Nedjma
Die Mandel Aus dem Französischen von Eline Hagedorn und Bettina Runge
Droemer Umschlagabbildung: ZERO Werbeagen...
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Nedjma
Die Mandel Aus dem Französischen von Eline Hagedorn und Bettina Runge
Droemer Umschlagabbildung: ZERO Werbeagentur unter Verwendung einer Illustration von Cornelia Niere
ISBN 3-426-19699-9
Die junge Badra ist fest davon überzeugt, dass sie für die Liebe bestimmt ist. Doch für solche Träume lebt Badra im falschen Land – sie ist Marokkanerin und Muslimin. Gemäß der Tradition wird sie verheiratet und erlebt in ihrer Ehe nur Gleichgültigkeit und Demütigung. Badra verlässt ihren Mann und flieht zu ihrer Tante nach Tanger. Von ihr lernt sie, dass sie das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hat. Hier lernt sie Driss kennen, der ihr die Augen für die vollkommene Liebe öffnet – eine Liebe voller Empfindsamkeit und Hingabe. Entfesselt erobert sich Badra ihren Körper zurück und erkennt, was es heißt, Frau zu sein. Doch die Beziehung wird zur erotischen Obsession ... Die Mandel ist eine Geschichte voller Liebe und Leidenschaft, die berauschend und traurig, zart und grausam ist: Noch nie hat eine muslimische Frau so direkt und offen über die Licht- und Schattenseiten sexueller Freizügigkeit geschrieben.
Nedjma (der Name ist ein Pseudonym) ist Mitte vierzig und lebt in Nordafrika. Ihr Buch Die Mandel ist im Frühjahr 2004 in Frankreich erschienen und stand wochenlang auf der französischen Bestsellerliste. 2
Nedjma
DIE MANDEL Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Bettina Runge
Droemer 3
Originaltitel: L’amande Originalverlag: Plon, Paris, 2004 Besuchen Sie uns im Internet: www. droemer-knaur. de Die Folie des Schutzumschlags sowie die Einschweißfolie sind PE-Folien und biologisch abbaubar. Dieses Buch wurde auf chlor- und säurefreiem Papier gedruckt.
Copyright © 2004 by Plon Copyright © 2004 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemer Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co KG, München Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Satz: Ventura Publisher im Verlag Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany ISBN 3-426-19699-9
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DIE MANDEL
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PROLOG
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ieser Bericht ist vor allem eine Geschichte der Seele und des Fleisches. Einer schonungslosen, manchmal grausamen Liebe, die sich um keine Moral schert, außer um die des Herzens. Mit diesen Zeilen, in denen sich Sperma und Gebet vermischen, habe ich versucht, die Mauern niederzureißen, die heute das Himmlische vom Irdischen, den Körper von der Seele, das Mystische von der Erotik trennen. Nur die Literatur hat die Macht einer »tödlichen Waffe«. Also habe ich mich ihrer bedient. Ohne Scham und innerlich triumphierend. Getrieben von dem Ehrgeiz, meinen Blutsschwestern die von ihren Vätern, Brüdern und Ehemännern konfiszierte Sprache zurückzugeben. Als Huldigung an die alte Kultur der Araber, in der das sinnliche Verlangen sogar in der Architektur Ausdruck fand, die Liebe von der Sünde befreit und Lust zu empfinden und zu bereiten eine Pflicht des Gläubigen war. Ich erhebe diese Worte – wie man ein Glas erhebt – auf das Wohl der arabischen Frauen. Möge 6
es ihnen gelingen, die ihnen geraubte Sprache des Körpers wiederzufinden und so zugleich ihre Männer zu heilen.
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»Lob sei Gott, der die Gerten aufrecht wie Lanzen schuf, um in den Scheiden Krieg zu führen [...]. Lob sei Dem, der uns die Gabe verlieh, an den Lippen zu saugen, Schenkel auf Schenkel zu pressen und unsere Hoden auf die Schwelle zur Tür der Gnade zu legen.« Scheich O. M. Nefzaui
Der duftende Garten
ANTWORT AUF SCHEICH NEFZAUI
I
ch, Badra bent Salah ben Hassan el-Fergani, in Imchouk im Zeichen des Skorpions geboren, Schuhgröße achtunddreißig und bald fünfzig Jahre auf dem Buckel, erkläre Folgendes: Es ist mir völlig gleichgültig, dass die schwarzen Frauen saftige Geschlechter haben und ganz und gar gefügig sind; dass die Babylonierinnen die begehrenswertesten und die Damaszenerinnen die zärtlichsten und die Araberinnen und 8
Perserinnen die fruchtbarsten und die treusten Frauen sind; dass die Nubierinnen die rundesten Hinterteile, die weichste Haut und ein Verlangen haben, das wie Feuerzungen brennt; dass die Türkinnen die gefühlloseste Gebärmutter, das giftigste Temperament, das rachsüchtigste Herz und die klarste Intelligenz besitzen; dass die Ägypterinnen über eine schmeichelhafte Sprache, einen angenehmen Charakter und eine kapriziöse Art von Treue verfügen. Ich erkläre hiermit, dass ich auf die Schafe wie auf die Fische pfeife, auf die Araber wie auf die Europäer, aufs Morgen- wie aufs Abendland, auf Karthago wie auf Rom, auf Henchir Tlemsani wie auf die Gärten von Babylon, auf Galiläa wie auf Ibn Battouta, auf Nagib Machfus wie auf Albert Camus, auf Jerusalem wie auf Sodom, auf Kairo wie auf Sankt Petersburg; auf Johannes wie auf Judas, auf die Jungfrauen wie auf die Huren, auf die Schizophrenen wie auf die Paranoiden, auf Ismahan wie auf Abdelwahab, auf das Wadi Harrath wie auf den Pazifik, auf Apollinaire wie auf Moutannabi, auf Nostradamus wie auf Diop, den
Marabut.
Ich, Badra, verkünde, mir nur einer Sache sicher zu sein: Dass ich das schönste Geschlecht der Welt habe; es hat die schönste Form von allen; es ist prall, heiß, feucht, duftend und singt wie kein anderes; und es ist unübertrefflich in seinem Verlangen nach harpunengleich sich reckenden Schwänzen. 9
Das kann ich sagen, jetzt, da Driss tot ist und ich ihn unter den Oleanderbüschen in Imchouk, dem Dorf der Ungläubigen, begraben habe.
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och heute sehne ich mich manchmal nach einem NKuss. Nicht nach einem geraubten zwischen Tür und
Angel, einem drängenden, unbeholfenen, sondern nach einem langen, friedlichen. Einem vollmundigen Kuss. Einem Kuss auf die Hand. Eine Liebkosung des Knöchels, der Schläfe, ein Duft, ein Lid, ein betäubendes Glück, eine Ewigkeit. Mit meinen fünfzig Jahren bin ich endlich bereit zu gebären. Ungeachtet der Hitzewallungen und Zornesausbrüche, die mich in meinen Wechseljahren erschüttern. Und so strafe ich lachend meine Eierstöcke Lügen. Niemand weiß, dass ich seit drei Jahren keinen Sex hatte. Weil ich kein Verlangen mehr habe. Ich habe Tanger sich selbst überlassen. Den deutschen Pornos, die dort nach Mittemacht über Satellit empfangen werden. Den Hinterwäldlern, die nach Achselschweiß riechen und ihr Bier in dunklen Gassen auskotzen. Den dummen Puten, die mit dem Hintern wackeln und sich kreischend im gestohlenen Mercedes abkarren lassen. Den Schwachsinnigen, die den Schleier tragen, weil sie nicht mit der Zeit gehen wollen, und die ein Paradies zum halben Preis erbetteln. Aus den Augenwinkeln beobachte ich den jungen Saß, 11
den Tagelöhner, der mir, auf meinem eigenen Traktor thronend, dreiste Blicke zuwirft. Er ist erst dreißig und denkt sicher ans Geld, wenn er mit mir flirtet, dieser Analphabet. Nicht an meines, sondern an das, welches mir Driss per notarielle Urkunde vom August 1992 hinterlassen hat. Empört, dass er mich seniler Lüsternheit verdächtigt und davon auch noch profitieren will, frage ich mich schon seit Tagen, ob ich ihn nicht vor die Tür setzen soll. Doch ich besinne mich anders, als ich sehe, wie ihm seine kleine Tochter mit Schleifen im Haar entgegenläuft und einen Kuss auf die unrasierte Wange drückt. Ich gebe ihm noch eine Woche, bevor ich ihm eine Ladung Schrot in den Hintern jage, um ihn zurechtzuweisen. Ich weiß, dass ich im Bett unübertrefflich bin und dass er Frau und Kind verlassen würde, wenn ich ihn mir nehmen würde. Dieser armselige Bauernlümmel weiß aber nicht, was ich weiß. Dass man nur aus Liebe und niemals für Geld gut vögelt, dass der Rest nur Sport ist. Lieben und bis an die Grenzen gehen. Lieben und nie den Blick senken. Lieben und verlieren. Und, schon verwundet, akzeptieren, dass der Sex nur Ersatz ist, wenn das Herz von hoch oben aus der Zirkuskuppel stürzt und kein Netz da ist, um es aufzufangen. Mit zerbrochenem Herzen weiterleben. Weil der Verstand noch heil ist ... Vielleicht ist es dieser seltsame Kerl von Saft, der mich zum Schreiben getrieben hat. Um meinen Zorn zu besänftigen. Um das Durcheinander zu entwirren. Um mein Leben noch einmal zu leben und ein zweites Mal zu genießen, statt 12
mir ein anderes vorzugaukeln. Ich habe angefangen, etwas in ein Schulheft zu kritzeln. Straßennamen, Städtenamen. Vergessene Rezepte. Eines Tages habe ich geschrieben: »Der Schlüssel zur weiblichen Lust ist überall: die Brustwarzen, die sich aufrichten, fest vor Lust, fiebrig und gebieterisch. Sie verlangen nach Liebkosungen. Wollen liebkost, wollen gebissen werden. Die Brüste erwachen zum Leben, begehren nichts anderes, als ihre Milch hervorquellen zu lassen. Sie wollen, dass man an ihnen saugt, sie berührt, drückt, umfasst und wieder freilässt. Ihr Stolz ist grenzenlos und ihr Zauber auch. Sie zergehen im Mund, entziehen sich, verhärten und konzentrieren sich auf ihre Lust. Sie wollen genommen werden. Sobald sie wissen, dass etwas Gutes sie erwartet, werden sie regelrecht lüstern. Sie umschließen das Glied, und ermutigt, werden sie kühner. Ihre Brustwarzen halten sich manchmal für eine Klitoris oder gar für einen Penis. Sie schmiegen sich in die Falten eines verschämten Anus. Sie dringen gewaltsam in eine Öffnung, die so darauf erpicht ist, gefüllt zu werden, dass sie alles verschlingt, was sich präsentiert: einen Finger, eine Brustwarze oder einen gut geölten Dildo. Der Schlüssel zur Lust liegt an Stellen, auf die man nie gekommen wäre: dem Hals, dem Ohrläppchen, der Falte einer behaarten Achselhöhle, der Spalte, die das Gesäß teilt, der Innenseite der Schenkel, den Zehen, die man geschmeckt haben muss, um zu wissen, was es heißt zu lieben. Jede Parzelle des Körpers ist fähig zum Genuss. Zur Lust. Alles stöhnt und strömt für den, der geschickt zu 13
streicheln weiß. Und zu trinken. Und zu essen. Und zu geben.« Ich wurde rot, als ich das schrieb, dann aber fand ich es sehr zutreffend. Was hindert mich daran weiterzumachen! Die Hühner gackern im Hof, die Kühe kalben und geben fette Milch, die Karnickel kopulieren und werfen jeden Monat. Die Erde dreht sich. Ich mich mit ihr. Wofür sollte ich mich schämen? »Du, die Araberin«, sagte Driss. Die Araberin ist zu drei Viertel Berberin und pfeift auf all diejenigen, die glauben, sie sei gerade gut genug, um Nachttöpfe auszuleeren. Auch ich sehe fern und hätte, wenn man mir früh genug von der Quantenphysik erzählt hätte, ein Stephen Hawking werden können. Oder ein Konzert in Köln geben wie Keith Jarrett, den ich soeben entdeckt habe. Ich hätte sogar malen und im Metropolitan Museum in New York ausstellen können. Denn auch ich bestehe aus kosmischem Staub. »Du, die Araberin.« Natürlich bin ich Araberin, Driss. Wer hätte dich besser in ihrem Schoß aufnehmen können als eine Araberin? Wer hat dir die Füße gewaschen, für dich gekocht, deinen Burnus geflickt und dir Kinder geschenkt? Wer hat nach Mitternacht auf dich gewartet, wenn du voll von billigem Fusel und schlüpfrigen Witzen heimkamst, wer hat deine hastigen Attacken und deine verfrühten Ejakulationen über sich ergehen lassen? Wer hat darüber gewacht, dass in einem Hauseingang oder in einem verlassenen Steinbruch deine Töchter nicht geschwängert, deine Söhne nicht missbraucht wurden? Wer hat geschwiegen? Wer hat den 14
Ausgleich gesucht? Wer hat stets klein beigegeben? Wer hat zwölf Monate ohne Unterlass um dich getrauert? Wer hat mich geheiratet und wieder verstoßen, nur um seinen unangebrachten Stolz und sein Erbe zu retten? Wer hat mich nach jedem verlorenen Krieg verprügelt? Wer hat mich vergewaltigt? Wer hat mich gewürgt? Wer, außer mir, der Araberin, hat genug von einem Islam, den du nach deinen Bedürfnissen verzerrt hast? Wer, außer mir, der Araberin, weiß, dass du tief im Dreck steckst und dass es dir ganz recht geschieht? Warum also soll ich es mir versagen, von Liebe, von Seele, von Sex zu sprechen, und sei es nur, um deinen zu Unrecht vergessenen Vorfahren eine Antwort zu geben? Im nach Norden weisenden Zimmer hatte Driss seine Bücherkisten gestapelt, seine illuminierten Handschriften, seine Meistergemälde, seine ausgestopften Wölfe mit dem abwesenden Blick. Seit seinem Tod darf es nur die junge Sallouha betreten, um einmal die Woche den Schreibtisch abzustauben und das Tintenfass aus Porzellan aufzufüllen. Ich selbst bin so gut wie nie dort, ich kenne Driss’ Schätze, muss sie aber nicht ständig um mich haben. Doch als ich beschloss, mein Leben niederzuschreiben, habe ich die Bücherkisten geöffnet, um die dicken und sehr alten arabischen Bände zu finden, aus denen Driss seine Bonmots und Weisheiten bezog. Ich wusste, ich würde darin auf Verrücktere, Mutigere und Intelligentere stoßen als mich. Ich habe gelesen und wieder gelesen. Wenn ich den Boden unter den Füßen verlor, rannte ich hinaus auf die Felder. Ich liebe das Land. Nur der über den Weizen streichende 15
Windhauch und der Duft der Saat konnten Ordnung in meine verwirrten Gedanken bringen. Dann wandte ich mich den Schriftstellern der Antike zu und war verblüfft über ihre Kühnheit, eine Kühnheit, die man bei ihren Nachfolgern von heute – diesen meist ehrund humorlosen Speichelleckern – vergebens sucht. Jedes Mal, wenn mir die Genauigkeit einer Idee, die Deftigkeit eines Satzes den Atem nahm, legte ich eine Pause ein. Ich gestehe: Vieles löste schallendes Gelächter bei mir aus, anderes tiefe Scham. Doch ich beschloss, wie sie zu schreiben: frei, unprätentiös, mit klarem Kopf und bebendem Geschlecht.
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ie Fahrt nach Tanger dauerte acht Stunden. Es war keine leichtfertige Idee von mir gewesen zu fliehen. Wie ein führerloser Leichenwagen war mein Leben direkt auf die Katastrophe zugesteuert, und um es zu retten, hatte ich keine andere Wahl, als in den Zug zu springen, der jeden Morgen Punkt vier Uhr vom Bahnhof Imchouk abfährt. Drei Jahre lang habe ich ihn einlaufen, pfeifen und wieder abfahren hören, ohne dass ich je den Mut gehabt hätte, die Straße zu überqueren, über die niedrige Bahnhofsschranke zu steigen und so Schluss zu machen mit der Verachtung und dem Verderben. Fiebernd und mit klopfendem Herzen habe ich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Die Stunden flossen mit ihren stets gleichen Geräuschen dahin: Hmeds Husten und Spucken, das Bellen der beiden Mischlinge, die den Hof bewachen, und das heisere Krähen eines benommenen Hahns. Schon vor dem Ruf zum Gebet im Morgengrauen war ich auf den Beinen, in meinen Baumwoll-Haik gewickelt, den ich zwei Tage zuvor bei Arem gebügelt hatte, meiner 17
Nachbarin und Schneiderin, die als Einzige im Umkreis von dreißig Kilometern ein Kohlebügeleisen besaß. Ich holte mein Bündel, das ich in einem Couscous-Tonkrug versteckt hatte, tätschelte den Hunden, die an mir schnupperten, den Kopf, rannte über die Straße, die Böschung hinunter und sprang schließlich in den letzten fast dunklen Waggon. Das Billett hatte mir mein Schwager gekauft, und Naima, meine Schwester, hatte es mir in einer Schachtel mit Keksen zukommen lassen. Der Kontrolleur, der einen Blick in den Waggon warf, entwertete es mit gesenktem Kopf, ohne zu wagen mich anzusehen. Er muss mich mit der neuen Ehefrau von Onkel Slimane verwechselt haben, die einen Schleier trägt und alles daransetzt, wie eine Städterin auszusehen. Hätte er mich erkannt, hätte er mich hinausgeworfen und die Familie meines Mannes alarmiert, die mich auf der Stelle im nächsten Brunnen ertränkt hätte. Am Abend wird er die Neuigkeit seinem Freund Issa, dem Lehrer, erzählen und dabei die Fliegen vertreiben, die den kalten, bitteren Tee in seinem Glas umschwirren. Bis Zama, wo der Zug eine gute Viertelstunde hielt, blieb das Abteil fast leer. Dann stiegen ein beleibter Mann mit einem Bendir und zwei Frauen in rotblauen Melias zu. Letztere waren über und über tätowiert und mit Schmuck behängt. Die Mundpartie hinter einem Schleier verborgen, fingen sie an zu 18
tuscheln und leise zu kichern, hoben dann die Stimmen, kühn geworden, weil kein ihnen unbekanntes männliches Wesen zugegen war. Der Mann zog ein bauchiges Fläschchen aus seiner Djellaba, nahm, ohne Luft zu holen, drei kräftige Schlucke, streichelte lange sein Bendir, um dann eine fröhliche und leicht anzügliche Melodie anzustimmen, die ich in der Regenzeit die Nomaden oft hatte singen hören. Bald fingen die Frauen an zu tanzen, zwinkerten mir frech zu und streiften bei jeder Hüftbewegung den Oberkörper des Musikers mit den regenbogenfarbenen Troddeln ihrer Gürtel. Meine verdrießliche Miene muss sie gekränkt haben, denn sie ignorierten mich für den Rest der Reise. Bis Medjela, wo das inzwischen laute und betrunkene Trio ausstieg, wohl um die Hochzeit eines reichen Paares zu feiern, habe ich mich nicht einen Moment gelangweilt. Nach zwei weiteren Fahrstunden mit dem Bus erreichte ich Tanger. Die Stadt war schon aus der Ferne sichtbar, mit ihren Felsen, ihren weißen Fassaden und den Masten ihrer Schiffe. Ich hatte weder Hunger noch Durst. Ich hatte nur Angst. Am meisten vor mir selbst. An jenem Dienstag, einem trüben Tag, wehte der starke Ajaj, jener Sandsturm, der Migräne oder Gelbsucht mit sich bringt und nur im September so heftig sein kann. Ich hatte dreißig Dirham bei mir, ein 19
kleines Vermögen, und hätte ohne weiteres eines der schwarz-grünen Taxis heranwinken können, die durch die eleganten Straßen von Tanger fuhren – Tanger, einer Stadt mit einem kühlen Äußeren, auch wenn mein ältester Bruder das Gegenteil behauptete, wenn er mit Bergen von Stoff für meinen Vater ins Dorf zurückkam. Ich habe ihn immer verdächtigt, die Dinge zu beschönigen, wie alle anderen männlichen Bewohner von Imchouk, die einen Hang zum Fabulieren, zu billigem Wein und zu den Huren haben. Im großen Buch des Allmächtigen sind sie sicher als Wichtigtuer ausgewiesen. Ich nahm kein Taxi. Ich hatte Tante Seimas Adresse bei mir, auf ein Stück Papier gekritzelt, das ich aus dem Schulheft meines Neffen Abdelhakini gerissen hatte. Jener Abdelhakim, der in meiner Hochzeitsnacht über das Ehebett gerollt war, um nach altem Brauch das Unglück abzuwenden und mich dazu zu bewegen, meinem Mistkerl von Mann einen Erben zu schenken. Als ich aus dem Autobus stieg, schwankte ich ein wenig, geblendet von Sonne und Staubwolken. Ein Lastenträger, der mit einem schmutzigen roten Fes und einem vom Kautabak verfärbten Mundtuch im Schneidersitz unter einer Pappel saß, starrte mich dümmlich an. Ich fragte ihn nach dem Weg, da ich mir sicher war, dass ein Armer eine verschleierte Frau weder beschimpfen noch belästigen würde. 20
»Die Rue de la Verite, sagst du? Na, das weiß ich nicht genau, Cousine!« »Sie soll ganz in der Nähe der Rue Moulay Abdeslam sein.« »Das ist nicht weit von hier. Du läufst den Boulevard hinauf, durchquerst den großen Souk, dann gehst du in die Medina. Dort findest du sicher jemanden, der dir den Weg zu dieser Straße zeigen kann.« Der Mann war vom Land – ein Blutsbruder –, und bei seinem Akzent wurde mir warm ums Herz. Also sprach man auch in Tanger den Dialekt der kleinen Dörfer. Ich entfernte mich zögernd, doch kaum hatte ich ein paar Schritte in die Richtung gemacht, die der Lastenträger mir gewiesen hatte, stellte sich mir ein junger Mann in den Weg. Er hatte ein stolzes Gebaren und trug einen Blaumann und einen Fes in derselben Farbe. »Hab keine Angst. Ich habe gehört, wie du Hasouna, den Lastenträger, nach dem Weg gefragt hast. Ich wohne in dem Viertel und kann dich zu der Adresse bringen, die du suchst. Tanger ist eine gefährliche Stadt, und schöne Frauen wie du sind hier nie alleine unterwegs.« Durch seine Kühnheit aus der Fassung gebracht, wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Zwei Drittel des Gesichts von meinem Schleier verhüllt, warf ich ihm einen vernichtenden, empörten Blick zu. Er brach in Lachen aus. 21
»Sieh mich nicht so an, oder ich falle auf der Stelle tot um. Du kommst vom Land. Das sieht man dir von weitem an. Ich will dich nur begleiten. Ich kann eine Frau nicht ohne Schutz durch Tanger laufen lassen. Du musst mir nicht antworten, folge mir einfach und Alik Aman Allah, du stehst unter Gottes Schutz.« Da ich keine andere Wahl hatte, folgte ich ihm und sagte mir, dass ich bei der geringsten unziemlichen Geste schreien und die Passanten aufmerksam machen oder bei einem der Verkehrspolizisten, die in mit glänzenden Lederriemen verzierte Uniformen gezwängt waren, Hilfe suchen könnte. Im Grunde hatte ich keine Angst. Verglichen mit dem Wagnis, vor meinem Ehemann zu fliehen, waren alle anderen Kühnheiten ein Kinderspiel. Ich warf dem Mann verstohlene Blicke zu und fand, dass er gut aussah. Er schien im selben Alter wie ich zu sein und hatte den Gang eines Kampfhahns. Obwohl er sich nicht ein einziges Mal zu mir umgedreht hatte, wusste ich, dass er den zufriedenen Blick spürte, den ich, fasziniert von seiner Männlichkeit, auf seine breiten Schultern heftete. Ein eigenartiges Gefühl durchflutete mich: die Freude darüber, dass ich mich in einer Stadt, in der ich niemanden kannte und in der mich niemand kannte, über Verbote hinwegsetzte. Ich wagte sogar zu denken, dass die Freiheit berauschender sei als der Frühling. Die Straßen schienen mir so breit und die Platanen 22
so groß, dass ich Mühe hatte, meinen Führer nicht aus den Augen zu verlieren. Überall gab es Cafes, auf deren Terrassen Männer in Djellabas oder europäischen Anzügen saßen. Mehr als einmal fühlte ich, wie mir die Knie weich wurden unter den eindringlichen Blicken, die meinen cremefarbenen Schleier, den ich wie die Städterinnen trug, durchdrangen. Wenn mich Tanger auch durch seine Bauten beeindruckte, erinnerten mich die Männer hier doch an die Bauerntölpel und Nichtsnutze, die ich in Imchouk zurückgelassen hatte. Nach etwa zwanzig Minuten bog der Mann nach links und dann in ein enges Gässchen, das sich in endlosen Kurven einen Hang hinaufschlängelte. Plötzlich bekam ich Durst in dieser dunklen Gasse, durch die ich einem Führer folgte, dessen Namen ich nicht einmal kannte. Am Tor zur Medina blieb er stehen. Es war wieder taghell, und es herrschte völlige Stille. Nur aus der Ferne vernahm man das Echo von Koranversen, die ein Chor von Kindern aufsagte. Ohne sich umzudrehen fragte mein Führer: »Wir sind da, also, welches Haus suchst du?« Ich reichte ihm den Zettel, den ich in der Hand zerknüllt hatte. Er studierte ihn eingehend und rief dann: »Da ist es, gleich zu deiner Rechten!« War ich wirklich am Ziel angelangt? Plötzlich packten mich Zweifel. 23
Hinter der Tür, auf die mein Führer zeigte, konnte sich eine Falle verbergen, eine Höhle, in der mich Verbrecher unter Drogen setzen und vergewaltigen, mich enthaupten oder in einen Felsspalt werfen würden, »in dem es mehr stinkt als aus einer ungewaschenen Achselhöhle«, wie mein Bruder Habib gerne sagte. Der Mann spürte meine Angst. »Kennst du außer der Adresse auch einen Namen? Jemanden, den wir rufen können?« Ich murmelte voller Hoffnung: »Tante Selma.« Er stieß die schwere mit Nägeln beschlagene Eingangstür auf und trat in den Driba, den dunklen Hausflur. Dann hörte ich ihn lauthals schreien: »Ya oumalli ed-dar, he, Leute, ist da jemand?« Über mir wurde polternd ein Fensterladen geöffnet, eine Tür quietschte, unbekannte und gedämpfte Stimmen waren zu hören. »Gibt es hier eine Tante Selma?« Gemurmel, eilige Schritte, und meine Tante Selma tauchte in ihren wie ein Schmuckstück fein gearbeiteten rosafarbenen Michmaq sichtlich beunruhigt auf. Sie schlug sich heftig auf die Brust. »Oooh! Was machst du denn hier?« Sie war da, und alles andere war mir unwichtig. Hinter ihr tauchte mein Führer auf, glücklich und offensichtlich stolz, sie gefunden zu haben. Ich hätte lachen können. 24
»Was ist passiert? Ist jemand bei euch gestorben?« Benommen und ganz ernst antwortete ich: »Ich.« Sie fasste sich schnell wieder, betrachtete neugierig meinen Führer und bedankte sich bei ihm. Ich hatte den Eindruck, dass meine Antwort den jungen Mann belustigte. Er rückte seinen Fes zurecht, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und sagte zu meiner Gastgeberin: »Mission erfüllt, Lalla. Nur noch einen Rat: Bei den Augen, die diese Gazelle hat, darfst du sie nie aus den Augen lassen.« Lächelnd ging er davon. Und beschäftigte bereits meine Gedanken.
25
T
ante Selma feierte mit ihren Freundinnen, als ich bei ihr auftauchte. Später sollte ich erfahren, dass die Nachmittage in Tanger den Frauen gehörten. Elegant gekleidet, saßen sie mondän und fröhlich bei einer Platte mit Patisserien zusammen; sie schlürften Kaffee oder Tee, versuchten sich an spanischen oder amerikanischen Zigaretten und tauschten gewagte Witze, Klatsch und halb wahre Vertraulichkeiten aus. Diese Ichouiyyates zählten zu den wichtigsten gesellschaftlichen Riten und waren fast ebenso wichtig wie die steifen, förmlichen Hochzeits-, Beschneidungs- oder Verlobungsfeiern, bei denen man sich herausputzen musste und vor allem niemals den Eindruck erwecken durfte, arm zu sein oder von seinem Mann vernachlässigt zu werden. Sie brachte mich in einem kühlen Zimmer unter, zündete eine Petroleumlampe an und entschuldigte sich dafür, dass sie mich allein lassen musste: »Du musst verstehen, die Frauen warten oben bei der Nachbarin auf mich.« Sie stellte eine Karaffe mit Wasser und ein Glas auf den Tisch und sagte, sie 26
käme bald zurück. Ich trank mehrere kräftige Schlucke direkt aus der Karaffe und schlief auf der Stelle erschöpft ein. Doch bevor ich in einen Schlaf mit grau-gelben Träumen, die einem herbstlichen Gewitterhimmel glichen, sank, gab ich mich der Erinnerung an den Mann in Blau hin. Den Kopf auf einer Nackenrolle, eine Wolldecke über die Beine geworfen, wachte ich mitten in der Nacht auf und war hungrig. Die Couch war schmal und hart, und die Geräusche des Hauses waren mir fremd. Ich befand mich in einem länglichen Zimmer, und an den Wänden, die viel höher waren als in Imchouk, zeichneten sich furchterregend die Schatten der Möbel ab. Zu meinen Füßen lag das Bündel, in das ich ein frisches Brot und zwei hart gekochte Eier gesteckt hatte. Hunger ist stärker als Angst. Mit geschlossenen Augen verschlang ich meinen Proviant. Ich untersagte mir alles Nachdenken und schlief wieder ein. Ich war in Tanger. Was zählten da meine zwanzig Jahre, die nichts enthielten, woran man sich festhalten konnte. Meine Vergangenheit lag hinter mir. Sie entfernte sich wie die mit Hagel beladenen Regenwolken – hastig und schlechten Gewissens. Allein Imchouk war da und erstrahlte in all seinem Glanz. In meinen Träumen bin ich immer barfuß, durchquere die Gersten- und Luzernenfelder und laufe mit hellem Lachen, das Haar voll Mohnblüten, meinen Spielkameraden davon. 27
Imchouk wirkt stumpfsinnig und fremdartig zugleich. So öde wie die Ödnis selbst und verwinkelter als die Höhlen vom Djebel Chafour, die Imchouk im Westen den Winden und dem schwarzen und rauen Wüstengestein ausliefern. Zwei Schritt von der Hölle entfernt gelegen, scheint das leuchtend satte heidnische Grün des Dorfes der Sandwüste zu spotten, die es belauert und seine Obstgärten belagert. Die Häuser sind niedrig und weiß, die Fenster schmal und ihre Rahmen ockerfarben gestrichen. Im Zentrum erhebt sich ein Minarett, gleich neben der Bar des Incompris, der Bar der Unverstandenen, dem einzigen Ort, an dem die Männer öffentlich gotteslästerliche Reden führen und sich auskotzen können. Das Wadi Harrath hat einen Riss durch Imchouk gezogen, der den Ort in zwei mondsichelförmige Viertel teilt. Als kleines Mädchen habe ich mich oft zwischen die üppigen Oleandersträucher gesetzt, die sich, bitter und verlogen, an seinem Ufer wiegen, um es gleich einem spöttischen Verräter dahinfließen zu sehen. Ähnlich wie die Männer von Imchouk zieht das Wadi Harrath prahlend vorbei und hat die Angewohnheit, alles auf seinem Weg niederzumachen. Sein schillerndes Wasser, das von den herbstlichen Regengüssen aufgewühlt wird, schlängelt sich durch das Dorf, bevor es sich in der Ferne im Tal verliert. »Dieses Wadi ist unschicklich«, schimpfte Taos, die zweite Frau von Onkel Slimane. Ich wusste damals 28
nicht, was Schicklichkeit bedeutet, sah ich doch ringsum nur Hähne, die ihre Hühner besprangen, und Hengste, die ihre jungen Stuten deckten. Viel später erst habe ich begriffen, dass diese gottverdammte Schicklichkeit nur den Frauen auferlegt wird, um aus ihnen geschminkte Mumien mit leeren Augen zu machen. Das Wadi unschicklich zu nennen, zeugte von einem Zorn, der Imchouk stillschweigend der Lüsternheit eines fruchtbaren Weibes bezichtigte. Es ist dieselbe Lüsternheit, die den Hirten wild macht und dazu treibt, sich auf das nächstbeste Ding zu stürzen, das an ein weibliches Hinterteil erinnert, ganz gleich, ob es sich um das einer Ziege oder das eines Esels handelt. Ich habe das Wadi Harrath immer geliebt. Vielleicht, weil ich in dem Jahr, in dem es sein gewaltigstes Hochwasser erlebte, geboren wurde. Der Fluss war über seine Ufer getreten, in die Häuser und Läden geschwappt, hatte seine Zunge sogar bis in die Innenhöfe und die Kornspeicher gesteckt. Tante Selma erzählte mir fünfzehn Jahre später von dieser Zeit. Wir saßen im Hof des weinumrankten Hauses, den Onkel Slimane mit Marmor gefliest hatte, um ihr zu zeigen, wie sehr er sie liebte. Ihr üppiges Dekollete gefiel dem Mädchen, das ich damals noch war und dessen Brüste sich unter den luftigen Kleidern eben erst zu runden begannen. Tante Selma erzählte lachend und öffnete dabei die grünen harten Mandeln 29
mit dem kupfernen Stößel eines Mörsers. Sie liebte den Sommer für den Überfluss an Früchten, die von den Landarbeitern direkt aus den Obstgärten herbeigeschafft wurden und sich im Flur in den großen strohgeflochtenen Körben türmten. »In jenem Jahr waren wir einmal zwanzig Tage von der Welt abgeschnitten«, erinnerte sie sich. »Und die Welt kümmerte das ebenso wenig wie der dreckige Hintern von Bornia, unserer Dorfidiotin. Von wegen Flitterwochen! Ich hätte lieber schön im Trockenen bei meiner Mutter warten sollen, bis die Novembergewitter vorbeigezogen waren«, fügte sie lachend hinzu. »Doch ich war dumm und dein Onkel ungeduldig. Stell dir vor, wie ich aussah, als ich im Seidenkaftan und mit Stöckelschuhen in dieses gottverlassene Nest kam! Weißt du, dass die Bäuerinnen viele Kilometer zurücklegten, nur um mich wie ein seltenes Tier zu begaffen? Sie zogen an meinen Haaren, um sich zu vergewissern, dass ich keine Puppe war. Ein Land von Mistbauern, sage ich dir!« Sie bot mir eine Hand voll weißer Mandeln an und belebte mit ihrem Fächer die Glut im Kohlenbecken. Die Teekanne sang, und der Tee verbreitete seinen schweren süßlichen Duft. »Das Hochwasser hat deine bigotten Cousins um den Verstand gebracht«, fuhr Tante Selma fort. »Tijani, das Schielauge, und Ammar, der Krüppel, verkündeten, so viel Wasser sei ein gutes Omen: Es befruchte 30
die Erde und säubere dabei unsere Herzen von der Sünde. Die Sünde! Ständig führen sie dieses Wort im Munde! Als wären wir keine Muslime und würden den Tag damit zubringen, in die Weizenfelder zu scheißen! Diese Schwachköpfe halten sich für den Mufti von Mekka, weil sie drei Verse des Korans zum Segen der Toten aufsagen, bevor sie sie in die Grube werfen. Mögen die Pocken ihre Gesichter mit Eiterblasen übersäen! Und was die anderen Rotznasen betrifft, so haben sie überall erzählt, dies sei die Sintflut, die das Ende der Welt ankündigt. Dummes Geschwätz! Solange Gog und Magog sich anständig benehmen, dieser einäugige Antichrist nicht in Jerusalem aufgekreuzt und Jesus, Marias Sohn, nicht zurückgekehrt ist, um etwas Ordnung in das kosmische Chaos zu bringen, kann man ruhig schlafen! Gewiss, Gott hat genug von unseren Grausamkeiten, doch Er kann sich immer noch nicht dazu entschließen, uns mit einem Tritt in den Hintern aus Seinem schönen Garten Eden zu vertreiben. Denn, wie du sicher weißt, ist der Garten Eden hier auf Erden, und wir werden niemals einen anderen haben, der so schön ist, nicht einmal im höchsten der Himmel! Möge Gott uns unsere Boshaftigkeit und unseren Unsinn verzeihen!« Ich krümmte mich vor Lachen, während ich den bildhaften Sarkasmen und originellen Gotteslästerungen von Lalla Selma lauschte. Sie hatte, durch Gott 31
weiß welch ein Wunder, das Wissen ihres Onkels geerbt, der ein berühmter Theologe gewesen war. Und sie war unschlagbar, wenn es darum ging, jemandem einen Spitznamen zu geben, über den dann der ganze Ort höhnte. Sie schien die Einzige zu sein, die Gott beschimpfen konnte, ohne es Ihm dabei am nötigen Respekt fehlen zu lassen. Selma runzelte die Stirn, und mit einem nachdenklichen Blick fügte sie hinzu: »Weißt du was? Ich glaube nicht an die Sünde. Und diejenigen, die sich daran berauschen, werden am Tag des Jüngsten Gerichts unter dem heiligen Blick des Herrn der Welten als einzige und abscheuliche Sünde nur ihre schmutzigen und ach so männlichen Organe vorzuweisen haben. Sie glauben, die Schändlichkeiten, die von ihrem Stückchen Fleisch begangen wurden, werden Ihn beeindrucken! Und ich sage dir, all diese Bastarde werden in der Hölle schmoren, weil sie keine schönen und noblen Sünden begangen haben, die der unendlichen Größe Gottes des Allmächtigen würdig sind!« Wenn sie auf die Menschen von Imchouk schimpfte, sprach Tante Selma immer nur von den Männern, nie von den Frauen. Als wären die Eskapaden der Frauen nichts als Lappalien, die die Gestirne zum Lachen brachten. Leicht verwirrt riskierte ich die Frage, was denn eine schöne und noble Sünde sei. Sie schenkte mir 32
ihr sonniges wildes Lächeln, jagte das junge braune Hündchen davon, das sie mit der Flasche großzog und das ihr ständig die Füße leckte. Plötzlich ernst und träumerisch murmelte sie: »Lieben, mein Täubchen. Ganz einfach nur lieben. Doch das ist eine Sünde, die das Paradies als Belohnung verdient.«
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ante Selma ist in Tanger geboren. Als sie eines Tages am Arm von Onkel Slimane bei uns auftauchte, sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Hochwasser führendes Wadi. Blond, üppig und völlig ungeniert trat sie an den Strohkorb, der mir als Wiege diente, und unter den nervösen Blicken meines Vaters, der solche Gefühlsausbrüche nicht gewohnt war, bedeckte sie das prächtige Baby, das ich war, mit Küssen. Wir saßen im Innenhof unter dem Vordach mit den grünen Ziegeln, von denen die Farbe abblätterte, und es war so, als wären wir allein auf der Welt, jenseits der Zeit, jenseits von Tanger. Sie lächelte immer noch bei der Erinnerung an ihre arglose und völlig unkonventionelle Ankunft in Imchouk und an den Empfang, den ihr mein sichtbar verstimmter Vater bereitete. »Wegen des Hochwassers?«, fragte ich. »Aber nein! Deinetwegen! Ein Maul mehr zu stopfen, wo doch die Zeiten immer schwerer wurden und deine Mutter nach einer Pause von fünf Jahren erneut wie ein Karnickel zu werfen bereit schien.« 34
Ich entgegnete, mein Vater habe mich niemals spüren lassen, dass ich ihm eine Last war. »Aus gutem Grund! Schließlich warst du seine Lieblingstochter. Dein Vater war ein sehr zärtlicher Mann, aber er musste sein sensibles Wesen hinter einem bärbeißigen Schweigen verbergen. Ach, weißt du, es ist nicht immer leicht, ein Mann zu sein! Sie dürfen nicht weinen. Selbst wenn sie ihren Vater, ihre Mutter oder ihr Kind begraben. Sie dürfen nicht sagen: ›Ich liebe dich‹, oder dass sie Angst oder sich den Tripper eingefangen haben. Da muss man sich nicht wundern, dass unsere Männer zu Monstern werden.« Ich glaube, dies war das einzige Mal, dass Tante Selma ein wenig Mitleid mit den Männern zeigte. Während ich die Krümel des Sesamkuchens, den sie neben meine Kaffeetasse gelegt hatte, zwischen den Fingern knetete, beobachtete ich heimlich ihr Gesicht und fürchtete, ein Zögern oder eine Spur von Ärger darin zu entdecken. Nein, Tante Selma schien mir nicht übel zu nehmen, dass ich unangemeldet bei ihr aufgekreuzt war. Sie ließ mich sanft aus meiner Müdigkeit auftauchen, begnügte sich damit, zu rauchen und ihren Tee zu schlürfen, und rief die Erinnerungen an Imchouk nur wach, um mich zu ermuntern, ihr mein Herz zu öffnen, das sie verschlossen und voller Hass und Zorn wähnte. Nachdem sie die Hoffnung aufgegeben hatte, dass ich das Thema anschneiden würde, verschränkte sie energisch die 35
Arme vor der Brust, ließ die Daumen kreisen und ging zum Angriff über. »Gut, jetzt raus mit der Sprache: Weshalb bist du hier? Du hast hoffentlich nicht das Haus angezündet oder deine Schwiegermutter vergiftet. Ich sage es lieber gleich: Diese Heirat hat mir von Anfang an missfallen. Ich weiß zwar, ein Mädchen gehört unter die Haube, aber nicht um diesen Preis!« Ich senkte den Kopf. Wenn ich ehrlich zu ihr sein wollte, musste ich ihr alles im Detail erzählen. Doch mein Schmerz war so groß, dass ich ihn am liebsten für immer aus meinem Gedächtnis gelöscht hätte.
