstandes war beinahe zu Ende, als sie in Chij Xot ankamen. Am Tage 9 Ah (3o. April 1527) endete das 31. Jahr nach dem Aufstand. In diesem Jahr, als wir mit den Spaniern in Krieg lagen, gaben sie Chij Xot auf und zogen nach Bulbuxya.
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Während dieses Jahres ging der Krieg weiter. Und keines der Dörfer zahlte den Tribut. 15 Monate, nachdem die Spanier in Chij Xot erschienen waren begann Chintd Queh Tribut an den Hauptmann zu zahlen. Hier in Tzolola begann der Tribut am Tage 6 Tzii (12. Januar 1528).41 Bis der letzte Widerstand der Cakchiqueles gebrochen war vergingen noch zwei weitere Jahre. Inzwischen hatten die Spanier - nachdem sie bereits 1525 Mixco, die Bergfeste der Pokomames, und Zaculeu, das Siedlungszentrum der Mames, erobert hatten - ihren Herrschaftsbereich bis in die nördliche Randzone des Hochlandes von Guatemala, die von den IxilMaya bewohnt wurde, ausgedehnt. Ihre neue Hauptstadt, die Jörge de Alvarado in Abwesenheit seines Bruders, der in Spanien weilte, am 22. November 1527 im Tal von Eulbuxya beziehungsweise - nach einer aztekischen Übersetzung - Almolonga gegründet hatte, lag am Rande des Verbreitungsgebietes der drei großen Maya-Stämme des Hochlandes - der Quiches, Cakchiqueles und Tzutuhiles - und war deshalb vor weiteren kriegerischen Angriffen weitgehend gesichert. Daß dieser Stadt jedoch eine andere Gefahr drohte, darauf hätte eigentlich nicht nur der Vulkan Agua, der das Tal von Bulbuxya beherrschte, sondern auch die ominöse Bedeutung dieses Wortes - »Hervorschießendes Wasser« - die Spanier aufmerksam machen müssen.
Schreckensherrschaft Pedro de Alvarado, der Eroberer Guatemalas, war nach der Zerstörung Iximches nach Spanien gereist, um Karl V. um das Gouverneursamt für das von ihm unterworfene Gebiet zu bitten. Seine Mission war erfolgreich: nicht nur wurde ihm vom Kaiser der Titel eines Adelantado verliehen, der Herzog von Albuquerque, einer der einflußreichsten Männer Spaniens, gab ihm auch seine Nichte, Francisca de la Cueva, zur Frau. Weniger glücklich verlief seine Rückreise: bei der Ankunft in Veracruz erlag seine junge Frau einem Fieber, und er selbst landete wenig später im Gefängnis. Auf Anordnung der königlichen Audiencia, deren Vorsitz der ehrenwerte Nuno de Guzman führte. Man warf Alvarado die gleichen Vergehen vor, die man auch Guzman vorzuwerfen hinreichenden Grund gehabt hätte: Ausschreitungen gegen die Indianer, Mord, Raub und Schändung. Als man jedoch 200
von der bevorstehenden Rückkehr Cortes" erfuhr, der seinerseits zur Bestätigung seines Herrschertitels nach Spanien gereist war, ließ man Alvarado schließlich weiterziehen. Nach dreijähriger Abwesenheit traf er im April 1530 wieder in Guatemala ein. Im gewohnten Stil machte er sich sogleich an die Regierungsgeschäfte: Am Tage 13 Ah (12. August 1530) endete das 3 4. Jahr nach dem Aufstand (der Tukuches). Während des folgenden Jahres wurden uns schwere Tribute auferlegt. Gold zahlte man Tunatiuh; 400 Männer und 400 Frauen wurden ihm übergeben, damit sie ihm Gold wuschen. Das ganze Volk suchte nach Gold. 400 Männer und 400 Frauen wurden, auf Befehl Tunatiuhs, nach Pangan geschickt, um bei der Erbauung der Stadt zu helfen. All dieses, alles mußten wir mit ansehen, o meine Söhne! Am Tage 10 Ah (16. September 1531) endete das35. Jahr nach dem Aufstand. Während der beiden Monate des 3. Jahres, seit die Fürsten sich ergeben hatten, starb der König Beiehe Qat; er starb am Tage 7 Queh (24. September 1532), als er dabei war, Gold zu waschen. Sogleich nach dem Tode des Königs kam Tunatiuh herbei, um einen Nachfolger für den König zu bestimmen. Da wurde der Fürst Don Jörge in das Regierungsamt eingesetzt, allein durch den Befehl Tunatiuhs. Er wurde nicht durch das Volk gewählt. Nachher sprach Tunatiuh mit den Fürsten, und seine Befehle wurden von den Häuptlingen befolgt, denn in Wahrheit fürchteten sie Tunatiuh.* 2 Der Tod Beiehe Qats, eines der beiden letzten Herrscher der Cakchiqueles, kam Alvarado gut zustatten, denn mit Don Jörge, seinem Nachfolger, setzte er den ersten jener Kaziken ein, die im Austausch für wirtschaftliche und gesellschaftliche Privilegien - zur bedingungslosen Kollaboration mit den Spaniern bereit waren. So war dem ehrenwerten Don Jörge nicht nur eine lange Regierung beschieden, sondern auch ein natürlicher Tod. Cahi Ymox, der andere rechtmäßige Herrscher der Cakchiqueles, mußte 1534 nach Pangan, wie die Indianer die neue Hauptstadt Guatemalas nannten, übersiedeln und lebte hier bis zu seinem gewaltsamen Ende als Gefangener. Nach vier Jahren Amtszeit, in der er keinen Versuch unterlassen hatte, neue Goldquellen zu erschließen, mußte Alvarado erkennen, daß der Reichtum Guatemalas nicht in Bodenschätzen, sondern höchstens in der Fruchtbarkeit seiner Erde lag. Damit 201
war für ihn der eigentliche Reiz Guatemalas verloren, und so wandte er sich unverzüglich neuen Unternehmungen zu. Zunächst träumte er von einem legendären Kontinent im Pazifik. Dann aber erreichte auch ihn die Kunde von dem märchenhaften Goldland Peru, und er entschloß sich, statt nach Westen nach Süden zu segeln. Seine Flotte konnte sich sehen lassen: 500 Spanier, 227 Pferde und 2000 indianische Sklaven, Maya, die auf diese Weise erstmals dem Inka-Reich einen Besuch abstatteten. Ein zweifelhaftes Vergnügen, denn Alvarados Expedition nach Südamerika erwies sich als ein Fiasko: als er nach gefährlicher Fahrt und mühseligem Aufstieg in die Anden im Sommer 1534 Quito, die letzte Residenz der Inka-Herrscher, erreichte, war seine Truppe derart zerschlagen und demoralisiert, daß an einen ernsthaften Widerstand gegen die Leute Pizarros, die ihm zuvorgekommen waren, nicht zu denken war. Aus der Not eine Tugend machend, verkaufte er seine gesamte Ausrüstung für 100000 Goldpesos an Almagro, den Partner Pizarros, und kehrte, nicht ohne die Hälfte seines Gewinnes im Glücksspiel mit Almagro wieder verloren zu haben, nach Guatemala zurück. Hier erreichte ihn jedoch bald nach seiner Ankunft eine freudige Nachricht: Montejo, der Eroberer Yukatans, bot ihm im Austausch für die Provinz Chiapas, die von den Spaniern in den Jahren 1523 bis 1528 unterworfen worden war, die Statthalterschaft über das Gebiet von Higueras an, zu dessen Gouverneur Montejo am i. März 1535 ernannt worden war. Die Ernennung Montejos ging auf ein Gesuch aus dem Jahre 1529 zurück, in dem er Karl V. um eine Erweiterung des ihm ursprünglich gewährten Herrschaftsgebietes bat, da er der Überzeugung war, daß das gesamte Ge biet zwischen Tabasco und Honduras zusammen mit der Halbinsel Yukatan eine geographische, wirtschaftliche und kulturelle Einheit bildete. Inzwischen aber war es Montejo noch immer nicht gelungen, Yukatan zu erobern, und solange er hier keinen festen Fuß gefaßt hatte, wollte er sich auf keine weiteren Unternehmungen einlassen, denn auch in der Provinz Higueras war die spanische Herrschaft noch keineswegs gefestigt. Alvarado zögerte nicht lange: das Gebiet von Higueras versprach reiche Bodenschätze. Außerdem benötigte er für seinen bislang ausschließlich dem Pazifik zugewandten Besitz in Guatemala einen direkten Zugang zum Karibischen Meer und damit zum Atlantischen Ozean und Spanien. Chiapas hingegen war für ihn weder wirtschaftlich noch strategisch von Nutzen. 202
So willigte Alvarado in den Vorschlag Montejos ein und brach im Februar 1536 nach Higueras auf. Hier war inzwischen eine offene Revolte der Indianer ausgebrochen. Unter ihrem Führer Citumba hatten sie mit Hilfe jenes kriegserfahrenen Spaniers Guerrero, der zu den Maya übergelaufen war und auch Montejo in Yukatan zu schaffen gemacht hatte, die Küstenebene des Rio Ulüa zurückerobert. Dem Vormarsch Alvarados waren die Aufständischen jedoch nicht gewachsen. Es kam zur Entscheidungsschlacht, die mit der Gefangennahme Citumbas und dem Tod Guerreros endete. Von der Kugel einer Arkebuse getroffen, fiel Guerrero als erster und bislang wohl einziger Weißer im Kampf um die Freiheit der Maya. Nachdem Alvarado den Aufstand niedergeworfen und zur Festigung der spanischen Herrschaft in Higueras zwei neue Siedlungen, San Pedro am Rio Chamelecon und Gracias a Dios (»Gott sei Dank«) im Quellgebiet des Ulua, gegründet hatte, reiste er im August 1536 zum zweitenmal nach Spanien, nicht nur, um sich vom Kaiser die Amtsgewalt über das neuerworbene Ge biet bestätigen zu lassen, sondern auch, um sich gegen die Anschuldigungen, die die Audiencia in Mexiko erneut gegen ihn erhob, zu rechtfertigen. Noch während seiner Kampagne in Higueras war ein Abgesandter der Audiencia, der Lizentiat Alonso de Maldorado, in Guatemala eingetroffen und hatte die Regentschaft über dieses Gebiet übernommen. Für die Indianer begann damit eine Zeit des Friedens, denn Maldorado führte sogleich drastische Reformen ein: . . . am Tage11 Noh (16. Mai 1536) traf der Präsident Mantunalo ein, der gekommen war, um die Leiden des Volkes zu lindern. Bald gab es kein Goldwaschen mehr; die Versklavung von Jungen und Mädchen wurde aufgehoben. Bald auch setzte man dem Töten durch Feuer und Hängen ein Ende, und die Raubüberfälle der Spanier auf den Landstraßen hörten auf. Bald konnte man wieder die Leute auf den Straßen reisen sehen, so wie es war, ehe die Tributpflicht begann. Dies alles geschah, als der Fürst Maldorado kam, o meine Söhne.* 3 Doch der Friede war nicht von Dauer. Alvarado gelang es auch diesmal mit Hilfe einflußreicher Gönner wie dem Herzog von Albuquerque, mit dem er erneut familiäre Bande knüpfte, indem er Beatriz de la Cueva, eine Schwester seiner ersten Frau, heiratete, den Kaiser von seinen Verdiensten bei der Sicherung der spanischen Herrschaft in Zentralamerika zu überzeugen. Und so kehrte er im Frühjahr 1539 auf der Höhe seines Ruhmes in die 203
Neue Welt zurück. Er war sowohl in seinem Amt als Gouverneur von Guatemala bestätigt als auch ermächtigt worden, nach einer endgültigen Einigung mit Montejo das Gebiet von Higueras seinem Herrschaftsbereich anzugliedern. Diese Einigung kam allerdings erst nach erbittertem Ringen zustande, denn just in dem Augenblick, als Alvarado in Puerto de Caballo eintraf, ging Montejo, dessen Plan ursprünglich von der Krone abgelehnt worden war und der sich deshalb 1537 nach Higueras begeben hatte, als Sieger aus einem neuerlichen Aufstand der Indianer hervor. Es war dies der letzte große Indianeraufstand an der Ostgrenze des Maya-Gebietes: Und als (der Adelantado Montejo) glaubte, daß das ganze Land ruhig sei. . ., erhob sich ein tapferer Indianer in einer Provinz namens Cerquin in der Gegend von Gracias a Dios, einem gebirgigen Gelände, das schwierig zu erobern war. Dieser Indianer, Lempira genannt, das bedeutet »Herr der Berge«, rief alle Fürsten der Umgebung zusammen, so daß sich 10000 Krieger versammelten; erforderte sie auf, die Freiheit wiederzuerlangen, denn es sei beschämend, daß so viele und so tapfere Männer, in ihrem eigenen Land, sich in der elenden Knechtschaft von so wenigen Fremden befänden; er bot ihnen an, ihr Führer zu sein und sich den höchsten Gefahren auszusetzen, und er versicherte ihnen, daß, wenn sie vereint seien, ihnen der Sieg gewiß sei; und ihm Gefolgschaft schwörend, die einen aus Überzeugung, die anderen aus Furcht, begann der Krieg, und sie töteten einige wenige Spanier, die sie achtlos in der Gegend fanden. Als der Adelantado Montejo von der Erhebung erfuhr, entsandte er aus Gracias a Dios den Hauptmann Codoeres mit einigen spanischen Soldaten, um Lempira Gehorsam aufzuzwingen. Dieser hatte inzwischen einen markanten Felsen, den man Cerquin nannte, befestigen lassen, und von dort verteidigte er sich mit Erfolg gegen die Spanier, die während der Belagerung, die sechs Monate dauerte, arg zu leiden hatten, da sie im Felde überwintern mußten. Sie erkannten schließlich, daß sie die Kampagne nicht erfolgreich zu Ende führen konnten, solange Lempira nicht der Tod ereilte, was folgendermaßen geschah: . . . Als der Hauptmann Cäceres die Tapferkeit (seines Gegners) erkannte und sah, daß es keine Möglichkeit gab, sich seiner zu bemächtigen, befahl er, daß ein Soldat zu Pferde ihm soweit entgegenritt, daß er in Reichweite einer Arkebuse blieb, und ihn aufforderte, die Freundschaft, die man ihm anbot, anzunehmen, und daß ein anderer Soldat, hinter dem Pferd versteckt, mit der 204
Arkebuse auf ihn schoß; und wie ihm befohlen, eröffnete der Reiter die Unterredung und gab seine Ratschläge und Warnungen, worauf der Häuptling ihm antwortete, daß der Krieg die Soldaten nicht ermüden noch erschrecken dürfe und daß derjenige, der am längsten aushält, gewinnt. Und als er dergleichen mehr anmaßende Worte sagte, wie sie einem Indianer nicht zustehen, zielte der Soldat aus dem Hinterhalt, als er eine Gelegenheit sah, und traf ihn in die Stirn, ohne daß ihn der Federschmuck, den er trug, schützen konnte. Lempira fiel und rollte den Abhang hinab, in seiner Rüstung aus gesteppter Baumwolle, die sehr nützlich im Indianerkrieg ist und auch von den Spaniern getragen wird. Mit dem Tod Lempiras, der tags zuvor sehr traurig einhergegangen war, erhob sich ein großer Lärm und Aufruhr unter den Indianern, und viele von denen, die die Flucht ergriffen, stürzten die Berge hinab, während andere sich später ergaben. Wie Tecun Uman in Guatemala so wird Lempira heute auch in Honduras als Held des indianischen Widerstandes gegen die spanischen Eroberer gefeiert. Mit der gleichen Heuchelei. Durch den Lempira-Aufstand geschwächt und ohne nennenswerte Unterstützung bei den spanischen Siedlern, die seiner Reformpolitik in Higueras mißtrauten, war Montejo nicht in der Lage, seinen Herrschaftsanspruch gegen Alvarado, der in der Gunst der Krone stand, zu behaupten. Nach zähen Verhandlungen kam es schließlich am 1. August 1539 zu einer vertraglichen Einigung, die eine Regelung nach dem ursprünglichen Plan vorsah, so daß Alvarado seinen Herrschaftsbereich um das Gebiet von Higueras erweitern konnte, während Montejo - zusätzlich zu seinem Rechtstitel über Yukatan - die Provinz Chiapas erhielt. Zum Ausgleich für den wirtschaftlichen Verlust, den dieser Tausch Montejo brachte, überließ ihm Alvarado seine ausgedehnten Besitzungen in Xochimilco, dem »Blumengarten«, der einst Tenochtitlan mit Feldfrüchten versorgt hatte, und zahlte ihm außerdem eine Summe von 2000 Goldpesos. Damit ergab sich für Montejo die nötige finanzielle Ausgangsbasis für die endgültige Eroberung Yu katans. Nachdem Alvarado die nötigen Vorkehrungen getroffen hatte, um seine Macht über das neuerworbene Gebiet zu festigen, kehrte er am 15. September 1539 nach Santiago de Guatemala zurück. Maldorado, der Interimsregent, wurde abgelöst, und die Schreckensherrschaft begann von neuem: 13 Monate nach der Ankunft Tunatiuhs wurde der König Ah205
pozotzil Cahi Ymox gehängt. Am Tage 11 Ganel (26. Mai 1540) wurde er von Tunatiuh gehängt, zusammen mit Quiyavit Caok. Am Tage 12 Ah (20. Juni 1540) endete das 4}. Jahr nach dem Aufstand. 14 Monate nachdem der König Ahpozotzil gehängt worden war, hängten sie Chuuy Tziquinu, den Fürsten der Stadt (Iximche), weil sie ärgerlich waren. Am Tage 4 Can (27. Februar 1541) hängten sie ihn in Paxaya. Sie nahmen ihn mit und h ängten ihn an einem verborgenen Ort. 17 Tage nachdem der Fürst gehängt worden war, nachdem Chuuy Tziquinu gehängt worden war, am Tage 8 Iq (16. März 1541) wurde der Fürst Chicbai gehängt, zusammen mit Nimabah Quehchun, aber dies wurde nicht von Tunatiuh getan, der schon nach Xuchipallan abgereist war. Tunatiuhs Stellvertreter hängte sie. Don Francisco führte die Hinrichtung durch.45
Ein gerechtes Ende Die Ermordung von Cahi Ymox, dem letzten König der Cakchiqueles, und der anderen Cakchiquel-Fürsten, denen man eine Verschwörung gegen die Spanier vorwarf, sollte die letzte Schreckenstat bleiben, die Alvarado gegen die Maya verübte: Fünf Monate, nachdem der Fürst Chicbai gehängt worden war, kam die Nachricht, daß Tunatiuh in Xuchipallan gestorben war.46 Mit diesem lakonischen Satz konstatiert die Stammeschronik der Cakchiqueles den Tod eines der grausamsten Conquistadoren, der je den Boden des amerikanischen Kontinents betrat. Es war ein unrühmliches Ende, das Alvarado ereilte: während einer neuerlichen Expedition in den Pazifik, wo er die Gewürzinseln und schließlich China zu erreichen gehofft hatte, wurde er bei einem Zwischenaufenthalt an der Westküste Neuspaniens in einen Aufstand der Indianer, den sogenannten Mixton-Krieg, verwikkelt und dabei von einem Pferd, das einen Berghang hinabrutschte, derart unglücklich getroffen, daß er wenige Tage später, am 4. Juli 1541, in Guadalajara seinen Verletzungen erlag. Die Nachricht vom Tode Alvarados stürzte Dona Beatnz, seine junge Frau, in tiefe Trauer. Sie ließ die Wände des Gouverneurspalastes in Santiago de Guatemala mit schwarzem Ton beschmieren und ersetzte die prunkvollen roten und goldenen
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Vorhänge und Polsterungen des Palastes durch schlichtes schwarzes Tuch. Aber die schöne Beatriz empfand nicht nur unsäglichen Schmerz über den Verlust ihres Mannes, sie war auch von unbändigem Ehrgeiz erfüllt. Kaum war die letzte Messe zu Ehren des Verstorbenen, den man in der Kathedrale von Santiago beisetzte, gelesen, da ließ sie sich vom Cabildo, dem Rat der Stadt, zur Nachfolgerin ihres Mannes wählen. Am 9. September 1541 unterzeichnete sie die Urkunde, die sie zur Gouverneuerin von Guatemala ernannte. Sie war damit die erste und einzige Frau, die jemals - zumindest seit der Conquista - das höchste Regierungsamt eines Landes auf dem amerikanischen Kontinent bekleidete. Erst in unseren Tagen sollte eine solche Ehre der Witwe Perons wieder zuteil werden. Beatriz, die ihre Ernennungsurkunde mit den Worten La Sin Ventura, »die Unglückliche«, unterschrieben hatte, war jedoch nur eine Regierungszeit von einem Tag beschieden. Denn in der Nacht vom 10. zum n. September wurde Santiago, die zweite Hauptstadt der Spanier in Guatemala, durch ein Erdbeben und eine dadurch ausgelöste Flutwelle, die den Hang des Vulkans Agua hinabstürzte, zerstört: Und zu dieser Zeit waren schwere Regengüsse niedergegangen. Besonders in der Stadt Santiago de los Caballeros de Guatemala regnete es den ganzen Donnerstag und Freitag vor dem 10. September dieses Jahres, der ein Samstag war, und zwei Stunden nach Einbruch der N acht brach ein so schweres Gewitter von der Höhe eines Vulkans, der sich über der Stadt erhebt, und stürzten plötzlich solche großen Wassermassen, die riesige Steine und eine Unmenge Holz und Bäume mit sich rissen, auf die Stadt hernieder, daß die Wände aller Häuser einstürzten. Das Haus des Adelantado wurde, noch ehe die Steine kamen, mit unglaublicher Schnelligkeit überflutet: zwei Priestern gelang es, sich aus dem Fenster ihres Zimmers zu stürzen, vielleicht auch riß sie das Wasser mit, und halb tot erreichten sie die Plaza, wo es Gott gefiel, da das Haus des Bischofs in der Nähe stand, daß sie gerettet wurden. Bald schon gab es im Hause des Adelantado keinen Menschen mehr; das Wasser hatte sie alle getötet oder fortgeschwemmt. Nur Dona Beatriz de la Cueva und ihre Dienerinnen lebten noch; und als sie den Lärm hörten, sagten sie sich, daß das Wasser bis zu der Kammer, in der sie schlief, steigen würde. Da erhob sie sich in ihrem Nachtgewand, rief ihre Dienerinnen zusammen und stieg mit ihnen zu einer Kapelle empor, die kürzlich (auf dem 207
Dach des Hauses) errichtet worden war, und sie kletterte, Gott anrufend, auf den Altar und, ein Kind, die Tochter des Adelantado, in ihren Armen, umklammerte sie das Bild der Heiligen Jungfrau. Das Wasser stieg unaufhaltsam, bis es mit unbändiger Gewalt und den vielen Steinen, die es mit sich trug, gegen die Kapelle brandete, so daß diese gleich beim ersten Schlag über denen, die sich in ihr befanden, zusammenstürzte, und so kamen alle darin um und ergaben sich in die Hände Gottes.47 Mit Beatriz und ihrer Dienerschaft starben in jener Schrekkensnacht, die Las Casas als »göttliche Gerechtigkeit« bezeichnete, 700 weitere Spanier und 600 Indianer, meist Cholulteken und Tlaxcalteken, ehemalige Hilfstruppen aus Zentralmexiko, die man im Umkreis von Santiago angesiedelt hatte. Die Stadt wurde so stark zerstört, daß die Spanier, die die Katastrophe überlebt hatten - es waren ihrer kaum 100 -, sich entschlossen, sie aufzugeben und eine neue - die dritte Hauptstadt Guatemalas im nahe gelegenen Tal von Panchoy zu errichten. Den Ruinen der zweiten gab man fortan den Namen Ciudad Vieja, die »alte Stadt«. Wie Alvarado so konnte sich auch Montejo nicht lange der Früchte seines Erfolges erfreuen. Zwar blieb ihm ein gewaltsamer Tod erspart, aber sein Traum von einem Großreich, das die Grenzen des Maya-Gebietes umfaßte, wich allmählich bitterer Enttäuschung. Als er im Jahre 1546 sein Gouverneursamt in Yu katan antrat, hatte er nicht nur seinen Rechtsanspruch auf das Gebiet von Higueras, das ihm nach dem Tode Alvarados noch einmal kurzfristig zugefallen war, verloren, sondern auch die Provinz Chiapas, die 1544 zusammen mit Higueras einer neugegründeten Audiencia für Zentralamerika angeschlossen worden war. Und 1549, nur drei Jahre nach seiner Amtsübernahme in Yukatan, wurde er unter der Anschuldigung von Amtsmißbrauch und Mißwirtschaft auch seines letzten Postens als Gouverneur von Yukatan und Tabasco enthoben. In der Hoffnung, seinen ursprünglichen Titel zurückzugewinnen, kehrte Montejo 1551 nach Spanien zurück. Doch noch ehe sein Fall entschieden wurde, starb er - von einem entbehrungsreichen Leben in den Tropen aufgezehrt - in seinem Geburtsort Salamanca. Mit seinem Tod - Cortes, der dritte im Bunde, war 1547 in der Nähe von Sevilla gestorben - ging das Zeitalter der Conquistadoren im Maya-Gebiet zu Ende. 208
Gouverneure und Vizekönige Die Verdienste der Conquistadoren hatte die spanische Krone stets mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet. Einerseits war sie ihnen zu Dank verpflichtet, da sie ihr auf eigene Kosten und oft unter Einsatz ihres Lebens ein Weltreich eroberten. Andererseits mußte sie ständig befürchten, daß die Conquistadoren - wenn sie erst einmal in der Neuen Welt richtig Fuß gefaßt hatten - die Oberhoheit der Krone abschütteln und sich selbst zum unumschränkten Herrscher über das ihnen zwar vom König verliehene, aber schließlich durch eigene Kraft erworbene Kolonialgebiet ernennen würden. Die Krone war deshalb von Anfang an bemüht, die Entwicklung in Übersee durch eine zentrale Behörde kontrollieren zu lassen. Zunächst bestand lediglich eine informelle Gruppe von Sachverständigen im Kronrat, die sich auf Fragen der Kolonialpolitik spezialisiert hatte und dem König in Entscheidungen, die seine Besitzungen in Übersee betrafen, beratend zur Seite stand. Mit zunehmender Ausweitung des Kolonialbesitzes und entsprechend wachsenden Verwaltungsaufgaben entwickelte sich aus dieser amorphen Expertengruppe eine selbständige Institution, der Consejo Real y Supremo de las Indias. Dieser »Königliche Indienrat«, der für die gesamte Verwaltung der amerikanischen Besitzungen zuständig war und seinen Sitz am Hofe des Königs hatte, blieb seit seiner Gründung im Jahre 1524 für zwei Jahrhunderte das oberste Steuerungsorgan der spanischen Kolonialpolitik. Neben der eigentlichen Verwaltungsarbeit wie der Errichtung von Lokalbehörden in Übersee, der Entsendung von Beamten, der Oberaufsicht über den Kolonialhandel und der Regelung von Transport und Verkehr zwischen den Kolonien und dem Mutterland oblag dem Indienrat auch die gesamte Ge richtsbarkeit für die überseeischen Länder, darunter im besonderen auch die Indianergesetzgebung. Daß gerade diese praktisch wirkungslos blieb, ist weniger auf einen Mangel an Verständnis rür die Angelegenheiten der Indianer zurückzuführen, als vielmenr auf die bürokratische Schwerfälligkeit des Indienrates und das Motto der Spanier in den Kolonien: cumplo pero no obedezco, »ich höre, aber ich gehorche nicht«. Im 18. Jahrhundert verlor der Indienrat zunehmend an Bedeutung, da die Bourbonenkönige, die durch den Enkel Ludwig XIV., Philipp, in Spanien an die Macht gelangt waren, die Praxis der französischen Kolonialverwaltung nachahmten und die wichtigsten Aufgaben 209
des Indienrates zwei neugeschaffenen Sekretariaten übertrugen, von denen das eine für »Indien«, wie man nach dem Irrtum des Kolumbus die amerikanischen Kolonien noch immer nannte und das andere für Marineangelegenheiten zuständig war. Um die Arbeit des Indienrates zu entlasten und zugleich eine wirksamere Kontrolle über die Kolonien ausüben zu können, wurden nach spanischem Vorbild sogenannte Audiencias eingerichtet, Lokalbehörden, die primär eine richterliche, daneben aber auch eine politisch-administrative Funktion hatten. Die erste Audiencia in der Neuen Welt war bereits 1511 in Santo Domingo gegründet worden. 1528 folgte die Audiencia von Mexiko, deren Vorsitz zunächst der berüchtigte Nufio de Guzman führte, von dem man sich ein wirkungsvolles Gegengewicht zu Cortes erhoffte. Im Maya-Gebiet kam es erst 1544 zur Errichtung einer eigenen Verwaltungsbehörde, der Audiencia de los Confines, die ihren Namen von der begrenzenden Lage ihres Territoriums zur Karibischen See, dem Mittelmeer der Neuen Welt, herleitete. Ihr Amtsbezirk wechselte in den ersten Jahren, blieb schließlich aber - seit 1573 - auf das Gebiet zwischen dem Isthmus von Tehuantepec und Panama beschränkt und umfaßte damit die Provinzen Chiapas, Soconusco, Guatemala, El Salvador, Honduras (in das Higueras aufging), Nikaragua und Costa Rica. 1549 war der Sitz der Audiencia de los Confines von Gracias a Dios nach Santiago de Guatemala, der dritten Stadt dieses Namens, die man 1543 gegründet hatte, verlegt worden, 1564 nach Panama und 1570 wieder nach Santiago. Von diesem Zeitpunkt an blieb Guatemala das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der nunmehr Audiencia. von Guatemala genannten Festlandbrücke Mittelamerikas. Im Gegensatz zu anderen Audiencias in der Neuen Welt war der Vorsitzende der Audiencia von Guatemala zugleich Gouverneur zunächst des gesamten sie umfassenden Territoriums, später- als man für die einzelnen Provinzen eigene Gouverneure ernannte - nur noch des eigentlichen Guatemala. Da die Audiencia von Guatemala als ein gefährdetes Randgebiet galt, das unter der ständigen Bedrohung von Aufständen der Indianer stand, führte der Präsident dieser Audiencia außerdem auch noch den Titel eines Generalkapitäns, so d aß er nicht nur das höchste Richterund Regierungsamt, sondern auch den militärischen Oberbefehl über dieses Gebiet auf sich vereinigte. Auf Vorschlag von Las Casas wurde Alonso de Maldorado, der sich während der Abwesenheit von Alvarado als Interimsgouverneur von Guatemala 210
durch seine Reformpolitik ausgezeichnet hatte, zum ersten Präsidenten der Audiencia de los Confines ernannt. Die Provinzen Yukatan und Tabasco, die wie auch Guatemala ursprünglich der Audiencia von Mexiko unterstanden hatten, wurden 1549 als Montejo seines Amtes enthoben wurde, der Audiencia de los Confines unterstellt, kehrten aber 1561 erneut und endgültig in den Zuständigkeitsbereich der Audiencia von Mexiko zurück. Im gleichen Jahr wurde Tabasco, das nach der Absetzung Montejos wie Yukatan von einem Alcalde Mayor regiert worden war, Yukatan unterstellt, wo schließlich im Jahre 1565 ein Gouverneur, dessen Amtszeit im Gegensatz zu den Titeln der Conquistadoren befristet war, die Regierungsgewalt übernahm. 1616 wurde auch dem Gouverneur von Yukatan das zusätzliche Amt eines Generalkapitäns übertragen. Zunächst standen die einzelnen Verwaltungseinheiten unverbunden nebeneinander. Es zeigte sich aber bald, daß ein Zusammenhalt der spanischen Kolonien nur durch eine übergeordnete Instanz, die nicht im Mutterland, sondern in Übersee stationiert war, gewährleistet werden konnte. Zu diesem Zweck richtete die spanische Krone das Amt des Vizekönigs ein. Als Stellvertreter des Monarchen oblag ihm die oberste Regierungsgewalt und Gerichtsbarkeit in einem Hoheitsgebiet, das jeweils mehrere Audiencias und Gouvernements zu einer administrativen Einheit zusammenschloß. Im Laufe der Zeit entstanden im spanischen Amerika vier Vizekönigreiche, von denen eines, das Vizekönigreich Neuspanien, die gesamten spanischen Besitzungen in Nord- und Mittelamerika umfaßte, während die drei übrigen sich auf Südamerika verteilten. Das Vizekönigreich von Neuspanien wurde im Jahre 1535 geschaffen; Sitz des Vizekönigs wurde die Stadt Mexiko, die ehemalige Hauptstadt des Azteken-Reiches.
Tayasal, das letzte Bollwerk Das Maya-Gebiet bildete also während der Kolonialzeit in seiner Gesamtheit einen Bestandteil des Vizekönigreiches von Neuspanien. Innerhalb dieses lockeren Rahmens war es jedoch in zwei unterschiedliche Einflußsphären unterteilt, die ihm sein eigentliches Gepräge gaben und die Grenzen der heutigen Staaten in diesem Gebiet bestimmten: die nördliche Hälfte gehörte zur Audiencia von Mexiko, die südliche zur Audiencia von Guatemala. Erst Ende des 17. Jahrhunderts ging man daran, durch den Bau 211
einer Straße eine engere Verbindung zwischen diesen beiden Audiencias herzustellen. Der unmittelbare Anlaß für dieses Projekt war jedoch die endgültige Unterwerfung der kriegerischen Maya-Stämme, die im Grenzgebiet zwischen den beiden Audiencias siedelten. Es waren dies vornehmlich die Itzas und die Lakandonen. Erstere hatten sich zwar unter ihrem damaligen Fürsten Canek Cortes, als dieser 1525 auf seinem Zug nach Higueras ihre Inselfeste Tayasal besuchte, unterworfen, doch das einzige, was an die spanische Oberhoheit hätte gemahnen können, war ein lahmes Pferd gewesen, das Cortes bei den Itzas zurückgelassen hatte und das bald darauf eingegangen war, da man - in dem unbekannten Wesen eine Gottheit sehend - ihm die köstlichsten Leckerbissen wie Truthahn und Tauben angeboten hatte, was dem Tier schlecht bekommem war. Letztere - eigentlich Ciol -und Tzeltal-, später auch yukatekische Maya, die das Gebiet zwischen dem Usumacinta und dem Hochland von Chiapas bewohnten und ihren Namen von einer Inselsiedlung namens Lacam Tun (»Großer Stein«) im See von Miramar herleiteten - hatten erstmals 1530, als Alonso de Avila, der Gefolgsmann Montejos, auf der Suche nach einem Verbindungsweg zwischen Chiapas und Acalan ihr Gebiet durchquerte, mit den Spaniern Bekanntschaft gemacht und sich seitdem jedem Eroberungsversuch der Spanier hartnäkkig widersetzt. Um diese beiden letzten Widerstandsnester der Maya auszulöschen, erteilte Karl II. im Jahre 1686 dem Vizekönig von Neuspanien den Auftrag, die Unterwerfung des Grenzgebietes zwischen Mexiko und Guatemala unverzüglich in Angriff zu nehmen. Zwar begann man sogleich mit den nötigen Vorbereitungen, doch kam das Unternehmen erst zehn Jahre später zu einem endgültigen Abschluß. Den Auftakt für die Eroberung des Peten und der Selva Lacandona gab der designierte Gouverneur von Yukatan, Martin de Ursua y Arizmendi, in einem Brief, den er 1692 an den König schrieb: »Herr: Da Eure Majestät die Gn ade hatte, mir das Amt des zukünftigen Gouverneurs der Provinzen von Yukatan zu übertragen . . ., wird es meine Aufgabe sein, während meiner Amtszeit die unzähligen Indianer, sowohl Ungläubige als auch Abtrünnige, die zwischen den besagten Provinzen von Yu katan und Guatemala wohnen, zu bekehren und zu unterwerfen. Und so schlage ich den Bau einer Straße von einem Ende zum anderen vor, nicht nur um den Handel zu erleichtern, was von Nutzen für die Allgemeinheit und zu Diensten Eurer Majestät wäre, 212
sondern auch um die Unterwerfung dieser vielen Indianer herbeizuführen.« In seinem Schreiben bat Ursua den König weiter, dem Vizekönig und dem Präsidenten der Audiencia von Guatemala, Jacinto de Barrios Leal, den Befehl zu erteilen, ihm bei seinem Unternehmen alle erforderliche Hilfe zu gewähren. Der König war mit dem Vorschlag Ursuas einverstanden, wies auf die Bedeutung von Depots und Siedlungen für die Sicherung der geplanten Straße hin und gab die nötigen Anweisungen an den Vizekönig und den Präsidenten der Audiencia. Man vereinbarte, daß Ursua von Norden und Barrios von Süden gegen das Herz des Maya-Gebietes vorstoßen sollten. Barrios entschied sich, die Leitung seiner Entrada, wie die Spanier ihre Kriegszüge gegen die Indianer nannten, selbst zu leiten, und brach am 21. Januar 1695 an der Spitze eines stattlichen Heerzuges von Santiago de Guatemala in nordwestlicher Richtung auf. Sein Ziel war die Selva Lacandona, deren Bewohner den Spaniern durch blutige Vergeltungsschläge seit über hundert Jahren schwer zu schaffen machten. Nach drei Tagen erreichte Barrios Huehuetenango, eine Siedlung vor den Toren von Zaculeu, das die Nachfolge der alten Mam-Kapitale angetreten hatte. Hier erhielt Barrios eine Verstärkung von 50 Mann, die unter dem Befehl eines Hauptmannes namens Melcbor Rodriguez Mazariegos standen. Barrios entschloß sich daraufhin, die Lakandonen aus zwei Richtungen anzugreifen: während Rodriguez mit seiner Truppe über die Cuchumatanes in die Selva Lacandona hinabsteigen sollte, zog er selbst mit dem Hauptteil des Heeres entlang der Westflanke der Selva bis nach Ocosingo, wohin im Laufe des 16. Jahrhunderts Tzeltal-Lakandonen umgesiedelt worden waren, und drang von hier aus dem Rio Jatate folgend zunächst nach Lacam Tun vor, das er jedoch verlassen fand (nach wiederholten Angriffen der Spanier war der Ort im Jahre 1586 endgültig aufgegeben worden), worauf er sich weiter nach Süden wandte, bis er schließlich im Quellgebiet des Rio Lacantun auf einen Ort namens Kak Balam (»Feuer Jaguar«) stieß, wo kurz zuvor auch Rodriguez eingetroffen war. Es war dies die größte Siedlung der Lakandonen, und es wäre ihnen sicher ein leichtes gewesen, die -»panier abzuwehren. Doch diesmal empfingen sie sie friedlich und ergaben sich damit freiwillig in ein Schicksal, das nicht nur den Verlust ihrer Freiheit, sondern auch das Auslöschen ihres Volkes bedeutete. Denn die Spanier, die Kak Balam nach dem lag ihrer Ankunft, einem Karfreitag, in Nuestra Senora de los Dolores tauften, gingen sogleich daran, die umwohnenden La213
kandonen nach Dolores zusammenzutreiben, um sie besser kontrollieren und bekehren zu können, was zur Folge hatte, daß sie an den Krankheiten, die die Spanier eingeschleppt hatten, zugrunde gingen. Der klägliche Rest wurde 1712, als man Dolores auflöste, in das Hochland von Guatemala umgesiedelt. Den Itzas von Tayasal erging es nicht viel besser. Auch wenn es ihnen erspart blieb, ihr Land verlassen zu müssen. Die Kampagne gegen sie begann im Juni 1695, als Ursua eine Truppe Spanier mit einem indianischen Arbeitskontingent nach Cauicb im nördlichen Campeche schickte, um mit dem Bau der Straße in Richtung des Peten-Sees zu beginnen (ihre Verlängerung nach Guatemala sollte von Süden vorgetrieben werden, doch mangels offizieller Unterstützung in Guatemala - Barrios starb 1696 und sein Nachfolger war an dem Unternehmen nicht interessiert wurde das südliche Teilstück nur bis Cahabon am Südrand des Peten fertiggestellt). Die Arbeiten an der nördlichen Strecke gingen schnell voran, und nach drei Monaten war man bereits bis auf wenige Meilen an den See herangekommen. Doch dann kam die Regenzeit, und die Bauarbeiten mußten unterbrochen werden. Inzwischen war der Herrscher von Tayasal, der - wie sein Vorfahre, der mit Cortes zusammengetroffen war - Canek hieß, aufgrund einer überlieferten Prophezeiung zu der Überzeugung gelangt, daß die Zeit gekommen sei, den christlichen Glauben anzunehmen, und so schickte er einen Gesandten nach Merida, dem Sitz des Gouverneurs, um Ursua um die Entsendung christlicher Priester zu bitten. Ursua, der das Ersuchen Caneks als eine Bereitschaftserklärung, sich der spanischen Krone zu unterwerfen, auslegte, gab daraufhin dem Kommandanten des Bautrupps den Befehl, unverzüglich nach Tayasal zu marschieren und die Stadt zu besetzen. Doch als die Spanier am 18. Januar 1696 das Ufer des Sees erreichten, wurden sie mit einem Hagel von Pfeilen empfangen: Caneks Bereitschaft, mit den Spaniern Verhandlungen aufzunehmen, hatte eine Revolte unter den Itzas ausgelöst, und obwohl er seine Herrscherstellung hatte bewahren können, war er gezwungen, den Spaniern feindlich gegenüberzutreten. Diese mußten sich unter dem Angriff der Indianer zu ihrem Basiscamp an der Straße zurückziehen, um Verstärkung heranzuholen. Aber auch ein neuerlicher Vorstoß der Spanier wurde von den Itzas abgewehrt. Als die Nachricht von dem mißglückten Versuch, Tayasal zu besetzen, Ursua erreichte, entschloß er sich, die Unterwerfung der Itzas nunmehr selbst in die Hand zu nehmen. Nachdem er 214
Schiffsbauer und Zimmerleute, die eine Galeere und Pirogen zum Angriff auf die Inselfeste bauen sollten, vorausgeschickt hatte, verließ er am 24. Januar 1697 die Stadt Campeche, wo er sein Heer - 23 5 spanische Soldaten, 120 indianische Maultiertreiber und Straßenarbeiter sowie eine Anzahl indianischer Träger - zusammengestellt hatte. Am 1. März rückte er gegen das Ufer des Sees vor und ließ ein befestigtes Lager errichten und die Schiffe zusammenlegen. Noch zögerte er mit dem Angriff, denn der König - mittlerweile hatte das Zeitalter der Aufklärung seinen Einzug gehalten - hatte ausdrücklich befohlen, unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Auch die Indianer hielten sich zurück, bis am 10. März eine Abordnung der Itzas unter Führung ihres Hohenpriesters und einiger Fürsten im Lager erschien, um mit Ursua eine friedliche Lösung auszuhandeln. Dieser bestand jedoch darauf, mit dem Herrscher selbst zu verhandeln, und ließ ihm eine Botschaft überbringen, in der er ihn zu einem Festessen einlud. Als Canek zum festgesetzten Zeitpunkt - dem 12. März - nicht erschien und statt dessen eine Flotte mit Kriegern besetzter Kanus vor dem Lager der Spanier aufkreuzte, rief Ursua seine Offiziere zu einer Beratung zusammen, deren Ergebnis insofern bemerkenswert war, als Ursua auch jetzt noch nicht bereit war, den Rat seiner Militärs zu befolgen und mit Gewalt gegen die Indianer vorzugehen. Er wollte ihnen eine letzte Chance geben: am nächsten Morgen ließ er die Boote klarmachen und begab sich in Begleitung von 200 Mann, die strikteste Anweisung hatten, keinen Kampf zu provozieren, hinaus auf den See, in der Absicht, den Herrscher von Tayasal aufzusuchen, um ihn zur friedlichen Übergabe der Stadt aufzufordern. Doch noch ehe er sein Ziel erreichen konnte, hatten die Indianer mit ihren Kanus die Schiffe der Spanier umzingelt und überschütteten sie mit einem Pfeilhagel. Da gab auch Ursua das Zeichen zum Angriff, und es entspann sich ein kurzer, aber heftiger Kampf. Die überlegenen Waffen der Spanier entschieden auch diesmal den Ausgang der Schlacht, und während die Indianer sich unter dem Kugelregen der Spanier in das Wasser stürzten und schwimmend das rettende Festlandufer zu erreichen suchten, stürmte Ursua mit seinen Leuten den Hügel von Tayasal hinauf und pflanzte vor dem Haupttempel der Stadt die königliche Standarte aut. So fiel in den Morgenstunden des 13. März 1697 das letzte Bollwerk der Maya. Unter dem spanischen Namen Nuestra Senora de los Romedios y San Pablo de los Itzas sank es zu einer 215
unbedeutenden Provinzstadt herab, die erst in unseren Tagen als das Touristenzentrum Flores, vor dessen Toren sich die versunkene Welt der Maya erstreckt, zu neuem Leben erwachen sollte.
Gold und Menschenhandel »Verschafft mir Gold, auf menschliche Weise wenn möglich, aber auf alle Fälle verschafft mir Gold!« Mit dieser Aufforderung, die König Ferdinand 1511 den ersten Conquistadoren mit auf den Weg gab, verriet die spanische Krone ihre wahren Absichten in der Neuen Welt. Nicht die Ausbreitung abendländischer Zivilisation und die Bekehrung der Indianer waren ihr oberstes Leitmotiv, sondern die Verheißung, unermeßliche Schätze zu gewinnen. Daß die spanischen Könige in ihren Erwartungen nicht enttäuscht wurden, beweist allein schon die Tatsache, daß sie sich an ihre Kolonien in Amerika drei Jahrhunderte lang klammerten und sie am Ende nur deshalb verloren, weil die Kreolen, die spanischblutigen Nachfahren der Conquistadoren, nun selbst an die Krippe wollten. Nicht daß sie vorher leer ausgegangen waren, aber der Hauptteil des Profits war eben in das Mutterland geflossen. Im Maya-Gebiet war es jedoch nicht das Gold, sondern der Sklavenhandel, mit dem das große Geschäft begann. Noch ehe dieses Gebiet erobert worden war, unternahmen die Spanier Sklavenfahrten an die Festlandküste des Karibischen Meeres, um für die Antillen, die bereits entvölkert waren, Arbeitskräfte heranzuschaffen. Als die Conquista in Gang kam und schließlich vollendet wurde, nahm das Sklavengeschäft derartige Ausmaße an, daß selbst Montejo - wie wir gesehen haben, nicht gerade ein Unschuldslamm - sich genötigt sah, bei der spanischen Krone Einspruch zu erheben. Diese - von christlichem Gewissen und merkantilistischen Interessen hin- und hergerissen - erließ nach anfänglicher Genehmigung des Sklavenhandels 1530 ein Gesetz, in dem die Versklavung der Indianer verboten wurde, hob dieses Gesetz aber unter dem Protest der Kolonisten im Jahre 1534 wieder auf, um schließlich im Rahmen der sogenannten Neuen Gesetze von 1542 die Sklaverei - soweit sie die Indianer betraf (Neger durften bis zum Ende der Kolonialzeit gehandelt werden) - erneut und endgültig zu verbieten. Während die spanische Krone sich in derlei juristischer Akrobatik erging, nahm das Sklavengeschäft im Maya-Gebiet unvermindert seinen Lauf. Nachdem die Küstengebiete von Higueras 216
entvölkert waren, verlagerte sich der Sklavenhandel unter so tüchtigen Unternehmern wie Alvarado allmählich auf die Pazifikseite, wo nunmehr ein reger Verkehr mit menschlicher Fracht nach Panama und Peru einsetzte. Hier benötigte man Lastenträger für die Transportkarawanen über den Isthmus, dort Träger und Hilfstruppen für die Eroberung des Inka-Reiches. So geschah es, daß Maya - unter dem Joch der Spanier - nicht nur gegen sich selbst gekämpft, sondern auch beim Untergang des Inka-Reiches mitgeholfen haben. Als die Inka schließlich selbst Sklaven geworden waren und man in Panama damit begann, Lasttiere einzuführen, versiegte - um die Mitte des 16. Jahrhunderts - auch an der Pazifikküste der Sklavenhandel. Allerdings nur der Fernhandel, denn in Guatemala hatte man inzwischen den Nutzen von Indianersklaven für den eigenen Gebrauch erkannt, so daß die Einwohner von Santiago noch im Jahre 1580 ein Gesuch an Philipp II. richteten, indem sie um eine Aufhebung des Sklavenverbots baten. Inzwischen hatten sich allerdings andere Formen indianischer Zwangsarbeit durchgesetzt, so daß die Indianer zwar nicht rechtlich, so doch faktisch auch nach den Ge setzen von 1542 - und in so mancher Gegend des Maya-Gebietes bis auf den heutigen Tag - Sklaven blieben. Das Gold kam im Maya-Gebiet erst an zweiter Stelle. Nicht daß die Spanier hier weniger goldgierig waren als anderswo. Vielmehr gab es in diesem Gebiet - im Gegensatz zum AztekenReich oder Peru - nur wenig Goldschätze, die man den Indianern hätte rauben können, und um die wenigen natürlichen Edelmetallvorkommen in diesem Gebiet ausbeuten zu können, bedurfte es erst einmal der nötigen Arbeitskraft, da man schließlich nicht in die Neue Welt gekommen war, um selbst Hand anzulegen. So war denn die Versklavung der Indianer eine notwendige Voraussetzung für das Goldgeschäft. Zunächst entdeckte man einige kleinere Vorkommen in Guatemala und Chiapas, später - um die Mitte der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts - bedeutendere Lagerstätten in Higueras, so daß dieses Gebiet schließlich das Zentrum der Edelmetallproduktion im Maya-Gebiet wurde. Bereits im Jahre 1540 förderte man 20 kg Gold in Gracias a Dios und fast das Doppelte in San Pedro, zwei Jahre später war die Förderung in der Gegend von san Pedro auf 120 kg angestiegen. Dabei beschränkte man sich zunächst nur auf die Oberflächenfunde, im wesentlichen auf Gold führende Flüsse, die ohne große Investitionen einen schnellen Profit abwarfen. Man rekrutierte unter der indiani217
sehen Bevölkerung einfach ein Arbeitskontingent, eine sogenannte Citadrilla, die gewöhnlich etwa 20, zuweilen aber auch bis zu 100 Indianer umfaßte, gab ihnen Pfanne und Sieb und ließ sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Gold waschen. Für die Indianer war dies nicht nur eine mühselige Arbeit, für die sie kaum das zu ihrem Überleben Notwendige erhielten, die Goldgier der Spanier führte auch - in ähnlicher Weise wie der Sklavenhandel—zur Auflösung der Stammes- und Familienverbände der Indianer, da sie - gebrandmarkt und in Ketten - von einer Fundstelle zur anderen kreuz und quer durch Zentralamerika verschleppt wurden. Der Goldboom dauerte jedoch nicht lange. Die Fundstellen, zumal wenn sie nur mit den primitiven Methoden der Oberflächenförderung ausgebeutet wurden, waren bald erschöpft. Hinzu kam, daß allmählich ein Mangel an Arbeitskräften eintrat, der einmal eine Folge eines allgemeinen Bevölkerungsrückgangs war, zum anderen aber auch auf die Durchsetzung der Indianerschutzgesetze durch Maldorado und insbesondere seinen Nachfolger, Alonso Lopez de Cerrato, zurückzuführen war. So ging etwa zur gleichen Zeit wie der Sklavenhandel auch das Goldgeschäft im Maya-Gebiet zu Ende, wenngleich man hier und da auch noch im 17. Jahrhundert in den Flüssen nach Gold suchte.
