DUST Band 1 »Die Legion von Scardeen« von Martin Kay
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Inhalt
Vorwort der Taschenbuchausgabe Teil 1 Die Legion von Scardeen Teil 2 Die vierte Dynastie Teil 3 Mazoni – Die verbotene Welt Teil 4 Der neue Schwertträger Glossar
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Vorwort der Taschenbuchausgabe
Liebe Leser, mit diesem Buch halten Sie ein Stück meiner Vergangenheit in den Händen, denn die Geschichte, die auf den nachfolgenden Seiten erzählt wird, hat einen langen Weg hinter sich. Die Ursprünge von DUST reichen zurück bis 1987. Damals arbeitete ich an einer Krimiserie namens »Shadow Unit«, in der sich eine Polizeispezialeinheit die Technik des Philadelphiaexperiments zunutze machte, um kurz nach Bekannt werden eines Verbrechens am Tatort sein zu können. Die SHADOW UNIT transformierte kurze Zeit darauf zu D.U.S.T., das seinerzeit für »Dynamic Unit of Superior Technology« stand. Das Projekt ging damals jedoch nicht über den Pilotroman hinaus. Ich konzipierte danach eine Science Fiction Serie, wobei mir der Name DUST als Titel so gut gefiel, dass ich ihn kurzerhand beibehielt. Jedoch änderte sich die Bedeutung in die Abkürzung des Planeten Dai Urshar Senekar Tarmalis (damals noch Dai Urshar Ssrid Thlonec). Nach dem ersten Roman »Suchende im Kosmos«, den ich im Bekanntenkreis als lose Blattsammlung herumgehen ließ, schrieb ich vornehmlich für meine Bundeswehrkameraden die Story bis Teil 11 weiter. Die Geschichten reichten von schlappen 17 (Teil 4) bis 36 Seiten (Teil 11). Danach wollte ich mich eigentlich anderen Dingen widmen, allerdings fertigte mein Bruder eine Bleistiftzeichnung mit dem Logoschriftzug an, der mich dazu inspirierte weitere Bände zu schreiben. Ich kam bis Teil 16 (Lady Starlight, Teil 2) und legte eine kleine »Schaffenspause« ein, in der ich eine Kurzgeschichte über den Kopfgeldjäger Damien Cavelorn verfasste. Dachte ich zumindest, denn die »Kurz«geschichte »Bounty – Tot oder lebendig« wurde 293 Seiten lang. Ihr folgten in kurzen Abständen die ebenso langen Romane »Der Flug der Santa Maria« und »Das galaktische Dreieck«, ebenfalls mit Damien Cavelorn als Protagonisten. Danach kam ich zur Fantasy und DUST geriet vollkommen in Vergessenheit. Bis ... ja bis zum August 2001, immerhin 13 Jahre später. Durch Zufall fiel mir ein Roman des Autors Wilfried Hary aus der Reihe »Gaarson Gate« in die Hände. Das Besondere daran: Herr Hary stellt die Heftromane in Eigenproduktion mit Laser- und Tintenstrahldrucker her, heftet und vertreibt sie selbst. Meinem Arbeitskollegen Sascha Hausberg und mir kam die mehr oder weniger grandiose Idee »das können wir doch auch!« Ein Wort ergab plötzlich das andere, und dann kamen wir darin überein, zum im Oktober stattfindenden Buchmesse Convent Heft 1 einer neuen Serie zu präsentieren. Natürlich nur einen Probeband mit geringer Auflage. Die Wahl fiel auf DUST – die Serie hatte immerhin Bestand und musste nicht komplett neu konzipiert werden. Hier ein wenig umschreiben, dort ein wenig verbessern, das würde schon passen. Meinten wir. Wie falsch wir hier lagen, sollte sich bald zeigen. Ich schrieb den ersten Roman »Suchende im Kosmos« (der Titel änderte sich zu »Die Legion von Scardeen«) fast komplett neu, danach musste er in einem DTP-Programm gesetzt werden, anschließend folgten der Laserdruck und die manuelle Heftung. Das erste Titelbild erhielten wir von Klaus Schimanski, jedoch verzichteten wir auf die Reproduktion mittels Tintenstrahldrucker, da diese Technik dann doch a) arg lang dauert, wenn jedes Cover einzeln ausgedruckt wird und b) die Kosten hierfür immens hoch liegen. Der Farblaserdruck einer Kopiermaschine eignete sich da erheblich besser. Den Kantenschnitt übernahm Christiane Sina, die auch hauptberuflich in einer Druckerei tätig ist. Auf die sprichwörtlich letzte Minute zum BuCon 2001 lag dann Heft 1 in einer Startauflage von 25 Exemplaren vor. Werbe-T-Shirts und an der
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Rückwand des Atlantis-Standes platzierte Banner trugen mit dazu bei, dass die vollständige erste Auflage noch auf dem Con verkauft wurde. Wir druckten nach, nahmen Band 2 in Angriff und so nahm die Geschichte ihren Lauf. DUST im Heftroman entwickelte sich in der Kleinverlagsszene zu einem Renner. Nach der Bekanntgabe, dass wir die ersten vier Hefte nicht mehr nachdrucken würden, da die Handlung nun schon so weit fortgeschritten sei, erreichte uns eine wahre Flut von Anfragen. Plötzlich kamen große Bestellungen über die Händler herein, und zuvor schon waren die Rufe nach einer Ausgabe im Paperbackformat laut geworden. Mit dem Atlantis Verlag wurde der optimale Partner zur Realisierung des Projektes in seiner neuen Form gefunden, da wir ohnehin vorhatten, DUST nach Heft 12 ins Paperback wandern zu lassen. In diesem ersten Band lesen Sie die ursprünglichen Heftromane: Band 1 »Die Legion von Scardeen« Band 2 »Die vierte Dynastie« Band 3 »Mazoni – Die verbotene Welt« Band 4 »Der neue Schwerträger«
Gute Unterhaltung wünscht Martin Kay
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Teil 1 Die Legion von Scardeen
Die Zielerfassung arbeitete nicht mehr. Zahlreiche Bildschirme und Sensoren waren ausgefallen. Nervös blickte Ken Dra auf die Navigationsdisplays, die nur unzureichende Werte lieferten. Der letzte Treffer hatte nicht nur ihre Scanner lahm gelegt, sondern auch die Energieversorgung zu Schilden und Triebwerken geschwächt. Sie waren schutzlos und nur noch halb so manövrierfähig, wie vor ihrem Start. Ken Dra drehte sich im Sitz des Navigators um. Er begegnete Jee A Marus Blick, die am Kommandopult neben dem Captain saß und eine neue Route ausarbeitete. Sie waren den Scardeenern knapp in den Hyperraum entkommen, aber das hieß nicht, dass sie ihre Verfolger wirklich abgeschüttelt hatten. »Wenn wir weiter hier herumhocken, finden sie uns bald«, sagte der Pilot neben Ken Dra. Der Navigator, der selbst genügend Flugstunden absolviert hatte, um ein Scoutschiff wie dieses zu fliegen, verdrehte die Augen. Er stand auf und ging zum Kommandopult hinüber. »Wir haben die Koordinaten für unseren Zielflug. Warum nutzen wir sie nicht?« Der Captain blickte müde auf. Er war ein alter Mann mit haarlosem Schädel, der vornehmlich Frachtflüge zwischen Prissaria und seinen Monden flog. Für diese Mission war er kurzfristig eingesprungen, da der bisherige Kommandant der ROC SUN wegen einer üblen Magenverstimmung das Bett hütete. Aber all seine Erfahrung im Raumflug nützte ihnen jetzt nicht weiter. Ken hätte es ihm am liebsten an den Kopf geworfen, doch aus Respekt vor Jee tat er es nicht. Einmal mehr suchten seine Augen den Blick der schönen Frau mit dem langen, silbrigen Haar. »Wer hat dir befohlen, aufzustehen?«, fragte der Captain, doch die Unsicherheit war deutlich aus seiner Stimme herauszuhören. Er war es nicht gewohnt, zu befehlen. Vermutlich hatte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Frachter geflogen. Jee A Maru räusperte sich. »Willst du riskieren, direkt in einen Konvoi der Scardeener zu fliegen? Wenn sie unsere Funksprüche zu Pris abgefangen haben, werden sie unser Ziel kennen und uns dort erwarten.« »Wohin dann? Zurück nach Prissaria?« Die Frau schüttelte leicht den Kopf. »Nein, so kurz vor Dai Urshar gebe ich nicht auf.« »Bist du sicher, dass wir auf der richtigen Fährte sind, Schwertträgerin?« Ken Dra zweifelte an Jee A Marus Objektivität. Sie war wie besessen davon, den mysteriösen Planeten zu finden, dass sie nicht mehr nüchtern ihre Chancen abwog. Die Regierung der Drahusem hatte Dutzende von Scoutschiffen wie die ROC SUN in die Weiten des bekannten Weltraums und darüber hinaus entsandt, um Dai Urshar Senekar Tarmalis zu finden, bisher war nicht ein Schwertträger mit positiven Nachrichten nach Hause zurückgekehrt. Wenn man mich fragt, dann existiert dieser legendäre Planet gar nicht, dachte Ken Dra. Aber wer fragt schon mich? Ehe Jee A Maru auf seine Frage antworten konnte, heulte der Annäherungsalarm über das Kommandodeck der ROC SUN. Ken wirbelte herum und war mit zwei Sätzen an seinem Platz. »Schiff voraus, Ortung Drei-Drei-Fünf«, meldete der Pilot. »Die Bugsensoren sind ausgefallen, wir konnten es nicht rechtzeitig erkennen.« »Abkippen!«, rief Ken Dra, die Tatsache ignorierend, dass er gar nicht die Befehlsgewalt an Bord hatte. Aber ehe der Captain in seiner Trägheit reagieren konnte, musste jemand handeln, bevor es zu spät war.
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Das Scoutschiff tauchte durch die Farbschlieren des übergeordneten Kontinuums. Zumindest wurden die Reflexe von Taychonenblitzen durch die Sensoren als Farbmuster interpretiert. »Wir haben drei Austrittsvektoren!«, verkündete der Navigator sachlich, während er förmlich spürte, wie dem Piloten neben ihm der kalte Schweiß ausbrach. Das Verfolgungsschiff hatte aufgeholt und machte die Waffen feuerbereit. »Die haben uns gleich!« »Welche Alternativen, Ken?«, fragte Jee A Maru. »Prissaria, Zielvektor 1 und der ... Moment, hier ist noch ein schwaches Signal. Koordinaten werden in Drahusem übermittelt! Einer unserer Stützpunkte so weit draußen?« Ken Dra blickte auf das Display. Die Sendequelle, die er gerade geortet hatte, wurde für einen Augenblick stärker, überstrahlte mit einem Koordinatengitter die restlichen Vektoren auf seiner Matrix, geradezu als wolle es ihm mitteilen, dass dies der einzige Weg sei. Er spürte Jee A Marus Atem in seinem Nacken. Die Schwertträgerin war hinter ihn getreten und betrachtete nun ebenfalls die Werte. »Dorthin fliegen wir!«, entscheid sie. »Was? Aber das könnte eine Falle sein!« »Ich fühle, dass es dort mehr gibt. Vor allen Dingen Antworten auf unsere Fragen ... und unsere Suche.« »Mit Verlaub, Jee, aber ...« »Die Schwertträgerin hat entschieden!«, sagte der Captain. »Setze einen Kurs, Navigator. Steuermann, bringen Sie uns bei den Koordinaten aus dem Hyperraum.« Ken spannte sich, doch er gehorchte und übermittelte den Austrittsvektor an das Steuer. Kurze Zeit darauf fiel die ROC SUN aus dem übergeordneten Kontinuum in den Normalraum zurück und fand sich auf direkter Bahn zu einem blaugrün schimmernden Planeten wider. Ein einzelner Satellit umkreiste die kleine Welt. In der Ferne leuchtete ein gelber Stern. »Empfange Radiowellen!« Ken Dra blickte zur Ortungsstation, an der eine junge Drahusem Dienst tat. Das Stirnrunzeln der Frau bewies, dass sie mit den eingehenden Daten nicht viel anfangen konnte. »Welcher Natur?«, fragte Jee A Maru. Die Frau schüttelte den Kopf. »Das ist merkwürdig. Die Signale sind viel primitiver als das Funkfeuer, das Ken Dra empfangen hat.« In diesem Moment schrillte zum wiederholten Mal der Annäherungsalarm durch das Schiff. Auf den taktischen Displays über dem Hauptschirm erschien das scardeenische Verfolgungsschiff. Es handelte sich um einen gedungenen, waffenstarrenden Angriffsshuttle, der entfernt an einen schlanken Raubfisch erinnerte. Die Kanonen blitzten auf. Strahllanzen stachen durch das All, fegten an der ROC SUN vorbei. »Ausweichmanöver!«, rief der Captain. Der Pilot reagierte augenblicklich. Ein dumpfes Vibrieren des Bodens kündete von den unter Volllast hochgefahrenen Triebwerken. Mit zugeschalteten Manövriertriebwerken versuchte der Pilot Haken zu schlagen, um den Angreifern kein leichtes Ziel zu bieten. Doch immer wieder schlug ein Blitz in die Außenhaut der ROC SUN ein. Jeder Treffer verminderte ihre Schildkapazitäten beträchtlich. Ken Dra glaubte nicht mehr, dass die Scardeener sie lebend wollten, sonst hätten sie sich längst mit ihnen in Verbindung gesetzt. Die Legion hatte eindeutigen Befehl, jedes Drahusem-Schiff abzufangen und zu vernichten, auch wenn der Rat von Prissaria das nicht wahrhaben wollte. »Schildverlust bei siebenunddreißig Prozent!«, rief jemand hinter Ken Dra. »Noch ein oder zwei dieser Einschläge und wir sind vollkommen wehrlos!« »Können wir den Ausgangsort des Signals bestimmen?«, fragte Jee A Maru gelassen.
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»Nicht genau, nördliche Hemisphäre des Planeten, ein großer Kontinent«, sagte Ken Dra, als er die Werte auf dem Navigationsdisplay überflog. Der Pilot ließ die ROC SUN rollen. Das Schiff schoss auf den kleinen Mond zu, nutzte die Gravitation für ein Abstoßmanöver, das ihm zusätzliche Geschwindigkeit gab – doch das war nur eine Gnadenfrist. Die ROC SUN verfügte nicht mehr über die notwendigen Ressourcen, um dem scardeenischen Verfolger zu entkommen. Ein weiterer Blitz schlug in die Schilde ein und brachte zwei Schildgitter auf dem Rücken des Scoutschiffs zum Kollabieren. Ein heftiger Ruck erschütterte die ROC SUN. »Bereiten wir uns auf eine Notlandung vor«, sagte der Pilot, lenkte die Energie der Waffensysteme auf den Antrieb um und gab einen Schubimpuls. »Das Schildgitter baut sich nicht mehr auf!« Ken Dra hörte nun doch Sorge in der Stimme Jee A Marus. Nur eine Spur, doch die reichte schon aus, ihn selbst zu beunruhigen. Außer Jee hatte er kaum einen anderen Schwertträger kennen gelernt. Er wusste aber, wenn es etwas gab, das sie beunruhigte, dann steckten sie in ernsthaften Schwierigkeiten. »Sind die Hitzeschilde noch aktiv?« »Ja, innerhalb der atmosphärischen Toleranz.« Die ROC SUN ließ den Trabanten hinter sich. Zwei fehlgeleitete Schüsse der Scardeener fegten an ihr vorbei. Im Augenblick des Eintritts in die Atmosphäre fing Ken Dra ein Sensorenecho auf. Er schnappte förmlich nach Luft, als er die Dimensionen des Objekts sah, das sich offensichtlich in einer Umlaufbahn um den Mond des Planeten befand. Ehe er die Daten jedoch näher in Augenschein nehmen konnte, verschwand das Objekt wieder vom Schirm. Er zog es vor, den anderen darüber nichts zu erzählen. Entweder hatte er es sich nur eingebildet oder die Sensoren lieferten falsche Daten, was bei der Menge Treffer, die sie bisher eingesteckt hatten, nicht verwunderlich war. Die ROC SUN durchstieß die äußeren Atmosphäreschichten des grünblauen Planeten. Ken Dra verspürte ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Die fremde Welt sah auf den ersten Blick einladend aus, doch die Scardeener in ihrem Nacken würden ihnen die Hölle heiß machen. Vermutlich erhoffte sich Jee A Maru Hilfe von den Bewohnern. Ken Dra glaubte jedoch, dass die Scardeener diesen Planeten ebenso in ihr Reich einverleibten, wie ungezählte Welten zuvor schon. »Wir haben verschiedene Sprachmuster der Radiosendungen entschlüsselt«, teilte die Frau an der Ortungsstation mit, während das Scoutschiff mit dem Sinkflug über der nördlichen Hemisphäre begann. »Unsere Übersetzungsringe haben eine gemeinsame Basis gefunden. Wir werden in der Lage sein, uns zu verständigen.« »Ein guter Anfang«, sagte Jee A Maru. Die Anspannung war immer noch aus ihrer Stimme herauszuhören. »Wissen wir, wo wir uns befinden?« »Nein, nicht kartografiertes Gebiet abseits der bekannten Routen. Dieses System muss sich am äußeren Rand des Spiralnebels befinden. Eine Sonne, neun Planeten, nur der, den wir anfliegen ist bewohnt. Die Einwohner nennen ihn übrigens Erde.« Ken Dra seufzte leise, während er den Landeanflug beobachtete. Von dem scardeenischen Schiff war momentan nichts zu sehen, aber er fühlte förmlich, dass sie dort draußen waren und ihnen auflauerten. Φ Das Telefon trug die allerwenigste Schuld an der schlechten Laune Harry Thornes. Dennoch starrte er es wie einen Feind an, den er jeden Moment erdrosseln wollte. Es fehlte nicht viel, und er hätte es einfach vom Tisch gefegt. Doch der Inhalt des vorhergehenden Gespräches würde dadurch ebenso unabänderlich bleiben, wie jetzt schon.
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Thorne grübelte über das Telefonat nach. Man hatte ihm gesagt, dass es gewisse Komplikationen geben könnte, doch er hatte nicht so bald damit gerechnet. Er nahm die angefangene Packung Zigaretten auf, zog einen der Glimmstängel heraus und schob ihn sich zwischen die Lippen. Das Feuerzeug schnappte auf, Thorne nahm zwei, drei tiefe Züge, ehe er die Hand nach dem Hörer ausstreckte und kurz davor innehielt. Er überlegte es sich anders, griff dafür in die Innenseite seines Sakkos und förderte ein Mobiltelefon zutage. Statt einer Nummer drückte er eine einzige Taste, die an keinem herkömmlichen Gerät dieser Art zu finden war und wartete, bis die Verbindung zustande kam. »Ja?« »Wir haben ein Problem«, sagte Thorne. »Noch nicht«, erwiderte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Momentan haben wir eine Größe, einen Parameter, nicht mehr und nicht weniger. Zugegeben, es könnte sich zu einem Problem entwickeln, aber nicht zu einem ernsthaften.« Thorne runzelte die Stirn und nahm einen weiteren Zug aus der Zigarette. Der Qualm, den er ausstieß, schien eigenartige Formen anzunehmen und erinnerte ihn entfernt an ein Raumschiff. Er lachte in sich hinein und schalt sich einen Narren. Offenbar sah er schon überall Gespenster. »Sie regeln das also?«, vergewisserte er sich dann. »Wir beobachten vorerst. Danach sehen wir weiter.« Die Antwort des anderen beruhigte ihn keineswegs. Bisher war viel geredet worden, ob seine neuen Partner jedoch auch zu Taten fähig waren, wusste er nicht. Mein blindes Vertrauen wird mich eines Tages den Kopf kosten, dachte er, nachdem er die Verbindung unterbrochen hatte. Harry Thorne stand auf, fischte seinen Sommermantel von der Garderobe und verließ das NSA-Büro in Los Angeles. Φ Logfile From:
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[email protected] Subject: Re: Schule ist blöd Hi Sportsfreund, Du darfst die Sache nicht so eng sehen. Viele Lehrer sind halt so. Ich kenne das noch aus meiner Jugendzeit. Wir haben auch einige Streiche gespielt und sind damit auf die Schnauze gefallen. Hör zu, Jeremiah, ich bin heute Morgen nicht besonders gut drauf und schreibe Dir nachher noch Mal. Mir stinkt es, dass der Urlaub sich so langsam dem Ende nähert. Und in ein paar Stunden treffe ich mich draußen mit Cal zum Rennen. Ach weißt Du, es gibt Tage, da wäre man am besten im Bett geblieben... cu Simon Φ Ein nervtötendes Dröhnen lag in der Luft, als die beiden Fahrer die Motoren auf und ab heulen ließen, während sie auf das Startsignal warteten. Die Musik aus dem Inneren eines in der Nähe geparkten Lieferwagens war bei dem Lärm kaum zu hören. Der Besitzer des Vans
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fand es eigentlich zu heiß, um jetzt ein Rennen zu fahren, aber wenn die beiden Dickköpfe sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatten, waren sie nicht mehr zu bremsen. Einer war sturer als der andere. Simon McLaird und Calvin Nash sahen sich unentwegt durch ihre Helmvisiere an. Wie zwei Schlangen die gegenseitig ihre Schwächen abwogen, um im geeigneten Moment zuzuschlagen. »Diesmal krieg ich dich«, knurrte Nash und vollführte mit seiner rechten Hand eine Drehbewegung, die seine schwere Kawasaki aufheulen ließ. Der Rennleiter wischte sich zum wiederholten Mal den Schweiß von der Stirn und fragte sich, wie die Fahrer die Hitze in ihren Ledermonturen aushielten. Er warf dem Besitzer des Vans einen fragenden Blick zu. Als dieser nickte, hob er seufzend die zerfledderte, karierte Fahne, die er irgendwann einmal auf einem Trödelmarkt erstanden hatte und gab das Startkommando. »Auf die Plätze ...« Das Röhren und Knattern schwoll zu einem irren Surren an, das an einen herannahenden Bienenschwarm erinnerte. McLaird und Nash stichelten sich gegenseitig an, puschten sich allein durch ihre Blicke auf. Sie waren schon öfters Rennen hier draußen gefahren, sehr zum Missfallen von Nashs Frau. Dennoch ließ sich Calvin nicht davon abhalten, seinen Freund immer wieder aufs Neue herauszufordern. »Andere treffen sich zu Pokerrunden und besaufen sich sinnlos in der Kneipe«, versuchte er stets seine Frau zu beruhigen, wenn er ankündigte, dass wieder einmal ein Trip mit McLaird fällig war. »Fertig ...« Der Rennleiter senkte die Fahne halb und wartete noch einen Augenblick ehe er sein kräftiges »Los« in den sonnigen Nachmittag Kaliforniens rief. Mit einem Ruck preschten die Zweiräder davon und hinterließen eine dichte Staubwolke, die den Rennleiter und den Mann am Lieferwagen vollständig einhüllte und die beiden zum Husten reizte. »Der Teufel soll euch holen«, krächzte der Besitzer des Vans, obwohl er wusste, dass die beiden ihn unmöglich hören konnten. Nash und McLaird rasten über den sandigen Boden und verlangten ihren Maschinen schon zu Beginn das Äußerste ab. Die schnelle und gefährliche Fahrt erstreckte sich über eine holperige Strecke auf der ein Schlagloch dem anderen folgte, ein Hügel dem nächsten vorausging und mittelgroße Steine und Findlinge auf dem Weg die Räder in brenzlige Situationen brachten. Nash überholte seinen Freund und erreichte die nächste Kurve vor ihm. Er schwenkte sein Motorrad herum und sah beiläufig nach oben. Ohne Vorwarnung erzitterte sein Lenkrad. McLaird beobachtete, wie Nashs Maschine ins Wanken geriet. Er verlor die Kontrolle über das Zweirad und stürzte. Das Motorrad überschlug sich mehrere Male und blieb dann mit laufendem Motor auf dem Weg liegen. Nash befand sich zehn Meter vor seiner Maschine auf dem Boden und rührte sich nicht, als McLaird ihn erreichte. Simon sprang förmlich vom eigenen Motorrad, ließ es einfach in den Sand fallen und eilte zu seinem Freund. »Calvin, alter Junge«, stieß Simon hervor und bettete den anderen in seine Arme. »Hey, Mann, du kannst hier doch nicht mitten in der Wüste abkacken. Du hast ein Rennen zu gewinnen!« Er öffnete das Helmvisier und den Reißverschluss von Nashs Montur. Nashs Lider flattern und er schlug seine Augen auf. »Dort ...«, stammelte Calvin, hob einen Arm und deutete zitternd zum Himmel hinauf. Simon runzelte verwundert die Stirn. Doch dann folgte er dem ausgestreckten Arm, blickte nach oben und blinzelte in die Sonne hinein. Ein dunkler Fleck hob sich vor dem lodernden
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Schein ab. Simons Augen verengten sich. Die Silhouette nahm zigarrenförmige Gestalt an. Für ein Flugzeug war das Objekt zu langsam. Es musste sich um einen Zeppelin handeln. Irritiert sah Simon McLaird wieder seinen Freund an. »Du bist wegen eines Luftschiffs vom Motorrad gefallen? Wem willst Du das denn erzählen?« »Sieh genau hin, Alter«, forderte Calvin ihn auf. Er schien beim Sturz nicht ernsthaft verletzt worden zu sein, packte Simons Hände und zog sich an ihm hoch, bis er auf dem sandigen Boden zum Sitzen kam. »Sieh genau hin, Simon!« McLaird rollte genervt die Augen, tat Nash dann doch den Gefallen und blinzelte abermals gegen die Sonne. »Mein Gott!«, stöhnte Simon McLaird und ließ sich fassungslos in den Sand fallen. »Was ist das?« Die schwarze Silhouette hatte sich genähert und stand nun in einem Winkel, aus dem sie besser zu erkennen war. Es war definitiv kein Luftschiff. Das zigarrenförmige Objekt glitt auf Simon und Calvin zu, verlangsamte und setzte zur Landung an. Mehr als die dunkle Außenhaut war nicht zu erkennen. Kein Fenster, keine Flügel. Wie zum Teufel kann es fliegen?, wunderte sich McLaird, während er den Landeanflug des Objekts beobachtete. Er hatte die Spekulationen über geheime Projekte der Air Force mitverfolgt, doch im Allgemeinen nahm man an, dass sie auf dem Gelände von Dreamland getestet wurden – mehrere hundert Meilen entfernt in der Wüste Nevadas. »Die müssen sich verflogen haben«, meinte Nash, der wohl ähnlichen Gedanken nachgegangen war. »Machen wir, dass wir von hier verschwinden, ehe sie auf uns aufmerksam werden.« Aus dem Rumpf schoben sich stelzenförmige Landestützen. Das Ding setzte etwa hundert Meter von Simon McLaird und Calvin Nash entfernt im heißen Wüstensand auf. Simon schätzte seine Länge auf vielleicht fünfzig Meter. Dass es sich tatsächlich nur um ein experimentelles Gefährt handeln konnte, bewies die senkrechte Landung, zu der nur Hubschrauber und Harrier in der Lage waren – dieses Flugzeug gehörte jedoch weder dem Einen noch dem Anderen Typ an. Am Rumpf öffnete sich eine Luke, die vorher nicht erkennbar gewesen war. Ein halbes Dutzend Gestalten stürmten wie von Taranteln gestochen aus dem Inneren und machten sich an einer größeren Luke zu schaffen, die wohl zum Frachtraum führte. Die Männer und Frauen schienen Simon und Nash nicht zu beachten, sondern arbeiteten fieberhaft an der Öffnung. Eine Rampe schob sich aus dem Luftgefährt heraus. Die Leute in den braunen Overalls und schweren, schwarzen Stiefeln hetzten sie hinauf und bugsierten kurz darauf ein Fahrzeug aus dem Leib des Flugkörpers. Verblüfft stellte Simon McLaird fest, dass das sportwagenähnliche Vehikel keine Räder besaß, sondern einige Zentimeter über dem Boden in der Luft schwebte. »Das gibt's doch gar nicht«, murmelte er. Nash stieß ihn an. »Los jetzt. Oder willst Du irgendwo in den Bunkern der CIA, NSA, Air Force oder was weiß ich wem verschimmeln. Wenn die uns kriegen, dann bringen sie uns zum Schweigen, weil wir zum Sicherheitsrisiko geworden sind.« »Du siehst zu viele schlechte Filme, Cal«, entgegnete Simon und beobachtete fasziniert das Schwebefahrzeug. Es hatte die schnittige Form eines Ferraris, war jedoch so groß wie eine moderne Großraumlimousine vom Typ eines Chrysler Voyagers. Zu beiden Seiten öffneten sich Flügeltüren und bis auf einen einzelnen Mann stiegen die anderen ein. Ohne sicht- und hörbaren Antrieb setzte sich der Schweber in Bewegung und fegte über den Sandboden davon, eine kleine Staubwolke hinter sich aufwirbelnd. »Beeindruckend«, sagte Simon. Nash hatte sich erhoben, zerrte seinen Freund auf die Füße und riss sich den Helm vom Kopf. »Weg hier, Mac!« Die beiden wandten sich ab, vergaßen ihre Motorräder und waren kurz davor, in blinder
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Flucht davon zu laufen, doch eine weiblich klingende Stimme hielt sie plötzlich zurück. »Warten Sie!«, rief sie. Simon und Calvin verhielten im Schritt und drehten sich zu dem unbekannten Flugobjekt um. Von der Rampe glitt ein zweiter Schweber von ähnlichem Aussehen wie der erste. Der verbleibende Mann öffnete den Einstieg und verschwand hinter dem Steuer. Er blickte kurz in Simons und Nashs Richtung, sah dann aber ungeduldig zu der Frau, die noch in der Luke wartete und die beiden Freunde angesprochen hatte. Simon McLaird hielt unwillkürlich den Atem an, als er sie sah. Ihr Antlitz schien von ätherischer Schönheit zu sein. Langes, silberfarbenes Haar fiel glatt auf ihre Schultern. Soweit es aus der Entfernung zu beurteilen war, besaß sie perfekte Formen, die durch die schwarze, eng anliegende Montur hervorragend betont wurden. Ihr Outfit mit den weißen, kniehohen Stiefeln stand im krassen Gegensatz zu den Overalls der Männer. Simon fragte sich, ob er es wirklich mit einer der hiesigen Staatsinstitutionen zu tun hatte, denn solche Uniformen hatte er noch nirgends gesehen. »Wir tun Ihnen nichts!«, sagte die Frau mit sonorer Stimme. Nash und Simon blickten sich verwirrt an. Noch immer war in ihnen der Drang, wegzulaufen. Aber irgendetwas riet McLaird, dass dies nicht notwendig war und die Fremde die Wahrheit sprach. Die Frau stieg aus der Luke und kam den beiden Freunden ein paar Schritte entgegen. Auf halber Strecke blieb sie stehen und bedeutete ihnen, zu ihr zu kommen. Wie automatisch setzte sich Simon in Bewegung und achtete nicht auf die Proteste Calvins. Als dieser sah, wie zwecklos es war, seinen Kumpel zurückhalten zu wollen, folgte er ihm fluchend. Als sie der Frau direkt gegenüberstanden, revidierte McLaird sein bisheriges Urteil. Die Frau kam der Vorstellung von einem Engel recht nahe, auch wenn ihr Flügel und Heiligenschein fehlten. Ihr Gesicht war von makelloser Schönheit, und in ihren grünen Augen lag eine Güte und Weisheit, wie sie Simon noch nie untergekommen war. »Hören Sie«, sagte die Frau. »Wir haben wenig Zeit. Jeden Moment kann das scardeenische Angriffsboot hier eintreffen und uns unter Beschuss nehmen. Bitte, steigen Sie in den Gleiter. Ich erkläre Ihnen später alles ... wenn wir in Sicherheit sind.« »Äh ...«, warf Nash ein. »Ich gehe nirgendwo hin!« »Sehen Sie, schöne Lady«, fügte Simon McLaird hinzu. »Wir wissen weder wer Sie sind, noch ...« Seine Worte wurden von einem schrillen Laut unterbrochen. Ein entfernt an einen Raubfisch erinnernder Körper flog in rasendem Tempo auf den ersten Schweber zu, der sich bereits mehrere hundert Meter von ihrem Ausgangspunkt entfernt hatte. Ein grelles Lichtbündel traf den Gleiter und sprengte ihn in die Luft. Explosionsdonner hallte über die Hügel, und McLaird und Nash duckten sich instinktiv. »Verflucht!«, keuchte Nash. »Das ... das waren Ihre Leute!« Die Frau nickte kurz betroffen, dann sah sie, wie der Raubfisch Kurs auf ihren jetzigen Standort nahm. »Schnell!«, sagte sie. »Kommen Sie!« Simon und Nash zögerten nicht länger. Sie rannten zu dem wartenden Schweber hinüber und sprangen hinein. Als auch die Frau auf dem Beifahrersitz saß, schlossen sich die Türen und der Gleiter fuhr an. Simon spürte die Beschleunigung kaum, sah jedoch mit wachsender Neugier, dass sie sich mit rasender Geschwindigkeit von dem gelandeten Flugzeug – oder was auch immer es darstellen mochte – entfernten. Der Gleiter raste in Bodennähe über die Sanddünen hinweg. Von den Rücksitzen aus beobachteten Simon und Calvin, wie ein Lichtblitz aus dem Angriffsboot den Flugkörper der Fremden vernichtete. Die Druckwelle der Detonation erreichte den kleinen Gleiter und schüttelte ihn heftig durch, doch der Pilot brachte das Schwebefahrzeug wieder unter Kontrolle und beschleunigte es.
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»Kurs 303!«, sagte die Frau mit Blick auf fremdartige Instrumententafeln. Neugierig beugte sich Simon vor und musterte die Sensortastenfelder und Displays, die alles andere als dem Chrysler-Standard entsprachen. Er wollte eine Frage stellen, schluckte sie aber angesichts der brenzligen Situation hinunter. Die Anspannung, die er von der Seite im Gesicht des Piloten erkennen konnte, mahnte ihn, die Leute erst einmal mit seinen Sprüchen zu verschonen. Simon bemerkte, dass sie nun in die Richtung flogen, von wo aus sie mit den Motorrädern gestartet waren. Wenn der Raubfisch ihnen folgte, waren ihre Kumpel beim Van in Gefahr! »Nicht dorthin!« Simons Blick starrte wie gebannt auf die Dünen. »Warum nicht?« »Unsere Freunde sind dort!«, antwortete Nash an Simons Stelle. Die Frau drückte eine Taste, woraufhin sich der vordere Sitz um 180 Grad drehte, so dass sie nun den beiden Männern gegenüber saß. »Wir haben keine andere Wahl. Dort liegen die Berge – unsere einzige Chance, dem Patrouillenschiff zu entkommen. Hier auf freiem Feld ist die Wahrscheinlichkeit zu überleben ...« Ein erneuter Blitz, dann eine Sandfontaine, die den Gleiter überschüttete. »Er sitzt uns dicht im Nacken«, stellte der Pilot fest. »Okay, Leute, der Spaß geht mir zu weit«, platzte McLaird mit einem Mal hervor. »Sagt mir, dass ihr aus Hollywood seid und hier nur einen neuen Science-Fiction-Film dreht, ja?« »Simon, bist Du verrückt?«, schnappte Nash. »Fest halten!«, rief der Pilot und riss den Schweber scharf zur Seite herum. Die Insassen wurden durchgerüttelt, und Nash stieß sich den Kopf an der Decke. Nur Dank der Flugkünste des Piloten überlebten sie den nächsten Feuerstoß des Angreifers, der weit aufgeholt hatte. Der Schweber schlug Haken, umrundete eine Hügelkette und beschleunigte auf Höchstgeschwindigkeit. Simon erkannte keine Tempoanzeige, doch die unter ihm dahinsausende Landschaft sagte ihm, dass sie weit mehr als zweihundert Meilen die Stunde machten. »Ich bin einen großen Bogen geflogen«, sagte der Pilot nach einer Weile. »Wir dürften jetzt nicht mehr auf Ihre Freunde treffen.« Wieder flammte ein Lichtblitz auf, der diesmal den Gleiter streifte. Das Fahrzeug begann zu vibrieren. Der Geruch von verbranntem Kunststoff machte sich in der Kabine breit. »Ich kann ihn nicht abschütteln«, keuchte der Pilot und flog den Schweber nun im ZickzackKurs. »Da vorn sind die Berge«, sagte die Frau. »Durchhalten.« »Oh Mann«, stöhnte McLaird. »Ich bin definitiv im falschen Film. Cal, nun sag du doch mal was.« »Verlier jetzt bloß nicht die Nerven, Kumpel«, antwortete Nash. »Ich denke wir beide haben eine vage Vorstellung, wer diese Leute sind und woher sie kommen. Und wenn du immer noch glaubst, sie wären von der Air Force, dann ...« Nash ließ den Satz unvollendet. Simon sog tief die Luft ein und nickte. »Genau das macht mir Angst«, sagte er leise. Die Bergkette kam rasch näher, ebenso schnell wie die unaufhörlich abgefeuerten Lichtstrahlen, die den Schweber atomisieren sollten. »Der hat uns gleich!«, stellte Simon McLaird resignierend fest. »Jetzt!«, presste der Pilot hervor und ließ den Gleiter in ein Tal hineinjagen. Er durchflog einige Spalten und Hänge, nutzte einen Felsvorsprung aus, als der Raubfisch außer Sicht war und drosselte dann hart die Geschwindigkeit. Der Schweber hing genau unter dem Felsen in der Luft. Das Summen seiner Antriebsaggregate verstummte. Einige Lichter und Displays auf dem Armaturenbrett erloschen. Atemberaubende Stille herrschte in der Kabine. Der Pilot spähte durch die Sichtfenster und trommelte nervös auf dem Steuerknüppel. Inzwischen hatte
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die Frau ihren Sitz in eine seitliche Lage gebracht, so dass sie sowohl nach vorn sehen, als auch Simon und Calvin im Auge behalten konnte. »Nun kommt schon«, flüsterte der Pilot. Und just in dem Moment, da er die Worte aussprach fegte mit donnernden Triebwerken das Angriffsboot über sie hinweg und verschwand in der Weite des Gebirgszugs. Der Pilot atmete auf und ließ nun ebenfalls seinen Sessel elektronisch herum schwingen. Er sah Simon und Calvin an. »Hier kriegen sie uns nicht.« Nash stieß den angehaltenen Atem hörbar aus. »So«, sagte Simon. »Ich glaube, Sie sind uns einige Erklärungen schuldig. Wer sind Sie? Woher kommen Sie ... und so weiter.« Der Blick der Frau pendelte eine Zeitlang zwischen den beiden Freunden hin und her. Schließlich verharrte er auf McLaird, der sich plötzlich unwohl in seiner Haut fühlte, als sie ihn so durchdringend musterte. Ich hätte meine vorlaute Klappe halten sollen, dachte er. Nicht das erste Mal, dass ich damit auf die Schnauze falle. »Mein Name ist Jee A Maru«, sagte die Frau dann, während sie Simon McLaird noch immer ansah. Sie nickte in Richtung des Piloten. »Mein Begleiter heißt Ken Dra. Und wie Sie sich bestimmt schon denken können, kommen wir nicht ... von der Erde.« Φ Seine innere Ruhe überraschte ihn selbst. Vielleicht lag es an der sanften Stimme oder den unergründlichen Augen der Frau, die sich als Jee A Maru vorgestellt hatte, dass er nicht ausflippte. Er spürte förmlich, dass es Calvin Nash nicht anders erging. Aber möglicherweise schützte eine mentale Blockade seinen Verstand auch nur vor dem totalen Kollaps, verschonte ihn davor, das Gehörte auch nur im entferntesten Sinn zu begreifen. Die Verschwörungstheoretiker sprachen im Zusammenhang mit einer UFO-Verschlusssache stets von der Bewahrung der Menschen vor einem Kulturschock. Simon McLaird verspürte nichts dergleichen. Er saß zwei außerirdischen Wesen gegenüber, die sich bisher durch nichts von den Bewohnern der Erde unterschieden, und glaubte ihnen jedes Wort. Die technischen Finessen ihrer Fahrzeuge, der Angriff des raubfischartigen Schiffes mit Strahlenkanonen sprachen für die Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte. Und Jee A Marus natürliche Überzeugungskraft trug ein Übriges dazu bei. Simon und Nash erfuhren, dass die Fremden aus einem weit entfernten Teil des gleichen Spiralarms, in dem sich auch die Erde befand, kamen. Sie gehörten zu einem galaktischen Staatswesen, das von einem Wissenschaftsrat regiert wurde. Offenbar hatten sich bereits mehrere Dutzend Sonnensysteme dieser Regierung angeschlossen. »Unser System ist eine reine Technokratie«, berichtete die schöne Außerirdische und verzog dabei die Mundwinkel, als würde ihr das bloße Aussprechen der Staatsform bereits ein Gefühl der Übelkeit bescheren. »Jegliche Art von Religion ist verpönt. Doch in der Kultur meines und Ken Dras Volkes wurzelt ein tiefer gehendes Weltbild, das nicht allein von Physik und Technik beherrscht wird. Unsere Vorväter mögen mir vergeben, wenn ich sage, dass es sicherlich ein Fehler war, sich je dem Rat von Scardeen anzuschließen. Seitdem er erfahren hat, dass unser Volk im Geheimen noch immer mystischen Riten nachgeht und okkulten Dingen huldigt, begann man mit den Strafaktionen.« »Welche ... Strafaktionen?«, fragte Simon und fuhr sich fahrig durch das kurze, braune Haar. »Sie schickten ihre Stoßtrupps aus, nahmen ganze Familien gefangen und verschleppten sie von unserer Heimatwelt Prissaria«, sagte Ken Dra gepresst. »Niemand hat sie je wieder gesehen. Mittlerweile verfolgen die Scardeener uns, wo sie nur können und schicken
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Strafexpeditionen auf unsere Welt. Noch trauen sie sich nicht, einen Krieg anzuzetteln, um nicht die anderen Kolonien gegen sich aufzubringen, aber ich bin sicher, dass Kampfhandlungen bald unausweichlich sein werden.« »Hm«, machte McLaird und kratzte sich am Kinn. »Ihr habt also schon einigen Mist durchgemacht. Mit diesen ... wie nennt ihr sie? Scara...?« »Scardeener«, half Jee A Maru aus. »... scheint nicht gut Kirschenessen zu sein. Und wie heißt euer Volk?« »Wir sind Drahusem. Von einer kleinen, blauen Welt am Rande des Scardeenischen Reichs. Unser Planet ähnelt dem euren sehr.« »Und das erklärt dann wohl, warum Sie uns auch so ähnlich sehen, oder?«, meldete sich Calvin Nash zu Wort. Die Frau lächelte leicht. »Haben Sie denn andere Vorstellungen von Außenweltlern?« »Oh, da fallen uns eine Menge ein«, zwinkerte Nash. »Kleine grüne Männchen. Tentakelbewehrte Monstren, wurmartige Parasiten – sie sollten sich mal den Ideenreichtum unserer Literaten ansehen.« »Soweit es unsere bisherigen Kontakte betrifft, waren alle raumfahrenden Völker humanoid. In unseren alten Schriften wird die humanoide Form als letzte Form vor dem kosmischen Übergang erwähnt. Wir haben versucht anhand des universellen genetischen Codes aller Lebensformen und dem was Sie unter Evolution verstehen, eine entsprechende These zu formulieren, sind aber bisher gescheitet.« »Manche behaupten, Delfine wären die intelligentesten Lebewesen auf der Erde«, warf Simon ein, auch wenn er diese Meinung nicht unbedingt teilte. »Eine tierische Lebensform?«, fragte Jee A Maru. »Ja, sie leben im Wasser.« »Möglich wäre es, dass sich verschiedene Spezies entwickeln, doch es wird sich stets jene weiter entwickeln, die ihre Umwelt technisiert, um eines Tages zu den Sternen aufzubrechen. Andere Kulturen gehen irgendwann mitsamt ihrer Welt unter, wenn der Zeitpunkt des Planetensterbens gekommen ist.« »Planetensterben?«, wunderte sich Nash und verzog angeekelt die Miene. »Wieso gefällt mir dieser Begriff nicht und löst bei mir eine Gänsehaut aus?« Ken Dra räusperte sich. »Wir bezeichnen damit das natürliche Ende einer jeden Welt. Hat eine Spezies es geschafft, ihrer Heimat zu entfliehen und sich woanders niederzulassen, dann überlebt sie. Unseren Erkenntnissen nach haben sich jedoch nur humanoide Kulturen interstellare Reisen zunutze gemacht. Deshalb bezeichnen wir die menschliche Form als universell.« McLaird reckte sich ausgiebig in dem bequemen Sessel des Schwebers. Er war ein wenig verspannt, aber das war angesichts ihrer Lage auch nicht verwunderlich. Umso erstaunter war er, dass es ihm weiterhin so leicht fiel, die Worte der beiden Drahusem zu akzeptieren. »Ihr Volk scheint noch keine interstellare Raumfahrt entwickelt zu haben«, stellte Ken Dra fest. Calvin Nash verneinte. »Kaum jemand von uns glaubt ernsthaft daran, dass es draußen im All noch andere bevölkerte Planeten gibt. Na schön, vielleicht glauben einige Leute daran, doch dass jemand tatsächlich die ungeheuren Strecken zurücklegen kann, ist für uns absurd ... na ja, jetzt wo ich Ihnen gegenüber sitze, muss ich meine Meinung wohl revidieren.« »Mir ist eine Sache noch nicht ganz klar«, sagte McLaird. »Wie haben Sie unsere Sprache gelernt? Im Vorbeiflug? Oder wollen Sie mir jetzt erzählen, dass Sie und Ihre Leute uns schon seit dem UFO-Absturz von '47 in Roswell beobachten?« Jee A Maru hob die Brauen. Ihr Blick suchte Ken Dra, doch der Pilot zuckte nur die Achseln. Dann streckte sie ihre rechte Hand vor auf deren Mittelfinger ein metallisch wirkender Ring steckte.
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»Das hier ist unsere Möglichkeit zur Verständigung«; erklärte sie. »Der Ring empfängt die Gedankenimpulse von sprachbegabten Lebensformen und wandelt diese in verständliche Worte für uns um. Und natürlich für den Gesprächspartner. Eine Erfindung des Wissenschaftsrates.« McLaird fuhr sich mit der Zunge über die Lippen – eine nervöse Angewohnheit. Er machte sich vor, die Ruhe selbst zu sein, doch das war ein Trugschluss. Seine Gedanken kreisten, versuchten die Möglichkeiten zu analysieren, die sich ihm durch die Anwesenheit der Drahusem auftaten. Nicht ihm allein, sondern der gesamten Menschheit. Wie beiläufig blickte er auf seine Armbanduhr und zuckte erschrocken zusammen. Es war bereits später Nachmittag. Das Rennen sollte längst vorbei sein und Joey und Tim würden sich bestimmt Sorgen machen, dass sie noch nicht zurück waren. Außerdem hatte er Jeremiah versprochen, die E-Mail von gestern ausführlicher zu beantworten. Und ausgerechnet dieses Wochenende ist mein letztes Urlaubswochenende, dachte er. Wie sollte er nach der Erkenntnis über die Existenz außerirdischen Lebens wieder normal arbeiten gehen können? »Was haben Sie denn hier gewollt?«, unterbrach Nash McLairds Gedankengang. »Auf der Erde, meine ich. Gibt es einen bestimmten Grund, warum Sie hier sind?« Jee A Maru wechselte erneut einen raschen Blick mit Ken Dra. Der Pilot beugte sich vor und ergriff das Wort. »Unser Volk hat Scoutschiffe in alle Richtungen der Galaxis geschickt, um einen Kristall zu suchen, der kosmische Kräfte speichern kann. Dieser Kristall würde dem Wissenschaftsrat beweisen, dass unsere religiösen Vorstellungen des Übernatürlichen nicht aus der Luft gegriffen sind. Die Scardeener werden in Betracht ziehen müssen, dass das Universum nicht allein aus Technik und Physik bestehen kann, sondern dass sich im Hintergrund Dinge abspielen, die sich unserer kühnsten Vorstellungskraft entziehen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, könnten wir endlich Frieden mit den Scardeenern schließen.« »Und welche Dinge sind das? Erwarten Sie so etwas wie ... Gott dort draußen?« »Nicht das, was Sie vielleicht unter einer Göttlichkeit verstehen würden«, sagte Jee A Maru. »Wir sind auf unseren Reisen schon Völkern begegnet, die Götzen anbeten und von ihnen Segen erwarten. Uns geht es um ein göttliches Prinzip, einer Kraft aus der das Universum entstanden ist und die es heute zusammen hält.« McLaird lachte auf. »Möge die Macht mit euch sein«, sagte er mit theatralischen Gesten. »Wenn Sie jetzt vierzig Jahre älter und männlich wären, dazu noch einen weißen Bart und eine braune Kutte ...« »McLaird!« Nash schüttelte den Kopf. »Ich weiß verdammt noch mal, dass du wieder den Coolen rauskehren willst, aber diese Situation ist vollkommen anders.« Simon seufzte. »Na schön. Aber es hat eine gewisse Ähnlichkeit, das musst du zugeben.« »Ich schaue mir lieber Clint Eastwood an«, meinte Nash. »Das ist realitätsnaher.« »Ach!«, machte McLaird überlaut und vollführte eine Geste, die den gesamten Schweber umfasste. »Und wie nennst du das hier?« Nash schwieg. Simon konnte es ihm nicht verübeln. Er wusste nicht, wie es im Innern seines Freundes aussah und ob er die Sache ebenso leicht wegsteckte wie er selbst. Im Gegensatz zu Nash glaubte Simon einen Vorteil aus seiner Vorliebe für Science Fiction ziehen zu können, um in dieser Situation so gelassen zu bleiben. »Und Sie glauben, diesen Kristall hier auf der Erde zu finden?«, fragte Nash skeptisch. »Nein.« Jee A Maru schüttelte den Kopf. »Nach einer uralten Schrifttafel unseres obersten Priesters befindet sich der Kristall in einem Palast auf einer Welt namens Dai Urshar Senekar Tarmalis.« Die Worte klangen fremd, irgendwie guttural als gäbe es keine Möglichkeit sie in das akzentfreie Englisch zu übersetzen, das die Außerirdische die ganze Zeit über mittels ihres
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Translator-Ringes sprach. »Dai... was?«, fragte Simon McLaird ratlos. »Etwas langsamer, wenn es geht.« »Dai Urshar Senekar Tarmalis«, wiederholte Ken Dra in den gleichen unverständlichen Lauten von denen Simon nicht viel mehr als die Anfangsbuchstaben verstand. »Ein wahrer Zungenbrecher«, kommentierte er. »Sie haben nichts dagegen, dass wir ihn mit DUST abkürzen?« »Wenn Ihnen das lieber ist«, sagte Jee A Maru. »Und was genau hat Sie dann zur Erde verschlagen?« »Der pure Zufall. Wir wurden von dem Patrouillenschiff unter Beschuss genommen und mussten auf gut Glück in den Hyperraum springen. Leider haben sich die Scardeener sofort an uns geheftet und konnten unseren Fluchtkurs verfolgen. Wir empfingen ein Signal von Ihrer Welt und hofften, man könne uns hier helfen.« »Ein Signal?« Die Frau nickte. »Aber auf der Erde ist nichts, was Sie angefunkt haben könnte«, sagte Simon. »Sind Sie sicher?« »Hundertprozentig«, antwortete Ken Dra. »Nur dem Signal haben wir es überhaupt zu verdanken, dass wir hier sind. Sonst wären wir andernorts aus dem Hyperraum gesprungen. Und dann war da noch etwas ... für einen kurzen Moment sah ich auf meinen Schirmen ein riesiges Objekt in einer Umlaufbahn um ihren Trabanten. Es sah aus wie eine gigantische Kuppel ...« »Davon hast du uns gar nichts gesagt.« Jee A Marus Stimme klang nicht vorwurfsvoll, nur überrascht. »Im Eifer des Gefechts hielt ich es nicht für angebracht. Ich kann mich auch getäuscht haben. Es blitzte nur für eine Sekunde auf.« Schweigen breitete sich nach Ken Dras letzten Worten in der Kabine des Schwebers aus. Simon McLaird und Calvin Nash hingen ihren Gedanken nach. Es gab vielleicht tausend weitere Fragen, die sie den beiden Aliens stellen konnten, doch sie wagten nicht, sie auszusprechen. Simon erinnerte sich an seinen letzten Satz aus der E-Mail an Jeremiah. Er hätte heute wirklich nicht das Bett verlassen sollen. Idiot, schalt er sich. Du erfährst gerade das größte Erlebnis deines Lebens, ja sogar in der Geschichte der Menschheit und hast nichts Besseres zu tun, als dich weit weg zu wünschen? Simon vertrieb die nagende Stimme seines Gewissens und durchbrach die Stille. »Sie sitzen also jetzt hier fest. Ihr Schiff ist zerstört und ich wette mit diesem Spielzeug hier, steigen Sie nicht einmal bis zur Stratosphäre auf. Willkommen auf der Erde!« Jee A Maru lächelte leicht, doch dann wurde ihr Gesicht übergangslos wieder ernst. »Ich würde Ihre Einladung gerne annehmen, aber Sie vergessen das Patrouillenschiff. Die Scardeener wissen, dass wir noch leben. Und sie werden uns so lange suchen, bis sie uns gefunden und getötet haben.« Φ »Heads in houses window eyes. Stairways leading to the skies. Plumes of smoke forever rise, heads in houses window eyes ... an' I feel vertigo ... an' I feel vertigo ...« Endlich hatte Simon McLaird den Schalter seines Radioweckers gefunden und drückte ihn hinunter. Die sanfte Musik, die ihn am frühen Morgen geweckt hatte, verklang. Nur das leise Ticken einer Wanduhr hing in der Luft. Simon ließ die Augen geschlossen und döste ein wenig vor sich hin. Er wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, einen schlechten Traum gehabt zu haben. Krampfhaft versuchte er sich zu erinnern. Ja, da war etwas ... Einzelne Bilder huschten durch seinen Kopf. Eines davon hielt er fest und betrachtete es
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eingehender vor seinem geistigen Auge. Eine Frau, dachte er. Eine schöne, junge Frau mit silbernem Haar. Das Mädchen lächelte ihn in seinem Wachtraum an. Simon versuchte sich zu erinnern, wer es war. Fremde. Fremde von den Sternen, und Calvin war auch dabei gewesen. Simon McLaird drehte sich auf die andere Seite und öffnete die Augen einen Spaltbreit. Neben sich sah er Nash auf dem Bett liegen, der noch tief und fest schlief. Nein, Calvin ist hier ... Er forschte weiter in seinen Gedanken, sah wie das Raumschiff landete, ein anderes Schiff angriff und er und Nash Bekanntschaft mit zwei Außerirdischen gemacht hatten. Und wir sind nicht einmal ausgeflippt, sondern ganz ruhig geblieben! Verrückt. Was für ein Traum! Er setzte sich im Bett auf und rüttelte seinen Freund wach. »Hey, Cal, wach auf!«, sagte er. »Ich hab was ganz komisches geträumt!« Calvin stöhnte laut auf. »Lass mich«, knurrte er und schlug um sich, doch Simon blieb hartnäckig. Er packte seinen Freund an der Schulter, riss ihn herum und wiederholte diesmal lauter: »Hey, wach auf!« Ruckartig sprang Nash auf, blickte eine Weile irritiert um sich und rieb sich dann die Augen. »Mein Gott, was ist denn los?«, fauchte er Simon an. Dieser glotzte ihn dumm an und wurde sich in dem Augenblick bewusst, wie töricht es gewesen war, seinen Kumpel zu wecken, nur weil er ihm von seinem Traum erzählen wollte. »Entschuldige«, brachte er hervor. Gerade in diesem Moment klopfte es an der Schlafzimmertür. Noch während Simon sich fragte, warum er und Calvin zusammen in seinem Bett übernachtet haben, hörte er ihre Stimme. »Darf ich hereinkommen?«, fragte sie. »Wer zum Teufel ist denn hier in meine Wohnung gekommen?«, wunderte sich Simon McLaird, doch Nash hatte schon »Herein« gerufen. Danach stand eben jenes schöne Mädchen mit den langen, silbernen Haaren in Simons Schlafzimmer. »Oh Scheiße!«, sagte er gepresst. »Es war kein Traum!« Er setzte sich abrupt auf. Die Bettdecke rutschte ihm bis zum Bauchnabel herunter. Verzweifelt wühlte er in den Laken, doch in diesem Moment drehte sich Nash um und zog die Decke halb mit sich. »Ist es Ihnen lieber, wenn ich wieder gehe?«, fragte Jee A Maru schmunzelnd und blickte demonstrativ auf die Stelle, die Simon ihr lieber nicht gezeigt hätte – noch nicht. Simon gab die Versuche auf, die Bettdecke an sich ziehen zu wollen. Stattdessen langte er über seinen Nachttisch nach einem Paar Shorts, streifte sie sich rasch über und schwang dann die Beine über die Bettkante. Der Anblick der Frau weckte seine Erinnerungen. Nein, es war alles andere als ein Traum gewesen. Sie hatten eine geschlagene Stunde in den Bergen gewartet und waren dann mit dem Gleiter in Richtung Los Angeles geflogen. Am Stadtrand war Simon ausgestiegen und hatte einen Mietwagen mit Anhänger besorgt, auf den sie den Gleiter verfrachtet und mit einer Plane abgedeckt hatten. Als er die Abrechnung der Mietwagenfirma in Händen hielt, fragte er sich, warum er das eigentlich tat. Was interessierten ihn die Probleme anderer, die nicht einmal von der Erde stammten? Simon McLaird wusste die Antwort. Bereits in jungen Jahren, als sein Dad ihn in den ersten ScienceFiction-Streifen mitgenommen hatte, war er Feuer und Flamme für das Weltall und für andere Völker von den Sternen gewesen. Hier und jetzt bot sich ihm die einmalige Möglichkeit, seine Träume zu verwirklichen. Auch wenn Calvin das ganz anders sehen mochte. Der Gleiter stand in Simons Garage. Er hatte gegen Abend den Leihwagen zusammen mit Nash weggebracht und den beiden Außerirdischen angeboten, in seiner Wohnung zu übernachten. Warum Nash allerdings unbedingt bleiben wollte, war ihm ein Rätsel.
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»Ken Dra ist unten beim Gleiter«, teilte Jee mit. »Er sollte aufpassen, dass er nicht gesehen wird.« »Er ist schon vorsichtig.« »Vielleicht hätte er warten sollen, bis ich ihm Klamotten gebe, in denen er nicht so auffällt.« Jee A Maru deutete in Richtung Kleiderschrank. »Oh, ich glaube, er hat etwas Passendes gefunden.« »Bedienen Sie sich immer selbst?«, fragte Simon Stirn runzelnd. Er schnupperte. War das etwa frischer Kaffee, den er da roch? Er ließ die Fremde stehen und suchte die Küche auf. Überrascht blieb er stehen, als er auf den reichlich gedeckten Frühstückstisch starrte. »Du meine Fresse« Ein Ächzen kam ihm über die Lippen. »Woher kennen Sie denn so ein wertvolles Kulturgut, wie ein gutes Frühstück?« Jee und Nash folgten ihm in die Küche. Die schöne Außenweltlerin lächelte. »Wir wissen ebenfalls die erste Mahlzeit am Tag zu schätzen«, sagte sie. »Und ihr ... Frühstücksfernsehen war diesbezüglich sehr aufschlussreich.« Der kleine Fernseher auf der Anrichte lief. Zum vielleicht fünfzehnten Mal in dieser Woche versuchte Dwight E. Rosenthal die Zuschauer zum Kauf seiner wunderbaren Küchenmesser zu animieren und zauberte dabei ein Frühstücksbuffet nach dem nächsten auf die Mattscheibe. Jee A Maru war offensichtlich äußerst lernfähig. Doch wer sollte das alles essen? Simon entschuldigte sich und verschwand im Bad. Die heiße Dusche und anschließende Rasur taten ihm mehr als gut. Vor seinem inneren Auge blitzten jedoch noch immer die Bilder des Vortags auf. Raumschiffe und Laserkanonen – wo war er da nur hinein geraten? »Haben Sie heute schon etwas vor?«, fragte Jee A Maru unvermittelt, als er frisch angezogen in die Küche zurückkehrte. Nash hatte es sich am Tisch bequem gemacht, futterte sich durch Cornflakes, Bagels und Schokomuffins. »Cal, die Dusche ist frei«, sagte McLaird, ließ sich auf einem Stuhl nieder und schenkte sich Kaffee ein. Er reichte die Kanne an Jee weiter, die jedoch dankend ablehnte. »Ich habe das Getränk ... analysiert«, gestand sie. »Eine nichtverträgliche Substanz auf pflanzlicher Basis, die ...« »Koffein«, meinte McLaird. Er blickte zu Nash. »Nun hör schon auf, alles sinnlos in dich hineinzustopfen. Das ist mein Wochenvorrat.« Calvin grinste breit. Kippte einen Becher Milch in sich hinein und stand dann auf. »Nach dem, was wir gestern erlebt haben, wird ja mal so ein Schmaus erlaubt sein. Ich geh ins Bad und werde anschließend nach Hause fahren. Herrgott, was für ein Tag ist heute?« »Samstag«, gähnte McLaird. »Sei dankbar, dass wir nicht mitten in der Woche auf unsere Besucher gestoßen sind. Ich wüsste nicht, wie ich unter den Umständen zur Arbeit gehen sollte.« »Da hast du Recht.« »Nun beeil dich schon, deine Frau macht sich bestimmt schon Sorgen. Ich werde gleich Joey und Tim anrufen und ihnen sagen, dass alles in Ordnung ist.« »Aber kein Wort von UFOs!«, rief Nash auf dem Weg ins Bad. »Mit Sicherheit nicht.« Simon wandte sich Jee A Maru zu. Die Frau nippte hin und wieder an einem Glas Wasser und kaute relativ lustlos auf einem Muffin herum. »Um auf Ihre Frage von eben zurückzukommen. Vielleicht sollte ich Ihnen ein wenig die Stadt zeigen und Sie mit einigen Sitten und Gebrächen unserer Welt vertraut machen. Immerhin werden Sie hier wohl eine Zeitlang festsitzen.« Ihm taten die Worte sofort wieder leid. Die Erwähnung, auf einem für sie fremden Planeten festzusitzen, musste für die junge Frau wie ein Stich ins Herz sein. Dennoch antwortete sie: »Einverstanden.«
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Φ Am späten Nachmittag spazierte Simon zusammen mit Jee A Maru und Ken Dra durch die Straßen von Los Angeles. Zwar hatte McLaird keine Damenbekleidung auftreiben können, aber eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt hatten es für Jee auch getan. Allerdings waren die Sachen um mindestens zwei Nummern zu groß, hingen schlabberig an ihrem Körper herab und betonten ihre Figur überhaupt nicht mehr. Simon vermisste den Anblick ihrer atemberaubenden Kurven, die der schwarze Catsuit offenbart hatte. Die beiden Fremden zeigten sich sehr interessiert an der Stadt, dem Land, einfach allem. Sie löcherten Simon mit Fragen, die er bereitwillig beantwortete. Er hoffte nur, dass niemand zufällig irgendwelche Gesprächsfetzen aufschnappte und sie entsprechend interpretierte. »Ist der gesamte Planet derartig zivilisiert?«, fragte Ken Dra, als die drei in einem Café saßen und Eis aßen. »Oh nein, es gibt große Regionen auf der südlichen Hemisphäre wo Menschen einen ganz anderen Stand von Technologie haben – wir nennen sie Entwicklungsländer. Wie ist es denn bei Ihnen?« »Auf den meisten Planeten des Scardeenischen Reiches herrscht der gleiche Entwicklungsstand – Dank des Wissenschaftsrats. Doch es gibt auch Welten, die noch vom Jagen und Sammeln gekennzeichnet sind. Meist waren sie es nicht Wert, vom Wissenschaftsrat annektiert zu werden, weil sie zu wenig Ressourcen besitzen.« »Wie steht es mit Religion?«, wollte Jee wissen. »Ja ... haben wir. Einige sogar. Wenn Sie mich fragen zu viele«, antwortete Simon. »Wir werden gleich mal in einen Buchladen gehen. Auch wenn ich damit meine Karte überziehe, hole ich Ihnen ein paar Bücher über die verschiedenen Religionsformen, wenn Sie wirklich daran interessiert sind.« Ken Dra legte Simon eine Hand auf den Arm. »Wir werden Sie natürlich so gut es geht entschädigen, Simon. Sobald wir einen Weg nach Hause gefunden haben, zeigen wir uns erkenntlich und überlassen Ihnen einige Mineralien, die einen unschätzbaren Wert darstellen.« »Hoffentlich auch hier«, kommentierte Simon. Als Ken Dra ihn noch nicht losließ, wollte McLaird seine Hand wegziehen, doch der Außerirdische packte fester zu und nickte mit dem Kinn zu einem anderen Tisch im Café hinüber. »Kennen Sie diesen Mann und die Frau?« Simon blickte zu dem Paar und betrachtete sie eingehender. Ein schwarzhaariger Mann mit Vollbart. Er trug einen teuren Maßanzug, der sich ungeschickt unter einer Achselhöhle ausbeulte. Zweifellos steckte dort eine Waffe im Schulterholster. Seine Begleiterin war ebenfalls chic angezogen, eigentlich zu fein für ein Café dieser Art. Ihre Kleidung bestand aus einer beigefarbenen Kombination. Darunter trug sie eine rote Bluse. Ihr Haar war braun, kurz und leicht gewellt. Die beiden schienen sich angeregt zu unterhalten, doch ab und zu schielte einer von ihnen zu Simons Tisch herüber. »Nein«, sagte Simon kopfschüttelnd. »Ich habe die beiden noch nie gesehen.« Nun sah auch Jee A Maru zu dem Paar hinüber. Unauffällig. Doch in dem Moment blickte die Frau auf und lächelte. Dann rührte sie scheinbar gedankenverloren in ihrem Kaffee herum. »Haben Sie eine Ahnung, wer es sein kann?«, fragte Jee. »Ich? Sie sind diejenige, die diesen Ring besitzt. Ich dachte, er könnte Gedanken lesen.« »Er fängt nur Gedankenmuster auf und wird aktiviert, sobald ihn Schallvibrationen erreichen, die verbalen Ursprungs sind. So kommen wir nicht weiter.« »Die beiden verfolgen uns schon seit zwei Stunden«, sagte Ken besorgt. Simon zog die Brauen hoch. »Ach! Und das sagen Sie mir erst jetzt?« Er blickte noch einmal zu ihren vermeintlichen Verfolgern und dann in Ken Dras Augen.
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»Könnten es die scardeenischen Soldaten aus dem Patrouillenschiff sein?« Ken verneinte. »Ich glaube nicht, dass sie sich so schnell anpassen konnten. Sie werden nicht die gleiche Hilfe wie wir gehabt haben. Und an die Kleidung wären sie vermutlich auch nicht so leicht gekommen, oder?« Bestimmt nicht, dachte Simon und überlegte, wer sie beschatten konnte. Es gab im Grunde nur zwei Kategorien, in die er das Paar einordnen konnte. Entweder waren sie von der Polizei oder arbeiteten für einen der unzähligen Geheimdienste. Er wandte sich mit einem Plan an Jee A Maru und Ken Dra. Danach standen die drei auf. Während sich Jee und Ken zum Ausgang hin bewegten, ging Simon direkt auf den Tisch des Paares zu. »Hi«, grinste er die beiden breit an. »Meinen Sie nicht, dass das CBS-Fernsehprogramm spannender ist, als drei Bürger quer durch L.A. zu verfolgen?« Der Mann schluckte einmal, ehe er antwortete: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Sir.« »Natürlich nicht«, erwiderte McLaird, immer noch grinsend. »Deshalb ziehen Sie auch dieses dämliche Gesicht. Wissen Sie, wie Sie damit aussehen?« »Würden Sie uns bitte in Ruhe lassen«, meldete sich jetzt die Frau. »Wie Micky Maus nach dem Schleudergang in einer Waschmaschine. Und Sie, Teuerste, sind für diesen dreckigen Job viel zu schön und noch zu jung. Finden Sie es etwa toll, neben solch einem Arschloch zu sitzen?« »Jetzt reicht es!«, fuhr der Mann auf und wollte hochkommen, doch gerade in diesem Moment fasste Simon unter die Tischkante und riss das Möbelstück hoch. Das Geschirr fiel samt Essen scheppernd zu Boden und heiße Suppe ergoss sich über die teure Kleidung der beiden. Die Frau schrie auf. Der Mann fluchte. Simon stieß den Tisch von sich und rammte das Paar. Beide stürzten zu Boden. Ohne zu zögern sprintete er aus dem Café hinaus. Er sah nicht, wie der Mann unter sein Jackett griff und eine Pistole zog. Auch nicht, dass die Begleiterin ihm das Leben rettete, als sie ihren Partner zurückpfiff. »Nicht hier! Es wird andere Gelegenheiten geben.« Der Mann sah sich kurz in dem Café um und bemerkte die Blicke der anderen Gäste. Schnell schob er seine Automatik wieder in den Schulterhalfter zurück. »Den Kerl krieg ich!« Φ Simon und die beiden Außerirdischen hatten das nächstbeste Taxi genommen und fuhren zu Calvin Nashs Apartment. McLaird war sich sicher, dass sein Freund zu Hause Ärger bekommen hatte. Seine Frau sah es nicht gern, wenn er die Nacht woanders verbrachte, und McLaird konnte es ihr nicht verübeln. Doch er war froh, selbst nicht verheiratet zu sein. Dafür liebte er es zu sehr, ungebunden zu sein und seine Freiheit genießen zu können. »Haben Sie herausbekommen, wer diese beiden Leute waren?«, fragte Ken Dra. Simon verrenkte sich halb den Hals, als er sich auf dem Beifahrersitz umdrehte und nach hinten sah. Er überlegte kurz, was der Taxifahrer aus ihrer Unterhaltung schlussfolgern konnte und sagte dann: »Nicht direkt.« Für den Rest der Fahrt schwiegen sie. Simon bezahlte mit seinem letzten Kleingeld den Fahrer, der sie vor einem Apartmenthaus absetzte. Als das Taxi davon fuhr und die drei auf den Eingang des Gebäudes zugingen, hakte sich McLaird bei den beiden Außenweltlern ein und zog sie näher zu sich heran. »Ich habe eine Vermutung, wer das Paar aus dem Café war«, gestand er ihnen jetzt. »Allerdings gefällt mir die Sache überhaupt nicht.« »Welche Vermutung?«, fragte Ken Dra. »Es gibt hier einen Haufen Geheimdienste«, erläuterte Simon. »Die einen beschatten die
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anderen, die wiederum jene kontrollieren und so weiter. Für jeden noch so kleinen Zweck scheint es eine Organisation zu geben. Und eines haben sie gemein: man kann ihnen nicht trauen. Keinem von ihnen.« »Und was können sie von Ihnen wollen?« »Von mir?« Simon lachte amüsiert auf. »Die Typen sind bestimmt von der NSA oder CIA. Die werden was von Ihrer Landung mitgekriegt haben. Wahrscheinlich hat die Air Force ihren Scoutraumer und das Patrouillenschiff auf dem Radar gehabt und hat die Information an die NSA weitergegeben.« »Radarstrahlen«, sinnierte Jee und schnippte mit den Fingern. »Gut möglich. Das Scoutboot verfügt über kein Tarnsystem.« »Sie werden geleuchtet haben, wie ein Weihnachtsbaum.« »Weihnachtsbaum?«, echoten Jee und Ken synchron. »Ein andermal.« Sie betraten das Hochhaus. Simon orientierte sich an den Namensschildern. Er war zwar schon einmal hier gewesen, aber da hatte er einen Brummschädel gehabt, als er Nash nach einer Sauftour hier abgesetzt hatte. Mrs. Nash mochte Simon nicht, deshalb ließ er sich normalerweise nicht in der Nähe der Wohnung blicken. Er fragte sich, ob es ratsam war, die beiden Fremden mit nach oben zu schleppen. Womöglich bekam Calvins Frau einen hysterischen Anfall. »Kann uns diese ... NSA gefährlich werden?«, fragte Jee A Maru, während sie die Kabine eines Liftes betraten. »Darauf können Sie Ihren süßen Hintern verwetten, Mädchen!«, entgegnete Simon. »Außerirdische sind für die ein gefundenes Fressen. Die werden sich die Hände reiben, wenn sie Sie auf den Seziertisch bekommen können.« Jee und Ken sahen McLaird entsetzt an. Er wusste, dass er vielleicht ein wenig übertrieben hatte, aber sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass er jedweden Geheimdiensten besser aus dem Weg ging. Er hoffte vorhin im Café nicht schon einen Fehler begangen zu haben. Der Aufzug hielt. Simon McLaird trat aus den Gang hinaus, gefolgt von Jee und Ken. Er blickte suchend nach der richtigen Nummer an den Apartmenttüren und hielt unvermittelt inne, als er vor Nashs Wohnung stand. Die Tür war nur angelehnt und klapperte im Durchzug gegen das Schloss. Alarmiert sog Simon die Luft ein. Er hätte seine rechte Hand für eine Waffe gegeben. Auf die Idee, die beiden Außerirdischen zu fragen kam er nicht. Wie auch? In seinen Augen waren sie friedliebend. Simon stieß die Tür auf. Ein Schock traf ihn, als er das Chaos in der Wohnung gewahrte. Überall lagen Möbel kreuz und quer auf dem Boden. Schränke und Schubladen waren durchwühlt worden. Kleidungsstücke, Videokassetten, Unterlagen und sogar Müllreste säumten den Fußboden. »Was ist denn hier passiert?«, stieß Jee A Maru hervor, als sie zusammen mit Ken Dra die Wohnung hinter McLaird betrat. Plötzlich drang aus dem Wohnzimmer ein Stöhnen. Sofort lief Simon los und blieb abrupt stehen, als er den Raum erreichte. Mitten im Zimmer stand ein Stuhl auf dem Calvin Nash mit Handschellen festgekettet worden war. Sein Gesicht war vor Schmerz und Wut verzerrt. Die Augen und Wangen geschwollen. Über seine Lippen lief Blut. Links und rechts neben ihm hatten sich zwei Männer aufgebaut, von denen einer seine Pistole an Nashs Schläfe hielt und der andere seine Waffe auf die drei Neuankömmlinge richtete. In einer Ecke des Zimmers lag Calvins Frau Harriet auf dem Boden. In ihrer Brust gähnte ein fingerdickes Einschussloch. Das nackte Entsetzen ergriff Simon und verdammte ihn zur Handlungsunfähigkeit. Er weigerte sich das Bild vor seinen Augen als real zu akzeptieren. Es konnte nicht sein.