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Badras Hochzeit
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med war vierzig Jahre alt. Ich war gerade siebzehn geworden. Aber er war Notar, und in den Augen der Dorfbewohner verlieh ihm der Titel eine ungeheure Macht – nämlich die, ihnen durch den Eintrag ins Standesregister eine offizielle Existenz zu verleihen! Er war bereits zweimal verheiratet gewesen und hatte beide Frauen wegen ihrer Unfruchtbarkeit verstoßen. Hmed, für seine unfreundliche und cholerische Art bekannt, bewohnte einen hübschen Familienbesitz am Rande des Dorfes, nicht weit vom Bahnhof entfernt. Jeder wusste, dass er seine zukünftigen Ehefrauen reich beschenken und ihnen ein prunkvolles Hochzeitsfest bereiten würde. Er war eine der besten Partien von ganz Imchouk, von allen züchtigen Jungfrauen und ihren habgierigen Müttern begehrt. Eines Tages stieß Hmeds Mutter die Tür zu unserem Haus auf, und ich wusste sofort, dass die Reihe an mir war, den Kopf auf den Richtblock zu legen. Ich hörte, wie eine Bäuerin Mama ihre doppelzüngigen Ratschläge zuraunte. »Nimm das Angebot an! Deine Tochter ist schon eine Frau, du kannst sie nicht länger in die Stadt auf diese ver37
dammte Schule schicken, die ihr zu nichts nutze sein wird. Wenn du weiter darauf bestehst, werden Würmer in ihr wachsen und sie jucken, bis sie auf Männerjagd geht.« Gewiss, ich machte mir nicht viel aus der Schule, doch mich wieder zu Hause einsperren zu lassen, passte mir ebenso wenig. Das erste und einzige Lyzeum für Mädchen in Zrida diente mir als Passierschein in ein freieres Leben, und das Pensionat ermöglichte mir vor allem, mich der Kontrolle meines jüngeren, gockelhaften Bruders Ali zu entziehen. Der Tod meines Vaters hatte ihn von Amts wegen zu meinem Vormund gemacht, und für ihn lag die Ehre des Klans in der Unschuld seiner Frauen. Frauen herumkommandieren zu können ermöglicht es den Jungen, sich als Rjal, als wahre Männer, zu fühlen. Ohne eine Schwester, die sie windelweich prügeln können, schrumpft ihre Autorität wie ein Schwanz, dem es an Anregung fehlt. Um zu prüfen, ob ich eine ihres Klans und ihres Sohns würdige Ehefrau werden könnte, wartete meine zukünftige Schwiegermutter nicht einmal die endgültige Zustimmung meiner Mutter ab. Eines Tages, als ich im Hammam war, tauchte sie mit ihrer ältesten Tochter dort auf. Die beiden untersuchten mich von Kopf bis Fuß, befühlten meine Brüste, mein Gesäß, meine Knie und die Form meiner Waden. Ich kam mir vor wie ein Schaf am Aid el Kebir, dem Hammelfest am Ende des Ramadan. Es fehlte nur der Bänderschmuck. Da ich jedoch die Regeln und Gebräuche kannte, ließ ich sie gewähren, ohne zu blöken. Warum die gut funktionierenden Gesetze brechen, die den Hammam in einen 38
Souk verwandeln, auf dem sich das menschliche Fleisch
dreimal billiger verkauft als das Tier? Dann trat die Großmutter, eine von der Stirn bis zu den Zehen tätowierte Hundertjährige, über die Schwelle unseres Hauses. Sie ließ sich im Hof nieder, spuckte den Saft ihres Kautabaks in ein blau-grau kariertes Taschentuch und beobachtete, wie ich meinen häuslichen Pflichten nachging. Meine Mutter warf mir unentwegt bedeutungsvolle Blicke zu, die mich auffordern sollten, mir besondere Mühe zu geben, wusste sie doch, dass die alte Megäre über meine Fertigkeiten als Hausfrau bei den Ihren Bericht erstatten würde. Ich hatte das Gefühl, Teil eines schmutzigen Geschäfts zu sein. Hmed kannte mich schon, als ich noch ein kleines Mädchen war, und seit zwei fahren bedachte er mich auf meinem Weg zur Schule mit glühenden Blicken. Er hatte mich, die ich den gierigen Augen und gehässigen Zungen entkommen wollte, mit gesenktem Blick und raschem Schritt vorbeieilen sehen. Er kam zu dem Schluss, dass ich ein hübsches Loch zu stopfen habe und eine gute Partie sei. Er wollte Kinder. Nur Knaben. Mich penetrieren, mich schwängern und dann auf den Festen von Imchouk herumstolzieren – hoch erhobenen Hauptes, mit stolzgeschwellter Brust, weil er sich seine männliche Nachkommenschaft gesichert hatte. Im Winter 1962 saß ich nicht mehr auf der Schulbank, sondern über Tischdecken und Kissenbezüge gebeugt, die zu besticken waren, über Wolldecken, deren Motive ich aussuchen musste, um sie meiner Aussteuer hinzuzufügen. Als Märchenprinzen hatte ich mir einen Besseren, vor allem 39
einen Jüngeren als Hmed erträumt. Ich schämte mich dafür, es hingenommen zu haben, dass man mir so ungeniert den Willen brach. Um gegen die grässliche Maskerade zu protestieren, fing ich an, den formlosen Qamis zu tragen und mein Maar unter dem nächstbesten Schultertuch, das ich auf der Wäscheleine fand, zu verstecken. Ich verabscheute mich. Das Lyzeum war fern, und die Erinnerung an meine Kameradinnen, darunter die schöne Hazima, verblasste. Die vom Radio kolportierten Nachrichten von der Außenwelt drangen wie ein Murmeln an mein Ohr. Das benachbarte Algerien war unabhängig geworden, die Nationale Befreiungsfront triumphierte. Bornia, die Einfältige, tanzte wie ein weiblicher Satyr auf der Straße. Ihre großen Füße in den schweren Galoschen stampften im Takt ihres Triumphes auf dem kreidigen Boden des Marktes. Wenn ich ausging, dann lediglich, um mich zu Arem, der Schneiderin, zu begeben. Dabei gab ich jedes Mal Acht, einen großen Bogen um das Haus der Hajjalat zu machen. Am Haus der unzüchtigen Farhat-Töchter vorbeizulaufen, konnte eine Frau teuer zu stehen kommen. Doch ich hatte schon einen Blick auf etwas Intimeres als ihr Haus gewagt, und die herbe Erinnerung ließ mich im Stillen über das sittenstrenge Imchouk grinsen. Meine bevorstehende Hochzeit brachte mir verschiedene Privilegien ein. Eine junge Bäuerin ersetzte mich bei der Hausarbeit, denn es kam nicht mehr in Frage, dass ich meine Hände beim Putzen von Kacheln, Kneten von Brotteig oder Spinnen von Wolle schindete. Ich lebte wie ein weiblicher 40
Ali: ohne lästige Pflichten verrichten, ohne Befehle ausführen zu müssen. Ich hatte ein Anrecht auf üppige Mahlzeiten, und mir stand ganz selbstverständlich das beste Stück Fleisch zu. Ich sollte eine respektable Körperfülle erreichen, bevor ich zum Brautlager geführt wurde. Ich wurde mit schweren Saucen, mit von ranziger Butter durchtränktem Couscous, mit honigtriefenden Keksen voll gestopft. Und nicht zu vergessen mit Teigwaren, gefüllt mit Datteln und Mandeln, und mit Tajin, einem Ragout aus Fleisch und den so seltenen Pinienkernen. Ich nahm täglich ein Pfund Fett zu mir, und meine Mutter freute sich über meine rosigen runden Wangen. Dann wurde ich in ein dunkles Zimmer verbannt. Unter den beifälligen Blicken der Frauen meines Klans wurde meine Haut aufgrund des Verbots, mich der Sonne auszusetzen, immer weißer. Eine helle Haut ist das Privileg der Reichen, so wie blondes Haar das der Europäer und der Türken Zentralasiens ist, die die Nachkommen der Deys und Beys und vor allem der Janitscharen sind, jener Söldner, von denen Driss später mit so tiefer Verachtung sprechen sollte. Schließlich wurden mir aus Angst vor dem bösen Blick sämtliche Besuche untersagt. Ich war Königin und Sklavin zugleich. Zentrum aller Aufmerksamkeit und die Letzte, die erfuhr, was rings um mich passierte. Die weiblichen Angehörigen des Klans bereiteten mich auf die Opferung vor, indem sie mir zuraunten, es obliege den Frauen, das Herz der Männer zu erobern. »Und auch ihren Körper!«, flüsterte Neggafa, zu der man in Imchouk zum Enthaaren ging. 41
Meine Schwester entgegnete schelmisch: »Und ein Mann, dem es nicht gelingt, seine Frau zu verführen? Was ist der am Ende wert?« Schließlich kam der Tag der Hochzeit. Am frühen Morgen stieß Neggafa unsere Tür auf. Sie fragte meine Mutter, ob sie zusammen mit ihr die »Sache« überprüfen wolle. »Nein, mach du es allein. Ich vertraue dir«, entgegnete Mama. Ich glaube, meine Mutter wollte sich die Peinlichkeit ersparen, die eine solche »Überprüfung« selbst für die abgebrühteste Kupplerin bedeutete. Ich wusste, welchem Test man mich unterziehen würde, und bereitete mich, das Herz voller Kummer und die Zähne vor Zorn zusammengebissen, darauf vor. Neggafa forderte mich auf, mich hinzulegen und mein Höschen auszuziehen. Sie drückte meine Beine auseinander und beugte sich über mein Geschlecht. Plötzlich spürte ich, wie ihre Hand meine Schamlippen öffnete und ein Finger hineinstieß. Ich habe nicht geschrien. Die Prüfung war kurz und schmerzhaft, der brennende Schmerz wie ein Schuss mitten in die Stirn. Ich habe mich lediglich gefragt, ob sie sich, bevor sie mich völlig ungestraft vergewaltigte, die Hände gewaschen hatte. »Meinen Glückwunsch!«, rief Neggafa meiner Mutter zu, die herbeigeeilt kam. »Deine Tochter ist intakt. Kein Mann hat sie je berührt.«Ich empfand tiefen Hass gegen meine Mutter und Neggafa, diese mörderischen Komplizinnen. 42
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un, ja!«, seufzte Tante Selma. »Wenn man bedenkt, dass wir immer noch in Höhlen vegetieren, während die Russen Raketen ins Weltall schießen und die Amerikaner vorgeben, auf den Mond zu fliegen! Aber du kannst dich noch glücklich schätzen. In den ländlichen Gegenden Ägyptens sind es die Dayas, die die Jungfrauen für den Bräutigam deflorieren – mit einem um die Finger gewickelten Taschentuch. Man sagt sogar, dass man dort den jungen Frauen alles wegschneidet. Sie laufen mit einem wahren Schlachtfeld zwischen den Beinen herum. Und das alles aus hygienischen Gründen, wie diese Heiden behaupten. Seit wann stören sich Schakale am Dreck? Pah!« Tante Selma war außer sich. Ich für mein Teil versuchte mir vorzustellen, wie ein weibliches Geschlecht aussehen mochte, dessen Relief man weggeschnitten hatte. Ein Schauder des Entsetzens überzog meinen Rücken bis hinunter zum Gesäß. »Eines sage ich dir«, fuhr meine Tante fort, »wir müssen unsere Stammesbrüder kaltstellen, genauso 43
wie es die Tunesier gemacht haben. Sieh dir diesen Bourguiba an! Er hat nicht lange gefackelt. Nichts wie raus, ihr Frauen, und emanzipiert euch! Schwört, dass ihr mir an die frische Luft kommt. Dass ihr mir die Schulbank drückt, zu zweit, zu viert, zu hundert! Das nenne ich einen wahren Mann. Außerdem hat er meeresblaue Augen, und ich liebe das Meer.« Nach einer Weile fragte sie: »Und weiter? Erzähl mir schnell, wie es weiterging, denn ich muss mich ums Essen kümmern. Sonst fällst du mir noch in Ohnmacht, bevor die Uhr Mittag schlägt.«
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ein, ich habe Hmed nicht geliebt, doch ich dachte, er würde mir wenigstens in einem nützlich sein: eine Frau aus mir zu machen. Mich befreien und mich mit Gold und Küssen überhäufen. Doch er hat mich nur meines Lachens beraubt. Er kam jeden Abend um sechs Uhr nach Hause, stocksteif, das Standesregister unter dem Arm. Er küsste seiner Mutter die Hand, begrüßte seine Schwestern kaum, winkte mir kurz zu und ließ sich zum Abendessen im Innenhof nieder. Ihn bedienen, dann wieder abräumen. Ihm ins Ehebett folgen. Die Beine breit machen. Mich nicht bewegen. Nicht seufzen. Die Übelkeit bekämpfen. Nichts fühlen. Sterben. Auf den Kelim starren, der an der Wand hing. Sa’ied Ali zulächeln, der den Menschenfresser mit seinem gegabelten Schwert enthauptet. Mich zwischen den Beinen trockenreiben. Schlafen. Die Männer hassen. Ihr Ding. Ihr übel riechendes Sperma. Es war meine Schwester Naïma, die es als Erste ahnte: Es lief nicht gut zwischen Hmed und mir. Leicht errötend versuchte sie mir zu erklären, was zu tun sei, um an der 45
Tafel der männlichen Lust ein paar Krumen aufzulesen. Frustriert und außerstande, es in Worte zufassen, herrschte ich sie an. Und ich machte weiterhin jeden Abend, außer wenn ich meine Regel hatte, die Beine breit für einen Bock von vierzig Jahren, der Kinder wollte und keine haben konnte. Nach unseren elenden Liebesspielen durfte ich mich nicht waschen, denn meine Schwiegermutter hatte mir gleich nach unserer Hochzeit befohlen, »den kostbaren Samen« in mir zu bewahren, um schwanger zu werden. So kostbar dieser Samen von Hmed auch war, er trug keine Früchte. Ich war seine dritte Frau, und wie bei den beiden ersten lag mein Bauch brach, schlimmer als das trostloseste Ödland. Ich träumte davon, dass mir stachelige Ranken in der Vagina wuchsen, damit Hmed sich sein Ding darin aufschlitzte und sich nicht mehr hineinwagte.
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it einer Sorgenfalte auf der Stirn hörte mir Tante Selma zu. Meine Worte waren deutlich und erkühnten sich, von einem Elend zu sprechen, dem das Siegel der Verschwiegenheit aufgedrückt worden war. Ihr offen von meinem Körper und seinen Frustrationen zu erzählen, hätte ich mir noch vor kurzem nicht vorstellen können. Nachdem ich lange ihre kleine Nichte gewesen war, sprach ich zum ersten Mal in meinem Leben zu ihr wie zu einer Ebenbürtigen. Sie spürte es, stellte den Altersunterschied zwischen uns beiden fest und gab die Wunde zu, die ihr nach der Verletzung durch ein treuloses und unbekümmertes Mannsbild von der Zeit zugefügt worden war. Zärtlich und verschwörerisch bewunderte ich die noch festen Brüste einer Vierzigjährigen, ihre samtene Haut, und musste an die Bäuerinnen von Imchouk denken, die von weit herbeigeeilt waren, um sie zu begaffen. Wie hat Onkel Slimane eine solche Pracht mit Füßen treten und, vor allem, wie hat er sich über ihren Verlust hinwegtrösten können? 47
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ährend dieser drei Jahre mit Hmed war mein Bauch der Mittelpunkt aller Gespräche, und aller Streitigkeiten. Man überwachte mein Äußeres, mein Essen, meinen Gang und meine Brüste. Ich ertappte meine Schwiegermutter sogar dabei, wie sie die Laken prüfte. Es war sicherlich nicht mein Wasser, das sie hätte beflecken können – meine Quellen waren versiegt, noch bevor sie sprudeln konnten. Ein Kind! Ein Junge! Allein diese Worte hätten mich zur Kindsmörderin machen können. Nach drei Monaten zwang man mich, bittere Aufgusstees und kleine Mengen Urin zu trinken, über das Grab der Heiligen zu steigen, Amulette zu tragen, die von Fqihs mit vor Krankheit geröteten Augen bekritzelt wurden, und meinen Bauch mit derart Ekel erregendem Absud einzureiben, dass ich mich unter dem Feigenbaum im Garten übergeben musste. Ich beann, meinen Körper zu hassen, hörte auf, ihn zu waschen, zu enthaaren und zu parfümieren. Als kleines Mädchen wurde ich nicht müde, liebevoll über deine Kristallflakons zu streichen, Tante Selma, und ich versprach mir, mich vom Kopf bis zum Geschlecht mit Rosen- und Moschuswasser 48
zu besprühen, wenn ich erst einmal so groß wie eine Pappel wäre. Und ich musste mich schinden. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Und kochen. Bis ich den Geruch und Geschmack des Essens nicht mehr ertrug. Um dann tief deprimiert zu verkümmern und zu verfaulen, während die anderen frisch verheirateten Frauen sich auf Festen amüsierten, den Frühling auf den Wiesen begrüßten, bis zu den ersten Sanddünen liefen und auf dem Rückweg lachend in den Obstgärten spielten. Meine Mutter, die ich bisweilen besuchte, irrte sich, was den Grund meines Elends betraf. Sie glaubte, ich sei verzweifelt, weil ich noch nicht schwanger war, und klagte über die »Trägheit meines Bauches«. Naïma begnügte sich damit, mich schweigend fest an sich zu drücken. Sie verströmte den pfeffrigen und unverschämten Duft des Glücks. Doch eines Tages verlor meine Schwester die Fassung und schrie mit funkelnden Augen: »Es ist seine Schuld. Du bist nicht seine erste Frau und wirst auch nicht die letzte sein. Er kann hundert Jungfrauen deflorieren, er wird nicht einmal einen Lauch zum Sohn haben. Also hör auf, dir das Herz und den Leib zu zermartern.« Ich explodierte. »Ich will kein Kind, und ich weigere mich, schwanger zu werden.« »Dann machst du es also absichtlich?« »Nein, ich lasse es über mich ergehen, das ist alles.« 49
»Du verheimlichst doch etwas. Ist dein Mann ... normal?« »Was soll das sein, normal? Er besteigt mich. Er pisst. Er rollt von mir runter. Natürlich ist er normal!« Endlich begriff Naïma meine Lage und versetzte kläglich: »Dann sieh zu, dass du auf deine Kosten kommst. Auch die Lust muss erlernt werden.« Nach diesen Worten herrschte ein kurzes betretenes Schweigen. Zum ersten Mal sprach Naïma ohne Umschweife über die Liebe. Doch sie schien vergessen zu haben, was ich in der Hochzeitsnacht durchgemacht hatte, die Schrecken des ersten Mals. Ich bin nie auf meine Kosten gekommen. Hmed, der die Hoffnung aufgab, meinen Leib sich runden zu sehen, fasste mich nicht mehr an. Seine Schwestern, die bald ahnten, wie die Dinge standen, setzten mir mit ihrem Sarkasmus und ihren Beleidigungen zu: »Na, du Unfruchtbare, will Hmed dich nicht mehr bespringen?«, »Deine Vagina scheint löchrig zu sein; sie kann keinen Samen halten!« Oder: »Wenn dein Hintern so verdrießlich ist wie dein Gesicht, ist es kein Wunder, dass dein Mann die Flucht ergreift.« Mehr als einmal suchte ich bei meiner Mutter Zuflucht, doch sie setzte mich nach einer Woche unerbittlich vor die Tür: »Dein Platz ist nicht mehr bei mir. Du hast ein Haus und einen Mann. Nimm dein Schicksal an, wie wir alle.« Was hatte dieses »wir alle« zu bedeuten? Dass auch sie von meinem Vater gegen ihren Willen genommen und ver50
gewaltigt worden war? Ich will nicht zum Klan der » Verfemten« gehören, deren Herz und Körper verstümmelt sind wie die deiner Ägypterinnen, Tante Selma! Das habe ich Naïma gesagt, und sie hat nicht protestiert. Sie hat mir sogar zur Flucht verholfen.
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ante Selma zündete sich an diesem Morgen bereits ihre fünfte Kool an und fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen, den Zeigefinger autoritär erhoben: »Nun bist du ihn also los, diesen schwachsinnigen Idioten, der im Bett furzt, statt dich zu befriedigen. Möge Gott den Blinden verzeihen, die dich in die Hände eines solchen Versagers gegeben haben. Oh, natürlich hätte ich noch einiges anzumerken zu dem, was du mir erzählt hast. Aber das eilt nicht. Darüber reden wir später. Jetzt musst du dich erst einmal ausruhen. Zu Kräften kommen. Vergessen.« Doch gleich darauffuhr sie fort: »Aber sag mal, wer war denn dieser Filou, der dich gestern hergebracht hat, woher kanntest du den?« Ich erzählte ihr von unserer Begegnung, die sie sicher als mein erstes »Abenteuer« in Tanger wertete. Sie drückte ihre Zigarette am Fuß des Kohlenbeckens aus. »Ich wette mit dir, dass er heute Nachmittag um das 52
Haus herumstreunen wird! Ein Kater lässt sich keinen Leckerbissen entgehen!« Ich bat sie, mich waschen zu dürfen. Sie stellte einen großen Topf mit Wasser auf einen Petroleumkocher, dessen übel riechende gelbe Flamme zischte und spuckte, ehe sie eine bläuliche und schließlich glutrote Färbung annahm. Dann trug sie eine Wanne in die Küche. »Heute kannst du dich hier waschen, aber bald nehme ich dich mit in den Hammam. Du wirst sehen, das ist etwas ganz anderes als die maurischen Dampfbäder bei euch da unten.« In diesem »bei euch da unten« schwang eine Enttäuschung mit, die auch die vergangenen Jahre nicht hatten auslöschen können. Nach der Ehe mit Onkel Slimane war Tante Selmas Herz offenbar noch immer verletzt. Dann zeigte sie mir die in einem Winkel versteckte Toilette. »Du wirst zwar zwei Tage lang Verstopfung haben, das bringt der Ortswechsel mit sich, aber immerhin weißt du, wo du dich gegebenenfalls erleichtern kannst. Kümmere dich nicht weiter um die große Falle in der Ecke. Die Ratten treiben mich in den Wahnsinn. Nachts kommen sie aus dem Abfluss, doch – Gott möge sie am Schwanz aufhängen – sind sie ganz verrückt nach Käse. So kann man sie dank ihres Lasters schnappen!« 53
In dem warmen Wasser fühlte ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit leicht und entspannt. Ich schloss meine Augen, meine Hände wagten sich vor und glitten über meine Schultern und Hüften. Das Wasser umspielte meinen Venushügel, und meine Brustwarzen wurden durch den leichten Luftzug hart.
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as meinen Führer anbetraf, so hatte Tante Selma Recht. Er tauchte nicht nur ein Mal, sondern fünfzig Mal auf. Er lief in dem Gässchen auf und ab, zuerst keck, dann immer kleinlauter. Er zeigte sich beharrlich, bis meine Tante ihm schließlich gereizt erlaubte hereinzukommen. Linkisch, die Mütze schief auf dem Kopf, stand er in dem Innenhof aus Marmor, dessen bläuliche Äderung ich in den Stunden meiner Träumereien nicht müde wurde zu bewundern. »Was willst du von uns?«, fragte sie. »Du warst so freundlich, meine Nichte hierher zu begleiten, und wir haben uns angemessen dafür bedankt. Aber das ist noch lange kein Grund, sich hier vor den Augen des ganzen Viertels die Beine in den Bauch zu stehen. Oder glaubst du etwa, das hier ist ein Bordell?« Er lief dunkelrot an, und ich stellte zu meinem Erstaunen fest, dass meine Tante – städtische Manieren hin oder her – recht grob mit Männern umgehen konnte. »Nein, ganz im Ernst! Du kommst und gehst und 55
lungerst hier herum! Du plusterst dich auf, und zu welchem Zweck? Dies ist ein ehrbares Haus, und du Hafenarbeiter musst eines begreifen: Wir brauchen hier keine Männer. Und vor allem keine Filous wie dich!« Er trat verlegen von einem Fuß auf den anderen und stieß dann unbeholfen hervor: »Ich bin hier, weil ich um die Hand der bint el hassab wen nassab anhalten will ...« Wütend fiel sie ihm ins Wort: »Bint el hassab wen nassab ist nicht zu verheiraten! Los, verschwinde!« »Aber ich will sie nach den Geboten Gottes und Seines Propheten ehelichen!« »Und ich will nicht! Ihre Eltern haben sie hierher geschickt, damit sie sich ausruht, und du schadest ihrem Ruf, dabei weiß sie noch nicht mal, wo Tanger anfängt und aufhört!« Er zögerte. »Das will ich aus ihrem eigenen Mund hören!« »Was willst du hören?« »Ich will von ihr selbst hören, dass sie mich nicht will. Und schreien Sie mich nicht so an, sonst bekommen Sie den Mörserstößel dort drüben zu spüren.« Meiner Tante verschlug es die Sprache. Von unbändigem Lachen geschüttelt flüchtete ich in die Küche. Der arme Teufel ließ sich von dem hochnäsigen Gehabe meiner Tante nicht beeindrucken, und das gefiel mir. Als ich zurückkam, waren 56
die beiden in ein ernstes, wenn auch einsilbiges Gespräch vertieft. Ich kam mir überflüssig vor und zog mich in das gegenüberliegende Zimmer zurück, das seit vierzehn Tagen das meine war. Um mich abzulenken, zählte ich die Kacheln. Das Abendessen war kurz und verlief schweigsam. Ich war verblüfft, dass man aus Fisch, ein paar Oliven und etwas eingelegter Zitrone ein so königliches Ragout zaubern konnte. »Das ist eine Marguet oumelleh-Sauce. Das Rezept habe ich von einer tunesischen Nachbarin bekommen«, erklärte Tante Selma. »Merk dir den Namen und vor allem, dass man Zackenbarsch dafür nehmen muss.« Unvermittelt fugte sie hinzu: »Weißt du, dein Junge ist wirklich rührend ...« Ich schwieg, genoss die mit Kapern gewürzte Fischsauce und bewahrte das zarte weiße Fleisch als Leckerbissen für den Schluss auf. »Er ist verliebt und aufrichtig. Er könnte dich glücklich machen. Aber was dich angeht, habe ich den Eindruck, dass dir dein Schoß keine Ruhe lassen wird. Du brauchst gar nicht zu protestieren! Du weißt ja nicht einmal, dass du einen hast, dieses Ding, das die Erde aus den Angeln heben und einen blühenden Mandelbaum zum Weinen bringen könnte. Sag, möchtest du wieder heiraten?« »Nein.« »Nein, weil du die Männer eigentlich noch nicht 57
kennen gelernt hast. Dein Hmed hat dich bestiegen wie ein alter Bock, der er ja auch ist, doch bei seinen Erkundungen ist er nicht sehr weit gegangen. Du hast noch vieles zu entdecken ...« »Nach dem, was ich erlebt habe, widern mich die Männer an.« »Nun halt mal bitte für zwei Sekunden den Mund und hör mir alten Frau zu, denn ›Alter geht vor Schönheit‹, wie man zu sagen pflegt. Wer redet denn von Männern? Den Mann als solchen kennst du gar nicht. Punkt. Ich bin sicher, dass dich dein Hafenarbeiter Sadeq auf den Geschmack bringen könnte. Doch er hat keinen Sou und nur seine Rute und sein Herz, um Gott im Himmel zu bitten, ihm Reichtum zu schenken.« Sie zündete ein Räucherstäbchen und eine Zigarette an. Den Rauch ausatmend sagte sie: »Wenn du einen Mann, einen richtigen Mann willst und Kinder, schön wie die Kuppeln von Sidi Abdelkader, wenn du die ganze Nacht lachen und deine Haut mit Jasminessenz einreiben willst, ohne dich zu fragen, wie das Leben morgen sein wird oder ob du eines Tages in Gold und Diamanten schwimmen wirst, dann nimm deinen Hafenarbeiter. Auf der Stelle. Solange du unschuldig und ohne Verlangen bist. Weißt du, er liebt dich, wie nur unberührte Jünglinge lieben können.« Sie lief eine Weile in ihrem Schlafzimmer auf und 58
ab, besser gesagt in ihrem Alkoven, der sich über die ganze Länge des Raums zog, ehe sie fortfuhr: »Aber wenn du etwas anderes willst ... Etwas Besseres oder Schlechteres ... Wenn du Lust auf Vulkanausbrüche und gleißende Sonnen hast, wenn die Welt da draußen in deinen Augen keinen Pfifferling wert ist, wenn du glaubst, sie mit einem Schritt durchmessen zu können, wenn du, ohne zu stöhnen Glut schlucken, ohne zu ertrinken über Fluten schreiten kannst, wenn du tausend Leben statt einem haben und über mehrere Welten herrschen willst, statt dich mit einer zufrieden zu geben, dann ist Sadeq nicht der Richtige für dich!« »Warum sagst du mir das alles? Ich will gar nichts, und das weißt du auch. Will nur vergessen und schlafen.« »Du wirst schlafen, dir aber tausend Fragen stellen. In deinem Alter dauert der Schmerz nicht länger als eine Träne, die Freuden hingegen sind ewig, so wie deine Seele. Ich will nur, dass du nachdenkst und mir morgen sagst, ob du diesen Hafenarbeiter zum Mann willst oder nicht.« Ich schlief tief und fest und träumte von niemandem, da mir nichts fehlte. Ich sagte nichts, war mehr um das Schicksal der Geranien besorgt als um das meine und wachte darüber, dass Adam, der wilde getigerte Kater, um zwei Uhr nachts seine Fleischbällchen vorfand, um sich nach seinen Kämpfen auf den Dächern des Viertels zu stärken. 59
Tante Selma erlaubte Sadeq zu kommen, wann er wollte, und sich im Innenhof auf die Bank aus Olivenholz zu setzen, um zu reden und zu weinen. Zu weinen und zu reden. Er sagte mir, Tanger sei grausam und er habe mich zu jener Dame geführt, von der es hieß, sie sei freizügig, verrückt und so schön, dass sie einen Dämon zum Islam bekehren könnte. Und dass er mich genau deswegen wollte, weil ich nie mit ihm spräche und weil ihn meine Augen um den Schlaf brächten. Ihn daran hinderten, zu arbeiten und sich mit seinen Kameraden ordentlich mit Anislikör zu betrinken. Dass er nachts, wenn sich die Nebel hoben und die Schiffe ihren Schmerz hinaustuteten, auf den Kais im Hafen von Tanger umherirre und – die Mütze auf dem Kopf, den Bauch voller Dampf, die Seele zerrissen – aus vollem Halse schreie und fluche. »Wenn du mich abweist«, sagte er, »werde ich am Kai rosten, ohne dass ich bei meiner Rückkehr mit Youyous empfangen werde, ohne dass ich je ein Kind zeugen werde. Ich flehe dich an, Badra, lass meine Mutter nicht ohne Sohn zurück.« Er war der einzige Sohn, und seine Mutter verlor den Verstand an dem Tag, als er sich vor den Güterzug warf, nachdem ich ihm, seiner ewigen Klagen überdrüssig, nach einem Jahr gesagt hatte: »Geh, ich liebe dich nicht.«
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Hochzeitshammam
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ie hatten mich von Kopf bis Fuß in einen Schleier gehüllt. Umgeben von einem Schwarm affektierter, schnatternder Jungfrauen lief ich durch die Gassen von Imchouk. Cousinen und Nachbarinnen folgten dem Zug, schlugen die Tabla und stießen ihre Youyous aus. Das war mein Hochzeitshammam. Bei unserer Ankunft hingen schon schwere Rauschschwaden unter der Kuppel der Eingangshalle. In den Kohlenbecken glühten Alaunschin und javanischer Weihrauch, und von allen Seiten ertönten, einem Feuerwerk gleich, Bismil-lah-Rufe. Mein neues Unterkleid kniff ein wenig unter den Armen, und ich bekam mit der Zeit kaum noch Luft. Die Jungfrauen stellten dicke weiße Kerzen in den Fensternischen auf. Das flackernde Licht ließ alles irreal erscheinen. In ein Tuch gewickelt, das kaum ihre Speckfalten verbarg, folgte mir Neggafa auf Schritt und Tritt, wobei sie geräuschvoll und fast obszön ihr Arabicum-Gummi kaute. Umgeben von Frauen, die halbnackt herumliefen, schwitzte ich wie eine Besessene. Dann befahl mir Neggafa, mich hinzulegen, und schon bald begann meine Haut unter ihrem Rosshaarhandschuh 61
zu brennen. Sie besprenkelte mich mit lauwarmem Wasser, rieb mich mit Ghassoul-Seife ein und machte sich daran, mich zu massieren. Ihre Hände glitten über meinen Nacken, meine Schultern, bemächtigten sich meines gesamten Körpers. Dann hoben sie meine Brüste an und kneteten sie leicht. Das war mehr als angenehm. Es war schwindelerregend. Das Ghassoul rann braun und duftend über meinen Busen, lief meinem Bauchnabel entgegen und zischte dabei leicht, immer dann, wenn die Schaumblasen platzten. Meine Brustwarzen wurden hart, doch Neggafa schien nichts zu bemerken. Dann befahl sie mir, mich auf den Bauch zu legen, und nahm sich meinen Hintern vor. Durch den Druck ihrer Hände, die meine Verwirrung gleichgültig ließ, wurde mein Venushügel gegen den Marmor gepresst. Ich spürte, wie sich eine verzehrende Glut von meinem Unterleib bis zwischen meine Schenkel ausbreitete, und geriet in Panik. Neggafa aber war mit ihren Gedanken woanders. Ich war ihr Huhn, das sie rupfte, ihr Topf mit Couscous. Sie wienerte und polierte mich, um ihre Sache gut zu machen. Ein Eimer kaltes Wasser riss mich brutal aus meinen lustvollen Träumereien, die ich nicht hätte eingestehen können. Nach den drei rituellen Bädern im Hammam schlug die Stunde der Enthaarung. Da dachte ich, ich müsste sterben. Meine Haut wurde vom Hals bis zu den Knöcheln geschunden, doch das Ritual der Hennabemalung ließ mich mein Unglück schnell vergessen. Die Jungfrauen, die sich eine Kugel Henna, die der Braut gehörte, in die Handflächen 62
drückten, in der Hoffnung, ebenfalls möglichst bald zu heiraten, erinnerten mich an Lämmer, die mit naivem Blöken und gut genährt zum Schlachthof drängen. Aber auch ich war wie ein Lamm, das Neggafa gefügig Hände und Füße entgegenstreckte, während es darauf wartete, abgestochen zu werden. Meine mit Baumwolle umwickelten und in Satinhandschuhen steckenden Hände kamen mir wie abgeschnitten vor. Der Brauch war so lächerlich. Nachts träumte ich von Neggafas Händen und betete, dass die von Hmed mindestens ebenso sanft wären. Und etwas kühner.
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ch habe Tanger – diese halb arabische, halb europäische Stadt, durchtrieben und berechnend, singend und konformistisch – lieben gelernt. Ich war begeistert von den Stoffen in den Schaufenstern der Basare und wurde nicht müde, Carmen, der spanischstämmigen Schneiderin meiner Tante, zuzusehen, wie sie, den Mund voller Stecknadeln und die Beine voller Krampfadern, die Kleider eifrig zuschnitt, nähte und anpasste. Carmen war eher wortkarg. Manchmal aber zur Kaffeezeit erzählte sie von ihrem Sohn Ramiro, der in Barcelona sein Glück versuchte, und von ihrer Tochter Olga, die einen Muslim heiraten wollte. Ihr mit dem katalanischen Dialekt durchsetztes Arabisch weckte meine Neugier. Ich begriff, dass sie befürchtete, Marokko verlassen und in Katalonien sterben zu müssen. Dieses Schicksal blieb ihr erspart, und sie lebte bis ins hohe Alter, teils an einem Boulevard in der Neustadt, teils im dicht bevölkerten kleinen Souk, wo ihre Tochter wohnte. Später bezahlte ihr muslimischer Schwiegersohn ihre Beerdigung auf dem christlichen Teil des Friedhofs. 64
Wenn meine Tante und ich ausgingen, warfen wir einen Haik, einen Baumwollschleier, über, und sie trug aus purer Koketterie nach algerischer Manier einen Khama dazu, der den unteren Teil des Gesichts verdeckt: »Sollen sich unsere törichten Geschlechtsgenossinnen ruhig enthüllen!«, meinte sie. »Sie wissen nicht, dass sie die Lust ihrer Männer abtöten, wenn sie ihnen all ihre Geheimnisse offenbaren.« Auf der Straße drehten sich die Männer oft nach uns um und dankten Gott, der die Frauen so schön, das Rot der Nelken so glühend und das Pistou in Geruch und Geschmack so würzig gemacht hatte. Jedes dieser Komplimente hinterließ in meinem Mund und meinem Schoß einen bitteren Nachgeschmack. Es war die Zeit der Miniröcke, und die Studentinnen trugen ihr Haar lang. Aus dem alten Transistorradio ertönten die Lieder von Ouarda und Doukkali. Ich war ganz verrückt nach den abendlichen Sendungen von Bzou, die das ganze Land bis hin zum entlegensten Dorf zum Lachen brachten. Sicherlich auch Imchouk. Eines Tages erzählte mir Tante Selma von Hmeds Wiederverheiratung. Er hatte mich also verstoßen. »Freu dich nicht zu früh«, warnte sie mich. »Dein Bruder Ali kocht noch immer vor Zorn. Er hat geschworen, die Ehre der Familie reinzuwaschen, indem er dein Blut auf dem Pflaster von Tanger vergießt.« 65
»Weil er jetzt weiß, was Ehre ist? Und was ist mit dem unschuldigen Mädchen, das er vor den Augen von Sidi Brahim entjungfert hat?« »Die Ehre der Frau ist keinen Pfifferling wert, das weißt du doch. Und du solltest seine Drohung lieber ernst nehmen.« Ich habe versucht, mir Angst zu machen, doch es gelang mir nicht. Schuld daran war Tanger. Die Stadt hatte mir ein köstliches Gift eingeimpft, und ich trank gierig ihre Luft, ihr leuchtendes Weiß, genoss den Anblick ihrer Minarette und ihrer Vordächer. In den Innenhöfen schnatterten die Frauen und die Stare. Ihr Geplauder schläferte das Misstrauen der Männer ein. In dieser Stadt hatte jede Geste ihre Eleganz, jedes Detail seine Bedeutung, und die in zuckersüße Höflichkeit gehüllten Worte konnten schneidend sein wie eine Scherbe. Selbst der Skandal kam auf leisen Sohlen daher, schnell schal, schnell erstickt, die Spuren kaum hörbar, fast nie sichtbar. Tanger stieg mir zu Kopf wie Champagner, und ich liebte sein belebendes Perlen. Tante Selma überwachte meine Verwandlung aus den Augenwinkeln – belustigt und doch fest entschlossen, mir jedes Leid, jeden Sturz zu ersparen. Später verstand ich, dass sie mir Sadeq als Futter vorgeworfen hatte, um meinen Geist zu beschäftigen und auf diese Weise einige Monate Aufschub zu gewinnen, ehe der Vulkan zum Leben erwachte. Denn 66
sie wusste, dass ich früher oder später Feuer speien würde, und war darauf vorbereitet. So wie sie auch wusste, dass es in Imchouk einen schlummernden Vulkan gab, wie Onkel Slimane ihr versichert hatte. Ich war nicht wirklich überrascht, als sie eines Tages Latifa aufnahm, ein Waisenmädchen aus der Nachbarschaft, das im dritten Monat schwanger war. Weibliche Solidarität war entstanden, um das Mädchen den inquisitorischen Blicken der überall herumspitzelnden und tratschenden Xanthippen zu entziehen und ihr Zuflucht zu gewähren, bis sie entbunden hatte. Ich werde nie die kleine Brünette vergessen, die unauffällig unser Frauenleben teilte, zu Hause ungezwungen, in der Öffentlichkeit aber zurückhaltend war, und die oft ohne Vorwarnung von Lachen in Weinen verfiel. Sie half im Haushalt, verbrachte Nachmittage damit, Kilometer von Seide und Leinen zu besticken, und nahm dankbar das Geld an, das Tante Selma, die ihr eine mütterliche Freundin war, mit dem Verkauf erzielt hatte. An einem Dezemberabend entband sie mit Hilfe der Hebamme des Viertels, die man bereits bei den ersten Wehen am Nachmittag verständigt hatte. Das Baby wurde mit einem gedämpften Youyou empfangen, das den kalten Marmor des Innenhofes und den schlafenden Zitronenbaum erfreut haben muss. Gewaschen und mit duftenden Essenzen eingerieben schlief es drei Nächte an der Brust seiner Mutter, bis es von kinderlosen 67
Verwandten aus dem Rif-Gebirge adoptiert wurde und später zu einem der bedeutendsten Bankiers der Stadt aufstieg. In Tanger hatte niemand etwas von der Schwangerschaft bemerkt, und Latifa konnte sich später mit einem einfachen Kellner verheiraten. Tante Selma, die dafür gesorgt hatte, dass sie in der Hochzeitsnacht stark blutete, wurde nicht müde, Gott dafür zu danken, dass er die Männer mit Blindheit geschlagen hat, damit die Frauen ihre Grausamkeiten überleben können.
