ARMAGEDDON – Die letzte Schlacht von Adrian Doyle & Timothy Stahl
Die Lage könnte aussichtsloser nicht sein: Gabriels ...
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ARMAGEDDON – Die letzte Schlacht von Adrian Doyle & Timothy Stahl
Die Lage könnte aussichtsloser nicht sein: Gabriels Armee des Chaos hat Jerusalem in eine Zone finsterer Magie verwandelt. Und dieses »Geschwür« soll sich nach seinem Willen über die ganze Erde ausbreiten! Wenn ihn niemand aufhält, sind die Tage der Menschheit gezählt. Verzweifelt flieht Lilith mit dem Lilienkelch nach Uruk, wo sie den Zeitkorridor weiß. Durch ihn will sie zum Anfang der Zeit, zum Schöpfer selbst gelangen und seinen Beistand für die Zukunft erflehen! Es ist ihre letzte Chance. Doch ist Armageddon noch aufzuhalten, die letzte, entscheidende Schlacht gegen das Gute und die Herrschaft des Antichristen über die Erde?
Was die letzten 49 Hefte geschah … Erinnern wir uns noch einmal kurz, was nach der Versöhnung der Ur-Lilith* mit Gott geschah: Landru wird zum Todesbringer für die Vampire, als er mit dem Lilienkelch in die Gegenwart zurückkehrt. Er ahnt nicht, daß der Kelch von Gott manipuliert wurde. Purpurner Staub aus dem Unheiligtum »infiziert« nicht nur Landru selbst, sondern auch alle Oberhäupter der Vampirsippen, die fortan eine heimtückische Krankheit auf die mit ihrem Blut getauften Sippenangehörigen übertragen. Die betroffenen Vampire und ihre Dienerkreaturen verfallen rasend schnell. Die allermeisten verschwinden binnen Tagen vom Angesicht der Erde. Verschont bleiben nur Einzelgänger, die ihre Sippen irgendwann verlassen haben, oder Sippen, die nicht mehr von ihren Gründern angeführt werden. Als auch Lilith Eden vom Anfang der Zeit zurückkehrt, hat sie eine neue Bestimmung von Gott selbst erhalten: die von der Kelchseuche verschont gebliebenen Vampire ausfindig zu machen und ebenfalls zu vernichten. In Sydney findet sie Spuren unheimlicher Genexperimente, mit denen sich Herak, das Oberhaupt der dortigen Sippe, beschäftigte. Heraks Ziel war es, den Verlust des Lilienkelchs als »Fortpflanzungsinstrument« seiner Rasse mit einer Verquickung aus modernster Biotechnologie und vampirischer Magie aufzuheben. Und tatsächlich scheint es den Wissenschaftlern gelungen zu sein, lebensfähige Homunkuli zu züchten. In Sydney vernichtet Lilith sämtliche Gen-Vampire. Ein Exemplar jedoch wurde kurz vor ihrem Eintreffen nach New York in ein Speziallabor verlegt. Blindwütig in seiner Gier richtet es ein Massaker an und entkommt auf einem Öltanker Richtung Alaska. Etwa zeitgleich gebiert die jungfräuliche Nonne Mariah in Maine, *der Urmutter der Vampire
USA, ein Kind. Der Junge wächst im Nonnenstift auf, und als er mit einem von der Seuche befallenen Vampir konfrontiert wird, heilt er ihn, worauf das Kloster zum Wallfahrtsort für siechende Kelchkinder wird. Das Neugeborene entpuppt sich jedoch nicht als Heilsbringer, sondern es beraubt die Pilger ihrer noch vorhandenen Magie und Lebenskraft, wodurch es rasch heranwächst. Sowohl die Vampirseuche, als auch die Geburt des Kindes haben das Weltgefüge auf spiritueller Ebene erschüttert. Eine undurchsichtige Vereinigung wird aufmerksam, als in verstärktem Maße Menschen ihre Parafähigkeiten entdecken. Sie entsendet Mitglieder, um nach den Ursprüngen zu forschen, und einer, Raphael Baldacci, trifft mit Lilith zusammen. Sie werden zu erbitterten Gegnern, als Baldacci Liliths Wesen erkennt. Indes sucht die Werwölfin Nona nach ihrem verschollenen Geliebten Landru – und stößt auf einen Stamm indianischer Vampire, den der Kelchhüter vor mehr als dreihundert Jahren gründete. Die Besonderheit der Arapaho-Vampire: Es ist ihnen gelungen, sich mit Hilfe ihrer Totemtiere, der Adler, vom Bösen loszusagen. Die Symbiose mit den reinen Tierseelen ermöglicht es ihnen, die dunkle Seite des Fluchs zu besiegen. Seither fügen sie ihren Opfern kein unnötiges Leid mehr zu und laden das Böse auf ihr Totem ab. Einer dieser Vampire wird von der ahnungslosen Nona angeworben, ihr zu helfen, Lilith Eden zu finden und zu töten. Sie sieht in Lilith die Schuldige an Landrus Verschwinden. Hidden Moon jedoch – so der Name des Arapaho – rettet Lilith vor Nonas Rachsucht. Danach trennen sich ihre Wege zunächst wieder. Der Gen-Vampir verbreitet Tod und Schrecken im Eismeer. In einem Dorf der Inuit wird er als Gottheit verehrt und legt dort – er ist zweigeschlechtlich – die Eier der nächsten Generation von Vampiren. In diesem Dorf treffen Landru und Lilith aufeinander, beide auf der Spur des Gen-Vampirs. Ihre Ziele decken sich, und gemeinsam gelingt es ihnen, den Vampir und seine Nachkommenschaft zu vernichten.
Lilith kehrt Alaska den Rücken und wird von Mariahs Kind, Gabriel, das sich nach Neuengland abgesetzt hat, geködert. Auch Raphael Baldacci ist unterwegs dorthin. Gemeinsam geraten sie in den Bann des Kindes, das Liliths besondere Lebenskraft stehlen will, um einen erneuten Entwicklungssprung zu vollziehen. Nur indem Baldacci sich opfert, kann Lilith sich dem Bann entziehen. Aber das Kind findet sie nicht mehr. Es scheint skrupellos, denn es hat auch seine leibliche Mutter getötet. Danach wird Lilith erstmals mit Andeutungen und Geschehnissen konfrontiert, die mit einem von Illuminaten bewachten, mysteriösen Tor zusammenhängen. Auch Raphael Baldacci, so weiß sie inzwischen, gehörte den der Bruderschaft der Illuminaten an, die sich um ihren Anführer Salvat scharen. Lilith und der Arapaho-Vampir begegnen sich zum zweiten Mal. Hidden Moon verliert sein Totem und kämpft einen verzweifelten Kampf gegen das nun in ihm wachsende Böse. Lilith übernimmt die Rolle des Seelentiers. Fortan sind sie unzertrennlich, bis die erneute Eskalation der Ereignisse sie noch radikaler trennt. Das Kloster Monte Cargano in Italien ist der Sitz der geheimnisvollen Illuminati und gleichzeitig der Ort, an dem das ominöse vorsteht. Lilith, Hidden Moon, Gabriel und Landru werden getrennt voneinander darauf aufmerksam. Gabriel beraubt Landru eines Großteils seiner Kräfte und versucht, so gestärkt, das bewachte Tor zu öffnen. Doch Salvat tritt ihm entgegen, und im anschließenden Kampf demaskiert er sich – als Engel! Bevor es ihm gelingt, Gabriel zurückzuschlagen und das Tor wieder zu schließen, werden Lilith und Landru durch einen Spalt gezogen. Hidden Moon bleibt ohne sein »Seelentier« zurück, was für ihn zur persönlichen Katastrophe werden muß … besonders, als Gabriel ihn unter seine Fittiche annimmt. Hinter dem Tor lauert eine ganz spezielle Hölle, eine Zwischendimension, über die es die Seelen Liliths und Landrus in die Vergangenheit verschlägt, an unterschiedliche Orte und in unterschiedliche
»Gastkörper«. Landru im Vampir Racoon und Lilith in der als Hexe verschrienen jungen Frau Lilena werden in der Folge mit dem Wirken des leibhaftigen Satans im Deutschland des 30jährigen Kriegs konfrontiert. Erstmals treffen sie auf diese Inkarnation des Bösen, die aus dem düsteren Reich jenseits des Tores entsandt wurde. Während Landrus Gastkörper bei einer Begegnung mit dem Satan getötet wird, trifft Lilith Salvat und dessen Bruderschaft auch in dieser Vergangenheit und wohnt deren Kampf gegen den Leibhaftigen bei, in dessen Verlauf die Inkarnation des gefallenen Engels Luzifer schließlich von Salvat* über einer Pestgrube in London geschlagen wird. Dort erleidet auch das Mädchen Lilena den Tod. Lilith findet sich neben Landru in der Hölle wieder, und unter größten Anstrengungen gelingt ihnen, wieder durch das Tor zu entkommen, als von der anderen Seite Gabriel erneut die Siegel bricht. Erinnerungslos erscheinen sie im Monte Cargano, denn ihre Persönlichkeit blieb jenseits der Schwelle zurück – als Pfand Luzifers, wie es scheint. Denn Gabriel ist nichts anderes als eine weitere Inkarnation Luzifers, der nach Jahrhunderten erneut Anlauf nimmt, die Weltherrschaft anzutreten. Nur durch Selbstopferung gelingt es Salvat, das Tor noch einmal zu verschließen. Er verschweißt es mit sich selbst – und reißt dabei das Kloster und alle Illuminaten mit in den Untergang. Lilith und Landru entkommen. Sie wissen nicht mehr, daß sie Erzfeinde sind. Gemeinsam suchen sie ihre Identität und geraten in immer neue Fallstricke Gabriels, der Landru schließlich die Erinnerung wiedergibt und ihm einen Pakt aufzwingt. Mit Hilfe des ehemaligen Kelchhüters will er Lilith Eden in seine Gewalt bekommen. Es gelingt. Auch sie muß schließlich, um ihr Leben zu retten, einen Kontrakt mit ihm schließen. Über den Preis ihrer Rettung aber wird sie im Ungewissen gelassen. Satan offenbart Nona den Ursprung ihrer Art und schart seine Ar*in Wahrheit der Erzengel Michael
mee (die Werwölfe) sowie eine vor langer Zeit geschaffene Loge (die Archonten) in Jerusalem um sich, wo auch Lilith Eden sich zu diesem Zeitpunkt aufhält. Gabriel gibt auch ihr die Erinnerung und Persönlichkeit wieder und nennt ihr den Preis, den sie ihm für ihre Rettung zu entrichten hat. Während die Werwölfe unter Nonas Regie alles Leben in der Stadt auslöschen, weiß Lilith, daß dies erst der Anfang ist. Gabriel will alles von Gott geschaffene Leben vernichten, um mit einer Neuschöpfung zu beginnen. Um die Erde mit Kreaturen zu bevölkern, die er mit Lilith zeugen will! Entsetzt flieht sie mit dem Lilienkelch aus Jerusalem. Ihr Ziel ist der Zeitkorridor bei Uruk, den sie mit Hilfe des Kelchs noch einmal aktivieren will, um dorthin zurückzureisen, wo sie schon einmal war – zum Garten Eden. Es gibt nur noch einen, der die Welt gegen diesen Feind retten könnte: Gott selbst! Aber wird Lilith ihn finden, und – wird er sie anhören? Adrian Doyle
… Ich will dir das Geheimnis des Weibes sagen und auch des Tieres, das es trägt, das sieben Köpfe hat und zehn Hörner: Das Tier, das du sahst, es war und ist nicht. Es wird heraufsteigen aus dem Abgrund und ins Verderben fahren. Staunen werden die Bewohner der Erde, deren Namen nicht eingeschrieben sind im Buch des Lebens seit Grundlegung der Welt, wenn sie nach dem Tier blicken, das war und nicht ist und wieder da sein wird … aus der Offenbarung des Johannes
Prolog Im Kerker der Engel Endlos spannte sich die basaltgraue Ebene von Horizont zu Horizont. Und endlos wie ein geschlossener Kreis war sie tatsächlich. Abgeschottet. Isoliert. Seit einer Ewigkeit. Obwohl … Zeit als treibende Kraft, als Motor von Veränderung hatte in der Enklave der Engel seit jeher gefehlt, auch schon vor der Katastrophe. Reglos und stumm spähte Phanuel über den sichtbaren Horizont hinaus. Die pockennarbige Struktur seiner Umgebung spiegelte all seine innere Zerrissenheit wider – und auch seine Traurigkeit. Um ihn herum erhoben sich andere Statuen, die aussahen wie er: schwarz wie Onyx. Sie waren gigantisch in ihrer Höhe, und ein wenig schien es, als sollten sie die Berge ersetzen, die es hier nirgendwo gab. Die vage Ähnlichkeit der steinernen Figuren mit den Menschen war nicht zufällig. Phanuel hatte sich Mahnmale erschaffen, die ihn unentwegt an sein Versagen erinnerten. Sie hatten alle versagt, sie waren alle schuldig geworden – nicht nur der eine, den sie aus ihrer Mitte verbannt und verstoßen hatten. Denn im Grunde, daran gab es rückblickend kaum Zweifel, hatte erst die Bestrafung Luzifers das wahre Ausmaß der Katastrophe heraufbeschworen, die schließlich in der völligen Ohnmacht der selbsternannten Richter gegipfelt hatte.* Wir haben ihn aus unserer Sphäre hinaus ins Nichts geschleudert, in die absolute Leere und Einsamkeit, sann Phanuel müde und schaudernd zugleich, aber wir haben zu wenig über die Folgen nachgedacht, haben nicht einkalkuliert, daß Luzifer diese Leere füllen könnte, wie er es getan *siehe VAMPIRA T25: »Inkarnationen«
hat – erst mit sich selbst und dann mit Ausgeburten seines zwanghaften Wahns. »Wenn wir unsere Kräfte bündeln und zusammenschließen, könnten wir Kontakt zu ihm aufnehmen und ihn vielleicht sogar zurück auf unsere Ebene ziehen, damit er der Vernichtung entgeht …« Phanuels Schauder vertiefte sich. Er drehte den Kopf, um hundertachtzig Grad, so daß seine Onyxaugen in die von Uriel blicken konnten. Lautlos ging die Drehung vonstatten. Kein Knirschen, nichts. Der Stein, der nur in Phanuels Vorstellung und in seiner Idee vom Aussehen ihres Kerkers existierte, war weich wie Menschenfleisch. Nur schöner. Makelloser. Denn Phanuel war ein Verehrer alles Schönen. Vielleicht, weil seine wahren Augen, jene, die nicht auf Uriel gerichtet waren, fast nur Häßlichkeit fanden. Die Welt, auf der diese Blicke ruhten, die Welt, die jedem Zugriff entrückt war, hatte sich gewandelt. Die Menschen waren beinahe wieder dort, wo sie schon einmal gewesen waren. Damals hatte eine Flut sie und ihre Sünden hinweggeschwemmt. Doch diesmal (vielleicht auch schon damals?) traf die Schuld nicht sie allein. Ein vielgesichtiger Verführer hatte sie soweit getrieben: Das Böse in zahllosen Masken. Die dunkle Macht LUZIFER, die erneut einen Boten entsandt hatte, entschlossener als jemals zuvor, den eigenen Kerker, die Mauern der Hölle zu sprengen, hinter die der gefallene Engel von seinesgleichen verbannt worden war! »Wenn wir Michael zu uns holten«, ergriff Gabriel das Wort – Gabriel, der sich seines Namens schämte, seit entsetzlicher Mißbrauch damit betrieben wurde –, »würden wir der Apokalypse Tür und Tor öffnen!« »Michael?« Uriel lachte in einer Weise, daß sich Phanuel veranlaßt sah, sauren Regen aus der Illusion von Himmel herabfallen zu lassen. Auch der Regen war Illusion. Keiner der anderen Engel fühlte ihn, wie Phanuel ihn in fetten Tropfen auf seine Onyxgestalt herab-
prasseln spürte. Sie alle dekorierten ihren Kerker nach eigenem Ermessen und Geschmack. »Michael ist nicht mehr! Wenn wir aber von dem reden, zu dem er aus freiem Willen geworden ist, von Salvat also, sollten wir uns hüten, noch einmal so vorschnell zu handeln wie … Nun, ihr wißt, was ich meine.« »Michael – oder Salvat – zu uns zu holen, das hieße«, sagte Phanuel, »daß wir das nahende Ende noch beschleunigen. Er hat das Tor mit sich selbst verschweißt, als kein anderes Siegel mehr standhielt! Aber lange kann auch er diesen Kraftakt nicht mehr bewältigen. Denn nicht nur von jenseits der Schwelle pocht der Gefallene immer stärker gegen das Tor – auch diesseits hat sich die Situation radikal verschlechtert. Der Knabe, der deinen Namen besudelt«, Phanuel blickte zu Gabriel, »zieht sämtliche Register. Jerusalem steht kurz vor dem Fall. Und die Zone der Vernichtung wächst. Das Heer, das er erweckt hat, scheint unbesiegbar. Die Menschen sind hilflos, und wir …« Der saure Regen gefror zu aschfarbenen Flocken. »… und wir sind es auch.« Eine Weile schwebte die Stille zwischen den Statuen, als wäre sie vor Scham geronnen. Nach Phanuels Worten setzte sich eine der Figuren aus Onyx in Bewegung und kam stampfenden Schrittes auf ihn zu. Ein Titan, dessen Gewicht das Geröll der Ebene dort, wo die Füße aufsetzten, zu Staub zermalmten. Es war Raphael, der zornig die Stimme erhob, daß es wie Donner zu den Horizonten rollte. »Wann«, fragte er, »wollen wir endlich aufhören, uns selbst zu belügen? Wann wollen wir endlich wieder Taten sprechen lassen?« Wie Beben durchlief es die Körper der anderen. Raphael legte den Daumen in eine Wunde, die nie verheilt war und nie verheilen würde. »Was könnten wir deiner Meinung nach tun?« fragte Uriel, als alle anderen schwiegen. »Muß ich euch das erst sagen?«
»Vielleicht haben wir wahrhaftig vergessen, wozu wir einstmals fähig und … verpflichtet waren.« »Dann wäre die Schande komplett. Aber gut, höret, ich sage euch, was wir nicht nur tun könnten, sondern müßten: Wir müßten Michaels Beispiel folgen und uns dem Vollstrecker des Bösen entgegenstellen, Ihn stellen und zur Verantwortung ziehen, wie es Michael schon einmal, aber leider nicht auf Dauer gelungen ist – als Salvat!« »Dem Teufel?« »Ja!« »Du vergißt, was Salvats Manifestation in der Welt angerichtet hat. Seine Entsendung hat erst die Lücke in Luzifers Kerker verursacht! – Willst du noch einen Riß im Kontinuum riskieren?« In Onyx gegossen, wirkte Raphael düster und hoffnungsvoll in einem. »Wenn ihr davon redet, Michael zu uns zurückzuholen, um es ihm zu ersparen, von der Apokalypse mit verschlungen zu werden, dürfte mein Vorschlag kein vermehrtes Risiko darstellen. Oder fürchtet ihr euch, in den Kampf gegen Luzifers Inkarnation zu treten? Habt ihr Angst zu sterben …?« »Können Engel sterben?« »Nichts ist ewig außer dem, der uns verlassen hat.« »Vermutlich …« Uriel preßte die Lippen zusammen. Lippen aus Stein. Und selbst die Lider, die sich in Farbe und Beschaffenheit nicht vom Rest des »Leibes« unterschieden, senkten sich kurz über die Augen, die Phanuel erdacht hatte. »Ich«, fuhr Raphael, kaum abgeschwächt in seinem Zorn, fort, »ich habe keine Angst, auch das Schmerzlichste auf mich zu nehmen, was mir widerfahren könnte, und deshalb bitte ich nicht, sondern fordere euch auf: Entsendet mich! Laßt uns nicht warten, bis sich diesem Satan niemand mehr entgegenstellen kann!« Phanuel spürte, wie auch die letzte Wärme aus ihm wich. Raphael sprach aus, was sie alle im geheimen dachten. Aber wahrscheinlich
war er der Einzige, der sich selbst angeboten hätte, aus dem Kerker auszubrechen und sich einem ungewissen Schicksal zu übergeben. Mochten sie hier auch eingeschlossen und ohnmächtig sein, so waren sie doch auch sicher vor dem, was die Welt heimsuchte, auf die ihre wahren Augen gerichtet waren. »Du weißt, daß du allein gehen müßtest?« fragte Phanuel. »Wir alle müßten uns zusammenschließen, und wir bräuchten Äonen, um uns danach von dem Kraftakt wieder zu erholen, der dieses Gefängnis für einen Moment öffnen würde und dich hindurchschlüpfen ließe …« »So war es bei Michael, und so wird es bei mir sein«, bestätigte Raphael, daß er sich der Folgen bewußt war. Aller Folgen. »Und wenn mein Transfer eine erneute Lücke in Luzifers Höllenreich bricht, werde ich nur mich selbst – wie Salvat es tat – opfern können, um diesen Riß zu verschweißen. Nichts wird in solchem Fall gewonnen sein. Aber wir hätten es wenigstens versucht, wir hätten uns wenigstens bemüht, die völlige Auslöschung unserer Schutzbefohlenen abzuwenden!« »Es gibt bereits Streiter gegen den Sendboten Luzifers«, meldete sich erneut Uriel zu Wort. »Ihr wißt, daß sie nichts verrichten können gegen diesen Feind!« Phanuel beobachtete, wie Raphael sich enttäuscht abwandte, den anderen den Rücken kehrte und in die Weite der Basaltebene stapfte, als genüge ihm bereits der Einwand Uriels, um zu resignieren. Er hat recht, dachte Phanuel, wir sind erbärmlich. Und er rief: »Bleib! Geh nicht fort! Wir werden deinen Vorschlag prüfen! Und dann werden wir entscheiden, was zu tun –« Ruckartig blieb Raphael stehen. Ruckartig drehte er den Kopf und stieß in einer Weise hervor, wie niemand ihn jemals hatte reden hören, aggressiv und enttäuscht, als hätte er gerade die letzte Achtung vor ihnen verloren: »Wie lange glaubt ihr noch warten zu dürfen? Sind nicht euer aller Blicke auf das gerichtet, was geschieht? Seht
euch an, was aus Jerusalem geworden ist … aus Jerusalem! Öffnet eure Sinne für das, was sich unter dem Vorhang aus Zwielicht ereignet! Sie sterben! Eine ganze Stadt stirbt! Hunderttausende! Und ihre Mörder sind Ausgeburten von Luzifers Schöpfung! Wie lange wollt ihr noch eure Augen verschließen vor dem Begreifen, daß unser gefallener Bruder nicht überraschend zur Entscheidungsschlacht geblasen hat, sondern nur die Ernte einfährt, die er über Jahrtausende der Untätigkeit – unserer Untätigkeit – ausgesät hat? Ekelt euch nicht manchmal vor euch selbst? Mir geht es so – und noch nie empfand ich größere Abscheu vor uns und mir als in dieser Stunde, in der wir mehr Schuld durch unser Zaudern auf uns laden als in den Zeitaltern davor! Wir müssen handeln, und wenn wir es jetzt nicht tun, werden wir verdammt sein, so unantastbar wir in diesem Kerker für den Bruder von einst auch sein mögen. Denn falls ER, der uns verlassen hat, eines nahen oder fernen Tages zurückkehrt, wird ER uns fragen, was geschehen ist – wie all dies geschehen konnte. Wer will IHM dann antworten? Wer von uns? Sagt!« Phanuel ließ die Sonne verlöschen und verhüllte sein steinernes Antlitz vor den anderen. Jedenfalls erweckte er sich selbst gegenüber diesen Eindruck. Denn auf ihre Ebenen, ihre »Kulissen« hatte er keinen Einfluß. Als alle schwiegen, fuhr Raphael fort: »Begreift, daß wir nicht mindere Schuld auf uns laden wie Luzifer – wenn wir nichts gegen ihn unternehmen!« Trotz dieser vehementen Ansprache wußte Phanuel, daß er sich nicht überwinden würde, die geforderte Initiative zu ergreifen. Und fast ebenso klar war ihm, daß auch keiner der anderen Raphaels Ansinnen unterstützen würde, nach Michael/Salvat nun auch ihn dorthin zu entsenden, wo das Böse seine Armeen gesammelt und mobilisiert hatte. Die Erde war für die einstigen Wächter schon jetzt ein verlorener Planet. Eine Welt, von der Gottes Schöpfungen spurlos verschwinden und durch Schimären der Hölle ersetzt würden.
Der Herr erbarme sich unser, dachte Phanuel. Sein Mund aus Onyx aber blieb stumm …
1. Kapitel Nacht über Jerusalem Die Stadt erstickte im Rauch der Zerstörung, sie ertrank im Blut der Sterbenden, und sie brüllte waidwund im brutalen Bewußtsein ihres nun nicht mehr aufzuhaltenden Untergangs. Jerusalems Fall war beschlossene Sache. Und der Vernichter war unerbittlich. Auf den Ölberg, draußen am Rande der Altstadt, zog sich ein junger Mann, hinter dessen gutgeschnittenen Zügen sich kein anderer als der leibhaftige Teufel verbarg, mit seiner »Ersten Kriegerin« aus dem Schlachtengetümmel zurück, als ginge ihn das bestialische Morden der Werwölfe, die wie eine biblische Plage über Jerusalem gekommen waren, nichts mehr an. So war es natürlich nicht. Im Gegenteil. Kein anderer als der Satan hatte dieses Szenario erdacht und Wirklichkeit werden lassen. Er, Gabriel, war die Bosheit, der Haß, der krankhafte Heißhunger, all das, was seine Armee dazu trieb, jeden Bewohner aufzuspüren, mochte er sich auch noch so gut versteckt haben. Ein Entkommen gab es nicht. Für keinen. Nicht nur mit Monstern, auch mit Blindheit und Todessehnsucht hatte Gabriel die Menschen der Stadt geschlagen – und dieses Schicksal blühte einem jeden, der es wagte, von außerhalb in die Zone des Todes vorzudringen. Manche hatten es getan, nicht ahnend, daß es eine Einbahnstraße war, die zwar mühelos zum Ort des Verderbens hinein – aber nicht wieder heraus führte! Warum hältst du mich von meiner Pflicht ab? Unzufrieden sah sich das Ungetüm an Gabriels Seite, die Werwölfin Nona, um. Blutiges Rot durchwob die Schwärze, die auf der
Stadt lastete. Ein schreckliches Licht, das die Augen der Archonten streuten und dessen Anblick Menschenaugen blendete – Nonas Augen nicht. Sie war anders, ebenso wie sämtliche Soldaten des Satans, deren menschliche Gestalt noch Bestandteil des Tieres war, in das der alte Fluch sie verwandelt hatte. Unter dem dichten, dunklen Fell hoben und senkten sich die kleinen, festen Brüste schnell, während Nona ungeduldig auf Gabriels Antwort wartete. Endlich fragte der teuflische Jüngling neben ihr, den Blick zur Stadt gerichtet: »Was, meinst du, ist deine Pflicht?« Goldene Wolfsaugen spähten dorthin, wohin Gabriel schaute. Nicht in das Labyrinth der sterbenden Stadt hinein, sondern über die Bauten hinweg zum Berg Skopus, wo eines seiner Kinder die Position bezogen hatte, die ihm befohlen worden war. Die Erkenntnis, daß das, was hier geschah, von langer Hand vorbereitet worden war – geplant von der unbegreiflichen Macht, die sich als »Gabriel« manifestiert hatte –, ließ Nona in ihrem innersten Kern erbeben. Dort, wohin vielleicht nicht einmal Gabriel zu blicken vermochte. Am meisten erschütterte sie dabei das Bewußtsein, dabeigewesen zu sein, als der Vorgänger dieses Teufels hier vor mehr als drei Jahrhunderten tote Kinder von Perpignans Friedhöfen geraubt und mit seinem Odem wiederbelebt hatte. Die toten Kinder von damals waren die Archonten von heute – Stiefkinder des Satans, die jetzt gerade ihre besonderen Fähigkeiten entdeckten, die ihr »Vater« ihnen mit in dieses zweites Leben gegeben hatte. Deine Armee führen. Diese Stadt mit ihr zu erobern. Sich jedem entgegenzustellen, der von draußen zu Hilfe eilen will. Und nach Jerusalem die nächste Stadt auslöschen, den nächsten Widerstand brechen. »Das, glaubst du also, ist deine Aufgabe?« Verwirrt zog Nona ihren Blick vom Skopus zurück. Hast du sie mir nicht selbst so beschrieben?