Hühner und Honig Gold und Sklaven brachten im Maya-Gebiet nur den Conquistadoren selbst - und der spanischen Krone, die hohe Abgaben forderte - den erhofften Gewinn. Ihre Nachfolger mu ßten sich mit der Encomienda zufrieden geben. Diese mit ihren Wurzeln in den Feudalismus des Mittelalters zurückreichende Institution, die auf einer Zuteilung von indianischen Arbeitskräften und Tributen an die Spanier beruhte, wurde für die spanischen Kolonisten im Maya-Gebiet zur eigentlichen Quelle ihres Wohlstandes. Ursprünglich als Repartimiento (»Zuteilung«) den Eroberern und ihren Gefolgsleuten für ihre Verdienste um die Ausweitung des Kolonialreiches von der Krone für die Dauer von zwei Generationen verliehen, weitete sich das Recht auf Dienst- beziehungsweise Tributleistungen der Indianer in Verbindung mit bestimmten Pflichten seitens der Spanier als eigentliche Encomienda, das heißt »Auftrag«, allmählich bis auf die dritte und vierte Ge neration aus, ohne voll erblich zu werden. 218
Im Grunde war die Encomienda ein Kompromiß zwischen den materiellen Forderungen der Kolonisten und den ethischen Grundsätzen und machtpolitischen Zielen der Krone: für die Übertragung eines befristeten Nutzungsrechtes über die indianische Bevölkerung waren die Kolonisten zur Unterweisung der Indianer im christlichen Glauben und zum militärischen Schutz der Kolonien gegen Aufstände im Innern und Angriffe von außen verpflichtet. Die Encomienda beinhaltete ihrer legalen Form nach weder ein Hoheitsrecht noch die Gerichtsbarkeit des Encomendero über seine »Schutzbefohlenen«: die Indianer unterstanden rechtlich der Krone und blieben Eigentümer ihres Grund und Bodens. In der Praxis ließ sich ein Mißbrauch der Encomienda jedoch nicht vermeiden; vor allem am Anfang kam es zu schweren Übergriffen seitens der Kolonisten, die sich widerrechtlich indianische Ländereien aneigneten und exzessive Arbeits- und Tributforderungen erhoben. Die Krone bemühte sich durch wiederholte Gesetze, den verheerenden Folgen der Encomienda entgegenzuwirken: so schränkte sie im Jahre 1536 auf Vorschlag der Audiencia von Mexiko das Nutzungsrecht der Encomienda auf die bloße Tributleistung des Indianers ein und verbot 1549, Tribute in Arbeitsleistungen umzuwandeln. Aber selbst die Anordnung, daß die Höhe der an den Encomendero zu zahlenden Tribute von einem königlichen Beamten festgesetzt werden solle, und schließlich auch die Verfügung, daß die Einziehung der Tribute von offizieller Seite vorzunehmen sei, konnte nicht verhindern, daß die Encomienda eine Form der Ausbeutung blieb, die sich nur dem Wort nach von Sklaverei unterschied. Die ersten Encomiendas, die im Maya-Gebiet vergeben wurden, waren jene Zuteilungen von Arbeitskräften, die Cortes im Jahre 1522 zugunsten der spanischen Siedler des neugegründeten Santisteban del Puerto in der Huasteca vornahm. Ein Jahr später verteilte einer seiner Hauptleute, Gonzalo de Sandoval, der 1524 den Aufstand der Huasteken niederschlagen sollte, die ersten Encomiendas in Chiapas, wohin er von Coatzacoalcos aus einen Vorstoß unternommen hatte. Unter den Indianersiedlungen, die Sandoval an seine Männer verteilte (meist waren es ganze Dörfer, die bestimmten Leuten zugeteilt wurden), war auch Chiapa de Corzo, jener Ort im Tal des Rio Grijalva, der auf eine dreitausendjährige Geschichte zurückblicken konnte. Da sich jedoch Sandoval mit seinen Leuten nach Coatzacoalcos zurückzog, stellten die Indianer die ihnen auferlegten Tributzahlungen bald wieder ein, worauf die Spanier in Coatzacoalcos 219
Cortes um Verstärkung baten, um Chiapas endgültig erobern zu können. Dieser schickte ihnen 30 Soldaten unter dem Kommando eines kampferprobten Hauptmanns namens Luis Mann, und unter dessen Führung unternahmen die Spanier 1524 einen zweiten Versuch, das Gebiet zwischen der Golfküste und Guatemala zu unterwerfen. Diesmal drangen sie bis in das zentrale Hochland vor, wo sie das Siedlungsgebiet der Tzotziles besetzten, darunter die Orte Zinakantahn und Chamula. Letzterer wurde Bemal Diaz del Castillo, dem späteren Chronisten der Eroberung Mexikos, der an dem Zug Marins teilnahm und sich bei der Erstürmung Chamulas auszeichnete, als Encomienda verliehen. Aber auch diesmal zogen es die Spanier vor, nach Coatzacoalcos an die Küste zurückzukehren, und so blieb auch dieser Eroberungsversuch unvollendet. Erst beim dritten Anlauf, den Diego de Mazariegos, ein weiterer Gefolgsmann Cortes', in den Jahren 1527/28 unternahm, wurde der Widerstand der Indianer in Chiapas endgültig gebrochen: im März 1528 gründete Mazariegos vor den Toren von Chiapa de Corzo eine Villa Real, die erste spanische Siedlung in Chiapas, die jedoch noch im gleichen Jahr- aufgrund eines günstigeren Klimas - in das Hochland an den Ort verlegt wurde, wo sich heute die Stadt San Cristobal Las Casas befindet. Die Indianer der Umgebung wurden an die spanischen Siedler verteilt, und als diese sich allmählich über das ganze Hochland ausbreiteten, schließlich auch jene — Tzeltales und Tojolabales —, die am Rande der Selva Lacandona lebten. In Guatemala schanzte sich Alvarado - mit königlichem Einverständnis - praktisch das ganze Land als Encomienda selbst zu. Nach seinem Tode übernahm die neugegründete Audiencia seine Encomiendas und teilte sie unter sieben Distriktbehörden, den sogenannten Corregimientos, auf, die sie ihrerseits verdienten Einzelpersonen abtraten. Im Jahre 1548 teilten sich 84 Encomenderos die indianische Bevölkerung Guatemalas. Die prominentesten unter ihnen waren Gonzalo de Alvarado, ein Bruder des Conquistadoren, der über 130 tributpflichtige Indianer in der Gegend von Mixco und Texutla sowie über eine unbestimmte Anzahl in Acatenango verfügte, Francisco de la Cueva, der Bruder von Beatriz, der Frau Alvarados, der nach deren Tod die Amtsgeschäfte bis zum Eintreffen Maldorados geführt und sich dabei mit 2000 Indianern, der höchsten Zahl Tributpflichtiger, die ein einzelner besaß, versorgt hatte, und schließlich Bernal Diaz, der- nachdem er 1532 seine Encomienda in Chiapas an ei220
nen Bürger von Villa Real verloren hatte - sich in Guatemala niedergelassen und 600 Indianer erworben hatte, die ihn aller materiellen Sorgen entledigten, so daß er sich in Ruhe der Niederschrift seiner Chronik widmen konnte. Wohl die nützlichste Tätigkeit, die je von einem Encomendero ausgeführt wurde. Mit dem Rückgang der indianischen Bevölkerung und infolge der Tatsache, daß beim Tode eines Encomendero das Recht auf die Nachfolge jeweils erst von der Krone bestätigt werden mußte, was - da diese, zum Unterhalt und Ausbau der Küstenbefestigungen, selbst an Tributen interessiert war - nicht immer geschah, ging die Zahl der Encomiendas im Laufe der Zeit immer mehr zurück. 1565 gab es in Guatemala nur noch 72 Encomenderos und 1626 gar nur noch 43. An der erdrückenden Last, die dieses Tributsystem den Indianern auferlegte, änderte sich dadurch freilich nichts. Im Gegenteil, je weniger tributpflichtige Indianer es gab, je mehr versuchte man aus ihnen herauszupressen. Thomas Gage (1603-1656), ein englischer Dominikaner, der in den Jahren 1625-37 Dorfpfarrer in Guatemala lebte und nach seiner Rückkehr nach England 1648 einen Bericht über seine Beobachtungen in der Neuen Welt veröffentlichte, schildert in anschaulicher Weise, wie das System der Encomienda zu seiner Zeit gehandhabt wurde: Alle Völker Amerikas, die zivilisiert sind und unter der Herrschaft der Spanier stehen, gehören der Krone Spaniens oder einigen Privatpersonen, die man Encomenderos nennt und die Nachkommen der ersten Conquistadoren sind. Diesen zahlen sie einen jährlichen Tribut in Naturalien und einen weiteren in Form von Geld an den König. Es gibt kein Dorf, wie arm es auch sein mag, wo nicht jeder verheiratete Indianer wenigstens 4 Reales an den König zahlt und weitere Tribute an die Encomenderos. Untersteht das Dorf jedoch direkt dem König, dann zahlen sie mindestens 6 Reales und zuweilen sogar 8 Reales pro Kopf; diejenigen, die den Encomenderos unterstehen, leisten ihnen Abgaben in Naturalien, je nachdem was sie produzieren, Mais, den man überall zahlt, Honig, Hühner, Truthühner, Salz, Kakao, Wolldecken und dergleichen mehr. Die Decken, die als Tribute entrichtet werden, sind sehr geschätzt, denn sie werden besonders ausgewählt und sind größer als normalerweise üblich; ebenso verhält es sich mit dem Kakao, derAchiote und der Cochenille, denn stets legt man das Beste zur Seite, um damit den Tribut zu zahlen. Wenn die Indianer näm221
lieh nicht ihre wertvollsten Güter abliefern, ist ihnen die Peitsche sicher und sie werden gezwungen, ihre Abgaben durch andere z« ersetzen. Den Kaziken obliegt es, diesen Tribut einzusammeln und ihn bei den Alcaldes und Regidores abzuliefern, die sie an das Schatzamt in der Stadt oder den nächsten spanischen Richter weiterleiten, wenn das Dorf dem König untersteht, oder aber bei dem Herrn oder Encomendero, dem das Dorf gehört. Nur eine einzige Ausnahme habe ich kennengelernt, wo die Spanier den Indianern gegenüber Nachsicht üben, dann nämlich, wenn einer von ihnen so arm, schwach oder krank ist, daß er nicht arbeiten kann, oder wenn er das Alter von 70 Jahren erreicht hat, so ist er von jeglicher Art Tributleistung befreit.46 Was auf der einen Seite verloren ging, wurde auf der anderen mehr als wettgemacht, denn im Gegensatz zum Nutzungsrecht des Encomendero war die Tributpflicht des Indianers erblich. Sie setzte jeweils zum Zeitpunkt der Heirat ein und wurde ursprünglich beiden Ehepartnern, seit 1618 aber nur noch dem Manne auferlegt: Damit aber der Tribut ständig zunimmt, ist es notwendig, daß alle, die das Alter von 11 Jahren erreicht haben, heiraten; man hat auch die Zeit für die Eheschließung der Indianer auf 14 Jahre bei den Männern und 13 bei den Frauen festgelegt, denn die Spaniersagen, daß es keine Rasse gibt, die früher zur Zeugung bereit ist noch sich schneller auf geistigem und militärischem Gebiet entwickelt oder geeigneter für die Arbeit ist als die Indianer. Manchmal, wenn sie sie für gut entwickelt und kräftig halten, zwingen sie sie auch, im Alter von 12 oder 11 Jahren zu heiraten, und umgehen dann die Regel, die ein Heiratsalter von 14 oder 15 Jahren vorschreibt, mit dem Hinweis: nisi malitia supleat aetatem. Als ich in dem Dorf Pinola wohnte, das einem gewissen Don Juan de Guzman, einem angesehenen Mann in Guatemala, gehörte, wurde in diesem Dorf eine Zählung durchgeführt und die Zahl der tributpflichtigen Indianer auf diese Weise erhöht. Acht Tage waren sie mit dieser Zählung beschäftigt, und während dieser Zeit veranlagten sie fast 20 Jünglinge zu heiraten, was, zusammen mit denen, die man bei der letzten Zahlung erfaßt hatte, 50 Familien machte, die an den Encomendero oder Herrn des Dorfes Tribut zu zahlen hatten. Aber es war eine Schande mit anzusehen, wie viele von diesen viel zu jungen 222
Menschen zur Heirat gezwungen wurden, trotz der Einwände, die ich dagegen erhob; ich ging sogar soweit, ihre Geburtsurkunden vorzuzeigen, damit sie ihr Alter sehen konnten. Ja, sie zwangen einige zur Ehe, die nicht einmal /j Jahre alt waren, und besonders einen, der noch nicht einmal 12 war, aber dessen Kraft und Intelligenz man für ausreichend hielt, den Mangel an Jahren auszugleichen. So kommt es, daß in dem Gesetz, das freier als alle anderen sein sollte, wie es das der Ehe ist, die Indianer von den Spaniern wie Sklaven behandelt werden, um die Tribute, die sie fordern, zu erhöhen und auf diese Weise ihren Reichtum zu mehren.49 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts mehrten sich die Zweifel der Krone an der Zweckmäßigkeit des Encomienda-Systems. Nicht nur kamen die Encomenderos kaum noch ihren ursprünglichen Verpflichtungen nach, zumal die meisten ihrer »Schutzbefohlenen« inzwischen ohnehin - zumindest nominell - Christen waren, auch war die königliche Kasse nach endlosen Kriegen um die Vormachtstellung in Europa leer. Als deshalb im Jahre 1699 zwei Encomiendas in Guatemala frei wurden, wies die Krone die Audiencia in Santiago an, eine davon einzubehalten und den Erlös der Tribute für den Unterhalt der Küstenbefestigungen zu verwenden, insbesondere des Forts San Felipe am Rio Dulce, das den Vormarsch der Engländer, die sich in Belize festgesetzt hatten, aufhalten sollte. 1701 folgte dann ein allgemeingültiges Ge setz, das alle Encomiendas, deren Nutznießer in Spanien lebten, abschaffte, und sechs Jahre später eine weitere Verordnung, die alle Encomiendas mit weniger als 50 Tributpflichtigen auflöste. 1718 schließlich teilte Philipp V. dem Indienrat mit, daß er alle noch verbleibenden Encomiendas einzuziehen gedenke, und zwei Jahre später, am 12. Juli 1720, unterzeichnete er ein Dekret, das diese Institution endgültig abschaffte. Eine Ausnahme bildete Yukatan. Seit den ersten Encomiendas, die Montejo der Jüngere bei seiner Besetzung von Chichen Itza im Jahre 1532 an seine Leute verteilte, waren die Spanier in diesem Gebiet - mehr als in irgendeinem anderen Teil Neuspaniens - auf die Arbeits- und Tributleistungen der Indianer angewiesen, denn bei dem völligen Fehlen von Bodenschätzen und der Unfruchtbarkeit des Bodens, der keine Plantagen zuließ, blieb ihnen allein die Landwirtschaft Quelle des Wohlstands. Lediglich in Campeche hatte sich durch den Export von Brasilholz ein gewinnträchtiger Wirtschaftszweig entwickelt, der es einem kleinen Kreis von Unternehmern - die Krone hatte zwar 223
1566 das Fällen und Verschicken von Brasilholz zum staatlichen Monopol erklärt, vergab aber Lizenzen an Privatleute - ermöglichte, auf die Tributleistungen der Indianer zu verzichten. Dafür waren sie um so mehr an ihrer Arbeitskraft interessiert. Als nun die Abschaffung der Encomienda durch den Erlaß von 1720 Ge setzeskraft erlangte, erhob sich in Yukatan sogleich ein stürmischer Protest. Die Kolonisten wiesen nicht nur auf die außergewöhnlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf der Halbinsel hin, sondern konnten andererseits auch geltend machen, daß sie - im Gegensatz zu allen anderen Provinzen m Neuspanien — ihr Land, das an drei Seiten dem Meer zugewandt ist, aus eigener Kraft gegen die Übergriffe der Piraten, die vor allem die Küste von Campeche heimsuchten, verteidigt hatten. Die Gültigkeit dieser Argumente anerkennend, ermächtigte die Krone in einem Schreiben vom 19. September 1721 den Gouverneur von Yukatan, künftig auch weiterhin in seinem Amtsbereich - der sich bis nach Tabasco erstreckte - Encomiendas zu vergeben. So gab es Mitte des 18. Jahrhunderts, als in den übrigen Teilen des MayaGebietes die Encomiendas bereits aufgelöst waren, in Yukatan über 100 Encomenderos, fast ebensoviel wie zweihundert Jahre zuvor. Die Zahl der tributpflichtigen Indianer, die im Jahre 1560 - einschließlich derer, die Tribute an die Krone entrichteten 60000 betragen hatte, war allerdings um 1750 um ein Drittel gesunken, wobei jedoch die der Krone verpflichteten Indianer, über die keine Angaben vorliegen, nicht mitgezählt sind. Die jährliche Gesamtmenge der Tribute, die die Indianer um 1750 an die Encomenderos in Yukatan entrichteten, belief sich auf rund 10000 Wolldecken, 20000 fanegas (etwa 1 Mill. l) Mais und 40000 Hühner, was einem Verkaufswert von 65000 Pesos entsprach. Vom Standpunkt der Encomenderos ein recht bescheidener Betrag, wenn man bedenkt, daß der Gouverneur von Yukatan mit einem Jahresgehalt von rund 1500 Pesos mehr als das Doppelte ihres Durchschnittseinkommens verdiente. Für die Indianer jedoch, die zusätzlich ja auch noch Abgaben an die Kirche zu leisten hatten, waren die Tribute eine schwere Belastung, die zu Hungersnöten und Krankheiten führte. Daß schließlich im Jahre 1785 die Krone auch in Yukatan die Encomiendas abschaffte, sollte nichts an ihrem Schicksal ändern, denn nun raubten ihnen die ehemaligen Encomenderos ihr Land, so daß ihnen wie zu Beginn der Kolonialzeit - nur die Fron blieb.
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Mandamiento Nicht daß den Indianern in der Zwischenzeit die Zwangsarbeit erspart geblieben war. Nach der Aufhebung der Sklaverei und der Beschränkung der Encomienda auf die Tributpflicht des Indianers hatten sich allmählich andere Formen indianischer Dienstleistung durchgesetzt. So konnten die Indianer zu öffentlichen Arbeiten wie dem Bau von Straßen und Regierungsgebäuden oder dem Transport von Waren und Reisenden und zum Kirchendienst, der vom Bestellen klösterlicher Ländereien bis zu diversen Handreichungen beim Gottesdienst reichte, herangezogen werden. Vor allem aber waren private Unternehmer auf die Arbeitskraft der Indianer angewiesen, sei es für den Anbau von Exportprodukten wie Kakao, Zuckerrohr und Indigo und deren Weiterverarbeitung, sei es für die Viehzucht oder den Abbau von Edelhölzern. Schließlich gab es keinen Spanier, der sein Essen selbst gekocht oder auch nur seine Kinder selbst versorgt hätte, so daß die Indianer auch zur Hausarbeit verpflichtet wurden. Für alle diese Dienste war ein Lohn vorgesehen. Doch auch hier bewiesen die Kolonisten eine skrupellose Mißachtung der Gesetze: die einen zahlten zuwenig, die anderen überhaupt nicht (ein beliebter Trick war, den Indianern eine doppelte Tagesration abzufordern: die eine Hälfte mußten sie abliefern, die andere konnten sie verkaufen - der Erlös war ihr Lohn). Wie das System des Mandamiento, wie man diese Form der Zuteilung indianischer Arbeitskräfte an die Kolonisten nannte, im einzelnen funktionierte, darüber berichtet wiederum sehr anschaulich Thomas Gage: Die Spanier, die in diesem Land leben, und insbesondere die Hacendados im Tal von Mixco, Pinola, Petapa und Amatitlan und jene von Sacatepeque erheben den Anspruch, durch all ihren Handel und ihre Arbeit zum Wohl des Staates beizutragen, aber da es nicht genügend Spanier gibt, um all die notwendigen Arbeiten in einem so großen Land zu verrichten, und da sie nicht über die Mittel verfügen, Sklaven und Neger zu kaufen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich der Indianer zu bedienen und ihnen einen bestimmten Lohn zu geben. Aus diesem Grunde hat man angeordnet, daß eine bestimmte "Zahl indianischer Arbeiter jeden Montag oder Sonntagnachmittag unter die Spanier, je nach Art ihrer Besitzungen und Geschäfte, verteilt werde, sowohl für die Bestellung ihrer Felder als auch um ihre Maultiere zuführen und 225
ihnen bei all dem zu helfen, was ein jeder für notwendig erachtet. In jedem Distrikt gibt es hierfür einen Beamten, juez repartidor genannt, der verpflichtet ist, nach einer Liste, die er -von den Häusern und Haziendas der Spanier hat, ihnen jede Woche eine bestimmte Anzahl von Indianern zu geben, eine Sache, die für den Präsidenten von Guatemala und andere Richter sehr bequem ist, da sie ihren Schutzbefohlenen, indem sie ihnen diese Arbeit zuteilen, angeblich ein Fortkommen ermöglichen. Sie geben das Dorf oder den Ort bekannt, die als Sammelstellen dienen sollen, und treffen sich dort mit allen Spaniern des Distriktes. Die Indianer müssen ihrerseits in ihren Dörfern die Zahl an Arbeitern bereithalten, die auf Anordnung des Gerichtshofes von Guatemala zum wöchentlichen Arbeitsdienst verpflichtet sind; sie werden von einem indianischen Beamten ihres Dorfes zu der Sammelstelle geführt. Wenn sie an diesem Ort angelangt sind mit all den Dingen, die sie zur Arbeit brauchen, wie Hacken, Schaufeln, Spitzhacken, Äxten und Verpflegung für eine Woche, die gewöhnlich aus trockenem Maiskuchen, Pudding, schwarzen oder grünen Bohnen, ein wenig Chile oder Pfeffer und einigen Stückchen Fleisch für ein oder zwei Tage besteht, und dem Bett auf dem Rücken, das nicht mehr als eine dicke Wolldecke ist, mit der sie sich einwickeln, um auf dem Boden zu schlafen, dann schließt man sie in das Gemeindehaus ein, wobei man dem einen ein paar Stockschläge und dem ändern Fußtritte verabreicht, wenn sie dort nicht hineinwollen. Wenn alle versammelt sind und das Gemeindehaus voll ist, ruft der Beamte oder Juez Repartidor die Spanier nach der Reihenfolge auf der Liste auf und jeweils dazu so viele Indianer, wie der Gerichtshof bestimmt hat. Einige bekommen 3 oder 4 und andere 15 oder 20, je nach Bedarf und der Arbeit, die sie verrichten sollen. Auf diese Weise teilt man jedem der Spanier die Indianer zu, die er haben soll, bis keiner mehr übrigbleibt. Wenn diese Zuteilung beendet ist, nehmen die Spanier jedem ihrer Indianer eine Decke oder einen anderen Wertgegenstand weg, damit sie ein Pfand haben, der die Indianer von der Flucht abhält, und dem Beamten, der die Verteilung vorgenommen hat, bezahlen sie einen halben Real für jeden Indianer, was ihnen im Jahr eine beträchtliche Summe einbringt, denn es gibt Beamte dieser Art, die 300 oder 400 Indianer pro Woche verteilen. Wenn ein Spanier sich beschwert, daß ihm ein Indianer entlau226
fen ist und sein wöchentliches Arbeitspensum nicht erfüllt hat, läßt man ihn so lange suchen, bis man ihn gefunden hat, und dann bindet man ihn mit den Armen an einen Pfahl auf dem Marktplatz und läßt ihn öffentlich auspeitschen. Wenn aber ein armer Indianer sich beschwert, daß die Spanier ihn betrogen und ihm seine Schaufel, Axt, Spitzhacke, Decke oder seinen Lohn gestohlen haben, zieht man den Spanier, der den armen Indianer beraubt oder betrogen hat, in keiner Weise zur Rechenschaft, obwohl es nicht mehr als recht und billig wäre, wenn man den einen ebenso bestraft wie den anderen. Auf diese Artverkauft man die Indianer jede Woche wie Sklaven, einen jeden zu einem halben Real, ohne ihnen zu erlauben, nachts zu ihren Frauen zu gehen, selbst wenn der Ort, wo sie arbeiten, nicht weiter als tausend Schritte von ihrem Heimatdorf entfernt ist; andere jedoch kommen von weiter her, j oder 4 Leguas. Sie alle wagen es nicht zurückzukehren, ehe es Samstag abend ist, wenn sie die Arbeit, die ihr Herr ihnen auferlegt hat, beendet haben. Der Lohn, den sie erhalten, ist so niedrig, daß sie sich kaum davon ernähren können, denn er beträgt keine 5 Sueldos pro Tag, so daß sie in der Woche auf nicht mehr als 2,5 Reales kommen. Diese Regelung gibt es in der Stadt Guatemala wie in den anderen Orten der Spanier, und man überläßt jedem Haus die Indianer, die zum Wasser- oder Holzholen und für andere Arbeiten gebraucht werden, so daß alle benachbarten Indianerdörfer verpflichtet sind, in der Weise, wie oben beschrieben, Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Wahrlich, es gibt keinen Christen, der sich vorstellen könnte, in welch schändlicher Weise diese Unglücklichen in der Woche, in der sie den Spaniern zu dienen haben, behandelt werden. Es gibt einige, die ihre Frauen mißbrauchen, während die armen Ehemänner auf den Feldern anderer arbeiten, die sie auspeitschen, weil sie ihnen zu faul erscheinen, oder die ihnen Messerhiebe geben oder ihnen den Kopf einschlagen, weil sie versucht haben, Anschuldigungen zurückzuweisen, oder die ihre Werkzeuge rauben oder ihnen einen Teil oder den ganzen Lohn wegnehmen und ihnen sagen, daß sie ihnen einen halben Real für den Dienst, den sie zu leisten haben, zahlen, dazu aber nicht verpflichtet sind, wenn sie ihn nicht ausgeführt haben. Ich habe einige kennengelernt, die hatten es sich zur Regel gemacht, wenn sie bereits alles Getreide ausgesät hatten und es keine weitere Arbeit mehr gab, alle Indianer, die man ihnen zur 227
Aussaat zugeteilt hatte, in ihrem Hause zurückzubehalten, und da sie wußten, wie gern diese armen Leute zu ihren Familien zurückkehren, fragten sie sie am Mittwoch, nachdem man sie am Montag und Dienstag zum Holzfällen geschickt hatte, wieviel sie ihnen geben würden, wenn man sie ziehen ließe. Und auf diese Weise holten sie aus den einen i Real und den anderen 2 oder ? Reales heraus, so daß sie sie nicht nur zwangen, zusätzlich Feuerholz zu holen, sondern ihnen auch noch so viel Geld abknöpften, daß sie Fleisch und Schokolade für zwei Wochen kaufen konnten und faul auf Kosten dieser armen Indianer lebten.50 Das System des Mandamiento basierte zunächst auf einer befristeten Arbeitsverpflichtung der Indianer, wobei diese, damit die Spanier eine ständige Hilfe hatten, sich turnusmäßig abwechselten. Im Laufe der Zeit aber führte eine immer größere Verschuldung der Indianer zu jenem patriarchalischen Abhängigkeitsverhältnis, das bis heute das vorherrschende Merkmal der Agrarstruktur in Lateinamerika geblieben ist.
Damit die Sonne nicht untergeht Die unmittelbaren Nutznießer der Tribut- und Dienstleistungen der Indianer waren zwar die Kolonisten, doch den Hauptgewinn aus den amerikanischen Kolonien zog letztlich die spanische Krone. Nicht nur daß auch ihr direkte Abgaben der Indianer zuflössen, sie behielt sich auch die Verfügungsgewalt über bestimmte Monopole wie die Ausbeutung von Edelmetallen, Edelsteinen und Edelhölzern vor und belegte schließlich den Kolonialhandel mit hohen Zöllen. Um den königlichen Anteil an der Rendite aus den Kolonien zu sichern, war bereits im Jahre 1503 in Sevilla eine zentrale Behörde, die Casa de la Contratacion, geschaffen worden, die den gesamten Handel mit den amerikanischen Kolonien überwachen sollte. Mit der Gründung des Indienrates, dem die Casa unterstellt wurde, büßte das staatliche Handelshaus zwar einen großen Teil seiner Machtbefugnisse ein, doch blieb es praktisch bis zum Ende der Kolonialzeit das Steuerungsorgan für alle wirtschaftlichen Aktivitäten in den Kolonien. So oblag der Casa neben dem eigentlichen Handel auch der gesamte Güter- und Personenverkehr zwischen dem Mutterland und den Kolonien. Zu diesem Zweck unterhielt sie eine eigene Marineschule und stellte jährlich die sogenannte Indienflotte zusammen, einen Konvoi von Handelsschiffen, der - zum Schutz 228
gegen Piraten von Kriegsschiffen begleitet - zweimal im Jahre den Atlantik überquerte, mit Manufakturwaren aus Spanien für die Kolonien und mit Rohstoffen aus Amerika für das Mutterland. Das Maya-Gebiet versorgte Spanien - und in geringerem Maße auch die anderen Kolonien, vor allem Mexiko, Peru und Westindien - in Ermangelung nennenswerter Bodenschätze vornehmlich mit landwirtschaftlichen Produkten: Kakao, Tabak und Zucker, Cochenille und Indigo aus Guatemala und Chiapas, Honig, Wachs, Baumwolle und Salz aus Yukatan. Mit Ausnahme des Zuckerrohrs und des Farbstoffes Indigo, die die Spanier aus der Alten Welt einführten, gehen alle diese Nutzpflanzen - beim Farbstoff Cochenille handelt es sich eigentlich um ein Insekt, das auf den Blättern eines Kaktus gezüchtet wird - auf indianischen Ursprung zurück. Im Falle von Kakao, Tabak und Baumwolle ein nicht unbedeutender Beitrag, den die Ureinwohner Amerikas zur Weltkultur geleistet haben. Im Vergleich zu den Goldländern Mexiko und Peru war das Maya-Gebiet für die Spanier eine Enttäuschung. Doch da sie es nun einmal erobert und besetzt hatten, suchten und fanden sie Alternativen, die nicht nur den Kolonisten ein gutes Auskommen gewährten, sondern letztlich auch zur Schaffung eines Weltreiches beitrugen, in dem »die Sonne nicht unterging«.
VI. KAPITEL AKKULTURATION 11 Ahau war der Name des Katun, als die Maya aufhörten, Maya genannt zu werden. Sie wurden Christen genannt; ihr Land wurde Sankt Peter und dem König von Spanien Untertan.51 Den Maya wurde nicht nur ihr Land und ihre Freiheit geraubt, man nahm ihnen auch ihre kulturelle Identität. Am schlimmsten aber war, daß den Schock der Conquista nur wenige von ihnen überlebten, denn mehr noch als in ihrer Kultur wurden die Maya in ihrer physischen Existenz ausgelöscht. Sie hörten nicht nur auf, Maya zu sein, sie verschwanden überhaupt. Zu 90%.
Sterben wie die Fliegen Der katastrophale Bevölkerungsrückgang im Maya-Gebiet war keine Ausnahme. Überall in der Neuen Welt, wo der Weiße auf die indianische Urbevölkerung stieß, setzte ein Völkersterben ein, das in der bisherigen Geschichte der Menschheit nicht seinesgleichen gehabt hatte. Ganze Landstriche wurden entvölkert, und wohl so mancher Indianerstamm ging unter, ohne daß man je etwas von ihm erfahren hat. Die Grausamkeit der Spanier und der übrigen europäischen Kolonialmächte, die ihnen in ihrem Verhalten gegenüber den Indianern kaum nachstanden - war jedoch keineswegs der einzige Grund, der zu diesem Massensterben der Ureinwohner Amerikas führte. Verheerender noch als alle Blutbäder und Sklavenjagden, die die Conquistadoren unter den Indianern anrichteten, waren die Krankheiten, die sie aus der Alten Welt mitbrachten. Wie ein Buschfeuer breiteten sie sich über den amerikanischen Kontinent aus, und als die lodernde Flamme der Seuchen schließlich verebbte, blieben als schwelende Glut endemische Krankheiten zurück. Die erste der fremden Krankheiten, die das Maya-Gebiet 230
heimsuchte, waren die Pocken. Sie tauchten in Yukatan offenbar noch vor dem Beginn der Conquista auf und wurden möglicherweise von den Schiffbrüchigen der Valdivia-Expedition eingeschleppt. Als zweite Seuche wird aus Guatemala der Typhus überliefert, der das Land erstmals 1517 heimsuchte. Drei Jahre später brach unter den Cakchiqueles - und mit Sicherheit auch unter den anderen Hochlandstämmen Guatemalas - eine Seuche aus, deren Symptome nicht ganz eindeutig sind, bei der es sich wahrscheinlich aber um Cholera gehandelt hat: Am Tage 4 Ab (10. August 1519) endete das 24. Jahr nach dem Aufstand. Es geschah, daß während des 25. Jahres die Seuche begann, o meine Söhne! Zuerst erkrankten sie an einem Husten, sie hatten Nasenbluten und Blasenleiden. Es war wahrlich schrecklich, die Zahlder Toten, die es in jener Zeit gab. Der Prinz Vakaki Ahmak starb damals. Allmählich hüllten schwere Schatten und schwarze Nacht unsere Väter und Großväter und auch uns ein, o meine Söhne, ah die Seuche wütete. Am Tage 1 Ah (3. Oktober 1520) endeten eine Periode und 5 Jahre nach dem Aufstand, während die Seuche sich ausbreitete. In diesem Jahr, ah die Epidemie ausbrach, starb unser Vater und Großvater, Diego Juan. Am Tage 5 Ah (12. März 1521) begannen unsere Großväter einen Krieg gegen Panatacat, ah die Seuche sich auszubreiten begann. Es war wahrlich schrecklich, die Zahl der Toten unter dem Volk. Das Volk hatte keine Möglichkeit, sich gegen die Krankheit zu wehren. 40 Tage nachdem die Epidemie begann, starb unser Vater und Großvater; am Tage 12 Camey (14. April 1521) starb König Hunyg, euer Urgroßvater. Zwei Tage später starb auch unser Vater, der König Acht Balam, euer Urgroßvater, o meine Söhne! Unsere Großväter und Väter starben zusammen. Groß war der Gestank der Toten. Nachdem unsere Väter und Großväter der Seuche erlagen, floh die Hälfte des Volkes auf die Felder. Die Hunde und Geier verschlangen die Körper. Die Zahl der Toten war schrecklich. Eure Großväter starben, und mit ihnen starb der Sohn des Königs und seine Brüder und Verwandten. So geschah es, daß wir Waisen wurden, o meine Söhne! Das wurden wir, als wir klein waren. Alle waren wir Waisen. Wir waren geboren, um zu sterben.52
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Der Cholera folgten die Masern. Ihnen fiel in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts allein die Hälfte der Bevölkerung von Honduras zum Opfer. Auch Grippe und Tuberkulose fanden in der Neuen Welt einen reichen Nährboden. Sie sind auch heute noch eine der häufigsten Todesursachen unter den Maya. Gelbfieber und Malaria, die von Stechmücken übertragenen Geißeln der Tropen, tauchten im Maya-Gebiet erst später auf. Sie wurden mit den Sklavenschiffen aus Afrika in die Neue Welt eingeschleust, zunächst nach Westindien, von wo sie allmählich auf das Festland übergriffen. Das Gelbfieber gelangte erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts in das Maya-Gebiet - 1647 brach in Guatemala, 1648 in Yukatan eine Gelbfieber-Epidemie aus. Die Malaria hatte sich zu dieser Zeit bereits über das ganze Tiefland und die Küstenregionen ausgebreitet. Neben Gelbfieber und Malaria wurden noch zwei weitere Tropenkrankheiten im Maya-Gebiet endemisch: Amöbenruhr und Hakenwurm. Letzterer ist zwar nicht tödlich, schwächt seine Opfer aber derart, daß sie anderen Krankheiten gegenüber um so anfälliger sind. All diesen Krankheiten, die - zugegebenermaßen - auch in der Alten Welt ihre Opfer forderten, dort aber immerhin auf Abwehrkräfte stießen, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet hatten, waren die Maya hilflos ausgesetzt. Sie starben wie die Fliegen, selbst an einer scheinbar so harmlosen Krankheit wie der Erkältung. Besaßen die Maya ohnehin schon keine Immunität gegen die eingeschleppten Krankheiten, so wurde deren verheerende Wirkung noch durch eine Anzahl anderer Faktoren verstärkt. Eine wesentliche Rolle für das rasche Ausbreiten der Krankheiten spielte das tropische Klima sowie die topographischen Bedingungen des Tieflandes, wo Sümpfe und Uferzonen eine willkommene Brutstätte für die Moskitos bildeten. Verhängnisvoll wirkte sich auch die Siedlungspolitik der Spanier aus, die die ursprünglich meist verstreut lebenden Indianer in dörflichen Siedlungszentren, sogenannten Congregaciones, zusammenzogen, um sie leichter kontrollieren und christianisieren zu können, was jedoch zu einer noch rascheren Ausbreitung der Seuchen führte. Hinzu kam, daß infolge der Kriege, Zwangsrekrutierungen und Tributabgaben allmählich ein chronischer Nahrungsmangel entstand, der - wo er nicht unmittelbar zum Hungertod führte - eine allgemeine Fehl- und Unterernährung zur Folge hatte. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß der psychologische Schock, den die Conquista bei den Indianern hin232
terließ, vielen von ihnen jeglichen Anreiz zum Überleben nahm. Daß im übrigen die medizinische Versorgung, die selbst heute noch völlig unzureichend ist, während der Kolonialzeit mehr auf Gebeten und Prozessionen zu katholischen Heiligen beruhte als auf der Fürsorge eines kompetenten Arztes, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung. Wie groß der Bevölkerungsrückgang im einzelnen gewesen ist, läßt sich aus einem Vergleich zwischen den ersten Augenzeugenberichten der Conquistadoren, nachfolgenden Tributlisten und späteren Zensuserhebungen ersehen. Der Nordosten von Yukatan, wo die Spanier erstmals landeten, war zu Beginn der Conquista dicht bevölkert: Conil, einer der Hauptorte in der Provinz Ecab, wo sich Montejo im Jahre 1528 zwei Monate aufhielt, umfaßte zu diesem Zeitpunkt angeblich 5000 Häuser, eine Zahl, die wahrscheinlich übertrieben ist, an der Größe dieser Stadt aber keinen Zweifel läßt. Zwanzig Jahre später wurden in Conil nur noch 80 Tributpflichtige, das heißt etwa 360 Einwohner, registriert. Chauaca, die Hauptstadt der angrenzenden Provinz Chikinchel, zählte im Jahr 1528 rund 13000 Einwohner. 1549 betrug die Zahl der Tributpflichtigen 200 und damit die der gesamten Einwohner weniger als 1000. In beiden Fällen ein Bevölkerungsrückgang von über 90%, innerhalb von zwei Jahrzehnten. In anderen Teilen des Maya-Gebietes dauerte es etwas länger, doch das Ergebnis war das gleiche: zwischen 1525 und 1561 ging die Zahl der Chontales in Campeche von etwa 10000 auf 1100 zurück, die der Chontales von Tabasco zwischen 1530 und 1579 von 30000 auf 3000, die der Chorus in Guatemala und Honduras zwischen 1530 und 1689 von möglicherweise über 100000 auf weniger als 5000, die der Choles in Belize und Guatemala zwischen 1628 und 1770 von etwa 10000 auf 300 und die der Itzasim Peten zwischen 1695 und 1778 von etwa 25000 auf weniger als 2500. Selbst die Lakandonen im Dschungel von Chiapas blieben nicht verschont: die einen - Choles und Tzeltales- wurden in die Gegend von Palenque und in die Hochländer im Westen und Süden umgesiedelt, die anderen - Flüchtlinge aus Yukatan - suchten vor dem Zugriff der Spanier im Vakuum der Selva Zuflucht und sind heute auf einen kläglichen Rest von 250 zusammengeschrumpft. Die Lakandonen wie auch die Itzas werden über kurz oder |ang aussterben. Andere Maya-Stämme jedoch wie die Yukateken, die Chortis und die Hochlandstämme in Guatemala und Chiapas fanden allmählich zu ihrem demographischen Gleichge233
wicht zurück. Bereits gegen Ende der Kolonialzeit hatten sie zumindest teilweise - wieder den Bevölkerungsstand erreicht wie zu Beginn der Conquista. Und heute liegt ihre Zahl wahrscheinlich weit höher als jemals zuvor. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß die Conquista im Maya-Gebiet mindestens 1 Million Menschenleben forderte.
Mestizaje Demographisch hatte die Conquista nicht nur den Rückgang der Indianer zur Folge. Sie leitete zugleich auch einen Prozeß der rassischen Vermischung ein, der den Verlust an reinblütigen Indianern durch ein rasches Ansteigen von Mischlingen aus der Verbindung von Indianern und Weißen milderte. Diese Mischlinge, Mestizen genannt, tauchten bereits in der ersten Conquistadorengeneration auf. Heute stellen sie das vorherrschende Rassenelement in Lateinamerika dar. Die Spanier - ihrem Wesen nach nicht weniger polygam als andere Völker- hatten bereits in ihrer Heimat einen Ausweg aus dem ewigen Dilemma zwischen natürlicher Neigung und christlichem Gebot gefunden und die Institution der Barragamia eingeführt, bei der die Forderung nach einer monogamen Ehegemeinschaft durch die Tolerierung eines permanenten Konkubinatsverhältnisses umgangen wurde. Daß diese Institution nur dem männlichen Geschlecht vorbehalten war, also eigentlich eine polygyne Einrichtung war, versteht sich von selbst. Was lag also näher, als diese ehrenwerte Tradition in der Neuen Welt aufrechtzuerhalten, zumal die Ehefrauen beziehungsweise solche, die es werden sollten, zunächst einmal in der Heimat blieben? Es kam aber noch etwas anderes hinzu, das den Prozeß der Mestizaje wesentlich beschleunigte: der Spanier kannte keinen Rassendünkel - im Gegensatz zu den späteren europäischen Kolonialvölkern. Er hatte jahrhundertlang neben und mit dunkelhäutigeren Arabern in Spanien gelebt und sah in den Indianern, trotz aller gelehrten Diskussion um ihr Menschsein, ein Wesen, das ihm zwar gesellschaftlich und kulturell, nicht aber seiner physischen Erscheinung nach unterlegen war. So war er für den exotischen Reiz der Indianerin durchaus empfänglich und ging sogar soweit, offen einzugestehen, daß sie an Schönheit der Spanierin kaum nachstand, ja sie zuweilen sogar übertraf. Letzteres trifft nicht zuletzt auch für die Maya-Indianerin in Yukatan zu, 234
deren Erscheinung selbst dem Ordensgeistlichen Landa rühmende Worte abverlangte: Die Indianerinnen in Yukatan sehen im allgemeinen besser aus als die Spanierinnen; sie sind größer und wohlproportioniert und haben nicht so breite Hüften wie die Negerinnen. Die, die hübsch sind, sind stolz darauf, und in einer gewissen Weise sind sie tatsächlich nicht häßlich. Sie sind nicht weiß, sondern von brauner Hautfarbe, die mehr auf die Sonne und ständiges Baden zurückzuführen ist als auf ihre Rasse. Sie bemalen sich nicht ihr Gesicht wie die Spanierin, denn bei ihnen gilt dies als lasterhaft. Sie hatten die Sitte, ihre Zähne spitz zu feilen, in der Art einer Säge, und sahen dies als verführerisch an. Alte Frauen nahmen diese Prozedur vor, indem sie mit bestimmten Steinen und Wasser die Zähne bearbeiteten. Sie pflegten sich die Nasenwand zu durchbohren, um in das Loch ein Stück Bernstein zu setzen, was gleichfalls als Schmuck galt. Auch durchbohrten sie sich die Ohrläppchen, um sich Ohrringe anzulegen, in der Art wie ihre Ehemänner. Sie tätowierten ihren Körper von der Taille aufwärts - außer den Brüsten, da sie zum Stillen dienen - mit feineren und schöneren Mustern als die Männer. Sie badeten sich sehr häufig mit kaltem Wasser, wie die Männer, und sie taten dies nicht mit übermäßiger Keuschheit, denn es kam vor, daß sie sich ihrer Kleider entledigten und nackt in den Brunnen stiegen, aus dem sie eigentlich Wasser für ihr Bad hatten schöpfen wollen. Sie pflegten außerdem mit warmem Wasser in der Nähe der Feuerstelle zu baden, doch selten und mehr um der Gesundheit als der Reinlichkeit willen. Sie, wie auch ihre Ehemänner, hatten die Sitte, sich mit einer bestimmten roten Salbe einzureihen, und die, die dazu die Möglichkeit hatten, rieben sich mit einer Mixtur aus einem aromatischen und sehr klebrigen Gummi ein, bei dem es sich, so glaube ich, um flüssigen Bernstein handelt und das sie in ihrer Sprache iztah-te nennen; diese Mixtur trugen sie auf eine Art Ziegel, den sie mit hübschen Mustern verziert hatten, auf und rieben sich damit, wie mit einem Stück Seife, die Brüste und Arme und den Rücken ein und waren so, nach ihrem Geschmack, verführerisch und wohlriechend. Der Duft hielt lange an, wenn die Mixtur gut war. Ihr Haar trugen sie sehr lang, und sie formten und formen es zu einer sehr hübschen Frisur, wobei sie das Haar in zwei Teile teilen; auch flochten sie ihr Haar zu einer anderen Frisur. Die Mädchen im heiratsfähigen Alter pflegen die aufmerksamen 235
Mütter mit so großer Sorgfalt zu frisieren, daß ich viele Indianerinnen gesehen habe, die ihr Haar ebenso gepflegt hatten wie die vornehmsten Spanierinnen. Den kleinen Mädchen flicht man die Haare zu vier oder zwei Hörnern, was ihnen sehr gut steht. Die Indianerinnen der Küste und in den Provinzen Bacalar und Campeche sind sehr zurückhaltend in ihrer Kleidung, denn zusätzlich zu dem Tuch, das sie von der Taille abwärts trugen, bedeckten sie ihre Brüste mit einer gefalteten Decke, die sie unter der Achselhöhle verknoteten. Alle übrigen trugen an Kleidung nicht mehr als eine Art Sack, lang und eng und zu beiden Seiten offen, der bis zur Hüfte reichte, wo sie ihn einfach verknüpften; sie hatten weiter keine Kleidung außer der Decke, die sie zum Schlafen benötigen und die sie, wenn sie einen längeren Marsch unternahmen, gefaltet oder eingerollt als Oberbekleidung verwendeten.53 Zu einem häufig attraktiven Äußeren gesellte sich bei der Indianerin ein gefälliges Wesen, das sich sowohl in einer demütigen Haltung dem Mann gegenüber als auch in Fleiß und Sorgfalt bei der Arbeit äußerte. So war es nicht verwunderlich, daß sie, wenn sie erst einmal - auf welche Weise auch immer - in die Gewalt der Spanier gelangt war, sich ihnen sehr bald anpaßte und ihnen eine treuergebene Ehe- beziehungsweise Nebenfrau wurde. Mitunter ging diese Ergebenheit so weit, daß die indianische Konkubine eines Spaniers sich zum Werkzeug der Conquista degradieren ließ und damit zur Verräterin an ihrem eigenen Volk wurde. Das berühmteste Beispiel ist jene Malinche, die Cortes in Tabasco als Geschenk erhielt. Sie war offenbar Aztekin, sprach aber auch Chontal-Maya, so daß sich Cortes sowohl mit den Maya von Tabasco als auch später mit den Einwohnern des Azteken-Reiches verständigen konnte, im einen Falle unter Zuhilfenahme der Maya-Kenntnisse Aguilars, des einen der beiden Überlebenden der Valdivia-Expedition, im ändern da Malinche beziehungsweise Doria Marina, wie sie von den Spaniern getauft worden war, bald auch das Spanische erlernte. Sie erwies Cortes aber nicht nur als Dolmetscherin wertvolle Dienste, sie war auch eine kluge Ratgeberin, die ihm von Anfang an loyal blieb, obwohl Cortes sie zunächst einem seiner Offiziere überließ, sie erst später zu seiner Geliebten machte und sie schließlich mit einem weiteren Offizier verheiratete. Immerhin erkannte Cortes den Sohn, Don Martin, der aus seinem Verhältnis mit Malinche hervorging, als seinen legitimen Erben an. Wie Malinche wird auch so manche Maya-Indianerin den spa236
nischen Eroberern von Nutzen gewesen sein. Aber so willig sie sich auch in ihr Schicksal ergaben, wenn ihre Väter oder ihre Herren sie als Zeichen der Freundschaft oder in der Hoffnung, dadurch Macht und Einfluß zu wahren, den Spaniern überließen, so leisteten sie andererseits den Forderungen der Fremden erbitterten Widerstand, wenn sie bereits mit einem Indianer verheiratet waren. Landa berichtet von einem solchen Fall, der sicher keine Ausnahme gewesen ist: Sie (die Indianerinnen in Yukatan) legten Wert darauf, tugendhaft zu sein, und wahrlich, bevor sie unser Volk kennenlernten, waren sie, so erinnern sich die Alten mit Wehmut, über alle Maßen keusch, und dazu werde ich ein Beispiel bringen: der Hauptmann Alonso Lopez de Avila, ein Schwager des Adelantado Montejo, griff während seines Kriegszuges in Bacalar eine junge Indianerin auf, die sehr hübsch und sanftmütig war. Sie hatte ihrem Manne versprochen, aus Furcht, daß man ihn im Kriege töten könnte, keinem anderen Manne außer ihm zu gehören, und so konnte sie keine Überredung davon abhalten, ihr Leben zu opfern, um der Gefahr zu entgehen, von einem anderen Manne beschmutzt zu werden, worauf sie sie den Hunden vorwarfen.5 * Die Treue dieser namenlosen Maya-Indianerin muß um so höher gewertet werden, als bei den Maya zwar ein strenger Moralkodex herrschte, bei Ehebruch gewöhnlich aber nur der Liebhaber mit dem Tode bestraft wurde, während die Frau nur die Schande traf, verstoßen zu werden. Erst als die Indianer sahen, daß die Spanier - unbekümmert in ihrer Doppelmoral - die Ehefrauen, die ihnen untreu waren, töteten, übernahmen auch sie diese Sitte. Die Legalisierung einer Verbindung zwischen einer Indianerin und einem Spanier kam nur selten vor. Anführer der Conquista wie Cortes und Alvarado hofften, aufgrund ihrer militärischen Erfolge m die einflußreichen Kreise Spaniens einheiraten zu können, was ihnen - wie wir gesehen haben - auch gelang. Dies bedeutete jedoch nicht, daß sie ihre indianischen Familien - von denen sie nicht selten mehrere hatten- vernachlässigten. Sie tauften sie, gaben ihnen spanische Namen und verliehen Mutter und Kindern, zumal wenn erstere aus fürstlichem Geblüt stammte, als äußeres Zeichen eines gehobenen gesellschaftlichen Standes den Titel Dona beziehungsweise Don. Die Mischlingskinder eines Conquistadors waren mit keinem besonderen Stigma behaftet. Sie übernahmen vom Vater die spanische Kultur und gingen 237
allmählich - wie etwa Dona Leonore, die natürliche Tochter Alvarados, die er von einer tlaxcaltekischen Prinzessin hatte und die keinen geringeren als Francisco de la Cueva, seinen Schwager und Mitglied einer der angesehensten Familien Spaniens, heiratete in den herrschenden Schichten der Kolonien auf. Ganz anders verhielt es sich bei den Spaniern geringeren Standes wie einfachen Soldaten, Beamten und Priestern. Obwohl die Ehe zwischen Indianer und Spanier aufgrund eines königlichen Erlasses aus dem Jahre 1514 erlaubt war, zogen auch sie es meist vor (den Priestern blieb ohnehin keine andere Wahl), ihre Verbindung mit einer Indianerin nicht zu legalisieren. Aber wo die Angehörigen der wohlhabenden Klasse es sich leisten konnten, ihren Konkubinen und deren Kinder eine standesgemäße Versorgung und Ausbildung zukommen zu lassen, war die Mehrzahl der Kolonisten kaum in der Lage, ihre Nebenfamilien zu ernähren. So kam es, daß die Nachkommen aus diesen Verbindungen - und damit der weitaus größte Teil der Mestizen - in der indianischen Umgebung aufwuchs. Da er jedoch von der indianischen Gesellschaft, die mit ihrem patriarchalischen Denken in ihm eher den Vater als die Mutter sah, nicht voll akzeptiert wurde, die Spanier ihn andererseits aufgrund seiner indianischen Erziehung mehr als Indianer denn als Spanier betrachteten, wurde der Mestize zu einem Ausgestoßenen, der ewig zwischen zwei Welten pendelt. Daß dieser Identifikationsverlust zu schweren psychischen Schäden führte, die nicht ohne Auswirkungen auf die weitere Entwicklung in Lateinamerika bleiben sollten, liegt auf der Hand. Obwohl die Spanier sich alle Mühe gaben, ihrem Ruf als Pobtadores (»Bevölkerer«) gerecht zu werden, stieg die Zahl der Mestizen zunächst nur langsam an. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als die ersten offiziellen Zensuserhebungen durchgeführt wurden, machte ihr Bevölkerungsanteil im Maya-Gebiet kaum 15 % aus. Weit niedriger lag allerdings der Prozentsatz der Weißen: er schwankte zwischen 1% in Yukatan und 10% in Guatemala. Die Indianer waren nach wie vor weit in der Überzahl: sie stellten rund 85 % der Bevölkerung in Chiapas, 80% in Guatemala und 70% in Yukatan. Ihre Gesamtzahl lag zu dieser Zeit bei etwa einer halben Million.
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Fußmatte der Gesellschaft Trotz ihrer Überzahl nahmen die Indianer in der kolonialen Ge sellschaftsordnung die unterste Stelle ein. Eine Sonderstellung genoß lediglich die traditionelle indianische Führungsschicht, die als Mittler zwischen den spanischen Machthabern und der breiten Masse der indianischen Bevölkerung fungierte. Das Los der Indianer änderte sich dadurch freilich nicht. Die spanische Krone verfolgte seit dem Beginn der Kolonialzeit eine Politik der Rassentrennung, weniger - wie wir gesehen haben - aus der Überzeugung heraus, eine scheinbar höherwertige weiße Rasse vor einer Vermischung mit der angeblich niederen Rasse der Indianer zu schützen, als vielmehr aus machtpolitischen Erwägungen, da- zu Recht- zu befürchten stand, daß eine gesellschaftliche Vermis chung der verschiedenen Bevölkerungsteile sehr schnell die Vormachtstellung der Spanier, die in den Kolonien schließlich nur eine verschwindende Minderheit waren, untergraben würde. Insofern war die Gesellschaftsstruktur in den spanischen Kolonien eher ein Kastensystem, das einen sozialen Aufstieg der Indianer praktisch unmöglich machte, als ein Klassensystem, das sich immerhin durch eine gewisse soziale Mobilität auszeichnet. Gewährleistet wurde diese geschlossene hierarchische Gesellschaftsordnung nicht nur durch den militärischen und administrativen Repressionsapparat der Spanier (für dessen Unterhalt die Indianer zum Teil selbst mit den Tributleistungen an die Krone aufkommen mußten), auch die Indianer stellten ihre gesellschaftliche Marginalstellung - von wenigen Ausnahmen abgesehen - niemals ernstlich in Frage. Einmal unterstützten ihre eigenen Führer das bestehende System, da sie davon profitierten, zum ändern hatte der Schock der Conquista jegliches Selbstvertrauen und damit jeden Widerstandswillen der Indianer gebrochen. Die Gesellschaftsstruktur in den spanischen Kolonien - und damit auch im Maya-Gebiet - gliederte sich in drei deutlich gegeneinander abgegrenzte Ebenen. Die oberste Schicht bildeten die Spanier, die jedoch ihrerseits wiederum in drei Untergruppen zerfielen. Zuoberst - und damit an der Spitze der gesamten Hierarchie - standen die sogenannten Peninsulares. Es waren dies im Mutterland (der iberischen »Halbinsel«) geborene Spanier, die in den Kolonien die höchsten Regierungs- und Kirchenämter wie das des Vizekönigs, der Provinzgouverneure, Erzbischöfe und Bischöfe innehatten. Sie entstammten meist dem hohen spani239
sehen Adel und standen damit der Krone nahe, die in ihnen einen Garant für die politische Bindung der Kolonien an das Mutterland sah. Nur für die Zeit ihrer Amtsperiode in der Neuen Welt weilend, residierten die Peninsulares mit fürstlichem Gepränge in den städtischen Zentren der Kolonien, im Maya-Gebiet also in Merida, Santiago de Guatemala und Villa bzw. Ciudad Real in Chiapas. Von den Peninsulares wenn nicht verachtet, so doch nicht als ihresgleichen angesehen wurden die Kreolen, jene Nachkommen der Conquistadoren, die - in der Neuen Welt geboren -, wenn überhaupt, nur mit einem niederen Adelstitel aufwarten konnten, dafür aber die Peninsulares nicht selten an Reichtum übertrafen. Als Encomenderos, Plantagenbesitzer und industrielle Unternehmer waren sie - abgesehen von den Indianern, die die eigentliche Arbeit verrichteten - die tragende Wirtschaftskraft in den Kolonien. Sie stellten außerdem die lokalen Regierungs- und Verwaltungsbeamten. In den Hauptstädten, aber auch kleineren Städten wie Campeche und Valladolid in Yukatan, Quetzaltenango in Guatemala und Comitan in Chiapas wohnend, unternahmen sie nur gelegentliche Ausflüge zu ihren ländlichen Besitzungen. Neben den Peninsulares und Kreolen gab es unter den Spaniern in den Kolonien schließlich noch die Schicht der Handwerker, Soldaten und Priester, die - teils in der Alten, teils in der Neuen Welt geboren - die untere Grenze der Kolonialherren darstellte. Was die Handwerker, unter denen besonders Holzschnitzer und Gold- und Silberschmiede zu erwähnen sind, angeht, so waren diese wie in Europa in Gilden organisiert, die streng darauf achteten, daß ihre Monopolstellung nicht durch die kaum weniger geschickten Mischlinge oder gar Indianer unterlaufen wurde. Die Priester, besonders die Ordensgeistlichen, waren - wie wir noch sehen werden - die einzigen Spanier, die im Indianer nicht nur ein Objekt der Ausbeutung sahen. Eine mittlere Stellung in der kolonialen Gesellschaftsordnung nahmen die Mischlinge ein, die sogenannten Castas. Es handelte sich dabei nicht nur um die Mestizen, obwohl sie - zumindest im Maya-Gebiet - die Mehrheit aller Mischlinge ausmachten, sondern auch um Mulatten und Zambos, im einen Falle Mischlinge aus Weißen und Negern, im anderen aus Negern und Indianern. Die Castas - gesellschaftlich und kulturell entwurzelt waren ein unstetes Bevölkerungselement, das dennoch letztlich nur ein Ziel kannte: den sozialen Status und materiellen Wohl240
Oben: Innenhof des Nonnenklosters Santa Clara in Antigua (18. Jh.) Unten: Fassade der Mercedarierkirche in Antigua ( 18. Jh.)
Franziskanerkloster in Izamal, Yukatan (16. Jh.)
stand der Weißen zu erlangen. Um dieses Ziel zu erreichen, waren ihnen alle Mittel recht: ehrliche Arbeit als Handwerker oder Söldner, juristische Tricks, mit denen man sich von seiner Farbe »freikaufen« konnte, und nicht zuletzt die Kriminalität, die sich vornehmlich gegen die sozial Schwächeren, also den Indianer, richtete, dem sie nicht nur höhere Preise für ihre Waren abverlangten, sondern schließlich auch - seit dem 18. Jahrhundert seinen Grund und Boden streitig machten. Auf der untersten Stufe der Gesellschaftsskala stand - abgesehen vom Negersklaven, der als Minen- und Plantagenarbeiter am Rande menschlicher Existenz vegetierte - der Indianer. Er lebte überwiegend in ländlichen Gegenden und war fast ausschließlich in der Landwirtschaft tätig, aus der er - trotz primitivster Anbaumethoden - so viel herausschinden mußte, daß er damit nicht nur seine eigene Familie, sondern auch die des Encomendero ernähren oder - wo der Encomendero die Krone war - die Staatskasse füllen mußte. In den Städten wies man ihm besondere getto-artige Viertel, sogenannte Barrios, zu, aus denen er sich nur zur Verrichtung seiner Arbeiten und Dienstleistungen entfernen durfte. Sprachlich zersplittert, über ein weites unwegsames Siedlungsgebiet zerstreut und seiner Initiative beraubt, fehlte dem Indianer jegliches Klassenbewußtsein, das allein das Gesellschaftsgebäude, das er trug, hätte ins Wanken bringen können.