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Aufgewühlt blickte er Calvin an. Er musste etwas unternehmen, ehe ... »Freut uns, dass Sie auch schon eintreffen«, sagte einer der beiden Männer in den grauen Einheitsanzügen. McLaird verspürte ein Stechen in der Brust. Er merkte, wie der Zorn in ihm hoch kochte und drohte die Überhand zu gewinnen. Er musste sich krampfhaft beherrschen, nicht in blinder Wut auf die Killer loszustürmen. Das wäre sein sicherer Tod gewesen. Und die beiden schienen nur darauf zu warten, dass er ihnen einen Anlass gab, ihn über den Haufen zu schießen – so wie sie es mit Harriet Nash getan hatten. »Was zur Hölle ist hier los?«, zischte McLaird mit gefährlich leisem Unterton in der Stimme. Die beiden Männer wirkten konzentriert, waren darauf vorbereitet, dass sich Simon zu einer Dummheit hinreißen ließ. »Wer seid ihr?« »Schnauze!«, herrschte ihn der Mann an, der die Mündung auf Simon gerichtet hielt. »Die Fragen stellen wir!« »Dann stell sie ...« McLairds Stimme hatte sich um kleinen Deut verändert. »... solange ihr noch Zeit dazu habt.« Er machte einen Schritt nach vorn. Sofort hob der Mann die Pistole höher und spannte den Hahn der Waffe. Simon setzte wieder zurück. »Wir wollen diese beiden«, forderte der Killer und deutete mit der Mündung auf Jee A Maru und Ken Dra, die jetzt dicht hinter Simon standen. »Warum?«, fragte Ken ahnungslos, wobei sein Blick unsicher zwischen der Leiche Harriets und dem Mann mit der Waffe hin und her pendelte. »Was wollen Sie von uns?« »Das werdet ihr schon sehen! Sie sind vorläufig festgenommen, bis wir Ihre Identität zweifelsfrei festgestellt haben, aber wenn unsere Informationen stimmen, halten Sie sich illegal in diesem Land auf.« »NSA, richtig?«, fragte Simon. »Wer gibt euch verdammten Bastarden das Recht eine wehrlose Frau zu erschießen?« »Das war Notwehr«, erwiderte der Agent lapidar. »Glaub ihnen kein Wort«, stöhnte Nash unter Schmerzen. Sein Bewacher holte kurz aus und schlug ihm den Lauf seiner Waffe durch das Gesicht. Simon spannte sich, wollte vorschnellen, doch genau in diesem Moment sprang Calvin auf und rammte seinem Bewacher den Ellbogen in die Seite. Der andere Agent wirbelte herum und schoss auf Nash. Die Kugel zerfetzte dessen Kehle, schleuderte seinen Kopf zurück. Calvin Nash taumelte röchelnd nach hinten weg. Simon hechtete nach vorn und bekam den Mörder zu fassen. »Schnell! Die Feuerleiter!«, rief er Jee und Ken zu, während er mit dem Agenten rang. Die beiden zögerten nicht, sondern liefen an den beiden Kämpfenden vorbei zum Fenster hinüber. Inzwischen hatte sich der erste NSA-Agent wieder gefangen und feuerte ebenfalls. Die Fensterscheibe zerplatzte in einem Scherbenregen, gerade als Ken Dra auf die Feuerleiter sprang. Zusammen mit Jee rannte er das Gerüst hinunter und landete auf der Rückseite des Hochhauses in einer schmalen Gasse. Oben im Wohnzimmer riss Simon seinen Gegner herum, so dass der nächste Schuss nicht ihn selbst, sondern den anderen Agenten traf. Er brach zusammen. Simon stieß den anderen von sich, rollte über den Boden und kam neben Nash wieder auf die Beine. Sein Freund war tot. Er konnte nichts mehr für ihn tun. Ehe sich eine eiserne Faust um sein Herz krampfen konnte, gab er sich einen Ruck und hetzte durch das Fenster. »Halt!«, schrie der NSA-Mann, als er sich wieder aufraffte. Simon rannte wie von Furien gehetzt die Feuerleiter hinunter. Er stolperte zweimal und wäre fast über das Geländer gefallen. Unten sah er Jee A Maru und ihren Begleiter, die sich hinter einem halben Dutzend Mülltonnen eine unzuverlässige Deckung gesucht hatten. Simon
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McLaird überwand die letzten zwei Meter im Sprung, setzte auf dem Asphalt auf und sprang zur Seite. Ein Schuss peitschte auf, sirrte knapp an ihm vorbei und schlug irgendwo in die Straße ein. Simon stemmte sich hoch und blickte nach oben. Er zuckte zusammen, als die Pistolenmündung ein weiteres Mal aufflammte. Die Kugel verfing sich im Gerüst der Feuerleiter, prallte als Querschläger ab und bohrte sich dicht vor seinen Füßen in den Boden. Er drehte sich um, hechtete zu den Mülltonnen und rollte über die Schulter ab. Zwei Schritte trennten ihn von der vagen Deckung. Er fuhr herum und sah, wie der Agent ein weiteres Mal auf ihn anlegte. Doch er kam nie dazu, den Schuss abzugeben. Plötzlich zischte ein blauweißer Lichtstrahl durch die Luft, traf den NSA-Mann und wirbelte ihn zurück in das Apartment. Er schrie schrill auf. »Oh nein«, keuchte Jee A Maru. Simon starrte die Außerirdische an und folgte ihrem ausgestreckten Arm. Drei Männer in futuristisch anmutenden, grauen Rüstungen rannten durch die Hintergasse auf die drei Flüchtlinge zu. Simon McLaird hielt den Atem an. Scardeener, zuckte es noch durch seinen Kopf, doch der Anblick der befremdlichen Kampfrüstungen ließ ihn erstarren. Wäre Ken Dra nicht da gewesen und hätte ihn am Ärmel gepackt und mit sich fort gezerrt, hätte Simon sich wahrscheinlich von den anderen einfach überrennen lassen. Jee A Maru übernahm die Spitze und lief weiter in die Straße hinein. Simon hoffte inständig, dass es keine Sackgasse war. Nach zehn Metern endete die Hauswand. Jee hetzte um die Ecke. Ken zog Simon hinter sich her. Da erklang wieder das Zischen. Mehrere Lichtblitze fegten durch die Gasse. Begleitet von einem hellen Singen der Waffenauslöser jagten sie haarscharf an Simon vorbei und schlugen ein paar Meter entfernt in ein Fenster ein, das sich unter der Hitzeeinwirkung verformte, dann zerplatzte. Simon brach der Schweiß aus. Er spürte die sengende Hitze der Energielanzen förmlich im Nacken. Jeden Moment würden die Scardeener die Ecke erreicht haben und ihre tödlichen Lichtfinger entsenden. Er dachte an Nash und Harriet. Dann an Jeremiah, dessen E-Mail er noch immer nicht beantwortet hatte. Gott! Plötzlich blieb Jee A Maru stehen und drückte sich in einen Hauseingang. Ken Dra wirbelte herum und zog etwas unter dem T-Shirt hervor. Simon glaubte eine Art Pistole zu erkennen. »Runter!«, schrie der Alien. Instinktiv ließ sich Simon fallen. In derselben Sekunde stürmten die drei Scardeener um die Ecke und liefen in einen gefächerten Energiestoß aus der Waffe Ken Dras. Blaues Licht umtanzte die Soldaten aus einer anderen Welt, schüttelte sie durch, als ob sie unter Strom stünden, bis sie schließlich zusammenbrachen. »Schnell«, forderte Ken McLaird auf und half ihm beim Aufstehen. »Die Schockwaffe hat sie nur kurz außer Gefecht gesetzt.« Simon überlegte kurz, den Bewusstlosen den Rest zu geben, oder sie zumindest zu entwaffnen, doch Jee A Maru war bereits voraus gelaufen. Die Gasse mündete in eine Hauptstraße. Jee mischte sich unter die Passanten und wartete, bis auch Simon und Ken aus der Nebenstraße traten. Dann hielt sie an einem Taxistand, sprach kurz mit dem Fahrer und winkte den beiden Männern zu. Simon sah sich zögernd um. Er besaß kein Bargeld mehr. Der Fahrer würde ziemlich sauer sein, wenn er ihn nicht bezahlen konnte. Beim Gedanken an die drei Verfolger warf er jedoch alle Bedenken über Bord und stieg zusammen mit Ken in die Limousine. Diesmal hatte Jee auf dem Beifahrersitz Platz genommen. »Wohin darf es gehen?«, fragte der Taxifahrer. »Fahren Sie einfach los«, sagte Jee. »Was?« »Fahren Sie!«, fauchte Simon von der Rückbank.
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Der Mann am Steuer zuckte zusammen. Durch den Rückspiegel traf sein Blick den McLairds. Offenbar spielte er mit dem Gedanken, einfach aus dem Wagen zu steigen und die Polizei zu alarmieren. Aber er überlegte es sich anders, startete den Motor und fuhr an. Als sie an der Gasse vorbei fuhren, spähte Simon sorgenvoll hinein, doch die Scardeener lagen noch immer betäubt auf dem Boden. Φ Niemand der drei Flüchtigen bemerkte den schwarzen Buick, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt war und von dem man einen hervorragenden Blick sowohl in die Seitengasse, als auch zu Nashs Apartment hatte. Die Scheiben des Wagens waren getönt. Von außen konnte man nicht einmal sehen, wer am Steuer saß. Die Insassen hatten den Kampf in der Gasse beobachtet und aufgezeichnet. Während sich die Frau mit dem kurzen, braunen Haar das Nummernschild des Taxis notierte, senkte der Mann in dem teuren Sakko die digitale Videokamera und schaltete sie ab. »Das dürfte der endgültige Beweis sein«, sagte Helen Dryer, Spezialagentin der Central Intelligence Agency. Sie bedauerte, dass ihre Kollegen vom anderen Verein schneller bei Nash waren als sie selbst, doch dafür war sie mit aussagekräftigen Aufnahmen entschädigt worden. Es hatte sich als goldrichtig erwiesen, McLaird im Café ungeschoren davon kommen zu lassen. Sie fragte sich nur, wie oft sie ihren hitzköpfigen Partner Paul Gossett noch vor solchen unüberlegten Aktionen beschützen konnte. »Es ist kaum zu fassen«, sagte der Dunkelhaarige, klappte das TFT-Display zu und ließ die handliche Kamera in der Tasche seines Sakkos verschwinden. Die andere Hälfte seines Anzugs war mit Kaffeeflecken bedeckt, den McLaird im Café über ihn gekippt hatte. »Dass die beiden Außerirdische sind?«, fragte Helen. »Nein«, meinte Gossett, »eher dass jahrelang nichts passiert und jetzt gleich ein ganzes Rudel von denen auftaucht. Diese Kerle da in den Ritterrüstungen scheinen die bösen Buben zu sein. Sie jagen die anderen.« »Vielleicht sind auch die beiden, die McLaird beschützt, die Bösen«, räumte Helen Dryer ein. »Und die Bewusstlosen sind so eine Art Ordnungshüter. Wer will das schon wissen?« »Sollen wir uns um die Drei dort drüben kümmern?« Kaum dass Gossett die Frage gestellt hatte, kam Bewegung in die drei Körper. Sie zuckten kurz, dann rappelten sie sich noch leicht benommen auf. Zwei von ihnen gingen in der Nische eines Hinterausgangs in Deckung. Der Dritte stand ein paar Sekunden recht ratlos da, doch ehe der zufällige Blick eines Passanten ihn erhaschen konnte, zogen ihn die beiden Mitstreiter zu sich heran. Ihre grauen Rüstungen verschmolzen mit der Farbe der Hauswand. »Nein«, meinte Helen. »Lass uns von hier verschwinden. Wir müssen dem General Bericht erstatten. Er wird entscheiden was zu tun ist.« Die drei Fremden waren verschwunden, ohne dass Helen zu sagen vermochte, wie sie das angestellt hatten. Vielleicht verfügten ihre Monturen über eine Art Tarntechnologie. Aber es war später immer noch Zeit genug, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Spätestens dann, wenn die Aliens ihnen in die Finger gerieten. Helen nickte Gossett zu. Der Agent startete den Buick, wartete auf eine Lücke im fließenden Verkehr und tauchte dann in der Menge der anderen Wagen unter. Φ Seit drei Tagen hatte Simon McLaird weder geschlafen noch feste Nahrung zu sich genommen. Es war bereits Dienstag. Nicht einmal bei seiner Arbeitsstelle hatte er sich abgemeldet. Vermutlich würde die Kündigung schon in seinem Spind liegen, falls er je
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zurückkehrte. Aber was für eine Rolle spielte das schon? Calvin und seine Frau waren tot – ermordet von Leuten, die amerikanische Staatsbürger eigentlich beschützen sollten. Warum nur? Der Kloß in Simons Hals wollte und wollte nicht weichen. Er spürte Verzweiflung in sich aufkeimen – und tiefe Trauer. Jee A Maru hatte auf ihn eingeredet, sein Apartment zu verlassen. Wenn sie Nash gefunden hatten, dann war es ihnen auch ein Leichtes, ihn hier aufzuspüren. Natürlich hatte die schöne Außerirdische Recht, aber Simon wollte davon nichts wissen. Er hockte auf der Bettkante und stierte mit leeren Augen vor sich hin, schüttelte ab und an den Kopf. Als einziges Wort kam ein heiser geflüstertes »Warum?« über seine Lippen. Irgendwann des Nachts kippte er einfach hinten über und fiel in einen unruhigen Schlaf. Er wälzte sich von einer Seite auf die andere und erwachte schweißgebadet. Hämische Fratzen und vermummte Krieger in futuristischen Rüstungen verspotteten ihn in seinen Albträumen. Sie jagten ihn, stellten ihn, töteten ihn und begannen dann wieder von vorn. »So geht es nicht weiter«, entschied Ken am dritten Tag, seit Simon in Lethargie verfallen war. »Wir müssen etwas unternehmen.« Jee stimmte dem zu. »Sieh du dich ein wenig in der Stadt um. Vielleicht findest du ja die Bücher, von denen Simon gesprochen hat.« Ken Dra runzelte die Stirn. »Was versprichst du dir davon?« »Erinnerst du dich noch an unseren Landeanflug?« Der Navigator der ROC SUN schluckte. Hatte Jee etwa auch das monströse Kuppelgebilde im Orbit des Mondes entdeckt? Als Antwort zuckte er die Achseln. »Während uns die Scardeener in die Atmosphäre folgten, rief ich noch einmal die Übertragung ab, die uns überhaupt erst hierher gelockt hat«, fuhr Jee A Maru fort. »Es wurden nicht nur Koordinaten, sondern auch Bilder übermittelt. Ich glaube, es gibt hier etwas, das uns bei unserer Suche nach Dai Urshar helfen könnte.« »Verlorenes Wissen? Hier auf diesem Planeten am Rande der Galaxis?« Jee A Maru hob die Schultern. »Wir müssen jedem Hinweis nachgehen.« Ken stand auf und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe nicht einmal Zahlungsmittel. Das wird nicht einfach werden, Schwertträgerin. Und was ist mit ihm?« Jees Blick wanderte ins Schlafzimmer. McLaird saß wieder auf dem Bettrand und starrte vor sich hin. Er war in dem Zustand nicht ansprechbar. »Er hat viel durchgemacht«, sagte sie. »Nicht nur, dass durch uns sein Weltbild ins Wanken geraten ist, er hat auch noch zwei Freunde verloren. Aber ich versuche ihm zu helfen. Ohne ihn sitzen wir vielleicht für immer hier fest.« »Was macht dich so sicher, dass er uns helfen kann, von hier fortzukommen?« Jee sah auf. »Ich weiß es«, sagte sie und bedeutete dann Ken Dra, sich auf den Weg zu machen. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, ging sie ins Schlafzimmer. Jee blieb im Türrahmen stehen und betrachtete Simon McLaird für eine Weile. Seine Trauer und Wut lagen förmlich in der Luft, und sie hätte alles gegeben, ihm diese Pein nehmen zu können. »Simon?« Als er nicht reagierte, ging sie zu ihm hinüber und setzte sich neben ihn auf die Bettkante. Sie strich ihm durchs Haar und berührte seine Wange. Erneut sprach sie ihn an, lauter diesmal. Doch McLaird nahm noch keine Notiz von ihr. Da beugte sie sich zu ihm hinüber und küsste ihn impulsiv. Endlich regte sich Simon, schien aus einem endlosen Traum aufzuwachen oder gar aus einer tiefen Trance ins Leben zurückzufinden. Er blinzelte, spürte die warmen Lippen der Fremden auf den seinen. Da fasste er ihre Schultern und schob Jee sanft von sich. Die beiden sahen sich an. »Es tut mir furchtbar leid um Ihren Freund Calvin«, sagte die Fremde heiser. »Es ist unsere Schuld, dass er und seine Frau sterben mussten. Aber Sie dürfen jetzt nicht resignieren und aufgeben, Simon. Denken Sie an Ihre Zukunft.«
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»Eine Zukunft mit Ihnen?«, fragte McLaird und berührte seine vom Kuss noch feuchten Lippen. Jee A Maru sah ihm tief in die Augen. Nach einer Weile zuckte sie die Achseln und übersprang das Thema, das inzwischen auch Simon unangenehm wurde. Warum hatte er es unbedingt zur Sprache bringen müssen? Er erkannte sich selbst nicht wieder. Sie sieht gut aus, dachte er. Und wenn schon, das tun andere Mädchen auch. Was ist schon ein einziger Kuss, noch dazu wenn er als Mittel zum Zweck eingesetzt wurde? »Ihre Agenten werden noch mehr unschuldige Menschen töten«, murmelte sie, während sich ihr Blick abwandte und irgendwo draußen jenseits des Schlafzimmerfensters verlor. »Die Scardeener kennen die Koordinaten der Erde und werden eine Flotte entsenden, die prüft, ob ihre Welt den Ansprüchen einer Reichskolonie genügt.« »Und das alles geschieht, wenn Sie hier bleiben?« Jee nickte. »Aber es gibt keine Garantie, dass es nicht geschieht, wenn Sie fort sind«, meinte Simon McLaird. »Sie wollen, dass ich Ihnen helfe, die Erde wieder zu verlassen.« Diesmal schüttelte die Außerirdische den Kopf. »Ich will vor allen Dingen Ihnen selbst helfen, Simon. Finden Sie zu sich. Gemeinsam können wir die Scardeener überrumpeln und die Koordinaten aus ihrem Schiff löschen.« Simon seufzte. Er dachte an Nash und schwor sich, dass sein Freund nicht umsonst gestorben sein sollte. Sein Tod sollte etwas bewegen – und das konnte er, wenn Simon die beiden Fremden unterstützte und von hier fort brachte. Auch wenn er nicht den leisesten Schimmer hatte, wie er das anstellen sollte. »Na schön.« Jee A Maru atmete erleichtert auf und umarmte ihn heftig. Simon ließ die Liebkosung, die nur freundschaftlich gemeint war, über sich ergehen. Als sie sich wieder von ihm löste, glaubte er ihre Augen feucht schimmern zu sehen. »Was brauchen Sie, um von hier wegzukommen?«, fragte er. »Ein Schiff«, erwiderte Jee und lachte sogleich auf, als habe sie ein Scherz gemacht. »Ich weiß, dass Sie uns das nicht besorgen können. Aber selbst mit einem Schiff wären wir hilflos, solange wir keine vernünftige Navigation haben. Wir brauchen Daten über die Sternenkonstellation, damit wir einen Heimatkurs berechnen können. Unseren Nav-Computer haben die Scardeener ja leider pulverisiert.« »Gibt es keine Backups in Ihrem Gleiter?« »Nein, die Kapazitäten des Bordrechners sind begrenzt.« Simon stand auf, ging zum Schrank und packte einige Sachen zusammen. Er wusste, dass er vorerst diese Wohnung nicht mehr betreten durfte. Es war bereits leichtsinnig genug gewesen, nach Nashs Tod hierher zurückzukehren. Ein Wunder, dass die NSA ihnen hier noch nicht aufgelauert war. Sie mussten anderweitige Befehle erhalten haben. Aber warum? Hofften sie, die Aliens würden sie zu ihrem Schiff führen, wenn man sie an der lockeren Leine hielt? Die würden sich in den Hintern beißen, wenn sie wüssten, dass es kein Schiff mehr gibt. »Ich denke, lokale Sternkarten kann ich Ihnen besorgen.«, sagte Simon, als er den notdürftig gepackten Koffer auf das Bett warf. »Allerdings ist das nicht viel. Ein paar Himmelsausschnitte von Sternwarten aufgenommen mit der Erde als Ausgangspunkt. Alles Weitere liegt bei Ken und Ihnen. Aber ich frage mich, wie Sie von hier fortkommen wollen.« »Sobald wir wissen, auf welcher galaktischen Position die Erde im Verhältnis zu unserer Heimat liegt, können wir den Notsender des Gleiters benutzen, um ein Rettungsschiff herbeizurufen.« »Hört sich einfach an. Okay, dann verschwinden wir erstmal von hier.« Als sie den Wohnraum durchquerten fiel McLairds Blick auf den PC, der in der Ecke auf einem vergammelten Schreibtisch stand. Er war noch immer nicht dazu gekommen, sich bei
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Jeremiah zu melden und hoffte, er würde ihm nicht böse sein. Ich hole es nach, Sportsfreund, ich hole es nach. Φ Logfile From:
[email protected] To:
[email protected] Subject: Re: Schule ist blöd Hi Simon, Du hast Dich gestern gar nicht mehr gemeldet. Was war denn los? Wie war das Rennen? Ich glaube, Nash hat Dich wieder abgezogen. Wann schickst Du mir das Foto von ihm, oder ist Dein Scanner wieder abgeschmiert? Melde Dich doch mal. cu Jeremiah Φ Tim war ein guter Kumpel, nicht der Freund, den Simon McLaird in Calvin Nash gesehen hatte, dennoch ein guter Kumpel. Als Simon ihn gebeten hatte, keine Fragen zu stellen, da hatte er den Mund gehalten. Und als es darum ging, McLairds Hausstand aufzulösen, hatte er zwar geschluckt und mit den Wimpern gezuckt, den Wunsch aber akzeptiert. Mit Joey hätte er das nicht machen können. Der hätte ihn mit Fragen gelöchert. Aber Tim war nicht so. Simon hängte ein, nachdem das Gespräch mit seinem Kumpel beendet war. Das Apartment war gekündigt, die meisten Möbel und die persönliche Habe hatte Tim verkauft und brachte das Geld zu einem vereinbarten Treffpunkt. Simon machte sich keine Illusionen. Der Geheimdienst war hinter ihm her. Er hatte keine Zukunft mehr in dieser Stadt, wahrscheinlich nicht mal mehr in diesem Land. Wenn er Pech hatte, hatten die Agenten Tims Aktivitäten beobachtet. Wohin sollte er sich absetzen? Es war an der Zeit, die Zelte abzubrechen und sich vielleicht einen Jugendtraum zu erfüllen – auch wenn er den beiden Leuten, die ihn verwirklichen konnten, noch nichts über seine Pläne verraten hatte. Unten an der Rezeption der Pension, in die sie sich einquartiert hatten, hatte ihm der Besitzer eine alte, mechanische Schreibmaschine zur Verfügung gestellt, auf der Simon seine Kündigung bei der Stadtverwaltung tippte. Er hatte dort im Elektronikbereich gearbeitet und Computeranlagen gewartet oder auf den neuesten Stand gebracht. Die Kündigung im KarateDojo erledigte er formlos durch einen Anruf. Es gab dort außer ihm noch zwei weitere Lehrer, die seine Gruppe mit aufnehmen konnten. Erneut buchte er einen Mietwagen mit flachem Anhänger bei Hertz, um den Gleiter aus der Garage zu schaffen. Seinen weißen Trans Am hatte er ebenfalls über Tim verkaufen lassen. Er verzichtete auf die Bezahlung mit der Kreditkarte. Jetzt, da er wusste, dass Geheimdienste hinter ihm her waren, würden sie so nur seine Spur aufnehmen können. Die Pension hieß At Levinson's und lag in Lone Pine, einem kleinen Ort etwa 180 Meilen nördlich von Los Angeles. Am liebsten hätte Simon schon vor zwei Tagen die Staatsgrenzen nach Oregon überquert, um sich dann über Washington nach Kanada durchzuschlagen. Doch irgendwie waren sie hier hängen geblieben. »Mister Levinson?«, sprach Simon den Inhaber der Pension an, als er den Kündigungsbrief einkuvertiert und draußen vor dem Haus in den Briefkasten geworfen hatte.
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Der ältere Mann mit schütterem, grauem Haar lugte über den Rand seiner Lesebrille hinweg. Er legte seine Bücher beiseite. »Nennen Sie mich Ed. Wir sind hier recht familiär.« »Simon«, lächelte McLaird. »Hören Sie Ed, Sie haben nicht zufällig einen Internetzugang?« Der Alte lachte auf. »Ich hab nicht einmal einen dieser teuflischen Computer. Meine Buchführung mache ich noch auf die althergebrachte Art. Meine Tochter Vanessa hat aber einen Zugang in ihrem Zimmer. Sie ist allerdings erst heute Abend da. Fragen Sie sie doch einfach.« Simon bedankte sich und kehrte auf das Zimmer zurück, das er sich mit Ken Dra teilte. Als er es verlassen vorfand, nahm er die nächste Tür, wo er Jee und ihren Begleiter antraf. Die hübsche Außerirdische lag auf dem breiten Bett und stöberte in einer abgegriffenen Ausgabe der Hausbibel. Ken stand am Fenster und starrte hinaus. Er schien sich nicht so sehr für das Irdische zu begeistern, wie Jee A Maru. Simon konnte es ihm nicht verübeln, dass er nur so schnell wie möglich wieder nach Hause wollte. Jee blickte auf, als McLaird die Tür hinter sich schloss. Sie sah die beiden Bücher in seinen Händen, legte die Heilige Schrift weg und rollte sich über das Bett zur anderen Seite. Dort schwang sie ihre Beine über die Kante. »Haben Sie etwas gefunden?«, fragte sie mit erwartungsvoll leuchtenden Augen. Simon hielt die beiden Bücher hoch, die er in einem nahe gelegenen Laden erstanden hatte. Beides astronomische Werke mit einer Fülle an schematischen, zweidimensionalen Sternkarten und wirren Formeln, von denen er nicht einmal ansatzweise etwas verstand. »Hier ist alles, was ich in diesem verschlafenen Nest auftreiben konnte«, sagte er und reichte Jee die beiden Bücher. »Ein Großteil zeigt Sternbilder, wie man sie von der Erde aus sehen kann. Ich hoffe, Sie können nun den Weg von der Erde zu Ihrem Ursprung zurück berechnen und das Notsignal senden. – Aber könnten die Scardeener nicht Ihre Übertragung abfangen?« Jee A Maru verzog das Gesicht. »Das Risiko müssen wir leider eingehen. Wir haben keine Möglichkeit, das Notsignal zu verschlüsseln, da es auf allen Standardfrequenzen sendet. Wahrscheinlich werden sogar Ihre Leute darauf aufmerksam. Aber nur, wenn Ken und ich von hier fortkommen, haben wir eine Chance, Dai Urshar zu finden. Die Sternbilder helfen uns nicht weiter, aber wir werden uns an die Fixsterne halten und versuchen unsere Position zu bestimmen.« Simon runzelte die Stirn. Aus jedem anderen Mund hätte Jees Behauptung überheblich geklungen, aber sie sagte es so ernst, dass er ihr sofort glaubte. Dennoch fragte er: »Was macht Sie so sicher, dass ausgerechnet Sie, diesen ominösen Planeten finden werden? Sie sagten, Ihr Volk hätte mehrere Scoutschiffe ausgeschickt.« Die Außerirdische deutete auf die Bücher und Schriften, die Simon bereits auf einem Zwischenstopp während ihrer Flucht aus einem Buchladen mitgenommen hatte. Bücher über die Religionen der Erde, über Mythen und Sagen, versunkene Städte und Rätsel der Welt – all der ganze esoterische Kram, der ihn bisher nie interessiert hatte. »Ich glaube, hier drin wichtige Anhaltspunkte über Dai Urshar gefunden zu haben«, sagte sie. Nun drehte sich auch Ken Dra vom Fenster um und sah die junge Frau entgeistert an. Simon verschluckte sich und begann zu husten. »Anhaltspunkte zu DUST? Hier auf der Erde?«, fragte er erstaunt, als er sich einigermaßen von dem Anfall erholt hatte. Jee A Maru bejahte und bat gleichzeitig darum, noch Einblick in Geschichtsbücher nehmen zu können, um einige Theorien bestätigt zu wissen, die ihr im Kopf herumspukten. Simon seufzte. »Andere Probleme haben Sie nicht?« Jee schaute verwirrt, hatte die Ironie in seinen Worten nicht verstanden, daher fuhr er fort: »Hören Sie, auch wenn ich meinen Hausstand verkauft habe, das Geld reicht nicht ewig. Ich
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kann Ihnen den ganzen Kram nicht mehr besorgen. Ich schlage vor, wir ziehen weiter nach Norden und suchen bei der nächst größeren Stadt eine öffentliche Bibliothek auf. Dort finden Sie ... oder warten Sie! Der Pensionsbesitzer sagte, seine Tochter hat einen Internetzugang. Ich sehe mal heute Abend, was sich machen lässt.« »Internet?« »Das größte Computernetz der Erde, gespickt mit allerlei Informationen. Über die Suchmaschinen finden wir mit Sicherheit schneller etwas, als wenn wir Tagelang in der Bibliothek Bücher wälzen.« Jee reichte die Astronomie-Bücher an Ken Dra weiter und trug ihm auf, die Sternkarten zu analysieren. Als er das Zimmer verlassen hatte, legte die Frau Simon eine Hand auf die Schulter, beugte sich vor und küsste ihn. »Danke.« »Für diese Art Belohnung bin ich jederzeit zu haben«, grinste McLaird. Er wollte Jee gerade in seine Arme schließen und sich für den Kuss revanchieren, als sie einen Schritt zurücktrat und abwehrend die Hände hob. »Sie brauchen sich nicht zu bedanken.« Verblüfft gaffte Simon sie an, dann verstand er ihre Art von Ironie. Es wäre auch zu einfach gewesen, diese Frau für sich zu gewinnen. Aber so schnell würde er nicht locker lassen. Φ Später am Abend klopfte Simon zusammen mit Jee nochmals bei Ed Levinson an. Der Pensionsbesitzer begrüßte sie herzlich und lud sie zu einer Tasse Kaffee ein. Anschließend fragte Simon nach, ob Levinsons Tochter zu Hause war. Sie war es nicht. »Ich würde Sie ja gerne nach oben lassen«, sagte Levinson bedauernd. »Aber der Kasten ist mit irgend so einem Passwort geschützt. Das nützt Ihnen nichts.« »Da haben Sie Recht«, gestand McLaird sich ein. »Gibt's in der Nähe ein Internet-Café?« »Am Ende der Hauptstraße hat so ein Laden aufgemacht.« Eine Viertelstunde darauf saßen Simon und Jee A Maru vor einem Rechner und surften durch Internetseiten, die sich mit Historik und Legenden irdischer Geschichte befassten. Jee war so begeistert von der Informationsflut, dass sie Simon sogar damit ansteckte, obwohl er sich eigentlich vorgenommen hatte, an einem zweiten Terminal eine E-Mail an Jeremiah zu verfassen. Als sie gegen 23:00 Uhr das Internetcafé verließen, hatte er die Sache vollkommen vergessen und schlenderte mit Jee zur Pension zurück. »Wo ist Ken?«, fragte Simon verwundert, als er Jees Begleiter weder in seinem noch in ihrem Zimmer antraf. »Er wird versuchen mehr über unsere Verfolger in Erfahrung zu bringen.« »Welche Verfolger? Die Scardeener?« »Nicht nur die«, gab Jee A Maru knapp zurück. Φ »... welche Verfolger? Die Scardeener?« »Nicht nur die.« Paul Gossett hielt das digitale Aufnahmegerät an und wechselte den Speicherchip aus. In dem Lieferwagen mit der Aufschrift Bug War hatte er ein Überwachungssystem mit modernster Technik einrichten lassen. Hochsensible Richtmikrophone waren rund um die Uhr auf das Gebäude von At Levinson's gerichtet und zeichneten über die Aufnahmeeinheiten so ziemlich jedes Gespräch in den Zimmern der Pension auf. Hin und wieder gönnte sich Gossett eine Auszeit und hörte Besucher ab, die nicht zu seinen Zielpersonen gehörten. So erfuhr er
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von Tante Elly, die sich im hohen Alter noch Silikonbrüste hatte einpflanzen lassen, damit ihr heimlicher Liebhaber, mit dem sie sich in der Pension traf, so richtig heiß wurde. Allerdings turnte die Vorstellung von »Seniorensex« den CIA-Agenten dermaßen ab, dass er sich doch lieber den Ehestreit eines Paares im dritten Stock antat. »Hast du noch mehr?«, fragte Helen Dryer von der Tür her und stellte Gossett eine Tüte Hamburger auf den Tisch. Die Agentin hatte sich ihres modischen Kostüms entledigt und trug nun legere Jeans, dazu ein T-Shirt und eine kurze Jacke. Sie hockte sich neben ihren Partner auf die Tischkante und studierte die Displays. »Das wirst du nicht glauben!«, erwiderte Gossett und drückte eine Tastenreihe vor sich herunter. »Ich hab mir mal spaßeshalber den Mietwagen unter die Lupe genommen. Was immer die da unter der Plane transportieren scheint die reinste Kraftquelle zu sein. Der potenzielle Energieoutput gleicht dem eines kleinen Kraftwerks. Ich möchte zu gerne wissen, was sich darunter verbirgt und wozu sie es brauchen. Übrigens, dieses Messgerät, das passive Energiequellen anpeilen kann, wo genau hast du es her?« Im Schatten des Innenraums rührte sich eine Gestalt, die bisher nur schweigend hinter Gossett gestanden und die Rolle eines stillen Beobachters eingenommen hatte. Ein Räuspern war zu vernehmen, dann ertönte eine tiefe, bedächtig klingende Stimme. »Von welchen Verfolgern ist die Rede?«, fragte sie. »Nun«, erwiderte Gossett. »Die wissen, dass Geheimdienste ihnen auf den Fersen sind. Die NSA hat ja so einiges in Nashs Apartment vermasselt. Aber ich denke, dass sie weiterhin glauben, die National Security Agency wäre hinter ihnen her. Uns werden sie nicht verdächtigen.« »Dein Wort in Gottes Ohr«, warf Helen Dryer ein. »Dieser McLaird ist schon im Café auf uns aufmerksam geworden. Ich glaube nicht, dass wir uns allzu sicher fühlen sollten.« »Haben Sie nähere Daten über McLaird?«, meldete sich wieder die Stimme aus den Schatten. Gossett nickte. »Ja, Sir. Ich projiziere sie auf den kleinen Monitor.« Seine Finger huschten über das Keyboard vor ihm. Als er seine Eingabe mit der Enter-Taste bestätigte, leuchteten blaue Buchstaben auf schwarzem Grund, dazu wurde ein Bild von Simon McLaird eingeblendet. »Aha, da haben wir ihn ja. McLaird, Simon Thomas, 31 Jahre alt, geboren in Austin, Texas. Seite Großeltern waren schottische Einwanderer. Vater Patrick William Simon McLaird, Captain der US Army und Mutter Charlotte, geborene Forsythe. Beide kamen vor fünf Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Simon McLaird hat keine weiteren Verwandten in den Vereinigten Staaten.« »Kommen Sie zu seiner Person«, forderte der Mann im Halbdunkel den Agenten auf.. »Einen Moment ..., da haben wir es! McLaird machte eine Ausbildung in Anlagenelektronik mit Zusatzfach Computertechnik. Er brach sein Luft- und Raumfahrtstudium ab und trat in die US Air Force ein, absolvierte dort eine Ausbildung zum Hubschrauberführer. Vor zwei Jahren verließ er die Air Force mit Rang eines Second Lieutenant und nahm einen Job als Systemadministrator bei der Stadtverwaltung von Los Angeles an. In seiner Freizeit unterrichtet er in einem örtlichen Dojo Shotokan-Karate und frönt dem Motorradsport. Das wäre soweit alles. Keine Delikte, keine Eintragungen in polizeilichen Akten.« Der Mann im Schatten nickte und schwieg eine Weile. Seine Stimme klang ein wenig heiser, als er dann fragte: »Welche anderen Verfolger?« »Ebenfalls Außerirdische«, erläuterte Helen Dryer. »Wir konnten sie in der Nähe von Nashs Apartment beobachten. Fast schon ein Wunder, dass sie ungesehen wieder davon kommen konnten. Sie besitzen wahrscheinlich eine Art Tarnvorrichtung. Es waren drei, und sie benutzten Laserwaffen, mit denen sie einen der NSA-Agenten töteten.« »Was ist mit dem Schiff?« Der Mann in den Schatten stand wie unbeweglich da. Weder
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Gossett, noch Helen Dryer vermochten ihn im Halbdunkel richtig zu sehen. »Die Wrackteile des zerstörten Raumschiffs wurden nach Wright Patterson gebracht und untersucht. Seine Metall-Legierungen sind eindeutig nicht irdischen Ursprungs.« »Ausgezeichnete Arbeit«, lobte der Mann. Gossett und Dryer zuckten zusammen und sahen einander fragend an. Normalerweise gab es von ihrem Chef nur Tadel. Lob sprach er so gut wie nie aus. Der Mann trat aus der dunklen Ecke des Überwachungswagens in den schwachen Schein der Leuchtdioden und Displays. Seine Gestalt wirkte massig. Er war mindestens einsneunzig groß, hatte breite Schultern und einen großzügig bemessenden Bauchansatz. Sein fleischiger Kopf schien direkt auf seinem Körper zu sitzen, ein Hals war nur zu erahnen. Das Alter des Mannes war kaum abzuschätzen. Er konnte Ende vierzig, aber genauso gut Anfang sechzig sein. »Wirklich ausgezeichnet«, sagte er noch einmal und blickte dabei auf die Daten, die noch immer über den Schirm flimmerten. »So hat die Einrichtung unserer Organisation letztendlich doch einen Sinn bekommen.« »Sollen wir den Präsidenten informieren?«, erkundigte sich Gossett. Eisiges Schweigen breitete sich in der Kabine des Überwachungswagens aus. Für einen Moment hatte Gossett das Gefühl, eine unsichtbare, kalte Hand lege sich um seine Kehle und drücke gnadenlos zu. Auch Helen Dryer spürte förmlich, dass die Temperatur um einige Grade sank, obwohl dies nur eine subjektive Empfindung sein konnte. Statt einer Antwort langte der Mann in die Tasche seines Sakkos und förderte zwei scheckkartengroße Dienstausweise zutage. Er warf sie auf den Tisch und beobachtete, wie Helens und Gossetts Züge entgleisten, als sie ihre Fotos auf den Kärtchen wieder fanden. »Neue ... Dienstausweise?«, fragte Helen verdutzt und zog die in Folie eingeschweißte Plastikkarte zu sich heran. Vergeblich suchte sie das Wappen der CIA mit dem Weißkopfadler auf dem Ausweis. Stattdessen prangte an dieser Stelle ein griechischer Buchstabe – das Phi. Helen schaute Gossett an, doch der schien ebenso irritiert zu sein. »Sir?«, fragte die CIA-Agentin dann. »Mit sofortiger Wirkung aktivieren wir Shadow Command«, sagte der Mann im Halbdunkel. »Sie beide gehören nicht länger der CIA an. Ihre weiteren Anweisungen erhalten Sie auf Daten-CDs, die Ihnen noch heute zugehen.« »Shadow Command?«, echoten Dryer und Gossett gleichermaßen. Die massige Gestalt war wieder zurück in die Schatten getreten und schickte sich an, die Verbindungstür zu einem weiteren Abteil des Übertragungswagens zu öffnen. »Sir, was ist mit dem Präsidenten?«, fragte Paul Gossett noch einmal. »Sollen wir ...« »Der Präsident«, fuhr die Gestalt dazwischen. »... weiß nicht einmal von Shadow Command, Mister Gossett.« Damit schloss sich die Verbindungstür und Helen und Gossett befanden sich allein in dem mit Hightech voll gestopften Überwachungsraum. Φ Der kleine Transporter mit Anhänger bog an einer Ampel rechts ab und fuhr danach auf den riesigen Parkplatz eines Walmart-Einkaufzentrums. Simon McLaird hielt Ausschau nach etwaigen Verfolgern, doch es wäre ihm wahrscheinlich sowieso unmöglich gewesen, diese auf Anhieb zu erkennen. So lenkte er das Fahrzeug in eine freie Parklücke und fuhr ein Stück weit über die Markierung der gegenüberliegenden Lücke, damit auch der Anhänger mit dem verdeckten Gleiter Platz hatte. Jee A Maru blätterte konzentriert in einem historischen Buch über die ägyptische Kultur
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herum. Sie schien nicht einmal zu bemerken, dass sie angehalten hatten. Sie hatten heute Morgen Lone Pine verlassen, um weiter nach Norden zu ziehen. Ken Dra war mit einem Taxi vorausgefahren, um einige Einkäufe zu tätigen. Sie wollten sich angewöhnen, nicht zu Dritt in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Nun warteten sie auf Jee A Marus Begleiter. Simon gähnte, reckte sich und sah zu Jee herüber. Gedanklich geriet er ins Schwärmen, bewunderte ihre Schönheit und malte sich in seiner Fantasie die kühnsten Begegnungen mit ihr aus. Dann fiel ihm ein Begriff ein, den er kürzlich aufgeschnappt hatte. »Schwertträgerin?«, flüsterte McLaird, worauf Jee von dem Geschichtsbuch auf sah. »Was sagten Sie?« »Schwertträgerin ... ich glaube Ken hat das einmal zu Ihnen gesagt.« Jee A Maru runzelte die Stirn und klappte das Buch zu. Sie atmete tief durch, ehe sie Simon antwortete. »Die Schwertträger sind eine Kaste der Drahusem. Sie bestehen schon seit Jahrtausenden, stellen die Edelleute unseres Volkes dar. Ihr oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, der Schutz der Schwachen. Sie haben sich bestimmt gefragt, warum ich andere Kleidung trage, als Ken Dra. Der schwarze Overall und die weißen Stiefel stellen die offizielle Robe der Schwertträger dar. Wir sind es, die nach der Kraft des Kristalls auf Dai Urshar ... auf DUST, wie Sie es nennen, streben, um die Ordnung wiederherzustellen und den Frieden zu bewahren.« »Also eine Art ... Ritter«, sagte McLaird. »Es gab früher auch Edelleute, die vom König eines Reiches in den Stand der Ritterschaft gehoben werden konnten. Sie standen in etwa für die Ideale, die auch Sie und Ihre Schwertträger zu vertreten scheinen. Und wo ... ist Ihr Schwert?« Simon rechnete nicht wirklich mit einer Antwort. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem Titel nur um eine althergebrachte Bezeichnung aus grauer Vergangenheit, der bis heute noch benutzt wurde. Er konnte sich kaum vorstellen, dass Außerirdische, die Lichtjahre durch den Weltraum zurücklegen konnten und mit modernsten Strahlenkanonen schossen, Schwerter trugen – nicht einmal zu zeremoniellen Anlässen. Jee A Maru lächelte, da sie die Skepsis in McLairds Blick erkannte. »Das magische Breitschwert befindet sich unsichtbar an meiner Seite«, sagte sie. »Obwohl Magie nicht wirklich eine Rolle dabei spielt, eher eine sehr ausgeklügelte Technologie.« »Unsichtbar?«, fragte Simon. »Verscheißern Sie mich nicht.« »Ein Kraftfeld schützt es. Es lenkt einen Teil des Lichtspektrums um und macht es so für menschliche Augen unsichtbar. Nun ja, nicht nur des Lichtspektrums. Das Tarnfeld kann auch nicht von Spürstrahlen durchdrungen werden. Gleichzeitig sorgt eine Antigravitationsquelle dafür, dass es stets an meiner Seite schwebt.« McLaird lachte amüsiert auf. »Wer erfindet denn so einen Mist? Den Aufwand hätte man sich sparen können, wenn Sie das Schwert einfach in Ihrem Gürtel tragen würden.« »Mag sein«, entgegnete Jee A Maru, noch immer lächelnd. »Aber dann wäre der Mythos dahin.« Simon McLaird hob eine Braue. »Welcher Mythos?« »Dass die Schwertträger ihre Waffe aus dem Nichts herbeirufen können. Eine der vielen Sagen, die um uns ranken.« »S... Sie meinen, es weiß niemand von der Technologie?« Jee schüttelte den Kopf. »Nur die Schwertträger und eine Handvoll unserer Wissenschaftler. Nicht einmal der Rat von Scardeen weiß es. Sie vermuten natürlich einen Trick, aber beweisen konnten sie es bisher nicht.« »Und warum haben Sie es mir erzählt?«, fragte Simon. »Ich vertraue Ihnen.« Wie zufällig blickte Simon genau in diesem Moment zum Einkaufszentrum hinüber und
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erspähte Ken Dra, der mit drei großen Tüten beladen auf sie zukam. »Da ist Ihr Begleiter«, sagte Simon. »Und er weiß es auch nicht?« »Ihm vertraue ich auch, Simon«, meinte Jee A Maru, als wäre dies Erklärung genug. Übergangslos wechselte sie dann das Thema. »Ken Dra hat Kontakt zu mir aufgenommen, als Sie vorhin getankt haben.« »Na toll, damit rücken Sie ja recht früh raus.« »Er hat Neuigkeiten über unsere Verfolger herausbekommen.« Sie ignorierte seine Bemerkung. »Na, dann bin ich aber mal gespannt, was er uns flüstern wird«, raunte McLaird ihr zu und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. »Sind Sie etwa gekränkt?«, fragte Jee A Maru verwundert. »Beleidigt, wäre der passendere Ausdruck.« »Ich wusste nicht, dass Eitelkeit eine Tugend von Ihnen ist.« »Hören Sie«, McLaird hob einen Finger und richtete ihn anklagend auf die schöne Frau. »Ich dachte wir wären ein Team. Und da ist es nun mal üblich, dass man sich abspricht und seine Vorgehensweise jedem Mitglied ...« Quietschende Reifen unterbrachen Simon in seinem Redeschwall. Ken Dra hatte bereits den halben Parkplatz überquert, als eine Limousine heranraste und direkt vor ihm abbremste. »Uh-oh«, machte Simon, als er sah, wie zwei Männer aus dem Wagen sprangen und automatische Pistolen auf Ken richteten. Der Außerirdische ließ die Einkaufstüten fallen. Colaflaschen und Milchkanister aus Kunststoff rollten über den Asphalt. Ken versuchte wegzulaufen, doch einer der Männer schoss und traf ihn am rechten Arm. Er hielt sich die verwundete Stelle und rannte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Leihwagen McLairds zu. Simon riss die Wagentür auf und sprang hinaus. Er griff unter seine Jacke und zog einen Revolver heraus, den er in Lone Pine erstanden hatte. Ehe er abdrücken konnte, feuerten die Gegner ein zweites Mal. Simon suchte Deckung hinter der Wagentür und gab drei Schüsse ab. Zwei Kugeln schlugen in den Parkplatzboden ein, während die letzte die Windschutzscheibe der Limousine zerschmetterte. Die beiden Männer schossen erneut und trafen den Kühlergrill des Mietwagens. Eine Kugel durchschlug die Wagentür und verfehlte Simon knapp. »Jee!«, brüllte McLaird der Frau zu. »Hinter dem Rücksitz ist ein Gewehr!« Er fühlte sich mies bei dem Gedanken, Ed Levinson bestohlen zu haben, doch die Flinte des Pensionsbesitzers kam ihnen jetzt gerade recht. Jee A Maru griff hinter den Sitz und bekam das Gewehr zu fassen. Sie stieß die Tür auf, hielt den Lauf hinaus und drückte den Abzug. Schrotmunition schlug in den Asphalt ein. Die Angreifer duckten sich. Dann rissen sie die Arme hoch und schienen sich ergeben zu wollen. »Die Waffen weg, oder der nächste Schuss geht sprichwörtlich in die Hose!«, rief Simon McLaird ihnen zu. Sie warfen ihre Pistolen auf den Boden und stießen sie mit den Füßen demonstrativ weg, so dass sie sie nicht mehr erreichen konnten. In der Zwischenzeit waren einige Passenten auf das Spektakel aufmerksam geworden. Und jemand musste bereits die Polizei verständigt haben, denn kurz darauf war das Auf- und Abschwellen einer Sirene zu hören. Jee hatte die Schrotflinte wieder in den Wagen zurückgeworfen und rannte nun zu Ken Dra hinüber. »Nur ein Streifschuss«, meinte dieser und ließ sich von der Frau ins Innere des Leihwagens führen. Simon sammelte die Waffen der beiden Männer ein und steckte sie sich in die Jackentasche.
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Anschließend richtete er den Revolver auf die Reifen der Limousine und drückte ab. Zwei Geschosse ließen die vorderen Reifen zerplatzen. Simon sah die beiden Gegner an. »Meine Herren, ich darf Ihnen hiermit mitteilen, dass Sie verarscht wurden«, spottete er mit einem Zungenschnalzen. »Und da Sie wissen, dass Verarschung in diesem Geschäft nicht drin ist, werden Sie disqualifiziert.« Er drehte sich um und eilte zum Wagen zurück. Den beiden Angreifern blieb nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie der Leihwagen gestartet wurde und davon fuhr. »Wie schlimm ist es?«, erkundigte sich Simon bei Jee, als er die Hauptstraße erreicht hatte. Ein Pulk von Fahrzeugen des örtlichen Sheriffs jagte ihnen entgegen, doch sie brachten den Transporter wohl nicht mit der Schießerei in Verbindung und rasten an ihnen vorbei. »Die Kugel hat ihn nur gestreift.« »Was tun wir jetzt?«, fragte Ken mit gepresster Stimme. »Wir ziehen uns jetzt 'nen Big Mac bei McDonalds rein ...« Simon hielt inne. Es glich schon einem inneren Zwang, ständig irgendwelche dummen Sprüche vom Stapel zu lassen. Er musste seine Zunge im Zaum behalten. Dies war alles andere als ein Spiel. »Okay, Scherz beiseite. Erst mal müssen wir den Transporter loswerden. Der ist mittlerweile zu auffällig geworden. Dann brauchen wir eine Garage oder einen Schuppen, um Ihren Gleiter verstecken zu können ... Haben Sie etwas herausbekommen, Ken?« Ken Dra hustete auf. Er verzog das Gesicht, doch er entspannte sich sofort darauf wieder. Offenbar war die Wunde doch nicht so schlimm. »Die scardeenischen Legionäre sind irgendwo außerhalb der Stadt gelandet und haben einen Wagen gestohlen. Der Angriff in der Seitengasse hinter Nashs Haus war ihr einziger öffentlicher Auftritt. Die Agenten, die uns verfolgen, sind nicht von Ihrem Geheimdienst, Simon!« »Was?«, stieß McLaird ungläubig hervor. »Sie müssen sich irren, Ken. Die können nur von der NSA oder der CIA gewesen sein. Woher sollten sie sonst sein? FBI oder Polizei hätten sich ausgewiesen.« »Dass die beiden uns hier aufgelauert sind, kommt nicht von ungefähr«, verriet Ken Dra mit leiser Stimme und beobachtete McLaird durch den Rückspiegel. »Ich habe einen von Ihnen gestellt und ausgequetscht.« »Die reden nicht so einfach.« »Ich habe meine Methoden, Simon«, widersprach Ken. »Glauben Sie mir. Irgendjemand hat eine Abwehrgruppe formiert, die sich aus Spezialagenten der CIA und Ihrer Air Force zusammensetzt. Diese Gruppe existiert bereits seit 1950 unter verschiedenen Namen und beschäftigt sich mit dem UFO-Phänomen auf Ihrem Planeten. Sie nennen sich Shadow Command und operieren abseits jeglicher Legalität oder der Zustimmung Ihres Staatsoberhauptes.« »Wie bitte?« Simon traute seinen Ohren nicht. »Das hört sich jetzt wirklich wie aus einem schlechten Film an. Völlig unmöglich, dass es eine geheime Organisation wie Majestic 12 wirklich gibt. Das wäre längst aufgeflogen.« »Und wie erklären Sie sich unsere Verfolgung und den Mord an Ihrem Freund?«, fragte Jee A Maru dazwischen. »Wenn dieses Shadow Command all die Zeit über existiert hat, um extraterrestrische Lebensformen aufzuspüren und einzufangen oder gar zu töten, dann sind wir womöglich in größerer Gefahr, als wir dachten.« Simon stieß die angehaltene Luft aus. Seine Gedanken rotierten. Natürlich war er sich nicht sicher und musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine Gruppe wie Shadow Command tatsächlich existierte. »Zwischen 1947 und 1964 wurden ziemlich viele dieser UFOs über den Vereinigten Staaten gesichtet«, teilte er den beiden Außerirdischen mit. »Unsere Regierung gründete damals das
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Projekt Bluebook, das diese Phänomene untersuchte. Allerdings hielt man die Ergebnisse für die Öffentlichkeit unter Verschluss und vertuschte später alles, weil man die nationale Sicherheit gefährdet sah. Bluebook wurde in den 70ern wieder geschlossen, mit der Erklärung, dass es kein UFO-Phänomen gebe, sondern sich alle Sichtungen auf Täuschungen oder eines natürlichen Ursprungs zurückführen ließen.« »Und Shadow Command wurde nicht aufgelöst, sondern nur deaktiviert«, folgerte Ken Dra. »Bis es irgendwann wieder zu Sichtungen kommt. Und das ist vor ein paar Tagen geschehen.« Simon hielt an einem Stoppschild an und ließ die kreuzenden Fahrzeuge passieren. In der Ferne waren noch immer die Polizeisirenen zu hören. Sie mussten den Transporter loswerden. Bestimmt hatten einige der Passanten die Polizei längst über den Lastwagen informiert, so dass die Fahndung schon im Gange war. »Und das alles, hat Ihnen der Agent erzählt, den Sie in der Mangel hatten?«, wunderte sich McLaird. Ken Dra grinste breit und hielt ein handgroßes Gerät hoch, das Simon an die modernen Taschencomputer erinnerte. »Hiermit kann ich mich in nahezu jedes Computersystem einklinken – zwar musste ich ein wenig improvisieren, ehe ich eine kompatible Schnittstelle zu Ihren primitiven Einheiten herstellen konnte, aber es hat letztendlich geklappt.« »Und welche Systeme haben Sie angezapft?« »Eine Institution, die den Namen Pentagon trägt.« Simon rollte genervt die Augen. Ken war also direkt in die Höhle des Löwen eingebrochen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch nicht von Militär und Geheimdiensten eingekesselt worden waren. »Ganz fantastisch, Ken«, entgegnete Simon bissig. »Damit haben Sie unsere Probleme im Sonderangebot gekauft! Jetzt haben wir alles und jeden dieses Planeten auf dem Hals.« Er fuhr wieder an und bog in eine Seitenstraße ein, die zu einem Autohändler führte. Auf dem Parkplatz vor dem Laden machte er Halt und wartete, bis ein alter Mann aus seinem Büro zu ihnen herüber kam. »McLaird, alte Socke, was machst du denn hier?«, fragte er, als er den Transporter erreicht hatte und Simon das Seitenfenster herunterkurbelte. »Wir haben einen Schatten, der ganz Amerika bedeckt«, erwiderte er lächelnd. Der Alte blies seine Wangen auf und ließ dann die Luft zischend entweichen. »Aus Lincolns Villa?«, fragte er dann. »Aus Abe Lincolns Villa?« Simon nickte kurz, sah sich dann auf dem Platz um und stieg schließlich aus dem Wagen aus. Er reichte dem Alten die Hand. Sie umarmten sich kurz und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. »Hast du etwas von dem verstanden, was die beiden gesagt haben?«, wollte Ken von Jee wissen. »Nein, es muss eine Art Code sein, den die beiden benutzen. Simon vermutet wahrscheinlich, dass wir abgehört werden.« Nach der Begrüßung wandten sich McLaird und der Alte zu den beiden Außerirdischen im Wagen um. »Das ist Henry Foster«, stellte er Jee und Ken den anderen Mann vor. »Und die beiden da sind Freunde von mir. Hör zu, kannst du den Truck nehmen und mir dafür eine Garage geben?« »Die sind alle vermietet, Junge«, meinte Foster. »Alles was ich dir geben kann ist ein oller Schuppen hinter dem Laden. Was willst du denn da drin verstauen, he?« »Ich nehm' ihn«, stimmte Simon zu. »... und keine weiteren Fragen, ja? Du weißt Bescheid: Schatten fliegen heutzutage sehr tief.«
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Foster zeigte ihm den Schuppen. Simon fuhr den Hänger rückwärts hinein. Für den Transporter bot er keinen Platz mehr, also parkte er ihn draußen. Simon ließ den außerirdischen Gleiter unter der Plane. Henry Foster musste nicht unbedingt alles erfahren – auf gar keinen Fall. »So, das wäre das Eine«, murmelte Simon danach und wandte sich an Jee A Maru und Ken Dra. »Und jetzt müssen wir zusehen, dass Sie von hier wegkommen. Die Lage spitzt sich zu.« Jee blickte ihn besorgt an. Sie gab sich einen Ruck und ging zwei Schritte auf ihn zu. »Was wird aus Ihnen, Simon?« »Ich weiß es nicht«, gab Simon zu. »Ehrlich gesagt, glaube ich, dass ich mein Leben auf der Erde verwirkt habe. Wenn die CIA, oder meinetwegen auch Shadow Command, jemanden finden will, dann finden sie ihn auch. Allzu groß ist diese miese blaue Schlammkugel ja auch nicht.« »Hey, wie reden Sie denn von Ihrer Heimat? So übel ist es hier doch gar nicht. Ich habe schon viel schlimmere Welten gesehen.« Simon versuchte sich mit einem gewinnenden Lächeln. »Vielleicht würden Sie mir diese Welten einmal zeigen«, sagte er. »Nun ... vielleicht nicht gerade die schlimmeren, aber ...« Jee A Maru hob die Brauen. »Sie wollen mit uns mitkommen?« Simon merkte, wie sein Herz heftig pochte. Hier und jetzt hatte er die Möglichkeit, sein Leben zu verändern, eine Chance zu bekommen, die niemand sonst auf dieser Welt je erhalten würde. Und er erfüllte sich einen Jugendtraum, den er vielleicht schon längst abgeschrieben hatte. Simon zwinkerte der schönen Frau mit dem silbernen Haar zu und nickte. »Sind Sie sicher?«, vergewisserte sich Jee mit skeptischem Blick. »Absolut sicher, Miss, ich habe hier niemanden mehr, vielleicht finde ich da draußen etwas neues. Ich kann Ihnen dabei helfen, DUST zu finden.« »Ja ... vielleicht«, sagte Jee A Maru. Sie schwieg eine Zeitlang, und Simon befürchtete schon, sie könne ablehnen. Immerhin riskierte er viel für sie und Ken. Das konnte sie nicht einfach unter den Teppich kehren. »In Ordnung. Wir nehmen Sie mit, falls wir je von hier wegkommen. Ich hoffe nur, Sie bereuen es nicht.« »Bereuen?«, brachte Simon erstaunt hervor. »Wie könnte ich. Jeder zehnte Erdenbewohner wäre froh, wenn er mit mir tauschen könnte. Weg hier von diesem Elend, all den Kriegen und Verbrechen.« »Meinen Sie, draußen in der Galaxis sähe das anders aus?«, fragte Jee A Maru. »Das Scardeenische Reich breitet sich von Tag zu Tag weiter aus und unterjocht neue Planeten unter dem Vorwand der wissenschaftlichen Forschung. Wer nicht an die Wissenschaft glaubt, wird ausgerottet. Prissaria, meine Welt, ist der einzige freie Planet im Scardeenischen Reich, und das nur, weil sich die Technokraten vor den Schwertträgern und dem Mythos, der sie umgibt, fürchten. Aber eines Tages werden sie ihre Ängste abgestreift haben. Und dann Gnade uns die Macht des Kosmos.« »Und Sie glauben, wenn Sie DUST finden, können Sie all dem ein Ende bereiten?« »Ich hoffe es«, sagte Jee mit Bedauern in ihrer Stimme. »Ich weiß nicht, was geschehen wird, wenn wir den Kristall finden. Ob sich der Wissenschaftsrat wirklich fügt und unseren Glauben an die Macht des Spirituellen anerkennt? Es wird sich zeigen ... falls wir DUST je finden.« Simon McLaird atmete tief durch und sah zu Boden. War seine Entscheidung richtig? Wollte er denn wirklich die Erde verlassen? Es ging alles so verdammt schnell. Der Tag, an dem er zusammen mit Calvin Nash das Rennen draußen in der Wüste gefahren war; der Tag an dem sie das Raumschiff entdeckt hatten und erst in die Sache hineingezogen worden waren – all das lag erst eine Woche zurück. Eine Woche!
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Nein! Das Leben auf der Erde bot ihm nichts mehr. Er hatte seinen besten Freund verloren, die Geheimdienste würden ihn jagen, bis sie ihn letztendlich stellten und folterten. Sie würden die Informationen, die sie haben wollten, scheibchenweise aus ihm herauspressen. Selbst wenn er sich absetzen konnte, er würde niemals vergessen können, was er in der vergangenen Woche erlebt hatte. Er würde mit Jee und Ken gehen, soviel stand fest. Φ Die rotgelben Gestalten bewegten sich auf dem Infrarotschirm hin und her. Erst waren nur drei Silhouetten zu erkennen, doch jetzt erschien noch eine vierte, etwas kleinere. »Hey, Leute, wie wär's mit 'nem ordentlichen Whiskey?« »Nein, danke. Wir trinken keinen Alkohol.« »Was heißt hier Alkohol? Das ist hochprozentiger Zauberstoff, der zieht euch die Socken aus!« »Lass sie, wenn sie nicht wollen.« Das digitale Aufzeichnungsgerät lief bereits seit einiger Zeit und füllte Megabyte um Megabyte mit Sprachnotizen. Paul Gossett hoffte, dass ihnen der Speicher nicht ausging, ehe die wirklich wichtigen Informationen kamen. Der ehemalige CIA-Agent, der sich jetzt rühmen durfte zu der streng geheimen Organisation Shadow Command zu gehören, machte sich bereit, das vier Gigabyte fassende Microdrive, das die Infrarotaufnahmen speicherte, gegen ein weiteres auszuwechseln. Danach rückte er sich den Kopfhörer zurecht und lauschte weiter der Unterhaltung der drei Zielobjekte und dem Autohändler bei dem sie Unterschlupf gefunden hatten. »Und du, Mackie? Sollen wir uns mit unserem Freund Johnny einen gemütlichen Abend machen?« »Ich glaube, einen Schluck kann ich jetzt gut vertragen.« »Weißt du, woher Johnny seinen Nachnamen hat? Weil er so gut abgeht ...« Daraufhin war ein Lachen zu hören, dann ein kratzendes Husten. »Haben Sie ein Problem, dann gehen Sie zu Doktor Johnny. Mit einem Schluck – hups – ist alles weg ...« Gossett musste ein wenig schmunzeln, als er die Faxen des Alten mitbekam. Er war definitiv bereits sternhagelvoll. Kopfschüttelnd wechselte Paul den Speicherchip für die Audioaufzeichnungen – ebenfalls ein Microdrive im handlichen Format einer winzigen Compact Flash Card. Anschließend zog er eine Zeitschrift vom Tisch und begann damit, Kreuzworträtsel zu lösen. »Ich werde mal das Radio einschalten«, hörte Gossett noch aus dem Kopfhörer, und nur eine Sekunde darauf dröhnte Sheena Easton's Strut in solcher Lautstärke durch Gossetts Hirn, dass er sich die Kopfhörer buchstäblich vom Schädel riss. »Scheiße!«, fluchte er und massierte sich die Ohren. »Dieser schwachsinnige Alte.« Es klopfte an der Wagentür. Energisch. Offensichtlich schon zum wiederholten Male, nur hörte er es jetzt erst. »Auf welchen Thron folgen Sie?«, rief Paul nach draußen. »Auf die Ferguson«, kam prompt die Antwort. »Okay, Helen, du kannst reinkommen.« Die Tür öffnete sich und Helen Dryer betrat den Überwachungswagen. In ihrer Hand hielt sie eine Tragetasche, aus der ein angenehmer Duft stieg. »Wer hat sich diesen blöden Code ausgedacht?«, feixte Gossett. »Vielleicht Al Bundy?«, gab Helen zurück und begann damit, die Tasche auszupacken. »Ach, ist das der mit der Nase im Gesicht?«, witzelte Gossett. »Der Herr hat wohl seinen komischen Tag erwischt, was?«
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»Ja, mir wird auch gleich ganz komisch, wenn ich die ätzenden Hot Dogs sehe, die du da mitgebracht hast.« Helen verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihren Partner mit gespielter Empörung an. »Es waren die letzten, die ich gekriegt habe!« »So sehen sie auch aus«, spottete Gossett. »Na, gib schon einen her.« Helen nahm einen Hot Dog in die Hand und hielt ihn Paul vor die Nase. Dann drückte sie so fest auf das Brötchen, dass die Wurst und der Senf heraus und in Gossetts Gesicht flutschten. Erschrocken und angewidert sprang Paul von seinem Stuhl auf. »Sag mal, spinnst du?« Gossett stürmte aus dem Lieferwagen, versuchte sich Ketchup und Senf aus dem Gesicht zu reiben und Helen sah ihm amüsiert hinterher. Als er wütend die Tür hinter sich zugeworfen hatte, nahm sie seinen Platz ein. Noch immer dröhnte die Musik aus dem Kopfhörer. Helen schaltete den Frequenzmodulator hinzu, der nur die Wellenlängen der Stimmen von den anwesenden Personen herausfilterte. Dann lauschte sie den Worten, die die anderen vor ihnen zu verbergen versuchten. »... und die Koordinatenberechnung zwischen Erde und Prissaria ist jetzt abgeschlossen. Um das Notsignal senden zu können, müssen wir allerdings raus aus der Stadt.« »Wir nehmen morgen früh noch vor Sonnenaufgang den Gleiter und fliegen zurück zur Absturzstelle unseres Schiffes.« Helen Dryer hatte genug gehört. Zufrieden drehte sie die Lautstärke des Kopfhörers herunter, ließ aber das Aufzeichnungsgerät weiterlaufen. Sie griff zum Telefon und wollte gerade ihren Vorgesetzten anrufen, als sie vor den Ziffertasten zögerte. Wenn Shadow Command sie gefangen hat, werden sie sie ausquetschen, um an ihre Technologie zu gelangen, dachte Helen nach. Aber was bringt mir das? Die Aliens werden abserviert und die Öffentlichkeit wird nie von ihrer Existenz erfahren. Helen legte den Hörer wieder auf die Gabel zurück. Sie stand auf und verließ den Überwachungswagen in Richtung Fosters Laden. Φ »Ich habe es mir fast gedacht«, sagte der General, als er auf einem kleinen Bildschirm beobachtete, wie seine Agentin Helen Dryer den Kontrollwagen verließ. Nachdem er sie und Gossett allein gelassen hatte, vermutete sie wohl nicht, dass er sie weiter von seinem geheimen Versteck – einem zweiten Überwachungswagen – beobachten konnte. »Sie will zur anderen Seite überwechseln.« Der General schwang in seinem Sessel herum. Sein Blick fiel auf die drei Leute, die sich vor seinem Schreibtisch postiert hatten und ebenfalls auf den Monitor starrten. Der eine von ihnen schien ihm jedoch nur wenig Aufmerksamkeit zu schenken, denn er war eifrig damit beschäftigt, sich Senf und Ketchup von Gesicht und Kleidung zu wischen. Die anderen beiden Agenten standen ebenfalls wie Gossett auf der Gehaltsliste des Generals. Gordon Miles und Sherilyn Stone dienten bereits einige Jahre als Army Piloten, ehe sie zur NIA wechselten und der General dort auf sie aufmerksam wurde. Miles mochte bereits um die 40 sein, besaß ein vernarbtes Gesicht und graue Haaransätze an den Schläfen. Im Gegensatz dazu war Sherilyn Stone mit ihren 29 Jahren noch recht jung, hatte sich aber in diversen Einsätzen dermaßen qualifiziert, dass sie sogar einen höheren militärischen Rang als Miles innehatte. »Sollen wir das Biest aufhalten?«, fragte Gossett zähneknirschend während er sich immer noch den Senf vom Jackett wischte. »Nein«, schüttelte der General den Kopf. »Wir werden morgen ihren Gleiter abfangen, bevor er die Sanddünen erreichen kann. Miles, Stone? Ich stelle Ihnen aus unserem Arsenal einen Apache-Kampfhelikopter zur Verfügung. Zwingen Sie den Gleiter zur Landung. Falls Ihnen das nicht gelingt, holen Sie ihn vom Himmel. Ich darf Sie allerdings daran erinnern,
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dass es äußerst schade wäre, wenn wir auf die Technik dieses Gleiters verzichten müssten. »Ja, Sir!«, stimmte Sherilyn Stone zu. Ihr brünettes, langgelocktes Haar schien im gedämpften Licht des Kontrollraumes zu glänzen. »Enttäuschen Sie mich nicht so wie Dryer, Captain Stone!«, entgegnete der General. »Sie wissen, dass Sie sich auf mich verlassen können«, gab Sherilyn ungerührt zurück. Noch einmal warf sie einen Blick auf den Bildschirm, von dem Helen Dryer nun verschwunden war. Ihre Karriere bei Shadow Command endete bereits, bevor sie begonnen hatte. Sherilyn konnte es nur Recht sein – eine Rivalin weniger im Spiel um die Macht. Φ Obwohl es nicht kalt war, fröstelte Helen, als sie auf das Haus des Autohändlers zuging. Sie blickte nicht zurück. Bestimmt saß Gossett längst im Wagen und beobachtete sie. Sie würde keine Erklärung für das hier liefern können – zur Umkehr war es zu spät. Sie hatte ihre Einheit verraten. Gerade als sie eine Reihe von Mülltonnen passierte, wurde sie durch ein knackendes Geräusch hinter sich aus ihren Gedanken gerissen. Sie fuhr herum, doch da presste ihr eine grauschwarz gekleidete Gestalt den langen Lauf eines pistolenähnlichen Gegenstandes auf die Brust. Entsetzt starrte Helen den scardeenischen Legionär an. Sein Gesicht wurde vollständig von dem futuristischen Helm verdeckt, und auch durch die runden, verglasten Sichtschlitze konnte sie seine Augen nicht sehen. Jemand packte sie von hinten und tastete sie am ganzen Körper nach Waffen ab. Schließlich berührten behandschuhte Hände ihren Schulterholster und nahmen ihr die Halbautomatik ab. Helen wurde hart herumgerissen und sah in die Augen eines Mannes, der eine blaugoldene Robe mit wehendem Umhang trug. Sein Haar war pechschwarz und verschmolz fast mit der Nacht. »Wenn Sie jetzt schreien, ist es der letzte Laut, den ihre bezaubernden Lippen je von sich geben werden.« Helen schluckte. Sie war dem Feind in die Hände gefallen. Nicht den Außerirdischen, die ihre Kollegen von Shadow Command jagten, sondern jenen, die hinter ihren Zielobjekten her waren. So hatte sie sich ihre Fahnenflucht sicherlich nicht vorgestellt. Dennoch machte sie gute Miene zum Bösen Spiel und nickte dem Fremden mit der blauen Robe zu. Φ Das Klirren der Eiswürfel in seinem Glas Johnny Walker rief Simon McLaird in die Wirklichkeit zurück. Lange hatte er über das Morgen nachgegrübelt. Über die nächste Woche, das Jahr, den Rest seines Lebens. Was würde ihn erwarten, wenn er mit den Fremden ging? Er würde weit weg von der Erde sein und Dinge erblicken, die sich irdische Wissenschaftler nur in ihren kühnsten Träumen ausmalen konnten. Früher hatte er sich brennend für dieses Thema interessiert und sogar Luft- und Raumfahrttechnik studiert, um vielleicht irgendwann einmal selbst zu den Sternen aufbrechen zu können. Doch als er eingesehen hatte, dass die Menschheit noch viel zu lange benötigen würde, um interstellare Raumfahrt zu betreiben, hatte er sich damit abgefunden, nie einen anderen Planeten zu sehen. Damit endete auch sein Studium. Simon umfasste das Whiskey-Glas mit der rechten Hand und nippte kurz an dem hochprozentigen Getränk. Plötzlich flog die Tür zu Fosters Wohnzimmer auf! Drei Männer in grauen futuristischen Rüstungen sprangen in den Raum herein und legten mit ihren Lasergewehren auf die anderen an.