»Man darf nicht alles glauben, was ich sage.« Die Konfusion der Werwölfin wuchs. In dieser Gestalt war sie unfähig, sich der Sprachen, die sie im Laufe ihres Lebens erlernt hatte, zu bedienen. Doch das war auch nicht nötig. Der Teufel vermochte ihre geheimsten Gedanken nach Belieben zu lesen. Sogar den Haß, den sie gegen ihn hegte, seit er sie zu Landrus Leichnam geführt hatte.* Ja, irgendwo in dieser Stadt war nach dem Doppelgänger nun auch der echte Kelchhüter gestorben, ihr Gefährte durch die Jahrhunderte! Mörder! »… sagte der Mörder«, spöttelte Gabriel unbeeindruckt von den Wellen der Abscheu, die ihm aus ihrem Denken und Fühlen entgegenschlugen. »Denk nicht mehr an ihn. Vielleicht finden ihn von deinesgleichen welche, die sich vor Aas nicht ekeln. Dann können sie –« Schweig, du Scheusal! Ein Lächeln von abstoßender Arroganz schmiegte sich um den Mund der Maske, die das Böse für seinen Aufenthalt unter Menschen und Vampiren gewählt hatte. »Ich erlaube dir, mich so zu nennen. Das allein sollte dich von meinem Großmut überzeugen – aber du solltest ihn auch nicht überstrapazieren. Ich habe dir den toten Narren gezeigt, damit du ihn vergißt. Du wirst jedes Quentchen Verstand brauchen. Gleich. Für Sentimentalitäten ist kein Platz mehr.« Du hattest ein Abkommen mit ihm! Ein Abkommen, das er eingehalten hat! »Und danach war er frei. Ist es meine Schuld, daß er hierblieb? Daß er nicht gefeit war gegen die Magie, die meine Kinder verströmen und in ihm den Wunsch zu sterben weckten? Er war müde von den Jahrtausenden. Ich verstehe ihn. Manchmal glaube auch ich, von der Summe meiner Leben erdrückt zu werden …« *siehe VAMPIRA T49: »In Satans Hand«
Gabriel hielt kurz inne – dann brach gellendes Gelächter aus seinem Mund. Von einem Gehorsam, der stärker als ihr Wollen war, daran gehindert, sich auf die Inkarnation Luzifers zu stürzen, stand Nona zwischen jüdischen Gräbern auf dem geweihtem Boden, der Heiligkeit buchstäblich zu atmen schien – und der diesen Teufel dennoch nicht anzufechten vermochte. Denn Gabriel war anders, als die landläufige Meinung den Satan charakterisierte. Schwächen schienen ihm unbekannt. Und wenn es sie doch gab, dann übertünchte er sie gekonnt mit unumstößlichem Selbstvertrauen. Eine Weile nachdem das Gelächter verstummt war, fragte Gabriel: »Dachtest du wirklich, du könntest eine Armee dieser Größe führen, indem du durch die Straßen irrst und jedem Einzelnen Befehle gibst …?« Als Mensch wäre Nona errötet. Als Wölfin rann nur ein kläglich verendender Laut aus ihrem Maul. Im nächsten Moment geschah etwas, das sie noch nie auch nur vergleichbar erlebt hatte. Gabriel sprang aus dem Stand über eines der Gräber hinweg auf sie zu, packte sie erst an den Schultern, zerrte sie herum und glitt dann mit seinen glatten Händen höher, um das Gesicht der Werwölfin in die gewünschte Richtung zu drehen. Nona leistete keinen Widerstand. Sie konnte es nicht. Und dann – – war es, als greife ihr Blick in die Ferne, als zoome ein Kameraauge etwas auf Lebensgröße heran, was dem Betrachter zuvor höchstens als winziger Punkt erschienen war. Eine … Fledermaus? »Wer mag das wohl sein?« Obwohl leise gesprochen, tobte Gabriels Stimme wie ein infernalischer Sturm durch Nonas Schädel. Sie merkte nicht, wie seine Hände sich wieder von ihr lösten. Starr ergab sie sich den Bildern, die er
ihr erschloß. Vom ersten Moment an gab es keinen Zweifel an der Identität des geflügelten Tieres. Das, was es in seinen Fängen hielt und mit sich forttrug, als gäbe es wahrhaftig eine Chance, der Kriegsfront entkommen, war vielsagend genug. Es war der Lilienkelch. Lilith Eden versuchte mit dem Lilienkelch aus Jerusalem zu fliehen. Vor der Zone der Vernichtung und vor … ihr! Schlagartig normalisierte sich Nonas Sehvermögen wieder. Fledermaus und Kelch verschwanden. Sie – flieht! Nona scharrte mit den Füßen. Baßtiefes Knurren quoll aus ihrem Maul. »Was verblüfft dich daran so sehr? Es war klar, daß sie die erstbeste Gelegenheit nutzen würde – besonders nachdem ich ihr vor Augen hielt, welche Ziele ich mit ihr verfolge und daß Jerusalems Schicksal der ganzen Welt beschieden ist.« Nona spähte immer noch in die Richtung, wo Gabriel ihr die Flüchtige gezeigt hatte. Mich verblüfft, dachte sie, daß Lilith diesen Fluchtversuch überhaupt unternehmen kann. Ich dachte, du hättest auch mit ihr einen Pakt geschlossen, und sie wäre dir ebenso verpflichtet wie – »Das denkt sie auch.« Ein Geschmack wie von geronnenem Blut breitete sich in Nonas Maul aus. Willst du damit sagen …? »Man darf nicht alles glauben, was ich sage«, wiederholte Gabriel seinen Ratschlag von vorhin. »Aber diese Lektion wird mein Köder vermutlich nicht mehr lernen.« Dein – Köder? »Wohin mag sie wohl flüchten wollen?« Nona überlegte angestrengt, kam aber zu keinem Schluß. »Es gibt nur noch einen Ausweg, eine Tür, die meine ›Vision‹ ihr
offenhielt.« Ich verstehe nicht … »Das mußt du auch nicht.« Gabriel stand immer noch unmittelbar hinter der Werwölfin, von wo aus er ihren Blick gelenkt hatte. Erneut packte er zu. Wieder umschloß er Nonas Kopf, so fest, als wollte er ihr den Schädel mit seinen bloßen Händen brechen. Was tust du? »Ich ermögliche es dir, deine Bestimmung zu erfüllen. Die Rolle, die ich dir zugedacht habe.« Aber … »Kein Aber. Du bist der Kopf meiner Armee. Du wirst sie anführen, wie ich es dir prophezeit habe. Kein anderer Mensch-Wolf kommt dir an strategischem Verständnis, an Intelligenz, List und Erfahrung auch nur nahe …« Aus Gabriels Händen züngelten unvorstellbare Energien, die Nonas feste Schädelstruktur aufzulösen schienen und ihrem Kopf eine solche Transparenz verliehen, daß das Gehirn silbrig leuchtend sichtbar wurde. Schmerzen empfand sie dabei nicht. Jedenfalls noch nicht. »Wie armselig das Organ ist, das eure Seelen bindet«, murmelte Gabriel, als spräche er längst nicht mehr zu ihr, sondern nur noch mit sich selbst. »Ich könnte meinen Finger hineintauchen, und damit würde sämtliches Wissen verlöschen, das sich über Jahrhunderte in dir angehäuft hat … Verrückt und verschwenderisch. Es wird Zeit, daß neue Schöpfungen größere Robustheit beweisen …« Was – tust du? bettelte Nona diesmal förmlich um Aufklärung. Was tust du mir an …? »Du bist auserwählt, die anderen Werwölfe zu befehligen und zu führen. Wohin auch immer ich dir befehle.« Ja. JA! Das weiß ich. Das hast du mir gesagt. Aber warum – »Damit du effektiv arbeitest«, schnitt Gabriels Stimme in ihre Gedanken, »werde ich dein Hirn mit den Hirnen der anderen vernet-
zen.« Nona selbst blieb der Blick in den eigenen Schädel verwehrt. Was sie aber sah, waren die Blitze, unzählige Strahlen, die, noch während Gabriel sprach, aus ihrem Kopf hervorbrachen und sich – ähnlich wie das Rubinrot der Archonten – durch die gespenstisch erhellte Nacht bohrten. Silberne Fäden, die irgendwo … … einschlugen. Alle zugleich. Und dann – Allmächtiger! »Der einzige Allmächtige, den es bald noch geben wird, bin ich!« Gabriels Schwur blieb nicht in Nonas Gedächtnis haften. Aber sie übertrug ihn genau so wie sie ihn hörte in die Abertausende fremder Gehirne, die den Willen Satans bislang unkoordiniert erfüllt hatten. Das änderte sich in derselben Sekunde. Fortan ordnete ein Kopf die Krieger Armageddons. Und Gabriel enthüllte Nona oben auf dem Ölberg, wo das nächste Schlachtfeld liegen würde. Nach Jerusalem, das in Rauch erstickte, in Blut ertrank und aus seinen Trümmern aufbrüllte! Armageddon jedoch, das vom Bösen heraufbeschworene Jüngste Gericht, würde sich an einem anderen Ort erfüllen …
2. Kapitel Das Lager »… und über allem fliegen Vögel mit lodernden Schwingen. Der Widersacher ist ganz nah. Der Widersacher ist ein Magnet, ist das Auge des Strudels, ist das unwiderstehliche Zentrum eines Schwarzen Lochs … … Hierher, ruft der Widersacher. Hier bin ich.«* Raj Sallar sah auf von seiner Lektüre. Das schwindende Licht erschwerte ihm das Lesen, seine Augen tränten ein wenig … und Raj Sallar schauderte, was weder allein am Inhalt des hierzulande verbotenen Buches lag, noch daran, daß der sterbende Tag ihn in seinen totenkalten Atem wob. So half es dem irakischen Soldaten auch wenig, daß er den Kragen seiner Uniformjacke fester schloß und näher an den einzelnen Felsen heranrückte, der wie die Nasenspitze eines vergrabenen Riesen aus dem Wüstensand lugte. Die Kälte hatte mit diesem Ort selbst zu tun. Es war, als stünde hier die Tür zum Jenseits einen Spalt weit auf … »Was liest’n da überhaupt, he?« Nichts, was du auch nur ansatzweise verstehen würdest, du Idiot, dachte Raj Sallar, aber er sagte nichts. Er sah nicht einmal hin zu Mosh Espa, sondern wandte im Gegenteil sein Gesicht noch ab, weil die Schnapsfahne des anderen ihm Übelkeit verursachte. »Zeig mal her«, verlangte Espa und grabschte unbeholfen nach Sallars Lektüre, einem behelfsmäßig gebundenen Packen fotokopierter Loseblätter, die zwischen zwei schmucklosen, unbeschrifteten Pappdeckeln steckten. »Laß das«, warnte Raj Sallar und verstaute das selbstgebastelte *aus: »Die satanischen Verse«, Salman Rushdie
Buch in seiner Jacke. »Arschloch«, grunzte Mosh Espa. »Danke, gleichfalls.« Raj Sallar grinste flüchtig, als ihm aufging, daß er mit seiner Bemerkung den Nagel auf den Kopf getroffen hatte – sie waren beide Arschlöcher. Arme Schweine. Wie alle, die an diesen öden Ort verbannt worden waren, um … ja, um ein Loch im Wüstensand zu bewachen. Kurz ging sein Blick in die Richtung, wo der Krater im Boden gähnte, so dunkel, als falle nicht nur kein Licht hinein, sondern als sei er zudem noch gefüllt mit etwas wie gestaltgewordenen Schatten. Der Anblick bereitete ihm körperliches Unbehagen, und so wandte er hastig den Kopf und schaute hinüber zum Camp, dessen unstete Lichter in der zunehmenden Dämmerung zumindest die Illusion von Wärme und Leben schufen. »Möchte mal wissen, wozu wir hier eigentlich rumsitzen müssen. Passiert doch sowieso nix …« Mosh Espa schloß die für seine bescheidenen Verhältnisse fast schon philosophische Bemerkung mit einem sauren Rülpsen ab, das wie der kehlige Schrei eines Tieres verhallte. Raj Sallar rückte automatisch ein Stück von ihm ab. »Was’n?« nuschelte Espa. »Paßt dir was nicht?« O ja, dachte Sallar, eine ganze Menge paßt mir nicht. Und du bist nur das kleinste Übel von allen … Laut sagte er aber: »Nein, alles in Ordnung, alles bestens, Alter.« »Unsinn!« Espa winkte schwerfällig ab. »Alles is’ beschissen hier.« Er setzte die scheint’s niemals leer werdende Feldflasche an die Lippen. Sallar hörte das widerliche Geräusch, mit dem der scharfe Fusel durch die Kehle des anderen gurgelte. Als bringe das Zeug in Espas Magen etwas zur Explosion, stieß er abermals lautstark auf. Dann vollführte er eine umfassende Handbewegung, so heftig, daß Schnaps aus der Flasche schwappte und einen nassen Halbkreis in
den Sand malte. »Was tun wir hier, he?« fragte er mit schwerer Zunge und überkippender Stimme. »Unsere Pflicht als Soldaten der irakischen Armee.« »Pflicht? Pah!« Espa spuckte aus. »Eine Scheißpflicht is’ das. Kein Aas weiß, worum’s hier geht, verdammt. Wir hängen rum, und wahrscheinlich hat man uns in Bagdad schon vergessen, Mann. Vielleicht wird man nich’ mal unsere Kadaver abholen, wenn wir hier verrecken. Die Scheißwüste wird unser Grab, Mann, und der Wind pfeift unser Totenliedchen.« Als gratuliere er sich selbst zu seiner phantasievollen Zukunftsvision, hob Mosh Espa die Flasche von neuem und nahm noch einen kräftigen Schluck. »Irgendwann wird man uns schon ablösen«, meinte Raj Sallar schulterzuckend, ohne indes selbst von seinen Worten überzeugt zu sein. Denn tatsächlich konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die Verantwortlichen nur solche Männer hierher entsandt hatten, die auf die eine oder andere Weise zum Problem in den Reihen des Militärs geworden waren. Männer wie Mosh Espa, die dem Dämon Alkohol verfallen waren … … und wie Raj Sallar, die dem Regime kritisch gegenüberstanden und zudem noch aus dieser Kritik keinen Hehl machten. Raj Sallar sah sich wieder um. Besser, hier zu sein, als standrechtlich erschossen zu werden, dachte er gallig. Zumindest solange alles ruhig bleibt … Er hatte nicht sehr viel gehört darüber, was an diesem Ort in den vergangenen Monaten und Wochen vorgefallen war; aber das wenige genügte durchaus, um ihm mehr als nur Respekt einzuflößen. Unerklärliches sollte sich hier ereignet haben. Die einen sprachen davon, daß sich ein Tor zur Djehenna, zur Hölle also, aufgetan habe, andere – die ein wenig rationaler dachten – meinten, hier seien Außerirdische gelandet. Tatsache war in jedem Fall, daß – egal, was die Ursache gewesen sein mochte – eine Menge Männer den Tod gefun-
den hatten an diesem Ort, den man einst Uruk genannt hatte. Bis vor kurzem hatte man von offizieller Seite aus noch versucht, dieser Angelegenheit wissenschaftlich auf den Grund zu gehen. Als dann aber die gesamte Besatzung des dafür eingerichteten Lagers buchstäblich abgeschlachtet worden war *, hatte man die Vorgehensweise geändert: Fortan beschränkte man sich auf bloßes Beobachten und hielt ansonsten still. Und dazu bediente man sich also unbequem gewordener Soldaten, um die es im Falle eines Falles – an dieser martialischen Auffassung der irakischen Regierung und Heeresleitung zweifelte Raj Sallar nicht im geringsten – nicht schade war. Wieder warf er einen raschen Blick zu jenem mysteriösen Bodenkrater hin. Darin sollte die Quelle all der Ungereimtheiten liegen. Ergründet hatte sie allerdings noch niemand. Und Raj Sallar war nicht scharf darauf, es selbst zu versuchen. Im Gegenteil, er begrüßte jede einzelne Fußbreite Boden, die er zwischen sich und diesem Loch wußte. Wieder rutschte er ein Stück zurück. Mosh Espa lachte heiser auf. »Hast Schiß, he? Kann deine verdammte Angst riechen, als hätt’st du dir die Hose vollgemacht, Mann!« »Könnte auch der Scheiß sein, den du redest«, erwiderte Sallar. Er versuchte gleichgültig zu klingen, und um den Anschein noch zu verdeutlichen, zog er das Buch aus der Tasche, um wieder darin zu lesen. »Wegen solcher Memmen wie dir haben wir damals den Scheißkrieg gegen die Amis verloren!« behauptete Mosh Espa unbeirrt. »Hast Angst, daß der Scheitan aus dem Loch da rauslangt und dir deinen blöden Arsch aufreißt, wie?« Mit einer Kopfbewegung wies er in Richtung des Kraters. Sallar schwieg. »Mal sehen, ob der alte Knabe Bock auf ein Schwätzchen hat«, fuhr Espa fort und wandte sich um. Ebenso unsicheren wie schweren Schrittes stapfte er durch den Sand auf das finstere Loch zu. *siehe VAMPIRA T39: »Die Reise nach Uruk«
Raj Sallar zwang sich dazu, sich im Dämmerlicht des nahenden Abends auf die Schriftzeichen des Buchtextes zu konzentrieren, aber sie wollten keinen Sinn ergeben. Obwohl sich Espas Schritte entfernten, schienen sie Sallar dröhnend laut. Endlich gab er nach, sah auf und dem anderen nach. Die Hälfte der Distanz zu dem Loch hatte Mosh Espa schon zurückgelegt. »Verdammt, warte! Komm zurück!« rief Raj Sallar ihm nach. Doch Espa lachte nur. »Ach, leck mich!« Er winkte dem anderen. »Komm doch her, wenn du dich traust!« Als sei es um seine eigene Traute nicht zum besten bestellt, trank Espa sich noch einmal Mut an und lief dann schwankend weiter. Raj Sallar zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen und ballte die Faust, während er Espa aus geschmälten Augen nachsah. Es ging nicht so sehr darum, daß er sich vor dem fürchtete, was möglicherweise in diesem Krater lauern konnte; er wollte vor allem eines: nicht auffallen, so lange er hier festsaß. Dienst nach Vorschrift wollte er tun, mehr nicht. Und dieser Dienst sah nichts anderes vor, als daß er und sein Kollege während der sechs Stunden, da sie eingeteilt waren, in der Nähe des Loches blieben, die Augen offen hielten – und sonst gar nichts taten. Wer unnötig Aufmerksamkeit auf sich zog, dessen war sich Sallar sicher, würde nicht von diesem Posten am Arsch der islamischen Welt abgezogen werden. So denn überhaupt Ablösung kommen würde, irgendwann … Und Espa, dieser besoffene Blödmann, war buchstäblich auf dem besten Wege, solche Aufmerksamkeit zu provozieren! Raj Sallar sprang auf und rannte los, dem anderen nach. »Bleib stehen!« rief er. »Ich warne dich –!« »Du warnst mich?« Mosh Espa lachte hämisch. »Wovor? Willst du mich abknallen, wenn ich nicht stehenbleibe?« »Fordere es nicht heraus«, erwiderte Sallar. Espa hatte den Rand des Loches fast erreicht, und zu Raj Salars
Überraschung blieb er stehen, drehte sich um – – und reckte beide Arme in seine Richtung. Ein vereinzelter Sonnenstrahl brach sich matt schimmernd auf dem Metall, das Espa in den Fäusten hielt. Der Narr zielt mit seiner verdammten Knarre auf mich! durchfuhr es Sallar. Wie vor eine Wand gelaufen blieb er stehen, die Hände halb erhoben. »Mann, laß den Quatsch«, sagte er, nicht ganz so ruhig wie beabsichtigt. Er traute dem Betrunkenen durchaus zu, daß er abdrückte, aus welchem Grund auch immer – und sei es nur aus Versehen. »Steck das Ding weg, mach schon«, verlangte er, und er haßte sich fast dafür, daß seine Stimme so bettelnd, beinahe schon jämmerlich klang. »Ich will keinen Ärger, verstehst du? Das mußt du doch –« Sallar brach ab, wollte aufschreien, doch der Laut blieb ihm im Halse stecken. Er wollte sich fallen lassen, aber er konnte sich nicht rühren, war wie gelähmt – – als Mosh Espa eine Winzigkeit in die Knie sackte, irgend etwas Unverständliches rief … … und feuerte!
* Uruk war ein Dreh- und Angelpunkt für Lilith Eden, ohne Zweifel. Dieser Ort, an dem der Zugang zum Korridor durch die Zeit lag, war in der Vergangenheit (selbst am Anfang der Zeit schon!) Schauplatz der einschneidendsten Ereignisse ihres Lebens gewesen. Und fast fühlte sich die Halbvampirin wie durch einen Fluch an diesen wüsten Fleck gekettet, eine Fessel, die sie, so schien es, niemals abstreifen sollte … … denn einmal mehr kehrte sie jetzt nach Uruk zurück. Mit keinem geringeren Ziel als dem, die Menschheit und die Erde selbst zu retten!
Welch lächerliche Absicht, fuhr es durch Liliths Hirn, angesichts der Größe der Bedrohung, die über dieser Welt schwebt … Sie unterdrückte die Selbstzweifel und forcierte ihre Anstrengung, mobilisierte jedes Quentchen Kraft, dessen sie noch habhaft wurde, und ignorierte den sengenden Schmerz, der jeden Muskel ihres geflügelten Leibes in Brand gesteckt zu haben schien. Wenn ich es nicht schaffe, versuchte Lilith frischen Mut aus fast versiegter Quelle zu schöpfen, WER DANN? Dieser Gedanke entsprang keiner Selbstüberschätzung. Längst schon peitschten ihre Schwingen die Luft nicht mehr, sie rührten nur noch darin, stemmten den pelzigen Körper voran. Und mit ihm das Gewicht, das Lilith in den Krallen hielt – den Lilienkelch, den sie in Jerusalem dem Teufel gestohlen hatte, weil nur der vampirische Gral ihr den Weg dorthin öffnen konnte, wo sie Hilfe gegen das Böse zu finden hoffte. Eine höchst vage Hoffnung war es, die Lilith da hegte. Und doch war es die einzige, die ihr und der Menschheit blieb; denn wer, wenn nicht ER, sollte dem Bösen sonst die Stirn bieten können? Schon einmal war sie IHM begegnet, am Beginn dieser Zeit und Welt, wie es ihre Bestimmung erfordert hatte *, und deswegen wollte, mußte sie dorthin zurück, durch den magischen Korridor, bis hin an dessen Anfang – und dann …? Darüber wollte Lilith nicht nachdenken, nicht jetzt. Dafür würde (mußte!) Zeit sein, wenn sie ihr eigentliches Ziel erreicht hatte. Bis dahin lag jedoch noch ein unfaßbar weiter Weg vor ihr. Denn Uruk mit dem Tor zum Tunnel war nicht mehr als eine Zwischenstation. Trotzdem fürchtete Lilith schon, daß sie nicht einmal diese Etappe schaffen würde. Jeder Flügelschlag tat mittlerweile so weh, daß sie meinte, der schiere Schmerz müßte sie umbringen. Wie sollte sie in solcher Verfassung die gewaltige Aufgabe bewältigen, die sie sich aufgebürdet *siehe VAMPIRA H50: »Das Erwachen«
hatte? Weil ich es MUSS! schrie sie sich selbst an, und tatsächlich gelang es ihr damit, sich regelrecht anzufeuern. Weiter. Weiter! WEITER! Und dann – Uruk! Endlich. Lilith spürte die Nähe des mystischen Ortes, noch ehe ihre Fledermaussinne sein Bild auffingen und in ihre Wahrnehmung projizierten. So oft war sie schon hier gewesen, so fest verknüpft war ihr Schicksal mit Uruk, daß sie es wohl auch blind gefunden hätte. Die kraterähnliche Vertiefung, in der Lilith den Eingang zum Korridor wußte, lag noch in einiger Entfernung. Unter sich nahm sie schlichte Bauten wahr, Baracken, ein paar Zelte dazwischen. Von ihrem vorigen Besuch in Uruk, als sie Beth MacKinseys Seele aus dem Tunnel befreit und den Hohen Anum gefunden hatte, wußte Lilith, daß es sich bei der Gebäudeansammlung um ein Militärcamp handelte.* Vor wenigen Wochen erst war sie hier gewesen und hatte die Lagerbesatzung hingemeuchelt vorgefunden. Jetzt allerdings »sah« Lilith, daß das Camp wieder belebt, neu besetzt war. Egal, sagte sie sich, kümmere dich nicht darum. Du mußt zum Tor! Nichts sonst zählt! Noch einmal gelang es ihr, die ledernen Schwingen heftiger zu bewegen. Der kleine Leib gewann an Geschwindigkeit, raste fast in die Richtung des Korridors, als hauche dessen bloße Nähe ihr Kraft ein. Ganz in der Nähe des Zustiegs gewahrte sie zwei Gestalten, deren Abbild undeutlich blieb, weil Lilith ihnen kaum Beachtung schenkte; zu unwichtig waren sie – zu wichtig ihr eigenes Ziel. Die Fledermaus breitete die Flügel aus, ging tiefer, segelte der dunklen Öffnung im Boden zu – Ein Knall, so laut, daß Lilith meinte, er würde ihren winzigen Schädel sprengen! Dann – Schmerz! Als würde eine glühende Faust ihre Schwingen durchschlagen. Lilith schrie auf, so schrill, daß kein Mensch sie hörte – *siehe VAMPIRA T40: »Beth«
– und stürzte ab.
* Raj Sallar wartete auf den Tod. Er tat es starr vor Schrecken und fast blind, weil er mitten in das grelle Mündungsfeuer der Pistole hineingeschaut hatte. Aber nichts geschah. Nur das Echo des Schusses verklang wie rollender Donner, vermengte sich mit Mosh Espas hechelndem Lachen zu einem geradezu bizarren Geräusch. Allmählich klärte sich Sallars Sicht. Schemenhaft erkannte er Espa, der sich in diesem Augenblick in Richtung des Kraters umdrehte, dann eilig über den Rand hinabstieg und Salars Blicken entschwand. Raj Sallar spürte, wie die Kälte des Entsetzens aus ihm wich und etwas anderes an ihre Stelle trat: Wallende Hitze brodelte förmlich in ihm hoch, so heiß, daß er meinte, sie müßte ihn innerlich verbrennen. Er mußte ihr ein Ventil verschaffen, wenn er unter dem Druck nicht explodieren wollte, und dieses Ventil konnte nur Mosh Espa sein! Er wollte ihm vor Zorn und Haß ins Gesicht schlagen, ihn niederprügeln, diesen Wahnsinnigen, und – »Bei Allah!« dröhnte es da dumpf aus der finsteren Tiefe des Loches im Wüstenboden. Dann, leiser und hörbar fassungslos: »Das gibt’s doch nicht! Ich glaub’ es nicht … Sallar! Komm! Schau dir das an, verdammt, das mußt du sehen!« Und Raj Sallar kam. Aber nicht aus Neugierde; immer noch lohte blanke Wut in ihm. Er sah buchstäblich rot, rannte wie durch Nebelschleier aus sprühendem Blut, und seine Fäuste prickelten, als koche es darin. Jenseits der Abbruchkante führten steinerne Stufen in das Loch hinab. Raj Sallar kannte kein Zögern mehr, stürmte die Treppe regelrecht hinab – und blieb mit einem erschrockenen Aufschrei stehen, noch ehe er Mosh Espa erreicht hatte … ihn und das, was der
andere ihm zeigen wollte. Eine … Frau? Auf den zweiten Blick gab es für Sallar keinen Zweifel daran, daß es sich um eine Frau handelte. Auf den ersten allerdings, und das hätte er noch jetzt beschworen, hatte er etwas ganz anderes gesehen! Ein … ja, was eigentlich? Eine Unmöglichkeit! Eine Kreatur mit ledernen Schwingen und wie verkrüppelt wirkenden Füßen, ein Wesen, das aussah wie eine Kreuzung aus Mensch … und Fledermaus? Raj Sallar lachte auf, aber es klang nicht im mindesten belustigt. Mosh Espa tanzte um die reglose Gestalt herum wie ein Derwisch. Dabei brabbelte er unentwegt halblaut vor sich hin, schlug sich mit den flachen Händen ins Gesicht, gegen die Stirn, auf die Schenkel. Sallars Wut auf Espa löste sich in nichts auf. Mit einer lahmen Geste deutete er auf die Frau hinab. Sie war atemberaubend schön, das erkannte er, obwohl er sie im vagen Licht hier unten nur undeutlich sehen konnte. Sie trug ein eigenartiges Gewand, eine Art hautengen schwarzen Overall, der an vielen Stellen wie zerrissen aussah. Ihre nackte Haut schimmerte wie Alabaster, das schwarze Haar lag wie etwas Flüssiges, das in der Bewegung erstarrt war, um ihren Kopf. Und dann war da noch – »Blut?« stieß Sallar hervor. »Sie blutet?« Espa nickte. »Ja, klar blutet sie. Ich hab’ sie ja abgeschossen!« Er kicherte irre. »Das heißt, nicht sie, nein, ich hab’ nicht auf sie geschossen, sondern auf …« Er brach schweratmend ab. »Sondern?« hakte Sallar nach. »Auf ein Monster!« krächzte Espa. »Auf ein beschissenes kleines Biest! Auf eine … ja, eine verdammte Fledermaus! Sie kam von hinten auf dich zu, Mann! Und ich hab’ sie runtergeholt … aber jetzt liegt auf einmal dieses Weib hier! Ich pack’s einfach nicht!« »Du meinst –?« fragte Sallar zweifelnd. Aber hatte er nicht eben selbst noch den Eindruck gehabt, daß mit dieser Frau … nun, etwas nicht stimmte?
Wieder nickte Mosh Espa, hastig, zitternd vor Aufregung. »Genau das will ich sagen: Das Weib hat sich verwandelt! War vorher ‘ne Fledermaus! Ich schwör’s!« Raj Sallar ging in die Knie. Dabei warf er einen raschen Blick in die Runde. Die steinernen Stufen endeten in einer Art Kammer, die aussah, als wäre eine Bombe darin explodiert. Trümmer lagen herum, der Boden war stellenweise aufgerissen. An der gegenüberliegenden, gemauerten Wand machte er eine vergleichsweise filigrane Vertiefung in der Wand aus, die zufällig oder gewollt dem Querschnitt eines Trinkkelchs ähnelte. Welche Bedeutung in Wahrheit dahintersteckte, ließ sich nicht erraten. Es war im Moment auch zweitrangig. Wichtig war die Frau. Wer war sie? Und vor allem: Woher kam sie? Er berührte sie vorsichtig, suchte ihren Puls. »Ist sie …«, Espa schluckte vernehmlich, »… ich meine, hab’ ich sie –?« »Umgebracht?« vollendete Sallar die Frage. Er wollte zu einer Antwort ansetzen, aber statt dessen prallte er mit einem erschrockenen Laut zurück. Die Frau schlug die Augen auf. »Nein, das hast du nicht«, antwortete Lilith an Sallars Stelle. Zornfunkelnden Blickes sah sie zu Mosh Espa auf. »Zum Glück hast du das nicht, du Idiot.«
* Kurz darauf Während sie den Lilienkelch in die Wandnische schob, die paßgenau auf ihn abgestimmt war, zitterte Liliths Hand, als wäre auch diese sich der Bedeutung des Moments bewußt. Vielleicht war sie es sogar, denn es war die Hand mit dem Tattoo.