Verräter ihres Volkes Ein entscheidender Eckpfeiler dieses Gebäudes waren die Kaziken. Als Repräsentanten des indianischen Adels hatten die Spanier ihnen, soweit sie sich nicht der Conquista widersetzt hatten, ihre alten Privilegien gelassen, da sie in ihnen ein willkommenes Mittel zur Stabilisierung ihrer Herrschaft über die Indianer sahen. Ursprünglich auf den Westindischen Inseln angewandt woher der Begriff Kazike stammt -, wurde diese Form der indirekten Herrschaftssystems dem Festland zur Grundlage des spanischen Kolonialsystems. Im Maya-Gebiet waren es - was Yu katan betrifft - die Halach Uinicob, die einstigen Territorialherrscher, und die Batabob, Vorsteher einzelner Gemeinden, die die Spanier- als Vasallen der Krone - in ihren Ämtern beließen, wodurch den einen die unmittelbare Kontrolle der Indianer erspart blieb und den anderen nicht nur eine Stärkung ihrer Position gegenüber ihren Untertanen, sondern auch eine Erweiterung ihrer 241
Privilegien zuteil wurde. Ähnlich wie in Yukatan verhielt es sich auch in Guatemala, nur daß hier anstelle eines einzelnen Halach Uinic die Institution eines Doppelkönigtums bestanden hatte, was den Spaniern die Möglichkeit gab, jeweils einen Teilherrscher gegen den anderen auszuspielen. Zum Kaziken konnte sowohl ein Herrscher als auch ein Ge meindevorsteher ernannt werden, obwohl eigentlich nur ersterer aufgrund seiner ursprünglichen Funktion den weitreichenden Vollmachten des Kaziken entsprach. Da jedoch nicht alle MayaStaaten - zumindest in Yukatan - einer Zentralgewalt unterstanden hatten, sondern häufig von einer Koalition mehrerer Lokalfürsten regiert worden waren und andererseits sich die meisten Herrscher den Spaniern zur Wehr gesetzt und sich damit deren Gunst verscherzt hatten, wurde so mancher Gemeindevorsteher zum Kaziken befördert. Wo allerdings - wie etwa in der Provinz Mani, die von der Dynastie der Tutul Xius regiert wurde - eine zentrale Regierungsform bestanden und der Herrscher sich von Anfang an auf die Seite der Spanier gestellt hatte, übernahm dieser das Kazikenamt, während die Lokalfürsten als sogenannte Gobernadores bestätigt wurden, die - wie in vorspanischer Zeit - unter der Oberaufsicht des Kaziken die lokalen Regierungsgeschäfte wahrnahmen. Den Gobernadores wiederum unterstanden bestimmte Amtspersonen wie Alcaldes, Regidores und Alguaciles, deren Funktionen wie den gesamten Aufbau der Lokalregierung Thomas Gage in seinem Bericht über Neuspanien näher erläutert: Sie (die Indianer) haben die Regierungsform der Spanier übernommen, und in allen Dörfern haben sie einen oder zwei Alcaldes und ebenso viele oder mehr Regidores, die mehr oder weniger den Richtern und Stadträten bei uns oder den Geschworenen in Guinea entsprechen, und außerdem einige Alguaciles, das heißt Polizisten oder Wachtposten, die dafür sorgen, daß die Befehle des Alcalde oder Richters und der Stadträte ausgeführt werden. In den Dörfern, in denen 100 oder 400 Familien leben, gibt es gewöhnlich zwei Alcaldes, sechs Regidores, zwei Alguaciles Mayores und sechs andere, die diesen unterstehen. Es gibt auch einige Dörfer, die das Privileg haben, von einem indianischen Gobernador regiert zu werden, der den Alcaldes und allen übrigen Beamten übergeordnet ist. Jedes Jahr werden diese Beamten ausgewechselt, und es werden andere von den Indianern selbst gewählt, und zwar abwech242
selnd aus jedem Stamm oder jeder Verwandtschaftsgruppe, wodurch diese sich unter ihnen auszeichnen. Am Ersten des Jahres beginnen die Neuernannten mit ihrem Amt, und nach diesem Tag teilt man ihre Wahl dem Gerichtshof in Guatemala mit, wenn sie diesem unterstehen, oder, wenn sie nicht zu seiner Gerichtsbarkeit gehören, den obersten Richtern oder spanischen Gouverneuren der Provinzen, damit diese die Neuwahl gutheißen und die Ausgaben, die die vorangegangenen Beamten gemacht haben und in ihren Büchern ausweisen müssen, überprüfen. Zur Buchhaltung hat jedes Dorf einen Schriftführer oder Schreiber, der sein Amt gewöhnlich mehrere Jahre behält, denn es gibt nur wenige Indianer, die schriftkundig sind und dieses Amt ordentlich ausführen können. Dieser Schreiber hat viele Rechte infolge der Schriftstücke, Berichte und Rechnungen, die er abfaßt, wie die spanischen Schriftführer; aber sie bekommen nicht so viel Geld oder Geschenke, und in den meisten Fällen haben sie nur ein geringes Einkommen, da die Indianer zu arm sind. Der Gobernador behält gleichfalls gewöhnlich sein Amt über mehrere Jahre, denn er ist stets ein Mann von Rang unter den Indianern, es sei denn, man beschwert sich über seine schlechte Amtsführung und alle Indianer lehnen ihn ab. Diese Beamten, in deren Händen die Regierung liegt, können alle Indianer in den Dörfern, die irgendein Verbrechen oder sonstiges Ärgernis begehen, bestrafen. Sie haben das Recht, die Schuldigen zu einer Geldbuße, zu Gefängnis, zur Peitschenstrafe oder zur Verbannung zu verurteilen, aber nicht zum Tode, da sie Vergehen dieser Art an die spanischen Gouverneure übergeben müssen. In der gleichen Weise können sie einen Spanier, der durch ihr Dorf kommt oder in ihm wohnt und der eine strafbare Handlung begeht oder ein ungebührliches Leben führt, festnehmen und ihn mit einem ausführlichen Bericht über sein Vergehen zum nächst gelegenen Gericht schicken; aber sie dürfen ihm keine Geldstrafe auferlegen noch ihn länger ah 24 Stunden einsperren. Es ist wahr, daß jene diese Macht über die Spanier haben, aber sie wagen niemals, sie anzuwenden; denn ein einziger Spanier kann ein ganzes Dorf zum Zittern bringen, und obgleich er ein Verbrecher sein mag, der Gotteslästerungen von sich gibt und mit Degen den einen oder anderen aufspießt, wird es keiner , ihn zu berühren, geschweige denn, ihn festzunehmen, 243
denn sie wissen sehr wohl, daß, wenn sie dies täten, es ihnen nur noch schlechter erginge, sei es durch die Degenhiebe, sei es wegen einer falschen Anklage, die er gegen sie erheben würde.55 Wie die ihm untergebenen Beamten, so wurde auch der Go bernador von den Dorfbewohnern gewählt. Dies war eine bemerkenswerte Neuerung, denn in vorspanischer Zeit wurden die Gemeindevorsteher gewöhnlich vom Herrscher ernannt. Dennoch kann man von einer Demokratisierung des Regierungssystems - soweit es die Selbstregierung der Indianer betrifft (die Oberhoheit der spanischen Krone war ohnehin absolut) - kaum sprechen. Denn wie Gage ganz richtig bemerkt, waren es meist Mitglieder des Adels, denen das in der vorspanischen Tradition verhaftete einfache Volk dieses Amt überließ. Und die Kaziken wurden gar nicht erst gewählt; ihr Amt war erblich. Zu den wichtigsten Aufgaben des Gobernador und damit letztlich auch des Kaziken gehörte - neben der lokalen Selbstverwaltung - die Eintreibung der an die Spanier zu entrichtenden Tribute und die Überwachung der Einhaltung durch die katholische Kirche vorgeschriebener Feste und Riten. Diesen Pflichten, zu denen in späterer Zeit noch der Militärdienst, von dem die übrigen Indianer befreit waren, hinzukam, standen eine Reihe von Privilegien gegenüber, die von der Befreiung von Tributzahlung und Arbeitsdienst bis zur Verleihung von spanischen Adelstiteln und Wappen reichte. Neben diesen offiziellen Vergünstigungen verschafften sich die Kaziken und Gobernadores, die auch bei den Gerichten einen Sonderstatus einnahmen, häufig noch auf illegale Weise zusätzliche Vorteile, indem sie Gemeindeland zum eigenen Erlös verkauften, ihre Untertanen, die sie ohnehin unterhalten mußten, zu erhöhten Abgaben und Dienstleistungen zwangen und nicht zuletzt die hübschesten Mädchen für ihren Harem forderten. Sie waren letztlich nicht mehr als Marionetten, die für sich und die Spanier den höchstmöglichen Gewinn aus dem Volk herausholten. Für die Spanier waren die Kaziken vor allem zu Beginn der Kolonialzeit von Bedeutung. Später, als sie ihre Herrschaft über die Indianer gefestigt hatten, bedurften sie dieses stabilisierenden Faktors nicht mehr. Und so beginnt denn der Einfluß der Kaziken bereits im 17. Jahrhundert zu schwinden. Zunächst wurde der Begriff Kazike auf die Gobernadores ausgeweitet, was zu einer allmählichen Gleichstellung zwischen diesen und den eigentlichen Kaziken führte. Dann wurden die Ämter und Vorrechte der einstigen Kaziken schließlich ganz abgeschafft, so daß es ge244
gen Ende der Kolonialzeit keine anerkannten Nachkommen der ursprünglichen Maya-Herrscher mehr gab. Was nicht bedeutet, daß die Herrscherdynastien der Maya ausstarben: zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es sowohl in Yukatan als auch in Guatemala noch direkte Nachfahren der vorspanischen Herrscherhäuser. Der Stammbaum der Tutul Xius ragt sogar bis in die Gegenwart. Doch ihr Name ist das einzige, was den Xius geblieben ist: sie leben heute wie jeder andere Maya in einer Hütte aus Weidengeflecht und Palmstroh - ein vielleicht verdientes, doch sicher kein rühmliches Ende, wenn man bedenkt, daß ihr Ahnherr Ah Suy Tok Tutul Xiu vor 1000 Jahren im Gouverneurspalast von Uxmal residierte.
Sendboten des Glaubens Seht, innerhalb von 7x20 Jahren wird das Christentum eingeführt werden unter dem Geschrei der Herrscher, jener, die mit Gewalt Land während des Katun besetzen. Dann plötzlich erscheint der weise Mann; dann findet die Prüfung des Katun statt. Erbärmlich ist das Gesicht von Chac Chuen Coyi. Dann wird der Herr der Kirche kommen. Sie ist in der Mitte der Stadt Tihoo. Es wird von Osten kommen, von Norden, von Westen, von Süden; das Wort des Christentums wird im 17. Tun zu hören sein, damit das Christentum sich wahrlich erhebe. Die Patres werden kommen; der Bischof wird kommen, die Heilige Inquisition, das Wort Gottes. Diese Dinge werden geschehen. Keiner wird sie aufhalten können. Amen.''6 Neben politischen und wirtschaftlichen Faktoren war es vor allem die katholische Kirche, die jenen Prozeß beschleunigte, der mit der Conquista begann: die Akkulturation. Mit diesem Begriff bezeichnet man in der Völkerkunde die Annäherung einer Kultur an eine andere, wobei zumindest in einer von beiden kulturelle Wandlungen auftreten. Im Falle der Maya führte dieser Prozeß zu einer weitgehenden Ersetzung ihrer ursprünglichen durch eine fremde, die spanische Kultur. Missionsauftrag und zivilisatorisches Sendungsbewußtsein waren - wie wir gesehen haben - letztlich die eigentliche Rechtfertigung für die Errichtung der spanischen Kolonialherrschaft in Amerika. Da sich in den Augen der Krone für diese verantwortungsvolle Aufgabe weder die weltliche Kirche noch die Kolonisten in Übersee eigneten- die eine, weil sie mit ihrem gewohnten 245
Prunk und Luxus ein schiechtes Beispiel auf die Indianer abgeben würde, die anderen, weil sie im Indianer nur ein Objekt der Ausbeutung sahen -, wandte sich die Krone zunächst an die Mönchsorden, deren apostolisches Glaubensbekenntnis sich eher mit der Heidenmission in Einklang bringen ließ. So hatten bereits Franziskanermönche Kolumbus auf seiner zweiten Reise in die Neue Welt begleitet. Später folgten die Dominikaner und die Augustiner und schließlich die Jesuiten. Im Maya-Gebiet waren es vor allem die beiden erstgenannten, die sich - zumindest anfänglich - durch die Suche nach einer friedlichen Alternative zur Conquista verdient machten. Dabei konzentrierten sich die Franziskaner auf Yukatan und die Dominikaner auf Guatemala und Chiapas. Die Franziskaner waren 1524 auf Anregung von Cortes nach Mexiko gekommen und hatten sogleich damit begonnen, die unterworfenen Azteken zum Christentum zu bekehren. Als man vom Scheitern des zweiten Eroberungsversuches in Yukatan hörte und außerdem der Vorwurf laut wurde, daß Montejo entgegen königlicher Anordnung seine Missionsaufgabe vernachlässigt hatte, unternahm im Jahre 1535 Jacques de Testera (gest. 1543), ein Franzose, der 1529 in die Neue Welt gekommen war und sich durch die Erfindung eines aus den aztekischen Hieroglyphen abgeleiteten Schriftsystems, das die Verbreitung des christlichen Glaubens erleichtern sollte, hervorgetan hatte, einen ersten Bekehrungsversuch unter den Maya in Yukatan. Obwohl sein Ziel letztlich das gleiche war wie das von Montejo — die Unterwerfung der Maya für Kirche und Krone -, waren seine Mittel nicht Feuer und Schwert, sondern Kreuz und Bibel. Die Indianer, die seine friedliche Absicht erkannten, nahmen Testera und seine Begleiter bereitwillig in Champoton auf. Sie ließen sich im christlichen Glauben unterweisen, gelobten die Oberhoheit des spanischen Königs anzuerkennen und versorgten die Franziskaner mit Tribut- und Dienstleistungen. Aber der Friede währte nicht lange. 1537 tauchte eine spanische Truppe unter Leitung von Lorenzo de Godoy, den der jüngere Montejo als Stellvertreter seines Va ters in Tabasco zur Errichtung eines neuen Stützpunktes in Yu katan entsandt hatte, in Champoton auf, und der erste Streit zwischen Klerus und Kolonisten im Maya-Gebiet begann. Er endete wie alle Auseinandersetzungen dieser Art, die folgen sollten: mit dem Sieg der Conquistadoren und Encomenderos. Die Franziskaner zogen sich nach Mexiko zurück. Erst 1545 sollten sie wiederkommen und mit ihrem eigentlichen Missionswerk in Yukatan beginnen. 246
Verapaz, das Land des Friedens Von nachhaltigerem, wenn auch nur symbolischem Erfolg gekrönt war ein Versuch, den die Dominikaner in den Jahren 1537 bis 15 5 8 in Guatemala unternahmen. Es war dies jenes berühmte Missionswerk in Tuzulutlan, dem heutigen Verapaz, mit dem Las Casas ein Modell der friedlichen Koexistenz zwischen Indianern und Spaniern schaffen wollte. Nachdem er 1514 die entscheidende Wende seines Lebens erfahren hatte, die ihn zum leidenschaftlichen Fürsprecher der Indianer machen sollte, war er 1522 in den Dominikanerorden eingetreten, der sich als erster gegen die schamlosen Ausbeutungspraktiken der Spanier in der Neuen Welt gewandt hatte. Von Maldorado, als dieser während der Abwesenheit Alvarados die Amtsgeschäfte in Guatemala führte, zur Förderung des Missionswerkes nach Guatemala gerufen, reifte in Las Casas alsbald der Plan, in dem Grenzgebiet zwischen dem Hochland und dem Peten, dessen Bewohner den Spaniern erbitterten Widerstand geleistet hatten, weshalb diese es Tierra de Guerra (»Land des Krieges«) nannten, ein Missionsreservat zu errichten, in dem die Indianer zwar zum christlichen Glauben bekehrt, vor allem aber vor den Übergriffen der spanischen Encomenderos geschützt werden sollten, bis sie als gleichwertige Partner den Spaniern gegenübertreten konnten. Maldonado erklärte sich in einer einstweiligen Verfügung, die es jedem Spanier untersagte, sich in diesem Grenzgebiet niederzulassen, bereit, das Vorhaben der Dominikaner zu unterstützen, und so begann Las Gasas 1537 damit, das bisherige Kriegsland in eine 'Tierra de Paz, ein »Land des Friedens«, zu verwandeln. Zunächst gelang es Las Casas anläßlich einer ersten Informationsreise durch das Missionsgebiet, die Unterstützung eines Kaziken zu gewinnen, der auf den Namen Juan getauft wurde und im Laufe der weiteren Entwicklung eine nicht unbedeutende Rolle spielen sollte. Mit Hilfe dieses Kaziken wählte Las Casas am Rande des Missionsgebietes einen Ort aus, wo er 1538 die umwohnenden Qwzue -Maya zu einer ersten Missionssiedlung zusammenschloß. Als Schutzpatron erhielt dieser Ort, den die Indianer Rabinal nannten, den Apostel Paulus, so daß die Siedlung fortan - der allgemeinen Ortsbezeichnung während der Kolonialzeit entsprechend - San Pablo Rabinal hieß. Binnen kurzer Zeit hatten 100 indianische Familien in Rabinal ihre Hütten errichtet, und bald kamen auch Indianer aus ferner gelegenen Gebieten herbei, um dem Gottesdienst in der Kirche von Rabinal beizuwohnen. 247
Durch diesen Anfangserfolg ermutigt, beschloß Las Casas, nach Spanien zu gehen, um der Krone von seinen Erfahrungen zu berichten und eine Bestätigung seines Missionsauftrages zu erwirken. Vor seiner Abreise jedoch entsandte er einen seiner Ordensbrüder in das sich nördlich an Rabinal anschließende Siedlungsgebiet der Kekchis, wo es diesem ohne Schwierigkeiten gelang, eine zweite Missionsstation zu errichten, der er nach dem Gründer des Ordens und einem lokalen Indianerfürsten den Namen Santo Domingo Coban gab. Dieser Ort, in dessen Umkreis sich bald weitere Missionssiedlungen bildeten, wurde zum eigentlichen Zentrum der Missionsarbeit der Dominikaner im nördlichen Guatemala. Las Casas gelang es inzwischen, Karl V. für sein Missionswerk zu gewinnen. Zum Bischof von Chiapas ernannt, dessen Amtsbereich sich auch auf das angrenzende Missionsgebiet in Guatemala erstreckte, kehrte er 1545 in die Neue Welt zurück und begab sich sogleich - kaum daß er in Ciudad Real, seinem Amtssitz, Station gemacht hatte - auf eine Visitationsreise, um sich über den Stand seines Missionsprojektes zu unterrichten. Die Arbeit der Dominikaner in Guatemala machte Fortschritte, aber in Chiapas war der Widerstand der Encomenderos gegen seine Reformpläne so groß, daß Las Casas es schließlich vorzog, sein Bischofsamt aufzugeben und nach Spanien zurückzukehren, um sich fortan bei der Krone für das Recht der Indianer einzusetzen. Immerhin verließ Las Casas die Neue Welt, die er - inzwischen über 70 - nicht mehr wiedersehen sollte, mit der Genugtuung, sein Missionswerk in Guatemala vollendet zu haben, denn im gleichen Jahr, 1547, als er seinen Bischofsstab niederlegte, gab Prinz Philipp, der in Abwesenheit seines Vaters die Regierungsgeschäfte führte, dem ehemaligen Kriegsland in Guatemala die offizielle Bezeichnung Verapaz, »Wahrer Frieden«.
Ein Herz für die Sonne Die Missionstätigkeit der Dominikaner in der Verapaz hatte sich bislang nur auf das Siedlungsgebiet der Quiches und Kekchis beschränkt. Unter dem Prior des neugegründeten Klosters von Cobän, Domingo de Vico, der 1545 Las Casas in die Neue Welt gefolgt war, dehnten die Dominikaner ihr Missionswerk weiter nach Norden in das Gebiet des südlichen Acalan aus, das von Chol-Maya bewohnt wurde, die gegen Ende der klassischen Pe248
riode unter den Einfluß der Putunes von Tabasco gelangt waren. Hier gründeten die Dominikaner 1552 eine Missionssiedlung namens San Marcos, doch die Indianer, die sie an diesem Ort zusammenzogen, mißtrauten den Fremden, die, obgleich sie ihnen nur einen neuen Gott bringen wollten, ihnen sicher über kurz oder lang auch ihr Land rauben würden. Als schließlich 1555 eine offene Rebellion auszubrechen drohte, begab sich de Vico in Begleitung eines Ordensbruders, Andres Lopez, und 30 konvertierter Indianer nach San Marcos, das - wie viele entlegene Mis sionssiedlungen - nicht ständig unter der Aufsicht eines Geistlichen stand, um die Indianer zu beschwichtigen. Damit diese an seinen ehrlichen Absichten nicht zweifelten, bestand er darauf, als er bei seiner Ankunft in San Marcos die Siedlung verlassen fand, daß der Kazike Don Juan, der ihm - in der Absicht, die Patres zu beschützen - mit einem Trupp indianischer Krieger gefolgt war, nach Coban zurückkehrte. De Vico ging sogar noch einen Schritt weiter und nahm seinen indianischen Begleitern all ihre Waffen ab. Als ob sie auf dieses Zeichen gewartet hätten, kamen die Indianer aus ihren Verstecken hervor und versammelten sich auf dem Dorfplatz. Die Nacht brach herein, und de Vico und sein Ordensbruder zogen sich zum Gebet in ihre Hütte zurück. Als der Morgen kam und alles ruhig schien, machte sich de Vico auf, um mit den Indianern zu verhandeln: Es dämmerte der Tag, und der Pater Fray Domingo stieg die Treppe hinab, die von der Hütte zum Dorfplatz führte, wo die Indianer versammelt waren, und wandelte unter ihnen. Die Indianermachten ihm Platz, ängstlich darauf bedacht, ihn nicht zu berühren, denn nach ihrem heidnischen Aberglauben bedeutete es den sicheren Tod, wenn sie sich einem Priester näherten. Aber sie begannen sogleich, mit Pfeilen auf ihn zu schießen, obgleich ihn keiner verletzte. So gelangte er in die Kirche und kniete nieder, um in tiefer Frömmigkeit zu beten. Da sah er, daß die Kirche brannte. Er eilte hinaus und ging zu den Indianern und fragte sie, was er ihnen getan hätte, daß sie ihn töten wollten. Aber die einzige Antwort war ein noch größerer Hagel von Pfeilen als zuvor. Und einer traf ihn am Adamsapfel in die Kehle. Als er die Verwundung spürte, stieß er einen lauten Schrei aus und sagte: »Jesus!«, denn er war diesem heiligen Namen sehr ergeben und trug ihn häufig auf den Lippen. In diesem Augenblick erwachte sein Begleiter, und als er, um nachzusehen, was vor sich ging, an der Tür erschien, schoß ein Indianer einen Pfeil auf ihn ab, der ihn am Kinn traf. Der Mönch gab den Anschein, als hätte ihn nur 249
ein Moskito gestochen, und er nahm den Pfeil, zog ihn heraus und begann, sich das Blut abzuwischen, denn er war. . . ein Mann großer Stärke und Tapferkeit. Und in aller Eile ging er hinab, um dem Pater Fray Domingo, der, von seiner Wunde in der Kehle blutüberströmt, zu Boden gestürzt war, zu Hilfe zu kommen. Er hob ihn auf, und mit Hilfe der Akoluthen, die der Pater Fray Domingo mitgebracht hatte und die sich gegen die Pfeile mit ihren Skapulieren geschützt hatten, lehnte er ihn an die Wand der Kirche. Dann kniete er neben ihm nieder, um ihm beim Sterben zu helfen, obwohl ihm selbst Blut aus seinem Kinn strömte. Und während sie dort kauerten, der eine sein Leben aushauchend und der andere dem Tode geweiht, hörten die Indianer nicht auf, sie mit Pfeilen einzudecken. Um sie zu verteidigen, stellte sich einer der Akoluthen mit einem Schild, den er zufällig fand, vor ihnen auf und beschützte sie. Als dies einer der Anführer der Indianer sah, rief er ärgerlich seinen Kriegern zu: » Gibt es keinen, der es wagt, dort hinüberzugehen, und mir jenen Jüngling bringt, der unser Vorhaben vereitelt?« Da machte sich einer auf und packte den Akoluthen am Schild und schleppte ihn zu seinen Leuten, die ihm sogleich die Brust öffneten und das Herz herausrissen und es der Sonne opferten, die sie als Gott anbeteten. Mit diesem Opfer hörte der Pfeilhagel auf, und die Indianer wandten sich den Pferden zu, um sie zu töten, damit jene, die noch am Leben waren, nicht fliehen konnten. In der 'Zwischenzeit hauchte der Pater Fray Domingo de Vico sein Leben aus und vertraute seine Seele dem Herrn an, in Demut und mit der Krone eines Märtyrers, am Freitag um 7 Uhr morgens, einen Tag vor dem des ruhmreichen Apostels Sankt Andreas. Als sein Begleiter ihn tot sah und sich der Indianer entledigt fand, stieg er zur Hütte hinauf und nahm ein wenig Maiskuchen und eine Kürbisflasche, aus der er zu trinken pflegte, und sein Brevier. Dann, in stillem Gebet und auf Gott vertrauend, langsam und ohne jede Furcht, seine Kühnheit mißachtend, mit der er sich zu verteidigen pflegte, machte er sich auf den Weg nach Cobän, blutüberströmt von den Pfeilwunden. Da fand ihn eine Abteilung der Indianer, die seine Wunden noch vermehrten, so daß er wie ein Igel aussah, und so gab er seine Seele dem Herrn, und mit ihm starben etwa 10 Indianer, einige, die mit den Patres aus Cobän gekommen waren, andere, die Don Juan zu ihrer Bewachung zurückgelassen hatte. Da der Körper des Paters Fray Domingo de Vico an die Wand der Kirche gelehnt blieb, die die Indianer angezündet hatten, fiel ein großer Teil des Daches auf 250
ihn, und er verbrannte gänzlich bis auf den Schädel, den man mit einigen Rippen ah einzige Überreste fand , . ,57 Der Märtyrertod der beiden Dominikaner bedeutete das Ende der friedlichen Mission in der Verapaz. Auf einem Ordenskapitel, das die Dominikaner 1558 in Coban abhielten, kamen sie zu dem Schluß, daß die Choles von Acalan nur mit Gewalt zürn Christentum bekehrt werden konnten. Und so geschah es, daß im folgenden Jahr der Kazike Don Juan aufgrund eines königlichen Dekrets eine Strafexpedition nach Acalan unternahm, deren Ausgang nicht weniger tragisch war als die Friedensmission des Dominikanerpaters Vico: Don Juan, ein Maya, ließ 18 Anführer der Aufständischen hängen und verschleppte den Rest der Ge fangenen nach Coban.
Bischöfe und Diözesen Mit dem Scheitern des Missionsversuches in der Verapaz waren die Friedensbemühungen der Ordensgeistlichen im Maya-Gebiet keineswegs beendet. Namentlich bei der Unterwerfung der Itzds von Tayasal versuchten sie im 17. Jahrhundert wiederholt, einer militärischen Eroberung zuvorzukommen. Doch als die Zahl der Missionssiedungen und Bekehrten in der Neuen Welt zunahm, sah sich die spanische Krone - eingedenk des Patronats über alle kirchlichen Aktivitäten in den Kolonien, das ihr der Papst verliehen hatte - bald genötigt, der Kirche in Amerika eine feste Verwaltungsstruktur zu geben. Daß dabei die weltliche Kirche mit ihrer straffen hierarchischen Organisation in den Vordergrund trat, war zwar unvermeidlich, bedeutete aber einen empfindlichen Rückschlag in der Heidenmission. Denn was Cortes vorausgesehen hatte, trat im Laufe der Kolonialzeit immer deutlicher zutage: wo am Anfang das Ideal einer friedlichen Mission gestanden hatte, stand am Ende die Forderung, Macht und Reichtum der Kirche zu mehren. Vom Beschützer des Indianers, wie es die ersten Ordensgeistlichen gewesen waren, verwandelte sich die Kirche in den Kolonien zu seinem größten Ausbeuter, der über den meisten Grundbesitz verfügte. Damit hatte die spanische Krone eigentlich ihren Rechtstitel über die indianischen Länder verloren. Aber sie wurde sich dessen gar nicht rnehr bewußt, denn sie verlor ihn auf andere Weise. Nachdem zuvor auf den Westindischen Inseln die ersten Bistümer gegründet worden waren, ernannte Karl V. im Jahre 251
1533 den Franziskanerpater Juan de Zumarraga zum ersten Bischof von Mexiko. Ein Jahr später wurde in Guatemala ein zweiter Bischofssitz errichtet, den der Lizentiat Francisco Marroquin( 1499-1563), ein Vertrauter Alvarados, einnahm. Marroquin versuchte, zwischen den Interessen der Kolonisten und den Rechten der Indianer zu vermitteln. So war er es, auf dessen Initiative Las Casas nach Guatemala berufen wurde. Aber als dieser später als Bischof von Chiapas Santiago besuchte und den Bürgern der Stadt ihre schamlosen Ausbeutungspraktiken vorhielt, beschwerte er sich bei der Krone über den Eifer und Fanatismus seines Gastes. Das Bistum von Chiapas, das neben der Verapaz auch Tabasco und Yukatan mit einschloß, war bereits 1539 gegründet worden, blieb aber bis zur Ankunft von Las Casas unbesetzt. Verapaz bildete in den Jahren 1559 bis 1609 eine eigene Diözese und wurde dann - als Folge eines Angriffes der Lakandonen - dem Bistum von Guatemala angegliedert. Tabasco und Yukatan schlössen sich ihrerseits 1561 zu einer Diözese zusammen, deren erster Bischof der Franziskaner Francisco Toral (gest. 1571) wurde. Zunächst unterstanden alle Bistümer in der Neuen Welt der Kirchenprovinz Sevilla. Mit der Ausdehnung des Kolonialreiches wurden auch diese Bande immer lockerer, und so kam es 1546 zur Errichtung von drei Erzbistümern in Amerika, deren Zentren Santo Domingo, Mexiko und Lima waren. Damit konzentrierte sich neben der politischen auch die kirchliche Gewalt über das Maya-Gebiet in der ehemaligen Hauptstadt der Azteken. Erst im Jahre 1745 wurde die Diözese m Guatemala zu einem Erzbistum erhoben.
Das heilige Amt Mit der Institutionalisierung der katholischen Kirche in den Kolonien ging eine schärfere Kontrolle der Heidenmission einher. Sie richtete sich nicht nur gegen die toleranten Missionspraktiken, wie sie Las Casas vertrat, sondern bekämpfte auch erbarmungslos jegliche Relikte der vorspanischen Glaubenstradition. Bereits 1535 war Zumarraga, der Bischof von Mexiko, zum apostolischen Generalinquisitor ernannt worden, und vier Jahre später wurde auf einem Konzil in Mexiko ein generelles Verbot indianischer Feste erlassen. Wer gegen dieses Verbot verstieß, dem drohten Folter und Tod. 252
Den Maya widerfuhr - nach dem segensreichen Wirken von Las Casas um so schmerzlicher - das Unglück, einem der fanatischsten Inquisitoren ausgesetzt zu sein, der jemals den Boden der Neuen Welt betreten hat: Diego de Landa. In seinem »Bericht über die Dinge in Yukatan«, den er - bei aller ethnographischen Genauigkeit - zur Verteidigung seines rücksichtslosen Feldzuges gegen die Glaubensüberlieferungen der Maya schrieb, enthält er sich wohlweislich eines näheren Kommentars bezüglich seiner inquisitorischen Tätigkeit. Doch was Landa verschweigt, schildern andere Chronisten der Kolonialzeit um so ausführlicher. Danach erkannte Landa, seit 1556 mit der Überwachung des Missionswerkes in Yukatan betraut, erstmals 1558 anläßlich einer Visitationsreise in die Gegend von Valladolid, daß die Indianer der umliegenden Dörfer in ihren alten Götterkult zurückgefallen waren. Auch in den Provinzen Hocaba, Cochua und Sotuta stieß man auf Anzeichen der heidnischen Religion, und obwohl die Schuldigen - vor allem die chilanob, die Priester, die, um ihren einstigen Einfluß wiederzugewinnen, das Volk aufstachelten - unverzüglich bestraft wurden, breitete sich die Unruhe unter den Yukateken weiter aus, bis schließlich ein Aufstand loszubrechen drohte. Da beschloß Landa - inzwischen zum Provinzial der Franziskaner m Yukatan ernannt -, ein Exempel zu statuieren, und veranstaltete mit Unterstützung des Alcalde Mayor, Diego Quijada, am 12. Juli 1562 in Mani, der einstigen Residenz der Tutul Xius, ein Autodafe, das als größter Akt der Barbarei, den die katholische Kirche im Maya-Gebiet begangen hat, in die Geschichte eingegangen ist: Drei oder vier Tage nachdem der besagte Alcalde Mayor eingetroffen war, wurde an einem Sonn- oder Feiertag ein öffentliches Ketzergericht im Hof des Klosters abgehalten. Man brachte die Fürsten und Adligen herbei, mit Büßerhauben auf dem Kopf und entblößtem Oberkörper, mit Stricken um den Hals und Götterbildern in den Händen und in Schandtücher gekleidet, meist aus Baumwollstoff, gelb gefärbt und mit roten Kreuzen. Der Alcalde Mayor wohnte der Gerichtsverhandlung bei und saß zusammen mit den Ordensgeistlichen sowie anderen Spaniern auf einer Plattform. Dort wurden die Urteile gegen die erwähnten Indianer verlesen, und in Übereinstimmung mit diesen peitschte man sie öffentlich aus, einige erhielten 100 Schläge, andere 200. Und man schnitt ihnen das Haar ab und legte ihnen als Strafe auf, Schandkutten zu tragen, einige 3 Jahre lang, andere 2 und wieder andere 1 Jahr, und verurteilte sie zu Zwangs253
arbeit für 5, 4 und 3 Jahre und weniger. Und einer von ihnen, ein Vornehmer aus dem Dorf Tekax, das Francisco de Bracamonte in Encomienda hielt, wurde dazu verurteilt, 15 Pesos de tipuzque zuzahlen, und andere, 2 tostones, und andere, einen.5 * Das wahre Ausmaß des Elends und der Zerstörung, das das Autodafe von Mani verursachte, geht auch aus diesem Bericht nicht hervor: im Jahre 1562 starben allein 157 Maya in Yukatan an den Folgen der Folter, mit der Landa und seine Schergen die Indianer zu Geständnissen zwangen, und von den 5000 Götterbildern und 27 Bilderhandschriften, die einer späteren Überlieferung zufolge das Opfer der Inquisition in Yukatan wurden, geht zweifellos ebenfalls der größte Teil auf das Konto von Landa. Daß er dafür - als Nachfolger von Toral - zum Bischof von Yukatan geweiht wurde, verrät, wie wenig letztlich Las Casas mit seiner Intervention am spanischen Hof erreicht hatte. Eines allerdings bewirkten die Anschuldigungen, die von Toral und seinen Anhängern gegen Landa erhoben worden waren: dem Inquisitionstribunal, das 1571 als permanente Institution in Mexiko errichtet wurde, waren die Indianer nicht mehr unterstellt. Als Neubekehrte, die zudem - wie man meinte - nur über ein geringes Maß an Vernunft verfügten, sollten sie fortan von den Verfolgungen der Inquisition, die jetzt nur noch für Protestanten und Juden zuständig war, verschont bleiben. Obwohl auch diese Verordnung nicht immer eingehalten wurde noch im 18. Jahrhundert ging die Inquisition zuweilen gegen solch heidnische Praktiken wie Zauberei und Polygamie vor -, trug die religiöse Sonderstellung der Indianer entscheidend dazu bei, daß die Heidenmission im Maya-Gebiet - wie auch im übrigen Lateinamerika - nur zu einem Synkretismus führte, bei dem die indianische Glaubenswelt in christlichem Gewande bis auf den heutigen Tag weiterlebt.
Die große Bescherung Die Indianer haben nicht verloren, sondern viel gewonnen durch die Ankunft der Spanier, sogar in kleinen Dingen, obwohl es viel ist, was man ihnen gab, das ihnen mit der Zeit sicher von Nutzen sein wird und dessen sie sich bereits jetzt zum Teil erfreuen und bedienen. Schon gibt es viele gute Pferde und viele Maultiere und Maulesel; die Esel gedeihen schlecht, und ich glaube, daß der Grund darin liegt, daß man sie zu sehr verwöhnt, denn der Esel 254
ist zweifellos ein robustes Tier und zu viel Fürsorge schadet ihm. Auch gibt es viele und sehr schöne Kühe, viele Schweine, Schafe, Ziegen und einige unserer Hunde, die für sie von Wert sind und somit, in den indianischen Ländern, zu den nützlichen Dingen gezählt werden müssen. Ferner Katzen, die gleichfalls von großem Nutzen und dort notwendig sind und die die Indianer sehr gern haben. Hühner und Tauben, Apfelsinen, Limonen, Zitronen, Reben, Granatäpfel, Feigen, Guayavas und Datteln, Bananen, Melonen und die übrigen Gemüsesorten; nur die Melonen und Kürbisse wachsen allein, für die übrigen braucht man frisches Saatgut aus Mexiko. Auch Seide ist bereits eingeführt worden, und sie gedeiht sehr gut. Werkzeuge hat man ihnen gegeben und den Gebrauch mechanischer Geräte, und auch an diese Dinge haben sie sich schnell gewöhnt. Der Gebrauch des Geldes und vieler anderer Dinge, die aus Spanien eingeführt wurden, hat, obzwar die Indianer ohne diese Dinge ausgekommen sind und auskommen konnten, ihnen ohne Zweifel ein menschenwürdigeres Leben ermöglicht und ihre körperliche Arbeit erleichtert, denn, wie der Philosoph sagt, hilft der Geist der Natur. Gott hat den Indianern durch unsere spanische Nation nicht nur die besagten Dinge gegeben, die dem Menschen einen so wichtigen Dienst erweisen und für die allein nicht das ausreicht, was die Indianer den Spaniern geben und geben werden; ihnen wurden auch, ohne daß sie dafür bezahlen, Dinge zuteil, die man nicht kaufen noch verdienen kann, und zwar die Gerechtigkeit und das Christentum und der Frieden, in dem sie jetzt leben; deshalb schulden sie mehr Spanien und den Spaniern, besonders den katholischen Königen - die mit beständigem Wohlwollen und in solch christlichem Geist für sie gesorgt haben und für sie sorgen als ihren Vorfahren, bösen Vätern, die sie, Söhne des Übels, in Sünde zeugten, während das Christentum sie in Gnade erschafft und um das ewige Leben zu erlangen. Ihre Vorfahren wußten nicht, ihnen eine Ordnung zu geben, um sich dieser großen Verirrungen, in denen sie gelebt haben, entledigen zu können. Die Gerechtigkeit hat sie aus diesen Verirrungen mit Hilfe der Predigt herausgeführt, und diese muß sie davor bewahren, zur Sünde zurückzukehren; und sollten sie doch in ihre alten Sitten zurückverfallen, muß man sie mit Vernunft befreien, denn Spanien kann sich rühmen, von Gott unter allen Nationen dazu auserwählt zu sein, jene Völker zum Heil zu führen, weshalb jene ihm weit mehr schulden als ihren Vorfahren und Ahnen; denn, 255
wie der gesegnete Sankt Gregor sagt, hätte es wenig Sinn, geboren zu werden, wenn wir nicht durch Christus, unseren Heiland, erlöst würden. Oder, um mit Anselm zu sprechen: welchen Nutzen brächte es, erlöst zu sein, ohne die Frucht der Erlösung zu erlangen, die unser Seelenheil ist? Und so irren jene sehr, die sagen, daß, da die Indianer den Übergriffen, Quälereien und schlechten Beispielen der Spanier ausgesetzt worden sind, es besser gewesen wäre, wenn man sie nicht entdeckt hätte, denn größer waren die Quälereien und Übergriffe, die sie sich untereinander zufügten, indem sie einander fortwährend töteten, versklavten und den Dämonen opferten. Und selbst wenn sie von den Spaniern ein schlechtes Beispiel erfahren haben oder noch heute erfahren, so hat der König es wiedergutgemacht und macht es jeden Tag wieder gut mit seiner Gerechtigkeit und der stetigen Predigt und dem beharrlichen Widerstand, den die Ordensgeistlichen gegen die leisten, die diese schlechten Beispiele geben und gegeben haben; um so mehr, als es eine Lehre des Evangeliums ist, daß schlechte Beispiele und Skandale notwendig sind, und so sind sie, wie ich glaube, unter jenem Volk gewesen, damit sie lernen, das Gold vom Schmutz zu scheiden und das Korn vom Spreu und die Tugend zu schätzen, wie sie es getan haben, und dabei, wie der Philosoph, erkennen, daß die Tugenden über die Laster und die Tugendhaften über die Lasterhaften triumphieren und daß derjenige, der ihnen mit einem schlechten Beispiel oder Skandal begegnet ist, eine schreckliche Strafe erfährt, wenn er sein Vergehen nicht durch eine gute Tat sühnt.59 Wie Landa, der am Schluß seines Berichtes zu dieser Beurteilung der spanischen Kolonialherrschaft kommt, so sind auch wir geneigt, die zivilisatorischen Segnungen des Weißen Mannes höher zu bewerten als die angeblich primitiven Sitten der farbigen Völker, die sie verdrängten. Daß diese unsere Einstellung eigentlich hypokritisch ist, beweist die Tatsache, daß wir seit der Aufklärung vom »edlen Wilden« träumen, der fernab entmenschlichter Zivilisation ein paradiesisches Leben führt. Und da eben diese Zivilisation im Laufe der Zeit den letzten Wilden ausgerottet hat, bleibt uns heute nichts anderes mehr übrig, als in »versunkenen Kulturen« unser Heil zu suchen. Die Kultur der Maya versank so gründlich, daß wir heute nicht einmal mehr in der Lage sind, ihren Schlüssel, die Maya-Schrift, zu lesen. Wenngleich auch die Kirche den größten Anteil am kulturellen Zerstörungswerk im Maya-Gebiet hatte, so standen ihr die weltlichen Behörden kaum nach. Nicht nur, daß sie die Kirche in ih256
rem Bemühen, das Heidentum zu bekämpfen, unterstützten - es war beispielsweise Aufgabe des Staates, die Urteile zu vollstrekken, die bei einem Inquisitionstribunal gefällt wurden -, die Krone trug auch direkt - durch die Erlassung restriktiver Gesetze - zu einer allmählichen Auflösung der indianischen Kultur bei. Zu den folgenschwersten Erlassen dieser Art gehören die sogenannten Ordenanzas, die Tomas Lopez Medel, ein Mitglied der Audiencia von Guatemala, in den Jahren 1552/53 anläßlich einer Inspektionsreise in Yukatan erließ. Sie erfaßten alle Lebensbereiche des Indianers, von der Verordnung, die angestammte diverse Siedlungsweise aufzugeben und sich im Umkreis der Klöster in kompakten Dörfern zusammenzuschließen, bis hin zum Verbot des Balche, eines alkoholischen Getränkes, das die Yukateken aus der Rinde eines gleichnamigen Baumes gewannen und als Ritualgetränk verwendeten. Bei aller Geringschätzung indianischer Tradition standen hinter diesen - wie auch allen folgenden - Ordenanzas letztlich natürlich politische und wirtschaftliche Erwägungen: man setzte Kaziken zur Eintreibung der Tribute ein, ordnete die Einführung von Zuchtvieh und technischen Neuerungen an und verlangte, daß auch die Männer die Webkunst - bislang eine weibliche Tätigkeit - erlernten, damit die Abgaben, die ja nicht nur aus Nahrungsmitteln, sondern auch aus handwerklichen Produkten bestanden, gesichert waren. Selbst die Zahl der Gäste, die ein Indianer zu einer Festlichkeit einladen konnte, richtete sich nach ökonomischen Prinzipien: sie durfte, so bestimmte Lopez, zwölf nicht übersteigen, denn sonst wurde unter den Gästen verschwendet, was für den Encomendero vorgesehen war. Das Produkt kirchlicher und weltlicher Akkulturation war ein Maya, der weder Indianer noch Spanier war, ein Volk, das seinen Glauben an seine Götter und Gebräuche verloren hatte und, entmündigt und entfremdet, auf das Niveau eines Paria gesunken war, der sich - wie ein Hund - mit dem Abfall seines Herrn zufriedengibt. Denn was die Spanier von der Alten in die Neue Welt brachten, kam nur ihnen selbst zugute: Pferd und Schaf, Zuckerrohr und Indigo, Rad und Wagen, Freiheit und Gerechtigkeit - für den Indianer blieb all dies unerreichbar, es sei denn, er war Kazike oder Sklave, was ihm im einen Fall die Erlaubnis, ein Pferd zu reiten, im ändern die Verpflichtung, auf den Zuckerrohrfeldern und in den obrajes, den Tuchmühlen, zu arbeiten, einbrachte. Die Kulturgüter, die die Maya von den Spaniern übernahmen wie Hunde und Katzen, Obst- und Gemüsebäume, 257
Kleidung, die ihre Nacktheit bedecken sollte, Kirchen, die man auf den Trümmern ihrer Tempel errichtete, und Branntwein, mit dem sie ihre Not betäubten, wogen den Verlust ihrer Tradition nicht auf. Jahrtausende war man ohne Bananen und Hühner ausgekommen, und die lateinische Schrift wurde erst notwendig, als man die indianischen Hieroglyphen als Teufelswerk verdammte. Weit davon entfernt, den Indianern von Nutzen zu sein, bewirkte das Zivilisationswerk der Spanier eher eine De- als eine Akkulturation.
Gottes Gnade Erlangte die kulturelle Entwicklung der Maya während der Kolonialzeit auch niemals wieder die Höhe, die sie in vorspanischer Zeit gehabt hatte, so war es letztlich doch den Indianern zu verdanken, daß in Santiago, der dritten Hauptstadt Guatemalas, die nach der Zerstörung Ciudad Viejas 1543 im nahe gelegenen Tal von Panchoy gegründet worden war, eines der bedeutendsten Kulturzentren des spanischen Amerika entstand. Obwohl wie ihre Vorgängerin am Ostabhang der Sierra Madre und damit am Rande jenes Feuergürtels gelegen, der die Küstenländer des Pazifiks mit ständigen Erdbeben und Vulkanausbrüchen bedroht, entwickelte sich Santiago im Laufe der Kolonialzeit zu einer Metropole, mit deren Größe und Pracht sich nur Mexiko und Lima messen konnten. Bereits 1566 hatte ihr Philipp II. in Anerkennung der Verdienste, die sich ihre Bewohner bei der Eroberung und Besiedlung Guatemalas erworben hatten, den Titel Muy Noble y Muy Leal Ciudad de Santiago de los Caballeros de Goathemaia (»Sehr Edle und Treue Stadt des Heiligen Jakob der Ritter von Guatemala«) verliehen. Vier Jahre später wurde sie endgültig zum Sitz der Audiencia von Guatemala erhoben, deren Amtsbereich von Chiapas bis Costa Rica reichte. Wie alle Kolonialstädte im spanischen Amerika wurde Santiago nach einem Grundplan angelegt, der einem Schachbrett entspricht. Den Mittelpunkt bildete die sogenannte Plaza Real, die von den wichtigsten Gebäuden der Stadt eingerahmt wurde: im Norden dem Cabildo, im Süden dem Palast der Generalkapitäne und im Osten der Kathedrale. Im Westen wurde die Plaza vom Portal de los Mercaderos, einer überdachten Ladenstraße, begrenzt. Das Cabildo, in dem die Bürger der Stadt ihre Ratsversammlungen abhielten, stammt wie die meisten Gebäude in San-
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tiago, die erhalten geblieben sind, aus der späten Kolonialzeit. An seiner Stelle stand ursprünglich ein recht bescheidener Bau, die Casa Consistorial (das »Rathaus«), in dem einst Bernal Diaz del Castillo, der Chronist der Conquista, einen Ehrenplatz eingenommen hatte. Erst 1743 wurde dieses alte durch ein neues Rathaus, den Palacio del Real Cabildo, ersetzt, einen Bau, der eigentlich ein Gegenstück zu dem mächtigen Gouverneurspalast bilden sollte, mangels der erforderlichen Gelder sich aber die Nordseite der Plaza mit den Läden der Tuchhändler und einer Druckerei teilen mußte. Der Gouverneurspalast, ein quadratischer Bau im Renais sancestil, dessen Fassade aus zwei übereinandergesetzten Arkadengängen bestehe, wurde erst 1764 vollendet. Im Gegensatz zu seinem Vorläufer, den auf Veranlassung des Bischofs Marroquin 1550 erbauten Casas Reales, die als gemeinsamer Sitz der weltlichen und geistlichen Macht gedient hatten, war der Palacio de los Capitanes Generales ausschließlich den Regierungsgeschäften vorbehalten. Seinem majestätischen Äußeren entsprach eine prunkvolle Innenausstattung, mit getäfelten Wänden und zahlreichen Porträts von Königen, Päpsten und Bischöfen. So ehrfurchtgebietend der Gouverneurspalast auch war, es war die Kathedrale zu seiner Rechten, die die eigentliche Macht in Santiago symbolisierte. Nicht nur, daß die Umwandlung des Bistums von Guatemala in eine Erzdiözese, die die Grenzen der Audiencia umfaßte, den Einfluß der Kirche gestärkt hatte. Seit ihrer Gründung bildete Santiago auch den Hauptsitz der Mis sionsorden in Zentralamerika, so daß die Stadt schließlich 80 Kirchen zählte, die mit ihren Klöstern, Schulen und Hospitälern das Leben ihrer Bewohner beherrschte. Viele dieser Kirchen, darunter die der Dominikaner, Franziskaner, Jesuiten und Mercedarier, gehören mit ihrer barocken Fassadendekoration und dem reichen Schmuck ihrer Altäre und Heiligenbilder zu den eindrucksvollsten Kunstwerken, die die Spanier in der Neuen Welt geschaffen haben. Daß sie zugleich zum Hort unermeßlicher Gold- und Silberschätze wurden, trug nicht unwesentlich zur Verelendung derer bei, die sie - abgesehen von den Architekten und Künstlern, die man aus Europa kommen ließ - mit ihrer Hände Arbeit errichteten. Auch die Kathedrale, mit deren Bau 1669 begonnen und die möglicherweise nie vollendet wurde, erhebt sich auf den Fundamenten eines früheren Baus. Dieser war, der damaligen Sitte entsprechend, zur letzten Ruhestatt der Conquistadoren erwählt 259
worden: Alvarado, seine Frau Beatriz und seine Tochter Leonor, Francisco de la Cueva, der Bischof Marroquin und Bernal Diaz del Castillo - sie alle wurden an diesem Ort beigesetzt. Doch das Grab des Eroberers von Guatemala blieb verschollen, denn der Fluch, der Ciudad Vieja heimgesucht hatte, wurde auch Santiago zum Verhängnis. Seit ihrer Gründung war die Stadt das Opfer unzähliger Naturkatastrophen gewesen: bis zum Jahre 1773 hatten 14 schwere Erdbeben, 4 Vulkanausbrüche und 4 Überschwemmungen die Stadt heimgesucht. Stets aber hatten ihre Bewohner dem Schicksal getrotzt und die Stadt zu noch größerem Glanz wieder aufgebaut. Als jedoch im Februar dieses Jahres erneut die Erde zu beben begann und die Versorgung der Stadt allmählich zusammenbrach, weil die Indianer, die ihr Instinkt warnte, die Stadt nicht mehr zu betreten wagten, bemächtigte sich der Spanier in Santiago schließlich das Gefühl eines drohenden Unheils. Und was die einen möglicherweise als Vergeltung erhofften und die anderen als Sühne fürchteten, trat am Tag der Heiligen Martha, am 29. Juli 1773, ein: ein Erdstoß erschütterte die Stadt, der so heftig war, daß alle Bewohner, selbst die Kranken und Lahmen, auf die Straße eilten; 10 Minuten später erfolgte ein zweiter Erdstoß, und die Stadt sank in Schutt und Asche. Wäre jener erste Erdstoß, der die Bevölkerung gewarnt hatte, nicht gewesen, wäre den Spaniern in Santiago die Conquista am Ende doch noch teuer zu stehen gekommen. So belief sich die Zahl der Opfer auf weniger als 200, fürwahr eine »göttliche Gnade«, wenn man bedenkt, daß Santiago am Vorabend der Katastrophe 80000 Einwohner zählte. Immerhin, das Ausmaß der Zerstörung war so groß, daß man sich entschloß, Santiago aufzugeben und an der Stelle, wo sich heute Guatemala City befindet, eine neue Stadt zu gründen. Antigua, wie man die alte Hauptstadt fortan nannte, blieb nur noch eine Erinnerung an eine stolze und blutige Vergangenheit.
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DRITTES BUCH PROLETARIER UND GUERRILLEROS
VII. KAPITEL »UNABHÄNGIGKEIT« Dann mit dem wahren Gott, dem wahren Dios, begann unser Elend. Es war der Beginn des Tributes, der Beginn der Abgaben an die Kirche, der Beginn des Streites um die Geldbörsen, der Beginn des Kampfes mit Blasrohren, der Beginn des Schlachtgetümmels, der Beginn gewalttätiger Raubüberfälle, der Beginn erzwungener Schulden, der Beginn von Schulden, die durch falsches Zeugnis auferlegt wurden, der Beginn von Streit und Hader, der Beginn von Folter, der Beginn von Raub und Gewalt. Dies war der Anfang der Dienstleistungen an die Spanier und Priester, Dienstleistungen an die Kaziken, Dienstleistungen an die Lehrer, verräterischer Dienste an die Richter durch die Jungen, die Jünglinge, die in den Städten lebten, während das arme Volk gequält wurde. Das arme Volk, das nicht flüchtete, als die Unterdrückung kam. Es war das Gegenbild Christus' auf Erden, die Wickelbären der Städte, die Füchse der Städte, die blutsaugenden Insekten der Stadt, die das arbeitende Volk ausraubten. Aber es wird noch geschehen, daß Tränen in die Augen Gottes kommen, unseres Herrn. Die Gerechtigkeit Gottes, unseres Herrn, wird überall in der Welt herniederkommen, geradewegs von Gott auf Ah Kantenai, IxPucyola, die habgierigen Wucherer der Welt.60 Der Tag des Jüngsten Gerichts, wie er in dieser Katun-Prophezeiung vorausgesagt wird, ist im Maya-Gebiet bis heute noch nicht eingetreten. Zwar endete mit dem Untergang von Santiago zugleich auch das Zeitalter, dessen Symbol es gewesen war. Aber die Gründe hierfür waren alles andere als göttlicher Art. Weshalb das neue Zeitalter sich nur dem Namen nach vom alten unterscheidet.