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Mein Bruder Ali
ouad hatte nicht so viel Glück wie Latifa. Und mein Bruder Ali ist ein wahrer Esel in Hosen. Verwöhnt und verzogen wie er war, hat er nie etwas gelernt und seine Zeit damit verbracht, vor den Fenstern der Würdenträger herumzustolzieren, in der Hoffnung, den Blick einer wohlhabenden Schönheit auf sich zu ziehen, die sich durch seine Schmalzlocke und seine wie aus Granit gehauenen Brustmuskeln beeindrucken lassen würde. Souad, die Tochter des Schulleiters, ist ihm blindlings auf den Leim gegangen und hat sich ihm beim jährlichen Sidi-Brahim-Fest im Mausoleum des Heiligen hingegeben. Ich hatte gerade die Schule verlassen, und Hmed schickte sich an, um meine Hand anzuhalten. Eines Tages kam Ali zu meiner Mutter, die an ihrem Webstuhl saß, und vertraute sich ihr an. Sie sprang wie von einer Schlange gebissen auf. Verstört begann sie, sich die Wangen, von den Schläfen bis zum Kinn, zu zerkratzen. Dann hat sie lange still geweint. Ihre Tränen waren die Vorboten einer namenlosen Katastrophe. Einen Monat später trat die Tochter des Schulleiters über unsere Schwelle. Sie war so alt wie mein Bruder: sechzehn
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Jahre. Sie war schwanger. Man musste das blutbefleckte Messer des Skandals schlucken und die beiden so schnell wie möglich verheiraten. Die überstürzte Heirat verursachte einen namenlosen Eklat. Abends warf irgendjemand die Sachen des jungen Mädchens vor unsere Tür und verschwand in der Dunkelheit. Souad trat mit drei Laken, zwei Kopfkissenbezügen und einem halben Karton Geschirr als Mitgift vor unseren Klan. Das hat ihr meine Mutter ewig übel genommen. »Man hat sie mir aufgezwungen, und das verzeihe ich ihr nie«, wiederholte sie ständig gegenüber ihren Töchtern und den Nachbarn und vergaß dabei ganz, dass dieser »man« Ali hieß und ihr Sohn war und Souad noch ein Kind. Von der ersten Nacht an, die Souad unter unserem Dach verbrachte, begriff sie ihr Unglück. Sie verlor ihr Lächeln, dann die Sprache. Schweigend half sie meiner Mutter bei der Hausarbeit und beim Kochen für die Familie. An ihren weißen Händen und ihrem vorzeitig gekrümmten Rücken sah man, dass sie es eher gewohnt war, sich bedienen zu lassen als zu bedienen. Ali und sie begegneten einander, ohne sich anzusehen oder ein Wort zu wechseln. Sie stellte ein Gedeck und einen Wasserkrug für ihn auf den niedrigen Tisch, legte eine Serviette dazu und zog sich anschließend in den Hof oder in die Küche zurück. Wie eine Aussätzige bespuckt und von Hass umgeben, schlief sie in einem finsteren Loch. Ihr Leib rundete sich, ihr Blick wurde stumpf, ganz auf ihren Nabel konzentriert. Sie brachte einen Jungen, 70
Mahmoud, zur Welt, bekam dann Fieber und Blutungen und zog es vor, vierzig Tage später zu sterben. Ali hat es nie gewagt, Mahmoud in die Arme zu nehmen oder zu küssen. Trotz der überstürzten Hochzeit und der vorschriftsmäßig abgestempelten Heiratsurkunde blieb sein Sohn ein Bastard, der ohne den Segen des Klans gezeugt worden war. Nach der Trauerzeit zwang meine Mutter Ali, eine Cousine zu heiraten. »Nur eine Frau deines Blutes kann die Schande auslöschen und deine früheren Irrtümer vergessen machen«, erklärte sie mit fester Stimme, feierlich und sichtlich erleichtert, sich des Eindringlings entledigt zu haben. Nein, Ali machte sie keinen Vorwurf. Ali, der seine Mutter vergötterte und ihr jeden Wunsch, den nobelsten wie den niederträchtigsten, erfüllte, fügte sich. Dann wurde er meinem Vater immer ähnlicher, schweigsam und zurückhaltend, demütig und zufrieden. Er griff seinem Vater unter die Arme, arbeitete in der Familienwerkstatt und half mit, sie wieder in Schwung zu bringen, begann, Wollhosen und den grauen Qamis zu tragen. Sein Bart wuchs, und seine Muskeln verkümmerten. Er wurde zu Staub. Wie seiner Mutter ist es Mahmoud nie gelungen, vom väterlichen Klan anerkannt zu werden, und im Alter von zwölf fahren ist er ausgerissen. Es heißt, er würde auf der anderen Seite der Grenze, in Malaga, leben.
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bwohl es mir an nichts mangelte, spürte ich, dass das Geld knapp wurde, und ich begann mich zu fragen, wie Tante Selma ihr Auskommen fand. Sie war eine unvergleichlich gute Stickerin, doch gegen Ende der sechziger Jahre nahm die Kundschaft ab. Die jungen Mädchen wollten jetzt eine moderne Aussteuer, die entweder aus Europa importiert oder in modischen Geschäften gekauft wurde. Tante Selma beklagte sich nie darüber, für mich sorgen zu müssen, aber mir war es unangenehm, nichts zu den Ausgaben des Hauses beisteuern zu können. Sie hat es wohl gespürt, und so sagte sie eines Morgens, als wir das Gemüse für das Abendessen putzten: »Gott sorgt für die Vögel und die Würmer, die auf dem Felsen leben. Aber was ist mit den Menschen, die den lieben langen Tag nur gotteslästerliche Reden fuhren? Offenbar gibt es eine Krise. Ich bin der Meinung, dass wir es wie unsere algerischen Brüder machen müssen. Alles kollektivieren! Ja, das habe ich im Radio gehört. Houari Boumedienne hat Land und Vieh beschlagnahmt und gerecht verteilt. Wenn die Menschen 72
nicht teilen wollen, muss man sie an ihrer lästerlichen Zunge aufhängen, die nie oft genug Al Hamdu Lillah, gelobt sei Gott, sagt!« Bald entdeckte ich, dass sich meine Tante, die voller Widersprüche steckte, nicht damit begnügte, Gast bei den bürgerlichen Abendgesellschaften von Tanger zu sein. Sie bereitete auch das von der Hausherrin ausgewählte Menü zu und wachte über die Dienstboten, die Töpfe mit Hrira, die Platten mit Tajin und die richtige Mischung der kalten Getränke. Nach einer Weile begann sie, mich als Gehilfin mitzunehmen, und empfahl mir, Augen und Ohren aufzusperren, um zu lernen, wie man sich in der guten Gesellschaft benimmt. Denn sobald die Speisen zubereitet waren, zogen wir uns um und mischten uns unter die Gäste. Die Leute schätzten Tante Seimas bissigen Humor und ihre kühne Ausdrucksweise, mit der sie sich über die Hochnäsigkeit gewisser Damen lustig machte. Alle wussten, dass sie aus einer angesehenen Familie kam, die durch Erbstreitigkeiten und die Rivalität der Schwägerinnen ruiniert worden war. Selbst wenn sie gesellschaftlich leicht abgestiegen war, so war Tante Selma doch eine von ihnen. Nein, ich habe mich auf diesen Festen nie wohl gefühlt. Ich verkroch mich in eine Ecke und versuchte nicht aufzufallen. Ich stand steif da, die Nerven angespannt, zu schüchtern, um zu sprechen, zu stolz, um bei Fremden zu essen. Ich beobachtete Tante Selma, 73
die sich mit strahlendem Lächeln, den Ärmel ihres reich bestickten Kaftans elegant gerafft, zwischen den Gästen bewegte, dem einen ein Kompliment machte, der anderen etwas Vertrauliches zuflüsterte. Ihr Aufenthalt in Imchouk hatte weder ihren Zähnen noch ihren Manieren etwas anhaben können. Leider hatte sie von dort nur Bornias zorniges »Pah« mitgenommen und es nicht übers Herz gebracht, ihrem Ehemann das Geld aus der Tasche zu ziehen und somit für die Wechselfälle des Alters vorzusorgen.
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Onkel Slimane und Tante Selma
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er zweite große Familienskandal ging auf Onkel Slimanes Konto. Mit zwei Frauen verheiratet, war er das Objekt einer doppelten, glühenden Leidenschaft, die seine beiden Gemahlinnen einte, statt sie gegeneinander aufzubringen. Dabei war er weder schön noch mächtig, und sein Schmuckgeschäft erlaubte ihm lediglich ein sorgloses Leben, jedoch keines in Reichtum. Er war untersetzt, hatte einen kleinen Kopf mit einer übergroßen Nase und derart drahtiges Haar, dass Selma ihn oft im Spaß bat, ihr ein Büschel zum Scheuern ihrer Töpfe zu leihen. Doch Onkel Slimane verbarg ein so eindrucksvolles Organ in seinem Saroual, seiner weiten bestickten Hose, dass die Frauen untereinander mit verschmitztem Lächeln und leuchtenden Augen darüber tuschelten. Tante Selma brüstete sich gern damit, welch unvergleichlicher Liebhaber ihr Ehemann doch sei, und beschrieb Bornia, der Einfältigen, ausführlich ihre Liebesspiele, die diese dann den frustrierten Frauen von Imchouk gegen ein Pfund Fleisch oder ein Maß Mehl leicht entschärft weitererzählte. »Er streichelt ihren ganzen Körper. Er liebkost ihr Geschlecht und spielt lange mit ihrer Knospe, ehe er mit seinem Schaft 75
in sie eindringt. Selma und er geben sich jede Nacht vom Abend- bis zum Morgengebet dem Liebesspiel hin. Das ist ein Mann! Nicht wie eure lahmen Schnecken, die ihr mit Lamm-Couscous, Sauermilch und frischer Butter voll stopft. Pah!« Tante Selma hielt sich für die alleinige Besitzerin des Gliedes ihres Mannes, und da ihre Mit-Ehefrau Taos »diesen Dingen« nicht sehr zugetan war – das zumindest wurde behauptet –, stand alles zum Besten in ihrem Haushalt. Doch an dem Tag, an dem sie erfuhr, dass Onkel Slimane zu den Hajjalat ging, verwandelte sie sich in eine Furie. Nachdem der Krieg erklärt war, stellte sich Taos auf ihre Seite: »Nie wieder kommt er in unsere Betten!«, beschlossen die beiden erzürnten und überzeugten Verbündeten. Meine Mutter wusste nicht, was sie dazu sagen sollte, sie war hin- und hergerissen zwischen der Komik der Situation und der Furcht, dass sich dieser Streik im Dorf herumsprechen und zum Gespött der Landarbeiter werden könnte, wenn sie sich abends in den Hütten ihren Frauen zuwandten. Tante Selma war nicht nach Lachen zumute. Was das Dorf betraf, so ergriff es Partei für die legitimen Ehefrauen von Onkel Slimane und gegen Farha und ihre Töchter, die Huren von Imchouk. Nur die Erwachsenen wussten, dass der Blitz wegen einer vagabundierenden Rute eingeschlagen hatte. Die Frauen waren zu ihren Männern abweisend, und ein feindseliger Wind erhob sich, der den untröstlichen Beweisen 76
männlichen Stolzes den Weg in die enthaarten Schöße versperrte. Tante Selma und Taos hielten Wort, statt auf eine verschlossene Tür traf nun mein Onkel auf zwei und musste schließlich im Innenhof nächtigen. Sein Martyrium dauerte eine Woche. Er tobte und drohte den Streikenden mit einer doppelten Verstoßung, gab schließlich nach, winselte vor Reue und schwor beim Grab seines Vaters, es nie wieder zu tun. Doch die Kluft war aufgetan und Tante Selma verletzt. »Er hat nicht die Ehefrau betrogen, sondern die Geliebte, die Frau, die ihn angebetet und alles für ihn aufgegeben hat«, sagte sie zu Bornia, die wenige Tage nach dem Scheren zum Wollespinnen kam. Die Einfältige antwortete höhnisch und mit anstößiger Vertraulichkeit: »Sag lieber, dass dein Schoß um ihn trauert!« Beleidigt schleuderte Tante Selma ihr eine Suppenkelle an den Kopf, die ihr das Nasenbein zertrümmerte. Bornia zog wehklagend von dannen, nicht ohne sie mit einer obszönen Geste zu bedenken. Selma begann wieder von Tanger zu sprechen, von ihrem angenehmen Leben dort, von den Basaren, von den Kleidern, nannte Imchouk ein Rattenloch, versalzte die Ragouts und beraubte Onkel Slimane somit nicht nur ihrer Fähigkeiten als Geliebte, sondern auch der als Köchin. Eines Tages zog sie ihren Haik an, lief auf ihren Bleistiftabsätzen durch den Innenhof und schlug das Tor hinter sich zu, ohne Onkel Slimane, der zusammengekauert unter dem Granatapfelbaum weinte, eines Blickes zu würdigen. Am Abend 77
zuvor hatte sie ihre Brust entblößt und meiner Mutter leicht theatralisch, aber ganz die Grande Dame, erklärt: »Hier schmerzt es. Hier ist die Wunde!« Ich hatte das Gefühl, mitten im Mai ein brennendes Weizenfeld zu sehen.
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s war nicht Tante Selma, die mich mit Driss bekannt machte, sondern ein Komponist, dessen Namen ich erst später erfuhr – Rimski-Korsakow. Der Mann, der mein Meister und mein Henker werden sollte, war ein brillanter Kardiologe, Anfang dreißig, äußerst feinsinnig und eben erst aus Paris zurückgekehrt. Er hätte niemals meine Aufmerksamkeit geweckt, hätte sich nicht während der Soiree einer reichen Familie aus dem Marshan-Viertel eine freizügige junge Frau, eine gewisse Aicha, an den Flügel gesetzt und, auswendig, wie sie betonte, die Scheherazade gespielt. Ich hatte noch niemals jemanden Klavier spielen sehen – ein großer Kasten, der ein Viertel des Salons einnahm – und kannte erst recht nicht die Namen der Musikstücke. Doch ich sollte ja in diesen Kreisen, die sich rühmten, Kenner der – vorzugsweise französischen – Kultur zu sein, in die Künste eingeweiht werden. Bequem auf einer Couch zurückgelehnt, umringt von Damen der Aristokratie und der Demimonde, gab Driss gewagte Witze von sich, die mit geheuchel79
ter Empörung und prustendem Lachen quittiert wurden. Andere Dandys rauchten im Stehen, die einen eine Rose, die anderen eine Nelke im Knopfloch, die Spitzen ihrer schmalen Schnauzbarte nach oben gezwirbelt, den Oberkörper leicht nach hinten geneigt. Andere wiederum waren beleibt und hatten behaarte Wurstfinger. Viele rauchten Zigarre. Zwischen zwei Gängen mit feinsten Patisserien bedachte Tante Selma, welche die Platten herumgehen ließ, den einen Gast mit einem Augenzwinkern, den anderen mit einer diskreten Berührung. Jedes Mal, wenn mich ihr weinroter Kaftan streifte, raunte sie mir zu, dass Herr Soundso Erbe gewaltiger Güter im Rif-Gebirge, der andere der Sprössling einer vornehmen, dem Königshaus nahe stehenden Familie sei. Nicht alle waren Andalusier oder Adelige oder aus Tanger gebürtig. Bei einem ihrer Kommentare stieß ich einen ungeduldigen Seufzer aus. Das brachte sie zum Lachen: »Sperr Augen und Ohren auf!«, flüsterte sie mir liebevoll zu. »Damit du nicht dumm stirbst. Und, wer weiß, vielleicht verheirate ich dich bald mit einem dieser stinkreichen Salonlöwen«, fügte sie streng und sehr ernst hinzu. Ich fühlte mich unwohl in meinem Volantrock und meinen flachen Schuhen. Die meisten Damen hatten Babusche und traditionelle Gewänder gegen Pumps und oben eng anliegende, unten ausgestellte 80
Kleider eingetauscht, deren Stoff mir kostbar, aber rau erschien. Alle wiegten sie sich in den Hüften. Ich selbst kam mir dagegen schwerfällig, ja, bäurisch vor und war tief beschämt. Ich fühlte mich fehl am Platz und schwitzte vom Nacken bis an den Grund meines artigen Schlüpfers. Driss machte seinen Vorstoß auf einer dieser Soireen. Ich war gerade in der Küche, trank eine Grenadine, fächelte mir Luft zu und trocknete mir Hals und Brust mit einer Serviette, als er hereinplatzte. Er hielt kurz inne und murmelte: »Mein Gott, welch ein Juwel!«, als er sah, dass ich unter seinem strahlenden Blick wie ein geblendetes Kaninchen erstarrte. »Oh, pardon! Ich bin nur hier, um Eiswürfel zu holen. Ich wollte dich nicht erschrecken.« »Aber ...« Er öffnete den Kühlschrank, zog einen Behälter aus dem Gefrierfach und nahm die Eiswürfel aus der Form. »Weißt du, wo die Dame des Hauses ihre Schalen aufbewahrt?« »Nein, ich bin fremd hier.« Er drehte sich zu mir um und lachte. »Ich bin auch fremd hier. Du hast einen Namen, hoffe ich doch?« »Badra.« »Ah, Badra, wie der Mond! Er bringt Halluzinationen und Kopfschmerzen.« 81
Er baute sich vor mir auf, die Schale mit Eiswürfeln in der Hand. »Meine Mutter hat mir immer verboten, im direkten Schein des Vollmonds zu schlafen. Da ich jedoch gern ungehorsam war, musste sie meinen Schädel einmal im Monat mit einem Zucchini-Püree bestreichen und mein Erbrochenes in einer Schüssel auffangen, die am Fußende des Bettes stand. Auf jeden Fall ist es schön, jemanden so regelmäßig und pünktlich leiden zu lassen!« Vor Driss hatte ich noch nie über ein solch ungeheuerliches Betragen gegen die Mutterliebe gehört. Er kam noch näher, und ich drückte mich voller Panik an die Wand. »Mache ich dir Angst? Bei dem Namen, den du hast, müsste ich die Flucht ergreifen!« Damit wandte er sich ab und ging zurück in den riesigen Salon – der erleuchtet war von Lüstern, schwer wie die Sünde und königlich wie die Leuchter in Versailles, das ich später, ohne Driss, sehen würde, zusammen mit meinem Liebhaber Malik, der zehn Jahre jünger war als ich. Fünf Minuten später fand mich Tante Selma noch immer wie angewurzelt und totenbleich in der Küche vor. »Was ist denn mit dir los? Man könnte meinen, du hättest Azrael, den Todesengel, gesehen!« »Nein, nein, es ist nichts. Es ist nur zu heiß hier.« 82
»Na, dann mach einen Spaziergang im Garten. Die frische Luft und der Duft der Blumen werden dir sicherlich gut tun.« Sie hatte Recht. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Luxus an Pflanzen, eine so verschwenderische Fülle an Blüten gesehen. Die unterschiedlichsten Gerüche, kräftig oder zart, vermischten sich mit anderen, deren Namen oder genaue Textur ich nicht zu benennen wusste. Es waren Stadtpflanzen, die bei uns auf dem Land nicht wuchsen. Sie dienten ausschließlich dem Zweck, dem Auge zu schmeicheln, während die unseren nur von Wert waren, wenn sie sich zum Verzehr eigneten, so dass wir sie manchmal wie die Schafe gleich auf dem Feld aßen. Ich geriet in Verzückung beim Anblick einer Hecke, deren weiße Rosenblüten im Begriff schienen, sich in Glut zu tauchen, und sich dabei über ein Beet mit wilder Minze und Salbei neigten. Ich dachte im Stillen, dass der Gärtner wohl verrückt sein müsse, solch unterschiedliche Pflanzen zusammengebracht zu haben. Natürlich spürte mich Driss genau hier im Garten auf. Genau hier nahm er meine eiskalten Hände in die seinen und küsste meine Fingerspitzen. Ich zitterte in der feuchten Kühle der Abendstunde, die Augen weit geöffnet und mit fiebrigem Kopf, als er meine Hände umdrehte und stumm einen Kuss auf die Innenfläche drückte. Zum ersten Mal in meinem Leben hielt ich 83
einen Schatz in den Händen: den Kopf eines Mannes. Er sagte kein Wort, und seine Lippen waren zugleich zärtlich, warm und leicht. Ohne den leisesten Hauch von Lüsternheit. Alles war vollkommen: der Himmel über uns, die unglaubliche Stille, die uns wie ein schützender Uterus umgab, der angehaltene Atem des Abends. Warum hatte er mir das angetan? Natürlich war mir zum Weinen zumute. Natürlich habe ich es mir untersagt. Er hob den Kopf, hielt noch eine Weile meine Hände, entfernte sich dann in seinem weißen Anzug, und seine Schritte knirschten auf dem Kies der Allee, die lang war wie mein Leben, das gerade erst begonnen hatte. Als er durch die große Glastür in den Salon trat, fing ich an, alt zu werden. Unaufhaltsam. Ich blieb noch lange im Garten. Allein. Ohne Körper. Ohne Mann. Ohne Kinder. Dann erklangen wieder die Noten von Rimski-Korsakow, finster und süß, unter den Händen von Driss. Dass er es war, der sie spielte, hat mir Tante Selma erzählt, als wir nach Hause gingen, allein, wie zwei Witwen. Zumindest kam es mir so vor. Sie gab mir nur knappe Antworten und erklärte, dass es dem Teint schade, erst nach Mitternacht zu Bett zu gehen. Viel später hat mir Driss von Rimski-Korsakow erzählt und die Musik, die mir Tanger nonchalant dargeboten hatte, mit einem Namen versehen. Ich war soeben dem Mann begegnet, der meinen Himmel 84
spalten und mir meinen eigenen Körper zum Geschenk machen sollte, wie eine Frucht. Derjenige, der sich mir als Kind offenbart hatte, war zurückgekehrt. Driss hatte sich reinkarniert.
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Badras Kindheit
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ch bin ihm als kleines Mädchen begegnet, in der Nähe der Brücke, die über das Wadi Harrath führt. Es war eine stille sternenlose Nacht. Ich war noch nicht weit gekommen, als mich eine Hand an der Schulter packte. Die Dunkelheit war undurchdringlich, und das Wadi hauchte in einer steinigen, eiskalten Landschaft seinen Dunst aus. Selbst die Steine schienen den Atem anzuhalten. Ich sagte mir: »Jetzt ist es soweit. Jetzt wirst du den großen Efrit, den bösen Geist mit dem Pferdefuß, erblicken. Er wird deine Seele trinken und dich in das Wadi werfen. Deine Mutter wird deinen Namen nie mehr rufen und deinen Körper nicht wiedersehen.« Doch die Hand ließ meine Schulter los, liebkoste meinen Hals und drückte zärtlich meine Brüste. Meine »Bohnen«, wie man in Imchouk die knospenden Brüste nennt, haben sie wohl nicht zufrieden gestellt, denn sie befühlte eine Weile meinen Hintern, bevor sie sich auf mein unbehaartes und festes Geschlecht presste. Finger glitten fieberhaft durch die Ritze in der Mitte, und ihre Berührung war eher freundschaftlich. Ich schloss willig die Augen. Ein Finger löste sich von den anderen und wagte sich zu einem unbekannten Punkt vor. Ich verspürte ein 86
leichtes Brennen, doch statt die Schenkel zusammenzupressen, öffnete ich sie eher noch ein wenig. Ich glaubte, das Wadi seufzen, dann auflachen zu hören. Schließlich zog sich die Hand zurück, und ich sank ins feucht glänzende Gras. Der Himmel glitzerte wieder, und die Frösche nahmen ihr Konzert erneut auf. Ein zweites Herz war mir zwischen den Beinen geboren und pochte nach hundertjährigem Schlaf.
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u behauptest also, ich sei dir an jenem Abend in Imchouk, beim Wadi, erschienen und hätte deinen geheimen Garten mit einer flüchtigen Liebkosung geweckt?«, fragte Driss ein Jahrhundert nach der Offenbarung. Sein Kopf lag auf meinem Nabel, seine Hände streichelten meine Schenkel. »Warum eigentlich nicht? Jeder erhält irgendwann ein Zeichen, das ihn über sein Schicksal aufklärt. Aber bin ich wirklich das deine, meine zarte Frucht? Ibliss, der Lügner, liebt es, die Spuren zu verwischen und die Wahrheit zu verdrehen.«
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erkwürdig, dass Driss, als ich ihm mein Geständnis abgelegt hatte, vom Satan sprach. Auch wenn ich wusste, dass er mich necken wollte, überkam mich ein leichtes Unbehagen. Ich hatte einen Augenblick des Lichtes erlebt. Und wenn der Bote meiner Kindheit auch kein Engel gewesen war, so war er doch gewiss kein Dämon. Vielleicht weder das eine noch das andere, vielmehr einfach nur ein Mann. Der meine. Seit einigen Monaten war ein Damm in meinem Kopf gebrochen, und mein Zorn schwoll wie eine Flutwelle an. Ich war wütend auf Imchouk, das mein Geschlecht mit dem Bösen in Verbindung gebracht und mir verboten hatte, zu rennen, auf Bäume zu klettern oder mich mit gespreizten Beinen hinzusetzen. Ich war wütend auf die Mütter, die ihre Töchter überwachten, ihren Gang prüften, ihren Unterleib abtasteten, auf die Geräusche lauschten, die sie beim Pinkeln machten, um sicherzugehen, dass ihr Jungfernhäutchen intakt war. Ich war wütend auf meine Mutter, die mir beinahe das Geschlecht versiegelt 89
hätte und mich mit Hmed verheiratet hatte. Ich war wütend auf die Raben, auf die Kröten und die aasfressenden Hunde. Ich war wütend auf mich, weil ich für einen Ehemann die Schule verlassen hatte, weil ich nicht protestiert hatte, als mir Neggafa den Finger in die Scheide steckte, um zu prüfen, ob ich wirklich eine dumme Gans war, die hinnahm, zu früh zu sterben. Und dann sagte ich mir, dass ich keine elende Küchenschabe sei. Dass ich die Augen schließen, schlafen, sterben, mit Pauken und Trompeten wieder auferstehen und Driss im Arm haben wollte. Seit der Offenbarung am Wadi wusste ich, was ich wollte: in die Sonne schauen, ohne zu blinzeln, auch auf die Gefahr hin, zu erblinden. Ich hatte meine Sonne zwischen den Beinen. Wie hatte ich das vergessen können?
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Badras Mandel
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ieder in meinem Zimmer steckte ich den Kopf unter die Laken und betrachtete das kleine Dreieck, glatt und rund, dem eine fremde, aber wohlwollende Hand ihre Aufwartung gemacht hatte. Mein verträumter Zeigefinger folgte noch einmal ihrem Weg. Mit geschlossenen Augen und bebenden Nasenflügeln schwor ich mir, eines Tages das schönste Geschlecht der Welt zu haben. Eines, das den Männern und den Gestirnen seine Gesetze gnadenlos aufzwingen könnte. Nur wusste ich nicht, wie es aussehen würde, wenn es einmal herangereift wäre. Ich fürchtete plötzlich, eine der Frauen von Imchouk könne ein ebenso schönes haben, das mit meinem wetteifern und ihm sogar den Rang ablaufen könnte. Ich wollte sichergehen, dass alle Welt nur mein Geschlecht bewundern würde. Daher beschloss ich, die Frauen heimlich zu beobachten, in der Hoffnung, einen Blick auf ihr intimes Schmuckstück zu erhaschen, und so herauszufinden, ob eines von ihnen an Schönheit und Macht mit meinem konkurrieren könnte. Das war leichter gesagt als getan. Weder meine Mutter noch meine Schwester entblößten sich jemals vor mir. Zwar fand ich gelegentlich Spuren von karamellisiertem Zucker am 91
Boden oder im Waschbecken, aber dennoch habe ich meine Mutter nie dabei überrascht, wie sie sich gerade enthaarte. Im Hammam hüllen sich die Frauen in einen weiten Lendenschurz oder behalten ihren Saroual an, und wenn sie sich abspülen, tun sie das hinter einer Tür, um dann, in ihre Tücher gehüllt, wieder dahinter hervorzutreten. Die Frauen entblößen sich nie vor den kleinen Mädchen – aus Angst, sie endgültig der Unschuld ihres Blickes zu berauben und damit ihre Zukunft als Ehefrauen zu gefährden. Während des Sommers konnte ich jedoch einen Teil meiner Neugier befriedigen. Bäuerinnen bevölkerten die Innenhöfe und Terrassen von Imchouk und halfen den Reichen, Couscous, Gewürze, Tomaten, Kümmel und Koriander für die Wintermonate zu lagern. Unter dieses fleißige Volk mischten sich die Nomadenfrauen mit ihrem durchdringenden Blick und der rauen Mundart, die im Kaffeesatz lasen und Amulette verkauften. Die Bettlerinnen begnügten sich damit, an die Tür zu klopfen und die Hand auszustrecken, und konnten sicher sein, ein Maß Weizen oder ein Stück getrocknetes Hammelfleisch zu ergattern. Die meisten Nachmittage verbrachte ich bei Tante Selma und ihrer Mit-Ehefrau Taos, die nahe am Ufer im westlichen Teil des Dorfes lebten. Die Flammen des Brotofens knisterten den ganzen Tag. Paprikaschoten, Maiskolben und javanischer Weihrauch wurden auf dem Kohlenbecken geröstet. Der Überfluss beruhigte die Herzen und machte Lust, vom Reichtum abzugeben. Das Haus hatte zwei Etagen mit jeweils vier Räumen. 92
Unter dem sanften, verständnisvollen Blick von Taos bewegte sich Selma von einem Zimmer zum anderen. Es war ein offenes Geheimnis, dass Taos ebenso wie Slimane an meiner Tante hing. Sie war es auch gewesen, die zum ersten Mal in ihrem Leben in die Stadt fuhr, um dort für ihren Mann um die Hand ihrer Rivalin anzuhalten. »Du bist verrückt!», regten sich ihre Verwandten und Nachbarinnen auf. »Sie ist jünger als du und noch dazu eine Städterin. Du lässt eine Viper in dein Haus, die dich mit Sicherheit beißen wird.« »Ich weiß, was für mein Heim gut ist«, antwortete Taos nur. Und so hatte es Selmas Vater, entgegen allen Gebräuchen, nicht mit einem Bruder oder Onkel von Slimane zu tun, sondern mit Taos, die aus Respekt vor den Anstandsregeln den Heiratsantrag hinter einem Vorhang stellte. Einmal in der Woche standen die Spanierinnen mit ihren raschelnden schwarzen Röcken und knackenden Weidenkörben vor der Tür der beiden verbündeten Ehefrauen, um Seide, Spitze und kleine Silbergegenstände feilzubieten. Die barhäuptigen und barfüßigen Bäuerinnen, die ihnen folgten, waren neugierig und zudringlich. Im Gegensatz zu den wohlhabenden Frauen konnten sie den Schleier ablegen, ohne sich den geringsten Tadel zuzuziehen. All jene Frauen miteinander lachen und die Mägde bei der Sommerarbeit im Innenhof zu sehen, war die reinste Freude. Dabei vergaß ich nicht meinen Vorsatz, die Augen offen zu halten, um mehr über die Frauen zu erfahren. Aber die Wollkämmerinnen behielten die Beine hartnäckig 93
gekreuzt. Die Deckenwäscherinnen mit den gerafften Kleidern enthüllten einzig ihre Waden, und die Frauen, die damit beschäftigt waren, die Matratzen zu polstern, streckten zwar ihre breiten Hintern in die Luft, doch alles andere blieb sorgsam vor indiskreten Blicken geschützt. Allein die Bäuerinnen, die die Couscous-Körner formten, halfen mir ein wenig, das Geheimnis zu lüften, denn sie saßen auf dem Boden und hatten die großen Holzschüsseln, in denen sie Wasser und Grieß vermischten, zwischen die weit geöffneten Schenkel geklemmt. Ich gab vor, die Bewegung der Hände und der Siebe zu verfolgen, konzentrierte aber meine Aufmerksamkeit auf Bornia, die Einfältige. Ihre Körperfülle zwang sie, sich ständig zu bewegen, wobei sie ohne Unterlass schwitzte. Die Bäuerin, die für ihre grobe Sprache und ihre obszönen Gesten bekannt war, hob alle zwei Minuten die Zipfel ihrer Melia und fächelte sich damit Luft zu. Ich lauerte wie gebannt auf die Offenbarung. Sie kam nicht. Und Bornia keifte, böse wie eine Giftnatter: »Was schielst du so nach mir? Hau ab und spiel woanders. Sonst zeige ich dir die Hölle.« Bornia konnte nicht wissen, dass ich genau das wollte. Das Geschlechtsteil einer Erwachsenen sehen, um vergleichen zu können. Doch so machte ich mich schleunigst aus dem Staub. Weil es den Mädchen verboten war, den Gesprächen der Frauen beizuwohnen, lernte ich, mit den Gegenständen zu verschmelzen, so dass man mich vergaß. Ich sah die Freundinnen von Tante Selma und die Mägde miteinander 94
tuscheln, laut auflachen, sich übereinander beugen, sich gegenseitig die Brüste oder den Bauch abtasten, ihren Schmuck und ihre Tätowierungen vergleichen. Bornia sorgte bisweilen für Unterhaltung, Sie erhob sich, machte ein paar Bewegungen mit dem Becken, die für hysterisches Gelächter in der Versammlung sorgten. Manchmal wurde sie von der Frau des Schäfers Aziz abgelöst. Die bewaffnete sich mit einer Karotte, schob sich den beeindruckenden Schaft zwischen die Schenkel und führte einen anstößigen Tanz auf, bei dem sie mit lüsternem Hüftschwung die Karotte von oben nach unten, von rechts nach links bewegte. Mütter und Ehefrauen lachten, klatschten sich auf die Schenkel oder Brust oder verschleierten empört Mund oder Augen. »Hör auf!«, schrie eine Nachbarin. »Sonst glaubst du am Ende noch selbst dran.« »Lass sie doch!«, protestierte eine andere. »Ihr Aziz muss einen ganz verschrumpelten haben. Und das gleicht sie mit allem aus, was sich so anbietet!« Die Tänzerin erwiderte außer Atem: »Er hat keine Karotte zwischen den Beinen, der Ungläubige, sondern den Stiel einer Axt. Wenn er in mich eindringt, ist es, als würde ich vom Hörn des Stiers aufgespießt.« »Welcher Stier?« »Derjenige, der die Erde auf dem Kopf trägt, damit sie nicht auf den euren fällt, ihr Sünderinnen!« Allgemeines Gelächter war die Antwort. »Und du, Farida?«, fragte Tante Selma. Die Tochter des Imams entgegnete: »In Ruhestellung ist er 95
rund und glänzend wie ein Halbmond. Wenn er sich aufrichtet, ist er das Schwert eines heiligen Kriegers. Ich widersetze mich nur, um ihn umso mehr zum Angriff zu ermutigen.« »Flüstert er dir dabei etwas ins Ohr?« »Nein, er wiehert wie der Esel von Chouikh! Manchmal glaube ich, er wird verrückt, so sehr röchelt er, wenn er kommt!« »Aber nein!«, meinte Selma sie neckend. »Es ist dein Schatzkästchen, das ihn um den Verstand bringt.« »Übrigens«, griff die Tochter des Imams das Thema noch einmal auf, »du musst uns das Rezept verraten. Wie bringt ihr Städterinnen es fertig, dass eure Muschel weiß wie Elfenbein bleibt?« »Nichts einfacher als das, doch ich verrate es nicht. Ich wäre verrückt, wenn ich meine Geheimnisse einer anderen Frau preisgäbe.« »Sag mir wenigstens, was ich tun muss, um meine Vagina zu verengen. Kaddour sagt, er würde nichts spüren, wenn er mich nimmt, so geräumig sei der Eingang, so schwer das Ende zu erreichen.« »Nichts werde ich solch läufigen Hündinnen wie euch verraten! Ich teile meine Geheimnisse ausschließlich mit meiner Verbündeten Taos!« Die Augen zusammengekniffen, ein spöttisches Lächeln um die Lippen, sagte Taos: »Macht es wie sie! Geht öfter in den Hammam. Ihr Geheimnis ist das Wasser. Es verhilft ihr zu ihrem hellen Teint und ihrer Pfirsichhaut, welche der der Europäerinnen ähnelt.« 96
»Das stimmt«, sagte Tante Selma. »Wasser ist das wichtigste Parfüm der Frau und ihre beste Schönheitscreme. Dann, um eure Frage zu beantworten, rate ich euch, dafür zu sorgen, dass euer Geschlecht frisch und glatt bleibt. Wascht es mit einem in Lavendelöl getränkten Tuch und parfümiert es mit Moschus und Ambra. Nichts darf euren Mann abstoßen. Weder der Geruch noch die Berührung. Er muss Lust haben, hineinzubeißen, bevor er sich hinbegibt.« »Meiner hat es nie angesehen«, beschwerte sich die Frau des Schuhmachers. »Von beißen und küssen ganz zu schweigen!« »Zum Glück«, flüsterte die Tochter des Imams. »Sonst wäre er am Ende noch blind!« »Blind ist, wer Gottes Gnade in Händen hält, ohne ihr Ehre zu erweisen«, fiel ihr Tante Selma ins Wort.
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on diesen heißen und duftgetränkten Nachmittagen ist mir das Lachen der Frauen und die Sehnsucht nach der Erntezeit in Erinnerung geblieben. Es fehlt mir auch der Klatsch und Tratsch. Welche Frau ist zuletzt aus dem Dorf verstoßen worden? Was ist aus den beiden Epileptikern geworden? Wer ist von seinem Mann betrogen worden? Tauscht man immer noch Rezepte aus, um Schweißausbrüche, üblen Mundgeruch, starken Blutverlust, zu trockene oder zu feuchte Scheiden zu bekämpfen oder Schamhaare, die nach innen wachsen und Entzündungen auslösen? Oder hat Imchouk seine Geheimnisse an die Ärzte und Scharlatane der Städte verraten? Hat es sich damit abgefunden, wie die anderen zu sein, und seine kleinen Nöte irgendeinem ruchlosen Lokalblatt anvertraut? Ich weiß es nicht. Ich lese die Zeitungen von Tanger nicht. Aus Achtung vor Driss.
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etzten Endes hat sich meinem kindlichen Blick kein reifes weibliches Geschlechtsteil offenbart. Zum Glück gab es die Augen von Moha, dem Töpfer, um mich darüber hinwegzutrösten. Vor seinem Laden hockend musterte er mich jedesmal, wenn ich vorbeikam, wie einen wahren Leckerbissen. Wie sehr ich auch den Schritt beschleunigte und den Rat beherzigte, der den Jungfrauen von Imchouk jedes Gespräch mit dem Töpfer untersagte, ließen mich seine begehrlichen, auf meinen Hintern gerichteten Blicke erschaudern und flößten mir dunkle, unbekannte Gelüste ein. Moha hatte eine Schwäche für kleine Mädchen, vor allem solche, die wie ich einen Leberfleck am Kinn haben. Chouikh, der Krapfenhändler, wollte mich jedes Mal in die Kniekehle küssen. Sobald er mich sah, kam er hinter seinem Tresen hervor, wo in einem großen Topf heißes Fett brodelte, hob mich in die Höhe und rief dem nächstbesten Passanten zu: »Gott behüte uns vor dieser Kleinen, wenn sie einmal groß ist. Sie wird sich wie ein Honigbrunnen über dieses Kaff voller Dornen ergießen!« Dann küsste er mich auf die Innenseite des Knies und schenkte mir zwei Krapfen, die so golden waren wie seine Locken. 99
Ich war stolz, zwei Verehrer zu haben, deren Blicke mich anzogen wie ein Magnet. Irgendetwas sagte mir, dass ich sie in der Hand hatte und mit ihnen machen konnte, was ich wollte. Aber was? Meine Macht war offensichtlich an meinen Mund, an meinen Schönheitsfleck, an die Form meiner Beine und natürlich auch an mein Geschlecht gebunden. Um sich davon zu überzeugen, musste man nur meinen Vater sehen, wie er nach dem Hintern meiner Mutter schielte, oder Onkel Slimane hören, wie er seine Lalla Selma anflehte, ihn auf der Gummikugel kauen zu lassen, die sie mit ihrem Speichel benetzt hatte. Ich wusste, in meinem Geschlecht steckte das Auge des Zyklons. Doch ich wusste noch nicht, ob ich ein Sand-, ein Schnee- oder ein Hagelsturm war. Ich hatte nur Angst zu sterben, ohne mich am Himmel von Imchouk entladen zu haben.