Die Hand, die Gott stigmatisiert hatte … Ein paar Sekunden, die für Lilith die Qual einer Ewigkeit annahmen, geschah überhaupt nichts. Keinerlei Veränderung. Die Kammer, in die das schwindende Tageslicht wie ein unruhiger, von ziehenden Wolken in Bewegung gehaltener Schleier wehte, lag so öde und verwüstet da, daß kein Mensch ihr mehr Bedeutung als einem ausgeräuberten Grab beigemessen hätte. Lilith wußte es besser. Und deshalb wartete sie voller Ungeduld. Da! Der stille, heimliche Glanz, der Lilith während ihrer Flucht aus Jerusalem und der Zone des Satans beschützt hatte und den sie verdächtigte, daß er sie beschützt hatte, war erloschen. Matt und von der Patina unzähliger Bluttaufen überzogen stand der Lilienkelch in der jahrtausendealten Wand, die in diesem Augenblick endlich – – verschwand! Und den Kelch mit sich ins Nichts riß! Ins scheinbare Nichts, korrigierte sich Lilith. Sie atmete auf. Und ließ die Erleichterung wie ein Beruhigungsmittel in sich sinken. Den Lärm, der draußen aufbrandete, versuchte sie nicht an sich herantreten zu lassen. Starr war ihr Blick, starr waren ihre Gedanken und Hoffnungen auf den Tunnel gerichtet, der die vorgelagerte Kammer und damit auch sie selbst in flackerndes Licht tauchte. In schier endlose Ferne lief der vom Lilienkelch »geschaltete« Stollen, jener Korridor durch Raum und Zeit. Die Urmutter der Vampire hatte ihn einst erstehen lassen. Aus Traum und Magie war er geformt worden. Derselben Magie, die dem Lilienkelch innewohnte. Und mit Hilfe des Kelchs vermochte man diesen Pfad in die Vergangenheit anund auszuschalten wie eine Glühbirne. Draußen bellten Schreie und Schüsse. Lilith ahnte, was sie bedeuteten. Es kommt, dachte sie. Es war fast so schnell wie ich!
Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als der Schatten über sie fiel. Nein, nicht einfach ein Schatten, sondern Nacht – vollkommene, pechschwarze Nacht, die das aus dem Tunnel herausfallende Licht buchstäblich ausradierte! Die Helligkeit wurde erstickt, der Lärm nicht. Der Lärm schwoll noch an, spaltete sich in schrille Schreie und Detonationen, die den Boden unter Liliths Füßen erschütterten, und dann, kurz danach, mischte sich … … Fauchen, Knurren und schauriges Heulen hinein! Es ist da und hat sie mitgebracht, dachte Lilith. Ummantelt von undurchdringlicher Schwärze loderte noch einmal die Vision in ihr auf, an der Gabriel sie hatte teilhaben lassen – der Traum des Urbösen, der Traum Luzifers und seiner Inkarnationen … Und da tat sie es. Warf sich blind nach vorn und passierte die unsichtbare Schwelle, hinter der augenblicklich jähes Licht wie flirrender Staub auf ihren Netzhäuten explodierte! Der Lärm endete wie abgeschnitten. Sie war nun in der Vergangenheit; zwar erst wenige Stunden hinter der Gegenwart, aber doch in einer anderen Zeit, in die nichts Kommendes vordringen konnte, einfach weil es noch nicht geschehen war … Taumelnd kam sie zum Stehen. Vor ihr lag der Anfang des längsten und steinigsten Weges, den ein denkendes Geschöpf in dieser Welt auf sich nehmen konnte. Lilith schwindelte kurz, als ihr bewußt wurde, wie schwierig es schon beim ersten Mal gewesen war, ihn bis zum Ende (eigentlich dem Anfang) zu gehen. Aber sie hatte keine Wahl. Sie mußte es auf sich nehmen. Weil sie versagt hatte. Sie und jedes andere Geschöpf auf Erden, das die Vorzeichen übersehen oder fehlgedeutet hatte. Die Zahl des TIERS. Die Vorboten des Sturms, der sich erst wieder legen würde, wenn ein Sieger der letzten Schlacht, die nun begonnen hatte, feststand. Aber dieses jüngste Gericht wird ohne den Schöpfer stattfinden, dachte
Lilith dumpf, wenn ich unterwegs durch die Zeit auf der Strecke bleibe. Ein anderer wird sich zum Richter aufschwingen, und dann … … gnade uns Gott …!
* Es kam! Kam wie eine Wand! Rollte wie eine Walze aus schwarzem Wasser oder Staub über die volle Breite des nördlichen Horizonts auf das Lager der Irakis zu! Und die Fragen, die sich alle stellten, die es sahen, waren: Wieso hat uns niemand rechtzeitig davor gewarnt – was auch immer es ist? Seit einer knappen Stunde war die Funkverbindung nach Bagdad gestört. Aber der Kommandant hatte einen Jeep nach Warka entsandt, um den Kontakt über die dortige Präfektur wiederherzustellen. Radar funktionierte noch – aber nur in die Richtung, die von dem Phänomen verschont geblieben war! Niemand hörte mehr auf die Befehle des kommandoführenden Offiziers. Niemand fürchtete das Standgericht, das sonst bei geringfügigeren Vergehen drohte. Die Finsternis, die wie im Zeitraffer auf sie zuraste, weckte kreatürliche Ängste und Reflexe. Inmitten des ausbrechenden Chaos gab es nur zwei Gestalten, die sich von dem, was sie sahen, nicht aus der Ruhe bringen ließen: Raj Sallar und Mosh Espa. Sie standen am Rand der Senke, aus der sie stur heraufgestiegen waren. Die Senke, in deren Mitte die zweiundzwanzigstufige Treppe lag, an deren Ende Sallar und Espa die »Fledermaus-Frau« gefunden … … und wieder vergessen hatten. Nein, sie erinnerten sich nicht. Nein, sie fürchteten sich nicht. Sie spürten auch die Wunden nicht, die spitze Zähne in ihre Hälse ge-
graben hatten. Stocksteif blickten sie zum Lager und dem, was sich jenseits der letzten Zelte und Fahrzeuge aus der Wüste heraus näherte. Aus Richtung Warka. Die Stadt nahe des antiken Uruk war bereits von der Schwärze verschluckt, bevor auch das Camp der Armee gefressen wurde. Und – der Eingang zu etwas, was sich kein irakischer Soldat auch nur vorstellen konnte. Stumm fanden sich Sallar und Espa von der Schwärze wie in einen Bernsteinblock gegossen. Sie unternahmen keinen Versuch, in Panik dem Verhängnis zu entkommen. Aber bald nachdem sich die Finsternis wie ein Mantel über sie gestülpt hatte, hörten auch sie, was noch zu ihnen gekommen war. Die Schreie nahmen einen anderen Klang an. Menschen, die starben, schrien so. Sallar und Espa lauschten auch den Stimmen der Wölfe, die durch das Dunkel zu streunen schienen, überall dort, wo auch der Tod einherschritt! Lange blieben die von Lilith Eden hypnotisierten Irakis unbehelligt, und es schien, als würde gerade ihr Mangel an Angst sie beschützen. Doch irgendwann schlugen Pranken auch in ihr Fleisch, sprudelte Blut auch aus ihren Wunden. Und traten auch sie die lange Reise an, die längste, die einem jeden Menschen irgendwann beschieden ist …
* Nichts schien verändert … … aber alles war anders! Liliths Augen gewöhnten sich an das flirrende Licht, das den Korridor füllte und Teil von ihm war. Dennoch war diese Art des Sehens kaum vergleichbar mit dem in der Welt, die nur einen Schritt weit hinter ihr lag. Minimalst zeitverzögert schien die Wahrneh-
mung hier zu funktionieren, stroboskopartig flimmerten die Eindrücke in Liliths Blick; ihr war, als fehle zwischen den einzelnen Eindrücken etwas wie ein Bindeglied. Eine Unmöglichkeit per se, ging es ihr flüchtig durch den Sinn, denn das Bild vor ihr war starr, ohne die geringste Bewegung, still, nur leer und öd. Der Gang durch die Zeit sah aus wie damals, als Lilith ihn zum ersten Mal betreten hatte. In Form und Durchmesser glich er am ehesten noch einem Eisenbahntunnel. Seine Wände wirkten wie glasiert, wie aus geschmolzenem und wiedererstarrtem Material, das gewiß nicht Stein war, und das unruhige Licht drang gleichermaßen aus Boden, Decke und Wänden, die, je weiter Lilith ihren Blick wandern ließ, aufeinander zuzuwachsen und in nicht einmal annähernd abschätzbarer Ferne miteinander zu verschmelzen schienen. Entfernung war hier ebenso bedeutungslos wie Zeit. Lilith wußte nicht, wie lange sie schon jenseits der Schwelle des Korridors stand – eine Sekunde? Oder eine Ewigkeit? Beides wäre gleich gewesen an diesem Ort – nichts nämlich. Was hatte sich verändert hier, was war anders geworden? Lilith konnte sich dieses Eindrucks einfach nicht erwehren, obschon sie ihn optisch nicht zu begründen vermochte. Lag es schlicht daran, daß die Absicht, mit der sie den Korridor betreten hatte, eine andere war? Woraus sich zwangsläufig eine weitere Frage ergab: War es denn überhaupt so? War ihr Ziel nicht dasselbe wie damals? Schließlich wollte sie heute wie einst eines nur – IHN finden. Wenngleich die Situation an sich auch hoffnungsloser sein mochte als beim ersten Mal. Lilith schrak auf wie aus leichtem Schlaf! Ihre eigenen Gedanken hatten sie eingelullt, drohten, sie nicht nur von ihrem Ziel abzubringen, sondern wollten sie schon am Weg dorthin hindern. Entschlossen tat Lilith den ersten Schritt, den zweiten, den dritten und vierten schon zügiger, dann lief und schließlich rannte sie,
schneller und schneller. Das Gefühl dabei, es glich ganz dem von damals: Es war wie in einem Traum, in dem man nur zu rennen glaubte, ohne von der Stelle zu kommen. Aber es war nur das, nur ein Gefühl, nicht mehr. Ihre Füße schienen den glasierten Boden kaum noch zu berühren. Fast meinte Lilith zu fliegen. Und dann tat sie es – in der rasenden Vorwärtsbewegung verwandelte sich ihr Körper, sie wurde zur Fledermaus, deren peitschende Schwingen Luft und Licht im Tunnel sichtbar aufwühlten. War es damals auch so gewesen? versuchte Lilith sich zu erinnern. Aber das Damals schien zu zerfasern, das Gespinst ihrer Erinnerung sich aufzulösen mit jedem Flügelschlag, der sie weiter fortbrachte vom Anfang des Tunnels, als seien ihre Gedanken dort, an der Schwelle zur Wirklichkeit, festgeknüpft. Zu beiden Seiten huschten schattenhaft dunkle Schemen vorüber; Türen hinaus aus dem Korridor, zurück in vergangene Epochen der Weltgeschichte. Sie zu benutzen war ein Vabanquespiel – denn nichts ließ erkennen, wohin und in welche Zeit exakt sie führten. Und ob es von jedem auf diesem Weg erreichbaren Punkt auch eine Möglichkeit zur Rückkehr in den Tunnel gab, wußte kein lebendes Wesen. Auch Lilith nicht. Nur eines glaubte sie noch zu wissen – daß es solche Durchlässe nicht nur links und rechts des Korridors gab. Düster erinnerte sie sich daran, beim vorigen Mal – als eine Art Mahlstrom sie erfaßt und förmlich durch den Tunnel zum Ende hin gezerrt hatte – in einen Ausgang geraten zu sein, der an der Decke gelegen hatte. Einem ebenso monströsen wie bedauernswerten Wesen war sie auf der anderen Seite begegnet – einer Kreatur, die Gott verstoßen hatte, weil sie nicht dem Bild entsprochen hatte, das ER hatte erschaffen wollen.* *siehe VAMPIRA H48: »Zum Anfang der Zeit«
Ein wahnwitziger Gedanke zuckte in Liliths Hirn auf, so plötzlich und machtvoll, daß sie meinte, er würde ihren kleinen Schädel sprengen. Könnte es gelingen? fragte sie sich bang. Wenn sie es wagte, eines der Tore in den Tunnelwänden zu betreten, um in die Vergangenheit dahinter zu gelangen – würde es ihr wohl möglich sein, von dieser Zeit aus die Gegenwart, aus der sie kam, zu verändern und die übermächtig drohende Gefahr durch das Urböse abzuwenden und damit nicht nur die Welt zu retten … sondern auch sich selbst vor jenem ungeheuren Schicksal, das der Leibhaftige ihr zugedacht hatte? Die Mutter seiner Brut sollte sie werden, seiner dämonischen Kinder, mit denen Luzifer die Erde bevölkern wollte, wenn das jetzige Leben erst von ihrem Antlitz getilgt worden war – ganz so, wie Gabriel es Lilith in einer Vision brutal vor Augen geführt hatte. * Um die Verwirklichung dieser grauenhaften Zukunft zu verhindern, war Lilith nach Uruk aufgebrochen. Weil nur einer helfen konnte, sie abzuwenden … ER! Dieser Gedanke war es letztlich, der Lilith Abstand nehmen ließ von der tollkühnen Idee. Sie würde nichts ausrichten gegen Luzifers Wirken und Macht, ganz gleich, wo sie den Hebel auch ansetzte, und sei es in noch so ferner Vergangenheit. Sie durfte es schlicht nicht wagen, die Weichen für die Zukunft selbst zu stellen! Zu groß war die Gefahr, daß sie einen Fehler beging oder völlig versagte, zu unwägbar all das, was sich ihr in den Weg stellen konnte … Und doch, die Versuchung war groß. Fast unbewußt verlangsamte Lilith die Bewegung ihrer Schwingen. Ihr Flug verlor an Rasanz, und Liliths Echolotsinn fing die Öffnungen in den Wänden zu beiden Seiten deutlicher auf, brannte sie förmlich in ihre Wahrnehmung, und aus jeder meinte sie etwas wie einen Sog zu verspüren, *siehe VAMPIRA T49: »In Satans Hand«
warm und lockend … Als wispere eine schmeichelnde Stimme ihr zu, als streichle eine samtene Hand ihr Denken; ein Gefühl, so angenehm, daß Lilith es nicht mehr missen mochte. Nur eines wollte sie noch: ihm nachgeben, ihm folgen, auf ewig fühlen, was es an Geborgenheit vermittelte. Hinter jeder Tür aus dem Tunnel würde sie es finden, reiner noch, als sie es jetzt empfand. Es verhieß – Rettung. Sicherheit. Für immer. Sie konnte all dem Grauen, das sie in der Gegenwart wußte, entkommen. Sie brauchte nur eines zu tun: den Korridor verlassen, jetzt und hier, irgendwohin, an irgendeinen Ort, in irgendeine Zeit – jede nur denkbare mußte besser sein als jene, die sie gerade verlassen hatte. Lilith spreizte die Flügel weit ab, spannte die Muskeln in den Gelenken, hielt eisern stand, als lichtdurchflutete Luft sich in den ledernen Häuten fing, bis ihr kleiner Leib zum Stillstand gekommen war. Wie ein Stein wollte er zu Boden stürzen, aber noch im Fall leitete Lilith die Rückverwandlung ein. Sicher kam sie auf, federte leicht in den Knien nach. Gespannt, wie lauernd blieb sie stehen. Unschlüssigkeit plagte sie, nagte und fraß wie ein Parasit in ihr. Sie sah nach links, dann nach rechts. Zu jeder Seite lag ein Ausgang aus dem Tunnel, und sie unterschieden sich in nichts voneinander: dunkle Höhlungen, scheinbar nirgendwohin führend. Nicht der geringste Funke Helligkeit glomm im einen oder anderen, wovon sie ihre Entscheidung vielleicht abhängig gemacht hätte. Denn ihr Entschluß, den Tunnel hier zu verlassen, um allem zu entfliehen, stand schon fest, so unverrückbar, daß Lilith auf einer tieferen Ebene ihres Denkens fast darüber staunte. Dann aber verlor dieses Staunen an kaum gewonnener Macht, unterlag jenem lockenden und so verheißungsvollen Gefühl, noch ehe Zweifel und Widerstand daraus erwachsen konnten. Rechts! entschied sie sich.
Lilith wandte sich um, ging auf die Wand zu, blieb vor dem lichtlosen Durchlaß stehen, als hindere sie eine unsichtbare Hürde am Weitergehen. Zögernd streckte sie den Arm vor und brachte die Finger näher an die nicht durchschaubare Öffnung in der Wand heran. Ihre Fingerkuppen berührten die Dunkelheit, tauchten darin ein, wurden unsichtbar, waren schon drüben! Lilith verspürte einen sachten, wohligen Hauch, der ihre Fingerspitzen umschmeichelte, als würden sie von warmen, weichen Lippen geküßt. Dieses wunderbare Gefühl wollte Lilith überall spüren, auf ihrem ganzen Körper. Diese Wärme – was mochte sie bedeuten, was verheißen? Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden … Lilith setzte an zum entscheidenden Schritt, der ihr Schritt in eine andere Welt und Zeit sein sollte. Ihre Zehen verschwanden in der Schwärze, der Fuß folgte und – Titanenfäuste schlugen auf Lilith ein! Unsichtbar, aber mit Urgewalt! Lilith wurde von unvorstellbarer Kraft regelrecht davongedroschen. Etwas Machtvolles wie ein Orkan hielt sie gepackt und ließ sie nicht mehr los. Imaginäre Trümmer schienen im selben Strom gefangen zu sein, und Lilith schrie ein ums andere Mal schmerzerfüllt auf, wenn sie davon getroffen wurde. Rasend schnell wurde sie durch den Korridor getrieben, als ginge es nicht in horizontaler Richtung voran, sondern als stürze sie in einen bodenlosen Abgrund hinab. Dunkel entsann Lilith sich jenes Mahlstromes, der sie beim ersten Mal im Korridor erfaßt hatte. Doch was sie jetzt erlebte, unterschied sich von dem, was ihr damals widerfahren war: Diese Kraft sog sie nicht an, sie trieb Lilith vorwärts, war von hinten gekommen, schien ihren Ursprung am Eingang des Korridors in Uruk zu haben! Als gäbe es dort etwas, das wollte, daß Lilith ihr Ziel unter allen Umständen erreichte – etwas oder jemand …
Wie ein welkes Blatt im Sturm wirbelte Lilith durch den Tunnel. Unten, oben, links und rechts hatten ihre Bedeutung längst verloren. Es gab nur noch Chaos und Schmerz für Lilith, und was immer sie im Griff hielt, es stank nach Pestilenz, war von arktischer Kälte und glühender Hitze gleichermaßen durchwirkt. Die Sinne schwanden Lilith in dem Augenblick, da sie für den winzigsten Bruchteil einer Sekunde etwas auszumachen glaubte, was das Ende des Korridors sein konnte. Ein heller Fleck im Nichts, nicht mehr … Ob sie ihm näherkam oder ihn gar erreichte, nahm sie nicht mehr wahr. Ein greller Blitz – – dann nichts mehr.
3. Kapitel An den Ufern der Zeit Der Sensenmann hatte das Feld abgeerntet. Bis zum letzten Mann. Der letzte Schrei erstarb. Die Stille des Todes senkte sich über Uruk. Nur der Atem jener, die dutzendfach gemordet hatten, schnitt rasselnd durch die widernatürliche Nacht, verwob sich mit feuchten Lauten, die entstanden, wenn monströse Schnauzen in noch warmes Fleisch stießen und Bestienfänge es zerrissen. Luzifers Messias schritt über das Schlachtfeld, zu dem seine Krieger das irakische Armeelager gemacht hatten. Blut tränkte den sandigen Boden unter seinen Füßen und durchwirkte die Dunkelheit mit schwerem Duft. Das Leid grausamen Sterbens schwang noch darin nach, und Gabriel fühlte sich berührt davon, als klammerten sich die Seelen der Toten für flüchtige Momente verzweifelt an ihn, ehe es sie weitersog in jenseitige Gefilde. Wohliger Schauder rann ihm über die Haut, die nur Maskerade war, nur die Hülle für sein wahres, sein wahrhaft einzigartiges Ich – – denn Gabriel wußte, daß keine der satanischen Inkarnationen, die zu anderen Zeiten diese Welt heimgesucht hatten, ihm gleichkam. Der Unterschied beschränkte sich nicht allein auf ihre Wesensart, obschon auch das von Bedeutung war. Gabriel war nicht, wie all seine Vorgänger, aus dem Leib eines Tieres gekrochen, in dem der Keim des Bösen Frucht getragen hatte. Er war dem Schoß einer jungen Nonne entboren und hatte damit schon menschliche Unschuld besudelt. Er hatte seine menschliche Gestalt im weiteren Fluß der Dinge nicht dreiteilen müssen, um an mehreren Orten gleichzeitig im Sin-
ne Luzifers zu wirken. Zwar war Gabriel buchstäblich desselben Geistes Kind – was die vergangenen Inkarnationen beseelt hatte, war auch seine Triebkraft –, aber seine Mission war eine andere: Er hatte nunmehr die Ernte einzubringen, die er im Laufe vieler Jahrhunderte in so mannigfacher Gestalt gesät hatte. Sein Weg war vorgezeichnet – und geebnet hatten ihn in vergangenen Zeiten die Dreigestalten. Gabriel war im wörtlichen Sinne zum Sieger geboren. Er sollte den Triumph einfahren, den ein Plan zeitigen würde, der von so langer Hand vorbereitet worden war. Jedes Detail war bedacht, selbst das winzigste Rädchen griff noch in vorbestimmter Weise ins andere, und bald schon würde die Idee des Bösen Wirklichkeit werden – hier … … in Uruk. Das zum Feld der finalen Schlacht werden würde. Zum Schauplatz dessen, was die Menschen in ungezählten Generationen schon als ARMAGEDDON fürchteten. Die Zeit war nahe. Wie auch der Ort. Gabriel strebte ihm zu, näherte sich der Senke im Wüstenboden, wo jener Punkt lag, an dem die Zeit selbst an diese Welt geknüpft war – und an dem das schier Unmögliche möglich werden konnte, mit teuflischer Leichtigkeit … Die Finsternis, in deren schützendem Mantel die Wölfe gewütet hatten und die noch immer alles verhüllte, bekam Risse, weil Gabriel es wollte. Sprünge wie in einer kompakten Mauer entstanden, deren Dimensionen sich nicht in den drei bekannten erschöpften, weiteten sich zu Klüften, in denen Ausschnitte des Schreckensszenarios sichtbar wurden. Und schließlich verzog sich die Schwärze, nunmehr zu etwas wie zähem Rauch geworden, in fetten Schwaden, die zerfaserten und endlich eins wurden mit der wirklichen Nacht. Im weiten Kreis kauerten die Wölfe um Gabriel her, noch immer
buchstäblich vertieft in ihr blutiges Werk, das ihnen nun zum Mahl gereichte. Ihre Zahl war kaum zu überschauen; Gabriel genügte es zu wissen, daß sie ausreichend sein würde für die Aufgabe, die Luzifer ihnen vor Urzeit schon zugedacht hatte für diese eine Stunde, nachdem sie, wie geplant, soviel blutige Schuld auf sich geladen hatten, daß die Bürde selbst zu schwer sein würde für IHN … Der Satan rieb sich die Hände, ließ den Blick schweifen, und was er sah, befand er als gut – für das Böse … »Kommt«, sagte er dann, nicht laut und nicht zu seinen Kriegern, sondern zu seinen Kindern. Wie steinerne Statuen erhoben sie sich hier und da aus dem wüsten Gelage, das die Werwölfe abhielten. Auf den Ruf ihres Vaters hin kam Bewegung in die Archonten. Synchron wandten sich die Zwölf in Richtung ihres Schöpfers und folgten ihm gehorsam, als er seinen Weg fortsetzte. Die Archonten … Gabriel überdachte auch deren Bedeutung im großen Plan. Vor Jahrhunderten hatte ein Teil einer Dreigestalt sie geschaffen, aus toten Kindern, die er aus ihren Gräbern geholt hatte, um ihnen neues Leben einzugeben. Nur zu dem Zweck, daß sie ihm als entscheidende Werkzeuge zur Verfügung standen, wenn es an der Zeit war. Die Macht, die Luzifer ihnen geschenkt hatte, war immens, ihre Möglichkeiten kaum zu erfassen. Der Tod war der ideale Nährboden gewesen für den Keim des Bösen, und er war prächtig gediehen in den Zwölfen. Sie hatten Jerusalem von der Außenwelt abgeschnitten, auf daß die Krieger es verheeren konnten. Und danach hatten die Archonten eine Brücke aus Finsternis geschlagen, auf der sie alle nach Uruk gelangt waren. Jerusalem war nicht mehr als Mittel zum Zweck gewesen – ein Köder für den Lockvogel. Ihre eigentliche, die große Aufgabe stand ih-
nen noch bevor. Ihnen allen! Gabriel erreichte den Rand der Senke und sah über den Rand hinab in die Tiefe, wo Lilith verschwunden war. Sie war ihm – ohne es auch nur zu ahnen – auf den Leim gegangen. Sie wirkte ganz und gar in seinem Sinne, obwohl sie überzeugt war, ihm zuwider zu handeln. Teuflisches Gelächter brach sich an den Wänden des Kraters und ließ ihn erzittern, daß sich Sand und Gestein lösten und wispernd wie Geisterstimmen dem Grund zurutschten. Wieder ließ Gabriel den Blick in die Wüstenei hinaus wandern. Er suchte eine weitere Figur, die in seinem Spiel von entscheidender Rolle war; eine von vielen, aber nicht weniger oder mehr wichtig als jede andere. Seine Augen holten Teile des ganzen Bildes zu detailreicher Größe heran, und er weidete sich an jedem einzelnen, bis er fündig wurde. Auch diesen Anblick genoß Gabriel eine Weile lang. Nona kauerte wie sterbend inmitten des Heeres, zu dessen Führer der Teufel sie bestimmt hatte; dem sprichwörtlichen Häuflein Elend schien die Wölfin gleich. Gabriel hätte es kaum Mühe gekostet, Nona herzuholen. Aber ihm gefiel der Anblick ihrer Qual … … und so befahl er sie zu sich.
* Nona glich einer Maschinerie, die auf Hochtouren lief. Jedes noch so kleine Teil in ihr schrie förmlich auf vor Überlastung, und der Moment, da sie zusammenbrechen mußte, schien greifbar nahe – – aber zu Nonas Entsetzen rückte er nicht um die letzte Winzigkeit heran. Obwohl sie längst schon den Tod herbeisehnte, die Erlösung von dieser abnormen Qual stumm erflehte.
Satan hatte ihren Geist auf unfaßbare Weise mit dem aller Werwölfe verbunden. Seither sah sie mit Hunderten von Augen, schmeckte sie mit ebenso vielen Zungen, und sie hatte dutzendfach zur selben Zeit getötet. All das war tausendmal mehr, als ein Geist verkraften konnte. Und mehr auch als eine vielhundertjährige Mörderin zu ertragen imstande war … Nona wand sich inmitten ihres Heeres und wußte längst nicht mehr, welche Eindrücke ihre eigenen waren. Ihr Hirn quoll schier über von der Flut fremder Empfindungen, es kochte und brannte, als läge es glühend unter ihrer Schädeldecke. Dann erreichte sie sein Ruf. Gabriel befahl die Wölfin zu sich. Und sie konnte nicht anders, als ihm zu gehorchen. Obwohl sie kaum noch die Kraft fand, um sich zu erheben, geschweige denn die Distanz zu ihrem Herrn zurückzulegen. Sie haßte sich für die Art und Weise, in der sie es zu tun gezwungen war: Nona kroch zu Gabriel hin, bis sie vor ihm im Staub lag, schweratmend und sich windend wie ein Wurm am Haken. Und sie ekelte sich vor der Erkenntnis, daß sie im Grunde nichts anderes mehr war … Gabriel ging vor ihr in die Knie und betrachtete sie wie ein seltenes Insekt. Dann langte er nach ihrem Kopf, genauso wie er es in Jerusalem schon getan hatte, doch diesmal mit gegenteiligem Effekt – hatte er ihren Geist dort mit der wölfischen Armee vernetzt, so löste er die grauenhafte Verknüpfung nun auf. Nona sackte zusammen, wie eine Marionette, deren Fäden gekappt wurden. Ihr Gesicht versank im Staub, der ihr in Mund und Nase drang. Doch sie war zu erschöpft, um ihn auszuhusten. Der Atem wollte ihr stocken, und sie ließ es geschehen, aus Entkräftung zum einen, und weil sie ersticken und endlich sterben wollte zum anderen.
Der Satan aber kannte auch in dieser Hinsicht kein Erbarmen; natürlich nicht. Seine Finger gruben sich ins Haar der Wölfin und zerrten ihren Schädel hoch. Ein schwacher Laut entfuhr ihr, der Schmerz und Enttäuschung in einem barg. »Vielleicht erlaube ich dir zu verrecken«, hörte sie die Stimme Satans wie durch dämpfende Nebel, »später, wenn dich der Tod dann noch lockt. – Aber noch hast du deinen Dienst an mir und unserer Sache nicht erfüllt. Steh auf!« Umständlich kam Nona seinem Befehl nach. Auf wackligen Beinen stand sie dann, vorgebeugt und zitternd, neben Gabriel. Und inmitten der Kinder des Teufels, deren Geburt sie vor Jahrhunderten beigewohnt hatte, ohne damals schon zu ahnen, was aus ihnen werden würde. Zu zwölft umstanden die albinohaften Gestalten eine Vertiefung im Wüstenboden, stumm und starr, als hätte sich das Leben einstweilen aus ihnen zurückgezogen, bis sie wieder gebraucht wurden. Und daß sie gebraucht wurden, genau an dieser Stelle, daran zweifelte Nona nicht. Alles, was Gabriel hier arrangiert hatte, spielte eine Rolle, war von Bedeutung. Nona wußte es aus eigener, mehr als nur leidvoller Erfahrung … »Was«, brachte sie mühsam und grollend hervor, »was hast du dir jetzt wieder ausgedacht, womit du mich quälen willst?« Ein flüchtiges Lächeln erschien auf Gabriels Gesicht (Wirkte es nicht maskenhafter als zuvor? Ganz so, als würde es … dünner, als dränge darunter etwas mit wachsender Gewalt hervor?) »Dich zu quälen ist ganz gewiß nicht meine Absicht«, erklärte er, »allenfalls ein hübscher Nebeneffekt.« Sein Lächeln erlosch. Seine Hand schoß auf Nona zu, packte abermals ihren Kopf. Sie wehrte sich nicht dagegen, daß er ihn hin und her drehte, damit ihr Blick über das Wolfsheer schweifte.