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Im Zeichen der Jungfrau Nicht daß die Maya sich nur auf die Hilfe dessen verlassen haben, der, obzwar sie am Ende die Erlösung von ihm erhofften, eigentlich der Begründer all ihres Elends ist. Da ihr Flehen nicht erhört wurde, versuchten sie zuweilen, dem Schicksal etwas nachzuhelfen. Die ersten, die dies taten, waren die Huasteken am Rio Pänuco, die sich 1524 gegen Cortes erhoben, die bislang letzten die Kekchts, die sich 1969 am Guerilla-Krieg in Guatemala beteiligten. Dazwischen liegt eine Reihe von Auf Standsbewegungen, die - wenn auch weniger revolutionärer als nativistischer Art - dennoch nicht selten das koloniale Herrschaftssystem im Maya-Gebiet in seinen Grundfesten erschütterten. Der Nativismus, der eine Gegenbewegung zur Akkulturation darstellt und für Eingeborenenvölker - englisch »natives« -, die in kolonialer Abhängigkeit stehen, charakteristisch ist, äußert sich meist in Form einer religiösen Bewegung, die mehr oder weniger militante Züge aufweist. Bei den Maya war diese Hinwendung zur Religion nicht nur eine Folge äußerer Zwänge, die ihnen die katholische Kirche auferlegte, sondern entsprach auch ihrer indianischen Tradition. Die Religion spielte - wie wir gesehen haben - in vorspanischer Zeit eine überragende Rolle: sie erfaßte jeden Lebensbereich, und obgleich weltliche Herrscher offenbar eine weit größere Bedeutung hatten, als bislang angenommen wurde, stand ihnen die Priesterschaft an Ansehen und Einfluß kaum nach. Als mit der Conquista die indianischen Herrscher ihrer Macht beraubt und zu Marionetten der spanischen Kolonialherren wurden, schwangen sich die Priester, um die Verbreitung des christlichen Glaubens zu verhindern, zum Wortführer der Indianer auf und gewannen damit - zumindest vorübergehend - jene Vormachtstellung zurück, die sie ursprünglich - ehe der Säkularisierungsprozeß in der klassischen Periode einsetzte - eingenommen hatten. Und da eine wesentliche Aufgabe des Maya-Priesters die Deutung der Zukunft gewesen war und man die Zeit als eine Abfolge wiederkehrender Ereignisse ansah, galt ein indianischer Priester zugleich auch als Prophet, der den Untergang der Welt und die Wiedergeburt des Menschen - wie es in der Glaubensvorstellung der Maya bereits dreimal geschehen war - vorhersagen konnte. So verschmolzen indianisches und christliches Gedankengut zu einer synkretistischen Heilserwartung, die nur eines geringen Anstoßes bedurfte, um m einen offenen Aufstand umzuschlagen. 263
Der erste größere Aufstand dieser Art ereignete sich in den Jahren 1712/13 in Chiapas. Ihm waren eine Reihe mystischer Erscheinungen vorausgegangen. Sie begannen mit dem Auftauchen eines indianischen Propheten, der sich im Jahre 1708 in der Tzotzil- Gemeinde Zinacantan niedergelassen hatte und von den umwohnenden Indianern als Heiliger verehrt wurde. Die katholische Kirche, deren missionarischer Eifer unter dem Einfluß der Jesuiten und der Rekolekten, einer Reformbewegung innerhalb des Franziskanerordens, einen neuen Auftrieb erhalten hatte, schritt sofort ein und deportierte den Mystiker nach Ciudad Real, dem Siedlungszentrum der Spanier. Als katholische Priester zwei Jahre später erneut Zinacantan aufsuchten, fanden sie an dem Ort, wo der indianische Heilige gelebt hatte, einen Schrein mit einem Altarbild der Jungfrau Maria, vor dem die Indianer Opfergaben niedergelegt hatten. Ohne Rücksicht auf die Indianer brannten die Priester den Schrein nieder. Ein zweites Mysterium ereignete sich im Oktober 1710 in dem nördlicher gelegenen, gleichfalls von Tzotziles bewohnten Ort Santa Marta. Hier erschien die Heilige Jungfrau einem jungen Mädchen und verkündete ihm, daß sie vom Himmel herabgestiegen sei, um den Indianern zu helfen, und daß man ihr zu Ehren einen Schrein errichten solle. Die Einwohner von Santa Marta kamen dieser Aufforderung nach, erregten damit aber das Aufsehen eines katholischen Priesters, der die Gemeinde im Frühjahr des folgenden Jahres besuchte. Er nahm das Mädchen in Gewahrsam und überredete die Indianer, ihm auch das Bildnis der Jungfrau, das man in dem Schrein aufgestellt hatte, zu überlassen, damit ihm in einer Kirche in Ciudad Real eine größere Ehre zuteil werde. Mag der Priester auch ehrliche Absichten gehabt haben, der Bischof in Ciudad Real machte kurzen Prozeß: er ließ das Indianermädchen auspeitschen und nach Guatemala deportieren und warf das Heiligenbild aus der Kirche hinaus. Ein Jahr später, im Juni 1712, kam es dann zum eigentlichen Auftakt der Aufstandsbewegung, als in der Tzehal-Gemeinde Cancuc gleichfalls ein Mädchen verkündete, ihr sei die Jungfrau Maria erschienen. Initiator dieser Heiligenerscheinung war ein gewisser Sebastian Gomez, ein Tzotzil - Indianer aus Chenalho, der mit dem Mädchen verwandt war und der seinerseits verkündet hatte, daß er zum Himmel aufgefahren und vom Heiligen Petrus, dem Schutzpatron von Chenalho, zu dessen Stellvertreter auf Erden ernannt worden sei. Gomez hatte daraufhin in Ausübung seiner göttlichen Mission lesekundige Indianer aus 264
den umliegenden Dörfern zu Priestern und Bischöfen geweiht, ein Akt, der gegen das Gesetz der katholischen Kirche verstieß, denn Indianer, die als vernunftlos galten, waren zur Priesterweihe nicht zugelassen. Mit diesem Bruch der Kirchentradition wie auch durch die Erscheinung indianischer Propheten und Heiligenbilder wurde ein Grundbedürfnis der Indianer befriedigt: im Schutz von Priestern und Göttern zu stehen, die nicht den Interessen der Spanier dienten, sondern ausschließlich für die Sache der Indianer eintraten. Das besondere Schutzbedürfnis der Indianer resultierte - abgesehen von den brutalen Ausbeutungspraktiken der Kolonisten, die sich gegen Ende der Kolonialzeit erneut verschärften vor allem aus der Tatsache, daß die Kirche - sowohl der weltliche Klerus als schließlich auch die Missionsorden -, die als einziger Fürsprecher der Indianer aufgetreten war, sich im Laufe der Zeit zu einer Institution entwickelt hatte, die in ihrer Selbstgefälligkeit und Raffsucht den staatlichen Behörden kaum nachstand. Was nun Chiapas betrifft, so war im Jahre 1706 ein Mann zum Bischof ernannt worden, der mit dem ersten Bischof von Chiapas, Las Casas, nur noch die Amtsbezeichnung gemein hatte: Schon hatte er begonnen, mit seinen wiederholten Visitationsreisen jene Provinz zu plagen: nicht eine Gemeinde ließ er aus, die er nicht zerstörte, kein Kirchengut, das er nicht mitnahm, nicht einmal den geringsten Besitz ließ er ungeschoren, kein Vorsteher einer Cofradia, den er sich nicht gefügig machte, kein reicher Indianer, dem er nicht abnahm, was er geben oder leihen konnte, derart, daß er in dem Jahr (1510), in dem er den Lizentiaten Don Jose de Flores zur Wahrnehmung seiner Geschäfte nach Spanien schickte, so viel zusammengetragen hatte, daß er ihm in Silberschmuck, Juwelen und Geld mehr als 40000 Pesos mitgab, all das aus einem Bistum herausgepreßt, das nicht einmal 5ooo pro Jahr wert ist.61 Der ehrenwerte Bischof von Chiapas, Alvarez de Toledo mit Namen, trug mit seinen Raubzügen durch das indianische Hinterland nicht nur zum allgemeinen Ressentiment der Indianer bei, sondern löste auch durch eine neuerliche Visitationsreise, die er anläßlich der Heiligenerscheinung in Cancuc unternahm, eine Abwehrreaktion bei den Indianern aus, die schließlich zu einer blutigen Revolte führte. Die Indianer fürchteten, daß man ihnen - wie es zuvor in Zinacantan und Santa Marta geschehen war wre Mutter Gottes entführen würde, und beschlossen am 10. August 1712 auf einer Versammlung in Cancuc, an der Abge265
sandte zahlreicher anderer indianischer Gemeinden teilnahmen, eine Streitmacht von 2000 Kriegern aufzustellen, die - »Soldaten der Jungfrau« genannt - die Spanier vertreiben sollten. Anfänglich schienen die Indianer Erfolg zu haben. 32 TzeltalGemeinden und einige Tzotzil-Orte traten dem Aufstand bei. Zahlreiche spanische Siedlungen wurden überfallen, die Einwohner ohne Rücksicht auf Geschlecht und Alter getötet oder als Gefangene nach Cancuc verschleppt. Bald aber schon trat eine Wende ein. In der Schlacht von Huistan, einem Tzotzil-Ort, wo im November 1712 eine spanische Truppe den Aufständischen entgegentrat, erlitten die Indianer eine schwere Niederlage. Als schließlich auch noch Verstärkung aus Guatemala und Tabasco eintraf und es einem katholischen Priester gelang, Chamula und Zinacantan, die Ciudad Real am nächsten lagen, auf die Seite der Spanier zu bringen, gab es für die Aufständischen keine Chance mehr. Im März 1713 war auch der letzte Widerstand der Indianer gebrochen. Die Vergeltung der Spanier war so gründlich, daß die Maya in Chiapas erst 150 Jahre später einen zweiten Aufstand wagten.
Canek, die schwarze Schlange In Yukatan jedoch vergingen keine 50 Jahre, bis die Maya sich erneut erhoben. Im Gegensatz zu Chiapas waren hier auch nach der Conquista zahlreiche Revolten ausgebrochen, die jedoch keine größere Bedeutung erlangten. Erst im Jahre 1761 kam es in der Provinz Sotuta zu einem Aufstand, der die gesamte Halbinsel zu erfassen drohte. Sotuta, das ehemalige Herrschaftsgebiet der Cocom-Dynastie, hatte seinen Widerstand gegen die Spanier nie gänzlich aufgegeben. Nachdem die Provinz sich an dem blutigen Aufstand von 1546 beteiligt hatte, hatte ein Mitglied der Herrscherfamilie, Andres Cocom, 1585 einen zweiten Versuch unternommen, die Freiheit wiederzuerlangen: wegen Ketzerei zu lebenslanger Haft in Veracruz verurteilt, war es ihm im Hafen von Campeche gelungen zu entfliehen, worauf er sich zum König erklärt und die Indianer zum Kampf gegen die Spanier aufgerufen hatte. Noch ehe man jedoch seinem Aufruf hatte folgen können, war er erneut aufgegriffen und schließlich hingerichtet worden. Auch Andres Chi, der 1597 als Prophet in Sotuta aufgetreten war, war es nicht besser ergangen: sich als Moses ausgebend, der vom Heiligen Geist erleuchtet worden war, hatte er die Indianer aufgefor266
den, ihm in die Wildnis zu folgen und dort zu ihren alten Göttern zurückzukehren. Die Spanier hatten jedoch sehr bald herausgefunden, wer dieser »Heilige Geist« war: ein kleiner Junge, den der Prophet im Strohdach seiner Hütte versteckt und als göttliche Stimme ausgegeben hatte. War der Junge wegen seines kindlichen Alters auch verschont worden, Andres Chi hatte dieses Sakrileg mit seinem Leben büßen müssen. Im 17. Jahrhundert hatte sich der Widerstand der Yukateken weiter nach Süden, in die Gegend von Bacalar, verlagert, wo 1636 ein Aufstand ausgebrochen war, der zum einen durch erhöhte Abgaben zur Verteidigung gegen englische Piraten, die die Küste von Belize heimsuchten, zum ändern aber auch durch das fanatische Vorgehen franziskanischer Missionare ausgelöst worden war, die bei dem Versuch, die Itzas von Tayasal zum Christentum zu bekehren, die Statue eines Pferdes, die - ein Abbild jenes Tieres, das Cortes einst zurückgelassen hatte - von den Indianern verehrt worden war, zerstört hatten. Als dann Anfang des 18. Jahrhunderts Juan Gomez de Parada, der 21. Bischof von Yukatan, aufgrund einer königlichen Cedula aus dem Jahre 1716 gegen Ausbeutung und Mißhandlung der Indianer vorgegangen, schließlich aber am Widerstand der Kolonisten gescheitert war, waren auch im nördlichen Yukatan die Indianer wieder in Unruhe geraten. Ihr aufgestauter Haß kam schließlich am 19. November 1761 in Cisteil, einem kleinen Dorf in Sotuta, zum Durchbruch. Jacinto Uc, ein Indianer aus Campeche, nahm eine Fiesta, die man zu Ehren des Schutzpatrons von Cisteil feierte, zum Anlaß, um die aus der Umgebung herbeigeströmten Indianer zur Erhebung gegen die Spanier aufzurufen. Zauberer und englische Truppen stünden ihm zur Seite, so verkündete Uc, um sie von der erdrückenden Last der Tribute und Dienstleistungen zu befreien. Seine Zuhörer, die infolge des Genusses von Alkohol ohnehin ihre Inhibitionen verloren hatten, ließen sich nicht lange drängen, sondern ergriffen den spanischen Händler, der ihnen den Schnaps verkauft hatte, und erschlugen ihn. Dann stürmten sie in die Kirche, wo ein katholischer Priester die Messe vorbereitet hatte, und krönten Jacinto Uc, indem sie ihm den blauen Mantel der Heiligen Jungfrau umlegten, zum König und gaben ihm den Namen Canek (»Schwarze Schlange«), nach dem letzten Herrscher der Itzas, der vor kaum mehr als einem halben Jahrhundert von den Spaniern gestürzt worden war. Inzwischen war es dem Priester gelungen, aus dem Dorf zu flüchten, um nach Sotuta, der Hauptstadt der Provinz, zu eilen 267
und Hilfe herbeizuholen. Ein kleiner Trupp von Spaniern, den man auf seinen Hilferuf hin in das Auf Stands gebiet schickte, geriet in einen Hinterhalt und wurde bis auf einen Überlebenden niedergemacht. Die Kunde von der Niederlage der Spanier breitete sich in Windeseile aus, und während die spanischen Siedler nach Valladolid, der nächsten größeren Stadt, flüchteten, konnte Canek innerhalb von wenigen Tagen eine Streitmacht von 1500 Indianern aufstellen. Notdürftig mit Pfeil und Bogen und vereinzelten Schrotflinten ausgerüstet, war sein Herr dennoch einem zweiten Vorstoß der Spanier, den Cristobal Calderon, der Kommandant von Tihosuco in der angrenzenden Provinz Cochuah, leitete, nicht gewachsen. In der Schlacht vom 26. November 1761 fielen in Cisteil 600 Indianer, aber nur 30 Spanier. Canek konnte entkommen und verschanzte sich mit 300 seiner Anhänger in der nahe gelegenen Hazienda Huntulchac, aber schon am nächsten Tag unterlag er erneut seinen Gegnern und wurde gefangengenommen. Kaum hatte die Nachricht vom Sieg Calderons Merida erreicht, da versetzten neue Gerüchte die Stadt in Furcht und Schrecken: die Indianer im Barrio Santiago planten eine Revolte und jene, die im Dienste der Spanier standen, beabsichtigten, Glassplitter unter die Speisen ihrer Herren zu mis chen und deren Häuser anzuzünden. Bevor jedoch die Indianer der Stadt losschlagen konnten, hatte man ihre Rädelsführer festgenommen. Und dann, am 7. Dezember, brachte man Canek nach Merida und führte ihn im Triumphzug durch die Straßen der Stadt. Auf seinem Haupte trug er eine Krone aus Papier, auf der geschrieben stand: »Rebell gegen Gott und den König«. Unter Folter zwang man ihn zum Geständnis, doch er verweigerte die Aussage. Da verriet ihn einer seiner Mitgefangenen, der sein engster Berater gewesen war, und er wurde zum Tode verurteilt. Ein exemplarischer Tod, an dem sich spanische Edelfrauen und Caballeros ergötzten: Canek wurde gevierteilt und verbrannt und seine Asche in alle Winde zerstreut. Am 14. Dezember 1761. Mit dem »König der Maya« starben acht seiner Anhänger: sie wurden gehängt. Hundert weitere wurden ausgepeitscht, jeder erhielt 200 Schläge. Dann schnitt man ihnen das rechte Ohr ab, als Zeichen, daß sie Verräter waren. Der Rest der Gefangenen, 300 an der Zahl, wurde zu Zwangsarbeit verurteilt und in die Verbannung geschickt. Das Dorf Cisteil dem Erdboden gleichgemacht. Hätte der Aufstand von Jacinto Canek wie auch der der Tzel268
tales in Chiapas einen anderen Ausgang nehmen können? Wohl kaum. Weniger, weil die Indianer ihren Gegnern an Waffen unterlegen waren oder weil sich die meisten Kaziken den Spaniern gegenüber loyal verhielten. Entscheidend war vielmehr, daß die Aufständischen vorwiegend emotional motiviert waren und keine klaren politischen Ziele hatten. So wurden sie ein leichtes Opfer derer, die nach dem Gesetz der Ratio handelten, da ihnen Gold wichtiger war als der Glaube.
Ironie der Geschichte Während die Maya in Yukatan im Kampf um die Freiheit ihr Leben ließen und dennoch scheiterten, schrieb jenseits des großen Wassers, über das einst die »Weißen Götter« gekommen waren, ein Mann den Satz, der die Welt verändern sollte: »Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.« Der Mann, der mit der Feder mehr vermochte als der tapferste Freiheitskämpfer mit der Waffe, war Jean-Jacques Rousseau (1712-1778). Und dennoch war er es, der das Schicksal der Maya besiegelte. Rousseau war, wenn auch nicht ihr Begründer, so doch der bedeutendste Vertreter der Aufklärung, jenes Zeitalters, das den Höhepunkt einer Entwicklung darstellte, die mit dem Humanis mus der Renaissance begonnen hatte. Mit seinen gesellschaftskritischen Werken, vor allem dem »Contrat social«, aus dem das obige Zitat stammt und das 1762 erstmals in Amsterdam erschien, gab Rousseau nicht nur den Anstoß zu einer politischen Bewegung, deren unmittelbare Folge die Französische Revolution war, sondern legte darüber hinaus auch den Grundstein zu einer Ideologie, als deren Urheber gewöhnlich nur der angesehen wird, der ihr seinen Namen gab: dem Marxismus. So ist es nicht ausgeschlossen, daß Rousseau am Ende doch noch den Maya von Nutzen sein wird. Daß Rousseau den »edlen Wilden«, wie er die Ureinwohner der Neuen Welt taufte, bislang mehr geschadet als genützt hat, ist eine Ironie der Geschichte, die eine einfache Erklärung hat: diejenigen, die in seinem Namen für die Freiheit kämpften, taten dies nur deshalb, um sie denen vorzuenthalten, denen sie eigentlich gebührte. Den Anfang machten die englischen Siedler in Nordamerika, die sich 1776 von Großbritannien lossagten, um allein Nutznießer eines Landes zu sein, dessen rechtmäßige Besitzer man einfach verdrängt hatte. Die Kreolen, jene Spanier, die in der Neuen Welt geboren waren, zögerten zunächst, folgten 269
dann aber, als die Gefahr einer sozialen Revolution drohte, um so eiliger dem Beispiel ihrer Nachbarn im Norden. Seitdem besteht eine Interessengemeinschaft zwischen den USA und Lateinamerika, soweit es die Weißen und die, die sich als solche ausgeben, betrifft. Jene soziale Revolution, die scheiterte, noch ehe sie recht begann, hatte - ein anderes Paradox - ihren Ursprung in der Umkehrung der Französischen Revolution, die ein Mann namens Napoleon vornahm. In seinem Bestreben, es Karl dem Großen gleichzutun und ein neues abendländisches Großreich zu errichten, hatte er im Jahre 1808 Spanien besetzt und den Bourbonenkönig Karl IV. zur Abdankung gezwungen. Damit drangen zwar die Ideen der Aufklärung - wie zuvor bereits unter Karl III., der im Gegensatz zu seinem Sohn ein Vertreter des aufgeklärten Absolutismus gewesen war - erneut nach Spanien, richteten sich aber sogleich gegen ihre Vermittler und führten schließlich zur Konstituierung einer Gegenregierung, die ihren Sitz in Cadiz aufschlug. Sie sah ihre Aufgabe nicht nur in der Bekämpfung der französischen Okkupanten, sondern auch in einer Neuordnung des spanischen Reiches und berief zu diesem Zweck eine verfassungsgebende Versammlung ein, die eine liberale Verfassung ausarbeitete, die am 19. März 1812 verabschiedet wurde und unter anderem die Tributpflicht der Indianer und die Inquisition aufhob. Als jedoch nach dem Sieg über die Franzosen Ferdinand VII., den man in Cadiz - während seiner Gefangenschaft in Frankreich - zum König proklamiert hatte, 1814 den spanischen Thron bestieg, hob er die Verfassung von 1812, die einer Ausübung absoluter Herrschermacht im Wege stand, auf und machte somit auch den Reformen in den Kolonien ein Ende.
Der Rebell von San Juan Begünstigt durch die Reformpolitik Karls III. und der Regierung in Cadiz hatten die Ideen der Aufklärung und die Parolen der Französischen Revolution auch in den spanischen Kolonien Eingang gefunden. Sie riefen hier jedoch ein unterschiedliches Echo hervor: Während die einen darin lediglich eine Rechtfertigung sahen, sich vom Joch des Mutterlandes zu befreien, erkannten andere, daß das Ideal von »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« nicht nur im Widerspruch zu dem Abhängigkeitsverhältnis 270
stand, dem man unterworfen war, sondern auch zu dem, das man selbst anderen aufzwang. Einer der ersten, der diese konsequente Lehrmeinung vertrat, war Vicente Maria Velazquez, ein Hilfsgeistlicher in Yukatan. Inspiriert im besonderen durch die Schriften Saint-Simons, des Vorkämpfers des Sozialismus, gründete er eine religiös-politische Vereinigung - nach der Einsiedelei, in der er lebte, Sanjuanisten genannt- und nahm — wie einst Las Casas — den Kampf urn das Recht der Indianer auf. Wie dieser, dessen »Bericht über die Zerstörung der indianischen Länder« er verbreitete, forderte Velazquez, daß man den Indianern ihr Land zurückgab, ihnen die Freiheit ließ, ihre eigene Regierung zu wählen, und im übrigen alle Schätze des Landes in gerechter Weise zwischen Indianern und Weißen teilte. Die Forderungen von Velazquez, die durch die Verfassung von Cädiz ihren nötigen Rückhalt erlangten, fanden nicht nur bei den Indianern, sondern auch bei den Hacendados, den Nachfolgern der Encomenderos, Anklang, bei letzteren freilich nur soweit, als es die Abschaffung der Kirchenabgaben der Indianer betraf, da diese gewöhnlich, weil der Indianer für ihn arbeitete, wofür er kein Entgelt bekam, vom Hacendado bezahlt werden mußte. So ergab sich in Yukatan die paradoxe Situation, daß sich auf der einen Seite Indianer und Hacendado und auf der anderen die katholische Kirche gegenüberstanden. Der Gouverneur als Repräsentant der spanischen Regierung sah sich genötigt, mal für den einen, mal für den anderen Partei zu ergreifen: zunächst unterstützte er die Sanjuanisten, worauf der Bischof von Yukatan sein Amt niederlegte, dann, als die Nachricht von der Aufhebung der liberalen Verfassung eintraf, trat er auf die Seite der Kirche, womit sich alles wieder zum alten wendete. Für die Indianer bedeutete dies über die Kirchenabgaben hinaus, die sie zuweilen sogar für die Zeit nachzahlen mußten, wo man sie ihnen erlassen hatte, auch die Wiedereinführung des Arbeitsdienstes und der Peitschenstrafe.
Auftakt in Mexiko Einen Schritt weiter als Velazquez ging Miguel Hidalgo y Costilla (1753-1811), ein kreolis cher Dorfpfarrer in Zentralmexiko, der sich einer liberalen Bewegung angeschlossen hatte, die einen Aufstand gegen den Vizekönig plante. Als die Verschwörung 271
entdeckt wurde, entschloß sich Hidalgo, vorzeitig loszuschlagen, und entzündete am 16. September 1810 in der Kirche von Dolores, wo er seiner Gemeinde zurief: »Lang lebe die Religion, lang lebe Amerika, nieder mit der schlechten Regierung!«, den Kampf um die Unabhängigkeit Mexikos. Hidalgo war sich mit diesem Ausruf, der als Grito de Dolores bekannt geworden ist und noch heute in Mexiko jedes Jahr gefeiert wird, allerdings noch keineswegs bewußt, was er eigentlich wollte. Und diese Tatsache wurde ihm und seiner Bewegung zum Verhängnis. Seiner Gemeinde, die aus Indianern und armen Mestizen bestand, hatte sich Hidalgo schon immer in einer Weise gewidmet, die das Mißtrauen seiner Oberen erweckte. Statt sein Prestige zu nutzen und die Gemeinde auszupressen, um sich ein angenehmes Leben zu machen, versuchte er das karge Einkommen der Bauern dadurch zu heben, daß er sie zum Handwerk anleitete und ihnen zeigte, wie man Seidenraupen züchtet. Der französischen Sprache mächtig - eine höhere Ausbildung war nur daran gescheitert, daß er auf der Reise in die Hauptstadt, wo er seine Studien fortsetzen sollte, das Pech gehabt hatte, beim Kartenspiel das Geld zu verlieren, mit dem er sie bezahlen sollte - hatte sich Hidalgo neben seiner praktischen Tätigkeit und seinen Seelsorgepflichten auch mit den Schriften der Aufklärung befaßt und damit seinen Blick über den Horizont seiner Gemeinde erweitert. In der Erkenntnis, daß das Grundübel Mexikos in der Verweigerung der Volkssouveränität lag, war er der Aufstandsbewegung beigetreten, die für eine Gleichstellung der Kreolen mit den Peninsulares focht. Als er nun jedoch an jenem 16. September seine Gemeinde zum Widerstand gegen die Regierung aufrief, mußten seine Zuhörer darin weniger eine Aufforderung zum Kampf gegen die Peninsulares sehen, die fernab in den Städten wohnten, als vielmehr gegen die kreolis chen Großgrundbesitzer, die sie ihres Landes beraubt und dann versklavt hatten. So wurde Hidalgo, noch ehe er sich dessen versah, zum Führer eines Rassenkrieges, der sich schlechthin gegen jeden Weißen richtete. Die Kreolen, die Hidalgo anfangs unterstützten, erkannten sehr bald, daß sie sich ihr eigenes Grab schaufelten, und verbündeten sich mit denen, die zu bekämpfen der ursprüngliche Anlaß des Auf Standes gewesen war. Gegen diese mächtige Allianz hatte der unfreiwillige Revolutionär keine Chance: zwar gelang es ihm, Guanajuato und Guadalajara., zwei Hochburgen der Kolonialherren, zu erobern, doch fehlten ihm militärische Erfahrung und kampferprobte Soldaten, um sich lange gegen seine 272
Oben: Tzotzil-Maya beim sonntäglichen Markt in Chamula, C hiapas Unten: Dorfszene in Chamula
Oben: Tzotzil-Maya beim sonntäglichen Markt in Chamula, Chiapas Unten: Dorfszene in Chamula
Gegner behaupten zu können. Im Januar 1811 wurde er vor den Toren von Guadalajara vernichtend geschlagen, bald darauf gefangengenommen und schließlich am 30. Juli, nachdem man ihm die Priesterwürde aberkannt und ihn zum Widerruf seiner »Irrlehren« gezwungen hatte, hingerichtet. Sein Kopf, zusammen mit denen dreier seiner Anhänger, wurde in einen Käfig gesperrt und in Guanajuato als abschreckendes Beispiel öffentlich zur Schau gestellt. Zehn Jahre sollten vergehen, ehe man ihn daraus befreite. Mit dem Tode Hidalgos brach die Aufstandsbewegung allerdings noch nicht zusammen. An seine Stelle trat ein Mann, der ihn an Ruhm noch überflügeln sollte: Jose Maria Morelos y Pavon (1765-1815). Morelos war wie Hidalgo ein Priester, jedoch Mestize, und er hatte einst auf den Feldern einer Hazienda gearbeitet. Später war er ein Seminarschüler Hidalgos gewesen, und als er von dem Aufstand erfahren hatte, hatte er seinem ehemaligen Lehrer seine Dienste als Feldkaplan angeboten. Dieser jedoch hatte ihn - kurz vor seiner Niederlage - nach Süden geschickt, um eine Möglichkeit auszukundschaften, Acapulco, den Hafen an der Pazifikküste, über den der Handel und Verkehr mit den spanischen Kolonien in Südamerika und Asien abgewickelt wurde, zu erobern, und so war ihm das Schicksal seines Meisters erspart geblieben. Im Gegensatz zu diesem, der ein Idealist gewesen war, zeichnete sich Morelos durch einen klaren Blick für die Wirklichkeit aus: nicht nur daß er aus der Not eine Tugend machte und seine numerische Unterlegenheit durch eine geniale Guerilla-Taktik ausglich, er entwickelte auch ein politisches Konzept, das eine eindeutige Alternative zur Kolonialherrschaft darstellte. So rief er, nachdem er Oaxaca, das Tor zum Isthmus, und Acapulco eingenommen hatte, am 6. November 1813 in Chilpancingo, einem Ort an der Straße zwischen der Hauptstadt und Acapulco, die Unabhängigkeit Mexikos aus und verabschiedete im Jahr darauf in Apatzingan, im heutigen Michoacan, eine Verfassung, die erste in der mexikanischen Geschichte, in der das Land zur Republik erklärt, die Leibeigenschaft abgeschafft und die Gleichheit aller vor dem Gesetz garantiert wurde. Die Verfassung von Apatzingan - und damit auch die Unabhängigkeitserklärung - trat niemals in Kraft, denn auch Morelos unterlag schließlich den reaktionären Kräften: nachdem er bei einem Angriff auf Valladolid, das später ihm zu Ehren in »Moreha« umbenannt werden sollte, von dem gleichen Kavallerieoffizier, Agustin de Iturbide, der wenige Jahre später selbst für die Unabhängigkeit Mexikos kämpfen sollte, besiegt worden war, 273
brachte er, als er schließlich von seinen Gegnern gestellt wurde, ein letztes, wahrhaft heroisches Opfer: um den Mitgliedern seiner Regierung die Flucht zu ermöglichen und dadurch die Freiheit Mexikos zu retten, ergab er sich freiwillig in die Gefangenschaft, Sein Tod - am 22. Dezember 1815 vor einem Erschießungskommando - war dennoch vergebens: die Revolutionsregierung, die ohnehin nur einen Teil des Landes befreit hatte, brach auseinander, und obwohl sich auch diesmal ein Partisanenführer fand, der den Freiheitskampf fortsetzte, so war dieser, ein Indianer namens Vicente Guerrero, am Ende gezwungen, mit Iturbide gemeinsame Sache zu machen, womit Mexiko zwar endgültig seine Unabhängigkeit erlangte, das mexikanische Volk aber einstweilen jede Aussicht auf Freiheit verlor.
Der letzte König der Quiches Als die Nachricht von dem Aufstand Hidalgos nach Guatemala gelangte, entschloß man sich auch hier, freiheitliche Ideale in die Tat umzusetzen. Wie in Mexiko waren es auch in Zentralamerika Mitglieder des niederen Klerus, die den Anstoß zur Unabhängigkeitsbewegung gaben. Ihnen war jedoch ein noch geringerer Erfolg beschieden als ihren Vorbildern in Mexiko. Als eine Gruppe von Priestern unter der Führung von Jose Matias Delgado und Manuel Jose Arce am 5. November 1811 sich in San Salvador gegen das Kolonialregime erhob und die Unabhängigkeit El Salvadors proklamierte, wurde der Aufstand ohne große Schwierigkeiten vom Generalkapitän in Guatemala, Jose Bustamente y Guerra, unterdrückt. Auch eine Verschwörung in der Hauptstadt, die von dem Kloster Belen ausging, wurde schnell zerschlagen. Ihre Anführer wanderten im Dezember 1813 ins Gefängnis. Als dann im folgenden Jahr ein weiterer Aufstand in Salvador fehlschlug, gab man vorerst den Kampf um die Unabhängigkeit auf. Zumindest was die Kreolen betrifft. Die Indianer jedoch, die in Mexiko zwar das Gros der Partisanenarmee gestellt, aber keine eigene Initiative ergriffen hatten, nahmen in Guatemala die politischen Veränderungen, die durch den Wechsel liberaler und restaurativer Regime in Spanien hervorgerufen worden waren, zum Anlaß, um sich aus eigenem Antrieb gegen ihre Unterdrücker zu erheben. Seit den Aufständen im 16. Jahrhundert, unter denen neben der Erhebung der Cakchiqueles, der Revolte Lempiras und der Vertreibung der Domi274
nikaner in der Verapaz noch der Aufstand der Chortis im Jahre 1530 unter ihrem Führer Copän Calel, der den Ruinen von Copän seinen Namen gab, zu erwähnen ist, hatten die Maya der südlichen Region keinen ernsthaften Versuch mehr unternommen, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Als dann jedoch unter der Regierung Karls III. die ersten liberalen Reformen einsetzten, erwachte ihr Widerstand von neuem. Doch diesmal richtete er sich nicht nur gegen die Spanier, sondern auch gegen deren Lakaien, die Kaziken. Bereits 1768 hatten sich Indianer in der Verapaz gegen ihren indianischen Herren erhoben. Seit der Jahrhundertwende brachen dann in schneller Folge weitere Aufstände aus: 1801 in Patzum, 1802 in Santa Maria Chiquimula, 1803 in Soloma, 1811 in Patzida und Santiago Sacatepequez, 1812 in Comalapa, 1813 in Chichicastenango und Totonicapan, 1814 in Malacatan, 1815 in Ostitncalco und Quetzaltenango, 1818 in Santa Maria Cbiquimula, 1819 in Sajcabaja, 1820 m Totonicapan und 1821 m Xenacoj. Sieben dieser Aufstände, also rund die Hälfte, waren gegen die indianischen Autoritäten gerichtet, die übrigen gegen spanische Beamte und Priester. Das Motiv der Unabhängigkeit, sei es von den Peninsulares, sei es von den Kreolen, spielte, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Der Hauptgrund für die Erhebungen lag in der Wiedereinführung der Tribute, die vorübergehend aufgehoben worden waren. Lediglich in einem Falle entstand daraus die eindeutige Forderung nach politischer Selbständigkeit. Es war dies der Aufstand von 1820 in Totonicapan, wo sich ein Nachkomme der einstigen Quiche-Herrscher, Atanasio Tzel, am 12. Juli dieses Jahres zum König krönte und einen seiner Vertrauten, Lucas Aguilar, zum Präsidenten eines unabhängigen Quiche-Staates bestimmte. Der Traum von der Wiedererrichtung des Quiche-Reiches war jedoch nur von kurzer Dauer, denn der Aufstand wurde, noch ehe er sich ausbreiten konnte, durch Truppen aus Quetzaltenango niedergeschlagen. Vier Jahre später, als das Band zwischen den spanischen Kolonien und dem Mutterland endgültig zerrissen war, unternahmen die Quiches der Gegend von Totonicapan einen neuen Versuch, ihr Schicksal selbst zu bestimmen, und sandten eine Abordnung in die angrenzende Provinz Chiapas, um einen Anschluß ihres Gebietes an die neugegründete mexikanische Republik zu erwirken. Selbst wenn dieses Unternehmen Erfolg gehabt hätte, wäre es ihnen in der Zukunft kaum besser ergangen. 275
Schreckliche Folgen Daß Mexiko - und das übrige Spanisch-Amerika - schließlich doch seine Unabhängigkeit beziehungsweise das, was man dafür vorgeben sollte, erlangte, war die Folge eines erneuten politischen Umschwungs in Spanien. Im Januar 1820 erhob sich Rafael de Riego, ein spanischer Offizier, der mit seinem Regiment in die Kolonien verlegt werden sollte, gegen König Ferdinand und zwang ihn zur Annahme der liberalen Verfassung von 1812. Als die Nachricht von dem Umsturz in Spanien in Mexiko eintraf, löste sie im konservativen Lager der Kreolen Bestürzung aus, denn nun stand zu befürchten, daß die demokratischen und antiklerikalen Prinzipien der Verfassung auch in den Kolonien zur Anwendung gelangen würden. Da dies eine Einschränkung oder gar Beseitigung jahrhundertealter Privilegien bedeutet hätte, erschien es dem Landadel und hohen Klerus ratsamer, nun das selbst zu tun, was man Hidalgo und Morelos verwehrt hatte: die Unabhängigkeit von Spanien zu fordern. Einen geeignet erscheinenden Führer für die neue Bewegung hatte man bald gefunden: jenen Iturbide, der den entscheidenden Sieg über Morelos errungen hatte, dann aber infolge eines Korruptionsskandals in die Ungnade des Vizekönigs gefallen war. Den Verschwörern fiel es jedoch nicht schwer, über einflußreiche Kontakte den Vizekönig, Juan Ruiz de Apodeca., von den besonderen Fähigkeiten Iturbides zu überzeugen und ihn dazu zu bewegen, ihm eine militärische Schlüsselposition anzuvertrauen. Apodeca übergab ihm das Kommando über die Südarmee und beauftragte ihn, Guerrero und seine Rebellen, den Rest der ursprünglichen Auf Standsbewegung, der in den Bergen der südlichen Sierra Madre operierte, endgültig zu vernichten. Iturbide, obwohl er nach wie vor die Ziele der Aufständischen ablehnte, erkannte jedoch, daß eine friedliche Regelung mit ihnen nützlicher war als ein Guerilla-Krieg, der so bald nicht zu gewinnen war. Er bot deshalb Guerrero an, mit ihm gemeinsam ein Programm auszuarbeiten, das die politischen Grundlagen eines unabhängigen Mexiko festlegen sollte. Guerrero, der seinerseits keine Chance sah, den Krieg zu gewinnen, nahm den Vorschlag an. Das Ergebnis war der sogenannte Plan von Iguala, den Iturbide am 24. Februar 1821 in Iguala, einem Ort im heutigen Bundesstaat Guerrero, wo er sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, verkündete. Darin wurde Mexiko zu einer souveränen Nation 276
erklärt, allerdings mit dem einschränkenden Zusatz, daß an die Spitze des neuen Staates, der als konstitutionelle Monarchie vorgesehen war, ein europäischer Herrscher, vorzugsweise König Ferdinand oder einer seiner Brüder, treten sollte. Der katholischen Kirche, die zur Staatsreligion erklärt wurde, wurde die Unantastbarkeit ihres Besitzes und ihrer Rechte zuerkannt. Die einzige einschneidende Neuerung, die der Plan von Iguala enthielt, war die Gleich Stellung der Rassen. Doch keiner glaubte weniger daran als Iturbide. So war der Plan von Iguala, unter dem Mexiko seine Unabhängigkeit erlangte, nicht mehr als ein Hohn auf die Ideale ihrer ursprünglichen Protagonisten. Spanien widersetzte sich zunächst der Unabhängigkeitserklärung Mexikos. Selbst Ferdinand war nicht bereit, die ihm von den Mexikanern angebotene Krone anzunehmen. Doch als ein neuernannter Vizekönig, Juan O'Donoju, in Mexiko eintraf, blieb ihm nichts weiter übrig, als sich den Forderungen der Mexikaner zu beugen. Am 24. August 1821 unterzeichnete er in Cordoba, auf dem Wege zwischen Veracruz und der Hauptstadt, einen Vertrag mit Iturbide, in dem er den Plan von Iguala anerkannte. Damit hatte Spanien - auch wenn es sich weigerte, den Vertrag zu ratifizieren - de facto eine seiner reichsten Kolonien verloren. Die Verzichtserklärung des Vizekönigs bedeutete nicht nur, daß Mexiko seine Unabhängigkeit erlangte, sondern warf auch die Frage auf, was mit den übrigen Gebieten, die zum Vizekönigreich von Neuspanien gehört hatten, geschehen sollte. Während die Karibischen Inseln - soweit sie inzwischen nicht in die Hände der Engländer und Franzosen gefallen waren - und die Philippinen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts spanische Kolonien blieben, folgte das Generalkapitanat von Guatemala dem Beispiel Mexikos und erklärte am 15. September 1821 gleichfalls seine Unabhängigkeit. Die Umstände, die zu dieser Entscheidung führten, waren kaum weniger grotesk als in Mexiko: während das Volk, aufgewiegelt durch die Liberalen, auf dem Vorplatz des Regierungspalastes in der neuen Hauptstadt zusammenströmte, um seine Freiheit zu fordern, setzte im Audienzsaal des Palastes eine erlauchte Versammlung, die aus dem Generalkapitän, Gabino Gainza, Vertretern der Kirche und konservativen Kreolen bestand, ein Dokument auf, das - als Unabhängigkeitserklärung bezeichnet - den einzigen Zweck hatte, den Forderungen des Volkes zuvorzukommen und eine Revolution zu verhindern. 277
Der erste Artikel dieses Dokumentes läßt daran keinen Zweifel: Da die Unabhängigkeit von der spanischen Regierung der allgemeine Wunsch des Volkes von Guatemala ist und ohne Vorgriff auf das, was der Kongreß, der einberufen werden soll, darüber entscheidet, ordnet der Jefe Politico an, sie auszurufen, um den Folgen vorzubeugen, die schrecklich wären, wenn tatsächlich das Volk selbst sie verkünden würde. Der Jefe Politico, wie der Titel des neuen Staatsoberhauptes lautete, war kein anderer als der ehemalige Generalkapitän selbst! Das Volk erkannte den Betrug nicht. Es feiert noch heute eine Unabhängigkeit, die nicht mehr ist als eine Fortsetzung der ursprünglichen Kolonialherrschaft in neuem Gewande. In Guatemala wie in Mexiko, in Yukatan wie in Chiapas. Ein Vergleich mit Rhodesien drängt sich auf. Hier wie dort war es eine weiße Minderheit, die, um die farbige Majorität weiterhin ungestört ausbeuten zu können, sich dem Einfluß des Mutterlandes entzog. In Rhodesien ist das Verhältnis 1 :20. Im Gebiet der Audiencia von Guatemala betrug die Gesamtbevölkerung im Jahre 1820 eine Million. Davon waren 600000 Indianer, 300000 Mischlinge und Neger und 40000-50000 Kreolen und Peninsulares. Auf einen Weißen entfielen damit zwölf Indianer oder zwanzig Farbige. Ähnlich war das Verhältnis in Mexiko: 3,5 Millionen Indianer, 1,7 Millionen Mischlinge und Neger und eine Million Kreolen und Peninsulares. Am größten jedoch war der Skandal im Maya-Gebiet: hier waren 17% der Gesamtbevölkerung Indianer. Nicht einer von ihnen war bei der Unterzeichnung der vermeintlichen Unabhängigkeitserklärungen zugegen.
Kaiser und Diktatoren Die Trennung Mittelamerikas von Spanien brachte nicht nur nicht seinen Völkern die Freiheit, sie stürzte auch ihre Länder in ein Chaos, das dem der Conquista kaum nachstand. Nur daß diesmal der Indianer sich mit einer Zuschauerrolle begnügte, denn der Kampf um die Frucht seiner Arbeit wurde nur zwischen den Weißen ausgetragen. Die einen, föderalistisch und kirchenfeindlich, strebten eine republikanische Staatsform an, die anderen, zentralistisch und mit dem Klerus verbündet, trachteten danach, das monarchische System der Kolonialzeit fortzusetzen. 278
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stabilisierte sich das politische Klima und die Wirtschaft begann, sich von den verheerenden Auswirkungen der Unabhängigkeits- und Bürgerkriege zu erholen. Doch diese Konsolidierung stand bereits im Zeichen eines neuen Kolonialzeitalters. Das erste war auch nach der Unabhängigkeitserklärung von 1821 noch nicht gänzlich überwunden, denn die Mexikaner, obwohl sie sich als souverän betrachteten, suchten zunächst in Europa nach einem Herrscher, und in Guatemala entschloß man sich am 5. Januar 1822, der Aufforderung Iturbides nachzukommen und das Gebiet des ehemaligen Generalkapitanats dem mexikanischen Herrschaftsbereich anzugliedern. Die Suche der Mexikaner blieb erfolglos, und so ließ sich Iturbide vom Nationalkongreß, der im Februar 1822 zusammengetreten war, selbst zum Kaiser ausrufen. Als Agustin I. bestieg er am 25. Juli den mexikanischen Thron. Aber kaum ein Jahr verging, da war er bereits im Exil, und als er, der vom Kongreß, den er aufgelöst hatte, als Despot geächtet worden war, es wagte, nach Mexiko zurückzukehren, wurde er bei seiner Landung festgenommen und am 19. Juli 1824 hingerichtet. Ein nicht unverdientes Ende für den Mann, der den Freiheitskampf des mexikanischen Volkes in sein Gegenteil verkehrt hatte. Zwar war Iturbide nicht der letzte Kaiser Mexikos - ein zweiter folgte 1864, als Napoleon III. den österreichischen Erzherzog Maximilian mit Zustimmung der konservativen Kreolen zum Kaiser von Mexiko ernannte -, zunächst aber schlug das Pendel in das liberale Lager um: bereits im Dezember 1823 hatte ein neuer Kongreß Mexiko zur Republik erklärt, und am 4. Oktober 1824 gab er dem neuen Staat in Anlehnung an das nordamerikanische Vorbild eine bundesstaatliche Verfassung. Zum ersten Präsidenten Mexikos wurde Guadalupe Victoria gewählt, ein ehemaliger Anhänger Morelos'. Doch obzwar sich Victoria bis 1829 im Amt halten konnte, gelang es ihm nicht, die Ideale seines Meisters zu verwirklichen, denn die eigentliche Macht im Staate lag in der Hand eines Mannes, Antonio Lopez de Santa Ana (1795-1876), der - die Interessen der Konservativen vertretend - die Armee kontrollierte und sich schließlich selbst zum Diktator, dem ersten einer berüchtigten Reihe, die in Mittelamerika ihr Unwesen treiben sollte, emporschwang. Der Anschluß Zentralamerikas an das monarchische Mexiko war auf Betreiben jener Kräfte erfolgt, die die Unabhängigkeit Guatemalas verkündet hatten, denn sie fürchteten, dem Druck 279
der Liberalen allein nicht gewachsen zu sein. Mit dem Sturz Iturbides war auch ihre Stunde gekommen. Die Liberalen riefen eine gesetzgebende Versammlung ein und kündigten am i. Juli 1823 die staatliche Gemeinschaft mit Mexiko auf: Die . . . Provinzen (Zentralamerikas) . . . sind frei und unabhängig vom alten Spanien, von Mexiko und jeder anderen Macht, sowohl der Alten als auch der Neuen Welt; und sie sind, noch dürfen sie es sein, weder das Erbe einer Person noch irgendeiner Familie. Ein frommer Spruch, der - da auch an ihm die Indianer keinen Anteil hatten - ebenso wenig Gültigkeit hat wie die erste Unabhängigkeitserklärung, der immerhin aber in weiser Voraussicht dem vorzubeugen versuchte, was er dennoch zu verhindern nicht imstande sein sollte. Zugleich mit dieser zweiten Unabhängigkeitserklärung riefen die Provinzen des ehemaligen Generalkapitanats - Guatemala, Honduras, El Salvador, Nikaragua und Costa Rica - eine föderative Republik aus. Unter der Bezeichnung »Vereinigte Provinzen von Zentralamerika« existierte diese Republik wenn auch von inneren Wirren zerrissen - bis zum Jahre 1839. Ihr erster Präsident wurde Manuel Jose Arce, jener Salvadorenser, der einer der Initiatoren der Unabhängigkeitsbewegung in Zentralamerika gewesen war.
Geteiltes Vaterland Die Trennung der zentralamerikanischen Provinzen von Mexiko, die während der Kolonialzeit einen Teil des Vizekönigreiches Neuspanien gebildet hatten, bedeutete für die Maya eine Zersplitterung ihres Siedlungsgebietes, denn nicht nur wurde Yukatan - obgleich es verschiedentlich den Versuch unternahm, seine Selbständigkeit zu erringen - ein Bestandteil der mexikanischen Bundesrepublik, auch Chiapas, das ursprünglich zum Ge neralkapitanat von Guatemala gehört hatte, entschied sich nach einigem Zögern für Mexiko. Sein Anschluß erfolgte aufgrund einer Volksabstimmung, deren Gültigkeit umstritten ist, am 14. September 1824. Lediglich Soconusco, jener fruchtbare Küstenstreifen am Pazifik, der für die Azteken wie für die Spanier das Einfallstor ins südliche Maya-Gebiet und eine eigenständige Provinz innerhalb des Generalkapitanats gewesen war, verblieb zunächst im Staatenverband Zentralamerikas, ehe es schließlich 1842 von Mexiko gewaltsam annektiert wurde. 280
Die neue politische Grenze, die das Maya-Gebiet - sieht man von Belize einmal ab, das unter englischen Einfluß geriet - in zwei Hälften zerschnitt, wurde nach zähem Ringen erst 1882 durch einen Vertrag, der auf Vermittlung der USA zustande kam, endgültig festgelegt. Unmittelbar betroffen durch diese Grenze wurden vor allem die Mam-Maya im Hochland zwischen Chiapas und Guatemala, die Lakandonen zu beiden Seiten des Usumacinta und die Yukateken in Yukatan und im Peten. Sie wurden nun teils mexikanische, teils guatemaltekische Staatsbürger - nicht unähnlich der Situation, die sich für das deutsche Volk nach dem Zweiten Weltkrieg ergab, sowohl was seine Teilung als auch seine divergierende Fremdbestimmung betrifft. Im Zuge der Konsolidierung der neuen Staaten wurden die Lakandonen der letzte Maya-Stamm, der seine Freiheit verlor. Diese Lakandonen waren Nachfolger jener, die die Spanier um 1700 erst in Dolores zusammengezogen und dann in das Hochland von Guatemala umgesiedelt hatten. Sie waren in der Mehrzahl Flüchtlinge aus Yukatan, die sich im Gebiet des oberen Usumacinta mit Splittergruppen Chol-sprachiger Lakandonen, die dem Zugriff der Spanier entgangen waren, vermischt hatten. Die Spanier hatten nach der Aufgabe von Dolores keinen ernsthaften Versuch mehr unternommen, in die Selva Lacandona vorzudringen. Erst als die zentralamerikanische Regierung daranging, aus der Vielfalt unterschiedlicher Regionen und Völker, die ihr Staatsgebiet umfaßte, eine einheitliche Nation aufzubauen, was ihr freilich nicht gelang, entsann man sich erneut der weiten unerschlossenen Gebiete im Norden. So ernannte Francisco Morazan (1799-1842), der nach einem Bürgerkrieg 1829 die Nachfolge von Arce antrat, einen irischen Abenteurer namens John Galindo (1802-1840), dessen liberale Gesinnung die Aufmerksamkeit des neuen Präsidenten erweckt hatte, zum Militärgouverneur des Peten, in der Erwartung, daß dieser unternehmungslustige Mann die Entwicklung dieses bislang vernachlässigten Gebietes in Gang bringen würde. Galindo machte sich sogleich an eine Erkundung des Peten und seiner westlichen Grenzgebiete und nahm erste Kontakte mit den Lakandonen auf. In einem Bericht, den er 1832 der Regierung in Guatemala vorlegte, weist er auf die Bedeutung des Grenzgebietes zu Mexiko hin und schlägt ein vertragliches Abkommen mit den Lakandonen vor, um ihr Siedlungsgebiet für Guatemala zu sichern. Die Regierung stimmte dem Vorschlag 281
zu, und so wurde im Jahre 1836 ein Vertrag mit Bool Menche, dem Anführer der Lakandonen geschlossen, in dem dieser die staatliche Oberhoheit der zentralamerikanischen Republik anerkannte. Zwar bestätigte man ihn in seinem Amt als Kazike und gewährte seinem Volk die Ausübung der angestammten Religion und solcher heidnischen Praktiken wie der Polygamie, doch war es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Lakandonen ihr Schicksal ereilte.
Im Namen des Fortschritts Die Eingliederung der Lakandonen war nur eine der einschneidenden Maßnahmen, die die Regierung in Zentralamerika ergriff, um die Indianer aus ihrer jahrhundertelangen Isolierung beziehungsweise Diskriminierung zu befreien und zu vollwertigen Staatsbürgern zu machen. Dabei beging man jedoch den Fehler, daß man sich zu sehr von fremden Vorbildern leiten ließ und politische Grundsätze übernahm, die wohl für Europa und Nordamerika nützlich sein mochten, nicht aber auf die besonderen wirtschaftlichen und sozialen Probleme des spanischen Amerika zugeschnitten waren. Nicht daß die Konservativen in Mexiko dem Indianer wohlgesinnter waren, ganz im Gegenteil, doch indem sie sich vorrangig den Belangen der weißen Minderheit widmeten und sich mit dem Indianer nur am Rande befaßten, blieben hier zunächst die Indianergesetze der Kolonialzeit, die in zunehmendem Maße protektionistisch geworden waren, bestehen. Die Reformpolitik in Zentralamerika hingegen, die zwar die Entwicklung der Indianergemeinden förderte, zugleich aber auch die Eliminierung der indianischen Tradition, die man als Hindernis auf dem Wege zum Fortschritt ansah, forderte, schadete am Ende dem Indianer mehr, als daß sie ihm nützte. Bereits am 29. Oktober 1824 hatte die verfassungsgebende Versammlung in Guatemala ein Gesetz erlassen, in dem die Geistlichen aufgefordert wurden, gegen die indianischen Sprachen vorzugehen: Da es eine einheitliche nationale Sprache geben muß und da, solange jene, die die indianischen Ureinwohner bewahrt haben, ebenso unterschiedlich wie begrenzt und unvollkommen sind, die Mittel zur Aufklärung der Dörfer weder gleich noch allgemein sind und die Zivilisation in jenem bedeutsamen Teil des Staates 282
nicht vervollkommnet werden kann, hat die Verfassungsgebende Versammlung des Staates Guatemala folgendes Dekret für gut befunden und beschlossen: 1. Die Gemeindepfarrer, in Übereinstimmung mit der Lokalverwaltung in den Dörfern, sollen alle entsprechenden Maßnahmen vorsichtig, aber wirksam ergreifen, um die Sprache der indianischen Ureinwohner auszulöschen. 2. Wenn die Gemeindepfarrer den Nachweis erbringen, daß sie beider Erfüllung des vorgenannten Artikels, soweit es im Bereich ihrer Möglichkeit lag, ganz oder teilweise Erfolg gehabt haben, so sollen sie zur Belohnung mit Pfarrstellen ausgestattet werden.62 Und um die daniederliegende Wirtschaft anzukurbeln, verabschiedete die Regierung in Gu atemala am 3. November 1829 ein Gesetz, das eine zwangsweise Rekrutierung von Arbeitskräften vorsah: Da die Landwirtschaft, die Quelle des Reichtums der Völker, sich in größter Verwahrlosung befindet, nicht wegen mangelnder Arbeitskraft, sondern infolge der Trägheit und Laster der Tagelöhner, und um diesen schweren Schaden, der mit Sicherheit den völligen Zusammenbruch der Landwirtschaft und größtes Elend für die Bevölkerung bedeuten würde, zu beheben, ist es notwendig, sie zur Arbeit, die die Grundlage für den Wohlstand aller zivilisierten und strebsamen Völker bildet, zu zwingen, und da es eine der wichtigsten Auf gaben der Gesetzgebung ist, die Hindernisse, die der Beschäftigung und dem Wohlergehen aller Bürger im Wege stehen, zu beseitigen, hat die Gesetzgebende Versammlung des Staates Guatemala folgendes Dekret für gut befunden und beschlossen: 1. Alle Tagelöhner, das heißt jene, die kein nachweisliches Einkommen haben oder Handwerker sind, die nicht ihren jeweiligen Beruf ausüben, sind verpflichtet, auf den Haziendas und in sonstigen Betrieben zu arbeiten. Die Ortsvorsteher haben dafür zu sorgen, daß dieses Gesetz befolgt wird, und die Jefes Politicos haben darüber zu befinden, ob die Beschwerden, die wegen Verweigerung oder exzessiver Forderung erhoben werden, wirtschaftlich gerechtfertigt sind. 2. Die Besitzer der Haziendas oder Betriebe, ihre Verwalter oder Pächter können sich an die Gemeindevorsteher wenden und von ihnen die Tagelöhner fordern, die sie für ihre Arbeiten benötigen. 3 • Die Ortsvorsteher ihrerseits haben dafür zu sorgen, daß der 283
Arbeiter genau den Tageslohn erhält, der für eine bestimmte Arbeit üblich ist; und wenn der Lohn für diese Arbeiten nicht feststeht, so soll er zwischen dem Arbeitgeber und dem Tagelöhner ausgehandelt werden. 4. Es dürfen jene nicht zu dieser Art Arbeit verpflichtet werden, die ständig ein Handwerk oder Amt ausüben, die eine eigene Arbeit, die ihr Auskommen sichert, haben oder die 6 Leguas von der Hazienda oder dem Betrieb entfernt wohnen, es sei denn, der Betreffende ist ein Landstreicher oder schuldet dem Besitzer eine bestimmte Summe, die er als Vorschuß für eine persönliche Arbeit erhalten hat. 5. Wenn die Tagelöhner eine Arbeit in einer Hazienda aufgenommen haben, können sie nicht dazu gezwungen werden, auf eine andere überzuwechseln, bevor sie nicht die angefangene Arbeit beendet haben.63 Daß dieses Gesetz, so wohlgemeint es auch war, in erster Linie die Indianer traf, die weder genügend Land noch ein sonstiges gesichertes Einkommen hatten, und praktisch zur Wiedereinführung dessen führte, was die liberale Regierung ausdrücklich verboten hatte - die Sklaverei, versteht sich von selbst. Auch überrascht es nicht, daß dieses Gesetz den Maßstab setzte, nach dem die Maya auch heute noch in Guatemala zu Frondiensten gezwungen werden. Denn obgleich es denen zum Verhängnis wurde, die es verkündet hatten, feierte es, kaum daß diese an die Macht zurückgekehrt waren, seine Auferstehung und blieb in dieser oder jener Form bis in die Gegenwart bestehen. So kam es, daß selbst die den Indianer verrieten, die ursprünglich sein Heil auf ihr Banner geschrieben hatten.