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riss hat mich weder vergewaltigt noch gezwungen. Er hat einfach darauf gewartet, dass ich mich in ihn verliebe und von selbst zu ihm komme. Er hat gewartet, dass ich mich ihm hingebe, und ich habe es getan, gegen alle Vernunft. Gegen den Rat von Tante Selma, die sich nicht beruhigen konnte, nachdem sie eines Tages mein Herz durchschaut hatte. »Was bist du nur für ein Dummkopf! Driss schwimmt im Geld und liebt scheue Rehe, wie du eines bist. Und dir fällt nichts Besseres ein, als dich in ihn zu verlieben! Dabei müsstest du heiraten, Dummchen. Was glaubst du, wo du bist? Du bist in Tanger, und dein Vater – Gott erbarme sich seiner Seele – war nur ein armer Djellaba-Schneider.« Ich begnügte mich damit, die Glut im Kohlenbecken, auf dem eine Tajin mit Zitrone thronte, deren Duftschwaden bis in den letzten Winkel des Hauses drangen, mit meinem Weidenfächer neu anzufachen. Ich hatte Respekt vor Tante Selma – einer Dame, die, als man in Tanger bereits begeistert von Elektro101
herden sprach und sie sich aus Spanien besorgte, eigensinnig darauf beharrte, auf Holzkohle zu kochen. Sie genoss den Ruf einer vorzüglichen Köchin, und ihre Fleischbällchen wie ihre Fischragouts machten ganz Tanger den Mund wässrig. In ihrer dunklen Küche in der Rue de la Vérité beobachtete ich gebannt, wie sie mit Fleisch, Fisch und Gewürzen hantierte, und träumte davon, das Geheimnis ihrer Rezepte zu ergründen. Ich wollte kochen wie sie und Tanger vor Begeisterung zum Weinen bringen, so wie der Sänger Abdelwahab mich viele Jahre später zum Weinen bringen sollte, als ich frei und von Begierden reingewaschen allein auf einer Wiese unter der Himmelskuppel stand. Fast mit allem in Frieden. Driss hatte Erkundigungen eingeholt. Er wusste, dass ich verheiratet gewesen war. Er erwähnte es aber mit keinem Wort und wartete sechs Monate, ehe er mich pflückte. Er ließ mir Zeit, von seiner Stimme, seinen Händen, seinem Geruch zu träumen. Er ließ mich während der langen Siestastunden langsam reifen. Wir sahen uns mehrmals bei den mondänen Abendgesellschaften, ohne uns je zu berühren, ohne je mehr als einen Blick oder einen beiläufigen und distanzierten Gruß zu wechseln. Er war zwanzigmal bei meiner Tante zum Mittagessen zu Gast. Kein falsches Wort, keine unpassende Geste. Später begriff ich, dass dies der Schlangentanz war. Driss und Tante 102
Selma sahen sich nie in die Augen, aber beide wussten, dass es ein tödlicher Kampf war. Er wollte mich. Und sie verteidigte meine Höhle, richtete sich wie eine heilige Kobra schützend vor meinem Körper auf, in dem es kribbelte und brannte, den ich aber so wenig kannte und den sie in klingende Münze umsetzen wollte, um mir ein behagliches Leben zu sichern. Ich habe sie enttäuscht, und sie ist mir nie mehr zu Hilfe geeilt, um meine weiblichen Blessuren zu heilen. Ich weiß sogar, dass sie mich verachtet hat. Und ich habe ihr viele Jahre später Recht geben müssen, doch für die meinetwegen vergossenen Tränen konnte ich sie nicht mehr um Verzeihung bitten. Damals war ich anderswo. Im Reich der Liebe und der Eitelkeit. Ich biss mir auf die Lippen, damit sie roter wurden, und sang ägyptische Weisen, um mich gelassen zu geben, wenn Driss sich ankündigte. Jedes Mal verständigte er meine Tante durch einen Lastträger von seinem bevorstehenden Besuch. Der erschien für gewöhnlich morgens gegen neun Uhr, beladen mit zwei schweren Körben voll Obst und Gemüse. Ich fand immer ein Päckchen Swak darunter, etwas Henna, Rinde vom Granatapfelbaum oder ein Fläschchen mit Kajal. Spät am Nachmittag, wenn Driss gut gesättigt von Tajin und Gebäck in die Stadt zu seinen Terminen aufbrach, mischte meine Tante ihr Henna mit Wasser. Der Duft, der sich dann erhob, war betäubend und bereitete mir Kopfschmerzen. In 103
dem großen Innenhof zwitscherten sie und ihre Schwalben um die Wette, gleichgültig gegen die Welt, ihren Durst an Gott weiß welchen Quellen löschend. Die Vögel kehrten zu ihren Nestern und ihren Männchen zurück. Meine Tante erhob sich, wusch sich, massierte sich, enthaarte sich, schmückte sich mit frivolen Motiven aus Henna, zum Beispiel über der linken Brust, und hüllte sich in herbe Düfte, um sich plötzlich und unvermittelt in ihr großes Schlafzimmer voller beschlagener Truhen und fleckiger Spiegel zurückzuziehen, ohne mich zu fragen, ob ich mich allein fühlte. Später wusste ich, dass sie einen unsichtbaren Liebhaber hatte. Einen Djinn aus einer anderen Welt. Das verblüffte mich, doch ich gestand ihr das Recht zu, frei zu sein, ohne jemals genauere Einzelheiten erfahren zu wollen. Ich wollte nur, dass sie glücklich ist.
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riss führte mich in seinen Salon. Er überreichte mir Kornblumen und bot mir Erdbeeren an. Dann ließ er mir ein Bad ein, trug mich ins Badezimmer und setzte mich ganz bekleidet ins Wasser, das nach Orangenblüten duftete. Chopin wirbelte durchs ganze Haus, und an Driss’ geöffnetem Hemdkragen kamen seine kräftigen schwarzen Brusthaare zum Vorschein. Er zog mir die Schuhe aus und streichelte meine Zehen und Fußsohlen. Ich war wie erstarrt. Sein Mund und sein Atem brannten an meinem Hals und wanderten über meine Beine. Meine Brüste hoben und senkten sich, und ihre Warzen zeichneten sich deutlich unter dem nassen Stoff ab, der an meiner Haut klebte und mich unter seinem Blick noch nackter erscheinen ließ. Er drückte und biss sie zärtlich, und ich hatte den Eindruck, sie würden unter seinen Zähnen heftig anschwellen. Ich zitterte ängstlich wie ein Vogel, der in einen Wirbelsturm geraten ist, mein Schoß schmerzte vor Verlangen, mein Bauch krampfte sich vor Entsetzen 105
zusammen. Was würde er mit mir machen? Was suchte ich hier? Er zog mich langsam, ganz behutsam aus, so wie man eine grüne Mandel von ihrer zarten Haut befreit. In dem Dampf, der das Badezimmer erfüllte, konnte ich seine Züge kaum erkennen. Nur seine Augen, Herr über mein Geschick, durchbohrten mich, drangen in mein Herz und meine Vagina ein. Ich sagte mir, ich sei eine Hure. Aber ich wusste, dass ich keine war. Oder wenn doch, dann ähnlich wie die heidnischen Göttinnen von Imchouk – frei, schicksalhaft und völlig verrückt. Er seifte meinen Rücken und meine Lenden ein, bedeckte meinen Venushügel mit Schaum. Mein Slip verbarg mein Geschlecht vor seinem Blick, doch seine Finger schoben sich schnell darunter, öffneten meine Schamlippen und entblößten meine Klitoris, die hart wie eine Kichererbse war und die er mit einer vorsichtigen und nachdenklichen Bewegung drückte. Ich stöhnte auf und versuchte, mich meines Slips zu entledigen, doch er hinderte mich daran. Er schlang die Arme um meine Taille, drehte mich auf den Bauch und zog mein Hinterteil in die Hohe. So, sagte ich mir. Jetzt bist du sein Spielzeug. Sein Objekt. Jetzt kann er dir die Zunge herausreißen, dir das Herz aufschlitzen oder dich auf den Thron der Königin von Saba setzen. Er schob mein Höschen herunter, presste die Wan106
ge an meine Pobacken, zog sie vorsichtig auseinander und fuhr mit der Nase die Ritze entlang. Ich floss dahin. Dann nahm er ein Fläschchen aus dem Regal, gab einen Tropfen parfümiertes Öl auf seinen Finger und massierte lange meinen Anus, bis ich all meine Angst vergaß und meine Muskeln sich langsam unter seinen geschickten Fingern entspannten. Ich wusste nicht, was er mit mir vorhatte, wünschte nur, er würde es tun. Und dass er nur nicht diese kreisende Bewegung unterbrechen würde, die mich ihm öffnete, so dass meine Vagina ihrem Glück mit langen durchsichtigen Fäden freien Lauf ließ. Er fing ihren Saft auf, bestrich mein Hinterteil damit und grub seine Zähne hinein. Nie war mir ein Biss köstlicher gewesen. Ich spürte, wie mein Bauch lachte, weinte und schließlich zu kochen begann. Ich flehte: »Hör auf ... Hör auf«, und betete zugleich, Driss möge nicht aufhören. Dann trug er mich, stöhnend und nass wie ich war, zum Bett. Als er sich über mich beugte, um mich hinzulegen, zog ich ihn am Kragen zu mir herunter, presste meinen Mund auf seinen, saugte an seiner Zunge und öffnete dabei die Knöpfe seines Hemdes, um ihn in die Brust zu beißen. Er lachte hell auf, knetete meine Brüste und umspielte sie mit seiner Zunge, während ein Finger um meinen feuchten Eingang kreiste. Ungeduldig saugte ich den zögerlichen Besucher in mich auf. Der Orgasmus 107
warf mich gegen Driss – ich keuchte und war tief beschämt. Er ließ mir keine Zeit, zu Atem zu kommen, sondern führte meine Hand zu seinem Hosenschlitz und beobachtete, wie ich ihn öffnete. Ungläubig entdeckte ich ein Glied, das an Kraft und Größe alles übertraf, was ich zuvor gesehen hatte. Sein Schwanz war braun und reif, seine Haut seidig, seine Eichel imposant. Ich berührte ihn mit meinen Lippen und improvisierte eine Liebkosung, die mir bis dahin unbekannt war. Er ließ mich gewähren und sah mich schwach werden. Allein durch die Magie des Kontakts krampfte sich mein Leib zusammen. Ich wusste weder, welches Tier sich darin zu schaffen machte, noch, warum es mir so viel Vergnügen bereitete, ihn immer wieder sanft an meine Zähne stoßen zu fühlen. Driss stand mit geschlossenen Augen vor mir, und der Ambergeruch seiner schweißnassen Haut stieg mir in die Nase. Er befreite sich aus meinem Mund und hob meine Beine an. Die Eichel stieß an meine Vagina. Ich schob mein Becken vor, um ihm das Eindringen zu erleichtern, doch ein brennender Schmerz dämpfte mich. Er unternahm einen zweiten Versuch, scheiterte erneut vor einer unerwarteten Enge, zog sich zurück und wollte sich gewaltsam seinen Weg bahnen. Ich stöhnte, aber nicht mehr vor Lust, sondern vor Schmerzen. Ich war feucht und doch außerstande, ihn aufzuneh108
men. Er nahm mein Gesicht in die Hände, leckte und biss meine Lippen sanft und meinte lachend: »Himmel noch mal, du bist ja Jungfrau!« »Ich weiß nicht, was mit mir los ist.« »Was eben mit einer Frau los ist, die ihren Körper zu lange hat brachliegen lassen.« Er sah, dass ich Schmerzen hatte, streichelte meinen Rücken, leckte ihn, biss zärtlich hinein und saugte lange an meinen Brüsten. Doch erst als er mir ein Kissen unter das Becken geschoben, seinen Speer an den Eingang zu meiner Frucht platziert hatte, konnte er sich beharrlich, Zentimeter für Zentimeter, vorkämpfen, meine feuchten Wände weiten, meine Gebärmutter massieren, bis er schließlich mit gleichmäßigen, tiefen Stößen in mich eindrang, wobei sein Schweiß auf meine Brüste tropfte. Er verstand es, mich zu öffnen, mich zu nehmen, mich bis zum Ersticken auszudehnen, meine Lungen und jede Faser meines Leibes zu füllen. Sein Sperma schoss in langen Strahlen hervor, rann wie Regen über meine empfindlichen Schleimhäute und wusch meinen Schoß vom Brand rein. Lange blieb er an mich geschmiegt liegen, und erst als er nach seinen Zigaretten tastete, bemerkte ich seine Tränen. Er wollte nicht, dass ich mich anzog, er lächelte nur, als er sah, wie ich mein Geschlecht mit der Hand bedeckte. Ich spürte, dass ihn meine Schamhaftigkeit 109
und Unbeholfenheit entwaffneten und rührten. Die Augen halb geschlossen, murmelte er: »Wenn du dich sehen könntest!« Ich hatte Angst, irgendetwas an meinem Körper könnte ihm nicht gefallen haben. Er erriet es, kreuzte mir die Arme hinter dem Rücken, trank meine Lippen und schob seinen Kopf zwischen meine Schenkel. Von Lust und Schmerz überwältigt, versuchte ich, mich ihm zu entziehen. Nach meiner zweiten Entjungferung tat mir jede Liebkosung weh. »Geh heute Abend nicht nach Hause, Badra, mein verwundetes Kätzchen«, bat er. »Tante Selma wird die ganze Nacht kein Auge zutun.« »Ich kümmere mich morgen um sie. Nun sieh erst mal, was ich für dich habe.« Aus der Innentasche seiner Jacke zog er eine nachtblaue Schatulle hervor. Darin schlummerten zwei Diamanten. Zwei klare Wassertropfen. Ich gab ihm das geöffnete Kästchen zurück. »Was hast du?« Von meinen widersprüchlichen Gefühlen überwältigt, schwieg ich. »Sie harren deiner schon seit einem Monat. Ich wusste nicht, wie ich sie dir schenken sollte, ohne dich zu verletzen.« Wie am ersten Abend nahm er meine Hände in die seinen und hauchte einen Kuss darauf. 110
»Ich warte schon so lange auf dich, Badra.« Ich sah ihn an, hätte ihm nur zu gerne geglaubt, war aber misstrauisch gegenüber dem Mann, der mich so überwältigt hatte. »Weißt du, dass du eine Huri bist? Nur die Huris finden nach jedem Beischlaf ihre Jungfräulichkeit wieder.« Zornig und fast sarkastisch antwortete ich: »Du bist wie die anderen! Du willst der Erste sein!« »Aber ich bin der Erste! Was die anderen wollen, ist mir gleichgültig. Ich will dich, meine Mandel, mein Schmetterling!« Er befestigte die Wassertropfen an meinen Ohren und umspielte sie mit der Zungenspitze. Plötzlich wurde mir bewusst, dass er völlig nackt vor mir stand und dass sein Schaft noch immer steif war. Schlimmer noch, ich stellte fest, dass ich noch immer Hunger auf seine Küsse und sein Sperma hatte. Verlangen ist ansteckend, und Driss kannte alle Tricks. Er öffnete gewaltsam meine Beine, beruhigte mein wundes Fleisch und trug einen Balsam auf, um die Reizungen zu lindern. Dann schob er sein Glied zwischen meine Brüste, die er halb ernsthaft, halb scherzhaft zusammenpresste. »Jeder Zentimeter deiner Haut ist ein Liebesnest und ein Brunnen der Ekstase«, sagte er. Ich errötete und dachte daran, mit welch unendlichem Geschick er jede Falte meines Körpers erkundet 111
hatte. Doch es gelang mir nicht, mich schuldig, erniedrigt oder gekränkt zu fühlen. Er glitt zwischen meinen Brüsten hin und her und stieß am Ende des Weges leicht gegen meine Lippen. Als sich seine Milch über meine Brust ergoss, seufzte ich befriedigt auf. Er verteilte sie behutsam über meinen Hals und schob mir einen Finger in den Mund, damit ich sie kosten sollte. Driss schmeckte süß-salzig. Ich fuhr zusammen, als er mir ins Ohr flüsterte: »Du wirst sehen, eines Tages wirst du mich trinken! Wenn du mir ganz vertraust.« Ich wollte »nie« antworten, doch dann erinnerte ich mich an die Lust, die er mir geschenkt hatte. Den Geschmack der Ewigkeit. Die Welt war ein Kuss geworden. Ich war nur eine dahintreibende Lotusblüte. Am nächsten Tag war ich nicht nur verliebt in Driss; auch mein Geschlecht verehrte ihn.
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lück? Glück ist, sich aus Liebe zu lieben. Es ist das Herz, das so heftig schlägt, dass es zu zerspringen droht, wenn sich ein einzigartiger Blick auf deinen Mund richtet, wenn eine Hand einen leichten Schweißfilm in deiner Kniekehle hinterlässt. Glück ist der Speichel des geliebten Menschen, der dir süß und unsichtbar die Kehle hinunterrinnt. Es ist der Hals, der sich streckt, sich von Knoten und Müdigkeit befreit, der unendlich lang wird, weil eine Zunge über ihn gleitet. Glück ist das Ohrläppchen, das wie der Unterleib pocht. Es ist der Rücken, der außer Rand und Band gerät, der Töne und ein Frösteln erfindet, um »ich liebe dich« zu sagen. Es ist das Bein, das sich bereitwillig hebt, der Slip, der fällt wie ein Blatt, überflüssig und störend. Es ist die Hand, die in den dichten Wald der Haare dringt und die Wurzeln mit ihrer Zärtlichkeit überschüttet. Glück ist die Angst, sich öffnen zu müssen, und die unglaubliche Kraft, sich hinzugeben, wo doch alles in der Welt ein Anlass zum Weinen ist. Glück, das ist Driss, der zum ersten Mal in mir war und dessen 113
Tränen in meine Halsbeuge fielen. Glück, das war er. Das war ich. Alles andere war Massengrab und Schutthalde.
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Die Nacht der Entjungferung
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as Fest war vorbei und ich zum Aufbruch bereit, ohne Hoffnung, in mein Elternhaus zurückkehren zu können. Wie es die Tradition wollte, beugte ich mich zu meiner Mutter und murmelte: » Verzeih mir das Leid, das ich dir zugefügt habe.« Diese Formel besiegelte die Trennung. Mein Bruder bückte sich, um mir die Schuhe auszuziehen. In einen legte er ein wenig Geld, dann trug er mich aus dem Haus. Der Esel von Naïmas Schwiegervater erwartete mich, um mich zu meiner fünfhundert Meter entfernt wohnenden neuen Familie zu bringen. »Ich brauche einen Jungen! Schnell!«, schrie Chouikh, der Krapfenverkäufer. Ein kleiner Junge musste mich als Glücksbringer auf meiner kurzen Reise begleiten. Ich murmelte: »Ich will meinen Neffen Mahmoud.« Es war schon recht gewagt, ausgerechnet einen Bastard zu wählen, um das Schicksal zu beschwören, mir männliche Nachkommen zu schenken, hieß es doch, Bastarde brächten Unglück. Dennoch kam man meinem Wunsch nach, und unter den erzürnten Blicken der Frauen drückte ich Alis Sohn an mich. 115
Den Rücken gebeugt, den Fes schief auf dem Kopf, hielt Onkel Slimane die Zügel des Tiers. Ein Esel führte einen anderen, und Tante Selma war weit weg. Meine Schwiegermutter erwartete mich, flankiert von ihren drei Töchtern, alle drei alte Jungfern. Ihre Youyous waren zu schrill, und die Mandeln, die sie als Willkommensgruß warfen, sahen wie Steine aus. Onkel Slimane umfasste meine Taille und setzte mich vor dem Hexenspalier ab. Neggafa und Naïma begleiteten mich bis zum Hochzeitszimmer. Meine Schwester bestand darauf, mich auszukleiden, obwohl das eigentlich Neggafas Aufgabe gewesen wäre. Schweigend öffnete sie mein Kleid, und ich flüsterte ihr zu: »Was wird jetzt geschehen? « Ohne mich anzusehen, antwortete sie ebenso leise: »Dasselbe, was sich zwischen meinem Mann und mir an dem Tag abgespielt hat, als du in unserem Schlafzimmer übernachtet hast. Du bist schon aufgeklärt.« Sie wusste also, dass ich es wusste. Neggafa begann, ihre guten Ratschläge herunterzuleiern. »Sobald wir gegangen sind, schwenkst du siebenmal deinen Schuh vor der Tür hin und her und sagst: ›Möge Gott dafür Sorge tragen, dass mein Mann mich liebt und keine andere anschaut. ‹« Dann zog sie ein Säckchen aus ihrem Mieder. »Gib dieses Pulver in das Teeglas, das ich auf den Tisch gestellt habe, und sorg dafür, dass dein Mann etwas davon trinkt.« 116
Doch sie konnte mir den Beutel nicht geben, da meine Schwiegermutter ohne Vorwarnung ins Schlafzimmer platzte, um ein Kohlenbecken zu bringen, von dem schwere Weihrauchdüfte aufstiegen. »Mein Sohn wird bald da sein«, verkündete sie. »Beeilt euch also.« Naïma zog mir den Büstenhalter aus, dann das Höschen. Ich hätte am liebsten laut losgelacht, so obszön konnte mein anständiges Dorf werden, sobald es sicher war, im Sinne der rechten Gebräuche zu handeln. Ehe sie mich Hmed auslieferten, raunte mir Neggefa zu: »Schieb das Nachthemd unter deinen Hintern, damit es das Blut aufsaugt. Es ist aus Baumwolle, man wird die Flecke deutlich sehen.« Dann fügte sie streng hinzu: »Lass ihn nicht seinen Samen in dir abgeben. Dein Geschlecht wird danach zu feucht sein, und das mögen die Männer nicht. Leg dich aufs Bett, er wird gleich da sein.« Meine Schwester beugte sich zu mir herab. »Mach die Augen zu, beiß die Zähne zusammen und denk an etwas anderes. Dann spürst du nichts.« Schließlich war ich allein, mein Brautkleid lag wie ein Schaffell am Fußende des Bettes. Ich stellte mich vor den Spiegel, der sich in der Schranktür befand, und betrachtete meinen nackten Körper. Meine glatte unbehaarte Haut schimmerte im Kerzenschein. Das Haar fiel in Kaskaden über meinen Rücken, und die Hennabemalungen dufteten auf meinen Armen. Ich bedeckte meine Brüste mit den 117
Händen. Was würden sie erdulden und erblicken? Es gab so viele Geschichten über die Hochzeitsnacht und ihre Qualen. Und so viele Skandale. Mein Cousin Said zum Beispiel hatte sich zum allgemeinen Gespött gemacht. Der Junge, der einst mein Geschlecht der Neugier seiner kleinen Kameraden preisgegeben hatte, war als unberührter Jüngling vor dem seiner Braut zurückgeschreckt. Zum Entsetzen seiner Verwandten und Freunde wollte er die Flucht ergreifen. »Bist du nun ein Mann oder nicht?«, schrie einer von ihnen aufgebracht. »Immer langsam, ich mache es ja, aber ihr braucht mich nicht zu drängen.« »Du lässt dich bitten, eine Frau zu besteigen?« »Nun lasst mich doch mal Luft holen!« Da brüllte sein Vater wütend über den Hof: »Du gehst jetzt sofort, sonst tue ich es an deiner Stelle.« Said ging, doch es gelang ihm nicht, seine Frau Noura zu entjungfern. Seine Mutter erklärte, er sei verhext. Sie betrat das Schlafzimmer der Frischvermählten, zog sich aus und befahl ihrem Sohn, siebenmal zwischen ihre Beine zu tauchen. Das Heilmittel wirkte, denn Said fand sofort seine Männlichkeit wieder und konnte Noura unter Blut und Schreien entjungfern. Ich schauderte. Nackt und von allen verlassen, kroch ich ins Bett und zog die Decke über mich. Als ich die Augen aufschlug, stand Hmed vor mir. Nach unserer Verlobung und dem Aid el Kebir, dem Hammel118
fest, zu dem er mir mein traditionelles Geschenk gebracht hatte, war dies unsere dritte Begegnung. Ich weiß nicht, ob es die Müdigkeit oder die Aufregung war, aber er kam mir älter vor, als ich ihn in Erinnerung hatte. Er setzte sich auf die Bettkante, betrachtete mich, fuhr zögernd mit der Hand über mein Dekollete und meine Brüste und murmelte: »Ein königlicher Leckerbissen!« Er zog seine Schuhe aus, breitete einen Teppich auf dem Boden aus und verneigte sich zweimal. Dann kam er zu mir ins Bett. Ich sah nur seinen Oberkörper und seine weiß behaarten Arme. Er schob mir ein Kissen unter den Hintern und zog mich brutal an sich. Seine feuchten Lippen bebten. Mein Nachthemd lag unter mir, und Hmed auf mir. Er spreizte meine Beine, und sein Glied stieß gegen mein Geschlecht. Bornia lachte draußen auf den Feldern, und ihre Zahnstummel jagten den Karotten Angst ein. Das Geschlecht, das sich zwischen meinen Schenkeln vortastete, war blind und dumm. Es tat mir weh, so dass ich mich bei jeder Bewegung mehr verkrampfte. Die Gäste trommelten an die Tür und verlangten mein Jungfernhemd. Ich versuchte, mich freizumachen, Hmed aber drückte mich mit seinem Gewicht nieder, führte sein Glied mit der Hand und versuchte, in mich einzudringen. Vergebens. Keuchend und schwitzend legte er mich auf das Schaffell, hob meine Beine, renkte sie mir dabei fast aus und setzte seinen Ansturm fort. Meine Lippen bluteten, und mein Unterleib stand in Flammen. Plötzlich fragte ich mich, wer dieser Mann war. Was tat er 119
hier, dieser Fremde, der über mir keuchte, meine Frisur in Unordnung brachte und die Hennaverzierungen mit seinem stinkenden Atem verblassen ließ? Schließlich ließ er von mir ab und sprang auf. Ein Handtuch um die Hüften gewickelt, öffnete er die Tür und rief seine Mutter. Die trat sogleich ins Zimmer, gefolgt von Naïma. »Oh!«, rief meine Schwester aus. Ich weiß nicht, was sie gesehen hat, aber es war sicher kein schöner Anblick. Meine Schwiegermutter, die begriffen hatte, dass sich die Hochzeitsnacht in ein Fiasko verwandelte, schäumte vor Wut. Energisch schob sie meine Beine auseinander und rief: »Sie ist intakt! Gut, wir haben keine andere Wahl. Wir müssen sie festbinden.« »Bitte tu das nicht! Warte! Ich glaube, sie ist mtaqfa. Meine Mutter hat sie als Kind ›versiegelt‹ und vergessen, das ›Siegel‹ aufzuheben.« Sie sprachen von einem Brauch, der so alt war wie Imchouk und der darin bestand, das Jungfernhäutchen der kleinen Mädchen durch eine Zauberformel zu versiegeln, so dass sie unantastbar blieben, selbst für den eigenen Ehemann, es sei denn, das »Siegel« wurde durch eine Gegenformel wieder aufgehoben. Ich aber wusste, dass mein Körper jeglichen Zugang verweigerte, weil er von Hmed einfach angewidert war. Meine Schwiegermutter band meine Arme mit ihrem Schal an den Stäben des Bettes fest, und Naima ergriff meine Beine. Mein Mann würde mich also vor den Augen meiner 120
Schwester deflorieren, dachte ich entsetzt. Mit zwei heftigen Stößen durchstieß er mich, und ich wurde zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben ohnmächtig. Der Beweis meiner Jungfräulichkeit wanderte von Hand zu Hand. Von der Schwiegermutter über die Nachbarn zu den Tanten. Die Alten labten ihre Augen daran, überzeugt, so der Blindheit vorzubeugen. Das blutbefleckte Hemd bewies nichts – nur die Dummheit der Männer und die Grausamkeit gegen die unterworfenen Frauen. Eins war sicher: In den drei Jahren unserer verheerenden Ehe würde Hmed mit einem toten Körper Liebe machen.
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ie oft bin ich in unserer ersten Nacht, in der ich nicht zu Tante Selma nach Hause ging, zu Driss’ Mund zurückgekehrt? Zwanzig, dreißig Mal? Alles, was ich weiß, ist, dass ich damals meine Jungfräulichkeit verlor. Die eigentliche. Die des Herzens. Seitdem ist meine Seele nur noch ein Bahnsteig, auf dem ich stehe und die Männer vorbeiziehen sehe. Zunächst wollte ich nicht, dass er seine Zunge in mein Geschlecht schiebt, und war von seiner Schamlosigkeit schockiert. Doch in dem winzigen Moment, da seine Lippen meinen Venushügel streiften, spürte ich, wie die Welt aus den Fugen geriet, die Meere über die Ufer traten, die Gestirne implodierten. Ein Blitz durchzuckte meinen Körper, und meinen Kopf und brannte alles nieder, was ich bis zu dieser Sekunde erlebt hatte. Ich wusste bis dahin weder, dass eine solche Liebkosung so intensiv sein, noch, dass ein Mann sie mir geben konnte. Weil Driss seine Zunge in mein Geschlecht geschoben hatte, beschloss ich, es zu enthaaren. Um meine Nacktheit zu sehen, bevor ich ihn wiedersah. 122
Ich wollte wissen, wie dieses Tier genau beschaffen war, das im Schutz der gekräuselten Schamhaare sein Verlangen nach Driss so skandalös hatte strömen lassen und das zu allem bereit war, um erneut den erfahrenen Mund in seiner Höhle zu empfangen und noch einmal die wahnsinnige Lust vom Vortag zu erleben. Ein schwieriges Unterfangen. Man muss das Karamellisieren des Zuckers aufmerksam überwachen, ihn lange rühren, damit er weich, aber nicht zu flüssig wird. Das Kätzchen zu enthaaren, ist etwas anderes als Beine oder Achseln zu epilieren. Ich hatte Angst, mich an den dichten Wald heranzuwagen, der seit meiner Ehe still und verborgen zwischen meinen Schenkeln schlummerte, seit der Zeit, als mein Mann mich schonungslos nahm, ohne etwas von meinen geheimen Winkeln, von meinen Gelüsten zu wissen, die sich so glühend und rebellisch offenbarten. Der Schmerz war brutal, als sich die Karamellzunge auf den Venushügel legte. Mir hat immer vor körperlichem Schmerz gegraut. Tapfer verteilte ich die Masse auf den großen Schamlippen und stellte zu meinem Entsetzen fest, dass sich auch auf der Innenseite Haare verbergen, dort, wo das vor allen Blicken versteckte Fleisch so zart und glänzend ist. Ich zog den ersten Streifen ab, dann den zweiten. Der Schmerz verging schnell, und verräterische Lust trat an seine Stelle. Wie war das möglich? Ich weiß es nicht. Statt sich zusammenzukrampfen, öffneten sich die Lippen. Die 123
Paste glitt ab, fand auf der jetzt bläulich verfärbten Haut keinen Halt mehr. Jedes Mal, wenn ich sie auf meine Haut presste, nahm die Karamellkugel den Duft meines Saftes auf. Ich stellte fest, dass es für mein Geschlecht eine Wonne war, enthaart zu werden, sich quälen zu lassen. Die Lust zerriss mir den Kopf wie eine Explosion. Ich wurde zur Komplizin dieses unbekannten, kapriziösen majestätischen Fleisches. Ich hatte Angst, mir wehzutun, doch plötzlich erwachte mein Geschlecht und kam sogar zum Höhepunkt. Die kleinen Schamlippen pochten unter meiner vom Karamell klebenden Hand. Ich wurde fast ohnmächtig. Mit dem warmen Wasserstrahl lösten sich die letzten Zuckerklümpchen von meiner Haut, und ich sah ein pralles seidenweiches Geschlecht, so wie das, das ich als kleines Mädchen unter den Laken entdeckte und das heute voll und reif war wie eine Frucht. Vorsichtig, dann immer fiebriger, erkundete ich es erneut – wie es sich mir darbot, gekrönt von einer lasterhaften, jungfräulichen Nacktheit. Es wollte mehr. Doch ich hatte weder Driss noch die Karotte von Aziz’ Frau zur Hand. Also drückte ich es streng zusammen. Es verlangte mehr. Die Klitoris reckte ihre Spitze vor wie eine Feuerzunge. Ich wurde schwach. Ich wollte es. Ich wollte mich. Mit dem Daumen schürte ich die schönste Erektion. Meine Knospe schmiegte sich an den barmherzigen Zeigefinger, der ihre Festigkeit unterstützte. Ihre Trunkenheit. Ich 124
presste das brennend-nasse Fleisch zusammen, als wollte ich es bestrafen. Mein Geschlecht hatte mich besiegt. Es war glücklich, und mein ganzer Körper vibrierte bis in die Zehenspitzen von seiner Lust. Am meisten bewegte mich sein weicher weißer Anblick. Ich genoss dieses nackte Geschlecht, das mich herausforderte. Es war so unendlich schön, und ich verstand, dass man seine Zunge hineinschieben will. Ich masturbierte nicht. Ich machte Liebe mit der scheinheiligen Bestie, die unter meinen Fingern schamlos den Höhepunkt erreichte. Sie hörte nicht auf, ihren Saft zu vergießen, und ich sagte ihr immer wieder: »Mehr ... mehr!« Es war zum Totlachen, ich hatte mich in meine eigene Muschi verliebt. In einer Nacht hatte ich auf einen Schlag sieben Meilen durchschritten, war auf die andere Seite des Spiegels getreten, um mir selbst zu begegnen. Am nächsten Tag sah ich Driss wieder, und auch am übernächsten und an allen folgenden. Er machte mit meinem Körper, was er wollte, und ich genoss staunend seine Wundertaten. Jedes Wort, jeder Blick vertrieb eine Sorge, eine Unwissenheit, eine falsche Scham. Meine Haut wurde weicher, mein Atem entspannter. Ich wurde des Lernens nicht überdrüssig, sog die neuen Galaxien auf und spie die schwarzen Löcher wieder aus. Ich war glücklich, und Tante Selma wusste es. Sie billigte meine Wahl nicht, stellte aber zufrieden fest, 125
dass mein Körper seltene Essenzen verströmte, die sich in perfekter Harmonie mit den Pflanzen ihres Innenhofs befanden. Eines Tages, als wir ihr Zimmer wischten, hielt sie plötzlich inne, rückte ihren Schal zurecht und bemerkte beiläufig: »Pass auf, dass du nicht schwanger wirst. Das sage ich nicht deinetwegen, sondern wegen des Kindes. Die Ungläubigen gehen grausam mit Bastarden um.« Ich wusste nicht, wie ich eine Schwangerschaft verhindern sollte. Sie muss es erraten haben, denn als sie etwas später, das Sieb zwischen die Schenkel geklemmt, die Nudeln rollte, kam sie erneut darauf zurück. »Du hast die Wahl: Entweder entscheidest du dich für die arabische Methode oder du fragst deinen Arzt, wie es die Nazarenerinnen machen.« Ich wusste, dass sie sich Sorgen machte, und ergriff ihre Hand, um sie zu küssen. Sie zog sie eilig zurück und lächelte besiegt. »Ich bin wütend. Außer mir vor Zorn!« »Tante Selma, die Liebe ist eine schöne Sünde ...« »Wenn sie gegenseitig ist.« »Sie kennt keine Vernunft!« »Aber Driss ist sehr vernünftig. Niemals wird ein Bourgeois wie er eine Bäuerin heiraten! Glaubst du, Tanger wird dich gewähren lassen? Er ist Arzt, reich, berühmt und großzügig gegenüber den Frauen. Die Mütter sind bereit, ihm den Hintern zu küssen, damit 126
er ihre Töchter heiratet. Sie würden sogar mit ihm ins Bett gehen, um ihn zu ihrem Schwiegersohn zu machen!« »Wie das? Das ist nicht einmal, sondern siebenmal von Gott verboten!« »Gott verbietet, was Er will, aber Seine Geschöpfe tun trotzdem, was sie wollen. Bitte Ihn nur, den Teufel in Gestalt eines Mannes oder einer Frau von deinem Weg fernzuhalten. Und merk dir vor allem eins: Er verzeiht viel, aber Er mag es nicht, wenn man Ihn beleidigt. Ein Kind ohne Namen ist etwas Schreckliches! Mach kein Kind, das die Welt nicht will, selbst wenn du es willst. Bring mich nicht vorzeitig ins Grab, Badra! Ich habe noch so viel vor.« Ich betrachtete meinen Bauch und lächelte: Ich fühlte mich nicht für die Mutterschaft geschaffen. Alles, was ich wollte, war Driss lieben und mit ihm vögeln. Ich wagte es nicht, Tante Selma das zu sagen, und das bedaure ich. So wie ich ihr Jahre später nicht sagen konnte, dass ich kein Kind zur Welt bringen wollte, weil ich keinen Vater gefunden hatte, der es vor ihr beschützt. Driss hatte meine Sprache, meine Haltung und die Ordnung meiner Gedanken verändert. Ich beging keine Sünde, wollte niemandem etwas Böses und war im Übrigen davon überzeugt, dass die Welt nichts wert war ohne die gewaltige Feuersglut der Liebe, in der ich – mit ungeschütztem Herzen – stand. Mein 127
Herz liebte Driss und gedachte der Bettler, die Gott die Hand entgegenstrecken und von den zerstreuten und geizigen Menschen angeherrscht werden. Jeden Freitag schenkte ich den mit Pusteln und Lumpen bedeckten Bettlern, die am Eingang des Mausoleums standen, Brot. Mein Gewissen war so rein wie zu jener Zeit, da ich als Schülerin eine kleine Münze in die Hand von Hay, dem Bettler vor der Moschee von Imchouk, legte. Mein Herz liebte Driss, schrie lauthals: »Zum Teufel mit Imchouk! Zum Teufel mit euch Bigotten, die ihr die Marabuts den Propheten, die Trance den Gebeten und die Beschwörungen den Versen vorzieht. Zum Teufel mit euch Djinns und bösen Geistern, euch Böcken und Imams mit den Klumpfüßen! Gelobt seien Gott, der Weizen und die Olivenbäume. Gelobt seien die von Liebe erfüllten Herzen und die mit dem Weihwasser der Sterne gesegneten Hintern.«
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riss und ich trafen uns in seiner Wohnung am Boulevard de la Liberté – eine der vielen Immobilien, die er in Tanger besaß. Mein Geliebter verwaltete ein riesiges Vermögen, das seine aus Fes stammende Großmutter ihrem einzigen Enkel hinterlassen hatte. Sie hatte darauf bestanden, ihn als alleinigen Erben einzusetzen, hatte dabei ihre Tochter übergangen und ihn in einen Rang erhoben, der ihm nach dem frühen Tod seines Vaters per Gesetz eigentlich nicht zustand. Leidenschaftlich und durchtrieben erklärte er mir die Finessen des muslimischen Rechts und erzählte, wie es seiner Großmutter mit Hilfe der Fatwa, der Koranauslegung durch den Mufti des Viertels, gelungen war, die gängigen Regeln außer Kraft zu setzen. Aber über das Geld lachte er nur, er liebte seine Arbeit als Kardiologe, bei der er ein außergewöhnliches, sowohl von seinen Kollegen als auch von seinen Patienten anerkanntes Talent bewies. »Ich habe das Geld meiner Großmutter nur angenommen, weil ich wusste, dass wir uns nicht körperlich lieben konnten. Sie wollte, dass ich etwas 129
Besonderes werde, und hat mich zu einer Zeit, als es Mode war, sich den Hintern auf französischen Schulbänken platt zu sitzen, auf eine arabische Oberschule geschickt. Eine außergewöhnliche Frau!« Driss liebte Marokko so sehr, dass er sich weigerte, eine eigene Praxis zu eröffnen, stattdessen wollte er lieber im öffentlichen Gesundheitswesen arbeiten. Nur mit diesem Ziel war er von Fes nach Tanger gezogen. Manchmal legte er Oum Koulthoum auf und sprach leidenschaftlich von der arabischen Literatur und den Freigeistern der Klassik. Unter seinem genießerischen und gerührten Blick las ich Abou Nawas und entdeckte darin eine Freiheit, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Mein Geliebter war auch der Erste, der mir von der »Passion de Hallaj« erzählte. Gott sei Dank war mir das egal. Ebenso egal wie die Liste der illustren Besucher Tangers, die er mir aufzählte: Nazarener, die Tanger verfallen sind, diesem faulen Luder mit den gespreizten Beinen, halb Loukoum, halb Schwein, das im Ruf steht, Todgeweihte zu heilen – wie etwa Paul Bowles, der ganz in der Nähe lebte, Tennessee Williams, der im Minzah-Viertel wohnte, oder einen gewissen Brian Jones, der sich bei den Jajouka-Musikern einquartiert hatte. Manchmal sah ich ihn lange und eingehend an. Er war nicht schön im eigentlichen Sinn. Doch er hatte diesen unwiderstehlich schlanken Körper, diese 130
langen feinen Muskeln, die unter der tonfarbenen Haut spielten, die mich vor Begehren zittern ließen. Die Form seiner langgliedrigen Finger deutete auf ein von Adern durchzogenes Geschlecht hin wie das der unersättlichen und unermüdlichen Seefahrer. Ich gehöre zu denen, die ein einziges Mal nicht befriedigt. Das habe ich durch ihn entdeckt. Er lachte, und beim Anblick seiner Zähne bekam ich Lust, in seine vollen Lippen zu beißen, an der Partie zwischen Mund und Nase zu schnuppern, wo der Tabak feine Spuren hinterlässt und über die ich gerne mit der Zunge fahre. Seither liebe ich den Geruch von Tabak, vermischt mit dem leichten Schweiß der Dunkelhäutigen. Den größten Teil seiner Freizeit verbrachte mein Geliebter damit, zu lesen und an seinen Witzen für die Abende bei der Hautevolee zu feilen. Er sprach von den Frauen, von ihren Ärschen und Brüsten, amüsiert und ungeniert. Er trank, torkelte, kratzte sich den Hintern und lief nackt und völlig ungehemmt in seiner Wohnung herum und lachte, wenn ich ihn bat, nicht auf meinen Hintern zu starren, als ich ins Badezimmer lief. Für ihn zählte weder Zeit noch Geld. Für mich war es ein glücklicher Spaziergang durch die Wiesen meiner Kindheit. Ich war nicht in Tanger. Ich war nirgendwo. Ich lebte in einer unvorstellbaren ausschließlichen Liebe, einer vielsprachigen Liebe, die weder Kinder noch 131
Hochzeit brauchte, in einer Liebe, die nur das Lieben kannte. Eines Tages nahm er mein Gesicht zwischen die Hände und fragte mich leicht beunruhigt: »Sag, liebst du mich?« Ich wusste nicht, was ich ihm antworten sollte. Dass ich es vor mir selbst oder vor Tante Selma zugab, hatte keine Folgen. Aber es Driss einzugestehen! »Ich weiß nicht.« »Warum kommst du dann zu mir und riskierst, in Tanger als Hure zu gelten?« »Tanger kennt mich nicht!« »Doch, mein Kätzchen. Und diese Stadt kennt mich zu gut, um mir zu verzeihen.« »Was soll sie dir verzeihen?« »Dass ich dich Aicha, Farida, Shama, Naila und vielen anderen frivolen Mädchen aus guter Familie vorgezogen habe.« »Dabei triffst du sie noch immer!« »Nur um mich zu amüsieren, mein Täubchen! Nur um mich zu amüsieren! Shama behauptet, deinen Geruch in meinen Haaren zu riechen, und Naila, dass ich seit einigen Monaten nach Bockshornklee stinke!« »Und glaubst du ihnen?« »Was meine Haare betrifft, auf jeden Fall! Mein Kopf ist ja ständig zwischen deinen Beinen! Das wissen sie übrigens auch!« »Nein!« 132
»Doch! Ich habe ihnen geraten, es ebenso zu machen, statt ihr Leben damit zu verbringen, immer wieder im Garten des Nachbarn zu wildern.« »Du bist ja völlig verrückt!« »Aber nein! Ich erzähle dir nur, was sich in den Luxusvillen unserer schönen Stadt abspielt. Darf dein Geliebter dich jetzt noch einmal kosten?« Es nutzte nichts, zu protestieren oder zu behaupten, dass ich es nicht wollte. Er brauchte mich nur zu berühren, um einen ungehemmt sprudelnden Brunnen zu entdecken.