»Einen brauchen wir«, murmelte Gabriel, »oder eine. Nicht den stärksten unserer Krieger, sondern –« Ausschnitte des Gesamtbildes sprangen Nona förmlich an, wuchsen in ihrem Blickfeld zu erdrückender Größe und entsetzlicher Detailiertheit. »– jemanden, der entbehrlich ist.« Und dann hielt er inne. »Sie ist es«, befand er und ließ Nona los. Die Werwölfin, auf die er ihren Blick schließlich gelenkt hatte, war Nona fremd, so fremd wie alle anderen Soldaten jener Armee, der sie vorstand. »Hol sie her«, verlangte Gabriel. »Wozu?« wagte Nona zu fragen. Der Teuflische sah schweigend in die Tiefe des Kraters hinab. Sein Blick allerdings schien Bände zu sprechen – in einer Sprache jedoch, die Nona nicht verstand. »Hol sie her!« Seine Worte schnitten schmerzhaft wie glühende Klingen in ihr Gehirn. Nona heulte auf. Gehorchte und ging.
4. Kapitel Gestrandet Sie entsann sich nicht, den Korridor verlassen zu haben. Dennoch mußte es geschehen sein. Lilith hob Lider und Kopf. Sie erwartete Schmerz, aber es war, als würde sie aus ganz normalem Schlaf an ganz normalem Ort erwachen. Düfte hatten sie geweckt. Und ein unglaublich intensives Gefühl von Frieden, von absoluter Harmonie. Dennoch war der erste bestürzte Gedanke, der sich in ihrem wachen Gehirn formte: Wo bin ich hier? Bin ich über das Ziel hinausgeschossen …? Seit sie ihre Erinnerung von Gabriel wiederbekommen hatte, sammelten sich in ihrem Gedächtnis auch wieder jene diffusen Bilder, die sich dort bei ihrem ersten Besuch des Tunnelendes verankert hatten. In eine karg bewachsene Steppe, fast wüstengleich, hatte die Treppe gemündet, die auf dieser Seite aus dem Korridor der Zeit herausgeführt hatte. Während sie den Oberkörper aufrichtete und mit durchgestreckten Armen die Handflächen auf den weichen Boden stützte, biß sich ein grauenhafter Schmerz in Lilith fest, geboren aus tiefster Verzweiflung! War sie zu spät gekommen? Aber … wieso endete der Korridor plötzlich hier? Nicht nur die vertraute Wüstenei war verschwunden, auch die Nacht, in die sie nach Verlassen des magischen Korridors geschleudert worden war, sah anders aus … ZU SPÄT! dachte sie trotz der Wärme schaudernd. GOTT LEBT HIER NICHT MEHR! Der Korridor war verkürzt.
Aber weshalb, und wer konnte –? ER! gab sich Lilith die Antwort selbst. Sie setzte sich aufrecht und wühlte mit den Fingern in dem von mikroskopisch winzigem Leben wimmelnden Erdreich. Sie hatte das Gefühl, neugierig taxiert zu werden. Von Augen ohne Zahl. Von Tieren und Insekten. Aber die Nacht wahrte ihre Geheimnisse. Das Sternenzelt (auch das war anders als beim ersten Besuch – damals hatte das Firmament noch seltsam unfertig gewirkt!) funkelte durch die lichten Kronen mächtiger Bäume. Etwas krabbelte über ihren Handrücken. Lilith akzeptierte es zunächst regungslos. Nicht nur winzige Beine, auch zarte Fühler schienen tastend über ihre Haut zu streifen. Nach einer Weile löste Lilith vorsichtig die Finger aus dem Boden, hob die Hand, die das Tattoo Gottes trug, nah vor die Augen und … … sah in fremde Augen. Winzige, scheinbar von innen heraus leuchtende Facetten, die in Wahrheit wohl das Sternenlicht zurückwarfen, starrten sie an. Und die Art und Weise, wie dieses kleine Insekt sich ein Bild von ihr zu machen versuchte, berührte Lilith tiefer, als der Blick eines Menschen es je vermocht hätte. Sie räusperte sich, ehe sie halblaut fragte: »Kannst du mir sagen, ob er noch da ist? Oder wie ich ihn rufen kann?« Facettenaugen können nicht blinzeln, und dennoch war es Lilith für einen flüchtigen Moment, als schöben sich Lider aus Schatten über das unschuldige Leuchten. Verwirrt setzte sie das winzige Geschöpf, das eine Kreuzung aus Wanderheuschrecke und Skarabäus zu sein schien, wieder auf den Boden zurück. Danach erhob sie sich. In den Bäumen und im Gestrüpp des Waldes raschelte der Wind in den Blättern, knackten Zweige, erklangen Geräusche, die nicht eindeutig zu definieren waren. Das ist nicht das Ende des Tunnels, dachte Lilith. Ich muß durch eines
der Seitentore hinausgespült worden sein; in irgendeine Epoche auf dem Weg zum Anfang …! Wenn dem tatsächlich so war, mußte sie unverzüglich zurück und weiter dem schnurgeraden Verlauf des Korridors folgen! Fieberhaft versuchte Lilith die Schatten des Waldes zu durchdringen. So wenig sie sich aber erinnern konnte, den Strom der Zeit verlassen zu haben, so wenig fand sie nun den Weg in ihn zurück! Jede Bewegung, jeder tastende Schritt im Dunkel fiel plötzlich dreifach schwer. Die Vorstellung, nicht nur irgendwann vom Weg abgekommen, sondern dazu verurteilt zu sein, hier zu bleiben, wollte ihr Blut zu Eiswasser werden lassen. War sie am Ufer der Zeit, irgendwo an den Seitenarmen des langen Flusses gestrandet, ohne Aussicht, jemals wieder von der Strömung aufgenommen zu werden? In jeder Minute, jeder Stunde, die ich hier vergeude, sterben in der Zukunft Menschen! Ich vermag nicht einmal zu schätzen, wie viele! O Gott …! Wenn du mich hörst, wenn du mich spürst … irgendwie … dann HILF MIR! Nicht um meinetwillen. Tu es für deine Schöpfung! Lilith erstarrte. Von hinten, aus den Schatten, berührte sie etwas sacht zwischen den Schulterblättern, und dieses Etwas fühlte sich nicht wieder an wie ein krabbelndes Insekt, sondern … … wie die Hand eines Menschen! Mit einem leisen Schrei fuhr sie herum.
* »Wer bist du? Hast du keine Angst?« »Angst?« »Es ist gefährlich. Scher dich heim an dein Feuer!« Lilith starrte auf die vage erkennbaren Umrisse eines Jungen, der seiner Größe nach noch ein Kind hätte sein müssen, jedoch eine ge-
radezu unheimliche Reife ausstrahlte. Gedrungen stand er da. In der Faust, die neben der Hüfte baumelte, schien er eine primitive Waffe zu halten. Daß er Lilith dennoch nicht angegriffen, sondern mit der freien Hand nur vorsichtig angetippt hatte, war beachtlich. »Was ist gefährlich?« Der Junge trug nur ein Tierfell um die Lenden. Ansonsten war er nackt. Liliths Kleidung war kaum bedeutender. Der Symbiont gefiel sich in Feigenblattgröße. Nicht einmal die Brüste verhüllte er. Auf meinem Mist, dachte Lilith, ist diese »Mode« nicht gewachsen. »Allein herumzulaufen«, erhielt sie Antwort. »Und du?« spottete sie. »Bist du nicht allein?« Im Dunkel schien der fremde Junge leicht zusammenzuzucken. »Du sprichst nicht wie eines unserer Weiber – und du siehst auch nicht so aus. Du bist viel größer. Und hast kaum Haare …« Kaum Haare? Unwillkürlich kämmte sich Lilith mit gespreizten Fingern durch ihre Mähne. »Zu welchem Stamm gehörst du?« fragte der Junge. »Zu gar keinem Stamm.« »Du mußt zu einem Stamm gehören! Wo sind die anderen? Haben sie sich versteckt? Führt ihr Böses im Schilde?« »Da ist niemand außer mir. Ich bin allein.« Der Junge wich einen Schritt zurück. Vielleicht bereute er schon, ihr seine spitze Waffe nicht in den Rücken gerammt zu haben. Lilith hatte nicht die leiseste Ahnung, was in ihm vorging. Und umgekehrt mußte es genauso sein. »Wie heißt du?« fragte der Junge. »Lilith …« Sie wartete eine Weile, als hielte sie es für denkbar, daß ihr Name eine besondere Reaktion auslöste. Als sicher war, daß dies nicht mehr zu erwarten war, fragte sie: »Und du?« »Maarn.« »Ich habe mich verirrt, Maarn. Vielleicht kannst du mir helfen.« »Verirrt?«
Lilith war nicht sicher, aber sie hatte den Eindruck, daß das Mißtrauen des Jungen ihr gegenüber wuchs. »Gibt es in der Nähe einen Ort, den dein Stamm meidet, fürchtet oder der euch heilig ist?« »Was ist – heilig?« »Etwas, das man verehrt. Wo man feiert. Gott anruft …« »Gott?« »Das höhere Wesen, das euch und alles hier geschaffen hat.« Offenbar überstieg dies die Vorstellungskraft des Jungen. »Nein.« »Denk nach! Es muß etwas in dieser Art geben!« »Weißt du, wo es ist?« Lilith lächelte bitter. Wenn ich das wüßte, junger Freund, bräuchte ich dich nicht zu fragen. Laut sagte sie: »Nein.« »Warum suchst du es?« »Weil ich Kontakt zu dem höheren Wesen, von dem ich sprach, herstellen will.« »Bist du auch ein – Gott?« »Nein. Es gibt nur einen Schöpfer.« »Wenn du willst, führe ich dich zu meinem Stamm. Ich glaube nicht, daß du gefährlich bist. Auf mein Gefühl kann ich mich verlassen. Es hat mir viele Male das Leben gerettet.« Lilith legte den Kopf schief. »So oft wie du von Bedrohungen redest, kann dies wahrhaftig nicht der Garten Eden sein.« »Der Garten …?« Lilith wiegelte ab. »Vergiß es. Und danke für dein Angebot. Aber ich möchte diesen Ort nicht verlassen. Ist es noch lang bis Sonnenaufgang?« Der fremde Junge verneinte. »Ich bleibe bei dir, wenn du willst.« »Warum?« »Du gefällst mir. Du unterscheidest dich von unseren …« »… Weibern?« Lilith lachte fast ehrlich amüsiert. Auch Maarn stimmte in das Lachen ein. »Heißt das, du bist einverstanden?«
»Womit? Mit deiner Gesellschaft?« Sie zuckte die Achseln. »Warum nicht? – Kannst du uns ein Feuer machen?« »Machen?« Maarns Stimme bekam einen ebenso ehrfürchtigen wie erstaunten Klang. »Ja, Feuer kann dir nicht unbekannt sein. Vorhin sagtest du, ich solle mich fortscheren an mein –« Maarn unterbrach sie: »Wir hüten unser Feuer; wir hüten es mehr als jede andere unserer Habseligkeiten – gerade weil wir es nicht machen können. Niemand kann das. Manchmal fährt ein Wetter in einen Baum, spaltet ihn und setzt ihn in Brand. Dann bergen wir die Glut und tragen sie heim in unsere Höhle.« »Ihr lebt in einer Höhle?« »Dort ist es auch an Regentagen trocken.« Hätte Lilith noch leise Zweifel gehegt, weit in die Vergangenheit verschlagen worden zu sein, spätestens jetzt wären sie verschwunden. Ich bin weit gereist, aber nicht weit genug, dachte sie. Als die Menschen so lebten, war ER wahrscheinlich schon fort … Fort wohin? Es gab unermeßlich viele Möglichkeiten und Orte im Universum! Lilith hatte sich nie richtig damit auseinandergesetzt, aber in ihrer jetzigen Lage bot es sich an, über Gott nachzudenken. War die Erde, waren die Menschen nur eine von unzähligen Schöpfungen? War diese Welt vielleicht nicht einmal sein erster Versuch gewesen, Wesen nach seinem Ebenbild in eine Natur zu pflanzen, die ihnen die Fortentwicklung ermöglichen sollte? Denn wenn dieser Planet einzigartig im ganzen Kosmos gewesen wäre, wohin hätte es Gott dann nach getanem Schöpfungswerk ziehen sollen? Oder war dies der falsche Ansatz für eine Antwort? Mußte die Frage nicht viel eher lauten: Woher war Gott dereinst gekommen? »Wie weit entfernt von hier lebt dein Stamm?« fragte sie Maarn. »Eine Tagesreise in Richtung der aufgehenden Sonne.«
»Nach Osten also …« »Osten?« Lilith preßte die Lippen zusammen. Übergangslos überkam sie wieder die Verzweiflung. Das Bewußtsein des Todes, der seine Ernte mit jeder verrinnenden Sekunde reicher einbrachte – dort, von wo sie aufgebrochen war. Die Zukunft wird sterben! Ein finsterer Sturm wird jedes Leben hinwegfegen. Ein Orkan, gegen den die Sintflut zur Bedeutungslosigkeit verblassen wird … Sie ballte die Fäuste. »Du bist sehr schön«, sagte Maarn. »Schöner als –« »– eure Weiber?« Der junge Fremde kicherte. Lilith hingegen war das Lachen vergangen.
* Bei Sonnenaufgang war Maarn fort. Lilith war gegen einen dicken Baumstamm gelehnt eingenickt. Sie hatten geplaudert, der Junge und sie. Viel erfahren hatte sie dabei nicht von ihm. Maarns Welt war winzig klein. Weiter als eine Tagesreise hatte er sich noch nie von der Höhle, in der er mit einem knappen Dutzend anderer hauste, entfernt. Sie waren ein kleiner Stamm, der sich über Inzucht vermehrte, ohne daß dieser Begriff eine Rolle für die Männer, Frauen und Kinder gespielt hätte. Tabus dieser Art kannten sie nicht. Ihr Überleben als Gemeinschaft hing von der Vermehrung ab, denn keiner von ihnen wurde alt. Das erklärte auch, daß Maarn trotz seines geringen Alters allein auf die Jagd geschickt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, daß der Stamm in den Genuß erlegten Wildes kam, war bei mehreren gleichzeitig gestarteten Einmann-Unternehmen größer. Außerdem war der Wald voller Gefahren, und wenn die Gruppe auf einen über-
mächtigen Gegner traf, konnte es geschehen, daß sie vollständig ausgelöscht wurde. Bei Einzelgängern mochte der eine oder andere auf der Strecke bleiben, die restlichen Jäger jedoch überlebten und kehrten mit Beute heim. Fressen und gefressen werden, dachte Lilith, während sie ins Sonnenlicht blinzelte und die verlassene Stelle betrachtete, an der Maarn gesessen hatte. Darwin lebe hoch! Das Moos war noch eingedrückt, wo Maarn sich ausgeruht hatte, und es wirkte an dieser Stelle – Lilith schüttelte über sich selbst und ihre Einfälle den Kopf – grüner, saftiger als dort, wo es unberührt war … »Maarn?« Sie stand auf, streckte sich und rief noch ein paarmal nach dem Jungen, jedesmal vergebens. Maarn hatte ihr Erwachen nicht abgewartet, sondern war vermutlich mit dem ersten Tageslicht weitergezogen. Vielleicht bin ich ihm ohne das Deckmäntelchen der Dunkelheit doch zu unheimlich geworden, dachte Lilith. Sie blickte an sich herab und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Der Symbiont bedeckte nicht mehr nur ihre Scham, sondern hatte sich während ihres Schlafes in ein Kleidungsstück verwandelt, das sie komplett wie selten bedeckte. Ja, auch das Haar und ihr Gesicht steckten unter einem Gespinst, das wie feines Gaze wirkte, Mund, Nase, Augen und die Ohrmuscheln jedoch aussparte. Hatte Maarn die »Ausbreitung« des Symbionten beobachtet und war vor dem gespenstischen Anblick geflohen? Denkbar war es. Irritiert über das Verhalten des Symbionten formulierten Liliths Gedanken den Befehl, zumindest Kopf und Hände freizugeben. Der lebende Mimikrystoff gehorchte ohne Zögern. Erst jetzt widmete sich Lilith ihrer Umgebung, die in ihrer Pracht und Fülle alle Erwartungen übertraf, die bei Nacht geweckt worden waren.
Ein Urwald im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht undurchdringlich verflochten wie in den Regenwäldern und Dschungeln der fernen Zukunft, sondern licht und von wundervollen Farben durchwoben. Überall blühte es verschwenderisch zwischen schwerem Grün. Überall war Bewegung, sangen Vögel, kletterten behende Tiere in den Ästen der Bäume … Ungern erinnerte sich Lilith der Warnung Maarns ob der Gefährlichkeit dieses Waldes, und mit nicht halb soviel Zuversicht, wie sie es sich gewünscht hätte, untersuchte sie ihre nähere Umgebung nach einem Indiz für den magischen Korridor, aus dem sie herausgeschleudert worden war. Obwohl der Boden weich und mit Fußstapfen übersät war – die meisten stammten von ihr und dem Jungen, andere, weniger ausgeprägte von unbekannten Tieren –, und obwohl Lilith sicher war, den Beginn der eigenen Fährte entdeckt zu haben, fand sie an der betreffenden Stelle nichts, was auf den Tunnel durch die Zeit hingedeutet hätte. Schwach erinnerte sie sich, daß sie auch seinerzeit – als sie aufgebrochen war, um die Ur-Lilith aus ihrem Stasisgefängnis zu befreien – in Gefilde verschlagen worden war, wo sie verzweifelt um ihr Überleben hatte kämpfen müssen, ehe sie den Weg zurück in den Korridor unter der Wasseroberfläche eines Sees wiedergefunden hatte. Hier jedoch existierte kein Gewässer. Der Boden war eben. Kein Hügel weit und breit, kein … Lilith stutzte. Dort, wo ihr Blick hängengeblieben war, gab es doch ein paar größere, von Schlingpflanzen überwucherte Gesteinsbrocken, die sich aus dem Einerlei des Unterholzes abhoben. Obwohl die Stelle außerhalb des Radius lag, den Lilith seit vergangener Nacht beschritten hatte, marschierte sie darauf zu. Eine dunkle Ahnung leitete sie. Nichts, wovon sie sich eine Lösung aus
ihrem Dilemma versprochen hätte, sondern schlichte Neugierde. Kurz darauf erreichte sie den ersten Granitklotz und befreite ihn mit bloßen Händen vom Grünwuchs. Was darunter zum Vorschein kam, bestätigte ihren Verdacht, und sofort begann ihr Herz schneller zu schlagen. Erinnerungen wurden an die Oberfläche geschwemmt. Erinnerungen an etwas, das sie niemals vergessen würde … Der Schädelfelsen! Dieses Trümmerstück war ein Überrest jenes gigantischen Monuments, das Gott für die Ur-Lilith erschaffen hatte, nur um sie darin für alle Zeiten für ihre Untaten und den Bruch seines Vertrauens büßen zu lassen …! Der Ort stimmt also, dachte Lilith. Nur die Zeit ist falsch. Bis zum Mittag setzte sie ihre Suche nach einer Spur fort, die ihr den Weg zurück in den Korridor der Zeit hätte weisen können. Vergebens. Nicht nur ich bin verloren, rann es durch ihren Geist, auch die Zukunft ist es. Wie konnte ich so nah vor dem Ziel noch scheitern …? Nachdenklich wandte sie den Blick gen Osten. Ob Maarn zu seinem Stamm zurückgekehrt war oder seine bis dahin ergebnislose Jagd fortgesetzt hatte? Ein unbeschreibliches, ein unzähmbares Verlangen nach Gesellschaft überkam sie. Nachdem ihre Augen in der Nacht nicht fähig gewesen waren, die Dunkelheit zu durchdringen, schien es naheliegend, daß sie auch die sonstigen Fähigkeiten ihres vampirischen Erbes verloren hatte. Aber als sie die Verwandlung probierte, gelang sie augenblicklich! Verwirrt flatterte die Fledermaus eine Weile über der kleinen Lichtung, auf der die Überreste des Schädelfelsens verstreut lagen. Schließlich aber korrigierte sie ihren Flug. Nach menschlicher Nähe hungernd – nicht dürstend, jedenfalls noch nicht – orientierte sie sich gen Osten.
Sie schloß nicht mehr aus, ihr weiteres Lebens in dieser Welt der grauen Vorzeit verbringen zu müssen. Vielleicht sogar hier zu sterben … … während am Ende des Korridors die Zukunft bereits gestorben war.
5. Kapitel Die Kundschafterin »Wie lautet dein Name?« fragte Nona. »Yamuna.« »Yamuna, wir haben eine Aufgabe für dich.« Die Bestie, halb Frau, halb Wölfin, hielt in ihrem Fressen inne und bewegte sich mit geschmeidiger Präzision auf Nona zu. Für einen zufälligen Beobachter der Begegnung wären kaum Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Werwölfinnen erkennbar gewesen. Die eine, Nona, war eine Idee größer als die andere und wirkte kontrollierter in der animalischen Note, die beiden innewohnte. Worin sie sich dennoch unterschieden, war die Farbe ihrer Augen – bei Nona dominierte der Goldton, bei Yamuna ein rauchiges Bernsteinfarben – und, am krassesten, in den Dingen, die über das offen Sichtbare hinausgingen, dem Charisma. Nona blieb selbst als Monstrosität eine Persönlichkeit – durch und durch. Auch Yamuna, die den mangelnden Feinschliff ihrer Persönlichkeit und die weit geringere Erfahrung mit jugendlichem Ungestüm und unbändiger Wildheit ausglich, war sich darüber im Klaren. Sie hatten beide ihre Metamorphose etwas zurückgenommen, um mit ihren menschlichen Stimmorganen kommunizieren zu können. Inmitten des Krieges, inmitten auch der von Archonten geschaffenen Zone, hätte der Platz wie eine Oase trügerischer Ruhe im allseitigen Chaos wirken können, wenn da nicht noch eine Ausdünstung gewesen wäre, die der Schrecken schlechthin ausströmte. Nicht weit hinter Nona, im Schatten und beinahe selbst nur ein Schatten, stand Gabriel und lauschte den Worten, die gewechselt wurden.
Nichts, was im Zwielicht geschah, entging ihm. Seine unmenschlichen Sinne tasteten wie Fühler in die verborgensten Winkel. Er wußte sogar, was seine Krieger dachten. Nach Belieben drängte er sich zwischen ihre Gedanken. In diesem Fall jedoch überließ er es seiner obersten Strategin, den speziellen Auftrag zu formulieren, der auf Yamuna wartete. Yamuna ausgewählt hatte indes er. Und die Kriterien, nach denen das geschehen war, kannte auch nur er allein. Frag sie, wo sie sich gerade aufhielt, als ich sie mit allen anderen nach Jerusalem holte! vernahm Nona die Stimme ihres Herrn in sich. Sie kam der Aufforderung wie in Trance nach. »Wo erreichte dich der Ruf?« Für einen Moment schien es, als schräke Yamuna zurück. Sie sagte unruhig tänzelnd: »Bei einem weisen Mann.« »Einem …?« Nona schnürte es ganz plötzlich die Kehle zu, denn sie durchschaute das perfide Spiel, das Gabriel gewiß nicht grundlos ersonnen hatte. Er wollte sie prüfen. Ihre Loyalität. Oder sie einfach nur ein wenig quälen … »Er hieß Chiyoda. Ich war bei ihm, um –« »Genug!« schnarrte Nona. »Es ist Zeit. Wir bringen dich jetzt an den Ort, an dem deine Aufgabe auf dich wartet.« Das meckernde Gelächter, das hinter ihr aufklang, schnitt wie eine rostige Klinge in ihr Herz. Chiyoda, dachte sie. Und Satans Stimme in ihrem Kopf sagte: Frag sie, was aus ihm geworden ist, deinem alten Mentor. Frag, ob er sich dem Ruf seiner Bestimmung widersetzen konnte, wie er es so viele Jahre tat! Nona schnappte nach Luft. Einen Moment irrten ihre Erinnerungen zu dem anderen Weggefährten, den sie für immer verloren hatte: Landru. Sollte nach ihm nun auch noch …? »Was ist aus Chiyoda geworden?« Yamuna zögerte. Dann erwiderte sie wahrheitsgetreu: »Ich weiß es
nicht. Ich verlor ihn in dem Dorf, das wir überfielen, aus den Augen.« »Er war bei euch?« »Er war unser Anführer.« Nona schluckte. »Er ist alt. Fast schon ein Greis …« »Er war unser Anführer – von allen akzeptiert.« »Dann ist er also auch hier?« Die Frage war nicht mehr an Yamuna gerichtet, sondern an das Wesen, das ihr wie geronnene Finsternis im Nacken schwebte. Möchtest du ihn wiedersehen? Möchtest du sehen, wie sein Fluch letztlich doch obsiegte, nicht sein dummes Streben, mit dem er sich selbst geißelte? Nona versuchte sich die vor kalter Grausamkeit klirrenden Gedanken, die der Teufel ihr aufzwang, vom Leibe zu halten. Sie fühlte, daß ihre Seele davon beschmutzt wurde. »Nein!« Dann geht! Sie erreichten die Schwelle, hinter der die Zeit wie ein gefräßiger Schlund gähnte. Und Yamuna trat in den flackernden Tunnel, der sich krümmte und pulsierte, als handele es sich um die Ader eines lebenden Kolosses. Aber das Licht selbst, der Schimmer, der wie zäher Schleim aus Wänden, Boden und Decke sickerte, widersprach dem, weil er tot und verbraucht wirkte wie die Luft in einem jahrtausendelang versiegelten Grab. Gabriel und Nona blieben hinter Yamuna zurück. Jahre und Jahrhunderte weit im Korridor der Zeit …
6. Kapitel Gewogen und … Gleich zu Beginn ihres Fluges entdeckte Lilith in der Ferne jenen markanten Berg wieder, hinter dem der »Garten Eden« gelegen hatte. Ohne zu überlegen, schwenkte sie vom Kurs ab und überwand den schroffen Felsgrat, hinter dem der speziell gesicherte Schöpfungspool Gottes gelegen hatte. Die Enttäuschung, als sie ihn nicht mehr vorfand, als sich der Wald diesseits wie jenseits des Berges ohne Unterscheidungsmerkmale erstreckte, hielt sich in Grenzen. Sie war darauf gefaßt gewesen. Zu spät, wisperte es lediglich im winzigen Hirn der Fledermaus. Ich bin zu spät gekommen – oder zu früh ausgestiegen, wie immer man es betrachten will. Schwermütig setzte sie ihren Weg Richtung Osten fort. Ultraschall sondierte das Gelände, und unter dem Blätterdach war zwischen den Bäumen immer wieder Bewegung auszumachen: Tiere in unterschiedlichster Größe und beeindruckender Artenvielfalt. Alles wirkte noch unverdorben und faszinierend. Der Mensch als »Krone der Schöpfung« hatte sich noch nichts zuschulden kommen lassen … Die Sonne neigte sich bereits dem Horizont entgegen, als Lilith einen kegelförmigen, kleinen Berg voraus entdeckte. Maarns Heimat? Der Eingeborene hatte von einer Höhle gesprochen, in der sein Stamm Zuflucht gefunden hatte. Lilith hielt auf den markanten Punkt zu, der die höchsten Bäume noch um einiges überragte. Die Wände des Massivs waren jedoch steil und glatt, und so ging Lilith davon aus, daß die Höhle – falls sie hier zu finden war – in Bodennähe lag.
Sie ging tiefer, flog dicht über den Baumwipfeln weiter und … … entdeckte etwas, was ihre Schwingen für eine endlos lange Sekunde lähmte. Erst als sie wie ein Stein vom Himmel zu fallen drohte, gewann sie die Kontrolle über ihren Fledermauskörper zurück. Allmächtiger! dachte sie. Sie hatte Maarns Stamm gefunden. Gerade rechtzeitig, um seiner völligen Ausrottung beizuwohnen …!