Carrera, die verpaßte Chance Der Groll der Indianer gegen die liberale Regierung wuchs. Doch wäre es wohl kaum zu einem allgemeinen Aufstand gekommen, wenn nicht zwei besondere Umstände, die sich beide im Jahre 1837 zutrugen, eingetreten wären. Zum einen führte Mariano Galvez, der 1831 zum Oberhaupt der Provinzregierung von Guatemala gewählt worden war (die Zentralregierung unter Morazan wurde 1833 nach San Salvador verlegt), den sogenannten Livingston Code ein, der ein neues Gerichtssystem auf der Grundlage von Geschworenen vorsah, die Todesstrafe abschaffte und an die Stelle der kirchlichen die standesamtliche 284
Trauung setzte. Die Einführung dieses neuen Gesetzeskodex bedeutete nicht nur einen Eingriff in die den Indianern bislang zugestandene lokale Selbstverwaltung, sondern wurde vor allem auch von der Kirche als eine weitere Einschränkung ihrer Macht, die durch die Ausweisung der religiösen Orden und die Säkularisierung des Erziehungswesens bereits empfindlich geschwächt war, angesehen. So nahm sie das zweite Ereignis, das 1837 eintrat, den Ausbruch einer Cholera-Epidemie, zum Anlaß, um im Verein mit den Großgrundbesitzern, die den Reformplänen der Regierung mißtrauten - gegen die Liberalen loszuschlagen. Als Galvez Ärzte in die am schwersten betroffenen Gebiete schickte, um die Seuche einzudämmen, wiegelten die Gemeindepfarrer die Indianer auf, indem sie ihnen einredeten, die Ärzte seien in Wirklichkeit nicht gekommen, um ihnen zu helfen, sondern um sie zu töten, indem sie ihre Brunnen vergifteten. Man wolle die indianische Rasse ausrotten, um Platz zu machen für fremde Einwanderer. Tatsächlich hatte die Regierung Gälvez damit begonnen, das Land der Einwanderung aus Übersee, insbesondere aus England, wo die Industrielle Revolution am weitesten fortgeschritten war, zu öffnen, da sie der Auffassung war, daß die Fremden das Land schneller als die Indianer entwickeln würden. Daß die Liberalen jedoch so weit gingen, die Indianer zu vergiften, war eine Verleumdung der Konservativen, die jeglicher Grundlage entbehrte. Dennoch glaubten sie die Indianer, und ihr aufgestauter Haß entlud sich schließlich in dem Kampfruf: »Es lebe die Religion, nieder mit den Fremden!« Der Aufstand brach in Mataquescuintla los, einem Dorf im Siedlungsgebiet der Pokomam-Maya, das in der Kolonialzeit ein bedeutendes Bergbauzentrum gewesen war. Unter der Führung eines Ladino, Rafael Carrera (1814-1865), wandte man sich zunächst gegen die von der Regierung ernannten Richter und brachte sie um. Eine Untersuchungskommission, die Galvez entsandte, um mit den Aufständischen zu verhandeln, wurde gleichfalls niedergemacht. Daraufhin mo bilisierte Galvez seine Truppen und schickte sie ins Aufstandsgebiet, wo sie rücksichtslos gegen die Indianer vorgingen. Die Folge war, daß der Aufstand sich ausbreitete, bis er das ganze Land erfaßte. Daß er dennoch - soweit es die Indianer betrifft - scheiterte, war die Schuld Carreras. Denn obwohl er ein Mann des Volkes war, der weder lesen noch schreiben konnte und, wenngleich er auch in der Hauptstadt geboren war, von den Indianern als einer der ihren angesehen wurde, geriet er schon bald unter dem Ein285
fluß der katholischen Priester, insbesondere eines gewissen Pater Lobo, der zu seinen engsten Vertrauten gehörte, in den Bannkreis der Konservativen, die ihn zu einem willigen Werkzeug machten. So ließ er zunächst einen Aufruf verkünden, in dem er die Absetzung der Regierung, die Vertreibung aller Fremden und die Wiederherstellung der kirchlichen Privilegien forderte, und verbündete sich dann mit einer Streitmacht, die die Konservativen in Antigua, ihrer Hochburg, aufgestellt hatten, und rückte gegen die neue Hauptstadt vor: Am Mittwoch (dem 2. März 1858) verbündete sich Carrera mit den Rebellen. Er hatte seine Boten in die Dörfer geschickt, um die Indianer mit dem Versprechen, Guatemala zu plündern, herbeizurufen; und am Donnerstag, mit einer lärmenden Menge halbnackter Wilder, Männer, Frauen und Kinder, die wohl 10000 oder 12000 zählten, erschien er vor dem Tor der Stadt. Selbst die Leute aus Antigua waren bestürzt, und die Bewohner von Guatemala gerieten in einen Zustand, der an Wahnsinn grenzte. Erneut schickte man Abgesandte zu ihm, um mit ihm zu verhandeln; er -verlangte von ihnen die Absetzung von Galvez, dem Regierungsoberhaupt, die Räumung der Plaza von den Bundestruppen und freien Einzug in die Stadt. Wenn die Bundestruppen von den Bürgern unterstützt worden wären, hätten sie wahrscheinlich auch jetzt noch den Einzug verhindern können; aber die Bestürzung und die Furcht, die rebellischen Horden zu reizen, waren so groß, daß man an nichts anderes dachte als Unterwerfung. Die Versammlung der Abgeordneten trat in Schrecken und Verwirrung zusammen, und das Ergebnis war eine Zustimmung zu allem, was gefordert wurde. Um 3 Uhr räumte der kleine Trupp von Regierungssoldaten die Plaza. Die Infanterie, die sich auf 100 belief, marschierte durch die Calle Real, die Königsstraße, ab. Die Kavallerie, ohne die Offiziere 70 an der Zahl, traf auf ihrem Rückzug durch eine andere Straße auf einen Adjutanten Carreras, der sie aufforderte, die Waffen niederzulegen. Yanez (der den Reitertrupp befehligte) antwortete, daß er erst seinen Kommandeur sprechen müsse; aber die Dragoner, die befürchteten, daß (der Stellvertretende Regierungschef) Valenzuela sie verraten würde, gerieten in panische Angst und flohen. Yanez galoppierte mit 35 Männern durch die Stadt und entkam über die Straße nach Mixco; der Rest jagte zurück zur Plaza, warf voller Abscheu seine Lanzen zu Boden, saß ab und verschwand, als kein einziger mehr bewaffnet war. 286
Mittlerweile rückten Carreras Horden näher. Der Kommandant der Streitkräfte aus Antigua fragte ihn, ob er seine Massen in Karrees oder Kompanien eingeteilt hätte; er antwortete: »No entiendo nada de eso. Todo es uno.« - »Ich verstehe davon nichts. Es ist alles einerlei.« Unter seinen Anführern waren Monreal und andere berüchtigte Gesetzlose, Verbrecher, Räuber und Mörder. Er selbst war zu Pferd, mit einem grünen Federbusch an seinem Hut und mit schmutzigen Baumwollfetzen behangen und bedeckt mit Bildern der Heiligen. Ein ehrenwerter Herr, der sie vorn Dach seines Hauses aus sah und der mit all den Szenen des Schreckens vertraut war, die diese unglückliche Stadt heimgesucht hatten, erzählte mir, daß er niemals solche Bestürzung und Furcht empfunden habe wie in jenem Augenblick, wo er den Einzug dieser gewaltigen Massen von Barbaren sah; sie verstopften die Straßen, alle mit grünen Federbüschen an ihren Hüten, so daß sie aus der Ferne wie ein wandelnder Wald aussahen; bewaffnet waren sie mit verrosteten Musketen, alten Pistolen, Vogelflinten, einige mit Schlössern und andere ohne; einfachen Stöcken zu Musketen verarbeitet, mit Schlössern aus Weißblech; Keulen, Macheten und Messern, an das Ende langer Stangen gebunden; und die Menge noch vergrößernd folgten 2000 oder 1000 Frauen, mit Säcken und Satteltaschen, um die Beute fortzuschleppen. Viele, die niemals zuvor ihre Dörfer verlassen hatten, waren überrascht bei dem Anblick der Häuser und Kirchen und der Pracht der Stadt. Sie betraten die Plaza und riefen: »Viva la religion, y muerte a los etrangeros!« Selbst Carrera, erstaunt über den ungeheuren Koloß, den er in Bewegung gesetzt hatte, war so verwirrt, daß er nicht einmal sein Pferd führen konnte. Später sagte er, daß ersieh vor der Aufgabe gefürchtet habe, diese riesige und zügellose Masse zu kontrollieren. Der Verräter Barrundia, der Führer der Opposition, der Catalina dieser Rebellion, ritt an seiner Seite bei seinem Einzug in die Plaza. Bei Sonnenuntergang stimmte die Menge, das Salve an, die Hymne an die Jungfrau. Das Anschwellen der menschlichen Stimmen erfüllte die Luft und ließ die Herzen der Einwohner vor Furcht erzittern. Carrera. betrat die Kathedrale; die Indianer, in stummer Verwunderung ob ihrer Pracht, drängten nach und stellten um den schönen Altar die rohen Bildnisse ihrer Dorf heiligen. Monreal brach in das Haus des Generals Prem ein und ergriff eine Uniformjacke, reich bestickt mit Gold, und Carrera, noch immer den Strohhut mit dem grünen Federbusch auf dem Kopf, zog sie über. Auch brachte man ihm eine Taschenuhr, aber
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er wußte nichts damit anzufangen. Seit der Besetzung Roms durch Alarich und die Goten war wohl keine zivilisierte Stadt je mals von einer solchen Flut von Barbaren heimgesucht worden. Und Carrera allein hatte die Macht, die wilden Kräfte um ihn herum zu zügeln. So bald wie möglich suchten ihn Vertreter der Regierung auf und baten ihn in demütiger Weise kundzutun, unter welchen Bedingungen er die Stadt räumen würde. Er verlangte die Absetzung von Galvez, dem Regierungschef, alles Geld und alle Waffen, die die Regierung auftreiben konnte. Die Priester waren die einzigen Leute, die irgendeinen Einfluß auf ihn ausübten, und Worte können den schrecklichen Zustand der Spannung nicht wiedergeben, in dem sich die Stadt befand; jeden Augenblick fürchtete man, das Signal zu hören, das ein allgemeines Plündern und Morden entfesseln würde. Die Bewohner schlössen sich in ihren Häusern ein, die, da sie aus Stein erbaut und mit eisernen Gittern vor den Fenstern und zolldicken Türen versehen waren, dem Ansturm umherschweifender Trupps standhielten; aber Greueltaten wurden mehr als genug begangen, wie es schien als Vorbereitung zur allgemeinen Plünderung. Der Vizepräsident der Republik wurde ermordet; das Haus von Flores, einem Abgeordneten, geplündert, seine Mutter niedergeschlagen von einem Schurken mit dem Kolben einer Muskete und eine seiner Töchter durch zwei Kugeln am Arm verletzt. Das Haus der Firma Klee, Skinner & Co., die größten ausländischen Kaufleute in Guatemala, in dem sich angeblich Munition und Waffen befinden sollten, wurde mehrere Male in wildem Angriff gestürmt; da es starke Fenstergitter hatte und die Tür mit aufeinandergetürmten Warenballen verbarrikadiert worden war, hielt es dem Ansturm eines wilden Mobs, der nur mit Keulen, Musketen, Messern und Macheten bewaffnet war, stand. Die Priester liefen durch die Straßen, in der Hand das Kruzifix, und hielten im Namen der Jungfrau und der Heiligen die umherstreifenden Indianer zurück, zugehen die aufgepeitschten Leidenschaften und bewahrten die erschreckten Einwohner vor dem Schlimmsten. Und ich kann nicht umhin, einen zu erwähnen, dessen Name in jedermanns Mund war, Mr. Charles Savage, der damalige Konsul der Vereinigten Staaten, der, inmitten des wildesten Angriffs auf das Haus von Mr. Klee, unter einem Hagel von Kugeln die Straße hinunterlief und, Bajonette und Macheten beiseite stoßend, den Mob von der Tür zurückdrängte und, sie als Räuber und Mörder verurteilend und mit wehendem weißen 288
Haar, solch einen Strom von Entrüstung und Verachtung ausstieß, daß die Indianer, erstaunt über seine Kühnheit, von ihrem Vorhaben abließen. Hierauf, mit einer geradezu tollkühnen Todesverachtung, stürzte ersieh in jeden Mob. Zum Erstaunen aller wurde er nicht getötet; und die ausländischen Bewohner der Stadt sandten ihm einen einstimmigen Brief des Dankes für seine furchtlosen und erfolgreichen Bemühungen um den Schutz von Leben und Gut. Solange die Verhandlungen andauerten, bemühte sich Carrera, in Prems Uniform gekleidet, seine ungestümen Anhänger zurückzuhalten; aber mehrere Male sagte er, daß er selbst nicht der Versuchung widerstehen könne, Klees Haus und jene der übrigen Engländer zu plündern. Es lag ein seltsamer Zug von Fanatismus im Charakter dieses gesetzlosen Anführers. Der Schlachtruf seiner Horden lautete: »Viva la religion!« Der Palast des Erzbischofs hatte es erdulden müssen, von den Liberalen als Theater verwendet zu werden; Carrera verlangte die Schlüssel und erklärte, sie in seine Tasche steckend, daß, um jede weitere Entweihung zu verhindern, er nicht eher wieder geöffnet werden solle, bis der in die Verbannung geschickte Erzbischof zurückkehrte, um ihn wieder zu beziehen. Schließlich wurde man sich über die Bedingungen, unter denen er bereit war, sich zurückzuziehen, einig, nämlich 11000 Dollar in Silber, 10000 für seine Leute und 1000 für ihn; 1000 Musketen und den Rang eines Oberstleutnants. Das Geld war ein geringer Preis für die Erlösung aus solch drohender Gefahr, aber es war eine ungeheure Summe in den Augen Carreras und seiner Anhänger, von denen wenige mehr besaßen als die Lumpen auf ihrem Leib und die gestohlenen Waffen in ihren Händen; und es war nicht leicht, das Geld zusammenzubekommen; die Schatzkammer war leer, und das Geld wurde höchst ungern von den Bürgern geopfert. Die Dummheit aber, Carrera 1000 Musketen zu überlassen, wurde nur noch durch die Torheit übertroffen, ihn zum Oberstleutnant zu machen. Am Nachmittag des dritten Tages zahlte man, übergab die Musketen und stattete Carrera mit dem Kommando über die Provinz Mita aus, einen Distrikt in der Nähe Guatemalas. Die Freude der Einwohner über die Aussicht seines baldigen Rückzugs kannte keine Grenzen; aber im letzten Augenblick verbreitete sich das schreckliche Gerücht, daß die wilden Banden den unbändigen Wunsch geäußert hätten, die Stadt, bevor sie sie verließen, zu plündern. Ein willkürliches Musketenfeuer auf der 289
Plaza bestätigte dieses Gerücht, und die Wirkung war furchtbar. Eine Stunde schrecklicher Ungewißheit folgte, aber um j Uhr räumten sie in losen Trupps die Plaza. Auf der Plaza de Toros hielten sie an und verursachten, ihre Musketen in die Luft feuernd, eine weitere Panik. Ein Gerücht lebte von neuem auf, daß Carrera 4000 Dollar mehr verlangt hätte und daß, falls er sie nicht bekäme, er zurückkehren und sie sich mit Gewalt holen würde. Carrera kehrte tatsächlich zurück und verlangte ein Feldgeschütz, das man ihm bereitwillig gab; dann endlich, ein Dokument zurücklassend, in dem er die Beseitigung gewisser Mißstände forderte, verließ er zur unsagbaren Freude aller Einwohner die Stadt.64 So geschah es, daß die große Abrechnung nicht stattfand. Indem Carrera sich mit einem bescheidenen Lösegeld abspeisen ließ, hatte er zwar noch nicht sein Spiel verloren, doch die, die für ihn kämpften, verpaßten damit ihre letzte Chance. Es wäre ihnen ein leichtes gewesen, die Liberalen wie die Konservativen zum Teufel zu jagen und ein freies Maya-Land auszurufen wenn nicht ein unerfahrener Jüngling, der nur zur Hälfte indianisches Blut hatte, sondern ein wahrer Vertreter des Volkes ihr Anführer gewesen wäre. Während Carrera sich in die Berge von Mataquescuintla zurückzog, versuchten die Konservativen, ihre neugewonnene Machtposition zu festigen. Da der Feind im Innern zerstritten war, wandten sie sich sogleich gegen das Zentrum des Liberalis mus, den Bundeskongreß in Salvador. Und auch hier gelang es ihnen, dank geschickter Rhetorik und einer fairen, wenn auch unklugen Zurückhaltung Morazans, einen Sieg davonzutragen: am 18. Mai 1838 erließ der Kongreß ein Gesetz, in dem er jedem Bundesstaat das Recht zuerkannte, die Staatsform zu wählen, die er für richtig hielt. Dieser Beschluß des Bundeskongresses bedeutete das Todes urteil für die Zentralamerikanische Föderation. Nikaragua hatte bereits am 30. April seinen Austritt erklärt. Im Oktober folgte Honduras, und Guatemala rief am 17. April 1839 seine Unabhängigkeit - die dritte - aus. Obwohl bis in unser Jahrhundert hinein wiederholt der Versuch unternommen wurde, die Föderation Wiederaufleben zu lassen, sank Zentralamerika auf das Niveau ohnmächtiger Kleinstaaten hinab, die eine leichte Beute des nordamerikanischen Imperialismus wurden. Carrera, der zunächst gezögert hatte, sich an die Spitze der Regierung zu stellen, übernahm schließlich 1844, nachdem er seinen
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Hauptrivalen Morazan besiegt hatte, das Amt des Staatspräsidenten von Guatemala und regierte im Namen der Kirche und der Feudalaristokratie als allseits gefürchteter Diktator bis zu seinem Tode 1865. Obwohl er sich zum »König der Maya« ausrufen ließ, gewannen die Indianer nur wenig durch seine Herrschaft. Er ließ zwar die Reformgesetze der Liberalen rückgängig machen, doch indem er zu den Gesetzen und Institutionen der Kolonialzeit zurückkehrte, führte er zugleich auch jenes Kastensystem wieder ein, das den Indianer erneut zum Paria des Weißen Mannes degradierte. So war die Ausrufung Guatemalas zur Republik am 21. März 1847 nur ein Akt der Demagogie, der noch heute auf seine Verwirklichung wartet.
VIII. KAPITEL PEONAJE . . . bald kamen w ir an das Ufer eines Flusses und sahen genau gegenüber eine Steinwand, vielleicht 100 Fuß hoch, von Stechginster gekrönt, in nordsüdlicher Richtung dem Fluß folgend, an einigen Stellen zerfallen, aber an anderen unversehrt. Sie glich eher einem Bauwerk als jedes andere, das wir von denen gesehen hatten, die man den Ureinwohnern Amerikas zuschreibt, und bildete einen Teil der Mauer von Copan, einer alten Stadt, auf deren Geschichte Bücher nur wenig Licht werfen . . . Die Mauer war aus behauenem Stein, sorgfältig aufeinandergeschichtet und gut erhalten. Wir stiegen über große Steintreppen, an einigen Stellen unversehrt, an anderen von Bäumen niedergerissen, die aus den Spalten hervorgewachsen waren, hinauf und erreichten eine Terrasse, deren Ausmaße nicht auszumachen waren, infolge des dichten Waldbewuchses, der sie bedeckte. Unser Führer schlug mit seinem Buschmesser einen Weg frei, und wir k amen an einem großen, sorgfältig behauenen Steinblock, der halbbegraben in der Erde lag, vorbei und gelangten an die Ecke eines Bauwerkes mit Stufen an den Seiten, in Form und Erscheinung, soweit wir durch die Bäume erkennen konnten, wie die Seiten einer Pyramide. Uns von der Basis abwendend und unseren Weg durch dichten Wald bahnend, stießen wir auf einen Steinpfeiler, etwa 14 Fuß hoch und 1 Fuß auf jeder Seite, in sehr kühnem Relief skulptiert, auf allen vier Seiten und von der Basis bis zur Spitze. Die Vorderseite zeigte die Figur eines Mannes, seltsam und reich gekleidet, und das Gesicht, augenscheinlich ein Porträt, ernst, streng und wohl geeignet, Schrecken zu erregen. Die Rückseite war von anderer Zeichnung, ungleich allem, was wir je zuvor gesehen hatten, und die Seiten waren bedeckt mit Hieroglyphen. Dies nannte unser Führer ein »Idolo«; und vor dem Bild, in einer Entfernung von 3 Fuß, lag ein großer Steinblock, ebenfalls mit Figuren und symbolischen Zeichen bedeckt, den er einen Altar nannte. Der Anblick dieses unerwarteten Monumentes be292
seitigte ein für allemal, in unserer Vorstellung, allen Zweifel über die Eigenart amerikanischer Altertümer und gab uns die Gewißheit, daß die Dinge, die wir suchten, interessant waren, nicht nur als Überbleibsel eines unbekannten Volkes, sondern auch als Kunstwerke, ein Beweis wie neuentdeckte historische Berichte, daß die Menschen, die einst den amerikanischen Kontinent bewohnten, keine Wilden waren. Mit einem Interesse, vielleicht stärker als wir es jemals gefühlt hatten bei unseren Wanderungen durch die Ruinen Ägyptens, folgten wir unserem Führer, der, manchmal den Weg verlierend, mit ununterbrochenem und kräftigem Gebrauch seines Buschmessers uns durch den dichten Wald führte, vorbei an halbbegrabenen Steinblöcken, zu 14 Denkmälern derselben Art und Erscheinung, einige mit feineren Zeichnungen und andere in meisterhafter Ausführung gleich den schönsten Monumenten der Ägypter; eines von seinem Sockel gestoßen durch gigantische Wurzeln; ein anderes eingeschlossen in einer engen Umarmung aus Ästen und beinahe aus der Erde gehoben; ein anderes zu Boden gestürzt und niedergehalten von riesigen Schling- und Kriechpflanzen; und wieder ein anderes aufrecht, mit seinem Altar davor, in einer Gruppe von Bäumen, die den Anschein erweckten, als wollten sie es wie ein Heiligtum beschirmen und beschützen; in der ernsten Stille des Waldes glich es einer Gottheit, die ein verlorenes Volk betrauerte. Die einzigen Laute, die die Ruhe dieser begrabenen Stadt störten, waren der Lärm der Affen, die in den Baumkronen turnten, und das Knakken der trockenen Äste, die u nter ihrem Gewicht zerbrachen. Sie zogen über unseren Köpfen in langen und eiligen Prozessionen, 40 oder 50 auf einmal, einige mit Jungen in ihren Armen, bis ans Ende der Äste wandernd, und, sich mit den Hinterbeinen oder einem Kringel ihres Schwanzes festhaltend, sprangen sie auf einen Ast des nächsten Baumes und zogen weiter, mit dem Lärm eines Windstoßes, in die Tiefe des Waldes. Es war das erste Mal, daß wir diese Hohnbilder des Menschen gesehen hatten, und mit den seltsamen Monumenten um uns herum erschienen sie uns wie wandelnde Geister einer verschollenen Rasse, die die Ruinen ihrer einstigen Behausungen bewachten. Wir kehrten zur Basis des pyramidenartigen Bauwerkes zurück und stiegen über regelmäßige Steinstufen hinauf, die an einigen Stellen durch Büsche und Sprößlinge auseinandergerissen und an anderen durch das Wachsen großer Bäume hinuntergeworfen waren, während einige unversehrt geblieben waren. Zum Teil waren sie geschmückt mit skulptierten Figuren und Reihen
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von Totenköpfen. Über die Ruinen auf der Höhe kletternd, erreichten wir eine Terrasse, die von Bäumen überwachsen war, und, nachdem wir sie überquert hatten, stiegen wir über Steinstufen in ein Gelände hinab, das so sehr mit Bäumen bedeckt war, daß wir zunächst seine Form nicht erkennen konnten, das aber, ah wir uns Raum mit dem Buschmesser verschafften, sich als ein Platz herausstellte, der auf allen Seiten von Treppen umgeben war, die beinahe so vollendet waren wie jene des römischen Amphitheaters. Die Stufen waren mit Skulpturen geschmückt, und an der Südseite, etwa auf halber Höhe und durch Wurzeln von seinem Platz verdrängt, befand sich ein gigantischer Kopf, offenbar ein Porträt. Wir stiegen diese Stufen hinauf und erreichten eine breite Terrasse, die - 100 Fuß hoch - den Fluß überragte und 294
von der Mauer gestützt wurde, die wir vom gegenüberliegenden Ufer gesehen hatten. Die ganze Terrasse war mit Bäumen bedeckt, und sogar auf dieser Anhöhe standen zwei riesige Ceibas oder wilde indische Baumwollbäume, über 20 Fuß im Umfang, mit Wurzeln, die - halb entblößt- 50 oder 100 Fuß weit reichten und die Ruinen niederhielten, und mit weit ausladenden Zweigen, die sie beschirmten. Wir setzten uns am Rande der Mauer nieder, und bemühten uns vergeblich, das Geheimnis, das uns umgab, zu durchdringen. Wer waren die Menschen, die diese Stadt erbauten ? In den Ruinenstädten Ägyptens, selbst im langvergessenen Petra kennt der Fremde die Geschichte des Volkes, dessen Spuren ihn umgeben. Amerika, so sagen die Historiker, war von Wilden bevölkert; aber Wilde errichteten niemals diese 295
Gebäude, Wilde behauten niemals diese Steine. Wir fragten die Indianer, wer sie geschaffen habe, und ihre stumpfsinnige Antwort lautete: »Quien sabe?« - »Wer weiß?«65
Ruinen am Weg Als der amerikanische Forschungsreisende John Lloyd Stephens (1805-1852) im Jahre 1839 die Ruinen von Copän besuchte, gab es keinen Menschen auf der Welt, der mit Sicherheit hätte sagen können, wer diese Stadt erbaut hatte. Ja selbst die Existenz einer Ruinenstadt im Maya-Gebiet wurde bezweifelt. Nicht einmal das Wort »Maya« war bekannt. Die Erinnerung an eine der großen Kulturen der Menschheit war ebenso erloschen wie diese selbst. Daß mit dem Untergang der Maya-Kultur auch das Wissen um sie verlorenging, nimmt nicht weiter wunder. Was überrascht, ist jedoch die Tatsache, daß man zunächst nicht das Naheliegende in Betracht zog, sondern erst einmal der Phantasie freien Lauf ließ, um die Existenz dessen zu erklären, was Stephens und sein Begleiter, der englische Zeichner Frederick Catherwood (1799-1854), auf ihren beiden Forschungsreisen, die sie in den Jahren 1839/40 und 1841/42 durch Zentralamerika, Chiapas und Yukatan unternahmen, nun endgültig beweisen sollten: daß es tatsächlich Ruinenstädte in der Dschungelwildnis Mittelamerikas gab, die von einem hohen Zivilisationsgrad zeugten. Diese Städte nicht mit jenen in Verbindung zu bringen, die sie - wie die Lakandonen - noch immer als Sitz der Götter verehrten, hatte zweierlei Gründe: einmal herrschte trotz Aufklärung noch immer jenes Weltbild vor, das allein in der Alten Welt die Wiege jeglicher höheren Kultur sah, zum ändern erweckten die Indianer, die im Umkreis der Ruinen wohnten, tatsächlich nicht den Anschein, als ob sie beziehungsweise ihre Vorfahren in der Lage gewesen wären, derart imposante Bauten und Kunstwerke zu errichten. So blieben denn nur die Ägypter und die Phönizier, die Inder und die Chinesen oder Atlantis übrig. Nicht, daß man nicht bald erkannte, daß es auch in der Neuen Welt bedeutende Zivilisationszentren gegeben hatte. Stephens war einer der ersten, der aufgrund seiner Reisen und sorgfältiger Quellenstudien zu diesem Schluß kam. Doch als man diese Tatsache erst einmal erkannt hatte, verschrieb man sich ganz dem Studium der Vergangenheit und vergaß darüber die Gegenwart. 296
Eine neue Wissenschaft, die Amerikanistik, entstand, aus der sich schon bald die Maya-Forschung als selbständige Disziplin lösen sollte. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stand zunächst die Archäologie, dann folgte die Inschriftenforschung. Erst in jüngster Zeit hat die Wissenschaft auch ihr Augenmerk auf die heutigen Maya gerichtet, freilich in der Hoffnung, aus der gegenwärtigen Lebensweise der Maya Rückschlüsse auf die ihrer Ahnen ziehen zu können. So hat sich denn die »Wiederentdeckung der Maya« durch die Wissenschaft kaum weniger verhängnisvoll für den Indianer ausgewirkt als seine ursprüngliche Entdeckung durch die Conquistadoren: zwar hat die Wissenschaft den Maya zu weltweitem Ruhm verhelfen, aber indem sie den Blick der Öffentlichkeit auf Pyramiden und Paläste lenkt, verdeckt sie die Slums in ihrem Schatten. Und wie der Tourist, der durch die wiedererstandenen Städte der Maya wandert, sich kaum bewußt ist, daß die Erbauer dieser Städte und die Bewohner der Strohhütten am Wege ein und dasselbe Volk sind, so weiß auch der Indianer heute noch nicht, daß die Tempel, in denen er zuweilen noch Opfer darbringt, das Werk seiner Väter sind. Stephens hat seine Reise umsonst gemacht.
Die Hazienda von Uxmal Die versunkenen Städte der Maya waren bald in aller Munde. Wie aber sah das Leben derer aus, deren wahre Identität man verkannte ? Zu der Zeit, als Stephens seine Entdeckungen machte, zerfielen die Maya in drei Gruppen: die Mehrheit waren peones, Landarbeiter auf Haziendas und Plantagen. Eine kleinere Gruppe lebte m den Städten, wo sie sich als Hausgesinde oder Gelegenheitsarbeiter verdingten. Sie unterschieden sich häufig nur noch m ihrer physischen Erscheinung von den unteren Schichten der Weißen und Mestizen. Die dritte Gruppe waren die sogenannten wilden Maya. Sie lebten jenseits dessen, was man Zivilisation nannte, und erkannten nur nominell die Oberhoheit der Staaten an, die ihr Siedlungsgebiet zu nationalem Territorium erklärt hatten. Zu diesen Maya, die noch weitgehend ihre ursprüngliche Kultur bewahrt hatten, gehörten nicht nur die Lakandonen, sondern auch die Huites (»Lendenschurze«), yukatekische Maya in den Wäldern von Quintana Roo. Die Peones waren die Nachfolger jener tributpflichtigen In297
dianer, die den spanischen Encomendero ernährt hatten. Nach der Abschaffung der Encomienda im 18. Jahrhundert sah sich der Kreole gezwungen, sich eine neue Existenzbasis zu schaffen. Was lag näher, als das alte System unter neuem Vorzeichen weiterzubetreiben? Er versuchte also, die Indianer von ihrem Land zu vertreiben, oder ließ sich, wo ihm dies nicht gelang, vom Staat gegen eine geringe Gebühr, die er bald vergaß, Ländereien zuteilen und ließ den Indianer weiter für sich arbeiten. Nicht daß der Indianer diese neue Form der Ausbeutung, die ihn vom tributpflichtigen Landbesitzer zum landlosen Tagelöhner degradierte, freiwillig über sich ergehen ließ. Doch es gab bestimmte Gründe, die ihm keine andere Wahl ließen. Zunächst einmal war er ja auch während der Kolonialzeit nicht nur zu Tributen, sondern unter dem System des Repartimiento und später des Mandamiento auch zu diversen Dienstleistungen verpflichtet gewesen. Er war also bereits weitgehend zum Kuli dressiert, auch wenn der Frondienst bislang - im Gegensatz zur Encomienda - keine permanente Institution gewesen war. Entscheidender aber war, daß der Indianer in dem Maße, wie die Latifundien sich ausbreiteten, sein Gemeindeland verlor, so daß er sich schließlich in der paradoxen Lage befand, den Großgrundbesitzer um ein Stück Land zu bitten, das vormals ihm gehört hatte, und ihm dafür seine Dienste anzubieten. Und selbst dort, wo dem Indianer ein Stück Land verblieben war, geriet er bald auf diese oder jene Weise in die Abhängigkeit des Hacendado: entweder lag - wie in Yukatan - die einzige Wasserstelle weit und breit auf dem Gebiet der Hazienda oder man verleitete den Indianer dazu, sich durch Vorschußzahlungen in eine Schuld zu begeben, aus der er sich nicht mehr befreien konnte. Mit dem Verlust seiner wirtschaftlichen Autarkie ging auch eine weitere Einschränkung der politischen Selbständigkeit des Indianers einher. Hatte man bisher die lokale Verwaltung den Kaziken überlassen, die freilich mehr im Interesse der Spanier als der Indianer regierten, so trat nun an deren Stelle der patron, der kreolische Großgrundbesitzer, der - obzwar in einem persönlichen Patronatsverhältnis - unbegrenzte Macht über die im Umkreis der Hazienda lebenden Indianer ausübte. Allerdings ließ sich der Patron meist durch einen mayordomo vertreten, denn er lebte überwiegend in der Stadt, wo er sich - umgeben von verschwenderischem Luxus - in politischen Intrigen erging, und besuchte nur von Zeit zu Zeit seine Hazienda. Der Mayordomo war gewöhnlich ein Mestize, und da dieser infolge einer fehlenden 298
sozialen und kulturellen Bindung sich als Ausgestoßener fühlte, ließ er seine Frustrationen an denen aus, die sich nicht wehren konnten. Die Ausbreitung der Haziendas bedeutete für die Maya in Yukatan eine größere Umstellung als für jene in Guatemala. Denn dort hatte es bereits seit der frühen Kolonialzeit eine Plantagenwirtschaft gegeben, die auf indianische Arbeitskräfte angewiesen war. In Yukatan hingegen hatte man sich vergeblich bemüht, Kakao, Zuckerrohr und andere Plantagenfrüchte anzubauen: der Boden war zu unfruchtbar und ermangelte natürlicher Bewässerung. So waren denn die Yukateken von größeren Arbeitsverpflichtungen verschont geblieben. Erst als auch hier schließlich die Encomiendas aufgehoben wurden und sich die Kreolen auf den einzigen Wirtschaftszweig, der - abgesehen von der Edel- und Farbholzgewinnung in Campeche - erfolgversprechend schien, die Viehzucht, verlegten, brach auch für die Maya in Yukatan die Zeit des Frondienstes an. 1838 war die Zahl der Haziendas in Yukatan auf über 1000 angestiegen. Die meisten von ihnen konzentrierten sich auf den Nordwesten: so gab es im Umkreis von Merida 446 Haziendas und im Gebiet von Izabal 438. Aber auch in Valladolid, an der Grenze zu den »freien Maya«, zählte man noch fast 200 Haziendas. Im gesamten Gebiet, das heute der Bundesstaat Yukatan einnimmt, gab es praktisch keine indianische Gemeinde mehr, die nicht an eine Hazienda gebunden war. Stephens, der auf seinen Reisen mehrere Haziendas in Yukatan besuchte, vermittelt uns einen unmittelbaren Einblick in das Wesen und Wirken dieser Institution. Besonders anschaulich ist die Schilderung einer Hazienda, die sich in der Gegend von Uxmal befand, wo er 1840 erste genauere archäologische Untersuchungen durchführte: Die Hazienda von Uxmal war aus dunklem grauen Stein erbaut, einfacher in ihrer Erscheinung und Ausstattung ah alle anderen; auch gab sie den Anschein größeren Alters und sah aus der Ferne wie ein herrschaftliches Schloß aus. Ein Jahr zuvor war sie Don Simon von seinem Vater übergeben worden, und er war dabei, das Gebäude großzügig zu reparieren und auszubauen, obwohl, da seine Familie die Hazienda nie besuchte und er nur jeweils für wenige Tage, ich nicht einsehen konnte, zu welchem Zweck. Der Viehhof befand sich an der Vorderseite und war von Wasserbecken umgeben, einige mit grünen Pflanzen bedeckt, und eine ungesunde Feuchtigkeit hing in der Luft. Die Hazienda hatte auch eine Kirche, die ein Bildnis de Nuestro Senor, 299
»Unseres Herrn«, enthielt, das von den Indianern aller umliegenden Haziendas verehrt wurde und dessen Ruhm bis zu den Hausdienern in Merida gelangt war und das das erste war, was die Aufmerksamkeit unseres Führers auf sich lenkte.66 Don Simon gehörte einer angesehenen Familie, die paradoxerweise Pedew hieß, an. Sie hatte während der Kolonialzeit mehrere Gouverneure gestellt und bewohnte noch heute eines der prunkvollsten Herrenhäuser in Merida: Es war ein großes aristokratisch aussehendes Herrenhaus aus dunklem grauen Stein, mit Baikonen vor den Fenstern, das fast die Hälfte der einen Seite der Plaza einnahm. . . . das Haus war eine Familienresidenz, und die verschiedenen Mitglieder besaßen jeder ihre eigenen Haziendas.67 Don Simon gehörte nicht nur das Land um Uxmal; er war auch Besitzer der Ruinen, eine Tatsache, der er jedoch keine besondere Bedeutung beimaß, es sei denn, er war um einige Steinblöcke für seine Ausbesserungsarbeiten verlegen. So kultiviert er sich auch gab, nicht Tempel und Pyramiden interessierten ihn, sondern daß seine indianischen Peones pünktlich zur Arbeit erschienen: Es war Montag, und sehr früh fanden sich alle Indianer der Hazienda, gemäß ihrer Verpflichtung dem Besitzer gegenüber, ein, um vom Mayordomo Anweisungen für die Arbeit des Tages zu empfangen. Indem ich in der Nähe des Hauses blieb, hatte ich Gelegenheit, etwas über die Disziplin auf einer Hazienda und den Charakter der Indianer zu lernen. Die Hazienda von Uxmal umfaßt eine Fläche von 10 Leguas oder 10 Meilen im Quadrat, aber nur ein kleiner Teil steht unter Kultur, der Rest dient als Weidefläche. Die Indianer zerfallen in zwei Gruppen: Vaqueros oder Viehtreiber, die 12 Dollar pro Jahr erhalten und 5 Almudas Mais pro Woche; und Labradores oder Arbeiter, die auch Luneros genannt werden, aufgrund ihrer Verpflichtung, die daraus erwächst, daß sie das Wasser der Hazienda trinken, für den Besitzer ohne Bezahlung am Lunes oder Montag zu arbeiten. Letztere bilden den Hauptteil der Indianer; und, außer ihrer Verpflichtung, am Montag zu arbeiten, müssen sie, wenn sie heiraten und Familien haben und natürlich mehr Wasser brauchen, für ihren Herrn ein Stück Maisfeld, das 20 Mecates groß ist, roden, bestellen und abernten, wobei ein Mecate 24 Quadratellen beträgt. Wenn die Glocke der Kirche fünfmal schlägt, ist jeder Indianer verpflichtet, sogleich zur Hazienda zu gehen und, für 1 Real pro Tag und eine Ration Mais im Wert von 3 Cents, jede Arbeit, die der Besitzer oder sein Stellvertreter, der 300
Mayordomo, ihm zuweisen mag, auszuführen. Die Autorität des Besitzers oder seines Stellvertreters über die Indianer ist absolut. Er schlichtet alle Streitigkeiten zwischen den Indianern und bestraft Vergehen, wobei er sowohl als Richter als auch ah Vollstrecker auftritt. Wenn der Mayordomo einen Indianer ungerechterweise bestraft, kann letzterer sich bei seinem Herrn beschweren; und wenn der Besitzer ihm seine Hilfe versagt oder selbst einen Indianer grundlos bestraft, kann letzterer um seine Entlassung nachsuchen. Er ist nicht verpflichtet, auf der Hazienda zu bleiben, wenn er nicht beim Besitzer verschuldet ist, aber praktisch ist es genau dies, was ihn bindet. Die Indianer sind alle leichtsinnig, nehmen ihren Lohn vorweg, haben niemals Vorrat auf Lager, der zwei Tage reicht, und führen niemals Buch. Ein unredlicher Hacendado kann sie immer in Schulden bringen, und im allgemeinen sind sie dies tatsächlich. Wenn er in der Lage ist, seine Schulden abzuzahlen, hat der Indianer Anspruch darauf, sofort entlassen zu werden; aber wenn nicht, ist sein Herr dazu verpflichtet, ihm ein Schreiben mit folgendem Inhalt zu geben: »Der Senor, der den Indianer namens . . . nehmen will, kann dies tun, vorausgesetzt, daß er mir den Betrag zahlt, den er mir schuldet.« Wenn der Herr ihm dieses Schreiben verweigert, kann der Indianer sich bei der Justiz beschweren. Hat er dieses Schreiben erhalten, macht er die Runde bei den Haziendas der Umgebung, bis er einen Besitzer findet, der bereit ist, die Schuld zu übernehmen, mit einer Hypothek auf ihn, bis sie bezahlt ist. Die Rechnung wird beglichen, und der Herr gibt dem Indianer ein Schreiben folgenden Inhalts: »Nachdem die Rechnung meines früheren Dieners . . ., die 20 Dollar betrug, beglichen ist und er mir den besagten Betrag bezahlt hat, gebe ich, sein bisheriger Herr, ihm diese Quittung«; und hiermit tritt er in den Dienst eines neuen Herrn. Es gibt kaum eine Chance, daß er jemals auch nur die kleinste Schuld abzahlen kann. Er wird niemals arbeiten, nur um seine Schuldenlast abzutragen, betrachtet alles, was er für seine Arbeit bekommen kann, als reinen Gewinn und geht praktisch von dem Augenblick an, wo er seinen ersten Dollar erhält, durchs Leben in Knechtschaft, unterbrochen nur durch einen gelegentlichen Wechsel seines Herrn. Im allgemeinen sind sie sanft, freundlich und sehr fügsam; sie hegen keinen Groll, und wenn einer von ihnen ausgepeitscht wird und sich vor Schmerzen windet, macht er mit Tränen in den Augen eine Verbeugung vor dem Mayordomo und sagt: »Buenos tarde, senor« - »Guten Abend, Herr«.66 301
Wolken am Horizont Die Hazienda war nicht die einzige Form des landwirtschaftlichen Großbetriebs in Yukatan. Seit der Unabhängigkeitserklärung Mexikos, der man in Yukatan nur zögernd gefolgt war, hatte man sich in zunehmendem Maße auf den Anbau von Zukkerrohr verlegt, denn die Loslösung vom Mutterland hatte die Handelsbeziehungen zu Kuba, das weiter unter spanischer Herrschaft blieb und bislang den yukatekischen Kreolen als Absatzmarkt für ihre Viehzuchtprodukte und zugleich als Lieferant von Zucker und Rum gedient hatte, unterbrochen. Da Zuckerrohr nur unter günstigen Bodenverhältnissen und besonderen klimatischen Bedingungen, wie sie in Yukatan nur im südöstlichen Teil der Halbinsel gegeben sind, gedeiht, verlagerte sich das Zentrum der yukatekischen Wirtschaft allmählich in das Grenzgebiet zwischen »befriedeten«, das heißt, unter der Herrschaft der Kreolen lebenden, und den freien Maya, den Huites. Waren letztere vom Frondienst auf den Haziendas verschont geblieben, so wurden sie nun nicht nur in ihrem Siedlungsraum eingeengt, sondern auch durch Regierungserlaß dazu gezwungen, auf den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten. Und diese Arbeit ließ sich nicht so leicht mit der traditionellen Lebensweise des Indianers verbinden wie der Schuldendienst auf der Hazienda, der den Indianer zwar zum Leibeigenen machte, ihm im allgemeinen aber genügend Zeit ließ, seine eigenen Felder zu bestellen. Die Zuckerrohrplantage ist im Gegensatz zur Viehzucht-Hazienda arbeitsintensiv: Zuckerrohr muß nicht nur schnell nach der Reife geerntet, sondern, um marktfähig zu sein, auch weiterverarbeitet werden. Dazu ist eine große Zahl von Arbeitskräften erforderlich, die jeweils für eine ganze Saison zur Verfügung stehen muß. Und diese Saison fällt genau in die Zeit, in der der Maya-Indianer seinen Mais erntet und neue Milpas anlegt. Die Folge war der Ausbruch einer Hungersnot. Zum Glück waren die Huites, die dem Joch der Spanier entgangen waren, nicht so »freundlich und fügsam« wie die Hazienda-Maya, und so dauerte es nicht lange, bis sie zum Gegenschlag ausholten. Ihnen kam eine Reihe von Umständen zu Hilfe, die dazu führten, daß ihr Aufbegehren kein lokales Ereignis blieb, sondern einen Krieg entfesselte, der die ganze Halbinsel erfaßte und über ein halbes Jahrhundert dauern sollte. Zunächst einmal waren es nicht nur die Huites, die in jedem Weißen einen Feind sahen. Latent war auch bei den übrigen Maya in Yu 302
katan ein Ressentiment gegen die Kreolen vorhanden, die sie seit der Conquista unterdrückt und ausgebeutet hatten. Auch war der Aufstand von Jacinto Canek noch in aller Erinnerung, und die freiheitlichen Parolen der Unabhängigkeitsbewegung hatten auch bei ihnen neue Hoffnungen geweckt. Verstärkt wurden diese durch Versprechen, die man ihnen gab, als es zu einem offenen Konflikt zwischen der Bundesregierung in Mexiko und der Provinzregierung in Merida kam. Anlaß zu dieser Auseinandersetzung war eine Verfassungsänderung, die Santa Ana, der inzwischen an die Macht gelangt war, 1836 vornehmen ließ und die die Einführung einer zentralistischen Staatsform vorsah. Gegen diese Einschränkung lokaler Autonomie hatte sich 1838 ein Hauptmann der yukatekischen Miliz, Santiago Iman, erhoben, zunächst ohne Erfolg, dann aber, als es ihm gelang, die Indianer, denen er die Abschaffung der Kirchenabgaben versprach, auf seine Seite zu bringen, mit dem Ergebnis, daß die ganze Provinz seine Revolte unterstützte und Yukatan schließlich im Februar 1840 seine Unabhängigkeit von Mexiko erklärte. Santa Ana entsandte daraufhin ein Expeditionskorps nach Yukatan; dem Widerstand der Yukateken, die von Flotteneinheiten aus Texas, das - seit der Kolonialzeit eine mexikanische Provinz - 1836 ebenfalls seine Unabhängigkeit erklärt hatte, unterstützt wurden, waren die Bundestruppen jedoch nicht gewachsen, und so ging Santa Ana 1843 auf einen Kompromißvorschlag der yukatekischen Kreolen, die aus wirtschaftlichen Erwägungen eine endgültige Unabhängigkeit nicht für opportun hielten, ein: Yukatan erkannte die mexikanische Oberhoheit an, durfte dafür aber seine ursprünglichen föderalistischen Privilegien behalten. Santa Ana, der schon so manche Niederlage erlebt hatte und noch erleben sollte, konnte diese nicht verwinden: kaum war der Vertrag unterzeichnet, da unternahm er einen neuen Versuch, die Yukateken in die Knie zu zwingen, indem er die Einfuhr yukatekischer Waren untersagte. Die Yukateken erklärten daraufhin 1845 erneut ihre Unabhängigkeit, waren jedoch ein Jahr später, als Santa Ana den Anschluß von Texas an die USA mit einer Kriegserklärung beantwortete und als Gegenleistung für eine Rückendeckung die föderale Verfassung von 1824 wieder einführte, von neuem bereit, dem mexikanischen Staatenbund beizutreten. Hiermit waren jedoch die Kreolen in Campeche nicht einverstanden, denn sie fürchteten, daß ihre Hafenstadt von amerikanischen Kriegsschiffen, die im Golf von Mexiko kreuzten, unter Beschuß genommen werden 303
würde, und erklärten noch im gleichen Jahr Yukatan für neutral, was de facto einer dritten Unabhängigkeitserklärung gleichkam. Die Provinzregierung in Merida erkannte diese Erklärung nicht an, worauf ein Bürgerkrieg zwischen Campeche und Merida entbrannte. Er gipfelte am 15. Januar 1847 im Massaker von Valladolid. Valladolid, mit 15 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt in Yukatan, war dennoch nicht mehr als ein anachronistisches Relikt der Kolonialzeit. Die Herrenhäuser der aristokratischen Familien waren zerfallen, obwohl beziehungsweise weil sie sich rühmten, von illustren Conquistadoren abzustammen und deshalb jeden Handschlag als unter ihrer Würde ansahen, und es gab weder einen Arzt noch einen Apotheker in der Stadt. Ja, Stephens, der Valladolid 1842 besuchte, fand nicht einmal einen Schuster, der ihm ein Paar Schuhe verkaufen konnte, und so ist sein Urteil, das er über diese Stadt fällt, verständlich: ». . . die Leute von Valladolid erschienen uns als die schlimmsten, die wir gesehen hatten, denn sie waren im allgemeinen faul, dem Spiel verfallen und zu nichts nutze.« So war das Schicksal, das diese Stadt, die vom Frondienst der Indianer lebte, an jenem 15. Januar des Jahres 1847 ereilte, wohlverdient: an diesem Tage besetzte Antonio Trujeque, ein Parteigänger Campeches, mit 3000 Indianern die Stadt. Doch was Carrera in Guatemala zu verhindern vermochte, gelang Trujeque nicht: die Indianer waren es leid, Kanonenfutter für die Kriege der Weißen zu sein, die ihre Versprechen nicht hielten, und so nahmen sie denn Rache an den Bewohnern von Valladolid, wie sie es seit dem Aufstand gegen die gleiche Stadt vor 300 Jahren nicht mehr getan hatten: mit dem Schlachtruf »Tod allen, die Hemden tragen!« und schwingenden Macheten stürmten sie die Häuser der Kreolen, hackten die Männer in Stücke, vergewaltigten Frauen und Mädchen und verschonten selbst Kinder nicht. Mit den abgeschlagenen Köpfen spielten sie Fußball, und das Fleisch der Erschlagenen rösteten sie und verspeisten es auf einem Triumphbankett. Eine Woche dauerte das Massaker, dennoch kamen die Bewohner von Valladolid glimpflich davon: nur 84 Zivilisten verloren ihr Leben, im Vergleich zu den Blutbädern, die die Conquistadoren angerichtet hatten, wahrlich nur eine Sonntagsmesse. Doch das Massaker von Valladolid war erst der Anfang.
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Der Sieg Der eigentliche Aufstand begann erst am 26. Juli 1847 mit der Hinrichtung Manuel Antonio Ays. Ay, ein Kazike aus dem Grenzdorf Chichimila, hatte an dem Überfall auf Valladolid teilgenommen, war jedoch erst in Gefangenschaft geraten, als man eine Verschwörung aufdeckte, die zunächst noch in Verbindung mit dem Bürgerkrieg der Kreolen stand: nach dem Fall von Va lladolid hatte sich zwar die Partei von Merida ergeben, doch kürzlich war ein Vertrauter des Ex-Gouverneurs, ein Oberst namens Jose Dolores Cetina, aus dem Exil zurückgekehrt und hatte die Indianer des Grenzgebietes auf seine Seite gebracht und den Krieg gegen Campeche von neuem entfacht. Diesmal jedoch war es umgekehrt: nicht die Indianer halfen den Kreolen, sondern diese jenen, denn die Indianer hatten seit ihrem Triumph in Va iladoiid einen eigenen Aufstand geplant, für dessen Vorbereitung eine Allianz mit Cetina nur nützlich sein konnte. Als Hauptquartier der Verschwörung hatten die Indianer Culumpich gewählt, eine Hazienda in der Nähe von Tihosuco, die einem Kaziken namens Jacinto Pat gehörte. Einem kreolischen Hacendado nun war es aufgefallen, daß die Indianer auf Schleichwegen Waffen und Vorräte zu ihrem Stützpunkt schafften, und er hatte sogleich den Kommandanten der Garnison von Valladolid verständigt. Dieser, eingedenk des Massakers vom Januar, beschloß, unverzüglich zu handeln und die Verschwörer festzunehmen. Aber nur Ay, den der Wirt einer Dorfschenke in Chichimila verriet, fiel den Verfolgern in die Hände. Nach Valladolid überführt, wurde er vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Am Morgen des 26. Juli füllten sich die Straßen der Stadt mit Indianern, die aus den umliegenden Dörfern herbeieilten, um dem Verurteilten ihr letztes Geleit zu geben. Die Garnison wurde m Alarmbereitschaft versetzt, und an den Kreuzungen der Straßen fuhr man Geschütze auf. Doch als das Erschießungskommando Aufstellung nahm, der Befehl ertönte und das Echo der Schüsse verhallte, bewahrten die Indianer die gleiche stoische Ruhe, wie sie ihr Anführer bis zum letzten Augenblick bewiesen hatte. Was die Hinrichtung Ays jedoch tatsächlich bewirkte, erkannte man erst, als es bereits zu spät war: der Tod ihres Anführers, der seine Gegner nur des Landes verweisen, sie jedoch nicht töten wollte, schürte nicht nur den Haß der Indianer auf ihre Unterdrücker, er zerriß auch die letzten Bande, die noch zwi307
sehen dem Indianer und dem Weißen bestanden hatten. So wurde er zum Auftakt eines Krieges, der als Guerra, de Castas, der »Kastenkrieg«, in die Geschichte eingegangen ist. Die Indianer schlugen jedoch erst los, als Trujeque, der noch vor einem halben Jahr an der Seite Ays gekämpft hatte, nach dem Massaker von Valladohd jedoch rehabilitiert und nun vom Kommandanten der Stadt nach Tihosuco entsandt worden war, um die übrigen Verschwörer aufzugreifen, die Hacienda Cecilio Cbis überfiel, des Kaziken von Ichmul, der der radikalste unter den Verschwörern war. Trujeque, erbost, daß ihm Chi entkommen war, ließ die Indianer auf der Hazienda niedermachen und schritt selbst dann nicht ein, als einer seiner Offiziere ein zehnjähriges Mädchen vergewaltigte. Zwei Tage später, am 30. Juli 1847, schlug Chi zurück: im Morgengrauen fielen die Indianer über Tepich her, einen kleinen Ort m der Nähe von Tihosuco, der von Ladinos - Weißen, Mestizen und Mulatten - bewohnt wurde. 20, 30 Familien wurden niedergemetzelt, nur einige Frauen und Mädchen entgingen ihrem Schicksal, indem sie den üblichen Preis zahlten. Und die, die entkommen konnten, verbreiteten die Schreckensbotschaft: Chi will alle Weißen töten und sich zum König von Yukatan machen! Chi kam seinem Ziel näher als alle seine Vorgänger und Nachfolger: innerhalb eines Jahres hatten die Maya vier Fünftel der Halbinsel zurückerobert! Zunächst stießen sie nach Norden vor, dann nach Süden und schließlich nach Westen: im August fiel Tixcacalcupul, im Oktober Tihosuco, im Januar Peto, im März Valladolid, im April Bacalar und im Mai Ticuhl und Izamal. Den Weißen blieb schließlich nur noch Merida und Campeche und der Camino Real, die Straße, die diese beiden Städte verband. Der Vormarsch der Indianer glich einem Blitzkrieg: nicht daß ihre Gegner sich nicht zur Wehr setzten, doch sie waren nicht nur uneins, sie waren auch den Indianern zahlenmäßig weit unterlegen. Außerdem war der Indianer mit dem Terrain vertraut und wendete, indem er offene Gefechte mied und statt dessen den Feind in den Hinterhalt lockte, die Taktik des Guerilla-Krieges an. Bewaffnet war er mit Buschmessern und Gewehren. Letztere lieferten ihm die Engländer, die sich in Belize niedergelassen hatten und um eine Festigung ihrer Herrschaft bemüht waren. Auf beiden Seiten wurde mit unerbittlicher Grausamkeit gekämpft. Dabei fielen die Indianer zuweilen in vorspanische Praktiken zurück: als sie beispielsweise die Hazienda Yaxche, die einer gewissen Dolores Padron gehörte, überfielen, ergriffen sie 308
deren Sohn, öffneten ihm die Brust, rissen das Herz heraus und verzehrten es. Auch wandten sie sich wieder ihren alten Göttern zu und verfolgten die Priester und brannten die Kirchen nieder. Ihre Gegner standen ihnen nicht nach: in Tixkokob entstand ein See aus Blut, so gründlich folterten sie ihre Gefangenen. Und den Kaziken Alejandro Tzab hingen sie an den Ohren auf, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Seit dem Aufkommen der Haziendas hatten die Kaziken ihre Vormachtstellung verloren. Sie waren deshalb die ersten, die sich gegen die neuen Herren wandten. Zwar hatten sie nicht alle ihren Besitz eingebüßt - Jacinto Pat war ein wohlhabender Großgrundbesitzer, und auch Cecilio Chi besaß ein kleines Gehöft -, doch der Verlust ihrer politischen Autorität hatte sie dazu gezwungen, sich mit den übrigen Indianern zu solidarisieren. So war der Kastenkrieg - zumindest in seinem Anfangsstadium keine nativistische Bewegung, sondern eine politische Revolution.