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Badra in der Schule der Männer
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it zehn Jahren interessierte ich mich nicht länger für das Geschlecht der Frauen. Nun wollte ich das des Mannes ergründen. Ich erzählte es meiner Cousine Noura, die in Gelächter ausbrach und mich einen Dummkopf nannte. »Ich habe schon mehrere gesehen, und zwar in allen Farben!« »Wo denn?« »Na auf dem Markt, du Dummchen! Die Bauern setzen sich rittlings hin und lassen ihre Rute mitten zwischen das Gemüse hängen.« Gemeinsam gingen wir auf den Markt und drehten ohne Erfolg unsere Runde zwischen den Ständen. Ich hatte schon Sorge, wir würden unverrichteter Dinge zurückkehren, als wir auf einen Bauern stießen, der seine alte Djellaba gerafft hatte. Zwischen seinen Beinen schien ein schwärzliches Ding zu baumeln, aber wir konnten es nicht wirklich erkennen, da der gute Mann unsere Absicht erriet, hinter uns herlief und uns als »Satansbrut« beschimpfte. Moha, der Töpfer, hatte die Episode wohl von weitem beobachtet, denn als wir an ihm vorbeigingen, überzog ein 134
breites Grinsen sein Gesicht, und er rief uns mit einem verstohlenen Handzeichen herbei. »He, Mädchen! Schaut mal her, was für ein hübsches Stückchen Süßholz ich hier habe.« Im Ausschnitt seines Saroual tauchte verstohlen eine violette Rundung auf, halb verdeckt von der Drehscheibe voller Ton, die er mit regelmäßigen Fußbewegungen bediente. Wie versteinert blieben Noura und ich einen Moment lang stehen, dann rannten wir unter nervösem Gelächter davon. Als wir quer über ein Feld liefen, vertraute ich Noura an, das Dingsda des Töpfers sei aber nicht schön. »Dabei hast du es noch nicht einmal ganz gesehen! Manchmal versteckt er sich im Gebüsch am Ufer des Wadi und zeigt es den kleinen Mädchen, die dort noch weiterspielen, nachdem ihre Mütter die Wäsche gewaschen haben.« »Würdest du denn so ein schwarzes Ding gern anfassen?« »Ehrlichgesagt, ja! Man sagt, dass, wenn man es drückt, Milch herauskommt. Und wenn eine Frau einen großen Schluck davon trinkt, wird sie schwanger.« »Aber nein! So was passiert mit den Augen!« »Wie meinst du das?« »Tante Selma sagt oft zu Onkel Slimane: ›Schau mich nicht so an, sonst werde ich noch schwanger!‹« »Verdammt! Diese Bornia ist doch eine Lügnerin! Ständig drängt sie meine Mutter, meinen Vater mit KnoblauchSpiegeleiern und wildem Honig voll zu stopfen, damit sich sein Ding mit Milch füllt und sie hübsche Zwillinge 135
empfangen kann, schwarz wie Pflaumen und riesig wie der Großvater!« Noura war meine Lieferantin schlüpfriger Geschichten. Zum Beispiel der vom Schäfer Sidi Driss, der die Angewohnheit hatte, seine Rute an einer Feigenhecke zu reiben. Sein stark behaartes Organ war gegen die Stacheln unempfindlich, jedoch nicht gegen den Biss eines Esels, denn man musste ihn als Notfall in eine Klinik einliefern, nachdem ein herumstreunender Esel seine Eichel mit einer Feige verwechselt und mit tierischem Genuss hineingebissen hatte. Von Noura stammte auch der Vorschlag, die Zipfel der Cousins zu inspizieren. Ich zuckte geringschätzig mit den Schultern. Schließlich hatte sich mir mein Bruder Ali schon mehrfach präsentiert, wenn er mit nacktem Po hinter den Hühnern herlief. Ich hatte sogar gesehen, wie er sich, Rotz und Wasser heulend, doch mit Geschenken überhäuft, die Vorhaut hatte beschneiden lassen, um in den Stamm Abrahams aufgenommen zu werden. Das einzig Interessante an der Geschichte war gewesen, meine Mutter im Hof thronen zu sehen, einen Fuß im Wasser, den anderen auf dem Boden. Als Ali schrie, zuckte sie heftig mit ihrem rechten Fuß und stieß dabei mit ihren Ringen an die Wand des Eimers. Das metallische Geräusch und ihr Youyou übertönten Alis Geheul, aber von ihrem angsterfüllten und aschfahlen Gesicht rann der Schweiß in dicken Tropfen. Mütter ertragen es nur schwer, wenn man ihren Söhnen, ihrer Kriegsbeute, zu nahe tritt. Im Grunde genommen lieben sie nur die Zipfel. Sie sind regelrecht in sie vernarrt und verbringen ihr 136
Leben damit, sie zu hätscheln, um sich ihrer im geeigneten Moment als Dolch und Florett zu bedienen. Noura konnte ihre Neugier befriedigen, als Tante Touriyya, die in einem Nachbardorf wohnte, uns in Begleitung ihrer beiden zwölf und dreizehn Jahre alten Söhne zum Hammelfest besuchen kam. Während der Siesta zogen Noura und ich uns in das Zimmer zurück, das ich seit Naïmas kürzlicher Heirat alleine bewohnte. Wir spielten in einer Ecke, als die beiden Cousins auf Zehenspitzen hereingeschlichen kamen und uns befahlen, stillzuhalten. Rasch hatten sie uns gegen die Wand gedrückt und kniffen uns in Brust und Po. Noura bebte vor Zorn und versuchte, Hassan zurückzustoßen. Said hob meinen Rock. Er sagte mir in schmeichelndem Ton: »Soll ich dir das Vögelchen zeigen?« Noura war den Tränen nahe und drohte damit, zu schreien. Die beiden Brüder ließen uns los, und Hassan verkündete verächtlich: »Ihr Feiglinge, wir zwingen niemanden! Wenn ihr aber das heben kennen lernen wollt, trefft uns morgen bei dem Brunnen der Karma!« Entgegen jede Vernunft gingen wir hin. Said und Hassan erwarteten uns am Ausgang des Dorfes im Schatten eines Olivenbaums. Wir gelangten auf eine Lichtung, die von Schilfrohrbüschen gesäumt war. »Still! Und Köpfe runter, damit man euch nicht bemerkt!« Was ich nun durch die Schilfrohre hindurch zu sehen bekam, nahm mir den Atem: Etwa ein Dutzend Jungen, 137
die Cousins und deren Spielkameraden, lagen mit geschlossenen Augen und stoßweise atmend auf der Wiese, wobei jeder den neben ihm Liegenden zwischen den Beinen bearbeitete. Noura riss die Augen auf. Mir war klar, dass ich am falschen Ort war und ein derartiges Schauspiel nicht hätte sehen sollen. »Warum machen sie das?«, fragte Noura, sichtlich verblüfft, » Weil die Ziegen nicht immer gefügig sind«, antwortete Hassan glucksend. Wir entfernten uns rasch, allen Protesten der beiden zum Trotz. »He, Mädchen! Nachdem ihr jetzt euren Spaß hattet, wollen wir unsere Belohnung! Zeigt uns, was ihr vorzuweisen habt! Nur ein bisschen! Kommt schon, stellt euch nicht so an!« Ich nahm die Beine unter die Arme, dicht gefolgt von Noura. Die Jungs jagten uns wütend durchs Gestrüpp und hätten uns sicher erwischt, wäre nicht Aziz, der Schäfer, vorbeigekommen, rückwärts auf seinem Esel reitend und mit seiner imposanten Stimme Berbermelodien singend. Said und Hassan mussten sich wohl oder übel zurückziehen. »Ihr Widerlinge, ihr könnt was erleben! Wir sagen alles Am Habib, dem Tahhar. Er wird euch euer Ding ein zweites Mal kürzen!« Zu sehen, wie sich die Jungen berührten, hatte mich zutiefst schockiert. Ein Pimmel hat also keine besondere Vorliebe: er treibt es mit einer Muschi genauso wie mit einem 138
anderen Pimmel. Ich fühlte mich brutal entthront, entsetzlich überflüssig. Ich sprach mit Noura darüber, die mir verlegen gestand: »Ich dachte, nur die Mädchen machen es untereinander!« »Was sagst du da?« »Ja, natürlich! Wir haben dich nie mitspielen lassen, weil wir Angst, hatten, deine Mutter könnte uns erwischen! Du weißt selbst, wie schrecklich deine Mutter sein kann!« »Du Verräterin! Das wirst du mir büßen!« »Glaube mir, ich habe nur auf die passende Gelegenheit gewartet, um es dir zu zeigen!« »Dann wirst du es mir eben jetzt sofort zeigen! Komm mit den anderen zu mir nach Hause, ich sehe zu, wie ich meine Mutter ablenke.« Und sie kamen, vier Cousinen und Klassenkameradinnen. Wir nahmen unsere Puppen und allen möglichen Krimskrams und schlüpften in die Rolle von Erwachsenen, die einen Empfang geben und feiern. Jedes Mädchen, mit einem Tuch als Haik auf dem Kopf, klopfte an meine Tür und trat ein, wobei sie die üblichen Floskeln von sich gab: »Wie geht es dir, ya Lalla? Wie geht es dem Gebieter deines Hauses? Und deine Große? Hat sie geheiratet? Gott segne das Dach, unter dem du lebst!« Ich bat sie, auf einer Matte am Fuß des Bettes Platz zu nehmen. Dort servierte ich ihnen einen mit Wasser verdünnten Rest Tee und trockenen Kuchen, den ich aus Mamas Schrank stibitzt hatte. Noura verkündete, man werde nun unter dem Bett weiterplaudern. Sie begann als Erste, Fatima 139
an sich zu drücken, und die anderen Mädchen folgten ihrem Beispiel. Ich begnügte mich zunächst mit der Zuschauerrolle. Es dauerte aber nicht lange, bis Noura ihre Spielkameradin verließ, um sich mir zu widmen. Ich presste die Schenkel zusammen, aber ihre Hand fand rasch den Weg zu meinem Geschlecht. Wie um mich für die köstlichen Empfindungen zu rächen, die mir ihr Streicheln verschaffte, schob ich meine Hand zwischen ihre Beine und tat es ihr gleich. Kein haut war zu hören, aber die Hände spielten auf den willigen Körpern eine leidenschaftliche Partitur. Eine betörende und überwältigende Hitze kroch meine Beine entlang, während es der tätigen Hand mehr und mehr gelang, die kleine Schnecke aus ihrem Häuschen hervorzulocken. Ich bemühte mich, mit der Bewegung meiner Finger nicht zu erlahmen, damit Noura mit offenem Mund, Schweißperlen auf der Stirn und voller Leidenschaft weiter die Augen verdrehen konnte. Mir fiel die Szene mit den Jungen wieder ein, und ich fragte mich, ob sie bei ihrem Spiel dieselben Wonnen erlebten wie wir bei unserem. Nouras Hand streichelte mich und bereitete mir ein himmlisches Vergnügen. Fast ein Jahr lang waren Noura und ich von unserem Spiel nahezu besessen und nutzten jede sich nur bietende Gelegenheit, uns aneinander zu schmiegen, alleine oder in Anwesenheit anderer Mädchen. Ihr Finger wurde der ständige Besucher meiner verborgenen Frucht. Ich weigerte mich, andere Hände als die ihren an mich heranzulassen, war bereits damals treu und ausschließlich in meiner Hingabe. Ohne uns auszuziehen und mit kaum entblößtem Ge140
schlecht legten wir uns aufeinander, Scham auf Scham, und ließen neugierig unsere Hände auf Entdeckungsreise gehen. Noura wurde mein zartes Geheimnis. Ich war ihr Abgott und bis zu einem gewissen Grad auch ihr Eigentum. Said seinerseits schlich weiterhin um mich herum. Wenige Tage vor der Rückkehr in sein Heimatdorf kam er mit funkelnden Augen und flehender Stimme zu mir. »Ich muss dich was fragen.« »Schieß los.« »Du weißt ja, was du dank mir sehen durftest.« »Sprichst du von den Jungen? Na und? Ihr seid nur allesamt aus der Art geschlagen, mit euch wollen wir Frauen nichts zu tun haben!« »Aus der Art geschlagen oder nicht, da hast du ganz schön gestaunt. Gut, aber darüber wollte ich nicht mit dir reden. Ich möchte, dass du mir einen Gefallen erweist. Folge mir.« Er lief in Richtung der Felder. »Wohin gehst du? Mama mag es nicht, wenn ich mit Jungs herumziehe.« »Es dauert nicht lange.« Kurz darauf erreichten wir dieselbe Lichtung wie beim letzten Mal. Dort stand eine Gruppe Burschen herum wie am Markttag. »Du langweilst mich. Du wirst mir doch nicht wieder dieselbe Szene vorspielen?« »Nein. Aber ich habe eine Wette abgeschlossen.« »Was für eine Wette?« 141
»Dass ich ihnen deine Muschi zeige.« Ich schluckte heftig. »Ich flehe dich an! Lass mich nicht im Stich! Glaub mir, du riskierst nichts. Du bleibst ganz ruhig hier stehen. Ich werde dieses Tuch als Vorhang benutzen. Meine Freunde werden sich in einer Schlange anstellen. Jedes Mal wenn ich das Tuch hebe, lüftest du deinen Rock und zeigst ihnen, was darunter ist.« Ich war neugierig, wollte wissen, was passiert, und willigte ein. Er knotete das Tuch an einem Ast fest, breitete es so aus, dass ich vor den Blicken völlig geschützt war, und rief seinen Kameraden zu: »Haltet euch bereit. Wenn ich ein Zeichen gebe, trittst du, Farouk, als Erster einen Schritt vor!« So konnte ich eine gute halbe Stunde lang mein Schmuckstück herzeigen und seine Wirkung auf die Jungen beobachten. Mit der einen Hand zog ich an meinem Höschen, mit der anderen war ich damit beschäftigt, meinen Rock zu lüpfen und wieder fallen zu lassen. Mein Cousin hob den Vorhang und ließ ihn anschließend wieder herab wie ein Torero sein Tuch vor dem wild gewordenen Stier. Ich konnte in aller Ruhe die kleinen Neugierigen betrachten. Sie sahen, wie hypnotisiert, nur mein Geschlecht. Einige erröteten bis zu den Ohren, andere wurden blass, als würden sie im nächsten Moment ohnmächtig niedersinken. Nachdem der letzte Zuschauer gegangen war, tätschelte mir Said stolz die Wange und rief. »Cousinchen! Du warst genial. Du hast wirklich Schneid! Dafür werde ich 142
mich einmal erkenntlich zeigen, versprochen, großes Ehrenwort!« »Du hast gewettet, dass ich deinen Kumpeln mein Geheimnis zeige, ohne den Blick zu senken, das war es also!« »Besser! Jeder dieser Schwachsinnigen hat mich dafür bezahlt, dass er dich bewundern konnte. Insgesamt habe ich einen Dirham in der Tasche und werde mir davon den Ball kaufen, den Lakhdar, der Krämer, nur an seiner Ladentür hängen hat, um mich zu ärgern.« Meine kleine Katze gegen einen Ball! Das fand ich nun wirklich lächerlich, fühlte mich aber auch geschmeichelt, dass sie so viel einbrachte, ohne mir die geringste Anstrengung ab-zuverlangen. Trotzdem fragte ich: »Und was springt für mich dabei raus?« »Die Hochachtung deines Cousins, der dich vielleicht eines Tages heiraten wird.« »Ich will dich niemals heiraten. Du bist zu dick und riechst nach Knoblauch wie deine Mutter.« Wir heirateten nie. Er sollte Noura heiraten und am Abend seiner Hochzeit vor ihrem Geschlecht versagen. Aber er wurde einer der besten Händler seiner Generation.
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on Anbeginn unserer Beziehung bestand Driss darauf, mir am Ende eines jeden Monats hundert Dirham zu zahlen, meinen »Lohn«, wie er es nannte. Er wollte mir zu finanzieller Selbstständigkeit verhelfen, damit ich meine Abhängigkeit von Tante Selma verringern und mich als »Volljährige und Erwachsene« fühlen konnte. Mir erschien es unschicklich, doch ich weigerte mich nicht, sein Geld anzunehmen. Er bestand auch darauf, dass ich mich zu einem Stenotypistinnenkurs anmeldete, meine Schulbücher wieder herausholte, mein Französisch verbesserte und erneut zu lesen begann. Seine Argumente überzeugten mich nicht wirklich, aber ich wollte ihm gefallen und gehorchte. Ich verzichtete auf den Schleier zugunsten der Kleider, die er mir neben Schuhen, Schals und Schmuck schenkte und die ein Vermögen wert waren. Tante Selma murrte: »Wenn er mit dir schläft und dich aushält, was hindert ihn dann, um deine Hand anzuhalten? Er ist dabei, eine Edelhure aus dir zu machen.« 144
Heiraten? Mein Geliebter beteuerte, wir seien doch Mann und Frau, und das Blatt Papier, das man vor einem Adoul unterzeichnet, würde daran nichts ändern. Ich glaubte ihm. Bevor wir uns liebten, ließ er mich mehrere Seiten Lamartine vorlesen und korrigierte meine Aussprache. »Wenn du weiter fleißig bist, wirst du bald Racine lesen können!«, meinte er vergnügt. »Wozu das alles? Was nützt mir dieser Plunder?« »Dein Verstand soll sich weiterentwickeln, und du wirst deinen Lebensunterhalt verdienen können.« »Ich soll arbeiten? Aber ich habe keinen Abschluss.« »Du hast bereits ein Schulzeugnis und warst mehrere Jahre auf der Oberschule. Lass mich nur machen. Bald wirst du hinter einem Schreibtisch thronen und eine Menge überflüssiger Papiere unterschreiben.« Er hielt Wort. Knapp ein Jahr später verschaffte er mir eine Anstellung als Sekretärin in einem Büro der Fluggesellschaft des Königreichs. Mein Gehalt war lächerlich, aber ich war sehr stolz, selbst verdientes Geld nach Hause zu bringen. Tante Selma weigerte sich, am Monatsende das gesamte Geld anzunehmen. »Es ist dein Geld, du kannst frei darüber verfügen. Du möchtest etwas zu den Ausgaben beitragen? Einverstanden, aber lerne, mit deinem Geld gut hauszuhalten und etwas zu sparen, damit du nie bedürftig wirst.« Driss eröffnete für mich ein Sparkonto bei der Post. 145
Später verfügte ich sogar über ein Bankkonto, aber noch heute besitze ich mein Postsparbuch, es erscheint mir wie das urzeitliche Licht eines längst verschwundenen Planeten. Ich liebte Driss und lernte es, ihm dies auch zu sagen, naiv und gesättigt von seinem Körper. Er lächelte traurig und tätschelte väterlich meine Wange. »Mein kleines Mädchen, was heißt das, lieben? Unsere Körper freuen sich darüber, einander zu begegnen. Morgen wirst du auf einen anderen Mann treffen und Lust bekommen, ihm den Nacken zu streicheln, seinen Körper zu spüren. Und mich wirst du vergessen.« Ich rief entsetzt: »Niemals!« »Red kein dummes Zeug! Auch ich kann einer anderen Frau begegnen, vielen Frauen sogar, und Lust bekommen, sie zu nehmen.« »Ich mag nicht, wenn du ordinär wirst.« Seine Sprache erinnerte mich an meine Schwägerinnen, wahre Megären, und aus einem unerfindlichen Grund auch an das traurige Schicksal der Hajjalat von Imchouk.
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Meine geliebten Ausgestoßenen
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einem Cousin Said verdankte ich die Erkenntnis, dass sich ein Geschlecht verkaufen lässt und es Geld einbringt wie bei den Hajjalat, die vom Dorf geächtet wurden und denen Tante Taos vorwarf, »ihre Weiblichkeit zu Geld zu machen«. Erstaunt sagte ich mir: »Sie machen es also wie ich, und ich mache es wie sie. Wozu dieses Geschrei um eine solche Nichtigkeit?« Die Frauen, deren Namen man nur im Flüsterton nannte, waren Frauen ohne Männer und galten daher als tugendlos. Es waren nur drei, eine Mutter und ihre beiden Töchter, aber das Gewicht ihrer Sünden, so hieß es, glich dem der gesamten Erde. Seit der Vater während einer Wallfahrt verschwunden war, lebten sie alleine. Einige sagten, er sei im Heiligen Land gestorben, andere äußerten hinter vorgehaltener Hand, er sei in Casablanca untergetaucht und lasse seine Frauen für sich »arbeiten«. Wie konnten Frauen »arbeiten«, die so zurückgezogen lebten? Nun ja, inzwischen wusste ich es. Ich spitzte die Ohren, um das geringste Gerücht aufzuschnappen, das über sie kursierte, und sog alle Informationen voll fieberhafter Begierde auf. Ich erfand immer neue 147
Vorwände, um in der Nähe ihres Hauses umherzustreichen, einem Bauerngut aus roten Ziegeln, das ihnen ein ehemaliger Kolonist überlassen hatte und das direkt am Wadi lag. Sie hatten das Haus mit einer weißen Mauer umgeben, an der wilde Pflanzen emporrankten und die einen Sichtschutz für die Frauen bildete. An der Ecke wachte stets ein dunkelhäutiger Mann mit einem riesigen Kopf. Er diente ihnen auch als Bote. Bei Einbruch der Dunkelheit verzog er sich und machte den Burschen des Ortes Platz, die sich mehr oder minder diskret vor dem Haus herumdrückten. Gelegentlich sah man die beiden Schwestern auf den Straßen von Imchouk. Die Mutter sah man nie. Sie überquerten den Platz, waren vollkommen verschleiert und ließen nur ein Auge sehen, das mit übermäßig viel Kajal geschminkt war. Man munkelte, sie hätten hässliche Gesichter, flache Hinterteile, einen bleichen Teint, einen plumpen Gang und Plattfüße. Gelegentlich erschien eine von ihnen bei der Schneiderin Arem oder überschritt die Schwelle des Mausoleums von Sidi Brahim. Siegingen auch in den Hammam, und es war allgemein bekannt, dass die anderen Frauen auf der Stelle den großen Saal verließen und sich ins Vestibül flüchteten, wenn die Hajjalat kamen. Eines Tages, als ich ihnen vor dem Warmwasserbecken begegnete, hatte ich endlich Gelegenheit, sie nach Herzenslust zu betrachten. Sobald meine Mutter sie entdeckt hatte, machte sie kehrt und verließ fluchtartig den Raum. Ich blieb 148
wie angewurzelt stehen und verschlang sie mit den Augen. Sie waren Zwillinge und sie waren schön. Ihre in feine Spitzen gehüllten Körper hatten die helle Farbe von Alabaster. Die Knospen ihrer schweren Brüste erblühten wie keimende Granatapfelkerne. Unter den Brauen, welche die Form von aufgehenden Monden hatten, lagen Augen von undefinierbarer Farbe. Sollten das die Ungeheuer sein, die man an allen Enden und Ecken von Imchouk beschimpfte und verfluchte? In meinen Augen, den Augen einer Heranwachsenden, waren dieses Fleisch, diese Hintern, diese Haut, diese Becken nichts anderes als die Inkarnation der vollkommenen und quälenden Begierde. Ich beugte mich vor, um den Eimer mit heißem Wasser zu ergreifen, und streifte dabei das Bein einer der Schwestern. Als ich den Kopf hob und sie mit brennendem Gesicht und umnebeltem Blick betrachtete, sah ich sie lächeln, königlich und entrückt. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände wie eine Schale und küsste mich beinahe auf den Mund, zuerst leicht, dann mit heißem und forderndem Druck. Von ihren Lippen wurde mir schwindlig. Ich rannte schreiend davon. Hinter meinem Rücken lachte diese Königin von Saba, für die mein Lehrer eine besondere Vorliebe hatte. »Wenn du willst, komm einmal wieder, Kleine! Deine Lippen schmecken nach Zucker und Honig«, rief sie mir für jeden gut vernehmlich zu. Meine Mutter erwartete mich in der Halle mit gerunzelter Stirn und misstrauischem Blick. »Was hast du da drin gemacht? Warum kommst du so 149
spät? Habe ich dir nicht verboten, diese verdorbenen Frauen anzuschauen?« »Ich bin ausgerutscht, als ich weglaufen wollte! Ich glaube, ich war ohnmächtig.« Das war nur eine halbe Lüge, denn mein Kopf schwirrte noch von der Lust, die ich ganz Imchouk zum Trotz gekostet hatte. Der Kuss der Frau brannte auf meinen Lippen und machte mich benommen. Abends in meinem Bett konnte ich nicht umhin, Gott inständig zu bitten. »Lass mich eine Hajjala werden! Mach, dass mich diese Frau noch einmal küsst!« Sie kehrte nur in meinen nächtlichen Träumen wieder, wenn ich an meinen Schwur dachte, das schönste Geschlecht von Imchouk und der ganzen Erde besitzen zu wollen. Nun wusste ich, dass die Hajjalat schöner und geheimnisvoller waren als ich, aber ich nahm ihnen das nicht übel. Im Gegenteil. Vage betrachtete ich sie als meine Schwestern, meine älteren Schwestern, die mir eines Tages die Tore zu einem Paradies, das für andere Sterbliche unzugänglich ist, weit öffnen könnten. Eines Nachmittags, beim Verlassen der Schule, erblickte ich eine der Schwestern. Sie überquerte gerade das Wadi. Ich beschloss, ihr zu folgen, auch wenn meine Mutter mich vierteilen würde. Sie ging ohne Eile und ohne sich umzudrehen, schaute gerade vor sich hin, ihr Schleier raschelte. Als sie an der Moschee vorbeilief, musste ich rennen, denn sie hatte den Schritt plötzlich beschleunigt. 150
Sie ging in Richtung Friedhof und nachdem sie einmal um sich geblickt hatte, trat sie ein. Ich verkroch mich hinter einem kleinen Gehölz, in dem zwei Ziegen grasten. Über ein Grab gebeugt, die geöffneten Hände dem Himmel dargeboten, betete die Hajjala. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Sie hörte nicht auf ihre Verse zu murmeln, und meine Glieder begannen schon zu schmerzen. Mit meiner Verspätung würde ich mir eine hübsche Tracht Prügel einhandeln, dachte ich ängstlich. Plötzlich sah ich auf der anderen Seite des Friedhofs einen Mann auftauchen und auf die junge Frau zugehen. Bei ihr angekommen, streckte er die Hände wie zum Gebet aus, zog die Frau dann plötzlich an sich und beugte sie über das Grab. Er glitt hinter sie und presste sich an ihren Rücken. Der Schleier, der die beiden Körper den Blicken entzog, ließ das Auf und Ab des Mannes kaum erahnen. Endlich begriff ich den Sinn dieser Bewegungen und verließ das Gehölz, um nach Hause zu eilen. Unterwegs dachte ich mir eine plausible Erklärung für meine Verspätung aus. Meine Mutter glaubte kein Wort von dem, was ich ihr erzählte. Sie schloss mich in der Toilette ein, nachdem sie mir die größte Tracht Prügel meines Lebens verpasst hatte. Nur der unerwartete Besuch von Tante Selma rettete mich vor einer noch härteren Strafe. Die Ehefrau von Onkel Slimane verlangte mir das Versprechen ab, nie wieder nach der Schule zu trödeln. Als wir uns am darauffolgenden Tag alleine, umgeben von Tonkrügen mit Olivenöl, Couscous 151
und Dörrfleisch, im Vorderhaus aufhielten, nutzte sie die Gelegenheit, um mich auszufragen. »Stimmt es, dass du dich gestern Abend auf dem Friedhof herumgetrieben hast?« »Wer hat dir das erzählt?« »Tijani, das Schielauge, hat es deinem Onkel berichtet, der es mir wiederum heute Morgen beim Frühstück erzählte. Was hattest du in der Dämmerung dort zu suchen?« »Ich bin der Hajjala gefolgt«, gestand ich errötend. »Wie bitte? Woher kennst du diese Frau?« »Ich sah sie mit ihrer Zwillingsschwester im Hammam!« Tante Selma stieg die Zornesröte ins Gesicht. Sie zog mich unerbittlich am Ohr: »Hör mir gut zu: Wage es nicht noch einmal, dich diesen Frauen zu nähern. Ist dir nicht klar, wie schlecht sie sind?« »Aber sie sind so schön, Tante Selma!« »Und was geht dich das an? Ouallah! Soweit ich weiß, wirst du keine von ihnen heiraten. Ich reiße dir den Kopf ab, wenn ich dich dabei erwische, wie du um eine von ihnen herumschleichst!« Ich flüchtete nach oben in die Küche. Tante Selma schimpfte hinter mir her: »Schön, sagt sie! Man möchte es nicht glauben! Dieses Gör muss schnellstens verheiratet werden! Der ist zuzutrauen, dass sie wie ein Mann dafür bezahlt, die Titten dieser Hajjalat bewundern zu düfen!« Ich spitzte die Ohren, plötzlich auf einen Gedanken gebracht: Und wenn ich nun genug Geld zusammenbekäme, um in aller Ruhe die Brüste dieser Schönen und, wer weiß, 152
vielleicht auch noch ihre verborgenen Muscheln betrachten zu dürfen? Immerhin hatte Said innerhalb einer knappen halben Stunde dank der meinen einen Dirham eingenommen. Noura brach in Tränen aus, als ich ihr davon erzählte. »Wenn du das tust, bringen sie dich um. Und ich bleibe allein zurück, eine echte Hajjala, ohne dich!« »Du gehst mir allmählich auf die Nerven. Nicht jeder kann eine Hajjala werden! Ich will nur wissen, ob mein Geschlecht ebenso schön ist wie ihres!« »Woher willst du denn überhaupt wissen, dass ihres schön ist?« »Wer ein so strahlend schönes Gesicht hat, muss auch zwischen den Beinen schön sein!« »Also gut, du hast die schönste Muschi von ganz Imchouk! Du hast sogar einen Leberfleck drauf! Wie auf deinem Kinn.« »Darin kennst du dich nicht aus! Deine Spezialität sind die Zipfel! Und nun putz dir die Nase, wenn du nicht willst, dass ich gleich zu den Huren gehe!« Später hörte ich Tante Taos mit Onkel Slimane schimpfen, den seine beiden Ehefrauen unter Quarantäne gestellt hatten: »Mit deinen Hajjalat wird es noch ein böses Ende nehmen! Das sage ich dir.« Drei Monate nach meiner Hochzeit verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer im Dorf: Aziz, der Schäfer, hatte eine der beiden Schwestern auf einem verlassenen Feld in der Nähe des Friedhofs gefunden. Man hatte ihr das Geschlecht verkohlt und ein Messer in die Kehle gestoßen. Niemand sollte je erfahren, wer diese 153
abscheuliche Tat begangen hatte. »Sicher einer ihrer Kunden, der sie nicht dazu bewegen konnte, ihren Beruf aufzugeben«, sagte meine Mutter mit unbewegter Miene, als ich ihr die Neuigkeit überbrachte. Ich war tief getroffen und angewidert. Wozu dient die göttliche Vorsehung, wenn sie den Mord an einer Hajjala hinnimmt und einen Hmed ungestraft Rosen verwüsten lässt? Ich zitterte vor Wut und biss mir in meiner Machtlosigkeit in die Fäuste. Die beiden anderen Hajjalat sah man nie wieder. Man erzählte sich, sie hätten Imchouk eines Abends bei strömendem Regen in Richtung der benachbarten Wüste verlassen. Ich habe nie erfahren, welche der beiden Schwestern gestorben war, ob es diejenige war, die mich im Hammam geküsst hatte, oder die andere, die dabei zuschaute. Noch immer bringe ich es nicht fertig, eine Rose abzuschneiden. Ich sehe sie lieber am Stiel erblühen, sich rot färben, verwelken und absterben. Heute, bei meinen nächtlichen Rundgängen am Wadi Harrath, höre ich manchmal die Steine seufzen. Wassertropfen lösen sich aus ihnen, scharlachrot wie Tränen, die man zu spät über unendlich geliebte Wesen vergießt. Dann vergesse ich den von Gott verlassenen Driss und sehe meine Hajjala, einem Nimbus gleich von Gold und Geheimnissen umgeben.
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riss faszinierte mich und machte mir Angst, er war einzigartig und wie jeder andere, beständig bis zur Halsstarrigkeit, unstet wie Quecksilber. Bisweilen gab er sich verliebt, galant, poetisch, verschwenderisch mit Zeit und Geld. Meist jedoch war er in sich gekehrt, herrisch, egoistisch, verletzend und zynisch. Bei der Liebe konnte er an meiner Schulter weinen, dann wieder ein vollkommener Grobian sein, sobald ich es wagte, mein Herz zu öffnen oder einen Kuss auf seine Handfläche zu drücken. Es kam vor, dass er über meine Füße spottete, sie als »bäurisch« bezeichnete, während er mir meine Michmaq auszog und mich Pumps vom besten Schuhmacher der Stadt anprobieren ließ. Einen Tag fand er mich zu dick für seinen Geschmack, am nächsten Tag zu mager. Manchmal streikte er und weigerte sich drei Wochen lang, mich anzurühren, warf mir mein Begehren vor, kotzte seinen Whisky auf die Fliesen, sobald ich es wagte, seine Hand zu nehmen und auf mein Herz zu legen. Dann plötzlich, wenn ich schon zweifelte, jemals wieder seinen Körper sehen und 155
seine Haut berühren zu dürfen, riss er mich wie ein Tornado um, rammte sein Schwert in mich hinein, nahm mich auf dem Boden, gegen die Wand gedrückt oder über einen alten Schreibtisch gebeugt, brüllte seine Lust heraus und bat mich, ihm Schweinereien ins Ohr zu flüstern. Er zwang mir seine Launen auf, ließ mich halbtot vor Angst quer durch die Stadt rennen, nachdem er mich im Büro angerufen und mir erzählt hatte, er sei ausgelaugt, von Selbstekel erfüllt, am Rande des Selbstmords. Ich wähnte ihn bereits tot, aschfahl und erstarrt, dabei empfing er mich lächelnd, frisch rasiert, parfümiert, mit offener Hosentür und kampfbereitem Geschlecht. Er saugte an meiner Zunge, biss mich in Brüste und Lippen, stieß meine Beine auseinander und drang in mein fieberndes Geschlecht ein, drang immer wieder ein und zog sich zurück, methodisch, ausdauernd, und wischte mit dem Zipfel seines nach Lavendel duftenden Hemds, das auf der Brusttasche seine unauffällig eingestickten Initialen trug, meine Lust ab. Er fing an, von anderen Männern zu sprechen. Dann von Frauen. Schlug, unschuldig wie ein Kind, das seine erste Lektion aufsagt, eine Partie zu dritt, dann zu fünft vor. Ich erklärte ihn für verrückt und sprang auf, um zu gehen. Er lachte, fand mich naiv, forderte mich auf zu beweisen, dass ich eine Seele habe und dass es nach dem Tod eine Auferstehung gebe. Ich war ratlos. Für mich 156
war die Existenz der Seele selbstverständlich. Ganz offensichtlich. Und auch wenn ich nicht genau wusste, wie ich mir Gott vorzustellen hatte, war ich doch von Seiner Allmacht, Seiner Allgegenwart überzeugt. Ich glaubte auch, dass Er für das Gleichgewicht zwischen den Planeten sorgt. Ich hatte den Glauben der einfachen Leute. Er versuchte zu lachen, konnte aber die Enge seines Lebens und seine tiefe Traurigkeit nicht abschütteln. Eines Tages, als ich auf seinem Schoß saß, flüsterte er: »Gut, du hast eine Seele. Aber warum willst du dich auch noch mit einem Herzen ausstaffieren? Weißt du, was ein Herz ist?« »Eine Pumpe!« »Brav, mein Beduinenmädchen hat schon dazugelernt! Ja, genau! Eine Pumpe. Du wirst zugeben, dass ich davon etwas verstehe.« »Ich weiß, dass du ein großartiger Arzt bist!« »Sei still, Heuchlerin! Ich weiß am besten, dass die Existenz der Lebewesen endet, sobald ihre Pumpe stehen bleibt, und dass ihre Körper verwesen.« »Die Geranien von Tante Selma stellen sich solche Fragen nicht.« Er riss sichtlich verblüfft die Augen auf. »Was haben denn die Geranien damit zu tun?« »Ich liebe ihre Farbe und verabscheue ihren Geruch, aber sie existieren, ohne dass ich darüber zu entscheiden hätte. Auch sie können sehr wohl 157
eine Seele besitzen, selbst wenn ich sie nicht sehen kann.« »Du willst damit sagen, einen Sinn. Und mein Geschlecht? Hat es in deinen Augen einen Sinn?« »Du machst mir Angst, Driss. Manchmal denke ich, Gott und du, ihr ähnelt euch. Ihr habt zu viel Macht! Zu viel Verführungskraft! Ich liebe dich so sehr, dass mit dir zu schlafen mir als das einzige Gebet erscheint, das bis zum Himmel aufsteigen und in das Verzeichnis meiner guten Taten, die vor der Ewigkeit bestehen, Aufnahme finden kann.« Er brach in Lachen aus. »Du bewegst dich ganz nahe am Polytheismus, mein Täubchen! Gib acht, dass du dir nicht die Flügel verbrennst! Ach, meine kleine Heidin, mein Schatz, meine unbefleckte Hure, mein furchtloses Kind!« Ich wusste, dass ich mich im Heidentum bewegte, dass zwischen meinen Beinen sich mein Glaube in Luft aufgelöst hatte. Es versetzte mich in Angst und Schrecken, dass Körper sich ein solches Maß an Lust schenken konnten. Mir war klar, dass ich, nachdem ich mühelos eine gesellschaftliche Schranke überwunden, nun auch noch eine göttliche durchbrochen hatte. Ich war unter Driss’ Händen wieder zu einem Geschöpf geworden, das weder Jesus noch den Koran oder die Sintflut kannte. Fortan würde ich mich direkt an Gott wenden, ohne Bücher und ohne Erlöser, ohne Halal und Haram, ohne Leichentuch und 158
ohne Bestattung. Das begriff ich eines Morgens, als ich auf dem Weg ins Büro zu Gott gebetet hatte, er möge dafür sorgen, dass Driss mich an diesem Abend nach zweimonatiger Abstinenz wieder lieben würde. Gott erhörte meinen Wunsch, denn Driss rief mich um vier Uhr an, zuckersüß, um mir zu sagen, ich fehle ihm entsetzlich und er wolle mich zum Abendessen in eines der besten Restaurants der Stadt ausfuhren. Während meiner Kindheit musste ich die Heiligen ehren, den traditionellen Festen beiwohnen und zusehen, wie das Blut des Hammels sich zum Ruhm eines Unbekannten namens Moulay Soundso über den Boden ergoss. Seit ich Driss kannte, wusste ich, dass meine Seele zwischen meinen Beinen Schutz fand und mein Geschlecht der Tempel der Erhabenheit war. Er bezeichnete sich als Atheist. Ich bezeichnete mich als gläubig. Alles dummes Zeug! Aus Liebe zu Driss willigte ich ein, mit Gott Schach zu spielen. Er eröffnete das Spiel. Ein meisterhafter Zug. Ich baute meine Verteidigung um einen Läufer, einen Turm und die Königin auf, die ich nicht war. Es ist seltsam: Ich habe niemals den König gezogen. Ich glaube, Gott betet Seine Liebenden an, die sich sogar noch im Tod vor Seiner Glorie niederwerfen. Ich glaube, Gott liebt uns so sehr, dass Er über unseren Schlaf wacht, selbst wenn wir schnarchen.