* Wie konnte das geschehen? pochte es in Liliths Verstand. Diese Narren! Warum haben sie den Schutz der Höhle verlassen, und auch noch alle auf einmal? Die Waldlandschaft verlief sich zum Fuß des Bergkegels hin, ging in eine Grassteppe über, die dem Stamm eigentlich zusätzliche Sicherheit hätte schenken müssen. Denn ein Feind, wie auch immer dieser aussehen mochte, war – zumindest bei Tag – schon von weitem auszumachen. Eine aufmerksame Wache am Eingang der Höhle hätte genügt, um auf jede Bedrohung rechtzeitig und angemessen zu reagieren. Notfalls mit Flucht … Lilith öffnete das Maul zu einem lautlosen Schrei. Vielleicht, korrigierte sie ihren ersten Eindruck, haben sie ja genau das versucht. Und es ist ihnen zum Verhängnis geworden. Dort unten, auf freiem Feld, drängten sich nicht nur die Angehörigen von Maarns Stamm, sondern auch ein an Zahl hoch überlegenes Rudel wilder Tiere. Bestien, die das kleine Völkchen bereits so gekonnt umzingelt hatten, daß an ein Entkommen nicht mehr zu denken war! Ob Maarn zu den Eingeschlossenen zählte, war für Lilith in ihrer gegenwärtigen Gestalt nicht zu bestimmen. Zu grob, zu sehr auf Umrisse und schattenhafte Flächen beschränkt war ihr Sehver-
mögen. Die einzige Möglichkeit, dies zu ändern und Details der räuberischen Tiere auszumachen, bestand darin, zurück in ihr wahres Aussehen zu schlüpfen. Hin und her gerissen zwischen Vernunft und Gefühl, landete sie wenig später in Sichtweite des Geschehens … … und prallte zurück, denn erst in diesem Moment begriff sie, wie chancenlos die kleine Gruppe Menschen gegen einen Gegner wie diesen war! Riesige Raubkatzen in gestreiftem Fell, deren kleinste Bewegung ein Ausbund an Kraft und Geschmeidigkeit war. Und Hunger verriet! Im Aussehen und der wild geschmeidigen Gangart erinnerten sie an Tiger, waren dabei aber fast doppelt so lang. Ihr Gebiß mußte noch tödlicher als die Reißzähne eines Tigers sein, denn selbst bei geschlossenem Maul ragten die oberen Eckzähne unterarmlang und leicht gebogen heraus … Wie bei einem Vampir, durchzuckte es Lilith unbehaglich. Solche Großkatzen waren in der Gegenwart längst ausgestorben gewesen. Lediglich eine etwas harmlosere Variante hatte überdauert. Einen vagen Eindruck, wie relativ solche »Harmlosigkeit« war, hatte Lilith bei einem Aufenthalt in Indien gewonnen. Dort kam es vor, daß ein einzelner Tiger, wenn Hunger ihn quälte, selbst größere Dörfer überfiel. Es brauchte den Mut der ganzen Bevölkerung und forderte oft Dutzende Menschenleben, ehe ein solcher Räuber mit Gewehren erlegt werden konnte. Und hier war es ein ganzes Rudel von tigerähnlichen Vierbeinern, das einem kleinen Haufen Menschen gegenüberstand, und die Waffen der Eingeborenen beschränkten sich auf Faustkeile und Kurzspeere! Die Bestien schienen Lilith noch nicht bemerkt zu haben. Der Wind blies ihr aus der Richtung entgegen, in der sich das Grauen
anbahnte. Sie selbst blieb außerhalb der Witterung der Tiere. Mit den Eingeborenen verhielt es sich anders. Ein älterer Mann streckte unvermittelt den Arm in Liliths Richtung und rief augenrollend irgend etwas Unverständliches. Sofort blickten fast alle hin zu der Frau, die sich frappierend von den Menschen dieser Epoche unterschied. Sekundenlang überwog das Erstaunen der Betrachter sogar ihre kreatürliche Angst vor dem unabwendbar gewordenen Schicksal. Die Raubkatzen zogen derweil ungerührt ihre Bahnen enger um das Grüppchen. Drohend demonstrierten sie Stärke gegenüber ihrer sicheren Beute. Lilith versuchte die Blicke und Rufe der Eingeschlossenen zu ignorieren, doch als sie in ein Paar verheulter Kinderaugen schaute, dachte sie: Himmel, warum haben deine Eltern nicht besser auf dich achtgegeben? Sieh mich nicht an, als könnte ich etwas für euch tun! Es sind viel zu viele! Mit einem, vielleicht auch zweien könnte ich es aufnehmen – aber eine solche Übermacht … Liliths Suggestivbefehl fruchtete. Das Kind drehte den Kopf abrupt weg und drückte sein Gesicht an die Brust seiner neben ihm kauernden Mutter, deren Blick glasig war. Vermutlich konnte sie an nichts anderes mehr denken als an ihren unausweichlichen Tod – und an den ihres Kindes. Lilith konzentrierte sich auf die Raubkatzen. Sie hatte nie versucht, ein Tier magisch zu beeinflussen. Jetzt tat sie es. Die stete Wanderschaft des Rudels um die Eingeborenen lief kurz aus dem Ruder. Einzelne Tiere gerieten ins Straucheln, als Liliths Gedankenströme nach ihnen griffen. Doch dann – – riß Lilith die Fäuste hoch und preßte sie gepeinigt gegen die Schläfen! Jähe Schwäche zwang sie in die Knie. Nur mühsam vermochte sie ihren Geist wieder aus dem rotierenden Strudel zu befreien, in den
er fast gezogen worden wäre. Die Kräfte des Chaos, die in dem tierischen Intellekt steckten, entpuppten sich als unzähmbar. Unerträglich! »Neeeiiinnn …!« Es war nicht ihr eigener Schrei, der sie zitternd wieder zu sich kommen ließ. Benommen und auch beschämt ob des neuerlichen Versagens richtete sie sich auf. Vom Waldrand her näherte sich eine einsame Gestalt. Liliths Herz übersprang einen Schlag, als sie Maarn erkannte. Maarn, der fuchtelnd auf die Stelle zwischen Berg und Wald zuhastete, wo es in diesem Moment zwischen Jägern und Gejagten zur Sache ging. Die Bestien begnügten sich nicht mehr mit dem »Vorspiel«. In Maarns kurzatmige Schreie mischten sich andere Geräusche: Laute der Qual. Und furchtbare dumpfe Schläge, mit denen die Pranken der Katzen auf die Leiber der Verlorenen einhieben … Lilith warf einen letzten Blick zu dem Jungen, dem sie vorige Nacht zum ersten Mal begegnet war. Trotzdem war er ihr kein Fremder mehr. Und auch die anderen nicht. Die einzige Fremde hier bin ich! Mit diesem Gedanken stürzte sie sich selbstmörderisch in den ungleichen Kampf gegen eine hoffnungslose Übermacht.
* … als zu leicht befunden? Der Symbiont versuchte jene undurchdringliche Rüstung zu formen, die Lilith schon mehrfach das Leben gerettet hatte. Gegen Feuersbrünste und andere Attacken. Doch irgendwie schien der Mimikry-
stoff aus der Haut der Ur-Lilith nicht auf der Höhe seiner Fähigkeiten zu sein. Er war noch nicht halbwegs so hart und stabil, wie er es hätte sein müssen, um den Schlägen und Bissen, die auf Lilith einprasselten, Paroli zu bieten! Eine wischende Bewegung … … und Blut schoß wie eine Fontäne aus Liliths Kehle. Der Schmerz folgte eine Sekunde später. Und die Erkenntnis, daß sie eine Närrin war. Ohne Sinn und Gefühl für Verhältnismäßigkeit! Um die Welt – nicht dieses elende Häuflein ohnehin Verlorener – zu retten, hatte sie sich in den Schlund des Zeitkorridors geworfen! Gott hatte sie ihm Hilfe für die Zukunft anflehen wollen! Den Einzigen, der die Finsternis und das Sterben, das wie ein Damoklesschwert über der Menschheit schwebte, noch hätte aufhalten können! Und nun hatte sie sich statt für Milliarden für eine Handvoll entschieden … WARUM? Welcher Teufel hatte sie geritten? Sie verkrampfte, und die eigene Klaue, die auf das Auge der Katze gezielt hatte, die ihr die Halsader geöffnet hatte, hielt inne. Für den Bruchteil eines Herzschlags schien die Szene einzufrieren. Lilith hatte das Gefühl, in zwei Dutzend Gesichter gleichzeitig zu starren. Zwei Dutzend Augenpaare wühlten auf dem Grund ihrer Seele. Was dann geschah – als der Schnitter schon seine kalte Knochenhand mit Liliths Fingern verflocht, um sie zu holen –, entzog sich jedem Begreifen. Alles, worauf Lilith gerade blickte, verlor plötzlich seine Form und Gestalt! Das Kind, das sich gerade von der Mutter losgerissen hatte und genau auf die gefletschten Zähne einer Raubkatze zustolperte, zerfloß ebenso wie der bärtige Greis, dessen Faust wie besessen auf die Schnauze einschlug, in der sein anderer Arm bis zum Ellenbogen
verschwunden war. Wie eine kalte Woge schwappte etwas über Lilith hinweg. Kalt und jenseitig, daß sie keinen Zweifel hatte, eine Todeserfahrung zu erleben. Irreal und wie im Traum mutete plötzlich alles an. Maarn, der von links ins Blickfeld gehuscht war. Der Rest des Stammes. Die Killerkatzen … All diese Teile des Puzzles verwandelten sich in etwas, das an schillernde Quecksilberkügelchen erinnerte, die zunächst in alle Himmelsrichtungen auseinanderstoben, dann aber von gegensätzlichen Kräften wieder aufeinander zugezogen wurden, um explosionsartig miteinander zu verschmelzen. Und sich zu dem zu vereinen, was keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Dunkelheit hatte. Es wurde hell. Strahlend, beinahe unerträglich hell. Die ganze Welt schien sich in diesem Licht aufzuspalten. Lilith fühlte keinen Schmerz mehr. Es ist gut, dachte sie. Ich sterbe, aber es ist gut. Ich habe gefunden, wonach ich suchte. ER hat MICH gefunden. Also war ER doch noch nicht fort. Also war dies das Ende des Tunnels und kein seitlicher Torausgang … Gottergeben und unfähig, auch nur einen einzigen Gedanken zu formulieren, der den Sinn ihres Hierseins plausibel gemacht hätte, lag Lilith da. Sie fand sich damit ab, daß die heranrasende Wand aus Feuer nicht im letzten Moment doch noch stoppte, sondern ungebremst über sie hinwegrollte. Sie im Fegefeuer briet. Und verzehrte.
7. Kapitel Die Falle Im ersten Moment war es Yamuna vorgekommen, als wollte das Entartete, das ihr Äußeres prägte, wieder in sie zurückkriechen. Doch dieser kurze Anflug von Desorientierung verging. Der Mensch Yamuna blieb auch weiterhin unterdrückt. Als die Werwölfin erstmals seit Betreten des Korridors stehenblieb und hinter sich blickte, hob sich das Tor, durch das sie geschritten war, als dunkle Kontur von den helleren Wänden des Tunnels ab. Benommen dachte sie: Wo bin ich hier eigentlich? Der Trieb, der sie zu fortwährendem Jagen und Morden angestachelt hatte, schien in diesem unterirdischen Gang weniger machtvoll in ihr zu pochen als droben, wo sie reiche Beute unter den Soldaten gefunden hatte. Yamuna wußte nicht, welche Bewandtnis es mit diesem Stollen hatte, aber sie spürte instinktiv, daß er nicht von Menschenhand erbaut worden war. Alles hier war … seltsam. Als riefe jede noch so vorsichtige Bewegung, jeder noch so sorgsam tastende Schritt ein unheimliches Echo in ihr hervor. Wohin dieser Tunnel führte, wußte Yamuna nicht. Ihr war nur aufgetragen worden, darin Ausschau nach einer schwarzhaarigen Frau zu halten – oder nach irgend etwas, hinter dem sich diese Frau verbergen konnte. Und wenn ich sie finde? hatte sie gefragt. Dann darfst du sie fressen! Die Stimme, die ihr geantwortet hatte, war verstummt, seit Yamuna den Gang betreten hatte. Kein fremder Gedanke mischte sich mehr in ihre Überlegungen.
Es war, als wäre mit Überschreiten der Schwelle ein unsichtbarer Draht gekappt worden. Vielleicht war es tatsächlich so. Vielleicht rührte daher dieses Gefühl von … Verlassenheit. Aber vielleicht wollte man auch nur, daß sie meinte, auf sich allein gestellt zu sein. Damit sie sich auf eigene Stärken besann. Yamuna wollte losrennen, um nach dem Wild zu jagen, das ihr beschrieben worden war. Aber lange konnte sie es nicht. Die ungewohnte Umgebung lähmte sie regelrecht. Kalte Blitze schienen entlang ihrer Nervenbahnen zu züngeln. Endlich verfiel sie doch in leichten Trab. Im Körper eines Wesens, das aussah, als könnte es sich weder für den Menschen noch für das Tier in sich entscheiden, hetzte sie über den glatten, staubfreien Boden des gespenstischen Tunnels. Beim nächsten Zurückblicken sah sie schon nicht mehr den Eingang. Vor und hinter ihr schien sich der Weg bis in die Ewigkeit zu ziehen. Yamuna blieb nicht stehen. Immer weiter lief sie in die Richtung, die ihr geheißen worden war. Auf der Fährte einer unsichtbaren Beute. Vor ihr bewegte sich etwas! Weit, weit voraus. Yamuna wollte schneller rennen, aber wie in einem Alptraum schien sie kaum vom Fleck zu kommen. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, um besser sehen zu können. So starrte sie in die Endlosigkeit des Tunnels, dorthin, wo seine Wände mit Boden und Decke verwachsen zu schienen. Irgend etwas … war in der unermeßlichen Ferne dort. Etwas wie ein winziger Punkt, zu klein, als daß eines Menschen Auge ihn hätte ausmachen können. Die Wölfin indes sah ihn … und witterte etwas. Etwas so vollkommen Fremdes, daß ihr tierischer Instinkt es nicht einmal ansatzweise verwerten konnte. Es stürzte Yamuna in maßlose Verwirrung, ver-
unsicherte sie, flößte ihr, der gnadenlosen Mörderin, Angst ein, ganz so, als würde ihr mit tausend Injektionsnadeln eine wahnweckende Droge gespritzt. Jener Punkt in der kaum auslotbaren Ferne, er wuchs. Er bewegte sich. Er kam näher. Und er war einen Lidschlag später kein bloßer Punkt mehr, sondern etwas … Unförmiges, ein schwarzer Schemen, der sich stetig zu verändern schien. Eben noch schien er riesenhaft, dann schmal, geradezu schlank, und im nächsten Moment schon blähte er sich wieder zu monströser Kontur und Größe auf. Yamuna stand starr, wie gelähmt. Unsteter Wind wehte ihr entgegen, strich durch ihr Fell. Seine Gewalt nahm zu, und schon mußte sich die Wölfin dagegenstemmen, wollte sie auf den Beinen bleiben. Derweil raste das Ding weiter auf sie zu, und endlich erkannte Yamuna, was da auf sie zukam. Aber ihr Verstand mochte kaum erfassen, was ihr Blick auffing – – eine Fledermaus. Von widernatürlicher Größe jedoch! So gewaltig, daß ihre peitschenden Schwingen die Tunnelwände fast berührten. Die Augen wie aus weißer Glut geformt, der Schädel kaum kleiner als der der Wölfin, und das Maul ein klaffender Schlund, zähnestarrend und gierig aufgerissen. Handelte es sich bei dieser Kreatur um die Frau, die zu finden Yamuna in den Korridor gesandt worden war? Schließlich hatte es geheißen, sie könne ihre Gestalt wandeln … Die Wölfin duckte sich, wie ein Hund, der einen Tritt seines Herrn fürchtet. Wie sollte sie gegen dieses Ungeheuer bestehen? Allein was dem geflügelten Monstrum vorauswehte wie fauchender Atem, zehrte schon an Yamunas Kraft. Sie wollte sich umwenden, fliehen, zurück an den Anfang des Tunnels. Draußen würden ihre Brüder und Schwestern ihr helfen, aber allein konnte sie nur verlieren. Sie mußte fort, rasch, auf der
Stelle – – aber Yamuna war zu keiner Regung fähig. Etwas blockierte ihren Willen, ließ nicht zu, daß der Körper auf ihre Befehle reagierte. Wie zu Stein erstarrt stand sie da, erfüllt vom Brüllen ihrer Gedanken und zitternd unter deren Gewalt. Zum Greifen nahe schien das Monstrum schon. Gleich mußte es Yamuna erreicht haben, und dann –? Verwandelte es sich! Yamuna sah es wie in einer Zeitlupenaufnahme. Die Knochen in den Flügeln der Kreatur glommen auf, in dunklem Rot erst, dann immer greller, blendend hell schließlich, bis ihre Hitze die ledernen Häute der Schwingen in Flammen aufgehen ließen. Gleiches mußte im Leib der Fledermaus geschehen, denn er platzte unter dem Druck einer Feuerwolke auf, barst auseinander, während ein weiterer Flammenball im Schlund des Tieres aufstieg, das Maul und den ganzen Schädel schier sprengte. Gleißendes Feuer füllte den Tunnel vor Yamuna restlos aus, wogte rasend auf sie zu – und verschlang die Wölfin! Verbrannte binnen eines Lidschlags ihr Fell zu einem stinkenden Etwas, schmolz ihr die Haut weg und fraß mit glühenden Zähnen das Fleisch von ihren Knochen, die noch im selben Moment zu Asche zerfielen. Yamunas Todesschrei überdauerte noch ihre leibliche Existenz für den Bruchteil einer Sekunde, während die Flammenwalze dem Ausgang des Korridors zuraste – – und ihn erreichte …
* Nona bebte, wurde wie von unsichtbaren Fäusten gepackt und geschüttelt, als sei sie auf den elektrischen Stuhl geschnallt. Unartikulierte Laute wie die eines hoffnungslos Wahnsinnigen drangen aus dem Maul der Wölfin, Geifer sprühte und troff in zähen Fäden von
ihren flatternden Lefzen. Der Goldton ihrer Augen schien sich verflüssigt zu haben, ihr schwimmender Blick irrte ziellos umher und fand doch überall Dinge, die aber andernorts geschahen, ewig weit entfernt – – weil sie der Wölfin Yamuna im Korridor der Zeit widerfuhren! Gabriel hatte Nona von neuem vernetzt, nur mit dem Geist Yamunas diesmal. Und so sah und spürte sie alles, was auch die Kundschafterin im Tunnel sah und spürte. Es war – entsetzlich! Und am schlimmsten war der Tod. Yamuna starb in grausamster Qual, nachdem ihre Angst die Grenzen alles Vorstellbaren längst schon überschritten hatte. Die Fledermaus, die sich in eine flammende Walze verwandelt hatte – sie war weder wirklich ein Tier gewesen noch echtes Feuer. Beides war nicht mehr als Maskerade, hinter dem sich ETWAS verbarg, dessen Macht auch durch die Illusion spürbar blieb. Sie war atemberaubend im wahrsten Sinne, niederschmetternd … allgewaltig! Yamuna wurde zum Fraß jenes falschen Feuers, das allem Trug zum Trotz real genug war, um die Wölfin bei lebendigem Leibe zu rösten. Auch jede Faser von Nonas Körper schien zu explodieren. Sie roch und schmeckte, wie Yamunas Fleisch binnen einer Sekunde verschmorte, und konnte sich nicht von der Illusion lösen, es sei ihr eigenes. Die Wölfin heulte und brüllte die Nacht an, selbst dann noch, als sie sich längst tot wähnte, zu Asche verbrannt, in der nur ihr Geist noch leben mußte. Der Schmerz wollte nicht enden, obwohl nichts mehr vorhanden schien, worin er wüten konnte. Und ein Gedanke war in Nona, schlicht und wahrhaftig: So ist die Hölle.
* Gabriel sah auf Nona hinab. Ein erbärmliches Bild bot die einst so stolze Wölfin. Sie wälzte sich im Dreck, kreischend und geifernd vor Schmerz, der nicht der ihre war. Der Satan wandte den Blick ab. Nicht weil Nonas Qual ihn rührte, sondern weil die Wölfin nicht wichtig war, im Augenblick jedenfalls. Anderes erforderte seine Aufmerksamkeit, Wichtigeres. Er hatte seine mehr als nur gedankliche Verbindung zu Nona gelöst, als er genug gesehen hatte von dem, was Yamuna im Korridor erfuhr. Der Inkarnierte wußte, daß es soweit war – daß die Ankunft unmittelbar bevorstand, jener Moment, auf den Luzifers Gesandte so ewig lange hingearbeitet hatten. Mühelos hatte er die Masken – erst die des Tieres, dann die flammende – durchschaut. Solcherart war er nicht zu täuschen, denn Masken hatte er selbst viele Leben lang getragen. Gabriel drehte sich den Archonten zu. Im perfekten Kreis umstanden sie den Krater. Sein Blick wanderte entlang ihrer Reihe, verharrte auf jedem seiner Kinder einen Moment lang und blieb schließlich drunten auf dem Tor zur Zeit ruhen. So unermeßlich bedeutsam war, was jetzt endlich folgen konnte. Und so lapidar Gabriels Wort. »Jetzt.« Satans Kinder wußten, was sie zu tun hatten. Sie wußten es, seit sie endlich bei ihrem Vater sein durften. Seine bloße Nähe war ihr Wissen. Und ihr Streben galt einzig seinem Wohlgefallen. Nur zu diesem Zweck hatte er sie einst vom Tod erlöst. Was sonst sollten sie tun, als ihr geschenktes Leben ihm und seinen Wünschen in aller Konsequenz zu widmen? Ihr Leben – und die Macht, die ihm inne war.
Gespenstisch war die Stille, in der es zunächst vonstatten ging. Die zwölf Archonten hoben die Arme, streckten die weißen Finger, bis sie die der nebenstehenden Geschwister berührten. Als der Kreis so geschlossen war, lief ein sachter Ruck durch die Körper, und in den bleichen Gesichtern flammten die eben noch wässrigen Augen in glosendem Rot auf. Leiser Wind hob an und strich wispernd durch die Kutten, leise und doch laut genug, um das jetzt aufklingende Flüstern der Albinos zu übertönen. Er gewann an Stärke, wuchs sich aus zum Sturm, der sich allein auf den Kreis der Zwölf beschränkte. Alles andere blieb unberührt von dem Tosen. Es packte nur die Archonten, aber es vermochte sie nicht von der Stelle zu bewegen. Sie schwankten wie Halme im Wind, doch ihre Wurzeln mußten endlos tief in den Sand zu reichen, und ihre Fingerspitzen schienen wie miteinander verschmolzen. Der nunmehr brüllende Wind zerrte an den Gewändern der Archonten und riß sie ihnen schließlich vom Leibe, als würden sie von unsichtbaren Zähnen und Klauen zerfetzt. Nackt standen sie da, im Dunkeln schimmernd und starr wie aus Blöcken weißen Marmors geschlagen. Aber es schien, als schmirgele der unmögliche Sturm den Stein ab, und als lege er frei, was darunter war. Etwas wie Herzen, die nicht in der Brust, sondern in der Leibesmitte der Archonten schlugen. Und sie pumpten nicht Blut durchs Aderwerk, sondern sogen etwas aus jedem Winkel der Körper – etwas, das wolkig in der transparenten Blässe der Leiber trieb, wie schwarze Tinte, die man in Wasser goß. Es war die Kälte des Todes, die der Satan einst nicht aus den Kinderleichen getilgt, sondern darin konserviert und mit dunkler Macht angereichert hatte. Die sichtbar gewordene Totenkälte wurde angezogen von jenen
pochenden Organen, verschmolz damit und ließ sie aufquellen. Mit jeder Bewegung wurden die Herzen, die keine waren, größer. Und schwärzer. Bis sie den Albinos auch den letzten Rest von Blässe genommen hatte. Lichtschluckenden Statuen gleich standen sie um den Krater. Nur ihre Augen leuchteten noch. Bis sie die Lider schlossen. Und damit den Impuls zündeten! Die Röte ihrer Augen tropfte jenseits der geschlossenen Lider hinab. Ins Zentrum der Schwärze – – die nun explodierte! Münder wurden aufgerissen. Orkanhaft heulend fuhr finstere Kraft aus. Fegte über den Krater in der Wüste und prallte aus zwölf Richtungen aufeinander, donnernd, diesen kleinen Teil der Welt erschütternd. Unirdische Kälte griff um sich, umkrustete jeden Stein in der Nähe mit Eis, ließ den Sand erstarren – und fror selbst Sturm und Luft über dem Krater ein. Eine Szenario vollkommener Bewegungslosigkeit und Stille entstand. Ein starres Glitzern lag über der Senke, wie von geschwärztem Glas, auf dem sich kaltes Sternenlicht brach. Und Satan sah, daß es gut war. Die Falle war gestellt. ER konnte kommen. Und ER kam.
Zwischenspiel Im Elfenbeinturm Der Turm stand im Nichts. Er ragte auf in schier endlose Höhe. Nur Kälte und Leere des Alls umgaben ihn. Sein Anblick war trostlos, verhieß Abgeschiedenheit, vollkommene Einsamkeit. Und doch war alles bloße Illusion, die ihre Wirkung auf Raphael verfehlte. Er hatte sich dieses Refugium erschaffen, der Sphäre dieses Aussehen gegeben, das seine Augen zu betrügen vermochte. Sein Innerstes aber ließ sich nicht irreleiten, nicht mehr; die Kunst, der Kulisse jeden nur vorstellbaren Anstrich zu geben, hatte ihren Reiz in Äonen längst verloren. Raphael hätte viel darum gegeben, hätte er sich nur dieses eine Mal noch selbst zu täuschen vermocht. Er wollte diese Einsamkeit, fern von allen und allem; er brauchte sie in dieser endlosen Stunde, die so elend schwer war – und noch schwerer wurde. Aber er spürte die Präsenz der anderen nach wie vor, selbst in der Zurückgezogenheit, hoch droben auf der Spitze seines Turmes. Er empfand ihre Furcht, ihr Zaudern, ihre Zweifel, obschon es doch nur eine Entscheidung geben konnte – die einzig richtige. Raphael kannte sie. Und die anderen kannten sie. Aber er war der einzige, der sie zu treffen bereit war. Sein Seufzen ließ in endloser Ferne einen Stern verlöschen, als habe sein wehtönender Atem ein Kerzenflämmchen ausgeblasen … Raphael wandte sich ab und trat von der nicht wirklich existenten Galerie hinein in das karge und ebenso imaginäre Turmzimmer. Ein Lidschlag ließ in der gegenüberliegenden Mauer ein Fenster entstehen, vom Boden bis zur Decke reichend. Der Blick fiel nur im allerersten Moment auf Weltraumschwärze, dann wandelte sich das
Bild, wurde zu einem Szenario in blutgetränktem Wüstensand. Raphael sah aus der Höhe darauf hinab, aber je schwerer ihm der Schmerz in der Brust wurde, desto weiter sank er dem grauenhaften Anblick entgegen. Und dann spürte er es … … IHN! SEINE Nähe in solcher Stärke, wie er sie seit einer Ewigkeit nicht mehr empfunden hatte. Seit damals, als ER dieser Schöpfung den Rücken gekehrt hatte und die Engel als Statthalter zurückgelassen hatte. ER kam zurück? Raphael schauderte, vor Ehrfurcht – und Angst! Was mußte geschehen sein, daß es IHN zur Rückkehr aus der Ewigkeit bewogen haben konnte? Raphaels Augen erfaßten die Szenerie, über der er scheinbar schwebte – und fanden die zentrale Facette. Er begriff, was dort vorging, was stattfinden sollte an jenem Punkt, an dem ER in die Welt der Menschen kommen würde! Der Schrei des Engels war aus unvorstellbarem Zorn geboren – und ebenso aus schierer Ohnmacht. Risse sprengten die Mauern des Turmes. Und mit bloßen Fäusten schlug Raphael sie vollends in Trümmer. Blut floß dem berserkerhaft wütenden Engel in Strömen von den Händen und fiel scheinbar hinab auf jenen kleinen Teil der Welt, wo das Ende seinen Anfang nehmen würde. Als weinte der Himmel selbst blutige Tränen.
8. Kapitel Gerichtstag Einen winzigen Moment lang kam sich Gabriel klein vor, nichtig und bedeutungslos … menschlich fast. Er sah hinab in die Senke, dorthin, wo er in den Schatten das Tor zum Zeitkorridor wußte. Boden und Wände des Kraters wollten beben unter der Allgewalt, die von jenseits der Schwelle heranbrandete, aber die Kälte der Archonten verhinderte, daß auch nur ein Sandkorn sich bewegte. Gabriel indes wurde erfaßt von diesem Beben. Es war, als würden ihm die Knochen im Leib zermahlen und jedes Organ von unsichtbarer Hand zerdrückt. Dann befahl er sich, seine Menschlichkeit kurzerhand zu vergessen, und alles Unangenehme ward ihm im selben Augenblick schon fern und fremd. Der Eingang zum Tunnel tief unterhalb seiner Füße wurde zum flackernden Rechteck, als sei es ein Fenster in eine jenseitige Welt, in der ein Unwetter tobte, wie es die diesseitige noch nie erlebt hatte. Blitze schienen dort zu flammen, und unirdischer Donner ließ den Korridor knirschen, als müsse er jeden Moment in sich zusammenstürzen. Hier draußen aber, auf dieser Seite der Schwelle herrschte himmlische Ruhe. Satan lachte lautlos. Noch einmal kontrollierte er mit allen Sinnen die nahezu unsichtbare Glocke aus jenseitiger Kälte und der Finsternis des Todes, die seine Kinder über der Senke hatten entstehen lassen. Sie war perfekt. Weder unzerstörbar noch ewig, sicher nicht, aber sie würde lange genug standhalten, um –
Drunten am Tunnel sah es aus, als sei ein Tor zur Hölle geöffnet worden. Brodelndes Glutlicht kochte förmlich aus der Öffnung, und mit jedem Sekundenbruchteil gewann es an Blendkraft, wurde greller und gleißender, bis selbst des Teufels Augen es kaum mehr ertrugen. Unbewußt kniff Gabriel die Lider ein wenig zusammen. Die Augen tränten, und zugleich schien ihm, als würden ihm die Augäpfel in den Höhlen gebraten. Wieder lachte er. Und wenn schon, ging es ihm durch den verderbten Sinn, ich brauche sie nicht mehr – sie nicht und diesen armseligen Leib nicht mehr! Nicht mehr lange … Und dann war ER da. Einen zeitlosen Moment lang schien es, als halte etwas die tosende und flammende Lichtfülle unmittelbar an der Schwelle zum Korridor auf. Als sei dort etwas wie eine unsichtbare Wand oder eine Membran, die dem Ansturm der Macht vom Anfang der Zeit standhielt. Aber es gab nichts, was sie aufhalten konnte. Nicht jenseits der Schwelle. Nur diesseits – Ein Geräusch, als lasse ein Titan eine Peitsche knallen. Dann brach die flammende Flut aus dem Tunnel. Füllte die Senke binnen eines Lidschlags wie weißglühende Lava. Und eruptierte wie aus dem Schlund eines Vulkans, stieg brodelnd in die Höhe – – wollte es tun. Und vermochte es nicht. Die Falle schnappte zu! In dem Augenblick, da die grellflammende Wolke das Kältegespinst der Archonten berührte, erstarrte sie. Fror ein in etwas, das rußgeschwärztem Eis annähernd gleichsah und doch etwas vollkommen anderes war.
Eben noch wirbelnde Lichtfülle gerann binnen eines Sekundenbruchteils zu völliger Reglosigkeit. Tosendes Feuer wurde … materiell. Greifbar. Angreifbar! ARMAGEDDON begann.