Die Niederlage Die Revolte, die Oberst Cetina im Namen Meridas angezettelt hatte, endete im Dezember 1847. Sie hatte in entscheidender Weise zum Sieg der Maya beigetragen: im Oktober hatte Cetina Merida, wo inzwischen die Parteigänger Campeches an die Macht gelangt waren, besetzt und dadurch einen Rückzug der Regierungstruppen aus dem indianischen Aufstandsgebiet ausgelöst, was den Maya die Eroberung Tihosucos und damit die Errichtung einer Ausgangsbasis für ihren weiteren Vormarsch ermöglicht hatte. Als die Regierungstruppen sich Merida näherten, hatte Cetina das Weite gesucht und das Feld seinem Gegner, dem bisherigen Gouverneur Santiago Mendez, überlassen. Nachdem er vergeblich versucht hatte, mit den aufständischen Indianern ins Geschäft zu kommen, war Cetina am 4. Dezember nach Merida zurückgekehrt und hatte in einem letzten Protestakt San Benito, die Festung der Stadt, genommen, ehe er sich am nächsten Tag endgültig geschlagen gab. Mendez, dessen Truppen ihre verlorene Stellung nicht mehr zurückgewinnen konnten, sah sich schließlich gezwungen, den Indianern erste Zugeständnisse zu machen: so hob er im Januar 1848 die Kopfsteuer auf und versprach allen Aufständischen, die sich ergaben, Straffreiheit. Im Februar schaltete er die Kirche zu
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Vermittlungsverhandlungen ein: diese appellierte an das 5. Ge bot, worauf die Indianer fragten, warum sich die Weißen erst jetzt dieses Gebotes erinnerten. Am 25. März tat Mendez einen letzten verzweifelten Schritt: er bot die Herrschaft über Yukatan dem an, der sie wiederherzustellen vermochte. Er wandte sich an die USA, an England und an Spanien. Die Amerikaner befanden sich zur Zeit im Krieg gegen Mexiko, der ihnen vorerst genügend Beute einbrachte: die Hälfte des mexikanischen Staatsgebietes zwischen Texas und Kalifornien. Die Engländer hatten auf die Karte der Maya gesetzt, da ihnen ein indianischer Pufferstaat zwischen Belize und Yukatan nützlicher erschien als die Aussicht auf einen Krieg mit Mexiko. Allein Spanien war an dem Angebot interessiert und stellte sogleich Waffen im Wert von 23 000 Pesos bereit. Doch bevor sein Traum von einer erneuten Ausweitung seiner Kolonialherrschaft in Erfüllung gehen konnte, trat eine unvorhergesehene Wende im Kastenkrieg ein. Im Mai 1848 waren die Aufständischen bis auf 30 km an Merida herangekommen, und von Campeche trennten sie nur noch 5 km. Die beiden Städte waren von Flüchtlingen überfüllt: allein in Merida belief sich ihre Zahl auf 80000. Die Versorgung der Bevölkerung war nicht mehr gewährleistet, Seuchen brachen aus, und schon traf man Vorkehrungen, Merida zu evakuieren. Da traf die Nachricht ein: die Aufständischen ziehen sich zurück! Ein letzter Vorstoß - und die Maya wären wieder Herren ihres Landes gewesen. Doch auch in Mexiko verspielten sie ihre Chance! Warum? Sie wußten nicht, wie schlimm es um ihren Gegner stand. Merida und Campeche waren für sie immer das Symbol absoluter Macht, von Festungsmauern umgeben und von Kathedralen gekrönt, gewesen. Sie hatten nicht vermocht, alle Indianer für den Freiheitskampf zu gewinnen. Je mehr sie sich der Metropole näherten, desto geringer wurde ihr Zulauf: der Initiator des Auf Standes waren die Plantagenarbeiter gewesen, die Hazienda-Indianer waren nur Mitläufer, und als die Regierung Steuern und Abgaben aufhob und diejenigen, die den Kampf gegen die Aufständischen unterstützten, zu Hidalgos, zu »Edelleuten«, erhob, ließen sie sich erneut verblenden. Chi, der die Aufständischen im Norden anführte, forderte kompromißlos die Vernichtung der Weißen. Pat, der Anführer der Aufständischen im Süden, war zu Verhandlungen bereit: am 310
19. April 1848 hatte er mit Miguel Barbachano, für den Cetina vergeblich gekämpft hatte und der nun doch noch - nach dem Rücktritt von Mendez - sein Gouverneursamt wiedererlangt hatte, einen Vertrag geschlossen, der die Aufhebung der Schulden und die Rückgabe der Ländereien vorsah und Barbachano zum Gouverneur über die Weißen und Pat zum Gouverneur über die Indianer erklärte. Die Einheit der Aufständischen war zerbrochen. Und schließlich - die Zeit der Aussaat war gekommen. Der Krieg hatte alle Vorräte aufgezehrt, und die Felder waren verwüstet. So kehrten die Aufständischen in ihre Dörfer zurück und vertauschten ihre Ge wehre mit dem Grabstock. Als sie die Waffen wieder aufnahmen, war zwar der Krieg noch nicht vorüber, aber die Aussicht auf einen Sieg verloren. Ein halbes Jahr nur dauerte es, dann hatten die Weißen wieder die Positionen zurückgewonnen, die sie bei Ausbruch des Krieges besaßen. Die »Reconquista« in Yukatan war jedoch nicht nur das Verdienst der yukatekischen Kreolen: an ihrer Seite kämpften 1000 amerikanische Söldner, die man - nach dem Ende des Krieges zwischen Mexiko und den USA - für 8 Dollar pro Monat und 320 Morgen Land angeworben hatte. Es sollten nicht die letzten Amerikaner bleiben, die gegen die Maya gekämpft haben. Am 13. Dezember 1848 traf die Aufständischen der Todesstoß: Cecilio Chi wurde ermordet - von seinem Sekretär, einem Mestizen. Das Motiv der Tat blieb ungeklärt: es heißt, der Sekretär habe Chi mit dessen Frau betrogen und ihn, um einer Vergeltung zuvorzukommen, getötet. Jedenfalls wurde der Mörder von den Anhängern Chis in Stücke geschlagen und die Frau den Geiern zum Fraß vorgeworfen. Mit dem Tode Chis endete der Traum von der Wiedererrichtung eines indianischen Königreiches in Yukatan. Jacinto Pat, der dritte Anführer des Aufstandes, hatte das Ziel der Revolution bereits verraten. Er zahlte dafür im. September 1849, als er von Venancio Pec, einem Nachfolger Chis, gestellt wurde, mit dem Leben.
Ein Kreuz, das spricht Der Ausgang des Kastenkrieges war besiegelt. Dennoch gaben sich die Maya nicht geschlagen. Die Aufständischen zogen sich jenseits der Grenze, in das unzugängliche Gebiet der Huites, zu311
rück und konnten dort ihre Freiheit bis Anfang dieses Jahrhunderts bewahren. Um ihren Widerstandswillen zu beflügeln - der Krieg hatte bislang 150000 Menschenleben gefordert, die meisten von ihnen Maya -, bedurfte es allerdings eines besonderen Ansporns: Ende des Jahres 1849 führte Jose Maria, Barrera, ein Mestize aus Peto, der an der Seite Pats gekämpft hatte, eine Schar flüchtender Rebellen zu einem abgelegenen Cenote, in dessen Nähe ein Baum stand, der in seiner Rinde ein Kreuz trug. Während Barrera seine Gefolgsleute aufforderte, sich niederzuknien, fing das Kreuz an zu sprechen: Meine lieben Indianer, fürchtet euch nicht, den Kampf gegen die Weißen weiterzuführen! Ich werde bei euch sein und euch vor den Kugeln der Feinde schützen. Macht euch auf nach Kampocolche! Als sie die göttliche Stimme vernahmen, die Barrera einem indianischen Bauchredner namens Manuel Nahuat entlockte, schöpften die geschlagenen Rebellen neuen Mut: Gott war auf ihrer Seite, und wer in seinem Namen kämpfte, der mußte siegen. Hatten die spanischen Eroberer dies nicht bewiesen? So machte sich denn Barrera mit seinen Leuten auf und griff Kampocolche an, eine Siedlung an der Grenze, aus der sie vertrieben worden waren. Im Vertrauen auf die göttliche Verheißung warfen sich die Indianer den Kugeln ihrer Feinde entgegen - aber der Schutz des Allmächtigen blieb aus. Als die Angreifer sich schließlich zurückzogen, waren die Felder rings um das Dorf übersät mit Toten. Ihr habt meinem Wort nicht geglaubt, verkündete die göttliche Stimme, deshalb habt ihr büßen müssen. Doch verzagt nicht, ich werde weiter bei euch sein! Die Kunde von der wunderbaren Erscheinung in Chan Santa, Cruz, wie der Ort des »kleinen heiligen Kreuzes« fortan hieß, breitete sich in Windeseile aus, und bald schon war aus einem Wallfahrtsort eine stattliche Siedlung entstanden. Aber das Ge rücht von einem »Sprechenden Kreuz« kam auch den Weißen jenseits der Grenze zu Ohren, und sie beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen: so erschien am 23. März 1850 eine yukatekische Patrouille in Chan Santa Cruz und nahm das Heiligenbild, das man inzwischen in Form eines Holzkreuzes auf einem Hügel errichtet hatte, kurzerhand mit. Zu allem Unglück gehörte auch der Bauchredner zu den Opfern, die bei der Verteidigung des Heiligenbildes ihr Leben ließen. Barrera, um einen Ausweg nicht verlegen, ließ eine Hütte er312
richten, unterteilte sie in einen allgemeinen Versammlungsraum und ein Sanktuarium, das einen Altar enthielt, und stellte auf diesen drei Kreuze, die gleichfalls sprechen konnten: In der schäbigen alten Galerie ihrer Kirche befand sich an einem Ende ein Altar, dem sich keiner nähern durfte, außer jenem, der für die drei Kreuze zu sorgen hatte. Oben auf dem Altar standen diese drei Kreuze, in Huipil und Rock gekleidet; hinter dem Altar war eine Grube, in der sich ein Faß befand, das als Resonanzboden diente und der Stimme einen leeren und hohlen Klang gab. All dies war dem Anblick des Volkes im Haupttrakt der Kirche verborgen; der Sprecher in der Grube teilte der Menge, die von dem Kunstgriff nichts wußte, mit, was immer Barrera ihn sagen ließ; so geschah es, daß die Indianer Geschenke in Form von Mais, Geflügel, Wachs, Schweinen, Geld und was immer er wünschte, brachten, denn die Kreuze sprachen ohne Ende.69 Das Geheimnis der »Sprechenden Kreuze«, das ein Augenzeuge, Felipe de la Cämara Zavala, überlieferte, wurde im Februar 1852 entdeckt, als ein yukatekischer Stoßtrupp erneut Chan Santa Cruz besetzte. Diesmal waren die Weißen entschlossen, den gefährlichen Kult mit Stumpf und Stiel auszurotten: sie nahmen eine Axt und fällten den Mahagoni-Baum, auf dem das ursprüngliche Kreuz eingeschnitten war. Doch die Indianer, die zwar geglaubt hatten, daß dem Baum eine magische Kraft innewohnte, die jede Axt abwehrte, ließen sich durch den Frevel der Weißen nicht beirren: Abbilder des Kreuzes gab es inzwischen in jedem Dorf und in jeder Hütte. So wuchs der Kult des Kreuzes, dem Widerstand der Weißen zum Trotz, bis er schließlich das gesamte Gebiet zwischen der Bucht von Chetumal, dem See von Chichancanab und der Küste auf der Höhe von Cozumel umfaßte. Dieses Gebiet, von den Spaniern gemieden und bislang das Jagdrevier der nomadischen Huites, verwandelte sich nun in einen theokratischen Staat, der von Chan Santa Cruz aus regiert wurde. In latentem, zuweilen aber auch offenem Krieg mit Mexiko, dem sich Yukatan und Campeche als separate Bundesstaaten schließlich endgültig anschlössen, und unterstützt von den Engländern, die sich aufgrund eines Vertrages, den sie 1859 mit Carrera aushandelten, endgültig in Belize niederließen, konnte Chan Santa Cruz seine Unabhängigkeit bis in unser Jahrhundert bewahren. 313
Das Reich des großen Vaters An der Spitze des Staates stand der sogenannte Tatich, der »Schutzherr des Kreuzes«. Er war zugleich religiöses und politisches Oberhaupt und regierte als absoluter Herrscher. Um die mystische Aura seines Amtes zu wahren, lebte er zurückgezogen und überließ die eigentliche Ausübung der Macht geistlichen und weltlichen Würdenträgern. Unter den ersteren sind vor allem die Priester zu nennen, die nach dem Vorbild der maestros cantores, der indianischen Hilfskräfte der Ordensgeistlichen während der Kolonialzeit, den Gottesdienst in den Dörfern leiteten. Sie wurden nach einer langjährigen Ausbildung vom Tatich ernannt und waren das wichtigste Bindeglied zwischen dem Kreuz, dem Symbol der Zentralgewalt, und der Bevölkerung auf dem Lande. Neben diesen sozusagen katholischen Priestern gab es die H-Menob, die - in der Tradition der vorspanischen Religion - als Medizinmänner und Regenmacher fungierten. Die Verwaltung von La Santisima, dem »Allerheiligsten« in Chan Santa Cruz, oblag drei besonderen Würdenträgern: das »Orakel des göttlichen Wortes« war jene Stimme des Herrn, die in trickreicher Weise den Willen des Tatich kundgab. Aber auch diese göttliche Botschaft erreichte nicht direkt die Ohren des Volkes: in Chan Santa Cruz wurde sie durch den Tata Polin, den »Vater des hölzernen Objektes«, interpretiert, für die Priester auf dem Lande schrieb sie der »Sekretär des Kreuzes« auf. Je größer der zeremonielle Aufwand, desto wirkungsvoller die Botschaft, um so schwieriger aber auch, das Geheimnis des Kreuzes zu durchdringen. Diesem geistlichen stand ein weltlicher Arm der Regierung gegenüber, der zivile mit militärischer Funktion verband. So war der Tata Chikiuc, der »Vater der Plaza«, nicht nur Oberbefehls haber der Truppen, sondern zugleich auch Vorsitzender eines Staatsrates, der sich aus Vertretern der Ortskommandanten zusammensetzte, die ihrerseits halb Militär, halb Friedensrichter waren. Der Tata Chikiuc war zwar nominell dem Tatich, der später bezeichnenderweise den Titel Nohoch Tata, »Großer Va ter«, annahm, unterstellt, doch kam es nicht selten vor, daß er seine militärischen Erfolge dazu nutzte, sich selbst zum Schutzpatron des Kreuzes emporzuschwingen. Der Sitz der geistlichen und weltlichen Macht war Chan Santa Cruz, das sich schließlich zu einer Art Stadt entwickelte, die je314
doch - in Anlehnung an die vorspanische Praxis - weniger ein Siedlungs- als vielmehr ein Zeremonialzentrum war. Überragt wurde die Stadt vom Balam Na, dem »Hause Gottes«, einer Kirche, mit deren Bau man 1858 begann, um dem Kult des Kreuzes einen endgültigen würdigen Rahmen zu geben. Es war das imposanteste Bauwerk der Stadt - über einem Grundriß von 30 X 20 qm erhob sich ein Tonnengewölbe, das eine Höhe von fast 15 m erreichte - und erinnerte in seiner Architektur an die Kirchen der frühen Kolonialzeit, die sowohl Tempel als auch Festung gewesen waren. Das Balam Na, das von zwei langgestreckten Häuserblocks flankiert wurde, die als Schulen und Unterkünfte für die Ehrenwache des Kreuzes dienten, begrenzte die Ostseite einer Plaza, die den Mittelpunkt der Stadt bildete. Auf der gegenüberliegenden Seite lag der Palast des Tatich, Chikmik, »Westwind«, genannt. Es war ein einstöckiges Gebäude, 30 m lang, das auf der Vorder- und Rückseite von Arkadengängen gesäumt wurde. Bescheidener war die Residenz des Tata Chikiuc, die auf der Nordseite der Plaza stand. Weitere Gebäude, die die Plaza umgaben, dienten als Versammlungsort für den Staatsrat, als Garnison und als Gefängnis. Um diesen Kernbezirk der Stadt waren schachbrettartig Häuser angeordnet, die im Gegensatz zu den Gebäuden auf der Piaza nicht aus Stein, sondern - wie die des gemeinen Volkes in den Dörfern - aus Weidengeflecht und Stroh erbaut waren und von Tempeldienern, niederen Beamten und Händlern bewohnt wurden. Begrenzt wurde die Stadt an den vier Kardinalpunkten von je einer Kapelle, m der sich ein Kreuz befand. Ein weiterer Schrein, nach dem Ursprungsort der Gründer der Stadt Kampocolche Kah genannt, erhob sich jenseits der westlichen Begrenzung der Stadt an der Stelle, wo das Sprechende Kreuz erstmals erschienen war. Chan Santa Cruz, die Stadt wie der Staat, stellte eine Synthese aus indianischer Überlieferung und spanischer Kolonialtradition dar. Ein Produkt des Nativismus also, der - soweit es das MayaGebiet betrifft - in Chan Santa Cruz seinen größten Triumph feierte. Indianischen Ursprungs war die Vereinigung religiöser und weltlicher Autorität in der Person des Tatich wie auch die enge Verknüpfung ziviler und militärischer Gewalt, die im Batab der vorspanischen Zeit ihre Entsprechung fand. Indianisch auch war die Siedlungsstruktur: ein städtisches Zentrum zeremonialer und administrativer Funktion, um das sich Weiler und Dörfer scharten, die die Stadt mit Nahrungsgütern und ihrer Arbeits315
Grundplan und Rekonstruktion von Chan Santa Cruz (nach N. Reed, The Caste War of Yukatan, Stanford 1964)
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kraft versorgten und dafür vor den Angriffen der Yukateken geschützt waren. Spanisch war der Kult des Kreuzes - wenngleich er auch an Vorstellungen aus der vorspanischen Zeit anknüpfte, wo das Kreuz als Symbol der Maispflanze verehrt wurde -, und mehr Spanier als Indianer waren der Begründer des Kultes und seine Nachfolger: sie waren Mestizen. Daß ihre Untertanen Maya waren, erleichterte ihnen zwar, indem sie die religiöse Leichtgläubigkeit des Indianers ausnutzten, die Ausübung ihrer Herrschaft, doch hätten es ebenso Neger oder Weiße sein können: an einer Renaissance der Maya-Kultur, die dem Staat eine erneuernde Kraft und nationale Identität hätte geben können, waren sie nicht interessiert. Sie hielten den Schlüssel zur Macht in den Händen und fuhren, da dem Kreuz von allem das Beste gebührte, nicht schlecht dabei. Das Volk, das den Tatich niemals zu Gesicht bekam, erkannte seine Autorität bedingungslos an, doch die Tatas Chikiuc, die Generäle, die meist Indianer waren und das Ge heimnis des Kreuzes kannten, durchschauten allmählich den Betrug. Als sie jedoch zur Tat schritten, war es bereits zu spät.
Das Ende Nach einer Periode relativen Friedens flammte der Kastenkrieg 1895 von neuem auf. Nicht daß die Weißen in Yukatan in der Zwischenzeit untätig gewesen waren: sie hatten ihre leeren Kassen aufgefüllt, zunächst durch den Verkauf von Sklaven nach Kuba und dann durch den Anbau einer neuen Nutzpflanze, des Henequen. Was die Sklaven betrifft, so waren dies Maya, nicht nur gefangene Rebellen, sondern auch Peones, mit denen man auf den verwüsteten Haziendas und Plantagen nichts mehr anfangen konnte. Am 5. März 1849 brachte man die erste Ladung, 140 Maya, nach Havanna. Die kubanischen Zuckerbarone zahlten 25 Pesos pro Kopf, später, als das Geschäft in Gang gekommen war, 160 Pesos für die Männer, 120 für Frauen und 80 für Kinder. De jure waren die Indianer, die man nach Kuba verschiffte, Plantagenarbeiter, die einen Zehnjahresvertrag hatten, faktisch unterschied sich der Handel, den man mit ihnen - Mitte des 19. Jahrhunderts - trieb, nur dem Namen nach von den Sklavenjagden, die die Conquistadoren unternommen hatten. Wieviel Maya man nach Kuba verschacherte, ist ungewiß. Die spanische Kolonialregierung erteilte Einfuhrgenehmigungen, die 317
zumindest in einem Falle die stattliche Zahl von 20000 erreichten. Die Gouverneure in Yukatan standen einem solchen Ansinnen grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber, denn sie waren mit hohen Provisionen an dem Geschält beteiligt. Dennoch dürfte die tatsächliche Zahl der deportierten Maya weit geringer gewesen sein - nach konservativen Schätzungen lag sie bei etwa 2000 -, denn nicht nur versuchte die mexikanische Zentralregierung, den Menschenhandel zu unterbinden, die Yukateken erkannten schließlich selbst - als der Henequen-Boom begann -, daß sie durch den Export potentieller Arbeitskräfte ihren eigenen Interessen schadeten. So stieß das Gesetz, das Benito Juarez (1802-1872), der Nachfolger Santa Anas, im Zuge liberaler Reformen 1861 gegen den Sklavenhandel in Yukatan erließ, nur noch auf wenig Widerstand. Der Henequen-Boom, auf den wir noch näher eingehen werden, leitete eine neue Phase in der Geschichte Yukatans ein. Für die Indianer bedeutete er die Rückkehr zur Peonaje, schlimmer noch, als sie sie je zuvor erlebt hatten. Für die Weißen brachte er endlich den Profit, von dem Montejo vergeblich geträumt hatte. Er fand jedoch nicht nur seinen Niederschlag in neuen Prunkbauten der Reichen, sondern gab auch durch die Anlage von Straßen und Eisenbahnen der wirtschaftlichen Erschließung einen neuen Impuls. Auf Chan Santa Cruz wirkte sich diese Entwicklung in zweierlei Weise verhängnisvoll aus: einmal dehnten die Yukateken ihr Siedlungsgebiet von neuem nach Südosten aus, zum ändern erwachte in Mexiko ein nachhaltiges Interesse an dem wirtschaftlichen Potential der bislang vernachlässigten Halbinsel, was im ersten Fall zu einer Wiederaufnahme des Krieges im Grenzgebiet zwischen Yukatan und Chan Santa Cruz, im zweiten zu einer militärischen Unterstützung der Yukateken von seiten der Bundesregierung führte. Yukatekische Verbände stießen 1895 in das Grenzgebiet vor. Die Mexikaner folgten drei Jahre später. Zunächst blockierten sie mit einem spezialangefertigten Kriegsschiff, das nach seinem Einsatzort den Namen »Chetumal« erhielt, die Mündung des Rio Hondo, wodurch die Maya in Chan Santa Cruz von ihrem militärischen Nachschub aus Belize abgeschnitten wurden. Und dann kam General Ignacio Bravo, ein Mann, der sein Handwerk, wozu er nicht nur militärische Aktionen zählte, verstand, denn er war ein enger Vertrauter des berüchtigtsten aller mexikanischen Diktatoren, Porfirio Diaz (1830—1915). 318
Am 3. Mai des Jahres 1900 feierte man in Chan Santa Cruz zum letzten Mal das Fest des Heiligen Kreuzes. Vier Monate später, am 15. September, eröffnete Bravo den letzten Feldzug gegen Chan Santa Cruz. Seine Streitmacht bestand aus vier Bataillonen Bundestruppen, Einheiten der yukatekischen Nationalgarde und fünf Kanonen. Doch das Militär war nur die Vorhut. Ihr folgte ein Bautrupp aus Vermessungsingenieuren und 400 Arbeitern, der eine Eisenbahnlinie von Peto bis zur Bucht von Ascension quer durch das Gebiet der Aufständischen — verlegen sollte. Die Cruzob, wie sich die Verteidiger des Kreuzes nannten, leisteten verzweifelten Widerstand, aber es war nur noch das letzte Aufbäumen eines sterbenden Volkes: Krieg, Hunger und Krankheiten hatten es derart geschwächt, daß es nur einer geringen Anstrengung bedurfte, um es in die Knie zu zwingen. In kaum fünfzig Jahren war die Bevölkerung m Chan Santa Cruz von etwa 40000 auf 10000 zusammengeschrumpft, und von den rund 1500 Indianern, die gegen Bravo in den Kampf zogen, lief schließlich die Hälfte zum Feinde über. Das Kreuz hatte aufgehört zu sprechen. General Bravo besetzte Chan Santa Cruz am 5. Mai 1901. Die Stadt war verlassen, und selbst Balam Na, die Kirche, war eine Ruine. So konnte er schon bald in die mexikanische Hauptstadt zurückkehren, um die geschäftliche Seite des Unternehmens in Gang zu bringen. Chan Santa Cruz war reich an Edel- und Nutzhölzern, und was der Tatich den Engländern überlassen hatte, nahmen nun die Mexikaner in die Hand: am 24. November 1902 wurde das Auf Standsgebiet als Territorium von Quintana Roo der direkten Kontrolle der Bundesregierung unterstellt, um einen Großangriff auf die Schätze seiner Wälder zu starten.
La Reforma Ignacio Comonfort, Präsident der Mexikanischen Republik, an ihre Bewohner, nehmt zur Kenntnis: In der Erkenntnis, daß eines der größten Hindernisse für das Gedeihen und Wachsen der Nation die fehlende Beweglichkeit oder der freie Umlauf eines großen Teils des Grundbesitzes, die Grundlage des allgemeinen Wohlstandes, ist und in Ausübung der weiten Vollmachten, die mir der Plan, der in Ayutla verkündet und in Acapulco erneuert wurde, übertragen hat, habe ich es für gut befunden, folgendes Gesetz zu erlassen: 319
Art. i: Alle ländlichen und städtischen Ländereien, die heute die zivilen oder kirchlichen Körperschaften der Republik besitzen oder verwalten, sollen als Eigentum denen übertragen werden, die sie gepachtet haben, zu einem Preis, der der Pachtgebühr, die sie im Augenblick zahlen, entspricht und einem Zinssatz von 6% pro Jahr . . .70 Gemeint war in erster Linie die Kirche. Leidtragender wurde jedoch der Indianer. Denn das Gesetz, das Comonfort am 25. Juni 1856 erließ und das nach dem, der es eigentlich verfaßt hatte, Miguel Lerdo de Tejada, als Ley Lerdo bekannt geworden ist, gab den Anstoß zum endgültigen Ausverkauf des indianischen Gemeindelandes. Der Kampf zwischen den Liberalen und Konservativen, der Mexiko seit der Unabhängigkeit zerrissen hatte, nahm 1854 eine entscheidende Wende, als die Liberalen in Ayutla, einem Ort in der Nähe Acapulcos, mit einer Proklamation, die die Ideale Morelos'wieder aufgriff, eine Revolution einleiteten, die zum Sturz des Diktators Santa Ana führte und eine Reihe von Präsidenten an die Macht brachte, die einen radikalen Reformkurs einschlugen. Feind Nummer 1 der Liberalen war die Kirche. Sie war der größte Landbesitzer: über 50% des gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Bodens waren in der Hand der Kirche. Ihr Vermögen wurde auf 300 Millionen bis 1 Milliarde Pesos geschätzt. Und jede Heirat brachte weitere 20 Pesos (die Hälfte dessen, was man, wenn man überhaupt bezahlt wurde, in einem Jahr verdienen konnte), denn wer ohne den Segen der Kirche zusammenlebte, den erwartete auch nach seinem Tode - der der Kirche gleichfalls etwas einbrachte - kein besseres Leben. Die Kirche war nicht nur der größte und reichste Unternehmer im Staate, sie besaß praktisch auch das Monopol über das Erziehungswesen, so daß sie gerade bei denen den größten Rückhalt fand, die sie am meisten ausbeutete. Und da sie als Vertreterin des Herrn auf Erden besonderen Gesetzen unterlag, konnte man sie auch für ihre dunkelsten Geschäfte nicht zur Rechenschaft ziehen. Seit den Unabhängigkeitskriegen hatten die Liberalen für die Abschaffung der kirchlichen Privilegien gekämpft, die sie als größtes Hindernis auf dem Wege zum Fortschritt sahen. Auch diesmal gab sich die Kirche so leicht nicht geschlagen: ein neuer Bürgerkrieg folgte der Proklamation von Ayutla, zwang das ausgeblutete Land zu Anleihen im Ausland und führte schließlich 1862 zur Intervention der Franzosen, die den Konservativen noch einmal einen letzten Auftrieb gab. Mit dem Sieg über Maxi320
milian, der seinen Griff zur Kaiserkrone mit dem Leben bezahlen mußte, kehrten die Liberalen erneut an die Macht zurück, ehe sie schließlich 1876 Porfirio Diaz weichen mußten, der zwar die letzten Spuren des alten Kolonialsystems beseitigte, dafür aber Mexiko in eine neue koloniale Abhängigkeit brachte. Das Gesetz von 1856 brach die Macht der Kirche. Nutznießer wurden jedoch nicht diejenigen, die das Land der Kirche bearbeitet hatten, sondern die Hacendados, die allein über das nötige Kapital verfügten, die frei werdenden Ländereien zu kaufen, und die ohnehin in engem Kontakt mit der Kirche standen, da sich der hohe Klerus aus den zweiten und dritten Söhnen der Großgrundbesitzerfamilien zusammensetzte, so daß eigentlich alles beim alten blieb. Allerdings nur soweit es das Land der Kirche betraf. Das Gemeindeland des Indianers fiel schließlich auch unter das Gesetz, und als die kirchlichen Ländereien aufgeteilt waren, ging man daran, auch dieses zu zerschlagen. Das Ziel der Regierung war, durch eine individuelle Landzuteilung die Initiative des einzelnen zu fördern. Dem Indianer aber war das Prinzip des Privatbesitzes völlig fremd . Ihm war es unverständlich, daß ein Feld oder eine Wiese, ein Bach oder auch nur ein Brunnen einem einzelnen Menschen gehören konnte. Die Welt war für alle erschaffen, und wenn man sich der Fruchtbarkeit des Bodens bediente, so tat man dies im Einklang mit der Natur und der Gemeinschaft. Plötzlich erhielt man einen Zettel, auf dem angeblich stand, daß man fortan unumschränkter Herr über etwas sein sollte, was bis lang des Menschen Herr gewesen war. Mit einem solchen Zettel konnte man nichts anfangen, und so überließ man ihn achtlos denen, die damit etwas anzufangen wußten. Die Indianer, die dennoch ihren Landtitel behielten, verloren ihn schließlich durch einen anderen Trick: die baldiaje. Hierbei handelte es sich um die Aneignung angeblich leeren und brachliegenden Landes - sogenannter baldios -, ein Vorgehen, das so lange legal war, wie es tatsächlich ungenutzte Ländereien gab, die einst der spanischen Krone gehört hatten und die Regierung zu Schleuderpreisen abgab, das jedoch in dem Augenblick kriminelle Formen annahm, wo man auch solche Ländereien zu Baldios erklärte, die von Indianern bebaut und bewohnt wurden. Ihr Rechtstitel nützte den Indianern nichts: die Lokalbehörden wurden bestochen und die Indianer ihres Landes verwiesen, es sei denn, sie erklärten sich bereit, für den neuen Besitzer als »Baldios« zu arbeiten. Die Maya wurden von der Reformpolitik in Mexiko beson321
ders hart betroffen: ihr marginales Siedlungsgebiet war von den Spaniern, die sich vornehmlich im Zentrum des Landes angesiedelt hatten, weitgehend gemieden worden, und das Schicksal, das die Azteken bereits während der Kolonialzeit heimgesucht hatte, ereilte die Maya schließlich im 19. Jahrhundert. Vor allem in Chiapas hatte die Landaufteilung verheerende Folgen: hier stieg zwischen 1837 und 1889 die Zahl der Latifundien von 853 auf 3159, womit noch nichts über die Größe dieser Latifundien gesagt ist, die sich schließlich nicht nur vermehrten, sondern auch vergrößerten. Ein Großteil dieser Latifundien entstand zwar außerhalb des eigentlichen Siedlungsgebietes der Indianer, vor allem im Tal des Rio Grijalva und an den südlichen Hängen der Sierra Madre, doch auch auf dem zentralen Hochplateau wurde der Landmangel schließlich so groß, daß die Indianer gezwungen waren, in das Tiefland, aus dem sie einst gekommen waren, abzuwandern und auf den neuen Plantagen, die dort entstanden, Arbeit zu suchen. 1896 arbeiteten fast zwei Drittel der aktiven männlichen Bevölkerung der Tzeltales und Tzotziles auf einem Boden, der ihnen nicht gehörte. In Yukatan war der Prozeß der Landenteignung durch den Kastenkrieg unterbrochen worden. Doch nur vorübergehend. Was die Indianer in der ersten Phase des Krieges gewonnen hatten, verloren sie in der zweiten. Und noch viel mehr: denn das Zentrum der Halbinsel, das durch die Flucht der Indianer nach Quintana Roo entvölkert worden war, übernahmen nun die Weißen. In der Zeit von 1846 bis 1910 blieb die Zahl der Latifundien zwar ziemlich konstant, doch die Zahl der gemeinschaftlichen Ländereien ging im gleichen Zeitraum von 2040 auf 796 zurück. Beteiligt an diesem Landraub waren nicht nur einheimische Hacendados: 1909 erweiterte der Bundesminister für Entwicklung, Olegario Molina, seine Besitzungen in Yukatan, indem er 2179 ha angrenzenden Landes zu »Baldios« erklären ließ und den Bewohnern zwei Monate gab, ihr Land zu räumen. Und was die Ausländer betrifft, so kommen wir darauf später zurück. Aber nicht nur in Mexiko kam das Land der Maya unter den Hammer, auch in Guatemala holte man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach, was man während der Kolonialzeit versäumt hatte: man stieß in das letzte Refugium der Indianer, in die Cuchumatanes, vor. Den Anstoß zur »Erschließung« des Landes gab auch hier eine liberale Revolution, die 1871 die durch Carrera geprägte Herrschaft der Konservativen ablöste und unter der Regierung von Justo Rufino Barrios (1835-1885) ihren endgülti322
gen Durchbruch erlangte. 1876 führte Barrios wieder den Arbeitszwang ein, der inzwischen aufgehoben worden war, und im folgenden Jahr erließ er ein Gesetz, das die Verteilung des Ge meindelandes vorsah. Im übrigen war auch er - wie seine liberalen Vorläufer - der Auffassung, daß die Indianer gar keine Indianer sind: in einem Dekret vom 13, Oktober 1876 erklärte er die Bewohner von San Pedro Sacatepequez — Mam-Maya - zu Ladinos und ordnete an, daß sie fortan die Kleidung des übrigen Volkes zu tragen hätten: Mit rechtlicher Wirkung werden zu Ladinos die Eingeborenen beiderlei Geschlechts des erwähnten Dorfes San Pedro Sacatepequez erklärt, die vom nächsten Jahr an die Kleidung zu tragen haben, die der Klasse der Ladinos entspricht.71 Als Barrios 1885 bei dem Versuch, die Zentralamerikanische Föderation wiederherzustellen, in einer Schlacht gegen El Salvador fiel, hatte er nicht nur auch den letzten Indianer zum Proletarier degradiert, sondern auch - wie sein Pendant in Mexiko neuen Kolonialherren Türe und Tore geöffnet.
Ein Stein fällt vom Himmel Die Maya nahmen auch diesen neuerlichen Angriff auf ihr Siedlungsgebiet nicht widerstandslos hin: 1880 erhoben sich die Huasteken in San Luis Potosi, 1891 und 1892 die Yukatekenin Maxcanu und Peto und 1898 die Solomek-Maya in San Juan Ixcoy im nordwestlichen Hochland von Guatemala, wo sie 30 Ladinos, die sich in ihrem Gebiet niedergelassen hatten, umbrachten. Diese Aufstände waren jedoch nur lokale Erhebungen, die schnell niedergeschlagen wurden. Ein anderer Aufstand hingegen brachte noch einmal eine ganze Provinz zum Erschüttern: es war dies der sogenannte Chamula-Aufstand in Chiapas. Am 22. Dezember 1867 fand Agustina Gomez Checheb, eine junge Tzotzil-Indianerin aus dem Weiler Tzajalhemel, als sie die Schafe ihrer Eltern hütete, drei Obsidiansplitter. Sie hob sie auf und brachte sie in die Hütte ihrer Eltern, wo man sie auf dem Familienaltar aufbewahrte. Nachbarn kamen herbei, um den Fund zu bewundern, und bald verbreitete sich die Kunde, daß die Steine vom Himmel gefallen seien, um den Indianern eine Botschaft zu bringen. Das Gerücht von den »Sprechenden Steinen« erreichte auch Pedro Diaz Cuzcat, der in einem Weiler in der Nähe wohnte und 323
als »Fiscal« für die religiösen Belange in den Außenbezirken von Chamula, zu dem Tzajalhemel gehörte, zuständig war. Er wanderte also nach Tzajalhemel, wo man ihm - eingedenk seines Amtes - die heiligen Steine willig überließ. Pedro verwahrte sie in einem Kästchen, doch als er sich am Abend zur Ruhe begab, erwachte er bald darauf durch ein klopfendes Geräusch, das aus dem Kästchen kam und so klang, als ob die Steine darum bäten, herausgelassen zu werden. Da gab es auch für Pedro keinen Zweifel mehr: die Steine waren göttlichen Ursprungs. Pedro ließ den Steinen einen Schrein errichten, und bald schon verwandelte sich Tzajalhemel in ein Kultzentrum, das Indianer aus einem weiten Umkreis anzog. Nun wurde auch der Cura, der katholische Priester, von Chamula aufmerksam und machte sich auf, in Tzajalhemel nach dem Rechten zu sehen. Als er dort eintraf, fand er eine große Menge vor dem Schrein versammelt. In heiligem Zorn hob der Cura sogleich zu einer wetternden Predigt gegen den Götzendienst an. Und die Indianer, anstatt die Hand gegen ihn zu erheben, hörten ihm zu, baten um Vergebung und händigten ihm die »Sprechenden Steine« aus. Aber Pedro, der - in einer Kiste verborgen - als göttliche Stimme füngiert hatte, ließ sich durch den Tadel des Cura, dessen Vertreter er eigentlich war, nicht abschrecken und erschuf, im Verein mit Agustina, ein neues Götterbild: eine Tonfigur, in bunte Kleider und Bänder gehüllt - wie ein Heiligenbild in den Kirchen. Doch es war kein Santo der Weißen, es war ein neuer Gott, ein Gott der Indianer! Er blieb es nicht lange: als der Jefe Politico in San Cristobal Las Casas, wie man Ciudad Real - nach dem Ortsheiligen und dem berühmten Dominikaner, der als Bischof in der Stadt gewirkt hatte - jetzt nannte, von dem neuen Götzenkult erfuhr, sah er darin eine Gefahr für die Sicherheit der Ladinos und begab sich mit einer Eskorte von 25 Mann nach Tzajalhemel. Er begnügte sich nicht nur mit dem Götterbild, sondern nahm gleich auch Agustina, die Wurzel allen Übels, nach San Cristobal mit. Der Gouverneur von Chiapas, ein Verfechter der liberalen Reformen, dessen Amtssitz inzwischen nach Chiapa de Corzo, dem neuen Wirtschaftszentrum am Rio Grijalva, verlegt worden war, ordnete jedoch die Freilassung der Indianerin an, denn Mexiko sei inzwischen ein Land, in dem die Freiheit des Glaubens herrsche. Der Schiedsspruch des Gouverneurs gab dem indianischen Kult einen neuen Auftrieb: an die Stelle des entführten Götzen324
bildes traten jetzt drei Götterbilder, und die bescheidene Hütte, die bislang als Schrein gedient hatte, wurde durch einen stattlichen Tempel ersetzt. Und dann kehrte die Zeit des alljährlichen Festes zu Ehren der Santa Rosa, der Schutzpatronin von Chamula, wieder: Pedro lud Vertreter aus indianischen Gemeinden nah und fern nach Tzajalhemel ein, und als der Tag der Fiesta gekommen war, ernannte er, indem er sie im Tempel salbte und segnete, jeweils einen Abgesandten aus den Dörfern zum Ge meindeoberhaupt, das ihm zugleich als Kontaktperson und Ratgeber dienen sollte. Zugleich führte er einen täglichen Markt in Tzajalhemel ein und einen sonntäglichen Gottesdienst zu Ehren der drei Götterbilder. Der Götzenkult der Indianer war für die Ladinos in San Cristobal, der Hochburg der Konservativen in Chiapas, schon ein Frevel genug. Daß sie nun auch noch das Handelsmonopol, das in den Händen der Weißen lag, sprengten, grenzte an offenen Aufruhr. So sah sich der Jefe Politico erneut genötigt, Tzajalhemel einen Besuch abzustatten. Diesmal nahm er 50 Bewaffnete mit, und als man am Kultort ankam, sparte man keine Munition. Pedro entging den Häschern ein zweites Mal, Agustina und die Götterbilder wurden erneut verschleppt. Als die Indianerin jedoch nicht wiederkam, beschloß Pedro, den Gouverneur in Chiapa aufzusuchen und ihn um ihre Freilassung zu bitten. Er kam jedoch nur bis Ixtapa: ein Indianer aus Zinacantan verriet ihn, und so wanderte auch er ins Gefängnis nach San Cristobal. Beraubt ihrer Priester und Götter, nahmen die Indianer Zuflucht zu einem letzten Verzweiflungsakt: sie schufen sich ihren eigenen Erlöser, indem sie am Karfreitag des Jahres 1869 Domingo Gomez Checheb, einen Bruder Agustinas, ans Kreuz schlugen: Sie errichteten ein Kreuz auf der Plaza von Tzajalhemel, dem Ort, wo sie ihre Versammlungen abhielten, holten aus dem Tempel das Opfer und banden es an das Kreuz und schlugen Nägel durch seine Füße und Hände. Das unglückliche Opfer stieß mit bewegender Stimme Schmerzensschreie aus, die untergingen in dem Lärm, den jene entfesselten Furien, trunken von Alkohol und Blut, verursachten; die sogenannten Santas (Tempeldienerinnen) sammelten das Blut des Gekreuzigten, andere beräucherten ihn mit Weihrauch, bis schließlich der junge Domingo unter qualvollen Schmerzen sein Leben aushauchte.12 Der »Erlöser« kam in der Nacht vom 16. zum 17. Mai, in der Gestalt eines als Chamula verkleideten Mestizen mit Namen 325
Ignacio Ferndndez Galindo. Er verkündete, daß Gott ihn gesandt habe, um die Indianer in den Krieg zu führen und Pedro und Agustina zu befreien. Als Zeichen seines göttlichen Auftrages hypnotisierte er Kinder und erweckte sie dann wieder zum Leben. So wie diese Kinder, versprach er, würde er auch jeden Krieger wiedererwecken, der im Kampf gegen die Weißen fiele. Die Indianer hörten seine Botschaft und glaubten, er sei der heilige Matthäus. Willig folgten sie seinen Anordnungen: zu Tausenden kamen sie herbei und begannen unter der Aufsicht Gahndos mit militärischen Übungen, um sich auf den Kampf vorzubereiten. Die erste Schlacht erforderte nur wenig Mut: als der Cura von Chamula, m Begleitung eines Lehrers und dessen Bruder sowie zweier Indianer, die dem Pater treu geblieben waren, den Versuch unternahm, mit Fernandez zu verhandeln, wurde er von den Aufständischen überfallen und niedergemacht. Nur einer der beiden Indianer konnte dem Gemetzel entrinnen. Das war der Auftakt. Am folgenden Tag, dem 15, Juni 1869, fielen die Aufständischen über die ersten Haziendas her. Vier Tage später hatten sie ein Dutzend Haziendas zerstört, hundert Ladinos getötet und Tausende von Baldios befreit. Sie wurden der Kern der Aufstandsarmee, denn sie wußten, wofür sie kämpften. Die anderen waren nur Mozos, Indianer, denen ein Stück Land verblieben war und die sich nur gelegentlich zu 1 : Arbeit auf den Haziendas und Plantagen verdingten. Nachdem sie das Hinterland gesichert hatten, rückten die Aufständischen gegen San Cristobal vor. Die Garnison der Stadt bestand nur aus 95 Mann, und während die Frauen und Kinder in den Kirchen Zuflucht suchten, versuchte der Kommandant, mit den Aufständischen zu verhandeln. Und tatsächlich, man wurde sich einig: ein Tausch - Pedro und Agustina gegen Fernändez. Die Indianer zogen sich daraufhin zurück, und Fernandez endete am 26. Juni auf der Plaza von San Cristobal vor einem Erschießungskommando. Selbstmord ? Wohl kaum. Fernandez wäre der erste Mestize gewesen, der sein Leben für die Indianer aufs Spiel setzt. Was aber dann bewog ihn, sich zum Fürsprecher der Indianer zu machen und sich sogar freiwillig in die Hand seiner Feinde zu begeben? Fernandez hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Doch nach seinem Tode wurden Stimmen laut, die sein merkwürdiges 326
Verhalten erklären würden: er sei ein Agent provocateur gewesen, dem der Gouverneur 5000 Pesos versprochen habe, wenn es ihm gelänge, nicht die Indianer - sondern San Cristobal, das sich seiner liberalen Regierung widersetzte, in die Knie zu zwingen. Die Truppen des Gouverneurs, was immer auch ihr ursprünglicher Auftrag gewesen sein mag, trafen erst ein, als Fernandez bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Inzwischen hatten sich die Aufständischen unter der Führung von Pedro mit den Tzeltales, deren Siedlungsgebiet sich östlich an das der Tzotziles anschließt, verbündet. Dennoch wurden die Indianer gleich bei der ersten großen Schlacht, die ihnen die Regierungstruppen lieferten, geschlagen: am 30. Juni 1869 fielen in Tzajalcbeti, einem Weiler, der gleichfalls zu Chamula zählte, 300 Indianer. Nicht besser erging es den Aufständischen in Yolonchen, einem Weiler in der Gegend von San Andres, wo ihr Heer am 7. Juli endgültig zerschlagen wurde. Ihre Toten und Verwundeten mit sich schleppend-, zogen sich die Indianer in die Berge zurück und begannen mit einem Guerilla-Krieg, der zumindest länger als bis zum Herbst des folgenden Jahres gedauert hätte, wenn die Mozos, von den Ladinos aufgewiegelt, nicht den Baldios in den Rücken gefallen wären. Pedro Diaz Cuzcat starb 1871 in einer Höhle, in der er Zuflucht gefunden hatte, verlassen und vergessen. Agustina Gomez Checheb tauchte in der Anonymität, in die ihr Volk zurücksank, unter. Man hat nie wieder etwas von ihr gehört.
IX. KAPITEL NEOKOLONIALISMUS »Spanisch-Amerika ist frei, und wenn wir unsere Sache nicht gerade schlecht machen, ist es englisch!« Mit dieser Erklärung des britischen Außenministers George Canning (1770-1827) begann eine neue Phase der kolonialen Abhängigkeit in Lateinamerika. Denn Großbritannien machte seine Sache recht gut - und die USA noch besser. Wie Franz L, der Adams Testament hatte sehen wollen, so hatte sich auch England niemals mit dem Schiedsspruch des Papstes, der die Welt unter Spanien und Portugal aufteilte, zufriedengegeben. Noch ehe es sich in Nordamerika festsetzte, hatte »Sir« Francis Drake (1541-1596), ein Pirat im Dienste Seiner Majestät Königin Elisabeth L, Raubzüge gegen die spanischen Besitzungen in Südamerika unternommen. Auf den Spuren Drakes folgte im 17. Jahrhundert ein noch berüchtigterer Freibeuter, Henry Morgan (1635-1688), der nach der Plünderung Panamas zum Gouverneur von Jamaika avancierte. Und als im 18. Jahrhundert die Kolonien in Nordamerika verlorengingen und man neue Absatzmärkte für die Produkte der Industriellen Revolution brauchte, unterlief man zunächst mit Konterbande das spanische Handelsmonopol in Mittel- und Südamerika und unterstützte dann mit Sympathiebekundungen und Kriegsschiffen den »Freiheitskampf« der Kreolen. So kam es, daß England zum Taufpaten der lateinamerikanischen Staaten wurde, der sich schon bald als ihr neuer Herr entpuppen sollte. Die Amerikaner waren vorerst mit anderen Dingen beschäftigt. Sie hatten schließlich noch ihr eigenes Land beziehungsweise das, das es werden sollte, zu erobern, und dann kam der Bürgerkrieg. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Grenzen im Westen und Süden gefestigt waren und mit Rockefeller, Vanderbilt und Co. der industrielle Aufschwung begann, entsann man sich jener Doktrin, die der amerikanische Präsident James Monroe 1823 verkündet hatte (»Amerika den Amerikanern!«), und nahm sie zum Vorwand, sich zum »Beschützer« der Westlichen 328
Hemisphäre aufzuschwingen, wodurch nicht nur die Spanier aus ihren letzten Kolonien in der Karibik vertrieben wurden, sondern allmählich auch England seine wirtschaftliche Vormachtstellung in Lateinamerika an die USA verlor.
Piraten und Holzfäller Auch im Maya-Gebiet waren die Pioniere des neuen Kolonialis mus Piraten. Sie tauchten erstmals um die Mitte des 16. Jahrhunderts auf und waren anfänglich Franzosen. Obwohl die französischen Bukaniere auch weiterhin eine Bedrohung für die Küste Yukatans blieben, waren ihre Rivalen, die Engländer, erfolgreicher: nach ersten Vorstößen gegen Ende des i6. Jahrhunderts errichteten sie um die Mitte des 17. zwei Stützpunkte im MayaGebiet, die ihnen einen Anteil am lukrativen Geschäft mit Farbhölzern sicherten. Daß diese beiden Stützpunkte - die Insel Carmen in der Laguna de Terminos und das Mündungsgebiet des Belize River - außerdem auch strategischen Wert hatten, erkannte man allerdings nicht, denn die Engländer unternahmen keinen ernsthaften Versuch, die Halbinsel zu erobern. Sie gaben sich mit gelegentlichen Überfällen auf den Hafen von Campeche und kleineren Raubzügen in das Hinterland ihrer Stützpunkte zufrieden. Erst im 18. Jahrhundert, nachdem sie ihren Stützpunkt auf der Insel Carmen verloren hatten, dehnten sie ihr Siedlungsgebiet in Belize bis zur Bucht von Chetumal aus und schoben schließlich im 19. Jahrhundert die Grenze im Süden bis zur Bucht von Amatique vor. Den Spaniern waren die britischen Stützpunkte in Yukatan natürlich ein Dorn im Auge, und sie unternahmen wiederholt den Versuch, die Engländer aus ihrem Hoheitsgebiet zu vertreiben. Vor allem an der Westküste wurde der Kolonialhandel durch die Anwesenheit der Engländer empfindlich gestört. Nicht nur daß sie sich direkten Zugang zu den begehrtesten Farbhölzern, wie sie in Campeche wuchsen, verschafft und damit ein Handelsmonopol der Spanier unterlaufen hatten, sie waren auch eine ständige Gefahr für die Kaufleute in Campeche. Die Stadt, die der jüngere Montejo 1540 als Ausgangsbasis zur endgültigen Eroberung Yukatans gegründet hatte, wurde im 17. Jahrhundert ein bevorzugtes Angriffsziel der Piraten. Wenngleich in den Annalen der Stadt so illustre Namen wie Diego el Mulato, Pie de Palo (»Holzbein«) und Laurent Graft auftauchen, so ging doch ein Großteil der Plünderungen auf das Konto der Engländer, die 329
auf der Insel Carmen einen sicheren Schlupfwinkel hatten. Diesen zu zerstören, war folglich das erste Ziel der Spanier. Es vergingen dennoch hundert Jahre, ehe ihnen dies gelang: erst im Jahre 1717 erlitten die Engländer eine vernichtende Niederlage und mußten die Insel räumen. Ähnlich erging es wenig später auch ihren Zunftgenossen auf der Ostseite der Halbinsel: sie mußten 1753 einer spanischen Übermacht weichen. Doch während die Engländer im Westen nicht wieder Fuß fassen konnten, kehrten sie im Osten, kaum daß sich die spanischen Truppen zurückgezogen hatten, nach Belize zurück und zwangen die Spanier in zwei Verträgen, 1783 und 178(1, ihnen das Nutzungsrecht- wenn auch nicht die Oberhoheit-über das Gebiet zu beiden Seiten des Belize River abzutreten. Dennoch das Nutzungs- in ein Hoheitsrecht ausweitend, befestigten die Briten Belize derart, daß sie einen neuerlichen Vorstoß der Spanier 1798 erfolgreich abwehren und sich schließlich auch nach dem Niedergang der spanischen Kolonialherrschaft in Mittelamerika gegen die Ansprüche der Nachfolgestaaten Mexiko und Guatemala behaupten konnten. So war die offizielle Erklärung Belizes zur britischen Kolonie im Jahre 1862 nur noch die Bestätigung eines Fait accompli. Guatemala gab seinen Anspruch auf Belize 1859 auf, M.exiko 1893. Da jedoch Großbritannien seiner vertraglichen Zusage, eine Straße zwischen Guatemala City und der Küste zum Atlantik, die der Wirtschaft Guatemalas einen Auftrieb geben sollte, zu bauen, nicht nachkam (da man Carrera wie die übrigen Caudillos in Lateinamerika nicht für voll nahm), erklärte die guatemaltekische Regierung 1936 den Vertrag von 1859 für ungültig. Seitdem herrscht ein latenter Kriegszustand zwischen Großbritannien und Guatemala, der sich neuerdings zugespitzt hat, da die Kolonie, die 1964 die innere Selbstverwaltung erhielt und kurz vor der Unabhängigkeit steht, mit dem sozialistischen Kuba sympathisiert, worin Guatemala, eine Bastion des Kapitalismus, nicht nur einen neuerlichen Affront, sondern auch eine Bedrohung seiner eigenen Sicherheit sieht. Für die Maya bedeutete die Errichtung einer britischen Kolonie m Yukatan eine weitere Zerstückelung ihres Siedlungsgebietes. Mehr noch: da sie sich - geschwächt durch Conquista und Krankheiten - vor den neuen Eroberern in das Hinterland zurückzogen, brachten die Engländer ihre eigenen Arbeitskräfte mit, zunächst Negersklaven aus Jamaika und dann sogenannte indentured labourers, Vertragsarbeiter, die als Kulis behandelt wurden, aus Indien. Dies ersparte ihnen zwar den Frondienst, 330
wie ihn ihre Brüder m den spanischen Kolonien leisten mußten, führte aber dazu, daß die Maya in Belize allmählich zu einer Minderheit absanken, die kaum eine Chance hat, jemals ihr Land zurückzubekommen. Es sei denn, die Maya in Belize solidarisieren sich mit den Maya in den Nachbarkolonien - und nutzen die Chance, die Kuba bietet.