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Scardeenische Legionäre! »Was zum ...?«, stieß Foster hervor, griff in eine Schublade des Tisches vor ihm und zog einen Colt hervor. Ehe er herumschwenken konnte, um auf die Eindringlinge anzulegen, fetzte ein weißblauer Lichtstrahl seine Halsschlagader auf. Dunkelrotes Blut pulsierte kurz aus der Wunde ehe die Hitze sie verschweißte. Der alte Henry taumelte nach hinten, stolperte über einen Stuhl und knallte auf den Fußboden, wo er regungslos liegen blieb. Simon, Jee und Ken waren entsetzt von ihren Sitzplätzen aufgesprungen, doch sie konnten nichts unternehmen, ohne zu riskieren, von den Lasern durchlöchert zu werden. »Bewegen Sie sich nicht!«, mahnte Jee Simon. »Die meinen es ernst.« »Die haben Foster umge...« »Mund halten!«, herrschte ihn einer der Soldaten an. McLaird schwieg, doch in seinen Augen loderte ein vernichtendes Feuer. Er wusste dass er seine Wut nicht lange im Zaum halten konnte. Erst Nash und seine Frau, jetzt Henry Foster ... Kurz darauf betraten zwei weitere Gestalten das Wohnzimmer des alten Fosters. Die Frau kannten Simon und seine beiden Gefährten schon. Helen Dryer schien den Scardeenern auf den Leim gegangen zu sein. Als Jee A Maru den Mann in der blaugoldenen Robe gewahrte, schnappte sie nach Luft. »Sealdric?« »Nett, dass Sie sich noch an mich erinnern, teuerste Jee A Maru«, antwortete der Mann mit einem sardonischen Lächeln.. »Sie kennen diesen Tortenheber?«, fragte Simon verwirrt. Jee nickte. »Ja, er ist Ratsmitglied des technokratischen Bundes auf Scardeen – und was noch viel schlimmer ist, er ist ein Rasahra, ein Bewahrer.« Simon kam nicht dazu, zu fragen, was ein Bewahrer ist, da Sealdric dazwischen fuhr. »Genug geredet! Wir werden Sie jetzt an Bord unseres Schiffes bringen.« »Warum tötet Ihr uns nicht gleich hier?«, wollte Ken Dra wissen. »Ihr fackelt doch sonst nicht so lange.« »Oh keine Sorge, Navigator«, meinte der Bewahrer. »Ich werde euch dem Vakuum des Raumes überlassen, doch mit der Schwertträgerin habe ich andere Pläne ...« »Sie sind sehr mutig, das vor Ihren Soldaten auszusprechen«, sagte Jee. »Sie wissen doch, dass es verboten ist, sich mit Drahusem einzulassen.« Sealdric grinste anzüglich, doch seine Worte straften die Mimik Lügen. »Wer sagt denn, dass ich etwas von Ihnen will, Schätzchen? Wir haben ein paar neue Foltermethoden entwickelt, die ich an Ihnen ausprobieren möchte.« »Immer noch derselbe Sadist, den ich kennen gelernt habe.« Jees Augen funkelten wild. Sie schien sich jeden Augenblick auf den Widersacher stürzen zu wollen. Simon bereitete sich darauf vor, ihr in den Weg zu springen, falls sie auf dumme Gedanken kommen sollte. »Und Sie scheinen noch immer dieselbe Hure zu sein, die ich ...«, begann Sealdric, verstummte jedoch, als Jee ihm ins Gesicht spie. Einer der drei Legionäre richtete die Mündung seines Lasergewehrs auf die Frau, aber der Bewahrer hob gebietend die Hand, ehe der Soldat den Auslöser betätigen konnte. »Warte! Um diese Bestie kümmere ich mich selbst.« Er wischte sich den Speichel aus dem Gesicht und ging langsam auf Jee zu. Simon überlegte, ob er etwas unternehmen konnte. Noch immer standen die Soldaten mit schussbereiten Waffen da, jeden im Visier haltend. Unangenehme Stille breitete sich in dem Wohnraum aus. Nur Sealdrics Schritte waren zu vernehmen. Simon betrachtete den Bewahrer von oben bis unten, vermochte jedoch nicht zu erkennen, ob dieser bewaffnet war. Lediglich ein etwa 25 Zentimeter langer Metallbolzen hing an seinem Gürtel. Und genau diesen Bolzen hakte Sealdric jetzt aus. Er drückte einen Knopf und augenblicklich klappten zwei Bügel zu
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den Seiten heraus. Simon zuckte mit geweiteten Augen zusammen, als eine Schwertklinge aus dem Bolzen hervor schoss und bei voller Länge einrastete. Ein zusammenklappbares Schwert!, dachte Simon McLaird und musste daran denken, was Jee A Maru über die Schwertträger gesagt hatte. Anscheinend waren die Bewahrer das genaue Gegenstück. Und ihre Schwerter schienen primitiver Natur zu sein. Simon glaubte nicht, dass die Klinge aufgrund des ausfahrbaren Mechanismus sonderlich stabil war. Allerdings war die Technik der Scardeener der irdischen um ein Hundertfaches überlegen. Ansatzlos holte Sealdric zu einem Hieb aus, der Jee A Marus Kopf treffen sollte. »Mossar!«, rief die Frau, und urplötzlich blitzte es direkt neben ihr auf. Die Klinge der Schwertträgerin hing neben ihr in der Luft, eingehüllt in einen seltsamen Glanz. Jee packte den Griff und parierte in Sekundenbruchteilen den Hieb ihres Gegners. Ein weißblauer Lichtbogen umgab für die Dauer eines Blinzelns die Klinge, dann sprühten Funken, als Stahl auf Stahl traf. Simons starrte ungläubig auf Sealdrics Klinge, die dem Aufprall von Jees Schwert standgehalten hatte. Sie war nicht gebrochen, wie er es vorher noch vermutet hätte. Diese Wissenschaftler haben doch einiges auf dein Kasten, gestand er sich ein. Jee A Maru stieß sich vom Boden ab, vollführte aus dem Stand einen Salto rückwärts und gewann Abstand von ihrem Gegner. Die Scardeener feuerten eine Lasersalve auf die Frau ab, doch aus irgendeinem Grund änderten die Strahlen ihre Flugbahn und schlugen einfach links und rechts neben Jee in die Wände ein. Die Schwertträgerin richtete die Klinge auf die Legionäre und legte einen kleinen Schalter am Schwertgriff um. Ein gleißender Blitz löste sich von dem goldenen Stahl. Er hüllte die Soldaten in eine Lichterflut ein und zerstrahlte sie auf der Stelle. McLairds Puls beschleunigte. Das hatte er nicht erwartet. Jees Schwert war eine mächtige Waffe, doch auch der Bewahrer schien noch einige Überraschungen parat zu haben. Als Sealdric gesehen hatte, wie sich seine Soldaten in nichts auflösten, drehte er sich kurz in deren Richtung um. Das war Simons Chance. Er machte einen Satz auf den Bewahrer zu und packte dessen Handgelenk. Dann drückte er fest zu. Sealdric schrie kurz auf und ließ sein Schwert mehr in einem Reflex fallen, als dass er wirklich Schmerzen verspürte. Simon riss ihn herum und ließ ihn in seine Faust laufen. Benommen torkelte Sealdric und sackte dann in sich zusammen. »Nichts für ungut«, kommentierte Simon, doch plötzlich spürte er, wie sich etwas Spitzes in seinen Rücken bohrte. »Ganz ruhig bleiben, sonst wissen Sie gleich, wie sich ein Rollmops auf Stäbchen fühlt«, sagte Helen Dryer hinter ihm. Alle waren in den Kampf vertieft gewesen, niemand hatte bemerkt, wie die Agentin Sealdrics Schwert aufgehoben hatte. »Sehr witzig, Miss, wirklich sehr witzig«, erwiderte McLaird gereizt. »Sie stehen auf der falschen Seite. Wir sind die Guten!« »Halten Sie den Mund!«, herrschte Helen ihn an. »Was wollen Sie von uns?«, fragte Ken Dra. »Sie werden mich mitnehmen!« »Sie hätten am Ticketschalter fragen sollen«, spöttelte Simon und schnellte nach vorn. Er hechtete über den Boden, rollte über die Schulter ab und gewann eine Distanz von annähernd drei Metern zwischen sich und Helen. Sofort kam er wieder hoch und schwang herum. Helen Dryer war zu überrascht, um reagieren zu können. »Sie gehört Ihnen, Jee!« Helen stand unschlüssig da. Mit dem Schwert in den Händen wirkte sie fast unbeholfen. Wahrscheinlich wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als eine Schusswaffe. Ungeschickt hielt sie das Schwert mit beiden Händen krampfhaft fest.
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»Zurück!«, schrie sie, obwohl sie wusste, dass sie nicht gegen Jee A Maru bestehen konnte. »Legen Sie das Schwert beiseite«, riet ihr Jee. In diesem Moment regte sich Sealdrics Körper wieder. Dryer wurde unruhig. Sie trat nervös von einem Fuß auf den anderen und blickte abwechselnd die Schwertträgerin und den Bewahrer an. Versehentlich berührte sie einen kleinen Schalter am Schwertknauf. Die Griffstange knickte diesmal in Richtung Klinge ab, so dass ihre beiden Bügel parallel zur Schneide standen. Mit großen Augen beobachtete Helen das Schauspiel, doch auch sie hätte das Folgende nicht erwartet, geschweige denn noch aufhalten können. Die beiden kleinen Kugeln an den Enden der Griffstange begannen sich zu lösen und in der Luft zu schweben. »Verdammt!«, keuchte Simon. Jee A Maru nahm eine leicht geduckte Verteidigungsstellung ein. »Ich mache den Gleiter startklar!«, meinte Ken Dra und verschwand durch die Hintertür, die zum alten Schuppen führte. Die Kugeln flitzten genau auf Jee zu. Sie riss die Klinge hoch und hieb auf eines der kleinen Dinger ein. Der scharfgeschliffene Stahl zerteilte es, doch jetzt befanden sich auf einmal drei Kugeln in der Luft. Jee stöhnte auf. Die kleinen Bälle sirrten wie wild in der Luft herum und begannen, um die Schwertträgerin zu kreisen. Jee drehte sich mit ihnen um ihre eigene Achse und versuchte die todbringenden Bälle im Auge zu behalten. Eine der Kugeln schoss hervor. Blitzschnell brachte Jee die Klinge zwischen sich und dem fliegenden Etwas. Eine Stichflamme begleitete das Auftreffen auf Stahl. Vier Kugeln flogen im Raum umher. »Ich hab hier ein kleines Problem, Simon!«, rief Jee verzweifelt. Ungläubig hatte Simon McLaird die Szenerie verfolgt. Jetzt sah er, wie die kleinen Kugeln grünlich aufleuchteten und immer noch ihren Tanz um Jee A Maru fortsetzten. Sein Blick fiel auf Helen Dryer, die weiterhin mit dem Schwert in der anderen Ecke des Zimmers stand und mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Faszination das Schauspiel beobachtete. Entschlossen zog Simon eine der erbeuteten Waffen aus seiner Jacke und schoss auf Helen. Die Kugel erwischte sie an der linken Hand. Helen schrie auf, ließ das Schwert fallen. Gleichzeitig sprang Simon vor, wirbelte im Flug um seine Achse und trat im Halbkreis aus. Seine Ferse traf Helens Kinnspitze und fegte ihren Kopf zur Seite. Sie taumelte und brach zusammen. Simon landete auf beiden Beinen, klaubte das Schwert des Bewahrers auf und legte den Schalter am Knauf um. Augenblicklich zogen die leuchtenden Kugeln von Jee ab und fegten genau auf ihn zu. Kurz vor ihm verschmolzen sie zu zwei Teilen und fügten sich wieder in die Griffstange ein, die sofort darauf wieder eine waagerechte Position einnahm. Simon fand auch den Knopf, um die Klinge wieder einfahren zu lassen. Er warf den Bolzen von sich. »Verschwinden wir hier!«, rief er und lief zu Jee herüber. Er sah ihre Unschlüssigkeit und den Blick, der an Sealdric haften blieb. Offenbar spielte sie mit dem Gedanken, ihn ebenso wie seine Legionäre zu töten. Simon nahm ihr die Entscheidung für den Moment ab. Als er an Sealdric, der sich schon halb aufgerichtet hatte, vorbei kam, versetzte er ihm einen harten Schlag an den Schädel. Der Bewahrer sackte stöhnend in sich zusammen. »Mossar-re!«, sagte Jee A Maru, worauf ihr Schwert verschwand, als wäre es nie da gewesen. Sie folgte Simon durch die Hintertür und riss sich im Laufen die irdischen Kleider vom Leib. Darunter kam ihr schwarzer Catsuit zum Vorschein. Die beiden erreichten den wartenden Gleiter. Als sie sich in seinem Innern angeschnallt hatten, startete Ken durch. Der Schweber fegte aus den offenen Toren des Schuppens heraus, in den Nachthimmel hinein. Φ
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Langsam öffnete sich die Tür zu Henry Fosters Wohnung. Ein Kopf, der von einem dunkelblauen Helm mit schmalem Sehschlitz verdeckt wurde, lugte hinter dem Türrahmen hervor. Vorsichtig betrat die Gestalt den Raum. Sie trug zu ihrer schwarzen Kampfjacke und der grauen Hose blaue Stiefel und schwere Handschuhe von der gleichen Farbe wie der Helm. Ein Holster hing rechts am Gürtel, und an einer Seite des Helmes ragte eine Miniaturantenne empor. Mittlerweile hatte sich Helen Dryer wieder erholt und rappelte sich jetzt mühselig auf. Als sie die Gestalt erblickte, erschrak sie. Fast panisch blickte sie sich im Raum nach irgendeiner Waffe um. Sie sah Sealdrics Schwert etwa drei Meter von sich entfernt unter einem Tisch liegen. McLaird, dieser Idiot, hat das Schwert nicht mitgenommen, dachte sie. Hinter dem Mann im schwarzblauen Kampfanzug erschien eine weitere Gestalt im gleichen Outfit, doch die Konturen ihres Körpers ließen darauf schließen, dass es sich hierbei um eine Frau handelte. »Sie können hereinkommen«, sagte die Frau nach hinten gewandt. Ein älterer Mann von großer, massiger Statur und ergrautem Haar kam in das Zimmer. »General?«, stöhnte Helen, als sie den Mann erkannte. »Ganz recht, Dryer«, entgegnete der Einsatzleiter von Shadow Command. »Sie haben mich schwer enttäuscht, mein Herzchen, schwer enttäuscht. Das kann ich leider nicht so einfach durchgehen lassen.« Ein bedauernder Unterton schwang in seiner Stirne mit, aber Helen wusste, dass er nur gespielt war. Der General drehte sich zu den beiden Uniformierten um. »Schafft sie weg ... beide!« In diesem Moment sprang der nur scheinbar bewusstlose Sealdric auf und machte einen gewaltigen Satz zur Seite. Sein Cape breitete sich im Flug aus und flatterte wild hinter ihm her. Er landete auf dem Bauch unter dem Tisch, wo auch er seine Waffe erblickt haben musste. Der Bewahrer kam hoch und stieß dabei den Tisch mit seinen Schultern beiseite. In seiner Hand hielt er den metallenen Bolzen, den Helen schon als mächtige Waffe fürchten gelernt hatte. »Stone! Miles!«, rief der General. Sofort zogen die beiden Uniformierten ihre Pistolen aus den Holstern, doch Sealdric war besser. Schon schnellte die ausfahrbare Klinge aus dem Bolzen hervor und die Bügel der Griffstange stellten sich parallel zu ihr. Helen wusste, was nun kam. Die zwei Endkugeln lösten sich ab und begannen zu glühen. Sie schossen auf Gordon Miles zu und berührten ihn. Ein heftiges Flackern aus weißblauen Blitzen umgab den ShadowAgenten für kurze Zeit, dann verpuffte er in einer schillernden Lichtkaskade. Mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen starrte der General gebannt auf die Stelle, wo Miles gerade explodiert war. Sherilyn Stone handelte augenblicklich. Sie packte den General am Arm und zerrte ihn aus dem Haus, bevor die Kugeln einen weiteren Angriff unternehmen konnten. Die Leuchtpunkte kehrten zur Griffstange zurück und Sealdric ließ die Klinge einfahren. Dann drehte er sich zu Helen um. »Sie ... Sie können mir vertrauen«, stotterte die Ex-Agentin. »Ich stehe auf Ihrer Seite. Alles was ich will ist, von hier wegkommen.« Sealdric nickte lächelnd. Dann sah er, wie Blut aus Helens Handfläche rann. »Verletzt? Ich werde das an Bord meines Patrouillenschiffs in Ordnung bringen.« Φ
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Der Schweber glitt in ruhigem Flug über die Sanddünen der Mojave-Wüste hinweg. Ken Dra bediente die Kontrollen und steuerte die Flugmaschine dicht über den Boden. Simon McLaird saß auf einem der beiden Rücksitze und schaute nach hinten. Irgendwo dort in der Ferne befand sich Los Angeles, die Stadt, in der er die letzten 25 Jahre gelebt hatte. Und nun war er auf dem Weg in die Zukunft. Er würde mit den Fremden mitgehen, um neue Welten zu sehen. Das Universum bot so viele interessante Aspekte, dass tausend Leben nicht ausreichen würden, um auch nur ein Bruchteil davon zu erforschen. Dort draußen würde es bestimmt nicht langweilig werden. Simon seufzte, unterbrach seine Träumereien und drehte den Kopf wieder nach vorn. »Dort! Der Hügel sieht gut aus«, sagte Jee A Maru und deutete mit der Hand in Richtung Norden. Ken ließ den Schweber zur Seite wegkippen und brachte ihn auf Kurs. Simon sah aus den leicht getönten Fenstern nach Osten. Die Sonne kroch langsam am Horizont den Himmel hinauf. Wie beiläufig schaute er auf seine Armbanduhr: 4 Uhr 58! Er gähnte. So früh war er seit seinem Army-Dienst nicht mehr auf den Beinen gewesen. Plötzlich wurde der Gleiter von einer lauten Explosion erschüttert. Vor den Sichtfenstern wirbelte Staub auf und prasselte auf den Schlitten nieder. »Was zum Teufel war das?«, rief Simon und blickte sich irritiert um. »Scardeener?«, fragte Jee. »Ich verstehe das nicht, der Radarschirm ist leer!«, gab Ken zurück. «Das Patrouillenschiff hat keine Störmechanismen.« »Wer dann?« »Shadow Command!«, stieß Simon hervor. »Was?« Ken sah Jee fragend an. »Sie haben uns einen ihrer modernsten Kampfhubschrauber hinterhergeschickt. Ich kenne diese Dinger, bin selbst schon einen geflogen. Er besitzt eine elektronische Radartarnanlage.« Simon schaute sich nach dem insektenförmigen Apache-Helikopter um. Da erkannte er ihn. Der Chopper flog rechts hinter dem Schweber her. In dem kleinen Cockpit saßen zwei Piloten hintereinander. Unter den Waffenträgern hingen die Abschussvorrichtungen für sechzehn – jetzt nur noch fünfzehn – ferngelenkte POW-Panzerabwehrraketen. Ken brachte den Gleiter auf eine höhere Flugbahn und begann mit einem Ausweichmanöver. »Zwecklos«, murmelte Simon. »Wenn sie uns treffen wollen, dann schaffen sie es auch. Die Bordkanone ist mit dem Helm des Kanoniers verbunden. Sie folgt exakt seinen Kopfbewegungen.« Trotzdem ließ sich Ken nicht beirren und setzte seinen Zickzackkurs fort. Ein Rauschen drang aus der Funkanlage des Schwebefahrzeugs, obwohl sie ausgeschaltet war. »Sie sind über die Antenne in unser Empfangssystem eingedrungen!«, presste Ken hervor. »Beeindruckend!«, pfiff Jee A Maru durch die Zähne. »Achtung!«, drang nun eine weibliche Stimme aus den Lautsprechern. »Hier spricht Captain Stone von Shadow Command! Drosseln Sie Ihre Geschwindigkeit und ergeben Sie sich!« Simon sah zu Ken hinüber. »Sie tun besser, was die Dame sagt oder die verarbeiten uns zu astreinem Wüstenstaub!« »Wir sollen kurz vor unserem Ziel aufgeben?« »Wenn Ihr Gleiter keine Bordwaffen hat, dann wäre es vielleicht besser, draußen zu kämpfen«, meinte Simon. »Versuche den Hügel zu erreichen«, sagte Jee entschlossen. Sie drückte einen Schalter an der Kontrollkonsole herunter und begann damit, das Notsignal zu senden. Im Innern des Apaches sahen Sherilyn Stone und Paul Gossett, dass der Schweber immer
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noch Ausweichtaktik flog. »Sie gehen nicht darauf ein«, erkannte Paul. »Kluges Köpfchen«, entgegnete Sherilyn, während sie eine Reihe von Tasten auf dem Armaturenbrett bediente. »Jetzt wollen wir unsere Freunde ein bisschen kitzeln.« Das Visier ihres Pilotenhelmes surrte herunter. Auf dessen Innenseite erschien ein digitales Fadenkreuz. Nun würde die Bordkanone den Schwenkbewegungen ihres Kopfes folgen. »Angriffsgeschwindigkeit!« Der Chopper kippte mit dem Bug leicht nach vorne ab und fegte auf den Gleiter zu. Sherilyn presste ihren Daumen auf den Feuerknopf und schon ratterte eine Salve der Maschinenkanone los. Einige der Kugeln schlugen in den Sand ein, doch der Großteil erwischte den Schweber an der rechten Seite. »Verdammt, Sie haben uns!«, brüllte Simon. Die Fenster an seiner Seite waren zerplatzt. Überall sprühten funken aus den Armaturen. »Ist der Gleiter nicht einmal gepanzert?« »Bleiben Sie ruhig«, herrschte ihn Ken an. »Er ist lediglich für den Personentransport vorgesehen.« Der Pilot bremste die Maschine ab und brachte sie zum Stehen. Mit einem Ruck öffneten sich die Türen. Simon sprang als erster hinaus, ihm folgten Jee und Ken. Gemeinsam rannten sie vom Gleiter fort. Der Apache flog über das Schwebefahrzeug hinweg, drehte herum und hielt wieder darauf zu. Eine der Lenkraketen schoss aus den Waffenträgern und schlug in die stehende Maschine ein. Der Schweber explodierte in tausend Stücke. »Das war's dann wohl mit dem Notsignal!«, seufzte Ken Dra. Allein standen die drei im heißen Wüstensand. Die brennenden Überreste des Gleiters lagen verstreut auf dem Boden. Jee blickte zum Himmel empor, wo der Kampfhubschrauber sich nun den Dreien zuwandte. Mit langsamer Geschwindigkeit schwebte er in ihre Richtung. »Schöne Scheiße', kommentierte Simon, doch genau in diesem Augenblick gewahrte er einen weiteren Punkt am Himmel. Als dieser näher kam, wirkte er wie überdimensionaler Kugelschreiber. »Ein Schiff!«, rief Ken vor Begeisterung aus. »Man hat das Signal doch noch empfangen.« »So schnell?«, wunderte sich Simon. »Es muss bereits auf der Suche nach uns gewesen sein«, vermutete Jee A Maru. Ein grünlicher Lichtkegel jagte vom Raumschiff aus auf den Hubschrauber zu und schleuderte ihn davon. Der Apache rotierte kurz und verschwand hinter einer Düne. An Bord des Helikopters versuchte Sherilyn, die Maschine unter Kontrolle zu bringen, doch der Lichtblitz hatte ihn zu schwer getroffen. Sie ging mit dem Apache tiefer und landete ihn im Sand. Als sich das Cockpit öffnete, griff Gossett zum Bordfeuerlöscher und hetzte zum Heck, um dort die Flammen zu ersticken. Wütend riss sich Sherilyn den Helm vom Kopf und blickte zum Himmel, wo das fremde Raumschiff auf der anderen Seite der Sanddüne niederging »Sie haben also doch noch gesendet«, brummte sie. Gossett kam zu ihr herüber. »Das wird dem General aber gar nicht gefallen.« Der Spott in seiner Stimme war unüberhörbar. Sherilyn trug die Verantwortung für die Mission, und das wusste Gossett. Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und zückte dann ein Funkgerät, um Verstärkung anzufordern. Auch wenn diese zu spät kam, ersparte sie ihnen zumindest den weiten Fußmarsch durch die Mojave-Wüste. Φ Langsam öffnete sich die Rampe des kleinen Privatraumers. Im Eingangsschott stand ein hochgewachsener Mann, der den gleichen Overall wie Jee A Maru trug. »Rem Ko!«, begrüßte Jee den Mann. »Du?«
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»Wie du siehst. Tut mir leid, dass ich mit meinem Privatkreuzer hier auftauche, aber ich war gerade unterwegs, als ich euren Hilferuf auffing. Ich hoffe, ihr braucht keinen Zerstörer.« »Ein Patrouillenschiff der Scardeener ist uns auf den Fersen«, erklärte Jee. »Na, dann sollten wir besser verschwinden!«, riet der andere Schwertträger. Ken und Jee liefen die Rampe hoch an ihm vorbei. Simon blieb vor ihm stehen und reichte ihm die Hand. »Simon McLaird«, stellte er sich unsicher vor, weil er nicht wusste, ob ihm der Schwertträger überhaupt erlaubte, an Bord zu kommen. Der Fremde ergriff seine Hand und lächelte. »Rem Ko.« Er schlug Simon freundschaftlich auf die Schulter und geleitete ihn schließlich in die Zentrale des Schiffes. Sie ähnelte dem Cockpit einer größeren Passagiermaschine, mit ungleich mehr Tasten, Knöpfen und Displays und weitaus geräumiger. Rem Ko ließ sich in den Pilotensessel fallen und Ken Dra nahm neben ihm Platz. Jee und Simon blieb nichts anderes übrig, als sich mit den Notsitzen zu begnügen. Die Triebwerke des Schiffs zündeten. Sorgfältig überprüfte Rem Ko die Computeranalysen auf den Monitoren. Die Rumpfdüsen heulten kurz auf, dann hob der Raumer vom Boden ab und schoss in den heißen Sommermorgen hinaus. »Wir verlassen in zwei Minuten die äußeren Schichten der Atmosphäre dieses Planeten. Ken, du überwachst das Verfolgungsradar.« Mit donnernden Triebwerken raste der Kreuzer durch dichte Wolkenbänke. Ken Dra starrte angestrengt auf den kleinen Bildschirm vor ihm, doch bis jetzt war er noch leer. »Vielleicht wissen die Scardeener nicht, dass wir gestartet sind«, hoffte Simon. In diesem Moment wurde er eines besseren belehrt, als etwas das Schiff erschütterte und seine Insassen durchrüttelte. »Verdammt noch mal!«, schrie Rem wütend. »Hast du geschlafen, Ken?« »Der Schirm ist leer«, verteidigte sich Ken. »Ich habe keine Erklärung dafür.« »Dann finde eine!«, zischte Rem Ko. Wieder traf etwas auf den Schiffsrumpf. Der Schwertträger beugte sich zu Ken hinüber. Verblüfft glotzte er auf den schwarzen Monitor. Er kratzte sich ratlos am Hinterkopf und klopfte dann ungläubig gegen den Bildschirm. »Er zeigt tatsächlich nichts an«, sagte Rem resigniert. »Nun, genau das hat Ken gerade gesagt, falls Sie sich erinnern sollten«, kommentierte Simon. Rem Ko warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Dann drehte er sich um und riss wie wild an einigen Tasten und unschuldigen Hebeln herum. »Halt mal die Klappe, Kleiner! Was immer uns getroffen haben mag, könnte uns Schwierigkeiten bereiten.« »Könnte?«, kreischte Ken. »Wir stecken mitten drin!« Erneut erbebte das Schiff. Rem Ko wurde aus seinem Sitz geschleudert und zu Boden gedrückt. »Wir sitzen in der Tinte!«, stellte Jee fest. Plötzlich erhellte ein greller Blitz das All. Simon McLaird bereitete sich auf den Todesstoß vor – er blieb jedoch aus. Ken Dra leitete ein schnelles Wendemanöver ein, während sich Rem Ko aufraffte. Dann offenbarten die Sichtfenster ein seltenes Schauspiel. Vor ihren Augen zog ein bläulicher Komet seine Bahn durch den Weltraum. Sein endlos langer Schweif schien bedrohlich zu glühen, was jedoch nur eine subjektive Empfindung war, da der Schweif aus Eissplittern und Gasen bestand. »Mist!«, fauchte Rem. »Der Komet entwickelt einen magnetischen Sturm. Deshalb zeigen unsere Ortungsgeräte nichts an, oder besser gesagt, sie zeigen alles an, nur ist das zuviel für den Monitor. Er schaltet einfach ab.« »Na klar!«, fiel Ken dazwischen. «Der scardeenische Kreuzer arbeitet auf Sichtkontakt.«
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»Können wir nichts tun?«, fragte Simon. »Unsere Geschütze werden vom Computer gesteuert. Bei dieser Hölle da draußen würde er auf alles Mögliche schießen.« Das Raumschiff schwenkte herum. Rem Ko gab Schub. Die Triebwerkseinheiten brüllten stärker als zuvor auf. Da erschien der Mond vor den Sichtfenstern. »Unsere einzige Chance«, meinte Rem. »Auf diesem Mond da kann ich sie vielleicht abhängen.« Der feindliche Laserhagel prasselte auf den Schiffsrumpf nieder. Mit jedem Schuss heftiger, zerstörerischer ... Φ Ein großer Sea Knight Transporthubschrauber landete inmitten der Mojave-Wüste, dort wo der Gleiter der Drahusem vernichtet worden war. Sicherungstrupps der US Air Force sprangen mit geladenen Gewehren aus dem Innern des Helikopters, um das Gebiet abzuriegeln. Sherilyn und Gossett gingen an den Soldaten vorbei, genau auf den Hubschrauber zu. Im Eingang lehnte der General lässig an der Tür. »Sir, sie sind uns entkommen. Ein Schiff hat sie abgeholt. Es wurde von einem weiteren Raumer verfolgt und in Kämpfe verwickelt. Sie befinden sich nun außerhalb der Erdatmosphäre.« »Captain Stone, ich dachte Sie hätten alles unter Kontrolle«, sagte der General. »Ich glaube nicht, dass Sie sie gekriegt hätten, wenn Sie in dem Apache gesessen hätten, Sir!«, fauchte ihn Sherilyn bissig an. Gossett erwartete, dass der General wütend reagierte, doch der Leiter von Shadow Command schwieg. Er drehte sich um und kehrte zurück in den Hubschrauber. Gossett sah Sherilyn an. Der General schien sie zu respektieren, vielleicht gerade wegen ihrer direkten Art, die sie sogar Vorgesetzten gegenüber an den Tag legte. Die Frau stieg die Leiter hoch und kletterte ebenfalls in den Sea Knight. Paul Gossett sah sich noch einmal um, beobachtete kurz die Soldaten und folgte ihr dann. Φ Bald fegte das Schiff über den staubigen Mondboden hinweg. Es war dem magnetischen Sturm entkommen, und die Ortungsgeräte arbeiteten wieder einwandfrei. Sie zeigten einen kleinen Punkt, der dem Schiff folgte. Laserfeuer regnete unablässig auf den Schiffsrumpf nieder. »Mehr Energie zu den Schilden!«, rief Rem Ko. Endlich schaltete er die automatischen Waffen des Raumkreuzers ein. Grüne Energieblitze jagten aus den kleinen Geschütztürmen. Einer davon erreichte den Bug des Verfolgerschiffes, verpuffte aber wirkungslos an dem Schutzschirm. Rem Ko bremste aus vollem Flug ab und ließ den Kreuzer einen großen Bogen um einen steilen Mondberg ziehen. Für kurze Zeit geriet er damit aus dem Sichtbereich der Scardeener. Blitzschnell wendete er das Schiff und ließ es denselben Weg zurückjagen. Da erschien der zylinderförmige Körper des Patrouillenschiffs. Der Computer des Kreuzers visierte den Feind an, woraufhin einige Laserstöße auf die Scardeener prasselten. Das Patrouillenschiff drehte ab und heftete sich an das Heck des Kreuzers. Seine Bordkanonen blitzten auf und durchbrachen teilweise die Energieschirme von Rem Kos Schiff. Der Schwertträger riss den Raumer scharf hoch. Er glitt an einer weiteren Bergwand entlang. Der scardeenische Pilot war auf diese Reaktion nicht gefasst gewesen und konnte nicht mithalten. Seine Maschine zerschellte an dem Berg in einer höllischen Explosion.
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»Hey, Mann!«, rief Simon McLaird aus und fiel Jee A Maru automatisch um den Hals. »Wir haben es geschafft!« Auch Ken und Rem Ko jubelten und klatschten sich gegenseitig in die Hände. »Jetzt aber weg hier, bevor sonst noch was geschieht!« Rem dirigierte das Schiff von der Mondoberfläche weg, nahm Fahrt auf und fütterte den Navigationscomputer mit Daten. Dann sprang der kleine Privatkreuzer in den Hyperraum. Φ Ein drittes, kleineres Schiff verließ in diesem Augenblick die Erdatmosphäre. Es handelte sich um ein Rettungsboot scardeenischer Bauart, entfernt an die Raubfischform seines Mutterschiffs erinnernd. »Es war wirklich eine gute Idee von Ihnen, nicht mit dem Patrouillenschiff zu fliegen, sondern das kleine Beiboot zu benutzen«, lobte Sealdric Helen Dryer. »Sie scheinen ja doch zu etwas nütze zu sein. Zwar sind die Drahusem entkommen, aber wenigstens leben wir noch.« »Wir werden sie ein anderes Mal kriegen«, meinte Helen. »Sehr bald sogar.« Das Beiboot driftete in den Weltraum hinaus und sprang ebenfalls in den Hyperraum, einem anderen Ziel entgegen.
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Teil 2 Die vierte Dynastie
Das Gefühl, dass sein Hirn nur noch aus Brei bestand, wollte nicht schwinden. Harry Thorne hatte weder die Stunden noch Tage gezählt, seit er nicht mehr geschlafen hatte. Die Berichte seiner Feldagenten und die stündlichen Reports der Spitzel, die er in den Reihen der CIA und im Pentagon, eingesetzt hatte, überschlugen sich und ließen ihn kein Auge zubekommen. Thornes Blick fiel auf den völlig überladenen Aschenbecher. Gerade zerknüllte er wieder eine leere Packung West. Das Chaos auf seinem Schreibtisch beachtete er gar nicht. Wenn er hier nicht einem Riesenschwindel aufsaß, dann konnte es ernsthafte Schwierigkeiten geben. Zu dumm nur, dass sich sein Hauptkontaktmann bisher nicht gemeldet hatte. Als könne er diesen Umstand ändern, starrte Harry Thorne unentwegt auf das Telefon. Statt eines Klingelns klopfte es an der Tür. Thorne zuckte zusammen. Er hasste Unterbrechungen dieser Art. Jeglicher Art. Bevor er Herein rufen konnte, wurde bereits die Klinke herunter gedrückt und das Gesicht seiner Sekretärin lugte ins Büro herein. »Noch Kaffee?« Thorne presste die Lippen aufeinander und suchte unter dem Stapel Papiere die Tasse, die er vor Stunden bereits dort vergraben haben musste. Als er sie fand, stellte er fest, dass sie noch halb gefüllt war. Der Kaffee war längst kalt. Er glaubte nicht, dass frische, schwarze Brühe ihn jetzt noch beleben konnte. Das Beste war, er fuhr nach Hause, duschte und gönnte sich zwölf Stunden Schlaf. Besser vierundzwanzig, dachte er, sog kräftig an der Zigarette und schnippte sie in die Kaffeetasse, da im Aschenbecher ohnehin kein Platz mehr für den Glimmstängel war. Die Sekretärin ließ ein tadelndes Räuspern vernehmen. »Das geht auch anders.« Thorne nickte. Er zwang sich zu einem schiefen Grinsen. »Ja, in einem anderen Leben, Schätzchen. In einem anderen Leben. Machen Sie für heute Feierabend.« »Sir?« »Ich denke, es ist spät genug geworden, oder?« Die Frau schob nun die Tür ganz auf und setzte einen Fuß über die Schwelle. »Es ist neun Uhr dreißig, Mister Thorne. Mir ist vollkommen klar, dass Sie jegliches Zeitgefühl verloren haben, weil Sie seit drei Tagen das Büro nicht verlassen haben. Und so, wie Sie aussehen, haben Sie nicht eine Minute geschlafen.« Thorne runzelte die Stirn. »Ist es so schlimm?« »Schlimmer! Fahren Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus. Hier wird schon nichts anbrennen.« Der NSA-Agent atmete tief durch. Dann gab er sich einen Ruck, stand auf und reckte sich. Sämtliche Knochen und Glieder schmerzten. Das dringende Bedürfnis, die Toilette aufzusuchen ignorierte er. Es war höchste Zeit, sich eine Pause zu gönnen, ehe er zusammenklappte. Er umrundete den Schreibtisch und ging in Richtung Tür. Seine Gedanken kreisten weiterhin um die Berichte seiner Spitzel. Außerirdische ... gerade jetzt! Als hätte er nicht bereits genug Sorgen am Hals. Und noch dazu hatten seine Agenten schlampige Arbeit abgeliefert, als sie zwei Zivilisten ausschalteten, die nur verhört werden sollten. Vor der Tür blieb er neben der Sekretärin stehen. Er musterte ihr künstlich rot leuchtendes Haar, das von der x-ten Färbung spröde und abgestumpft war. Wie immer hatte sie zu viel Make-up aufgetragen, um ihre Falten zu verbergen. »Rufen Sie mich bitte an, wenn sich das Marshal-Büro melden sollte«, bat Thorne.
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Die Frau nickte. In diesem Moment klingelte das Telefon. Jemand hatte seine direkte Nummer gewählt, ohne über die Zentrale im Sekretariat zu kommen. Das konnte nur ein Vorgesetzter sein oder ... Thorne kehrte zum Tisch zurück und langte nach dem Hörer. »Ja?« »Ian hier. Ihre Spitzel haben Recht.« »Was haben Sie herausgefunden?«, fragte Thorne. »Im Prinzip das, was Sie schon wissen, Harry. Notlandung eines außerirdischen Forschungsschiffes. Verfolgung durch eine zweite Partei. Und während Ihre Agenten hinter den irdischen Kontaktpersonen Simon McLaird und Calvin Nash her waren, hat sich eine weitere Gruppierung aufgetan, die anscheinend erst kürzlich reaktiviert wurde.« »Wovon reden Sie, Ian?« Thorne bedeutete der Sekretärin mit einer hektischen Geste, das Büro zu verlassen und die Tür zu schließen. Als er allein war, wiederholte er seine Frage eindringlicher. »Eine Splittergruppe der CIA hat Agenten rekrutiert und sie zu einer Organisation namens Shadow Command formiert. Offenbar ist dieses Shadow Command an Außerirdischen und deren Technologie interessiert.« Thorne seufzte. »Das sind wir auch. Und wahrscheinlich noch hundert andere Gruppen und Vereine. Aber die sind uns alle bekannt. Woher kommt dieses Shadow Command?« Am anderen Ende der Leitung war ein leises Lachen zu hören. »Also wenn Sie mir das nicht sagen können, Harry, wer dann sonst? Wir behalten die Sache weiter im Auge. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich neue Informationen habe. Ian, Ende.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Sein Gesprächspartner pflegte grundsätzlich, die Telefonate auf diese Art zu beenden. Thorne legte den Hörer auf und wandte sich wieder zur Tür. Dies war zwar der Anruf, auf den er gewartet hatte, aber er warf mehr Fragen auf, als beantwortet worden waren. Φ Logfile From:
[email protected] To:
[email protected] Subject: Neubeginn Hi Jeremiah, es tut mir leid, dass ich mich nicht eher bei Dir gemeldet habe, aber es sind einige Dinge dazwischen gekommen. Wenn ich Dir davon nur die Hälfte erzählen könnte, würdest Du mich schon einen Spinner nennen. Ich muss selbst erst einmal meine Gedanken ordnen und versuchen, mit mir ins Reine zu kommen. Sobald ich Klarheit habe, dass ich nicht jeden Moment aufwache und träume, melde ich mich noch einmal bei Dir. Es ist auch noch etwas Schlimmes passiert. Ich werde zu Cals Beerdigung fahren. Bis später, Jeremiah. cu Simon Φ »Bingo!«, rief Paul Gossett mit einem breiten Grinsen aus. Endlich hatte er eine Spur gefunden, die sein Ansehen in der Firma wieder etwas steigern sollte. Er hatte längst
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mitbekommen, dass der General ihn nicht unbedingt für seinen fähigsten Agenten hielt. Bisher hatte er immer im Schatten seiner Vorgesetzten Helen Dryer gestanden, die aber mittlerweile einen anderen Wirkungskreis aufgetan hatte. Nun stand ihm nur noch Captain Stone im Weg, aber er hatte sich vorgenommen, sich nicht unterbuttern zu lassen. Gossett nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette, überprüfte noch einmal die Daten auf dem Monitor und lehnte sich dann ganz entspannt zurück. Mit dem Ergebnis durfte er durchaus zufrieden sein. Der General würde sich wundern. Als er sicher war, dass ihm kein Fehler unterlaufen war oder er die Informationen falsch interpretierte, griff er nach dem Telefonhörer und wählte die Null. Als hätte sein Chef nur auf einen Anruf gewartet, war sofort die tiefe, sonore Stimme des Generals am anderen Ende der Leitung zu hören. »Was gibt's?« »Sir, ich habe interessante Neuigkeiten.« »Machen Sie es nicht so spannend, Gossett!«, brummte die Stimme. Paul ließ sich nicht beirren. Er wusste, dass er einen großen Fang machen würde, deshalb kostete er die Vorfreude bis zum letzten Quäntchen aus. »Simon Thomas McLaird befindet sich wieder auf der Erde!« Es klickte in der Leitung, als der Hörer aufgelegt wurde. Verwundert starrte Gossett das Telefon an. Doch noch ehe er wirklich realisierte, was geschehen war, wurde bereits die Tür zum Computerraum aufgerissen. Paul zuckte erschrocken zusammen und schwang in seinem Sessel herum. Die massige Gestalt des Generals schob sich gerade über die Schwelle, dicht gefolgt von seiner neuen rechten Hand, der attraktiven Agentin Sherilyn Stone. »Zeigen Sie's mir!«, forderte der General auf und trat dicht an Gossetts Arbeitsplatz. Paul seufzte, wandte sich wieder Tastatur und Monitor zu und deutete auf die Daten, die über den Schirm flimmerten. »Bei unserer Überprüfung McLairds haben wir heraus gefunden, dass er sich regelmäßig über ein Konto von USA-NET ins Internet einloggt und einen E-Mail-Austausch mit einem gewissen Jeremiah Hurley führt.« »Weiter!«, drängte der General, obwohl Paul Gossett nur eine kurze Pause eingelegt hatte, um Luft zu holen. »Jeremiah Hurley besitzt ein Konto bei AOL. Und erst heute haben unsere Leute eine EMail abgefangen, die von McLairds Zugang an Hurley geschickt wurde.« »Abgefangen?«, fragte Sherilyn und beugte sich über den Schirm. »Was haben Sie danach mit der Mail gemacht?« »Nur den Inhalt kopiert und weiter geleitet, um keinen Verdacht zu erregen, falls McLaird keine Rückantwort bekommt.« »Sehr gut«, lobte der General. »Können Sie feststellen von welchem Ort die E-Mail gesendet wurde.« Gossett schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Er hat über Webmail Zugriff auf den Account genommen. Aber unser Büro in Dulles hat ein wenig Druck auf AOL Time Warner ausgeübt.« »Sie haben die Anschrift von Hurley!«, platzte Sherilyn Stone heraus und stahl damit Gossett die Pointe. »Setzen Sie sofort ein Team auf ihn an«, befahl der General. »Schon veranlasst«, konterte Paul Gossett grinsend und drückte die Zigarette in einem Ascher aus. »Mit Hurley werden wir ein Druckmittel gegen McLaird haben. Aber was noch viel wichtiger ist, Sir: Wir wissen, wo sich McLaird morgen aufhalten wird.« Er deutete auf den Schirm und war fast versucht, das Wort Beerdigung mit einem Textmarker zu markieren.
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Φ Es regnete. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Simon angesichts des überzogenen Klischees aufgelacht. In nahezu jedem Film wollte man dem Zuschauer weismachen, Regen und Bestattungen gehören unvereinbar zueinander. Doch Simon McLaird war alles andere als nach Lachen zumute. Das triste Grau des verregneten Tages hatte sich bedrückend auf sein Gemüt gesenkt und nagte zusätzlich an seinen aufgekratzten Gefühlen. Er schaute traurig auf und registrierte nur schemenhaft die wenigen anderen Anwesenden. Er kannte niemanden von ihnen. Vermutlich entfernte Verwandte Calvin Nashs oder Kollegen von der Arbeit, mit denen Simon nie in Berührung gekommen war. Wie durch Watte hindurch hörte Simon die Worte des Priesters, der monoton die Grabrede hielt. Anscheinend hatte auch er keine große Lust seinen Dienst bei diesem Wetter zu verrichten. »... und wir haben keinen Grund an dem Weiterleben zu zweifeln. Gottes Hand wird dein Schicksal leiten, wo immer du dich nun auch befinden mögest. Höre jetzt unser Gebet, das dich auf deinem Pfad durch neue Regionen begleiten soll.« Simon McLairds Blick suchte das im Boden ausgehobene Loch und die beiden Särge. Calvin Nash und seine Frau Harriet waren vollkommen sinnlos gestorben. Gott, warum hast du das nicht verhindert? Leise und dumpf kamen die Worte des Priesters bei Simon an. Bedrückt irrte sein Blick zwischen den Särgen her, ehe er aufschaute und mühsam die aufkeimenden Tränen wegblinzelte. Die Särge wurden langsam in das Loch im Boden abgelassen. Zuerst verschwand Calvin in der Grabstätte, danach Harriet Nash. Der Priester beendete sein Gebet und forderte die Anwesenden für die letzte Zeremonie auf, einzeln nach vorn zu kommen. Nacheinander traten die Verwandten, Bekannten und Kollegen an den Rand des Grabes und sprachen ihre Worte der Trauer für die Verstorbenen. Simon ging als letzter. Er nahm eine Rose aus einer Vase neben der Grabstelle auf, hielt kurz inne und ließ die Blume dann fallen. Scheinbar unendlich langsam trudelte sie in die Tiefe und landete sanft zwischen den beiden Särgen. »Verflucht«, begann Simon mit gebrochener Stimme. »Du wirst eine Menge verpassen, alter Junge ...« Tränen rannen ihm die Wange hinunter. Erst jetzt realisierte er den Tod des Freundes, verstand er, dass er ihn nie wieder sehen würde. Alles war so schnell gegangen. Ein Schuss, die Flucht vor der NSA und den scardeenischen Legionären – er hatte keine Zeit für Trauer gehabt. Keine Zeit, auch nur darüber nachzudenken. »Vielleicht ...«, sprach er leise weiter und vergrub die Hände tief in die Hosentaschen. »... verpasse ich ja auch etwas. Wer weiß, du bist möglicherweise jetzt irgendwo dort oben, oder wo auch immer und hast es besser, als ...« Simon hielt inne und erinnerte sich daran, dass der Priester ähnliche Worte benutzt hatte. »Jeder auf seine Weise. Ich weiß jetzt, wer für deinen und Harriets Tod verantwortlich ist. Ich werde diese Leute finden und ... erledigen! Das bin ich dir schuldig.« Seine Stimme versagte ihm erneut den Dienst. Simon fuhr sich hilflos mit der Zunge über die Lippen. Die Tränen wollten nicht versiegen. Verdammt, es ist alles so ungerecht ... »Machs gut, Cal«, flüsterte er und spürte einen gewaltigen Kloß im Hals. Ihm war als umklammere eine kalte Faust sein Herz und drücke es unnachgiebig zusammen. Simon wischte sich über die Augen und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Er wandte sich vom Grab ab und ließ einen Mann, der hinter ihm gestanden hatte, vortreten.
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Simon schloss die Augen. Bilder zuckten auf seinen Netzhäuten: Erinnerungen an die letzten Tage, die ihn schier überwältigen wollten. Er versuchte, sie zu verdrängen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Zu deutlich hatten sich die Ereignisse in sein Gedächtnis eingebrannt und marterten ihn jeden Tag und jede Nacht aufs Neue. Er schlief unruhig, wurde von Albträumen geplagt. Immer wieder wachte er nachts auf und sah den von Kugeln durchbohrten Leichnam Calvin Nashs vor sich. Wenn er wieder zurück in den Schlaf fand, träumte er von grässlich aussehenden, grünen Männchen, die ihn auf einem Seziertisch auseinander nahmen. Die Bilderflut prasselte auch jetzt auf ihn nieder, ließ ihn taumeln und zwang ihn letztendlich in die Knie. Er ignorierte die neugierigen und teils empörten Blicke der anderen Anwesenden und verließ das Grab der Nashs. Mit zitternden Knien ließ er sich auf einer Bank nieder und presste beide Hände gegen die Schläfen. »Weg!«, stieß er keuchend hervor, doch er konnte die Gedankenblitze nicht vertreiben. Vor seinem inneren Auge tobten die Kämpfe der letzten Tage. Er sah das Gefecht in Fosters Blockhütte, erinnerte sich an ihre Flucht vor den Scardeenern und Shadow Command. Und an ... Prissaria. Die Welt der Drahusem. Er hatte den Planeten nur auf den Monitoren von Rem Kos Raumjacht zu sehen bekommen. Eine grünlich schimmernde Kugel, mehr als doppelt so groß wie die Erde. Simon hatte Bilder der Oberfläche aus einem Datenarchiv betrachtet. Der Planet wurde beherrscht von subtropischen Regenwäldern und dichten Dschungeln zwischen denen sich nur ab und zu die Megastädte der Drahusem mit ihren gewaltigen Raumhäfen erhoben. Gerne hätte er sich auf Prissaria näher umgesehen – immerhin wäre er der erste Mensch der Erde gewesen, der einen Fuß auf eine andere, zivilisierte Welt gesetzt hätte. Doch die Verwirklichung eines uralten Menschheitstraums war ihm verwehrt worden. Obwohl der Planet der Drahusem greifbar unter ihm gelegen hatte, waren sie dort nicht gelandet. Ein kleines Forschungsschiff hatte an Rem Kos Privatraumer angedockt. Abgesandte des Drahusem-Rates forderten Jee A Maru auf, ihre Mission fortzusetzen. Sie überließen ihr das Forschungsboot, um zur Erde zurückzukehren, da sie dort Spuren vermutete, die sie zum geheimnisvollen Planeten DUST führen konnten. Simon seufzte und rieb sich die verquollenen Augen. Er hatte darauf bestanden, allein der Beerdigung seines Freundes Calvin Nash beizuwohnen. Noch hatte er für sich nicht entschieden, ob er die beiden Außerirdischen Jee A Maru und Ken Dra als neue Freunde betrachten sollte, oder nicht. Zwar vertraute er ihnen und ihren Absichten, aber zu viel war in der Zwischenzeit geschehen, das sich nicht von der Hand weisen oder ungeschehen machen ließ. Er selbst stand auf der Abschussliste der irdischen Geheimdienste. Früher oder später würden sie ihn in die Finger bekommen, wenn er sich weiter auf seiner Heimatwelt aufhielt. Shit, dachte Simon und stand auf. Es war an der Zeit, zum Forschungsraumer zurückzukehren. Bestimmt warteten die beiden Drahusem schon auf ihn. Womöglich hatten sie schon Neuigkeiten über die Spur nach DUST herausgefunden. Simon fragte sich, ob an der Legende dieser mysteriösen Welt überhaupt ein Funken Wahrheit dran war. Seit Äonen suchte die Menschheit schon nach Legenden wie Atlantis oder Spuren der alten Hochkulturen der Inkas, Mayas und Tolteken. Vage Funde vermochten jedoch kein Gesamtbild zu formen. Würde es bei DUST anders sein? Und wenn ja, würden die Drahusem finden, was sie sich erhofften? Einen Kristall, der in der Lage war, kosmische Energien zu speichern und sie für andere nutzbar zu machen? Simon McLaird schob die Gedanken beiseite und machte sich auf den Rückweg zum Schiff. Die Drahusem hatten es wieder draußen in der Sandwüste gelandet und gehofft, das irdische Radar austricksen zu können. Wie schon das Schiff, das sie bei ihrem ersten Besuch benutzt
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hatten, war der Raumer nicht mit den notwendigen technischen Finessen ausgestattet, um ein Tarnfeld zu erzeugen. Simon schlenderte über den schmalen Friedhofspfad zum Ausgang des Areals. Er hatte den Fahrer des Taxis angewiesen, auf ihn zu warten. Gerade, als er ihm zuwinken wollte, fuhr eine dunkelgraue Limousine mit getönten Scheiben vor. Die Türen wurden aufgerissen. Drei Männer sprangen heraus und rannten auf Simon zu. Wie angewurzelt blieb er stehen und starrte verdutzt auf die Gestalten. Zu gefangen war er noch in der Trauer um Calvin Nash. Erst als sie bei ihm waren und ihn packten, erkannte er, was mit ihm geschah. Sie rissen ihn mit sich fort und zerrten ihn zum Wagen! Simon versuchte, sich zu wehren, doch einer der Kidnapper presste ihm ein Tuch auf Mund und Nase. Er roch das Chloroform. Alarmiert hielt er die Luft an, wand sich im Griff der Gegner, doch die anderen waren stärker. Ein Schlag in die Rippen veranlasste ihn aufzuatmen. Das Betäubungsmittel zeigte bereits seine Wirkung. Feine Kreise und Schlieren tanzten vor seinen Augen. Kurz darauf wurde sein Körper schlaff und sackte in sich zusammen. Die Männer verfrachteten McLaird in die Limousine und fuhren los. Der wartende Taxifahrer hatte die Szene mitverfolgt und griff nach dem Mikrofon seines Funkgeräts, um die Polizei zu alarmieren. Doch als die Entführer seinen Wagen passierten, blickte er direkt in die Mündung einer Pistole, die aus dem heruntergekurbelten Fenster ragte. Der schallgedämpfte Schuss traf ihn mitten zwischen die Augen! Φ »Ein Forschungsschiff!«, brauste Ken Dra wütend auf. ,,Wie kann man uns bei solch einer Mission nur ein billiges Forschungsschiff geben?« »Hey, ruhig bleiben«, mahnte Jee A Marus sanfte Stimme. Die beiden Drahusem hielten sich in dem engen Speiseraum des kleinen Bootes auf. Ein kreisrunder Raum, der so ziemlich in der Mitte des Rumpfes untergebracht worden war. Ken war außer sich, sein Gesicht rot angelaufen. Selten hatte Jee A Maru ihren Begleiter so in Rage gesehen. Er atmete stoßweise und griff nach einem Metallbecher, dessen Inhalt er sich in einem Zug einverleibte. Jee A Maru ließ ihr Essen, in dem sie nur lustlos herumgestochert hatte, stehen und erhob sich von ihrem Platz. Sie näherte sich ihrem Piloten und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Es sind Hunderte von Drahusem unterwegs auf der Suche nach Dai Urshar«, sagte sie. »Die meisten von Ihnen haben sich größeren Expeditionen angeschlossen, als wir. Sie sind mit den wenigen Zerstörern unterwegs, die unser Volk besitzt. Und vielleicht ist dies sogar ein Fehler, Ken. Wir haben unsere Heimat schutzlos zurückgelassen. Was, wenn die Scardeener Prissaria finden? Wir wären nicht einmal in der Lage uns zu wehren.« Ken Dra seufzte. Er entspannte sich sichtlich. »Du hast Recht. Eigentlich hätten alle Expeditionen im kleineren Rahmen organisiert werden müssen. Aber sie hätten dir wenigstens das Kommando über einen unserer Zerstörer geben können, wenn sie jetzt versuchen mit Gewalt Dai Urshar zu finden.« »Ich habe nie ein Kommando gewollt.« »Aber du bist eine Schwertträgerin!«, beharrte Ken Dra. Jee ließ seine Schulter los und wandte sich ab. Im selben Moment bereute der Pilot seine Worte. Er wusste, dass er ein Thema angeschnitten hatte, über das die junge Frau nicht gern sprach. Umso überraschter war er, als sie dennoch darauf einging. »Man hat mich in den Reihen der Hohepriester nie ganz als Schwertträgerin akzeptiert«, sagte Jee A Maru mit einem wehmütigen Unterton in der Stimme. »Mein Vater war ein
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unbeliebter Priester, da er das Ri'tas nach seinem Gutdünken auslegte. Doch als Geistlicher musste sein Testament geachtet werden. Er wollte, dass ich in die Kaste der Schwertträger aufgenommen werde, um die heilige Mission zu erfüllen. Unsere Regierung sieht es nicht gern, wenn die Tochter des verrückten Priesters ein eigenes Kommando erhält.« Die letzten Worte waren kaum noch zu verstehen. Danach schwieg Jee. Ken Dra blickte betroffen zu Boden. »Das ... das habe ich nicht gewusst.« Die Schwertträgen sah ihn an. »Stört es dich?« »Natürlich nicht!« Ken schüttelte den Kopf. »Es tut mir nur leid für dich.« Jee machte eine abwehrende Handbewegung und wandte sich zum Gehen. Als Ken einfach weiter sprach, verhielt sie kurz vor der Tür. »Ich frage mich, was geschieht, wenn wir Dai Urshar wirklich finden. Werden sie dir erlauben, seine Kräfte zu nutzen? Die Kräfte des Kristalls?« Die Schwertträgerin zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger gefällt mir die ganze Sache. Ich war stets davon überzeugt, dass wir nur in Frieden mit dem Wissenschaftsrat von Scardeen zusammen leben können, wenn sie endlich begreifen, dass das Leben nicht nur von Technik und Naturgesetzen zusammengehalten wird. Dass es auch etwas jenseits der Grenze des Sicht- und Fühlbaren gibt.« Ken Dra runzelte die Stirn. Er ging zum Nahrungsverteiler hinüber und füllte den Becher auf, nur um ihn sofort wieder in einem Zug zu lehren. Er spürte, worauf Jee A Maru hinaus wollte, wenn er es auch nie selbst ausgesprochen hätte. Denn es grenzte an Verrat – Verrat an der eigenen Ideologie! »Die Hohepriester«, sprach Jee leise weiter, »wollen nur einer Elite die Macht des Kristalls zugute kommen lassen.« Der Pilot nickte bei den Worten seiner Begleiterin. Die Schwertträger sollten die Hüter der geheimnisvollen Kräfte sein. Was war aber mit all den anderen Drahusem. Und wenn es endlich Frieden mit dem Scardeenischen Reich gab, was war mit seinen Bewohnern? Sollten sie nicht von den Energien des Kristalls profitieren? »Die Scardeenische Legion würde von den Hohepriestern lediglich durch die Schwertträger ersetzt, um das Volk zu kontrollieren«, setzte Jee A Maru die Überlegungen Kens fort. »Wie wir es auch drehen, wir entfernen uns von der Demokratie.« »Das Volk würde sich benachteiligt fühlen, wenn sie nicht an der Macht des Kristalls teilhaben können«, sagte der Pilot. Jee lachte auf. »Benachteiligt? Sie würden unterdrückt werden, so wie jetzt die Legion das gemeine Volk in Schach hält. Unterdrückung führt zu Widerstand. Widerstand zu Revolution und Bürgerkrieg. Nein, Ken Dra, wir wären letzten Endes nicht besser als die Scardeener. Und genau das beunruhigt mich.« Ken Dra hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und damit begonnen in dem kleinen Speiseraum auf und ab zu gehen. Er nickte nachdenklich in sich hinein. Gespräche dieser Art hatte er heute das erste Mal geführt. Politik interessierte ihn im Grunde nicht. Er war Pilot und Navigator, kein Staatsmann. Und hätte er sich nicht Jee A Marus Mission angeschlossen, würde er jetzt noch für den Sicherheitsdienst Patrouillen im Orbit von Prissaria fliegen. Dennoch haftete die Frage, um die seine Gedanken kreisten, in seinem Bewusstsein und schien ihn erst wieder loszulassen, wenn er sie laut gestellt hatte. »Aber was sollen wir tun, wenn wir den Kristall gefunden haben?« »Falls wir ihn finden«, erwiderte Jee A Maru. »Ich glaube, es ist wichtiger als je zuvor, dass wir die ersten sind, die Dai Urshar erreichen. Hoffen wir, dass wir hier auf der Erde auf der richtigen Spur sind.« Die Schwertträgerin verließ den Speiseraum in Richtung Kommandozentrale. Ken Dra folgte ihr. Der Leitstand war kaum als solcher zu bezeichnen und glich eher dem Cockpit einer irdischen Passagiermaschine. Er bot gerade dem Piloten und dem Captain eine
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Sitzgelegenheit. Das Schiff war wesentlich kleiner als die ROC SUN, mit der Jee und Ken vor einigen Wochen das erste Mal zur Erde gekommen waren. Außer Rettungskapseln gab es nicht einmal Beiboote oder Gleiter an Bord. Jee ließ sich in den Sessel des Bordkommandanten fallen. »Wir sollten uns jetzt um unseren neuen Freund kümmern. Er ist schon seit einer Stunde überfällig.« Ken Dra setzte sich neben sie und überflog kurz die Instrumententafel. McLaird hatte sein Rückrufsignal noch nicht aktiviert. Sie hatten vereinbart, dass er sich mit einem örtlichen Taxi bis Victorville bringen ließ und von dort aus eine Fahrgelegenheit nach Helendale suchte. Von dort war es noch etwa eine halbe Stunde Fußmarsch bis zum vereinbarten Treffpunkt. Das Schiff befand sich momentan irgendwo inmitten des Nirgendwo in der Wüste von Devil's Playground, auf halber Strecke zwischen Los Angeles und Las Vegas. Bisher gab es keine Anzeichen von militärischen Aktivitäten. Anscheinend hatten sie das irdische Radar erfolgreich getäuscht. »Wo bleibt er nur?«, murmelte Ken Dra, als plötzlich eine Diode an der Kontrolltafel zu blinken begann. McLaird! Aber nicht da, wo Ken und Jee A Maru ihn vermutet hätten ... Φ Die Luft in dem kleinen, kalten Zimmer war stickig geworden. Und heiß. Zufrieden stelle Simon McLaird fest, dass seinem Peiniger der Schweiß in wahren Sturzbächen über das Gesicht floss. Immer wieder hatte Paul Gossett versucht, ihn auszuquetschen und sogar angefangen, ihn zu schlagen. Bisher war McLairds Schmerzgrenze nicht erreicht worden – er stellte sich weiterhin stur. Gossett rieb sich die gestauchte Hand und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Er hatte nicht einmal fest zugeschlagen, aber vollkommen falsch, wie Simon fast amüsiert feststellte. Letzten Endes war Gossett wohl nur ein Schreibtischtäter, der seine Ausbildung im Nahkampf völlig vernachlässigt hatte. Der Shadow-Agent langte nach einem Becher Kaffee. Er setzte an und spie kurz darauf die mittlerweile erkaltete Brühe aus. Erschöpft wischte er sich den Schweiß von der Stirn, und nicht zum ersten Mal fragte sich Simon, wer hier eigentlich wen verhörte. Die Nachwirkungen des Chloroforms verursachten McLaird Kopfschmerzen. Aber körperlich war er bereits wieder fit. Vielleicht schaffe ich nicht gerade einen Marathon, aber mit dieser CIA-Niete nehme ich es allemal auf, dachte er verbissen und fragte sich insgeheim, wann er Gossett weich gekocht hatte. Oder wann dieser die Geduld verlor, seine Waffe zog und McLaird einfach nieder schoss. Vielleicht hatte er doch den Bogen ein wenig überspannt. »Ich fackle nicht mehr lange, dann werde ich handgreiflich!«, knurrte Gossett. Als ob er das nicht schon geworden wäre ... »Ich bin sicher, du kannst mit deinen Patschehändchen nicht mal ein Butterbrot schmieren«, grinste Simon frech. »Außerdem brichst du dir beim nächsten Schlag noch die Fingerknochen!« Gossett quittierte den Spruch mit einem weiteren Hieb. Diesmal flog Simons Kopf rechts herum. Heißer Schmerz zuckte durch sein Kinn. Haut platzte auf, und er spürte warmes Blut seine Lippen herunter rinnen. Er wird besser, dachte er. Verzweifelt zerrte Simon an den Fesseln, mit denen ihm die Hände an die Stuhllehne festgebunden waren. Primitive Stricke, dennoch stark genug, um ihn ein paar Stunden zu beschäftigen, wenn er es ernsthaft versucht hätte. Zumindest hatte er es geschafft, den kleinen Sender, der unter dem Armband seiner Uhr versteckt war, zu
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aktivieren. So kannten Jee A Maru und Ken Dra wenigstens seinen Aufenthaltsort. Ob es was nützte, vermochte er nicht zu sagen. Er wusste ja selbst nicht einmal, wohin ihn die Schergen von Shadow Command geschleppt hatten. Gossett kochte vor Wut und holte erneut aus. Simon duckte sich, doch in diesem Moment flog die Tür zum Verhörzimmer auf. Eine massige Gestalt betrat in Begleitung einer nicht unattraktiven Frau den Raum. »Lassen Sie ihn, Gossett!«, schnauzte der fettleibige, hochgewachsene Mann den Agenten an. Paul Gossett zuckte erschrocken zusammen und wich einen Schritt zurück. Simon musterte die Neuankömmlinge. Der Dicke trug einen grauen Anzug, paffte Zigarre und ließ keinen Zweifel an seiner Autorität aufkommen. Die Frau indes war in eine Art Fantasieuniform gekleidet. Dergleichen hatte Simon noch nicht gesehen. Sie trug graue Feldhosen, dazu bläuliche Stiefel und eine schwarze Feldjacke, darüber eine Splitterschutzweste. Unter den Arm hatte sie sich einen blauen, futuristisch anmutenden Helm geklemmt. Eine schwere Armeepistole steckte im Hüftholster. Simon zwinkerte der Brünetten mit den graugrünen Augen zu, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Der Dicke trat an McLaird heran und hielt ihm einen pistolenähnlichen Gegenstand vor die Nase. »Nettes Spielzeug, Mister McLaird. Eine Art Raygun, die gebündelte Energieentladungen verschießt.« »Und Sie sind ...?«, fragte Simon und versuchte einen gelangweilten Ton in seiner Stimme mitschwingen zu lassen. »Weder auf dem freien Markt, noch sonst wo auf diesem Planeten käuflich zu erwerben«, fuhr der andere ungerührt fort. Er strich sich durch sein dünnes Haar und paffte an der Zigarre. »Und Sie haben es ... woher, McLaird?« »Staples hat sein Programm erweitert«, grinste Simon breit zurück. Der füllige Mann verzog keine Miene. Zumindest verlor er nicht so rasch die Kontrolle über sich und ersparte Simon die Schläge. »Lieutenant McLaird ...«, sagte er dann und betonte den militärischen Rang Simons, den er mit seinem Ausscheiden aus der Army abgelegt hatte. »Nach allem, was in den letzten Tagen geschehen ist, werden Sie nicht mehr leugnen können, dass wir es hier mit außerirdischen Lebensformen zu tun haben.« »Was Sie nicht sagen.« »Sparen Sie sich Ihre Kommentare. Es geht mir nicht darum, Sie zu einem Geständnis zu überreden. Die Fakten liegen bereits auf der Hand und wir wissen um die Existenz der Extraterrestrier. Viel wichtiger ist, ob Sie, McLaird, sich bewusst sind, welcher Gefahr Sie die Erde durch den Kontakt zu dem Fremdvolk ausgesetzt haben?« »Ich?«, fragte Simon. »Hab ich hier irgendwen zum Kaffee eingeladen, oder waren es nicht doch eher Ihre Auftragskiller, die einen Kleinkrieg angefangen haben?« »Darum geht es doch gar nicht.« »Ach?«, machte Simon. »Worum dann? Ihre Leute haben meinen Freund auf dem Gewissen!« Die Brünette trat vor. Simon konnte nun den Schriftzug auf dem Sticker ihrer Uniform erkennen: CAPT STONE. »Sie sehen das falsch«, sagte die Frau. »Mister Nash wurde von Agenten der NSA ermordet.« »Und Sie glauben, das entlastet Sie?«, brauste Simon auf und zerrte an seinen Fesseln. Am liebsten wäre er Stone an die Gurgel gesprungen. Ehe er jedoch eine unbedachte Bewegung machen konnte, war Gossett bereits an seiner Seite und presste ihm mit übertriebenem
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Arbeitseifer die Mündung seiner Pistole gegen die Schläfe. »Ich kann mir vorstellen, wie Ihnen zumute ist«, sagte der Dicke und bedeutete Gossett, Abstand zu wahren. »So?«, brummte Simon und warf dem Anführer einen zornigen Blick zu. »Ihr Agentenpack seid doch alle gleich. Menschenleben bedeuten euch nichts.« »Wie Sie meinen, Lieutenant McLaird.« »Und hören Sie auf mit dem Lieutenant-Scheiß«, fauchte Simon. »Ich bin nicht mehr in der Army!« »Oh, ich hatte gehofft, Sie für unsere Sache rekrutieren zu können.« Simon lag eine bissige Erwiderung auf der Zunge, doch er schluckte sie herunter. Überrascht blickte er den Dicken an. Er machte ihm ein Angebot? »Was muss ich dafür tun? Meine außerirdischen Freunde an euch verpfeifen?« Der Anführer beugte sich tief zu ihm herunter und blies Simon den Rauch der Zigarre ins Gesicht. Als er sprach, war seine Stimme kaum mehr als ein Zischen, dennoch verstand Simon jedes einzelne Wort. Seine Nackenhaare richteten sich auf, als er versuchte, das Verständnis für eine Bedrohung, wie der Dicke sie sah, aufzubringen. »Ihre Alien-Freunde, Lieutenant, verfügen über eine ausgefeilte und hochentwickelte Technologie, der wir nichts entgegenzusetzen haben. Und da Sie ihnen zur Flucht verholfen haben, statt mit uns zusammenzuarbeiten, kennen sie jetzt den Standort der Erde!« »General, wir verschwenden nur unsere Zeit mit dem da«, kommentierte Captain Stone. Der Dicke paffte weiter an seiner Zigarre und sah dabei Simon unverwandt an. Er schien die Worte seiner Untergebenen gar nicht gehört zu haben. »Wollen Sie die Vernichtung der Erde verantworten, Lieutenant McLaird?« Simon blickte auf und machte erneut Bekanntschaft mit einem Schwall ausgeblasenen Zigarrenrauchs. Er unterdrückte den Hustenreiz und legte einen genervten Ton an den Tag. »Hören Sie ... General, oder wie auch immer Sie heißen mögen. Ich kann Ihnen versichern, dass das Volk der Drahusem keine bösen Absichten hat.« »Das sah bei unseren Beobachtungen aber anders aus, Freundchen«, mischte sich Paul Gossett ein. »Herrgott, wie oft denn noch? Das waren die anderen Aliens. Die scardeenischen Legionäre mit denen Ihre werte Kollegin Dryer durchgebrannt ist!« Ohne Vorwarnung schnellt die fleischige Hand des Generals vor und packte Simons Kinn. Mit leichtem Druck zwang der Anführer von Shadow Command ihn, zu ihm hochzusehen. »Es geht nicht nur um die Verteidigung der Erde, McLaird! Was glauben Sie wohl, könnten wir mit der Technologie der Außerirdischen alles anfangen? Krankheiten wie AIDS und Krebs ausrotten, die Probleme der Umweltverschmutzung und Überbevölkerung lösen, ja vielleicht sogar die Welt einen!« »Wunschdenken!«, kommentierte Simon, doch der General ließ sich nicht beirren. »Nicht zu vergessen, dass die Menschheit endlich in den Weltraum vorstoßen könnte, um ihren vorgesehenen Platz einzunehmen.« Simon atmete tief durch. Natürlich zählte der General all die Dinge auf, von denen die Menschheit schon lange träumte. Aber waren sie nicht dazu bestimmt, dies selbst für sich zu regeln, ohne fremde Hilfe von Auswärts? Und gab es überhaupt einen angestammten Platz für sie im Universum? Wer konnte das wissen? »Sie wollen sich diese Technik mit Gewalt nehmen? Ich bin sicher, die Drahusem würden mit uns teilen, doch sie haben momentan ihre eigenen Probleme mit dem Scardeenischen Reich.« »Wir wissen nicht, ob wir ihnen trauen können«, erwiderte der General. »Und wir haben auch nicht die Zeit, dies herauszufinden. Es ist an der Zeit zu handeln, McLaird – jetzt!« Eine neue Rauchwolke stob aus dem Mund des Dicken. Dann wandte er sich ab.