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ein Geliebter wollte, dass wir ausgingen, ins Theater, ins Kino, in den Country Club, von seinen Freunden als Paar empfangen wurden und in diesen seltsamen Kreisen verkehrten, wo man, wie er betonte, alles sagen konnte und wo alles möglich war. Ich willigte ein, mit ihm dorthin zu gehen, und war gleichzeitig wütend und unempfänglich für diese Menschenansammlungen und den Alkohol. Dort begann er mich zu verlieren. Dort habe ich ihn verloren. Driss wusste, wie sehr ich ihn Hebte, und spielte mit meinem Verlangen. Bei solchen Soireen machte er sich einen Spaß daraus, am Nacken eines Mädchens zu schnuppern, eine andere um die Hüften zu fassen, Küsse auf eine Schläfe zu drücken oder ostentativ in einen prallen Hintern zu kneifen. Mich berührte er in der Öffentlichkeit nie und tat so, als bemerke er weder meine Wut noch die Blicke, mit denen ich diese Schmusekätzchen durchbohrte. Die brennenden Blitze, die meinen Leib durchzuckten, wann immer er sich weniger als einen Meter von mir entfernt 160
befand, ließen Tränen in mir aufsteigen und machten mich zornig. Eines Abends nahm er mich zu zwei Damen mit, deren Namen er mir erst auf dem Treppenabsatz im vierten Stock eines vornehmen Hauses in der Avenue de l’Istiqlal nannte. Er ließ sich französischen Wein einschenken, pflückte die Früchte von einer Traube, erzählte zwei oder drei Witze und erklärte dann, er leide unter Liebesmangel. Fünf Minuten später saß Najat auf seinem Schoß, eine Schielende mit dem Körper einer Göttin, und er befummelte schamlos ihre Brüste. Mordgelüste stiegen in mir auf, als ich ihre Gefährtin Saloua lachen und ihn ermuntern hörte. »Entblöße ihre linke Titte. Na, mach schon, beiß hinein. Natürlich nicht zu fest. Besorg’s ihr, mein Guter! Najat liebt es, wenn man an ihr saugt. Keine Sorge, sie ist schon feucht. Du kannst mit dem Finger kontrollieren, ob ich lüge. O Driss, hab Mitleid mit meiner Geliebten! Sie ist zu weit! Aber sie riecht gut! Ich kann deinen Liebesduft riechen, meine untreue Geliebte! Offne dich, damit Driss endlich den riesigen Abgrund sehen kann, der meine Nächte zur Hölle macht und meine Tage mit seinem Honig erfüllt. He, Driss, Najat liebt Männer nur, wenn ich ihr dabei zuschaue. Sie sagt, jedes Mal wenn sie es sich vor meinen Augen von einem Mann besorgen lässt, wird meine Klitoris einen Zentimeter größer. Sie ist felsen161
fest davon überzeugt, dass mir schließlich noch eine Rute zwischen den Beinen wachsen wird, wenn sie jeden Abend mit ihren Lippen an mir saugt, und alles nur, damit ich sie ganz tief vögeln und für immer und ewig von den Männern befreien kann. Also beweg dich, Driss, oder soll ich dich ablösen? Ich habe Verlangen nach meiner Geliebten, du schmutziger Doktor, der bei zwei Lesben einen Ständer kriegt!« Um Würde und Beherrschung bemüht, stand ich auf. In dieser Wohnung, inmitten dieses flotten Dreiers, hatte ich nichts verloren. Was ich hier sah, war nicht meine Welt, nicht mein Geliebter und nicht mein Herz. Und so bin ich gegangen. Tanger umgab mich mit einem schwefeligen Geruch. Ich wollte töten. Driss sah mich erst zwei Wochen später wieder. Er versuchte nicht, sich zu entschuldigen, setzte sich mir gegenüber hin und auf den Teppich deutend, der mit Nippes und seltenen Buchausgaben übersät war, sagte er: »Das habe ich alles von meiner Großmutter geerbt, sie war reich wie die Königin von Saba und falsch wie die goldgelbe Farbe des Getreides, dessen Geruch sie, auf ihren Spazierstock mit silbernem Knauf gestützt, in den reifen und betörenden Frühlingsfeldern einsog. Sie liebte es, in ihrem großen Baldachinbett fünfzehnjährige, fast heiratsfähige Gören zu empfangen mit einem dunklen und gefügigen Schoß. Sie gab sich kaum Mühe zu verbergen, wenn 162
sie an den Zungen dieser kugelrunden Bauernmädchen saugte oder ihre schweren Brüste traktierte. Mich liebte sie abgöttisch. Von ihr habe ich meine Liebe zu den Frauen. Sie zwang ihre Kurtisanen, Hosen zu tragen, und bewahrte diese wie einen Schatz für mich in einer reich mit Silber verzierten Truhe auf. ›Sieh her, dreckiger Schlingel‹, sagte sie und hielt mir mit der Spitze ihres Ebenholzstocks eines jener leicht befleckten Stücke vors Gesicht. Ich junger, verrückter und ungeduldiger Welpe berührte andächtig diese Reliquie. ›Geh dich jetzt waschen und lass es nicht zu, dass dir Männer an den Hintern fassen. Diese Bauernlümmel wissen nicht, was leben heißt. Sie haben kein Mitleid mit Rosen und Rosetten und natürlich auch nicht mit Schäfchen deines Alters.‹ Eines Nachts wollte ich es mit eigenen Augen sehen. Die Tür zum Schlafzimmer meiner Großmutter stand halb offen, der Flur war leer. Die junge Mabrouka hockte mit gelöstem Haar stöhnend über ihrem Gesicht, ihr kleiner Hintern tanzte auf und ab. Ohne das Jungfernhäutchen der leichtsinnigen Göre zu berühren, bearbeitete ein aristokratischer und sachkundiger Finger das jungfräuliche Gesäß, während das Geschlecht auf dem Mund der alten würdigen Dame mit dem untadeligen grauen Haarknoten klebte. Als Mabrouka sich besiegt und befriedigt auf die trotz ihres Alters noch festen Brüste meiner Großmutter sinken ließ, drehte sich diese zur Tür, 163
in der ich stand, ein Bengel und doch schon ein Mann, und zwinkerte mir zu. Ich zog mich, klebrig, wie ich war, zurück, voller Bewunderung für ihre Kühnheit. Die Macht der großartigen alten Dame fasziniert mich noch heute. Sie hat Mabrouka großzügig bezahlt und mit ihrem tüchtigsten Pächter verheiratet. Sie selbst erschien als Erste am Tag nach der Hochzeit und sammelte die mit dem jungfräulichen Blut befleckte Wäsche ein. Sie drückte einen Kuss auf die Stirn der jungen Ehefrau und schob ein Goldarmband unter ihr Kopfkissen, das sie in einen Schal gewickelt hatte. Auch dieses Mal stand ich hinter der Tür, in meinen kurzen Hosen aus Kordsamt und mit einer lächerlichen Fliege um den Hals. Ich sah Großmutter zu, wie sie in der Nachfolge Gottes der Welt Befehle erteilte, heiter und voller Wissen über Herzensangelegenheiten und die Kurse für Weizen und Gerste. ›Lalla Fatma‹, jammerte die junge Mabrouka. ›Schweig‹, schnitt ihr Großmutter das Wort ab. ›Der Schmerz geht vorbei, und du wirst Touhami nach und nach lieben lernen. Du musst ihm viele Kinder schenken, mein Mädchen. Du wirst sehen, aus dir wird eine perfekte Ehefrau.‹ An diesem Tag begriff ich, dass unsere Liebschaften ein inzestuöser Reigen sind und es zwischen den Körpern keine Schranken geben sollte. Hast du das noch nicht gewusst?« Doch, ich wusste es. Alle Körper, die ich vorher 164
gekannt hatte, dienten einzig diesem Zweck: die Schranke zwischen Driss und mir niederzureißen. Es waren Durchgangsstationen, eine kindische und linkische Lehrzeit. Ich wollte es ihm sagen, fürchtete jedoch, er könne mich aufgrund plumper und flüchtiger Begegnungen für befleckt halten, während ich doch vor ihm mit niemandem wirklich geschlafen hatte. Vor ihm niemanden geliebt hatte. Und ich wollte ihn nicht töten.
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Näima, die Erfüllte
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eil uns in Imchouk die Männer verboten waren, trieb es uns zwangsläufig in die Arme der Frauen – Verwandte oder Nachbarinnen, es machte keinen Unterschied. So wurden wir auch zu Voyeurinnen. Und ich zur Zeugin von Naimas Liebesleben. Ich war gerade zwölf fahre alt geworden, als die Frau des Krapfenhändlers an unsere Tür klopfte und für ihren Sohn Tayeb um die Hand meiner Schwester anhielt. Er war unlängst zum Gendarm ernannt worden, und das verlieh seiner Familie ein Ansehen, das sie durch jahrhundertelanges Krapfenbacken nicht hatte erlangen können. Die Mutter forderte den jungen Mann auf, mit Uniform und Käppi hocherhobenen Hauptes und martialischen Schrittes durchs Dorf zu paradieren. »Das beste Schauspiel, seit die Europäer aus dem Dorf verschwunden sind«, höhnte Moha, der Töpfer. »Doch er hätte seine Mutter und seine Schwestern, damit sie zu ihm passen, als Tambourmajorinnen verkleiden sollen«, fügte Kaci, der Wirt der Bar des Incompris, hinzu. Diese Spötteleien erreichten meinen Vater nicht, denn er war geblendet von der Uniform. Seit der Unabhängigkeit war er dafür, die Djellabas, die er missmutig zuschnitt, ge166
gen mit Riemen, Halbgürteln, Reißverschlüssen und Goldknöpfen verzierte Uniformen zu tauschen. Leider bekam er von der Gendarmerie nie den Auftrag, ihre PappOffiziere einzukleiden. Meine Mutter erlaubte Tayeb, einmal die Woche zu uns zu kommen, um mit seiner Zukünftigen die Hochzeitsvorbereitungen zu besprechen. Doch sie richtete es immer so ein, dass sie zwischen den beiden Verlobten saß. Wenn sie abends zu müde war und es nicht wagte, den Sohn des Krapfenhändlers vor die Tür zu setzen, übertrug sie Ali die Aufgabe des Wachpostens. Er hockte dann zwischen Naima und ihrem Gendarm auf der Bank im Wohnzimmer und wachte mit seinen gerade mal elf Jahren eifrig und stolz über die Tugend seiner Schwester. Eines Abends, ich war gleich nach dem Essen zu Bett gegangen, herrschte eine so befremdliche und tiefe Stille im Haus, dass ich davon aufwachte. Mein Vater schnarchte nicht, und das Holz arbeitete nicht mehr. Ich stand auf und ging barfuß ins Wohnzimmer. Das Schauspiel, das sich mir bot, erschien mir unwirklich. Die beiden Verlobten trugen über den Kopf des schlafenden Ali hinweg eine Art Kampf aus. Dann wurde mir bewusst, dass das Oberteil von Naïmas Kleid aufgeknöpft war. Ihr Gendarm spielte mit ihren Brüsten, die sie verzweifelt wieder in ihr Mieder zu schieben versuchte. Ich entfernte mich auf Zehenspitzen und unterdrückte ein nervöses Lachen. Eine weibliche Brust reichte also aus, um die Welt um den Verstand zu bringen und jegliche Vorsicht vergessen zu 167
lassen. Die Wachsamkeit meiner Mutter war königlich verhöhnt worden. Als ich einige Monate später bei Naïma zu Gast war, die inzwischen in der Kleinstadt Fourga wohnte, wohin ihr Mann kurz nach der Hochzeit versetzt worden war, hatte ich erneut Gelegenheit, mich als Voyeurin zu betätigen. Autos waren zu jener Zeit eine Seltenheit in Imchouk, und so mussten beschwerliche Reisen auf Traktoren oder Leiterwagen unternommen werden. Tayebs Vater erbot sich, mich auf seinem Esel hinzubringen, und meine Mutter erklärte sich ohne Zögern einverstanden. Chouikh war der Ansicht, sein einziges Vermögen bestehe aus seinem ägyptischen Esel, einem im ganzen Tal geschätzten Tier mit goldenem Fell, gut gepolsterten Flanken und Augen so lüstern wie die seines Herrn. Er setzte mich hinter sich und forderte mich auf, mich gut an ihm festzuhalten. Er sang den ganzen Weg über, kümmerte sich nicht weiter um mich und machte mir, jetzt, da er der Schwiegervater meiner Schwester war, kein einziges Kompliment mehr. Obwohl es die meiste Zeit regnete und wir völlig durchnässt waren, schlugen meine Füße vergnügt gegen die Flanken des Esels. Ich freute mich, Naïma wiederzusehen, denn ihr Lachen und das Getuschel vor ihrer Hochzeit fehlten mir. In ihrer winzigen, schwarz-weiß gefliesten Wohnung lief Naïma meist barfuß umher. Ihre Hennabemalung hatte ihren rötlich-ockerfarbenen Ton verloren und wirkte grau wie der Himmel von Fourga. Ihre Haut aber schien zu strahlen, 168
und ihre Bewegungen waren gemächlich und träge. Auch ihr Gang hatte sich verändert. Sie wiegte sich auf eine Art in den Hüften, die ich an ihr nicht kannte. Ich betrachtete aufmerksam ihre Beine, denn Noura hatte mir anvertraut, eine der Folgen des Ehelebens sei, dass die Oberschenkel bei den frisch Verheirateten oft weiter auseinander stünden und sie leicht O-Beine bekämen. Naïma hingegen schien nicht unter einem solchen Symptom zu leiden. Gegen Abend kam mein Schwager, in seine Uniform geschnürt, zurück. Wir aßen zu dritt am selben Tisch. Bei uns zu Hause nahm Papa seine Mahlzeiten stets alleine ein. Ah wir das Hähnchen-Couscous gegessen hatten, gähnte Tayeb und begab sich ins Schlafzimmer. Naïma erklärte mir, ich müsse bei ihnen nächtigen, da die Küche von Schaben wimmelte. Sie legte drei dicke Decken auf den Fußboden und schob mir ein Sofakissen unter den Kopf. »So, schlaf jetzt.« Ich weiß nicht, ob es die Freude war, meine Schwester wiederzusehen, oder das ungewohnte Lager, auf jeden Fall konnte ich nicht einschlafen. Kaum war ich jedoch halb eingenickt, begann das Bett zu quietschen. Seltsame Geräusche folgten auf das Knacken von neuem Holz. Ich wusste, dass zur Ehe auch Sex gehört, obwohl man uns natürlich unter allen Umständen das Gegenteil weismachen wollte. Wenn man sich müht, Jungen und Mädchen zu verheiraten, ein Vermögen für Aussteuer, Mitgift und Hochzeitsfest ausgibt, dann nur, weil sich Frauen und Männer im Dunkeln fürchten und Gesellschaft brauchen. Wenn sie sich zusammen in einem Schlafzimmer einsperren, dann 169
nur aus Gewohnheit. Wenn sie im selben Bett schlafen, dann nur, um sich gegenseitig zu wärmen. Wenn die Frauen schwanger werden, dann allein weil es Gottes Wille ist. Und wenn sie sich abends, eine halbe Stunde bevor ihre Männer von den Feldern oder aus den Werkstätten heimkommen, schön machen, dann nur, um sie mit Kajal und Henna geschminkt an der Türschwelle zu empfangen. Von wegen! Die Ehe, diese große Sache, war auch das: das immer lautere Quietschen des Bettes, das Stöhnen des Schwagers, die Bereitwilligkeit meiner Schwester, ohne Protest die Beine zu öffnen. Die Ehe, das sind auch diese knappen Befehle: »Offne dich!«, »Dreh dich um!«, »Leg dich auf den Bauch!« Es sind die geflüsterten, erregend ehrlichen Worte: »Ich glühe«, »Ja, leck mich«, »Ah, so liebe ich dich!« Naïma brauchte gar nichts zu sagen. Ihr Mann legte Zeugnis von seiner und ihrer Lust ab, während sich das Quietschen des Bettes mit ihrem unterdrückten Stöhnen vermischte. Dann plötzlich ein langer tiefer Seufzer. Das war Naïma, die offensichtlich die Seele aushauchte. Eine Art Übelkeit, begleitet von Krämpfen, zog meinen Bauch zusammen. Tränen stiegen mir in die Augen, als mir klar wurde, wie sehr ich Naïma hasste. Ich wollte an ihrer Stelle unter Tayeb sein. Als ich mich am nächsten Tag von ihr verabschiedete, wich ich ihren Blicken aus. Den ganzen Rückweg über schwor ich mir zornig und mit geballten Fäusten, dass auch ich eines Tages ein Bett zum Quietschen bringen würde, das so groß wäre wie die Felder von Imchouk. Mein Geliebter 170
würde vor Lust schreien, so heiß wäre meine Möse, beißend wie die brennenden Böen des Ostwindes und fest wie eine Rosenknospe. Das hatte mir Driss bei seinem ersten Erscheinen auf der Brücke des Wadi Harrath versprochen.
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ie Siestastunden in Driss’ dämmeriger Wohnung schmeckten nach Wassermelone und Mandelmilch. Mein Geliebter lag nackt auf einem alten Perserteppich und las, während ich meinen Kopf auf seinem Oberschenkel ruhen ließ und vor mich hin träumte. Sobald er auf einen schlüpfrigen Satz stieß, der ihm gefiel, lachte er auf. »Hör dir diesen an: ›Eine Möse braucht eher zwei Schwänze als ein Schlappschwanz zwei Mösen.‹ Bravo! Das ist von bestechender Logik. Hier, der ist auch nicht schlecht: ›Denn am Eingang jeder weiblichen Grotte steht der Name des Mannes geschrieben, der sie betreten soll.‹ Prächtig.« Die Omajjaden von Damaskus, die Abbasiden von Bagdad, die Poeten von Sevilla und Cordoba, die Betrunkenen, die Buckligen, die Huren, die Seiltänzer, die Aussätzigen, die Mörder, die Opiumsüchtigen, die Wesire, die Eunuchen, die Schwulen, die Negerinnen, die Saldjukiden, die Turkmenen, die Tartaren, die Barmakiden, die Soufis, die Kharidjiten, die schreienden Wasserverkäufer, die Feuerspeier, die 172
Affenzähmer, die Nichtbeachteten und die Strohdummen liefen durch die Zimmer, schrien unter ihren Qualen, kletterten an den Vorhängen hoch, pinkelten in die Kristallgläser, ergossen ihr Sperma auf die silberbestickten Kissen. Ich sah, wie Driss ihnen zu schweigen befahl, sie durch Feuerringe springen ließ, sie in der Wüste aussetzte, um sie dann von Schorf und Flöhen übersät wieder einzusammeln. Ich sah, wie er von der Sonne geplatzte Feigen und rotwangige Birnen aß und von Orgien in Brokat träumte. Frauen wie Saloua und Najat hingen ihm an den Fersen. Ich konnte nur ihn anbeten. Sie kamen eines Abends, als er mich mit Champagner begossen hatte, um mich von Kopf bis Fuß abzuschlecken und seinen Durst in meinem Nabel zu stillen. Ich fühlte mich gerade zum Höhepunkt kommen, als sie, leicht betrunken und wie für ein Fest geschminkt, an der Tür klingelten. Ich konnte mich gerade noch mit einem Laken bedecken, bevor sie Platz nahmen und sich die erste Zigarette anzündeten. Saloua streifte mich mit ihrem lüsternen Blick und ahnte, dass ich nackt und überdies verstimmt war. Driss hielt es nicht einmal für nötig, seine Erektion zu verbergen. »Also wirklich! Deine Frau lässt nichts mehr für die anderen übrig! Und du wirst nicht müde, sie dir immer wieder vorzunehmen. Willst du’s zur Abwechslung nicht mal meiner Kleinen besorgen?« 173
Saloua stieß mich ab, seltsamerweise aber erregte mich ihre Sprache. Sie redete wie ein Mann. Najat hatte bereits ihren Büstenhalter aufgehakt, und Driss konnte mit ungeduldig bebendem Geschlecht kaum erwarten, was folgen würde. Ein glühender Strom des Begehrens schoss durch meinen Leib und meinen Kopf. Ich schloss mich im Badezimmer ein. Bevor ich mich anzog, betrachtete ich mich im Spiegel. Ich sah eine Frau mit zerzaustem Haar und verstörtem Blick. Einen Fuß auf dem Badewannenrand, das andere Bein leicht gebeugt und zitternd vor Verlangen, nahm ich meine Klitoris zwischen zwei Finger. Sie war angeschwollen, schmerzte und pochte wie ein ängstliches Herz. Meine Finger klebten von einer durchsichtigen Flüssigkeit, die nach Gewürznelken roch. Wie sehr ich mich auch bemühte, ich kam nicht zum Orgasmus. Ich war zu wütend. Zu verliebt und innerlich verkrampft. Den Kopf voller schwarzer Gedanken, versuchte ich, mein einziges Prunkstück von seinem Haarkranz zu entblättern, nur um zu sehen, wozu es fähig war. Nun, es war zu nichts fähig! Es war rot und kümmerlich und verlangte nach Driss’ Zunge, um steif zu werden, nach seinem Geschlecht, um in Trance zu geraten. Als ich wieder in den Salon kam, umspielte Driss’ Mund ein kleines niederträchtiges Lächeln. So als hätte er den Drang erahnt, der mich überkommen und 174
veranlasst hatte, den von heiserem Lachen erfüllten Salon zu verlassen. Und so als wüsste er, dass es mir nicht gelungen war, mich zu befriedigen. Er küsste Najat, Salouas offizielle Geliebte, seine Hand steckte zwischen ihren Schenkeln. Saloua lag auf der Couch. Den Rücken mit Kissen gestützt, sog sie nachlässig an einer Pfeife und schien dabei halb zu schlafen. Später erfuhr ich, dass es Haschisch gewesen war, das sie von ihrem Hausmeister Meftah bezog. Ich legte noch einmal die Platte von Esmahan auf. »Imta ha taanfimta, inni bahibek inta ...« Die Stimme der libanesischen Sängerin, die viel zu früh bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, wurde durch das Knistern der Lautsprecher entstellt. Ich setzte mich absichtlich neben Saloua, um ihr zu zeigen, dass sie mich nicht beeindruckte, schloss die Augen und rauchte meine dritte Zigarette. Ich wollte nicht sehen, wie Driss mit Najats Brüsten spielte, und nicht erahnen, wie sich sein Finger einen Weg zu ihrer Öffnung bahnte. Ich zuckte zusammen, als ich hörte: »Du bist nicht feucht. Ich helfe mit meinem Speichel nach.« Demonstrativ legte Saloua ihre Hand, schwer wie Blei, auf mein Knie. »Nein«, sagte ich und erhob mich. Nein, wiederholte ich, als ich den Boulevard de la Liberté zu Tante Seimas Haus hinaufging. Nein, entgegnete ich meinem Kopf, der benommen darauf bestand, dass die Liebe niemals Rechnungen ausstellt 175
oder ein Urteil fällt. Nein, schrie ich Driss in meinen Träumen entgegen, der mir sagte, alles sei bloß ein Spiel und er liebe nur mich. Als ich aufwachte, sagte ich mir, dass Driss eine Falle sei, der ich entkommen müsse. Ich wusste, wenn ich beschließen würde, der Totengräber dieser Liebe zu sein, müsste ich auch bereit sein, ihren Leichnam zu tragen, vierzig Jahre durch die Wüste zu irren, um dann besiegt zu erkennen, dass der leblose Körper, den ich herumschleppte, mein eigener war.
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Hazima, meine Zimmergenossin
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s war die Oberschule, die Hazima in mein Bett trieb. Besser gesagt das Pensionat, wo es knisterte von der Morgentoilette der Mädchen, von ihren Manien, von ihren Hygieneritualen und ihren Streitereien. Meine Mutter hatte nie Röcke oder Büstenhalter getragen. Ich bewunderte ihre Wirkung. Und so verwechselte ich Staffage und Körper, begehrte Erstere und bewunderte Letztere ohne jeden Skrupel. Diese junge Haut, die sprießenden Brüste, die festen Hinterteile, die dem Kindesalter entwuchsen, um sich einen Platz an der Sonne zu erobern – all das machte mich wahnsinnig neugierig und auch ein wenig neidisch. Eines Nachts schlüpfte Hazima, das hübscheste und auch kesseste Mädchen des Pensionats, zu mir unter die Bettdecke. »Wärm mir den Rücken«, befahl sie mir. Ich gehorchte. Zu mechanisch für ihren Geschmack, denn sie beschwerte sich: »Sanfter! Du kämmst doch keine Wolle!« Meine feuchte Handfläche streichelte ihre Haut. Sie war tatsächlich ganz seidig. Ihre Satinhaut erschauerte unter meinen Fingern, und die Leberflecke bebten bei der Berührung. 177
»Tiefer«, sagte sie. Meine Hand wanderte weiter bis zu ihren Lenden. Sie bewegte sich nicht. Ich richtete mich auf stützte mich auf den Ellenbogen und beugte mich über sie, um sie zu betrachten. Sie schlief tief und fest. Das Gleiche wiederholte sich am nächsten und an den folgenden Tagen, jedes Mal schlummerte sie wirklich oder vorgeblich ein. Irgendwann drehte sie sich plötzlich um und bot mir ihre eben erst knospenden Brüste dar. Fröstelnd liebkoste ich die eine, dann die andere. Es war, als würde eine andere Hand meinen eigenen Busen liebkosen. An einem der folgenden Abende wurde ich kühner und schob einen Finger in ihr kaum behaartes Geschlecht. Plötzlich bäumte sie sich unter lustvollen Zuckungen auf, und ich musste ihr Stöhnen wie das einer Sterbenden mit der Hand ersticken. Hazima war besser als Noura, tiefer und fruchtiger. Mit der Zeit wurden unsere nächtlichen Rendezvous regelrecht zur Gewohnheit. Wir gaben vor, zusammen zu schlafen, um uns »gegenseitig zu wärmen«, was niemanden im Saal wunderte. Als Erwachsene musste ich darüber lächeln, dass der Schlafraum letztlich nichts anderes gewesen war als ein knisterndes Freudenhaus – und das unter den Augen der Aufseherinnen und allen Vorschriften zum Trotz. In der Schule langweilte ich mich zu Tode, das Lernen schien mir für die Städterinnen weit sinnvoller als für Landpomeranzen meines Schlages. Es war nicht leicht, einen Sprössling von Generationen von Analphabeten, die auf ihre 178
Unwissenheit auch noch stolz waren, von den Vorzügen der Gelehrsamkeit zu überzeugen! Meine Trägheit erzürnte meine Lehrer, aber ich hatte nicht die geringste Lust, ihnen zugefallen. Ich verbrachte meine Zeit damit zu beobachten, wie die Wolken vorbeizogen, und auf Hazima zu warten. Doch am Ende desfahres trennten Hazima und ich uns wortlos, ohne Tränen und Schwüre. In diesem Alter hat die Liebe keine Folgen, und einen Körper des gleichen Geschlechts zu erkunden, bleibt ohne Konsequenzen. Sex hielten wir für eine Unanständigkeit, die nur zwischen Männern und Frauen stattfindet. Hazima und ich taten nichts anderes, als uns auf die Begegnung mit dem Mann vorzubereiten. Mein Körper veränderte sich in so Schwindel erregendem Tempo, dass ich ihm kaum folgen konnte. Er streckte sich, wurde selbst im Schlaf fülliger und runder. Er glich meinem Land: neugeboren, vor Ungeduld bebend, soeben von seinen Kolonialherren befreit, ohne diese jedoch abgeschüttelt zu haben. Im Norden wurden Textilfabriken eröffnet, die für meinen Vater den Ruin bedeuten konnten, und die jungen Männer, die frisch aus den Universitäten kamen, fanden das Landleben öde und zu eng für ihre mit Gleichungen, politischen Slogans und panarabischen Träumen voll gestopften Köpfe. Nachdem sich meine Neugier zunächst nur auf mein Geschlecht konzentriert hatte, erstreckte sie sich jetzt auf meinen ganzen Körper. Ich betrachtete meine Füße, die ich zu platt fand, tröstete mich mit meinen schmalen Hand179
gelenken und Fesseln und den langgliedrigen Fingern, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. Meine Brüste rundeten sich, waren voller Saft und wirkten provozierend. Mein Geschlecht war von einem seidigen Flaum überzogen, der so dicht war, dass er manchmal unter meinem Flaschen hervorlugte. Es füllte jetzt meine Hand aus und pochte an ihrem Ballen wie der Rücken einer Katze, die sich streckt. Meine Haut war weich, aber nicht empfindlich, bernsteinfarben, aber nicht dunkel. Meine Augen, die fast gelb waren, zogen die Blicke ebenso an wie der Leberfleck an meinem Kinn. Doch mehr als mein Gesicht schrie mein Körper seine skandalöse Schönheit heraus. Letztlich hat meine Möse meiner Schulausbildung ein Ende gesetzt, denn Hmed, der Notar, verging vor Lust, sie zu besitzen. Doch er hat nur die Schale bekommen, das Fruchtfleisch war den Zähnen und der Rute von Driss vorbehalten.
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liehen. Mit Driss brechen. Das Verlangen vergessen. Der Lust abschwören. Die Angst zulassen. Ihr unentwegt in die Augen sehen. Die panische Angst vor der Liebe. Feucht werden. Sich der Eifersucht bis zum Erbrechen hingeben. Dem Hass. Sich niemals eingestehen, Driss in seine Torheiten und Kapricen folgen zu können. Nicht wie die Katze um den heißen Brei schleichen, aus Angst, sich zu verbrennen. Ich drohte zu ersticken und weigerte mich, mit meinem Geliebten am Telefon zu sprechen. Schließlich passte Driss mich auf der Straße ab, zwang mich, in seinen schwarzen Citroen DS zu steigen, und fuhr mit mir zum Essen in ein Restaurant am Hafen. Ich rührte die Meerbarben und die Scampi nicht an. Er trank ein Bier nach dem anderen. »Entweder die anderen oder ich!« »Du und sie, und keine weiteren Diskussionen.« »Ich bin weder dein Eigentum noch dein Dienstmädchen. Ich bin nicht aus Imchouk geflohen, um von dir wie der letzte Dreck behandelt zu werden.« »Du bist aus Imchouk geflohen, weil dir das Leben 181
dort nicht mehr ausreichte. Weil ich dir gefehlt habe, weil du mich wolltest.« »Nach dir habe ich nicht gesucht.« »O doch. Nach mir und nur nach mir. Nach meinen Fehlern und meinem Schwanz, der in jeder unpassenden Situation steif wird.« »Ich liebe dich nicht mehr.« »Da sagt deine Möse aber was ganz anderes, wenn ich in ihr bin.« »Sie lügt.« »Eine Möse hat noch nie lügen können.« Ich sah mich nach allen Seiten um, aus Angst, einer der Kellner könnte seine derben Worte hören. Zum Glück waren wir allein unter der Pergola, da sich die anderen Gäste wegen der frischen Meeresbrise nicht nach draußen gewagt hatten. »Du kommst heute Abend mit zu mir.« »Nein.« »Zwing mich nicht, laut zu werden.« »Zwing du mich nicht zuzusehen, wie du mit zwei Huren Liebe machst.« »Liebe mache ich nur mit dir!« »Du machst dich über mich lustig!« »Himmel noch mal! Du verstehst nichts. Du verstehst absolut gar nichts!« »Was willst du, ich bin nur ein Bauernmädchen. Und du, der Lehnsherr, bist mir zu kompliziert!« »Ist es das, was dich stört?« 182
»Mich stört, dass du keinerlei Respekt vor mir hast.« Er fing an zu schreien. Ich stand auf, um zu gehen. Unterwegs holte er mich ein. Wortlos und beklommen stieg ich zu ihm in den Wagen. Er fuhr mit halsbrecherischem Tempo. Die Bahnschranke begann sich zu senken, man hörte schon das Pfeifen des Zuges. Er trat das Gaspedal durch und rief: »Jetzt!« Das grelle Licht des Zuges riss mich aus meiner Beklemmung. Ich schrie: »Nein! Nein, Driss, tu das nicht!« Wir prallten gegen die Schranke, und der Wagen wurde zehn Sekunden vor Durchfahrt des Zuges auf die Gleise geschleudert. Er riss das Steuer herum, und wir landeten im Gestrüpp zwei Meter von der Lagune entfernt. Die Hochspannungsleitungen glühten drohend über unseren Köpfen. Seither weiß ich, wie die Apokalypse sein muss. Ich habe nicht geweint. Ich habe mich nicht gerührt. Driss keuchte und schniefte, er hatte den Kopf auf das Lenkrad gelegt. Nach einer Ewigkeit öffnete ich die Tür. Und ich begann, mein Gesicht von den Schläfen bis zum Kinn zu zerkratzen, so wie ich es bei den Frauen meines Stammes gesehen hatte, wenn der Kummer ihnen das Herz zerriss. Mit jedem Kratzer wurde mein Singsang schriller. »Für deine Huren! Für meine Schmach. Für mein Verderben. Für unser Kennenlernen. Für meine Liebe 183
zu dir. Für Tanger. Fürs Vögeln. Für deinen Schwanz. Für meine Fotze. Für den Skandal. Für nichts.« »Ich flehe dich an, hör auf! Hör auf, sage ich! Du entstellst dich ja!« Ich war bis zu den Ellenbogen blutbeschmiert. »Bring mich zu Tante Selma«, sagte ich schließlich erschöpft. Er tupfte mein Gesicht und meine Unterarme mit dem Zipfel seines Hemdes ab, fuhr zur nächsten Apotheke und kam mit Fläschchen und Kompressen wieder zurück. Mit Jod und Heilcreme behandelt, schlief ich in seinen Armen ein. Eine Woche lang setzte ich keinen Fuß vor die Tür, in dieser Zeit war ich sein Kind, seine Großmutter, seine Möse. Jedes Mal, wenn ich ihn bestieg, sah ich sein Herz – ein Himmelszelt, über das Kometen mit schneebedecktem Schweif zogen, in der Mitte ein drachengleicher brennender Dornbusch. Schweißbedeckt delirierte Driss unter den Bissen meiner Vagina: »Deine Möse! Deine Möse, Badra! Deine Möse ist mein Verderben!« Am Ende der Nacht und meiner endgültigen Einsamkeit, mit Salz und Sperma bedeckt, sagte ich: »Jetzt kann ich zusehen, wie du deine Huren vögelst, ohne zu weinen.«
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ie zwei Siamkatzen, die verlogen ihren Hunger hinausmiauten, gingen wir zu den beiden Lesben. Najat öffnete uns im Bademantel die Tür. Es roch nach Chanel N°5 und weiblichem Orgasmus. Weiß und nackt saß Saloua im Salon, ihr Slip lag demonstrativ über der Sessellehne. Sie sah mich belustigt und leicht verächtlich an. »Auch wir schließen uns manchmal drei Tage lang ein, um uns zu vergnügen. Aber, siehst du, wir sind keine Sektierer. Driss empfangen wir immer mit geöffneten Schenkeln. Wein oder Champagner?« »Wasser«, antwortete ich. Najat schenkte Driss seinen Whisky ein, stellte eine Wasserkaraffe, ein Stielglas und ein Tablett mit Obst vor mich. Saloua hatte ihren Slip wieder angezogen und war in ein seidenes Hauskleid geschlüpft. Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm einen Schluck Rotwein und setzte sich zwischen Driss und mich. »Badra, du bist schön, aber dumm! Unerhört dumm. Du glaubst, du wärst die Einzige, die liebt. Aber kannst du überhaupt lieben?« 185
»Was ich kann oder nicht kann, geht dich nichts an.« »Das stimmt. Doch du musst zugeben, dass andere vielleicht dieselben Empfindungen haben, ohne sich dabei gleich so aufzuführen wie du.« »Ich will nicht wie die anderen sein.« »Glaubst du, weil wir uns bezahlen lassen, sind Najat und ich gefühllose Huren? Hure zu sein, heißt nicht, dass man seinen Beruf nicht liebt. Dass man überhaupt nicht lieben kann. Ich liebe die Männer. Najat hat gelernt, sie zu akzeptieren. Aber weil ich sie, Najat, liebe, ist es schöner für mich, mit ihr zu vögeln als mit Farid el-Atrach höchstpersönlich.« All meinen guten Vorsätzen zum Trotz kochte ich wieder vor Zorn. »Ich weiß, dass du wegen Driss hier bist.« Sie hatte ins Schwarze getroffen, das konnte sie an Driss’ Schweigen und meinen zusammengebissenen Zähnen sehen. Najat feilte sich derweil pfeifend die Nägel. »Ich bin wie der Wein, Badra!«, fuhr Saloua fort. »Irgendwann wirst du davon kosten, nur um zu wissen, was dein Geliebter daran findet.« Sie presste sich an mich. »Rühr mich nicht an«, sagte ich. Driss erhob sich und blickte durch die Gardinen auf Tanger. Saloua richtete sich mit einer halben Drehung auf und ließ sich auf mich sinken. Mit zwei Stößen ihrer Hüften legte sie ihr Geschlecht auf 186
das meine und massierte meinen Venushügel mit ausgreifenden, aber präzisen Bewegungen. Wie eine Flamme leuchtete kurz Hazimas Bild vor meinen geschlossenen Augen auf. Mein Herz schlug zum Zerspringen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Bestürzt stellte ich fest, dass mein Geschlecht reagierte. Es pulsierte, wahnsinnig vor Lust, gegen das von Saloua. Ohne zu verstehen, wie mir geschah, spürte ich ihren Mittelfinger in mich eindringen. Ihre linke, mit schweren Ringen geschmückte Hand erstickte meine Proteste. Wohl eine Minute lang ließ ich die glühende Vergewaltigung durch ihren Finger, der sich fest und erobernd in meiner feuchten geöffneten Grotte zu schaffen machte, über mich ergehen. Ich war keine Jungfrau mehr, aber ich empfand dieselbe Scham und denselben Zorn. Plötzlich sah ich, wie sich Driss über Najat beugte. Die Schwellung unter seinem Hosenschlitz war beredt. Mein Geliebter ließ mich ebenfalls im Stich. Auch er lieferte mich der Vergewaltigung aus, diesmal durch anonyme und lieblose Hände. »Lass von meiner Geliebten, Driss«, rief Saloua schließlich und reckte den glänzenden Finger, den sie aus mir gezogen hatte, in die Luft. »Die hier will dich. Ich bin nicht verrückt genug zu glauben, dass sie meinetwegen so feucht ist. Komm her und vögle sie, damit die Sache ein Ende hat. Sonst besorg ich es ihr vor deinen Augen. Meine Knospe ist aufgerichtet, und ihre Grotte saugt an mir wie der Mund eines 187
Neugeborenen. Mein Junge, deine Rute wird ihre Tiefen mit Vergnügen erkunden«, erklärte sie und leckte genüsslich und höhnisch an ihrem Vergewaltiger-Finger. Aus Driss’ geöffnetem Hosenschlitz reckte sich ein glühender Schaft. Von der prallen Eichel perlte ein Tropfen. Zum x-ten Mal wiederholte ich mir wie eine Idiotin, dass der Tahhar ihm wirklich ein schönes Organ beschert hatte. Herrisch pflanzte es sich vor mir auf, und ich nahm es beschämt und gierig in den Mund. Driss hatte mir beigebracht, wie man einen Schwanz richtig lutscht. Ich war so feucht, dass ich den Tag des Jüngsten Gerichts vergaß. Ich wurde immer feuchter und flehte den Herrn an: »Bitte schau nicht hin! Bitte verzeih mir. Bitte verwehre mir nicht, Dein Reich zu betreten und dort noch einmal zu beten! Bitte befreie mich von Driss! Bitte sag mir, dass Du mein einziger Gott bist, der mich nie aufgeben wird! Ich flehe Dich an, Herr, rette mich aus der Hölle!« Zu meiner Linken biss Najat aufheulend in den ruchlosen Finger ihrer Geliebten, die laut lachte. »Nicht sie! Keine Frau!«, schrie Najat. Eine schallende Ohrfeige beruhigte die Hysterie der gedemütigten Geliebten. In meinem Mund schmeckte Driss nach Salz, und sein Schwanz war wie Samt. Zärtlich und berauscht streichelte ich seine Hoden, die klein und hart waren, zusammengezogen 188
vor offenkundiger Lust. Er sagte kein Wort, sah nur zu, wie meine Lippen und mein Speichel über seinen Schaft glitten. Ich wusste, dass Gott uns trotz meines Gebets beobachtete und das törichte Leid, das die Menschen einander zufügten, verdammte. Ich sah ihn Kinderschänder verfluchen, Satan Seine Milde entziehen und ihm schwören, ihn zu besiegen, zu demütigen, ihn eines Tages an der gesamten Schöpfung vorüberziehen zu lassen, damit die Schöpfung um Vergebung bitten möge, dass sie eine solche Kreatur hatte existieren lassen. Dann würde er in der Hölle angekettet werden, ohne dass er lachen oder weinen könnte. Mit aufgerichteten Brustwarzen und verlorenem Blick gab sich Najat dem gierigen Finger ihrer Geliebten hin. Bald hatte die ganze Hand Besitz ergriffen von ihrem keuchenden Körper, der nur noch schmerzendes und verliebtes Verlangen war. »Du bist eine Hure. Meine Lieblingshure, die nie befriedigt ist«, säuselte Saloua. Ihre Nase liebkoste die wie eine kleine rote Fahne aufgerichtete Klitoris, während ihre Hände den aufgelösten Körper ihrer Geliebten bearbeiteten, deren Leib unter den ständigen Wogen der Lust zuckte. Driss hielt meinen Nacken fest, während ich ihn aufsog und mich fragte, ob er in meinen Mund ejakulieren würde. Dann hob er zärtlich und komplizenhaft meinen Kopf an und murmelte: »Hör bitte nicht auf. Deine Zunge ... Deine Lippen ... Sag mir, 189
dass du feucht bist.« In Wirklichkeit war ich überschwemmt, wollte es aber nicht zugeben. Najat schrie mit verdrehten Augen: »Jetzt, jetzt! Oh meine Liebste, mach mich fertig!« Mit einem heftigen Ruck zog Saloua ihre Hand zurück. Najat schrie auf. Driss, der sich unvermittelt aus meinem Mund befreite, stieß sein Glied in den ihren. Fassungslos sah ich, wie Saloua die Gesäßbacken des Mannes, den ich liebte, auseinander zog und ihre Zunge in seinen Anus schob. Als das Sperma aus der Gerte, die ich liebte, in den Mund meiner käuflichen Rivalin spritzte, schrie auch ich, völlig von Sinnen.