Zwischenspiel Die Beste aller Welten Sein wahres Alter hatte Chiyoda längst schon selbst vergessen. Aber nie zuvor in diesen ungezählten Jahren hatte der weise Chinese sich so alt gefühlt wie jetzt. Obwohl er kaum zu sagen vermocht hätte, wann dieses Jetzt eigentlich war. Gestern, heute und morgen, hier oder da – all dies war ohne tieferen Sinn für ihn, der die Wirklichkeiten durchstreifte wie andere die Räume eines riesigen Hauses. Eines aber erkannte Chiyoda nunmehr mit niederschmetternder Wahrhaftigkeit: Seine Wanderungen durch die Welten, sie waren nie mehr gewesen als Flüchten, nur Versuche, der einen grausamen und echten Wirklichkeit zu entkommen. Und letztendlich war er in diesem Bemühen gescheitert. Die Ereignisse der allerjüngsten Vergangenheit zwangen Chiyoda zu diesem Eingeständnis, und es schmerzte ihn mehr als alles zuvor. Seinem Fluch hatte er nicht entkommen können. Nicht auf Dauer. Wie hatte er sich auch anmaßen können, als kleiner Mensch, der er schlußendlich doch nur war, einer Macht widerstehen zu können, die Menschengenerationen mit Verdammnis gestraft hatte? Selbstbetrug war alles, was er unternommen hatte. Und mehr noch: Nicht allein sich selbst hatte er belogen, sondern – und diese Erkenntnis traf ihn fast härter noch – so viele andere, die alle Hoffnung auf ihn gesetzt hatten. Weil er diese Hoffnung in ihnen geweckt hatte! So viele waren es, die ihm geglaubt, an ihn geglaubt hatten, daß er ihnen in seinem abgeschiedenen Domizil in der Mandschurei Wege aufzeigen könnte, wie sie dem Wolfsfluch entrinnen könnten. So viele hatte er enttäuschen müssen …
Weil es eine Flucht vor dem Fluch nicht gab. Weil niemand dem Leben entfliehen konnte … Ein Laut kam über Chiyodas schmale Lippen, so schauerlich, daß er selbst davor erschrak – – wie auch unter der Berührung, die er plötzlich an der mageren Schulter spürte! Ein Atemzug, witternd wie der des Wolfes, genügte, um ihn zu verraten, wer da zu ihm getreten war. »Makootemane – mein Freund.« Die Stimme des Weisen klang heiser und schwach wie im Fieber. Der uralte Arapaho ließ sich neben Chiyoda ihm Gras nieder. »Du solltest dich nicht länger geißeln«, sagte Makootemane. Der Chinese lachte bitter auf. »Ich muß mich nicht selbst geißeln«, erwiderte er. »Das Leben an sich ist meine Geißel.« »Nur solange du es zuläßt.« »Ich habe mich verweigert, und letztlich war es vergebens«, erinnerte Chiyoda. »Du bist stark genug, um es wieder zu tun. Wieder mit Erfolg.« »Zu welchem Zweck? Um am Ende doch wieder zu versagen?« »Was geschehen ist«, sagte der Arapaho, »sollte dich nicht verzagen lassen, sondern stärken. Du kennst nun den Grund, wie es angehen konnte, daß die Bestie in dir erwachte. Ein zweites Mal wird es ihr nicht gelingen. Du bist schlauer als der Wolf in dir.« »Aber weder schlauer noch stärker als der, der den Wolf zu wecken wußte.« »Gemeinsam sind wir es.« Makootemane wandte den Kopf und wartete, bis Chiyoda ihm das Gesicht zudrehte. Ruhig sah er in die wässrigen Augen des anderen. »Haben wir es nicht bewiesen, indem wir dir den Weg aufzeigten in diese Wirklichkeit?«, fragte er. »Erinnere dich, daß wir mehr nicht getan haben – gegangen bist du diesen Weg allein, aus freiem Willen
und eigener Kraft. Wieviel Hoffnung brauchst du noch?« Soviel Vertrauen und Überzeugung lagen im Ton des Arapaho, daß Chiyoda unweigerlich lächelte, müde zwar, aber aus tiefem Herzen. Vielleicht hatte der uralte Indianer recht. Letztlich hatte er, Chiyoda, die Stärke aufgebracht, sich selbst zu helfen. Er hatte der unbändigen Mordlust, die das Zeichen des Schöpfers aller Werwölfe in ihm und allen Fluchträgern geweckt hatte, entsagt – einmal mehr, wie vor unzähligen Jahren schon. Er war ein weiteres Mal entkommen in eine andere Wirklichkeit, wo der Keim des Wolfes ohne Macht über ihn war. Natürlich hatten seine Freunde ihm dabei geholfen, den entscheidenden Schritt allerdings hatte er selbst, ganz allein tun müssen – und er hatte ihn getan!* Es mochte stimmen, was Makootemane gesagt hatte: Er, Chiyoda, durfte nicht mehr verlangen. Er hatte das Höchstmaß aller Erwartungen, die er an sich selbst stellen konnte, erfüllt. Aber – »– die anderen«, sagte er leise, und von der Kraft, die er eben noch in sich gespürt hatte, gelangte kaum etwas in seine Stimme, »sind es, um die ich mich sorge. Was wird mit ihnen? Zu welchem Zweck werden sie mißbraucht? Ich möchte – nein, ich muß ihnen helfen …« »Du bist nicht verantwortlich für ihr Tun«, meinte Makootemane. »Und du kannst ihnen nicht helfen!« Eine dritte Stimme mischte sich in die Unterhaltung, die eines nur optisch jüngeren Mannes. Tatsächlich währte auch Hidden Moons Vampirleben schon seit über dreihundert Jahren. Begonnen hatte es, wie Makootemanes, nachdem er aus dem Lilienkelch getrunken hatte. Als Adler kam er zu den beiden anderen Männern. Noch im Landeanflug schlüpfte er in menschliche Gestalt, setzte auf und lief seinen Schwung in drei, vier Schritten aus. Dann gesellte er sich zu Makootemane und Chiyoda. »Scharfe Ohren«, meinte Chiyoda. Hidden Moon zuckte die Schultern. »Es war nicht schwer zu erra*siehe VAMPIRA T47: »Kind des Grals«
ten, worüber ihr sprecht. Ihr kennt kein anderes Thema, seit wir hier sind.« Sein Blick schweifte in die Runde, über sattgrüne Wiesen mit blühenden Blumen, zum Horizont hin abgegrenzt durch bewaldete Hügel. Vielleicht hatte Chiyoda bei seiner Flucht aus ihrer aller Welt ganz bewußt diese Wirklichkeit gewählt, die so paradiesisch anmutete. Seine Ängste und Nöte indes hatte er hierher mitnehmen müssen. »Vergiß sie«, nahm der jüngere Vampir den Faden des Gesprächs wieder auf. »Wie könnte ich das?« Entrüstung färbte Chiyodas Ton hell. »Sie sind wie … meine Kinder!« »Nicht immer kann ein Vater seinen Kindern helfen«, sagte der Arapaho. Ganz kurz nur sah er zu Makootemane hin. Den aber traf auch dieser flüchtige Blick wie ein Hieb. Fast schmerzhaft verzog der Alte das Gesicht. »Ich bin nicht allwissend«, verteidigte er sich. »Ich wünschte, ich könnte dir helfen oder auch nur raten, aber –« »Schon gut«, wehrte Hidden Moon ab. Wie beiläufig fuhr er sich mit der Hand unter das Nackenhaar und berührte den schmalen Gefiederstreifen, der ihm dort aus der Haut sproß. Das Merkmal aller Arapaho-Vampire, ein Zeichen der Verbundenheit zu ihren Totemtieren, den Seelenadlern, mit deren Hilfe sie dem dunklen Trieb ihres schwarzen Blutes hatten entsagen können. Normalerweise entsprach die Färbung dieses Gefieders dem des Adlers, dem ein Arapaho verbunden war. Hidden Moons Nackenfedern aber hatten sich verändert, sie waren schneeweiß geworden, weiß wie schwelende Glut, über die sich eine Patina gelegt hat, und er konnte nicht sagen, was diese Verfärbung bedeutete. Nur eines wußte er inzwischen: Die Veränderung war nicht nur äußerlich. Sie betraf ihn selbst, traf sein Innerstes, und das war es, was ihn nicht nur sorgte, sondern regelrecht ängstigte. Einer allerdings mochte wissen, was es mit der Entartung des
Streifens auf sich hatte. Aber dieser eine schwieg. Weil er kein Freund war? – Niemandes Freund? Hidden Moon ertappte sich dabei, wie er ihn regelrecht zu hassen begonnen hatte, diesen an sich so unscheinbaren Aboriginal, der doch eines der größten Mysterien war, denen er in all den Jahrhunderten begegnet war. Allein seine Art und Weise, zu verschwinden und unvermittelt wieder aufzutauchen, machte ihn … unheimlich. »Kommt mit.« Hidden Moon sah erschrocken auf – und genau in das flache Gesicht Esben Storms. Wie aus dem Nichts war er gekommen. Wie immer. Und wie immer verlor er kein unnötiges Wort. »Wohin?« Wenn Chiyoda von dem plötzlichen Auftreten des Aboriginals überrascht worden war, so ließ er es sich nicht anmerken. Ebensowenig wie Makootemane. »Ich habe euch etwas zu zeigen«, sagte Esben Storm. Er streckte die Hände aus. Ohne weitere Fragen zu stellen, erhoben sich Chiyoda und Makootemane und griffen danach. Hidden Moon wollte es ihnen gleichtun, aber Storms unterschwellig scharfer Ton ließ ihn zurückschrecken. »Du nicht!« »Aber –« Keine Antwort. Die Dreiergruppe wurde für einen Moment durchscheinend wie farbiges Glas, dann war sie verschwunden. Auf Traumpfaden gehen nannte Esben Storm seine Art der Fortbewegung. Sie mochte vergleichbar sein mit dem Wandern durch die Wirklichkeiten, wie Chiyoda es vermochte. Aber der alte Chinese machte aus seiner Methode kein solches Geheimnis wie der Aboriginal, und – Sie kamen wieder. So plötzlich, wie sie verschwunden waren. Aber nur Esben Storm schien unverändert. Chiyoda und Makootemane indes wirkten, als kehrten sie geradewegs aus der Hölle zu-
rück! »Bei allen Mächten! Was war das?« Trotz des leisen, kaum hörbaren Tons sprach schiere Fassungslosigkeit aus Chiyodas Worten. Entsetzen hatte ihm wie mit Krallen tiefe Furchen ins schmale Gesicht gegraben. Aschfahl war seine Haut. »Ich weiß es nicht«, flüsterte Makootemane, »und ich bin nicht sicher, ob ich es wissen will.« Er wirkte, als zeigten sich die bislang unsichtbar gebliebenen Spuren der hinter ihm liegenden Jahrhunderte in dieser Minute allesamt zugleich. Esben Storm schwieg. Unverändert. Hidden Moons Blick flog von einem zum anderen und blieb schließlich an dem alten Arapaho hängen, der ihm am vertrautesten war. »Wo seid ihr gewesen?« stieß er hervor. »Was hat er euch gezeigt?« Niemand schien ihn wirklich wahrzunehmen. Als machte das Grauen, das sie zweifelsohne geschaut haben mußten, sie blind und taub für alles andere. »Ich verstehe nicht, was es wirklich zu bedeuten hat.« Makootemanes Blick ging scheinbar ins Leere, aber er sah noch immer, was der Aboriginal ihnen gezeigt hatte. Als hätten sich die Bilder auf ewig in seine Netzhäute gebrannt. Esben Storm hatte ihn und Chiyoda zu einem Punkt der wahren Welt, der Ersten Wirklichkeit geleitet, auf Wegen, die sie nicht verlassen konnten und auf denen niemand sie zu sehen vermochte. Nur sie selbst waren zu sehen imstande auf diesen Traumzeitpfaden – – die durch den schlimmsten aller Alpträume geführt hatten! »Es bedeutet das Ende«, sagte Esben Storni. Seine Stimme klang oberflächlich so unbeteiligt wie eh und je. Darunter aber verbarg sich ein leichtes Zittern. Und dieser Eindruck war es, der den beiden Alten das Gesehene wirklich bewußt zu machen.
Etwas, das selbst Esben Storm, wenn auch nur kaum merklich, aus seiner stoischen Fassung brachte – das mußte die größte aller nur denkbaren Katastrophen sein. Etwas, das die Welt in ihren Grundfesten erschüttern würde. Oder vernichten … Dennoch unterschied sich Makootemanes Art der Verzweiflung von der des Chinesen. Seine Gedanken galten vor allem einer Person, die ihm wie eine Tochter war. Und die er leiden hatte sehen müssen wie die geringste Kreatur auf Erden. Chiyodas Stimme klang verloren, als verwehe sie in der Endlosigkeit des Universums. »Was geschieht nur mit dir? Was tut er dir nur an?« Er schluckte schwer; Tränen trübten seinen Blick, als er wie abschiednehmend ihren Namen hauchte. »Nona …«
9. Kapitel Das Los der Wölfe Satans Hand senkte sich auf Nona herab, fiel wie ein Schatten, der größer war, als er es hätte sein dürfen, über ihr Gesicht, und dann spürte sie, wie sich die Finger des Teufels einmal mehr wie stählerne Klammern um ihren Schädel schlossen. Diesmal aber war Nona fast dankbar dafür. Denn obschon sie nicht wirklich begriff, wovon sie eben Zeuge geworden war – sie hatte nicht mehr gesehen, als daß eine widernatürlich gleißende Flammensäule aus der Senke aufgestiegen und erstarrt war, als sei das Feuer auf unmögliche Weise gefroren –, so hatte sie doch mit jeder Faser ihres Seins gespürt, daß hier etwas ganz und gar Ungeheuerliches vorging, etwas Blasphemisches, das selbst sie, eine Kreatur des Bösen, zu schockieren vermocht hatte. Gabriels Griff jedoch ließ die Wölfin nahezu blind und taub werden für dieses Geschehen. Trotzdem, die Folge seiner Berührung war nicht weniger entsetzlich. Der Teufel vernetzte seine Erste Kriegerin abermals mit seinem Heer und wies die Leitwölfin an, was das gigantische Rudel zu tun hatte. Und obwohl sie sich vollkommen in seiner teuflischen Gewalt befand, zögerte Nona, den Befehl weiterzuleiten. Weil sie ihn nicht verstand – nicht verstehen wollte! Wirklicher Widerstand aber war ihr nicht möglich. Was Gabriel von seinem monströsen Heer verlangte, schoß nach dem kurzen Rückhalt nur mit noch stärkerer Kraft aus Nonas Hirn in hunderte andere. Und keiner dieser anderen Wölfe zögerte, dem Befehl zu folgen. Gehorsam setzten sie sich in Bewegung. Unförmige Schattenrisse schälten sich aus der Nacht, von überall her, und erreichten den er-
hellten Kreis um die Senke. Wie Motten zum Licht kamen sie. Und reagierten wie Lemminge … Die ersten Wölfe sprangen – – in die erstarrte Flammensäule! Es klirrte, als würde Glas unter den Schlägen eines riesenhaften Hammers zerspringen. Wo die Leiber der Wölfe in das Lichtgebilde eindrangen, flammte es für den Moment ihres Eintauchens wie grellste Weißglut auf. In immer größerer Zahl strömten Satans Krieger aus dem Dunkel. Opferten sich für ihn. Luden ihre vom Beuteblut geschwärzten Seelen in der Flammensäule ab, deren Licht dadurch – noch kaum merklich, aber doch schon stetig – an Kraft verlor. Nona sah es wie durch Schleier. Und wußte: Was immer dieses Licht auch war oder nur verbarg – es hatte begonnen zu sterben …!
* Blanker Fanatismus lohte in Gabriels Augen und war doch nur ein Abglanz dessen, was in ihm vorging, was den Satan selbst bewegte. Höchster Triumph. Weil der Plan aufging, den Luzifer in den Gefilden des Bösen ersonnen und über Unzahlen von Generationen vorbereitet hatte. Das Böse selbst trat den Endsieg an – über seinen ewigen Widersacher! ER hatte sich locken lassen, indem der Teufel ihm die Kunde zugespielt hatte, daß Seine Schöpfung im Begriff stand, der Hölle anheimzufallen. Und ER war in die Falle gegangen! Nonas Geist nutzend, trieb Satan seine Krieger an, peitschte sie mit Befehlen hinein in das verzehrende Licht. Gabriels nur dem Anschein nach menschliche Augen erkannten, was ein Mensch mit bloßem Blick nicht hätte feststellen können: Mit jedem Wolf, der sein Dasein gab und seine nach den Greueln von Je-
rusalem nun endgültig und hoffnungslos verdorbene Seele dem kalten Feuer überantwortete, nahm das Leuchten in und über der Senke um eine winzige Nuance ab. Mit jedem Wolf also – – kam GOTT dem Tod ein wenig näher! Und die Zahl der Wölfe schien noch immer unbegrenzt. Das Böse hatte allen Grund, zu triumphieren. Gabriel kostete es aus. Wie Donnerhall rollte sein Lachen über Uruk, erschütterte buchstäblich alles ringsum – und rollte noch über die Grenzen dieser Welt hinaus.
Zwischenspiel Eines Engels Fluch Der Boden unter Raphael dröhnte und zitterte wie in einem Erdbeben, das es an diesem Ort nicht wirklich geben konnte. Dennoch knirschten auch die Trümmer des Turms, den der Engel mit Titanengewalt zerschlagen hatte, rutschten splitternd und krachend über- und ineinander. Dann endlich trat wieder Stille ein. Der Donner, nicht von dieser Welt, verhallte. Das Beben verebbte. Raphael sah aus brennenden Augen um sich. Und was er erblickte, entsprach ganz dem, was er empfand: verwüstete Ödnis, kein Stein war mehr auf dem anderen. Buchstäblich alles war zerrissen, zerstört, und es schien, als könne nichts das ursprüngliche Bild wieder herstellen. Obschon es ihn selbst nur eine Idee gekostet hätte … Aber auch dafür fühlte Raphael sich zu müde. Nicht einmal die Kraft, sich von den anderen abzuschotten, wollte er mehr aufbringen. Er gestattete seinen Sinnen, die Brüder wieder wahrzunehmen. Aber was er sah, erschütterte ihn mehr noch als sein eigener innerer Aufruhr und die Folgen daraus. Die anderen … sie diskutierten. Sie bejammerten einander und beklagten die Welt, die ihnen vor Äonen anvertraut worden war. Und deren Untergang sie nun tatenlos hinnahmen. Aber es ging hier nicht allein um das Ende einer Schöpfung! Sondern vielmehr um das Ende des Schöpfers selbst! Und seine Engel wollten nichts anderes tun, als seinem Tod zuzusehen? Weil sie meinten, in ihrem Kerker seien ihnen die Hände gebunden? »NEIN!«
Raphael sprang auf! Seine Fäuste, von der Farbe und Härte des Granits, zermalmten einige der Trümmer, in denen er eben noch gekniet hatte, zu Staub. Sein funkensprühender Blick brannte sich ins Innerste eines jeden einzelnen seiner Brüder. Und tief in ihnen fand er etwas, das ihn hoffen ließ. Etwas, das nur eines Anstoßes bedurfte … »Worauf wartet ihr noch?« fuhr er sie an. Phanuel lächelte voll Trauer und Bitternis. Sein Gesicht zerlief für Raphaels Blick. »Was sonst sollten wir tun?« »Etwas!« erwiderte Raphael mit hallender Stimme. »Irgend etwas, um dem Herrn beizustehen! Seht ihr denn nicht, was geschieht?« Uriel nickte. »Natürlich sehen wir es. Aber anders als du sind wir bereit, es zu akzeptieren.« »Wenn dies der Lauf der Dinge ist, dann soll es geschehen«, warf Gabriel in leisem Ton ein. »Einmal haben wir eingegriffen in die Ereignisse dieser Welt –«, erinnerte Phanuel. »– und wenn wir eine Lehre daraus gezogen haben«, fiel Uriel ein, »dann die, daß wir es nie mehr tun dürfen. Ganz gleich, was auch passiert.« Raphael gerann zu Stein. »Dann«, knirschte er, »muß ich allein tun, was zu tun ist.« Er hielt kurz inne und fügte wie drohend hinzu: »Und euch zum Handeln zwingen!« Und Raphael handelte! Er gab jegliche Gestalt auf, ließ seine ganz eigene Kulisse, die ihren gemeinsamen Kerker tarnte, fallen, wurde pure Kraft – wurde das, was sie alle letztlich waren: ein winziger Splitter göttlicher Allmacht. Gleißende Lichtfülle blendete die Engel. Sie wuchs ins nahezu Unermeßliche, füllte die Sphäre aus – und wuchs noch immer. Risse entstanden im Gefüge des Kerkers. Klüfte, die nie wieder zu schließen waren. Für den kleinsten Teil der Ewigkeit schien das Univer-
sum selbst aufzuglühen. Dann – gab es den Engel namens Raphael nicht mehr. Nur noch das, was sein selbstgewähltes Ende ausgelöst hatte. Seinen … Fluch! Und er traf all jene, die er zurückgelassen hatte. Die Engel, deren ureigene Welt nicht länger war. Es zog sie hin, wie mit unwiderstehlicher Kraft, zu einer anderen. Zu jener, die zu hüten ihnen dereinst aufgetragen worden war. Die himmlische Heerschar fuhr hinab auf Erden. Um eine allerletzte Aufgabe zu erfüllen, der sie sich nicht länger verweigern konnten.
10. Kapitel Engelfall Ich, Satan und Spiegel Luzifers, bekenne: Es ist WUNDERBAR, hier zu stehen und zu sehen und zu fühlen SEINE Nähe! Verwandt sind wir und dennoch Feinde auf ewig … haha, Irrtum, HERR, nicht auf ewig, nur … bis heute! Denn wenn der Erdentag sich auf dieser Hemisphäre seinem Ende neigt, wird vergessen sein, was verloschen ist wie eine Kerzenflamme im Wind meines Atems. Nichts wird mehr erinnern an den, dem entgegenzutreten ich all die Zeit meiner Verbannung gehofft habe! Nun ist der Moment gekommen. Der Wendepunkt, der eine neue Genesis einleiten wird … Narren halfen mir, dich herzulocken. Allen voran die Hybride aus zweierlei Geblüt, Lilith Eden, die ich glauben machte, mir verpflichtet zu sein. Sie war es nicht. Warum auch? Du hättest die Hinterlist gespürt, wenn ich sie einfach zu dir geschickt hätte. Und dann wärst du niemals in meine Falle getappt … Der Teuflische stoppte den Flug seiner Gedanken. Langsam, jede Sekunde genießend und jedes noch so kleine Randgeschehen in sich aufsaugend, ließ er seine Feldherrin Nona stehen und glitt näher auf das Feld der Archonten zu – und auf das, was darin zum vollkommenen Stillstand gekommen zu sein schien. Dieses faßbar gewordene goldene Licht überragte Gabriel wie eine mächtige Säule, die vielleicht einmal bis zu den Sternen gereicht hatte, jetzt aber nur noch einen Abglanz dessen symbolisierte. Als Gabriel genauer in das wie zu Glas erstarrte Licht schaute, meinte er geronnene Muster zu erkennen, die wie eine Doppelhelix geformt waren, der Baustein allen Lebens auf Erden. Noch. Denn bald würden neue Strukturen das Alte und Gescheiterte ab-
lösen. Formen, die keines Sterblichen Phantasie je hätte ersinnen können … Gabriel lachte tosend und weidete sich auch weiterhin am Sterben Gottes. Jedes Quentchen, um das SEIN Licht verblaßte unter dem Ansturm der Wölfe, schien die schwarze Seele zu nähren; der Teuflische spürte regelrecht, wie die eigene Macht wuchs, und für einen Moment hing er gar philosophischen Überlegungen nach. War es am Ende so, daß es nur eine einzige universelle Kraft gab, die Gut und Böse sich teilen mußten? Und stärkte deshalb der Niedergang der einen Seite unweigerlich die andere, schlicht deshalb, weil ihr in diesem Zuge der größere Teil dieses einen Machtpotentials zufiel? Gabriel empfand eine Art von Schwindelgefühl, weil solcherlei Gedanken selbst seinen Geist zu überfordern drohten. Er verbat sich jeden weiteren und lenkte sein Augenmerk wieder ganz auf das Geschehen, das der Plan des Bösen zeitigte. Die Kraft des Lichtes, das im Netz der Archonten gefangen war, hatte weiter nachgelassen. Nicht mehr golden war es, schmutzig schien seine Farbe nun, von knöchernem Weiß, das Gabriels Augen kaum mehr zu blenden vermochte – – und vielfach schwächer als jenes Leuchten, das buchstäblich für einen Augenblick nur die Nacht erhellte, so sehr, daß sie lichter schien als der strahlendste Tag! Die Helligkeit löste das dunkle Firmament für diesen kleinen Teil einer Sekunde förmlich auf und ersetzte es mit gleißendem Weiß von Horizont zu Horizont. Dann stülpte die Dunkelheit sich wieder über Uruk, durchwirkt vom Licht ferner Sterne – – die nicht alle fern blieben! Einige … wuchsen! Aus flirrenden Pünktchen wurden gleißende Punkte und schließlich faustgroße Gebilde aus weißer Glut. Meteoriten gleich rasten sie
durch die Nacht, aus jeder Richtung her, aufeinander zu, bis sie etwas wie einen Schwarm bildeten. Ihre Zahl war nicht zu erfassen, der bloße Versuch scheiterte, wie ein Gedanke, der sich nicht zu Ende führen ließ, weil er in Wahnsinn münden mußte. Ihr Ziel indes war klar … Apokalyptischer Regen ging nieder auf Uruk!
* Sie waren befreit, ihres Kerkers ledig, weil einer der ihren seine Existenz dafür gegeben hatte, die unsichtbaren Mauern niederzureißen. Dankbarkeit oder auch nur etwas Vergleichbares empfanden die Engel jedoch nicht. Weil sie solcher und jeglicher Empfindung nicht länger fähig waren. Aller Zwänge und Fesseln entledigt, hatten sie auch alles verloren, was sie den Menschen, zu deren Wächtern sie bestimmt waren, entfernt ähnlich gemacht hatte im Laufe von Äonen. Sie wurden wieder zu dem, was sie einst gewesen waren – kleinste Teile der Allmacht, pure Energie, allerreinste Kraft. Und sie kannten nur ein Streben, ein Ziel noch: zurück zu dem, von dem sie vor Ewigkeiten abgespalten worden waren. Zurück zu Gott. ER zog sie an mit unwiderstehlicher Kraft, auf daß sie sich mit IHM vereinigten – IHN stärkten. Es hätte die Engel in dieser Sekunde an jeden Ort des Universums gezogen, ganz gleich, wo ER auch gewesen wäre. So trieb und zerrte es sie hinab in jene Welt, in deren Schicksal sie sich nie mehr einzugreifen geschworen hatten. Ihr Schwur aber brach mit berstendem Donner. Sie kamen über die Erde mit solcher Gewalt, als wären sie nicht ihre Rettung, sondern der Untergang selbst. Sekundenlang wurde Gabriel wieder zu dem, was er zu Beginn
gewesen war – ein Kind … Ein staunendes, fassungsloses Kind, das weder glauben konnte noch begriff, was vor seinen Augen geschah – ein … Wunder? Ein Heulen, als hätten Luzifers höllische Welten ihre sämtlichen Kreaturen entlassen, umspann Uruk wie ein Gespinst aus schierem Lärm. Die gleißenden Gebilde rasten hernieder, fuhren heran wie Geschosse aus fremdartigsten Geschützen. Sie spalteten die Nacht wie Hiebe glühender Riesenäxte, und jede Kluft, die sie schlugen, füllte sich mit etwas wie flüssiger Schwärze, als blute das Gefüge dieser verwundeten Welt. All dies aber war nicht der wahre Zweck dieses Angriffs – In einer unsinnigen Geste wollte Gabriel die Arme schützend hochreißen, als könne er damit irgend etwas abwenden. Die Erkenntnis, daß allein der Versuch schon sinnlos war, kam ihm im selben Moment, da er erkannte, daß nicht er das Ziel der Attacke war – – sondern ER. Die blendend hellen Dinge schlugen ein in das starre Licht, ganz ähnlich wie die Werwölfe hineintauchten – und sie stärkten seine Leuchtkraft! »Nein!« schrie Satan. »Nichts wird meinen Triumph noch verhindern! Nichts mehr! Ni-« Er verstummte. Für einen schier endlosen Moment. Weil er etwas spürte, etwas, das ihn auf nie gekannte Weise anrührte – etwas Vertrautes. Und etwas wie … Trauer? Sie sterben …, flüsterte es in ihm, und Gabriel erkannte die Stimme, die immer in ihm gewesen war, obschon er sie nie zuvor gehört hatte. Luzifer selbst sprach in ihm! Meine Brüder … Bitterkeit lag in den stummen Worten. Diese erbärmlichen Narren!
*
Noch einer weinte Tränen. Ehrliche Tränen, die dennoch wie zäher Schleim an dem ehernen Tor herabrannen, an das er sich gefesselt hatte. Sein Name war Michael. Gewesen. Als Salvat hatte sich seines Körpers entledigt, nicht aber seiner Pflicht. Selbst in diesem Zustand diente er seinen Schutzbefohlenen, den Menschen. Oder wie anders sollte man es werten, wenn jemand sich zum Riegel an einer Tür reduziert hatte, die nie bersten durfte, weil sonst … Sonst? AUF-HÖ-REN! JEMAND MUSS DIESEN WAHNSINN AUFHALTEN! Der Erzengel erbebte – und mit ihm das Tor. Er erlebte das Ende seiner Brüder, als wäre es sein eigenes. Alles, was sie ausgemacht hatte, ihre Individualität verlosch in einem einzigen Moment, da ihr Sein in das zurückfloß, was sie vor urlanger Zeit aus Splittern seiner selbst geboren hatte. Alle Kraft, die ER einst von sich abgespalten hatte, um Wächter zu hinterlassen, strömte nun in IHN zurück. Beinahe alle Kraft. Denn zwei von uns fehlen noch, dachte Salvat. Ich und Luzifer, der ewig fehlen wird, sollte diese Schlacht so enden, wie er hofft und ich fürchte. O Luzifer, verlorener Bruder …! Hätte Salvat Augen besessen, er hätte sie verschlossen, um dem zu entkommen, was ihn an Endzeitbildern bestürmte. Doch die Kanäle, über die ihn das Grauen erreichte, waren nicht zu verschließen. Er war das Tor im Monte Cargano, war dazu geworden. Und wenn auch er jetzt davon wich, wenn er seinen selbstgewählten Platz aufgab, um seine heiligste Pflicht zu tun, ebenfalls alles geliehene Sein in die Waagschale zu werfen – – was dann? Was würde dann geschehen?