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»Wir haben lange genug auf diesen Augenblick gewartet«, meinte Sherilyn Stone. »Und nun erfahren wir, dass es sich nicht einmal um eine offizielle Kontaktaufnahme handelt, sondern die Außerirdischen nur zufällig hier sind und nicht bleiben wollen. Sie sind uns was schuldig, McLaird.« Simon blickte zu der Frau hinüber. »Sagen Sie mal, kennen wir uns nicht irgendwoher?« Stones Blick blieb kalt und abweisend. Dennoch antwortete sie ihm: »Wir sind uns mal in dem Trainings-Camp, in dem Sie zum Hubschrauberführer ausgebildet wurden, über den Weg gelaufen.« »Ah ja, ich erinnere mich ... Stone – Sherilyn Stone. Sie waren damals noch Lieutenant. Wissen Sie, dass ich einmal kurz davor stand, Sie zum Abendessen einzuladen?« »Gut, dass Sie nicht gefragt haben«, entgegnete Stone kühl. »Wir sind nicht hier um Süßholz zu raspeln!«, fuhr der General dazwischen. »Und jetzt sind Sie bei diesem dreckigen Verein?«, sprach Simon einfach weiter, den Dicken ignorierend. Der General drückte eine Taste an seiner Armbanduhr. Sofort darauf wurde die Tür aufgestoßen und zwei Wachen in der gleichen Kampfmontur wie Sherilyn Stone sie trug betraten das Verhörzimmer. Ohne auf weitere Anweisungen zu warten traten sie an McLaird heran, packten ihn bei den Schultern. Gossett löste die Fesseln. Die Soldaten zerrten Simon vom Stuhl und schleiften ihn Richtung Ausgang. »Was soll das? Wohin bringen Sie mich?« »Fort«, brummte der General. »Lassen Sie sich überraschen.« Simon wurde auf den Gang hinausgezogen. Ein dritter Wächter wartete dort bereits. Er holte mit beiden Armen aus. Simon sah noch, dass er etwas in den Händen hielt. Dann wurde es schwarz um ihn, als man ihm einen dunklen Sack über den Kopf stülpte. Blind wurde er vor den Wächtern hergestoßen. Er hoffte nur inständig, dass Jee A Maru und Ken Dra sein Rückrufsignal empfangen hatten. Φ Er war eingedöst. Ein kurzer, traumloser Schlaf. Der Ruck, mit dem sein Kopf gegen die Seitenscheibe des Fahrzeugs geknallt war, hatte ihn wieder geweckt. Simon stöhnte leise. Noch immer konnte er nicht das Geringste erkennen. Schwärze hüllte ihn ein. Sie bringen dich sowieso um, dachte er verbittert, warum soll ich nicht wissen wohin wir fahren? Sie hatten ihn zuerst in eine Limousine verfrachtet. Später waren sie umgestiegen. Vermutlich in einen Bus, denn beim Einsteigen, brauchte er sich nicht zu bücken und musste zwei Stufen hinauf steigen. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber es war zunehmend heißer geworden. Der Schweiß rann ihm in kleinen Bächen die Schläfen und den Rücken hinunter. Wahrscheinlich waren sie hinaus in die Wüste gefahren. Macht sogar Sinn. Die meisten kalifornischen Militärbasen liegen irgendwo in den sandigen Einöden. Wieder ein Ruck. Simon wurde leicht aus dem Sitz gehoben. Eine Hand legte sich auf seine Schulter und drückte ihn grob herunter, ehe er auf dumme Gedanken kommen konnte. Simon seufzte und versuchte sich zu entspannen. Unter der Kapuze schwitzte er nur umso mehr und bekam kaum Luft. Wenn sie ihn auf diese Weise loswerden wollten, hätten sie es auch einfacher haben können. »Kann ich mal 'ne Cola haben?« Seine Kehle schmerzte. Sie war rau und trocken. Erst jetzt merkte er, wie durstig er wirklich war.
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Niemand rührte sich auf seine Frage. »Ich kriege keine Luft!«, fuhr er fort. »Krepier doch!«, kam jetzt die Antwort. Simon erkannte die Stimme nicht. Na schön, dachte er. Irgendwann wird die Fahrt ja zu Ende sein. So lange warte ich halt. Plötzlich dröhnte eine Druckwelle durch den Bus. Irgendetwas klirrte. Glas barst. Simon spürte, wie das Fahrzeug ins Schlittern geriet und sich gefährlich auf die Seite legte. Er beugte sich nach vorn, presste den Kopf gegen den Vordersitz und zog ihn langsam hoch. Erst beim dritten Anlauf hatte er die Kapuze vom Schädel gestreift und sah endlich, was geschehen war. Der Bus fuhr in Schlangenlinien über eine schlecht befestigte Straße. Simon registrierte, dass sie sich tatsächlich mitten in der Wüste befanden und auf eine Bergkuppe in der Ferne zuhielten. Die Wächter im Bus liefen hektisch durcheinander. Einige lagen bewusstlos auf dem Boden, andere richteten ihre Waffen aus den Fenstern und schossen in die Luft. Simon versuchte zu erkennen, was es dort draußen als Ziel gab und erspähte das kleine Forschungsschiff der Drahusem am Himmel. Sie waren gekommen, um ihn zu befreien! Jenseits der Fenster blitzte es auf. Dann folgte eine Erschütterung, die den Bus von der Straße abbrachte. Eine Sandfontäne spritze vor den Fenstern hoch. Weiteres Glas barst. Der Motor erstarb. Kurz darauf zersprang die Tür, wurde in Fetzen gerissen, als sei sie aus Pappe. Der Fahrer schrie auf, wurde von einem Metallstück getroffen und sank in sich zusammen. Zwei Agenten sprangen vor, wichen jedoch vor Feuerzungen zurück, die plötzlich ins Innere des Busses leckten. Rauch strömte in die Kabine. Gosset und zwei Männer, die nicht die seltsame Kampfmontur Shadow Commands trugen, husteten und rieben sich die Augen. Die Uniformierten zogen ihre Pistolen und zielten auf den zerstörten Eingang. Simon stieg über die Sitze und wollte sich nach hinten wenden, blickte jedoch direkt in die Mündung von Captain Stones Waffe. »Eh, eh!«, machte sie und dirigierte ihn mit dem Lauf zu seinem Platz zurück. Die uniformierten Agenten warteten nicht länger. Einer nach dem anderen sprangen sie aus dem Bus und feuerten blindlings ihre Waffen ab. Simon sah aus dem Fenster. Wieder spritzte Sand auf und verwehrte ihm die Sicht. Dann fauchte es irgendwo. Ein helles Sirren und grelle Blitze folgten. Die dumpfen Schreie der Shadow-Agenten waren zu vernehmen. Erst als sich die Sandwolke lichtete, erkannte McLaird die leblosen Körper der Soldaten, die draußen vor dem Bus lagen. Der Brustbereich ihrer Uniformen war leicht angesengt, jedoch vermochte Simon keine Einschusslöcher zu erkennen. Sie waren vermutlich nur betäubt worden. Zwei Agenten in Zivil und Gossett erhoben sich schwerfällig und zogen ihre Waffen. Simon konnte den General nirgends sehen. Wahrscheinlich war er in der Stadt zurück geblieben. Draußen im Sand waren leise Schritte zu vernehmen. Niemand im Bus schien zu atmen. Alles starrte wie gebannt auf den Eingang. Die Schritte verstummten. Sherilyn Stone schluckte hart. Ihre Finger verkrampften sich fast um den Griff der Pistole. Gossett rümpfte die Nase. Vor Nervosität zitterte seine Schusshand. Unruhig trippelte er von einem Fuß auf den anderen. Schweißperlen rannen seine Stirn herunter. Selbst Simon McLairds Herz schlug schneller. Er wusste, wer ihn da befreien wollte, doch ob es gut ausgehen würde, stand noch in den Sternen. Dies änderte sich auch nicht, als er eine vertraute Stimme vernahm. »Lasst McLaird in Ruhe, dann tun wir euch nichts!«, rief Ken Dra von draußen in den Bus hinein. »Ich glaube doch, dass wir in der besseren Verhandlungsposition sind«, erwiderte Paul
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Gossett mit sarkastischem Unterton in seiner Stimme. »Wir haben eine 9mm auf die Schläfe Ihres Freundes gerichtet. Wenn Sie ihn haben wollen, dann müssen Sie ihn sich schon holen.« »Auch gut!«, gab Ken zurück. Gossett grinste. Sein Finger krümmte sich um den Abzug. Plötzlich wirbelte etwas durch die Tür ins Innere hinein. Sherilyn fluchte und ließ die Pistole fallen. Simon sprang auf und kickte sie weit weg unter die Sitzreihen. Er drehte sich und trat aus. Seine Fußkante erwischte Stone im Brustbereich und schleuderte sie nach hinten, wo sie benommen am Boden liegen blieb. Gossett wollte herumfahren, doch in dem Moment gleißten zwei Blitze durch die Kabine und betäubten seine beiden Kollegen. Unschlüssig wandte er sich dem Eingang zu, da war Simon schon bei ihm und trat ihm in die Kniekehle. Gossett brüllte auf und brach in die Knie. Verzweifelt hielt er die Pistole fest und wollte noch immer schießen. Simon stellte ihm den Fuß aufs Handgelenk. Das Schreien des Agenten steigerte sich zu einem hysterischen Laut, ehe er endlich losließ. Ken Dra und Jee A Maru sprangen in den Bus. Die Schwertträgerin hielt ihre Klinge in beiden Händen und befreite Simon mit einem schnellen Schnitt von den Handfesseln. Er rieb sich die mittlerweile schmerzenden und durchgescheuerten Gelenke, bückte sich und hob Gossetts Waffe auf. »Danke, Lady!«, sagte er zungenschnalzend in Jees Richtung. »Wir wollten Sie nicht warten lassen«, erwiderte sie lächelnd. »Schön, wieder Freunde zu sehen.« Simon packte den vor ihm kauernden Gossett am Kragen und stellte ihn auf die Beine, ehe er ihm einen Schubs versetzte. Mit beiden Armen rudernd und um Gleichgewicht ringend landete der Shadow-Agent zwischen den Sitzen. »Sag mal, Junge«, begann McLaird. »Was macht eigentlich der Rotz auf deiner Wange?« Gossett zog die Augenbrauen zusammen und bewegte unverständlich den Kopf leicht nach links. »W-welcher Rotz?«, fragte er nach. »Der Rotz, den ich dir gleich aus der Nase ziehe und in deinem Gesicht verteile«, spottete McLaird, ballte seine Rechte zur Faust und schlug zu. Gossett ging stöhnend zu Boden. »Jetzt sind wir quitt, du Möchtegern-James-Bond!« Er verließ zusammen mit Jee A Maru und Ken Dra den Bus. Das Raumschiff stand keine fünfzig Meter von dem Fahrzeug entfernt im Sand. Ken startete sofort als sie an Bord waren. Das Schiff entfernte sich im Tiefflug über die Berge. Sie hielten sich östlich und passierten bald die Täler des Grand Canyon. Ken Dra drosselte die Geschwindigkeit, suchte eine passende Spalte und ging herunter. Im Schwebeflug verharrte das kleine Raumboot zwischen den Bäumen. Jee A Maru wirkte besorgt. »Gibt es ein Problem?«, erkundigte sich Simon. Die außerirdische Schönheit nickte leicht und berichtete ihm von ihrer Unterhaltung mit Ken Dra. So erfuhr Simon von ihren Bedenken über die Richtigkeit ihres Unterfangens. Zum Schluss blieb die Frage im Raum stehen, was sie tun sollten, wenn es ihnen tatsächlich gelang DUST und den sagenhaften Kristall zu finden. »Warten wir ab, bis wir ihn gefunden haben«, schlug Simon nach einer Weile vor. »Falls wir ihn überhaupt entdecken. – Danach wird uns schon noch was einfallen.« »Ich möchte nicht, dass die Macht des Kristalls in falsche Hände gerät«, sagte Jee. Simon beugte sich zu ihr hinüber und berührte sacht ihre Stirn. »Hey, zerbrechen Sie sich nicht jetzt schon darüber ihren hübschen Kopf.« Jee A Maru schaute ihn lange Zeit schweigend an. Simon versank förmlich in dem unergründlichen grünen Meer ihrer Augen. Er fragte sich, ob sie seine Gefühle erwidern würde, wenn er sie ihr gestand. Aber war er wirklich verliebt in sie? Oder erlag er nur dem Reiz des Exotischen? Nicht jedem Mann der Erde war es gegönnt, sich mit einer Außerirdischen einzulassen ...
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Mir vielleicht auch nicht ... Schließlich nickte die Schwertträgerin. »In Ordnung. Setzen wir unsere Suche fort.« »Wo fangen wir an?«, fragte Simon neugierig und löste sich endlich von ihrem Anblick. »Nach dem Studium der Geschichtsbücher, die Sie mir überlassen haben, glaube ich, dass wir Hinweise in einem Land namens Ägypten finden werden. Die Pyramidenbauten dort haben große Ähnlichkeit mit der Pyramide, die sich auf DUST befinden soll ... jedenfalls der Sage nach.« »Einige verrückte Wissenschaftler glauben, dass die Pyramiden gar nicht die Grabkammern der Pharaonen waren, sondern gewaltige Empfänger und Speicher für kosmische Energien«, sagte Simon. Er hatte es irgendwo einmal aufgeschnappt. Möglich, dass sich Jay Leno darüber lustig gemacht hatte. »Es ist einen Versuch wert, dort anzufangen«, meinte Jee A Maru. »Fliegen wir nach Ägypten.« Φ Einen Tag später. Zischend entflammte der Schwefelkopf des Streichholzes. Langsam führte Paul Gossett die Flamme zum Mund und zog wie beiläufig an der Zigarette. Gebannt hingen seine Augen am Beobachtungsmonitor. Dabei vergaß er beinahe die Flamme, die sich am Holz herunter gefressen hatte und sich bedrohlich seinem Finger näherte, auszupusten. »Au!« Das Streichholz fiel zu Boden. Ein schwarzer Schuh trat die Flamme aus. Gossett blickte hoch und sah in das fettige Gesicht eines Agenten, dessen Namen er schon wieder vergessen hatte. Ihm ging es nicht darum, Freundschaften zu schließen. Er hatte einen Auftrag zu erledigen. In Gedanken rieb sich Paul Gossett bereits die Hände. Es roch nach Beförderung. Ganz sicher. Sobald er diesen Jeremiah Hurley in die Finger bekommen hatte, konnte der General sein Talent nicht mehr verleugnen. Immerhin war es Gossetts Idee gewesen, den E-MailVerkehr von McLairds Konto zu überwachen. Nur Dank dieser Maßnahme hatten sie den Burschen geschnappt – aber leider auch wieder verloren. Das war nicht seine Schuld. Stone war ebenso in dem Bus gewesen. Gossett rieb sich das Kinn. Die Prellung tat höllisch weh. Er schwor sich, McLaird in die Mangel zu nehmen, wenn er ihn wieder eingefangen hatte. Ihre Aktion in der Mojave-Wüste war gescheitert. Zeit, zu Plan B überzugehen. Captain Gossett, sinnierte Paul, während er weiterhin den Monitor im Auge behielt und genüsslich an der Zigarette sog – sehr zum Leidwesen der anderen drei Agenten im Ü-Wagen, die durch hartes Räuspern und lautes Husten zu verstehen gaben, was sie vom Rauchen in geschlossenen Fahrzeugen hielten. Gossett störte es nicht. Oder besser noch Major Gossett. Seine Gedanken erlebten wahre Höhenflüge. Der General hatte den Agenten von Shadow Command mittlerweile militärische Ränge zugewiesen. Warum Paul jedoch nicht zum Offizier ernannt wurde, sondern lediglich einen Sergeant abgab, hatte er bis heute nicht enträtselt. Meine Zeit wird noch kommen, dachte er. »Da tut sich was!«, sagte der Agent mit dem fettigen Gesicht, der Paul noch immer mit missbilligenden Blicken bedachte. Paul drückte die erst halb aufgerauchte Zigarette mangels eines Aschers direkt auf dem Instrumentenpult aus. Jemand stöhnte auf, doch niemand wagte es, dies zu kommentieren. »Das wird auch Zeit«, murmelte Gossett und sah auf dem Monitor einen Pick-up, der im
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gemächlichen Tempo die Straße herunter kam. »Bereit halten!« Der Wagen näherte sich einem der freistehenden Häuser, bog in die Auffahrt ein und kam vor dem verschlossenen Garagentor zum Stehen. Als sich die Fahrertür öffnete und ein älterer Mann aus dem Pick-up stieg, gab Gossett das Kommando zum Ausrücken. Die vier Agenten sprangen aus dem Ü-Wagen, liefen mit gezogenen Waffen über die Straße und kreisten den Pick-up ein. Ein hektisches Gerufe und Geschreie brandete auf. Der völlig überrumpelte Mann zuckte zusammen, ließ seine Einkaufstaschen fallen und versuchte in den Pick-up zu klettern. Zwei Agenten packten ihn bei der Schulter, zerrten ihn herum und zwangen ihn zu Boden. In diesem Moment öffnete sich die Haustür und eine ältere Frau kam heraus. Als sie das Handgemenge sah, begann sie zu kreischen. Gossett fuhr hoch, legte auf die Frau an. Ein Schuss peitschte auf. Neben dem Türrahmen schlug eine Kugel ein. Gosset blickte zur Seite. Einer seiner Kollegen hatte gefeuert. Die Frau schien nicht verletzt, sank jedoch ohnmächtig in sich zusammen. Inzwischen hatten die anderen beiden den Alten gebändigt und schleiften ihn über die Straße zum Überwachungs-Van hinüber. Irgendwo bellte ein Hund. Fenster und Türen wurden aufgerissen. »Beeilung!«, drängte Gossett. Er verspürte keine große Lust, der örtlichen Polizei lange Erklärungen liefern zu müssen. Seine Shadow Command ID würden die Beamten ohnehin nicht anerkennen, und den CIA-Ausweis hatte er längst abgeben müssen. Die Türen des Lieferwagens fielen ins Schloss. Sofort startete der Fahrer den Motor und fuhr an. In der Ferne heulte eine Polizeisirene. »Sie Idiot!«, schnauzte Gossett den Agenten an, der geschossen hatte. »Wenn die Cops uns anhalten sollten ...« Der andere senkte schuldbewusst den Kopf. Gossett seufzte und fragte sich, wer die Niete ins Team mit aufgenommen hatte. Er versuchte, seinen Ärger zu überspielen und widmete sich dem Gefangenen. Der Mann war älter als er erwartet hatte. Vielleicht 65 Jahre, eher mehr. Sein Gesicht war von Falten nur so überzogen, die Haut grau und dünn. Sein Anblick erinnerte Gossett an Captain Stones Beschreibung von McLairds Freund Henry Foster. Schließt der Knabe nur Bekanntschaften mit alten Herren?, wunderte sich Paul Gossett. Er wühlte in der Jackentasche des anderen herum und förderte ein Portemonnaie zutage. »Caleb Johnson?« »Der bin ich«, röchelte der Alte. »Was wollt ihr von mir? Ich habe niemandem etwas getan. Und was habt ihr mit meiner Frau getan?« »Ihrer Frau geht's gut«, beruhigte Gossett. »Der Schuss ist daneben gegangen.« »Wer sind Sie?« »Das spielt keine Rolle, Mister Johnson ... oder sollte ich besser Mister Hurley sagen?« Eine steile Falte entstand zwischen den Brauen des Alten. Unverständnis zeichnete sich in den Augen Caleb Johnsons ab. »Was?« »Stellen Sie sich nicht dumm«, fuhr Gossett ihn ungehalten an. »Wir wissen, dass Sie mit Simon McLaird in Kontakt stehen.« »Mc-wer? Hören Sie, ich habe keine Ahnung, wovon Sie überhaupt reden!« Gossett verschränkte die Arme vor der Brust. Ein breites Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Der Alte würde schon reden, wenn er ihn erst einmal in die Mangel nahm. Aber nicht hier. Nicht jetzt. Dafür hatten sie andere Örtlichkeiten und Methoden. Φ
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Als Schmuckstück war die dunkle, bräunliche Kugel, die sich nur vage vom schwarzen Samt des Alls abhob, nicht zu bezeichnen. Nicht nur dichte Wolkenformationen trübten die Sicht auf die Oberfläche des Planeten, sondern auch ein allgegenwärtiger Dunst von Industrieabgasen. Helen Dryer verzog den Mund, als sie die ungastliche Welt durch das Cockpit-Fenster des Beibootes betrachtete. Als sie sich entschlossen hatte, dem Außerirdischen Sealdric zu folgen, hatte sie nicht erwartet, als erste bewohnbare Welt eine gigantische Mülldeponie zu Gesicht zu bekommen. Da hätte ich auch in Detroit mein Lager aufschlagen können, dachte sie verbittert. Im engen Cockpit saß Sealdric so dicht neben ihr, dass sich ihre Arme fast berührten. Es herrschte nicht viel mehr Platz, als in einem irdischen Kleinwagen. Das Beiboot des vernichteten scardeenischen Patrouillenschiffs war eigentlich nicht mehr als ein Fluchtvehikel, kaum dazu gedacht, der Besatzung den Aufenthalt über einen längeren Zeitraum zu versüßen. Sie konnten von Glück sagen, dass es mit einem Hyperantrieb ausgestattet war. Ohne ihn, hätten sie zu Lebzeiten nicht einmal das nächste Sonnensystem erreicht. Während ihres Fluges hatte Helen Dryer die Steuerelemente des Bootes begutachtet und Sealdric aufmerksam zugesehen, wie er das kleine Raumfahrzeug bediente. Die intuitive Steuerung schien dem Piloten einen Großteil der Arbeit abzunehmen. Mit ein wenig Übung traute sich Helen zu, selbst ein Boot dieser Klasse zu fliegen. »Sie brennen förmlich darauf, selbst das Steuer zu übernehmen, was?«, fragte Sealdric. Sein Kopf fuhr ruckartig herum. Die Augen musterten Helen mit einem kühlen Aufblitzen. Die ehemalige CIA-Agentin schrak leicht zusammen und fühlte sich ertappt. Hatte der Fremde sie unbemerkt beobachtet? Oder konnte er gar ihre Gedanken lesen, ihre Gefühle erkennen? »Wenn sich die Möglichkeit ergibt«, erwiderte Helen. »Gern.« »Wir fliegen jetzt Nusaat an, eine unserer zahlreichen Kriegswelten. In den Orbitwerften werden unsere Schlachtschiffe konstruiert.« »Beeindruckendes Arsenal«, kommentierte Helen ergriffen, als die erste Orbitalwerft ins Sichtfeld rückte: Ein gigantisches Stahlgerüst mit hohen Turmaufbauten und massigen Trägern an dem allerlei Schiffe angedockt waren. Die Palette reichte von kleinen Kreuzern über Zerstörer bis hin zu den schlanken, aber gigantischen Schlachtraumern, die Sealdric erwähnt hatte. Die fast zwei Kilometer langen Riesen waren in ihrer Grundform eiförmig, besaßen jedoch achtern gewaltige Triebwerkswülste. Ihre Oberfläche zierten pavillonartige Gebäudekonstruktionen, lange Turmreihen und Waffenstände. Sealdric bemerkte Helens verblüfften Gesichtsausdruck, lächelte leicht und ließ das Beiboot zur Seite wegkippen. Die Werft verschwand aus ihrem Sichtbereich und machte wieder der graubraunen Kugel Nusaats Platz. Auf einem kleinen Monitor über Helens Sitzplatz erschien eine Vergrößerung des Planeten, die Sealdric wohl für sie zugeschaltet hatte. Ein gigantisches Straßennetz zierte Nusaats Oberfläche. Unterbrochen wurde es lediglich durch Fabrikhallen und den Plattformen der Raumhäfen, die jede für sich mehrere tausend Quadratkilometer einnahmen. »Haben wir Zeit, um uns den Planeten genauer anzusehen?«, fragte Helen interessiert. »Das ist die erste außerirdische Welt, die ich zu Gesicht bekomme.« »Nein, das muss warten«, antwortete Sealdric. »Aber Sie werden sicherlich noch genügend andere Welten in unserem ehrenvollen Reich zu sehen bekommen. Vor allen Dingen welche, die schöner als Nusaat sind.« »Ich wollte Sie nicht vor den Kopf stoßen, aber diese Schlammkugel sieht nicht sehr gastlich aus.«
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»Eben. Die Kriegswelten werden bis auf die letzten Rohstoffe ausgeplündert. Wenn ihre Ressourcen erschöpft sind, hat man sie so dicht bebaut, dass es sich nicht lohnt, sie einfach aufzugeben. Also müssen Rohstoffe von außerhalb zugeführt werden. In der Regel versuchen wir aus den anderen Planeten oder den Monden des Sonnensystems etwas herauszuholen.« »Und was tun wir jetzt?«, wollte Helen wissen. Insgeheim rechnete sie damit, dass Sealdric seine Truppen mobilisieren und zur Erde zurückkehren würde, um sie dem Scardeenischen Reich sprichwörtlich einzuverleiben. »Mein Schlachtschiff SENSOR ist hier stationiert«, sagte Sealdric. Helen fragte sich, ob der Translator ein für sie verständliches Wort gebildet hatte, oder ob der Name des Raumers tatsächlich ähnlich wie das irdische Äquivalent klang. »Wir kehren zu Ihrer Heimatwelt zurück und versuchen die Spur Jee A Marus aufzunehmen«, fuhr Sealdric fort. Ein Anflug von Verachtung stahl sich in seine Stimme, als er den Namen der Schwertträgerin aussprach. »Gibt es eine Chance, sie zu finden?« Der Bewahrer zuckte die Achseln. »Wir werden sehen. Unsere Spione haben womöglich sogar einen noch größeren Fang gemacht. Die Koordinaten der Drahusem-Heimat Prissaria werden bald kein Geheimnis mehr sein.« Jetzt klang er siegessicher, fand Helen. Sie wollte beileibe nicht in der Haut der Drahusem stecken, wenn die Scardeener sie fanden. Aber warum erzählte ihr Sealdric dies alles? Schenkte er ihr wirklich so viel Vertrauen, dass er sie in seine Pläne einweihte? Immerhin kannten sie sich erst seit zwei Tagen. Das Beiboot machte eine Wende und hielt auf eine weitere Orbitwerft zu. Schon bald wurde das Schlachtschiff Sealdrics sichtbar. Als sie sich näherten und die Umrisse des Riesen immer größer wurden, war sich Helen bald nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, dem Außerirdischen zu folgen. Das Imperium der Scardeener nahm unheimliche Ausmaße an ... Φ Irgendwo im weiten Dünenmeer, fernab von Kairo und der Ebene von Gizeh ruhte das kleine Forschungsboot auf seinen Landestelzen im Sand. Obwohl es kein eigenes Tarnsystem besaß, war es Ken Dra gelungen, die Sensorenphalanx so zu konfigurieren, dass irdische Radaranlagen wirkungsvoll getäuscht wurden. Weitab jeglicher Zivilisation waren sie in der Wüste herunter gegangen. Der Schiffsrumpf war der glühenden Sonne ausgesetzt. Hie und da wehten Windhosen den heißen Sand auf und umspielten das Boot der Drahusem. Im Innern herrschten erträgliche Temperaturen. Die bordeigenen Kühlsysteme arbeiteten auf Hochtouren, um die Hitze draußen zu halten. Simon hielt sich mit den anderen beiden im engen Cockpit des Forschungsraumers auf. Er hockte auf einem der beiden Notsitze und fühlte sich ein wenig wie Luke Skywalker, während in den Sesseln des Piloten und Co-Piloten Han Solo und Chewbacca saßen. Nur dass dieser Chewbacca wesentlich hübscher ist, als der haarige Teppich, dachte Simon amüsiert. Aber je mehr er darüber nachdachte, desto ähnlicher wurde das Cockpit des Forschungsschiffs dem des Millennium Falcon. Während Ken Dra unentwegt die Überwachungsinstrumente im Auge behielt und alle möglichen Wartungschecks durchführte, war Jee A Maru in eines der Bücher vertieft, die Simon ihr besorgt hatte. Wie nicht anders zu erwarten war, ging es darin um Ägyptologie. »Und, ist es spannend?«, fragte Simon nach einiger Zeit, als ihm das Warten zu unerträglich wurde und die Einöde draußen vor den Sichtfenstern die Langeweile schürte. »Waren Sie schon einmal hier?«
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»In Ägypten? Nein, ich bin nie aus den Staaten heraus gekommen.« »Dann kennen Sie auch nicht die Pyramiden?«, fragte Jee A Maru. Simon zuckte die Achseln. »Wenn ich Pyramiden sehen will, brauche ich nur nach Mexiko zu fliegen ... oder zu fahren. Würde ein netter Roadtrip werden, aber keine Weltreise wie dies hier.« Jee blickte ihn verständnislos an. »Es gibt auch in Mittelamerika und Südamerika Pyramidenbauten. Wenn sie auch ein wenig anders aussehen, als die ägyptischen.« »Vermutlich haben sie aber die gleiche Funktion gehabt«, vermutete Jee A Maru und schlug eine Seite in dem Buch um. »Als Grabstätte?« Die Außerirdische schüttelte den Kopf. »Die Speicherung kosmischer Energien.« »Kommen Sie mir jetzt nicht mit Rasierklingenschärfen an.« Jee hielt Simon das Buch unter die Nase und tippte auf einen Passus, der die CheopsPyramide behandelte. Simon las: Die Cheops-Pyramide ist die größte Pyramide auf der Erde und wurde von den Sklaven des Pharaos Cheops in der vierten Dynastie erbaut. Ihre ursprüngliche Höhe betrug wahrscheinlich 146,7 Meter und ihre Basisabmessungen exakt 230,40 Meter, bei einem Neigungswinkel zwischen 51 und 52 Grad. Jede der vier Basisseiten zeigt genau in eine der vier Himmelsrichtungen – man spricht in diesem Zusammenhang von einer Nord-SüdAusrichtung der Pyramiden. Die Cheops-Pyramide setzt sich aus zwei Millionen und Dreihunderttausend einzelnen Steinblöcken zusammen, von denen jeder ein Gewicht von zweieinhalb Tonnen besitzt ... »Beachtlich«, kommentierte Simon. »Ich glaube nicht, dass dies alles von Ihren Leuten erbaut wurde«, warf Jee A Maru ein. »Sie besaßen nicht die technischen Mittel dazu, um solch eine riesiges und exaktes Bauwerk zu konstruieren. Ganz zu schweigen davon, dass alle Abmessungen beim Bau genau eingehalten wurden. Ich habe noch einige andere Bücher über die Pyramiden studiert, seit wir hier sind. Ihren Forschern erscheint es als Rätsel, wie die Steinquader überhaupt nach Kairo gelangen konnten. Es gab keinen Steinbruch in der Nahe und auch keine großen Waldgebiete, aus denen die Ägypter das nötige Holz gewinnen konnten, um, die Steinblöcke über Rollen im Sand zu transportieren.« »Jee, die Pyramiden sind seit Jahrhunderten ein Rätsel auf dieser Welt«, sagte Simon McLaird. »Sind wir hergekommen, um der Geschichte der Erde auf die Sprünge zu helfen, oder suchen wir nach Hinweisen auf ihren sagenumwobenen Planeten DUST?« »Simon, was wenn die Geschichte dieses Planeten mit der von Dai Urshar eng verknüpft ist? Zählen Sie einfach eins und eins zusammen und Sie kommen ...« »Außerirdische?«, unterbrach McLaird. »Wäre sicherlich nicht die abwegigste Idee«, meinte Ken Dra. Simon war überrascht, dass der andere überhaupt zugehört hatte. »Für unsere Antigravfelder wäre es kein Problem, tonnenschwere Steine durch die Luft gleiten zu lassen«, fuhr der Pilot fort. »Aber die Pyramiden sind vor mehreren Tausend Jahren erbaut worden«, warf Simon ein. »Habt ihr damals schon diese Technologie gehabt? Wenn ja, dann habt ihr euch bis heute nicht viel weiter entwickelt, oder?« Ken Dra hatte die spitze Bemerkung sehr wohl verstanden und wollte aufbrausen, doch Jee A Maru ging dazwischen und mahnte ihn zur Ruhe. »Nein, die Drahusem haben vor viertausend Jahren das Rad erfunden«, erklärte die Schwertträgerin. »Von Antigravitation waren wir weit entfernt. Ich habe auch nicht an unser Volk gedacht, sondern an irgendein außerirdisches Volk, das in engem Zusammenhang mit
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Dai Urshar stehen muss.« »Weil Sie glauben, dass es auch dort eine Pyramide gibt?«, hakte Simon zweifelnd nach. Jee nickte. »Sie haben den Planeten nicht einmal gesehen!« »Noch nicht«, erwiderte die Fremde leise und widmete sich wieder dem Buch zu. »Aber mit ein wenig Glück werden wir ihn bald gefunden haben.« »Und wie?« »Heute Nacht«, sagte Jee A Maru in fast feierlichem Tonfall, »werden wir die CheopsPyramide betreten.« Simon klappte die Kinnlade herunter. Natürlich war dies der logische Schritt gewesen, dennoch hatte er insgeheim damit gerechnet, dass sich dies vermeiden lassen würde. Wie zur Hölle sollten sie in die Pyramide gelangen? »Ich glaube nicht, dass die ägyptische Regierung das zulassen wird«, räumte Simon ein. »Wir werden ganz bestimmt auch nicht fragen«, grinste Ken Dra zurück. Φ Caleb Johnson war unschuldig! Die Wahrheit war so ernüchternd wie die Androhung von Degradierung, Züchtigung und Eliminierung, die Paul Gossett über sich ergehen lassen musste, als der General von seinem Rückschlag erfuhr. Nach der Entführung des mutmaßlichen Mannes, der in Kontakt mit Simon McLaird stehen sollte, hatte das FBI mit einem Durchsuchungsbefehl das Haus des Verdächtigen quasi auf den Kopf gestellt. Der Mann besaß nicht einmal einen Computer und hatte mit Internet und E-Mail genauso wenig am Hut, wie seine sechzigjährige Frau. Auch in der Nachbarschaft waren keine Computer zu finden – in der Straße wohnten vornehmlich Senioren. Verwandte hatten die Johnsons nicht. Gossett war nach Los Angeles zurückbeordert worden und befand sich an Bord eines LearJets der Regierung. Seine Gedanken kreisten nur um sein Versagen in dieser Sache. Dabei war die Spur heiß gewesen. Wer hätte ahnen können, dass ein Hacker ein Konto für einen unbescholtenen Bürger anlegt? Noch immer war ihm nicht ganz klar, wie das zu bewerkstelligen war. Das FBI hatte die Kontoauszüge der Johnsons überprüft und keine Abbuchungen von AOL verzeichnet. Zumindest hatten sie das E-Mail-Konto sperren können. Jedwede weitere Mail an Jeremiah Hurley würde automatisch von Shadow Command abgefangen. Irgendwann würden sie McLaird auf diese Weise schon auf die Schliche kommen. Fraglich war nur, ob Paul Gossett dies noch erlebte. Φ Logfile From:
[email protected] To:
[email protected] Subject: RE: Neubeginn encrypted message Hallo Simon, ich hoffe, Du hast den alten Dechiffriercode noch, den ich Dir mal gE-Mailt habe. Mein Bruder hat leider ein wenig Mist gebaut, jetzt hat AOL unser Konto gesperrt. Ich hab mir ein neues besorgt. Bitte schreib mir nur noch an die neue Adresse – und benutze verschlüsselte
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Mails, ehe mein Bruder die wieder durchschnüffelt. Was schreibst Du da über Calvin? Mein Gott, was ist passiert? Und in was bist Du reingeraten? Melde Dich schnell! cu Jeremiah Φ Die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Die Gesetze der Wüste galten in Afrika genauso wie in Kalifornien oder Nevada. Die drei Gestalten fröstelten leicht, als sie durch die Dunkelheit an der Basis der Sphinx vorbeihuschten und dann auf die große Cheops-Pyramide zuhielten. Im Dunkeln und mit Hilfe von Kens improvisiertem Tarnfeld hatten sie das kleine Forschungsschiff im Schatten der Sphinx geparkt. Simon McLaird trug nun den gleichen bequemen Anzug des militärischen Personals der Drahusem wie Ken Dra. Dennoch vermochte das weiche Material nicht die Kälte der Nacht von ihm fernzuhalten. Sie erreichten die ersten Felsblöcke am Fuß des gewaltigen Bauwerks und pressten sich mit den Rücken gegen den kalten Stein. Jee A Maru deutete auf die beiden Wächter, die in der Nähe des nachträglich angelegten Eingangs standen. Man hatte einen künstlichen Stollen in die Pyramide getrieben, um sie dem Tourismus zugänglich zu machen. Die ägyptische Regierung untersagte jedoch das Betreten außerhalb der öffentlichen Führungszeiten ohne entsprechende Begleitung. Noch immer fürchtete man Vandalen und gar Grabräuber, die versuchten, noch nicht entdeckte Gänge und Kammern aufzuspüren, um Schätze zu bergen, die bisher nicht gefunden worden waren. McLaird und den beiden Außerirdischen lag nichts an archäologischen Abenteuern. Sie waren einzig und allein auf der Suche nach der Wahrheit – doch damit hätten sie die ägyptische Regierung bestenfalls zum Lachen gereizt. »Betäubt sie«, flüsterte Jee A Maru. Mittlerweile wusste Simon, wie er mit der Laserpistole der Außerirdischen umzugehen hatte. Ken Dra hatte ihm die Bedienung erklärt. Er zog die Waffe aus dem Hüftholster, schob den Energieregler auf minimale Emission und visierte einen der Wächter an. Ken tat es ihm gleich. Zwei schwachblaue Lichtstrahlen zuckten durch die Dunkelheit, trafen die Posten im Brustbereich und ließen sie augenblicklich bewusstlos zusammen sacken. Simon, Jee und Ken sprangen vor, rannten auf den Eingang zu und langten nach den Taschenlampen der Wächter. Simon klaubte zusätzlich noch eine Fackel aus der Halterung. Zu dritt betraten sie die Pyramide. Sie marschierten einen langen, engen und scheinbar endlos währenden Gang entlang. Der Boden stieg steil an. Die Luft war stickig und reizte zum Husten. Sie waren auf dem Weg nach oben, ins erste Drittel unter der Pyramidenspitze, dort wo sich die Grabkammer des Pharaos befand – einziger zugänglicher Ort für die Touristen. »Wohin wollen wir eigentlich?«, fragte Simon nach einer Weile. »In die Grabkammer?« »Wir kommen hierher, um uns eine Touristenattraktion anzusehen?«, wollte Simon ungläubig wissen. »Das hätten wir tagsüber auch einfacher haben können. Ich dachte, wir suchen nach verborgenen Gängen, oder so.« »Wir müssen die Grabkammer allein betreten«, belehrte Jee A Maru. »Im oberen Drittel der Pyramide konzentriert sich die aufgefangene kosmische Energie.« Plötzlich löschte ein aufkeimender Luftzug die Fackel. Abrupt blieben die drei stehen.
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»Was war das?«, fragte Ken. »Keine Ahnung«, erwiderte Simon. »Normalerweise sind diese Fackeln nicht so leicht auszublasen. Warum bekomme ich plötzlich ein mieses Gefühl bei dieser Sache?« Die Kegel der Taschenlampen spendeten genug Helligkeit, um den vor ihnen liegenden Gang auszuleuchten. Es ging weiter bergauf. »Wie finden wir die Königskammer?«, fragte Simon nach einer Weile. Der lange Korridor hatte einen leichten scharfen Rechtsknick gemacht. Dahinter stieg er unentwegt an. Simon McLaird hatte mittlerweile das Gefühl, dass sie längst über die Spitze der Pyramide hinausgegangen waren. So hoch konnte sie doch nicht sein, oder? »Der Gang wird uns zur Grabkammer führen«, antwortete Jee. »Außerdem hat Ken Dra einen Scanner dabei, der hyperfrequentielle Energieformen orten kann.« »Hyper... was?« »Alle Energieformen, die jenseits des Spektrums der von uns genutzten Quellen liegen. Wir wissen, dass es sie gibt, können sie aufspüren, aber haben noch keine Möglichkeiten, sie umzuwandeln, geschweige denn einzusetzen«, erklärte Ken Dra. »Und wenn ich den Ortungsanzeigen Glauben schenke kann, dann scheint es dort oben tatsächlich eine Quelle zu geben.« Der Pilot hielt das kleine Gerät vor sich her und ging voraus. Sie arbeiteten sich weiter hinauf. Simon hatte bereits jegliches Zeitgefühl verloren, wagte aber nicht, die anderen danach zu fragen, wie lange sie schon unterwegs waren. Und wie lange die Betäubung der Wächter anhält, dachte er grimmig. »Da wären wir!«, rief Ken Dra erfreut aus, als sie einen Torbogen passierten und einen größeren Raum erreichten. In der Mitte war ein Sarkophag aufgebahrt. Rundherum hatten die Ägypter Absperrungen errichtet, damit niemand unbefugt das Allerheiligste berühren konnte. Wahrscheinlich standen hier tagsüber auch noch genügend Wächter bereit. »Was jetzt?«, fragte Simon McLaird neugierig. »Öffnen wir den Sarkophag und spielen verstecken mit der Mumie? Die gibt es nämlich nicht mehr.« Ken seufzte. Er hatte sich an McLairds Sarkasmus noch nicht gewöhnt, und dieser dachte offenbar nicht im Traum daran, sein Bombardement an dummen Sprüchen einzustellen. »Wir warten«, sagte Jee A Maru bestimmt. »Warten?«, echote Simon. Die Schwertträgerin hockte sich in der Nähe des Sarkophags auf den Boden und schaltete die Taschenlampe aus. Achselzuckend folgte Ken ihrem Beispiel. Nur Simon McLaird stand verdutzt da »Sollten wir nicht lieber die Wände abtasten, nach verborgenen Gängen und geheimen Inschriften suchen, die uns möglicherweise den Standort von DUST offenbaren?« Jee A Maru schüttelte den Kopf und schloss die Augen. Sie zog die Beine zur Brust an und schlang ihre Arme um die Knie. In dieser Position verharrte sie und atmete gleichmäßig ein und aus. Simon zuckte die Achseln, gesellte sich zu den beiden Außerirdischen und löschte ebenfalls das Licht seiner Lampe. Schlagartig wurde es stockfinster in der Königskammer. Sie warteten. Es dauerte nicht lange, da wurde Simon unruhig. In der absoluten Dunkelheit hatte er bereits nach wenigen Minuten jegliches Zeitgefühl verloren. Obwohl sie erst eine halbe Stunde im Finstern hockten, glaubte er, die Nacht müsse bald vorüber sein. Er öffnete die Lider. Doch die Schwärze schien sich durch seine Pupillen in ihn hinein zu fressen, ihn selbst mit Dunkelheit auszufüllen. Rasch kniff er die Augen zusammen. Irgendetwas Unheimliches ging in der Kammer vor sich, das spürte Simon instinktiv. Ein Gefühl der Beklemmung umschlang sein Herz und drückte unbarmherzig zu. Ihm stockte der Atem, und er konnte nicht sagen warum. Seine Lippen teilten sich. Er wollte etwas ausrufen, die anderen warnen, ihnen sagen, dass hier etwas nicht stimmte, doch kein Ton entrang sich seiner Kehle.
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Simon versuchte Jee zu berühren, aber er war nicht einmal in der Lage, sich von der Stelle zu bewegen. Wie gelähmt hockte er da. Kreatürliche Angst hatte sich seiner bemächtigt. Was war mit Jee und Ken? Spürten sie das Gleiche wie er? Ein eisiger Hauch streifte seine Wange, ließ seinen Körper erzittern. Der Druck auf seinem Herzen wuchs an. Ein dicker Kloß hing plötzlich in seiner Kehle und der kalte Schweiß brach ihm aus. Furcht! Einem plötzlichen Impuls folgend wollte Simon aufspringen und aus der Pyramide fliehen. Die Suche nach DUST war ihm gleichgültig. Wen interessierte schon ein mysteriöser Planet, dessen Existenz so unwahrscheinlich war, wie die Frage nach Beweisen zu übernatürlichen Kräften? Er hatte sich selbst in diese Lage gebracht und sein irdisches Leben zerstört. Großer Gott, wenn ich es nur ungeschehen machen könnte ... Er würde einfach hinausspazieren und irgendwo komplett von vorne anfangen, unter anderem Namen. Dort, wo ihn die amerikanischen Geheimdienste nicht finden konnten. Europa vielleicht. Ich muss hier raus! Doch seine Muskulatur gehorchte ihm noch immer nicht. So sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht einmal mit der Wimper zucken. Dafür waren seine Lider jetzt weit geöffnet. Er versuchte sie zu schließen. Vergeblich. Ruhig, mahnte die Stimme der Vernunft. Ich bin kein Feigling! Er atmete tief und gleichmäßig durch, so wie Jee A Maru es bereits vorgemacht hatte. Noch immer war da das beklemmende Gefühl, schoss das Blut wie rasend durch seine Adern und lief ihm der Schweiß über Stirn und Nacken. Doch die Angst ließ nach. Alles Einbildung, sagte er sich. Du ... bist ... kein ... Feigling! Noch während er sich um innere Ruhe bemühte und sich einredete, dass es nichts wirklich Unheimliches geben konnte, das ihm eine derartige Angst einflößte, glaubte er einen Schimmer zu sehen. An den Lichtverhältnissen in der Grabkammer hatte sich indes nichts geändert. Es war nach wie vor stockfinster. Der Schimmer transformierte zu einer Silhouette. Kurz darauf flogen bläulich fluoreszierende Schatten durch die Kammer. Sie stießen seltsam klagende Laute aus und umschwirrten McLaird und seine beiden außerirdischen Freunde. Simons Herz raste. Sein Puls schien neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen zu wollen. Die Furcht nahm wieder zu, schien unerträglich zu werden und ihn innerlich zu zerreißen. So was gibt's doch gar nicht! Und dennoch sah er die schemenhaften Gestalten deutlich vor Augen. Sie schwirrten hierhin und dorthin, stoben einmal auseinander und fanden dann wieder zusammen. So plötzlich wie die gespenstischen Schatten aufgetaucht waren, so schnell verschwanden sie auch wieder. Von einem Augenblick auf den anderen herrschte wieder das Dunkel im Raum vor. Simon stieß den angehaltenen Atem aus. Seine Muskeln entkrampften sich und schmerzten. Er wischte sich mit der Rückhand über die Stirn. Sie war kalt, aber trocken. Hatte er sich die Schweißausbrüche auch nur eingebildet? »Was zur Hölle geht hier vor?« Jee A Maru und Ken reagierten nicht. Sie saßen weiter mit angezogenen Beinen am Fuß des Sarkophags. Simon war nicht einmal erstaunt, dass er die beiden sehen konnte. Dabei hatte er nicht die Taschenlampe eingeschaltet und es schien auch sonst keine Lichtquelle in der Grabkammer zu geben. Erleichtert erhob er sich. Die Beklemmung und Angst waren von ihm abgefallen, gar so als streife man ein Kleidungsstück ab. Er konnte sich frei bewegen. Ein unbestimmbares Wohlbefinden machte sich in seinem Körper breit. »Dein Wille, es hier auszuhalten, hat dich stark gemacht.«
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Die Stimme glich einem lauten Hall und dröhnte verzerrt in Simons Ohren wider. Jee und ihr Pilot reagierten noch immer nicht. Sie mussten das Tosen doch gehört haben. Je mehr Simon darüber nachdachte, desto unwirklicher kam ihm das Erlebte vor. Da war keine Stimme gewesen. Jedenfalls nicht in der Grabkammer. Sie war ... in meinem Kopf!, stellte er erstaunt fest. »Telepathie«, sagte Jee A Maru nun. Die Außerirdische schlug die Augen auf, erhob sich und zog Ken Dra gleich mit auf die Beine. »Wir haben die Stimme auch gehört.« Hinter dem Sarkophag schälte sich die Gestalt eines Mannes aus den Schatten. Er trug ein langes, weißes Gewand von altägyptischem Schnitt und ein metallfarbenes Stirnband. Sein Gesicht war von unbestimmtem Alter und wies keine besonderen Merkmale auf. In einer Menschenmenge wäre der Mann sicherlich kaum aufgefallen. »Seht ihr die Wand hinter ihm?«, fragte Jee. »Ja!«, stieß McLaird ungläubig hervor. »Er ... er ist transparent!« »Eine Projektion?«, überlegte Ken laut. Zur Antwort nickte der fremde Mann und lächelte. »Eine lebende Projektion von einem fernen Ort.« »So eine Art Hologramm?« »Ich bin der Wächter dieser Pyramide«, sagte der Mann. »Was wollt ihr?« »Antworten auf Fragen«, gab Simon impulsiv zurück, blickte dann unsicher seine Freunde an und fügte ein schwaches: »Denke ich« hinzu. »Antworten ...«, wiederholte die Projektion des Wächters. »Dann lege sich einer der euren auf den Sarkophag, wie es früher die Adepten tun mussten.« Jee A Maru trat vor und wollte auf den Sarkophag zugehen, als Simon an ihr vorbei schritt und sich auf den Stein legte. Die Schwertträgerin sah ihn aus großen Augen an, protestierte jedoch nicht. Ken Dra wollte aufbegehren, aber Jee legte ihm eine Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück. Simon atmete tief durch und sah die Decke an. Er wusste nicht, was ihn geritten hatte, Jees Platz einzunehmen. Noch während er darüber nachdachte, senkte sich eine Art mentaler Nebel über seinen Geist. Automatisch schloss er die Augen und fühlte ein Kribbeln, fast schon ein leichtes Vibrieren in seinem Körper. Er hob die Lider, um nachzusehen, was dieses Kribbeln verursachte, als er sich plötzlich leicht wie eine Feder fühlte. Zu seiner Überraschung musste er feststellen, dass er tatsächlich in der Luft schwebte! Jee A Maru und Ken Dra schienen ihn nicht sehen zu können. Sie blickten weiterhin auf den Sarkophag, als gäbe es dort etwas Interessantes, das ihre Aufmerksamkeit fesselte. Simon drehte sich auf die Seite und schaute ebenfalls hinab auf den Stein. Dort erkannte er sich selbst! Großer ... mein Körper! Er lag dort auf dem Sarkophagdeckel, wie schlafend, oder eher ... wie tot! Ehe Simon realisieren konnte, was wirklich geschehen war, spürte er einen inneren Drang, die Pyramide zu verlassen. Ein Sog zerrte an seinem Geist, riss ihn fort, zur Decke empor und durch die Steine des Bauwerks hindurch. In weniger als einer Sekunde befand sich Simon McLaird im Freien, schwebte über der Spitze der Pyramide und wurde dann weiter fortgesogen, bis er sich in einer milchigen Ebene wieder fand. »Das kann nicht sein!« War er wirklich gestorben und fand sich in einer Welt nach dem Tode wieder? Nein, das waren nur Märchen. Es gab kein Leben nach dem Tod, davon war er überzeugt. »Bist du sicher?« Simon fuhr herum und erstarrte. In dem Augenblick revidierte er seine Meinung. Zumindest teilweise. »Du lebst, Cal?«, stieß er erstaunt hervor. Er machte einen Schritt auf den tot geglaubten
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Freund zu und wollte ihn umarmen, hielt jedoch inne, als dieser den Kopf schüttelte. »Nein ... ich bin tot«, antwortete Calvin Nash. »Und du wohl auch, wenn du hier bist.« »Hier?«, hakte Simon nach und blickte sich um, doch außer der milchigen Ebene, in der die Sicht kaum mehr als ein paar Schritte reichte, ließ sich nicht viel erkennen. »Wo soll hier sein? Komm jetzt nicht damit, wir befänden uns im Jenseits oder so.« »Und wenn es so wäre?« Simon sog scharf die Luft ein. Ein Anflug von Panik überkam ihn. Er dachte an Jee. Urplötzlich befand er sich wieder schwebend in der Königskammer der Cheopspyramide. »Jee!«, rief er, doch die junge Frau konnte ihn nicht hören. »Was willst du?«, fragte der Pyramidenwächter, der noch immer drunten weilte und sich nun direkt an Simon wandte. Die Projektion schien ihn als einzige sehen zu können. Sie driftete zu ihm herauf und fixierte ihn mit ihren durchdringenden Blicken. Tausend Fragen brannten Simon auf den Lippen. Fragen danach, was geschehen war, warum er Calvin begegnet war ... doch er besann sich und erinnerte sich an das Ziel ihres Ausflugs nach Ägypten. Wahrscheinlich erhielten Jee A Maru und ihr Volk nie wieder solch eine Gelegenheit. Simon wusste, dass er sie nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. »DUST!« Der Pyramidenwächter runzelte die Stirn. »Die ... die Welt mit dem Kristall, Gott, wie heißt sie? Dai Urshar ...« Weiter musste er gar nicht sprechen, denn die Projektion hatte schon verstanden. Der Wächter machte eine unbestimmbare Handbewegung und Simon wurde augenblicklich ins All hinausgeschleudert. Er brauchte in seiner jetzigen Gestalt nicht zu atmen. Nicht einmal die eisige Kälte des Weltraums spürte er. Er flog hinaus in die Schwärze. Und dann ... Sterne! Myriaden von Sternen! Galaxien von unermesslichen Ausmaßen. Er konnte sich an dem Anblick nicht satt sehen, genoss die Erhabenheit des Augenblicks. Die Pracht des Universums lag ihm zu Füßen. Doch die Unendlichkeit erschien Simon nun viel kleiner, als er sie je aufgefasst hätte. Kleiner und erreichbarer. Er stellte fest, dass ein einziger Gedanke genügte, um sich an jeden Ort, jeden Punkt im gigantischen Weltall zu wünschen. Ohne sein mentales Zutun lag vor ihm ein weißlich schimmernder Planet, dessen Oberfläche aus reinem Kristall zu bestehen schien. Die Welt umkreiste eine große blauweiße Sonne. Ihre Lichtstrahlen brachen sich in der prismenartigen Oberfläche des Planeten und ließen die namenlose Welt gleißend hell erscheinen. Ein Juwel im schwarzen Samt des Alls. Das Bild verschwamm. Der Planet verlor seinen Glanz und wurde gelblich. Die Kristalle hatten sich zurückgebildet. Zurück blieb ein Sandplanet, wüst und leer. Simons astraler Leib schwebte auf die Oberfläche nieder. Wohin er kam, erblickte er nichts als Sand, Staub und Felsen. Der Planet macht seinem Namen alle Ehre, dachte Simon sarkastisch, sich wohl daran erinnernd, dass er ihm erst zu dem Namen DUST verholfen hatte. Er ließ sich weiter treiben, glitt durch Felsschluchten und über karge Wüsten hinweg. Hier und dort traf er auf riesige Oasen mit flächenmäßigen Ausdehnungen von Kleinstädten. Sie glichen riesigen Mischwäldern mit einer verschiedenartigen Flora. Simon erblickte Flüsse und Seen, gewaltige Graslichtungen umsäumt von unbekannten Pflanzen und belagert von einigen fremdartigen Tieren, die er noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Simons Geistkörper flog weiter und gelangte zu einer endlos langen Straße, die am Horizont verschwand. Er folgte ihr durch den Sand, die Oasen und einem großen Tal, zu dessen beider Seiten sich gigantische Berge auftürmten. Erst, nachdem er das Tal passiert hatte, war ein Ende der Straße abzusehen. Sie zog sich noch einige Meilen durch den Sand und endete
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schließlich direkt vor einer riesigen Pyramide, die mindestens dreimal so groß sein musste, wie die Cheops-Pyramide in Kairo. Schon von weitem erkannte Simon ihre Silhouette, da sie unablässig blinkte und glitzerte. Ihre Oberfläche musste aus einem reflektierenden Material bestehen. Die Seiten schimmerten als wäre das Bauwerk aus reinem Silber geschaffen worden! Während McLairds Geist noch auf die dreieckige Form zuhielt, durchfuhr ihn plötzlich ein gewaltiger Ruck, der ihn nach hinten riss. Von einem Augenblick auf den anderen befand er sich wieder in seinem Körper! Fast automatisch stand er von dem Sarkophag auf und taumelte benommen auf Jee A Maru zu, die ihn auffing. »Was ist geschehen?«, fragte die Schwertträgerin, als sie den zitternden Körper Simons fest an sich drückte. »Ich ... ich habe Cal gesehen«, stammelte McLaird erschöpft. Die Schwindel erregenden Ereignisse trommelten noch immer durch sein waches Bewusstsein. Nein, er hatte nicht geträumt, sondern dies alles bewusst erlebt. Soviel stand für ihn fest. »Aber ... er ist doch tot!«, fuhr Simon fort und sah fragend zu dem Pyramidenwächter hinüber. »Was ist der Tod?«, antwortete die Projektion geheimnisvoll. »Ist nur seine sterbliche Hülle gegangen? Ging sein Selbst auf eine neue Erfahrungsreise? Dort, wo jeder einkehrt, wenn seine Zeit gekommen ist?« »Stelle mir keine neuen Fragen!« »Scht«, machte Jee. »Es sind die Antworten, die du suchst. Er formuliert sie nur anders.« »Weiter leben?«, fragte nun auch Ken Dra nach. »Nach dem Tode?« Die Frage hallte durch die Kammer, während der Wächter verblasste und es wieder stockfinster in dem Raum wurde. Jee knipste eine der Taschenlampen an. Instinktiv kniffen die Drei ihre Augen zu, um sich an das wieder an das künstliche Licht zu gewöhnen. Dann drehte sich Jee zu Simon um. In ihrem Blick lag ein Drängen, wie es er noch nicht bei ihr beobachtet hatte. »Weiter! Was noch?« »DUST«, antwortete Simon. »Ich habe DUST gesehen, und ich weiß auch den Weg dorthin!« Jee A Maru und Ken Dra sahen sich überrascht an. Φ Die abgelegene, unterirdische Basis von Shadow Command glich einem Bienenstock. Hunderte von Agenten schwirrten scheinbar ziellos umher und bereiteten sich auf den anstehenden Einsatz vor. Hier und dort wurden Ausrüstungen überprüft, Waffen gereinigt und geladen, Teams zugeordnet, Vorräte verstaut und Einsatzpläne gegengecheckt. Mit großem Erstaunen beobachtete Captain Sherilyn Stone, wie schnell sich ihre neuen Leute zurechtfanden. Die von anderen Geheimdiensten und dem Militär rekrutierten Männer und Frauen legten wie selbstverständlich die speziellen blauschwarzen Kampfuniformen von Shadow Command und den futuristisch anmutenden Helm an. Die geheime Organisation war in den letzten zwei Wochen auf eine Stärke von fast 2000 Agenten angewachsen. Viele von ihnen gehörten vorher der CIA, NSA oder NIA an. Andere waren von der US Army, der Air Force und gar von Ranger und Seals Einheiten zu Shadow Command abkommandiert worden. Dennoch befürchtete der General, dass sie ihre Sollstärke noch lange nicht erreicht hatten, wenn seine Organisation wirkungsvoll im galaktischen Geschehen mitmischen wollte – und das war ihr selbsterklärtes Ziel. Sherilyn zuckte die Achseln, unschlüssig ob sie die Pläne des Generals gutheißen sollte und verließ die gewaltige Montagehalle, in der neben einigen Apache-Kampfhubschraubern auch
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Neukonstruktionen der F-22 standen. Mit der Typenbezeichnung F-22-Alpha hatte der Hersteller Lockheed-Martin die Kampfflieger modifiziert, ihre Stealth-Eigenschaften verbessert, die Triebwerksleistungen bis Mach 4 erhöht und ließ sie auch noch in dünnen Atmosphäreschichten besonders manövrierfähig operieren. Nur raumtauglich waren sie nicht, wie Sherilyn Stone bedauerte. Shadow Command tat gut daran, sich so bald wie möglich außerirdische Technologie nutzbar zu machen, wollten sie im Rennen bleiben. Doch ihre bisherigen Versuche, Aliens gefangen zu nehmen, waren im Sande verlaufen. Und die jüngste Aktion, Simon McLaird festzuhalten, um an seine außerirdischen Freunde zu kommen, war fast zu einem Desaster geworden. Captain Stone betrat eine Aufzugkabine. Zwei Techniker der Bunkerstation befanden sich bereits darin und unterhielten sich über irgendwelche Baseballergebnisse. Sie nahmen nicht einmal Notiz von Sherilyn. Zwei Etagen tiefer stiegen sie aus. Sherilyn fuhr noch weiter nach unten – ins Herz der Basis. Ein langer, gebogener Korridor, von dem links und rechts Büros, Leitstände und Labors abzweigten, führte zum großen Arbeitszimmer des Chefs von Shadow Command – dem General. Der Wächter vor dem Eingang prüfte Sherilyns ID, meldete sie im Vorzimmer an und winkte sie dann durch. Hinter den Türen saßen zwei Sekretärinnen an geräumigen Schreibtischen. Eine von ihnen blickte kurz hoch und deutete auf die massive Tür am Ende des Vorzimmers. »Ah, Captain Stone!«, begrüßte der General Sherilyn, als sie das Allerheiligste der Geheimorganisation betrat. Der massige Mann, der sich hinter einem Ungetüm von Schreibtisch verschanzt hatte, bot ihr einen Platz auf einem Schalensessel vor seinem Arbeitsbereich an. »Danke«, sagte Sherilyn und setzte sich. Das Licht im Büro war gedämpft. Nur schemenhaft waren einige Bilder an den Wänden zu erkennen. Im Seitenbereich gab es eine kleine Bar mit Tresen, daneben eine Sitzecke aus Leder. Eine Tür führte in einen Nebenraum. Vermutlich ein Bad. So genau kannte Sherilyn das Büro ihres Chefs nicht. Im Grunde fühlte sie sich in seiner Gegenwart auch nicht recht wohl. Die bloße Präsenz des fast kahlköpfigen Mannes jagte ihr eine Gänsehaut ein. »Möchten Sie etwas trinken, Captain?« Stone verneinte. »Gibt es Neuigkeiten von McLaird und seinen außerirdischen Begleitern?«, fragte der General dann ohne Umschweife. »Wir haben eine Spur«, teilte Sherilyn mit. »Sie haben geglaubt, unser Radar täuschen zu können, aber das ist ihnen misslungen.« »Sind die Satellitenuplinks online?« Sherilyn nickte. »Wir haben ihren Fluchtkurs quer über die Erde verfolgt. Sie mögen von jeder anderen irdischen Überwachungsstation unentdeckt geblieben sein. Aber die wissen auch nicht, wonach sie suchen sollten – wir schon.« »Fabelhaft!« Der General klatschte in die Hände und nippte am Inhalt seines WhiskeyGlases. »Und wo sind sie jetzt?« »Ägypten.« Der General runzelte die Stirn. »Ägypten?« »Keine Ahnung, was sie dort wollen«, sagte Stone achselzuckend. »Ich habe eine Gruppe von Agenten abgestellt.« »Wer leitet sie?« »Agent Gossett.« Der General verschluckte sich am Whiskey und prustete. »Gossett? Diese Null hat uns den Schlamassel mit McLaird erst eingebracht.« »Es ist nicht seine Schuld, dass die Aliens McLaird aus dem Bus befreit haben«, verteidigte
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Sherilyn ihren Kollegen. »Immerhin haben wir es Gossett zu verdanken, dass wir McLaird überhaupt erst aufgespürt haben.« »Ja, dafür vergesse ich aber nicht die Schlappe bei der Festnahme dieses Jeremiahs – das hat uns einige Erklärungen beim FBI gekostet.« »Gossett wird schon klarkommen, General«, versicherte Sherilyn. »Übrigens hab ich auf dem Weg hierher ein ganzes Kontingent unserer Agenten im Aufbruch angetroffen. Gibt es eine Mission?« Der General sog scharf die Luft ein. »Eine ... sagen wir: Geheimoperation.« »Interessant«, murmelte Sherilyn. »Und Sie haben es nicht für nötig befunden, mich zu unterrichten?« Nun lehnte sich der Chef Shadow Commands in seinem wuchtigen Sessel zurück und faltete die fleischigen Hände hinter seinem Stiernacken. »Captain Stone ... Sie haben Ihren Rang aufgrund ihrer Ausbildung bei der Air Force erhalten. Das heißt nicht, dass es Sie automatisch zu meiner rechten Hand macht. Sie leiten einen Teil unserer Teams, aber es gibt weitaus mehr Captains in der Organisation, die mit gänzlich anderen Aufgaben betraut sind.« Sherilyn hob entwaffnend die Hände. »Ich wollte nicht anmaßend sein, Sir.« »Schon gut.« »Und was ist mit Agentin Helen Dryer?« Abermals verschluckte sich der General, als er einen Schluck aus dem Whiskey-Glas nahm. Er hustete unkontrolliert, und Stone konnte ein schadenfrohes Grinsen nicht unterdrücken. Bewusst hatte sie die Frage gestellt, als er an dem Glas nippte. »Was soll mit ihr sein?«, fragte der General, als er sich einigermaßen gefangen hatte. Sein kahler Schädel war puterrot angelaufen. »Dryer ist im Zentralcomputer immer noch als Mitglied von Shadow Command gespeichert!«, warf Sherilyn ein. Der General starrte sie aus weit geöffneten Augen und mit herunter geklappter Kinnlade an. »Wer zum Teufel hat Ihnen erlaubt, Einsicht in die Personal-Daten des Zentralcomputers zu nehmen?«, brauste er dann auf. »Sie, Sir«, antwortete Stone einfach. »Ich stehe im Rang eines Captains, wie Sie schon sagten und habe Klasse Eins Zugang zu unseren Daten.« Der General schnappte nach Luft und wollte etwas erwidern, doch dann fing er sich wieder und atmete tief durch. »Nun gut«, sagte er einfach. »Mein Fehler, dass die Daten noch nicht gelöscht sind.« Sherilyn zog eine Augenbraue hoch und musterte den General fragend. »Sir, Sie machen keine Fehler.« »Sie wollen die Wahrheit wissen?« Stone nickte. »Auch wenn ich Sie danach erschießen müsste?« »Tun Sie sich keinen Zwang an, Sir.« Als der General es ihr erzählte, kam Sherilyn Stone aus dem Staunen nicht mehr heraus. Anschließend wusste sie nicht, ob sie vor ihrem Chef den Hut ziehen oder ihn einen Wahnsinnigen schimpfen sollte. Falls sein Plan jedoch aufging, dann war er ein Genie. Φ Während Ken Dra noch staunend McLaird angaffte, war Jee A Maru schnell über die Tatsache hinweg gekommen, dass Simon die Koordinaten zu DUST erhalten hatte. In dieser Beziehung war sie nicht eitel. Das Ziel zählte, nicht der Weg dahin, auch wenn manche Leute dies anders sahen. Die Schwertträgerin wollte ihren beiden Gefährten gerade vorschlagen, endlich den
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Rückweg anzutreten, als plötzlich ein lautes Poltern durch die Pyramide grollte. »Was war das?«, horchte McLaird alarmiert auf. Ken Dra warf einen raschen Blick auf seinen tragbaren Energiedetektor. »Lebensformen!« Simon lief zum Ausgang der Grabkammer, lugte um die Ecke und leuchtete den Gang, den sie hergekommen waren, mit der Taschenlampe aus. Der Lichtkegel fraß sich durch die Dunkelheit, huschte über die nackten Steinplatten und traf am Gangende auf eine behelmte Gestalt. Erschrocken zog Simon den Kopf rasch zurück. Keine Sekunde zu früh! Nur einen Augenblick darauf peitschten einige Schüsse durch den langen Korridor und schlugen in der Steinmauer ein. »Schatten!«, rief Simon seinen Freunden zu und lief zu ihnen hinüber. Die drei verschanzten sich hinter dem Sarkophag und zogen ihre Waffen. »Wir sind abgeschnitten«, keuchte Jee. »Das ist der einzige Zugang zur Kammer!« »Na prächtig«, kommentierte Simon. »Kämpfen wir, oder ergeben wir uns?« Als die beiden ihn entgeistert anstarrten fügte er grinsend hinzu: »War nur ein Scherz.« »Wir müssen Dai Urshar finden!«, sagte Jee A Maru. »Betäubt die Soldaten nur.« Simon und Ken Dra überprüften den Stand der Energieregler und zielten auf die Kammeröffnung. Schon hörten sie Schritte, die durch den Korridor klangen. Im nächsten Moment sprangen die ersten Shadow-Agenten über die Schwelle und eröffneten das Feuer. Garben aus Maschinengewehren und -pistolen zwangen McLaird und seine Gefährten, in Deckung zu bleiben. Ein Kugelhagel prasselte auf den Deckel des Sarkophags nieder. Querschläger prallten von den Wänden ab und sirrten ihnen gefährlich nahe um die Ohren. Ohne Vorwarnung sprang Ken Dra auf und schoss. Ein lang gezogener Strahl traf einen Schatten, der augenblicklich zurückgeschleudert wurde und gegen eine Wand prallte. Der Agent taumelte kurz, behielt sein Gleichgewicht und setzte unversehrt den Kampf fort, indem er den Abzug seines MG durchzog. Die Salve erwischte Ken um Haaresbreite, hätte ihn Simon nicht wieder in Deckung gezogen. Weitere Agenten stürmten in die Kammer, während der erste Trupp seine Position wechselte und versuchte, die drei Gefährten ins Kreuzfeuer zu nehmen. »Sie sind gegen die schwache Strahlung geschützt«, ächzte Ken Dra, der schon fast Schreien musste, um den lauten Feuerregen zu übertönen. »Dann haben wir keine andere Wahl!«, seufzte Simon mit Bedauern in der Stimme und schob den Energieregler des Lasers nach ganz vorn. Ehe Jee protestieren konnte, hechtete er seitwärts aus der Deckung hervor und betätigte noch im Flug den Auslöser. Zwei wohlplatzierte Blitze zerfetzten die Kampfanzüge der Shadow-Agenten und töteten sie auf der Stelle. Simon feuerte blindlings weiter, landete jedoch keinen weiteren Treffer. Die Gegenwehr ließ nicht lange auf sich warten. Unvermindert jagten die Garben über Boden und Sarkophag. »Das sind zu viele. Wir können sie mit diesen Spielchen nicht aufhalten«, stöhnte Simon und rollte sich wieder hinter den Sarkophag. Eine Salve wühlte den Steinboden auf, genau an der Stelle, an der er zuvor noch gelegen hatte. Urplötzlich stellten die Schatten ihr Feuer ein. Verwundert sahen sich Simon McLaird und die beiden Außerirdischen an. Nur kurz darauf vernahmen sie eine ihnen wohl bekannte Stimme. »Hier spricht Paul Gossett von Shadow Command!«, rief sie. »Hören Sie, McLaird, sagen Sie Ihren Freunden, dass sie sich ergeben sollen. Es gibt keinen anderen Ausweg für Sie!« »Warum sagen Sie es ihnen nicht selbst?«, fauchte Simon zurück. »Sie sprechen unsere Sprache.« »Ich wiederhole mich ungern!«, kam Gossetts Antwort. Vermutlich versuchte er sich dadurch vor seinen Leuten Autorität zu verschaffen.