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ie einst in der Schule zeigte ich auch jetzt im Büro keinen Übereifer. Ich begnügte mich damit, die Hände auf die Tastatur der alten Olivetti zu legen und – einfältig und wie vor der Zeit gealtert – auf das Gebäude gegenüber zu starren. Der Regen fiel sanft auf die Terrassen. Die Wassertropfen rannen hinab, umschlangen sich gegenseitig und vereinten sich zu Netzen, die an den Markisen hinunter rieselten, um vor den Läden Wasservorhänge zu bilden. Ich dachte an das Wadi Harrath und an meine Familie, die sich mit meiner Flucht abgefunden hatte, nachdem sich die Drohungen meines Bruders Ali als leere Worte herausgestellt hatten. Was hatte Tanger aus mir gemacht? Eine Hure. Eine Hure, die in jeder Hinsicht der Medina ähnelte, die ich den europäischen Stadtteilen vorzog, obwohl sie von meinen und von Driss’ Schritten geprägt war. Die Aristokraten, die einst in der Kasbah lebten, waren in moderne Miets- und Einfamilienhäuser mit Meeresblick gezogen und hielten sich Chauffeure mit Handschuhen für ihre Luxuslimousinen. Sie ließen 191
prunkvolle Wohnsitze mit so schweren Lüstern zurück, dass die Decke eines modernen Wohnhauses sie nie hätte tragen können, Zimmerfluchten mit von Blattgold überzogenen Wänden, Patios und Terrassen voll Keramiken, deren Motive verblassten, und rare, mit Stuck verzierte Holztäfelungen. Landbewohner wie ich, die den Drang hatten zu leben und sich wenig aus dem Luxus von einst machten, hatten die ehemaligen Besitzer ersetzt, und die Medina verfaulte, stank nach Ratten und Urin. Schließlich entdeckte ich die Vorzüge des Alkohols. Ich brauchte Zeit, um meine Wahl zu treffen: Mit Wein verdarb ich mir den Magen, von Bier bekam ich Durchfall, und von Champagner wurde ich trübsinnig. Nur Whisky mit einem kräftigen Schuss Wasser Heß mich knistern wie ein Birkenholzfeuer und ersparte mir den Kater am nächsten Morgen. Ich bevorzugte die seltensten und teuersten Marken, was Driss amüsiert zur Kenntnis nahm. »Du hast Recht, mein Täubchen! Statt nur um der Sünde willen zu sündigen, sollte man sich lieber für die exklusivste Schändlichkeit entscheiden. Lass es nie so weit kommen, meine Mandel, dass du dich mit dem gemeinen Mittelmaß begnügst. Du würdest deine Schutzengel kränken, wenn du dich am Ende mit billigem Plunder zufrieden gäbst.« Meine Sünden türmen sich mittlerweile zu Bergen auf, dachte ich bei mir. Wie lange liegen meine 192
letzten Gebete, meine letzten rituellen Waschungen zurück? Ich lachte im Stillen: Als Heidin warf ich mich fünfmal am Tag gen Mekka nieder. Nachdem ich zur Liebe konvertiert war, richtete ich meine Bittgesuche während des Vögelns oder unter der Dusche an Gott. Muslimin – ich? Wie denn, bei diesem Mann, diesen Frauen, bei Alkohol, den Ketten, bei all diesen Fragen und bei ausbleibender Reue? Nur das Fasten im Ramadan blieb unangetastet. Es reinigte mich von der Angst und vom Alkohol. Allerdings erwies sich der Ramadan außerstande, mir den Körper von Driss zu verbieten, der den Fastenmonat nicht einhielt. Oh, er respektierte meine Bußfertigkeit, konnte aber keinen Wert darin sehen. Ich konnte ihm nicht sagen, dass mein erster Schluck Wasser beim Sonnenuntergang zum Himmel aufstieg, begleitet von einem einzigen Wunsch: dass Gott meinen Durst und meinen Hunger als Opfer anerkennen und wissen möge, dass mein Körper noch immer fähig ist, Ihm treu zu sein. Ich habe während des Ramadan Driss geliebt und so mein Wort gebrochen und meinem Gelübde zuwidergehandelt. Mir fiel nichts anderes ein, als Gott zu sagen: »Schau mich jetzt nicht an. Schau woandershin, bis ich fertig bin.« Fertig womit? Mit diesem göttlichen und schändlichen Akt, während dessen Driss’ Gerte ölig und glänzend in mein Fleisch stieß. Wir gingen ins Bett, mein Geliebter und ich – 193
er eine Zigarette im Mund, ich den Kopf auf seine schwarz behaarte Brust gelegt. Ich liebkoste seine Brust und hatte den Eindruck, dass sich meine Finger in dem Haar einer Frau verfingen. Sein Schweiß war das Nass des schönsten Geschlechts, das eine Frau dem Himmel darbieten konnte. Er sog den Rauch ein, und ich nahm ihn direkt aus seinen Lungen auf, behielt ihn in den meinen und stieß ihn genussvoll, den Atem von Alkohol und Nikotin durchtränkt, wieder aus. Mein Leib brodelte und vergoss meinen Überfluss an Liebe und Erwartung in meinen Slip und auf die Laken. Ich wollte ihn die ganze Zeit in mir haben. Die ganze Zeit. »Bleib! Bleib drinnen!« Er lachte, streichelte mein Geschlecht, das überfloss von meinem Saft und seinem Sperma. Er hatte meinen Unterleib in einen Mund verwandelt, der nichts anderes wollte, als ihn aufzunehmen und für immer zu beherbergen. Jedes Mal wenn er sich zurückzog, bettelte ich: »Bleib«, um nicht mehr sehen zu müssen, wie sich meine Seele so lächerlich und banal zwischen meinen Beinen ergoss. Ich hielt es nicht mehr aus, ihn so sehr zu lieben. Ich hielt es nicht mehr aus, ihn so dringend verlassen zu wollen. Am Vortag des Hammelfestes, als die Kinder schreiend durch die spärlich beleuchteten Straßen liefen und ihre Knallfrösche an den vor Feuchtigkeit aufgequollenen Mauern explodieren ließen, lieferte 194
mir Driss eine seiner brillanten Tiraden, die letzte vor unserem Bruch. »Siehst du, ich liebe dich. Aber ich will es nicht. Das Leben ist ein Schwanz. Es richtet sich auf, das ist gut. Es wird schlaff, dann ist es aus. Man muss sich etwas anderem zuwenden. Das Leben ist ein Loch. Es wird feucht, das ist gut. Wenn es anfängt, sich Fragen zu stellen, ist es an der Zeit, die Sache zu beenden. Man soll sich das Dasein nicht schwer machen, meine Nachtigall. Ein Schwanz. Ein Loch. Punkt. Aus. Wann wirst du das endlich begreifen?« »Ich bemühe mich ja! Eines Tages, wenn ich dir lang genug zugehört habe, werde ich dich endlich verlassen können.« »Mich verlassen, warum denn? Nein, du kommst nicht ohne diesen Schwengel aus, der immer wieder für dich hochschnellt und nicht müde wird, seinen Saft über deine Arschbacken zu ergießen, ohne dass du ihm Zutritt zu deiner braunen Rosette gewähren würdest.« »Ich hasse dich noch nicht genug, um dir meinen Hintern anzubieten.« »Mich hassen? Du bist ermüdend mit deinen großen Liebesschwüren und deinem dramatischen Getue. Du gehst mir allmählich auf die Nerven mit deinem ›Ich liebe dich‹, ›Ich hasse dich‹ und ›Eines Tages werde ich dich verlassen‹. Ich habe dich niemals belogen und habe immer gesagt: ›Ich krieg ‘nen 195
Steifen, ich nehme, ich komme, ich spritze und ich vergessen Wer hetzt dich so auf? Wer steigt dir so zu Kopf?« Natürlich niemand. Nicht einmal die letzten Bücher, die Driss mir auferlegt hatte, von seiner Simone de Beauvoir, von seinem Boris Vian und seinem Louis Aragon. Und noch weniger seine pompösen und prätentiösen französischen Chansons, die er »Textlieder« nannte. Er schwor nur auf Léo Ferre. Ich konnte der samtenen Stimme der Greco mehr abgewinnen. Doch nur Oum Koulthoum brachte mein ganzes Wesen zum Beben. Alle anderen Stimmen bedachte ich meist mit einer abfälligen Geste. Und einem gereizten »Pah«. Er verspottete mich als unverbesserliche Araberin. »Geh zum Teufel«, zischte ich ihm zwischen den Zähnen zu. Und dann erzählte mir Driss von Hamid. Der Himmel über Tanger war blau, und jener Sonntagmorgen lud zu Trägheit und Liebkosungen ein. Das Tablett mit dem üppigen Frühstück erinnerte mich daran, dass ich mehr Zeit bei meinem Liebhaber als bei meiner Tante verbrachte, die praktisch kaum noch mit mir sprach. Natürlich hatte ich Lust, Lust auf Liebe, Driss aber hatte Lust auf etwas ganz anderes. Er wollte vor meinen Augen masturbieren. Dick und rot trat der Kopfseiner Gerte hervor, und sein prächtiges Glied stellte triumphierend seine mit Blut voll gepumpten Adern zur Schau. Fasziniert und 196
verwirrter, als ich es mir eingestehen wollte, sah ich zu. Driss ging behutsam vor, presste die Eichel zwischen zwei Fingern und nahm dann das ganze Glied in seine geschickte und zärtliche Hand. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir körperlich wie geistig bewusst, dass meine Klitoris gleich einem Penis erigiert war und hungrig zwischen meinen Lippen hervorlugte. Danach habe ich nie mehr an die weibliche Passivität glauben können. Ich weiß es, wenn ich steif werde vor Lust, selbst wenn meine Züge ganz ruhig und meine Beine geschlossen bleiben. Driss’ Hand umfasste seinen Stab, presste ihn, wie ich es nie hätte tun können. Er würde mir ins Gesicht ejakulieren, ohne dass meine Brüste oder mein Geschlecht auch nur das Geringste dazu beigetragen hätten. Wenn sich die Männer ganz allein so viel Lust verschaffen können, warum wollen sie uns dann unbedingt penetrieren? Ich wollte ihn mit meinen Lippen bedecken. Er lehnte ab. »Nein«, sagte er, indem er sich von der Mitte bis zur Spitze massierte, verliebt in seinen Schwanz, von dem er wusste, wie schön er war. »Nein, Frauen können es nicht mit der Hand. Höchstens mit dem Mund. Und vielleicht nicht mal das! Es ist weniger gut als mit einem Mann.« Zur Salzsäule erstarren, auch das konnte ich fortan. »Du hast es mit einem Mann getrieben?« »Mein Liebes, mein Nektar aus Mango und wilden 197
Heidelbeeren, was glaubst du? Ja, ein Kerl hat mir einen geblasen. Und das war so gut, dass ich mich ernsthaft frage, ob ich nicht ganz auf die Frauen verzichten soll.« Sein Schwanz war steif wie der eines Esels und ragte tropfend aus seiner rechten Hand heraus. »Warum ziehst du so ein langes Gesicht? Und du selbst?« »Was soll mit mir sein?« »Du hast nicht protestiert, als dir Saloua den Finger in deine Mandel gesteckt hat.« »Weil Monsieur es vorgezogen hat, in eine andere Mandel zu spritzen als in meine.« Er lachte und küsste mich gierig. »Du machst Fortschritte! Du fängst an zu sprechen wie ich. Ich liebe deine unschuldigen Obszönitäten. Wenn du dir noch einen kleinen Ruck gibst, kannst du den Hütern der Tugend Hämorrhoiden verpassen. Am besten schreibst du dir diese unanständigen Ausdrücke auf und plakatierst mit ihnen die Hausmauern. Doch einer Sache kannst du dir sicher sein: Ich bin verrückt nach deiner Mandel, meine nasse Jungfrau, und wenn dich die Lust packen würde, es dir von einer käuflichen Lesbe besorgen zu lassen, würde ich es dir keinesfalls vorwerfen.« »Das interessiert mich nicht.« »Hör auf, Baby, hör auf! Ich kann es nicht leiden, wenn man sich in meiner Gegenwart selbst belügt, das 198
weißt du genau. Belüge ich dich etwa, wenn ich dir sage, dass Hamids knackiger Arsch verführerisch ist? Man könnte ihn fast für eine Möse halten, so glatt und schlüpfrig ist es darin. Und seine glimmende Rute erst!« »Ich hätte begreifen müssen, dass du durch und durch schwul bist, als ich sah, wie dir Saloua die Zunge in den Hintern gestoßen hat.« »He, ich bin keine Schwuchtel, auch wenn ich meine, dass jeder frei ist, seinen Arsch so zu gebrauchen, wie er es will! Und wenn mir Saloua ihre Zunge hineingeschoben hat, dann nur, weil sich die Männer da öffnen, wenn sie ejakulieren. Dir muss man das alles erst beibringen, mein Täubchen. Diese Schlampe von Saloua hat schon zu viele Schwänze und Löcher bearbeitet, um diese Grundregel der Lust nicht zu kennen. Du dagegen wagst es nicht. Du wagst gar nichts.« »Schämst du dich nicht? Es mit Männern zu treiben?« »Ich vögle gerne. Ich liebe die nassen, schmatzenden Muschis. Ich liebe meinen Schwanz, der kurz davor ist zu explodieren. Was deine noble Moral betrifft, so merk dir, dass ich noch nie ein Kind oder eine Jungfrau angerührt habe. Und was Hamid betrifft, er fickt mich nicht. Er lässt mich nur vom Paradies kosten.« »Was wird Tanger über seinen brillanten Arzt sagen?« 199
Er brach in Lachen aus, fuhr mit seiner Hand immer schneller auf und ab und spreizte kurz vor dem Höhepunkt die Beine. »Du bist dumm ... Du bist naiv ... Tanger interessiert das nicht die Bohne! Solange der Schein gewahrt bleibt. Zwing mich nicht, dir die Liste mit den Ehemännern aufzusagen, denen du auf vornehmen Abendgesellschaften begegnet bist und die sich während jeder Siesta in ihren Alkoven, mit Flamenco-Musik oder den Stones im Hintergrund, von einem hübschen Gespielen bespringen lassen. Mögen sie mit offenen Mäulern krepieren. Diese degenerierte Sippe, die unausweichlich dem Untergang entgegengeht und dabei immer zynischer wird. Ganz zu schweigen von den affektierten Damen, die es noch im Greisenalter herrlich finden, sich von noblen Purpurlippen lecken zu lassen! Und bei euch auf dem Land tut ihr es auch! Allerdings ohne Freude und Zartgefühl. Aber um zum Thema zurückzukommen – Hamid ist verheiratet und seiner Frau treu. Er ist Professor für mittelalterliche Geschichte und unschlagbar, was Pippin den Kurzen und Berta mit den großen Füßen angeht. Aber das Wichtigste ist, dass er einen göttlichen Arsch hat. Selbst seine Frau beißt hinein, wenn er ein Bad genommen hat und sie ihm den Rücken mit einem harten Rosshaarhandschuh schrubbt. Ich habe ihn in Fes kennen gelernt, in einer von Akazien 200
umgebenen Villa und mit einem prächtigen Springbrunnen im Patio. Es war der vierzigste Tag nach dem Tod meines Cousins Abbas, und ich hörte nicht auf, Azrael zu verspotten, womit ich die Söhne des Verstorbenen und seine Freunde mit den schmerzverzerrten Gesichtern und raschelnden Seiden-Djellabas schockierte. Sie waren herausgeputzt, mit Moschus parfümiert und trugen falsches Mitleid zur Schau. Es war abscheulich. Ich weigerte mich, vom rituellen Couscous, vom Tajin und von den Kuchen zu essen, die das Ende der Trauerzeit ankündigten. Die Frauen waren reizlos unter ihren Wasserwellen. Nicht ein junges Mädchen war in Reichweite. Sie waren in der Küche eingesperrt und in ihren Zimmern im ersten Stock, wo sie gemeinsam ihren süßen Tabak rauchten und sich heimlich die Brüste liebkosten. Das Haus war riesig und meine Whiskyflasche leer. Ich ging pinkeln, und plötzlich war Hamid da. Er zitterte, als er mich am Ausgang der Toilette abfing. Mein Schwanz roch noch nach warmer Pisse. Meine Laune war fast auf dem Nullpunkt angelangt, so satt hatte ich das geheuchelte Mitgefühl, die Trauermienen und das ganze Tamtam. Meine Mutter tat so, als würde sie im Sitzen schlafen, mitten unter den illustren Trauergästen im großen Salon mit den ockergelben glasierten Kacheln, den schweren Vorhängen und den mit weißen Tüchern verhängten Spiegeln. 201
Er nahm meine Hand und legte sie auf sein Geschlecht. ›Eins von beiden. Entweder du fickst mich oder ich ficke dich‹, sagte er. Ich brach in Lachen aus. ›Auf diese Idee muss dich der Wodka bringen‹, erwiderte ich. ›Ich habe dich oben mit Farid heimlich trinken sehen.‹ ›Du willst doch nicht, dass ich hier in dieser stinkfeinen Gesellschaft, in diesem Patio voll alter verknöcherter Spießer, die fast ruiniert und schon mumifiziert sind, die Hosen runterlasse. Fass mich an, und du wirst sehen, ob es der Wodka ist, von dem ich einen Ständer kriege.‹ Ich hatte bislang noch nie einen Mann berührt. Ich ließ die Hand zu der Ausbuchtung unter dem Hosenstoff wandern. Um ihn herauszufordern. Zum Spaß. Sein Hosenschlitz war geöffnet, und seine Frau parlierte im Salon mit meiner alten Tante Zoubida. Ich glaube, sie sind Cousinen, ich weiß nicht welchen Grades. Da waren wir, zwei Kerle in einem arabischen Patio, und die Sterne funkelten und waren zum Greifen nahe.« Driss erzählte und rauchte, sein Penis steil aufgerichtet, fest und triumphierend. Es war klar, dass nicht ich die Ursache dafür war. »Und?« »Und, was? Du, die du die Schwänze so liebst, du 202
hättest geweint beim Anblick dessen, was ich aus seiner Hose hervorgezogen habe. Ich habe das glänzende Ende mit meinen Fingern gedrückt, und er flüsterte plötzlich traurig: ›Mir ist kalt, und die Nacht ist so schön. ‹ Du musst wissen, dass er kräftig gebaut und mehr als einen Kopf größer ist als ich. ›Schwul?‹, fragte ich ihn und nahm sein Glied in die Hand. ›Nicht wirklich. Ein bisschen, hin und wieder mit den Pächtern des Familienguts und zweimal in Amsterdam. Was mich an dir so erregt, ist dein Kopf. Und dein Mund. Du musst es einem besorgen können wie ein König. ‹ ›Ja, wenn ein Schlitz mich anmacht. Doch du hast keinen. ‹ ›Nein, aber ich möchte deine Frau sein. Danach nehme ich dich.‹ ›Im Stehen oder auf der Seite liegend?‹, entgegnete ich sarkastisch. »Du machst dich über mich lustig‹, sagte er und ergoss sich über meine Finger. Innerhalb von fünf Minuten hatte mich ein Typ aufgerissen, mir seinen Schwanz in die Hand gedrückt und sich vor meiner Nase entladen, indem er sagte, er wolle es sich besorgen lassen und sich für die Nettigkeit revanchieren.« »Und dann?« Driss’ Geschlecht zitterte vor Lust, es war ein be203
freites Monster. Er berührte sich nicht mehr. Er betrachtete sich. Dann sagte er: »Und du, was ist mit dir? Du hast genug, was? Anscheinend hat noch niemand gewagt, dir solche Abscheulichkeiten zu erzählen.« »Und dann?« »Da war nichts zu machen in diesem arabischen Haus, in dem alle Nischen und Winkel mit falschen Öllampen erleuchtet waren. Er war so selbstsicher, so arrogant, dass ich ihn in eine Ecke zog und auf den Mund küsste. Er bekam erneut einen Steifen und presste ihn an meinen Hosenschlitz. ›Willst du ihn?‹ – ›Ja.‹ – ›Morgen um fünfzehn Uhr bei dir. In deiner Wohnung. Geht das?‹ – ›Darf ich dir dann einen blasen?‹ Ich drückte ihn an die Wand. ›Ich besorge es dir gleich auf der Stelle, wenn du nicht aufhörst, mich mit deiner Nuttensprache aufzugeilen.‹ Damit kehrte er zu seiner Frau zurück, und ich ging nach Hause. Verwirrt und nicht wirklich glücklich, es so weit getrieben zu haben, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Gegen fünf Uhr morgens beschloss ich, ihn zu versetzen. Mittags fingen meine Hände an zu zittern. Um fünfzehn Uhr öffnete ich ihm die Tür, noch bevor er geläutet hatte.«
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riss hatte Zeit und Geld. Beides vergeudete er ohne Gewissensbisse. »Lass uns reisen«, sagte er, »damit wir etwas von der Welt sehen. Paris, Rom und Wien werden dich begeistern. Oder ist dir Kairo lieber? Du solltest deine ägyptischen Freunde trösten nach der Tracht Prügel, die ihnen Israel verpasst hat, nachdem sie die Bar-Lev-Linie überschritten haben. Mein Gott, was für eine Schlappe! Nein? Na gut, es bleiben ja noch Tunis, Sevilla und Cordoba. Wir fahren, wohin du willst, Liebes. Ich bin dein treuer, ergebener Diener.« Er log. Er spielte. Ich wollte nirgendwohin. Und wir sind tatsächlich auch nie zusammen gereist. »Ich liebe dich nicht mehr, Driss.« »Im Gegenteil, mein Kätzchen, du fängst gerade erst an, mich zu lieben. Sei nicht albern. Es gibt noch so viele Dinge, die wir zusammen unternehmen müssen.« In Wirklichkeit hatten wir, außer uns zu lieben, nicht viele Gemeinsamkeiten. Der Körper reagiert stets mit Verspätung auf eine Veränderung, denn er fürchtet sich vor dem Entzug, nachdem die erste Ent205
wöhnung so schmerzhaft war. Ich hasse das Gedächtnis der Zellen wegen seiner hündischen Treue; es verhöhnt die Neuronen und verspottet den Kortex und seine Hirngespinste. Mein Kopf, nicht mein Körper, hat mich gerettet. Er riet mir, auf der Stelle eine eigene Wohnung zu suchen, auch wenn Driss die horrende Miete dafür bezahlte. Die Augen leicht zusammengekniffen, hörte er mir zu, dann fiel er mir ins Wort: »Wir machen das noch viel besser, Baby!« Ich suchte die Möbel, die Vorhänge und die Teppiche aus. Er kaufte den Nipp es und ein so ausladendes japanisches Bett, dass es das ganze Schlafzimmer einnahm. Er schenkte mir meinen ersten Elefanten aus Elfenbein. Heute sind es mehr als fünfzig, die in der Nacht von Imchouk, meinem selbstgewählten Friedhof, trompeten. Driss kündigte sich nie an, wenn er kam, und schloss ohne zu läuten einfach die Tür auf. Ich war meist in der Küche, probierte meine eigenen TajinRezepte aus oder erfand neue Vorspeisenkombinationen. In eine weite, fast formlose Gandoura gekleidet, das Haar mit einem großen leuchtend roten oder grünen Tuch umwickelt, wollte ich nicht, dass Driss mich anrührte, sich an mein Hinterteil presste oder in meine Schultern biss. Das Kochen war für mich die Gelegenheit, meinen zum Bersten vollen Kopf zu 206
leeren und mich auf etwas anderes als meine Wunden zu konzentrieren. Schließlich fand sich Driss mit meiner Verweigerung ab, leistete mir einfach nur Gesellschaft, trank in aller Ruhe seinen Wein, aß Oliven und Cornichons, erzählte mir den letzten Klatsch aus der Stadt und von den politischen Skandalen, die mich nur wenig interessierten. Driss wusste, dass ich ihn nicht mehr wollte, beruhigte sich aber, wenn er sah, dass er mich noch immer erregen konnte – eine physische, gut geölte Mechanik, die bei der geringsten Liebkosung einsetzte. Behutsam drang dieser schreckliche Schauspieler nur mit der Hälfte seines Glieds in mich ein und ließ mich auf der Spitze seines Geschlechts tanzen. »Sei nicht so störrisch! Mach den Mund auf, damit ich an deiner Zunge lutschen kann. Nur an der Spitze, mein kleiner Dickkopf.« Natürlich kam ich zum Höhepunkt. Natürlich ejakulierte er nicht. Und natürlich dachte ich an Hamid. »Er betrügt mich mit einem Mann«, sagte ich jedes Mal nach der Liebe zu meinem Spiegelbild – eine verwüstete Frau, die nach Driss’ Besuchen ihren Lippenstift nachzog. Ihn verlassen und dann, wohin gehen? Driss kontrollierte ganz Tanger. Er war überall und rammte seinen Schwanz sogar in die Ärsche von Männern. Ich kam mir vor wie eine Leiche nach der Autopsie: eine 207
Hülle, die notdürftig mit einem groben Faden zusammengeflickt war und mit einem Etikett am großen Zeh darauf wartete, aus dem Leichenschauhaus abgeholt zu werden. Ich habe versucht, es Tante Selma zu erklären, die mich mit drei Sätzen und zwei verächtlichen Blicken abfertigte. »Der Umzug hat sich ja gelohnt! Dieser Mann kreuzt auf, wann es ihm passt, schnüffelt herum, um sich zu vergewissern, dass du keinen Liebhaber hast. Er besteigt dich zwischen zwei Orgien und schläft nachts mit spöttischen Gedanken an dich seelenruhig ein. Dieses Monster hat dir deine Jugend geraubt. Er konnte dich haben, weil er ein betuchter Städter ist und weil das kleine Bauernmädchen aus Imchouk es wunderbar findet, den Aristokraten die Füße zu lecken.« Lecken, sagte sie, die heilige Frau! Ich konnte ihr doch nicht erzählen, dass mich dieser Mann auf alle erdenklichen Arten zum Höhepunkt brachte. »Ist dir wenigstens bewusst, dass dich irgendeine Kellerassel aus der Nachbarschaft nur bei der Polizei verpfeifen muss und du landest im Gefängnis?«, fuhr Tante Selma fort. »Doch was sage ich? Ich vergesse immer, dass Madame ja mit dem brillantesten Arzt der Stadt liiert und unantastbar ist. Du sagst, er liebt dich? Nein, meine Liebe! Er liebt nur seinen Schwanz. Und erzähl mir nicht das Gegenteil, sonst renne ich mit dem Kopf gegen die Wand.« 208
Liebt mich dieser Mann? Hat er mich geliebt? Ich bezweifle es. Oder aber er tat es auf seine Art: ungeniert, gleichgültig, voller Verzweiflung hinter der lachenden Fassade. Er, der von vollkommener Eleganz in Kleidung und Auftreten war, Herr über den Alkohol, von umfassender Kultur, außergewöhnlich, herrisch, geschickt im Umgang mit der Gesellschaft, schwermütig, sobald er mit seiner Stille konfrontiert war, mit oder ohne Frau im Bett oder am Hals. Jetzt weiß ich, warum er nie schlafen konnte, bevor er nicht Le Monde zu Ende gelesen hatte oder seine arabischen Klassiker, deren brillante und burleske Tiraden er sich immer wieder einverleibte, seine amerikanischen Krimis oder seine französischen Poeten aus der Zeit zwischen den Kriegen. Driss hat mir beigebracht zu lesen. Zu denken. Und ich wollte ihm den Kopf abreißen. Ja, am Ende habe ich es begriffen: Driss’ Herz hatte keinen Zugang. Er war zu einsam, liebte die Wüste, das Leben ohne Reim und Vernunft, die gestrandeten Geister, deren Geplauder ihm Stoff zum Lachen und Nachdenken lieferte.
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ch blutete. Ich blutete und brüllte im Käfig meines Kopfes, ohne dass mein Zorn verrauchte. Ich weigerte mich, Driss am Telefon zu sprechen. Ich ließ ihn einfach stehen, wenn er auf die Idee kam, mich vom Büro abzuholen. Jeden Abend wusch ich mich, riss die Fenster auf, schrie meine Wut hinaus, nagte an meiner Schlaflosigkeit wie eine durch Krätze, Pest und Syphilis wahnsinnig gewordene Ratte. Tante Selma gab mir, drei Monate nachdem ich ihr Haus in der Medina verlassen hatte, um die Wohnung in der Neustadt zu beziehen, das richtige Rezept. Als ich sie besuchte, hatte ich die Arme voller kleiner Geschenke und die Miene eines Totengräbers. Sie sprach von diesem und jenem, von ihren rasenden Zahnschmerzen, von der Hochzeit der Tochter der Nachbarin. Dann verkündete sie mit fester Stimme und einem Kopfschütteln: »Sag nichts. Der Arzt hat mir streng verboten, mich aufzuregen.« »Es steht fest: Ich verlasse ihn.« »Mein Gott, geht das schon wieder los! Du verlässt 210
ihn, und wozu? Um erneut von vorn anzufangen? Hast du wenigstens etwas Geld auf die Seite gelegt? Natürlich nicht! Und dein Zuhälter? Hat er dafür gesorgt, dass du ein Dach über dem Kopf hast? Würde es ihn ruinieren, dir diese Wohnung zu kaufen, in der er es ohne Vertrag und ohne Zeugen mit dir treibt?« »Ich bin keine Hure, Tante Selma!« »Jetzt reicht’s! Mein Herz beginnt zu rasen, und mein Blutdruck steigt auf hundertachtzig. Huren werden für ihre Dienste bezahlt, du dumme Gans! Und er bespringt dich seit zehn Jahren gratis! Er beraubt dich deiner Freiheit. Und erzähl mir nicht, du arbeitest. Er lässt dich nur Luft schnappen. Wo ist sie, deine Leine?« Mit verschlossener Miene und lebloser, gleichgültiger Stimme fügte sie hinzu: »Sorg dafür, dass dein tollwütiger Köter diese Wohnung kauft und auf deinen Namen überschreibt. Tu es für mich. Ich will ruhig in meinem Grab schlafen können.« Ich habe geweint. Der Tod von Tante Selma würde über meine Kräfte gehen. Ich wollte sie mir nicht auf dem großen Brett des Maghssal vorstellen, eine Koranverse murmelnde Wäscherin über ihre sterbliche Hülle gebeugt, um ihre blonden Haare mit lauwarmem, nach Rosenessenz riechendem Wasser zu waschen, jenem makabren Duft, der unter allen anderen deutlich zu erkennen ist. Ich wollte sie nicht entschlafen und tot sehen, einen weißen wollenen Lendenschurz um die Hüften gewickelt, der ihre Scham vor den Blicken der 211
Wäscherin schützt, die schon so manche andere gesehen hat und sie, sobald die rituelle Totenwaschung abgeschlossen ist und Anus und Nasenlöcher mit Saugwatte verschlossen sind, in ein makelloses Leichentuch wickeln würde. Ich wollte nicht ihre kalte Stirn küssen und ihr zuflüstern: »Vergib mir, so wie ich dir vergebe«, bevor man ihren Körper begraben und die Klagerufe und das Schluchzen der Frauen und die Allahu Akbar der Männer einsetzen würden. Ich zog es vor, sie sofort um Verzeihung zu bitten und ihr reuevoll zu sagen: »Ich liebe dich so sehr, Tante Selma.« Sie erhob sich, nahm das Tischchen, auf dem noch die Teegläser standen, und gab mir damit zu verstehen, dass mein Besuch beendet sei. Als sie mich zur Tür begleitete, schneuzte sie sich und sagte in dem Moment, als ich sie auf die Schläfe küsste: »Denk daran, dass nur ein Mann in der Lage ist, einen anderen Mann zu kastrieren. Gott möge dich schützen.« Das Rezept war bekannt: einen Liebhaber nehmen, um mich an Driss zu rächen. Ich wachte mitten in der Nacht in meinem Bett auf, frierend, schweißgebadet und bei völlig klarem Verstand. Tante Selma, ich werde etwas noch viel Besseres tun, als mir einen Liebhaber zu nehmen.
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ch musste Driss nicht bitten, die Wohnung auf meinen Namen umzuschreiben. Er hat es von selbst getan, nachdem ich seinen Schwanz aus meinem Kopf gerissen hatte, um ihn zwischen die Zöpfe aus Knoblauch und die getrockneten roten Peperoni zu stecken, die die Wand meiner Küche zieren. Ich ließ ein paar Tage verstreichen, bevor ich ihn wiedersah, stellte mich tot, indem ich bei einer geschiedenen Kollegin Unterschlupf suchte, die sich heimlich in Tanger austobte und mit klingender Münze bezahlen ließ. Als ich ihn danach traf, war ich um zehn Jahre jünger geworden, hatte mir einen neuen Haarschnitt zugelegt und trug zum ersten Mal ein Kostüm, das er mir zwei Monate zuvor aus Mailand mitgebracht hatte. Er vergaß, mich zu beschimpfen, feierte mich wie eine Jungfrau, hüllte mich in eine Walze aus Geldscheinen und Musik und flehte mich an, das Unmögliche von ihm zu verlangen. Ich bat ihn, Hamid aus Fes kommen zu lassen und zum Abendessen einzuladen. Er lachte ungläubig. »Wozu?« 213
»Nur so. Ich möchte wissen, was für ein Typ er ist.« »Willst du mit ihm vögeln?« Lächelnd nahm ich seine Frage hin. »Nach deinen beiden Lesben kann ich’s mit jedem.« Eine Falte grub sich in seine Stirn. Er lachte nicht mehr. Und zum ersten Mal, seitdem ich ihn kannte, schien er sich zu sorgen und seinem Geschöpf zu misstrauen. »Nein, ich halte das für keine gute Idee.« »Bist du etwa eifersüchtig?« »Warum nicht? Ich will nicht, dass die Männer um dich herumschleichen.« »Hamid ist nicht nur ein Mann. Er ist auch deine Frau, oder? Ich verspreche dir, nie mit einer Frau zu vögeln ... ohne deine Zustimmung.« »Gut, jetzt reicht’s aber. Ich mag es nicht, wenn du die Zynische mimst.« »Ich bitte dich bloß, meinen Rivalen oder meine Rivalin kennen lernen zu dürfen. Das schuldest du mir.« Nur um großzutun, hakte er nach: »Und wenn ich Lust bekomme, ihn zu besteigen?« »Nun, dann schaue ich eben zu. Das macht jetzt auch nichts mehr ...« Weder Driss noch ich kamen in den folgenden Wochen auf das Thema zurück. Ich verweigerte ihm lediglich meinen Körper, lehnte seine Einladungen 214
zum Essen ab und ignorierte seine Annäherungsversuche. Eines Tages brüllte er ins Telefon: »Wenn du mich weiter so vernachlässigst, vergreife ich mich noch an einem Esel.« »Ich bin sicher, der Esel wird sich glücklich schätzen, deine Höflichkeit zu erwidern.« Er legte fluchend auf. Schließlich gab er nach, und ich durfte Hamid in Driss’ Wohnung am Boulevard de la Liberte als Gast begrüßen. Hamid beugte sich äußerst galant über meine Hand, rückte seine Krawatte zurecht und sagte: »Ich möchte dich schon seit einer Ewigkeit kennen lernen. Driss hat mir so viel von dir erzählt.« Driss fühlte sich äußerst unbehaglich. Er begnügte sich mit einem geknurrten »Hallo«, schenkte Whisky und Rose ein, stellte seine Porzellanschälchen aus Limoges mit grünen Oliven und Pistazien auf den Tisch und nahm sichtlich verärgert in einem Sessel Platz. »Ziehst du meinetwegen so ein langes Gesicht?«, erkundigte sich Hamid. »Ich bin müde. Ich habe einen langen Arbeitstag hinter mir. Drei Bypässe auf einen Schlag.« Ich säuselte: »Ich habe uns eine Tauben-Pastilla gekocht. Als Vorspeise gibt es gegrillte Krevetten und einen Gurkensalat. Ich hoffe, ihr beide habt Hunger.« Sie hatten keinen Hunger, und Driss war auf der 215
Hut, beobachtete jeden Blick, jede Geste von Hamid und mir. Ich deckte den Tisch ab, Driss schenkte den Digestif ein und zündete sich eine Zigarre zu seinem Cognac an. Seine Laune wurde nicht besser. Ich war beim Abspülen, als Hamid in die Küche kam und um Eiswürfel bat. Unsere Finger berührten sich über dem Spülbecken. Mehr sah Driss nicht, als er in die Küche kam, um eine Serviette zu holen. Das gestand er mir später, um fünf Uhr morgens. Er wurde kreidebleich, stürzte sich auf Hamid und packte ihn am Hemdkragen. »Ich verbiete dir, um sie herumzuscharwenzeln, du Schwuchtel!« Hamid sah ihm lange in die Augen, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Bist du krank, oder was?« »Ich bin ein Psychopath, ein Nekrophiler, ein Kannibale, und ich ficke deine Mutter, wenn es dir einfällt, Badra anzurühren. Sie gehört mir, die Kleine! Mir!« Hamid strich sein Jackett glatt, rückte seinen Hemdkragen zurecht und erwiderte mit tonloser Stimme: »Und ich, wer bin ich deiner Meinung nach? Wem gehöre ich?« Er ging, steif wie ein verletzter Kater. Ich trocknete Teller und Gläser ab, griff nach meiner Tasche und wollte gehen. »Wohin willst du? Wer hat dir erlaubt zu gehen?« 216
»Driss, du bist lächerlich.« »Ist mir scheißegal! Wenn du auch nur mit dem Ohr zuckst, jage ich dir eine Kugel in den Nacken.« Wir verbrachten den Abend schweigend im Salon, saßen einander gegenüber, er schlürfte seinen Cognac, ich zählte meine Treffer. Gegen Mitternacht riskierte ich ein Wort. »Ich ...« »Schnauze, verdammt noch mal! Ich hasse dich, du Schlampe! Was bildest du dir ein? Dass ich nicht weiß, was du im Schilde führst, was du ausheckst? Für wen hältst du dich? Für wen hältst du mich?« »Du hast zu viel getrunken!« »Ich verbiete dir, den Mund aufzumachen, du Giftnatter! Du willst mir Hörner aufsetzen, ist es das? Jetzt, da Madame nicht mehr nach Kuhfladen riecht, sondern Yves-Saint-Laurent-Kostümchen trägt, glaubt sie, mich reinlegen zu können! Niemals, sag ich dir! Ich steche dir die Augen aus!« Er war schrecklich anzusehen, nicht wiederzuerkennen. Ein Tobsüchtiger. »Das wirst du mir büßen, Badra! Und wie!« Er verschwand in der Küche und kam mit einer Wäscheleine zurück. »Zieh dich aus!« Ich trug ockerfarbene Seidendessous und hatte meine Regel. »Und untersteh dich zu weinen«, drohte er. 217
Ich hatte nicht die Absicht. Ich wollte, dass es ein Ende hatte. Er fesselte mir die Hände und band sie hinten an meinen Fußknöcheln fest. Ich war darauf gefasst, geschlagen, vergewaltigt zu werden, oder beides. Er hatte zu Hamid gesagt, dass ich ihm gehöre, ihm allein. Nichts anderes zählte. Im Gegenteil, sein Zorn entfachte meine Glut. Mein Kopf lag am Boden, als er mit einem Zinnteller zurückkam. Drei Kohlenstücke glühten drohend darauf. Er ist immer weiter gegangen, als meine Vorstellungskraft reichte, er hat meine Phantasien und Albträume stets übertrumpft. »Das hat Touhami, der Pächter, mit Mabrouka gemacht, nachdem sie es gewagt hatte, mich bei der Beerdigung von Großmutter in der Öffentlichkeit auf die Wange zu küssen.« Er würde mich zwingen, die Glut zu schlucken. »Touhami, der Pächter, ist nicht männlicher als ich! Touhami hat es verstanden, seine Frau zu bändigen. Er hat es verstanden, sie zu dressieren. Mach den Mund auf!« Ich habe nicht gezögert. Ich habe mir Kinn und Zunge verbrannt. Davon habe ich ein leichtes Lispeln zurückbehalten, das nur ein aufmerksames Ohr zu erkennen vermag. Aber da niemand zuhört ... Er hat mich verarztet, ohne mich von meinen Fesseln zu befreien. Dann drehte er mich um, so dass 218
meine Brüste in die Luft ragten, und trug mich wie eine Braut zum Bett. Ich stöhnte nicht. Ich protestierte nicht. Ich konnte nicht sprechen. Dann begann er zu sprechen. Er weinte stundenlang. Er schlug seinen Kopf auf den Boden, dann gegen die Wand. »Du willst mich verlassen. Jetzt weiß ich, dass du mich verlässt. Warum? Natürlich bin ich verrückt. Natürlich bin ich keinen Pfifferling wert. Aber ich liebe dich, Badra. Meine Mutter hat mich verlassen, als mein Vater in Südfrankreich einen Autounfall hatte. Und jetzt willst du mir das Gleiche antun. Du rächst dich, wofür, weshalb? Warum fragst du mich nie, ob ich dich heiraten will? Warum bist du nie schwanger von mir geworden? Warum musstest du nie abtreiben? Alle Männer haben Frauen. Ich habe nur eine Fotze, die mich trinkt, die aber niemals zu mir sagt: ›Nimm mich! Behalt mich für dich ganz allein! Beschütze mich vor den Schwänzen und der Grausamkeit der Welt.‹ Ja, du sagst: ›Ich liebe dich‹, aber wie die Ägypterinnen mit Honig und Tamburin. Ich hasse Ägypten, ich scheiße drauf! Liebe mich, wie du dein Wadi Harrath liebst, verdammt, und ich heirate dich auf der Stelle.« Ihm sagen, dass er mein Wadi Harrath und ganz Imchouk war? Ihm sagen, dass er alle Männer und alle Frauen zugleich für mich war? Ihm sagen, dass ich nie den Fuß 219
auf ägyptischen Boden gesetzt habe, dass ich keine Araberin bin, wie er glaubt, sondern eine reinrassige Berberin? Ihm sagen, dass ich nicht weiß, wie ich ihn lieben soll, wie er geliebt werden will, und dass er mich nicht so liebt, wie ich geliebt werden möchte? Ja, wir haben uns geliebt, obwohl ich meine Regel hatte. Ja, ich habe seinen Schwanz gelutscht, mit meiner verbrannten Zunge geleckt. Ja, ich bin zum Orgasmus gekommen. Ja, er hat meinen Saft mit sanften Zungenschlägen getrunken. Aber nein. Er hat mir nicht die Fesseln abgenommen. Er hat mir nur, bevor der Morgen graute, den Kaufvertrag zwischen die Brüste gesteckt, die mit Knutschflecken und Bissspuren bedeckt waren. Die Wohnung war vom ersten Tag an auf meinen Namen eingetragen gewesen.