Salvat kannte die Antwort. Aus dem winzigen Riß wird etwas werden, was die Welt verschlingt! Das Jenseitige wird ins Diesseits gelangen. Die Hölle auf Erden wird folgen. Und nichts und niemand wird verhindern, daß der Krieg über diesen Planeten, dieses Sonnensystem, diese Galaxie hinaus getragen wird … Am Ende werden ALLE Sterne verloschen sein. Finsternis wird einkehren in den Kosmos, der seinen Schöpfer verraten hat. UND DANN? Wie konnte ein Raum ohne Licht existieren? Ein Raum ohne Hoffnung? Und ohne … Liebe? Ich werde es nicht mehr erleben, dachte Salvat, eher realistisch als fatalistisch. Niemand, der jetzt ist, wird dann noch sein – außer IHM! Dem Verräter! Dem Abtrünnigen! Der genau spürte, wie sich das Blatt auf dieser Seite zu seinen Gunsten wendete. Spürte, wie die, die ihn aus ihrer Mitte verbannt hatten, nun wegen ihm sterben mußten. Auch späte Rache konnte süß sein … Salvat glaubte die Nähe des schrecklichen Bruders in einer Weise zu spüren wie nie zuvor. Nein, nicht er war das Tor – Luzifer war es und Salvat nur ein hauchdünner Lack, eine Versiegelung, die einzudämmen versuchte, was nicht mehr einzudämmen war! Allmächtiger Vater im … auf Erden! WAS SOLL ICH NUR TUN? Wenn ich dir zu Hilfe eile, werde ich auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein – oder könnte ich die Wende bringen? WIE STARK IST DIESER TEUFEL? WAS KANN IHN ÜBERHAUPT NOCH STOPPEN …? Salvats Bewußtsein wurde hin und her gerissen zwischen Treue und Verstand. Aber die Tendenz ging weg vom Tor. Die Tendenz ging hin zu GOTT! Selbst mit IHM unterzugehen ist vieltausendmal besser als zurückzubleiben! Und mit diesem Gedanken, der bereits die getroffene Entschei-
dung widerspiegelte, zog sich Salvat von den Nahtstellen zurück, die er am Höllentor verschweißt hatte. Nähte, die fortan unter jedem hämmernden Schlag von »drüben« mehr auseinanderplatzten, bis schließlich nichts mehr die Gewalt von Jenseits der Schwelle zurückhielt …
11. Kapitel Der letzte Wolf Der »Einschlag« der Engel hatte nur einen kurzen Aufschub bewirkt. Merklich erholt hatte sich die Säule aus gläsernem Licht dadurch nicht. Gabriel wußte nicht, wie lange er dagestanden und nur beobachtet hatte, unmittelbar am Rand der verschwundenen Senke, die nun wie ein runder See aussah, dessen Oberfläche zu dunklem Eis gefroren war und an dessen »Ufer« nicht nur er, sondern auch die zwölf Erweckten standen, die den Weltenschöpfer in substanzieller Schwäche, Schuld, Abscheu und Haß einzementiert hatten. Wie langsam verblassende Statuen bildeten die Archonten ein enges Rund. Nichts Lebendiges haftete ihnen mehr an, und dennoch atmeten ihre durchscheinend gewordenen Körper immer noch jene verderbliche Kraft aus, die dafür sorgte, daß ihr Opfer in der Falle stillhielt. Daß ER ausschließlich damit beschäftigt war, auf den unaufhörlichen Zustrom von Finsternis aus den Herzen der Wölfe zu reagieren und nicht mehr dazu kam, eigene Initiative zu ergreifen! So war, so mußte SEIN Ende vorprogrammiert sein! Als der letzte Krieger Armageddons, der letzte in den eigenen Untergang gelenkte Werwolf in der versiegenden Energie Gottes starb, ertönte ein Seufzer, der Gabriel beinahe zwang, zu der hinzublicken, die den Tod den anderen abertausendfach durchlitten hatte, als wäre es ihr eigener. Nona lag zuckend im Sand unweit des Zentrums der Schlacht und nahm ihre eigentliche Umgebung lange Zeit gar nicht wahr. »Ein Bild des Jammers«, sagte Gabriel und begleitete seine Worte mit Gedanken, die jäh wieder die alte Ordnung in Nonas Hirn her-
stellten. »Steh auf und komm her!« Die Welt schien den Atem anzuhalten. Was in diesem Moment an anderen Orten der Erde, nah oder fern, geschah, und wie dieser Planet mit seinen Bewohnern auf das Phänomen reagierte, war für den Teufel nicht von Belang. Es gab keinen irdischen Gegner, den er zu fürchten gehabt hätte. Nona näherte sich mit unsicheren Schritten. »Herr?« Gabriel lächelte kalt. »Du bist die letzte deiner Art.« Stumm blieb sie neben ihm stehen, während Gabriel den Arm ausstreckte und auf das fast erloschene Licht zwischen den geisterhaft transparenten Archonten hinzeigte. »Erinnert es dich nicht auch an eine Kerze, deren Docht kaum noch glimmt?« Nona scharrte unruhig mit den Füßen. Sie war jetzt ganz und gar das Monster, das Gabriel in ihr und anderen erweckt hatte. Alle Anmut, alle Faszination und Raffinesse ihrer menschlichen Züge war der Physiognomie gewichen, die eine frühe Inkarnation Luzifers aus Mensch und Wolf gekreuzt hatte.* »Ich wünsche, daß du es tust, es vollendest.« Gabriels Selbstbewußtsein war ins Unermeßliche gewachsen. Dennoch staunte er ein wenig über sich selbst, wie nah er sich an die Manifestation der Macht heranwagte, auf deren Ideen letztlich auch er zurückging. Ich bin auch ein Teil von IHM – wenngleich aus der Art geschlagen. »Daß ich was tue?« fragte Nona heiser. Gabriel ließ den ausgestreckten Arm wieder sinken und antwortete: »Was soll ich mit dir noch anfangen? Tu, was alle getan haben! Spring! Und blas die verdammte Kerze für mich aus!« Er spürte regelrecht, wie sie ins Mark erschrak. Aber sie konnte nicht anders als ihr geheißen worden war. Sie sprang …
*siehe VAMPIRA T46: »Wolfslegende«
* Angestrengt fixierte Gabriel den Punkt, an dem Nona verschwunden war. Die Stelle, die noch vor dem Schatten lag, in den sich das Licht des Ersten Schöpfers verwandelt hatte! Nona war anders verschwunden als jeder Krieger Armageddons davor. Kein klirrender Mißklang hatte ihre Auflösung begleitet – und dennoch schien sie dem Feind den Todesstoß versetzt zu haben. »Was –« Gabriels Stimme brach ab. Der Pfeiler, der einem Mahnmal gleich aus dem lähmenden Eis der Archonten herausragte, begann zu beben. Die Erschütterung griff nicht über den Kreis der Satansjünger hinaus, dafür erzeugte sie einen fast vertikalen »Riß« durch die nur vermeintlich unzerbrechliche Struktur der Maske, in der Gott durch den Korridor der Zeit gereist war. Jetzt, da ER im Sterben lag, fiel auch die Maske … … glaubte Gabriel. Doch als der Spalt breit und klaffend wie eine Wunde im gläsernen Fleisch wurde, erlebte er eine herbe Überraschung. Bewegung wurde erkennbar. Dann – wurde etwas förmlich ausgespien. Eine Gestalt. »Du …?« raunzte Gabriel ungläubig. Lilith Eden gab keine Antwort. Mit Augen, die bedrohlicher glommen als die der Archonten, schritt sie selbstbewußt über das »Eis« auf Satan zu. Gabriel starrte an ihr vorbei auf die Säule, die wieder unversehrt wirkte. Kein Riß, keine »Wunde« unterbrach die makellose Glätte. Aber nun war jeglicher Glanz darin erloschen, und für einen kurzen Augenblick hielt Gabriel es für möglich, bereits gesiegt zu haben. Er wurde abgelenkt, als die Schwärze der Nacht wie von einer Meteoritenspur durchpflügt wurde. Lautlos raste ein Stern heran, der keiner war – und schlug in die Säule hinter Lilith Eden ein.
Michael? Gabriel wußte nicht, woran er den heranstürzenden Engel erkannte, der das geronnene, fast verloschene LICHT noch einmal vage schürte. Zugleich vernahm er einen Ton, der für menschliche Ohren nicht hörbar gewesen wäre. Etwas zerbarst – irgendwo. Endlich ist es geschehen, dachte Gabriel. Der Damm ist zerbrochen. Was mich entsandte, ist nicht länger hinter der Schwelle gefangen. LUZIFER … LUZIFER kommt …! Es war der Augenblick, in dem Lilith Eden den Teufel erreichte. Und ihm klarmachte, daß die Schlacht noch nicht geschlagen – und erst recht nicht entschieden war.
Zwischenspiel Der Tod des Adlers »Vorsicht!« Hidden Moon wankte leicht, als er die sich windende, um sich schlagende und tretende Bestie gewahrte, die aus dem Nichts zwischen Chiyoda, Makootemane und Esben Storm erschienen war. Es dauerte, bis er begriff, daß das Trio dieses geifernde Monster geholt hatte – und überhaupt realisierte, um wen es sich dabei handelte. »Nona …?« Es war Chiyoda, der versuchte, sich mit eindringlicher Stimme ins Bewußtsein der Werwölfin zu bringen. Aber es schien noch endlos lange zu dauern, bis sich Nonas Körper seines Fluchs entledigte und ein dem Anschein nach menschliches Wesen auf dem Erdboden zur Ruhe kam. Der greise Chiyoda kniete neben ihr nieder und sagte, während seine Hand zärtlich über die Wange der zierlichen Frau strich: »Sie hat das Bewußtsein verloren – gut so. Sie braucht Ruhe, Schlaf und viel Zeit, um darüber hinwegzukommen, was ihr angetan wurde …« »Angetan?« echote Hidden Moon. Niemand schien ihn zu hören. Niemand schien Anteil an der Qual zu nehmen, die in ihm brannte. »Es ist zweifelhaft, ob sie je über das hinwegkommen wird, was sie getan hat. Sie hat ihre Brüder und Schwestern in den Untergang getrieben!« Makootemanes Einwand erweckte den Eindruck, als wüßte auch er alles über die Hintergründe der Strapazen, die die Werwölfin gezeichnet hatten. Hidden Moon stöhnte unterdrückt. Reflexartig fuhr er sich mit der Hand in den Nacken – und meinte, in eine schwärende, entzündete
Wunde zu greifen. Gemartert schrie er auf. Und endlich richteten sich die drei Augenpaare auch auf ihn, glitten weg von der besinnungslosen Frau, für die Hidden Moon noch nie sonderlich viel übrig gehabt hatte. Und an der jetzt – in diesem Moment – sogar etwas haftete, was ihn schier um den Verstand brachte. Ein Geruch – eine Ausstrahlung, die … Manitou, neeeiiiinnn! Zitternd preßte der während einer Mondfinsternis getaufte Vampir die Faust gegen den Mund. »Was ist mir dir?« fragte Makootemane. So wie jetzt, fand Hidden Moon, hatte sein Ziehvater ihn noch nie angesehen. Nicht einmal in den ärgsten Krisen. Ich weiß es nicht! wollte Hidden Moon ihn anbrüllen. Aber sein Mund blieb stumm. Obwohl ein furchtbarer Schmerz – schlimmer als jede Verletzung, die der Arapaho je erfahren hatte – in seinem Schädel zu wüten begann. Dumpf röchelnd riß er die Arme empor. »Wyando …« Gewiß war es Makootemane, der ihn mit seinem Namen rief, der noch aus der Zeit stammte, als er noch kein blutsüchtiger Vampir, kein von Magie belebter Untoter, kein … Knecht des Satans gewesen war! Er hatte geglaubt, Gabriel entkommen zu sein. Aber er hatte sich geirrt. Der Teufel hatte ihm etwas eingepflanzt, das lange Zeit in ihm geschlummert hatte, nun aber – vielleicht durch die Witterung, die Nona mitgebracht hatte, zum endgültigen Ausbruch kam. Etwas, das ihn nicht nur um den Verstand bringen, sondern auch umbringen sollte. Hidden Moon fühlte eine Hand an seinem Arm. Sie wollte ihn stützen, während durch seinen Nacken und Kopf bereits elektrisie-
render Strom rann. »Wyando!« Die wogenden Nebel, die seinen Blick trübten, lösten sich nur zögerlich noch einmal auf. Er sah hin zu Chiyoda, der sich von der reglos am Boden liegenden Frauengestalt gelöst hatte und unterwegs war, um es Makootemane gleichzutun und nach Hidden Moon zu sehen. »Es ist nichts, alles in Ordnung, laßt mich …«, log er, wie unter Zwang. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Makootemane hatte ihm den Rücken gekehrt. Chiyoda kam genau auf ihn zu. An beiden vorbei starrte Hidden Moon auf Esben Storm, den Aboriginal. Er ist der einzige, der etwas ahnt, dachte er. Da kam auch schon der neue Schub. Helft mir, dachte er. So helft mir doch … Etwas verheerte von innen heraus sein Gehirn, seinen Verstand. Als würden sich Wurzeln einen Weg durch Erdreich hindurch suchen, so bohrten sich … winzige, hungrige Tentakel in ihn! Daß der Gefiederflaum in seinem Nacken verschwunden und von etwas ersetzt worden war, das wie dunkler Schorf aussah, merkte Hidden Moon nicht mehr. Makootemane … Chiyoda … Mit einem entmenschten Aufschrei fiel Hidden Moon das einstige Oberhaupt des Vampirstammes an und packte Makootemane mit seiner klauenartigen Hand im Genick – so fest, daß er die Wirbel brechen zu hören meinte. Erschrocken versuchte der Arapaho, sich aus dem stählernen Griff zu winden. »Was tust du –« Hidden Moon zerfetzte die Kehle des greisen Vampirs. Schwarzes Blut sprudelte aus der Wunde und näßte Täter und Opfer gleichermaßen. Chiyoda wollte zu Hilfe eilen, aber Storms Schrei ließ ihn mitten in
der Bewegung innehalten. Hidden Moon lachte irre. Sein Schädel schien zu platzen. Etwas darin wuchs. Suchte einen Ausweg aus der Enge … Mit einer kaum nachvollziehbaren Bewegung, so schnell ging alles, brach Hidden Moon nun tatsächlich Makootemanes Genick und schleuderte ihn gegen Chiyoda. »Flieh!« keuchte Storm aus dem Hintergrund. »Er ist wahnsinnig geworden und wird uns alle umbringen!« Hidden Moon warf sich dem zweiten Greis entgegen, während Makootemanes Hülle bereits zu Staub zerfiel. Ungläubig starrte Esben Storm auf Chiyoda. Er konnte nicht begreifen, warum dieser nicht die Ebene wechselte, sich in Sicherheit brachte. So leicht wäre es gewesen … Aber Chiyodas Blick sprach Bände. Er wollte Nona nicht zurücklassen, die wenige Schritte entfernt am Boden lag. Und sein ewiger Liebling Nona … … wurde ihm zum Verhängnis. Erst in dem Moment, als der Arapaho-Vampir wie tollwütig über ihn herfiel und seine Hände um den dürren Hals des Chinesen schloß, setzte dieser seine Fähigkeiten ein, um gemeinsam mit Hidden Moon in eine parallele Wirklichkeit zu wechseln. Es gelang ihm nicht mehr. Noch während der Wechsel im Gange war, starb Chiyoda in Hidden Moons erbarmungslosem Würgegriff. Beide verschwanden von der Bildfläche, als hätte es sie nie gegeben. Ihre Moleküle verwehten wie der letzte Schrei Hidden Moons im Abgrund zwischen den Wirklichkeiten. Nur Esben Storm blieb neben Nona zurück. Schuldbewußt blickte er auf das Häuflein Asche, das von Makootemane geblieben war, und dachte: Ich hätte es verhindern können … Noch bevor sich die Frau am Boden wieder zu regen begann, verließ »Niemandes Freund« den Ort der Tragödie.
Dieser Tragödie. Während anderenorts …
* … Lilith wie aus einem Schlaf erwachte. Und trotzdem das Gefühl hatte, weiterhin zu träumen. Es war ihr nicht möglich, wirklich zu begreifen, was geschehen war, nachdem sie am Ende Korridors KONTAKT gefunden hatte – Kontakt zu IHM, der ihr nicht nur Maarn, sondern auch dessen Stamm und die Säbelzahntiger vorgegaukelt hatte! Es war eine Prüfung gewesen, um ihre Gesinnung zu ergründen – und offensichtlich hatte sie bestanden! Nachdem die Wand aus Feuer über Lilith gekommen war, war ihr Bewußtsein für unbestimmbare Zeit erloschen gewesen. Sie hatte sich geborgen und behütet gefühlt wie nur einmal zuvor: im Leib ihrer Mutter Creanna. Und nun – verschwendete keine Zeit mehr mit der Suche nach Verstehen. Sie war durchdrungen von neuer Kraft. Unbändiger Energie. Das meckernde Lachen des Mannes, der am Rand der seltsamen Fläche stand, über die sie schritt, beeindruckte sie nicht einmal. Sie kannte nicht nur ihn, sondern auch das, was unter der von ihm gewählten Maske steckte, und wußte, wie der DÄMON Satan tatsächlich beschaffen war … In Jerusalem hatte er es ihr gezeigt. Als Jerusalem noch nicht gefallen war. Gabriel hob die Hand. Und noch während er dies tat, dachte etwas in Lilith sich die viel grauenhaftere Wahrheit dessen, was ihr winkte. Gabriels Lächeln zerfaserte, als könnte er fühlen, wie sie hinter die Illusion blickte.
Vielleicht war es so. Es spielte keine Rolle, änderte nichts. Die Auswüchse, die aus Gabriels Rücken ragten, erinnerten an lanzenförmige Tropfsteingebilde und verliehen dem Satan den Ruch eines urweltlichen Ungetüms. Selbst winzigste Details seiner erstickenden Präsenz unterstrichen die Dämonie seines Wesens. Er war Aussatz und Schrecken. Er war die Person gewordene Hölle, die ihn als Wegbereiter dessen, der ihn entsandte, ausgespien hatte … Lilith hielt sich nicht länger mit einer Musterung auf. Sie fühlte sich auf Satan zugezogen, und dieser machte keinerlei Anstalten, ihr auszuweichen. Warum auch? Er fürchtete nichts und niemanden, und ganz gewiß nicht sie! Die Augen, die Lilith entgegenblickten, waren von abseitiger Glut. Und wie ein Scheitel zogen sich die dolchartigen Schroffen auch über das Haupt, als wollten sie eine knöcherne Krone formen. Wie sollte er begreifen, was sie selbst nicht begriff? Bis zu dem Moment, da sie bei ihm war und ihn in ihre Arme schloß. Ihm klarmachte, daß sie – nicht allein gekommen war … Daß er seinen Feind unterschätzt und einen fatalen Fehler begangen hatte, dämmerte Gabriel viel zu spät. Bis dahin hatte er Gott am Rande der Niederlage und des Todes gewähnt, hatte er das ersterbende Licht der »Säule« als Maßstab seines bevorstehenden Triumphs genommen. Doch nun hielt ihm Liliths Nähe einen Spiegel vors Gesicht, in dem er sich genau so sah, wie andere ihn sahen. Zum allerersten Mal, seit es Inkarnationen wie ihn gab, erkannte eine von ihnen das Grundverdorbene und nach Macht gierende ihres Wesens nicht nur, sondern … … schrak davor zurück! Ihm graute. Der Gesandte aus der Hölle wollte zurückweichen, die Umar-
mung, in die ihn Lilith zog, bereits im Ansatz verweigern – aber es war zu spät. Knirschend zermalmten Arme aus Fleisch und Blut den skelettfarbenen Panzer des Teufels, aus dessen Schründen eitrig gelbes Blut rann, das kein Blut war. Es war Illusion wie alles, was den Satan auf Erden kleidete. Es war Stoff gewordener Haß. Die stählerne Umarmung lockerte sich erst, als Gabriel die Augen aus den Höhlen quollen; Augen, die so falsch waren wie sein Blut. VATER, HILF! Und tatsächlich: Gabriel spürte, wie sich jene Kraft und Macht über das gebrochene Siegel im Monte Cargano hinweg ergoß. Luzifer, der gefallene Engel eilte herbei, um seinem Sendboten, seinem Vollstrecker zu Hilfe zu eilen! Gabriel hatte begriffen, daß Lilith Eden nicht mehr nur Lilith Eden war. Und indem er es begriff, senkte er sein Haupt, um ihr die knöchernen Spitzen der »Krone« in den Leib zu stoßen! Die wischende Bewegung sah er zu spät. Den Streich, mit dem sie ihm ein Stück des knöchernen Zierats aus der Schädeldecke brach, die an dieser Stelle plötzlich offenlag und einen Blick auf das pulsierende Schattenorgan darunter gestattete, das grob einem menschlichen Gehirn nachempfunden war … Nur geringer Schmerz durchraste Gabriel. Aber um so größeres Entsetzen, als er gewahrte, wie die Faust, die den Splitter umklammert hielt, sich blitzschnell drehte und die Spitze … tief in die Schädelöffnung hineintrieb! Im selben Moment schlug goldenes Licht eine Brücke zwischen Lilith Eden und dem erstarrten Gebilde, aus dem Lilith hervorgetreten war. Und das, wie Gabriel im Aushauchen seiner Existenz begriff, ihn und seine Armee genarrt hatte. Gott war nicht die Säule. Gott war das, was wieder in die Säule zurückströmte …
… nachdem Lilith Gabriel gerichtet hatte. Und entkräftet, verlassen auch von SEINER Kraft, zu Boden sank. Als wäre nicht der Teufel, sondern sie zerschmettert und verstümmelt worden, lag sie da. Lilith hatte das Gefühl, über allen Dingen zu schweben, unberührt von allem, weil im Angesicht des Todes nichts mehr von Belang war. Jeder Atemzug tat weh. Jede winzige Bewegung schien das letzte Quentchen Kraft zu kosten, das noch in ihr steckte. So daliegend, sah sie den BLITZ. Das Aufgrellen der Säule, die die starre Kruste, in der sie gefangen gewesen war, selbst und aus eigener Kraft sprengte und mit dem Licht von tausend Sonnen zwischen den schemenhaften Archonten erstrahlte, die von diesem Licht aufgesogen wurden, als wären sie niemals mehr als Schatten gewesen. Und ihr Herr starb mit ihnen. Gabriel! Obwohl Lilith unmittelbar neben ihm am Boden lag, spürte sie nichts von den Kräften, die an Gabriels Gestalt zerrten, die wie paralysiert dastand und immer noch nicht fassen konnte, was ihm angetan worden war. Ein saugendes Geräusch, und der zur Salzsäule erstarrte Teufel verschwand im Feueratem der Säule. Lilith glaubte noch einen Schrei zu hören, dann zeugte nichts mehr von der Inkarnation Satans. Und dann brach auch das »Eis«, das die glühende Säule festgehalten hatte, als ER sich in Lilith zurückzog, um Satan zu täuschen. Gott fuhr auf in die dunklen Wolken, die sich über Uruk ballten, und verschwand. Und Lilith sank besinnungslos in sich zusammen. Sie wachte erst wieder auf, als er zurückkehrte. Und ihn mitbrachte. Den verlorensten aller Söhne …
* Ein eisiger Hauch streifte und weckte sie. Luzifer? war Liliths erster Gedanke. DU BRAUCHST IHN NICHT MEHR ZU FÜRCHTEN. NIEMAND MUSS DAS. Aber – ICH HABE GEFÜGT, WAS ZERBROCHEN WAR IN DIESEM KOSMOS. UND DIE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN MACHTGIER UND MACHT KLARGEMACHT. Du hast ihn …? ICH HABE IHN WIEDER ZU MIR GENOMMEN. ER WUSSTE NICHT, WAS ER TAT. ER MEINTE ES ZU WISSEN. ABER SEIN WISSEN WAR BEGRENZT. ER WAR NUR EIN TEIL, DAS SICH ANMASSTE, ALLMACHT WERDEN ZU WOLLEN … Werde ich sterben? WARUM SOLLTEST DU? WARUM SOLLTE ICH DICH STERBEN LASSEN? HIELTEST DU SOLCHEN LOHN FÜR ANGEMESSEN? Lilith schwieg. Sie versuchte nicht daran zu denken, mit wem sie sprach. Ohne Erfolg jedoch. DU BIST AM ENDE DEINER KRÄFTE, DENN EIN GESCHÖPF WIE DU IST NICHT GESCHAFFEN ALS HÜLLE FÜR ETWAS WIE MICH. ABER ICH WEISS EINEN ORT, AN DEM DU DICH ERHOLEN KANNST. ER WIRD DIR GEFALLEN. Gefallen? Ihr war sterbenselend. Sie verstand immer noch nicht, was geschehen war. Ob es überhaupt geschehen war. Jerusalem. All die Menschen. Sind sie wirklich gestorben? WAS TOT IST, SOLL TOT BLEIBEN. Aber – das kann nicht –
WILLST DU JETZT MENSCH WERDEN? Mensch …? ICH SPRACH VON EINEM ANGEMESSENEN LOHN … Lilith spürte, wie sich alles um sie zu drehen begann. Ein wahnsinniger Wirbel. Sie war nicht darauf gefaßt gewesen. Nicht darauf … Die Antwort, die sie Gott schließlich gab, bevor die Schwäche ihr die Sinne raubte, mochte ihm gefallen oder nicht. Er akzeptierte sie. Und behutsam trug er sie fort. Bald darauf kehrte er ohne sie nach Uruk zurück, wo er das Schlachtfeld über denselben Weg verließ, den er gekommen war. Ein letztes Mal wurde der magische Korridor bereist. Danach zerfiel der Lilienkelch zu Staub. Und Friede kehrte ein im Strom der Zeit. Wahrhaftiger, trügerischer Friede … ENDE des Zyklus
Im Auftrag des Monster-Mike Eine VAMPIRA-Parodie von Lars Papritz
Irgendwo in der Nähe von Bergisch Gladbach »Schneller, Rowlf! Schieb doch schneller! Wir kriegen den verdammten Bastard!« Robert Craven brüllte sich die Lunge aus dem Leib, während er mit der einen Hand die Steppdecke festzuhalten versuchte und mit der anderen den Stockdegen über dem Kopf schwang. Hinter ihm keuchte sein hünenhafter Freund und Diener Rowlf, während er sich bemühte, den klapprigen alten Rollstuhl, in dem der Hexer saß, noch ein wenig schneller zu schieben. Einige Meter vor Rowlf rannte eine atemberaubend schöne, höchstens zwanzig Jahre alte Frau. Ihr langes nachtschwarzes Haar wehte wie ein dunkler Schleier hinter ihr. Ein zerrissener Catsuit verhüllte nur dürftig ihre atemberaubende, kurvenreiche Figur; ein Anblick, der Rowlf immer wieder zu Höchstleistungen anspornte. O ja, Lilith Eden wäre auch in seinen Augen eine Sünde wert gewesen, aber im Moment hielten ihn zwei Dinge davon ab: der Gedanke an Rache und ihr wildes, tobendes Gekreische, das jeden Annäherungsversuch wenig ratsam erscheinen ließ. »Ich kriege dich, du verdammter Hurensohn! Und dann Gnade dir Gott!« schrie auch die Halbvampirin, so laut sie konnte. »Bei den Hohen! Wenn ich dich in meine Finger bekomme, dann …!« brüllte der Mann, der wiederum ein gutes Stück vor Lilith Eden rannte. Er war hochgewachsen und hatte ein markantes, beinahe brutales Gesicht, das von einer kreuzförmigen Narbe auf der Wange dominiert wurde. Der Name des Mannes war Landru, der Mächtigste der alten Rasse. Aber auch er wurde im Moment nur von einem
einzigen Gedanken beherrscht: Rache! »Wuff! Wuff! Arrrf! Ahuuuuuuu!« schien die Wölfin Landru zuzustimmen, die noch ein paar Meter vor dem ehemaligen Kelchhüter, einem Spürhund gleich, ihrem gemeinsamen Opfer hinterher jagte. Alle Kraft, die in dem schlanken Raubtierkörper steckte, brachte Nona zum Einsatz, und doch gelang es ihr kaum, einen Meter Boden gutzumachen. Ihr Opfer rannte, als wäre der Leibhaftige höchstpersönlich hinter ihm her. Und wenn man sich die seltsame Jagdgesellschaft anschaute, Werwolf und Vampir, Halbvampirin, Hexer und Riese, dann mochte der Unterschied gar nicht einmal so groß sein. Zumindest nicht für den Flüchtenden. Der Mann, der von der seltsamen Gruppe floh, sah dagegen ziemlich normal aus, beinahe schon unscheinbar. Kurze dunkle Haare wurden von beginnenden Geheimratsecken angegriffen, die altmodisch wirkende Brille tanzte unruhig auf seiner Nase. »Scheiße!« brachte er keuchend hervor. »Wie habe ich mir das nur eingebrockt?«
* In einiger Entfernung standen auf einer kleinen Erhebung – den Buckel im Gras »Hügel« zu nennen, wäre vermessen gewesen – zwei weitere, scheinbar normale Menschen und beobachteten die aberwitzige Szene. Nach einer Weile meinte einer der beiden: »Was meinst du, Mike? Sollen wir Timmy da nicht rausholen?« Der Angesprochene legte die Stirn in Falten und schien eine Weile über den Vorschlag nachzudenken, dann schüttelte er entschieden den Kopf. »Nee, laß mal, Adrian. Das ist doch die Gelegenheit für ihn, sich intensiv mit den Figuren auseinanderzusetzen. Du weißt schon: die Gefühle ausloten und menschlichen Tiefgang in die Serie bringen.«
»Okay, Boß. Was machen wir also?« »Ach, lassen wir ihm seinen Spaß und gehen einen trinken …«
* Einige Tage vorher »Morgen allerseits. Na, dann wollen wir mal die Handlung ab Band 51 festlegen.« »Morgen, Mike.« »Morgen, Mike. Was gibt es Neues?« »Gut, daß du fragst. Erst mal eine Order von der Verlagsleitung: Wir sollen neue Zielgruppen erschließen, vor allem die lieben Kleinen. Deswegen müssen ein paar Änderungen vorgenommen werden.« »Schon wieder Änderungen? Das wird den Fans nicht gefallen.« Adrian zog einen Schmollmund, vor dem sogar Anum Reißaus genommen hätte. Timothy sah das lockerer: »Na und? Der Autor hat immer recht, oder nicht?« Monster-Mike sah es mit Wohlwollen. »Richtig, Timmy. Du bist übrigens mit dem nächsten Band dran. Also kümmere dich um alles.« »Alles klar, Mike. Worum geht es denn?« »Also, zunächst brauchen wir eine Identifikationsfigur. Etwas, das die Kleinen kennen und lieben. Dann mußt du bei Nona einiges ändern. Der Verlag meint, ein Werwolf wäre zu hart für Kinder. Mach was Niedliches aus ihr – und wenn wir schon dabei sind, aus Landru auch. Außerdem hat sich die Frauenschutzbeauftragte beschwert. Nona hat in den letzten Bänden zuviel einstecken müssen.« »Geht klar, Chef. Kein Problem.« Timothy machte sich einige Notizen. Mit einem zynischen Grinsen begann er bereits einige Handlungsfäden zu skizzieren.