Henequen Die wirtschaftlichen Interessen der Engländer im Maya-Gebiet beschränkten sich nicht nur auf die Ausbeutung von Farb- und später Edelhölzern. Britisches Kapital und britische Industrie Erzeugnisse legten auch in Mexiko und Guatemala den Grundstein für jenes Wirtschaftssystem, das den Feudal-Merkantilis mus der ersten Kolonialzeit ablöste: den Kapitalismus. Daß dieser - wie in der übrigen Dritten Welt - auch im Maya-Gebiet über das Stadium eines peripheren beziehungsweise abhängigen Kapitalismus, in dem die Wirtschaft auf die Bedürfnisse der Zentren industrieller Entwicklung in Europa und Nordamerika ausgerichtet ist, nicht hinausgekommen ist, ist allerdings in erster Linie das »Verdienst« der USA. Den ersten großen Coup landeten auch die Amerikaner in Yu katan. Allerdings im Norden der Halbinsel, wo eine Pflanze gedeiht, die in idealer Weise ein Problem löste, mit dem der amerikanische Farmer seit dem Aufkommen mechanischer Landmaschinen zu kämpfen hatte: eine widerstandsfähige Faser zu finden, die den geernteten Weizen in Garben band. Henequen lieferte eine solche Faser, und so bedeutete die Umwandlung der Prärie, die einst der Jagdgrund des Roten Mannes gewesen war, in ein Weizenfeld, das sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang erstreckte, nicht nur für die Indianer in Nordamerika, sondern auch für die Maya in Yukatan das Ende. Denn es war der Henequen-Boom, der die Maya in Yukatan um ihr letztes Land brachte. Henequen, auch Sisal genannt, ist eine Agavenart, die in Yu katan in zwei Varianten vorkommt: als kurzstämmige Grüne und als langstämmige Weiße Sisal-Agave. Erstere wird ausschließlich von den Indianern genutzt, die sie Yaxqui nennen. Sie stellen daraus Hängematten her. Letztere, Sacqui genannt, ist paradoxerweise - das eigentliche »grüne Gold Yukatans«, das freilich nur den Kreolen und den Gringos zugute kam. Die einen waren zwar Handlanger der anderen, denn die An331
läge einer Henequen-Plantage setzte, da die Sisal-Agave erst ab dem siebten Jahr schnittreif wird und ihre Ernte nur dann rentabel ist, wenn sie auf mechanischem Wege weiterverarbeitet wird, ein relativ hohes Anfangskapital voraus, das die yukatekischen Kreolen, die durch den Kastenkrieg einen Großteil ihres Reichtums eingebüßt hatten, nicht aufbringen konnten. Diese Chance nutzten die Gebrüder Thibaud, ihres Zeichens Bankiers in New York: sie setzten einen Agenten in Merida ein, der den Kreolen nicht nur die benötigten Kredite gewährte, sondern ihnen gleich auch ihre Ernten abnahm. Die Konditionen setzte Thibaud, doch, da das Geschäft florierte, fiel auch für die Kreolen genügend ab. So viel, daß sich Merida über Nacht in eine moderne Stadt verwandelte: man führte Straßenbahnen ein, elektrische Beleuchtung und sogar das Telefon. Neue Regierungsgebäude entstanden und Prunkvillen im viktorianischen Stil. Und wo einst die höfischen Sitten der Peninsulares tonangebend gewesen waren, herrschte nun der französische Lebensstil vor: man gab seinen Kindern Französischunterricht und unternahm Reisen an die Cote d'Azur. Der, dem man diesen Luxus verdankte, erhielt 50 Centavos, einen halben Peso, pro Tag. Dafür mußte er 1000 HenequenBlätter ernten, Blätter, groß wie Schwerter und mit Dornen gezähnt. Im Jahr, 10 Stunden pro Tag, kam er damit auf weniger als 200 Pesos. Bei etwa 20000, die das gleiche taten, macht das rund 4 Millionen Pesos. Das ist weniger als ein Fünftel dessen, was der Henequen-Export im Jahre 1900 einbrachte: 22616432 Pesos. Die Differenz teilten sich etwa 1000 Plantagenbesitzer, die damit rund hundertmal soviel verdienten wie ihre indianischen Arbeiter. Die Kehrseite der Medaille war nicht nur die Unterbezahlung des Indianers. Schlimmer wirkte sich für ihn die Tatsache aus, daß allmählich immer mehr Land mit Sisal bebaut wurde. Bereits 1881 standen 72,6% des gesamten anbaufähigen Bodens im Staate Yukatan (dem Zentrum des Sisal-Anbaus, auf das sich auch die oben genannten Zahlen beziehen) unter HenequenKultur. Bis 1930 erhöhte sich diese Zahl auf 78,9%. Das bedeutete, daß schließlich weniger als ein Viertel der landwirtschaftlich nutzbaren Bodenfläche für den Anbau von Nahrungspflanzen zur Verfügung stand, so daß die paradoxe Situation entstand, daß die Maya in Yukatan hungerten, damit die Amerikaner ihren Weizen ernten konnten. 332
Blauäugige Maya Was der Henequen für Yukatan war, wurde der Kaffee für Guatemala. Nur daß hier einstweilen die Drahtzieher nicht in New York saßen, sondern in Hamburg und Berlin. Denn auch die Deutschen haben das ihrige zum Niedergang der Maya beigetragen. Kaffee ist im Gegensatz zum Henequen im Maya-Gebiet nicht heimisch. Er stammt ursprünglich aus Afrika und wurde erst im 18. Jahrhundert in die Neue Welt eingeführt. In Guatemala scheint er erstmals um 1750 in Antigua angebaut worden zu sein. Doch es vergingen noch weitere hundert Jahre, ehe er sich in ein kommerzielles Produkt verwandelte, das dem Land einen neuen Aufschwung gab. Den Anstoß zur Ausbreitung der Kaffeekultur in Guatemala gab der plötzliche Marktzerfall für die bisher wichtigsten Ausfuhrgüter des Landes, Cochenille und Indigo, den die Entdekkung chemischer Farbstoffe 1857 ausgelöst hatte. Hinzu kam, daß mit dem Aufstieg des Bürgertums in den industriell fortgeschrittenen Ländern eine wachsende Nachfrage nach exotischen Luxusgütern wie Kakao und Kaffee, Tabak und Tee einherging, die bislang nur einem kleinen Kreis Privilegierter vorbehalten waren. Schließlich bot Guatemala mit seinem milden Klima und den fruchtbaren vulkanischen Böden ein ideales Anbaugebiet für eine Pflanze, deren Heimat das Hochland von Abessinien gewesen war. Die ersten Deutschen kamen in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Einige ließen sich in der Gegend von Cobän nieder, jener Übergangszone zwischen dem Hochland und dem Peten, wo einst Las Casas den Versuch unternommen hatte, ein Land des Krieges in ein Land des Friedens zu verwandeln. Andere zogen an die Pazifik-Küste und legten hier den Grundstein zu einer Plantagenwirtschaft, die sich allmählich bis nach Soconusco jenseits der mexikanischen Grenze ausdehnte. In der Verapaz waren es Kekchi-Maya, die man zur Arbeit auf den Kaffeepflanzungen heranzog. Dabei bediente man sich noch so altehrwürdiger Methoden wie der Encomienda und des Mandamiento. Otto Stoll, ein Schweizer Arzt, der in den Jahren 1878-83 ausgedehnte Reisen in Guatemala unternahm, berichtet: In dieser Gegend hat sich noch ein System der Gewinnung von Feldarbeitern erhalten, welche an die »Encomiendas« der spani333
sehen Kolonisten erinnert und noch zu Thomas Gage's Zeiten das allgemein in Guatemala übliche war. Wer Land besitzt, auf welchem indianische Familien wohnen und ihre Milpas angelegt haben, bezieht von ihnen einen jährlichen Bodenzins von 200 Mazorcas Mais, gleichgültig, ob das von den Indianern bewirthschaftete Grundstück groß oder klein sei. Außerdem verwendet er sie, natürlich gegen Bezahlung, als Feldarbeiter für seine eigenen Pflanzanlagen. Wer keine solchen angesessenen Indianer zur Verfügung hat, wendet sich an den Jefe um einen Befehl an die Alcaldes, die Anzahl von Mozos aufzutreiben, deren man bedarf. Die Alcaldes bringen alsdann die benötigten Mozos zusammen. Man bezahlt für jeden derselben i Real an die Gemeindekasse und 9 Reales Wochenlohn an den Mozo selbst, wofür er sich aber beköstigen muss. Die Arbeitslöhne sind also hier erheblich niedriger als auf den Pflanzungen der pazifischen Küste.73 Waren es in der Verapaz Indianer der Umgebung, die auf den Pflanzungen arbeiteten, so war man an der Pazifik-Küste, die die Maya seit dem Aufkommen der Malaria gemieden hatten, auf Indianer aus dem Hochland angewiesen, die man zur periodischen oder permanenten Abwanderung an die Küste zwang: Die Feldarbeit auf den Pflanzungen Westguatemalas wird bisjetzt beinahe ausschließlich durch Indianer verrichtet, welche zum Grundbesitzer in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, das in mancher Beziehung schlechter ist als die wirkliche Sklaverei, welcher es de facto vollkommen gleichkommt. Auf den Pflanzungen des nordwestlichen Guatemala gibt es »Indios rancheros«, das heisst, solche Indianer, welche mit ihren Familien ständig auf der Pflanzung wohnen, und andererseits solche, die sich nur auf Zeit verdingen, eine Art flottirender Bevölkerung während der Zeit der größten Arbeit, namentlich der Kaffeeernte. Die Indios rancheros teilen sich wieder in solche, welche vom Besitzer der Pflanzung Geldvorschüsse erhalten haben, und in solche, welche nichts schulden. Das Prinzip der Geldvorschüsse, der sogenannten Habilitacion, ist allgemein üblich, da ein Indianer, der seinem Patron Geld schuldet, demselben laut Gesetz so lange zur Arbeit verpflichtet bleibt, bis er die geschuldete Summe abverdient hat, das heißt in den meisten Fällen lebenslänglich. Dieses System der Habilitacion gibt den Indianer vollkommen in die Hand seines Gläubigers. Reißt der Indio, wie es häufig vorkommt, aus, um auf einer fremden Pflanzung sich gegen Geldvorschüsse ebenfalls zu verdingen, oder um mit ein paar Flaschen Aguardienle sich im geliehen Monte ein paar ver334
gnügte Tage zu machen, so hat der Patron das Recht, denselben auf jede Weise mit Gewalt zurückzubringen, und die Alcaldes der indianischen Dörfer haben strikten Befehl, den Pflanzern beim Aufsuchen solcher Flüchtlinge behilflich zu sein. Kleinere Pflanzer besorgen das Aufsuchen ihrer Mozos selbst, grosse Pflanzer hingegen, welche mit mehreren hundert Indianern arbeiten, und Tausende von Talern in deren Habilitaciones stek ken haben, besolden hierfür einen eigenen Angestellten, dessen Aufgabe es ist, oft tagelang Barranca auf, Barranca ab im Lande herumzureiten und in den entlegenen Aldeas und Pueblos auf die Verschwundenen zu fahnden. Will ein Indianer auf einer ändern Pflanzung Dienste nehmen, so hat er von seinem neuen Herrn die Summe, die er seinem bisherigen Patron schuldet, zu erheben und dem letztern zu erlegen, er -wird also vom neuen Herrn dem alten abgekauft. Die Höhe des Kredits, der einem Indianer von seinem Patron gewährt wird, richtet sich nach seinen körperlichen und geistigen Eigenschaften, nach seinem Fleiß, seiner Leistungsfähigkeit, seinem Verhältnis zum Alkohol, in jedem Falle aber ist die Creditsumme gänzlich irrelevant im Vergleich zum Durchschnittspreis eines Sklaven, wie er z. B, früher in den Vereinigten Staaten üblich war. Trotzdem nun größere Pflanzungen auf diese Weise beträchtliche Summen in ihren Mozos stecken haben, so sind selbst diese Summen gering im Vergleich zu dem mindestens zehn- bis zwanzigfachen Werth, den dieselben Indianer als gekaufte Sklaven repräsentieren würden. Es legt daher der Pflanzer auf den einzelnen Indianer lange nicht den Werth, den derselbe als teuer bezahlter Sklave für ihn besäße. Im Krankheitsfalle oder bei Verletzungen wird sich der Pflanzer zunächst fragen, ob er durch den Tod des Mozo nicht geringern Schaden leide als durch neue Auslagen bei unsicherem Erfolg auf Wiederherstellung. Er wird daher geneigt sein, dem kranken Indianer nur nach Verhältnis des Geldwertes, den er für ihn repräsentiert, Pflege angedeihen zu lassen. So wird nach den hartherzigen Prinzipien der Selbstsucht und dem brutalen Recht des Stärkern, die nun einmal in der Welt dergleichen Verhältnisse regieren, die Stellung des Pflanzers zu seinen Mozos eine viel kältere, härtere und brutalere, als es der Fall wäre, wenn diese Republikaner auch de nomine seine Sklaven wären. Die Kunst der Ökonomischen Führung einer Pflanzung besteht bei diesem System, welches lediglich auf den unwissenden Leichtsinn der Indianer gegründet ist, darin, in diesen Vorschüssen richtig Mass zu halten, erstlich den Einzelnen nach seinem Werte richtig zu taxieren, nicht zu üppig im 335
Vorschiessen von Geld zu sein, andererseits aber auch hinlänglich liberal zu bleiben, um gut arbeitende Mozos immer in irgendeinem Schuldverhältnis zu erhalten. Dass bei den jeweiligen Abrechnungen auf gewissen Pflanzungen Betrügereien an den unwissenden Indianern vorkommen, die den Betrag ihrer Schuld ja nur im Gedächtnis haben und im Rechnen bei weitem nicht mehr so stark sind, als sie es bei Ankunft der Spanier waren, habe ich selbst gesehen. Der schuldende Mozo muss sich außerdem von dem gewöhnlichen Tagelohn, der1 Reales beträgt, ein Drittheil abziehen lassen, erhält also nur 2 Reales, der dritte Real wird auf Rechnung des Vorschusses zurückbehalten. In der Regel aber werden neue Vorschüsse nötig, bevor die alten abverdient sind, da der Mozo, der schuldenfrei mit einem Tagelohn von 3 Realen nicht haushalten konnte, es mit 2 Realen natürlich noch viel weniger kann.'74 Das System der Habilitacion wurde allmählich in ganz Guatemala - wie auch in Chiapas - üblich. Als Ersatz für das koloniale Relikt des Mandamiento wurde die Habilitacion 1894 offiziell anerkannt. Sie blieb bis 1934 legal, als sie ihrerseits durch ein neues Gesetz, das - nach dem Vorbild des liberalen Arbeitsgesetzes von 1829 - die Zwangsrekrutierung von »Vagabunden« vorsah, abgelöst wurde. An Arbeitskräften herrschte also kein Mangel. Unter dem System der Habilitacion bediente man sich sogenannter Habilitadores, um die nötigen Arbeitskräfte anzuwerben. Habilitadores - in Chiapas auch Enganchadores (»Fänger«) genannt - waren der Abschaum der Gesellschaft, lichtscheues Gesindel, dem das ehrenwerte Anerbieten der Plantagenbesitzer gerade recht kam. Sie kannten jeden Trick, am erfolgreichsten aber war der Alkohol: wo immer sie auftauchten, floß er in Strömen. Der erste Schluck, zum Anwärmen, ging auf Rechnung des Hauses, was folgte, auf das Konto des Indianers. Kaum daß man ihm Zeit zum Nüchternwerden ließ. In langen Karawanen, unter der Peitsche des Aufsehers, zogen die Habilitados, die verschuldeten Indianer, zur Küste hinab. Manche gingen allein, andere nahmen ihre Familie mit. Zu Hunderten, zu Tausenden verließen sie ihre Dörfer. Und jedes Jahr nach der Ernte kamen weniger zurück. Die einen, weil sie der Malaria zum Opfer gefallen waren, die anderen, weil ihre Schuld immer größer wurde, so daß sie schließlich für immer auf der Plantage bleiben mußten. Familien wurden zerrissen, ganze Dörfer entleert, und die, die 336
Tzeltal-Maya bei einer Prozession anläßlich eines Heiligenfestes in Chanal, Chiapas
Oben: Seit 4000 Jahren unverändert: eine Maya-Hütte in Tahdziu, Yukatan Unten: Die gleiche Hütte von innen: Yukatekinnen im Huipil
zurückkamen, waren keine Indianer mehr: sie sprachen Spanisch, kleideten sich wie Ladinos und rebellierten gegen die überkommenen Autoritäten. Sie vernachlässigten den Feldbau und vergaßen das Handwerk. Am Ende konnten sie nicht einmal ihr Haus selbst bauen. Sie mochten dem Patron nichts schulden, doch ohne Arbeit auf der Plantage kamen sie nicht mehr aus: was sie zum Leben brauchten, mußten sie sich fortan kaufen. Sie hatten den letzten Rest an Autarkie verloren. Aber nicht nur die Kultur der Maya, auch ihre Rasse war einem erneuten Angriff der Zivilisation ausgesetzt. Denn auch die Deutschen pflanzten nicht nur Kaffee. Besonders in der Verapaz: Der rege Verkehr der indianischen Familien mit den fremden Pflanzern war insofern von zivilisatorischem Einfluss, ah viele Indianerinnen im Verkehr mit den Weißen bald die althergebrachten puritanischen Vorurteile ihrer Rasse ablegten und für Geld oder auch bloß für gute Worte willig das Ihrige zur Verbesserung dieser Rasse beitrugen. Einzelne Pflanzer sollen unter den Indianerinnen in einer Weise gehaust haben, gegen welche Casanova, der berüchtigte Chevalier von Sein galt, als bescheidener Anfänger gelten muss. Man trifft unter den Indianerinnen von Coban sehr hübsche Gesichter mit eigentümlichem, spezifischem Gepräge, das sie ebensowohl von den breitgesichtigen Pokonchi-Weibern von Taktik als den Quiches der Altos unterscheidet. Ihre Haare winden sie am Hinterkopf in einen Zopf zusammen, den sie mit einer roten geflochtenen Schnur, dem »Tupuy«, in engen Touren umwickeln und lang über den Rücken fallen lassen. Die Tupuyes sind teuer, für ein altes Exemplar eines solchen wurden mir 3 Pesos abgefordert. Abgesehen vom Tupuy ähnelt die Tracht der Cobaneras der allgemein im Lande üblichen. Die bis unter die Knie reichenden Enaguas, Uk im Quekchi, hüllen die Leibesmitte knapp ein. Die konischen, hoch angesetzten und gut entwickelten Brüste werden unter einem hemdartigen Huipil, dem Poot verborgen. Den Hals schmückt eine Kette aus goldfarbigen Glasperlen oder ans Silbermünzen.75 Die Bemühungen der deutschen Pflanzer um eine »Veredelung« der indianischen Rasse blieben nicht fruchtlos: es kann einem heute durchaus passieren, wenn man durch Guatemala reist, einem blauäugigen Maya zu begegnen. Was nun den Kaffee anbetrifft, dessentwegen die Deutschen ja eigentlich nach Guatemala gekommen waren, so machte er im Jahre 1880, nur zwanzig Jahre nach seiner Einführung als Ex337
portprodukt, bereits über 90% der gesamten Ausfuhren des Landes aus. Wenngleich sein Exportanteil auch infolge zunehmender Konkurrenz durch andere Länder und einer allmählichen Diversifizierung der guatemaltekischen Wirtschaft inzwischen auf 35% gesunken ist, so bleibt der Kaffee doch nach wie vor das wichtigste Ausfuhrprodukt des Landes. Die Deutschen waren keineswegs die einzigen, die sich dem Kaffeeanbau widmeten - sie besaßen nie mehr als 25% der Kaffeepflanzungen Guatemalas. Doch ihre Plantagen waren im allgemeinen größer und wurden nach den neuesten Erkenntnissen der Landwirtschaft geführt. So gelang es ihnen, bis Mitte der dreißiger Jahre ihren Anteil an der Kaffeeproduktion Guatemalas auf 64% zu bringen. Der Zweite Weltkrieg brachte eine Wende: auf Druck der Amerikaner wurden die Deutschen enteignet und ihre Pflanzungen in Staatsgüter, sogenannte Fincas Nationales, umgewandelt. Aber es war nur eine vorübergehende Einbuße: als nach einer Periode sozialer Reformen wieder eine Regierung alten Stils an die Macht gelangte, erhielten auch die Deutschen, zumindest ein Teil von ihnen, ihre Fincas zurück. Und wenn das System der Habilitacion inzwischen auch abgeschafft ist, so behandelt auch heute noch so mancher von ihnen seine indianischen Arbeiter wie ein Sklavenhalter.
Abgeschnittene Ohren War (und ist) die Wanderarbeit auf den Kaffeeplantagen schon kein Zuckerlecken, der »Marsch ins Reich der Caoba« aber war ein Trip in die Hölle. Denn wo man dort nur Kaffeebeeren pflückte, mußte man hier Mahagoni-Bäume fällen. 4 Tonnen am Tag. Zur gleichen Zeit, als die Kaffeeplantagen sich auf Soconusco ausdehnten, weitete man auch die Holzwirtschaft im Maya-Gebiet auf eine Gegend aus, die bislang von den Weißen gemieden worden war: das Stromgebiet des Usumacinta. Wie beim Kaffee so wuchs auch die Nachfrage nach Edelhölzern, denn das eine ohne das andere war nur ein halbes Bürgertum. Die traditionellen Abbaugebiete, Belize und Campeche, reichten da bald nicht mehr aus, um all den Tischen und Truhen, Sekretären und Schränken den nötigen Glanz zu verleihen. So erschloß man schließlich auch den Kern des Maya-Gebietes für den Fortschritt. 338
Dabei stieß man allerdings auf erhebliche Schwierigkeiten: es gab weder Verkehrswege noch Arbeitskräfte. Das erste Problem löste man mit Hilfe der Flüsse, die zwar nicht schiffbar sind - zumindest nicht für Ozeanfrachter -, auf denen man aber immerhin die Baumstämme hinabflößen konnte. Das war allerdings erst die Hälfte der Arbeit: als die Bestände an den Ufern der Flüsse erschöpft waren, mußte man immer längere Schneisen durch den Wald schlagen, um die Stämme mit Hilfe von Ochsengespannen und einer Art Schlitten, sogenannten Lagartos, da sonst die Stämme im Morast steckenblieben, an die Ufer zu transportieren. Nicht selten erreichten diese Schneisen eine Länge von 20 km. Das zweite Problem löste man wie die Kaffeepflanzer: man »fing« sich die nötigen Arbeitskräfte im Hochland, unter den Tzeltaies und Tzotziles. Anfangs führte dies zu einer Kollision mit den Interessen der Hacendados in San Cristobal, die ja gleichfalls von der Arbeit indianischer Baldios und Mozos lebten. Allmählich bildete sich jedoch eine geniale Symbiose heraus: die Hacendados verwandelten ihre Güter in Zuchtfarmen, wo nicht mehr Schweine und Rinder, sondern Menschen gezüchtet wurden, die man an die Holzfällerkompanien (und die deutschen Kaffeepflanzer in Soconusco) verkaufte. So fiel für beide Teile etwas ab. Die Indianer, die in die Kaffeeplantagen abwanderten, kehrten zumeist nach der Ernte in ihre Dörfer zurück, jene jedoch, die in die Holzfäller-Camps zogen, sahen ihre Heimat gewöhnlich nie wieder. Die schwere Arbeit, das ungewohnte Klima und die sadistischen Folterpraktiken der Capataces, der Aufseher, forderten fast ebenso viele Opfer, wie diese dem Wald abverlangen mußten. Männer, Frauen und Kinder. Den Männern wurde eine bestimmte Anzahl von Bäumen zugewiesen, die mit ihrem Zeichen versehen waren und die sie in einer festgelegten Zeit fällen mußten. Erfüllten sie ihr Soll nicht, wurden sie ausgepeitscht. Für 4 Tonnen Mahagoni am Tag erhielten sie gerade so viel, daß sie sich selbst ernähren konnten. Ihre Frauen und Kinder mußten sich, ihren Unterhalt selbst verdienen, die einen als Köchinnen und Freiwild der Capataces, die anderen, indem sie die Zugtiere hüteten. Die Gewalt über die Indianer war absolut. Weit und breit gab es keinerlei staatliche Autorität: die nächsten Behörden saßen in Ocosingo, Tenosique und Flores. Und auch sie waren nur an den Konzessionsgebühren interessiert, die die Holzfällerkompanien an den Staat zu zahlen hatten. Wer aus der Hölle auf Erden ent339
rinnen wollte, mußte sich selbst helfen. Doch nur wenigen gelang die Flucht. Was einem entflohenen Indianer blühte, wenn er wieder eingefangen wurde, das schildert mit ergreifendem Realismus B. Traven in seinem berühmten Werk »Die Rebellion der Ge henkten« : »Nicht nur ausrücken wolltest du, Chamula, du hast auch noch den Cayuco stehlen wollen!« gellte Don Felix den Candido an, als er zur Verurteilung vor ihn gebracht wurde. Don Felix hatte befohlen, daß Candido, sein Junge, seine Schwester und alles, was er habe, zum Hauptcamp gebracht werden sollten, damit er einmal selbst an einem Beispiel zeigen könne, wie Kontraktbrüchige zu bestrafen seien. »Das wird nun schon hier eine ständige Gewohnheit, das Ausrücken und dann n och Widersetzen«, brüllte er erbost auf Candido los, der demütig vor ihm stand. »Rebellion und Meuterei hier in der Monteria? Ist das so?« schrie er. Nahe bei ihm standen vier Capataces. Aus den Hütten kamen die Handwerker hervor, und in den Türen der Branntweinschenken standen Burschen und Weiber. Aber niemand wagte sich heran. »Und du, mein Hürchen, du wolltest mir auch entwischen?« Don Felix trat näher an Modesta heran, ihr Kinn hochreißend. »Du entgehst mir nun nicht mehr. Ich brauche etwas junges und Grünes.« »Perdonenos, Patroncito, por Dios Santo!« flehte Candido. »Vergib uns, Väterchen, wir werden es gewiß nicht wieder tun. Ich hatte so vieles Heimweh, meines lieben Jungen wegen, der tot im Fluß ist, wo er sich gerettet haben mag. Aber ich fand ihn nicht. Vergib uns, liebes Väterchen!« Pedrito, der Junge, seinen Arm mit einem Fetzen verbunden, den sich Modesta abgerissen hatte, begann zu weinen, als er seinen Vater zum Herrn flehen hörte. Er kniete nieder und hob seine Hände hoch, sie flach gegeneinander pressend, so wie er von seiner Mutter gelernt hatte, in der Kirche vor dem Muttergottesbilde zu beten. »Vergib uns, liebes süßes Herrchen, wir werden es gewiß und wahrhaftig nie wieder tun. Wir waren nur so sehr traurig, meines armen Brüderchens willen.« Er verwirrte sich in den Worten, und sprach teils in seinem heimatlichen Tsotsil, und teils in einem ungelenken Spanisch. »Halt deine Fresse, Chamaco!« sagte Don Felix und hieb ihm mit der Peitsche, die er bis jetzt mit der rechten Hand in die Hüfte 340
gestemmt gehalten hatte, quer über das Gesicht, so heftig, daß sich über das Gesicht ein dicker Blutstreifen bildete. Candido, seinen Kopf schüttelnd, ah könne er einen auf ihn zueilenden Schrecken nicht erfassen, kniete und hob seine Hände betend auf, wie es Pedrito getan hatte. Er dachte nicht mehr an sich. Er dachte nur daran, seinen Jungen zu schützen. Nun sank auch Modesta auf die Knie. Sie neigte ihren Kopf tief und bewegte in der Höhe ihrer Stirn die lang und flach aufeinander gepreßten Hände auf und nieder, als bete sie, ohne laut zu sprechen, mit aller Inbrunst vor der Figur eines Heiligen. Endlich schien sie Worte gefunden zu haben; denn sie begann zu murmeln: »Misericordia, Patroncito!« Sie sprach aber so leise, daß •wohl nur Candido es vernahm. Sie war barfuß und hatte sonst nichts an ihrem Körper, als einen heimgewebten Rock aus schwarzer roher Wolle. Ihre Beine waren nackt bis zu den Knien hinauf, und ihre Arme bis über die Ellenbogen. Aber sie kauerte jetzt so in sich zusammen, in ihrer Demut und in ihrem Flehen und Erbarmen, daß nur ihr Kopf mit dem langen und zerzausten schwarzen Haar aus dem zerlöcherten Wollhaufen vorlugte. »Auch noch Vergebung wollt ihr, ihr verlausten Drecksäue?« rief Don Felix und riß Candido einen heftigen Hieb über, der ihn aber nur auf den tiefgebeugten Rücken traf. Candido nahm es hin, ohne zu zucken. Er erwartete die weiteren Schläge. »Jeden Tag Meuterei hier, jeden Tag Rebellion!« Don Felix brüllte sich in Wut. Er versetzte Candido einen zweiten heftigen Hieb. »Frecher alle Tage. Rebellenlieder hinter mir hersingen in der Nacht. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Noch bin ich der Herr hier. Und ich bleibe es auch, wenn ich dabei verrecken und meinen eigenen Schitt fressen muß. Ich bin der Herr. Und euch verlausten Schweinen werde ich beibringen, ob ihr hier weglaufen könnt, wann es euch gefällt. Mir läuft keiner mehr weg, das schwöre ich euch bei Todos Los Santos.« Er sah sich um und suchte unter den Capataces: »He, Gusano!« »A sus ordenes, Jefe!« El Gusano kam mit langem Schritt angesprungen. »Zieh dein Messer!« El Gusano trug in einer rohledernen Scheide an seinem Gürtel ein starkes Weidmesser. Mit einem Ruck hatte er es in der Hand. »Schneide dem Hund von einem Chamula die Ohren ab!« kommandierte er. 341
Forschend und zögernd sah El Gusano Don Felix ins Gesicht. »Hörst du denn nicht, du Coyote, wenn ich dir etwas befehle, oder sollich dich zuerst vornehmen!« Don Felix warf seine Hand mit der Peitsche hoch in die Luft. El Gmano sprang auf Candido los, und gleich darauf schleuderte er dessen Ohren mit einer Geste des Ekels weit von sich. Candido, immer noch auf den Knien und tief gebückt, wehrte sich nicht. Als ihm das dicke Blut am Halse hinunter lief, bewegte er nur den Kopf, um zu vermeiden, daß er das Blut schlucke. »Warum frißt du denn deine eigene Jauche nicht?« rief Don Felix. Er stieß Candido heftig mit dem Fuße, so daß der auf seinen Knien umkippte. Langsam richtete er sich wieder auf und versuchte ein Stück zurückzukriechen. »Gusano!« rief Don Felix wieder. »Wo bist du denn?« »Aqui, Jefe, a sus ordenes.« El Gusano kam näher und trat an die Seite seines Herrn. »Kannst wohl dein Messer nicht schnell genug wieder einstek ken?« fuhr ihn Don Felix an. »Auch dem Jungen die Ohren runter!« kommandierte er kurz. »Ich will doch sehen, ob ich hier nicht wieder Ordnung und Ruhe in das Camp bringen kann. Vorwärts, los, schneide dem Bastard seine langen Löffel runter, zum Andenken.« Wie ein Tiger sprang da Candido auf und preßte seinen Jungen in die Arme. »Gehst du Dreckhund auf deine Knie runter«, heulte Don Felix, »oder soll ich dem Jungen auch noch die Nase abschneiden und die Finger abhacken lassen. Das wird wohl endlich einmal helfen.« Candido hielt seinen Jungen noch immer umschlungen: »Patroncito, Jefecito, por la Santisima, nicht meinem Jungen, schneiden Sie mir Nase und Hände ab, nicht meinem kleinen Jungen.« »Deine Hände? Das würde dir gefallen? Dich hinsetzen und andere arbeiten lassen ? Deine Krallen brauche ich, aber nicht die Ohren deines Hurensohnes. Los, Gusano, oder weiß Gott im Himmel, ich lasse dir deine Lappen auch noch runterfetzen!« El Gusano stieß Candido mit aller Macht seine Stiefel in den Magen, so daß der Indianer hinstürzte und seinen Jungen für eine Sekunde los ließ. El Gusano griff mit langer Hand zu und erwischte den Jungen beim Arm. Mit einem Satz war Modesta auf, packte den Jungen und davonrennend zerrte sie ihn hinter sich her.
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Aber El Pulpo, einer der brutalsten unter den Capataces, hatte hinter ihrem Rücken gestanden. Er riß ihr den Jungen aus ihren Händen und stieß ihn El Gusano zu, so daß er lang zu seinen Füßen hinstolperte. Im Augenblick war Modesta auf dem Jungen, ihn in seiner ganzen Länge überdeckend. Don Felix bückte sich, packte brutal ihren Nacken und riß sie zu sich empor. »Hab' nur keine Angst, mein wildes Hürchen, dir schneide ich keine Ohren und keine Nase ab. Die gefallen mir zu gut. Kommst zu mir, mein Hürchen.« »Alles, Patroncito, alles, was Sie wollen. Ich bin zu Ihren Diensten. Ganz zu Ihren Diensten, Patroncito. Aber nicht den armen Jungen. Nicht den armen, kleinen Jungen.« Sie fiel auf ihre Knie und umklammerte Don Felix. »Früher hättest du das sagen sollen, Hürchen. Es ist nun zu spät. Und was ich von dir will, nehme ich mir auch ohne dein Angebot.« Modesta sah sich um, als sie Don Felix sagen hörte, daß es nun zu spät sei. Auf den Knien kroch sie hin zu dem Jungen, hob ihren Wollrock auf, daß ihr Leib nackt wurde bis zu den Hüften und stillte das Blut, das Pedrito über die Backen strömte. »Und so«, schrie Don Felix nun so laut, daß es weit über das ganze große Feld der Oficinas schallte, »und so geht es in Zukunft einem jeden hier, der zu fliehen versucht oder zu meutern, oder nachts Rebellenlieder singt und freche Reden spuckt. Ich bin der Herr hier, und ich bleibe der Herr, und hier wird gearbeitet und nichts als gearbeitet. Dazu seid ihr da. "Zum Arbeiten und zu nichts anderem. Das Huren, Saufen und Kommandieren kann ich allein besorgen. Dazu brauche ich von niemandem irgendwelche Hilfe. Vergeßt das nicht!« Er zog sich den Patronengurt um ein Loch fester um den Bauch, rückte das Halfter mit dem Automatic einen Strich weiter vor, näher zu seiner rechten Hand, und ging mit langsamen und zufriedenen Schritten zum Bungalow, sich auf dem Wege eine Zigarette anzündend, während er vor sich hinträllerte.16 Wer nun etwa glaubt, Traven gebe hier eine erfundene Story zum besten, der irrt sich. Traven war nachweislich zu Beginn der Mexikanischen Revolution, als der Mahagoni-Boom seinen Höhepunkt erreicht hatte, in Chiapas, wo er nicht nur die Indianerdörfer im Hochland, sondern auch die Selva Lacandona besuchte, 343
die das eigentliche Zentrum der Holzgewinnung war. Es ist sogar möglich, daß Traven - Seemann, Baumwollpflücker und Gelegenheitsarbeiter, der er war - selbst in einer Monteria, einem Holzfäller-Camp, an der Seite der Indianer gearbeitet hat. Aber nicht nur Traven war ein Augenzeuge der kapitalistischen Exzesse in der Selva. Auch die Lakandonen, die sich vor dem Ansturm der Holzfällerkompanien von den Flüssen zurückgezogen hatten, mußten mit ansehen, wie ihre Brüder aus dem Hochland in den Camps der Weißen zugrunde gingen. Noch heute erinnern sie sich, wie diese Kopfprämien auf entlaufene Arbeiter aussetzten: sie zahlten nach abgeschnittenen Ohren. Die Aufseher und Verwalter waren auch hier nur Handlanger. Die eigentlichen Drahtzieher saßen in Brüssel, in London und in New York. Auf den Firmenschildern stand Jamet & Sastre, Companta Mexicana Sud-Oriental, American Trading Company. Und unter denen, die ihr Heim mit Mahagoni-Möbeln schmückten, war so mancher Aktionär dieser Firmen, so daß er auch sein Geld mit dem verdiente, wofür er es ausgab.
El Pulpo Das Holzgeschäft im Maya-Gebiet ging mit der weltweiten Wirtschaftskrise zu Beginn der dreißiger Jahre allmählich zurück und blieb seitdem nur noch von untergeordneter Bedeutung. An seine Stelle trat ein anderer Wirtschaftszweig, der die Vorherrschaft der Amerikaner im Maya-Gebiet endgültig zum Durchbruch brachte. Gemeint sind die Bananen, jene krummen Früchte, die mit noch krummeren Methoden aus den Ländern der Karibik herausgepreßt werden. Wie der Kaffee, so haben auch die Bananen im Maya-Gebiet eigentlich nichts verloren. Sie wurden gleichfalls aus der Alten Welt eingeführt und auch im Maya-Gebiet nur angebaut, damit man nicht jedesmal über den Atlantik zu schippern braucht, wenn es einem in Manhattan nach einem Banana-Split gelüstet. Die geographischen Bedingungen waren günstig in der Karibik, und wenn das politische Klima es einmal nicht war, dann half man nach - mit Bestechungen und Staatsstreichen. Besonders tüchtig im Bananengeschäft war die United Fruit Company, auch El Pulpo, »der Polyp«, genannt. Sie wurde 1899 in Boston gegründet und baute sich ein Imperium auf, das schließlich sechs Länder - Guatemala, Honduras, Costa Rica, 344
Panama, Ekuador und Kolumbien - umfaßte, wo sie über 2 Millionen Morgen Land, ganze Eisenbahnlinien und Häfen und sogar ein Monopol über die Nachrichtenverbindungen erwarb. Mit einer eigenen Flotte, der sogenannten White Fleet, ausgerüstet, beherrschte die United Fruit Mitte der sechziger Jahre zwischen 30 und 40% des gesamten Bananenhandels auf der Welt. Im Maya-Gebiet entfällt zwar der Hauptteil des Bananengeschäftes auf Honduras, doch war es in Guatemala, wo die United Fruit ihren größten Schaden angerichtet hat. Hier war 1898 Manuel Estrada Cabrera (1857-1924) an die Macht gekommen, bei dem sich die rücksichtslose Grausamkeit eines Carrera mit dem blinden Fortschrittsglauben eines Barrios paarte: Cabrera war jener Diktator, dem sein Landsmann und Nobelpreisträger Miguel Angel Asturias mit seinem bekannten Werk »Der Herr Präsident« ein beklemmendes Denkmal setzte. Cabrera war also der richtige Mann, um der United Fruit zum Start zu verhelfen. Und so erhielt sie im Jahre 1906 ihre ersten Konzessionen an der Atlantik-Küste. Allmählich dehnte die United Fruit ihre Plantagen entlang des Rio Motagua bis zu den Ruinen von Quirigua aus. Da traf ein schwerer Rückschlag das Geschäft: die Sigatoka, die PanamaKrankheit, befiel die Pflanzen. Zum Glück war inzwischen nicht ohne Hilfe der United Fruit - ein weiterer »fortschrittlicher« Diktator an die Macht gelangt: Jorge Ubico (1878-1946). Er regierte von 1931 bis 1944 und war der dritte in dem Triumvirat blutrünstiger Tyrannen, das die Geschichte Guatemalas überschattet. Für erwiesene Dienste und das Versprechen, an der Pazifik-Küste einen Hafen anzulegen, überließ er der United Fruit auch im Westen des Landes, im Departement Escuintla, ausgedehnte Ländereien. Das Geschäft nahm einen neuen Aufschwung, und der Hafen wurde nie gebaut. Die ersten Arbeiter auf den Plantagen der United Fruit waren Neger gewesen, die man aus Jamaika einführte. Die Maya kamen erst dran, als der Boom an der Pazifik-Küste begann. Den Weg zu ihrer neuen Knechtschaft ebnete Übico, den die Indianer vertrauensvoll »Don Jörge« nannten, durch jenen genialen Trick, mit dem der Schuldendienst der Indianer durch eine Arbeitspflicht für Landstreicher ersetzt wurde. Als »Landstreicher« galten alle die, die nicht ein Mindestmaß an eigenem Grund und Boden bearbeiteten: sie mußten zwischen 100 und 150 Tagen im Jahr auf den Fincas und Plantagen arbeiten. Konnten sie diesen Dienst in einem Arbeitsbuch, das sie wie einen Paß bei sich tragen 345
mußten, nicht nachweisen, wurden sie eingesperrt oder zum Straßenbau herangezogen. Die meisten Indianer fielen unter diese neue gesetzliche Verordnung, denn sie hatten kein eigenes Land mehr. Den Rest, der ihnen nach der Zerschlagung des Gemeindelandes noch verblieben war, hatten die Kaffeepflanzer aufgekauft, um auch die Widerspenstigen unter ihnen zur Abwanderung an die Küste zu zwingen. Waren sie ihrer Schulden nun auch entledigt, so blieb ihnen nur die Wahl zwischen Kaffeepflanzung und Bananenplantage. Und wer sich für letztere entschied, weil die Amerikaner höhere Löhne zahlten, der kam vom Regen in die Traufe. Denn wo auf den Fincas nur Indianer arbeiten, locken die Plantagen auch Ladinos an, in der Mehrzahl Mischlinge der untersten Gesellschaftsstufe, die auch den Indianer in den Dreck ziehen. Soziales Elend - Alkohol, Prostitution, Kriminalität: das ist die Endstation.
Tierra y Libertad! . . . wir erklären hiermit: daß die Ländereien, Wälder und Wasserstellen, die die Hacendados, Regierungsbeamten oder Kaziken sich widerrechtlich angeeignet haben, im Schatten der Tyrannei und käuflicher Gerechtigkeit, daß diese Immobilien ab sofort in den Besitz der Dörfer und Bürger übergehen, die entsprechende Titel für jene Besitzungen haben, derer sie beraubt worden sind durch die Unredlichkeit unserer Unterdrücker; daß der erwähnte Besitz um jeden Preis mit der Waffe in der Hand verteidigt wird und daß die Usurpatoren, die sich als rechtmäßige Eigentümer dieser Ländereien betrachten, dies vor besonderen Tribunalen nachweisen müssen, die man nach dem Sieg der Revolution errichten wird. . . . In Anbetracht der Tatsache, daß die große Mehrheit der Dörfer und Bürger Mexikos, die nicht mehr Land besitzen als jenes, auf dein sie gerade stehen, die Schrecken des Elends erdulden mußten, ohne ihre Lage und gesellschaftliche Stellung verbessern noch sich dem Handwerk oder der Landwirtschaft widmen zu können, da die Ländereien, Wälder und Wasserstellen in den Händen einiger weniger monopolisiert sind, aus diesem Grunde werden die mächtigen Landbesitzer nach vorheriger Entschädigung um ein Drittel ihrer Monopole enteignet, damit die Dörfer und Bürger Mexikos Ejidos, Plantagen, rechtmäßiges Gemein346
deland o der Boden für Feldbau und Handwerk erhalten und damit sich im ganzen und für alle der Mangel an Wohlstand und Wohlergehen zum Guten der Mexikaner wendet. . . . Die Hacendados, Regierungsbeamten oder Kaziken, die sich direkt oder indirekt dem vorliegenden Plan widersetzen, verlieren ihr Hab und Gut und die zwei Drittel der Ländereien, die ihnen gehören, an den Staat, und diese Güter werden für Kriegsentschädigungen und Pensionen zugunsten der Witwen und Waisen der Opfer, die im Kampf für diesen Plan fallen, verwendet. . . , Bei der Durchführung der Maßnahmen, die die oben genannten Güter betreffen, werden bestehende Entschädigungsgesetze, soweit sie zutreffen, berücksichtigt, wobei als Norm und Beispiel jene dienen können, die durch den unsterblichen Juärez auf die Kirchengüter angewandt wurden und die die Despoten und Konservativen bestraften, die zu allen Zeiten versucht haben, uns das schändliche Joch der Unterdrückung und des Rück schritts aufzuerlegen . . . Mexikanisches Volk: Unterstützt mit den Waffen in der Hand diesen Plan und tragt zum Wohlstand und Wohlergehen des Vaterlandes bei. Reform, Freiheit, Gerechtigkeit und Gesetz. Ayala, den 28. November 1911. General Emiliano Zapata . . ,77 Emiliano Zapata (1883-1919) war zwar nicht der Initiator der Mexikanischen Revolution - diese Ehre gebührt Francisco Madero, einem liberalen Hacendado, der am 5. Oktober 191 o gegen die Wiederwahl des Diktators Porfirio Diaz aufrief -, doch er war der erste, der für ihre eigentlichen Ideale eintrat, denn das Grundübel Mexikos war ein Agrarsystem, dessen Ungerechtigkeit zum Himmel schrie: am Vorabend der Revolution besaßen ganze i% der Bevölkerung über 96% des Bodens. Allein 96 Millionen Morgen, etwa ein Fünftel der Gesamtfläche Mexikos (das achtmal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland), lagen in der Hand von 17 Personen. Dagegen besaßen 96,8% der mexikanischen Landbewohner, die ihrerseits 77,7% der Gesamtbevölkerung ausmachten, keinen eigenen Grund und Boden, über 10 Millionen Menschen waren im Jahre 1910 in Mexiko Sklaven. Im Maya-Gebiet ergab sich zu Beginn der Revolution folgendes Bild: der Prozentsatz der ländlichen Familien, die über kein eigenes Land verfügten, betrug in Tabasco 95,2, in Chiapas 96, 347
in Yukatan 96,4, in Campeche 97,7 und in Quintana Roo 98,6. In den Bundesstaaten Veracruz und San Luis Potosi, deren nördlicher beziehungsweise östlicher Teil das Gebiet der Huasteca bilden, lag die Zahl bei respektive 98,9 und 98,2. Praktisch bedeutet dies, daß im Jahre 1910 nicht ein einziger Maya-Indianer in Mexiko mehr sein eigenes Land bestellte! Die Conquista war vollendet! Sie rückgängig zu machen, hätte eine Umwälzung gigantischen Ausmaßes erfordert. Die mexikanischen Revolutionäre erwiesen sich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Zerstritten und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht (und die USA auf der richtigen Seite), beseitigten sie erst Zapata, der in seiner Heimatprovinz Morelos mit der Zerschlagung der Haziendas begonnen hatte, und brachten dann einen Opportunisten namens Plutarco Calles an die Macht, der den Grundstein zu einer Partei legte, die - obzwar sie sich revolutionär nennt - nur dem einzigen Zweck dient, eine wahre Revolution zu verhindern. Konnte ein Indianer, Lazaro Cardenas, der 1934 an die Regierung gelangte, den Trend nach rechts noch einmal aufhalten, so steuerte sein Nachfolger Avila Camacho Mexiko erneut mit vollen Segeln in die Arme der USA. Ihr Ziel hat die Mexikanische Revolution nicht erreicht. Dennoch sind einige bemerkenswerte Veränderungen eingetreten, die jedoch bei näherem Hinsehen mehr Schein als Sein sind. Da wäre zunächst die Agrarreform zu nennen, die ja das eigentliche Anliegen der Revolution gewesen ist. Sie blieb auf halbem Wege stecken, das heißt genau da, wo es für die ausgebeuteten Massen interessant geworden wäre: nach über einem halben Jahrhundert »Revolution« ist nur die Hälfte des Landes verteilt worden, das nach der revolutionären Verfassung von 1917 dafür vorgesehen ist, und von den rund 8 Millionen Bauern des Landes verfügen nur 4 über eigenen Grund und Boden. Das klingt dennoch nicht schlecht, im Vergleich zur Situation vor der Revolution. Aber das ist nur die Statistik: bei den Ländereien, die seit der Revolution - in Anknüpfung an die indianische Tradition zumeist in Form von Gemeindeland, sogenannten Ejidos - verteilt worden sind, handelt es sich gewöhnlich um Boden minderer Qualität; der lukrative Kern des Großgrundbesitzes wurde kaum angetastet. Wäre dies anders, so würden nicht auch heute noch die 20% der oberen Einkommensgruppe i6mal soviel verdienen wie die unteren 20%. Waren die Früchte der Revolution, die für den Campesino im 348
allgemeinen abfielen, schon recht dürftig, so sprang für die Maya in Yukatan praktisch nichts bei der Landreform heraus. Sie begann - wie im übrigen Mexiko - eigentlich erst unter der Präsidentschaft von Cardenas, der die Halbinsel im Jahre 1937 mit einem Trupp von Landvermessern und Agrarexperten besuchte, die er auf die Henequen-Plantagen losließ. Das Ergebnis war, daß die Latifundien auf eine »kleine Besitzung« zusammenschrumpften und der Rest an die Peones verteilt wurde. Zunächst schimpften die Kreolen über »Kommunismus«, aber dann arrangierten sie sich: sie hatten zwar ihre Plantage verloren, aber nicht die Desfibradora, jene Maschine, die - indem sie die Blätter entfasert - den Henequen erst marktfähig macht. Und die staatlichen Behörden, zunächst die sogenannten Henequeros de Yucatän, dann die Banco Nacional de Credito Ejidal und schließlich die Banco Agrario de Yucatdn, die die Ejidos der Indianer kontrollieren und durch die Gewährung von Krediten Produktion und Verkauf steuern, benötigten qualifiziertes Personal, das - da die Indianer nicht einmal lesen und schreiben können - nur unter den »Fachleuten« zu beschaffen war. So pflanzen heute die Maya in Yukatan zwar Henequen auf eigenem Grund und Boden, aber die Gewinne streichen weiter die Kreolen ein: im Jahre 1942 entfielen vom Verkaufserlös des Henequen 31% auf die ehemaligen Plantagenbesitzer und 25% auf die Funktionäre und 19% gingen für Steuern ab. Den Ejidatarios blieb nicht einmal ein Viertel: 24%. Daß sich diese Relation seitdem nicht gebessert hat, beweist die Tatsache, daß man 1969 in Maxcanti einen Funktionär der Banco Agrario verprügelte und ein Abbild des Leiters der Bank öffentlich verbrannte. In Cbiapas gab es drei Bollwerke des Feudalkapitalismus: die Monterias in der Selva, die Haziendas auf der Hochebene und die Kaffeepflanzungen in Soconusco. Sie alle blieben bestehen, wenn auch in geschwächter Form. Den empfindlichsten Schlag erhielten sie, als unter der Regierung Cardenas endgültig das System der Peonaje aufgehoben wurde. Weniger erfolgreich war der Versuch, die Latifundien zu zerschlagen. In der Selva hatte es wenig Sinn, da außer den Lakandonen kaum jemand freiwillig m diesem Gebiet lebte. Anders auf dem Hochplateau, wo sich die indianische Bevölkerung konzentriert. Hier gelang es den Hacendados, die Landreform auf die Randgebiete abzuschieben, so daß die meisten Indianer, obwohl frei, weiterhin ohne Land blieben. Die Kaffeepflanzungen wurden auf eine bestimmte Größe reduziert, woran ihre Besitzer aber am meisten interessiert waren 349
— Saisonarbeiter aus dem Hochland -, stand infolge des dortigen Landmangels weiterhin in ausreichendem Maße zur Verfügung. Lediglich daß man sich mit dem Sindicato de Trabajadores Indigenas de las Fincas Cafeteras, einer Gewerkschaft, die 1936 zur Wahrnehmung der Interessen der indianischen Plantagenarbeiter gegründet worden war, arrangieren mußte. Eine zweite Neuerung, die die Revolution brachte, war der Indigenismo. Es ist dies jenes hypokritische Glaubensbekenntnis der Mexikaner - und derer, die es von ihnen übernommen haben -, das das indianische Erbe zur nationalen Identität erklärt. Nicht der spanische Conquistador ist der Held, zu dem man emporschaut, sondern Quauhtemoc, der letzte Herrscher der Azteken. Und nicht die Kathedrale, die sich über dem einstigen Haupttempel von Tenochtitlan erhebt, sondern das Museum für Anthropologie im Park von Chapultepec, das die kulturellen Leistungen der Indianer glorifiziert, ist das Mekka der Mexikaner. Der Mexikaner, die keine Indianer sind, denn die haben von dem heiligen Schrein noch nie etwas gehört. Der Indigenismo beschränkt sich nicht nur auf eine Glorifizierung des indianischen Erbes. Cärdenas gab ihm auch eine politische Bedeutung, denn er war es, der den Anstoß zur Gründung des Institute National Indigenista gab, eines unmittelbar dem Präsidenten unterstellten Spezialinstitutes, das die Entwicklung der Indianergemeinden fördern soll. Das Institut - kurz INI genannt - nahm 1948 seine Arbeit auf. Das erste Ziel war das Maya-Gebiet. Hier hatten inzwischen die ersten ethnographischen Feldforschungen eingesetzt und zu dem Schluß geführt, daß das Hochland von Chiapas, isolierter und rückständiger als alle anderen Indianergebiete Mexikos, ein geeigneter Ansatzpunkt für eine konzentrierte Gemeindeentwicklung war. So wurde am 12. September 1950 m San Cristobal Las Casas das erste regionale Entwicklungszentrum des INI gegründet. Sein erklärtes Ziel war, mit Hilfe der zuständigen Ministerien die wirtschaftliche und soziale Lage der Tzeltal- und Tzotzil-Maya zu verbessern und sie so zu gleichwertigen Staatsbürgern zu machen. Praktisch lief die Entwicklungsarbeit des INI jedoch auf eine Beseitigung der nach der Revolution mühsam wiedererrungenen Autonomie der Indianergemeinden hinaus, denn die eigentliche Maxime des INI, die Eingliederung der Indianer in eine nationale Wirtschaft und Gesellschaft, führte nicht nur zu einer Auflösung der indianischen Stammestradition, sondern - durch die Bindung an den re350
gionalen Markt, der von den Ladinos in San CristöbaJ beherrscht wird - auch zu einem neuen Abhängigkeitsverhältnis. So ist es durchaus nicht abwegig, von einer Entwicklung der Unterentwicklung zu sprechen, die inzwischen auch alle übrigen MayaStämme Mexikos, wo das INI im Laufe der Zeit weitere Entwicklungszentren errichtet hat, erfaßt hat.