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»Einen Dreck werde ich tun!«, schrie Simon, hielt blind seine Hand über die Deckung und gab einen Schuss ab. Ein Zischen, dann ein donnerartiges Geräusch. Der Strahl hatte einen Steinblock neben dem Eingang atomisiert. Aufgeregte Rufe. Dann waren das Scheppern von Metall und Schritte zu hören. Die Schatten hatten ihre Position gewechselt. Aber sie erwiderten nicht das Feuer. »Es hat keinen Zweck«, meinte Ken Dra. »Wenn wir gegen sie kämpfen, riskieren wir unser Leben.« »Ich weiß«, gab Jee A Maru zurück.. Sie stand auf und bot die optimale Zielscheibe. Simon versuchte sie wieder herunterzuziehen, doch Jee entwand sich seinem Griff und rief ein einziges Wort. »Mossar!« Ein Blitz flammte wie aus dem Nichts auf! Eingehüllt in eine fluoreszierende Aura puren, blauen Lichts schwebte mit einem Mal das silbrige Breitschwert der Außerirdischen direkt neben ihr in der Luft. Jee griff nach ihrer Waffe und trat gänzlich aus der Deckung hervor. So erstaunt die Shadow-Agenten auch im ersten Moment gewesen sein mussten, sie fingen sich augenblicklich und deckten die Außerirdische mit einem Kugelhagel ein. Magazine wurden leergefeuert, doch die Geschosse trafen Jee nicht, sondern wurden wie von unsichtbarer Hand abgelenkt und prallten in die steinernen Wände der Grabkammer. Simon wusste von dem Kraftfeld, das das Schwert und seinen Träger umgab und stark genug war, Kugeln und wahrscheinlich auch Laserstrahlen abzuwehren. »Deckt mich!«, rief Jee, woraufhin Ken Dra und McLaird sofort aufsprangen und ein Speerfeuer gegen die Schatten entfachten. Einige der Shadow-Agenten wurden von den tödlichen Blitzen erfasst und nach hinten geworfen, wo sie reglos liegen blieben. Jee A Maru drehte sich um zur Rückwand der Grabkammer und richtete die Klinge darauf. Sie legte einen Schalter am Schwertgriff um. Auf dem nackten Stahl der Hiebwaffe bildeten sich bläuliche Entladungen reinster Energie. Feinste Lichtbogen arbeiteten sich in Sekundenbruchteilen zur Spitze der Klinge vor, vereinten sich dort und verließen als gebündelter Impuls das Metall. Ein Blitz fegte auf die Wand zu, sprengte die Felsen beiseite und bohrte einen Tunnel in die Kammerwand. Ihm folgten zwei, drei weitere rasche Entladungen, bei denen die gesamte Pyramide zu erbeben schien. Gesteinsbrocken stürzten von der Decke der Grabkammer. Fast schien es, als würde der Raum in sich zusammen brechen. Doch Jee A Maru stellte das Feuer ein und winkte ihre beiden Gefährten zu sich. Simon und Ken huschten an der Schwertträgerin vorbei und stürmten durch den freigesprengten Gang. Am Ende sahen sie ein schwaches Leuchten und hielten darauf zu. Jee folgte ihnen, ließ das Schwert aktiviert und feuerte ein weiteres Mal in die Grabkammer hinein, um die Schatten in Deckung zu zwingen. Einige der Agenten schossen weiter, doch die Kraftfeldaura der Klinge schleuderte die Geschosse zu ihnen zurück. Simon und Ken hatten fast das Ende des Ganges erreicht. Jee beeilte sich, zu ihnen aufzuschließen. Sie rannte wie von Furien gehetzt durch den Gang. Hinter ihr tönten weitere Salven auf, doch sie kümmerte sich nicht darum. Endlich schlug ihr die kühle Abendluft Kairos entgegen. Jee blieb stehen und sah zu Simon und Ken hinüber, die bereits mit dem Abstieg begannen. Die Schwertträgerin wandte sich ein letztes Mal dem Gang zu, hob das Schwert an und feuerte einen einzelnen Blitz in die Decke des künstlich ausgehobenen Korridors. Steinmassen verschütteten den Gang und machten ihn unpassierbar. »Beeilen wir uns!«, drängte Jee A Maru dann. »Wir müssen zum Schiff. Ich weiß nicht, wie viele Leute noch auf der anderen Pyramidenseite auf uns warten.« Simon nickte ihr zu. Die Drei hetzten nach unten, nutzen die Kanten und Vorsprünge der
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Steinquader aus und arbeiteten sich im Eiltempo bis zur Basis der Cheopspyramide vor. Im Schutz der Dunkelheit schafften sie es bis zur Sphinx und fanden hinter der mächtigen Skulptur Deckung. Die ägyptischen Wächter waren noch immer bewusstlos. In der Nähe des Touristeneingangs der Cheopspyramide waren zwei große Transporthubschrauber gelandet. Nur drei Wächter in der Uniform der Schatten waren zugegen. »Lasst uns hier verschwinden«, meinte Simon McLaird. »Wir haben was wir wollten.« »Allerdings«, pflichtete Ken ihm bei. Zu Dritt kehrten sie zu dem kleinen Forschungsraumer zurück, der noch ungesehen von den Schatten in der Nähe abgestellt worden war. Unbemerkt erreichten sie das Schiff. Φ Paul Gossett war einer der ersten Shadow-Agenten, der nach Jee A Marus Strahlengewitter wieder zu Bewusstsein kam. Mit dröhnendem Kopf richtete er sich schwerfällig auf. Um ihn herum: das Chaos! Staubmassen erfüllten den Innenraum der Grabkammer. Einige der am Boden liegenden Soldaten regten sich, andere würden sie sich nie wieder bewegen. Gossett versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Soweit er sehen konnte, war der von der Außerirdischen geschaffene Gang komplett verschüttet worden. Die Flüchtlinge mussten sich längst im Freien befinden. Er verfluchte sich selbst dafür, nicht mehr Wachen draußen postiert zu haben. Ändern ließ sich dies nun nicht mehr – und für die Schlappe würde er weitere Minuspunkte beim General einstecken. Paul Gossett half einem Agenten auf die Beine. »Sehen Sie zu, was Sie tun können«, sagte er zu ihm. »Bringen Sie unsere Leute hier raus.« »Okay, Sir.« Dann machte Gossett auf dem Absatz kehrt und lief den Weg, den er und seine Leute hergekommen waren zurück zum Eingang der Pyramide. Er glaubte nicht, dass er McLaird und seine Verbündeten noch aufhalten konnte, aber er musste es wenigstens versuchen. Am Fuße der Pyramide stoppte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sein linker Arm schmerzte. Er blickte zu den Transporthubschraubern hinüber und fragte seine Leute, ob sie etwas gesehen hatten. Sie verneinten. »Mist!«, fluchte Gossett und ballte die Hände zu Fäusten. Erst das Versagen bei Jeremiah Hurley und jetzt ließ er McLaird entkommen. Einen weiteren Fehltritt würde der General bestimmt nicht hinnehmen und seine Drohungen, ihn zu degradieren oder gar auszuschalten, wahr machen. Plötzlich hörte Paul Gossett ein Donnern, dann ein Fauchen. Nur eine Sekunde darauf schob sich der schlanke Körper eines Raumschiffs hinter dem Leib der Sphinx empor. Ehe irgendjemand der Schatten reagieren konnte, fegte das Vehikel bereits den Himmel hinauf und verschwand in der Nacht. Die Dinge entwickelten sich zu Gossetts Ungunsten. Er hatte nicht erwartet, dass der General sich persönlich auf den Weg nach Kairo machte, doch noch vor Tagesanbruch traf ein weiterer Hubschrauber am Fuß der Pyramiden von Gizeh ein. Inzwischen hatten die Schatten ihre Verletzten und Toten geborgen und waren abmarschbereit. Sobald die ersten Sonnenstrahlen über die Sandhügel krochen, wollten sie verschwunden sein. Die betäubten Wächter der ägyptischen Regierung waren inzwischen erwacht, von den Shadow-Agenten jedoch bewusstlos geschlagen worden. Zeugen konnten sie nicht gebrauchen. »Sie sind abgeflogen, Sir!«, berichtete Paul Gossett dem General, als dieser direkt vor ihm Stand. »Das ist bedauerlich.«
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»Ich ... bin sicher, sie haben gefunden, wonach sie suchten. Wahrscheinlich werden sie nicht wieder zur Erde zurückkehren.« Der General hob die Brauen. Anzeichen von Wut spiegelten sich in seinem Gesicht wider, und Gossett zuckte unwillkürlich zusammen, als der beleibte Mann eine rasche, unbestimmbare Handbewegung machte. »Sie haben es vermasselt, Gossett«, knurrte der Chef von Shadow Command. »Es tut mir ... leid, Sir, ehrlich.« »Das hilft uns jetzt auch nicht weiter. Unsere letzte Chance, an außerirdische Technologie zu gelangen, ist durch Ihre Inkompetenz den Bach runter gegangen!« Gossett schluckte hart und blickte schuldbewusst auf seine Fußspitzen. Er war auf alles gefasst. Auch auf eine alles beendende Kugel, die ihm der General zwischen die Augen setzen würde. Zumindest hatte er Ähnliches schon einmal angedroht. Aber der General drehte sich einfach um und stakste zu Sherilyn Stone hinüber, die Gossett die ganze Zeit über mit einem mitleidsvollen Blick bedacht hatte. »Sehen Sie nun, was dieser Depp angerichtet hat?«, zischte der General zornig. »Ich will nicht, dass er weiter an derart wichtigen Operationen beteiligt wird.« »Mir wären die vermutlich auch durch die Lappen gegangen«, räumte Sherilyn ein. »Sie sind einfach zu gut.« »Möglich«, sinnierte der General. »Na schön, wenn McLaird und seine Komplizen die Erde endgültig verlassen haben, dann liegt es an uns, ihnen zu folgen. Es wird Zeit für Plan B.« Sherilyn nickte nur. Sie wusste, was dies bedeutete. Jetzt würde sich herausstellen, ob die Idee des Generals fruchtete, oder ob sie zum Scheitern verurteilt war. Stone neigte dazu, letzteres anzunehmen. Zu wahnwitzig war der Plan.
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Teil 3 Mazoni – Die verbotene Welt
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[email protected] Subject: Re: Neubeginn encrypted message Hallo Jeremiah, ich hoffe, Dein Verschlüsselungsprogramm ist wirklich so gut, wie Du behauptest. Ich werde mich vielleicht eine Zeitlang nicht melden können, weil ich weg muss. Die Sache mit Cal hab ich noch nicht ganz überwunden, aber ich kann Dir jetzt noch nichts dazu schreiben. Später vielleicht. Bist Du sicher, dass Dein Bruder an Deinem Account herumgefummelt hat? Sei bitte vorsichtig, ich bin hier in einen ziemlichen Schlamassel geraten und möchte Dich nicht mit hinein ziehen. Womöglich hat irgendjemand meine E-Mails an Dich abgefangen und versucht über Dich an mich heran zu kommen. Pass auf Dich auf, Junge! cu Simon Φ Das Schiff war gewaltig. Neben dem riesigen eiförmigen Leib mit den aufgesetzten Pavillons und Türmen wirkte die Fähre wie ein winziges Insekt, das kaum mit dem bloßen Auge auszumachen war. Die Geschwindigkeitsanzeigen auf der Steuerkonsole sprachen der subjektiven Annäherung an den Riesen Hohn. Den Insassen kam es vor, als näherten sie sich mit unendlicher Langsamkeit dem Schlachtschiff. Ihre Rettungskapsel war von dem Shuttle aufgenommen wurden. Der Umstieg in die Fähre brachte zumindest enorme Platzvorteile mit sich. Als der Leib des Kolosses die gesamte Frontscheibe des Fährboots für sich vereinnahmte, öffnete sich am Rumpf eine Schleuse. Der Pilot korrigierte seine Flugbahn und steuerte zielstrebig auf die neu entstandene Öffnung zu. Routiniert folgte er den Lasermarkierungen zur Einweisung des Landeanflugs, dirigierte den Shuttle in die Dockbucht des stählernen Riesen hinein. Mit einem sanften Ruck setzte die Fähre auf. »Alle Systeme abschalten«, sagte der Pilot zu seinem Navigator, dann schwang er im Sessel herum und blickte seine Passagiere an. »Willkommen an Bord der SENSOR!« Der Mann in der blauen Robe und dem knöchellangen Cape nickte kurz und erhob sich. Ohne Aufforderung folgte ihm seine Begleiterin. Vor der Luftschleuse warteten sie, bis die Rampe der Fähre ausgefahren war und betraten dann den Hangar des Schlachtraumers. Helen Dryer pfiff anerkennend durch die Zähne. Die Dockbucht nahm riesige Ausmaße ein. Im Innern des Hangars waren spielend zwei Football-Stadien unterzubringen. Wo Helen nur hinblickte, sah sie Shuttles und kleine, schlanke Schiffskörper, die vermutlich Abfangjäger darstellten. Techniker wuselten an allen Vehikeln herum, hantierten mit Werkzeugen sowie Kabel- und Schlauchverbindungen. Die Raumfahrzeuge wurden gewartet und aufgetankt.
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Kleine Transportschweber flitzten flink wie Wiesel durch das Gewirr an Leuten und brachten Vorräte und Personal vom Ende der gigantischen Halle an ihren Einsatzort im Hangar. »Sie kommen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus«, stellte Sealdric lächelnd fest. Der scardeenische Bewahrer hatte Helen von der Seite beobachtet und war anscheinend davon angetan, dass jemand die Größe seines Schiffes zu würdigen wusste. »Es ist ... phänomenal.« »Wir haben vier dieser Hangars an Bord«, erklärte Sealdric mit breitem Grinsen, während Helens Kinnlade endgültig gänzlich herunterklappte. »Dazu noch zwei Depots für die Jagdgeschwader und eine doppelt so große Dockbucht für größere Transporter, Frachtschiffe oder Jachten.« Der Bewahrer griff an sein Handgelenk und drückte eine Taste an der Metallmanschette, die er ständig am Arm trug. Helen registrierte, dass sich am Eingang des Hangars ein Schweber in Bewegung setzte und direkt auf sie zuflog. »Wie ... wie groß ist dieses Schiff?«, fragte sie, während sie weiterhin die Hangarhalle bestaunte. »Die SENSOR hat Standardmaße für ein Schlachtschiff. Sie ist zweitausend Meter lang und umfasst etwa fünfhundert Meter im Durchmesser, die Turmaufbauten auf ihrem Rumpf nicht mitgerechnet«, teilte Sealdric bereitwillig mit. Einmal mehr fragte sich Helen, warum er sie mitgenommen hatte und ihr all dies zeigte. Sie kannten sich erst seit ein paar Tagen, er wusste nicht, ob er ihr trauen konnte – es sei denn, er hatte ihre Gedanken gelesen. Die Ex-Agentin erschrak über ihre eigenen Überlegungen und blickte verstohlen zur Seite. Doch Sealdric ließ sich nichts anmerken. Helen blickte zurück zu der Fähre, die sie hergebracht hatte. Zwei kleinere Schweber waren bereits an das Gefährt herangefahren, während Techniker und Ingenieure mit den Wartungsarbeiten begannen. Alles ging sehr schnell und diszipliniert von der Hand. Wahrscheinlich hatten die Leute jeden Handgriff Hunderte von Malen geübt. Der Transporter, den Sealdric angefordert hatte, hielt dicht neben ihnen. Der Bewahrer ließ Helen den Vortritt. Es war ein offener Schweber, der mit sechs Sitzen hinter dem Fahrer und einer zusätzlichen Ladefläche im hinteren Bereich ausgestattet war. Als die beiden saßen, glitt der Schweber an und fuhr quer durch den Hangar in Richtung Ausgang. »Nicht schlecht, wirklich«, kommentierte Helen während der Fahrt und deutete mit dem Kinn in Richtung Hallendecke. »Wie viele dieser Schlachtschiffe gibt es im Scardeenischen Imperium?« »Reich«, korrigierte Sealdric. »Nicht Imperium. Genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Unser Reich ist groß. Allein auf Nusaat dürften etwa eintausend Schlachtschiffe stationiert sein. Die Anzahl in diesem Sektor müsste das Zehnfache betragen. Und ganz Scardeen? Ich weiß nicht, vielleicht 500.000 Schiffe, vielleicht auch mehr.« »Fünfhundertausend?«, ächzte Helen skeptisch. »Schlachtschiffe, ja«, antwortete Sealdric, dessen Grinsen nun nicht mehr breiter werden konnte, weil es schon von Ohr zu Ohr reichte. »Sie sonnen sich geradezu in meinem Unglauben, richtig?« »Sehen Sie, Miss Dryer, den Bewohnern des Scardeenischen Reichs sind diese Größenordnungen bekannt. Deshalb amüsiert es mich ein wenig, wenn ich jemandem wie Ihnen gegenüber ein wenig protzen kann.« »Fünfhunderttausend Schlachtschiffe ...«, überlegte Helen. Der schockierte Unterton in ihrer Stimme entging dem Bewahrer offenbar. Ein mulmiges Gefühl breitete sich angesichts dieser Übermacht in ihrer Magengegend aus. Zum ersten Mal erkannte sie, dass die Erde nicht die geringste Chance gegen die Scardeener hatte, sollten die sich dazu entschließen, über sie herzufallen.
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Mir wird schlecht, dachte Helen bekümmert, als sie sich daran erinnerte, dass den Scardeenern nun die galaktische Position der Erde bekannt war. Was sollte sie daran hindern, sich den Planeten in ihr gewaltiges Reich einzuverleiben? Oder aber ihn präventiv zu vernichten, falls er ihnen wirtschaftlich nichts bieten konnte? Die Übelkeit stieg in ihr hoch. »Die Anzahl an Zerstörern, Kreuzern, Fregatten und Transportern ist selbstredend viel größer ...«, fügte Sealdric hinzu, immer noch grinsend, als habe er Helens Gedanken erraten. Der Schweber hielt an. In der Nähe des Ausgangs sah die Ex-CIA-Agentin ein halbes Dutzend behelmte Wächter der Legion von Scardeen, mit denen sie auch schon auf der Erde Bekanntschaft gemacht hatte. Die Soldaten trugen ihre graue gepanzerte Montur und wuchtige Helme, die den gesamten Kopf umrahmten und das Gesicht bedeckten. Die beiden runden Öffnungen in Augenhöhe stellten optische Sensoren dar, die den Legionären auf der Innenseite des Helms das Bild ihrer Außenwelt auf einem Display anzeigte. Helen und Sealdric verließen den Hangar und fuhren mit einem Lift einige Decks höher. Die Türen der Kabine öffneten sich und offenbarten einen schier endlosen Korridor von dem zu beiden Seiten weitere Nebengänge abzweigten. Irgendwo in der Ferne krümmte sich der Hauptkorridor, so dass nicht abzusehen war, wohin er führte. Sealdric trat aus der Kabine und nahm gleich die nächste Gangabzweigung. Er wartete nicht auf Helen, sondern ging einfach davon aus, dass sie ihm folgte. »Die Besatzungsstärke eines Schlachtschiffes wie der SENSOR beträgt in etwa 5.000 Mann. Darunter befinden sich Ingenieure, Mediziner, Techniker und Soldaten der Scardeenischen Legion. Wie ich Ihren Geschichtsaufzeichnungen bei meinem kurzen Aufenthalt auf der Erde entnehmen konnte, besitzen ihre nautisch gestützten Schiffseinheiten ähnliche Besatzungsstärken. Das dürfte also nichts Neues für Sie sein.« »Die 4.000 Menschen, die sich auf einem unserer Flugzeugträger aufhalten, leben aber auf kleinstem Raum, nicht in einer zwei Kilometer langen Kleinstadt«, räumte Helen ein. Der Gang, den sie passierten, war rege frequentiert. Personal des Schiffes kam und ging. Helen sah nicht nur Männer und Frauen der Crew, sondern auch humanoide Roboter in einem metallenen Exoskelett. »Lassen Sie sich nicht von der Größe blenden«, meinte Sealdric. »Die Mannschaften schlafen in Sammelräumen in ihren Kojen. Die höheren Ränge teilen sich Quartiere zu zweit, und nur den Offizieren stehen luxuriöse Einzelkabinen zu. Dies ist schließlich ein Kriegsschiff, kein Vergnügungsraumer.« »Ein Kriegsschiff mit enormer Vernichtungskraft, nehme ich mal an.« »Mehr als genug«, sagte Sealdric, während sie in einen weiteren Nebengang einbogen, der nicht minder stark belebt war. »Vier Raumjäger-Unterstützungsstaffeln, Dutzende von schweren und leichten Lasergeschützen, Energiewerfer, Abschussrohre für Solariontorpedos. Man kann einen kleinen Krieg mit nur einem dieser Schiffe führen.« Der Bewahrer führte Helen in einen Raum am Ende des Ganges. Zwei Legionäre hatten dort vor der Tür Posten bezogen und salutierten kurz, als Sealdric das Quartier betrat. Wie Helen feststellte, handelte es sich um die Privatkabine des Bewahrers an Bord der SENSOR. Ob man angesichts des Luxus und der Größe noch von einer Kabine sprechen konnte, stand auf einem anderen Blatt. Das Quartier glich eher einer Suite der gehobenen Klasse in einem Sechs-Sterne-Hotel. Ein geräumiger Aufenthaltsraum mit mehreren Sitzgruppen war zentral angeordnet. Links und rechts zweigten weitere Räume wie ein Ess- und ein Arbeitszimmer, ein großes Bad und ein Schlafgemach ab. »Gemütlich haben Sie es hier«, sagte Helen und musterte die Schränke des Aufenthaltsraumes. Sie fand eine Reihe von Computerpads, die nicht größer als die auf der Erde gängigen Palmtops waren. Sie vermutete, dass sich dabei um einen Bücherersatz handelte. Kunstgegenstände zierten die Regale. An den Wänden hingen drei Hologramme. Eines zeigte den Weltraum von einem Punkt weit außerhalb der Milchstraße, das andere war
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das Abbild der SENSOR während eines Gefechts, während das dritte Bild das Portrait eines uniformierten Mannes zeigte. »Kor'sen LaMal«, sagte Sealdric und deutete auf die dreidimensionale Darstellung des Mannes. »Er war der erste Vorsitzende des Ur-Wissenschaftsrates und begründete die Technokratie im Scardeenischen Reich. Setzen Sie sich doch. Wollen Sie etwas trinken?« Helen ließ sich in einem Konturensessel nieder, der sich automatisch ihren Körperformen anglich und für ein angenehmes Sitzgefühl sorgte. Ehe sie die Frage nach einem Getränk verneinen konnte, hatte Sealdric bereits zwei Gläser mit einer blauen Flüssigkeit gefüllt und kam zu Helen herüber. »Sie fragen sich sicherlich, warum ich Ihnen all dies zeige, statt sie einer eingehenden Prüfung zu unterziehen«, sprach der Bewahrer aus, woran Helen die ganze Zeit über gedacht hatte. »Ich hätte Sie genauso gut auf der Erde zurücklassen oder sie eliminieren können. Aber ich behaupte stets, eine gute Menschenkenntnis zu besitzen. Irgendetwas sagt mir, dass Sie noch einmal von unschätzbarem Wert für das Scardeenische Reich sein könnten. Und wer weiß ...«, er machte eine umfassende Bewegung und deutete auf die Wände des Quartiers, »... vielleicht werden Sie selbst einmal Kommandantin eines solchen Schlachtschiffes.« Ein eisiger Schauder jagte Helen Dryer den Rücken hinunter. Sie blickte Sealdric fest in die Augen und fragte sich, ob er wirklich ihr Begehren kannte, ihren Ehrgeiz, ihre Ziele? Vielleicht war es nur ein Schuss ins Blaue gewesen. Möglich aber auch, dass er sie durchschaut hatte. Ja, sie würde Kommandantin eines Schlachtschiffes werden. »Haben Sie schon eine Spur von dieser Jee A Maru?«, fragte Helen und versuchte durch den Themenwechsel die Unannehmlichkeiten von Sealdrics Behauptung zu überspielen. »Das werden wir bald heraus finden«, erwiderte Sealdric lächelnd und nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. Dann drückte er einen Knopf an der Armbandmanschette. »Captain? Machen Sie das Schiff startklar. Wir brechen in zwei Stunden auf.« »Aye, aye, Sir!«, ertönte eine leicht verzerrte Stimme aus dem Miniaturlautsprecher. Der Bewahrer wandte sich wieder an Helen. »Wir werden unser Problem recht schnell gelöst haben, denke ich.« Φ In seiner Jugend hatte er viel über den überlichtschnellen Raumflug gelesen. Wie er genau funktionierte, wusste er noch immer nicht. Er wollte sich die technischen Details ersparen. Doch was sich draußen vor den Cockpitfenstern des Forschungsschiffs abspielte, fand Simon McLaird mehr als faszinierend. Farbige Wolken und ein undefinierbares Flimmern. Es wurde hell und dunkel. Ein ständig pulsierender Strom von Lichtwellen in den verschiedensten Farben schmiegte sich um den Raumer. Soweit Ken Dra ihm vermittelt hatte, war der Flug durch den Hyperraum zeitlos. Zwischen Ein- und Austritt würden sie nicht um eine Sekunde altern. Dennoch dauerte der Flug bis zum Zielpunkt eine subjektive Zeitspanne, die das Wachbewusstsein künstlich erschuf, um an Gewohnheiten in einer ungewohnten Umgebung festzuhalten. »Verwirrend«, sinnierte Simon. Er saß an den Kontrollen im Cockpit. Nach ihrem Start von der Erde hatte Ken Dra ihn in die wichtigsten Steuerelemente des Raumschiffs unterwiesen. Wenn man erst einmal wusste, wofür die Hebel und Schalter dienten, war die Handhabung nicht schwerer, als die Steuerung eines irdischen Hubschraubers. Nur an die Navigation mit vier Koordinaten traute sich Simon noch nicht heran. Aber war sich sicher, dass er auch das noch lernen konnte. »So geht es allen, die das erste Mal in durch den Hyperraum fliegen«, sagte Ken, der direkt neben Simon im Sitz des Co-Piloten Platz genommen hatte. »Irgendwann gewöhnt man sich daran. Nicht von heute auf morgen, aber irgendwann.«
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»Ich hatte es mir ... irgendwie anders vorgestellt«, gestand Simon. »Die Sterne sehen nicht aus wie Striche?« Er erinnerte sich an die Hyperraumsequenzen, die oft in SciencefictionFilmen gezeigt wurden. »Striche?«, echote Ken Dra. »Das sind nicht die Sterne, Simon. Hier gibt es sie nicht. Sie liegen jenseits des Hyperraums. Das, was du siehst, sind Tachyonenteilchen und -emissionen, die sich mit Überlichtgeschwindigkeit fortbewegen. Die Farben werden von deinen Augen als solche interpretiert.« McLaird betrachtete das bunte Spektakel dort draußen. »Keine Sterne, aber ...« Ken Dra fiel ihn ins Wort, da er zu wissen glaubte, was Simon sagen wollte. »Die Lichtgeschwindigkeit ist im Normalraum eine Grenze, die nicht überschritten werden kann, jedenfalls nicht von massehaltigen Objekten. Aber jede Grenze hat zwei Seiten. Dies hier ist die andere Seite der Grenze. Losgelöst von der Zeit, eine Raumkrümmung, die uns als Abkürzung dient. Stell dir das Universum wie einen Ballon vor. Auf seinem Rand, befinden sich die Galaxien mit ihren Sternen, Nebeln und Planeten – und der Zeitstruktur.« Ken griff zu einem Datenpad und malte einen Kreis auf die berührungssensitive Oberfläche, um seine Worte zu veranschaulichen. »Sagen wir«, fuhr er fort, »sobald etwas die Lichtgeschwindigkeit erreicht, bohrt es sich durch die Oberflächenhaut des Ballons und dringt in den Zwischenraum ein, wo keine Zeit existiert. Nun kann das Objekt den Zwischenraum im Transit durchqueren und an jeder beliebigen Stelle des Weltalls wieder heraustreten – ohne Zeitverlust, da die Zeitstruktur im Zwischenraum keine Gültigkeit besitzt.« »Beim Ballon würde aber die Oberfläche reißen, wenn man sich hinein bohrt«, gab Simon zu bedenken. »Hier funktioniert das All anders, als der Ballon, denn es ist durch das Raumzeitkontinuum vierdimensional. Wir öffnen die Zeitdimension, und sie schließt sich hinter uns wieder. Ein Riss entsteht in dem Sinne nicht.« »Und wie gelangen wir auf die andere Seite der ... der Lichtmauer ohne dass unsere Masse bei Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit unendlich groß wird?«, fragte Simon nach. »Zum Einen beschleunigen wir ja nicht mit Lichtgeschwindigkeit«, erläuterte Ken. »Der Hyperantrieb erzeugt den Wellentunnel unabhängig von unserer Geschwindigkeit. Und wir betrügen in einem gewissen Sinne die Natur. Ein Kraftfeld um unser Schiff neutralisiert unsere Massewerte auf die eines Tachyons.« Simon lagen mindestens zwei weitere Dutzend Fragen auf den Lippen. Aber ehe er sich auf weitere wissenschaftliche Diskussionen einließ, hielt er es für das Beste, es dabei bewenden zu lassen. Für ihn reichte die Tatsache, dass es ihnen möglich war, schneller als das Licht zu reisen. Jee A Maru betrat die kleine Kommandozentrale des Forschungsraumers. »Genießt ihr die Aussicht?«, fragte die Schwertträgerin mit ironischem Unterton, als sie auf das Farbflimmern jenseits der Cockpitverglasung deutete. »Also hast du dich entschieden, wohin wir fliegen?«, entgegnete Ken Dra. Sie hatten diskutiert, ob sie auf eigene Faust die in Ägypten gefundenen Koordinaten des Planeten DUST anfliegen, oder besser erst ihre Entdeckung auf der Heimatwelt der Drahusem bekannt geben sollten. Entgegen Simons Vermutung antwortete Jee A Maru: »Wir fliegen zuerst nach Prissaria!« Simon wollte etwas sagen, doch Ken legte ihm eine Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück. Den beiden Männern war bekannt, dass Jee befürchtete, die Macht des Kristalls auf DUST könne die Regierung Prissarias dazu bewegen, eine ähnliche Kontrolle auf das Volk auszuüben, wie die Scardeener. Dass sie sich dennoch entschied, ihre Heimatwelt anzufliegen, musste andere Gründe haben. »Wir haben die Koordinaten von Dai Urshar im Bordcomputer«, sagte Jee als auch Ken Dra
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sie fragend musterte. »Er läuft uns nicht davon. Aber morgen findet auf Pris das Fest zu Ehren der Hohepriester statt. Alle Schwertträger müssen dort erscheinen, und auch fast alle Drahusem werden zu diesem Ereignis kommen.« Ken zuckte zusammen, drehte sich zur Instrumententafel und checkte das aktuelle Datum. Er schlug sich eine Hand vor die Stirn und biss sich auf die Lippen. »Das hätte ich bei all der Aufregung jetzt fast vergessen«, meinte er. »Ich auch fast«, grinste Jee A Maru. »Das Fest dauert zwei Tage, danach können wir sofort Dai Urshar anfliegen.« Simon schnalzte mit der Zunge und erhob sich vom Pilotensitz, um Ken Dra die Instrumente zu überlassen. »Also erst eine Party und dann die Arbeit. Ihr habt ja schöne Sitten.« Ken Dra programmierte den Kurs nach Prissaria in den Navigationscomputer, gab Simon und Jee ein Zeichen und aktivierte die Kursänderung. Das Farbflimmern draußen im Hyperraum verdunkelte sich kurz, dann verschwand es und machte einem normalen Sternenhimmel Platz. Simon war zwar schon einmal zusammen mit den beiden Außerirdischen in Prissarias Umlaufbahn gewesen, konnte sich dennoch nicht an die Sternenkonstellation bei ihrem Anflug erinnern. Ken richtete die Sendeantenne aus und aktivierte die Audioübertragung. »F-305 ruft Prissaria Hauptlandetower«, sprach er ins im Armaturenbrett verborgene Mikrofon. »Achtung, Pris-Tower, hier F-305, kommen.« Er wartete kurz, erhielt jedoch keine Antwort. »Vielleicht sind wir noch zu weit entfernt«, vermutete Simon, doch Jee A Maru schüttelte neben ihm den Kopf. »Sie reagieren normalerweise auf unseren ersten Anruf«, sagte sie. »Ken, versuche es weiter.« Der Pilot wechselte die Frequenz. Doch sooft er auch seine Meldung in den Raumäther sendete, sie wurde nicht beantwortet. Mittlerweile war Prissaria in Sichtweite und tauchte als schillernde Kugel in einer Vergrößerung auf den Monitoren auf. »Ich verstehe das nicht«, murrte Ken Dra, der seinen Ruf inzwischen über ein Dutzend Mal wiederholt hatte. »Der Haupttower ist rund um die Uhr besetzt. Die können nicht schlafen.« »Es sei denn, irgendetwas Furchtbares ist geschehen«, warf Jee A Maru tonlos ein. Simon sah sie fragend an. Als sie ihre Worte nicht erläuterte, beschlich ihn ein unruhiges Gefühl. Nervös fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und betrachtete gebannt die Monitore. Ken Dra brachte das Forschungsschiff auf eine Distanz von knapp 100.000 Kilometern an den Planeten heran. Die grünlich schimmernde Welt der Drahusem war nun auch vor den Sichtscheiben des Cockpits sichtbar. Jee befahl, die Maschinen zu stoppen und nicht in einen Orbit einzuschwenken. Kurz darauf wurde eine Erkundungssonde vom Raumer gestartet und raste auf den Planeten zu. Die Außenkameras der Robotsonde übertrugen ihre Bilder auf die Seitenmonitore in der Kommandozentrale der F-305. Gebannt starrten Simon McLaird und die beiden Drahusem auf die Schirme, die momentan die Annäherung an den grünen Planeten zeigten. Immer näher rückte der Planet und nahm bald die gesamte Sichtfläche der Monitore ein. Kurz darauf drang die Sonde in die obersten Atmosphäreschichten ein und tauchte durch ein Wolkenmeer. Die Kameras offenbarten die üppige Vegetation Prissarias. Endlose Waldflächen und Wiesen zogen an den Augen der Betrachter vorbei. Als die computergesteuerte Sonde dichter an die Oberfläche heran flog, waren die ersten Gestalten auf den Monitoren zu erkennen. Menschen – Drahusem! – saßen oder lagen auf den Straßen. Andere wiederum liefen wie verrückt und kopflos umher. Sie schienen ohne jegliche Orientierung zu sein. Dennoch hatten sie etwas mit den reglosen Gestalten am Boden gemein:
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sie verwesten am lebendigen Leib! »O mein Gott«, stöhnte Simon auf, als die Kameras der Sonde Großaufnahmen lieferten: Was aus der Ferne noch menschliche Umrisse aufgewiesen hatte, präsentierte sich dem Betrachter nun als grauenvoller Albtraum. Die Gesichter waren nicht mehr als solche zu erkennen. Sie wirkten zerlaufen, wie eine einzige klebrige Masse. Die Haut schien sich stellenweise zu verflüssigen, tropfte an den Drahusem herab. Langsam und qualvoll lösten sie sich auf. Am Ende konnte nur der Tod stehen! Simon zwang sich, vom Schirm wegzuschauen. Der Anblick war grauenvoller als der von Lepra-Patienten im Endstadium. Jee schrie gepresst auf und schlug die Hand vor den Mund. Ken Dra rannen die Tränen aus den Augen. Er starrte weiterhin auf die Bildschirme und schien die Schreckensbilder förmlich in sich aufzusaugen. »Was ...?«, versuchte Simon McLaird zu fragen, doch er vermochte nicht weiter zu sprechen. Ihm war als stecke ein Kloß in seinem Hals, der auf seine Stimmbänder drückte. Noch lange saßen sie schweigend und trauernd in der Kommandozentrale des Forschungsschiffs, während die Aufklärungssonde auch aus anderen Teilen des Planeten die gleichen Bilder lieferte. Es handelte sich nicht nur um eine lokal begrenzte Epidemie. Diese Welt starb! Simon wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Als das Schweigen unerträglich wurde, brach er die Stille und fragte nun doch: »Was ist dort passiert?« Jee A Maru war zu keiner Antwort fähig. Ihre Augen waren vom Weinen stark gerötet. Sie zitterte am ganzen Leib, und ihre Lippen bebten. Ihre ohnehin helle Haut wirkte aschfahl, und Simon hatte das Gefühl, sie würde jeden Moment zusammenbrechen. Ken Dra schluckte und würgte, ehe er mit gebrochener Stimme auf Simon Frage antwortete. »Hogas-Bakterien!« Er stieß das Wort verächtlich und voller Hass aus. »Sie lassen organische Substanzen verfaulen. Bald werden sie auch Prissarias Wälder und Fauna angreifen. Sie ... sie vermehren sich rasend schnell ...« Seine Stimme versagte ihm den Dienst, und er brach unter einem Weinkrampf über der Konsole zusammen. »Von den Scardeenern gezüchtet und als biologische Waffe eingesetzt!«, sprach Simon den Gedanken aus, der ihn gerade durchzuckte. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten und er eine Gänsehaut bekam. Biologische Kriegsführung war auch während seiner ArmyZeit die schlimmste Vorstellung von Wahnsinn gewesen, die sich ein Mensch ausmalen konnte. Er hatte sich stets gewundert, dass bei allen Kriegen, die die Menschheit führte, noch nie jemand auf die Idee gekommen war, diese verheerenden Waffen einzusetzen. Simon brauchte Ken Dras Nicken nicht als Bestätigung. Er wusste auch so, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Die Scardeener löschten ein ganzes Volk aus, eine komplette Welt mit ihrer Zivilisation, nur weil sie ihnen ein Dorn im Auge war. Wie grausam musste der Wissenschaftsrat sein, wenn er so etwas zuließ? Zitternd stand Ken Dra auf und verließ mit wankendem Schritt die Zentrale. »Ich bin in meiner ... Kabine, falls mich jemand sucht.« Seine Stimme klang schwach. Er würgte wieder. Jee A Maru stand noch immer weinend vor den Bildschirmen. Simon atmete tief durch, erhob sich und schloss die Schwertträgerin in seine Arme. »Es ... tut mir leid«, sagte er lahm. »Die Scardeener werden dafür büßen, das verspreche ich dir.« Sie sagte nichts. Simon drückte sie einfach an sich. Eine ganze Weile standen sie so schweigend da. Irgendwann regte sich Jee, blickte Simon aus tränenerfüllten Augen an, presste ihr Gesicht kurz an seine Brust und löste sich dann ganz aus seiner Umarmung. Mit gesenktem Kopf taumelte die Schwertträgerin aus dem Cockpit.
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Simon blieb allein zurück. Nach einigen Minuten schaltete er die Monitore ab und ließ sich geistig erschöpft in den Sessel des Piloten fallen. Φ Mehr als eine Woche lang umkreiste das kleine Forschungsschiff mit der Typenbezeichnung F-305 bereits den toten Planeten. Die beiden Drahusem kamen selten aus ihren Kabinen. Hin und wieder ließen sie sich blicken, um einen Happen zu essen, doch dann zogen sie sich wieder zurück und trauerten um ihre verlorene Welt. Simon hätte alles gegeben, sie aus ihrer Lethargie herauszuholen, doch er machte nicht einmal den Versuch. Es war eine Sache, jemandem über den Tod eines geliebten Menschen hinweg zu helfen. Aber wie brachte man jemanden zurück, dessen gesamte Spezies ausgerottet worden war? Er hatte keine Antwort darauf und verhielt sich ruhig und abwartend. Die meiste Zeit verbrachte er in der Kommandozentrale. Er schlief sogar im Pilotensessel. Hin und wieder schaltete Simon die Monitore der Überwachungssonde ein, die noch immer Bilder sendete. Von den Drahusem war nichts mehr zu sehen. Dafür war die Flora des Planeten nun von den Hogas-Bakterien angegriffen worden. Das vormals so üppige Grün musste einem verfaulten Braun weichen. Bald würde nur noch eine karge, trostlose Welt zurück bleiben – und es gab nichts, was dann noch an die einst strahlende Zivilisation der Drahusem erinnerte. Mit Unbehagen registrierte Simon, dass ihre Vorräte an Bord der F-305 zur Neige gingen. Auch die Treibstoffanzeigen boten nicht das beste Bild. Sie mochten noch nach DUST gelangen, vielleicht auch noch zurück ... aber zurück wohin? Hier auf Prissaria konnten sie keinen Treibstoff nachtanken. Während seiner Überlegungen klangen Schritte hinter ihm. Simon drehte sich um und gewahrte Jee A Maru und Ken Dra in die Zentrale einmarschieren. Die beiden sahen fürchterlich aus und wirkten alles andere als fit, auch wenn sie das Gegenteil behaupteten, als Simon sie danach fragte. »Wie sieht es aus?« »Es wird schon gehen«, versicherte Ken und tauschte mit McLaird die Plätze. »Wo buchen wir unseren Urlaub?«, versuchte Simon die beiden aufzuheitern, schalt sich jedoch im selben Moment für seine taktlose Art. Doch weder Jee noch Ken reagierten auf den Scherz. Der Pilot betrachtete die Kontrollen und wandte sich an Jee. »Wir müssen erst auftanken, ehe wir nach Dai Urshar aufbrechen können. Mit unserem Treibstoff wäre es eine Reise ohne Rückflug.« »Gibt es denn Orte, an denen ihr nachtanken könnt?«, fragte Simon vorsichtig nach. »Ich habe bereits mit Jee darüber gesprochen. Wir werden Mazoni anfliegen.« »Mazoni?«, echote Simon McLaird. »Klingt wie Speiseöl.« »Er ist alles andere als das«, sagte Jee A Maru. Die ersten Worte, die sie seit über einer Woche gesprochen hatte. Simon deutete das als gutes Zeichen. »Verbündete?« »Ein Waldplanet«, antwortete die Schwertträgerin. »Ein wenig wie ... Pris ...« Ihre Stimme stockte. Sie atmete tief durch und fasste sich, ehe ihre Gedanken wieder in trauernde Gefilde abdriften konnten. »Er wird von Amazonen bevölkert.« Simon horchte auf. »Amazonen? Die gibt es wirklich? Auf der Erde haben wir auch einen Mythos über Frauen, die ihre Männer verstoßen und sich eine Brust abschnitten, damit sie mit dem Bogen ...« »Simon«, sagte Ken leise aber eindringlich, um den Redeschwall des anderen zu unterbrechen.
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»Sorry.« Jee hockte sich auf die Lehne von Simons Sessel. »Ich habe von eurem Mythos gehört. Er ist nicht vergleichbar mit den Amazonen auf Mazoni. Wird im Scardeenischen Reich einem Elternpaar eine zweite Tochter geboren, wird ihnen diese weggenommen und nach Mazoni geschickt, wo sie zur Amazone ausgebildet wird. Die Frauen sind Kämpfer, die bei Spezialkommandos der Scardeenischen Legion eingesetzt werden. Sie werden für Scardeen konditioniert.« »Gezüchtet«, murmelte Ken abfällig. »So könnte man es auch sehen«, pflichtete Jee A Maru ihm bei. »Wieso gezüchtet?«, wollte Simon wissen. Er erfuhr, dass eine chemische Substanz in der Atmosphäre des Planeten Mazoni für eine recht hohe Lebenserwartung der Kriegerinnen sorgte. Sie wurden durchschnittlich einhundert Jahre alt und behielten bis zu ihrem Tode ihre äußerliche Jugend und die Kraft einer Zwanzigjährigen bei. Damit gewährleistete das Scardeenische Reich eine schlagkräftige Truppe, mit über Jahrzehnte hinweg gleichbleibenden Leistungen und Kampffertigkeiten behielten. »Damit sich niemand anderes diese Lebensverlängerung zunutze macht, ist Mazoni verbotenes Territorium«, erklärte Jee A Maru weiter. »Und wir fliegen in die Höhle des Löwen?«, fragte Simon ungläubig. »Wir haben Freunde dort, die uns helfen werden«, beruhigte ihn Jee. Simon verschränkte die Arme hinter dem Kopf und grinste breit. »Na ja, auf der anderen Seite ... so viele Frauen. Wer die Wahl hat, hat die Qual.« Auch Ken lächelte plötzlich. Es tat gut, ihn so zu sehen. Langsam tauten er und Jee vielleicht wieder auf. Wenn die Trauer auch auf ewig in ihnen festsitzen würde. »Du wirst dort keinen Unfug machen, klar?«, raunte Ken Simon zu. »Hey, ich bin so geboren! Und was ist deine Entschuldigung?« Ken lachte auf. Jee verzog nur leicht die Lippen, ehe sie wieder die Kommandozentrale verließ. Sie ist noch lange nicht über den Berg, dachte Simon. Und Ken überspielt die Situation nur ... Niemand konnte es ihnen verübeln. In Gedanken erneuerte er seinen Schwur, die Drahusem rächen zu wollen, auch wenn allein die Idee wahnwitzig war. Das Scardeenische Reich war gewaltig. Überall lauerten Gefahren. Sie Drei allein würden es niemals mit einem politischen System dieser Größe aufnehmen können. Aber woher sollten sie Verstärkung bekommen? Von den mit Jee befreundeten Amazonen? Oder auf DUST? Simon riss sich von den Gedanken los und konzentrierte sich auf die vor ihnen liegende Aufgabe. Sein erster Karatelehrer hatte ihm einmal beigebracht, dass eine Aufgabe, sei sie noch so klein, die volle Aufmerksamkeit des Verstandes erforderte, wollte man sie bewältigen. Er durfte sich durch nichts ablenken lassen. Ken Dra hatte bereits den Kurs in den Bordrechner eingegeben und begann nun, das Schiff zu beschleunigen. Nur wenig später aktivierte er den Hypergenerator und entließ die F-305 in das übergeordnete, zeitlose Kontinuum. Φ »Herein!«, klang unmissverständlich die tiefe, sonore Stimme von der anderen Seite der schweren Tür her auf. Sherilyn Stone kam der Aufforderung augenblicklich nach und betrat das Allerheiligste des Generals, nachdem sie bereits zehn Minuten im Vorzimmer bei den Sekretärinnen gewartet hatte. »Guten Morgen, Sir«, begrüßte sie ihren Vorgesetzten und fuhr dann mit genervtem
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Unterton fort: »Sie haben mich rufen lassen?« »Korrekt!«, sagte der massige Mann mit dem fast kahlen Schädel hinter seinem übergroßen Schreibtisch. Ohne Umschweife kam er gleich zur Sache und hielt es auch nicht für nötig, seiner Untergebenen einen Platz anzubieten. Stone setzte sich trotzdem hin. »Amerikanische Radioteleskope haben eine verschleierte Botschaft aus dem All aufgespürt« berichtete der General. »Die Botschaft enthält eine Audiosequenz mit unserem Zugangscode. Man hat sich erst an die NASA gewandt, die wiederum an die Air Force, die ans Pentagon und so weiter und so fort. Gut, dass niemand unseren Dechiffriercode besitzt. Sie tappen alle im Dunkeln, was die Nachricht angeht.« »Haben unsere Leute sie bereits entschlüsselt?«, erkundigte sich Sherilyn neugierig. »Ja«, nickte der General. »Dreimal dürfen Sie raten, von wem die Botschaft stammt.« »Sicherlich nicht von McLaird.« »Helen Dryer!« Sherilyn Stone runzelte überrascht die Stirn. Der berüchtigte Plan B des Generals war angelaufen, und Stone hatte bisher ihre Zweifel gehabt, ob er überhaupt funktionieren konnte. Sie wähnte Helen Dryer längst auf dem Schafott der Scardeenischen Legion. Nie und nimmer hätte sie geglaubt, dass die Agentin im Sinne von Shadow Command da draußen im All tätig werden könnte. Der General lachte auf, als er Sherilyns verdutzten Gesichtsausdruck sah. »Sie wird in ein paar Tagen mit diesem Außerirdischen namens Sealdric und seinem Schlachtschiff im Orbit der Erde eintreffen. Anscheinend will Sealdric die Suche nach McLairds Freunden fortsetzen und hier die Fährte aufnehmen. Das kann uns aber egal sein. Captain Stone, ich will, dass Sie ein Enterkommando unserer Schattenarmee vorbereiten, um das Schlachtschiff der Scardeener zu übernehmen.« »Sie wollen das Schiff übernehmen?« Sherilyn kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Aber wie sollen wir in den Orbit gelangen? Haben wir überhaupt Details über das Schlachtschiff? Größe, Bewaffnung, Besatzung?« Der General lehnte sich zufrieden zurück, faltete die Hände ineinander und bog sie nach außen durch, so dass die Gelenke seiner Finger laut knackten. »Im verschlüsselten Signal gibt es alle notwendigen Angaben. Ich habe sie bereits an unsere Taktiker weitergeleitet, die einen entsprechenden Angriffsplan ausarbeiten.« »Sir.« Sherilyn stand auf, salutierte knapp und verließ das Büro ihres Chefs. Sie durchmaß den dem Vorzimmer folgenden Gang und suchte den nächsten Lift auf, der sie zehn Decks höher brachte. In einem der zahlreichen Schießstände der unterirdischen Bunkeranlage traf sie auf Paul Gossett, dem die Schlappe von Ägypten noch deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Der Agent war gerade dabei, einige Leute im Panzerfaustschießen zu unterrichten. »Gossett, wie sieht es aus?«, fragte Sherilyn. Der Agent gab das Stopp-Zeichen für die Übenden. Er fuhr sich nervös über den Bart und langte in seine Hemdstasche, um eine Zigarettenpackung zutage zu fördern. Er bot Sherilyn einen Glimmstängel an, doch der Captain lehnte dankend ab. »Die Leute lernen schnell«, sagte Paul Gossett. »Fast alle Neuzugänge sind jetzt an jeder Handfeuerwaffe ausgebildet worden. Viele hatten bereits Erfahrungen aus ihrer Militärdienstzeit, aber die meisten sind ohnehin Field Agents bei ihren jeweiligen Dienststellen gewesen und im Nahkampf und an allen möglichen Waffen ausgebildet gewesen. Wie sieht es mit diesen Energieblastern aus, die wir von den Scardeenern erbeutet haben?« »Einige Ingenieure wollen herausgefunden haben, wie sie funktionieren und setzen das Prinzip gerade in die Praxis um. Mit ein wenig Glück, können wir unser Angriffskommando mit Laserpistolen ausrüsten.« »Wir haben die Leute aber noch nicht daran trainiert«, gab Gossett zu denken und nahm
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einen tiefen Zug. Er versuchte den Rauch in Kringeln auszublasen, was ihm jedoch kläglich misslang. »Ich habe bereits eine dieser Waffen ausprobiert«, sagte Sherilyn. »Sie lassen sich wie halbautomatische Pistolen handhaben – ohne Rückstoß. Gossett, ich weiß, dass Sie momentan beim General nicht gut dastehen, aber ich will nicht auch noch auf Ihnen herum hacken. Wir benötigen einen großen Stoßtrupp zum Angriff auf eines dieser außerirdischen Raumschiffe. Stellen Sie eine Entereinheit zusammen. Wir treffen uns in vier Stunden im Einsatzraum und gehen die Details des Angriffs mit den Technikern durch.« »Und wo soll dieses Raumschiff herkommen, das wir entern?«, wunderte sich Gossett. »Ihre Ex-Kollegin Helen Dryer ist so freundlich, weiterhin mit uns zu kooperieren!« Gossetts Kinnlade klappte herunter. Die im Mundwinkel eingeklemmte Zigarette fiel zu Boden. »Helen?« Er hätte alles für möglich gehalten, aber nicht, dass Helen Dryer noch für Shadow Command arbeitete. Φ Mitten auf einer kleinen Lichtung innerhalb eines riesigen Mischwaldgebiets hatte Ken Dra den Forschungsraumer der Drahusem gelandet. Simon betrachtete die Umgebung durch die Sichtfenster, doch noch ehe er die Aussicht genießen konnte, erkannte er draußen am Rande der Lichtung eine Bewegung. Kaum dass Ken Dra alle Instrumente abgeschaltet hatte, bewegten sich auch links und rechts von ihnen die Farne und Sträucher, die die Lichtung säumten. Die Außenmikrofone übertrugen ein verdächtiges Rascheln aus dem Unterholz. Simon stand auf und beugte sich zur Cockpitverglasung vor. Er schaute nach draußen in den fast violetten Abendhimmel der fremden Welt – dem ersten anderen Planeten, auf den er einen Fuß setzen würde. Sein Blick wanderte eine Baumkette in unmittelbarer Nähe entlang. Da entdeckte er etwas Rotes zwischen den dunkelgrünen Blättern der fremdartigen Bäume. »Da vorn«, sagte er und deutete mit dem Finger auf die entsprechende Stelle. »Tja, dann wollen wir mal sehen«, meinte Ken und legte seinen Waffengurt an. Jee A Maru hielt die beiden Männer zurück und schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ihr beide bleibt hier!« »Wieso ...?« »Ich habe allein die besseren Chancen«, sagte sie bestimmt. Ehe Ken etwas einwenden konnte, hatte Jee bereits die Zentrale verlassen und sich zur Ausgangsschleuse des Raumers begeben. Erstaunt blickten Ken und Simon ihr hinterher. »Mist«, fluchte Ken und stürmte hinterher. »Wenn etwas schief geht, dann flieg allein nach DUST. Wir treffen uns dann in der Hölle!« Simon stieß die angehaltene Luft aus. »Da fällt mir doch der Locher aus der Hand. Entweder alle oder keiner.« Er schnappte sich seine Laserpistole, passierte das Schleusentor und versiegelte das Schiff draußen mittels Signalgeber. Als er auf dem weichen Gras aufsetzte und aufschaute, weiteten sich seine Augen. Jee A Maru lag bewusstlos auf dem Boden, während Ken Dra mit erhobenen Händen neben ihr stand und wütend die Gestalten anfunkelte, die ihm gegenüber standen. Simon musterte die fremden Frauen. Sie schienen ausnahmslos jung zu sein – und schön. Vermutlich noch ein Nebeneffekt der chemischen Substanzen in der Atmosphäre dieser Welt. Die Kriegerinnen trugen enganliegende, lederne Fantasierüstungen mit breiten Gürteln, schweren Stiefeln und Schulterschutz aus menschlichen Schädelknochen. Ihre Arme zierten metallene Manschetten. Einige trugen eine Art Kriegsbemalung im Gesicht. Ausnahmslos waren sie mit antiquierten
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Schwertern und Bögen bewaffnet, die aus grauer Vorzeit zu stammen schienen. Simon kam sich mit der modernen Laserpistole Fehl am Platze vor. Als hätte ihn die Landung auf diesen Planeten in die fernste Vergangenheit geschleudert. »Wir sind leider auf die Falschen gestoßen«, zischte Ken Dra, als er Simon neben sich gewahrte. »Na wunderbar.« McLaird schnalzte mit der Zunge. »Ich glaube nicht, dass uns die netten Damen zu einer Stehparty einladen, oder?« Eine der Frauen kam mit gezogenem Schwert auf Simon zu und bedeutete ihm, seine Waffe abzulegen. Er fixierte die attraktive Frau mit seinem Blick und zog langsam die Laserpistole aus der Halfter heraus. Plötzlich riss er den Lauf hoch, doch ehe er abdrücken konnte, fegte ihm ein schneller Schwertstreich die Waffe aus der Hand. »Beim nächsten Mal rollt dein Kopf, du Schwein!«, fauchte die Amazone und spuckte ihm ins Gesicht. »Hey, mal sachte, wo sind denn deine Manieren?« »Tu lieber was sie sagt, Simon, sie meint es Ernst!«, riet ihm Ken. »Ja, es sieht fast so aus«, stimmte Simon zu und hob beide Hände hoch, um den Frauen zu zeigen, dass er keine weiteren Waffen trug. Inzwischen wachte Jee A Maru aus ihrer Bewusstlosigkeit auf. Sie rieb sich die schmerzende Stelle am Hinterkopf und ließ sich von Ken Dra auf die Beine helfen. »Los, Reihe aufmachen und folgen«, rief eine der Amazonen im Befehlston. Notgedrungen gehorchten die Drei und marschierten hinter den Frauen her. Sie überquerten die Lichtung und wurden in den Wald hineingeführt, der sich als wahrer Dschungel entpuppte. Riesige Farne und lianenartige Gewächse wucherten unter dem Schutz des Blätterdachs. Die wenigen Sonnenstrahlen, die jetzt noch durch die Baumkronen gelangten, erreichten kaum den Boden. Es wurde dunkel. Simon spielte in Gedanken eine Flucht durch. Doch er kam nur zu dem Schluss, dass sie von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Die Amazonen hatten sie in die Zange genommen und trugen ihre Waffen noch in den Händen. Wenn alle von ihnen so schnell mit dem Schwert waren, wie jene, die McLaird entwaffnet hatte, dann hatten sie nicht die geringste Chance. Jee A Maru trat neben Simon und raunte ihm zu: »Das sind Königin Lasarias Kriegerinnen. Sie sind loyal gegenüber den Scardeenern.« »Das war's dann, ja?«, fragte Simon. »Es sieht so aus«, antwortete Ken Dra bekümmert. Φ Sie waren die ganze Nacht durchmarschiert. Während die Amazonen noch fit zu sein schienen, fühlte sich Simon total ausgelaugt. Den beiden Drahusem erging es nicht anders. Sie torkelten mehr über den Trampelpfad, als dass sie noch aufrecht gingen. Wären die feindlichen Kriegerinnen nicht gewesen, hätten sie sich vor Erschöpfung vermutlich einfach fallen gelassen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, ehe dem ersten von ihnen die Beine nachgaben. Und dann? Würde man sie umbringen? Am frühen Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch das dichte Blätterdach fanden, erreichten sie ein kleines Dorf. Kreisförmig waren auf einer Lichtung etwa zwölf Lehm- und Holzhütten angeordnet worden. In der Mitte gab es einen Brunnen und eine große Feuerstelle. Andere Amazonen traten aus den Hütten und begrüßten die Frauen aus dem Trupp. Als sie die Gefangenen sahen, wurden ihre Blicke zornig. Die Frauen sperrten die drei in eine der Hütten im hinteren Bereich des Dorfes. Das Gebäude hatte nur einen Eingang und keine Fenster. Im Innern war es fast stockfinster. Nur vereinzelt drang schwaches Licht durch das Strohdach. Der Lehmboden war feucht und kalt.
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Es stank nach Kot und Urin. Während sich Ken und Jee ermattet nieder ließen, zog Simon es vor, stehen zu bleiben – zumindest so lange, bis die Beine einfach nachgaben. Er erwachte irgendwann später am Tag. Letztendlich musste er wohl im Stehen eingeschlafen und an der Wand hinunter zu Boden gesackt sein. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Die schwere Holztür wurde geöffnet. Grelles Licht fiel ins Innere der Zelle und blendete Simon. Blinzelnd erkannte er, dass Jee A Maru und Ken Dra noch schliefen. Eine Amazone brachte einen Krug Wasser und einen Laib Brot. »Teilt es euch gut ein«, lachte sie. »Vor dem nächsten Morgen gibt es nichts anderes.« »Na toll!«, knurrte Simon. »Und wo sollen wir schlafen. Auf dem nackten und bepissten Boden hier?« »Ich kann dich auch auf der Streckbank schlafen lassen, wenn Dir das lieber ist?«, entgegnete die Wächterin und wollte sich gerade zum Gehen umdrehen, als sich Jee A Maru regte. »Warte! Was geschieht morgen mit uns?« »Wir bringen euch zur Hauptstadt vor Königin Lasaria. Sie wird über euer Schicksal entscheiden.« Schwer fiel die Tür ins Schloss und ließ die drei Freunde allein im Dunkeln zurück. »Schöner Schlamassel«, kommentierte Jee A Maru deprimiert. Simon rückte an sie heran. »Ich dachte, das wären Elitesoldaten. Wo haben die denn ihre schweren Geschütze versteckt?« »Du meinst, weil sie mit Schwertern und dergleichen bewaffnet sind?«, fragte Jee zurück. Simon nickte. »Das führt auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurück. Die ersten Amazonen im Dienste der Scardeener wurden für Attentate eingesetzt und mussten ihre Opfer lautlos töten. Sie benutzten dafür rituelle Dolche, später Lang- und Breitschwerter. Die Tradition hat sich bis heute gehalten.« »Sie haben Ken und mir zwar die Laser abgenommen, aber du hast noch dein Schwert.« Jee nickte. »Ja, aber wir müssen für eine Flucht erst zu Kräften kommen. Essen wir ein wenig und versuchen auszuschlafen. Morgen sehen wir weiter.« »Und wenn sie uns diesmal schärfer bewachen?«, wandte Simon ein. »Wir sind nur zu dritt und haben nur eine Waffe.« »Morgen«, entschied Jee. »Wir warten bis morgen.« Doch Simon gab sich damit nicht zufrieden. Je eher wir diesen Furien entkommen, desto besser. »Jetzt hör mir mal zu!«, sagte er so laut, dass auch Ken wach wurde. »Ich gehe jetzt oder gar nicht. Ihr könnt gerne hier bleiben.« Jee streckte eine Hand nach ihm aus und berührte ihn beinahe schon zärtlich an der Wange. »Hey, was ist los mit dir?« »Ich will raus hier!«, schnappte Simon und streifte Jees Hand ab. »Morgen ist es zu spät, glaubt mir!« »Du spinnst wohl«, kommentierte Ken verschlafen und rieb sich die Augen. »Wir haben ein wenig mehr Erfahrung in solchen Dingen, ja? Wir haben schon gegen die Scardeener gekämpft, als du ...« »Ruhe!« Jee schnitt ihm das Wort ab. »Es ist nicht der geeignete Zeitpunkt zum Streiten!« »O doch, Herzchen!«, wütete Simon weiter. »Wenn dieser eingebildete Nichtsnutz eines Piloten glaubt, er könnte mir eine Lektion in Strategie erteilen, dann irrt er sich aber gewaltig!« Jee starrte ihn unverständlich an. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, was in McLaird gefahren war. Sie wusste, dass er einen Dickkopf besaß, aber so unvernünftig hatte er sich
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bisher nicht verhalten. Sie fasste ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Simon!«, herrschte sie ihn an. »Reiß dich zusammen! »Ich muss es versuchen«, sagte er, diesmal ruhiger. Er befreite sich aus Jees Griff und stand auf. Mochten sie ihn für durchgedreht halten, aber bisher hatte er noch nicht viel für sie getan. Er war unfreiwillig in die Situation hinein geraten. Jee und Ken hatten ihn gar aus den Händen Shadow Commands befreien müssen. Und er selbst fühlte sich den beiden gegenüber nur wie ein Klotz am Bein. Er musste ihnen endlich beweisen, dass er ihnen helfen konnte, dass er etwas taugte. Diese Show gehört mir, dachte er verbissen, auch wenn ihm sein Gewissen einzureden versuchte, dass sein Vorhaben reiner Schwachsinn war. Simon klopfte gegen die Tür. »Wache! Hey, ihr alten Schabracken, kommt endlich her!« »Lass es!«, appellierte Ken Dra noch einmal. »Du hast doch keine Kampferfahrung, um das durchzuziehen!« »Du nennst mich unerfahren?« Simon sah zurück zu dem Piloten. »Ich war lange genug Soldat bei der U.S. Army ...« Ken unterbrach ihn. »Hast du je einen Krieg mitgemacht?« Nein, das hatte er nicht. Und er kannte den Unterschied zwischen Kriegsspielen und einem echten Kampf. Er hatte sich nie bei einem solchen bewährt. Bis auf die letzten Gefechte in der großen Pyramide zu Gizeh. Dennoch ging er nicht auf Kens Worte ein. Er fühlte, dass er einfach etwas tun musste, um seinen Wert in der Gruppe zu beweisen. »Wache!« Endlich wurde die Tür aufgerissen und eine blonde Amazone kam herein. An der linken Seite ihrer Hüfte baumelte ein langes Breitschwert. Rechts im Gürtel steckte ein Krummdolch. Die Frau war überirdisch schön. Ihre Formen perfekt. Simon gestand sich ein, dass er augenblicklich hätte dahinschmelzen können, aber er vergegenwärtigte sich, dass es sich bei der Lady um einen tödlichen Gegner handelte. Genauso musste er sie behandeln, wenn er lebend hier herauskommen wollte. »Was willst du, Jungfrauenschänder?«, brüllte sie mit scharfer Zunge. Unwillkürlich machte Simon zwei Schritte zurück. Offenbar waren so ziemlich alle der Kriegerinnen dermaßen männerfeindlich eingestellt, dass sie nur beleidigend sein konnten. Also auf die harte Tour, sagte er sich im Stillen. »Deine Ausdrucksweise lässt Erziehungslücken erkennen, Täubchen!« »Du wagst es ...?« Jetzt hatte er sie rasend gemacht. Sie trat vor, wollte ihn am Kragen packen, doch in ihrer Wut wurde sie unvorsichtig. Simon steppte zur Seite, packte blitzschnell ihre Handgelenke und verdrehte sie auf den Rücken. Sie wehrte sich, doch da hatte McLaird ihr bereits den Dolch entwendet und presste ihr die Klinge an die Kehle. »Wir werden jetzt hier geschlossen rausmarschieren, Schätzchen«, zischte Simon. »Ein Wort von dir und du gurgelst dein eigenes Blut!« »Das glaube ich nicht!« Die Stimme kam vom Eingang her. Auf der Schwelle stand eine weitere Frau. In den Händen hielt sie eine gespannte Armbrust, die direkt auf Simon zielte. Ohne mit der Wimper zu zucken drückte sie ab. Mit einem Zischen schoss der Bolzen durch die Luft und drang in Simons Oberschenkel ein. Vor Schmerz ließ er den Dolch fallen und lockerte den Griff um die Amazone. Diese riss sich sofort los und trat nach hinten aus. Simon taumelte rückwärts. Die Amazone zog ihr Schwert blank. »Dafür werde ich dich Vierteilen!«, schrie die Blonde aufgebracht. »Du mieses, dreckiges Schwein!« Sie holte aus und wollte gerade zuschlagen, als ein scharfer Ruf der Armbrustschützin sie davon abhielt.