»Noch was: Die Leser haben entschieden, Hidden Moon muß weg. Ein für allemal. Aber bitte schön spektakulär.« »Wäre das alles?« »Nein, ein paar Kleinigkeiten hätte ich noch. Da wäre der Hexer. Die Grauen Panther haben sich beschwert, der gute Rob wäre zu alt. Schick ihn in den Ruhestand, ja? Und Landru …« »Was soll ich dem noch antun? Hat er nicht schon genug Prügel bezogen?« »Der Männerschutzbund hat sich aufgeregt. Landru ist … äh … zu gut bestückt. Korrigier das bitte auch, sonst demonstrieren die vor meinem Sarg, weil ihre Frauen nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen …« Eine halbe Stunde lang wurde in der Redaktion noch eifrig über die weitere Handlung diskutiert, dann machte sich Timothy auf den Heimweg. Zu Hause nahm er vor seinen Computer Platz, stellte etwas zu Trinken bereit und verriegelte die Tür. Dann machte er sich an die Arbeit …
* Tokio Vorsichtig schlich Lilith Eden über die Dächer der Stadt. Es hatte sie lange, entbehrungsreiche Wochen gekostet, die letzten Sippenoberhäupter in dieser glitzernden Metropole aufzuspüren. Tokio war eine seltsame Stadt für Lilith, eine Stadt der Gegensätze, in der sich moderne Technik mit uralten Traditionen verbanden. Eine dieser Traditionen hatte sie sich zunutze gemacht, mehrere Wochen als Geisha gearbeitet und dafür gesorgt, daß ihr ausgezeichneter Ruf in Liebesdiensten in der ganzen Stadt verbreitet wurde. Früher waren Geishas für jeden dagewesen; heute konnten sie sich nur noch die Reichen und Mächtigen leisten. Lilith zweifelte nicht
daran, daß ihre Beute noch immer diesen Status besaß. Überall auf der Welt hatten sich die Vampire in die Machtpositionen geschlichen, und auch wenn die Seuche einen Großteil der alten Rasse ausgelöscht hatte, so waren die Überlebenden doch nicht bereit, auf ihre Macht über die Menschen und auf ihren Reichtum zu verzichten. In den folgenden Wochen hatte Lilith eine Menge gelernt, über sich selber und über Männer. Noch immer schauderte sie bei dem Gedanken daran, was sie hatte tun müssen und mit wem, um die Gunst der feinen Herren dieser Stadt zu gewinnen. Aber es hatte sich gelohnt. Ihre Beute war noch immer ahnungslos. Lilith hatte Glück gehabt; der reiche Geschäftsmann, den sie heute mit ihren Reizen unterhalten hatte, war ein Vampir gewesen. Nachdem ihre … Spielchen beendet waren, hatte sich Lilith davongeschlichen, und seitdem verfolgte sie ihn. Sie hatte ihr Glück kaum fassen können, als er auf seinem Weg durch die Stadt noch zwei Dienerkreaturen abgeholt hatte. Lilith hatte es sich abgewöhnt, wählerisch zu sein. Das schale Blut dieser Diener würde sie genauso sättigen wie das ihres Herrn. Jetzt war es soweit. Die drei bogen in eine der winzigen Gassen ein, die zu Tausenden die Stadt durchzogen, einem monströsen Spinnennetz gleich. Und die Spinne war in diesem Fall sie! Vielleicht wollten die Vampire hier einen versteckten Hintereingang benutzen, vielleicht ein schmutziges Geschäft abschließen – es war Lilith egal. Wie ein Raubtier sprang sie hinab auf die Straße und näherte sich der ahnungslosen Beute …
* »Guten Abend, werter Herr.« »Was will die Geisha hier? Erledigt sie, ich habe keine Verwendung für sie«, befahl der Vampir seinen Kreaturen. Sofort bleckten die Dienerwesen ihre Zähne, und auch ihr Herr zeigte sein wahres
Gesicht. Hungrigen Raubtieren gleich, wollten sie sich auf die Halbvampiren stürzen. Noch wartete Lilith ab, spielte die Erschrockene, das wehrlose Opfer. Gleich aber würden die Bastarde spüren, wozu sie fähig war. Doch dazu kam es nicht … »Macht der Mondnebel, wacht auf!« erklang es irgendwo hinter Lilith. Helles Licht überstrahlte für einen Moment alles in der Gasse, und als sie und die Vampire wieder sehen konnten, waren sie nicht mehr allein. Auf der Mauer hinter den Blutsaugern stand ein seltsames Mädchen und schaute die Vampire grimmig an. »Ich bin Sailor Moon(weder verwandt, noch verschwägert mit Hidden Moon)! Ich kämpfe für Liebe und Gerechtigkeit! Und ich werde nicht zulassen, daß ihr einer so schönen Frau etwas antut. Im Namen des Mondes werde ich euch … bestrafen!« Die Blutsauger blickten sich an, als könnten sie nicht glauben, was geschah. Dies war ihr Fehler. Das in einen Matrosenanzug gekleidete Mädchen wirbelte herum, sprang und traf den Vampir mit einem harten Tritt. Dann zupfte sie eine Art Krone, die in einem hellen Licht zu strahlen begann, aus ihrem Haar. »Mondstein! Flieg und sieg!« Wie einen Diskus warf Sailor Moon die leuchtende Scheibe. Der Mondstein traf Vampir und Kreaturen einen nach dem anderen. Sofort zerfielen sie zu Staub. Lilith konnte nur völlig entsetzt zusehen. Das war ihr Mittagessen, das sich vor ihren Augen in Staub auflöste! Verdammt, sie hatte seit Wochen gehungert. Selbst ihr Hintern war schon ganz eingefallen! Und jetzt wagte es diese Göre, ihr Nachtmahl zu töten! Das schrie nach Rache. »Das war mein Essen, du … du Popeye-Verschnitt!« »Popeye? Ich bin Sailor Moon, Liebling aller Kinder, und –« Weiter kam sie nicht, denn Lilith hatte sie sich geschnappt, legte das Mädchen übers Knie und verabreichte ihr eine gewaltige Tracht
Prügel. Zumindest wollte sie das, aber schon beim zweiten Schlag begann Sailor Moon zu heulen und zu kreischen – und dann mischte sich zum zweiten Mal an diesem Tag jemand in die Angelegenheiten der Halbvampirin ein. Eine rote Rose flog durch die Luft und landete vor Liliths Füßen. Gleichzeitig blickten Lilith und Sailor Moon sich um. Dort, am Ende der Gasse, stand jemand auf der Mauer. Ein hochgewachsener Mann, der eine Art Ballkostüm trug, den Hut tief ins Gesicht gezogen, eine Maske vor den Augen. »Tuxedo Mask! Du bist gekommen, um mich zu retten!« jubilierte Sailor Moon – aber der Mann hatte nur Augen für Lilith. Wenig später flog Sailor Moon im hohen Bogen aus der Gasse, und aus dem Dunkeln war Liliths Stimme zu hören: »O ja, Tuxedo Mask, bestrafe mich, bitte, bitte. O ja, tiefer!«
* Zur gleichen Zeit in Rom Es hatte Hidden Moon fast den ganzen Abend gekostet, ein Opfer zu finden, das seinen Vorstellungen entsprach, aber in einer kleinen Taverne war er schließlich fündig geworden. Die gebürtige Römerin war eine dunkeläugige Schönheit. Der Vesuv schien in ihren Pupillen zu glimmen, und wenn er ihr Blut erst einmal in Wallung gebracht hatte, würde sie eine noch bessere Mahlzeit abgeben. Jetzt spazierte Hidden Moon mit ihr durch das nächtliche Rom, auf das Colosseum zu. Die antike Arena faszinierte ihn seit dem Tag, an dem er nach Rom gekommen war. Soviel Blut mußte dort geflossen sein, und so viele Schaustücke waren aufgeführt worden. Hineinzukommen war für den Vampir ein leichtes. Der Wille der
Menschen bot seinen hypnotischen Fähigkeiten keinen Widerstand, und seiner Kraft zeigte sich keine Tür gewachsen. Als sie die Arena erreichten, preßte Hidden Moon die Frau – er hatte nicht einmal nach ihrem Namen gefragt – hart an sich und küßte sie fordernd. Leidenschaftlich erwiderte sie seine Zärtlichkeiten. Ihre Hände gingen auf Wanderschaft, und auch Hidden Moon massierte seine Gespielin an ihren intimsten Stellen. Vampir und Opfer waren so miteinander beschäftigt, daß Hidden Moon die Gefahr erst im letzten Moment bemerkte. Etwas schoß heran! Der Arapaho-Vampir drehte sich um, so schnell, daß die Frau mit ihren Augen kaum folgen konnte. Und doch zu langsam! Eine Lasersalve traf den Indianer mitten in die Brust. »Örk!« war alles, was Hidden Moon sagen konnte, dann ging er zu Boden. Einige Meter von ihm entfernt landete ein fremdartiges Schiff, das beinahe wie ein Motorrad aussah, und vom Sitz stieg eine Gestalt, die jedem Rocker zur Ehre gereicht hätte. »Ey Puppe! Wennde spieln willst, dann komm zum Präsi! Der hat dir watte brauchst!« Langsam richtete sich Hidden Moon wieder auf. »He, das tat weh!« Zornig sprang der Indianer hoch, bereit, sich seinem Gegner zu stellen. Aber dann stutzte er. So jemanden wie diesen Typen hatte er noch nie gesehen. Das konnte kein Mensch sein! »Wer oder was bist du?« »Ich bin Lobo. Sorry, Süße, muß erst den Kerl da fräggn. Isn Auftrag, verstehste?« »Okay, du Freak!« Hidden Moon sprang seinen Gegner an. Dies war – bis auf ein schmerzhaftes Zusammenkrümmen, als Lobo ihm den Darm herausriß – die letzte Bewegung, die der Arapaho-Vampir in seinem untoten Leben tat. Sekunden später war es vorbei.
Der Rocker-Typ warf Hidden Moons Kopf lässig beiseite. »So, Kleine, un jetzt zeig dem Präsi doch mal, wo man auf dieser verfräggten Welt einen draufmachen kann.«
* London Düster und bedrohlich wirkte das alte Gemäuer am Ashton Place, aber der Mann, der sich mit sicherem Schritt diesem scheinbar verwunschenen Ort näherte, ließ sich davon nicht abbringen. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen, und so wahr er Bürger des großen britischen Empires war, würde er ihn ausführen. Seine Ehre gebot ihm dies. Mit einem beinahe schmerzhaften Quietschen öffnete sich das Gitter und gab den Weg zu der Villa frei. Mr. Smythe – so der Name des ansonsten eher unscheinbaren Mannes – trat tapfer ein, bemüht, sich auf das große Portal des Hauses zu konzentrieren und nicht auf das zu achten, was links und rechts des Weges liegen mochten. Seine Kollegen von der AAB hatten ihn genauestens instruiert und ihm auch nicht verschwiegen, daß sich dieses Haus manchmal … nun ja, merkwürdig aufzuführen pflegte. Beinahe war Smythe versucht zu sagen, daß sich dies für ein verwunschenes englisches Haus auch so gehörte, aber dann tastete er doch lieber nach dem Gegenstand, den er in der Tasche seines obligatorischen Regenmantels trug. Es war ein silbernes Kreuz, das ihm ein Bekannter bei Scotland Yard leihweise überlassen hatte. Hoffentlich bekommt John es auch zurück, falls das hier schief geht, waren Smythe letzte Gedanken, bevor er beherzt an das Portal klopfte.
*
»Was ist los, Rowlf?« schrie Robert Craven aus Leibeskräften. »Du weißt doch, ich höre nicht mehr so gut!« Rowlf holte tief Luft, dann beugte er sich zu seinem Freund hinunter. »ES HAT GEKLOPFT, ROBERT!« »Schrei mich nicht so an! Ich bin doch nicht taub! Nun geh schon und mach auf.« Rowlf fuhr sich mit der Hand frustriert durch das Gesicht, dann ergab sich der Hüne in sein Schicksal und schlich zur Türe. Einige Sekunden später öffnete Rowlf und betrachtete das Männlein, das sich vor ihm aufzubauen versuchte. Der Versuch scheiterte kläglich. Schließlich – Rowlf wollte die Pforte schon wieder schließen und die GROSSEN ALTEN von der Leine lassen – fand der Wicht doch noch seine Sprache wieder. »Mein Name ist Smythe, von den Yorkshire Smythes. Wäre es möglich, mit Mr. Craven zu sprechen?« »Wat willste denn vom Boß, Schmitt?« »Mein Name ist Smythe, und was ich mit Mr. Craven besprechen möchte, geht Sie gar nichts an.« Smythe dachte schon, nach diesen Worten hätte sein letztes Stündlein geschlagen, aber dann nuschelte das Monster, das wohl irgendwann Dr. Frankenstein entkommen sein mußte, etwas Unverständliches und verschwand im Haus. Minuten später wurde Smythe hereingebeten zu Robert Craven, dem Hexer, geführt. »Was kann ich für Sie tun, Mister Schmitt?« »Smythe, von den Yorkshire Smythes. Hier ist meine Karte.« Er reichte Craven die Visitenkarte, die er aus einer kleinen Dose fischte, die erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Sarg hatte. Smythes persönliche Vorstellung eines gelungenen Gags. »Sie sind von der AAB. Interessant. Wenn Sie die Güte hätten, mir zu erklären, wofür Sie nun genau sammeln?« »Für die Altenaufsichtsbehörde, Mr. Craven, und ich bin in der Tat gekommen, um Sie einzusammeln. Ihre Majestät die Königin hat be-
schlossen, daß es für Sie das Beste sei, den Rest Ihres natürlichen Lebens in einem staatlichen Altenheim zu verbringen. Hier ist der Bescheid.« Und damit überreichte er Robert Craven ein überaus offiziell aussehendes Dokument. »Ich erhebe Einspruch!« begehrte der Hexer auf. »Bedaure, der wurde bereits abgelehnt. Ich rate Ihnen, mich freiwillig zu begleiten. Ich bin über Ihren Ruf informiert und befugt, auch höhere Mächte anzurufen, sollte es sich für Ihre Einweisung als unumgänglich erweisen. Es ist doch nur zu Ihrem Besten. Kommen Sie, es geht ganz schnell und macht auch gar keinen Dreck!« Mit diesen Worten ergriff Smythe, seinen letzten Mut zusammennehmend, die Griffe des Rollstuhls und begann Craven langsam aber unaufhaltsam, wie es sich für die britische Bürokratie gehörte, zum Ausgang zu schieben. »Aber … warten Sie doch … Was ist mit Fee? Ich muß mich um sie kümmern. Sie … sie muß dreimal täglich gefüttert werden!« »Fee? Wer ist das? Ihr Pudel?« »Die Fledermaus vom Boß, du Altenentführer!« Rowlf zog den Vorhang von einem Käfig weg, der von Smythe bisher unbemerkt in einer Ecke gestanden hatte. Darin hing eine ungewöhnlich große Fledermaus. Wenn Smythe genau hinsah, glaubte er weibliche Züge in dem häßlichen Gesicht des Tieres zu erkennen. Angeekelt schüttelte er den Kopf. »Schaffen sie das Monster in den Zoo. Federvieh aller Art ist im Heim nicht erlaubt. Guten Tag.« Smythe karrte Craven so schnell es ging zur Haustür und von dort zurück auf die Straße, wo sein Transporter wartete. Den ganzen Weg über fluchte und wetterte Robert Craven. »Rowlf! Rowlf! Hol Dr. Dr. Gray! Er muß mich da rausholen! Ach nein, der ist ja längst tot … Na, warten Sie, Smythe! Sobald mir der Zauberspruch wieder einfällt, verfluche ich Sie bis in alle Ewigkeit! Warzen sollen Ihrem Allerwertesten entsprießen, Sie …«
* Irgendwo in den Alpen »Landru!« »Nona!« »Landru!« »Nona!« Der ehemalige Elchhüter vergaß die Ziegen, die rund um ihn grasten, und eilte auf Nona zu, seine Jugendliebe, die irgendwann die Alpen verlassen hatte. Dabei waren sie doch so glücklich hier gewesen, beim Alm-Anum und dem kleinen Gabriel. »O Nona! Endlich bist du wieder bei mir!« »O Landru! So schön wie auf der Alm war’s halt nirgends wo! Na, liebst du mich noch?« »Soll ich’s dir zeigen?« »O ja, o ja, o ja!« Nona hüpfte vor Vergnügen. Dann sprang sie Landru an, so daß sie beide zu Boden gingen und sich durch das Gras wälzten. Sie küßten sich, ihre Zungen spielten wild miteinander, und Landrus kräftige Hände massierten Nonas Schoß. Wie hatte er sie vermißt. Aber Nona war mindestens genauso begierig wie Landru, dem ehemaligen Elchhüter, der nach diversen anderen Karrieren, die auf mysteriöse Weise im Sand verlaufen waren, jetzt als Almvampir und Ziegensauger arbeitete. Voller Leidenschaft riß Nona Landru die Lederhose vom Leib und ließ ihre heißen Lippen auf Wanderschaft gehen. Nach zwei Sekunden tauchte sie enttäuscht wieder auf. »Er ist weg! Buhuhuuuu!« Landru verstand zuerst nicht, was Nona meinte, dann blickte er an sich herab. Tatsächlich, er war weg. Oder, nein, er war noch da, aber … so klein!
»Buhuhuuuuu!« schrie nun auch Landru. Nona richtete sich wieder auf und streifte ihre Kleider endgültig ab. »Na, macht ja nichts. Es kommt doch nicht auf die Größe an. Wir können immer noch auf die Jagd gehen.« »Na jaaa«, meinte Landru enttäuscht, aber dann vertrieb die Aussicht auf eine Jagd mit seiner Geliebten einen Teil seiner Frustration. Sofort leitete er die Metamorphose ein, und auch Nona gab ihre menschliche Tarnung auf. Nur Sekunden später tollten der Berner Sennenhund und der Werpudel ausgelassen über die Alm, auf der Jagd nach Schmetterlingen. Währenddessen badete der alte Alm-Anum in der Hütte den kleinen Gabriel, puderte ihn ein und windelte ihn anschließend neu. Nur kurz überkam beide das Gefühl, daß hier irgend etwas nicht stimmte, aber sie konnten beim besten Willen nicht sagen, was.
* Zurück in der Wirklichkeit Timothy streckte sich kurz und gähnte herzhaft. Dann speicherte er die Arbeit eines Tages ab und ging zu Bett. In den folgenden Tagen würde er noch genug Zeit finden, den neuen Band zu Ende zu schreiben. Schon kurz darauf war lautes Schnarchen zu hören. So bemerkte Timothy nicht, daß sich der Computer von selbst wieder einschaltete und die Geschichte, mit der er begonnen hatte, plötzlich in einer ganz anderen Richtung verlief …
* London, einige Zeit später
Robert Craven saß in seinem Zimmer im Altenheim. Er war allein und starrte angestrengt aus dem Fenster. Düstere Wolken zogen sich zusammen, so als wolle der Himmel die Laune des alten Hexers widerspiegeln. Auch er hatte den unbestimmten Eindruck, daß hier etwas nicht nach Plan lief. Etwas war schiefgegangen. Entsetzlich schief. Er im Altenheim! In einer Aufbewahrungsstelle für nutzlose Senioren. Aber er war nicht nutzlos. Er hatte eine Aufgabe. Eine … »Wenn du es baust, dann wird er kommen!« Die Stimme kam scheinbar aus dem Nichts. Hastig blickte sich der Hexer um, doch niemand war im Raum, die Türe noch immer geschlossen. Lediglich aus dem Nachbarzimmer klang das leise Schnaufen der Hamster, die in ihren Lauf rädern die eiserne Lunge irgendeines alten Narren betrieben. Alter Narr … er selber war ein alter Narr! Aufs Abstellgleis geschoben. »Wenn du es baust, dann wird er kommen!« Diesmal war sich Robert Craven sicher, die Stimme gehört zu haben, und plötzlich wußte er, was zu tun war. Vorsichtig nahm er das hölzerne Tablett, mit dessen Hilfe er seine Mahlzeiten einnahm. Dann rollte er zu seinem Stockdegen und zog die Klinge hervor. Ein harter Schlag mit dem Tablett an die Bettkante, und die Eßhilfe zerbrach. Sofort machte sich Robert Craven an die Arbeit … Als gegen Abend der Pfleger hereinschaute, war Robert noch immer beschäftigt. »Was tun Sie denn da?« fragte der Mann in dem weißen Hemd. »Ich baue.« »Und was bauen Sie?« »Keine Ahnung.« »Und warum bauen Sie es?« »Weil er dann kommt.« »Aha. Aber nicht mehr zu lange, ja? Und keine Shogotten nach 22 Uhr auf Ihrem Zimmer, Mr. Craven. Sonst kommt wieder Schwester
Yogsotopf mit dem Einlauf!« Craven nickte nur, dann widmete er sich wieder seiner Arbeit. Gegen Morgen hatte er es geschafft. Ein winziges Tor stand vor ihm auf der Tischplatte, und schon wallte Nebel daraus hervor. Nur noch Sekunden, und aus dem Nebel erschien … Abn el Gurk Ben Amar Chat Ibn Lot Fuddel der Dritte! Der Hexer zog eine Grimasse. »Ich hatte ja mit allem gerechnet, nur nicht mit dir!« »Ich bin der Geist, der stets verneint, aber nur, wenn es sich reimt! Hihihihi!« kicherte Gurk. »Was aber wichtiger ist: Ich weiß, was hier schiefgelaufen ist und wie ihr euch rächen könnt. Hör mir zu und schreib gut mit …«
* Am nächsten Morgen, als Rowlf seinen ehemaligen Chef besuchen kam, erlebte er diesen in außergewöhnlich guter Laune. Im Gegensatz zu sonst hielt Robert Craven ihn auch nicht mit nervigen Wehklagen über sein Schicksal auf. Im Gegenteil, er übergab ihm nur einige Umschläge und Anweisungen, an wen sie zu übergeben waren. Rowlf schaute irritiert, aber dann machte er sich auf den Weg, den Auftrag auszuführen. Robert Craven dagegen saß in seinem Rollstuhl, rieb sich die Hände und schwang probehalber schon ein paarmal den Stockdegen durch die Luft.
* Drei Tage später war es zur vereinbarten Zeit soweit. Leise öffnete sich die Tür zum Zimmer des Hexers. Herein kamen einige seltsame Gestalten, allen voran ein hochgewachsener Mann mit einem harten Ge-
sicht und einer kreuzförmigen Narbe auf der Wange, der eine Lederhose trug. Bei ihm war eine Frau, die kurze rote Haare und eine beinahe knabenhafte Figur hatte, die in ihrem Dirndl völlig unterging. Hinter ihr betrat eine weitere Frau den Raum. Diese erkannte Robert Craven, auch wenn ihm auffiel, daß sie abgemagert aussah und auch die rote Rose in ihrem Haar nicht so ganz zu ihr passen wollte. »Landru, Nona und Lilith Eden, nehme ich an.« »Und Ihr seid Robert Craven?« entgegnete der Narbenmann. »Ich habe schon von Euch gelesen. Was wollt Ihr, Hexer? Meine Ziegen müssen gemolken werden.« »Euch euer altes Leben zurückgeben. Aber dafür müßt ihr mich hier rausholen.« »Ich habe kaum ein Wort von dem verstanden, was Ihr geschrieben habt, Hexer. Ich hoffe für Euch, daß Ihr recht habt.« Damit packte Landru den Rollstuhl, und eine seltsame Prozession verließ das Altenheim und schlich sich durch die Stadt bis hin zu der alten Villa am Ashton Place, die der Hexer seit hundert Jahren bewohnte. Dort wartete bereits Rowlf auf sie. »Alles fertich, Robert.« »Gut.« Craven und Rowlf führten die anderen zu einer alten Uhr, deren zahlreiche Zeiger alles Mögliche anzeigen mochten außer der Zeit. Robert übergab Rowlf eine Zeichnung, die eine bestimmte Konstellation der Zeiger beinhaltete. Abn el Gurk Ben Amar Chat Ibn Lot Fuddel der Dritte hatte sie ihm gegeben. Kaum hatte Rowlf die Zeiger so eingestellt, wie es die Zeichnung verlangte, sickerte träges, kränklich aussehendes grünes Licht hustend aus der Uhr hervor. »Diese Uhr, meine Freunde, ist weit mehr als ein Instrument, das die Zeit anzeigt«, hub der Hexer zu reden an. »Sie ist ein Tor, ein Weg durch Zeit und Raum, der an jeden beliebigen Ort reicht. Sogar dorthin, wo die Leute leben, die uns diese Schmach angetan haben.
Folgt mir!« Robert Craven zog den Uhrkasten auf. Dahinter kam kein Uhrwerk zum Vorschein, sondern eines der legendären Tore der GROSSEN ALTEN: ein sich windender, giftgrüner Tunnel, der auf unheilige Art zu leben schien. Beherzt schubste Rowlf den Hexer hinein, und die anderen folgten nach kurzem Zögern. Was hatten sie schon zu verlieren? Der Weg durch das Tor schien Ewigkeiten zu dauern, und doch verging nicht einmal eine Sekunde, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Sie waren in einem Arbeitszimmer, wie es überall existieren mochte, aber Craven wußte, daß sie am Ziel waren. »Seht auf den Monitor«, wies der Hexer seine Begleiter an. Nach einem leichten Zögern blickte Lilith Eden auf den Bildschirm. Sie konnte kaum glauben, was sie dort las. Wenige Zeilen über dem sich bewegenden Cursor stand: »Seht auf den Monitor«, wies der Hexer seine Begleiter an, Sie hatten es geschafft. Sie waren am anderen Ende der Wirklichkeit. Jetzt mußten sie nur noch warten.
* Irgendwo auf der Alm Vorsichtig öffnete der Alm-Anum den Umschlag und begann zu lesen. Wieder und wieder las er den Brief, und schließlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er reichte den Brief Gabriel, und auch das Kind verstand. Beide waren außer sich vor Zorn, aber sie wußten, was sie tun konnten. »Ich weiß den Richtigen für die Arbeit. Vertrau mir, Anum.« Gabriel grinste diabolisch.
* Timothys Haus Wie jeden Morgen kam Timothy mit einem Beutel frischer Brötchen nach Hause und ging damit in die Küche, um einen Kaffee aufzusetzen. Dann wollte er hoch ins Arbeitszimmer, nur schnell nachschauen, was an Emails übers Internet gekommen war, und dann in Ruhe frühstücken. Bis dahin würde auch der Kaffee durchgelaufen sein. Nichtsahnend ging Timothy die Treppe hinauf und öffnete die Tür. »Überraschung!« Timothy blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Vor ihm standen Lilith Eden, Landru, Robert Craven und Rowlf. Und sie sahen sauer aus. »Oh, Scheiße!« war alles, was er herausbrachte. Dann nahm Timothy die Beine in die Hand und flüchtete so schnell er nur konnte. »Hinterher!« brüllte Robert Craven und schwang den Stockdegen wie eine Keule durch die Luft.
* Monster-Mikes Büro »Und du bist sicher, daß es eine gute Idee war, Timothy sich selbst zu überlassen?« »Vertrau mir, Adrian. Was soll denn schon passieren?« Dann sperrte Mike das Büro auf, und sie traten ein. »Verfräggte Überraschung, Leute!« rief Lobo fröhlich und stürzte sich auf den ahnungslosen Redakteur und seinen Autor.
*
Einen Tag später in München »Du, Stefan.« »Ja, Harry?« »Hast du schon die Zeitung gelesen, Stefan?« »Nein, Harry.« »Schade, Stefan.« »Was steht denn drin, Harry?« »In Bergisch Gladbach, Stefan. Da sind gestern drei Morde passiert. Beinahe so wie bei uns mit den Mainzelmännchen.« »Weißt du Einzelheiten, Harry?« »Ja, Stefan.« »Dann erzähl sie, Harry!« »Ja, gerne, Stefan. Ein Autor vom Bastei-Verlag wurde gestern tot aufgefunden. Woran er starb, weiß noch keiner. Es ist nicht genug übrig geblieben, Stefan. Und dann sind da noch der Redakteur und ein weiterer Autor.« »Weiß man denen auch nicht, woran sie gestorben sind, Harry?« »Doch, Stefan. Bei denen schon. Sie wurden gefräggt.« »Hmm, klingt nach einen Fall für uns, Harry.« »Ja, Stefan. Hab ich mir auch schon gedacht. Soll ich den John anrufen?« »Nein, Harry. Der erholt sich noch von seinem CD-ROM-Spiel. Aber du kannst schon mal den Wagen holen, Harry.« »Gern, Stefan.« ENDE Sailor Moon, Tuxedo Mask © by Naoko Takeucni/Kodasha, Toei Animation Lobo © by DC Comics
Der Durst der Toten von Adrian Doyle und Timothy Stahl Die letzte Schlacht ist geschlagen – die Menschheit hat überlebt. Doch das Schicksal jener Wesen, die im Geheimen über uns herrschten, ist ungewisser denn je zuvor. Liliths Zukunft dagegen scheint auf den ersten Blick ihre Vergangenheit zu sein: Sie erwacht nach langem Schlaf in ihrem Haus in der Paddington Street. Doch die Welt draußen hat sich verändert! Ihr Kampf ist noch nicht vorüber. Denn das Böse findet immer einen Weg …