Archäologen und Agenten Für das Scheitern der Mexikanischen Revolution sind in erster Linie die Mexikaner selbst verantwortlich. Anders verhält es sich in Guatemala, wo der Diktator Ubico im Jahre 1944 gestürzt wurde und sein Nachfolger Juan Jose Arevalo ein soziales Reformprogramm einleitete, das schließlich in einen offenen Konflikt mit den USA mündete. Unter Ubico hatte sich die Lage derart zugespitzt, daß schließlich auch hier rund drei Viertel des kultivierbaren Bodens in der Hand von 2 % der Landbesitzer lagen. War dies auch die eigentliche Ursache für die Unzufriedenheit des Volkes, so war der unmittelbare Anlaß der Revolution der Terror, mit dem Ubico jede Kritik an seinem Regime unterdrückte. Denn die Propaganda der Alliierten gegen die Nazis in Deutschland und den Faschismus in Italien wurde auch in Guatemala als ein Aufruf zum Widerstand gegen die tyrannische Regierung Ubicos empfunden. Und so waren die Führer der Revolution in Guatemala nicht - wie in Mexiko - Bauern, sondern Intellektuelle. Was zur Folge hatte, daß sie sich einer Ideologie näherten, die ein erfolgreicheres Modell als die Mexikanische Revolution abgab. Zunächst ging man jedoch sehr behutsam vor: am n. März 1945 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die jede Art von Diskriminierung für illegal erklärte und eine Verbesserung der Wohnverhältnisse der indianischen Plantagenarbeiter sowie die Bildung von Produktionsgenossenschaften in den ländlichen Gemeinden vorsah. Dem heißen Eisen der Agrarreform ging Arevalo vorerst aus dem Wege. Nicht so sein Nachfolger, Jacobo Arbenz Guzman, der 1951 das Präsidentenamt übernahm. Er erließ am 17. Juni 1952 ein Agrargesetz, das direkt gegen den Großgrundbesitz gerichtet war: alles Land über 200 ha sollte an landlose Bauern verteilt werden. Allerdings nur dann, wenn es - wie in den meisten Fällen - unbebaut war, und gegen eine entsprechende Entschädigung. Dennoch sah die United Fruit, der
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größte Grundbesitzer des Landes, rot und setzte die entsprechenden Hebel in Bewegung: Das Hauptquartier der Exilisten befand sich in Tegucigalpa, der grauen hügeligen kleinen Hauptstadt von Honduras. Von einem gemieteten gelben Haus in der Nähe der amerikanischen Botschaft aus, wo er Besuchern selbst die Tür aufmachte, leitete der 3 jährige Oberstleutnant Carlos Castillo Armas die Schau. Castillo ist ein hochgewachsener, schlanker Berufssoldat, mit weicher Stimme und asketischem Aussehen. Ein Absolvent der Escuela Politecnica, dem West Point Guatemalas, studierte er außerdem am Command and General Staff College in Fort Leavenworth. Ein langjähriger Feind des Präsidenten Jacobo Arbenz Guzrnän, gab er den Militärdienst 1949 auf. 1950, fünf Tage bevor Arbenz zum Präsidenten gewählt wurde, leitete Castillo eine verzweifelte und erfolglose Revolte. Er wurde schwer verwundet und ins Gefängnis geworfen. Im folgenden Sommer entkam er durch einen selbstgegrabenen Tunnel, schlüpfte in diplomatische Sicherheit in der kolumbianischen Botschaft und erhielt freies Geleit außer Landes. Er ist seitdem die Galionsfigur des Kampfes gegen die Regierung. Letzte Woche sagte er zu seinen Freunden in Guatemala: »Habt Vertrauen und Zuversicht. Ich werde sehr bald bei euch sein.« Am Donnerstag war es offensichtlich, daß die Zeit gekommen war. Guatemalteken in lohfarbenen Hosen und Hemden ohne Abzeichen füllten die Straßen in Tegucigalpa und kletterten in Lastwagen, die sich in Richtung Grenze in Bewegung setzten. Private Flugzeugbesitzer machten ein lukratives Geschäft und flogen sie in Charterflügen für 200 Dollar pro Stunde nach Westen. Der guatemaltekische Botschafter protestierte bei der hondurenischen Regierung und erhielt beruhigende Versicherungen, aber das Treiben nahm seinen Fortgang . . . Freitag war D-Day. Um 15 Uhr nachmittags überschritten schwerbewaffnete Rebellen, nun an blauen Armbändern mit kreuzgriffigen Degenemblemen erkenntlich, die Grenze nach Guatemala an drei Stellen und drangen durch die stark bewaldeten Hügel gegen wenig oder keinen Widerstand vor. Sie planten offenbar, die Hauptstadt zu umzingeln, die Eisenbahn- und Straßenverbindungen zu unterbrechen und die Regierungstruppen einzuschließen. Die Invasion fiel mit Aufständen an verschiedenen Stellen in Guatemala zusammen, namentlich in der 352
kleinen Stadt Retalhuleu in der Nähe der mexikanischen Grenze (wo sich Petroleumlager befinden) und in Zacapa, das die Eisenbahnlinie zwischen der karibischen Küste und der Hauptstadt kontrolliert. Und Luft- und Seestreitkräfte der Rebellen griffen Puerto Barrios, den Haupthafen an der Karibik, und San Jose am Pazifik, beides Lagerstellen für Petroleum, an. In Guatemala City war es ruhig während der ersten Kämpfe. Luftabwehrgeschütze flammten dreimal auf, als Flugzeuge der Rebellen etwa 200 m über der Stadt kreisten, aber es wurden keine Bomben geworfen. Bewaffnete zivile Anhänger der Regierung patrouillierten durch die verlassenen Straßen. Die meisten Bewohner blieben zu Hause, und viele Geschäfte blieben geschlossen hinter eisernen Läden. Mehrere Tage lang hielt Arbenz seine 6000 Mann starke Armee zurück, und es gab keine schweren Kämpfe, als die Rebellen einige Meilen in das Innere vorstießen. Dann gab die Regierung bekannt, daß sie eine allgemeine Gegenoffensive gestartet habe. » Gutausgebildete Soldaten, mit modernen Waffen ausgerüstet«, erklärte sie, hätten die Invasoren in dem ersten größeren Gefecht des Krieges, in der Nähe des Eisenbahnzentrums Zacapa, zurückgedrängt. Inzwischen gab es Bewegung an der diplomatischen Front. Der guatemaltekische Außenminister Guillermo Toriello nannte die Revolte eine »offene Aggression« und verlangte eine sofortige Einberufung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Er trat am Sonntagnachmittag zusammen. Dies war die zweite Sonntagssitzung in seiner Geschichte. Die erste fand am 25. Juni 1950 statt, als der Korea-Krieg begann. Die Sitzung war gekennzeichnet durch heftige Angriffe gegen das State Department und die United Fruit Co. durch die guatemaltekischen und russischen Delegierten. Dann stimmte der Rat für einen Aufruf zum Waffenstillstand und ein Ersuchen an die UNO-Mitglieder, den kämpfenden Parteien Unterstützung zu versagen. Zuvor hatte ein sowjetisches Veto (Nr. 60) einen Versuch, der von den lateinamerikanischen Ländern unterstützt wurde, verhindert, das Problem der Organisation der Amerikanischen Staaten zu übergeben . . . Henry Cabot Lodge jr. warnte die Russen ärgerlich: »Haltet euch aus der Westlichen Hemisphäre raus.« 78 Es ist nicht zu leugnen, daß die Regierung Arbenz die Sympathie der Kommunisten im eigenen Land wie auch im Ostblock genoß. Doch Arbenz selbst war kein Kommunist, und selbst 353
wenn er einer gewesen wäre, hätte das den Amerikanern noch lange nicht das Recht gegeben, in die »inneren Angelegenheiten eines anderen Staates« einzugreifen, schon gar nicht in einer derart flagranten Weis e, wie sie es 1954 in Guatemala taten: der in Fort Leavenworth gedrillte Rebellenführer Castillo Armas war nichts weiter als ein Söldner der Central Intelligence Agency, bekannter unter der Abkürzung CIA, der seinerseits im Dienste der United Fruit stand, die Arbenz um 400000 Morgen brachliegenden Landes erleichtert hatte und eine Entschädigung erhalten sollte, die nur einen Bruchteil dessen ausmachte, was das Land wert war. Denn Arbenz richtete sich nach dem erklärten Steuerwert, und den hatte die United Fruit bislang immer niedriger veranschlagt, als er tatsächlich war: mit anderen Worten, sie hatte Steuerbetrug begangen und sollte sich nun ins eigene Fleisch schneiden. Daß es dazu nun nicht kam, beruhte - abgesehen von den Spannungen des Kalten Krieges - auf einer günstigen personalpolitischen Konstellation, sozusagen einer Personalunion, zwischen der United Fruit, dem State Department und dem CIA: John Foster Duttes, der damalige Außenminister der USA, hatte in den Jahren 1930 und 193 6 als Mitglied einer New Yorker Anwaltsfirma einen Teil der Verträge der United Fruit mit der guatemaltekischen Regierung ausgearbeitet, und sein Bruder Allen Duttes, der Leiter des CIA, war vormals Vorstandsmitglied der United Fruit gewesen. Gegen diese schweren Ge schütze hatte Arbenz keine Chance. Keine zwei Wochen dauerte es, dann war der Bürgerkrieg beendet: Arbenz trat zurück, und Castillo Armas übernahm die Macht. Was folgte, war eine Umkehr der Revolution, wie sie sich selbst die Pseudorevolutionäre in Mexiko nicht hätten träumen lassen: die United Fruit erhielt ihre Ländereien zurück, und rund 200 000 Bauernfamilien - ein Drittel der Gesamtbevölkerung Guatemalas -, die von der Agrarreform begünstigt worden waren, wurden erneut von ihrem Land vertrieben, ihre Anführer verhaftet, gefoltert und ermordet und die Löhne auf den Kaffeefincas um 30% gesenkt. Der Feudalismus feierte seine Wiederauferstehung: noch heute besitzen in Guatemala 2% der Bevölkerung zwei Drittel des Bodens! Die Amerikaner, die Castillo Armas in den Sattel gehoben hatten, waren jedoch nicht nur mehr an Bananen interessiert. Im Peten, der bislang nur zur Ausbeutung von Edelhölzern und Chicle, dem Rohstoff für Kaugummi, genutzt worden war, vermutete man Erdöl. Und so ließ man sich denn neue Konzessio354
nen - über 4,6 Millionen ha - zuschanzen, um im Kernland der Maya nach dem »schwarzen Gold« zu suchen. Diesmal blieb die Suche jedoch erfolglos: das einzige, was die Geologen der Erdölgesellschaften im Dschungel fanden, waren - Maya-Ruinen, Städte wie Aguateca, Dos Pilas und Tamarindito im Quellgebiet des Usumacinta, die bislang unbekannt waren. Die Ölgesellschaften halfen auch den Archäologen in Tikal, wo man 1956 mit dem bislang größten Grabungsprojekt im Maya-Gebiet begann und zunächst keine Trinkwasserstellen finden konnte. Die Grabungen standen unter der Leitung des Universitätsmuseums der University of Pennsylvania, und erstreckten sich über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren. Während dieser Zeit arbeiteten über 100 Wissenschaftler in Tikal, in der Mehrzahl Amerikaner. Es ist also ihr Verdienst, daß die einstige Metropole der Maya zu neuem Leben erwacht ist. Doch das Werk der Archäologen wiegt die neuen Verbrechen nicht auf, die die Amerikaner begingen, als Mitte der sechziger Jahre in Guatemala ein Guerilla-Krieg entbrannte. Die Führer der Aufständischen waren Ladinos, junge Offiziere, die desertierten, um das Erbe der Revolution wiederaufzugreifen. Sie konzentrierten sich auf den östlichen Teil des Landes, in der Hoffnung, von Kuba unterstützt zu werden. Die indianische Bevölkerung des Landes, die vorwiegend im westlichen Bergland siedelt, hatte nur geringen Anteil an dem Aufstand. Dennoch wird unter den 5000 Campesinos, die die bedrohte Regierung in Guatemala mit Hilfe amerikanischer Militärberater und Napalm-Bomben liquidierte, so mancher Maya-Indianer gewesen sein, der auf diese Weise auch mit den neuesten Errungenschaften der modernen Kriegführung Bekanntschaft machte.
Mayab So nähern wir uns denn dem Ende unserer langen Wanderung durch die Geschichte der Maya. Bleibt nur noch ein Blick auf das zu werfen, was von ihnen übriggeblieben ist. Was ihre Zahl anbelangt, so stellen die Maya, wie gesagt, die zweitgrößte Sprachgruppe des indianischen Amerika dar: rund 5 Millionen Maya gibt es heute. Davon entfallen zwei Drittel, nämlich 3,5 Millionen, auf Guatemala. In Mexiko beträgt ihre Zahl etwa 1 Million. Der Rest verteilt sich auf Belize, El Salvador und Honduras. 355
Die Maya sind also weit davon entfernt auszusterben, auch wenn man sie in den offiziellen Zensusangaben mehr und mehr totschweigt. Ihre Sprache ist das auffallendste Merkmal, an dem man sie erkennen kann. Doch auch andere Bestandteile ihrer traditionellen Kultur haben sich bis in die Gegenwart erhalten. Am wenigsten von der europäischen Zivilisation beeinflußt waren bis vor kurzem die Lakandonen. Obwohl sie wiederholt den Angriffen der Spanier und ihrer Nachfolger ausgesetzt waren, konnten sie sich ihre ursprüngliche Lebensweise bis in unsere Tage erhalten. Sie pflanzten den Mais mit dem Grabstock und erlegten ihr Wildbret mit Pfeil und Bogen. Den Göttern opferten sie Copal, und die Ruinen in der Tiefe des Waldes waren das Ziel geheimer Pilgerzüge. Doch als 1946 die Fresken von Bonampak entdeckt wurden, setzte eine neue Invasion ein: der Tourismus. Er schaffte innerhalb weniger Jahre, was alle voraufgegangenen Eroberer nicht vermochten: heute sind die Lakandonen in ihrer Kleidung und in ihren Sitten von den umwohnenden Ladinos nicht mehr zu unterscheiden. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch in Yukatan, wo die meisten Maya in Mexiko leben. Die Männer tragen die Kleidung des Campesino: lange weiße Hosen und ein Hemd darüber, aus Baumwolle; an den Füßen zuweilen Sandalen und auf dem Kopf ein Strohhut. Die Tracht der Frauen ist farbenprächtiger: ein weißer Huipil mit bunter Stickerei gesäumt, darüber eine Kette aus Glasperlen. Ihr Heim ist eine Hütte aus Flechtwerk und Stroh, deren wichtigstes Inventar eine Hängematte ist. Sie leben von der Milpa und dem Henequen, wobei der Boden bei weitem noch nicht allen selbst gehört. Das Christentum ist die vorherrschende Religion, und auch die Jarana, der Volkstanz der Yukateken, der den Fiestas zu Ehren der Dorfheiligen eine weltliche Note verleiht, ist spanischen Ursprungs. Lediglich in den abgelegeneren Weilern, im Gebiet der einstigen Grenze zwischen den »zivilisierten« und »barbarischen« Maya, ruft zuweilen auch heute noch der H-Men, der Schamane, die Götter der Vorväter an, um Regen und Fruchtbarkeit und Heilung von einer Krankheit zu erbitten. Die Maya in den südlichen Hochländern, in Chiapas und Guatemala, sind heute der traditionellste Zweig ihres Volkes. Sie leben in Weilern zerstreut, umgeben von Milpas, die wie Teppiche an den Berghängen kleben, und besuchen nur zu Markttagen und aus festlichem Anlaß die Cabecera, den Sitz der Lokalverwaltung und Standort der Kirche. Die indianischen Autoritäten, 356
die - ein Relikt aus vorspanischer Zeit - zugleich religiöse und politische Aufgaben wahrnehmen, wechseln in jährlichem Turnus, so daß ein jeder die Chance hat, einmal die Geschicke seiner Gemeinde zu lenken. Ein demokratisches System, das sich nach dem Verschwinden der Kaziken gegen Ende der Kolonialzeit herausbildete und den Zusammenhalt und damit auch eine gewisse kulturelle Individualität der einzelnen Lokalgruppen gewährleistet. Denn die Kultur der Hochland-Maya ist keineswegs einheitlich. Jedes Dorf beziehungsweise jede Lokalgruppe spricht - wenn nicht eine andere Sprache - so doch zumindest einen eigenen Dialekt, zeichnet sich durch eine besondere Tracht aus und spezialisiert sich auf ein bestimmtes Handwerk. So werden in dem einen Dorf Möbel, im anderen Reibsteine für die Maiszubereitung und im dritten Keramiktöpfe hergestellt. Ja, es gibt sogar einige Dörfer, die haben sich ganz auf die Saisonarbeit in den Kaffeepflanzungen eingestellt. Und dann gibt es die Gruppe derer, die immer größer wird, die auf den Bananenplantagen arbeiten - und in die Slums der Städte abwandern. Wer sich vom Zentrum in Guatemala City, das sich mit Wolkenkratzern, deren Fassaden indianische Motive tragen, schmückt, in die Schluchten am Rande der Stadt wagt, der steigt hinab in Dantes Inferno: Hütten aus Pappdeckeln und Blechkanistern, darinnen Gestalten, zerlumpt und verhungert, die an der Schwelle des Todes stehen. Auch dies waren einmal Maya. Die Wahrheit ist nicht die heile Welt des Tourismus: versunkene Pyramiden und bunte Indianermärkte. Die Wahrheit sind nüchterne Zahlen, hinter denen sich eine Welt des Elends und des Terrors verbirgt: nach Erhebungen der UNO stirbt in Guatemala jedes 10. Kind im ersten Lebensjahr (in den USA jedes 50.), beträgt das Nahrungsmitteldefizit 64% für Fleisch, 71 % für Zucker und 76% für Milchprodukte, kommen auf einen Arzt 6300 Einwohner (in den USA 790) und beträgt die Analphabetenrate 70%. Und das sind nur Durchschnittswerte. Das tatsächliche Ausmaß der Not ist unter den Indianern noch viel größer, denn die wenigen Nahrungsgüter und Dienstleistungen, die zur Verfügung stehen, kommen in Guatemala - wie auch in Mexiko - in erster Linie den Ladinos, den Weißen und den Mestizen, zugute. So erhebt sich denn die Frage, was die Maya in einem Staat, der nichts für sie tut, sondern sie nur ausbeutet, eigentlich zu suchen haben. Konkret: welche Rechtfertigung gibt es dafür, daß 357
die Maya in einem Lande wie Guatemala, das sie seit 4000 Jahren bewohnen und wo sie noch heute die Mehrheit der Bevölkerung - zwei Drittel - ausmachen, von einem Haufen dahergelaufener Abenteurer regiert werden, die an nichts anderes denken, als sich mit der Arbeit anderer die eigenen Taschen zu füllen? Wie spitzfindig man auch argumentieren mag, für diesen Zu- beziehungsweise Mißstand gibt es keine Rechtfertigung. So ist Guatemala - wie auch Chiapas und Yukatan, wo die demographischen und sozialen Bedingungen ähnlich sind - ein Fall für die Vollversammlung der Vereinten Nationen - oder für Kuba. Was man den Palästinensern und Angola zugesteht, das haben auch die Maya verdient: ein unabhängiges Mayab, das zumindest das westliche Hochland von Guatemala, die Mesa Central von Chiapas, den Dschungel des Peten und die östliche Hälfte der Halbinsel Yukatan umfaßt. Als Hauptstadt bietet sich Tikal an; die Pyramiden sind dort auch 70 m hoch. Und als Staatswappen der Quetzal. Die weißen Guatemalteken müßten sich etwas suchen, was besser zu ihnen paßt. Vielleicht eine Banane oder auch eine Kaffeebohne.
ANHANG
VERZEICHNIS DER ZITATE
Die Übernahme der Zitate aus dem »Popol Vuh« und der »Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexiko« erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer Verlages, Stuttgart, aus Travens »Rebellion der Gehenkten« mit der Pinkus Genossenschaft, Zürich. Alle übrigen Zitate - soweit erforderlich - wurden vom Autor ins Deutsche übertragen. 1 Newsweek, February 16, 1976: S. 13 2 Stephens,J. L., Incidents of Travel in Yucatan. 2 Bde., Neuausg. New York 1963: Bd. I, S. 70 3 Landa, Diego de, Relacion de las Cosas de Yucatan. Hrsg. v. A. M. Garibay, Mexico City 1959: S. 19 (im folgenden: Landa 1959) 4 Popol Vuh. Das heilige Buch der Quiche-Indianer von Guatemala, hrsg. u. übers, v. Leonhard Schultze Jena. Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas, Bd. II, Stuttgart -Berlin 1944: S. 99ff. (Neuaufl. 1972; i.f. Popol Vuh 1944) 5 Welt am Sonntag, 9. Juni 1974 6 Die Geschichte der Königreiche von Colhuacan und Mexiko, hrsg. u. übers, v. Walter Lehmann. Quellenwerke zur alten Geschichte Amerikas, Bd. I, Stuttgart -Berlin 1938: S. 70ff. (Neuaufl. 1974; i.f . : Geschichte der Königreiche 1938) 7 Geschichte der Königreiche 1938: S. Soff. 8 Landa 1959: S. i 2 f . 9 The Book of Chilam Balam of Chumayel, hrsg. u. übers, v. R. L. Roys. Carnegie Institution of Washington Publication No. 4 3 8 , Washington 1933: S. 161 (Neuausg.: Norman 1967; i.f . : Chumayel 1933) 10 Landa 1959: S. 13 11 Landa 1959: S. i 4 f . 12 Chumayel 1933: S. 75 13 The Book of Chilam Balam of Mani, In: The Maya Chronicles, hrsg. u. übers. v. D. G. Brinton. Library of Aboriginal American Literature, Bd. I, Philadelphia 1882: S. 97 14 Landa 1959: S. 17 15 Popol Vuh 1944: S. 147 f f . 16 Chumayel 1933: S.147f. 17 Landa 1959: S. 6 f . 18 Chumayel 1933: S. 8 o f .
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19 Landa 1959: S. 7f. 20 Diaz del Castillo, Bemal, Historia Verdadera de la Conquista de la Nue va Espafia. Hrsg. v. Joaquin Ramirez Cabanas, Mexico City 1969: S. 4of. (i.f.: Diaz del Castillo 1969 21 Cortes, Hernan, Cartas de Relacion. Hrsg. v. Manuel Alcala, Mexico City 1960: S. 13 (i.f . : Cortes 1960) 22 Cortes 1960: S. 151 23 Cortes 1960:8. 159?. 24 Cortes 1960: S. 161 25 Diaz del Castillo 1969: S. 3 5 6 26 Diaz del Castillo 1969: S. 530 27 Titulos de la Casa Ixquin Nehaib, In:Cronicas Indigenas de Guatemala, hrsg. u. übers, v. Adnän Recinos, Guatemala City 1957: S. 89ff. 28 Alvarado, Pedro de, Relaciones a Hernando Cortes. In: Autores Espanoles desde la Formacion del Lenguaje hasta Nuestros Dias: Histonadores Primitivos de Indias, hrsg. v. Enrique de Vedia, Bd. I, Madrid 1946: S. 4 5 8 (i.f.: Alvarado 1946) 29 Alvarado 1946: S. 4 5 8 30 The Annals of the Cakchiquels, In: The Annals of the Cakchiqucls (und) Title of the Lords of Totonicapan, hrsg. u. übers, v. Adnan Recinos u.a., 2. Aufl. Norman 1967: S. 121 ( i . f . : Annals of the Cakchiquels 1967) 31 Cortes 1960: S. 1 9 6 f . 32 Paxbolon-Maldonado Papers (Chontal-Chronik), hrsg. u. ü b e r s , v. F. V. Scholes u. R. L. Roys. In: Scholes, F. V., u. Roys, R. L., The Maya Chontal Indians of Acalan-Tixchel, 2. Ausg. Norman 1968: S. 391 f. 33 Chumayel 1933:8. 1 1 2 34 Oviedo y Valdes, Conzalo Fernandez de, Historia General y Natural de las Indias. 5 Bde., hrsg. v. Juan Perez de Tudela Bueso, Madrid 1959: Bd. III, S. 416 35 Landa 1959: S. 23 36 Landa 1959: S. 25 37 Landa 1959: S. 28 38 Las Casas, Bartolome de, Obras Escogidas. 5 Bde., hrsg. v. Juan Perez de Tudela Bueso, Madrid 1957-1961: Bd. V, S. 1 5 5 f. 39 Landa 1 9 5 9 : S. 27 40 Diaz del Castillo 1969: S. 19 41 Annals of the Cakchiquels 1967: S.123ff. 42 Annals of the Cakchiquels 1967: S. 129 43 Annals of the Cakchiquels 1967: S. 13of. 44 Herrera y Tordesillas, Antonio de, Historia General de los Hechos de los Castellanos en las Islas y Tierra Firme del Mar Oceano. 17 Bde., hrsg. v. Antonio Ballesteros y Beretta u.a.,Madrid 1934-1957: Bd. XII, S. 277 ff. (i.f.: Herrera 1934-1957) 45 Annals of the Cakchiquels 1967: S. 132f. 46 Annals of the Cakchiquels 1967: S. 134 47 Herrera 1934-1957: Bd. XIV, S. 1 5 3 f. 48 Gage, Tomas, Nueva Relacion que contiene los viajes de Tomas Gage en la Nueva Espania: parte tercera de dicha obra, que se refiere integramente a Guatemala. Biblioteca de Cultura Popular No. 7, Guatemala City o. J.: S. 65 ( i . f . : Gage o.J.) 49 Gage o.J.: S. 7 6 f . 36l
6o Gage o . J . : S. 46ff. 51 Chumayel 1933: S. 140 52 Annals of the Cakchiquels 1967: S. u s f . 53 Landa 1959: S. 55 f. 54 Landa 1959: S. 56 55 Gage o . J . : S. 58ff. 56 Chumayel 1933: S. 147 57 Tovilla, M. A., Relaciön Historica Descriptiva de las Provincias de la Verapaz y de la ciel Manche. In: Relaciones historico -descriptivas de la Verapaz, el Manche y Lacandon, hrsg. v. F. V. Scholes u. H. B. Adams, Guatemal a City 1960: S. 190ff. 58 Siholei, F. V., u. Adams, E. B. (Hrsg.), Don Diego Quijada. Alcalde Mayor de Yucatan, 1 5 6 1 -1 5 6 5 . Documentos sacados de los archivos de Espana. 2 Bde., Biblioteca de Historiadores Mexicanos de Obras Ineditas, Nr. 14 + 1 5 , Mexico City 1938: S. 27 59 I.anda 1959: S. 137ff. 60 Chumayel 1933: S. 79 61 Ximenez, Francisco, Historia de la Provincia de San Vicente de Chiapa y Guatemala de la Orden de Predicadcres, 3 Bde., hrsg. v. J. A. Villacorta, Guatemala City 1 9 2 9 -1 9 3 1 : Bd. III, S. 2 5 5 62 Legislacion Indigenista de Guatemala, hrsg. v. Jorge Skinner -Klee. Institute indigenista Interamericano, Mexico City 1954: S. 20 (i. f.: Legislacion Indige nista de Guatemala 1954) 63 Legislacion Indigenista de Guatemala 1954: S. 2of. 64 Stephens,J. I .,.Incidient sof Travelin Central America, Chiapas and Yucatan. 2 Bde., Neuausg. New York 1969: Bd. I, S. 23off. (i.f.: Stephens 1969) 63 Stephens 1969: Bd. I, S. 95ff. 66 Stephens 1969: Bd. II, S. 411 67 Stephens 1969: Bd. II, S. 397 68 Stephens 1969: Bd. II, S.414ff. 69 Camara Zavala, Felipe de la, Memorias de Don Felipe de la Camara Zavala. In: Diario de Yucatan, Sonntagsausg. f. August u. September 1928, Merida 70 Legislacion Indigenista de Mexico, hrsg. v. Manuel Gamio u.a. Institute Indigenista Interamericano, Mexico City 1 9 5 8 : 8 . 39 (i.f.: Legislacion Indige nista Je Mexico 1958) 71 Leglisiacion Indigenista de Guatemala 1954: S. 33 72 Pirieda, Vicente, Historia de las sublevaciones indigenas habidas en el Estado de Chiapas. San Cristobal 1888: S. 77 73 Statt, Otto, Guatemala. Reisen und Schilderungen aus den Jahren 1878 -1883. Leipzig 1886: S. 358f. (i.f.: Stoll 1886) 74 Stoll 1886: S.87ff. 75 Stoll 1886: S. 3 5 9 76 Traven, B., Die Rebellion der Gehenkten. 7. Aufl. München 1970: S.116ff. 77 Legislacion Indigenista de Mexico 1958: S. 80f. 78 Newsweek, June 28, 1954: S. 47f.
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GLOSSAR
Wörter spanischer oder indianischer Provenienz werden durch (S) oder (M, für Maya) beziehungsweise (N, für Nahuatl) ge kennzeichnet.
Achiote (Bixa orellana) - Baumart, aus dessen Samen man einen roten Farbstoff gewinnt, der vor allem bei der Zubereitung von Speisen Verwendung findet adelantado (S) - Gouverneur einer Grenzprovinz aguardiente (S: »Feuerwasser«) - Branntwein, insbesondere Rum Akkulturation - Annäherung einer Kultur an eine andere, z.B. Hispanisierung oder auch Amerikanisierung Akropolis- in der --> Mayanistik Bezeichnung für einen Komplex von Tempeln und Palästen, der den Kern einer Ruinenstadt bildet alcalde (S) - Beamter der Lokalverwaltung mit juristischer Funktion (Friedensrichter) alcalde mayor (S) - spanischer Kolonialbearnter, dem eine Pro vinz oder ein Distrikt unterstand aldea (S) - Weiler alguacil (S) - Polizist, Gerichtsdiener almuda (S) - Trockenmaß: etwa 28 l Amerikanistik - völkerkundliche Regionaldisziplin, die sich der Erforschung des indianischen Amerika widmet Archäologie - Hilfswissenschaft der Geschichte, deren Aufgabe die Aufbereitung dinglicher Hinterlassenschaften vergangener Völker und Kulturen ist audiencia (S) - hoher Gerichtshof mit zugleich weitgehender Verwaltungsfunktion in den spanischen Kolonien; im weiteren Sinne auch das Gebiet, über das sich die Gerichtsbarkeit einer Audiencia erstreckte
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baldiaje (S) - besonders im 19. Jahrhundert Frondienst auf eigenem Land, das widerrechtlich in den Besitz eines --> Hacendado gelangt ist baldio (S) - ursprünglich brachliegendes Kronland, allmählich auch widerrechtlich erworbenes Gemeindeland, das zur Ausbreitung der --> Hacienda führte; auch der enteignete Klein bauer, der auf diesem - seinem - Land Frondienst leistete barranca (S) - Schlucht barrio (S) - Häuserblock, Stadtviertel batab (M) - indianischer Dorfvorsteher C-14 - siehe Radiokarbon-Methode cabecera (S) - Hauptsiedlung und Sitz der Regierung eines --> Municipio oder Departements cabildo (S) - in den spanischen Kolonien Stadtrat sowie das Ge bäude, in dem die Ratsmitglieder zusammentraten campesino (S) - Kleinbauer, Landbewohner capataz (S) - Aufseher, besonders in den --> Monterias caudillo (S) - Anführer, Diktator cayuco (S) - Einbaum, Kanu Ceiba (Ceiba pentandra) - Baumart majestätischer Größe, die von den Maya als Weltenmittelpunkt und Himmelsträger verehrt wurde cenote (M/S) - natürliche schachtartige Brunnen in --> Yukatan Chilam Balam (M) - indianischer Prophet zu Beginn des 16. Jahrhunderts in --> Yukatan, nach dem die yukatekischen Dorfchroniken, die sogenannten Chilam Balam-Bücher, benannt sind Codex - hier: die Bilderhandschriften der Maya cofradia (S) - religiöse Bruderschaft im Rahmen der katholischen Kirche conquista (S) - Eroberung, insbesondere die Errichtung der spanischen Kolonialherrschaft in Amerika conquistador (S) - Eroberer, Glücksritter copal (N)-Harz des gleichnamigen Baumes, das für Weihrauchopfer dient corregimiento (S) - Grenzbezirk criollo - s. Kreole Cruzob (S/M) - die Bewohner des Indianerstaates Chan Santa Cruz cura (S) - Hilfsgeistlicher, Gemeindepfarrer
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dzulob (M) - Bezeichnung der --> Yukateken für alle NichtMaya ejidatario (S) - Begünstigter beziehungsweise Mitglied eines --> Ejido, Genosse ejido (S) - Gemeindeland, Genossenschaft enagua (S) - Rock encomendero (S) - Inhaber einer --> Encomienda encomienda (S) - von der spanischen Krone an die --> Conquistadoren verliehenes Nutzungsrecht über indianische Tribu tund Dienstleistungen enganchador (S) - Anwerber von Plantagenarbeitern entrada (S) - Eroberungszug der Spanier Ethnographie - Teilbereich der Völkerkunde, der sich mit der Untersuchung einzelner Stammesgesellschaften befaßt finca (S) - Landgut, Kaffeeplantage finquero (S) - Besitzer einer --> Finca fiscal (S) - Vertreter eines Gemeindepfarrers fray (S) - Ordensgeistlicher Glottochronologie, lexikostatische - linguistische Datierungsme thode, die auf einem Vergleich bestimmter Wörter in verwandten Spra chen beruht, woraus sich der Zeitpunkt ihrer Trennung voneinander bestimmen läßt gobernador (S) - indianischer Dorfvorsteher, der im Namen der Spanier regierte Goodman-Martinez-Thompson-Korrelation - von den MayaForschern Joseph T. Goodman, Juan Martinez Hernandez und J. Eric S. Thompson aufgestellte Korrelation zwischen dem Maya-Kalender und der christlichen Zeitrechnung, die auf einer Gleichsetzung des --> Long Count-Datums 11.16.0.0.0 13 Ahau 8 Xul mit der Zeit zwischen dem 30. Oktober und 4. November 1539 beruht und heute - im Gegensatz zu anderen Korrelationsversuchen - allgemein anerkannt wird haab(M)-im Maya-Kalender Periode von 365 Tagen, das sogenannte Bürgerliche Jahr habilitacion (S) - in Guatemala Bezeichnung für das System der Schuldverpflichtung, das den Indianer zum Frondienst zwingt 365
babilitador (S) - Anwerber von Plantagenarbeitern hacendado (S) - Besitzer einer --> Hacienda hacienda (S) - landwirtschaftlicher Großgrundbesitz halacb uinic (M) - in vorspanischer Zeit Herrscher eines Stadtstaates m --> Yukatan h-men (M) - in --> Yukatan Bezeichnung für einen Schamanen Huasteca - Stammland der Maya, zu beiden Seiten des Rio Pänuco; heute Siedlungsgebiet der Huasteken huipil(N) — traditionelle Oberbekleidung der Indianerin: kurze oder lange Bluse, die meist lose über dem Rock getragen wird Huites (M) - vor dein Kastenkrieg Bezeichung f ü r die Maya im südöstlichen --> Yukatan, die unabhängig von der Herrschaft der --> Kreolen lebten Iloc (M) - Zweigstamm der Quiches indigenismo (S) - auf die Mexikanische Revolution zurückgehende sozialreformerische Bewegung, die die Rehabilitierung des Indianers zum Ziel hat Indigenist - Vertreter des --> Indigenismo indio (S) - auf den Irrtum des Kolumbus, der Amerika für Indien hielt, zurückgehende Bezeichnung der Spanier für die Ureinwohner der Neuen Welt; daraus a b g e l e i t e t : »Indianer« jefe politico (S) - in Guatemala zunächst Bezeichnung für das Staatsoberhaupt, später für den Vorsteher eines Departe ments katun (M) - im Maya-Kalender Periode von 20 Jahren a 360 Tage Kazike - ursprünglich allgemeine Bezeichnung der Spanier für die indianischen Autoritäten, später indianischer Mittelsmann zwischen den Spaniern und den Indianern, der im Austausch für Privilegien für die Botmäßigkeit der Indianer zu sorgen hatte Kreole (S: criollo) - in der Neuen Welt geborener Spanier ladino (S) - in Chiapas und Guatemala Bezeichnung für einen Träger der dominanten spanischen Kultur, meist niederer Ge sellschaftsschicht lago (S) - See 366
laguna (S) - Lagune, flacher See legua (S) - Längenmaß: etwa 4,8 km Lang Count- in der --> Mayanistik Bezeichnung für die akkumu lierende - im Gegensatz zur zyklischen - Zeitrechnung der Maya lunero (S) - Landarbeiter, der zu einem regelmäßigen Arbeits dienst - gewöhnlich montags - auf einer --> Hacienda verpflichtet ist maestro cantor (S) - indianischer Hilfsgeistlicher, dem die Ein haltung katholischer Glaubenspraktiken unter den Indianern obliegt mandamiento (S) - periodische Arbeitsverpflichtung der India ner, abgelöst d urch--> Peonaje und --> Habilitaciön mano (S) - steinernes Handstück zum Zermahlen von Mais auf dem --> Metate Mayanistik - auf die Maya spezialisierte Teildisziplin d e r Völkerkunde bzw. --> Amerikanistik mayordomo (S) - Verwalter einer --> Hacienda
mazorca (S) - Maiskolben mecate (N/S) -- Flächenmaß: 20 qm Mesoamerika - das Gebiet zwischen nördlichem Mexiko und westlichem Costa Rica, das sich in vorspanischer Zeit zu einem Zentrum höherer Kultur entwickelte mestizaje (S) - der Prozeß der rassischen Vermis chung von In dianern und Weißen Mestize - Mischling aus Indianer und Weißem metate (N/S) - flacher Reibstein zum Zermahlen der Maiskörner milpa (N) - Maisfeld Mittelamerika- geographischer Begriff für das Gebiet zwischen Nord- und Südamerika: Mexiko, --> Zentralamerika und Westindien
monte (S) - Busch, Wald monteria (S) - Holzfäller-Camp Mound- in der --> Mayanistik Bezeichnung für einen künstlichen Hügel, der einst als Basis für einen Tempel oder eine Hütte diente mozo (S) - Kleinbauer, der im Gegensatz zum --> Baldio zwar über eigenes Land verfügt, zur Ergänzung seines Lebensun terhaltes aber auch gelegentlich auf einer --> Hacienda arbeitet municipio (S) - territoriale Verwaltungseinheit, bestehend aus 367
einer dörflichen oder städtischen Weilern; in indianischem Gebiet che kulturelle Merkmale gekennzeichnet
--> Cabecera und kleineren durch jeweils unterschiedli -
NativismusReaktion auf eine Fremdherrschaft, mehr oder weniger militanten Bewegung lung kultureller und politischer Autonomie äußert obraje (S) Manufakturbetrieb, lung ordenanza (S) Dekret, Gesetz, nialherrschaft insbesondere zur schen Kultur
die sich in einer zur Wiederherstel -
insbesondere während der Unterdrückung
zur
Textilherstel -
spanischen Kolo der indiani -
patron (S) - Herr, Gebieter, Besitzer einer --> Hacienda peninsular (S) während der Kolonialzeit Bezeichnung für Spa nier, die im Gegensatz zu den --> Kreolen nicht in den Kolo nien, sondern im Mutterland, auf der Iberischen »Halbinsel«, geboren waren peon (S) meist schuldverpflichteter Arbeiter auf einer --> Hacienda peonaje (S) - allgemeine Bezeichnung für den Frondienst auf ei ner --> Hacienda oder Plantage Peso (S) Münzeinheit, während der Kolonialzeit vor allem als peso de oro, der einem Wert von 4,218 g Feingold entsprach; heute Währungseinheit in Mexiko plaza (S) - Marktplatz; in der --> Mayanistik auch Bezeichnung für die von Tempeln und Palästen umstandenen Zeremonial höfe einer Ruinenstadt pueblo (S) - Dorf; Volk Radiokarbon-Metbode archäologisches Datieru ngsverfahren, das auf der Messung von radioaktivem Kohlenstoff (C -14) beruht, der in jeder pflanzlichen und tierischen Substanz enthal ten ist, nach deren Tode aber allmählich zerfällt real (S) Scheidemünze während der Kolonialzeit: 8 Reales er gaben einen --> Peso regidor (S) - Mitglied eines Gemeinderates repartimiento (S) Zuteilung indianischer Arbeitskräfte an die --> Conquistadoren; später abgelöst durch das --> Manda miento rio (S) – Fluß 368
Sonntagsmarkt in Chichicastenango
Oben: Im Auftrag der INI: Chamula bei der Landvermessung Unten: Yukatekischer Maya bei der Henquen-Ernte
santo (S) - Heiliger, Schutzpatron selva (S) - Dschungel Selva Lacandona- das Waldgebiet im östlichen Chiapas, das von Lakandonen bewohnt wird Short Count- in der -->Mayanistik Bezeichnung für ein verkürztes Kalendersystem der Maya, das in postklassischer Zeit aufkam und einen Zyklus von 13 --> K a t u n ( = 2561/ 4 Jahren) umfaßte Sierra (S) - Kettengebirge, Bergkette Stele - mit Reliefs und Inschriften bedeckte Steinsäule, die die Maya der vorspanischen Zeit zu Ehren ihrer Götter und Herrscher errichteten tornamil (N) - Komplementärernte, Aussät in der Trockenzeit toston(S)-Münze der Kolonialzeit im Wert eines halben --> Peso Tukucbes (M) - Zweigstamm der Cakchiqueles tzolkin (M) - im Maya-Kalender Periode von 260 Tagen, das sogenannte Heilige Jahr. vaquero (S) - Rinderhirte Yukatan (M/S) - die Halbinsel zwischen dem Golf von Mexiko und dem Karibischen Meer; im engeren Sinne der heutige me xikanische Bundesstaat Y., der den nördlichen Teil der Halb insel umfaßt Yukateken - allgemeine Bezeichnung für die Bewohner der Halbinsel -->Yukatan, i.e.S. die Maya-Sprachgruppe, die auf d e r Halbinsel v o r h e r r s c h t Zentralamerika - die Landbrücke zwischen Mexiko und Kolumbien
b) Nach Kolumbus 1500 1502 1503 1505/06
1511 1512 1515/16 1516-55 1516-56 1517
1518 1519-21 1520 1521/22 1523-28 1524
1524-26 1524-30 1525 1526 1527 1527/28 1528
1529
Kolumbus begegnet einem Handelsboot der Putunes Gründung der Casa de la Contrataciön erste Erwähnung des Wortes »Maya« (Maiam) in einem Manuskript von Bartholomäus Kolumbus, dem Bruder des Entdeckers Valdivia wird nach Yukatan verschlagen Gesetze von Burgos (Anerkennung der Encomienda) Pocken-Epidemie in Yukatan Karl I. König von Spanien (seit 1519 als Karl V. zugleich Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) Hernandez de Cordoba erkundet die Küste von Yukatan; Typhus-Epidemie in Guatemala Grijalva dringt bis zur Huasteca vor Cortes erobert das Azteken-Reich Cholera-Epidemie in Guatemala Cortes unterwirft die Huasteken Eroberung von Chiapas Alvarado erobert Guatemala; Gründung von Santiago de Guatemala I in Iximche; Aufstand der Huasteken; Gründung des Consejo de Indias Cortes durchquert das Maya-Gebiet (von Tabasco bis Honduras) Aufstand der Cakchiqueles Alvarado gründet San Salvador; Eroberung von Mixco Viejo und Zaculeu Alvarado zerstört Iximche Gründung von Santiago de Guatemala II (der späteren Ciudad Vieja) Montejo I. unternimmt ersten Eroberungsversuch in Yukatan Errichtung der Audiencia von Mexiko; Gründung von Villa Real (heute San Cristöbal Las Casas) in Chiapas Gerichtsverfahren gegen Alvarado
1529/30 1530
1531-35 1532 1533 1534 1534/35 1535
1536
1537
1537~39 1539
1540-46 1541
1541/42 1542 1543
Unterwerfung der Ixil-Maya in Guatemala Alonso de Avila durchquert Selva Lacandona und besetzt Itzamkanac; Aufstand der Chortis unter Copan Calel; Aufhebung der Sklaverei zweiter Eroberungsversuch Montejos in Yukatan Gründung einer spanischen Siedlung in Chi chen Itza Aufstand der Cupules in Yukatan Errichtung eines Bistums in Guatemala; Aufhebung des Sklavenverbots Eroberungszug Alvarados nach Ekuado r und Peru Errichtung des Vizekönigreiches von Neuspa nien; Montejo zum Gouverneur von Higueras und Honduras ernannt; Fray Testera unter nimmt Missionsversuch in Yukatan; Hungers not in Yukatan Encomienda auf Tributleistung beschränkt; Massake r in Otzmal; Indianeraufstand in Hi gueras (Cisumba) Las Casas beginnt Missionswerk in der Vera paz; Indianer durch Papstspruch zu »wahren Menschen« erklärt Lempira-Aufstand in Honduras Montejo wird Gouverneur von Chiapas, Alva rado - zusätzlich zu Guatemala - von Higueras und Honduras; Errichtung eines Bistums in Chiapas endgültige Eroberung Yukatans Tod Alvarados in Mexiko; Beatriz de la Cueva übernimmt Gouverneursamt in Guatemala; Santiago de Guatemala II durch Unwetter und Erdbeben zerstört; Verbot des Kaufes von In dianersklaven Las Casas schreibt »Kurzen Bericht über die Zerstörung der indianischen Länder« spanische Krone erläßt koloniale Reformge setze (Leyes Nuevas) Gründung von Santiago de Guatemala III (des späteren Antigua); Indianeraufstand in Saci (dem späteren Valladolid)
1544
1545 1545-47 1546 1547 1548 1549
1550 1551/52 1552
1552/53 1553 1555 1555~98 1557
1559
1560 1561 1562 1563-65
Errichtung der Audiencia de los Confines mit Sitz in Gracias a Dios; Gründung von Vallado lid Franziskaner beginnen Missionswerk in Yukatan, Dominikaner in Chiapas Las Casas Bischof von Chiapas Errichtung eines Erzbistums in Mexiko; India neraufstand im östlichen Yukatan Sepülveda veröffentlicht »Democrates Alter« Aufstand in Mani Sitz der Audiencia de los Confines nach San tiago de Guatemala III verlegt; Montejo seines Amtes als Gouverneur von Yukatan und Ta basco enthoben; Verbot, Tribute in Dienstlei stungen umzuwandeln Streitgespräch zwischen Las Casas und Sepulveda Hungersnot in Yukatan Errichtung eines Bistums in Yukatan; Kriegs zug der Lakandonen gegen die Spanier in Chiapas; Las Casas' »Kurzer Bericht über die Zerstörung der indianischen Länder« (bislang der Krone vorbehalten) in Sevilla veröffentlicht Lopez Medel erläßt restriktive Indianergesetze in Yukatan Montejo stirbt in Spanien Aufstand der Chol-Acalanes in der Verapaz Philipp II. König von Spanien Umsiedlung der Putunes von Itzamkanac nach Tixchel; englische Pira ten plündern Campe che Entrada unter Ramirez de Quinones gegen die Lakandonen in Chiapas; Strafexpedition des Kaziken Don Jüan gegen die Chol -Acalanes in der Verapaz Yukatan und Tabasco der Audiencia von Me xiko unterstellt; Hurrikan verwüstet Yukatan Tabasco der Regierung in Yukatan unterstellt Autodafe von Mani; Aufstand in Campeche unter Francisco Chi Hungersnot in Guatemala
1564 1566 1570 1571 1572 1585 1586 1597 1599 1600 1618/19 1622 1625-37 162 8 1631 1632 1633 1636 1638 1645
1647 1648 1651 1660 1661 1663 1672 1680 1685 1692
Umsiedlung der Tzeltal-Lakandonen nach Ocosingo Landa schreibt »Bericht über die Dinge in Yu katan« Hungersnot in der Verapaz und in Soconusco Errichtung eines Inquisitionstribunals in Mexiko; Hungersnot in Yukatan Landa zum Bischof von Yukatan ernannt Aufstand der Cocomes in Sotuta Aufgabe von Lacam Tun Aufstand in Sotuta unter Andres Chi englischer Stützpunkt auf Cozumel Franziskaner unternehmen Missionsversuch in Tayasal Fray Delgado wird bei einem Missionsversuch in Tayasal getötet Thomas Gage in Neuspanien Vorstoß der Chol-Lakandonen in die Verapaz; Hungersnot in Yukatan Diego el Mulato überfällt Campeche Cholera-Epidemie in Guatemala Diego el Mulato und Pie de Palo plündern Campeche Aufstand der Yukateken in Bacalar erste englische Siedler in Belize Vera Ordönez unternimmt Missionsversuch unter den yukatekischen Lakandonen in Chia pas Gelbfieber-Epidemie in Guatemala Gelbfieber-Epidemie und Hungersnot in Yu katan Hungersnot in Yukatan Pocken-Epidemie in Santiago de Guatemala Hurrikan verwüstet Yukatan Piraten überfallen Campeche Laurent Graf t plündert Campeche und Champoton Pocken-Epidemie in Guatemala englische und französische Piraten plündern Campeche Hungersnot in Yukatan
1695 1695/96 1696 1697
Barrios unternimmt Feldzug gegen donen; Pocken-Epidemie in Guatemala F ranziskaner unternehmen erneuten Missionsversuch in Tayasal Fray Avendano entdeckt Tikal Eroberung von Tayasal
die
Lakan
-
1700 1707 1712
Pocken-Epidemie in Santiago de Guatemala Aufgabe von Dolores und Umsiedlung der Chol-Lakandonen in das Hochland von Guatemala 1712/13 Tzeltal-Aufstand in Chiapas 1717 Briten werden von ihrem Stützpunkt auf der Insel Carmen vertrieben 1720 allgemeine Abschaffung der Encomienda 1723 Pocken-Epidemie in Santiago de Guatemala 1725-27 Hungersnot in Yukatan 1728 Masern-Epidemie in Santiago de Guatemala 1733 Pocken- und Typhus-Epidemie in Guatemala 1741 Typhus-Epidemie in Guatemala 1745 Errichtung eines Erzbistums in Guatemala 1746 Typhus-Epidemie in Guatemala 1759-88 Karl III. (Bourbone) König von Spanien 1761 Aufstand Jacinto Caneks in Yukatan 1765 Hungersnot in Yukatan 1766 Hurrikan verwüstet Yukatan 1768 Aufstand in der Verapaz 1769/70 Hungersnot in Yukatan 1773 Erdbeben zerstört Santiago de Guatemala (An tigua) 1776 Gründung der heutigen Hauptstadt Guatema las 1778 erster Zensus in Guatemala 1783/86 Spanien erkennt Nutzungsrecht der Briten in Belize an 178 5 Abschaffung der Encomienda in Yukatan 1786-97 Missionsversuche unter den Lakandonen in der Gegend von Palenque 1788-1808 Karl IV. König von Spanien 1798 Schlacht bei St. George's Cay sichert britische Herrschaft über Belize 1799 Aufstand im Ixil-Gebiet
-
1800 1801 1802 1803 1805 1807 1808-13 1809 1810 1811
1811-15 1812
1813 1814 1814-33 1815 1817 1818 1819 1820 1821
1822/23 1823 1823-39 1824
1826-29
Aufstand der Cakchiqueles in Patzum Aufstand der Quiches in Santa Maria Chiquimula Aufstand der Solomek-Maya in Solomä Hungersnot in Yukatan Hungersnot in Yukatan Spanien unter französischer Herrschaft Hungersnot in Yukatan Hidalgo beginnt Unabhängigkeitskampf in Mexiko Beginn der Unabhängigkeitsbewegung in Zentralamerika; Aufstand der Cakchiqueles in Patzicia und Santiago Sacatepequez Unabhängigkeitskampf Morelos' in Mexiko Verabschiedung einer liberalen Verfassung in Spanien; Aufstand der Cakchiqueles in Comalapa Aufstand der Quiches in Chichicastenango und Totonicapan Aufstand der Mames in Malacatän Ferdinand VII. König von Spanien Aufstand der Mames in Ostuncalco und der Quiches in Quetzaltenango Hungersnot in Yukatan Aufstand der Quiches in Santa Maria Chiquimula Aufstand der Quiches in Sajcabaja liberaler Umsturz in Spanien; Aufstand der Quiches in Totonicapan Mexiko und Zentralamerika erlangen Unabhängigkeit von Spanien; Aufstand der Cakchiqueles in Xenacoj Mexiko und Zentralamerika Kaiserreich unter Iturbide Verkündung der Monroe-Doktrin Zentralamerikanische Föderation Anschluß Chiapas' an Mexiko; Mexiko zur Republik erklärt; Quiches von Totonicapan versuchen Anschluß an Mexiko Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen in Zentralamerika
1830-39
Morazan Präsident der Zentralamerikanischen Föderation 1832-55 Ära Santa Ana in Mexiko 1836 Lakandonen erkennen Oberhoheit der zentralamerikanischen Regierung an 1837 Cholera-Epidemie in Guatemala 1837-39 Bürgerkrieg in Guatemala (Carrera gegen Morazan) 1838 Iman rebelliert gegen die Zentralregierung in Mexiko 1839 Aufstand der Quiches in Santa Catarina Ixtahuacan 1839-42 Forschungsreisen Stephens durch das MayaGebiet 1840 Yukatan erklärt Unabhängigkeit von Mexiko 1841-43 Krieg zwischen Yukatan und Mexiko 1842 Mexiko annektiert Soconusco 1844-65 Carrera Diktator in Guatemala 1845/46 Yukatan vorübergehend erneut unabhängig 1846-48 Krieg zwischen Mexiko und den USA; Neutralitätserklärung Campeches führt zu Krieg zwischen C. und Yukatan 1847 Guatemala wird zur Republik erklärt; Aufstand in der Huasteca 1847-55 Kastenkrieg in Yukatan 1848 Ciudad (ursprünglich Villa) Real wird in San Cristobal Las Casas umbenannt 1849-61 yukatekische Maya werden nach Kuba verkauft 1850-1901 unabhängiger Indianerstaat Chan Santa Cruz in Yukatan 1854 liberaler Umsturz in Mexiko 1856 Bodenreformgesetz (Ley Lerdo) in Mexiko erlassen 1857 Verabschiedung einer liberalen Verfassung in Mexiko 18 59 Guatemala tritt Belize an Großbritannien ab 1862-67 französische Intervention in Mexiko (Kaiser Maximilian) 1863 Campeche wird separater mexikanischer Bundesstaat 1864/65 Kapuziner unternehmen Missionsversuch unter den Lakandonen im Peten
1867-70 1871 1873-85 1876-1911 1877 1880
Chamula-Auf stand in Chiapas liberaler Umsturz in Guatemala Rufino Barrios Präsident von Guatemala Diktatur Porfirio Diaz' in Mexiko (Porfiriato) Barrios hebt gemeinschaftlichen Landbesitz auf guatemaltekische Regierung erteilt Jamet & Sastre Lizenz zur Holzgewinnung im Peten; Aufstand der Huasteken in San Luis Potosi 1882 Grenzvertrag zwischen Mexiko und Guatemala 1891 Aufstand der Yukateken in Maxcanu 1892 Tuxtla Gutierrez wird Hauptstad von Chiapas; Aufstand der Yukateken in Peto 1893 Verzichtserklärung Mexikos auf Belize 1894 Aufhebung des Mandamiento-Systems in Guatemala, Einführung der Habilitacion 1898 Aufstand der Solomeken in San Jüan Ixcoy (Guatemala) 1898-1920 Estrada Cabrera Diktator in Guatemala 1899 Gründung der United Fruit Co. in Boston 1900 1902
1906 1910 1911 1917 1917/18 1919 1924-34 1925 1931-44 1934/35 1934-40 1936
AufsStandsgebiet Chan Santa Cruz wird zum Bundesterritorium Quintana Roo erklärt; Erdbeben zerstört Quetzaltenango United Fruit erhält erste Konzessionen in Guatemala Ausbruch der Mexikanischen Revolution Zapata verkündet Plan von Ayala Verabschiedung einer neuen Verfassung in Mexiko Erdbeben in Guatemala Zapata wird ermordet Calles politischer Boß in Mexiko Aufstand der Ixil-Maya in Ilom (Guatemala) Ubico Diktator in Guatemala Aufhebung der Habilitacion in Guatemala, ersetzt durch Arbeitszwangsgesetze Cardenas Präsident in Mexiko Guatemala widerruft Belize-Vertrag von 1859;
United Fruit weitet Bananenproduktion auf Pazifikküste aus; Aufstand der Ixiles in Nebaj; Gründung einer indianischen Plantagenarbeitergewerkschaft (STIFC) in Chiapas 1937 1940-46
Cardenas verfügt Landreform in Yukatan Präsident Avila Camacho leitet reaktionären Kurs in Mexiko ein 1943 Aufstand der Cakchiqueles in Patzicia 1944 soziale Revolution in Guatemala 1945 Verabschiedung einer neuen Verfassung in Guatemala 1945~51 Arevalo Präsident in Guatemala 1946 Entdeckung von Bonampak 1948 Gründung des Indianerinstituts (INI) in Me xiko 1950 Gründung eines Entwicklungszentrums des INI in San Cristöbal Las Casas 1951-54 Arbenz Präsident in Guatemala 1952 Verabschiedung eines Agrarreformgesetzes in Guatemala 1953 Vereinigte Volkspartei in Belize propa giert Anschluß an Guatemala 1954 reaktionärer Staatsstreich in Guatemala 1954~57 Castillo Armas Präsident in Guatemala 1956-66 Amerikaner graben in Tikal 1959 Gründung eines Entwicklungszentrums des INI in Peto 1960-70 Guerilla-Krieg in Guatemala 1964 Belize erhält innere Selbstverwaltung 1968 amerikanischer Botschafter in Guatemala von Guerrilleros erschossen 1970 Belmopan wird neue Hauptstadt von Belize; deutscher Botschafter Graf von Spreti von Guerrilleros in Guatemala ermordet 1973 das frühere Britisch-Honduras wird offiziell in Belize umbenannt 1974 Quintana Roo wird mexikanischer Bundes staat; erster Indianerkongreß im Maya -Gebiet in San Cristobal Las Casas 382
VERZEICHNIS DER KARTEN UND PLÄNE
a) Karten Die präklassische Periode Die klassische Periode Die postklassische Periode Die Conquista Die spanische Kolonialherrschaft Das 19. Jahrhundert
38/39 74/75 116/117 158/159 196/197 304/305
b) Pläne La Venta Tikal: Nördliche Akropolis Tikal: Zentralbezirk Copan Palenque Uaxactun: Gruppe E Uxmal Chichen Itza Mixco Viejo Chan Santa Cruz
44 68/69 84 87 89 98 124 136 153 316
c) Diagramm Keramiksequenz im Maya-Gebiet
54/55
383
AUSGEWÄHLTE LITERATUR
Zur Geographie des Maya-Gebietes Lundel, C. L., The Vegetation of Peten. Washington 1937 Penne, A. S., u. a., The Cenotes of Yucatan. A Zoological and Hydrographie Survey. Washington 1936 Termer, Franz, Zur Geographie der Republik Guatemala, Teil I + II. Hamburg 1936/41 -, Die Halbinsel Yucatan. Gotha 1954
i. Die vorspanische Periode 1.1. Allgemein Coe,A/.Z).,TheMaya. New York 1966 (»Die Maya«, Bergisch Gladbach 1968) Handbook of Middle American Indium, 16 Bde., hrsg. v. Robert Wauchope, Austin 1964-1977 Ivanoff, Pierre, Grandi Monumenti, Cittä Maya. Mailand 1970 (»Monumente großer Kulturen: Maya«, Wiesbaden 1974) Krickeberg, Walter, Altmexikanische Kulturen. Berlin 1956 Morley, S. G., The Ancient Maya. Überarb. v. G. W. Brainerd, Stanford 1956 Pina Chan, Roman, Una Vision del Mexico Prehispänico. Mexico City 1967 Thompson,], E. S., The Rise and Fall of the Maya Civilization. Norman 1954 (»Die Maya. Aufstieg und Niedergang einer Indianerkultur«, München 1968) 1.2. Präklassik Benson, E. P. (Hrsg.), Dumbarton Oaks Conference on the Olmec. Washington 1968 Coe, M. D., La Victoria, an Early Site on the Pacific Coast of Guatemala. Cambridge (USA) 1961 MacNeish, R. S., u. Peterson, F. A., The Santa Marta Rock Shelter, Ocozocoautla, Chiapas, Mexico. Provo 1962 Shook, E. M., u. Kidder, A. V., Mound E-III-3, Kaminaljuyü, Guatemala. Washington 1952 Wauchope, Robert, Lost Tribes and Sunken Continents. Chicago 1962 1.3. Klassik Culbert, T. P., The Lost Civilization: The Story of the Classic Maya. New York '974
384
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