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»Nein, wir brauchen ihn lebend. Die Königin wird entscheiden, was mit ihnen geschieht.« Sie hängte sich die Armbrust über die Schulter, kam zu McLaird herüber und packte ihn an den Handgelenken. Gewaltsam zerrte sie ihn aus der Hütte, während die Blonde Jee und Ken mit dem Schwert in Schach hielt. Simon stöhnte. Noch immer steckte der Bolzen im Bein. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt. So hatte er sich seine Flucht ganz und gar nicht vorgestellt. Draußen im Dorf banden ihn die beiden Frauen an einem Holzpfahl fest, der auf der anderen Seite der Hütte errichtet worden war. Die Tür zur Gefangenenhütte ließen sie offen, damit Jee und Ken genau mit ansehen konnten, wie es Simon erging. Ehe die beiden Drahusem jedoch an Flucht denken konnten, schoben sich zwei weitere Amazonen in die Nähe des Eingangs. Beide mit gezogenen Klingen. Die Blonde ließ sich von einer anderen Frau eine lange Lederpeitsche reichen, an deren Ende sich fünf dicke Kordeln befanden. »Sie wollen ihn auspeitschen!«, rief Jee erschrocken aus. »Geschieht ihm recht«, warf Ken ein. Als Simon die Peitsche sah, vergaß er den Schmerz im Oberschenkel. Die Amazonen hatten ihn mit dem Rücken zum Pfahl hin festgebunden. Die Peitschenhiebe würden seine Brust und sein Gesicht treffen. Wie unmenschlich waren diese Amazonen? Die Blonde trat vor und riss ihm das hellbraune Hemd des Drahusem-Kampfanzugs vom Leib. »Ich werde dir deine Spielchen schon austreiben!« schnauzte sie mit lüsternem Blick. Das turnt sie auch noch an, erkannte Simon entsetzt. Die Amazone holte aus und ließ die Peitsche mit unglaublicher Wucht auf Simons Oberkörper niedersausen. Er schrie laut auf, als das Leder dunkelrote Striemen auf seinem Brustkorb hinterlassen hatte. Der Schmerz übertraf den des Bolzens in seinem Bein bei Weitem. Die Blonde setzte zu einem zweiten Hieb an, der Simons Gesicht traf und auch dort arge Verletzungen zurückließ. Im Innern der Hütte hatte sich Ken Dra aufgesetzt und gebannt die Folter verfolgt. Er bereute seine Worte von gerade. »Tu was«, flüsterte er Jee A Maru eindringlich zu. Ein weiterer Peitschenknall und ein schrecklicherer Schrei als zuvor. McLairds schlimmste Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Die Lederschnüre hatten sein bestes Stück getroffen. Die Schmerzen ließen ihn mit sich überschlagender Stimme aufbrüllen. Dann senkte sich gnädigerweise ein dunkles Tuch über seinen Verstand, als er vor Pein bewusstlos am Pfahl zusammen sackte. »Scheiße!«, schrie die blonde Amazone. »Diese Flasche taugt zu nichts.« Sie band ihn wieder los und brachte ihn zusammen mit der Armbrustschützin zurück in die Gefängnishütte. Drinnen funkelte sie Jee A Maru wütend an. »Wenn er wieder zu sich kommt, sag ihm, dass ich noch lange nicht mit ihm fertig bin!« Als die beiden Frauen die Hütte verlassen hatten, beugte sich Jee A Maru zu Simon herab. »Warum musstest du nur deinen Kopf nur durchsetzen?« Simon hörte ihre Worte nicht. Φ In aller Frühe brachen die Amazonen mit ihren Gefangenen auf. Die Frauen ritten auf pferdeähnlichen Wesen, die Simon unwillkürlich an zottelige Hunde erinnerten, bei denen man vorn und hinten nicht voneinander unterscheiden konnte. Diese jedoch waren so groß wie ausgewachsene Kamele. Als hätten sie Simons Körper nicht schon genug Pein zugefügt, ließen die Amazonen die Gefangenen zu Fuß gehen.
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In der Nacht hatte sich Simon nur geringfügig erholen können. Jee A Maru hatte ihm den Bolzen aus dem Bein gezogen und die Wunde notdürftig mit den Stofffetzen seines Hemdes verbunden. Die Striemen auf Brust und im Gesicht brannten dafür umso mehr. Müde trabten die drei mit gefesselten Händen hinter ihren Häschern her. Mit Blick auf die Stricke um seine Handgelenke, stellte Simon befriedigt fest, dass seine Idee, gestern zu fliehen, doch etwas für sich hatte. Auf ihrem Weg wechselten sich dichter Wald und freie Lichtungen regelmäßig ab. Unbekannte Vögel kreischten durch den nasskalten Morgen. Zu Gesicht bekamen sie sie nicht. Von irgendwoher drang das Heulen eines Uhus aus dem Wald. Jedenfalls hörte es sich nach einem Uhu an. Wie der Vogel auf dieser Welt aussah, wusste Simon nicht. »Eine Eule?«, flüsterte Ken hinter McLaird so leise, dass nur er und Jee es hören konnte. Der Translator übersetzte es tatsächlich als Eule. »Es ist heller Tag.« In diesem Augenblick wurde der Eulenruf wiederholt. Diesmal war er lauter, näher! Ohne Vorwarnung sprangen mehrere weiße Reittiere aus dem Unterholz heraus und stürmten auf die Amazonen zu. Alles ging anfangs so schnell, dass Simon kaum etwas davon mitbekam. Ein Trupp anderer Frauen mit grünblauen Stirnbändern warf sich auf die Bewacher der Gefangenen. Pfeile von Langbögen und Bolzen von Armbrüsten sirrten durch die Luft und fanden ihre Ziele in den feindlichen Amazonen. Eine der Frauen mit Stirnband preschte direkt auf Simon, Jee und Ken zu. »Vorsicht!«, schrie McLaird, doch anstatt sich zu ducken oder beiseite zu springen, hielt Jee einfach ihre gefesselten Hände hoch. Die Amazone schnitt den Strick mit ihrem Schwert durch und kümmerte sich dann um Ken und Simon. »Danke«, sagte Simon. Da langte die Retterin zu ihm herunter, umschloss seine Hüfte und zog ihn zu sich auf das zottelige Reittier. »Mossar!« Jee A Marus Ruf gellte durch die Morgenluft. In der blauen Aura, von Blitzen umzüngelt schwebte plötzlich ihr Schwert an ihrer Seite. Sie nahm die Waffe an sich und griff in den Kampf der Amazonen ein. Ken saß auf dem Reittier einer weiteren Retterin auf. Beide Amazonen gaben den pferdeähnlichen Wesen die Sporen und ließen sie bis zum Waldrand galoppieren – fernab des Kampfes, schienen Simon und Ken dort vorerst in Sicherheit zu sein. Auf dem Schlachtfeld wirbelte eine geworfene Lanze durch die Luft auf Jee zu. Die Schwertträgerin schwang ihre Klinge und wehrte das Geschoss mühelos ab. Eine ihrer Gegnerinnen stellte sich Jee in den Weg. Metall klirrte gegen Metall, als sie sich einen heftigen Schlagabtausch lieferten. Die Schwertträgerin machte einen Ausfall nach links, aber die Amazone ging nicht auf die Finte ein. Jee verwandelte den Bluff in einen tödlichen Hieb. Die Klinge schlitzte der Gegnerin die Seite auf und ließ sie schreiend zu Boden sinken. Jee sah sich um. Verbissen kämpften Lasarias Frauen gegen die Befreier. Aber die Attacke war zu überraschend gekommen, als dass die Bewacher eine vernünftige Verteidigungslinie hätte aufbauen können. Eine der Amazonen mit den grünblauen Stirnbändern geriet in Bedrängnis, als ihre Gegnerin sie mit dem Rücken bis zu einem Baum getrieben hatte. Jee sprang herbei und tötete die Feindin mit einem erbarmungslosen Schwertstreich. Die meisten der Bewacher lagen bereits tot am Boden. Einige wenige versuchten zu fliehen, wurden aber von den Pfeilen der Schützen, die irgendwo in den Bäumen hockten, gestoppt. Schließlich war der Kampf vorüber. Jee A Maru atmete auf und ließ ihr Schwert verschwinden. Eine der Retterinnen kam zu ihr herüber und begrüßte sie. »Jee A Maru, sei willkommen«, rief sie aus und schloss die Schwertträgerin herzlich in ihre Arme. »Mahanu, schön dich zu sehen«, erwiderte Jee lachend. »Wir fanden dein Schiff verlassen vor und dachten uns, dass du in Schwierigkeiten steckst.«
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Simon war vom Pferd (er neigte dazu, es Pferd zu nennen, auch wenn die Leute hier dafür einen anderen Namen hatten) seiner Befreierin abgestiegen und stand der hübschen Frau gegenüber. Sie wirkt wie ein zwanzigjähriges Fotomodell, dachte er und gönnte sich einen langen Blick auf ihre wohlproportionierten Formen. »Nochmals vielen Dank«, sagte er. »Ich bin übrigens Simon ... Simon McLaird.« Er streckte ihr die Hand hin. Sie drückte sie kräftig und lächelte flüchtig. »Mein Name ist Kardina«, stellte sich die schwarzhaarige Schönheit vor. »Simon, dort!«, rief Ken Dra. McLaird wandte sich widerwillig von Kardina ab. Sein Blick folgte dem ausgestreckten Arm des Piloten, der irgendetwas am Waldrand entdeckt hatte. Die Blonde!, raste es durch seinen Kopf. Die Amazone war dem Gemetzel entkommen und versuchte nun zu Fuß in den Wald zu flüchten. Ohne zu zögern sprang Simon auf das Pferd Kardinas und drückte ihm die Fersen in die Flanken. Das Tier stieß einen merkwürdigen Schrei aus, setzte sich jedoch sofort in Bewegung. Im wilden Galopp donnerte Simon auf den Waldrand zu. Das lärmende Hufgetrappel ließ die blonde Amazone aufhorchen. Sie verharrte kurz und sah wie das Reittier auf sie zu preschte. Dann erkannte sie McLaird als Reiter. Instinktiv griff sie nach ihrem Schwert und riss es förmlich aus der Scheide heraus. Simon trieb das Pferd seitlich an ihr vorbei, und gerade als sie zu einem Hieb ansetzte, sprang er ab und stürzte sich genau auf die Frau. Ein gurgelnder Laut, dann blieb sie reglos liegen. Verwundert hob Simon die Amazone an und erblickte den blutüberströmten Hinterkopf, den sie sich beim Sturz auf einen Findling eingeschlagen hatte. »Schade«, sagte McLaird bitter. »Ich hätte es dir nicht gerade angenehm gemacht, wenn ich dich lebend gekriegt hätte.« Er ließ die Tote im Gras zurück und kehrte zu den anderen Amazonen zurück. Inzwischen hatten sich Kardina und Kens Reiterin bei Jee A Maru und den restlichen Frauen eingefunden. Als Simon sich zu ihnen gesellte, deutete die Schwerträgerin auf eine Frau neben sich, dann auf die anderen. »Diese Kriegerinnen dienen Prinzessin Tanya. Sie hat sich gegen einen Massenvernichtungsbefehl der Scardeener aufgelehnt und wurde von Königin Lasaria verbannt. Doch ihre Freundinnen hielten in der schwersten Stunde zu ihr und schlossen sich ihr an.« Jee A Marus Worte ließen Simon endgültig ein Stein vom Herzen fallen. Sie waren unter Freunden und in Sicherheit. Gerettet aus einer schier ausweglosen Situation. Jetzt konnte es nur noch besser werden. So hoffte er. Φ Auf dem Weg zur geheimen Festung der abtrünnigen Prinzessin Tanya wollten die Amazonen in einem ihrer Dörfer übernachten und frische Vorräte aufnehmen. Als sie die kleine Siedlung der Renegaten erreichten, bot sich ihnen ein erschreckendes Bild. Die Hütten waren bis auf die Grundsteine verbrannt. Der Boden wurde von den Leichen der Bewohner gesäumt. Das Dorf war offensichtlich von den Kriegerinnen der Königin überfallen worden. Es gab nicht eine einzige Überlebende. »Diese Barbaren!«, schäumte Mahanu vor Wut. Sie begruben die Toten und setzten anschließend ihren Weg fort. »Führt ihr Krieg gegeneinander?«, erkundigte sich Simon bei Kardina. Er saß während der Reise auf dem Rücken ihres Pferdes und versuchte sich anzufreunden, doch die hübsche Frau gab nur spärlich Auskunft. »Wenn es nach Prinzessin Tanya ginge nicht«, antwortete sie. »Aber Lasaria hat
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geschworen uns alle zu vernichten. Seither sind wir nirgends mehr auf Mazoni sicher. Wir müssen im Verborgenen bleiben.« Nach drei Tagen erreichten sie die große Festung. Ihre Lage war ideal. Sie lag mitten in einem dichten Wald und wurde von riesigen Bergmassiven flankiert. Nur wer die beschwerlichen Waldwege kannte, würde hierher finden. Simon war sicher, dass auch eine Ortung aus der Luft oder dem Weltraum unmöglich war. Die Festung war unter dem Blätterdach des Waldes verborgen. Sie machte ihrem Namen alle Ehre, ähnelte sie doch einer irdischen Burg mit Steinmauern, einem Wassergraben und Zugbrücke sowie Wehrgängen und zwei hohen Türmen rechts und links neben dem Hauptgebäude. Über die heruntergelassene Zugbrücke gelangten die Reiter in den Hof der Anlage. Simon McLaird gewahrte eine Reihe niedriger Bauten, vornehmlich Stallungen und Unterkünfte. Daneben gab es ein hell erleuchtetes Gasthaus, das direkt an das große Bauwerk mit den zwei Türmen anschloss. In der Mitte des Hofes war ein großer Brunnen angelegt worden. Wo Simon nur hinblickte, sah er Frauen. Und sie lebten wie in finsterer Vorzeit. Sie besaßen keine Technologie, keine Elektrizität. Ihre Waffen bestanden ausnahmslos aus Hieb- und Stichwerkzeugen. Die Reiter sattelten ab und übergaben ihre Pferde anderen Frauen, die sie zu den Ställen führten und dort versorgten. Eine Botin der Prinzessin kam zu ihnen und wies ihnen Quartiere zu. Sie sollten sich bis zum Abend ausruhen. Simon, Ken Dra und Jee A Maru wurde je ein Zimmer im Haupthaus zugewiesen. Die Einrichtung wirkte auch hier altertümlich aber stilvoll. Es gab Holzschemel und einen Tisch, eine Waschzelle und ein breites Himmelbett. Die Erfindung von Glas war auf Mazoni schon gemacht worden, denn in der Aussparung in der Wand war Fensterglas angebracht worden. »Wenigstens zieht's nicht«, murmelte Simon und ließ sich erschöpft auf das große Bett fallen. Er schlief sofort ein. Irgendwann am Abend wachte er auf und spürte ein Gewicht auf seiner Brust. Verschlafen blinzelte er, schaute an sich herab und entdeckte dort eine dunkelhaarige Frau. »Was?« Bei seinen Worten regte sie sich und erwachte ebenfalls. Aus kleinen Augen schaute sie zu ihm auf. Es war Kardina! »Oh ...«, gab sie nuschelnd von sich. »Entschuldige Simon McLaird ... ich konnte nicht schlafen und wollte dich zu einem Ausritt einladen. Aber als ich dich schlafend vorfand, habe ich mich neben dich gelegt und muss wohl auch eingeschlafen sein.« »Eher auf mich gelegt.« Ruckartig fuhr Kardina hoch. »Das ... das tut mir leid. Ich hab mich wohl im Schlaf ...« »Schon gut«, meinte Simon schmunzelnd. Kardina lächelte nun ebenfalls und schmiegte sich an ihn. Das hatte ihm noch gefehlt. Mitten auf einem fremden Planeten hielt er eine außerirdische Amazonenkriegerin in seinen Armen, die sich möglicherweise so ganz auf die Schnelle in ihn verknallt hatte. Simon verdrehte die Augen, versuchte sich sein Unbehagen aber nicht anmerken zu lassen. Ich weiß ja nicht einmal etwas über sie, dachte er. Sie sieht aus wie ein Mensch, aber ... Und bei Jee A Maru hast du diesen Unterschied nicht gemacht?, meldete sich die dumpfe Stimme seines Gewissens. Kardina blickte ihm lange in die Augen. Als der Moment peinlich zu werden drohte und Simon einfach wegschauen oder etwas sagen wollte, schob sie sich ganz zu ihm hinauf und küsste ihn sanft auf den Mund. »Bis später«, sagte sie augenzwinkernd, schwang sich über ihn hinweg und verschwand durch die Tür nach draußen auf den Gang. Noch eine geraume Weile starrte Simon McLaird die ins Schloss gefallene Tür an. Schließlich verschränkte er die Arme hinter den Kopf, fuhr sich in Gedanken verloren mit der
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Zunge über die Lippe und begann zu lächeln. »Wieso eigentlich nicht?«, fragte er sich halblaut und schlief darüber noch einmal ein. Er wurde durch ein lautes Klopfen an der Tür aus angenehmen Träumen gerissen. Unaufgefordert betrat Ken Dra das Zimmer. Der Drahusem schien gut gelaunt zu sein. »Hey, alte Socke, gut geschlafen?« Simon rieb sich die Augen und stöhnte leise auf. »Geht so. Ich wünschte nur, du würdest nicht versuchen, meine Sprüche zu klopfen.« »Ich bin ein wissbegieriger Schüler«, sagte Ken. »Und ich sicherlich der falsche Lehrer, was Benimm und Manieren angeht«, erwiderte McLaird und stand auf. Er schlenderte zum Waschtrog hinüber, schöpfte mit den Händen eiskaltes Wasser und spritzte es sich ins Gesicht. »Drüben gibt es so eine Art Dusche«, meinte der Pilot. »Eine recht eigenwillige Konstruktion, aber mit fließend Wasser.« Das ließ sich Simon nicht zweimal sagen. Die so genannte Dusche befand sich draußen hinterm Hof und bestand aus einem Trog mit einem Eimeraufbau. Bei Bedarf ließ sich an einer Schnur ziehen, die den mit Wasser gefüllten Eimer in eine Kipplage brachte und eisiges Nass auf den Duschenden schüttete. Fiel der Wasserpegel im Eimer unter eine bestimmte Marke, sorgte ein Ventil dafür, dass über eine Art Röhrensystem neues Wasser nachgefüllt wurde. Simon fand die Konstruktion recht improvisiert, aber dennoch gut durchdacht. Heißes Wasser wäre ihm im Moment jedoch lieber gewesen, um seinen geschundenen Körper zu entspannen. Und er hätte seine rechte Hand dafür gegeben, die vorbeilaufenden, kichernden Frauen fortschicken zu können. Als er seine Verletzung am Bein reinigen wollte, stellte er fest, dass man ihm während des Schlafs einen neuen Verband mit einer Kräuterpaste angelegt hatte. Die Wunde heilte bereits sehr gut. »Geht die Fete gleich los?«, fragte Simon, als er auf sein Zimmer zurückgekehrt war und ein bereit gelegtes Hemd überstreifte, während er die zerfetzte Drahusem-Felduniform achtlos in eine Ecke warf. Ken hatte hier auf ihn gewartet. »Sie sitzen schon alle unten, und warten nur noch auf dich!« Die beiden verließen das Zimmer, durchmaßen den Gang der oberen Etage und nahmen eine Wendeltreppe nach unten in den Speiseraum. Simon fühlte sich in die Zeit der Sagen und Legenden versetzt. Neben einigen Amazonen standen hier Ritterrüstungen vor dem Eingang Spalier. An den Wänden hingen verzierte Gemälde und archaische Waffen. Fackeln erhellten den Speisesaal. Die Amazonen saßen an einem langen, schweren Eichentisch. Am Kopfende ihre Anführerin Prinzessin Tanya, die Simon sofort an ihrer Ausstrahlung von Autorität und Macht erkannte. Die Frau war ebenso schön und jung wie ihre Mitstreiterinnen. Ihr langes Haar glänzte im Fackellicht mittelblond, und statt des grünen Stirnbands trug sie ein Diadem mit eingearbeiteten, funkelnden Edelsteinen. Zusammen mit Ken marschierte Simon auf die Festtafel zu. Eine Bedienstete wies ihm einen Platz zu, so dass er zwischen Ken und Kardina sitzen musste. Das kleine Biest scheint das extra arrangiert zu haben, dachte er, als ihn die schwarzhaarige Amazone neben ihm angrinste und sein Bein tätschelte. »Herzlich Willkommen, Ken und Simon«, sagte Tanya feierlich und hob einen Humpen, der mit einer grünlichen Flüssigkeit gefüllt war. »Lasst es euch schmecken, Freunde, ihr habt es euch verdient.« Kaum, dass ihre Worte verklungen waren, machten sich die Amazonen daran, die Tabletts mit Fleisch- und Gemüse zu plündern. Eine allgemeine Hektik brach an der Tafel aus. Simon hatte fast das Gefühl, als glaubten die Frauen, die letzte Mahlzeit ihres Lebens zu sich zu nehmen.
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»Mach dir nichts draus«, flüsterte ihm Kardina von der Seite ins Ohr. »Sie benehmen sich nicht immer wie die Barbaren.« »Nur um bei Fremden Eindruck zu schinden, wie?« Jee A Maru verwickelte Prinzessin Tanya in ein Gespräch. Soweit Simon die vereinzelten Gesprächsfetzen, die ihn erreichten, deuten konnte, ging es um DUST und die vernichtete Heimat der Drahusem. Im Verlauf der Unterhaltung wurde die Schwertträgerin mehrmals von heftigen Weinkrämpfen unterbrochen. Die Amazonenprinzessin stützte sie und nahm sie tröstend in die Arme. Simon war der Appetit vergangen. Auch in ihm schwemmten die Bilder des Untergangs aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche. Statt zu essen, begann Simon vor Frust die grünliche Flüssigkeit gleich Becherweise in sich hineinzuschütten. Es handelte sich dabei definitiv um Alkohol. Ein schweres, süßliches Gesöff, das entfernt an Wein erinnerte. Erneut spürte er Kardinas Hand auf seinem Oberschenkel. Ihre Finger näherten sich unmissverständlich einer bestimmten Stelle, doch Simon setzte dem ein Ende, obwohl er kurz vor dem zweiten Einschlafen noch anders gedacht hatte. »Es tut mir leid«, sagte er leise und schob ihre Hand beiseite. Kardina blickte ihn enttäuscht an. Dann stand sie ohne ein weiteres Wort zu verlieren auf und verließ die Tafel. Simon fing Jee A Marus fragenden Blick auf. Er zuckte die Achseln. Daraufhin kam die Schwertträgerin zu ihm und Ken herüber und hockte sich auf den leeren Platz neben Simon. »Tanya hat sich bereit erklärt, uns ihre Privatjacht zur Verfügung zu stellen«, teilte sie das Ergebnis ihrer Unterhaltung mit der Prinzessin mit. »Aber nur unter der Bedingung, dass sie uns begleiten darf.« Simon schaute Jee fragend an. »Und, wie hast du dich entschieden?« »Wir sind ein Team, deshalb wollte ich euch mit in die Entscheidung einbeziehen!« McLaird war angenehm überrascht. Ein Team. Hatte seine Aktion draußen im Dorf der Amazonen doch eine positive Wirkung gehabt? Oder war er einfach zu blind gewesen, zu erkennen, dass die beiden Drahusem ihn als vollwertiges Mitglied ihrer Mannschaft betrachteten. »Ich glaube, wir können jede Hilfe gebrauchen, oder?«, sagte Simon schließlich. »Wir sind auf der ständigen Flucht vor der Scardeenischen Legion und haben immer noch eine wichtige Aufgabe vor uns«, ergänzte Ken. »Wir brauchen ein gutes Schiff und nicht diese Schrottmühle von einer F-305.« Jee A Maru winkte Tanya zu sich. »Du bist dabei. Wir nehmen dein Angebot an.« Sie sprachen noch weiter, und inzwischen zeigte sich auch Jee wieder zuversichtlich. Ihre Trauer um die verstorbene Heimat war ihr für den Moment nicht anzusehen. Vielleicht hatte sie durch Tanyas Mithilfe neue Hoffnung geschöpft. Das weinartige Getränk zeigte irgendwann bei Simon Wirkung. Er wurde schläfrig, entschuldigte sich bei den anderen und kehrte auf sein Zimmer zurück. Doch dort wartete die nächste Überraschung auf ihn, denn Kardina stand bereits vor seiner Tür. »Es tut mir leid, dass ich vorhin etwas zu hastig vorgegangen bin, Simon McLaird«, stammelte sie ein wenig verlegen und mit gesenktem Blick. Simon machte eine abwehrende Handbewegung. »Das hat damit nichts zu tun. Du bist ein schönes Mädchen und hast vielleicht noch nicht viele Männer in deinem Leben gesehen, weil du hier isoliert lebst. Eine ganz natürliche Reaktion deines Körpers. Und ... ich würde die Situation nur für mich ausnutzen. Dabei kenne ich dich doch gar nicht. Es wäre wahrscheinlich nichts weiter als ein One-Night-Stand – und dafür bist du zu schade.« Sie legte die Stirn in Falten. Wahrscheinlich übersetzte der Translator den One-Night-Stand nicht richtig, aber McLaird hielt es nicht für nötig, näher darauf einzugehen. Kardina unterdrückte mühsam ihre Tränen, während sie ihn aus großen Augen anblickte. Verdammt, sie sieht gut aus, dachte er und war versucht, sie an sich zu ziehen und mit ins
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Zimmer zu bitten. Aber das hätte die Situation noch verschlimmert. Er wollte das Mädchen nicht ausnutzen, nur um ein wenig Spaß zu haben. Dabei schloss er nicht einmal aus, dass sich langfristig zwischen ihnen etwas ergeben konnte, nur ging es ihm einfach zu schnell. »Vielleicht«, sagte sie leise, »hast du Recht, Simon McLaird. Wahrscheinlich ist es mir egal, wen ich in den Armen halte. Die Jahre der körperlichen Entsagung lasten schwer auf mir.« »Ich kann das verstehen«, nickte McLaird. »Glaube ich. Hör zu, du unterstehst ja nicht mehr den Befehlen der Scardeener. Prinzessin Tanya wird morgen mit Jee, Ken und mir fortfliegen. Vielleicht willst du ja mitkommen. Wenn wir unsere Aufgabe beendet haben, könntest du zu jeder Welt fliegen, die dir gefällt und dort endlich dein Leben beginnen.« Kardina wischte sich eine Träne beiseite und blickte ihn fragend an. Sie schien zu überlegen, dann nickte sie leicht. »Ich ... werde Tanya fragen.« Sie wandte sich ab und ging. Simon kam sich irgendwie dämlich vor. Jetzt schlüpfte er schon in die Rolle eines Psychiaters für Jungfrauen, die keinen Mann abbekommen hatten. Seufzend und kopfschüttelnd betrat er seinen Raum und legte sich schlafen. Er hoffte nur, dass er sich am Morgen noch an seine heutigen Worte erinnerte und keines davon bereute. Φ Logfile From:
[email protected] To:
[email protected] Subject: Schattenland encrypted message Hi Simon, sei sicher, dass die Verschlüsselung 100%tig in Ordnung ist. Es tut mir wirklich leid, was immer auch mit Calvin passiert ist. Ich hoffe, Du kommst bald darüber hinweg. Bitte melde Dich sobald Du kannst und halte mich auf dem Laufenden. Ich war heute nicht in der Schule. Schuld daran ist mein Bruder. Ich musste umziehen, weil er mir hinterher spioniert. Was immer Du tust, sei vorsichtig! bye J. Φ Verstohlen blickte sie sich um, doch sie war allein. Falls sie jemand entdeckt hätte, wäre sie erledigt gewesen. Helen Dryer stieß langsam und leise den angehaltenen Atem aus und schlich den Gang zurück, den sie gekommen war. Sie trat gerade um eine Biegung, als ihr zwei Flottenoffiziere entgegen kamen. Sie schauten ihr hinterher, hielten sie jedoch nicht auf. Helen trug mittlerweile die Uniform von Sealdrics Mannschaft. Der Bewahrer hatte ihr erlaubt, sich frei an Bord des Schlachtschiffes bewegen zu dürfen. Jetzt fragte sich Helen, ob sie nicht einen Schritt zu weit gegangen war. War es naiv anzunehmen, sie würde nicht überwacht werden? So dumm konnte Sealdric nicht sein. Dennoch hatte sie es versuchen müssen. Während ihres Aufenthalts auf der SENSOR hatte sie die Schiffsbibliothek aufgesucht. Sealdric war derweil mit anderen Dingen beschäftigt und kümmerte sich kaum um sie. Mit Hilfe eines jungen Technikers hatte sie sich mit der Funkanlage des Schiffes
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vertraut gemacht und war in der Lage gewesen, jenen chiffrierten Spruch an Shadow Command abzusetzen. Jetzt hieß es für sie einfach abwarten, bis sie die Erde erreichten. Oder bis ihr jemand auf die Schliche kam und sie einfach durch eine Luftschleuse ausgesetzt wurde – ohne Raumanzug, verstand sich. Die SENSOR hatte pünktlich von Nusaat abgelegt. Gerade noch rechtzeitig hatte Helen erfahren, dass sie nicht direkt die Erde ansteuerten, sondern Sealdric noch einige dringende Angelegenheiten in einem anderen Sektor zu erledigen hatte. Sie ließ diese Informationen bei der geschätzten Ankunft im Sol-System mit einfließen. Die ehemalige CIA-Agentin suchte ihre Kabine auf. Sie gab vor, in einem wissenschaftlichen Buchpad zu schmökern. Insgeheim kreisten ihre Gedanken jedoch nur um die Frage, ob der gesendete Funkspruch entdeckt worden war. Sicherlich gab es Dutzende Möglichkeiten, Transmissionen zu lokalisieren. Wahrscheinlich wurden sie sogar in einer Datenbank oder einem Logbuch abgelegt. Wenn, dann bin ich erledigt, dachte Helen mit einem Anflug von Angst. Aber sie hatte sich selbst in diese Lage gebracht. Es war ihre eigene Idee und ihr Wunsch gewesen, die Außerirdischen auf diese Weise zu infiltrieren. Immerhin hatte sie dadurch die einmalige Gelegenheit auf einen Raumflug und das Bestaunen technischer Wunderwerke erhalten. Ob dies reichte, sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen, vermochte sie selbst nicht zu beantworten. Als nach zwei Stunden noch immer keine bewaffneten Wächter vor ihrer Quartierstür erschienen, entschied sie sich, den nächsten Schritt durchzuführen. Helen verließ die Kabine und begab sich zu einem der tiefer gelegenen Hangars. Sie suchte sich einen Shuttle aus, der gerade gewartet wurde und schritt die Rampe hinauf. Im Cockpit war nur der Pilot zugegen, der aufmerksam seine Instrumente checkte, ohne Helen bemerkt zu haben. Erst als sie sich räusperte, zuckte er zusammen und fuhr herum. »Was ...?« Sie hielt ihm das digitale Dienstsiegel Sealdrics unter die Nase. Das winzige Hologramm öffnete ihr so einige Türen an Bord – mit Ausnahme der Hochsicherheitstrakte, wie den Waffenstationen, Munitionskammern und dem Maschinenraum. Der Zutritt zur Brücke der SENSOR war ihr bisher ebenfalls verwehrt worden. »Oh«, machte der Pilot, als sein Blick auf das Siegel fiel. »Was kann ich für Sie tun, Ma'am?« »Ich brauche ein paar Flugstunden und Praxistests«, sagte sie, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. »Gibt es eine Art Simulator?« »Sicher«, antwortete der Mann und deutete auf den Ausgang der Fähre. »Wenn Sie mir folgen würden ...« Als der Pilot an ihr vorbeiging lächelte Helen leicht. Angesichts des Siegels stellte der Scardeener keine Fragen. Er fraß ihr aus der Hand. Φ Die private Raumjacht der Amazonenprinzessin glich in ihren äußeren Formen einem überdimensionalen Teufelsrochen. Zumindest war es das Erste, das Simon beim Anblick des Schiffes assoziierte. McLaird stand zusammen mit Ken Dra auf dem Wehrgang der Festung. Von hier aus war hinter dem Hauptgebäude ein zweiter Hof auszumachen, der ausschließlich als Landeplattform für das Schiff diente. Simon musste seine Meinung, die Amazonen besäßen keinerlei Technologie, revidieren. Die Jacht strafte ihre altertümlichen Waffen Lügen. Unten im Hof waren mehrere Amazonen damit beschäftigt, das Privatschiff der Prinzessin startklar zu machen. Aus Vertiefungen am Boden führten Kabel und Schläuche zu
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entsprechenden Dockstationen am Schiffsrumpf, um es mit Treibstoff, Atemluft und Wasser zu versorgen. Stapelweise wurden Kisten mit Vorräten an Bord getragen. »Nicht schlecht, der Kahn, was?«, fragte Ken und stieß Simon mit dem Ellenbogen an. »Sieht elegant aus«, kommentierte McLaird. »Aber wenn die Amazonen über diese Technik verfügen, warum leben sie hier so veraltet?« »Nur die Königin und ihre Tochter haben Schiffe, um zur Hauptwelt Scardeens zu reisen, falls man sie ruft, um ihnen Aufträge zu erteilen. Die Raumer wurden von den Scardeenern gestellt. Soweit ich weiß, soll Lasarias doppelt so groß wie diese Jacht hier sein.« »Tochter?«, hakte Simon nach. »Tanya ist Lasarias Tochter?« »Nicht ihre leibliche«, korrigierte Ken. »Du weißt ja, wie die Amazonen herkommen. Der Wissenschaftsrat von Scardeen bestimmt eine Anführerin auf Lebenszeit und diese wiederum eine Stellvertreterin, die sie ihre Tochter nennt und ihr den Titel einer Prinzessin verleiht. Reichlich verworren, wenn du mich fragst.« »Allerdings.« Sie folgten weiter den Vorbereitungen für den Start der Jacht. Wenn Simon die Fläche des zweiten Hofs richtig einschätzte, war der Rochen gute dreißig Meter lang und besaß eine Spannweite von knapp zwanzig Metern. Die Höhe von sechs Metern musste genügend Platz für zwei, vielleicht sogar drei Decks bieten. »Ja, du hast Recht«, sagte Simon irgendwann mit Blick auf das Schiff. »Euer Forschungsschiff hat dagegen das Temperament einer eingeschlafenen Schlaftablette.« »Du solltest erst einmal das Innere sehen. Alles vom Feinsten. Ich bin schon einmal in einer Jacht dieser Bauart geflogen, als ich den Ministerialrat von Prissaria ...« Kens Stimme stockte. Er brach ab und atmete tief durch. Mit zittrigen Händen hielt er sich am Geländer des Wehrgangs fest. »Geht's?«, fragte Simon nach einer Weile. »Es wird schon wieder«, versicherte der Pilot und entschuldigte sich bei Simon. Ein wenig wankend verließ er den Wehrgang und kehrte nach unten auf den Haupthof zurück. Simon indes blieb noch auf der Brüstung und schaute gedankenverloren dem Treiben beim Raumer zu. Unser nächstes Ziel wird endlich DUST sein, überlegte er. Und was werden wir auf dem sagenumwobenen Planeten finden? Er hoffte inständig, dass die ehemalige Kristallwelt all die Strapazen und Torturen, die die Drahusem erlitten hatten, Wert war. Was, wenn Jee und Ken dort nicht das Erhoffte fanden, sondern nur enttäuscht zurückkehren würden. Simon schob die dunklen Gedanken beiseite und versuchte positiv zu denken. Das Schicksal oder wer auch immer ihre Lebensfäden lenkte, konnte nicht so grausam sein. Es musste dort einfach etwas geben, um die Scardeener in ihre Schranken zu weisen. »Woran denkst du?« Die Stimme Jee A Marus rief ihn mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Er hatte die Schwertträgerin nicht einmal kommen hören. »Ich habe an DUST gedacht«, sagte er. »Die Eindrücke, die ich auf meinem mentalen Flug zu der Welt hatte, lassen auf eine recht öde Welt aus Sand, Felsen und Staub schließen. Da war meine Wortwahl für die Abkürzung seines Namens wohl intuitiv passend.« Jee zog die Brauen hoch. »Aber du sprachst auch von großräumigen Oasen und der Pyramide.« Simon nickte. »Dann bin ich sicher, dass wir dort richtig sein werden«, meinte die Schwertträgerin. »Aber ich fürchte, wir werden nicht sofort nach DUST fliegen.« Nun war Simon erstaunt. »Nicht? Aber ich dachte, euer ganzes Schicksal hängt vom Auffinden dieser Welt ab. Je eher ihr DUST findet, desto besser.« »Ja, du hast Recht«, stimmte Jee zu. »Aber die Vernichtung allen Lebens auf Prissaria
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zwingt mich zu einer anderen Maßnahme. Wir müssen zum Asteroiden Gernah. Er befindet sich in einem weitläufigen Orbit unserer Heimatwelt.« »Du willst nach Prissaria zurückkehren?«, fragte Simon ungläubig und befürchtete das Schlimmste. Jee A Maru legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, ich habe nicht vor, mir den Planeten noch einmal anzusehen. Auf Gernah befindet sich die Weihestätte der Schwertträger, ein Relikt, das wir bergen müssen. Es ist das letzte unserer Zivilisation.« Während Simon noch überlegte, was sie mit einer Weihestätte anfangen konnten, ertönte ein Ruf vom Landeplatz der Jacht her. Im nächsten Augenblick brach die Hölle über sie herein ... Φ Dicht neben der Jacht stand die Amazone Mahanu. Sie blickte zu Simon und Jee auf und winkte kräftig. Im nächsten Moment verschwand das Lächeln auf ihrem Gesicht, als sich der Himmel direkt über ihr verdunkelte. Nur einen Sekundenbruchteil darauf war von der schönen Frau nichts mehr zu sehen, denn an ihrer Stelle lag dort jetzt ein massiver Felsbrocken im Hof. Simons Augen weiteten sich vor Schreck und Überraschung. Instinktiv zog er die Laserpistole aus dem Holster. Unter ihnen brach das Chaos aus. Die Amazonen, die mit dem Beladen der Jacht beschäftigt waren, ließen alles stehen und liegen und griffen zu ihren Waffen. »Mossar!« Simon und Jee rannten über den Wehrgang zu Westseite der Festung und blickten über die Brüstung die Mauer hinunter. »Katapulte!«, brüllte Jee in den Hof hinunter. Simon schob den Blaster über die Brüstung und gab eine dreifache Energiesalve auf die Feinde jenseits der Mauer ab. Zur Antwort donnerten mindestens fünf Steinbrocken gegen die Burgmauern und zerschlugen diese, als wären sie aus Pappe. Aus dem Turmaufgang sprang Ken Dra mit gezogener Waffe hervor und gesellte sich zu seinen beiden Freunden. Er lugte über die Mauer und erblickte ebenfalls die riesigen Katapulte, die von den Amazonen Königin Lasarias bedient wurden. Krieg!, raste es Simon durch den Kopf. Denk nach. Du hast die Regeln von Strategie und Taktik auf der Offiziersschule fast auswendig gekonnt. Ein einzelner Pfeil, abgeschossen von einem Langbogen, fegte die Burgmauern herauf, sirrte zwischen Jee und Ken vorbei und landete ohne Schaden anzurichten auf dem Boden des Wehrgangs. »Los, Ken!«, forderte Simon bestimmt auf. »Zeigen wir den Gören, wozu moderne Waffen taugen.« »Was hast du vor?«, fragte Ken verwundert. Simon blickte sich hastig um. »Wirst du gleich sehen.« Im Hof erspähte er Prinzessin Tanya, die hektisch ihre Frauen kommandierte und in ihre Stellungen schickte. Als spüre sie Simons Blick, sah sie einmal nach oben. McLaird gab ihr mit einigen Handzeichen zu verstehen, was er vorhatte. Sie nickte kurz und schickte zehn ihrer Armbrustschützen den Wehrgang hinauf. Tanyas Amazonen nahmen hinter dem Verteidigungswall Aufstellung. »Laden!«, befahl Simon, ohne darauf zu achten, dass er gar keine Befehlsgewalt über die Kriegerinnen hatte. Diese aber schien dies nicht zu stören, denn sie kamen seiner Aufforderung augenblicklich nach. Offenbar war es ihnen egal, wer die Befehle gab – so lange es überhaupt jemand tat. Die Armbrüste wurden durchgeladen.
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»Okay, ihr schießt auf alles, was sich da unten bewegt, selbst wenn es ein Hund ist, der einer der Amazonen Lasarias ans Bein pinkeln will. Haltet uns ihre Bogenschützen vom Leib! Ihr schießt nur gleichzeitig und deckt das Feld mit einem Sperrfeuer ein.« Mittlerweile dämmerte auch Jee A Maru und Ken Dra, was Simon vorhatte. Wenn die Bogenschützen in Deckung gingen, um den Bolzen der Armbrüste zu entgehen, hatten sie mit den Laserwaffen genügend Zeit, die Katapulte anzuvisieren und zu Asche zu verdampfen. Soweit der Plan ... doch es kam anders. Just in diesem Moment rief eine Stimme vom Beobachtungsturm auf der anderen Seite der Mauer etwas, das sich wie Rammbock anhörte. Jee wurde hellhörig und umgriff den Schwertknauf fester. Sie sah in den Hof und erkannte, wie Tanya ihre Kriegerinnen im Halbkreis um das Eingangstor formierte. »Ich werde unten gebraucht«, sagte die Schwertträgerin. »Lasarias Frauen brechen durch das Tor.« »In Ordnung«, meinte Simon. »Ken und ich kommen hier schon klar.« Zur Unterstreichung seiner Worte jagte eine weitere Angriffswelle an Felsbrocken über die Mauern, sprengte durch die Unterkünfte oder erschlug einzelne Amazonen drunten im Hof. »Bereithalten«, rief Simon den Armbrustschützen zu. »Falls nichts mehr geht«, sagte Jee, ehe sie ging, »rennt ihr so schnell wie möglich zum Schiff!« »Ewiger Frieden, Jee«, fügte Ken an. »Ewiger Frieden«, antwortete die Schwertträgerin und stürmte dann den Aufgang der Wehrmauer hinunter in den Hof. »Viel Glück«, kommentierte Simon. Dann wandte er sich an Ken. »Bereit für unsere Reinigungsaktion?« »Wenn du es sagst.« Die beiden schlichen sich in gebückter Haltung an die Brüstung heran. Simon gab den Amazonen ein Zeichen. Sie schoben die Armbrüste durch die Schießscharten. Die Männer taten es ihnen mit den Lasern gleich. McLaird nagte an seiner Unterlippe, überdachte noch einmal kurz die Situation und gab sich endlich einen Ruck. »Feuer!« Die Schützen schnellten hoch, suchten in Bruchteilen von Sekunden ihre Ziele und gaben eine Salve aus den Armbrüsten ab. Schreie drangen von unten herauf. Simon und Ken kamen hoch. Zwei weißblaue Blitze zuckten auf zwei Katapulte zu und zerfetzten diese mit maximaler Energieentladung. Die beiden Männer duckten sich, während die Amazonen bereits nachluden. Eine der Frauen sprang jedoch zu früh auf. Ein Pfeil sirrte heran und bohrte sich in ihre Stirn. Sie wurde zurückgeworfen und fiel stumm von der Mauer in den Hof. Ungeachtet des Verlusts sprangen die anderen neun Kriegerinnen gleichzeitig auf und verfeuerten eine weitere Bolzensalve. Kurz darauf folgten Ken und McLaird. Gleißendes Laserlicht zerstörte eine weitere Wurfmaschine. Simon feuerte sofort weiter, verfehlte aber den Katapult und streckte dafür eine Gegnerin nieder. Ein zweiter Laserstrahl erfasste die nächste Felsschleuder und riss sie in tausend Stücke. Zwei in der Nähe stehende Amazonen wurden von der Druckwelle zu Boden gepresst und unter den nachfolgenden Trümmerstücken begraben. Gerade wollte Simon sich ducken, als er eine Abteilung Reiter erspähte, an deren Spitze eine blonde Frau mit weißer Tunika ritt. Sie näherten sich dem Katapultkommando. »Lasaria!«, vermutete Simon. Ohne zu zögern visierte er die Königin der Amazonen mit dem Laser an. Genau in dem Augenblick brach das Haupttor unter den Attacken des Rammbocks zusammen. »Simon!«, schrie Ken und riss den Freund in Deckung. Keine Sekunde zu früh, denn schon schwirrten ein halbes Dutzend Pfeile heran, die ihn unweigerlich getroffen hätten
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McLaird nickte Ken dankbar zu und blickte in den Innenhof. Lasarias Kriegerinnen stürmten über die Trümmer des Tores den Festungshof und begegneten den Verteidigerinnen im Zweikampf. Erneut ließen die Armbrustschützen eine Salve nach unten jagen. Ken war als erster oben und vernichtete einen weiteren Katapult. Simon lugte über die Brüstung und versuchte noch einmal auf die Königin zu zielen, doch eine Baumgruppe versperrte ihm das Schussfeld. Ein weiterer Pfeilregen zwang ihn in Deckung. »Scheiße!«, fluchte er laut. »Ich hätte sie fast gehabt.« »Es hat keinen Zweck mehr, hier weiterzumachen«, riet Ken. »Wir müssen zusehen, dass wir denen unten im Hof helfen!« Simon und der Pilot hetzten die Wendeltreppe im Wehrturm hinunter. Unten angekommen gab Ken ein paar Laserstöße mit verringerter Energie in Richtung Haupttor ab. Im Hof kämpften die Amazonen Tanyas ums nackte Überleben gegen die Übermacht Lasarias. »Zum Schiff!«, rief Simon Ken zu. Eine Strahlensalve aus seinem Laser strich über den Torbogen am Eingang der Festung und ließ ihn polternd einstürzen. Einige der nachrückenden Angreiferinnen wurden unter den Steinmassen begraben. Der Nachschub stockte, weil die anderen erst über die Trümmer klettern mussten, um in den Hof zu gelangen. Zusammen mit Ken lief Simon quer über den Hof, stürmte durch das Hauptportal und durchmaß den langen Korridor, der im Innern des Großen Turmgebäudes zum zweiten Hof auf der Rückseite der Festung führte. Dort, wo sich der Landeplatz befand. Im offenen Schott der Jacht stand Kardina und focht mit einer Gegnerin, die sie mit einem gekonnten Streich enthauptete. Über die Mauer seilten sich weitere Amazonen der Königin ab. Sie kamen aus allen Richtungen. Lange würden sich die Verteidiger nicht mehr halten können. Das Schiff war ihre einzige Chance, zu entkommen. Simon rief Kardina zu, die Jacht startklar zu machen. Nickend verschwand die junge Frau im Innern. Kurz darauf liefen die Triebwerke an, während das Kampfgetümmel um Simon und Ken immer dichter wurde. Von der anderen Seite der Mauer war Hufgetrappel zu hören. Dann flogen Greifhaken mit Seilen über die Mauer. Lasarias Reitertrupp hangelte sich bereits von der anderen Seite an den Außenwänden hoch. Als die ersten Frauen über die Mauer kamen, bestrichen Simon und Ken die Brüstung mit todbringenden Laserstrahlen. Gleich drei der Angreiferinnen wurden getroffen und stürzten in den Hof. Weitere Amazonen hatten den Wehrgang erreicht und feuerten Armbrüste oder Bögen ab. Die beiden Männer verschanzten sich hinter einem Stapel Kisten. Jee A Maru und Prinzessin Tanya stürmten mit einigen ihrer Mitstreiterinnen ebenfalls durch das Hauptgebäude auf den zweiten Hof. Offenbar waren viele der Verteidiger bereits gefallen und das Kampfgeschehen verlagerte sich hierher. Aus den Augenwinkeln gewahrte Simon mehrere Schatten. Die Amazonen der Königin ließen sich an ihren Seilen die Mauer hinab. Selbst Lasaria war unter ihnen und griff aktiv in den Kampf ein. Simon wollte auf sie anlegen, da sprang sie bereits vor und stand plötzlich Tanya mit gezogenem Schwert gegenüber. Der Angriff kam unvermittelt, doch die Prinzessin reagierte blitzschnell mit einer leicht abgefälschten Aufwärtsbewegung. Die Klingen kreisten ein paar Augenblicke umeinander. Eine feindliche Amazone näherte sich Tanya von hinten. Doch sie spürte die Gefahr und wollte ausweichen. Lasaria nutzte ihren Vorteil, streifte mit ihrer Klinge Tanyas Schulter. Aufschreiend ließ sich die Prinzessin fallen, rollte über den gepflasterten Hof und kam einige Schritte von ihrer Gegnerin entfernt wieder auf die Beine. Blut rann ihr über den Oberarm. Ein Laserstoß aus Kens Waffe tötete die Amazone, die Tanya heimtückisch von hinten attackiert hatte. Der Drahusem stürmte vor, hielt Lasaria in Schach und stützte die Prinzessin. Simon sprang hinter der Deckung vor und wollte Lasaria endgültig beseitigen. Er krümmte
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den Zeigefinger um den Abzug, doch plötzlich geriet Jee A Maru kämpfend in sein Schussfeld. Reflexartig wirbelte er seinen Schussarm herum. Der bereits ausgelöste Lichtblitz fand sein Ziel in einer anderen gegnerischen Amazone, hätte aber genauso gut fast Ken getroffen, der Tanya in Richtung der Jacht schleifte. Mit einem lauten Klirren trafen die Klingen Jees und Lasarias aneinander. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, musterten sich abwartend und versuchten eine Schwäche des Gegners auszuloten und zu nutzen. »Ergib dich, Schwertträgerin«, zischte Lasaria verächtlich. »Dein Volk ist ohnehin Geschichte.« Die Königin machte einen Ausfall, duckte sich und hieb mit dem Schwert nach Jees Beinen, doch die Schwertträgerin war zu schnell für die Amazone. Sie zog die Knie zur Brust an, streckte in der Bewegung den rechten Fuß vor und trat mit voller Wucht gegen die Kinnspitze der Königin. Lasarias Kopf flog in den Nacken. Sie taumelte zwei Schritte nach hinten, stolperte und ging dann zu Boden, wo sie bewusstlos liegen blieb. Jee A Maru wirbelte in Richtung Festungseingang herum. Eine Horde gegnerischer Amazonen stürzte ins Freie auf den Hof. Jee streckte die Klinge vor und legte einen Schalter am Griff um. Blitze umzüngelten die Klinge, vereinten sich an der Spitze zu einem mächtigen, grellen Strahl, der seine Opfer in der heranstürmenden Truppe fand. Schreiend vergingen ein Dutzend Amazonen im Licht der tödlichen Waffe. Die nachfolgenden Frauen sprangen seitwärts in Deckung. Andere mieden es, ins Freie zu laufen und warteten im Innern des Gebäudes. Armbrustbolzen fegten heran, prallten jedoch an der blassblauen Aura des Schwertes ab. »Zur Jacht!«, brüllte Jee laut. Endlich raffte sich Simon auf und sprintete los. Ken hatte Tanya bereits an Bord gebracht. Als Simon und Jee fast gleichzeitig die Gangway erreichten, heulten die Landedüsen des Raumers laut auf. Die Schwertträgerin hetzte durch das offene Schott. Simon wandte sich auf der Rampe, die bereits langsam eingefahren wurde, noch einmal um und feuerte mit der Pistole in die gegnerischen Reihen. Er hoffte, dass die eine oder andere Verteidigerin noch mitfliehen konnte. Doch zu seinem Bedauern musste er mit ansehen, wie drei von Tanyas Frauen von Pfeilen niedergestreckt wurden. Eine weitere fiel von einem Bolzen getroffen zu Boden und andere erlagen ihren Gegnerinnen im Schwertkampf. »Verdammt!«, stöhnte McLaird. Er sprang ins Innere der Jacht. Als sich das Schott vor seinen Augen schloss, schätzte er, dass sie mindestens zehn Überlebende aus Tanyas Reihen zurücklassen mussten. Das Schiff bebte kurz und hob dann endgültig vom Boden ab. Einige Pfeile und gar ein Felsbrocken wurden ihnen hinterher gejagt, doch die Geschosse prallten harmlos am Metallrumpf der Jacht ab. Dann brüllten die Triebwerke auf und der Raumer verschwand in den Weiten des Himmels von Mazoni. Φ Das Warten war unerträglich geworden. Der Kommandotrupp, der auf Befehl des Generals ein feindliches Schlachtschiff stürmen sollte, hatte nichts besseres zu tun, als wieder und wieder die taktische Situation durchzugehen, die Schemata zu vergleichen, nach denen die wichtigsten Stellen des feindlichen Raumers zu besetzen waren. Und in den Ruhezeiten sahen sie nur die Ziffernblätter der Uhren, zählten die Stunden und Minuten, die es noch bis zu ihrem Einsatz dauerte. Noch wussten sie nicht, wie sie überhaupt in den Weltraum gelangen sollten. Sherilyn Stone erging es nicht anders, als ihren Kameraden. Als sie von den Analytikern die
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von Dryer übermittelten Details erhalten hatte, fühlte sie sich vom General auf den Arm genommen. Das Schlachtschiff war mehr als zwei Kilometer lang und hatte eine Besatzung von 5.000 Mann. Ganz Shadow Command verfügte über nicht einmal die Hälfte der Soldaten. Ihre Mission war folglich von Anfang an zum Scheitern verurteilt – es sei denn Dryer hatte noch ein As im Ärmel, was Sherilyn jedoch bezweifelte. So ging das Warten und Rätselraten weiter und spannte die Männer und Frauen der Geheimorganisation auf nervliche Folter. Einzig und allein Paul Gossett schien einen entsprechenden Zeitvertreib gefunden zu haben, um sich nicht mit den Einsatzgedanken zu belasten. »Gossett, ich verstehe nicht, wie Sie so ruhig bleiben können«, sagte ihm Sherilyn auf den Kopf zu. Der Agent lehnte sich im Bürostuhl zurück und deutete auf den Bildschirm eines Laptops. »Ich habe eine Beschäftigung.« Captain Stone beugte sich zum Display hinunter, konnte das Programm, das Gossett benutzte jedoch nicht zuordnen. »Und was ist das?« »Nachdem wir die AOL-Adresse dieses Jeremiah Hurleys gesperrt haben, verschickt McLaird jetzt E-Mails an eine andere Anschrift.« »McLaird ist noch auf der Erde?«, wunderte sich Sherilyn. Gossett zuckte die Achseln. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Vielleicht hat er eine Möglichkeit sich von außerhalb ins Internet einzuloggen.« »Sie meinen vom Weltraum aus?« »Möglich.« Sherilyn deutete nochmals auf das Display des Laptops. »Was schreiben sie?« »Das ist genau das Problem«, meinte Paul Gossett stirnrunzelnd. »McLaird und dieser Jeremiah benutzen einen Chiffriercode, den ich nicht entziffern kann. Ich habe die Mails schon durch sämtliche von den Geheimdiensten und privaten Organisationen benutzen Entschlüsselungsprogramme laufen lassen. Alles negativ.« »Bleiben Sie am Ball«, sagte Sherilyn. In der nächsten Sekunde hallte der Alarm durch die unterirdische Basis Shadow Commands. Eine Lautsprecherdurchsage dröhnte mehrmals, dass es sich um keine Übung handele und der Stoßtrupp sich zum Entern des Schlachtschiffes bereithalten solle. Sherilyn und Gossett klaubten ihre Ausrüstung zusammen und rannten durch die Gänge des Stützpunktes zum vereinbarten Sammelpunkt. Innerhalb von knapp fünf Minuten hatten sich dort einhundert voll ausgerüstete Shadow-Agenten versammelt, bereit um gegen eine fünfzigfache Übermacht anzutreten. Φ »Das war verdammt knapp!«, ächzte Ken Dra vom Sitz des Piloten her, als Simon die Kommandozentrale der Jacht betrat. Neben ihm hockte Kardina und schaute betrübt drein. In einem Nebenraum hinter dem Leitstand war Jee A Maru dabei, Prinzessin Tanyas Arm zu verarzten. Die Amazone war ebenso bekümmert, wie Kardina. »Es tut mir leid, dass wir dich und die anderen da hineingezogen haben«, sagte Jee leise und bedauernd. Tanya wehrte ab. »Ihr hättet das Gleiche für uns getan. Früher oder später wäre das sowieso geschehen. Ich glaube nicht, dass Lasaria unsere Festung gefunden hat, nur weil ihr dort wart.« »Dennoch ... wieder haben die Scardeener gewonnen«, beharrte Jee. »Zuerst vernichten sie Drahusem, jetzt deine Leute.«
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»Es wird Zeit, dass wir etwas dagegen unternehmen«, mischte sich Simon impulsiv in das Gespräch ein. Jee und Tanya blickten sich überrascht an. Dann nickten sie einhellig. »Wir haben soeben den Orbit Mazonis verlassen«, verkündete Ken Dra vom Pilotensitz. »Welcher Kurs liegt an?« Jee A Maru und Tanya kamen in die Zentrale, die geräumig genug war, sechs Leuten Platz zu bieten. Die Prinzessin ließ sich auf den Sitz des Bordkommandanten im mittleren Bereich des ovalen Raumes nieder, während Jee und Simon sich ihre Plätze an den seitlichen Stationen suchten. »Wir fliegen zuerst nach Gernah«, antwortete Jee A Maru auf Ken Dras Frage. »Wir haben dort noch etwas zu erledigen.«
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Teil 4 Der neue Schwertträger
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[email protected] Subject: Meeting encrypted message – code confidential Pamela, lange nichts voneinander gehört. Ich habe wichtige Informationen, die wir beide teilen sollten. Interesse an diesen Erkenntnissen dürfte auch bei der Firma und unseren Kollegen von der Bundespolizei vorhanden sein. Empfehle gemeinsames Treffen in Pocomoke City. Wie wäre es mit einem anschließenden Spaziergang? Erwarte Ihren baldigen Bescheid. Grüße Harry Thorne Φ Ein unruhiges Raunen ging durch das gute Dutzend schwerbewaffneter Soldaten, als der helle Lichtpunkt am Nachthimmel durch die Wolkendecke brach. Sofort versteiften sich die Männer und Frauen und aktivieren die Infrarotvisiere ihrer Schnellfeuergewehre. Unverkennbare Geräusche klangen auf – Karabiner wurden durchgeladen. Dann war ein leises Heulen zu hören. Die Soldaten in den blauschwarzen Uniformen und den futuristisch anmutenden Helmen legten auf das helle Objekt am Himmel an und ließen es keine Sekunde aus den Augen. Ihre innere Anspannung hing förmlich in der Luft. Der Geruch von Angstschweiß hatte sich über das Areal vor dem Bunkereingang ausgebreitet. »Bereithalten!«, raunte ein Mann mit den Rangabzeichen eines Sergeants den anderen zu. Das Heulen wurde lauter, schriller. Nur kurz darauf formte sich aus dem Lichtpunkt am Himmel die Silhouette eines Fluggeräts. Kein Jet oder Helikopter irdischer Bauart, sondern ein Shuttle aus den Tiefen des Weltraums. Das Boot verharrte über dem Wüstensand. Es schien sich um einen Großraumtransporter zu handeln. Sein Rumpf maß an die sechzig Meter in der Länge und schwebte auf der Stelle über den Köpfen der Männer und Frauen, während sich deren Finger langsam um die Abzüge ihrer Waffen klammerten. Die Situation war nervenaufreibend. Ein falsches Wort, ein unabsichtlicher Laut konnte die Lage eskalieren lassen. Wer würde zuerst die Nerven verlieren? Hinter der verdunkelten Cockpitverglasung des Shuttles blitzte es zweimal grell auf. Ein Ruck ging durch den Flugkörper. Er trudelte leicht nach links, blieb jedoch in der Luft. Noch einmal durchfuhr ein Blitzen das Innere der Raumfähre. Irgendwo aus den Reihen der
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Wartenden löste sich ein Schuss. Die Kugel prallte als harmloser Querschläger vom Rumpf des Shuttles ab und verlor sich in der Nacht. Eine weibliche Gestalt mit den Rangabzeichen eines Captains löste sich aus den Reihen der Soldaten und hob drohend den Zeigefinger in Richtung des Schützen. Noch bevor sich die Anspannung auch bei den anderen Soldaten in einer unbesonnenen Aktion entladen konnte, verstärkte sich das Heulen, als die Raumfähre zur Landung ansetzte. Eine orkanartige Böe zog auf. Wüstensand stob in alle Richtungen davon und hüllte die Soldaten ein. Die Visiere ihrer halboffenen Helme schützten ihre Augen, jedoch nicht ihren Mund. Einige begannen zu husten und krümmten sich unter dem aufbrausenden Sturm. Endlich setzte die Raumfähre auf ihren Landefüßen auf. Die Böen ließen nach. »Auf die Posten!«, gellte ein Befehl durch die Nacht. Routiniert nahmen die vom Sturm gebeutelten Soldaten Aufstellung und kreisten den Shuttle ein. Eine Zeitlang geschah nichts. Nur das Brummen auslaufender Motoren erfüllte die Nacht. »Das Warten wird langsam nervig«, stöhnte der Sergeant neben dem weiblichen Captain. Als würden seine Worte erhört, schob sich mit einem Mal eine Gangway aus dem Rumpf der Fähre. Darüber öffnete sich das Schott ins Innere. Aus der Öffnung drang grünes Licht. Vorsichtig schob sich der braun-gelockte Kopf einer Frau ins Freie. Sie blickte sich kurz um, nickte dann und schritt mit ausladenden Schritten die Rampe hinunter. Mit vor der Brust verschränkten Armen wartete sie am Fuß der Gangway, ehe sich der Captain aus den Reihen seiner Leute löste und auf die Besucherin zu schritt. »Da bin ich«, sagte die Frau aus der Fähre. »Willkommen zurück, Agentin Dryer«, erwiderte der Captain und zog sich den Helm vom Kopf. Zum Vorschein kam das Gesicht Sherilyn Stones. »Ich hab euch etwas mitgebracht.« Helen Dryer grinste breit und deutete mit einer Kopfbewegung nach hinten zum Shuttle. »Das wird dem General sicher gefallen.« Der Sergeant aus den Reihen der Shadow-Soldaten gesellte sich zu den beiden Frauen und schob das Helmvisier hoch. »Helen?«, fragte Paul Gossett ungläubig. »Aber wieso ... ich dachte ...« Sherilyn Stone schnitt ihm mit einer knappen Handbewegung das Wort ab. »Verlieren wir keine Zeit. Wo ist Sealdrics Schiff?« Helen Dryer deutete nach oben in den Nachthimmel hinauf. »Im Erdorbit. Unsichtbar für irdische Radargeräte und Radioteleskope.« Sherilyn nickte der anderen nur zu und gab dann das Zeichen zum Ausrücken. Die Bunkertüren wurden aufgerissen und eine Schar von weiteren neunzig Agenten stürmte aus dem Inneren der unterirdischen Basis auf die Transportfähre zu. Als Sherilyn Stone zusammen mit Helen und Gossett das geräumige Cockpit betrat, gewahrte sie die Leichen der beiden Piloten auf dem Boden zwischen den Sitzen. In ihren Köpfen klafften die Einschusslöcher einer Laserwaffe. »Du hast ganze Arbeit geleistet«, pflichtete Gossett ihr unsicher bei. »Aber ich verstehe noch immer nicht, wieso du ...« Helen trat an ihn vorbei und ließ sich im Pilotensitz nieder. Ihre Vorgesetzte begnügte sich mit dem Sessel des Co-Piloten. Gossett blieb unschlüssig stehen. Was immer ihm gerade durch den Kopf ging, es wurde durch Captain Stones scharfen Befehl abrupt unterbrochen. »Schaffen Sie die Leichen hier raus, Gossett.« Sich etwas in den Bart murmelnd winkte der Angesprochene zwei Shadow-Agenten heran und trug mit ihnen die Toten aus dem Cockpit. Als sie allein waren, verriegelte Helen Dryer die Tür. »Sie kommen ohne Hilfe damit zurecht?«, fragte Sherilyn und deutete auf die Armaturen, die auf den zweiten Blick gar nicht einmal so fremdartig aussahen. Hier und da gab es seltsame Beschriftungen und unverständliche Symbole, aber ein Pilot konnte durchaus
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erkennen, welche Steuerelemente für welchen Zweck bestimmt waren. Als hätte Helen Sherilyns Gedanken erraten, sagte sie: »Die scardeenischen Raumschiffe sind fast so leicht zu fliegen, wie unsere Hubschrauber. Ein Großteil der Arbeit übernimmt eine intuitive Elektronik, die Kursberechnungen für den Überlichtflug der Navigationscomputer, sobald man erst einmal die Zielkoordinaten eingegeben hat.« »Es ist schon erstaunlich, wie viel sie herausgefunden haben, Dryer.« Die Agentin hob die Schultern. »Sealdric hat mir förmlich aus der Hand gefressen und mir freien Zugang zu den meisten Systemen an Bord seines Schiffes gewährt. Ich frage mich allerdings, warum er mir blind vertraut hat, oder ob er noch etwas im Schilde führt.« »Das hoffen wir besser nicht«, sagte Sherilyn Stone und deutete auf einen Schalthebel im Mittelbereich der Konsole. »Die Schubkontrolle?« Helen nickte. Sie prüfte, ob alle Soldaten an Bord und die Schotten geschlossen waren. Dann drückte sie den Schalter nach vorn. Augenblicklich erklang ein durchdringendes Brummen und ein harter Ruck durchlief das Transportboot. Die Triebwerke brüllten auf, und als das Fährschiff vom Wüstensand abhob leckten feuerrote Blitze aus den Antriebsgondeln. Der Shuttle schoss in den irdischen Nachthimmel hinauf und erreichte binnen weniger Minuten die äußeren Atmosphäreschichten. »Es gab Probleme?«, fragte Helen wie beiläufig, als nur noch die Sterne die Cockpitverglasung ausfüllten. Die Fähre kippte seitwärts. Sherilyn gewahrte aus den Augenwinkeln einen hellen Reflex und blickte durch das Seitenfenster nach draußen. Ein bläulich schillernder Ausschnitt der Erde war dort zu sehen. Der Anblick erfüllte die Frau mit einem Gefühl von Wehmut, Erhabenheit und Angst zu gleich. So fern, dachte sie, und so winzig. Sie spürte ihre Augen feucht werden und blinzelte hastig. Verstohlen schaute sie in Helens Richtung und hoffte, dass die Agentin die Schwäche nicht bemerkt hatte. Doch Sherilyn war noch immer ergriffen von dem Bild ihrer Heimatwelt, die mehrere tausend Kilometer unter ihr, eingebettet im schwarzen Samt des Alls, im Raum hing. »Inwiefern?«, entgegnete sie, als sie merkte, dass sie Helens Frage schon zu lange unbeantwortet gelassen hatte. Dabei vermochte sie nicht, den Blick von der Erde zu lösen. Die Pilotin schien dies zu merken und führte eine Kurskorrektur durch. Abermals kippte der Shuttle soweit, dass der Erdausschnitt nicht mehr durch die Cockpitfenster zu sehen war. »Ich hörte, Gossett hat Mist gebaut«, meinte Helen. Sherilyn runzelte die Stirn. »Sie scheinen gar nicht so weit weg gewesen zu sein, wenn Sie selbst davon wissen.« »Ich habe meine Quellen«, lächelte Helen. »Der General.« Die Pilotin sagte nichts. Ihre Finger huschten kurz über die Tasten am Instrumentenpult. Das polarisierte Licht der Mondscheibe schien durch das Cockpit. Bevor Sherilyn beim Anblick des vollen und klaren Mondes wieder rührselig werden konnte, wuchtete sie sich aus dem Sitz und wandte sich zum Schott. »Ich gehe mit unseren Leuten den Angriffsplan durch.« »Halten Sie ein Auge auf Gossett!« Das Schott fuhr beiseite. Sherilyn blieb auf der Schwelle stehen und wandte sich noch einmal zu der Pilotin um. »Sie mögen ihn nicht sonderlich, oder?« »Er ist ein Versager, glauben Sie mir«, erwiderte Helen Dryer. »Ich muss es wissen. Er war drei Jahre lang mein Partner bei der CIA.« Sherilyn seufzte und verließ das Cockpit. Sie durchquerte einen Zwischenraum, der den Leitstand von der Ladebucht der Fähre abgrenzte. Offenbar benutzten die Scardeener verschiedene Module, um ihre Transporter auszustatten. Dieses hier bestand aus einer
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Kombination von Passagiertransport und Frachtgut. Im ersten Abschnitt des Moduls waren sieben Sitzreihen untergebracht. Hinter einer transparenten Absperrung befand sich die eigentliche Ladefläche. Während es sich die Offiziere in den Sesseln fast schon bequem gemacht hatten, drängten sich über siebzig Shadow-Soldaten im hinteren Bereich zwischen einigen Metallkisten und Kleincontainern zusammen. »Achtung!«, rief ein schwarzer Sergeant, als er die Vorgesetzte gewahrte. Dem Sticker auf der Uniform konnte sie den Namen des Manns entnehmen: Tennard. Zumindest verschaffte er ihr durch seinen Arbeitseifer Gehör. Das Gemurmel der Offiziere und sogar der Soldaten im hinteren Bereich der Ladebucht verstummte schlagartig. Sherilyn nickte Tennard dankbar zu. »Wir gehen noch einmal die Einzelheiten der Operation durch«, sagte Stone laut und aktivierte gleichzeitig den Helmfunk, damit auch die Agenten im Frachtraum ihre Worte klar und deutlich vernehmen konnten. »Sobald wir in der Dockbucht gelandet sind, schwärmen wir aus und versuchen die wichtigsten Stationen des Schiffs zu besetzten. Agentin Dryer hat eine schematische Grafik des Bordkomplexes in Ihre Helmcomputer eingespeist, die Sie bei Bedarf auf die Innenseiten Ihres Visiers projizieren können. Damit werden Sie keine Schwierigkeiten haben, die strategischen Punkte der SENSOR zu erreichen. – Lieutenant Harris, haben Sie und Tennard Probleme mir zu folgen?« Der Angesprochene zuckte zusammen und warf Tennard einen Seitenblick zu. Die beiden machten den Eindruck von zwei Schuljungen, die auf frischer Tat ertappt worden waren. »Nein, Captain«, stammelte Harris und straffte sich. »Sergeant Tennard hat mich nur gefragt, wie es mit der Feuererlaubnis steht.« Die Mimik Tennards sprach Bände. So, wie er die Stirn kraus zog, hatte er mit Harris über alles andere, als über den bevorstehenden Einsatz gesprochen. Doch er spielte mit, um dem Kollegen nicht in den Rücken zu fallen. Zustimmend nickte Tennard – eine Spur zu heftig, wie Sherilyn fand. Die Szene hätte sie amüsiert, wäre sie nicht innerlich so angespannt gewesen. Selbst der Slapstick ihres Lieblingskomikers Jim Carey hätte sie in diesem Moment die Wände hochgehen lassen können. »Bei direkter Bedrohung werden Sie von den Schusswaffen Gebrauch machen«, sagte Sherilyn ernst. »Verinnerlichen Sie aber, dass wir hier nicht auf Scardeener-Jagd sind, sondern nur dieses Schiff in die Hand bekommen wollen. Falls jemand seine Abschüsse zu zählen beginnt, werde ich ihn eigenhändig dorthin befördern, wo sich seine Opfer aufhalten. Habe ich mich klar ausgedrückt.« Ein vielstimmiges »Ja, Ma'am« erschallte. Sherilyn wandte sich ab, doch mit einem Schritt war Lieutenant Sean Harris bei ihr. »Captain, ich will Sie nicht vor der Mannschaft kompromittieren, aber ich habe vom General anders lautende Befehle erhalten.« Sherilyn zog die Brauen hoch. »Wir sollen niemanden an Bord der SENSOR am Leben lassen«, fuhr Harris in beinahe verschwörerischem Ton fort. Doch dem Mann war deutlich anzusehen, was er von Aktionen dieser Art hielt. »Der General?« Paul Gossett hatte niemand beachtet. Er war unbemerkt an Stone und Harris herangetreten und hatte gelauscht. »Halten Sie die Klappe, Gossett!«, entgegnete Harris wie beiläufig. »Captain! Wenn der General ...«, wollte Gossett einwenden, doch Sherilyn Stone schnitt ihm barsch das Wort ab. »Sergeant Gosset, wir sind hier nicht mehr bei der CIA. Dies ist eine militärische Operation und ich Ihr kommandierender Offizier. Sie werden sich meinen Weisungen fügen!« Gossetts Kinnlade klappte herunter. Ihm lag eine Erwiderung auf der Zunge, doch ehe er etwas sagen konnte, nahm Sherilyn über den Helmfunk Kontakt zum Cockpit der Fähre auf.