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uf der Straße brachte meine Silhouette die Schaufenster zum Vibrieren. Die Männer folgten mir, manche waren vulgär, andere betrunken von Wein und Sonne. Sie liefen dem eigenen Tod hinterher, wollten, dass man sie mit einem Biss enthauptete. Mit einem einzigen. Tanger roch nicht mehr nach Schwefel, sondern nach frischem Blut. Nach meiner Trennung von Driss lernte ich andere Männer kennen. Kennen ist nicht lieben, und lieben war mir unmöglich geworden. Außerhalb meiner Macht. Ich bemerkte es nicht sofort. Eine Begegnung nach der anderen – die Liebe war nichts als ein Phantomschmerz. Auch wenn mein Herz amputiert war, bekam ich noch immer feuchte Hände und Schmetterlinge im Bauch, sobald mir eine Begegnung verlockend erschien, ein Gesicht sensibel, eine Zahnreihe vollkommen, ein Mann feurig und zärtlich. Dann wurde das Augenscheinliche immer offenkundiger: Nur das Verlangen war der Motor meines Fiebers, meines Sehnens. Das Verlangen zu spielen, zu töten, zu sterben, zu verraten, zu verstecken, zu 221
verfluchen. Und auch zu vögeln. Zu vögeln, so wie man lacht oder ein Glas Wasser trinkt oder angesichts eines Erdbebens oder einer Flutwelle feixt. Zu vögeln, ohne sich im Geringsten um den anderen zu scheren. Es gab keinen. Der Körper existiert nicht. Er ist nur eine schmerzliche Metapher. Ein Köder. Ein sterbenslangweiliges, sich unendlich wiederholendes Spiel. All diese Körper, die ich genommen habe wie Festungswälle, zu zweit, zu dritt, zu mehreren, emotionslos, endlos – sie alle konnten ebenso wenig für mich tun, wie ich aufhören konnte, sie zu vögeln. Ich begriff, dass lieben keine irdische Angelegenheit war und dass mich die Männer stets mit verletzter Seele zurücklassen würden, da sie nicht begriffen hatten, dass ihnen meine Vagina lediglich als Vorzimmer diente und dass man sie nicht betritt wie ein Bordell. Ich habe nach Lust und Laune mit Männern geschlafen – frei und ungerührt. Diejenigen, die sich für die Herren über meinen Körper hielten, waren nichts anderes als sein Instrument, Spielzeuge für einen Abend, ein mehr oder weniger starkes Rauschmittel, das nur dazu diente, meine Nächte zu verkürzen und meine Migräne zu überlisten. Vierzehn Jahre lang war ich nur ein Schlitz. Ein Schlitz, der sich öffnete, wenn man ihn berührte. Egal ob die Geste von Liebe, Verlangen, Kokain oder Parkinson diktiert war. Das Wichtigste war, dass mein 222
Kopf dabei unbeteiligt blieb, dass er sich alte Verse hersagte, schlüpfrige Witze erzählte oder die Monatsausgaben nachrechnete. Mein Kopf war es sich schuldig, standhaft zu bleiben, verschlossen und keusch, während er darauf wartete, dass mein Körper, der ein mir fremdes Eigenleben rührte, wieder zur Tür hinaustrat in die Nacht voll kalter Asche. Ich ging von Luxusvillen in die Hinterzimmer neureicher Händler, von noblen Alkoven in die zwielichtigsten Sackgassen. Jedes Mal, wenn ich die Wohnung eines meiner Liebhaber betrat, glaubte ich hinter den verschlossenen Türen und verdunkelten Fenstern zu ersticken. Und da ich sie nicht öffnen konnte – denn ich fürchtete die Nachbarn, die Passanten, die Sittenpolizei oder den überraschenden Besuch von jemandem aus meinem Heimatdorf –, entwickelte ich einen außergewöhnlichen Instinkt für verborgene Eingänge, für das Labyrinth der kleinen Gässchen in der Medina, deren verschlungene Wege meinen Abenteuern glichen ... Und ich ging auf Reisen. Sehr oft. Auf Kosten meiner Liebhaber lernte ich fremde Länder und Sitten kennen. Doch immer wieder bin ich des Ganzen überdrüssig. Immer wieder langweile ich mich. Immer wieder ziehe ich einen Schlussstrich. Ein Geschlecht, und sei es noch so perfekt, interessiert mich nur, wenn es mich zum Orgasmus bringt. Es ist mir gleichgültig, 223
was man mir über Nasser oder über Hajjaj Ibn Youssef, den Blutrünstigen, erzählt. Die Politik ist mir gleichgültig, ebenso die Genetik, das kanonische Recht oder die Marktwirtschaft. Die Männer reden, und ich massiere meine Schläfen. Ich warte, bis sie ihren Wortvorrat erschöpft haben und in mich eindringen, lange, langsam, schweigend. Sobald meine Vagina aufhört, vor Lust ihren Saft zu vergießen, wende ich demjenigen, der mir eben noch Orgasmen beschert hat, den Rücken zu. Mein Unterleib kennt keine Dankbarkeit. Die postkoitale Zärtlichkeit lässt mich ebenso kalt wie die postkoitale Tristesse. Meine Liebhaber dürfen nur schweigen, schlafen oder gehen. Sobald die Tür ins Schloss fällt, jubiliere ich. Ich lege eine Platte mit Jazz oder andalusischer Musik auf. Nach Mitternacht höre ich nie arabische Gesänge, denn sie quälen mich wie Messerstiche. Araber verletzen mich sogar, wenn sie schweigen. Sie sind mir zu nah, zu durchsichtig. Ich habe aufgehört, die geküssten Münder, die gebissenen Hälse, die gelutschten Schwänze und die zerkratzten Hinterteile zu zählen, die heute die Schubladen meines Gedächtnisses füllen. Und ich habe viele Schwänze kennen gelernt. Dicke und träge. Kleine und kühne. Aggressive und laszive. Ungeschickte und lässige. Verrückte, weiche und wissende. Zärtliche und zynische. Benommene und hinterlistige. Braune und weiße. Und sogar 224
einen gelben und zwei schwarze – aus reiner Genusssucht. Manche von ihnen haben mich vor Lust zum Weinen gebracht. Andere zum Lachen. Einer von ihnen war so kümmerlich, dass es mir die Sprache verschlug. Ein anderer war so groß wie ein Rüssel. Meine Vagina erinnert sich an alle, denkt manchmal voller Zärtlichkeit, aber nie mit Dankbarkeit an manche von ihnen. Sie haben mir nur das gegeben, was mir gebührt. Glücklicherweise habe ich seit langem jeden Rachegedanken aufgegeben. Sonst hätte ich sie alle abgeschnitten. Heute flüstert mir Driss in seinen Nächten voller Schmerzen und Morphium, ohne dass ihm die Obszönität dieses Eingeständnisses bewusst wäre, zu: »Ich liebe dich. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.« Ich weiß es, und darum schneide ich eifrig die Rosenbüsche und füttere die Kaninchen in ihren Ställen. Er sagte mir, er hätte sich vor Gewissensbissen die Augen ausgekratzt. Er sagte mir, er hätte sich die Zunge abgeschnitten. Die meine war nicht mehr in der Lage, zu irgendjemandem zu sagen »ich liebe dich« – ausgenommen zu den Bäumen, den Schildkröten und der blassen Morgendämmerung, die anbricht, kurz bevor ich die Hoffnung aufgebe, je das Licht wiederzusehen und den Hahn krähen zu hören. Er sagte mir, er hätte sich die Kehle durchgeschnitten, doch es ist meine, die die Narbe trägt. 225
Bald nachdem ich Driss verlassen hatte, spaltete sich mein gebrochenes Herz. Als ich seinem Gesicht abschwor, wurde ich nüchtern, überließ mein Geschlecht dem Erstbesten, beinahe jedenfalls, und weigerte mich, meinen Schlaf – meine letzte Zitadelle, wenn die Bagatelle beendet war – mit meinen Liebhabern zu teilen.
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er Körper der anderen ist eine Wüste. Im Laufe der Jahre verschmelzen sie alle miteinander. Der Körper desjenigen, den ich am Ufer des Bodensees befriedigt habe, und der, der während unserer Kreuzfahrt auf dem Nil nicht in mich eindringen konnte. Der, dem ich mit einem riesigen Dildo fast den Hintern zerrissen hätte, und der, von dem ich aus Unachtsamkeit zweimal schwanger geworden bin. Es gab eine Zeit, da ich meine Liebhaber im Rhythmus der Jahreszeiten gewechselt habe. Alle drei Monate. Ich wünschte mir damals, ein Mann würde den rasenden Lauf durchbrechen und den für meinen Körper zu starken Motor bremsen. Ich hätte gern einen Mann voller Geduld getroffen. Für jemanden, der so ungeduldig ist wie ich, gibt es nichts Eindrucksvolleres als Menschen, die warten können. Doch niemand hat je daraufgewartet, dass ich zur Ruhe komme, dass ich mich auf dem höchsten Ast niederlasse, um dort zu trällern. Die Männer haben es zu eilig, sie sind zu schnell: essen, bewegen, ejakulie227
ren, vergessen. In dieser Hinsicht sind sie mir ähnlich, und ich werfe es ihnen nicht vor. Es ist sonderbar, aber nur eine Frau hat versucht, meine harte Schale zu durchbrechen, denn sie hatte sich, ohne dass ich es ahnte und noch bevor ich sie berührte, in mich verliebt. Wafa wohnte zu jener Zeit, als ich gegenüber dem Friedhof lebte, auf demselben Stockwerk wie ich. Oft kam sie abends vorbei, um einen Tee mit mir zu trinken, zu rauchen und die Brei-Platte zu hören, die mir Driss kurz vor unserer Trennung geschenkt hatte. Ich lebte von Whisky pur und vom Rumoren meines Unterleibes, war zu verletzt, um zu sprechen, zu versehrt, um auch nur zu versuchen, einen Satz zustande zu bringen. Sie fragte nichts, umhüllte mich nur mit dem verliebten Blick einer Jungfrau, die zu völliger Hingabe bereit ist. Ich vergaß, ihr etwas zum Essen anzubieten. Ich vergaß, dass ich selbst essen musste. Im Laufe dieser Abende, die wir in Grabesstille verbrachten, fing sie an, uns kleine Mahlzeiten zuzubereiten. Sie ging einkaufen und kümmerte sich ums Abendessen, ohne je einen Sou zu verlangen oder mich nach meiner Meinung zu fragen. Ehe sie wieder in ihre vereinsamte Witwenwohnung zurückkehrte, spülte sie das Geschirr ab. Dann begann sie, meine Wäsche zu waschen, meine Laken und Kleider zu bügeln, mein Hündchen, mein Besen und mein Mädchen für alles zu werden. 228
Ich war vor Schmerz gelähmt, unfähig, blind gegenüber ihrem Unglück und ihrem Wahn. Da ich meine Liebhaber nicht zu Hause empfangen wollte, ging ich oft aus, und wenn ich zurückkehrte, brannte bei ihr noch Licht. Am nächsten Tag erschien sie mit Leichenbittermiene, tiefen Rändern unter den Augen und einem verhärmten Zug um den Mund. Sie kannte Driss und wird geahnt haben, was es mit meinen nächtlichen Eskapaden auf sich hatte, untersagte sich jedoch jeglichen Kommentar. Sie lauerte, wartete, zuckte zusammen, sobald ich sie mit meiner Schulter streifte oder mir in ihrer Gegenwart verstohlen die Brüste rieb. Das ging zwei Jahre so. Nicht ein einziges Mal machte sie mir ein intimes Geständnis. Doch ihr Verlangen war so laut, dass ich den Eindruck hatte, ein Heer von Kochtöpfen schepperte durch meine Wohnung und gegen die Wände meines Hauses. Ich beschloss zu schweigen, wohl aus Müdigkeit. Oder aus Gleichgültigkeit. Die Gleichgültigkeit der völlig Ausgebrannten. An einem Sommerabend, als ein warmer Wind wie ein Bleideckel auf Tanger lastete, servierte sie mir einen kräftigen Whisky, wirbelte durchs Wohnzimmer und legte plötzlich ihre eisigen Hände auf meine Schultern. Ich rührte mich nicht. »Weißt du ...« »Nein, ich weiß nicht. Und ich will es nicht wissen.« 229
»Badra ...« Sie streifte meinen Nacken mit einem leichten Kuss. »Du weißt nicht, was du tust.« »Ich tue genau das, wozu ich Lust habe, seit ich dich kenne.« »Du kennst mich nicht.« »Mehr als du glaubst.« »Der Wind und die Männerlosigkeit sind dir zu Kopf gestiegen.« »Mein Kopf war noch nie so klar.« »Es ist spät ... Du solltest schlafen gehen.« Sie ging, und ich blieb alleine zurück, sog den Duft der frisch gegossenen Bäume und des Jasmins ein, der hartnäckig wie Gewissensbisse zu mir aufstieg. Ich war traurig. Ich hatte nicht mehr genug Kraft, um Wafa gegen ihre wie auch meine Dämonen zu verteidigen. Wie sollte ich ihr sagen, dass ich nur eine Fata Morgana war? Dass ich nicht existierte? Ich wusste, dass sie sich nach Zärtlichkeit sehnte und einer Liebe, die ich ihr nicht geben konnte. Die Jahre haben ein Gutes: Sie schärfen den siebten Sinn, der einem sofort sagt, wenn ein Körper Verlangen nach dir hat, wenn eine Seele dich bis zur Neige trinken will. Ich hatte unendliches Mitleid mit Wafa, doch in der Steinlandschaft meiner Seele gab es keine Oase, in der man Schutz suchen konnte, keine Hand, die einem Datteln oder eine Schale Milch reichte. 230
Ich konnte es ihr nicht sagen, und sie war außerstande sich von mir zu lösen. Doch ich habe sie nicht hinausgeworfen. Unsere einst unbelebten Abende wurden durch ihre unterdrückte Glut belastet. Ich lernte, sie zu schonen, indem ich die unbedeutendsten Stellen meines Körpers ihren Blicken entzog, mich in weite Kleider hüllte, die mir als Rüstung dienten, und jede Geste vermied, die als Ermunterung hätte gedeutet werden können. Insgeheim belagerte sie mich. Ich widersetzte mich, ohne ein Wort zu sagen. Diese stille Schlacht verpestete die Luft, vergiftete sie mit Liebeskummer und ließ den Stein, der mein Herz war, gefrieren. Sie wurde krank, litt an einem eigenartigen Fieber, das ihr eine madonnengleiche schmerzliche Schönheit verlieh. Ich kochte ihr Suppen, legte ihr Kompressen auf Stirn und Schläfen, wechselte dreimal täglich ihre schweißnassen Laken. Eine unbarmherzige Sonne schlug gegen die geschlossenen Fensterläden, drückende Schwüle haftete an meinen Händen und meiner Haut. Es war August, ich sehnte mich nach Strand, salziger Luft und einer frischen Abendbrise, doch konnte ich Wafa in der ausgestorbenen unbarmherzigen Stadt nicht im Stich lassen. Sie nahm mich als Geisel, und ich wehrte mich kaum, war gefangen von der Benommenheit der Sterbenden. Ich glaube, es war der Zorn, der mich nach fünf Tagen der morbiden Gefangenschaft dazu trieb, sie 231
gewaltsam in ihrem Bett aufzusetzen und mit einer Hand, die keinen Widerspruch duldete, auszuziehen. Ihre Brüste waren schwer und milchig, die Brustwarzen hellrosa und kaum ausgeprägt. Den Blick in den ihren gebohrt wie eine Nadel, nahm ich ihre linke Brust. Sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie wollte sprechen. Ich schüttelte den Kopf: »Kein Wort. Keine Geste. Du hast dir den Strick selbst um den Hals gelegt, und ich bin die beste Schlinge, die sich finden lässt. Sieh mich an. Dies ist keine Vergewaltigung. Ich will dich nicht. Ich liebe dich nicht. Ich bin weder dein Geliebter noch deine Geliebte noch dein Dildo. Ich bin auch nicht deinesgleichen. Ich gewähre dir mein Gift nur dieses eine Mal. Das letzte Mal. Wenn du nicht aufhörst, enthaupte ich dich und begrabe dich hier im Schlafzimmer unter deinem Bett. Ich will, dass du wegziehst, dass du verschwindest. Ich halte deine Witwenschaft nicht mehr aus. Mach den Mund auf, sag etwas. Du zitterst. Press die Schenkel nicht zusammen. Zwing mich nicht, dich zu schlagen. Du bist aus Angst feucht. Wie viele Jahre liegt das letzte Mal zurück? Wie hat es dein Mann gemacht? Direkt aufs Ziel zu, zwei Stöße und vorzeitiger Samenerguss? Hat er deinen Bauchnabel mit der Zunge liebkost? Hat er in die Innenseite deiner Schenkel gebissen, wie ich es jetzt tue? Rühr mich nicht an, ich bin kein Schwanz. Lass deine flehenden Blicke. Bist du offen genug, um 232
meine Finger zu empfangen? Nein. Du verkrampfst dich, und deine Brüste zucken unter meinen Bissen. Sie geben eine bittere Flüssigkeit ab. Dieselbe, die deine trostlose Muschi feucht macht. Sieh mich an. Du bekommst nichts außer einem Orgasmus. Ich besorge es dir, und nie wieder wirst du mit den Wimpern zucken, wenn man dir von wilden anonymen Vögeleien spricht. Hör auf, die Gottesanbeterin zu spielen. Was musstest du dich auch in deine Nachbarin verlieben, die jeden Abend einen neuen Liebhaber hat und sich nichts aus deinen schmerzlichen Seufzern macht? Sieh mal einer an. Jetzt bist du nichts mehr als eine Pfütze weiblichen Spermas. Du bist nichts als eine zuckende Vagina, die ich in meiner Gewalt habe. Ist es nicht das, was du wolltest? Du wogst und willst mich ganz aufsaugen in deine Grotte, die unter meiner Hand zittert und vor Angst vergeht. Du bittest um Gnade, verlangst nach Erlösung. Ich bin keine Erlösung. Ich bin dein Henker für diese Stunde, der dich in diesem Moment gleichzeitig durch drei verschiedene Löcher befriedigt.« Das Schlimmste war, dass sie wirklich einen Orgasmus hatte. Zu keinem Zeitpunkt hat meine Haut die ihre, hat mein Mund ihr Epizentrum berührt. Ich habe sie ohne einen Hauch von Verlangen, ohne eine Spur von Zärtlichkeit gevögelt, verärgert, dass sie mir ichren Körper aufgezwungen, dass sie ihn in armseliger 233
Weise zur Erpressung benutzt hat. Dann habe ich sie liegen lassen, zerzaust, halb nackt, faltig und welk. Ich habe Spinnen noch nie gemocht. Und noch weniger Menschen, die das Licht aufsaugen, tote Planeten vor der Zeit, die sich weigern, es wieder herzugeben. Ich mag es zu vögeln, um zu vögeln, zu lieben, zu lachen und zu tanzen, aus allen Poren zu schwitzen und aus Schwänzen zu trinken wie aus Flaschen. Ich hätte Wafa lieben können, wäre sie eine Sonne gewesen. Doch sie war nur ein toter Planet. Als ich ging, flüsterte ich ihr zu: »Wag dich nie wieder in meine Wohnung.« Zwei Wochen nach dieser Episode zog sie um. Ich hoffe, sie hat eine Frau gefunden, die sie liebt.
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ls Driss kam, um mir zu erzählen, dass er Krebs hat, hatte ich schon die Welt bereist, ein kleines Vermögen angehäuft und war zweimal umgezogen. In meinem Beruf war ich aufgestiegen und bereitete mich jetzt auf den frühzeitigen Ruhestand vor. Er sagte, er hätte nie meine Spur verloren. Ich glaubte es ihm: Tanger ist ein großes Dorf, dessen Raster der Klatsch ist. Er teilte mir mit, dass er jetzt in einer Villa auf einem ins Meer ragenden Felsen wohnte, doch das wusste ich schon. »Ich lade dich zum Essen ein«, schlug er mit trauriger Miene vor. Die Stadt hatte sich seit 1976 stark verändert, und aus unseren einstigen Stammrestaurants waren zum großen Teil Spielhöllen geworden. Außer dem im Rosengarten, dessen von Oleandersträuchern gesäumte Terrasse aufs Meer hinausging und jeden Abend vom Widerschein des spanischen Sonnenuntergangs in Flammen stand. Driss hatte einen Mercedes. Er bat mich zu fahren und betrachtete die Wellen, die sich unter der Abendbrise kräuselten. 235
Vierzehn Jahre nach unserer Trennung hatten wir uns offenbar nichts zu sagen – oder nur wenig. Wir bestellten denselben gegrillten Fisch wie damals und Pommes frites als Beilage. Ohrenbetäubende ägyptische Popmusik erfüllte den Raum. Driss rief den Maitre d’Hotel und verlangte von ihm, diese »Scheißmusik, die uns die alte pharaonische Hure aufzwingt«, abzustellen. Ich musste lachen. Die alte Hure, das war eigentlich Frankreich und nicht Ägypten. »Nun, dann sind es jetzt eben zwei«, beschied Driss. Er wollte, dass ich erzähle. Ich sprach von Dublin, von Tunis und Barcelona, von Vermeer und Van Gogh, von den erotischen Holzschnitten Katsushika Hokusais. Er seufzte: »Ah, du gefällst mir! Du gefällst mir! Dein Nagellack ist wundervoll. Dein Parfüm auch. Dior, wenn ich mich nicht irre?« Dann berichtete ich ihm von meinem bevorstehenden Ruhestand. »Ich verlasse Tanger.« »Ach ... Heiratest du?« »Nein, ich kehre in die Heimat zurück.« »Ich habe das mit deiner Mutter gehört ... Übernimmst du das Haus der Familie?« »Ich kaufe Ali und Naïma ihren Teil ab.« »Du hast Tanger nie wirklich geliebt.« »Das stimmt nicht. Keine Stadt hat mir so viel gegeben wie Tanger.« 236
»Und wohl auch genommen.« »Dafür kann Tanger nichts.« Ich sog die Meeresluft tief ein und beobachtete, wie die Auslegerboote durch den Hafen glitten. Der Abend versprach mild zu werden, die Luft war lau. »Ich komme mit.« Mütterlich schüttelte ich den Kopf: »Das ist nicht vernünftig.« »Ich spreche nicht von heute Abend. Ich meine für immer. Ich will auch nach Imchouk zurückkehren.« »Das kannst du nicht. Das ist nicht deine Heimat.« »Du bist meine Heimat. Und ich will zurück zu dir.« Er sprach von den Metastasen, dem Morphium, dem Endstadium. Meine Tränen fielen auf die Dorade, die ich kaum angerührt hatte, und die Limettenscheiben. Ich trocknete sie mit meiner Serviette und hob den Blick zum Himmel. Was würden wir tun? »Badra, willst du mich heiraten?« »Nie!« »Du kannst nicht mit einem Mann nach Imchouk zurückkehren, ohne verheiratet zu sein.« »Das ist meine Sache! Warum hast du nie geheiratet?« »Ich nehme an, aus denselben Gründen wie du. Zu viel Freiheit, zu viel Stolz, von allem zu viel.« 237
Wir sprachen nicht über Liebe. Und auch nicht über die Vergangenheit. Als wir das Restaurant verließen, nahm Driss meinen Arm und stützte sich darauf. Mein Geliebter war gealtert. Er war fortan mein Freund.
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riss ist mit mir nach Imchouk zurückgekehrt, um von Gott einen Aufschub zu erbitten oder zumindest in den Weizenfeldern zu sterben. Ich sehe ihn an und erkenne ihn kaum. Er sitzt am Fenster im Haus der Hajjalat, das seit der Überschwemmung unsere neue Bleibe ist. Er betrachtet den Himmel und sagt, er höre den Wüstenwind in seiner Brust. Ich trete zu ihm und drücke seinen Kopf an meinen Busen. Er schmiegt sich fest an mich und küsst mich verstohlen in den Ausschnitt. Sein Haar ist nicht mehr so kräftig wie früher, riecht aber immer noch nach Duftwasser. Es wird Nacht. Ich bewundere den Großen Wagen und sehe die Sternschnuppen. Ich habe Driss nicht gesagt, dass ich Sadeq, den ersten Mann, der mich als Fremde durch Tanger führte, wiedergetroffen habe. Manchmal denke ich, dass ich Sadeq umgebracht habe und dafür die Hölle verdiene, da Gott noch immer den Tod dieses verrückten und wohlerzogenen jungen Mannes beweint. Dabei weiß Gott, dass ich Sadeq nicht habe stürzen 239
sehen. Dass ich nichts von seinem Unglück begriffen habe. Manchmal erscheint er mir in der Nähe des Brunnens, an diesem Medianpunkt, wo Osten und Norden einander begegnen und ich meine Gebete verrichte. Er kommt immer zwischen Asr und Moghreb; sein Gesicht ist noch jung, seine Gestalt jedoch schmächtig geworden. Er weiß, dass in diesen Stunden das Beten untersagt ist. Er spricht nie mit mir, beobachtet nur, wie ich den Lauf der sich neigenden Sonne verfolge. Zu Anfang weinte er. Seit ich mich mit einem Almosen freikaufe, das ihm gewidmet ist, begnügt er sich damit, mich, zehn Minuten bevor die Sonne hinter den Bergen versinkt, bis zu meiner Tür zu begleiten. Selbst im Tod ist er eifersüchtig und stolz geblieben. Er weigert sich, ein Haus zu betreten, in dem ein anderer Mann als er schläft. Seit er in Imchouk ist, wendet sich Driss direkt und ohne Umschweife an Gott. »Schöner und großer Gott, mach, dass ich meine Frau wieder vögeln kann. Nur ein einziges Mal. Mach, dass sie wieder sagt: ›Ich liebe dich.‹ Dann kannst Du Deine Engel schicken, und ich lasse mich abholen, ohne zu protestieren.« Auch wenn Driss’ Kehle von Metastasen zerfressen ist, kehrt seine Stimme doch wieder, wenn er mit mir spricht oder betet, denn er behauptet, seine verrück240
ten Tiraden seien Gebete. Wenn er mit einer leichten Decke um die Schultern im Hof sitzt, beginnt er zunächst ganz sanft, so als würde er psalmodieren. Dann unterbrechen das Wadi Harrath seinen Lauf und die Frösche ihr Quaken. Die Sterne sind groß, und der Hund ist so satt von Sauermilch, dass er nicht einmal mehr ein Auge öffnet, sondern wie der Kaiser von Ägypten schnarcht. »Gott der Schmetterlinge und Elefanten, Du weißt, dass ich keine Verdienste habe. Du hast mir Maari, Abu Nawas, Jahiz, Mohamed Ibn Abdillah, Moses und Jesus geschenkt und ich habe es nicht verstanden, Dir zu danken. Du hast mir Oum Koulthoum und Ismahan geschenkt, doch das hat mich nicht daran gehindert, in den Weizen zu scheißen. Du hast mir Voltaire, Balzac, Jaures, Eluard und all die anderen gegeben. Du hast mir den Nil, den Mississippi, die Mitidja-Ebene und den Sinai geschenkt. Du hast mich mit Wein, Feigen und Oliven verwöhnt. Und ich habe es nicht verstanden, Dir zu danken. Herr der Welten, Du weißt auch, dass ich noch weit Schlimmeres getan habe: Ich habe den Blick abgewandt, als Salome den Kopf Johannes’ des Täufers als Lohn erhielt. Ich habe Lazarus für verrückt erklärt, weil er sich hat auferwecken lassen. Ich habe Maria vor dem Kreuz nicht getröstet, ich habe Mohammed nicht verteidigt, als die Rotzlöffel von Taif Steine nach ihm warfen. Ich habe AI-Hussein nicht verteidigt, als er in 241
Karbala eingekreist war, und ihm auch nicht einen Tropfen Wasser gegeben, um seinen Durst zu löschen. Ich habe Mozart gehört, ohne einen Gedanken der Nächstenliebe für die, die in Alabama gelyncht wurden. Erinnerst Du dich an Alabama? Herr, hast Du die Massaker von Deir Yassin in Palästina und von Ben Talha in Algerien verziehen? Denn ich habe es nicht verziehen. Ja, einziger Gott, Gott der Wahrheit, ich habe gesündigt. Aber ... Aber ... Aber ich habe nie eine Jungfrau geschändet oder einen Bettler angeherrscht. Ich habe nie zugelassen, dass man die Schwalben aus ihrem Nest vertreibt oder einen Baum fällt, damit auf seinem Papier der Unsinn gedruckt wird, der Deiner Intelligenz unwürdig ist. Natürlich bin ich für keines Deiner Geschöpfe ein Vorbild. Ich hätte nie das Feuer, die Brüste, die Mösen, Hamids Schwanz noch seinen Hintern berühren dürfen ... Aber zähle das nicht, Herr der Welten, zähle das nicht. Du weißt genau, wie sehr ich Krämerseelen verabscheue! Ich betrachte den Baum. Ich weiß. Ich höre den Donner. Ich weiß. Ich atme den Geruch der Erde nach Deinem Regen ein. Ich weiß. Ich koste die Brombeeren. Ich weiß. Ich berühre die Haut der Frauen. Ich weiß. Warum hast Du mich blind, aussätzig, lahm und taub für Deinen Gesang gemacht? Warum hast Du aus mir einen Menschen gemacht, wo ich als Steinstatue, Esel oder Partitur doch so viel schöner gewesen wäre?« 242
Er schweigt eine Weile und wendet sich dann an die Palme, die sich ernst, wenngleich verstört von seinen Worten, im Hof erhebt: »Gut, Du hast mich erschaffen, und ich werde Dich nicht neu erschaffen. Ich will mich auch nicht mit den Kranken brüsten, die ich wieder zusammengeflickt habe und die, sobald ich ihr Herz gerettet habe, nach Mekka gerannt sind. Nein, ich bin nicht kleinlich. Verzeih mir, Herr. Verzeih mir, aber verzeih nie Badra! Ich will durchaus sterben. Und sogar leiden. Aber, barmherziger Gott, mach, dass Badra weiß, dass sie meine einzige Liebe war und dass ich als letzte Ruhestätte nur ihren Körper will. Zum Ruhme Mohammeds und Jesu unter den Sterblichen, sag ihr, dass ich schon in der Hölle bin, weil ich ihre Liebe verschmäht habe! Ich sterbe. Tanzt, ihr Frösche! Schmückt euch, ihr Asseln! Bemalt euren Hintern mit Henna, ihr Hurensöhne!« Er wollte mich lieben, versicherte, dass sein Ständer so steif sei wie eh und je, doch ich wollte nicht. »Ekelt es dich vor mir? Stinke ich vielleicht aus dem Mund?« Nein, Driss, es hat mich nicht vor dir geekelt, ich hatte nur Angst, dass du meine Brüste nicht mehr so fest, meinen Hintern nicht mehr so schön geformt finden könntest. Ich hatte Angst, dass die Haut meiner Arme ein wenig schlaff sein könnte und du die Haare 243
meines Venushügels vom Alter gebleicht finden könntest. Ich hatte Angst, dass dir beim Anblick dieses Körpers, den du einst so zelebriert hast, plötzlich die Lust vergehen könnte.
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D
riss sagte, dass die Frauen niemanden begraben. Ich habe ihn begraben. Er sagte, dass er gegen seinen Willen sterben würde. Trotzdem hat er nicht protestiert, als der Imam ihm ein paar Krümel Erde in die Nasenlöcher steckte und ihn auf die Seite, Richtung Mekka, drehte. Ich habe ihn weder gewaschen noch geküsst, aus Angst, er könnte auferstehen. Ich sah zu, wie die Totengräber sein Grab versiegelten, ohne zu protestieren. Ich habe dem Imam nur gesagt: »Wissen Sie, er wird mich küssen, sobald Sie sich umgedreht haben.« »Ehre sei Gott dem Einzigen und Barmherzigen! Lassen Sie ihn in Frieden ruhen! Sein Körper hat diese Welt verlassen, doch seine Seele wird nicht auf die Lust verzichten! Wir sind nichts als Wasser und Lehm. Möge Gott Erbarmen mit Seinen Geschöpfen haben.« Es stimmt, er hat mich nie mehr verlassen. Sadeq indessen kommt nicht mehr. Er hat begriffen, dass nur Driss mir ausführlich, geduldig und lachend den Lauf der Gestirne erklären kann und wie die Feigenbäume befruchtet werden.
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I
ch war ins Schreiben vertieft, als ich plötzlich eine Gegenwart in meinem Rücken spürte und einen Lichtschein durchs Zimmer huschen sah. Ein wohlriechender Atemhauch streifte meine Schläfen. Ein Gesicht beugte sich über meine Schulter, um zu lesen. Ich rührte mich nicht. Ich hob nicht den Kopf, um meinen Besucher in Augenschein zu nehmen, denn ich war überzeugt, dass es der Engel war. Er kam zurück, wahrscheinlich weiser und neugieriger auf meine Bekenntnisse als auf meine Brüste. Zum ersten Mal hörte ich seine Stimme. Sie las meine eigenen Sätze: »Mein Leben war eine Abfolge von heimlichen Umarmungen und verbotenen Orgasmen. Ich hatte keine Spur von Ehrgeiz und scherte mich nicht um das Schicksal der Meinen und noch weniger um die Zukunft der Welt. Bis zu dem Tag, an dem ich Driss kennen lernte. Danach habe ich nie mehr geliebt. Nicht weil es mir an Abenteuern gemangelt hätte. Ganz im Gegenteil. Ich ging von Luxusvillen in die Hinterzimmer neureicher Händler, von noblen Alkoven in die zwielichtigsten Sack246
gassen. Hellsichtig, zwanglos oder gleichgültig. Niemals mehr eifersüchtig. Jedes Mal, wenn ich die Wohnung eines meiner Liebhaber betrat, glaubte ich hinter den verschlossenen Türen und verdunkelten Fenstern zu ersticken. Ich tauschte meine Tage als brave Stenotypistin gegen die Nächte der verwegenen Geliebten. Die Dunkelheit diente mir schließlich als Hülle meines erwachsenen Körpers, wo ich es doch als Kind über alles liebte, im Licht umherzutollen. So glaubte ich, Driss zu vergessen.« Die Stimme verlas das Geheimnis der handgeschriebenen Seiten. Die Intimität meines Körpers und die feinste Nuance meiner Gefühle. Den ungewöhnlichen Verlauf meines Lebens. Das verschmitzte Kind, das ich gewesen war, und die arabische Geisha, die ich geworden war. Die Beschwörung des Glaubens und die obszönen Worte. Und meine Liebe zu Driss. Immer wieder. Gebieterisch und jähzornig. Bei den schlüpfrigsten Kapiteln merkte ich, wie sich das Timbre der Stimme veränderte, und spürte in meinem Rücken etwas Hartes. Ich drehte mich um und sah die Ausbuchtung. Das Geschlecht eines Engels? Ich schrieb das meinen Phantasien zu. Niemand hat je die Anatomie von Gottes erhabenster Gefolgschaft zu ergründen vermocht. Trotz meiner einschlägigen Erfahrung konnte ich es nicht beschwören. Ich drehte mich wieder um, ohne auch nur für einen Augenblick das Gesicht meines Gastes betrachtet zu haben. Da vernahm ich seine Stimme, diesmal voller Verachtung: »Schämst du dich nicht für das, was du geschrieben hast?« 247
Ohne mich zu rühren, antwortete ich: »Du brauchtest es ja nicht zu lesen.« »Ich wusste nicht um das Ausmaß deiner Sünden.« Und dann mit schneidender Stimme: »Jetzt wirst du bezahlen.« Ich zuckte zusammen: »Aber du bist ein Engel, das ist nicht deine Rolle ...« »Kein Geschöpf Gottes würde es ertragen, aus dem Mund einer Frau solche Obszönitäten zu hören.« Ich drehte mich um. Und plötzlich sah ich zwischen zwei riesigen Hoden ein Geschlecht hervortreten, das in jeder Hinsicht an das von Chouikhs Esel erinnerte. Ich sah mich im ganzen Zimmer um. Vergeblich. Nur Driss’ Schatten lehnte am Türrahmen, und seine Stimme säuselte: »O meine Mandel! Sei nicht überrascht. Und merk es dir ein für alle Mal: Angesichts der Sünden einer Frau sind die Engel Männer wie alle anderen.«
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GLOSSAR
Ajaj: Sandsturm Ajar: Schleier, der den unteren Teil des Gesichts verbirgt
Adoul: religiöser Notar Aid (oder Aid el Kebir): Opferfest, Hammelfest AI Hamdu Lillah: gelobt sei Gott Alik Aman Allah: Du stehst unter Gottes Schutz Audhu-billah: Gott sei bei uns! Allahu Akbar oder Uallah: Gott ist groß Asr und Moghreb: Gebetszeiten Bar-Lev-Linie: israelische Verteidigungslinie entlang des Suezkanals Bendir: Schlaginstrument
Bint el hassab wen nassab: junges Mädchen aus gutem Haus
Bismülah: im Namen Gottes Charidschiten: eine der
drei
ursprünglichen
Glaubensrichtungen des Islam Daya: verheiratete Frau eines gewissen Alters Dirham: marokkanische Währung Djellaba: weites arabisches Männergewand 249
Djinn: Geist Driba: Eingangshalle Efrit: böser Geist in der arabischen Mythologie Fatwa: religiöses Rechtsgutachten auf der Grundlage
des islamischen Rechts (u.a. Koran), erstellt durch einen Mufti Fes: kegelrunde Kopfbedeckung (nach der Stadt Fes benannt) Fqih: Meister der Religionswissenschaft, oft auch für einen Marabut oder Scharlatan verwendet Gandoura: Hemd, das unter dem Burnus getragen wird Ghassoul: natürliches Haarwasch- und Körperpflegemittel aus Tonmineralien Haik: Schleier aus Baumwolle oder Leinen, der in bestimmten Regionen des Maghrebs getragen wird Hajjala (PL Hajjalat): Hure halal: den islamischen Vorschriften entsprechend (bei Lebensmitteln) Hammam: Badehaus h’ratn oder haram: unerlaubt, unstatthaft (Gegenteil von halal) Hrira: Fleischsuppe mit Linsen und Kichererbsen Huri: schönes Mädchen im Paradies des Islams Ichoniyyaks: Zusammenkommen von Frauen am Nachmittag; »Kaffeeklatsch« Kasbah: bezeichnet in nordafrikanischen Städten die Altstadt und die historischen Händlerviertel 250
Kelim: nicht geknüpftes Flachgewebe bzw. Webstrei-
fen eines Teppichs Khatna: Schleier für den unteren Teil des Gesichts Lalla: Anrede für ältere oder gesellschaftlich hochstehende Frauen Maghssal: eine Art Podest, auf dem man die Toten wäscht Marabut: bezeichnet auch das Grab eines Marabuts. Einige dieser Grabstellen gelten als heilige Stätten. Melia: im Maghreb traditionelles Kleidungsstück der Frauen auf dem Land Michmaq: fein geflochtene oder bestickte Pantoffeln mtaqfa: So wird ein junges Mädchen bezeichnet, dessen Jungfernhäutchen »versiegelt« wurde, um eine Defloration vor der Hochzeit zu verhindern Passion de Hallaj: Buch von Louis-Ferdinand Jules Massignon über den Leidensweg des islamischen Mystikers und Märtyrers Al-Hosayn-ibn-Mansour alHallaj Pastilla: Blätterteig Pistou: Pesto Qamis: langes Hemd; von Frau oder Mann getragen Rjal: Mann Saroual: weite bestickte Hose, die bis zum Knie oder Knöchel reichen kann; von Frau oder Mann getragen Souk oder Socco: Markt Swak: getrocknete Walnussrinde zum Reinigen der Zähne und Pflegen des Zahnfleisches 251
Tabla: ursprünglich indisches Schlaginstrument Tahhar: Mann, der die Beschneidung der Knaben durchführt Tajin: Fleischragout mit Pinienkernen Ya oumalli ed-dar: He, Leute, ist da jemand? Youyou: schrilles Zungenträllern
Zentaur 05·02·26
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