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»Wie lange brauchen wir noch bis zur SENSOR, Sergeant Dryer?«, fragte sie und betonte absichtlich den militärischen Rang der Ex-CIA-Agentin, nur um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wer hier das Sagen hatte. Ein deutliches Ausatmen war aus dem Helmlautsprecher zu hören. »Zehn Minuten, wenn wir die momentane Geschwindigkeit beibehalten.« »Sehr schön«, sagte Sherilyn und schaltete sich nochmals in die allgemeine Funkfrequenz ihrer Leute. »Herhören. Alle mitgebrachten Projektilwaffen werden an Bord dieser Fähre bleiben. Diejenigen von Ihnen, die bereits mit dem von Shadow Command entwickelten Energiestrahler ausgerüstet sind, werden diesen auf betäubende Leistung stellen. Die anderen melden sich bei Lieutenant Harris, der die Ausgabe scardeenischer Lasergewehre am Depot überwachen wird.« Sherilyn nickte dem Offizier kurz zu und begab sich wieder zur Leitstelle des Transporters. Statt sich neben Helen Dryer niederzusetzen, verharrte sie hinter dem Sitz des Co-Piloten und blickte durch die Fensterkanzel in den Raum hinaus. Kurz darauf schien einer der Sterne im schwarzen Samt zu wachsen und heller zu werden. Als sich eine Silhouette aus dem Licht schälte, erkannte Sherilyn grob die Umrisse eines Schiffes – die SENSOR, Sealdrics Schlachtraumer! Helen kippte einen Schalter am Instrumentenpult um und aktivierte die externe Kommunikation. »Fähre SENSOR Sieben an Mutterschiff. Erbitten Landeerlaubnis nach Code Eta Sieben der Sicherheitsfreigabe. Kommen.« Sherilyn beugte sich zu der anderen Frau hinunter. »Und Sie meinen, das funktioniert?« »Es gibt keinen Grund, dass die Codes in der Zwischenzeit geändert wurden«, antwortete Helen. »Sealdric glaubt, ich wäre mit dem Shuttle zur Erde geflogen, um noch einige persönliche Dinge zu regeln, ehe ich meine Zelte hier ganz abbreche. Er selbst konzentriert sich voll und ganz auf die Spurensuche nach McLaird und seinen außerirdischen Freunden.« Ein Rauschen war in der Leitung zu vernehmen. Dann eine Stimme. »SENSOR Sieben, hier Mutterschiff. Warten Sie, bis Eingabe bestätigt wurde. Kommen.« »Mutterschiff, hier SENSOR Sieben. Verstanden und Ende.« Helen aktivierte eine interne Kamera und warf einen Blick auf den Seitenmonitor, der den Laderaum und die dort zusammen gepferchten Soldaten zeigte. »Es wird ein wenig dauern, bis sie unseren Flug überprüft haben.« »Ich bereite unsere Leute vor«, sagte Sherilyn und kehrte zu Harris und den anderen zurück. Sie bemerkte Gossett nicht, der sich in einer Nische des Verbindungsganges versteckt hatte und nun das Cockpit betrat. Summend glitt die Tür hinter ihm in die Fugen. Ein hartes Klacken verriet, dass die Verriegelung aktiviert worden war. »Was willst du denn hier?«, schnappte Helen, als sie ihren Ex-Partner vom Geheimdienst gewahrte. »Dir einen Rat geben. Ich weiß nicht, was Lady Stone vorhat, aber ganz sicher missachtet sie die Pläne des Generals.« Helen horchte auf, und auf ihre Frage hin, informierte Paul Gossett sie über die widersprüchlichen Befehle. »Falls Captain Stone ein falsches Spiel spielt, kann ich dann auf dich zählen, Helen?«, fragte Gossett anschließend. »Sicher«, gab Dryer zurück. »Falls es uns nicht gelingen sollte, das Schiff in unsere Gewalt zu bekommen, können wir den Scardeenern immer noch erzählen, dass Shadow Command uns zur Mitarbeit gezwungen hat. Sealdric vertraut mir!« Ein neuer Funkspruch kam herein. »SENSOR Sieben, Ihre Daten wurden geprüft. Sie haben Freigabe für Hangar A03. Folgen Sie der Lasermarkierung. Ende und aus.« Helen entspannte sich. Das ging fast eine Spur zu glatt. Dennoch versuchte sie das letzte
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bisschen Unruhe in sich zu verdrängen und umklammerte mit beiden Händen die Elemente der manuellen Steuerung. Draußen vor der Cockpitverglasung war das Schlachtschiff bereits auf gigantische Ausmaße angewachsen. Schwachgrüne Laserstrahlen lotsten sie zum angegebenen Hangardeck. Helen folgte dem Leitstrahl und steuerte den Shuttle im präzisen Anflug in die Dockbucht hinein, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. »Bereithalten!«, wies Sherilyn im Transportmodul ihre Leute an. Die Raumfähre setzte mit einem sanften Ruck auf dem Hangarboden auf. Noch ehe die Triebwerke verstummten, öffnete sich die Schleuse. Die ersten Shadow-Soldaten sprangen heraus und formierten sich zu drei Trupps rund um den Shuttle. Kurz darauf schlossen ihre Teamleader Sherilyn Stone sowie die Lieutenants Harris und Loomis zu ihnen auf. Alle Agenten des Angriffstrupps waren inzwischen mit Laserwaffen ausgerüstet. »Loomis, Maschinenraum«, befahl Sherilyn knapp. »Harris, Sie nehmen den langen Weg zur Brücke. Der Rest folgt mir.« »Sollen wir die Fähre nicht sichern?«, fragte Paul Gossett. »Wenn wir die Brücke eingenommen haben, brauchen wir sie wohl nicht mehr, Idiot«, fauchte Helen Dryer und stieß ihrem Kameraden unsanft den Ellbogen in die Rippen. Ehe er sich lauthals beschweren konnte, war sie dicht bei ihm und raunte ihm ins Ohr: »Halt ein Auge auf Stone.« Die Trupps setzten sich in Bewegung und hetzten dem Ausgang entgegen. Noch bevor sie die Landebucht ungesehen verlassen konnten, öffneten sich die Türen am Ende. Eine Wartungscrew betrat das Deck und sah sich augenblicklich einhundert Waffenmündungen gegenüber. Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse. Eine Salve löste sich aus den Reihen der Shadow-Soldaten. Fünf Techniker gingen tot zu Boden. »Gossett!«, herrschte Sherilyn den Agenten an, der noch immer die Waffe auf die Scardeener hielt. »Sie Narr! Nach der Übernahme des Schiffes, melden Sie sich bei mir und werden sich für das hier verantworten. Falls Sie dann noch leben.« Sherilyn gab ihren Leuten ein Zeichen. Erst stürmte Loomis' Einheit durch den Ausgang, danach Harris' Trupp. Plötzlich schrillten die Alarmsirenen durch das Schiff – eine der beiden Gruppen musste entdeckt worden sein. Die dritte Einheit sprang durch die Schottöffnung hinaus auf den Gang und nahm die linke Abzweigung: Den direkten Weg zur Brücke der SENSOR! Φ Genüsslich rekelte sich Simon McLaird auf dem komfortablen Bett in seinem Quartier an Bord der Raumjacht Prinzessin Tanyas. Seine Kabine lag auf dem Oberdeck. Die Zimmerdecken waren aus einem unzerstörbaren, transparenten Material gefertigt, so dass Simon von dem Punkt seines Quartiers aus, einen ungetrübten Blick in den freien Weltraum genießen konnte. Seit ihrem Abflug vom Waldplaneten Mazoni hatte Simon viel nachgedacht. Die Kämpfe gegen die Assassinen des Scardeenischen Reichs forderten ihren Tribut. War es richtig, dass er sich in die Konflikte der Außerirdischen einmischte? Auf der Erde gab es genug Gewalt, Verbrechen und Kriege – dazu musste er nicht erst ins All reisen. Und dennoch ... Sein Schicksal war mittlerweile eng mit seinen Kampfgefährten verknüpft. Eine Rückkehr zu seiner Heimatwelt gab es nicht. Dort warteten nur die amerikanischen Geheimdienste und die mysteriöse Organisation Shadow Command darauf, ihn in die Hände zu bekommen. Man hatte ihm keine andere Wahl gelassen, obwohl er mehr unfreiwillig in die Situation hinein geschlittert war – nun hatte man ihm zum Staatsfeind Nummer Eins abgestempelt. Sein neues Zuhause bestand gegenwärtig aus diesem geräumigen Quartier an Bord eines Raumschiffs,
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das auf der Erde nur in der Fantasie von einigen wenigen Utopisten existierte. Die Menschen sind noch lange nicht so weit, dachte er, während er die Arme hinter dem Kopf verschränkte und in das mit Sternen übersäte All hinaus starrte. Er sponn seine Gedanken weiter und fragte sich, was wohl geschehen wäre, wenn Shadow Command seine Ziele erreicht und Jee A Maru und Ken Dra in seine Hände bekommen hätte. Wie würde sich die Welt verändern, mit einer von der Regierung unabhängigen Organisation, die die Macht der Außerirdischen ihr Eigen nennen konnte? Simon schauderte bei der Vorstellung, Shadow Command könnte den Weltraum mit Hilfe fremder Technologien erobern. Über kurz oder lang würde daraus nur ein zweites Scardeenisches Reich erwachsen. Der Türsummer riss ihn aus den Gedanken. »Herein!« Die Amazone Kardina erschien auf der Schwelle, als sich die Tür geräuschlos beiseite geschoben hatte. Die dunkelhaarige, junge Frau war eine wahre Schönheit. Ihre grünen Augen glänzten im Licht der Bordbeleuchtung. Als sie Simon auf dem Bett liegen sah, huschte ein amüsiertes Lächeln über ihre vollen Lippen. Gut, dachte Simon, sie hat sich erholt. Der Kampf auf Mazoni gegen die Kriegerinnen der Königin Lasaria hatte an ihrer aller Nerven gezerrt. Zu viele von Prinzessin Tanyas Frauen hatten den Tod bei der Verteidigung der Festung gefunden. Für Simon mochten sie nicht mehr als Menschen gewesen sein, die sinnlos ums Leben gekommen waren – schlimm genug. Doch für Tanya und Kardina waren es die engsten Vertrauten und Freundinnen gewesen. Die wenigen Überlebenden waren nun die Gefangenen Lasarias. Gott weiß, was mit ihnen geschehen wird. »Hi«, begrüßte Kardina Simon und näherte sich der Bettkante. Ohne Umschweife ließ sie sich auf dem Rand nieder, beugte sich über ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Simon war peinlich berührt. Er hatte versucht, Kardina klarzumachen, dass eine Beziehung zwischen ihnen nicht funktionieren konnte. Simon interpretierte Kardinas überschwängliches Interesse an ihm als Reaktion auf das traditionelle Zölibat der Amazonen und den mangelnden Kontakt zu Männern. Er war sicher, dass sich ihre Empfindungen ihm gegenüber bald legen würden – spätestens wenn sie andere Planeten sah, auf denen es von Vertretern des männlichen Geschlechts nur so wimmelte. Bis dahin machte Simon gute Miene zu ihrem Spiel. »Guten Morgen«, antwortete Simon McLaird, erwiderte ihren Kuss jedoch nicht. »Es ist doch Morgen, oder?« »Der Borduhr nach, ja«, bestätigte Kardina. »Wir sind vor ein paar Minuten ins ZerumSystem eingetreten und nähern uns der ... Heimat der Drahusem.« Sie stockte kurz und senkte den Blick. Der Schmerz über die Massenvernichtung Prissarias saß auch den Amazonen tief im Herzen. Gerade diese Methoden der Scardeener hatten Frauen wie Tanya und Kardina rebellieren lassen. »Wie geht es Jee?«, fragte Simon. Kardina hob die Schultern. »Sie hat sich in ihre Kabine zurückgezogen. Auch Ken wirkt sehr bedrückt. Ich denke, es war ein Fehler noch einmal hierher zu kommen.« Simon schob sich an der jungen Frau vorbei und schwang die Beine über den Bettrand. Er schlenderte über den übertrieben flauschigen Luxusteppich zum Kühlfach hinüber und langte nach einer Flasche, von der er annahm, dass sie Wasser beinhaltete. »Jee wollte hier unbedingt etwas hier erledigen«, sagte er. »Die Weihestätte der Schwertträger ist wohl sehr wichtig für sie.« Kardina nickte und stand ebenfalls auf. Die lederne Rüstung, die sie am Leib trug, knirschte bei jeder Bewegung. Ihr Schwert baumelte in einer ebenfalls ledernen Scheide an ihrer Seite.
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Das Outfit wirkte an Bord der supermodernen Raumjacht irgendwie deplatziert. Simon hätte es ihr nie und nimmer abgekauft, dass sie sogar in der Lage war, das Schiff zu fliegen, hätte er es nicht selbst gesehen. »Das letzte Relikt von Prissaria«, sinnierte die Amazone halblaut vor sich hin, während sie zu einem der Sichtfenster ging und hinaus in das All blickte, als könne sie den untergegangenen Planeten schon ausmachen. »Warst du schon einmal hier draußen?«, fragte Simon. Kardina wandte sich zu ihm um. »In diesem System?« »Nein, allgemein im Weltraum.« »Als Tanya und ich noch im Dienste Lasarias standen, haben wir im Orbit oft Übungsflüge mit den Jachten und Jägern durchgeführt«, erklärte Kardina. »Auch wenn wir im traditionellen Schwertkampf ausgebildet werden, verlangt der Wissenschaftsrat von uns, mit den neuesten technischen Errungenschaften umgehen zu können. Aber weiter als bis zum Mazoni-Orbit war ich auch noch nicht.« »Manchmal meine ich, ich träume das alles nur, weißt du? Ich befürchte jeden Moment schweißgebadet aufzuwachen und mich auf der Erde wieder zu finden.« Kardina legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er spürte ihre Wärme und Nähe überdeutlich. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Nur mit Mühe unterdrückte er den Wunsch, die junge Frau in seine Arme zu nehmen und auf ihre Annäherungsversuche einzugehen. Doch er war noch immer davon überzeugt, dass sie ihn verlassen würde, wenn sie erst einmal auf andere Männer traf. Er mochte für sie nicht mehr als ein neues Spielzeug sein, dass sie ausprobieren wollte. Wenn sie seiner überdrüssig geworden war, suchte sie sich ein neues. Bist du dir da sicher?, höhnte eine innere Stimme im hintersten Winkel seines Bewusstseins. Vielleicht beurteilst du sie auch nur falsch und sie meint es aufrichtig ... Simon atmete tief durch. Ganz gleich was er dachte, der Schuss würde nach hinten losgehen, dessen war er sich sicher. Entweder ließ Kardina bald von ihm ab, oder er nutzte sie nur aus, um sie zum Sex zu bewegen und hinterher fallen zu lassen wie eine heiße Kartoffel. Ich liebe sie nicht, dachte er. Es war nie meine Art, Frauen nur ins Bett zu kriegen ... »Glaub mir«, sagte Kardina mit einem Lächeln. »Du träumst nicht.« Ihre Lippen näherten sich den seinen. Simon schluckte hart. Er wusste, dass es jetzt einfach passieren würde und er alle Vorbehalte und guten Vorsätze über Bord werfen würde. Stocksteif stand er da und erwartete Kardinas Kuss ... ... der nie kam. Im selben Augenblick rauschte es kurz in den Bordlautsprechern. Dann war Prinzessin Tanyas klare Stimme zu vernehmen. »Crew sofort auf der Brücke versammeln!«, sagte sie im Befehlston. »Wir haben Gesellschaft.« Φ Der Korridor mündete in eine kleinere Halle, die direkt an einen Großraumlift anschloss, der für kleine Angriffsjäger konzipiert worden war. Diese konnten so bequem von einem Deck auf das nächste verlegt werden. Sherilyns Truppe mit dreißig Shadow-Agenten fand mühelos Platz in der Kabine. Erst jetzt zog Sherilyn ihre eigene Pistole aus dem Holster. Die irdische Waffe, war ein Nachbau Shadow Commands vom scardeenischen Gegenstück. Allerdings wirkte der Laser klobiger in der Hand, was dem wuchtigeren Energiemagazin im Griffstück zu verdanken war. Die Wissenschaftler des Generals hatten bisher noch nicht den Ursprung der Energie der scardeenischen Waffen herausgefunden und teils auf Kombinationen mit irdischer Technologie zurückgreifen müssen.
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Auf der Innenseite ihres Helmvisiers sah Sherilyn Stone die vom Computer generierte Darstellung des Schiffsinneren. Der Aufzug, den sie gewählt hatten, führte sie zum Oberdeck zu einem kleineren Nothangar, der für die Brückenbesatzung angelegt worden war. Im Falle einer Evakuierung konnten sie direkt von hier aus das Schiff verlassen. Die Kommandozentrale der SENSOR lag ganz in der Nähe. Der Lift stoppte. Surrend schob sich die Tür beiseite. Drei Soldaten sprangen heraus und wurden sofort von einem Feuerhagel empfangen. Grelle Blitze stachen durch den Gang und bohrten sich in die schwarzen Uniformjacken der Shadow-Agenten. Noch ehe sie tot auf dem Boden aufschlagen konnten, stürmten bereits die nächsten sechs durch den Ausgang, rollten über den Boden und sicherten zu beiden Korridorseiten. Ein Lasergewitter deckte den Gang ein. Schreie waren zu vernehmen. Beißender Rauch und der Geruch von Ozon lagen in der Luft. Zwei der Schatten sackten getroffen in sich zusammen, die anderen vier überlebten den Schusswechsel. »Alles klar!«, verkündete einer der Soldaten. Sherilyn gab das Zeichen zum Ausrücken. Auf dem Korridorboden lagen ein halbes Dutzend Scardeener. Mit leichtem Anflug von Ärger registrierte Sherilyn, dass ihre Leute scharf geschossen hatten. Die noch schwelenden Löcher in den Brustkörben der Legionäre waren unverkennbar. Doch angesichts ihrer eigenen Verluste, mochte sie es ihren Leuten nicht verübeln – noch dachte sie daran, ihren Befehl zu erneuern. Es ging jetzt darum, mit heiler Haut dieses Selbstmordkommando zu überstehen. Sie wies zehn Shadow-Agenten an, im Korridor zu bleiben und dem Rest beim Vormarsch auf die Brücke den Rücken zu decken. Zusammen mit zwei Männern ging sie selbst voran. Direkt vor ihnen lag das Schott zur Kommandozentrale. Sie passierten einen Seitengang und stolperten über zwei scardeenische Legionäre, die augenblicklich das Feuer eröffneten. Ihre Schüsse fegten haarscharf links und rechts an Sherilyn und den beidem Schatten vorbei. Nur einen Sekundenbruchteil darauf vergingen die beiden Scardeener im Gegenfeuer der Eindringlinge. Sherilyn Stone stieg über die mit Einschusslöchern übersäten Leichen hinweg. Feiner Rauch schwelte aus ihren Körpern. Es roch nach verbranntem Fleisch. In diesem Moment öffnete sich das Brückenschott. Sherilyn ließ sich fallen. Keine Sekunde zu früh, denn schon jagte ein Energiestoß über sie hinweg und erfasste den hinter ihr stehenden Shadow-Agenten. Stöhnend fiel der Mann zurück. Stone zog den Abzug ihres Lasers durch. Ein greller Blitz fuhr in das Visier des scardeenischen Helmes. Der Angreifer schrie nicht, kippte einfach um, wie ein gefällter Baum. »Bewegung!«, rief Sherilyn, sprang auf und stürmte mit ihrer Einheit vorwärts. Als sie das Brückenschott passierten, rannten sie direkt in gegnerisches Sperrfeuer. Lichtfinger zuckten ihnen um die Ohren, tasteten nach ihren Körper. Hier und da ein Aufschrei. Neben Sherilyn gingen zwei Shadow-Agenten zu Boden. Einige verschanzten sich hinter Terminals und Konsolen und schafften es endlich, das Feuer zu erwidern. Unablässig zuckten die energetischen Blitze durch den großen Raum. Töteten. Und zerstörten. Funkenregen von implodierenden Monitoren hing in der Luft. In den Wänden klafften alsbald schwarze Löcher von verdampfenden Material. Und während sie unter Beschuss lagen, fragte sich Sherilyn mehr als einmal, ob die Laserblitze stark genug waren, die riesigen Panoramafenster der Brücke zu vernichten. Wenn das geschieht, dann ... Captain Stone robbte sich über den Boden und lugte hinter einer Konsole hervor. Das Bild, das sich ihr bot, jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken. Auf dem Brückendeck
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lagen tote Techniker, scardeenische Legionäre und Shadow-Agenten in den letzten Atemzügen. Ein Blitzhagel zwang Sherilyn Stone wieder in Deckung. Nicht weit neben ihr sprang Paul Gossett hoch und bestrich die Brücke mit einem lang gezogenen Strahl aus seinem Laserkarabiner. Gleich mehrere Schaltschränke explodierten in wilden Funkenkaskaden. Ein Beben erschütterte das Deck. Dieser Narr zerstört uns noch das ganze Schiff, dachte Sherilyn. Sie gewahrte eine Bewegung aus den Augenwinkeln und rollte zur Seite. Über ihr war ein Scardeener erschienen, der mit dem Kolben seines Gewehrs auf sie einhieb. Sie entging dem Schlag, winkelte die Knie an und rammte ihm die Fersen in den Unterleib. Der Legionär wurde gegen ein Instrumentenpult geschleudert. Etwas knackte hässlich, als er wie leblos daran herunter sackte. Sherilyn suchte sich eine neue Deckung, hechtete über den Boden und kam nach einer Flugrolle wieder auf die Beine. Sie entdeckte den Commander des Schiffes. Sealdric verteidigte sich hinter einem arg zerstörten Pult gegen zwei Shadow-Soldaten. Den ersten tötete er mit einem gezielten Schuss, den anderen schleuderte er mit einem Hieb beiseite. Da ließ er seine Pistole fallen und zog einen bolzenähnlichen Gegenstand aus seinem Gürtel hervor. »Vorsicht!«, brüllte Gossett, der das Schwert des Bewahrers erkannt hatte. Der Agent stürmte vor und fiel noch im selben Augenblick getroffen zu Boden. Er schrie in Panik, klammerte sich um seinen Karabiner und versuchte sich in Deckung zu rollen, doch ein weiterer Blitz strich über seinen Rücken. Seine Schreie verstummten. Der Schütze starb noch in der nächsten Sekunde, als Helen Dryer ihn erledigte. Sie machte einen Schritt in Gossetts Richtung, wurde jedoch von anderen Gegnern unter Beschuss genommen und musste sich zur Wehr setzen. Sherilyn rückte sich den Helm zurecht und schaltete das Visier auf infrarote Darstellung. Die Rauchschwaden des Feuergefechts hatten sich zu einem dichten Nebel ausgebreitet, durch den man kaum mehr als ein paar Schritte blicken konnte. Jähes Entsetzen lähmte sie, als sie sah, dass sich ein Nebenschott zur Brücke öffnete und Verstärkung für die Scardeener ausspie. Hinter sich hörte sie ebenfalls Kampfgeräusche. Die Schatten, die sie im Korridor zurückgelassen hatte, wurden in Kämpfe verwickelt. Ein Laserstrahl flitzte dicht an Sherilyn vorbei und traf einen Computersockel, der in einer grellen Stichflamme zerplatzte. Neben ihr fielen zwei weitere Soldaten aus ihrer Einheit. Die Schlacht ist verloren, dachte sie verbittert. Abermals war sie gezwungen, ihren Standort zu wechseln. Zusammen mit vier Soldaten und Helen Dryer fand sie vorübergehenden Schutz hinter einer freistehenden Schaltbank. Drei andere Schatten hatten die Deckung nicht mehr rechtzeitig erreicht und wurden von der Wucht gegnerischer Feuerstöße durch die Luft gewirbelt. Sherilyn blickte kurz hoch und verschaffte sich einen Überblick. Nur noch sie, Helen und die vier Soldaten befanden sich auf der Brücke – und ein gutes Dutzend Scardeener. Die Angreifer im Hauptkorridor nicht einmal mitgerechnet. »Hat jemand noch einen letzten Wunsch?«, fragte sie und verkrampfte ihre Hand fast um den Griff der Laserpistole. Mit dem Mut der Verzweiflung sprang sie hinter der Deckung hervor und eröffnete blindlings das Feuer. Ihre Leute folgten ihr nur eine Sekunde darauf. Mehrere Scardeener wurden überrascht und gingen zu Boden. Andere verschanzten sich hinter den Trümmern, die die Brücke zierten. Nur noch ein Mann stand auf der anderen Seite und schien nicht im Traum daran zu denken, sich zu verstecken. Er trug eine blaue Robe mit langem Cape, in seiner Hand hielt er nur ein Schwert – und auf seinen Lippen lag ein spöttisches, siegessicheres Lächeln. Fünf Strahllanzen jagten auf Sealdric zu, trafen ihn ... und wurden wie von einem
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unsichtbaren Hindernis abgelenkt, um über ihm in der Decke einzuschlagen. Der Bewahrer machte einen Schritt auf die Schatten zu. Gleichzeitig bedeutete er seinen Leuten, in Deckung zu bleiben. Er würde sich persönlich um die Eindringlinge kümmern. Ein Funkspruch rauschte durch Sherilyns Helm, doch sie nahm ihn nicht einmal richtig wahr. Gebannt starrte sie auf Sealdric. Während die vier Agenten neben ihr den Bewahrer noch unablässig mit Laserfeuer eindeckten, hatte sie längst die Waffe gesenkt. Es war aussichtslos. Irgendein Schirmfeld schützte ihn. Aus! Die Griffstange von Sealdrics Schwert schob sich in eine parallele Lage zur Klinge. Sherilyn wusste, was jetzt kam. Sie hatte es bereits erlebt, als ihr Partner Gordon Miles durch diese Waffe seinen Tod gefunden hatte. »O nein!«, rief sie aus. Plötzlich fegte eine Salve aus blauen Lichtfingern über die Brücke hinweg. Gleich mehrere Blitze schlugen in die Deckung der Scardeener ein. Trotz Sealdrics Befehl, unten zu bleiben, sprangen die Legionäre mit einem Mal hervor und schossen in Richtung des Nebeneingangs. Irritiert blickte sich Sherilyn um, als Harris' Truppe mit flammenden Mündungen über die Schwelle hetzte und eine Energiekanonade nach der anderen in die gegnerischen Reihen jagte. Gleich reihenweise wurden die Scardeener eliminiert. Harris' Leute überwältigten sie im Handumdrehen. Doch dann geschah mit einem Mal alles so schnell, als dass es jemand wirklich realisierte. Neben Sherilyn fiel ein Shadow-Agent. Die anderen drei schossen wieder auf Sealdric, doch das unsichtbare Kraftfeld reflektierte die Laserstrahlen in einem ungünstigen Winkel und ließ sie in das Panoramafenster schlagen. Das Energiepotenzial der beschleunigten Photonen zerriss das transparente Material, als wäre es Eis. In Tausenden von Splittern barst das Fenster auseinander. Ohne Vorwarnung setzte die Dekompression ein. Alarmsirenen gellten durch das Schiff. Alles, was nicht fest auf der Brücke verankert war, wurde vom Sog gepackt und in das Vakuum hinaus geschleudert. Harris und einige seiner Leute sprangen in den Nebeneingang zurück, kurz bevor das Sicherheitsschott herunter krachte. Mehrere Leichen wurden durch die Luft gewirbelt, dann durch das zerborstene Panoramafenster gesogen, um sich irgendwo in der Kälte des Weltraums zu verlieren. Die unbändigen Kräfte zerrten an den Überlebenden. Zwei Schatten aus Harris' Gruppe, die es nicht mehr in den Gang geschafft hatten, verloren ihren Halt und verschwanden mit gellenden Schreien in der Unendlichkeit des Alls. Sealdric knallte gegen eine Instrumententafel und krallte sich verzweifelt an einer Aussparung fest. Sein Umhang hing in Fetzen. Die Angst vor dem Tod stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben. Auch die Soldaten neben Sherilyn wurden vom Sog erfasst und trudelten durch die Luft. Stone versuchte einen von ihnen zu fassen, doch sie musste sich selbst mit aller Kraft gegen die Konsole stemmen, hinter die sie sich instinktiv geworfen hatte. Für die Shadow-Agenten gab es keine Rettung mehr. Dicht neben ihr hockte Helen Dryer mit angespanntem Ausdruck im Gesicht. »Das schaffen wir nie!«, brüllte sie über den tosenden Lärm des Sogs hinweg. Das Sicherheitsschott zum Hauptgang glitt mit Wucht herunter. Nun war ihnen auch der Rückweg verwehrt. Plötzlich ließ der tobende Sturm abrupt nach. Sherilyn und Helen sanken erschöpft zu Boden. Stille! Das Blut rauschte noch immer in ihren Adern. Ihr Pulsschlag hämmerte wie verrückt. Keuchend lagen sie da und versuchten zu erfassen, was geschehen war. »Sealdric!«, fuhr Sherilyn auf. Sie stemmte sich hoch und schalt sich noch im selben
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Moment dafür. Schwindel erfasste sie. Benommen taumelte sie von einer Schalttafel zur nächsten und wäre fast gestürzt. Sie versuchte den Bewahrer auszumachen, aber Helen entdeckte ihn zuerst. »Da drüben!« Sherilyn richtete die Laserpistole auf ihn. Doch er schien ebenso erschöpft zu sein, wie die beiden Frauen. Die drei waren offenbar die einzigen Überlebenden, die sich noch auf der völlig verwüsteten Brücke aufhielten. Wie durch ein Wunder hatte sich Paul Gossetts regloser Körper bei der Dekompression zwischen zwei Konsolen verkantet. Ob der Mann noch lebte, wusste Sherilyn nicht. Sealdric drehte sich langsam zur Seite und langte nach dem Schwert, das neben ihm auf dem Boden lag. Ein feiner Lichtfinger schnitt ihm in den Unterarm und ließ ihn aufschreien. Mit geweiteten Augen starrte er Sherilyn an. Sie war mit zwei, drei Schritten bei ihm und fegte die Waffe mit einem Tritt aus seiner Reichweite. »Mit dem Küchenmesser wird heute nicht mehr gespielt«, sagte sie. Erneuter Schwindel zwang sie halb in die Knie. Ehe Sealdric ihre Schwäche ausnutzen konnte, war Helen Dryer bereits bei ihnen und hielt den Scardeener in Schach. Das Schott zum Nebengang öffnete sich. Harris und sieben seiner übrig gebliebenen Leute betraten die Brücke. Der Lieutenant kommandierte zwei Schatten zum Haupteingang und ließ ihn verriegeln. Dann trat er über die Trümmer hinweg zum riesigen Panoramafenster und begutachtete interessiert, den Mechanismus, der den Dreien das Leben gerettet hatte. »Ein transparentes Sicherheitsschott«, murmelte er. »Schade nur, dass es erst so spät reagiert hat.« »Der Mechanismus wird automatisch gesteuert«, sagte Helen. »Wahrscheinlich haben die zerstörten Computer in der Zentrale zu der Verzögerung geführt.« Ihr Blick fiel auf den halbierten Torso eines Shadow-Agenten. Das Sicherheitstor war genau in der Sekunde mit Wucht herunter gefahren, als sein Körper in den Raum hinausgewirbelt wurde. Es hatte ihn regelrecht in der Mitte zerschnitten. Angewidert wandte sich Helen ab. »Ich habe Ihnen vertraut«, zischte Sealdric und hielt sich den verletzten Arm. »So kann es gehen«, sagte sie. Inzwischen hatten Harris' Leute auch das zweite Schott verriegelt und gesichert. Sie hofften, dass man die Tore nicht mehr von außen öffnen konnte. »Was ist mit Loomis' Gruppe?«, fragte der Lieutenant an Sherilyn gewandt. Sie zuckte die Achseln. Sergeant Tennard versuchte die anderen über Helmfunk zu rufen, aber er erhielt keine Antwort. »Nichts«, meldete er. »Verdammt, nur noch wir elf sind übrig – von fast einhundert Agenten!« Sherilyn ließ die Schultern hängen. Sie hatten gewusst, dass ihr Auftrag einem Selbstmordkommando gleich kam. Dennoch hatte es Aussichten auf Erfolg gegeben – hatte der General jedenfalls geglaubt. »Es kommt noch schlimmer«, kommentierte Helen Dryer. »Ganz gleich wie viele Scardeener wir getötet oder betäubt haben, es sind noch immer genug an Bord. Das Schiff hat eine Besatzungsstärke von fünftausend.« »Na großartig«, sagte Harris. »Was tun wir jetzt? Langsam befürchte ich ja, dass dieser Plan ein paar gewaltige Lücken hat.« Φ Die beiden Chevrolets Avalanche, der Dodge Durango und der Chrysler Concorde hatten mehr als eine Sache miteinander gemein: Sie waren alle schwarz lackiert, verbargen die
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Gesichter ihrer Insassen hinter stark getönten Scheiben und waren zur selben Zeit am selben Ort. Die Reifen der Wagen knirschten über den Kiesweg und machten vor einer maroden Blockhütte auf dem Gipfel eines Hügels Halt. Zwischen den Büschen am Rande des Plateaus waren die Ausläufer eines Flussarms zu sehen, der in den Pocomoke mündete. Südlich des Sees führte die US-113 nach Virginia. Etwa zwanzig Meilen nördlich lag Salisbury, die nächstgelegene Stadt, die größer als ein Dorf war. Keine fünf Meilen in Richtung Osten, konnte man an den Stränden der Chincoteague Bucht im Atlantik baden. Und wer über den Pocomoke mit einem Boot in die Chesapeake Bucht einlief, sich dann nordwestlich über den Intracoastal Waterway hielt, würde irgendwann Annapolis, Maryland erreichen. Danach Washington, D.C. und Baltimore. Die Motoren der vier Fahrzeuge erstarben. Dennoch dauerte es gute zwei Minuten, bis sich der erste Wagenschlag öffnete und ein sonnenbebrillter Mann im grauen Einreiher seinen Fuß auf den Kiesweg setzte. Nacheinander wurden auch die anderen Türen geöffnet. Nicht nur die Wagen besaßen eine Gemeinsamkeit – auch die Männer und die zwei Frauen, die in ihnen gesessen hatten, trugen ausnahmslos dunkle Anzüge und zierten ihre Augen mit verspiegelten Sonnenbrillen. Unter den Sakkos waren deutlich Auswölbungen von Schulterholstern und den entsprechenden Waffen zu erkennen. Spiralkabel führten aus den Hemdskragen der Leute direkt in einen Ohrhörer, den sie ebenfalls ausnahmslos bei sich trugen. Nervös blickten sich die Männer und Frauen um. Erst als sie sicher waren, nicht in eine Falle zu tappen, löste sich ein Hüne aus dem Bereich des Chrysler Concordes und trat auf die Blockhütte zu. Ihm folgte jeweils eine Person der anderen drei Wagen. Im Innern des Holzgebäudes roch es muffig, als wäre hier seit Jahren nicht mehr gelüftet worden. Der Mann, der die Hütte als erstes betrat, öffnete die rückwärtigen Fenster, pustete dann den Staub von einem der wenig Vertrauen erweckenden Stühle und ließ sich darauf nieder. Die anderen drei blieben stehen und ließen die Tür offen. »Schönes Wetter«, meinte der erste und zog sich die Brille von der Nase. Er fingerte ein Taschentuch aus dem Sakko hervor und begann, das Gestell und die Gläser zu polieren. »Kommen Sie, Harry, Sie haben uns nicht hier heraus bestellt, um mit uns über das Wetter zu plaudern«, fauchte eine Frau in den Endvierzigern mit angegrautem, lockigen Haar. Harry Thorne lächelte, packte in aller Seelenruhe das Taschentuch fort und schob sich wieder die Sonnenbrille auf die Nase, obwohl durch das geöffnete Fenster kaum Licht in die Hütte drang. »Es freut mich, dass Sie alle so schnell meiner Einladung gefolgt sind«, sagte er dann. »Mein Gott, Pete, ich hab Sie ja seit Ewigkeiten nicht gesehen. Sie sind alt geworden ...« »Sparen Sie sich die Floskeln«, knurrte der Angesprochene, ein untersetzter Mann mit ausladendem Bauch und einer Halbglatze. »Wissen Sie eigentlich wie viele ungelöste Fälle auf meinem Tisch liegen? Sie glauben, ein Anruf von Ihnen genügt, um mich von New York nach Washington zu bestellen? Dann brauchen Sie aber wesentlich überzeugendere Argumente.« »Nun«, erwiderte Thorne ungerührt, »Sie sind hier, oder nicht?« Pete schnaufte und schüttelte den Kopf. Er wandte sich zum Gehen, doch die Worte des Sitzenden hielten ihn noch einmal zurück. »Vielleicht sollten Sie sich erst einmal anhören, was ich zu sagen habe.« »Ihr Geheimniskrämer von der NSA seid doch alle gleich«, gab Pete von sich, blieb aber in der Hütte. »Na, schießen Sie schon los.« Thorne verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. Der Stuhl ächzte unter seinem Gewicht, doch dies schien ihn nicht zu stören. »Das letzte Mal, als sich die Deputy Direktoren von NSA, FBI und CIA sowie der Leiter Operations des Secret Service zusammen getroffen haben, war kurz vor Ausbruch des zweiten Golfkriegs. Sie waren damals noch nicht dabei, Pamela.«
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Die Leiterin des Secret Service legte den Kopf schief und zog eine Grimasse, als tangiere sie dies nicht im Mindesten. »Bringen Sie es auf den Punkt, Harry«, sagte sie ungehalten und demonstrativ auf ihre Armbanduhr deutend. Draußen klang Motorengeräusch auf. Eilige Schritte und kurze Wortwechsel waren zu hören. Dann das Schnappen von Pistolenverschlüssen. Alarmiert horchten die Anwesenden in der Blockhütte auf und griffen instinktiv unter ihre Jacketts. »Beruhigen Sie sich«, riet Harry Thorne. »Ich habe noch jemanden eingeladen.« Wie zur Unterstreichung seiner Worte, schritt in diesem Moment ein recht junger Mann über die Türschwelle, der sich deutlich von den anderen abhob. Statt eines Anzugs trug er Jeans, ein kariertes Hemd und darüber eine schwarze Lederweste. Ihm war nicht anzusehen, ob er ebenfalls bewaffnet war. Er nickte den anderen kurz zu und postierte sich dann in Thornes Nähe. Dieser deutete auf den Dicken mit der Halbglatze. »Pete Deighan, FBI«, sein Finger wanderte weiter zu dem anderen Mann, »Craig O'Roarke, Deputy Director der CIA«, und verharrte bei der Frau, »Pamela Cord, Secret Service.« Der Neuankömmling musterte die anderen der Reihe nach, schwieg jedoch. »Und Sie sind?«, fragte Pete Deighan. »Nennen Sie ihn Ian.« »Einfach nur Ian?«, hakte Pamela Cord verwundert nach. »Und welcher Organisation gehören Sie an? NIA? Militär? Spezialeinheit?« »Marshal Ian.« »Sie sind U.S. Marshal?« Auch Deighan machte keinen Hehl aus seinem Erstaunen und kratzte sich dabei ratlos am Hinterkopf. Thorne machte eine abwehrende Handbewegung. »Nehmen Sie es so hin. Wir haben nicht viel Zeit für Erklärungen.« Demonstrativ zog er sich den Ohrhörer aus dem Ohr und wartete, bis die anderen es ihm gleich getan hatten. »Jetzt können wir reden.« »Wird auch Zeit«, brummte Pamela Cord. »Es gab vor ein paar Wochen einige Vorfälle im Großraum Los Angeles, die Ihnen sicherlich nicht unbemerkt geblieben sind.« Deighan lachte. »Sie meinen die Sache mit angeblich hier gelandeten Aliens?« Als Pamela und O'Roarke ihn nur ernst ansahen, verging ihm das Lachen, und er kratzte sich erneut am Kopf. »Sowohl die CIA als auch meine Leute waren den Außerirdischen auf der Spur, als uns jemand in den Weg kam.« »Sie reden von diesem McLaird und seinem Freund Nash, den Ihre Agenten ermordet haben?«, fragte Pamela. Harry Thorne zog die Brauen hoch und verzog abfällig die Lippen. »Mord ... das ist ein hartes Wort für unseren Dienst an Uncle Sam. Nennen wir es ... einen Unfall. Aber diese beiden Trottel meine ich nicht. Das waren nur unbedeutende Schachfiguren, in einem Spiel, dessen Regeln sie nicht einmal kennen.« »Dafür ist McLaird Ihren Leuten entwischt«, mischte sich O'Roarke ein. »Er hatte Hilfe«, wehrte Thorne ab. »Und nicht nur von seinen außerirdischen Freunden. Ich hatte erst Ihre Leute in Verdacht, Craig – dafür sprach zum Beispiel die Anwesenheit Ihrer Agenten Dryer und Gossett am Einsatzort.« »Die beiden arbeiten nicht mehr für mich. Sie haben den Dienst quittiert und sich einer militärischen Spezialeinheit angeschlossen.« Harry Thorne schnippte mit den Fingern und grinste breit. »Das meine ich. Craig, wie viele Ihrer Agenten haben in den letzten Tagen den Dienst quittiert. Pamela? Pete? Ich wette, es
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waren Dutzende.« Die anderen blickten sich verwundert an, als ginge ihnen erst jetzt ein Licht auf. »Worauf wollen Sie hinaus?«, wollte Pamela Cord wissen. Thorne langte in die Innenseite seiner Jacke und zog ein gefaltetes Blatt Papier hervor. Er klappte es auf und legte es vor den anderen auf den mit Staub bedeckten Tisch. Auf dem Zettel prangte ein einzelner Buchstabe des griechischen Alphabets. »Ein Phi«, konstatierte Deighan. »Ja und?« »Dies ist das Zeichen einer Organisation namens Shadow Command, die Ihre, Pamelas und Craigs Leute sowie Hunderte von anderen aus verschiedenen militärischen Spezialeinheiten rekrutiert hat. Shadow Command hat uns in L.A. dazwischen gefunkt. Ich weiß noch nicht, wer dahinter steckt und wer die finanziellen Mittel für diese Operation genehmigt hat, aber Fakt ist, dass wir neue Mitspieler auf dem Spielbrett haben – und die arbeiten gegen uns.« »Was wissen Sie aus dem Weißen Haus?«, fragte O'Roarke an Pamela Cord gewandt. Die Frau strich sich eine verirrte Strähne ihres grauen Haars aus der Stirn und setzte nun endlich die Sonnenbrille ab. Ihre Augen wirkten übermüdet. Dunkle Ringe zeichnete sich darunter ab. »Falls der Präsident über so eine Organisation informiert ist, wüsste ich es.« »Ich habe mir schon gedacht, dass der Präsident nicht darüber Bescheid weiß«, sagte Thorne. »Irgendein Kongressmitglied, jemand aus dem Senat oder wer auch immer unterstützt Shadow Command. Und wir wissen nicht einmal, wo wir mit der Suche nach diesen Leuten anfangen sollen. Es gibt keine offiziellen Einträge über diese Organisation, geschweige denn über ihr Hauptquartier, in unseren Datenbanken.« Nach diesen Worten wurde es still in der Blockhütte. Nur der schniefende Atem Deighans war zu vernehmen. Marshal Ian schwieg wie bisher. Er schien die Szene nur zu beobachten, die anderen einzuschätzen und Informationen zu sammeln. Nach der Eröffnung über Shadow Command schienen die anderen Beteiligten seine Anwesenheit gänzlich vergessen zu haben – mit Ausnahme von Harry Thorne, der Ian hin und wieder einen verstohlenen Blick zuwarf. »Ich ...«, begann Deighan nach einer Weile, »... fasse mal zusammen: Eine geheime Organisation der Regierung, über die die Regierung selbst aber anscheinend nicht informiert ist, ist auf der Jagd nach Außerirdischen und scheint damit sogar Erfolg zu haben. Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege.« »Nein, nein«, beschwichtigte Thorne. »Genau so sehe ich das auch.« »Aber das ist doch absurd!«, brauste Deighan auf. »Craig, vielleicht erzählen Sie dem Kollegen vom FBI einfach mal, was die CIA heute beobachtet hat.« Der Angesprochene räusperte sich. Er presste die Lippen aufeinander und musste sich sichtlich überwinden, Informationen Preis zu geben, die der Geheimhaltung seiner Abteilung unterlagen – aber da die NSA schon Wind davon bekommen hatte, konnte er es auch den anderen erzählen. »Zwei Air Force Piloten berichteten heute Morgen von einer UFO-Sichtung über der Mojave-Wüste. Das Radar zeigte keine Spuren eines Flugobjekts an, doch der Staffelführer war so geistesgegenwärtig, das UFO mit einer digitalen Videokamera zu filmen. Wir haben das Material zusammen mit der Air Force geprüft und es für echt befunden.« Als Craig O'Roarke innehielt, machte Harry Thorne eine herrische Geste. »Lassen Sie doch nicht den spannenden Teil weg!« Der CIA-Direktor seufzte. »Also schön. Da wir das Objekt nicht mit Radar aufspüren konnten, haben wir die Flugbahn über Satellitenkameras und das Hubble-Teleskop im Erdorbit weiter verfolgt. Hubble hat in der Mondumlaufbahn ein nicht irdisches Raumschiff von mehr als zwei Kilometern Länge entdeckt.« Deighan und Pamela Cord starrten den CIA-Mann vor Unglauben an. Ehe sie Zeit hatten,
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das Gehörte zu verdauen, fuhr Thorne an O'Roarkes Stelle fort. Zur Unterstreichung seiner Worte hob er belehrend einen Finger. »Ich kann es zwar nicht beweisen, aber ich wette Tausend zu Eins, dass Shadow Command sich dieses Bootes in der Mojave-Wüste bemächtigt hat, um das große Schiff im Mondorbit zu kapern.« »Hirn ...«-rissig, wollte Deighan aufbrausen, schluckte das Wort jedoch hinunter, als er noch einmal über O'Roarkes Bericht nachdachte. Thorne stand auf und klatschte einmal in die Hände, um sich der Aufmerksamkeit der anderen zu versichern. »Ich darf Sie daran erinnern, dass alles, was wir hier besprochen haben, als geheim einzustufen ist. Pamela, halten Sie um Gottes Willen den Präsidenten und seinen Stab heraus, bis wir wissen, was hier überhaupt gespielt wird. Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir zusammen arbeiten und versuchen, die Basis von Shadow Command zu lokalisieren und herauszufinden, was diese Außerirdischen überhaupt hier wollen.« Er griff abermals in seine Jackentasche und förderte drei kleine Pager hervor, die er Deighan, Cord und O'Roarke übergab. »Hiermit erreichen Sie mich direkt, wenn es Neuigkeiten gibt. Noch Fragen?« »Das ist was anderes, als der Golf-Krieg«, murmelte O'Roarke. »Vielleicht hätte ich danach meinen Posten besser niedergelegt, als jetzt in so eine abgefahrene Geschichte zu rutschen.« Niemand sagte etwas. Schweigend verließen die Vertreter von FBI, CIA und Secret Service die Blockhütte. Kurz darauf waren die Geräusche startender Motoren zu vernehmen. Zurück blieben Harry Thorne und der Mann, den er einfach als Marshal Ian vorgestellt hatte. »War es klug, sie einzuweihen?«, fragte der Mann im karierten Holzfällerhemd. Thorne zuckte die Achseln. »Früher oder später hätten sie es doch erfahren. Immerhin hatte O'Roarke schon die UFO-Sichtung für sich beansprucht. Wenn wir Informationen zurückgehalten hätten, hätten sie uns nicht vertraut. So sind sie im Glauben, mit uns zusammen zu arbeiten.« »Tun sie das jetzt nicht?« »Nein, Ian, sie arbeiten für uns.« Φ Die Brücke der Jacht war in rotes, durchdringendes Licht getaucht. Jee A Maru und Ken Dra waren bereits anwesend, als Simon zusammen mit Kardina das Deck betrat. Auf dem Panoramaschirm, der den Großteil der Frontwand der Zentrale einnahm, war in einer Ausschnittsvergrößerung ein fremdes Schiff zu sehen, das in seiner Form frappierende Ähnlichkeit mit dem Patrouillenschiff der Scardeener hatte, die seinerzeit Jee und Ken gejagt hatten. »Wer ist das?«, fragte Simon und hockte sich in einen Sessel neben der Kommandokontrolle. Ken Dra warf ihm einen missbilligenden Blick von der Steuerkonsole her zu, doch Simon kümmerte sich nicht um die etwaige Etikette. Und da Prinzessin Tanya ihn nicht verscheuchte, sondern ihm nur kurz zunickte, blieb er einfach sitzen. »Ein Scoutschiff der Legion«, erklärte Jee A Maru, die sich rechts neben Ken Dra am Waffenpult befand. Kardina blieb hinter den Kommandosesseln stehen und stützte sich auf Simons Rückenlehne. Er spürte die Spitzen ihrer Fingernägel in seinem Nacken und registrierte, wie sie begann, ihn zu leicht zu kraulen. Sie kann es nicht lassen. »Was machen die hier?« »Ich nehme an, dass Sealdric sie hier stationiert hat, um den Zersetzungsprozess der Hogas-
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Bakterien zu überwachen«, sagte Jee mit leiser Stimme. Ihre Worte klangen fast wie ein Schluchzen. Simon konnte sich gut vorstellen, was sie und Ken gerade durchmachten. Vielleicht war es besser, wenn sie nicht auf der Brücke anwesend waren. Kardina beugte sich von hinten zu Simon herunter und raunte ihm ins Ohr: »Der Bewahrer muss die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Jee A Maru und Ken hierher zurückkehren. Der Scout soll sie abfangen, falls er sie entdeckt. Ihr habt Glück gehabt, dass er bei eurem letzten Besuch noch nicht hier war.« »Pusten wir sie aus dem Universum«, sagte Ken Dra zähneknirschend. Seine Hände hatten sich so fest um die Sitzlehnen gekrallt, dass die Knöchel weiß hervor traten. Er bebte förmlich vor Wut und Hass auf die Scardeener. Simon blickte zur Seite und sah Prinzessin Tanya fragend an. »Können wir das?« Die Amazonenprinzessin atmete hörbar aus. »Ja. Es ist nur ein Scoutschiff. Die Raumjachten, die uns der Wissenschaftsrat für Geheimoperationen und Sabotageakte zur Verfügung gestellt hat, sind sogar wesentlich größeren Schiffen gewachsen.« Simon runzelte die Stirn. »Eine Jacht?« »Nur Tarnung«, versicherte ihm Kardina. »Sie sind modifiziert worden. Unter dem trügerischen Mantel von Luxus verbergen sich Vernichtungswaffen, die selbst einem Schlachtschiff alle Ehre machen.« Wo habe ich so etwas ähnliches schon mal gehört?, fragte sich Simon und hätte bei dem Gedanken beinahe geschmunzelt. Doch er entsann sich rasch des Ernstes der Lage. Trotz ihrer Worte, unternahm Tanya nichts. »Hat er uns noch nicht entdeckt?« »Nein, wir haben einen Schleierschild«, antwortete die Prinzessin. »Für verdeckte Aufträge unerlässlich. Ken Dra, fliege weiter nach Gernah.« Statt den Befehl auszuführen, drehte sich der Drahusem-Pilot um. Sein Blick suchte Jee A Maru, von der er sich offenbar Unterstützung erhoffte, doch die Schwertträgerin starrte nur abwesend auf die Instrumente des Waffenstandes vor sich. »Was ist mit dem Scoutschiff, das um Prissaria kreist?«, wollte Ken wissen. »Wir lassen es ziehen.« Ken Dra sprang auf. »Nein! Die Scardeener haben Völkermord begangen. Es wird Zeit, dass wir sie richten. Ich sage, wir vernichten dieses Schiff und wenn wir erst einmal Dai Urshar erreicht haben, den Rest ihrer Flotte!« Simon hob beschwichtigend die Hände, als er sah, wie sich das Gesicht des anderen vor Aufregung rot verfärbte. Ken Dra war angeschlagen. Die erneute Konfrontation mit der Vernichtung seines Heimatplaneten setzte ihm arg zu. »Sachte, sachte, Kumpel«, sagte Simon McLaird. »Wir sollten nichts überstürzen.« »Halt dich da raus, Simon!«, fauchte Ken. »Die Erde hat es ja nicht erwischt, oder?« »Darum geht es doch gar nicht.« Simon ahnte, dass Vernunft und der Appell an Menschlichkeit nichts bei dem Piloten bewirken würde. Der Hass auf die Scardeener saß im Moment noch zu tief. Vielleicht würde er sich eines Tages legen, wenn Ken Dra erkannte, dass nicht alle Scardeener seine Feinde waren und sein Volk getötet hatten. Auch Tanya und Kardina waren im Scardeenischen Reich geboren worden und wuchsen dort auf. Aber sie standen auf ihrer Seite. Doch das zu erkennen brauchte Zeit. Viel Zeit, um den Schmerz in Kens Herz zu bändigen, ihn auf ein Minimum zu reduzieren und dort zu bewahren. Gänzlich getilgt werden konnte er nicht, das war Simon klar. »Wenn wir das Schiff angreifen, besteht die Möglichkeit, dass es vor seiner Vernichtung einen Notruf absetzt. Im Nu werden hier ein Dutzend Schlachtschiffe aufkreuzen und uns atomisieren – dann war die Suche nach DUST, für die euer Volk so lange gelebt und gehofft hat, vergebens.« Simon kam sich mies vor, so zu argumentieren. Statt Ken Dra von seinen Rachegedanken
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abzubringen, verschob er die Vergeltung damit nur auf später. Doch bevor der Pilot sich an der Vorstellung, seine Rache auf jeden Fall zu bekommen, festklammern konnte, schritt endlich Jee A Maru ein. »Nein!« Ken Dra zuckte regelrecht zusammen, als er ihre Stimme vernahm. Die Schwertträgerin ging auf ihn zu und legte ihre Hände auf seine Schultern. »Erinnerst du dich daran, was ich dir vor ein paar Tagen im Forschungsschiff gesagt habe, als wir auf Simons Rückkehr warteten? Wenn wir uns jetzt von Rache treiben lassen, sind wir um keinen Deut besser, als die Scardeener selbst. Wir werden sie ziehen lassen und nach Dai Urshar suchen. Und was immer wir dort finden werden, wir werden es zum Wohle aller einsetzen – auch der Scardeener.« Ken Dra starrte die Frau mit einem Ausdruck von Unglauben an. Sein Blick pendelte zwischen den anderen Anwesenden und dem scardeenischen Scoutschiff auf dem Bildschirm hin und her. Schließlich ließ er Schultern und Kopf hängen und sackte zurück in den Sessel vor dem Steuerpult. Eine Weile herrschte unangenehmes Schweigen auf der Brücke. Nur das Summen vereinzelter Instrumente und das dumpfe Hintergrundbrummen der Maschinen war zu hören. Simon räusperte sich und wollte etwas sagen, doch in dem Moment wandte Ken Dra sich um und beugte sich über die Steuerkontrollen. »Wir fliegen Gernah an«, verkündete er tonlos. Die anderen atmeten auf. Das Bild auf dem Hauptschirm wechselte vom Scoutschiff zu einem nahe gelegenen Asteroiden. Im Schutz des Tarnfeldes flog die Jacht unbemerkt den trostlosen Himmelskörper an. Simon und die anderen ahnten nicht, dass sie dem scardeenischen Patrouillenschiff noch längst nicht entkommen waren ... Φ »Sind die Schotten dicht?«, fragte Sherilyn Stone, Harris' Kommentar bewusst ignorierend. Es gab einen Notfallplan, für den Fall, dass sie es schafften, die Brücke in ihren Besitz zu bringen. Die Wächter an den Toren nickten. »Dann kommt jetzt wohl Ihr Part, Sergeant Dryer.« Helen suchte sich eines der wenigen noch intakten Terminals aus und aktivierte die interne Bordkommunikation. Es war beinahe schon erstaunlich, dass nach dem irrsinnigen Feuergefecht überhaupt noch etwas auf der Brücke funktionierte. »Achtung! Besatzung der SENSOR, hier spricht Shadow Command. Wir haben die Brücke besetzt und Ihren Kommandanten gefangen. Legen Sie alle die Waffen nieder und versammeln sich in Haupthangar Eins. Wenn Sie Widerstand leisten, werden wir Bewahrer Sealdric töten und alle Decks fluten lassen.« »Fluten?«, fragte Harris nach. »Ein alter Marinebegriff«, sagte Sherilyn. »Auch wenn wir hier nicht mit Wasser hantieren, sondern nur die Luft aus den Gängen blasen ...« Helen Dryer schaltete das Interkom ab und blickte zu ihrer Vorgesetzten hinüber. »Das sollte reichen.« »Was macht Sie so sicher?« »Wir haben Glück, dass Sealdric Bewahrer des Wissenschaftsrates ist«, sagte Helen. »Jeder Scardeener fühlt sich verpflichtet, einen Bewahrer mit dem eigenen Leben zu schützen. Sie werden keinen Widerstand leisten, wenn sie Sealdric nicht gefährden wollen.« Sherilyn atmete tief durch. »Gut. Ich möchte ungern auf die andere Variante zurückgreifen und die Decks fluten lassen.« Die Ex-CIA-Agentin warf ihr einen missbilligenden Blick zu, der ihr verriet, dass sie den
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Befehl des Generals, jeden an Bord zu töten, ohne mit der Wimper zu zucken ausgeführt hätte. »Wie sollten zuerst die Leichen von der Brücke schaffen«, schlug Harris vor. »Und dann holen wir uns ein paar scardeenische Ingenieure auf die Brücke«, sagte Helen. »Vielleicht können die einiges von dem Schrott hier reparieren und die SENSOR wieder manövrierfähig machen.« »Gute Idee«, gab Sherilyn lahm zurück, da es ihr eigentlich gar nicht behagte, den Feind auf die Brücke zu lassen. Aber wenn sie das Schiff wieder flott bekommen wollten, blieb ihnen keine andere Wahl. »Tennard, geben Sie mir eine Verbindung zur Basis!« Sherilyn ließ sich in den Sessel des Commanders fallen, in dem ein großes Einschussloch in der Rückenlehne klaffte. Sie schloss die Augen und dachte über ihren Einsatz nach. Die Verlustquote war zu hoch. War die Eroberung des Schiffes den Preis, den sie gezahlt hatten wirklich Wert gewesen? »Captain?«, meldete sich Tennard von einer improvisierten Konsole aus. Sie hatte erwartet den General über Helmfunk zu sprechen und war überrascht, als plötzlich einer der wenigen großen Bildschirme aufleuchtete, die nicht im Feuergefecht zerstört worden waren. Das Gesicht des obersten Befehlshabers von Shadow Command erschien auf dem Display. Seine Augen drückten Neugier und ärgste Befürchtungen auf einmal aus. »Wie steht's, Captain Stone?« Sherilyn sog tief die Luft ein, ehe sie antwortete. »Wir haben das Schiff unter Kontrolle. Es ist gegenwärtig manövrierunfähig. Aus unserer Angriffstruppe gibt es nur elf Überlebende. Wir sind zu wenig, um auf Dauer die Besatzung des Schiffes in Schach zu halten.« »Haben Sie ein Druckmittel?«, hakte der General nach. »Wir haben ihren Commander als Geisel genommen.« Bewusst vermied sie Helens Drohung, die Decks zu fluten, zu erwähnen. Dem General war zuzutrauen, dass er den entsprechenden Befehl dazu gab. »Miss Dryer«, wandte sich der Chef an die Ex-CIA-Agentin, während er eine Zigarre ansteckte und genüsslich daran herum paffte. »Gibt es eine Möglichkeit, das Schiff auf der Erde zu landen, falls Sie es wieder flott bekommen?« Sherilyn kochte innerlich vor Wut. Der General hatte ihren Report nicht einmal wirklich beachtet. Dass er sich an ihre Untergebene wandte, ließ sie selbst auch nicht gerade in einem guten Licht dastehen. Nur die Ruhe, ermahnte sie sich. Du siehst Gespenster, wo keine sind. Helen ist bereits seit ein paar Wochen auf diesem Schiff und kennt es besser als jeder andere von uns ... »Die Schlachtschiffe sind normalerweise nicht für Landungen auf Planeten vorgesehen. Soweit ich weiß, gibt es allerdings im Scardeenischen Reich Raumhäfen, auf denen diese Giganten mit Antigravitationsfeldern über dem Boden gehalten werden. Eine Art Landestelzen gibt es nicht, nur ein bordeigenes A-Grav-Feld, das bei einer Havarie für eine sanfte Landung auf einem Planeten sorgen soll.« »Wie lange kann dieses Feld aufrecht erhalten werden?«, wollte der General wissen. »Sealdric sprach von einer Woche«, erklärte Helen. »Danach sind die Emitter überlastet, ganz gleich, wie viel Energie man ihnen noch zuführt.« »Gut. Captain Stone, suchen Sie sich scardeenische Techniker aus der Mannschaft des Schiffes, die die Schäden auf der Brücke reparieren können. Nichts gegen Ihre angeeigneten Flugkenntnisse, Miss Dryer, aber der eine oder andere Pilot wäre vielleicht auch nicht schlecht. Sobald die SENSOR wieder flott ist, lassen Sie sie in der Mojave-Wüste in der Nähe unseres Bunkereingangs landen. Dort haben wir auch für diesen zwei Kilometer langen Koloss Platz.« »Sir«, wandte Sherilyn Stone ein. »Es wird schwierig sein, mit nur elf Leuten, die Crew der SENSOR auf Dauer in Schach zu halten – auch wenn wir Sealdric in unserer Gewalt haben.
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Wir wären für jede Unterstützung dankbar.« Das Bild auf dem Schirm flimmerte. Sherilyn sah noch den Ansatz einer Handbewegung, ehe der Monitor komplett ausfiel. Danach war nur noch die Stimme des Generals zu hören. »Wie stellen Sie sich das vor, Captain Stone? Sehen Sie eine Möglichkeit, Miss Dryer sicher in den Hangar zurückzubringen, damit sie mit der Fähre einen weiteren Trupp von der Erde holt?« Sherilyn schüttelte den Kopf. Dann erinnerte sie sich daran, dass ihr Vorgesetzter sie wahrscheinlich auch nicht mehr sehen konnte und fügte hinzu: »Nein, Sir. Wir haben keine Möglichkeit festzustellen, wie viele der Scardeener sich tatsächlich im Frachtraum eingefunden haben. Womöglich spuken hier noch einige versprengte Gruppen in den Korridoren herum.« »Eben. Dieses Risiko dürfen Sie nicht eingehen.« »Und was ...?« »Fluten Sie den Frachtraum und die wichtigsten Zugänge zum Kommandodeck!« »Was?«, fuhr Sherilyn auf. »Das kann nicht Ihr Ernst sein!« Die Antwort des Generals klang kalt durch die Lautsprecher. »Haben Sie ein Problem damit, diesen Befehl auszuführen, Captain Stone?« Sherilyn schnappte nach Luft. Die Ungeheuerlichkeit des Befehls raubte ihr schier den Atem. Er sprengte jegliche je verabschiedeten Konventionen. Dies war kein Krieg mehr, sondern eiskalter Mord. »Sir, bei allem Respekt, Sie wollen fünftausend Menschen in den Tod schicken?« »Wer sagt, dass sie Menschen sind?« »Und wer trifft diese Entscheidung?« Sherilyn brüllte ihre Worte förmlich hinaus, ungeachtet der feindseligen Blicke, die Helen Dryer ihr von der Seite her zuwarf. »Sie allein? Wollen Sie dieses Massaker verantworten? Ist die Regierung überhaupt informiert?« Ein frostiges Lachen klang auf. Der General räusperte sich. »Die Regierung weiß nicht einmal, dass es uns gibt, Captain. Sie führen sofort meine Befehle aus, oder ich finde jemanden, der es tut. Haben wir uns verstanden?« Sherilyn schluckte hart. Aus den Augenwinkeln gewahrte sie, wie Helens Hand nach der Laserpistole im Holster tastete. Sie war sicher, dass die Ex-CIA-Agentin nicht zögern würde, sie zu erschießen, falls sie sich dem Befehl des Generals widersetzte. »J-jawohl, Sir«, stammelte sie. Die Verbindung zur Erde wurde abrupt unterbrochen. Helen entspannte sich, behielt ihre Hand jedoch in der Nähe des Blastergriffs. Sherilyn blickte zu Harris und Tennard, deren Gesichter bleich vor Entsetzen waren. Obwohl sie beide eingefleischte Elitekämpfer einer Seals-Einheit gewesen waren, schockte auch sie die Entscheidung des Generals sichtlich. »Lieutenant Harris, Sie haben die Brücke«, sagte Sherilyn laut. Sie ignorierte den giftigen Blick Helens, die wohl darauf spekuliert hatte, als Stellvertreterin Stones zu agieren. Doch ihrem zugewiesenen militärischen Rang nach, war sie nicht einmal Offizier. »Wird gemacht, Ma'am«, bestätigte Harris. »Und sperren Sie Sealdric in eine Sicherheitszelle, wenn es so etwas hier an Bord gibt.« Sie wartete die Bestätigung erst gar nicht ab, sondern verließ die Brücke über eine dritte, kleinere Tür. Dem Strukturplan des Schiffes, der in ihrem Helmcomputer eingespeist war, nach, führte der dahinter liegende Gang direkt in Sealdrics Privatquartier. Alle Vorsicht außer Acht lassend, suchte sie die geräumige Kabine des Bewahrers auf und ließ sich ermattet auf das breite Bett fallen. Sie fiel in einen unruhigen Schlaf. Albträume von Scardeenern, die plötzlich das Quartier stürmten und über sie herfielen, suchten sie heim. Sie ahnte nicht im Mindesten, dass ihr der schlimmste Albtraum noch bevorstand.
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Φ Gernah schimmerte auf der sonnenzugewandten Seite weißlich. Die dünne, leicht wolkige aber atembare Atmosphäre, die den Felsbrocken im All umgab, sorgte für den hellen Schein, der von dem Asteroiden ausging. Gernah kreiste in einer weiträumigen Umlaufbahn um den einzigen Planeten des Zerum-Systems. Damit war er eigentlich ein Mond der Toten Drahusem-Welt, jedoch zu klein für diese Bezeichnung. Simon McLaird studierte auf einem Monitor, der seitlich an seinem Sessel angebracht war, die eingehenden Daten. Inzwischen hatte er sich an die Darstellung einiger fremdartiger Schriftsymbole gewöhnt. Dafür sorgte mitunter auch der Translator, den er als Ring an seinem Finger trug. Er übersetzte nicht nur die bekannten Standardsprachen des von Scardeen erforschten Weltraums, sondern machte auch die visuellen Symbole von verschiedenen Schriften verständlich – Simon vermutete, dass es hierfür eine direkte Verbindung zum Gehirn des Trägers gab. Nach den Daten war Gernah in etwa so groß wie die Fläche Alaskas und besaß eine recht zerklüftete Oberfläche. Wie es sich für einen Asteroiden gehört, dachte Simon. Mit noch eingeschalteter Tarnung überflog Ken Dra die Felsenlandschaft, drang in die dünne Atmosphäre ein und steuerte ein Plateau an, das nicht natürlichen Ursprungs war. Deutlich war auf den Schirmen der kreisrunde, etwa einhundert Meter durchmessende Landeplatz zu sehen, von dem ein Steinweg zu einem Pavillon führte. Dieser wiederum grenzte an einen Tafelberg, der mit einer ganzen Kette weiterer Bergformationen verbunden war. Die Raumjacht setzte auf der Landeplattform auf. Dichter Staub stob beiseite und wurde so hochgewirbelt, dass er für einige Momente die Sicht vor den wenigen Fenstern der Brücke versperrte. Noch während die Triebwerke ausliefen und Ken Dra den Tarnschirm deaktivierte, waren Prinzessin Tanya, Jee A Maru und Kardina beim Ausgang. »Warum hast du die Tarnung abgeschaltet?«, fragte Simon, der auf Ken gewartet hatte. »Das Tarnfeld stört nicht nur die Sensoren, sondern schirmt auch das sichtbare Licht ab«, erklärte der Pilot, während sie die Schleuse passierten und die Gangway hinunter marschierten. »Die dazu notwendige Strahlenemission wirkt schädigend auf den menschlichen Metabolismus, daher können wir es bei einer Landung nicht aufrecht erhalten.« Unten warteten bereits die drei Frauen auf sie. Simon blickte in den Himmel hinauf. Es gab keine Wolken oder getrübte Sicht. Die Luft war klar und unverbraucht und man hatte einen hervorragenden Blick auf das Sternenmeer. Simon atmete tief durch. Der Anteil von Sauerstoff lag ein wenig höher, als er gewohnt war. »Die Atmosphäre wird künstlich erzeugt«, sagte Ken Dra auf seine entsprechende Frage hin. Die beiden folgten Jee A Maru und den Amazonen von der Landeplattform über den betonierten Weg in Richtung Pavillon, der am Eingang von zwei mächtigen Säulen flankiert wurde. Simon McLaird ahnte, dass es sich bei dem Gebäude um eine Art Tempel handelte, der Weihestätte der Schwertträger, von der Jee A Maru gesprochen hatte. Vor dem Eingang blieb die Gruppe kurz stehen. Jee, die letzte Schwertträgerin, verneigte sich kurz vor dem Portal und betrat dann die heilige Stätte der Drahusem als erste. Simon, Ken Dra und die beiden Amazonen zögerten nicht, ihr zu folgen. Der Raum hinter dem Portal war spartanisch eingerichtet. Am Ende gab es einen Durchgang, dahinter einen schmalen Korridor, der zur Weihehalle führte. Auch diese kam ohne Pomp und Luxus aus. Lediglich ein marmorner Altar befand sich am fernen Ende, gestützt von einer Säulenkonstruktion. Auf dem Weihetisch brannten drei große, rote Kerzen mit grünlich-blauer Flamme. McLaird fragte sich, wer die Kerzen erneuerte, wenn sie erst einmal heruntergebrannt waren. »Das sind die ewigen Kerzen«, erklärte Jee A Maru, als hätte sie Simons Gedanken erraten.
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»Ihr Licht verlöscht niemals.« »Na so was hätte ich zu Hause gebraucht«, kommentierte McLaird. »Damit spart man jede Menge Strom, was?« Er trat an den Altar heran und wollte die Kerzen berühren, doch seine Hand gehorchte nicht mehr seinem Willen. Sie bewegte sich nach rechts, ohne auch nur in die Nähe des Altars zu kommen. Simon machte einen Schritt nach vorn und befand sich plötzlich neben dem Altar. »Ein Kraftfeld«, sagte Jee. »Es lässt nur Personen bis zum Altar durch, die die körpereigenen Schwingungen Prissarias besitzen.« »Ah«, machte Simon. »Nur du und Ken können jetzt noch da durch.« Jee A Maru nickte. »Oder ein Schwertträger, der nicht von Prissaria stammt. Das Kraftfeld reagiert auch auf die Schwingungen des Schwertes.« »Und wie willst du diese Stätte bergen?« Die Schwertträgerin lächelte geheimnisvoll, antwortete jedoch nicht. Stattdessen drehte sie sich zu ihrem Piloten um. »Ken Dra von Alhorn ... tritt vor!« Der Angesprochene fuhr sichtlich erschrocken zusammen. Anscheinend hatte er mit dem Folgenden nicht gerechnet. Wer war er denn, dass ihm diese Ehre zuteil wurde? Doch nur ein einfacher Pilot, mehr nicht. »Ich ... ich dachte ...«, begann er, verstummte dann aber. Sein Blick wanderte von Simon zu Jee und wieder zurück. Er hatte wohl geglaubt, Simon würde in die Reihen der Schwertträger aufgenommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Außenweltler die Weihe ablegte. Ken schluckte und schritt an den Altar heran. Mühelos überquerte er die unsichtbare Kraftfeldschwelle und stand direkt vor den drei Kerzen. »Ich!«, rief Jee laut und feierlich aus. »Ich, Jee A Maru von Haluun, Tochter des Gra Hik und Schwertträgerin, will hier an diesem Ort Ken Dra, Sohn des Kus Ham von Alhorn, in den geweihten Rang eines Schwertträgers heben.« Ken senkte den Kopf und fiel vor dem Altar auf die Knie. Sein Körper bebte vor innerer Anspannung. Simon kam sich plötzlich fehl am Platze vor und trat langsam zurück, bis er bei den Amazonen angelangt war. Ohne darüber nachzudenken, griff er nach Kardinas Hand und drückte sie fest. Jee umrundete den Altar und flüsterte Worte in einer fremden Sprache, die der Translatorring aus unerfindlichen Gründen nicht für die anderen übersetzte. Vom Klang her schienen sie den gleichen Ursprung zu haben, wie Jees Ausruf mit dem sie das Schwert aktivierte. »Massuhr, he a riis, ko lar sso cuhr ... fassum gher hu'sa ...« Plötzlich fuhr ein blendend weißer Blitz aus der Decke über dem Altar direkt in Ken Dras Körper hinein. Der Pilot bäumte sich kurz auf und wurde in eine Flut grellen Lichts eingehüllt. Simon machte einen Schritt nach vorn, doch Kardina hielt ihn zurück. Ken Dra zuckte unter Schmerzen, krümmte sich, bis sein Kopf den Steinboden berührte und verzog das Gesicht zu einer qualvollen Grimasse. Unerwartet explodierte die Lichtwolke in einer gleißenden Kaskade, die die anderen dazu zwang, die Augen zu schließen. Ein ohrenbetäubender Lärm brandete auf. Simon, Kardina und Tanya gingen in die Knie und pressten sich die Hände auf die Ohren. Etwas zerrte an ihnen. Zuerst glaubte Simon, ein Sturm wäre aufgekommen, doch es waren ganz andere Kräfte am Werk. Kräfte, die jenseits seiner Vorstellungsgabe lagen. So plötzlich wie es begonnen hatte, endete es. Simon stieß den angehaltenen Atem aus und öffnete die Lider. Das Licht war verblasst. Einzig die drei Kerzen flackerten nach wie vor auf dem Altar. Ken Dra hockte sichtlich erschöpft vor dem Sockel der Weihestätte. Und auf dem Altar selbst lag ein Schwert, ähnlich dem Jee A Marus.
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»Nimm diese Klinge, Schwertträger Ken Dra!«, forderte die Frau mit dem silbrigen Haar ihn auf. Der Pilot raffte sich auf und hielt sich an der Kante des Altars fest. Mühsam zog er sich hoch und stand dann mit wackeligen Beinen davor. Zögernd ergriff er das Schwert und strich behutsam, beinahe liebevoll über die glatte, kalte Klinge. Jee A Maru verließ ihren Platz hinter dem Altar und kehrte mit Ken Dra zu den anderen zurück. Sie deutete auf das Schwert. »Sobald die Klinge sichtbar ist, verbraucht sie Energie«, sagte sie. »Schwebt sie unsichtbar an deiner Seite, lädt sich das Magazin im Griffkolben auf.« »Irre Technik«, ließ Simon McLaird vernehmen. »Ihr macht Dinge unsichtbar und lasst sie schweben und dennoch verbrauchen sie keine Energie?« Jee A Maru zuckte die Achseln. »Wie es genau funktioniert weiß ich nicht. Schwertträger gibt es schon seit mehreren Jahrhunderten. Wir wissen heute nicht einmal mehr, wer diese Weihestätte erschaffen hat.« »Na ja, mit dieser Erfindung eines Perpetuum Mobiles könntet ihr auf der Erde eine Menge Kohle scheffeln.« »Ganz so einfach ist es nicht«, wehrte Jee ab. »Auch wenn das Schwert im nicht sichtbaren Zustand zwischen den Dimensionen verweilt, so muss es doch binnen eines Jahres wieder aufgefrischt werden. Die Selbstregeneration funktioniert nur bis zu einem gewissen Grad.« »Und wo kann ich es aufladen?«, fragte Ken Dra. Jee A Maru deutete auf den Altar. »Nur hier auf Gernah ... Mossar!« Ihr eigenes Schwert erschien neben ihr in der Luft. Simon musste sich abermals vergegenwärtigen, dass nichts als eine ausgeklügelte und weit fortgeschrittene Technologie hinter der ganzen Sache steckte und nicht ein Abstraktum wie Magie. So sollte es nur für die Außenstehenden wirken, um den Mystizismus, der um die Schwertträger rankte, zu vertiefen. Jee griff nach der Klinge, trat an den Altar heran und drückte eine verborgene Taste. Die Steinplatte schob sich beiseite. Jee legte ihr Schwert in den Hohlraum darunter und ließ die Platte wieder zurückgleiten. »Wie so vieles, das mit dem Schwertträger-Mythos zusammenhängt«, erklärte sie Ken Dra, »wird auch der Ladevorgang stimmaktiviert. Lahruun.« Das letzte Wort wurde wieder nicht übersetzt. Kurz darauf fuhr die Steinplatte abermals zur Seite und Jee nahm das Schwert an sich, das sie über das spezielle Kommando verschwinden ließ. »Wir sind fast fertig«, sagte sie dann und deutete nach links zur Wand neben dem Altar. Ken verstand die Aufforderung und ging dort hinüber. Noch ehe er sie erreichte, öffnete sich vor ihm eine verborgene Tür. Ohne zu zögern schritt der frisch gebackene Schwertträger hindurch. Als er nach einigen Minuten wieder vortrat, trug er den schwarzen Jumpsuit und die weißen Stiefel eines Schwertträgers. Φ »Wir können es schaffen!« Nachdenklich starrte Sealdric an die Decke seines Gefängnisses und lauschte dem Klang der Stimme in seinem Schädel. Anscheinend wussten die Eindringlinge nicht, dass sich ein weiterer Bewahrer an Bord der SENSOR befand – oder zumindest ein Bewahrer in der Ausbildung. Sonst hätten sie sicherlich dafür gesorgt, ihn zu liquidieren. Nein! Seine volle Entscheidungskraft lag in dem Gedanken, den er an seinen Schüler zurücksandte. Es war keine wirkliche Telepathie, wie sie zuweilen bei Außenweltlern beobachtet wurde, sondern mehr eine Art Funkübertragung von Hirn zu Hirn. Diese Art der Kommunikation war den Bewahrern von Scardeen vorbehalten. Mikroskopisch kleine
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Nanosonden, im Hirnstamm implantiert, sorgten für die stumme Gedankenübertragung mittels hyperfrequenter Wellen – von anderen Empfängern nicht aufzuspüren. Aber Rahasara, Euer Leben ist in Gefahr!, beharrte der Schüler. Sein Vorschlag, Sealdric mit einem der Spezialkommandos zu befreien, stieß bei seinem Meister auf taube Ohren. Sealdric hing am Leben. Und er hatte die Leute von Shadow Command in Aktion gesehen. Beim kleinsten Verdacht, dass die Scardeener etwas gegen sie planten, würden sie erbarmungslos zuschlagen. Und mich töten, dachte er. Er erschrak, als er merkte, dass er die Intensität des Gedankens nicht gesteuert hatte – sein Auszubildender hatte ihn unweigerlich aufgeschnappt. Vielleicht werden sie das sowieso, meldete sich schon der Vertraute Klang des anderen in Sealdrics Kopf. Wer sagt, dass sie uns nicht ohnehin alle töten, wenn sie haben, was sie wollen. Die Angreifer wurden nach den Berichten unserer Legionäre arg dezimiert und sind nur mit einer kleinen Truppe hierher gekommen. Es können nicht mehr viele von ihnen übrig sein. Sealdric seufzte. Man konnte es den jungen Leuten offenbar nicht verständlich genug machen. Er merkte, dass er selbst vor Erregung zitterte. Insgeheim wünschte er sich weit weg aus der Zelle, doch die Gefahr, auf der Flucht von den Terranern erschossen zu werden, war ihm zu groß. Er wollte abwarten ... Es bleibt bei meiner Entscheidung, dachte Sealdric bestimmt. Ihr folgt den Anweisungen der Eindringlinge. Begebt euch alle in den Frachtraum und wartet ab. Sie werden alleine nicht mit dem Schiff zurechtkommen, auch nicht mit Helen Dryers Hilfe. Bei dem Gedanken an die Frau von der Erde verzog sich Sealdrics Miene zu einer gequälten Grimasse. Augenblicklich schraubte er das Sendepotenzial seiner Gedankenströme zurück. Sein Schüler durfte nicht wissen, dass Sealdric insgeheim Gefühle für Helen Dryer gehegt hatte. Ein Bewahrer unterwarf sich strengstem Zölibat. Das hatte keine religiösen Hintergründe, sondern rein wissenschaftliche. Zu den Bewahrern zählte ein ausgewählter Kreis genetischer Züchtungen. Die Männer und Frauen im Dienste des Wissenschaftsrates waren angehalten, ihre Gene nicht sinnlos in der Galaxis zu verteilen. Zur Fortpflanzung wurden ihnen hin und wieder Samen und Eizellen entnommen, die im Labor zu neuen Bewahrern heranreiften. Sie hat mich hintergangen. Bitte? Sealdric verfluchte sich im Stillen. Der Gedanke war zu intensiv gewesen. Vielleicht sollte er die Verbindung ganz kappen, ehe der Schüler ihn noch durchschaute. Du hast meinen Befehl gehört. Wartet im Frachtraum. Sie werden kommen und einige von euch holen, um die Brücke zu reparieren und ihnen beizubringen, wie man die SENSOR steuert und landet. Die Verbindung endete hart und abrupt. Wahrscheinlich würde der Auszubildende noch ein paar Stunden von Kopfschmerz geplagt. Sealdric verschränkte die Arme hinter den Kopf und blickte weiter zur Decke hinauf. Er wusste, dass ihn seine Wächter über die Kameras an den Wänden beobachteten. Aber sie konnten keinesfalls etwas von seiner lautlosen Unterhaltung mitbekommen haben. Er war zuversichtlich, dass ihm schon bald eine Lösung einfiel, aus dieser misslichen Lage herauszukommen. Schließlich war er Bewahrer. Φ Der Türsummer weckte Sherilyn Stone unangenehm aus einem unruhigen Schlaf. Sie rieb sich die Augen und blickte verwirrt auf ihre Armbanduhr. Überrascht musste sie feststellen, dass sie fast fünf Stunden geschlafen hatte. Gott, was kann in der Zwischenzeit alles passiert sein?
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Sie schalt sich in Gedanken für ihre Nachlässigkeit. Es gab keine Garantie, dass wirklich alle Scardeener an Bord der Aufforderung nachgekommen waren und den Frachtraum aufgesucht hatten, um ihren Bewahrer Sealdric zu schützen. Erneut summte es an der Tür. Verschlafen rief Sherilyn: »Herein!« Erst dann wurde ihr bewusst, dass sie die Tür von innen verriegelt hatte. Sie bequemte sich aus dem Bett, rupfte sich die Uniform zurecht und entsperrte das Schloss. Lieutenant Sean Harris betrat das Quartier und salutierte kurz. »Verzeihen Sie, Captain, aber der General ist der Ansicht, dass ... Sie lange genug geschlafen haben.« »Der General glaubt?«, fuhr sie auf. Ihre verbale Attacke kam so unerwartet, dass Harris erschrocken zusammen zuckte. »Ich kann nichts dafür, Ma'am.« »Schon gut«, entgegnete Sherilyn und atmete tief durch. Was bildet sich dieser Kerl ein? »Wie laufen die Reparaturarbeiten?«, erkundigte sie sich, um ihre Wut zu überspielen. »Abgesehen von den Beschädigungen in den Korridoren, in denen wir und die Scardeener gewütet haben, sieht die Brücke wieder recht ordentlich aus«, berichtete Harris. »Die haben für die Konsolen austauschbare Module. Sie mussten nicht großartig reparieren oder schweißen und löten, sondern haben nur die neuen Kästen auf die Sockel gesetzt und hier und dort ein paar Stühle ausgetauscht.« Sherilyn zog eine Braue hoch. Der Redeschwall des Lieutenants ließ sie stutzen. Harris reagierte meist so, wenn es noch etwas Wichtiges mitzuteilen gab, das er gerne verheimlich wollte. »Was gibt es noch?« Harris zögerte und trippelte unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Wir ... wir befinden uns bereits auf der Erde nahe dem Eingang des Hauptquartiers.« »Da konnte wohl jemand nicht warten«, sagte Sherilyn, die ihre Überraschung jedoch nicht zu verbergen vermochte. Dennoch sah sie Harris an, dass er noch immer nicht alles gesagt hatte. »Sie wollen das bestimmt nicht hören, Captain«, druckste Harris herum. »Hören Sie mit dem Quatsch auf. Ich will es hören!« »Agentin Dryer hat den Frachtraum fluten lassen, als Sie schliefen ...« »Was?« Sherilyn glaubte sich verhört zu haben, doch in dem Moment traf sie die Erkenntnis wie ein Hammerschlag. Sie taumelte mit vor Schreck und Entsetzen geweiteten Augen zurück, verlor das Gleichgewicht und ging hilflos mit den Armen rudernd und nach Halt ringend zu Boden. Ihr Gesicht war aschfahl. Ein Kloß schnürte ihr die Kehle zu. Sie stammelte etwas, das Harris nicht verstand. Der Lieutenant wollte zu ihr, um ihr wieder auf die Beine zu helfen, doch sie machte eine abwehrende Geste, drehte sich zur Seite und übergab sich auf dem Fußboden von Sealdrics Kabine. Fünftausend Menschen waren in der Kälte des Weltraums erfroren oder erstickt! Sherilyns Gedanken rasten. Es hätte auch anders kommen können, versuchte eine Warnung aus dem Unterbewussten sie zu beruhigen. Fünftausend Menschen! Ein neuer Schwall der Übelkeit ließ sie ein weiteres Mal erbrechen. Sie versuchte sich einzureden, dass im Krieg Opfer zu bringen waren. Bei der Vernichtung eines Schlachtschiffes im Gefecht wären ebenso viele Crewmitglieder getötet worden. Aber es war kein Gefecht. Kein Krieg – sondern bloßer Vorsatz. »Captain?« Sherilyn reagierte nicht. Sie kroch über den Boden auf das Schlaflager zu und zog sich an
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der Kante hinauf. Schweratmend ließ sie sich seitlich auf das Bett fallen. Fünftausend! Sie hatte während des Golfkriegs bereits einiges erlebt. Hatte mit den Bordkanonen des Apache-Helikopters Dutzende von irakischen Soldaten in den Tod geschickt. Sogar im Nahkampf hatte sie draußen in der Wüste getötet, als ihr Helikopter von einer HawkFlugabwehrrakete getroffen worden war und sie notlanden musste. Aber das hier war etwas gänzlich anderes. Das war ... »Mord!« Als sie merkte, dass sie das Wort laut ausgesprochen hatte, richtete sie sich halb auf und sah in Harris' Richtung. Der Lieutenant nickte. »Kann ich Ihnen vertrauen, Harris?« »Sicher, Captain. Wenn ich offen sprechen darf ...?« »Nur zu.« »Wir hatten keine Chance einzugreifen. Sergeant Tennard und ich waren draußen im Hauptkorridor, um etwaige versprengte Scardeener-Einheiten aufzuspüren. Als wir Rechenschaft von ihr forderten, bedrohte sie uns mit der Waffe und drohte uns an, uns vors Kriegsgericht zu bringen.« Sherilyn bedeutete dem Lieutenant, auf sie zu warten und ging ins Bad, um sich den Mund auszuspülen. »Wir müssen etwas gegen den General unternehmen«, sagte sie, als sie zurückkam. »Niemand aus der Regierung weiß etwas von dem, was da oben abgegangen ist. Er handelt auf eigene Faust.« »Das dürfen wir nicht zulassen«, pflichtete Harris ihr bei. »Hören Sie, Captain, wir stehen nicht allein da. Niemandem an Bord hat es gefallen, was Dryer da getan hat. Und ich bin sicher, dass auch unsere restlichen Leute einen Massenmord wie diesen nicht gutheißen.« »Gut, dann stehen wenigstens die Schatten auf unserer Seite.« »Was wollen Sie unternehmen?« Sherilyn hob die Schultern. »Ich lasse mir etwas einfallen. Verhalten Sie sich in der Zwischenzeit unauffällig.« Harris nickte erneut und meldete sich mit militärischem Gruß ab. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ging Sherilyn Stone zu Sealdrics Bar hinüber und goss sich etwas von einer klaren Flüssigkeit in ein großes Glas. Sie leerte es in einem Zug und verzog den Mund. Es schmeckte sauer, war allerdings angenehm erfrischend. Wir brauchen Hilfe, dachte sie. Einer Eingebung folgend suchte sie Sealdrics Arbeitsplatz hinter einem Raumteiler auf und hockte sich in den bequemen Sessel. Auf dem breiten Tisch stand ein Terminal. Die Abfrageroutinen arbeiteten über Tastatureingabe oder verbal. Da Sherilyn sich noch nicht mit allen scardeenischen Schriftzeichen vertraut gemacht hatte, wählte sie die Stimmeingabe. Sie erfuhr, dass sie von hier aus Zugang zum zentralen Bordrechner hatte. Sie aktivierte die Datenbank und ließ den Rechner in ein Untermenü mit Suchabfrage springen. Aus dem Terminal drang eine fremd klingende Stimme – kurz darauf folgte die Übersetzung. Bitte Eingabe spezifizieren. »Planeten im Scardeenischen Reich.« Name des Planeten? Es gab nur eine Welt, die Sherilyn namentlich aus den Überwachungsbändern Helen Dryers kannte. »Prissaria!«, sagte sie laut. Kurz darauf erschienen Daten auf dem Display, allesamt in scardeenischen Schriftzeichen. Die verbale Erklärung folgte unmittelbar:
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Prissaria, vierter Planet im Zerum-System. Population: Volk der Drahusem. Eingestuft als staatsfeindlich. Population wurde vollständig durch Bewahrer Sealdric mittels Virenbefall ausgelöscht. Koordinaten: X-300100-Y-4502-Z-00785, Quadrant 13. Weitere Informationen? Sherilyn verneinte die Frage und lehnte sich im Sessel zurück. Momentan schien jeder in ihrer unmittelbaren Umgebung durchgedreht zu sein und einen Hang zum Massenmord zu haben. Der eine befiehlt den Tod von fünftausend Wehrlosen, der andere begeht Völkermord an einem ganzen Planeten. Sherilyn stützte sich mit den Armen auf dem Schreibtisch auf und rieb sich müde die Augen. Sie hatte sich Hilfe von den Drahusem erhofft, war bereit, einen Waffenstillstand über McLaird mit ihnen zu vereinbaren. Jetzt erübrigte sich dies wohl. Es sei denn ... Einer inneren Eingebung folgend fuhr sie auf und drückte wahllos einen Schalter am Interkom. »Corporal O'Ryan?«, meldete sich eine junge, weibliche Stimme. »Stone hier. Geben Sie mir einen Statusbericht, Corporal.« »Wir leiten Trainingseinheiten in allen Bereichen des Schiffes, Ma'am. Die ... überlebenden Scardeener wurden vom General und Sergeant Dryer zur Kooperation gezwungen.« Wenn er sie nicht mehr braucht, tötet er sie sowieso, dachte Sherilyn verbittert. »Und machen unsere Leute Fortschritte?«, sie nach. »Ja, Captain. Erstaunlich gute sogar. Die Technologie der Scardeener ist in ihren Grundzügen der unseren offenbar sehr ähnlich. Wir haben noch ein paar Probleme mit den fremdartigen Schriftzeichen, aber unsere Leute werden in ein paar Tagen das Schiff so bedienen können, wie die scardeenische Besatzung zuvor.« »Hört sich gut an«, meinte Sherilyn, auch wenn ihr Tonfall das genaue Gegenteil zum Ausdruck gebracht hatte. »Ist einer der Abfangjäger für mich verfügbar.« »So viele Sie wollen, Ma'am.« »Machen Sie einen für einen Trainingsflug startklar.« »Aye, Captain.« Sherilyn unterbrach den Komlink und wollte gerade aufstehen, als das Gerät vor ihr summte. Diesmal gab es bei der Verbindung auch eine Bildübertragung. Das Gesicht Lieutenant Harris' erschien auf dem Schirm. Im Hintergrund war eine der zehn Lazarettstationen an Bord zu sehen. »Harris! Gut, dass Sie anrufen. Liegen bereits Befehle des Generals vor, wer das Kommando über dieses Schiff hat?« »Nicht, dass ich wüsste«, gab Harris zurück. »Momentan sind sowieso alle hier zu beschäftigt mit Training und Lehrstunden, als dass sich jemand Gedanken über die Kommandostruktur machen würde. Selbst der General macht eine Besichtigungstour mit und hält sich gerade im Maschinenraum auf.« »Dann halten Sie während meiner Abwesenheit die Stellung.« Harris runzelte die Stirn. »Äh ... Sie wollen weg?« Sherilyn nickte nur. »Da ist noch etwas, das Sie interessieren dürfte, Captain«, sagte Harris dann. »Sergeant Gossett ist mit schweren Verbrennungen durch Laserfeuer ins Lazarett eingeliefert worden. Er lebt.« Sherilyn war überrascht. Sie hatte Gossett längst abgeschrieben. »Ist er ansprechbar?« Harris schüttelte den Kopf. »Nein, er liegt momentan im Koma.« »Ich besuche ihn später.«
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Sherilyn schaltete die Verbindung ab und verließ Sealdrics Quartier in Richtung eines der Jäger-Hangars. Sie wusste nicht, ob ihr Plan in einem Anflug aus Wahnwitz und Irrglauben gereift war, dennoch entschloss sie sich dazu, ihn durchzuführen. Wenn es nur eine vage Hoffnung gibt, dachte sie, dann muss ich es tun! Φ Mit beiden Händen umkrampfte Sherilyn Stone das Steuerkreuz der Jagdmaschine und stieß einen erleichterten Ruf aus, als sie förmlich aus dem Hyperraum geschleudert wurde. Sie hatte von Corporal O'Ryan eine Kurzeinweisung der Steuerung erhalten. Vieles kam ihr als Pilotin von Kampfhubschraubern bekannt vor, und die intuitive Steuerung übernahm quasi den Rest. Wobei die Techniker und Spezialisten von Shadow Command bisher noch nicht herausgefunden hatten, was es eigentlich mit dieser Intuitionsautomatik auf sich hatte. Sie erhofften sich neue Erkenntnisse von den gefangenen Ingenieuren und Piloten – je nach deren Kooperationsbereitschaft. Sherilyn behielt den Ortungsmonitor im Auge. Eine Reihe von Daten flimmerte über das Display, doch sie musste erst die Audiointerpretation dazu schalten, um sie zu verstehen. Es wird wirklich Zeit, dass ich mich mit den scardeenischen Schriftzeichen vertraut mache. Nur zwei Himmelskörper wurden im Zerum-System angezeigt. Der kleinere von beiden, umkreiste den zweiten. Sherilyn steuerte den großen Planeten an, bei dem es sich nur um Prissaria handeln konnte, auch wenn die Audioübersetzung den Namen nicht genannt hatte. Der stromlinienförmige Ein-Mann-Raumjäger schoss auf die Heimat der Drahusem zu. Als die Daten der Sensoren übersetzt wurden, schauderte Sherilyn – es wurden keinerlei Lebenszeichen angezeigt. Diese Welt war tot. So wie es der Bordcomputer der SENSOR bereits gesagt hatte. Der General und dieser Sealdric können sich die Hand reichen, dachte sie bitter. Dennoch gab sie ihre Hoffnung noch nicht auf und gab Kurskoordinaten für den Trabanten Prissarias ein. Der Blick auf die Treibstoffanzeige verriet ihr, dass sie noch genügend Reserven dafür besaß. Die Langstreckenjäger waren für zwei Hypersprünge und großzügige Flüge innerhalb eines Sonnensystems bestückt – soviel hatte ihr Corporal O'Ryan bereits mitteilen können, ehe Sherilyn aufgebrochen war. Als sie in Orbitreichweite des unförmigen Mondes war, reagierten die Abtaster plötzlich auf Lebensformen. »Fünf Humanoide auf der Oberfläche geortet«, verkündete die mechanische, scheppernde Stimme der Audioausgabe des Bordcomputers. Sherilyn wagte nicht zu hoffen, dass ausgerechnet die Leute, die sie suchte, sich dort unten befanden. Der Zufall wäre zu groß gewesen – und dennoch ... Irgendwie habe ich es gespürt, dass ich sie hier finden kann. Die Jagdmaschine umkreiste den asteroidenartigen Mond, drang in die dünne Atmosphäre ein und flog dann über die zerklüfteten Gebirgslandschaften hinweg. Nur kurze Zeit darauf sprach die Energieortung an. Sherilyn blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, denn der Rest des Trabanten schien genauso tot wie Prissaria selbst zu sein. Bald überflog sie einen Pavillon und entdeckte das mantaförmige Schiff, das unweit des Gebäudes gelandet war. Der Captain flog eine Schleife und kehrte zurück. Mit gedrosselten Triebwerken setzte Sherilyn zur Landung an. Ein heftiger Ruck ging durch den Leib des Jägers. Sherilyn wurde in die Gurte gepresst. Sie verringerte die Energiezufuhr und schaltete dann ganz ab. Der Jäger schlingerte über das Landefeld und kam neben der Jacht zum Stehen. Erst als der Bordcomputer signalisierte, dass die Luft atembar war, öffnete Sherilyn die Kanzel und stieg mit gezogenem Laser aus dem Kleinstschiff aus. Sie folgte dem Pfad zum Pavillon und hörte Stimmen, als sie ihren Fuß über die Schwelle des Eingangs setzte. Ehe sie
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eine Deckung im kargen Innenraum suchen konnte, hatte man sie bereits entdeckt. »Halt!« Sherilyn erblickte fünf Gestalten, die sich aus einem Durchgang näherten. Drei von ihnen kannte sie: Simon McLaird und seine beiden außerirdischen Freunde Jee A Maru und Ken Dra. Alle Vorsicht fallen lassend steckte die Shadow-Agentin die Laserpistole ein und trat aus den Schatten heraus. »Gut, dass ich Sie hier antreffe«, sagte sie erleichtert. Die anderen sahen sich nur erstaunt an, dachten jedoch nicht im Traum daran, ihre Waffen zu senken. Drei Mündungen und zwei Schwertklingen waren auf Sherilyn gerichtet. Die entschlossenen Gesichter der anderen zeigten ihr, dass sie ohne zu zögern abdrücken würden. Φ »Es wäre sicherlich eine Beförderung, wert, oder?« Ein Schuss ins Blaue. Womöglich hatte sich Helen Dryer zu weit aus dem Fenster gelehnt, doch der General lächelte nur. Sie hatte gerade die Inspektion des Maschinenraums hinter sich gebracht und waren in Begleitung dreier Wächter auf dem Weg zum Lazarett. Vielmehr zu einer der insgesamt zehn Lazarettstationen an Bord der SENSOR. Im Gegensatz zur Krankenstation, die mit allen Finessen der scardeenischen Medizin ausgestattet war, dienten die Lazarette der ambulanten Behandlung von Leichtverletzten. »Ich wusste, dass Sie das vorschlagen würden«, sagte der General. »Aber die Zeit ist noch nicht reif dafür.« »Nicht reif?«, echote Helen. »Nach allem, was ich für Shadow Command und die Erde getan habe.« »Wie ich schon sagte, die Zeit ist noch nicht reif.« Sie passierten den Durchgang zum Lazarett dieses Decks und ließen sich von einem Sanitäter zum Bett Gossetts führen. Der Agent war noch immer ohne Bewusstsein. »Der Versager wäre besser draufgegangen«, raunte der General und trat dicht an die Überwachungsinstrumente heran. »Er hat immerhin erkannt, dass Captain Stone nicht mitspielen würde«, warf Helen ein. »Wo ist sie eigentlich?« »Um Captain Stone kümmere ich mich später.« Der General drehte sich zu Helen um und blies ihr den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht. »Schicken Sie Gossett zu mir, sobald er wieder auf den Beinen ist. Ich werde ihn irgendwohin in die Wüste oder nach Sibirien schicken, damit er uns nichts mehr vermasseln kann.« Helen wollte noch einmal einwerfen, dass Gossetts Ideen vom Ansatz her ziemlich gelungen waren. Nur an der Ausführung haperte es zuweilen. Doch wer war sie, dass sie ihren ExPartner in Schutz nahm? Jeder Agent, an dem der General gefallen finden konnte, war der Konkurrenz zuzurechnen. Helen wollte nach oben. Ganz nach oben – Leute wie Gossett und Stone standen ihr dabei im Weg. Vielleicht sogar Leute wie der General ... »Ich bin in meinem Büro im Bunker«, sagte der General und verließ das Lazarett, während er weiter an seiner Zigarre paffte. Helen seufzte. Sie wollte gerade ebenfalls gehen, als sie ein schwaches Stöhnen vom Bett neben sich hörte. Gossett wurde wach. Eines der Instrumente schlug aus. Irgendwo piepte ein Alarm auf, und sofort waren zwei Pfleger und ein Arzt zur Stelle, um sich um den Verwundeten zu kümmern. »Sie gehen jetzt besser«, sagte der Arzt. »N... nein«, krächzte Gossett schwach. Er hob eine Hand und winkte Helen zu sich heran. Die Agentin wartete erst gar nicht die Zustimmung des Doktors ab, sondern beugte sich über das Bett und hielt ihr Ohr dicht an Gossetts Lippen, damit sie ihn überhaupt verstehen konnte.
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»Stone?«, fragte er leise, als gäbe es im Moment keine anderen Sorgen. »Der General nimmt sie sich vor«, versicherte Helen. Gossett nickte, sank in die Kissen zurück und schlief erneut ein. Helen Dryer wandte sich kopfschüttelnd ab. Φ Simon McLaird zog erstaunt eine Braue hoch, als er Captain Stones Worte vernahm und glaubte, sich verhört zu haben. Sie war froh ihn und die Drahusem hier anzutreffen? »Drehen Sie hier einen Film oder läuft das unter der Kategorie Falle?« »Weder noch, McLaird«, gab Stone zurück und schien sich mit Mühe zu einem Lächeln zu zwingen. »Ich ... stehe auf Ihrer Seite.« »Ich dachte auf dem Comedy-Channel gibt es erst ab halb Acht Programm«, spottete Simon. Er traute Stone nicht einen Meter über den Weg. Was red ich? Nicht einen halben ... Ken Dra, der frisch gebackene Schwertträger, trat vor. Noch immer hielt er die Klinge auf Sherilyn Stone gerichtet. »Woher der plötzliche Gesinnungswandel?« »Der General ...«, begann sie, doch Simon schnitt ihr ungehalten das Wort an. »Sie und der General klebten doch wie siamesische Zwillinge aneinander. Wenn Sie jetzt ein Problem mit ihm haben, rufen Sie doch die Telefonseelsorge an!« »Unglaublich komisch«, knurrte Sherilyn Stone. Das Lächeln verschwand von ihren Lippen. »Nun?«, mischte sich Jee A Maru ein. »Wir warten noch auf eine Antwort.« »Reichen Ihnen fünftausend scardeenische Leichen, die erfroren im Weltraum um den Mond herumtreiben als Antwort aus?« Sherilyns Worte hatten einen härteren Klang, als sie beabsichtigt hatte. Die vergangenen Ereignisse wurden wieder an die Oberfläche geschwemmt und drohten sie zu übermannen. Nur mühsam hielt sie sich selbst im Zaum. »Der Reihe nach«, forderte Ken Dra sie auf. »Was ist geschehen?« Captain Sherilyn Stone berichtete über den Plan des Generals, mit einem Alienschiff den ersten Schritt zur Eroberung des Weltraums zu tun. Sie verriet den anderen Helen Dryers Doppelspiel und wie sie die SENSOR geentert hatten. »Sie haben ... was?«, platzte Jee heraus. Sherilyn nickte bekräftigend. »Sie haben richtig gehört. Wir haben jetzt ein scardeenisches Schlachtschiff in unserer Hand. Und mein Vorgesetzter hat Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person gespielt, als er fast die gesamte Crew der SENSOR zum Tode verdammte.« »Die ganze Crew?«, fragte Jee. »Dann stimmt die Zahl?«, vergewisserte sich Simon unsicher. »Fünftausend Scardeener sind tot?« »Etwa zweihundert Techniker, Ingenieure, Ärzte und eine Handvoll Piloten hat er am Leben gelassen, um mehr über ihre Technologie zu erfahren. Alle, die er nicht brauchte, hat er eiskalt ermordet.« Simon stieß hörbar die Luft aus. Er warf Ken einen Seitenblick zu und war überrascht, dass der Pilot nicht jubelte. Noch vor wenigen Stunden hatte er inbrünstig darauf bestanden, das Patrouillenschiff, das Prissaria umkreiste, anzugreifen. Doch seit er den Initiierungsprozess der Schwertträger durchlaufen hatte, schien er seinen früheren Standpunkt zu überdenken. »Mir scheint, dass die Leute von der Erde einiges mit den Bewahrern von Scardeen gemein haben«, kommentierte Prinzessin Tanya, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. »Wir sind nicht alle so«, begehrte Sherilyn auf. »Von mir wurde verlangt, dass ich den Befehl zur Ermordung der Crew ausführe. Ich habe ihn verweigert und stehe mit Sicherheit jetzt auf der Abschussliste des Generals.«
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»Und was haben Sie jetzt vor?«, fragte Ken. »Warum sind Sie hier und haben uns gesucht?« Sherilyn sah einen nach dem anderen an, ehe sie antwortete: »Wenn es mir gelingt, den General unschädlich zu machen und die Kontrolle über Shadow Command zu erlangen, dann könnten wir uns verbünden. Unsere Organisation wird zwar von irgendwelchen dunklen Kreisen, über die vermutlich nicht einmal der General selbst Bescheid weiß, unterstützt, aber sie agiert vollkommen unabhängig von jeder Regierung. Die Schatten könnten der Beginn einer schlagkräftigen, autarken Einheit werden, die die Erde vor dem Scardeenischen Reich beschützt. Wir könnten mit Sealdrics Schlachtschiff zu anderen Welten reisen, dort Vorposten errichten und ...« » ... gegen die Scardeener kämpfen«, vollendete Simon McLaird den Satz. »Das ist doch genau, was ihr gewollt habt, Jee und Ken.« Jee A Maru wirkte nachdenklich. »Ist es das?« »Na kommt schon, die Schweine haben euer Volk ausgerottet ...« »Simon!« Ken Dra senkte seine Klinge und deaktivierte sie dann über den fremdklingenden Befehl, den auch Jee A Maru stets nutzte. Als das Schwert verschwunden war, wandte er sich McLaird zu. »Wir wollen keine Rache.« »Aber eben noch ...« »Nein. Das war falsch von mir. Ich sehe die Dinge jetzt klarer. Wir werden DUST suchen und finden und dann mit Hilfe seiner Weisheit und Energie den Frieden ins Scardeenische Reich bringen.« Simon schüttelte unverständlich den Kopf. Sein hilfesuchender Blick ging zu Tanya und Kardina, die jedoch nur die Schultern hoben. »Der Blitz vorhin im Tempel hat dir einige Sicherungen durchgebrannt, richtig?« »Simon«, sagte Jee A Maru an Ken Dras Statt. »Er hat Recht. Gleiches mit Gleichem zu vergelten ist falsch. Wir wären nicht besser, als der Wissenschaftsrat und seine Bewahrer. Nicht alle Scardeener sind schlecht oder böse. Sieh dir Tanya und Kardina an. Sie werden nur von den falschen Leuten geführt und befolgen ihre Befehle aus Angst, sie könnten dafür büßen.« Simon ließ die Schultern hängen und dachte an all die Befehlshaber der Erde, die ihm spontan einfielen. Hatten auch sie nicht dafür gesorgt, dass ihnen ganze Armeen und Völker gefolgt sind, für sie Kriege und Massenvernichtungen geführt hatten. Waren all die Soldaten unschuldig, weil sie vor Furcht nur Befehle ausgeführt haben? Wäre es klug gewesen, sich nie zur Wehr zu setzen? Nein!, sagte sich Simon. »Ihr habt einen Sockenschuss«, konstatierte er. »Ihr hört euch an, wie irgendwelche Weisen aus Tibet und würdet euch lieber abschlachten lassen, als gegen den Feind die Hand zu heben?« »Das hat niemand behauptet«, warf Ken Dra ein. »Sicherlich werden weitere Kämpfe notwendig sein, aber wir müssen versuchen, das Übel bei der Wurzel zu packen und uns nicht mit Scharmützeln gegen die Soldaten Scardeens aufzuhalten. Es ist nicht notwendig, dass wir Scardeener angreifen, wo wir sie nur antreffen. Wir müssen den Wissenschaftsrat in die Knie zwingen oder ihn davon überzeugen, dass es auch Platz für unsere Denkweise im ScardeenReich gibt.« Simon hörte sich Kens Worte an und schwieg dazu. Wahrscheinlich hatte der Drahusem sogar Recht und nicht alles war mit Gewalt zu lösen. Die Wandlung Kens kam jedoch sehr überraschend für ihn, wenn er an die Szene draußen im All zurückdachte. »Nun?«, fragte Sherilyn Stone. »Haben wir einen Deal?« »Nein«, sagt Jee A Maru. »Jedenfalls noch nicht. Fliegen Sie zur Erde zurück und
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versuchen, dort die Dinge in Ordnung zu bringen. Wenn wir DUST gefunden haben, nehmen wir Kontakt zu Ihnen auf. Dann können wir immer noch ein Bündnis schließen.« »Die Frage ist, ob wir ihr trauen können«, knurrte Simon. »Sie können sich gerne davon überzeugen und mit mir zu Erde zurückkommen«, bot Sherilyn an. »Hörte ich da eine Einladung zum Abendessen heraus?« »Mit Sicherheit nicht, McLaird.« Simon trat an die Frau heran. »Ich kann nicht glauben, dass Sie auf einmal die Seite gewechselt haben. Sie haben meinen Freund getötet.« Sherilyn legte den Kopf schief und verzog den Mund. »Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass weder ich, noch Shadow Command etwas damit zu tun hat. Die NSA ist für Nashs Tod verantwortlich – und der Seitenwechsel dürfte selbst für jemanden wie Sie logisch klingen, wenn Sie berücksichtigen würden, dass die Existenz der Erde auf dem Spiel steht. Die Scardeener werden nicht lange brauchen, um herauszufinden, dass wir eines ihrer Schlachtschiffe erbeutet haben. Was meinen Sie wohl was dann passiert?« Natürlich war jetzt die Erde in Gefahr. Aber das hatten die Trottel von Shadow Command zu verantworten, fand Simon. »Wenn es mir gelingt, Shadow Command zu übernehmen, könnte ich Sie rehabilitieren, McLaird«, fuhr Sherilyn Stone fort. Das Versprechen hatte etwas für sich. Fast wäre Simon geneigt gewesen, zuzustimmen. Doch dann wanderte sein Blick zu Jee, Ken und den beiden Amazonen. Er war in diese Sache hineingeschlittert und hatte schon einiges durchgemacht, um so weit zu kommen. Schließlich war er es gewesen, dem die Koordinaten von DUST in der Cheops-Pyramide offenbart worden waren. Nein, die Neugier war zu stark, als dass er jetzt aufgeben könnte. »Wir können darüber reden, wenn meine Freunde und ich von DUST zurückkehren«, sagte er schließlich. »Mein Platz ist momentan an ihrer Seite. Wie viel Unterstützung haben Sie überhaupt auf der Erde?« »Nur wenige unserer Agenten haben den Mord des Generals an fünftausend Scardeenern gut geheißen. Ich denke, dass ich den Großteil auf meine Seite ziehen kann.« »Gut«, sagte Jee A Maru. »Fliegen Sie zur Erde zurück und sehen Sie, was Sie ausrichten können. Wir kontaktieren Sie.« Sie wandten sich zum Gehen, als ein schrilles Pfeifen draußen über den Pavillon hinweg heulte. Kurz darauf erfolgte eine Detonation, die das Gebäude erbeben ließ. Stellenweise brach der Boden auf. Gesteinsbrocken stürzten von der Decke und flogen haarscharf an Simon und Sherilyn vorbei. »Was zum Teufel war das?«, rief McLaird aus. »Das Patrouillenschiff!«, vermutete Ken Dra. »Wahrscheinlich hat es Captain Stones Jäger geortet, als sie auf Gernah gelandet ist.« »Zur Jacht!«, brüllte Prinzessin Tanya und hetzte los. Den anderen blieb keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Am Ausgang wurden sie jedoch wieder zurückgedrängt, als eine Salve von Laserstrahlen nach ihnen tastete und den Steinweg aufwühlte. Ein Splitterregen prasselte auf die Gefährten nieder. Donnernd jagte das Patrouillenschiff über den Pavillon hinweg, flog eine Kampfkurve und setzte zum erneuten Angriff an. »Los!« Tanya sprang vor und hetzte über den nun mit Kratern übersäten Steinweg. Kardina, Simon und Stone waren dicht hinter ihr. Sie hatten die halbe Strecke zur Jacht zurückgelegt, als sie das schrille Pfeifen des zurückkehrenden Patrouillenschiffs vernahmen. Fast gleichzeitig zogen sie ihre Waffen, und wie eine aufgeschreckte Schar Hühner rannten sie auseinander, um dem Gegner kein leichtes Ziel zu bieten. Laserfeuer regnete vom Himmel, deckte das Landefeld ein und verfing sich in den
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Steinplatten des Wegs. Die Hitze schmolz das Gestein, die Wucht der energetischen Einschläge sprengte den Pfad regelrecht auseinander. Kardina hechtete in Deckung, als Schuttmassen sie unter sich begraben wollten. Die anderen drei eröffneten das Feuer. Grelle Lichtlanzen stachen in den klaren Himmel des Asteroiden und brachen sich am aktivierten Schutzschild des Scoutschiffs der Scardeener. Die Laserblitze wurden reflektiert und verpufften harmlos in der Atmosphäre. Simon fluchte. Mit den Handfeuerwaffen konnten sie den Gegner kaum aufhalten. »Wir müssen zur Jacht«, erkannte auch Tanya und sprintete los. McLaird und Sherilyn gaben ihr Feuerschutz, doch die Scardeener sahen in ihnen keine Bedrohung, wohl aber in dem rochenförmigen Schiff auf dem Landefeld. Sie rasten über Simon und die anderen beiden Frauen hinweg und bestrichen die Plattform hinter ihnen mit einem tödlichen Strahlenzauber. Tanya schlug Haken, versuchte, ihren Raumer zu erreichen, doch eine Explosion warf sie zu Boden. Sie hatte nicht den Hauch einer Chance, rechtzeitig zur Jacht zu gelangen. Der Scout visierte Tanyas Schiff an. Feuerstoß um Feuerstoß ging auf den Rochen nieder. Hier und dort widerstand das Material der Außenhülle den Urgewalten des Angriffs, doch andere Bereiche wurden nicht verschont. Splitterregen und Detonationswolken zierten den Rumpf der Jacht. Mit abgeschalteten Schirmen konnte das Schiff bereits im zweiten Angriffsflug in einem Glutball aufgehen. »Wir sitzen hier auf dem Präsentierteller!«, rief Simon und hielt mit der Waffe auf den Scout, der bereits über den fernen Hügeln eine Schleife flog, um sein Vernichtungswerk in der zweiten Welle zu vollenden. Simons Blick fiel auf den von Captain Stone unweit der Jacht abgestellten Raumjäger. Die Maschine lag näher am Pavillon. Vielleicht gelang es ihm, sie zu erreichen, ehe die Scardeener ihr Feuer darauf konzentrierten. Nicht, dass er wirklich annahm, eine reelle Chance zu bekommen, aber auf den Versuch kam es an. Gerade als er loslief, brüllten die Beschleuniger des Scouts auf. Lichtfinger fuhren zur Jacht herab. Zwei, drei Strahlen bohrten sich in die Außenhülle. Dann klang ein Fauchen auf und zwei Blitze jagten von der Asteroidenoberfläche auf das Patrouillenschiff zu. Mit der Gewalt reinster, kosmischer Energie fegten die Entladungen durch den Scout, bohrten sich vom Bug bis zur Achternsektion und hinterließen eine klaffende Wunde in seinem Leib. Eine gewaltige Explosion erschütterte den Himmel. Die Druckwelle zwang Simon und die anderen zu Boden, presste sie gegen den harten Stein und zehrte an ihren Kräften. Weitere Detonationen folgten. Der Pilot des Scouts versuchte abzudrehen, doch sein Schiff ließ sich nicht mehr manövrieren. In gerader Sturzbahn ging es in den Bergmassiven weit hinter dem Pavillon herunter und verging in einer glosenden Feuersbrunst. Der Boden erbebte für einige Augenblicke, ehe Stille einkehrte. Simon McLaird raffte sich auf und drehte sich zum Pavillon herum. Dort standen die beiden Schwertträger mit gezogenen Klingen. Feine Elmsfeuer tanzten über den blanken Stahl. Es stand völlig außer Frage, wer das Scoutschiff vom Himmel geholt hat. »Eure Küchenmesser taugen echt was«, kommentierte McLaird zungenschnalzend. »Jetzt sollten wir von hier verschwinden, ehe noch mehr von denen auftauchen.« »Hoffen wir, dass sie ihre Basis nicht verständigt haben«, sagte Jee A Maru. »Falls die Scardeener den Tempel hier auf Gernah entdecken und zerstören, haben Ken und ich keine Möglichkeit mehr, unsere Schwerter mit Energie aufzuladen.« Während Captain Stone mit dem erbeuteten Raumjäger den Heimflug zur Erde antrat, kehrten Simon, Jee und Ken zusammen mit den beiden Amazonen zur Jacht zurück und trafen die Startvorbereitungen. Die Schäden hielten sich in Grenzen. Tanya musste zwei Bereiche abschotten und einige Terminals und Leitungen in Stand setzen, ehe sie losfliegen konnten. Mit gemischten Gefühlen nahmen sie ihre Plätze ein. Und als die Jacht in den Hyperraum sprang, fragte sich jeder, was sie wohl am Zielort erwarten würde. Konnten sich ihre
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Hoffnungen überhaupt erfüllen? Φ »Achtung!«, rief Lieutenant Sean Harris laut aus, als er den General gewahrte, der gerade die Ausbildungshalle in den Tiefen des Bunkers betrat. Die angehenden Shadow-Piloten stellten unverzüglich ihre Arbeit ein und nahmen Haltung an. »Lieutenant Harris, General, Sir! Melde, dritte Ausbildungsgruppe beim theoretischen Teil der Pilotenschulung!« »Weitermachen!«, sagte der General. »Wissen Sie, wo Sergeant Dryer steckt?« »Unterrichtsraum Sieben, Sir!«, antwortete Harris. Der General nickte kurz und musterte die Shadow-Agenten, die im Umgang mit den scardeenischen Raumjägern unterrichtet wurden. Dabei paffte er wie üblich an einer dicken Zigarre. Schließlich gab er sich einen Ruck und suchte den Unterrichtsraum auf. Er fand Helen Dryer bei Pflichtübungen in Waffenkunde. Als sie den General erblickte und er ihr zuwinkte, unterbrach sie den Unterricht und übergab den Vortrag an einen anderen, bereits erfahrenen Agenten. »Welche Fortschritte machen sie?«, fragte der General draußen auf dem Gang und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er mit sie die Rekruten meinte. Rekruten war eigentlich untertrieben, denn alle Shadow-Agenten waren bereits Experten auf ihren Gebieten gewesen, als sie von diversen Bereichen der Verteidigung und Geheimdienste zur Schattenorganisation stießen. Doch der Umgang mit der außerirdischen Technologie steckte noch in den Kinderschuhen. Sie waren Frischlinge, was dies anbelangte. »Geben Sie uns noch zwei Tage, Sir, dann haben wir eine Rumpfmannschaft, die mit der SENSOR umgehen und sie steuern kann«, sagte Helen. »Die SENSOR ...«, sinnierte der General und nahm einen tiefen Zug. Sie gingen den Korridor bis zum nächsten Express-Lift entlang und bestiegen die Kabine. Mit einem sanften Ruck setzte sich der Aufzug nach oben in Bewegung. »Das Schiff wird ein irdisches Machtinstrument werden,« fuhr der General fort. »Wir werden es umbenennen. Lassen Sie Schriftzeichen am Rumpf anbringen und ändern Sie die Kennung auf den Namen FREEDOM – das erste interstellare Schlachtschiff der Menschheit.« »Ja, Sir. FREEDOM klingt gut.« Die Kabinentüren öffneten sich. Sie nahmen einen breiten Korridor, auf dem recht viel Betrieb herrschte. Soldaten und Techniker verluden Kisten auf Schwebewagen, die sie aus dem Schlachtschiff geborgen hatten und brachten sie zurück zur FREEDOM. Der General und Helen passierten drei Sicherheitsschotts und mussten den Wachen ihre ID-Karten vorzeigen, ehe sie endlich im heißen Sand der Mojave-Wüste standen. Keine drei Meilen vom Bunkereingang entfernt, ruhte das gewaltige Raumschiff in einer künstlich freigesprengten Bodensenke auf seinen Antigrav-Feldern. Der bisher in seiner Funktionsweise nicht enträtselte Tarnschirm sorgte dafür, dass die FREEDOM vor allen anderen irdischen Radarsystemen unsichtbar blieb. Allerdings hatte der General aus dunklen Quellen erfahren, dass der Start der Enterfähre von Air-Force-Piloten gesichtet und gefilmt worden war. Sollten sich doch die anderen die Zähne über den Verbleib des Shuttles ausbeißen. Der General winkte einen Schweber herbei und betrat zusammen mit Helen das scardeenische Fahrzeug. Sie brauchten nur eine knappe Minute, ehe sie sich unter dem Rumpf des massigen Raumgiganten befanden. Der Fahrer des Gleiters ließ die Maschine aufsteigen und steuerte eine der Hangaröffnungen an. Zwischen den Fähren, weiteren Gleitern und einigen Raumjägern kam der Schweber zum Stehen. Während Helen und ihr Vorgesetzter ausstiegen, dröhnte eine Durchsage durch die riesige Hangarbucht. »Landekontrolle erteilt Freigabe für anfliegendes Schiff. Räumen Sie die Positionen eins bis
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vier. Versorgungseinheiten bereit halten.« »Einfliegendes Schiff?«, fragte der General nach. Er und Helen warteten am Rand des Hangars in der Sicherheitszone und starrten gebannt zur geöffneten Hauptschleuse hinüber. »Sicher einer unserer Piloten, der vom Trainingsflug zurückkehrt«, vermutete Helen. Kurz darauf glitt der stromlinienförmige Rumpf eines Abfangjägers in die Dockbucht herein. Langsam setzte er in einem markierten Bereich auf dem Boden auf. Die Düsen verstummten und einige Techniker beeilten sich, die Maschine zu sichern und mit den Wartungsarbeiten zu beginnen, damit der Jäger binnen Minuten wieder einsatzbereit war. Surrend öffnete sich die Pilotenkanzel und Captain Sherilyn Stone kletterte aus dem Cockpit. Sie gab ihren Helm an einen der Monteure ab. Als sie den General und Dryer sah, kam sie zu ihnen hinüber. »Wo haben Sie gesteckt, Captain?« Sherilyn versuchte zu lächeln. »Training, Sir. Je eher wir diese Dinger fliegen können, desto bessere Chancen haben wir, wenn wir die Erde verteidigen müssen.« Nickend drückte der General den Stumpf seiner Zigarre an der Hangarwand aus. Dann wandte er sich zum Gehen, verhielt jedoch, als Sherilyn sich laut räusperte. »Sir ... dürfte ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?« Er erteilte ihr eine glatte Abfuhr. »Nein. Ich stecke bis zum Hals in Arbeit. Verschieben wir es auf morgen.« Der beleibte Mann betrat mit Helen einen Wartungsaufzug, der zur Kommandozentrale der FREEDOM führte. Ehe sich die Lifttüren schlossen, wandte er sich noch einmal an Sherilyn. »Übrigens haben Sie gute Arbeit bei der Übernahme dieses Schiffes geleistet, Captain Stone. Ich werde auf einen Eintrag in Ihren Akten wegen der Befehlsverweigerung verzichten und Sie stattdessen zum Major befördern.« Die Türen schlossen sich. Draußen stand Sherilyn Stone wie vor den Kopf gestoßen da und starrte den Lift an. In der Kabine herrschte ein ähnliches Bild, als Helen Dryer vor Überraschung und mühsam unterdrückter Wut den General mit hochrotem Kopf angiftete. Doch der Chef Shadow Commands ließ es sich nicht einmal anmerken und zündete sich eine neue Zigarre an. Φ Die Jacht schoss aus dem Hyperraum hinaus und glitt zurück ins Normalkontinuum. Mit voller Fahrt hielt sie auf die Koordinaten zu, die Simon McLaird in der Cheops-Pyramide erfahren hatte – Koordinaten, die zum lange gesuchten Ziel DUST führen sollten. Prinzessin Tanya bremste das Schiff ab. Ken Dra und Jee A Maru überwachten die Ortungsinstrumente, während Simon mit Kardina an den Sichtfenstern stand und angestrengt nach draußen in die Schwärze des Raumes starrte. »Irgendetwas?«, fragte Tanya. Jee und Ken schüttelten die Köpfe. Sie aktivierten die Langstreckensensoren. Simon ging zu einem Pult und schaltete die Außenkameras hinzu. Er startete eine Rundumsuche, erfasste hie und da einen vereinzelten Stern in der Ferne, doch sonst blieben die Monitore und Displays leer. Tanya gab erneuten Schub und steuerte die Jacht in verschiedene Bereiche des Sektors, doch ganz gleich von wo sie auch Messungen und Ortungen vornahmen, es gab keine Spur von DUST ...
ENDE
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DUST erscheint bei story2go Verlag Thomas Knip, Pestalozzistr. 57A, 10627 Berlin. © Copyright 2009 der eBook-Ausgabe bei story2go. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Thomas Knip Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
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Glossar Amazonen Im DUST-Universum eine Gruppe von Frauen auf dem Planeten Mazoni, die für den scardeenischen Wissenschaftsrat Attentate verüben. Im Reich Scardeens wird die zweitgeborene Tochter eines jeden Ehepaares den Eltern entrissen und direkt nach Mazoni geschickt. Dort wird sie zur Kriegerin ausgebildet, um später Spezialaufträge für die Scardeener ausführen zu können. Das Atmosphäregemisch Mazonis ist künstlich geschaffen und verlängert das Leben der Amazonen auf 100 Jahre, wobei sie ihre Jugend und Vitalität beibehalten. Die Amazonen werden von einer Königin und deren ernannter Stellvertreterin angeführt. Bewahrer Das scardeenische Äquivalent der *Schwertträger. Auch Rasarah genannt. Nicht so traditionell und tief in der Vergangenheit verwurzelt. Die Bewahrer dienen dem technokratischen Rat von Scardeen, verpönen jedwede Religion und Mystifizismus. Sie leben keusch, um sich voll und ganz ihrer Aufgabe widmen zu können. Die Bewahrer können sich untereinander auf telepathischem Wege unterhalten, der jedoch nicht durch mentale Bestrebungen hervorgerufen wird, sondern mittels eines künstlichen Implantats. Die Waffe der Bewahrer ist ebenfalls wie bei den Schwertträgern ein Schwert, das im zusammengeklappten Zustand einem Bolzen gleich. Aktiviert schiebt sich eine Flexklinge aus dem Schaft, die aus einem unzerstörbaren Metall besteht. Am Griffstück sind zwei energetische Kugeln befestigt, die bei Bedarf abgefeuert werden können. Die Kugeln sind mit Antiprotonen geladen und gehen eine Paarvernichtung mit dem Zielobjekt ein. Gleichzeitig reproduzieren sie sich selbst, wenn sie vernichtet werden. Bluebook Geheimes Projekt der amerikanischen Regierung und der U.S. Air Force zum Sammeln von Beweisen außerirdischer Phänomene. Zwischen 1947 und 1964 wurden alle UFO-Sichtungen und Begegnungen der Dritten Art in dieser Studie festgehalten. Verschwörungstheoretiker behaupten jedoch, dass Bluebook selbst die Verschwörung war, dass die Studie absichtlich angelegt wurde, um von den wirklich relevanten Fakten abzulenken. Nur so wäre es zu erklären, dass überhaupt Informationen von Bluebook an die Öffentlichkeit sickerten, gerade so, als wären sie absichtlich zugespielt worden. Die Studie Bluebook wurde Ende der 70er abgeschlossen. CIA Central Intelligence Agency – amerikanischer Geheimdienst. 1947 von Präsident Truman gegründet. Die CIA (wohlgemerkt die) ist eine unabhängige Organisation, die nur dem Präsidenten gegenüber verantwortlich ist. Hauptziele der CIA liegen darin den Präsidenten, den nationalen Sicherheitsrat und alle Regierungsinstitutionen, die sich mit der nationalen Sicherheit beschäftigen zu unterstützen. Die Einsatzbereiche liegen hierbei hauptsächlich im ausländischen Nachrichtendienst und Gegenspionage. Hauptsitz der CIA ist Langley, Virginia (bzw. genauer der Vorort McLean) Cord, Pamela Stellvertretende Leiterin des *United States Secret Service im Weißen Haus.
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Dai Urshar Senekar Tarmalis Legendärer Planet in der Religion der *Drahusem; eine Wüstenwelt, die von *McLaird den verkürzten Namen DUST erhalten hat. Von jeher suchten die Drahusem auf diesem Planeten einen Kristall, der in der Lage ist kosmische Energien zu speichern und zu einer spirituellen Erleuchtung führen sollte. Deighan, Pete Stellvertretender Direktor des FBI Drahusem Bewohner des Planeten *Prissaria. Leben in einer technokratischen Gesellschaft, die ihren Ursprung im *Scardeenischen Reich besitzt. Die Drahusem haben sich jedoch nie den Scardeenern angeschlossen, sondern blieben autonom. Da sie neben der reinen Wissenschaft auf ihren teils religiösen Riten nachgingen, waren die Drahusem den Scardeenern ein Dorn im Auge. Das Reich entsendete Stoßtrupps nach Prissaria, um Strafaktionen durchzuführen und ganze Dorfbevölkerungen zu verschleppen. Der scardeenische *Bewahrer Sealdric verübte Völkermord an den Drahusem, indem er ihre Heimatwelt Prissaria mit Hogas-Bakterien infizierte. Die beiden letzten bekannten lebenden Drahusem sind *Jee A Maru und *Ken Dra. Dryer, Helen Ehemalige CIA-Agentin, die vom *General für die Geheimorganisation *Shadow Command abgeworben wurde. Im Auftrag des Generals lief sie zum Schein zu den Scardeenern über und führte *Sealdric an der Nase herum, um ihn mit seinem Schlachtschiff zur Erde zu locken. Später kehrte sie zu Shadow Command zurück und schlug sich anscheinend endgültig auf Sealdrics Seite, nachdem der General von *Sherilyn Stone getötet wurde. Helen Dryer trägt ihr braunes Haar modisch kurz und leicht gewellt. Sie ist schlank und durchtrainiert, durchaus als attraktiv zu bezeichnen. Charakterlich ist sie kalt, reagiert schnippisch und egoistisch und ist unberechenbar DUST *Dai Urshar Senekar Tarmalis FBI Federal Bureau of Intelligence. Amerikanische Bundespolizei. Foster, Henry Freund Simon McLairds. Anfang sechzig. Trinkt gerne einen über den Durst. Starb in DUST 1 durch die Hand von Shadow Command FREEDOM Schlachtschiff *Shadow Commands. Das Schiff unterstand dem Bewahrer Sealdric und besaß unter scardeenischer Flagge die Rufbezeichnung SENSOR. Wurde nach dem Entern durch Shadow Command in FREEDOM umbenannt. Gernah Kleiner Asteroid in der Nähe des Planeten *Prissaria. Hier war die Weihestätte der Schwertträger untergebracht. Der Asteroid besitzt eine eigene, für Menschen atembare Atmosphäre. 147
Gossett, Paul Ehemaliger CIA-Agent, trat zusammen mit *Helen Dryer der Geheimorganisation *Shadow Command bei und verließ diese, nachdem er beim überfall auf das Schlachtschiff *SENSOR schwer verwundet wurde. Geriet in die Fänge der *NSA und konnte mit Hilfe von Marshal *Liz fliehen. Gossett trägt kurzes, schwarzes Haar und einen dichten Vollbart. Er gilt als leicht ungeschickt und ein wenig trottelig, wenn es um die Durchführung von Aufträgen geht. Übersieht oft wichtige Details oder geht falschen Spuren nach. Harris, Sean Lieutenant bei Shadow Command. 180 cm groß, Schnauzbart, militärisch kurzer Haarschnitt. Dienstnummer 48327-H-16031965. Hyperraum Übergeordnetes Kontinuum, das losgelöst von dem uns bekannten vierdimensionalen Raum existiert. Im DUST-Universum kostet der Flug durch den Hyperraum keine Zeit. Die Lichtmauer wird durch Hyperantrieb durchbrochen, indem auf Überlichtgeschwindigkeit beschleunigt wird. Die Raumschiffe werden hierbei von einem multidimensionalen Kraftfeld geschützt, das ihre Masse aufhebt, so dass diese bei Erreichen der Lichtgeschwindigkeit nicht gegen unendlich gehen kann. Im Hyperraum selbst ist ein Aufenthalt möglich. Wird eine bestimmte Zielkoordinate im Normalraum angepeilt und als Austrittspunkt gewählt, so wird die reine Reise durch den Hyperraum in Nullzeit zurückgelegt. Auf diese Art und Weise ließen sich theoretisch beliebige Distanzen im Universum überbrücken. Die Praxis scheitert jedoch an der Kenntnis über den Austrittspunkt; liegen die Austrittskoordinaten inmitten eines Planeten- oder Sonnenkerns oder in der Nähe eines kosmischen Schwerefeldes (Quasar, Pulsar, Stern oder Planet), wären die Folgen für ein Raumschiff beim Austritt katastrophal. Deswegen springt man anhand bekannter Sternenkonstellationen und stets aktualisierter Navigationskarten durch den Hyperraum. Jee A Maru Angehörige des Volkes der *Drahusem von der Welt *Prissaria. Jee A Maru ist *Schwertträgerin und trägt den traditionellen, eng anliegenden schwarzen Overall und dazu weiße Stiefel. Sie wird von *McLaird als ätherische, makellose Schönheit beschrieben. Ihr Haar ist lang und silberfarben. Die Augen besitzen einen grünen Ton. Joey Ein Kumpel McLairds und Nashs. Kardina Junge Amazone mit langem, schwarzen Haar und grünen Augen. Verliebt sich zeitweilig in Simon McLaird Ken Dra Ehemaliger Pilot an Bord von Jee A Marus Forschungsschiff. Nun ein Schwertträger. Kurzes, braunes Haar, 182 cm groß, schlaksig. Kor'sen LaMal Erster Vorsitzender des Ur-Wissenschaftsrates auf Scardeen. Begründer der Technokratie im Scardeenischen Reich
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Lasaria Königin der Amazonen auf Mazoni. Vom Wissenschaftsrat Scardeens auf Lebenszeit zur Anführerin bestimmt, um im Sinne der Scardeener zu wirken. Mazoni Waldplanet auf dem die *Amazonen leben. McLaird, Simon Thomas Zum Zeitpunkt des ersten DUST-Romanes ist er 29 Jahre alt. Er ist 1,82 groß, trägt kurze, dunkelblonde Haare und hat eine athletische Figur. Geboren wurde er in Austin, Texas. Seine Großeltern waren schottische Einwanderer. Vater: Patrick William Simon McLaird, Captain der U.S. Army; Mutter Charlotte McLaird, geborene Forsythe. Beide kamen fünf Jahre vor DUST 1 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Simon hat keine weiteren Verwandten. McLaird, Simon Thomas Zum Zeitpunkt des ersten DUST-Romanes ist er 29 Jahre alt. Er ist 1,82 groß, trägt kurze, dunkelblonde Haare und hat eine athletische Figur. Geboren wurde er in Austin, Texas. Seine Großeltern waren schottische Einwanderer. Vater: Patrick William Simon McLaird, Captain der U.S. Army; Mutter Charlotte McLaird, geborene Forsythe. Beide kamen fünf Jahre vor DUST 1 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Simon hat keine weiteren Verwandten. Mossar Verbales Kommando zum Aktivieren des Schwerts der Schwertträger Mossar-re Verbaler Befehl, um das Schwert eines Schwertträgers zu deaktivieren. Nash, Calvin Freund von *Simon McLaird. Wurde von Agenten der *NSA getötet. Nash, Harriet Ehefrau von Calvin Nash. Wurde von NSA-Agenten getötet. NSA National Security Agency – innerstaatlicher Geheimdienst der Vereinigten Staaten mit Hauptsitz in Fort Meade, Virginia. O'Roarke, Craig Stellvertretender CIA-Direktor O'Ryan, Linda Corporal bei Shadow Command Phi 21. Buchstabe des griechischen Alphabets und das Symbol der Organisation *Shadow Command. Prissaria Vierter Planet im Zerum-System im Zentrum der Milchstraße. Loses Mitglied des
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Staatenbundes des *Scardeenischen Reichs. Wurde von *Sealdric mit Hogas-Bakterien infiziert, die alles Leben auf Prissaria vernichteten. Pyramiden Die uralten Bauwerke spielen eine zentrale Rolle bei der Speicherung kosmischer Energien für höhere, spirituelle Zwecke. *McLaird und seine Freunde erhielten in der CheopsPyramide Hinweise auf die Koordinaten des mysteriösen Planeten *DUST. Ri'ta Alte religiöse Lehre der Drahusem. Rem Ko Schwertträger, der Simon McLaird, Jee A Maru und Ken Dra von der Erde abholt. Wird bei der Verseuchung Prissarias durch die Hogas-Bakterien getötet. Scardeen Zentralwelt des Scardeenischen Reiches. Schwertträger Kaste der *Drahusem. Stellen die Edelleute von *Prissaria dar. Die Schwertträger bestehen schon seit Jahrtausenden. Ihr oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und der Schutz der Schwachen. Sie folgen einem ritterlichen Kodex und tragen einen eng anliegenden schwarzen Overall und weiße, wadenhohe Stiefel. Ihre Waffe ist ein Breitschwert, das auch gleichzeitig die Schwertträger in einem mysteriösen Licht erscheinen lässt. Das Schwert ist eine High Tech Waffe mit einer scharfen, unzerbrechlichen Klinge, die aus einem Material besteht, das sogar Geschosse oder Laserstrahlen ablenken kann. Gleichzeitig befindet sich im Griffschacht eine Energiequelle über die hypergeladene Plasmablitze über die Klinge entladen und verschossen werden können. Diese Art des Plasmakonzentration zerreißt die Atomstruktur von Stahl, Granit und Diamant und vermag gar leichte Schutzschilde zu durchdringen. Innerhalb des Schwertgriffs gibt es eine hyperdimensionale Tarn- und Antigravitationsvorrichtung, die mit dem Träger des Schwertes auf mentale Weise verkoppelt sind. Das Schwert schwebt sozusagen unsichtbar an der Seite des Trägers, allerdings in der Raumzeit phasenverschoben, so dass man es im getarnten Zustand auch nicht berühren kann. Durch den verbalen Ausruf „Mossar!“ wird die Tarnung aufgehoben und das Schwert kehrt in die Jetztzeit zurück, um vom Träger ergriffen zu werden. Der Befehl „Mossar-re“ versetzt es in Phase und lässt es sicht- und fühlbar verschwinden. Sealdric Bewahrer (Rasarah) von Scardeen und Mitglied des Wissenschaftsrats. Er ist 185 cm groß hat pechschwarzes, kurzes Haar. Er verlor sein ehemaliges Flaggschiff SENSOR an Shadow Command und sinnt seither auf Rache. Sealdric versucht mit allen Mitteln die Erde zu vernichten. Der Genozid an den Drahusem geht auf sein Konto. Shadow Command Geheime Organisation, die ihre Mitglieder aus den Agenten anderer Geheimdienste oder Soldaten des Militärs rekrutiert. Shadow Command wird offensichtlich von einem General geleitet. Wer die wirklichen Größen und Befehlsgeber sind, ist nicht bekannt. Shadow Command dient scheinbar einzig dem Zweck, außerirdische Technologien zu sammeln, um der Menschheit den Weg ins All zu ebnen.
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Stone, Sherilyn Beginnt ihre Laufbahn bei Shadow Command als Captain, wird jedoch später vom General zum Major befördert. Stone war von Anfang an gegen die brutalen Methoden des Generals und lehnte sich gegen ihn auf. Sie deutet sie McLaird gegenüber an, dass sie Shadow Command übernehmen wird. Tanya Amazonenprinzessin von Mazoni. Mittelblondes Haar. Entsagte ihrer Mutter Lasaria, der Amazonenkönigin und stellte sich mit einigen anderen Amazonen gegen sie. Tennard, Luis Sergeant bei Shadow Command und Freund von *Sean Harris. Afroamerikaner mit kurzem Haarschnitt Thorne, Harry Executive Operations Manager bei der NSA. Übersetzungsring Kleiner, unauffälliger Ring, der automatisch aktiviert wird, wenn ihn verbale Schallvibrationen erreichen. Er fängt Gedankenmuster auf, analysiert diese und gibt sie für den Ringträger in verständlicher Sprache wieder. USSS United States Secret Service. Ursprünglich von Abraham Lincoln ins Leben gerufen, um die Falschgeldmachenschaften aufzudecken, übernahm der Secret Service nach und nach weitere Aufgaben. Neben der ursprünglichen Überwachung und Verfolgung von Blüten und deren Dealern ist der Secret Service heute für den Schutz des Präsidenten und der Kongressabgeordneten verantwortlich. Secret Service Agenten in Zivil und in Uniform übernehmen rund um die Uhr die Wache im und ums Weiße Haus. Wright Patterson Militärstützpunkt der U.S. Air Force in der Mojave-Wüste von Kalifornien. Angeblich soll hier das in Roswell abgestürzte UFO zuerst gelagert worden sein, ehe man es in die später eingerichtete Area 51 (Nellis Airbase / Dreamland) verlegte. Wright Patterson wird in DUST 1 erwähnt, wohin die Wrackteile des Raumschiffs von Jee A Maru und Ken Dra gebracht wurden.
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